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Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften.

Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften.

Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften.

Herausgegeben von der Preussischen Akademie der Wissenschaften.

Band Xm.

Erste Abteilung: Werke XIII.

Berlin B. Behr's Verlag

(Friedrich Feddersen) 1920.

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Wilhelm von Humboldts

Werke.

Herausgegeben von

Albert Leitzmann.

Dreizehnter Band.

Nachträge.

Unter Mitwirkung von Siegfried Kahler und Eduard Spranger.

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Berlin B. Behr's Verlag

(Friedrich Feddersen'i 1920.

Inhalt

Seite

[. Die Vasken oder Bemerkungen auf einer Reise durch Biscaya und das

französische Basquenland im Frühling des Jahrs i8oi i

2. Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit (bearbeitet von Siegfried

Kahler) , igj

j. Amtliche Arbeiten aus den Jahren i8og und i8w (bearbeitet von Eduard

Spranger) 207

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion für den Kultus und öffent- lichen Unterricht 209

B. Über die Organisation des Medizinalwesens 25^

C. Der königsberger und der litauische Schulplan 259

D. Bericht an Altenstein über die Finanzgrundsälze der Sektion . . . 28J

E. Verschiedenes ......' 2go

Nachwort (von Konrad Burdach) 320

Alle Rechte vorbehalten.

I.

Die Vasken,

oder

Bemerkungen auf einer Reise durch Biscaya und das französische Basquenland im Frühling des Jahrs 1801.

nebst

Untersuchungen über die Vaskische Sprache und Nation, und einer kurzen Darstellung ihrer Grammatik und ihres Wörtervorraths.

Handschrift (ausser dem Titel- und dem Widmungsblatt 251 halbbeschriebene Quartseiten) im Besitz des Freiherrn von der Lancken- Wakenitz auf Günthersdorf. Sie ist mit dem Tagebuch der baskischen Reise zusammengebimden.

W. V. Humboldt, Werke. XHI. I

Herrn Bockelmann in Hamburg gewidmet.

An des Biscayischen Golfs einsam umfluteten Küsten

Wallt' ich, Theurer, mit Dir einst in den Tagen des Mays.

Möge der Sehnsucht Flamme jetzt mild dir den Busen umspielen, Da dies erinnernde Blatt dankbar dir weihet der Freund !

Versteckt zwischen Gebirgen, wohnt zu beiden Seiten der WestP^Tenaeen ein Völkerstamm, der eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch seine ursprüngliche Sprache, und grossen- theils seine ehemalige Verfassung und Sitten erhalten und sich, nach dem glücklichen Ausdruck eines neueren Schriftstellers,') eben- sowohl dem Auge des Beobachters, als dem Schwerdt der Erobrer entzogen hat der Stamm der Vasken *) oder Biscayer. Wie die

*) Man geräth in Verlegenheit, wenn man den ganzen Stamm der Biscayischen Nation mit Einem Namen benennen will, und man sucht vergebens nach einem, der einstimmig von Spaniern, Franzosen und Deutschen angenommen wäre. Die Franzosen kennen schlechterdings keine allgemeine Benennung. Sie sagen : Biscciyens, wenn sie von den Spanischen, Basqiies, wenn sie von den Französischen Vasken reden, und nehmen im Nothfall ihre Zuflucht zu dem alten Namen : Cantabres. Die Spanier schränken den Namen Vizcaya nur auf die eigentliche Herrschaft, el Sefiorio, ein, und sagen übrigens von dem Lande: las provincias Bascongadas, und von der Sprache el Bascuence. Die Bewohner benennen sie nach den einzelnen Provinzen : Vizcainos, Guipuzcoanos, Alaveses. So hat dieser unglückliche Völkerstamm selbst bis auf die Einheit seines Namens verloren. Um zugleich kurz und deutlich zu seyn, und alle bei diesen verschiednen Nationen üblichen Namen zu benutzen, werde ich mich folgender Benennungen bedienen. Wenn von dem ganzen durch das Basquenland, Biscaya und Navarra verbreiteten Stamm die Rede ist : Vasken ; wenn ich von dem Spanischen Antheil des Landes rede : Biscaya ; wenn ich von den der Französischen Republik unterworfenen Vasken spreche : Basquen ; wenn ich das sogenannte Sefiorio besonders meyne : Vizcaya.*) Eigennamen von Personen und Oertern werde ich, bei der Verschiedenheit der Vaskischen Dialecte, immer so schreiben, wie es der Dialect des Districts, dem sie angehören, mit sich bringt.

^) Ich kann den Ursprung dieses Zitats nicht nachweisen.

^) Nach „Vizcaya" gestrichen: „Diese Benennungsart wähle ich jedoch mehr ihrer Bequemlichkeit als ihrer Richtigkeit wegen. Denn sonst Hessen sich selbst gegen den neuerlich, und soviel ich weiss, zuerst von (gestrichen : „Herrn") Schlözer gebrauchten Namen Vasken nicht ungegründete Einwürfe machen. Doch hievon erst nachher bei der etymologischen Untersuchung des Namens der Nation."

Q Die Vasken.

Häupter der Berge, deren waldigte Abhänge sie umwohnt, sich aus den Revolutionen des Erdkörpers, ^) so hat sich diese kleine Völkerschaar aus den gewaltigen Stürmen ') gerettet, welche seit dem Sinken der Römischen Herrschaft das südwestliche Frank- reich und Spanien heimsuchten. Selbst in neueren Zeiten in zwei sehr ungleiche Theile zerrissen und zwei grossen und mächtigen Nationen untergeordnet, haben die Vasken dennoch keineswegs ihre Selbstständigkeit aufgegeben. '^} Sich mit keinem ihrer Nach- barn vermischend, *) sind sie, aller Fortschritte des Luxus und der Verfeinerung um sie her ungeachtet, in einem Zustand ursprüng- licher Sitten-Einfalt ^) geblieben, und haben immerfort die Eigen- thümlichkeit ihres Nationalcharakters, und vor allem den alten Geist der Freiheit und Unabhängigkeit bewahrt, den schon die Griechi- schen und Römischen^) Schriftsteller an ihnen preisen.

Auch in andern Theilen Europens giebt es einzelne Völker- haufen, die, durch den Drang geV^^altsamer Revolutionen in ein- same Bergthäler oder an dürre und unwirthbare Seeküsten zurück- getrieben, mit einem Trotz, den das Unglück ehrwürdig macht, ihre väterliche ') Sprache und Sitten ^) aus dem Strome der allge- meinen Verwüstung gerettet haben, und nun theils aus Gewohn- heit, theils aus edlerem Nationalstolz jedes Zusammenschmelzen ^) mit ihren fremden Nachbarn hartnäckig verweigern.^") So stehen, und einige unter ihnen vielleicht nicht mehr auf lange Zeit, die NiederBretagner in Frankreich, in England ihre Brüder, die Bewohner von Wales, in Schottland die Hochländer, in Süd- und NordDeutschland die einzeln zerstreuten Wendischen Völker- schaften, in Schweden die tapfern Dalecarlier, an den Busen der Ostsee die Esten und Liven, und einige andre noch unbedeuten- dere Stämme in Italien und auf den Italiänischen Inseln, gleichsam

*) Nach „Erdkörpers" gestrichen: „erhalten haben''.

^) „Stürmen" verbessert aus „Völker stürmen".

*) Nach „aufgegeben" gestrichen: „Sie haben".

*) „vermischend" verbessert aus „beträchtlich vermischt".

^) „ursprünglicher Sitten-Einfalt" verbessert aus „der Einfalt oder der Wildheit der Sitten (denn beide Ausdrücke passen auf verschiedene Vaskische Cantons)".

•*) „Griechischen und Römischen" verbessert aus „alten".

') „väterliche" verbessert aus „alte".

^} Nach „Sitten" gestrichen: „fest umklammernd, beide".

^) „jedes Zusammenschmelzen" verbessert aus ,Jeder Vermischung".

^°) „verweigern" verbessert aus „widerstehen".

Einleitung. n

als lebendige Ruinen von ebensoviel ehemals mächtigen und weit- verbreiteten Nationen da. Allein keinem unter allen diesen Stämmen ist es so sehr, als den Vasken, gelungen sich noch bis auf den heutigen Tag eine') selbstständige politische Verfassung und einen ^) blühenden Wohlstand zu verschaffen, keinem so als ihnen, viele der w^ohlthätigsten Früchte Europaeischer^) Auf- klärung ') glückhch mitten in ihre Einöden zu verpflanzen, ohne darum doch ihre Eigenthümlichkeit und ihre ursprüngliche Ein- fachheit aufzugeben. Diesen Vorzug verdanken sie offenbar ihrer Lage zwischen den P3Tenaeen und dem Oceane, die sie auf der einen Seite vor feindlichen Einfällen sichert und selbst den zu häufigen Verkehr mit ihren Nachbarn einschränkt, auf der andern aber ihnen den Weg zur Gemeinschaft mit allen Nationen und zum Handel mit allen Welttheilen eröfnet. In dieser ihrer geo- graphischen Lage muss man auch den Schlüssel ihrer ganzen, und besonders ihrer früheren Geschichte suchen.

Das Schicksal der Süd- und Nordküste Spaniens wurde vor- zügHch durch die Meere bestimmt, welche beide bespülen. Jede schönere Blüthe früher Cultur sprosste allein an den Ufern des glücklichen Mittelmeers. Früh von Phoeniciern, Garthagern, und Griechen beschifft, trug dies auch schon in den ältesten Zeiten die Fremdlinge des verfeinerten Orients dem gesegneten Baetika zu, und bald wimmelte das heutige Andalusien, Valencia und Gatalonien, von Gades bis Emporium hinauf, von Pflanzstädten verschiedener Völker. Allein hinter Gades erhoben sich ^) die ge- fürchteten Säulen des Herkules, und hier begann das Reich der Fabel und des Wahns ; die Sonne, glaubte man, tauchte sich da mit Gezisch in den Ocean, auf die Helle des Tages folgte unmittelbar und ohne alle Dämmerung die Finsterniss der Nacht, und so ver- hinderte abergläubischer Wahn, verbunden mit Unkunde der Schiffarth, auch nur den kurzen Weg durch die Meerenge von Gibraltar hindurch bis an die West-Küsten Portugalls und Spaniens fortzusetzen. Einzelne Handlungsschiffe gingen zwar unstreitig sogar noch viel weiter und bis nach Britannien hinauf, aber die Gewinnsucht hüllte diese Schiffarth gern in geheimnissvolles Dunkel, um allein im Besitz des Vortheils zu bleiben, den sie gewährte. Auf diese Weise sähe Gallicien zuerst unter Caesar,

^) Gestrichen: „so".

^) Nach „Europaeischer" gestrichen: „Cultur und".

*) „erhoben sich" verbessert aus „waren".

g Die Vasken.

und der Vaskische Meerbusen erst unter August eine Römische Flotte. Ja die letztere umschiffte nicht einmal die ganze Nord- küste Spaniens, sondern kam nur von Aquitanien aus dahin.*) Bis auf diese Zeit lebten also die Völker dieser Gegenden fast ohne alle Gemeinschaft mit Fremden und behielten daher alle bis zum Ende des Cantabrischen Krieges (im [734.] Jahre Roms), einige sogar noch nachher, die immer mit dieser Absonderung ver- bundne rauhe und unbändige Wildheit. Dazu kam noch die Be- schaffenheit des Landes, ^) das kalt, bergigt und unfruchtbar, auch die Gefahren der Schiff"arth und die Beschwerden des Landwegs abgerechnet, niemand reizen konnte, es zu besuchen.**) Was also Spanien an uralten Bewohnern besass, man mag dieselben nun für ursprünglich Iberische Stämme, oder schon in den frühesten Zeiten mit Kelten und andern Fremdlingen vermischt, annehmen, kann ^) man allein in dieser Gegend, an der Küste des einsamen und unbesuchten Oceanes antreffen, ^) und je mehr der Süden des Landes von Karthagern und Römern, bald verwüstet, bald erobert wurde, desto mehr drängten sich die des Jochs unwilligen Urbewohner in die Nähe des Weltmeers und der Pyrenaeen zu- sammen.

In der grossen Völkerwanderung, wo Spanien der Tummel- platz vieler*) streitenden Nationen wurde, sahen zwar die Pyre- naeen den Durchzug mehrerer fremden Völkerstämme. Allein theils wählten dieselben die bekanntere Südküste durch Roussillon und Catalonien, theils konnten nach Beute begierige Barbaren, das reiche und gesegnete Spanien im Auge, keine Lust haben, sich beim Eingang mit der Besiegung eines armen und tapferen Volks aufzuhalten,^) und so blieben'') die Vasken auch damals abgesondert und unabhängig. Selbst die Mauren drangen nie tief in das Land ein, sondern machten nur einzelne Streifzüge nach

*) Orosius. /. 6. c. 2i. (? Mann. 255.)'') **) Strabo. /. 3. p. 200. 234. (ed. Almeloveenii) ^) Nach „Landes" gestrichen : „selbst". ^) „kann" verbessert aus „miiss". ^) ,.antreffen" verbessert aus „aufsuchen". *) „vieler" verbessert aus „mehrerer".

•*) „sich aufzuhalten" verbessert aus „ein armes imd tapjeres Volk zu unterjochen".

®) „blieben" verbessert aus „erhielten sich".

') Mannerts geographisches Werk ist Band 4, 66 Anm. i nachgewiesen.

Einleitung. q

Alaba. ^) Dadurch setzten sich die Ueberbleibsel des Vaskonischen Stammes nach und nach in den natüriichen Gränzen fest, die sie noch jetzt einnehmen, wo sie gegen Norden das Meer, gegen Osten die Kette der Pyrenaeen, und gegen Westen und Süden das Gebirge einschliesst, das am linken Ufer des Ebro Vizcaya, Alaba, und Xavarra von AltCastilien scheidet. Auf der Franzö- sischen Seite der Pyrenaeen erstrecken sie sich nur sehr wenig ins Land hinein, und haben -) bloss die zunächst um den Fuss des Gebirgs liegenden Ortschaften inne.

Jetzt stehen^) ihnen zwar nicht leicht mehr*) gewaltsame Erschütterungen bevor, vielmehr können die Vaskischen Provinzen in Spanien und Frankreich einem steigenden Wachsthum ihrer Bevölkerung und ihres Wohlstandes entgegensehn. Aber ihrer nationeilen Eigenthümlichkeit bereiten desto sichrer die langsamen^) Einflüsse den Untergang, welche, bei der wechselseitigen Berührung fast aller Punkte Europens unter einander, jeden geringeren Haufen in unsern Tagen seinen ausschliessenden Charakter aufzugeben ^) nöthigen. Sie verdrängen nach und nach ihre Sprache und mit dieser geht nothwendig zugleich auch jene ') verloren. Schon jetzt muss dieselbe, von allen Seiten verfolgt, und am stiefmütter- lichsten gerade von dem aufgeklärtesten Theile der Nation be- handelt, von Jahrzehend zu Jahrzehend tiefer in das Gebirg zu- rückweichen, und es ist vorauszusehen, dass ihr Verfall, ^) von nun an, einen noch mehr beschleunigten Gang nehmen wird. Die schnelle Abnahme, welche die provenzalische und tolosanische Mundart im südlichen Frankreich seit dem Anfange der Revolu- tion erfahren hat, giebt davon ein warnendes und lehrreiches Bei- spiel. In weniger als einem Jahrhundert also wird vielleicht das Vaskische aus der Reihe der lebendigen Sprachen verschwunden seyn, und sogar in neuern Zeiten gab es ähnliche Erscheinungen. ^)

*) „nach Alaba" verbessert aus „in Alaba hinein".

^) „haben .... inne" verbessert aus „besitzen".

^) „stehen .... bevor" verbessert aus „drohen".

*) „nicht leicht fnehr" verbessert aus „keine".

^) Nach „langsamen" gestrichen: „doch um desto gewisser wirkenden".

") „seinen aufzugeben" verbessert aus „sich mit Aufopferung seiner ausschliessenden Eigenthümlichkeit an die grösseren Ganz . . . ."

'') Jene" verbessert aus „ihre abgesonderte Nationalitaet".

*) „ihr Verfall" verbessert aus „die Ursachen, die dies bewirken".

^) „und Erscheinungen" verbessert aus „und diese Erscheinung wäre dann schon nicht einmal in unsern Zeiten die erste in ihrer Art."

jQ Die Vasken.

Denn auf gleiche Weise starb im Anfange des achtzehnten Jahr- hunderts die AltPreussische Sprache mit einigen Greisen in einem Winkel von Samland*) aus, und in unsern Tagen sahen wir eine Mundart des Kymrischen in Cornwallis**) untergehen.

Es scheint einmal in dem Gange der menschlichen Cultur ^) unwiderruflich bestimmt, dass auf einer gewissen Stufe der Bildung die Unterschiede hinwegfallen müssen, welche kleine Völkerhaufen von einander absondern, und dass nur grosse Massen in gemein- schaftliche Wirksamkeit treten dürfen. Ganze Nationen zu be- deutenden intellectuellen Fortschritten zu veranlassen, und vor- züglich sie vor jedem möglichen Rückfall in Barbarei und Un- wissenheit zu sichern, fodert grosse politische Mittel; die Mannig- faltigkeit der daraus entstehenden neuen Verhältnisse bringt Mannig- faltigkeit und Neuheit in den Ansichten und Ideen hervor; und der menschliche Geist wäre ohne das erweckende Schauspiel einer heftigen und fast allgemeinen Reibung der menschlichen Kräfte vielleicht nie zu einigen seiner erhabensten Entdeckungen gelangt. Ob indess nicht auch dies eine Gränze kennt, ob nicht die Bildung wiederum einen Punkt erreicht, auf dem es eben so nothwendig ist, Einbildungskraft und Gefühl in einen engen Kreis einzuschliessen, als den Verstand in eine weite Sphäre zu führen, um dem Charakter die Wärme und Kraft zu erhalten, ohne die nichts in ihm Frucht tragen kann? ist eine andre und gewiss nicht unwichtige Frage.

Allein ohne auch in diese Untersuchung einzugehen, erregt der Untergang eines Völkerstamms, sollte er gleich als ein dem wohlthätigen Geschick der ganzen Menschheit dargebrachtes Opfer fallen, immer eine wehmüthige Empfindung und noch mehr der gänzliche Untergang einer Sprache. Den Menschen sind wir einmal gewohnt uns vergänglich zu denken; also wenn auch der Laut auf ewig verstummt, in dem er sonst sich selbst überlebt, ■^) wenn die Form zerbrochen wird, in die ein eigner Menschenstamm seine ^)

*) Praetorii Nachricht von der Preussischen Sprache in Actis Bornss. V. 2. p. 900. (? Schlözers Nord. Gesch. p. 9. 34.) *)

**) Steht, wenn ich mich nicht irre, in den Origines Gauloises. p. 114.

^) „Cultur" verbessert aus „Schicksale".

*) „in überlebt" verbessert aus ,,der sonst Menschenalter an Menschen- alter knüpft".

^) „ein eigner Menschenstamm seine" verbessert aus „eine eigne Menschen- gattung ihre".

*) Vgl. Band 6, 1^6 Anm. i.

Einleitung. I j

Gedanken und Empfindungen goss,^) dann scheint sein Untergang doppelt wehmüthig, weil nun alle Verbindung zwischen ihm und der Folgezeit hinweglällt. Selbst wenn eine Sprache, noch durch keine Literatur verfeinert, nur der reine Ausdruck der Denkart eines rohen Volkes ist, bleibt ihr Verlust keinesweges gleichgültig. Denn auch in der höchsten Cultur giebt es unläugbar einen Punkt, auf dem die zartesten -) Regungen der verfeinerten Empfindung von selbst in die einfachen Ergiessungen des natürlichen Gefühls zurückkehren, und auf dem in einer wahrhaft cultivirten Nation die am sorgfältigsten ausgebildeten Individuen in fortwährender und gegenseitiger Berührung mit dem schlichten, aber gesunden Theile des Volks stehn.

Gerade dadurch, dass die Vaskische Sprache Volkssprache ist, und dass man in den Vasken mehr gesunde Richtigkeit des Unheils, als wissenschaftliche Bildung, mehr natürlich warmes und lebendiges Gefühl, als verfeinerte Empfindsamkeit suchen muss, flösst diese Sprache und diese Nation^) ein noch lebendigeres*) Interesse ein. Sobald eine Sprache literarische und wissenschaft- liche Bildung bekommt, wird sie den Händen des Volks entrissen, und selten gewinnt sie nachher noch'^) an Energie oder Reichthum.**) Denn immer empfängt sie ein sinnlicheres '^) und mannigfaltigeres Gepräge in dem Gebrauche *) des Volks, als in dem der Schrift- steller; sie muss erst im Munde eines kräftigen und weit ver- breiteten Völkerstamms (dessen ursprünghches Eigenthum sie ist) zum Ausdruck der unmittelbarsten Bedürfnisse, der natürlichsten Empfindungen, der kindlichsten Phantasie, ja selbst der rohesten Leidenschalten gedient haben, ehe sie unter späteren verfeinerten

^) Nach „goss" gestrichen: „nun bis zur Vertilgung ihrer letzten Spur ver- nichtet wird, können daher wohl nur diejenigen mit Gleichgültigkeit untergehen sehen, die auf alles, was sie roh und ungebildet nennen, mit schnöder Verachtung hinabschauen, und nicht hohe Menschlichkeit genug in sich tragen, um den zarten Punkt zu erkennen, yvo . . . ."

^) „zartesten" verbessert aus „feinsten".

^) Nach „Nation" gestrichen : „demjenigen, der den Menschen nicht bloss in Individuen, sondern auch in Massen zu beobachten liebt".

*) „lebendigeres" verbessert aus „höheres".

^) „nachher noch" verbessert aus „durch die Berichtigung imd Erweiterung, die sie nachher erhält".

^) Nach „Reichthum" gestrichen : „meistentheils vielmehr biisst sie dadurch an beiden zugleich ein."

') „sitinlicheres" verbessert aus „kräftigeres".

*) „Gebrauche" verbessert aus „Munde".

j2 Die Vasken.

Generationen durch Lebendigkeit, Stärke und Tiefe zum höchsten geistigen Gebrauch fähig werden kann. Der Mensch ist einmal bestimmt, sich gesellschaftlich auszubilden; der einzelne muss sich immer an eine Masse anschliessen, und alles Menschliche berührt sich zugleich in der Einfachheit der Natur und der höchsten Blüthe der Ausbildung. Ohne einen entschiednen, festen und kräftigen Volkscharakter erwartet man daher vergebens auch in der feinsten Bildung einer Nation Wahrheit, Stärke und Haltung. Je unermesslicher aber die Kluft zwischen dem Volk und den gebildeten Ständen der Nation wird, desto seltner wird auch die Erscheinung von Volkscharakteren. ^) Will man daher dieselben noch jetzt in reger und lebendiger Thätigkeit sehen, so muss man, gerade der Cultur ausweichend, in Gegenden gehen, wohin sie noch weniger gedrungen ist. Bei den Vasken aber kommen noch ausser- dem mehrere Umstände zusammen, die Erscheinung auffallender und belehrender zu machen.

Die Vasken, vorzüglich die Spanischen, sind nicht bloss arme Gebirgshirten oder gar unterdrückte Leibeigne. Sie sind ein Ackerbau, Schif farth und Handlung treibendes Volk und ermangeln des körperlichen Wohlstandes nicht, ohne den alles sittliche Ge- deihen unmöglich ist. Sie haben eine freie Verfassung, öffentliche Berathschlagungen grossentheils in ihrer Landessprache, also ein ge- meinschaftliches Interesse, das jeden angeht und für das jeder thätig seyn kann. Von einem, manchem Fremden vielleicht wunder- bar scheinenden Enthusiasmus für ihr Land und ihre Nation beseelt, bleiben auch die Begüterten, auch die, welche Ehrentitel in Casti- lien empfangen, oder angesehene Aemter bekleidet haben, gern ihrer Heimath getreu, und in dieser leben sie nothwendig in einer

'■) „sie muss Volkscharakteren" verbessert aus „und wenn einige neuere Sprachen sich vorzugsweise vor andern durch Lebendigkeit, Stärke und Tiefe des Ausdrucks auszeichnen, so rührt dies vielleicht nur davon her, dass sie länger, als jene, bloss Volkssprachen waren, oder von weiter verbreiteten, oder kräftigeren Stämmen gebildet wurden. Ueberhaupt beachtet man wohl nicht genug die Wichtigkeit der Ausbildung, welche das Volk durch den blossen freien, aber wohlgeregelten Gebrauch seiner Kräjte, ohne wissenschajtliche Cultur, sich selbst zu geben im Stande ist. Gewiss aber ist dieselbe einer Nation nicht bloss für ihren Wohlstand und ihre Sittlichkeit wichtig, sondern sie wirkt auch auf eine sehr bedeutende Weise auf ihre Fortschritte in der höchsten und feinsten Entwicklung von Ideen und Gefühlen ein. Freilich aber ist eine solche Ausbildung in der heutigen Lage unsrer Cultur, welche die Klujt zwischen dem Volk und den gebildeten Ständen immer unermesslicher macht, auch immer seltener anzutreffen.''

Einleitung.

13

sogar sehr grossen Gemeinschaft mit der Masse des Volks, da sie sich ebensowenig von den Sitten als der Sprache desselben aus- schliessen können. So geht immer ein gewisser Theil neuerer Aufklärung und Bildung in die Volkssprache und die Volksbe- griffe über, und es giebt eine minder sichtbare Absonderung der Stände, deren \"erschiedenheit in den Augen des ächten Vizcayers sogar gänzlich hinwegfällt. Auch muss es jedem Reisenden schon an der Physiognomie des Landes und der Menschen sichtbar seyn, dass in den Vaskischen Pro\dn2en das Volk mehr natürliche Bil- dung, und die Vornehmen mehr Popularität besitzen, als in dem benachbarten Spanien und Frankreich. Hierin kann man nur die kleinen Cantons der Schweitz mit ihnen in Vergleichung stellen, denen aber ihre politische Unabhängigkeit eine andre äussere und ihre geringere Absonderung, da sie keinen besondern Völkerstamm ausmachten, auch eine andre innere Lage gab.

Den Vasken zeichnet Sprache, Verfassung, Sitte, Gesichtsbil- dung, alles mit einem Wort, was ihn umgiebt, den Anblick seines Landes selbst nicht ausgenommen, als einen reinen und abgeschie- denen Völkerstamm aus. Seine tief in ihn verwebte Eigenthümlich- keit ist durchaus unabhängig von äussern und zufälligen Ursachen; ja weder nah, noch fern, kennt er einen verbrüderten Stamm, sondern steht in seinem kleinen Bezirk, zwischen dem Gebirge und dem Ocean, allein und inselmässig da. Was also reiner Stammcharakter heisst und wie er entsteht, lässt sich nirgend besser prüfen, als an ihm. In dem Fortgange der Bildung müssen freilich die grellen Contraste der Nationalcharaktere abgeschlif- fen werden, und insofern könnte diese Prüfung nur der Gegen- stand einer müssigen Neugierde scheinen. Aber einen Theil jener Charactere sorgfältig zu erhalten und zu nähren, und ihnen auch in der feineren Bildung, ihn mit in dieselbe hinüberführend, Gültigkeit zu verschaffen, gehört gewiss zu den nur noch wenig beachteten Mitteln, einer Nation Kraft und Charakter zu erhalten, über deren Mangel man so oft gerechte Klage führt. Denn jeder Versuch der Bildung ist übelverstanden, der nicht den Einfluss auch der blossen Natur, so viel es geschehen kann, lebendig erhält.

Die Stammeigenthümlichkeit der Vasken weist auf entfernte Jahrhunderte, auf die Zeit vor der Römischen und Karthagischen Herrschaft und die ersten Bevölkerer Spaniens zurück. Sie nimmt natürlich mit dem häufigeren Verkehr zwischen ihnen und ihren

14

Die Vasken.

Nachbarn nach und nach ab, aber wie sie sich auch in der Folge vermischen und anders gestalten mag, so wird noch lange Zeit hindurch immer ein gewisser Theil davon übrigbleiben. Es ent- stehen daher zwei wichtige Fragen, eine historische und eine po- litische: woher rührt der Stamm und die Sprache der Vasken, und mit welchen andern Stämmen und Sprachen smd beide verwandt? und wie soll die Spanische Monarchie (denn für die Französische Republik können ihre Vaskischen Districte nur eine sehr geringe Wichtigkeit haben) die Vaskische Nation behandeln, um ihre Kräfte und ihren Fleiss für Spanien so erspriesslich, als möglich, zu machen?

Die erste Frage ist oft aufgeworfen, aber wohl noch nirgends gründlich beantwortet worden. Fast alle Auflösungen, die man bisher davon gegeben hat, sind weniger das Resultat einer aus- führlichen und gründlichen Untersuchung, als willkührliche Ent- scheidungen der Systemsucht und des Partheigeistes. Auch ist wohl kein Ausländer, der über diese Materie geschrieben hat (denn die inländischen Schriftsteller sind aus andern Gründen verdäch- tig), von einer hinlänglichen Kenntniss der Sprache ausgegangen.

Die zweite Frage hat ein höheres praktisches Interesse, und das um so mehr, als gerade jetzt der Fall häufiger wird, dass ver- schiedene Völkerstämme in denselben Staat vereinigt werden. Man muss aber frei gestehen, dass man bisher wohl immer mehr daran gedacht hat, nur die Schwierigkeiten hinwegzuräumen, welche die Verschiedenheit entgegensetzt, als das Gute zu benutzen, das die Eigenthümlichkeit mit sich führt.

Diese und ähnliche Betrachtungen machten mir, seitdem ich den Entschluss fasste, Spanien zu bereisen, die Vaskische Nation und Sprache zu einem anziehenden Gegenstande der Untersuchung. Ich studirte die Vaskische Grammatik, suchte Nachrichten über das Land, aber es fehlte mir an den nöthigen Hülfsmitteln, vorzüglich an dem sehr seltenen Wörterbuch, das keine der verschiedenen öffentlichen Bibliotheken in Paris, wo ich mich damals aufhielt, besitzt. Als ich zum erstenmal im Herbst 1799. nach Spanien gieng, hatte ich nicht Zeit die Vaskischen Provinzen einzeln zu bereisen ; ^) auch war ich zu fremd in Spanien selbst, als dass ich eine solche Reise hinlänglich hätte benutzen können. Ich fuhr nur, wie jeder von Bayonne nach Madrid Reisende, durch den

^) „bereisen" verbessert aus „durchstreifen."

Einleitung. I c

weniger eigenthümlichen Theil des Landes hin. Aber die schöne Abwechslung freundlich bewachsner Hügel und lieblich durch- wässerter Thäler, die üppige Frische des Baumwuchses, die sorg- fältige Bebauung des Landes, in lauter kleinen, meist mit leben- digen Hecken befriedigten Gartenstücken, die Reinhchkeit der Dörfer und Städte, und vor allem die muntre und anziehende Physiognomie der Bewohner, flössten mir schon damals grosse Lust ein, länger in dieser Gegend zu verweilen. Nach meiner Rückkunft nach Paris im Sommer 1800. nahm ich mein unter- brochenes Studium des Vaskischen wieder vor, ich erhielt die nöthigen Hülfsmittel, das gedruckte Wörterbuch, und ein andres handschriftliches, das sich in der Sammlung der Nationalbibliothek befindet, ich las, was die Reisebeschreiber von dem Ländchen und der Nation sagen, vorzüglich des Engländers Bowles*) zwar nicht gerade sehr bedeutende, aber mit der Theilnahme an seinem Gegenstand, die auch den Leser ergreift, geschriebene Abhandlung, und ging mit mehreren Landeseingebohrnen, Fran- zosen und Spaniern, um, durch deren Güte ich manche sehr schätz- bare Nachrichten erhielt. Durch dies alles zusammengenommen stieg meine Begierde, das Land selbst genau zu durchreisen, aufs höchste. Denn ich sähe wohl ein, dass eine bloss gesprochene Sprache nicht anders als an Ort und Stelle erlernt werden könne.

Gerade um diese Zeit, im Anfange des Aprils des vorigen Jahrs, reiste mein Freund, Herr B. von Paris über Bayonne nach Cadiz.^) Er schlug mir vor, ihn bis an die Gränze von Castilien zu begleiten, und da ich gerade hinlängliche Vorkenntnisse ge- sammelt hatte, die Reise mit Nutzen anzustellen, auch meine Be- k£inntschaften in Paris mir den Weg zu den interessantesten Männern in dem Lande selbst öfneten, so fasste ich schnell den Entschluss, den Vorschlag anzunehmen. Vier und zwanzig Stunden darauf reisten wir ab ; ich verlebte zwei glückliche Monate theils im Spani- schen, theils im Französischen Vaskenlande ; und immer werde ich diesen an den Ufern des ßisca^ischen Busens zugebrachten Früh- ling für einen der schönsten meines Lebens ansehn.

Mein Hauptaugenmerk bei dieser Reise war die Sprache ; ich wusste nach den Erkundigungen, die ich eingezogen hatte, vorher, dass ich einige Personen in dem Lande antreffen würde, welche

*) Indroduccion ä la hist. natural y ä la Geografia fisica de Espana por D. Guülertno Bowles. Madrid 1775. ^1. 4. S. 281. ') „Cadiz" verbessert aus „Madrid".

14

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Einleitung.

17

wohnern zu geben, i besondres Studium . suchungen über die Ursprung ihrer Spn. machen sollen, besser können.

Ich darf mir nicL Schilderung der Vask gliche,^) das sich mi^ Wäre dies aber auc! mich für jede Mühst ihrer Sprache, viele se belohnt halten, weil ein Denkmal zu setze den Gesinnungen de in so hohem Grade <

1) „gliche" verbessi *) „doppelt" verbei

it dieser versehen, wird er, auch ohne Faches, den wissenschaftlichen Unter- nmung der Vaskischen Nation und den welche den Beschluss dieser Blätter , und ihre Resultate richtiger beurtheilen

leicheln, dass es mir gelingen werde, eine Nation zu entwerfen, welche dem Bilde ewig von ihr in die Seele geprägt hat. einigermassen der Fall, so würde ich . deren ich, vorzüglich bei dem Studium iurchkämpft habe, für mehr als doppelt ^) lir alsdann zugleich gelungen wäre, ihr ;, wenn gleich wenig ihrer würdig, doch tung und Liebe entspräche, die sie mir lösst hat!

mich twr einigermassen entspräche", „hinreichend".

W. V. Humboldt, \\\

n.

Wir waren in neun Tagen von Paris bis Bayonne gereist. Wir waren an den fruchtbaren Ufern der Loire hin geflogen, hatten den ehemals berühmten, nun vergessenen Mauern von Blois, Amboise, Tours, Poitiers und Angouleme einen flüchtigen Blick geschenkt, waren drei Tage in Bordeaux geblieben, und hatten endlich durch die wenig bebauten dürren Landen Bayonne er- reicht.

Wir schickten uns jetzt an, nachdem wir Frankreich fast seiner ganzen Breite nach im Fluge durchstrichen hatten, das kleine Vaskenland Schritt vor Schritt zu bereisen. Wir veriiessen doch aber Bayonne nicht, ohne vorher Biarits zu besuchen, den gewöhnlichen Badeplatz der Bayonner und eine der reizendsten

Gegenden.

Die Häuser des Orts liegen auf Felsen zerstreut, welche un- mittelbar das Meer bespült. Der Stein, aus dem der Felsen be- steht,^) ist sehr locker, und das Meer hat mannigfaltige Holen darin gebildet; einzelne mächtige Stücke haben sich von ihm los- getrennt und ragen, zum Theil in beträchtlicher Entfernung vom Ufer, aus den Fluten hervor, die sich mit majestätischem Brausen an ihnen brechen. Was man von einer schönen Meeresansicht erwarten kann, findet sich hier vereint, mahlerisöhe Gestalten eines felsigten Ufers in der Nähe und ein unbeschränkter-) Blick auf die ungeheure Fläche. Zur Rechten sahen wir die Gegenden, die wir nun bald genauer kennen lernen sollten, St. Jean de Luz, das Spanische Biscaya, die Gebirge von Fontarrabia und Lezo, zur linken die flacheren Französischen Ufer gegen den Ausfluss des Adour und die gefürchtete Barre eine gefähriiche Sandbank vor demselben.

1) „aus besteht" verbessert aus „der den Felsen bildet".

2) „unbeschränkter" verbessert aus „freier".

St. Jean de Luz. IQ

Wir verfolgten auf unserm Rückweg zur Stadt das Ufer auf dieser Seite noch eine Strecke hin. Ueberall fanden wir dieselbe Beschaffenheit des Ufers, niedrige Felsen von demselben lockern Gestein das sich in flach über einander geschobenen Lagen ins Meer hinein erstreckt, und in wunderbar gewundenen und durch- löcherten Figuren, und der dunkelgrauen Farbe verhärtetem Schlamme gleicht.

An einer Stelle überraschte uns ein sonderbarer Anblick. Etwa zweihundert Schritt vom Ufer stand ein einzelner Fels im Meer, der sich unten in einem weiten Bogen öfnete. Die Fluth war eben zurückgetreten, und es wimmelte um den Fels von Menschen, Männern, Weibern, und halb erwachsenen Knaben, die mit Fischen in der niedrigen Fluth beschäftigt waren. Die meisten angelten, einige suchten Muscheln, ein Paar Männer schwammen in dem tieferen Wasser jenseits, und stiegen her- nach ^) mit vieler Behendigkeit auf den glattgespülten Fels, oben einige Vogelnester auszunehmen. Die aufgeschreckten Mütter umflatterten ängstlich ihre zerstörten Nester, und der Haufe unten nahm einen lebhaften Antheil an dem Erfolge der Jagd. -)

Der Zweck unsres Spatziergangs war eigentlich eine Grotte zu sehen, die man die Grotte der Liebe [la grotte d'ajnour) nennt. Wir wurden aber für unsre Anstrengung, da der Tag schon ziemlich heiss war, sehr schlecht belohnt. Denn die Grotte hat, ausser ihrem Namen, und der Fabel, dass dort ein Paar Liebende Zuflucht gegen Verfolgung gefunden hätten, schlechterdings nichts merkw^ürdiges.

St. Jean de Luz.

Dem Wege von Bayonne nach St. Jean de Luz fehlt es an Bäumen und Schatten. Sonst würde er durch den Anblick der Pyrenaeen und des Meers, und die reizend auf kleinen Anhöhen zerstreuten, immer von ihren Gärten und Ackerbesitzungen um- schlossenen Häuser von Bidart und Gatal eben so anmuthig ^) als mahlerisch seyn.

Die Einwohner von Bidart treiben einen beständigen kleinen

') 'Nach „hernach" gestrichen: „ganz nackt, wie sie waren". *) Nach „Jagd" gestrichen: „Ein schöner Stoff für einen Landschaftsmahler zum Vordergriinde eines Meerstücks (verbessert aus „für eine Meeresaussicht"). '^ ') „anmuthig" verbessert aus „bezaubernd".

20 Die Vasken.

Handel und Waarentransport zwischen St. Sebastian und Bayonne. Sie bedienen sich dazu sehr kleiner, aber muntrer und starker Pferde. Dies ganze Geschält aber ist den Weibern und Mädchen überlassen, da die Männer sich mit Schiffarth und Fischerei be- schäftigen. Dem Reisenden, der nur eine kleine Excursion in die nächstgelegnen Gegenden Guipuzcoas vornehmen will, bieten diese Bidartinerinnen, deren man täglich viele in den Strassen von Bayonne antrift, die leichteste und sicherste^) Gelegenheit dar. Sie bringen ihn ohne alle Weitläuftigkeit über die Spanische Grenze, und ihr Cacaulet ist nicht nur eine äusserst bequeme, sondern auch sehr gesellschaftliche Art zu reisen,") da immer zwei Per- sonen auf demselben Pferde reiten. Zu jeder Seite eines gewöhn- lichen Saumsattels wird nemlich ein kleiner, mit Lehnen und Fussschemeln versehener Strohstuhl, und zwar nicht quer, sondern gerade wie beim gewöhnlichen Reiten,^) angebracht. Auf diesen sitzt man fast gleich gemächlich, als in seiner Stube, da man die Bewegung des Thiers, die man nicht unmittelbar theilt, nur wenig fühlt, und kann voller Behaglichkeit der Gegend und des Gesprächs gemessen; ja ich sah manchmal die Reisenden noch auf dem Rücken des Pferdes zwischen den Stühlen Karten spielen. Das einzige iJebel dabei ist die Unzertrennlichkeit, in der die beiden Reitenden mit einander stehen. Denn natürlich kann keiner von beiden allein absteigen, ohne den andern dadurch herunterzu- kippen.

In Rücksicht der Arbeitsamkeit scheinen beide Geschlechter in Bisca3^a und besonders im Französischen Basquenlande die Rollen vertauscht zu haben. Nirgends sah ich so viele und müh- selige Arbeit von Weibern verrichtet, als hier. In dem spanischen Antheil durchbrechen sie oft, über der sauren Laya^ einem Acker- werkzeug, das ich in der Folge beschreiben werde, gebückt, den strengsten und härtesten Boden; in Bilbao tragen sie, beim Aus- laden der Schiffe, die schwersten Lasten, besonders Eisenstangen, mit denen dort häufig Handel getrieben wird, auf dem Kopf vom Fluss in die Gewölber; selbst in Schmieden sah ich sie mit dem Hammer am Ambos beschäftigt. Das Merkwürdigste aber ist,

') „sicherste" verbessert aus „beste".

^) „eine reisen" verbessert aus „die bequemste und gesellschaftlichste Art zu reisen, die es geben kann".

^) „quer Reiten" verbessert aus „zur Seite, sondern in derselben Rich- tung, in der das Pferd geht".

St. Jcuii de Luz. 21

dass sie mit dieser ungewöhnlichen Stärke zugleicli eine gleich grosse •) Schnelligkeit und Behendigkeit verbinden.

Diese bewunderte ich vorzüglich an den sogenannten Stir(/i- //ürt's oder Sardellentriigerinnen, von denen mir auf dem Wege nach St. Jean de Luz viele '^j begegneten. Es ist ein närrischer") Anblick, wenn man von lern fünf bis sechs, manchmal aber auch zehn bis zwanzig meistentheils lange imd magre weibliche Ge- stalten, grosse runde verdeckte Fischkörbe auf dem Kopf, die sie frei, und ohne sie zu halten, tragen, nach einander in einer Reihe hinter einer Anhöhe emporkommen, und fast ohne alle Bewegung mit dem Leibe steif auf sich zu traben sieht. Denn jede eilt die erste zu seyn , ihre Sardellen in Bayonne auszurufen, und so laufen sie den ganzen Weg in einem Trabe, und gehen höchstens da langsamer, *) wo er steiler bergan steigt. In der Zeit, wo der Fang sehr stark geht, bringen sie, wie man mich versicherte, wohl auch ihre Waarc zweimal des Tages zu Markt, und legen also, trotz des schattenlosen Weges, und der brennenden Sonnen- hitze, diesen etwa 3 französische Meilen langen Weg viermal in demselben Tage zurück.

Ihre Bekleidung ist, wie man denken kann, sehr leicht, die Füsse ganz nackt, die Arme nur mit den Hemdärmeln bedeckt und der Kock bis auf die halben Schenkel aufgeschürzt, so dass das Hemde darunter nur bis ans Knie oder wenig darüber reicht. Die Leichtigkeit ihres (langes, die schon der sichre und geschickte Tritt verräth, drückt sich auch in dem Bau ihres Körpers aus. Ivist alle haben gutgeformte sogar zierliche'"') Beine, einen feinen Knochenbau und rein ausgearbeitete Muskeln, an keiner sieht man ungeschickt hervorstehende Knöchel, plumpe oder nieder- gedrückte Waden. Dagegen scheint die unselige Arbeit ") jede üppige VüWe des Wuchses weggeschnitten zu haben, und ob man gleich gewöhnlich alle Alter beisammen sieht, so lindet man selten eine eigentlich hübsche; doch sind die meisten gross, schlank und von richtigen Verhältnissen. Dem Oberleibe und der Haltung <ier Arme giebt das häutige Tragen auf dem Kopf") natürlich

') „gleich grosse" verbessert aus „noch bewiindcrnsiviirdigere".

') „viele" verbessert aus „mehrere Haufen".

•) ,,närrischer" verbessert aus „wunderbarer'-.

*) „gehen langsamer" verbessert aus „ni/in ItDcli.^tcns".

") „sogar zierliche" verbessert aus „rein au.sgcarbcitcte".

«) Vgl. Band 7. 5rp.

') „das Kopf verbessert aus „die Stellung".

20 Die Vasken.

Handel und Waarentransport zwischen St. Sebastian und Bayonne. Sie bedienen sich dazu sehr kleiner, aber muntrer und starker Pferde. Dies ganze Geschäft aber ist den Weibern und Mädchen überlassen, da die Männer sich mit Schiffarth und Fischerei be- schäftigen. Dem Reisenden, der nur eine kleine Excursion in die nächstgelegnen Gegenden Guipuzcoas vornehmen will, bieten diese Bidartinerinnen, deren man täglich viele in den Strassen von Bayonne antrift, die leichteste und sicherste^) Gelegenheit dar. Sie bringen ihn ohne alle Weitläuftigkeit über die Spanische Grenze, und ihr Cacaulet ist nicht nur eine äusserst bequeme, sondern auch sehr gesellschaftliche Art zu reisen,") da immer zwei Per- sonen auf demselben Pferde reiten. Zu jeder Seite eines gewöhn- lichen Saumsattels wird nemlich ein kleiner, mit Lehnen und Fussschemeln versehener Strohstuhl, und zwar nicht quer, sondern gerade wie beim gewöhnlichen Reiten, ^) angebracht. Auf diesen sitzt man fast gleich gemächlich, als in seiner Stube, da man die Bewegung des Thiers, die man nicht unmittelbar theilt, nur wenig fühlt, und kann voller Behaglichkeit der Gegend und des Gesprächs gemessen; ja ich sah manchmal die Reisenden hoch auf dem Rücken des Pferdes zwischen den Stühlen Karten spielen. Das einzige Üebel dabei ist die Unzertrennlichkeit, in der die beiden Reitenden mit einander stehen. Denn natürlich kann keiner von beiden allein absteigen, ohne den andern dadurch herunterzu- kippen.

In Rücksicht der Arbeitsamkeit scheinen beide Geschlechter in Biscaya und besonders im Französischen Basquenlande die Rollen vertauscht zu haben. Nirgends sah ich so viele und müh- selige Arbeit von Weibern verrichtet, als hier. In dem spanischen Antheil durchbrechen sie oft, über der sauren Laya^ einem Acker- werkzeug, das ich in der Folge beschreiben werde, gebückt, den strengsten und härtesten Boden; in Bilbao tragen sie, beim Aus- laden der Schiffe, die schwersten Lasten, besonders Eisenstangen, mit denen dort häufig Handel getrieben wird, auf dem Kopf vom Fluss in die Gewölber; selbst in Schmieden sah ich sie mit dem Hammer am Ambos beschäftigt. Das Merkwürdigste aber ist.

') „sicherste" verbessert aus „beste".

*) „eine reisen" verbessert aus „die bequemste und gesellschaftlichste Art zu reisen, die es geben kann".

') „quer Reiten" verbessert aus „zur Seite, sondern in derselben Rich- tung, in der das Pferd geht".

St. Jean de Luz. 21

dass sie mit dieser ungewöhnlichen Stärke zugleich eine gleich grosse ^) Schnelligkeit und Behendigkeit verbinden.

Diese bewunderte ich vorzüglich an den sogenannten Sardi- nieres oder Sardellenträgerinnen, von denen mir auf dem Wege nach St. Jean de Luz viele -) begegneten. Es ist ein närrischer ^) Anblick, wenn man von fern fünf bis sechs, manchmal aber auch zehn bis zwanzig meistentheils lange und magre weibliche Ge- stalten, grosse runde verdeckte Fischkörbe auf dem Kopf, die sie frei, und ohne sie zu halten, tragen, nach einander in einer Reihe hinter einer Anhöhe emporkommen, und fast ohne alle Bewegung mit dem Leibe steif auf sich zu traben sieht. Denn jede eilt die erste zu seyn, ihre Sardellen in Bayonne auszurufen, und so laufen sie den ganzen Weg in einem Trabe, und gehen höchstens da langsamer, *) wo er steiler bergan steigt. In der Zeit, wo der Fang sehr stark geht, bringen sie, wie man mich versicherte, wohl auch ihre W^aare zweimal des Tages zu Markt, und legen also, trotz des schattenlosen Weges, und der brennenden Sonnen- hitze, diesen etwa 3 französische Meilen langen Weg viermal in demselben Tage zurück.

Ihre Bekleidung ist, wie man denken kann, sehr leicht, die Füsse ganz nackt, die Arme nur mit den Hemdärmeln bedeckt und der Rock bis auf die halben Schenkel aufgeschürzt, so dass das Hemde darunter nur bis ans Knie oder wenig darüber reicht. Die Leichtigkeit ihres Ganges, die schon der sichre und geschickte Tritt verräth, drückt sich auch in dem Bau ihres Körpers aus. Fast alle haben gutgeformte sogar zierliche ^) Beine, einen feinen Knochenbau und rein ausgearbeitete Muskeln, an keiner sieht man ungeschickt hervorstehende Knöchel, plumpe oder nieder- gedrückte Waden. Dagegen scheint die unselige Arbeit^) jede üppige Fülle des Wuchses weggeschnitten zu haben, und ob man gleich gewöhnlich alle Alter beisammen sieht, so findet man selten eine eigentlich hübsche ; doch sind die meisten gross, schlank und von richtigen Verhältnissen. Dem Oberleibe und der Haltung -der Arme giebt das häufige Tragen auf dem Kopf^) natürlich

„gleich grosse" verbessert aus „noch bewundernswürdigere".

„viele" verbessert aus „mehrere Haufen".

,,närrischer" verbessert aus „wunderbarer".

„gehen langsamer" verbessert aus „ruhn höchstens".

„sogar zierliche" verbessert aus „rein ausgearbeitete".

Vgl. Band 7, ^g2.

„das Kopf" verbessert aus „die Stellung".

22 Die Vasken.

eine gezwungene Steifigkeit, und die Gesichtsmine hat den Aus- druck einer mühevollen Anstrengung.

Ich bin einen Augenblick länger bei dieser Schilderung ver- weilt, weil sie zugleich die Grundzüge der weiblichen Basquischen Nationalphysiognomie enthält. Fast durchgehends hat dieselbe mehr Charakterausdruck, als Reiz, feine und tief ausgearbeitete Züge, die sich bis ins hohe Alter hinein erhalten, und in der Schmalheit der Gesichter, den langen gerade heruntersteigenden Nasen, den schwarzen, starken, eng zusammenstehenden Augen- braunen einen Ernst, der in Strenge übergeht, aber immer durch- aus von Castilianischer Finsterkeit, und sorgenvoller Schwermuth entfernt ist.

An der Seeküste, besonders in Luz kann die Lage, in der sich dort das andre Geschlecht befindet, leicht einen sichtbaren Einfluss auf die Physiognomie ausüben. Fast alle Männer sind in diesen Gegenden Seeleute, und daher ein grosser Theil der- selben abwesend. Von St. Jean de Luz befanden sich namentlich zur Zeit meiner Reise viele in Englischer Gefangenschaft. In der Abwesenheit der Männer müssen nun die Weiber nicht nur allein ihr Haus erhalten, sondern auch oft noch jenen Geld in die Fremde nachschicken. Die armen Sardellenträgerinnen haben bei ihrem mühseligen Gewerbe meistentheils nur einen sehr geringen Gewinn, ja manchmal, wenn die Goncurrenz der Verkäuferinnen gross ist, noch Verlust. Dem Weibe des Seemanns kann daher die Unterhaltung ihres Hauswesens, die ihren Kräften allein auf- gebürdet ist, und die Sorge über ihren in steten Gefahren schwebenden Mann leicht eine strengere und männlichere Ge- sichtsbildung geben, die nach und nach zur Nationalphysiognomie eines arbeitsamen Küstenvolks wird.

Ueberhaupt aber ist die Arbeitsamkeit des weiblichen Ge- schlechts einer von den mehreren Zügen, durch welche sich die schon von Strabo bemerkte Aehnlichkeit der Nordküste ^) Spaniens in Sitten und Gewohnheiten bewahrt, und durch welche dieselbe sich vor dem Innern und vorzüglich dem Mittag des Landes aus- zeichnet. In dem Gebirge von Pas, beim Thal Carriedo, im Norden von AltCastilien tragen die Weiber 20 Spanische Meilen in die Runde auf ihrem Rücken Butter «und Käse herum, und bringen dafür Waaren zurück; und Campomanes in seiner ge-

') „Nordküste" verbessert aus „Nordbewohner".

St. Jean de Luz. 2^

haltvollen Schrift über die Volkserziehung ^) vergleicht sie mit den Weibern der früheren Menschenalter, die Juvenal*) den weich- lichen Damen seiner Zeit entgegensetzt, und die nach ihm selbst ihre ungeschlachten Männer an rauher Stärke übertrafen. Uebrigens sind diese sogenannten Pasiegas gerade durch das Gegentheil dessen, was man an den Biscayerinnen bemerkt, nemlich durch plumpe ungeschickte Dicke und Fülle des Wuchses bekannt, und es ist die Frage ob der Unterschied des Tragens auf dem Rücken und auf dem Kopf nicht schon allein diese Verschiedenheit hervor- bringt. Das erstere drückt die Gestalt offenbar unedler nieder, da das letztere, wenn es gelingen soll, schon Leichtigkeit und Sicher- heit des Ganges und eine gewisse Geschicklichkeit in der Haltung voraussetzt. In Galicien ist, wie mir einsichtsvolle Augenzeugen versicherten, der Unterschied an Geisteskräften zwischen beiden Geschlechtern in den niedrigen arbeitenden Classen beim ersten Anblick auffallend. Die Männer, welche durch ganz Spanien Last- und besonders WasserträgerDienste verrichten, werden durch diese einförmige, bloss körperliche Arbeit durchaus roh und stumpf und die aguadores Gaüiegos sind nur zu häufig das Ziel des Spanischen Volksvvitzes, da den indess zu Hause allein wirthschaftenden Weibern die mannigfaltigere Sorge für ihr Haus- wesen eine sonst ungewöhnliche Einsicht und Gewandtheit giebt. Diese Geschäfts-Ivlugheit (die, im Vorbeigehn gesagt, auch in Frankreich im Ganzen grösser ist als in Deutschland) trift man, und zwar in höheren Graden auch in Biscaya an. In Bilbao ist es nichts Ungewöhnliches, dass Kaufmannsfrauen nicht nur ihre Männer bei Führung ihrer Geschäfte, auch w^o es grossen und eigent- lichen Speculationshandel betrift, thätig unterstützen, sondern auch demselben allein im Grossen und im Kleinen mit Glück vorstehen.

*) silvestrem montana torum curn sterneret iixor frondibiis et culnio vicinanimque ferarum

pellibus

sed potanda ferens infantibus ubera magnis

et saepe horridior glandem ructante marito. Sat. 6.^)

wenn das Gebirgsweib streuet des Walds Ehbett aus Gezweigen,

und aus schilfigem Rohr und der nahumschweifenden Thiere

Häuten

aber reichend den Kindern, den starken, zu trinken die Brüste

und oft scheuslicher noch als ihr eichelnrülpsender Gatte.

^) Seine „Discursos sobre el fomento de la industria populär y su educacion" erschienen Madrid i-]']4—'j'j.

*) Juvenals Satiren 6, 5.

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St. Jean de Luz.

25

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*) Observations Theil nachzusehen.] *)

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on Barreges und Gavarnie, in einer Gruppe

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eine an ^) grossen und glücklichen Natur- :t über die Pyrenaeen mit der Bemerkung, -irge dem Naturforscher eine solche Regel- iarbietet, und dies bestätigt sich auch durch •steigen des westlichen Theils ihrer Kette. Knde des Thals von (lauteres, der, wenn honen Wasserfällen des Gave hin den lac rer dem tiefen Blau des dunkeln ^) Sees gleich nneepyramide dasteht, bis zu den letzten eresküste bildet das Gebirge gleichförmige, 200 Toisen niedrigere Stufen,") so dass man

'• dans les Pyrenees (par Ramond). p. 126. Der neue

rkung aus den memoires sur la derniere guerre entre u'is et Strasboursr. 1801. Der Verfasser derselben be- Stufen bilden.

1728. toisen (Ramond. p. 126. 1722. toisen). 1607.

1472. ine andre Messung an, nach welcher derselbe 1557. toisen ibst übertrieben nennt.

cbirge den grössten Theil des Jahrs hindurch mit Eis be- ird ihr .\nblick milder. Denn der .\nfang der Eisregion

') Nach .,jn :n: ,,scharf sinnigen".

*) „des dunkci-. ssert aus „der dunkeln Fluth des^'.

') Seinem Paru^ erschienenen Hauptwerk Hess Ramond iSoi „Voyages

au Mont perdu et dans .artie adjacente des hautes Pyrenees" yb/g^eM.

2A Die Vasken.

Dagegen führen die Weiber in Castilien, in dem ganzen Innern des Königreichs, und in den mittäglichen Provinzen, wenn man Catalonien und gewissermassen Valencia ausnimmt, ein fast durch- aus müssiges und unthätiges Leben. Campomanes*) hält dies für ein Ueberbleibsel der bei den Mauren üblichen Einsperrung des andern Geschlechts, welche nothwendig Trägheit und Schwäche zur Folge haben musste. Indess ist es sonderbar, dass gerade da, wo die Mauren sich am längsten aufhielten, im unteren Andalusien, in Granada und vorzüglich in Malaga die Frauen, selbst bei weniger Bildung, und selbst unter dem Volk, eine Lebhaftigkeit und Gewandtheit des Geistes, eine Fülle und Feinheit des Witzes besitzen, in der sie die Männer weit hinter sich zurücklassen, und die, verbunden mit ihrer meistentheils sehr reizenden Bildung, ihnen eine Liebenswürdigkeit so eigner Art giebt, dass der Aus- länder sie kaum zu ahnden im Stande ist.^) Müsste man hierin Spuren Maurischer Sitten suchen,^ so dürfte man in der That ihren Einflüssen so abgeneigt nicht seyn. Wenn es dagegen einen Theil Spaniens giebt, in welchem die Weiber im Volk weder die Stärke, welche die Arbeit hervorbringt, noch den Gesichts- ausdruck verrathen, den ein heiter beschäftigtes Gemüth giebt, so sind es die inneren Provinzen, namentlich AltCastilien. Es scheint mir daher bei weitem wahrscheinlicher, dass die vielfältigen unglücklichen Einflüsse, welche Castilien Jahrhunderte hindurch verfolgten, welche den Castilianer, der gewiss an innerm Edel- muth seinen Nachbarn aufs wenigste gleich ist, selbst wider seinen Willen zu Trägheit und Armuth verdammten, und deren Ent- wicklung ich einer andern Gelegenheit vorbehalte, das weibliche Geschlecht doppelt schwer trafen und doppelt tief nieder- drückten.

Hinter Gatal verliess ich die Landstrasse und wählte einen einsameren Fusssteig dicht am Meeresufer. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, und die sanft gekräuselten Wellen funkelten ^) in unendlichem Glanz. An dem Abhänge eines der Hügel, an denen ich ritt, war ein Quell, zu dem die Mädchen des be- nachbarten Orts, grosse irdene Gefässe ^) auf dem Kopf, Wasser zn schöpfen kamen. Hinter mir sah ich Biarits mit seinen weit

*) p. 86.

^) „sie ist" verbessert aus „keinen Begriff" davon hat".

2) „funkelten" verbessert aus „leuchteten".

^) Nach „Gefässe" gestrichen: „beinah von der Gestalt unsrer Thekannen".

St. Jean de Luz. 2C>

ins Meer hinein zerstreuten einzelnen Felsmassen, vor mir St. Jean de Luz und im Hintergrunde die Berge von Fuentarrabia.

Die Kette der Pyrenaeen hat ihren höchsten Gipfel in ihrer Mitte, in der Gegend von Barreges und Gavarnie, in einer Gruppe um dtn Moni per du herum, der, 1763.*) toisen hoch, die ganze öst- liche und westliche Reihe beherrscht. Von da senkt sie sich gegen beide Meere zu hinab, aber in ungleichen Verhältnissen. Die Westseite steigt allmählig hernieder, und verliert sich an dem Ufer des Oceans in unbedeutende Hügel; die Ostseite dagegen ist steil und setzt dem Mittelmeer schroffe Vorgebirge entgegen. Der Weg von Perpignan nach Spanien hat daher mit Mühe durch den Fels gehauen werden müssen, da der von Bayonne nur zwischen kleinen Anhöhen hinläuft.

Ramond beginnt seine an ^) grossen und glücklichen Natur- ansichten reiche Schrift über die Pyrenaeen mit der Bemerkung, dass kein andres Gebirge dem Naturforscher eine solche Regel- mässigkeit des Baues darbietet, und dies bestätigt sich auch durch das gleichförmige Absteigen des westlichen Theils ihrer Kette. Vom Vignemale am Ende des Thals von Cauteres, der, wenn man an den wunderschönen Wasserfällen des Gave hin den Lac de Gaiibe besucht, hinter dem tiefen Blau des dunkeln ^) Sees gleich einer ungeheuren Schneepyramide dasteht, bis zu den letzten Anhöhen an der Meeresküste bildet das Gebirge gleichförmige, fast genau immer um 200 Toisen niedrigere Stufen,**) so dass man

*) Observations faites dans les Pyrenees fpar Ramond). p. 126. [Der neue Theil nachzusehen.] ^)

**) Ich nehme diese Bemerkung aus den niemoires siir la derniere guerre entre la France et l'Espagne. Paris et Strasbourg. 1801. Der Verfasser derselben be- stimmt 9 Gipfel, die 8 solche Stufen bilden.

I., Vignemale 1728. toisen (Ramond. p. 126. 1722. toisen).

2., la Somme de Soule 1607.

3., le pic de midi de

Pau ou d'Ossau 1472.

Ramond führt p. 127. eine andre Messung an, nach welcher derselbe 1557. toisen haben würde, die er aber selbst übertrieben nennt.

Bis hieher sind die Gebirge den grössten Theil des Jahrs hindurch mit Eis be- deckt. Von hier an aber wird ihr Anblick milder. Denn der Anfang der Eisregion

^) Nach „an" gestrichen: „scharfsinnigen". '^) „des dunkeln" verbessert aus „der dunkeln Fluth des". ') Seinem Paris ij8g erschienenen Hauptwerk Hess Ramond 1801 ,,Voyages au Mont perdu et dans la partie adjacente des hautes Pyrenees" folgen.

25 l^i^ Vasken.

um Bayonne herum schon keinen der höheren Pyrenaeengipfel mehr im Gesicht hat.

Die schönsten Berge, welche man von dort aus überschaut, ^) sind die Larruna*) und der Kronenberg, montagjie couronnec. Der erstere erscheint lang hin gedehnt, gemach ansteigend auf der einen Seite, schnell abstürzend auf der andern ; dem zweiten haben seine dreifachen zinnenähnlichen Erhebungen auch den Namen des Drei-Säulen-Berges gegeben. Es wird dem Reisenden schwer, diesen Berg, wenn man ihm näher kommt, wiederzuerkennen. Soviel ich mich habe orientiren können, ist er derselbe, der in Biscaya la haya de Oyarzima genannt wird, und dann bestimmte er den Ausgang des Feldzugs von 1794. Denn die Generale Moncey und Delaborde vertrieben von dort am 14. Thermidor des gedachten Jahrs die Spanier aus ihrem verschanzten Lager, nachdem die Truppen den Berg mit unglaublicher Mühe und Kühnheit erstiegen hatten ; nun erst konnte Frey wille ihre von vorn unbezwingliche Stellung auf St. Martial umgehen und einnehmen ; und solange der Feind diese behauptete, war es unmöglich über die Bidasoa in Spanien einzudringen.**)

Die eben erwähnten Berge, "-) an die sich gegen das Meer zu die Gebirge von Lezo und Fuentarrabia anschliessen, bilden einen

kann bei den Pyrenaeen nur erst bei 1200. toisen (also 100 toisen höher als bei den Alpen) angesetzt werden. Ramond. p. 302.

4., le pic d'Anie, bei den Französi- schen Basquen Ahagua, bei den Spaniern Cenia-Larra genannt, 1280. toisen (Ramond. p. 127. 1269. toisea)

5., Hory 1031. toisen

6., Orsansurietta 801. toisen

7., Haussa über dem Thal Bastan 667. toisen

8., Larruna (nicht la Rhune) . . 462. toisen

9., Jaizquibel 278. toisen

*) Es ist ein gewöhnlicher Fehler, die ersten Silben Baskischer Namen in Spa- nien und Frankreich zum Spanischen und Französischen Artikel zu verdrehen. So heisst die Larruna (von larrea, Weide, und ona, gut, guter Weideplatz) in Bayonne gewöhnlich la Rhune, Elorrio, Elanchove auf Spanischen Karten el Orrio, et Anchove. Die merkwürdigste Verstümmelung dieser Art ist die des Namens des bekannten du Halde, der, obgleich in Paris gebühren, seiner Abstammung nach ein Basque war, und eigentlich Uhalde (also d'Uhalde) hiess. Uhalde (der zur Seite des Wassers, so wie Larralde, der zur Seite der Weide wohnt) ist nemlich ein in Biscaya häufig vorkom- mender Familienname.

**) Metn. sur la guerre cet. p. 100 112.

^) „dort aus überschaut" verbessert aus „Bayonne aus im Auge hat".

^) Nach „Berge" gestrichen: „mit den kleineren, die sie umgeben".

St. Jean de Luz. 27

zusammenhängenden Kreis, ^) der nur da unterbrochen ist, wo bei dem Pass von Behobie der Weg nach Spanien hineingeht. Von diesem anmuthigen Gebirgskranze steigt nun ein Busen fruchtbaren Landes gegen das Meer herab. Die Berge verlieren sich in niedrigere Hügel, die Hügel in Ebne, und am Ende der Ebne dicht am Meer, von seinen Wellen bespült und gedrängt, liegt St. Jean de Luz. Ein reizendes Amphitheater, von unge- heuren Massen, dem Gebirg und dem Ocean, umschlossen.

Ein kleiner Fluss theilt St. Jean de Luz in zwei Theile, Ci- boure und Luz. Vermuthlich in Vergleichung mit der Ba3'onner Nive hat man dem kleinen ^) namenlosen Wasser den Namen Nivelle gegeben. Aber das mit jeder Fluth einströmende Meer macht das unbedeutende Bächlein zum jNIeeresarm, den gemauerte Quais aus Quadersteinen bis an die Bucht einschliessen. Die Bai ist klein, aber mahlerisch; fast ein regelmässiges Rund, links vom Fort Socoa,*) rechts vom Fort St. Barbe begränzt. Bei Socoa ist der Hafen von Ciboure, der Haupthafen des ganzen Orts, auf den Anhöhen von Bordagaina, **) ^) dicht hinter dem Städtchen, steht ein Leuchtthurm und daneben ist ein Altan zum^ Versammlungsplatz der Seeleute. Luz hat seinen eignen Hafen in der Stadt selbst, der aber von gefährlicher Einfahrt ist.

Am besten übersieht man die Lage von St. Jean de Luz von Ste Barbe aus. Auf Vaubans Vorschlag wollte Ludwig 14. die ganze Bai durch eine vom Meeresgrund an aufgeführte Mauer schhessen lassen, um den Schiffen innerhalb einen sichern Zu- fluchtsort zu verschaffen, zu dem sie durch eine in der Mitte gelassne Oefnung gelangen sollten. Die Ausführung dieses bei- nahe riesenmässigen Plans wurde aber, wie so viele andre,*) verschoben. In neueren Zeiten nahm Dupre de St. Maur, der Intendant der Provinz war, diesen schon vergessnen Plan wieder auf, und von ihm rühren die beiden Mauerstücke her, die von Socoa und St. Barbe aus einige hundert Schritte ins Meer hinein- gehen, und mit der kühnen Grösse gebaut, die Jahrhunderten

*) Socoa, bei den Spanischen Biscayern Zocoa, der Winkel, die Ecke. **) Die Meierei auf der Höhe. Borda, Meierei, gaina, Guip. gana, die Höhe, der Gipfel.

M ,,zusammenhängenden Kreis'^ verbessert aus „anmuthigen Gebirgskranz". ^) „kleinen" verbessert aus „unbedeutenden".

*) Nach „Bordagaina" gestrichen: „schöner, grünbewachsener Hüg[el]". *) Nach „andre" gestrichen : „bis auf künftige Zeiten".

28 Die Vasken.

Trotz bietet, unerschüttert dem Andrängen der tosenden Wellen widerstehn. Allein Dupre konnte das Werk nicht beendigen und nach ihm blieb es liegen.

Steigt man bei St. Barbe auf dem blättrigen mürben Fels bis zu dem Anfang jener Mauer herab, und wendet sich rechts gegen Ba3'^onne zu, so geniesst man einer unermesslichen Meeresansicht. Die Ufer weichen hier zurück, eine schroffe Felskante versperrt die Aussicht aufs Land, überall ist nur Himmel und Meer. Auch bei nicht stürmischer See rollen die Wogen hier mit fürchter- licher Gewalt gegen das Ufer, ihr weisser Schaum sprützt über den Steindamm in die Höhe, und sie schiessen tief in die Holen des durchlöcherten Felsen hinein. Man hört sie unter seinen Füssen brüllen, und da sie die Grundfesten des Felsens selbst untergraben, reissen sich oft Stücke von demselben los, und stürzen herab. Auf diese Weise entstanden wohl die Felsmassen im Meer bei Biarits.

Links übersieht man die lieblich umschlossene Bai, den^) fruchtbaren Landbusen des Städtchens, gegenüber die Ecke von Socoa, die grünbewachsnen Hügel des Leuchtthurms , und da- hinter in der Ferne die blaue weit ins Meer vorragende ^) Ge- birgsreihe, welche in eine schmale Landspitze, la punta del Higuer^*) ausläuft, die von hier nur noch wie ein einzelner Punkt im Meere schimmert.

Der Weg von Ste Barbe nach der Mündung der Nivelle zeigt eine Menge von Spuren des verwüstenden Vordringens des Meers. Der Ort sieht beim Eingange von dieser Seite wirklich wie ein Fischerort aus. Einzelne steinerne Hütten mit platten Dächern sind ganz unregelmässig durch einander gebaut. Das Meer war ehemals viel weiter von der Stadt entfernt ; durch Ueberlieferung alter Personen weiss man, dass es vor kaum 2oo' Jahren noch Gärten innerhalb der Bai gab, und Leute von 50 erinnern sich auf Stellen am Meere in ihrer Kindheit gespielt zu haben, von denen es jetzt nie zurückweicht. Ueberall am Ufer sieht man Ruinen verlassner Häuser, von andern, noch weiter entfernten sind die Mauern bis auf einige Fuss hoch mit Sand bedeckt, den das näher heranbrechende Meer, ehe es selbst kommt, ge-

*) la pointe du figuier bei Fuentarrabia.

') Nach „den" gestrichen: ,.schönen".

*) „vorragende^' verbessert aus „sich erstreckende" aus „hinein vorlaufende".

St. Jean de Luz. 2Q

wohnlich voranzuschicken pflegt. Die Einwohner benutzen die Ruinen der verlassnen Häuser zu Gärten und ziehen ihre Wohnungen gegen die Berge zurück. Allein dort sind Sümpfe und so sind sie auch von dieser Seite im Gedränge.

Nah an der Flussmündung stand ehemals ein Ursulinerinnen- kloster. Das Meer sandte bei grossen Stürmen den Nonnen oft- mals seinen Schaum ins Dach hinein. Vor etwa 15 Jahren verlegte sie ein Bischof in ein anderes Kloster, und nun geben die verfallnen Mauern, in deren ehemals heilig verschlossnes Innre man ^) frei hineinblickt, eine mahlerische Ruine.-)

Der steinerne Quai des Flusses gieng sonst weiter in die Bai hin- ein; jetzt ist er sehr beschädigt und verfallen. Ich erinnerte mich lebhaft, wie ich zwei Jahre vorher an einem stürmischen Herbst- tage an demselben Fleck mit den Meinigen stand. Wir mussten, um durch den Fluss zu fahren (da eben die Brücke zerbrochen war), die Ebbe abwarten, machten einen Spaziergang an den Hafen, und setzten uns auf die äusserste Spitze des Quais. Neben uns angelten ein Paar Fischer ; die Lumpen, aus denen ihre starken Glieder nackt hervorblickten, bewiesen die Armseligkeit ihres Fanges, und sie riefen uns sehr lebendig die Theokritische Schilderung der Dürftigkeit des Fischerlebens zurück. ^)

Wir sassen damals lang dort, und ergetzten uns unglaublich an dem Schauspiel des sturmbewegten Meers. Die W^ogen rollten majestätisch von der Höhe auf uns zu; aus der engen Mündung prallten ihnen entgegen andre zurück, und so in diesem Widerstände aufgehalten, brach sich ihre finsterthürmende Spitze in weissen Schaum, der vom Mittelpunkt aus, wie ein plötzlich entzündetes Feuer, zu beiden Seiten in unabsehlichen Reihen hin- lief; dann sich mit verdoppelter Gewalt überwälzend, stürzten sie lautbrausend zwischen den qiiais in den Fluss. Dieselbe Flut aber, die hier vor uns, eingeengt im Drange des Ein- und Zurückströmens, wild auftobte, ergoss sich hinter uns mit pfeilschneller Geschwindig- keit in lieblichen Schlangenlinien über das glattgespülte Ufer und so unglaublich rasch war die Bewegung wann die zweite Welle der ersten zurückkehrenden begegnete, sah man, wie in einem durchsichtigen Kr}^stall, zwei zusammenhängende Spiegelflächen über einander in entgegengesetzten Richtungen hingleiten. In der

^) Nach „man" gestrichen: ,Jetzt".

*) „eine mahlerische Ruine" verbessert aus „einen mahlerischen Anblick".

^) Vgl. Band 3, IIS.

30

Die Vasken.

Ferne vernahm man nur ein dumpfes Toben, ein verwirrtes Ge- wühl der Wogen ; an den hervorragenden Klippen spriitzte Schaum aus der dunkeln Flut empor, und auf der äussersten Höhe des Meers schwankten von Zeit zu Zeit die schimmernden Segel eines Schiffes vorüber.

Nie ist mir die todte und rohe Masse der Schöpfung so über- gewaltig vorgekommen, nie der Keim des Lebens in der Natur dagegenjso schwach und ohnmächtig, als hier zwischen denPyrenaeen und dem Ocean. In den Gebirgen jene Ungeheuern, von keinem mildernden Grün umkleideten Felsmassen, das Bild einer ewig unthätigen Ruhe, einer Last, die, immer auf den Mittelpunkt ihrer Schwere drückend, nur zusammenzustürzen droht, um sich noch fester an einander ballend jedes freie Lebensspiel zu ersticken. Was dagegen bei dem Anblick des Meers die Einbildungskraft bis zum Entsetzen anspannt, ist die fürchterliche, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit nach allen Seiten zugleich fortpflanzende, von dem unbedeutendsten Stoss die ungeheuerste Tiefe aufwühlende, den ganzen Erdkreis erschütternde ^) Beweghchkeit. Vor diesen all- gewaltigen Kräften einer doppelten Zerstörung, dort durch in sich zu- sammenstürzende Schwere, ^) hier durch ewig mit sich fortreissendes Rollen, beide in todten, blinden und ungeschiedenen ^) Massen, vor diesen wüsten Elementen des Chaos scheint jede lebendige *) Kraft verschwinden und verstummen zu müssen. Dennoch erhält sich, der Pflanze gleich, die, aus den Ritzen des Felsens hervorkriechend, ^) seine schroffen Ecken umklammert, mitten unter dieser Ver- wüstung der leblosen Natur die lebendige Organisation, und wie der im Stein verborgne Funke, springt der Trieb der Bildung aus ihr selbst hervor. In diesem unauflösbaren Räthsel, in dem Gefühl der verschwindenden Ohnmacht des Menschen gegen die Macht der Elemente, und in der Bewunderung ihrer entsetzlichen Massen, die wild und ungebändigt, wie sie sind, doch durch dasselbe Gesetz, durch das sie Allem Zerstörung drohen, einem fremden Zuge zu folgen, sich in unaufhaltsamem Umschwünge fortzuwälzen und dadurch in Gleichgewicht zu halten gezwungen werden, verliert sich zugleich Gedanke, Phantasie und Empfindung, so oft wir dem

^) „erschütternde^' verbessert aus bedrohende".

^) „Schwere" verbessert aus „Ruhe".

^) Nach „ungeschiedenen" gestrichen: „und ungeheuren".

*) „lebendige'^ verbessert aus „geistige".

^) „hervorkriechend" verbessert aus .,sich .... hervorwindend".

St, Jean de Luz. o j

Meer oder einem Gebirge gegenüber stehen. Es ist der geheimniss- volle Zug, durch den die grosse Natur uns unauflöslich an sich fesselt, und uns in die sanfte Schwermuth hinüberzieht, ^) von der wir uns ebensowenig, als von ihrem Anblick loszureissen vermögen. Es ist der Kampf des Leblosen mit dem Lebendigen, durch die eigenthümlichen Kräfte beider, wie durch ein ewiges Schicksal, dessen innren Zusammenhang ein undurchdringlicher Schleier -) verbirgt, zu Harmonie und Eintracht verbunden.

Am Flusse hinauf nach der Stadt zu, geniesst man des An- blicks des Landes und der Berge. Auf einer kleinen Halbinsel im Fluss gerade zwischen Ciboure und Luz steht ein ehemaliges Recollectenkloster. Beide Oerter hatten in älteren Zeiten beständige Händel mit einander. Bei Gelegenheit feierlicher Processionen kamen diese dann gewöhnlich zum Ausbruch. Man schlug sich erst mit den Kreuzen, dann aber folgten auch Steine und andere Waffen. Endlich kam man im vorigen Jahrhundert überein, zum Zeichen der wiederhergestellten Eintracht, die nun nichts wieder stören sollte, auf gemeinschaftliche Kosten dies KJoster zu bauen. Auch das übrige Basquenland trug dazu bei, und man verband mit dem Kloster noch eine Erziehungsanstalt. Um das Versöhnungskloster herum stehen einige Pappeln. Jenseits ist die Aussicht sehr schön. Ein Hügel hinter der Stadt am Fusse der Larrune ist mit einem reizenden grünen Gehölze umkränzt, und aus dem Gebüsch blickt ein freundliches Landhaus hervor. Ein herrlicher grüner Vorgrund vor den hinteren graueren Bergen.

Ciboure*) wird, wie schon im Vorigen gesagt ist, nur durch eine Brücke von Luz getrennt. Im Anfange der Revolution war es den Neuerungen weniger günstig, als Luz ; allein der Spottname der olfrapontains^ den man den Cibourern gab, brachte viele zu andern Gesinnungen.

In älteren Zeiten waren beide Oerter bei weitem blühender, als jetzt. Ihre Hauptnahrung war der Wallfisch- und Stockfisch- fang. Ersterer hat schon seit langer Zeit gänzlich aufgehört, und letzterer ist ungleich minder bedeutend, als ehemals. Im Jahr 1730. sandten sie noch 30 Schiffe zu demselben, jetzt etwa noch 6. 1675. foderte (eine Nachricht, die sich, wie man mir sagte, in

*) Man leitet sogar den Namen des Orts daher ab. Cubia, Brücke, blirua, Kopf; Brückenkopf.

') „hinüberzieht" verbessert aus „versenkt'' aus „hinreisst". ^) Nach „Schleier" gestrichen: „iinsern Augen".

32

Die Vasken.

den Archiven von Ciboure findet) die Regierung Seeleute von Ciboure ; der Ort antwortete aber, dass er deren schon 3000 Mann zu verschiedenen Expeditionen gegeben habe, und nun deren nicht mehrere auftreiben könne. Jetzt rechnet man in dem ganzen Ort nicht mehr als 1400. so wie in Luz etwa 2000 Seelen.

Als der letzte beträchtliche Grenzort Frankreichs gegen Spanien ist St. Jean de Luz bei einigen politischen Ereignissen merkwürdig geworden. Man zeigt noch das Haus, in welchem Carl 5. wohnte, als er hier durch nach Spanien ging, und eben so dasjenige, welches Ludwig 14. zur Wohnung diente, als er i6[6o] seiner Spanischen Braut hier entgegen kam. Es liegt am Markte und hat 4 kleine Thüren an den Ecken, das Haus der Infantin war schräg gegenüber und zwischen beiden war ein hölzerner bedeckter Gang^) über den Markt weg gebaut, um unmittelbar^) von dem einen zu dem andern zu gelangen.

Anda3^e und Fuenterrabia.

Wir verliessen St. Jean de Luz , als der Tag kaum ^) zu dämmern anfing. Der Mond schien noch falb vom Himmel herunter, und warf eine göttlich magische Beleuchtung auf die vielen in mahlerischen Gruppen vertheilten kleinen und grösseren Gehölze und die mit Epheu überdeckten Mauern der zerstreut liegenden ländlichen Wohnungen. Der Hebliche Reichthum dieser unendlich mannigfaltigen Gegend, wo der sich schlängelnde Weg mit jeder Krümmung eine neue Scene zeigt, bald Gruppen üppig gewachsener Bäume sich in einander verschränken, bald aus dem dichten Grün die Gemäuer eines alten Schlosses mit seinen Thürmchen her- vorsteigen, bald ein freundlich von Hecken umschlossnes Acker- stück, eine fruchtbare Ebne, oder eine reich durchwässerte Wiese einen grünen Teppich ausbreitet, vervielfältigte sich auf eine entzückende Weise in dem zweifelhaften Schimmer der nächtlichen Beleuchtung, und die dunkeln ^) Gebirgsmassen im Westen ^) vor uns warfen einen finstern Schatten auf das bezaubernde Gemähide.

^) „ein Gang^' verbessert aus „eine Brücke^'.

2) „unmittelbar'^ verbessert aus „eine unmittelbare Gemeinschaft zwischen beiden'^

^) „kaum'' verbessert aus „eben".

*) „dunkeln" verbessert aus „finstern".

^) „im Westen" verbessert aus „in der Ferne".

Andaye und Fuenterrabia. 95

Als wir Urogne verlassen hatten, brach der Tag an. Wir wandten unsre Pferde um, und sahen den herrlichsten Sonnen- aufgang vor uns. Dichte Nebelwolken bedeckten den Osten. Die ersten Stralen brachen lichte Plätze durch und vergoldeten den dunkeln Saum. Zuerst traf der Glanz ^) die entferntesten Gewölke; sie rissen sich von der finstern Masse los, und schwammen wie^) goldne Flecken in der reinen Lutt. Dann trat er näher und näher zum Horizonte herunter, und nur noch dicht über dem Aufgang ^) ruhte ein schwarzes Gewölk. Vom flammendsten Purpur bis zum zartesten Rosenroth; schwammen alle Nuancen des Feuergelben in einander über, und als hätte das aufspringende Licht mit dem Glänze zugleich Bewegung ausgegossen, fluthete die erst schwer ruhende Wolkenmasse nun in wogendem Schimmer hin und wieder. Aber bald war der ungleiche Kampf geendet, der prächtige Farbenreichthum verlor sich in Einen blendenden^) Lichtglanz, und die Sonne °) trat hinter dem schattigen Gewölk hervor.

Ich kann mich nicht enthalten bei der Erinnerung an diesen göttlichen Morgen eine Stelle des Apollonius Rhodius herzusetzen, in der dies freudige Aufspringen, mit dem Berg und Wald bei jedem heitern Sonnenaufgang dem hervortretenden Licht entgegen- zuzittern scheinen, auf eine wahrhaft grosse Weise geschildert ist. Die Argonauten landen nach einer mühseligen nächtlichen Fahrt in der Morgendämmerung an einer wüsten Insel. Der Tag bricht an, und die Sonne erscheint.

Ihnen erschien dort, auf vom fernen Libyen steigend ®)

Zu dem unendlichen Volk der Ilyperboreischen Männer,

Letos Sohn. Herab von den Wangen des Schreitenden wallten

Dicht wie Trauben ergossen die goldgeringelten '') Locken.

In der Linken bewegt' er den silbernen Bogen ; den Rücken

Deckt' ihm über die Schultern der Köcher; doch unter den Füssen

Sprang aufzitternd die Insel, es schlug das Meer aufs Gestade.

^) „traj der Glanz" verbessert aus „wurden .... bestrahlt".

^) Nach „wie" gestrichen: „rein&'.

*) „dem Aufgang^' verbessert aus „der Sonnenscheibe".

*) Nach „blendenden^' gestrichen: „milden".

^) Nach „Sonne" gestrichen: „selbst'.

*) „steigend" verbessert aus „gehend".

') „den goldgeringelten" verbessert aus ,Jeglicher Wange geringelt Wallten dem Schreitenden mächtig die goldentraubigen" ; am Rande steht noch „Aehnlich den" und „Traubenähnlich".

W. V. Humboldt, Werke. Xm. 3

34

Die Vasken,

IJnd. es ergrLff sie Entsetzen, tmendlitdies : keiner auch wagie Grad eaigegeaznsrhann ins herrliche Auge des Gottes, Sondern sie standen, den Blick zum Boden gesenket, doch er ging, Fem durch die Luil hin wandelnd, entgegen des Oceans Wogen.*)

Urogne") ist der letzte Französische On auf der grossen Strasse nach Madrid. Man Ondet nachher nur noch das Zollhaus im Pass von Behoble, '") wo man über die Bidasoa übersetzt.

\\'ir verliessen aber die Landstrasse nicht v.eit hinter dem Recken und nahmen unsem Weg^) rechts über die dem Meer näher liegenden Anhöhen. Ein Basque, der auf seinem kleinen Pferde nach Andaye ritt, gesellte sich zu uns. Er hatte den letzten Krieg gegen Spanien mitgemacht und erklärte -) uns die ver- schiedenen Stellungen beider Armeen. Auch schon bis dahin hatte uns der Weg mehr als eine Spur der Verwüstung in halb eingeschossenen Mauern und veriassenen Häusern gezeigt: hier sähe man noch die damaligen ^'erschanzungen, aber Wälle und Gräben waren mit Gras, Blumen imd Gebüsch überwachsen, und dienten wieder, w^e vormals, zum friedlichen Weideplatz.

Die Gegend zwischen dem Pass von Behoble, Andaye und Ciboure war im Feldzug von 1703. ehe man die Spanier in ihrem eignen Lande angrilf.^) der hauptsächlichste Schauplatz des Krieges, da die Franzosen alle Anhöhen in diesem Strich, vorzüglich den Berg Ludwigs 14. an der Bidasoa besetzt hielten.

Am 23. April griffen die Spanier mit einem Regen von Bom- ben, Kugeln und Haubitzen die Verschanzung dieses Bergs und Anda\"e an. Die erschrocknen Einwohner flohen mit Weibern und Ivindem davon, imd obgleich die Spanier wieder über die

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*ji Argon, il. Ö74. **) Eis hat seinen Namen von seiner Lage auf einer kleinen Anhöhe an einem Bach. Uro, Wasser, oriu, ona^ Erfaöhimg und daher der Fuss. Eigentlich bedeutet es den Theil, wo der Fuss in die Höhe steigt, den Spann, und so liegt in der Vas- kischen Benennung dieses Theils dasselbe Bild, was das deutsche Wort Rist (verwandt mit Riese)*) ausdruckt Dieselbe Sü^ OSate, Ona n. s. £

*** Nicht, wie in mehrere- Gri'zt, die Vertiefimg dort u:: vi man Ton beiitr. Sey.tz 1:1.1: f.r.r'.

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Es heiist die ;._;: Tiefe zu der

Aiuhiyc und l'uciilcrriilna.

35

Bidasoa zurückgingen, so nöthigten sie doch durch diese Expedi- tion den l^Y'ind, seine vorige Stellung zu verlassen und sich bis zu der Croix (/es boKqncts zurückzuziehen.

Der Hauptschlag aber musste ihm in seinem Lager bei Sare beigebracht werden, und die Spanier richteten daher auf dieses ihr ganzes Augenmerk. Sic überfielen die Franzosen hier am Morgen des I. Mais. Diese erschraken aus den Gebirgsschlünden auf sich schiessen zu sehn, ohne dass sie noch einen Feind erblickten, gegen den sie sich vertheidigcn konnten, entHohen aus allen Ivraften, und die aus dem Hinterhalt hervorbrechenden Spanier gingen auf das Lager los.^) Der tapfre Latour-d'Auvergne, der sich zugleich als Krieger und als Schriftsteller Ansprüche auf die Dankbarkeit der^) Baseiuen erworben hat, versuchte ihnen den letzten schwachen Widerstand entgegenzusetzen. Er stellte sich mit hundert Mann auf die Anhöhe der Heiligen Barbara, und indess rund uut ihn her die Verwirrung und der Schrecken der Flucht und Verfolgung herrschten, erwartete er dort ruhig den AngrilV eines 500 Mann starken Trupps Spanischer Reuterei. Er liess sie auf 20 Schritt auf sich zu kommen, empfieng sie dann mit einem fürchterlichen Musketenfeuer und sprengte sie glück- lich auseinander. Allein sein Haufe war zu klein,^) er musste kurz darauf gleichfalls weichen, und erreichte nur mit wenigen Grenadieren das Lager bei Sare. Hier i"and er nichts als L^ord- nung und \'erwirrung und so zog sich die ganze Armee nach Ustariz zurück.

Nachdem die Stellung'') bei Sare aufgegeben war, konnte sich Andaye nicht mehr halten. General Servan befahl daher am •!. Mai es zu verlassen. Der Feind machte hiebei nicht die mindeste Bewegung, aber der panische Schrecken, der die Franzosen be- fallen hatte, war so gross, dass dieser Rückzug einer völligen Flucht ähnlich sah. Nur die Lagergeräthsch alten wurden gerettet; eine Menge Mund und Kriegsprovisionen und mehrere Stücke groben Geschützes blieben in dem Fort zurück. Alles dies tiel den Spaniern in die Hände; sie brachten es auf die andre Seite der Bidasoa herüber, zerstörten die Festungswerke von Andaye,

') yyg'*^g^'^ ^05" verbessert aus „verfolgten sie".

*) „Aiispriic/ie der" verbessert aus „bedeutende Verdienste um die^'.

*) „klein"' verbessert aus „schwach".

*) „die Stellung" verbessert aus „das Lager'\

3*

oA Die Vasken,

Und es ergriff sie Entsetzen, unendliches ; keiner auch wagte Grad entgegenzuschaun ins herrliche Auge des Gottes, Sondern sie standen, den Blick zum Boden gesenket, doch er ging. Fern durch die Luft hinwandelnd, entgegen des Oceans Wogen.*)

Urogne**) ist der letzte Französische Ort auf der grossen Strasse nach Madrid. Man findet nachher nur noch das Zollhaus im Pass von Behobie, ***) wo man über die Bidasoa übersetzt.

Wir verliessen aber die Landstrasse nicht weit hinter dem Flecken und nahmen unsern Weg^) rechts über die dem Meer näher liegenden Anhöhen. Ein Basque, der auf seinem kleinen Pferde nach Andaye ritt, gesellte sich zu uns. Er hatte den letzten Krieg gegen Spanien mitgemacht und erklärte ^) uns die ver- schiedenen Stellungen beider Armeen. Auch schon bis dahin hatte uns der Weg mehr als eine Spur der Verwüstung in halb eingeschossenen Mauern und verlassenen Häusern gezeigt; hier sähe man noch die damaligen yerschanzungen, aber Wälle und Gräben waren mit Gras, Blumen und Gebüsch überwachsen, und dienten w^ieder, wie vormals, zum friedlichen Weideplatz.

Die Gegend zwischen dem Pass von Behobie, Anda3^e und Ciboure war im Feldzug von 1793. ehe man die Spanier in ihrem eignen Lande angriff,^) der hauptsächlichste Schauplatz des Krieges, da die Franzosen alle Anhöhen in diesem Strich, vorzüglich den Berg Ludwigs 14. an der Bidasoa besetzt hielten.

Am 23. April griffen die Spanier mit einem Regen von Bom- ben, Kugeln und Haubitzen die Verschanzung dieses Bergs und Andaye an. Die erschrocknen Einwohner flohen mit Weibern und Kindern davon, und obgleich die Spanier wieder über die

*) Argon. II. 674. **) Es hat seinen Namen von seiner Lage auf einer kleinen Anhöhe an einem Bach. Ura, Wasser, oina, ona, Erhöhung und daher der Fuss. Eigentlich bedeutet es den Theil, wo der Fuss in die Höhe steigt, den Spann, und so liegt in der Vas- kischen Benennung dieses Theils dasselbe Bild, was das deutsche Wort Rist (verwandt mit Riese)*) ausdrückt. Dieselbe Silbe findet sich in mehreren andern Namen z. B. Onate, Oüa u. s. f.

***) Nicht, wie in mehreren Reisebeschreibungen steht, Beobid. Es heisst die Grube, die Vertiefung dort unten. Wirklich liegt das Zollhaus in einer Tiefe zu der man von beiden Seiten hinabsteigt.

*) „nahmen unsern Weg" verbessert aus „ritten".

2) „erklärte" verbessert aus „zeigte".

*) „7nan angriff"" verbessert aus „der Krieg in Spanien selbst geführt wurde*' aus „die Franzosen in Spanien eingedrungen waren".

*) Nach „Riese" gestrichen: „und Spann {wenigstens nach Adelung h. v.)".

Andaye und Fuenterrabi'a. oc

ßidasoa zurückgingen, so nöthigten sie doch durch diese Expedi- tion den Feind, seine vorige Stellung zu verlassen und sich bis zu der Croix des botiqtLcts zurückzuziehen.

Der Hauptschlag aber musste ihm in seinem Lager bei Sare beigebracht werden, und die Spanier richteten daher auf dieses ihr ganzes Augenmerk. Sie überlielen die Franzosen hier am Morgen des 1. Mais. Diese erschraken aus den Gebirgsschlünden auf sich schiessen zu sehn, ohne dass sie noch einen Feind erblickten, gegen den sie sich vertheidigen konnten, entflohen aus allen Kräften, und die aus dem Hinterhalt hervorbrechenden Spanier gingen auf das Lager los.^j Der tapfre Latour-d'Auvergne, der sich zugleich als Ivrieger und als Schriftsteller Ansprüche auf die Dankbarkeit der-) ßasquen erworben hat, versuchte ihnen den letzten schwachen Widerstand entgegenzusetzen. Er stellte sich mit hundert Mann auf die Anhöhe der Heiligen Barbara, und indess rund um ihn her die Verwirrung und der Schrecken der Flucht und Verfolgung herrschten, erwartete er dort ruhig den Angriff eines 500 Mann starken Trupps Spanischer Reuterei. Er Hess sie auf 20 Schritt auf sich zu kommen, empfieng sie dann mit einem fürchterlichen Musketenfeuer und sprengte sie glück- Hch auseinander. Allein sein Haufe war zu klein, ^j er musste kurz darauf gleichfalls weichen, und erreichte nur mit wenigen Grenadieren das Lager bei Sare. Hier fand er nichts als Unord- nung und Verwirrung und so zog sich die ganze Armee nach Ustariz zurück.

Nachdem die Stellung *) bei Sare aufgegeben war, konnte sich Andaye nicht mehr halten. General Servan befahl daher am 2. Mai es zu verlassen. Der Feind machte hiebei nicht die mindeste Bewegung, aber der panische Schrecken, der die Franzosen be- fallen hatte, war so gross, dass dieser Rückzug einer völligen Flucht ähnlich sah. Nur die Lagergeräthschaften wurden gerettet; eine Menge Mund und Kriegsprovisionen und mehrere Stücke groben Geschützes blieben in dem Fort zurück. Alles dies fiel den Spaniern in die Hände; sie brachten es auf die andre Seite der Bidasoa herüber, zerstörten die Festungswerke von Andaye,

^) }}g^^g^^ ^05" verbessert aus „verfolgten sie^'.

^) „Ansprüche der" verbessert aus „bedeutende Verdienste um die".

*) „klein" verbessert aus „schwach".

*) „die Stellung" verbesseret aus „das Lager".

3*

36

Die Vasken.

und legten an den Ufern des Meers und auf dem Berg Ludwigs 14. mehrere kleine Läger an.

Wenn die Phantasie ein Bild der Oede, Menschenleere und Verwüstung entwirft, so hat sie ein treues Gemähide des jetzigen Zustandes von Andaye. Der Flecken liegt ^) auf einer ziemlich weiten Fläche zerstreut, und scheint ehemals ein reinliches und freundliches Ansehn gehabt zu haben. Jetzt sind alle Häuser, bis auf einige wenige, zerstört; die leeren Mauern stehen halb ein- gefallen da; den Fussboden, den sonst Menschen bewohnten, be- decken wildes Gesträuch und Dornen, an den inneren Wänden rankt Epheu empor; durch die halbzertrümmerten Fenster sieht man mitten durch die Wohnung hindurch auf das wüste Meer. Auf den Strassen findet man noch hie und da Bomben liegen; kaum aber begegnet man nur von Zeit zu Zeit einem Menschen. Der grösste Theil der Einwohner ist in den Gefahren und in dem Elend der Flucht umgekommen, oder hat sich anders wohin zer- streut; jetzt mag der ganze Ort kaum noch von 50 Familien be- wohnt seyn,^) und was das rührendste ist, so haben sich neue Ankömmlinge, unvermögend das Alte wiederherzustellen, in den weiteren Mauern der alten Häuser kleine elende Hütten, nur an- gelehnt an den ehemaligen W^ohlstand, angebaut.^)

Wir eilten diesen jammervollen Anblick zu verlassen und be- stiegen die Ruinen des Forts, das unterhalb der Stadt auf einer schönbewachsenen Anhöhe dicht an der Meeresbucht liegt, und dem Flecken sein unglückliches Schicksal zugezogen hatte. Wir kletterten über die Steine und das verfallene Gemäuer hinweg, und genossen nun einer schönen Aussicht auf Fuenterrabia vor uns, die Ufer der Bidasoa ins Land hinein zur Linken, und hinter uns auf einen von den grösseren Gebirgen mahlerisch um- schlossenen Acker- und Wiesengrund,

Fuenterrabia und Andaye liegen einander gerade gegenüber, an der Bucht, welche die in die Flussmündung heraufsteigende Meeresfluth vor dem Ausfluss der Bidasoa macht. Die Bucht ist lang, schmal, und in verschiedenen Windungen gekrümmt.*)

^) Nach „liegt" gestrichen : „mit seinen Häusern".

^) „jetzt seyn" verbessert aus „kauyn 50 Familien vielleicht sind nachher wieder dahin zurückgekeh7-t'\

*) Nach „angebaut" gestrichen : „und nähren auf diese Weise ein fortwäh- rendes Andenken an ihr trauriges Geschick.'^

*) „gekrümmt" verbessert aus „gebogen".

Andaye und Fuenterrabi'a. nn

Zwei beinah sichelförmig gestaltete Sandbänke verengen sie noch mehr, und lassen nur eine ^) bogenförmige Strasse zur Ausfahrt ins Meer die überhaupt bloss Fischernachen dienen kann. Andaye liegt, wie schon gesagt, mit seinen Häusern dorfartig zerstreut. Fuenterrabia, das sich mit seiner hohen Kirche und ihrem Thurm von dem runden Vorhügel herab, auf dem es steht, im Meer spiegelte, hat, eng zusammengebaut, ein mehr städtisches, aber auch finstres und trauriges Ansehn. Die Hügel hinter Andaj'^e sind reich mit hohem Gras und Gehölze bewachsen, eine freund- liche Flur, hinter welcher die Pyrenaeen, besonders die Spitze der Larruna hervorblicken. Die Berge hinter Fuenterrabia gegen das Meer sind höher; eine zusammenhängende Kette, die Fort- setzung des Jaizquibels, erstreckt sich bis an die Spitze del Higuer, aber es sind oede Heiden, baumlos und kahl. Von Fuenterrabia her klangen die Glocken, die zur Messe läuteten ; in Andaye ging die Trommel zur freilich etwas späten (am 30. April) Ausrufung des Luneviller Friedens, an deren Wahrheit die armen Einwohner so ungläubig hat sie das Unglück gemacht nur erst auf unsre Versicherung nicht mehr zweifelten.^) So verschieden kün- digte sich uns Frankreich und Spanien an.

Die Einwohner von Fuenterrabia und Andaye leben natüriich in täglicher Gemeinschaft mit einander. Zu demselben Völker- stamm, gehörend, dieselbe Sprache, und auf der Grenze sogar nur mit kleinen Verschiedenheiten des Dialectes, redend, müssen sie noch näher, als sonst Gränzbewohner verschiedener Reiche mit einander verbunden seyn. Es gehört mit zu den weniger be- achteten Grausamkeiten unsrer in das Interesse der \^ölker, die sie führen, wenig verflochtenen Kriege, diese Gemeinschaften plötzlich abzuschneiden, und zwischen ruhige Bewohner be- freundeter Orte eine Scheidewand des Hasses und der Feind- schaft zu setzen, die ihrem Interesse und ihren Neigungen gleich fremd ist.

In den weiter entfernten Gebirgsthälern hat es dem unge- bildeten einfachen Natursinn der \"asken Mühe gekostet, zu be- greifen, dass ein Krieg zwischen Staaten, denen sie nur zufällig angehören, sie aus ihren gewöhnlichen Verhältnissen herausheben und ihren Empfindungen gebieten soll. Gleich beim Ausbruch

*) iVflcÄ „eine'' gestrichen: „schmale und''.

*) „nicht mehr zweifelten" verbessert aus „glaubten'

38

Die Vasken.

des ersten Feldzugs im Jahr 1793. zeigte sich ein merkwürdiges Beispiel davon in OberNavarra.

Die Thäler von Mauleon und Baretons zahlten jährlich einen Tribut von drei jungen Kühen an die Spanischen Thäler von Roncal und Salazar. Als wäre kein Krieg zwischen beiden Län- dern ausgebrochen, oder als könnte eine Streitigkeit des Königs von Spanien mit der Französischen Republik die Freundschaft zwischen ihnen und ihren Nachbarn nicht stören, begaben sich die Bewohner der Spanischen Thäler zur gewöhnlichen Zeit an den gewöhnlichen Ort, um ihren Tribut zu empfangen. Da aber niemand erschien, gingen sie über die Gränze, wählten aus der ersten Heerde, die sie fanden, drei junge Kühe aus, und kehrten ruhig, und ohne zu ahnden, etwas gethan zu haben, das Ver- geltung heischte, in ihre Wohnungen zurück. Die Franzosen hingegen nahmen die Sache nicht so harmlos auf. Sie fielen in die Spanischen Thäler ein, triebeji eine grosse Anzahl von Heerden fort und zündeten selbst einige Häuser an. Jetzt, da man den friedlichen Navarrer gezwungen hatte, seine Nachbarn feindlich zu behandeln, erwachte auch in ihm das Gefühl des erlittenen Unrechts.^) Die Bewohner jener Thäler brachen wiederum in Frankreich ein, und steckten das Dorf St. Engrace in Brand.*) Wie mannigfaltiges Unglück hätte vermieden werden können, wenn man Thäler, welche die Natur selbst durch ungeheure Ge- birge von der übrigen Welt absonderte, in der glücklichen Un- wissenheit der Verbrechen und Thorheiten gelassen hätte, die man jenseits beging 1

Fuenterrabia hat seinen Namen der versandeten Flussmündung zu verdanken, an der es liegt. In Urkunden des 13. Jahrhunderts wird es On- oder Undarribia genannt, und bei den heutigen Bis- cayern heisst es Ondarrabia, beides von Ondarr-zdaya, .SRndÜuss**}

*) Diese Anecdote ist so sonderbar, dass sie vielleicht bei einigen eines Gewährs- mannes bedarf. Sie steht in den schon oben angeführten mem. siir la deniiere guerre.p. 14. **) Oihenart in seiner Notitia utriusque Vasconiae p. 168. erklärt Ondarr- ibaya, letzter Fluss, weil die Bidasoa der letzte Fluss von Spanien her ist. Ondoa aber (ver^vandt mit fiindus) heisst eigentlich der Grund, das Tiefste einer Sache und nur insofern das Ende, das Letzte ; von ondoa ist ondarra, das was sich auf dem Grunde setzt, der Schlamm, und in weiterer Bedeutung der Sand. Vergleicht man diese Bedeutung des Worts mit der Lage des Orts und dem Namen des ähnlich gelegnen Ondarroa, so fällt die wahre Ableitung^) in die Augen.

^) „erwachte Unrechts" verbessert aus „unterliess er nicht, sich zu rächen".

2) Nach „Ableitung" gestrichen: „klar".

Pasages. (Le Passage.) 99

Denselben Namensursprung hat Ondarroa, ein andrer kleiner Küstenflecken in Vizcaya. Aus Ondarrabia ist nachher durch Verdrehung der Spanische und Französische Name*) entstanden.

Wenn man sich über die Meeresbucht nach Fuenterrabia übersetzen lässt, geht ein Weg landeinwärts den Fluss hinauf. Wir verfolgten diesen, ohne die Stadt selbst zu besuchen. Er läuft an einer Reihe steiler, aber dicht mit Gebüsch bewachsener lOippen hin, an denen kleine Felstreppen zu oben angelegten Garten-. stücken hinaufführen. Links ist eine Allee von Ellern und Eschen und durch sie hindurch sieht man die in lauter schmalen, durch Wassergräben geschiedenen Gartenbeten sorgfältig bebauten Ufer des Flusses. Es macht einen sonderbaren Contrast, aus diesem dichten mannigfaltigen Grün zurück auf die finstre Stadt zu blicken, deren Festungswerke gerade auf dieser Seite zerstört sind. Sie liegen noch eben so in Schutt und Graus da, wie die Mine sie gesprengt hat, und hinter ihnen erhebt sich die hohe unversehrt gebliebene Kirche mit ihrem Thurm.

Fuenterrabia fiel ^) nemlich im August 1794. den Franzosen in die Hände. Die Stadt hatte durch ein sechstägiges Beschiessen sehr gelitten, und da die Besatzung nur aus 600. Mann bestand, welche den Depot verschiedener Regimenter ausmachten, so ver- diente ihr Befehlshaber D. Mcente de los Reyes, ein bejahrter Officier, Entschuldigung, sich auf die erste Auffoderung zu er- geben. Die Festungswerke wurden erst nachher gesprengt, nur ein kleiner Theil blieb stehen, und auch unter diesem war die Mine schon angelegt. Das Fort del Higiier ergab sich zu gleicher Zeit.**)

Bei dem Capucinerkloster macht der Berg eine Ecke und wir wandten uns nun rechts gegen St. Sebastian zu.

Pasages. (Le Passage.)

Einige wenige zum Fahren eingerichtete Chausseen abge- rechnet, kann man in den Innern Theilen Biscayas nur zu Pferde

*) Risco in der Fortsetzung der Espana sagrada. T. 32. p. 153. hält den Vas- kischen Namen für neuer als den Spanischen, allein ohne hinlänglichen Grund. Schrift- steller, die Lateinisch schreiben, haben den wahren Namen noch eleganter in fons rapidus oder rabidiis verdreht.

**) Mem. sur la derniere guerre cet. p. 114. Die genaueste und ausführlichste Zeichnung der Gegend zwischen St. Jean de Luz bis Fuenterrabz'a findet man auf der, dieser Schrift beigefügten Karte der französischen und Spanischen Grenze.

*) „fiel" verbessen aus „ergab sich".

40

Die Vasken.

fortkommen, und selbst für das Reiten sind manche Wege noch gefährlich oder unbequem. Gewöhnlich findet man schmale schlecht gepflasterte Strassen, die indess wenigstens ein ziemlich häufiges Verkehr der Oerter unter einander beweisen.

Ein solcher führte uns, meistentheils im Schatten kleiner Eichen- gehölze, an dem Fusse des Jaizquibels hin;^) zu unsrer Linken sahen wir die schön angebaute Ebne, die aber überall von Hügeln und lieblichen Gründen durchschnitten ist. Wir wurden es müde, immer nur den öden Jaizquibel*) im Gesichte zu haben, und durch ihn der freien Aussicht auf das Meer beraubt zu werden, wir verliessen unsre Pferde, und trotz der Hitze des Mittags, be- stiegen wir den Gipfel des Bergs.

Bis auf ein Drittheil ungefähr ist er noch mit Gehölz be- wachsen; hernach kommt wüste und steinigte Heide. Das Auf- steigen ist wegen der Steile auch für Fussgänger beschwerlich; dennoch fährt man hier sogar mit Ochsenwagen hinauf, und man sieht so wenigstens den Grund ihrer Kleinheit '^) ein.

Oben überraschte uns die ungeheure Meeresaussicht. Die un- ermessliche Flut lag, ohne allen unterbrechenden Gegenstand, vor uns; um die heisse Mittagsstunde still und wellenlos gelagert, schien ihr äusserster Saum, wie Duftwolken am^ Horizonte empor- zusteigen; die wüste Einsamkeit des Berges entsprach dem An- blick des Meers und Land, Himmel und Wasser vollendeten zugleich das Bild einer furchtbaren, Schwermuth erregenden Oede. Welchen Eindruck musste dieser Anblick auf den Römer machen, als sich zuerst seine Flotten von dem oft besuchten Mittelmeer in diesen einsamen Busen wagten, zu einer Zeit, wo vermuthlich noch undurchdringliche Waldungen diese unwirthbare Küste be- deckten, wo noch keine wohlthätige ^) Cultur die Rauhigkeit des Climas gebrochen hatte, wo ihm keine Spur menschlichen Fleisses entgegenlächelte, und die Wildheit der Bewohner und der bar- barische Klang ihrer Töne, die sein verweichlichtes Ohr sich so-

*) Der Jaizquibel hat seinen Namen von seiner Lage. Quibela oder guibela heisst das Hintertheil von etwas, guibelean, hinter. Die erste Silbe soll von Itsasoa, Meer, herkommen, also hinter dem Meer, Meeresrücken,

') „an hin" verbessert aus „zu unsrer Rechten stieg der Jaizquibel auf in die Höhe".

^) „den Kleinheit" verbessert aus „warum es nothwendig ist, dieselben so klein zu bauen".

*) „wohlthätige'' verbessert aus „milde".

Pasages. (Le Passage.) ai

gar in einigen wenigen Eigennamen aufzubewahren scheute,*) die Furchtbarkeit der Gegend noch vermehrten.

Wir gingen eine lange Strecke oben auf dem Gipfel hin. Die Heide des Bergs senkt sich in mehreren Hügeln zum Meeres- ufer hinab, oben weidete einzelnes Vieh. Vor uns zeigten sich neue Gebirge, unter denen wir besonders zwei in gleicher Ge- stalt und Höhe schwesterlich aufsteigende Spitzen bemerkten. Wir traten nun in eine neue Berggegend ein,^) und die bekann- ten Gipfel, die wir bis Jetzt jeden Alorgen begrüsst hatten, fingen an, in der Ferne zu verschwinden.

Die Ebne, die man vom Jaizquibel aus übersieht, ist das Thal von Oyarzuna. In den Urkunden des Mittelalters geschieht dieses Thals häufige Erwähnung; es erstreckte sich damals von St. Sebastian bis an die Bidasoa, und begriff, ausser dem Flecken Oyarzun selbst, noch Fuenterrabia, Renteria, und Irun unter sich; Pasages hiess sogar nur der Hafen von Oyarzuna. Die Spanischen Schriftsteller rühmen den Muth und die Leibesstärke seiner Bewohner, und die Könige von Spanien ertheilten demselben mehrere-) Privilegien. Seit dem 13. Jahrhunderte aber erhielten einige dazu gehörende Orte besondre Freiheiten und eigne Ge- richtsbarkeit, und seitdem ist der Name Oyarzun auf die nächste Gegend um den Ort, der ihn trägt, beschränkt worden.

Als Plinius in seiner geographischen Beschreibung Europas von Gallien zu Spanien übergeht, nennt er zuerst von den Pyre- naeen aus am Ocean : das Vasconische Waldgebirge Olarso.**) Derselbe Ort, nur mit verschiedenen Veränderungen des Namens, larso, Oeaso, Eason, findet sich auch bei den übrigen Erdbeschrei- bern der Alten. Man erkennt hierin leicht den heutigen Namen des Orts, in den Urkunden des Mittelalters Oyarzo, wieder, und man sieht zugleich hierin einen Beweis des Alters der Vaskischen Sprache. Denn Oyarzuna ist ein rein Vaskisches Wort und deutet eine steinigte Anhöhe***) an. Wirklich ist der heutige Flecken aui

*) Die alten Schriftsteller klagen namentlich über die entsetzliche Härte ') der Namen der Nordküste Spaniens.

**) IV. 34. Vasconum saltus, Olarso.

***) Oyana heisst, vorzüglich im Labortanischen Dialect, Wald, Gebüsch, und daher erklärt Oihenart Oyarzun durch locum siluestre}7i. Allein nach Herrn Astarloas scharf-

^) „traten ein" verbessert ans „saheti jetzt eine neue Berggegend vor uns, in die wir kommen sollten".

*) „mehrere" verbessert aus „daher besondre".

*) „Härte" verbessert aus „Schwierigkeit der Aussprache".

42

Die Vasken.

einer solchen gebaut, und das ganze Thal von dergleichen Hügeln unterbrochen. Das Vorgebirge Oeaso ist vermuthlich der Jaizqui- bel oder dessen äusserste Spitze, la funta del Higuer, und der Flecken gleiches Namens lag wahrscheinlich mehr landeinwärts '^) oberhalb Pasages ; *) denn auch da noch konnte er leicht von dem Busen des Meeres bespült werden, da das Meer ehemals an dieser Seite tiefer ins Land ging, und man noch jetzt weiss, dass bei Renteria sonst Schiffswerfte waren, wo sich jetzt Gärten befinden. Von den Wäldern, deren Plinius gedenkt, würde man jetzt nicht gleich viele mehr antreffen. Doch hat es noch Zeiten gegeben, wo der Flecken Renteria allein 29 aus seinen eignen Waldungen erbaute Kauffartheischiffe besass.

Beim Heruntersteigen vom Jaizquibel fanden wir den Weg felsigter, auch benahmen uns viele meistentheils mit Gehölz be- kränzte vortretende Hügel die freie Aussicht auf die Ebne und Hessen uns nur in die kraterä)inlichen Kessel blicken, die sie bilden. Der Charakter der Gegend ist hier an der Küste fast überall derselbe. Kleinere und grössere Bäche ergiessen sich, von den entfernteren Bergen herkommend, ins Meer. Die Fluth steigt in ihnen hinauf und lässt ihren Schlamm zurück. Daher immer enge Thäler zwischen den Bergen, tiefe Flussbetten und häufige Sandrisse. Von der Höhe hatten wir noch einmal die Aussicht auf eine schöne Bucht. Zwei vortretende Klippen bildeten eine enge Mündung, auf der ruhigen grünbeschatteten Fläche der lieb- lich mit Gebüsch überhangenen Bucht schwamm ein Fischernachen und durch die Enge der Felsenöfnung sah man auf die hohe See.

Der Jaizquibel ist 278 französische Klaftern hoch,**) wir waren schon beträchtlich hinuntergestiegen und sahen in der

sinniger Bemerkung drückt die Silbe O, Oi, und davon Oyana, oihana, vorzüglich in Namen, eine Anhöhe, einen Berg aus. So bei Marquina S. Christoval de Oiz (der Heilige Christoph von der Höhe), Oion, Oyarzun von Oyana, Höhe, und ar'ria, Stein, und Oihenarts Name selbst (von o und artea, zwischen), einer der zwischen zwei An- höhen wohnt. Die Bedeutung des Waldes ist erst abgeleitet, die Verwechslung beider Begriffe aber in Gebirgsgegenden natürlich, und auch in andern Sprachen gewöhnlich, wie das Spanische monte beweist.

*) So giebt Risco in der Espana sagi'ada Vol. XXXII. p. 186. sq. ihre Lage an, er bestimmt sie (wohl aber zu genau) durch eine Höhe, die jetzt Basanoaga (vielleicht von Basoa, anoa und aga, Walddickichtort) heisst. **) Mein, sur la derniere giierre cet. p. 12.

^) „mehr landeinwärts" verbessert aus „tiefer ins Land hinein und in der Nähe des heutigen Oyarzuna".

Pasages. (Le Passage.) 42

Tiefe ein schönes Eichengehölz unter uns. Gleich einem durch die Natur selbst geformten Altar, lag ein grosses Felsstück vor einer alten mächtigen Eiche, wie man sie selten in südhchen Ländern antrift, in einiger Entfernung davon ein Kreis andrer kleinerer. Wir lagerten uns hier auf einige Augenblicke; als wir aber im Schatten von der Ermüdung des Steigens sanft ausruhten, ahn- deten wir nicht, dass wir nur um wenige Schritte von dem lieb- lichsten Flecke geschieden waren, den vielleicht an der ganzen Französischen und Spanischen Küste das Meer bespült. Wie gross war daher unsre Ueberraschung, als wir, da wir wieder aufge- standen waren, und an den Abhang des Berges kamen, erst die Gipfel von Schiffsmasten, dann eine neue Bucht, die mahlerischsten Felsgruppen und zwischen ihnen und dem Meer weissschimmernde Häuser erblickten. Wir stürzten mit Ungeduld die kleinen Fels- stufen, an deren Rande wir standen, hinunter, und befanden uns auf einmal^) auf den Strassen von Pasages.

Wir entliessen hier unsern Begleiter, einen Bauerknaben, den wir von dem Felde zum Wegweiser über den Berg mitgenommen hatten. Er wusste kein Wort Spanisch. Wir suchten zwar alles unser Vaskisch zusammen, aber nur wenigemale gelang es uns, ihm eine verständliche Antwort zu entlocken. Meistentheils mussten wir uns an seinem traurigen Ezfaquit (ich verstehe es nicht) be- gnügen.

Die Schönheit und Sicherheit des Hafens von Pasages ist aus andern Beschreibungen längst bekannt. Nur die Mündung desselben ist ausserordentlich enge, und daher das Ein und Auslaufen nicht ohne Gefahr. Das Meer bildet zwischen hohen und schroffen Felsen eine -) lange und schmale Strasse ins Land hinein ; von dem dies- seitigen Ufer angesehen, treten in derselben drei Felsen, der mittlere mehr, als die andern, vor, und bilden wieder in ihr zwei kleinere Buchten. An dem aeussern Eingange ist das Fort Ste. Isabelle, am Innern das Fort St. Sebastien gebaut. Am Ende dieser Felsstrasse erweitert sich der enge, von beiden Seiten von furchtbaren Fels- wänden bedrohte Meeresarm in ruhige, freundliche Buchten.^) Das eigentliche Hafenbecken ist in dem Flecken selbst, von da wendet sich die Fluth links und dehnt sich gegen St. Sebastian

*) Nach „einmal'' gestrichen: „mitten".

*) Nach „eine" gestrichen: „ziemlich".

') „freundliche Buchten" verbessert aus „Buchten und freundliche Seen".

44

Die Vasken.

ZU in einen See aus, den Weinberge und Gärten umschliessen. Ein andrer Theil des Wassers reicht bis an Lezo, und kleinere Arme noch jetzt, denn ehemals kamen selbst grössere Schiffe so- weit, bis an Renteria.

Dies mildernde Uebergehen furchtbarer Felsmassen in niedrige, schön bebaute Hügel, und die tiefe Ruhe des Hafens dicht hinter den wütenden Wellen des Oceans geben diesem Ort einen einzigen und unnachahmlichen Zauber. Abgeschieden von der übrigen Welt fühlt man sich wie festgewurzelt in diesem köstlichen Ufer- thal, eilt bald von der dunkeln Tiefe des Hafens zu dem glänzenden Spiegel des weiten Sees, bald von diesem zu jenem zurück, kann sich nicht sättigen an dem Genuss dieser freundlichen Einsamkeit in der alle furchtbare Massen nur als Schutzwehren gegen das Meer gekehrt scheinen, damit nichts die himmlische Ruhe dahinter unterbreche. W^elchen der umherliegenden Gipfel man besuche,^) die Höhe über der Bucht, oder den prächtigen Eichenwald am Abhänge , oder die Kapelle der Heiligen Anna dicht bei dem- selben, überall sieht man die Felsen von üppigem Gesträuch und mannigfaltigem Grün überhangen, die Hügel sorgsam angebaut und bepflanzt. Die kahle Scheitel des Jaizquibels tritt zu sehr zurück, um den herrlichen Anblick zu stören, und kein lieblicherer Wechsel kann auf die Wüste dieses Bergrückens folgen.

Wer mit ^) Naturgenüssen geizt, wird Pasages nie auf einem andern Wege besuchen, als auf diesem, den der Zufall uns finden Hess. Für diejenigen, die von Bayonne nach Madrid fahren und ihren Wagen nicht auf lange verlassen wollen, ist es am leichtesten von Oyarzun aus dahin zu kommen. Denn an Oyarzun liegt Renteria so nah, dass es ehemals nur eine Vorstadt davon war,*) und bis an Renteria geht der Meeresarm von Pasages. Sie dürfen daher nur alsdann ihren Wagen in Oyarzun lassen und haben einen sehr kurzen Weg zu reiten oder zu gehen.

Die Häuser von Pasages sind zum Theil an dem einen Ufer des gegen St. Sebastian zu liegenden Sees, zum Theil um den Hafen herum gebaut. Hinter diesen steigen unmittelbar schroffe Felswände empor, und man ging aus dem Wirthshause, in das wir

*) Renteria heisst ein Pacht-Gut, und ist ein allgemeiner Name mehrerer kleiner, dicht neben grösseren liegender Orte. So giebt es unter andern eine Renten'a de Ondarroa und de Guernica.

^) „besuche" verbessert aus „besteige".

^) „mit" verbessert aus „nach".

Pasages. {Le Passage.J 45

einkehrten, ebenen^) Fusses von dem Boden auf eine Terrasse 2) des Bergs. Von vorn werden sie oft von der Flut überschwemmt. In diesem Gedränge sind die Einwohner nicht selten ihre Wohnungen zw wechseln genöthigt, was bei der Kleinheit der Häuser ohne viele Weitläuftigkeit geschieht. Wir sahen an mehreren Orten verlassene Trümmer stehen.

Wenige Tage vor unsrer Ankunft, war eine Französische aus Isle de France kommende Fregatte, VEgiptienne^ in Pasages eingelaufen. Das Wirthshaus war mit Passagieren derselben an- gefüllt, die sich mit erstaunlicher Neugier nach allem erkundigten, was sich in Frankreich seit mehreren Monaten, in denen sie ohne Nachricht geblieben waren, zugetragen hatte.

In dem Augenblick, da diese Fregatte in den Hafen einlief, erschoss sich in demselben ein französischer Capercapitaine in seinem Schiff. Er hatte 8 Schiffe erbeutet und alle, bis auf zwei sehr unbedeutende, wieder verloren. Es war erst sein zweites Auslaufen und er lag nun müssig und voller Verzweiflung in Pasages. Als er die Egiptienne in den Hafen hereinkommen sah, fragte er, was es für ein Schiff sey? Man sagte es ihm, und setzte hinzu, dass sie eine ungewöhnlich schnelle und schöne Fahrt gemacht habe. AJi! qiCüs sont heureux ceux-la! rief er aus, ging vom Verdeck in seine Stube und erschoss sich.

Zu gleicher Zeit hatte sich eine andre unglückliche Begebenheit zugetragen. Die Spanische Regierung hatte ein augenblickliches Verbot auf das Auslaufen der Schiffe gelegt. Ein nach der Guadeloupe bestimmtes Französisches, das schon lange im Hafen lag, hatte die Kühnheit, um diesem Verbot zu entgehen, in einer sehr stürmischen Nacht, den Hafen verlassen zu wollen. Es strandete, eilf Menschen kamen um, der Capitaine aber und seine drei Brüder (alle Officiere des Schiffs) retteten sich. Unter den Umgekommenen war eine Frau mit ihrem Kinde, die ihrem Mann nach Guadeloupe, wo er sich aufhielt, nachgehen wollte. Die Unglückliche schien ein Vorgefühl ihres Schicksals zu haben. Solange sie in Pasages gewesen war, hatte sie nicht aufgehört allen ihren Bekannten davon zu reden. Je iiiembarque, sagte sie oft, viais je sais qiie je vais me perdre.

Spät am Abend Hessen wir uns über den See nach St. Sebastian übersetzen. Es sind immer Mädchen, welche hier die Stelle der

') „ebenen" verbessert aus „gerades".

*) „eine Terrasse" verbessert aus „die Spitze".

Die Vasken.

Ruderer vertreten; sie umringen den Fremden, so wie er sich nur dem Wasser nähert, und eifern in unverständUchem Vaskisch mit einander um die Ehre ihn überzufahren. An dem jenseitigen Ufer fanden wir unsre Pferde, und ritten nach St. Sebastian.^) Am See empfiengen uns eine Menge Kinder, meistentheils Mädchen, mit Tambourins und begleiteten uns, spielend und tanzend, mit entsetzlichem Geschrei in die Stadt hinein. Diese Art zu betteln ist jedoch hier nur den Maimonat hindurch üblich.

St. Sebastian.

Das Ländchen Guipuzcoa, in welchem St. Sebastian der vor- züglichste Handelsplatz ist, erstreckt sich von der Bidasoa bis an den kleinen Fluss, der sich bei Ondarroa ins Meer ergiesst. Gegen Mittag gränzt es an Navarra und Alava. Es ist, wie alle Biscayische Provinzen, sehr gebirgigt, aber dennoch, vorzüglich in einigen Gegenden, ungemein fruchtbar, upd unter allen am meisten bevölkert. Die Volkszählung von 1787. giebt die Zahl der Einwohner auf 120 716 an. In Rücksicht der Sprache hat diese Provinz ihren eigenen Dialect, der für das Ohr des Fremden angenehmer, als der eigentlich Vizcayische, obgleich nicht so lieblich als der Französische (Labortanische) ist. Ueber den Ursprung des Namens Guipuzcoa*) hat man vielerlei wunderbare Vermuthungen gemacht; obgleich die Töne otlenbar Vaskisch sind, dürfte es schwer seyn, auf etwas nur irgend Wahrscheinliches zu kommen ; in älteren Urkunden wird das Land gewöhnlich Ipuscua,**) Ypuscua genannt, und in einer vom Jahr 980. heisst S. Sebastian bloss S. Sebastian de Puzico.***)

Jedermann kennt die bedeutenden Freiheiten, welche die Biscayischen Provinzen geniessen. Da sie nicht durch Eroberung, noch Erbschaft, sondern durch freiwillige Uebergabe der Krone

*) Oihenarts Ableitung von den Biturigibus Ubiscis oder Viuiscis ist gleich unstatthaft, als die andern. Not, Vascon. p. 163. Die Vhiisci waren überdies fremde Völker in Aquitanien und stammten von Nordgallien her. Strabo. IV. p. 131. (?)

**) Oihenart /. c. behauptet, dass es eben diesen Namen bei den Eingebohrnen führe ; allein in gedruckten Vaskischen Büchern , unter andern schon in Ascular's Gueroco giiero ^) finde ich immer Guipuzcoa.

***) Marca Hist. de Beame. l. I. c. 4. (?) [Larram. Dicc. I. LXXI.] Wären die Wohnsitze der Paesiker (Paesici. Plin. ed. Bip. IV. 34. Cellarii not. orb. ant. I. 86. §. 56. Mannert. I, 345.) nicht zu weit westlich, noch hinter den Cantabrern gewesen, so könnte man bei der Ableitung des Namens an sie denken.

^) „nach St. Sebastian" verbessert ans „in die Stadt hinein".

^) Vgl. Band ß, 26g.

St. Sebastian.

47

einverleibt wurden, so hieng es von ihnen ab, die Bedingungen dabei festzusetzen.^) Bekanntlich geschah diese Einverleibung im Jahr 1200. unter Alphons 8. Alava und Guipuzcoa waren bis dahin, nur mit kleinen Unterbrechungen, der Krone Navarra unterworfen gewesen. Als aber Alphons 8. (in Castilien eigent- lich 3.) im Kriege mit Sancho von Navarra Vitoria belagerte, riefen ihn die mit Sancho unzufriednen Guipuzcoaner zu sich, fielen von Navarra ab, und unterwarfen sich ihm. Es scheint, als hätte sich Guipuzcoa gleich damals ganz und unwiderruflich an Castilien ergeben, da man von demselben nicht, wie von Alava, eine zweite Unterwerfung angemerkt findet. Doch sind die näheren Bedingungen dieser Uebergabe nicht bekannt. Ueberhaupt ist es zu bedauern, dass die Geschichte Biscayas noch bis jetzt so wenig Aufklärungen erhalten hat. Die sparsamen -) Bruchstücke , die man davon antrift, muss man mühsam aus den allgemeinen Ge- schichtschreibern Spaniens und Navarra's zusammensuchen; die einzigen,'^) welche, soviel ich weiss, bloss Biscava zu ihrem Zweck gemacht, dies aber ganz umfasst haben, sind Oihenart*) und Henao. *) Des letzteren Cantabrische Alterthümer aber bleiben in vieler Rücksicht unbefriedigend,^) und der erstere führt nur die Geschichte des Französischen Basquenlandes und Navarras weiter aus. Ungemein wäre es daher zu wünschen, dass ein vaterländischer Schriftsteller diese wichtige Lücke ausfüllte. Diesem würde es alsdann nicht an hinlänglichen Materialien fehlen. In wenig Landern giebt es in öffenthchen und Privat Archiven so reichhaltige Quellen für die vaterländische Geschichte, als in Spa- nien; in wenigen ist die Lust nach Untersuchungen dieser Art, und selbst eine gewisse Geschicklichkeit, Urkunden zu lesen und abzuschreiben, so allgemein verbreitet, und gewiss fände, wer diese Geschichte zu bearbeiten unternähme, auch manche hand- schriftliche vor Zeiten zu gleichem Behuf gemachte Arbeit, die er benutzen könnte. Ich selbst erinnre mich, ohne weitere Xach-

*) Notitia utriusque Vasconiae tum Ibericae, tum Aquitanicae cet. authore Arnaldo Oihenarto Mauleosolensi. (Mauleon in der Provinz Soule.) Parisiis. 1638. 4.

^) l>lach ,,festziisetze)i" gestrichen : „und die Könige von Spanien haben diese Vor- rechte mit ebensoviel Gewissenhaftigkeit heilig gehalten, als die Eingebohrnen selbst."

^) „sparsamen'' verbessert aus „wenigen".

') Nach „einzigen" gestrichen: „Schriftsteller".

*) Hier steht ein Fragezeichen als Anmerkung. Henaos „Averiguaciones de las antiguedades de Cantabria" erschienen Salamanca i68g—gi.

"*) „unbefriedigend" verbessert ans „unvollständig" .

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^8 Die Vasken.

forschung, bei einem Gelehrten in Vitoria eine ungedruckte ^) Ge- schichte Guipuzcoas und in dem Hause der Mazarredo's in Bilbao eine der Familie ^) der Salazare, eines der ältesten und berühm- testen Spanischen Geschlechter, das durch eine Erbtochter in das Mazarredosche überging und seinen Stammsitz in Vizcaya hatte, gesehen zu haben.

Am dunkelsten ist die Geschichte Guipuzcoa's. Man weiss nicht einmal, ob es eigne Grafen, wie Vizcaya, hatte oder nicht. Man findet bloss einzelne Beispiele dass in Urkunden der Titel : Herr von Ipuscua vorkommt, und überhaupt ist es wahrscheinlich, dass sich diese Provinz, wie die übrigen, sey es nun regelmässig oder von Zeit zu Zeit, eigne Beschützer gewählt habe. Erst unter Heinrich 4. erhielt sie das Vorrecht, nur unmittelbar dem Könige unterwürfig zu seyn, und auch von ihm unter keiner Bedingung verkauft oder einem andern überlassen zu werden.*)

Die Darstellung der kleinlithen Befehdungen und Innern Un- ruhen, von denen ganz Biscaya, ehe Spanien zur Innern poh- tischen Consistenz gelangte, ununterbrochen der Schauplatz war, könnte man dem künftigen Geschichtschreiber desselben ohne Mühe erlassen. Aber höchst interessant müsste es seyn, die Umstände entwickelt zu sehen, unter deren Begünstigung es diesem kleinen Bergvolke gelang, sich in Zeiten, wo ueberall ^) Unterdrückung und Gewaltthätigkeit herrschte, eine Verfassung zu geben, die, gleich weit von Despotismus und Anarchie entfernt, durchaus einen edlen Freiheitsgeist athmet, und deren wohlthätige Folgen auf die Sitten und den Charakter noch jetzt unverkennbar sind.

Die Vorrechte, welche Biscaya auszeichnen,*) sind im Ganzen allen drei Provinzen gemein. Aber die Verfassung der einzelnen weicht beträchtlich von einander ab. Die von Guipuzcoa ist weniger verwickelt, als die Vizcayische, und beide sind reiner demokratisch, als die von Alava.

Alle entscheidende Macht bei der Verwaltung der Angelegen- heiten der Provinz geht in Guipuzcoa von der Versammlung der Gemeinen aus. Sie ist es, welche den General-Deputirten sowohl, als die Deputirten der Districte wählt, und diese sind nicht nur

*) Oihenart. p. 170.

^) „ungedruckte" verbessert aus „handschriftliche^^.

^) „der Familie"' verbessert aus „des Hauses".

*) „ueberall' verbessert aus „nichts als."

*) „welche Biscaya auszeichnen" verbessert aus „deren Biscaya geniesst".

St. Sebastian. xq

an ihre Beschlüsse gebunden, sondern müssen auch, wenn die Wichtigkeit des Falls es erfodert, sie aufs neue ^) berufen, und ihre Entscheidung abwarten.

Die Gemeinen kommen zwar nicht 2) selbst, sondern nur durch Deputirte zusammen; allein diese werden immer ^) von neuem gewählt, und die Grundsätze, nach welchen sie stimmen, beruhen durchaus auf der Voraussetzung, als erschiene jeder selbst, und gäbe seine Stimme in Person ab. Jedem Ort nemlich sind nach Massgabe der Anzahl seiner Familienhäupter {vecinos\ bei der ersten Einrichtung dieser Verfassung, eine gewisse Menge von Stimmen eingeräumt worden, und das Gewicht, das er der Entscheidung hinzufügt, hängt nun von dieser Anzahl der Stimmen, nicht der Deputirten ab, die er sendet. Denn diese ist willkühr- lich, auch pflegt jeder Ort gewöhnlich nur einen oder zwei zu ernennen. Diese Art zu stimmen hat natürlich den Nachtheil, dass die grösseren Ortschaften allein die Entscheidung in ihren Händen haben. Sind die 8 oder lo Deputirten dieser für eine Sache ge- wonnen, so schlägt das Gewicht ihrer Stimmen die übrigen 70, wenn sie auch alle einmüthig**) einer andern Me3'nung wären, da- nieder. Denn die Zahl aller Deputirten pflegt sich auf 80 zu belaufen.

Diese Generalversammlung^) geht in 18 Orten Guipuzcoas um. Sie ist bestimmt den General- und die Districtsdeputirten zu wählen, über allgemeine LandesAngelegenheiten zu entscheiden, und die Punkte festzusetzen, über die in der nächstfolgenden Ver- sammlung ^) berathschlagt werden soll. Die Zusammenkunft ge- schieht in einem verschlossenen Zimmer, nicht öffentlich, und der Vortrag immer in Spanischer Sprache. Nur erklärt man, wenn die Sache wichtig ist, denen, welche kein Spanisch wissen, das Gesagte auf Vaskisch. Die Deputirten sind im buchstäblichen Verstände Stellvertreter ihrer Machtgeber. Die Gemeinen schrei- ben ihnen, sobald die Sache ein hinlängliches Interesse für sie hat, bestimmt vor, welche Meynung sie äussern "') sollen, und die

^) „aufs neue'' verbessert aus „zusammen". *) Nach „nicht" gestrichen: „alle". *) „immer" verbessert aus „alle Jahr". *) „einmüthig" verbessert aus „einstimmig".

^) Nach „Generalversammlung" gestrichen: „wird alle zwei Jahre im Ju- lius gehalten und".

®) „in Versammlung" verbessert aus „im nächstfolgenden Jahre". ■') „äussern" verbessert aus „begünstigen".

W. V. Humboldt, Werke. Xm. 4

TQ Die Vasken.

Stimmen eines Orts werden so sehr als Eine Collectivstimme an- gesehen, dass, wenn zwei Deputirte einer Gemeine ^) eine ver- schiedene Meynung äussern, das Stimmrecht derselben für diesen Fall gänzlich aufgehoben bleibt.

An ein Repraesentativsystem ist also hier nicht zu denken ; es ist eine reine, und vollkommene Demokratie. Niemand lässt seinen Willen durch einen Fähigeren vertreten, jeder entscheidet jede Sache selbst , und der Deputirte ist nur das Organ der' Stimmenmehrheit in jeder Gemeine.

Der Fall, dass die Deputirten desselben Orts in ihren Mey- nungen nicht übereinstimmen, kommt nur selten vor, da sie nie versäumen, bei ihrer Ernennung ihre Committenten um ihren Willen in dieser oder jener Angelegenheit zu befragen. Er kann sich daher nur dann zutragen, wann die Sache dem Ort, der sie abschickt, wenig wichtig ist, und die Berathschlagung sie unvor- bereitet antrift. Ihre Ernennung geschieht in den ^) besondern Versammlungen jeder Gemeine. In diesen hat der Alcalde den Vortrag und gewöhnlich wird er selbst gewählt.^)

Weder in diesen, noch in der General- Versammlung gilt irgend ein Rangunterschied. Jeder Guipuzcoaner ist durch seine Geburt selbst adlich; jeder, ohne Unterschied des Vermögens und Ge- werbes, kann zum GeneralDeputirten ernannt werden; nur müssen alle, welche Stimmrecht haben sollen, Grundeigenthümer seyn. Von dieser Seite ist an einigen Orten die politische Ver- fassung mit der Cultur des Landes in eine wohlthätige Verbindung gebracht. Ein merkwürdiges Beispiel hievon sah ich auf einem Spatziergange bei St. Sebastian.*) Neben dem Dorf Artigarraga*) liegt ein hoher ^) Berg , von einer darauf befindlichen Capelle Santiago genannt, der bis auf die äusserste Spitze ungemein gut bebaut ist.*^) Ich wunderte mich über diesen ausserordentlichen Fleiss, erfuhr aber nachher, dass, einem alten Herkommen zufolge, niemand im Orte die Rechte eines stimmgebenden Bürgers ge- messen ') könne, ohne Eigenthümer eines Ackerstücks auf diesem

*) Lindenplatz.

') „einer Gemeine" verbessert aus „eines Orts".

2) Nach „den" gestrichen: „jährlichen".

^) „gewählt" verbessert aus „ernannt".

*) Nach „Sebastian" gestrichen: „nach Ernain zu".

^) „liegt ein hoher" verbessert aus „sah ich einen hohen".

•) „ist" verbessert aus „war".

') „die gemessen" verbessert aus „stimmgebender Bürger seyn".

St. Sebastian.

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Berge zu seyn, wieviel er auch immer in der Ebne besitzen möge. So ist durch diese auf den ersten Anblick wunderbar scheinende Einrichtung eine ehemals wüste Heide in fruchtbares Acker- und Gartenland verwandelt worden.

Der GeneralDeputirte steht an der Spitze der Verwaltung aller Landesangelegenheiten und behält seine Würde zwei*) Jahre hindurch. Er hat einen Adiunctus zur Seite, und berathet sich, wenn er es für nöthig hält, mit den DistrictsDeputirten, oder beruft auch eine ausserordentliche allgemeine Versammlung.^) Der Districtsdeputirten [Dipidados de partido) sind 8 an der Zahl,^) und der GeneralDeputirte hält mit ihnen jährlich zwei regel- mässige Zusammenkünfte, die eine ^) im Julius, die andre im No- vember, um ihnen Rechenschaft von seiner Verwaltung abzulegen. Er ist *) nichts mehr als ihr ^"orsitzer und kann, wie man sieht, keine Sache, die nur von einiger Erheblichkeit ist, allein nach seiner Willkühr entscheiden.

Der Sitz des GeneralDeputirten , so wie des Königlichen Corregidors, welcher die höchste Justizinstanz im Lande aus- macht, ging ehemals zwischen den vier Städten Tolosa, St. Se- bastian , Azcoytia und Azpeytia um , und der GeneralDeputirte musste immer selbst aus einem dieser vier Orte genommen wer- den. Man vv'ünschte seit längerer Zeit, hierin eine Aenderung zu treffen. Aber das vorhin bemerkte Uebergewicht der grösseren vier Ortschaften, deren Interesse hier gerade im Spiel war, ver- eitelte die deshalb gemachten Versuche. Endlich setzte man es auf die Weise durch, dass die Sache der Entscheidung einer Com- mission überlassen wurde. Jetzt haben der GeneralDeputirte und der Corregidor ihren beständigen Sitz in Tolosa, das sich durch seine Grösse, und seine Lage, an der Strasse von Madrid und fast mitten im Lande, am besten dazu schickt, und die Wahl des ersteren ist auf keinen einzelnen Ort mehr eingeschränkt.

Ein sonderbares Herkommen ist es noch, dass sich zur Zeit

*) Josef de Beovide schreibt 15. Mai, 1784. an Hervas: la provincia celebra

todos los anos sus juntas en cada Junta de estas se nombra iiTi Dipu-

tado general. Damals wäre er alle Jahre gewählt.

^) Nach „Versammlung" gestrichen: „aller Deputirten".

^) Nach „Zahl" gestrichen : „ihr Attit dauert gleichfalls nur zwei (aus „ein") Jahr".

*) Nach „eine" gestrichen : „14 Tage vor der allgemeinen Versammlung, am 2."

*) Nach „ist" gestrichen: „alsdann".

4*

["2 Die Vasken.

der Generalversammlung kein Advocat noch andrer Rechts- gelehrter in dem Ort, in dem sie zusammenkommt, und in einem gewissen Bezirk herum aufhalten darf. Der Ort selbst ernennt bloss einige Rechtsverständige, deren Rath die Versammlung nöthigenfalls einholen lassen könnte. So sorgfältig, scheint es, suchte man den einfachen, aber gesunden Sinn des Landvolks, aus dem sehr häufig die Deputirten gewählt zu werden pflegen, allein wirken zu lassen und von den Einflüssen einer verfänglichen Rechtsgelehrsamkeit frei zu erhalten.*)

Der König kann bekanntermassen den Biscayern keine Ab- gaben auferlegen ; er schreibt nur, wenn es die Umstände erfodern, freiwillige Geschenke aus. Diese werden alsdann in Guipuzcoa nach dem Verhältniss der Stimmenzahl, welcher jeder Ort geniesst, vertheilt, und um sie aufzubringen, legt die Gemeine eine kleine Auflage auf den Verkauf des Fleisches, Weins u. s. f.^) Durch ganz Spanien ist diese Art, die zu den Gemeineausgaben nöthigen Summen zu erheben,^) die gewöhnliche. Man nennt dergleichen Auflagen Arbitrios, so wie die Einkünfte aus den Gemeinegütern Proptos. Beide, die Propios und Arbitrios stehen unmittelbar unter der Aufsicht des Hohen Raths von Castilien. Die Gemeingüter sind auch in Biscaya, wie in dem übrigen Spanien, der Landes- cultur nachtheilig. Vorzüglich leiden die Waldungen darunter. Es wird bei dringenden Bedürfnissen viel Holz verkauft, man pflanzt wenig oder nichts wieder nach, und der Mangel an Auf- sicht begünstigt noch ueberdies den Diebstahl aller Art. Schon Jovellanos in seiner treflichen nur im Auslande nicht genug be- kannten Schrift über die Verbesserung der Spanischen Ackerbau- Gesetze,**) welche ein so helles Licht über den ganzen Zustand des Ackerbaues in Spanien verbreitet,^) klagt über diesen Mis-

*) Auch in den Versammlungen der Hermandaden von Alava darf [nach] der Ver- ordnung Heinrichs 4. vom Jahr 1463. kein Advocat, ausser in einigen wenigen be- sondern Fällen, zugegen seyn. Landazuri hist. de Alava. I, 264.

**) Informe de la Sociedad Economica de esta corte al Consejo de Castilla en el Expediente de Ley Agraria, extendido por D. Caspar Melchor de Jovellanos. Madrid. 1795. 4. §. 55. p. 17.

') T^ach „f." gestrichen: „Doch befindet man sich manchmal deshalb in nicht kleiner Verlegenheit, da vorzüglich baares Geld aufzubringen dem Biscay- ischen Landmann schwer fällt (aus „da der Landmann sich baares Geld zu geben sträubt")."

') „zu erheben" verbessert aus „zusammenzubringen'^

^) „verbreitet" verbessert aus „wirft".

St. Sebastian.

53

brauch.^) Der nunmehr verstorbene Director des Erziehungs- instituts in Bergara D. Iturriaga hatte einen Plan für Gui-

puzcoa ausgearbeitet, wie die Gemeinen durch eine beschränkte Art der Veräusserung dieser Güter zugleich ihren zerrütteten Ver- mögensumständen aufhelfen, und der Landescultur einen beträcht- lichen Theil ihr jetzt fast ganz entzogner Grundstücke wieder geben könnten. Er fand aber zu viele Schwierigkeiten, um damit durch- zudringen.^)

Es schien mir nothwendig, diese allgemeinen Nachrichten über das Ländchen vorauszuschicken, in dem unsre Wanderung uns noch einige Augenblicke verweilen wird. Ich kehre jetzt zu dieser zurück.

Wir besuchten am Morgen nach unsrer Ankunft sogleich das Castell um von der Höhe herab die Aussicht aufs Meer zu ge- niessen, nach der man sich immer wieder von neuem sehnt. Der Weg hinauf zieht sich an den Seiten des Berges herum, und hat mehrere Standpunkte, von denen man die Gegend sehr gut über- sieht. Das Castell wird nach seinem französischen Erbauer La Mota genannt.

Das Meer bildet zu beiden Seiten des Bergs, auf dem das Fort liegt, kleine Busen, die zwischen sich nur eine schmale Land- zunge lassen. An dieser, unmittelbar am Fusse des Castellberges ist die Stadt gebaut. Die beiden Busen zur Seite sind durch kahle und oede Berge begrenzt. Auf dem an der Westseite des Orts, Mendiotza (Spanisch Monte frio, kalter Berg), steht der Leuchtthurm des Hafens, der an der Ostseite wird Ullas genannt. Vor der westlichen Bucht liegt die Insel Sta Clara vor,-^) ein kleines felsigtes Eiland, an dessen mit Gebüsch überwachsenen Ufern die Wellen emporschäumen der mahlerischste Anblick'*) in dieser sonst kahlen und traurigen Landschaft. \"on dieser Seite ist auch der Hafen, ein kleines bei zurücktretendem Meer zum Theil trocken bleibendes Becken.

Als wir dort waren, stand kein einziges Schiff darin. Nur ein Paar waren auf den Docken. Der Handel von St. Sebastian war in dieser Zeit noch unbedeutender als der anderer Spanischer

*) „Misbrauch" verbessert aus „Unfug".

^) „durchzudringen" verbessert aus „durchdringen zu können".

*) Nach „vor" gestrichen : „und theilt zwei Einfahrten derselben ab".

*) „Anblick" verbessert aus „Gegenstand".

54

Die Vasken.

Seestädte. ^) In den ersten Zeiten des Französischen Krieges machte St. Sebastian dadurch gute Geschäfte, dass es zum Zwischenort zwischen Ameril^a und Frankreich diente, solange die vereinigten Staaten nicht mit der Republik in Idarem und gutem Vernehmen standen. Manchmal fanden auch die Fran- zösischen Kaper mehr Vortheil dabei, ihre Prisen hier, als in Fran- zösischen Häfen aufzubringen. Die Anzahl der Einwohner in der Stadt wird auf 8000. und mit dem dazu gehörenden Bezirk auf 14000. angegeben.^)

Die Aussicht auf die hohe See ist hier minder schön als in St. Jean de Luz oder noch weiter hin an der Küste. Die nächsten Berge treten zu sehr hervor, doch sieht man noch die äusserste Landspitze von Guetaria.

Merkwürdig, aber nur sonderbar, nicht reizend, ist die Aus- sicht auf die Stadt an der Landseite. Sie macht ein regelmässiges von allen Seiten befestigtes Viereck aus. Die Strassen sind eng, aber die Häuser hoch, und zum Theil mit Pracht gebaut; die Menge der Balcone, die regelmässige Figur des Marktplatzes, das mit Vergoldungen reich verzierte Rathhaus {casa de ayuntamiento), alles in acht Spanischem Geschmack. Von der Höhe nun sieht man überall m die Strassen hinein, nirgends fällt die Kleinheit des Orts so deutlich ins Auge; und die Höhe und Bauart der Häuser und die Lage der Gassen ^) giebt ein finstres, trauriges Ansehn. Zu beiden Seiten der Stadt stehen zwei Klöster, an der Westseite eins von Carmeliternonnen, an der Ostseite ein andres von Dominicanern. Melancholischer ist mir nie etwas vorge- kommen, als der Blick von oben in diesen Klosterhof, den ein grauer gothischer Kreuzgang umschliesst, und eine einzige grosse Cypresse in der Mitte noch mehr verfinstert. Die nächste Gegend um die Stadt entspricht diesem Bilde. Das Meer hat seine Ufer überall versandet. Doch schon in einer kleinen Entfernung sieht man wieder grünes Gebüsch und Ackerfeld, und den Hintergrund schliesst ein Kranz hoher Navarrischer und Biscayischer Gebirge.

Der vollen und geraden Aussicht aufs Meer durch den Berg, auf dem das Castell liegt, beraubt, und zunächst von kahlen An- höhen und Sandstrecken umgeben, hat die Stadt St. Sebastian,

') „Seestädte" verbessert aus „Häfen".

^) Dieser Satz hiess ursprünglich: „Die Bevölkerung der Stadt ist für ihre Kleinheit ziemlich ansehnlich."

*) „Gassen" ve)-bessert aus „Strassen"..

St. Sebastian.

55

wie man sieht, sich keiner schönen Lage zu erfreuen. Dabei ist das Clima rauh, und die Regen pflegen sich volle zwei Drittheile des Jahrs so häufig und anhaltend einzustellen, dass ihr der Spa- nische Volkswitz deshalb einen nichts weniger als ehrenvollen Beinamen*) gegeben hat. Man sollte daher denken, dass das Vaskische Sprichwort: „dem Gottesfürchtigen ist St. Sebastian und Biriatu (ein Dorf in der Nähe) ein gleich lieblicher Aufenthalt"**) leicht eine allgemeinere Anwendung, auch auf weniger Fromme, finden dürfte.

Wie angenehm aber wird man überrascht, wenn man sich nur etwas weniges weiter in der Gegend umsieht. Welchen der zahlreichen Spatziergänge um die Stadt man wählen mag, findet man die lieblichste Abwechslung waldigter Hügel und fruchtbarer Thäler, und nicht leicht dürfte ein andrer Ort Biscayas so sehr im Mittelpunkt reizender Naturscenen liegen. Man muss dies schöne Küstenland selbst gesehen haben, um sich einen Begriff von der ihm ganz eigenthümlichen Lieblichkeit uijd Frische der Vegetation zu machen.

Wenn man die Wildheit und die furchtbare Grösse einer Gebirgsgegend bis zur anmuthig überraschenden Abwechslung von Bergen und Thälern, die Strenge eines nördlichen Climas bis zu erquickender Kühle und stärkender Frische mildert : wenn man der trägeren Vegetation des Nordens einen schnelleren und kräf- tigeren Wuchs leiht, den kalten, manchmal finstren Ernst seiner Bewohner mit einem Theil der Lebhaftigkeit und der Heiterkeit des Südländers versetzt, so hat man ein treues Bild von Biscaya, und vorzüglich von den bevölkensten und fruchtbarsten Theilen Guipuzcoas. Man fühlt, dass man sich im Norden befindet, die Luft im Frühjahr und Herbst ist nicht eigentlich milde zu nennen, die Produkte unsres Vaterlandes und des nördlichen Frankreichs finden sich auch hier, die zarteren des Südens, Orangen, Palmen, Mandeln, selbst Olivenbäume fehlen. Aber dieser Norden ist der Norden Spaniens , und die Vegetation findet in der reichlichen Bewässerung des Landes einen mehr als hinlänglichen Ersatz für die anhaltend rauhere Witterung.

Thäler und Berge sind hier liebHcher an einander gereiht,

*) Sie wird spottweise el orinal del cielo genannt. **) Guizon (Menschen) Jaincotiarrari (gottesfürchtigen dem) Biriatu eta (und) Donostia (Der Vaskische Name von St. Sebastian. Done heisst ein Heiliger) bardin (gleicher) laquetguia (Lustort, zusammengezogen von laquet-teguia).

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Die Vaskcu.

und in einander verschränkt, als k t in irgend einem andren Lande. Mit jedem Augenblick venmert sich die Scene; fast überall ist die Aussicht geschlossen, J.i Auge übersieht nur kleine, aber immer mahlerisch begränzte l'.ihieen.') Schnell rieselnde Ströme stürzen sich von den Anhöher herab, durchschneiden in ruhigen aber vielfachen Windungen le Anger, oder treiben, in engen Betten gevv'altsam hinrauschend.Mühlen und Hüttenwerke. Selten sieht man kahle Berggipfel,-' i ie Anhöhen sind bis zur Spitze hinauf mit Grün bedeckt, uiul lackte Felsecken drängen sich nur aus dichtvervvachsnem (Icsiuch hervor. Die Aecker sind mit lebendigen^) Hecken um/.iut, an sie schliessen sich Wiesen und Waldstücke, meist aus ien beiden, durch ganz Spanien häutigen Kichenarten [roblrs ud cnci/ias) bestehend.

Man rindet hier nicht mehr du- eppigkeit der \'egetation der Ufer der Garonne, es sind nicl, mehr schwer behangene Reben, die sich, lange Strecken fon, m hohe schlanke Ulmen schlingen; es ist ebensowenig das fett Kühe verde unsrer Marschländer; aber der stamm Wuchs der, dichte, krause, dem Blick undurchdngbare LaubJ kräftige *) Aufschiessen des Grases un der Saat männliche,'^) dem (Charakter einer Gclrgsgegend Schönheit.

Den ehrwürdigen Wuchs unsre^a li viertel den Eichen trift ') man zwar auch ein eigenthümlicher, von uns nui lieh geschätzter Reiz unsrer nor<j und üppig auch die \'egetation und zart die Bildung jener uns der Gewächse, wie prachtvoll da^ immer bleibt es unläugbar, dasj

^) Nach „Parthieen" gestrichen:

*) „kahle Berggipfel'' verbessert

') „lebendigen" verbessert aus ..gii

*) „kräßige" verbessert aus .,reic\

■*) Nach „vhinnliche" gestrichen. schick[t]."

*) „Jahrhunderten" verbessert

') „trift" verbessert aus „findet"!

*) Nach „an" gestrichen: „Dii Zeit, geköpft."

®) „Landschaft" verbessert aus

St. Seba

einen (>harakter der Grösse und bildungskraft tiefer und ernster < sie, das gestehe ich gern, währe Frankreich und Spanien, oft mi' beschreiblicher Freude die erster. Boden wiederfand.

In (juipuzcoa und Biscaya meistentheils geköpft, theils weil Eisenhämmer verbraucht, thei! Grunde. Die Königliche Marina in den, ihren verschiednen Depa das zum Schiffbau tüchtige W^ Augenblicke an gehörte es dann der nur eine gesetzlich bestimmt^ dem König. Der Kigenthümer 1 seines Holzes, statt Vortheils, n Fligenthums zu erwarten. Diese Königlichen Marine selbst nachti aufgehoben worden. Das Ansei ler geniesst wieder das ine Unterschied der (; )rkaufsrecht vorbehalte verdient vielleicht i tigst angebaute genannt [bau bequemer als das i Joden ist dennoch*) n p Azpeytia, Azcoytia. [ungewöhnlich das 30 Ausnahme. Ohne :it des Landvolks koi Mne so grosse Menge ^wünscht, mir sowohl Irei Biscayischen Pr illein in keinem Lai: |er Spanier, so schwc

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57

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t auch", gehen".

56

Die Vasken.

und in einander verschränkt, als leicht in irgend einem andren Lande. Mit jedem Augenblick verändert sich die Scene; fast überall ist die Aussicht geschlossen, das Auge übersieht nur kleine, aber immer mahlerisch begränzte Parthieen.') Schnell rieselnde Ströme stürzen sich von den Anhöhen herab, durchschneiden in ruhigen aber vielfachen Windungen die Anger, oder treiben, in engen Betten gev^altsam hinrauschend, Mühlen und Hüttenwerke. Selten sieht man kahle Berggipfel,^) die Anhöhen sind bis zur Spitze hinauf mit Grün bedeckt, und nackte Felsecken drängen sich nur aus dichtverwachsnem Gesträuch hervor. Die Aecker sind mit lebendigen^) Hecken umzäunt, an sie schliessen sich Wiesen und Waldstücke, meist aus den beiden, durch ganz Spanien häufigen Eichenarten (robles und encinas) bestehend.

Man findet hier nicht mehr die Ueppigkeit der Vegetation der Ufer der Garonne, es sind nicht mehr schwer behangene Reben, die sich, lange Strecken fort, um hohe schlanke Ulmen schlingen; es ist ebensowenig das fette, Kühe verdeckende Gras unsrer Marschländer; aber der stämmige Wuchs der Bäume, das dichte, krause, dem Blick undurchdringbare Laub, das gleich kräftige *) Aufschiessen des Grases und der Saat besitzen eine männliche,^) dem Charakter einer Gebirgsgegend angemessnere Schönheit.

Den ehrwürdigen Wuchs unsrer Jahrhunderten ^) Trotz bieten- den Eichen trift ') man zwar auch in Biscaya selten an.^) Er bleibt ein eigenthümlicher, von uns nur aus Gewohnheit nicht hinläng- lich geschätzter Reiz unsrer nordischen Landschaft.^) Wie reich und üppig auch die Vegetation des Südens seyn mag, wie leicht und zart die Bildung jener uns beim ersten Anblick so bezaubern- der Gewächse, wie prachtvoll das glänzende Gemisch ihrer Farben, immer bleibt es unläugbar, dass der Norden seinen ßergwäldern

^) "Nach „Parthieen" gestrichen: „Kleine, aber". >

2) „kahle Berggipfel" verbessert aus „nackte Felsen".

') „lebendigen" verbessert aus „grün[en]".

*) „kräftige" verbessert aus „reichliche".

^) Nach „männliche" gestrichen: „Schönheit, die sich noch besser für . . . . schick[t]."

^) „Jahrhunderten" verbessert aus „der Zeit".

') „trift" verbessert aus „ßndet".

*) Nach „an" gestrichen: „Die Bäume werden fast iieberall, von Zeit zu Zeit, geköpft."

®) „Landschaft" verbessert aus „Landschaften".

St. Sebastian.

57

einen Charakter der Grösse und Würde aufdrückt, der die Ein- bildungskraft tiefer und ernster erschüttert. Ich wenigstens habe sie, das gestehe ich gern, während meines ganzen Aufenthalts in Frankreich und Spanien, oft mit Sehnsucht vermisst und mit un- beschreiblicher Freude die ersten ^j begrüsst, die ich auf Deutschem Boden wiederfand.

In Guipuzcoa und Biscaya ueberhaupt werden die Bäume meistentheils geköpft, theils weil man das Holz zu Kohlen für die Eisenhämmer verbraucht, theils bisher aus einem politischen Grunde. Die Königliche Marine hatte nemlich bisher das Recht, in den, ihren verschiednen Departements angewiesenen Districten das zum Schiffbau tüchtige Holz -) anzuschlagen. Von diesem Augenblicke an gehörte es dann nicht mehr dem Eigenthümer, der nur eine gesetzlich bestimmte Entschädigung erhielt, sondern dem König. Der Eigenthümer hatte daher von dem Wachsthum seines Holzes, statt Vortheils, nur Einschränkung seines freien Eigenthums zu erwarten. Diese den Forsten und dadurch der Königlichen Marine selbst nachtheilige Einrichtung ist ^) neuerlich aufgehoben worden. Das Anschlagen der Bäume hört auf; der Eigenthümer geniesst wieder das Recht des freien Verkaufs seines Holzes, ohne Unterschied der Grösse, und der König hat sich nur das Vorkaufsrecht vorbehalten.

Biscaya verdient vielleicht unter allen Spanischen Provinzen die sorgfältigst angebaute genannt zu werden. Guipuzcoa ist zwar zum Ackerbau bequemer als das mehr rauhe und bergigte Vizcaya; aber der Boden ist dennoch*) nicht sehr fruchtbar, und nur die Gegend von Azpeytia, Azcoytia, Ofiate und Mondragon, in der man nicht ungewöhnlich das 3oste und 3(5ste Korn erntet, macht hiervon eine Ausnahme. Ohne den Fleiss und die unglaubliche Arbeitsamkeit des Landvolks könnte daher dies kleine Ländchen unmöglich eine so grosse Menge von Einwohnern ernähren.^) Ich hatte sehr gewünscht, mir sowohl über die Grösse, als Bevölkerung jeder der drei Biscayischen Provinzen sichre Angaben zu ver- schaffen. Allein in keinem Lande ist es, nach dem eignen Ge- ständniss der Spanier, so schwer, zuverlässige statistische Nach-

') Nach „ersten" gestrichen: „wieder''.

^) „tüchtige Holz" verbessert aus „nöthige Bauholz".

^) Nach „ist" gestrichen: „aber ganz".

*) Nach „dennoch" gestrichen: „an sich auch".

^) „ernähren" verbessert aus „Nahrung geben".

rg Die Vasken.

richten*) zu erhalten, als in Spanien, und das nicht aus Zurück- haltung, sondern weil die Aufmerksamkeit nur noch sehr wenig auf diesen Punkt gerichtet ist. In Absicht der Bevölkerung muss man noch immer auf die Zählung von 1787. zurückgehen, die gewiss auch keineswegs von mancherlei Unrichtigkeiten frei ist. Der gewöhnlichen Angabe zufolge fasst ganz Biscaya 250 Quadrat- meilen*) in sich. Davon aber ist das bei weitem grosseste Drit- theil, die Provinz Alava, schlecht bevölkert, und Guipuzcoa hat gerade bei dem kleinsten Flächeninhalt die grosseste Volks- zahl. Wenn man das gegenseitige Verhältniss der Grösse aller drei Provinzen auch nur ungefähr überschlägt, so behauptet man gewiss nicht zu viel, wenn man in Guipuzcoa auf jede Quadrat- meile 2000 Menschen rechnet,**) so dass die Bevölkerung noch die der Schweiz übertrift. Dabei aber muss man nicht vergessen, dass Guipuzcoa nirgends auch nur eine Quadratmeile ganz flachen, nicht von Bergen durchschnittenen Boden hat.-)

Alle grösseren Güterbesitzer verpachten ihre Ländereien. Sie ziehen auf diese Weise nur. einen wenig bedeutenden F>trag aus denselben, und bekommen meistentheils kaum die Hälfte des wahren^) Gewinnes, aber sie verschaffen-) dem Lande dadurch eine Menge wohlhabender und zufriedner Pächterfamilien. Auch nähern sich diese Pachtungen einem wirklichen Eigenthums- besitze. Sie gehen gev^^öhnlich von Vater zu Sohn, und blei- ben 150 auch 200 Jahre in derselben Familie. Denn obgleich der Gutsherr nach Gefallen den Pächter ändern kann, so würde er es sich für eine Schande achten, es ohne die wichtigsten Gründe zu thun. ***) Der Pächter bestreitet alle Arbeit und Unkosten, ge-

*) Neuere Staatskunde von Spanien. I, loi.'') **) Dabei ist Guipuzcoa zu 60 Q Meilen gerechnet.

***) Dasselbe findet auch in mehreren Theilen Englands Statt. Man' vergleiche hier- über Herrn D. Thaers Einleitung zur Kenntniss der Englischen Landwirthschaft. I, 22.

1) „Nachrichten" verbessert aus „Angaben".

2) Hier ist folgender Absatz gestrichen: „Einzelne Gegenden Guipuzcoas machen jedoch in Rücksicht der Fruchtbarkeit eine ehrenvolle Ausnahme. Um Azpeytia, Azcoytia, Onate und Mondragon wird oft das 30 und 36 Korn geerntet, und der Fleiss des Landmanns findet sich hier auch durch die Ergiebigkeit des Bodens belohnt."

*) „wahren"' verbessert aus „reinen".

*) „verschaffen" verbessert aus „erhalten".

^) Nach „loi." gestrichen : „Die Grössenangaben bei den Reisebeschreibern, selbst bei dem sonst so genauen und zuverlässigen Bourgoing, sind zu imbestimmt> als dass sich darauf fussen Hesse." Bourgoings M^erk erschien Paris i'jSg.

St. Sebastian. 59

Wohnlich aber verrichtet er die ganze sehr mühsame Bestellung nur mit Hülfe seiner Familie und seiner Leute. Tagelöhner werden selten genommen, in der Ernte oder wann sonst die Arbeit drängt, helfen sich die verschiedenen Hauswirthe unter einander, und geben sich gegenseitig das Essen. Hat der Pächter keine Söhne, aber eine Tochter, so zeigt er dem Herrn an, mit wem er sie zu verheirathen gedenkt. Dieser erkundigt sich ^) nach den Umständen und der Aufführung des jungen Menschen und willigt er in die Heirath, so ist es zugleich eine stillschweigende Er- klärung, dass er das Gut auch dem künftigen Schwiegersohn

lassen will.

Für die Cultur des Landes dürfte zwar diese Einrichtung wohl schwerlich die beste seyn.*) Die Pächter bestellen den Acker nach ihren einmal hergebrachten Gewohnheiten, sie sind schwer zu Neuerungen zu bewegen, und es kostet noch jetzt Mühe, sie dahin zu bringen, Kartoffeln zu bauen, und Butter zu machen, und da die Be- dingungen ihrer Pacht so wenig lästig sind, so nöthigt sie nichts, auf grosse Verbesserungen zu denken. Auf der andern Seite führen die reicheren Gutsbesitzer oft, wenn sie nicht im Dienste der Krone stehen, ein zu müssiges Leben, und es gehn, ausser ihrem Fleiss, noch die beträchtlichsten Capitalien für die grössere Aufnahme des Ackerbaus verloren. Indess muss man auch auf der andern Seite bedenken, dass ein kleines Gebirgsland nicht mit grossen Staaten, wie z. B. Frankreich und England sind, verglichen werden darf. Die Besitzungen sind von zu geringem Umfange und liegen zu sehr zerstreut ; ein grosses System der Landwirthschaft Hesse sich kaum einmal daselbst einführen. Auch kommt in einem Lande, dessen Macht, Ansehn, ja -) dessen selbstständige Existenz nur sehr mittelbar von den Erzeugnissen des Bodens und dem Gewinn durch Handel und Gewerbe, sondern geradezu nur von dem Charakter, dem Fleiss und dem Nationaleifer seiner Bewohner abhängt, wie es in Biscaya so offenbar der Fall ist, alles darauf an, da'ss, wo möglich, jeder Einzelne sich in einem Zustande unab-

*) Man sehe hierüber die oben erwähnte Thaersche Schrift a. a. O. Der einsichts- volle Verfasser aber bemerkt auch sehr richtig, dass eben diese Einrichtung den Vor- nehmen und Reichen einen grossen Einfluss auf das Landvolk verschafft, und dieser Einfluss wird in Biscaya nie anders als auf eine wohlthätige Weise zur Verbreitung aufgeklärter Grundsätze und nützlicher Kenntnisse angewandt.

1) Nach „sich" gestrichen: „dann".

2) Nach ,Ja" gestrichen: „selbst".

(5o Die Vasken.

hängiger Wohlhabenheit befinde. In diesen Fällen, wo, wie hier, die Resultate des Gewinns für den Nationalreichthum immer nur unbedeutend seyn könnten, der Charakter des Volks aber eine schon jetzt der höchsten Achtung würdige Selbstständigkeit zeigt, ist es nothwendig die Grundsätze der höheren Staatswirthschaft den auf diesen letzteren berechneten Maximen wenigstens so lange unterzuordnen, bis man beide ohne Nachtheil vereinigen kann. Denn nur wenn jene Resultate gross genug sind einen so lebendigen Umschwung aller menschlichen Kräfte hervorzubringen, dass da- durch auf einmal alle Zwecke des Strebens erweitert und alle Mittel vervielfacht werden, führen sie eine Nation auch auf ihrer intellectuellen und moralischen Bahn weiter fort. In Biscaya hin- gegen übt gerade die jetzige^) Verfassung einen eben so glücklichen Eintluss auf die Bildung und die Sitten aus, als sie ein ehrenvolles Zeugniss für den Charakter des^ Volks, die massigen und billigen Gesinnungen der reicheren und die Treue und Arbeitsamkeit der geringeren Classe ablegt. Bei der Gemeinschaft in der beide dort beständig mit einander leben, können immer Verbesserungen, wenn gleich langsam und nach und nach, eingeführt werden, und in der That ist dies wirklich der Fall.

Ich hielt mich nicht lange genug in St. Sebastian auf, um auch nur alle vorzüglicheren Spatziergänge der Stadt zu besuchen. Allein auf einem an einem schönen Frühlingsabend, an den Ufern der Urmea *) hin, des kleinen Flusses, der sich an der Ostseite des Castells ins Meer ergiesst, gegen Ernani zu fand ich den ganzen lieblichen Charakter Biscayischer Gegenden, dessen ich mich noch so lebhaft von meiner ersten Reise nach Spanien her erinnerte, in der reizendsten Abwechslung mahlerischer Naturmassen wieder.

Zarauz und Guetaria.

Die Berge von Igueldo über die der Weg hinter dem Leucht- thurm von Monte frio hin von St. Sebastian nach Orio führt, gleichen dem wüsten Rücken des Jaizquibels. Nur an wenigen Stellen trafen wir auf der Höhe Ackerland und Gebüsch an, meistentheils bloss Heide, auf der einige Heerden weideten. Allein landeinwärts überschauten wir waldigte Hügel und sorgfältig angebaute Thäler. und dieses Gemisch von wildem Ansehn, und fleissiger Cultur

*) kleines Wasser, eau mince, von Ura, Wasser, und mea. fein, dünn. ^) Jetzige" verbessert aus „eben beschriebtie''.

Zarauz und Guetaria. Qj

gehört nicht zu den kleinsten Reizen Biscayas. ') Von der Höhe auf der wir waren, konnten wir deutlich den Charakter dieser Gegend erkennen. Zwischen den höchsten Bergen, die den Horizont umschliessen und grösstentheils zu Navarra gehören, und den minder hohen, die, wie ein Wall, den Rücken des Meeres bilden, gehen lauter queer laufende höhere oder niedrigere Bergreihen hin, und lassen tiefe Thäler zwischen sich, gleich mächtigen von der Zeit eingegrabenen Furchen, aber nun unter den Händen der Cultur mit Ackerland, Wiesen und reizenden Gebüschen geschmückt. Solche Thäler bildend strömen -j längs der Küste von Guipuzcoa fünf vorzüglichere Flüsse, ^) aus den wasserscheidenden GränzGebirgen Guipuzcoas, Alavas und Navarras ^) herkommend, dem Meere zu, und theilen das Land in eben so viel natürliche Abschnitte. An ihren Mündungen liegen kleine Häfen. ^) Wir hatten jetzt den Fluss von Pasages und die Urmea hinter uns gelassen. Wir gingen nunmehr über den Orio, und hatten noch die Urola und Deba vor uns.

Auf dem einsamen Berggipfel fanden wir nichts als eine Kirche mit vielen rund herum aufgerichteten Kreuzen. Auch begeg- neten wir nur einem einzigen Franciscanermönch, einem bejahrten Manne mit stark gezeichneten, bedeutenden Gesichtszügen, denen man es ansah, dass die Hand der Zeit und der Erfahrung sie zu diesen sprechenden Formen ausgearbeitet hatte.

Auf den fruchtbaren Ufern des Orio ruhte unser von der wüsten Bergheide ermüdeter Blick angenehm aus. Wir bewun- derten von neuem ^) den Fleiss der Biscayer im Anbau ihres Landes. Mit der Sorgfalt, mit der man bei uns Blumen pflanzt, bestellt man hier das Feld zu Weizen und Mais.

Orio ist ein schlechtgebauter, unbedeutender Flecken von etwa loo Familien. Allein auch in den kleinsten dieser Biscay- ischen Orte findet man immer eine gewisse Reinlichkeit und Zier- lichkeit, und in jedem wenigstens einige grössere zum Theil pracht-

^) „Biscayas" verbessert aus „der Biscayischen Gegenden".

2) „bildend strömen" verbessert aus „durchbrechend ergiessen sich".

^) „Flüsse" verbessert aus „Ströme".

*) „Gränzgebirgen Navarras" verbessei't aus „Gebirgen, welche die Gränze zwischen Guipuzcoa einerseits, imd Alava und Navarra andrerseits bilden".

^) „ihren Häfen" verbessert aus „der Mündung eines jeden liegt ein kleiner Hafen".

®) „Wir neuem" verbessert aus „Man wird nicht müde . ... zu be- wundern."

ß2 Die Vasken.

voll angelegte ^) Gebäude. Immer zeichnet sich die Kirche^ das Rathhaus und was in Biscaya nie fehlt, der Ballplatz aus, der gewöhnlich mit einer Mauer umgeben, und mit steinernen Sitzen versehen ist. Die Kosten zu diesen Gebäuden werden, wenn nicht begüterte Privatleute zur Verschönerung ihres Orts grosse Summen dazu hergeben, aus den Einkünften der Gemein- güter {Propios) bestritten.

Ueber den Thüren vieler Häuser in Orio bemerkten wir Wappen, meistentheils in grossen von Adlern, Löwen, wilden Männern gehaltenen Schilden in Stein gehauen, und erkannten daran die*) casas solariegas (Stammhäuser) der Familien, die sie bewohnten. Solche Stammsitze findet man auch häufig auf dem Lande in den Dörfern. Der Stolz eines hidalgo -) de Aldea (Land- junkers) wird oft in den^) komischen und satyrischen Schriften der Spanier verspottet. Man schildert ihn „wie er auf dem trau- rigen Marktplatz seines armseligen Orts gravitätisch herumgeht, eingehüllt in seinen schlechten Mantel, das Wappen über der Thür eines halb eingefallenen Hauses betrachtet, und Gott und der Vor- sehung pathetisch dafür dankt, dass er ihn als Don N. N.**) von N. N. gebohren werden Hess.*) Nie würde er," heisst es in einer

*) Solar oder casa solariega von dem lateinischen soliun. Diese Stammsitze sind sehr wichtig, weil sie, selbst wenn kein Haus mehr darauf stände, zum Beweise des ältesten Adels dienen.

**) Die Spanier haben für das, was wir durch N. N. ausdrücken (S. Adelungs Wörterbuch. III. 355.), einen eignen Namen: Fulano, hier z. B. Don Fulano de Tal.^) Nach D. Thomas Antonio Sanchez [Coleccion de Poesias Castellanas anteriores al siglo I^. II, 513.) kommt dies Wort von den Arabern her, die dafür Falan sagen, und dies aus dem Hebraeischen Pheloni genommen haben sollen. Die Spanier setzen aber, wenn sie von zwei Namenlosen reden wollen, noch zutano hinzu, und dies er- klärt Sanchez nicht. Zut heisst auf Vaskisch aufrecht [debout] und daher vielleicht Zutano, irgend ein Aufrechtstehender, ein Jemand. Wäre Fulano vielleicht nicht Ara- bischen Ursprungs, so liesse es sich von fidlare, fouler (im heutigen Spanisch hollar)

^) „prachtvoll angelegte" verbessert aus „prächtige".

^) „eines hidalgo" verbessert aus „der hidalgos .... die sie bewohnen".

*) „oft in den" verbessert aus „fast in allen".

*) „dass Hess" verbessert aus „ihn zu ... . gemacht zu haben".

^) Nach „Tal" gestrichen: „Ich erinnere mich nicht, etwas über, die Ab- stammung dieses Worts gelesen zu haben. Sollte es aber nicht desselben Ursprungs mit dem Französischen Foule seyn, und mit dem alten Eigennamen Foulque (s. Menage h. v. ) zusammenhängen, den man für gleichbedeutend mit Publius hält? Will man von zwei solchen Namenlosen reden, so sagt man fulano y zutano, und die Abstammung des letzteren Worts möchte noch schwieriger seyn."

Zarauz und Guetaria.

63

solchen Schilderung weiter , „den Hut vor dem Fremden ab- nehmen, der eben ins Wirthshaus hineinfährt, und wäre es auch der Gouverneur der Provinz oder der Präsident ihres ersten Ge- richtshofs. Alles wozu er sich vielleicht herablässt, ist zu fragen, ob der Fremde aus einem Stammsitz ist den das Castilianische Recht anerkennt? welchen Wappenschild er trägt? und ob er be- kannte Verwandte in der Nachbarschaft hat? Denn", doch diese Lächerlichkeit wird vorzüglich dem Stadtadel Schuld gegeben, „von wie erlauchtem Geschlecht auch der Fremde seyn möchte, so bleibt es immer ein unverzeihlicher Makel an ihm, dass er nicht in dem Orte gebohren ist, durch den er zufällig durchreist, da es Adel, wie dort, nirgends mehr im Königreich giebt."*) Die Ori- ginale zu dieser Schilderung, wenn es ihrer noch, wie ich nicht glaube, in irgend einem versteckten Winkel Spaniens geben sollte, sind mir nirgend aufgestossen , obgleich ich es mir bei meiner Reise zum Zweck gemacht hatte, gerade diejenigen Classen der Nation aufzusuchen, die am wenigsten durch Umgang mit Aus- ländern^) ihre Sitten verändert haben. Nie^) aber wird man eine stolze Verachtung der Fremden in dem gastfreien Biscaya antreffen. Mit herzlicher und dankbarer Freude werde ich mich immer er- innern, wie freundschaftlich ich bisweilen,^) ohne alle Empfehlungen, in diesen Landsitzen aufgenommen wurde, wo ich manchmal mehrere Tage mit der Familie verlebte, und mit welcher zuvor- kommenden Güte sie mich mit allen Merkwürdigkeiten des Landes bekannt machten. Die Bauart dieser Landhäuser ist gewöhnlich sehr einfach, aber in einer gewissen soliden Pracht. Sie sind meist vier- eckt, ganz von Quadersteinen aufgeführt, und mit vier Thürmchen auf den Ecken versehen. Inwendig vermisst man freilich *) das, was man in Frankreich und bei uns schönes Ameublement nennt. Auch in reichen wird man oft bloss Strohstühle und die weisse Wand,

ableiten, irgend ein Auftretender, und so drückten beide Worte analoge Begriffe aus, welche die Volkssprache, wie oft,") in einen Reim verbunden hätte. Im Romanischen fular, walken.

*) Cartas Marntecas del Coronet D. Joseph Cadahalso. (Maroccanische Briefe von Obrist cet.) 1796. S. 99.

') „Ausländern" verbessert aus „Fremden".

^) „Nie" verbessert aus „Am wenigsten".

^) „bisweilen" verbessert aus „oft".

*) „vermisst man freilich" verbessert aus „darf man meistentheils . . . nicht suchen".

^) „oft" verbessert aus „gewöhnlich".

Qa Die Vasken.

nur mit einem hohen Tapetenlambri, antreffen, aber sehr grosse Reinlichkeit, feine Esteras*) (Fussteppiche) i) und sehr oft schöne Gemähide von Spanischen 2) und ausländischen Meistern. Ebenso vergebens^) würde man Luxus in der Tracht der Bewohner suchen. In allen Provinzen Spaniens, vorzüglich aber in Biscaya, herrscht sehr viel stiller und einfacher Bürgersinn, und selbst in vornehmen Häusern wird man die Frau des Hauses mehr an der Schaar der sich um sie versammelnden Kinder, als an ihrem An- zug, erkennen.

Zarauz ist ein kleiner, nur etwa von 1500. Seelen bewohnter Ort, der aber eine grosse Pfarrkirche und ein neues, mit einem hohen Säulenportal versehenes Stadthaus hat. Er lehnt sich hinten an den Berg Sta Barbara, dessen hohe und schroffe, aber oben mit Gebüsch überwachsene Felswand die Aussicht vom Wege von Orio her romantisch begränzt.

Als wir die Höhe dieses Berges erstiegen hatten, der in einer sehr kleinen Entfernung Zarauz von Guetaria trennt, übersahen wir den grossesten Theil des Biscayischen Meerbusens; die blaue Flut schimmerte durch das grüne Laub der Weingärten, welche die Abhänge und Vorhügel des Berges bedecken, und zu unsern Füssen lagen die mahlerischen Felsen Guetarias.

Guetaria ist unter allen Orten, die ich in diesem Theil Spaniens antraf,*) das lebendigste Beispiel des Biscayischen Patrio- tismus.^) Der Ort war ursprünglich, wie noch jetzt die alten, schlechtgebauten Häuser zeigen,^) ein unansehnlicher Fischerhafen. Jetzt zählt er mehrere grosse, ganz aus Steinen aufgeführte Häu- ser, und ist mit steinernen Quais, prächtig angelegten Brunnen, und einer Bildsäule eines Seehelden aus seiner Mitte verziert.

*) Der Name dieser von Stroh, oder gewöhnlicher von Spartum geflochtenen Fussmatten ist auch Vaskischen Ursprungs. Estatu heisst zusammenziehn, einengen, davon kommt das adverbium estera, gedrängt, und natürlich sind diese Matten sehr fest ineinander geflochten. Man hat sie von doppelter Art, glatte in der ganzen Stube zum Gehen, zottige [Felpado' s) einzeln zur Wärme unter die Füsse zu legen.

*) „Fiissteppiche" verbessert aus „Strohmatten''.

^) „Spanischen" verbessert aus „vaterlän[dischen]".

') „vergebens" verbessert aus „wenig".

*) „diesem antraf verbessert aus „Biscaya sah".

^) „des Biscayischen Patriotismus" verbessert aus „der Liebe der Biscayer zu ihren Geburtsörtern".

^) „die .... zeigen" verbessert aus „man . ... an den .... Häusern sieht".

Zarauz und Guetaria.

Ö5

Alles dies ist das Werk einiger in Amerika ^) reich gewordener I'rivatpersonen die man hier Indimios zu. nennen pflegt.

Guipuzcoa ist nemlich zu bevölkert, als dass nicht jährlich ein ansehnlicher Theil seiner Bewohner sein Unterkommen aus- wärts suchen müsste. Da die Biscayer ueberhaupt zur Arbeitsamkeit und Ordnung gewöhnt sind, und auch grösstentheils eine sehr gute Hand schreiben,*) so werden sie durch ganz Spanien in Kauf- mannshäusern gesucht, und auch in die Königlichen Bureaux gern aufgenommen. Keine andre Provinz zählt wohl verhältnissmässig so viele Personen aus ihrer Mitte in niedrigeren und höheren Staatsbedienungen. Ein andrer Theil geht nach America, und viele endlich arbeiten in dem übrigen Spanien als Handwerker oder Fabrikanten.

Merkwürdig ist es nun, welche warme und feste Anhänglichkeit alle diese Personen aus so verschiedenen Classen und mit so ver- schiedenen Beschäftigungen zu ihrem Vaterlande -) behalten. Wo sie demselben in ihrem Wirkungskreise nützlich seyn können, da ergreifen sie nicht nur die Gelegenheit dazu mit Begierde, sondern halten auch das, was sie in dieser Absicht durchsetzen,^) für das Grosseste und Ehrenvollste. Nichts schmeichelt ihrem Stolze so sehr, als die Erinnerung an ihre Biscayische Abstammung, und

*) Dieser gewiss nicht unwichtige Vorzug ist ganz Spanien, mehr, als einem an- dern Lande, in Spanien aber Biscaya vorzüglich eigen. Es wird in den Schulen auf das Schönschreiben eine besondre Aufmerksamkeit gewandt; man hat ausführliche gedruckte Theorien darüber; und durch alle Provinzen bemerkte ich eine grosse Gleich- förmigkeit der Hand. Den Grund zu der verbesserten Schönschreibekunst legte ein gewisser Palomares, nach dessen Vorschriften sich fast alle Schreibmeister nach ihm gebildet haben. Nur giebt die, soviel ich bemerkte, fast durchgängige Methode, die Kinder in einem ordentlichen Netz von Bleistiftlinien schreiben zu lassen, durch das der Buchstabe nach allen Seiten bestimmt wird, der Hand zu viel Steifigkeit. Allein in neueren Vorschriften, als die von Palomares, hat die Schrift eine mehr abgerundete Gestalt erhalten. Die Kunst, Urkunden sauber und täuschend ähnlich abzuschreiben, oder vielmehr mit mönchartiger Genauigkeit abzumahlen, hat wohl niemand je so weit gebracht , als der eben genaimte Palomares. Denn ausser ganzen FolioBänden von Urkunden, die er, unter Aufsicht des P. Marcos Andres Burris, abschrieb, als dieser auf Befehl des Königs aus dem Archiv von Toledo die zur Spanischen Kirchcngeschichte dienlichen Documente auszog, und die in der Königlichen Bibliothek von Madrid auf- bewahrt werden, sähe ich noch in mehreren Privatßibliotheken *) von seiner Hand ab- geschriebene ungedruckte Manuscripte.

^) „Amerika" verbessert aus „Indien".

2) „zu ihrem Vaterlande" verbessert aus „an ihre Heimath".

') Nach „durchsetzen" gestrichen : „können".

*) Nach „Bibliotheken" gestrichen: „ganze Bände".

W. V. Humboldt. Werke. XIU. 5

ßß Die Vasken.

noch neuerlich sah man einen Minister, dessen aufgeklärter Vaterlandsliebe Biscaya noch mehr Vortheile gedankt haben würde, wenn er seinen Posten hätte länger behaupten können, an der Spitze aller Geschäfte, in der höchsten Gunst des Königs, und mit den ersten Ehrenstellen bekleidet, einen hartnäckigen Rechts- streit um ein halbes Haus in der Provinz Alava führen, nur um beweisen zu können, dass er angesessener Bürger derselben sey und aus ihr abstamme. Wo sie im Auslande zusammentreffen, halten sie, auch ohne weitere Bekanntschaft, so fest und unver- brüchlich an einander, dass es oft die Eifersucht der übrigen Spanier erregt, und man die Vaskischen Provinzen und Navarra auch wohl scherzweise die Vereinigten Provinzen Spaniens zu nennen*) pflegt.

Nur selten erstirbt in ihnen die Sehnsucht, in ihre Heimath zurückzukehren. Wenn sie auch 20 und 30 Jahre in Amerika zugebracht haben, kommen sie'doch gewöhnlich in ihren Geburts- ort zurück, und wenden dann immer einen Theil ihres erworbenen Vermögens zur Verschönerung desselben an. Durch ganz Biscaya findet man Spuren dieses patriotischen Verschönerungseifers, besonders viele aber soll der Flecken Elorrio aufweisen, durch den mich mein Weg gerade nicht führte. Die Liebe zu den Nationalgewohnheiten und Vergnügungen ist so stark, dass von den vielen Zimmerleuten z. B. welche in der Fremde arbeiten, nur wenige versäumen, auch aus einer Entfernung von 20 und 25 Meilen am Weihnachtsabend in ihren Geburtsort zurückzu- kommen, nur um mit ihrer Frau, ihren Kindern und Freunden zu Abend zu essen, und einen Theil der Nacht den Ort mit Musik zu durchziehn.

Der Indiano, dessen Herr Fischer in seiner Reise gedenkt,^) D. Francisco Echabe , lebte , als wir Guetaria besuchten , nicht mehr. Jetzt hatte sich ein andrer, D. Manuel Agote, das Verdienst erworben das Andenken des berühmten Elcano durch eine Bild- säule zu verewigen.

Juan Sebastian Elcano begleitete Magellan auf seiner Weltum- seglung und schiffte im September 1519. mit ihm, als Steuermann des 4ten Schiffes Concepcion, von Sevilla ab. Die Spanier und Ausländer pflegen ihn gewöhnlich Cano oder el Cano zu nennen. Allein auf der Inschrift der Bildsäule heisst er Elcano, nur dies,

*) las Provincias unidas de Espana. Carlas Marruecas. p. 70.

') Vgl. seine Reise von Amsterdam über Madrid nach Cadiz und Genua ^ S. 76'.

Zarauz und Guetaria. ß-j

nicht Cano, ist ein eigentlich Vaskischer Name, und häufig wird, wie ich schon oben bemerkt habe, die Anfangssilbe Vaskischer Namen zum Spanischen und Französischen Artikel verdreht. Als nach Magellans Ermordung auf der Insel Sebu im April, 1 52 1 . einer seiner Nachfolger gleichfalls umkam, ein andrer aber mit einem Schiff den Rückweg über Panama wählte, erhielt Elcano das Commando, und kehrte mit dem einzigen noch übrigen Schiffe Vitoria, jedoch nur mit 18 der zu- gleich abgesegelten^) Seeleute, den einzigen, die von 237*) übrig- geblieben waren, am 6.**) September 1522. nach Sevilla zurück. Er war also der erste, welcher die Erde wirklich umschifft hatte, und Carl 5. gab ihm zum Wappen eine Erdkugel mit der bekannten Inschrift: du hast mich zuerst umfahren (Primus nie cü-ciimdedisti). Die Vitoria wurde zu Sevilla, als ein heiliges Ueberbleibsel dieser Fahrt aufgehoben, bis sie vor Alter in Trümmern fiel. Elcano unternahm eine zweite Reise in die Südsee auf einer kleinen Flotte von 7 Schiffen, die ein Maltheser-Ritter, Jofre de Loaysa anführte. Als dieser auf dem Wege starb, bekam er abermals das Com- mando, behielt es aber nur vier Tage lang und starb selbst am 4. August 1526. Das Haus in dem er gebohren seyn soll, wird noch in Guetaria gezeigt. Es ist gelb angestrichen und liegt dicht am Thor beim Hereinkommen von Zarauz.***)

Ebendaselbst steht auf einem viereckten Platz seine Bildsäule. Sie ist aus Sandstein, zwar in Madrid gemacht, aber von sehr mittelmässiger i\rbeit, soll 22000 reales de vellon (gegen 1500 Thaler unsres Geldes) gekostet haben, und hat auf drei Seiten des Fuss- gestells eine lateinische, spanische, und Vaskische Inschrift.

*) Anton Pigaletta'sBeschr. d. v. Magellan unternommenen ersten Reise um die Welt. Aus dem Französischen übers, v. Jacobs u. Kries. Gotha bei Perthes. l8oi. S. XLVIII. **) So Pigafetta. S. 236. Nach andern am 7. oder 8.

***) Ungemein sonderbar ist es, dass Pigafetta mit keinem Worte Elcanos gedenkt, ja nicht ein einzigesmal nur seinen Namen nennt, da er doch der übrigen Schiffsbefehls- haber, ja an mehr als einer Stelle der Steuerleute namentlich erwähnt. Der Grund davon kann fast nur in einer Privatfeindschaft liegen, die zwischen beiden obgewaltet haben muss. Denn als Carvajo, der zweite Oberbefehlshaber nach Magellans Tode, mit dem Schiff Trinidad auf Tadore zurückbleibt, sagt Pigafetta gar nicht, wer die allein zurücksegelnde Victoria commandirte, sondern fährt in seiner Erzählung immer in der 2. pers. plur. wir schifften, thaten, unterhandelten u. s. f. fort, so dass er offen- bar absichtlich Elcanos Namen verschweigt. Bei Gelegenheit der Durchfahrt durch die Magellanische Strasse nennt er als Steuermann der Conception den Juan Serano. /. c. S. 50. Vielleicht hatte Elcano damals einen andern Posten auf diesem oder einem andern Schiffe erhalten.

^) „ah gesegelten'' verbessert aus „ausgeschifften".

5*

gg Die Vasken.

Wo der Nationalgeist eine Folge des Volksgefühls ist, da beschränkt er sich zunächst nur auf den Kreis, welcher den Menschen unmittelbar umgiebt; ja er zeichnet sich alsdann immer zugleich durch ein Umfassen des Verwandten und ein Entfernen von dem^) Fremden aus; wie in jeder Naturkraft, kommt neben der Liebe auch Abneigung in ihm hervor ;2) und jeder anziehende Pol kennt seinen abstossenden. Nur der Vernunft ist es gegeben, in dem Höchsten auf einmal alles darunter Begriffene zu um- schliessen; nur dem idealischen Gefühl,'^) aus bloss gleichartigen Elementen doch belebende und befruchtende Wärme zu erzeugen. Die gewöhnliche Empfindung bedarf der Reibung durch ver- schiedenartige Stoffe, und selbst der Hass des Hassenswürdigsten unter allem, des Moralisch Bösen, ist, als Hass, stärker in der gemeinen, als in einer erhabenen Natur.

Diese Bemerkung hatte icl;i oft in Biscaya zu machen Gelegen- heit. So wie ich das Innere des Landes durchreiste,'') und mit den Sitten desselben vertrauter ward, kam mir das ganze Ländchen in eine Menge von kleinen Kreisen zerschnitten vor, deren ab- sondernde Grenzen sich manchmal grell zeichneten, aber immer wieder in grösseren Kreisen verschwanden,^) und ich fand in der gegenseitigen Ein-**) und Rückwirkung dieser verschiedenen Massen, zum Theil auch in politischer, vorzüglich aber in sittlicher Hinsicht, ein so natürliches, so durch sein eignes Schwanken ins Gleich- gewicht gekommenes Verhältniss, dass ich erst da lebendig erkannte,'^) wie ohne eine solche, immer rege Wechselwirkung kein wahrer Volkscharakter möglich ist, ohne einen solchen Volkscharakter aber ein von der Natur so wenig, und nur durch seine Lage am Meer, begünstigtes Land, allein durch die Kräfte seiner Bewohner, nie zu diesem Grade der Blüthe, des durchgängigen Wohlstandes und der Aufklärung hätte gelangen können.

Es ist nichtzu läugnen, dass die Liebe und Anhänglichkeit der Bis- cayer an ihr Geburtsland und ihren Geburtsort etwas Ausschliessendes

') „Entfernen von dem" verbessert aus „Abstossen des". 2) „kommt hervor" verbessert aus „ist Liebe und auch immer zugleich Abneigung in ihm verbunden".

2) „nur Gefühl" verbessert aus „und".

*■) „durchreiste" verbessert aus „in .... kam".

^) „verschwanden" verbessert aus „sich .... verloren^^.

*) „gegenseitigen Ein-" verbessert aus ,.Hin-".

'') „erkannte" verbessert aus „einsah".

Zarauz und Guetaria. ßn

hat. Zwischen allen benachbarten Orten herrscht eine gewisse Eifer- sucht, sogar im Auslande giebt man den Biscayern ich weiss nicht, ob mit Wahrheit? Schuld, ihre Liebe zu ihren Lands- leuten doch, der allgemeinen Vereinigung ungeachtet, nach den Ent- fernungen ihrer gegenseitigen Geburtsörter zu nuanciren, und bis in die öffentlichen Vergnügungenhinein erstrecken sich kleineNeckereien benachbarter Ortschaften. Man kann aber^) mit Wahrheit sagen, dass sie auch da ihr Ende erreichen. ^) Nie habe ich ein Beispiel anführen hören, ^) wo diese kleine, unbedeutende Eifersucht nicht augenblicklich vor dem allgemeinen Interesse geschwiegen hätte; dagegen habe ich mehr als einmal bemerkt, wie sie zu einem nützlichen und anspornenden Wetteifer führt.

Das Ballspiel bietet die häufigste Gelegenheit dar, dieselbe in Bewegung zu setzen.*) Es ist die Hauptlustbarkeit der Biscayer. Nicht bloss jeder Ort hat, wie schon oben bemerkt worden, seinen eignen, mehr oder minder kostbar angelegten Ballplatz, sondern jeder nimmt auch an dem Spiele Theil; wie überhaupt in Biscaya, so aber besonders beim Ballspiel, gilt kein Unterschied des Standes, und des Sonntags ist ein grosser Theil des Orts beiderlei Geschlechts, den Alcalden und Geistlichen nicht aus- genommen, dabei gegenwärtig, sieht den Spielern zu und begleitet sie mit sichtbarem ^) Interesse mit seinem Beifall oder seinem Tadel. Ganze Ortschaften fodern ^) einander zu feierlichen Parthien heraus. ') Unter den Biscayischen Provinzen sollen die Guipuzcoaner die besten Spieler seyn. Manchmal mischt sich auch noch ein höheres Nationalinteresse ein. So haben wenigstens ehemals die Navarrer (die gleichfals Vaskisch reden) die Franzosen und diese jene herausgefodert, und dann ist die Theilnahme in der ganzen Gegend allgemein. Doch räumen mehrentheils die Spanier selbst den Franzosen den Vorzug^) ein. Bei solchen Ausforderungen schweigt alsdann die vaterländische Muse nicht. Dichter treten

') Nach „aber'^ gestrichen: „auch".

^) „auch erreichen" verbessert aus „sich auch nicht über sie hinaus er- strecken".

*) „habe hören" verbessert aus „ist mir ein Beispiel vorgekommen".

*) „dieselbe setzen" verbessert aus „die Eifersucht eines Orts gegen den andern zu wecken".

■*) „sichtbarem^'' verbessert aus „lebhaßem",

•) Nach „fodern" gestrichen: „nun".

') „heraus" verbessert aus „auf".

*) „Vorzug" verbessert aus „Preis".

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Die Vasken.

70

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Die Vasken.

in der Nationalsprache auf, verspotten den besiegten Gegner, oder beschuldigen ihn schon im Voraus der Verwegenheit, sich an so geübte Streiter zu wagen. Ein solches Lied, auf das ich einmal zufällig stiess, bei Gelegenheit einer Ausforderung zwischen Mar- quina und Motrico, beginnt z. B. mit folgender Strophe :

Ausgefordert habet Ihr,

Und zu was ? o, der Vermessenheit 1

Zu des Ballspiels edlem Streit

Ganz Marquina hierl

Dieser Ausfordrungen Trutz,

Ha! Motriker, zeug' es mir!

Ob ihn nicht mit Siegesflug

Stets Marquina niederschlug?

Eine andre Veranlassung zur wetteifernden Eifersucht, manch- mal auch zu wirklichen Streitigkeiten geben die ländischen Feste, wenn ein Dorf das andre, oder eine Stadt ihre um sie herum liegenden Landbewohner bei einigen Schläuchen Wein zum Tanze einladet.^) Es geschieht bei solchen Gelegenheiten wohl, dass der eine oder andre seine Ehre durch die Verletzung irgend einer eingeführten Höflichkeitssitte beleidigt glaubt, und dann machen alle jungen Leute des Orts die Beleidigung zu der ihrigen. ^) Man fodert sich ^) heraus, es erfolgen Schlägereien und selten vergeht ein Jahr, ^) ohne dass nicht einer auf diese Weise ^) getödtet oder schwer verwundet wird. Die wahre Nationalwaffe des Biscayers ist sein langer und dicker Gebirgsstock, ohne den er selten oder nie geht. Wenn sich die beleidigten Theile begegnen, fodern sie einander mit dem Losungsworte") Aiip/ das auf eine ausdrucks- volle Weise ein plötzliches Erheben, ein Zusammennehmen der

*) Daher das Zeitwort Aupatatii. Beide Ausdrücke scheinen vorzüglich dem Vizcayischen Dialecte eigen. Die ganze Sitte überhaupt kann natürlich nur dem am meisten gebirgigten Theil der Nation angehören.

^) Dieser Satz hiess ursprünglich : „Ein andrer Anlass zur feierlichen Ver- einigung mehrerer Ortschaften ist der Tanz. Ein Dorf giebt dem andern, oder eine Stadt den um sie herum liegenden Landbewohnern einen oder zwei Schläuche Weins, und dabei werden die Nationaltänze, von denen ich bald einige Worte sagen werde, getanzt."

^) „machen ihrigen" verbessert aus „pßegt wohl der grösste Theil der jungen Mannschaft des .... ihrigen zu machen."

^) Nach „sich" gestrichen: „alsdann".

*) „vergeht ein Jahr" verbessert aus „vergehen ein Paar Jahre".

^) „nicht Weise" verbessert aus „in einer Gegend einer bei solchen Gelegenheiten".

Zarauz und Guetaria.

71

Kräfte bezeichnet, heraus. Stutzen sie vor einander und zögern sich anzugreifen, so heisst es: Biderdia! (Mitten in den Wegl) Alsdann beginnt das Gefecht. Der Knittel wird mit beiden Händen geführt, und diese Art zu fechten Icennt so gut ihre Regeln, als die unsrige. Der geschickte Kämpfer weiss schnell den Hieb des Gegners abzuhalten, und gleich darauf den seinigen beizubringen. Die Paraden geschehen je nachdem der Hieb geführt wird, entweder horizontal vor dem Gesicht, oder zu beiden Seiten nach unten zu. Gelingt es nicht mit dem Hauen, so dient das Ende des Stocks auch zum Stich. Wird einer beider Theile zu Boden gestreckt, so stellen sich seine Partheigänger vor ihn, bedecken ihn mit ihren Stöcken, wie Homers Helden ihre gefallenen Krieger mit ihren Lanzen und Schilden, und suchen ihn, kämpfend und weichend, dem Gefecht zu entziehn. In einem reizbaren und muthigen Bergvolk Jedem Ausbruch der Leidenschaften zuvorkommen zu wollen, wäre unmöglich, und das von Zeit zu Zeit daraus entstehende Unglück ist immer ein geringerer Nachtheil, als wenn eine ängstliche Polizei den frohen und überschäumenden Muth des Volks zu ersticken versuchte, ^j Wenigstens ist der lange Gebirgsstock eine ofne und redliche Art der Waffen, und zeugt immer für den Muth und die Geradheit eines Volks. -)

Wunderbar ist es, dass diese LocalEifersucht , wie man sie nennen könnte, auch auf die Sprache einen sehr grossen Einfiuss ausübt. Dass der Vaske in dem Grade stärker an seiner Sprache hängt, in dem sie ungerechter verfolgt wird, dass er sich freut, wenn der Fremde an ihr Theilnahme zeigt, und sich Mühe giebt, selbst einige Worte zu radbrechen, dass er ihm alle Eigenheiten und Sonder- barkeiten derselben zu erklären und besonders das Geheimniss der in den meisten Vaskischen Wörtern liegenden Bedeutungen etymo- logisch aufzuschliessen sucht, ist sehr natürlich. Aber auffallender ist der wetteifernde Streit, wo das Vaskische am besten und reinsten ^) gesprochen werde? Marquina in Guipuzcoa und Durango in Vizcaya behaupten darin unstreitig den Vorzug.*) Beide mitten

*) Wie der Verfasser der neueren Staatskunde von Spanien I, 102. darauf kommt in diesem Betracht Bilbao und Ordufia zu nennen, weiss ich nicht. Von Bilbao ist es

^) „zu ersticken versuchte" verbessert aus „ersticken wollte". ^) Nach „Volks" gestrichen: „wenn es sich solcher freier und nicht heimlicher Dolche und Waffen bedient."

^) „reinsten" verbessert aus „richtig [sten]".

72

Die Vasken.

im Lande, nah an einander gelegen, nur durch das Gebirge Oiz von einander geschieden, beide ansehnlich bevölkert, wohlhabend mehr durch Ackerbau und Kunstfleiss, als durch Handel, und daher von Fremden sparsamer besucht, beide endlich von Gebirgseinwohnern umgeben, die in ihren zerstreut gelegenen, abgeschiedenen Woh- nungen das älteste, dem Städter manchmal kaum noch verständliche *) Vaskisch rein und unverändert aufbehalten haben, sind von der Ver- mischung ihrer Mundart mit Castilianischen Wörtern und Redensarten am meisten verschont geblieben. Beide geniessen überdiess jetzt des Vorzugs, Marquina in D. Juan de Moguel, Durango in D. Pablo de Astarloa, zwei so gelehrte und gründliche ^) Sprachforscher zu besitzen, dass, wenn auch der letztere den Bau und die Natur seiner Sprache tiefer erforscht hat, doch selbst der Kenner ungern über sie ein entscheidendes Urtheil fällen wird. Der streitige Punkt aber ist nun zu wissen, , welcher von beiden Orten dem andern den Rang abläuft? und hierüber hörte ich oft mit Hart- näckigkeit und Wärme streiten.

Noch sonderbarer und die Erlernung der Sprache sehr er- schwerend ist folgende Erscheinung. Die Vaskische Sprache hat, wie jede ursprüngliche, reiche und ehemals in einer ungleich grösseren Ausdehnung gesprochene, eine Menge gleichbedeutender Wörter. Zaldia und Zamaria heissen Pferd, erhia und atza Finger, goragoa und arbasoa der Urältervater u. s. f. Von diesen Wörtern hat die Mundart der verschiedenen Gegenden^) das eine aufge- nommen, das andre ist unbekannt, oder doch nicht üblich. Die

allgemein bekannt,') dass man daselbst vorzüglich schlecht Vaskisch spricht, und in einem Grenzorte, wie ürdufia, darf man schwerlich einen reinen Dialect suchen. Es ist vermuthlich mit dieser Behauptung, wie mit der, dass „die Bispayischc Sprache von dem Basquischen im französischen Navarra" nun vollends ganz verschieden sey. I, 302.

*) Von der Wahrheit dieser Behauptung zeugt folgende Anekdote. Ein junger Gebirgshirt beichtete bei einem Stadtgeistlichen ein Verbrechen begangen zu haben, das er Biganderia nannte. Der verlegene Pfarrer, der das Wort nicht verstand, und durch Fragen nichts herausbringen konnte, ertheilte dem Menschen die Absolution. Nachher fand er, durch Nachsuchen, dass der Ausdruck aus den drei Wörtern: bigaya, junge Kuh, atldrea, Frau, und eria, Krankheit, Laster, zusammengesetzt ist, und also eine unglückliche Verirrung anzeigt, die bei einsamen Hirten vielleicht weniger streng beurtheilt werden darf, aber in Biscaya doch fast beispiellos selten ist.

^) „gründliche" verbessert aus „tiefe".

^) Nach „Gegenden" gestrichen: „bald".

'} „allgemein bekannt" verbessert aus „ausgemacht".

Zarauz und Guelaria.

73

Rivalität der kleinen Ortschaften macht nun, wie mich einsichts- volle Beobachter versicherten, dass man sich an einem Ort nicht gern der Ausdrücke bedienen will, welche dem benachbarten eigenthümlich sind, obgleich Eigennamen zeigen, dass dieselben ehemals von allgemeinerem Gebrauche waren. In Durango sagt man 2. B. um den Begriff des Einsammelns auszudrücken batu, in Guipuzcoa hilda. Doch sind die Namen mehrerer dortiger LandHäuser aus dem ersteren Wort zusammengesetzt. Nicht selten findet man daher solche einzelne Localausdrücke^) eher in entfernten, als in nahgelegenen Orten wieder. Der allgemeinen Verständlichkeit der Sprache kann dies keinen Eintrag thun, da es immer nur eine kleine Anzahl von Ausdrücken betrift. Aber es erschwert das Aufsuchen des vollständigen Sprachvorrathes und bezeichnet den allgemeinen Hang jedes Volkscharakters, sich immer erst in kleineren Massen von einander abzuscheiden, ehe man sich zu grösseren verbindet.

Von derselben regen Eifersucht, welche sogleich erwacht, als ein Ort sich eines Vorzugs vor seinen Nachbarn anzumassen ver- sucht, führte uns der Zufall ein nicht uninteressantes Beispiel auf unserm Wege von Zumaya nach Deba zu. Wir begegneten zwei Frauenspersonen, einer älteren und einer jüngeren, ihrer Nichte, die nach dem benachbarten Dorfe giengen. Die Tante hatte ge- lobt die Jungfrau in Itziar zu besuchen, und die Nichte, ein rasches, junges und sehr hübsches Mädchen, begleitete sie. Auf unsre Bitte, uns einige Zortzicos so nennt man, von zorzi^ acht, die achtzeiligen Vaskischen Nationallieder vorzusingen und zu erklären, that sie es. Ich schrieb einen, so gut ich ihr folgen konnte, nach, 2) und ob sie gleich anfangs sich zu singen weigerte, drang sie mir, als mich die vielen Strophen ermüdeten, doch noch die letzte, als vorzüglich hübsch, auf. Die Poesie des Liedes bedeutete, wie man leicht denken kann, nicht viel, aber der Inhalt belustigte uns sehr. Zarauz und Guetaria, erzählte sie uns, stritten um die Ehre, Elcano's Geburtsort zu seyn. In Za- rauz gebe es noch Personen dieses Namens, in Guetaria nicht. Auf diesen schwachen Beweisgrund hin hätte nun ein gemeiner Seemann in Zarauz, der, wie sie sagte, weder schreiben konnte, noch Castilianisch wusste, dies Lied gemacht, indem er zugleich

') „Localausdrücke" verbessert aus „Provincialismen". *) „nach" verbessert aus „auf.

die Ehre seines Gebunsones rettete) und den armen Indtano in Guetaria nicht wenig mitnahm, un als bald darauf einige Zu- mayer (Zumaya liegt dicht bei Gueiaa) nach Guetaria zu Schiffe fuhren, sangen sie das Lied. Man ollte es ihnen untersagen, und bedrohte sie mit Strafen, abc unsre entschlossne Heldin, die dabei war, fertigte die Drohuni^c Ljanz kurz mit der Antwort ab: un cantar es fara cantar (ein Ge.^ ig ist zum Singen gemacht).

Elcano's Bildsäule ist nicht das e rige Denkmal des Seeruhms der Biscayer, das uns Guetaria J ' In mehreren Gärten sahen wir die Weinreben durch gi > Es vergeht nemlich nicht leicht ein Wallfische in den Busen von Bisca\ .i Wochen vor unsrer Ankunft hatte fangen. Sie pflegen auf 36 Ellen lan.und N hoch zu sevn.

Es scheint ausgemacht, dass 1- ropa diesen ganzen Fang ueberhaupt dem Muth und der Gescluvlichkeit der Vasken dankt, und vorzüglich schreibt man denselben erstBayonnischcn Schiffern 2u. Sie bemerkten, dass die WalliiNce, welche sie jährlich an ihrer Küste fiengen, regelmässig zu baimmten Zeiten erscj^enen. und wieder verschwanden, versuchtem ihnen nachzufj sie die südlicheren Gewässer verliessei und wurde bis nach Grönland und Island hingelokt. Sie kleine Flotten von 50 bis 60 Fi hatten sich so sehr die Zuneigui gewusst, dass diese sie Vorzugs ihren Fang nach und nach, zu werden anfing, in mehrei

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*) Man vergleiche über dies der grossen Encyclopädie, und Französische übersetzte histoin des Hollandais dans les mersi 132. 5^. Diese, als die neue giebt die Anzahl der Schiffe st ist nur von 30, jedes zu 250] Sprengel (Geschichte der Eur 16. Jahrhunderts an.

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74

Die Vasken.

die Ehre seines Geburtsortes rettete ^) und den armen Indtafto in Guetaria nicht wenig mitnahm, und als bald darauf einige Zu- mayer (Zumaya liegt dicht bei Guetaria) nach Guetaria zu Schiffe fuhren, sangen sie das Lied. Man wollte es ihnen untersagen, und bedrohte sie mit Strafen, aber unsre entschlossne Heldin, die dabei war, fertigte die Drohungen ganz kurz mit der Antwort ab : un cantar es para cantar (ein Gesang ist zum Singen gemacht).

Elcano's Bildsäule ist nicht das einzige Denkmal des Seeruhms der Biscayer, das uns Guetaria darbot. In mehreren Gärten sahen wir die Weinreben durch grosse Wallfischknochen unterstützt. Es vergeht nemlich nicht leicht ein Jahr, in dem sich nicht einige Wallfische in den Busen von Biscaya verirren ; und ^) nur wenige Wochen vor unsrer Ankunft hatte man einen bei Zarauz ge- fangen. Sie pflegen auf 36 Ellen lang und 8 hoch zu seyn.

Es scheint ausgemacht, dass Europa diesen ganzen Fang ueberhaupt dem Muth und der Geschicklichkeit der Vasken dankt, und vorzüglich schreibt man denselben zuerst Bayonnischen Schiftern zu. Sie bemerkten, dass die Wallfische, welche sie jährlich an ihrer Küste fiengen, regelmässig zu bestimmten Zeiten erschienen, und wieder verschwanden, versuchten, ihnen nachzufahren, als sie die südlicheren Gewässer verliessen, und wurden so allmählig bis nach Grönland und Island hingelockt. Sie rüsteten ehemals kleine Flotten von 50 bis 60 Fischerschiffen dahin aus,*) und hatten sich so sehr die Zuneigung ^) der Isländer zu verschaffen gewusst, dass diese sie vorzugsweise begünstigten. Sie trieben ihren Fang nach und nach, so wie er in einer weniger ergiebig zu werden anfing, in mehreren Gegenden, zuerst um Grönland

*) Man vergleiche über diese ganze Materie den Artikel Peche de Baieine in der grossen Encyclopädie, und die von Beruard de Reste aus dem Holländischen ins Französische übersetzte histoire des peches , des decouvertes et des etablissetnens des Hollandais dans les iners du Nord. T. I. p. XXII. und ferner p. 2. 4. 13. 17. 132. sq. Diese, als die neueste unter den mir über diese Materie bekannten Schriften giebt die Anzahl der Schiffe so, wie ich sie bestimmt habe, an. In der Encyclopedie ist nur von 30, jedes zu 250 Tonnen und 50 Mann die Rede, und ebensoviel nimmt Sprengel (Geschichte der Europaeer in Nordamerika. Th. I. S. 35.) für die Mitte des 16. Jahrhunderts an.

^) „die rettete" verbessert aus „Zarauz die Ehre, diesen Helden erzeugt zu haben, zueignete".

^) Nach „und" gestrichen: „dort gefangen werden".

^) „Zuneigung" verbessert aus „Gunst".

Zarauz und Guetaria.

75

und Island herum, hernach gegen Finnland zu, und endlich in der Strasse Davis.

Allein nicht lange konnten sie sich in dem Alleinbesitz des- selben erhalten; sie wurden sogar von den Holländern eine Zeit- lang gänzlich aus den Nordischen Gewässern verdrängt. Die Holländer stellten ihre erste Unternehmung dahin im Jahr 1612. an, doch konnten sie so wenig der Basquen dabei entrathen, dass sie vielmehr immer mehrere derselben in ihre Dienste zu nehmen suchten. Sie machten einen beträchtlichen Theil ihrer Schiffs- mannschaft aus, und wurden vorzüglich als Harpounierer ge- braucht. Während des Fanges hatten sie eine uneingeschränkte Macht über die Schiffe, und selbst der Capitaine musste ihnen gehorchen. Erst als sich andre Nationen bei dieser Fischerei zu den Holländern gesellten,^) fanden sich auch die Basquen wieder bei derselben ein. Die um Spitzbergen herum liegenden Meer- busen wurden nun förmlich vertheilt, die Engländer nahmen die südlichsten weg, auf sie folgten die Holländer, und die nördlichsten, bei dem^) rothen Busen, fielen den Basquen und Spaniern zu, da wo noch jetzt das Biscayische Vorgebirge bekannt ist. In neueren Zeiten haben die Vasken den Wallfischfang für den Stock- fischfang aufgegeben, allein immer bleibt ihnen der Ruhm Europa mit einer der nützlichsten, aber auch gefahrvollsten Fischereien bekannt gemacht, und ihren Namen an eine der nördlichsten Spitzen des Erdbodens ■') verpflanzt zu haben.

Auch die meisten einzelnen Verrichtungen bei dem Fang und der Benutzung der Wallfische sind Vaskische Erfindungen. Eine der wichtigsten, die Bereitung des Thrans auf den Schiffen selbst und in offener See, bei dem er weit besser geräth, als wenn man, wie vorher die Holländer thaten, das Fett erst in Tonnen schlägt und liegen lässt, bis man ans Land kommt, gehört einem Bürger von Ciboure Franz Soupite zu. Er gab zu diesem Behuf einen Ofen an, der auf dem zweiten Verdeck von Ziegelsteinen gebaut wird, und auf den man den Kessel setzt. Daneben hält man zu Verhütung der Feuersgefahr mit Wasser angefüllte Fässer in Bereitschaft.

Zweifelhafter, als die erste Entdeckung des Wallfischfanges,

^) „sich gesellten" verbessen aus „die Holländer genöthigt waren, diesen Zweig ihrer Fischerei mit andern Nationen zu theilen". ^) „bei dem" verbessert aus „um den". *) „des Erdbodens" verbessert aus „Europens".

76

Die Vasken.

ist es, ob die Verfolgung dieser Bewohner des Eispols die Basquen, noch vor Columbus Seefahrt, nach Neufundland und Canada ^) führte. Die Landeseingebohrnen behaupten es, ja sie bringen diese Entdeckung mit der von Columbus in noch näheren Zu- sammenhang. Basquen, sagen sie, hatten sich, wohl schon loo Jahre vor ihm in Neufundland niedergelassen; ihre Nachkommen aber waren genöthigt worden, weil sie das Clima nicht länger vertragen konnten, wieder zurückzukehren. Krank am Scorbut und ausser Stande weiter zu segeln, landeten sie an einer der Canarischen Inseln gerade zu der Zeit, als Columbus auf seiner Entdeckungs- reise ebendaselbst ankam. Sie gaben ihm Nachricht von ihrer Fahrt und dem Lande, das sie bewohnt hatten, und veranlassten dadurch die wahre Entdeckung Americas. Aber da sie, noch ehe sie ihr Vaterland erreichten, am Scorbut hinstarben, so blieb ihm allein der Ruhm, und das Gefücht ihrer Fahrt verdunkelte sich. Es dürfte schwer halten, einen kritisch genauen historischen Be- weis hierüber zu führen; allein ein Basquischer Seemann Derazu soll einen interessanten handschriftlichen Aufsatz darüber nach mündlichen Ueberlieferungen verfertigt haben, und auf diesen bezieht sich Garat, wenn er einmal gelegentlich im Französischen Mercur den Beweis verspricht, dass Amerika eigentlich zuerst durch Basquen entdeckt worden sey.*)

*) Man vergleiche eine Abhandlung sifr la decouverte de l'Amerique addressee au docteur Franklin in den Memoires de la societe philosophique d'Atnerique. (Ein Auszug davon ist im Moniteur. 3. Brum. an 13. 25. Oct. 1804. nr. 33.) Diese Abhandlung gründet sich auf eine Stelle in Garcilasso de la Vega Peruanischer Geschichte, in der es heisst dass Columbus, nachdem er von der Existenz eines andern Welttheils durch Alonzo Sanchez de Huelva, qui faisant route pour les Canaries avoit ete pousse aux Antilles par un coiip de vent, unterrichtet worden sey, avoit surtout tire grand parti des injormations d'un celebre Geographe nomme Martin Behenira. Diesen Namen versteht der Verfasser dieses Aufsatzes von Martin Behaim, Les sillabes ira, setzt er hinzu, doivent etre dues ä une circonstance particuliere ; cette circon- stance je la trouve dans la confiance dont il a ete honore par Jean 2. roi de Portugal. (Wie hängen die Silben ira und dies Vertrauen zusammen? Behenira kann sehr füglich ein Vaskischer Name seyn.) Indess scheint die Angabe, Columbus habe auf den Canarischen Inseln Nachrichten eingezogen, sich auf eine Stelle in Riccioli's geographie reformee, livre III. p. 90. zu beziehen. Christophe Colomb, heisst es da, pensa ä entreprendre une navigation aux Indes Occidentales sur une indication qu'il reg'it ä Madere il s'occupoit ä faire des cartes de geographie. Cette indication lui fut donnee par Martin Bohem, ou selon les Espagnols par Alphonse

^) „Canada" verbessert aus „den nördlichsten Gegenden von Amerika".

Zarauz und Guetaria.

77

Die Lage von Guetaria ist hinlänglich aus Herrn Fischers Reise durch Spanien bekannt.^) Wir wohnten in demselben Hause des Wundarztes, in dem er sich einige Tage lang aufhielt, und fanden die von ihm sehr umständlich beschriebne kleine Büchersammlung noch in demselben Zustand. In der Kirche, die einen hohen abentheuerlich verzierten Thurm hat, ist das Schnitzwerk im Chore berühmt. In dieser Art von Arbeiten herrscht in den grösseren und älteren katholischen Kirchen ein gewisser Muthwille der Künstlerlaune, und wenn man überall in dem ganzen Gebäude nur ernsthafte und religiöse ^) Vorstellungen erblickt, so treibt innerhalb der Gitter des Chors auf den bunten Verzierungen der Chorsessel die Einbildungskraft ihr freies Spiel, ohne sich an die Bestimmung und Heiligkeit des Ortes zu kehren. In Burgos lehnt sich der Erzbischof auf seinem Chorstuhl an eine Europa an, welche Jupiter als Stier entführt, und in Auch erinnre ich mich einen Pfaffen gesehen zu haben, den zwei Affen in ihrer Mitte zwischen sich fest binden. Auch hier waren die mannig- faltigsten Arabesken- und Capricciofiguren, Reuter auf vielfach in einander verschlungenen Ungeheuern, Centauren, Löwenjagden u. s. f. Doch kommt die Feinheit der Arbeit bei weitem nicht der in der Cathedrale von Auch gleich. Reicher, freier und zier- licher^) von Erfindung, und feiner und bestimmter in der Aus- führung aber, als das Schnitzwerk im Chor dieser letzteren Kirche, lässt sich auch schlechterdings nichts denken. Glücklicherweise hat dies merkwürdige Gebäude durch die Zerstörungen der Revolution, die sich überhaupt im südwestlichen Theile Frank- reichs schonender als in den nördlichen Provinzen gegen den Gottesdienst gezeigt hat, nichts gelitten, und es ist nur zu bedauern, dass es seltner von Künstlern besucht wird. Ausser den Raphael- schen Logen weiss ich in der Arabeskengattung nichts hiermit an Geschmack und Grazie zu vergleichen, als die Verzierungen einer Handschrift des Quinctilian in dem vom Herzog Ferdinand

Sanchez de Huelva pilote qui avoit rencontre par hasard l'isle qui depuis a ete appelee la Doiyiinique. Auch Mariana (/. XXVI. c. 3.) erzählt : qu'un certain batimetit allant en Afrique avoit ete jetie par un coup de vetit sur de certaines terres inconnues et que les matelots, apres leur retour ä Madere, avoient communique ä Christophe Colomb les circonstances de leur navigation.

1) Vgl. dort S. 13. 74.

'') „religiöse" verbessert aus „heilifge]".

*) „iierlic r" verbessert aus „zarter".

78

Die Vasken.

von Calabrien*) gestifteten Kloster S. Miguel de los Reyes bei Valencia. Unter 224 sehr schön geschriebenen und reich ver- zierten lateinischen Handschriften der Bibliothek dieses Klosters zeichnet sich diese vor allen andern aus, und wenn diese Hand- schriften, wegen ihres geringen Alters,^) auch in philologischer Rücksicht nicht gerade erheblich sind, so verdienen sie in künst- lerischer Aufmerksamkeit, vorzüglich da diese Verzierungen über Rafaels Zeitalter hinauszugehen scheinen.

Die Aussicht von der durch einen schmalen Damm mit dem Lande verbundenen Insel S. Anton ist die weiteste und freieste, die man an dieser Küste findet. Bisher war sie immer der letzte Punkt gewesen, den unser Auge an der Küste erreicht hatte. Jetzt sahen wir von ihr aus das Vorgebirge Machichaco, und über- blickten so auf einmal den ganzen Biscayischen Meerbusen von Bermeo bis S. Sebastian. Denn, das Vorgebirge Machichaco, die Insel S. Anton und das Vorgebirge dcl Higuer sind die drei am meisten ins Meer vorgehenden Punkte dieser Küste, zwischen welchen das Land zwei flache Einbiegungen macht. Die Insel besteht übrigens aus zwei durch ein Thal geschiedenen Höhen, von denen die hinterste und höchste ein blosser Haufe auf einander gethürmter KHppen ist, zu dem man durch einen schmalen an ungeheuren Abgründen hinlaufenden Fusssteig gelangt. Auf dem vordersten Gipfel ist bloss ein Wachthurm, auf dem hintersten eine Ein- siedelei. Solche Einsiedeleien giebt es viele in Spanien, doch werden sie nicht immer von Einsiedlern, sondern oft von Ackers- leuten bewohnt. Die Insel ist theils Weideplatz, theils Ackerland. An den schroffen Abhängen klimmen Kühe herum, und zu den Ackerstücken trugen Männer und Weiber Körbe voll Mist auf dem Kopf den unendlich beschwerlichen, zum Theil niit Stufen im Felsen gehauenen Weg hinauf.

*) Dieser Herzog von Calabrien war ursprünglich ein Aragonischer Prinz und ein Sohn Friedrichs von Aragonien, Königs von Neapel. Er war 1488. in Apulien gebohren. Als sein Vater durch Ferdinand den Katholischen und Ludwig 12. sein Königreich verloren hatte, vertheidigte er sich eine Zeitlang in Tarent, musste sich aber dem sogenannten Gran Capitan, Gonzalo Fernandez von Cordova ergeben und wurde in Spanien in Xativa, jetzt S. Phelipe, 10. Jahre lang gefangen gehalten. Endlich schenkte ihm Carl 5. die Freiheit wieder, verheirathete ihn mit D. Ursula Germana, Wittwe Ferdinand des Katholischen, und machte ihn zum Vicekönig von Valencia. Hier residirte er mit allem Glanz der Königlichen Würde, und das Kloster erhielt daher seinen Namen.

^) „ihres geringen Alters" verbessert aus „ihrer Neuheit".

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina. ^q

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina.

^) Diese Tagereise denn da wir früh von Guetaria aus- geritten waren, so erreichten wir Marquina noch an demselben Abend gewährte uns eine ungemein reizende Abwechslung verschiedener Gegenden. Erst die freundliche Lage des Hafens von Zumaya. Die Urola strömt aus einem lieblich bewachsenen Thale, mit dem sich an ihren Ufern ein andres vereinigt, hervor und ergiesst sich zwischen Felsen ins Meer; der Blick, der ihren Lauf landeinwärts verfolgt, wird durch eine hohe Gebirgsmauer begränzt ; und hinter dem kleinen am Abhänge liegenden Flecken erheben sich steile aber angebaute Berge. Dann der einsame Gebirgsweg nach Deba bei Itziar vorbei. Von zwei Bergreihen eingeschlossen, und von wunderbar gestalteten Klippen umgeben, glaubt man sich mitten in die Alpen oder Pyrenaeen versetzt, aber die öde Wildheit der Gegend mildert der Anblick der an- muthigen Aecker und Gärten, mit welchen der Fleiss der Bewohner auch die steilsten Gipfel umkränzt hat. Darauf die unbegränzte Aussicht aufs -) Meer zwischen Motrico und Ondarroa. Eine schmale, aber gut angelegte Chaussee verbindet diese beiden kleinen Häfen, immer am Abhänge der Berge über dem Meer hinlaufend. Ondarroa erhält durch seine, in einem hohen Bogen über den Fluss gehende Brücke und seine alterthümliche ^) Kirche ein romantisches Ansehn. Alle Kirchen dieser kleinen Seestädte sind in länglichten Vierecken, ohne eigentliche Thürme, aber mit mehreren thurmartigen Ausbauen auf den Seiten, und mit unge- heuer dicken Mauern, Strebepfeilern und Gewölben, gleich Festungs- werken, aufgeführt. Diese aber zeichnet sich durch ihre Grösse, ihr Alter und den Gothischen Schmuck aus, mit dem sie sehr reich verziert ist. Endlich von der Küste abwärts das wunder- schöne Thal des Dorfs Berriatua, das an den Ufern eines kleinen Baches hin bis Marquina führt. Mitten unter dem mannigfaltigen Grün von Aeckern, Wiesen und Gärten, von freundlich bebauten Hügeln und finstrem Gebirgsw^ald umschlossen hat Berriatua ein

1) Vor „Diese" ist folgender Absatz gestrichen : „Alle diese Orte, Marquina allein ausgenommen, das mitten im Lande liegt, sind kleine Seehäfen, in sehr geringer Entfernung von einander. Der Weg läuft zwar meistentheils am Meere hin, allein . . . ."

*) „aufs" verbessert aus „auf die unendliche".

') „alterthümliche" verbessert aus „altväterliche".

§0 Die Vasken.

wild-ländliches Ansehn. Das Thal ist wahres Gebirgsthal; aus dem Gebüsch drängen sich nackte Felsecken vor, zur Seite rauscht in der Tiefe der kleine aber reissende Waldstrom, und durch das Grün der Bäume blicken die schwarzen Schlackenhaufen der Eisenhämmer durch, die er treibt. Von Zeit zu Zeit stiessen wir auf Stammhäuser grosser Familien, deren einfache Bauart aber weder unsern neueren, noch älteren Schlössern^) gleicht, und die nur an ihrer Grösse und dem über der Thür eingehauenen Wappen kenntlich sind.

Von Ondarroa an befanden wir uns im eigentlichen Vizcaya.

In Marquina, einem bloss Ackerbau treibenden Flecken, sahen wir uns auf einmal mitten in das Land und in acht Vizcayische Sitten versetzt. Ein Zufall veranlasste uns ein Paar Tage dort zu bleiben, und ich durchstrich oft die Felder und suchte mich mit den Ackerleuten zu verständigen. Auch gelang es mir so ziemlich, weniger durch meine Kenntniss der Sprache, als durch ihre unermüdliche Geduld, mit der sie mir, mit dem sichtbarsten Ausdruck der Freude, dass ich mich um ihre Sprache und Sitten bekümmerte, immer zugleich durch Zeigen und Nennen der Gegenstände, von denen ich sprach, zu Hülfe kamen.

Die grosse Schwierigkeit, welche der Ackerbau in Biscaya zu tiberwinden hat, ist die Härte und Strenge des Bodens. Sie durch- pflügen ihn daher nicht nur mehreremale nach einander, sondern bedienen sich auch dazu einiger ganz eigener Werkzeuge. Das eigenthümlichste unter denselben ist die laya. Sie besteht aus einer langen und spitzigen zweizackigen Gabel mit einem kurzen Stiel, der aber nicht in der Mitte, sondern an dem einen Ende befestigt ist.^) Jeder Arbeiter hat zwei solche Gabeln in der Hand, sticht sie ^) horizontal in die Erde ein, drückt sie, mit einem, oder auch wohl mit beiden Füssen zugleich darauf tretend, noch tiefer ein, und reisst dann, den Stiel nach sich zu niederdrückend, ein ganzes grosses Rasenstück auf einmal los und wendet es herum. Diese schon durch das stete Bücken äusserst beschwerliche Arbeit wird immer, wie bei uns das Graben, zugleich von mehreren ver- richtet, und daher kommt das in die Spanische Sprache über-

*) "Nach „Schlössern" gestrichen: „Es sind grosse viereckte Gebäude von sehr einfacher Bauart, allenfalls nur mit einer kleinen T[hür]." ^) „befestigt ist" verbessert aus „sitzt". *) Nach „sie" gestrichen: „mit aller".

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina. 8l

gegangene Sprichwort:^) son de una misma laya*) sie sind eines Gelichters.

Unser einzahniger Pflug**) wird in dieser Gegend selten oder gar nicht gebraucht, allenfalls nur eine einzelne Furche zu ziehen, die Arbeiter mit der laya zu leiten. Dagegen sind mehrere Arten vielzahniger***) Pflüge üblich, von denen einige unsern Eggen gleichen. Die nabasaia f) hat vier lange nach vorn zu hakenförmig gekrümmte Eisen, die an einem Queerholz befestigt sind, auf dem unmittelbar, und ohne Räder, die Deichsel aufliegt, und welche die Erde sehr tief aufwühlen, zumal wenn der Pflügende sich nicht begnügt, hinten an den beiden dazu bestimmten gekrümmten Hölzern mit den Händen aufzudrücken, sondern noch Steine an- hängt. Die Btirdmarca-\-\) ist auf gleiche Weise gebaut, hat aber^) hinter dem vierzahnigen Queerholz noch ein kleineres mit zwei Zähnen in den Zwischenräumen der vorderen, und die Zähne gehen gerade hinunter. Unsrer Ege am nächsten kommt die vier- eckte area,-\^j) die gewöhnlich vier mit einander verbundene Balken,

*) Vivian en la misma casa dos o tres damas de la misma laya cet. Aventuras de Gil Blas de Santiüana. I, 321. Die in den gewöhnlichen Spanischen Wörter- büchern angegebene Bedeutung dieses Worts : Art, Beschaffenheit, ist daher bloss metaphorisch und abgeleitet. **) Goldea.

***) So heisst der Pflug nach Larramendi (ich habe dies Wort gerade nie gehört) bostortza, Fünfzahn.

f) Vom Glätten des urbargemachten Bodens, vielleicht auch vom Einschneiden. Nauada oder Naiia, das auch ins Spanische übergegangen ist, bedeutet eine Ebne, Fläche. Daher hat z. B. die berühmte Schlacht in den Ebnen von Tolosa, wo im Anfange des 13. Saeculum die Mauren in Andalusien geschlagen wurden, la batalla de las naiias, ihren Namen, und ebenso Nauarra, als die Ebne am Fuss der Pyrenaeen. Von der Idee des Glatten geht die der Schärfe aus. Denn nauala heisst ein Messer, und damit hängt vielleicht das Spanische navaja, und vielleicht sogar novacula zu- sammen.

ff) Von Burdina, Eisen, und area, Pflug oder Egge, da beide Instrumente ein- ander hier sehr nahe kommen.

fff) Die Idee des Ackerns wird bekanntermassen in einer grossen Menge von Sprachen durch Wörter bezeichnet, die von der Silbe ar abgeleitet sind. Man ver- gleiche nur z. B. Adelung v. Aeren. Zu den von ihm angeführten Beispielen könnte man aber noch viele hinzufügen z. B. das Vaskische areatu, das BasBretonsche ara (Pelletier v. arer), das Kymrische am (Owen h. v.), das Gailische aradh (Mac Far- lan h. V.), das Irländische araim. Die dabei zum Grunde liegende Vorstellung scheint mir die des geraden und langen (furchenartigen) an einander Reihens zu seyn. Denn

^) „Sprichwort" verbessert aus Volkssprich[\vortf'.

^) Nach „aber" gestrichen: „perpendicular hinuntergehende Eisen".

W. V. Humboldt, Werke. Xm. 6

§2 Die Vasken.

jeden zu sechs starken eisernen Nägeln hat. Nur sind die Balken schief gelegt, so dass sie vorn enger zusammenstehen, als hinten, oben ist ein Spriegel angebracht, bei dem der Ackernde, w^ie er es nöthig findet, bald aufdrücken, bald heben kann, und weil diese Ege zugleich zum Zermalmen dient, so wird sie oft noch mit Steinen beschwert.

Die Erdschollen, die noch nach diesen Arbeiten nicht ganz zerlockert zurückbleiben, werden mit einer Art Schlägel, mazuha*) noch zulezt einzeln zermalmt.

Da die Besitzungen nur klein sind, so beschäftigt ihre Be- stellung, trotz der vielfachen Arbeit, den Landmann doch nur eine Zeit des Jahres hindurch. In der übrigen treiben viele ein Hand- werk, und mehrere zerstreuen sich, als Zimmerleute in der um- liegenden Gegend. Obgleich die Biscayischen Landleute nicht reich genannt werden können,^ so leben sie doch meistentheils sehr gut. Wie sie mir selbst in Marquina sagten, essen sie alle Mittage Fleisch, trinken Abends immer Wein und auch ihr Früh- stück ist reichlich. Ich wohnte einmal einem solchen Familien- frühstück bei. Der Herr, seine beiden Söhne, der Knecht und ein Tagelöhner sassen auf ihrem Acker um eine Schüssel mit geschnittnem und in Fett gebratnem Brote herum; dazu hatten sie Eierkuchen, und gutes Weizenbrot, da das Maisbrot eine schlechtere und armseligere Kost ist. Die Frau stand hinter ihnen

ausserdem, dass der Laut der Silbe die Einbildungskraft hierauf führt, so liegt in den meisten metaphorischen Ableitungen dieser Wortfamilie in mehr als Einer Sprache noch der Begriff der Ordnung, des Zusammenpassens, und im Vaskischen besonders deutet fast dasselbe Wort, aria, auch einen Faden, also eine feine und schmale Länge, und aräua, die Regel, d. i. die gerade Richtschnur an. Auch ist nicht zu übersehen, dass das Griechische sl^/eip, an einander reihen, das Lateinische serere, und das Vas- kische ercindu, säen, damit verwandt sind, und auch das in Reihen an einander Legen bedeuten. Die Vorstellung der Furche kann hernach auf die der Arbeit, der Stärke, des Einschneidens, Aufiockerns, wodurch das Wort auf die Erde, das Auflockerbare, übertragen wird, der Fruchtbarkeit übergehn. Wenn man die Folge dieser Abstam- mung bedenkt, so erstaunt man darüber, welch ein kräftiger und edler Begriff in dem Griechischen äQSTrj zusammengedrängt ist, das, unmittelbar verwandt mit äoovQa, das Gemüth mit einem lockern Boden vergleicht, den die Bearbeitung zu allerlei Erzeugung fruchtbar macht.') Auch in unsrer Redensart von guter Art seyn, liegt weit mehr als wir jetzt fühlen, da wir nun unter Art nur eine logische Species, und nicht ein Natur- geschlecht denken.

*) oder mazua. Das b gehört nur dem Vizcayischen Dialect an.

') „das macht" verbessert aus „die bildsame Kraft des Gemüths frucht- bar gemacht durch die starke Bearbeitung des Willens".

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina. go

und sah nur zu, weil sie schon zu Hause gegessen hatte. Nach dem Essen spannte der Tagelöhner seine Ochsen an den Vier- hakenpflug, und die Frau säete Mais dahinter ein. Die Tagelöhner halten sich nemlich hier zuweilen selbst ihre Ochsen, da sie auch eignen Acker haben. Mit diesen arbeitend, bekamen sie hier ausser dem Frühstück, und Brot und Wein zu Abend lo reale den Tag, 15 Groschen in Golde, ohne Ochsen die Hälfte. Eine Frau bekam die ganze Kost und i real, i Groschen 6 Pfennig in Golde, so dass der Taglohn im Verhältniss zum Lande sehr theuer ist. Sehr sorgfältig erkundigten sich diese Landleute nach der Nähe des Friedens ; er hat das unmittelbare Interesse für sie, dass sie dann die Fische, deren sie zu ihren Fasten bedürfen, in grösserer Menge und wohlfeiler erhahen können.

Tief im Lande, wie hier und in einem Flecken, der ganz von Ackerbau lebend, sich nur durch seine Grösse und seinen Wohl- stand von den gewöhnlichen Dörfern unterscheidet, sieht der Fremde, und in Vergleichung mit andern Ländern in der That nicht ohne Verwunderung mit welcher vollkommenen Gleichheit, vorzüglich in diesem Theile Biscayas, der Vornehme und Geringe, Arme und Reiche mit einander umgehen Mehr als einmal be- gegnete es uns, dass man uns in einer Gruppe von Leuten, die alle gleich und ganz gewöhnlich gekleidet waren, einen von einer sehr bekannten Familie, oder der einen Titel in Castilien hatte, zeigte. Wie nützlich aber der Aufenthalt der Reicheren, die auf den ersten Anblick nur ein bloss müssiges und geschäftsloses Leben zw führen scheinen, unter ihren Mitbürgern ist, zeigt die auch unter dem Volk verbreitete Aufklärung.

So z. B. ist, besonders um Marquina, die Einimpfung der Blattern so gewöhnlich , dass auch einzelne Hausbewohner im Gebirge sie selbst an ihren Kindern verrichten. Die Verbreitung derselben ^) verdankt man vorzüglich dem rastlosen Eifer des Vaters des damaligen GeneralDeputirten von Vizcaya D. Josef Maria Murga's, einem' aufgeklärten und edeln Manne, der schon dadurch und durch die Bildung, die er seinem durch \'ielfache Kenntnisse und geschickte Geschäftsführung ausgezeichneten Sohne, grösstentheils allein unter seiner eignen Aufsicht gegeben hat, hin- länglich beweist, wie wohlthätig ein scheinbar kleiner, still aus- gefüllter Wirkungskreis einem Lande und einer Nation werden

*) „derselben" verbessert aus „dieser wohlthätigen Erfindung'^.

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kann. Neueriicn nai n. .Lzbiattern zu versuchen angefangen. Herr D. I. . u in Bilbao, Neffe des bekannten Admirals, hat eine Je besten in Paris darüber er- schienenen Schriften e Tochter zuerst einimpfen*) lassen. Ihm sind andre i i^-i cindcrn Orten z. B. in Azpeitia gefolgt.

Zwar ginge man zu weil, wen man behaupten wollte, dass

aller Adelstolz aus ^' gestehn, dass unter l .. ziemlich sichtbarer und ist durch seine Geburt adlicri des Königreichs dafür erkar andern Beweis zu führen . wirklich, seine übrigen Vizcaya herstammten,") H( Lebensart und Handthicr-- Nur einige Handwerke, / theils durch Ausländer au Auf den N'olksvcrsamn dieser Adel, wer einen (i:.. in (^astilien oder andern I': und nimmt seinen Vaskiscl Familien doppelte Na' andre der I'amilic ai ,■ nur Einem, dem Krstgebohreneij mal der Sohn einen andern, Sohn des Marques de Narrosj lange sein \'ater lebt, nur Kj vollkommen gleich, alle sim keinen niedrigeren, oder ist das allgemeine Vorrech] eingebohrnen bei dem Kii zogen , so halten sie il übrigen Königreichs, comischer Schriftsteller

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*) Man sagt, wie es s| Auch ist jenes der Sprache ♦•) Fueros de Vizcayj ') „Handwerke die .... Ausländer sine

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Die Vasken.

kann. Neuerlich hat man auch die Schutzblattern zu versuchen angefangen. Herr D. Lope de Mazarredo in Bilbao, Neffe des bekannten Admirals, hat eine der besten in Paris darüber er- schienenen Schriften übersetzt und seine Tochter zuerst einimpfen*) lassen. Ihm sind andre in Bilbao und andern Orten z. B. in Azpeitia gefolgt.

Zwar ginge man zu weit, wenn man behaupten wollte, dass aller Adelstolz aus Vizcaya verbannt sey. Man muss vielmehr gestehn, dass unter einem gewissen Theil der Nation noch ein ziemlich sichtbarer und sogar vielfacher herrscht. Jeder Vizca3^er ist durch seine Geburt adlich, und muss auch in andern Provinzen des Königreichs dafür erkannt werden. Er hat darüber keinen andern Beweis zu führen, als dass sein Vater und Grossvater wirklich, seine übrigen Vorfahren aber dem Gerücht nach aus Vizcaya herstammten.**) Reichthum und Armuth, ja selbst die Lebensart und Handthierung machen hierin keinen Unterschied. Nur einige Handwerke, z. B. das der Schlächter, das auch meisten- theils durch Ausländer ausgeübt wird,^) sind davon ausgenommen. Auf den Volksversammlungen in Vizcaya gilt kein andrer als dieser Adel, wer einen Grafen, Marques oder selbst Herzogstitel in Castilien oder andern Provinzen besitzt, legt ihn alsdann ab, und nimmt seinen Vaskischen Namen an. Daher haben viele Familien doppelte Namen, und da einer derselben dem Titel, der andre der Familie angehört, der Titel aber, streng genommen, nur Einem, dem Erstgebohrenen zukommen kann, so führt manch- mal der Sohn einen andern, als sein Vater. So z. B. heisst der Sohn des Marques de Narros, einer sehr bekannten Familie, so lange sein Vater lebt, nur Eguia. Alle ächte Vizcayer sind also vollkommen gleich, alle sind von Adel und es giebt unter ihnen keinen niedrigeren, oder höheren. Der erste Punkt des Stolzes ist das allgemeine Vorrecht der Provinz. Da sich die alten Landes- eingebohrnen bei dem Einfall der Mauren in diese Gebirge zurück- zogen, so halten sie ihren Adel für vorzüglicher, als den des übrigen Königreichs. Hierüber müssen sie oft die Spöttereien comischer Schriftsteller leiden, und wer erinnert sich nicht des

*) Man sagt, wie es scheint, in Spanien allgemeiner invacunar als vacunar. Auch ist jenes der Sprache angemessener. **) Fueros de Vizcaya. ley i6. p. 24.

1) „Handwerke wird" verbessert aus „Handwerker, z. B. Schlächter, die .... Ausländer sind''.

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina. gc

Escudero Vtzcayno im Don Quixote und des D. Rodrigo de Mondragon im Gil Blas ? Im Lande selbst hält sich der Landmann vornehmer, als den Städter, und ausserdem entstehen nun noch einzelne Nuancen durch die Gunstbezeugungen der Könige, die einigen Titel, andern das Recht dieses oder jenes Wappen zu tragen u. s. w. verliehen haben. Daher sieht man über den Thüren die Wappen, oder auch nur einen leeren viereckten Wappenschild eingehauen, ja manchmal die gemahlten Wappen in den Stuben aufgehängt. Selten indess wird einer unverständig genug seyn, sich darum über seine Mitbürger emporheben zu wollen, und niemals wenig- stens entspricht diesen Anmaassungen ^) der einen die Unter- würfigkeit der andern. Selbst in den gewöhnlichen Höflichkeits- bezeugungen ist der Vaske freier und ungezwungner, als seine Nachbarn. Nur in den Spanischen, nicht in den Französischen Provinzen, und auch dort nur in neueren Zeiten ist die unnatür- liche Anrede in der 3ten Person, berori für das Spanische usted^ Ew. Gnaden, üblich. Der gewöhnliche ^) Gruss des Vasken, auch gegen Vornehmere, vorzüglich auf dem Lande und im Gebirge ist: Agur adisguidea! (Guten Tag, Freund) mit einem treuherzigen Händeschütteln verbunden. Dieses Wort Agur! ist in die ver- trauliche Sprache der Spanier übergegangen; man muss aber ge- stehen, dass, vorzüglich mit einem etwas brummenden Tone aus- gesprochen, es kein sonderlich freundlicher, noch feiner Gruss ist. Ursprünglich scheint es mir von der Handlung des Ver- neigens herzukommen; a ist nur ein Vorschlagslaut, und die Stammsilbe gur entspricht im Vaskischen dem Lateinischen curuus, krumm.*) Trotz dieses gleichen und vertraulichen Umganges aber, ist das Ansehn eines in seinem Orte geachteten Mannes und sein Einfluss auf das Volk sehr gross. Sein Ausspruch allein ist oft hinreichend, Streitigkeiten '^) oder Schlägereien, die z. B. des Sonntags auf dem Marktplatz entstehen, zu hemmen; man hat gesehen, dass er, auch ohne gesetzliches Recht zu befehlen zu haben, den Ruhestörern ins Gefängniss zu gehen gebot, und sie

*) Agurtu, grüssen ; aguretasuna, das Alter ; aguretu, alt werden ; giir-pilla, glir-cila, das Rad; in-guriuin, rund herum; gurtu , verehren. Nach der Ver- gleichung dieser Worte scheint gur zuerst Krümme und Rundung anzuzeigen, und dann bildlich auf Verehrung und das gebückt gehende Alter übertragen zu seyn.

') „Anmaassungen" verbessert aus „Foderungen".

*) „gewöhnliche" verbessert aus „dem Lande eigenthümliche".

*) „Streitigkeiten" verbessen aus „Zänkereien".

85 Die Vasken.

ihm gehorchten; und bei Volksunruhen/) wie z. B. 1720. als die Regierung Douanen in Biscaya anlegen wollte, an der Küste ent- standen, hat dieser Einfluss sehr wohlthätig gewirkt. Mehr also als irgendwo anders kann man hier sagen, dass ein solcher Mann :

lenket mit Worten den Sinn und der Tobenden Herzen besänftigt.^)

Es scheint wunderbar, dass ein Recht, das man gewohnt ist als ein Vorrecht vor andern anzusehn, allen Bewohnern einer Provinz ohne Unterschied zukommen soll.^) Innerhalb der Grenzen derselben kann es natürlicherweise ganz und gar keine Privilegien, sondern nur die Herstellung der natürlichen Gleichheit bewirken, und so ist es auch vollkommen in Biscaya; es wird nur da Vor- recht, wo die Provinz mit andern Provinzen in Verhältniss kommt. In dieser Rücksicht aber kann das Privilegium Vizcayas wiederum keine drückenden Folgen für die Nation ausüben, da die Bis- cayischen Provinzen ohnehin ihr eignes Contributions- und Re- crutirungssystem haben. Die Verfassung des Adels ist in Spanien durchaus von der in andern Ländern verschieden, und daher macht sich der Fremde gewöhnlich unrichtige Begriffe davon. Da man weiss, dass der Adel sehr zahlreich ist, so denkt man sich die übrige Nation schmachtend unter diesem Druck, und aus dem gleichen Grunde hält man wieder die Adelsprobe so leicht, dass es eine gewöhnliche Sage ist, dass jeder in Spanien adlich ist, der nur nicht von Mauren oder Juden abstammt. Beides ist grundfalsch.

In keinem Lande sind die gesetzlichen Vorrechte des Adels so gering, als in Spanien. Befreiung von einer gewissen, nicht beträchtlichen Abgabe, die unter dem Namen der pecJios begriffen ist, von Einquartirung (ausser in dem Fall, wo die Königliche Familie einen Ort besucht, in dem selbst die Geistlichen nicht ausgenommen sind) und von dem gezwungenen Soldatendienst sind die eigentlich vortheilhaften Vorzüge, welche die hidalgos, Edelleute, von dem estado gejieral oder comim {tiers-etät, Bürger- stand) und den hombres llanos (gleichsam ebne, schlichte Menschen) unterscheiden. Von Aemtern giebt es zwar einige wenig be- deutende in den Magistraten, die nur mit Adlichen besetzt werden können, aber die einträglichsten und höchsten Staatsämter hängen

^) Nach „Volksunnthen" gestrichen: „vorzüglich".

^) Vergils Aeneis i, i^j.

^) „zukommen soll" verbessert aus „ertheilt sey".

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina. ^n

allein von der Gunst des Königs ab, und eine Menge von Bei- spielen haben bis in die neuesten Zeiten hin gezeigt, dass dabei auf Geburt wenig, oder gar keine Rücksicht genommen wird. Selbst die Steuerfreiheit kann nicht ausschliessendes Vorrecht des Adels genannt werden, denn es giebt ganze Gemeinen, welche sie besitzen und in denen der Unterschied des Adels und Bürger- standes nur durch jene Municipalämter begründet wird. Alle übrigen Privilegien sind blosse Ehrenvorrechte z. B. dass der Edelmann, wenn er zum Zeugen aufgefodert wird, nur in seinem Hause vernommen werden kann, dass er wegen Schulden nicht verhaftet werden darf, wovon es jedoch viele einzelne Ausnahmen giebt, dass er von der Folter frei ist, dass er nur in ein besondres Gefängniss gebracht werden kann, nicht mit dem Strange vom Leben zum Tode gebracht werden darf u. s. f.

Diese Vorrechte besitzt jeder, welcher nur überhaupt adlich ist, und in diesem Verstände kann mit der strengsten Wahrheit behauptet werden, dass alle Vizcayer, ohne Unterschied der Fa- milien oder des Reichthums, Edelleute sind. Alle Bürgerlichen werden in den Orten, die sie bewohnen, auf eine Liste der steuer- baren Einwohner {empadronados) geschrieben, und dies, auf dieser Liste eingeschrieben zu seyn, oder nicht, giebt den bestimmtesten Charakter des Adels und Nichtadels ab. Um sich von der Ein- schreibung in diese Liste zu befreien, muss man einen Titel auf- weisen, und daher entstehen zwischen denen, die sich von den Steuern befreien wollen, und den Gemeinen, deren Last dadurch vergrössert wird, oder auch dem Fiscal, die Adelsprocesse,^) deren Ausgang, wenn er demjenigen, welcher seine Immunität behauptet, günstig ist, ihn mit einer sogenannten Executoria*) versieht, die daher die Stelle unsrer Adelsbriefe vertritt, aber nicht ein Docu-

*) Von dieser ist kei den komischen Dichtern häufig die Rede. So in dem lau- nigten Gespräch zwischen dem Junker D. Mendo der mit magern Pferden und aus- gehungerten Windhunden in ein Dorf kommt, wo eben Soldaten einquartirt werden, und seinem Reitknecht Nuno in Calderons Alcalde de Zalamea. Nuüo. Und wundert Euch^) nur nicht darüber.

Wisst Ihr,*) warum sie nie Soldaten in Edelleutenhäuser einquartiren ? Wisst Ihr es, Herr, warum? Mendo. Nun und warum?

') Nach „Adelsprocesse" gestrichen: „die gewöhnlich vor den Kanzlei[en]". *) „wundert Euch" verbessert aus „wundre Dich''. ') „Wisst Ihr'' verbessert aus „Weisst Du".

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erthcilt, sondern der Nachsuchende nur in dem Besitzstand der- selben geschützt, wenn er nemÜch die Steuerfreiheit seines Ge- schlechts nicht seit undenklichen Zeiten, sondern nur 20 Jahre hindurch, nachweist. Manchmal wird auch der Beweis nur durch den dargethanen Besitz adlicher Magistratsstellen geführt: alsilann aber erstreckt sich auch das erstrittene Recht nur auf die Freiheit, solche ferner zu bekleiden. Leber den Begriff eines altadlichen Stammhauses sind die Spanischen Rechtsgelehrten sehr uneinig. Einige wollen als solche bloss diejenigen gelten lassen, die sich in den Gebirgen Leons, Burgos, Vizcaya, Asturien, Galicien. Navarra und (Katalonien berinden. Allein diese Einschränkung ist unrichtiaj, und es gilt vielmehr jedes Haus oder selbst jeder Plaz eines Hauses für altadlich, von dem es in der Pro\-inz, in der es liegt.

Nuiio. Damit sie nicht vor Hunger sterben.

Mendo.'l Sanft möge meines Vaters Seele,

des wackem Herrn, Gott hab' ihn selig, ruhn! der eine grosse - 1 Executoria im Tod mir hinterliess, mit Blau imd Golde bunt bemahlt, zum ewgen Vorrecht meines Stamms.' *) Nach „Mendo" gestrichen: „Uoä/". ') Nach ,.grosse'' gestrichen: „feste".

') Eine prosaische Übersetzung der ganzen Szene sandte Humboldt an Goeth« als Beilage seines Briefes vom 18. 26. August i~gg.

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Zurnajra, D«ba, Moirico, ''-Hidarroa and Marquixta.

V.

notorisch ist, dass es einem altadlichen Geschlechte zugehört hat. Dieser IJeweis läuft daher ganz und gar auf den der Notorictät det Geschlechts und der geraden männlichen Abstammung von dem- selben hinaus. Gewöhnlich nun tragen die Familien den Namen dieser Stammhäuser wie z. B. die Mendozas, Velascos, Guzmane, Sotomayores u. s. f. Da nach der Vertreibung der Mauren diese grossen Geschlechter neue Stammsitze durch ganz Spanien er- hielten, so theilte sich iedes wieder in verschiedene, nach diesen benannte Zweige. Einige Familien tragen nun zwar andre, nicht von Stammhäusern herkommende, sondern ihnen bei besondern Gelegenheiten gegebene Namen, wie die Girone, (lerdas. Coellcs u. s. f., sie besassen aber ehemals gleichfalls ihre Stammsitze, deren Namen nur über diesen Gelegenheitsnamen vergessen wor- den sind, so dass die Kegel, dass jeder notorisch alte Adel auch von einem Stammsitz herrührt und daher den Namen führt, da- durch keine Ausnahme leidet- Diese Gelegenheitsnamen werden im Gegensatz der Stammnamen irumibre^ de appellido) ru/mbres de Alcaria genannt, und unterscheiden sich oft, obgleich nicht immer, dadurch von jenen, dass man zu ihnen nicht, wie zu den andern die Praeposition de hinzuzufügen pflegt. So sagt man Hemando Cones. aber Hurtado de Mendoza. Sie rühren gewöhnlich von einzelnen Vorfällen her, wie z. B. der der Figueroas von der Sage, dass zwei Brüder dieses Geschlechts einem König von Cor- dova bei einem Feigenbaum [htguera, alts-painsch Ji^-uera i 12 christ- liche Jungfrauen abnahmen, die er zum Tribut erhalten hatte. Der einmal erhaltene Adel, der sich auch bisweilen auf einen eigentlichen vom König ertheilten Adelsbrief') gründet, erbt sidi ohne Unterbrechung auf die Nachkommenschaft fort, und selbst die Ausübung bürgerlicher Handthierungen thut seinen Vorrechten keinen Eintrag.**)

*) hidalgos de priuUegio. **} Der sonst so genaue und txefliche Bourgoing, tütle.TU de ^Espogne I, 167. behauptet das GegentheiL Allein man sehe Bemabe >[oreao de Vasgos £s- cursos de Lx nobleza de Espana. Madrid. 1 795. 4. p. 105. wo dnd-Hrii gezeigt wird dass alle deshalb vorhandne Gesetze nicht auf den Adel überhaupt, sondern Hur asi die Ritterinslitute gehen. In demselben Artikel Boargoings giebt es mehrere Unrichtig- keiten. Er stellt immer den Asturiscfaen Adel dem Biscayische» zor Seile, der ganz andrer Art ist, da Astarien kein solches allgeioeiBeä PiiailegiBB, xb Yncaya. ker-:. er verwechselt die gesetzlichen und gf«i<-l 1 gHiaftKrh«i» Tcnrectee des Adels and be- hauptet dass Philipp 2. die Biscayer geadel: habe, da die Biscayer me rageben *l:den. dass sie ihr Priuilegium der Gunstbezeagung eines König'es verdankten, «ad izr ßtero.

88 Die Vasken.

ment ist, das den Adel ertheilt, sondern eins, das den anders- woher empfangenen und bewiesenen nur bescheinigt. Hieraus nun entsteht eine doppelte Art des Adels, deren Unterschied aber nicht die mindesten gesetzlichen Folgen hat, nemlich der Adel von bekannten Stammhäusern, und der Adel durch richterlichen Ausspruch, hijosdalgo de solar conocido und hijosdalgo de executoria. Der richterliche Ausspruch selbst, die Executoria, kann sich auf einen doppelten Beweis gründen, indem derjenige, welcher sie nachsucht, entweder zeigt, dass er in gerader männlicher Linie von einem bekannten Hause abstammt, oder indem er nur die SteuerFreiheit seiner Vorfahren seit undenklicher Zeit her dar- thut. Nur die erste Art des Beweises giebt ihm ein ewiges und unverjährbares Recht, da er bei der letzteren hingegen sein Vor- recht wieder verlieren kann, wenn er oder seine Nachkommen aus Nachlässigkeit zulassen, dass -sie wieder der Liste der steuer- baren Bürger einverleibt werden. Endlich wird durch die Exe- cutoria auch manchmal nicht das Eigenthum der Adelsvorrechte ertheilt, sondern der Nachsuchende nur in dem Besitzstand der- selben geschützt, wenn er nemlich die Steuerfreiheit seines Ge- schlechts nicht seit undenklichen Zeiten, sondern nur 20 Jahre hindurch, nachweist. Manchmal wird auch der Beweis nur durch den dargethanen Besitz adlicher Magistratsstellen geführt; alsdann aber erstreckt sich auch das erstrittene Recht nur auf die Freiheit, solche ferner zu bekleiden. Ueber den Begriff eines altadlichen Stammhauses sind die Spanischen Rechtsgelehrten sehr uneinig. Einige wollen als solche bloss diejenigen gelten lassen, die sich in den Gebirgen Leons, Burgos, Vizcaya, Asturien, Galicien, Navarra und Catalonien befinden. Allein diese Einschränkung ist unrichtig, und es gilt vielmehr jedes Haus oder selbst jeder Plaz eines Hauses für altadlich, von dem es in der Provinz, in der es liegt,

Nuiio. Damit sie nicht vor Hunger sterben.

Mendo.') Sanft möge meines Vaters Seele,

des wackern Herrn, Gott liab' ihn selig, ruhn 1 der eine grosse ^) Executoria im Tod mir hinterliess, mit Blau und Golde bunt bemahlt, zum ewgen Vorrecht meines Stamms.') ') Nach „Mendo" gestrichen: „Wohl". *) Nach „grosse" gestrichen: „feste".

^) Eine prosaische Übersetzung der ganzen Szene sandte Humboldt an Goethe als Beilage seines Briefes vom i8. 26. August i'jgg.

Zumaya, Deba, Motrico, Ondarroa und Marquina. 8q

notorisch ist, dass es einem altadlichen Geschlechte zugehört hat. Dieser Beweis läuft daher ganz und gar auf den der Notorietät des Geschlechts und der geraden männlichen Abstammung von dem- selben hinaus. Gewöhnlich nun tragen die Familien den Namen dieser Stammhäuser wie z. B. die Mendozas, Velascos, Guzmane, Sotomayores u. s. f. Da nach der Vertreibung der Mauren diese grossen Geschlechter neue Stammsitze durch ganz Spanien er- hielten, so theilte sich iedes wieder in verschiedene, nach diesen benannte Zweige. Einige Familien tragen nun zwar andre, nicht von Stammhäusern herkommende, sondern ihnen bei besondern Gelegenheiten gegebene Namen, wie die Girone, Gerdas, Coellos u. s. f., sie besassen aber ehemals gleichfalls ihre Stammsitze, deren Namen nur über diesen Gelegenheitsnamen vergessen wor- den sind, so dass die Regel, dass jeder notorisch alte Adel auch von einem Stammsitz herrührt und daher den Namen führt, da- durch keine Ausnahme leidet. Diese Gelegenheitsnamen werden im Gegensatz der Stammnamen {nombres de appellido) nombres de Alcana genannt, und unterscheiden sich oft, obgleich nicht immer, dadurch von jenen, dass man zu ihnen nicht, wie zu den andern die Praeposition de hinzuzufügen pflegt. So sagt man Hernando Gortes, aber Hurtado de Mendoza. Sie rühren gewöhnlich von einzelnen Vorfällen her, wie z. B. der der Figueroas von der Sage, dass zwei Brüder dieses Geschlechts einem König von Cör- dova bei einem Feigenbaum {higuera^ altspanisch ^^z^^;-«?) 12 christ- liche Jungfrauen abnahmen, die er zum Tribut erhalten hatte. Der einmal erhaltene Adel, der sich auch bisweilen auf einen eigentlichen vom König ertheilten Adelsbrief*) gründet, erbt sich ohne Unterbrechung auf die Nachkommenschaft fort, und selbst die Ausübung bürgerlicher Handthierungen thut seinen Vorrechten keinen Eintrag.**)

*) hidalgos de priiiilegio. **j Der sonst so genaue und trefliche Bourgoing, tableau de V Espagne moderne, I, 167. behauptet das Gegentheil. Allein man sehe Bernabe Moreno de Vargos dis- ciirsos de la nobleza de Espana. Madrid. 1795. 4. p. 105. wo deutlich gezeigt wird dass alle deshalb vorhandne Gesetze nicht auf den Adel überhaupt, sondern nur auf die Ritterinstitute gehen. In demselben Artikel Bourgoings giebt es mehrere Unrichtig- keiten. Er stellt immer den Asturischen Adel dem Biscayischen zur Seite, der ganz andrer Art ist, da Asturien kein solches allgemeines Priuilegium, als Vizcaya kennt, er verwechselt die gesetzlichen und gesellschaftlichen Vorrechte des Adels und be- hauptet dass Philipp 2. die Biscayer geadelt habe, da die Biscayer nie zugeben würden, dass sie ihr Priuilegium der Gunstbezeugung eines Königes verdankten, und ihr Juero,

QQ Die Vasken.

Diess ist die gesetzliche Verfassung des Adels in Spanien.*) Nach dieser giebt es also in der That Provinzen, die durchaus adlich sind. Sie kennt keinen andern Unterschied unter dem Adel als die 3 auch nur durch Rangvorrechte unterschiedenen Classen der Granden, Tihdos und der blossen hidalguia, und fordert nie eine eigentliche Ahnenprobe, als nur bei den eigentlichen Ritterorden. Bei diesen aber ist sie zum Theil so streng, dass eigne Abgeordnete des Ordens auf Kosten dessen, der die Auf- nahme nachsucht, an seinen Geburtsort gesandt werden, um an Ort und Stelle die Güte seiner Probe zu untersuchen.

Ganz anders muss es natürlich im gesellschaftlichen Leben seyn. Hier treten von selbst alle die Abstufungen ein, welche das höhere oder geringere Alter des Geschlechts, der mehr oder min- der bekannte Name, die besessenen Ehrenstellen, und die Grösse der Besitzungen machen, und in diesem Verstände ganze Provinzen adlich nennen zu wollen, würde allerdings lächerlich seyn. Auf keine Weise aber muss man sich diese Unterschiede so gross vorstellen, als sie in Frankreich waren und in Deutschland noch jetzt zum Theil sind. Die Gesellschaft ist durchaus gemischter, da weder die Regierung bei Besetzung der Stellen ') auf diesen Classenunterschied sieht, noch sonst der Adel bedeutende Vorzüge geniesst. Die Geistlichkeit, in der selbst ein Erzbischof oft aus ganz niedrigem Stande ist, trägt von ihrer Seite -) zu dieser Gleich- heit bei, und sehr viel thut es schon, dass nicht, wie wenigstens im nördlichen Deutschland durchaus der Fall ist, ein bestimmter Namenszusatz die Gesellschaft in zwei ganz verschiedene Classen zerschneidet, sondern die verschiedenen Nuancen mehr in einander übergehen, und weniger bestimmt erkannt werden können.

Eine sonderbare Gewohnheit ist es, dass in Spanien eine Wittwe, die einen erlauchten Titel hat, denselben ihrem zweiten Manne mittheilt. So erhält z. B. ein Lieutenant, der eine Generals-

jn dem ihr Adelsvorrecht anerkannt ist, schon von Carl 5. 1526. bestätigt v/orden ist. Philipp 2. that daher nicht mehr, als dasselbe, wie alle folgende Könige, zu bestätigen.

*) Ein Paar jetzt fast nur als Antiquitäten zu betrachtende Classen des Adels, wie die Caballeros pardos in Leon, die nur gewisser Freiheiten geniessen, ohne eigent- lich zum Adel zu gehören, und die Caballeros qiiantiosos an der Gränze von Anda- lusien, die, weil sie ein gewisses Quantum von Ländereien besassen, Waffen und Pferde zu halten verbunden waren, um gegen die Mauren bereit zu seyn, habe ich mit Fleiss übergangen.

^) Nach „Stellen" gestrichen: „noch der Hof\

^) „von ihrer Seite" verbessert aus „gleichfalls".

Vitoria.

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wittwe heirathet, den Titel Excellenz. ^) Heirathet hingegen eine bloss Adliche einen Bürgerlichen, so verliert sie ihren Adel, er- hält ihn aber mit dem Tode des Mannes wieder. In alten Zeiten jedoch musste sie sich, um dieses Vorrechts zu geniessen, einer lächerlichen und unanständigen Cerimonie unterziehen. Sie musste einen Saumsattel auf ihre Schultern nehmen, zum Grabe ihres verstorbenen Alannes gehen, drei Schläge mit dem Sattel auf dasselbe thun, und ihn dann mit den Worten: „Niedriger, nimm deine Niedrigkeit von mir wieder; ich ziehe mich mit meinem Adel von dir zurück"*) darauf liegen lassen.

Ehe ich Marquina verlasse muss ich noch eines sonderbaren Naturspiels erwähnen. An einem Ort, den man Arrechinaga nennt, liegen drei sehr grosse Felsstücke das Ganze mag wohl 40 50 Fuss hoch seyn zwei auf ihre schmale Seite aufgestützt, und oben ungeheuer breit, in einiger Entfernung von einander, und ein drittes sehr grosses und schweres oben auf ihnen ruhend, so dass sie mit jedem Augenblick den Umsturz zu drohen, und sich nur durch ihr Gleichgewicht zu halten scheinen. Ehemals konnte man unter dem obersten weggehn; weil man aber die Sache für ein Wunder ausgab, so hat man einen Altar in die Mitte und eine Capelle, de S. Miguel, darüber gebaut. Ja man hat die Kühnheit gehabt, weil vor dem Altar nur zwei Diaconen stehn konnten, aus dem einen Felsen ein grosses Stück heraus- zusprengen, um Platz für einen dritten zu schaffen. Auch das Volk schlägt noch beständig Stücke ab, denen es eine wunder- thätige und heilende &aft beilegt.

Vitoria.

Der Weg von Marquina bis Vitoria, der von Elgoybar über Plasencia, wo es ^) Gewehrfabriken giebt, bis Mondragon an der Deba hinläuft, bietet bei weitem weniger schöne Gegenden, als die Küste, und nichts merkwürdiges, als die Erziehungsanstalt von Bergara dar.

Es ist bekannt, dass sie ehemals an Proust (der hernach nach Segovia versetzt wurde, und jetzt eine Lehrstelle in Madrid be- kleidet), Chabanon und andern berühmte Lehrer besass; durch

*) Die oben angeführten Discursos cet. p. 27. die nebst Salazar de Mendoza's Origen de las dignidades seglares die ausführlichsten Werke über diese Materie sind. ^) Neben diesen beiden Sätzen steht am Rande: „falsch". ^) Nach „es" gestrichen: „mehrere".

92

Die Vasken.

den letzten Krieg mit Frankreich war sie gänzlich aufgelöst worden, und man arbeitete erst jetzt wieder an ihrer Wiederherstellung.

Der Stifter derselben war der Grat von Penaflorida, der Ur- heber der patriotischen Gesellschaften. Bei Gelegenheit eines Festes, das dem Schutzheiligen von Bergara zu Ehren gefeiert wurde, ver- sammelten sich die bedeutendsten Männer der Gegend an diesem Ort ; aber der Patriotismus dieses Mannes machte eine leere und unbedeu- tende Feierlichkeit zu einer der wichtigsten Wohlthaten für Spanien. Denn er gab damals den ersten Gedanken zu jenen hernach so nützlich gewordnen Gesellschaften und fügte bald nachher den Plan einer Erziehungsanstalt hinzu. Sein thätiger Eifer erstreckte sich auch auf seine vaterländische Sprache. Er beschützte sie auf alle Weise, machte den Entwurf zu einem neuen Wörterbuch, und dichtete selber in ihr. So verfertigte er z. B. zum Behuf jener Feierlichkeit eine Vaskische Oper und übersetzte den Maredial ferranf^) aus dem Französischen. Seine Familie ist acht Vaskisch, ihr Stammhaus, Munibe, befindet sich in Marquina. Wir bewohnten es, während unsres Aufenthalts daselbst, auf die gütige Erlaubniss seines Sohns, des jetzigen Besitzers, der sich in S. Sebastian aufhält.

Die Provinz Alava, in die wir hinter Salenas traten, war die- jenige, welche ich am wenigsten zum Gegenstand meiner Unter- suchungen machte. Als Gränzprovinz gegen Castilien zu, und auch vielleicht weil sie, nur in einigen Theilen gebirgig, meistentheils ganz aus Ebne^) besteht, hat sie am wenigsten Vaskische Eigen- thümlichkeit erhalten. In vielen ihrer Districte, namentlich in Vitoria, spricht man nicht einmal mehr Vaskisch. Ich kann daher hier nur allgemeine Nachrichten über die Beschaffenheit und Ver- fassung der ganzen Provinz geben, von einzelnen Orten aber nur einzelne Worte über Vitoria hinzufügen.

Die Provinz Alava hat von Mitternacht gegen Mittag etwa i6, von Morgen gegen Abend 14 Spanische leguas an Ausdehnung. Innerhalb derselben liegt aber die zu Castilien gehörende, 3 leguas breite und 4 lange Grafschaft Trevino und ein Paar andere kleine Stücke in derselben Gegend.

Obgleich die Provinz grossentheils eben ist, so durchstreichen dieselbe doch 3 Gebirgsketten von Morgen gegen Abend, nördlich das Gebirge de S. Adrian in dem der Fels Gorbea die höchste

') Philidors Oper „Le marechal ferrant" war Paris i']6i erschienen. ^) „Ebne" verbessert ans „Ebnen".

Vitoria.

93

Spitze des Landes ist; ohngefähr in der Mitte des Ländchens, an der Nordgränze von Trevino eine zweite; und endlich nah an der Rioja die dritte, das Gebirge von Tolono.

Die Flüsse, welche Alava bewässern, ergiessen sich, einige wenige nach dem Meer zugehende auf der Gränze mit Vizcaya ausgenommen, in den Ebro. Der Zadorra, den man auf dem Wege von Vitoria nach Madrid lange zur Seite behält, ist der grosseste unter denselben.

Alava ist nur theilweise fruchtbar zu nennen. Man baut darin vorzüglich Weizen, Rocken, Gerste, Haber, Mais, sehr viele Garten- gewächse und vorzüglich eine grosse Menge grosser Bohnen. Die Provinz versorgt zum Theil das benachbarte Guipuzcoa mit Ge- treide und im Jahr 1789. z. B. verhielten sich nach den Zehnt- registern ihre Ernten folgendergestalt:

Weizen \(^o^i\(^ fanegas von Castilien.

Gerste

- 150^3^^

Haber

- 76,908

Mais

- 34,927

Rocken

- 21,733

Die Castilianische Fanega wird zu 90 Pfunden gerechnet, und wenn man, wie bei Gelegenheit der neuen Französischen Maasse geschehen ist, zur Einheit der Inhaltsmaasse den zehnten Theil des Cubikmeters annimmt, so gehen in einem Decimalbruch ausge- druckt 55,501 solcher Einheiten auf di\^ fanega.

Die Weinernte betrug 829363 Cantaras (Kannen) von Casti- lien deren jede aus 16,133 jener Einheiten {litren) besteht.^)

Auch Oel wird in der Provinz gebaut, aber nur wenig, und bloss in dem ihr von der Rioja zustehenden Antheil fla Rioja Alavesa).

Der Ertrag der Ernten in Alava könnte ungleich beträchtlicher seyn, wenn nicht dem Anbau des Landes Mangel an Händen und daher auch an Düngungsmitteln im Wege stände, und wenn es möglich wäre, den Acker so sorgfältig, als dort, zu bestellen, und wie dort künstliche Düngungsmittel, Kalk, Farrenkraut u. s. w. zu gebrauchen. Bei der im Verhältniss des Flächeninhalts sehr geringen Bevölkerung aber müssen sehr viele Gemeinen ein Drittheil ihrer Ländereien unbestellt liegen lassen.

Die Volkszählung, welche der Graf von Floridabianca 1786. anstellen liess, giebt der ganzen Provinz nur 70710 Einwohner,

•') „deren besteht" verbessert aus „auf deren .... gehen".

94

Die Vasken.

von denen 35072 Männer, 35638 Weiber waren. Unter diesen waren 39685 unverheirathet, 26854 verheirathet, 41 71 verwittwet. In den Jahren 1793. 1794- suchte Herr D. Lorenzo Prestamero, ein verdienstvoller Gelehrter in Vitoria, der ausserordentlich genaue Nachrichten über seine Provinz gesammelt und für die von der Academie der Geschichte in Madrid entworfene Beschreibung aller Spanischen Provinzen den Artikel Alava ausgearbeitet hat, sich genauere Angaben über die Volkszahl von Alava zu verschaffen» Das Resultat seiner Bemühungen war, dass er in den 6 Districten, in welche , unter den Namen der Qiiadrülas^ *) Alava vertheilt ist, und die wiederum zusammen aus 52 Hermandades bestehen, 440 Ort- schaften, und 15396 Familienväter {vecmos) fand. Die Zahl der Geist- lichen beliefsich auf 140 1. worunter 425 Ordensgeistliche, 239 Mönche und 186 Nonnen waren. Rechnet man hier auf jede Familie 5 Men- schen, so kommt die Zahl von 76980 Seelen heraus. Vergleicht man aber ein anderes Mittel, dessen man sich in Spanien ^) zur Bestim- mung der Volkszahl zu bedienen pflegt, so scheint auch diese Be- rechnung noch zu gering. Jeder ^) der nur über 7 Jahre alt ist, löst nemlich jährlich eine sogenannte Bula de Cruzada, von welcher die Erlaubniss Milchspeisen in der Fastenzeit zu essen abhängt.**) Solcher Bullen wurden nun in dem gedachten Jahr 67553 ^^^ Alava gelöst^ und wenn man dazu die Kinder unter 7 Jahren nach den gewöhnlich angenommenen Verhältnissen rechnet, würde sich die Volkszahl reich- lich auf 80000 Menschen belaufen. Hält man den jetzigen Zustand der Bevölkerung gegen den voriger Zeiten, ^) so hat dieselbe seit dem

*) Die genauere Angabe

ist folgende:

Die Quadrille von

Hermandades.

Ortschaften.

Vecinos.

I. Vitoria hat

17-

76.

'3114.

2. Salvatierra

6.

71-

2061.

3. Ayala

5-

60.

2705.

4. Laguardia

7-

57.

3790.

5. Mendozd

'12.

84.

1942.

6. Zuya

5-

92.

1784.

52

440. 15396.

**) Den Zweck und die Geschichte dieser Bulle findet man ausführlich in Bour» going. II, 19 21.

') „Spanien" verbessert aus „Katholischen Ländern wohl".

^) Nach „Jeder" gestrichen: „Mensch".

*) „Hält Zeiten" verbessert aus Vergleicht .... mit dem voriger Jahr- hunderte".

Vitoria.

95

Anfange des lö^en Jahrhunderts nicht beträchtUch ^) zugenommen. 1527. nemlich zählte man 14052 vecinos^ wobei aber das Thal von Orozco mitgezählt war. 1583. waren 13469; 1627. 14000 vecinos. In den fünf darauf folgenden Jahren aber wüteten so fürchterliche Seuchen, dass man bei einer abermals 1632. angestellten Zählung nicht mehr als 8500 vecinos fand. 1683. war indess diese Zahl wieder bis zu 10945. gestiegen.*)

Wenn eine menschenleere Provinz unmittelbar an eine über- mässig bevölkerte anstösst, so scheint es leicht, dem Bedürfniss der einen durch die andre abzuhelfen. Guipuzcoa hat, wie schon oben bemerkt worden ist, eine so beträchtliche Volksmenge, dass jährlich Auswanderungen nach dem übrigen Spanien und nach America geschehen. Es könnte vielleicht 40000 seiner Bewohner entbehren, ohne dass die Lücke darum sehr sichtbar se3^n würde. Alava würde für seinen Ackerbau schon beträchtlich gewinnen, wenn es nur in einigen Jahren einen Zuwachs von 10—12000 neuen Anbauern erhielte, und reichte Guipuzcoa nicht zu, dieselben zu verschaffen, so hat auch Vizcaya mehr Bewohner,^) als es durch seine eignen Kräfte ernähren kann. Der Vortheil würde sogar auf beide Provinzen zurückfallen, da sie alsdann mehr Getreide aus Alava bekommen könnten, und sich nicht deshalb an entferntere Gegenden zu wenden brauchten. Ueberhaupt aber wird ^) bei der Nähe beider Ländchen, der Gleichheit der Sprache, Vorrechte und Sitten keine Verpflanzung so leicht mehr durch die Natur der Umstände begünstigt. Desto befremdender ist es, dass nun gerade hier die politische Verfassung Schwierigkeiten entgegensetzt, welche alle Bemühungen patriotisch gesinnter Staats- männer bisher nicht zu heben im Stand gewesen sind.*) Wer aus den nördlichen Biscayischen Provinzen nach Alava überziehen wollte, würde es natürlich nur unter der Bedingung thun, dass er in seinem neuen Wohnort dieselben Vorrechte beibehielte, welcher er in seinem Geburtslande genoss. Dazu aber müsste er seinen Adel beweisen, weil sonst (da es in Alava, neben dem Adel, auch

*) D. Joaquin Josef de Landazuri y Romarate Mist, civil de Alava. Vitoria. 1798. 4. I, 115. 116.

^) „nicht beträchtlich" verbessert aus „nur wenig".

^) „hat Bewohner" verbessert aus „befindet sich Vizcaya gleichfalls in dem Fall, mehr Bewohner zu haben".

^) Nach „wird" gestrichen: „wohl auch ausserdem".

*■) „welche sind" verbessert aus „die der Fremde auf den ersten Anblick nicht einmal zu ahnden im Stande ist."

96

Die Vasken.

einen, den Rechten nach, davon abgesonderten Bürgerstand giebt) dieser sich der Ansiedlung des neuen AnkömmUngs widersetzen, oder ihn zur Leistung bürgerlicher Pflichten verbinden v^ürde. Ein solcher Beweis wäre nun bei der Nähe der Oerter, und der Kenntniss, die man im Lande selbst natürlich von allen Familien hat, überaus leicht zu führen. Allein unseligerweise verlangt die Spanische Verfassung, dass alle Adelsprocesse vor einer der beiden grossen Kanzleien*) ausgemacht werden, und so muss jede Sache dieser Art nach Valladolid gehen, wo sie Jahrelang dauert, und grosse Kosten verursacht. Auch unter den neueren aufgeklärten Regierungen ist es noch nicht gelungen, dies Hinderniss aus dem Wege zu räumen, ob man gleich ganz kürzlich, unter Urquijos Ministerium, einen Schritt vorwärts gethan hat. Bis dahin musste nemlich derselbe Adelsbeweis auch dann in Valladolid geführt werden, wann ein Bewohner von Alavä selbst nur aus einer Hermandad in die andre ziehen wollte. Dies aber war ein blosser Misbrauch ; es war in den alten Vorrechten der Provinz gegründet, in diesem Fall die Adelsprobe vor einer Commission von Eingebohrnen zu machen, und dies Recht ist der Provinz zurückgegeben worden. So unglaublich es scheint, dass übel verstandene Politik oder Anhänglichkeit an hergebrachte Gewohnheiten unübersteiglichere Scheidewände zwischen benachbarte Provinzen setze, als die Natur selbst durch die unwegsamsten^) Gebirge zu thun vermöchte; so sind dies doch bei weitem nicht die einzigen Hindernisse, welche der besseren Landescultur in Alava entgegenstehn. Ein andres gleich grosses sind die Mayorate oder Substitutionen (Mayorazgos o vmculos). In keinem Lande leidet der Ackerbau wohl gleich-

*) Es giebt zwei höchste Gerichtshöfe [audiencias oder chancilterias) in Spanien, eine in Valladolid und eine in Granada. Navarra und Gallicien haben zwar auch ihre eignen Audiencias, ihre Gerichtsbarkeit erstreckt sich aber nur über ihre Provinz, und von der Gallicischen wird in einigen Fällen nach Valladolid appellirt. Die Stiftung der Kanzlei zu Valladolid wird gewöhnlich in das Jahr 1442. in die Regierung Johanns 2. gesetzt. Da man aber schon 1388. diesen Gerichtshof in Segovia findet, so scheint er in jenem Jahr nur nach Valladolid verlegt worden zu seyn. Unter Ferdinand dem Katholischen wurde er nach Salamanca, darauf nach Medina del Campo und Burgos versetzt, kam aber 1601. als der Hof seine Residenz in Madrid aufschlug, nach Valla- dolid zurück. Die Kanzlei zu Granada wurde 1494. von Ferdinand dem Katholischen in Ciudad Real gestiftet, nach der Eroberung von Granada aber, 1505. dorthin verlegt. Em. de Franckenau sacra Themidis Hispanae. ed. 2. novis accessionibas locu- pletata a Francisco Cerdano et Rico. Matriti. 1780. 8. Sect. XIII. p. 336 350.

') „unwegsamsten'' verbessert aus „grossesten".

Vitoria, 97

viel durch diesen Ueberrest des Feudalsystems, als in Spanien. Denn nicht allein, dass Jeder, ohne Unterschied des Standes, er sey adlich oder bürgerlich, Mayorate gründen kann, so steht es ihm auch noch frei, irgend einen seiner Söhne ausser dem Pflicht- theil mit dem Fünftheil seines Vermögens zu begünstigen, und diesen grösseren Erbtheil in ein Mayorat (mayorazgo por via de mejora) zu ven^-andeln. Diese gesetzliche Freiheit wird von der Nation, die, vermuthlich aus Anhänglichkeit an die Fortdauer der Geschlechter, eine unbegreifliche Neigung zu diesen Instituten hat, auf das reichlichste benutzt und so nennt Jovellanos mit Recht die Mayorate „einen unabsehbaren Abgrund, in welchen das Grundeigenthum von Tage zu Tage tiefer hinabsinkt."*) Die ältesten Ma^^orate steigen nicht über das 14. Jahrhundert hinauf; und ihr eigentliches Emporkommen danken sie erst dem Reichstag zu .Toro im Anfang des 18^. Von dieser Zeit an aber entstand die Sucht der Nation, sie unter allen Umständen, bei grossem oder kleinem Vermögen, bei beerbtem oder unbeerbtem Hinsterben, im Bürger- oder Adelstande zn errichten, die man mit Recht eine wahre Wuth nennen kann, und die nun auch in der Gesetz- gebung weder Zügel noch Gränze mehr fand. Dieser Reichstag war überhaupt, wie alle gestehen, die mehr Politiker als Rechts- gelehrte sind, der Spanischen Gesetzgebung äusserst verderblich. Er wurde 1505. in Toro, einer Stadt des Königreichs Leon am Duero, gehalten, und war eigentlich bestimmt, nach dem Tode Isabellas, ihre Tochter die Königin Johanna zur Königin und Ferdinand den Katholischen zum Regenten zu erklären. Diese Johanna, die unglückliche Mutter Carls 5., wurde nachher wahn- sinnig und ich sähe noch im Ober-Theil der Alhambra (des ehe- maligen Maurenpallasts) in Granada die Zimmer und mit Drath- gittern verschlossnen Gallerien, in denen man sie in ihren letzten Lebensjahren bewachte. Man benutzte aber diese Versammlung der Stände ^) zugleich, um eine Sammlung von Gesetzen zu publi-

*) esta^) sima inondable, donde la propriedad territorial va cayendoy sepul- tandose de dia en dia. Seia Informe en el Expediente de ley agraria, p. 65. nt. Ebendaselbst findet man wohl den beredtesten Angriff auf diese verderbliche Einrichtung, in der er nur noch zu sehr dem Adel das Wort redet. Die gesetzlichen Vorschriften über die Mayorate sind sehr gut und kurz in den Instituciones del derecho civil de Castilla zusammengestellt, welche D. Ignacio Jordan de Asso y del Rio und D. Miguel de Manuel y Rodriguez 1792. in Madrid in 4. herausgegeben haben, p. 135 148.

^) „diese Stände" verbessert aus „diesen Reichstag".

2) „esta" verbessert aus ,,uQa''.

W. V. Humboldt, Werke. Xm. 7

98

Die Vasken.

ciren , welche Ferdinand und Isabella schon früher hatten aus- arbeiten lassen, und die unter dem Namen der Gesetze von Toro bekannt sind. Seit dem Emporkommen des Römischen Rechts, hatten die Lehrer desselben die Spanischen ') Gerichtshöfe mit einer Menge, der Verfassung und den Verhältnissen des Landes entgegenlaufender Meinungen überschwemmt. Die Gesetze von Toro sollten der daraus entstehenden Ungewissheit abhelfen. Allein statt das alte vaterländische Recht zurückzuführen, heiligten sie vielmehr jene neu eingedrungenen Meynungen, und da sie in der Rangordnung der Spanischen Gesetze nunmehr den ersten Platz erhielten,*) mussten die weisen, durchaus auf einheimischem Boden entstandenen Gesetze Alfons des Weisen**) bis auf die letzte Stelle zurückweichen. Durch die Gesetze von Toro nun erhielten auch die Mayorate erst ihre eigentliche Gestalt. Sie schaden dem Ackerbau von mehr als einer Seite. Sie verschliessen gänzlich den Weg zu der Erbverpachtung, als der Veräusserung eines Theils des Eigenthums, die in vielen Provinzen würde mit Nutzen eingeführt werden können; sie machen, dass selbst das Recht des Zeitpächters immer mit dem Tode des jedesmaligen Mayoratsbesitzers aufhört, und bringen daher eine Ungewissheit in die Dauer der Pachtungen, welche auf Verbesserungen der Güter zu denken verbietet; ja sie schrecken sogar den wahren Eigenthümer selbst davon ab, weil es weder ihm, noch seinen Erben erlaubt ist, für dieselben, wenn das Mayorat in andere Hände kommt, Ersatz zu fordern, obgleich die Ausdehnung, die man dieser Bestimmung gegeben hat, mehr ein Werk der Rechtsgelehrten ist, als sie durch das Gesetz selbst begründet wird. Allein den grossesten Schaden bewirken sie durch die

*) Sacra Themidis Hispaniae. p. 46. **) La ley de las siete partidas von den 7 Abschnitten, in welche dies Gesetzbuch abgetheilt ist. Dies merkwürdige Werk ist wohl das vollständigste und methodischste Gesetzbuch, dessen sich irgend eine neuere Nation in so frühen Zeiten in ihrer Mutter- sprache zu rühmen hat. Es enthält zugleich moralisch-philosophische Stücke z. B. eins über die Pflichten der Könige, und ist in einer so edeln, fliessenden und reinen Schreibart abgefasst, dass es noch jetzt eine Hauptquelle bei dem Studium der älteren Spanischen Sprache bleibt. Es wurde schon unter Ferdinand dem Heiligen angefangen, aber von Alfons lo. 1258. beendigt, und erhielt erst unter Alfons II. eigentliche Gesetzeskraft. Es enthält allerdings schon viele Spuren des Römischen Rechts, aber hauptsächlich liegen ihm die alten Gesetze des Königreichs und die Gewohnheitsrechte der Nation zum Grunde.

^) „Spanischen" verbessert aus „vaterländischen^'.

Vitoria.

99

Schwierigkeiten, welche sie den Veräusserungen von Grundstücken entgegensetzen, wodurch sie es so gut, als unmöglich machen, den Umfang und die Grenzen derselben, nach den wechselnden Verhältnissen der Provinzen, Zeiten und Besitzer, zu verändern. Die unmittelbare Folge davon ist die, dass Spanien unglaublich weniger Grundeigenthümer hat, als ein andres Land von gleichem Umfang und verhältnissmässiger Bevölkerung; dass die grossen Landbesitzer meistentheils, weil sie weder ihre ungeheuren Herr- schaften gut verwalten, noch sich durch stückweise Veräusserung helfen können, mit grossen Schulden belastet sind; die grossen Geldbesitzer dagegen nur noch im Handel ein Mittel finden, ihr Vermögen geltend zu machen; dass das Grundeigenthum sich viel zu sehr in den Händen der Grossen und Vornehmen (um nicht einmal von Kirchen, Capiteln und Klöstern zu reden) und viel zu wenig in denen der Mittelclasse befindet, die weit mehr Fähigkeit und Neigung besitzen würde, es zu benutzen ; und dass folghch dadurch dem Ackerbau die beträchtlichsten Capitalien und die betriebsamsten Köpfe, der Nation aber der Wohlstand und die Genugthuung entzogen werden, welche aus der eigenen Be- wirthschaftung und Verbesserung ansehnlicher aber übersehbarer Landbesitzungen entsteht. In keinem andern Lande Hegt soviel baares Geld müssig und ausser dem nothwendigen Umlauf, als in Spanien. Nicht bloss Bewohner von Landstädten, vorzüglich Viehhändler, halten unverhältnissmässig grosse Summen in ihren Kisten verschlossen, sondern es Hessen sich ähnliche Beispiele von Männern anführen, welche sich der Handlung widmeten, und zu den speculativsten Köpfen ihrer Nation in dieser Rücksicht gehörten. In neuern Zeiten hat man zwar dem unmässigen Stiften von Mayoraten Einhalt zu thun gesucht. Im Jahr 1789. hat man denen durch Begünstigung eines Sohns (por via de mejora) Gränzen gesetzt. Noch neuerlicher und dies ist wohl die einzige heilsame Wirkung, welche die oft erwähnte Schrift des Ex-Ministers Jovellanos hervorgebracht hat ist die Errichtung aller Mayorate mit einer Abgabe, wenn ich mich nicht irre, von 15. p. c. belastet worden, und der König hat angefangen, den Granden zu erlauben, einzelne Stücke*) der schon bestehenden

*) Solche dem Mayoratsrecbt unterworfenen Stücke heissen jincas vinculadas. Finca, ein Grundstück auf das sich Zinsen versichern lassen, kommt von fincar, im jetzigen Spanisch hincar, uud hiess ursprünglich soviel als bleiben. Daher wohnen.

7*

jQO Die Vasken.

zur Tilgung ihrer Schulden zu verkaufen. Allein dies sind immer nur partielle Masregeln, und auch die Erhaltung dieser könig- lichen Erlaubniss, wegen der man sich an den hohen Rath von Castilien wenden muss, führt grosse Weitläuftigkeiten mit sich. In Alava ist nun zwar nicht der Fall, dass die Besitzungen, wie in Andalusien und andern Provinzen des Reichs, zu gross wären. Sie sind vielmehr im Gegentheil zu klein und zu sehr zerstreut. Auf vielen ist es nicht möglich, eigene Vorwerke anzulegen, oder auch nur ein eignes Haus darauf zu bauen, und sie können alsdann von entfernten Dörfern aus nur unvollkommen bestellt werden. Es wäre daher zur Aufnahme des Ackerbaues unum- gänglich nothwendig, dass man, ohne Recurs an den Rath von Castilien, völlige Freiheit hätte, diese Ländereien zu vertauschen oder zu veräussern, damit alle Besitzer sich gehörig arrondiren und ihre Grundstücke von dem Mittelpunkt derselben aus be- wirthschaften könnten.

Kämen die Gesetze der Provinz auf diese Weise zu Hülfe sich von ihren Nachbarn her eine, ihrem Umfang angemessene Bevölkerung zu verschaffen, und ihr Grundeigenthum bequemer und gleichmässiger zu vertheilen, so bliebe ihr zu ihrem Wohl- stande nichts weiter zu wünschen übrig, als dass der König von Spanien überhaupt Bisca3'^a weniger als ein seiner Krone fremdes Land ansähe. Denn in der That ist es auffallend, dass Biscayische Fabricate so gut Abgaben zahlen, wann sie nach Castilien, als wann sie ins Ausland gehen, und dass man von Castilien nach Alava, ebensowenig als von Catalonien nach Frankreich, ohne besondre Erlaubniss, welche man guia zu nennen pflegt, mehr als 2000 reales de vellon (123. Thaler 18. Groschen, den Friedrichsd'or zu 5 Thaler gerechnet) einbringen kann. Wer daher in Alava wohnt, und zugleich, wie so häufig der Fall ist, Güter in Castilien besitzt, muss entweder 5. p. c. seiner Einkünfte, wenn er sie baar einbringt, verlieren, oder sie heimlich ^) ins Land schaffen, oder sich durch Wechsel helfen, was aber hier nicht immer gleich leicht und wohlfeil ist.

So in der mittleren Latinität: finchare. S. Du Fresne h. v. und in dem alten Spanischen

Heldengedicht auf den Cid : ßncanza, Aufenthalt. Qiie sopiesen qiie mio Cid

alli avie fincanza. Sanchez Coleccion de Poesias Castellanas anteriores al siglo XV. T. I. p. 251. V. 571. Hiervon endlich Grundstück. Vielleicht kommt das Wort von finire her.

M „heimlich'^ verbessert aus „Contrebande".

Vitoria, 10 1

Es fehlt nicht in Alava und namentlich in Mtoria an ein- sichtsvollen und patriotisch gesinnten Männern, welche, nachdem sie an der Spitze der Geschäfte gestanden haben, die Bedürfnisse ihrer Provinz genau genug kennen, um mit dem thätigsten Eifer an Verbesserungen in den gedachten Punkten zu arbeiten, und sie würden sich noch weniger von der Betriebsamkeit und dem Fleiss ihrer Mitbürger bei Benutzung dieser \^ortheile, wenn sie einmal erhalten wären, verlassen sehen. Es kommt daher nur darauf an, dass ein einsichtsvoller und aufgeklärter Minister zu diesen Entwürfen die Hand biete, und sie bei Hofe unterstütze. Für das wahre Interesse ^} der Krone könnte ihre Ausführung nie anders als wohlthätig wirken. Denn der wohlverstandne Vor- theil des übrigen Spaniens ^) kann mit dem Vortheil der Bis- cayischen Provinzen, der \^orrechte und Freiheiten derselben un- geachtet, niemals im Widerspruch stehen.

Das Staatsrecht von Alava gründet sich auf die Urkunde der freiwilligen Uebergabe (la voliintaria entrega) durch welche sich die Provinz 1332. dem König Alphons 11. von Castilien auf ewige Zeiten unterwarf. Bis zu dieser Zeit war sie frei, und wählte sich ihre Anführer aus eignem unabhängigen Souverainitätsrecht ; von derselben an bis auf den heutigen Tag beruht ihr ^"erhältniss zu Castilien auf einem bestimmten, geschriebenen, von allen Königen Spaniens bestätigten Vertrag.

Der Name Alava kommt in Schriftstellern zuerst im 8. Jahr- hundert bei dem Bischof von Salamanca, Sebastian*) vor. Um diese Zeit, gleich nach dem Einfall der Mauren, ging, ohne dass sich die Ursachen davon angeben lassen, eine gänzliche Ver- änderung in den Ländernamen dieser Ecke Spaniens vor. Bis dahin hatten die Cantabrer (unter denen die kleineren Völker- schaften der Antrigoner, Carister u. s. f. begriffen wurden) und Varduler die Küste bis an die Gränzen Aquitaniens besessen.**) Nunmehr erscheinen auf einmal Vizcaya, Alava, und Ipuzcua fast durchaus in ihren heutigen Gränzen; Vardulien oder Bardulien

*) Er lebte im 9. Jahrhundert, umfasste aber in seiner Chronik die Geschichte Alphonsus I. von Leon vom Jahr 738. bis 757. Nach Astarloa [Apol. 229.) bedeutet er weite Ebne.

**) So Pomponius Mela: tractinn Cantabri et Vardiüi tenent, und Idacius, da er beim Jahr 456. von den Herulern sagt: qui ad sedes proprias redeuntes Cantabriaruvi et Varduliarum loca maritima crudelissime depraedati sunt.

^) „Für Interesse" verbessert aus „Dem wahren Vortheil".

^) „des übrigen Spaniens" verbessert aus „Casti[liens]".

I02

Uie \ 3i%tett.

tritt an die mittäglichen Ufer des :h dem heutigen Alt-

(^astilien, und ein wenig an die n -Ichen, über den Be-

ronen, zurück, und der Name (ia: \ cr^-chwindet an der

Küste und erhült sich nur noch in den kleinen District der alten IJeroner, im heutigen Rioja, von w Konige von Navarra

Könige von (Jantabrien nannten. ....^ ,s.. bich noch bis jetzt, Logrono gegenüber, an der andern ^te des Musses das Can- tabrische (jebirge {ccrro de Can ;cn hat.*)

Obgleich Alava durch seine ! , meisten unter allen

Biscayischen Provinzen feindlichen ! Wv. ausi^esetzt ist, so er- hielt es sich dennoch frei von der .Manschen Herrschaft. Sich damals weiter, als jetzt, gegen M lehnend, schützte es

seine (Frenzen gegen diesen neuen in: iPircn I-'eind durch drei kleine (Pastelle, von denen man noch tzt aut der Strasse nach Madrid eines, I^ancorbo (eigentlich 'oncor\*o, Ponternrbum, krumme Brücke) am Knde eines langi sehr schmalen Defil^s sieht. Jeder, der diesen Weg gern- ' ' :;•. erinnert sich gewiss der schroflen, kahlen, abentheuerlici .;.;cn l'elsen, deren gro-

teske I^lguren man in der Kbne dichthinter Miranda del Ebro im Auge hat; an der jetzt so unbcdciL'nden Schutzwehr dieses (Pastells**) scheiterte die Maurische Macl zweimal, 8S2. und N83., das erstemal nach einem dreitägigen (jeftht."*) Nur ein einziger Streifzug in Alava zwanzig .lahre früher. ^<>i. scheint ihji£D besser gelungen zu seyn.t)

•) Vgl. liicrüber des P. Manuel Risco^C Madrid, bei Blas Roman. 1792. 4. j) Abhandlung über den Namen, die Lajjc einer Chronik des bekannten Cid, w S. Isidro in Leon fand, und welche < wie es scheint, völlig authentische haften Erzählungen giebt, mit welc Cid in Sanchcz Coleccion de poesi CrecopiljJo por Juan de Esc

ausgeschmückt hatten. Scho weise ') übersetzt zu werden

**) Im letzten Kriege ein neues Castell gegen d ***) Landazuri. II, 21 t) D. Juan Franci panola. XII, 147. besonders gesunde Kr, ') T^ach „aus

tCK VI aCTTQ

m «ü^

V .or

Durchaus falsch aus dem Arabischen her und Herr Astarloa Icit. ihn Araba aussprecher.. ausgedehntes grosses 1 vorkommende Stadt A einen rein Vaskischen Theil der Römischen deaux durch diese Pr Menge von Inschriften Kirche von S. Roman > . nicht weit von Salvatic:

er. wenn einige den Namen AIj'.vs len. Er ist \-ielmehr rein Vaskis i die Einheimischen der l>o^

ijn\h Flctche, ab so das^ er c u i^. Die in den ahen Schriftstellern

Alba*) führt demnach gleichfalls ' Es ging nemlich ehemals ein on Astorga jAsturica) ., -'^— LL^r. ^aher lassen sich nocl. eilensteinen') auffinden, :"fe in der Hermandad de

vht, um nur dies eine Bei« zuführen, grossentheils aus inshriftssteinen, von denen iedoch meisten nicht mehr zu entzitl'n sind. Wo diese Strasse an Morgenseite in Alava c- "st sie durch eine Inschrift Ka Aulus**) Constantius ( wo sie dieselbe an der Abend>.

wieder verlässt, durch eine ance (Konstantins bezeichnet, und auch

t

z sich viele Spuren derselben auf- hat dieselben mit dem mühsamsten ingestelltcn Reisen so vollst;1ndig danach die Richtung der ganzen i über Pancorvo herkommend tritt n/ ein, n;1ihcn sich bei Arcc dem Fluss Zadorra, steigt dann t,: t^anz in der Richtung des heutigen Weges von Vitoria nach > nda gegen die crstere Stadt auf, schlägt sich aber, ehe sie d- 'j>c erreicht, abendlich gegen Salva-

;il Araquil in Navarra aut l'ampe- >n (Wij/isio) derselben war, muss.

in der Mitte ihres Laufs la tinden. D. Lorenzo Prest >" Fleisse auf mehreren ^.. als möglich aufgesucht , u Strasse bestimmt. Von Bri\ sie bei Puentelarra in die l

tierra, und läuft durch da> :u. Alba, das eine > Untersuchungen zu:

flinius. III, 4. ^EJ. Hjrj ,'eber den Vornamen Au1ü> klannert, Geogr. d. Gr. u,

{.Durchaus fjlscfr' >•<■ " )it'se heUen Sätze /;.\ i(Uf^ Jer-er, welche Jett i 9rkommeitJe Suidt Alai ^ach „Meilensteinen" gc> Kjch „hahen" gestrichen

llba Vaskischen oder A'.

teinlicher, da man ihn >■

nahe bei Salvatierra gelegen

43, S.) Plolcm. II, 0. /'. 40. hin. Anton. (?)

atcr. p. 1 19. (?)

I I, 354. hält es, wie es jetzt scheint, r.ilsch-

l 'eberaus irrig''.

jch : „Weniger unwahrscheinlich ist usselben auf die, in den alten Schriß- .1 zurückführen.'' yorzüglich in der".

hleiht es nun aber zweifelhaft, c/' der I r Sprungs war; doch ist das erstere

geschrieben findet. Dass Alaba ein

102

Die Vasken.

tritt an die mittäglichen Ufer des Ebro nach dem heutigen Alt- Castilien, und ein wenig an die mitternächtlichen, über den Be- ronen, zurück, und der Name Cantabriens verschwindet an der Küste und erhält sich nur noch in dem kleinen District der alten Beroner, im heutigen Rioja, von wo sich die Könige von Navarra Könige von Cantabrien nannten , und wo sich noch bis jetzt, Logrono gegenüber, an der andern Seite des Flusses das Can- tabrische Gebirge [cerro de Cantabria) erhalten hat.*)

Obgleich Alava durch seine Ebnen am meisten unter allen Biscayischen Provinzen feindlichen Einfällen ausgesetzt ist, so er- hielt es sich dennoch frei von der Maurischen Herrschaft. Sich damals weiter, als jetzt, gegen Mittag ausdehnend, schützte es seine Grenzen gegen diesen neuen furchtbaren Feind durch drei kleine Castelle, von denen man noch jetzt auf der Strasse nach Madrid eines, Pancorbo (eigentlich Poncorvo, Pontecurbum, krumme Brücke) am Ende eines langen sehr schmalen Defiles sieht. Jeder, der diesen Weg gemacht hat, erinnert sich gewiss der schroffen, kahlen, abentheuerlich gestalteten Felsen, deren gro- teske Figuren man in der Ebne dicht hinter Miranda del Ebro im Auge hat; an der jetzt so unbedeutenden Schutzwehr dieses Castells **) scheiterte die Maurische Macht zweimal, 882. und 883., das erstemal nach einem dreitägigen Gefecht.***) Nur ein einziger Streifzug in Alava zwanzig Jahre früher, 861. scheint ihnen besser gelungen zu seyn.f)

*) Vgl. hierüber des P. Manuel Risco Castilla y el mas famoso Castellano. Madrid, bei Blas Roman. 1792. 4. p. 2 4. Dies Werk enthält eine ausführliche Abhandlung über den Namen, die Lage und Geschichte Castiliens, und den Abdruck einer Chronik des bekannten Cid, welche Risco unter den Handschriften des Klosters S. Isidro in Leon fand, und welche die Geschichte des tapfern Rodrigo Diaz, auf eine, wie es scheint, völlig authentische Weise, und frei von allen abentheuerlichen und fabel- haften Erzählungen giebt, mit welchen die älteren Chroniken, das Heldengedicht auf den Cid in Sanchez Coleccion de poesias anteriores al siglo 75. und der Romancero del Cid frecopilado por Juan de Escobar. Cadiz. 1702.) das Leben des Helden so reichlich ausgeschmückt hatten. Schon in dieser Hinsicht verdiente dies Werk wenigstens auszugs- weise ^) übersetzt zu werden.

**) Im letzten Kriege mit Frankreich erbauten die Spanier in eben diesen Bergen ein neues Castell gegen die Franzosen.

***) Landazuri. II, 21. Risco's Fortsetzung der Espana sagrada. XXXIII, 224. t) D. Juan Francisco de Masdeu hist. critica de Espana y de la cultura Es- pafiola. XII, 147. Ein überaus weitläuftiges Werk, in dem man aber noch sehr vieles, besonders gesunde Kritik und vorurtheilfreie philosophische Geschichtsansicht vermisst. ') Nach „auszugsweise" gestrichen: „in unsre Sprache".

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Vitoria.

103

Durchaus falsch ^) ist es daher, wenn einige den Namen Alava aus dem Arabischen herleiten wollen. Er ist vielmehr rein Vaskisch, und Herr Astarloa leitet ihn, da die Einheimischen der Provinz ihn Araba aussprechen, von ara, arm, Fläche, ab so dass er ein ausgedehntes grosses Thal anzeigt. Die in den alten Schriftstellern vorkommende Stadt Alaba oder Alba*) führt demnach gleichfalls einen rein Vaskischen Namen.^) Es ging nemlich ehemals ein Theil der Römischen Strasse von Astorga (Asturica) nach Bor- deaux durch diese Provinz. Daher "lassen sich noch jetzt eine Menge von Inschriften und Meilensteinen ^) auffinden , und die Kirche von S. Roman (einem Dorfe in der Hermandad de S. Millan, nicht weit von Salvatierra) besteht, um nur dies eine Beispiel an- zuführen, grossentheils aus Inschriftssteinen, von denen jedoch die meisten nicht mehr zu entziffern sind. Wo diese Strasse an der Morgenseite in Alava eintritt, ist sie durch eine Inschrift Kaiser Aulus**) Constantius Chlorus, wo sie dieselbe an der Abendseite wieder verlässt, durch eine andre Constantins bezeichnet, und auch in der Mitte ihres Laufs lassen sich viele Spuren derselben auf- finden. D. Lorenzo Prestamero hat dieselben mit dem mühsamsten Fleisse auf mehreren deshalb angestellten Reisen so vollständig als möglich aufgesucht, und danach die Richtung der ganzen Strasse bestimmt. Von Briviesca über Pancorvo herkommend tritt sie bei Puentelarra in die Provinz ein, nähert sich bei Arce dem Fluss Zadorra, steigt dann fast ganz in der Richtung des heutigen Weges von Vitoria nach Miranda gegen die erstere Stadt auf, schlägt sich aber, ehe sie dieselbe erreicht, abendlich gegen Salva- tierra, und läuft durch das Thal Araquil in Navarra auf Pampe- lona zu. Alba, das eine Station {mafisto) derselben war, muss, diesen Untersuchungen zufolge, nahe bei Salvatierra gelegen haben.***)*)

*) Plinius. III, 4. {Ed. Hard. I, 143, 8.) Ptolem. II, 6. p. 46. hin. Anton. (?) **) Ueber den Vornamen Aulus s. Gruter. p. 119. (?) ***) Mannert, Geogr. d. Gr. u. Rom. I, 354. hält es, wie es jetzt scheint, fälsch-

^) „Durchaus falsch" vei'bessert aus Ueberaus irrig''.

^) Diese beiden Sätze Messen ursprünglich: „Weniger unwahrscheinlich ist die Meynung derer, welche den Ursprung desselben auf die, in den alten Schriß- stellern vorkommende Stadt Alaba oder Alba zurückführen."

*) Nach „Meilensteinen" gestrichen : „vorzüglich in der".

*) Nach „haben" gestrichen: „Immer bleibt es mm aber zweifelhaft, ob der Name Alba Vaskischen oder Römischen Urspinrngs war; doch ist das erstere wahrscheinlicher, da man ihn auch Alaba geschrieben findet. Dass Alaba ein

J02 ^i^ Vasken.

tritt an die mittäglichen Ufer des Ebro nach dem heutigen Alt- Castilien, und ein wenig an. die mitternächthchen, über den Be- ronen, zurück, und der Name Cantabriens verschwindet an der Küste und erhält sich nur noch in dem kleinen District der alten Beroner, im heutigen Rioja, von wo sich die Könige von Navarra Könige von Cantabrien nannten , und wo sich noch bis jetzt, Logrono gegenüber, an der andern Seite des Flusses das Can- tabrische Gebirge [cerro de Cmitahria) erhalten hat.*)

Obgleich Alava durch seine Ebnen am meisten unter allen Biscayischen Provinzen feindlichen Einfällen ausgesetzt ist, so er- hielt es sich dennoch frei von der Maurischen Herrschaft. Sich damals weiter, als jetzt, gegen Mittag ausdehnend, schützte es seine Grenzen gegen diesen neuen furchtbaren Feind durch drei kleine Castelle, von denen man noch jetzt auf der Strasse nach Madrid eines, Pancorbo (eigentlich Poncorvo, Pontecurbum, krumme Brücke) am Ende eines langen sehr schmalen Defiles sieht. Jeder, der diesen Weg gemacht hat, erinnert sich gewiss der schroffen, kahlen, abentheuerlich gestalteten Felsen, deren gro- teske Figuren man in der Ebne dicht hinter Miranda del Ebro im Auge hat; an der jetzt so unbedeutenden Schutzwehr dieses Castells **) scheiterte die Maurische Macht zweimal, 882. und 883., das erstemal nach einem dreitägigen Gefecht.***) Nur ein einziger Streifzug in Alava zwanzig Jahre früher, 861. scheint ihnen besser gelungen zu seyn.f)

*) Vgl. hierüber des P. Manuel Risco Castilla y el mas famoso Castellano. Madrid, bei Blas Roman. 1792. 4. p. 2 4. Dies Werk enthält eine ausführliche Abhandlung über den Namen, die Lage und Geschichte Castiliens, und den Abdruck einer Chronik des bekannten Cid, welche Risco unter den Handschriften des Klosters S. Isidro in Leon fand, und welche die Geschichte des tapfern Rodrigo Diaz, auf eine, wie es scheint, völlig authentische Weise, und frei von allen abentheuerlichen und fabel- haften Erzählungen giebt, mit welchen die älteren Chroniken, das Heldengedicht auf den Cid in Sanchez Coleccion depoesias anteriores al siglo 15. und der Romancero del Cid frecopilado por Juan de Escobar. Cadiz. 1702.) das Leben des Helden so reichlich ausgeschmückt hatten. Schon in dieser Hinsicht verdiente dies Werk wenigstens auszugs- weise ') übersetzt zu werden.

**) Im letzten Kriege mit Frankreich erbauten die Spanier in eben diesen Bergen ein neues Castell gegen die Franzosen.

***) Landazuri. II, 21. Risco's Fortsetzung der Espafia sagrada. XXXIll, 224. t) D. Juan Francisco de Masdeu hist. critica de Espaüa y de la cidtitra Es- panola. XII, 147. Ein überaus weitläuftiges Werk, in dem man aber noch sehr vieles, besonders gesunde Kritik und vorurtheilfreie philosophische Geschichtsansicht vermisst. ') I^ach „auszugsweise" gestrichen: „in unsre Sprache".

Vitoria. 103

Durchaus falsch ^) ist es daher, wenn einige den Xamen Alava aus dem Arabischen herleiten wollen. P> ist vielmehr rein Vaskisch, und Herr Astarloa leitet ihn, da die Einheimischen der Provinz ihn Araba aussprechen, von ara, aria, Fläche, ab so dass er ein ausgedehntes grosses Thal anzeigt. Die in den alten Schriftstellern vorkommende Stadt Alaba oder Alba*) führt demnach gleichfalls einen rein Vaskischen Namen.^) Es ging nemlich ehemals ein Theil der Römischen Strasse von Astorga (Asturica) nach Bor- deaux durch diese Provinz. Daher "lassen sich noch jetzt eine Menge von Inschriften und Meilensteinen^;) auffinden, und die Kirche von S. Roman (einem Dorfe in der Hermandad de S. Millan, nicht weit von Salvatierra) besteht, um nur dies eine Beispiel an- zuführen, grossentheils aus Inschriftssteinen, von denen jedoch die meisten nicht mehr zu entziffern sind. Wo diese Strasse an der Morgenseite in Alava eintritt, ist sie durch eine Inschrift Kaiser Aulus**) Constantius Chlorus, wo sie dieselbe an der Abendseite wieder verlässt, durch eine andre Constantins bezeichnet, und auch in der Mitte ihres Laufs lassen sich viele Spuren derselben auf- finden. D. Lorenzo Prestamero hat dieselben mit dem mühsamsten Fleisse auf mehreren deshalb angestellten Reisen so vollständig als möghch aufgesucht, und danach die Richtung der ganzen Strasse bestimmt. Von Briviesca über Pancor^'o herkommend tritt sie bei Puentelarra in die Provinz ein, nähert sich bei Arce dem Fluss Zadorra, steigt dann fast ganz in der Richtung des heutigen Weges von Vitoria nach Miranda gegen die erstere Stadt auf, schlägt sich aber, ehe sie dieselbe erreicht, abendlich gegen Salva- tierra, und läuft durch das Thal Araquil in Navarra auf Pampe- lona zu. Alba, das eine Station {maiisio] derselben war, muss, diesen Untersuchungen zufolge, nahe bei Salvatierra gelegen haben.***)*)

*) Plinius. III, 4. [Ei. Hard. I, 143, 8.) Ptolem. II, 6. p. 46. hin. Anton. (?) **) Ueber den Vornamen Aulus s. Gruter. p. 119. (:J ***) Mannert, Geogr. d. Gr. u. Rom. I, 354. hält es, wie es jetzt scheint, fälsch-

^) „Durchaus falsch" verbessert aus Ueberaus irrig''.

^) Diese beiden Sätze Messen ursprünglich: „Weniger unwahrscheinlich ist die Meyniing derer, welche den Ursprung desselben auf die, in den alten Schriß- stellern vorkommende Stadt Alaba oder Alba zurückführen.^'

*) Nach „Meilensteinen" gestrichen : „vorzüglich /n der".

*) Nach „haben" gestrichen: „Immer bleibt es nun aber zweifelhaß, ob der Name Alba Vaskischen oder Römischen Ursprungs war; doch ist das erstere wahrscheinlicher, da man ihn auch Alaba geschrieben findet. Dass Alaba ein

104 ^'e Vasken.

In der Richtung dieser Strasse, nahe bei Comunion am Ebro fand man auch vor wenigen Jahren beim Nachgraben auf einem Ackerstück Ueberreste eines Römischen Hauses, mit mehreren zierlich und geschmackvoll gearbeiteten Fussböden von Mosaik. Auf zwei derselben waren Figuren, auf dem einen die vier Jahrs- zeiten in der Gestalt weiblicher Figuren mit ihren Attributen, auf dem andern Diana, wie sie, ihren Bogen in der Linken, mit der Rechten einen Pfeil aus ihrem Köcher nimmt, und eine Hindin ihr folgt. D. Lorenzo Prestamero liess beide abzeichnen und schickte die Zeichnungen der Academie der Geschichte in Madrid.

Alava wurde in den ältesten Zeiten, vor seiner Vereinigung mit Castilien, zwar von Grafen beherrscht. Der erste, dessen die Geschichte Erwähnung thut, ist Eylon um das Jahr 866. der sich gegen Alphonsus 3. von Leon auflehnte und von diesem besiegt und gefangen genommen wurde. Auch war es von 947. an bis 1200. wo sich alle Biscayischen Provinzen zu Castilien schlugen, nur mit wenigen Unterbrechungen mit dem Königreich Navarra vereint. Nichts destoweniger aber erhielt es sich, auch während dieser Zeit, fortdauernd in einem Zustand unabhängiger Freiheit,

lieh 1) für Estella in Navarra. Für diejenigen, welche sich für die alte Geographie interessiren, setze ich die mansionen der alten Strasse nach dem Itinerarium, und die heutigen Orte, in deren Richtung Herr Prestamero ihre Spuren fand, zur Verglei- chung her. Die alten Mansionen waren: Vindeleia (in der Nähe des heutigen Sta Maria de Rivarredonda), Deobriga, Veleia, Suissatium, TuUonium, Alba, Araceli, Alan- tona, Pompelo. Die heutigen Orte sind: Puentelarra, Comunion, Bayas, Arce, Esta- villo, Burgueta, Puebla de Arganzou, Yruiia, Margarita, Lermanda, Zuazo, Armentia, Arcaya, Ariarza, Argandofia, Gazeta, Alegria, Gaceo, Salvatierra, S. Roman, Ylarduya und Eginoa.

acht Vaskisches Wort ist, kann nicht bestritten werden; nur muss man sich nicht auf die Erklärung der Bedeutung einlassen, sonst verfällt man, wie Larramendi"^) und andre in Lächerlichkeiten, man mag nun an das eine oder andre der beiden hieher gehörigen Vaskischen Wörter, an Alaba, die Tochter, oder Araua, die Regel, die Uebereinstimmung, denken. Genug dass der Name des Ländchens einhei- misch ist, schon zu den Zeiten der Römer einer Stadt, und seit dem 8. Jahrhimdert, wo auf einmal alt-einheiynische Namen neu hervorkamen, der Provinz angehörte."

^) „wie fälschlich" verbessert aus „offenbar mit weniger Grund".

^) Hier ist folgende Anmerkung gestrichen: „Diccion. tril. /. p. LXXIIL Dass man, wie er an dieser Stelle behauptet, im Vaskischen die Provinz Araua nenne, muss wenigstens nicht allgemein seyn. In Axular's gueroco guero p. /y. finde ich Alaba— herrian, im Lande von Alaba, und so hörte ich auch selbst immer sagen."

Vitoria. IO5

und übte die Rechte seiner Souverainität durch eine eigne ^"olks- versammlung aus. Alljähriich kamen nemhch der Adel, die Ackers- leute {los fijos-dalgo y labradores de Alava) und die Geistlichen der Provinz, zu denen auch der Bischof von Calahorra gerechnet wurde, in dem Felde von Arriaga (Steinplatz) unfern von Mtoria zusammen, und diese Versammlung hatte, wie man aus mehreren Urkunden sieht, unter dem Namen der Brüderschaft des Feldes von Arriaga {la cofradia del campo de Arriaga) alle Majestätsrechte in ihren Händen, schloss gültige Verträge, veräusserte Flecken und Ländereien, und übertrug zuletzt, indem sie sich selbst feier- lich auflöste, 1332. die Oberherrschaft dem Könige von Castilien. Die Zeit, in welcher diese Brüderschaft ihren Anfang nahm, lässt sich nicht mit Gewissheit bestimmen; einige Schriftsteller beziehen sich zwar auf eine Urkunde vom Jahr looo. deren Unächtheit aber erwiesen ist. Ueber den Ort ihrer Zusammenkunft streitet man; einige geben dafür ein Feld bei Arriaga an, das man el campo de la Aqua nennt, weil der Versammlungsplatz in jener unächten Urkunde Ocoa genannt wird; andre ein anderes, nicht weit davon. Beide sind jetzt kahl ; ^) vermuthlich aber waren sie ehemals mit Bäumen bewachsen. Denn es scheint die Gewohn- heit der ^'askischen Völkerschaften gewesen zu seyn , sich in Eichengehölzen und unter Bäumen zu versammeln. Eine noch ungedruckte Vaskische Urkunde, von der ich nachher weitläuftiger reden werde, die zwar an sich schwerlich acht seyn dürfte, aber doch in Rücksicht der darin vorkommenden Gebräuche ein gül- tiges Zeugniss ablegen kann, fängt gleich damit an: in dem Eichen- wald vor der Kirche*) u. s. f. und in der Versammlung des eigentlichen Vizcayas unter dem Baum von Guernica hat sich diese Sitte noch bis auf den heutigen Tag erhalten. Merkwürdig ist es, dass auch die Frauen von der Brüderschaft von Arriaga nicht ausgeschlossen waren; doch gehörten vermuthlich nur die- jenigen dazu, welche unverheirathet , oder als Wittwen eigene Ländereien besassen. Dagegen machten die Städte keinen Theil der freien A^erfassung Alavas aus. Durch Privilegien der Könige gegründet, erhielten sie Gouverneurs von denselben, und so blieben

*) En la robledad que estä cet. Vaskisch : Andramendico jauregin aurecco arestian Eleaiaun aiirrian cet. Vor dem Andramendischen Herrscherhause, im Eichen- wald vor der Kirche cet.

') Nach „kahl" gestrichen: „und ohne Bäume. Immer aber".

jo5 Di^ Vasken,

vor und nach 1200. z. B. Vitoria und Trevino immer abgesondert.*) In den jährlichen Versammlungen ernannte ^) die Cofradia die 4 Alcalden welche das Jahr hindurch die Richter des Landes waren, und von denen der eine den Namen eines Oberrichters, justicia mayor, führte. In ausserordentlichen wählten sie vorzüglich ihre Grafen oder Kriegsoberhäupter, und verfuhren dabei mit voll- kommener Freiheit. Denn, nach dem Ausdruck der Chronik Alphonsus II.,**) war Alava „immer eine abgesonderte Herrschaft, und diese so, wie sie der Adel und die einheimischen Ackersleute des Landes Alava sich nehmen wollten; manchmal aber nahmen sie einen der Söhne der Könige, manchmal den Herrn von Viz- caya, manchmal den von Lara, manchmal den de los Cameros (?)." Bisweilen führten diese Grafen den Titel der Merinos mayores***) Konnte die Cofradia eine Angelegenheit nicht schnell ganz be- endigen, so übertrug sie dieselbe einem Ausschuss und dieser unterhandelte dann, wie es in mehreren Urkunden heisst, {con consejo y otor^amiento) auf Rath und Uebertragung der Brüder- schaft.

*) Landazuri. I, 2o8. 209.

**) Cronica de D. Alfonso el Onceno. 2. ed. por D. Fi-anciso Cerda y Rico. Parte l. Madrid, bei Sancha. 1787. 4. Kap. loo. S. 177. Sie gehört zu der, in diesem Verlage herausgekommenen, mit grossem Aufwand gedruckten Sammlung Spanischer Chroniken.

***) Merino (gleichsam Mayorino) will, nach der Erklärung, welche das Ge- setz de la Partida davon [Part. 2. tit. 9. /. 23.?) giebt, soviel sagen, als ein Mann, welcher das Vorrecht hat [ha mayoria) in einer Stadt oder einem Lande Recht zu sprechen. Von Merino konxmt Merindad her, ein Name, den mehrere Districte in Spanien führen, wie z. B. la ?nerindad de Durango u. s. w. Die Einsetzung der Merinos niayores wird Ferdinand 3. dem Heiligen (regierte von 1217^ 1252.) zu- geschrieben. — Es ist bekannt, dass auch die Spanischen Wanderschafe, vi er in 0$ ge- nannt werden. Vielleicht ist ihnen dieser Name als solchen, die gesetzlicher Vorrechte geniessen, oder unter einem Alcalde mayore stehen, gegeben worden. Wenigstens ist dies wahrscheinlicher als die Meynung '^) des P. Sarmiento, der merino aus marino entstanden glaubt, und dabei an die Transporte von Schafen denkt, welche man •'') in alten Zeiten aus England nach Spanien kommen Hess. Dass man aber übrigens wirk- lich ehemals die Spanische Race durch Englische Schafe zu verbessern suchte, ist ge- wiss. Denn der Baccalaureus Fernan Gomez de Cibdareal erzählt ausdrücklich in seinem Briefe an Fernand Alvarez, Herrn von Valdecorneja, vom Jahr 1437. dass Al- phonsus II. (der eigentliche Stifter der Königlichen Heerde, Cabana Real) einen Richter der Mesta eingesetzt habe, als man zum erstenmal Schafe in Frachtschiffen

^) „ernannte" verbessert aus „wählte". ^) ,,MeyTiung" verbessert aus „Ableitung". *) Nach „man" gestrichen: „schon".

Vitoria.

107

Bekanntermassen eroberte König Alphonsus 8. Vitoria 1200. von König Sancho von Navarra, und um eben diese Zeit ver- einigte sich auch die Provinz Alava, zugleich mit Guipuzcoa und Vizcaya, mit Castilien. Es scheint daher wunderbar, warum 132 Jahre nachher eine zweite Uebergabe erfolgte ? Auch haben einige Schriftsteller behauptet, Alava sey schon vom Jahr 1200.^) an als eine unterwürfige, und zwar eroberte Provinz von Castilien be- handelt worden. Das Gegentheil ist aber aus der Geschichte durchaus klar. Die Uebergabe des Jahrs 1332. war vollkommen frei und ungezwungen. Dies bekennt Alphonsus 11. selbst in seiner, der Brüderschaft von Arriaga ertheilten,-) in dem Landes- archiv noch in der Urschrift vorhandenen Urkunde. „Die Edel- leute, Geistlichen und übrigen, wer sie auch seyn mögen, Yer- brüderten von Alava, heisst es darin, haben uns das Land Alava übergeben [otorgaron)^ dass wir die Herrschaft darin haben sollen, und es königlich sey, und haben es der Krone unsrer Königreiche für uns und unsre Nachkommen in Castilien und in Leon ein- verleibt" ; ^) eine Sprache die man unmöglich von einer, schon mehr als 100 Jahre früher durch Eroberung zugefallenen Provinz verstehen kann.*) Dasjenige Recht, was die Könige von Castilien also schon vorher und seit der Eroberung Mtorias über Alava ausübten, war ihnen freiwillig von der Provinz eingeräumt worden, und der Unterschied dieser Einräumung und der letzten Ueber- gabe war der, dass jene nur immer auf eine Zeitlang, diese für immer, jene nur auftragsweise, diese mit völliger Begebung des eigenen Rechts geschah. Denn vor 1332. bestand die Cofradie noch immer neben den Königen, und wie geschieden ihre Macht war, zeigen die unter ihnen geschlossenen Verträge. Der König besass, wie schon oben gesagt ist, die Städte Vitoria, Trevirio und seit 1256. auch das von Alphonsus 10. dem Weisen gegründete Salvatierra mit völliger Obergewalt und Hess sie durch seine Be- fehlshaber regieren. Rund herum war das Gebiet der Provinz.

von England nach Spanien gebracht. Der Versuch scheint also in dieser Zeit öfter wiederholt worden zu seyn. Cetiton epistolario del Bachiller Fernan Gomez de Cib- dareal y generaciones y semblanzas del noble caballero Fernan Perez de Guzman. Madrid. 1790. bei Ibarra. 8. ep. 73. p. 174.

') „schon 1200'' verbessert aus „von dieser Zeit".

*) „ertheilten" verbessert aus „ausgejertigten".

*) Nach „einverleibt" gestrichen: „er lässt sich übrigens bestimmte Bedin- gungen bei der Ueberlieferung gefallen".

*) „voti kann" verbessert aus „gegen eine .... führt''.

Io8 Die Vasken.

Um das Gebiet der Städte zu vergrössern, suchten die Könige Besitzungen in der Nähe durch Tausch oder Kauf zu erhalten. Die Brüderschaft der Provinz sah dies ungern und setzte sich dagegen. Endlich aber trat sie dem König eine Anzahl von Dorf- schaften vermittelst einer am i8. August 1258. ausgefertigten Ur- kunde feierlich ab, in welcher es ausdrücklich heisst: Wir Ver- brüderte geben Euch, unserm Herrn und Könige u. s. f. und auch nachher, jedoch immer vor 1332. kommen ein Paar ähnlicher Urkunden vor. Hieraus zeigt sich nun ganz deutlich, dass die wahre Oberherrschaft und das OberEigenthum des Landes auch nach 1200. immer bei der Brüderschaft der Provinz blieb, und die Könige nur eine auftragsweise erhaltene und beschränkte Herrschaft ausübten. Mit dem Jahre 1332. hörte nun aber dies doppelte Verhältniss gänzlich auf; die Cofradie ging auseinander, die Provinz wurde auf immer der Krone von Castilien einverleibt, und der König wurde der einzige Herr derselben, nur unter den von ihm selbst genehmigten Bedingungen.*)

Alphonsus II. befand sich gerade in Burgos, als er die Ein- ladung der Brüderschaft von Arriaga erhielt, die Herrschaft des Landes anzunehmen. Er begab sich deshalb nach Vitoria und von da in die Versammlung auf dem Felde bei Arriaga, und hier wurde die Uebereinkunft zwischen beiden Theilen feierlich ge- schlossen. Die vorzüglichsten Rechte, welche die Provinz sich durch diesen Vertrag sicherte, betreffen die persönliche Freiheit. Der König soll das Land, weder im Ganzen, noch einen Theil desselben, niemals, an wen es auch sey, veräussern können, son-

*) Die oben angeführte neue Ausgabe der Chronik Alphonsus 1 1. enthält an der oben- angeführten Stelle den Ausdruck : seit Alava erobert und den Navarrern abgenommen war. Acaesciö que antiguamiente desque fiie conquista la tierra de 'Alava et tornada ä los Navarros, siempre ovo senorio apartado. Allein in den früheren Ausgaben von 1551. in Valladolid und 1595. in Toledo heisst es desqiie fiie conquista la tierra de los Navarros, la tierra de Alava era cet. so dass Navarra, nicht Alava als er- obert angegeben wird. Wäre der Text in der neuen Ausgabe auch richtig, so muss man wohl die Eroberung nicht streng verstehn, da sich der Verfasser der Chronik sonst in dem, was er gerade an der nemlichen Stelle von der Freiheit Alavas behauptet, selbst widersprechen würde. Allein auch die Aechtheit der Lesart ist grossem Zweifel unter- worfen. Die neue Ausgabe ist nach einer Handschrift des Escurials abgedruckt, welcher der Herausgeber bloss darum den Vorzug gab, weil sie sehr schön auf Pergament ge- schrieben ist, und er sie deswegen für dasjenige Exemplar hielt, was der Sohn Alphonsus II. König Heinrich 2. den Worten der Chronik nach ') „in seinen sehr geehrten, sehr königlichen, sehr reichen, sehr herrlichen und sehr edlen Schatz" bringen Hess.

^) „den nach" verbessert aus „wie es in dem Eingange der Chronik heisst".

Vitoria.

109

dem es soll auf ewig der Krone Castilien einverleibt bleiben. Er soll den Einwohnern keinerlei Abgaben oder Steuern auferlegen,^) sondern dieselben bleiben davon frei, wie sie bis dahin gewesen waren, und ihm werden nur gewisse Rechte von denjenigen An- bauern [colonos] vorbehalten, die nicht freie -) Eigenthümer sind, sondern Kirchen oder Edelleuten gehören und die man Collazos nennt. Er darf nur Eingebohrne des Landes zu Alcalden oder zu Oberrichtern {Merino) ernennen, und der Oberrichter darf keinen Alaver hinrichten, oder verhaften lassen, ohne vorhergegangne Anklage und darauf erfolgtes Urtheil eines Alcalden. Ausser diesen Hauptpunkten enthält die Uebergabeacte noch mehrere andre, die aber vorzüglich nur das A'erhältniss jener Collazos zu den Edel- leuten und zum König, das Hütungsrecht, das Verbot, neue Eisen- hämmer anzulegen, wodurch die Waldungen verwüstet werden könnten, und besondre Freiheiten einiger einzelnen Oerter der Provinz betreffen.*) Diese Rechte und Freiheiten der Provinz beschworen und bestätigten hernach alle nachfolgende Könige Spaniens, und als die Königin Isabella 1483. nach Vitoria kam, Hessen die Magistratspersonen der Provinz und der Stadt, die ihr vor dem Thore von Arriaga entgegengingen, die Thore solange ver- schliessen, bis sie diese Bestätigung vollbracht und mit einem Eide bekräftigt hatte. Erst dann hielt sie ihren Einzug durch das wieder geöfnete Thor.

Gleich nach der ^"ereinigung Alavas mit Castilien, ist in der Geschichte der Verfassung der Provinz eine Lücke, die erst mit der Einrichtung der Hermandaden aufhört. Man weiss nur, dass die Rechtspflege in den Händen des oberen und der ihm unter- geordneten Merinos und der Alcalden war; aber welche Art der Verwaltung sie unter sich eingeführt hatten, und welche allgemeine Versammlungen an die Stelle derer von Arriaga traten? darüber giebt die Geschichte keine Auskunft. König Johann 2. (regierte von 1407 1454.) richtete zuerst die Hermandaden in Alava ein, oder gab ihnen wenigstens, da einzelne schon vorher im Lande vorhanden waren, eine allgemeine und regelmässige Verfassung. Diese Brüderschaften, wie man sie von Wort zu Wort**) über-

*) Den ganzen Inhalt der Urkunde vergleiche man in Landazuri. II, Ii6. '<*) von hermano (germanus) Bruder. ^) I^ach „auferlegen" gestrichen: „können". ^) „freie" verbessert aus „unabhängige".

HO

Die Vasken.

setzen muss, danken^) ihren Ursprung dem König Ferdinand 3. dem Heiligen, sie waren eigentlich bestimmt, die öffentliche Landes- polizei zu erhalten, und die grosse Menge der Unordnungen, welche, vorzüglich im 1 5. Jahrhundert, bei Gelegenheit einer Menge von ßefehdungen einzelner Partheien in Biscaya vorfielen, gaben die unmittelbare Veranlassung zu ihrer Einführung in Alava. Ihre Gesetze enthalten eine Menge von Bestimmungen, wie sie Verbrecher verfolgen, sich gegenseitig zur Hülfe aufrufen, und im Fall einer Vernachlässigung ihrer Pflicht den Beeinträchtigten zur Schadens- ersetzung verpflichtet seyn sollen, und ihre Gerichtsbarkeit ist auf eine gewisse Anzahl von Verbrechen, zur Bestimmung der gegen- seitigen Rechte ihrer und der gewöhnlichen Ortsalcalden beschränkt. Diese Verbrechen sind vorzüglich solche, welche einen Charakter der Störung der öffentlichen Ruhe an sich tragen, wie Mord, Strassen- raub, Brand, gewaltthätiger Einbruch, Verwüstung von Saatfeldern u. s. f. *) Die Verordnungen, welche Johann -i. für die Herman- dad von Alava erliess, wurden nachher noch zweimal verändert, und die noch jetzt im Lande geltenden rühren von Heinrich 4. vom Jahr 1463. her. In der Einrichtung der Hermandaden nun liegt der Keim der jetzigen Verfassung Alavas. Die ganze Provinz ist in 52 derselben abgetheilt; diese beschicken die allgemeine Landesversammlung, und diese besitzt den ganzen Umfang obrig- keitlicher Gewalt. Diese Versammlungen nahmen zugleich mit den Hermandaden ihren Anfang; in Heinrichs 4. Verordnung werden zwei derselben jährlich festgesetzt, und seit 1512. sind ihre Beschlüsse {Acuerdos) in ununterbrochner Folge vorhanden. Die eine wird jetzt vom 4 8 Mai, die andre vom 18 25. November gehalten, die letztere in Vitoria, die erstre in demjenigen Ort, den man jedesmal vorher in der Novemberzusammenkunft be- stimmt hat. Nicht alle Hermandaden aber schicken ihre Depu- tirten dazu. Die 1 7, welche die Quadrifle von Vitoria ausmachen, unterlassen es schon seit geraumer Zeit und die Stadt, die gleich- sam ihre Stefle vertritt, hat dennoch darum nicht mehr als eine Stimme.**) Da diese Zusammenkünfte nur wenige Tage dauern, so muss die obrigkeitliche Gewalt in den Zwischenzeiten durch einzelne Magistratspersohen ausgeübt werden. Dazu nun waren

*) Landazuri. I, 239 267. **) Ebendas. I, 291 300. ^) liach „danken" gestrichen: „eigentlich''.

Vitoria. I 1 1

von Errichtung der Hermandaden an bis gegen das Ende des 15 Jahrhunderts zwei Commissarien bestimmt gewesen, von denen der eine aus \'itoria oder einer der übrigen Städte {la ciudad y las villas\ der andre aus der übrigen Provinz {las Herras esparsas de la hermandad) gewählt ward.*) ^ ) Ohngefähr aber vom Jahre 1476. an ging die Gewalt, die in ihren Händen ruhte, auf die noch letzt bestehende Würde des GeneralDeputirten über, obgleich jene sich, nur mit eingeschränkterem Ansehen, neben ihm forterhalten haben. Der letztere war ursprünglich nur der vollziehende Richter der vor die Hermandad gehörigen Rechtsfälle {iiiez executor de los casos de Hermandad)^ seine Würde war anfangs lebenslänglich, allein seit 1533. ist sie ^j auf 3 Jahre beschränkt. Ervereinigt die ganze vollziehende Regierungsgewalt in sich, hat den Vorsitz in den Versammlungen der Provinz und schlägt denselben die Gegen- stände zur Berathschlagung vor ; doch kann er nicht hindern, dass andre Mitglieder dies gleichfalls thun, und hat selbst keine Stimme. Ueberhaupt vertritt er nur die Provinz in den Zwischenzeiten ihrer Versammlungen, und während derselben hört daher seine Gewalt in allen politischen und oekonomischen Angelegenheiten des Landes gänzlich auf. Wann der GeneralDeputirte es nöthig hält, ruft er eine besondre A'ersammlung, gleichsam einen engeren Ausschuss, der aus zwei Commissarien und vier zu diesem Behuf in der jedesmaligen Landesversammlung im November im Voraus gewählten Deputirten besteht, zusammen; und wenn diese die Angelegenheit, wovon die Rede ist, sich nicht allein zu entscheiden getrauen , so berufen sie wieder eine allgemeine Versammlung. Diese unmittelbar zu veranstalten, ist dem Deputirten nur bei Kriegsangelegenheiten erlaubt. In allen ausserordentlichen Zu- sammenkünften dieser Art dürfen keine anderen Punkte zur Be- rathschlagung vorgelegt werden, als die in dem Berufungsschreiben erwähnt sind.**) Der General-Deputirte wird durch sechs besonders dazu beauftragte Personen gewählt, von denen drei aus der Pro- vinz in der Novemberv^ersammlung gewählt werden; die andern drei aber der GeneralProcurator und die beiden Regidoren von Vitoria sind. Es darf ferner dazu nie ein andrer als ein Einwohner

*) Landazuri. I, 295. **) Ebendas, I, 268—278. ') „ward^- verbessert aus „werden musste". *) Nach „sie" gestrichen „nur".

j j2 Di^ Vasken.

von Vitoria genommen werden.^) Dies gedoppelte Vorrecht der Stadt schreibt sich aus einem, zwischen ihr und der Provinz 1 534. geschlossenen Vertrag her, welcher langen, hierüber zwischen beiden geführten Streitigkeiten ein Ende machte. Die Stadt gründet ihr Vorrecht vorzüglich darauf, dass, da 1498. die Würde eines vollziehenden Richters der Hermandad abgeschafft wurde, sie sich bei dem Könige das Recht auswirkte, einen General- Deputirten aus ihrem Mittel zu haben, und denselben deshalb gleichsam als ihr zugehörend ansieht. Von der Provinz aber wird dies Vorrecht bestritten. Mehrere Hermandaden erklärten sich gleich gegen den gedachten Vergleich, und noch jetzt wird immer förmlich dagegen protestirt.*)

Der Adel übertrift den Bürgerstand in Alava bei weitem an Anzahl. Einige Hermandaden sind durchaus adlich. Seine Vor- rechte sind wenig bedeutend, lir zahlt gleichfalls Abgaben,^) von denen selbst die Geistlichen nicht ausgenommen sind. Bisweilen ist ein Adlicher sogar Pächter eines Bürgerlichen. Auch stehen diese letzteren den ersteren in politischer Hinsicht ^) nicht nach. Sie wählen ebensogut die Deputirten zu den Generalversamm- lungen mit, und können selbst zu denselben gewählt werden. Nur wechselt in einigen Hermandaden die Wahl zwischen dem einen und dem andern Stande ab, und in andern muss von zwei Deputirten der eine bürgerlich, der andre adlich seyn.

*)In alten Zeiten wurde die Herrschaft über Alava für sehr einträglich gehalten. „Wem die Alaver," sagt der Verfasser der Chronik^) Alphonsus 11., „die Herrschaft ihres Landes übertragen, dem geben sie sehr reichliche Abgaben;**) ausser den gesetzlichen Steuern, noch den semoyo und Märzochsen." Semoyo wird nem- lich eine gewisse Quantität Weizen genannt, welche die im Lande befindlichen Grundherren von ihren Vasallen für jedes Joch Ochsen bekommen. Nach jetztigen Verhältnissen aber*^) zieht der König nicht sehr ") beträchtliche Einkünfte aus der Provinz. Die soge-

*) Landazuri. I, 283—287. II, 137 177. **) Kap. 100. dabanle servicio muy granado. ') Dieser Satz hiess urspi-ünglich: „Er muss Jerner allemal selbst .... seyn,'^ ^) „gleichfalls Abgaben'' verbessert aus „so gut Abgaben, als der Bürgerstand". ^) Nach „Hinsicht" gestrichen : „ganz und gar". *) Vor „In" gestrichen: „Schon".

^) „der Verjasser der Chronik" verbessert aus schon der Chronikenschreiber". *) „Nach aber" verbessert aus „Auch jetzt". ') „nicht sehr" verbessert aus „Jioch".

^ Vitoria. I ^«»

nannten freiwilligen Geschenke machen nur ein verhaltnissmässig geringes Quantum^) aus. In einer Durchschnittssumme von 48 Jahren betrugen sie 43750 reales de vellon (2734 Thaler Friedrichsd'or) *) auf das Jahr. Alle Summen, welche die Provinz als Rechte der ^) Krone zahlt, werden sich in folgender Zusammenstellung am besten übersehen lassen.

I., Freiwillige Geschenke in einer Durch- schnittssumme 43w 50 feal. de vell.

2., Alcavala. (Bourgoing. II, 16.) 116,738

Sie ist meistentheils durch ganz Alava auf eine bestimmte Summe gesetzt. In Vitoria wird sie bloss vom ^^erkauf un- beweglicher Güter bezahlt, und zwar giebt der Einheimische 5, der Ausländer ^ p. c. 3., Herrschaftsrechte ^) und Dienstgeld

{Derechos de Sehorio y Servicios) 20,124

4., Ein grosser Theil der beiden zuletzt genannten Abgaben ist an Ortschaften oder Hermandaden veräussert. Der Be- trag dieser veräusserten Steuern beläuft sich auf 741,495. real. 11 mfs. Rechnet man dies Capital zu 5 /. c. so giebt es

ein Einkommen von 37^074

5., Ein andrer Theil der Alcavalen ist vom König an Grosse des Reichs verkauft oder abgetreten. Für diese zahlt die Provinz 25,987

*) Die einzelnen Summen in den verschiedenen Jahren waren :

1744. 240000. r. d. V.

l'Jit']. 240000.

1761. 660000. die vorzüglich zur Wiederherstellung des Regiments

von Cantabrien dienten, das in sehr schlechtem Zu- stande aus America kam.

1765. 480000. wegen der Verheirathung des damaligen Prinzen von

Asturien. 1780. 480 oco.

2,1 OD 000 realdevell.

*j „ein Quantum" verbessert aus „den geringsten Theil".

^) „Rechte der" verbessert aus „Abgaben an die".

') „Herrschafisrechte" verbessert aus „Herrenrechte".

W. V. Humboldt, Werke. Xm.

114

Die Vasken.

6., Für auf gleiche Weise veräusserte De- rechos de Senorio und Servicios

7., Kammerstrafen, können im Durch- schnitt angeschlagen werden zu

8., Abgaben von der Geistlichkeit, und

zwar:

a., Subsiduo

19,912 reales.

4,000

hörtt

22,415 ;-.

Diese Abgabe gestand Pius 5. Philipp 2. zum Behuf des Kriegs gegen die Ungläubigen zu. b.,- Escusado^ oder das Recht, den besten Zehnten der Pfarrei für sich herauszu- nehmen. (Bourgoing. It, 22.) für 400 Häuser in Alava. Rechnet man jedes zu 50 pesos (den peso zu 15. r.) so beträgt diese Abgabe

T.::

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300,000 r.

322415

Ausserordentliche Ausgaben, als z. ß. Kosten bei Regierungsveränderungen, Königlichen Leichenbegängnissen, Ge- burten Königlicher Prinzen, ferner beim Durchmarsch von Truppen, Beloh- nungen derer, die Schleichhändler ge- fangen einbringen u. s. f. Alle diese verschiedenen Unkosten können, mehr oder weniger, im Jahr gerechnet wer- den auf

25,000

Summe

615000 real.

(38437 V2 Thaler Friedrichsd'or.)

Ausser diesen direkten Abgaben zieht der König nun noch andre indirekte aus dem Lande, die man aber kaum einmal mit dem Namen der Abgaben belegen kann, da es von der Provinz selbst abhängt, ob sie die Artikel, deren Consumtion mit diesen Rechten belastet ist, aus Castilien oder anderswoher nehmen will.

Die Bullen allein, deren Ertrag gleichfalls in den Königlichen

LT Sias

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Vitoria.

II

Schatz kommt,*) ^) müssen hiervon ausgenommen werden, und ge- hören, obgleich in Rücksicht der Menge von dem Lande abhängig, zu. denjenigen Ausgaben, welche nothwendig der Krone zufliessen müssen.

Im Jahr 17S7. wurden aus der Provinz Alava 84400 Bullen zu Dispensationen aller Art gelöst, und diese brachten zu ver- schiedenen Preisen dem königlichen Schatz ein Einkommen von 209,676. reales. (13104% Thaler Friedrichsd'or.) Merk- würdig ist es, dass unter dieser Anzahl 15711. waren, mit welchen die Frömmigkeit der Alaver Verstorbene, noch nach ihrem Tode versorgte.

Die hauptsächlichsten Consumtionsanikel , für welche Geld aus Alava nach Castilien geht, sind folgende: I., Salz. Die Biscayischen Provinzen kön- nen ihr Salz, woher sie wollen, nehmen. Alava aber hat, mit Ausschluss einiger wenigen Hermandaden, mit dem König einen Vertrag gemacht, seinen Bedarf aus den Salzwerken von Afiana zu kaufen, und vermöge dieses Vertrags ist der Preis von 1 1 . reales für die fane^a (S. S. 93.) festgesetzt. Die Pro- vinz verbraucht ohngefähr ^000/anegas, welches demnach beträgt

Weil aber Anana weiter entfernt ist, so kaufen die Alaver auch noch aus Salinillas um den höheren Preis von

17. reales etwa jährlich für

Die Salzwerke von Anana und Salinil- las bringen jährlich etwa -^i-^oo fanegas Salz, welche dem König, die Bereitungs- und Verwaltungskosten abgerechnet, 1,061,734. reales eintragen. Chocolade. Nach einer genauen Be- rechnung verbraucht Alava jährlich die ungeheure, nur aus dem allgemein ver- breiteten und häufigen Gebrauch dieses

,000 reales.

1,360

*) Bourgoing, II, 19 21.

') ,^OTnTnt" verbessert aus „ßiesst".

I

j j^ Die Vasken.

6., Für auf gleiche Weise veräusserte De-

rechos de Sehorio MViA.Sermcios I9?9i2 reales.

7., Kammerstrafen, können im Durch- schnitt angeschlagen werden zu 4,000

8., Abgaben von der Geistlichkeit, und zwar:

a., Suhsiduo 22,415 r.

Diese Abgabe gestand Pius 5. Philipp 2. zum Behuf des Kriegs gegen die Ungläubigen zu. b.,- Escusado, oder das Recht, den besten Zehnten der Pfarrei für sich herauszu- nehmen. (Bourgoing. II, 22.) für 400 Häuser in Alava. Rechnet man jedes zu 50 pesos (den peso zu 15. r.) so beträgt diese

Abgabe 300,000 r.

322,415

9., Ausserordentliche Ausgaben, als z. B. Kosten bei Regierungsveränderungen, Königlichen Leichenbegängnissen, Ge- burten Königlicher Prinzen, ferner beim Durchmarsch von Truppen, Beloh- nungen derer, die Schleichhändler ge- fangen einbringen u. s. f. Alle diese verschiedenen Unkosten können, mehr oder weniger, im Jahr gerechnet wer- den auf 25,000 .

Summe 615000 real.

(38437 V2 Thaler Friedrichs d'or.)

Ausser diesen direkten Abgaben zieht der König nun noch andre indirekte aus dem Lande, die man aber kaum einmal mit dem Namen der Abgaben belegen kann, da es von der Provinz selbst abhängt, ob sie die Artikel, deren Consumtion mit diesen Rechten belastet ist, aus Castilien oder anderswoher nehmen will.

Die Bullen allein, deren Ertrag gleichfalls in den Königlichen

Vitoria.

115

Schatz kommt,*) ^) müssen hiervon ausgenommen werden, und ge- hören, obgleich in Rücksicht der Menge von dem Lande abhängig, zu denjenigen x\usgaben, welche nothwendig der Krone zufliessen müssen.

Im Jahr 1787. wurden aus der Provinz Alava 84400 Bullen zu Dispensationen aller Art gelöst, und diese brachten zu ver- schiedenen Preisen dem königlichen Schatz ein Einkommen von 209,676. reales. (13104% Thaler Friedrichsd'or.) Merk- würdig ist es, dass unter dieser Anzahl 157 11. waren, mit welchen die Frömmigkeit der Alaver Verstorbene, noch nach ihrem Tode versorgte.

Die hauptsächlichsten Consumtionsartikel , für welche Geld aus Alava nach Castilien geht, sind folgende: I., Salz. Die Biscayischen Provinzen kön- nen ihr Salz, woher sie wollen, nehmen. Alava aber hat, mit Ausschluss einiger wenigen Hermandaden, mit dem König einen Vertrag gemacht, seinen Bedarf aus den Salzwerken von Anana zu kaufen, und vermöge dieses Vertrags ist der Preis von 1 1 . reales für die fanega (S. S. 93.) festgesetzt. Die Pro- vinz verbraucht ohngefähr ^000/anegas,

welches demnach beträgt 88,000 reales.

Weil aber Anana weiter entfernt ist.

so kaufen die Alaver auch noch aus Salinillas um den höheren Preis von

17. reales etwa jährlich für

Die Salzwerke von Anana und Salinil- las bringen jährlich etwa '^1^00 fanegas Salz, welche dem König, die Bereitungs- und Verwaltungskosten abgerechnet, 1,061,734. reales eintragen. Chocolade. Nach einer genauen Be- rechnung verbraucht Alava jährlich die ungeheure, nur aus dem allgemein ver- breiteten und häufigen Gebrauch dieses

1,360

*) Bourgoing. II, 19 21.

*) „kommV verbessert aus „ßiesst".

8*

llß Die Vasken.

Getränks begreifliche Summe von 200000 Pfund Cacao. Nun bekommt der König von jedem Pfund i real, weniger einen J^/ßZ'^fl'?, folglich beträgt diese Abgabe 194,117. reales.

3., Zucker. Der Bedarf, der aus den Staa- ten des Königs genommen v^ird, beträgt 1 00000 Pfund ungefähr, davon machen 16. reales für jeden Centner, w^elche die Krone empfängt 16,000. ,

4., Oel. Die Provinz verbraucht aus An- dalusien und Castilien 25000. Cantaras (S. S. 93.), jede zu 35 reales beträgt 875000 reales, wovon der König, nach dem letzten Tarif, 4 p. c. empfängt, welches, mit einer andern kleinen Ab- gabe für das Einmessen {de fiel medidor) von 4 mvs auf die Cantara,vci3S^'i 37,941.

5., Weine, Seife u. s. f. lassen sich nach der gleichen Berechnung ungefähr an- schlagen zu 35?ooo-

6., Die Summe, welche die Königlichen Posten durch die Provinz Alava ge- winnen, kann gerechnet werden auf 162,000.

534,418. reales. (3340 1 . Thaler Friedrichsd'or.)

Nach diesen, im Lande selbst gesammelten Angaben empfängt die Krone in allem, unbedeutende Artikel nicht mitgerechnet:

I., an directen Abgaben . 615,000.' reales.

2., an Abgaben für gelöste Bullen 209,676.

3., an indjrecten Abgaben 534,418.

zusammen . I53595O94. reales.

(84,943. Thaler Friedrichsd'or.)

Vitoria, die Hauptstadt der Provinz Alava, trägt durchaus das Ansehn einer durch Handel und Industriefleiss blühenden Pro- vinzstadt an sich. Ueberall erblickt man Leben und Wohlstand, und bemerkt viele grosse neu aufgeführte Gebäude, unter welchen sich der erst 1791. fertig gewordene Marktplatz auszeichnet. Er ist viereckt, ganz aus Stein aufgeführt, und besteht aus 34 Häusern,

Vitoria.

117

unter welchen das Rathhaus der Stadt {la casa consistorial) das grosseste ist. Der Baumeister hat sich übrigens in nichts von der gewöhnlichen Bauart der Spanischen Marktplätze entfernt. Auch hier läuft unten ein ofner Bogengang herum, und jedes Fenster hat seinen eisernen Balcon, eine Einrichtung die insofern bequem ist, als in den Städten, welche kein eignes Amphitheater für die Stiergefechte haben, diese auf dem Markte gehalten werden. An den äussern Seiten umgeben denselben vier breite Strassen, so dass jedes Haus dadurch einen zweiten, nicht durch das Markt- getümmel gehinderten Eingang erhält.

Ihr Emporkommen verdankt die Stadt dem Könige Sancho dem Weisen von Navarra. Als dieser, nach vielen Gränzstreitig- keiten mit dem Könige von Castilien Alphonsus dem Edlen, dem 8.,^) sich endlich mit demselben dahin vereinigte, dass der Fluss Zadorra die östliche Gränze seiner Besitzungen wurde, umgab er, um dieser Gränze mehr Festigkeit zu verschaffen, den unbedeuten- den Ort Gasteiz mit Mauern, vergrösserte ihn durch neu dahin- geführte Einwohner, befestigte ihn, nach damaliger Sitte, mit Thürmen, und legte ihm den Namen Victoria bei. Dies geschah im Jahr 1181. Seitdem gerieth Armentia, das bis dahin der Sitz der Bischöfe gewesen war, jetzt aber nur noch aus wenigen Häusern besteht, in Verfall, und Vitoria erhob sich, durch die, ihm von Sancho und den nachfolgenden Königen verliehenen Vorrechte, zur Hauptstadt der Provinz Alava. Noch jetzt sieht man an der Mitternachtsseite der Collegiatkirche einen Thurm und ein beträchtliches Mauerstück des Castells, das Sancho hier anlegte.

Den Behauptungen der Biscayer zufolge, ist der Name der Stadt Vaskischen Ursprungs ; sie leiten ihn von dem Wort bitorea, vonrefHch, hervorstechend, ab. Allein in der Zeit, in der Sancho die Stadt gründete, ist es wahrscheinlicher, dass er derselben einen lateinischen gab; vermuthlich suchte er sogar dieselbe durch die Verwandlung ihres unbedeutenden Namens in der Landessprache in einen gelehrteren-^) lateinischen noch mehr zu adeln.*) Viel-

*) In Sanchos Gründungsurkunde bei Moret in dessen investigaciones historicas de las antigüedades de Navarra, p. 669. heisst die Stadt ausdrücklich Victoria. Vobis Omnibus populatoribus meis de noua Victoria und weiterhin : in praefata villa, cid nomen nouum imposui, scilicet Victoria, qiiae antea vocabatur Gasteiz.

^) „&" verbessert aus „j. {nach andern dem 8.)".

^) „gelehrteren" verbessert aus „vornehmeren''.

j jg Die Vasken.

leicht glaubte man auch, dass an derselben Stelle ehemals eine ältere gleichnamige Stadt gestanden habe.*)

Der Reisende wird die Zeit, welche er sich ohnehin wegen der Durchsuchung seines Gepäcks in Vitoria aufhalten muss, gern dazu anwenden, einige Gemälde in Kirchen und Privatsammlungen, deren es hier mehrere giebt, zu besehen. Unter denselben zog meine Aufmerksamkeit am meisten eine Titianische Magdalena im Hause des Marques de Alameda auf sich. Die Figur ist in Lebensgrösse, stehend und ganz bekleidet. Ihr Kopf ist gegen die rechte Seite gewandt, und die Haare fallen ihr über die Schulter auf den Busen herab. Die Schönheit dieses Gemäldes besteht vorzüglich in der hohen Würde, welche der Mahler der Gestalt und der Physiognomie, mitten in dem Ausdruck der Reue, zu er- halten gewusst hat. Frei von der kleinlichen Absicht, dem ver- führerischen Bilde weiblicher Schönheit durch das Bekenntniss der Schuld nur einen noch höheren Reiz zu leihen wodurch man eine der edelsten Darstellungen der neueren Kunst so oft zu einer der gemeinsten herabgewürdigt sieht hat Titian vielmehr seinen Gegenstand durchaus erhaben behandelt. Die Magdalena, die er uns darstellt, entkleidet sich nicht eines Schmucks, der an ihren Vergehungen keinen Theil hat ; sie hebt nicht, mit schwachen und furchtsamen Thränen, flehende Augen zum Himmel empor; ihre Hand fasst an ihr Herz, ihr Blick ist in sich gekehrt, zwar scheu und gespannt, aber trocken und starr auf Einen Fleck gerichtet. Sie bebt nicht vor einem fremden strafenden Richter, sie erkennt mit Entsetzen den unerbittlichen, misbilligenden in sich selbst. Sie giebt die Würde der Menschheit nicht in reuiger Zerknirschung auf, sie fühlt vielmehr ihr Zurückkehren, und ist dadurch betroffen, aber gestärkt.

Reich an guten Stücken aus mehreren Schulen ist die Ge- mäldesammlung des Marques de Montehermoso, eines der kennt- nissvollsten und patriotisch gesinntesten Männer, die ich unter den Grossen in Spanien antraf.

Durango.

Ich sehnte mich, Vitoria, das ich schon von meiner ersten Reise her genauer kannte, zu verlassen, und mich wieder in die einsamen

*) Oihenart p. 22. setzt hieher das vom Gothischen König Leovigild (regierte von [568 586]) gebaute Victoriacum, das Sancho nur wiederhergestellt habe.

Durango. I ig

Thäler Vizcayas zu versenken. Wir setzten nach einem zwei- tägigen Aufentiialt unsre Reise gegen Durango zu weiter fort.

Bis Ochandiano, dem Gränzorte Vizcayas, ist die Gegend flach und unbedeutend. Von dort an aber fängt sie an waldreicher und gebirgigter zu werden, und bei S. Antonio de Urquiola (einem Meierhof bei dem eine Ermita ist) erscheint ^) sie in höchstem Grade romantisch. Eine finstere Felswand zieht sich von Morgen gegen Abend queer vor den Weg hin. Aber in drei prächtige Massen (Ambota, Uncilla, und Sta Lucia) geschieden, stürzen sich zwischen ihnen enge -) Thäler nach der Meeresseite zu hinab. Durch die lange nackte Felswand zur Rechten, die durch unzählige Furchen in wilde Zacken zerrissen ist, jagten weisse^) Nebelstreifen; in der Mitte erhob sich, klar und frei, eine einzeln stehende Pyramide an deren Fuss sich zwei fruchtbare Ebenen lieblich hinabschlängelten, und auf dem rund gewölbten Haupte des Felsens zur Linken ruhte noch ein dickes Gewölk. Wie mannigfaltig aber gestalteten sich erst die Ansichten beim Heruntersteigen, wo der Weg, anmuthig mit Bäumen bepflanzt, zwischen den Felsen hinab- führt.*) Von allen Seiten sieht man üppige Vegetation mit nakten und schroffen Klippen in lieblichem Contrast. Bald hängt ein finstrer Wald von der steilen Höhe herab ; bald ist in eine flachere Fels- ecke ein Gärtchen angebaut, dem der Fels selbst zur stützenden Mauer dient, und zur Linken blicken über dem Gebüsch die Reste einer alten Burg herüber. Am Fusse dieser Berge liegt Manaria, das lieb- lichste Dörfchen, das ich in Vizcaya sah. Um die Kirche, als den Mittelpunkt und den Zweck ihrer Vereinigung, herum dichter zu sammen stehend, verlieren sich, weiter abwärts weitläuftiger zer- streut, die Häuser, von Kastanien- und Wallnussbäumen umschattet, unter grossen,^) von Epheu umrankten Eichen; und ein grüner Anger führt zur Seite zu dem Port dieses Gebirges und ladet die Ein- bildungskraft zu neuen Aussichten in ein andres gleich roman- tisches Thal ein. Durch die herumliegenden Berge, wie durch eine schützende Mauer, gegen Kälte und Wind gesichert, gedeihen hier Feigen- und Maulbeerbäume, die einige tausend Schritte davon,

^) „erscheint" verbessen aus „wird". *) „enge" verbessert aus „fruchtbare". *) „weisse" verbessert aus „finstere". *) „hinabführt" verbessert aus „hinabsteigt' *) „grossen'^ verbessert aus „schattigeti".

I20

Die Vasken.

auf der Höhe, in Ochandiano, *) das seinem rauheren Clima seinen Namen dankt, und im ganzen übrigen Alava nicht mehr fortkommen.

Der Weg von Mafiaria nach Durango hat nicht mehr so über- raschende, aber viele gleich anmuthige und liebliche Stellen. Allein so mannigfaltig eine Gebirgsgegend in der Natur ist, so einförmig wird ihre immer wiederkehrende Schilderung, und vielleicht hat mich der Reiz, mir Bilder zurückzurufen, die sich meiner Phan- tasie ^) fest und lebhaft eingeprägt hatten, schon zu weit geführt. Eine Reise durch ein kleines , abgeschieden lebendes Ackervolk kann in der Beschreibung kein grosses Interesse gewähren, und schon zu lange habe ich den Leser in diesen einsamen Thälern, bei Gegenständen ^) verweilt, die, ohne Reichthum und Abwechs- lung,^) nur durch die reine Individualität ihrer Züge anzuziehen vermögen. Ich eile jetzt, ihn mit beschleunigten Schritten durch den übrigen Theil meiner Wanderung zu führen ; es ist mir genug das Bild dieses kleinen aber merkwürdigen Volkes nur mit festen Um- rissen ihm in die Seele zu heften; ausmahlen kann es nur der, welcher, diese Blätter in der Hand, das Land selbst durchreist.*) Nur um jenen Zweck zu erreichen, sey es mir erlaubt, noch an einigen Punkten stehen zu bleiben, wo sich gerade ganz vorzüg- lich charakteristische Züge darbieten.

Ein solcher Punkt sind die zerstreuten Wohnungen der Land- leute in dem Thal von Durango, wo die Alt-Biscayische Sitten- einfachheit sich noch reiner erhalten hat.^) Wie ich in der Folge ^) deutlicher werde zeigen können, besteht der Kern der Vaskischen Nation eigentlich in den Ackersleuten, die zerstreut und einzeln, oft tief im Gebirge, wohnen. Die Städte sind ein fremder und späterer Zusatz; auch wer sie bewohnt, geniesst seiner liebsten Vorrechte nur dadurch, dass sein Haus zu diesem öder jenem Dorfe gehört. Den Ausdruck des Stolzes, den diese Ueberzeugung einflösst, und des trotzigen Muths, den eine rauhe und arbeitvolle Lebensart hervorbringt, im Gesicht kommen die Landleute an

*) von Otza (Vizcayisch Ocha), Kälte, und andia, gross. ') „Phantasie" verbessert aus „Einbildungskraft". '■*) „Gegenständen" verbessert aus „Bildern". '

*) Nach „Abwechslung" gestrichen: „der Gegenstände". *) „durchreist" verbessert aus „durchwan[dertj".

^) „sich hat" verbessert aus „noch weniger durch fremden Zusatz ver- unstaltet ist".

®) Nach „Folge" gestrichen: „noch".

Durango. 121

Sonn- und Festtagen zur Stadt, und wenn man sie dann, mit über einander geschlagenen Armen, auf ihren langen Stab gelehnt vor der Kirche stehen sieht, erkennt man auf den ersten Blick, dass sie die wahren Herren und Häupter ^) des Landes sind. Mehr als irgendwo, hat man sich in Vizcaya noch bis auf den heutigen Tag gegen das Uebergewicht der Städte zu bewahren gewusst; aber was noch bei weitem merkwürdiger ist, ausser ihren Mauern befindet sich das Recht der eigentlichen Obergewalt nicht in den Händen einer einzelnen abgesonderten Classe, sondern ruht auf der Nation selbst und grösstentheils auf dem ackerbauenden Theile derselben. Keine Art der Feudalverfassung hat sich in diesen glücklichen Winkel Europas eingeschlichen. Mit diesen Begriffen muss man in die Caserios eintreten, wenn man ihre ganze schöne Eigenthümlichkeit, das Leben und den Charakter ihrer Bewohner vollkommen begreifen will.

Denn, wie vermuthlich in den frühesten Zeiten seiner Be- völkerung, ist Biscaya in seinem Innern noch jetzt einzeln und zerstreut bewohnt, die verschiedenen Ackerhöfe {Caserios) liegen einsam oft in beträchtlichen Entfernungen von einander, ihre Be- wohner bilden nur dadurch eine Gemeine, dass sie zu derselben Kirche gehören, und nur um diese herum sieht man eine Anzahl von Häusern dorfartig zusammengebaut. Auch werden die Bis- cayischen Dörfer nur Ante-iglesias , Plätze vor den Kirchen ge- nannt, ein im übrigen Spanien nicht üblicher Name. In diesen abgesonderten Wohnungen nährt der Vaske den Geist der Frei- heit und Unabhängigkeit, der ihn auszeichnet, in ihnen von nichts Fremdartigem umgeben, hängt er mit leidenschaftlicher Liebe an den Eigenthümlichkeiten seiner Lebensart, seiner Nation und seiner Sprache; das kleine Feld, dem er mit Mühe die Nahrung seiner Familie abgewinnt, bildet die Stärke, das Gebirg, das er bewohnt, die Behendigkeit seiner Glieder aus, und so gewinnt sein Wuchs und seine Physionomie das Gepräge der Kraft und des Muths an dem man ihn auf den ersten Anblick erkennt. Nirgends fiel mir das so sehr als in Durango auf, da ich, am Morgen nach meiner Ankunft, den Markt besuchte, und dort die hereingekommenen Landleute versammelt antraf.

Schon ihre Tracht ist ganz eigenthümlich, und contrastiert sehr vortheilhaft mit der mehr Castilianischen der Städter.^) Schon

1) „wahren Häupter" verbessert aus „Gebieter und wahren Berather". *) „der mehr Städter" verbessert aus „dem schmutzigen Mantel und Haar-

J22 ^^^ Vasken.

Campomanes *) erklärt sich, und mit Recht, sehr kräftig gegen die beiden am meisten charakteristischen Stücke der Spanischen Kleidung, den Mantel und das Haarnetz. Der erstere hindert bei der Arbeit, und befördert die Trägheit; auch ist es bemerkens- werth, dass die Bewohner der fleissigeren Provinzen, der rüstige Catalonier und der fast maurisch gekleidete Valenzianer ihn weit weniger brauchen. Das Haarnetz {la Cofia) bringt Unreinlichkeit und Ausschläge hervor, aus welchen oft Augenkrankheiten ent- stehen. Der ächte Vizcayer hat seine ganz eigene Kleidung. Statt der Schuhe trägt er Stierlederne Sohlen, die nur einen kleinen umgebogenen Rand haben und ^) mit Bindfaden zugebunden sind, die aharcas deren schon in den ältesten Zeiten^) Erwähnung geschieht.**) Sie sind zum Klettern im Gebirge bequemer, als Schuhe, und Sancho, König von Navarra, bediente sich ihrer im 10. Jahrhundert für sich und sein Heer um bei tiefem Schnee über die Pyrenaeen zu gehen, wodurch er den Beinamen Abarca erhielt.***) Strümpfe sind unter dem Vizcayischen Landvolk nur erst seit kurzem und meistentheils bei den Weibern üblich. Die Männer wickeln wollene, gewöhnlich mit schmalen schwarzen Streifen versehene Tücher um die Beine, die mit den Bindfaden der Abarca festgebunden werden. Die Farbe der Hosen ist meistentheils schwarz, und die Weste roth. Um die Weste wird eine Binde (Spanisch faxa)^) getragen. Die Stelle des Mantels oder Rocks vertritt die Longarina, eine weite ^) Jacke mit langen Schössen und Aermeln. Wer sie noch nach altem Brauch trägt, hat die Aermel nur an der Jacke mit Bändern oder Knöpfen be- festigt, um sie, wenn es nöthig ist, losmachen und hoch hinten

*) Seinem allgemeinen Systeme, die Mauren zu Urhebern fast aller üblen Gewohn- heiten in Spanien zu machen, getreu, leitet er auch von ihnen den beständigen Ge- brauch des Mantels her. Er gesteht aber selbst, dass die Spanier denselben noch viel unbequemer und den körperlichen Bewegungen hinderlicher gemacht haben. Discur- sos sobre la educacion populär de los artesanos. p. 122. **) Vgl. Du Gange Glossar, v. abarca.

***) Die Abarcas des Südlichen Spaniens sind die Alpargates in Valencia und Catalonien, aus Stricken von Spartum zusammengesetzte Sohlen. f ) von fascia.

netz Castiliens, wie sie bei den meisten Städtern auch in Vizcaya üblich sind. Der ächte Vizcayer kennt den Mantel . . . ."

^) Nach „und" gestrichen: „oben über den Fuss".

^) „in Zeiten" verbessert aus „bei Schrift[stellern] in dem 10. Jahrhundert".

*) „weite" verbessert aus „lange".

Durango. I23

überwerfen zu können, und so freier bei der Arbeit zu seyn. Die Longarina ist gewöhnlich dunkelbraun oder schwarz. Den Kopf deckt eine schwarze, spitzige, helmartige Mütze, vorn mit einem dreieckigen Aufschlag von schwarzem Sammet. In der Hand halten sie einen langen Stock, manchmal auch unter der Jacke einen kurzen, besonders nach unten zu dicken Knittel, Cachiporra genannt eine Art Dolch für sie, da, wie ich weiter oben sagte, jener lange Stock bei ihnen die Stelle des Degens vertritt. In diesem Anzug sieht man sie nach der Kirche auf den Märkten der Städte, wo wahre kleine Volksversammlungen sind, da die Gebirgsbewohner, um. in der Woche keine Zeit zu ver- lieren, ihren kleinen Einkauf am Sonntag besorgen, von allen Altern stehen, bald einzeln und ruhig mit unter die Schultern gesetztem Stock und übergeschlagenen Beinen, bald in Haufen in lebhaftem Gespräch, meistentheils in mahlerischen Stellungen und Gebehrden, da die natürlichen Bewegungen eines A'^olks von freiem Sinn und ausgearbeitetem Körper immer schon durch sich selbst der Kunst günstig^) sind.

Der Anblick dieser kräftigen und frohgesinnten Menschen lud mich ein, sie in ihren Wohnungen aufzusuchen, und fast jeden Nachmittag machte ich einen Spaziergang nach einem der nah gelegenen Ackerhöfe. Durango liegt in einer fruchtbaren Ebne, und nach welcher Seite man sich hinwenden mag, öfnen sich lieblich geschlängelte Fusssteige durch frische dichtverwachsne Eichengehölze, von denen viele mit lebendigen Hecken umzäunt sind. Reichlich durchrieselt von kleinen Bächen bieten sie das schönste Gras und den würzigsten Blumengeruch dar; überall drängt sich die Vegetation in froher Ueppigkeit, und Brücken, Baumstämme und Zäune sind von dem dichtesten Epheu über- rankt. Man glaubt sich in den kleinen Gehölzen zu verlieren; so dick scheinen sie beim ersten Anblick. Auf einmal sieht man Licht ; man tritt heraus und ein lachendes Saatfeld liegt da, wieder rings von kleinen Waldungen umschlossen, durch die man wieder ländliche Wohnungen durchschimmern sieht. Erreicht man dann einen solchen freieren Platz gerade beim Sinken des Tages, so geniesst man des herrlichsten Schauspiels; auf den Gipfeln der hohen südwärts gelegenen Gebirge ruhen dichte Wolkenmassen, gegen Norden schneidet sich die mildere Gebirgsreihe in freund-

^) „günstig" verbessert aus „vortheilhaft".

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lieber Klarheit vom heitern Himmel, und aus den niederen Oef- nungen in Nordwesten gegen das Meer zu flutet purpurschimmern- des Abendroth her.

Ich besuchte eines Nachmittags einen Meierhof auf den Bergen, die nach Manaria zu liegen. Die Häuser sind, mit wenigen Ver- schiedenheiten, alle auf dieselbe Weise gebaut, gewöhnlich von zwei Stockwerken, halb aus Holz, halb aus Steinen, mit flach ablaufenden Dächern, ohne Schornsteine. Beim Eintritt ist eine freie Vorlaube,^) in der Mitte auf eine hölzerne oder steinerne Säule gestützt, und zu beiden Seiten stehen zwei stämmige Wein- stöcke, die ihre dichtbelaubten Ranken in der Mitte des Hauses "brüderlich in einander verschlingen. Manchmal ist auch einer mächtig genug, allein das ganze Haus zu umschatten. In der Vorlaube '^) lagen die Wagen und Ackergeräthschaften, und unter einer bejahrten Eiche waren Blätter zu künftigem Dünger auf- gehäuft. Als Versammlungsort der Famflie, in den wenigen, von FeldArbeit freien Stunden, dient die Küche. Die kleinen Kammern daran werden nur zum Schlafen, und zu einigen häuslichen Ge- schäften, z. B. zum Leinweben gebraucht. Oben sind Böden, und unmittelbar an der Küche der Stall.

Das Haus wurde von einer Wlttwe mit ihren Kindern be- wohnt. Der schon erwachsene Sohn kam mit dem Gespann von der Arbeit zurück. Lange hörten wir das knarrende Pfeifen des ^) Wagens, ehe die Ochsen sich mühsam auf dem geschlängelten Pfade den Berg hinaufwanden. Wie er ankam versammelten sich seine jüngeren Brüder um ihn, und halfen ihm ausspannen, die oben rund mit einem Korbe umgebene Karre in die Vorlaube*) schieben, und die Ochsen in den Stall lassen. Kaum waren sie darin, so streckten sie treuherzig ihre Köpfe in die Küche und forderten den Lohn des sauern Tagwerks. Denn der treue Ge- fährte der Arbeit ist hier nicht vom traulichen Familienkreise ausgeschlossen. Die Krippe ist in der Küche an der Wand, welche sie vom Stall absondert, angebracht, und in der Wand sind zwei Oefnungen durch welche die Thiere den Hals stecken. So wird Unreinlichkeit vermieden und der Landmann hat doch immer die beiden wichtigsten Stücke seiner Wirthschaft unter

^) „eine freie Vorlaube" verbessert aus „ein freier Vorßiir". ") „In der Vorlaube" verbessert aus „Im Vorßur". ^) Nach „des'' gestrichen: „kleinen". *) „die Vorlaube" verbessert aus „den Vorflur".

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unmittelbarer Aufsicht. Auch kann er niemand verhehlen, wie er sie hält, der Nachbar und der Fremde, die ihn besuchen, haben sie beständig vor Augen und bekommen dadurch einen untrüg- lichen Begriff seiner Wirthschaftlichkeit oder Nachlässigkeit. Daher wird, so oft von der Arbeitsamkeit, der Rechtlichkeit, oder der Wohlhabenheit eines Landmanns die Rede ist, nie seiner Rinder und ihrer Stärke und Schönheit vergessen.^)

Pferde sieht man selten in Biscaya da Gebirgsgegenden ihrem Gebrauch nicht bequem sind. Auch scheint das Pferd mehr für die beiden Endpunkte der menschlichen Gesellschaft, das Nomaden- und das hoch civilisirte Leben, als für den Uebergang aus dem einen in das andre, den Ackerbau geschaffen. Diesem eignet sich besser die ausdauernde Stärke, der schwerw^andelnde, aber kräftige Gang, und der arbeitselige, geduldige Sinn des Stieres. Immer unverdrossen ganze Tage hindurch dasselbe Ackerstück umgehend, um mit saurer Arbeit Furche an Furche mühsam in den festen Boden zu schneiden, und am Abend zufrieden mit massiger und geringer Nahrung schickt er sich besser zu den gewiss aber lang- sam heranreifenden Hofnungen des Landmanns, in ein Leben, dessen Kreis mit jedem Herbste geschlossen ist, um mit jedem Frühling neu zu beginnen.

Beim Herabsteigen vom Berg begegneten uns die Töchter des Hauses, mit schweren Säcken auf dem Kopf, in denen sie Mehl aus der Mühle trugen. Es war schon spät; der Abendstern funkelte hell, und von den entgegengesetzten Bergen schienen^) Feuer von Gesträuch herüber, das man verbrannte, um den Boden zur künftigen Bearbeitung aufzulockern.

In einem andern dieser Meierhöfe war schon mehr Wohl- stand anzutreffen. In der Küche lag ein grosses Ciderfass, die Kammern waren reinlicher, die Betten künstlich geschnitzt, und unter jedem eine feine Strohdecke zur Bequemlichkeit des Ein und Aussteigens. Ein gesprächiger Alter zeigte uns alles Einzelne

^) Diese beiden Sätze Messen ursprünglich: „Diese Sitte hat aber auch noch einen andern, gleich flicht unbedeutenden Nutzen. Da der Arbeitsstier so unzertrennlich von der Familie ist, so giebt der erste Eintritt ins Haus einen deutlichen Begriff" von der Wirthschaft seiner Bewohner. Wer des Stieres nicht pß^gt, den er in Jedem Augenblick vor Augen hat, dessen Feld ist gewiss nach- lässig bestellt, dessen innres Hauswesen unordentlich, und es ist daher ein eigner Stolz des Vizcayischen Landmanns dem Nachbar und dem Fremden, der ihn besucht, sein Gespann in seiner ganzen Stärke und Schönheit zu zeigen."

*) „schienen" verbessert aus „leuchteten".

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darin, vorzüglich hielt er sich mit Wohlgefallen bei den Kleidungs- stücken auf, welche der fleissige Hauswirth fast alle selbst macht. Vor allem wurden hier die Abarcas, als das eigenthümlichste Stück nicht vergessen. Es lag in der Ecke ein eben halb dazu zuberei- tetes Rindsleder. Die Haut wird bloss aufgespannt, getrocknet, mit etwas Salz und Asche eingerieben, und dann in länglichte Streifen geschnitten. Auf diese zeichnet man nach einer hölzernen Form die einzelnen Abarcas ab, und sobald diese ausgeschnitten sind, ist die Arbeit auch so gut als fertig. Denn nun werden nur auf den Seiten die Haare ein wenig abgekratzt (die eigentlich rauhe Seite bleibt, als Sohle, dem Boden zugekehrt) und Löcher eingeschlagen, durch die man die Bindfäden zieht, womit man die Abarca beim Anziehen um die wollenen statt der Strümpfe dienen- den Tücher ^) befestigt.

Bei den grösseren Höfen findet man noch zwei andre Gebäude, das Korn- und das Viehhaus.

Das erstere, Garaija*) hat, nach der eigentlichen Landessitte gebaut, eine wunderbare Gestalt. Auf vier grossen Steinen stehen vier steinerne abgestumpfte Pyramiden. Auf jeder liegt ein runder behauener Stein, wie ein Mühlstein, und auf diesen ruht ein vier- ecktes hölzernes Häuschen, unsern freistehenden Taubenschlägen ähnlich. Um dasselbe herum ist eine Art Gang in welchem Bienenkörbe stehn. Vorn geht eine steinerne Treppe daran hinauf, der aber oben eine Stufe fehlt, so dass man da einen doppelt grossen Schritt machen muss. Seitdem aber die Mäuse und Ratten, auf welche diese ganze Bauart berechnet ist, nicht mehr die gefährlichsten Feinde der Kornböden sind, ist diese Gattung derselben sehr abgekommen, und wir hatten auf einem langen Spaziergange Mühe, nur einen einzigen anzutrieffen.

Das Viehhaus, Abelechea^*) ist ein offener Schuppen unter dem sich das Vieh versammelt und gefütten wird.

Es gewährt ein eignes, belohnendes Vergnügen die Details dieser kleinen Wirthschaft zu durchgehen. Die Unabhängigkeit, der Wohlstand und die Frohmüthigkeit der Bewohner dieser Stätten zeigt, dass nicht Noth oder Unterdrückung sie zu dieser Lebensweise zwingt, sondern eigne Wahl und Gewohnheit dazu einladet. Die Phantasie gefällt sich in dieser Beschränkung, weil

*) Von Garaitli, steigen, Hochort. **) von Aberea, Vieh, und echea, Haus. ^) „Tücher'' verbessert aus „Decken'^

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sie in dieselbe, in einer Art willkührlicher Täuschung, alle Fe- derungen, alles Streben hinüberträgt, dem sich der Geist in seinen freiesten und kühnsten Aufschwüngen überlässt, und dadurch den Schranken selbst eine Bedeutung giebt, die für den, welcher na- türlich in ihnen lebt, nicht vorhanden ist. Es ist eine reine und edle Form mehr, an der sich der Mensch versucht, und man würde sich irren, wenn man den Reiz, den die Beobachtung ein- facher Lebensweisen, selbst roher und uncultivirter Völker mit sich führt, nur dem Ueberdruss an übermässiger Civilisation, und also einer bloss sentimentalen, durch Contrast starken Empfindung zuschreiben wollte. Wo der Mensch, ausgebildet oder roh, rein an Sitten, oder wie er von den ersten Momenten seiner Existenz an ist, mehr oder weniger verdorben, nur in seiner Geistigkeit und der sittlichen Freiheit vom augenblicklichen Eindruck, wo er so, als Naturwesen erscheint, da gewährt er den erhabensten und den beruhigendsten Anblick. Wenn man ein wildes Volk sich eine Sprache bilden sieht, die den ganzen Umfang menschlicher Gefühle ausdrückt, und das Gepräge planmässiger Ordnung^) an sich trägt, ohne irgend eine der Stufen zu entdecken, auf welchen es dazu gekommen ist, oder vielmehr indem man deutlich fühlt, dass keine solche Stufe da war, dass das Wunderwerk aus dem Nichts und auf Einmal entstand; wenn man die Elemente der höchsten und feinsten Empfindungen da antrift, wo der Charakter sich, ohne alle Bearbeitung, seinen ursprünglichen Regungen über- lässt; dann erst gewinnt man Vertrauen zu der Menschheit und der Natur, und glaubt die Grundkräfte beider in irgend einer noch unbekannten Tiefe verwandt. In der letzten geistigen Ver- feinerung zu der nur in Zeiten hoher Cultur der Einzelne ge- langt, scheint der Mensch ein einsamer Fremdling in der Natur der sich mit überkühnem Streben von ihren gewöhnlichen Bahnen entfernt.-)

Noch wichtiger und interessanter aber erscheinen diese zer- streuten ländlichen Wohnungen, wenn man ihren Einfluss auf das Land und den Volkscharakter bedenkt. Es ist unläugbar, dass Biscaya Vorzüge vor den übrigen Spanischen Provinzen hat, dass die Biscayer allen andern Spaniern in Betriebsamkeit, Fleiss und Geschicklichkeit auf das mindeste gleich sind, und dass an

^) „Ordnung" verbessert aus „Regelmässigkeh".

^) Nach „entfernt" gestrichen : „und fürchtet und fühlt nur zu oft ihre ahn- dende Rache".

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Volksaufklärung, an wahrem Patriotismus und achtem National- stolz keine Provinz sich den Biscayischen gleich stellen darf. In wie manchen anderen Umständen dies auch zugleich mit liegt, so trägt doch die jetzt beschriebene Vertheilung des Landes, und die Lebensart des ackerbauenden Theils der Nation gewiss das Meiste dazu bei. Der Mensch muss nicht bloss ein Eigenthum haben; er muss es auch abgesondert und, wo möghch, einsam und der Natur nahe, bewohnen, wenn sich ein gewisses Gefühl von Selbstständigkeit und Kraft in ihm entwickeln soll. Dass das Landvolk, wie es in so vielen Provinzen Spaniens der Fall ist, nicht in Dörfern, sondern in Städten und Flecken zusammenwohnt, ist gewiss auch für den Charakter nachtheilig. Nur wo der Be- sitzer seine Besitzung immer vor Augen hat, wird er ganz eins mit ihr; auch ist in Städten imrner mehr Unreinlichkeit, Dürftig- keit und Müssiggang, und diese beiden letzteren vorzüglich sind weniger beschämend, da sich der einzelne unter der Menge ver- Hert. Wer Frankreich, Spanien und Italien durchreist hat, wird mit Verwunderung bemerkt haben, dass, in den meisten Gegenden dieser Länder, das Landvolk gar nicht eine so durch Wohnung, Kleidung und Sitten abgeschiedene Classe als in Deutschland aus- macht, und wer den Ursachen und den Folgen dieser Erscheinung nachdenkt, der wird finden, dass der Nachtheil davon nicht bloss unmittelbar in dem Volkscharakter, sondern selbst in der ge- bildetsten Gesellschaft der Nation, in der Sprache und der Litteratur fühlbar ist.

Da ich gerade einen Sonntag in Durango war, versäumte ich nicht den Tanzplatz zu besuchen, auf dem man sich in kleineren, mitten im Lande liegenden Orten zahlreicher und mit mehr An- theil versammelt, als in grösseren Städten, in denen die Liebe zu den vaterländischen Sitten schon erkaltet ist. Der Tanz trägt in Biscaya noch ganz den Charakter einer Volkslustbarkeit an sich. Man tanzt öffentlich auf dem Markt, ohne Unterschied des Standes, an allen Sonn- und Festtagen, auf Kosten der ganzen Gemeine und unter öffentlicher Aufsicht, und verschiedene Orte unter- scheiden sich ebensowohl durch verschiedene Tänze die nur diesem oder jenem ausschliessend angehören, als durch Ver- fassung und Dialect. Gleich nach dem NachmittagsGottesdienst ging der Tamborilero auf dem Markte spielend herum. Er hat eine kleine länglichte Trommel an einem Bande vorn über den Schultern hängen, und im Munde eine kleine Flöte mit nicht

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mehr als drei Oefnungen. Die Trommel hat keine Schellen und ist also durchaus verschieden vom sogenannten Tambour des Bas- ques, das überhaupt mit Unrecht seinen Namen führt, da es auf keinerlei Weise mit der Nationalmusik und dem Nationaltanz der Vasken zusammenhängt. Der Tamborilero spielt nun Flöte und Trommel zugleich. Die Flöte, die gerade aus dem Munde herunter hängt, regiert ^) er mit der linken Hand ; mit der Rechten schlägt er die Trommel mit Einem Schlegel. Er w^rd von der Gemeine unterhalten und besoldet, da der sonntägliche Tanz, ebensowohl als irgend etwas andres, ein Stück der NationalVer- fassung ausmacht. Lange aber blieb das Tamboril einsam auf dem Platz und diente nur den Kindern zur Belustigung. Die Erwachsnen waren noch beim Ballspielen versammelt. Denn diess Spiel hat für die Biscayer einen alles überwiegenden Reiz, und lange mussten die auf dem Tanzplatz schon ungeduldig ver- sammelten Mädchen warten, ehe die Tänzer erschienen. Der Tanz, der gewöhnlich des Sonntags getanzt wird, heisst carrica- dantza.*) Nachdem ein alter Alguazil, mit schmutzigem Mantel und einem grossen Stock, den Platz von Kindern und andern Zuschauern gereinigt hatte, fassten sich 12 bis 15 junge Leute bei der Hand, und zogen in einer Art Marsch, den Tamborilero an ihrer Spitze, ein Paarmal um den Platz herum. Nur der Vor- tänzer machte eigentliche Pas, die aber^) nichts Eigenthümliches hatten, die übrigen folgten ihm bloss gehend. Nach einigen Um- gängen trat ein Tänzer aus der Reihe, holte ein Mädchen und gab sie dem Vortänzer. Dieser empfing sie mit einigen Compli- menten und nun begann ein neuer Umgang. •'^) Das Mädchen darf die Aufforderung, und wäre sie die vornehmste, auch dem geringsten nicht abschlagen; je mehr aber, auch in Biscaya, die Stände sich gesellschaftlich absondern und die alten Sitten ein- schlafen, desto mehr bleibt jetzt dieser Tanz nur den niederen \^olksclassen überlassen. Bei dem Empfange der ersten Tänzerin findet manchmal ein eigner Tanz zwischen ihr und dem Vor-

*) Tanz auf ofner Strasse. Das Wort dantza muss man nicht zu voreilig für bloss aus dem Französischen aufgenommen halten. In sehr vielen Sprachen wird dieser Begriff durch diesen Laut bezeichnet, der vermuthlich eine Onomatopoeie von dem Auftreten der Füsse (dan, dan) ist. Auch im Galischen ist damhsair, ein Tänzer, im BasBretonschen : dansa, im Irländischen yun donnsy, tanzen.

^) „regiert" verbessert aus „spielt".

^) ISach „aber" gestrichen: „soviel ich wenigstens sah^'.

*) In diesen drei Sätzen sind alle Präterita aus Präsentien verbessert.

\V. V. Humboldt, Werke. Xm. 9

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Die Vasken.

tänzer Statt, der Chipiritaina*) genannt wird, und in Touren be- steht, die beide allein mit einander machen. Nach einigen neuen Umgängen wurde eine zweite Tänzerin geholt, welche dem letzten in der Reihe zu Theil wird. Sobald diese zwei Ehrenplätze, um die oft blutige Händel zwischen ganzen Ortschaften entstehen, vergeben sind, so hört alles Feierliche des Tanzes auf, und aus- gelassene Lustigkeit tritt an die Stelle. Jeder läuft aus allen Kräften und holt sich nach Gefallen ein Mädchen; es bildet sich nun wieder eben solche Reihe, als vorher, aber nun ist alles in Bewegung, alles springt, schwingt und zerrt sich hin und her, und Tänzer und Tänzerinnen suchen sich auf die unsanfteste Weise dos a dos gegeneinander zu stossen. Diese sogenannten Culadas ein ganz eigenthümliches Stück dieses Basquischen Tanzes spielen dann eine Hauptrolle, und es ist gut, dass die Tänzerinnen gewöhnlich nicht sehr zarter Natur sind, sonst müssten sie, von ihren beiden Nebentänzern ohne Schonung bald gezerrt, bald angerannt, nicht wenig leiden.^) Während dieses Theils des Tanzes werden Zorfzico's gespielt, deren Tact sich eigen zu demselben schickt.

Ihm folgen Fandangos. Die Reihe trennt sich, jeder Tänzer stellt sich allein seiner Tänzerin gegenüber, und beginnt den Fan- dango. Bis hieher war der Tanz ächte Volkslust, ein ausgelassenes Laufen, Springen, Zerren und Stossen, nur durch den Takt der Musik in einiger Regelmässigkeit erhalten, aber es war nirgends etwas die Sitten Beleidigendes. Der Fandango hat hier, wie überall mehr oder weniger seinen eigenthümlichen ^) Charakter. Doch muss man wissen, dass er es seyn soll, um ihn hier wieder- zuerkennen.

Man streitet, ob der Fandango, so wie ihn einige wirklich aus der Mancha herleiten, ein ursprünglich Spanischer, oder ein Amerikanischer Tanz sey, und vermuthlich sind beide Behaup- tungen zugleich wahr. An sich (denn man muss den wahren Fandango nicht mit demjenigen verwechseln, den man auf dem Madrider und andern Theatern sieht, und ihn noch weniger nach

*) Tipia, Chipia, chiquia, heisst klein. Inwiefern aber dieser Tanz von diesem Wort seinen Namen erbalten hat, kann ich nicht bestimmen, da ich nie Gelegenheit hatte, den Tanz selbst zu sehen.

') „sonst leiden" verbessert aus „da sie auf keine Weise schonend be- handelt werden".

^) „eigenthümlichen" verbessert aus „schlüpfrigen".

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den immer übertriebenen Schilderungen der Reisebeschreiber ^) beurtheilen) ist er ein einfacher, dem natürlichen Ausbruche der Lustigkeit so durchaus -) angemessener Tanz, dass es lächerlich seyn würde, seinen Ursprung von jenseits des Oceans herzuholen. Die besondren Modificationen aber, die er nachher, und besonders im südlichen Spanien annimmt, sind wohl unläugbar aus Amerika herübergekommen. Wenigstens versichern alle, die dort waren, dass man auf den Inseln und in den SpanischAmerikanischen Besitzungen dieselben Tänze, nur vollständiger, mannigfaltiger und bei weitem wollüstiger und schlüpfriger wiederfindet. Die ganz eigne und charakteristische Beweglichkeit bei der Regung der Hüften wird, wie mir Augenzeugen versicherten, in den Inseln schon bei ganz kleinen Mädchen, mit einem vor sie gestellten Spiegel geübt, und der ganze Charakter der Wollust, der in diesen Tänzen herrscht, zeigt seinen Ursprung. Denn er hat nicht Nor- dische Rohheit,") sondern das sichtbare Gepräge des Einflusses eines Climas, das, indem es die Stärke der Leidenschaft entflammt, die Kräfte*) entnervt, der ganze Körper scheint sich in lauter Gelenke aufzulösen, aber ist Eine, und von Einem Gefühl, dem die ganze Seele zu erliegen scheint, beseelte Regung. Sein Wesen selbst besteht in schlüpfriger Wollust, die Hauptsache bei ihm sind nicht sowohl die Verschlingungen der Touren und die Pas, als die Stellungen und Wendungen des Körpers. Das gewaltsame Bewegen der Arme, besonders in den Schultern, das Aufstampfen der Füsse, das ewige Regen des Rückens und der Hüften, andrer Bewegungen nicht zu gedenken, an die sich jeder Augenzeuge erinnern wird, alles drückt die Gegenwart der heftigsten Begierde aus, und dies macht, dass dieser Tanz, unpartheiisch beurtheilt, weder edel noch graziös, sondern in seiner anständigeren Behandlung ein- förmig, in seiner Aechtheit nur der Sonderbarkeit wegen interessant ist. Indess reisst sein Feuer immer auch den Zuschauer mit hin, und bei den Spaniern bringt, wie ich oft mit Verwunderung gesehen habe, der erste Schlag der Castanuelen eine wahre Begeisterung hervor; Männer und Frauen, jung und alt, alles begleitet den Takt mit

^) „Schilderungen der Reisebeschreiber''' verbessert aus „Beschreibungen der Reisenden".

^) „durchaus" verbessert aus ,.natiirlich".

^} „nicht Nordische Rohheit" verbessert aus „weder Nordische Rohheit, noch Maurisches Feuer".

*) ,,die Kräfte" verbessert aus „den Körper".

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Die Vasken.

Minen und Bewegungen. Meister in dieser Gattung des Tanzes sind die Zigeuner {Guanos) in Andalusien und dem Königreich Granada, einige, die ich dort sah, waren wirkliche Ideale bloss dem sinnlichen Genuss unterliegender Naturen.^) Auch treiben immer mehrere unter ihnen, wie die Phäaken an Alkinoos Hofe, nichts als Tanz und Belustigung. Aller Arbeit und Mühe feind, scheint sich ihr Körper, ohne alle nahrhafte Speise (da sie meist nur hitzige Getränke und Kuchen geniessen), nur durch sein eignes Feuer zu erhalten. Dabei sind sie weich, gutmüthig und selbst zart; Naturmenschen, die sich, ohne andre Betrachtung, dem Ein- fluss eines entnervenden Climas überlassen.

Ganz und gar entblösst^) von diesem Charakter weichlicher Wollust, ist der Fandango in Biscaya der rohe, ich möchte sagen, ursprüngliche Naturtanz, wohl auch unanständig und obscön (obgleich nicht allgemein, und seinem Wesen nach, sondern nur bei einem oder dem andern Tänzer) aber nie schlüpfrig. Auch kennt man in Biscaya seine verschiednen Abarten nicht, und Vo- lero, Zorongo, Zapateado u. s. w. sind hier unbekannte ^) Namen, ja er selbst ist wahrscheinlich ein fremder Zusatz, so wie der Englische Contretanz, welcher die sonntägliche Fröhlichkeit be- schliesst. Die ächten Nationaltänze Biscayas tragen alle einen höheren und edleren Charakter, den der Volkslustbarkeit an sich, und zeichnen sich vielmehr durch Anstand und Würde aus, und noch mehr war dies in vorigen Zeiten der Fall, wo sich der vor- nehme Theil der Nation noch weniger, als jetzt, von dem Volke und den vaterländischen Sitten absonderte, wo die Obrigkeiten dem Tanz mehr ihre besondre Aufmerksamkeit widmeten, oder die Geistlichen entweder minder dagegen sprachen, oder ihr Eifern weniger geachtet^) wurde. Als besonders gravitätisch führt man einen Tanz an, der mit einem Rund anfing, in dem Tänzer und Tänzerinnen sich an Schnupftüchern festhalten. Damals war auch der Tanz künstlicher und die Pas waren genau nach der Melodie und der Versstructur des Zortzüo's berechnet.

Bei der ebenbeschriebenen Carricadantza ist mehr die öffent- liche Autorität unter der sie getanzt wird, als der Tanz selbst

^) Nach „Naturen" gestrichen: „und die Wollust war dergestalt in ihre Natur übergegangen, dass sie dadurch. . . ." ^) „entblösst" verbessert aus „entfernt".

^) Nach „unbekannte" gestrichen : „oder nur von der Fremde hereingebrachte'^ *) „geachtet'^ verbessert aus „gehört".

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merkwürdig. Allein die ausschliessend Vaskischen Nationaltänze, die vermuthlich eines älteren Ursprungs sind, gleichen mehr unsern Ballets, sie sind Vorstellungen von Handlungen, oder gleichsam gesellschaftliche Spiele. Fast jeder Ort hat in dieser Art einen ihm eigenthümlichen, der aber gewöhnlich, wie eine Art öffent- lichen Aufzugs nur beim Frohnleichnamfest, oder am Johannistag, oder am Namenstag des Schutzpatrons des Orts getanzt wird.

So ist in Ernani die Acheridmitza, der Fuchstanz üblich. Alle Tänzer hocken sich, jeder zwei kurze dicke Knittel in der Hand, in einer Reihe hintereinander nieder und der Hintermann hält immer den vor ihm sitzenden beim Fuss. Einer allein steht und hält einen Feuerbrand im Munde. Mit diesem sucht er die andern zu küssen, und sie müssen ihn sich abwehren, ohne in ihrer be- schwerlichen Lage das Gleichgewicht zu verlieren. Auf dieses Spiel folgt hernach eine Belustigung mit einem jungen Stier. Ein Theil der jungen Leute ^) geht in den Stall und reizt ihn hinaus- zugehn. Der andre wehrt ihm den Ausgang. Ist das Thier endlich durch sie hinweg herausgesprungen, wird es geneckt und gejagt. Dies Vergnügen am Hetzen der Stiere ist durch ganz Spanien allgemein.^) Ein alter Mann auf einem Caserio bei Du- rango, der mir seinen Ochsen zeigte, freute sich kindisch, da der Ochse auf seine Hand stiess als er ihn neckte, darauf, wie wild der bei der nächsten novülada (Stierhetze) seyn würde, und jedes- mal ehe ein Stier geschlachtet wird, dient er erst der Stadt zum Vergnügen. Man lässt ihn auf einem freien Platz an einem langen Strick herumlaufen, und neckt ihn mit Mänteln, Mützen und Schnupftüchern, oder zieht ihn bald hier, bald dort bei dem Strick, der meistentheils schlaff auf der Erde liegt. Dazu spielt der Tam- borilero, der beständige Begleiter jeder Volkslustbarkeit, und wenn der Stier müde zu werden anfängt, reizt man ihn mit Hunden. Einige Alcalden untersagen jedoch das Spiel, denn wirklich sind, so oft es vorgenommen wird, die meisten Werkstätte leer, und ich selbst sah wohl 50 bis 100 Menschen einem solchen Stier nach- laufen.

Ein andrer in Azcoitia üblicher Tanz {Toalladantzd) besteht in einem Wettlauf. Die Laufenden halten aber je zwei und zwei ein langes Band an beiden Händen fest und laufen so neben

') yji<f^gen Leute" verbessert aus „Tänzer".

^) Nach „allgemein" gestrichen: „Ehe ein Ochse geschlachtet wird, hetzen ihn die Jungens an einem Strick mit Hunden um oder selbst in der Stadt."

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einander. Das Paar das von hinten dem andern zuvorlaufen will, wirft sein Band über das vordere weg, und daraus entstehen, wenn sich einer oder der andre in dem Bande verwickelt, viele komische Scenen, manchmal aber auch, wenn das Band sich um einen der Laufenden schlingt und er fortgeschleift wird, Ver- letzungen und Unglücksfälle. Die meisten dieser Tänze haben ihre eigne nur für sie bestimmte Musik.

Noch gefährlicher, aber acht vaterländisch ist der Knütteltanz, Troklua. Acht junge Bursche machen, jeder einen dicken und langen Strick in der Hand, allerlei Tanztouren, indem sie mit den Knütteln gegeneinander schlagen. Alle Schläge geschehen nach dem Tact, und mit grosser Praecision, und indem der eine schlägt, parirt der andre, indem er den Stock, bald unten, bald oben, mit beiden Händen horizontal vorhält. . Da die Tanzenden sehr heftig zuschlagen, so brechen manchmal die Knüttel beim Pariren und dann entstehen wohl Verwundungen, sonst nicht, da sie eine grosse Geschicklichkeit im Treffeh und Abwehren besitzen.

Friedlicher, wie das Geschäft, das er nachahmt, ist der Hacken- tanz, jorraidantza. Die Tanzenden haben ^) Hacken in der Hand, und thun erst als ob sie den Boden nach dem Takt umhackten, dann heben sie die Hacken in die Höhe und machen ^) verschiedene Schwingungen damit.

Es würde unnütz seyn, noch mehrere dieser Tänze, deren Charakter hinlänglich aus den obengenannten erhellt, anzuführen. Ich verweile nur noch einen Augenblick bei zweien, die mir darum merkwürdig scheinen, weil sie vielleicht uralte Ueberreste der ursprünglichen Sitten sind; es sind dies die Espatadantza und die Dantzariadantza.

Tmv Espatadantza, Degentanz, gehören 30 40 junge Leute. Alle sind im Hemde, mit einem Scapulier um den Hals, und halten dergestalt wechselseitig Degen in den beiden Händen, dass der eine die Spitze, der andre das Gefäss anfasst. Der Anführer vereinigt in seinen beiden Händen die Spitzen von vier Degen; diejenigen welche von diesen die Gefässe halten, fassen zugleich wieder andre Spitzen und so wird die Linie nach hinten zu immer breiter.^) Auf diese Weise ziehen sie in verschiedenen von Musik begleiteten Touren und Wendungen durch die Strassen des Orts

^) Nach „haben" und „machen" gestrichen: „alle" ^) „breiter" verbessert aus „länger"'.

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nach der Kirche. Dort angekommen, treten 5 bis 6 der geschick- testen, jeder mit zwei Degen vor den Hochaltar, verrichten jeder ihre Kniebeugung, und machen dann solche Bewegungen und Verzerrungen mit dem Körper und den beiden Degen, dass man glauben sollte, sie verwundeten und durchstächen sich in jedem Augenblick. Dabei sehen sie immer von Zeit zu Zeit auf den Altar und knieen dabei nieder.

Mit diesem in Guipuzcoa üblichen Tanze, den ich aber nicht selbst zu sehen Gelegenheit hatte, möchte ich den zweiten, der jetzt Durango angehört, in Verbindung setzen, und den man besser einen Schildtanz nennen würde. Er wird jetzt nur noch von Kindern getanzt und macht eine der Feierlichkeiten beim Frohn- leichnamsfest aus. Acht Knaben stehen in 4 Paaren hinter ein- ander, und einer, welcher der König heisst, mit einer Fahne in der Mitte. Dieser beginnt den Tanz, macht erst Schwingungen mit seiner Fahne, und bedeckt damit die Tänzer, dann tanzen diese und verändern unter einander zu verschiedenen Malen die Plätze. Hierauf wechseln Einzelntänze mit allgemeinen ab, und zwar werden die ersteren erst von einem allein, dann von zweien, dann von dreien, und endlich von vieren so getanzt, dass der Tanz jedesmal die ganze Reihe durchgeht und alle einzeln daran kommen. Ist dies vollendet, so empfängt jeder eine runde me- tallne, schildförmige Scheibe mit einem eisernen Griff daran; die Knaben theilen sich in zwei Haufen, und schlagen unter bestän- digem Verändern ihrer gegenwärtigen Plätze diese Scheiben in einem regelmässigen Takt, bei dem immer auf einen leisen ein lauter Schlag folgt, an einander. Wann dies eine Zeitlang ge- währt hat ordnen sich alle in Einer Reihe hintereinander; der vorderste tanzt allein, und geht, indem er ein Rad nach dem andern schlägt, den hintersten Platz einzunehmen; dasselbe machen ihm alle 1) nach. Nachdem darauf wieder alle zusammen tanzen, folgt die Schlussscene. Zwei treten heran, und heben den kleinsten von allen auf ihren ausgestreckten ^j und dicht zusammen gehalt- nen Händen so in die Höhe, dass er der Länge nach auf ihren äussersten Fingerspitzen ruht.^) Indem er nun still da liegt, und nur mit den Füssen nach dem Takt zittert, tanzen die andern um ihn herum.

') Nach „alle" gestrichen: „nach einander". ^) Nach „ausgestreckten" gestrichen: „Armen". ^) „ruht" verbessert aus „liegt''.

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So verunstaltet der Tanz dieser kleinen Kureten auch jetzt ist, so blickt daraus doch noch die Darstellung einer kriegerischen Scene hervor, es sey nun dass das Ende die Bestattung eines Gefallenen, oder das Emporheben des Siegers bedeuten solle. Vielleicht also gehörte er damals zu dem jetzt noch mehr aus- gearteten Degentanz. Wenigstens ist es nicht ungewöhnlich Spiele und Feierlichkeiten des Heidenthums in das Christenthum über- gehen zu sehen, und wie die vaterländischen Vornamen in Biscaya den christlichen Heiligen gewichen sind, so sind auch vielleicht diese ehemals kriegerischen Tänze nun zu kirchlichen (]ärimonien geworden, oder wenigstens mit ihnen in Verbindung getreten.

Darauf, dass es nicht in Biscaya eigentlich volksmässig ist, dass Dinge, die anderwärts (wie Tanz und Vergnügungen) der Privatneigung eines jeden überlassen bleiben, dort gewissermassen Theile der Verfassung werden, unter öffentlicher Aufsicht stehen, und eine feste durch das Herkommen überlieferte, acht vaterlän- dische, und noch dazu nach dem Geburtsort eines jeden ver- schiedene Form haben, beruhet offenbar grossentheils das, was man am Charakter des Biscayers, vorzugsweise vor andern Na- tionen, rühmt. Es befestigt die Bande, die ihn an sein Land und seine Mitbürger knüpfen, und im wohlthätigen Einfluss auf die Stärke und die biedre Rechtlichkeit des Charakters kann nichts die Festigkeit dieser Bande ersetzen. Selbst die höchste Cultur^) tritt nur unvollkommen an ihre Stelle und kann an sich auch nie auf alle Glieder einer Nation übergehen, da hingegen Vaterlands- liebe und Nationalehrgeiz im Bettler und in den Ersten des Volks nur verschiedene Gestalten annehmen. Zwar ist es natürlich, dass, mit dem zunehmenden Verkehr mit dem Auslande, diese Einrich- tungen immer mehr in Vergessenheit gerathen; es ist indess zu bedauren, dass die Obrigkeit^) selbst nicht mehr über ihrer Er- haltung wacht. Allein immerfort schläft eine öffentliche Sitte nach der andern ein.

So gab es ehemals eine jetzt abgekommene für die Unbe- scholtenheit ^) der Sitten sehr wohlthätige Feierlichkeit in Durango am Tage der Heiligen Maria de Ulibarri *) und der Heiligen Anna. Man pflegt an diesen Tagen Geschenke (meistentheils ein kleines

*) Neustadt, Ulia für Uria, Stadt, und barri oder berri, neu.

^) „Lidtur" verbessert aus „Aiisbild[iing]".

*) „ObrigkeiV verbessert aus „Regierung" .

*) „Unbescholtenheit" verbessert aus „ReinheiV.

Durango.

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Stück Geld, oft nur ein Ochavo) in den Kirchen darzubringen. Männer und Frauen thaten dies ohne weitere Caerimonie. Allein die unverheiratheten Mädchen versammelten sich in ihrem Sonn- tagsstaat strassenweis. Jede Strasse wurde von der ältesten an- geführt, und zog den Tamborilero an ihrer Spitze zur Kirchthür. Dort wurde der Zug von zwei Geistlichen teieriich empfangen, und unter dem Spiele des Tamborils und der Pfeife in die Kirche geführt, auch hernach eben so wieder hinaus begleitet. Da es das unterscheidende Merkmal der VolksTracht der Mädchen und der verheiratheten Frauen ist, dass die ersteren in blossem Haar, die letzteren mit Mützen gehen, so erschienen alle Mädchen bei diesem Aufzug in blossem Kopf, und gingen auch so in die Kirche, was sonst durchaus ungewöhnlich ist, so dass selbst die Aldeana (Bäuerin), wenn sie über Feld zur Stadt nach der Kirche geht, immer ein zusammengelegtes weisses Tuch auf dem Kopf trägt das ihr in der Kirche zum Schleier dienen soll, und dass durch ganz Spanien eine Fremde, die ohne Schleier in eine Kirche träte, sogleich herausgewiesen wird. Hatte nun ein Mädchen des Orts das Unglück gehabt Mutter zu werden, und dadurch das Recht in blossen Haaren zu gehn verloren; so litten die übrigen sie nicht mehr in ihrem Zuge, und weil sie streng darüber wachten , und niemand sich , unter welchem Vorwand es seyn mochte, von der Feierlichkeit ausschliessen durfte, so wurde die- selbe dadurch zu einer eigentlichen Sittenmusterung. Jetzt wird auch der Unterschied in der Tracht häufig vernachlässigt. Ueber- haupt aber bleibt es merkwürdig, dass Ausschweifungen unver- heiratheter Personen, wenn sie auch nicht häufig sind, doch in Biscaya wohl öfter als in Castilien vorfallen, eheliche Untreue aber im Volk fast niemals angetroffen wird. Auch finden gefallene Mädchen ohne Schwierigkeit, ja manchmal leichter, als andre, einen Mann.

An demselben Tage der Heiligen Anna, und an dem von Santiago geschah auch ehemals ein regelmässiger Umgang der ganzen Obrigkeit durch alle Strassen, bei dem sich jeder Bürger mit seinem Gewehr in der Hausthür zeigen musste. Auch dies ist sehr in ^>rgessenheit gekommen. Doch sind noch jetzt alle Biscayer verbunden, sich bei einem feindlichen Angriff verbunden in Masse zu stellen; nur hat man im letzten Kriege gesehen, wie wenig eine so zusammengebrachte Mannschaft gebraucht werden kann, und wenn es in irgend einem Punkt gut wäre, dass die

138

Die Vasken.

Biscayer gegen die Regierung von ihren Freiheiten und Rechten etwas nachliessen, so wäre es in Einführung einer ordentlichen und regelmässigen Truppenwerbung.

Der Flecken Durango, der jetzt nur etwa fünftehalbhundert Familien zählt, war ehemals ein durch seine Degenfabriken wohl- habender und angesehener Ort. Davon zeugen die Unruhen, welche mehreremale in vorigen Zeiten bei der Alcaldenwahl vor- gingen, und die oft, da der Partheigeist den höchsten Grad er- reichte, einen blutigen Ausgang nahmen. Um dies ferner zu ver- hüten, hat man die Wahl mit einer Menge von Umschweifen und Gärimonien umgeben, und lässt sie durch so viele verschiedene Hände gehen, dass die Verfassung der kleinen Republik Durango zu den verwickeltesten gehört, die ich kenne. Doch bringt die Alcaldenwürde nichts ein und dauert nur ein Jahr. Man kann daher hier, wie bei Ariosts Rittern sagen:

Nicht Schätze zu besitzen gilt es hier, noch Land. Sie streiten nur, wer Durindanen soll entsagen, wen Bajard durchs Gewühl der Schlachten tragen.^)

Die Versorgung der Stadt mit Brod, Wein, Fleisch, Oel u. s. f. ist in den Händen von 5 Regidoren, und das Volk hat eine be- sondre Sorge getragen, dass sie ihr Amt gehörig verwalten. Denn es werden nicht nur ihnen wieder zwei Aufseher gesetzt, sondern auch ein dritter der wieder diese beiden controlliren muss. Auch wählt das Volk diese drei Magistratspersonen, die sein nächstes Interesse betreffen, unmittelbarer, und nur durch die Vermittlung von 25 von ihm selbst ernannten Wählern. Die Versorgung ge- schieht übrigens, wie fast durch ganz Spanien, durch Abastos, d. h. durch Personen die es übernehmen, das Erforderliche in gehöriger Güte für einen festgesetzten Preis zu liefern, und das Recht dazu in einer öffentlichen Versteigerung durch das niedrigste Gebot erlangen. Doch kann jeder Bürger auch seinen Bedarf, wo er will, einkaufen, und selbst der Verkauf des Landwirths ist frei; nur findet der letztere freilich nicht leicht andere Käufer.

*) Am Rande steht noch folgende gestrichene Fassung der Verse. „Nicht Schätze gilt der Kampf; nur dass der minder Tapfre Durindanen soll entsagen, den Sieger Bajards stolzer Rücken tragen.^' Die Stelle findet sich im Orlando furioso jj, ']8, 6.

Bilbao.

Bilbao.

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Der Weg von Durango dahin besitzt alle Naturreize, die diesem Lande eigenthümlich sind ; er ist abwechselnd und gebirgig, allein weniger rauh, als der zwischen Marquina und Beriatua dem er indess auch an mahlerischer Schönheit weichen muss. Ohne bei den einzelnen Stellen zu verweilen, bemerke ich nur, dass man, um die Schönheit der Gegend ganz zu geniessen, bei Zor- noza von der gewöhnlichen Strasse abweichen, und bei der Eisen- hütte von Astapa vorbei über Lemona gehen muss. Die Schön- heit dieses Weges, auf dem man fast ununterbrochen an den Ufern eines klaren, aber von reizenden Gebüschen dunkelbeschatteten Baches hinreitet, ist eine mehr als hinreichende Entschädigung für den kleinen Umweg, den man macht. Von einem Berge, nicht weit von Bilbao, schaut man in ein neues Land. Die Stadt liegt von schönbekränzten Bergen und Hügeln eingeschlossen da, und ihre weissen freundlichen Häuser schimmern durch das Grün der Bäume. Hinter ihr übersieht man fast den ganzen Weg bis zum Meer, und der schöne Pico de Zarantes, auf dessen regel- mässiger PyramidenGestalt das Auge so gern ruht, und den man hernach immer im Gesichte behält, erscheint hier zuerst.

Obgleich Bilbao bei weitem die ansehnlichste und blühendste, in vieler Rücksicht auch die reizendste Stadt Biscayas ist, so werde ich doch nur wenige Worte von ihr zu sagen haben. Denn theils haben andre Reisebeschreiber schon ausführlicher von ihr geredet, theils ist sie in Absicht meines Endzwecks gerade die unmerk- würdigste von allen. Denn der beständige Verkehr mit Fremden hat die vaterländischen Sitten verdrängt, die man nur auf dem Lande und im Gebirge aufsuchen darf, und selbst die Sprache ist in hohem Grade unrein, und mit Castilianischem vermischt.

Die reizenden Ufer des Ibaizabal,*) die mit ihren mahlerisch bewachsnen Hügeln dem schönsten und mannigfaltigsten Eng- lischen Garten gleichen, wird man lieber selbst besuchen als be- schrieben lesen, und wer auch nur einige Tage hier bleibt, wird gern die Höhen von Altaniera besuchen, um von da auf einmal die reizendste Landschaft, das fernschimmernde Meer, und den Zarantes mit den andern gleich pyramidenförmigen ihn umgeben-

*) Ibaya, Fluss, zabala, breit. Er führt diesen Namen erst nach seiner Ver- einigung mit dem Nervion.

j^Q Die Vasken.

den Bergspitzen zu übersehen; oder sich in das Thal an der gegenüber liegenden Seite des Flusses versenken und seinem schnell rollenden Strom bis an den rauschenden Sturz über das Wehr der neuen Bäckerei {Panaderia) entgegengehn, und auf dem Rückwege nicht das schöne Eichengehölz vor der Kirche des wunderthätigen Marienbildes in Begona vergessen. Schon vom Arenal, dem Spatzierplatz der Stadt am Fluss, der mit schattigen Lindenalleen bepflanzt ist, geniesst man einer reizenden ländlichen Aussicht auf die gegenüber liegenden Ufer des Flusses.

Wenn man auch in Bilbao nicht unmittelbar Biscayische Sitten gewahr wird, so empfindet man doch vielleicht in keiner Stadt so sehr die wohlthätigen Folgen des Biscayischen National- geistes. Denn nur in äusserst wenigen Städten Spaniens wird man so viele, nützliche und kostbare auf das Gemeinwohl be- rechnete Anstalten antreffen, und in wenigen wird der Reisende so viele von aufgeklärtem patriotischem Verbesserungsgeiste be- seelte Männer finden. In Absicht der Reinlichkeit und Schönheit des Pflasters lässt sich in Spanien nur Cadiz mit Bilbao ver- gleichen. Die Veranstaltung, die Stadt beständjg mit gutem Wasser zu versorgen, verdient eigen bemerkt zu werden. Ein grosser Behälter bei S. Juan el antiguo dient zugleich alle nicht zum Trinken bestimmte Brunnen in der Stadt, deren mehrere beständig fliessen, zu versorgen, alle unterirrdische Canäle zu rei- nigen, und alle Strassen im Sommer zu Dämpfung des Staubes zu bewässern. Das Trinkwasser wird aus einer beträchtlichen Entfernung von den Bergen an der andern Seite des Flusses in eisernen Röhren in die Stadt geleitet, die unweit der Panaderia durch den Fluss selbst durchgehen. Von öffentlichen Anstalten verdienen die Casa de Misericordia und das Hospital Erwähnung. In der ersteren wurden, als ich dort war, etwa 90 Männer und Weiber unterhalten, von denen die, welche noch Kräfte genug hatten, zum Vortheil des Hauses arbeiteten. Die Männer machen Leinwand und Band, auch eine Art Fayence ; die Weiber spinnen. Junge Bursche werden auch durch das Haus zu allerlei Hand- werkern, nach eigner Wahl, in die Lehre gegeben. Da das Haus einen Theil seiner Einkünfte aus einer Abgabe zieht, welche jedes einkommende Schiff bezahlen muss, so hatte es, während des Krieges, sehr gelitten. Man versuchte gerade, als ich da war, Rumfordsche Suppen zur Beköstigung der Armen einzuführen. Das Gebäude ist das ehemalige JesuiterCollegium. Das Hospital

Bilbao. lAl

schien sich mir durch seine Reinlichkeit sehr vortheilhaft auszu- zeichnen. Andre öffenüiche Gebäude sind die Fleischbank (Car- 7iiccria)\ das Schlachthaus {el Matadcro)^ das in der That für ein Muster von Gebäuden dieser Art sowohl zur Erhaltung der Rein- lichkeit, als zu Abwendung aller möglichen Gefahr, angesehen werden kann; die Kornhalle im ehemaligen Theater; das Rathhaus und das sogenannte Consulat; das neugebaute Theater, das etwa 900 [000 Menschen fasst, und das vor der Stadt gelegene allge- meine Mehl- und Backhaus. Denn da die Stadt mehreremale durch Theurungen beträchtlich gelitten hatte, so entschloss sie sich, auf ihre Kosten Brod backen ^) zu lassen , ohne doch darum übrigens die -) Freiheit des Korn- und Brodverkaufs zu be- schränken. Allein das Haus ist zu kostbar und gross angelegt. Denn da ausser demselben der Handel mit Mehl und Brod fort- geht, so wurden zur Zeit meines Daseyns nur etwa 5000 Pfund täglich gebacken.

Von der Volksmenge in Bilbao konnte ich keine spätere ge- naue Notiz bekommen, als vom Jahr 1797. Nach dieser, die ich aus den Stadtarchiven entnahm, betrug dieselbe 10953 Menschen, welche 781 Häuser bewohnten. Unter diesen waren 4684 Männer, und 6269 Frauen; nemlich 2365 unverheirathete Männer und 3352 unverheirathete Mädchen; 1923. verheirathete Männer und 1940 Frauen; 194 Wittwer und 777 Wittwen. Mönche fanden sich 39, Nonnen 61, geistliche Personen (zu denen aber viele gerechnet werden, die nur bei den Kirchen angestellt sind und heirathen können) 132. Da diese Bevölkerung im \'erhältniss mit der Menge der Lebensmittel, welche die umliegende Gegend hervorbringt, sehr gross ist; so darf niemand, weder ein Maulthiertreiber, noch ein Fuhrmann, Waaren zu Lande von Bilbao holen, ohne nicht dagegen auch wieder zu gleicher Zeit der Stadt Produkte zu- zuführen.

In einer dicht bei Bilbao gelegenen Ante-Iglesia sah ich eine sogenannte Romeria oder Dorffest, wozu ich bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte. Der Tanzplatz war vor dem Gemeinde- hause, das der Kirche gegenüber stand. An einer Ecke desselben sass auf einem roth sammtenen, mit dem in Silber gestickten Wappen gezierten Canape der Fiel (Richter, Schöppe) des Orts

^) Nach „backen" gestrichen: „und kaufen". *) Nach „die" gestrichen: „natürliche".

jj^o r^is Vasken.

mit einem langen Stabe, mit dem er selbst sich etwa vor- drängende Knaben zurückwies. Vor ihm waren zwei Piken in die Erde gesteckt und aus den Fenstern der Kirche hiengen zwei roth und weisse Fahnen heraus. Eine unglaubliche Menge von Menschen war aus Bilbao herbeigeströmt und das angenehmste Schauspiel war, diese unter den schattigen Bäumen, in den mannig- faltigsten Gruppen, theils gelagert, theils herumgehend, theils tan- zend zu erbhcken. Erfrischungen, Garküchen, Spiele allerlei Art; nichts fehlte, selbst ein Guckkasten mit der Geschichte des ver- lohrenen Sohns nicht. Frauen und Männer giengen meistentheils gesondert, die Frauen fast alle in der Basquiha und Mamille, und die aus dem Volk mit ihren nichts weniger, als reizenden, un- geheuer dicken schwarzen Haarflechten, die ihnen oft bis über die Hüften hinab reichen. Der T^nz war, wie gewöhnlich; aber die Fröhlichkeit allgemein und ausgelassen. Die Dauer dieser Lustbarkeiten bestimmt der Fiel nach seinem Gefallen, meisten- theils lässt er sie nicht über 8, 8V2 Uhr Abends hinaus währen.

Die Häuser in Bilbao sind nicht so gross und prachtvoll ge- baut, als in andern noch ansehnlicheren Handelsstädten Spaniens ; doch machen einige, deren unteres Stockwerk ganz von Marmor ausgeführt ist, hiervon eine Ausnahme. Wunderbar sieht der Marktplatz {la plaza) aus. Er liegt am Fluss und gewinnt vor- züglich durch die gothisch gebaute Kirche und das mit Vergol- dungen überladene Rathhaus ein sonderbares Ansehn. Von dem- selben aus führen zwei Brücken über den Fluss, eine steinerne an der Kirche, und eine hölzerne mit einem sehr kühnen Bogen, die an der Stelle einer steinernen welche in einer Ueberschwem- mung weggerissen wurde, gebaut ^) ist. Sie führt zu einem mit Bäumen umwachsnen Kloster, und gleich an der andern Seite des Flusses erhebt sich ein grosser, lieblich geformter Berg.

Wann Stiergefechte gehalten werden, geschieht es auf diesem Platz, und dann lagert sich ein grosser Theil des Volks auf jenen Berg, wie auf ein grosses Amphitheater. Gewöhnlich hält man indess nur sogenannte novüladas, bei denen der Stier nicht um- kommt ; die wahren Stiergefechte sind zu theuer. Bei den letzten die man 1799. gab, kostete die Anschaffung von 36 Stieren (die in 3 Tagen getödtet wurden) zu 5 Unzen (115. Thaler) jeder 57600 reale (4168. Thaler), die Errichtung des Amphitheaters

„gebaut^' verbessert aus „aufgeführt''

Bilbao.

143

30000 reale (2170 Thaler) und der Torero (Stierkämpfer) Romero, welcher dazu von Madrid verschrieben wurde, bekam mit seinen 8 bis 9 Leuten allein 90000 reale (6512 Thaler). So kam die ganze Ausgabe auf ungefähr 13000 Thaler zu stehen. Dieser Romero, dessen äusserst charakteristisches Bild von Goya ich mich in Madrid gesehn zu haben erinnere, soll bloss aus seinen nach und nach von seinem Erwerbe gekauften Grundstücken 60 'joooo Reale (4.^00 5000 Thaler) jährlicher Einkünfte besitzen; jetzt da Pepeillo umgekommen ist, bleibt er unstreitig allein von berühmten Stierfechtern übrig.

Der Tod Pepeillo's wurde gerade, als ich dort war, in Bilbao bekannt. Er starb in Madrid auf dem Kampfplatz in seinem Beruf, und erhielt auch im Tode seinen Ruhm. Denn indem ihm der Stier sein Hörn so durch den Leib bohrte, dass es bei der Schulter hinten wieder hervor kam, versetzte auch er ihm den tödtlichen Streich, und beide sanken zugleich nieder. Das Spiel ging, wie gewöhnlich fort, aber der Gefallene wurde mit vieler Pracht zur Erde bestattet. Vor ihm war auf ähnliche Weise Can- dido umgekommen, der berühmteste aller Toreros und der, nach Pepeillos eignem Geständniss, der Kunst des Stierfechtens zuerst Sicherheit und Schönheit gab. Er glitt auf einer Melonenschale aus, die ein Zuschauer auf den Platz geworfen hatte, und wurde vom Stier getödtet, ohne sich an ihm rächen zu können.

Pepeillo, eigentlich Joseph Delgado"") genannt, ist wohl der einzige, welcher über die Tauromachie oder das Stierfechten ge- schrieben, und diese Kunst in ein förmliches System gebracht hat. Da seine kleine in Cadiz erschienene ^) Schrift**) vermuthlich in Deutschland kaum nur dem Namen nach bekannt-} ist, und sie doch in mehr als Einer Rücksicht merkwürdig bleibt, so sey es mir erlaubt, wenn es auch gleich hier nicht unmittelbar der Ort scheint, einige Augenblicke dabei zu verweilen, und meinen

*) Pepe ist die bekannte Spanische Abkürzung von Joseph , und Illo ist ein Beiname.

**) La Tauromaquia 0 arte de torear. Obra utilissima para los toreros de profesion, para los aficionados, y toda dase de sayetos qiie gustan de Toros. Sil aiitor Josef Delgado (alias) Illo. Con licencia. En Cadiz. Por D. Manuel Ximenes Carreno. Calle aucha. ano de i'jgö. 4. 58. S.

^) „erschienene" verbessert aus „gedruckte".

*) „in bekannt verbessert aus „nur in den Händen Weniger im Auslände'^

TAA Die Vasken.

Lesern einen kurzen Begriff von ihr und der Kunst von der sie handelt, zu geben.

Nach dem Titelblatt ist er selbst vorgestellt, wie er den Degen in der Hand hält, und der eben getödtete Stier zu seinen Füssen liegt, mit der Unterschrift: der Sevillanische Fechter (el diestro Sevülanö).

In der Vorrede des Werkchens, das er zugleich für die Leute vom Handwerk, die Dilettanten, und alle, die an Stieren Geschmack finden, bestimmt, verbreitet er sich über die Nützlichkeit und Nothwendigkeit seines Unternehmens. „In einem Zeitalter," schreibt er, „das so erleuchtet ^) ist, dass selbst die Castanuelen ihren Schrift- steller finden, hat niemand über die Kunst des Stierfechtens ge- schrieben, und schon dies hat mich angefeuert, dass ich der erste bin, der seine tauromathischen Gedanken {siis pensaviienios y ideas Tauromaticas) ans Licht giebt. Vielleicht schwieg man aber nur von dieser Kunst, weil sich von ihr nur aus Erfahrung, nicht auf blosse Speculation hin {por la especulatioii) reden lässt.. Ich, fährt er weiter fort, kann, Gott sey es gedankt! die Füsse etwas fester aufsetzen, und mich, es sey nun wie es sey, für einen Meister ausgeben." Er nennt sein Werk nützlich, weil die Liebe zum Stierfechten allgemein sey; weil sie die Spanische Nation vor allen andern auszeichne, und ihre erlauchtesten und berühmtesten Arme sich darin hervorgethan -) hätten; endlich weil der Zusammenfluss einer Menge schöner und angenehmer Gegenstände und der An- blick der Gefahr und der Glücksfälle die Stiergefechte für alle zu einem reizenden Schauspiel machten.

Jeden dieser drei Punkte führt er einzeln aus. Vornehme und geringe Frauen, sagt er, sprechen von unsern Gefechten, und fehlen nie in unsern Plätzen, Cirquen, und Amphitheatern. Eine schlechte Kuh, die man am Strick durch die Stadt führt, macht, dass jeder seine Beschäftigungen verlässt, und ihr nachläuft, sie zu sehn oder zu necken. Kurz ^) man kann behaupten, dass der Geschmack an *) den Stieren dem Menschen angebohren ist, vor- züglich (wenigstens, hätte er sagen sollen) in Spanien.

Darauf geht er die Geschichte durch und versichert die Kunst des Stierfechtens blühe so lange in Spanien, als es Stiere darin

^) „erleuchtet" verbessert aus „ausgebildet".

^) „hervorgethan" verbessert aus „tapfer bewiesen".

*) Nach „Kurz" gestrichen: „so beschliesst er diesen Punkt".

*) „der Geschjnack an'^ verbessert aus „die Liebe zu".

Bilbao.

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gebe. Unter den Helden, die sich darin hen^orgethan, steht bei ihm der Nationalheld Spaniens der Cid Campeador an der Spitze und auf ihn folgen Carl 5., Philipp 4., Sebastian von Portugall, Pizarro, der Entdecker Perus, und andre mehr. Noch jetzt, sagt er, gehört es zu den edlen Ritterübungen, zu Pferde oder zu Fuss mit Stieren kämpfen zu können.

Heutiges Tages dürfte dies wohl nicht mehr ganz wahr seyn. Doch erinnere ich mich einen nicht alten vornehmen Mann in Spanien gekannt zu haben, der als Student bei einem Stiergefechte in Salamanca einen Stier erlegt hatte. Was die älteren Zeiten betrift, so besinne ich mich nicht, weder in den Romanzen des Cid, noch in den Maurischen, noch in den Gedichten des Can- cionero general^^) in dem einige gerade alle Stücke, die zu einem vollkommenen Ritter gehören, aus einander setzen, der Stier- gefechte erwähnt gefunden zu haben. Auch konnten sie, solange die Turniere dauerten, schwerlich in grossem Ansehen stehn.

Auch die Einwürfe gegen die Stiergefechte übergeht er nicht, besonders lächedich findet er es, sie darum verdammen zu wollen, weil hie und da ein Fechter dabei das Leben verliere. Mit mehre- ren andern körperlichen Uebungen sey Gefahr verbunden, und grössere ; höchstens werde jedesmal ^) am Ende eines Jahres ein Mensch in Stiergefechten umgekommen oder verwundet wor- den seyn,

Zuletzt geht er kurz die Geschichte seiner Kunst durch. Im Anfange des 18. Jahrhunderts sey das Fechten zu Fuss noch sehr unvollkommen bekannt gewesen. Joseph Candido habe zuerst die verschiedenen Arten des Angriffs und das Verhalten dabei richtiger bestimmt, und seine Grundsätze seyen hernach von Joachim Rodriguez, auch Costillares genannt, Pedro Romero, Johann Conde und ihn selbst mehr ausgebildet und erweitert worden. Jetzt habe die Kunst ihren höchsten Gipfel erreicht, und es fehle nichts, als nur ihre Regeln bekannt zu machen, um auch die Zuschauer in Stand zu setzen, besser mit denselben bekannt, ein richtigeres Urtheil über das Verdienst der Kämpfer zu fällen.

In der kleinen Theorie selbst, die es nicht uninteressant ist, flüch- tig zu durchlaufen, handelt der Verfasser ^) besonders den Kampf zu Fuss und zu Pferde ab. In dem ersteren, den er allein ausübte,

*) Der Ende des /j. Jahrhunderts zuerst gedruckten Volksliedersammlung. *) Jedesmal" verbessert aus „in einer Stadt". ^) „der Verfasser" verbessert aus „Pep[eillo]".

\V. V. Humboldt, Werke. Xm. lO

146

Die Vasken.

ist er ganz zu Hause, zählt die einzelnen Fälle auf,*) und führt zuletzt alle '^) methodisch auf einfache Grundsätze zurück. Alles kommt nemlich nur darauf an, dass der Stier gerade, und ohne abzuweichen, auf den Mantel zulaufe, den ihm der Kämpfer vor- hält, und dass er vor demselben, in der Absicht einen Stoss zu vollführen, den Kopf bücke, um den Todesstreich im Genick zu empfangen. Die Gefahren entstehen, v^ann der Stier entweder aus Furcht unsicher hin und her läuft, oder müde, ehe er den Mantel erreicht, stehn bleibt, und den Kämpfer ungewiss macht, oder den Betrug merkt, und sich statt auf den Mantel zu achten auf den Kämpfer selbst wirft, oder gar, der gefährlichste Fall, indem er dies thut, den Kopf hebt, und den Kämpfer entwafnet, indem er ihm das Genick entzieht. Alle diese Fälle werden be- sonders durchgegangen. Allein obgleich die Lehre mit dem pomp- haften Grundsatze anfängt, dass' jede Art des Angriffs ihre festen, nie irrenden Regeln habe, so gesteht doch Pepeillo selbst, dass die Hauptsache sey, den Stier mit kaltem Blut auf sich zukommen zu sehen, und dass selbst gute Kämpfer manchmal aus Furcht fehlten, und so kommen doch Fälle vor, wo, gleichfalls nach seinem eignen Geständniss, nichts übrig bleibt, als dem Stier den Mantel auf die Augen zu werfen, und sich durch die Flucht zu retten, wie man kann. Da alles darauf ankommt, dass der Stier gerade auf den Mantel zuläuft, so bittet er seine Leser "') inständig, während der Stiergefechte, wenigstens dann, wann der Moment des Todesstosses komme, Stillschweigen und eine tiefe Ruhe zu beobachten, um die Aufmerksamkeit des Stiers nicht abzulenken, und so sieht man bei jeder Zeile, wie unsicher die Kunst und wie gross die Gefahr ist.

Es versteht sich, dass ein so beliebtes, so lang,' und immer von einer eignen Gattung Menschen geübtes Handwerk seine eigene, dem Uneingeweihten unverständliche Sprache habe, und Pepeillo hat seinem Werk ein eignes kleines Wörterbuch an- gehängt. Merkwürdig ist es zu sehen, wieviele Beiwörter der Stier nach seinen verschiedenen CharakterEigenschaften erhält. Er ist bald arglos, claro, sencillo, franco, boyante, wenn er gerade auf den vorgehaltenen Betrug zuläuft, bald klug, de sentido, wenn er sich an den Kämpfer hält, und ihn verfolgt, oder wild, revol--

*) „zählt .... auf^ verbessert ans „sondert .... ab".

^) Nach „alle" gestrichen: „vollkomtnen".

') „seine Leser" verbessert aus „die Zus[chaiier]".

Sommorostro. lA"!

toso, wenn er den Mantel zwar fasst, aber sich mit demselben umdreht, die belustigendste und häufigste Art von allen, oder furchtsam, abanto, temeroso, oder tückisch, brabiicon, wenn er an- fangs geduldig herauskommt, aber nachher angreift, u. s. f.

König Carl 3. erlaubte die Stiergefechte nur bloss noch in Madrid und Cadiz. Wäre man bei diesem S3'steme geblieben, so würden dieselben, vorzüglich, da Romero jetzt der einzige noch berühmte Kämpfer ist, nach und nach von selbst aufgehört haben. Allerdings ist es nicht zu läugnen, dass der Muth, mit welchem ein einzelner Mensch sich wehrlos oder bloss mit einem Degen bewafnet einem wütenden Stier gegenüber stellt, die mahlerischen Stellungen zwei der edelsten und schönsten Geschöpfe, des Stiers und des Pferdes, und die auf einem grossen x\.mphitheater unter freiem Himmel dicht gedrängte Menschenmasse immer ein anziehen- des Schauspiel gewähren, auch sind die Stiergefechte in unsern Zeiten das einzige noch übrige, an welchem eine ganze Volksmasse gleichen i\ntheil nimmt, und wo sie frei und unmittelbar ihren Tadel und ihren Beifall ausdrückt. Allein dies ist auch alles, was sich zu ihrem Vortheil sagen lässt, ihre schädlichen Folgen sind in die Augen fallend, und es lässt sich nicht einmal behaupten, dass sie Muth und Tapferkeit in der Nation unterhalten.^) Gerade in seinen weichlichsten, entnen^testen Zeiten hatte Rom die blutigsten und gefahrvollsten Fechterspiele. Ebensowenig aber, glaube ich, kann man die Nation barbarisch nennen , die an diesen gefahrvollen Kämpfen Vergnügen findet. Die menschlichen Empfindungen isoliren sich sehr häufig nur auf einzelne Gegenstände, und wenn bei den Stiergefechten das ^) Gefühl der Menschlichkeit und des Mitleids dem leidenschaftlichen Feuer weicht, zu welchem der Kampf hinreisst; so kann man darum nicht behaupten, dass das- selbe überhaupt, und auch für andre Gegenstände abgestumpft se}^

Sommoro stro.

Ich eilte, nach einem kurzen Aufenthalt in Bilbao, wieder dem Meere zu, um noch den Ueberrest der Küste von Portugalete bis Ondarroa zu besuchen, und so meine Wanderung um dies ganze liebliche Ländchen herum zu vollenden.

Auf dem Wege von Bilbao nach dem Sommorostro darf der

') Nach „unterhalten^' gestrichen : „da Griechenland und man darf sich nur". ^) Nach „das" gestrichen: „sanße".

10*

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Die Vasken.

Desierto nicht vergessen werden. Diese kleine Halbinsel, welche der Ibaizabal da bildet, wo der Galindo, ein kleiner Gebirgsbach, sich in ihn ergiesst, ist einer der reizendsten Punkte in ganz Spa- nien, da man von demselben auf einmal die Gegend von Bilbao, das Meer mit seinen Pyramidenbergen, und den Sommorostro übersieht. Der Weg von Bilbao dahin geht an der rechten Seite des Flusses durch Olabiaga, den eigentlichen Hafen Bilbaos. Zur rechten hat man meistentheils mahlerische und hohe Felsen; am entgegengesetzten Ufer eine liebliche reich bebaute und bepflanzte Gegend. Ein alter viereckter Thurm der an dieser Seite gerade da, wo bei dem Flecken Luchana ein kleiner Fluss sich mit dem Ibaizabal vereinigt, steht, erinnert an das Feudalsystem der vorigen Jahrhunderte. Denn dieser Thurm hatte ehemals das Recht den Fluss zu sperren, und einen Zoll von den vorbeil<ommenden Schiffern zu nehmen. Hinter Luchana liegen in einem anmuthigen Thal die ländlichen Wohnungen von Baracaldo zerstreut, und von Gebüschen umwachsen. Der Desierto hängt auf dieser Seite mit dem festen Lande zusammen, und von Bilbao kommend muss man sich nach demselben hin über den Fluss setzen lassen. Gegen diese Seite ist auch die schönste Aussicht, obgleich man unge- hindert die ganze Gegend von einem Berge überschaut, der gerade da steht, wo beide Flüsse zusammenkommen, und auf dem das Kloster gebaut ist.

Denn auch diesen in der That himmlischen Platz hat sich, wie so viele andre im südlichen Europa, die fromme Andacht geweiht, und i6 Carmelitermönche führen hier ein einsames Leben. Ihr ganzer Bezirk ist von einer hohen Mauer umgeben, da kein weibliches Geschöpf ihn betreten darf und nur in einer Kapelle vor dem Kloster allgemeiner Gottesdienst gehalten wird, zu welchem das Volk aus der benachbarten Gegend haufenweis her- beiströmt. Wer die Ruhe des Gewissens und die Heiterkeit der Seele im Gewühle der Welt verloren hätte, könnte sie hier wieder- finden, in dem schattigen Eichengehölz, das den ganzen Berg um- giebt, auf der fruchtbaren vega (Ebne) welche der Fleiss der Mönche den Meereswellen, die bis hierher in den Fluss eindringen, abgewonnen, und nun durch Dämme und Mauern so befestigt hat, dass, wo aussen seine Flut andonnert, inwendig reich mit Trauben behangene Weingelände stehen. Auf eine Zeitlang, wie bisweilen mit jungen Leuten geschieht, hieher verbannt zu werden, muss in der That eine sanfte Strafe seyn.

Sommorostro.

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In dem Gehölz sind vier kleine Einsiedeleien. Doch giebt es keine eigentlichen Einsiedler hier. Nur die Mönche, welche die Fastenzeit in ungestörterer Andacht zuzubringen Lust haben, schliessen sich hier auf so lange ein, und verlassen dann die Ein- siedelei nur, um sich Holz aus dem Walde zu holen. Diese Be- gierde, mitten in der tiefsten Einsamkeit eine noch tiefere zu suchen, scheint sonderbar genug; allein nie mag die Sehnsucht danach grösser seyn, als wo man verurtheilt ist, in enger und unaufhörlicher Gemeinschaft mit denselben Menschen zu leben.

Um das Kloster herum stehen Cypressen, Aloen, und ein Paar Dattelpalmen, liebliche Fremdlinge, die ich mit grosser Freude nach langer Zeit wiedersah. Denn eigentlich kennt das nördliche Spanien diese Gewächse nicht, und selbst Orangen kommen nur an einigen wenigen Orten, wo eine besondre Lage sie begünstigt, fort. Orangen und Citronenwälder, Aloenhecken, Palmen und stämmige Cactusbäume fangen erst gegen Cordova zu an, jenseits der Sierra Morena, wo kein Schnee mehr zu sehen ist. Darum erzählt ein Maurisches Mährchen, dass König Ben Aceit von Sevilla seiner Frau, die eine Castilische Prinzessin war, das Gebirge mit Mandelbäumen bepflanzen Hess, um ihr, die sich nach dem Schnee ihrer rauheren, aber geliebteren Heimath sehnte, durch die weisse Blüthendecke eine angenehme Täuschung zu gewähren.*) Sonderbar ist es dass gerade an der nördlichsten Küste Spaniens bei Santona, zwischen Bilbao und Sant Ander, im Schutz eines kleinen Hügels eine Menge Citronen- und Orangen- bäume gedeihen, deren Früchte man in Bilbao verkauft. Dass indess Vizcaya sonst kein rauhes Land zu nennen ist, beweist sein Chacoli, ein, wenn er sorgfältig bereitet ist, treflicher Wein, der gewissermassen zwischen dem Champagner und Mosler Wein in der Mitte steht.

Beim Hinaufreiten auf den Sommorostro stieg ich bei einer kleinen Mühle ab, deren es im ganzen Lande viele giebt. Um sich einen Begriif von allen Gattungen menschlicher Existenz zu machen, musste man diese Hütte besuchen. Auf freiem Felde war hier in vier engen Mauern, unter einem überall durchlöcher- ten Dache, statt der Thür eine weite Oefnung, zugleich die Schlaf-

*) El Conde Lucanor, compuesto por el ecelentissimo principe D. Juan Manuel hijo del Infante D. Manuel y nieto del Sancto Rey D. Fernando (um das Jahr l33°-)i ^'"^ wahres Exempelbuch , aber voll naiver und zarter Erzählungen, und ge- diegener Lebensweisheit.

jj-Q Die Vasken.

und Wohnstube einer ganzen Familie, der Stall der Ziegen und Maulthiere und ein doppelter Mühlengang. Gleich beim Herein- treten stiess man auf die Feuerstätte, ihr gegenüber stand der Backtrog und ein Schrank mit einigem alten Geräth. Daneben war der Stall, weiter links ging ') einer der beiden Mühlsteine, neben ihm führten einige Stufen zu dem ganz freistehenden Ehe- bett und der Schlafstelle der Kinder hinauf, neben dieser der andere Mühlstein, und über dem Stall eine Art Gerüst auf Stangen, das zum Boden diente. Und in dieser Wohnung bringen Menschen ihr Leben zu, werden gebohren und sterben darin!

Wenn man hört, dass der Sommorostro für den Berg ge- halten wird, der sich, nach Plinius*) Schilderung, an der Küste Cantabriens, da wo sie der Ocean anspült, in jäher Steile erhebt, und durchaus aus Eisen besteht, so erwartet man einen Pic, wie der Zarantes oder der ihm gegenüberliegende Pico de Munatones ist, zu sehen. Allein der Sommorostro ist nicht einmal ein ein- zelner Berg, sondern eine Reihe von Bergen, unter denen sich kein einziger Gipfel eigentlich heraushebt. Zwischen ihnen ist ein Thal, das eigentlich den Namen führt, und am Ende desselben ein Dorf, S. Juan de Sommorostro. Bloss darin also trift er mit der Beschreibung des Römischen Naturforschers überein, dass er so eisenhaltig ist, dass der Eisenstein an mehr als einer Stelle unmittelbar unter der Dammerde liegt. Die richtigere Meynung geht daher dahin, dass Plinius nicht diesen Berg, sondern einen an derselben Küste, aber weiterhin bei S. Ander, die Cabarga, gemeynt habe,**) auf den seine Beschreibung besser passen soll, den ich aber nicht selbst sah. Der Zarantes und Munatones ent- halten keinen Eisenstein.

So gelegen und weder als Ackerland bebaut, noch mit Ge- büsch bewachsen, ist der Sommorostro nicht zu den reizenden Gegenden zu rechnen. Seine finstren und öden Höhen, auf denen das Auge nur die röthlich schimmernden Fusssteige der Bergleute und Maulthiertreiber unterscheidet, dienen, schon vom Desierto aus gesehen, nur zum Gegenbilde gegen die schön angebaute und liebliche Ebne von Barracaldo und Luchana.

*) L. 34, c. 43. Metallorurn omnium vena ferri largissima est. Cantabriae maritimae parte, quam Oceanus alluit, mons praerupte altus, incredibile dictu, totus ex ea materia est. Vgl. noch L. 4. c. 34.

**) Florez Espana sagrada. 7. 24. Discurso preliminare. p. 17. V »g^^g" verbessert aus „klapperte".

Sommorostro . 1 1 1

Dennoch sind auch auf den kahlen Höhen des Sommorostro gute Weideplätze, aber überall sind Spuren in verschiedenen Zeiten angelegter Gruben und der ganze Berg ist umwühlt. Die meisten Gruben befinden sich auf einer Ebene, die man Triana nennt; einzelne Theile haben wieder einzelne Namen, so heissen die Königlichen Gruben Minas de Janizuela. Mitten in diesen hat der Aufseher derselben, Herr Pensei aus dem Baireuthischen, seine einsame Wohnung in einem kleinen Kessel von Felsen auf der Höhe selbst. Doch wird er für die Einsamkeit durch eine reizende Aussicht aus dem oberen Stock auf die Ebne, einen Theil des Meers und einige groteske Felsgruppen in der Nähe entschädigt. Diese Königlichen Gruben existiren erst seit dem Jahr 1792. und sind bestimmt, das nöthige Eisen für die Stückgiesserei bei St. Ander zu liefern. Da dieselbe auf einige Jahre versorgt war, so wurde, als ich dort war, gar nicht gebaut.

Den übrigen Bergbau ist es, seiner Sonderbarkeit wegen, der Mühe werth, hier zu besehen. Dem Vizcayischen Recht nach, kann jeder eingebohrene Vizcayer graben, nur muss er 10 Fuss weit von der Grube des andern entfernt bleiben. Gräbt einer unter dem andern, und kommt dem oberen vor, so muss der obere weichen. Lässt einer seine Grube ein Jahr lang unbenutzt, so macht er sie dadurch zur herrenlosen Sache.

So angemessen diese Gesetze den Grundsätzen der einfachen Verfassung dieses Ländchens sind, in der alles nur auf persönliche Freiheit berechnet scheint, so schädlich sind sie dem Bergbau. Auch kann man mit Sicherheit behaupten, dass nirgends eine reichere Grube schlechter gebaut wird. Da keiner gewiss ist, ob nicht mit jedem Augenblick ein andrer ihm in den Weg kommt und seine Mühe vereitelt, so wagt keiner, beträchtliche Kosten aufzuwenden. Auch läuft dieser ganze Bergbau nur darauf hinaus, mit so wenigen Kosten als möglich soviel Eisenstein zu gevv^innen, dass der Arbeiter daraus einen massigen Taglohn zieht.

Weniger kunstmässig, als hier, kann der Bergbau nirgend be-

ti:--ben werden. Ackersleute, die schlechterdings keinen Begriff

von besitzen, und nie etwas ausser ihrem Berge gesehen haben,

:e so wenig zünftige Bergleute zu nennen sind, dass sie sich

licht einmal durch eine eigene Kleidung unterscheiden, wühlen

die Erde aufs Gerathewohl um, machen ein Loch, hauen den

Eisenstein, den sie unter ihren Händen finden, mit der Picke aus,

und wenn sie eine Zeitlang gearbeitet haben, und die Grube eine

152

Die Vasken.

ihnen unbequeme Tiefe bekommt, oder die Wasser zu mächtig werden, so verlassen sie den Ort, und machen ein neues Loch, gleich ungeschickt, als das vorige. An die Anlegung ordentlicher Schachte mit Fahrten, oder nur an sorgfältig abgebaute Stollen ist nicht zu denken ; und die einzige Maschine, welche in Uebung gesetzt wird, ist eine elende Pumpe. Zum Herausbringen des Eisensteins bedient man sich, so unglaublich es scheint, der Ochsen, die mit einer Schleife, auf der ein Korb steht {rasti'o\ in die Grube, zum Bewundern ihrer Geduld, Kraft und Geschicklichkeit, oft sehr steil ein und ausfahren. Wo es zu steil reichen sich mehrere Menschen in Handkörben den Eisenstein zu. Der heraus- gebrachte Eisenstein wird auf einen ebnen Platz {rastrerd) vor der Grube geworfen, und da sondern Männer oder auch Frauen mit einer Harke die. groben von den feinen Stücken ab. Die groben werden auf Karren oder Maulthieren an die kleinen Bäche ge- bracht, wo man sie in Schiffe ladet und zu Wasser verführt; die kleinen versendet man zu Lande mit Maulthieren.

Es würde leicht seyn durch einen unterhalb angelegten Stollen dem Wasser im Berg einen natürlichen Abzug zu verschaffen, um dann von oben ungestört in die Tiefe gehen zu können. Allein da die Arbeiter hier jede Unternehmung scheuen, die nicht unmittelbar Gewinn mit sich bringt, so fangen sie immer von oben zu bauen an, und gehen schräg in die Erde hinein. Da sie eben so wenig Sorgfalt tragen, die gemachten Gänge durch Stützen zu sichern, so stürzt das Erdreich oft ein, und es kommen viele Arbeiter um. Herr Pensei selbst hat Gelegenheit gehabt, mehrere- male solche Unglückliche zu retten, und noch vor kurzem war es ihm gelungen zehen auf einmal zu befreien.

Den wahren Vortheil bei diesem Zweige der Vizcayischen Industrie trägt, wie so oft bei allen Fabricationen, der Kaufmann davon, der Mittelsmann zwischen dem Bergbauer und der Eisen- hütte. Selten bekommt der erstere mehr als 45 Piaster für eine Kahnladung {Barcadd) von 225 Centnern, den Centner zu 100 Pfund gerechnet. Nun aber kostet der Transport etwa 30, das Heraus- fördern einer solchen Quantität aus der Grube 12 15 Piaster und so bleibt für den Bergmann meistentheils nur ein sauer verdienter Taglohn übrig. Oft sind die Arbeiter, deren sich mehrere zu- sammen thun, selbst die Inhaber der Gruben. Wird auf Tagelohn gearbeitet, so erhält der Mann 5 realen. (8 Groschen 8 Pfennig Preussisch Courant).

Sommorostro.

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Nach einem ziemlich genauen Ueberschlage kann man rechnen, dass jährlich ungefähr 900000 Centner*) (zu 100 Pfund) Eisenstein eingeschifft werden; da der feinere zu Lande versendete nicht so leicht zu überschlagen ist. Diese Quantitaet wird etwa von 230 Arbeitern gefördert, und eine nicht viel geringere Anzahl ist bei dem Transporte geschäftig, wozu man aber auch Kinder braucht, da ich Mädchen von 7 10 Jahren ganz allein^) Maulthiere aus dem Berg an die Schiffe führen sah. Der Bergbau wird aber nur 6 Monate hindurch , vom Mai bis October betrieben, und rechnet man die in diese Zeit fallenden Sonn- und Festtage ab, so bleiben ungefähr 140 [Tage] zur Arbeit übrig. Für jeden Centner (nemlich nach dortiger Rechnung, also von 150 f/) Eisen- stein, der aus der Provinz hinausgeht (es sey denn dass es für Königliche Rechnung sey), wird der Regierung derselben eine Ab- gabe {recarg-o) xon 2^ mar avecizs (1^/4 Groschen) gezahlt. Während des Krieges mangelte es an Absatz nach Guipuzcoa und den Bergen von Sant Ander und die Preise waren geringer, weil die Schiffarth von allen Seiten gehemmt war.

Es giebt übrigens hier eine doppelte Art des Eisensteins, weissen der etwa 80 p. c, und schwarzen, der nur 40 p. c. Aus- beute giebt. Man weigert sich aber in Biscaya den ersteren zu verarbeiten, weil man ihn für minder gut hält.

Der herausgeförderte Eisenstein wird hier mit einem acht lateinischen Ausdruck**) gewöhnlich vena genannt.

Auf dem Sommorostro ist der alte Stammsitz {Solar) des in der Spanischen Geschichte berühmten Geschlechts der Salazare, die stärkste und festeste Burg, oder, wie man im Mittelalter, wo Biscaya in verschiedene Partheien zerrissen war, sagte, casa de bando, von der es jetzt noch in dem Lande Ueberreste giebt. Jetzt gehört sie der Familie der Mazarredo, in welche, wie ich schon oben zu bemerken Gelegenheit hatte, ^) die letzte Erbtochter der Salazare heirathete. Hier lebte im 15. Jahrhunderte Lope Garcia de Salazar, der nicht weniger als 125 Kinder, 120 natür- liche und 5 eheliche zeugte. Seine Geschichte, die aber nicht

*) Liesse ein ungefährer Ueberschlag eine genaue Rechnung zu, so müsste man zu dieser Summe noch, um unser Berlinisches Gewicht zu haben, 4^'ie p- C. zurechnen, da das Pfund in Bilbao um so viel schwerer als das Berlinische ist. **) Plin. /. 33. c. 40. Romam perfertur vena signata.

') Nach „allein" gestrichen: „einige'^.

2) Vgl. oben S. 48.

»64

Die Vasken.

gedruckt ist, schrieb sein Sohn, der aber das Unglück hatte in Streitigkeiten mit seinem jüngeren Sohn zu gerathen und darin erst die Freiheit und dann das Leben einzubüssen. Denn da er ein Majorat zum Vortheil seines Erstgebohrnen gemacht hatte, so wollte der jüngere dies an sich reissen, bemächtigte sich des Vaters und sperrte ihn in einen Thurm des Schlosses ein, in dem er aus Kummer und Verdruss starb.

Portugalete, Plencia, Bermeo und Mundaca.

Ich durchreiste diesen Theil der Küste, der mir, da ich ein- mal mit den Sitten des Landes bekannt war, weniger interessante Gegenstände darbot, schneller, und werde daher auch meine Leser nur kurz darin zu verweilen brauchen.

Der Ibaizabal ergiesst sich 'bei Santursa, jenseits Portugalete ins Meer, das dort eine grosse, mahlerische Bucht bildet. Bei Santursa ist die den Schiffen oft gefährliche Barre, und gegenüber ein Dorf Algorta. Die Bai wird auf der Seite von Santursa durch die Berge Cerrantes und Munatones begränzt, gegenüber besteht die Küste aus einer Reihe weisser und schroffer Kalkfelsen, die sich in die Spitze von Galia {la punta dt Galid) endigen.

Der Fluss hat auf beiden Seiten gut unterhaltene steinerne Quais.

Portugalete ist ein kleiner,^) ziemlich schlecht gebauter Ort. Er nährt sich grösstentheils durch das Ein- und Ausbringen der ankommenden und abgehenden Schiffe. Derjenige Lothsmann, welcher einem Schiffe, das sich in Gefahr befindet, zuerst zu Hülfe kommt, erhält eine doppelte Praemie. Daher eilen sie oft zu sehr über die Barre, und verunglücken häufig dort.

Als ich mich bei Portugalete über den Ibaizabal nahe bei seinem Ausfluss gegen Abend übersetzen Hess, um nach Plencia zu gehen, war das Meer gerade sehr stürmisch. Seine Höhe war durchaus schwarz, aber fleckweise spielte weisser Schaum auf den finstern Wellen, und dazwischen schimmerten die weissen Segel der Fischernachen.

Der Weg nach Plencia geht durch Algorta, erst im Ufersande des Meers, nachher durch das Land hin. Die Berge von Umbe {las penas de Ujube)^ eine Reihe Felsen mit vielen Einschnitten

1) Nach „kleiner" gestrichen: „aber".

Portugalete, Plencia, Bermeo und Mundaca. jcC

und schroffen Kanten mitten im Lande, waren das Einzige, was mir auf diesem Wege auffiel. Doch sah ich hinter mir am Meer ausser dem Monte Candina, der schon vom Sommorostro aus ins Gesicht tritt, noch die Berge von Santona, die wie ein grosses Vorgebirge hervorstehen,^) und mir die w^eitere Aussicht westwärts begränzten.

Plencia ist klein, hat aber vielleicht mehr als irgend eine andre Stadt dieser Gegend ein reinliches, freundliches Ansehn. Besonders gut nimmt es sich von der Höhe davor aus. Ueber den Fluss gleiches Namens der sich bei der Stadt mit dem Meere ver- mischt, geht eine Brücke.

Auf dem Wege zwischen Plencia und Bermeo muss man zwei hohe Bergreihen übersteigen, die von Lemonis und die von Bakin, zwischen denen bei Bakin in einem Thal ein kleiner Bach ins Meer geht. Kaum in ganz Spanien giebt es einen beschwer- licheren ^) und öderen Weg ; lauter kahle Bergrücken, ohne Häuser, Bäume und Aecker, bloss zur Weide tauglich. Nur wo sich der einsame Fusssteig hie und da in ein kleines Thal hinabschlängelt, findet man wieder die bekannten mit Bäumen und Rebengeländern umgebenen ^) ländlichen Wohnungen.

Das Meer, das man von der Höhe immerfort übersieht, war den Tag, als ich diesen Weg machte, zauberisch schön. Es war gerade ein Maitag mit Nebel und abwechselnden Regenschauern, zwischen denen häufige Sonnenblicke die magischsten Beleuch- tungen hen^orbrachten. Bald waren alle Spitzen der Berge un- beweglich in dichte Schleier gehüllt, bald jagte der Nebel dem Meer zu und drohte mich mit seinen feuchten Wolken zu umgeben. Dann war auf einmal die Tiefe des Meers und der Thäler dunkel und die Spitzen der Vorgebirge streckten ihre Häupter, wie glän- zende Inseln hervor. Dann stieg der Nebel wieder, und der Himmel war mit schweren und finstren Regenwolken behangen, die ihre welligen Spitzen gegen das Meer zu herabsenkten.^)

Auf der Hälfte des Weges ungefähr bei Bakin ist das Vor- gebirge S. Juan mit einer kleinen Insel gleiches Namens davor, auf der, wie mir mein Führer sagte, ein Einsiedler wohnen soll.

Zwischen Bakin und Bermeo liegt das Vorgebirge Machichaco,

') „hervorstehen" verbessert aus „hervortreten". *) „beschwerlicheren" verbessert aus „einsameren". *) „umgebenen" verbessert aus „umpflanzten". *) „her absenkten" verbessert aus „herabsandten".

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Die Vasken.

welches die flache Einbiegung, welche das Meer gegen Portugalete zu macht, auf der Ost- so wie das von Santona auf der Westseite begränzt. Denn die Berge von Santona, das Cabo Machichaco, die Insel S. Anton vor Guetaria und das Cado del Higuer sind die vier am meisten hervortretenden Punkte, welche die Aussicht des ganzen Biscayischen Golfs beherrschen, und denselben wieder in drei kleinere flache Busen abtheilen.

Gerade vor Bermeo hatte ich das Glück eines heitern Sonnen- blicks zu geniessen. Die uralte Stadt mit ihren schwarzen wellen- bespülten Thürmen, den mahlerischen Klippenufern ihrer kleinen Bucht, und den freundlich bebauten Aeckern um den Fluss herum, der sich hier ins Meer ergiesst, lag klar und hell vor mir, der SonnenGlanz, der die Landschaft überstralte, ward ^) durch den Schatten der finstern Regenwolken erhöht, welche den west- lichen Theil des Himmels bedeckten, ganz in der Ferne regnete es, und ein herrlicher Regenbogen spannte seine glänzenden Farben über das Meer aus.

Nirgends übersieht man diese Gegend besser, als von dem Wege von Bermeo nach Mundaca, der reizend und kurz wie ein blosser Spaziergang ist. Da er, immer zwischen Ackerfeldern und Weinbergen, bald höher, bald tiefer hinläuft, so übersieht man sowohl die grössere Bucht, an welcher Bermeo und Mundaca liegen, als die kleinere, welche diese wieder, die überall umgränzt -) von mit Gebüsch bewachsnen '^) Felsen und kleinen Vorgebirgen, bei Bermeo bildet, in den mannigfaltigsten Aussichten, und ge- niesst bald des vollen Anblicks des Meers, bald sieht man es nur durch eine kleine Oefnung des Felsenufers durchschimmern.

Vor der Bucht von Bermeo liegt eine kleine Insel Izaro vor. Auf derselben stand ehemals ein von der Königin Isabella 1500. gestiftetes Franciscanerkloster, das aber nachher, zu grösserer Be- quemlichkeit, nach Bermeo verlegt ward.

Bei Gelegenheit dieses Klosters erzählte mir mein sehr ge- schwätziger Maulthierführer ein Bermeosches Mährchen, das diese Insel betrift. Ein Mönch auf derselben habe eine Geliebte in Bermeo gehabt, und sey, da die Insel nicht sehr entfernt vom Ufer liegt, immer des Nachts zu ihr herübergeschwommen. Zu diesem nächtlichen Uebergange habe sie ihm aus ihrem Fenster

') 'Nach ,,ward" gestrichen: „noch".

^) „umgränzt" verbessert aus „umgeben".

^) „bewachsnen" verbessert aus „umwachsnen" .

Portugalete, Plencia, Bermeo und Mundaca. I ty

eine Fackel entgegengehalten. Einmal aber habe der Teufel die Fackel an einem andern, sehr weit entlegnen Orte der Küste er- scheinen lassen, und der betrogene Mönch sey ertrunken.

Da mir die Aehnlichkeit dieses Mährchens mit der Geschichte Hero's und Leanders auffiel, erkundigte ich mich, ob es mehrere ähn- liche Erzählungen gebe, und erfuhr, dass viele Griechische Fabeln sich mit geringen Veränderungen in Biscayischen Erzählungen wiederfinden. Man führte mir die Geschichte des Polyphems an, der wegen seiner Gefrässigkeit Gargantua*) heisst, die Arbeiten des Hercules und namentlich die Fabel der Dejanira, die dem Chomin sendo **) dem starken Dominicus beigelegt werden, die Ge- schichte des goldnen Vliesses, die in eine Schäfergeschichte umge- wandelt ist, u. a. m.

Kein Volk treibt die Liebhaberei zu Mährchen vielleicht so weit, als die Biscayer. Auch gehen eine grosse Menge derselben im Volk herum, und es giebt sogar verschiedene Glassen der- selben. Eine solche sind die der Kobolte, de los dziendes.***) Zu diesen gehört z. B. ein sehr bekanntes : Smtton hüdurhayena, Antonius ohne Furcht. Eine andre Classe sind die der Unmöglichkeiten, de los impossibles^ wie z.B. die Lebensgeschichte des Lngebohrenen u.s.f. Mit grossem Vergnügen würde ich über diese Volksmährchen ge- nauere Nachrichten eingezogen haben. Allein da sie nur im Munde des Volks existiren, so würde eine vollkommene Geläufigkeit im Ver- stehen des Vaskischen und ein noch längerer Aufenthalt nöthig seyn, sie aus dieser Quelle aufzusammlen. Männer aber, die nicht zum Volke gehören, kennen sie theils nicht, theils verachten sie es, sich damit zu beschäftigen. Auch versicherten mir einige, dass der Reiz dieser Erzählungen so innig mit der Sprache verbunden sey, dass sie im Castilianischen alle Grazie verlören, und in der That ist das mit aller ^^olkspoesie, zu welcher die Mährchen doch auch gewissermassen gehören, da dieselbe immer der natürlichste und eigenthümlichste Ausdruck der nationellen Phantasie ist, der Fall.

*) der Verschlinger, von garganta, der Schlund. **) Chomin, die Vaskische Veränderung des Namens Dominicus, sendoa, der Starke.

***) Duende von Duerio, Dominus, Herr, ist eigentlich ein Hausgeist. Denn Duendo heisst zum Hause gehörig, zahm. Auch Vaskisch heisst ein solcher Geist (wenn nemlich die Wörter naspechci, icecJia bei Larramendi nicht bloss von ihm ge- schmiedet sind) ein Hausverwirrer, Hausschreck. Dies giebt vielleicht der Herleitung des Worts Kobolt von Kobel, dem Oberdeutschen Haus, vor den anderen gelehrteren den Vorzug.

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Die Vasken.

Ob in der Aehnlichkeit einiger Vaskischen Erzählungen mit Griechischen Fabeln halbverschwundene Spuren alter gemein- schaftlicher Abstammung gesucht werden müssen, daran möchte ich zweifeln. Mir scheint diese Aehnlichkeit, wie unstreitig oft auch die zvv^ischen für verwandt gehaltenen Sprachen, vielmehr ^) von selbst zu entstehen. Das Feld, auf welchem die Mährchen erfindende Phantasie herumschwärmt , muss ^) eigentlich überall dasselbe seyn, weil die Phantasie und die menschlichen Leiden- schaften es sind, und weil auch einzelne Localitaeten, auf welche sich gewisse Fabeln (wie z. B. die Geschichte Heros und Leanders) beziehen, überall wiederkehren. Die Eigenthümlichkeit des National- charakters macht nur, dass das eine Volk anhaltender an einer, das andre an einer andern Stelle dieses Feldes verweilt, und die regellose Mannigfaltigkeit der Einbildungskraft reiht die möglichen Combinationen immer anders urtd anders zusammen. Gewiss wäre es interessant in dieser Rücksicht einmal mit prüfendem Blick das ganze bekannte Fabelreich zu durchlaufen, und wenn gleich nur mit sehr schwankenden Umrissen den Cyclus anzudeuten, welchen die Einbildungskraft darin durchwandert; in demselben aber wieder die eigenthümlichen Gebiete einzelner Zeiten und Nationen abzu- stecken. Denn offenbar bilden z. B. die Griechische Fabel, die morgenländischen Erzählungen , und die Ritterabentheuer des westlichen Europas eigene aber grosse Classen, in denen man wieder feinere Nuancen unterscheiden kann.

Mundaca liegt an der Mündung des Flusses, der von Guernica herkommt, und ist eine Antciglesia. Sie ist die erste, deren De- putirten in der Versammlung der Stände Vizcayas aufgerufen werden. Dies gründet sich aber bloss auf ein uraltes Herkommen. Denn sonst gilt in diesen Versammlungen kein Rang, der Aufruf geschieht nur pünktlich einmal wie das andre.

Guernica.

Ein lieblicher Weg führt landeinwärts an dem Fluss hin zu diesem Städtchen, das nur etwa aus loo Familien besteht, aber gut und reinlich gebaut ist. Zuerst kommt man durch eine bergigte und waldreiche Gegend, die sich aber gegen Guernica zu in eine

^) „vielmehr" verbessert aus „ganz natürlich und"'. ^) Nach „muss^' gestrichen: „grossentheils".

Guernica.

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schönbebaute Ebne öfnet. Der Fluss ist wenigstens hinreichend gross, um mit Getreide und Eisenerde beladene Kähne bis an die Stadt zu bringen. In der Zeit, in der ich in Guernica war, über- zeugte ich mich nur zu sehr, dass er manchmal ein sogar seinen Ufern gefährliches Anschwellen') erreichen kann. Er über- schwemmte in einer einzigen Nacht die ganze Gegend so fürchter- lich, dass das Wasser 7 bis 8 Schuh hoch -) über der Brücke stand, und die Communication mit allen benachbarten Orten auf einmal abgeschnitten war. Hier drei Tage lang in einer elenden Herberge^) eingeschlossen,*) war meine Lage nichts weniger als angenehm. Zwar fand ich glücklicherweise einen Don Quixote, der selten in einem Spanischen Wirthshause fehlt; allein da mir eine ganz dunkle Kammer zur Wohnung angewiesen war, so bheb mir zum Lesen kein anderes Zimmer, als das meines Winhes übrig, und selbst aus diesem wurde ich jeden Nachmittag, wann er seine nicht kurze Mittagsruh halten wollte, auf eine zwar sehr höfliche, aber darum nicht minder dringende Weise in die Küche verwiesen. Ich benutzte indess diesen Aufenthalt, um mich ge- nauer mit der Vizcavischen Verfassung bekannt zu machen, die in Guernica ihren eigentlichen Sitz und Mittelpunkt hat, da alle öffentliche A^erhandlungen immer mit den Worten : so el arbol de Guernica, unter dem Baum von Guernica, anheben.^)

Denn so wie sich, wie ich oben bemerkt habe, die Gemeinen von Alava, bis zu ihrer freiwilligen Autlösung, auf dem Felde von Arriaga versammelten, so versammeln sich noch bis auf den heutigen Tag die Deputirten von Mzca3'a unter dem Baum von Guernica, und wenn sie auch jetzt nicht mehr dort, sondern in der dabei erbauten Kapelle ihre Berathschlagungen halten, so übergeben sie doch hier unter freiem Himmel ihre Vollmachten, und fangen allemal unter dem Baume selbst die Feierlichkeit an. An diesen dürfte die Einbildungskraft ^) nun freilich wohl andre Federungen

^) „ein .... gefährliches Anschwellen" verbessert aus „eine .... gefährliche Grösse".

^) „7 hoch" verbessert aus „über Mannshöhe".

') „elenden Herberge" verbessert aus „dunkeln Kammer und der Küche eines elenden Wirthshauses".

*) Nach „eingeschlossen" gestrichen: ,,m dem mir keine andre Zuflucht blieb, als".

*) „anheben" verbessert aus „anfangen".

*) Nach „Einbildungskraft" gestrichen: „der Reisenden".

j(3o I-^'^ Vasken.

machen, als sie beim wirklichen Anblick erfüllt findet. Man wünschte eine durch ihr Alter ehrwürdige, laubreiche ^) Eiche auf einem schönen freien, ländlichen Platze zu sehen, um sich lebhafter jene Zeiten zurückrufen zu können, in welchen die Angelegenheiten einer Nation einfacher, als jetzt kaum die einer Familie entschieden wurden. Allein man findet eine zwar ziemlich grosse, aber nichts weniger als mahlerische Steineiche, mit einem vom Winde ge- wundenen aufgeborstenen Stamm, und einigen vertrockneten Aesten, ein Bild, wenn man will, der \''erfassung, die auch manchen Stürmen getrotzt, allein auch manchen unterlegen hat, und in mehr als einem Stück von ihrer ursprünglichen Form ausgeartet ist. Neben den eigentlichen Baum sind einige jüngere gepflanzt, um jenen, wenn er ausgehen sollte, sogleich zu ersetzen. Keiner von allen steht frei, sondern vor ihnen ist eine Art steinerner Schranken und Bühne gebaut, zu der man einige Stufen in die Höhe steigt. Hier sitzen zur Zeit der Versammlungen die Personen, welche die^) Regierung der Provinz ausmachen, auf einer Bank mit sieben, durch steinerne Zwischenlehnen abgesonderten Plätzen. Den mittelsten nimmt der Corregidor ein, und auf ihn folgen zu beiden Seiten die beiden General-Deputirten, Syndici und Secretaire. An der hohen steinernen Hinterlehne der Sitze sieht man in der Mitte das Castilische, und an beiden Seiten zweimal das Vizcayische Wappen, zwei laufende Wölfe mit einem mit Laub bewachsenen Kreuze hinter ihnen. Zu den Seiten und vorn ist dieser Sitz von niedrigeren gleichfalls steinernen Brustwehren umgeben, und vorn, dem Sitz des Corregidors gegenüber, ist die Oefnung freigelassen. Vor dem Sitz ist ein mit Quadersteinen gepflasterter länglicht viereckter Platz, auf dem vier Säulen stehen. Diese trugen ehemals ein Dach, unter dem man vor Erbauung der Kap.elle die Berath- schlagungen hielt.

Ferdinand der Katholische beschwor an dieser Stelle die Freiheiten und Rechte Vizcayas, und man sieht diese Feierlichkeit noch über dem einen Eingange der Capelle abgebildet. Der König sitzt auf dem Platz den jetzt der Corregidor einnimmt. Seine Gemahhn, Isabella, befindet sich unter den Frauen herum. ^)

') „laubreiche'^ verbessert aus „aestereiche".

^) Nach „die" gestrichen: „eigent[liche]".

') Nach Jierurn" gestrichen: „Seit jener Zeit ist kein König mehr zu dieser Feierlichkeit in Person erschienen, obgleich die eidliche Bestärkung der Privilegien noch immer Statt findet."

Guemica. 1^1

Die Kapelle, oder, wie sie eigentlich heisst, la Iglesia juradera de S. Maria la aniigua ist dicht daneben gebaut, und ist ein läng- lichter Saal, der auf seinen Sitzen, die sich, einfach aus Holz ge- schnitzt, in drei Reihen über einander erheben, etwa 300 Menschen hält, mit zwei Eingängen, einem an der schmalen Seite, dem Altar gegenüber, und einem am Ende der einen langen, zur rechten Seite des Altars. Der Saal ist mit rothen Steinen gepflastert, oben sieht man die Sparren des Dachs, und statt aller Verzierungen dienen ihm die sehr mittelmässig gemahlten Abbildungen der ehemaligen unabhängigen Herren Vizcayas. Nur zwei unter diesen fielen mir besonders auf: liiigo Esquerra und sein Sohn daneben. Der \"ater ist in einer zornigen Stellung, und in völliger Rüstung, als wolle er fechten, der Sohn barfuss, im Hemde und mit einer Lanze ohne Spitze. Die Geschichte erzählt nemlich, der Vater habe den Sohn zum Kampf herausgefodert, der Sohn habe sich zum Beweise seiner Unschuld auf diese wehrlose Weise gestellt, und dennoch den Vater getödtet. Bei den Versammlungen sitzen die Deputirten auf den Bänken des Saals, für die Regierung stellt man einen langen Tisch mit Stühlen vor den Altar, die Thüren bleiben offen und der Saal ist mit Zuhörern angefüllt. Diese sitzen ohne Unterschied unter den Deputirten selbst; nur die Frauen haben ihren Platz immer zunächst an der Thür. Bloss die De- putirten von Mundaca nehmen gewöhnlich, doch ohne ein be- sondres Recht dazu zu besitzen, als die zuerst gerufenen, den obersten Platz ein. Die Deputirten haben kein besondres Costüm und man sieht die alte ländliche Nationaltracht mit unsrer gewöhn- lichen städtischen in buntem Gemisch neben einander.

In der Sacristei der Kapelle ist das Archiv der Provinz. Die ältesten Acten, welche Landesversammlungen betreffen, gehen nicht über das 15. Jahrhundert hinaus.

Da schon der edle Vizcayer ein Stadtbewohner zu seyn ver- schmäht,^) so wird man sich wundern, den Baum von Guernica, gleichsam den bildlichen Repräsentanten der ganzen Verfassung in einer Stadt anzutreffen. Allein der Ort, wo er steht, gehört zu dem Dorf (der Ankiglesia) Luno das gegenüber auf einem Berge Hegt; nur weil derselbe in alten Zeiten eine Art Quartier oder Vorstadt {barriada) von Luno war, und Guernica hiess, so

') „ein verschmäht" verbessert aus „einen Stolz darin setzt, kein .

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Die Verfassung mehr Ausnahmen üb-. Art, wie die Provinz bar. Denn jeder On er sey gross oder kle nicht alle Theile der I spät in die \'erfassur Encartacicmes , Districi mehr Vaskisch gespr^ lung, haben aber we weder zu GeneralDepi hat man neuerlich se der Provinz vereinigt, sie alsdann zu gleiche bestreiten müssen , zu kleine Summe beitragen. Jahre 1631. Vizcaya '^ eine gewisse Anzahl gaben Theil zu nehmt Stimmen auf der J^u/u tglesias besteht, so beni .eine grössere Anzahl v immen*) zu verlange;

sie mit einer ne wtT Aiife-igksistn e

ften der Provinz ie Lasten. 0'

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-Ten, und beschicken, wie sie. die Ver- as ist nicht so regelmässig, und mit a, als die von Guipuzcoa. Schon die Junta repraesentirt wird, ist sonder- :hicke einen oder mehrere Deputirte. at nur Eine Stimme. Dabei besitzen ^ gleiche Rechte. Die Städte sind erst :i;enommen worden. Die sogenannten seits des Ibayzabals, in denen nicht wird, beschicken zwar die ^'e^samm- "tive, noch passive Stimmen, können wählen, noch gewählt werden. Doch jrselben mit den übrigen Merindaden idern weigern sich noch dessen, weil •ilen die Ausgaben der-; Provinz mit .n sie jetzt nur eine bestimmte und ^e Merindad Durango ist erst seit dem eibt worden. Indem sie damals für euerstellen an den allgemeinen Ab- rsprach . erhielt sie das Recht zwei zuüben. '') Da sie aber aus 1 1 Ajite- -ie die ^'eranlassung, dass man sie für ;uerstellen beisteuern liess, um mehr d erhielt 1740. fünf. Im Jahr 1800. •-^oderung zurück, und wollte nun für timme besitzen, um völlig den übrigen hgestellt zu werden. Sie berief sich vährend des letzten Krieges getragen, ihre ganze waffentähige Mannschaft theidigung genommen, und auf ein serbaren Feuerstellen aufs neue höher [er wurde nicht entschieden, sondern jn der nächsten Versammlung über-

,Dxe Anzahl der Stimmen, welche ier . . . .''

')eputirte zur Junta zu senden".

jg2 I- Die Vasken.

führte auch der Baum, schon vor der Erbauung des jetzigen Fleckens, denselben Namen.

Vizcaya war ursprünglich und ist grossentheils noch jetzt ein wahrer Freistaat von Landeigenthümern. So wie es in Deutsch- land und Frankreich eine feudale Ritterverfassung gab, so bestand hier eine freie Bauernverfassung; jeder Hausvater war Bürger und jeder frei, denn jeder nahm (wie auch noch heutiges Tages) an der Wahl der Deputirten Theil, welche die allgemeinen Landes- angelegenheiten besorgten. Nur der Städter und Handwerker hatte überall das Schicksal von dem herrschenden Theil der Na- tion ausgeschlossen zu werden, und wie bei uns der kampfrüstige Ritter, so verdrängte ihn hier der auf seine einsame und unab- hängige Gebirgswohnung stolze Landmann. Das Zusammenleben in geschlossenen Mauern und ,die Beschäftigung mit sitzenden Arbeiten brachten einen Geist der Abhängigkeit hervor, der beiden gleich verhasst war. Den ächten Freiheitssinn des Vizcayischen Landmanns beweist schon sein einsames und zerstreutes Wohnen. Weder durch die Furcht vor feindlichen Anfällen, wie im übrigen Spanien (wo die beständigen Streifzüge ^) der Mauren bei denen man der festen Plätze bedurfte, augenblickhch Güter und Heerden in dieselben zu retten, die Anlegung otner Dörfer fast unmöglich machte), noch durch den Willen eines Herrn, dem er zu dienen verbunden war, mit vielen in einen Haufen zusammengedrängt, wählte er seine Wohnung am liebsten da, wo er am freiesten und ungehindertsten schalten könnte.

Ursprünglich beruhte auch die ganze Verfassung ausschliessend auf den Bewohnern des flachen Landes {los moradores de la Tierra- Llana\ "") sie machten eine abgesonderte Parthei im Gegensatz mit den Städten aus, die Ante-iglesias allein schickten Deputirte zur Landesversammlung {Junta\ wann eine Stadt einem aus ihrer Mitte eine Beleidigung zugefügt hatte, übernahmen sogar gesetzlich*) alle gemeinschaftlich seine Vertheidigung , und seine väterliche Wohnung auf dem Lande mit einer städtischen zu vertauschen war als eine unedle, erniedrigende Handlung angesehen. Erst im vorigen Jahrhunderte ist die Vereinigung der Ante-iglesias und villas geschehen, und erst seitdem geniessen die letzteren

♦) Fueros de Vizcaya. Tit. 30. /. i. p. 167.

*) „Streifzüge" verbessert ans „Einfälle".

^) Nach „TieiTa.-L\a.na." gestrichen : „die sich vorzugsweise Vizcay er nannten".

Guernica.

163

gleiche Rechte mit den ersteren, und beschicken, wie sie, die Ver- sammlung.^)

Die Verfassung Vizcayas ist nicht so regelmässig, und mit mehr Ausnahmen überladen, als die von Guipuzcoa. Schon die Art, wie die Provinz in der Junta repraesentirt wird, ist sonder- bar. Denn jeder Ort, er schicke einen oder mehrere Deputirte, er sey gross oder klein, hat nur Eine Stimme. Dabei besitzen nicht alle Theile der Provinz gleiche Rechte. Die Städte sind erst spät in die Verfassung aufgenommen worden. Die sogenannten Eiicartaciones , Districte jenseits des Ibayzabals, in denen nicht mehr Vaskisch gesprochen wird, beschicken zwar die Versamm- lung, haben aber weder active, noch passive Stimmen, können weder zu GeneralDeputirten wählen, noch gewählt werden. Doch hat man neuerlich sechs derselben mit den übrigen Merindaden der Provinz vereinigt, die andern weigern sich noch dessen, weil sie alsdann zu gleichen Theilen die Ausgaben der -) Provinz mit bestreiten müssen, zu denen sie jetzt nur eine bestimmte und kleine Summe beitragen. Die Merindad Durango ist erst seit dem Jahre 1631. Vizcaya einverleibt worden. Indem sie damals für eine gewisse Anzahl von Feuerstellen an den allgemeinen Ab- gaben Theil zu nehmen versprach, erhielt sie das Recht zwei Stimmen auf der Junta auszuüben. •') Da sie aber aus 1 1 Ante- iglesias besteht, so benutzte sie die \'^eranlassung, dass man sie für eine grössere Anzahl von Feuerstellen beisteuern Hess, um mehr Stimmen^) zu verlangen, und erhielt 1740. fünf. Im Jahr 1800. kehrte sie mit einer neuen Foderung zurück, und wollte nun für jede ihrer Ante-iglesistx\ eine Stimme besitzen, um völlig den übrigen Ortschaften der Provinz gleichgestellt zu werden. Sie berief sich dabei auf die Lasten, die sie während des letzten Krieges getragen, auf den thätigen Antheil, den ihre ganze waffenfähige Mannschaft an der allgemeinen Landesvertheidigung genommen, und auf ein Project, die Anzahl ihrer steuerbaren Feuerstellen aufs neue höher zu bestimmen. Die Sache aber wurde nicht entschieden, sondern einer Commission zum Vortrag in der nächsten Versammlung über-

^) Hier ist folgender Absatz gestrichen: „Die Anzahl der Stimmen, welche jeder Ort auf der Junta ausübt, richtet sich weder . . . ." ^) Nach „der" gestrichen: „ganzen".

*) „Stimmen auszuüben" verbessert aus „Deputirte zur Junta zu senden". *) ,^timmen" verbessert aus „Deputirten".

II*

164

I. Die Vasken.

geben. *) Die Zahl aller Stimmen auf der Junta^ die aber, wie man sieht, von Zeit zu Zeit zugenommen hat, und noch zunehmen kann, belief sich im Jahr 1800. auf 107. Wenn zwei Deputirten des- selben Orts uneinig sind, so verliert, da die Stimme nicht getheilt werden kann, der Ort für diesmal sein Stimmrecht.**)

Die Generalversammlung geschieht alle zwei Jahre, im Junius oder Julius. Die Menge von Menschen, die bei der Klein- heit des Landes und dem vaterländischen Interesse, das alle an diesen Berathschlagungen nehmen, dazu zusammenströmen, giebt dem kleinen') Guernica in dieser Zeit^) das Ansehen einer der lebhaftesten und bevölkertsten Orte. Der Zweck der Versammlungen ist ein doppelter: die Anordnung der gemeinschaftlichen Landes- angelegenheiten, und die Wahl der GeneralDeputirten, und andrer zur Regierung gehörigen Personen.

Die Punkte über die berathschlagt werden soll, sind in dem Zusammenberufungspatent (der Convocatoria) angegeben. Sie be- treffen alles, was das Wohl der Provinz im Ganzen angeht, die Foderungen freiwilliger Beisteuern, welche der König an sie macht, die Innern Finanzangelegenheiten derselben, die Anstalten zur öffentlichen Sicherheit, so wie alle, welche zur Landespolizei ge- hören, die Besetzung einiger Stellen, über welche die Jimta ver- fügt, die Getreideausfuhr und andre Handelsgegenstände, den Zustand und die Unterhaltung der Geistlichkeit, endlich die Ansprüche einzelner Gemeinen oder Individuen an die Provinz. Die Berathschlagung über alle diese Gegenstände ist durchaus frei. Nur hat sie die Unbequemlichkeit, dass, da jeder, ohne nur erst das Wort zu fodern, von seinem Sitze herab spricht, oft mehr Lärm und Verwirrung, als ruhige Discussion statt findet. Meisten- theils werden auch die Sachen, nach unnützem Hin und Her- sprechen, einer Commission übergeben, die sich alsdann in die Sacristei verfügt, und ein Gutachten entwirft, über das hernach durch Stimmenmehrheit entschieden wird.

Die Wahl der GeneralDeputirten, die ihr Amt von einer Generalversammlung zur andern, folglich 2 Jahre hindurch be- halten, ist der letzte Act der Jimta. Alle Orte der Provinz sind

*) Acuerdos de Juntas Generales del Senorio de Vizcaya celebrados en el ano 1800. p. 68. 73. 83.

**) Ein Beispiel davon findet man am a. O. /?. 85. ') „giebt dem kleinen" verbessert aus „macht das kleine". ') Nach „ZeiV gestrichen: „zu einem der lebhaßesten und".

Guernica.

165

ZU diesem Behuf in zwei Partheien (Parcialiaades) ^ in die der Ohacinos und die der Gamhrinos vertheilt eine Eintheilung, die, so wie die Namen selbst, aus den Zeiten herrührt, wo das ganze Land in ewig mit einander in Streit begriffene Partheien zerfiel. Jeder beider Theile wählt einen eignen Deputirten, und auf gleiche Weise sind auch alle übrige Wahlen zwischen beide vertheilt, so dass jede ihre selbstgewählten Magistratspersonen hat. Dieser Unterschied bezieht sich indess bloss auf die W^ahl, und hat her- nach nicht den mindesten weiteren Einfluss. Um diese nun vor- zunehmen, werden die Namen aller stimmhabenden Orte einer Parthei in eine Urne gethan, und durch einen Knaben drei heraus- gezogen. Diese drei sind die eigentlichen Wahlorte, und sobald sie bestimmt sind, hört der Antheil der Jtinta an der Wahl auf, und dieselbe wird für geschlossen erklärt.

Am Nachmittag desselben Tages aber versammeln sich die Deputirten der Wahlorte in der Capelle, bei verschlossenen Thüren, schwören auf das Evangelium unpartheiisch und nach Recht und Gewissen zu wählen, und schlagen nun jeder laut ein Subject vor. Jeder Wahlort hat nemlich zwei Stimmen die er entweder Einem oder zwei Subjecten ertheilen kann. Werden gegen den Vorgeschlagenen Einwendungen vorgebracht, die man gültig findet, so bleibt er zurück; sonst aber werden die xXamen aller Vorgeschlagenen wieder in eine Urne gethan, und drei davon herausgezogen. Der erste ist der wirkliche GeneralDeputirte für die zwei nächsten Jahre, die beiden andern sind seine even- tuellen Substituten.

Die Wahl der übrigen Magistratspersonen geschieht auf ähnliche Weise, und ganz auf die gleiche die der andern Parthei. Die Ohacinos wählen dem Herkommen nach zuerst.

Die GeneralDeputirten geniessen einen Gehalt, der aber so unbeträchtlich ist, dass er diejenigen, die nicht gewöhnlich Bilbao bewohnen, nicht einmal für die Kosten des Aufenthaltes daselbst, den ihnen ihr Amt zur Pflicht macht, entschädigt. Nach Endigung ihrer Würde heissen sie Väter der Provinz (Padres de Provincia)^ haben als solche Sitz in der Generalversammlung, können mit- reden, jedoch nicht mitstimmen, und werden bei dem Zusammen- kommen sogar zuerst aufgerufen. Auch braucht man sie häufig zu Gommissionen. Kein Stand schliesst von der Würde eines GeneralDeputirten aus, und in neueren Zeiten haben auch Kauf- leute sie bekleidet.

ißß I. Die Vasken.

In der Zwischenzeit der Versammlungen besorgen sie gemein- schaftlich und beide mit gleichem Recht die Angelegenheiten der Provinz, und sie nebst den beiden Syndicis und dem Corregidor machen die wahre Regierung (Gobierno) der Provinz aus. Den Syndicis zur Seite steht ein ConsiiUador perpctuo ^ der einen reichlichen Gehalt geniesst, ein Rechtsverständiger ist, und immer sein Gutachten hinzufügen muss. Der Corregidor wird vom König ernannt, und hat zwar eigentlich in den Berathschlagungen der Regierung keine Stimme, giebt aber den Ausschlag, wann die Stimmen getheilt sind.

Dadurch wird sein Einfluss sehr gross, und die Krone behält durch ihn hinlängliche Mittel in Händen ihre Absichten durch- zusetzen. Den Rechten der Provinz nach soll kein königliches Edict ( Ceditla) gültig seyn, das 'gegen die einmal zugestandenen Freiheiten läuft. Dies sagt das Vizcayische Recht ausdrücklich; eine solche Verordnung soll mit Achtung aufgenommen, aber nicht erfüllt werden, und der Richter der nach ihr spricht, soll, wenn sie auch zwei und dreimal erneuert worden wäre, in Strafe verfallen.*) Allein es wird nicht bestimmt, wem die Beurtheilung der Verordnung zukommen soll. Ehemals übte die Provinz sie aus; allein im 17. Jahrhundert schickte der Hof einen Alcalde de Corte mit einer Commission nach Bilbao und änderte dies ab. Jetzt kommt jede Verordnung an den Corregidor, dieser theilt sie dem Syndicus mit, der sie alsdann mit seinem Gutachten, das sich immer auf die Meynung des sich mit unterschreibenden Consta- tador perpetiw stützt, zurückschickt. Nach diesem Gutachten ent- scheidet nun der Corregidor, ob die Verordnung ungeachtet der Einwendungen des Syndicus durchgehen, ob ihre Gültigkeit auf- geschoben, oder ob sie ganz und gar zurückgenommen werden soll?

In den Generalversammlungen selbst herrscht jedoch eine fast unbeschränkte Freiheit, und ein wahrer Geist der Unabhängigkeit, und die Gegenwart des Corregidors hindert nicht, dass jeder frei

*) Fueros. Tit. i. /. 11. p. 20. Otrosi dixeron: que avian por fuero et ley et franqueza et libertad, que qualquie?-a Carla 0 Provision Real, que el dicho Senor de Vizcaya diere ö mandare dar, ö provar que sea 0 ser pueda, contra las leyes et Fueros de Vizcaya, directe ö indirecte, que sea obedecida et no cumplida. und an einer andern Stelle, Tit. 36. /. 3. p. 21g. y que aunque venga proveido et mandado de su Alteza por su Cedula et Provision Real, primera, ni seguenda, ni tercera jusion et mas, sea obedecida et non cumplida, como cosa desaforada de la tierra.

Guernica. ißn

seine Meynung sagt. Manchmal entfernt er sich auch, und oft wird Vaskisch gesprochen, das er nicht versteht. Er selbst lässt sogar , bei allgemein interessirenden Verhandlungen , die Ein- gaben manchmal in beiden Sprachen verlesen. Dieser Freiheit der Aeusserungen keine Fesseln anzulegen, ist eine wohlver- standene und heilsame Politik. Man beleidigt dadurch nicht den Stolz der Nation, man unterhält in ihr die Meynung der alten weniger beschränkten Unabhängigkeit, nährt den edleren und höheren Charakter und den Patriotismus, der aus diesem Gefühle entspringt, und verliert in den Resultaten nur wenig. Denn wann, wie fast immer geschieht, der Gegenstand der Verhandlung vor eine einzelne Commission kommt, gewinnt er oft eine ganz andre Gestalt, als in der allgemeinen Berathschlagung.

Indess übt, wie man zur Ehre des Königs und seines Mi- nisteriums gestehen muss, der Hof die Gewalt, die er natürlich in Händen hat, immer nur mit weiser Mässigung aus. Noch in diesem Augenblick geniesst Vizcaya der wesentlichsten Vorrechte ; man bedenke nur das eine,^) dass es so wenig willkührlich be- steuert werden kann, dass noch jetzt bisweilen die von der Krone verlangten freiwilligen Geschenke abgelehnt werden. Auch könnte die Spanische Regierung, man kann es nicht oft genug wieder- holen, nie soviel durch Erweiterung ihrer Rechte auf Biscaya gewinnen, als sie durch das Sinken des Patriotismus und des Nationalgeistes verlieren würde, der eine unausbleibliche Folge der Beschränkung der Biscayischen Freiheiten se3'^n würde. Klein und nur kärglich von der Natur ausgestattet besitzt dies sonder- bare Ländchen keinen andern Reichthum, als die Menge und die Charakterstärke seiner Bewohner. Diese, zugleich muthig, unter- nehmend und thätig, öfnen sich in dem Drange, den die zahl- reiche Bevölkerung verbunden mit der Unzulänghchkeit der Er- zeugnisse des Bodens hervorbringt, immer neue Bahnen zu Reichthum und Glück, und wenden, was sie auf diesem Wege erringen, zur Verbesserung und Verschönerung ihres Vaterlandes an. Das Beispiel des Einen wird dem andern zum Sporn, und so herrscht überall in den FamiHen Wohlstand und Bequemlich- keit, in öffentlichen Anstalten Grösse und Pracht. Wird dieser Gemeingeist, durch Beschneidung der politischen Freiheit, in seiner

*) „man eine" verbessert ans „wie 7nan gleich sieht, wenn man nur bedenkt".

jgg I. Die Vasken.

Wurzel angegriffen, nimmt man dem Biscayer den Gedanken dass er für das Glück und den Namen eines eignen, abgesonderten, mehr sich selbst überlassenen , und auf sich selbst beruhenden Volkes arbeitet; so fällt alles dies auf einmal über den Haufen, und die Provinz wird auf einmal zu einem Zustande der Armuth und Nichtigkeit verdammt. Aus diesen Gründen vorzüglich, nicht aber aus kleinlichen, oder eigennützigen LocalAbsichten wird der ^) aufgeklärte und patriotisch gesinnte Biscayer auf die Vorrechte seiner Nation stolz seyn, und darum verträgt sich das Behaupten derselben sowohl mit der bei allen wahrhaft patriotischen Bis- cayern grossen und lebhaften Anhänglichkeit an die Krone, die,^) wenn ihr Bisca3^a mehr gelten soll, als ein unbedeutender Strich von wenigen Quadratmeilen meist bergigten und unfruchtbaren Bodens, kein anderes Mittel in Händen hat, als den Nationalgeist des Volks durch weise Schonung' seiner Vorrechte zu unterhalten. Die sämmtlichen Privilegien Vizcayas sind in den sogenannten Fueros de Vizcaya*) gesammelt,^) die zugleich das eigentliche Ge- setzbuch der Nation ausmachen. Am 5. April, 1526. nemlich beschloss die General-Versammlung der Gemeinen unter dem Baum von Guernica eine neue Durchsicht und Verbesserung ihres Fueros vorzunehmen, weil dasselbe in mancher Hinsicht der Be- richtigungen und Zusätze bedurfte. Sie wählten zu dieser Absicht 14. Deputirten, und trugen diesen die Anfertigung eines neuen Fueros auf, das in 20 Tagen beendigt seyn sollte. Dies kam nun auch in der That in dieser Zeit zu Stande, und wurde nach den Vorschlägen der Deputirten, denen der Corregidor zugegeben war, niedergeschrieben, so dass, da man die Form der einfachen Er- zählung des Herganges beibehalten hat, jedes Gesetz mit den Worten: „und wiederum sagten sie" {Oirosi dixeron) anfängt. Darauf wurde es der Königin Isabella zur Bestätigung vorgelegt, die es in Aranda den 14. October 1473. beschwor. Dieselbe eid- liche Bestärkung muss jeder König wiederholen, und gleich das

*) Fueros, franqiiezas, libertades, Buenos usos, y costunibres del muy noble, y muy leal, Senorio de Vizcaya, confirmados por el Key D. Philipe Quinto, Nuestro Senor, y por los Senores Reyes sus Predecesores. Impresso en Bilbao : por Antonio de Zafra. 271. Seiten folio.

^) Nach „der'' gestrichen: „eifrige".

*) Nach „die" gestrichen: „sich in Biscaya immer lebendig und gross ge- zeigt hat, weil der wohlverstandene Vortheil der letzteren mit der Erhaltung".

^) „gesammelt'' verbessert aus „enthalten".

Guernica.

169

erste Gesetz des Fueros macht sie ihm, sobald er nur 14. Jahr alt ist, unter Bedrohung der Aufkündigung alles Gehorsams, wenn er sie nicht innerhalb eines Jahres vornimmt, zur Pflicht. Eigent- lich muss der neue König selbst nach Vizcaya kommen, und die Freiheiten der Nation an mehreren Orten, unter andern auch unter dem Baum von Guernica beschwören. Allein seit Ferdi- nand dem Katholischen ist kein König in Person erschienen. Ein Hauptpunkt ^) dieses Schwurs ist das Versprechen, Vizcaya nie wieder ganz, noch irgend einen Ort in demselben zu verkaufen, zu verschenken, oder sonst zu veräussern, und in dem Eid Isa- bellens wird es den Vizcayern sogar zum ^'erdienst angerechnet, dass sie trotz der Veräusserungen, welche der mit den Krongütern so freigebige König Heinrich 4. mit mehreren Vizcayischen Orten vorgenommen, doch immer treu bei der Spanischen Krone geblieben seyen.-j Ueberhaupt hat die einfache Sprache, in der in jenen Zeiten die Könige geradezu die ihnen von Provinzen geleisteten Dienste anerkannten, etwas sehr Rührendes. Ferdinand der Katholische erwähnt in seinem Schwur alle Stände besonders, vergisst selbst die Frauen und Mädchen nicht, und gesteht, dass sie mehr gethan, als wozu ihre Vorrechte sie verbindlich machten. *)

Nach diesem Gesetzbuche nun, von dem es ausdrücklich heisst, dass es mehr nach Billigkeit und schlichtem Menschenver- stände, als nach rechtlichen Spitzfindigkeiten verfasst sey,**) sollen alle Streitigkeiten zwischen Mzcayern entschieden, und die andern Gesetze des Königreichs nur subsidiarisch zu Hülfe genommen werden, und dies geschieht auch in der That nicht nur im Lande

*) (El Rey) dixo : que jiiraba y juri, que por- quanto despues que Su Alteza reyna, veyendo sus necessidades, y la giierra injusta que los Reyes de Francia Y Portugal contra su Real persona y sus Reynos han movido, los Cavalleros y Escuderos, y Hijos-Dalgo y Duenas y Donzellas, y Labradores y cada uno en SU estado de los Vezinos y Moradores deste Condado y Encartaciones y Duran- gueses, con gran amor y lealtad le avian, y han servido, y seguido, e sirven e siguen, e poniendo sus personas, y caudales, y haziendas a todo reisgo y peligro, como Buenos y leales, y sinalados Vassallos y con aquella obediencia y fidelidad y lealtad que le son tenudos y obligados; y aun de mas, y allende de lo que sus fueros y Privilegios les obligaban y apremiaban. Fueros. p. 230.

**) su fuero, el quäl es mas de alvedrio que de sotileza y rigor de derecho. Fueros. tit. 36. /. 3. p. 218.

^) „Ein Hauptpunkt" verbessert aus „Eine Hauptclausel".

^) Bei diesem Satze steht am Rande ein Fragezeichen.

lyo

I. Die Vasken.

selbst, sondern auch in den höchsten Gerichtshöfen Spaniens, wohin die Processe in letzter Instanz gelangen.

Die am meisten in diesen Gesetzen ins Licht gesetzte Frei- heit der Vizcayer ist ihr angenommener Adel, weil auf diesem wiederum mehrere der andern beruhen. Alle Vizcayer, heisst es, sind Edelleute, von adlichem Geschlecht und reinem ßlut,*) und wer von Juden und Mohren oder NeuBekehrten abstammt, kann sich nicht in Vizcaya ankaufen, oder einheimisch machen. Daher fremde Kaufleute, die sich in Bilbao häuslich niederlassen wollen, Nachweisungen über ihr Geschlecht geben müssen und dabei oft grosse Schwierigkeiten antreffen. Wenn dagegen ein Vizcayer in eine andre Provinz Spaniens zieht, so ist es hinlänglich, dass er seine Abkunft aus dieser Provinz darthut, um der gewöhnlichen, aber, wie schon im Vorigen bemerkt worden ist,^) nicht sehr bedeutenden adlichen Vorrechte zu geniessen.

Auf diesem allgemeinen Privilegium beruhen^) einige per- sönliche Vorrechte der Vizcayer, wie z. B. dass keiner wegen Schulden verhaftet werden kann**) dass, einige wenige Ver- brechen***) ausgenom^men , gegen keinen die Folter, noch die Androhung derselben Statt findet, f) und in Vizcaya liegende Güter ^) eines Verbrechers niemals und in keinem Fall zum Besten der Krone oder des Fiscus confiscirt werden können, sondern immer den natürlichen Erben anheimfallen müssen.ff)

Noch wichtiger aber sind diejenigen Immunitäten, die eine*) unmittelbarere Beziehung auf die ganze Nation haben; die Frei- heit von Abgaben, die Freiheit des Handels, und der eigne Gerichts- stand aller Vizcayer.

Von eigentlichen Abgaben zieht der König bloss' einige auf gewissen Besitzungen von Alters her ruhende unbedeutende

*) todos los dichos Vizcaynos son hombres hijos-dalgo y de noble linaje et limpia sangre. Fueros. tit. i. /. 13. j?. 20. **) Fueros. tit. 16. /. 3. p. 95.

***) die Ausnahmen sind die Verbrechen der Ketzerei, der beleidigten Majestät, des falschen Münzens, und der Sodomie. Ib. tit. 9. /. 9. p. 66. t) /. c. und tit. I. /. 12. p. 20. tt) Ib. tit. II. /. 2^. p. 88. ») Vgl. oben S. 86.

^) Nach „beruhen" gestrichen: „grösstentheils". ') „in Güter" verbessert aus „das Vermögen". *) Nach „eine" gestrichen: „noch".

Guernica.

171

Renten und Zinsen.*) Sonst erhält er bloss freiwillige Geschenke und noch in den neuesten Zeiten sind, wie schon im Vorigen be- merkt worden , ^) Beispiele vorhanden , dass man dieselben ab- gelehnt hat.

Die Handelsfreiheit ist uneingeschränkt, und ihr allein ver- dankt Mzcaya, dass es seine vortheilhafte Lage am Meer so glücklich benutzen kann. Dieselbe erstreckt sich auch auf den Ein- und Verkauf in den Dörfern und Städten im Innern des Landes.**) Wollen jedoch zwei Drittheile einer Gemeine überein- kommen, Brod, Fleisch, Wein u. s. w. nur von gewissen privi- legirten Aufkäufern zu nehmen, so steht es bei ihnen, diese Ein- richtung zu treffen.***)

In Absicht des Gerichtstandes kann kein Vizca^^er wegen irgend eines Verbrechens (einige wenige ausgenommen) oder irgend einer Schuld in erster Instanz vor ein Gericht ausserhalb Vizcayas gezogen werden.f) Ja selbst wenn er sich in andern Theilen Spaniens niedergelassen hat, hat er bloss den GrossRichter Vizcayas in der Kanzlei von Valladolid als seinen gesetzmässigen Richter anzuerkennen.ft)

Die ^^erpflichtung zur allgemeinen Bewafnung im Fall eines Königlichen Aufrufs, die aber mehr als eine Immunität angesehen werden kann , weil sie von der gezwungenen Theilnahme am Kriegsdienst in Friedenszeiten befreit, trägt noch ganz den Charakter der ehemaligen Zeiten an sich. Die ganze waffenfähige Mannschaft ist dem König ohne Sold zu folgen verbunden. Allein diese Ver- bindlichkeit geht nur bis an einen bestimmten, im Gesetzbuch ausdrücklich genannten Ort (fasta el Arbol Malato qiie es en Luya- ondo). Sollen sie in weiterer Entfernung Dienste thun, so muss ihnen Sold gezahlt werden.yft)

Aehnliche Ueberbleibsel älterer Sitten finden sich auch in andern Theilen des Gesetzbuchs. So haben z. B. wenn ein Mensch von einem andern umgebracht ist, die Verwandten des Erschlagnen nicht nur das Recht, einen ordentlichen Anklageprocess gegen den

*) Fueros. tit. i. /. ^. p. 15. **) Ib. tit. I. /. 10. p. 20. ***) Ib. tit. 33- /• 4- p- 192. t) Ib. tit. 7. /. 1—4- p- 47—51- tt) Ib. tit. I. /. ig. p. 27. t+t) Ib. tit. I. /. s- P- 16. 1) Vgl. oben S. lö-j.

1-^2 ^' ^i^ Vasken.

Mörder zu führen, sondern sie können ihm auch verzeihen und ihn dadurch vor aller Strafe sichern; selbst wenn entferntere Ver- v^andten die Sache v^eiter verfolgen wollten. Denn das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass das Recht der Anklage und der Verzeihung zunächst nur den Verwandten in auf- und absteigender Linie, den Vaterbrüdern und ihren Söhnen, erst aber in Er- mangelung dieser den entfernteren Verwandten zukommt.*)

In der Vertheilung seines Vermögens nach seinem Tode ist der Hausvater unumschränkter Herr, und kann sein ganzes Ver- mögen Einem unter seinen Söhnen und selbst unter seinen Töch- tern ertheilen, und braucht die andern nur mit irgend einem Stück Land, wie gering es sey, abzufinden. **) Wirklich wird auch häufig von diesem Rechte Gebrauch gemacht, und die wohlthä- tigen Folgen davon für das Land sind unverkennbar. Die Güter werden nicht getheilt, der Ackerbau leidet nicht, und die aus- geschlossenen Kinder sind genöthigt, sich durch eigne Betriebsam- keit einen unabhängigen Unterhalt zu verschaffen.

Rückweg nach Bayonne über Lequeitio, Azcoitia, Azpeitia, Ernani, Oyarzun und Irun.

Ich sah meine Reise durch das Spanische Vaskenland mit Guernica als geendigt an, und eilte jetzt nur einen kurzen und durch die Ueberschwemmung nicht zu sehr verwüsteten Rückweg zu finden.

Zwischen Renteria und Guernica, die einander an beiden Seiten des Flusses gegenüber liegen, war das Wasser, auch auf der Brücke, noch zu hoch, um ohne Gefahr hinüberzureiten. Ein grosser starker Mann, den man mir von Rentetia entgegen- geschickt, musste noch bis an die Brust hineinwaten , und ein Maulthier konnte von der schmalen Brücke, von der die Geländer weggerissen waren, leicht abirren und hinunterfallen. Ich wählte daher einen Umweg durch eine Gegend, wo sich das Wasser früher verlaufen hatte.

Von Renteria bis Arteaga *** ) geht der Weg durch ein hübsches,

*) Fueros. tit. ii. /. 24. p. 87.

**) apartando con algim tanto de tierra, poco 0 mucho ä los otros hijos ö hijas. Ib. tit. 20. /. 11. je. 116. tit. 21. /. 6. p. 125.

***) Eichenplatz von einem dabei befindlichen Gehölz von Eichen, encinas, Vaskisch arteac.

Rückweg nach Bayonne über Lequeitio, Azcoitia, Azpeitia, Ernani, Oyarzun und Irun. 170

reichlich mit Häusern, Gebüschen, und Weingeländen besetztes Land.

Hinter Arteaga gegen Ereno zu steigt man die Berge hinan, welche schon die l[leine Ebene des ersteren Ort[s] rings umgeben. Einen schauerlichen Anblick gewährt die Kirche von Ereno, auf einer beträchtlichen Höhe, gross aus dunklen Quadersteinen, einem öden und kahlen Felsen gegenüber, gebaut. Von Ereno aus verliert man sich gleichsam in einem der grossesten und malerischsten Gebirgswälder. Der Weg, einer der schönsten, deren ich mich erinnere, geht immer über beträchtliche Höhen, unter den Schatten von Eichen und Kastanien, von unglaublicher Grösse und den wildesten und mannigfaltigsten Formen. In der Tiefe sieht man auf die kleineren Berge hinab, die fast alle pyra- midenförmig sind, und in die durch sie gebildeten kesseiförmigen Thäler, aus deren Mitte sich gewöhnlich wieder ein spitziger Berg erhebt. Aus dem Gebüsch blicken überall moosbewachsne Felsen her- vor, herabgerollte, zum Theil von ungeheurer Grösse, liegen einzeln da, und dazwischen sind, aber sehr sparsam, einige ländliche Wohnungen, freie Weideplätze, und gut bestellte Ackerstücke ver- streut. In der Ferne sieht man die Lage der beiden kleinen Häfen Elanchove und Ea zwischen Mundaca und Lequeitio, der einzigen an der Biscayischen Küste, die ich nicht besuchte. Vor dem ersteren erscheint hier der sogenannte Banderenberg,*) der letztere liegt in der Oefnung, welche dieser und der von Izpaster zwischen sich lassen. Auf dem ganzen Wege fand ich Spuren der Verheerung, welche die Ueberschwemmung angerichtet hatte; weggerissene Saaten, ganz verschüttete Wege, an deren Wieder- herstellung halbe Dorfschaften beschäftigt waren, Erdstücke, die mit ihren Bäumen und Hecken herabgerollt waren , ertrunkene Schlangen, Katzen und andre Thiere, welche die Flut aus ihren Schlupfwinkeln vertrieben hatte. Dabei war der Himmel nach dem Regen, der mehrere Tage angehalten, in Eine graue Wolke gehüllt; nur im Abend glänzte eine matte und melancholische Helle; die Luft war still und schwül, und kein Blättchen regte sich in dem dichten Wald ein feierliches Schweigen der Natur nach einer grossen Verwüstung. Einige Minuten vor ihrem Unter- gange trat die Sonne doch noch in röthliche Wolken verhüllt

*) von Bandera, Fahne, weil auf diesen Bergen die Signalfahnen der Häfen aufgesteckt sind.

inA i- Die Vasken.

vor. ^) Ich ritt gerade die lange Höhe hinter Izpaster hinauf und genoss, mich oft umsehend,, des romantischen Anblicks der amphi- theatralisch von Bergen umschlossenen Ebne des Dorfs, und des tiefen Waldthals zur Seite, in dem die Bäume aus dem zusammen- gelaufenen Wasser hervorblickten. Vor mir lag die kahle Felsen- höhe des Bergs, deren natürliche röthliche Farbe die scheidenden Stralen der Sonne zu wahrem Purpur erhöhten. Als ich dem Gipfel nah war, verschwand die Sonne; es fing an warm und still zu regnen, und als ich die Höhe erstiegen hatte, sah' ich die Fläche des Meers, bloss eine deutlich gezeichnete ^) Linie, die das Grau der Wolken von dem Grau des Himmels schied; ein un- beschreiblich schwermutherregender ^) Anblick ; so grosse, so stille, so einförmige und so farblose Massen. Es war fast Nacht, als ich, von den Bergen herabsteigend, in Lequeitio ankam.

Der Morgen , den ich dort zubrachte , gehört zu den ver- gnügtesten, deren ich mich erinnere. War es der Contrast der vorhergegangenen finstren Regentage mit der jetzt in aller ihrer Lieblichkeit zurückkehrenden Sonne, oder entsprach der Gegen- stand wirklich dem Eindruck, kurz Lequeitio schien mir das freundhchste und lebhafteste Städtchen an dem ganzen Biscayischen Golf. Die Aussicht von der sogenannten oberen Warte (atalaya superior) am Fuss des Berges Otoyo*) ist gross und majestätisch. Sie umfasst den Busen vom Vorgebirge Machichaco bis an das del Higiier und ein Paar einzelne mahlerische Punkte, die sonst nirgend recht ins Auge fallen, sind die Berge von Ea und Elan- chove. Vor dem Hafen der Stadt,*) der eine schön umkränzte, ostwärts durch das Vorgebirge Garaspio geschlossne Bucht bildet, liegt die Insel S. Nicolas vor, auf der im letzten Kriege eine ehe- mals darauf stehende Einsiedelei ^) einem Fort Platz mächen musste.

Ein Spatziergang hier am Morgen zeigt mit Einem Blick die ganze Existenz des Örtchens, das mit Wahrheit eine Fischer- republik genannt werden kann, da alles darin vom Fischfange lebt, und was nur darauf Bezug hat nach gemeinschaftlicher Be- rathung unternommen wird. Bei Tagesanbruch gehen zwei so-

*) Lindenberg von Ota, Linde, und oyana, Höhe.

') „trat .... vor" verbessert aus „erschien''.

^) „gezeichnete" verbessert aus „abgeschiedene".

^) „schwermutherregender" verbessert aus „wehmüthiger".

*) „der Stadt" verbessert aus „des Örtchens".

^) „Einsiedelei" verbessert aus „Hermita[ge]".

Rückweg nach Bayonne über Lequeitio, Azcoitia, Azpeitia, Ernani, Oyarzun und Irun. j^-

genannte Zeichengeber {Seheros) auf die kleine Warte dicht beim Hafen (die obere grosse ist eine halbe Stunde weit entfernt) und erkunden Wetter und Meer. Ist es stürmisch, so lassen sie keinen Fischer hinaus. Giebt es Hofnung für den Tag, so versammeln sie die Ruferinnen {imichachas llamadoras) Mädchen, welche die Fischer wecken müssen berathschlagen noch einmal, und senden dann die Mädchen, einige zwanzig an der Zahl, aus. Nun er- schallt ein Rufen : levanta te e7i el nombre de Dios ! stehe auf im Namen Gottes ! durch alle Gassen des Städtchens ; die Fischer und ihre Gehülfen kommen zusammen, die Schiffsherren bereden sich nun selbst unter einander, und die Mehrheit der Stimmen entscheidet, ob ausgefahren werden soll oder nicht.

Dann ist es Zeit den Hafen zu besuchen, wo dann der Ver- kauf der am vorigen Tage gefangenen Fische und das Auslaufen zum neuen Fang alles in Bewegung setzt. Der Markt ist auf den Kähnen selbst, und die aufkaufenden Mädchen laufen mit Körben auf den Köpfen im niedrigen Wasser von einem Nachen zum andern. Indess tragen die Männer die Netze in die Schiffe. Die grossen {Traums) sind sehr theuer anzuschaffen, und der Schiffsherr, dem sie gehören, lässt daher seinen Gehülfen nur die Hälfte des Fanges und behält die andre für sich. Ist in den ^) Fahrzeugen alles geordnet, so laufen sie aus, rudern mit frohem Muth um die Wette, zwischen der Insel und dem Ufer, der Hof- nung des Tages zu, und die kleinen Nachen schwanken mit un- glaublicher Geschwindigkeit auf den Rücken der heranschwellenden Wellen hin. Sobald sie hinter der Insel die Höhe erreicht haben, zerstreuen sie sich in dem ganzen Busen, und nun vermischen sich alle der ganzen Küste auf der freien, kein gesondertes Eigen- thum kennenden Fläche des Meers. Doch gehen sie selten über 4 bis 5 Seemeilen weit in die ofne See, und jeder Ort kennt leicht die seinigen wieder. In dem Augenblick , da ein Sturm droht, wird ^j Rauch auf der Warte gemacht, und auf dies Zeichen kehren augenblicklich alle entweder in ihren eignen Hafen, oder in einen fremden, den ersten, den sie erreichen können, zurück. So leben alle Küstenbewohner Biscayas durch das Element selbst, das ihnen hauptsächlich ihre Nahrung gewährt, in täglichem und ununterbrochenem \"erkehr mit einander.

Die Folgen der Ueberschwemmung, welche die gewöhnliche

•) Nach „den" gestrichen : „kleinen". '^) Nach „wird" gestrichen: „ein".

176

I. Die Vasken.

Strasse verderbt^) hatte, nöthigten mich meinen Weg bis Motrico über die höchsten Spitzen der Berge zu nehmen; ich wurde aber für die Beschweriichkeit des Steigens durch die herrliche Aussicht auf der einen Seite aufs Meer, auf der andern in die liebUchen Thäler nach Barriatua und Marquina zu reichhch entschädigt.

Zwischen Motrico und Elgoibar war die Chaussee so zerstört, dass Tages zuvor, als ich den Weg machte, dem Kloster von Sasiola gegenüber, ein Maulthierführer mit vier Maulthieren in die Deva, die der Regen zu einem reissenden Strome angeschwellt hatte, ^) [gefallen undj ertrunken war.

Hinter Ondarroa war ich wieder in Guipuzcoa eingetreten, und der Waldweg von Elgoibar bis Azcoitia ist milder und freund- licher als die meisten Gegenden des rauheren Vizcayas. Nur der Izarraiz, an dessen Seite ich lange Zeit hinritt, ist eine steile, öde ^) und hohe Felswand, voll von Marmorbrüchen, aber an der steilen Seite meistentheils ohne Vegetation. Azcoitia und Azpeitia sind das lebendigste Bild des Biscayischen Wohlstandes. Nur eine kleine Viertelstunde von einander entfernt und durch eine fort- laufende steinerne Fussbank für Fussgänger an der Urola hin mit einander verbunden, scheinen beide nur Einen Flecken auszu- machen. Jeder beider Orte hat seine grosse, mit Pracht auf- geführte Pfarrkirche, *) und die Bauart der Häuser, die Reinlichkeit in den Strassen, die hübsch angelegten Spatzierplätze, alles zeugt von dem reichlichen Auskommen ihrer Bewohner. Doch sind beide nur kleine Ackerstädtchen, aber freilich in dem fruchtbarsten Theile Guipuzcoas.

Auch hier klagt man über die Schädlichkeit der Gemeingüter, die vorzüglich den Waldungen nachtheilig sind. Man verkauft zu schnell, wann ein Geldbedürfniss bei der Gemeine eintritt, man lässt durch unordentliche Wirthschaft und Mangel an Aufsicht umkommen und wegstehlen, und pflanzt nicht hinlänglich nach. Patriotisch gesinnte Männer haben Vorschläge gegen diese Mis- bräuche gemacht, allein bis jetzt ohne den erwünschten Erfolg.^)

Zwischen Azcoitia und Azpeitia liegt auf einer Ebne, in der

') „verderbt" verbessert aus „verdorben".

*) „der hatte" verbessert aus „zu einem .... geworden war". ^) „öde" verbessert aus „lange". *) „Pfarrkirche" verbessert aus „Haup[tkirche]^'.

"*) „allein Erfolg" verbessert aus „haben aber bis jetzt nicht durchdringen können".

Rückweg nach Bayonne über Lequeitio, Azcoitia, Azpcitia, Ernani, Oyarzun und Irun. i-jn

es einer schönen Aussicht auf die Felswand des Izarraiz und die fruchtbaren Ufer der Urola geniesst, das ehemalige JesuiterColle- gium S. Ignazio de Loyala, ein wegen seiner Pracht im ganzen Spanien berühmtes Gebäude. Die Pracht sey ihm dann auch nicht streitig gemacht, vielmehr wird jeder Reisende mit Ver- gnügen das herrliche Farbenspiel des so reichlich verschwendeten einheimischen Marmors aus den benachbarten Brüchen des Izarraiz bewundern. Desto mehr aber wird er zugleich Geschmack und edeln Stil in der Bauart vermissen. Die Verhältnisse haben nichts Einfaches und Grosses, am besten wäre vielleicht noch die Kuppel, allein auch sie ist, so wie das Ganze, mit Schnörkeln und Ver- zierungen überladen. Ueberdiess ist das Gebäude bei weitem noch nicht fertig. Seit der ^>rtreibung der Jesuiten welche dieser An- stalt eine grosse Ausdehnung und Wichtigkeit geben wollten, da meistentheils die alten dahin kamen, ihr Leben dort zu beschliessen, ist keine Hand daran gelegt worden, und alles steht und liegt noch so da, wie sie es verliessen. Jetzt hat es der König einem Capitel von Praemonstratenser Canonicis eingeräumt, die von den Franzosen im letzten Kriege aus ihrem Wohnsitz vertrieben worden waren. Die silberne Statue des Heiligen hatte man damals nach Castilien gerettet.

Das Merkwürdigste ist der noch stehende Theil des Hauses des Heiligen, in welchem man noch seine Kapelle sieht, und an das die Vorderseite des neuen Gebäudes angebaut ist. Es ist ein hohes, gelbangestrichnes Haus, mit kleinen Fenstern und durch- brochnen Verzierungen, die in langen Streifen unter den Fenstern hingehn. Hier wohnte dieser wunderbare Mann, der auf die seltsamste W^eise die abentheuerlichen Ideen des Rittergeistes seiner Zeit mit religiösen Schwärmereien verband, und wohl schwerlich ahndete, zu welcher Grösse und Macht der von ihm gestiftete Orden ausarten oder gedeihen würde.

Von Azpeitia nahm ich einen einsamen, nur gewöhnlich von Contrebandiers und einigen wenigen Landleuten besuchten Fuss- steig ^) nach Astiasu. Ein wilder Weg über das Gebirge in dem dicksten von prächtigen Bergströmen durchrauschten Walde. Von Häusern findet man bloss einige einzelne Herbergen Ventas. Die höchste ist die von Iturriotz, *) hinter der man das ganze

*) kalter Quell von Ituria, die Quelle, und Otza, kalt. ') „Fusssteig" verbessert aus „Weg".

W. V. Humboldt, Werke. XIH.

178

1. Die Vasken.

Land bis an den Ausfluss des Orio, S. Sebastian und das Meer übersieht.

Bei ^^illabona erreichte ich die gewöhnliche Madrider Heer- strasse wieder, von welcher der Weg von Ernani bei Oyarzun unstreitig der reizendste Theil ist.

Auf der Bidassoa fand ich jetzt eine Fähre statt der ehemaligen, einige Zeit vorher vom Wasser weggerissenen Brücke. Ueber diese Fähre war bei Gelegenheit der Reise des verstorbenen Königs von Toscana nach Frankreich ein Streit zwischen den Bewohnern von S. Sebastian und Irun entstanden, der nicht ohne blutige Köpfe abging. Beide wollten den König übersetzen ; beide aber verfehlten ihre Absicht, da der König einen neutralen Fischer- nachen nahm, der sich gerade am Ufer befand.

Das Französische Basquenland.

Wie man in Frankreich die Französischen und Spanischen Vasken mit zwei verschiedenen Namen (Basques und Biscayem) bezeichnet, so verbindet man auch mit dem Charakter von beiden verschiedene Begriffe. An den Basken rühmt man, und mit Recht, Stärke und Behendigkeit des Körpers, einen hohen Grad warmer und lebhafter Einbildungskraft, ein beständiges Streben nach grossen oft sonderbaren und carricaturartigen Ideen, ein zartes, immer reges und leicht bewegliches Gefühl, und einen Geist der Freiheit, der allem gesellschaftlichen Zwange entgegenstrebt; aber man wirft zu- gleich ihrem Charakter Leichtsinn, unbegrenzten Hang zum Ver- gnügen und unbeständigen Wechsel in den Neigungen vor. Die Bisca3^er geniessen bei ihren Landsleuten und ihren Nachbarn eines solideren Rufes. Körperliche Behendigkeit und Stärke, Gewandt- heit des Geistes und edler Freiheitssinn werden ihnen ebensowenig abgesprochen; aber sie gelten übrigens gerade vorzugsweise für eine überlegende, arbeitsame, in ihren Planen mit Festigkeit be- harrende, und sich einem nothwendigen Zwange gern unter- werfende Nation.

In der That bilden sie aber auch ein eignes abgesondertes Volk, bewohnen ein durch Gebirge und das Meer geschiedenes Land, besitzen ergiebige Quellen des Erwerbs und des Reichthums, und machen in strengem Verstände einen eigenen Staat aus. Die Französischen Basquen sind bloss ein kleiner fremdartiger Stamm in einem grossen ihnen auf jede Weise überlegenen Volk; ihr,

Das Französische Basquenland. 170

Land ist arm und besteht grösstentheils nur aus Viehweiden ; und wenn sie auch, vor der Revolution, ausschliessliche Rechte be- sassen, so ist doch noch weit von da bis zu einer eignen Ver- fassung und einem abgesonderten Staat. Ueberhaupt aber war der Nationalgeist in Frankreich nie dergestalt provinzenweise zer- spalten, als es noch heutiges Tages in Spanien der Fall ist. Auch werden die Basquen immer mit den Franzosen verglichen, denen sie in keiner Rücksicht den Rang streitig machen können; die Biscayer mit den Spaniern, welchen sie offenbar in mehreren^) Stücken überlegen sind.

Indess klären alle diese Umstände noch immer nicht die Er- scheinung ganz auf. Die Spanischen Vasken haben offenbar etwas Langsameres, Schwerfälligeres in ihrem Wesen, ihre Gesichtszüge selbst drücken weniger Beweglichkeit, weniger Feinheit, weniger Geist und Einbildungskraft aus, sie haben dagegen vielleicht festere, und reiner geschiedene Grundzüge, in welchen sich der gleiche Stammcharakter beider stärker und einfacher ausdruckt. Der Unter- schied scheint also tiefer und in der eigentlichen Organisation^) zu liegen. Wie gering '^) auch, wenn von Geist und Charakter die Rede ist, die Scheidewand selbst der grossesten Gebirgskette scheinen kann, so weiss man doch nicht, wie wichtig es seyn mag, auf der einen oder anderen Seite zu wohnen; und wie ihre Bewohner eine lebendigere Heiterkeit, so zeichnet auch die Thäler und Gipfel der Pyrenäen auf der Französischen Seite ein lachen- deres und freundlicheres Ansehn aus. Ja der Dialect der Basquen selbst (der sich indess freilich auch über Navarra erstreckt) hat eine gewisse Lieblichkeit vor dem von Guipuzcoa und \'izcaya voraus, und schmeichelt sich w^enigstens dem Fremden, der sich einigermassen um die Landessprache bekümmert, durch leichtere Verständlichkeit an. Der Basquische Charakter dem französischen beigemischt (wie man es in Personen, die Literatur und Umgang gebildet hat, antrift) giebt dem letzteren einen unbeschreiblichen Reiz. Er giesst einen Schmelz der Einbildungskraft zugleich über den Geist und das Gefühl, scheint jenen zu unabhängigeren Ideen zu erheben, in dieses die ursprünglichen Naturlaute zurückzurufen, und trägt noch gleichsam die Farbe der grossen Naturgegenstände,

^) „mehreren" verbessert aus „einigen".

^) Nach „Organisation" gestrichen: „selbst".

^) >»^^^ gering" verbessert aus „Wer weiss".

j^Q I. Die Vasken.

des Gebirges und des Meers, und der einfachen Verhältnisse eines armen, nur Ackerbau und Viehzucht treibenden Volkes an' sich, wenn man sich auch, bei genauerer Untersuchung, eben so sehr und vielleicht noch mehr um den wahren Gehalt ächter Charakter- einfalt betrogen findet.

Diese Verschiedenheiten zwischen den beiden nur zufällig von einander abgerissenen Theilen der Vaskischen Nation treten aber sogleich in einen starken Schatten zurück, sobald man beide mit ihren Nachbarn, den Gasco?is und den Castilianern , vergleicht. Bei Völkerstämmen, die keine Literatur, und nicht einmal alle eine eigne Sprache besitzen, und die in der Geschichte wenigstens nicht einzeln auf eine bedeutende Weise aufgetreten sind, ist es nicht möglich, eigentliche Beweise ihrer Charakteristik beizubringen, man kann nur seine eigne Beobachtung mittheilen, und sich auf das zustimmende Urtheil desjenigen berufen, der Augenzeuge ge- wesen ist, oder noch seyn wird. Aber jeder aufmerksame Rei- sende wird, glaube ich, in den Vasken noch mehr GeistesUnab- hängigkeit, ^) eine sichtbarere Erhebung der Gefühle, einen ge- diegneren Charaktergehalt und in den Physiognomien einen kraft- volleren Ausdruck antreffen als in ihren Französischen Nachbarn, und so wie er hinter Vitoria in Castilien eintritt die Heiterkeit und den immer regen Frohsinn vermissen, dessen der düstre Castilianer nicht fähig scheint. Dagegen hat der Vaske auch nicht die Leidenschaftlichkeit, und wenn gleich eine starke und beweg- liche, nicht eine so tiefe und heftige Phantasie als jener schon in den finstern Augenbraunen, und dem funkelnden, meistentheils zur Erde gesenkten Blick verräth. Der Biscayer ist nüchterner, als sein mehr südlicher Nachbar, und wenn er eine vaterländische Poesie haben könnte, würde sie schwerlich Gefühl und Einbil- dungskraft so wie die Spanische hinreissen. Selbst das weibliche Geschlecht hat, wie schon oben bemerkt worden,-) etwas Trocknes, Steifes und Strenges in Gesichtsbildung und Wuchs, und man stösst eher auf Elemente der Schönheit in einem Gesicht, als auf eine eigentlich reizende, oder üppige Gestalt. Im Basquen, Bis- cayer und Castilianer finden Ausländer noch Spuren einer gewissen Rohheit übrig. Aber bei dem Biscayer möchte man sie Rohheit der Gutmüthigkeit nennen und sie bloss einem Mangel der Bil-

') „GeistesunabhängigkeiV verbessert aus „Geist der Unabhängigkeit". ^] Vgl oben S. 21.

Das Französische Basquenland. l8l

dung zuschreiben; in dem leidenschaftlichen Castilier nimmt sie leicht einen höheren, aber auch furchtbareren Charakter an, und scheint mir nicht sowohl, wie Spanische Schriftsteller behaupten, Ueberrest Maurischen Bluts und Maurischer Barbarei, als Folge eines von der Natur nicht begünstigten Landstrichs, eines in beiden Extremen widrigen Climas, politischen und religiösen Drucks und endlich vielleicht auch des wilden ungemächlichen Lebens zu welchem der Castilier, so oft besiegt und nie ganz und auf lange unterjocht, vorzugsweise vor andern Bewohnern Spaniens durch die Maurenkriege verdammt war; in der Rohheit des Basquen, die einen leichteren und graziöseren Charakter an sich trägt, möchte ich mehr die des Wilden antreffen, dem der gesellschaft- liche Zwang verhasst ist. Alle Vasken aber, ohne Rücksicht auf ihre Vertheilung unter verschiedene Herrschaft, kommen, nur mit Unterschieden des Grades, in achtem Freiheitssinn, edlem National- stolz, fester Anhänglichkeit an einander, ausgezeichneter Liebe zur Ordnung und ReinHchkeit, heitrem Frohsinn, und der körper- lichen und intellectuellen Stärke und Gewandtheit überein, die sie als kühne, behende, immer an neuen Hülfsmitteln reiche Berg- bewohner darstellt.^) Da alle Bestimmungen dieser Art immer von dem Verhältniss zu den Vergleichungspunkten abhängen, so könnte man sie vielleicht am besten als ein südliches Bergvolk und als Nordländer eines südlichen Landes charakterisiren.

Aus der Charakterverschiedenheit der mittäglichen Franzosen, N'asken und Spanier geradezu auf Verschiedenheit der Abkunft zu schliessen, dürfte, um dies beiläufig zu bemerken, voreilig seyn. Seit so vielen Jahrhunderten geschieden, und in ganz verschiedenen Lagen lebend, haben sich diese Modificationen nach und nach ausgebildet, und dem ungeachtet können sehr füglich ohne auch darüber schon jetzt entscheiden zu wollen die Vorväter der Vasken auch Aquitanien und Castilien bewohnt haben, und ihre Enkel noch einen beträchtlichen Theil der jetzigen Bevölke- rung dieser Provinzen ausgemacht haben. Die Identität eines Stamms lässt sich indess mit Gewissheit nie über die Identität seiner Sprache hinaus beweisen, und das Einzige, was sich dem Augenschein und der Untersuchung als unbezweifelt und unbe- streitbar aufdringt, ist, dass alle \"asken Eine Nation ausmachen,

') „darstellt" verbessert aus „char akter isirt".

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Ende l; 7. Jahrhunderts nicht mehr als 200. Selbst in den

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massig uert. Stempelpapier wurde erst 20 bis 30 Jahre vor

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In "Navarra nahmen zwar alle drei Stände an den ge- meinsam, ßerathschlagungen Theil. Aber in allem was die

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dann, v. Adel und Geistlichkeit mit einander einstimmig waren.

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Waftent a, Jagd u. s. f. waren allen gemein.

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(es ist gnisch abgefasst, so wie das von Unternavarra fran- zösisch; wOt gleich mit Aufzählung der hauptsächlichsten Vor- rechte der Provinz an. Jeder Einwohner, heisst es, ist frei, und

das Lar :i freies Land; jeder kann sich, wie er es für gut hält, verheirauiQ, zum Priester weihen lassen, und aus dem Lande

*) Biltu. sich versammeln, (^aharra (Guipuzcoanisch Zarrä), der Alte. ') Bt ssem Satze steht am Rande eilt Fragezeichen.

j^2 ^' ^i^ Vasken.

und die Aehnlichkeit ihrer Charakterzüge im Ganzen aus der Gleichheit ihrer Abstammung hergeleitet werden mag.

Denn dadurch dass die mannigfaltigen Einflüsse des Climas, der Lebensart, der Verfassung, der Sitten u. s. f. individuell durch die Fortpflanzung fixirt; nationeil durch Zusammenhalten in Einen Völkerhaufen mit Entgegensetzung andrer als fremder verstärkt; und geschlechterweise durch die Sprache an Einem ununter- brochenen ^) Faden , unter beständigem Wechsel , forterhalten werden, entstehen Nationalcharaktere, und nur diess Gesetz und seine drei gleich wesentlichen Momente machen die Stätigkeit einiger unter denselben in ganz verschiedenen Umgebungen, andern Climaten, und andern Erdstrichen erklärlich.

Unter den Gascognern, und namentlich in Bayonne, hat der grosse Haufe der Basquen das Schicksal, das jede kleinere und sich doch selbst hartnäckig absondernde Menge unter einer grösseren erfährt.^) Man nennt sie diebisch, hinterlistig und feige, und nur da kühn, wo sie ihren Feind ungesehen anfallen können, und warnt vor einer Reise in die friedlichen und einsamen Thäler von Ustaritz, Buigney u. s. w. wie vor einer Reise in die Wildniss. Glücklicher Weise sind indess diese Urtheile dem aufgeklärten Theil der Nation fremd, und wenn der Vorwurf der Schlauheit und Hinterlist einigen Grund der Wahrheit hat, so liegt es nur darin, dass der Vaske (vorzüglich der Französische) mehr schnell und gewandt, als gross und stark ist, und dass sie, als ein kleines Bergvolk, ehemals immer mit überlegenen Feinden zu kämpfen hatten, und jetzt, als Grenzbewohner, durch die unzweckmässigen Einschränkungen der Staaten selbst verleitet werden, aus dem Schleichhandel ^) ein Gewerbe zu machen.

Wenn auch die drei Theile , aus welchen bekanntlich das Französische Basquenland besteht, das pais de Labourd, Unter- Navarra, und die Soule weniger eng zusammenhiengen, als die Spanisch Vaskischen Provinzen, so genossen sie doch auch weit andere Vorrechte, als alle übrige Provinzen Frankreichs. Jede hatte ihre Ständeversammlungen, alle bezahlten der Regierung nur geringe Steuern, und wenn der Adel oder die Geistlichkeit noch einige Vorrechte besassen, so waren sie äusserst unbedeutend. Daher wurde auch die Revolution von den Basquen mit mehr

^) „ununterbrochenen'''' verbessert aus „fortl[aufenden]".

2) Nach „erfährt" gestrichen: .,Ihre Gewandtheit wird Schlau[heit]".

*) „detn Schleichhandel" verbessert aus „der Contrebande" .

Das Französische Basquenland. 'iS*?

Kälte aufgenommen, als man von ihrem Freiheitssinne hätte er- warten sollen. Sie konnten durch die Gleichsetzung mit den übrigen Bürgern, vor denen sie sonst Vorzüge voraus hatten, nur verlieren, und selbst ihr ländlicher Wohlstand verminderte sich durch die neue Gesetzgebung, da die Güter jetzt nicht mehr, wie sonst, dem ältesten Sohne zufielen, sondern unter alle Kinder ver- theilt und dadurch versplittert wurden.

In Labourd wählten die Gemeinen sich einen Syndicus und dieser war unmittelbar der Regierung unterworfen, nur dass der Intendant der Provinz eine Mittelsperson zwischen ihm und dem Hofe war. Die Wähler bestanden bloss aus dem dritten Stande ; Adel und Geistlichkeit waren gänzlich von der Wahl ausgeschlossen. Ihre Zusammenkünfte hiessen Bütgirreac*) ^^ersammlungen der Alten. Sie vertheilten auch die Steuern, und wiewohl alle Steuern damals Grundsteuern waren, und der Adel bei weitem nicht den achten Theil der Ländereien besass, so wurde ihm doch immer ein Achtel aller Steuern aufgelegt. Dennoch ward er für diese grössere Last durch keine herrschaftlichen Vorrechte entschädigt.^) Da das Ländchen sich auf Vorschlag des Vicomte de Guitane freiwillig an die Krone ergeben hatte; so bezahlte es in den ältesten Zeiten derselben nur 52 francs jährlich, und noch am Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr als 200. Selbst in den letzten Zeiten war es im Verhältniss zu andren Provinzen nur massig besteuert. Stempelpapier wurde erst 20 bis 30 Jahre vor der Revolution darin eingeführt.

In UnterNavarra nahmen zwar alle drei Stände an den ge- meinsamen Berathschlagungen Theil. Aber in allem was die Finanzen des Landes betraf, hatten die Gemeinen das Veto selbst dann, wann Adel und Geistlichkeit mit einander einstimmig waren. Auch die sonst dem Adel ausschliesslich vorbehaltnen Rechte, Waffentragen, Jagd u. s. f. waren allen gemein.

Das geschriebene Gesetz der Soule, les coutumes de la Soule, (es ist gascognisch abgefasst, so wie das von Unternavarra fran- zösisch) hebt gleich mit Aufzählung der hauptsächlichsten Vor- rechte der Provinz an. Jeder Einwohner, heisst es, ist frei, und das Land ein freies Land; jeder kann sich, wie er es für gut hält, verheirathen , zum Priester weihen lassen, und aus dem Lande

*) Biltua, sich versammeln, (^aharra (Guipuzcoanisch Zarrä), der Alte. ') Bei diesem Satze steht am Rande ein Fragezeichen.

i84

Die Vasken.

wegbegeben; jeder hat das Recht Waffen zu tragen; keiner Ge- meine ist es verwehrt sich so oft zu versammeln, als ihre gemein- schaftlichen Angelegenheiten es erfordern. Auch in der Soule hatten ehemals alle drei Stände zu den allgemeinen Zusammen- künften rechtmässigen Zutritt; die Geistlichkeit verlor aber nach und nach, weil sie zu erscheinen versäumte, ihr Recht und der Adel blieb allein mit den Gemeinen zurück. Waren beide mit einander uneins, so entschied der König.

Da die Französische Revolution alle diese einzelnen Ver- fassungen über den Haufen gestürzt hat, so würde es unzweck- mässig seyn, länger bei Auseinandersetzung derselben zu ver- weilen.

Meine erste Auswanderung war über Ustaritz nach Itzatzu. Das Französische Basquenland ist, wo man sich nicht in die Berge vertieft, weder schön, noch malerisch zu nennen. Es hat vielmehr in seinen meisten Theilen ein ödes und wüstes Ansehn. Zwar sind die einzelnen Acker- und Gartenstücke mit der diesem Volke eigenthümlichen Sorgfalt und Reinlichkeit bearbeitet, aber im Ganzen nähren sich die Französischen Basquen mehr von Viehzucht als Ackerbau, lassen daher viel Land bloss als Weide liegen, und sind auch mehr, als die Spanischen, dem Vergnügen ergeben. Auf grossen Strecken sieht man daher nichts als Heidekraut {bruyere) das^) auch zugleich abgemäht, eingestreut und zu Mist gemacht wird. Selbst der fleissige Hauswirth darf seinen Antheil an diesen Ländereien nicht ohne Erlaubniss der Gemeine einzäunen, weil sonst dem Vieh die gemeinschaftliche Weide geschmälert wird. Einzelne Häuser, abgesondert im Felde oder Gebirge liegend, erinnere ich mich nicht hier angetroffen zu haben. Aber die Wohnungen der Dörfer selbst sind zerstreut, und bilden un- geheuer lange, immer durch Gärten, und Ackerstücke unter- brochene Strassen.

Von Baj^onne bis Itzatzu verlässt der Weg nur sehr wenig die Ufer der Nive, eines Bergstroms der sich bei Bayonne mit dem Adour vereinigt.

In der Ferne hat man die Aussicht auf die Pyrenaeen. Die Larruna, und der Mondarrin,*) ein spitziger, doch wie es scheint nicht sehr hoher Felsberg, fallen am meisten in die Augen.

*) Monoa, munoa, montoa, Anhöhe, Hügel, arria, Stein. Steinberg. ') Nach „das" gestrichen: „im Herbst".

Das Französische Basquenland. jgc

Auf diesen beiden Bergen, vorzüglich aber amFuss derLarrune, um die Dörfer Ascaina und Gar herum, giebt es grosse unter- irrdische Gewölbe , von welchen mir ein Augenzeuge folgende Anekdote erzählte. Er war auf der Palombenjagd und vermisste auf einmal seinen Hund. Nachdem er ihn lange gesucht, und hier und dort nach ihm gerufen und gepfiffen hatte, hörte er ihn auf einmal tief unter sich in der Erde bellen. Er konnte nicht begreifen, wie er dort hinuntergekommen se}^ pfiff wieder, und hörte das antwortende Bellen des Hundes von verschiedenen und weit entfernten Orten schallen. Er schloss daraus dass eine grosse unterirrdische Hole an dem Orte se3^n müsse, und entdeckte wirklich endlich ein senkrecht hinuntergehendes sehr tiefes Loch, in das der Hund, glücklicherweise ohne sich zu beschädigen, hinunter- gefallen seyn musste. Da er sah, dass er ihn ohne andervv'eitige Hülfe nicht retten konnte, ging er nach Hause, einen Korb zu holen, um ihn an einem Seile in die Hole hinunterzulassen. Er erzählte dort seinem Grossvater, einem steinalten Greise, die Geschichte; dieser schüttelte aber mit dem Kopf und zweifelte an der Rettung des Thiers. Und warum, war die Frage? Warum? weil es dort ganze Dörfer im Berge giebt. Dörfer unter der Erde? Sicherlich. Ich habe oft von alten Leuten gehört, die es wieder von ihren Vätern und diese von den ihrigen gehört hatten, dass unsere Vorfahren, als die Römer sie zu unterjochen strebten, denn gelungen ist es ihnen nie, diese unterirrdischen Gewölbe anlegten, umihreVorräthe, ihre Kranke, Greise, Weiber und Kinder dahin zu flüchten. So lautet die Volkstradition über diese Holen; und an sich sind unterirrdische Kornspeicher, besonders in Italien und Spanien, nichts seltenes, wenn der Volksglaube auch die Grösse und das Alter dieser übertrieben hätte. Der Hund wurde indess, trotz der Zweifel des guten Alten, auf die gesagte Weise gerettet.

Die Jagd der wilden Tauben [palombes, oder ramiros) deren ich eben erwähnte wird hier auch ohne Hunde, auf eine sonder- bare Weise gemacht. Man stellt in einiger E!ntfernung hinter einander 3, 4 Arten von Gerüsten auf, deren jedes aus drei 40 bis 50 Schuh hohen pyramidalisch an einander gelegten Stangen besteht, die oben einen Korb tragen, zu welchem man auf Pflöcken, die aneiner der Stangen angebracht sind, hinaufsteigt. Ein solches Gerüst heisst im Gascognischen Dialect (denn diese Jagd ist der Gegend, nicht den Basquen eigen) pentiere^ und man legt sie immer so an dass ungefähr 50 Schritt davon zur Seite parallel mit

jg(5 I- Die Vasken.

ihnen eine Reihe Bäume steht, zwischen denen Netze aufgestellt werden. Zur Zeit der Jagd steigt nun in jeden der Körbe der Pentieren ein Mensch, und andre halten sich in kleinen Hütten neben den Bäumen versteckt, wo sie an Seilen die Netze herunter- ziehen können. Wie ein Zug Tauben ankommt, werfen die Leute in den Körben aus der Höhe Stücke Holz auf sie; die armen Thiere, dadurch geschreckt und vielleicht in der Meynung dass Raubvögel auf sie herabschiessen, flüchten sich gegen die Erde und die Bäume zu, und fallen meistentheils in so dichten Haufen in die Netze, dass man nicht selten in Einem Tage hundert und mehrere Paare fängt.

Itzatzu füllt mit seinen zerstreuten Häusern ein kleines rings von Bergen umschlossenes Thal an. Das Pfarrhaus, in dem ich wohnte, liegt gerade der romantischsten Seite des Thals, einer engen Gebirgsschlucht,^) aus welcher die Nive, von Baigorry her- kommend, mit Brausen hervorströmt, gegenüber. Neben derselben sind zwei mächtige Bergseiten, vor denen der Hartza,*) ein Berg voll eckiger schroffer Klippenspitzen, vorsteht. Ein sanfter Abhang, mit Heidekraut bewachsen, und von Castanien und Nussbäumen überschattet, führte von dem Hause nach der Kirche hin, und vor den Fenstern^) standen einige Reihen schöner und grosser Pappeln.

Von den Tagen, die ich in dieser friedlichen Wohnung zubrachte, werde ich zwar hier nicht gerade viel zu erzählen haben; aber ihr Andenken wird nie in meinem Herzen verlöschen. Der Be- sitzer derselben, ein ehrwürdiger Greis, hatte die fünfzig Jahre hindurch mit unverbrüchlicher Treue geführte Seelsorge der Gemeine seinem Nachfolger übergeben, um hier seine Tage in Ruhe und Einsamkeit zu beschliessen. Aber noch genoss er in gleichem Masse die Achtung und Liebe seiner Pfarrkinder und erst kurz als ich dort war, hatten sie unaufgefodert die etwas steile Anhöhe vor seinem Hause geebnet und für seine alternden Kräfte ersteiglicher gemacht. Unausgesetzt aber war er auch die ganze Zeit seiner Amtsführung hindurch ihr Wohlthäter und Rathgeber gewesen.

*) Für diejenigen, welche bei diesem Bergnamen an das altdeutsche Hart oder Harz denken möchten, bemerke ich hier, dass ich im Vaskischen keine Spur dieses Wurzelworts finde. Artza, labortanisch Hartza heisst dagegen der Bär, und dies Wort scheint, so wie das Irländische Art, mit dem Griechischen a^tcxos zu Einem Stamme zu gehören.

^) „Gebirgsschlucht" verbessert aus „Gebirgsschluft".

^) Nach „Fenstern" gestrichen : „der friedlichen Wohnung".

Das Französische Basquenland. fg-y

Denn es ist Sitte bei den Basquen, dass der Pfarrer auch zu allen wichtigeren bürgerlichen Angelegenheiten des Lebens zugezogen wird, und dadurch werden seine Geschäfte manchmal so mannig- faltig, dass er kaum Zeit findet, damit fertig zu werden. Die Sitten der Basquen vorzüglich in dieser Gegend sind noch patri- archalischer, und nähern sich noch mehr dem ursprünglichen Zustande der Gesellschaft, als die in Biscaya; und noch jetzt bleiben sogar einige Spuren von der ehemaligen Rohheit und Wildheit zurück. Vor nicht länger als 150 Jahren ging noch nach des alten Harambillets (so hiess der edle^) Greis) Versicherung der Pfarrer in Hartza jedesmal mit dem Carabiner auf der Schulter in die Kirche, und vor etwa 100 wurde nach einem ebendaselbst in seiner eignen Stube geschossen.

Nie habe ich in einem Greise eine so liebenswürdige, durch nichts gestörte Heiterkeit, eine solche Aufgelegtheit zum unterrichten- den Gespräch und zu jeder, auch weit über den Kreis seines be- schränkten Lebens hinausgehenden Untersuchung, eine so herz- liche Theilnahme an jedem unschuldigen Vergnügen, mit Einem Wort einen solchen Geist ächter Duldung und wahrer Humanitaet gesehen, als in dem wackeren Harambillet. Das lebhafteste Interesse hatte natürlich unter allen Gegenständen seine Nation für ihn, und alles was nur irgend zu ihr gehörte. Er gerieth in eine Art von Begeisterung, wenn er von ihr, ihrem ehemaligen Ruhm und ihrer Sprache redete, und rührend war es, ihn, der selbst am Rande des Grabes stand, über das allmählige Verhallen der letzteren klagen zu hören. Er erinnerte sich mit sichtbarer Freude alter in seiner Jugend gelernter Lieder, konnte Stunden lang sitzen, um sich mit andern halb vergessener Weisen und Strophen zu erinnern, und wusste immer mit dem richtigsten Geschmack ächte Töne des Volks ^) von späteren Nachbildungen, aus fremden Sprachen ge- nommen, zu unterscheiden, unglücklicherweise war sein Gedächt- niss nur so schwach geworden, dass er gewöhnlich nur noch die Anfangsworte und allenfalls die Melodieen zurückzurufen vermochte.

Eins seiner vorzüglichsten Steckenpferde war die Etymologie,

Dl s Ländchen Labourd hat nach ihm nicht seinen Namen von

Lapurdia, Räuberhaufen, sondern von den vier Flüssen, die es

bewässern, dem Adour, der Nive, Nivelle und Bidouse; da der

') „edle' verbessert aus „ehrwürdige".

^)l^Nach „Volks" gestrichen: „das Auf be [wahrte?]".

l88 I. Die Vasken.

Name aus Laur, vier, und ura, Wasser, Strom, zusammengesetzt und dazwischen nur des Wohlklangs wegen ein h eingeschoben ist.

Ueber die Ableitung des Namens seines Wohnorts hat er eine eigne Meynung. Es ist auffallend dass Itzatzu mitten im Lande liegt und Ifsatsoa (auch Ichasoa) auf Vaskisch das Meer heisst. Harambillet vermuthet, dass vielleicht die Nive bei ihrem ersten Durchbruch hier in dem eng umschlossnen Thal einen See gebildet habe, der den ersten ankommenden Bewohnern das Meer geschienen. Ich selbst dachte bei diesem Namen einen Augen- blick an die von Bergen umschlossene Lage des Orts und leitete es von IcM, einschliessen, ab. Allein genauere Kenntniss der Sprache führt auf die einfache Bedeutung eines Haufens von Häusern. Denn ühea wird häufig für ec/iea, Haus, gesagt, und tsua ist die gewöhnliche Endigung der Eigenschaftswörter, die eine Menge andeuten. Ganz ähnliche Zusammensetzungen sind Ichagoya, Hausgipfel, Dach, Icharguia, Hauslicht, Fenster, und auch andre Dörfer in Biscaya, von denen mir eine solche eingeschlossene Lage nicht bekannt ist, heissen Ichaso, Ichasendo u. s. f. Die Aehnlichkeit des Namens mit [dem] des Meers ist daher entweder zufällig, oder rührt aus einer tiefer liegenden Etymologie beider her, in die es jetzt nicht der Ort ist einzugehen.

Die Vorliebe des guten Greises für seine Ableitungen machte ihn aber gegen die Schwäche vieler darunter nicht blind. Dies bewies er mir noch am Tage meiner Abreise. Wir hatten schon am Abend vorher von einander Abschied genommen, weil ich des andern Morgens sehr früh fortreiten wollte. Er kam aber doch noch zu mir, und zwar, wie er mir ankündigte, mir eine Warnung auf den Weg mit zu geben. Wir haben, sagte er, viel et^'mologisirt in diesen Tagen, und Sie haben vieleii meiner Ab- leitungen Beifall gegeben. Trauen Sie aber nicht zu sehr. Ich konnte diese Nacht lange nicht einschlafen, und versuchte die Namen aller Könige von Frankreich, von Chlodowig an bis auf die Bourbons herab, aus dem Vaskischen abzuleiten, und es ge- lang mir wirklich mit allen leidlich gut. Man scheint daher doch nur sehr oft zu finden, was man selbst hineingelegt hat. Glücklich für meine Leser und mich, wenn ich ihnen nicht scheine ^) die freundliche Warnung des ehrwürdigen Alten ver- gessen zu haben !

*) ISSach „scheine" gestrichen : „weder bis jetzt noch in der Folge dieser Blätter".

Das Französische Basquenland. i8q

Der kleine aber reissende Nivestrom geleitete mich von Itzatzu aus in Unter-Xavarra hinein nach einer ehemals hier an- sehnlichen ^) Kupferschmelzhütte, die aber durch die Spanier im letzten Kriege zerstört worden ist, und nur eben erst wieder in Gang gebracht worden war, und die nur schlechthin la Fonderta genannt wird. Die Mannigfaltigkeit dieses reizenden Weges er- laubt keine Beschreibung. Zu beiden Seiten der Nive fallen andere kleine Gebirgsströme in dieselbe, jeder bildet sein eignes Thal, wo die Thäler zusammen stossen, sind liebliche von Bergen umschlossene Ebnen. Dabei die Berge schön bewachsen, in den Thälern und Ebnen üppige Weide , und überall Gebirgswasser und Quellen die unter den Füssen des Wandrers hervorzusprudeln scheinen; bald in schäumendem Sturz von den Höhen herab- rollend, bald sanft hingleitend durch die Wiesen und Ackerstücke. Dabei ist das Gebirge reichlich mit ländlichen Wohnungen be- setzt; die Häuser der Dörfer liegen auch hier weit zerstreut, und hie und da ragt unter ihnen auf einer schroffen Felsenspitze ein halbverfallener Thurm hervor.

Fast überall fand ich die Landleute mit dem Behacken des Türkischen Korns beschäftigt. Diese Kihtil {Arfojerratu)*) ist die

*j Artoa heisst jetzt Mais, und Maisbrod zum Unterschiede des Waizenbrotes Oguia. Ursprünglich bedeutete es jede Art des Getreides. Die Aehnlichkeit mit aotof ist in die Augen fallend, es ist aber wahrscheinlich, dass beide von dem Begriff des Pflügecs, Ackerns herkommen, Vaskisch Areatu, Griechisch aQOvu. Eben so ist im Irländischen araim, pflügen, und aran, Brod, und im Galischen aradh imd aran in denselben Bedeutungen. Im Gothischen arian, pflügen, ar, Getreide. Man ver- gleiche was ich über die Ableitung von areatu, arare, S. 8l. sagte. Ist dies richtig, so ist der Begriff" welcher diese Wörter bestimmt hat, der der ordentlichen und künst- lichen Arbeit, das anschauliche Bild der Einbildungskraft die gerade aneinander ge- reihte Lage der Furchen. Arare hiess ursprünglich arbeiten und zwar nicht bloss mit Gewalt und Kraft, sondern mit Fleiss und Ordnung (daher die abgeleiteten Begriff'e von ars, uoEiri), artoa -j hiess das nur künstlich und durch Fleiss gewinnbare 'j Ge- treide (wirklich wächst unser Rocken und Weizen in nur irgend essbarer Gestalt nicht wild), ferner artoa und aoro£ das aus dem künstlich gewonnenen Getreide ge- machte Brod. So tief liegt es in der Sprache dass das Feld nur im Schweisse des Angesichts bebaut wird und der Ackerbau die erste Stufe der Civilisation ist. Dass auch die Wurzel von panis dem Vaskischen nicht fremd ist, zeigen die Vaskischen Wörter Pamichia, eine Art kleinen und dünnen Brotes, und Pampuleta, ein rundes Brot. Oguia scheint mit keinem noch in andern Sprachen üblichen Wortstamm verwandt.

M Nach „ansehnlichen'^ gestrichen: „von Genfer [?]".

^) Nach „artoa" gestrichen: „acno-,".

') „gewinnbare" verbessert aus „gewonnene".

lyo

I. Die Vasken.

hauptsächlichste in dem Basquischen Landbau, so wie der Mais, nebst den Kastanien, fast die einzige Nahrung der NiederNavarrons ausmacht. In Sprichwörtern, Liedern und Erzählungen geschieht ihrer daher oft Erwähnung.

Der Mais wird sehr weitläuftig gesäet. In die Zwischenräume, die oftmals behackt werden, pflanzen sie Bohnen, Rüben und andres Gemüse, und bearbeiten jedes Ackerstück mit einer Sorg- falt und Zierlichkeit, die es einem Blumengarten ähnlich macht. Die Arten den Mais zu essen sind verschieden. Theils bereiten sie einen Brei daraus und essen diesen entweder frisch , oder backen ihn, und schneiden ihn in Stücke. Theils machen sie ßrod daraus. Da dies aber immer fest, feucht und kuchenartig bleibt, so essen sie es selten, wie wir das unsrige, sondern schnei- den es in schmale Scheiben, rösten diese auch einmal am Feuer, belegen sie auch wohl mit Schinken. Alsdann nennt man sie Chingarra.^) Manchmal auch nehmen sie ein Stück Maisbrod, machen es am Feuer warm, thun Käse dazu, und kneten es nun in den Händen zu einer Kugel. Eine solche Kugel heisst Mara- kukia und auf diese Weise bereiten sie gewöhnlich ihr Frühstück. Es schmeckt nicht übel, nur kommt viel auf die Hände an, die es machen. Solange die Kastanienzeit dauert, also vier Monate hindurch, macht diese Frucht Morgens und Abends die einzige Speise des NiederNavarrischen Landvolks aus. Mittags essen sie eine Brühe von Bohnen, ohne alles Fett, aber mit vielem rothen Pfeffer. Fleisch, etwa Schinken ausgenommen, und Weizenbrod sieht man nur in den Häusern der Vermögenden.

Kastanienbäume, wie hier, erinnere ich mich fast nirgends gesehn zu haben. Sie kommen fast den Eichen an (Grösse gleich und ihre vielfach über einander starrenden '•^) Wurzeln liegen, ^) wie ein labyrinthisch verschlungenes Geäder auf dem felsigten Boden, und fugen sich in die Ritzen der Felsen ein.

Eine eigne Art die Milch zu kochen bemerkte ich in Unter- Navarra und dem Ländchen Labourd. Statt sie ans Feuer zu setzen, werfen sie glühende Kiesel hinein. Sie wallt augenblick- Hch davon auf, und erhält einen brenzlichten Geschmack, den aber das Volk zu lieben scheint.

') N(3cA „Chingarra" gestrichen: „Eine andre Art der Zubereitung ist die". ^) „starrenden" verbessert aus „geschlungenen" aus „geäderten". ') „liegen" verbessert aus „starren".

Das Französische Basquenland. IQI

Auf den heitren Morgen an dem ich den romantischen Weg bis zur Fonderia zurückgelegt hatte, folgte ein dunkler und trüber Abend. Von allen Seiten hatten sich Wolken erhoben, und als ich am Nachmittag von la Fonderia aus über das Gebirge nach Roncesvalles ritt, war schon fast der ganze Himmel bedeckt. Ich kam kurz vor Sonnenuntergang auf dem Port des Gebirges, zwischen dem Mispira, Mispelnberg, und dem Naharrestoa an, die untergehende Sonne erleuchtete noch den äussersten Horizont, und rund um ihn herum lief ein schmaler weisser Streifen, der mich noch die fernen Gebirge sehen Hess. Das Nivethal, und die Wälder der niedrigeren Berge standen in magischer Beleuchtung, wie Decorationen einer Schaubühne da. Kaum aber war die Sonne hinter die fernsten Gebirge getreten, so umzog mich ein dicker Nebel. Ich unterschied nichts mehr , als nur die aller- nächsten Gegenstände , hohe Bäume , Felsstücke , die plötzlich finster und schauerlich vor mir da standen. Aus der Ferne tön- ten dumpf die Glocken des w^eidenden Viehs und das Rufen und Pfeifen der Schäfer her. So musste ich noch einige Stunden reiten, ehe ich die Abtei erreichte.

Ich bewunderte die Geschicklichkeit meines Führers, eines jungen Basquen, in diesem undurchdringlichen Nebel den wenig betretenen Fusssteig, der oft ohne alle sichtbare Spur nur über dem Rasen hinging, zu finden. Allein mit der seinem Volke so eignen Behendigkeit schritt er in seiner rothen Jacke, und platten Bearner Mütze, seinen Stock in der Hand, mit vorwärts gebognem Leibe, und aufgehobenem Kopf meinem Maulthier voran, und spürte jedem leisesten Geräusche nach und achtete auf jedes noch so unbedeutende Kennzeichen des Weges.

So stiegen wir noch beträchtlich höher, theils über freie Vieh- weiden, theils durch einen dicken Buchenwald. Auf der höchsten Höhe erreichten wir die Spanische Gränze. An diesem Ort, den ich am andern Morgen wiedersah, steht gerade auf dem Kamme des Berges, wie auf einem Sattel die Kapelle von Ibarrieta, und das Gebirge sendet von hier seine Quellen zu beiden Seiten dem Oceane und dem Mittelmeere zu. Von der Kapelle selbst sieht man jetzt nur noch die Mauern, da sie im letzten Kriege zerstört worden ist.

Ich besuchte Roncesvalles ^) um die Reliquien Rolands und

1) 'Nach „Roncesvalles" gestrichen: „die Abtei".

JQ2 I. Die Vasken.

das SO oft besungene Schlachtfeld zu sehen. Allein beides belohnt den beschwerlichen Weg dahin nicht. Das Schlachtfeld ist eine Ebne zwischen der Abtei und dem Spanischen Dorfe Burguet, das eine halbe Stunde davon entfernt ist. Die Ueberbleibsel des fabelhaften Ritters werden jetzt, ohne alle Feierlichkeit, in einem hohen und festen Gewölbe der Kirche aufbewahrt, und bestehen in einem grossen zerbrochenen Steigbügel, zwei Keulen, zwei Stücken des zerbrochenen Horns, und dem vergoldeten Kranz den man in der Schlacht dem Heere vortrug. Das Schwert haben die Franzosen im letzten Kriege mit fortgeführt. Die Keulen sind gerade, oben und unten gleich dicke Stöcke, etwa eines Armes lang, an denen oben an einer Kette von 4 bis 5 Ringen eine schwere eiserne mit mehreren Kanten versehene Kugel hängt. Unten hat der Stock einen eisernen Ring zum Handgriff. Zum Andenken ^) der Schlacht wir J noch jetzt alle Jahr ^) eine feier- liche Seelenmesse für die in derselben Umgekommenen gelesen. An demselben Tag ist Markt im Ort, und allgemeine Lustbar- keit. Nur zu tanzen erlauben die strengen Bewohner der Abtei nicht.

Ein finstrer aber herrlicher Buchwald führte mich von der Höhe des Gebirges nach St. Jean pic de port herab. Der oft schneckenförmig geleitete Weg ändert fast mit jedem^ Augenblicke die Scene, bleibt aber überall gleich romantisch und wunderbar;^) wolkenanstrebende Bäume mit moosbewachsenen Stämmen, wilde Felsmassen in vielfachen Geschieben über einander gethürmt und auf jeder Etage üppig mit Gesträuch überhangen; in der Tiefe des Thals ein brausender Strom, von der Höhe herab unzählige kleine Quellen ihm schäumend und rauschend entgegeneilend; dabei lange Züge von Eseln und Maulthieren mit iliren Treibern in mannigfaltigem Gedräng und Gewühle.

Es führen zwei Wege von Roncesvalles nach St. Jean, einer über den Orisson; der andre über den Luzarie. Ich wählte den letzteren. Ehemals ging die grosse Heerstrasse von Frankreich nach Spanien immer über St. Jean und Pampelona.

St. Jean mit seinem schwarzen Thurm und seiner viereckten Citadelle erscheint schon aus der Ferne. Es liegt mitten in einer

^) „Zum Andenken" verbessert aus „Am Jahrstage" 2) „alle Jahr" verbessert aus „immer''\ *) Nach „wunderbar" gestrichen: „hier

Das Französische Basqyenland. ig^

weiten, aber überall von Bergen, von hohen gegen Spanien, von niedrigen gegen Bayonne und St. Palais zu umschlossenen Ebene, in welcher sich die Nive durch das Zusammenkommen von drei kleinen Gebirgströmen bildet.

Freundlich wie die Lage des Städtchens ist der Anblick des Volks. Man braucht diese NiederNavarrer nur in ihrer reinlichen und zierlichen Tracht, mit ihren weissen Strümpfen, leinenen Beinkleidern und Weste von gleicher Farbe, rother Scherpe und Jacke, ihrem Stock und ihrer flachen Tuchmütze herumgehen zu sehen, um zu fühlen, dass sie ein frohsinniges, immer heitres, gutmüthiges, aber mehr dem Vergnügen als der Arbeit ergebenes Volk sind. Ihr Blick, ihre Haltung, vor allem aber ihr Gang ist das Bild kecker und kraftvoller Behendigkeit. Die Leichtigkeit mit welcher ihnen da sie sich nur auf Viehzucht legen der Verkauf ihres Viehes, ^) ohne merkliche Verringerung ihres Eigen- thums, baares Geld verschaft, nährt ihren Leichtsinn und ihren Hang zum Vergnügen. Sie verkaufen ihr Vieh, meist Hammel, grösstentheils an die Bearner, die, industrioser als sie, es fett machen, und Handel damit treiben.

Die Bewohner der Soule, des letzten Basquischen Ländchens, das mir zu durchwandern übrigblieb, unterscheiden sich durchaus von ihren übrigen Mitbrüdern.

Sie nennen sich selbst die Italiäner unter den Vasken, glauben mehr Geschmack und Feinheit als ihre Landsleute zu besitzen, und haben durch alle Stände hindurch einen entschiedenen Hang zu Poesie und Musik. Schade nur, dass dieser Hang in einem Völkchen, dem es an allen interessanten Nationalgegenständen fehlt, seine Einbildungskraft zu begeistern, fast nothwendig zu leerer Tändelei und poetischem Geschwätz ausarten muss; und schader noch mehr, dass der Dialect der Souletaner weit mehr mit frem- den Worten vermischt ist, als der der übrigen Vasken. Ihre Aussprache ist zwar sanft und hat etwas flötendes, steht aber auch, vorzüglich durch die durchgängige Verwandlung des u in «, an Kraft und Ausdruck nach. In der That kann man, so gross auch die Anhänglichkeit der Bewohner der Soule an ihre Nation ist, da sie nicht einmal gern Heirathen mit den Bearnern eingehn,. dieselben doch als eine Art Uebergang von den Vasken zu den Gascognern, oder wenn man mehr auf die Aehnlichkeit des

1) l^ach Viehes" gestrichen : „an ihre Nachbarn die Bearner (aus „in Bearn hinein''')".

W. V. Humboldt, Werke. Xm. 13

jQ^ I. Die Vasken.

Charakters, als die geographische Lage sieht mehr ^) noch zu. den Provenzalen ansehn.

Die Soule ist der einzige Ort wo noch fortdauernd Basquische Schauspiele aufgeführt werden. Man nennt sie hier Pasforales, aber sie sind nicht immer Schäfergedichte, sondern viel eigent- licher sogenannte Staatsactionen, in denen Könige und Kaiser auf- treten. Rolands Thaten spielen darin besonders oft eine grosse Rolle. Die Schauspieler sind junge Leute beiderlei Geschlechts die meistentheils nicht lesen können; diese werden von Leuten, die man Institiiteurs des acteurs des pastorales nennt, die aber ge- wöhnlich auch Bauern sind, unterrichtet. Der Lehrer ist, nach acht antiker Sitte, auch meistentheils der Verfasser des Stücks. Die Aufführung geschieht unter freiem Himmel, in Mauleon, dem Hauptorte, gewöhnlich auf dem Spatzierplatz der Stadt, einer hohen schattigen Lindenallee, der Vortrag ist theils singend, theils recitirend, der Zutritt ist unentgeldlich, die Fremden, gegen welche die Souletaner überhaupt sehr zuvorkommend sind, nehmen dabei den ersten Platz ein. Auch Dichten aus dem Stegereif über jeden gegebenen Gegenstand ist hier nicht ungewöhnlich.

Auch der Feldbau in der Soule zeichnet sich durch Sorgfalt und Ordnung aus. Die zierlich bepflanzten Maisfelder gleichen den Gartenbeeten, und dadurch wird der Blick auf die reich- bewachsene Ebne von der Citadelle von Mauleon überaus reizend. Auf der Brücke der Stadt ist ein schöner Wasserfall. Ein Bach stürzt sich ^) aus zwei Mühlengewölben in den Gave de Saison, der die Ebne von Mauleon durchschneidet und sich dann mit dem Adour vereinigt.

Auf dem Wege von St. Jean nach Mauleon hatte ich zum letztenmale meine Blicke auf die hohe Pyrenaeenkette und die beschneiten Gipfel der Berge von Jacea gerichtet. Als ich die Soule verliess nahm ich von den Gebirgsthälern der Vasken Ab- schied, und wie ich bei mir von neuem die verschiednen Cha- rakterabstufungen dieses kleinen, aber in sich so vielfach nüan- cirten Volkes durchging, glaubte ich die Ueberbleibsel einer grossen Nation zu erkennen, die vielleicht ehemals zu beiden Seiten der Pyrenaeen und vielleicht weiter hin, diesseits und jenseits der Alpen, die Länder besass von denen sie nun in das Gebirge ver-

') „mehr" verbessert aus „besser".

*) „Ein sich" verbessert aus „den ein Bach bildet, der".

Das Französische Basquenland. Iqc

drängt ist, das allein ihr noch wirthlichen Schutz verheisst. Der wackre und kraftvolle, aber rauhe Vizcayer, und der weichliche Souletaner, in dem der Geist provenzalischer Troubadours wieder erwacht scheint, reden Eine Sprache, und sind nur durch wenige Tagereisen getrennt; nahe liegende Districte benennen dieselben Dinge mit verschiedenen und doch derselben Sprache angehörigen Namen; fast benachbarte Ortschaften verstehen sich mit Mühe und erkennen sich doch als Brüder einer und eben derselben Nation an. An entfernten Küsten Spaniens, Frankreichs und Ita- liens haben sich von Geschlecht zu Geschlecht Namen von Bergen, Flüssen und Städten erhalten, die offenbar Vaskischen Ursprungs sind. Bedarf es mehr, um zu beweisen, dass Vaskische Stämme ehemals weite Landstriche besetzt hielten, dass aber, nach und nach von allen Seiten zurückgedrängt, zuletzt diejenigen Nachbarn wurden, die erst grosse Räume von einander trennten.'*

Diese sichre, wenn gleich dunkle Stimme der Geschichte ist unverkennbar. Wer sie aber weiter befragen, wer das wo? und das Wann? und das Wie? näher erkunden will? dem verstummt sie, und er hört nur den leeren Nachhall seiner eigenen Frage zurückschallen. ^)

Durch den glücklichsten Zufall hat sich Humboldts Manuskript der baskischen Reisebeschreibung, dessen rätselhafter Verlust noch Band 7, 6oj^ beklagt wurde, wiedergefunden: in seiner jetzt auf Schloss Günthersdorf in Schlesien, wohin sie von Ottmachau übergeführt wurde, aufbewahrten Bibliothek fand ich bei einer genaueren Durchsicht die buchartig in Pappe eingebundene Handschrift mitten unter den gedruckten Büchern. Die äussere und innere Geschichte des Werkes habe ich bereits Band j, J75 in Kürze dargestellt (vgl. auch Band 7, 60^): seine Entstehung teilweise in Berlin, teilweise in Rom wird durch die Verschiedenheit des verwendeten Papiers bestätigt. Nur ein Punkt bedarf noch einer kurzen Erörterung, die Beziehungen unsres wiedergewonnenen Textes zu den Band g, 114 abgedruckten „Cantabrica" und zit den gleichzeitigen Briefen an Karoline.

Dass die „Cantabrica" nicht, wie ich früher (Band ^, ^j2) angenommen hatte, in unmittelbarem Anschluss an Humboldts grosse spanische Reise im Sommer 1800 verfasst sind, sondern tatsächlich erst nach seiner Rückkehr von der bas- kischen Reise im Sommer 1801, obwohl sie sich inhaltlich auf jene erste Reise beziehen, ist inzwischen durch den Umstand erwiesen worden, dass eine längere Betrachtung über die Erhabenheit der Eindrücke von Meer und Gebirge in ihrem gegensätzlichen Charakter im ersten Abschnitt (Band q, 115) mit nur geringen

*) „hört zurückschallen'^ verbessert aus „ist glücklich genug wenn ihm nicht der leere .... zurückschallt".

13*

I9Ö

1. Die Vasken.

Änderungen einem Briefe an Karoline vom ^o. April 1801 ( Wilhelm und Karoline von Humboldt 2, 86) entnommen ist (vgl. auch Euphorion 14, 635). Die andern Abschnitte beruhen auf Humboldts Tagebuch der spanischen Reise und die Skizzen sollten einleitende Proben einer spanischen, nicht einer eigentlich baskischen Reisebeschreibung bilden, wie schon die beständigen Vergleiche der baskischen Ver- hältnisse mit den kastilischen und katalonischen deutlich zeigen. Einzelne Abschnitte der „Cantabrica" gingen dann in leise überarbeiteter Form in das Baskenwerk über: so findet sich die Beschreibung der stürmischen See und die eben erwähnte, daran sich anschliessende Betrachtung über Meer und Gebirge (Band ß, 115) oben S. 29, die Schilderung der Landschaft von Guipuzcoa (ebenda S. 126) oben S. S5i <^^^ Stelle über die Geschichte von Vitoria und die Etymologie des Namens sowie die Beschreibung des Marktplatzes und der Magdalena Tizians (ebenda S. ißz) oben S. 116. Namentlich eine genaue Vergleichung der im obigen Texte durch Korrekturen veränderten Lesarten mit den entsprechenden Sätzen der „Cantabrica^' zeigt deutlich, dass überall der Text der letzteren zu Grunde liegt.

Über Humboldts Reisebegleiter Georg Wilhelm Bokelmann, dem das Werk gewidmet werden sollte, einen jungen Kaufmann, der im Frühjahr 1801 von Hamburg über Paris nach Cadiz reiste, um dort das Geschäft seines verstorbenen Schwagers zu übernehmen, orientiert Ludmilla Assing, Aus Raheis Herzensleben S. 127.

Jena, 12. Januar igi^.

Albert Leitzmann.

2.

Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit.

a. Über die Republik der sieben ionischen Inseln (Rom, 27. Juli 1805).

II y a plusieurs mois que V. M. me fit la grace de me demander des renseignements statistiques sur Tetat de la Republique des Sept lies et d'en faire l'objet d'un rapport separe que j'adresserois au Departement des affaires etrangeres. Je ne manquai point des le moment que je recus cette commission de m'entourer des meilleurs ouvrages ecrits sur ce sujet et de recueillir en meme tems de donnees plus authentiques encore de personnes qui avoient quel- ques relations avec ce pays. Mais voyant que je manquai abso- lument apres tout cela encore de renseignements sur le point le plus essentiel, c. v. d. sur les revenus de l'Etat et que meme ceux sur Tapplication varioient extremement entr'eux, je tächai de me procurer du pays meme les notions par lesquelles je puisse com- pleter et rectifier Celles que j'avais acquises jusques lä, et ce n'est qu'apresent que j'ai les obtenir et que je me vois en etat de remplir les ordres de V. M. Elle daignera trouver reunis mainte- nant dans le memoire ci-joint tout ce qui regarde la population, le commerce, la grandeur, la position geographique et les revenus de la petite Republique des Sept lies, et je crois pouvoir me flatter que les donnees qui y sont contenues, sont exactes et peuvent servir ä rectifier Celles des ouvrages imprimes, surtout celui du Sr. Seru- fani sur le meme objet. M Je n'ai pas cru devoir entrer dans un

^) Ein Werk dieses Autors wird in der Literaturübersicht bei Rodocanachi, Bonaparte et les ilcs ioniennes 1797 18 18 (Paris l8gg) nicht genannt.

198

2. Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit.

long detail sur la Constitution ^) de la Republique, puisqu'outre qu'elle est imprimee, eile. est un vain simulacre et que la Cour de Russie dispose de tout absolument comme si le pays n'etoit tout simplement qu'une Province Russe.

V. M. daigne observer avec infiniment de justesse dans son tr. gr. Rescript que les Sept Des peuvent etre facilement un des objets de discussion ä la paix que l'Europe desire avec tant d'im- patience, et j'ose Lui demander la permission de faire ä ce sujet quelques reflexions, que je n'ai pas cru devoir joindre au Memoire Statistique.

Quand on considere la petitesse des iles qui forment la Re- publique Jonienne, le nombre peu considerable de leurs habitans et la modicite des revenus qu'elles fournissent, on voit du premier coup d'oeil qu'elles ne peuvent gueres etre un objet important pour un Souverain, pour formef pour ainsi dire un seul domaine. II n'est donc point probable que les Puissances qui s'interessent au sort du Roi de Sardaigne, veuillent, comme le bruit en a courru plusieurs fois, lui assigner ce pays^) comme un objet d'indemnite, et il est fort douteux si au cas qu'ils le voulussent, 11 trouveroit bon d'accepter une possession dont la position geo- graphique ces lies etant eparses sur une etendue de pres de trois degres le caractere mutin et revolutionnaire des habitans et le voisinage des Turcs rendroient l'administration deja peu lucra- tive en elle-meme, ä la fois incommode, difficile et dangereuse. II faudroit au moins qu'on lui cedat encore une partie des cötes; mais aussi dans ce cas cet Etat manqueroit toujours d'un centre commun et de forces süffisantes pour se defendre seul contre les pillages et les vexations des peuples voisins et des Pachas qui l'environnent. ^) Si l'Ordre de Malthe ne s'eloignoit' pas entiere-

^) Vgl. die eingehende Darstellung bei Rodocanachi S. ij^. Die Grund- gedanken der Konstitution sollen unmittelbar auf Alexander I. zurückgehen (vgl. den Eingang der Denkschrift von Capo d'IstiHa, 5. August 18 r 4, ebenda S. 2^iJ; ein Druck aus diesen Jahren ist dort nicht genannt.

^) Nach Carutti, Storia della corte di Savoia 2, 12g hat Napoleon i8oßl4 die ioni- schen Inseln Viktor Emanuel I. als Entschädigung angeboten ; vgl. Rose, Napoleon I. I, jgg deutsche Ausgabe. Rodocanachi S. 175 zitiert eine türkische Note vom Oktober lygS, in der u. a. der Vorschlag gemacht wurde „d'attribuer les iles ä une puissance de second ordre, qui ne pouvait etre que le royaume de Naples", wobei nicht deutlich wird, ob die Nennung Neapels auf dem Text der Note oder auf Kombination beruht.

*) Humboldt berührt damit eine entscheidende Lebensfrage der ionischen Inseln. Venedig hatte an der Küste von Epirus in Butrinto, Parga, Prevesa und

a. Über die Republik der sieben ionischen Inseln. IQQ

ment du but de son Institution en quittant les cötes barbaresques et en se mettant dans une position, dans laquelle incapable de lutter avec succes, il devroit necessairement etablir des rapports d'amitie avec les Infideles, cette possession conviendroit infiniment mieux ä cet Ordre , qui ne peut plus former des pretentions ä etre un Etat proprement dit et duquel eile pourroit servir ä suppleer en quelque facon ä tant de Prieures supprimes. ^)

11 est cependant ä remarquer que les lies de Malthe et de Gozo ont plus de la moitie des habitans que les lies loniennes, puisqu'on y compte 150 milles, tandisqu'ä ces dernieres on n'arrive qu'ä 220 milles. -) L'interet qu'on attache; ä la Republique des Sept lies consiste tout entier dans la position, mais sous ce rapport ces lies sont si importantes que leur veritable destination politique est Sans doute d'appartenir ä une des grandes Puissances, qui par leurs moyens puissent exercer une influenae sur la navigation et le commerce dans les Mers elles se trouvent. ^) Dans la Situation actuelle de l'Europe, elles ne peuvent etre contestees qu'entre l'Autriche et la Russie.^) La premiere a seulement l'in- teret majeur ä ne pas les voir entre les mains d'une autre grande Puissance, mais la derniere peut retirer de plus grands avantages de leur possession meme. L'obstacle le plus difficile ä vaincre qui s'oppose ä Tinfluence de la Russie, est Teloignement dans lequel eile se trouve du Centre de l'Europe. La possession des Sept lies lui ouvre la possibilite de franchir d'autant plus facile-

Vonitza unentbehrliche Brückenköpfe; die Franzosen vermochten sie gegen den Pascha von Janitia nicht zu halten und waren damit der ständigen Gefahr einer wirksamen Blokade preisgegeben (Rodocanachi S. lO^J; noch 181^ hat Capo d'Istria wiederholt versucht, den Inseln mit russischer Hilfe den Küstenstreifen zu sichern (ebenda S. 2^6. 261).

') Der gleiche Gedanke wird von Capo d'Istria in seiner Denkschrift für Alexander I. vom 5. Oktober 1814 erörtert und die aus dem Wesen des Ordens dem Plan entgegenstehenden Hindernisse werden als die entscheidenden hingestellt (ebenda S. 252I

^) Dieselbe Zahl bei Capo d'Istria (ebenda S. 252).

*) Genau auf das Gegenteil zielt Capo d'Istria in seiner Denkschrift ab, indem er zwar die Verwaltungsschwierigkeiten, welche einer Macht zweiten Ranges aus dem Besitz der Inseln erwachsen würden, ebenso wie Humboldt auseinander- setzt, zugleich aber die Störung des europäischen Gleichgewichts durch ihren Über- gang in den Besitz einer Grossmacht als notwendige Folge andeutet (ebenda S. 2^4).

*■) Dieser Gegensatz beherrscht noch i8i4ls die russische Politik unter dem Einßuss Capo d' Istrias; vgl. die ebenda S. 262 gedruckten russischen Depeschen.

200 2. Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit.

ment cette distance que la Porte peut encore opposer une faible resistance ä ses volontes et que ses flottes peuvent aller librement de la Mer noire dans la Mer adriatique; ^) eile peut comme eile le pratique deja faire de Corfou un arsenal et un depöt de trouppes; eile peut menacer de l'Italie, gener de toutes les facons possibles le commerce de Venise et prendre insensiblement pied ferme sur les cötes de la Moree et de l'Albanie, et rendre par l'Empire Ottoman encore plus dependant qu'il ne Test dejä. En tems de paix le commerce Russe ne gagne pas moins, en trouvant ä moitie-chemin entre Odessa et le detroit de Gibraltar une possession Russe l'on peut accorder tous les privileges possibles aux batiments nationaux et en exclure, si l'on veut, tous les etrangers. Comme l'Empereur Alexandre peut retirer des avan- tages aussi precieux de la Republique des Sept lies, ce ne pourroit etre que le fruit d'une moderation extreme de sa part s'il vouloit jamais se desaisir d'une position dans laquelle la France et l'Autriche, par la plus grande faute politique possible, l'ont une fois laisse s'etablir. ^) Si cependant il portoit ce Sacrifice ä la pacification de l'Europe, les Sept lies pourroient facilement venir sous la do- mination de l'Autriche. Ni le repos, ni le commerce de l'Europe ne courroit aucun risque par lä; [l'Autriche] n'y gagneroit pas meme beaucoup plus que la domination tranquille de l'Adria- tique, qu'on semble lui avoir laisse en lui cedant Venise; car les Sept lies etant la Cle de l'Adriatique, le plus naturel est de les donner ä celui qui doit etre le Maitre paisible de cette Mer. De cette maniere on oteroit toute importance politique ä ce pays; en le laissant au contraire ä la Russie, on fourniroit ä celle-ci un moyen plus puissant de plus pour contrebalancer la puissance toujours croissante de la France. On pourroit cependant choisir le moyen-terme, en laissant subsister les Sept lies en Republique tributaire de l'Empire Ottoman ; mais libre en elle-meme ä l'instar de la Republique de Raguse.^) Mais un tel etat de choses seroit diffi- cilement de longue duree. L'une ou l'autre des grandes Puissances

*) Seit Dezember 1806 befanden die Türkei und Russland sich wieder im Kriegszustand, so dass die russischen Schiffe 1807 den Rückweg durch den Kanai nehmen mußten (Rodocanachi S. ig^).

2) Der Fehler wurde von Napoleon im Tilsiter Frieden ausgeglichen f ebenda S. igi).

*) Der Hinweis auf Ragusa findet sich auch in der russischen Antwort- note vom Februar jygg (ebenda S. jy8).

b. Über Napoleons Orientpolitik. 201

s'arrogeroient bientöt, des que les circonstances favoriseroient leurs voeux, comme ä present, d'abord une influence et ensuite l'empire sur elles et surtout dans un tems il devient toujours plus diffi- cile de se garantir par de simples Traites. Un principe des plus essentiels de faire une paix stable doit etre celui de laisser aussi peu que possible les positions interessantes entre des mains qui ne peuvent point les defendre efficacement. Ayant occasion de me procurer un memoire qui contient plusieurs notions statistiques sur la Republique des Sept lies, je crois bien faire d'en transmettre ci-joint une copie ä V. M.^)

b. Über Napoleons Orientpolitik (Rom, 26. März 1806). ^j

Sire,

le General Matthieu Dumas, Chambellan de S. A. I. le Prince Joseph, qui commandoit les trouppes Francoises envoyees pour occuper l'lstrie et la Dalmatie Ex-Venitiennes, ^) vient de passer hier matin par ici pour se rendre ä Naples, et c'est par lui que nous avons appris la nouvelle que les Kusses, sta- tionnes ä Corfou, sesont emparesde Cattaro.*) Lecorps du General Dumas etait arrive jusqu' ä Spalato lorsque 6 vaisseaux de guerre Kusses, accompagnes de beaucoup de batisseaux de transport, ayant, si on n'exagere pas le nombre, 10 ä 12000 hommes de trouppes ä bord, se presenterent devant Cattaro.^) La garni-

*) Die nun folgende statistische Beschreibung der sieben ionischen Inseln ist hier fortgelassen.

^) Zum ersten Teil der Depesche ist heranzuziehen : Pisani, La Dalmatie de 1797 1815 (Paris i8gß), für den zweiten Teil: d'Haussonville, L'eglise romaine et le premier empire Band 2 (Paris i868), namentlich die Kapitel ig 22.

*) Dumas war nicht Kommandant der Okkupationstruppen , sondern stell- vertretender commissaire imperial (Pisani S. i4j Anm. ^).

*) Der Dechiffreur schreibt Spalatro und Cattano für Spalato und Cattaro : diese Schreibung Humboldts ist im Folgenden ebenso beibehalten wie die großen Anfangsbuchstaben bei den von Ländernamen hergeleiteten Adjektiven ; vgl. zur Schreibung der dalmatinischen Ortsnamen ebenda S. XX.

*) Pisani gibt die Zahl der russischen Truppen vor Cattaro nicht an; die russischen Streitkräfte in der Adria werden nach französischen Quellen in diesem Zeitpunkt auf 42 Schiffe und 45000 Mann geschätzt (ebenda S. 150).

202 2. Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit.

son Autrichienne refusa d'abord de laisser debarquer ces trouppes, mais elles menacerent de bombarder la ville; les Autrichiens se jetirerent, et les Russes debarquerent paisiblement. ^) Les Mon- tenegriens se declarerent sur le champ en leur faveur. Les trouppes Francoises avaient ordre de rester ä Zara et Spoleto, et le General Dumas, en allant rejoindre le Prince Joseph, en a laisse le com- mandement au General Molitor. Elles sont au nombre de 4000 hommes environ. ^) Le General Marmont est encore ä Udine.^) II est inconcevable que les Russes ne se soient pas d'abord en quittant Naples diriges vers ce cöte: car V. M. daignera voir par ce qui s'est passe apresent, alors ils se seroient sans coup-ferir rendus maitre de toute la Dalmatie venitienne, d'oü ä present il leur sera toujours plus difficile de deloger les Francois. Si cepen- dant ils entendent leurs interets, ils ne tarderont point ä les attaquer et s'assureront d'abord de la Republique de Raguse situee entre Spalato et Cattaro. ^) Dejä avant l'occupation de Cattaro par les Russes l'Empereur Napoleon se preparait ä envoyer un grand nombre de trouppes dans ces con- trees, et on disoit que l'armee de Dalmatie devoit etre portee ä 60 milles hommes. ^) II n'est pas probable qu'il consente jamais ä ce que les pais qui bordent la mer adriatique au cöte oppose ä l'Italie restent entre les mains ou sous Tinfluence directe de la Russie. II est evident et le langage actuel des gazettes francoises meme le prouve que la possession de la Dalmatie a surtout prix ä ses yeux ä cause de l'influence qu'il pourra exercer lui-meme par eile sur TEmpire ottoman, et il semble que c'est cet Empire du Le- vant vers son ambition se tourne dans ce mo- ment. ^) Si donc il ne se fait pas une paix generale et que la

^) Vgl. die genaue Darstellung der Übergabe Cattaros fPisani S. 157^.

*) Diese Zahl erweist sich nach den Angaben ebenda S. ij^. i8j als un- gefähr zutreffend für die in den dalmatinischen Kämpfen unmittelbar verwendeten Truppen.

*) Marmont wurde erst am 12. Juni 1806 zum general en chef in Dalmatien ernannt (ebenda S. 182).

*) Die Russen begnügten sich mit einer Neutralitätserklärung von Ragusa; dagegen besetzten es die Franzosen unter Lauriston und hielten dort eine drei- wöchentliche Belagerung der Russen und Montenegriner aus (ebenda S. 167. 175^.

^) Vermutlich ist diese Zahl viel zu hoch gegriffen; selbst vor dem öster- reichischen Kriege zu Anfang i8og beliefen sich Marmonts Streitkräße nicht höher als auf 18000 Mann (ebenda S. 264. go-]).

®) Vgl. dazu Humboldts Charakteristik der Weltpolitik Napoleons bei Geb- hardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann i, 75 Anm., ferner Berthiers De-

b. Über Napoleons Orientpolitik. 20"^

Russie et l'Angleterre ne reussissent point a faire une diversion ä la France dans le nord, il pourras'engager facilement une lutte sanglante dans la Dalmatie, et les provinces turcques qui avoisinent l'Italie et particulierement le ro3^aunie de Naples souffriroient considerablement dans ce cas; car, comme les expeditions ou executees ou au moins preparees en Grece, dans l'Archipel, en Sicile et meme ä Malthe, feroient probable- ment parti de ce plan qui en meme tems embrasseroit toute cette partie de la Mediterranee, ces pais seroient vexes par des marches continuelles de trouppes francoises, mais le reste de l'Europe jouiroit au moins . d'une paix et tranquillite publique. II n'est peut-etre pas de propos de rapporter ici ä V. M. une anecdote que je tiens de la bouche de temoins oculaires. La possibilite de reunir de nouveau l'orient et l'occident etoit dejä avant plusieurs annees une des idees favorites de l'Empereur Napoleon. II avait coutume alors de demander: „qui est-ce qui a separe Rome de Constantinople?" et quand on lui repondit: „ce fut Theodose" il ajouta: „et qui est-ce qui les reunit?" ^) un pareil propos prouve naturellement peu de chose et les plans de l'Empereur Napoleon sont bien certainement lies ä un büt et des interets plus solides; on ne peut cependant pas se nier qu'il est dirige en meme tems par des idees vastes d'ambition et de gloire qui meme paroitroient souvent difficiles ä croire s'il n'en avoit pas deja realise une grande partie. Ici il ne s'est rien passe du nouveau, mais il devient encore plus interessant, de voir la decision que prendra l'Empereur puisqu' ayant continue mes efforts pour penetrer le mystere dans lequel on enveloppe ici les negociations avec la France, j'ai appris que le Pape ne s'oppose pas seulement, ainsi que j'ai eu l'honneur de le mander ä V. M. dernierement, ä ce que les Etats fassent partie du nouveau S3^steme federatif de la France, mais qu'il met meme des entraves ä Texecution de ce Systeme par rapport au royaume de Naples. V. M. daignera se Souvenir que l'investiture de Naples etait deja un sujet de dis- pute entre les cours de Rome et de Naples, et que le Pape feroit tous les ans par cette raison une protestation solemnelle ainsi que

pesche an Marmont, welcher angewiesen wird, zu berichten über die Rekrutierung s- iind Verproviantierungsmöglichkeiten in Bosnien, Mazedonien, Thrazien, Albanien, Griechenland „pour une puissance europeenne qui possederait ce pays" (Tilsit, 8. Juli iScrj, bei Pisani S. 286).

^) Dies ist also die Quelle der bei Gebhardt mitgeteilten Anekdote.

20A. 2. Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit.

pour les Etats de Parme. ^) A cette derniere la France ne s'est pas oppose jusqu'ici. Mais apresent il paraitroit sans doute trop extraordinaire si apres que l'Empereur Napoleon a declare publi- quement que toute la peninsule de l'Italie doit faire parti de l'Empire Francois, le Pape qui d'apres cela lui-meme doit en etre une espece de vassal, ^) osoit protester contre le droit de suzerai- nete de la France sur une autre partie de l'Italie. L'Empereur Napoleon a donc demande que le Pape omit cette protestation et qu'il renoncat ä tout droit sur le royaume de Naples, *) qui devoit relever apresent de la couronne de France, et c'est ä quoi je dois meme rectifier ce que j'ai eu l'honneur de dire ä V. M. dans mon tr. h. rapport du 12. de ce mois, que cela a ete cette demande et Celle de prendre des mesures contre les ennemis de la France et de les regarder comme des ennemis communs, qui seuls pour apresent ont ete formes directement au St. Siege. *) De l'autre idee que l'Etat Romain devoit etre etat federatif lui-meme, on n'en a fait mention qu'accessoirement mais comme decoulante du meme Systeme, le Pape a cru devoir embrasser le tout dans sa reponse au Cardinal Fesch. ^) Le Pape a refuse egalement la renonciation ä ses pretensions sur Naples et d'omettre les protestations usitees, et quelque peu politique que

') Vgl. Ranke, Die römischen Päpste ^', 177 Anm. ij8.

^) £5 wird Beachtung verdienen, daß Consalvi auf eben jene Situation den Ausdruck anwendete, Napoleon habe den Papst „ä titre de feudataire et de vassal" zu unbedingter Gefolgschaft zwingen wollen (Memoires 2, 42^ bei d' Haiissonville S. 12g Anm.).

^) In den ebenda angejahrten Dokumenten findet sich eine dahingehende Forderung Napoleons nicht ausdrücklich ausgesprochen; doch ist' z. B. das große Schreiben Pius VII. vom 21. März 1806 nicht in extenso mitgeteilt; es könnte ebenda S. 1^8 in Fortsetzung des abgebrochenen Satzes „la gardc du patrimoine de l'eglise romaine" eine entsprechende Protestation des Papstes ausgelassen sein.

*) Napoleon an Pius VII. und an Fesch, 22. Februar 1806 (ebenda S. wo. 104J; Fesch an Consalvi, 2. März (ebenda S. 12^)-

^) Vgl. das Schreiben Pius VII. vom 21. März (ebenda S. ij]); Humboldt muß also sehr gut informiert gewesen sein, wenn er am 26. bereits über das päpstliche Antwortschreiben berichten konnte. Doch lagen die Dinge insofern günstig, als die Grundzüge der Antwort in zwei Konsistorien, am 6. und 8. März, in Gegenwart von etwa ^o Kardinälen festgestellt und damit diplomatischem Nachrichtenbedürfnis wohl eher zugänglich waren, als es sonst mit den Verhand- lungen der Kurie der Fall war. Napoleon hat dann auch in dieser Beratung im erweiterten Kreis der Kardinäle „un calcul profond, une nouvelle et noire perfidie" Consalvis sehen wollen (ebenda S. 1^6. i^oj.

b. Über Napoleons Orientpolitik. 20C^

cela paroisse , il semble vouloir persister dans ce refus. ^) La chose devient donc plus compliquee encore et si le Pape ne cede point ou que rEmpereur Napoleon n'adopte pas le Systeme du mepris des protestations, qui sont l'aveu de la propre impuissance, il est difficile ä voir de quelle maniere eile pourra etre arrangee. Voilä ce que j'ai appris jusqu' apresent de plus positif; je ne manquerai pas de continuer ä vouer l'attention la plus suivie ä cet objet important. Mais j'ose supplier d'avance V. M. de par- donner si dans des objets de cette nature il n'est pas toujours possible d'etre informe d'abord avec une parfaite exactitude. Plusieurs prisonniers d'etat ont ete conduits, il y a quelques )ours, de Naples ici, pour etre transportes en France. On pretend que le vice-consul anglois ä Naples, le Sr, Scott, qui y avoit ete arrete ä cause d'une correspondance avec le General Craig ä Messine, est aa nombre de ces prisonniers. La gazette de Naples et les lettres particulieres de cette ville annoncent la conquete des deux Calabres comme terminee. On assure que le General Dumas s'est embarque pourla Sicile, et le Prince Joseph a ecrit des environs de Gaeta, il s'etoit rendü le 19., au Cardinal Fesch, que les Francois mar- choient, sans rencontrer d'autres obstacles, sur Reggio. Un chef d'insurgens, nomme Rodio, vient d'etre pris par le General Lachi ä Pomarico. Un autre, Michel Pezza, connü sous le nom de Fra Diavolo, est sorti de Gaeta et s'est refugie vers Pontecorvo se trouve encore un troisieme, nomme Antoine Petrucci. Un Irlan- dois defend avec une poignee d'hommes le fort de Civitella del Tronto qui n'a pas encore ete attaque par les Francois. Le siege de Gaeta que le General Lacour dirige, devoit commencer serieuse- ment le 22. de ce mois. En attendant la place a ete ravitaillee par 6 vaisseaux Anglois. Parmi les nombreux decrets donnes ä Naples on remarque surtout celui de ne faire aucun paiment, sous quelque pretexte que ce soit, de Naples en Sicile.

Le comte de Kaunitz est retourne pour quelques jours ä Naples. II n'est pas decide encore s'il ne devra pas suivre la Cour en Sicile.

Le Prince Borghese est revenü hier ici d'une excursion de quelques jours qu'il avait faite ä Naples.

') d' Haussonville erwähnt (S. 186) einen päpstlichen Protest betreffend die Lehnshohtit über Neapel erst mit der Mitteilung der Antwort Consalvis auf die Notifizierung der Thronbesteigung Josephs vorn 26. April 1806.

2o6 2. Zwei amtliche Berichte aus der römischen Zeit. b.

La Cour de Sardaigne qui etait partie le ii. de Fevrier de Naples, est arrive apres un trajet de sept jours, le 18. du meme mois, heureusement ä Cagliari.^)

Ici on vient de faire, sous le nom de Prestito perequa- tivo, un nouvel impöt occasionne surtout par les fraix du passage des trouppes Francoises. Tous les proprietaires sont obliges de payer pendant 18 mois doublement Timpöt territorial. Si la France rembourse jamais les avances que le Gouvernement a fait pour ses trouppes, ^) ceux qui auront paye cet impot, seront rembourses ä leur tour, et voilä pourquoi on a donne ä cet impot le nom

d'emprunt. D'apres l'evaluation la plus juste que j'aye me procurer, cet impot devroit rapporter au Gouvernement Romain presqu' un Million et demi de Piastres. Mais comme les fraix de perception sont enormes dans ce pais, il faut öter une partie con-

siderable de cette somme en voulant determiner ce qui en coulera

effectivement dans les caisses du St. Pere.

*) Carutti, Storia della corte di Savoia 2, i^6 gibt den ly. Februar an. ^) Auf diesen Ersatz hatte Pius VII. noch am 2g. Januar 1806 gedrungen (d'Haussonville S. 83).

Die beiden Depeschen Humboldts über die adriatisch- dalmatinischen An- gelegenheiten sind in der Zeit und unter dem Eindruck der kurzen und bald auf immer verschwundenen russischen Vorherrschaft in der Adria entstanden. Aus diesem Umstand ist wohl die eigentümliche Tatsache zu erklären, daß Humboldt, immer im Hinblick auf den russisch-französischen Antagonismus, in seinen Zukunfts- erörterungen den endgültigen Erben der einstigen venezianischen Besitzung, Eng- land, durchaus bei Seite läßt, obschon England Malta festhielt und absehen die Insel Zante 1801 die englische Flagge gesetzt und England sich in den kor- fiotischen Parteiungen mit militärischem Eingreifen bemerkbar gemacht hatte (Rodocanachi S. i8j. i8sJ. Nicht minder auffallend ist Humboldts Ansicht, Öster- reich werde im Besitz der ionischen Inseln der „friedliche Beherrscher der Adria" sein: er übersah dabei den Wert, den die Inseln für Österreich als Einfalls- pforte nach Morea und Epirus haben mußten , weswegen die russische Politik noch 181S der österreichischen Okkupation entschiedenen Widerstand leistete. Diese Momente rusammen mit der Unterschätzung der türkischen Machtstellung am Bosporus lassen den wesentlichen Mangel dieser Depeschen hervortreten: daß sie eben Berichte aus zweiter Hand sind, zwar auf sorgfältig gesammeltem Material beruhend und in den einzelnen Angaben zutreffend, aber der auf eigene Anschauung sich gründenden Kenntnis der gegeneinander streitenden Kräfte und der Über- sicht über die allgemeinere Lage entbehrend.

Halle, ßo. Januar igiß.

Siegfried Kahler.

3-

Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

A. Generalverwal tungsberichte der Sektion für den Kultus und öffentlichen Unterricht.

Königsberg, den 13. Februar 1809.

An des Königlichen Wirklichen Geheimen Staats-Minister Herrn Reichs- und Burggrafen zu Dohna Excellenz.

Die Section des Cultus und des öffentlichen Unterrichts ist in ihrer Thätigkeit durch den Zustand einer noch sehr unvoll- ständigen Organisation und durch die Erwartung ihres Chefs gehemmt, bis zu dessen Ankunft durchgreifende Maasregeln billig ausgesetzt bleiben. Der verflossene Monat hat daher nur zu Vor- bereitungen und zu Fortsetzung der vom neulich aufgelöseten Geistlichen und Schul-Departement, (an dessen Geschäften der Unterzeichnete sowohl als der für die Section des öffentlichen Unterrichts ernannte Staatsrath Suevern Antheil hatten,) getroffenen Einleitungen benutzt werden können.

Für die beabsichtigte Verbesserung der protestantischen Kirchen- verfassung ist die Section nur durch Beprüfung mehrerer ein- gekommener Vorschläge und durch Aufstellung zweckmässiger Gesichtspunkte in den darauf ertheilten Bescheiden thätig gewesen.

Als einen wichtigen Schritt zu angemessener Betreibung der Geistlichen Angelegenheiten darf die Section ihren Antrag ansehen, dass in den Geistlichen Deputationen der Regierungen dem Präsidio ein angesehener Geistlicher zugeordnet werde. -)

^) Konzept von Nicolovius' Hand.

*) Vgl. das unten unter E, b abgedruckte Schreiben Humboldts an Nicolovius.

W. V. Humboldt, Werke. XHI. M

210 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Die in mehreren Schriften laut werdende Klage über die Be- handlung des Geistlichen Standes in Hinsicht der Kriegsleistungen hat es der Section zur Pflicht gemacht, die Berichte und Gutachten der Geistlichen Provinzial-Behörden hierüber einzuziehen, um nöthigenfalls auf angemessenere Festsetzungen für die Folge an- tragen zu können.

Die Einführung einer bessern Lehrmethode in die Elementar- schulen ist durch einen unter bestimmten und vortheilhaften Be- dingungen erneuerten, aber leider noch unbeantwortet gebliebenen Ruf des Educations-Rath Zeller in Heilbronn, und durch die Auswahl zweyer, zum Unterricht in der Pestalozzischen Methode nach Yverdon zu sendenden jungen Männer, vorbereitet worden. ^)

Der Plan zu Verbesserung der vorhandenen und Einrichtung der fehlenden Institute auf der hiesigen Universität ist weiter ver- folgt; als wirklich beschlossen und verfügt ist hier aber nur der Allerhöchst genehmigte Ankauf astronomischer Instrumente aus dem Landmarschall von Hahnschen Nachlass in Meklenburg anzuführen.

Von Besetzungen erledigter Lehrstellen muss hier als wichtig die Berufung des Professor Remer-) aus Helmstaedt zum Professor der Medicin auf die hiesige und des Professor Bredow^) daselbst zum Professor der Geschichte auf die Universität Frankfurt erwähnt werden.

Ns.

Königsberg, den i. März 1809. An des Königlichen Wirklichen Geheimen Staats-Minister Herrn Reichs- und Burggrafen zu Dohna Excellenz.

Die Section des Cultus und des öffentlichen Unterrichts hat in dem abgelaufenen Monat, ausser den currenten Geschäften, ihre vorbereitenden Arbeiten fortgesezt und hofft in mancher, nicht unwichtiger Hinsicht ihrem Ziel näher gekommen zu seyn.

') Vgl. Diltheys Artikel „Süvern" in der Allgemeinen deutschen Biographie 3^, 206 und Gebhardt, Die Einführung der Pestalozzischen Methode in Preussen (Berlin i8g6).

*) Wilhelm Remer (1775—1830); Band 10, 218 ist fälschlich „Renner" ge- druckt. *) Gottfried Gabriel Bredow (1773 1814).

*) Konzept von Nicoloviu^ Hand.

A. Generalvenvaltungsberichte der Sektion, a. b. 211

Der Antrag, in den Geistlichen und Schuldeputationen der Regierungen dem Präsidio einen Geistlichen zuzuordnen, ist Allerhöchst genehmigt, und für die Ostpreussische Regierung der ConsistorialRath Borowski ') zum Mitdirektor der Geistlichen und Schuldeputation mit dem auszeichnenden Prädicat eines Oberconsi- storialraths ernannt worden. Diese Allerhöchst genehmigte Verände- rung in der Organisation der Consistorien wird unfehlbar eine würdigere Behandlung der Geistlichen Angelegenheiten, sowie eine Aufmunterung des Geistlichen Standes und eine Vermehrung seines Vertrauens zu der vorgesetzten Provinzial-Behörde zur Folge haben. Es werden aber leider! für jezt noch nicht überall wo die Regierungen ihren Sitz haben, qualilicirte Geistliche anzu- treffen seyn.

Der Plan zu Einführung einer bessern Methode in die Elementarschulen ist seiner Ausführung näher gekommen. Der EducationsRath Zeller in Heilbronn hat die Bedingungen, unter denen er den Absichten der Section im ganzen Umfange entsprechen zu können glaubt, mitgetheilt. Die Schwierigkeiten, die sich den- selben sowohl in Hinsicht des Locale als der Fonds entgegenstellten, sind überwunden, und der ganze Plan bedarf nur noch der Aller- höchsten Genehmigung.

Die Absendung zweyer jungen Männer nach dem Pesta- lozzischen Institut in Yverdon ist von des Königs Majestät ge- nehmigt, auch zu gleichem Zweck einem in der Schweiz bereits sich aufhaltenden jungen Pädagogen aus Pommern -) eine Unter- stützung bewilligt.

Das bedeutende Vermögen der Geistlichen milden Stiftungen im Ermland, das nicht unsichern Nachrichten nach wohl eine Million Thaler betragen mag, scheint der Aufmerksamkeit sehr werth und erregt den Wunsch einer bessern, vielleicht auch zum Theil pädagogischen Zwecken gewiedmeten Benutzung desselben. Es ist deshalb eine Verfügung erlassen, um die vorgängig nöthige Ueber- sicht der gegenwärtigen Lage dieser Sache zu erhalten.

Ns.

') Ludwig Ernst Borowski (i']4o i8^i), der bekannte Biograph Kants. 2) Henning.

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3. Amtliche Arbeite» an de« |«k- C»)

Königsberfuien 3. April i>!k)Q.

An des Königlichen Wirklichen Geheimen Uats-Minister Herrn Reichs und Burggrafen zu Dohna Mxdleaz hiescibst.

Die Section für den (!ulius und sich noch fortdauernd durch ihre durch die Abwesenheit ihres (-hefs a Wirksamkeit behinden. lieyden tcbeln ' kurzem, wenn auch nicht "

da die Ankunft des (Ihels er.

Herr (ieheimer Rath L'hden und Herr Staatsräthcn bey der Scaion, lezteri

Inzwischen sind die ~ * ingcner. folg fongesczt. Die wegen

l:nterrichismethode in die I^ndschulen ur der I-andgcisilichen und Sc von Normal-lnsiitutr- •■" ' von Predigern und ^ denselben sind Allerhöchst gc durch Anweisung der : vorhandenen !•■ ^^ - •'-..^... . . C^abinetsordre u^ . ^ler Ruf an

Direction dieser Normal-Institute t bereitung zu Hin rieht uni: ersten An>ialt dieser _ SchuUehrersiand in das l sendenden beyden jungen Nianncr Tagen an, und auf die ' selben Zweck wird I>e<

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jeneralverwaltungsberichte der Sektion, c.

213

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Fonds haben hievon unabh:; die Section unr können. Bev bisherigen, unc Fonds, ihr M. Sternwarte p. .

ie? Da die Existenz der hiesigen Universität und keiner Unsicherheit unterworfen ist, so hat iklich für die Regeneration derselben thätig seyn Königs Majestät ist die Unzulänglichkeit ihrer ^ßentheils zu milden Nebenzwecken bestimmten i an gelehrten Hülfsanstalten, als Seminarien, and die Dürftigkeit mancher Gehalte u. s. w. vorgestellt und af einen Zuschuss angetragen worden. Dieser ist Allerhöchst ''»willigt und auf jährlich 17000 Rth. festgesezt und, bis der i ; der nöthigen Verbesserungen im Allgemeinen realisiert wird . j. den ersten Einrichtungen bestimmt worden. Es ist hierauf so;Ieich die Einrichtung des botanischen Gartens, zu dem schon vr 3 Jahren ein bisher noch unbenuztes Grund- stück angekauft 'urde, eingeleitet, zu dessen X'orsteher der Professor mals in Erlangen, jetzt in Paris, Allerhöchst er-

Schweigger. ' nannt ist. -

2) Da zu .1 auswärtiger ( könnte, vergi und Liebling ^;

erledigten Professur der Staatswissenschaften ein irter, der mit vollem ^'ertrauen berufen werden gesucht worden; so ist die Idee, einen Schüler erewigten, aber unvergesslichen Professor Kraus, den Regierun ?sessor Hagen,'') der mit beynah allen Hülfswissen- schaften ausi;, et, diesem Studio und der Universität sich ganz wiedmen will. jener Professur zu bestimmen, ihm aber nur vorläufig einen heil des Gehalts derselben zur Unterstützung auf 1^2 Jahre zu r gelehrten Reise zuzugestehen, bey des Königs Majestät vor^. .^en und Allerhöchst genehmigt worden.

Auf den Airag der Section sind die Berliner Gelehrten Wolf und Buttmani ie beyde nach Bayern berufen waren, durch An- weisung höli Gehalte und Eröfnung eines künftigen ihren Neigungen Talenten angemessenen Wirkungskreises dem

preussischen Mate erhalten.

Die neu lisirten ('onsistorien in Marienwerder und (jum- binnen sind . ..urch ihrer völligen l^inrichtung näher gebracht, dass beym t ^trn für das Schulfach, insonderheit das gelehrte, e in Plock die Stelle eines Schulraths angetragen, lg des reformirten Superintendenten Wessclick in eformirten Geistlichen und Schulsachen verliigt;

dem Direcioi und die Zu: Elbing bey

') August drich Schweigger (lySj—iS-Ji).

^) Dieser er folgende Absatz sind nachträglich eingeschaltet.

*) Karl J ! h Hagen (ij8^—iSß6j hat die Professur Knde /«.V// erhalten.

212 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und iSio.

Königsberg, den 5. April (809.

An des Königlichen Wirklichen Geheimen Staats-Minister Herrn Reichs- und Burggrafen zu Dohna Excellenz hieselbst.

Die Section für den Cultus und den öffentlichen Unterricht sieht sich noch fortdauernd durch ihre unvollendete Organisation und durch die Abwesenheit ihres Chefs an einer das Ganze umfassenden Wirksamkeit behindert. Beyden Uebeln wird aber hoffentlich in kurzem, wenn auch nicht völlig, doch zum Theil abgeholfen seyn, da die Ankunft des Chefs erwartet wird und zwey neue Mitglieder, Herr Geheimer Rath Uhden und Herr KriegsRath Schmedding, zu Staatsräthen bey der Section, lezterer als katholischer, ernannt sind.

Inzwischen sind die angefangenen Pläne mit glücklichem Er- folg fortgesezt. Die Ideen wegen Einführung einer bessern Unterrichtsmethode in die Landschulen und Belebung des Interesse der Landgeistlichen und Schullehrer für dieselbe durch Errichtung von Normal-Instituten und Einberufung einer bedeutenden Anzahl von Predigern und Schullehrern zur Theilnahme am Unterricht in denselben sind Allerhöchst genehmigt und ihre Ausführung ist durch Anweisung der nöthigen Zuschüsse aus Staatscassen zu den vorhandenen Fonds gesichert. Es ist nun ein auf die Allerhöchste Cabinetsordre gegründeter Ruf an Herrn Zeller in Heilbronn zur Direction dieser Normal-Institute ergangen, auch die nöthige Vor- bereitung zu Einrichtung des hiesigen Königlichen Waysenhauses zur ersten Anstalt dieser Art getroffen. Die zur Bildung für den Schullehrerstand in das Pestalozzische Institut zu Yverdon zu sendenden be3^den jungen Männer^) treten ihre Reise in diesen Tagen an, und auf die Auswahl einer grösseren Anzahl für den- selben Zweck wird Bedacht genommen.

Die Angelegenheit der Universitäten schwebt noch in der bisherigen Ungewissheit. Wiewohl mehrere vorgefallene Vacanzen auf der Universität Frankfurt die nöthige Verbesserung derselben begünstigen, so ist doch noch die Frage zu entscheiden, ob die Idee, in Berlin eine höhere Lehranstalt zu errichten, ausgeführt werden solle, und welchen Einfluss dies auf die Universität Frankfurt und auf die zu ihrer Verbesserung etwa anzuweisenden

*) Konzept von Nicolorius' Hand. ^) Preuss lind Kawerau.

A. GeneralverwaltunfTsberichte der Sektion, c.

213

Fonds haben werde? Da die Existenz der hiesigen Universität hievon unabhängig und keiner Unsicherheit unterworfen ist, so hat die Section unbedenklich für die Regeneration derselben thätig seyn können. Bey des Königs Majestät ist die Unzulänglichkeit ihrer bisherigen, und großentheils zu milden Nebenzwecken bestimmten Fonds, ihr Mangel an gelehrten Hülfsanstalten, als Seminarien, Sternwarte p. p., und die Dürftigkeit mancher Gehalte u. s. w. vorgestellt und auf einen Zuschuss angetragen worden. Dieser ist Allerhöchst bewilligt und auf jährlich 17000 Rth. festgesezt und, bis der Plan der nöthigen Verbesserungen im Allgemeinen realisiert wird , zu den ersten Einrichtungen bestimmt worden. Es ist hierauf sogleich die Einrichtung des botanischen Gartens, zu dem schon vor 3 Jahren ein bisher noch unbenuztes Grund- stück angekauft wurde, eingeleitet, zu dessen Vorsteher der Professor Schweigger, ^) ehemals in Erlangen, jetzt in Paris, Allerhöchst er- nannt ist.

-)Da zu der erledigten Professur der Staatswissenschaften ein auswärtiger Gelehrter, der mit vollem ^^ertrauen berufen werden könnte, vergebens gesucht worden; so ist die Idee, einen Schüler und Liebling des verewigten, aber unvergesslichen Professor Kraus, den Regierungs Assessor Hagen,^) der mit beynah allen Hülfswdssen- schaften ausgerüstet, diesem Studio und der Universität sich ganz wiedmen will, zu jener Professur zu bestimmen, ihm aber nur vorläufig einen Theil des Gehalts derselben zur Unterstützung auf 1^2 Jahre zu einer gelehrten Reise zuzugestehen, bey des Königs Majestät vorgetragen und Allerhöchst genehmigt worden.

Auf den Antrag der Section sind die Berliner Gelehrten Wolf und Buttmann, die beyde nach Bayern berufen w^aren, durch An- weisung höherer Gehalte und Eröfnung eines künftigen ihren Neigungen und Talenten angemessenen Wirkungskreises dem preussischen Staate erhalten.

Die neuorganisirten Consistorien in Marienwerder und Gum- binnen sind dadurch ihrer völligen Einrichtung näher gebracht, dass beym erstem für das Schulfach, insonderheit das gelehrte, dem Director Rose in Plock die Stelle eines Schulraths angetragen, und die Zuziehung des reformirten Superintendenten Wesselick in Elbing bey den reformirten Geistlichen und Schulsachen vertügt;

•) August Friedrich Schweigger (i-j8j—i82j).

2) Dieser und der folgende Absatz sind nachträglich eingeschaltet.

^) Karl Heinrich Hagen (ij8s—iSs6j hat die Professur Ende 1811 erhalten.

21 A 3- Amtliche Arbeiten aus den Jaliren 1809 und 1810.

für das leztere aber der Prediger Luis in Goeritten mit den besten Hofnungen als reformirter Consistorialrath in Vorschlag gebracht ist.

Gemeinschaftlich mit der Ew. Excellenz unmittelbaren Leitung untergebenen Section der allgemeinen Polizey ist auf eine bessere Einrichtung des Censurwesens ^) von der Section des öffentlichen Unterrichts, auf eine Hemmung der auffallendsten Störungen der Sabbathsfeyer aber von der Section des Cultus Bedacht genommen.

Diese hat es auch nöthig gefunden, eine Verbesserung des hiesigen neuen Gesangbuchs einzuleiten, da dasselbe das Gepräge einer Zeit trägt, die das wahre Wesen der Religion, der Andacht und der Poesie entweder verkennt oder nach unrichtigem Maass- stabe schäzt.

Als eine erfreuliche Folge der neulichen neuen Organisation des Präsidii der Geistlichen Deputation der Ostpreussischen Regierung darf hier noch angeführt werden, dass im verflossenen Monate die sonst in einer leeren Kirche geschehene Ordination angehender Prediger von einer merklichen Theilnahme eines grossen Theils des PubHkums und von sehr guten Eindrücken auf dasselbe begleitet gewesen.

Bey der verfügten Besteurung des Silbers hat die Section in Hinsicht des Kirchensilbers dahin zu wirken gesucht, dass allen Übeln Eindrücken bey den Gemeinen vorgebeugt, dem illiberalen Verfahren weltlicher Behörden Schranken gesezt, und die, ihrem Innern Wesen nach verwandten, religiösen und patriotischen An- sichten nicht in Widerspruch gebracht werden.^)

Ns.

d.3)

Königsberg, den 19. Mai, 1809.

Da die Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts nur erst die letzte Hälfte des verflossenen Monats hindurch hat in Verbindung mit ihrem Chef arbeiten können,*) die Herreise des- selben selbst aber den Aufschub mehrerer Angelegenheiten ver- anlasst hat, so hat nur wenig von ihr geschehen können, das sich auf allgemeinere Verfügungen bezieht, wesentliche Verbesserungen

') Vgl. die Band 10, j6 abgedruckten Aktenstücke.

^) Über das Silberedikt vgl. auch Wilhelm und Karoline von Humboldt jy 11^. IIS- 127. ijo.

^) Konzept von Humboldts Hand.

*) Humboldt traf am ij. April in Königsberg ein

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, cd. 2ICi

•bezweckt, und dadurch sich zum Gegenstande des gegenwärtigen Berichtes eignet.

Das Wichtigste, was in dieser Art zu Stande gekommen, ist unstreitig die auf den Vorschlag des Geheimen Raths Wolf bei dem Joachimsthalschen Gymnasio gemachte Veränderung.^) Der Zweck derselben war zwar ursprünglich nur der, die Lücke aus- zufüllen, welche bei dieser Anstalt durch den Abgang des Professor Buttmann ^) entstand. Allein es ist durch die getroffene Einrichtung bei weitem mehr erreicht w^orden. Denn obgleich die Professur des p. Buttmann nicht eigentlich wieder besetzt worden ist, sondern man nur den Professor Ideler ^) und Dr. Schneider *) angestellt hat -einzelne, einzeln bezahlte Stunden zu geben, so hat das Gymna- sium mit einem nur um sehr Weniges grösseren Aufwände, als das Buttmannsche Gehalt machte, doch bedeutend mehr Unter- richtsstunden erhalten, und diese sind, nach einem veränderten Lectionsplan, zweckmässiger vertheilt worden. Dadurch nun ist ein Uebelstand gehoben, über den man bisher mit Recht sehr viele Klage führte. Die Stunden waren nemlich so wunderbar und unzweckmässig vertheilt, dass die jungen Leute nicht in fort- währender Thätigkeit blieben, sondern leere Stunden und Zwischen- zeiten eintraten, die gewöhnlich, statt noch auf irgend eine nütz- liche Weise ausgefüllt zu w^erden, nur in Müssiggang hingebracht wurden.

Indess ist die gegenwärtige Einrichtung doch immer nur interimistisch; mehrere Verbesserungen bleiben noch immer bei der Anstalt zurück, und zwei Professuren sind im gegenwärtigen Augenblick zu besetzen. Der Abhelfung dieser Mängel steht die ungünstige Lage der Finanzen der Anstalt im Wege. Zwar ist -der Status activoriun und passivoriiui derselben von der Art, dass sie im Stande wäre, sich vollkommen aus eignen Mitteln zu er- halten, allein ihre Einkünfte kommen von mehreren Seiten nicht •ein, es ist wenig oder keine Hofnung, dass diese Stockungen sich bald wieder heben werden, und das Schuldirectorium sieht sich gegenwärtig genöthigt auf eine Anleihe von 3000 Rth. zu denken.

') Vgl. Spranger, Wilhelm von Humboldt imd die Reform des Bildungs- wesens S. i-]6.

^) Philipp Buttmann (i-]64—i82g), der namhafte Schüler Wolfs ; vgl. Band 10, 21.

^) Christian Ludwig Ideler (1J66—1846), Astronom, seit 1810 Mitglied der Akademie der Wissenschaften; vgl. Band 10, 216.

*) Friedrich Konrad Leopold Schneider, Philolog Ci~86—i82i); vgl. ebenda.

2j(5 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Die Section hat es sich zur angelegentlichsten Pflicht gemacht^ diese dringende Lage dem Finanz-Ministerio vorzustellen, und dasselbe zu vermögen, dem Gymnasium die Summen wieder zu- fliessen zu lassen, welche es ehemals aus den Lotterie- Ueber- Schüssen erhielt. Bisher sind diese Versuche nicht glücklich ge- wesen; da indess das Finanz Ministerium doch versprochen hat, sich für Anträge die bei des Königs Majestät zur Unterstützung der Anstalt geschähen, selbst mit zu verwenden, so ist das Gym- nasium angewiesen worden, seine Verlegenheiten genau zu docu- mentiren, und die Sache soll alsdann aufs neue eingeleitet werden. Auf jeden Fall gewinnt jedoch die Anstalt, wenn sie auch jene Zuschüsse empfängt, nur wenig dadurch, indem sie auch alsdann diejenigen Pensionen zahlen rnuss, mit welchen fremde Personen an sie gewiesen sind, und deren Zahlung, da sie wirklich nur verpflichtet ist, solche von ihren Ueberschüssen zu leisten, seit einiger Zeit von ihr suspendirt worden war.

Auf der Universität Frankfurt ist der Professor Bredow wirk- lich angekommen und hat seine Vorlesungen angefangen. Die übrigen Verbesserungen, welche die Section für diese Universität eingeleitet hat, gehören erst in den Bericht des gegenwärtigen Monats ; indess kann schon so viel hier mit Grunde bemerkt werden,, dass sich die Muthlosigkeit, die am Ende des vorigen und im Anfange des jetzigen Jahres unter den Professoren herrschte, be- reits sehr gehoben hat. Nur die Finanzen der Universität befinden sich gleichfalls, wie die des Joachimsthalischen Gymnasiums und aus denselben Gründen, in einem ungünstigen Zustande.

Für die Ritteracademie in Liegnitz') ist durch eine neue Ver- pachtung, welche die Einkünfte der Anstalt um 5000 Rth. höher herausbringt, eine ansehnliche Verbesserung vorbereitet worden. Allein welche Bestimmung diese Anstalt wird erhalten müssen? da man es wohl als erwiesen ansehen kann , dass ihre jetzige Einrichtung fehlerhaft ist, erfordert noch genaue und reifliche Ueberlegung. Man hat vorgeschlagen sie einzuziehen, und ihre Einkünfte (die sich nach dem Etat von 1803/4 auf 19000 Rth. ungefähr belaufen, jetzt folglich circa 24000 Rth. und mithin fast doppelt soviel als alle Einkünfte der Universität Frankfurt betragen werden) entweder der neuen Universität in Berlin zu geben, oder dieselben zur Anlegung einer Universität in Breslau zu verwenden.

') Vgl. die Band 10, 160 abgedruckten Aktenstücke und Spranger S.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, d. 217

Allein Fonds einer bloss Schlesischen Anstalt, und zu deren Stif- tung mehrere Schlesische Familien beigetragen, auf Institute ausser- halb Schlesiens zu verwenden, würde äusserst han für die Provinz seyn, und sehr stark von ihr empfunden werden. Breslau aber zu einer Universität, wie es eigentlich jetzt nicht ist, zu erheben, scheint mir nicht rathsam, und beziehe ich mich deshalb auf die in meinem Berichte an den König, die Berliner Universität be- treffend, ausgeführten Gründe. Soviel ich bis jetzt urtheilen kann, muss die Anstalt nicht nur in Schlesien, sondern auch in Liegnitz bleiben, und könnte vielleicht, da die Fonds so ansehnlich sind, zu einer in demselben Institut vereinigten Bürger-, Gelehrten- und Realschule (die letztere für diejenigen, so sich nicht eigentlich gelehrten Studien widmen) gemacht werden. Da Landgüter dabei sind, Hesse sich eine für Schlesien, wo eine so grosse und schöne Neigung zur Landwirthschaft selbst unter dem höheren Adel herrscht, vorzugsweise wohlthätige Ackerbauschule damit ver- binden, und somit Liegnitz für diejenigen welche nicht studiren wollen, für ihre ganze Bildung, für die andern aber bis zum Uebergang zur Universität zu einem Central Punkt der Bildung für die bemittelten Stände der ganzen Provinz machen, womit, dünkt mich*, mehr gewonnen wäre, als wenn man die Schlesier auf einer wahrscheinlich immer nur mittelmässigen Provincial Universitaet auf eine ihrer allgemeinen Ausbildung gewiss nach- theilige Weise gewissermassen isolirte. Ehe indess hierüber etwas entschieden werden kann, muss der Bericht abgewartet werden, welchen die Section von dem Ober-Praesidenten von Massow über den Zustand des ganzen Protestantischen Schulwesens in Schlesien gefordert hat.

Wenn die Section dasjenige erwägt, was sie zu thun hat, ehe sie behaupten kann nur irgend etwas Wichtiges geleistet zu haben, ja ehe ihre Thätigkeit nur einen eigentlich consequenten , und stufenweis zum Besseren fortschreitenden Gang gewinnen kann, so sind es folgende drei wichtige Punkte:

1. Vervollständigung ihrer selbst in Verbindung mit ihren geistlichen Mitgliedern, was die Section des Cultus betrift, und mit der wissenschaftlichen Deputation, was die Section des öffent- lichen Unterrichts angeht.

2. Festsetzung eines allgemeinen Schulplans welcher sowohl die verschiedenen Arten der Schulen und ihre Unterordnung, als

2i8 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

den Lehrplan und die Grundsätze der Methode, zwar nicht un- bedingt vorschreibend, aber so, dass nicht ohne vorhergehende Darlegung der Gründe davon abgewichen werden darf, be- stimmt.

3. Regulirung der Fonds und der Etats aller Schulen und der Besoldungen aller Geistlichen, nicht bloss dergestalt, dass jeder ein hinreichendes Einkommen geniesse, sondern auch dass dies Einkommen gegen unvorhergesehene Zufälle gesichert sey.

Die vollkommene Constituirung der Section kann nicht eher zu Stande kommen, als bis sie nach Berlin verpflanzt ist. Nur da findet die Section des Cultus ihre geistlichen Mitglieder, die des öffentlichen Unterrichts die wissenschaftliche Deputation, beide auch ausser ihrem Kreise Männer, die sie zu Rathe ziehen, und Acten aus denen sie sich belehren können. Indess hat der Chef der Section bereits einen Plan für den ganzen Personal und Salarien Etat entworfen, und erwartet nur noch einige data über die bei dem bisherigen geistlichen Departement angestellten Personen, um ihn Ew. Excellenz zur Vollziehung vorzulegen.

Die Entwerfung eines allgemeinen Schulplans ist jetzt theils unmöglich, da die wenigen jetzigen Mitglieder der Section für die Müsse und Ruhe, welche ein solcher Plan erfordert, zu sehr mit den currenten Arbeiten beschäftigt sind; theils hält der Sections Chef mit Fleiss diese Arbeit zurück, weil sie sich nicht auf die Einsichten weniger, sondern aller Mitglieder der Section sowohl, als der wissenschaftlichen Deputation gründen, und ein Resultat ihrer gemeinschaftlichen Bemühungen seyn muss.

Der dritte Punkt hängt, da der Staat dazu nur zum Theil mitwirken kann, von zwei Dingen ab: von der vollendeten Ein- richtung der geistlichen Deputationen bei den Regierungen, und der gehörigen Organisation der verschiedenen Corporationen der Nation, deren Hülfe vorzüglich in Anspruch genommen werden muss. Die Regierungs Deputationen werden nun in Kurzem organisirt se3^n. Von den Corporationen der Nation haben die Städte eine neue und heilsame Verfassung erhalten, und die Section hat eben jetzt hier in Königsberg Einleitungen gemacht, um zu versuchen, wie sich dieselbe für das Schulwesen benutzen lassen wird. Eine DorfOrdnung soll, soviel mir bekannt ist, nachfolgen. Allerdings wäre nun für die Verbesserung des Schulwesens gar

A. GeneralverwaUungsberichte der Sektion, d. 2 IQ

sehr zu wünschen, dass auch eine ganze Provinz, als solche, ins Interesse gezogen werden könnte. Sollte indess auch die jetzige ständische Verfassung so bleiben, wie sie gegenwärtig ist, so wird die Section keine Mühe sparen, auch mit grösserer Anstrengung und geringerem Erfolge, auch diese zu ihren Zwecken zu benutzen. Der erste Schritt, den sie in Absicht dieses ganzen Punkts zu machen denkt, wird der se3^n, sich mit denjenigen Regierungspraesidien von denen sich ein vorzüglicher Antheil hieran erwarten lässt, in gemeinschaftliche Berathung hierüber «inzulassen, und ihre Vorschläge, da hierin nichts ohne genaue Localkenntniss vorgenommen werden kann, einzufordern.

Diesen Punkt, die Nation bei dem eigentlich ihr anvertrauten Geschäft mit thätig zu machen, sieht die Section übrigens für den wichtigsten und wesentlichsten an. Denn wenn E. p. erlauben, einen Augenblick aus dem engeren Kreis der Geschäftsführung hinauszugehen, so lässt sich mit Wahrheit behaupten, dass der Zeitpunkt, wo die Section ihren Zweck erreicht hätte, der wäre, in dem sie ihr Geschäft gänzlich in die Hände der Nation nieder- legen, und sich mit dem Unterricht und der Erziehung nur noch in den höchsten Beziehungen desselben auf die andern Theile der obersten Staatsverwaltung beschäftigen könnte. Der (in England freilich, aber aus andern Gründen, zum Verderben aller Schulen ausschlagende) Grundsatz, dass der Staat sich um das Schulwesen gar nicht einzeln bekümmern muss, ist an sich, einer consequenten Theorie der Staatswissenschaft nach, gewiss der einzig wahre und richtige.^)

Nach jenen oben erwähnten drei Hauptgeschäften wird die vorzüglichste Sorge der Section auf eine zweckmässige Besetzung der Prediger- und Schulstellen gerichtet seyn. Sie glaubt einen bedeutenden Schritt, dieselbe zu befördern, dadurch gemacht zu haben, dass sie die Prüfungen der Bewerber zu den einen und den andren zwei durch das ganze Land gehenden, aus den an- gesehensten Männern aller Fächer bestehenden, und nach gemein- schaftlich verabredeten Grundsätzen verfahrenden Commissionen zu übertragen denkt. Allein auch dieser Plan muss erst genauer entworfen werden und kann es nur in Gemeinschaft mit den geistlichen Mitgliedern und der wissenschaftlichen Deputation.

1) Vgl. Band i, 142.

220 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und j8io.

Was endlich die currenten Arbeiten betrift, so bemüht sich die Section soviel als möglich Einfachheit in den Geschäftsgang zu bringen, und Aufenthalt und unnützen Schriftwechsel zu ver- meiden.

Königsberg, den 19. Mai, 1809.

Humboldt.

An des wirklichen Geheimen Staats-Ministers Herrn Grafen zu Dohna, Excellenz.

e.i)

Königsberg, den 3^ Juni 1809.

Die erwähnungswerthen Geschäfte, welche bei der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts im letztverflossenen Monate vorgekommen, sind folgende :

Zuerst ist auf ihren Antrag der Prediger Natorp^) in Essen durch eine allerhöchste Cabinets-Ordre vom 8!^/;'. zugleich zum Mitgliede der geistlichen und Schul-Deputation der Kurmärkischen Regierung und der Section des öffentlichen Unterrichts ernannt worden.

Der Staatsrath Schmedding ist in Berlin angekommen und hat sogleich in Thätigkeit gesetzt werden können.

In dem Verhältniss der Kurmärkischen Regierung zur Section ist durch eine, auf Beschwerden des ehemaligen OberConsistorii in Berlin bei Sr. Majestät dem König erlassene Cabinets-Ordre vom 6ten pr. eine Aenderung hervorgebracht worden. Die Regierung soll nemlich die alleinige Prüfung der Prediger verlieren, und dieselbe von einer eigenen ExaminationsCommission besorgt werden ; und in Absicht der Hauptstadt sollen zwei beständige Com- missarien der Regierung, ein geistlicher und ein weltlicher, für das Schulfach in Berlin zurück bleiben. Es ist zu bedauern, dass in der übrigens ganz nach dem Sinn eines von der Section abge- gebenen Gutachtens abgefassten Cabinets-Ordre einige Punkte ausgelassen sind, wie z. B. dass die Examinations Commission allein unter der Section stehen und ihre Prüfungen in den Sessionen

1) Konzept von Schreiberhand mit kleinen eigenhändigen Zusätzen Humboldts.

2) Vgl. den unten unter E, c abgedruckten Antrag und Thiele, Die Organi- sation des Volksschid- und Seminarwesens in Preussen (i8og—i8igJ mit beson- derer Berücksichtigung der Wirksamkeit L. Natorps (Leipzig igi2j.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, d. e. 221

derselben halten soll, dass wenn einer der beiden Berlinischen Pröpste Commissarius der Regierung werde, nicht auch derselbe Mitglied der Section seyn könne u. s. f. Die Section wird sich aber bemühen, diese Berichtigungen auf dem schicklichsten Wege nachträglich beizubringen.

Die Section des Cultus hat die Aufhebung einer Beschränkung der Gewissensfreiheit der Katholiken bewirkt, von der man sich wundern muss, dass sie sich solange in den Preussischen Staaten hatte erhalten können: In Stettin und den umliegenden Colonie- Dörfern, in Frankfurth a/0. (wie seitdem angezeigt worden ist) und vermuthlich noch an anderen Orten (wie die Folge lehren wird) war es herkömmlich, dass die sich an diesen Orten befindenden Katholischen Geistlichen Adus Ministeriales nur dann bei ihren Glaubensgenossen verrichten konnten, wenn diese den Protestan- tischen Geistlichen die Jura stolae bezahlten. Eine eigne Cabinets- Ordre hat dies nicht nur in Absicht Stettins autgehoben, sondern auch die Section autorisirt, ferner nach dem gleichen Grundsatz zu verfahren.

Die so nothwendigen geistlichen Einrichtungen in den ab- gerissenen Dioecesanstücken von VVestpreussen sind jetzt dem StaatsRath Schmedding, der diese Provinz zu diesem Endzweck bereisen soll, aufgetragen, und so sieht diese wichtige und lange ohne Erfolg ventilirte Sache endlich einer Erledigung entgegen.

Die Zuschüsse, welche Königliche Gassen ehemals den geist- lichen und Schulanstalten gaben, waren seit dem Ausbruch des Krieges in Stockung gerathen. Die Section hat darauf angetragen, dieselben wieder in Gang zu bringen, und das Finanz-Ministerium hat dies vom i t£n März c. an, zu bewirken versprochen, so- bald die Section ein Verzeichniss jener Zuschüsse einreiche. Die Section ist jetzt mit Anfertigung desselben beschäftigt, wird es sich aber angelegen seyn lassen, dabei alle, nur mit dem Zweck der Anstalten irgend vereinbare Ersparungen eintreten zu lassen.

In Schlesien wurden bei Vergebung grösserer Beneficien den commissarisch dabei beschäftigten Kammer-Mitgliedern von den Stiftern gewisse Douceurs ertheilt. Diese hat des Königs Majestät jetzt dem Schul-Fond angewiesen, und die Section hat es für billig gehalten, dem Ober-Präsidenten von Massow bekannt zu machen, dass sie nur zu Schlesischen Schulanstalten verwendet werden sollen.

222 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Zur Organisation der Elementarschulen ist durch die Voll- endung der mit dem zum Organisator der in sämmtlichen Preussischen Staaten für das Volks- Schulwesen zu errichtenden Normal-Institute ernannten EducationsRath Zeller gepflogenen Unterhandlungen ein sicherer Grund gelegt worden. Zeller hat seine Entlassung im Wirtembergischen erhalten, und verspricht im August hier einzutreffen. Diese ganze Einrichtung ist vor meiner Ankunft in Königsberg getroffen worden und ich habe erst seitdem officielle Kenntniss davon erhalten.

Von der Zahl der 12 jungen Leute, welche zu Pestalozzi ge- schickt werden sollen, ist wiederum einer, Namens Kzionsiuk, ab- gegangen, der schon durch sein Aeusseres und seine bisherige Bildung soviel Lebendigkeit und Beharrlichkeit des Willens beweist, dass man mit Zuversicht hoffen kann, er werde seinem mit fast leidenschaftlicher Wärme gefassten, und durch die Erinnerung an seine eigne frühere, sehr schlechte Erziehung in ihm befestigten Vorsatz, in seinem Geburtsort und der umliegenden Gegend zur Einführung besserer Volks-Bildung künftig kräftig zu wirken, getreu bleiben.

Zwei andere junge Leute werden, mit Königlicher Erlaubniss, nicht in die Schweitz geschickt, sondern bei dem sich sehr aus- zeichnenden, und Pestalozzische Methode vorzüglich auch auf höhere Gegenstände anwendenden Plamannschen Institute in Berlin an- gestellt. Ihre Wahl ist dem Dr. Plamann^) selbst überlassen, und ihm, um dem Staat desto tüchtigere Subjecte zu verschaffen, auch erlaubt worden, sie aus seiner eignen Anstalt zu nehmen. Die Be- setzung aller, nicht den Regierungen competirenden Lehrstellen in Gymnasien und höheren Bürgerschulen ist durch eine Cabinets- Ordre der Section des öffentlichen Unterrichts überlassen worden, ohne dass es dabei ferner der Königlichen Bestätigung bedarf.

Im vergangenen Monat sind nur zwei Stellen dieser Art ver- geben worden:

in Königsberg in der Neumark das Rectorat des Lyceums an den ehemaligen Professor vom Posenschen Gymnasio Dr. Leps; in Demmin das Rectorat an der Stadtschule an den bisherigen Conrector Reinholz.

*) Johann Ernst Piamann Cijji—i8j4j, i8oj in Burgdorf bei Pestalozzi, er öffnete seine Anstalt i8os-

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, e. 22^

Auf der Universität zu Frankfurth ist der Prediger Spieker^) zum Professor extraordinarius der Theologie, jedoch für jetzt ohne Gehalt, ernannt worden.

Zur Dotirung einer neuen ordentlichen Professur der Theologie hat der König 1200 Rth. von den neulich durch den Tod des Grafen von Hoym ledig gewordenen und dem Schulfonds geschenkten 2000 Rth. anzuweisen geruht. Die Section hat zu dieser Stelle den Professor Pott'') in Helmstädt berufen, und erwartet dessen Antwort.

Dem für die künftige Berlinische Universität bestimmten Pro- fessor Fichte hat der König seine Besoldung von 800 Rth. aufs neue zugesichert.^)

Zur Vermehrung der mit der Academie der Wissenschaften verbundenen Sammlungen hat der König den Ankauf der Herb- stischen Krebs- und KrabbenSammlung zu genehmigen geruht.

Bei der Academie der Künste ist eine Professur der Musik und mit ihr eine eigne Musikbehörde zur Veredlung der öffent- lichen Musik errichtet, und die Professur dem bekannten Ton- künstler Zelter ertheilt worden.*)

Die Censur der Schriften, die bisher zum Sprengel des Kammer Gerichts gehörte, ist dem Dr. Biester übertragen worden, wobei die Section vorzüglich zur Absicht gehabt hat, durch die Wahl eines Mannes, der sich immer durch lebhaften Eifer für Denk- freiheit ausgezeichnet hat, eine gute Meinung von der Liberalität der Grundsätze zu erregen, welche die Regierung über die Censur hegt. Einen Censor in Breslau, welcher einen durchaus unschäd- lichen ^) Aufsatz über das Edict vom 9^ October mit dem Be- merken, man liebe in Königsberg solche Aufsätze nicht, bei der Censur zurückgewiesen hatte, hat die Section Verdientermassen zurechtgewiesen.

Königsberg, den 3^ Juni 1809.

Humboldt. An

den Königlichen Wirklichen Geheimen Staatsminister des Innern Herrn Grafen zu Dohna Excellenz.

') Christian Wilhelm Spieker (i'jSo 1858), als Erbauungsschriftsteller be- kannt geworden.

2) David Julius Pott fij6o—i8j8).

^) Vgl. den Band 10, 72 abgedruckten Antrag.

*) Vgl. Band 10, 75.

■^) „unschädlichen" von Humboldt verbessert aus „harmlosen".

224. 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Königsberg, den 2. Julius 1809.

Die einzelnen Gegenstände, welche die Section des Cultus und des öffentlichen Unterrichts im Laufe des verflossenen Monats beschäftigt haben, und um die ihre Bemühungen so weit gediehen sind, dass sie Ew. Excellenz Aufmerksamkeit einigermassen ver- dienen, sind folgende.

Zwischen der Section des Cultus und dem Kriegs Departe- ment sind die Verhältnisse der Feldprediger regulirt worden. Mehrere Gründe von Seiten beider Behörden hätten vielleicht eine gänzliche Abschaffung derselben rathsam gemacht; im Frieden kann der Soldat sich an den Civil Geistlichen wenden, und im Felde thut ein kurzes Gebet eines alten Militairs, ein vielleicht zu- fällig angestimmtes Lied mehr Wirkung, als ein Vortrag eines Geistlichen, zu dem überdies nur selten Gelegenheit seyn wird. Allein die Beibehaltung derselben stand einmal vor der Berathung fest, und es kam daher nur darauf an, die sonst bei ihnen bemerkten Mängel zu vermeiden, und ihnen ihren Wirkungskreis gehörig zu bestimmen. In der ersteren Hinsicht ist festgesetzt worden, dass die Feldprediger künftig unter den geistlichen undSchuldeputaiionen der Regierungen stehen sollen, und daher der Feldpropst von jetzt an wegfällt, dass sie bloss das active Militaire als ihre Gemeine ansehen dürfen, und dass, einige Festungs Prediger vielleicht aus- genommen, ihrer überhaupt künftig nur 19 seyn werden. Der Vorschlag des Feldpropstes , sie unmittelbar unter die Section zu stellen, ist, da ihre Versorgung, nach Beendigung ihrer Lauf- bahn als Feldprediger, von den Regierungen abhängt, und diese sie daher kennen müssen, abgewiesen worden. Ihr Geschäft soll vorzüglich, ausser den geistlichen Verrichtungen, in dem Unter- richte der Portepee Fähnriche, und der Aufsicht auf die Lehr- anstalten für die jungen Soldaten, und die Schulen für die Soldaten- kinder bestehen; ihr Gehalt mehr als doppelt soviel, als bisher, betragen. Die Soldatenkinderschulen sollen jedoch von jetzt an, soviel als möglich , mit den Bürgerschulen verbunden werden. Diese gemeinschaftlichen Beschlüsse sind des Königs Majestät zur allerhöchsten Genehmigung vorgelegt worden.

^) Konzept von Humboldts Hand; avi Rande: „Ich habe das Miindum zur eignen Beförderung zurück behalten. 6. Jul. 180g. H."

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, f. 22 c,

In Absicht der Schulfonds im Allgemeinen ist, auf Antrag der Section, der wichtige Beschluss gefasst worden, dass, obgleich die Westphalische Regierung der KurA'Iark 15000 Rth. Sti- pendien- und die Universität Halle einige Freitischgelder streitig macht, dennoch keine Retorsionen deshalb ausgeübt werden sollen. Dieser Beschluss ist gemacht, weil an jenen 15000 Rth. wirklich die Altmark einige gegründete Ansprüche hat, und die West- phalische Regierung alles Preussische Schuleigenthum gewissen- haft respectirt, es war aber auch nothwendig, da die Besitzungen der diesseitigen Schulanstalten an Gütern, Praestationen, und Capitalien im Königreich Westphalen aufs mindeste auf Va Million Thaler gerechnet werden können, die jenseitigen Behörden dagegen bei uns nur etwa 35,000 Rth. Capital besitzen.

Um sich mit der Pestalozzischen Schul metho de be- kannt zu machen, sind aufs neue zwei junge Männer, der 2^^ und 3 te^ der bestimmten Zahl von zwölfen. Dreist aus Schmiedeberg und Marsch aus Grüneberg in Schlesien, nach Yverdun gesendet worden. Der erste ist durch Herrn Professor Schleiermacher empfohlen, war bisher Hauslehrer bei einem Kaufmann, und nimmt, was ein doppelt günstiger Umstand ist, seine beiden Zöglinge mit. Der letztere ist Garnisonschullehrer, hat seit 1807. 60 70. arme und zum Theil verwaiste Soldatenkinder unentgeldlich unterrichtet, und mit Schreibmaterialien versehen, verlässt jetzt Frau und Kinder, und bewährt daher durch grosse Aufopferungen seinen Eifer und inneren Beruf für seine Bestimmung.

Bei dem Waisenhause in Bunzlau ist auf den Antrag der Section von des Königs Majestät nachgegeben worden, dass nunmehr auch ohne Unterschied Waisen katholischer Religion aufgenommen werden können. Bis jetzt war dies nur als Aus- nahme, in dringenden Fällen erlaubt.

Das Conrectorat zu Tilsit ist dem Studiosus Raue, je- doch nur interimistisch, um ihn erst Proben seiner Fähigkeit, auch auf höheren Classen Unterricht zu geben, ablegen zu lassen, er- theilt worden.

Auf der Universität zu Frankfurt a/0. hat der bisherige ausser- ordentliche Professor der Philosophie Thilo die durch Steinbarts ^)

^) Gotthilf Samuel Steinbart fijj8—iSog), Professor der Philosophie und Theologie in Frankfurt a. O., zugleich Leit er der Züllichauer Erziehungsanstalten

W. V. Humboldt, Werke. Xm, ^5

225 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

Tod erledigte ordentliche philosophische Professur erhalten und angenommen.

Allein der aus Helmstädt zum Professor der Theologie be- rufene Pott hat den Ruf abgelehnt. Die Section denkt daher jetzt auf die Wahl eines andern Gelehrten.

Ebenso hat für die theologische Professur in Königsberg Brettschneider die Vocation ausgeschlagen, für die statistische dagegen, nur dass er nicht wird vor dem Januar aus Russland abreisen können, Gaspari^) gänzlich, und die der orientalischen Sprachen Vater'^) so gut als angenommen.

Für die medicinische Facultaet ist die Section mit Vollendung der Einrichtung der Hospital- und Anordnung einer ambulatorischen Clinik beschäftigt. Wegen der ersteren wird mit dem Löbenicht- schen Hospital ein Contract abgeschlossen, vermöge welches dieses die Wohnung einräumt, und zur Speisung goo Rth. beiträgt.

Die ambulatorische, die etwa jährlich 400 Rth. kosten dürfte, soll von den Armenanstalten der Stadt erhalten werden, und die näheren Einrichtungen deshalb werden jetzt von dem Magistrat in Vereinigung mit dem Professor Remer eingeleitet.

Bei der mit der Akademie der Wissenschaften verbundenen Kunstkammer hat sich der unangenehme Zufall ereignet, dass in einer, wegen des Krieges hierher geflüchteten, jetzt aber nach Berlin zurückgekommenen Kiste ein massiv goldener Degenbügel vermisst wird, der auch durch seine kunstreiche und geschmack- volle Arbeit ein interessantes Denkmal des Mittelalters war. Wie derselbe hat verloren gehen können, ist bis jetzt nicht auszufor- schen gewesen. Die Section hat aber hiervon Gelegenheit ge- nommen, dem Bibliothekar und Aufseher der Kunstsammlungen .... Auftrag zu * geben, einen Bericht wegen aller durch die feindliche Besitznehmung geflüchteten, und durch die Flucht ge- retteten, oder aus derselben verloren gegangenen Objecte abzu- statten.^)

Ein Gesuch der Academie der Künste, den Prinzen Wilhelm K. H. zu ihrem Curator zu ernennen, hat eine Cabinets Ordre veranlasst, durch welche der Grundsatz festgestellt wird.

^) Adam Christian Gaspari (i']52 18 jo), Historiker, Geograph und Sta- tistiker; vgl. Band 10, 218.

^) Johann Severin Vater (i-]']i 1826), Sprachgelehrter und Theolog; vgl. Band j, 222.

*) Vgl. Gebhardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann i, 184.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, f. 227

■dass Akademien und Universitäten keine besondern Curatoren haben, sondern, bei dem Genuss möglicher eigner Freiheit, allein unter der Section des öffentlichen Unterrichts stehen sollen.

Auch ist durch dieselbe Cabinets Ordre die \"ereinigung der BauAcademie mit der KunstAcademie bestimmt worden. Diese in der That zu bewirken, bedarf es jedoch noch einer direc- ten Eröfnung Ew. p. an die Section.^)

Nach Aufzählung dieser einzelnen Gegenstände nehme ich mir die Freiheit mich in Absicht der allgemeinen \^erhältnisse der Section auf die dem gegenwärtigen gehorsamsten Bericht beigefügte besondere Beilage zu beziehen.

Königsberg, den 2. Julius, 1809.

Humboldt.

An des Königlichen wirklichen Geheimen Staats und diri- girenden Minister des Innern, Herrn Grafen zu Dohna, Excellenz^

[Nachtrag.]

Königsberg, den 2. Julius, 1809.

Ew. Excellenz verzeihen, wenn ich mich veranlasst sehe, meinem IjeneralBericht von diesem Monat noch einen besonderen, aber gleich ofßciellen Nachtrag beizufügen.

Ich habe jetzt die Geschäfte meiner Section beinahe drei Mo- nate unter den Augen Ew. p. geführt, und dadurch Gelegenheit gehabt, die Mängel zu bemerken, die sich, bei dem gegenwärtig eingeführten Geschäftsgange, bereits wirklich zeigen, und noch für die Zukunft besorgen lassen, und daher über die UnvoUkommen- heit desselben und die Unmöglichkeit ihn, ohne die wichtigsten Nachtheile, lange unverändert fortdauern zu lassen, mit Sicherheit aus der Erfahrung zu urtheilen.

Der Aufsatz, den ich Ew. p. privatim übergeben, und sogar auf Ihre Veranlassung gemacht habe, setzt dies und die Gründe ausführlich auseinander. -) Er enthält zugleich ^^orschläge zur noth wendigen Abhülfe. Alle diese Vorschläge laufen auf die Errichtung des Staatsraths auf eine oder die andere Weise hinaus. Ew. p. sind mit mir, jedoch mehr, wie es scheint, über die Zu-

*) Dieser Satz ist nachträglich eingeschaltet.

^) Am Rande: „Ist in der Anlage beigejügt. //."; in dem betreffenden Fas- zikel hat er sich nicht vorgefunden.

15*

228 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

lässigkeit, als die Nothweridigkeit einer solchen Einrichtung ein- verstanden. Allein ebendeswegen muss ich hier wiederholen, dass^ wenn der StaatsRath nicht so eingerichtet wird,

dass nun wirklich Einheit und Regelmässigkeit in der Ge- schäftsverwaltung eingeführt,

das Eingreifen einer Behörde in die andere verhindert, und Willkühr vermieden wird, derselbe mehr schädlich als nützlich seyn muss, indem er die als- dann immer nöthig bleibende Hauptreform aufhält und erschwert» Auch hierüber habe ich meine Ansicht in dem eben angeführten Aufsatz ausführlich und bestimmt auseinandergesetzt.

Es bleibt mir jetzt nichts übrig, als Ew. p. gehorsamst zu ersuchen

denselben als eine Ihnen officiell vorgelegte fiece zu be- trachten und Ihnen diese ganze Sache dringend ans Herz zu legen.

Ich mache es mir zu einer sehr angenehmen Pflicht, Ew. bei dieser Gelegenheit zu bezeugen, dass ich mit dankbarem Ver- gnügen die Sorgfalt bemerkt habe, mit welcher Ew. p. bemüht sind, das Verhältniss meiner Section zu Ihrem Ministerium dem in der Grundverordnung vom 24. November, pr}) festgesetzten so nahe zu bringen, als es bei der jetzt freilich, wie man freimüthig gestehen muss, höchst unvollkommenen Verfassung möglich ist. Allein ich brauche Ew. p. nicht zu sagen, dass diese bloss per- sönlichen Verhältnisse wohl persönliche Beruhigung für den Augenblick einflössen, allein den Geschäften weder Sicherheit für die Folge, noch einmal Schutz gegen mancherlei Nachtheile jetzt gewähren können, da auf den festen Gang in diesen nur die Ueber- zeugung wirkt, dass sie nach Grundsätzen geführt werden, die, wie auch die persönlichen Gesinnungen seyn möchten, befolgt werden müssen, und ohne die Allerhöchste Zustimmung nicht abgeändert werden können.

Königsberg, den 2. Julius, 1809.

Humboldt.

An den Wirklichen Geheimen StaatsMinister des Innern, Herrn Grafen zu Dohna, Excellenz.

*) Abgedruckt bei Pertz, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein 2y 68g. An ihrer Stelle trat zunächst das Piiblikandum vom 16. Dezember in Gel tung; vgl. Preussische Gesetzsammhmg 1806— iSio S. 46g.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, f. 22Q

[Anlage.^)] Der jetzigen Verwaltung der obersten Staatsgeschäfte liegt die Verordnung vom 24. November zum Grunde. Sie ist aber nur theilweise ausgeführt. Da sie nun doch von einem consequenten Kopfe als ein Ganzes entworfen worden, so entsteht die sehr ernsthafte Frage:

ob die in ihr aufgestellte Staatsverwaltung in ihrer Ver- stümmelung noch sich zu erhalten und Nutzen zu bringen im Stande ist?

wohin diese halbe Ausführung ausschlagen muss? und durch welche Mittel man die sich etwa zeigenden Mängel verbessern, und den etwa drohenden Gefahren vor- beugen kann?

Der Punkt, um welchen sich der ganze Steinische Geschäfts- plan, wie um seine Angel, dreht, ist das Verhältniss der Minister zu den Sectionschefs.

Die Sectionen und ihre Chefs sind, nach diesem Plan, die einzigen administrativen Behörden im Staat; sie sollen, als solche, und innerhalb der ihnen gesezten Schranken durchaus selbst- ständig (S. 13) aber auch vollkommen verantwortlich seyn.

Die Minister, insofern sie nicht selbst Sectionschefs sind (da der Plan ihnen eine zwiefache Rolle zutheilt), sollen

die Resultate der Administration der Sectionen zu der Einheit ihres ganzen Ministeriums verbinden,

die Sectionen in den ihnen bei ihrer Administration angewiesenen Schranken erhalten ; dieselben controlliren ; allein schlechterdings nicht sich in die Administration selbst mischen. Sie sollen nur leiten, nicht ausführen.

Daher können die Sectionen von den Entscheidungen der Minister an den Staatsrath oder den König appelliren, und mit- ■einander, auch aus einem Ministerio ins andere hinüber, ohne Dazwischenkunft der Minister in Correspondenz treten. Denn sie , und nicht die Ministerien allein , sind die wahren De- partements.

In diesem gegenseitigen Verhältniss liegt der Perpendikel der ganzen Staatsmaschine; und sie ist zerstört, wenn die Minister

^) Konzept von Schreiberhand.

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230

3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

sich in die Administration mischen, oder die Sectionen sich ihrer Leitung entziehen wollen.

Im ersteren Fall steigen die Minister von ihrem höhern Standpunkt herab, verlieren sich im Detail, und bringen sich um die Uebersicht des Ganzen ihres Ministerii, ohne doch je recht in, die einzelnen Sectionen eindringen zu können.

Im letztern machen sich die Sectionen zu Ministerien.

Minister und Sectionschefs aber finden wiederum ihre Einheit im Staatsrath, als dem wahren Centralpunkt der ganzen Steinischen Verfassung.

Im Staatsrath werden alle Sachen von allgemeiner Wichtig- keit, ohne Ausnahme, vorgetragen. Das Cabinet ist bloss ein Mittel zur Controlle, und zur Erleichterung der Uebersicht für die Person des Königs. Die Sectionschefs haben gleiche Stimme mit den Ministern, und ihr V'^erhältniss nimmt hier eine andre Gestalt an. Die Minister, als Mitglieder des Staatsraths, sind, wie ausdrücklich gesagt ist, zugleich Geheime Staatsräthe. Auch ist dies sehr natürlich. Denn hier ist nicht mehr von der Haltung schon festgesetzter Schranken, sondern von der Festsetzung der Schranken selbst, nicht mehr von Leitung und Controlle einer einzelnen Behörde, sondern des Ganzen die Rede.

Sectionen und Staatsrath hängen nun dermassen von einander ab, dass nur unter der Voraussetzung eines Staatsraths die Sec- tionen noch nützlich, ohne denselben aber durchaus gefährlich und verderblich werden.

Alle Verwaltungszweige sind auf das innigste mit einander verbunden; alle Verwaltung hängt wieder unaufhörlich von der jedesmaligen den Umständen und Zeiten nach unausbleiblich wechslenden Stimmung der Regierung ab, insofern unter Regierung der Landesherr und das Total der Mitglieder der obersten Ver- waltungs-Behörde verstanden wird; und jede gute Administration d h. eine solche, die sich nicht an Abmachung der vorkommenden Geschäfte begnügt, sondern die ihr anvertraute ganze Parthie so weit bringen will, als es jedesmal möglich ist, setzt in dem Chef nicht bloss Grundsätze und Motive bei jedem einzelnen Schritt^ sondern einen durchgehenden und herrschenden Geist voraus.

Wer nun das Treiben der andern Verwaltungszweige nur von ferne kennt, wer die Regierung nur immer in ihren Resul- taten, nie in ihrem Wirken sieht, wer nicht selbst bemerken kann, wohin ihre Stimmung geht, was von ihr zurückgewiesen, was mit

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A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, f.

231

Kälte, was mit Lebhaftigkeit aufgenommen wird, der verliert die Lust mehr zu thun, als das alte Rad fortzulaufen, weil er keine sichere Spur sieht, geht über das hinaus, was sich durchsetzen lässt, oder bleibt dahinter zurück, weiss nicht, was er wagen und nicht wagen soll, und läuft Gefahr, vielleicht lange fort- zuarbeiten, ehe er bemerkt, dass er eine ganz andere Methode und ganz andere Mittel einschlagen muss. Er administrirt isolirt, und jede isolirte Administration ist eine schlechte Administration. In solcher Lage ist der Sectionschef ohne Staatsrath. Er er- fährt alsdann unausbleiblich folgende Nachtheile:

er kann seine Anträge nicht mehr selbst vertreten;

er kann seine Meynung, wo sie von der des Ministers abweicht, nicht selbst rechtfertigen;

er kann, was so sehr wichtig, und wo alle gut gestimmt sind, nicht schwer ist, der Regierung im Ganzen keinen seiner einzelnen Parthie vorteilhaften Impuls geben;

er kann keinen Wink benutzen, der ihm so oft aus der Behandlung anderer Angelegenheiten zukommt;

er läuft Gefahr, dass ein anderer Minister, vielleicht sein eigener für eine andere Section einen Vorschlag macht, der auf die seinige nachtheilig zurückwirkt, und dass sein, ihn vertretender Minister, der mit seiner besonderen Parthie nicht so vertraut sej^n kann, es unbeachtet lässt;

er läuft auf dieselbe Weise Gefahr, dass Vortheile un- benutzt bleiben, die aus solchen Vorschlägen für seine Sec- tion entstehen können.

Bei dieser Lage der Sache wird dem Sectionschef nichts übrig bleiben, als viel häufiger bei dem Minister anzufragen, als er sonst thun würde, und ihn selbst einzuladen, sich um das Detail seiner Panhie zu bekümmern, und Minister und Sectionschef werden beide gezwungen werden zu thun, was dem Steinischen Plane durchaus zuwider ist : ministerielle Leitung und Sectionsadministra- tion mit einander zu vermischen. Solange beide das aber nicht klar und rein aussprechen, wird es nur halb und zufallsweise ge- schehen, und die Verwaltung wird schlechter seyn, als die ehe- malige, wo die Minister ganz und allein dirigirten.

Recapitulirt man alles Vorhergehende, so ist klar, dass, wenn 1) die Minister sich in die Administration der Section mischen, oder

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2QO 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

sich in die Administration mischen, oder die Sectionen sich ihrer Leitung entziehen wollen.

Im ersteren Fall steigen die Minister von ihrem höhern Standpunkt herab, verlieren sich im Detail, und bringen sich um die Uebersicht des Ganzen ihres Ministerii, ohne doch je recht in die einzelnen Sectionen eindringen zu können.

Im letztern machen sich die Sectionen zu Ministerien.

Minister und Sectionschefs aber finden wiederum ihre Einheit im Staatsrath, als dem wahren Centralpunkt der ganzen Steinischen Verfassung.

Im Staatsrath werden alle Sachen von allgemeiner Wichtig- keit, ohne Ausnahme, vorgetragen. Das Cabinet ist bloss ein Mittel zur Controlle, und zur Erleichterung der Uebersicht für die Person des Königs. Die Sectionschefs haben gleiche Stimme mit den Ministern, und ihr Verhältniss nimmt hier eine andre Gestalt an. Die Minister, als Mitglieder des Staatsraths, sind, wie ausdrücklich gesagt ist, zugleich Geheime Staatsräthe. Auch ist dies sehr natürlich. Denn hier ist nicht mehr von der Haltung schon festgesetzter Schranken, sondern von der Festsetzung der Schranken selbst, nicht mehr von Leitung und Controlle einer einzelnen Behörde, sondern des Ganzen die Rede.

Sectionen und Staatsrath hängen nun dermassen von einander ab, dass nur unter der Voraussetzung eines Staatsraths die Sec- tionen noch nützlich, ohne denselben aber durchaus gefährlich und verderblich werden.

Alle Verwaltungszweige sind auf das innigste mit einander verbunden; alle Verwaltung hängt wieder unaufhörlich von der jedesmaligen den Umständen und Zeiten nach unausbleiblich wechslenden Stimmung der Regierung ab, insofern unter Regierung der Landesherr und das Total der Mitglieder der obersten Ver- waltungs-Behörde verstanden wird; und jede gute Administration d h. eine solche, die sich nicht an Abmachung der vorkommenden Geschäfte begnügt, sondern die ihr anvertraute ganze Parthie so weit bringen will, als es jedesmal möglich ist, setzt in dem Chef nicht bloss Grundsätze und Motive bei jedem einzelnen Schritt,, sondern einen durchgehenden und herrschenden Geist voraus.

Wer nun das Treiben der andern Verwaltungszweige nur von ferne kennt, wer die Regierung nur immer in ihren Resul- taten, nie in ihrem Wirken sieht, wer nicht selbst bemerken kann, wohin ihre Stimmung geht, was von ihr zurückgewiesen, was mit

A. Generalverwaltunssberichte der Sektion, f.

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Kälte, was mit Lebhaftigkeit aufgenommen wird, der verliert die Lust mehr zu thun, als das alte Rad fortzulaufen, weil er keine sichere Spur sieht, geht über das hinaus, was sich durchsetzen lässt, oder bleibt dahinter zurück, weiss nicht, was er wagen und nicht wagen soll, und läuft Gefahr, vielleicht lange fort- zuarbeiten, ehe er bemerkt, dass er eine ganz andere Methode und ganz andere Mittel einschlagen muss. Er administrirt isolirt, und jede isolirte Administration ist eine schlechte Administration. In solcher Lage ist der Sectionschef ohne Staatsrath. Er er- fährt alsdann unausbleiblich folgende Xachtheile:

er kann seine Anträge nicht mehr selbst vertreten;

er kann seine Meynung, wo sie von der des Ministers abweicht, nicht selbst rechtfertigen;

er kann, was so sehr wichtig, und wo alle gut gestimmt sind, nicht schwer ist, der Regierung im Ganzen keinen seiner einzelnen Parthie vorteilhaften Impuls geben;

er kann keinen Wink benutzen, der ihm so oft aus der Behandlung anderer Angelegenheiten zukommt;

er läuft Gefahr, dass ein anderer Minister, vielleicht sein eigener für eine andere Section einen Vorschlag macht, der auf die seinige nachtheilig zurückwirkt, und dass sein, ihn vertretender Minister, der mit seiner besonderen Parthie nicht so vertraut seyn kann, es unbeachtet lässt;

er läuft auf dieselbe Weise Gefahr, dass Vortheile un- benutzt bleiben, die aus solchen Vorschlägen für seine Sec- tion entstehen können.

Bei dieser Lage der Sache wird dem Sectionschef nichts übrig bleiben, als viel häufiger bei dem Minister anzufragen, als er sonst thun würde, und ihn selbst einzuladen, sich um das Detail seiner Parthie zu bekümmern, und Minister und Sectionschef werden beide gezwungen werden zu thun, was dem Steinischen Plane durchaus zuwider ist : ministerielle Leitung und Sectionsadministra- tion mit einander zu vermischen. Solange beide das aber nicht klar und rein aussprechen, wird es nur halb und zufallsweise ge- schehen, und die Verwaltung wird schlechter seyn, als die ehe- malige, wo die Minister ganz und allein dirigirten.

Recapitulirt man alles Vorhergehende, so ist klar, dass, wenn i) die Minister sich in die Administration der Section mischen, oder

2Q2 Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

2) die Sectionen selbstständig seyn sollen, ohne dass es einen Staatsrath giebt, die Geschäftsführung nach dem Steinischen Plan unzusammen- hängend, unhaltbar und verderblich wird.

In jedem dieser Fälle, und noch mehr, wenn beide zusammen kommen, muss daher jeder Sections-Chef, der es ehrlich mit der Sache me3^nt, wünschen, dass sein Minister auch seine Section dirigire, ihm seine precaire Selbstständigkeit abnehme, und ihn zum bloss vortragenden Rathe, ungefähr nach Art der ehemaligen Geheimen Finanzräthe, mache.

Dass, wenn es keinen Staatsrath giebt, die Minister nicht umhin können sich in die Administration zu mischen, und die Sectionschefs es zu wünschen, ist eben gezeigt worden. Die Frage ist also nur: kann es einen Staatsrath geben, oder nicht?

An sich und der Sache nach, sehr wohl und ohne Bedenken.

Die Nachtheile, die man befürchtet, sind: Partheigeist und unnützes Gezanke,

Schwatzhaftigkeit und Uebergewicht der Sectionschefs über die Minister.

Den ersten Nachtheil zu vermeiden hängt von der Festigkeit und der Autorität des Präsidii ab. Ist dies der König, so fällt auch die leiseste Besorgniss deshalb weg. Ist es ein Minister, so wird er zu imponiren verstehen. Vergisst sich einer dennoch, so ist die Suspension seines Rechts auf einige Sessionen und die Entfernung von seiner Stelle bei Rückfällen die natürliche Folge.

Gegen die Schwatzhaftigkeit sind dieselben Mittel vorhanden. Ueberdies aber sind die Sectionschefs so wenige, dass die Zahl der Personen nicht zu sehr durch sie vermehrt wird.

Auf den letzten Punkt ist es, wie man fühlt, delicat zu ant- worten. Man kann aber wohl mit Recht sagen, dass ein Minister, welcher sich vertraut, dies Uebergewicht nicht besorgen wird.

Soll aber der Staatsrath wirklich nützlich seyn, so muss er folgende drei Bedingungen erfüllen:

i) es müssen alle innere Civil-Landes Angelegenheiten , ohne Ausnahme, an ihn, und niemals, mit Vorbeigehung seiner, un- mittelbar an das Cabinet gebracht werden;

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, f. 2^^

2) die Sectionschefs müssen mit den Ministern durchaus gleiche Stimme haben, und es muss jedesmal ein wahres Conclusum nach der Stimmenmehrheit abgefasst werden;

3) es muss hinter dem Staatsrath her entweder gar keine Cabinets-Vorträge mehr geben, oder es müssen in denselben nicht mehr die blossen Anträge einzelner Sectionschefs und Minister, sondern zugleich die Conclusa des Staatsraths der Person des Königs zur Vollziehung oder Verwerfung vorgelegt werden.

Erfüllt man diese Bedingungen nicht streng , sondern will man gleichsam einen modificirten Staatsrath einführen, es sey nun dass man, nach Willkühr, nur gewisse Sectionschefs, mit Ausschluss anderer zuziehe;

oder zwar nach einer beständigen Regel immer die- jenigen, deren Berichte an den König gerade vorliegen, über diese Berichte, allein keine andern, und jene nicht über andere Gegenstände;

oder nur gewisse Angelegenheiten an denselben bringe, andere nicht;

oder endlich die Berathung in demselben bloss als vor- läufige Discussion ansehe, und im Cabinet ohne Rücksicht auf die Stimmenmehrheit in der Vorconferenz die Sache von Neuem zur Sprache bringe, so kann eine solche Einrichtung nie das Uebel heilen, sondern muss dasselbe vielmehr, wie jede Palliativcur, w^o eine radicale möglich ist, schlimmer und gefährlicher machen.

Dasjenige, wohin der jetzige Zustand führen muss, ist sichtbar:

dass die Selbstständigkeit der Sectionschefs nach und nach

aufhört, ohne dass dieselben doch die Verantwortlichkeit

verlieren, und ohne dass die Minister wahrhaft dirigiren.

Dieser Zustand aber ist nicht nur für die Personen der

drückendste, sondern auch für die Sache ganz und gar verderblich.

Denn es ist eine Verwischung der Gränzen der leitenden und

administrirenden Behörden, ohne Princip, nach Willkühr und

Zufall.

Das einzige Mittel, diesem Uebel vorzubeugen, ist:

Die Einrichtung eines wahren Staatsraths. Will man diese nicht, oder ist ein Staatsrath mit den Per- sonen, die ihn jetzt ausmachen müssten, ent\veder nicht ausführ-

204 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

bar, oder in der Ausführung, die sich erwarten lässt, nicht rath- sam, so bleibt nichts übrig, als

Vernichtung des Steinischen Plans, Vervielfältigung der Ministeria, Aufhebung der Sectionschefs, und Organisirung eines Staatsraths aus blossen Ministern, denen man aber nothwendig einige gar nicht administrirende Mitglieder zu- ordnen müsste. Dass des sehr wichtigen Gedankens:

dass ein ächter Staatsrath zum grössten Theile aus solchen Mitgliedern bestehen müsste, und die Minister nur neben- her ein Recht darin zu sitzen erhielten,, hier nicht erwähnt worden ist, rührt daher, dass hier nur von der leichtesten Abhelfung der gröbsten Mängel der jetzigen Ver- fassung gesprochen werden sollte, und man auf Ausführung, nicht Kritik des Steinischen Planes ausging. Denn unstreitig ist es ein sehr wesentlicher Mangel in diesem Plan, dass dieser Gedanke darin gar nicht, wie er sollte, aufgefasst, und daher der Begriff eines eigentlichen Staatsrathes und eigentlicher Staatsräthe gänz- lich verfehlt ist. Man sieht es überhaupt diesem Plan auf jeder Seite an, dass er zwar von einem, allgemeiner Ideen fähigen Kopfe, aber nicht nach Resultaten unabhängigen Nachdenkens, sondern nach speciellen Erfahrungen und zu speciellen Zwecken gemacht worden ist. ^)

Königsberg, den i6. August 1809.

In dem verflossenen Monat Julius ist die Organisation der geistlichen und Schulbehörden um einige sehr bedeutende Schritte weiter vorgerückt.

Es war ein dringendes Bedürfniss, der Section des Cultus einen Geistlichen beizuordnen, von dessen Ansehn in der protestantischen Kirche man sich kräftige Mitwirkung zur Beförderung ächter Reli- giosität und der zur Erreichung dieses Zwecks vorzunehmenden

1) Hier findet sich folgender Vermerk Dohnas: „pr. 2. Aug. i8og. Ew. Hoch- iind Wohlgeboren erwiedere ich auf das gefällige Schreiben vom 2 ten d. M. er- gebenst, dass die Sache wegen Einrichtung des Staatsraths jetzt in der Arbeit ist und ich hoffe, dass der Wunsch hierunter bald erreicht seyn wird. Königsberg d. 27^ July i8og. Dohna." In diesen Zusammenhang gehört auch die unten unter E, h abgedruckte Beschwerde.

^) Konzept von Schreiberhand,

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, f. g. 2^t^

Reformen versprechen konnte. Für die Ausfüllung dieser Lücke ist durch die von des Königs Majestät genehmigte Berufung des Ober-Hofpredigers und Kirchenraths Dr. Reinhard^) aus Dresden gesorgt v^^orden, und die Antwort desselben muss höchst- wahrscheinlich am Ende gegenwärtigen Monats hier eintreffen. Da die demselben zu seinem eigentlichen Gehalt zu ertheilende Zulage noch unbestimmt gelassen war, so habe ich diesen Punkt durch ein PrivatSchreiben an den Dr. Reinhard, der mir persön- lich bekannt ist, so einzuleiten gesucht, dass das Zartgefühl des- selben nicht beleidigt, und doch der Staat nicht mit einer zu be- deutenden Ausgabe belästigt werde.

Da die Kurmärkische Regierung gegenwärtig in Thätigkeit getreten ist, so hat das Kurmärkische OberConsistorium mit dem i \^ Jmjus aufgelöst werden können, und wirklich am ^iten Juli seine letzte Sitzung gehalten. Nach den Ew. Excellenz bereits hinlänglich bekannten Verfügungen war schon früher das Schicksal aller Räthe desselben bis auf den Präsidenten von Scheve und den OberConsistorialrath Hecker bestimmt. Letzterer ist gegenwärtig auch, mit Beibehaltung seines Gehalts, in Ruhestand versetzt, der von Scheve aber verdient um so mehr berücksichtigt und wenigstens jetzt durch Ew. p. für die Zukunft beruhigt zu werden, als er mit wirklich beifallswürdiger Fassung die Unge- wissheit, in der er sich befand, ertragen, und allen in Beziehung auf die neuen Einrichtungen erhaltenen Weisungen pünktliche Folge geleistet hat.

Mit der Auflösung des Kurmärkischen Consistorii hing das Aufhören der Thätigkeit des reformirten Kirchen-Directorii und französischen OberConsistorii, jedoch beider nur für die Kurmark ab, da sie, wenigstens das erstere, für die übrigen Provinzen noch fortbestehen müssen.

Bei dem reformirten Kirchendirectorio war bei dieser GeschäftsTrennung eine Absonderung der generellen Angelegen- heiten von den besondern der Kurmark erforderlich, und wenn demselben auch nicht die unter diesem Vorwand gemachten äusserst übertriebenen Forderungen, nach w^elchen es sich sogar die Be- setzung der Predigerstellen, auch in der Kurmark, noch vorbe- halten wollte, haben nachgegeben werden können, so ist ihm doch

^) Franz Volkmar Reinhard (175^— /5'/2); vgl. Schwabe, Der D?-esdner Oberhofprediger F. V. Reinhard, in den Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Schul- und Erziehungsgeschichte 16.

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bar, oder in der Ausfühnmg. die sich erwarten lässt, nicht rath- sam. so bleibt nichts übrig, als

Vernichtung des Sieinischen Plans, Vervielfältigung der Ministeria, Aufhebung der Sectionschefs, und Organisining eines Staatsraths aus blossen Ministem, denen man aber nothwendig einige gar nicht administrirende Mitglieder zu- ordnen müsste. Dass des sehr wichtigen Gedankens: dass ein ächter Staatsrath zum grössten Theile aus solchen Mitgüedem bestehen müsste, und die Minister nur neben- her ein Recht darin zu sitzen erhielten, hier nicht erwähnt worden ist. rührt daher, dass hier nur von der leiditesten Abhelfim^ der gröbsten Mängel der ietzigen Ver- fassung gesprochen werter. 5 :e. : ~ : .:: Austührung. nicht Kritik des Steinischen : .i" ^ .: m ^ tnn unstreitig ist es ein sehr wesendicher Man^e ; .; Plan, dass dieser Gedanke

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Reformen verspredien konnte. För die AosfiOlIiing dieser Lficke ist durch die von des Königs M^estät gendunigte Bemfimg des Ober-Höfpredigers und Kirdienradis Dr. Reinhard^) ans Dresden gesorgt worden, nnd die Antwort dessdben miHS hödist« wahrscheinlich am Ende gegenwärtigen Monats hier eintreffen. Da die demselben zu seinem eigendidieii Geliak zu enheilmde Zulage noch unbestimmt gelassen war, so habe ich diesen Punkt durch ein PrivatSchreiben an den Dr. Rdnhard, der mir peisan- lich bekannt ist, so einzuleiten gesudit, dass das Zan^eMil des- selben nicht beleidigt, und doch der Staat nicht mit einer zu be- deutenden Ausgabe belästigt werde.

Da die Kurmäitische R^ierung gegeawinig in Tharigkek getreten ist, so hat das Kurmärkische Ober Consistoriam mit dem i ^ kuj-us an%elöst werden können, und wirklicfa am 31 ten Juli seine letzte Sitzung gehalten. Nach den £w. F^frflfn/: bereits hinlänglich bekannten Verfügungen ^var schon früher das Schicksal aller Räthe desselben bis auf lez ?: - 1 Ton Schere und den OberConsistorialrath Hecke: : : : - gegenwärtig auch, mit Beibchahnng st -t: -:_ : versetzt, der von Scheve abo* Tcrdien.1 -~ - : ~ -: ' und wenigstens jetzt durch Ew. p. för die Zok-':: werden, als er mit wirkfich bei&llswfirdiger Fi: ' wissheit, in der er sidh befuid, ertragen, und aLt.- : auf die neuen Einrichtungen erhaltenen Wcisunfe- Folge geleiste: "i:.

^Mit der A_:; : -r i.s ::_:-.-;- :-t- ::i;:::- Aufhören izz ~:.r. Z: z -. :— :::. :~ ::--:'::-;: I französisch:-" :r: ;-f s::::. t^::" :t ::e: -_: : : . ab, da sie. T/e- r5:e-s eri:t:e. :'_: iit _::.re- }:: fortbestehen. ~„5:i-.

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Oberhofprediger F. V. Reinkardy in Sckui- umd Ersie^v-'z: --:::''.

noQ 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1S09 und 1810.

die Aufsicht auf das CandidatenAlumnen-Institut , und die

Verwaltung

der Prediger-Wittwen und Waisen, und der Stadtschulleh- rer-Wittwen Gasse, des Gnadenfonds,

der Gasse monä's pietatis'^) und der dieser angehängten Polnischen StipendienGasse gelassen worden. Alle diese Gegenstände gehen künftig zur Sec- tion über. Die GandidatenPrüfungen zu Predigerstellen in der Kurmark geschehen von jetzt an vor der aus lutherischen und re- formirten Mitgliedern bestehenden Examinations-Gommission.

Das Französische OberGonsistorium hat die Abgabe der Kur- märkischen Acten an die Regierung verweigert, und sein Gesuch um die Fortdauer seiner Selbständigkeit liegt Sr. Majestät dem König zur Entscheidung vor.

Auf eine in der That höchst unzweckmässige Weise waren bis jetzt einzelne Kirchen in Berlin unter der Aufsicht eigener Guratorien nur den Personen der ehemaligen DepartementsMinister untergeordnet. Dies fand bei dem Dom, der Parochial-, der Dreifaltigkeits- und der Katholischen St. Hedwigs- Kirche statt. Die Section hat dieselben, der jetzigen Verfassung gemäss, sämtlich der geistlichen und Schul-Deputation der Regierung untergeordnet.

Obgleich die geistliche und SchulDeputation der Kurmärkischen Regierung erst die Genehmigung ihres Organisations-Plans er- wartet, so ist doch schon jetzt, nach erfolgter Ankunft des OberGon- sistorialRaths Natorp, eine hinlängliche Anzahl von Räthen zur Besorgung der Geschäfte vorhanden.

Bei der hiesigen Regierung ist die bisher noch ledig gebliebene Regierungsrathsstelle für Schulsachen durch den bisherigen Pro- fessor Delbrück^) und bei der Liegnitzer Regierung durch den bis- herigen Gymnasiums-Director Wolfram besetzt worden.

Section des Gultus. Nachdem S. Majestät der König die Ew. p. in meinem letzten* monatlichen Bericht angezeigten Verabredungen wegen der künf-

*) Jjber diesen von Friedrich Wilhelm I. gestifteten Schulfonds im Betrage von so 000 Thalern vgl. Vollmer, Friedrich Wilhelm I. und die Volksschule S. j4.

2) Johann Friedrich Ferdinand Delbrück (1772 1848), der Bruder von Johann Heinrich Delbrück, dem Erzieher des Kronprinzen.

A. Generalverwallungsberichte der Sektion, g. 2^7

tigen Verhältnisse der Feldprediger genehmigt haben, ist das MilitairDepartement unter Zuziehung des Feldprobsts mit der ersten Besetzung der noch beibehaltenen Feldpredigerstellen und ihrer ^^e^theilung in die verschiedenen Garnisonen beschäftigt. Nach Vollendung dieser Arbeit werden die Feldprediger der Auf- sicht der Regierungen überwiesen werden.

Auf die schon im Mai an das französische OberConsistorium ergangene Verfügung über die dem Prediger .... gemachten Be- schuldigungen Bericht zu erstatten, hat dasselbe ein im December, 1806. beim Französischen Consistoire ordinaire abgehaltenes Proto- coll eingesandt. Nach demselben hat das Consistorium dem .... damals den Vorwurf gemacht,

öfter ohne Urlaub verreist zu seyn, sein Amt deshalb ver- säumt und Geschäfte übernommen zu haben, die demselben fremd waren, und über die ausserdem schon nachtheilige Gerüchte herumgingen, und ihn mit einer Anzeige beim OberConsistorio bedroht. Da er aber sein Unrecht, ohne Urlaub verreist zu seyn, anerkannt und um Verzeihung gebeten, sich wegen der übernommenen Ge- schäfte, als wären sie gerade zum Nutzen seiner Mitbürger ab- zweckend gewesen, gerechtfertigt, und versprochen, künftig sich aller Reisen ohne Urlaub, und selbst, w^gen des entstandenen Argw^ohnes, aller ähnlichen Geschäfte zu enthalten, so hat das Consistorium die Sache auf sich beruhen lassen. Die Section hat aber jetzt dem OberConsistorio zu erkennen gegeben, dass das Consistoire ordinaire sich bei so strafwürdigen Dienstvernachlässig- ungen des .... auffallend nachsichtig gegen denselben bewiesen, und näheren Bericht über die Aufführung des .... seit dem De- cember 1806, und ob er seinem Versprechen pünktlich nachgelebt? eingefordert. Erst nach Eingang dieses Berichts wird sich eine endliche Entscheidung über diese in jeder Rücksicht grosse Auf- merksamkeit verdienende Sache fällen lassen.

Der gleichfalls angeschuldigt gewesene Pfarrer Riemasch in Laptau hingegen ist bei einer an Ort und Stelle vom Consistorial- Rath Wald angestellten Untersuchung nicht nur durchaus un- schuldig, sondern auch auch als ein um die Schule seines Dorfs und auch sonst ^) verdienter Mann erfunden worden. Weil er sich jedoch nicht überall vorsichtig benommen, auch durch ehe-

^) liach „sonst' gestrichen: „sehr".

2o8 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

malige, jedoch immer höheren Orts vorher genehmigte, unüber- legte Verwendung der Kirchenbaugelder seine Gemeine in die Nothwendigkeit, jetzt auf eigene Kosten zu bauen, versetzt hat, so ist er deshalb für die Zukunft ernstlich verwarnt worden.

Ueber den Zustand der katholischen Geistlichkeit in Westpreussen hat der Staatsrath Schmedding sehr interessante Berichte eingesandt. Obgleich diese keinen Auszug erlauben, so geht seine Meynung im Ganzen dahin, dass eine neue Dioecese errichtet, bis dahin aber durch einzelne kräftige Maassregeln den einzelnen Nachtheilen entgegengearbeitet werden muss. Seine Aeusse- rungen sind auch insofern beruhigend, dass er die früheren Berichte über die grosse von der Geistlichkeit im Herzogthum Warschau und dem Einverständniss einiger inländischer Geistlichen mit der- selben zu besorgende Gefahr wenigstens für sehr übertrieben hält.

Der OberPräsident von Massow hatte der Section sehr dringend die Aufnahme einiger Conventualinnen in die jungfräulichen Stifter zu Liebenthal und Liegnitz empfohlen, und sich vorzüglich auf den Nutzen berufen, welche die mit dem Liebenthalschen Stift verbundene MädchenlndustrieSchule stiftet. Da aber die Cabinets Ordre vom 29^ Februar v. J. nur in den Orden der Elisabethanerinnen und Ursulinerinnen Novizen aufzunehmen ge- stattet, und die vorgeschlagenen Personen auch ohne Ablegung förmlicher Ordensgelübde der gedachten Schule nützlich seyn können, so hat die Section das Gesuch für jetzt zurückgewiesen.

Section des öffentlichen Unterrichts. Die Wiederherstellung des ehemaligen lutherischen General- Schulfonds ist im Laufe des verflossenen Monats nunmehr vollendet worden. Das FinanzMinisterium hat die sich auf etwas mehr als 14000 Rth. jährlich belaufende Summe königlicher Zu- schüsse, welche ehemals zur Ober-SchulCasse flössen, wieder vom I. Juni c. ab bewilligt, aber auf den Vorschlag der Section auf die Etats der ProvincialRegierungen übernehmen lassen. Doch verlieren darum diese Gelder nicht ihre Eigenschaft der Generalfonds, und ihre Bestimmung hängt immer, ohne an eine Provinz gebunden zu seyn, von der Section ab. Ein grosser Theil davon wird in einzelnen, zum Theil so kleinen Zulagen für Schullehrer zersplittert, dass einige nur 2., 6., viele 10 Rth. jähr- lich erhalten. Die Section hält diese von dem vorigen Geistlichen Departement als System angenommene Zersplitterung für durchaus

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, g. 2'?Q

unzweckmässig, und glaubt, dass eine kräftige Verbesserung nur durch Schulbeiträge der Gemeinen, nicht durch Zuschüsse des Staats, für welche auch der reichste zu arm ist, zu bewirken steht. Für jetzt indess wird in der Verwendung jener Summen auf welche die Personen einmal angewiesen sind, keine Abänderung zu treffen seyn. Einen neuen, erst kurz vor Ausbruch des letzten Krieges durch Zuschüsse aus den Tabaks-OfliciantenPensionen gebildeten Ge- neralSchul-Fonds von 23000 Rthl. jährlich hat das FinanzMiniste- rium noch wieder in Gang zu bringen abgelehnt, weil die Art der Verwendung desselben noch nicht bestimmt war, und daher erst die Xothwendigkeit dieser nachgewiesen werden muss, wes- halb bereits an die Regierungen verfügt ist.

In Absicht der Organisation der untern Schulbehörden ist die Section jetzt mit einem Reglement für die städtischen Schulde- putationen beschäftigt.^) In hiesiger Stadt sind bereits vier, sich vorzüglich durch patriotische und liberale Gesinnung auszeichnende Mitglieder der Stadtverordneten

der Consistorial [Rath] Busolt

Stadtrath Hagedorn

unter Vorsitz

und Beiordnung

Kaufmann Richter und Buchhändler Xicolovius

des Stadtraths Hörn

des Stadtraths Glagau

zur Schuldeputation gewählt worden, eine Wahl, welche die Sec- tion zu beschleunigen und zu lenken bemüht gewesen ist, um hier sogleich den ersten Versuch einer Verbesserung des städtischen Schulwesens durch eine allgemeine Bürgerabgabe zu machen.^)

Da es gut schien, um desto kräftiger auf die Litthauische Nation zu wirken, einen jungen Litthauer nach Yverdun zur Er- lernung der Pestalozzischen Methode zu senden, so ist ein sich durch grossen Eifer für das Lehrfach, Lebhaftigkeit des Kopfes, hinlängliche schon gesammelte Kenntnisse, und eine grosse Ein- fachheit und Offenheit des Charakters empfehlender junger Mensch, Namens Macik aus Barscheiten, dazu gewählt worden. Er wird

') Vgl. Band 10, 115.

2) Vgl. Hollack lind Tromnau, Geschichte des Schulwesens der königlichen Haupt- und Residenzstadt Königsberg in Preussen S. 62g.

2A0 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

jetzt der 4*3 dort hingesandte Eleve von der bestimmten Zahl der Zwölfe.

Von dem Plamannschen Institut waren durch dessen Vorsteher zum Genuss der allerhöchst bewilligten Pension zwei Subjecte vorgeschlagen, von denen die Section jedoch nur den einen, Namens Schmidt, von welchem sich etwas Bedeutendes hoffen lässt, genehmigt hat. Wegen der andern Stelle ist ein anderweitiger Vorschlag aufgegeben worden.

Die Wahl des bisherigen Prorectors Schummel zum Rector am Elisabethano in Breslau ist von der Section förmlich annullirt worden, da, die gegen den Schummel sonst erhobenen Einwürfe abgerechnet, er, nach allen eingezogenen Nachrichten, dieser Stelle nicht gewachsen war.^) An das vom Magistrat zu Breslau bisher ausgeübte Recht aber, die Prediger und Schullehrer, ohne Bestätigung, zu wählen, hat die Section nicht sich binden zu müssen geglaubt, weil der Umfang der ConsistorialRechte des Breslauer Magistrats überhaupt noch streitig ist, nach dem allgemeinen Landrecht alle MediatConsistoria unter der Geistlichen Oberbehörde stehen, und eine ältere allgemeine Verordnung alle Magistratswahlen der höhern Bestätigung unterwirft. Zu einer neuen Wahl ist der jetzige Magistrat veranlasst, aber ihm ge- äussert, dass es zweckmässiger seyn werde, wenn er der Section 3 Candidaten zur eignen Wahl in Vorschlag bringe, und weil er hierin eine Schmälerung seines Patronatsrechts finden könnte, dem Vice-Regierungs-Präsidenten Merkel die geschickte Einleitung dieser von ihm angegebenen Maassregel aufgetragen worden.^)

Bei dem Joachim stha Ischen Schuldire ct'orio ist nun- mehr, auf Vorschlag der Section, bestimmt worden, dass diejenigen Mitglieder, welche andere Aemter erhalten, aus demselben, mit Verzichtleistung auf ihre Bestallung, austreten sollen.

Eines der grössten Gebrechen unsers Schulwesens ist die Nachlässigkeit bei den Prüfungen der von den gelehrten Schulen zur Universität abgehenden jungen Leute, und dass der Titel ge-

1) Johann Gottlieb Schummel {1J48—181J), Schulmann und Schriftsteller^ bekannt durch seine satirische Kritik des Philanthropismus, vom Minister Zedlitz geschätzt, seit i'j'jS Prorektor am Breslauer Elisabethanum ; vgl. Band 10, 214 und Wiedemanns Aufsatz in der Festschrift zur Feier des j^sojährigeyi Be- stehens der Anstalt (Br-eslau igi2).

2) Vgl. das Band 10, ijÖ abgedruckte Aktenstück über die Patronatsrechte.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, g. 24 1

lehrter Schulen und das Recht zur Universität zu dimittiren Schulen verstattet v^^orden ist, welche, schon ihrer kärglichen Dotirung wegen, nicht darauf Anspruch zu machen im Stande sind. Ein- führung grösserer Strenge bei jenen Prüfungen und Verminde- rung der gelehrten Schulen sind daher ein Hauptaugenmerk der Section.^)

^^on diesen Grundsätzen geleitet, hat sie auf den Vorschlag der litthauischen Regierung, in welcher der Geist ihres gegen- wärtigen Chefs schon jetzt sehr sichtbar wird, der Schule zu Angerburg sich als gelehrte Schule zu geriren untersagt. Sie ist dazu durch die geringe Anzahl der Lehrer, deren es nur vier giebt, um die jungen Leute von den Elementen des Buchstabirens bis zur Universität zu führen, und die höchst unvollkommene Beschaffenheit ihrer letzten eingereichten Prüfungsarbeiten bewogen worden, und übrigens nur in die Fussstapfen des vorigen geist- lichen Departements getreten, welches die Wirksamkeit dieser An- stalt, als gelehrte Schule, schon suspendirt hatte, ohne dass jedoch gehörig auf Befolgung dieser Verfügung geachtet worden war.

Der Finanzzustand der Blindenanstalt ist durch eine Königliche Cabinets-Ordre, welche ihr 1550 Rth. jährlich zugetheilt, aufs Neue gesichert, und ihr Wirkungskreis dadurch, dass man dem Vorsteher unentgeldlichen Unterricht armer Kinder zur Pflicht gemacht hat, erweitert worden.

Ein gleiches soll nunmehr auch mit dem Taubstummen- Institut geschehen.

Immer aber muss man gestehen, dass diese Anstalten für ihren, doch nur beschränkten Zweck äusserst kostbar sind, und dass es daher wünschenswerth wäre, wenn man, w4e der Re gierungsrath Zeller verspricht, und wie, seiner Versicherung nach, schon an einigen Orten geschieht, Taubstummen und Blinde auch in den gewöhnlichen Elementarschulen unterrichten könnte.

Dem Uebelstande, dass in Berlin in der Nähe einiger Gymna- sien Bordell wirtschaften waren, ist, auf meine Beschwerde, vom PolizeiDirectorio abgeholfen und diese Häuser, ein einziges ausgenommen, wo dies nicht füglich anging, in andere Strassen verlegt worden.^)

*) Vgl. die Darstellung bei Gebhardt i, 2j^ und Spranger S. 2j4. 2) Die Beschwerde, die in den Akten erhalten ist, bezieht sich auf die Um- gebung des Gymnasiums zum Grauen Kloster.

W. V. Humboldt, Werke. Xm. l6

2 12 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Für die Universitäten hat, da die Antworten der für Frankfurth und Königsberg berufenen Lehrer noch nicht ein- gelaufen sind, nichts weiter geschehen können.

Dem Professor Schleiermacher ist indess bis zur Errich- tung der in Berlin ein Wartegeld von 500 Rth. angewiesen worden.^)

Bei der Academie der Wissenschaften haben des Königs Majestät dem Geheimen Rath Hermbstädt'^) die durch den Tod des Kriegsraths Kuhn erledigte Besoldung von 200 Rth. jedoch dergestalt ertheilt, dass die wirkliche Auszahlung vom Zustande der Gasse der Academie abhängig gemacht worden ist.

Die Kunst- und Bau -Academie sind zwar jetzt wirklich an die Section übergegangen; indess hat der Staatsrath Uhden in Berlin noch immer nicht die Ablieferung aller Acten, die Ueber- gabe der Gasse, und die Auszahlung von 200 Rth., wegen welcher die Verfügung schon am 1^^ Junius c. vom FinanzMinisterium erlassen wurde, vom Geheimen Staatsrath Sack, ungeachtet der Befehle Ew. p. und der ergangenen GabinetsOrdre, erlangen können. Die Section wartet noch einen Bericht des Uhden ab, um hernach andere Maassregeln zu ergreifen.

Die Pension des in Rom studirenden Bildhauers Rauch ist durch eine allerhöchste GabinetsOrdre bis auf 400 Rth. jährlich erhöhet worden.

Schliesslich muss ich Ew. p. um geneigte Entschuldigung der verzögerten Abstattung dieses Berichts gehorsamst ersuchen.

16^ August 1809.

Humboldt. An

des Königlichen Wirklichen Geheimen Staats- und dirigirenden Minister des Innern Herren Grafen zu Dohna Excellenz.

h.3) Königsberg, den 16. September, 1809.

In dem verflossenen Monat ist eine Angelegenheit berichtigt worden, die seit vielen Monaten eine laute Beschwerde aller geist- lichen und Schulbedienten ausmachte, und für welche auch die

^) Vgl. den Band 10, 80 abgedruckten Antrag.

*) Sigismiind Hermbstädt [1^60 18^^, Chemiker, Technolog und Pharma- kolog, seit i-jgi Professor beim Collegium medico-chirurgicum.

^) Konzept von Humboldts Hand; ein zweites von Schreiberhand liegt bei.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, g. h. 24^

Section des Cultus und öftentlichen Unterrichts sich thätig ver- wandt hatte, die Praegravation, welche die Geistlichen bei Vertheilung der Kriegslasten erfahren zu haben behaupteten. Man hat ihnen nemlich nachgelassen, hypothekarische Schulden auf das Kirchenvermögen aufzunehmen, und nun all- mälig zu tilgen. Da aber dieser Gegenstand durch das Ministerium selbst entschieden worden ist, so ist das Detail davon Ew. Excellenz hinreichend bekannt.

Die auch in andern Provinzen nicht selten vorkommenden Klagen, dass den Geistlichen und Schullehrern die ihnen zu- kommenden x\bgaben nicht gehörig entrichtet werden, waren in Litthauen so häufig geworden, dass die Regierung sich genöthigt gesehen hatte, in vielen Orten Execution deshalb zu verfügen. Das Insterburgische OberLandesGericht hatte sich aber heraus- genommen, diese Execution einseitig zu inhibiren. Auf die Vorstellungen der Section hat der Grosskanzler dem Ober- landesGericht dies verfassungswidrige \^erfahren untersagt. Die Section hat dagegen auch die Regierung aufgefordert mit den Executionsverfügungen nicht zu rasch und häufig vorzugehen, um, da viele dortige Unterthanen seit Jahren mit diesen Abgaben in Rest sind, ihnen nicht auf Einmal zu hart zu fallen.

Zwischen der Section der directen und indirecten Abgaben und •der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts war die Frage entstanden, ob die den Geistlichen und Schulbedienten competirende Brau-Bonification auch den E m e r i t i s verstattet werden könne. Die Abgabensection hatte diese Vergünstigung anfangs schlechter- dings nur Einem (entweder dem Emerito, oder dem wirklich Angestellten nach Wahl der Section des Cultus p.) zugestehen wollen. Sie hat sich aber in der Folge doch bereit erklärt, den Emeritis, da die BrauBonification natürlich den wirklich thätigen Geistlichen verbleiben muss, die NaturalAcciseFreiheit zu ge- währen.

Section des Cultus.

Die Verhältnisse des Domkirch enD irectorii, das bisher «in durchaus eignes Collegium ausgemacht, und nur unter der unmittelbaren Leitung des reformirten geistlichen Ministers ge- -standen hatte, sind durch die CabinetsOrdre vom i8. v. M. nun auch dergestalt regulirt worden, dass dasselbe der geistlichen De- putation der Kur Märkischen Regierung untergeordnet worden ist,

16*

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344

y ABMluk« Arttfüra »m Aem Jahren 1809 «ad itio.

Durch die Abtretung der dem Herzogthum W-schau zu- gefallenen Prorin/eti iit es gekommen, dass f atho-

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A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, h.

245

sollen, was im höchsten Grade zweckmässig ist, alle Prediger- gehalte auf die Provincial-Cassen übernommen werden.

Ew.

Section des öffentlichen Unterrichts.

p. werden aus meinem letzten monatlichen Bericht er-

sehen haben, wie das FinanzMinisterium die ehemaligen Zuschüsse zu der OberSchulCasse wieder in Gang gebracht hat. Dasselbe wollte jedoch damals die sonst ad cxtraordinaria verwandte Summe von 2000 Rth. auf 1500 Rth. herabsetzen, weil die Monarchie beträchtlich verringen sey. Auf meine Vorstellung aber, dass dagegen auch Schlesien, das ehemals vom OberSchul Collegio getrennt war, zur Section gehöre, hat das FinanzMiniste- rium jetzt die ganze Summe unverkürzt gelassen. Dieses quaniiim war ehemals, und soll jetzt wieder bestimmt seyn zu den so äusserst nothwendigen Reisen des SectionsChefs und der Räthe durch die Provinzen, und zu kleinen ausserordentlichen Be- willigungen und Remunerationen. Zu letzteren habe ich schon jetzt, um Ew. p. nur dies Eine Beispiel anzuführen, eine sehr nützliche Gelegenheit gefunden, indem ich dem Professor Herbart, dessen Tendenz vorzüglich auf Paedagogik und Prüfung der gegenwärtigen Erziehungssysteme gerichtet ist, versprochen habe, armen Studirenden, die er zum Versuche dieser oder jener Methode beim Unterricht gebraucht, kleine Aufmunterungen (von 5, 10 Rth. bis 100 zusammen höchstens jährlich) zu geben. ^) Ew. p. haben nun genehmigt, dass ich, ohne weitere vorherige Anfrage, über diese Summen disponirte, es ist jedoch in der Antwort der Zusatz enthalten:

„insofern die Verordnung vom 24. November 1808 dies verstat- tet." Ich halte es daher für nöthig hinzuzufügen, dass dies letztere keinem Zweifel ausgesetzt seyn kann. Denn diese Verordnung verlangt nur die Vollziehung der HauptEtats jeder Departements Parthie durch den Minister, und in diesem HauptEtat würde jene Summe nur unter dem allgemeinen Namen ^^ad Extra- ordinaria'- vorkommen können. Es heisst aber auch S. 13 fr. aus- drücklich :

„Rücksichtlich kleiner Unterstützungen und GnadenGe- schenke werden ihnen (den Geheimen StaatsRäthen) be-

') Vgl. Herbarts Sämtliche Werke 14,2^ Kehrbach und die weitere Literatur bei Spranger S. 224.

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3. Aiotlicbr Arbrilrn au« dtti

-^ und 1810.

sondere I'onds zur freien l)i bis zu gewissen

NormalSummcn angewiesen: ist die (jcnehmi-

gungsKinholung crfordcriicl Ich brauche übrigens K\v. p n. dass ich

dies nur danim bemerke, weil es _ _, .iieint, alles,

was (icschafie beirilTi, einer genauen iiri festen Bestimmung zu

untenverlen, weil es mir pein! keilen /u behelligen, und ' aus mit dem Grundsatz eit \erordnung vom 24. November ai. Verh.lltniss und der ganze Nut

' "' ' »is ncmlich alles b!-

scn werden, und de und C^ontfollc nothwendige Kennt F.w. p. diese Kenntniss /u \- monatlichen Berichten nie;.;- imd werde sehr gern, wenn einschleichen sollten, Kw. p. da mir nichts so wi'

und speciellste 1 heiln....:.. ,

König meiner Leitung anvenrautcn I

Dr. IMamann, dem du worden war, dass zwei aus K junge Leute sich Wi ihm m sollten, hat nunmehr auch zu der vom Vorigen M«>nat n<»ch otTnen welches die Secti«>n ' * Süssenbach aus Vrau Bredow die günstigsten Zeugnisse seines llenu und seines Eifers

de, Kw. p. mit Kleinig-

- - ' -s Sic durch-

c Seele der

:nd ohne den das ganze

den HaulcQ

n Scctionen

>tcn Leitung

•n nehmen muss. Um

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Je üben

ch meinem Bericht

.:en,

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«ren Thilo und

für das Krziehungsfach crh.'dt, ii' eine Heise zu Pestalozzi zu i:""

In die durch die ^'ersetzun^ berg erledigte (iollaboratorstelle beim B< G y m n a s i u m ist der Pr •'

diesem bisher bekleideten .:.,

gistrai den bisherigen Subrector der <

Schultz wiederum gcw.'ihlt. Die Seaion

protocoUe gesehen, dass der Magistrat unic jcn vier Compctcnten

nn hatte, für sich

k ' I nach Königs- hCöllnischcn \ zu der von hat der Ma- n Schule Land- aus dem Wahl-

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•) Vgi oben S. ajÄ

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jneralverwaltungsberichte der Sektion, h.

247

mit Uebergeh

ies überaus vorzüglichen Prorectors Gotthold in Cüstrin, de^ t brotlosen Professor Brohm in Posen und des CoUaborators ' tlitschl an der Cöllnischen Schule gerade den am wenigster hrten und bekannten gewählt hat; sie hat sich jedoch, nach bestehenden Verfassung, da sich nicht gerade

etwas Bedeut gegen den Gewählten einwenden Hess, ihn zu

bestätigen nit itbrechen können. Der Magistrat hatte zugleich um den Pro: titel für den p. Landschultz angehalten, und es ist richtig, d iurch eine Cabinets-Ordre vom 4. October 1774 sämmtlichen d iialigen und künftigen Lehrern des Gymnasii dieser ^■2«. Titel und zwar gratis beigelegt ist, nur dass nach einer Verfügung

*^* des lutherisch ^^tlichen Departements vom 10. November 1774 der

:m einzelnen Fall besonders darum einkommen

ine spätere CabinetsOrdre vom 26. November 1803

:setzt, dass der ProfessorTitel

i"t ausschliesslich den academischen Lehrern, den

-olcher Institute, bei denen öffentliche Vorlesungen

werden, als z. B. bei den Medicinischen Collegien

, und solchen Lehrern öffentlicher Schulanstalten,

amal durch die Constitution dieser Anstalten dieser

r zugesichert ist, zu ertheilen

bei diesem hier eintretenden Fall die Einschrän-

Magistrat in muss. Da abc ausdrücklich in Zu Lehre geh ah in B denc Cho und auch kung maci doC) aner

und dies die Section geschlage: höheren i .

zteren nur in dem Fall, wenn sie schon öffentlich ite Beweise einer nicht gewöhnlichen Gelehrsamkeit haben, ^)

dem Landschultz keineswegs der Fall war, so hat ie Ertheilung des Professortitels um so mehr ab- s auch neuerlich bei Gelegenheit des p. Grashoff die Nothwendigkeit, den Professonitel seltener zu machen, bererkt worden ist und dies bei der jetzt näher rücken- den Errichtng der Universität in Berlin noch rathsamer wird Die Stelle js Subrectors Landschultz soll wieder von einem ge- wissen S ^dt besetzt werden, und da dieser erst geprüft werden muss, s seine Prüfung, bei noch nicht organisirter wissen-

') Z ^Schrift dieser beim 400jährigen Jubiläum des Lyzeums zu Stettin

an Alassv lassenen Kabinetsordre befindet sich in den Akten des KultuS'

ministeril I . Gener alia, Landes- und Hoheitssachen 4, i {betreffend Erteilung

der Char.^ imd Titel).

2aA . 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Durch die Abtretung der dem Herzogthum Warschau zu- gefallenen Provinzen ist es gekommen, dass geistlich Katho- lische Rechtshändel derjenigen Dioecesen, deren Bischöfe sich ausser den Königlichen Staaten befinden, in 2t£^ I n s t a n z eigent- lich ausser Landes gehen müssten. Da dies nun durchaus ver- fassungswidrig ist, so ist, auf Vorschlag des JustizMinisterii, die Einrichtung getroffen w^orden, dass diese Sachen in 2^ Instanz vor das Officialat in Frauenburg verwiesen werden. ^)

Da sich bereits mehrere Candidaten in Berlin gemeldet haben, pro Ministerio examinirt zu werden, so ist es nothwendig, jetzt die Verhältnisse der in Berlin errichteten ExaminationsCom- mission festzustellen. Die Section ist seit einiger Zeit mit den beiden Berlinischen Pröpsten und dem ersten Hofprediger darüber in Correspondenz. Diese Angelegenheit ist aber mit nicht ge- ringen Schwierigkeiten verknüpft, da auf der einen Seite die Prüfungen der Geistlichen wirklich in Beriin besser, als in Pots- damm besorgt werden können, auch die Verhältnisse der Haupt- Kirchen in Berlin geschont werden müssen, auf der andern aber es von der äussersten Wichtigkeit ist, die KurMärkische Regierung nicht gegen andere Regierungen, bloss ihrer, freilich in allem, was das geistliche und Schulfach betrilft, höchst nachtheiligen Ver- legung nach Potsdamm wegen, zu sehr zurückzusetzen, und ihr dadurch das nöthige Ansehen bei den Geistlichen zu be nehmen.

Seit dem letzten unglücklichen Kriege waren eine grosse An- zahl von PredigerBesoldungen, die auf General-Gassen angewiesen waren, unbezahlt geblieben. Für die Berlinischen Prediger ist diese Angelegenheit nunmehr auch so gut als gänz- lich berichtigt worden, indem die auf die GeneraldomainenCasse und den Französischen Etat angewiesenen Prediger daselbst sämmtlich vom i. März, c. ab auf andere Gassen übernommen sind. Mit den auf die DispositionsGasse angewiesenen ist das- selbe zwar einzeln, wie sie sich gemeldet haben, jedoch so ge- schehen, dass nicht leicht noch einer unbefriedigt geblieben seyn wird. Sehr dringend wird aber jetzt die Befriedigung der Fran- zösischen Prediger ausserhalb Berlin, für die das FinanzMiniste- rium eher thätig zu sorgen verweigert hat, bis die ganze Ange- legenheit des Französischen Etats abgemacht seyn wird. Künftig

^) Vgl. Gebhardt i, 2gi.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, h. 24^,

sollen, was im höchsten Grade zweckmässig ist, alle Prediger- gehalte auf die Provincial-Cassen übernommen werden.

Section des öffentlichen Unterrichts.

Ew. p. werden aus meinem letzten monatlichen Bericht er- sehen haben, wie das FinanzMinisterium die ehemaligen Zuschüsse zu der OberSchulCasse wieder in Gang gebracht hat. Dasselbe wollte jedoch damals die sonst ad extraordinaria verwandte Summe von 2000 Rth. auf 1500 Rth. herabsetzen, weil die Monarchie beträchtlich verringert sey. Auf meine Vorstellung aber, dass dagegen auch Schlesien, das ehemals vom OberSchul Collegio getrennt war, zur Section gehöre, hat das FinanzMiniste- rium jetzt die ganze Summe unverkürzt gelassen. Dieses quanium war ehemals, und soll jetzt wieder bestimmt seyn zu den so äusserst nothwendigen Reisen des SectionsChefs und der Räthe durch die Provinzen, und zu kleinen ausserordentlichen Be- willigungen und Remunerationen. Zu letzteren habe ich schon jetzt, um Ew. p. nur dies Eine Beispiel anzuführen, eine sehr nützliche Gelegenheit gefunden, indem ich dem Professor Herbart, dessen Tendenz vorzüglich auf Paedagogik und Prüfung der gegenwärtigen Erziehungssysteme gerichtet ist, versprochen habe, armen Studirenden, die er zum Versuche dieser oder jener Methode beim Unterricht gebraucht, kleine Aufmunterungen (von 5, IG Rth. bis 100 zusammen höchstens jährlich) zu geben. ^) Ew. p. haben nun genehmigt, dass ich, ohne weitere vorherige Anfrage, über diese Summen disponirte, es ist jedoch in der Antwort der Zusatz enthalten:

„insofern die Verordnung vom 24. November 1808 dies verstat- tet." Ich halte es daher für nöthig hinzuzufügen, dass dies letztere keinem Zweifel ausgesetzt seyn kann. Denn diese Verordnung verlangt nur die Vollziehung der HauptEtats jeder Departements Parthie durch den Minister, und in diesem HauptEtat würde jene Summe nur unter dem allgemeinen Namen ^^ad Extra- ordinaria!'- vorkommen können. Es heisst aber auch S. 13 fr. aus- drücklich :

„Rücksichtlich kleiner Unterstützungen und GnadenGe- schenke werden ihnen (den Geheimen StaatsRäthen) be-

') Vgl. Herbarts Sämtliche Werke i4,2j Kehrbach und die weitere Literatur bei Spranger S. 224.

2aQ 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

sondere Fonds zur freien Disposition bis zu gewissen NormalSummen angewiesen; ausserdem ist die Genehmi- gungs-Einholung erforderlich." Ich brauche übrigens Ew. p. nicht zu versichern, dass ich dies nur darum bemerke, weil es mir nothwendig scheint, alles, was Geschäfte betrifft, einer genauen und festen Bestimmung zu unterwerfen, weil es mir peinlich seyn würde, Ew. p. mit Kleinig- keiten zu behelligen, und weil ich endlich weiss, dass Sie durch- aus mit dem Grundsatz einverstanden sind, welcher die Seele der Verordnung vom 24. November ausmacht, und ohne den das ganze Verhältniss und der ganze Nutzen der Sectionen über den Haufen fällt, dass nemlich alles blosse Administrationsdetail den Sectionen überlassen werden, und der Minister nur die zur obersten Leitung und Controlle nothwendige Kenntniss davon nehmen muss. Um Ew. p. diese Kenntniss zu verschaffen, bemühe ich mich, in meinen monatlichen Berichten nichts irgend Erhebliches zu übergehen, und werde sehr gern, wenn sich hierin unwillkührliche Mängel einschleichen sollten, Ew. p. Erinnerungen hierüber empfangen, da mir nichts so wünschenswerth seyn kann, als die genaueste und speciellste Theilnahme Ew. p. an der von Sr. Majestät dem König meiner Leitung anvertrauten Parthie.

Dr. Piamann, dem durch eine CabinetsOrdre zugesichert worden war, dass zwei aus Königlichen Gassen zu pensionnirende junge Leute sich bei ihm in der Pestalozzischen Methode üben sollten, hat nunmehr auch zu der zweiten, nach meinem Bericht vom vorigen Monat noch offnen Stelle ein Subject vorgeschlagen, welches die Section bestätigt hat. Es ist dies der Studiosus Süssenbach aus Frankfurt, der von den Professoren Thilo und Bredow die günstigsten Zeugnisse seines Talents und seines Eifers für das Erziehungsfach erhält, und schon im Sinn hatte, für sich eine Reise zu Pestalozzi zu unternehmen.

In die durch die Versetzungdes Professor Delbrück i) nach Königs- berg erledigte Collaboratorstelle beim BerlinischCöllnischen Gymnasium ist der Professor Heinsius gerückt, und zu der von diesem bisher bekleideten jüngsten Collaboratorstelle hat der Ma- gistrat den bisherigen Subrector der Cöllnischen Schule Land- schuftz wiederum gewählt. Die Section hat zwar aus dem Wahl- protocolle gesehen, dass der Magistrat unter den vier Competenten

') Vgl. oben S. 2j6.

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, h. 247

mit Uebergehung des überaus vorzüglichen Prorectors Gotthold in Cüstrin, des jetzt brotlosen Professor Brohm in Posen und des Collaborators Dr. Ritschi an der Cöllnischen Schule gerade den am wenigsten gelehrten und bekannten gewählt hat; sie hat sich jedoch, nach der bestehenden Verfassung, da sich nicht gerade etwas Bedeutendes gegen den Gewählten einwenden Hess, ihn zu bestätigen nieht entbrechen können. Der Magistrat hatte zugleich um den Professortitel für den p. Landschultz angehalten, und es ist richtig, dass durch eine Cabinets-Ordre vom 4. October 1774 sämmtlichen damaligen und künftigen Lehrern des Gymnasii dieser Titel und zwar gratis beigelegt ist, nur dass nach einer Verfügung des lutherisch-geistlichen Departements vom 10. November 1774 der Magistrat in jedem einzelnen Fall besonders darum einkommen muss. Da aber eine spätere CabinetsOrdre vom 26. November 1S03 ausdrücklich festsetzt, dass der ProfessorTitel

in Zukunft ausschliesslich den academischen Lehrern, den Lehrern solcher Institute, bei denen öffentliche Vorlesungen gehalten werden, als z. B. bei den Medicinischen CoUegien in Berlin, und solchen Lehrern öffentlicher Schulanstalten, denen einmal durch die Constitution dieser Anstalten dieser Charakter zugesichert ist, zu ertheilen und auch noch bei diesem hier eintretenden Fall die Einschrän- kung macht,

doch letzteren nur in dem Fall, wenn sie schon öffentlich anerkannte Beweise einer nicht gewöhnlichen Gelehrsamkeit gegeben haben, ^) und dies bei dem Landschultz keineswegs der Fall war, so hat die Section die Ertheilung des Professortitels um so mehr ab- geschlagen, als auch neuerlich bei Gelegenheit des p. Grashoff höheren Orts die Nothwendigkeit, den Professortitel seltener zu machen, bemerkt worden ist und dies bei der jetzt näher rücken- den Errichtung der Universität in Berlin noch rathsamer wird Die Stelle des Subrectors Landschultz soll wieder von einem ge- wissen Schmidt besetzt werden, und da dieser erst geprüft werden muss, so ist seine Prüfung, bei noch nicht organisirter wissen-

*) Eine Abschrift dieser beim 400jährigen Jubiläum des Lyzeums zu Stettin an Massow erlassenen Kabinetsordre befindet sich in den Akten des Kultus- ministeriums A, Generalia, Landes- und Hoheitssachen 4, i (betreffend Erteilung der Charaktere und Titel).

2^8 Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

schaftlicher Deputation, dem Geheimen Rath Wolf und dem Professor Schleiermacher ausserordentlich aufgetragen worden.^)

In Züllichau sind bekanntlich drei öffentliche Anstalten, ein Waisenhaus, ein Schullehrer-Seminarium und ein Paedagogium. Alle danken der Steinbartischen Familie ihr Daseyn, die beiden ersten sind aber seit längerer Zeit für königliche Anstalten erklärt worden; die letzte ist ein blosses Privat-Institut. So vielen Nutzen auch diese Anstalten gestiftet haben, so zeigte doch jetzt ihr oeco- nomischer Zustand sowohl, da man unter anderem, um dem Paedagogium aufzuhelfen, Documente des Waisenhauses verpfändet hat, als die Beschaffenheit und Vertheilung des Unterrichts, dass es um so nöthiger war, sie einer genauen und vollständigen Unter- suchung zu unterwerfen, als auch der jetzige Director, der jüngere Steinbart, schwerlich seinen Vater ^) ganz zu ersetzen im Stande seyn möchte. Die Section hat diese Untersuchung, auf den V^or- schlag des ViceRegierungsPraesidenten Troschel, dem ehemaligen Kriegs-Rath Fischer aufgetragen, der mit allgemeiner Einsicht in das Schulwesen eine grosse Thätigkeit verbindet.

Der Plan, welchen die Section zur Verbesserung des hiesigen Schulwesens entworfen hatte, ist Ew. p. bekannt.^) Ew. p. wissen auch bereits, welche Schwierigkeiten die Ausführung derselben findet, ungeachtet den Stadtverordneten die Aufbringung einer Summe von 20000 Rth. durch die CabinetsOrdre vom 26. pr. aufgegeben worden war. Ohne daher Ew. p. mit Wiederholung dieser Umstände zu ermüden, füge ich nur einige Bemerkungen über die Nothwendigkeit der Reform, und die Unmöglichkeit, die Mittel dazu auf andre Weise herbeizuschaffen, hinzu. Das Mis- verhältniss unter den drei hiesigen magistratischen gelehrten Schu- len ist so gross, dass die Altstädtische 400, die Kneiphöfische 100, die Löbenichtsche 70 Schüler hat. Die Frequenz auf der erstem entsteht lediglich durch die Thätigkeit des Rectors Haman*) und die Schlechtigkeit der andern Schulen; sie ist aber, da bei der verhältnissmässig geringen Lehrerzahl die Zöglinge nicht übersehen

^) Vgl. Heidemann, Geschichte des Grauen Klosters zu Berlin S. 279 und Humboldts Briefe an WolJ in Fleckeisens Neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädodogik 752, 2^2. 295. ^00.

") Vgl. oben S. 225 Anm.

^) Abgedruckt unten unter C, a.

*) Johann Michael Hamann {i']6g 181^, Sohn Johann Georg Hamanns, seit lygö Rektor der Altstädtischen Schule.

A. Generalverw'altungsberichte der Sektion, h.

249

werden können, offenbar dem Unterricht schädlich. Dennoch ist es unmöglich, onne ansehnliche Geldzuschüsse dem Uebel abzu- helfen, da die Lehrer jetzt nur vermöge des Schulgeldes bestehen können, keiner aber leicht auf die ungewisse Aussicht, seine Anstalt so ansehnlich zu haben, wenn er irgend ein besseres Mittel der Subsistenz weiss, eine Stelle im Kneiphof, oder Löbenicht an- nehmen kann, mithin die Sache immer dieselbe bleibt, und die Section, wie bei einer eben jetzt entstandenen Vacanz wieder der Fall seyn wird, in die Nothwendigkeit kommt, höchst mittel- mässige Subjecte bestätigen zu müssen. Wie schlecht aber die Lehrer gesetzt sind, können Ew. p. daraus sehen, dass keiner der Rectoren ein Gehalt von 400 Rth. bezieht, die Lehrerbesoldungen aber grösstentheils unter 200 Rth. sind. Ueberhaupt betragen die Einnahmen sämmtHcher drei gelehrten Schulen, ohne das Schul- geld, nur 5652 Rth., da in Berlin z. B. ohne die reichen Anstalten zu erwähnen, das Berlinisch-Cöllnische Gymnasium, ohne die Zu- schüsse aus der Streitischen Stiftung, allein 6000 Rth. bezieht. Diese Revenuen fliessen aber bis auf 1500 Rth., welche die Kämmerei hergiebt, aus den KirchenCassen, und sind, da diese meistentheils verarmt sind, in Gefahr ganz zu versiegen. Auch haben in der That die Lehrer ihr Gehalt seit mehreren Monaten nicht bekommen. Dabei sind die Gebäude in einem solchen Zu- stande, dass in der Altstädtischen Schule z. B. eine Ciassenstube im Winter vor Rauch kaum brauchbar ist, und zwei durch eine so dünne Wand getrennt sind, dass man jedes in der einen ge- sprochene Wort in der andern hört. Nimmt man nun das Innere hinzu, so kann man mit Wahrheit behaupten, dass, wenn man von der einzigen Altstädtischen Schule, gegen die sich doch auch noch Manches erinnern lässt, abgeht, die Schulen sich in keiner der grösseren Städte der Monarchie in einem so kläglichen Zu- stand, als in Königsberg, befinden. Mittel aber, diesen Zustand zu verbessern, giebt es, ohne einen Beitrag der Stadt, so gut als keine. Denn gute Lehrer sind bei so schlechten und ungewissen Besoldungen zu erhalten unmöglich, und die Section darf um so weniger wagen, dem König Vorschläge zu machen, für die hiesigen magistratischen Schulen Summen aus Königlichen Gassen zuzu- geben, als schon das gleichfalls ganz in Verfall gerathene Collegium Fridericianum einen nicht unbedeutenden Zuschuss verlangt, wenn es wieder gehoben werden soll. Dies aber ist durchaus noth- wendig, wenn es möglich seyn soll, die Kneiphöfische und Lobe-

2C0 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

nichtsche Schule in Bürgerschulen zu verwandeln, und ihnen das traurige Recht zu nehmen, höchst mittelmässig vorbereitete Schüler zur Universität zu dimittiren.

Die Regulirung des neuen Etats der Universität Königs- berg und die Pensionnirung der nicht mehr brauchbaren Pro- fessoren hat noch nicht Statt finden können, weil der zuerst schon am 21. Mai, c. eingereichte Vertheilungsplan der von des Königs Majestät bewilligten Zuschüsse noch nicht an die Section zurück- gekommen ist. Es entspringt hieraus der Uebelstand, dass die zur Pension vorgeschlagenen Professoren noch haben im Lections- Catalog für das nächste Winter Halbe Jahr aufgeführt werden müssen. Selbst der Bau der zum Klinischen Institut angewiesenen Locale wäre unterblieben, und somit diese so nützliche Anstalt gänzlich aufgehalten worden, wenn Ew. p. nicht die Güte gehabt hätten, die Fortsetzung des Baues, auch ohne die Königliche Genehmigung, auf Sich zu nehmen.

Da sowohl der Professor Pott in Helmstädt, als der Professor Augusti^) in Jena den an sie ergangenen Ruf ausgeschlagen haben, so hat die erledigte theologische Professur in Frankfurt noch nicht wieder besetzt werden können. Die Section hofft indess noch vor dem Winter in neuen Versuchen glücklicher zu seyn.

Da es einen sehr guten Eindruck machen würde, wenn die Geheimen Räthe Wolf, und Schmalz, und die Professoren Schleier- macher und Fichte schon in diesem Winter Vorlesungen in Berlin hielten ; so hatte ich, sobald nur Hofnung war, das Prinz Heinrichsche Palais für die Berliner Universität zu erlangen, einen Saal zu einem öffentlichen Auditorium darin auswählen, und mit Anfertigung der nöthigen Bänke und Tische immer anfangen lassen. In der CabinetsOrdre vom i6. August haben nun des Königs Majestät die Errichtung der Universität aufs Neue zu beschliessen geruht, und derselben in Verbindung mit den beiden Akademieen und den wissenschaftlichen Instituten Domainen von 150000 Rth. Ertrag unter den Ew. p. bekannten Bedingungen zu verleihen geruht. In der darauf mit dem Finanz- und JustizMinisterio am 28. ej. gehaltenen Conferenz^) ist vorläufig festgesetzt worden, dass die

^) Johann Christian Wilhelm Augusti {1771—1841), Alttestamentier und Orientalist.

2) Vgl. Band w, i^S. Der weiter unten erwähnte Zusatz Humboldts ist von Gebhardt ebenda nicht aufgenommen worden ; er ist abgedruckt bei Köpke,

A. Generalverwaltungsberichte der Sektion, h. 2^1

Auswahl der Domainen der DomainenSection überlassen werden soll, jedoch solche Aemter vorzugsweise zu nehmen sind, welche den KurMärkischen Ständen nicht verpfändet worden, dass (wo- rüber bereits an den ViceRegierungsPraesidenten Merkel geschrie- ben worden) in der vom JustizMinisterio auszufertigenden Ur- kunde die zu saecularisirenden katholisch-geistlichen Güter namhaft gemacht werden sollen; dass die Administration dieser Domainen von der KurMärkischen Regierung unter der Firma: Admini- strationsCommission der gelehrten Anstalten geführt, die Ein- künfte aber von den Aemtern unmittelbar an die gemeinschaft- liche Gasse des Instituts gezahlt; die OberAdministration von der DomainenSection geleitet, die HauptEtats aber von ihr und der UnterrichtsSection gemeinschaftlich vollzogen werden sollen. Die Revenuen werden vom i. September c. an berechnet, allein insofern nicht ihre Disposition sogleich freigegeben wird, als ein, wie alle andern Staatsschulden zu behandelndes Darlehen betrachtet. Ueber die jetzt zu bewilligende Summe steht die Section gegenwärtig mit dem FinanzMinisterio in Correspondenz, es ist aber dabei schon vorläufig der Grundsatz angenommen, dass die beiden Aca- demien ihre bisherigen Einkünfte dem Staate abtreten und da- gegen ihren Antheil an der neuen Verleihung erhalten. Ausserdem ist in diesem ConferenzProtocoll auch der Punkt enthalten, dass der Werth der Domainen zwar nach dem diesjährigen Ertrag, aber ohne Abzug der Remission und Baukosten, bestimmt werden soll. Hiergegen habe ich geglaubt noch bei Unterzeichnung des Protocolls schriftlich protestiren zu müssen, habe jedoch bisher keine Antwort vom FinanzMinisterio erhalten. Da nun die Grün- dung einer solchen Anstalt für Ew. p. Ministerium gewiss von grosser Wichtigkeit ist, so ersuche ich Dieselben gehorsamst, Sich Selbst vor Ausfertigung der Urkunde in Kenntniss der von der DomainenSection auszuwählenden Aemter geneigtest zu setzen, um zu beurtheilen, ob sie in der That den vom König zugesicher- ten Enrag, auch ohne Abzug jener Kosten, zu gewähren im Stande sind, und das Institut und die dasselbe vertretende Section hierin zu unterstützen.

Die Kunst- und Bau-Academie hatten seit dem Aus- bruch des letzten Krieges die ihnen sonst aus Königlichen Gassen

Gründung der Universität Berlin S. irjj ; vgl. Lenz, Geschichte der Universität Berlin i, ig^.

2L2 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

zufliessenden Zuschüsse, erstere gänzlich, letztere grösstentheils ent- behrt. Auf den Antrag der Section aber sind dieselben wiederum mit 21,500 Rth. jährlich angewiesen worden. Die für die hiesige Kunstschule hat die hiesige Regierung auf ihren Etat übernommen, dagegen sind die für die BauAcademie, welche ehemals aus mehr denn 20 verschiedenen ProvinzialCassen kamen, nunmehr sämmt- lich auf die GeneralCasse überwiesen worden. Indess hat die Section auch hier bedeutende Ersparungen gemacht, und diese Zuschüsse sind um 7000 Rth. etwa geringer, als diejenigen, welche ehemals etatsmässig waren.

Da die Section es für ihre Pflicht hielt, dem Aufseher der Kunstkammer, Prediger .... ihr Misfallen über den Ver- lust eines Fässchens mit Medaillen, das ihm auf seiner Flucht ent- wendet worden ist, zu erkennen zu geben, so hat sich derselbe hierüber sehr beleidigt gefunden und ^) in einer langen Vertheidi- gung darthun wollen, wie er bei jenem Verluste ausser aller Schuld gewesen sey. Seine eigne Erzählung des Hergangs der Sache aber enthält die deutlichsten Beweise seines unachtsamen und un- geschickten Benehmens bei diesem Vorfall, und die Section hat daher nicht umhin gekonnt, ihm dasselbe noch einmal ernstlich zu verweisen.

Königsberg, den 16. September, 1809.

Humboldt.

An

den Königlichen Wirklichen Geheimen StaatsMinister, Herrn Grafen zu Dohna, Excellenz. ^)

1) Nach „und" gestrichen: „seine angebliche".

'') Hier findet sich folgender Vermerk Dohnas: „Da die Frist eines Monats zu kurz ist, um während derselben merkbare Fortschritte in der Administration zu machen ; so bin ich veranlasst, Ew. Hoch- imd Wohlgeboren von Einreichung der durch die Verordnung vom 24^^ Novbr. v. J. angeordneten monatlichen Uebersicht des VerwaltungsZustandes der Ihrer Leitung anvertrauten Section für den Kultus und öffentlichen Unterricht zu entbinden und Sie ganz ergebenst zu ersuchen, selbige künftig nur Viertel] äh-ig, mit dem z. t£? Decbr. Maerz, Ju- niiis und September beliebig zu übergeben.

Das nächste Mal läuft zugleich das erste VerwaltungsJahr nach der neuen Einrichtung ab, und ich beabsichte, im Monath Decbr. c. den in jener Verordnung vorgeschriebenen Bericht an des Königs Majestät zu erstatten. Ew. Hoch- und Wohlgeboren wird es gewiss interessieren , dass Sr. Majestät diesen HauptBe- richt in Rücksicht des Ressorts der gedachten Section nach Ihrer eigenen Dar-

B. Über die Organisation des Medizinalwesens. 2^^

B. Über die Organisation des Medizinalwesens. ^)

Königsberg, den i8. Junius, 1809.

Da ich aus den mir durch Ew. Excellenz mitgetheilten, und anliegend zurückerfolgenden Papieren gesehen habe, welche gütige und wirklich freundschaftliche Absichten Sie in Ansehung des Medicinalwesens für mich gehegt haben; so glaube ich dadurch gerechtfertigt zu werden, wenn ich so frei bin, Ihnen meine Mey- nung über diesen Gegenstand freimüthig und offen mitzutheilen.

Ich brauche Ew. p. nicht auf die grosse Wichtigkeit desselben aufmerksam zu machen; ich brauche Ihnen nicht zu sagen, in welchem unvollkommenen Zustande, nach dem Urtheile aller Un- partheiischen, sich das (y^oxCollegium medicmn et sanitatis und das Collegium medtco-chirurgüum befand; es ist genug, wenn ich Ihnen in wenigen Grundzügen andeute, wie, meines Erachtens,

1. die neuen oberen Medicinalbehörden organisirt, und

2. dieselben mit der Section des Cultus und öffentlichen Unter- richts in Verbindung gesetzt seyn müssten.

I.

Die Organisation setzt schon die V^erordnung vom 24. No- vember, pr. fest, und ich bin ganz mit derselben einverstanden, dass künftig eine wissenschaftliche Deputation und ein OberMe- dicinalRath vorhanden seyn muss.

Allein die Organisation des letztern wünschte ich ein wenig anders zu modificiren.

Er soll nemlich bestehen aus dem Chef, einem Staatsrath, dem Director der wissenschaftlichen Deputation und einem Mit- glied derselben, also nur zur Hälfte aus Aerzten, und wenn man annimmt, dass bei Gleichheit der Stimmen der Chef entscheidet, mit 3 Laienstimmen gegen 2 sachkundige.

Stellung und Ansichten erhalten. Aus diesem Grunde ersuche ich Ew. Hoch- und Wohlgeboren künftigesmal eine generelle Uebersicht von dem ganzen Jahre ge- fälligst beizufügen, imd sie so zu fassen, dass sie des Königs Majestät eingereicht werden könne.

Königsberg, 77. Octbr. iSog.

Dohna."

Der hier geforderte Hauptbericht ist abgedruckt Band 10, igg. Weitere Berichte scheinen nicht erstattet zu sein.

V Eigenhändiger Entwurf Humboldts.

2Z.A. 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Dies ist offenbar unzweckmässig; der OberMedicinalRath muss, soviel möglich, bloss aus Aerzten bestehen; es ist viel leichter, dass diese sich die nöthige Geschäftskenntniss erwerben, als dass Geschäftsleute mit Verstand über medicinische Gegenstände ur- theilen; auch sind die Fehler, die aus dem Mangel der erstem entstehen können, bei weitem leichter zu heben und minder gefährlich.

Ich würde daher von Laien bloss den Chef zulassen, und auch zu diesem nur einen Mann wählen, der wenigstens histo- risch ziemlich vollständige Kenntnisse besässe. Ausserdem aber müssten die andern Mitglieder bloss Aerzte seyn, und der Director der wissenschaftlichen Deputation gehörte natürlich zu ihrer Zahl. Auch wünschte ich eine gleiche Zahl von Käthen, weil in diesem Collegio schlechterdings nicht der nicht sachkundige Chef, sondern nur Stimmenmehrheit entscheiden müsste, nun doch nur Eine Laienstimme in die Entscheidung einträte, da man bei un- gleicher Zahl der Räthe im gleichen Fall dem Chef nothwendig zwei einräumen muss.

Der Chef der Abtheilung mit 4 oder 6 Aerzten, als Käthen bildete also das Collegium, das an die Stelle des Ober Colle^-ü medici et sanitatis träte. Zu Bearbeitung juristischer, ökonomischer und allgemein polizeilicher Gegenstände würde dem Collegium noch ein Kath zugeordnet, der aber bloss ein votum consiiltativum nicht decisiuum hätte.

Das Collegium medico-chirur^icuvi hörte gleichfalls auf und die wissenschaftliche Deputation träte in dessen Stelle. Diese hätte einen Arzt zum Director und lauter Aerzte zu Mitgliedern. Allein Mitdirector zur Erhaltung des Geschäftsganges wäre das dem OberMedicinalKath zugeordnete Mitglied; allein auch hier ohne entscheidende Stimme. Diese könnte sich hier nicht einmal der Chef der Abtheilung anmassen, ob es gleich von ihm abhinge, auch selbst den Vorsitz in der Deputation zu führen.

Die Prüfungen machen einen Theil der Geschäfte der wissen- schaftlichen Deputation für das Medicinalwesen. Eine eigne Com- mission für dieselben ist alsdenn nicht mehr nothwendig; nur werden sie zweckmässig eingerichtet, wie sie bisher, worin ich mich abermals auf das allgemeine Zeugniss berufen kann, nicht waren.

Von den medicinischen Bildungsanstalten, deren es bei der Medicinalbehörde allerdings auch noch ganz unabhängig von der

B. Über die Organisation des Medizinalwesens. 255

Section des öffentlichen Unterrichts geben kann, werde ich gleich jetzt bei der Verbindung der Abtheilung für das Medicinalwesen und der Section des öffentlichen Unterrichts reden.

II.

Diese beiden Abtheilungen hängen allerdings sehr genau zu- sammen, und genauer, als die letztere mit andern Verwaltungs- zweigen, da, obgleich keiner der Grundlage einer guten wissenschaft- lichen Bildung entbehren kann, doch das Medicinalwesen am meisten einer rein wissenschaftlichen bedarf. Steckt man hingegen, was sehr gut möglich ist, die Gränzen genau ab, so lassen sie sich auch sehr füglich trennen. Nur ist freilich bei der Trennung bloss in dem einzigen Falle Gewinnst, wenn der Chef der MedicinalAbtheilung doch Arzt ist. Dies hielte ich allerdings für das Beste, nur müsste er dann auch Chef im vollen Sinne des Worts, und ebenso frei in seiner Abtheilung seyn, und in einem ebenso liberalen Verhältniss zum Minister des Innern stehen, als dies die Verordnung vom 24. November für die Sectionschefs überhaupt festsetzt. Soll aber dieser Chef nicht selbst Arzt seyn, so ist es unstreitig besser, die Medicinal- Abtheilung gleichfalls dem Chef der Section des Cultus und öffent- lichen Unterrichts zu geben, als einen Fremden dazu zu nehmen, oder sie unmittelbar dem Minister zuzuordnen. Denn es werden dadurch viele Collisionen vermieden, und Fächer, die durch das wissenschaftliche Interesse nahe verwandt sind, auch in der Geschäfts- form verbunden; auch kann man von dem Chef des öffentlichen Unterrichts am meisten erwarten, dass er ein CoUegium, das aus blossen Aerzten besteht, zu ehren und zu leiten verstehe, und indem er die nöthige Ordnung erhält, ihm auch die gehörige Freiheit gewähren wird.

Sind beide Abtheilungen verbunden, so bestimmt sich ihr gegenseitiger Einfiuss von selbst, und ohne weitere ausdrückliche Festsetzungen, deren es nur, wenn sie getrennt sind, bedarf.

Ueber diese nun ist es nothwendig zu reden

1. im Allgemeineren

2. in besondrer Beziehung auf die in Berlin jetzt existirenden medicinischen Unterrichtsanstalten.

256

3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

I.

Aus einem Briefe des Herrn Geheimen Rath Hufeland ^) an mich, den ich diesem Schreiben beilege, werden Ew. p. ersehen, dass die Erörterung der Frage, inwiefern die Section des öffentlichen Unter- richts abhängig, oder unabhängig von dem MedicinalRath seyn soll, keineswegs überflüssig ist, und ich fange daher mit dieser an.

In keiner Stelle dieser Verordnung wird der Section des öffentlichen Unterrichts zur Pflicht gemacht, die MedicinalBehörde auch nur zu Rathe zu ziehen. Die Universitäten werden ihr ohne Einschränkung untergeordnet. Nicht einmal der Name der Medi- cinalBehörden kommt in dem ganzen Abschnitt vom Departement des Cultus und öffentlichen Unterrichts vor.

In dem vom Departement des MedicinalWesens werden zwar unter den Stellen, die der OberMedicinalRath nicht ohne höhere Anfrage besetzen soll,

„die ersten Aerzte oder Directoren grösserer Medicinalln- stitute in den Hauptstädten, auf Universitäten," und

„die medicinischen Lehrer bei den BildungsAnstalten für das MedicinalPersonale" genannt.

Allein die ersteren gehören an sich nicht, oder nur wenn sie zugleich Professoren sind, in dieser Eigenschaft zum Ressort der Section des öffentlichen Unterrichts, und bei den letzteren sind, so wie bei den dem OberMedicinalRath ganz untergebenen

allgemeinen BildungsAnstalten für das Medicinal Wesen gewiss nicht die medicinischen Facultaeten der Universitäten, sondern die bloss medicinischen Schulen verstanden, die entweder auf den UniversitätsUnterricht folgen, oder denselben umgehen.

Bei diesen ist dagegen der OberMedicinalRath gemeinschaftlich mit dem Departement des öffentlichen Unterrichts zu handeln angewiesen, und also mehr jener von diesem, als dies von jenem abhängig gemacht.

Und in der That folgt dies auch aus richtigen Grundsätzen. Selbst ein wissenschaftliches Institut, sobald es nur einen einzelnen Zweig der Wissenschaft betrifft, wird leicht einseitig, und muss daher, da es um zu gedeihen doch der allgemeinen Ansichten

*) Über Christoph Wilheht Hufeland {1J62—1836), seit iSoi Direktor des Collegiummedico-chirurgicum, vgl. Lenz, Geschichte der Universität Berlin 1,51- igj^

B. Über die Organisation des Medizinalwesens.

257

bedarf, wieder auf die allgemeine wissenschaftliche Behörde recurriren.

Es würde auch vergeblich seyn zu sagen, dass die Section des öffentlichen Unterrichts kein competentes Urtheil über zu berufende medicinische Lehrer, die Anordnung des medicinischen Lehrcursus, die Direction der klinischen Lehranstalten u. s. f. fällen könne, und dass man ihr deshalb ein Mitglied des OberMedicinalRaths zuordnen müsse. Sie wird schon dafür sorgen, in ihrer wissen- schaftlichen Deputation auch Mediciner zu haben, sie hat ausser- dem die medicinischen Facultäten ihrer Universitäten und kann, wenn sie will, jeden berühmten inländischen und auswärtigen Arzt um Ralh fragen. Es stehen ihr also Mittel zu Gebote, die gewiss wirksamer und besser sind, als ein ärztliches Mitglied. Ueberzeugt, dass unsre deutschen Universitäten, nur weil sie freie Corporationen waren, viel Gutes wirkten, wird sie auch die medicinischen Facultaeten derselben nicht selbst gängeln, sondern sie sich selbst, nur unter Aufsicht überlassen. Selbst auf die Wahlen neuer Mitglieder wird sie ihnen immer sehr gern hauptsächlichen Einfiuss gestatten.

Dem OberMedicinalRath einen Einfluss auf die Universitäten zu gestatten, würde (ausserdem dass die Universitäten ungern von zwei Behörden abhängen würden) für die allgemeine medicinische Bildung im Ganzen offenbar zweckwidrig seyn, da hingegen freie Wirksamkeit der Universitäten und IMedicinalBehörden zugleich erst zusammen ein wohlthätiges Ganzes bildet. Denn Medicinal Behörden nehmen fast unvermeidlich eine mehr praktische, und den LocalUmständen ihrer Lage angemessne, also einseitige, und nicht rein wissenschaftliche Richtung; die FacultaetsGelehrten befinden sich in dem entgegengesetzten Falle. Beide zusammen wirken also ungemein heilsam. Die Section des öffentlichen Unter- richts wird die rein wissenschaftliche Tendenz, auch in der Medicin, immer von selbst befördern, bei dem Uebergewichte der Medicinal Behörde liefe sie dagegen schlechterdings Gefahr, unterdrückt oder anderswohin gerichtet zu werden.

Nicht einmal also, wenn man alles durchaus neu organisirte, dürfte die Section des öffentlichen LInterrichts von den Medicinal Behörden abhängig gemacht werden, jetzt aber, da es der Ver- ordnung vom 24. November entgegenläuft, und die Section alsdann nicht einmal soviel, als der mit weit wenigeren Mitteln zu guten Wahlen auch in der Medicin versehene Minister des geistlichen

W. V. Humboldt, Werke. XUI.

17

2cß 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

I.

Aus einem Briefe des Herrn Geheimen Rath Hufeland ^) an mich, den ich diesem Schreiben beilege, werden Ew. p. ersehen, dass die Erörterung der Frage, inwiefern die Section des öffentlichen Unter- richts abhängig, oder unabhängig von dem MedicinalRath seyn soll, keineswegs überflüssig ist, und ich fange daher mit dieser an.

In keiner Stelle dieser Verordnung wird der Section des öffentlichen Unterrichts zur Pflicht gemacht, die MedicinalBehörde auch nur zu Rathe zu ziehen. Die Universitäten werden ihr ohne Einschränkung untergeordnet. Nicht einmal der Name der Medi- cinalBehörden kommt in dem ganzen Abschnitt vom Departement des Cultus und öffentlichen Unterrichts vor.

In dem vom Departement des MedicinalWesens werden zwar unter den Stellen, die der OberMedicinalRath nicht ohne höhere Anfrage besetzen soll,

„die ersten Aerzte oder Directoren grösserer Medicinalln- stitute in den Hauptstädten, auf Universitäten," und

„die medicinischen Lehrer bei den BildungsAnstalten für das MedicinalPersonale" genannt.

Allein die ersteren gehören an sich nicht, oder nur wenn sie zugleich Professoren sind, in dieser Eigenschaft zum Ressort der Section des öffentlichen Unterrichts, und bei den letzteren sind, so wie bei den dem OberMedicinalRath ganz untergebenen

allgemeinen BildungsAnstalten für das Medicinal Wesen gewiss nicht die medicinischen Facultaeten der Universitäten, sondern die bloss medicinischen Schulen verstanden, die entweder auf den UniversitätsUnterricht folgen, oder denselben umgehen.

Bei diesen ist dagegen der OberMedicinalRath gemeinschaftlich mit dem Departement des öffentlichen Unterrichts zu handeln angewiesen, und also mehr jener von diesem, als dies von jenem abhängig gemacht.

Und in der That folgt dies auch aus richtigen Grundsätzen» Selbst ein wissenschaftliches Institut, sobald es nur einen einzelnen Zweig der Wissenschaft betrifft, wird leicht einseitig, und muss daher, da es um zu gedeihen doch der allgemeinen Ansichten

1) Über Christoph Wilhelm Hufeland {ij62—i8^6), seit iSoi Direktor des Collegiummedico-chirurgicum, vgl. Lenz, Geschichte der Universität Berlin 1,51- 197.

B. Über die Organisation des Medizinalwesens. 257

bedarf, wieder auf die allgemeine wissenschaftliche Behörde recurriren.

Es würde auch vergeblich seyn zu sagen, dass die Section des öffentlichen Unterrichts kein competentes Urtheil über zu berufende medicinische Lehrer, die Anordnung des medicinischen Lehrcursus, die Direction der klinischen Lehranstalten u. s. f. fällen könne, und dass man ihr deshalb ein Mitglied des OberMedicinalRaths zuordnen müsse. Sie w^rd schon dafür sorgen, in ihrer wissen- schaftlichen Deputation auch Mediciner zu haben, sie hat ausser- dem die medicinischen Facultäten ihrer Universitäten und kann, wenn sie will, jeden berühmten inländischen und auswärtigen Arzt um Rath fragen. Es stehen ihr also Mittel zu Gebote, die gewiss wirksamer und besser sind , als ein ärztliches Mitglied. Ueberzeugt, dass unsre deutschen Universitäten, nur weil sie freie Corporationen waren, viel Gutes wirkten, wird sie auch die medicinischen Facultaeten derselben nicht selbst gängeln, sondern sie sich selbst, nur unter Aufsicht überlassen. Selbst auf die Wahlen neuer Mitglieder wird sie ihnen immer sehr gern hauptsächlichen Einfluss gestatten.

Dem OberMedicinalRath einen Einfluss auf die Universitäten zu gestatten, würde (ausserdem dass die Universitäten ungern von '2wei Behörden abhängen würden) für die allgemeine medicinische Bildung im Ganzen offenbar zweckwidrig seyn, da hingegen freie Wirksamkeit der Universitäten und MedicinalBehörden zugleich erst zusammen ein wohlthätiges Ganzes bildet. Denn Medicinal Behörden nehmen fast unvermeidlich eine mehr praktische, und ■den LocalUmständen ihrer Lage angemessne, also einseitige, und nicht rein wissenschaftliche Richtung; die FacultaetsGelehrten befinden sich in dem entgegengesetzten Falle. Beide zusammen wirken also ungemein heilsam. Die Section des öffentlichen Unter- richts wird die rein wissenschaftliche Tendenz, auch in der Medicin, immer von selbst befördern, bei dem Uebergewichte der Medicinal Behörde liefe sie dagegen schlechterdings Gefahr, unterdrückt oder anderswohin gerichtet zu werden.

Nicht einmal also, wenn man alles durchaus neu organisirte, dürfte die Section des öffentlichen Unterrichts von den Medicinal Behörden abhängig gemacht werden, jetzt aber, da es der Ver- ordnung vom 24. November entgegenläuft, und die Section alsdann :mcht einmal soviel, als der mit weit wenigeren Mitteln zu guten Wahlen auch in der Medicin versehene Minister des geistlichen

W. V. Humboldt, Werke. XUI. ^7

2rQ 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Departements vermöchte, würde sie durch eine solche, auch noch so geringe Abhängigkeit in ihren wesentlichsten Rechten ge- kränkt. Stünde die Section ihrem Amte nicht recht vor, lieferte sie den Medicinalbehörden unfähige angehende Aerzte, so hätte diese dasselbe Recht im Staatsrath oder beim König darüber ge- rechte Klage zu führen, wie der Grosskanzler über schlechte Juristen, und der Sectionschef 'der allgemeinen Gesetzgebung über schlechte Staatsbeamte in anderen Fächern. Aber solange die Section ihre Unfähigkeit nicht bewiesen hat, muss man ihr freie Hand lassen.

Da nun aber gewisse Bildungsanstalten zum ressort der Medicinalbehörden gewiesen werden sollen, so fragt es sich welche ? und wie hier die Gränzen zwischen beiden Sectionen zu be- stimmen sind?

Es giebt dreierlei Arten medicinischer Bildungsanstalten:

1. Die Universitäten, also theoretisch-wissenschaftlichen Unter- richt in Verbindung mit dem ganzen Gebiet der Wissenschaft, und mit soviel praktischer Einleitung als zum Uebergange aus der Theorie in die Praxis und zur Verbindung beider nöthig ist;

2. medicinisch-practische Anstalten, nach vollendetem Univer- sitätsUnterricht ;

3. medicinische SpecialSchulen und zwar entweder:

a. wissenschaftliche, wie es in Paris und leider seit langer Zeit auch in Berlin giebt;

b. empirische für diejenigen, die nicht studiren können. Die erstere Classe dieser Specialschulen ist verderblich und

kann weder von der Section des öffentlichen Unterrichts, noch den Medicinalbehörden in Schutz genommen werden. Die letztere ist, da man einer zu grossen Menge von Aerzten bedarf als dass alle ordentlich studiren könnten, und bloss empirische Bildung besser als halbstudirte ist, unentbehrlich, muss aber erst geschaffen werden, um das Curiren und Operiren der Bader auszurotten, und Chirurgie und Medicin zweckmässig zu verbinden. Hierher gehört Reils^) Vorschlag über die Bildung der Routiniers.

Die ersten dieser drei Anstalten gehören nun ausschliesslich zum ressort der Section des öffenthchen Unterrichts;

') Im Konzept ist der Absatz und die Ziffer 2 vergessen. *) Vgl. Band 10, 231.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 2C.Q

die zweiten ausschliesslich zu dem der Medicinalbehörden;

bei den dritten, da der Unterricht da nicht mehr rein medi- cinisch seyn kann, concurriren beide, allein die Section des öffent- lichen Unterrichts nur auf eine untergeordnete Weise.

So bestimmen sich die Gränzen mit Leichtigkeit und Sicherheit, wenn man nur von dem Grund ausgeht, dass die Section des öffentlichen Unterrichts nicht auf einzelne Fächer beschränkt seyn (da sonst auch die Gerichtshöfe die juristische Facultaet, die Bergbauadministration die mineralogische Professur, die Re- gierungen die cameralistische an sich reissen könnten, und so die Einzige und wissenschaftliche Universität von administrierenden und polizeilichen Behörden in lauter SpecialSchulen zerrissen würde) sondern alle Fächer des Unterrichts, insofern er theoretisch und wissenschaltlich ist, umfassen soll ; da hingegen die Verwaltungs- behörden auch den Unterricht und die Bildungsanstalten da an sich nehmen, wo er ins Praktische und zur einzelnen Anwendung übergeht.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan.

a. Ueber die mit dem Koenigsbergischen Schulwesen vorzunehmende Reformen.^)

I.

Wie vielerlei Arten von Schulen soll es geben? wie viele von jeder Art? und welche?

Man ist sowohl in dem Möllerschen, als Hoffmannschen Plane, die beide viele zweckmässige Vorschläge enthalten, davon aus- gegangen, dass es, ausser den Elementar- und gelehrten Schulen, noch Mittelschulen geben solle.

Diese Frage ist daher zuerst zu erörtern.

Ich bin dagegen.

Mittelschulen sollen entweder den Uebergang von den Ele mentar- zu den gelehrten Schulen ausmachen, so dass die letzteren gar keine sogenannten Bürgerklassen mehr haben; oder als eine eigne Art der Schulen für diejenigen bestimmt seyn, welche auf eigentlich wissenschaftliche Bildung und besonders auf Universitäts

*) Eigenhändiges Konzept Humboldts.

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3. Aiutliclic Arbeiten aus den Jaliren 1809 und 1810.

Studium V^crzicht thun, oder endlich beide Zwecke zugleich erliillcn.

Die Trennung der Bürgerklassen von den gelehrten in zwei verschiedenen Anstalten stört offenbar die so nothwendige Einheit des llnterrichts, der in der Wahl der Lehrgegenstände, in der Methode und der Behandlung der Schüler von dem Augenblick an, wo das Kind die ersten Elemente gefassi hat, bis zu der Zeit wo der Schulunterricht aufhört, in einem so ununterbrochnen Zusammenhange stehen muss, dass Klasse auf Klasse und halbes Jahr auf halbes Jahr berechnet sey. Die Mittelschulen bei dieser Anordnung könnten, indem sie nach vollendetem Elementarunter- richt anliengen, und bei dem Beginnen des h()heren gelehrten aufhören sollten, schlechterdings nur ein Stück des Unterrichts, und zwar ein, wenigstens in Absicht der Gränze nach oben, will- kührlich abgeschnittenes behandeln. Es liegt nun aber in der Natur der Sache, dass eine Anstalt, die ganz dasselbe mit einer andern, dies aber nur bis zu einem gewissen Punkte treiben soll, also so dass sie ihr Complement immer ganz ausser sich sieht, auch innerhalb des bestimmten Punktes schlecht werde.

E!s giebt, philosophisch genommen, nur drei Stadien des l.^terrichts :

Elementarunterricht

Schulunterricht

Universitätsunterricht.

Der Elementarunterricht soll bloss in Stand setzen, Gedanken zu vernehmen, auszusagen, zu fixiren, fixirt zu entziffern, und nur die Schwierigkeit überwinden, welche die Bezeichnung in allen ihren Hauptarten entgegenstellt. Er ist noch nicht sowohl Unterricht, als er zum Unterricht vorbereitet, und ihn erst mög- lich macht. Er hat es also eigentlich nur mit Sprach-, Zahl- und Mass -Verhältnissen zu thun, und bleibt, da ihm die Art des Be- zeichneten gleichgültig ist, bei der Muttersprache stehen. Wenn man. und mit Recht, noch andern Unterricht, geographischen, geschichtlichen, naturhistorischen hinzufügt, so geschieht es theils um die durch den Elementarunterricht entwickelten, und zu ihm selbst nöthigen Kräfte durch mannigfaltigere Anwendung mehr zu üben, theils weil man für diejenigen, welche aus diesen Schulen unmittelbar ins Leben übergehen, den blossen Elementar-Unter- richt überschreiten muss.

Der Zweck des Schulunterrichts ist die Uebung der Fähig-

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2(5o 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und iSio.

Studium Verzicht thun, oder endlich beide Zwecke zugleich erfüllen.

Die Trennung der Bürgerklassen von den gelehrten in zwei verschiedenen Anstalten stört oifenbar die so nothwendige Einheit des Unterrichts, der in der Wahl der Lehrgegenstände, in der Methode und der Behandlung der Schüler von dem Augenblick an, wo das Kind die ersten Elemente gefasst hat, bis zu der Zeit wo der Schulunterricht aufhört, in einem so ununterbrochnen Zusammenhange stehen muss, dass Klasse auf Klasse und halbes Jahr auf halbes Jahr berechnet sey. Die Mittelschulen bei dieser Anordnung könnten, indem sie nach vollendetem Elementarunter- richt anfiengen, und bei dem Beginnen des höheren gelehrten aufhören sollten, schlechterdings nur ein Stück des Unterrichts, und zwar ein, wenigstens in Absicht der Gränze nach oben, will- kührlich abgeschnittenes behandeln. Es liegt nun aber in der Natur der Sache, dass eine Anstalt, die ganz dasselbe mit einer andern, dies aber nur bis zu einem gewissen Punkte treiben soll, also so dass sie ihr Complement immer ganz ausser sich sieht, auch innerhalb des bestimmten Punktes schlecht werde.

Es giebt, philosophisch genommen, nur drei Stadien des Unterrichts :

Elementarunterricht

Schulunterricht

Universitätsunterricht.

Der Elementarunterricht soll bloss in Stand setzen, Gedanken zu vernehmen, auszusagen, zu fixiren, fixirt zu entziffern, und nur die Schwierigkeit überwinden, welche die Bezeichnung in allen ihren Hauptarten entgegenstellt. Er ist noch nicht sowohl Unterricht, als er zum Unterricht vorbereitet, und ihn erst mög- lich macht. Er hat es also eigentlich nur mit Sprach-, Zahl- und Mass -Verhältnissen zu thun, und bleibt, da ihm die Art des Be- zeichneten gleichgültig ist, bei der Muttersprache stehen. Wenn man, und mit Recht, noch andern Unterricht, geographischen, geschichtlichen, naturhistorischen hinzufügt, so geschieht es theils um die durch den Elementarunterricht entwickelten, und zu ihm selbst nöthigen Kräfte durch mannigfaltigere Anwendung mehr zu üben, theils weil man für diejenigen, welche aus diesen Schulen unmittelbar ins Leben übergehen, den blossen Elementar-Unter- richt überschreiten muss.

Der Zweck des Schulunterrichts ist die Uebung der Fähig-

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 20 1

keiten, und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissen- schaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet; der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoft", an welchen sich alles eigne Schaffen immer anschliessen muss, theils schon jetzt wirklich zu sammeln, theils künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die intellectuell- mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte Weise, einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens ') beschäftigt. Aber alle seine Functionen sind nur relativ, immer einem Höheren untergeordnet, nur Sammeln, Vergleichen, Ordnen, Prüfen u. s. f. Das Absolute wird nur angeregt, wo es, wie es gar nicht fehlen kann, selbst in einem Subjecte zur Sprache kommt. Der Schulunterricht theilt sich in linguistischen, historischen und mathematischen ; der Lehrer muss immer beobachten, bei welchem von diesen dreien der Schüler mit vorzüglicher Aufmerksamkeit verweilt, allein auch streng darauf sehen, dass der Kopf für alle drei zugleich gebildet werde. Denn die Schule soll eng verbinden, damit die Universität zu besserer Verfolgung des Einzelnen, ohne Schaden eilen ^) könne. Der Schüler ist reif, wenn er so viel bei andern gelernt hat, dass er nun für sich selbst zu lernen im Stande ist. Sein Sprachunterricht z. B. ist auf der Schule geschlossen, wenn er dahin gekommen ist, nun mit eigner Anstrengung und mit dem Gebrauche der vorhandenen Hülfsmittel jeden Schrift- steller, insoweit er wirklich verständlich ist, mit Sicherheit zu verstehen, und sich in jede gegebene Sprache, nach seiner allge- meinen Kenntniss vom Sprachbau überhaupt, leicht und schnell hinein zu studiren.

Wenn also der Elementarunterricht den Lehrer erst möglich macht, so wird er durch den Schulunterricht entbehrlich. Darum ist auch der Universitätslehrer nicht mehr Lehrer, der Studirende nicht mehr Lernender, sondern dieser forscht selbst, und der Pro- fessor leitet seine Forschung und unterstützt ihn darin. Denn der Universitätsunterricht setzt nun in Stand, die Einheit der Wissen- schaft zu begreifen, und hervorzubringen, und nimmt daher die schaffenden Kräfte in Anspruch. Denn auch das Einsehen der Wissenschaft als solcher ist ein, wenn gleich untergeordnetes Schaffen. Daher hat der Universitätsunterricht keine Gränze nach

*) Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über Universitäten S. Ji4 weist das „Lernen des Lernens" der Universität zu. *) Vielleicht ist hier „theilen" zu lesen.

202 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

seinem Endpunkt zu, und für die Studirenden ist, streng genommen, kein Kennzeichen der Reife zu bestimmen. Ob, wie lange, und in welcher Art derjenige, der einmal im Besitze tüchtiger Schul kenntnisse ist, noch mündlicher Anleitung bedarf? hängt allein vom Subject ab. Das Collegienhören selbst ist eigentlich nur zu- fällig; das wesentlich Noth wendige ist, dass der junge Mann zwischen der Schule und dem Eintritt ins Leben eine Anzahl von Jahren ausschliessend dem wissenschaftlichen Nachdenken an einem Orte widme, der Viele, Lehrer und Lernende in sich vereinigt.

So wie es nun bloss diese drei Stadien des Unterrichts giebt, jedes derselben aber unzertrennt ein Ganzes macht, so kann es auch nur drei Gattungen auf einander folgender Anstalten geben, und ihre Gränzen müssen mit den Gränzen dieser Stadien zusammenfallen, nicht dieselben in der Mitte zerschneiden.

Auch ist die Idee zur Absonderung wohl nur daher entstanden, dass man sich unter Mittelschulen eine eigne Gattung von Schulen, die auf andre Kenntnisse, als die gelehrten Rücksicht nehmen, gedacht und nun besorgt hat, die gelehrten durch Verbindung beider zu verwickelt zu machen. Allein auch in dieser zweiten Absicht, dass die Mittelschulen für diejenigen, die auf höheren Unterricht Verzicht leisten, bestimmt seyn sollen, bestreite ich dieselben.

Da, um dies nur vorläufig zu bemerken, die Bestimmung eines Kindes oft sehr lange unentschieden bleibt, so bringen sie den Nachtheil hervor, dass leicht Verwechslungen vorgehen, der künftige Gelehrte zu lange in Mittelschulen, der künftige Hand- w^erker zu lange in gelehrten verweilt, und daraus Verbildungen entstehen.

Aber ich läugne auch die Möglichkeit, ihnen auf eine zweck- mässige Weise eine wesentlich verschiedne Einrichtung zu geben, und es ist leicht zu zeigen, dass die durch ihren Mangel ent- stehende Lücke vollkommen durch andre Einrichtungen ausgefüllt werden kann.

Der Unterschied zwischen den Mittel- und gelehrten Schulen soll entweder in der Wahl der Lehrgegenstände, oder in der Methode bestehen. Man hat überdies in beider Hinsicht bei ihnen eine doppelte Classe von Menschen im Auge, einmal die ärmere, die darum höherer Bildung entsagen muss, dann diejenige, welche sich nicht dem Universitätsstudium widmet. Allein beide lassen sich nach gleichen Grundsätzen beurtheilen.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 263

Bei der Wahl der Lehrgegenstände schliesst man einige aus, und dies Loos trifft dann gewöhnlich beide alte Sprachen, oder eine derselben, nimmt andre auf, wie mehr neuere Sprachen, Technologie und Statistik u. s. f. und macht die zur Hauptsache, die man sich in den gelehrten Schulen als Nebensache denkt, wie Geographie, Geschichte, Physik u. s. f.

Allein man vermischt auf diese Weise immer auf eine kläg- liche Weise die vom Schulunterricht allemal zu fordernde allge- meine Uebung der Hauptkräfte des Geistes und die Einsammlung der künftig nothwendigen Kenntnisse, welche zum wirklichen Leben vorbereitet, da es hingegen allgemeiner Grundsatz seyn sollte :

Die Uebung der Kräfte auf jeder Gattung von Schulen allemal vollständig und ohne irgend einen Mangel vorzunehmen, alle Kenntnisse aber, die sie überhaupt wenig oder zu einseitig befördern, wie nothwendig sie auch seyn mögen, vom Schulunter- richt auszuschliessen, und dem Leben die speciellen Schulen vorzubehalten.^)

Auch würden diese Realschulen (und je besser und vornehmer sie wären, je mehr) nach und nach alle Disciplinen der gelehrten an sich reissen ; viele Schüler würden Lateinisch, manche Griechisch lernen wollen, nur würde eigentliche Gelehrsamkeit vermieden w^erden, man würde Griechisch und Lateinisch wie Französisch und Englisch gleichsam aus dem Gebrauch und kursorisch lernen, viele Sprachen gewissermassen besitzen, und von keiner einen eigentlichen Begriff haben. Denn es ist sicher ein Vorurtheil, dass, wenn man (und kaum die) einige Kleinigkeiten (wie z. B. im Griechischen die Accentuation) abrechnet, ein künf- tiger Kritiker im Anfange auf andre Weise Griechisch lernen müsse, als jeder andre. Beide sollen mit Sicherheit verstehen, nicht rathen; und in der bestimmten Sprache die Sprache überhaupt anschauen. Ihre Wege gehen allerdings, aber immer erst spät, aus einander.

Ebensowenig lässt sich ein wesentlicher Unterschied in der Methode denken. Die Betrachtung der Länge oder Kürze der Jahre, welche in der Mittel- und in der gelehrten Schule dem

V Vgl. zu diesen Ausführungen Band 10, 205-

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C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a.

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unteren Classen auf gute Klementarschulen, so liisst sich für sehr viele Zwecke des Lebens der l'nterricht sehr gut bei ihnen be- schliessen.

3. dass die gelehnen Schulen nicht bloss lateinische se\en, sondern der historische und mathematische Unterricht gleich gut und sorgfältig mit dem philologischen behandelt werde. Gegenwänig, wo es sehr oft hieran mangelt, entsteht der Nachtheil, dass der- jenige, welcher für Sprachunterricht weniger Sinn hat, entweder die Schule zu früh verlassen oder unnütz auf derselben ver weilen muss.

4. dass der Sprachunterricht wirklich Sprachunterricht und nicht, wie jetzt so oft. eine mit Altenhums und historischen Kenntnissen verbrämte, und hauptsächlich auf l'ebung gestützte Anleitung zum Verständniss der classischen Schriftsteller scy. Denn die Kenntniss der Sprache ist immer, als den Kopt aufhellend, und Gedächtniss und Phantasie übend, auch unvollendet nützlich, die Kenntniss der Literatur hingegen bedarf, um es zu werden, einer gewissen Vollständigkeit, und anderer günstiger Umstände.

5. dass die Klassenabtheilung nicht durchweg, sondern nach den Hauptzweigen der Erkenntniss gehe, und die Lehrer erlauben und begünstigen, dass der Schüler, wie ihn seine Individualität treibt, sich des einen hauptsächlich, des andern minder betleissige, wofern er nur keinen ganz vernachlässigt. Line Verschiedenheit der intellectuellen Richtung auf Sprachstudium, Mathematik und Erfahrungskenntnisse ist einmal unläugbar vorhanden, und es wäre ebenso wunderbar nur Eine begünstigen, als, sie in verschiedene Anstalten verweisend, sie noch mehr spalten zu wollen. E^loss die letztere muss man nie dulden, ohne sie fest an eine der andern zu knüpfen, da sie sonst nach und nach auch die Möglichkeit wahrer Wissenschaft in einem Kopfe zerstön.

6. dass es viele SpecialSchulen gebe und kein bedeutendes Gewerbe des bürgerlichen Lebens eine entbehre. Was man in Bürgerschulen in Technologie lehrt, Hesse sich sehr gut mit den Kunstschulen, in denen ja viele Handwerker schon jet^t unter- richtet werden, verbinden. Ausserdem könnten sie, wie in Berlin geschieht, technische und chemische \'orlesungen hören, und da viele doch wandern und reisen, so schadete es nichts, wenn diese nur an einigen Orten der Monarchie zu finden wären. Ackerbau- Handels- Steuermannsschulen giebt es schon jetzt. Ebenso An- stalten für nicht wissenschaftlich gebildete Aerzte u. s. f.

26a 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Unterricht gewidmet wird, rechtfertigte einen solchen noch am meisten. Allein auch da lässt sich bei den Fundamenten nichts thun; nicht abkürzen, denn man bestimmt ja in jeder Disciplin die Menge des aufzunehmenden Stoffs im Verhältniss zu der Kraft,. die er üben, und die ihn verarbeiten soll; nicht übereilen, denn die Entwicklung erfordert ihre natürliche Weile. Das Einzige^ was hier geschehen könnte, wäre wieder dem Leben vorgreifen; man könnte nemlich, was in der gelehrten Schule nach Gründen gezeigt wird , in der Mittelschule mechanisch beibringen , z. B.. chemische Mischungen, Rechnungsformeln u. s. f. Allein dies, hiesse durchaus die Gränzen des Schulunterrichts verlassen, die zur Bildung bestimmte Zeit zur Abrichtung misbrauchen und die Köpfe verderben. Alle den gelehrten, als solchen, entgegengesetzte Mittelschulen sind also im besten Sinne Verbindungen allgemeiner Schulen mit speciellen, woraus, meiner Ansicht nach, immer Mis- geburten entstehen.

Um dagegen alle Nachtheile, um derentwillen man sie ein- führen will, zu vermeiden, muss man nur überhaupt und bei den gelehrten für folgende Dinge sorgen.

1. dass es wenigstens in jeder grösseren Stadt eine oder einige so vorzügliche Elementarschulen gebe, dass es für keinen Nachtheil angesehen werden kann, wenn auch viele Bürger allein sie und nie eine andere Schule besuchen. Und wenn man be- denkt, dass der Elementarunterricht, wie er jetzt hier genommen wird, alles in sich fasst, wovon die Klarheit und Bestimmtheit der Begriffe abhängt, worauf, wie auf einem Fundament, die höchste Mathematik ruht, und was die Einbildungskraft zu den beiden Hauptgattungen der Kunst, der bildenden, und musika- lischen, anregt, und dass dies alles auf eine die Empfindung stark bewegende Weise behandelt wird, so dürfte man gewiss in Ver- suchung gerathen, diese Erziehung der auf manchen unsrer jetzt berühmten Gymnasien vorzuziehen.

2. dass für die Güte der unteren, oder Bürgerklassen der ge- lehrten Schulen ebensosehr, als für die der höheren gesorgt werde ; man aber den eigentlichen Elementarunterricht von ihnen ab- sondere. Nehmen sie diesen auch nur einigermassen mit auf, sa werden die eigentlichen Elementarschulen bald als Volksschulen im verächtlichen Sinne des Worts angesehen, was ihrer Ver- besserung sehr nachtheilig ist. Folgen diese gut organisirtea

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 26tL

unteren Classen auf gute Elementarschulen, so lässt sich für sehr viele Zwecke des Lebens der Unterricht sehr gut bei ihnen be- schliessen.

3. dass die gelehrten Schulen nicht bloss lateinische seyen, sondern der historische und mathematische Unterricht gleich gut und sorgfältig mit dem philologischen behandelt werde. Gegenwärtig, wo es sehr oft hieran mangelt, entsteht der Nachtheil, dass der- jenige, welcher für Sprachunterricht weniger Sinn hat, entweder die Schule zu früh verlassen oder unnütz auf derselben ver weilen muss.

4. dass der Sprachunterricht wirklich Sprachunterricht und nicht, wie jetzt so oft, eine mit Alterthums und historischen Kenntnissen verbrämte, und hauptsächlich auf Uebung gestützte Anleitung zum Verständniss der classischen Schriftsteller sey. Denn die Kenntniss der Sprache ist immer, als den Kopf aufhellend, und Gedächtniss und Phantasie übend, auch unvollendet nützlich, die Kenntniss der Literatur hingegen bedarf, um es zu werden, einer gewissen Vollständigkeit, und anderer günstiger Umstände.

5. dass die Klassenabtheilung nicht durchweg, sondern nach den Hauptzweigen der Erkenntniss gehe, und die Lehrer erlauben und begünstigen, dass der Schüler, wie ihn seine Individualität treibt, sich des einen hauptsächlich, des andern minder befleissige, wofern er nur keinen ganz vernachlässigt. Eine Verschiedenheit der intellectuellen Richtung auf Sprachstudium, Mathematik und Erfahrungskenntnisse ist einmal unläugbar vorhanden, und es wäre ebenso wunderbar nur Eine begünstigen, als, sie in verschiedene Anstalten verweisend, sie noch mehr spalten zu wollen. Bloss die letztere muss man nie dulden, ohne sie fest an eine der andern zu knüpfen, da sie sonst nach und nach auch die Möglichkeit wahrer Wissenschaft in einem Kopfe zerstört.

6. dass es viele SpecialSchulen gebe und kein bedeutendes Gewerbe des bürgerlichen Lebens eine entbehre. Was man in Bürgerschulen in Technologie lehrt, Hesse sich sehr gut mit den Kunstschulen, in denen ja viele Handwerker schon jetzt unter- richtet werden, verbinden. Ausserdem könnten sie, wie in Berlin geschieht, technische und chemische Vorlesungen hören, und da viele doch wandern und reisen, so schadete es nichts, wenn diese nur an einigen Orten der Monarchie zu finden wären. Ackerbau- Handels- Steuermannsschulen giebt es schon jetzt. Ebenso An- stalten für nicht wissenschaftlich gebildete Aerzte u. s. f.

256 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

Auf diese Weise sehe ich keinen Mangel, dem durch eine Mittelschule abgeholfen werden müsste. Der ganz Arme schulte seine Kinder in die wohlfeilsten, oder unentgeldlichen Elementar- schulen; der weniger Arme in die besseren, oder wenigstens theureren. Wer noch mehr anwenden könnte, besuchte die ge- lehrten Schulen, bliebe bis zu den höheren Classen, oder schiede früher aus, triebe mehr Sprachunterricht oder mehr gemeinhin realen genannten. Auf diesen Schulunterricht folgten die Univer- sität, eine Specialschule oder der Eintritt in das bürgerliche Leben selbst. Jeder, auch der Aermste, erhielte eine vollständige Menschen- bildung, jeder überhaupt eine vollständige, nur da, wo sie noch zu weiterer Entwicklung fortschreiten könnte, verschieden be- gränzte Bildung, jede intellectuelle Individualität fände ihr Recht und ihren Platz, keiner brauchte seine Bestimmung früher als in seiner allmähgen Entwicklung selbst zu suchen, die meisten end- lich hätten, auch indem sie die Schule verliessen, noch einen Uebergang vom blossen Unterricht zu der Ausführung in den SpecialAnstalten.

Nur noch ein Paar Winke jetzt über die Erlernung der alten Sprachen. Von dem Grundsatz ausgehend, einmal dass die Form einer Sprache, als Form, sichtbar werden muss, und dies besser an einer todten, schon durch ihre Fremdheit frappirenden, als an der lebendigen Muttersprache geschieht, dann dass Griechisch und Lateinisch sich beide gegenseitig unterstützen müssen, würde ich festsetzen : ^)

dass alle Schüler, ohne Ausnahme, beide in dej untersten Classe jede schlechterdings lernen müssten, es sey nun, dass sie beide zugleich, oder eine, und welche? zuerst anfiengen, damit keinen, wenn er nachher Lust erhält, die ersten Fundamente auf- halten, und auch keinen etwas ganz Unbekanntes zurückstösst,

dass, nach absolvierter untersten Classe, es zwar von jedem abhängt, mit Zustimmung seiner Eltern oder Vormünder, eine aufzugeben, er aber die andere nothwendig forttreiben muss, auch wenn er nicht das Studium beider verbindet, niemals, welche Fort- schritte er auch mache, in Rücksicht auf Sprachstudium eine Prämie oder Auszeichnung erhalten könne.

') Vgl. zu diesen Ausführungen Band 10, 20j; Wilhelm und Karoline von Humboldt ^, 25g; Spranger S. i6y.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 207

In Absicht des Hebräischen muss allerdings mehr Freiheit Statt finden. Allein es müsste gleichfalls sehr befördert werden, nicht bloss der Theologen wegen, sondern auch, weil sein gram- matischer und lexikalischer Bau auf den ersten Anblick sehr von dem des Griechischen abweicht, nah verwandt ist mit dem Bau der Sprachen wilder Völker, und daher den Begriff von der Sprach- form überhaupt nach einer sonst fast unbekannt bleibenden Seite hin erweitert.

Nach dieser allgemeinen Erörterung würde ich daher hier^) nur Elementar- oder Bürger- und gelehrte Schulen bestehen lassen. Da indess die Bürgerschulen nothwendig von sehr verschiedener Güte, einige sehr beschränkt, andere sehr gut und vollständig seyn würden, so können diese letzteren gewissermassen für das ge- halten werden, was man mit den Mittelschulen abgezweckt hat.

Die Zahl der gelehrten Schulen muss nun aber vermehrt w^erden, weil sich alle Kinder, welche über die Mittelschule hinaus- gehen, in ihnen vereinigen. Dennoch halte ich drei für hinreichend :

die Altstädtische,

das Collegium Fridericianum,

die reformirte, und selbst ob ich hierin nicht zu viel nehme, bleibt noch zu untersuchen übrig. Zu blossen Bürgerschulen, mit der Beschränkung, aber auch mit der Vollständigkeit, welche Elementarschulen haben müssen,

die Kneiphöfische,

die Löbenichtsche.

Die gelehrten Schulen Hessen niemand zu, der nicht fest in den Elementarkenntnissen und wenigstens neun Jahr alt wäre. Sie hätten fünf Classen, die Bürgerschulen zwei.

Die gelehrten Schulen hätten jede sechs Lehrer und zwei Collaboratoren ; die Bürgerschulen jede einen Lehrer.

Der Unterricht in den Bürgerschulen umfasste Lesen, Schreiben,

die Zahl- und Massverhältnisse Sprechübungen,

die nöthigsten und ersten Begriffe von der Beschaffenheit des Menschen und des menschlichen Geschlechts, des Erd- bodens, der Gesellschaft,

Musik, Zeichnen,

^) In Königsberg.

268

3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

Geographie, Geschichte, Naturgeschichte, insofern sie Stoff nergeben können an dem sich der Verstand innerhalb der ihm hier angewiesenen Sphäre üben kann.

Der Religionsunterricht ist minder Lehren, als Anregung des Gefühls.

Die beiden sehr vollständig organisirten Bürgerschulen führen natürlich diese Kenntnisse, vorzüglich die Zahl- und Massver- hältnisse w^eiter fort, als die andern Elementarschulen es können, und vermehren dann auch in den sogenannten Realkenntnissen den Stoff nach Massgabe der grösseren Erweiterung der Verstan- deskräfte. Bei ihrer näheren Organisation wäre vorzüglich auf diejenige Rücksicht zu nehmen, welche Zeller dem Waisenhause geben wird, und zu bestimmen, in welchem Zweckverhältniss sie mit dieser Anstalt stehen sollten.

Welche Fonds sind zur Erhaltung dieser Schulen nothwen- dig? und woher werden sie genommen?

Ich bin mit Herrn StaatsRath Hoffmann der Meynung, dass eine Stadt, wie Königsberg, ihre Lehrer gut besolden muss.

Ich schlüge daher folgenden Etat vor, nehme ihn als Maximum, Herrn Möllers Vorschläge, aber nach der hier verlangten Lehrerzahl erweitert, als Minimum an.

I. für eine gelehrte Schule:

I . Rector maxmium 800 Rth. minimuni 600 Rth. Holz 5 AchteL

*2. 6. fünf Lehrer 3000 Rth 1900 Rth ,_2o

zu 600 Rth. nemlich 2

zu 500 Rth. 2 zu 400 Rth. I zu 100 Rth.

Zwei Collaboratoren 200 Rth.

7.8 zu

Zu Schulbedürfnissen Fünf Ciassenstuben und eine zu ausserordent- lichen Bedürfnissen, Theilung von Classen u. s. f.

400 Rth. 200 Rth.

minimtmi 200 Rth.

Summa Maximum 4,400 Rth. Minimum 2,700 Rth. 35 Achtel.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 200

II. für eine Bürgerschule: i.Der Kcctor maxwmm 600 Rth. 7mmvmm ^^oKih. Holz 5 Achtel

2.DreiLehrer 1200 Rth . 650 Rth 12 .

zu 400 Rth. nemlich

zu 300 Rth. 230 Rth. 100 Rth.

230 Rth. und

Zu Schulbedürfnissen 1 00 Rth.

Zwei Ciassenstuben und eine zu ausserordent- lichen Bedürfnissen

Summa : Maximum j 900 Rth. Minimum 1 000 Rth. Holz 20 Achtel

Freie Wohnung können alle Lehrer haben. An den Magi- stratischen Schulen sind jetzt 15 Lehrerwohnungen, und hiernach hätten diese Schulen künftig nur 14 ordentliche Lehrer. Das Colle- gium Fridericianum und die reformirte Schule haben eigne Gebäude. Auf diese Weise kosteten die Hauptschulen der Stadt zusammen

3 gelehne Maximum 13,200 Rth. Minimum 8, 100 Rth. Holz io5AchteI 2 Bürgerschulen 3,800 Rth. 2,000 Rth. 40 .

Summa: Maximum 17000 Minimum 10,100 Rth. Holz 145 Achtel

[und 3000 Rth. Pensionsfonds, dazu ge- rechnet nach dem höchsten Anschlag]. 20,000 Rth. und Holz 145 Achtel

Diese Einkünfte würden beschaft

durch die bisherigen der Schulen,

das Schulgeld,

einen Zuschuss der Stadt. Von den bisherigen müsste jedoch alles gleich abgezogen werden, was irgend unsicher ist. Hierzu fehlen mir die Localdata.

Das Schulgeld bliebe zur Hälfte den Lehrern; zu Vi käme es zum gewöhnlichen zur Auszahlung der Gehalte bestimmten; je ^/4 zum ausserordentlichen Schulfonds. Ohne diese letzte An- ordnung setzt man sich in Gefahr, auch die Gehalte ungewiss werden zu sehen.

Jede Schule hat einen der Hälfte ihres Gehaltsquanti gleichen eisernen Bestand, welcher gesammelt wird durch das letzte Vi des Schulgeldes, und angegriffen nur zu Gehaltszahlungen. Er wird im letzteren Falle sogleich wieder hergestellt, und dies letzte

2'TO 3* Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

^4 des Schulgeldes wird bis dahin zu nichts Andrem verwandt. Nachher zu Praemia und Schulbedürfnissen.

Das Schulgeld könnte, meines Erachtens, betragen :

für die Bürgerschulen i Rth

für die 3 untren Classen der gelehrten i Rth. i5gr.

für die 2 obren der gelehrten 2 Rth.

Aus Armuth der Schüler darf die Schule gar kein Schulgeld verlieren; sondern sie muss immer die Früchte der Frequenz, die ihr Verdienst ist, rein und ungeschmälert geniessen. Den nach Wahrscheinlichkeit beim Schulgeld zu berechnenden Ausfall schlage man zum Zuschuss der Stadt, da er nie viel betragen kann. Ueber den Anspruch darauf verfüge das Concilium der Lehrer, seine Verfügung sey aber nachher dem Ausspruch der Armen- vorsteher unterworfen. So werden die Eltern zu Aufbringung des Schulgeldes die äussersten Anstrengungen machen, und dazu muss man sie bewegen. Das Schulgeld werde von keinem der Lehrer, sondern von einer Rechnungsbehörde des Magistrats eingenommen, und wo nicht Erlasse erlangt sind, mit äusserster Strenge beigetrieben.

Die beiden Collaboratoren und der jüngste ordentliche Lehrer bei den gelehrten Schulen haben gar keinen Antheil am Schulgeld. Der Rector empfängt Ve? jeder der andern 4 ältesten Lehrer Vi 2 desselben.

Ebenso empfängt der jüngste Lehrer der Bürgerschulen nichts vom Schulgeld, der Rector V45 jeder der andern 2 ältesten Lehrer ^g*

Da die Frequenz einer Schule bei weitem mehr von der Be- schaffenheit des Rectors, als der übrigen Lehrer abhängt, so recht- fertigt sich dadurch sein vorzüglicher Antheil.

Ueber die Baukosten der Schulen und ihre Herbeischaffung ist nach der Localverfassung besonders nachzudenken.

Der Zuschuss der Stadt muss durch einen allgemeinen Bei- trag erlangt, und daher an die allgemeinste Bürgerabgabe geknüpft werden. Er muss so festgesetzt werden, dass gewiss eher mehr als weniger einkommt, und es muss V3 mehr als der zu den jetzt verbesserten Schulen nöthige Aufwand verlangt, ausgeschrieben werden, um von diesem ^g, zu welchem das über den Anschlag herauskommende hinzugefügt wird, die übrigen Elementarschulen der Stadt noch danach verbessern zu können.

Wieviel dieser Zuschuss betragen müsse, beruht auf daä's^ die noch nicht gehörig ausgemittelt sind.

Zuerst entsteht die Hauptfrage: soll die Stadt nur für ihre

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 271

Jetzigen drei Schulen, oder auch für das Collegium Fridericianum und die reformirte Schule sorgen?

Ich bin für das letztere. Jedoch muss der Staat den beiden letz- teren Anstalten lassen, was er ihnen einmal verliehen hat, oder noch giebt. Indess auch so vermehrt sich der Zuschuss der Stadt ansehnlich.

Nur begreife ich nicht, wie auf einem andern Wege das Collegium Fridericianum und die reformirte Schule gehoben werden können, und da es für Schulen ein Maximum der Frequenz giebt, das nicht Über- schrittenwerden darf, so muss die übermässige der Altstädischen Schu- le, die ein wahres Uebel ist, durch die Verbesserung jener beiden An- stalten vermindert werden. Die Güte der magistratischen Schulen steht daher mit der der andern in sehr genauer Verbindung.

Ersparungen am Lehrergehalt wären sehr schlimm. Dagegen ist noch wohl zu überlegen, ob, wie ich angenommen habe, die Anzahl der zu versorgenden Schüler drei gelehrte Schulen noth wendig macht. Ist dies nicht der Fall, so könnte, meines Be- dünkens, das Fridericianum aufhören, die reformirte Schule, die schon jetzt auch lutherische Lehrer hat, in das Gebäude desselben verlegt, und mit seinen Einkünften, im Gebäude der reformirten, wozu sie mehr als hinreichen, eine Bürgerschule errichtet werden. Mit dem Fridericianum, als einer ganz Königlichen Anstalt, lässt sich am leichtesten schalten, und die Vorurtheile der Reformirten würden dadurch, und dass man dem reformirten Prediger die Aufsicht über den Religionsunterricht Hesse, geschont. Alsdann sorgte die Stadt nur für 2 gelehrte und 2 Bürgerschulen und erhielte zu ihren jetzigen Fonds die der reformirten Schule hinzu. Schiene das zu verwickelt, so würde die reformirte Schule zur Bürgerschule, oder, was aber freilich schlimm wäre, bliebe ganz aus dem jetzigen Verbesserungsplan ausgeschlossen, und ihrem Schicksal überlassen.

Alles dies vorausgeschickt, wären nunmehr ^.nfonds vorhanden :

1. Die bisherigen der 3 magistratischen Schulen

nach Herrn Möller und Hoffmann 5652Rth. 17 gr.

Diese Angabe ist aber wohl zu prüfen. Herrp. Weiss giebt nur 4658 Rth. 77g. 'i^'^\^^{. d^n^ scheint aber das Leichengeld und andre Accidentien nicht gerechnet zu haben.

2. die des Collegii Fridericiani *) 2120 60

*) nach dem Etatsentwurf Tpro 1809/10 nach Abzug von 620 Rth. 66 gr. Schulgeld.

2-72 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

3. die der reformirten Schule 1409 36

4. ^4 des Schulgeldes.

^) Gegenwärtig sind auf den hiesigen 6 ge- lehrten Schulen, (die deutschen Classen des Collegii Fridericiani nicht mitgerechnet) 843 Schüler, von welchen 83 gar nicht und 72 nicht voll bezahlen, (die Freischüler der reformirten Schule sind mir unbekannt und also nicht hierunter begriffen.) Von diesen Schülern (wenn man die der reformirten Schule als alle bezahlend annimmt, das un- bedeutende Schulgeld des Waisenhauses aber gar nicht mit rechnet) kommt, nach der An- gabe im gegenwärtigen Augenblick, jährlich die Summe von 6622 Rth. ein. Bei der neuen Einrichtung der Schule könnte man mehr be- zahlende Schulkinder rechnen, da viele der- selben von der Löbenichtschen und Kneip- höfischen Schule in die gelehrten Schulen übergehen und also in beiden successive be- zahlen werden. Sollte aber auch die Zahl wegen des erhöheten Schulgeldes abnehmen, glaube ich doch mit Sicherheit für die 3 ge- lehrten Schulen wenigstens 600, für die Bürger- schulen 300 Schüler rechnen zu können. Von den 850 Schülern sitzen ^/g in den 3 untern, \ in den zwei höhern Klassen. Dies giebt von

300 Schülern in der Bürger- schule zu I Rth. 3600 Rth.

400 in den untern Classen der ge- lehrten zu 1V2 Rth 7200 Rth.

200 in den obern zu 2 Rth.

monatlich _ 4800 Rth.

Summa 15600 Rth.

Wovon das Viertel hier in Rechnung kommt 3900 Rth.

Summa ^ , 13,082 Rth. 23 gr.

Mithin wäre zu 20 000 Rth. nur noch ein

^) Die Exposition dieses Titels 4. ist zum Teil vo» Schreiberhand.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 21%

Zuschuss von 7000 Rth. nöthig. Schlägt man

zu diesen 7000 Rth.

noch Ve <ics Schulgeldes für Freischüler

mit 2600 Rth.

und für die übrigen Elementarschulen der

Stadt 3400 Rth.

so beträgt der ganze Zuschuss 13000 Rth.

Um aber recht hoch zu gehen, wollen wir ihn einmal auf 16000 Rth. setzen, Angenommen nun, dass Königsberg auch nur ■8000 Familienhäupter hätte, die überhaupt, ohne gedrückt zu werden , Abgaben bezahlen können , und diese in drei Classen zwei zu 3000 und eine zu 2000 vertheilt, würde die dürftigste Classe, um jene Summe zusammenzubringen, nur 6^/3 hiesige -Groschen, die reichste aber i fl. monatlich beitragen müssen.

Wäre aber auf diese Weise einmal ein allgemeiner Schulfonds der Stadt vorhanden, so würde er hernach auch durch Geschenke, Vermächtnisse und selbst durch die Freigebigkeit des Staats ver- mehrt werden.

Ich glaube nicht, das Schulgeld zu hoch angenommen zu haben. W>nn man Herrn StaatsRath Hoffmanns und Herrn Möllers Rechnungen so macht, dass jeder Schüler, wie ich annehme, voll bezahlt, so schlägt der Erstere das Schulgeld an

1. für 90 Schüler der gelehrten Schule auf

2. 480 der Mittelschulen zusammen auf

der Letztere

1. für 120 der gelehrten auf

2. 388 der Mittelschulen auf zusammen auf 9084 Rth.

"Ich rechne fast noch einmal so viel Schüler, als sie. Allein wenn 850 Schüler in den jetzigen gelehrten Schulen sind, so rechne ich gewiss mit 900 für 2 Bürger- und 3 gelehrte noch zu wenig, um so mehr als, nach meinem Plan, das Schulgeld nicht einmal so, wie nach dem von Herrn Möller erhöht wird. Denn der ganze Unterricht bis zur Universität würde, nach meiner Annahme, für ein Kind nur circa 6^0 Rth. kosten, wenn der Vater es 12 Jahre die Schule besuchen liesse, nämlich 4 die Bürger-, 5 die untern Classen und 3 die obern der gelehrten Schule, und wenn man, was schon wohl mehr ist, als gewöhnlich geschieht, auf Schulbedürfnisse, ^ausser dem Schulgeld, im ersten Stadium ebensoviel, im zweiten

W. V. Humboldt, \Verke. XIH. l8

3240

II 520

Rth.

14760 Rth.

2880 Rth. 6204

274. 3- Amtliche Arbeiten aus den Jaliren 1809 und 18 10.

doppelt, und im dritten dreifach soviel jährlich, als das Schulgeld ausmacht, rechnete.

Auf die sogenannten deutschen Gassen des Collegii Frideri- ciani habe ich gar keine Rücksicht genommen. Sie müssten, als zu dieser Anstalt gehörig, ganz untergehen und eine eigne Elementar- schule ausmachen, die besonders von der Stadt dotirt würde ; oder man Hesse ihnen von den Einkünften des Fridericiani, was sie jetzt davon ziehen, und erhöhte um so viel den Zuschuss der Stadt zur jetzigen Reform.

3- Nothwendigkeit eines allgemeinen Schulreglements. Es ist natürlich hier nur von einem für Königsberg, aber für

alle Schulen die Rede.

Ich erwähne nur einzelne Punkte, die mir gerade, als vorzüglich wesentlich, hier aufgefallen sind.

Alle sogenannte Winkelschulen müssen aufhören, keiner kann Schule halten, der nicht bei der geistlichen und Schuldeputation geprüft ist, und jetzt gleich muss eine allgemeine Visitation vor- genommen werden, um die nützlichen der bisherigen Schulen dieser Art förmlich zu genehmigen, die andern zu unterdrücken. Das PoliceiDirectorium muss hernach angewiesen werden zu wachen, dass nicht neue ohne vorhergängige Bestätigung entstehen.

Die Besorgniss, die ich äussern hörte, dass diese Anordnung die öffentlichen Schulen mit Kindern überfüllen würde, ist unge- gründet. Je kleiner die Zahl dieser Privatschulen wird, desto mehr

Schüler werden die übrigbleibenden bestätigten haben.

Die gelehrten Schulen müssen niemals Kinder annehmen, als beim Anfange eines neuen Lehrsemesters. Da alle Kinder, die sie erhalten, immer schon aus einem öffentlichen oder Privatunter- richt zu ihnen kommen, so schadet es nie, wenn sie einige Monate länger in demselben bleiben.

Die Bürgerschulen nehmen zwar, um die Kinder nicht herum- laufen zu lassen, in jedem Monat, doch immer nur mit dem i^, auf, aber beschäftigen die in der Mitte des halben Jahres kommen- den Kinder, die sonst nur stumm der untern Klasse beiwohnen, abgesondert einige Stunden täglich, was sehr füglich angeht, weil hier bei 2 Klassen auf 4 Lehrer und auf eine Stube mehr, ausser den Klassenstuben, gerechnet ist.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. 275

Keine Schule dringt einem Schüler mehr als 36 Schulstunden, was das Maximum ist, und einem Lehrer mehr als 24 wöchentlich auf. Der Rector giebt nur 12. Mit noch mehr verringerter Stundenzahl den gleichen Zweck zu erreichen, steht frei, und ist, wenn der Hausfleiss befördert wird, lobenswerth.

Der Uebergang aus der Bürgerschule in die gelehrte, und in beiden aus einer Klasse in die andre, geschieht immer nach vor- gängigem Examen, aber, wenn es die Lehrer wollen, und wo es die Natur des Lehrgegenstandes erlaubt, auch mitten im halben Jahr.

Bei der Aufnahme in die gelehrte Schule geschieht die Prü- fung durch den jüngsten Lehrer in Gegenwart des Rectors, und bei getheilter Meynung ist die zurückweisende Stimme die ent- scheidende.

Die Versetzung aus einer Classe in die andre geschieht nach einer Prüfung des dimittirenden, und des aufnehmenden Lehrers in Gegenwart des Rectors, und der Rector entscheidet, wenn beide uneins sind.

Bei Entwerfung des Lectionsplans wird möglichst genau be- stimmt, was die Reife in jeder Classe für jede Disciplin bezeich- nen soll.

Keine höhere Classe lehrt je, sondern wiederholt nur, fragend, das Pensum der nächst vorhergehenden. Ist ein Subject ihr nicht gewachsen, so kann es, ungeachtet des Receptionsexamens, jedoch nur nach nochmaliger Prüfung, zu jeder Zeit zurückgewiesen werden.

Die Bürgerschule entlässt nie, als nach vorgängiger Prüfung, und, es sey denn zum Uebergang in eine andre Bürgerschule, erlangter Reife, oder anerkannter Unfähigkeit des Kindes, je weiter vorzurücken. Eltern, die ihre Kinder früher wegnehmen wollen, kommen in die Kategorie derer, welche sie nicht zur Schule schicken.

Die gelehrte Schule muss zwar zu jeder Zeit entlassen; ohne bei der geistlichen und SchulDeputation nachzusuchende Dispen- sation rhut sie es aber nur am Ende eines Schulsemesters, und nie anders, als nach vorhergängigem Examen, dessen Zweck aber nur ist, dem jungen Menschen eine Erklärung mitzugeben, wie viel oder wenig Fortschritte er gemacht hat. Von dieser Erklärung bleibt, von der 3. Classe an, Abschrift bei der Schule.

Ein MaturitaetsZeugniss zur Universität giebt die Schule, welches auch der Grad der Fähigkeiten und Kenntnisse seyn möchte, nie als nach vollendetem 18. Jahre.

i8»

2'y5 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Das Schulgeld wird zwar monatlich bezahlt, läuft aber, bis das Kind aus der Schule gesetzlich genommen werden kann, und genommen wird, ununterbrochen fort. Nur bei Krankheitsfällen wird es sistirt; doch nur gegen ein Zeugniss des Arztes.

Es wird praenumerirt, und der angefangene Monat gilt, auch bei Krankheiten, für einen ganzen.

b. Unmassgebliche Gedanken über den Plan zur Ein- richtung des Litthauischen Stadtschulwesens. ^)

Wenn ich, mit Vorbeilassung alles Details, gleich auf das Wesentliche des Plans gehe, so weicht er in den Hauptgesichts- punkten weit von den bisherigen Grundsätzen der Section ab; in der Ausführung nach der örtlichen Lage würde diese Abweichung grösstentheils wieder verschwinden. Allein es ist dennoch ebenso nothwendig, als mit denkenden Männern erfreulich, auch über die Grundsätze zu discutiren. Von ihnen hängt der Geist ab, in dem auch auf demselben Wege gewirkt wird, und dieser macht offen- bar durch seine innere Kraft durchaus verschieden, was, den äussren Einrichtungen nach. Eins und dasselbe scheint.

Die Abweichung nun liegt in dem Begriffe der Bürgerschulen, welche in dem Plane als eine eigne, ihrem Begriff und Zweck nach abgegränzte Gattung von Schulen, und selbst wo sie das nicht sind, (für den Gelehrten) als ein besonderes Stadium des Unterrichts betrachtet werden.

Die durch die wirkliche Ausführung wieder herbeigeführte Uebereinstimmung würde daraus entstehen, dass doch nur in Lyk Bürger und Gelehrtenschule getrennt seyn sollten, sonst aber nah und enge verbunden wären.

Die Frage über die Zulässigkeit abgesonderter Bürger oder Realschulen scheint weitläuftig und schwierig zu erörtern. Sie hat zwei verschiedene Systeme hervorgebracht, wovon man das realistische neulich, in Baiern, so weit getrieben hat, dass man beinahe RealUniversitäten aufstellt.

Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, son- dern die ganze Nation, oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. Was das Bedürfniss des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert, und nach vollendetem allgemeinen Unterricht er- worben werden. Wird beides vermischt , so wird die Bildung

*) Eigenhändiges Konzept Humboldts.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. a. b. 277

unrein, und man erhält weder vollständige Menschen, noch voll- ständige Bürger einzelner Klassen.

Denn beide Bildungen die allgemeine und die specielle werden durch verschiedene Grundsätze geleitet. Durch die all- gemeine sollen die Kräfte, d. h. der Mensch selbst gestärkt, ge- läutert und geregelt werden; durch die specielle soll er nur Fertigkeiten zur Anwendung erhalten. Für jene ist also jede Kenntniss, jede Fertigkeit, die nicht durch vollständige Einsicht der streng aufgezählten Gründe, oder durch Erhebung zu einer all- gemeingültigen Anschauung (wie die mathematische und ästhe- tische) die Denk- und Einbildungskraft, und durch beide das Gemüth erhöht, todt und unfruchtbar. Für diese muss man sich sehr oft auf in ihren Gründen unverstandene Resultate beschränken, weil die Fertigkeit da seyn muss, und Zeit oder Talent zur Ein- sicht fehlt. So bei unwissenschaftlichen Chirurgen, vielen Fabri- kanten u. s. f. Ein Hauptzweck der allgemeinen Bildung ist, so vor- zubereiten, dass nur für wenige Gewerbe noch unverstandene, und also nie auf den Menschen zurück wirkende Fertigkeit übrigbleibe. Die Organisation der Schulen bekümmert sich daher um keine Kaste, kein einzelnes Gewerbe, allein auch nicht um die gelehrte ein Fehler der vorigen Zeit, wo dem Sprachunterricht der übrige geopfert, und auch dieser mehr der Qualität, als Quan- tität nach zum äussern Bedarf (in Erlangung der Fertigkeit des Exponirens und Schreibens) nicht zur wahren Bildung (in Kenntniss der Sprache und des Alterthums) getrieben wurde.

Der allgemeine Schulunterricht geht auf den Menschen über- haupt, und zwar

als g}'mnastischer ästhetischer

didaktischer und in dieser letzteren Hinsicht wieder als mathematischer

philosophischer, der in dem Schulunterricht nur durch die Form der Sprache rein, sonst immer historisch-philosophisch ist, und historischer^) auf die Hauptfunktionen seines Wesens.

') „Historisch" bedeutet nach dem Sprachgebrauch der Leibniz-Wolff sehen Philosophie bekanntlich das Tatsächliche im Gegensatz zum Rationalen, aus ewigen Wahrheiten Ableitbaren. ^^^

27^ 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

Dieser gesammte Unterricht l^ennt daher auch nur Ein und dasselbe Fundament. Denn der gemeinste Tagelöhner, und der am feinsten Ausgebildete muss in seinem Gemüth ursprünglich gleich gestimmt werden, wenn jener nicht unter der Menschen- würde roh, und dieser nicht unter der Menschenkraft sentimental, chimärisch, und verschroben werden soll.

Eher könnte es scheinen, dass bei der allmählig fortschreiten- den Bildung die Methode insofern verschieden seyn müsste, als sich das Ziel derselben durch Unterricht als weit oder nahe ge- steckt voraussehen lässt. Allein auch hier scheint mir der Unter- schied nicht bedeutend. Bleibt man fest dabei stehen, Zahl und Beschaffenheit der Unterrichtsgegenstände nach der Möglichkeit der allgemeinen Bildung des Gemüths in jeder Epoche zu be- stimmen, und jeden Gegenstand immer so zu behandeln, wie er am meisten und besten auf das Gemüth zurückwirkt, so muss eine ziemliche Gleichheit herauskommen. Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig un- nütz seyn, als Tische zu machen dem Gelehrten. Indess lässt kleine Verschiedenheiten allerdings die Wahl des Stoffes, da jede Form nur an einem Stoffe geübt werden kann, zu und auf diese wird in der Folge auch Rücksicht genommen werden. Auch können die grellen Contraste immer vermieden werden, und es braucht nie dahin zu kommen, dass ein Handwerker Griechisch, kaum lateinisch gelernt habe.

Die Gränze des Unterrichts, da wo derselbe nicht seinen End- punkt, die Universität, als die Emancipation vom eigentlichen Lehren (da der UniversitätsLehrer nur von fern das eigene Lernen leitet) erreicht, kann nun durch nichts andres bestimmt werden, als durch die zu allem Unterricht nöthigen Bedingungen Kraft und Zeit. Soweit der Schüler das eine hergiebt, und zum andern Mittel hat, so weit kann der Lehrer ihn führen, und soweit muss der Staat dafür sorgen, dass er gebracht werden könne.

Die Pflicht der Schulbehörde bei der Organisation des Schul- wesens ist nun, zu verhüten, dass der Schüler einen Weg mache der ihm unnütz se3^n würde, wenn er ihn nun nicht auch noch weiter verfolgte. Leider aber ist dies fast immer jetzt bei unsern Schulen der Fall, wenn einer in tcrtia oder secimda stecken bleibt. Es wird aber nie Statt haben, wenn man (wie auf den sehr guten Schulen schon jetzt geschieht) beim Unterricht nicht auf das Bedürfniss des Lebens, sondern rein auf ihn selbst, auf die Kenntniss,

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. b. 270

als Kenntniss, auf die Bildung des Gemüths und im Hintergrunde auf die Wissenschaft sieht. Denn im Gemüth und in der Wissen- schaft (die nur sein von allen Seiten vollständig gedachtes Object ist) steht jeder einzelne Punkt mit allen vorigen und künftigen in Contact, ist kein Anfang und kein Ende, ist alles Mittel und Zweck zugleich, und also jeder Schritt weiter Gewinn, auch w^enn unmittelbar dahinter eherne Mauern gezogen würden.

Sind diese Grundsätze richtig und kommt man nun von ihnen auf die verschiedenen Gattungen der Schulen (Specialschulen immer ganz abgesondert), so ist wieder das erste und wichtigste Princip die Einheit und Gontinuität des Unterrichts in seinen natür- lichen Stadien,

da jede Theilung der Anstalt da, w'o der Unterricht keine natür- liche Theilung kennt, seine Folge zerreisst, \'erschiedenheit in der Behandlung und dem Geiste derselben hervorbringt, und selbst die Lehrer, die nur bis zu einem willkührlich angenommenen Punkt führen sollen, ungewiss und verwirrt macht.

Als natürliche Stadien aber kann ich nur anerkennen: den Elementarunterricht den Schulunterricht den Universitätsunterricht.

Der Elementarunterricht umfasst bloss die Bezeichnung der Ideen nach allen Arten, und ihre erste und ursprüngliche Classi- fication, kann aber, ohne Nachtheil, in dem Stolf zu dieser Form in Natur- und Erdkenntniss mehr oder minder Gegenstände mit aufnehmen. Er macht es erst möglich, eigentlich Dinge zu lernen, und einem Lehrer zu folgen.

Der Schulunterricht führt den Schüler nun in Mathematik, Sprach- und Geschichtskenntniss bis zu dem Punkte wo es unnütz seyn würde, ihn noch ferner an einen Lehrer und eigentlichen Unterricht zu binden, er macht ihn nach und nach vom Lehrer frei, bringt ihm aber alles bei, was ein Lehrer beibringen kann.

Der Universität ist vorbehalten, was nur der Mensch durch und in sich selbst finden kann, die Einsicht in die reine Wissen- schaft. Zu diesem SelbstActus im eigentlichsten Verstand ist nothwendig Freiheit, und hülfereich Einsamkeit, und aus diesen beiden Punkten fliesst zugleich die ganze äussere Organisation der Universitäten. Das Kollegienhören ist nur Nebensache, das Wesentliche, dass man in enger Gemeinschaft mit Gleichgestimmten und Gleichaltrigen, und dem Bewusstseyn, dass es am gleichen

23o Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Ort eine Zahl schon vollendet Gebildeter gebe, die sich nur der Erhöhung und Verbreitung der Wissenschaft widmen, eine Reihe von Jahren sich und der Wissenschaft lebe.

Uebersieht man diese Laufbahn von den ersten Elemente» bis zum Abgang von der Universität, so findet man, dass, von der intellectuellen Seite betrachtet , der höchste Grundsatz ^} der Schulbehörde (den man aber selten aussprechen muss) der ist: die tiefste und reinste Ansicht der Wissenschaft an sich her- vorzubringen, indem man die ganze Nation möglichst, mit Bei- behaltung aller individuellen Verschiedenheiten, auf den Weg^ bringt, der, weiter verfolgt, zu ihr führt, und zu dem Punkte^ wo sie und ihre Resultate nach Y^i'schiedenheit der Talente und Lagen, verschieden geahndet, begriffen, angeschaut, und geübt werden können, und also den Einzelnen durch die Begeisterung^ die durch reine Gesammtstimmung geweckt wird, zu Hülfe kommt. Nicht überall aber kann der eigentliche Schulunterricht in Einer Anstalt vollendet dargestellt werden. Da indess diese Hinder- nisse nur zufällig sind, so ist auch, nach meiner Einsicht, jeder andere Unterschied, ausser dem oben angegebenen, nur ein zu- fälliger und nur als solcher zu behandeln.

Hieraus fliesst nun für die Schulbehörde der praktische- Grundsatz :

an Orten, wo es gelehrte Schulen (d. h. solche, welche den Schulunterricht bis zu seinem Endpunkte führen) geben kann, müssen keine abgesonderte Bürger- sondern nur Elementarschulen seyn;

an Orten hingegen, wo dies nicht möglich ist, kann- und muss es Bürgerschulen geben, welche indess dann nur die unteren Klassen der von ihnen abgesonderten ge- lehrten sind. Wie es aber Pflicht jedes praktischen Verfahrens ist, dafür zu sorgen, dass die Einheit des Princips nicht die wohlthätige Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit verschlinge, so können in dem ersten Falle Elementarschulen eine solche Ausdehnung erhalten,, dass sie den Zögling gewiss weiter bringen als die Bürgerschulen von Einer Klasse des Plans. Nur müssen sie nie alsdenn ins Gebiet der gelehrten Schulen mit Unterricht im Lateinischen ein- greifen. Sonst zerreissen sie die Einheit dieses Unterrichts. Auch

*) Von fremder Hand übergeschrieben „Ziveck^'.

C. Der königsberger und der litauische Schulplan. b. 08 1

in Geschichte müssen sie bei Gränzpunkten stehen bleiben. In der Mathematik aber können nur in solchem Fall die Talente des Lehrers und Schülers und die Zeit die Gränzen setzen. Es ist ein abgesondertes Fach, in dem der Begriff der Wissenschaft leichter errungen werden, und daher allgemeiner gewährt wer- den kann.

Aus gleichen Accommodationsmaximen muss im zweiten Fall die sogenannte Bürgerschule sich bequemen in Mathematik weiter zu gehen, als sonst die unteren Klassen der gelehrten thun würden, auch mehr bloss historische Kenntnisse aufzunehmen.

Trete ich nunmehr dem vorliegenden Plane näher, so finde ich vorzüglich folgende Hauptwidersprüche mit den hier ent- wickelten Grundsätzen:

1. die aufgestellte Maxime, dass es nur zu dulden sey, Bürger- und gelehrte Schule in Einer Anstalt zu verbinden, an sich aber das Gegentheil wünschenswerth. Sehr bedenklich ist schon in dieser Hinsicht der Grundsatz, dass für jene die Stadt. für diese die Provinz sorgen soll, woraus sogar, nach dem Plan, zwiefache Aufsichtsbehörde entsteht. Hierbei scheint es mir durch- aus unmöglich, eine gute gelehrte Schule zu haben. Denn wie genau auch die geistliche Deputation die Städte angehen möge, so kann sie doch für die wahre Güte der Bürgerschulen, und vorzüglich für ihre Angemessenheit zu Vorbereitungsschulen zu den gelehrten nicht mehr einstehen. Mir schiene daher besser

a. entweder die Königlichen fonds zwar nur den Städten, wo gelehrte Schulen sind, zu geben, aber da mit den städtischen zu- sammenzuwerfen und zu machen, was sich nun damit machen lässt; oder

b. die gelehrten Schulen ganz von ihrer untersten Klasse an auf Königliche Kosten zu übernehmen, und die Städte, die da- durch erleichtert werden, dagegen zu nöthigen, verhältnissmässig gleichviel, als andre Städte auf Elementar- und Bürgerschulen zugleich wenden, bloss für ihre Elementarschulen zu geben. Ungleichheiten sind das Wesen der Welt, und dass etwas besser sey, als anderes, ist leicht zu dulden;

2. kommt mir die Klasseneintheilung bei weitem zu dürftig vor. Eine Bürgerschule mit Einer Klasse kann schwerlich mehr, als jede Elementarschule leisten. Für eine Bürgerschule, die Vor- bereitungsschule zugleich seyn soll, sind noch 2 Klassen zu wenig.

2g2 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Trotz aller Anstrengungen könnten die gelehrten Schulen nichts leisten, wenn ihnen Schüler aus fremden Schulen von i, oder 2 Klassen zukämen, und sie selbst nur nothdürftig 3 hätten. Man würde bald aufs neue theilen, combiniren u. s. f. müssen.

Schon bei einer Elementarschule muss selbst Ein Lehrer, wenn er ordentlich unterrichten will, wenigstens manchmal die Stunden theilen. Sehr vollständige und gute Elementarschulen müssten also 2 Klassen haben, obgleich die Regel eine seyn könnte.

Sogenannte Bürgerschulen (besser Stadtschulen) müssen un- nachlasslich 2 Classen, oder, wo möglich, drei haben, und doch sehr streng nie Schüler, die im Elementarunterricht nicht ganz fest wären, aulnehmen. Sonst muss eine 3^^ oder 4te Classe hinzu- kommen.

Gelehrte (besser hier Provincialschulen, die also die Bürger- schule des Plans mit sich vereinigen) können sich mit 5 Classen begnügen.

3. scheint noch im Plan eine gewisse Tendenz zu liegen, in den Bürgerschulen sich selbst von der Möglichkeit künftiger Wissenschaft zu entfernen, und aufs naheliegende Leben zu denken. Warum soll z. B. Mathematik nach Wirth und nicht nach Euclides, Lorenz ^) oder einem andern strengen Mathematiker gelehrt werden ? Mathematischer Strenge ist jeder an sich dazu geeignete Kopf, und die meisten sind es, auch ohne vielseitige Bildung fähig, und will man in Ermangelung von Specialschulen aus Noth mehr Anwen- dungen in den allgemeinen Unterricht mischen, so kann man es gegen das Ende besonders thun. Nur das Reine lasse man rein. Selbst bei den Zahlverhältnissen liebe ich nicht zu häufige An- wendungen auf Carolinen, Ducaten u. s. f. Je tiefer der Mensch, der nicht höher gebildet werden kann, leider ins Leben eintauchen muss, desto sorgfältiger halte man ihn bei dem wenigen Formellen, was er rein zu fassen im Stande ist. Gerade dies hat auf Mora- lität durch die Strenge des Pflichtbegriff's, der, wo man gar keine andern reinen Begriffe kennt, nur als Zwang erscheint, und auf Religion durch das Abziehen vom sinnlichen Stoff sehr wesent- lichen Einfluss.

V Johann Friedrich Lorenz, Rektor der Schule zu Burg bei Magdeburg, Übersetzer des Euklid und Verfasser mehrerer mathematischer Lehrbücher. Über das im Text gemeinte Lehrbuch von Wirth hat sich nichts feststellen lassen.

D. Bericht an Altcnstein über die Finanzgrundsätze der Sektion. 28^

Dies ist ungefähr, was es mir gut schien, im Ganzen voraus zu erinnern, da es im Zusammenhang überlegt seyn will und sich für eine Conferenz mit der Deputation nicht passt. Uebrigens, diese bestrittenen Punkte abgerechnet, in denen auch die Section, wenn ich auch vielleicht nicht über ihre Meynung hinausginge, irren kann, ist ein tref licher Geist in dem ganzen Plan ; sehr viel Einzelnes stimmt ganz mit dem System der Section überein, andre Kleinigkeiten, wie dass die Lehrer noch viel zu sehr mit Lectionen überhäuft bleiben, lassen sich mündlich besprechen.

Gumbinnen, den 27. September 1809.

Humboldt.

D. Bericht an Altenstein über die Finanzgrundsätze

der Sektion. ^)

Die von Ew. Excellenz veranstaltete Conferenz über die Kir- chen und Schul-Etats der verschiedenen Regierungen mit dem Herrn Staats-Rath Schultz ^) veranlasst mich. Denselben folgende Gedanken über die ganze Finanz-Parthie der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts gehorsamst vorzulegen.

In dem ersten Augenblick, wo ich die Leitung derselben über- nahm, bemühte ich mich, die Totalität sowohl der vorhandenen Schul-Fonds, als der dem Schulwesen aus Königlichen Gassen bisher zugeflossenen Zuschüsse mit einiger Genauigkeit kennen zu lernen. In der Registratur des ehemaligen Geistlichen Departe- ments und OberSchul-CoUegii fanden sich schlechterdings nur einzelne und zerstreute Data hierüber. Ich wandte mich an die vormalige General-Controlle, allein auch da würde der Total-Betrag nur mit Mühe haben zusammen gesucht werden können, und die gewiss nicht unwichtige Frage:

wie viel die Unterhaltung der kirchlichen und SchulAnstalten

dem Lande überhaupt gekostet habe? schien daher nie aufgeworfen worden zu seyn.

^) Von Sehr eiber hand.

^) Christoph Ludwig Friedrich Schultz {ij8i i8j4), durch seinen Brief- wechsel mit Goethe weiter bekannt geworden, seit 1808 Staatsrat im Finanz- ministerium, seit 1814 im Ministerium des Inneren, von dort i8ij in das neu abgezweigte Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten über- nommen; vgl. sein Lebensbild im Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrat Schultz von Düntzer [Leipzig 18^3)-

2g 1 3, Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

Als ich nach Königsberg kam, führte mich Ew. Excellenz bei einigen Gelegenheiten geäusserte Bemerkung, dass es weniger auf die historische Untersuchung des bisherigen Zustandes, als die Ausmittelung des jetzigen wahren Bedüfnisses ankomme, um so mehr von diesen Nachforschungen ab, als ich mit lebhaftem Ver- gnügen bemerkte, dass Ew. Excellenz diesen Grundsatz sehr häufig zum Vortheil der wissenschaftlichen Institute anzuwenden die Ge- neigtheit hatten.

Es wurden daher die alten Zahlungen nur einzeln wieder in Antrag gebracht, grösstentheils hergestellt, zum Theil aber auch,, wie die zu dem Joachimsthal und der Monas pütafis-CdiSse^ noch suspendirt gelassen.

Da ich die Schonung fühlte, deren die Staats-Cassen bedürften^ so zog ich es vor, Ew. Excellenz durch wiederholte einzelne Ge- suche lästig zu werden, als ganze Etats, in denen einige Zahlungen vielleicht noch ruhen konnten, auf einmal wieder aufzunehmen, und wandte mich daher nur da an Ew. Excellenz, wo die Institute es schlechterdings erforderten, oder die zahlungsberechtigten Per- sonen dringend wurden.

Wo es möglich war, machte ich gegen die vorigen Etats be- deutende Ersparungen. So bei der Academie der Künste und Wissenschaften.

Auf der andern Seite machte ich meine Anträge, wo sich ein kirchliches, Lehr- und wissenschaftliches Bedürfniss zeigte, ein- zeln, und Ew. Excellenz genehmigten die mehresten dieser An- träge entweder geradezu, oder unterstützten dieselben bei des Königs Majestät. Das Normal-Institut zu Königsberg, das Colle- gium Fridericianum ebendaselbst, die Universität Königsberg und die neue Lehranstalt hier in Berlin werden dauernde Beweise der Fürsorge Ew. Excellenz für Erziehung und Wissenschaften bleiben.

Allein so sehr, und für die von allen Seiten bedrängten Zeit- umstände unglaublich viel auch wirklich geschehen ist, soviel bleibt, wie ich Ew. Excellenz unumwunden gestehen muss, noch zu thun übrig.

Wenn auch die schlechterdings nothwendige Verbesserung der Landschulen grösstentheils durch die Gemeinen geschehen könnte und sollte, so wird doch die Anlegung anderer Normal-Institute, deren Nutzen jetzt das Königsbergsche bereits durch die Erfahrung be- währt hat, schlechterdings nothwendig seyn, wenn die Verbreitung, einer bessern Methode nicht allzu langsam von Statten gehen solL

D. Bericht an Altenstein über die Finanzgrundsälze der Sektion.

-'"D

Die gelehrten Schulen in allen Provinzen, fast ohne Ausnahme, sind auf eine den Forderungen, die man billigerweise jetzt an sie machen muss, durchaus unangemessene Art dotirt, und die Ver- legenheit in Absicht derselben ist um so grösser, als die Städte, in welchen sie sich befinden, meistentheils zu klein sind, als dass ihre Verbesserung von ihnen gefordert werden könnte.

Die neue Lehranstalt hier erfordert, worüber ich mich auf ein am lo. Junius an des Herrn StaatsMinisters des Innern er- lassenes Schreiben, welches derselbe Ew. Excellenz mittheilen wird, zu beziehen die f^hre habe, noch eine immer für die Umstände nicht unbedeutende Summe, um aufzuhören ein blosses Project zu seyn.

Für kirchliche ^^erbesserungen ist bis jetzt noch fast nichts geschehen. Da aber dies vorzüglich daher rührte, dass die Sec- tion des Cultus, in Ermangelung ihrer geistlichen Mitglieder, in Königsberg nur wenig thätig seyn konnte, so wird auch hiefür das Bedürfniss bald fühlbar w^erden.

Ganz besonders dringend ist die Schulverbesserung in West- preussen und dem Ermeland. Schon vor dem Kriege war der Zustand des Schulwesens dort wenig erfreulich. Allein der Krieg und die Folgen, welche derselbe auf den, noch überdies vielleicht nicht mit der nothwendigen Sorgfalt administrirten Jesuiter-Fonds gehabt hat, haben dasselbe so zerrüttet, dass man es ohne alle Uebertreibung als gänzlich zerstört ansehen kann. Es wird hier- über dem Herrn Staats-Rath Schultz ein eigener detaillirter Auf- satz mitgetheilt werden. Die Hülfe in dieser Provinz ist um so nothwendiger, als wegen der Mischung deutscher und polnischer Einwohner in derselben die National-Bildung schwieriger ist, und die Folgen des Mangels an derselben so leicht auch politisch be- denklich werden. Auf der andern Seite fehlt es aber auch nicht an inneren schon vorhandenen Hülfsmitteln, und es ist nur zu bedauern, dass nicht gegenwärtig schon über dieselben disponirt werden kann. In jedem Falle ist daher das Zutreten der Staats- Cassen nur auf eine Zeitlang nothwendig.

Für Schlesien und namentlich für Breslau würde schon be- deutend gesorgt seyn, wenn, indem die 7000 Rth. von den Stiftern und Klöstern jetzt auf den Kurmärkschen Regierungs-Etat über- gehen, diese Summe nebst den 3000 Rth. von den Militär-Pensionen auf die gelehrten Anstalten verwendet würden. Ueberhaupt bieten für Schlesien die Stifter und Klöster immer eine noch im hohen

286 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Grade ergiebige Hülfsquelle dar, wenn nur der Gesichtspunkt im Auge behalten wird, dass im Fall sie einmal eingezogen werden sollten, ihre Einkünfte, so weit es erforderlich ist, zur Schul- verbesserung zu verwenden seyn würden.

Ich glaube also mit Recht voraussetzen zu dürfen, dass Ew. Excellenz, wenn Sie jetzt die Feststellung des Etats veranstalten, doch nicht damit bloss die Berichtigung der bisher bewilligten Summen im Sinne haben, sondern auch wirklich nothwendige Ver- besserungen, die im Laufe des Etats-Jahres zu machen seyn werden, schon jetzt zu berücksichtigen gemeynt sind, sey es nun, dass gleich jetzt eine disponible Summe eveiihialüer bestimmt werde, oder nur allgemein vorbehalten bliebe^ neue Anträge wie bisher bei Sr. Majestät dem Könige, auch im Laufe des Jahres zu machen.

Ew. Excellenz sind gewiss überzeugt, dass ich lebhaft fühle, welche Schonung im gegenwärtigen Augenblick die erschöpften und noch auf so mannigfaltige Weise in Anspruch genommenen Kräfte des Staats nothwendig fordern. Allein gerade diese un- vermeidliche Erwägung führt mich auf die Idee der Ausmittelung eines General-Etats für die, nothwendige Verbesserungen mit in sich begreifenden Bedürfnisse der Section zurück. Denn gewiss ist es gleich peinlich, Seine Majestät den König mit Anträgen zu be- helligen, die nun einmal nicht für jetzt ausgeführt werden können, und aus dieser Besorgniss nützliche Reformen zu unterlassen. Auch ist es unläugbar, dass die Section, wenn sie die Summe kennt, auf welche sie sich über das bisherige Quantum würde Rechnung machen können, besser im Stande ist, dieselbe zu den einzelnen Zwecken zu repartiren, als wenn über die Prioritaet dieses oder jenes Antrags, wie jetzt unvermeidlich oft der Fall seyn muss, der Zufall entscheidet.

Ein solcher Etat sollte nun eigentlich freilich von Seiten der Schulbehörde, welche ihr Bedürfniss angeben muss, vorgelegt werden, und die Section würde hiezu sehr bereitwillig seyn. Es würde ihr hierin allerdings die Neuheit sowohl ihrer eigenen, als der Organisation der Provinzial-Schul-Behörden entgegen stehen, die eine hinlänglich genaue Kenntniss aller einzelnen Anstalten schon jetzt unmöglich macht. Allein auch ausserdem würde ein solcher Etat, in seiner ganzen Ausdehnung, jetzt ohne reellen Nutzen seyn. Es ist augenscheinlich, dass man jetzt nur bei dem- jenigen stehen bleiben muss, was unter den gegebenen Umständen zu thun möglich ist, und ein von Seiten der administrirenden

D. Bericht an Altenstein über die Finanzgrundsätze der Sektion. 287

Behörde so beschränkter und doch allgemeiner Etat würde in die Einrichtung jeder Anstalt schiefe Gesichtspunkte bringen. Von dieser Seite aus kann die Section Ew. Excellenz nur eine, ihren Ansichten nach gemachte Auswahl des Nothwendigsten vorlegen und hierauf hat dieselbe die zur Conferenz mit Herrn StaatsRath Schultz deputirten Räthe instruirt.

Wenn man aber das Kirchen- und Schulwesen als etwas an- siehet, das gewissermassen einer unbestimmten Verbesserung fähig ist, das in einem Staate von einigem Umfange schon äusserst be- deutende Mittel bedarf um überall nur gut und hinlänglich dotirt zu seyn, und für das, wenigstens bis auf einen, auch vielleicht dem reichsten Staate schwer zu erreichenden Punkt, nie zuviel geschehen kann; so rechnet man vielleicht diesen Verwaltungszweig nicht unbillig zu denjenigen, für die ein Etat nicht nach dem immer zu relativen Bedürfniss, sondern nach den Kräften, es zu befriedigen, und mithin nach der StaatsEinnahme gemacht werden müsste, und diese Methode möchte wohl in einem Staate, wie der unsrige, in seiner jetzigen Lage, der nicht alles thun kann, was er möchte, wo man aber mit Wahrheit von Sr. Majestät dem Könige und dem Ministerio behaupten kann, dass der bereiteste Wille vorhanden ist, das Mögliche in vollem Maasse zu thun, die sicherste se3'n.

Wenn daher Ew. Excellenz vorzögen, eine Summe im Ganzen zu bestimmen, bis auf welche Sie (ohne Rücksicht auf die einzelnen Fälle des Bedürfnisses) den Anträgen der Section über die bisherigen Etats hinaus, während des jetzt beginnenden Etats-Jahres, vom blossen Interesse des Finanz-Punktes aus nicht entgegen seyn würden; so würde die Section gewiss das aufrichtige Vertrauen hegen, dass Ew. Excellenz hiebei eben die Grundsätze und Maximen befolgen würden, welche schon so oft den Lehr- und wissen- schaftlichen Anstalten wohlthätig geworden sind, und sie selbst könnte ihre Mittel besser übersehen, und richtiger das Verhältniss zwischen den möglichen Verwendungen treffen.

Auch hierüber sind die mit dem Herrn Staats-Rath Schultz zu conferiren bestimmten Räthe der Section gehörig instruirt, so wie sie sich überhaupt theils für sich aus den Acten, theils in einer eigenen Sections-Conferenz und endlich durch einen Vortrag in Pleno des Minislerii des Innern auf die Verhandlungen mit Ew. Excellenz Ministerium so vollständig vorbereitet haben, als die Lage der Umstände es erlaubte. Indess konnte diese Vorbereitung

-288 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

immer nur mangelhaft seyn, da die Zeit, seitdem Ew. Excellenz Ihr Verlangen zu diesen gemeinschaftlichen Verabredungen ge- ä ussert haben, so überaus kurz, und der Weitläuftigkeit des Gegen- standes nicht angemessen ist, und bei der Section auch nur von vier Regierungen, nemlich den drei Preussischen und der Bres- lauischen, die Etats vorhanden sind.

Ich kann dieses Schreiben nicht schliessen, ohne Ew. Excellenz noch auf eine Idee aufmerksam zu machen, die ich, gleich beim Antritt meines Amts, hatte, die ich während der Führung des- selben nur kaum hier und dort habe auszuführen versuchen können, die ich aber noch jetzt für hinlänglich wichtig halte um wenigstens ■auf das reiflichste erwogen zu werden.

Es schiene mir nemlich viel zweckmässiger, die für das Kirchen- und Schulwesen bestimmten Gelder unmittelbar aus dem Ver- mögen der Nation in eine abgesonderte Geistliche Casse, von welcher die schon vorhandenen Schul- und Kirchen-Fonds den Hauptbestandtheil ausmachten, fliessen zu lassen als sie, wie jetzt geschieht, mit den übrigen Staatsausgaben zu vermischen.

Die Vortheile einer solchen Einrichtung, die grössere Selbst- ständigkeit dieser Casse, das höhere Interesse der Nation an In- stituten, die nun sichtlicher ihr Werk wären, liegen am Tage. Ja, es entstände vielleicht dann, wenn es solche, nicht mit den Re- gierungs-Cassen vermischte, sondern von den Administratoren der Communen selbst verwaltete Gassen gäbe, wieder der alte fromme Gemeingeist, der sich in zu oft und ungerecht geschwächten Schen- kungen und Vermächtnissen thätig erwiese.

Die Art der Erhebung könnte alsdann eine doppelte seyn.

Entweder erhöbe der Staat neben den Königlichen Abgaben «inen für das ganze Land ungefähr berechneten Ueberschuss, und dieser flösse unmittelbar in die Casse.

Oder jeder Theil der Nation erhielte unmittelbar die für ihn besonders bestimmten Anstalten und Personen.

In diesem letztern Fall müsste jedoch der Staat, der schon durch die Bildung seiner Diener ein unmittelbares und evidentes Interesse bei der Schulreform hat, die Unterhaltung der Universi- täten ganz, und der gelehrten Schulen wenigstens zu dem Theile, in welchem sie gelehrte, nicht bloss mit denselben verbundene Elementar- und Bürgerschulen sind, tragen.

In wie fern aber die Unterhaltung der Land- und niedern Stadtschulen durch Einrichtung von Schul-Societäten im ganzen

D. Bericht an Altenstein über die Finanzgnindsätze der Sektion. 28q

Lande, durch Zuschüsse aus den Stadt-Cassen und durch Bildung von Provincial-Cassen zu bewirken seyn möchte, würde näher ^usgemittelt werden müssen.

Wichtige Hindernisse hierbei sind allerdings einestheils die noch mangelnde Organisation des ländlichen Gemeinwesens und der Kreis- tind Provincial- Verfassung, anderntheils der traurige Finanzzustand sowohl der Städte, als Provinzen im gegenwärtigen Augenblick.

Allein nicht bloss das Kirchen- und Schulwesen, sondern auch andere Gegenstände, von welchen ich nur hier das mich gleich- falls unmittelbar angehende MedicinalWesen und die Armenpflege namhaft machen will, sind von der Art, dass dabei auf die Ge- meinen wird gerechnet werden müssen, und dass dies wirklich geschieht. Es lässt sich in der That keine wahre und erschöpfende Sorge für die Befriedigung der Bedürfnisse der Nation und des Staats denken, wenn nicht

genau gesondert ist, was Communal-Last werden und was aus Staats-Mitteln bestritten werden muss,

den Gemeinen in allen Stufen ihres Umfanges, in den Dörfern, Städten, Kreisen, und Provinzen eine überein- stimmende Verfassung, in welcher die StädteOrdnung noch immer isolirt da steht, gegeben wird, und endlich

das jetzige Schuldenwesen der Städte und Provinzen auf eine feste Weise geregelt ist. Da nun die Xothwendigkeit dieser Einrichtungen allgemein an- erkannt ist, da die verschiedenen Ministerien schon sehr viel für dieselben gethan haben und unablässig an ihrer Vollendung arbeiten; so kann, dünkt mich, hieraus keine gegründete Ein- wendung gegen den Vorschlag im Ganzen hergenommen werden. Sollte nun dieser Gedanke nur im Allgemeinen mit Ew. Excellenz Ansichten übereinstimmen, so bin ich sehr bereit, einen detaillirten Plan hierüber ausarbeiten zu lassen und zu gemein- schaftlicher Berathung zu bringen.

Berlin, den 12. Mai iSio. Humboldt.

An des Königlichen Wirklichen Geheimen Staats- und Finanz- ministers, Herrn Freiherrn von Altenstein, Excellenz.^)

^) Präsentiert ij. Mai 1810, von Altenstein an Schult:: zum Referat überwiesen. Dieser bemerkt am Rande der ersten Seite:

„Resp. Man sey bereit, mit ihm über die Bedürfnisse des SchulWesens in ^iner dem Abschluss des GeneralStaatsLastenEtats vorangehenden Conferenz zu

W. V. Humboldt. Werke. XUI. 19

290

3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

E. Verschiedenes.

a. Amtsantritt.

I. Dohna an Humboldt. ^)

Mit sehnsuchtsvoller Erwartung und mit der innigsten Freude sehe ich dem Augenblick entgegen, in welchem Ew. Hochwohl- geboren den wichtigen Posten, zu welchem Dieselben durch das ausgezeichnete Vertrauen des Königs Majestät berufen worden sind, antreten und dadurch zugleich dem Wunsch des theuern deutschen Vaterlandes und aller derer, welche sich auch im fernen Auslande mit heiliger Wärme und Gründlichkeit für die höhere Bildung der Menschheit, für Wissenschaft und Kunst interessiren, erfüllen werden.

Bis zu diesem ersehnten Augenblick, in welchem Ew. Hoch- wohlgeboren die specielle Leitung der Geschäfte der Ihnen an- vertraueten Section übernehmen, dürften Dieselben wahrscheinlich geneigt seyn. Sich von dem Zustande der Geistlichen und Schul- Angelegenheiten, den darüber obwaltenden Bedürfnissen und vor- handenen Hülfsmitteln, gehörig zu unterrichten.

In der abschriftlichen Anlage beehre ich mich, Ew. Hoch- wohlgeboren dasjenige mitzutheilen , was in dieser Hinsicht an sämmtliche Consistoria und an die vorzüglichsten wissenschaftlichen Behörden in Preussen, Pommern, den Marken und Schlesien, auch gleichlautend an das evangelisch Lutherische, imgleichen an das französische OberConsistorium zu Berlin heute erlassen worden ist, und bemerke dabei, dass bis jetzt die Consistoria (mit Aus- nahme des Kurmärkischen, welches für sich bestehet, und des Ostpreussischen und Litthauischen, die schon mit den Kammern

rathschlagen, 77iüsse jedoch bevorworten, wenn er wünsche, vorerst festgestellt zu sehen, was der Staat zu diesem Behuf aus seinen Fonds leisten könne, solches das Resultat ergäbe, dass garnichts dazu übrig sey , indem, wie ihm bekannt seyn würde, die gefahrvolle politische Lage des Staats es zur dringendsten aller Verpflichtungen mache, die Staatsfonds zu Abtragung der grossen Schuld an Franckreich zu verwenden, insofern solche nicht zur Erhaltung des Innern noth- wendig absorbirt werden. Es komme also in Absicht des Schulwesens immer wiederum auf die Nothwendigkeit einer überzeugenden Darstellung von den wahren und unumgänglichen Bedürfnissen dieses Zweigs an, und nach dieser würden sich die Leistungen abmessen lassen, welche der Staat dafür auf seine Fonds übernehmen könne.

B. jj.jö. w, Seh.'' ') Von Schreiberhand.

E. Verschiedenes, a.

291

hieselbst und in Gumbinnen vereinigt worden) noch mit den Provincial-Justiz-Collegien vereinigt sind.

Die Verbindung des Westpreussischen Consistorii mit der p. Kammer zu Marienwerder soll jedoch in kurzem geschehen und in den übrigen Provinzen wird solche gleichfalls eintreten, sobald die von des Königs Majestät bereits vollzogene und im Druck befindliche Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der ProvinzialPolizei und FinanzBehörden ^) zur Ausführung kommt.

Dem Vernehmen nach, soll der ehemalige Chef des Geist- lichen Departements, Herr StaatsMinister von Massow Excellenz, bereits eine sehr ausgebreitete Sammlung von gar mannigfaltigen Materialien zur Reform und Verbesserung der Geistlichen und SchulAngelegenheiten veranstaltet haben, welche Ew. Hochwohl- geboren auf Dero Aufforderung durch das OberSchulCollegium oder durch den Herrn Präsidenten von Scheve werden vorgelegt werden können. ^)

Auch sind während der interimistischen Verwaltung der Geist- lichen und Schul-Sachen von Ost- und VVestpreussen im vormaligen Preussischen Provincial-Depanement, mehrere Nachrichten über das Schulwesen nach der abschriftlichen Anlage erfordert, jedoch noch nicht eingekommen. ^) Sobald dieses geschiehet, werde ich nicht ermangeln, Ew. Hochwohlgeboren davon Mittheilung zu machen. Es ist jetzt die Absicht, ähnliche Nachrichten aus den übrigen Provinzen zu erfordern.

Ich werde, wie es sich ganz von selbst versteht, bis zu dem Augeijblicke, in welchem Ew. Hochwohlgeboren ganz die Ge- schäfte übernehmen. Denselben von den vorkommenden erheb- lichen Gegenständen Kenntniss geben, vorzüglich keine irgend wichtige Stelle ohne Ihre Zuziehung besetzen und überhaupt alles beizutragen mich beeifern, um Ihr künftiges Verhältniss zu Ihrer Zufriedenheit einzurichten.

*) Vom 26. Dezember 1808; vgl. Preussische Gesetzsammlung 1806— 1810 S. 404-

^) Vgl. Heilbaum, Die Geschichte des ersten preussischen Schulgesetzentwurfs (i'jgS 180-]) in der Monatsschrift für höhere Schulen i. Humboldt hat das Ma- terial tatsächlich erhalten. Von Scheve war Präsident im Oberschulkollegium, im Lutherischen Oberkonsistorium und Mitglied zahlreicher andrer Kollegien; vgl. oben S. 255 und Spranger S. j4.

') Gemeint ist eine Verfügung von Schroetters vom 27. September 1808, der 4 Umfrageformulare beiliegen mit Bezug auf i) Landschulen, 2) Stadtschulen, j^) Erziehungsanstalten. 4) Lehrer seminarien.

19*

oQo 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Da Ihnen auch ein Expedient und Kanzelist bei Ihren vor- läufigen Arbeiten nöthig seyn wird; so überlasse ich Ew. Hoch- wohlgeboren, Sich dieserhalb an den Herrn Geheimen StaatsRath und OberPräsidenten Sack beliebigst zu wenden, welcher beauf- tragt ist, Ihnen hiezu zwei brauchbare Subjecte anzuweisen, oder für deren Remuneration zu sorgen, im Fall Ew. Hoch wohlgeboren vorziehen sollten, selbige unter den dortigen Officianten des vor- maligen General-Directorii Selbst zu wählen.

Königsberg, den 24ten Januar 1809.

Dohna.

2. Humboldt an Dohna. ^)

Berlin, den 4. Februar, 1809.

Ew. Excellenz zwei geehrteste Schreiben vom 24. und 27. pr. sind richtig vor einigen Tagen bei mir eingegangen, und je auf- richtiger ich Denselben für die mir geäusserten schmeichelhaften Gesinnungen verbunden bin, desto lebhafter ist mein Wunsch, wenigstens einigermassen den Erwartungen zu entsprechen, welche Sie darauf zu gründen die Güte haben. Mein neuliches Schreiben an des Herrn Staats und CabinetsMinisters Grafen von Goltz Excellenz^) wird Ew. Excellenz ein überzeugender Beweis gewesen seyn, welchen Begriff ich von der Wichtigkeit des mir von des Königs Majestät allergnädigst angetragenen neuen Berufs hege, und wie unange- messen ich meine Kräfte dem Umfange und den Schwierigkeiten desselben finde. Indem ich mich nun hierin, so wie in Absicht meines ganzen künftigen Schicksals, allein der Entscheidung Sr. Königlichen Majestät unterwerfe, werde ich mit ausnehmendem Vergnügen die Gelegenheit, schon in der Zwischenzeit und wie auch jene Angelegenheit entschieden werden möge, thätig zu seyn, ergreifen, welche Ew. Excellenz mir darzubieten die Gewogenheit haben, und die ich mit herzlichem Danke für einen neuen Beweis Ihres gütigen Vertrauens erkenne.

Ich werde nemlich sogleich, von Anfang der künftigen Woche an, mich bemühen, die zu den bei der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts vorzunehmenden Einrichtungen nöthi- gen Materialien über den Zustand der Geistlichen und Schul- Angelegenheiten, die Bedürfnisse derselben, und die dabei vor-

') Eigenhändiges Konzept.

'^) Dieses Schreiben an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen von Goltz, Humboldts bisherigen Chef, wird in der Briefabteilung abgedruckt werden.

E. Verschiedenes, a. OQ*?

handenen Hülfsmittel einzusammeln. Ich werde dabei die Befehle benutzen, welche Ew. Excellenz an die Consistoria und Universi- täten des Landes haben ergehen lassen, und nehme mir nur die Freiheit, Denselben gehorsamst anheimzustellen,

ob nicht ähnliche auch an die Akademieen der Wissen- schaften und Künste allhier zu erlassen seyn dürften?

Meine erste Sorge wird natürlich die seyn, mich hier durch die Ver- mittlung des Herrn Praesidenten von Scheve aus den Registraturen des geistlichen Departements, des OberConsistorii und des Ober- Schul-Collegii zu unterrichten, um unnütze Anfragen zu vermeiden, und ich werde dort unstreitig das schon von dem Herrn Staats Minister von Masso w Excellenz zweckmässig Vorgearbeitete antreffen.

Ueberaus wichtig und schätzbar werden gleichfalls diejenigen Nachrichten über das Schulwesen in Ost- und Westpreussen seyn, für deren Einziehung man bereits Sorge getragen hat, da schon die mir von Ew. Excellenz gewogenst mitgetheilten Fragen den Umfang und die wohl überlegte Anordnung der beabsichteten Erkundigungen beweisen.

Indess ist in dieser Rücksicht, meines Erachtens, im jetzigen Augenblick ein doppeltes Geschäft zu unterscheiden.

Es giebt bei der jetzt vorzunehmenden Organisation des Schulwesens einige Punkte, welche die Wiederherstellung in Ver- fall gerathener, oder die Errichtung neuer Institute an der Stelle verloren gegangener betreifen, und da eine zu lang fortgesetzte Ungewissheit über dieselben von nachtheiligen Folgen seyn könnte, sobald als möglich entschieden werden müssen. Diejenigen Data zu sammeln, welche zur vollständigen Uebersicht und sicheren Entscheidung dieser Punkte dienen können, wird daher mein erstes und angelegentlichstes Geschäft seyn.

Etwas Andres ist es nachher zur Uebung der erforderlichen Aufsicht und Beurtheilung der nöthigen Verbesserungen Nach- richten über die Beschaffenheit aller Schulanstalten überhaupt ein- zuziehen. Dies Geschäft, das einer vollständigen Prüfung und Revision dieser Anstalten gleichkommt, erfordert nicht nur in der Ausführung nothwendig Zeit, sondern auch in der Anordnung selbst, ausser der Bestimmung der Fragen, oder der Angabe der Methode der zu erstattenden Berichte, wenn sich vielleicht nicht alles bequem unter Fragen fassen Hesse, noch eine vorzügliche Sorgfalt in der Auswahl solcher Personen, welche diese Prüfung vorzunehmen im Stande sind.

204. 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Da dies nun in Ost- und Westpreussen bereits zweckmässig eingeleitet ist, so werde ich mir angelegen seyn lassen, dasselbe auch in den übrigen Provinzen vorzubereiten, indess nicht ver- fehlen, meine Gedanken darüber erst Ew. Excellenz zur gefälligen Beurtheilung und Entscheidung vorzulegen.

Was Ew. Excellenz übrigens die Gewogenheit haben, mir von dem Antheil zu sagen, welchen Sie mir schon jetzt an den Geschäften der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts gütigst erlauben wollen, ist mir ein neuer Beweis Ihrer gütigen Gesinnungen gegen mich und des Vertrauens gewesen, welchem zu entsprechen ich ununterbrochen eifrigst bemüht seyn werde.

Berlin, den 4. Februar, 1809.

H. 3. Humboldt an Dohna. ^)

Berlin, den 28. Februar, 1809.

Da Se. Majestät der König allergnädigst geruhet haben, mich durch die von Allerhöchstdemselben empfangene CabinetsOrdre vom 20. huj. in Stand zu setzen, den mir mit so vieler Huld an- vertrauten Posten wirklich anzutreten, und auch Ew. Excellenz in dem mir mitgetheilten Schreiben an den Herrn Geheimen StaatsRath und OberPraesidenten Sack bereits, dass dies geschehen ist, voraussetzen, so eile ich Ew. Excellenz die Versicherung der Verehrung und der Ergebenheit zu wiederholen, welche mich immer für Sie beseelt haben. Ich bitte Ew. Excellenz, überzeugt zu seyn, dass ich mir aus innigem Herzen Glück wünsche, der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts in dem Ministerium eines Mannes vorzustehen, welchen der wärmste und lebendigste Eifer für alles Grosse, Gute und Schöne belebt, und bei dem jedes auf Gründung und Befestigung aufgeklärter und edler Grund- sätze ^) gerichtete Unternehmen der günstigsten Aufnahme und der thätigsten Mitwirkung gewiss ist. Mein eignes Bestreben, Ew. Excellenz gütigen Erwartungen in meinem Fache, nach allen meinen Kräften, zu entsprechen, wird Ihnen, wie ich mir zu schmeicheln wage, ein überzeugender Beweis der Wahrheit und Aufrichtigkeit dieser Gesinnungen seyn.

Um sogleich die volle Wirksamkeit meines neuen Postens anzufangen , habe ich den beiden hiesigen Akademien und dem Herrn Praesidenten von Scheve und durch ihn den unter seinem

^) Eigenhändiges Konzept.

'•') „Grundsätze" verbessert aus „Gesinnungen".

E. Verschiedenes, a. b.

295

Vorsitz arbeitenden Käthen angezeigt, dass ich jetzt in die Thätig- keit meines Amtes eingetreten sey, und ich werde nicht ver- säumen, soviel es schon jetzt möglich seyn wird, alles dasjenige wahrzunehmen, was zu meinem Geschäftskreis gehört. Nur muss ich Ew. Excellenz gehorsamst bitten, mir gütigst zu erlauben, da ich mich hier noch bis jetzt ganz allein befinde, mich öfter um Zustimmung und Befehl an Ew. Excellenz zu wenden, als ich sonst bei den wichtigern und ausgebreiteten Geschäften Ihres Ministeriums zu thun wagen würde.

Im gegenwärtigen Augenblick bleibt mir weiter nichts übrig, als mich Ew. Excellenz nachsichtsvollem Wohlwollen und der Fortdauer der Gesinnungen zu empfehlen, die in jeder Rücksicht einen so grossen und unschätzbaren Werth für mich haben.

Berlin, den 28. Februar, 1809.

Humboldt.

b. Humboldt an Nicolovius über die geistlichen und Schuldeputationen. ^)

Berlin, den 4ten März 1809.

Extract.

Der Herr StaatsMinister Graf von Dohna Excellenz hat mir unterm 18. praet. Abschriften einiger Verfügungen zugesendet, welche die Zuziehung würdiger Geistlichen zur MitDirection der zw. bildenden Geistlichen und SchulDeputationen betreffen.

Nichts könnte mehr mit meinen Gesinnungen und innersten Ueberzeugungen übereinstimmen, als die Absicht, welche durch diese Anordnungen erreicht werden soll, und der ganze Inhalt derselben scheint mir in so hohem Grade zweckmässig, dass ich selbst schon gleich nach Empfang der Instruction für die Regie- rungen dem Herrn Grafen Dohna meine Besorgniss äusserte, dass die Verbindung der Kirchen- und Schul-Deputationen mit den ehemaligen Kammern leicht den Nachtheil haben könnte, dass die Reinheit der Grundsätze, welche die höchste, und am meisten von allen kleinlichen politischen und oeconomischen oder sonst beschränkten Rücksichten entfernte ^Angelegenheit des Staats noth- wendig leiten müssen, durch den zu grossen Einfluss von Per- sonen, die mit ganz verschiedenem Interesse umzugehen gewohnt

'1 Von Schreiberhand.

200 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

sind, gedrückt werden könne. Wissenschaftlich gebildeten, prac- tisch erfahrenen, und durch ihr Amt selbst bei ihren Mitbürgern angesehenen Geistlichen bedeutende Mitwirkung und entscheidenden Einfluss bei allen auf Kirchen und Schulen Bezug habenden Ver- fügungen der Regierung zu verschaffen, ist nun gewiss das beste Mittel jenem nur zu sehr zu befürchtenden Nachtheil wirksam zu- vorzukommen.

Nur erscheint mir die getroffene Verfügung, so wie dieselbe in dem Schreiben an die OberPräsidenten und dem Rescript an die Consistorien ausgedrückt ist, noch einige Erläuterungen zu er- fordern, welche ihr erst die nothwendige, meines Erachtens ihr jetzt noch mangelnde, Klarheit und Bestimmtheit geben.

In der CabinetsOrdre vom 1 3 i£5 praef. wird nemlich gesagt^ dass es rathsam seyn werde

„dem Praesidium einer jeden Kammer einen angesehenen Geistlichen als Mitglied zuzuordnen" und in dem Schreiben an die OberPräsidenten heisst es, dass der Geistliche MitDirector nicht als eigentlicher Geschäftsmann ge- braucht werden solle. Es wird also dort von ihm als einem Mit- Director, der einen weltlichen Vorsitzenden Rath, den Präsidenten oder Director, welcher die specielle MitDirection der Geistlichea und SchulDeputation führt, zur Seite hat, gesprochen.

Hierin scheint mir nun eine Dunkelheit zu liegen, welche nothwendig aufgeklärt werden muss, wenn die OberPräsidenten im Stande seyn sollen die Verfügung zu einer den wohlthätigen Absichten des Ministeriums gemässen Ausführung zu bringen.

Denn wenn man die neuen, die Organisation der Regierungen betreffenden Verordnungen mit Aufmerksamkeit durchliest, so scheint es klar, dass jede RegierungsDeputation ihren eigenen Director haben und also das Praesidium aus 5 Personen, nemlich dem Präsidenten und 4 Directoren bestehen soll.

Zwar heisst es in der Verordnung wegen der ProvincialBe* hörden^) § 17.

ausser demx Praesidium, welches aus dem Präsidenten und

zweien bis dreien RegierungsDirectoren besteht u. s. f.

Allein diese Stelle hat mich auch gleich befremdet, man müsste

denn annehmen, dass bei schwach besetzten Regierungen Ein und

derselbe Director mehreren Deputationen vorstehen sollte.

*) Preussische Gesetzsammlung 1806— 1810 S. 46g.

E. Verschiedenes, b.

297

Nach der neuen Verfügung muss nun jede Kirchen- und SchulDeputation einen Geistlichen zum Director haben und dieser muss alle DirectorialGeschäfte besorgen, oder es muss, wie das Schreiben an die OberPräsidenten besagt, zwei Directoren, einen geistlichen und einen weltlichen geben, so dass das Praesidium eine Person mehr dadurch erhält.

Wie aber der weltliche mit Vorsitzende Rath jemals der Prä- sident selbst seyn könne, ist mir nicht klar, denn nach dem Inhalte der Instruction für die Regierungen^) soll, soviel ich absehe, der Präsident nie einer einzelnen Deputation, als ihr Director vorstehen. Dass nun eine solche gemeinschaftliche Direction, wenn dieselbe wirklich überall eingeführt werden soll, ihre Schwierigkeiten und Nachtheile hat und die Maschine verwickelter macht, ist wohl keinem Zweifel unterworfen.

Könnte man (und am Ende ist doch die Zahl der Regierungen nicht so gross) jeder geistlichen Deputation einen Mann zum Director geben, der keinen der Nachtheile befürchten Hesse, zu deren Ver- meidung man die geistlichen MitDirectoren bestimmt, so wäre dies unstreitig besser.

Wo ein Geistlicher Neigung und Müsse genug hätte (und wenigstens hier und da trifft dies gewiss ein) sich der ganzen Geschäftsführung der Deputation als Director zu unterziehen, könnte auch er genommen werden und so wäre allerdings alles einfacher.

Jetzt dürfte es aber wohl nothwendig seyn, die Verhältnisse der beiden Directoren zu einander, zum Praesidio und den Räthen noch genau und bestimmt festzusetzen. Der Gedanke, Räthen der ProvincialBehörden zugleich wie bei Herrn Borowski ^) ge- schehen ist, Titel zu geben, die nur für die obern Behörden passen, um ihnen dadurch die Pflicht aufzuerlegen, der Section des Cultus auf Erfordern in wichtigen Angelegenheiten ihr Gutachten abzugeben, ist, da darunter natürlich über die einzelne Provinz her- ausgehende allgemeine Angelegenheiten verstanden werden, sehr glücklich, da er gleichsam der Section auswärtige Mitglieder ver- schafft. Ich war gerade, als ich dies empfing, im Begriff etwas Aehnliches vorzuschlagen.

Ew. Hochwohlgeboren ersuche ich gegenwärtig, mir gefälligst anzuzeigen, ob die oft erwähnte Verfügung in dem Sinne genom-

') Vgl. ebenda S. 481, besonders § gi. *) Vgl. oben S. 211.

2Q^ 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und i8io.

men worden ist, welchen ich ihr beilege, vorher aber die von mir geäusserten Bedenken Sr. Excellenz dem Herrn Minister vorzu- tragen und mir das Weitere darüber mitzutheilen.

Auch wünsche ich Mittheilung des ganzen Berichts vom 24. Januar ^., von welchem der Verfügung nur ein Extract beigefügt ist, in sofern nemlich der ganze Bericht von der Section herrührt, wie ich voraussetzen muss.

p. ich verharre p. Ew. p.

Berlin, 4. März 09.

ergebenster

V. Humboldt.

c. Berufung des Predigers Natorp.^)

Berlin, den 14. März, 1809.

Eins der dringendsten Bedürfnisse bei der Organisation der meiner Leitung anvertrauten Behörden ist unstreitig, Personen zu besitzen, welchen mit Sicherheit die speciellere Aufsicht auf die Land- und niederen Bürgerschulen anvertraut werden kann, und von welchen sich heilsame Verbesserungen in diesem wichtigen Theile der Nationalerziehung erwarten lassen, und ich freue mich, Ew. Excellenz hierzu einen Mann vorschlagen zu können, der sich vorzugsweise diesem Fache gewidmet und sich einen entschiedenen Ruf darin erworben hat, den Prediger Natorp in Essen. Ew. Excellenz sind vermuthlich Selbst schon näher mit den Verdiensten und den Schriften dieses Mannes bekannt, und ich darf mir daher mit der Hoffnung schmeicheln, dass auch Sie schon ein günstiges Vor- urtheil für ihn besitzen.

Soviel sich aus seinen Schriften urtheilen lässt (denn persönlich ist er mir nicht bekannt) hat er in der That mehr, als sonst andre, den wahren Gesichtspunkt gefasst, der bei der Bildung der untern Volksklassen nicht verlassen werden darf. Denn er geht überall auf die Begründung eines festen, bestimmten, durch Moralität und Religion zugleich gestärkten und erwärmten Charakters aus;- hängt nirgend am Buchstaben; und ist immer bemüht, den gesunden und schlichten Sinn, und die reine und natürliche Empfindung zu wecken, aus welcher jener Charakter gleichsam von selbst ent-

') Eigenhändiges Konzept.

E. Verschiedenes, b. c.

299

springt. Man darf daher von ihm licinen der verderblichen Mis- bräuche, dem Volke bloss auf das Bedürfniss des Lebens berechnete mechanische Fertigkeiten beibringen, oder dasselbe mit Fleiss inner- halb der Schranken gewisser Begriffe halten, oder endlich den Kreis seiner Kenntnisse auf eine zweckwidrige Weise erweitern zu wollen, befürchten.

Allein was ihn noch ausserdem vorzüglich schätzbar macht, ist, dass er mit der Theorie auch Erfahrung verbindet, und wie seine Schriften häufig beweisen, oft und reiflich über die Möglich- keit nachgedacht hat, die Schwierigkeiten, welche der Verbesserung der unteren Schulen im Wege stehen, hinwegzuräumen. Die Mittel, sowohl Einrichtungen dieser Art ohne zu grossen Aufwand machen, als das Volk selbst bewegen zu können, zu dem nun einmal unvermeidlichen nach Vermögen mit beizutragen, werden ihm daher w^eniger fremd seyn.

Und dieser Punkt verdient auf alle Weise beherzigt zu werden. Ungeachtet der Grossmuth, mit welcher Se. Majestät der König sehr bedeutende Summen zur Verbesserung der Land- und niederen Bürgerschulen hergeschossen hat, war es doch bisher immer un- möglich, eine wesentliche und bedeutende Verbesserung zu be- wirken, und es ist allgemein anerkannt, dass, auch in Rücksicht des Aufwandes, eine solche Verbesserung schwerer zu bewirken ist, als die Einrichtung der glänzendsten gelehrten Anstalten. Man muss also schlechterdings darauf denken, einen andern Weg einzuschlagen, und nicht vom Staate allein zu fordern, was der Staat allein nicht zu leisten vermag, sondern, da die Erziehung überhaupt, vorzüglich aber dieser Theil derselben, im eigentlichsten Verstände Sache der Nation ist, auch die Nation unmittelbar, nur auf eine zweckmässige, und in die bisherige Staatsverwaltung ein- greifende Weise, dazu mitwirken und beitragen zu lassen.^) An dem Willen dazu wird es ihr nicht mangeln, sobald nur das rechte Interesse in ihr geweckt wird, allein dazu w^erden in den leitenden Behörden Männer erfordert, die mit Erfolge auf sie einwirken können.

Dass aber für diesen Theil der Erziehung besonders alles ge- schehen, ja selbst das unmöglich scheinende versucht werden muss, davon sind Ew. Excellenz gewiss auch mit mir überzeugt, sowie auch davon, dass es damit bei w^eitem anders werden muss, als

ij Vgl. oben S. 288.

300

3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

es bisher gewesen ist. Die Volksbildung ist die Basis aller Bildung überhaupt. Sie macht nicht nur (so segensvoll auch dies allein schon ist) glücklichere Menschen und gehorsamere Unterthanen; sondern aus ihr entspringt auch allein die ächte Vaterlandsliebe, und sie wirkt selbst in der höheren Bildung mit fort, welche so- gleich anfängt, in Spitzfindigkeit und Tändelei auszuarten, und bis auf den Gehalt ihrer eignen Sprache verliert, wenn das Volk einen festen, geraden, durch natürliches, aber wahres Gefühl gehobenen Charakter zu besitzen aufhört. Wirklich zehrt dieselbe in den meisten Ländern nur noch von dem Fonds, der den Nationen in ehemaligen Zeiten eigen war.

In den Preussischen Staaten kann auch hierin der Grund zu einer heilsamen Verbesserung gelegt werden. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist seit einigen Jahren gar sehr auf diesen Punkt ge- richtet, und man hat Lehrmethoden erfunden, die Prüfung und Verbesserung erheischen, aber die es unverzeihlich wäre, unversucht und unbenutzt liegen zu lassen. Der erste Schritt hierzu thätig zu seyn ist, Leute zu versammeln, die diesem Geschäfte gewachsen sind, und als einen Mann, zu dem man das Vertrauen hegen kann, dass er nicht nur dies selbst seyn, sondern auch Andre fähige 'bilden und heranziehen werde, schlage ich den Prediger Natorp vor.

Ich werde jetzt nur ein Paar Worte über die Stelle hinzu- zusetzen brauchen, die man ihm, meines Erachtens, anweisen müsste.

Da es dem beabsichteten Zweck am meisten entsprechen würde, ihm einen allgemeinen Einfluss zu verschaffen, so würde er natürlicherweise seinen Platz in der Section des öffentlichen Unterrichts finden und zu seinem besonders abgegränzten Departe- ment die Land- und niedern Bürgerschulen erhalten.

Allein folgende Gründe lassen mich wünschen, ihn auch zu- gleich bei der hiesigen KurMärkischen geistlichen Regierungs- Deputation angestellt zu sehen.

1. Die wichtigsten und unentbehrlichsten Werkzeuge zur Ver- besserung der Land- und Bürgerschulen sind die Prediger, die sogar noch bei weitem mehr, als bis jetzt der Fall ist, thätige Mit- arbeiter an denselben werden müssen. Nun heisst es zwar durch- aus den neuen Organisationsplan verkennen, wenn man die Unterabtheilung für den öffentlichen Unterricht als eigentlich ge- trennt von der für den Cultus ansehen wollte; allein zu läugnen

E. Verschiedenes, c.

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ist dennoch nicht, dass in der RegierungsDeputation Schul- und Kirchenwesen noch bei weitem enger verbunden sind. Die Arbeit in derselben muss daher noch eine andre und demjenigen, der thätig auf die Schulverbesserung einwirken soll, unentbehrliche Ansicht gewähren.

2. Die RegierungsDeputation wirkt zwar nur auf Eine Pro- vinz, aber praktisch und unmittelbar, und wer an allgemeinen Planen zu arbeiten bestimmt ist, verfährt zweckmässiger, wenn er auch selbst mit den Schwierigkeiten der Ausführung zu kämpfen hat, und den" Erfolg zu prüfen im Stande ist.

3. Da die Prüfung der Schullehrer und vielleicht selbst der Prediger, und wenigstens die Ernennung der letzteren künftig bei der Deputation verbleibt, so ist es nothwendig, sich da, wo Re- gierung und Section an demselben Ort vereinigt sind, nicht des Vortheils zu berauben, demjenigen, welcher das Fach der Land- schulen bearbeitet, auch Einfluss auf die Besetzung der Prediger- stellen zu verschaffen.

4. Bisher bestanden das Kur-Märkische, das OberConsistorium und das OberSchulCollegium fast ganz aus denselben Mitgliedern,^ und dies brachte unstreitig Einseitigkeit hervor. Allein jetzt muss auf der andern Seite auch alles Mögliche geschehen, um die Verbindung der an ihre Stelle tretenden Behörden zu erleichtern, und da können Mitglieder, welche regelmässig in beiden Sitz und Stimme haben, ausserdem dass sie die Gleichförmigkeit der Grundsätze befördern, und die Ansichten des einen Collegii durch die des andern berichtigen helfen, oft in wenigen Worten Aufklärungen geben, die sonst nicht ohne grössere Weitläuftigkeit zu erhalten seyn würden.

Sollten Ew. Excellenz in diesen, sich auf die Organisation im Ganzen beziehenden Ideen mit mir übereinstimmen, so ersuche ich Sie gehorsamst, Sr. Majestät dem Könige vorzuschlagen:

1. den Prediger Natorp zum Mitgliede der geistlichen Depu- tation in der KurMärkischen Regierung zu ernennen, und ihm vielleicht auch in derselben denjenigen Antheil an der Direction selbst zu verleihen, welchen Ew. Excellenz, nach vielleicht mit dem Praesidio zu nehmender Rücksprache, für gut finden werden,

2. denselben aber zugleich zum Assessor der Section des öffent- lichen Unterrichts zu bestimmen.

Die Beifügung von Assessoren zu den StaatsRäthen würde der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts überhaupt noch

Q02 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

den Vortheil gewähren, was bei einer Oberbehörde so nothwendig ist, aus einer grösseren Anzahl stimmführender Mitglieder zu be- stehen, ohne dass dadurch die Zahl der höheren Staatsämter, und der Besoldungsetat zu beträchtlich vermehrt würde. Berlin, den 14. März, 1809.

Humboldt.

An des Herrn StaatsMinister des Innern, Grafen zu Dohna, Excellenz.

d. Vokation der Prediger. ^) (An Dohna.)

' Berhn, den 25. März 1809.

Ew. Excellenz werden aus der abschriftlich inliegenden Eingabe des Herrn OberConsistorialPräsidentenvonSchevezu ersehen die Güte haben, dass derselbe mich um die Ausfertigung der Vocation für den Feldprediger Kegler, welcher als Adjunctus des Predigers Weisser zu Königshorst aim spe succedendi angestellt werden soll, ersucht. Zugleich fragt er an, wie es künftig in ähnlichen Fällen gehalten werden soll?

Da hier ein wichtiger und, wie es mir scheint, durch die neueren Organisationsverordnungen noch nicht gehörig bestimmter Punkt in Frage kommt, so halte ich es für meine Pflicht, mich deshalb unmittelbar an Ew. Excellenz zu wenden.

Die Geschäftslnstruction für die Regierungen vom 26t£5 Decem- ber praet. 2) bestimmt, daß die Besetzung der dem Königlichen PatronatRechte unterworfenen Geistlichen und SchulStellen der geist- lichen und SchulDeputation der Regierungen zustehen soll. Ich kann indess nicht glauben, dass dadurch die ehemals schlechterdings immer nothwendige Bestätigung dieser Ernennungen durch die OberBehörde, die damals das lutherisch geistliche Departement war, und jetzt die Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts ist, aufgehoben seyn sollte.

Es kann der Section auf keine Weise gleichgültig seyn, aut die Besetzung der Pfarrstellen auch nicht den mindesten Einfluss zu haben, sondern höchstens nachher Anzeige zu erhalten, dass dieses oder jenes Subject ernannt sey. Nach § 39 der erwähnten Geschäftslnstruction soll jede Stellen-Besetzung allemal im Plenum

^) Von Schreiberhand.

^) Vgl. Preussische Gesetzsammlung 1806— 1810 S. 4-j8 62).

E. Verschiedenes, c. d.

303

der Regierung zur Sprache gebracht werden, um zu erfahren, ob den anderen Mitgliedern Umstände, welche die Anstellung des gewählten Subjects wiederriethen, bekannt sind? Wieviel mehr nun wäre es zwecl^mässig, eben dies bei der Section zu thun, da diese ein noch viel näheres Interesse bei der Besetzung der Pfarr- stellen, als die übrigen Deputationen der Regierung, hat, und da vorauszusetzen ist, dass sie nie versäumen wird, sich schon von den Universitäten her und auch sonst Kenntniss von den zu Predigerstellen aspirierenden Candidaten zu verschaffen?

Auf der anderen Seite ist es nothwendig, den Regierungen, da sie für die Besetzung der Predigerstellen verantwortlich seyn sollen, alle erforderliche Freiheit in dieser Rücksicht zu lassen, und es schiene mir daher folgender Mittelweg rathsam:

Die Regierungen wählten und ernennten die, dem Königlichen Patronat unterworfenen Prediger, zeigten aber die geschehene Wahl allemal zur Bestätigung der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts an; in dieser würde die Sache und zwar im Plenum beider Unter-Abtheilungen, da jeden Prediger, als natürlichen Aufseher der Schule seiner Gemeine, das Schulfach mit angeht, vorgetragen, und die geschehene Wahl entweder bestätigt oder verworfen. Dies letztere müsste aber nur dann geschehen können, wenn sich erhebliche Gründe gegen das gewählte Subject zeigten, nicht wenn bloss ein anderes vorzüglicher schiene, damit die Be- stätigung nicht in wahre Besetzung ausartete. Die Section ge- wönne durch diese Einrichtung ausserdem, dass sie untaugliche Subjecte zurückweisen könnte, noch den Vortheil, auch da, wo sie die Bestätigung nicht wirklich verweigerte, doch aber die Wahl nicht recht zweckmässig fände, die RegierungsDeputation darüber zurechtweisen und ihr an dem einzelnen Beispiel, wie sie künftig besser zu verfahren habe, zeigen zu können.

Wirklich scheint mir nur auf diese Weise eine gehörige Con- trolle der Section über die Regierungen in diesem wichtigen Punkte möglich.

Die V^ocation müsste alsdann von der Section ausgehen, aber von dem Praesidio der Regierung oder dem Director der geist- lichen Deputation (wie dies nun beliebt werden würde) mit unter- schrieben seyn. Durch diese Unterschrift, die bei den Vocationen der allein von der Section zu ernennenden Superintendenten weg- fiele, würde die Regierung und ihre Deputation für die Ernennung verantwortlich. In der Section selbst geschähe die Unterschrift

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Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

"i

der Vocationen von dem Chef der beiden Unterabtheilungen der- selben, sowohl wegen des Interesses, das die Section des öffentlichen Unterrichts an der Besetzung jeder Predigerstelle nimmt, als auch deswegen, weil diese Angelegenheit in der That von allgemeiner Wichtigkeit ist.

Die für die Ausfertigung der Vocationen zu zahlenden Ge- bühren flössen in die Kanzlei der Section, welche, so viel ich ab- sehe, an die Stelle der Geheimen StaatsKanzlei des Geistlichen Departements treten muss.

Der einzelne Fall wegen des Feldpredigers Kegler würde nun sogleich nach der hierüber zu nehmenden allgemeinen Entschei- dung, welche ich den höheren Einsichten Ew. Excellenz anheimstelle,

zu bestimmen seyn.

Berlin den 25^ März 180Q.

Humboldt. An

des Königlichen StaatsMi nisters Herrn Grafen zu Dohna

Excellenz. ')

e. Humboldt an Nicolovius.^)

Königsberg, den 3. December 1809.

Meine jetzt so nah bevorstehende Abreise veranlasst mich Ew. Hochwohlgeboren über die Führung der Geschäfte der Section während meiner Abwesenheit folgendes zu eröffnen.

Ich ersuche Ew. p. von Morgen an, wo es mir unmöglich se}^ wird, noch selbst der Session beizuwohnen, das Praesidium sowohl hier als in Berlin zu führen, und es theils hiermit, theils mit der Unterzeichnung der Reinschriften, die sonst von mir voll- zogen werden, eben so zu halten, als es während meiner Reise nach Litthauen geschehen ist.

Bei Ew. p. Ankunft in Berlin scheint es mir zweckmässig, dass Ew. p. die Sessionen der Section noch so. wie bisher ungetheilt und bloss mit Zuziehung des Herrn StaatsRath Uhden abhalten, und nur da wo einzelne Fälle es Ihnen nöthig zu machen scheinen,

') Aus der Antwort vom 6. April i8og: „Den Vorschlag, bei Besetzung der Predigerstellen die Regierungen zu beschränken, finde ich aus denselben Gründen bedenklich, aus welchen ich mich nicht für die vorgeschlagenen Modifikationen bei Besetzung der Rektorstellen an untern und der untern Lehrerslellen an höheren Schulen habe erklären können''; im übrigen empfehle sich Vorsicht bei der Wahl der Regierungsmitglieder imd ihre Beaufsichtigung durch die Oberpräsidenten.

^) Von Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen.

E. Verschiedenes, d. e.

305

die deutschen Geistlichen und die französischen Mitglieder ein- laden.

Da es indess möglich wäre, dass dennoch Umstände einträten, welche dies nicht rathsam machten ^), so wird es von Ew. p. Ermessen abhängen, dies auch früher abzuändern, alle Mitglieder zuzuziehen und beide Abtheilungen der Section einzeln arbeiten zu lassen.

Ew. p. werden auch alsdann die Gefälligkeit haben, den Vor- sitz in der einen und der andern zu übernehmen, und die fernere Einrichtung muss künftig, wie Ew. p. schon mündlich mit mir übereinstimmten, aut folgenden Grundsätzen beruhen.

Die Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts ist eine und eben dieselbe, und ihre beiden Abtheilungen müssen auf das engste zusammenwirken.

Ihre beiden Abtheilungen haben jedoch besondere Sessionen in welchen der jeder besonders bestimmte Chef den Vorsitz führt.

Eine Session wöchentlich für jede wird in der Regel zur Ab- machung der Geschäfte hinreichen. Von beiden Chefs wird er- wartet, dass sie soviel als möglich den beiderseitigen Sessionen beiwohnen, welche daher nie zu gleicher Zeit gehalten werden können. Allein die Anwesenheit des Sectionschefs in den Vor- trägen für den Cultus bringt keine Aenderung im Praesidium hervor, und der besondere Chef des Cultus übernimmt für den Unterricht keine ^^ortragsSachen, es sey denn, dass er aus eigner Wahl es wünsche. Die Reinschriften für den Cultus unterzeichnet der besondere Chef desselben allein, die Concepte aber zeichnet der SectionsChef zugleich mit, um, da er die Sachen erbrechen soll, und doch nicht unausgesetzt wird den Vorträgen beiwohnen können, den Faden der Geschäfte nicht zu verlieren. Er erlaubt sich aber in den Concepten keine Aenderungen, ohne sich dar- über mit dem besondern Chef für den Cultus vorher zu vereinigen.

Es freut mich ungemein im voraus überzeugt seyn zu können, dass Sie mit mir darin übereinstimmen, dass auf diese Weise die uns gemeinschaftlich übertragenen Geschäfte werden auf eine dem wichtigen Zweck, der uns beiden so sehr am Herzen liegt, ent- sprechende Weise geführt werden können.

^) Nach „machten" gestrichen : „oder dass ein längerer Aufschub ihrer regel- mässigen Geschäftsthätigkeit von den Geistlichen übel empfunden würde".

W. V. Humboldt, Werke. XUI. 20

QQA 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

der Vocationen von dem Chef der beiden Unterabtheilungen der- selben, sowohl wegen des Interesses, das die Section des öffentlichen Unterrichts an der Besetzung jeder Predigerstelle nimmt, als auch deswegen, weil diese Angelegenheit in der That von allgemeiner Wichtigkeit ist.

Die für die Ausfertigung der Vocationen zu zahlenden Ge- bühren flössen in die Kanzlei der Section, welche, so viel ich ab- sehe, an die Stelle der Geheimen StaatsKanzlei des Geistlichen. Departements treten muss.

Der einzelne Fall wegen des Feldpredigers Kegler würde nun sogleich nach der hierüber zu nehmenden allgemeinen Entschei- dung, welche ich den höheren Einsichten Ew. Excellenz anheimstelle,

zu bestimmen seyn.

Berlin den 25^ März i8oq.

Humboldt. An

des Königlichen StaatsMinisters Herrn Grafen zu Dohna

Excellenz. ^)

e. Humboldt an Nicolovius. '^)

Königsberg, den 3. December 1809.

Meine jetzt so nah bevorstehende Abreise veranlasst mich Ew. Hoch wohlgeboren über die Führung der Geschäfte der Section während meiner Abwesenheit folgendes zu eröffnen.

Ich ersuche Ew. p. von Morgen an, wo es mir unmöglich seyn wird, noch selbst der Session beizuwohnen, das Praesidium sowohl hier als in Berlin zu führen, und es theils hiermit, theils mit der Unterzeichnung der Reinschriften, die sonst von mir voll- zogen werden, eben so zu halten, als es während meiner Reise nach Litthauen geschehen ist.

Bei Ew. p. Ankunft in Berlin scheint es mir zweckmässig, dass Ew. p. die Sessionen der Section noch so. wie bisher ungetheilt und bloss mit Zuziehung des Herrn StaatsRath Uhden abhalten, und nur da wo einzelne Fälle es Ihnen nöthig zu machen scheinen,

') Aus der AnWort vom Ö. April i8og: „Den Vorschlag, bei Besetzimg der Predigerstellen die Regierungen zu beschränken, finde ich aus denselben Gründen bedenklich, aus welchen ich mich nicht für die vorgeschlagenen Modifikationen bei Besetzung der Rektorstellen an untern und der untern Lehrerstellen an höheren Schulen habe erklären können" ; im übrigen empfehle sich Vorsicht bei der Wahl der Regierungsmitglieder und ihre Beaufsichtigung dw-ch die Oberpräsidenten.

^) Von Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen.

E. Verschiedenes, d. e.

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die deutschen Geistlichen und die französischen Mitglieder ein- laden.

Da. es indess möglich wäre, dass dennoch Umstände einträten, welche dies nicht rathsam machten ^), so wird es von Ew. p. Ermessen abhängen, dies auch früher abzuändern, alle Mitglieder zuzuziehen und beide Abtheilungen der Section einzeln arbeiten zu lassen.

Ew. p. werden auch alsdann die Gefälligkeit haben, den Vor- sitz in der einen und der andern zu übernehmen, und die fernere Einrichtung muss künftig, wie Ew. p. schon mündlich mit mir übereinstimmten, aut folgenden Grundsätzen beruhen.

Die Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts ist eine und eben dieselbe, und ihre beiden Abtheilungen müssen auf das engste zusammenwirken.

Ihre beiden Abtheilungen haben jedoch besondere Sessionen in welchen der jeder besonders bestimmte Chef den Vorsitz führt.

Eine Session wöchentlich für jede wird in der Regel zur Ab- machung der Geschäfte hinreichen. Von beiden Chefs wird er- wartet, dass sie soviel als möglich den beiderseitigen Sessionen beiwohnen, welche daher nie zu gleicher Zeit gehalten w^erden können. Allein die Anwesenheit des Sectionschefs in den Vor- trägen für den Cultus bringt keine xVenderung im Praesidium hervor, und der besondere Chef des Cultus übernimmt für den Unterricht keine ^^ortragsSachen, es sey denn, dass er aus eigner Wahl es wünsche. Die Reinschriften für den Cultus unterzeichnet der besondere Chef desselben allein, die Concepte aber zeichnet der SectionsChef zugleich mit, um, da er die Sachen erbrechen soll, und doch nicht unausgesetzt wird den Vorträgen beiwohnen können, den Faden der Geschäfte nicht zu verlieren. Er erlaubt sich aber in den Concepten keine Aenderungen, ohne sich dar- über mit dem besondern Chef für den Cultus vorher zu vereinigen.

Es freut mich ungemein im voraus überzeugt seyn zu können, dass Sie mit mir darin übereinstimmen, dass auf diese Weise die uns gemeinschaftlich übertragenen Geschäfte werden auf eine dem wichtigen Zweck, der uns beiden so sehr am Herzen liegt, ent- sprechende Weise geführt werden können.

^) Nach „machten" gestrichen: „oder dass ein längerer Aufschub ihrer regel- mässigen Geschäftsthätigkeit von den Geistlichen übel empfunden würde".

\V. V. Humboldt, Werke. XUI. 20

«Q^ 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Herrn Staatsrath Schmedding und die beiden französischen Mitglieder ^) bitte ich Ew. p. auf jeden Fall so anzusehen, als ge- hörten sie der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts ge- meinschaftlich an, wogegen diese Herren, wie ich im voraus über- zeugt bin, keine Schwierigkeit machen werden.

Den Geheimen Secretair Felgentreff habe ich angewiesen, sich sogleich nach meiner Abreise bei Ew. Hochwohlgeboren zu melden und von Ihnen die weitere Verfügung über seine Beschäf- tigung und eigenen Abgang zu empfangen.

f. Berufung von Klaproth.^)

Berlin, den 9. März 1810.

Der OberMedicinalRath Klaproth ^) ist durch die unglücklichen Ereignisse der letzt verflossenen Jahre in eine Lage versetzt worden, welche mich um so mehr veranlasst, Ew. Königlichen Majestät allerunterthänigst Vorschläge zur Verbesserung derselben zu machen, als dieser Mann den hiesigen gelehrten Instituten bereits wichtige Dienste geleistet hat, und auch die hier zu errichtende Universität sich mit Recht gleich grosse von ihm versprechen kann.

Das Gehalt, welches der OberMedicinalRath Klaproth vor dem Kriege genoss, floss zum grossesten Theile aus der ArtillerieAcademie- Casse. Denn ausser den 600 Rth. aus dieser Gasse bezog er nur noch 200 von der Academie der Wissenschaften, 160 als Mitglied der HofapothekenGommission, und 165 Rth. als Mitglied des OhcivCollegü media et sanitatis. Das Gehalt aus der Artillerie- AcademieCasse wurde seit dem Anfange des Krieges nicht mehr gezahlt; für das letzte Vierteljahr ist zwar die Zahlung einstweilen geleistet worden, und dasselbe wird auch nach der Äusserung des GeneralMajor von Scharnhorst tür das nächste Vierteljahr der Fall seyn; allein da die ArtillerieAcademie seit dem Jahre 1806 aufgehört hat, so finden diese interimistischen Zahlungen nur bis zur Einrichtung der allgemeinen MilitärAcademie statt. Das Gehalt von der Hofx'Xpo- thekenCommission kann sehr leicht, da das Schicksal der Hof- apotheke noch nicht entschieden ist, gleichfalls authören; das bei

*) Ancillon und von Lancizolle; vgl. Gebhardt i, 282.

') Konzept von Schreiberhand mit eigenhändigen Verbesserungen.

*) Martin Heinrich Klaproth (ij4_3—i8iyj, Chemiker, seit ij82 Mitglied des CoUcgium medicum et sanitatis, seit ij8j Mitglied der Akademie der Künste, ij88 der der Wissenschaßen ; vgl. Lenz, Geschichte der Universität Berlin i, 207.

E. Verschiedenes, c. f.

:^o7

dem OhtTCollegio rnedico ist in ein Wartegeld von i6o Rth. verwandelt worden, und wenn gleich der OberMedicinalRath Klap- roth gegenwärtig 300 Rth. als Mitglied der wissenschaftlichen Depu- tation für das Medicinalwesen geniesst, so ist auch diese Anstellung ihrer Natur nach nur temporell. Dauernd kann derselbe also jetzt nur auf das geringe Gehalt bei der Academie der Wissenschaften rechnen.

Der OberMedicinalRath Klaproth gehört unleugbar z\x den ersten jetzt lebenden Chemikern. Er hat seine Wissenschaft durch wahre Entdeckungen bereichert und sich dadurch auch im Auslande einen Namen erworben, in dem sich nur sehr wenige Gelehrte Ew. König liehen Majestät Staaten mit ihm vergleichen können. Er hat ausserdem durch seine Lehrvorträge und vorzüglich durch die damit verbundenen genauen Experimente sehr viele trefliche Schüler gebildet, und auch bei Ew. p. p. ArtillerieCorps allgemein anerkannte Dienste geleistet.

Ich würde geglaubt haben, eine meiner ersten Pflichten zu versäumen, wenn ich nicht gesucht hätte, einen solchen Mann auf eine Weise hier zu fixiren, die ihm eine sorgenfreie Be- schäftigung mit seiner Wissenschaft verstattete. Wirklich hatte der p. Klaproth im Anfang dieses Jahres einen ungemein vortheil- haften Ruf nach Russland erhalten ; er hat aber denselben sogleich und ohne Ew. pp. mit Bitten beschwerlich zu werden, auf meine ihm nur im allgemeinen gemachte Hofnung, dass auch hier werde für ihn gesorgt werden, abgelehnt.

So wie dies seinen uneigennützigen Patriotismus und seine Anhänglichkeit an Ew. p. p. beweist, so freue ich mich, ihm auch überhaupt in Absicht seiner patriotischen Gesinnung das vortheil- hafteste Zeugniss geben zu können. So hat er, um nur dies eine anzuführen, im letzten Kriege von der ihm von Frankreich aus wegen seiner wissenschaftlichen Verdienste unaufgefordert ertheilten Einquartirungsfreiheit keinen Gebrauch gemacht.

Die hier zu errichtende Universität könnte keinen berühmteren Lehrer der Chemie erhalten, und ich wage daher bei Ew. p. p. allerunterthänigst dahin anzutragen

den OberMedicinalRath Klaproth mit einem vom i^ Januar c. ab zu zahlenden Gehalte von 1200 Rth. zum Professor der Chemie bei der hiesigen Universität aller- gnädigst zu ernennen, ihm aber dabei aufzugeben, seine jetzigen Vorlesungen beim ArtillerieCorps dafür fortzusetzen,

508 3- Amtliche Arbeiten au? den Jahren 1809 und 18 10.

auch allerhöchst Sich vorzubehalten bei der künftigen Bildung

der MilitärAcademie ihn vielleicht gleichfalls in Thätigkeit

zu setzen.

Dies letztere glaube ich hinzufügen zu müssen, weil der Gene-

ralMajor von Scharnhorst sich zweifelhaft gegen mich geäussert

hat, ob es nicht nothwendig seyn dürfte, den OberMedicinalRath

Klaproth bei der Militär-Academie anzustellen. Wann dieser Punkt

entschieden seyn wird, dürfte auch erst bestimmt werden können,

ob die ganzen 1200 Rth. oder welcher Theil davon wird auf die

Fonds der hiesigen Universität angewiesen werden müssen.

Schliesslich kann ich mich nicht der ehrfurchtsvollen Aeusserung des dringenden Wunsches enthalten, dass, wenn Ew. p. p. viel- leicht wieder einmal Gelehrten ehrenvolle Auszeichnungen zu er- theilen allergnädigst geruhen sollten, Allerhöchstdieselben die Gnade haben möchten, dabei auf den OberMedicinalRath Klaproth Rück- sicht zu nehmen, welcher in der That vorzügliche Ansprüche darauf hat.

Beriin, den 9^ März 1810.

Humboldt. An des Königs Majestät.

g. Votum über die wissenschaftlichen Deputationen

und wissenschaftlich-technischen Kommissionen bei

den Regierungen.)

Bemerkungen der GesetzgebungsSection und eigne noch reifere Ueberlegung haben bei der Section des öffentlichen Unterrichts Zweifel ge cn die Zweckmässigkeit einiger Punkte in der ent- worfenen Instruction für die wissenschaftlichen Deputationen (nach welcher Herr StaatsRath Köhler auch die anliegende ausgearbeitet hat) erregt.^) Vorzüglich hat es geschienen:

dass man die wissenschaftlichen Deputationen gar nicht mit dem Publicum und andern Behörden in Berührung bringen ; dass man ihnen das Nachdenken über Verbesserungsvor- schläge nicht zu einer gleichsam fortdauernden Pflicht

') Eigenhändiger Entwurf.

'•') Die Instruktion für die wissenschaftliche Deputation der Sektion des öffent- lichen Unterrichts findet sich Band 10, iq6. Das Konzept von Koehler umfasst 40 Paragraphen und trägt das Datum des ry. Februar 1810.

E. Verschiedenes, f. g. -iqq

machen müsse, indem hieraus leicht für die Section selbst mehr Unannehmlichkeit, als Vortheil für die Sache entstehen könne.

Aus diesem Grunde hat die Section des öffentlichen Unter- richts statt dieser Instruction bloss die anliegende Verfügung an die wissenschaftliche Deputation erlassen, und die eigentliche Instruction noch hinausgesetzt.^)

Ich wünschte nun, dass dieselbe auch mtdatis niutandis für die wissenschaftliche Deputation bei der MedicinalSection geschehen möchte. Es würde aber die Verfügung bloss an die Berliner De- putation zu richten seyn, und dieser würde man nicht zu sagen brauchen, wie die ProvincialDeputationen und Commissionen ein- gerichtet wären. Es würde also aus dieser Verfügung Alles weg- bleiben, was sich in der Anlage auf die Breslauer und Königs- bergische Deputation bezieht. Auch würde der Punkt des Gehalts nicht zu berühren seyn.

Um nun gleich den Standpunkt der Berliner Deputation recht zu fixiren, so muss dieselbe, meines Erachtens, ganz und gar füi sich, bloss unter der Section, und ausser aller Verbindung mit der KurMärkischen Regierung stehen.

Sollte sie zugleich Commission für die Regierung se3'n, so wird sie nicht nur zwei Behörden untergeordnet (da die Regierung ihre Commissionen so nothwendig braucht, dass sie ihr unbedingt zu Gebote stehen muss) sondern auch mit detail überladen, was sehr zu vermeiden ist, weil sie die wichtigsten Prüfungen hat, und auch oft über wichtige Dinge befragt werden kann.

Die Commissionen in Breslau und Königsberg müssen wissen schaftliche Deputationen für diese beiden OberPraesidialDeparte- ments seyn. Sie stehen also wirklich unter der Section und Re- gierung zugleich, was aber auch, da die Section wenig mit ihnen unmittelbar zu thun haben wird, gut angeht; sie haben auch, wie gleich unten folgen soll, mehr Arbeiten, als die blossen Com- missionen.

Die blossen RegierungsCommissionenin Berlin (fürPotsdamm)^ Königsberg Neumark, Stargard, Marienwerder und Liegnitz bilden die letzte, in ihrem Wirkungskreis am meisten beschränkte Classe.

Um nun auf die hiesige wissenschaftliche Deputation zurück- zukommen, so finde ich in Absicht der schon entworfenen Instruc-

') Vgl. über die vorläufige Instruktion für die n-issenscfmftlichen Depu tationen vom 25. Februar 1810 Gebhardt i, 226.

2JQ 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 18 10.

tion nur noch, ausser dem schon durch das Vorige Abgeänderten, Folgendes zu bemerken.

Die Prüfungen bei der UnterrichtsSection sind zwar unent- geldlich angeordnet worden. Im MedicinalWesen wäre indess für jetzt noch die Sache beim Alten zu lassen. Auch könnte ebenso die Vertheilung noch wie bisher, und also dieser Punkt aus der Verfügung ganz wegbleiben.

Bei Erwähnung der Arbeiten der Deputation dürfte der § 7 der von Herrn p. Köhler entworfenen Instruction nach der Anlage zu modificiren seyn. Von besondern Arbeiten müsste man einige, etwa so, wie ich bei § 8 in margine gethan, specificiren.

Bei der Eintheilung in Fächer § -15. nach Herrn p. Hufeland ist CS auffallend Anatomie, Phj'^sik u. s. f. aufgeführt, die andern Wissenschaften, wie Pathologie u. s. f. fehlen zu sehen. Es ist also wohl besser, die drei Classen nur so zu bestimmen:

Gegenstände, zu deren Beurtheilung eigentliche Arzneikunde, mit Inbegriff der Thierarzeneikunde,

zu deren Beurtheilung Kenntniss der Wundarznei und Geburts- hülfe und

zu deren Beurtheilung pharmaceutische auf Chemie und Natur- geschichte beruhende Kenntniss gehört.

Bildung der ProvincialMedicinalBehörden.

Die Verordnung vom 24. November 1808 verordnet wissen- schaftliche Deputationen in den Provinzen, die Regierungslnstruc- tion wissenschaftlich technische Commissionen n bei jeder Regierung. Ob beide darunter dasselbe verstehen? ist nicht klar.

Ich glaube man kann die wissenschaftlichen Deputationen von den Commissionen unterscheiden durch zwei nur den erstem zu übertragende Geschäfte :

die Abfassung von Gutachten in Criminalfällen ; die höheren

Prüfungen, d. h. derer, die sich zu solchen Stellen widmen,

zu denen man nur Personen, die studirt haben, zulassen

kann.

Der letzte Punkt aber müsste für jetzt noch nicht gesagt werden,

da bis jetzt noch alle diese Prüfungen hier in Berlin geschehen.

Die wissenschafthchen ProvincialDeputationen bestünden nur

aus 8 Mitgliedern, vier Aerzten, zwei Wundaerzten, und zwei

•) ? 22.

E. Verschiedenes, g. 1 1

Apothekern. Unter den erstem müsste ein der Thierarznei Kun- diger seyn.

Die Commissionen hätten mit 6 Mitgliedern genug.

Beide wären auf 3 Jahre, da kleinere Städte nicht so viel Wechsel erlauben.

Die Regierungen könnten sich, jede ausser ihrer Commission auch der wissenschaftlichen Deputation ihres OberPraesidialDepar- tements bedienen, nur mit dem Unterschiede, dass sie hierzu nur autorisirt nicht verpflichtet wären, und dass sie nicht befehlsweise an die wissenschaftlichen Deputationen schreiben, sondern sie nur durch die Section in Berlin, und in Breslau und Königsberg durch die dortigen Regierungen ersuchen könnten. Dies könnte geschehen bei Anfragen über wichtige Gegenstände, bei wichtigeren Prüfungen.

In den wissenschaftlichen Provincial Deputationen und den Commissionen hätte der MedicinalRath der Regierung den Vorsitz.

Diese Deputationen und Commissionen bloss ihren eignen Sportein, ohne feste Bestimmung zu überlassen,^) scheint mir nicht zweckmässig. Es müsste festgesetzt werden, dass jede wissenschaft- liche Deputation 1800 Rth., jede Commission 1200 Rth. jährlich er- hielte, allein den Regierungen bei den jedesmaligen Ernennungen der Mitglieder überlassen bliebe. Vertheilungsvorschläge über diese Summen zu machen, die sich nach den Bedürfnissen der einzelnen Personen richteten.

Diese Summe könnte folgendergestalt zusammengebracht werden :

1 . würde dazu genommen, was schon für das MedicinalWesen auf einigen RegierungsEtats steht;

2. was z. B. in Schlesien die MedicinalCasse oss. fonds besitzt

3. die Sportein, die gesammelt würden,

4. das alsdann Fehlende schösse die Regierung aus ihren Extraordinarienfonds zu.

Machten aber die Sportein eine grössere Summe, als die er- forderte, so würde der Ueberschuss unter die Mitglieder vertheilt.

Hiernach wäre nun das Folgende zu thun: I. die als Instruktion dienende Verfügung an die hiesige wissen* schaftliche Deputation zu entwerfen,^)

') So war es beim Collegium medico-chirurgicum et sanitatis gewesen. , -) Konzipiert von Koehler am 2g. März 1810.

0 12 3- Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

2. sich mit dem FinanzMinisterio über den Modus der Be- zahlung der ProvincialDeputationen und der Commissionen zu einigen,

3. die Litthauische Regierung zu befragen, ob sie wirklich eine eigne Commission entbehren will ? Auf gleiche Weise könnte es auch Königsberg Neumark in Rücksicht auf Potsdamm oderStar- gard. Allein man braucht doch Leute an Ort und Stelle. Kann man nicht viele Gute haben, nimmt man nur Einige, erspart an fonds^ und gibt mehr Aufträge an die nächste wissenschaftliche Deputation,

4. von der Neumärkischen und Pommerschen Regierung Be- richt über die Organisation ihrer Commission, das Personal und die fonds zu fordern,

5. alle Mitglieder zu ernennen, jedoch immer mit vorgängiger Rücksprache mit den Regierungen,

6. der Instruction der Section ähnliche Verfügungen für die wissenschaftlichen Provincial Deputationen und Commissionen zu entwerfen.

17. März, 1810.

s. m. Humboldt.

h. Beschwierde Humboldts über verfassungswidrigen Geschäftsgang.^)

An des Königlichen Geheimen Staatsminister Herrn Grafen zu

Dohna Excellenz.

Das Königliche Staatsministerium hat der Section für den Cultus unterm 3. d. eröfnet, dass der Immediat-Bericht derselben wegen Verlegung des Busstages bey ihm zum Vortrage gekonimen sey, es aber diesen Antrag jetzt nicht gerathen finde, die Section da- her die Sache wenigstens ein Jahr ruhen lassen, alsdann aber auch auf die vom Staatsministerio sehr zweckmässig gefundene Abschaffung des Himmelfahrtstages antragen möge.

Dieses der Section gewordene Schreiben sezt Verhältnisse voraus, die ihr ganz fremd sind, und die mir nicht nur der ihr ursprünglich gegebenen Stellung, worüber ich jetzt schweifen würde, sondern auch der, wegen der Geschäftsführung des Königlichen Staatsministerii unterm 31. Maerz ergangenen Cabinets Ordre, der man doch wenigstens keine^ durchaus über ihren klaren Inhalt gehende ausdehnende Erklärung ^eben darf, zu widersprechen scheinen,

') Der Haupttext ist von Nicolovius konzipiert, das kursiv Gedruckte von Humboldt eingeschaltet. ,

K. Verschiedenes, s. h. 'i I •?

Die Sectionen sind ihrer Bestimmung und wesentlichen Ein- richtung nach keine irgend untergeordnete Behörden , sie sind Theile des Ministeriums, führen die ihnen anvertrauten Geschäfts- zweige als höchste Landesbehörden, stehen blos unter Aufsicht ') des DepartementsMinisters, welcher die von den Sectionen an des Königs Majestät unmittelbar zu erstattenden Berichte zwar mit seinem Voto begleiten, nicht aber dem Könige vorenthalten darf. Durch das m dem gegenwärtigen Fall beobacJdete Verfahren ivird vermittelst des Staats Ministerii eine wahre Zivischen-Instanz zwischen den Sectionen 7ind dem Thro7i gebildet, welche ohne alle Anfiihnmg von Gründen, ja, wenn auch mit gelinderen Ausdrücken, ihnen An- weisungen zu ertheilen unternimmt. Eine solche Zwischenbehörde kannten die Sectionen bis jetzt nicht ; sie verwalteten, in einzelnen Fällen nicht ohne besondere Zustimmung des Departements xMinister, sonst aber selbständig^mit voller Autorität und Verantwortung die ihnen anvertrauten Geschäfte und hingen 7iie von der Meynung der übrigen Minister, als nur insofer^i ab, als diese Meynu7ig beim Cabinets-' Vortrag auf die Ent Schliessung S. Majestät des Königs Einfluss haben konnte.

Es ist ihnen nicht bekannt geworden, dass diese ihre Be- stimmung verändert sey; die Cabinetsordre vom 31. Maerz d. J. will, dass diejenigen Sections Chefs, welche bey den im Staats- ministerio vorkommenden Gegenständen concurriren, gegen- wärtig seyn und ein volles \'^otum haben sollen. Nirgends aber gehet aus der Cabittets Ordre hervor, dass in der Berichterstattung der Sections Chefs an den König eine Veränderung Statt finden solle, und dass dem Staatsministerium mehr zustände, als im Falle die Section einer verschiedenen Meynu?ig ist, seine abweichende Sr. Königlichen Majestät mit vorzulegen. Die von dem Staatsministerio unterm 17. V. M. an die Provinzial-CoUegien erlassene Bekanntmachung er- klärt ausdrücklich, dass in dem Ressort der Sectionen nichts geändert worden.

Das gedachte Schreiben sezt dagegen ganz andere Verhält nisse voraus. Es wehrt der Section den Zugang zu des Königs Majestät, es entscheidet in einer durchaus zur Entscheidung der Section und noch dazu vorzüglich der geistlichen Mitglieder in derselben ge* eigneten Sache, ohne mich und den in der Cultus-Section Vorsitzenden Staatsrath gehört zu haben. Die Section soll hienach nicht länger

Nach „Aufsicht'' gestrichen: „doch nicht unter I^itung".

oj^ 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

selbst integrirender Theil des Ministerii seyn, sie soll nicht länger nach ihrer Ueberzeugung administriren, Vorschläge die sie ine- stimmig, wie die Ahschaffitng des Himmelf ahristag es, unzweckmässig befunden hat, soll sie, ihrer Meynung darüber ungeachtet, an des Königs Majestät bringen, sich also in den Fall setzen, Anordnun- gen zu bewirken und zur Ausführung zu bringen, welche sie selbst nicht billigt sondern nachtheilig findet.

Ew. Excellenz stimmen gewiss mit mir überein, dass') die heiligste Amtspflicht mir nicht gestattet, bey solchem Verfahren gegen die Section zu schweigen, ich würde noch hinzusetzen, dass mich auch gekränktes Ehrgefühl zu redefi Z7uingt, wenn ich nicht in dieser Hinsicht mich gegen ?nehr als diesen Punkt allein erheben müsste, und 7ucn?i Ew. p. nicht bekafifit wärc^ dass ich deshalb un- mittelbar einen Schritt bei Sr. Majestät dem König gethan habe, den mich der fetzige Vorfall veranlasst hat, heute noch einmal zu "wieder- holen. Allein wenn ich mich persönlich zurückziehe, darf ich das Interesse der Section und die Rechte, die ihr, auch nach der Cabinets Ordre vom ji. März, c. noch übrig bleiben, darum nicht verabsäumen tmd unter Umständen, wie die durch jenes il/wü/mfy/ Schreiben angedeuteten, hört alle zweckmässige Geschäftsverwaltung, aller Muth zu neuen, wichtigern Operationen, alle Hofnung auf Erfolg auf. Die Sectionen, die nach der Bestimmung der Verordnung vom 24. November t8o8.

mit voller Verantwortung selbständige,

selbstthätige Behörden sind, werden in eine Abhängigkeit versezt, die den freyern Wirkungs- kreis der ihnen untergeordneten Provinzialbehörden beneidenswerth macht, und das todte Formenwesen, welches die neue Organi- sation zu vertilgen beabsichtigte, mit allen seinen Folgen und mit vermehrtem Unmuth jedes, von Liebe für den Staat und für sein Amt erfüllten Staatsdieners herbey geführt.

Ew. Excellenz mufsich daher gehorsamst, aber auch dringendst pflichtmässig ersuchen, die mir anvertrauten Sectionen vor Beein- trächtigungen zu schützen, welche die Bestimmung derselben zer- stören, und keine kräftige, freudige und erfolgreiche Geschäfts- führung derselben ferner gestatten. Doppelt treifen alle angeführten Nachteile meine Parthie, da die Überzeugungen von den in sie einschlagenden Gegenständen nur bey anhaltender Beschäftigung mit denselben richtig entstehen und sich abändern können, und

') "Nach „dass" gestrichen „nicht allein gekränktes Ehrgefühl, sondern".

E. Verschiedenes, h. i. -^ I -

da es nicht immer möglich ist, sich mit Personen, die einmal von Grund aus andere Ansichten hegen, darüber durch blosse Gründe zu verständigen; eine Ansicht, worüber Ew. Excellenz bisher ganz mit mir einverstanden gewesen sind und die Sie, wenn sie angefochten wurde, mit Überzeugung und Nachdruck unterstüzt haben.

Von der vorliegenden einzelnen Sache, die nur durch die Behandlung, die ihr widerfahren, wichtig wird, sonst aber gering- fügig und auf Verlangen der Kurmärkischen Regierung, nicht aus eignem Antrieb der Section Sr. Majestät vorgetragen werden sollte, mag immerhin nicht weiter die Rede seyn. Das aber mufs ich Ew. Excellenz dringend und bestimmt bitten, einen gleichen Ge- schäftsgang ferner nicht zu gestatten, den ich nicht ohne völlige Vernachlässigung meiner Pflicht ertragen kann und der mich nöthi- gen würde, um die Bestimmung der mir anvertrauten Sectionen zu erhalten, die lezten mir noch übrigen Schritte zu thun.

Berlin, 23. Mai, 1810.

Humboldt.

i. Humboldts Verabschiedung an Dohna.^)

Berlin, den 19. Junius, 1810.

Nichts hätte mir gleich schmeichelhaft seyn können, als das Bedauern, welches Ew. Excellenz mir in dem geehrtesten Schreiben von heute über meinen Abgang zu erkennen zu geben die Ge- wogenheit haben, und der Wunsch, dass ich die Geschäfte der mir anvertrauet gewesenen Sectionen noch so lange als möglich fortführen möchte. Ich schmeichle mir, dass Ew. p. bemerkt haben werden, dass es immer mein Ziel war, mir Ihre Zufrieden- heit zu erwerben, und Ihnen auch dadurch zu beweisen, wie leb- haft ich die mir von Ew. p. bewiesene Güte und Freundschaft empfand, für die ich Ew. p. nochmals bei dieser Gelegenheit meinen aufrichtigsten und herzlichsten Dank wiederhole.

So gern ich mich aber auch noch ferner meinen bisherigen Geschäften widmen möchte, so macht mir dies doch die Vorbe- reitung zu meiner neuen Stelle und die nothwendige Besorgung vieler Privatgeschäfte unmöglich. Ich werde daher mit Ew. p. Erlaubniss, so wie mich die Königliche CabinetsOrdre ausdrück

^) Eigenhändiger Entwurf.

Itjß 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

lieh anweist, meine Geschäftsführung mit dem Ende dieser Woche in Ew. p. Hände niederlegen, und in der MedicinalSection über- morgen, 21. /mj.^ in der des Cultus und öffentlichen Unterrichts Sonnabend, 23. /mj. meine letzte Sitzung halten, und alsdann die Geschäfte der ersten, nach Ew. p. Befehl, Ihnen selbst, die der letztern dem Herrn StaatsRath Nicolovius übergeben.

An der Organisation der Universität hingegen werde ich sehr gern noch so lange ich hier bin fortwährend Antheil nehmen; den Sitzungen der von mir errichteten Commission, sofern Ew. p. solche bestehen lassen, beiwohnen, und auf jede, von mir ab- hängende Weise zum Besten eines so wichtigen Instituts ange- legentlichst mitwirlven.^)

In der Voraussetzung, dass Ew. p. diese ergebensten Anträge zu genehmigen die Güte haben werden, empfehle ich mich Ihrem ferneren echt freundschaftlichen Wohlwollen.

Berlin, den 19. Junius, 1810

Humboldt.

Berlin, den 23. Juni 1810.

An des Königlichen Ministers pp. Herrn Grafen zu Dohna, Excellenz.')

Ew. Excellenz habe ich die Ehre gehorsamst anzuzeigen, dass ich heute die letzte Sitzung der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts unter meinem Vorsitze gehalten und, Ew. Excellenz geneigten Anweisung zufolge, die Leitung dieser Partie dem Herrn StaatsRath Nicolovius übergeben habe.

H. k. Berufung von Thaer.')

Berlin, den 20. Junius, 1810. An den Königlichen StaatsRath, Herrn Thaer,

Hochwohlgeboren.

Zu den wichtigsten, bis jetzt noch unbesetzten Lehrstellen an

der hiesigen Universität, welche, Sr. Majestät des Königs neuesten

Befehlen gemäss, um Michaelis eröfnet werden soll, gehört die

Professur des Ackerbaus. Ich brauche Ew. Hochwohlgeboren nicht

•) Vgl. Lenz, Geschichte der Universität Berlin i, 21g.

') Von Schreiberhand.

*) Eigenhändiges Konzept.

E. Verschiedenes, i. k.

317

ZU sagen, wen ich am liebsten mit derselben bekleidet sehen möchte. Gewiss würde es in ganz Deutschland zu den wichtigsten Vorzügen der Universität hier gerechnet werden, wenn Ew. p. Sich entschliessen könnten, einen Ruf hierher anzunehmen. Ich fühle aber, dass dies unmöglich ist. Ihr Institut in Mögelin und die Annehmlichkeit, unabhängig und auf dem Lande zu leben, werden natürlich der Ausführung eines solchen Plans immer im Wege stehen. Dennoch kann ich den Gedanken nicht ganz auf- geben, dass gerade Sie und selbst Ihr Institut der hiesigen Uni- versität von dem wichtigsten und erspriesslichsten Nutzen seyn könn- ten, und ich wünschte nur, Ihre eignen Ideen über die Ausführbarkeit hievon zu vernehmen. Mir scheint ein doppelter Weg möglich.

Der erste wäre der, dem ich in ieder Rücksicht den Vorzug ertheilen würde. Er bestände darin, dass Ew. p. sich entschlössen, wenigstens den Winter immer hier zuzubringen, und alsdann ordentliche ^"orlesungen zu halten. Der Sommer könnte, da ich so in diesen alle Ferien beider Semester fallen zu lassen denke, in Rücksicht auf das Studium des Ackerbaus dem eignen Studium und Besuchen in Mögelin gewidmet seyn. Glaubten Ew. p., dass die Ausführung einer solchen Idee nicht unmöglich wäre, so würde ich Sie, Sich näher mit mir über die Art und die Bedingungen zu erklären, ergebenst einladen.

Der zweite Weg wäre allerdings viel weniger wohlthätig für die Universität. Es wäre der, dass Ew. p. mir jemanden vor- schlügen, der die Vorlesungen hier hielte, aber so, dass Ew. p. dieselben aus der Ferne dirigirten, manchmal selbst die Zuhörer zu prüfen und kennen zu lernen herkämen, und bestimmten, welche davon nach und nach durch das theoretische Studium zum praktischen in Mögelin reif geworden wären. Auch hierüber er- bitte ich mir Ihren Rath.

Im Fall Ew. p. Sich leider nicht im Stande sehen sollten, meinen ersten Vorschlag anzunehmen, und der zweite Ihnen für das Studium selbst nicht hinlänglich schiene, so bliebe nichts andres übrig, als dass man einen andern Gelehrten zum Professor des Ackerbaus wählte. Je schwieriger hier die Wahl seyn dürfte, desto mehr muss ich Ew. p. ergebenst ersuchen, mir auch des- halb in diesem Fall Ihre Gedanken zu eröffnen, und mir über- haupt und ganz nach Ihren eignen Erfahrungen zu sagen, was Sie überhaupt von der Einrichtung des Studiums der Sie interessiren den Wissenschaft auf der hiesigen Universität gerade halten. Die

«j^ 3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren 1809 und 1810.

Wichtigkeit des Gegenstandes wird, wie ich mir schmeichle, mich der Nothwendigkeit überheben, die Unbescheidenheit dieser Bitte zu entschuldigen.

Ew. p. werden zwar vermuthlich gehört haben, dass ich seit kurzem zum Gesandten in Wien bestimmt bin. Auch lege ich wirklich meinen jetzigen Posten mit dieser Woche nieder, und verlasse Berlin mit Ende künftigen Monats. Allein des Herrn Staats Ministers Grafen zu Dohna Excellenz wünschen, dass ich während meiner Anwesenheit hier noch die auf die (Jrganisation der hiesigen Universität Bezug habenden Geschäfte führen möge, und auf diese Weise werde ich noch immer im Stande seyn, Ew. p. zu beweisen wie gern ich Ihren Rathschlägen Folge leiste.

Berlin, den 20. Junius, [810.

Humboldt.

1. Antrag auf Anstellung Schleiermachers in der

Sektion.^)

Berlin, den 22. Junius, 1810. An des Königs Majestät.

Ew. Königlichen Majestät sehe ich mich genöthigt, ehe ich die mir bisher anvertraut gewesene Führung der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts niederlege, noch einen allerunterthänig- sten Antrag in Ansehung derselben zu machen.

Obgleich die Organisation der Section im Ganzen als vollendet angesehen werden kann, so hat dieselbe doch noch immer drei Räthe weniger, als ihr die Verordnung vom 24. November, 1808 bestimmt. Die Anstrengung, mit welcher alle Mitglieder, wie ich ihnen dies ehrenvolle Zeugniss pflichtmässig ablegen muss, unaus- gesetzt gearbeitet haben, hat zwar verhindert, dass dieser Mangel in den Geschäften der Section fühlbar geworden ist. Allein es ist auch bei jeder, auch nur augenblicklichen Abwesenheit oder Verhinderung eines Raths immer eine sichtbare Verlegenheit ent- standen, und wenn ein solcher Zufall, wie doch so leicht ge- schehen kann, einmal zwei Mitglieder zugleich getroffen hätte, wäre eine Stockung unvermeidlich gewesen. Im gegenwärtigen Augenblick bringt nun mein Abgang, da wenigstens für jetzt niemand an meine Stelle tritt, eine neue Lücke hervor.

') Eigenhändiger Entwurf.

li. Verschiedenes, k.

V9

Um diese, aui eine den Geschäften höchst zweckmässige, und zugleich für Ew. Königlichen Majestät Gassen weniger lästige Weise auszuiüllen, hielte ich es für gut, den Professor und Prediger Schleiermacher zum Mitglied der Section des öÜ'entlichen Unter- richts zu ernennen.

Dieser Mann ist als Gelehrter hinlänglich bekannt, um von dieser Seite mit Recht der obersten wissenschaftlichen Behörde beigesellt zu werden. Ich habe mich aber auch dadurch, dass er, als Director der wissenschaftlichen Deputation, den Sitzungen der Section seit einiger Zeit beigewohnt, und an ihren Arbeiten thätigen Antheil genommen hat, überzeugt, dass es ihm, was nicht immer bei Gelehrten der Fall ist, sehr gut gelingt, sich in den formellen Geschäftsgang zu linden, und mit Leichtigkeit und Fertigkeit darin zu arbeiten. Er würde sich zugleich mit einem Gehalte, das geringer als das StaatsrathsGehalt wäre, begnügen, und ich wüsste auf diese Weise keinen Weg vorzuschlagen, auf dem es möglich wäre, der Section ein so ausgezeichnetes Mitglied mit gleich geringem Aufwände zu verschaffen.

Aus diesen Gründen wage ich, bei Ew. Königlichen Majestät ehrfurchtsvoll dahin anzutragen,

den Professor und Prediger Schleiermacher zum Mitgliede der Section des öffentlichen Unterrichts mit einem vom I. Julius c. ab zahlbaren Jahrgehalte von 2000 Rth. huld- reichst zu ernennen, zugleich aber zu gestatten, dass er» wenigstens für dies Jahr, und wenn im künftigen kein gleich taugliches Subject dazu gefunden werden sollte, auch Director der wissenschaftlichen Deputation bleiben könne. Der p. Schleiermacher würde neben dieser seiner Stelle in der Section sein Predigeramt an der Dreifaltigkeitskirche beibehalten können, wenn ihm nur mit Ew. Königlichen Majestät huldreicher Erlaubniss nachgelassen würde, die kleinen Amtsverrichtungen dabei durch einen ordinirten Candidaten verrichten lassen zu dürfen. Geruheten Ew. Königliche Majestät allergnädigst, diesen Antrag zu genehmigen, so würde in der Folge nur noch ein zur Bear- beitung finanzieller und ökonomischer Gegenstände geeignetes Mitglied in der Section nothwendig seyn, und auch dazu dürfte sich vermuthlich ein nicht sehr kostbarer Weg auffinden lassea

Berlin, den 22. Junius, 1810.

Humboldt.

3»«

3. Amtliche Arbeiten aus den Jahren ;09 und i8lO.

Wichtigkeit des Gegenstandes wird, wie ia mir schmeichle, mich der Nothvvendigkcit überheben, die l'nbecheidenheit dieser Bitte zu entschuldigen.

Ew. p. werden zwar vermuthlich gehrt haben, dass ich seit kurzem zum (Gesandten in Wien bestimit bin. Auch lege ich wirklich meinen jetzigen Posten mit die?r Woche nieder, und verlasse Berlin mit Ende künftigen Monats. Allein des Herrn Staats Ministers Grafen zu Dohna Excellenz wün:hen, dass ich während meiner Anwesenheit hier noch die auf die ( -ganisation der hiesigen Universität Bezug habenden Geschäfte fühin möge, und auf diese Weise werde ich noch immer im Stande si^n, Ew. p. zu beweisen wie gern ich Ihren Rathschlägen Folge lete.

Berlin, den 20. Junius, rSio.

Humboldt.

1. Antrag auf Anstellung Schle^rmachers in der

Sektion.*)

Berlin, len 22. Junius, 1810. An des Königs Majestät.

Ew. Königlichen Majestät sehe ich mic genöthigt, ehe ich die mir bisher anvertraut gewesene Führungder Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts niederlege, noc einen allerunterthänig- sten Antrag in Ansehung derselben zu m:hen.

Obgleich die Organisation der Sectionm Ganzen als vollendet angesehen werden kann, so hat dieselbcdoch noch immer drei Räthe weniger, als ihr die Verordnung vm 24. November, 1808 bestimmt. Die Anstrengung, mit welchci ille Mitglieder, wie ich ihnen dies ehrenvolle Zeugniss pHichtmass; ablegen muss, unaus- gesetzt gearbeitet haben, hat zwar verhincrt, dass dieser Man| in den (icschäften der Section fühlbar gworden ist. ist auch bei jeder, auch nur augenblicklhen Abwe Verhinderung eines Raths immer eine sictbare V< standen, und wenn ein solcher Zufall, ''ie do( schehen kann, einmal zwei Mitglieder /gleich wäre eine Stockung unvermeidlich gewejn. Ii Augenblick bringt nun mein Abgang, a weif niemand an meine Stelle tritt, eine neue Dckc

') Eigenhändiger Entwurf.

M.^WL^M^

Verschiedenes, k.

V9

Um diese, aui zugleich für Ew. K auszutüllen, hielte Schleiermacher z: richts zu ernenne Dieser Mann dieser Seite mit b beigesellt zu wer er, als Director de der Section seit e thätigen Antheil nicht immer bei ( j den formellen Ges. Fertigkeit darin zl. Gehalte, das gerinn und ich wüsste an dem es möglich w mit gleich geringe; Aus diesen Gr ehrfurchtsvoll dah' den Profess der Section I. Julius reichst zu wenigsten.^ gleich taug: Director J< Der p. in der Sect beibehalte:, Majestät kleinen Amti Candidaten Geruheten zu genehmig! beitung Mitglied sich verm Ber

den Geschäften höchst zweckmässige, und hen Majestät Gassen weniger lästige Weise s für gut, den Professor und Prediger glied der Section des ötVentlichen Unter-

s Gelehrter hinlänglich bekannt, um von der obersten wissenschaftlichen Behörde Ich habe mich aber auch dadurch, dass senschaltlichen Deputation, den Sitzungen Zeit beigewohnt, und an ihren Arbeiten imen hat, überzeugt, dass es ihm, was ten der Fall ist, sehr gut gelingt, sich in gang zu finden, und mit Leichtigkeit und

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■in Predif

Nachwort,

Der vorliegende dreizehnte Band war bis zum neunzehnten Bogen gedruckt, der zwanzigste Bogen gesetzt, als den Fortgang der Aus- gabe das vorzeitige Hinscheiden Erich Schmidts, ihres geistigen Vaters und Leiters, aufs schtnerzlichste unterbrach.

Nachdem durch die verständnisvolle Fü/rsorge des Preussischen Kultusministeriums die Verbreitung der Ausgabe im Kreise der höheren U^iterrichtsanstalten gefördert war, gelang es, dank der im Amt des Herausgebers unermiidet d)ewährten Arbeitskraft und Pflicht- treue Albert Leitzrnanns, der seinerzeit im Einverständnis mit der Familie Humboldt das ganze Unternehmen angeregt hatte, die Ab- teilung der Tagebücher inmitten der Nöte des Weltkriegs anzufangen und, wenn auch unter grossen Opfer^i des neuen Inhabers des Behrschen Verlages (Friedrich Feddersen), zu volletiden.

Angesichts der ungeheuerlichen Teuerung im Druckgewerbe, die eine Fortführung des Drucks für die nächsten Jahre unmöglich macht, schien es der Akademie nun aber Pflicht, vom dreizehnten Band alles was fertig war für sich allein der Öflentlichkeit endlich zu übergeben: namentlich die längst von vielen Seiten erwartete Mitteilung des neuen Fundes, der Abhandlung über die Basken, durfte nicht weiter verzögert werden. Der noch ausstehende Rest der Nachträge zu den Politischen De?tkschriften wird, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen, als Ergä?tzu?igsband erscheinen. Auch für die vorbereitete und angekündigte Abteilung der Briefe wird mafi bessere Zeiten abwartest müssen.

Es ist so ein Abschluss dieser Atisgabe, die das Denkmal einer eingelösten Ehrenschuld sein soll, für die Gesamtheit der eigentlichen Schriften Wilhelm von Humboldts erreicht u?id dem grossen Wieder- hersteller der geistigen Arbeit in Preussen, desse7i Name bei der Jahrhundertfeier der Berliner Universität vor Glückwunsch spendenden Gästen aller Natione?i so feierlich und nachdrucksvoll erklang, die Bahn eröffnet zu neuer Wirkung auf sein Volk und auf alle Welt.

Berlin, den j. Oktober ig20.

Konrad Bur dach.

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