— N — n. Rn N ER r int 8 } ' N N . * * — — —— i il ———b — Er, — uur — — 0 1 121 R RN —— Wee . 170 — ann e — eee — Ste, IS — r 4712771 fcr. — . au — mn — — u B — — . h Nr, 5 A — * 1 — 1 NEN — ———— — . 5 — . — Th ee er gel MN Mg EN . — — 5 — Nu er game ale * lla Sun N —— I — 1 . GSELLIUS’SCHE BUCHHANDLUNG & ANTIQUARIAT BERLIN,W. MOHRENSTRASSE 52 — ann 1. WV auf. en — | ieee 0 1 N 5 N h 1 13 2 u * ö z | | 1} U 1 I ah * N 1 0 ep IN an } I E * NIT u N IN — Waun 8 = N - N Min SER — au ‘ 10 Un- la an SR N pie — tte In: 1 2 U hr : M m i 15. > 5 dil e 8 zam lb 2 2 0 * Digitized by the Internet Archive in 2009 with funding from Ontario Council of University Libraries http://www.archive.org/details/gesammeltewerke01humb | f F N Alexander von Humboldt. Geſammelte Werke von Mezander von Humboldt. RUE 0 Erſter Ban. ) — — des Kosmos J. 1 Stuttgart. Perlag der J. G. Cokka'ſchen Buchhandlung. — — —ü̃ . — ]ĩr.Yẽ— —üÜů ͤ ͤ 1wj— — Kosmos. Eulwurf einer phuſiſchen Vellbeſchteibung Alexander von Bumboldt. Erſter Band. Naturae vero rerum vis 1189 5 majes stas in omnibus momentis fid uis modo partes ejus ac non to 1255 complectatur animo. PLIN. H. N. lib. 7, c. 1 Stuttgart. Derlag der I. G. Cokka'ſchen Buchhandlung. Pe: — 2 D = = = — 9 = — — o = 1 2 & 2 2 — 2 — D z o 2 * = — a | Seiner Mafeſtät dem König Triedrich Wilhelm IV. widmet in kiefer Ehrfurchk und mit herzlichem Dankgefühl dieſen Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung Alexander von Humboldt. Vorrede. Ich übergebe am ſpäten Abend eines vielbewegten Lebens dem deutſchen Publikum ein Werk, deſſen Bild in unbeſtimm— ten Umriſſen mir faſt ein halbes Jahrhundert lang vor der Seele ſchwebte. In manchen Stimmungen habe ich dieſes Werk für unausführbar gehalten und bin, wenn ich es aufgegeben, wieder, vielleicht unvorſichtig, zu demſelben zurückgekehrt. Ich widme es meinen Zeitgenoſſen mit der Schüchternheit, die ein gerechtes Mißtrauen in das Maß meiner Kräfte mir einflößen muß. Ich ſuche zu vergeſſen, daß lange erwartete Schriften gewöhnlich ſich minderer Nachſicht zu erfreuen haben. Wenn durch äußere Lebensverhältniſſe und durch einen unwiderſtehlichen Drang nach verſchiedenartigem Wiſſen ich veranlaßt worden bin, mich mehrere Jahre und ſcheinbar aus— ſchließlich mit einzelnen Disziplinen: mit beſchreibender Bo— tanik, mit Geognoſie, Chemie, aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen und Erdmagnetismus als Vorbereitung zu einer großen Reiſe— expedition zu beſchäftigen, ſo war doch immer der eigentliche Zweck des Erlernens ein höherer. Was mir den Hauptantrieb gewährte, war das Beſtreben, die Erſcheinungen der körper— lichen Dinge in ihrem allgemeinen Zuſammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufaſſen. Ich war durch den Umgang mit hochbegabten Männern früh zu der Einſicht gelangt, daß ohne den ernſten Hang nach der Kenntnis des Einzelnen alle große und all— gemeine Weltanſchauung nur ein Luftgebilde ſein könne. Es ſind aber die Einzelheiten im Naturwiſſen ihrem inneren Weſen nach fähig, wie durch eine aneignende Kraft ſich gegenſeitig zu befruchten. Die beſchreibende Botanik, nicht mehr in den engen Kreis der Beſtimmung von Geſchlechtern und Arten feſtgebannt, — VIII — führt den Beobachter, welcher ferne Länder und hohe Gebirge durchwandert, zu der Lehre von der geographiſchen Verteilung der Pflanzen über den Erdboden nach Maßgabe der Entfernung vom Aequator und der ſenkrechten Erhöhung des Standortes. Um nun wiederum die verwickelten Urſachen dieſer Verteilung aufzuklären, müſſen die Geſetze der Temperaturverſchiedenheit der Klimate wie der meteorologiſchen Prozeſſe im Luftkreis erſpäht werden. So führt den wißbegierigen Beobachter jede Klaſſe von Erſcheinungen zu einer anderen, durch welche ſie begründet wird oder die von ihr abhängt. Es iſt mir ein Glück geworden, das wenige wiſſenſchaft— liche Reiſende in gleichem Maß mit mir geteilt haben: das Glück, nicht bloß Küſtenländer, wie auf den Erdumſegelungen, ſondern das Innere zweier Kontinente in weiten Räumen und zwar da zu ſehen, wo dieſe Räume die auffallendſten Kon— traſte der alpiniſchen Tropenlandſchaft von Südamerika mit der öden Steppennatur des nördlichen Aſiens darbieten. Solche Unternehmungen mußten, bei der eben geſchilderten Richtung meiner Beſtrebungen, zu allgemeinen Anſichten aufmuntern, ſie mußten den Mut beleben, unſere dermalige Kenntnis der ſideriſchen und telluriſchen Erſcheinungen des Kosmos in ihrem empiriſchen Zuſammenhange in einem einzigen Werke abzuhan— deln. Der bisher unbeſtimmt aufgefaßte Begriff einer phy— ſiſchen Erdbeſchreibung ging ſo durch erweiterte Be— trachtung, ja, nach einem vielleicht allzu kühnen Plane, durch das Umfaſſen alles Geſchaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer phyſiſchen Weltbeſchreibung über. Bei der reichen Fülle des Materials, welches der ordnende Geiſt beherrſchen ſoll, iſt die Form eines ſolchen Werkes, wenn es ſich irgend eines litterariſchen Vorzugs erfreuen ſoll, von großer Schwierigkeit. Den Naturſchilderungen darf nicht der Hauch des Lebens entzogen werden, und doch erzeugt das Aneinanderreihen bloß allgemeiner Reſultate einen ebenſo er— müdenden Eindruck als die Anhäufung zu vieler Einzelheiten an. der Beobachtung. Ich darf mir nicht ſchmeicheln, ſo verſchieden— artigen Bedürfniſſen der Kompoſition genügt, Klippen ver— mieden zu haben, die ich nur zu bezeichnen verſtehe. Eine ſchwache Hoffnung gründet ſich auf die beſondere Nachſicht, welche das deutſche Publikum einer kleinen Schrift, die ich unter dem Titel Anſichten der Natur gleich nach meiner Rückkunft aus Mexiko veröffentlicht, lange Zeit geſchenkt hat. Dieſe Schrift behandelte einzelne Teile des Erdenlebens (Pflan— zengeſtaltung, Grasfluren und Wüſten) unter generellen Be— ziehungen. Sie hat mehr durch das gewirkt, was ſie in em— pfänglichen, mit Phantaſie begabten jungen Gemütern erweckt hat, als durch das, was ſie geben konnte. In dem Kosmos, an welchem ich jetzt arbeite, wie in den Anſichten der Natur habe ich zu zeigen geſucht, daß eine gewiſſe Gründ— lichkeit in der Behandlung der einzelnen Thatſachen nicht un— bedingt Farbenloſigkeit in der Darſtellung erheiſcht. Da öffentliche Vorträge ein leichtes und entſcheidendes Mittel darbieten, um die gute oder ſchlechte Verkettung ein— zelner Teile einer Lehre zu prüfen, ſo habe ich viele Monate lang erſt zu Paris in franzöſiſcher Sprache und ſpäter zu Berlin in unſerer vaterländiſchen Sprache faſt gleichzeitig in der großen Halle der Singakademie und in einem der Hör— ſäle der Univerſität Vorleſungen über die phyſiſche Welt— beſchreibung, wie ich die Wiſſenſchaft aufgefaßt, gehalten. Bei freier Rede habe ich in Frankreich und Deutſchland nichts über meine Vorträge ſchriftlich aufgezeichnet. Auch die Hefte, welche durch den Fleiß aufmerkſamer Zuhörer entſtanden ſind, blieben mir unbekannt, und wurden daher bei dem jetzt er— ſcheinenden Buche auf keine Weiſe benutzt. Die erſten vierzig Seiten des erſten Bandes abgerechnet, iſt alles von mir in den Jahren 1843 und 1844 zum erſtenmal niedergeſchrieben. Wo der jetzige Zuſtand des Beobachteten und der Meinungen (die zunehmende Fülle des erſteren ruft unwiederbringlich Ver— änderungen in den letzteren hervor) geſchildert werden ſoll, ge— Re winnt, glaube ich, dieſe Schilderung an Einheit, an Friſche und innerem Leben, wenn ſie an eine beſtimmte Epoche geknüpft iſt. Die Vorleſungen und der Kosmos haben alſo nichts mit einander gemein als etwa die Reihenfolge der Gegenſtände, die ſie behandelt. Nur den „einleitenden Betrachtungen“ habe ich die Form einer Rede gelaſſen, in die ſie teilweiſe eingeflochten waren. Den zahlreichen Zuhörern, welche mit ſo vielem Wohl— wollen meinen Vorträgen in dem Univerſitätsgebäude gefolgt, ſind, iſt es vielleicht angenehm, wenn ich als eine Erinnerung an jene längſt verfloſſene Zeit, zugleich aber auch als ein ſchwaches Denkmal meiner Dankgefühle hier die Verteilung der einzeln abgehandelten Materien unter die Geſamtzahl der Vorleſungen (vom 3. November 1827 bis 26. April 1828, in 61 Vorträgen) einſchalte: Weſen und Begrenzung der phy— ſiſchen Weltbeſchreibung, allgemeines Naturgemälde 5 Vor— träge; Geſchichte der Weltanſchauung 3, Anregungen zum Naturſtudium 2, Himmelsräume 16; Geſtalt, Dichte, innere Wärme, Magnetismus der Erde und Polarlicht 5; Natur der ſtarren Erdrinde, heiße Quellen, Erdbeben, Vulkanismus 4; Gebirgsarten, Typen der Formationen 2; Geſtalt der Erd— oberfläche, Gliederung der Kontinente, Hebung auf Spalten 2; tropfbar⸗flüſſige Umhüllung: Meer 3, elaſtiſch-flüſſige Um: hüllung, Atmoſphäre, Wärmeverteilung 10; geographiſche Ver— teilung der Organismen im allgemeinen 1; Geographie der Pflanzen 3, Geographie der Tiere 3, Menſchenraſſen 2. Der erſte Band meines Werkes enthält: Einleitende Betrachtungen über die Verſchiedenartigkeit des Naturgenuſſes und die Ergründung der Weltgeſetze, Begrenzung und wiſſenſchaftliche Behandlung der phyſiſchen Weltbeſchreibung; ein allgemeines Na— turgemälde als Ueberſicht der Erſcheinungen im Kosmos. Indem das allgemeine Naturgemälde von den fernſten Nebelflecken und kreiſenden Doppelſternen des Welt— raums zu den telluriſchen Erſcheinungen der Geographie der — Il, Organismen (Pflanzen, Tiere und Menſchenraſſen) herabſteigt, enthält es ſchon das, was ich als das Wichtigſte und Weſent— lichſte meines ganzen Unternehmens betrachte: die innere Ver— kettung des Allgemeinen mit dem Beſonderen; den Geiſt der Be— handlung in Auswahl der Erfahrungsſätze, in Form und Stil der Kompoſition. Die beiden nachfolgenden Bände ſollen die Anregungsmittel zum Naturſtudium (durch Belebung von Naturſchilderungen, durch Landſchaftmalerei und durch Gruppierung exotiſcher Pflanzengeſtalten in Treibhäuſern); die Geſchichte der Weltanſchauung, d. h. der allmählichen Auffaſſung des Begriffs von dem Zuſammenwirken der Kräfte in einem Naturganzen, und das Spezielle der einzelnen Disziplinen enthalten, deren gegenſeitige Verbindung in dem Naturgemälde des erſten Bandes angedeutet worden iſt. Ueberall find die bibliographiſchen Quellen“ gleichſam die Zeug— niſſe von der Wirklichkeit und dem Werte der Beobachtungen, da wo es mir nötig ſchien, ſie in Erinnerung zu bringen, von dem Texte getrennt und mit Angabe der Seitenzahl in An— merkungen an das Ende eines jeden Abſchnittes verwieſen. Von meinen eigenen Schriften, in denen ihrer Natur nach die Thatſachen mannigfaltig zerſtreut ſind, habe ich immer vorzugs— weiſe nur die Originalausgaben angeführt, da es hier auf große Genauigkeit numeriſcher Verhältniſſe ankam und ich in Beziehung auf die Sorgfalt der Ueberſetzer von großem Miß— trauen erfüllt bin. Wo ich in ſeltenen Fällen kurze Sätze aus den Schriften meiner Freunde entlehnt habe, iſt die Ent— lehnung durch den Druck ſelbſt zu erkennen. Ich ziehe nach der Art der Alten die Wiederholung derſelben Worte jeder willkürlichen Subſtituierung uneigentlicher oder umſchreibender Ausdrücke vor. Von der in einem friedlichen Werke ſo gefahr— voll zu behandelnden Geſchichte der erſten Entdeckungen wie von * In der vorliegenden Ausgabe ſind die bloßen bibliographi— ſchen Referenzen weggelaſſen und nur ſolche Anmerkungen beibehalten worden, welche ein inhaltliches Intereſſe bieten. [D. Herausg.] = aM. — vielbeſtrittenen Prioritätsrechten iſt in den Anmerkungen ſelten die Rede. Wenn ich bisweilen des klaſſiſchen Altertums und der glücklichen Uebergangsperiode des durch große geographiſche Entdeckungen wichtig gewordenen fünfzehnten und ſechzehnten Jahrhunderts erwähnt habe, ſo iſt es nur geſchehen, weil in dem Bereich allgemeiner Anſichten der Natur es dem Menſchen ein Bedürfnis iſt, ſich von Zeit zu Zeit dem Kreiſe ſtreng dog— matiſierender moderner Meinungen zu entziehen und ſich in das freie, phantaſiereiche Gebiet älterer Ahnungen zu verſenken. Man hat es oft eine nicht erfreuliche Betrachtung genannt, daß, indem rein litterariſche Geiſtesprodukte gewurzelt ſind in den Tiefen der Gefühle und der ſchöpferiſchen Einbildungskraft, alles, was mit der Empirie, mit Ergründung von Natur— erſcheinungen und phyſiſcher Geſetze zuſammenhängt, in wenigen Jahrzehnten, bei zunehmender Schärfe der Inſtrumente und allmählicher Erweiterung des Horizontes der Beobachtung, eine andere Geſtaltung annimmt, ja daß, wie man ſich auszudrücken pflegt, veraltete naturwiſſenſchaftliche Schriften als unlesbar der Vergeſſenheit übergeben ſind. Wer von einer echten Liebe zum Naturſtudium und von der erhabenen Würde desſelben beſeelt iſt, kann durch nichts entmutigt werden, was an eine künftige Vervollkommnung des menſchlichen Wiſſens erinnert. Viele und wichtige Teile dieſes Wiſſens, in den Erſcheinungen der Himmelsräume wie in den telluriſchen Verhältniſſen, haben bereits eine feſte, ſchwer zu erſchütternde Grundlage erlangt. In anderen Teilen werden allgemeine Geſetze an die Stelle der partikulären treten, neue Kräfte ergründet, für einfach gehaltene Stoffe vermehrt oder zergliedert werden. Ein Verſuch, die Natur lebendig und in ihrer erhabenen Größe zu ſchildern, in dem wellenartig wiederkehrenden Wechſel phyſiſcher Veränder— lichkeit das Beharrliche aufzuſpüren, wird daher auch in ſpäteren Zeiten nicht ganz unbeachtet bleiben. Potsdam im November 1844. Kosmos A. v. Humboldt, Kosmos. I. Finleitende Belrachtungen über die Verſchiedenartigkeit des Naturgenuſſes und eine wiſſenſchaftliche Ergründung der Weltgeſetze. (Vorgetragen am Tage der Eröffnung der Vorleſungen in der großen Halle der Sing⸗ akademie zu Berlin. — Mehrere Einſchaltungen gehören einer ſpäteren Zeit an.) Wenn ich es unternehme, nach langer Abweſenheit aus dem deutſchen Vaterlande, in freien Unterhaltungen über die Natur die allgemeinen phyſiſchen Erſcheinungen auf unſerem Erdkörper und das Zuſammenwirken der Kräfte im Weltall zu entwickeln, ſo finde ich mich mit einer zwiefachen Beſorgnis erfüllt. Einesteils iſt der Gegenſtand, den ich zu behandeln habe, ſo unermeßlich und die mir vorgeſchriebene Zeit ſo be— ſchränkt, daß ich fürchten muß, in eine encyklopädiſche Ober: flächlichkeit zu verfallen oder, nach Allgemeinheit ſtrebend, durch aphoriſtiſche Kürze zu ermüden. Anderenteils hat eine vielbewegte Lebensweiſe mich wenig an öffentliche Vorträge gewöhnt; und in der Befangenheit meines Gemüts wird es mir nicht immer gelingen, mich mit der Beſtimmtheit und Klarheit auszudrücken, welche die Größe und die Mannig- faltigkeit des Gegenſtandes erheiſchen. Die Natur iſt das Reich der Freiheit; und um lebendig die Anſchauungen und Gefühle zu ſchildern, welche ein reiner Naturſinn gewährt, ſollte auch die Rede ſtets ſich mit der Würde und Freiheit bewegen, welche nur hohe Meiſterſchaft ihr zu geben vermag. Wer die Reſultate der Naturforſchung nicht in ihrem Verhältnis zu einzelnen Stufen der Bildung oder zu den individuellen Bedürfniſſen des geſelligen Lebens, ſondern in ihrer großen Beziehung auf die geſamte Menſchheit betrachtet; 1 dem bietet ſich, als die erfreulichſte Frucht dieſer Forſchung, der Gewinn dar, durch Einſicht in den Zuſammenhang der Erſcheinungen den Genuß der Natur vermehrt und veredelt zu ſehen. Eine ſolche Veredelung iſt aber das Werk der Beob— achtung, der Intelligenz und der Zeit, in welcher alle Rich⸗ tungen der Geiſteskräfte ſich reflektieren. Wie ſeit Jahrtauſen⸗ den das Menſchengeſchlecht dahin gearbeitet hat, in dem ewig wiederkehrenden Wechſel der Weltgeſtaltungen das Beharrliche des le aufzufinden und fo allmählich durch die Macht der Intelligenz den weiten Erdkreis zu erobern, lehrt die Ge⸗ ſchichte den, welcher den uralten Stamm unſeres Wiſſens durch die tiefen Schichten der Vorzeit bis zu ſeinen Wurzeln zu verfolgen weiß. Dieſe Vorzeit befragen, heißt dem ge: heimnisvollen Gange der Ideen nachſpüren, auf welchem das⸗ ſelbe Bild, das früh dem inneren Sinne als ein harmoniſch geordnetes Ganzes, Kosmos, vorſchwebte, ſich zuletzt wie das Ergebnis langer, mühevoll geſammelter Erfahrungen darſtellt. In dieſen beiden Epochen der Weltanſicht, dem erſten Erwachen des Bewußtſeins der Völker und dem endlichen, gleichzeitigen Anbau aller Zweige der Kultur, ſpiegeln ſich zwei Arten des Genuſſes ab. Den einen erregt, in dem offenen kindlichen Sinne des Menſchen, der Eintritt in die freie Natur und das dunkle Gefühl des Einklangs, welcher in dem ewigen Wechſel ihres ſtillen Treibens herrſcht. Der andere Genuß gehört der vollendeteren Bildung des Geſchlechts und dem Reflex dieſer Bildung auf das Individuum an: er entſpringt aus der Einſicht in die Ordnung des Weltalls und in das Zuſammenwirken der phyſiſchen Kräfte. So wie der Menſch ſich nun Organe ſchafft, um die Natur zu befragen und den engen Raum ſeines flüchtigen Daſeins zu überſchreiten; wie er nicht mehr bloß beobachtet, ſondern Erſcheinungen unter beſtimmten Bedingungen hervorzurufen weiß; wie endlich die Philoſophie der Natur, ihrem alten dichteriſchen Gewande entzogen, den ernſten Charakter einer denkenden Betrachtung des Beobachteten annimmt: treten klare Erkenntnis und Be⸗ grenzung an die Stelle dumpfer Ahnungen und unvollſtän⸗ diger Induktionen. Die dogmatiſchen Anſichten der vorigen Jahrhunderte leben dann nur fort in den Vorurteilen des Volks und in gewiſſen Disziplinen, die, in dem Bewußtſein ihrer Schwäche, ſich gern in Dunkelheit hüllen. Sie erhalten ſich auch als ein läſtiges Erbteil in den Sprachen, die ſich durch ſymboliſierende Kunſtwörter und geiſtloſe Formen ver— TE unſtalten. Nur eine kleine Zahl ſinniger Bilder der Phantaſie, welche, wie vom Dufte der Urzeit umfloſſen, auf uns ge— von find, gewinnen beſtimmtere Umriſſe und eine erneuerte Geſtalt. f Die Natur iſt für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Miſchung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein lebendiges Ganzes. Das wichtigſte Reſultat des ſinnigen phyſiſchen Forſchens iſt daher dieſes: in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen; von dem Individuellen alles zu um⸗ faſſen, was die Entdeckungen der letzteren Zeitalter uns dar: bieten; die Einzelheiten prüfend zu ſondern und doch nicht ihrer Maſſe zu unterliegen: der erhabenen Beſtimmung des Menſchen eingedenk, den Geiſt der Natur zu ergreifen, welcher unter der Decke der Erſcheinungen verhüllt liegt. Auf dieſem Wege reicht unſer Beſtreben über die enge Grenze der Sinnen— welt hinaus; und es kann uns gelingen, die Natur begreifend, den rohen Stoff empiriſcher Anſchauung gleichſam durch Ideen zu beherrſchen. Wenn wir zuvörderſt über die verſchiedenen Stufen des Genuſſes nachdenken, welchen der Anblick der Natur gewährt; ſo finden wir, daß die erſte unabhängig von der Einſicht in das Wirken der Kräfte, ja faſt unabhängig von dem eigen— tümlichen Charakter der Gegend iſt, die uns umgibt. Wo in der Ebene, einförmig, geſellige Pflanzen den Boden bedecken und auf grenzenloſer Ferne das Auge ruht; wo des Meeres Wellen das Ufer ſanft beſpülen und durch Ulfen und grünen⸗ den Seetang ihren Weg bezeichnen: überall durchdringt uns das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes Ahnen ihres „Beſtehens nach inneren ewigen Geſetzen“. In ſolchen An— regungen ruht eine geheimnisvolle Kraft; ſie ſind erheiternd und lindernd, ſtärken und erfriſchen den ermüdeten Geiſt, be— ſänftigen oft das Gemüt, wenn es ſchmerzlich in ſeinen Tiefen erſchüttert oder vom wilden Drange der Leidenſchaften bewegt iſt. Was ihnen Ernſtes und Feierliches beiwohnt, entſpringt aus dem faſt bewußtloſen Gefühle höherer Ordnung und innerer Geſetzmäßigkeit der Natur; aus dem Eindruck ewig wiederkehrender Gebilde, wo in dem Beſonderſten des Organis— mus das Allgemeine ſich ſpiegelt; aus dem Kontraſte zwiſchen dem ſittlich Unendlichen und der eigenen Beſchränktheit, der wir zu entfliehen ſtreben. In jedem Erdſtriche, überall wo die wechſelnden Geſtalten des Tier- und Pflanzenlebens ſich a darbieten, auf jeder Stufe intellektueller Bildung find dem Menſchen dieſe Wohlthaten gewährt. Ein anderer Naturgenuß, ebenfalls nur das Gefühl an— ſprechend, iſt der, welchen wir, nicht dem bloßen Eintritt in das Freie (wie wir tief bedeutſam in unſerer Sprache ſagen), ſondern dem individuellen Charakter einer Gegend, gleichſam der phyſiognomiſchen Geſtaltung der Oberfläche unſeres Pla— neten verdanken. Eindrücke ſolcher Art ſind lebendiger, be— ſtimmter und deshalb für beſondere Gemütszuſtände geeignet. Bald ergreift uns die Größe der Naturmaſſen im wilden Kampfe der entzweiten Elemente oder, ein Bild des Unbe— weglich-Starren, die Oede der unermeßlichen Grasfluren und Steppen, wie in dem geſtaltloſen Flachlande der Neuen Welt und des nördlichen Aſiens; bald feſſelt uns, freundlicheren Bildern hingegeben, der Anblick der bebauten Flur, die erſte Anſiedelung des Menſchen, von ſchroffen Felsſchichten umringt, am Rande des ſchäumenden Gießbachs. Denn es iſt nicht ſowohl die Stärke der Anregung, welche die Stufen des indi- viduellen Naturgenuſſes bezeichnet, als der beſtimmte Kreis von Ideen und Gefühlen, die ſie erzeugen und welchen ſie Dauer verleihen. 2 Darf ich mich hier der eigenen Erinnerung großer Natur: ſzenen überlaſſen: ſo gedenke ich des Ozeans, wenn in der Milde tropiſcher Nächte das Himmelsgewölbe ſein planetariſches, nicht funkelndes Sternenlicht über die ſanftwogende Wellen: fläche ergießt; oder der Waldthäler der Kordilleren, wo mit kräftigem Triebe hohe Palmenſtämme das düſtere Laubdach durchbrechen, und als Säulengänge hervorragen, „ein Wald über dem Walde“; oder des Piks von Tenerifa, wenn hori⸗ zontale Wolkenſchichten den Aſchenkegel von der unteren Erd— fläche trennen, und plötzlich durch eine Oeffnung, die der auf— ſteigende Luftſtrom bildet, der Blick von dem Rande des Kraters ſich auf die weinbekränzten Hügel von Orotava und die Heſperidengärten der Küſte hinabſenkt. In dieſen Szenen iſt es nicht mehr das ſtille, ſchaffende Leben der Natur, ihr ruhiges Treiben und Wirken, die uns anſprechen: es iſt der individuelle Charakter der Landſchaft, ein Zuſammenfließen der Umriſſe von Wolken, Meer und Küſten im Morgendufte der Inſeln; es iſt die Schönheit der Pflanzenformen und ihrer Gruppierung. Denn das Ungemeſſene, ja ſelbſt das Schreckliche in der Natur, alles, was unſere Faſſungskraft überſteigt, wird in einer romantiſchen Gegend zur Quelle des a Genuſſes. Die Phantaſie übt dann das freie Spiel ihrer Schöpfungen an dem, was von den Sinnen nicht vollſtändig erreicht werden kann; ihr Wirken nimmt eine andere Richtung bei jedem Wechſel in der Gemütsſtimmung des Beobachters. Getäuſcht, glauben wir von der Außenwelt zu empfangen, was wir ſelbſt in dieſe gelegt haben. Wenn nach langer Seefahrt, fern von der Heimat, wir zum erſtenmal ein Tropenland betreten, erfreut uns, an ſchroffen Felswänden, der Anblick derſelben Gebirgsarten (des Thonſchiefers oder des baſaltartigen Mandelſteins), die wir auf europäiſchem Boden verließen und deren Allverbreitung zu beweiſen ſcheint, es habe die alte Erdrinde ſich unabhängig von dem äußeren Einfluß der jetzigen Klimate gebildet; aber dieſe wohlbekannte Erdrinde iſt mit den Geſtalten einer fremd— artigen Flora geſchmückt. Da offenbart ſich uns, den Be— wohnern der nordiſchen Zone, von ungewohnten Pflanzen— formen, von der überwältigenden Größe des tropiſchen Or— ganismus und einer exotiſchen Natur umgeben, die wunder— 5 aneignende Kraft des menſchlichen Gemütes. Wir fühlen uns ſo mit allem Organiſchen verwandt, daß, wenn es an— fangs auch ſcheint, als müſſe die heimiſche Landſchaft, wie ein heimiſcher Volksdialekt, uns zutraulicher, und durch den Reiz einer eigentümlichen Natürlichkeit uns inniger anregen als jene fremde üppige Pflanzenfülle, wir uns doch bald in dem Palmenklima der heißen Zone eingebürgert glauben. Durch den geheimnisvollen Zuſammenhang aller organiſchen Geſtaltung (und unbewußt liegt in uns das Gefühl der Not— wendigkeit dieſes Zuſammenhangs) erſcheinen unſerer Phantaſie jene exotiſchen Formen wie erhöht und veredelt aus denen, die unſere Kindheit umgaben. So leiten dunkle Gefühle und die Verkettung ſinnlicher Anſchauungen, wie ſpäter die Thätig- keit der kombinierenden Vernunft, zu der Erkenntnis, welche alle Bildungsſtufen der Menſchheit durchdringt, daß ein ge— meinſames, geſetzliches und darum ewiges Band die ganze lebendige Natur umſchlinge. Es iſt ein gewagtes Unternehmen, den Zauber der Sinnenwelt einer Zergliederung feiner Elemente zu unter: werfen. Denn der großartige Charakter einer Gegend iſt vorzüglich dadurch beſtimmt, daß die eindrucksreichſten Natur— erſcheinungen gleichzeitig vor die Seele treten, daß eine Fülle von Ideen und Gefühlen gleichzeitig erregt werde. Die Kraft einer ſolchen über das Gemüt errungenen Herrſchaft iſt recht 1 eigentlich an die Einheit des Empfundenen, des Nichtentfal— teten geknüpft. Will man aber aus der objektiven Verſchieden— heit der Erſcheinungen die Stärke des Totalgefühls erklären, ſo muß man ſondernd in das Reich beſtimmter Naturgeſtalten und wirkender Kräfte hinabſteigen. Den mannigfaltigſten und reichſten Stoff für dieſe Art der Betrachtungen gewährt die landwirtſchaftliche Natur im ſüdlichen Aſien oder im neuen Kontinent: da, wo hohe Gebirgsmaſſen den Boden des Luft: meers bilden, und wo dieſelben vulkaniſchen Mächte, welche einſt die lange Andesmauer aus tiefen Erdſpalten emporgehoben, jetzt noch ihr Werk zum Schrecken der Anwohner oft erſchüttern. Naturgemälde, nach leitenden Ideen aneinander gereihet, ſind nicht allein dazu beſtimmt, unſeren Geiſt angenehm zu beſchäftigen; ihre Reihenfolge kann auch die Graduation der Natureindrücke bezeichnen, deren allmählich geſteigerten Inten— ſität wir aus der einförmigen Leere pflanzenloſer Ebenen bis zu der üppigen Blütenfülle der heißen Zone gefolgt ſind. Wenn man als ein Spiel der Phantaſie den Pilatus auf das Schreckhorn,“ oder unſere ſudetiſche Schneekoppe auf den Montblane auftürmt, ſo hat man noch nicht eine der größten Höhen der Andeskette, den Chimborazo, die doppelte Höhe des Aetna erreicht; wenn man auf den Chimborazo den Rigi oder den Athos türmt, ſo ſchaffen wir uns ein Bild von dem höchſten Gipfel des Himalayagebirges, dem Dhamalagirt.? Obgleich das indiſche Gebirge in der Größe ſeiner koloſſalen, jetzt durch wiederholte Meſſung wohl beſtimmten Maſſen die Andeskette weit übertrifft, ſo gewährt ihr Anblick doch nicht die Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen, welche die Kordilleren von Südamerika charakteriſieren. Höhe allein beſtimmt nicht den Eindruck der Natur. Die Himalayakette liegt ſchon weit außerhalb der Grenze tropiſcher Klimate. Kaum verirrt ſich eine Palme! bis in die ſchönen Thäler der Vorgebirge von Nepaul und Kumaon. Unter dem 28. und 34. Grade der Breite, am Abhange des alten Paropamiſus, entfaltet die vegetabiliſche Natur nicht mehr die Fülle baumartiger Farn— kräuter und Gräſer, großblütiger Orchideen und Bananen— gewächſe, welche unter den Wendekreiſen bis zu den Hochebenen hinaufſteigen. Unter dem Schatten der zederartigen Deodwara— fichte und großblätteriger Eichen bedecken das granitartige Geſtein europäiſche und nordaſiatiſche Pflanzenformen. Es ſind nicht dieſelben Arten, aber ähnliche Gebilde: Wachholder, Alpenbirken, Gentianen, Parnaſſien und ſtachlige Ribes-Arten.“ Dem Himalaya fehlen die wechſelnden Erſcheinungen thätiger Vulkane, welche in der indiſchen Inſelwelt drohend an das innere Leben der Erde mahnen. Auch fängt, wenigſtens an ſeinem ſüdlichen Abhange, wo die feuchtere Luft Hindoſtans ihren Waſſergehalt abſetzt, der ewige Schnee meiſt ſchon in der Höhe von elf- bis zwölftauſend Fuß (3570-3900 m) an, und ſetzt ſo der Entwickelung des organiſchen Lebens eine frühere Grenze als in den Aequinoktialgegenden von Süd— amerika, wo der Organismus faſt zweitauſend ſechshundert Fuß (844 m) höher verbreitet iſt.“ Die dem Aequator nahe Gebirgsgegend hat einen anderen, nicht genugſam beachteten Vorzug: es iſt der Teil der Ober— fläche unſeres Planeten, wo im engſten Raume die Mannig— faltigkeit der Natureindrücke ihr Maximum erreicht. In der tiefgefurchten Andeskette von Neu-Granada und Quito iſt es dem Menſchen gegeben, alle Geſtalten der Pflanzen und alle Geſtirne des Himmels gleichzeitig zu ſchauen. Ein Blick um— faßt Helikonien, hochgefiederte Palmen, Bambuſſe, und über dieſen Formen der Tropenwelt: Eichenwälder, Mespilus-Arten und Doldengewächſe, wie in unſerer deutſchen Heimat; ein Blick umfaßt das ſüdliche Kreuz, die Magelhaensiſchen Wolken und die leitenden Sterne des Bären, die um den Nordpol kreiſen. Dort öffnen der Erde Schoß und beide Hemiſphären des Himmels den ganzen Reichtum ihrer Erſcheinungen und verſchiedenartigen Gebilde; dort ſind die Klimate, wie die durch ſie beſtimmten Pflanzenzonen ſchichtenweiſe übereinander gelagert; dort die Geſetze abnehmender Wärme, dem aufmerk— ſamen Beobachter verſtändlich, mit ewigen Zügen in die Felſen— wände der Andeskette, am Abhange des Gebirges, eingegraben. Um dieſe Verſammlung nicht mit Ideen zu ermüden, die ich verſucht habe, in einem eigenen Werke über die Geographie der Pflanzen bildlich darzuſtellen, hebe ich hier nur einige wenige Erinnerungen aus dem „Naturgemälde der Tropen— gegend“ hervor. Was in dem Gefühle umrißlos und duftig wie Bergluft, verſchmilzt, kann von der, nach dem Kauſal— zuſammenhang der Erſcheinungen grübelnden Vernunft nur in einzelne Elemente zerlegt, als Ausdruck eines individuellen Naturcharakters, begriffen werden. Aber in dem wiſſenſchaft— lichen Kreiſe, wie in den heiteren Kreiſen der Landſchaftdichtung und Landſchaftmalerei, gewinnt die Darſtellung um ſo mehr an Klarheit und objektiver Lebendigkeit, als das Einzelne beſtimmt aufgefaßt und begrenzt iſt. KR Sind die tropiſchen Länder eindrucksreicher für das Ge— müt durch Fülle und Ueppigkeit der Natur, ſo ſind ſie zu— gleich auch (und dieſer Geſichtspunkt iſt der wichtigſte in dem Ideengange, den ich hier verfolge) vorzugsweiſe dazu geeignet, durch einförmige Regelmäßigkeit in den meteorologiſchen Pro— zeſſen des Luftkreiſes und in der periodiſchen Entwickelung des Organismus, durch ſcharfe Scheidung der Geſtalten bei ſenk— rechter Erhebung des Bodens, dem Geiſte die geſetzmäßige Ordnung der Himmelsräume, wie abgeſpiegelt in dem Erden⸗ leben, zu zeigen. Mögen wir einige Augenblicke bei dieſem Bilde der Regelmäßigkeit, die ſelbſt an Zahlenverhältniſſe ge⸗ knüpft iſt, verweilen. In den heißen Ebenen, die ſich wenig über die Meeres— fläche der Südſee erheben, herrſcht die Fülle der Pijang- gewächſe, der Cykadeen und Palmen; ihr folgen, von hohen Thalwänden beſchattet, baumartige Farnkräuter und, in üppi⸗ ger Naturkraft, von kühlem Wolkennebel unaufhörlich getränkt und erfriſcht, die Cinchonen, welche die lange verkannte, wohl— thätige Fieberrinde geben. Wo der hohe Baumwuchs aufhört, blühen, geſellig aneinander gedrängt, Aralien, Thibaudien und myrtenblättrige Andromeden. Einen purpurroten Gürtel bildet die Alpenroſe der Kordilleren, die harzreiche Befaria. Dann verſchwinden allmählich, in der ſtürmiſchen Region der Paramos,“ die höheren Geſträuche und die großblütigen Kräuter. Riſpentragende Monokotyledonen bedecken einförmig den Boden: eine unabſehbare Grasflur, gelb leuchtend in der Ferne; hier weiden einſam das Kamelſchaf und die von den Europäern eingeführten Rinder. Wo die nackten Felsklippen trachytartigen Geſteins ſich aus der Raſendecke emporheben, da entwickeln ſich, bei mangelnder Dammerde, nur noch Pflanzen niederer Organiſation: die Schar der Flechten, welche der dünne, kohlenſtoffarme Luftkreis dürftig ernährt; Parmelien, Lecideen und der vielfarbige Keimſtaub der Leprarien. Inſeln friſch gefallenen Schnees verhüllen hier die letzten Regungen des Pflanzenlebens, bis, ſcharf begrenzt, die Zone des ewigen Eiſes beginnt. Durch die weißen, wahrſcheinlich hohlen, glockenförmigen Gipfel ſtreben, doch meiſt vergebens, die unterirdiſchen Mächte auszubrechen. Wo es ihnen gelungen iſt, durch runde, keſſelförmige Feuerſchlünde oder langgedehnte Spalten mit dem Luftkreiſe in bleibenden Verkehr zu treten, da ſtoßen ſie, faſt nie Laven, aber Kohlenſäure, Schwefel⸗ hydrate und heiße Waſſerdämpfe aus. — 11 — Ein ſo erhabenes Schauſpiel konnte bei den Bewohnern der Tropenwelt, in dem erſten Andrange roher Naturgefühle, nur Bewunderung und dumpfes Erſtaunen erregen. Der innere enen großer, periodiſch wiederkehrender Er— ſcheinungen, die einfachen Geſetze, nach denen dieſe Erſchei— nungen ſich zonenweiſe gruppieren, bieten ſich dort allerdings dem Menſchen in größerer Klarheit dar; aber bei den Urſachen, welche in vielen Teilen dieſes glücklichen Erdſtrichs dem lokalen Entſtehen hoher Geſittung entgegentreten, ſind die Vorteile eines leichteren Erkennens jener Geſetze (ſo weit geſchichtliche Kunde reicht) unbenutzt geblieben. Gründliche Unterſuchungen der neueſten Zeit haben es mehr als zweifelhaft gemacht, daß der eigentliche Urſitz indiſcher Kultur, einer der herrlichſten Blüten des Menſchengeſchlechts, deren ſüdöſtlichſte Verbreitung Wilhelm von Humboldt in ſeinem Ba Werke „über die Kawi⸗ Sprache“ entwickelt hat, innerhalb der Wendekreiſe geweſen ſei. Airyana Vaedjö, das alte Zendland, lag im Nordweſten des oberen Indus; und nach dem religiöſen Zwieſpalt, dem Abfall der Iranier vom brahmaniſchen Inſtitute und ihrer Trennung von den Indern, hat bei dieſen die urſprünglich gemeinſchaft— liche Sprache ihre eigentümliche Geſtaltung, wie das bürgerliche Weſen ſeine Ausbildung im Magadha' oder Madhya Deſa, zwiſchen der kleinen Vindhyakette und dem Himalaya, erlangt. Tiefere Einſicht in das Wirken der phyſiſchen Kräfte hat ſich (trotz der Hinderniſſe, welche, unter höheren Breiten, ver— wickelte örtliche Störungen in den Naturprozeſſen des Dunſt⸗ kreiſes oder in der klimatiſchen Verbreitung organiſcher Ge— bilde dem Auffinden allgemeiner Geſetze entgegenſtellen) doch nur, wenngleich ſpät, bei den Volksſtämmen gefunden, welche die gemäßigte Zone unſerer Hemiſphäre bewohnen. Von daher iſt dieſe Einſicht in die Tropenregion und in die ihr nahen Länder durch Völkerzüge und fremde Anſiedler gebracht worden: eine Verpflanzung wiſſenſchaftlicher Kultur, die auf das intel— lektuelle Leben und den induſtriellen Wohlſtand der Kolonieen, wie der Mutterſtaaten, gleich wohlthätig eingewirkt hat. Wir berühren hier den Punkt, wo, in dem Kontakt mit der Sinnen— welt, zu den Anregungen des Gemütes ſich noch ein anderer Genuß geſellt, ein Naturgenuß, der aus Ideen entſpringt: da, wo in dem Kampf der ſtreitenden Elemente das Ordnungs— mäßige, Geſetzliche nicht bloß geahnet, ſondern vernunftmäßig erkannt wird; wo der Menſch, wie der unſterbliche Dichter ſagt: „ſucht den ruhenden Pol in der Erſcheinungen Flucht“. Tre Um diefen Naturgenuß, der aus Ideen entſpringt, bis zu ſeinem erſten Keime zu verfolgen, bedarf es nur eines flüchtigen Blickes auf die Entwickelungsgeſchichte der Philo— ſophie der Natur oder alten Lehre vom Kosmos. Ein dumpfes, ſchauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten, von dem geheimnisvollen Bande, welches das Sinnliche und Ueberſinnliche verknüpft, iſt allerdings (und meine eigenen Reiſen haben es beſtätigt) ſelbſt wilden Völkern eigen. Die Welt, die ſich dem Menſchen durch die Sinne offenbart, ſchmilzt, ihm ſelbſt faſt unbewußt, zuſammen mit der Welt, welche er, inneren Anklängen folgend, als ein großes Wunderland, in feinem Buſen aufbaut. Dieſe aber iſt nicht der reine Abglanz von jener; denn ſo wenig auch noch das Aeußere von dem Inneren ſich loszureißen vermag, ſo wirkt doch ſchon unaufhaltſam, bei den roheſten Völkern, die ſchaffende Phantaſie und die ſymboliſierende Ahnung des Bedeutſamen in den Erſcheinungen. Was bei einzelnen mehr begabten Individuen ſich als Rudiment einer Naturphiloſophie, gleich— ſam als eine Vernunftanſchauung darſtellt, iſt bei ganzen Stämmen das Produkt inſtinktiver Empfänglichkeit. Auf die⸗ ſem Wege, in der Tiefe und Lebendigkeit dumpfer Gefühle, liegt zugleich der erſte Antrieb zum Kultus, die Heiligung der erhaltenden wie der zerſtörenden Naturkräfte. Wenn nun der Menſch, indem er die verſchiedenen Entwickelungs⸗ ſtufen ſeiner Bildung durchläuft, minder an den Boden gefeſſelt, ſich allmählich zu geiſtiger Freiheit erhebt, genügt ihm nicht mehr ein dunkles Gefühl, die ſtille Ahnung von der Einheit aller Naturgewalten. Das zergliedernde und ordnende Denkvermögen tritt in ſeine Rechte ein; und wie die Bildung des Menſchengeſchlechts, ſo wächſt gleichmäßig mit ihr, bei dem Anblick der Lebensfülle, welche durch die ganze Schöpfung fließt, der unaufhaltſame Trieb, tiefer in den urſachlichen Zuſammenhang der Erſcheinungen ein— zudringen. Schwer iſt es, einem ſolchen Triebe ſchnelle und doch ſichere Befriedigung zu gewähren. Aus unvollſtändigen Beob— achtungen und noch unvollſtändigeren Induktionen entſtehen irrige Anſichten von dem Weſen der Naturkräfte: Anſichten, die, durch bedeutſame Sprachformen gleichſam verkörpert und erſtarrt, ſich, wie ein Gemeingut der Phantaſie, durch alle Klaſſen einer Nation verbreiten. Neben der wiſſenſchaftlichen Phyſik bildet ſich dann eine andere, ein Syſtem ungeprüfter, zum Teil gänzlich mißverſtandener Erfahrungskenntniſſe. Wenige Einzelheiten umfaſſend, iſt dieſe Art der Empirik um ſo an— maßender, als ſie keine der Thatſachen kennt, von denen ſie erſchüttert wird. Sie iſt in ſich abgeſchloſſen, unveränderlich in ihren Axiomen, anmaßend wie alles Beſchränkte: während die wiſſenſchaftliche Naturkunde, unterſuchend und darum zweifelnd, das feſt Ergründete von dem bloß Wahrſcheinlichen trennt, und ſich täglich durch Erweiterung und Berichtigung ihrer Anſichten vervollkommnet. Eine ſolche rohe Anhäufung phyſiſcher Dogmen, welche ein Jahrhundert dem anderen überliefert und aufdringt, wird aber nicht bloß ſchädlich, weil ſie einzelne Irrtümer nährt, weil ſie hartnäckig wie das Zeugnis ſchlecht beobachteter That— ſachen iſt; nein, ſie hindert auch jede großartige Betrachtung des Weltbaus. Statt den mittleren Zuſtand zu erforſchen, um welchen, bei der ſcheinbaren Ungebundenheit der Natur, alle Phänomene innerhalb enger Grenzen oszillieren, erkennt ſie nur die Ausnahmen von den Geſetzen; ſie ſucht andere Wunder in den Erſcheinungen und Formen als die der ge— regelten und fortſchreitenden Entwickelung. Immer iſt ſie geneigt, die Kette der Naturbegebenheiten zerriſſen zu wähnen, in der Gegenwart die Analogie mit der Vergangenheit zu verkennen; und ſpielend, bald in den fernen Himmelsräumen, bald im Inneren des Erdkörpers, die Urſache jener erdichteten Störungen der Weltordnung aufzufinden. Sie führt ab von den Anſichten der vergleichenden Erdkunde, die, wie Karl Ritters großes und geiſtreiches Werk bewieſen hat, nur dann Gründlichkeit erlangt, wenn die ganze Maſſe von Thatſachen, die unter verſchiedenen Himmelsſtrichen geſammelt worden ſind, mit einem Blicke umfaßt, dem kombinierenden Verſtande zu Gebote ſteht. Es iſt ein beſonderer Zweck dieſer Unterhaltungen über die Natur, einen Teil der Irrtümer, die aus roher und un— vollſtändiger Empirie entſprungen ſind und vorzugsweiſe in den höheren Volksklaſſen (oft neben einer ausgezeichneten liütterariſchen Bildung) fortleben, zu berichtigen und fo den Genuß der Natur durch tiefere Einſicht in ihr inneres Weſen zu vermehren. Das Bedürfnis eines ſolchen veredelten Ge— nuſſes wird allgemein gefühlt; denn ein eigener Charakter unſeres Zeitalters ſpricht ſich in dem Beſtreben aller gebildeten Stände aus, das Leben durch einen größeren Reichtum von Ideen zu verſchönern. Der ehrenvolle Anteil, welcher meinen EN Vorträgen in zwei Hörſälen dieſer Hauptſtadt geſchenkt wird, zeugt für die Lebendigkeit eines ſolchen Beſtrebens. Ich kann daher der Beſorgnis nicht Raum geben, zu welcher Beſchränkung oder eine gewiſſe ſentimentale Trübheit des Gemütes zu leiten ſcheinen: der Beſorgnis, daß, bei jedem Forſchen in das innere Weſen der Kräfte, die Natur von ihrem Zauber, von dem Reize des Geheimnisvollen und Er⸗ habenen verliere. Allerdings wirken Kräfte, im eigentlichen Sinne des Wortes, nur dann magiſch, wie im Dunkel einer geheimnisvollen Macht, wenn ihr Wirken außerhalb des Ge⸗ bietes allgemein erkannter Naturbedingungen liegt. Der Beob- achter, der durch ein Heliometer oder einen prismatiſchen Doppelſpat den Durchmeſſer der Planeten beſtimmt, jahre⸗ lang die Meridianhöhe desſelben Sternes mißt, zwiſchen dicht⸗ gedrängten Nebelflecken teleſkopiſche Kometen erkennt; fühlt (und es iſt ein Glück für den ſicheren Erfolg dieſer Arbeit) ſeine Phantaſie nicht mehr angeregt als der beſchreibende Botaniker, ſolange er die Kelcheinſchnitte und die Staubfäden einer Blume zählt, und in der Struktur eines Laubmooſes die einfachen oder doppelten, die freien oder ringförmig ver⸗ wachſenen Zähne der Samenkapſel unterſucht; aber das Meſſen und Auffinden numeriſcher Verhältniſſe, die ſorgfältigſte Beob⸗ achtung des Einzelnen bereitet zu der höheren Kenntnis des Naturganzen und der Weltgeſetze vor. Dem Phyſiker, welcher (wie Thomas Young, Arago und Fresnel) die ungleich langen Ströme der durch Interferenz ſich vernichtenden oder verſtär⸗ kenden Lichtwellen mißt; dem Aſtronomen, der mittels der raumdurchdringenden Kraft der Fernröhre nach den Monden des Uranus am äußerſten Rande unſeres Sonnenſyſtems forſcht, oder (wie Herſchel, South und Struve) aufglimmende Lichtpunkte in farbige Doppelſterne zerlegt; dem eingeweihten Blick des Botanikers, welcher die charaartig kreiſende Bes wegung der Saftkügelchen in faſt allen vegetabiliſchen Zellen, die Einheit der Geſtaltung, das iſt die Verkettung der Formen in Geſchlechtern und natürlichen Familien, erkennt: ge⸗ währen die Himmelsräume, wie die blütenreiche Pflanzendecke der Erde, gewiß einen großartigeren Anblick als dem Beob⸗ achter, deſſen Naturſinn noch nicht durch die Einſicht in den Zuſammenhang der Erſcheinungen geſchärft iſt. Wir können daher dem geiſtreichen Burke nicht beipflichten, wenn er behauptet, daß „aus der Unwiſſenheit von den Dingen der Natur allein die Bewunderung und das Gefühl des Erhabenen entſtehe“. Während die gemeine Sinnlichkeit die leuchtenden Geſtirne an ein kriſtallenes Himmelsgewölbe heftet, erweitert der Aſtronom die räumliche Ferne; er begrenzt unſere Welten— gruppe, nur um jenſeits andere und andere ungezählte Gruppen (eine aufglimmende Inſelflur) zu zeigen. Das Gefühl des Erhabenen, inſofern es aus der einfachen Naturanſchauung der Ausdehnung zu entſpringen ſcheint, iſt der feierlichen Stim— mung des Gemütes verwandt, welche dem Ausdruck des Un— endlichen und Freien in den Sphären ideeller Subjektivität, in dem Bereich des Geiſtigen angehört. Auf dieſer Verwandt— ſchaft, dieſer Bezüglichkeit der ſinnlichen Eindrücke beruht der Zauber des Unbegrenzten: ſei es auf dem Ozean und im Luftmeere, wo dieſes eine iſolierte Bergſpitze umgibt; ſei es im Weltraume, in den die nebelauflöſende Kraft großer Fern— röhre unſere Einbildungskraft tief und ahnungsvoll verſenkt. Einſeitige Behandlung der phyſikaliſchen Wiſſenſchaften, endloſes Anhäufen roher Materialien konnten freilich zu dem, nun faſt verjährten Vorurteile beitragen, als müßte notwendig wiſſenſchaftliche Erkenntnis das Gefühl erkälten, die ſchaffende Bildkraft der Phantaſie ertöten und ſo den Naturgenuß ſtören. Wer in der bewegten Zeit, in der wir leben, noch dieſes Vorurteil nährt, der verkennt, bei dem allgemeinen Fortſchreiten menſchlicher Bildung, die Freuden einer höheren Intelligenz: einer Geiſtesrichtung, welche Mannigfaltigkeit in Einheit auf— löſt und vorzugsweiſe bei dem Allgemeinen und Höheren ver— weilt. Um dies Höhere zu genießen, müſſen in dem mühſam durchforſchten Felde ſpezieller Naturformen und Naturerſchei— nungen die Einzelheiten zurückgedrängt und von dem ſelbſt, der ihre Wichtigkeit erkannt hat und den fie zu größeren An- ſichten geleitet, ſorgfältig verhüllt werden. Zu den Beſorgniſſen über den Verluſt eines freien Natur— genuſſes unter dem Einfluß denkender Betrachtung oder wiſſen— ſchaftlicher Erkenntnis geſellen ſich auch die, welche aus dem, nicht allen erreichbaren Maße dieſer Erkenntnis oder dem Umfange derſelben geſchöpft werden. In dem wundervollen Gewebe des Organismus, in dem ewigen Treiben und Wirken der lebendigen Kräfte führt allerdings jedes tiefere Forſchen an den Eingang neuer Labyrinthe. Aber gerade dieſe Mannig— faltigkeit unbetretener, vielverſchlungener Wege erregt auf allen Stufen des Wiſſens freudiges Erſtaunen. Jedes Natur— geſetz, das ſich dem Beobachter offenbart, läßt auf ein höheres, noch unerkanntes ſchließen; denn die Natur iſt, wie Carus — 16 — trefflich ſagt, und wie das Wort ſelbſt dem Römer und dem Griechen andeutete, „das ewig Wachſende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene“. Der Kreis der organiſchen Typen erweitert ſich, je mehr die Erdräume auf Land- und Seereiſen durchſucht, die lebendigen Organismen mit den abgeſtorbenen verglichen, die Mikroſkope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodiſchen Wechſel der Lebensgebilde erneuert ſich unabläſſig das Urgeheimnis aller Geſtaltung, ich ſollte ſagen: das von Goethe ſo glücklich behandelte Problem der Metamorphoſe; eine Löſung, die dem Bedürfnis nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewiſſe Grundtypen entſpricht. Mit wachſender Einſicht ver⸗ mehrt ſich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Natur⸗ lebens; man erkennt, daß auf der Feſte, in der Lufthülle, welche die Feſte umgibt, in den Tiefen des Ozeans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wiſſenſchaftlichen Er: oberer, auch nach Jahrtauſenden, nicht „der Weltraum fehlen wird“. Allgemeine Anſichten des Geſchaffenen (ſei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt; ſei es der uns nahen telluriſchen Erſcheinungen) ſind nicht allein anziehender und erhebender als die ſpeziellen Studien, welche abgeſonderte Teile des Naturwiſſens umfaſſen; fie empfehlen ſich auch vor: zugsweiſe denen, die wenig Muße auf Beſchäftigungen dieſer Art verwenden können. Die naturbeſchreibenden Disziplinen ſind meiſt nur für gewiſſe Lagen geeignet; ſie gewähren nicht dieſelbe Freude zu jeder Jahreszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen. Der unmittelbaren Anſchauung der Naturkörper, die ſie erheiſchen, müſſen wir in unſerer nördlichen Zone oft lange entbehren; und iſt unſer Intereſſe auf eine beſtimmte Klaſſe von Gegenſtänden beſchränkt, ſo gewähren uns ſelbſt die trefflichſten Berichte reiſender Naturforſcher keinen Genuß, wenn darin gerade ſolche Gegenſtände unberührt bleiben, auf welche unſere Studien gerichtet ſind. Wie die Weltgeſchichte, wo es ihr gelingt, den wahren urſachlichen Zuſammenhang der Begebenheiten darzuſtellen, viele Rätſel in den Schickſalen der Völker und ihrem intel⸗ lektuellen, bald gehemmten, bald beſchleunigten Fortſchreiten löſt; ſo würde auch eine phyſiſche Weltbeſchreibung, geiſtreich und mit gründlicher Kenntnis des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Teil der Widerſprüche heben, welche die ſtreitenden Naturkräfte in ihrer zuſammengeſetzten Wirkung 2 Kee dem erſten Anſchauen darbieten. Generelle Anſichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; ſie wirken läuternd und beruhigend auf den Geiſt, weil ſie gleich— ſam den Zwieſpalt der Elemente durch Auffindung von Ge— ſetzen zu ſchlichten ſtreben: von Geſetzen, die in dem zarten Gewebe irdiſcher Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der ſchauderhaften Leere weltenarmer Wüſten walten. Generelle Anſichten gewöhnen uns, jeden Organismus als Teil des Ganzen zu betrachten: in der Pflanze und im Tier minder das Individuum oder die abgeſchloſſene Art als die mit der Geſamtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; ſie erweitern unſere geiſtige Exiſtenz und ſetzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeſchiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreiſe. Durch ſie erhält die Kunde von dem, was durch Seefahrten nach dem fernen Pole oder auf den neuerlichſt faſt unter allen Breiten errichteten Stationen über das gleichzeitige Eintreten magnetiſcher Ungewitter erforſcht wird, einen unwiderſtehlichen Reiz; ja wir erlangen ein Mittel, ſchnell den Zuſammenhang zu erraten, in dem die Reſultate neuer Beobachtungen mit den früher erkannten Erſcheinungen ſtehen. Wer kann, um eines Gegenſtandes im Weltraume zu erwähnen, der in den letztverfloſſenen Jahren die allgemeinſte Aufmerkſamkeit auf ſich zog, ohne generelle Kenntnis von dem gewöhnlichen Kometenlaufe einſehen, wie folgenreich Enckes Entdeckung ſei, nach der ein Komet, welcher in ſeiner elliptiſchen Bahn nie aus unſerem Planetenſyſteme heraustritt, die Exiſtenz eines ſeine Wurfkraft hemmenden Fluidums offen⸗ bart? Bei einer ſich ſchnell verbreitenden Halbkultur, welche wiſſenſchaftliche Reſultate in das Gebiet der geſelligen Unter— haltung, aber entſtellt, hinüberzieht, nimmt die alte Beſorgnis über ein gefahrdrohendes Zuſammentreffen von Weltkörpern oder über kosmiſche Urſachen in der vermeinten Verſchlechte— rung der Klimate eine veränderte und darum noch trügeriſchere Geſtalt an. Klare Anſicht der Natur, wenn auch nur eine hiſtoriſche, bewahrt vor den Anmaßungen einer dogmatiſieren- den Phantaſie. Sie lehrt, daß der Enckeſche Komet, der ſchon in 1200 Tagen ſeinen Lauf vollendet, wegen der Geſtalt und der Lage ſeiner Bahn, harmlos für die Erdbewohner, harmlos wie der große ſechsundſiebzigjährige Halleyſche Komet von 1759 und 1835 iſt; daß ein anderer Komet von kurzer (ſechs jähriger) Umlaufszeit, der Bielaſche, allerdings die Erd— 2 A. v. Humboldt, Kosmos. I. — ee bahn ſchneidet, doch nur dann uns nahe kommen kann, wenn ſeine Sonnennähe in die Zeit des Winterſolſtitiums fällt. Die Quantität Wärme, welche ein Weltkörper empfängt und deren Verteilung die großen meteorologiſchen Prozeſſe des Luftkreiſes beſtimmt, wird zugleich durch die lichtentbindende Kraft der Sonne (die Beſchaffenheit ihrer Oberfläche) und die relative Lage der Sonne und des Planeten modifiziert; aber die periodiſchen Veränderungen, welche, nach den allgemeinen Geſetzen der Gravitation, die Geſtalt der Erdbahn und die Schiefe der Ekliptik (die Neigung der Erdachſe gegen die Ebene der Erdbahn) erleiden, ſind ſo langſam und in ſo enge Grenzen eingeſchloſſen, daß die Wirkungen kaum nach mehreren tauſend Jahren unſeren jetzigen wärmemeſſenden Inſtrumenten erkenn⸗ bar ſein würden. Kosmiſche Urſachen der Temperaturabnahme, der Waſſerverminderung und der Epidemieen, deren in neueren Zeiten, wie einſt im Mittelalter, Erwähnung geſchieht, liegen daher ganz außerhalb des Bereichs unſerer wirklichen Erfahrung. Soll ich andere Beiſpiele der phyſiſchen Aſtronomie ent⸗ lehnen, welche ohne generelle Kenntnis des bisher Beobachteten kein Intereſſe erregen können, ſo erwähne ich der elliptiſchen Bewegung mehrerer Tauſende von ungleichfarbigen Doppel⸗ ſternen umeinander oder vielmehr um ihren gemeinſchaftlichen Schwerpunkt; der periodiſchen Seltenheit der Sonnenflecken; des ſeit ſo vielen Jahren regelmäßigen Erſcheinens zahlloſer Sternſchnuppen: die wahrſcheinlich planetenartig kreiſen und in ihren Bahnen am 12. oder 13. November, ja, wie man ſpäter erkannt hat, auch gegen das Feſt des heiligen Lauren⸗ tius, am 10. oder 11. Auguſt, unſere Erdbahn ſchneiden. Auf ähnliche Weiſe werden nur generelle Anſichten des Kosmos den Zuſammenhang ahnen laſſen zwiſchen der durch Beſſels Scharfblick vollendeten Theorie der Pendelſchwingung im luftvollen Raume und der inneren Dichtigkeit, ich tönnte ſagen der Erſtarrungsſtufe, unſeres Planeten; zwiſchen der Erzeugung körniger Gebirgsarten in bandartigen Lavaſtrömen, am Abhange noch jetzt thätiger Vulkane, und den endogenen granit⸗, porphyr⸗ und ſerpentinſteinartigen Maſſen, welche, aus dem Inneren der Erde hervorgeſchoben, einſt die Flöz— gebirge durchbrochen und mannigfaltig (erhärtend, verkieſelnd, dolomitiſierend, kriſtallerzeugend) auf ſie eingewirkt haben; zwiſchen der Hebung von Inſeln und Kegelbergen durch elaſtiſche Kräfte und der Hebung ganzer Bergketten und Kon⸗ tinente: ein Zuſammenhang, der von dem größten Geognoſten — & . U ˙Ü ê mn . K ³˙,1 ̃ Äl̃t ͤ⁰ — — unſerer Zeit, Leopold von Buch, erkannt und durch eine Reihe geiſtreicher Beobachtungen dargethan worden iſt. Solches Em— portreiben von körnigen Gebirgsmaſſen und Flözſchichten (wie noch neuerlichſt, am Meeresufer von Chile, bei einem Erd— beben, in weiter Erſtreckung) läßt die Möglichkeit einſehen, daß Petrefakte von Seemuſcheln, welche ich mit Bonpland in 14000 Fuß (4547 m) Höhe, auf dem Rücken der Andeskette geſammelt, nicht durch eine allgemeine Waſſerbedeckung, ſondern durch vulkaniſche Hebungskräfte in dieſe Lage gekommen ſind. Vulkanismus nenne ich aber im allgemeinſten Sinne des Wortes, ſei es auf der Erde oder auf ihrem Trabanten, dem Monde, die Reaktion, welche das Innere eines Planeten auf ſeine Rinde ausübt. Wer die Verſuche über die mit der Tiefe zunehmende Wärme nicht kennt (Verſuche, nach welchen berühmte Phyſiker vermuten, daß fünf geographiſche Meilen 37 km] unter der Oberfläche eine granitſchmelzende Glüh—⸗ itze herrfche): dem müſſen viele neuere Beobachtungen über die Gleichzeitigkeit vulkaniſcher Ausbrüche, die eine große Länderſtrecke trennt, über die Grenzen der Erſchütterungskreiſe bei Erdbeben, über die Beſtändigkeit der Temperatur heißer Mineralquellen, wie über die Temperaturverſchiedenheit arteſi— ſcher Brunnen von gleicher Tiefe, unverſtändlich bleiben. Und doch wirft dieſe Kenntnis der inneren Erdwärme ein däm— merndes Licht auf die Urgeſchichte unſeres Planeten. Sie zeigt die Möglichkeit einſtmaliger allverbreiteter tropiſcher Klimate, als Folge offener, Wärme ausſtrömender Klüfte in der neu erhärteten oxydierten Erdrinde. Sie erinnert an einen Zuſtand, in dem die Wärme des Luftkreiſes mehr von dieſen Ausſtrömungen, von der Reaktion des Inneren gegen das Aeußere, als von der Stellung des Planeten gegen einen Centralkörper (die Sonne) bedingt ward. Mannigfaltige Produkte in der Tropenwelt, in ihren Grabſtätten verborgen, offenbart die kalte Zone dem forſchen— den Geognoſten: Koniferen, aufgerichtete Stämme von Palmen⸗ holz, baumartige Farnkräuter, Goniatiten und Fiſche mit rhomboidalen Schmelzſchuppen in dem alten Kohlengebirge;“ koloſſale Gerippe von Krokodilen) langhalſigen Pleſioſauren, Schalen von Planuliten und Cykadeenſtämme im Jurakalk— ſtein; Polythalamien und Bryozoen in der Kreide, zum Teil identiſch mit noch lebenden Seetieren; Agglomerate foſſiler Infuſionstiere, wie ſie Ehrenbergs albelebendes Mikroſkop entdeckt, in mächtigen Schichten von Polierſchiefer, Halbopal Ba: und Kieſelgur; Knochen von Hyänen, Löwen und elefanten- artigen Pachydermen in Höhlen zerſtreut oder von dem neueſten Schuttlande bedeckt. Bei vollſtändiger Kenntnis anderer Natur— erſcheinungen bleiben dieſe Produkte nicht ein Gegenſtand der Neugierde und des Erſtaunens: ſie werden, was unſerer In⸗ telligenz würdiger iſt, eine Quelle vielſeitigen Nachdenkens. In der Mannigfaltigkeit der Gegenſtände, die ich hier gefliſſentlich zuſammengedrängt habe, bietet ſich von ſelbſt die Frage dar: ob generelle Anſichten der Natur zu einer gewiſſen Deutlichkeit gebracht werden können ohne ein tiefes und ernſtes Studium einzelner Disziplinen, ſei es der beſchreibenden Natur⸗ kunde oder der Phyſik oder der mathematiſchen Aſtronomie? Man unterſcheide ſorgfältig zwiſchen dem Lehrenden, welcher die Auswahl und die Darſtellung der Reſultate übernimmt; und dem, der das Dargeſtellte, als ein Gegebenes, nicht ſelbſt Geſuchtes, empfängt. Für jenen iſt die genaueſte Kennt⸗ nis des Speziellen unbedingt notwendig; er ſollte lange das Gebiet der einzelnen Wiſſenſchaften durchwandert ſein, ſelbſt gemeſſen, beobachtet und experimentiert haben, um ſich mit Zuverſicht an das Bild eines Naturganzen zu wagen. Der Umfang von Problemen, deren Unterſuchung der phyſi⸗ ſchen Weltbeſchreibung ein ſo hohes Intereſſe gewährt, iſt vielleicht nicht ganz zu vollſtändiger Klarheit zu bringen da, wo ſpezielle Vorkenntniſſe fehlen; aber auch ohne Voraus⸗ ſetzung dieſer können die meiſten Fragen befriedigt erörtert werden. Sollte ſich nicht in allen einzelnen Teilen das große Naturgemälde mit ſcharfen Umriſſen darſtellen laſſen, ſo wird es doch wahr und anziehend genug ſein, um den Geiſt mit Ideen zu bereichern und die Einbildungskraft lebendig und fruchtbar anzuregen. Man hat vielleicht mit einigem Rechte wiſſenſchaftlichen Werken unſerer Litteratur vorgeworfen, das Allgemeine nicht genugſam von dem Einzelnen, die Ueberſicht des bereits Er- gründeten nicht von der Herzählung der Mittel zu trennen, durch welche die Reſultate erlangt worden ſind. Dieſer Vor⸗ wurf hat ſogar den größten Dichter unſerer Zeit zu dem ee Ausruf verleitet: „Die Deutſchen beſitzen die Gabe, die Wiſſenſchaften unzugänglich zu machen.“ Bleibt das Gerüſte ſtehen, ſo wird uns durch dasſelbe der Anblick des Gebäudes entzogen. Wer kann zweifeln, daß das phyſiſche Geſetz in der Verteilung der Kontinentalmaſſen, welche gegen Süden hin eine pyramidale Form annehmen, indem ſie ſich FP; Eàꝑ2᷑ u ᷣiiU -wt̃ mm. ] UU. ̃ ˙¹iM⁴m m i! A ⁰ ˙— — P nn — ee gegen Norden in der Breite ausdehnen (ein Geſetz, welches die Verteilung der Klimate, die vorherrſchende Richtung der Luftſtröme, das weite Vordringen tropiſcher Pflanzenformen in die gemäßigte ſüdliche Zone ſo weſentlich bedingt), auf das klarſte erkannt werden kann, ohne die geodätiſchen Meſſun— gen und die aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen der Küſten zu erläutern, durch welche jene Pyramidalformen in ihren Di— menſionen beſtimmt worden ſind? Ebenſo lehrt uns die phyſiſche Weltbeſchreibung, um wie viel Meilen die Aequa— torialachſe unſeres Planeten größer als die Polarachſe iſt; daß die ſüdliche Hemiſphäre keine größere Abplattung als die nördliche hat: ohne daß es nötig iſt, ſpeziell zu erzählen, wie durch Gradmeſſungen und Pendelverſuche die wahre Geſtalt der Erde, als eines nicht regelmäßigen, elliptiſchen Revolu— tionsſphäroids, gefunden iſt; und wie dieſe Geſtalt in der Bewegung des Mondes, eines Erdſatelliten, ſich abſpiegelt. Unſere Nachbaren jenſeits des Rheins beſitzen ein un— ſterbliches Werk, Laplaces Entwickelung des Welt— ſyſtems, in welchem die Reſultate der tiefſinnigſten mathe— matiſch⸗aſtronomiſchen Unterſuchungen verfloſſener Jahrhunderte, abgeſondert von den Einzelheiten der Beweiſe, vorgetragen werden. Der Bau des Himmels erſcheint darin als die ein— fache Löſung eines großen Problems der Mechanik. Und wohl noch nie iſt die Exposition du Systeme du Monde, ihrer Form wegen, der Ungründlichkeit beſchuldigt worden. Die Trennung ungleichartiger Anſichten, des Allgemeinen von dem Beſonderen, iſt nicht bloß zur Klarheit der Erkenntnis nützlich: ſie gibt auch der Behandlung der Naturwiſſenſchaft einen erhabenen und ernſten Charakter. Wie von einem höheren Standpunkte überſieht man auf einmal größere Maſſen. Wir ergötzen uns, geiſtig zu faſſen, was den ſinnlichen Kräften zu entgehen droht. Wenn die glückliche Ausbildung aller Zweige des Naturwiſſens, der ſich die letzten Dezennien des verfloſſenen Jahrhunderts erfreuten, beſonders dazu geeignet iſt, das Studium ſpezieller Teile (der chemiſchen, phyſikaliſchen und naturbeſchreibenden Disziplinen) zu erweitern, ſo wird durch jene Ausbildung in noch höherem Grade der Vortrag allgemeiner Reſultate abgekürzt und erleichtert. Je tiefer man eindringt in das Weſen der Naturkräfte, deſto mehr erkennt man den Zuſammenhang von Phänomenen, die lange, vereinzelt und oberflächlich betrachtet, jeglicher An— reihung zu widerſtreben ſchienen; deſto mehr werden Einfach— ee heit und Gedrängtheit der Darſtellung möglich. Es ift ein ſicheres Kriterium der Menge und des Wertes der Entdeckun— gen, die in einer Wiſſenſchaft zu erwarten ſind, wenn die Thatſachen noch unverkettet, faſt ohne Beziehung aufeinander daſtehen; ja wenn mehrere derſelben, und zwar mit gleicher Sorgfalt beobachtete, ſich zu widerſprechen ſcheinen. Dieſe Art der Erwartungen erregt der Zuſtand der Meteorologie, der neueren Optik und beſonders, ſeit Mellonis und Fara— days herrlichen Arbeiten, der Lehre von der Wärmeſtrahlung und vom Elektromagnetismus. Der Kreis glänzender Ent⸗ deckungen iſt hier noch nicht durchlaufen, ob ſich gleich in der Voltaiſchen Säule ſchon ein bewundernswürdiger Zuſammen⸗ hang der elektriſchen, magnetiſchen und chemiſchen Erſcheinungen offenbart hat. Wer verbürgt uns, daß auch nur die Zahl der lebendigen, im Weltall wirkenden Kräfte bereits ergründet ſei? In meinen Betrachtungen über die wiſſenſchaftliche Be— handlung einer allgemeinen Weltbeſchreibung iſt nicht die Rede von Einheit durch Ableitung aus wenigen, von der Vernunft gegebenen Grundprinzipien. Was ich phyſiſche Weltbeſchrei— bung nenne (die vergleichende Erd- und Himmelskunde), macht daher keine Anſprüche auf den Rang einer rationellen Wiſſenſchaft der Natur; 5 iſt die denkende Betrachtung der durch Empirie gegebenen Erſcheinungen, als eines Natur— ganzen.) In dieſer Beſchränktheit allein konnte dieſelbe, bei der ganz objektiven Richtung meiner Sinnesart, in den Bereich der Beſtrebungen treten, welche meine lange wiſſenſchaftliche Laufbahn ausſchließlich erfüllt haben. Ich wage mich nicht auf ein Feld, das mir fremd iſt und vielleicht von anderen erfolgreicher bebaut wird. Die Einheit, welche der Vortrag einer phyſiſchen Weltbeſchreibung, wie ich mir dieſelbe begrenze, erreichen kann, iſt nur die, welcher ſich geſchichtliche Darſtel— lungen zu erfreuen haben. Einzelheiten der Wirklichkeit: ſei es in der Geſtaltung oder Aneinanderreihung der Naturgebilde, ſei es in dem Kampfe des Menſchen gegen die Naturmächte, oder der Völker gegen die Völker; alles, was dem Felde der Veränderlichkeit und realer Zufälligkeit angehört: können nicht aus Begriffen abgeleitet (konſtruiert) werden. Weltbeſchreibung und Weltgeſchichte ſtehen daher auf derſelben Stufe der Em— pirie; aber eine denkende Behandlung beider, eine ſinnvolle Anordnung von Naturerſcheinungen und von hiſtoriſchen Be— gebenheiten durchdringen tief mit dem Glauben an eine alte innere Notwendigkeit, die alles Treiben geiſtiger und materieller — 23 — Kräfte, in ſich ewig erneuernden, nur periodiſch erweiterten oder verengten Kreiſen, beherrſcht. Sie führen (und dieſe Notwendigkeit iſt das Weſen der Natur, ſie iſt die Natur ſelbſt in beiden Sphären ihres Seins, der materiellen und der geiſtigen) zur Klarheit und Einfachheit der Anſichten, zu Auffindung von Geſetzen, die in der Erfahrungswiſſen— ſchaft als das letzte Ziel menſchlicher Forſchung erſcheinen. Das Studium jeglicher neuen Wiſſenſchaft, beſonders einer ſolchen, welche die ungemeſſenen Schöpfungskreiſe, den anzen Weltraum umfaßt, gleicht einer Reiſe in ferne Länder. he man ſie in Gemeinſchaft unternimmt, fragt man, ob ſie ausführbar ſei; man mißt ſeine eigenen Kräfte, man blickt mißtrauiſch auf die Kräfte der Mitreiſenden: in der vielleicht ungerechten Beſorgnis, ſie möchten läſtige Zögerung erregen. Die Zeit, in der wir leben, vermindert die Schwierigkeit des Unternehmens. Meine Zuverſicht gründet ſich auf den glän— zenden Zuſtand der Naturwiſſenſchaften ſelbſt, deren Reichtum nicht mehr die Fülle, ſondern die Verkettung des Beobachteten iſt. Die allgemeinen Reſultate, die jedem gebildeten Verſtande Intereſſe einflößen, haben ſich ſeit dem Ende des 18. Jahrhunderts wundervoll vermehrt. Die Thatſachen ſtehen minder vereinzelt da; die Klüfte zwiſchen den Weſen werden ausgefüllt. Was in einem engeren Geſichtskreiſe, in unſerer Nähe, dem 1 Geiſte lange unerklärlich blieb, wird oft durch Beobachtungen aufgehellt, die auf einer Wan derung in die entlegenſten Regionen aufgeſtellt worden ſind. Pflanzen- und Tiergebilde, die lange iſoliert erſchienen, reihen ſich durch neu entdeckte Mittelglieder oder durch Uebergangs— formen aneinander. (Eine allgemeine Verkettung, nicht in einfacher linearer Richtung, ſondern in netzartig verſchlungenem Gewebe nach höherer Ausbildung oder Verkümmerung gewiſſer Organe, nach vielſeitigem Schwanken in der relativen Ueber— macht der Teile, ſtellt ſich allmählich dem forſchenden Natur— ſinn dar.!“ Schichtungsverhältniſſe von trachytartigem Syenit— porphyr, von Grünſtein und Serpentin, welche im gold und ſilberreichen Ungarn, oder im Platinlande des Urals, oder tiefer in Aſien, im ſüdweſtlichen Altai, zweifelhaft blieben, werden durch geognoſtiſche Beobachtungen in den Hochebenen von Mexiko und Antioquia, in den en des Choco unerwartet aufgeklärt. Die Materialien, welche die allgemeine Erdkunde anwendet, ſind nicht zufällig aufgehäuft. Unſer Zeitalter erkennt, nach der Tendenz, die ihm ſeinen individuellen 1 Charakter gibt, daß Thatſachen nur dann fruchtbringend wer— den, wenn der Reiſende den dermaligen Zuſtand und die Be— dürfniſſe der Wiſſenſchaft kennt, deren Gebiet er erweitern will; wenn Ideen, d. h. Einſicht in den Geiſt der Natur, das Beobachten und Sammeln vernunftmäßig leiten. Durch dieſe Richtung des Naturſtudiums, durch dieſen glücklichen, aber oft auch allzu leicht befriedigten Hang zu allgemeinen Reſultaten kann ein beträchtlicher Teil des Natur— wiſſens das Gemeingut der gebildeten Menſchheit werden, ein gründliches Wiſſen erzeugen: nach Inhalt und Form, nach Ernſt und Würde des Vortrags ganz von dem verſchieden, das man bis zum Ende des letzten Jahrhunderts dem popu— lären Wiſſen genügſam zu beſtimmen pflegte. Wem daher ſeine Lage es erlaubt, ſich bisweilen aus den engen Schranken des bürgerlichen Lebens heraus zu retten, errötend, „daß er lange fremd geblieben der Natur und ſtumpf über ſie hin— gehe“, der wird in der Abſpiegelung des großen und freien Naturlebens einen der edelſten Genüſſe finden, welche erhöhte Vernunftthätigkeit dem Menſchen gewähren kann. Das Stu— dium der allgemeinen Naturkunde weckt gleichſam Organe in uns, die lange geſchlummert haben. Wir treten in einen innigeren Verkehr mit der Außenwelt; bleiben nicht unteil— nehmend an dem, was gleichzeitig das induſtrielle Fortſchreiten und die intellektuelle Veredlung der Menſchheit bezeichnet. Je klarer die Einſicht iſt, welche wir in den Zuſammen— hang der Phänomene erlangen, deſto leichter machen wir uns auch von dem Irrtume frei, als wären für die Kultur und den Wohlſtand der Völker nicht alle Zweige des Naturwiſſens gleich wichtig: ſei es der meſſende und beſchreibende Teil, oder die Unterſuchung chemiſcher Beſtandteile, oder die Er— gründung allgemein verbreiteter phyſiſcher Kräfte der Materie. In der Beobachtung einer anfangs iſoliert ſtehenden Erſchei— nung liegt oft der Keim einer großen Entdeckung. Als Gal— vani die ſenſible Nervenfaſer durch Berührung ungleichartiger Metalle reizte, konnten ſeine nächſten Zeitgenoſſen nicht hoffen, daß die Kontaktelektrizität der Voltaiſchen Säule uns in den Alkalien ſilberglänzende, auf dem Waſſer ſchwimmende, leicht entzündliche Metalle offenbaren, daß die Säule ſelbſt das wichtigſte Inſtrument für die zerlegende Chemie, ein Thermo— ſkop und ein Magnet werden würde. Als Huyghens die Licht— erſcheinungen des Doppelſpats zu enträtſeln anfing, ahnete man nicht, daß durch den bewunderungswürdigen Scharfſinn 2 eines Phyſikers unſerer Zeit farbige Polariſationsphänomene dahin leiten würden, mittels des kleinſten Fragments eines Minerals zu erkennen, ob das Licht der Sonne aus einer feſten Maſſe oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausſtröme, ob Kometen ſelbſtleuchtend ſind oder fremdes Licht wiedergeben. Gleichmäßige Würdigung aller Teile des Naturſtudiums iſt aber vorzüglich ein Bedürfnis der gegenwärtigen Zeit, wo der materielle Reichtum und der wachſende Wohlſtand der Nationen in einer ſorgfältigeren Benutzung von Naturpro— dukten und Naturkräften gegründet ſind. Der oberflächlichſte Blick auf den Zuſtand des heutigen Europas lehrt, daß bei ungleichem Weltkampfe oder dauernder Zögerung notwendig partielle Verminderung und endlich Vernichtung des National— reichtums eintreten müſſe; denn in dem Lebensgeſchick der Staaten iſt es wie in der Natur: für die nach dem ſinnvollen Ausſpruche Goethes, „es im Bewegen und Werden kein Bleiben gibt und die ihren Fluch gehängt hat an das Stilleſtehen.“ * Nur ernſte Belebung chemiſcher, mathematiſcher und natur— hiſtgriſcher Studien wird einem von dieſer Seite einbrechenden Uebel entgegengetreten. Der Menſch kann auf die Natur nicht einwirken, ſich keine ihrer Kräfte aneignen, wenn er nicht die Naturgeſetze nach Maß- und JZahlverhältniſſen kennt. Auch hier liegt die Macht in der volkstümlichen Intelligenz. Sie ſteigt und ſinkt mit dieſer. Wiſſen und Erkennen find. die Freude und die Berechtigung der Menſchheit; ſie ſind Teile des Nationalreichtums, oft ein Erſatz für die Güter, welche die Natur in allzu kärglichem Maße ausgeteilt hat. Diejenigen Völker, welche an der allgemeinen induſtriellen Thätigkeit, in Anwendung der Mechanik und techniſchen Chemie, in ſorgfältiger Auswahl und Bearbeitung natürlicher Stoffe zurückſtehen; bei denen die Achtung einer ſolchen Thätig— keit nicht alle Klaſſen durchdringt, werden unausbleiblich von ihrem Wohlſtande herabſinken. Sie werden es um ſo mehr, wenn benachbarte Staaten, in denen Wiſſenſchaft und indu— ſtrielle Künſte in regem Wechſelverkehr miteinander ſtehen, wie in erneuerter Jugendkraft vorwärts ſchreiten. Die Vorliebe für Belebung des Gewerbfleißes und für die Teile des Naturwiſſens, welche unmittelbar darauf ein— wirken (ein charakteriſtiſches Merkmal unſeres Zeitalters), kann weder den Forſchungen im Gebiete der Philoſophie, der Alter— tumskunde und der Geſchichte nachteilig werden, noch den all— belebenden Hauch der Phantaſie den edlen Werken bildender 8 Künſte entziehen. Wo, unter dem Schutze weiſer Geſetze und freier Inſtitutionen, alle Blüten der Kultur ſich kräftig entfalten, da wird im friedlichen Wettkampfe kein Beſtreben des Geiſtes dem anderen verderblich. Jedes bietet dem Staate eigene, verſchiedenartige Früchte dar: die nährenden, welche dem Menſchen Unterhalt und Wohlſtand gewähren; und die Früchte ſchaffender Einbildungskraft, welche, dauerhafter als dieſer Wohlſtand ſelbſt, die rühmliche Kunde der Völker auf die ſpäteſte Nachwelt tragen. Die Spartiaten beteten, trotz der Strenge doriſcher Sinnesart: „die Götter möchten ihnen das Schöne zu dem Guten verleihen“. Wie in jenen höheren Kreiſen der Ideen und Gefühle: in dem Studium der Geſchichte, der Philoſophie und der Wohlredenheit, ſo iſt auch in allen Teilen des Naturwiſſens der erſte und erhabenſte Zweck geiſtiger Thätigkeit ein innerer: nämlich das Auffinden von Naturgeſetzen, die Ergründung ordnungsmäßiger Gliederung in den Gebilden, die Einſicht in den notwendigen Zuſammenhang aller Veränderungen im Weltall. Was von dieſem Wiſſen in das induſtrielle Leben der Völker überſtrömt und den Gewerbfleiß erhöht, entſpringt aus der glücklichen Verkettung menſchlicher Dinge, nach der das Wahre, Erhabene und Schöne mit dem Nützlichen, wie abſichtslos, in ewige Wechſelwirkung treten. Vervollkomm⸗ nung des Landbaus durch freie Hände und in Grundſtücken von minderem Umfang, Aufblühen der Manufakturen, von einengendem Zunftzwange befreit, Vervielfältigung der Handels⸗ verhältniſſe und ungehindertes Fortſchreiten in der geiſtigen Kultur der Menſchheit wie in den bürgerlichen Einrichtungen ſtehen (das ernſte Bild der neuen Weltgeſchichte dringt dieſen Glauben auch dem Widerſtrebendſten auf) in gegenſeitigem, dauernd wirkſamen Verkehr miteinander. Ein ſolcher Einfluß des Naturwiſſens auf die Wohlfahrt der Nationen und auf den heutigen Zuſtand von Europa be— durfte hier nur einer flüchtigen Andeutung. Die Laufbahn, welche wir zu vollenden haben, iſt ſo unermeßlich, daß es mir nicht geziemen würde, von dem Hauptziele unſeres Bes ſtrebens, der Anſicht des Naturganzen, abſchweifend, das Feld gefliſſentlich zu erweitern. An ferne Wanderungen gewöhnt, habe ich ohnedies vielleicht den Mitreiſenden den Weg ge— bahnter und anmutiger geſchildert, als man ihn finden wird. Das iſt die Sitte derer, die gern andere auf den Gipfel der Berge führen. Sie rühmen die Ausſicht, wenn auch ganze „„ · h ²˙vꝛ] n. — 1 — Q o ↄ 1 Ze Teile der Gegend in Nebel verhüllt bleiben. Sie wiſſen, daß auch in dieſer Verhüllung ein geheimnisvoller Zauber liegt, daß eine duftige Ferne den Eindruck des Sinnlich-Unendlichen hervorruft: ein Bild, das (wie ich ſchon oben erinnert habe) im Geiſt und in den Gefühlen ſich ernſt und ahnungsvoll ſpiegelt. Auch von dem hohen Standpunkte aus, auf den wir uns zu einer allgemeinen, durch wiſſenſchaftliche Erfah— rungen begründeten Weltanſchauung erheben, kann nicht allen Anforderungen genügt werden. In dem Naturwiſſen, deſſen gegenwärtigen Zuſtand ich hier entwickeln ſoll, liegt noch manches unbegrenzt; vieles (wie ſollte ich es, bei dem Umfange einer ſolchen Arbeit, nicht gern eingeſtehen!) wird nur darum unklar und unvollſtändig erſcheinen, weil Befangen— heit dem Redenden dann doppelt nachteilig wird, wenn er ſich des Gegenſtandes in ſeiner Einzelheit minder mächtig fühlt. Der Zweck dieſes einleitenden Vortrages war nicht ſowohl, die Wichtigkeit des Naturwiſſens zu ſchildern, welche allgemein anerkannt iſt und längſt ſchon jedes Lobes entbehren kann; es lag mir vielmehr ob zu entwickeln, wie, ohne dem gründ— lichen Studium ſpezieller Disziplinen zu ſchaden, den natur— wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen ein höherer Standpunkt ange— wieſen werden kann, von dem aus alle Gebilde und Kräfte ſich als ein durch innere Regung belebtes Naturganzes offen— baren. Nicht ein totes Aggregat iſt die Natur: ſie iſt „dem begeiſterten Forſcher (wie Schelling in der trefflichen Rede über die bildenden Künſte ſich ausdrückt) die heilige, ewig ſchaffende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus ſich ſelbſt erzeugt und werkthätig hervorbringt“. Der bisher ſo unbe— ſtimmt aufgefaßte Begriff einer phyſiſchen Erdbeſchrei— bung geht durch erweiterte Betrachtung und das Umfaſſen alles Geſchaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer phyſiſchen Weltbeſchreibung über. Eine dieſer Be— nennungen iſt nach der anderen gebildet. Es iſt aber die Weltbeſchreibung oder Lehre vom Kosmos, wie ich ſie auf⸗ faſſe, nicht etwa ein encyklopädiſcher Inbegriff der allgemeinſten und wichtigſten Reſultate, die man einzelnen naturhiſtoriſchen, phyſikaliſchen und aſtronomiſchen Schriften entlehnt. Solche Reſultate werden in der Weltbeſchreibung nur als Materialien und inſofern teilweiſe benutzt, als ſie das Zuſammenwirken der Kräfte im Weltall, das gegenſeitige Sichhervorrufen und Be— ſchränken der Naturgebilde erläutern. Die räumliche und klima⸗ tiſche Verbreitung organiſcher Typen (Geographie der Pflanzen 2 Are: und Tiere) ift fo verſchieden von der beſchreibenden Botanik und Zoologie, als die geognoſtiſche Kenntnis des Erdkörpers verſchieden iſt von der Oryktognoſie. Eine phyſiſche Weltbe— ſchreibung darf daher nicht mit der ſogenannten Eneyklo— pädie der Naturwiſſenſchaften (ein weitſchichtiger Name für eine ſchlecht umgrenzte Disziplin) verwechſelt werden. In der Lehre vom Kosmos wird das Einzelne nur in ſeinem Verhältnis zum Ganzen, als Teil der Welterſcheinungen be— trachtet; und je erhabener der hier bezeichnete Standpunkt iſt, deſto mehr wird dieſe Lehre einer eigentümlichen Behendlün und eines belebenden Vortrags fähig. Gedanken und Sprache ſtehen aber in innigem alten Wechſelverkehr miteinander. Wenn dieſe der Darſtellung An⸗ mut und Klarheit verleiht, wenn durch ihre angeſtammte Bildſamkeit und ihren organiſchen Bau ſie das Unternehmen begünſtigt, die Totalität der Naturanſchauung ſcharf zu begrenzen, ſo ergießt ſie zugleich, und faſt unbemerkt, ihren belebenden Hauch auf die Gedankenfülle ſelbſt. Darum iſt das Wort mehr als Zeichen und Form, und ſein geheimnis— voller Einfluß offenbart ſich am mächtigſten da, wo er dem freien Volksſinn und dem eigenen Boden entſprießt. Stolz auf das Vaterland, deſſen intellektuelle Einheit die feſte Stütze jeder Kraftäußerung iſt, wenden wir froh den Blick auf dieſe Vorzüge der Heimat. Hochbeglückt dürfen wir den nennen, der bei der lebendigen Darſtellung der Phänomene des Weltalls aus den Tiefen einer Sprache ſchöpfen kann, welche ſeit Jahrhunderten ſo mächtig auf alles eingewirkt hat, was durch Erhöhung und ungebundene Anwendung geiſtiger Kräfte, in dem Gebiete ſchöpferiſcher Phantaſie, wie in dem 55 ergründenden Vernunft, die Schickſale der Menſchheit ewegt. Anmerkungen. (S. 8.) Dieſe Vergleichungen ſind nur Annäherungen. Die genaueren Elemente (Höhen über der Meeresfläche) folgen hier: Schnee⸗ oder Rieſenkoppe in Schleſien 1606 m; Rigi 1799 m; Athos 1935 m; Pilatus 2133 m (Eſel, Tomlishorn um 10m höher); Aetna 3304 m; Schreckhorn 4080 m; Jungfrau 4167 m; Montblanc 4810 m; Chimborazo 6310 m; Dhawalagiri oder Dhao— lagiri, d. h. weißer Berg, nach den Sanskritwörtern dhawala, weiß, und giri, Berg, 8176 m. Da zwiſchen den Beſtimmungen von Blake und Webb 136,5 m Unterſchied ſind, ſo iſt hier zu bemerken, daß die Höhenbeſtimmung des Dhawalagiri nicht auf dieſelbe Genauigkeit Anſpruch machen kann, als die Höhebeſtimmung des Jawahir und Dſchawähir (7848 m), die ſich auf eine vollſtändige trigonometriſche Meſſung gründet. Noch unbegründeter iſt die Vermutung, daß in der Tartaric Chain (im Norden von Tibet, gegen die Gebirgskette Kuenlün hin) einige Schneegipfel die Höhe von 9140 m (faſt die doppelte Höhe des Montblanc), oder wenigſtens 8840 m erreichen ſollten. [Nach unſerer jetzigen Kenntnis erheben ſich die Gipfel des Kuenlün bis zu 6800 m. — D. Herausg.] Der Chimborazo iſt im Texte nur „einer der höchſten Gipfel der Andeskette“ genannt, da im Jahre 1827 der kenntnisreiche und talentvolle Reiſende, Herr Pentland, auf ſeiner denkwürdigen Expedition nach dem oberen Peru (Bolivia), zwei Berge öſtlich vom See von Titicaca, den Sorata oder Illampu (7563 m) und Illimani (7314 m) gemeſſen hat, welche die Höhe des Chimborazo weit überſteigen und der Höhe des Dſchawäͤhir ziemlich nahe kommen. Der Montblanc iſt dem— nach 1500 m niedriger als der Chimborazo, der Chimborazo 1253 m niedriger als der Sorata, der Sorata 275 m niedriger als der Dſchawahir, aber wahrſcheinlich 613 m niedriger als der Dhawalagiri. 2 (S. 8.) Der Dhamwalagiri galt ſeit 1818 in der That als der höchſte Gipfel des Himalaya, bis ſeit 1848 die noch höheren Erhebungen des Gauriſankar oder Mont Evereſt mit 8840 m und des Kandſchandſchinga oder Kintſchinjinga mit 8581 m im Himalaya, der Dapſang mit 8619 m im Karakorumgebirge feſtgeſtellt wurden. [D. Herausg.] i (S. 8.) Der Mangel von Palmen und baumartigen Farnen in den temperierten Vorgebirgen des Himalaya zeigt ſich in Dons a Flora Nepalensis (1825), wie in dem lithographierten, jo merk— würdigen Catalogus von Wallichs Flora Indica: einem Ver— zeichnis, welches die ungeheuere Zahl von 9683, freilich noch nicht hinlänglich unterſuchten und geſonderten, aber faſt allein phanero— gamiſchen Himalaya-Spezies enthält. Von Nepaul (Br. 26° Ya bis 27° '/s) kennen wir bisher nur eine Balmenart, Chamaerops Mar- tiana Wall. auf einer Höhe von 1624 m über dem Meere, in dem ſchattigen Thale Bunipa. Der prachtvolle baumartige Farn Also- phila Brunoniana Wall., von dem das britiſche Muſeum einen 15 m langen Stamm ſeit 1831 beſitzt, iſt nicht aus Nepaul, ſondern aus den Bergen von Silhet: nordöſtlich von Calcutta, in Br. 2450“ Der Nepaulſche Farn Paranema cyathoides Don, einſt Sphae- ropteris barbata Wall. iſt zwar der Cyathea, von der ich in den ſüdamerikaniſchen Miſſionen von Caripe eine 10 m hohe Spezies geſehen habe, nahe verwandt, aber kein eigentlicher Baum. (S. 8.) Ribes nubicola, R. glaciale, R. grossularia. Den Charakter der Himalaya-Vegetation bezeichnen acht Pinusarten, trotz eines Ausſpruchs der Alten über „das öſtliche Aſien“ 25 Eichen, 4 Birken, 2 Aeskulus (der, 32 m hohe, wilde Kaſtanienbaum von Kaſchmir wird bis 33“ nördl. Breite von einem großen weißen Affen, mit ſchwarzem Geſichte, bewohnt); 7 Ahorn, 12 Weiden, 14 Roſen, 3 Erdbeerarten, 7 Alpenroſen (Rhododendra), deren eine 6½ m hoch, und viele andere nordiſche Geſtalten. Unter den Koni- feren iſt Pinus Deodwara oder Deodara (eigentlich im Sanskrit dewa-däru, Götter⸗Bauholz) dem Pinus cetrus nahe verwandt. Nahe am ewigen Schnee prangen mit großen Blüten Gentiana venusta, G. Moorcroftiana, Swertia purpurascens, S. speciosa, Parnassia armata, P. nubicola, Paeonia Emodi, Tulipa stellata; ja ſelbſt neben den dem indiſchen Hochgebirge eigentümlichen Arten europäiſcher Pflanzengattungen finden ſich auch echt europäiſche Spezies: wie Leontodon taraxacum, Prunella vulgaris, Gallium Aparine, Thlaspi arvense. Das Heidekraut, deſſen ſchon Saunders in Turners Reiſe erwähnt und das man ſogar mit Calluna vul- garis verwechſelt hat, iſt eine Andromeda: eine Faktum, das für die Geographie der aſiatiſchen Pflanzen von großer Wichtigkeit iſt. Wenn ich mich in dieſer Note des unphiloſophiſchen Ausdrucks: europäiſche Formen oder europäiſche Arten, wildwachſend in Aſien, bediene; ſo geſchieht es als Folge des alten bota— niſchen Sprachgebrauchs, welcher der Idee der räumlichen Verbrei— tung oder vielmehr der Koexiſtenz des Organiſchen die geſchichtliche Hypotheſe einer Einwanderung ſehr dogmatiſch unterſchiebt, ja aus Vorliebe für europäiſche Kultur die Wanderung von Weſten nach Oſten vorausſetzt. ° (©. 9.) Schneegrenze an dem ſüdlichen Abfall der Hima⸗ layakette 3957 m über der Meeresfläche; am nördlichen Abfall, oder vielmehr in den Gipfeln, die ſich auf dem tibetaniſchen (tatariſchen) Plateau erheben, 5067,5 m in 30% — 32“ Breite: wenn unter — 31 — dem Aequator in der Andeskette von Quito die Schneegrenze 4814 m hoch liegt. Dies iſt das Reſultat, welches ich aus der Zuſammen— ſtellung vieler Angaben von Webb, Gerard, Herbert und Moorcroft gezogen. [Neuere Forſchungen ergeben ganz andere Zahlen: 4940 m für den Südabhang, 5300 m für den Nordabhang des Himalaya. Am Chimborazo ward die Schneegrenze in 4850 m Höhe ermittelt. — D. Herausg.] Die größere Höhe, zu der ſich am tibetaniſchen Ab— fall die ewige Schneegrenze zurückzieht, iſt eine gleichzeitige Folge der Wärmeſtrahlung der nahen Hochebene, der Heiterkeit des Him— mels, der Seltenheit der Schneebildung in ſehr kalter und trockener Luft. Das Reſultat der Schneehöhe auf beiden Abfällen des Hima— laya, welches ich als wahrſcheinlichere angegeben, hatte für ſich Cole— brooles große Autorität. „Auch ich finde,“ ſchrieb er mir im Junius 1824, „die Höhe des ewigen Schnees nach den Materialien, die ich beſitze, an dem ſüdlichen Abfall unter dem Parallelkreis von 31“ zu 4114 m. Webbs Meſſungen würden mir 3962 m, alſo 152 m mehr als Kapitän Hodgſons Beobachtungen, geben. Gerards Meſ— ſungen beſtätigen vollkommen Ihre Angabe, daß die Schneelinie nördlich höher als ſüdlich liegt.“ Erſt in dieſem Jahre (1840) haben wir endlich durch Herrn Lloyd den Abdruck des geſammelten Tage— buches beider Brüder Gerard erhalten; aber leider verwechſeln die Reiſenden immer die Höhe, in der ſporadiſch Schnee fällt, mit dem Maximum der Höhe, zu welcher die Schneelinie über der tibeta— niſchen Hochebene ſich erhebt. Kapitän Gerard unterſcheidet die Gipfel in der Mitte der Hochebene, deren ewige Schneegrenze er zu 5486—5790 m beſtimmt, und die nördlichen Abfälle der Himalayakette, welche den Durchbruch des Sutledge begrenzen und wo die Hochebene tief durchfurcht iſt und alſo wenig Wärme ſtrahlen kann. Das Dorf Tangno wird nur zu 2834 m angegeben, wäh: rend das Plateau um den heiligen See Manaſa 5180 m hoch liegen ſoll. Bei dem Durchbruch der Kette findet Kapitän Gerard den Schnee an dem nördlichen Abfall ſogar um 150 m niedriger als am ſüdlichen, gegen Indien gekehrten Abfall. An letzterem wird die Schneegrenze von ihm zu 4570 m geſchätzt. Die Vege— tationsverhältniſſe bieten die auffallendſten Unterſchiede zwiſchen der tibetaniſchen Hochebene und dem ſüdlichen, indiſchen Abhange der Himalayakette dar. In letzterem ſteigt die Feldernte, bei der der Halm aber oft noch grün abgemäht wird, nur zu 2923 m, die obere Waldgrenze mit noch hohen Eichen und Demwadafutannen zu 3643 m, niedere Zwergbirken zu 3956 m. Auf der Hochebene ſah Kapitän Gerard Weideplätze bis 5184 m; Cerealien gedeihen bis 428, ja bis 5650 u, Birken in höhen Stämmen bis 4288 m, kleines Buſchwerk, als Brennholz dienend, bis 5184 m, d. i. 390 m höher als die ewige Schneegrenze unter dem Aequator in Quito. Es iſt überaus wünſchenswert, daß von neuem, und zwar von Reiſenden, die an allgemeine Anſichten gewöhnt ſind, ſowohl die mittlere Höhe des tibetaniſchen Tafellandes, die ich zwiſchen dem Himalaya a und Kuenlün nur zu 3500 m annehme, wie auch das Verhältnis der Schneehöhen an dem nördlichen und ſüdlichen Abfalle erforſcht werde. [Dies iſt, wie oben bemerkt, ſeither geſchehen. Auch über die Meereshöhe des tibetaniſchen Hochplateaus zwiſchen Himalaya und Kuenlün wiſſen wir Näheres. Sie ſchwankt von 3560 bis 5180 m. — D. Herausg.] Man hat bisher oft Schätzungen mit wirklichen Meſſungen, die Höhen einzelner über dem Tafellande hervorragender Gipfel mit der umgebenden Ebene verwechſelt. Lord macht auf einen Gegenſatz aufmerkſam zwiſchen den Höhen des ewigen Schnees an den beiden Abfällen des Himalaya und der Alpenkette Hindukuſch. „Bei der letzteren Kette,“ ſagt er, „liegt das Tafelland in Süden, und deshalb ift die Schneehöhe am ſüd⸗ lichen Abhange größer: umgekehrt als am Himalaya, der von warmen Ebenen in Süden, wie der Hindukuſch in Norden, begrenzt iſt.“ So viel auch noch im einzelnen die hier behandelten hypſometriſchen Angaben kritiſcher Berichtigungen bedürfen, ſo ſteht doch die That⸗ fache feſt, daß die wunderbare Geſtaltung eines Teils der Erdober⸗ fläche in Inneraſien dem Menſchengeſchlechte verleihet: Möglich—⸗ keit der Verbreitung, Nahrung, Brennſtoffe und Anſiedelung in einer Höhe über der Meeresfläche, die in faſt allen anderen Teilen beider Kontinente doch nicht in dem dürren, ſchneearmen Bolivia, wo Pentland die Schneegrenze unter 16 — 17 ſüdlicher Breite im Jahre 1838 in einer Mittelhöhe von 4775 m fand) ewig mit Eis bedeckt iſt. Die mir wahrſcheinlichen Unterſchiede der nörd- lichen und ſüdlichen Abhänge der Himalayakette in Hinſicht auf den ewigen Schnee ſind auch durch die Barometermeſſungen von Victor Jacquemont, welcher ſo früh ein unglückliches Opfer ſeiner edeln und raſtloſen Thätigkeit wurde, vollkommen beſtätigt worden. Zu welcher Höhe, ſagt der benannte Reiſende, man ſich auf dem ſüd⸗ lichen Abfall erhebe: immer behält das Klima denſelben Charakter, dieſelbe Abteilung der Jahreszeiten wie in den indiſchen Ebenen. „Das Sommer -Solſtitium führt dort dieſelben Regengüſſe herbei, welche ohne Unterbrechung bis zum Herbſt-Aequinoktium dauern. Erſt von Kaſchmir an, das ich 1631 m (aljo faſt wie die Städte Merida und Popayan) gefunden, beginnt ein neues, ganz ver⸗ ſchiedenartiges Klima.“ Die Mouſſons treiben, wie Leopold von Buch ſcharfſinnig bemerkt, die feuchte und warme Seeluft des in⸗ diſchen Tieflandes nicht über die Vormauer des Himalaya hinaus in das jenſeitige tibetaniſche Gebiet von Ladak und Hlaſſa. Karl von Hügel ſchätzt die Höhe des Thales von Kaſchmir über der Meeresfläche, nach dem Siedepunkt des Waſſers beſtimmt, zu 1773 m. [Zu hoch. Srinaggar oder Kaſchmir liegt nur in 1660 m Meeres: höhe. — D. Herausg.] In dieſem ganz windſtillen und faſt ganz gewitterloſen Thale, unter 34° 7° Breite, liegt der Schnee vom Dezember bis März mehrere Fuß hoch. s (S. 10.) Sprich Päramos. Mit dieſem Namen bezeichnet man die Hochebene in den Kordilleren Südamerikas. — [D. Herausg.] = Hufe (S. 11.) Ueber den eigentlichen Madhyadösa ſ. Laſſens vortreffliche Indiſche Altertumskunde Bd. I, S. 92. Bei den Chineſen iſt Mo-kie-thi das ſüdliche Bahar: der Teil, welcher im Süden des Ganges liegt. Djambu-dwipa iſt ganz Indien, be— greift aber auch bisweilen einen der vier buddhiſtiſchen Kontinente. s (S. 19.) Die gewöhnlichen Angaben über den Schmelzpunkt ſehr ſchwer ſchmelzbarer Subſtanzen ſind viel zu hoch. Nach den, immer ſo genauen Unterſuchungen von Mitſcherlich iſt der Schmelz— punkt des Granits wohl nicht höher als 1300“ Cent. (S. 19.) Das ganze Geſchlecht Amblypterus Ag., mit Palaeoniscus (einſt Palaeothrissum) nahe verwandt, liegt unter— halb der Juraformation vergraben, im alten Steinkohlengebirge. Schuppen, die ſich in einzelnen Lagen gleich den Zähnen bilden und mit Schmelz bedeckt ſind, aus der Familie der Lepidoiden (Ordnung der Ganoiden), gehören nach den Placoiden zu den älteſten Geſtalten vorweltlicher Fiſche, deren noch lebende Repräſen— tanten ſich in zwei Geſchlechtern, Bichir (Nil und Senegal) und Lepidosteus (Ohio), finden. 0 (S. 23.) Dieſe von Humboldt verkündete allgemeine Ver— kettung hat ſeither in Charles Darwin den beredteſten Interpreten gefunden. — [D. Herausg.] 11 (S. 25.) Auch in dieſem Gedanken bekundet ſich Goethe, wie ſchon oft nachgewieſen, als Vorläufer Darwins, und es iſt in— tereſſant zu ſehen, daß A. v. Humboldt ihm beipflichtet. — [D. Herausg.] A. v. Humboldt, Kosmos, I. 3 Begrenzung und wiſſenſchaftliche Behandlung einer phyſiſchen Weltbeſchreibung. In den allgemeinen Betrachtungen, mit denen ich die Prolegomenen zur Weltanſchauung eröffnet habe, wurde entwickelt und durch Beiſpiele zu erläutern geſucht, wie der Naturgenuß, verſchiedenartig in ſeinen inneren Quellen, durch klare Einſicht in den Zuſammenhang der Erſcheinungen und in die Harmonie der belebenden Kräfte erhöht werden könne. Es wird jetzt mein Beſtreben ſein, den Geiſt und die leitende Idee der nachfolgenden wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen pe: zieller zu erörtern, das Fremdartige ſorgfältig zu ſcheiden, den Begriff und den Inhalt der Lehre vom Kosmos, wie ich dieſelbe aufgefaßt und nach vieljährigen Studien unter mancherlei Zonen bearbeitet, in überſichtlicher Kürze anzugeben. Möge ich mir dabei der Hoffnung ſchmeicheln dürfen, daß eine ſolche Erörterung den unvorſichtigen Titel meines Werkes rechtfertigen und ihn von dem Vorwurfe der Anmaßung be⸗ freien werde! Die Prolegomenen umfaſſen in vier Abtei⸗ lungen nach der einleitenden Betrachtung über die Ergründung der Weltgeſetze: 1) den Begriff und die Begrenzung der phyſiſchen Weltbeſchreibung, als einer eigenen und abgeſon— derten Disziplin; 2) den objektiven Inhalt: die reale, empiriſche Anſicht des Naturganzen in der wiſſenſchaftlichen Form eines Naturgemäldes; den Reflex der Natur auf die Einbildungskraft und das Gefühl, als Anregungsmittel zum Natur: ſtudium durch begeiſterte Schilderungen ferner Him— melsſtriche und naturbeſchreibende Poeſie (einen Zweig der modernen Litteratur), durch veredelte Landſchafts— malerei, durch Anbau und kontraſtierende Gruppierung exotiſcher Pflanzenformen; 3 — 4) die Geſchichte der Weltanſchauung: d. h. der allmählichen Entwickelung und Erweiterung des Be— griffs vom Kosmos, als einem Naturganzen. Je höher der Geſichtspunkt geſtellt iſt, aus welchem in dieſem Werke die Naturerſcheinungen betrachtet werden, deſto beſtimmter muß die zu begründende Wiſſenſchaft umgrenzt und von allen verwandten Disziplinen geſchieden werden. Phyſiſche Weltbeſchreibung iſt Betrachtung alles Ge— ſchaffenen, alles Seienden im Raume (der Naturdinge und Naturkräfte) als eines gleichzeitig beſtehenden Natur— ganzen. Sie zerfällt für den Menſchen, den Bewohner der Erde, in zwei e na den telluriſchen und ſideri— ſchen (uranologiſchen) Teil. Um die wiſſenſchaftliche Selb— ſtändigkeit der phyſiſchen Weltbeſchreibung feſtzuſtellen und ihr Verhältnis zu anderen Gebieten: zur eigentlichen Phyſik oder Naturlehre, zur Naturgeſchichte oder ſpeziellen Natur— beſchreibung, zur Geognoſie und vergleichenden Geo— graphie oder Erdbeſchreibung, zu ſchildern, wollen wir zunächſt bei dem telluriſchen (irdiſchen) Teile der phyſiſchen Welt— beſchreibung verweilen. So wenig als die Geſchichte der Philoſophie in einer rohen Aneinanderreihung verſchiedenartiger philoſophiſcher Meinungen beſteht, ebenſowenig iſt der telluriſche Teil der Weltbeſchreibung ein eneyklopädiſches Aggregat der oben genannten Naturwiſſenſchaften. Die Grenzverwir— rungen zwiſchen ſo innigſt verwandten Disziplinen ſind um ſo größer, als ſeit Jahrhunderten man ſich gewöhnt hat, Gruppen von Erfahrungskenntniſſen mit Namen zu be— zeichnen, die bald zu eng, bald zu weit für das Bezeichnete ſind; ja im klaſſiſchen Altertume, in den Sprachen, denen man ſie entlehnte, eine ganz andere Bedeutung als die hatten, welche wir ihnen jetzt beilegen. Die Namen einzelner Natur— wiſſenſchaften: der Anthropologie, Phyſiologie, Natur— lehre, Naturgeſchichte, Geognoſie und Geographie, ſind entſtanden und allgemein gebräuchlich geworden, bevor man zu einer klaren Einſicht über die Verſchiedenartigkeit der Objekte und ihre möglichſt ſtrenge Begrenzung, d. i. über den Einteilungs— grund ſelbſt, gelangt war. In der Sprache einer der gebildetſten Nationen Europas iſt ſogar, nach einer tief eingewurzelten Sitte, Phyſik kaum von der Arzneikunde zu trennen: während daß techniſche Chemie, Geologie und Aſtronomie, ganz empiriſch be— handelt, zu den philoſophiſchen Arbeiten (transactions) einer mit Recht weltberühmten Akademie gezählt werden. . Umtauſch alter, zwar unbeſtimmter, aber allgemein ver— ſtändlicher Namen gegen neuere iſt mehrfach, aber immer mit ſehr geringem Erfolge, von denen verſucht worden, die ſich mit der Klaſſifikation aller Zweige des menſchlichen Wiſſens beſchäftigt haben: von der großen Eneyklopädie (Margarita philosophica) des Kartäuſermönchs Gregorius Reiſch! an bis Baco, von Baco bis d'Alembert und, um der neueſten Zeit zu gedenken, bis zu dem ſcharfſinnigen Geometer und Phyſiker Ampere. Die wenig glückliche Wahl einer gräci⸗ ſierenden Nomenklatur hat dem Unternehmen vielleicht mehr noch als die zu große dichotomiſche Zerſpaltung und Verviel— fältigung der Gruppen geſchadet. Die phyſiſche Weltbeſchreibung, indem ſie die Welt „als Gegenſtand des äußeren Sinnes“ umfaßt, bedarf aller⸗ dings der allgemeinen Phyſik und der Naturgeſchichte als Hilfswiſſenſchaften; aber die Betrachtung der körperlichen Dinge unter der Geſtalt eines durch innere Kräfte bewegten und belebten Naturganzen hat als abgeſonderte Wiſſenſchaft einen ganz eigentümlichen Charakter. Die Phyſik verweilt bei den allgemeinen Eigenſchaften der Materie, ſie iſt eine Abſtraktion von den Kraftäußerungen der Stoffe; und ſchon da, wo ſie zuerſt begründet wurde, in den acht Büchern der phyſiſchen Vorträge des Ariſtoteles ſind alle Erſcheinungen der Natur als bewegende Lebensthätigkeit einer allgemeinen Weltkraft geſchildert. Der telluriſche Teil der phyſiſchen Weltbeſchreibung, dem ich gern die alte ausdrucksvolle Be: nennung der phyſiſchen Erdbeſchreibung laſſe, lehrt die Verteilung des Magnetismus auf unſerem Planeten nach Verhältniſſen der Intenſität und der Richtung; nicht die Ges ſetze magnetiſcher Anziehung und Abſtoßung oder die Mittel, mächtige elektromagnetiſche Wirkungen bald vorübergehend, bald bleibend hervorzurufen. Die phyſiſche Erdbeſchreibung ſchildert in großen Zügen die Gliederung der Kontinente und die Ver⸗ teilung ihrer Maſſen in beiden Hemiſphären: eine Verteilung, welche auf die Verſchiedenheit der Klimate und die wichtigſten meteorologiſchen Prozeſſe des Luftkreiſes einwirkt; ſie faßt den herrſchenden Charakter der telluriſchen Gebirgszüge auf, wie ſie, in gleichlaufenden oder ſich roſtförmig durchſchneidenden Reihen erhoben, verſchiedenen Zeitepochen und Bildungsſyſtemen angehören; ſie unterſucht die mittlere Höhe der Kontinente über der jetzigen Meeresfläche oder die Lage des Schwer— punktes ihres Volums, das Verhältnis der höchſten Gipfel 9 großer Ketten zu ihrem Rücken, zur Meeresnähe oder zur mineralogiſchen Natur der Ge birgsarten; ſie lehrt, wie dieſe Gebirgsarten thätig und bewegend (durchbrechend), oder leidend und bewegt, unter mannigfaltiger Neigung ihrer Schichten, aufgerichtet und gehoben erſcheinen; ſie be— trachtet die Reihung oder Iſoliertheit der Vulkane, die Be— ziehung ihrer gegenſeitigen Kraftäußerung, wie die Grenzen Ber Erſchütterungskreiſe, die im Lauf der Jahrhunderte ſich erweitern oder verengen. Sie lehrt, um auch einige Beiſpiele aus dem Kampf des Flüſſigen mit dem Starren anzuführen, was allen großen Strömen gemeinſam iſt in ihrem oberen und unteren Laufe: wie Ströme einer Bifurkation (einer Unabgeſchloſſenheit des Stromgebietes) in beiden Teilen ihres Laufes fähig ſind; wie ſie bald koloſſale Bergketten rechtwinkelig durchſchneiden, bald ihnen parallel laufen: ſei es längs dem nahen Abfall oder in beträchtlicher Ferne, als Folge des Ein— fluſſes, den ein gehobenes Bergſyſtem auf die Oberfläche ganzer Länderſtrecken, auf den ſöhligen Boden der anliegenden Ebene ausgeübt hat. Nur die Hauptreſultate der vergleichenden Orographie und Hydrographie gehören in die Wiſſen— ſchaft, die ich hier umgrenze: nicht Verzeichniſſe von Berghöhen, von jetzt thätigen Vulkanen oder von Größen der Strom— gebiete; alles dies bleibt, nach meinen Anſichten, der ſpeziellen Länderkunde und den mein Werk erläuternden Noten vorbe- halten. Die Aufzählung gleichartiger oder nahe verwandter Naturverhältniſſe, die generelle Ueberſicht der telluriſchen Er⸗ en in ihrer räumlichen Verteilung oder Beziehung zu den Erdzonen iſt nicht zu verwechſeln mit der Betrachtung von Einzeldingen der Natur lirdiſchen Stoffen, belebten Or⸗ ganismen, phyſiſchen Hergängen des Erdenlebens): einer Be⸗ trachtung, in der die Objekte bloß nach ihren inneren Analogieen ſyſtematiſch geordnet werden. Spezielle Länderbeſchreibungen ſind allerdings das brauch— barſte Material zu einer allgemeinen phyſiſchen Geographie; aber die ſorgfältigſte Aneinanderreihung dieſer Länderbeſchrei— bungen würde ebenſowenig das charakteriſtiſche Bild des telluri— ſchen Naturganzen liefern, als die bloße Aneinanderreihung aller einzelnen Floren des Erdkreiſes eine Geographie der Pflanzen liefern würde. Es iſt das Werk des kombinieren— den Verſtandes, aus den Einzelheiten der organiſchen Geſtal— tung (Morphologie, Naturbeſchreibung der Pflanzen und Tiere) das Gemeinſame in der klimatiſchen Verteilung — 38 herauszuheben, die numeriſchen Geſetze (die fixen Proportionen in der Zahl gewiſſer Formen oder natürlicher Familien zu der Geſamtzahl der Tiere und Pflanzen höherer Bildung) zu ergründen; anzugeben, in welcher Zone jegliche der Haupt— formen ihr Maximum der Artenzahl und der organiſchen Entwickelung erreicht: ja wie der landſchaftliche Eindruck, den die Pflanzendecke unſeres Planeten in verſchiedenen Abſtänden vom Aequator auf das Gemüt macht, großenteils von den Geſetzen der Pflanzengeographie abhängt. Die ſyſtematiſch geordneten Verzeichniſſe aller organiſchen Geſtaltungen, die wir ehemals mit dem allzu prunkvollen Namen von Naturſyſtemen bezeichneten, bieten eine be— wundernswürdige Verkettung nach inneren Beziehungen der Formähnlichkeit (Struktur), nach Vorſtellungsweiſen von allmählicher Entfaltung (Evolution) in Blatt und Kelch, in farbigen Blüten und Früchten, dar: nicht eine Verkettung nach räumlicher Gruppierung, d. i. nach Erdſtrichen, nach der Höhe über der Meeresfläche, nach Temperatureinflüſſen, welche die ganze Oberfläche des Meeres erleidet. Der höchſte Zweck der phyſiſchen Erdbeſchreibung tft aber, wie ſchon oben bemerkt worden, Erkenntnis der Einheit in der Vielheit, Er— forſchung des gemeinſamen und des inneren Zuſammenhanges in den telluriſchen Erſcheinungen. Wo der Einzelheiten er— wähnt wird, geſchieht es nur, um die Geſetze der organiſchen Gliederung mit denen der geographiſchen Verteilung in Einklang zu bringen. Die Fülle der lebendigen Geſtal— tungen erſcheint, nach dieſem Geſichtspunkte geordnet, mehr nach Erdzonen, nach Verſchiedenheit der Krümmung iſo— thermer Linien, als nach der inneren Verwandtſchaft, oder nach dem, der ganzen Natur inwohnenden Prinzipe der Steige— rung und ſich individualiſierenden Entfaltung der Organe. Die natürliche Reihenfolge der Pflanzen- und Tierbildungen wird daher hier als etwas Gegebenes, der beſchreibenden Botanik und Zoologie Entnommenes betrachtet. So iſt es die Aufgabe, der phyſiſchen Geographie nachzuſpüren, wie auf der Oberfläche der Erde ſehr verſchiedenartige Formen, bei ſchein— barer Zerſtreuung der Familien und Gattungen, doch in ge— heimnisvoller genetiſcher Beziehung zu einander ſtehen (Be: ziehungen des gegenſeitigen Erſatzes und Ausſchließens); wie die Organismen ein telluriſches Naturganzes bilden, durch Atmen und leiſe Verbrennungsprozeſſe den Luftkreis modifi— zieren und, vom Lichte in ihrem Gedeihen, ja in ihrem Daſein 1 prometheiſch bedingt, trotz ihrer geringen Maſſe, doch auf das ganze äußere Erdeleben (das Leben der Erdrinde) einwirken. Die Darſtellungsweiſe, welche ich hier, als der phyſi— ſchen Erdbeſchreibung ausſchließlich geeignet, ſchildere, ge— winnt an Einfachheit, wenn wir fie auf den uranologiſchen Teil des Kosmos, auf die phyſiſche Beſchreibung des Welt— raums und der himmliſchen Weltkörper anwenden. Unterſcheidet man, wie es der alte Sprachgebrauch thut, wie aber, nach tieferen Naturanſichten, einſt nicht mehr zu thun erlaubt ſein wird, Naturlehre (Phyſik): die allgemeine Be— trachtung der Materie, der Kräfte und der Bewegung; von der Chemie: der Betrachtung der verſchiedenen Natur der Stoffe, ihrer ſtöchiologiſchen Heterogeneität, ihrer Verbin— dungen und Miſchungsveränderungen nach eigenen, nicht durch bloße Maſſenverhältniſſe erklärbaren Ziehkräften; ſo erkennen wir in den telluriſchen Räumen phyſiſche und chemiſche Prozeſſe zugleich. Neben der Grundkraft der Materie, der Anziehung aus der Ferne (Gravitation), wirken um uns her, auf dem Erdkörper, noch andere Kräfte in unmittelbarer Berührung oder unendlich kleiner Entfernung der materiellen Teile: Kräfte ſogenannter chemiſcher Verwandtſchaft, die, durch Elektrizität, Wärme und eine Kontaktſubſtanz mannig— fach beſtimmt, in der unorganiſchen Natur wie in den belebten Organismen unausgeſetzt thätig ſind. In den Himmelsräumen bieten bisher ſich unſerer Wahrnehmung nur phyſiſche Pro— zeſſe, Wirkungen der Materie dar, die von der Maſſenver— teilung abhängen, und die ſich als den dynamiſchen Geſetzen der reinen angeht: unterworfen darſtellen laſſen. Solche Wirkungen werden als unabhängig von qualitativen Unterſchieden (von Heterogeneität oder ſpezifiſcher Verſchie— denheit) der Stoffe betrachtet. Der Erdbewohner tritt in Verkehr mit der geballten und ungeballt zerſtreuten Materie des fernen Weltraumes nur durch die Phänomene des Lichts und den Einfluß der allge— meinen Gravitation (Maſſenanziehung). Die Einwirkungen der Sonne oder des Mondes auf die periodiſchen Verände— rungen des telluriſchen Magnetismus ſind noch in Dunkel gehüllt. Ueber die qualitative Natur der Stoffe, die in dem Weltall kreiſen oder vielleicht denſelben erfüllen, haben wir keine unmittelbare Erfahrung, es ſei denn durch den Fall der Aerolithen: wenn man nämlich (wie es 17 Richtung und ungeheure Wurfgeſchwindigkeit mehr als wahrſcheinlich macht) 1 dieſe erhitzten, ſich in Dämpfe einhüllenden Maſſen für kleine Weltkörper hält, welche, auf ihrem Wege durch die himm— liſchen Räume, in die Anziehungsſphäre unſeres Planeten kommen. Das heimiſche Anſehen 117 Beſtandteile, ihre mit unſeren telluriſchen Stoffen ganz gleichartige Natur ſind ſehr auffallend. Sie können durch Analogie zu Vermutungen über die Beſchaffenheit ſolcher Planeten führen, die zu einer Gruppe gehören, unter der Herrſchaft eines Centralkörpers ſich durch Niederſchläge aus kreiſenden Ringen dunſtförmiger Materie gebildet haben. Beſſels Pendelverſuche, die von einer noch unerreichten Genauigkeit zeugen, haben dem New— toniſchen Axiom, daß Körper von der verſchiedenartigſten Be— ſchaffenheit (Waſſer, Gold, Quarz, körniger Kalkſtein, Aero: lithenmaſſen) durch die Anziehung der Erde eine völlig gleiche Beſchleunigung der Bewegung erfahren, eine neue Sicherheit verliehen; ja mannigfaltige rein aſtronomiſche Reſultate: z. B. die faſt gleiche Jupitersmaſſe aus der Einwirkung des Jupiter auf ſeine Trabanten, auf Enckes Kometen, auf die kleinen Planeten (Veſta, Juno, Ceres und Pallas): lehren, daß überall nur die Quantität der Materie die Ziehkraft derſelben beſtimmt. Dieſe Ausſchließung von allem Wahrnehmbaren der Stoffverſchiedenheit vereinfacht auf eine merkwürdige Weiſe die Mechanik des Himmels: fie unterwirft das un— gemeſſene Gebiet des Weltraums der alleinigen Herrſchaft der Bewegungslehre; und der aſtrognoſtiſche Teil der phyſiſchen Weltbeſchreibung ſchöpft aus der feſt begründeten theoretiſchen Aſtronomie, wie der telluriſche Teil aus der Phyſik, der Chemie und der organiſchen Morphologie. Das Gebiet der letztgenannten Disziplinen umfaßt ſo verwickelte und teil— weiſe den mathematiſchen Anſichten widerſtrebende Erſcheinun— gen, daß der telluriſche Teil der Lehre vom Kosmos ſich noch nicht derſelben Sicherheit und Einfachheit der Behandlung zu erfreuen hat, welche der aſtronomiſche möglich macht. In den hier angedeuteten Unterſchieden liegt gewiſſermaßen der Grund, warum in der früheren Zeit griechiſcher Kultur die pythagoreiſche Naturphiloſophie dem Weltraume mehr als den Erdräumen zugewandt war; warum fie durch Philolaus, und in ſpäteren Nachklängen durch Ariſtarch von Samos und Seleucus den Erythräer für die wahre Kenntnis unſeres Sonnenſyſtems in einem weit höheren Grade fruchtbringend geworden iſt, als die ioniſche Naturphiloſophie es der Phpſit — 11 — der Erde ſein konnte. Gleichgültiger gegen die ſpezifiſche Natur des Raumerfüllenden, gegen die qualitative Verſchieden— heit der Stoffe, war der Sinn der italiſchen Schule mit dori— ſchem Ernſte allein auf geregelte Geſtaltung, auf Form und Maß gerichtet: während die ioniſchen Phyſiologen bei dem Stoffartigen, ſeinen geahneten Umwandlungen und genetiſchen Verhältniſſen vorzugsweiſe verweilten. Es war dem mäch— tigen, echt philoſophiſchen und dabei ſo praktiſchen Geiſte des Ariſtoteles vorbehalten, mit gleicher Liebe ſich in die Welt der Abſtraktionen und in die unermeßlich reiche Fülle des Stoffartig⸗Verſchiedenen der organiſchen Gebilde zu verſenken. Mehrere und ſehr vorzügliche Werke über phyſiſche Geo— graphie enthalten in der Einleitung einen aſtronomiſchen Teil, in dem ſie die Erde zuerſt in ihrer planetariſchen Abhängigkeit, in ihrem Verhältnis zum Sonnenſyſtem betrachten. Dieſer Weg iſt ganz dem entgegengeſetzt, den ich mir vorgezeichnet habe. In einer Weltbeſchreibung muß der aſtrognoſtiſche Teil, den Kant die Naturgeſchichte des Himmels nannte, nicht dem telluriſchen untergeordnet erſcheinen. Im Kosmos iſt, wie ſchon der alte Kopernikaner, Ariſtarch der Samier, ſich ausdrückte, die Sonne (mit ihren Gefährten) ein Stern unter den zahlloſen Sternen. Eine allgemeine Weltanſicht muß alſo mit den, den Weltraum füllenden, himmliſchen Körpern beginnen: gleichſam mit dem Entwurf einer graphi— ſchen Darſtellung des Univerſums, einer eigentlichen Welt— karte, wie zuerſt mit kühner Hand ſie Herſchel der Vater gezeichnet hat. Wenn, trotz der Kleinheit unſeres Planeten, der telluriſche Teil in der Weltbeſchreibung den größten Raum einnimmt und am ausführlichſten behandelt wird, ſo geſchieht dies nur in Beziehung auf die ungleiche Maſſe des Erkannten, auf die Ungleichheit des empiriſch Zugänglichen. Jene Unter— ordnung des uranologiſchen Teils finden wir übrigens ſchon bei dem großen Geographen Bernhard Varenius? in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Er unterſcheidet ſehr ſcharfſinnig allgemeine und ſpezielle Erdbeſchreibung; und teilt die erſtere wieder in die abſolut telluriſche und die plane— tariſche ein: je nachdem man betrachtet die Verhältniſſe der Erdoberfläche in den verſchiedenen Zonen, oder das ſolariſch— lunare Leben der Erde, die Beziehung unſeres Planeten zu Sonne und Mond. Ein bleibender Ruhm für Varenius iſt es, daß die Ausführung eines ſolchen Entwurfes der allge— meinen und vergleichenden Erdkunde Newtons Aufmerk— — 42 = ſamkeit in einem hohen Grade auf ſich gezogen hatte; aber bei dem mangelhaften Zuſtande der Hilfswiſſenſchaften, aus denen Varenius ſchöpfte, konnte die Bearbeitung nicht der Größe des Unternehmens entſprechen. Es war unſerer Zeit vorbehalten, die vergleichende Erdkunde in ihrem weiteſten Umfange, ja in ihrem Reflex auf die Geſchichte der Menſch— heit, auf die Beziehungen der Erdgeſtaltung zu der Richtung der Völkerzüge und der Fortſchritte der Geſittung, meiſterhaft bearbeitet zu ſehen. Die Aufzählung der vielfachen Strahlen, die ſich in dem geſamten Naturwiſſen wie in einem Brennpunkte vereinigen, kann den Titel des Werks rechtfertigen, das ich, am ſpäten Abend meines Lebens, zu veröffentlichen wage. Dieſer Titel iſt vielleicht kühner als das Unternehmen ſelbſt: in den Grenzen, die ich mir geſetzt habe. In ſpeziellen Disziplinen hatte ich bisher, jo viel als möglich, neue Namen zur Bezeichung all- gemeiner Begriffe vermieden. Wo ich Erweiterungen der Nomenklatur verſuchte, waren ſie auf die Einzeldinge der Tier⸗ und Pflanzenkunde beſchränkt geweſen. Das Wort: phyſiſche Weltbeſchreibung, deſſen ich mich hier bediene, iſt dem längſt gebräuchlichen: phyſiſche Erdbeſchreibung nachgebildet. Die Erweiterung des Inhalts, die Schilderung eines Naturganzen von den fernen Nebelflecken an bis zur klimatiſchen Verbreitung der organiſchen Gewebe, die unſere Felsklippen färben, machen die Einführung eines neuen Wortes notwendig. So ſehr auch in dem Sprachgebrauch, bei der früheren Beſchränktheit menſchlicher Anſichten, die Begriffe Erde und Welt ſich verſchmelzen (ich erinnere an die Aus— drücke: Weltumſegelung, Weltkarten, Neue Welt), ſo iſt doch die wiſſenſchaftliche Abſonderung von Welt und Erde ein all- gemein gefühltes Bedürfnis. Die ſchönen und richtiger gebil- deten Ausdrücke: Weltgebäude, Weltraum, Weltkörper, Weltſchöpfung für den Inbegriff und den Urſprung aller Materie, der irdiſchen, wie der fernſten Geſtirne, rechtfertigen dieſe Abſonderung. Um dieſelbe beſtimmter, ich könnte ſagen feierlicher und auf altertümliche Weiſe anzudeuten, iſt dem Titel meines Werkes das Wort Kosmos vorgeſetzt: das ur: ſprünglich, in der Homeriſchen Zeit, Schmuck und Ordnung bedeutete, ſpäter aber zu einem philoſophiſchen Kunſtausdrucke, zur wiſſenſchaftlichen Bezeichnung der Wohlgeordnetheit der Welt, ja der ganzen Maſſe des Raumerfüllenden, d. i. des Weltalls ſelbſt, umgeprägt ward. — 43 — Bei der Schwierigkeit, in der ſteten Veränderlichkeit irdi— ſcher Erſcheinungen das Geregelte oder Geſetzliche zu erkennen, wurde der Geiſt der Menſchen vorzugsweiſe und früh von der gleichförmigen, harmoniſchen Bewegung der Himmelskörper angezogen. Nach dem Zeugniſſe des Philolaus, deſſen echte Bruchſtücke Böckh ſo geiſtreich bearbeitet hat, nach dem ein— ſtimmigen Zeugnis des ganzen Altertums? hat Pythagoras zuerſt das Wort Kosmos für Weltordnung, Welt und Himmelsraum gebraucht. Aus der philoſophiſchen italiſchen Schule iſt das Wort in die Sprache der Dichter der Natur (Parmenides und Empedokles), ſpäter endlich und langſamer in die Proſaiker übergegangen. Daß, nach pythagoreiſchen Anſichten, dasſelbe Wort in der Mehrzahl bisweilen auch auf einzelne Weltkörper (Planeten), die um den Herd der Welt eine kreisförmige Bahn beſchreiben, oder auf Gruppen von Geſtirnen (Weltinſeln) angewendet wurde; ja daß Philolaus ſogar einmal Olymp, Kosmos und Uranos unterſcheidet: iſt hier nicht zu erörtern. In meinem Entwurfe einer Weltbeſchreibung iſt Kosmos, wie der allgemeinſte Ge— brauch in der nach-pythagoreiſchen Zeit es gebietet und wie der unbekannte Verfaſſer des Buches de Mundo, das lange dem Ariſtoteles zugeſchrieben wurde, das Wort definiert hat, für den Inbegriff von Himmel und Erde, für die ganze Körperwelt genommen. Durch Nachahmungsſucht der ſpät philoſophierenden Römer wurde das Wort mundus, welches bei ihnen Schmuck, nicht einmal Ordnung, bezeichnete, zu der Bedeutung von Weltall umgeſtempelt. Die Einführung eines ſolchen Kunſtausdruckes in die lateiniſche Sprache, die wörtliche Uebertragung des griechiſchen Kosmos, in zwie— fachem Sinne gebraucht, iſt wahrſcheinlich dem Ennius! zu— zuſchreiben: einem Anhänger der italiſchen Schule, dem Ueber— ſetzer pythagoreiſcher Philoſopheme des Epicharmus oder eines Nachahmers desſelben. Wie eine phyſiſche Weltgeſchichte, wenn die Materialien dazu vorhanden wären, im weiteſten Sinne des Wortes die Veränderungen ſchildern ſollte, welche im Lauf der Zeiten der Kosmos durchwandert hat: von den neuen Sternen an, die am Firmamente urplötzlich aufgelodert, und den Nebelflecken, die ſich auflöſen oder gegen ihre Mitte verdichten, bis zum feinſten Pflanzengewebe, das die nackte, erkaltete Erdrinde oder ein gehobenes Korallenriff allmählich und fortſchreitend bedeckt; ſo ſchildert dagegen die phyſiſche Weltbeſchreibung EUR das Zuſammenbeſtehende im Raume, das gleichzeitige Wirken der Naturkräfte und der Gebilde, die das Produkt dieſer Kräfte ſind. Das Seiende iſt aber, im Begreifen der Natur, nicht von dem Werden abſolut zu ſcheiden; denn nicht das Organiſche allein iſt ununterbrochen im Werden und Unter— gehen begriffen: das ganze Erdenleben mahnt, in jedem Sta- dium ſeiner Exiſtenz, an die früher durchlaufenen Zuſtände. So enthalten die übereinander gelagerten Steinſchichten, aus denen der größere Teil der äußeren Erdrinde beſteht, die Spuren einer faſt gänzlich untergegangenen Schöpfung: ſie verkünden eine Reihe von Bildungen, die ſich gruppenweiſe erſetzt haben; ſie entfalten dem Blick des Beobachters gleich— zeitig im Raume die Faunen und Floren der verfloſſe⸗ nen Jahrtauſende. In dieſem Sinne wären Naturbeſchrei— bung und Naturgej 1 nicht gänzlich voneinander zu trennen. Der Geognoſt kann die Gegenwart nicht ohne die Vergangenheit faſſen. Beide durchdringen und verſchmel⸗ zen ſich in dem Naturbilde des Erdkörpers, wie, im weiten Gebiete der Sprachen, der Etymologe in dem dermaligen Zuſtande grammatiſcher Formen ihr Werden und progreſ— ſives Geſtalten, ja die ganze ſprachbildende Vergangenheit in der Gegenwart abgeſpiegelt findet. In der materiellen Welt aber iſt dieſe Abſpiegelung des Geweſenen um ſo klarer, als wir analoge Produkte unter unſeren Augen ſich bilden ſehen. Unter den Gebirgsarten, um ein Beiſpiel der Geognoſie zu entlehnen, beleben Trachytkegel, Baſalt, Bims⸗ ſteinſchichten und ſchlackige Mandelſteine auf eigentümliche Weiſe die Landſchaft. Sie wirken auf unſere Einbildungs⸗ kraft wie Erzählungen aus der Vorwelt. Ihre Form iſt ihre Geſchichte. Das Sein wird in ſeinem Umfang und inneren Sein vollſtändig erſt als ein Gewordenes erkannt. Von dieſer urſprünglichen Verſchmelzung der Begriffe zeugt das klaſſiſche Altertum in dem Gebrauche des Worts: Hiſtorie bei Griechen und Römern. Wenn auch nicht in der Definition, die Verrius Flaccus gibt, ſo iſt doch in den zoologiſchen Schriften des Ariſtoteles Hiſtorie eine Erzählung von dem Erforſchten, dem ſinnlich Wahrgenommenen. Die phyſiſche Weltbeſchrei⸗ bung des älteren Plinius führt den Titel einer Historia naturalis; in den Briefen des Neffen wird ſie edler eine „Geſchichte der Natur“ genannt. Im klaſſiſchen Altertum tren⸗ nen die früheſten Hiſtoriker noch wenig die Länderbeſchreibung en von der Darſtellung der Begebenheiten, deren Schauplatz die beſchriebenen Länder geweſen ſind. Phyſiſche Geographie und Geſchichte erſcheinen lange anmutig gemiſcht, bis das wachſende politiſche Intereſſe und ein vielbewegtes Staats— leben das erſte Element verdrängten, das nun in eine abge— ſonderte Disziplin überging. Die Vielheit der Erſcheinungen des Kosmos in der Einheit des Gedankens, in der Form eines rein rationalen Zuſammenhanges zu umfaſſen, kann, meiner Einſicht nach, bei dem jetzigen Zuſtande unſeres empiriſchen Wiſſens nicht erlangt werden. Erfahrungswiſſenſchaften ſind nie vollendet, die Fülle ſinnlicher Wahrnehmungen iſt nicht zu erſchöpfen; keine Generation wird je ſich rühmen können, die Totalität der Erſcheinungen zu überſehen. Nur da, wo man die Er— ſcheinungen gruppenweiſe ſondert, erkennt man in einzelnen gleichartigen Gruppen das Walten großer und einfacher Natur— Haber Je mehr die phyſikaliſchen Wiſſenſchaften ſich aus— ilden, deſto 1595 erweitern ſich auch die Kreiſe dieſes Waltens. Glänzende Beweiſe davon geben die neuerlangten Anſichten der Prozeſſe, welche dh im feſten Erdkörper als in der Atmoſphäre von elektro-magnetiſchen Kräften, von der ſtrahlen— den Wärme oder der Fortpflanzung der Lichtwellen abhangen; glänzende Beweiſe die Evolutionsbildungen des Organismus, in denen alles Entſtehende vorher angedeutet iſt, wo gleich— ſam aus einerlei Hergang in der Vermehrung und Umwand— lung von Zellen das Gewebe der Tier- und Pflanzenwelt entſteht. In der Verallgemeinerung der Geſetze, die anfangs nur engere Kreiſe, iſoliertere Gruppen von Phänomenen zu beherrſchen ſcheinen, gibt es mannigfaltige Abſtufungen. Die Herrſchaft der erkannten Geſetze gewinnt an Umfang, der ideelle Zuſammenhang an Klarheit, ſolange die Forſchungen auf gleichartige, unter ſich verwandte Maſſen gerichtet find. Wo aber die dynamiſchen Anſichten, die ſich dazu nur auf bildliche atomiſtiſche Vorausſetzungen gründen, nicht ausreichen, weil die ſpezifiſche Natur der Materie und ihre Heterogeneität im Spiel find; [da geraten wir, nach Einheit des Begreifens ſtrebend, auf Klüfte von noch unergründeter Tiefe. Es offen⸗ bart ſich dort das Wirken einer eigenen Art von Kräften. Das Geſetzliche numeriſcher Verhältniſſe, welches der Scharf— ſinn der neueren Chemiker ſo glücklich und glänzend, doch aber ebenfalls nur unter einem uralten Gewande, in den Symbolen atomiſtiſcher Vorſtellungsweiſen erkannt hat, bleibt — 46 — bis jetzt iſoliert, ununterworfen den Geſetzen aus dem Bereich der reinen Bewegungslehre. Die Einzelheiten, auf welche ſich alle unmittelbare Wahr— nehmung beſchränkt, können logiſch in Klaſſen und Gattungen geordnet werden. Solche Anordnungen führen, wie ich ſchon oben tadelnd bemerkte, als ein naturbeſchreibender Teil, den anmaßenden Titel von Naturſyſtemen. Sie erleichtern freilich das Studium der organiſchen Gebilde und ihrer linearen Verkettung untereinander, aber als Verzeichniſſe gewähren ſie nur ein formelles Band; ſie bringen mehr Einheit in die Dar— ſtellung als in die Erkenntnis ſelbſt. Wie es Graduationen gibt in der Verallgemeinerung der Naturgeſetze, je nachdem ſie größere oder kleinere Gruppen von Erſcheinungen, weitere oder engere Kreiſe organiſcher Geſtaltung und Gliederung umfaſſen: ſo gibt es auch Abſtufungen im empiriſchen Forſchen. Es beginnt dasſelbe von vereinzelten Anſchauungen, die man gleichartig ſondert und ordnet. Von dem Beobachten wird fortgeſchritten zum Experimentieren: zum Hervorrufen der Erſcheinungen unter beſtimmten Bedingniſſen, nach leitenden Hypotheſen, d. h. nach dem Vorgefühl von dem inneren Zu— ſammenhange der Naturdinge und Naturkräfte. Was durch Beobachtung und Experiment erlangt iſt, führt, auf Analogieen und Induktion gegründet, zur Erkenntnis empiriſcher Geſetze. Das ſind die Phaſen, gleichſam die Momente, welche der beobachtende Verſtand durchläuft und die in der Geſchichte des Naturwiſſens der Völker beſondere Epochen bezeichnen. Zwei Formen der Abſtraktion beherrſchen die ganze Maſſe der Erkenntnis: quantitative, Verhältnisbeſtimmungen nach Zahl und Größe, und qualitative, ſtoffartige Beſchaffen⸗ heiten. Die erſtere, zugänglichere Form gehört dem mathe— matiſchen, die zweite dem chemiſchen Wiſſen an. Um die Erſcheinungen dem Kalkul zu unterwerfen, wird die Materie aus Atomen (Molekülen) konſtruiert, deren Zahl, Form, Lage und Polarität die Erſcheinungen bedingen ſoll. Die Mythen von imponderablen Stoffen und von eigenen Lebenskräften in jeglichem Organismus verwickeln und trüben die Anſicht der Natur. Unter ſo verſchiedenartigen Bedingniſſen und Formen des Erkennens bewegt ſich träge die ſchwere Laſt unſeres angehäuften und jetzt ſo ſchnell anwachſenden em— piriſchen Wiſſens. Die grübelnde Vernunft verſucht mut⸗ voll und mit wechſelndem Glücke die alten Formen zu zer: brechen, durch welche man den widerſtrebenden Stoff, wie As durch mechanische Konſtruktionen und Sinnbilder, zu beherr— ſchen gewohnt iſt. Wir ſind noch weit von dem Zeitpunkte entfernt, wo es möglich ſein könnte, alle unſere ſinnlichen Anſchauungen zur Einheit des Naturbegriffs zu konzentrieren. Es darf zweifelhaft genannt werden, ob dieſer Zeitpunkt je herannahen wird. Die Komplikation des Problems und die Unermeß— lichkeit des Kosmos vereiteln faſt die Hoffnung dazu. Wenn uns aber auch das Ganze unerreichbar iſt, ſo bleibt doch die teilweiſe Löſung des Problems, das Streben nach dem Ver— ſtehen der Welterſcheinungen, der höchſte und ewige Zweck aller Naturforſchung. Dem Charakter meiner früheren Schriften, wie der Art meiner Beſchäftigungen treu, welche Verſuchen, Meſſungen, Ergründung von Thatſachen gewidmet waren: beſchränke ich mich auch in dieſem Werke auf eine empiriſche Betrachtung. Sie iſt der alleinige Boden, auf dem ich mich weniger unſicher zu bewegen verſtehe. Dieſe Behandlung einer empiriſchen Wiſſenſchaft, oder vielmehr eines Aggregats von Kenntniſſen, ſchließt nicht aus die Anordnung des Auf— gefundenen nach leitenden Ideen, die Verallgemeinerung des Beſonderen, das ſtete Forſchen nach empiriſchen Natur: geſetzen. Ein denkendes Erkennen, ein vernunftmäßiges Be— greifen des Univerſums würden allerdings ein noch erhabeneres Ziel darbieten. Ich bin weit davon entfernt, Beſtrebungen, in denen ich mich nicht verſucht habe, darum zu tadeln, weil ihr Erfolg bisher ſehr zweifelhaft geblieben iſt. Mannigfaltig mißverſtanden, und ganz gegen die Abſicht und den Rat der tiefſinnigen und mächtigen Denker, welche dieſe ſchon dem Altertum eigentümlichen Beſtrebungen wiederum angeregt: haben naturphiloſophiſche Syſteme, eine kurze Zeit über, in unſerem Vaterlande, von den ernſten und mit dem materiellen Wohlſtande der Staaten ſo nahe verwandten Studien mathemati— ſcher und phyſikaliſcher Wiſſenſchaften abzulenken gedroht. Der berauſchende Wahn des errungenen Beſitzes; eine eigene, aben— teuerlich-ſymboliſierende Sprache; ein Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menſchheit angezwängt: haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein ideellen Naturwiſſens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernſte, der Philoſophie und der Beobachtung gleichzeitig zuge— wandte Geiſter ſind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungskenntniſſen und eine in allen ihren — — 48 — Teilen ausgebildete Philoſophie der Natur (falls eine ſolche Ausbildung je zu erreichen iſt) können nicht in Wider— ſpruch treten, wenn die Philoſophie der Natur, ihrem Ver— ſprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirk— lichen Erſcheinungen im Weltall iſt. Wo der Widerſpruch ſich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Spekulation oder in der Anmaßung der Empirie, welche mehr durch die Erfahrung erwieſen 1 5 als durch dieſelbe begründet ward. Man mag nun die Natur dem Bereich des Geiſtigen entgegenſetzen, als wäre das Geiſtige nicht auch in dem Natur— ganzen enthalten: oder man mag die Natur der Kunſt ent⸗ gegenſtellen, letztere in einem höheren Sinne als den Inbegriff aller geiſtigen Produktionskraft der Menſchheit betrachtet; ſo müſſen dieſe Gegenſätze doch nicht auf eine ſolche Trennung des Phyſiſchen vom Intellektuellen führen, daß die Phyſik der Welt zu einer bloßen Anhäufung empiriſch geſammelter Einzelheiten herabſinke. Wiſſenſchaft fängt erſt an, wo der Geiſt ſich des Stoffes bemächtigt, wo verſucht wird, die Maſſe der Erfahrungen einer Vernunfterkenntnis zu unterwerfen; ſie iſt der Geiſt, zugewandt zu der Natur. Die Außenwelt exiſtiert aber nur für uns, indem wir ſie in uns aufnehmen, indem fie ſich in uns zu einer Naturanſchauung geſtaltet. So geheimnisvoll unzertrennlich als Geiſt und Sprache, der Gedanke und das befruchtende Wort find: ebenſo ſchmilzt, uns ſelbſt gleichſam unbewußt, die Außenwelt mit dem Innerſten im Menſchen, mit dem Gedanken und der Empfindung zu⸗ ſammen. „Die äußerlichen Erſcheinungen werden ſo,“ wie Hegel ſich in der Philoſophie der Geſchichte ausdrückt, „in die innerliche Vorſtellung überſetzt.“ Die objektive Welt, von uns gedacht, in uns reflektiert, wird den ewigen, not⸗ wendigen, alles bedingenden Jormen unſerer geiſtigen Exiſtenz unterworfen. Die intellektuelle Thätigkeit übt ſich dann an dem durch die ſinnliche Wahrnehmung überkommenen Stoffe. Es iſt daher ſchon im Jugendalter der Menſchheit, in der einfachſten Betrachtung der Natur, in dem erſten Erkennen und Auffaſſen eine Anregung zu naturphiloſophiſchen Anſichten. Dieſe Anregung iſt verſchieden, mehr oder minder lebhaft, nach der Gemütsſtimmung, der nationalen Individualität und dem Kulturzuſtande der Völker. Eine Geiſtesarbeit beginnt, ſobald, von innerer Notwendigkeit getrieben, das Denken den Stoff ſinnlicher Wahrnehmungen aufnimmt. Er Die Geſchichte hat uns die vielfach gewagten Verſuche aufbewahrt, die Welt der phyſiſchen Erſcheinungen in ihrer Vielheit zu begreifen; eine einige, das ganze Univerſum durch— dringende, bewegende, entmiſchende Weltkraft zu erkennen. Dieſe Verſuche ſteigen in der klaſſiſchen Vorzeit zu den Phy— ſiologieen und Urſtofflehren der ioniſchen Schule hinauf: wo” bei wenig ausgedehnter Empirie (bei einem dürftigen Material von Thatſachen) das ideelle Beſtreben, die Natur— erklärungen aus reiner Vernunfterkenntnis, vorherrſchten. Je mehr aber während einer glänzenden Erweiterung aller Natur— wiſſenſchaften das Material des ſicheren empiriſchen Wiſſens anwuchs, deſto mehr erkaltete allmählich der Trieb, das Weſen der Erſcheinungen und ihre Einheit, als ein Natur— ganzes, durch Konſtruktion der Begriffe aus der Vernunft— erkenntnis abzuleiten. In der uns nahen Zeit hat der mathe— matiſche Teil der Naturphiloſophie ſich einer großen und herrlichen Ausbildung zu erfreuen gehabt. Die Methoden und das Inſtrument (die Analyſe) ſind gleichzeitig vervoll— kommnet worden. Was ſo auf vielfachen Wegen durch ſinnige Anwendung atomiſtiſcher Prämiſſen, durch allgemeineren und unmittelbareren Kontakt mit der Natur, durch das Hervor— rufen und Ausbilden neuer Organe errungen worden iſt; ſoll: wie im Altertume, ſo auch jetzt, ein gemeinſames Gut der Menſchheit, der freieſten Bearbeitung der Philoſophie in ihren wechſelnden Geſtaltungen nicht entzogen werden. Bisweilen iſt freilich die Unverſehrtheit des Stoffes in dieſer Bearbei— tung einige Gefahr gelaufen; und in dem ſteten Wechſel ideeller Anſichten iſt es wenig zu verwundern, wenn, wie jo ſchön im Bruno geſagt wird, „viele die Philiſophie nur meteoriſcher Erſcheinungen fähig halten und daher auch die größeren Formen, in denen ſie ſich geoffenbart hat, das Schick— ſal der Kometen bei dem Volke teilen: das ſie nicht zu den bleibenden und ewigen Werken der Natur, ſondern zu den vergänglichen Erſcheinungen feuriger Dünſte zählt.“ Mißbrauch oder irrige Richtungen der Geiſtesarbeit müſſen aber nicht zu der, die Intelligenz entehrenden Anſicht führen, als ſei die Gedankenwelt, ihrer Natur nach, die Region phan— taſtiſcher Truggebilde; als ſei der ſo viele Jahrhunderte hin— durch geſammelte überreiche Schatz empiriſcher Anſchauung von der Philoſophie, wie von einer feindlichen Macht, be— droht. Es geziemt nicht dem Geiſte unſerer Zeit, jede Verall— gemeinerung der Begriffe, jeden auf Induktion und Analogieen A. v. Humboldt, Kosmos. I. 4 gegründeten Verſuch, tiefer in die Verkettung der Naturerſchei— nungen einzudringen, als bodenloſe Hypotheſe zu verwerfen; und unter den edeln Anlagen, mit denen die Natur den Menſchen ausgeſtattet hat, bald die nach einem Kauſalzu— ſammenhang grübelnde Vernügft, bald die regſame, zu allem Entdecken und Schaffen notwendige und anregende Einbildungs— kraft zu verdammen. r Anmerkungen. 1 (S. 36.) Die Margarita philosophica des Priors der Kartauſe bei Freiburg, Gregorius Reiſch, erſchien zuerſt unter dem Titel Aepitome omnis Philosophiae, alias Marga- rita philosophica tractans de omni genere scibili. So die Heidelberger Ausgabe von 1486 und die Straßburger von 1504. In der Freiburger desſelben Jahres und in den zwölf folgenden Editionen, welche in der kurzen Epoche bis 1535 er- ſchienen, blieb der erſte Teil des Titels weg. Das Werk hat einen großen Einfluß auf die Verbreitung mathematiſcher und phyſika— liſcher Kenntniſſe im Anfang des 16. Jahrhunderts ausgeübt; und Chasles, der gelehrte Verfaſſer des Apergu historique des méthodes en Geometrie (1837), hat gezeigt, wie wichtig die Reiſchiſche Encyklopädie für die Geſchichte der Mathematik des Mittelalters iſt. Ich habe mich bemüht, durch eine Stelle, die ſich in einer einzigen Ausgabe der Margarita philosophica (der von 1513) findet, die wichtigen Verhältniſſe des Geographen von St. Dié, Hylacomilus (Martin Waldſeemüller), der den Neuen Weltteil zuerſt (1507) Amerika genannt hat, zu Amerigo Ves— pucci, zu dem König Renatus von Jeruſalem, Herzog von Loth— ringen, und zu den berühmten Ausgaben des Ptolemäus von 1513 und 1522 zu entwirren. 5 (S. 41.) Geographia generalis in qua affectio- nes generales telluris explicantur. Die älteſte Amſter— damer (Elzeviriſche) Ausgabe ift von 1650; die zweite (1672) und dritte (1681) wurden zu Cambridge von Newton bejorgt. Das überaus wichtige Werk des Varenius iſt im eigentlichen Sinne des Worts eine phyſiſche Erdbeſchreibung. Seit der vortrefflichen Naturbeſchreibung des neuen Kontinents, die der Jeſuit Joſeph de Acoſta (Historia natural de las Indias 1590) entwarf, waren die telluriſchen Phänomene nie in ſolcher Allgemeinheit auf— gefaßt worden. Acoſta iſt reicher an eigenen Beobachtungen; Va— renius umfaßt einen größeren Ideenkreis: da ihn ſein Aufenthalt in Holland, als dem Mittelpunkt eines großen Welthandels, in Berührung mit vielen wohlunterrichteten Reiſenden geſetzt hatte. „Generalis sive universalis Geographia dicitur, quae tellurem in genere considerat atque affectiones explicat, non habita particularium regionum ratione.“ Die allgemeine Erdbe— ſchreibung des Varenius (Pars absoluta cap. 1—22) iſt in ihrem ganzen Umfange eine vergleichende, wenngleich der Ver— faſſer das Wort Geographia comparativa (cap. 33—40) in einer viel eingeſchränkteren Bedeutung gebraucht. Merkwürdig ſind die Aufzählung der Gebirgsſyſteme und die Betrachtung der Verhält— niſſe ihrer Richtungen zu der Geſtalt der ganzen Kontinente; die Liſte der brennenden und ausgebrannten Vulkane; die Zuſammen— ſtellung der Reſultate über die Verteilung der Inſeln und Inſel— gruppen, über die Tiefe des Ozeans in Vergleich mit der Höhe naher Küſten, über den gleich hohen Stand der Oberfläche aller offenen Meere, über die Strömungen in ihrer Abhängigkeit von den herrſchenden Winden, die ungleiche Salzigkeit des Meeres und die Konfiguration der Küſten, die Windrichtungen als Folge der Temperaturverſchiedenheit u. ſ. f. Auch die Betrachtungen über die allgemeine Aequinoktialſtrömung von Oſten nach Weſten als Urſache des, ſchon am Kap San Auguſtin anfangenden und zwiſchen Cuba und Florida ausbrechenden Golfſtromes ſind vortrefflich. Die Richtungen der Strömung längs der weſtafrikaniſchen Küſte zwiſchen dem Grünen Vorgebirge und der Inſel Fernando Po im Golf von Guinea werden äußerſt genau beſchrieben. Die ſporadiſchen Inſeln hält Varenius für „gehobenen Meeresgrund“: magna spirituum inclusorum vi, sicut aliquando montes e terra protrusos esse quidam seribunt. Die 1681 von Newton veranſtaltete Ausgabe (auctior et emendatior) enthält leider keine Zuſätze des großen Mannes. Der ſphäroidalen Geſtalt und Abplattung der Erde ge— ſchieht nirgends Erwähnung, obgleich Richers Pendelverſuche um 9 Jahre älter als die Ausgabe von Cambridge ſind; aber Newtons Principia mathematica Philosophiae naturalis wur: den erſt im April 1686 der königlichen Societät zu London im Manuſkripte mitgeteilt. Es ſchwebt viel Ungewißheit über das Vaterland des Varenius. Nach Jöcher ward er in England, nach der Biographie Universelle in Amſterdam geboren; aus der Zueignung der allgemeinen Geographie an die Bürgermeiſter dieſer Stadt iſt aber zu erſehen, daß beide Angaben gleich falſch ſind. Varenius ſagt ausdrücklich, er habe ſich nach Amſterdam ge— flüchtet, „da ſeine Vaterſtadt im langen Kriege eingeäſchert und gänzlich zerſtört worden ſei“. Dieſe Worte ſcheinen das nördliche Deutſchland und die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges zu bezeichnen. Auch bemerkt Varenius in der Zueignung ſeiner De- scriptio Regni Japoniae (Amst. 1649) an den Senat von Hamburg: daß er ſeine erſten mathematiſchen Studien auf dem Hamburger Gymnaſium gemacht habe. Es iſt wohl keinem Zweifel unterworfen, daß dieſer ſcharfſinnige Geograph ein Deutſcher und zwar ein Lüneburger war. (S. 43.) Koöspos war in der älteſten und eigentlichen Be: deutung wohl nur Schmuck (Männer-, Frauen- oder Pferdeſchmuck); 5 bildlich Ordnung, für ebrufte, und Schmuck der Rede. Daß Pythagoras zuerſt das Wort für Weltordnung und Welt ge— braucht, wird von den Alten einſtimmig verſichert. Da er jelbit nicht geſchrieben, ſo ſind die älteſten Beweisſtellen die Bruchſtücke des Philolaus. Wir führen nicht mit Näke den Timäus von Locri an, weil ſeine Echtheit zu bezweifeln iſt. Plutarch ſagt auf das beſtimmteſte, daß Pythagoras zuerſt den Inbegriff des Univerſums Kosmos nannte wegen der darin herrſchenden Ordnung. (Ebenſo Galen.) Das Wort ging in der neuen Bedeutung aus der philo— ſophiſchen Schule in die Sprache der Naturdichter und Proſaiker über. Plato fährt fort die Weltkörper ſelbſt Uranos zu nennen; die Weltordnung iſt ihm aber auch Kosmos, und im Timäus heißt Weltall ein mit Seele begabtes Tier (zös.ov Cnov Euboyov). Vergl. über den von allem Stoff geſonderten weltordnenden Geiſt Anaxag. Claz. ed. Schaubach p. 111 und Blut. de plac. phil. II, 3. Bei Ariſtoteles iſt Kosmos „Welt und Weltordnung“; er wird aber auch betrachtet als räumlich zerfallend in die ſublunariſche Welt und die höhere, über dem Monde. Die von mir oben im Text eitierte Definition des Kosmos aus dem Pſeudo-Ariſtoteles cap. 2 (p. 391) lautet alſo: 8s S. Gονννν 28 obguvot zul f A TOV Ey cohrον Nενπνõ½ꝑ⁊eοε Ybgewy' Aeretar e mol Erepwg Nhe 1 TWy Okwy tasıc Te A Örmröspngts' öh Veuy re ννẽõ] e yokarronzvn. Die meiſten Stellen der griechiſchen Schriftſteller über Kosmos finde ich geſammelt 1) in der Streitſchrift von Richard Bentley gegen Charles Boyle (Opuscula philologica 1781 p. 347 und 445, Dissertation upon the Epistles of Pha- laris 1817 Pp. 254) über die hiſtoriſche Exiſtenz des Zaleucus, Geſetz— gebers von Loecri; 2) in Näkes vortrefflichen Sched. crit. 1812 P. 9—15 und 3) in Theoph. Schmidt ad Cleom. cycl. theor. met. I, I (p. IX, 1 und 99). Kosmos wurde in engerer Bedeutung auch in der Mehrzahl gebraucht: indem entweder jeder Stern (Welt— körper) ſo genannt wird, oder in dem unendlichen Weltraume viele einzelne Weltſyſteme (Weltinſeln) angenommen werden, deren jedes eine Sonne und einen Mond hat. Da jede Gruppe dann ein Kosmos wird, jo iſt das Weltall, dd day, ein höherer Begriff und von Kosmos verſchieden. Für Erde wird das letzte Wort erſt lange nach der Zeit der Ptolemäer gebraucht. Böckh hat Inſchriften zum Lobe des Trajan und Hadrian bekannt ge— macht, in denen zöopnos an die Stelle von olzovuevn tritt, ganz wie auch wir oft unter Welt die Erde allein verſtehen. Die ſonderbare, oben erwähnte Dreiteilung des Weltraumes in Olymp, Kosmos und Uranos bezieht ſich auf die verſchiedenen Re— gionen, welche den Herd des Weltalls, die pythagoreiſche Eotia cob chte, umgeben. Die innerſte Region zwiſchen Mond und Erde, das Gebiet des Veränderlichen, wird in dem Bruch— ſtücke Uranos genannt. Das mittlere Gebiet, das der unveränder— lich wohlgeordnet kreiſenden Planeten, heißt nach einer ſehr parti— lulären Weltanſicht ausſchließlich Kosmos. Die äußerſte Region, eine feurige, iſt der Olymp. „Wenn man,“ bemerkt der tiefe Forſcher der Sprachverwandtſchaften, Bopp, „zösp.os von der Sans: kritwurzel zudh, purificari, ableitet, wie ſchon Pott gethan; fo hat man in lautlicher Beziehung zu betrachten: daß das griechiſche * (in zezuos) aus dem palatalen s, das Bopp durch s und Pott durch § ausdrücken, hervorgegangen iſt: wie 58, decem, gotiſch taihun, aus dem indiſchen desan; 2) daß das indiſche dh regel: mäßig dem griechiſchen 2 entſpricht: woraus das Verhältnis von ves (für 29s) zur Sanskritwurzel zudh, wovon auch 4 hs, klar wird. Ein anderer indiſcher Ausdruck für Welt iſt dschagat, was eigentlich das Gehende bedeutet, als Partizipium von dscha- gämi, ich gehe (aus der Wurzel gä).“ In dem inneren Kreiſe des helleniſchen Sprachzuſammenhanges knüpft ſich nach dem Etym. M. p. 532, 12 shes zunächſt an »4Lw oder vielmehr zu!vop.z: (wo⸗ von ννννeεν oder z22uBn&vos) an. Hiermit verbindet Welcker auch den Namen Kaspos, wie bei dem Heſychius zuöpos eine kretiſche Waffenrüſtung bedeutet. — Die Römer haben, bei Einführung der philoſophiſchen Kunſtſprache der Griechen, ganz wie dieſe, das mit 4% pos (Frauenſchmuck) urſprünglich gleichbedeutende Wort mun- dus zur Welt und zum Weltall umgeſtempelt. Ennius ſcheint zuerſt dieſe Neuerung gewagt zu haben; er ſagt nach einem Frag— mente, das uns Macrobius in ſeinem Hader mit Virgil aufbewahrt hat: „Mundus coeli vastus constitit silentio“, wie Cicero: „quem nos lucentem mundum vocamus“. Die Sanskrit⸗ wurzel mand, von der Pott das lateiniſche mundus ableitet, ver⸗ einigt beide Bedeutungen von glänzen und ſchmücken. Löka iſt im Sanskrit Welt und Menſchen, wie das franzöſiſche monde, und ſtammt nach Bopp von lök, ſehen und leuchten, her; auf ähnliche Weiſe bedeutet das ſlaviſche swjet Licht und Welt. Das letztgenannte Wort, deſſen wir uns heute bedienen: althoch— deutſch wéralt, altſächſiſch worold, angelſächſiſch veruld; bezeichnet nach Jakob Grimm urſprünglich bloß „den Zeitbegriff, saeculum (Menſchenalter), nicht den räumlichen mundus“. Bei den Tuskern war der offene mun dus ein umgekehrtes Gewölbe, das ſeine Kuppel nach unten, gegen die Unterwelt hin, kehrte und dem oberen Himmelsgewölbe nachgebildet war. Die Welt im engeren telluriſchen Sinne erſcheint im Gotiſchen als der vom Meer (marei, meri) umgürtete Erdkreis, als merigard, ein Meergarten. (S. 43.) Wahrſcheinlich ſchöpfte Ennius nicht aus den Epicharmiſchen Stücken ſelbſt, ſondern aus Gedichten, die unter dem Namen des Epicharmus und im Sinne ſeines Syſtems ge— ſchrieben waren. Uaturgemälde. Allgemeine Ueberſicht der Erſcheinungen. Wenn der menſchliche Geiſt ſich erkühnt die Materie, d. h. die Welt phyſiſcher Erſcheinungen zu beherrſchen; wenn er bei denkender Betrachtung des Seienden die reiche Fülle des Natur: lebens, das Walten der freien und der gebundenen Kräfte zu durchdringen ſtrebt: ſo fühlt er ſich zu einer Höhe gehoben, von der herab, bei weit hinſchwindendem Horizonte, ihm das Einzelne gruppenweiſe verteilt, wie umfloſſen von leichtem Dufte erſcheint. Dieſer bildliche Ausdruck iſt gewählt, um den Standpunkt zu bezeichnen, aus dem wir hier verſuchen, das Univerſum zu betrachten und in ſeinen beiden Sphären, der himmliſchen und der irdiſchen, anſchaulich darzuſtellen. Das Gewagte eines ſolchen Unternehmens habe ich nicht ver— kannt. Unter allen Formen der Darſtellung, denen dieſe Blätter gewidmet ſind, iſt der Entwurf eines allgemeinen Naturgemäldes um ſo ſchwieriger, als wir der Entfaltung geſtaltenreicher Mannigfaltigkeit nicht unterliegen, und nur bei großen, in der Wirklichkeit oder in dem ſubjektiven Ideenkreiſe geſchiedenen Maſſen verweilen ſollen. Durch Trennung und Unterordnung der Erſcheinungen, durch ahnungsvolles Ein— dringen in das Spiel dunkel waltender Mächte, durch eine Lebendigkeit des Ausdrucks, in dem die ſinnliche Anſchauung ſich naturwahr ſpiegelt, können wir verſuchen das All (5 2 zu umfaſſen und zu beſchreiben, wie es die Würde des groß— artigen Wortes Kosmos: als Univerſum, als Weltord— nung, als Schmuck des Geordneten, erheiſcht. Möge dann die unermeßliche Verſchiedenartigkeit der Elemente, die in ein Naturbild ſich zuſammendrängen, dem harmoniſchen Eindruck von Ruhe und Einheit nicht ſchaden, welcher der letzte Zweck einer jeden litterariſchen oder rein künſtleriſchen Kompoſition iſt. a Wir beginnen mit den Tiefen des Weltraums und der Region der fernſten Nebelflecke: ſtufenweiſe herabſteigend durch die Sternſchicht, der unſer Sonnenſyſtem angehört, zu dem luft: und meerumfloſſenen Erdſphäroid, feiner Geſtaltung, Temperatur und magnetiſchen Spannung; zu der Lebensfülle, welche, vom Lichte angeregt, ſich an ſeiner Oberfläche entfaltet. So umfaßt ein Weltgemälde in wenigen Zügen die unge— meſſenen Himmelsräume, wie die mikroſkopiſchen kleinen Orga— nismen des Tier- und Pflanzenreichs, welche unſere ſtehenden Gewäſſer und die verwitternde Rinde der Felſen bewohnen. Alles Wahrnehmbare, das ein ſtrenges Studium der Natur nach jeglicher Richtung bis zur jetzigen Zeit erforſcht hat, bildet das Material, nach welchem die Darſtellung zu ent— werfen iſt; es enthält in ſich das Zeugnis ihrer Wahrheit und Treue. Ein beſchreibendes Naturgemälde, wie wir es in dieſen Prolegomenen aufſtellen, ſoll aber nicht bloß dem Ein— zelnen nachſpüren; es bedarf nicht zu ſeiner Vollſtändigkeit der Aufzählung aller Lebensgeſtalten, aller Naturdinge und Naturprozeſſe. Der Tendenz endloſer Zerſplitterung des Er— kannten und Geſammelten widerſtrebend, ſoll der ordnende Denker trachten der Gefahr der empiriſchen Fülle zu entgehn. Ein anſehnlicher Teil der qualitativen Kräfte der Materie oder, um naturphiloſophiſcher zu reden, ihrer qualitativen Kraftäußerungen iſt gewiß noch unentdeckt. Das Auffinden der Einheit in der Totalität bleibt daher ſchon deshalb un— vollſtändig. Neben der Freude an der errungenen Erkenntnis liegt, wie mit Wehmut gemiſcht, in dem aufſtrebenden, von der Gegenwart unbefriedigten Geiſte die Sehnſucht nach noch nicht aufgeſchloſſenen, unbekannten Regionen des Wiſſens. Eine ſolche Sehnſucht knüpft feſter das Band, welches, nach alten, das Innerſte der Gedankenwelt beherrſchenden dee alles Sinnliche an das Unſinnliche kettet; ſie belebt den Ver— kehr zwiſchen dem, „was das Gemüt von der Welt erfaßt, und dem, was es aus ſeinen Tiefen zurückgibt“. Iſt demnach die Natur (Inbegriff der Naturdinge und Naturerſcheinungen), ihrem Umfang und Inhalte nach, ein Unendliches; ſo iſt ſie auch für die intellektuellen Anlagen der Menſchheit ein nicht zu faſſendes, und in allgemeiner ur- ſachlicher Erkenntnis von dem Zuſammenwirken aller Kräfte ein unauflösbares Problem. Ein ſolches Bekenntnis geziemt da, wo das Sein und Werden nur der unmittelbaren Forſchung unterworfen bleibt, wo man den empiriſchen Weg und eine ſtrenge induktoriſche Methode nicht zu verlaſſen wagt. Wenn aber auch das ewige Streben, die Totalität zu um— faſſen, unbefriedigt bleibt, ſo lehrt uns dagegen die Geſchichte der Weltanſchauung, welche einem anderen Teile dieſer Prolegomenen vorbehalten bleibt, wie im Lauf der Jahrhun— derte die Menſchheit zu einer partiellen Einſicht in die relative Abhängigkeit der Erſcheinungen allmählich gelangt iſt. Meine Pflicht iſt es, das gleichzeitig Erkannte nach dem Maß und in den Schranken der Gegenwart überſichtlich zu ſchildern. Bei allem Beweglichen und Veränderlichen im Raume ſind mittlere Zahlenwerte der letzte Zweck, ja der Ausdruck phyſiſcher Geſetze; ſie zeigen uns das Stetige in dem Wechſel und in der Flucht der Erſcheinungen; ſo iſt z. B. der Fort⸗ ſchritt der neueren meſſenden und wägenden Phyſik vorzugs— weiſe nach Erlangung und Berichtigung der mittleren Werte gewiſſer Größen bezeichnet: ſo treten wiederum, wie einſt in der italiſchen Schule, doch in erweitertem Sinne, die einzigen in unſerer Schrift übrig gebliebenen und weit verbreiteten hieroglyphiſchen Zeichen, die Zahlen, als Mächte des Kos— mos auf. Den ernſten Forſcher erfreut die Einfachheit numeriſcher Verhältniſſe, durch welche die Dimenſionen der Himmelsräume, die Größe der Weltkörper und ihre periodiſchen Störungen, die dreifachen Elemente des Erdmagnetismus, der mittlere Druck des Luftmeeres, und die Menge der Wärme bezeichnet werden, welche die Sonne in jedem Jahre und in jedem Teile des Jahres über die einzelnen Punkte der feſten oder flüſſigen Oberfläche unſeres Planeten ergießt. Unbefriedigter bleibt der Naturdichter, unbefriedigt der Sinn der neugierigen Menge. Beiden erſcheint heute die Wiſſenſchaft wie verödet, da ſie viele der Fragen mit Zweifel oder gar als unauflöslich zurück— weiſt, die man ehemals beantworten zu können wähnte. In ihrer ſtrengeren Form, in ihrem engeren Gewande iſt ſie der verführeriſchen Anmut beraubt, durch welche früher eine dog— matiſche und ſymboliſierende Phyſik die Vernunft zu täuſchen, die Einbildungskraft zu beſchäftigen wußte. Lange vor der Entdeckung der Neuen Welt glaubte man, von den kanariſchen Inſeln oder den Azoren aus, Länder im Weſten zu ſehen. Es waren Trugbilder: nicht durch eine ungewöhnliche Brechung der Lichtſtrahlen, nur durch Sehnſucht nach der Ferne, nach dem Jenſeitigen erzeugt. Solchen Reiz täuſchender Luftge— bilde bot die Naturphiloſophie der Griechen, die Phyſik des Mittelalters, und ſelbſt die der ſpäteren Jahrhunderte, in reichem Maße dar. An der Grenze des beſchränkten Wiſſens, wie von einem hohen Inſelufer aus, ſchweift gern der Blick in ferne Regionen. Der Glaube an das Ungewöhnliche und Wundervolle gibt beſtimmte Umriſſe jedem Erzeugnis idealer Schöpfung; und das Gebiet der Phantaſie, ein Wunderland kosmologiſcher, geognoſtiſcher und magnetiſcher Träume, wird unaufhaltſam mit dem Gebiete der Wirklichkeit verſchmolzen. Natur, in der vielfachen Deutung des Wortes, bald als Totalität des Seienden und Werdenden, bald als innere, be— wegende Kraft, bald als das geheimnisvolle Urbild aller Er— ſcheinungen aufgefaßt; offenbart ſich dem einfachen Sinn und Gefühle des Menſchen vorzugsweiſe als etwas Irdiſches, ihm näher Verwandtes. Erſt in den Lebenskreiſen der organiſchen Bildung erkennen wir recht eigentlich unſere Heimat. Wo der Erde Schoß ihre Blüten und Früchte entfaltet, wo er die zahlloſen Geſchlechter der Tiere nährt, da tritt das Bild der Natur lebendiger vor unſere Seele. Es iſt zunächſt auf das Telluriſche beſchränkt; der glanzvolle Sternenteppich, die weiten Himmelsräume gehören einem Weltgemälde an, in welchem die Größe der Maſſen, die Zahl zuſammenge— drängter Sonnen oder aufdämmernder Lichtnebel unſere Be— wunderung und unſer Staunen erregen; dem wir uns aber, bei ſcheinbarer Verödung, bei völligem Mangel an dem uns mittelbaren Eindruck eines organiſchen Lebens, wie entfremdet fühlen. So ſind denn auch nach den früheſten phyſikaliſchen Anſichten der Menſchheit Himmel und Erde, räumlich ein Oben und Unten, voneinander getrennt geblieben. Sollte demnach ein Naturbild bloß den Bedürfniſſen ſinnlicher Ans ſchauung entſprechen, ſo müßte es mit der Beſchreibung des heimiſchen Bodens beginnen. Es ſchilderte zuerſt den Erd— körper in ſeiner Größe und Form, in ſeiner, mit der Tiefe zunehmenden Dichtigkeit und Wärme, in ſeinen übereinander gelagerten, ſtarren und flüſſigen Schichten; es ſchilderte die Scheidung von Meer und Land, das Leben, das in beiden als zelliges Gewebe der Pflanzen und Tiere ſich entwickelt; den wogenden, ſtromreichen Luftozean, von deſſen Boden wald: gekrönte Bergketten wie Klippen und Untiefen aufſteigen. Nach dieſer Schilderung der rein telluriſchen Verhältniſſe er— höbe ſich der Blick zu den Himmelsräumen; die Erde, der uns wohlbekannte Sitz organiſcher Geſtaltungsprozeſſe, würde nun als Planet betrachtet. Er träte in die Reihe der Weltkörper, die um einen der zahlloſen, ſelbſtleuchtenden Sterne reifen. Dieſe Folge der Ideen bezeichnet den Weg der erſten ſinn— lichen Anſchauungsweiſe: ſie mahnt faſt noch an die alte „meerumfloſſene Erdſcheibe“, welche den Himmel trug; ſie eht von dem Standort der Wahrnehmung, von dem Be— annten und Nahen zum Unbekannten und Fernen über. Sie entſpricht der in mathematischer Hinſicht zu empfehlenden Me— thode unſerer aſtronomiſchen Lehrbücher, welche von den 1 88 Bewegungen der Himmelskörper zu den wirklichen übergeht. In einem Werke aber, welches das bereits Erkannte, ſelbſt das, was in dem dermaligen Zuſtande unſeres Wiſſens für gewiß oder nach verſchiedenen Abſtufungen für wahrſchein— lich gehalten wird, aufzählen; nicht die Beweiſe liefern ſoll, welche die erzielten Reſultate begründen: iſt ein anderer Ideen— gang vorzuziehen. Hier wird nicht mehr von dem ſubjektiven Standpunkte, von dem menſchlichen Intereſſe ausgegangen. Das Irdiſche darf nur als ein Teil des Ganzen, als dieſem untergeordnet erſcheinen. Die Naturanſicht ſoll allgemein, ſie ſoll groß und frei; nicht durch Motive der Nähe, des gemüt— licheren Anteils, der relativen Nützlichkeit beengt ſein. Eine phyſiſche Weltbeſchreibung, ein Weltgemälde beginnt daher nicht mit dem Telluriſchen: fie beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Aber indem ſich die Sphären der Anſchauung räumlich verengen, vermehrt ſich der individuelle Reichtum des Unterſcheidbaren, die Fülle phyſiſcher Erſchei— nungen, die Kenntnis der qualitativen Heterogeneität der Stoffe. Aus den Regionen, in denen wir nur die Herrſchaft der Gravitationsgeſetze erkennen, ſteigen wir dann zu unſerem Planeten, zu dem verwickelten Spiel der Kräfte im Erdleben herab. Die hier geſchilderte naturbeſchreibende Methode iſt der, welche Reſultate begründet, entgegengeſetzt. Die eine zählt auf, was auf dem anderen Wege erwieſen worden iſt. Durch Organe nimmt der Menſch die Außenwelt in ſich auf. Lichterſcheinungen verkünden uns das Daſein der Materie in den fernſten Himmelsräumen. Das Auge iſt das Organ der Weltanſchauung. Die Erfindung des teleſkopiſchen Sehens hat ſeit drittehalb Jahrhunderten den ſpäteren Generationen eine Macht verliehen, deren Grenze noch nicht erreicht iſt. Die erſte und allgemeinſte Betrachtung im Kosmos iſt die des Inhalts der Welträume, die Betrachtung der Vertei— lung der Materie: des Geſchaffenen, wie man gewöhnlich a Ze das Seiende und Werdende zu nennen pflegt. Wir jehen die Materie teils zu rotierenden und kreiſenden Weltkörpern von ſehr verſchiedener Dichtigkeit und Größe geballt, teils ſelbſt— leuchtend dunſtförmig als Lichtnebel zerſtreut. Betrachten wir zuerſt die Nebelflecke, den in beſtimmte Formen geſchiedenen Weltdunſt, ſo ſcheint derſelbe in ſteter Veränderung ſeines Aggregatzuſtandes begriffen. Er tritt auf, ſcheinbar in kleinen Dimenſionen: als runde oder elliptiſche Scheibe, einfach oder gepaart, bisweilen durch einen Lichtfaden verbunden; bei größe⸗ rem Durchmeſſer iſt er vielgeſtaltet, langgeſtreckt, oder in meh— rere Zweige auslaufend, als Fächer oder ſcharf begrenzter Ring mit dunklem Inneren. Man glaubt dieſe Nebelflecke mannigfaltigen, fortſchreitenden Geſtaltungsprozeſſen unter⸗ worfen, je nachdem ſich in ihnen der Weltdunſt um einen oder um mehrere Kerne nach Attraktionsgeſetzen verdichtet. Faſt drittehalbtauſend ſolcher unauflöslichen Nebelflecke, in denen die mächtigſten Fernröhre keine Sterne unterſcheiden,! find bereits aufgezählt und in ihrer örtlichen Lage beſtimmt worden. Die genetiſche Entwickelung, die perpetuierliche Fortbil— dung, in welcher dieſer Teil der Himmelsräume begriffen ſcheint, hat denkende Beobachter auf die Analogie organiſcher Erſcheinungen geleitet. Wie wir in unſeren Wäldern dieſelbe Baumart gleichzeitig in allen Stufen des Wachstums ſehen, und aus dieſem Anblick, aus dieſer Koexiſtenz den Eindruck fortſchreitender Lebensentwickelung ſchöpfen, ſo erkennen wir auch in dem großen Weltgarten die verſchiedenſten Stadien allmählicher Sternbildung. Der Prozeß der Verdichtung, den Anaximenes und die ganze ioniſche Schule lehrte, ſcheint hier gleichſam unter unſeren Augen vorzugehen. Dieſer Gegenſtand des Forſchens und Ahnens iſt vorzugsweiſe 1 für die Einbildungskraft. Was in den Kreiſen des Lebens und aller inneren treibenden Kräfte des Weltalls ſo unausſprechlich feſſelt, iſt minder noch die Erkenntnis des Seins als die des Werdens: ſei dies Werden auch nur (denn vom eigentlichen Schaffen als einer Thathandlung, vom Entſtehen, als „Anz fang des Seins nach dem Nichtſein“, haben wir weder Be— griff noch Erfahrung) ein neuer Zuſtand des ſchon materiell Vorhandenen. Nicht bloß durch Vergleichung der verſchiedenen Entwicke— lungsmomente, in denen ſich die gegen ihr Inneres mehr oder minder verdichteten Nebelflecke zeigen: auch durch unmittelbare aufeinander folgende Beobachtungen hat man geglaubt, zuerſt P ᷑ P K -W ae 9 in der Andromeda, ſpäter im Schiffe Argo und in dem iſo— lierten faſerigen Teile des Orionnebels wirkliche Geſtaltver— änderungen zu bemerken. Ungleichheit der Lichtſtärke in den angewandten Inſtrumenten, verſchiedene Zuſtände unſeres Luft— kreiſes, und andere optiſche Verhältniſſe machen freilich einen Teil der Reſultate als wahrhaft hiſtoriſche Ergebniſſe zweifelhaft. ? Mit den eigentlichen vielgeſtalteten Nebelflecken, deren einzelne Teile einen ungleichen Glanz haben und die mit ab— nehmendem Umfang ſich vielleicht zuletzt in Sterne konzen— trieren; mit ſogenannten planetariſchen Nebeln, deren runde, etwas eiförmige Scheiben in allen Teilen eine völlig gleiche milde Intenſität des Lichtes zeigen: ſind nicht die Nebelſterne zu verwechſeln. Hier projizieren ſich nicht etwa zufällig Sterne auf fernem nebligem Grunde; nein, die dunſt— förmige Materie, der Lichtnebel bildet eine Maſſe mit dem von ihm umgebenen Geſtirn. Bei der oft ſehr beträchtlichen Größe ihres ſcheinbaren Durchmeſſers und der Ferne, in der ſie aufglimmen, müſſen beide, die planetariſchen Nebelflecke ſowohl als die Nebelſterne ungeheure Dimenſionen haben.“ Neue und ſcharfſinnige Betrachtungen über den ſehr verſchie— denen Einfluß der Entfernung auf die Intenſität des Lichtes einer Scheibe von meßbarem Durchmeſſer oder eines einzelnen ſelbſtleuchtenden Punktes machen es nicht unwahrſcheinlich, daß die planetariſchen Nebelflecke ſehr ferne Nebelſterne ſind, in denen der Unterſchied zwiſchen dem Centralſterne und der ihn umgebenden Dunſthülle ſelbſt für unſer teleſkopiſches Sehen verſchwunden iſt. Die prachtvollen Zonen des ſüdlichen Himmels zwiſchen den Parallelkreiſen von 50° und 80“ find beſonders reich an Nebelſternen und zuſammengedrängten, nicht aufzulöſenden Nebelflecken. Von den zwei Magelhaensiſchen Wolken, die um den ſternenleeren, verödeten Südpol kreiſen, erſcheint beſonders die größere, nach den neueſten Unterſuchungen?, „als ein wunderſames Gemenge von Sternſchwärmen, von teils kugelförmigen Haufen von Nebelſternen verſchiedener Größe, und von unauflöslichen Nebelflecken, die, eine allgemeine Hellig— keit des Geſichtsfeldes hervorbringend, wie den Hintergrund des Bildes darſtellen.“ Der Anblick dieſer Wolken, des licht— ſtrahlenden Schiffes Argo, der Milchſtraße zwiſchen dem Skor— pion, dem Kentaur und dem Kreuze, ja die landſchaftliche Anmut des ganzen ſüdlichen Himmels haben mir einen un— vergeßlichen Eindruck zurückgelaſſen. Das Zodiakallicht, das 8 6 pyramidenförmig aufſteigt (ebenfalls in ſeinem milden Glanze der ewige Schmuck der Tropennächte), iſt entweder ein großer zwiſchen der Erde und Mars rotierender Nebelring oder, doch mit minderer Wahrſcheinlichkeit, die äußerſte Schicht der Son— nenatmoſphäre ſelbſt.“ Außer dieſen Lichtwolken und Nebeln von beſtimmter Form verkündigen noch genaue und immer miteinander übereinſtimmende Beobachtungen die Exiſtenz und die allgemeine Verbreitung einer wahrſcheinlich nicht ſelbſt leuchtenden, unendlich fein zerteilten Materie, welche, Wider— ſtand leiſtend, in dem Enckeſchen und vielleicht auch in dem Bielaſchen Kometen durch Verminderung der Exzentrizität und Verkürzung der Umlaufszeit ſich offenbart. Dieſe hem- mende ätheriſche und kosmiſche Materie kann als bewegt, trotz ihrer urſprünglichen Tenuität als gravitierend, in der Nähe des großen Sonnenkörpers verdichtet, ja ſeit Myriaden von Jahren, durch ausſtrömenden Dunſt der Kometenſchweife, als vermehrt gedacht werden. Gehen wir nun von der dunſtartigen Materie des un— ermeßlichen Himmelsraumes (oöpavod yöpros '), wie ſie bald formlos zerſtreut und unbegrenzt, ein kosmiſcher Weltäther, bald in Nebelflecke verdichtet iſt, zu dem geballten, ſtarren Teile des Univerſums über; ſo nähern wir uns einer Klaſſe von Erſcheinungen, die ausſchließlich mit dem Namen der Ge— ſtirne oder der Sternenwelt bezeichnet wird. Auch hier ſind die Grade der Starrheit oder Dichtigkeit der geballten Materie verſchieden. Unſer eigenes Sonnenſyſtem bietet alle Stufen mittlerer Dichtigkeit (des Verhältniſſes des Volums zur Maſſe) dar. Wenn man die Planeten von Merkur bis Mars mit der Sonne und mit Jupiter, und dann dieſe letz— teren zwei Geſtirne mit dem noch undichteren Saturn ver: gleicht; ſo gelangt man, in abſteigender Stufenleiter, um an irdiſche Stoffe zu erinnern, von der Dichtigkeit des Antimon⸗ metalles zu der des Honigs, des Waſſers und des Tannen— holzes. In den Kometen, die den zahlreichſten Teil der in— dividualiſierten Naturformen unſeres Sonnenſyſtems ausmachen, läßt ſelbſt noch der konzentriertere Teil, welchen wir den Kopf oder Kern zu nennen pflegen, das Sternen— licht ungebrochen durch. Die Maſſe der Kometen erreicht vielleicht nie den fünftauſendſten Teil der Erdmaſſe. So verſchiedenartig zeigen ſich die Geſtaltungsprozeſſe in dem ur— ſprünglichen und vielleicht fortſchreitenden Ballen der Materie. Von dem Allgemeinſten ausgehend, war es vorzugsweiſe nötig, r hier dieſe Verſchiedenartigkeit zu bezeichnen: nicht als ein Mög: iches, ſondern als ein Wirkliches, im Weltraume Gegebenes. Was Wright, Kant und Lambert, nach Vernunftſchlüſſen von der allgemeinen Anordnung des Weltgebäudes, von der räumlichen Verteilung der Materie geahnet, iſt durch Sir William Herſchel auf dem ſichereren Wege der Beobachtung und der Meſſung ergründet worden. Der große, begeiſterte und doch ſo vorſichtig forſchende Mann hat zuerſt das Senk— blei in die Tiefen des Himmels geworfen, um die Grenzen und die Form der abgeſonderten Sternſchicht zu beſtimmen, die wir bewohnen; er hat zuerſt gewagt, die Verhältniſſe der Lage und des Abſtandes ferner Nebelflecke zu unſerer Stern— ſchicht aufzuklären. Wilhelm Herſchel hat (ſo ſagt die ſchöne Grabſchrift zu Upton) die Schranken des Himmels durchbrochen (caelorum perrupit claustra); wie Kolumbus, iſt er vorge— drungen in ein unbekanntes Weltenmeer, Küſten und Inſel— gruppen erblickend, deren letzte wahre Ortsbeſtimmung kom— menden Jahrhunderten vorbehalten bleibt. Betrachtungen über die verſchiedene Lichtſtärke der Sterne und über ihre relative Zahl, d. i. über die numeriſche Selten— heit oder Anhäufung in gleich großen Feldern der Fernröhre, En auf die Annahme ungleicher Entfernung und räumlicher erteilung in den durch ſie gebildeten Schichten geleitet. Solche Annahmen, inſofern ſie zu einer Begrenzung der einzelnen Teile des Weltbaus führen ſollen, können allerdings nicht den— ſelben Grad mathematiſcher Gewißheit darbieten, der in allem erreicht wird, was unſer Sonnenſyſtem, was das Kreiſen der Doppelſterne mit ungleicher Geſchwindigkeit um einen gemein— ſamen Schwerpunkt, was die ſcheinbare oder wirkliche Be— wegung aller Geſtirne betrifft. Man würde geneigt ſein, die phyſiſche Weltbeſchreibung, wenn ſie von den fernſten Nebel— flecken anhebt, mit dem mythiſchen Teile der Weltgeſchichte zu vergleichen. Beide Disziplinen beginnen im Dämmerlichte der Vorzeit, wie des unerreichbaren Raumes; und wo die Wirk— lichkeit zu entſchwinden droht, iſt die Phantaſie zwiefach an— geregt, aus eigener Fülle zu ſchöpfen und den unbeſtimmten, wechſelnden Geſtalten Umriß und Dauer zu geben. Vergleicht man den Weltraum mit einem der inſelreichen Meere unſeres Planeten, ſo kann man ſich die Materie grup— penweiſe verteilt denken: bald in unauflösliche Nebelflecke von verſchiedenem Alter, um einen oder um mehrere Kerne verdichtet; bald ſchon in Sternhaufen oder iſolierte Sporaden — geballt. Unſer Sternhaufen: die Weltinſel, zu der wir gehören, bildet eine linſenförmig abgeplattete, überall abge— ſonderte Schicht, deren große Achſe zu ſieben- bis achthundert, die kleine zu hundertundfünfzig Siriusweiten geſchätzt wird. In der Vorausſetzung, daß die Parallaxe des Sirius? nicht größer iſt als die genau beſtimmte des glänzendſten Sternes im Kentaur (0/9128), durchläuft das Licht eine Siriusweite in drei Jahren: während aus Beſſels vortrefflicher früheren Arbeits über die Parallaxe des merkwürdigen 61. Sternes im Schwan (0,3483), deſſen beträchtliche eigene Bewegung auf eine große Nähe hätte ſchließen laſſen, folgt, daß von dieſem Sterne das Licht zu uns erſt in 9¼ Jahren gelangt. Unſere Sternſchicht, eine Scheibe von geringer Dicke, iſt zu einem Drittel in zwei Arme geteilt; man glaubt, wir ſtehen dieſer Teilung nahe, ja der Gegend des Sirius näher als dem Sternbild des Adlers: faſt in der Mitte der körperlichen Aus— dehnung der Schicht, ihrer Dicke oder kleinen Achſe nach. Dieſer Ort unſeres Sonnenſyſtems und die Geſtaltung der ganzen Linſe ſind aus Sterneichungen, d. h. aus jenen Sternzählungen geſchloſſen, deren ich oben bereits er⸗ wähnte und die ſich auf gleich große Abteilungen des teleſkopi⸗ ſchen Geſichtsfeldes beziehen. Die zu- und abnehmende Stern— menge mißt die Tiefe der Schicht nach verſchiedenen Richtungen hin. So geben die Eichungen die Länge der Viſionsradien: gleichſam die jedesmalige Länge des ausgeworfenen Senkbleies, wenn dasſelbe den Boden der Sternſchicht oder richtiger ge— ſprochen, da hier kein Oben und Unten iſt, die äußere de: grenzung erreichen ſoll. Das Auge ſieht in der Richtung der Längenachſe, da wo die meiſten Sterne hintereinander liegen, die letzteren dicht zuſammengedrängt, wie durch einen milch— farbenen Schimmer (Lichtdunſt) vereinigt; und an dem ſchein— baren Himmelsgewölbe, in einem dasſelbe ganz umziehenden Gürtel, perſpektiviſch dargeſtellt. Der ſchmale und in Zweige geteilte Gürtel, von prachtvollem, doch ungleichem und durch dunklere Stellen unterbrochenem Lichtglanze, weicht an der hohlen Sphäre nur um wenige Grade von einem größten Kreiſe ab, weil wir uns nahe bei der Mitte des ganzen Sternhaufens und faſt in der Ebene ſelbſt der Milchſtraße befinden. Stünde unſer Planetenſyſtem fern außerhalb des Sternhaufens, ſo würde die Milchſtraße dem bewaffneten Auge als ein Ring und, in noch größerer Ferne, als ein auf— löslicher, ſcheibenförmiger Nebelfleck erſcheinen. Unter den vielen ſelbſtleuchtenden, ihren Ort verändern: den Sonnen (irrtümlich ſogenannten Fixſternen), welche unſere Weltinſel bilden, iſt unſere Sonne die einzige, die wir als Centralkörper durch wirkliche Beobachtung in dem Ver— hältnis zu der von ihr unmittelbar abhängigen, um ſie kreiſen— den geballten Materie (in mannigfacher Form von Planeten, Kometen und aerolithenartigen Aſteroiden) kennen. In den vielfachen Sternen (Doppelſonnen oder Doppelſternen), ſo— weit ſie bisher ergründet ſind, herrſcht nicht dieſelbe plane— tariſche Abhängigkeit der relativen Bewegung und Erleuchtung, welche unſer Sonnenſyſtem charakteriſiert. Zwei oder mehrere ſelbſtleuchtende Geſtirne, deren Planeten und Monde (falls ſie vorhanden ſind) unſerer jetzigen teloſkopiſchen Sehkraft ent- gehen, kreiſen allerdings auch hier um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt; aber dieſer Schwerpunkt fällt in einen vielleicht mit ungeballter Materie (Weltdunſt) ausgefüllten Raum, während derſelbe bei unſerer Sonne oft in der innerſten Be— grenzung eines ſichtbaren Centralkörpers enthalten iſt. Wenn man Sonne und Erde oder Erde und Mond als Doppelſterne, unſer ganzes planetariſches Sonnenſyſtem als eine vielfache Sterngruppe betrachtet, ſo erſtreckt ſich die Analogie, welche eine ſolche Benennung hervorruft, nur auf die, Attraktionsſyſtemen verſchiedener Ord— nung zukommenden, von den Lichtprozeſſen und der Art der Erleuchtung ganz unabhängigen Bewegungen. Bei dieſer Verallgemeinerung kosmiſcher Anſichten, welche dem Entwurf eines Natur- oder Weltgemäldes zukommt, kann das Sonnenſyſtem, zu dem die Erde gehört, in zweifacher Beziehung betrachtet werden: zunächſt in Beziehung auf die verſchiedenen Klaſſen individualiſierter geballter Materie, auf die Größe, die Geſtaltung, die Dichtigkeit und den Abſtand der Weltkörper desſelben Syſtems; dann in Beziehung auf andere Teile unſeres Sternhaufens, auf die Ortsverände— rung der Sonne innerhalb desſelben. Das Sonnenſyſtem, d. h. die um die Sonne kreiſende, ſehr verſchiedentlich geformte Materie, beſteht nach unſerer jetzigen Kenntnis? aus elf Hauptplaneten, achtzehn Mon: den oder Nebenplaneten, und Myriaden von Kometen, deren drei (planetariſche) das enge Gebiet der Hauptpla— neten nicht verlaſſen. Mit nicht geringer Wahrſcheinlichkeit dürfen wir auch dem Gebiete unſerer Sonne, der unmittel— baren Sphäre ihrer Centralkraft, zuzählen: erſtens einen A. v. Humboldt, Kosmos. I. 5 WR rotierenden Ring dunſtartiger Materie, vielleicht zwiſchen der Venus- und Marsbahn gelegen, gewiß die Erdbahn!“ über⸗ ſchreitend und uns in Pyramidalform als Zodiakallicht ſichtbar; zweitens eine Schar von ſehr kleinen Aſteroiden, deren Bahnen unſere Erdbahn ſchneiden oder ihr ſehr nahe kommen, und die Erſcheinungen von Aerolithen und fallenden Sternſchnuppen darbieten. Umfaßt man die Komplikation von Geſtaltungen, die in ſo verſchiedenen, mehr oder weniger exzentriſchen Bahnen um die Sonne kreiſen; iſt man nicht ge⸗ neigt, mit dem unſterblichen Verfaſſer der Mécanique celeste die größere Zahl der Kometen für Nebelſterne zu halten, die von einem Centralſyſteme zum anderen ſchweifen; ſo muß man bekennen, daß das vorzugsweiſe ſo genannte Planeten⸗ ſyſtem, d. h. die Gruppe der Weltkörper, welche in wenig exzentriſchen Bahnen ſamt ihrem Mondgefolge um die Sonne kreiſen, nicht der Maſſe, aber der Zahl der Individuen nach, einen kleinen Teil des ganzen Syſtems ausmacht. Die teleſkopiſchen Planeten: Veſta, Juno, Ceres und Pallas, mit ihren unter ſich verſchlungenen, ſtark geneigten und mehr exzentriſchen Bahnen, hat man verſucht als eine ſcheidende Zone räumlicher Abteilungen in unſerem Planeten⸗ ſyſteme, gleichſam als eine mittlere Gruppe zu betrachten. Nach dieſer Anſicht bietet die innere Planetengruppe (Merkur, Venus, Erde und Mars) in Vergleich mit der äußeren (Jupiter, Saturn und Uranus) mehrere auffallende Kontraſte dar. Die inneren, ſonnennäheren Planeten ſind von mäßiger Größe, dichter, ziemlich gleich und langſam rotierend (in fait 24ſtündiger Umdrehungszeit), minder abgeplattet, und bis auf einen gänzlich mondlos. Die äußeren, ſonnenfernen Planeten ſind mächtig größer, fünfmal undichter, mehr als zweimal „ in der Umdrehungszeit um ihre Achſe, ſtärker abge⸗ plattet, und mondreicher im Verhältnis von 17 zu 1, wenn dem Uranus wirklich ſechs Satelliten zukommen. Dieſe allgemeinen Betrachtungen über gewiſſe charakte⸗ riſtiſche Eigenſchaften ganzer Gruppen laſſen ſich aber nicht mit gleichem Rechte auf die einzelnen Planeten jeglicher Gruppe anwenden; nicht auf die Verhältniſſe des Abſtandes von dem Centralkörper zu der abſoluten Größe, zu der Dich— tigkeit, zu der Umdrehungszeit, zu der Exzentrizität, zu der Neigung der Bahnen und Achſen kreiſender Weltkörper. Wir kennen bisher keine innere Notwendigkeit, kein mechaniſches Naturgeſetz, welches (wie das ſchöne Geſetz, das die Quadrate — 0 der Umlaufszeiten an die Würfel der großen Achſe bindet) die eben genannten ſechs Elemente der Planetenkörper und der Form ihrer Bahnen voneinander oder von den mittleren Ent— fernungen abhängig machte. Der ſonnenfernere Mars iſt kleiner als die Erde und Venus, ja unter allen längſtbekannten größeren Planeten dem en Merkur in dem Durch— meſſer am nächſten; Saturn iſt kleiner als Jupiter und doch viel größer als Uranus. Die Zone der, im Volum ſo unbe— deutenden, teleſkopiſchen Planeten liegt in einer Abſtandsreihe, die von der Sonne anhebt, unmittelbar vor Jupiter, dem mächtigſten aller planetariſchen Weltkörper; und doch haben mehrere dieſer kleinen Aſteroiden, deren Scheiben wenig meßbar ſind, kaum die Hälfte mehr Oberfläche als Frankreich, Mada— gaskar oder Borneo. So auffallend auch die äußerſt geringe Dichtigkeit aller der koloſſalen Planeten iſt, welche der Sonne am fernſten liegen, ſo läßt ſich auch hier keine regelmäßige Folge erkennen.“! Uranus ſcheint wieder dichter als Saturn zu fein, 1? ſelbſt wenn man Lamonts kleinere Maſſe ½ 4608 annimmt; und trotz der unbeträchtlichen Dichtigkeitsverſchieden⸗ heit der innerſten Planetengruppe finden wir doch, zu beiden Seiten der Erde, Venus und Mars undichter als ſie ſelbſt. Die Rotationszeit nimmt im ganzen freilich in der Sonnen— ferne ab; doch iſt ſie im Mars größer als bei der Erde, im Saturn größer als im Jupiter. Die ſtärkſte Exzentrizität unter allen Planeten haben die elliptiſchen Bahnen der Juno, der Pallas und des Merkur; die kleinſte Venus und die Erde, zwei unmittelbar aufeinander folgende Planeten. Merkur und Venus bieten demnach dieſelben Kontraſte dar, als man in den vier, in ihren Bahnen eng verſchlungenen Aſteroiden bemerkt. Die unter ſich ſehr gleichen Exzentrizitäten der Juno und Pallas ſind jede 2 1 ſtärker als die der Ceres und Veſta. Ebenſo iſt es mit der Neigung der Planetenbahnen gegen die Projektionsebene der Ekliptik und mit der Stellung der Umdrehungsachſen auf ihren Bahnen: einer Stellung, von welcher mehr noch als von der Exzentrizität die Verhältniſſe des Klimas, der Jahreszeiten und Tageslängen abhangen. Die Planeten, welche die gedehnteſte elliptiſche Bahn zeigen: Juno, Pallas und Merkur, haben auch, aber nicht in dem— ſelben Verhältnis, die ſtärkſten Neigungen der Bahnen gegen die Ekliptik. Die der Pallas iſt kometenartig, fait 26mal En als die Neigung des Jupiter, während daß die kleine eſta, welche der Pallas ſo nahe iſt, den Neigungswinkel der ey a Jupitersbahn kaum ſechsmal übertrifft. Die Achſenſtellungen der wenigen (4 bis 5) Planeten, deren Rotationsebene wir mit einiger Gewißheit kennen, bieten ebenfalls keine regel— mäßige Reihenfolge dar. Nach der Lage der Uranustrabanten zu urteilen, deren zwei (der zweite und vierte) in den neueſten Zeiten mit Sicherheit wieder geſehen worden ſind, iſt die Achſe des äußerſten aller Planeten“ vielleicht kaum 11° gegen feine Bahn geneigt; und Saturn befindet ſich mitten zwiſchen Ju⸗ piter, deſſen Rotationsachſe faſt ſenkrecht ſteht, und dem Ura⸗ nus, in welchem die Achſe faſt mit der Bahn zuſammenfällt. Die Welt der Geſtaltungen wird in dieſer Aufzählung räumlicher Verhältniſſe geſchildert als etwas Thatſächliches, als ein Dafeiendes in der Natur: nicht als Gegenſtand in= tellektueller Anſchauung, innerer, urſachlich ergründeter Ver⸗ kettung. Das Planetenſyſtem in ſeinen Verhältniſſen von abſoluter Größe und relativer Achſenſtellung, von Dichtigkeit, Rotationszeit und verſchiedenen Graden der Exzentrizität der Bahnen hat für uns nicht mehr Naturnotwendiges als das Maß der Verteilung von Waſſer und Land auf unſerem Erd⸗ körper, als der Umriß der Kontinente oder die Höhe der Bergketten. Kein allgemeines Geſetz iſt in dieſer Hinſicht in den Himmelsräumen oder in den Unebenheiten der Erdrinde aufzufinden. Es ſind Thatſachen der Natur, hervorgegangen aus dem Konflikt vielfacher, einſt unter unbekannten Bedin⸗ gungen wirkender Kräfte. Zufällig aber erſcheint dem Menſchen in der Planetenbildung, was er nicht genetiſch zu erklären vermag. Haben ſich die Planeten aus einzelnen um die Sonne kreiſenden Ringen dunſtförmiger Stoffe gebildet, jo können die verſchiedene Dicke, die ungleichförmige Dichtig⸗ keit, die Temperatur und die elektromagnetiſche Spannung dieſer Ringe zu den verſchiedenſten Geſtaltungen der geballten Materie, wie das Maß der Wurfgeſchwindigkeit und kleine Abänderungen in der Richtung des Wurfes zu den mannig⸗ faltigſten Formen und Neigungen der elliptiſchen Bahnen Anlaß gegeben haben. Maſſenanziehungen und Gravitations⸗ geſetze haben gewiß hier, wie in den geognitiigen Verhält⸗ niſſen der Kontinentalerhebungen, gewirkt; aber aus der gegen⸗ wärtigen Form der Dinge iſt nicht auf die ganze Reihe der Zuſtände zu ſchließen, welche ſie bis zu ihrer Entſtehung durchlaufen haben. Selbſt das ſogenannte Geſetz der Abſtände der Planeten von der Sonne, die Progreſſion, aus deren fehlendem Gliede ſchon Kepler die Exiſtenz eines die Lücke — 69 — ausfüllenden Planeten zwiſchen Mars und Jupiter ahnete, iſt als numeriſch ungenau für die Diſtanzen zwiſchen Merkur, Venus und Erde, und, wegen des ſupponierten erſten Gliedes, als gegen die Begriffe einer Reihe ſtreitend befunden worden. Die elf bisher entdeckten, um unſere Sonne kreiſenden Hauptplaneten finden ſich gewiß von 14, wahrſcheinlich von 18 Nebenplaneten (Monden, Satelliten) umgeben. Die Haupt— planeten ſind alſo wiederum Centralkörper für untergeordnete Syſteme. Wir erkennen hier in dem Weltbau gleichſam den— ſelben Geſtaltungsprozeß, der uns ſo oft die Entfaltung des organiſchen Lebens, bei vielfach zuſammengeſetzten Tier- und Pflanzengruppen, in der typiſchen Formwiederholung unter— geordneter Sphären zeigt. Die Nebenplaneten oder Monde werden häufiger in der äußeren Region des Planetenſyſtems, jenſeits der in ſich verſchlungenen Bahnen der ſogenannten kleinen Planeten. Diesſeits ſind alle Hauptplaneten mondlos, die einzige Erde abgerechnet, deren Satellit verhältnismäßig ſehr groß iſt, da ſein Durchmeſſer den vierten Teil des Erd— durchmeſſers ausmacht, während daß der größte aller bekannten Monde, der ſechſte der Saturnstrabanten, vielleicht 17, und der größte aller Jupiterstrabanten, der dritte, dem Durch— meſſer nach, nur ½ ihres Hauptplaneten oder Centralkörpers ſind. Die mondreichſten Planeten findet man unter den fern— ſten “: welche zugleich die größeren, die ſehr undichten und ſehr abgeplatteten ſind. Nach den neueſten Meſſungen von Mädler hat Uranus die ſtärkſte aller planetariſchen Abplattungen, 952 . Bei der Erde und ihrem Monde, deren mittlere Entfer— nung voneinander 51800 geographiſche Meilen (384 500 km) beträgt, iſt die Differenz!“ der Maſſen und der Durchmeſſer beider Weltkörper weit geringer, als wir ſie ſonſt bei Haupt⸗ und Nebenplaneten und Körpern verſchiedener Ordnung im Sonnenſyſteme anzutreffen gewohnt ſind. Während die Dichtig— keit des Erdtrabanten / geringer als die der Erde ſelbſt iſt, !? ſcheint, falls man den Beſtimmungen der Größen und Maſſen hinlänglich trauen darf, unter den Monden, welche den Jupiter begleiten, der zweite dichter als der Hauptplanet zu ſein. Von den 14 Monden, deren Verhältniſſe mit einiger Gewißheit ergründet worden ſind, bietet das Syſtem der ſieben Saturnstrabanten die Beiſpiele des beträchtlichſten Kontraſtes in der abſoluten Größe und in den Abſtänden von dem Haupt⸗ planeten dar. Der ſechſte Saturnsſatellit iſt wahrſcheinlich nicht viel kleiner als Mars, während unſer Erdmond genau 0 nur den halben Durchmeſſer dieſes Planeten hat. Am nächſten ſteht, dem Volum nach, den beiden äußerſten (dem ſechſten und ſiebenten) Saturnstrabanten der dritte und hellſte unter den Jupitersmonden. Dagegen gehören die durch das 40füßige Teleſkop im Jahr 1789 von Wilhelm Herſchel entdeckten, von John Herſchel am Vorgebirge der guten Hoffnung, von Vico zu Rom und von Lamont zu München wiedergeſehenen zwei innerſten Saturnstrabanten, vielleicht neben den ſo fernen Uranusmonden, zu den kleinſten und nur unter beſonders günſtigen Umſtänden in den mächtigſten Fernröhren ſichtbaren Weltkörpern unſeres Sonnenſyſtems. Alle Beſtimmungen der wahren Durchmeſſer der Satelliten, ihre Herleitung aus der Meſſung der ſcheinbaren Größe kleiner Scheiben ſind vielen optiſchen Schwierigkeiten unterworfen; und die rechnende Aſtronomie, welche die Bewegungen der Himmelskörper, wie ſie ſich uns von unſerem irdiſchen Standpunkte aus darſtellen werden, numeriſch vorherbeſtimmt, iſt allein um Bewegung und Maſſe, wenig aber um die Volume bekümmert. Der abſolute Abſtand eines Mondes von feinem Haupt: planeten iſt am größten in dem äußerſten oder ſiebenten Saturns⸗ trabanten. Seine Entfernung vom Saturn beträgt über eine halbe Million geographiſcher Meilen (3539000 km), zehnmal ſo viel als die Entfernung unſeres Mondes von der Erde. Bei dem Jupiter iſt der Abſtand des äußerſten (vierten) Trabanten nur 260000 Meilen (1789000 km); bei dem Uranus aber, falls der ſechſte Trabant wirklich vorhanden iſt,!““ erreicht er 340000 Meilen (2522950 km). Vergleicht man in jedem dieſer untergeordneten Syſteme das Volum des Hauptplaneten mit der Entfernung der äußerſten Bahn, in welcher ſich ein Mond ge: bildet hat, ſo erſcheinen ganz andere numeriſche Verhältniſſe. In Halbmeſſern des Hauptplaneten ausgedrückt, ſind die Diſtanzen der letzten Trabanten bei Uranus, Saturn und Jupiter wie 91, 64 und 27. Der äußerſte Saturnstrabant erſcheint dann nur um ein Geringes (/s) vom Centrum des Saturn entfernter als unſer Mond von der Erde. Der einem Hauptplaneten nächſte Trabant iſt zweifelsohne der erſte oder innerſte des Saturn, welcher dazu noch das einzige Beiſpiel eines Umlaufes von weniger als 24 Stunden darbietet. Seine Entfernung vom Centrum des Hauptplaneten beträgt nach Mädler und Wilhelm Beer, in Halbmeſſern des Saturn ausgedrückt, 2,47, in Meilen 20022 (148570 km). Der Abſtand von der Oberfläche des Hauptplaneten kann daher nur 11870, der Abſtand von dem Be le äußerſten Rande des Ringes nur 1229 Meilen (88 080 und 16 540 km) betragen. Ein Reiſender verſinnlicht ſich gern einen ſo kleinen Raum, indem er an den Ausſpruch eines ühnen See⸗ mannes, Kapitän Beechey, erinnert, der erzählt, daß er in drei Jahren 18 200 geographiſche Meilen (135 000 km) zurückgelegt hr. Wenn man nicht die abſoluten Entfernungen, ſondern die Halbmeſſer der Hauptplaneten zum Maße anwendet, ſo findet man, daß ſelbſt der erſte oder nächſte Jupitersmond, welcher dem Centrum des Planeten 6500 Meilen (48 230 km) ferner als der Mond der Erde liegt, von dem Centrum ſeines Haupt— planeten nur um ſechs Jupitershalbmeſſer abſteht, während der Erdmond volle 60 ½ Erdhalbmeſſer von uns entfernt iſt. In den untergeordneten Syſtemen der Trabanten oder Nebenplaneten ſpiegeln ſich übrigens, ihrer Beziehung nach, zum Hauptplaneten und untereinander, alle Gravitations— geſetze ab, welche in dem, die Sonne umkreiſenden Haupt⸗ planeten walten. Die 12 Monde des Saturn, Jupiter und der Erde bewegen ſich alle, wie die Hauptplaneten, von Weſten nach Oſten, und in elliptiſchen Bahnen, die überaus wenig von Kreisbahnen abweichen. Nur der Erdmond und wahr— ſcheinlich der erſte und innerſte Saturnstrabant (0,068) haben eine Exzentrizität, welche größer iſt als die des Jupiter; bei dem von Beſſel ſo genau beobachteten ſechſten Saturnstrabanten (0,029) überwiegt ſie die Exzentrizität der Erde. An der äußerſten Grenze des Planetenſyſtems, wo die Centralkraft der Sonne in 19 Erdweiten ſchon beträchtlich gemindert iſt, zeigt das, freilich noch wenig ergründete Syſtem der Uranus— monde die auffallendſten Kontraſte. Statt daß alle anderen Monden, wie die Planetenbahnen, wenig gegen die Ekliptik geneigt ſind und ſich, die Saturnsringe (gleichſam verſchmolzene oder ungeteilte Trabanten) nicht abgerechnet, von Weſten nach n bewegen, ſtehen die Uranusmonde faſt ſenkrecht auf der Ekliptik, bewegen ſich aber, wie Sir John Herſchel durch viel— jährige Beobachtungen beſtätigt hat, rückläufig von Oſten nach Weſten. Wenn Haupt⸗ und Nebenplaneten ſich durch Zu— ſammenziehung der alten Sonnen und Planetenatmoſphären aus rotierenden Dunſtringen gebildet haben, ſo muß in den Dunſtringen, die um den Uranus kreiſten, es ſonderbare, uns unbekannte Verhältniſſe der Retardation oder des Gegenſtoßes gegeben haben, um genetiſch eine ſolche der Rotation des Centralkörpers entgegengeſetzte Richtung der Umlaufsbewegung in dem zweiten und vierten Uranustrabanten hervorzurufen. — 1 Bei allen Nebenplaneten iſt höchſt wahrſcheinlich die Rotationsperiode der Periode des Umlaufs um den Haupt: planeten gleich, ſo daß ſie alle immerdar dem letzteren dieſelbe Seite zuwenden. Ungleichheiten als Folge kleiner Verände⸗ rungen im Umlaufe verurſachen indes Schwankungen von 6 bis 8 Grad leine ſcheinbare Libration) ſowohl in Länge als in Breite. So ſehen wir z. B. nach und Es vom Erd» monde mehr als die Hälfte ſeiner Oberfläche: bald etwas mehr vom öſtlichen und nördlichen, bald etwas mehr vom weſtlichen oder ſüdlichen Mondrande. Durch die Libration werden uns ſichtbarer das Ringgebirge Malapert, welches bisweilen den Südpol des Mondes bedeckt, die arktiſche Land⸗ ſchaft um den Kraterberg Gioja, wie die große graue Ebene nahe dem Endymion, welche in Flächeninhalt das Mare Vaporum übertrifft. Ueberhaupt bleiben ½ der Oberfläche gänzlich und, wenn nicht neue, unerwartet ſtörende Mächte eindringen, auf immer unſeren Blicken entzogen. Dieſe kos⸗ miſchen Verhältniſſe mahnen unwillkürlich an faſt gleiche in der intellektuellen Welt, an die Ergebniſſe des Denkens, wo in dem Gebiete der tiefen Forſchung über die dunkle Werf- ſtätte der Natur und die ſchaffende Urkraft es ebenfalls ab- gewandte, unerreichbar ſcheinende Regionen gibt, von denen ſich ſeit Jahrhunderten dem Menſchengeſchlechte, von Zeit zu Zeit, bald in wahrem, bald in trügeriſchem Lichte erglimmend, ein ſchmaler Saum gezeigt hat. Wir haben bisher betrachtet, als Produkte einer Wurf- kraft und durch enge Bande der gegenſeitigen Anziehung an: einander gefeſſelt, die Hauptplaneten, ihre Trabanten und die Gewölbsformen konzentriſcher Ringe, die wenigſtens einem der äußerſten Planeten zugehören. Es bleibt uns noch übrig, unter den um die Sonne in eigenen Bahnen kreiſenden und von ihr erleuchteten Weltkörpern die ungezählte Schar der Kometen zu nennen. Wenn man eine gleichmäßige Vertei⸗ lung ihrer Bahnen, die Grenze ihrer Perihelien (Sonnennähen), und die Möglichkeit ihres Unſichtbarbleibens für die Erd⸗ bewohner nach den Regeln der Wahrſcheinlichkeitsrechnung abwägt, ſo findet man eine Zahl von Myriaden, über welche die Einbildungskraft erſtaunt. Schon Kepler ſagt mit der ihm eigenen Lebendigkeit des Ausdrucks, es gebe in den Welt⸗ räumen mehr Kometen als Fiſche in den Tiefen des Ozeans. Indes ui der berechneten Bahnen kaum noch 150 1°, wenn die Zahl der Kometen, über deren Erſcheinung und Lauf 7 durch bekannte Sternbilder man mehr oder minder rohe An— deutungen hat, auf ſechs- oder en geſchätzt werden kann. Während die ſogenannten klaſſiſchen Völker des Occi— dents, Griechen und Römer, wohl bisweilen den Ort angeben, wo ein Komet zuerſt am Himmel geſehen ward, nie etwas über ſeine ſcheinbare Bahn, ſo bietet die reiche Litteratur der naturbeobachtenden, alles aufzeichnenden Chineſen umſtänd— liche Notizen über die Sternbilder dar, welche jeglicher Komet durchlief. Solche Notizen reichen bis mehr denn fünf Jahr— hunderte vor der chriſtlichen Zeitrechnung hinauf, und viele derſelben werden noch heute?“ von den Aſtronomen benutzt. Von allen planetariſchen Weltkörpern erfüllen die Kometen, bei der kleinſten Maſſe (nach einzelnen bisherigen Erfahrungen wahrſcheinlich weit unter % der e mit ihren oft viele Millionen Meilen langen und weit ausgebreiteten Schwei— fen den größten Raum. Der lichtreflektierende Dunſtkegel, den ſie ausſtrahlen, iſt bisweilen (1680 und 1811) ſo lang gefunden worden als die Entfernung der Erde von der Sonne: eine Linie, welche zwei Planetenbahnen, die der Venus und des Merkur, ſchneidet. Es iſt ſelbſt wahrſcheinlich, daß in den Jahren 1819 und 1823 unſere Atmoſphäre mit dem Dunſt der Kometenſchweife gemiſcht war. Die Kometen ſelbſt zeigen ſo mannigfaltige Geſtalten, oft mehr dem Individuum als der Art angehörend, daß die Beſchreibung einer dieſer reiſenden Lichtwolken (ſo nannten ſie ſchon Xenophanes und Theon von Alexandrien, der Zeit— genoſſe des Pappus) nur mit Vorſicht auf eine andere ange— wendet werden kann. Die ſchwächſten teleſkopiſchen Kometen ſind meiſt ohne ſichtbaren Schweif und gleichen den Herſchel— ſchen Nebelſternen. Sie bilden rundliche, matt ſchimmernde Nebel, mit konzentrierterem Lichte gegen die Mitte. Das iſt der einfachſte Typus, aber darum eben ſo wenig ein rudimen— - tärer Typus als der eines durch Verdampfung erſchöpften, alternden Weltkörpers. In den größeren Kometen unterſcheidet man den Kopf oder ſogenannten Kern und einen einfachen oder vielfachen Schweif, den die chineſiſchen Aſtronomen ſehr charakteriſtiſch den Beſen (sui) nennen. Der Kern hat der Regel nach keine beſtimmte Begrenzung, ob er gleich in ſeltenen Fällen wie ein Stern erſter und zweiter Größe, ja bei den großen Kometen von 1402, 1532, 1577, 1744 und 1843 ſelbſt am Tage bei hellem Sonnenſchein,? iſt leuchtend ge— ſehen worden. Dieſer letztere Umſtand zeugt demnach bei I 8 einzelnen Individuen für eine dichtere, intenſiver Lichtreflexion fähige Maſſe. Auch erſchienen in Herſchels großen Teleſkopen nur zwei Kometen, der in Sizilien entdeckte von 1807 wie der ſchöne von 1811, als wohlbegrenzte Scheiben: ?? die eine unter einem Winkel von 1“, die andere von 0/77, woraus ſich der wirkliche Durchmeſſer von 134 und 107 Meilen (994 und 794 km) ergeben würde. Die minder be- ſtimmt umgrenzten Kerne der Kometen von 1798 und 1805 gaben gar nur 6—7 Meilen (44—52 km) Durchmeſſer.?“ Bei mehreren genau unterſuchten Kometen, beſonders bei dem eben genannten und ſo lange geſehenen von 1811, war der Kern und die neblige Hülle, welche ihn umgab, durch einen dunkleren Raum vom Schweife gänzlich getrennt. Die In— tenſität des Lichtes im Kerne der Kometen iſt nicht gleich⸗ mäßig bis in das Centrum zunehmend; fal leuchtende Zonen ſind mehrfach durch konzentriſche Nebelhüllen getrennt. Die Schweife haben ſich gezeigt bald einfach, bald doppelt; doch dies ſelten, und (1807 und 1843) von ſehr verſchiedener Länge der beiden Zweige: einmal ſechsfach, 1744 (bei 60° Oeffnung); gerade oder gekrümmt, ſei es zu beiden Seiten, nach außen (1811), oder konvex gegen die Seite hin (1618), wohin der Komet ſich bewegt; auch wohl gar flammenartig geſchwungen. Sie find, wie (nach Eduard Biot) die chineſi⸗ ſchen Aſtronomen ſchon im Jahr 837 bemerkten, in Europa aber Fracaſtoro und Peter Apian erſt im ſechzehnten Jahr— hunderte auf eine beſtimmtere Weiſe verkündigten, ſtets von der Sonne dergeſtalt abgewandt, daß die verlängerte Achſe durch das Centrum der Sonne geht. Man kann die Aus- ſtrömungen als konoidiſche Hüllen von dickerer oder dünnerer Wandung betrachten: eine Anſicht, durch welche ſehr auffallende optiſche Erſcheinungen mit Leichtigkeit erklärt werden. Die einzelnen Kometen ſind aber nicht bloß ihrer Form nach ſo charakteriſtiſch verſchieden (ohne allen ſichtbaren Schweif, oder mit einem von 104° Länge, wie im dritten des Jahres 1618); wir ſehen ſie auch in ſchnell aufeinander folgenden, veränderlichen Geſtaltungsprozeſſen begriffen. Dieſer Formenwechſel iſt am genaueſten und vortrefflichſten an dem Kometen von 1744 von Heinſius in Petersburg, und an dem Halleyſchen Kometen bei ſeiner letzten Wiedererſcheinung im Jahr 1835 von Beſſel in Königsberg beſchrieben worden. An dem der Sonne zugekehrten vorderen Teile des Kerns wurde eine mehr oder minder büſchelförmige Ausſtrömung — 1 — ſichtbar. Die rückwärts gekrümmten Strahlen bildeten einen Teil des Schweifes. „Der Kern des Halleyſchen Kometen und ſeine Ausſtrömungen gewährten das Anſehen einer bren— nenden Rakete, deren Schweif durch Zugwind ſeitwärts ab— gelenkt wird.“ Die vom Kopf ausgehenden Strahlen haben wir, Arago und ich, auf der Pariſer Sternwarte in aufein— ander folgenden Nächten ſehr verſchiedenartig geſtaltet?“ ge— ſehen. Der große Königsberger Aſtronom ſchloß aus viel— fältigen Meſſungen und theoretiſchen Betrachtungen, „daß der ausſtrömende Lichtkegel ſich von der Richtung nach der Sonne ſowohl rechts als linke beträchtlich entfernte, immer aber wieder zu dieſer Richtung zurückkehrte, um auf die andere Seite derſelben überzugehen; daß der ausſtrömende Lichtkegel daher, ſo wie der Körper des Kometen ſelbſt, der ihn ausſtößt und erzeugt, eine drehende oder vielmehr eine ſchwingende Bewegung in der Ebene der Bahn erlitt“. Er findet, „daß die gevöhnliche Anziehungskraft der Sonne, die ſie auf ſchwere Körper ausübt, zur Erklärung ſolcher Schwingungen nicht hinreiche, und iſt der Anſicht, daß dieſelben eine Polarkraft offenbaren, welche einen Halbmeſſer des Kometen der Sonne zuwendet, den entgegengeſetzten von ihr abzuwenden ſtrebt. Die magnetiſche Polarität, welche die Erde beſitze, biete etwas Analoges dar; und ſollten ſich die Gegenſätze dieſer telluriſchen Polarität auf die Sonne beziehen, ſo könne ſich ein Ein— fluß davon in der Vorrückung der Nachtgleichen zeigen“. Es iſt 170 nicht der Ort, die Gründe näher zu entwickeln, auf welche Erklärungen geſtützt worden ſind, die den Erſchei— nungen entſprechen; aber ſo denkwürdige an. jo . Anſichten über die wunderbarſte Klaſſe aller Welt- örper, die zu unſerem Sonnenſyſtem gehören, durften in dieſem Entwurf eines allgemeinen Naturgemäldes nicht über— gangen werden. Ohnerachtet der Regel nach die Kometenſchweife in der Sonnennähe an Größe und Glanz zunehmen und von dem Centralkörper abgewendet liegen, ſo hat doch der Komet von 1823 das denkwürdige Beiſpiel von zwei Schweifen gegeben, deren einer der Sonne zu-, der andere von ihr abgewandt war, und die untereinander einen Winkel von 160° bildeten. Eigene Modifikationen der Polarität und die ungleichzeitige Verteilung und Leitung derſelben können in dieſem ſeltenen Falle zweierlei, ungehindert fortgeſetzte Ausſtrömungen der nebligen Materie verurſacht haben. nen In der Naturphiloſophie des Ariſtoteles wird durch ſolche Ausſtrömungen die Erſcheinung der Kometen mit der Exiſtenz der Milchſtraße in eine ſonderbare Verbindung ge— bracht. Die zahlloſe Menge von Sternen, welche die Milch— ſtraße bilden, geben eine ſich ſelbſt entzündende (leuchtende) Maſſe her. Der Nebelſtreif, welcher das Himmelsgewölbe teilt, wird daher von dem Stagiriten wie ein großer Komet betrachtet, der ſich unaufhörlich von neuem?“ erzeugt. Bedeckungen der Fixſterne durch den ſogenannten Kern eines Kometen oder ſeine nächſten dunſtförmigen Hüllen können Licht über die phyſiſche Beſchaffenheit dieſer wunderbaren Weltkörper verbreiten; aber es fehlt an Beobachtungen, welche die ſichere Ueberzeugung?? gewähren, daß die Bedeckung voll- kommen central geweſen ſei: denn, wie wir bereits oben be⸗ merkt, in dem dem Kerne nahe liegenden Teile der Hülle wechſeln konzentriſche Schalen von dichtem und ſehr undichtem Dunſte. Dagegen iſt es keinem Zweifel unterworfen, daß am 29. September 1835, nach Beſſels ſorgfältigſten Meſſun⸗ gen, das Licht eines Sternes zehnter Größe, der in 7/78 Entfernung von dem Mittelpunkt des Kopfes des Halleyſchen Kometen durch einen ſehr dichten Nebel durchging, während dieſes Durchganges durch alle Teile des Nebels nicht von ſeiner geradlinigen Bewegung ?° abgelenkt wurde. Ein ſolcher Mangel von ſtrahlenbrechender Kraft, wenn er wirklich dem Centrum des Kernes zukommt, macht es ſchwer, den Kometen⸗ ſtoff für eine gasförmige Flüſſigkeit zu halten.?“ Iſt derſelbe alleinige Folge der faſt unendlichen Dünnigkeit einer Flüſſig⸗ keit? oder beſteht der Komet „aus getrennten Teilchen“, ein kosmiſches Gewölk bildend, das den durchgehenden Licht— ſtrahl nicht mehr affiziert als die Wolken unſerer Atmoſphäre, welche ebenfalls nicht die Zenithdiſtanzen der Geſtirne oder der Sonnenränder verändern? Bei dem Vorübergange der Kometen vor einem Sterne iſt oft eine mehr oder minder be⸗ trächtliche Schwächung ihres Lichtes bemerkt worden. Man ſchreibt ſie mit vielem Rechte dem hellen Grunde zu, von dem während der Bedeckung die Sterne ſich abzuheben ſcheinen. Die wichtigſte und entſcheidendſte Beobachtung, welche über die Natur des Kometenlichtes gemacht worden, verdanken wir Aragos Polariſationsverſuchen. Sein Polariſkop belehrt uns über die phyſiſche Konſtitution der Sonne, wie über die der Kometen; das Inſtrument deutet an, ob ein Lichtſtrahl, der aus einer Entfernung von vielen Millionen Meilen zu — 0 ⏑ EN ee uns gelangt, direktes oder reflektiertes Licht iſt, ob im erſten Falle die Lichtquelle ein feſter und tropfbar-flüſſiger oder ein gasförmiger Körper iſt. Es wurden auf der Pariſer Stern— warte in demſelben Apparat das Licht der Capella und das Licht des großen Kometen von 1819 unterſucht. Das letztere zeigte polariſiertes, alſo zurückgeworfenes Licht, während der Fixſtern ſich, wie zu vermuten ſtand, als eine ſelbſtleuchtende Sonne“ erwies. Das Daſein des polariſierten Kometenlichtes verkündigte ſich aber nicht bloß durch Ungleichheit der Bilder; es wurde bei der Wiedererſcheinung des Halleyſchen Kometen im Jahr 1835 noch ſicherer durch den auffallenderen Kontraſt der Komplementärfarben, nach der von Arago im Jahr 1811 entdeckten chromatiſchen Polariſation, begründet. Ob außer dieſem reflektierten Sonnenlichte die Kometen nicht auch eigenes Licht haben, bleibt durch jene ſchönen Verſuche noch unent— ſchieden.!“ Auch in eigentlichen Planeten, der Venus z. B., iſt eine ſelbſtändige Lichtentwickelung ſehr wahrſcheinlich. Die veränderliche Lichtſtärke der Kometen iſt nicht immer aus der Stellung in ihrer Bahn und aus ihrer Entfernung von der Sonne zu erklären. Sie deutet gewiß bei einzelnen Individuen auf innere Prozeſſe der Verdichtung und erhöhten oder geminderten Reflexionsfähigkeit des erborgten Lichtes. Bei dem Kometen von 1618, wie bei dem von dreijährigem Umlauf, haben Hevelius und, nach langer Nichtbeachtung des merkwürdigen Phänomens, der talentvolle Aſtronom Valz in Nismes den Kern in der Sonnennähe verkleinert, in der Sonnenferne vergrößert gefunden. Die Regelmäßigkeit der Veränderung des Volums nach Maßgabe des Abſtandes von der Sonne iſt überaus auffallend. Die phyſiſche Erklärung der Erſcheinung darf wohl nicht in den bei größerer Sonnen— nähe kondenſierteren Schichten des Weltäthers geſucht werden, da es ſchwierig iſt, ſich die Dunſthülle des Kometenkerns blaſenartig, dem Weltäther undurchdringlich vorzuſtellen. Die ſo verſchiedenartige Exzentrizität der elliptiſchen Kometenbahnen hat in neueren Zeiten (1819) zu einer glän— zenden Bereicherung unſerer Kenntnis des Sonnenſyſtems geleitet. Encke hat die Exiſtenz eines Kometen von ſo kurzer Umlaufszeit entdeckt, daß er ganz innerhalb unſerer Planeten— bahn bleibt, ja ſeine größte Sonnenferne ſchon zwiſchen der Bahn der kleinen Planeten und der Jupiters bahn erreicht. Seine Exzentrizität iſt demnach 0,845, wenn die der Juno RR (die größte Exzentrizität unter allen Planetenbahnen) 0,255 u a N it. Endes Komet iſt mehrmals, wenngleich ſchwierig (in Europa 1819, in Neu-Holland nach Rümker 1822), dem bloßen Auge ſichtbar geworden. Seine Umlaufszeit iſt unge— fähr von 3 ½ Jahren; aber aus der ſorgfältigen Vergleichung der Wiederkehr zum Perihel hat ſich die merkwürdige That⸗ ſache ergeben, daß die Umläufe von 1786 bis 1838 ſich auf die regelmäßigſte Weiſe von Umlauf zu Umlauf verkürzt haben; nämlich in einem Zeitraum von 52 Jahren um 19/10 Tage. Eine ſo merkwürdige Erſcheinung hat, um nach der ſorgfältigſten Beachtung aller planetariſchen Störungen Beob⸗ achtung und Rechnung in Einklang zu bringen, zu der ſehr wahrſcheinlichen Annahme einer in den Welträumen verbreiteten, Widerſtand leiſtenden, dunſtförmigen Materie geleitet. Die Tangentialkraft wird vermindert, und mit ihr die große Achſe der Kometenbahn. Der Wert der Konſtante des Widerſtandes ſcheint dazu etwas verſchieden vor und nach dem Durchgang durch das Perihel, was vielleicht der in der Sonnennähe ver⸗ änderten Form des kleinen Nebelſternes und der Einwirkung der ungleich dichten Schichten des Weltäthers zuzuſchreiben iſt. Dieſe Thatſachen und ihre Ergründung gehören zu den inter⸗ eſſanteſten Ergebniſſen der neueren Sternkunde. Wenn außer⸗ dem der Komet von Encke früher den Anſtoß gegeben hat, die für alle Störungsrechnungen ſo wichtige Maſſe Jupiters einer ſchärferen Prüfung zu unterwerfen, ſo hat uns auch ſein Lauf ſpäter die erſte, wiewohl nur genäherte, Beſtimmung einer verminderten Merkursmaſſe verſchafft. Zu dem erſten Kometen von kurzer Umlaufszeit, Endes Kometen von 3 Jahren, hat ſich bald, 1826, ein zweiter, ebenfalls planetariſcher, geſellt, deſſen Sonnenferne jenſeits Jupiters, doch weit diesſeits der Saturnbahn liegt. Bielas Komet hat eine Umlaufszeit von 6¾ Jahren. Er iſt noch lichtſchwächer als der von Encke, und rechtläufig in ſeiner Bewegung, wie dieſer, während der Halleyſche Komet der Richtung aller eigentlichen Planeten entgegen kreiſt. Er hat das erſte ſichere Beiſpiel eines unſere Erdbahn ſchneidenden Kometen dargeboten. Die Bahn des Bielaſchen Kometen iſt daher eine Bahn, die Gefahr bringen kann, wenn man jedes außerordentliche, in hiſtoriſchen Zeiten noch nicht erlebte und in ſeinen Folgen nicht mit Gewißheit zu beſtimmende Natur⸗ phänomen gefahrbringend nennen ſoll. Kleine Maſſen, mit ungeheurer Geſchwindigkeit begabt, können allerdings eine be— trächtliche Kraft ausüben; aber wenn Laplace erweiſt, daß dem Kometen von 1770 eine Maſſe zuzuſchreiben ift, die % % 0 der Maſſe der Erde noch nicht erreicht, fo ſetzt er ſogar im allgemeinen die mittlere Maſſe der Kometen mit einer gewiſſen Wahrſcheinlichkeit tief unter /oooses der Erdmaſſe (ungefähr oo der Mondmaſſe) herab. Man muß den Durchgang von Bielas Kometen durch unſere Erdbahn nicht mit ſeinem Zuſammentreffen mit der Erde oder ſeiner Nähe zu derſelben verwechſeln. Als am 29. Oktober 1832 der Durchgang erfolgte, brauchte die Erde noch einen vollen Monat, um an den Durchſchnittspunkt beider Bahnen zu ge— langen. Die zwei Kometen von kurzer Umlaufszeit ſchneiden ſich auch untereinander in ihren Bahnen, und man hat mit Recht bemerkt, daß bei den vielen Störungen, welche ſo kleine Weltkörper von den Planeten erleiden, ſie möglicherweiſe, wenn die Begegnung ſich um die Mitte des Oktobers ereignen ſollte, dem Erdbewohner das wunderbare kosmiſche Schauſpiel des Kampfes, d. h. einer wechſelſeitigen Durchdringung, oder einer Agglutination, oder einer Zerſtörung durch erſchöpfende Ausſtrömung, gewähren könnten. Solche Ereigniſſe, Folgen der Ablenkung durch ſtörende Maſſen oder ſich primitiv kreu— zender Bahnen, mag es ſeit Millionen von Jahren in der Unermeßlichkeit ätheriſcher Räume viele gegeben haben, — iſolierte Begebenheiten, ſo wenig allgemein wirkend oder welt— umgeſtaltend, als es in den engen irdiſchen Kreiſen der Aus— bruch oder Einſturz eines Vulkanes 1 5 Ein dritter innerer Komet von kurzer Umlaufszeit iſt der im vorigen Jahre (22. November 1843) auf der Pariſer Sternwarte von Faye entdeckte. Seine elliptiſche Bahn kommt der kreisförmigen weit näher als die irgend eines bisher be— kannten Kometen. Sie iſt eingeſchloſſen zwiſchen den Bahnen von Mars und Saturn. Fayes Komet, der nach Gold— ſchmidt noch über die Jupitersbahn hinausgeht, gehört alſo zu den ſehr wenigen, deren Sonnennähe jenſeits des Mars gefunden worden iſt. Seine Umlaufszeit iſt von 720 Jahren, und die Form ſeiner jetzigen Bahn verdankt er viel— leicht ſeiner großen Annäherung an den Jupiter zu Ende des Jahres 1839. Wenn wir die Kometen in ihren geſchloſſenen elliptiſchen Bahnen als Glieder unſeres Sonnenſyſtems nach der Länge der großen Achſe, nach dem Maße ihrer Exzentrizität und der Dauer ihres Umlaufs betrachten, ſo ſtehen wahrſcheinlich den drei planetariſchen Kometen von Encke, Biela und Faye in 8 der Umlaufszeit am nächſten: der von Meſſier entdeckte Komet von 1766, den Clauſen für identiſch mit dem dritten Kometen von 1819 hält, und der vierte desſelben Jahres, welcher, durch Blanpain entdeckt, aber von Clauſen für identiſch mit dem Kometen von 1743 gehalten, wie der Lexellſche, große Veränderungen ſeiner Bahn durch Nähe und Anziehung des Jupiter erlitten hat. Dieſe zwei letztgenannten Kometen ſcheinen ebenfalls eine Umlaufszeit von nur 5 bis 6 Jahren zu haben, und ihre Sonnenfernen fallen in die Gegend der Jupitersbahn. Von 70- bis 76jährigem Umlaufe ſind der für Theorie und phyſiſche Aſtronomie ſo wichtig gewordene Halleyſche Komet, deſſen letzte Erſcheinung (1835) weniger glänzend war, als man nach den früheren hätte vermuten dürfen; der Komet von Olbers (6. März 1815), und der im Jahr 1812 von Pons entdeckte, deſſen elliptiſche Bahn von Encke beſtimmt ward. Beide letztere ſind dem bloßen Auge unſichtbar geblieben. Von dem großen Halleyſchen Kometen kennen wir nun ſchon mit Gewißheit die neunmalige Wieder: kehr, da durch Laugiers Rechnungen neuerlich erwieſen worden iſt, daß in der von Eduard Biot gelieferten chineſiſchen Kometentafel die Bahn des Kometen von 1378 mit der des Halleyſchen identiſch iſt. Die Umlaufszeit des letzteren hat von 1378 bis 1835 geſchwankt zwiſchen 74,91 und 77,58 Jahren: das Mittel war 76,1. Mit den eben genannten Weltkörpern kontraſtiert eine Schar anderer Kometen, welche mehrere tauſend Jahre zu ihrem, nur ſchwer und unſicher zu beſtimmenden Umlauf brauchen. So bedarf der ſchöne Komet von 1811 nach Arge: lander 3065, der furchtbar große von 1680 nach Encke über 8800 Jahre. Dieſe Weltkörper entfernen ſich alſo von der Sonne 21- und 44mal weiter als Uranus, d. i. 8400 und 17600 Millionen Meilen. In ſo ungeheurer Entfernung wirkt noch die Anziehungskraft der Sonne; aber freilich legt der Komet von 1680 in der Sonnennähe 53 Meilen (über zwölfmal⸗ hunderttauſend Fuß = 393 km), d. i. dreizehnmal mehr als die Erde, in der Sonnenferne kaum 10 Fuß (3,25 m) in der Se⸗ kunde zurück. Das iſt nur dreimal mehr als die Geſchwindigkeit des Waſſers in unſeren trägſten europäiſchen Flüſſen; es iſt die halbe Geſchwindigkeit, welche ich in einem Arm des Orinoco, dem Caſſiquiare, gefunden habe. Unter der zahlloſen Menge unberechneter oder nicht aufgefundener Kometen gibt es höchſt wahrſcheinlich viele, deren große Bahnachſe die des Kometen — 91 — von 1680 noch weit übertrifft. Um ſich nun einigermaßen durch Zahlen einen Begriff zu machen, ich ſage nicht von dem Attraktionskreiſe, ſondern von der räumlichen Entfernung eines Fixſternes, einer anderen Sonne, von dem Aphelium des Kometen von 1680 (des Weltkörpers unſeres Syſtems, der ſich nach unſerer jetzigen Kenntnis am weiteſten entfernt), muß hier erinnert werden, daß nach den neueſten Parallaxen— beſtimmungen der uns nächſte Fixſtern noch volle 250 mal weiter von unſerer Sonne abſteht als der Komet in ſeiner Sonnenferne. Dieſe beträgt nur 44 Uranusweiten, wenn 4 des Kentauren 11000, und mit größerer Sicherheit, nach Beſſel, 61 des Schwans 31000 Uranusweiten abſtehen. Nach der Betrachtung der größten Entfernung der Kometen von dem Centralkörper bleibt uns übrig, die Beiſpiele der bisher gemeſſenen größten Nähe anzuführen. Den geringſten Abſtand eines Kometen von der Erde hat der durch die Stö— rungen, die er vom Jupiter erlitten, ſo berühmt gewordene Lexell⸗Burkardtſche Komet von 1770 erreicht. Er ſtand am 28. Juni nur um ſechs Mondfernen von der Erde ab. Der: ſelbe Komet iſt zweimal, 1767 und 1779, durch das Syſtem der vier Jupitersmonde gegangen, ohne die geringſte merkbare Veränderung in ihrer jo wohl ergründeten Bahn hervorzu— bringen. Acht⸗ bis neunmal näher, als der Lexellſche Komet der Erde kam, iſt aber der große Komet von 1680 in ſeinem Perihelium der Oberfläche der Sonne gekommen. Er ſtand am 17. Dezember nur um den ſechſten Teil des Sonnen: durchmeſſers ab, d. i. /o einer Monddiſtanz. Perihele, welche die Marsbahn überſchreiten, ſind wegen Lichtſchwäche ferner Kometen für den Erdbewohner überhaupt ſelten zu beobachten, und von allen bisher berechneten Kometen iſt der von 1729 der einzige, welcher in die Sonnennähe trat mitten zwiſchen der Pallas⸗ und Jupitersbahn, ja bis jenſeits der letzteren beobachtet werden konnte. Seitdem wiſſenſchaftliche Kenntniſſe, einige gründliche neben vielen unklaren Halbkenntniſſen in größere Kreiſe des geſelligen Lebens eingedrungen ſind, haben die Beſorgniſſe vor den, wenigſtens möglichen Uebeln, mit denen die Kometenwelt uns bedroht, an Gewicht zugenommen.“? Die Richtung dieſer Beſorgniſſe iſt eine beſtimmtere geworden. Die Gewißheit, daß es innerhalb der bekannten Planetenbahnen wiederkehrende, unſere Regionen in kurzen Zeitabſchnitten heimſuchende Kometen gibt; die beträchtlichen Störungen, welche Jupiter und Saturn A. v. Humboldt, Kosmos. I. 6 . den Bahnen hervorbringen, wodurch unſchädlich ſcheinende in gefahrbringende Weltkörper verwandelt werden können; die unſere Erdbahn ſchneidende Bahn von Bielas Kometen; der kosmiſche Nebel, der als widerſtrebendes, hemmendes Fluidum alle Bahnen zu verengen ſtrebt; die individuelle Verſchieden— heit der Kometenkörper, welche beträchtliche Abſtufungen in der Quantität der Maſſe des Kernes vermuten läßt, erſetzen durch Mannigfaltigkeit der Motive reichlich, was die früheren Jahrhunderte in der vagen Furcht vor brennenden Schwer— tern, vor einem durch Haarſterne zu erregenden allgemeinen Weltbrande zuſammenfaßten. Da die Beruhigungsgründe, . der Wahrſcheinlich⸗ keitsrechnung entnommen werden, allein auf die denkende Betrachtung, auf den Verſtand, nicht auf die dumpfe Stim⸗ mung der Gemüter und auf die dunkle Einbildungskraft wirken, ſo hat man der neueren Wiſſenſchaft nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen, daß 15 Beſorgniſſe zu zerſtören bemüht iſt, die ſie ſelbſt erregt hat. Es liegt tief in der trüben Natur des Menſchen, in einer ernſterfüllten Anſicht der Dinge, daß das Unerwartete, Außerordentliche nur Furcht, nicht Freude oder Hoffnung,? erregt. Die Wundergeſtalt eines großen Kometen, ſein matter Nebelſchimmer, ſein plötzliches Auftreten am Himmelsgewölbe ſind unter allen Erdzonen und dem Volksſinne faſt immer als eine neue, grauenvolle, der alten Verkettung des Beſtehenden feindliche Macht erſchienen. Da das Phänomen nur an eine kurze Dauer gebunden iſt, ſo entſteht der Glaube, es müſſe ſich in den Weltbegebenheiten, den gleichzeitigen oder den nächſtfolgenden, abſpiegeln. Die Verkettung dieſer Weltbegebenheiten bietet dann leicht etwas dar, was man als das verkündete Unheil betrachten kann. Nur in unſerer Zeit hat ſich ſeltſamerweiſe eine andere und heitere Richtung des Volksſinnes offenbart. Es iſt in deutſchen Gauen, in den anmutigen Thälern des Rheins und der Moſel einem jener langen geſchmähten Weltkörper etwas Heilbringen— des, ein wohlthätiger Einfluß auf das Gedeihen des Wein—⸗ ſtockes, zugeſchrieben worden. Entgegengeſetzte Erfahrungen, an denen es in unſerer kometenreichen Zeit nicht mangelt, haben den Glauben an jene meteorologiſche Mythe, an das Daſein wärmeſtrahlender Irrſterne nicht erſchüttern können. Ich gehe von den Kometen zu einer anderen, noch viel rätſelhafteren Klaſſe geballter Materie: zu den kleinſten aller Aſteroiden über, welche wir in ihrem fragmentariſchen Zuſtande, ble ee und in unſerer Atmoſphäre angelangt, mit dem Namen der Aerolithen oder Meteorſteine bezeichnen. Wenn ich bei dieſen, wie bei den Kometen, länger verweile, und Einzel— ch eufgäble, die einem allgemeinen Naturgemälde fremd leiben follten, jo iſt dies nur mit Abſicht geſchehen. Der ganz individuellen Charakterverſchiedenheit der Kometen iſt ſchon früher gedacht worden. Nach dem Wenigen, was wir bis jetzt von ihrer phyſiſchen Beſchaffenheit wiſſen, iſt es ſchwer, in einer Darſtellung, wie ſie hier gefordert wird, von wiederkehrenden, aber mit ſehr ungleicher Genauigkeit beobach— teten Erſcheinungen das Gemeinſame aufzufaſſen, das Not⸗ wendige von dem Zufälligen di trennen. Nur die meſſende und rechnende Aſtronomie der Kometen hat bewundernswürdige Fortſchritte gemacht. Bei dieſem Zuſtande unſerer Kenntniſſe muß eine wiſſenſchaftliche Betrachtung ſich auf die phyſio— gnomiſche Verſchiedenheit der Geſtaltung in Kern und Schweif, auf die Beiſpiele großer Annäherung zu anderen Weltkörpern, auf die Extreme in dem räumlichen Verhältnis der Bahnen und in der Dauer der Umlaufszeiten beſchränken. Natur: wahrheit iſt bei dieſen Erſcheinungen wie bei den nächſt⸗ folgenden nur durch Schilderung des Einzelnen und durch nei lebendigen, anſchaulichen Ausdruck der Wirklichkeit zu ex: reichen. Sternſchnuppen, e und Meteorſteine ſind mit großer Wahrſcheinlichkeit als kleine, mit planetariſcher Geſchwindigkeit ſich bewegende Maſſen zu betrachten, welche im Weltraume nach den Geſetzen der allgemeinen Schwere in Kegelſchnitten um die Sonne kreiſen. Wenn dieſe Maſſen in ihrem Laufe der Erde begegnen und, von ihr angezogen, an den Grenzen unſerer Atmoſphäre leuchtend werden, ſo laſſen ſie öfters mehr oder minder erhitzte, mit einer ſchwarzen länzenden Rinde überzogene, ſteinartige Fragmente herabfallen. Bei aufmerkſamer Zergliederung von dem, was in den Epochen, wo Sternſchnuppenſchwärme periodiſch fielen (in Cumana 1799, in Nordamerika 1833 und 1834), beobachtet wurde, bleibt es nicht erlaubt, die Feuerkugeln von den Sternſchnuppen zu trennen. Beide Phänomene ſind oft nicht bloß gleich— zeitig und gemiſcht, ſie gehen auch ineinander über: man möge die Größe der Scheiben, oder das Funkenſprühen, oder die Geſchwindigkeiten der Bewegung miteinander vergleichen. Während die platzenden, Rauch ausſtoßenden, ſelbſt in der Tropenhelle des Tages? alles erleuchtenden Feuerkugeln bis— ee 1 weilen den ſcheinbaren Durchmeſſer des Mondes übertreffen, ſind dagger auch Sternſchnuppen in zahlloſer Menge von ſolcher Kleinheit geſehen worden, daß ſie in der Form fort: ſchreitender Punkte ſich nur wie phosphoriſche Linien!“ ſichtbar machten. Ob übrigens unter den vielen leuchtenden Körpern, die am Himmel als ſternähnliche Funken fortſchießen, nicht auch einige ganz verſchiedenartiger Natur ſind, bleibt bis jetzt unentſchieden. Wenn ich gleich nach meiner Rück— kunft aus der Aequinoktialzone von dem Eindruck befangen war, als ſei mir unter den Tropen, in den heißeſten Ebenen, wie auf Höhen von zwölf: oder fünfzehntauſend Fuß (3900 bis 4870 m), der Fall der Sternſchnuppen häufiger, farbiger und mehr von langen glänzenden Lichtbahnen begleitet er— ſchienen wie in der gemäßigten und kalten Zone, ſo lag der Grund dieſes Eindruckes wohl nur in der herrlichen Durch— ſichtigkeit der Tropenatmoſphäre ſelbſt.?? Man ſieht dort tiefer in den Dunſtkreis hinein. Auch Sir Alexander Burnes rühmt in Bokhara, als Folge der Reinheit des Himmels, „das entzückende, immer wiederkehrende Schauſpiel der vielen farbigen Sternſchnuppen“. Der Zuſammenhang der Meteorſteine mit dem größeren und glänzenderen Phänomen der Feuerkugeln, ja daß jene aus dieſen niederfallen und bisweilen 10 bis 15 Fuß (3,25 bis 4,30 m) tief in die Erde eindringen, iſt unter vielen anderen Beiſpielen durch die wohl beobachteten Aerolithenfälle zu Barbotan im Departement des Landes (24. Juli 1790), zu Siena (16. Juni 1794), zu Weſton in Connecticut (14. De⸗ zember 1807) und zu Juvenas im Ardeche-Departement (15. Juni 1821) erwieſen worden. Andere Erſcheinungen der Steinfälle ſind die, wo die Maſſen aus einem ſich bei heiterem Himmel plötzlich bildenden kleinen, ſehr dunkeln Gewölke, unter einem Getöſe, das einzelnen Kanonenſchüſſen gleicht, herabgeſchleudert werden. Ganze Landesſtrecken finden ſich bisweilen durch ein ſolches 9 Gewölk mit Tauſenden von Fragmenten, ſehr ungleicher Größe, aber gleicher Beſchaffenheit bedeckt. In ſelteneren Fällen, wie vor wenigen Monaten bei dem großen Aerolithen, der unter donnerartigem Krachen (16. Sep⸗ tember 1843) zu Kleinwenden, unweit Mühlhauſen, fiel, war der Himmel hell und es entſtand kein Gewölk. Die nahe Verwandtſchaft zwiſchen Feuerkugeln und Sternſchnuppen zeigt ſich auch dadurch, daß die erſten, Meteorſteine zur Erde herabſchleudernd, bisweilen (9. Juni 1822 zu Angers) kaum Bee den Durchmeſſer der kleinen römischen Lichter in unſeren Feuerwerken hatten. Was die formbildende Kraft, was der phyſiſche und chemiſche Prozeß in dieſen Erſcheinungen iſt; ob die Teilchen, welche die dichte Maſſe des Meteorſteines bilden, urſprünglich, wie in dem Kometen, dunſtförmig voneinander entfernt liegen, und ſich erſt dann, wenn ſie für uns zu leuchten beginnen, innerhalb der flammenden Feuerkugeln zuſammenziehen; was in der ſchwarzen Wolke vorgeht, in der es minutenlang donnert, ehe die Steine herabſtürzen; ob auch aus den kleinen Stern⸗ ſchnuppen wirklich etwas Kompaktes, oder nur ein höherauch— artiger, eiſen- und nickelhaltiger Meteorſtaub“ niederfällt: das alles iſt bis jetzt in großes Dunkel gehüllt. Wir kennen das räumlich Gemeſſene, die ungeheure, wunderſame, ganz planetariſche Geſchwindigkeit der Sternſchnuppen, der Feuer⸗ kugeln und der Meteorſteine; wir kennen das Allgemeine und in dieſer Allgemeinheit Einförmige der Erſcheinung, nicht den genetiſchen kosmiſchen Vorgang, die Folge der Umwandlungen. Kreiſen die Meteorſteine ſchon geballt zu dichten?“ Maſſen (doch minder dicht als die mittlere Dichtigkeit der Erde), ſo müſſen ſie im Innerſten der Feuerkugeln, aus deren Höhe und ſcheinbarem Durchmeſſer man bei den größeren auf einen wirklichen Durchmeſſer von 500 bis 2600 Fuß (160 bis 840 m) ſchließen kann, nur einen ſehr geringen, von entzünd— lichen Dämpfen oder Gasarten umhüllten Kern bilden. Die größten Meteormaſſen, die wir bisher kennen: die braſilianiſche von Bahia und die von Otumpa in Chaco, welche Rubi de Celis beſchrieben, haben 7 bis 7½ Fuß (2,27 bis 2,43 m) Länge. Der in dem ganzen Altertum ſo berühmte, ſchon in der Pariſchen Marmorchronik bezeichnete Meteorſtein von Aegos Potamoi (gefallen faſt in dem Geburtsjahre des So⸗ krates) wird ſogar als von der Größe zweier Mühlſteine und dem Gewicht einer vollen Wagenlaſt beſchrieben. Trotz der vergeblich angewandten Bemühungen des afrikaniſchen Reiſen— den Browne, habe ich nicht die Hoffnung aufgegeben, man werde einſt dieſe, ſo ſchwer zerſtörbare thraciſche Meteor— maſſe in einer den Europäern jetzt ſehr zugänglichen Gegend (nach 2312 Jahren) wieder auffinden. Der im Anfang des 10. Jahrhunderts in den Fluß bei Narni gefallene ungeheure Aerolith ragte, wie ein von Pertz aufgefundenes Dokument bezeugt, eine volle Elle hoch über dem Waſſer hervor. Auch iſt zu bemerken, daß alle dieſe Maſſen alter und neuer Zeit doch * eigentlich nur als Hauptfragmente von dem zu betrachten find, was in der Feuerkugel oder in dem dunkeln Gewölk durch Exploſion zertrümmert worden iſt. Wenn man die mathematiſch erwieſene, ungeheure Geſchwindigkeit erwägt, mit welcher die Meteorſteine von den äußerſten Grenzen der Atmo— ſphäre bis zur Erde gelangen, oder als Feuerkugeln auf längerem Wege durch die Atmoſphäre und deren dichtere Schichten hin- ſtreichen, ſo wird es mir mehr als unwahrſcheinlich, daß erſt in dieſem kurzen Zeitraume die metallhaltige Steinmaſſe mit ihren eingeſprengten, vollkommen ausgebildeten Kriſtallen von Olivin, Labrador und Pyroxen ſollte aus dem dunſtförmigen Zuſtande zu einem feſten Kerne zuſammengeronnen ſein. Was herabfällt, hat übrigens, ſelbſt dann, wenn die innere Zuſammenſetzung chemiſch noch verſchieden iſt, faſt immer den eigentümlichen Charakter eines Fragments, oft eine prismatoidiſche oder verſchobene Pyramidalform, mit breiten, etwas gebogenen Flächen und abgerundeten Ecken. Woher aber dieſe, von Schreibers zuerſt erkannte Form eines abgeſonderten Stückes in einem rotierenden planetariſchen Körper? Auch hier, wie in der Sphäre des organiſchen Lebens, iſt alles dunkel, was der Entwickelungsgeſchichte angehört. Die Meteormaſſen fangen an Ei leuchten und ſich zu entzünden in Höhen, die wir faſt als luftleer betrachten müſſen, oder die nicht 10% 00 Sauerſtoff enthalten. Biots neue Unter⸗ n über das wichtige Crepuskularphänomen ?“ erniedrigen ſogar beträchtlich die Linie, welche man, vielleicht etwas ge⸗ wagt, die Grenze der Atmofphäre*' zu nennen pflegt; aber Lichtprozeſſe können ohne Gegenwart des umgebenden Sauerſtoffs vorgehen, und Poiſſon dachte ſich die Entzündung des Aerolithen weit jenſeits unſeres luftförmigen Dunſtkreiſes. Nur das, was der Berechnung und einer geometriſchen Meſſung zu unterwerfen iſt, führt uns bei den Meteorſteinen, wie bei den größeren Weltkörpern des Sonnenſyſtems, auf einen feſten und ſichereren Boden. Obgleich Halley ſchon die große Feuer— kugel von 1686, deren Bewegung der Bewegung der Erde in ihrer Bahn entgegengeſetzt war, für ein kosmiſches Phänomen erklärte, ſo iſt es doch erſt Chladni geweſen, welcher in der größten Allgemeinheit (1794) den Zuse zwiſchen den Feuerkugeln und den aus der Atmoſphäre herabgefallenen Steinen, wie die Bewegung der erſteren im Weltraume,“? auf das ſcharfſinnigſte erkannt hat. Eine glänzende Beſtätigung der Anſicht des kosmiſchen Urſprungs ſolcher Erſcheinungen 3 hat Deniſon Olmſted zu New Haven (Maſſachuſetts) dadurch geliefert, daß er erwieſen hat, wie bei dem ſo berühmt gewordenen Sternſchnuppenſchwarme in der Nacht vom 12. um 13. November 1833, nach dem Zeugnis aller Beobachter, ie Feuerkugeln und Sternſchnuppen insgeſamt von einer und derſelben Stelle am Himmelsgewölbe, nahe bei J Leonis, ausgingen, und von dieſem Ausgangspunkte nicht abwichen, obgleich der Stern während der langen Dauer der Beobach— tung ſeine ſcheinbare Höhe und ſein Azimut veränderte. Eine ſolche Unabhängigkeit von der Rotation der Erde bewies, daß die leuchtenden Körper von außen, aus dem Weltraume, in unſere Atmoſphäre gelangten. Nach Endes Berechnung!“ ſämtlicher Beobachtungen, die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zwiſchen den Breiten von 35° und 42“ angeſtellt worden ſind, kamen ſie alle aus dem Punkte des Weltraums, auf welchen zu derſelben Epoche die Bewegung der Erde ge— richtet war. Auch in den wiederkehrenden Sternfchnuppen- ſchwärmen des Novembers von 1834 und 1837 in Nord- amerika, wie in dem analogen 1838 zu Bremen beobachteten, wurden der allgemeine Parallelismus der Bahnen und die Richtung der Meteore aus dem Sternbild des Löwen erkannt. Wie bei periodiſchen Sternſchnuppen überhaupt eine mehr parallele Richtung als bei den gewöhnlichen ſporadiſchen, ſo glaubt man auch in dem periodiſch wiederkehrenden Auguſt— Phänomen (Strom des heil. Laurentius) bemerkt zu haben, daß die Meteore 1839 größtenteils von einem Punkte zwiſchen dem Perſeus und dem Stier kamen; gegen das letztere Stern: bild bewegte ſich damals die Erde. Dieſe Eigenheit des Phänomens (der Richtung rückläufiger Bahnen im November und im Auguſt) verdient beſonders durch künftige recht genaue Beobachtungen bekräftigt oder widerlegt zu werden. Die Höhe der Sternſchnuppen, d. 5 des Anfangs und Endes ihrer Sichtbarkeit, iſt überaus verſchieden, und ſchwankt zwiſchen 4 und 35 Meilen (30 und 260 km). Dies wichtige Reſultat und die ungeheure Geſchwindigkeit der problematiſchen Aſteroiden ſind zuerſt von Benzenberg und Brandes durch gleichzeitige Beobachtungen und Parallaxenbeſtimmungen, an den Endpunkten einer Standlinie von 46000 Fuß (14942 m) Länge gefunden worden.“ Die relative Geſchwindigkeit der Bewegung iſt 4 bis 9 Meilen (33 bis 66,7 1 in der Sekunde, alſo der der Planeten gleich. Eine ſolche plane— tariſche Geſchwindigkeit,“ wie auch die oft bemerkte Richtung iz. We der Feuerkugel- und Sternſchnuppenbahnen, der Bewegungs: richtung der Erde entgegengeſetzt, werden als Hauptmomente in der Widerlegung des Urſprungs der Aerolithen aus ſoge— nannten noch thätigen Mondvulkanen betrachtet. Die An— nahme einer mehr oder minder großen vulkaniſchen Kraft auf einem kleinen, von keinem Luftkreiſe umgebenen Weltkörper iſt aber, ihrer Natur nach, numeriſch überaus willkürlich. Es kann die Reaktion des Inneren eines Weltkörpers gegen ſeine Rinde zehn-, ja hundertmal kräftiger gedacht werden als bei unſeren jetzigen Erdvulkanen. Auch die Richtung der Maſſen, welche von einem weſtöſtlich umlaufenden Satelliten ausgeſchleudert werden, kann dadurch rückläufig ſcheinen, daß die Erde in ihrer Bahn ſpäter an den Punkt derſelben gelangt, den jene Maſſen berühren. Wenn man indes den Umfang der Verhältniſſe erwägt, die ich ſchon in dieſem Naturgemälde habe aufzählen müſſen, um dem Verdacht unbegründeter Be— hauptungen zu entgehen, jo findet man die Hypotheſe des ſelenitiſchen Urſprunges der Meteorſteine von einer Mehrzahl von Bedingungen abhängig, deren zufälliges Zuſammentreffen allein das bloß Mögliche als ein Wirkliches geſtalten kann. Einfacher und anderen Vermutungen über die Bildung des Sonnenſyſtems analoger ſcheint die Annahme eines urſprüng⸗ lichen Daſeins kleiner planetariſcher Maſſen im Weltraume. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ein großer Teil dieſer kosmiſchen Körper die Nähe unſeres Dunſtkreiſes unzerſtört durchſtreichen, um ihre, durch Anziehung der Erdmaſſe nur in der ee veränderte Bahn um die Sonne fortzuſetzen. Man kann glauben, daß dieſelben uns nach mehreren Um- läufen und vielen Jahren erſt wieder ſichtbar werden. Die ſo— genannten aufwärts ſteigenden Sternſchnuppen und Feuer⸗ kugeln, welche Chladni“ nicht glücklich durch Reflexion ſtark zuſammengepreßter Luft zu erklären ſuchte, erſchienen auf den erſten Anblick als die Folge einer rätſelhaften, die Körper von der Erde entfernenden Wurfgeſchwindigkeit; aber Beſſel hat theoretiſch erwieſen und durch Feldts ſorgfältige Rechnungen beſtätigt gefunden, daß bei dem Mangel an vollkommener Gleichzeitigkeit des beobachteten Verſchwindens unter den ver- öffentlichen Beobachtungen keine vorkomme, welche der An— nahme des Aufſteigens eine Wahrſcheinlichkeit gäbe, und er⸗ laubte ſie als ein Reſultat der Beobachtungen anzuſehen.““ Ob, wie Olbers glaubt, das Zerſpringen von Sternſchnuppen und rauchend flammenden, nicht immer geradlinig bewegten — 89 — Feuerkugeln die Meteore nach Raketenart in die Höhe treiben, und ob es in gewiſſen Fällen auf die Richtung ihrer Bahn einwirken könne, muß der Gegenſtand neuer Beobachtungen werden. Die Sternſchnuppen fallen entweder vereinzelt und ſelten, alſo ſporadiſch, oder in Schwärmen zu vielen Tauſen⸗ den; die letzteren Fälle (arabiſche Schriftſteller vergleichen ſie mit Heuſchreckenſcharen) ſind periodiſch und bewegen ſich in Strömen von meiſt paralleler Richtung. Unter den periodiſchen Schwärmen ſind bis jetzt die berühmteſten geworden das ſogenannte November-Phänomen (12. bis 14. November), und das des Feſtes des heil. Laurentius (10. Auguſt), deſſen „feuriger Thränen“ in England ſchon längſt in einem Kirchenkalender wie in alten Traditionen!“ als einer wiederkehrenden meteorologiſchen Begebenheit gedacht wird. Unerachtet bereits in der Nacht vom 12.—13. November 1823 nach Klöden in Potsdam, und 1832 in ganz Europa: von Portsmouth bis Orenburg am Uralfluſſe, ja ſelbſt in der ſüdlichen Hemiſphäre in Ile de France, ein großes Gemiſch von Sternſchnuppen und Feuerkugeln der verſchiedenſten Größe geſehen worden war, ſo leitete doch eigentlich erſt der unge— heure Sternſchnuppenſchwarm, den Olmſted und Palmer in Nordamerika am 12.— 13. November 1833 beobachteten und in dem an einem Orte, wie Schneeflocken zuſammengedrängt, während neun Stunden wenigſtens 240000 fielen, auf die Periodizität der Erſcheinung, auf die Idee, daß große Sternſchnuppenſchwärme an gewiſſe Tage geknüpft find. Bal- mer in New Haven erinnerte ſich des Meteorfalls von 1799, den Ellicot und ich zuerſt beſchrieben haben;? und von dem durch die Zuſammenſtellung des Beobachteten, welche ich ge— geben, erwieſen worden iſt, daß er im neuen Kontinent gleich— zeitig vom Aequator bis zu Neu-Herrnhut in Grönland (Br. 46° 14°) zwiſchen 46° und 82° der Länge geſehen wurde. Man erkannte mit Erſtaunen die Identität der Zeitepoche. Der Strom, der am ganzen Himmelsgewölbe am 12.— 13. November 1833 von Jamaika bis Boſton (Br. 40° 21) geſehen wurde, wieder: holte ſich 1834 in der Nacht vom 13.— 14. November in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, doch mit etwas ge— ringerer Intenſität. In Europa hat ſich ſeine Periodizität ſeitdem mit großer Regelmäßigkeit beſtätigt. Ein zweiter, ebenſo regelmäßig eintretender Sternſchnup— penſchwarm, als das November-Phänomen, iſt der des Auguſt— monats, der Strom des heil. Laurentius (9.— 14. Auguſt). ihr Mufchenbroef *° hatte ſchon in der Mitte des vorigen Jahr: hunderts auf die Häufigkeit der Meteore im Auguſtmonat auf: merkſam gemacht; aber ihre periodiſch ſichere 1 um die Epoche des Laurentiusfeſtes haben erſt Quetelet, Olbers und Benzenberg erwieſen. Man wird mit der Zeit gewiß noch andere periodiſch wiederkehrende Ströme?“ entdecken, vielleicht um den 22.— 25. April, wie zwiſchen dem 6.—12. Dezember, und wegen der von Capocci aufgezählten wirklichen Aerolithen⸗ fälle am 27.—29. November oder 17. Juli. So unabhängig ſich auch alle bisher beobachtete Erſchei— nungen von der Polhöhe, der Lufttemperatur und anderen klima— tiſchen Verhältniſſen geaeigt haben, ſo iſt doch dabei eine, vielleicht nur zufällig begleitende Erſcheinung nicht ganz zu überſehen. Das Nordlicht war von großer Intenſität während der prachtvollſten aller dieſer Naturbegebenheiten, während der, welche Olmſted (12.—13. November 1833) beſchrieben hat. Es wurde auch in Bremen 1838 beobachtet, wo aber der perio— diſche Meteorfall minder auffallend als in Richmond bei London war. Ich habe auch in einer anderen Schrift der ſonderbaren und mir oft mündlich beſtätigten Beobachtung des Admirals Wrangel ' erwähnt, der an den ſibiriſchen Küſten des Eismeers, während des Nordlichtes, gewiſſe Regionen des Himmelsge— wölbes, die nicht leuchteten, ſich ſtets entzünden und dann fort⸗ glühen ſah, wenn eine Sternſchnuppe ſie durchſtrich. Die verſchiedenen Meteorſtröme, jeder aus Myriaden kleiner Weltkörper zuſammengeſetzt, ſchneiden wahrſcheinlich unſere Erdbahn, wie es der Komet von Biela thut. Die Sternſchnuppen-Aſteroiden würde man ſich nach dieſer Anſicht als einen elan enen Ring bildend und in demſelben einerlei Bahn befolgend vorſtellen können. Die ſogenannten kleinen Planeten zwiſchen Mars und Jupiter bieten uns, mit Aus⸗ ſchluß der Pallas, in ihren ſo engverſchlungenen Bahnen ein analoges Verhältnis dar. Ob Veränderungen in den Epochen, zu welchen der Strom uns ſichtbar wird, ob Verſpätungen der Erſcheinungen, auf die ich ſchon lange aufmerkſam gemacht habe, ein regelmäßiges Fortrücken oder Schwanken der Knoten (der Durchſchnittspunkte der Erdbahn und der Ringe) an⸗ deuten, oder ob bei ungleicher Gruppierung und bei ſehr un— gleichen Abſtänden der kleinen Körper voneinander die Zone eine ſo beträchtliche Breite hat, daß die Erde ſie erſt in meh— reren Tagen durchſchneiden kann, darüber iſt jetzt noch nicht zu entſcheiden. Das Mondſyſtem des Saturn zeigt uns eben— 9 falls eine Gruppe innigſt miteinander verbundener Weltkörper von ungeheurer Breite. In dieſer Saturnsgruppe iſt die Bahn des äußerſten (ſiebenten? Mondes von einem jo beträchtlichen Durchmeſſer, daß die Erde in ihrer Bahn um die Sonne einen gleichen Raum erſt in drei Tagen zurücklegen würde. Wenn in einem der geſchloſſenen Ringe, welche wir uns als die Bahnen der periodiſchen Ströme bezeichnend denken, die Aſteroiden dergeſtalt ungleich verteilt ſind, daß es nur wenige dicht gedrängte und | „ Gruppen darin gibt, ſo begreift man, warum glänzende Phänomene wie die im Novem— ber 1799 und 1833 überaus ſelten ſind. Der ſcharfſinnige Olbers war geneigt, die Wiederkehr der großen Erſcheinung, in der Sternſchnuppen mit Feuerkugeln gemengt wie Schneeflocken fielen, erſt für den 12.— 14. November 1867 zu verkündigen. Bisweilen iſt der Strom der November-Aſteroiden nur in einem ſchmalen Erdraume ſichtbar geworden. So zeigte er ſich z. B. im Jahre 1837 in England in großer Pracht als meteoric shower, während daß ein ſehr aufmerkſamer und geübter Beobachter zu Braunsberg in Preußen in derſelben Nacht, die dort ununterbrochen heiter war, von 7 Uhr abends bis Sonnenaufgang nur einige wenige, ſporadiſch fallende Sternſchnuppen ſah. Beſſel ſchloß '? daraus, „daß eine wenig ausgedehnte Gruppe des großen mit jenen Körpern gefüllten Ringes in England bis zur Erde gelangt iſt, während daß eine öſtlich gelegene Länderſtrecke durch eine verhältnismäßig leere Gegend des Meteorringes ging“. Erhält die Annahme eines regelmäßigen Fortrückens oder eines durch Perturbationen verurſachten Schwankens der Knotenlinie mehr Wahrjchein- lichkeit, ſo gewinnt das Auffinden älterer Beobachtungen ein beſonderes Intereſſe. Die chineſiſchen Annalen, in denen neben der Erſcheinung von Kometen auch große Sternſchnuppen— ſchwärme angegeben werden, reichen bis über die Zeiten des Tyrtäus oder des zweiten meſſeniſchen Krieges hinaus. Sie beſchreiben zwei Ströme im Märzmonat, deren einer 687 Jahre älter als unſere chriſtliche Zeitrechnung iſt. Eduard Biot hat ſchon bemerkt, daß unter den 52 Erſcheinungen, welche er in den chineſiſchen Annalen geſammelt, die am häufigſten wieder— kehrenden die wären, welche dem 20.—22. Juli (a. St.) nahe liegen und daher wohl der, jetzt vorgerückte Strom des heil. Laurentius ſein könnten.? Sit der von Boguslawski dem Sohne in Benessi de Horowie Chronicon Eeclesiae Pra- gensis aufgefundene Sternſchnuppenfall vom 21. Oktober 1366 Bere): AB (a. St.) unſer jetziges November-Phänomen, aber damals bei hellem Tage geſehen, ſo lehrt die Fortrückung in 477 Jahren, daß dies Sternſchnuppenſyſtem (d. i. ſein gemeinſchaftlicher Schwerpunkt) eine rückläufige Bahn um die Sonne beſchreibt. Es folgt auch aus den hier entwickelten Anſichten, daß, wenn Jahre vergehen, in denen beide bisher erforſchte Ströme (der November- und der Laurentiusſtrom) in keinem Teile der Erde beobachtet würden, die Urſache davon entweder in der Unterbrechung des Ringes (d. h. in den Lücken, welche die aufeinander folgenden Aſteroidengruppen laſſen) oder, wie Poiſſon will, in der Einwirkung der größeren Planeten?“ auf die Geſtalt und Lage des Ringes liegt. Die feſten Maſſen, welche man bei Nacht aus Feuer⸗ kugeln, bei Tage und meiſt bei heiterem Himmel, aus einem kleinen dunkeln Gewölk unter vielem Getöſe und beträchtlich erhitzt (doch nicht rotglühend) zur Erde fallen ſieht, zeigen im ganzen, ihrer äußeren Form, der Beſchaffenheit ihrer Rinde und der chemiſchen Zuſammenſetzung ihrer Hauptbe⸗ ſtandteile nach, eine unverkennbare Uebereinſtimmung. Sie zeigen dieſelbe durch alle Jahrhunderte und in den verſchie⸗ denſten Regionen der Erde, in denen man ſie geſammelt hat. Aber eine ſo auffallende und früh behauptete phyſiognomiſche Gleichheit der dichten Meteormaſſen leidet im einzelnen mancherlei Ausnahmen. Wie verſchieden ſind die leicht ſchmied— baren Eiſenmaſſen von Hradſchina im Agramer Komitate, oder die von den Ufern des Siſim in dem Jeniſſeisker Gouver⸗ nement, welche durch Pallas berühmt geworden ſind, oder die, welche ich aus Mexiko mitgebracht, Maſſen, die alle **ıoo Eiſen enthalten, von den Aerolithen von Siena, deren Eiſen⸗ gehalt kaum ùñ70 beträgt, von dem erdigen, in Waſſer zer⸗ fallenden Meteorſtein von Alais (im Departement du Gard), und von Jonzac und Juvenas, die ohne metalliſches Eiſen, ein Gemenge oryktognoſtiſch unterſcheidbarer, kriſtalliniſch geſon— derter Beſtandteile darbieten! Dieſe Verſchiedenheiten haben auf die Einteilung der kosmiſchen Maſſen in zwei Klaſſen: nickelhaltiges Meteoreiſen und fein- oder grobkörnige Me⸗ teorſteine, geführt. Sehr charakteriſtiſch iſt die, nur einige Zehntel einer Linie dicke, oft pechartig glänzende, bisweilen geäderte Rinde.“? Sie hat bisher, ſoviel ich weiß, nur im Meteorſtein von Chantonnay in der Vendse gefehlt, der da⸗ gegen, was ebenſo ſelten iſt, Poren und Blaſenräume wie der Meteorſtein von Juvenas zeigt. Ueberall iſt die ſchwarze — 98 — Rinde von der hellgrauen Maſſe ebenſo ſcharf abgeſchnitten als der ſchwarze bleifarbene Ueberzug der weißen Granitblöcke, die ich aus den Katarakten des Orinoko mitgebracht und die auch vielen Katarakten anderer Erdteile (z. 8. dem Nil- und dem Kongofluſſe) eigen ſind. Im ſtärkſten Feuer der Porzellan⸗ öfen kann man nichts hervorbringen, was der ſo rein von der unveränderten Grundmaſſe abgeſchiedenen Rinde der Aero— lithen ähnlich wäre. Man will zwar hie und da etwas be— merkt haben, was auf das Einkneten von Fragmenten könnte ſchließen laſſen; aber im 1 deuten die Beſchaffenheit der Grundmaſſe, der Mangel von Abplattung durch den Fall, und die nicht ſehr beträchtliche u en bei erſter Berührung des eben gefallenen Meteorſteins keineswegs auf das Ge— ſchmolzenſein des Inneren in dem ſchnell zurückgelegten Wege von der Grenze der Atmoſphäre zur Erde hin. Die Rn Elemente, aus denen die Meteormafjen beſtehen und über welche Berzelius ein jo großes Licht ver: breitet hat, ſind dieſelben, welche wir zerſtreut in der Erdrinde antreffen: 8 Metalle (Eiſen, Nickel, Kobalt, Mangan, Chrom, Kupfer, Arſenik und Zinn), 5 Erdarten: Kali und Natron, Schwefel, Phosphor und Kohle; im ganzen 1½ aller uns bisher bekannten ſogenannten einfachen Stoffe. °° Trotz dieſer Gleich— heit der letzten Beſtandteile, in welche unorganiſche Körper chemiſch zerſetzt werden, hat das Anſehen der Meteormaſſen doch durch die Art der Zuſammenſetzung ihrer Beſtandteile im allgemeinen etwas Fremdartiges, den irdiſchen Gebirgs— arten und Felsmaſſen Unähnliches. Das faſt in allen einge— ſprengte gediegene Eiſen gibt ihnen einen eigentümlichen, aber deshalb nicht ſelenitiſchen Charakter: denn auch in anderen Welträumen und Weltkörpern, außerhalb des Mondes, kann Waſſer ganz fehlen und können Oxydationsprozeſſe ſelten fein. ie kosmiſchen Schleimblaſen, die organiſchen noſtokähnlichen Maſſen, welche den Sternſchnuppen ſeit dem Mittelalter zugeſchrieben werden, die Schwefelkieſe von Ster— litamak (weſtlich vom Uralgebirge), die das Innere von Hagelkörnern ſollen gebildet haben, gehören zu den Mythen der Meteorologie. Nur das feinkörnige Gewebe, nur die Ein— mengung von Olivin, Augit und Labrador ' geben einigen Aerolithen (z. B. den doleritähnlichen von Juvenas im Ir: deche⸗Departement), wie Guftav Roſe gezeigt hat, ein mehr heimiſches Anſehn. Dieſe enthalten nämlich kriſtalliniſche Subſtanzen, ganz denen unſerer Erdrinde gleich, und in der 5 gas ſibiriſchen Meteoreiſenmaſſe von Pallas zeichnet fich der Olivin nur durch Mangel von Nickel aus, der dort durch Zinnoxyd erſetzt iſt. Da die Meteorolivine, wie die unſerer Baſalte, 47 bis 49 Hundertteile Talkerde enthalten und in den Meteor— ſteinen nach Berzelius meiſt die Hälfte der erdigen Beſtandteile ausmachen, ſo muß man nicht über den großen Gehalt an Silikaten von Talkerde in dieſen kosmiſchen a erſtaunen. Wenn der Aerolith von Juvenas trennbare Kriſtalle von Augit und Labrador enthält, ſo wird es durch das numeriſche Verhältnis der Beſtandteile aufs wenigſte wahrſcheinlich, daß. die Meteormaſſen von Chateau Renard ein aus Hornblende und Albit beſtehender Diorit, die von Blansko und Chantonnay ein Gemenge von Hornblende und Labrador ſind. Die Beweiſe, welche man von den eben berührten oryktognoſtiſchen Aehn⸗ lichkeiten für einen telluriſchen und atmoſphäriſchen Urſprung der Aerolithen hernehmen will, ſcheinen mir nicht von großer Stärke. Warum ſollten, und ich könnte mich auf ein merkwürdiges Geſpräch von Newton und Conduit in Ken— ſington berufen, 5° die Stoffe, welche zu einer Gruppe von Weltkörpern, zu einem Planetenſyſteme gehören, nicht großen— teils dieſelben ſein können? warum ſollten ſie es nicht, wenn man vermuten darf, daß dieſe Planeten, wie alle größeren und kleineren geballten um die Sonne kreiſenden Maſſen, ſich aus der einigen, einſt weit eee e Sonnenatmoſphäre, wie aus dunſtförmigen Ringen abgeſchieden haben, die ans fänglich um den Centralkörper ihren Kreislauf beſchrieben? Wir ſind, glaube ich, nicht mehr berechtigt, Nickel und Eiſen, Olivin und Pyroxen (Augit) in den Meteorſteinen ausschließlich irdiſch zu nennen, als ich mir erlauben würde deutſche Pflanzen, die ich jenſeits des Obi fand, als europäiſche Arten der nord— aſiatiſchen Flora zu bezeichnen. Sind in einer Gruppe von Weltkörpern verſchiedenartiger Größe die Elementarſtoffe die— ſelben, warum ſollten ſie nicht auch, ihrer gegenſeitigen An— ziehung folgend, ſich nach beſtimmten Miſchungsverhältniſſen geſtalten können? in der Polarzone des Mars zu weißglänzen⸗ dem Schnee und Eis, in anderen, kleineren kosmiſchen Maſſen zu Gebirgsarten, welche Olivin-, Augit- und Labradorkriſtalle einſchließen? Auch in der Region des bloß Mutmaßlichen darf nicht eine ungeregelte, auf alle Induktion verzichtende Willkür der Meinungen herrſchen. Wunderſame, nicht durch vulkaniſche Aſche oder Höherauch (Moorrauch) erklärbare Verſinſterungen der Sonnenſcheibe, während Sterne bei vollem Mittag zu ſehen waren (wie die dreitägige Verfinſterung im Jahre 1547 um die Zeit der ver— hängnisvollen Schlacht bei Mühlberg), wurden von Kepler bald einer materia cometica, bald einem ſchwarzen Gewölk, das rußige Ausdünſtungen des Sonnenkörpers erzeugen, zu— geſchrieben. Kürzere, drei- und ſechsſtündige Verdunkelungen in den . 1090 und 1203 erklärten Chladni und Schnurrer durch vorbeiziehende Meteormaſſen. Seitdem die Sternſchnup— penſtröme, nach der Richtung ihrer Bahn, als ein geſchloſſener Ring betrachtet werden, ſind die Epochen jener rätſelhaften Himmelserſcheinungen in einen merkwürdigen Zuſammenhang mit den regelmäßig wiederkehrenden Sternſchnuppenſchwärmen geſetzt worden. Adolf Erman hat mit vielem Scharfſinn und genauer Zergliederung der bisher geſammelten Thatſachen auf das Zuſammentreffen der Konjunktion der Sonne ſowohl mit den Auguſt⸗Aſteroiden (7. Februar) als mit den November: Aſteroiden (12. Mai, um die Zeit der im Volksglauben ver— rufenen kalten Tage Mamertus, Pankratius und Servatius) aufmerkſam gemacht.““ Die griechiſchen Naturphiloſophen, der größeren Zahl nach wenig zum Beobachten geneigt, aber beharrlich und un— erſchöpflich in der vielfältigsten Deutung des Halbwahrge— nommenen, haben über Sternſchnuppen und Meteorſteine An— ſichten hinterlaſſen, von denen einige mit den jetzt ziemlich allgemein angenommenen von dem kosmiſchen Vorgange der Erſcheinungen auffallend übereinſtimmen. „Sternſchnuppen,“ ſagt Plutarch“ im Leben des Lyſander, „find nach der Mei— nung einiger Phyſiker nicht Auswürfe und Abflüſſe des äthe— riſchen Feuers, welches in der Luft unmittelbar nach der Ent- zündung und Entflammung der Luft, die in der oberen Region ſich in Menge aufgelöſt Babe ſie ſind vielmehr ein Fall himmliſcher Körper, dergeſtalt, daß ſie durch eine gewiſſe Nachlaſſung der Schwungkraft und durch den Wurf einer unregelmäßigen Bewegung herabgeſchleudert werden, nicht bloß nach der bewohnten Erde, ſondern auch außerhalb in das große Meer, weshalb man dann ſie nicht findet.“ Noch deutlicher ſpricht ſich Diogenes von Apollonia aus. Nach ſeiner Anſicht „bewegten ſich, zuſammen mit den ſichtbaren, unſichtbare Sterne, die eben deshalb keine Namen haben. Dieſe fallen oft auf die Erde herab und er— löſchen, wie der bei Aegos Patomoi feurig herabgefallene ſteei— nerne Stern.“ Der Apolloniate, welcher auch alle übrigen Be | Geſtirne (die leuchtenden) für bimsſteinartige Körper hält, gründete wahrſcheinlich ſeine Meinung von Sternſchnuppen und Meteormaſſen auf die Lehre des Anaxagoras von Klazo: menä; der ſich alle Geſtirne (alle Körper im Weltraume) „als Felsſtücke“ dachte, „die der feurige Aether in der Stärke ſeines Umſchwunges von der Erde abgeriſſen und, entzündet, zu Sternen gemacht habe.“ In der ioniſchen Schule fielen alſo, nach der Deutung des Diogenes von Apollonia, wie ſie uns überliefert worden iſt, Aerolithen und Geſtirne in eine und dieſelbe Klaſſe. Beide ſind der erſten Entſtehung nach gleich telluriſch, aber nur in dem Sinne, als habe die Erde, als Centralkörper einſt,“ um ſich her alles jo gebildet, wie, nach unſeren heutigen Ideen, die Planeten eines Syſtems aus der er- weiterten Atmoſphäre eines anderen Centralkörpers, der Sonne, entſtehen. Dieſe Anſichten find alſo nicht mit dem zu ver- wechſeln, was man gemeinhin telluriſchen oder atmoſphäriſchen Urſprung der Meteorſteine nennt, oder gar mit der wunderbaren Vermutung des Ariſtoteles, nach welcher die ungeheure Maſſe von Aegos Potamoi durch Sturmwinde gehoben worden jet. Eine vornehm thuende Zweifelſucht, welche Thatſachen verwirft, ohne ſie ergründen zu wollen, iſt in einzelnen Fällen faſt noch verderblicher als unkritiſche Leichtgläubigkeit. Beide hindern die Schärfe der Unterſuchung. Obgleich ſeit dritte— halbtauſend Jahren die Annalen der Völker von Steinfällen erzählen, mehrere Beiſpiele derſelben durch unverwerfliche Augenzeugen außer allem Zweifel geſetzt waren, die Bätylien einen wichtigen Teil des Meteorkultus der Alten ausmachten, und die Begleiter von Cortes in Cholula den Aerolithen ſahen, welcher auf die nahe Pyramide gefallen war; obgleich Kalifen und mongoliſche Fürſten ſich von friſchgefallenen Me— teorſteinen hatten Schwerter ſchmieden laſſen, ja Menſchen durch vom Himmel gefallene Steine erſchlagen wurden lein Frate zu Crema am 4. September 1511, ein anderer Mönch in Mailand 1650, zwei ſchwediſche Matroſen auf einem Schiffe 1674), ſo iſt doch bis auf Chladni, der ſchon durch die Ent⸗ deckung ſeiner Klangfiguren ſich ein unſterbliches Verdienſt um die A he erworben hatte, ein ſo großes kosmiſches Phänomen faſt unbeachtet, in ſeinem innigen Zuſammenhange mit dem übrigen Planetenſyſteme unerkannt geblieben. Wer aber durch— drungen iſt von dem Glauben an dieſen Zuſammenhang, den kann, wenn er für geheimnisvolle Natureindrücke empfänglich iſt, nicht etwa bloß die glänzende Erſcheinung der Meteor— ZN 9 ZE ſchwärme, wie im November: Phänomen und in der Nacht des heil. Laurentius, ſondern auch jeder einſame Sternenſchuß mit ernſten Betrachtungen erfüllen. Hier tritt plötzlich Be— wegung auf mitten in dem un nächtlicher Ruhe. Es belebt und es regt ſich auf Augenblicke in dem ſtillen Glanze des Firmaments. Wo mit mildem Lichte die Spur des fallen— den Sternes aufglimmt, verſinnlicht ſie am Himmelsgewölbe das Bild einer meilenlangen Bahn; die brennenden Aſteroiden erinnern uns an das Daſein eines überall ſtofferfüllten Welt— raums. Vergleichen wir das Volum des innerſten Saturns— trabanten oder das der Ceres mit dem ungeheuren Volum der Sonne, jo verſchwinden in unſerer Einbildungskraft die Ver: hältniſſe von groß und klein. Schon das Verlöſchen plötzlich auflodernder Geſtirne in der Kaſſiopeia, im Schwan und im Schlangenträger führt zu der Annahme dunkler Weltkörper. In kleine Maſſen geballt kreiſen die Sternſchnuppen-Aſteroiden um die Sonne, durchſchneiden kometenartig die Bahnen der leuchtenden großen Planeten und entzünden ſich, der Oberfläche ſelben. Dunſtkreiſes nahe oder in den oberſten Schichten des— elben. d Mit allen anderen Weltkörpern, mit der ganzen Natur jenſeits unſerer Atmoſphäre ſtehen wir nur im Verkehr mittels des Lichtes, mittels der Wärmeſtrahlen, die kaum vom Lichte zu trennen ſind,“? und durch die geheimnisvollen Anziehungs— kräfte, welche ferne Maſſen nach der Quantität ihrer Körper: teile auf unſeren Erdball, auf den Ozean und die Luftſchichten ausüben. Eine ganz andere Art des kosmiſchen, recht eigentlich materiellen Verkehrs erkennen wir im Fall der Sternſchnuppen und Meteorſteine, wenn wir ſie für planetariſche Aſteroiden halten. Es ſind nicht mehr Körper, die aus der Ferne bloß durch Erregung von Schwingungen leuchtend oder wärmend einwirken, oder durch Anziehung bewegen oder bewegt werden: es ſind materielle Teile ſelbſt, welche aus dem Weltraume in unſere Atmoſphäre gelangen und unſerem Erdkörper verbleiben. Wir erhalten durch einen Meteorſtein die einzig mögliche Be— rührung von etwas, das unſerm Planeten fremd iſt. Gewöhnt, alles Nichttelluriſche nur durch Meſſung, durch Rechnung, durch Vernunftſchlüſſe zu kennen, ſind wir erſtaunt, zu be— taſten, zu wiegen, zu zerſetzen, was der Außenwelt angehört. So wirkt auf unſere Einbildungskraft eine reflektierende, geiſtige Belebung der Gefühle, da wo der gemeine Sinn nur ver— löſchende Funken am heiteren Himmelsgewölbe, wo er im A. v. Humboldt, Kosmos. I. 7 9 ſchwarzen Steine, der aus der krachenden Wolke herabſtürzt, nur das rohe Produkt einer wilden Naturkraft ſieht. Wenn die Aſteroidenſchwärme, bei denen wir mit Vor— liebe lange verweilt haben, durch ihre geringe Maſſe und die Mannigfaltigkeit ihrer Bahnen ſich gewiſſermaßen den Kometen anſchließen, ſo unterſcheiden ſie ſich dagegen weſentlich dadurch, daß wir ihre Exiſtenz faſt nur in dem Augenblick ihrer Zer— ſtörung kennen lernen, wenn ſie, von der Erde gefeſſelt, leuch— tend werden und ſich entzünden. Um aber das Ganze von dem zu umfaſſen, was zu unſerem, ſeit der Entdeckung der kleinen Planeten, der inneren Kometen von kurzem Um: laufe und der Meteo raſteroiden fo kompliziert und formen⸗ reich erſcheinenden Sonnenſyſteme gehört, bleibt uns der Ring des Tierkreislichtes übrig, deſſen wir ſchon früher mehr— mals erwähnt haben. Wer jahrelang in der Palmenzone gelebt hat, dem bleibt eine liebliche Erinnerung von dem milden Glanze, mit dem das Tierkreislicht, pyramidal aufſteigend, einen Teil der immer gleich langen Tropennächte erleuchtet. Ich habe es, und zwar nicht bloß in der dünnen und trockenen Atmoſphäre der Andesgipfel auf zwölf- oder vierzehntauſend Fuß (3900 —4450 m) Höhe, ſondern auch in den grenzenloſen Grasfluren (Llanos) von Venezuela, wie am Meeresufer unter dem ewig heiteren Himmel von Cumana, bisweilen intenſiv leuchtender als die Milchſtraße im Schützen geſehen. Von einer ganz beſonderen Schönheit war die Erſcheinung, wenn kleines duftiges Gewölk ſich auf dem Zodiakallichte projizierte und ſich maleriſch abhob von dem erleuchteten Hintergrunde. Eine Stelle meines Tagebuches auf der Schiffahrt von Lima nach der weſtlichen Küſte von Mexiko gedenkt dieſes Luft— bildes: „Seit 3 oder 4 Nächten (zwiſchen 10° und 14° nörd⸗ licher Breite) ſehe ich das Zodiakallicht in einer Pracht, wie es mir nie noch erſchienen iſt. In dieſem Teile der Südſee iſt, auch nach dem Glanze der Geſtirne und Nebelflecke zu urteilen, die Durchſichtigkeit der Atmoſphäre wundervoll groß. Vom 14. bis 19. März war ſehr regelmäßig, / Stunden nachdem die Sonnenſcheibe ſich in das Meer getaucht hatte, keine Spur vom Tierkreislichte zu ſehen, obgleich es völlig finſter war. Eine Stunde nach Sonnenuntergang wurde es auf einmal ſichtbar, in großer Pracht zwiſchen Aldebaran und den Plejaden am 18. März 39° 5° Höhe erreichend. Schmale langgedehnte Wolken erſcheinen zerſtreuet in lieblichem Blau, tief am Horizont, wie vor einem gelben Teppich. Die oberen — 99 — ſpielen von Zeit zu Zeit in bunten Farben. Man glaubt, es ſei ein zweiter Untergang der Sonne. Gegen dieſe Seite des Himmelsgewölbes hin ſcheint uns dann die Helligkeit der Nacht zuzunehmen, faſt wie im erſten Viertel des Mondes. Gegen 10 Uhr war das Zodiakallicht hier in der Südſee ge— wöhnlich ſchon ſehr ſchwach, um Mitternacht ſah ich nur eine Spur desſelben. Wenn es den 16. März am ſtärkſten leuchtete, ſo ward gegen Oſten ein Gegenſchein von mildem Lichte ſicht— bar.“ In unſerer trüben, ſogenannten gemäßigten, nördlichen Zone iſt das Tierkreislicht freilich nur im Anfang des Früh— lings nach der Abenddämmerung über dem weſtlichen, am Ende des Herbſtes vor der Morgendämmerung über dem öſt— lichen Horizonte deutlich ſichtbar. Es iſt ſchwer zu begreifen, wie eine jo auffallende Natur: erſcheinung erſt um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Aufmerkſamkeit der Phyſiker und Aſtronomen auf ſich gezogen hat: wie dieſelbe den vielbeobachtenden Arabern im alten Bak— trien, am Euphrat und im ſüdlichen Spanien hat entgehen können. Faſt gleiche Verwunderung erregt die ſpäte Beob— achtung der erſt von Simon Marius und Huygens beſchriebenen Nebelflecke in der Andromeda und im Orion. Die erſte ganz deutliche Beſchreibung des Zodiakallichts iſt in Childreys Britannia Baconica'“ vom Jahr 1661 enthalten; die erite Beobachtung mag zwei oder drei Jahre früher gemacht worden ſein; doch bleibt dem Dominikus Caſſini das unbeſtreitbare Verdienſt, zuerſt (im Frühjahr 1683) das Phänomen in allen ſeinen räumlichen Verhältniſſen ergründet zu haben. Was er 1668 zu Bologna, und zu derſelben Zeit der berühmte Rei— ſende Chardin in Perſien ſahen (die Hofaſtrologen zu Iſpahan nannten das von ihnen nie zuvor geſehene Licht nyzek, eine kleine Lanze), war nicht, wie man oft behauptet hat,“ das Tierkreislicht, ſondern der ungeheure Schweif eines Ko— meten, deſſen Kopf ſich in den Dünſten des Horizonts ver— barg, und der ſelbſt der Lage und Erſcheinung nach viel Aehn— liches mit dem großen Kometen von 1843 hatte. Mit nicht geringer Wahrſcheinlichkeit kann man vermuten, daß das merk⸗ würdige, von der Erde pyramidal aufſteigende Licht, welches man auf der Hochebene von Mexiko 1509, vierzig Nächte lang, am öſtlichen Himmel beobachtete und deſſen Erwähnung ich in einem altaztekiſchen Manuſkripte der kgl. Pariſer Biblio— thek, im Codex Telleriano Remensis,“ aufgefunden habe, das Tierkreislicht war. — 100 — Die in Europa von Childrey und Dominikus Caſſini entdeckte und doch wohl uralte Erſcheinung iſt nicht die leuch— tende Sonnenatmoſphäre ſelbſt, da dieſe nach mechaniſchen Geſetzen nicht abgeplatteter als im Verhältnis von 2:3, und demnach nicht ausgedehnter als bis / der Merkursweite ſein könnte. Eben dieſe Geſetze beſtimmen, daß bei einem rotierenden Weltkörper, über ſeinem Aequator, die Höhe der äußerſten Grenze der Atmoſphäre, der Punkt nämlich, wo Schwere und Schwungkraft im Gleichgewicht ſind, nur die iſt, in welcher ein Satellit gleichzeitig mit der Achjendrehung des Weltkörpers um dieſen laufen würde. Eine ſolche Be: ſchränktheit der Sonnenatmoſphäre in ihrem jetzigen konzentrierten Zuſtande wird beſonders auffallend, wenn man den Centralkörper unſeres Syſtems mit dem Kern anderer Nebelſterne vergleicht. Herſchel hat mehrere aufgefunden, in denen der Halbmeſſer des Nebels, welcher den Stern umgibt, unter einem Winkel von 150“ erſcheint. Bei der Annahme einer Parallaxe, die nicht ganz 1“ erreicht, findet man die äußerſte Nebelſchicht eines ſolchen Sternes 150mal weiter von ſeinem Centrum entfernt, als es die Erde von der Sonne iſt. Stünde der Nebelſtern alſo an der Stelle unſerer Sonne, ſo würde ſeine Atmoſphäre nicht bloß die Uranusbahn einſchließen, ſondern ſich noch achtmal weiter als dieſe erſtrecken.“ Unter der eben geſchilderten engen Begrenzung der Son⸗ nenatmoſphäre, iſt mit vieler Wahrſcheinlichkeit als materielle Urſache des Zodiakallichtes die Exiſtenz eines zwiſchen der Venus: und Marsbahn frei im Weltraume kreiſenden, ſehr abgeplatteten Ringes“! dunſtartiger Materie zu betrachten. Von ſeinen eigentlichen körperlichen Dimenſionen, von ſeiner Vergrößerung durch Ausſtrömung der Schweife vieler My— riaden von Kometen, die in die Sonnennähe kommen, von der ſonderbaren Veränderlichkeit ſeiner Ausdehnung, da er bis⸗ weilen ſich nicht über unſere Erdbahn hinaus zu erſtrecken ſcheint, endlich von ſeinem mutmaßlichen inneren Zuſammen⸗ hange mit dem in der Nähe der Sonne mehr kondenſierten Weltdunſte iſt wohl für jetzt nichts Sicheres zu berichten.“ Die dunſtförmigen Teilchen, aus welchen der Ring beſteht und die nach planetariſchen Geſetzen um die Sonne cirkus lieren, können entweder ſelbſtleuchtend oder von der Sonne erleuchtet ſein. Selbſt ein irdiſcher Nebel (und dieſe That⸗ ſache iſt ſehr merkwürdig) hat ſich 1743, zur Zeit des Neu⸗ mondes, mitten in der Nacht ſo phosphoriſch erwieſen, daß rel), man Gegenſtände in 600 Fuß (195 m) Entfernung!“ deut: lich erkennen konnte. In dem Tropenklima von Südamerika hat mich bisweilen die veränderliche Lichtſtärke des Zodiakalſcheins in Erſtaunen geſetzt. Da ich mehrere Monate lang, an den Flußufern und in den Grasebenen (Llanos), die teen Nächte in freier Luft zubrachte, ſo hatte ich Gelegenheit, die Erſcheinung mit Sorgfalt zu beobachten. Wenn das Zodiakallicht eben am ſtärkſten geweſen war, jo wurde es bisweilen wenige Minuten nachher merklich geſchwächt, bis es plötzlich in ſeinem vollen Glanze wieder auftrat. In einzelnen Fällen glaubte ich — nicht etwa eine rötliche Färbung, oder eine untere bogenförmige Verdunkelung, oder gar ein Funkenſprühen, wie es Mairan angibt — wohl aber eine Art von Zucken und Flimmern zu bemerken. Gehen dann Prozeſſe in dem Dunſtringe ſelbſt vor? oder iſt es nicht wahrſcheinlicher, daß, während ich an den meteorologiſchen Inſtrumenten, nahe am Boden in der unteren Luftregion, keine Veränderung der Wärme oder Feuchtigkeit wahrnahm, ja während mir kleine Sterne fünfter und ſechſter Größe in gleicher ungeſchwächter Lichtſtärke zu leuchten ſchienen, in den oberſten Luftſchichten Verdichtungen vorgingen, welche die Durchſichtigkeit oder vielmehr die Lichtreflexion auf eine eigentümliche, uns unbekannte Weiſe modifizierten? Für die Annahme ſolcher meteorologiſcher Urſachen an der Grenze unſeres Luftkreiſes ſprechen auch die von dem ſcharfſinnigen Olbers “ beobachteten „Aufloderungen und Pulſationen, welche einen ganzen Kometenſchweif in wenigen Sekunden durchzittern, und bei denen derſelbe ſich bald um mehrere Grade verlängert, bald darauf wieder verkürzt. Da die einzelnen Teile des Millionen von Meilen langen Schweifes ſehr ungleich von der Erde entfernt ſind, ſo können nach den Geſetzen der Ge— ſchwindigkeit und Fortpflanzung des Lichts wirkliche Verän— derungen in einem a Räume ausfüllenden Weltkörper nicht von uns in ſo kurzen Intervallen geſehen werden.“ Dieſe Betrachtungen ſchließen keineswegs die Realität ver— änderter Ausſtrömung um die verdichteten Kernhüllen eines Kometen aus; nicht die Realität plötzlich eintretender Auf— heiterungen des Zodiakallichts durch innere Molekularbewegung, durch vermehrte oder verminderte Lichtreflerion in dem Welt: dunſte des Lichtringes: ſie ſollen nur aufmerkſam machen auf den Unterſchied von dem, was der Himmelsluft (dem Weltraume ſelbſt) oder den irdiſchen Luftſchichten zugehört, — 102 — durch die wir ſehen. Was an der, ohnedies mannigfaltig be— ſtrittenen, oberen Grenze unſerer Atmoſphäre vorgeht, iſt, wie wohl beobachtete Thatſachen zeigen, keineswegs vollſtändig zu erklären. Die wunderſame Erhellung ganzer Nächte, in denen man in den Breiten von Italien und dem nördlichen Deutſchland im Jahre 1831 kleine Schrift um Mitternacht leſen konnte, ſteht in klarem Widerſpruch mit allem, was wir nach den neueſten und ſchärfſten Unterſuchungen über die Crepuskulartheorie und über die Höhe der Atmoſphäre wiſſen. Von noch unergründeten Bedingungen hangen Lichtphänomene ab, deren Veränderlichkeit in der Dämmerungsgrenze, wie in dem Zodiakallichte uns in Verwunderung ſetzt. Wir haben bis hierher betrachtet, was zu unſerer Sonne gehört, die Welt der Geſtaltungen, welche von ihr regiert wird, Haupt: und Nebenplaneten, Kometen von kurzer und langer Umlaufszeit, meteorförmige Aſteroiden, die ſporadiſch oder in geſchloſſenen Ringen, wie in Ströme zuſammengedrängt ſich bewegen; endlich einen leuchtenden Nebelring, welcher der Erdbahn nahe um die Sonne kreiſt und dem, ſeiner Lage wegen, der Name des Zodiakal— lichtes verbleiben kann. Ueberall herrſcht das Geſetz der Wiederkehr in den Bewegungen, ſo verſchieden auch das Maß der Wurfgeſchwindigkeit oder die Menge der zuſammen⸗ geballten materiellen Teile iſt; nur die Aſteroiden, die aus dem Weltraume in unſeren Dunſtkreis fallen, werden in der Fortſetzung ihres planetariſchen Umſchwunges gehemmt und einem größeren Planeten angeeignet. In dem Sonnenſyſtem, deſſen Grenzen die anziehende Kraft des Centralkörpers be— ſtimmt, werden Kometen bis zu einer Ferne von 44 Uranus⸗ weiten in ihrer elliptiſchen Laufbahn zur Wiederkehr umge⸗ lenkt; ja in dieſen Kometen ſelbſt, deren Kern uns, bei der geringen Maſſe, welche ſie enthalten, wie ein hinziehendes kosmiſches Gewölk erſcheint, feſſelt dieſer Kern, durch ſeine Anziehung, noch die äußerſten Teile des Schweifes in einer viele Millionen Meilen langen Ausſtrömung. So ſind die Centralkräfte die bildenden, geſtaltenden, aber auch die erhaltenden Kräfte eines Syſtems. Unſere Sonne kann in Beziehung auf alle wiederkehren— den zu ihr gehörigen, großen und kleinen, dichten und faſt nebelartigen Weltkörper als ruhend betrachtet werden, doch um den gemeinſchaftlichen Schwerpunkt des ganzen Syſtemes lreiſend, welcher bisweilen in fie ſelbſt fällt, d. h. trotz der 7 ²˙ — — —ům d ÄüŨ ⁰ůQTP — m — 103 — veränderlichen Stellung der Planeten bisweilen in ihrem kör— perlichen Umfange beharrt. Ganz verſchieden von dieſer Er— ſcheinung iſt die translatoriſche Bewegung der Sonne, die fortſchreitende Bewegung des Schwerpunkts des ganzen Son— nenſyſtems im Weltraume. Sie geſchieht mit einer ſolchen Schnelligkeit,“! daß, nach Beſſel, die relative Bewegung der Sonne und des 61. Sterns im Schwan nicht minder, in einem Tage, als 834000 geographiſche Meilen (6 188 650 km) beträgt. Dieſer Ortsveränderung des ganzen Sonnenſyſtems würden wir unbewußt bleiben, wenn nicht durch die bewun— dernswürdige Genauigkeit der jetzigen aſtronomiſchen Meß— inſtrumente und durch die Fortſchritte der beobachtenden Aſtro— nomie unter Fortrücken an fernen Sternen, wie an Gegen— ſtänden eines ſcheinbar bewegten Ufers, merklich würde. Die eigene Bewegung des 61. Sterns im Sternbild des Schwans z. B. iſt ſo beträchtlich, daß ſie in 700 Jahren ſchon bis zu einem ganzen Grade wird angewachſen ſein. Das Maß oder die Quantität ſolcher Veränderungen am Fixſternhimmel (Veränderungen in der relativen Lage ſelbſt— leuchtender Geſtirne gegeneinander) iſt mit mehr Sicherheit zu beſtimmen als die Erſcheinung ſelbſt genetiſch zu deuten. Wenn auch ſchon abgezogen wurden, was dem Vorrücken der Nachtgleichen und der Nutation der Erdachſe, als Folge der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die ſphäroi— diſche Geſtalt der Erde; was der Fortpflanzung, d. i. Ab- irrung, des Lichtes, und der durch die diametral entgegengeſetzte Stellung der Erde in ihrem Umlauf um die Sonne erzeugten Parallaxe zugehört: ſo iſt in der übrig bleibenden jährlichen Bewegung der Fixſterne doch immer noch zugleich enthalten, was die Folge der Translation des ganzen Sonnenſyſtems im Weltraume und die Folge der eigenen wirklichen Bewegung der Sterne iſt. Die ſchwierige numeriſche Sonderung dieſer beiden Elemente der eigenen und der ſcheinbaren Bewegung he man durch die ſorgfältige Angabe der Richtungen in der ewegung der einzelnen Sterne und durch die Betrachtung möglich gemacht, daß, wenn alle Sterne in abſoluter Ruhe wären, ſie ſich perſpektiviſch von dem Punkte entfernen würden, gegen den die Sonne ihren Lauf richtet. Das Endreſultat der Unterſuchung, welches die Wahrſcheinlichkeitsrechnung be— ſtätigt, iſt geweſen, daß beide, unſer Sonnenſyſtem und die Sterne, ihren Ort im Weltraum verändern. Nach der vor— trefflichen Unterſuchung von Argelander, der (in Abo) die von — 104 — Wilhelm Herſchel und Prevoſt unternommene Arbeit erweitert“? und anſehnlich vervollkommnet hat, bewegt ſich die Sonne gegen das Sternbild des Herkules, und zwar ſehr wahrſcheinlich nach einem Punkte hin, welcher nach der Kombination von 537 Sternen (für das Aequin. von 1792,5) in 257° 49/7 A. R.; + 28° 49/7. Dekl. liegt. Es bleibt in dieſer Klaſſe der Unterſuchungen von großer Schwierigkeit, die abſolute Bewegung von der relativen zu trennen, und zu beſtimmen, was dem Sonnenſpyſtem allein zugehört. Betrachtet man die nicht perſpektiviſchen eigenen Be— wegungen der Sterne, ſo ſcheinen viele gruppenweiſe in ihrer Richtung entgegengeſetzt; und die bisher geſammelten That— ſachen machen es aufs wenigſte nicht notwendig, anzunehmen, daß alle Teile unſerer Sternenſchicht oder gar der geſamten Sterneninſeln, welche den Weltraum füllen, ſich um einen großen, unbekannten, leuchtenden oder dunkeln Centralkörper bewegen.“ Das Streben nach den letzten und höchſten Grund: urſachen macht freilich die reflektierende Thätigkeit des Menſchen, wie ſeine Phantaſie, zu einer ſolchen Annahme geneigt. Schon der Stagirite hatte ausgeſprochen, daß „alles, was bewegt wird, auf ein Bewegendes zurückführe, und es nur ein un— endliches Verſchieben der Urſachen wäre, wenn es nicht ein erſtes unbeweglich Bewegendes gäbe.“ Die gruppenweiſe ſo mannigfaltigen Ortsveränderungen der Geſtirne, nicht die parallaktiſchen, der Ortsveränderung des Beobachters unterworfenen, ſondern die wirklichen, im Weltraum unausgeſetzt fortſchreitenden, offenbaren uns auf das unwiderſprechlichſte, durch eine Klaſſe von Erſcheinungen, durch die Bewegung der Doppelſterne, durch das Maß ihrer langſameren oder ſchnelleren Bewegung in verſchiedenen Teilen ihrer elliptiſchen Bahnen, das Walten der Gravita— tions geſetze auchjenſeits unſeres Sonnenſyſtems, in den fernſten Regionen der Schöpfung. Die menſchliche Neugier braucht nicht mehr auf dieſem Felde in unbeſtimmten Vermutungen, in der ungemeſſenen Ideenwelt der Analogieen Befriedigung zu ſuchen. Sie iſt durch die Fortſchritte der beobachtenden und rechnenden Aſtronomie endlich auch hier auf ſicheren Boden gelangt. Es iſt nicht ſowohl die Erſtaunen erregende Zahl der bereits aufgefundenen, um einen außer ihnen liegenden Schwerpunkt kreiſenden, doppelten und viel— fachen Sterne (an 2800 bis zum Jahr 1837); es ſind die Erweiterung unſeres Wiſſens von den Grundkräften der ganzen — . EEE RN... — 105 — Körperwelt, die Beweiſe von der allverbreiteten Herrſchaft der Maſſenanziehung, welche zu den glänzendſten Entdeckungen unſerer Epoche gehören. Die Umlaufszeit zweifarbiger Doppel— ſterne bietet die mannigfaltigſten Unterſchiede dar; ſie erſtrecken ſich von 43 Jahren, wie in n der Krone, bis zu mehreren Tauſenden, wie bei 66 des Walfiſches, 38 der Zwillinge und 100 der Fiſche. Seit Herſchels Meſſungen im Jahr 1782 hat in dem dreifachen Syſteme von 5 des Krebſes der nähere Begleiter nun ſchon mehr als einen vollen Umlauf zurückge— legt. Durch geſchickte Kombination der veränderten Diſtanzen und Poſitionswinkel werden die Elemente der Bahnen ge— funden, ja Schlüſſe über die abſolute Entfernung der Doppel— ſterne von der Erde und die Vergleichung ihrer Maſſe mit der Maſſe der Sonne gezogen. Ob aber hier und in unſerem Sonnenſyſtem die Quantität der Materie das alleinige Maß der anziehenden Kräfte ſei, oder ob nicht zugleich ſpezifiſche, nicht der Maſſe proportionale Attraktionen wirkſam ſein kön— nen, wie Beſſel zuerſt erwieſen hat, iſt eine Frage, deren faktiſche Löſung der ſpäteren Zukunft vorbehalten bleibt. Wenn wir in der linſenförmigen Sternenſchicht, zu der wir gehören, unſere Sonne mit den anderen ſogenannten Fix— ſternen, alſo mit anderen ſelbſtleuchtenden Sonnen, vergleichen, ſo finden wir wenigſtens bei einigen derſelben Wege eröffnet, welche annäherungsweiſe, innerhalb gewiſſer äußerſten Grenzen, zu der Kenntnis ihrer Entfernung, ihres Volums, ihrer Maſſe, und der Geſchwindigkeit der Ortsveränderung leiten können. Nehmen wir die Entfernung des Uranus von der Sonne zu 19 Erdweiten, d. h. zu 19 Abſtänden der Sonne von der Erde an, ſo iſt der Centralkörper unſeres Planetenſyſtems vom Sterne « im Sternbilde des Centauren 11900, von 61 im Sternbilde des Schwans faſt 31300, von „ im Stern: bilde der Leier 41600 Uranusweiten entfernt. Die Verglei— chung des Volums der Sonne mit dem Volum der Fixſterne erſter Größe iſt von einem äußerſt unſicheren optiſchen Elemente, dem ſcheinbaren Durchmeſſer der Fixſterne, abhängig. Nimmt man nun mit Herſchel den ſcheinbaren Durchmeſſer des Ark— turus auch nur zum zehnten Teil einer Sekunde an, ſo ergibt ſich daraus doch der wirkliche Durch meſſer dieſes Sterns noch elfmal größer als der der Sonne.“ Die durch Beſſel bekannt gewordene Entfernung des 61. Sterns des Schwans hat annäherungsweiſe zu der Kenntnis der Menge von körper— lichen Teilen geführt, welche derſelbe als Doppelſtern enthält. — 106 — Unerachtet ſeit Bradleys Beobachtungen der durchlaufene Teil der ſcheinbaren Bahn noch nicht groß genug iſt, um dar— aus mit Genauigkeit auf die wahre Bahn und den größten Halbmeſſer derſelben ſchließen zu können, ſo iſt es doch dem großen Königsberger Aſtronomen wahrſcheinlich geworden, „daß die Maſſe jenes Doppelſterns nicht beträchtlich kleiner oder größer iſt als die Hälfte der Maſſe unſerer Sonne“. Dies iſt das Reſultat einer wirklichen Meſſung. Analogieen, welche von der größeren Maſſe der mondenbegleiteten Planeten unſeres Sonnenſyſtems und von der Thatſache hergenommen werden, daß Struve ſechsmal mehr Doppelſterne unter den helleren Fixſternen als unter den teleſkopiſchen findet, haben andere Aſtronomen vermuten laſſen, daß die Maſſe der größeren Zahl der Sternenpaare, im Durchſchnitt, die Sonnenmaſſe übertrifft. Allgemeine Reſultate ſind hier noch lange nicht zu erlangen. In Bezug auf eigene Bewegung im Weltraume gehört unſere Sonne nach Argelander in die Klaſſe der ſtark bewegten Firiterne. Der Anblick des geſtirnten Himmels, die relative Lage der Sterne und Nebelflecke, wie die Verteilung ihrer Licht maſſen, die landſchaftliche Anmut des ganzen Firmaments, wenn ich mich eines ſolchen Ausdrucks bedienen darf, hangen im Lauf der Jahrtauſende gleichmäßig ab von der eigenen wirklichen Bewegung der Geſtirne und Lichtnebel, von der Translation unſeres Sonnenſyſtems im Weltraume, von dem einzelnen Auflodern neuer Sterne und dem Verſchwinden oder der plötzlich geſchwächten Lichtintenſität der älteren, endlich und vorzüglich von den Veränderungen, welche die Erdachſe durch die Anziehung der Sonne und des Mondes erleidet. Die ſchönen Sterne des Centauren und des ſüdlichen Kreuzes werden einſt in unſeren nördlichen Breiten ſichtbar werden, während andere Sterne (Sirius und der Gürtel des Orion) dann niederſinken. Der ruhende Nordpol wird nach und nach durch Sterne des Cepheus (8 und &) und des Schwans (3) bezeichnet werden, bis nach 12000 Jahren Wega der Leier als der prachtvollſte aller möglichen Polarſterne erſcheinen wird. Dieſe Angaben verſinnlichen uns die Größe von Ber wegungen, welche in unendlich kleinen Zeitteilen ununterbrochen, wie eine ewige Weltuhr, fortſchreiten. Denken wir uns, als ein Traumbild der Phantaſie, die Schärfe unſerer Sinne über— natürlich bis zur äußerſten Grenze des teleſkopiſchen Sehens erhöht, und zuſammengedrängt, was durch große Zeitabſchnitte — W ee 3 Aue in Me he — 17 — etrennt iſt, ſo verſchwindet urplötzlich alle Ruhe des räum— ichen Seins. Wir finden die zahlloſen Fixſterne ſich wim— melnd nach m. Richtungen gruppenweiſe bewegen; Nebelflecke wie kosmiſche Gewölke umherziehen, ſich verdichten und löſen, die Milchſtraße an einzelnen Punkten aufbrechen und ihren Schleier zerreißen; Bewegung ebenſo in jedem Punkte des Himmelsgewölbes walten wie auf der Oberfläche der Erde in den keimenden, blättertreibenden, Blüten entfal- tenden Organismen der Pflanzendecke. Der berühmte ſpaniſche Botaniker Cavanilles hat zuerſt den Gedanken gehabt, „Gras wachſen“ zu ſehen, indem er in einem ſtark vergrößernden Fernrohr den horizontalen Mikrometerfaden bald auf die Spitze des Schößlings einer Bambuſa, bald auf die des ſo ſchnell ſich entwickelnden Blütenſtengels einer amerikaniſchen Aloe (Agave americana) richtete: genau wie der Aſtronom den kulminierenden Stern auf das Fadenkreuz ſetzt. In dem Ge: ſamtleben der phyſiſchen Natur, der organiſchen wie der ſide— riſchen, ſind an Bewegung zugleich das Sein, die Er— haltung und das Werden geknüpft. Das Aufbrechen der Milchſtraße, deſſen ich oben er— wähnte, bedarf hier noch einer beſonderen Erläuterung. Wil⸗ helm Herſchel, der ſichere und bewundernswürdige Führer in dieſen Welträumen, hat durch ſeine Sterneichungen gefunden, daß die teleſkopiſche Breite der Milchſtraße eine ſechs bis ſieben Grad größere Ausdehnung hat, als unſere Sternkarten und der dem unbewaffneten Auge ſichtbare Sternſchimmer verkündigen. Die zwei glänzenden Knoten, in welchen die beiden Zweige der Zone ſich vereinigen, in der Gegend des Cepheus und der Kaſſiopeia, wie um den Skorpion und Schützen, ſcheinen eine kräftige Anziehung auf die benachbarten Sterne auszuüben; zwiſchen B und 7 des Schwans aber, in der glanzvollſten Region, zieht ſich von 330000 Sternen, welche in 5° Breite gefunden werden, die eine Hälfte nach einer Seite, die andere nach der entgegengeſetzten hin. Hier vermutet Herſchel den Aufbruch der Schicht. Die Zahl der unterſcheidbaren, durch keinen Nebel unterbrochenen, teleſkopi— ſchen Sterne der Milchſtraße wird auf 18 Millionen geſchätzt. Um die Größe dieſer Zahl, ich ſage nicht zu faſſen, aber mit etwas Analogem zu vergleichen, erinnere ich, daß von erſter bis ſechſter Größe am ganzen Himmel nur etwa 8000 Sterne mit bloßen Augen geſehen werden. In dem unfruchtbaren Erſtaunen, das Zahl- und Raumgrößen ohne Beziehung auf — 108 — die geiſtige Natur oder das Empfindungsvermögen des Men⸗ ſchen erregen, begegnen ſich übrigens die Extreme des Räum— lichen, die Weltkörper mit dem kleinſten Tierleben. Ein Kubik— zoll des Polierſchiefers von Bilin enthält, nach Ehrenberg, 40 000 Millionen von kieſelartigen Panzern der Gallionellen. Der Milchſtraße der Sterne, welcher nach Argelan— ders ſcharfſinniger Bemerkung überhaupt die helleren Sterne des Firmaments merkwürdig genähert erſcheinen, ſteht beinahe rechtwinkelig eine Milchſtraße von Nebelflecken entgegen. Die erſtere bildet nach Sir John Herſchels Anſichten einen Ring, einen freiſtehenden, von der linſenförmigen Sternen⸗ inſel etwas fernen Gürtel, ähnlich dem Ring des Saturn. Unſer Planetenſyſtem liegt exzentriſch, der Gegend des Kreuzes näher als dem diametral gegenüberliegenden Punkte, der Kaſſiopeia.“ In einem von Meſſier 1774 entdeckten, aber unvollkommen geſehenen Nebelflecke ſcheint das Bild unſerer Sternenſchicht und des geteilten Ringes unſerer Milchſtraße mit wundervoller Aehnlichkeit gleichſam abgeſpiegelt.“ Die Milchſtraße der Nebelflecke gehört nicht unſerer Stern⸗ ſchicht ſelbſt an; ſie umgibt dieſelbe, ohne phyſiſchen Zuſammen⸗ hang mit ihr, in großer Entfernung, und zieht ſich hin, faſt in der Geſtalt eines größten Kreiſes, durch die dichten Nebel der Jungfrau (befouders am nördlichen Flügel), durch das Haupthaar der Berenike, den großen Bären, den Gürtel der Andromeda und den nördlichen Fiſch. Sie durchſchneidet wahr⸗ ſcheinlich in der Kaſſiopeia die Milchſtraße der Sterne, und verbindet ihre ſternarmen, durch haufenbildende Kraft verödeten Pole“ da, wo die Sternſchicht räumlich die mindere Dicke hat. Es folgt aus dieſen Betrachtungen, daß, während unſer Sternhaufe in ſeinen auslaufenden Aeſten Spuren großer, im Laufe der Zeit vorgefallener Umbildungen an ſich trägt und, durch ſekundäre Anziehungspunkte, ſich aufzulöſen und zu zerſetzen ſtrebt; derſelbe von zwei Ringen: einem ſehr fernen, der Nebel, und einem näheren, der Sterne, umgeben wird. Dieſer letztere Ring (unſere Milchſtraße) iſt ein Ge⸗ miſch von nebelloſen Sternen, im Durchſchnitte von zehnter bis elfter Größe, einzeln aber betrachtet ſehr verſchieden— artiger Größe, während iſolierte Sternhaufen (Stern— ſchwärme) faſt immer den Charakter der Gleichartigkeit haben. Ueberall, wo mit mächtigen, raumdurchdringenden Fern— röhren das Himmelsgewölbe durchforſcht iſt, werden Sterne, — 109 — ſeien es auch nur teleſkopiſche 20. bis 24. Ordnung, oder leuchtende Nebel geſehen. Ein Teil dieſer Nebel würde wahr⸗ ſcheinlich für noch kräftigere optiſche Werkzeuge ſich in Sterne auflöſen. Unſere Netzhaut erhält den Eindruck einzelner oder ſehr eure enter Lichtpunkte, woraus, wie Arago neuerlichſt gezeigt hat, ganz verſchiedene photometriſche Ver— hältniſſe der Lichtempfindung entſtehen. Der kos miſche Nebel, geſtaltet oder Wuls allgemein verbreitet, durch Verdichtung Wärme erzeugend, modifiziert wahrſcheinlich die Durchſichtigkeit des Weltraums, und vermindert die gleich— artige Intenſität der Helligkeit, welche nach Halley und Olbers entſtehen müßte, wenn jeder Punkt des Himmelsgewölbes, der Tiefe nach von einer endloſen Reihe von Sternen bedeckt wäre. Die Annahme einer ſolchen Bedeckung widerſpricht der Beobachtung. Dieſe zeigt große ganz ſternleere Regionen, Oeffnungen im Himmel, wie Wilhelm Herſchel ſie nennt, eine im Skorpion, vier Grad breit, eine andere in der Lende des Schlangenträgers. In der Nähe beider, nahe an ihrem Rande, befinden ſich auflösliche Nebelflecke. Der, welcher am weſtlichen Rande der Oeffnung im Skorpion ſteht, iſt einer der reichſten und zuſammengedrängteſten Haufen kleiner Sterne, welche den Himmel zieren. Auch ſchreibt Herſchel der An— iehung und haufenbildenden Kraft dieſer Randgruppen“? die effnungen ſelbſt als ſternleere Regionen zu. „Es ſind Teile unſerer Sternſchicht,“ ſagt er in der ſchönen Lebendigkeit ſeines Stils, „die bereits große Verwüſtung von der Zeit erlitten haben.“ Wenn man ſich die hintereinander liegenden teleſkopiſchen Sterne wie einen Sternenteppich denkt, der das ganze ſcheinbare Himmelsgewölbe bedeckt, ſo ſind, glaube ich, jene ſternleeren Stellen des Skorpions und des Schlangen— trägers wie Röhren zu betrachten, durch die wir in den fernſten Weltraum blicken. Die Schichten des Teppichs ſind unter— brochen, andere Sterne mögen auch da vorliegen, aber ſie ſind unerreichbar für unſere Werkzeuge. Der Anblick feuriger Meteore hatte die Alten ebenfalls auf die Idee von Spalten und Riſſen (chasmata) in der Himmelsdecke geleitet. Dieſe Spalten wurden aber nur als vorübergehend betrachtet. Statt dunkel zu ſein, waren ſie erleuchtet und feurig, wegen des hinterliegenden, durchſcheinenden, entzündeten Aethers. Derham und ſelbſt Huygens ſchienen nicht abgeneigt, das milde Licht der Nebelflecke auf eine ähnliche Art zu erklären. i Wenn man die, im Durchſchnitt uns gewiß näheren — 1 Sterne erſter Größe mit den nebelloſen teleſkopiſchen, wenn man die Nebelſterne mit ganz unauflöslichen Nebel— flecken, z. B. mit dem der Andromeda, oder gar mit den ſogenannten planetariſchen Nebeln vergleicht, ſo drängt ſich uns bei Betrachtung ſo verſchiedener Ferne, wie in die Schrankenloſigkeit des Raumes verſenkt, eine Thatſache auf, welche die Welt der Erſcheinungen und das, was ihr urſach⸗ lich, als Realität, zum Grunde liegt, abhängig von der Fort⸗ pflanzung des Lichtes zeigt. Die Geſchwindigkeit dieſer Fortpflanzung iſt nach Struves neueſten Unterſuchungen 41518 geographiſche Meilen (308 156 km) in einer Sekunde, alſo faſt eine Millionmal größer als die Geſchwindigkeit des Schalles. Nach dem, was wir durch die Meſſungen von Maclear, Beſſel und Struve von den Parallaxen und Ent⸗ fernungen dreier Fixſterne ſehr ungleicher Größe ( Centaur, 61 Schwan, 4 Leier) wiſſen, bedarf ein Lichtſtrahl 3, 9¼ oder 12 Jahre, um von dieſen Weltkörpern zu uns zu ge⸗ langen. In der kurzen denkwürdigen Periode von 1572 bis 1604, von Cornelius Gemma und Tycho bis Kepler, loderten plötzlich drei neue Sterne auf: in der Kaſſiopeia, im Schwan und am Fuß des Schlangenträgers. Dieſelbe Te aber mehrfach wiederkehrend, zeigte ſich 1670 im Sternbild des Fuchſes. In der neueſten Zeit, ſeit 1837, hat Sir John Herſchel am Vorgebirge der guten Hoffnung den Glanz des Sternes m im Schiffe von der zweiten Größe bis zur erſten prachtvoll anwachſen ſehen.? Solche Begebenheiten des Weltraums gehören aber in ihrer hiſtoriſchen Wirklichkeit anderen Zeiten an als denen, in welchen die Lichterſcheinung den Erdbewohnern ihren Anfang verkündigt; ſie ſind wie Stimmen der Vergangenheit, die uns erreichen. Man hat mit Recht geſagt, daß wir mit unſeren großen Fernröhren gleichzeitig vordringen in den Raum und in die Zeit. Wir meſſen jenen durch dieſe; eine Stunde Weges ſind für den Lichtſtrahl 148 Millionen Meilen (1098 220 000 km). Wäh⸗ rend in der Heſiodiſchen Theogonie die Dimenſionen des Weltalls durch den Fall der Körper ausgedrückt werden („nicht mehr als neun Tage und neun Nächte fällt der eherne Amboß vom Himmel zur Erde herab“), glaubte Herſchel der Vater, e daß das Licht faſt zwei Millionen Jahre brauche, um von den fernſten Lichtnebeln, die ſein 40füßiger Refraktor erreichte, zu uns zu gelangen. Vieles iſt alſo längſt ver⸗ ſchwunden, ehe es uns ſichtbar wird; vieles war anders — 111 — geordnet. Der Anblick des geſtirnten Himmels bietet Ungleich— zeitiges dar; und ſo viel man auch den milde leuchtenden Duft der Nebelflecke oder die dämmernd aufglimmenden Stern— haufen uns näher rücken und die Tauſende von Jahren ver— mindern will, welche als Maß der Entfernung gelten, immer bleibt es, nach der Kenntnis, die wir von der Geſchwindigkeit des Lichtes haben, mehr als wahrſcheinlich, daß das Licht der fernen Weltkörper das älteſte ſinnliche Zeugnis von dem Daſein der Materie darbietet. So erhebt ſich, auf einfache Prämiſſen geſtützt, der reflektierende Menſch zu ernſten, höheren Anſichten der Naturgebilde, da, wo in den tief vom Licht durchſtrömten Gefilden „Wie Gras der Nacht Myriaden Welten keimen“! Aus der Region der himmliſchen Geſtaltungen, von den Kindern des Uranos, ſteigen wir nun zu dem engeren Sitz der irdiſchen Kräfte, zu den Kindern der Gäa, herab. Ein geheimnisvolles Band umſchlingt beide Klaſſen der Erſchei— nungen. Nach der alten Deutung des titaniſchen Mythus ſind die Potenzen des Weltlebens, iſt die große Ordnung der Natur an das Zuſammenwirken des Himmels und der Erde geknüpft. Gehört ſchon ſeinem Urſprunge nach der Erdball, wie jeder der anderen Planeten, dem Centralkörper, der Sonne, und ihrer einſt in Nebelringe getrennten Atmoſphäre an, ſo beſteht auch noch jetzt durch Licht und ſtrahlende Wärme der Verkehr mit dieſer nahen Sonne, wie mit allen fernen Sonnen, welche am Firmamente leuchten. Die Verſchiedenheit des Maßes dieſer Einwirkungen darf den Phyſiker nicht abhalten, in einem Naturgemälde an den Zuſammenhang und das Walten gemeinſamer, gleichartiger Kräfte zu erinnern. Eine kleine Fraktion der telluriſchen Wärme gehört dem Weltraume an, in welchem unſer Planetenſyſtem fortrückt, und deſſen, der eiſigen mittleren Polarwärme faſt gleiche Temperatur, nach Fourier, das Produkt aller lichtſtrahlenden Geſtirne iſt. Was aber kräftiger das Licht der Sonne im Luftkreiſe und in den oberen Erdſchichten anregt, wie es Wärme erzeugend elektriſche und magnetiſche Strömungen veranlaßt, wie es zauberhaft den Lebensfunken in den organiſchen Gebilden an der Oberfläche der Erde erweckt und wohlthätig nährt, das wird der Gegenſtand ſpäterer Betrachtungen ſein. Indem wir uns hier der telluriſchen Sphäre der Natur ausſchlußweiſe zuwenden, werfen wir zuerſt den Blick auf die — 112 — Raumverhältniſſe des Starren und Flüſſigen, auf die Ge— ſtalt der Erde, ihre mittlere Dichtigkeit und die par— tielle Verteilung dieſer Dichtigkeit im Inneren des Planeten, auf den Wärmegehalt und die elektromagnetiſche Ladung der Erde. Dieſe Raumverhältniſſe und die der Materie inwohnenden Kräfte führen auf die Reaktion des Inneren gegen das Aeußere unſeres Erdkörpers, ſie führen durch ſpezielle Betrachtung einer allverbreiteten Naturmacht, der unterirdiſchen Wärme, auf die, nicht immer bloß dynamiſchen, Erſcheinungen des Erdbebens in ungleich aus— gedehnten Erſchütterungskreiſen, auf den Ausbruch heißer Quellen und die mächtigeren Wirkungen vulkaniſcher Prozeſſe. Die von unten erſchütterte, bald ruckweiſe und plötzlich, bald ununterbrochen und darum kaum bemerkbar gehobene Erdrinde verändert, im Lauf der Jahrhunderte, das Höhenverhältnis der Feſte zur Oberfläche des Flüſſigen, ja die Geſtaltung des Meerbodens ſelbſt. Es bilden ſich gleich— zeitig, ſeien es temporäre Spalten, ſeien es permanente Oeff— nungen, durch welche das Innere der Erde mit dem Luftkreiſe in 1 tritt. Der unbekannten Tiefe entquollen, fließen geſchmolzene Maſſen in ſchmalen Strömen längs dem Abhang der Berge hinab, bald ungeſtüm, bald langſam und ſanft bewegt, bis die feurige Erdquelle verſiegt und die Lava unter einer Decke, die ſie ſich ſelbſt gebildet hat, Dämpfe ausſtoßend, erſtarrt. Neue Felsmaſſen entſtehen dann unter unſeren Augen, während daß die älteren, ſchon gebildeten, durch plutoniſche Kräfte umgewandelt werden, ſeltener in unmittel— barer Berührung, öfter in wärmeſtrahlender Nähe. Auch da, wo keine Durchdringung ſtattfindet, werden die kriſtalliniſchen Teilchen verſchoben und zu einem dichteren Gewebe verbunden. Bildungen ganz anderer Natur bieten die Gewäſſer dar: Kon— kretionen von Tier- und Pflanzenreſten, von erdigen, kalk— und thonartigen Niederſchlägen, Aggregate fein zerriebener Gebirgsarten, überdeckt mit Lagen kieſelgepanzerter Infuſorien und mit knochenhaltigem Schuttlande, dem Sitze urweltlicher Tierformen. Was auf ſo verſchiedenen Wegen ſich unter unſeren Augen erzeugt und zu Schichten geſtaltet, was durch gegenſeitigen Druck und vulkaniſche Kräfte mannigfach geſtürzt, gekrümmt oder aufgerichtet wird, führt den denkenden, ein— fachen Analogieen ſich hingebenden Beobachter auf die Ver— gleichung der gegenwärtigen und der längſt vergangenen Zeit. Durch Kombination der wirklichen Erſcheinungen, durch ideale — 113 — Vergrößerung der Raumverhältniſſe wie des Maßes wirkender Kräfte gelangen wir in das lange erſehnte, dunkel geahnte, erſt ſeit einem halben Jahrhundert feſtbegründete Reich der Geognoſie. Man hat ſcharfſinnig bemerkt, „daß wir, trotz des Be— ſchauens durch große Fernröhren, in Hinſicht der anderen Pla— neten (den Mond etwa abgerechnet) mehr von ihrem Inneren als von ihrem Aeußeren wiſſen“. Man hat ſie gewogen und ihr Volum gemeſſen; man kennt ihre Maſſe und ihre Dichte, beide (Dank ſei es den Fortſchritten der beobachten— den und der rechnenden Aſtronomie!) mit ſtets wachſender numeriſcher Genauigkeit. Ueber ihrer phyſiſchen Beſchaffenheit ſchwebt ein tiefes Dunkel. Nur auf unſerem Erdkörper ſetzt uns die unmittelbare Nähe in Kontakt mit allen Elementen der organischen und anorganiſchen Schöpfung. Die ganze Fülle der verſchiedenartigſten Stoffe bietet in ihrer Miſchung und Umbildung, in dem ewig wechſelnden Spiel hervorgerufener Kräfte dem Geiſte die Nahrung, die Freuden der Erforſchung, das unermeßliche Feld der Beobachtung dar, welche der intel— lektuellen Sphäre der Menſchheit durch Ausbildung und Er— ſtarkung des Denkvermögens einen Teil ihrer erhabenen Größe verleiht. Die Welt ſinnlicher Erſcheinungen reflektiert ſich in den Tiefen der Ideenwelt; der Reichtum der Natur, die kaſſe des Unterſcheidbaren gehen allmählich in eine Vernunft— erkenntnis über. Hier berühre ich wieder einen Vorzug, auf welchen ich ſchon mehrmals hingewieſen habe: den Vorzug des Wiſſens, das einen heimatlichen Urſprung hat, deſſen Möglichkeit recht eigentlich an unſere irdiſche Exiſtenz geknüpft iſt. Die Himmels— beſchreibung, von den fern ſchimmernden Nebelſternen (mit deren Sonnen) bis herab zu dem Centralkörper unſeres Syſtemes, fanden wir auf die allgemeinen Begriffe von Volum und Quantität der Materie beſchränkt. Keine Lebens- regung offenbart ſich da unſeren Sinnen. Nur nach Aehn— lichkeiten, oft nach phantaſiereichen Kombinationen hat man Vermutungen über die ſpezifiſche Natur der Stoffe, über ihre Abweſenheit in dieſem oder jenem Weltkörper gewagt. Die Heterogeneität der Materie, ihre chemiſche Verſchiedenheit, die regelmäßigen Geſtalten, zu denen ihre Teile ſich kriſtalliniſch und körnig aneinander reihen; ihr Verhalten zu den eindrin— genden, lenken oder verteilten Lichtquellen; zur ſtrahlen— den, durchgeleiteten oder polariſierten Wärme; zu den glanz— A. v. Humboldt, Kosmos. 1. 8 — 114 — vollen oder unſichtbaren, aber darum nicht minder wirkſamen Erſcheinungen des Elekromagnetismus: — dieſen unermeß⸗ lichen, die Weltanſchauung erhöhenden 5 phyſiſcher Er⸗ kenntnis verdanken wir der Oberfläche des Planeten, den wir bewohnen; mehr noch dem ſtarren als dem flüſſigen Teile derſelben. Wie dieſe Erkenntnis der Naturdinge und Natur⸗ kräfte, wie die unermeßliche Mannigfaltigkeit objektiver Wahr⸗ nehmung die geiſtige Thätigkeit des Geſchlechts und alle Fort⸗ ſchritte ſeiner Bildung gefördert haben, iſt ſchon oben bemerkt worden. Dieſe Verhältniſſe bedürfen hier ebenſowenig einer weiteren Entwickelung als die Verkettung der Urſachen jener materiellen Macht, welche die Beherrſchung eines Teils der Elemente einzelnen Völkern verliehen hat. Wenn es mir oblag, auf den Unterſchied aufmerkſam zu machen, der zwiſchen der Natur unſeres telluriſchen Wiſſens und unſerer Kenntnis der Himmelsräume und ihres Inhalts ſtattfindet, ſo iſt es auf der anderen Seite auch nötig, hier die Beſchränktheit des Raumes zu bezeichnen, von welchem unſere ganze Kenntnis von der Heterogeneität der Stoffe her⸗ genommen iſt. Dieſer Raum wird ziemlich uneigentlich die Rinde der Erde genannt; es iſt die Dicke der der Ober⸗ fläche unſeres Planeten nächſten Schichten, welche durch tiefe ſpaltenartige Thäler oder durch die Arbeit der Menſchen (Bohrlöcher und bergmänniſche Grubenbaue) aufgeſchloſſen ſind. Dieſe Arbeiten erreichen in ſenkrechter Tiefe nicht viel mehr als zweitauſend Fuß (650 m, weniger als 1 Meile) unter dem Niveau der Meere, alſo nur "esoo des Erdhalb⸗ meſſers. Die kriſtalliniſchen Maſſen, durch noch thätige Vul⸗ kane ausgeworfen, meiſt unſeren Gebirgsarten der Oberfläche ähnlich, kommen aus unbeſtimmbaren, gewiß 60 mal größeren, abſoluten Tiefen, als die ſind, welche die menſchlichen Arbeiten erreicht haben. Auch da, wo Steinkohlenſchichten ſich einſenken, um in einer durch genaue Meſſung beſtimmten Entfernung wieder aufzuſteigen, kann man die Tiefe der Mulde in Zahlen angeben. Solche Einſenkungen erweiſen, daß Stein⸗ kohlenflöze ſamt den vorweltlichen organiſchen Ueberreſten, die fie enthalten (in Belgien z. B.), mehrfach“ fünf⸗ bis ſechstauſend Fuß (1624 bis 1950 m) unter dem jetzigen Meeresſpiegel liegen, ja daß der Bergkalk und die devoniſchen muldenförmig gekrümmten Schichten wohl die doppelte Tiefe erreichen. Vergleicht man dieſe unterirdiſchen Mulden nun mit den Berggipfeln, welche bisher für die höchſten Teile der — 15 — gehobenen Erdrinde gehalten werden, ſo erhält man einen Abſtand von 37000 Fuß (12019 m = 1%ů9 Meile), d. i. ungefähr 1'524 des Erdhalbmeſſers. Dies wäre in der ſenk— rechten Dimenſion und räumlichen Aufeinanderlagerung der Gebirgsſchichten doch nur der Schauplatz geognoſtiſcher For— ſchung, wenn auch die ganze Oberfläche der Erde die Höhe des Dhawalagiri im Himalayagebirge oder die des Sorata in Bolivia erreichte. Alles, was unter dem Seeſpiegel tiefer liegt als die oben angeführten Mulden, als die Arbeiten der Menſchen, als der vom Senkblei an einzelnen Stellen erreichte Meeresgrund (noch nicht erreicht in 25400 Fuß [8251 m] von James Roß),«“ iſt uns ebenſo unbekannt, wie das Innere der anderen Planeten unſeres Sonnenſyſtems. Wir kennen ebenfalls nur die Maſſe der ganzen Erde und ihre mittlere Dichtigkeit, verglichen mit der der oberen, uns allein zugänglichen Schichten. Wo alle Kenntnis chemiſcher und mineralogiſcher Naturbeſchaffenheit im Inneren des Erdkörpers fehlt, ſind wir wieder, wie bei den fernſten um die Sonne kreiſenden Weltkörpern, auf bloße Vermutungen beſchränkt. Wir können nichts mit Sicherheit beſtimmen über die Tiefe, in welcher die Gebirgsſchichten als zäh-erweicht oder geſchmolzen— flüſſig betrachtet werden ſollen, über die Höhlungen, welche elaſtiſche Dämpfe füllen, über den Zuſtand der Flüſſigkeiten, wenn ſie unter einem ungeheuern Drucke erglühen; über das Geſetz der zunehmenden Dichtigkeit von der Oberfläche der Erde bis zu ihrem Centrum hin. s Die Betrachtung der mit der Tiefe zunehmenden Wärme im Inneren unſeres Planeten und der Reaktion dieſes Inneren gegen die Oberfläche hat uns geleitet zu der langen Reihe vulkaniſcher Erſcheinungen. Sie offenbaren ſich als Erdbeben, Gasausbrüche, heiße Quellen, Schlammvulkane und Lava— ſtröme aus Eruptionskratern; ja die Macht elaſtiſcher Kräfte äußert ſich auch durch räumliche Veränderung in dem Niveau der Oberfläche. Große Flächen, mannigfaltig gegliederte Kon— tinente werden gehoben oder geſenkt, es ſcheidet ſich das Starre von dem Flüſſigen; aber der Ozean ſelbſt, von kalten und warmen Strömungen flußartig durchſchnitten, gerinnt an beiden Polen und wandelt das Waſſer in dichte Felsmaſſen um, bald geſchichtet und feſtſtehend, bald in bewegliche Bänke zertrümmert. Die Grenzen von Meer und Land, vom Flüſ— ſigen und Starren, wurden mannigfach und oft verändert. Es oszillierten die Ebenen aufwärts und abwärts. Nach der — 116 — Hebung der Kontinente traten auf langen Spalten, meiſt parallel, und dann wahrſcheinlich zu einerlei Zeitepochen, Ge— birgsketten empor; fene Lachen und große Binnenwaſſer, die lange von denſelben ae bewohnt waren, wurden gewaltſam geſchieden. Die foſſilen Reſte von Muſcheln und Zoophyten bezeugen ihren urſprünglichen Zuſammenhang. So gelangen wir, der relativen Abhängigkeit der Erſcheinungen folgend, von der Betrachtung ſchaffender, tief im Inneren des Erdkörpers waltender Kräfte zu dem, was ſeine obere Rinde erſchüttert und aufbricht, was durch Druck elaſtiſcher Dämpfe den geöffneten Spalten als glühender Erdſtrom (Lava) entquillt. Dieſelben Mächte, welche die Andes- und Himalayakette bis zur Schneeregion gehoben, haben neue Miſchungen und neues Gewebe in den Felsmaſſen erzeugt, umgewandelt die Schichten, welche aus vielbelebten, mit organiſchen Stoffen geſchwängerten Flüſſigkeiten ſich früher niedergeſchlagen. Wir erkennen hier die Reihenfolge der Formationen, nach ihrem Alter geſchieden und überlagert, in ihrer Abhängigkeit von den Geſtaltveränderungen der Oberfläche, von den dynamiſchen Verhältniſſen der hebenden Kräfte, von den chemiſchen Wir— kungen auf Spalten ausbrechender Dämpfe. Die Form und Gliederung der Kontinente, d. h. der trocken gelegenen, einer üppigen Entwickelung des mare Lebens fähigen Teile der Erdrinde, ſteht in innigem Verkehr und thätiger Wechſelwirkung mit dem alles umgrenzenden Meere. In dieſem iſt der Organismus faſt auf die Tier⸗ welt beſchränkt. Das tropfbarflüſſige Element wird wiederum von dem Dunſtkreiſe bedeckt, einem Luftozean, in welchem die Bergketten und Hochebenen der Feſte wie Untiefen auf— ſteigen, mannigfaltige Strömungen und Temperaturwechſel erzeugen, Feuchtigkeit aus der Wolkenregion ſammeln, und ſo in ihrer geneigten Bodenfläche durch ſtrömendes Waſſer Be— wegung und Leben verbreiten. Wenn die Geographie der Pflanzen und Tiere von dieſen entwickelten Kontraſten der Meer- und Länder⸗ verteilung, der Geſtaltung der Oberfläche, der Richtung iſo— thermer Linien (Zonen gleicher mittlerer Jahreswärme) ab: hängt, ſo ſind dagegen die charakteriſtiſchen Unterſchiede der Menſchenſtämme und ihre relative numeriſche Verbreitung über den Erdkörper (der letzte und edelſte Gegenſtand einer phyſiſchen Weltbeſchreibung) nicht durch jene Naturverhältniſſe — 117 — allein, ſondern zugleich und vorzüglich durch die Fortſchritte der Geſittung, der geiſtigen Ausbildung, der die politiſche Uebermacht begründenden Nationalkultur bedingt. Einige Raſſen, feſt dem Boden anhangend, werden verdrängt und durch gefahrvolle Nähe der gebildeteren ihrem Untergange zugeführt: es bleibt von ihnen kaum eine ſchwache Spur ge— ſchichtlicher Kunde; andere Stämme, der Zahl nach nicht die ſtärkeren, durchſchiffen das flüſſige Element. Faſt allgegen— wärtig durch dieſes, haben ſie allein, obgleich ſpät erſt, von einem Pole zum anderen, die räumliche, graphiſche Kenntnis der ganzen Oberfläche unſeres Planeten, wenigſtens faſt aller Küſtenländer, erlangt. So iſt denn hier, ehe ich in dem Naturgemälde der telluriſchen Sphäre der Erſcheinungen das Einzelne berühre, im allgemeinen gezeigt worden, wie, nach der Be— trachtung der Geſtalt des Erdkörpers, der von ihm perpetuier⸗ lich ausgehenden Kraftäußerung des Elektromagnetismus und der unterirdiſchen Wärme, die Verhältniſſe der Erdoberfläche in horizontaler Ausdehnung und Höhe, der geognoſtiſche Typus der Formationen, das Gebiet der Meere (des Tropf— barflüſſigen) und des Luftkreiſes, mit ſeinen meteorologiſchen Prozeſſen, die geographiſche Verbreitung der Pflanzen und Tiere, endlich die phyſiſchen e des einigen, überall geiſtiger Kultur fähigen Menſchengſchlechts in einer und der— ſelben Anſchauung vereinigt werden können. Dieſe Einheit der Anſchauung ſetzt eine Verkettung der Erſcheinungen nach ihrem inneren Zuſammenhange voraus. Eine bloß tabellariſche Aneinanderreihung derſelben erfüllt nicht den Zweck, den 5 mir vorgeſetzt; ſie befriedigt nicht das Be⸗ dürfnis einer kosmiſchen Darſtellung, welches der Anblick der Natur auf Meer: und Landreiſen, ein ſorgfältiges Studium der Gebilde und Kräfte, der lebendige Eindruck eines Natur: ganzen unter den verſchiedenſten Erdſtrichen in mir erregt 5 Vieles, das in dieſem Verſuche ſo überaus mangelhaft iſt, wird bei der beſchleunigten Zunahme des Wiſſens, deren ſich alle Teile der phyſikaliſchen Wiſſenſchaften erfreuen, viel leicht in naher Zukunft berichtigt und vervollſtändigt werden. Es liegt ja in dem Entwickelungsgange aller Disziplinen, daß das, was lange iſoliert geſtanden, ſich allgemach verkettet und höheren Geſetzen untergeordnet wird. Ich bezeichne nur den empiriſchen Weg, auf dem ich und viele mir Gleich— geſinnte fortſchreiten, erwartungsvoll, daß man uns, wie einſt, — 118 — nach Platos Ausſpruch, Sokrates es forderte, „die Natur nach der Vernunft auslege“. Die Schilderung der telluriſchen Erſcheinungen in ihren Hauptmomenten muß mit der Geſtalt und den Raumverhält— niſſen unſeres Planeten beginnen. Auch hier darf man ſagen: nicht etwa bloß die mineraliſche Beſchaffenheit, die kriſtalliniſch körnigen oder die dichten, mit Verſteinerungen angefüllten Gebirgsarten, nein, die geometriſche Geſtalt der Erde ſelbſt bezeugt die Art ihrer Entſtehung, ſie iſt ihre Geſchichte. Ein elliptiſches Rotationsſphäroid deutet auf eine einſt weiche oder flüſſige Maſſe. Zu den älteſten geognoſtiſchen Begeben— heiten, allen Verſtändigen lesbar in dem Buch der Natur niedergeſchrieben, gehört die Abplattung, wie auch (um ein anderes uns ſehr nahes Beiſpiel anzuführen) die perpetuierliche Richtung der großen Achſe des Mondſphäroids gegen die Erde, d. 6. die vermehrte Anhäufung der Materie auf der Mond— hälfte, welche wir ſehen, eine Anhäufung, die das Verhältnis der Rotation zur Umlaufszeit beſtimmt und bis zur älteſten Bildungsepoche des Satelliten hinaufreicht. „Die mathe— matiſche Figur der Erde iſt die mit nicht ſtrömendem Waſſer bedeckte Oberfläche derſelben“; auf ſie beziehen ſich alle geo— dätiſchen auf den Meeresſpiegel reduzierten Gradmeſſungen. Von dieſer mathematiſchen Oberfläche der Erde iſt die phy— ſiſche, mit allen Zufälligkeiten und Unebenheiten des Starren, verſchieden. Die ganze Figur der Erde iſt beſtimmt, wenn man die Quantität der Abplattung und die Größe des Aequatorialdurchmeſſers kennt. Um ein vollſtändiges Bild der Geſtaltung zu erlangen, wären aber Meſſungen in zwei aufeinander ſenkrechten Richtungen nötig. Elf Gradmeſſungen (Beſtimmungen der Krümmung der Erdoberfläche in verſchiedenen Gegenden), von denen neun bloß unſerem Jahrhundert angehören,'? haben uns die Größe des Erdkörpers, den ſchon Plinius?“ „einen Punkt im uner⸗ meßlichen Weltall“ nennt, kennen gelehrt. Wenn dieſelben nicht übereinſtimmen in der Krümmung verſchiedener Meridiane unter gleichen Breitengraden, ſo ſpricht eben dieſer Umſtand für die Genauigkeit der angewandten Inſtrumente und der Methoden, für die Sicherheit naturgetreuer, partieller Reſultate. Der Schluß ſelbſt von der Zunahme der anziehenden Kraft (in der Richtung vom Aequator zu den Polen hin) auf die Figur eines Planeten iſt abhängig von der Verteilung der Dichtigkeit in ſeinem Inneren. Wenn Newton aus theoretiſchen — 119 — Gründen, und wohl auch angeregt durch die von Caſſini ſchon vor 1666 entdeckte Abplattung des Jupiter,“ in ſeinem un— ſterblichen Werke Philosophiae Naturalis Principia die Abplattung der Erde bei einer homogenen Maſſe auf 30 beſtimmte, fo haben dagegen wirkliche Meſſungen unter dem mächtigen Einfluſſe der neuen vervollkommneten Analyſe erwieſen, daß die Abplattung des Erdſphäroids, in welchem die Dichtigkeit der Schichten als gegen das Centrum hin zu— nehmend betrachtet wird, ſehr nahe "00 1jt.°® Drei Methoden ſind angewandt worden, um die Krüm— mung der Erdoberfläche zu ergründen: es iſt dieſelbe aus Gradmeſſungen, aus Pendelſchwingungen und aus gewiſſen Ungleichheiten der Mondbahn geſchloſſen. Die erſte Methode iſt eine unmittelbare geometriſch-aſtronomiſche; in den anderen zweien wird aus genau beobachteten Bewegungen auf die Kräfte geſchloſſen, welche dieſe Bewegungen erzeugen, und von dieſen Kräften auf die Urſache er nämlich auf die Ab— plattung der Erde. Ich habe hier, in dem allgemeinen Natur— gemälde, ausnahmsweiſe der Anwendung von Methoden er— wähnt, weil die Sicherheit derſelben lebhaft an die innige Verkettung von Naturphänomenen in Geſtalt und Kräften mahnt, und weil dieſe Anwendung ſelbſt die glückliche Ver— anlaſſung geworden iſt, die Genauigkeit der Inſtrumente (der raummeſſenden, der optiſchen und zeitbeſtimmenden) zu ſchärfen, die Fundamente der Aſtronomie und Mechanik in Hinſicht auf Mondbewegung und auf Erörterung des Widerſtandes, den die Pendelſchwingungen erleiden, zu vervollkommnen, ja der Analyſis eigene und unbetretene Wege zu eröffnen. Die Ge— ſchichte der Wiſſenſchaften bietet neben der Unterſuchung der Parallaxe der Fixſterne, die zur Aberration und Nutation geführt hat, kein Problem dar, in welchem in gleichem Grade das erlangte Reſultat (die Kenntnis der mittleren Abplattung und die Gewißheit, daß die Figur der Erde keine regelmäßige iſt) an Wichtigkeit dem nachſteht, was auf dem langen und mühevollen Wege zur Erreichung des Zieles an allgemeiner Ausbildung und Vervollkommnung des mathematiſchen und aſtronomiſchen Wiſſens gewonnen worden iſt. Die Vergleichung von elf Gradmeſſungen, unter denen drei außereuropäiſche, die alte peruaniſche und zwei oſtindiſche, begriffen ſind, hat, nach den ſtrengſten theoretiſchen Anforderungen von Beſſel berechnet, eine Abplattung von ½ gegeben.?“ Danach iſt der Polarhalbmeſſer 10938 Toiſen, faſt 27 geographiſche — 120 — Meilen, kürzer als der Aequatocialhalbmeſſer des elliptiſchen Rotationsſphäroids. Die Anſchwellung unter dem Aequator infolge der Krümmung der Oberfläche des Sphäroids be- trägt alſo, der Richtung der Schwere nach, etwas mehr als 4% mal die Höhe des Montblanc, nur 2½ mal die wahrſchein⸗ liche Höhe des Dhawalagirigipfels in der Himalayakette. Die Mondesgleichungen (Störungen in der Länge und Breite des Mondes) geben nach den letzten Unterſuchungen von Laplace faſt dasſelbe Reſultat der Abplattung (/ s) als die Grad: meſſungen. Aus den Pendelverſuchen folgt im ganzen“ eine weit größere Abplattung (ss). Galilei, der während des Gottes dienſtes, wahrſcheinlich etwas zerſtreut, ſchon als Knabe erkannte, daß durch die Dauer der Schwingungen von Kronleuchtern, welche in ungleicher Höhe hingen, die ganze Höhe eines Kirchengewölbes zu meſſen ſei, hatte freilich nicht geahnet, wie das Pendel einſt von Pol zu Pol würde getragen werden, um die Geſtalt der Erde zu beſtimmen: oder ESF um die Ueberzeugung zu geben, daß die ungleiche Dichtigkeit der Erdſchichten die Länge des Sekundenpendels durch verwickelte, aber in großen Länder— ſtrecken ſich faſt gleichmäßig äußernde Lokalattraktionen affiziere. Dieſe geognoſtiſchen Beziehungen eines zeitmeſſenden In⸗ ſtruments, dieſe Eigenſchaft des Pendels, wie ein Senkblei die ungeſehene Tiefe zu erſpähen, ja in vulkaniſchen Inſeln “! oder am Abhange gehobener kontinentaler Bergketten,“ ſtatt der Höhlungen dichte Maſſen von Baſalt und Melaphyr anzudeuten, erſchweren (trotz der bewundernswürdigen Ein— fachheit der Methode) die Erlangung eines allgemeinen Reſultats, die Herleitung der Figur der Erde aus Beobachtung von Pendelſchwingungen. Auch in dem aſtronomiſchen Teile der Meſſung eines Breitengrades wirken ablenkend und nachteilig, doch nicht in gleichem Maße, Gebirgsketten oder dichtere Schichten des Bodens. Da die Geſtalt der Erde auf die Bewegung anderer Weltkörper, beſonders auf die ihres nahen Satelliten, einen mächtigen Einfluß ausübt, ſo läßt die vervollkommnete Kennt⸗ nis der Bewegung des letzteren uns auch wiederum auf die Geſtalt der Erde zurückſchließen. Demnach hätte, wie Laplace ſich ſinnig ausdrückt, ein Aſtronom, „ohne ſeine Sternwarte zu verlaſſen, durch Vergleichung der Mondtheorie mit den wirklichen Beobachtungen nicht nur die Geſtalt und Größe der Erde, ſondern auch ihre Entfernung von der Sonne und vom — 121 — Monde beſtimmen können: Reſultate, die erſt durch lange und mühevolle Unternehmungen nach den entlegenſten Gegenden beider Hemiſphären erlangt worden ſind“. Die Abplattung, welche aus den Ungleichheiten des Mondes geſchloſſen wird, gewährt den Vorzug, daß ſie, was einzelne Gradmeſſungen und Pendelverſuche nicht leiſten, eine mittlere, dem ganzen Planeten zukommende iſt. Mit der Rotationsgeſchwindigkeit verglichen, beweiſt ſie dazu die Zunahme der Dichtigkeit der Erdſchichten von der Oberfläche gegen den Mittelpunkt hin, eine Zunahme, welche die Vergleichung der Achſenverhältniſſe des Jupiter und Saturn mit ihrer Umdrehungszeit auch in dieſen beiden großen Planeten offenbart. So berechtigt die Kenntnis äußerer Geſtaltung zu Schlüſſen über die innere Beſchaffenheit der Weltkörper. Die nördliche und ſüdliche Erdhälfte ſcheinen unter gleichen Breitengraden ungefähr dieſelbe Erdkrümmung““ darzubieten; aber Pendelverſuche und Gradmeſſungen geben, wie ſchon oben bemerkt iſt, für einzelne Teile der Oberfläche ſo verſchiedene Reſultate, daß man keine regelmäßige Figur angeben kann, welche allen auf dieſen Wegen bisher erhaltenen Reſultaten genügen würde. Die wirkliche Figur der Erde verhält ſich zu einer regelmäßigen, „wie die unebene Oberfläche eines be— 15 Waſſers ſich zu der ebenen Oberfläche eines ruhigen verhält“. Nachdem die Erde gemeſſen worden iſt, mußte ſie ge— wogen werden. Pendelſchwingungen und Bleilot haben ebenfalls dazu gedient, die mittlere Dichtigkeit der Erde zu beſtimmen: ſei es, daß man in Vereinigung aſtronomiſcher und geodätiſcher Operationen die Ablenkung des Bleilots von der Vertikale in der Nähe eines Berges ſuchte, oder durch Vergleichung der Pendellänge in der Ebene und auf dem Gipfel einer Anhöhe, oder endlich durch Anwendung einer Drehwage, die man als ein horizontal ſchwingendes Pendel betrachten kann, die relative Dichtigkeit der nahen Erdſchichten maß. Von dieſen drei Methoden“ iſt die letzte die ſicherſte, da ſie unabhängig von der ſchwierigen Beſtimmung der Dichtigkeit der Mineralien iſt, aus welchen das ſphäriſche Segment eines Berges beſteht, in deſſen Nähe man beobachtet. Sie gibt nach den neueſten Verſuchen von Reich 5,44, d. h. ſie zeigt, daß die mittlere Dichtigkeit der ganzen Erde ſovielmal größer iſt als die des reinen Waſſers. Da nun nach der Natur der Gebirgsſchichten, welche den trockenen, kontinentalen Teil der — 122 — Erdoberfläche bilden, die Dichtigkeit dieſes Teils kaum 2,7, die Dichtigkeit der trockenen und ozeaniſchen Oberfläche zu— ſammen kaum 1,6 beträgt, ſo folgt aus jener Angabe, wie ſehr die elliptiſchen, ungleich abgeplatteten Schichten des In⸗ neren durch Druck oder durch Heterogeneität der Stoffe gegen das Centrum zu an Dichtigkeit zunehmen. Hier zeigt ſich wieder, daß das Pendel, das ſenkrechte wie das horizontal ſchwingende, mit Recht ein geognoſtiſches Inſtrument genannt worden iſt. Aber die Schlüſſe, zu welchen der Gebrauch eines ſolchen Inſtrumentes führt, hat berühmte Phyſiker, nach Verſchieden— heit der Hypotheſen, von denen man ausging, zu ganz ent⸗ gegengeſetzten Anſichten über die Naturbeſchaffenheit des In⸗ neren des Erdkörpers geleitet. Man hat berechnet, in welchen Tiefen tropfbarflüſſige, ja ſelbſt luftförmige Stoffe durch den eigenen Druck ihrer aufeinander gelagerten Schichten die Dichtigkeit der Platina oder ſelbſt des Iridiums übertreffen würden; und um die innerhalb ſehr enger Grenzen bekannte Abplattung mit der Annahme einer einfachen, bis ins Unend— liche kompreſſibeln Subſtanz in Einklang zu bringen, hat der ſcharfſinnige Leslie den Kern der Erde als eine Hohlkugel be— ſchrieben, die mit A ren „unwägbaren Stoffen von un: geheurer Repulſivkraft“ erfüllt wäre. Dieſe gewagten und willkürlichen Vermutungen haben in ganz unwiſſenſchaftlichen Kreiſen bald noch phantaſiereichere Träume hervorgerufen. Die Hohlkugel iſt nach und nach mit Pflanzen und Tieren bevölkert worden, über die zwei kleine unterirdiſch kreiſende Planeten, Pluto und Proſerpina, ihr mildes Licht ausgießen. Immer gleiche Wärme herrſcht in dieſen inneren Erdräumen, und die durch Kompreſſion ſelbſtleuchtende Luft könnte wohl die Planeten der Unterwelt entbehrlich machen. Nahe am Nordpol, unter 82 Breite, da, wo das Polarlicht ausſtrömt, iſt eine ungeheure Oeffnung, durch die man in die Hohlkugel hinabſteigen kann. Zu einer ſolchen unterirdiſchen Expedition ſind Sir Humphry Davy und ich vom Kapitän Symmes wiederholt und öffentlich aufgefordert worden. So mächtig iſt die krankhafte Neigung der Menſchen, unbekümmert um das widerſprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatſachen oder allgemein anerkannter Naturgeſetze, ungeſehene Räume mit Wundergeſtalten zu füllen. Schon der berühmte Halley hatte, am Ende des 17. Jahrhunderts, in ſeinen magnetischen Spe— kulationen die Erde ausgehöhlt. Ein unterirdiſch frei rotieren— BR — 123 — der Kern verurſacht durch ſeine Stellung die tägliche und jährliche Veränderung der magnetiſchen Abweichung! Was bei dem geiſtreichen Holberg eine heitere Fiktion war, hat man zu unſerer Zeit mit langweiligem Ernſte in ein wiſſenſchaft— liches Gewand zu kleiden verſucht. Die Figur der Erde und der Grad der Starrheit (Dich— tigkeit), welchen die Erde erlangt hat, ſteht in inniger Ver— bindung mit den Kräften, die ſie beleben, ſofern nämlich dieſe Kräfte nicht von außen her durch die planetariſche Stellung gegen einen leuchtenden Centralkörper angeregt oder erweckt ſind. Die Abplattung, Folge der auf eine rotierende Maſſe einwirkenden Schwungkraft, offenbart den früheren Zuſtand der Flüſſigkeit unſeres Planeten. Bei dem Erſtarren dieſer Flüſſigkeit, die man geneigt iſt als eine dunſtförmige, bereits urſprünglich zu einer ſehr hohen Temperatur erhitzte an— zunehmen, iſt eine ungeheure Menge latenter Wärme frei geworden. Fing der Prozeß der Erſtarrung, wie Fourier will, von der zuerſt durch Strahlung gegen den Himmelsraum er— kaltenden Oberfläche an, ſo blieben die dem Mittelpunkt der Erde näheren Teile flüſſig und glühend. Da nach langer Ausſtrömung der Wärme vom Mittelpunkt gegen die Ober— fläche ſich endlich ein Stabilitätszuſtand in der Temperatur des Erdkörpers hergeſtellt hat, ſo wird angenommen, daß mit zunehmender Tiefe auch die unterirdiſche Wärme ununter⸗ brochen zunehme. Die Wärme der Waſſer, welche den Bohr— löchern (arteſiſchen Brunnen) entquellen, unmittelbare Verſuche über die Temperatur des Geſteins in den Bergwerken, vor allem aber die vulkaniſche Thätigkeit der Erde, d. i. der Er— guß geſchmolzener Maſſen aus geöffneten Spalten, bezeugen dieſe Zunahme auf das unwiderſprechlichſte für ſehr beträcht— liche Tiefen der oberen Erdſchichten. Nach Schlüſſen, die ſich freilich nur auf Analogieen gründen, wird dieſelbe auch mehr als wahrſcheinlich weiter gegen das Centrum hin. Was ein kunſtreicher, für dieſe Klaſſe von Unterſu— chungen?“ eigens vervollkommneter, analytiſcher Kalkül über die Bewegung der Wärme in homogenen metalliſchen Sphä— roiden gelehrt hat, iſt, bei unſerer Unkenntnis der Stoffe, aus denen die Erde zuſammengeſetzt ſein kann, bei der Verſchie— denheit der Wärmekapazität und Leitungsfähigkeit aufeinander geſchichteter Maſſen, bei den chemiſchen Umwandlungen, welche feſte und flüſſige Materien durch einen ungeheuren Druck er— leiden, nur ſehr vorſichtig auf die wirkliche Naturbeſchaffenheit — 14 — unſeres Planeten anzuwenden. Am ſchwierigſten für unfere Faſſungskraft iſt die Vorſtellung von der Grenzlinie zwiſchen der flüſſigen Maſſe des Inneren und den ſchon 660 Gebirgsarten der äußeren Erdrinde, von der allmählichen Zus nahme der feſten Schichten und dem Zuſtande der Halbflüſſig— leit erdiger zäher Stoffe, für welche die bekannten Geſetze der Hydraulik nur unter beträchtlichen Modifikationen gelten können. Sonne und Mond, welche das Meer in Ebbe und Flut be— wegen, wirken höchſt wahrſcheinlich auch bis zu jenen Erdtiefen. Unter dem Gewölbe ſchon erſtarrter Gebirgsarten kann man allerdings periodiſche Hebungen und Senkungen der geſchmol— zenen Maſſe, Ungleichheiten des gegen das Gewölbe ausge— übten Druckes vermuten. Das Maß und die Wirkung ſolcher Oszillation kann aber nur gering ſein; und wenn der relative Stand der anziehenden Weltkörper auch hier Springfluten erregen muß, ſo iſt doch gewiß nicht dieſen, ſondern mächtigeren inneren Kräften die Erſchütterung der Erdoberfläche zuzu⸗ ſchreiben. Es gibt Gruppen von Erſcheinungen, deren Exiſtenz es nur darum nützlich iſt hervorzuheben, um die Allgemeinheit des Einfluſſes der Attraktion von Sonne und Mond auf das äußere und innere Leben der Erde zu bezeichnen, ſo wenig wir auch die Größe eines ſolchen Einfluſſes numeriſch zu be— ſtimmen vermögen. Nach ziemlich übereinſtimmenden Erfahrungen in den arteſiſchen Brunnen nimmt in der oberen Erdrinde die Wärme im Durchſchnitt mit einer ſenkrechten Tiefe von je 92 Pariſer Fuß (29,89 m) um 1° des hundertteiligen Thermometers zu. Befolgte dieſe Zunahme ein arithmetiſches Verhältnis, ſo würde demnach, wie ich bereits oben?“ angegeben habe, eine Granit: ſchicht in der Tiefe von 5¾10 geographiſchen Meilen (38,6 km) vier- bis fünfmal gleich dem höchſten Gipfel des Himalaya— gebirges geſchmolzen ſein. In dem Erdkörper ſind dreierlei Bewegungen der Wärme zu unterſcheiden. Die erſte iſt periodiſch und verändert die Temperatur der Erdſchichten, indem nach Verſchiedenheit des Sonnenſtandes und der Jahreszeiten die Wärme von oben nach unten eindringt, oder auf demſelben Wege von unten nach oben ausſtrömt. Die zweite Art der Bewegung iſt eben⸗ falls eine Wirkung der Sonne und von ae Lang⸗ ſamkeit. Ein Teil der Wärme, die in den Aequatorialgegenden eingedrungen iſt, bewegt ſich nämlich in dem Inneren der Erd— rinde gegen die Pole hin, und ergießt ſich an den Polen in den Luftkreis und den fernen Weltraum. Die dritte Art der Bewegung iſt die langſamſte von allen; ſie beſteht in der ſäkularen Erkaltung des Erdkörpers, in dem Wenigen, was jetzt noch von der primitiven Wärme des Planeten an die Oberfläche abgegeben wird. Dieſer Verluſt, den die Central: wärme erleidet, iſt in der Epoche der älteſten Erdrevolutionen ſehr beträchtlich geweſen, ſeit den hiſtoriſchen Zeiten aber wird er für unſere Inſtrumente kaum meßbar. Die Oberfläche der Erde befindet ſich demnach zwiſchen der Glühhitze der unteren Schichten und dem Weltraume, deſſen Temperatur wahrſchein— lich unter dem Gefrierpunkt des Queckſilbers iſt. Die periodiſchen Veränderungen der Temperatur, welche an der Oberfläche der Sonnenſtand und die meteorologiſchen Prozeſſe hervorrufen, pflanzen ſich im Inneren der Erde aber nur bis zu ſehr geringen Tiefen fort. Dieſe Langſamkeit der Wärmeleitung des Bodens ſchwächt auch im Winter den Wärmeverluſt und wird tiefwurzelnden Bäumen günſtig. Punkte, welche in verſchiedenen Tiefen in einer Vertikallinie liegen, erreichen zu ſehr verſchiedenen Zeiten. das Maximum und Minimum der mitgeteilten Temperatur. Je mehr ſie ſich von der Oberfläche entfernen, deſto geringer ſind die Unter— ſchiede dieſer Extreme. In unſeren Breiten der gemäßigten Zone (Br. 48— 52“) liegt die Schicht invariabler Temperatur in 55 bis 66 Fuß (17,9 bis 19,5 m) Tiefe; ſchon in der Hälfte dieſer Tiefe erreichen die Oszillationen des Thermometers durch Einfluß der Jahreszeiten kaum noch einen halben Grad. Das gegen wird in dem Tropenklima die invariable Schicht ſchon einen Fuß (0,32 m) tief unter der Oberfläche gefunden, und . Thatſache iſt von Bouſſingault auf eine ſcharfſinnige Weiſe zu einer bequemen und, wie er glaubt, ſicheren Be— ſtimmung der mittleren Lufttemperatur des Ortes benutzt wor— den. Dieſe mittlere Lufttemperatur an einem beſtimmten Punkte oder in einer Gruppe nahegelegener Punkte der Ober— fläche iſt gewiſſermaſſen das Grundelement der klimatiſchen und Kulturverhältniſſe einer Gegend; aber die mittlere Tem— peratur der ganzen Oberfläche tft von der des Erdkörpers jelbit ſehr verſchieden. Die ſo oft angeregte Frage, ob jene im Lauf der Jahrhunderte beträchtliche Veränderungen erlitten, ob das Klima eines Landes ſich verſchlechtert hat, ob nicht etwa gleichzeitig die Winter milder und die Sommer kälter geworden ſind, kann nur durch das Thermometer entſchieden werden; und die Erfindung dieſes Inſtruments iſt kaum dritt— — 16 — halbhundert Jahre, feine verftändige Anwendung kaum 120 Jahre alt. Die Natur und Neuheit des Mittels ſetzt alſo hier den Forſchungen über die Lufttemperatur ſehr enge Grenzen. Ganz anders iſt die Löſung des größeren Problems der inne— ren Wärme des ganzen Erdkörpers. Wie man aus der un⸗ veränderten Schwingungsdauer eines Pendels auf die bewahrte Gleichheit ſeiner Temperatur ſchließen kann, ſo belehrt uns die unveränderte Umdrehungsgeſchwindigkeit der Erde über das Maß der Stabilität ihrer mittleren Temperatur. Dieſe Ein⸗ ſicht in das Verhältnis der Tageslänge zur Wärme gehört zu den glänzendſten Anwendungen einer langen Kennt— nis der Himmels bewegungen auf den thermiſchen Zuſtand unſeres Planeten. Die Umdrehungsgeſchwindigkeit der Erde hängt nämlich von ihrem Volum ab. Sowie in der durch Strahlung allmählich erkaltenden Maſſe die Rotations- achſe kürzer würde, müßten mit Abnahme der Temperatur die Umdrehungsgeſchwindigkeit vermehrt und die Tageslänge vermindert werden. Nun ergibt die Vergleichung der ſäkularen Ungleichheiten in den Bewegungen des Mondes mit den in älteren Zeiten beobachteten Finſterniſſen, daß ſeit Hipparchs Zeiten, alſo ſeit vollen 2000 Jahren, die Länge des Tages gewiß nicht um den hundertſten Teil einer Sekunde abge: nommen hat. Es iſt demnach innerhalb der äußerſten?“ Grenze dieſer Abnahme die mittlere Wärme des Erdkörpers ſeit 2000 Jahren nicht um !ıro eines Grades verändert worden. Dieſe Unveränderlichkeit der Form ſetzt auch eine große Unveränderlichkeit in der Verteilung der Dichtigkeitsverhältniſſe im Inneren des Erdkörpers voraus. Die translatoriſchen Be: wegungen, welche die Ausbrüche der jetzigen Vulkane, das Hervordringen eiſenhaltiger Laven, das Ausfüllen vorher leerer Spalten und Höhlungen mit dichten Steinmaſſen verurſachen, find demnach nur als kleine Oberflächenphänomene, als Ereig- niſſe eines Teiles der Erdrinde zu betrachten, welcher der Dimenſion nach gegen die Größe des Erdhalbmeſſers ver⸗ ſchwindet. Die innere Wärme des Planeten habe ich in ihrer Urſache und Verteilung faſt ausſchließlich nach dem Reſultate der ſchö— nen Unterſuchungen Fouriers geſchildert. Poiſſon bezweifelt die ununterbrochene Zunahme der Erdwärme von der Ober— fläche der Erde zum Centrum. Er glaubt, daß alle Wärme von außen nach innen eingedrungen iſt, und daß die Tempe⸗ ratur des Erdkörpers abhängig iſt von der ſehr hohen oder — 127 — ſehr niedrigen Temperatur der Welträume, durch welche ſich das Sonnenſyſtem bewegt hat. Dieſe Hypotheſe, von einem der tiefſinnigſten Mathematiker unſerer Zeit erſonnen, hat faſt nur ihn, wenig die Phyſiker und Geognoſten befriedigt. Was aber auch die Urſache der inneren Wärme unſeres Planeten und der begrenzten oder unbegrenzten Zunahme in den tieferen Schichten ſein mag: immer führt ſie uns in dieſem Entwurfe eines allgemeinen Naturgemäldes, durch den inneren Zuſam— menhang aller primitiven Erſcheinungen der Materie, durch das gemeinſame Band, welches die Molekularkräfte umſchlingt, in das dunkle Gebiet des Magnetismus. Temperaturver— änderungen bringen magnetiſche und elektriſche Ströme hervor. Der telluriſche Magnetismus, deſſen Hauptcharakter in der dreifachen Aeußerung ſeiner Kräfte eine ununterbrochene perio— diſche Veränderlichkeit iſt, wird entweder der ganzen, ungleich erwärmten Erdmaſſe ſelbſt,'' oder jenen galvaniſchen Strömen zugeſchrieben, die wir als Elektrizität in Bewe gung, als Elektrizität in einem in ſich ſelbſt zurückkehrenden Kreislaufe betrachten. Der geheimnisvolle Gang der Magnet— nadel iſt von der Zeit und dem Raume, von dem Sonnenlaufe und der Veränderung des Ortes auf der Erdoberfläche gleich— mäßig bedingt. Man erkennt an der Nadel, wie an den Schwankungen des Barometers zwiſchen den Wendekreiſen, die Stunde des Tages. Sie wird durch das ferne Nordlicht, durch die Himmelsglut, welche an einem der Pole farbig aus— ſtrahlt, urplötzlich, doch nur vorübergehend, affiziert. Wenn die ruhige ſtündliche Bewegung der Nadel durch ein magne— tiſches Ungewitter geſtört iſt, ſo offenbart ſich die Per— turbation oftmals über Meer und Land, auf Hunderte und Tauſende von Meilen im ſtrengſten Sinne des Worts gleich— zeitig, oder ſie pflanzt ſich in kurzen Zeiträumen allmählich in jeglicher Richtung über die Oberfläche der Erde fort. 100 Im erſteren Falle könnte die Gleichzeitigkeit des Ungewitters, wie Jupiterstrabanten, Feuerſignale und wohl beachtete Stern— ſchnuppen, innerhalb gewiſſer Grenzen zur geographiſchen Län— genbeſtimmung dienen. Man erkennt mit Verwunderung, daß die Zuckungen zweier kleinen Magnetnadeln, und wären ſie tief in unterirdiſchen Räumen aufgehangen, die Entfernung meſſen, welche ſie voneinander trennt; daß ſie lehren, wie weit Kaſan öſtlich von Göttingen oder von den Ufern der Seine liegt. Es gibt auch Gegenden der Erde, wo der Seefahrer, ſeit vielen Tagen in Nebel gehüllt, ohne Sonne und Sterne, — 128 — ohne alle Mittel der Zeitbeſtimmung, durch die Neigungsver— änderung der Nadel mit Sicherheit wiſſen kann, ob er ſich nördlich oder ſüdlich von einem Hafen befindet, !“! in den er einlaufen ſoll. Wenn die plötzlich in ihrem ſtündlichen Gange geſtörte Nadel das Daſein eines magnetiſchen Ungewitters verkündigt, ſo bleibt der Sitz der Perturbationsurſache, ob ſie in der Erd— rinde ſelbſt oder im oberen Luftkreiſe zu ſuchen ſei, leider! für uns noch unentſchieden. Betrachten wir die Erde als einen wirklichen Magnet, ſo ſind wir genötigt, nach dem Aus— ſpruch des tiefſinnigen Gründers einer allgemeinen Theorie des Erdmagnetismus, Friedrich Gauß, durchſchnittlich wenig— ſtens jedem Teile der Erde, der ein achtel Kubikmeter, d. i. 3/0 Kubikfuß, groß iſt, eine ebenſo ſtarke Magnetiſierung beizulegen, als ein einpfündiger Magnetſtab enthält. Wenn Eiſen und Nickel, wahrſcheinlich auch Kobalt (nicht Chrom 102, wie man lange geglaubt hat), die alleinigen Subſtanzen ſind, welche dauernd magnetiſch werden und die Polarität durch eine gewiſſe Koerzitivkraft zurückhalten, jo beweiſen dagegen die Erſcheinungen von Aragos Rotationsmagnetismus und Faradays induzierten Strömen, daß wahrſcheinlich alle tellu— riſchen Stoffe vorübergehend ſich magnetiſch verhalten können. Nach den Verſuchen des erſteren der eben genannten großen Phyſiker wirken auf die Schwingungen einer Nadel Waſſer, Eis, Glas und Kohle ganz wie Queckſilber in den Rotationsverſuchen. Faſt alle Stoffe zeigen ſich in einem ge— wiſſen Grade magnetiſch, wenn ſie leitend ſind, d. h. von der Elektrizität durchſtrömt werden. So uralt auch bei den weſtlichen Völkern die Kenntnis der Ziehkraft natürlicher Eiſenmagnete zu ſein ſcheint, ſo war doch (und dieſe hiſtoriſch ſehr feſt begründete Thatſache iſt auffallend genug) die Kenntnis der Richtkraft einer Magnetnadel, ihre Beziehung auf den Erdmagnetismus nur dem äußerſten Oſten von Aſien, den Chineſen, eigentümlich. Tauſend und mehr Jahre vor unſerer Zeitrechnung, zu der dunklen Epoche des Kodros und der Rückkehr der Herakliden nach dem Peloponnes hatten die Chineſen ſchon magnetiſche Wagen, auf denen der bewegliche Arm einer Menſchengeſtalt unausgeſetzt nach Süden wies, um ſicher den Landweg durch die unermeßlichen Grasebenen der Tatarei zu finden; ja im dritten Jahrhundert nach unſerer Zeitrechnung, alſo wenigſtens 700 Jahre vor der Einführung des Schiffskompaſſes in den — 129 — europäiſchen Meeren, ſegelten ſchon chineſiſche Fahrzeuge in dem Indiſchen Ozean nach magnetiſcher Südweiſung. Ich habe in einem anderen Werke gezeigt, welche Vorzüge!“ dieſes Mittel topographiſcher Orientierung, dieſe frühe Kennt— nis und Anwendung der dem Weſten unbekannten Magnet— nadel den chineſiſchen Geographen vor den griechiſchen und römiſchen gegeben hat, denen z. B. die wahre Richtung der Apenninen und Pyrenäen ſtets unbekannt blieb. Die magnetiſche Kraft unſeres Planeten offenbart ſich an ſeiner Oberfläche in drei Klaſſen von Erſcheinungen, deren eine die veränderliche Intenſität der Kraft, zwei andere die veränderliche Richtung in der Neigung und in der hori— zontalen Abweichung vom terreſtriſchen Meridiane des Ortes darbieten. Die Geſamtwirkung nach außen wird alſo graphiſch durch drei Syſteme von Linien bezeichnet: die der iſodyna— miſchen, iſokliniſchen und iſogoniſchen (gleicher Kraft, gleicher Neigung und gleicher Abweichung). Der Abſtand und die relative Lage dieſer ſtets bewegten, oszillierend fortſchrei— tenden Kurven bleiben nicht immer dieſelben. Die totale Ab— weichung (Variation oder Deklination der Magnetnadel) ver— ändert ſich an gewiſſen Punkten 1e“ der Erde, z. B. in dem weſtlichen Teil der Antillen und in Spitzbergen, in einem ganzen Jahrhundert gar nicht oder auf eine bisher kaum be⸗ merkbare Weiſe. Ebenſo zeigt ſich, daß die iſogoniſchen Kurven, wenn ſie in ihrer ſäkularen Bewegung von der Oberfläche des Meeres auf einen Kontinent oder eine Inſel von beträchtlichem Umfange geraten, lange auf denſelben verweilen und dann im Fortſchreiten ſich krümmen. Dieſe allmähliche Umwandlung der Geſtaltungen, welche die Translation begleiten und die Gebiete der öſtlichen und weſtlichen Abweichung im Laufe der Zeiten ſo ungleich er— weitern, macht es ſchwer, in den graphiſchen Darſtellungen, welche verſchiedenen Jahrhunderten angehören, die Uebergänge und Analogie der Formen aufzufinden. Jeder Zweig einer Kurve hat ſeine Geſchichte; aber dieſe Geſchichte ſteigt bei den weſtlichen Völkern nirgends höher hinauf als bis zu der denk— würdigen Epoche (13. September 1492), wo der Wiederent— decker der Neuen Welt 3° weſtlich vom Meridian der azoriſchen Inſel Flores eine Linie ohne Abweichung erkannte.!“ Ganz Europa hat jetzt, einen kleinen Teil von Rußland abgerechnet, eine weſtliche Abweichung: während daß am Ende des 17. Jahr— hunderts, erſt in London 1657 und dann 1669 in Paris (alſo A. v. Humboldt, Kosmos. I. 9 — 130 — trotz der kleinen Entfernung mit einem Unterſchiede von 12 Jahren), die Nadel gerade nach dem Nordpol wies. Im öſtlichen Rußland, im Oſten von dem Ausfluß der Wolga, von Saratow, Niſchni-Nowgorod und Archangelsk, dringt von Aſien her die öſtliche Abweichung zu uns ein. In dem weit— ausgedehnten Gebiete des nördlichen Aſiens haben uns zwei vortreffliche Beobachter, Hanſteen und Adolf Erman, die wun— derbare doppelte Krümmung der Abweichungslinien kennen ge— lehrt: konkav gegen den Pol gerichtet zwiſchen Obdorsk am Obi und Turuchansk, konvex zwiſchen dem Baikalſee und dem Ochozkiſchen Meerbuſen. In dieſem letzteren Teile der Erde, im nordöſtlichen Aſien, zwiſchen dem Werchojansker Gebirge, Jakutsk und dem nördlichen Korea, bilden die iſogoniſchen Linien ein merkwürdiges in ſich geſchloſſenes Syſtem. Dieſe ei— förmige Geſtaltung “e wiederholt ſich regelmäßiger und in einem größeren Umfange in der Südſee, faſt im Meridian von Pitcairn und der Inſelgruppe der Marqueſas, zwiſchen 20° nördlicher und 45° ſüdlicher Breite. Man könnte geneigt ſein, eine ſo ſonderbare Konfiguration in ſich geſchloſſener, faſt kon— zentriſcher Abweichungslinien für die Wirkung einer Lokal— beſchaffenheit des Erdkörpers zu halten; ſollten aber auch dieſe iſoliert ſcheinenden Syſteme ſich in dem Laufe der Jahrhunderte fortbewegen, jo muß man hier, wie bei allen großen Natur: kräften, auf eine allgemeinere Urſache der Erſcheinung ſchließen. Die ſtündlichen Veränderungen der Abweichung, von der wahren Zeit abhängig, ſcheinbar von der Sonne beherrſcht, ſolange ſie über dem Horizonte eines Ortes iſt, nehmen mit der magnetiſchen Breite in ihrem angularen Werte ab. Nahe am Aequator, z. B. auf der Inſel Rawak, ſind fie kaum drei bis vier Minuten, wenn ſie im mittleren Europa 13 bis 14 Minuten betragen. Da nun in der ganzen nördlichen Hemiſphäre das Nordende der Nadel im Durchſchnitt von 87½ Uhr morgens bis 1¼ Uhr mittags von Oſt gen Weit, und in derſelben Zeit in der ſüdlichen Hemiſphäre dasſelbe Nordende von Weſt gen Oſt fortſchreitet, ſo hat man neuer— lichſt mit Recht darauf aufmerkſam gemacht, daß es eine Region der Erde, wahrſcheinlich zwiſchen dem terreſtriſchen und magnetischen Aequator, geben muß, in welcher feine ſtündliche Veränderung der Abweichung zu bemerken iſt. Dieſe vierte Kurve, die der Nichtbewegung oder vielmehr Nicht— veränderung der ſtündlichen Abweichung, iſt bis jetzt noch nicht aufgefunden worden. x Wie man magnetiſche Pole die Punkte der Erdober— fläche nennt, wo die horizontale Kraft verſchwindet, und dieſen Punkten mehr Wichtigkeit zuſchreibt, als ihnen eigentlich zu— kommt, ſo wird der magnetiſche Aequator diejenige Kurve genannt, auf welcher die Neigung der Nadel null iſt. Die Lage dieſer Linie und ihre ſäkulare Geſtaltveränderung iſt in neueren Zeiten ein Gegenſtand ſorgfältiger Unterſuchung geweſen. Nach der vortrefflichen Arbeit Duperreys, welcher den mag— netiſchen Aequator zwiſchen den Jahren 1822 und 1825 ſechs— mal berührt hat, ſind die Knoten der beiden Aequatoren, die zwei Punkte, in denen die Linie ohne Neigung den terreſtriſchen Aequator ſchneidet und demnach aus einer Hemi— ſphäre in die andere übergeht, ſo ungleich verteilt, daß im Jahre 1825 der Knoten bei der Inſel St. Thomas an der Weſtküſte von Afrika 188 %% von dem Knoten in der Südſee bei den kleinen Gilbertsinſeln (faſt in dem Meridian der Vitigruppe) auf dem kürzeſten Wege entfernt lag. Ich habe am Anfang dieſes Jahrhunderts auf einer Höhe von 11200 Fuß (3538 m) über dem Meere den Punkt (7° 1 ſüdl. Breite und 80 » 54“ weſtl. Länge) aſtronomiſch beſtimmen können, wo im Inneren des neuen Kontinents die Andeskette zwiſchen Quito und Lima von dem magnetiſchen Aequator durchkreuzt wird. Von da in Weſten verweilt dieſer faſt durch die ganze Südſee, dem terreſtriſchen Aequator ſich langſam nähernd, in der ſüdlichen Halbkugel. Er geht erſt in die nördliche Halbkugel über kurz vor dem Indiſchen Archipelagus, berührt nur die Südſpitzen von Aſien, und tritt in das afri— kaniſche Feſtland ein, weſtlich von Sokotora, faſt in der Meer— enge von Bab-el-Mandeb, wo er ſich dann am meiſten von dem terreſtriſchen Aequator entfernt. Das unbekannte Land von Innerafrika durchſchneidend in der Richtung nach Süd— weit, kehrt der magnetiſche Aequator in dem Golf von Guinea in die ſüdliche Tropenzone zurück, und entfernt ſich vom terreſtriſchen Aequator ſo ſehr, daß er die braſilianiſche Küſte bei Os Ilheos nördlich von Porto Seguro in 15° ſüdl. Breite berührt. Von da an bis zu der Hochebene der Kordilleren, zwiſchen den Silbergruben von Micuipampa und dem alten Inkaſitze von Caxamarca, wo ich die Inklination beobachten konnte, durchläuft er ganz Südamerika, das für jetzt unter dieſen ſüdlichen Breiten eine magnetiſche Terra incognita, wie das Innere von Afrika iſt. Neue von Sabine !“? geſammelte Beobachtungen haben Dal uns gelehrt, daß der Knoten der Inſel St. Thomas von 1825 bis 1837 bereits 4° von Oſten gegen Weſten gewandert iſt. Es wäre ungemein wichtig, zu wiſſen, ob der entgegen— geſetzte Pol der Gilbertsinſeln in der Südſee ebenſoviel gegen Weſten ſich dem Meridian der Karolinen genähert hat. Die hier gegebene allgemeine Ueberſicht muß genügen, um die verſchiedenen Syſteme nicht ganz paralleler iſokliniſcher Linien an die große Erſcheinung des Gleichgewichts, welche ſich im magnetiſchen Aequator offenbart, zu knüpfen. Für die Ergründung der Geſetze des telluriſchen Magnetismus tft es kein geringer Vorzug, daß der magnetiſche Aequator, deſſen oszillierender Geſtaltenwechſel und deſſen Knotenbewegung, mittels der veränderten magnetiſchen Breiten, einen Ein— fluß auf die Neigung der Nadel in den fernſten Weltgegenden ausüben, in feiner ganzen Länge, bis auf , ozeaniſch iſt und daher, durch ein merkwürdiges Raumverhältnis zwiſchen Meer und Land, um ſo zugänglicher wird, als man gegen— wärtig im Beſitz von Mitteln iſt, beides, Abweichung und Inklination, während der Schiffahrt mit vieler Genauigkeit zu beſtimmen. Wir haben die Verteilung des Magnetismus auf der Oberfläche unſeres Planeten nach den zwei Formen der Ab— weichung und der Neigung geſchildert. Es bleibt uns die dritte Form, die der Intenſität der Kraft, übrig, welche graphiſch durch iſodynamiſche Kurven (Linien gleicher Inten—⸗ ſität) ausgedrückt wird. Die Ergründung und Meſſung dieſer Kraft durch Schwingung einer vertikalen oder horizontalen Nadel hat erſt ſeit dem Anfange des 19. Jahrhunderts in ihren telluriſchen Beziehungen ein allgemeines und lebhaftes Intereſſe erregt. Die Meſſung der horizontalen Kraft iſt, beſonders durch Anwendung feiner optiſcher und chronometri— ſcher Hilfsmittel, eines Grades der Genauigkeit fähig geworden, welcher die aller anderen magnetiſchen Beſtimmungen weit übertrifft. Wenn für die unmittelbare Anwendung auf Schiff— fahrt und Steuerung die iſogoniſchen Linien die wichtigeren find, jo zeigen ſich nach den neueſten Anſichten die iſodynami⸗ ſchen, vornehmlich die, welche die Horizontalkraft bezeichnen, als diejenigen, welche der Theorie des Erdmagnetismus die fruchtbringendſten Elemente darbieten. Am früheſten iſt durch Beobachtung die Thatſache erkannt worden, “'s daß die In⸗ tenſität der Totalkraft vom Aequator gegen die Pole hin zunimmt. — 133 — Die Kenntnis des Maßes dieſer Zunahme und die Er— gründung aller numeriſchen, den ganzen Erdkörper umfaſſenden Verhältniſſe des Intenſitätsgeſetzes verdankt man beſonders ſeit dem Jahre 1829 der raſtloſen Thätigkeit von Eduard Sabine, welcher, nachdem er am amerikaniſchen Nordpol, in Grönland, in Spitzbergen, an den Küſten von Guinea und in Braſilien dieſelben Nadeln hat ſchwingen laſſen, fortwährend alles ſammelt und ordnet, was die Richtung der iſodynami— ſchen Linien aufklären kann. Den erſten Entwurf eines iſodynamiſchen Syſtems, in Zonen geteilt, habe ich ſelbſt für einen kleinen Teil von Südamerika geliefert. Es ſind dieſe Linien nicht den Linien gleicher Neigung parallel; die In— tenſität der Kraft iſt nicht, wie man anfangs geglaubt hat, am ſchwächſten auf dem magnetiſchen Aequator, ſie iſt nicht einmal gleich auf allen Teilen desſelben. Wenn man Ermans Beobachtungen im ſüdlichen Teile des Atlantiſchen Ozeans, wo eine ſchwächende Zone ſich von Angola über die Inſel St. Helena bis an die braſilianiſche Küſte (0,706) hinzieht, mit den neueſten Beobachtungen des großen Seefahrers James Clark Roß vergleicht, ſo findet man, daß an der Oberfläche unſeres Planeten die Kraft gegen den magnetiſchen Südpol hin, da wo das Viktorialand ſich vom Kap Crozier gegen den 11600 Fuß (3768 m) hohen, aus dem Eiſe aufſteigenden Vulkan Erebus verlängert, faſt im Verhältnis wie 1 zu 3 zu⸗ nimmt.!» Wenn die Intenſität nahe bei dem magnetiſchen Südpol durch 2,052 ausgedrückt wird (man nimmt noch immer zur Einheit die Intenſität, welche ich auf dem magnetiſchen Aequator im nördlichen Peru gefunden), ſo fand ſie Sabine dem magnetischen Nordpol nahe in Melvilles Inſel (Br. 74 27“ N.) nur 1,624, während ſie in den Vereinigten Staaten bei New Pork (aljo faſt unter einer Breite mit Neapel) 1,803 iſt. Durch die glänzenden Entdeckungen von Oerſted, Arago und Faraday iſt die elektriſche Ladung des Luftkreiſes der magnetiſchen Ladung des Erdkörpers näher gerückt. Wenn durch Oerſted aufgefunden worden iſt, daß die Elektrizität in der Umgebung des ſie fortleitenden Körpers Magnetismus erregt, ſo werden dagegen in Faradays Verſuchen durch den freigewordenen Magnetismus elektriſche Strömungen hervor— gerufen. Magnetismus iſt eine der vielfachen Formen, unter denen ſich die Elektrizität offenbart. Die uralte dunkle Ahnung von der Identität der elektriſchen und magnetiſchen Anziehung iſt in unſerer Zeit in Erfüllung gegangen. „Wenn das Elektrum (der Bernſtein),“ ſagte Plinius 1e im Sinne der ioniſchen Naturphiloſophie des Thales, „durch Reibung und Wärme beſeelt wird, ſo zieht es Baſt und dürre Blätter an, ganz wie der Magnetſtein das Eiſen.“ Dieſelben Worte finden wir in der Litteratur eines Volkes, das den öſtlichen Teil von Aſien bewohnt, bei dem chineſiſchen Phyſiker Kuopho in der Lobrede des Magneten.“! Nicht ohne Ueberraſchung bemerkte ich auch an den waldigen Ufern des Orinoko, bei den Kinderſpielen der Wilden, unter Volksſtämmen, welche auf der unterſten Stufe der Roheit ſtehen, daß ihnen die Erregung der Elektrizität durch Reibung bekannt iſt. Knaben rieben die trockenen, platten und glänzenden Samen eines rankenden Schotengewächſes (wahrſcheinlich einer Negretia) ſo lange, bis ſie Faſern von Baumwolle und Bambusrohr anzogen. Was die nackten kupferbraunen Eingeborenen ergötzt, iſt geeignet, einen tiefen und ernſten Eindruck zu hinterlaſſen. Welche Kluft trennt nicht das elektriſche Spiel jener Wilden von der Erfindung eines gewitterentladenden metalliſchen Leiters, einer viele Stoffe chemiſch zerſetzenden Säule, eines lichterzeugenden magnetiſchen Apparates! In ſolcher Kluft liegen Jahrtauſende der geiſtigen Entwickelungsgeſchichte der Menſchheit vergraben! Der ewige Wechſel, die oszillatoriſche Bewegung, welche man in allen magnetiſchen Erſcheinungen, denen der Neigung, der Abweichung, und der Intenſität der Kräfte, wahrnimmt: nach den Stunden des Tages und auch der Nacht, nach den Jahreszeiten und dem Verlauf der ganzen Jahre, läßt ſehr verſchiedenartige partielle Syſteme von elektriſchen Strömen in der Erdrinde vermuten. Sind dieſe Strömungen, wie in Seebecks Verſuchen, thermo-magnetiſch unmittelbar durch un— gleiche Verteilung der Wärme erregt? oder ſoll man ſie nicht vielmehr als durch den Stand der Sonne, durch die Sonnen— wärme induziert 11 betrachten? Hat die Rotation des Planeten und das Moment der Geſchwindigkeit, welches die einzelnen Zonen nach ihrem Abſtande vom Aequator erlangen, Einfluß auf die Verteilung des Magnetismus? Soll man den Sitz der Strömungen, d. i. der bewegten Elektrizität, in dem Luft— kreiſe, in den interplanetaren Räumen oder in der Polarität der Sonne und des Mondes ſuchen? Schon Galilei war in ſeinem berühmten Dialogo geneigt, die parallele Richtung der Erdachſe einem magnetiſchen Anziehungspunkt im Welt— raume zuzuſchreiben. — 135 — Wenn man ſich das Innere des Erdkörpers als geſchmolzen und einen ungeheuren Druck erleidend, als zu einer Tem— peratur erhoben denkt, für die wir kein Maß haben, ſo muß man wohl auf einen magnetiſchen Kern der Erde verzichten. Allerdings geht erſt bei der Weißglühhitze aller Magnetismus verloren;!“ er äußert ſich noch, wenn das Eiſen dunkelrot glühend iſt; und ſo verſchieden auch die Modifikationen ſein mögen, welche der Molekularzuſtand und die davon abhängige Koerzitivkraft der Stoffe in den Verſuchen erzeugen, jo bleibt immer noch eine beträchtliche Dicke der Erdſchicht über, die man als Sitz der magnetiſchen Ströme annehmen möchte. Was die alte Erklärung der ſtündlichen Variationen der Ab— weichung durch die progreſſive Erwärmung der Erde im ſcheinbaren Sonnenlauf von Oſten nach Weſten anbetrifft, ſo muß man ſich dabei freilich auf die äußerſte Oberfläche be— ſchränken, da die in den Erdboden eingeſenkten, jetzt an ſo vielen Orten genau beobachteten Thermometer zeigen, wie langſam die Sonnenwärme ſelbſt auf die geringe Tiefe von einigen Fußen eindringt. Dazu iſt der thermiſche Zuſtand der Meeresfläche, welche 8 des Planeten bedeckt, ſolchen Erklärungen wenig günſtig, wenn von unmittelbarer Ein— wirkung die Rede iſt, nicht von Induktion aus der Luft— und Dunſthülle des Planeten. Auf alle Fragen nach den letzten phyſiſchen Urſachen ſo komplizierter Erſcheinungen iſt in dem jetzigen Zuſtande unſeres Wiſſens bisher keine befriedigende Antwort zu geben. Nur was in den dreifachen Manifeſtationen der Erdkraft ſich als meßbare Verhältniſſe des Raumes und der Zeit, als das Geſetzmäßige im Veränderlichen darbietet, hat durch Beſtimmung numeriſcher Mittelwerte neuerdings die glän— zendſten Fortſchritte gemacht. Von Toronto in Oberkanada an bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung und zu Van— diemensland, von Paris bis Peking iſt die Erde ſeit dem Jahre 1828 mit magnetiſchen Warten bedeckt worden, in denen ununterbrochen durch gleichzeitige Beobachtungen jede regelmäßige oder unregelmäßige Regung der Erdkraft er— ſpähet wird. Man mißt eine Abnahme von 4e der mag— netiſchen Intenſität, man beobachtet zu gewiſſen Epochen 24 Stunden lang, alle 2½ Minuten. Ein großer engliſcher Aſtronom und Phyſiker hat berechnet,“ daß die Maſſe der Beobachtungen, welche zu diskutieren ſind, in drei Jahren auf 1958000 anwachſen wird. Nie iſt eine ſo großartige, — 136 — ſo erfreuliche Anſtrengung gezeigt worden, um das Quanti— tative der Geſetze in einer Naturerſcheinung zu ergründen. Man darf daher wohl mit Recht hoffen, daß dieſe Geſetze, mit denen verglichen, welche im Luftkreiſe und in noch ferneren Räumen walten, uns allmählich dem Genetiſchen der magne— tiſchen Erſcheinungen ſelbſt näher führen werden. Bis jetzt können wir uns nur rühmen, daß eine größere Zahl mög— licher, zur Erklärung führender Wege eröffnet worden ſind. In der phyſiſchen Lehre vom Erdmagnetismus, welche mit der rein mathematiſchen nicht verwechſelt werden darf, finden ſich, wie in der Lehre von den meteorologiſchen Pro— zeſſen des Luftkreiſes, diejenigen vollkommen befriedigt, die in den Erſcheinungen bequem alles Faktiſche wegleugnen, was ſie nicht nach ihren Anſichten erklären können. Der telluriſche Magnetismus, die elektrodynamiſchen, von dem geiſtreichen Ampere 11s gemeſſenen Kräfte, ſtehen gleichzeitig in innigem Verkehr mit dem Erd- oder Polar— lichte, wie mit der inneren und äußeren Wärme des Planeten, deſſen Magnetpole als Kältepole 11s betrachtet werden. Wenn Halley vor 128 Jahren nur als eine gewagte Vermutung ausſprach, daß das Nordlicht eine magnetiſche Erſcheinung ſei, ſo hat Faradays glänzende Entdeckung (Lichtent— wickelung durch magnetiſche Kräfte) jene Vermutung zu einer empirischen Gewißheit erhoben.! !“ Es gibt Vorboten des Nordlichtes. Bereits am Morgen vor der nächtlichen Lichterſcheinung verkündigt gewöhnlich der unregelmäßige ſtündliche Gang der Magnetnadel eine Störung des Gleich— gewichts in der Verteilung des Erdmagnetismus. Wenn dieſe Störung eine große Stärke erreicht, ſo wird das Gleichgewicht der Verteilung durch eine von Lichtentwickelung begleitete Entladung wieder hergeſtellt. „Das Nordlicht *! ſelbſt iſt dann nicht als eine äußere Urſache der Störung anzuſehen, ſondern vielmehr als eine bis zum leuchtenden Phänomen geſteigerte telluriſche Thätigkeit, deren eine Seite jenes Leuchten, die andere die Schwingungen der Nadel ſind.“ Die pracht— volle Erſcheinung des farbigen Polarlichtes iſt der Akt der Entladung, das Ende eines magnetiſchen Ungewitters, wie in dem elektriſchen Ungewitter ebenfalls eine Licht— entwickelung, der Blitz, die Wiederherſtellung des geſtörten Gleichgewichts in der Verteilung der Elektrizität bezeichnet. Das elektriſche Ungewitter iſt gewöhnlich auf einen kleinen Raum eingeſchränkt, und außerhalb desſelben bleibt der Zu— — 137 — ſtand der Luftelektrizität ungeändert. Das magnetiſche Un— gewitter dagegen offenbart ſeine Wirkung auf den Gang der Nadel über große Teile der Kontinente; wie Arago zuerſt entdeckt hat, fern von dem Orte, wo die Lichtentwickelung ſichtbar wird. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß, wie bei ſchwer geladenem, drohendem Gewölke und bei oftmaligem ben der Luftelektrizität in einen entgegengeſetzten Zu: ſtand es doch nicht immer zur Entladung in Blitzen kommt, ſo auch magnetiſche Ungewitter große Störungen des ſtünd— lichen Ganges der Nadel in weitem Umkreiſe hervorrufen können, ohne daß das Gleichgewicht der Verteilung not— wendig durch Exploſion, durch leuchtendes Ueberſtrömen von einem Pol zum Aequator oder gar von Pol zu Pol erneuert werden müſſe. Wenn man alle Einzelheiten der Erſcheinung in ein Bild zuſammenfaſſen will, ſo ſind die Entſtehung und der Verlauf eines ſich ganz ausbildenden Nordlichtes alſo zu bezeichnen: Tief am a, ungefähr in der Gegend, wo dieſer vom magnetiſchen Meridian durchſchnitten wird, ſchwärzt ſich der vorher heitere Himmel. Es bildet ſich wie eine dicke Nebel— wand, die allmählich aufſteigt und eine Höhe von 8 bis 10 Graden erreicht. Die Farbe des dunklen Segmentes geht ins Braune oder Violette über. Sterne ſind ſichtbar in dieſer, wie durch einen dichten Rauch verfinſterten Himmelsgegend. Ein breiter, aber hellleuchtender Lichtbogen, erſt weiß, dann gelb, begrenzt das dunkle Segment; da aber der glänzende Bogen ſpäter entſteht als das rauchgraue Segment, ſo kann man nach Argelander letzteres nicht einem bloßen Kontraſte mit dem helleren Lichtſaume zuſchreiben. Der höchſte Punkt des Lichtbogens iſt, wo er genau gemeſſen worden iſt, ge— wöhnlich nicht ganz im magnetiſchen Meridian, ſondern 5 bis 18° abweichend nach der Seite, wohin die Magnetdeklination des Ortes ſich richtet. Im hohen Norden, dem Magnetpole ſehr nahe, erſcheint das rauchähnliche Kugelſegment weniger dunkel, bisweilen gar nicht. Dort auch, wo die Horizontal— kraft am ſchwächſten iſt, ſieht man die Mitte des Lichtbogens von dem magnetiſchen Meridian am weiteſten entfernt. Der Lichtbogen, in ſtetem Aufwallen und formverändern— dem Schwanken, bleibt bisweilen ſtundenlang ſtehen, ehe Strahlen und Strahlenbündel aus demſelben hervorſchießen und bis zum Zenith hinaufſteigen. Je intenſiver die Ent— ladungen des Nordlichtes ſind, deſto lebhafter ſpielen die — 138 — Farben vom Violetten und bläulich Weißen durch alle Ab— ſtufungen bis in das Grüne und Purpurrote. Auch bei der gewöhnlichen, durch Reibung erregten Elektrizität iſt der Funke erſt dann gefärbt, wenn nach großer Spannung die Exploſion ſehr heftig iſt. Die magnetiſchen Feuerſäulen ſteigen bald aus dem Lichtbogen allein hervor, ſelbſt mit ſchwarzen, einem dicken Rauche ähnlichen Strahlen gemengt, bald erheben ſie ſich gleichzeitig an vielen entgegengeſetzten Punkten des Horizonts und vereinigen ſich in ein zuckendes Flammenmeer, deſſen Pracht keine Schilderung erreichen kann, da es in jedem Augenblick ſeinen leuchtenden Wellen andere und andere Ge— ſtaltungen gibt. Die Intenſität dieſes Lichtes iſt zuzeiten ſo groß, daß Lowenörn (29. Januar 1786) bei hellem Sonnen⸗ ſcheine Schwingungen des Polarlichtes erkannte. Die Be— wegung vermehrt die Sichtbarkeit der Erſcheinung. Um den Punkt des Himmelsgewölbes, welcher der Richtung der Nei— gungsnadel entſpricht, ſcharen ſich endlich die Strahlen zu— ſammen und bilden die ſogenannte Krone des Nordlichtes. Sie umgibt wie den Gipfel eines Himmelszeltes mit einem milderen Glanze und ohne Wallung im ausſtrömenden Lichte. Nur in ſeltenen Fällen gelangt die Erſcheinung bis zur voll— ſtändigen Bildung der Krone; mit derſelben hat ſie aber ſtets ihr Ende erreicht. Die Strahlungen werden nun ſeltener, kürzer und farbenloſer. Die Krone und alle Lichtbogen brechen auf. Bald ſieht man am ganzen Himmelsgewölbe unregel— mäßig zerſtreut nur breite, blaſſe, faſt aſchgrau leuchtende, unbewegliche Flecke; auch ſie verſchwinden früher als die Spur des dunklen rauchartigen Segmentes, das noch tief am Hori— zonte ſteht. Es bleibt oft zuletzt von dem ganzen Schaufpiel nur ein weißes, zartes Gewölk übrig, an den Rändern ge— fiedert oder in kleine rundliche Häufchen (als Cirrokumulus) mit gleichen Abſtänden geteilt. Dieſer Zuſammenhang des Polarlichtes mit den feinſten Cirruswölkchen verdient eine beſondere Aufmerkſamkeit, weil er uns die elektromagnetiſche Lichtentwickelung als Teil eines meteorologiſchen Prozeſſes zeigt. Der telluriſche Magne— tismus offenbart ſich hier in ſeiner Wirkung auf den Dunſt— kreis, auf die Kondenſation der Waſſerdämpfe. Was Thiene— mann, welcher die ſogenannten Schäfchen für das Subſtrat des Nordlichtes hält, in Island geſehen, iſt in neueren Zeiten von Franklin und Richardſon nahe am amerikaniſchen Nord— pole, vom Admiral Wrangel an den ſibiriſchen Küſten des Eismeeres beſtätigt worden. Alle bemerkten, „daß das Nord— licht die lebhafteſten Strahlen dann ſchoß, wenn in der hohen Luftregion Maſſen des Cirroſtratus ſchwebten, und wenn dieſe ſo dünn waren, daß ihre Gegenwart nur durch die Entſtehung eines Hofes um den Mond erkannt werden konnte“. Die Wolken ordneten ſich bisweilen ſchon bei Tage auf eine ähnliche Art als die Strahlen des Nordlichtes, und beunruhigten dann wie dieſe die Magnetnadel. Nach einem großen nächtlichen Nordlichte erkannte man früh am Morgen dieſelben aneinander gereihten Wolkenſtreifen, welche vorher leuchtend geweſen waren.!“ Die ſcheinbar konvergierenden Polarzonen (Wolkenſtreifen in der Richtung des magnetiſchen Meridians), welche mich auf meinen Reiſen auf der Hochebene von Mexiko wie im nördlichen Aſien anhaltend beſchäftigt haben, gehören wahrſcheinlich zu derſelben Gruppe der Tageserſcheinungen. 2“ Sübdlichter find oft von dem ſcharfſinnigen und fleißigen Beobachter Dalton in England, Nordlichter in der ſüdlichen Hemiſphäre bis 45° Breite (14. Januar 1831) geſehen worden. In nicht ſehr ſeltenen Fällen iſt das Gleichgewicht an beiden Polen gleichzeitig geſtört. Ich habe beſtimmt ergründet, daß bis in die Tropenregion, ſelbſt in Mexiko und Peru, Nord— polarlichter geſehen worden ſind. Man muß unterſcheiden zwiſchen der Sphäre gleichzeitiger Sichtbarkeit der Erſcheinung und der Erdzone, in welcher die Erſcheinung faſt jede Nacht geſehen wird. Jeder Beobachter ſieht gewiß, wie ſeinen eigenen Regenbogen, ſo auch ſein eigenes Polarlicht. Ein großer Teil der Erde erzeugt zugleich das ausſtrömende Lichtphänomen. Man kann viele Nächte angeben, in denen es in England Rund in Pennſylvanien, in Rom und in Peking gleichzeitig beobachtet wurde. Wenn man behauptet, daß die Polarlichter mit der abnehmenden Breite abnehmen, ſo muß man die Breite als eine magnetiſche, durch den Abſtand vom Magnet— pole gemeſſene betrachten. In Island, in Grönland, in Terre Neuve, an den Ufern des Sklavenſees oder zu Fort Enter— priſe in Nordkanada entzünden ſie ſich zu gewiſſen Jahres— zeiten faſt jede Nacht und feiern, wie die Einwohner der Shetlandinſeln n?! es nennen, in zuckenden Strahlen den „luſtigen Himmelstanz“. Während in Italien das Nordlicht eine große Seltenheit iſt, ſieht man es wegen der ſüdlichen Lage des amerikaniſchen Magnetpols überaus häufig in der Breite von Philadelphia (3957). Aber auch in den Gegen— den, welche in dem neuen Kontinent und an den ſibiriſchen — 140 — Küſten ſich durch große Frequenz des Phänomens auszeichnen, gibt es ſozuſagen beſondere Nordlichtſtriche: Längenzonen, in denen das Polarlicht vorzüglich glänzend und prachtvoll iſt. Oertliche Einflüſſe ſind nicht zu verkennen. Wrangel ſah den Glanz abnehmen, ſo wie er ſich um Niſhne-Kolymsk vom Litorale des Eismeeres entfernte. Die auf der Nordpolexpe— dition geſammelten Erfahrungen ſcheinen zu beweiſen, daß ganz nahe um den Magnetpol die Lichtentbindung auf das wenigſte um nichts ſtärker und häufiger als in einiger Ent— fernung davon iſt. Was wir von der Höhe des Polarlichtes wiſſen, gründet ſich auf Meſſungen, die ihrer Natur nach wegen der beſtän— digen Oszillation der Lichterſcheinung und daraus entſtehender Unſicherheit des parallaktiſchen Winkels nicht viel Vertrauen einflößen können. Die erlangten Reſultate ſchwanken, um nicht veralteter Angaben zu erwähnen, zwiſchen einigen Meilen und einer Höhe von drei- bis viertauſend Fuß (975 bis 1300 m). 12 Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß das Nordlicht zu verſchiedenen Zeiten eine ſehr verſchiedene Entfernung habe. Die neueſten Beobachter ſind geneigt, das Phänomen nicht an die Grenze der Atmoſphäre, ſondern in die Wolkenregion ſelbſt zu verſetzen; ſie glauben ſogar, daß die Nordlichtſtrahlen durch Winde und Luftſtrömungen bewegt werden können, wenn wirklich das Lichtphänomen, durch welches uns allein das Daſein einer elektromagnetiſchen Strömung bemerkbar wird, an materielle Gruppen beweglicher Dunſtbläschen ge— bunden iſt oder, beſſer zu ſagen, dieſelben durchdringt, von einem Bläschen zum anderen überſpringend. Franklin hat am Bärenſee ein ſtrahlendes Nordlicht geſehen, von dem er glaubte, daß es die untere Seite der Wolkenſchicht erleuchtete, während daß nur 4½ geogr. Meilen (33,4 km) davon Kendal, welcher die ganze Nacht über die Wache hatte und das Himmels— gewölbe keinen Augenblick aus den Augen verlor, gar keine Lichterſcheinung bemerkte. Das neuerdings mehrfach behauptete Niederſchießen von Nordlichtſtrahlen nahe zur Erde, zwiſchen dem Beobachter und einem nahen Hügel, bietet, wie beim Blitze und bei dem Fall von Feuerkugeln, eine vielfache Ge— fahr optiſcher Täuſchung dar. b das magnetiſche Gewitter, von dem wir ſoeben ein merkwürdiges Beiſpiel großer örtlicher Beſchränktheit an— gegeben, mit dem elektriſchen Gewitter außer dem Lichte auch das Geräuſch gemein habe, iſt überaus zweifelhaft geworden, — 141 — da man nicht mehr unbedingt den Erzählungen der Grönland— fahrer und ſibiriſchen Fuchsjäger traut. Die Nordlichter ſind ſchweigſamer geworden, ſeitdem man ſie genauer zu beobachten und zu belauſchen verſteht. Parry, Franklin und Richardſon am Nordpol, Thienemann in Island, Gieſeke in Grönland, Lottin und Bravais am Nordkap, Wrangel und Anjou an der Küſte des Eismeeres haben zuſammen an tauſend Nord— lichter geſehen, und nie irgend ein Geräuſch vernommen. Will man dieſe negativen Zeugniſſe gegen zwei poſitive von Hearne an der Mündung des Kupferfluſſes und von Henderſon in Island nicht gelten laſſen, ſo muß man in Erinnerung bringen, daß Hood dasſelbe Geräuſch wie von ſchnell bewegten Flinten— kugeln und von leiſem Krachen zwar während eines Nordlichtes, aber dann auch am folgenden Tage ohne alles Nordlicht ver— nahm; man muß nicht vergeſſen, wie Wrangel und Gieſeke zur feſten Ueberzeugung gelangten, daß das gehörte Geräuſch dem Zuſammenziehen des Eiſes und der Schneekruſte, bei einer plötzlichen Erkaltung des Luftkreiſes, zuzuſchreiben ſei. Der Glaube an ein kniſterndes Geräuſch iſt nicht in dem Volke, ſondern bei gelehrten Reiſenden wohl deshalb entſtan— den, weil man ſchon in früher Zeit, wegen des Leuchtens der Elektrizität in luftverdünnten Räumen, das Nordlicht für eine Wirkung atmoſphäriſcher Elektrizität erklärte, und hörte, was man zu hören wünſchte. Neue mit ſehr empfindlichen Elektro— metern angeſtellte Verſuche haben gegen alle Erwartung bisher nur negative Reſultate gegeben. Der Zuſtand der Luftelektri— zität ward während der ſtärkſten Nordlichter nie verändert gefunden. l Dagegen werden alle drei Kraftäußerungen des telluriſchen Magnetismus, Abweichung, Inklination und Intenſität, zu— gleich von dem Polarlichte verändert. In einer und derſelben Nacht wirkt dasſelbe auf das eine Ende der Nadel bald an— ziehend, bald abſtoßend, in verſchiedenen Stunden feiner Ent: wickelung. Die Behauptung, daß nach den von Parry in der Nähe des Magnetpoles auf Melvilles Inſel geſammelten Thatſachen die Nordlichter die Magnetnadel nicht affizierten, ſondern vielmehr als eine „beruhigende“ Potenz wirkten, iſt durch die genauere Unterſuchung von Parrys eigenem Reiſe— journale und durch die ſchönen Beobachtungen von Richardſon, Hood und Franklin in Nordkanada, wie zuletzt von Bravais und Lottin in Lappland hinlänglich widerlegt worden. !?? Der Prozeß des Nordlichtes iſt, wie wir ſchon oben bemerkt, der — 142 — Akt der Wiederherſtellung eines geſtörten Gleichgewichtes. Die Wirkung auf die Nadel iſt nach dem Maß der Stärke in der Exploſion verſchieden. Sie war in der nächtlichen Winter— ſtation zu Boſekop nur dann unmerklich, wenn die Lichterſchei— nung ſich ſehr ſchwach und tief am Horizont zeigte. Die auf— ſchießenden Strahlencylinder hat man ſcharfſinnig mit der Flamme verglichen, welche in dem geſchloſſenen Kreiſe der Voltaſchen Säule zwiſchen zwei weit voneinander entfernten Kohlenſpitzen, oder nach Fizeau zwiſchen einer Silber- und einer Kohlenſpitze entſteht, und die von dem Magnete angezogen und abgeſtoßen wird. Dieſe Analogie macht wenigſtens die An— nahme metalliſcher Dämpfe im Dunſtkreiſe entbehrlich, welche berühmte Phyſiker als Subſtrat des Nordlichtes betrachten. Wenn das leuchtende Phänomen, das wir einem galvani— ſchen Strome, d. h. einer Bewegung der Elektrizität in einem in ſich ſelbſt zurückkehrenden Kreislaufe, zuſchreiben, durch den unbeſtimmten Namen des Polarlichtes bezeichnet wird, ſo iſt damit nur die örtliche Richtung angegeben, in welcher am häufigſten, keineswegs immer, der Anfang der Lichtentwicke— lung geſehen wird. Was dieſem Naturphänomen ſeine größere Wichtigkeit gibt, iſt die Thatſache, daß die Erde leuchtend wird, daß ein Planet, außer dem Lichte, welches er von dem Centralkörper, der Sonne, empfängt, ſich eines eigenen Lichtprozeſſes fähig zeigt. Die Intenſität des Erdlichtes, oder vielmehr die Erhellung, welche dasſelbe verbreiten kann, übertrifft bei dem höchſten Glanze farbiger und nach dem Zenith aufſteigender Strahlung um ein weniges das Licht des erſten Mondviertels. Bisweilen (7. Januar 1831) hat man ohne Anſtrengung Gedrucktes leſen können. Dieſer, in den Polargegenden faſt ununterbrochene Lichtprozeß der Erde leitet uns durch Analogieen auf die denkwürdige Erſcheinung, welche die Venus darbietet. Der von der Sonne nicht erleuchtete Teil dieſes Planeten leuchtet bisweilen mit einem eigenen phosphoriſchen Scheine. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß der Mond, Jupiter und die Kometen außer dem, durch Polariſkope erkennbaren, reflektierten Sonnenlichte auch von ihnen ſelbſt hervorgebrachtes Licht ausſtrahlen. Ohne der problematiſchen, aber ſehr gewöhnlichen Art des Wetterleuch— tens zu erwähnen, in der ein ganzes tiefſtehendes Gewölk viele Minuten lang ununterbrochen flimmernd leuchtet, finden wir in unſerem Dunſtkreiſe ſelbſt noch andere Beiſpiele irdi— ſcher Lichterzeugung. Dahin gehören der berühmte bei en Nacht leuchtende trockene Nebel der Jahre 1783 und 1831; der ſtille, von Rozier und Beccaria beobachtete Lichtprozeß großer Wolken, ohne alles Flimmern; ja, wie Arago ſcharf— ſinnig bemerkt, das ſchwache diffuſe Licht, welches in tief be— wölkten, mond- und ſternloſen Herbſt- und Winternächten, ohne Schnee, unter freiem Himmel unſere Schritte leitet. Wie im Polarlichte, im elektromagnetiſchen Ungewitter, in hohen Breiten die Flut des bewegten, oft farbigen Lichtes den Luftkreis durchſtrömt, ſo ſind in der heißen Zone der Tropen viele tauſend Quadratmeilen des Ozeans gleichzeitig lichterzeugend. Hier gehört der Zauber des Lichtes den organi— ſchen Kräften der Natur an. Lichtſchäumend kräuſelt ſich die überſchlagende Welle, Funken ſprühet die weite Fläche, und jeder Funke iſt die Lebensregung einer unſichtbaren Tierwelt. So mannigfaltig iſt der Urquell des irdiſchen Lichtes. Soll man es ſich gar noch verborgen, unentfeſſelt, in Dämpfen gebunden denken, zur Erklärung der Moſerſchen Bilder aus der Ferne? einer Entdeckung, in welcher uns die Wirk— lichkeit bisher wie ein geheimnisſchweres Traumbild erſcheint. So wie die innere Wärme unſeres Planeten auf der einen Seite mit der Erregung elektromagnetiſcher Strö— mungen und dem Lichtprozeß der Erde (einer Folge des Ausbruchs) eines magnetiſchen Ungewitters zuſammen— hängt, ſo offenbart ſie ſich auch auf der anderen Seite als eine Hauptquelle geognoſtiſcher Phänomene. Wir be— trachten dieſe in ihrer Verkettung und in ihrem Uebergange von einer bloß dynamiſchen Erſchütterung und von der Hebung ganzer Kontinente und Gebirgsmaſſen zu der Er— zeugung und zum Erguß von gasförmigen und tropfbaren Flüſſigkeiten, von heißem Schlamme, von glühenden und ge— ſchmolzenen Erden, die ſich als kriſtalliniſche Gebirgsarten erhärten. Es iſt ein nicht geringer Fortſchritt der neueren Geognoſie (des mineralogiſchen Teils der Phyſik der Erde), die hier bezeichnete Verkettung der Erſcheinungen ergründet zu haben. Die Einſicht derſelben leitet von den ſpielenden Hypotheſen ab, durch welche man vormals jede Kraftäußerung des alten Erdballs einzeln zu erklären ſuchte: ſie zeigt die Verbindung von dem Hervortreten verſchiedenartiger Stoffe mit dem, was nur der räumlichen Veränderung (Erſchütte— rung oder Hebung) angehört; ſie reiht Gruppen von Er— ſcheinungen, welche auf den erſten Anblick ſich als ſehr heterogen darbieten: Thermalquellen, Ausſtrömungen von Kohlenſäure — 144 — und Schwefeldämpfen, harmloſe Salſen (Schlammausbrüche) und die furchtbaren Verheerungen feuerſpeiender Berge, an: einander. In einem großen Naturbilde ſchmilzt dies alles in den einigen Begriff der Reaktion des Inneren eines Planeten gegen ſeine Rinde und Oberfläche zuſammen. So erkennen wir in den Tiefen der Erde, in ihrer mit dem Abſtand von der Oberfläche zunehmenden Temperatur gleich— zeitig die Keime erſchütternder Bewegung, allmählicher Hebung ganzer Kontinente (wie der Bergketten auf langen Spalten), vulkaniſcher Ausbrüche und mannigfaltiger Erzeugung von Mineralien und Gebirgsarten. Aber nicht die unorganiſche Natur allein iſt unter dem Einfluſſe dieſer Reaktion des Inneren gegen das Aeußere geblieben. Es iſt ſehr wahr⸗ ſcheinlich, daß in der Urwelt mächtigere Ausſtrömungen von kohlenſaurem Gas, dem Luftkreiſe beigemengt, den kohle— abſcheidenden Prozeß des Pflanzenlebens erhöhten, und daß ſo in waldzerſtörenden Revolutionen ein unerſchöpfliches Material von Brennſtoff (Ligniten und Steinkohlen) in den oberen Erdſchichten vergraben wurde. Auch die Schickſale der Menſchheit erkennen wir als teilweiſe abhängig von der Ge: ſtaltung der äußeren Erdrinde, von der Richtung der Gebirgs⸗ züge und Hochländer, von der Gliederung der gehobenen Kontinente. Dem forſchenden Geiſte iſt es gegeben, in der Kette der Erſcheinungen von Glied zu Glied bis dahin auf— zuſteigen, wo bei Erſtarrung des Planeten, bei dem erſten Uebergange der geballten Materie aus der Dunſtform, ſich die innere Erdwärme entwickelte, welche nicht der Wirkung der Sonne zugehört. Um den Kauſalzuſammenhang der geognoſtiſchen Erſchei— nungen überſichtlich zu ſchildern, beginnen wir mit denen, deren Hauptcharakter dynamiſch iſt, in Bewegung und räum⸗ licher Veränderung beſteht. Erdbeben, Erderſchütterungen zeichnen ſich aus durch ſchnell aufeinander folgende ſenkrechte, oder horizontale, oder rotatoriſche Schwingungen. Bei der nicht unbeträchtlichen Zahl derſelben, die ich in beiden Welt: teilen, auf dem feſten Lande und zur See erlebt, haben die zwei erſten Arten der Bewegung mir ſehr oft gleichzeitig ge— ſchienen. Die minenartige Exploſion, ſenkrechte Wirkung von unten nach oben, hat ſich am auffallendſten bei dem Umſturze der Stadt Riobamba (1797) gezeigt, wo viele Leichname der Einwohner auf den mehrere hundert Fuß hohen Hügel la Cullea, jenſeits des Flüßchens von Lican, geſchleudert wurden. Die — 145 Fortpflanzung geſchieht meiſt in linearer Richtung wellenförmig, mit einer Geſchwindigkeit von 5 bis 7 geogcaphiſchen Meilen (37 bis 52 km) in der Minute; teils in Erſchütterungskreiſen oder großen Ellipſen, in denen wie aus einem Centrum die Schwingungen ſich mit abnehmender Stärke gegen den Umfang fortpflanzen. Es gibt Gegenden, die zu zwei ſich ſchneidenden Erſchütterungskreiſen gehören. Im nördlichen Aſien, in wel— chem der Vater der e 2 wie ſpäter Theophylactus Simocatta, die ſkythiſchen Länder frei von Erdbeben nannte, habe ich den ſüdlichen metallreichen Teil des Altaigebirges unter dem zweifachen Einfluſſe der Erſchütterungsherde vom Baikalſes und von den Vulkanen des Himmelsgebirges (Thianſchan) gefunden. Wenn die Erſchütterungskreiſe ſich durchſchneiden, wenn z. B. eine Hochebene zwiſchen zwei gleich— zeitig in Ausbruch begriffenen Vulkanen liegt, ſo können mehrere Wellenſyſteme gleichzeitig exiſtieren und, wie in den Flüſſigkeiten, ſich gegenſeitig nicht ſtören. Selbſt Interferenz kann hier, wie bei den ſich durchkreuzenden Schallwellen, ge— dacht werden. Die Größe der fortgepflanzten Erſchütterungs— wellen wird an der Oberfläche der Erde nach dem allge— meinen Geſetze der Mechanik vermehrt, nach welchem bei der Mitteilung der Bewegung in elaſtiſchen Körpern die letzte auf einer Seite freiliegende Schicht ſich zu trennen ſtrebt. Die Erſchütterungswellen werden durch Pendel und Sis— mometerbecken ziemlich genau in ihrer Richtung und totalen Stärke, keineswegs aber in der inneren Natur ihrer Alternanz und periodiſchen, Intumeſcenz unterſucht. In der Stadt Quito, die am Fuß eines thätigen Vulkans (des Ruku-Pichincha) 8950 Fuß (2907 m) über der Meeresfläche liegt, und ſchöne Kuppeln, hohe Kirchengewölbe und maſſive Häuſer von meh—⸗ reren Stockwerken aufzuweiſen hat, bin ich oft über die Heftig— keit nächtlicher Erdſtöße in Verwunderung geraten, welche ſo ſelten Riſſe in dem Gemäuer verurſachen, während in den peruaniſchen Ebenen viel ſchwächer ſcheinende Oszillationen niedrigen Rohrhäuſern ſchaden. Eingeborene, die viele hundert Erdbeben erlebt haben, glauben, daß der Unterſchied weniger in der Länge oder Kürze der Wellen, in der Langſamkeit oder Schnelligkeit !?“ der horizontalen Schwingung, als in der Gleichmäßigkeit der Bewegung in entgegengeſetzter Richtung liege. Die kreiſenden (rotatoriſchen) Erſchütterungen ſind die ſeltenſten, aber am meiſten gefahrbringend. Umwenden von Gemäuer ohne Umſturz, Krümmung von vorher parallelen A. v. Humboldt, Kosmos. I. 10 — 146 — Baumpflanzungen, Verdrehung von Aeckern, die mit verſchie— denen Getreidearten bedeckt waren, ſind bei dem großen Erd— beben von Riobamba, in der Provinz Quito (4. Februar 1797), wie bei dem von Kalabrien (5. Februar bis 28. März 1783) beobachtet worden. Mit dem letzteren Phänomen des Ver— drehens oder Verſchiebens der Aecker und Kulturſtücke, von welchen gleichſam eines den Platz des anderen angenommen, hängt eine translatoriſche Bewegung oder Durchdringung einzelner Erdſchichten zuſammen. Als ich den Plan der zer— ſtörten Stadt Riobamba aufnahm, zeigte man mir die Stelle, wo das ganze Hausgerät einer Wohnung unter den Ruinen einer anderen gefunden worden war. Das lockere Erdreich hatte ſich wie eine Flüſſigkeit in Strömen bewegt, von denen man annehmen muß, daß ſie erſt niederwärts, dann horizontal und zuletzt wieder aufwärts gerichtet waren. Streitigkeiten über das Eigentum ſolcher viele hundert Toiſen weit fortge— führten Gegenſtände find von der Audiencia (dem Gerichts hofe) geſchlichtet worden. In Ländern, wo die Erdſtöße vergleichungsweiſe ſeltener find (z. B. im ſüdlichen Europa), hat ſich nach einer unvoll⸗ ſtändigen Induktion !?“ der ſehr allgemeine Glaube gebildet, daß Windſtille, drückende Hitze, ein dunſtiger Horizont immer Vor⸗ boten der Erſcheinung ſeien. Das Irrtümliche dieſes Volks— glaubens iſt aber nicht bloß durch meine eigene Erfahrung widerlegt, es iſt es auch durch das Reſultat der Beobachtungen aller derer, welche viele Jahre in Gegenden gelebt haben, wo, wie in Cumana, Quito, Peru und Chile, der Boden häufig und gewaltſam erbebt. Ich habe Erdſtöße gefühlt bei heiterer Luft und friſchem Oſtwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. Auch die Regelmäßigkeit der ſtündlichen Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel und im Luftdrucke!?“ blieb zwiſchen den Wendekreiſen an dem Tage der Erdſtöße ungeſtört. Damit ſtimmen die Beobachtungen überein, welche Adolf Erman in der gemäßigten Zone bei einem Erdbeben in Irkutsk nahe am Baikalſee (8. März 1829) anſtellte. Durch den ſtarken Erdſtoß von Cumana (4. November 1799) fand ich zwar Abweichung und Intenſität der magnetiſchen Kraft gleich unverändert, aber die Neigung der Nadel war zu meinem Erſtaunen um 487 gemindert. Es blieb mir kein Verdacht eines Irrtums; und doch bei ſo vielen anderen Erd— ſtößen, die ich auf dem Hochlande von Quito und in Lima erlebte, war neben den anderen Elementen des telluriſchen . Magnetismus auch die Neigung ſtets unverändert. Wenn im allgemeinen, was tief in dem Erdkörper vorgeht, durch keinen meteorologiſchen Prozeß, durch keinen beſonderen Anblick des Himmelsgewölbes vorherverkündigt wird, ſo iſt es dagegen, wie wir bald ſehen werden, nicht unwahrſcheinlich, daß in gewiſſen ſehr heftigen Erderſchütterungen der Atmoſphäre etwas mitgeteilt werde, und daß daher dieſe nicht immer rein dynamiſch wirken. Während des langen Erzitterns des Bodens in den piemonteſiſchen Thälern von Pelis und Cluſſon wurden bei gewitterloſem Himmel die größten Veränderungen in der elektriſchen Spannung des Luftkreiſes bemerkt. Die Stärke des dumpfen Getöſes, welches das Erd— beben größtenteils begleitet, wächſt keineswegs in gleichem Maße als die Stärke der Oszillationen. Ich habe genau ergründet, daß der große Stoß im Erdbeben von Riobamba (4. Februar 1797) — einem der furchtbarſten Phänomene der phyſiſchen Geſchichte unſeres Erdkörpers — von gar keinem Getöſe begleitet war. Das ungeheure Getöſe (el gran ruido), welches unter dem Boden der Städte Quito und Ibarra, nicht aber dem Centrum der Bewegung näher in Tacunga und Hambato, vernommen wurde, entſtand 18 bis 20 Minuten nach der eigentlichen Kataſtrophe. Bei dem berühmten Erd— beben von Lima und Callao (28. Oktober 1746) hörte man das Getöſe wie einen unterirdiſchen Donnerſchlag in Truxillo auch erſt / Stunde ſpäter und ohne Erzittern des Bodens. Ebenſo wurden lange nach dem großen von Bouſſingault be— ſchriebenen Erdbeben von Neu-Granada (16. Novembex 1827) im ganzen Caucathale, ohne alle Bewegung, von 30 zu 30 Se— kunden mit großer Regelmäßigkeit unterirdiſche Detonationen gehört. Auch die Natur des Getöſes iſt ſehr verſchieden: rollend, raſſelnd, klirrend wie bewegte Ketten, ja in der Stadt Quito bisweilen abgeſetzt wie ein naher Donner; oder hell klingend, als würden Obſidian- und andere verglaſte Maſſen in unterirdiſchen Höhlungen zerſchlagen. Da feſte Körper vortreffliche Leiter des Schalles ſind, dieſer z. B. in gebranntem Thon 10 bis 12mal ſchneller ſich fortpflanzt als in der Luft, ſo kann das unterirdiſche Getöſe in großer Ferne von dem Orte vernommen werden, wo es verurſacht wird. In Caracas, in den Grasfluren von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, welcher in den Orinoko fällt, in einer Landſtrecke von 2300 Quadratmeilen (126645 qkm), hörte man überall am 30. April 1812, ohne alles Erdbeben, ein ungeheures donner— n artiges Getöſe, als 158 Meilen (1170 km) davon, in Nord— oſten, der Vulkan von St. Vincent in den kleinen Antillen aus ſeinem Krater einen mächtigen Lavaſtrom ergoß. Es war alſo der Entfernung nach, als wenn man einen Ausbruch des Veſuvs im nördlichen Frankreich vernähme. Im Jahre 1744, bei dem großen Ausbruch des Vulkans Cotopaxi, hörte man in Honda am Magdalenenſtrome unterirdiſchen Kanonendonner. Der Krater des Cotopaxi liegt aber nicht bloß 17000 Fuß (5520 m) höher als Honda; beide Punkte ſind auch durch die koloſſalen Gebirgsmaſſen von Quito, Paſto und Popayan, durch zahlloſe Thäler und Klüfte, in 109 Meilen (809 km) Entfernung getrennt. Der Schall ward beſtimmt nicht durch die Luft, ſondern durch die Erde aus großer Tiefe fortgepflanzt. Bei dem heftigen Erdbeben von Neu-Granada (Februar 1835) hörte man unterirdiſchen Donner gleichzeitig in Popayan, Bogota, Santa Marta und Caracas (hier 7 Stunden lang ohne alle Erſchütterung), in Hayti, Jamaika und um den See von Nicaragua. Dieſe Schallphänomene, wenn ſie von gar keinen fühl⸗ baren Erſchütterungen (Erdſtößen) begleitet ſind, laſſen einen beſonders tiefen Eindruck ſelbſt bei denen, die ſchon lange einen oft erbebenden Boden bewohnt haben. Man harrt mit Bangigkeit auf das, was nach dem unterirdiſchen Krachen folgen wird. Das auffallendite, mit nichts vergleichbare Bei— ſpiel von ununterbrochenem unterirdiſchem Getöſe, ohne alle Spur von Erdbeben, bietet die Erſcheinung dar, welche auf dem mexikaniſchen Hochlande unter dem Namen des Ge— brülles und unterirdiſchen Donners (bramidos y truenos subterraneos) von Guanaxuato e bekannt iſt. Dieſe berühmte und reiche Bergſtadt liegt fern von allen thätigen Vulkanen. Das Getöſe dauerte ſeit Mitternacht des 9. Januar 1784 über einen Monat. Ich habe eine umſtändliche Beſchreibung davon geben können, nach der Ausſage vieler Zeugen und nach den Dokumenten der Munizipalität, welche ich benutzen konnte. Es war (vom 13. bis 16. Januar), als lägen unter den Füßen der Einwohner ſchwere Gewitterwolken, in denen langſam rollender Donner mit kurzen Donnerſchlägen ab— wechſelte. Das Getöſe verzog ſich, wie es gekommen war, mit abnehmender Stärke. Es fand ſich auf einen kleinen Raum beſchränkt; wenige Meilen davon, in einer baſaltreichen Landſtrecke, vernahm man es gar nicht. Faſt alle Einwohner verließen vor Schrecken die Stadt, in der große Maſſen BERTLAON 2 Silberbarren angehäuft waren; die Mutigeren, an den unter: irdiſchen Donner gewöhnt, kehrten zurück und kämpften mit der Räuberbande, welche ſich der Schätze bemächtigt hatte. Weder an der Oberfläche der Erde, noch in den 1500 Fuß (488 m) tiefen Gruben war irgend ein leiſes Erdbeben be— merkbar. In dem ganzen mexikaniſchen Hochlande iſt nie vorher ein ähnliches Getöſe vernommen worden, auch hat in der folgenden Zeit die furchtbare Erſcheinung ſich nicht wieder— holt. So öffnen und ſchließen ſich Klüfte im Inneren der Erde; die Schallwellen gelangen zu uns oder werden in ihrer Fortpflanzung gehindert. Die Wirkung eines feuerſpeienden Berges, ſo furchtbar maleriſch auch das Bild iſt, welches ſie den Sinnen darbietet, iſt doch immer auf einen ſehr kleinen Raum eingeſchränkt. Ganz anders iſt es mit den Erdſtößen, die, dem Auge kaum bemerkbar, bisweilen gleichzeitig in tauſend Meilen Entfernung ihre Wellen fortpflanzen. Das große Erdbeben, welches am 1. November 1755 Liſſabon zerſtörte und deſſen Wirkungen der große Weltweiſe Immanuel Kant ſo trefflich nachgeſpürt hat, wurde in den Alpen, an den ſchwediſchen Küſten, auf den antilliſchen Inſeln (Antigua, Barbados und Martinique), in den großen Seen von Kanada, wie in Thüringen und in dem nördlichen Flachlande von Deutſchland, in kleinen Binnen— waſſern der baltiſchen Ebenen empfunden. Ferne Quellen wurden in ihrem Lauf unterbrochen, eine Erſcheinung bei Erd— ſtößen, auf die im Altertume ſchon Demetrius der Kallatianer aufmerkſam gemacht hatte. Die Teplitzer Thermen verſiegten und kamen, alles überſchwemmend, mit vielem Eiſenocker ge— färbt, zurück. In Cadix erhob ſich das Meer zu 60 Fuß (19,5 m) Höhe, während in den kleinen Antillen die, ge— wöhnlich nur 26 bis 28 Zoll (693 —743 mm) hohe Flut urplötzlich tintenſchwarz 20 Fuß (6,5 m) hoch ſtieg. Man hat berechnet, daß am 1. November 1755 ein Erdraum gleich— zeitig erbebte, welcher an Größe viermal die Oberfläche von Europa übertraf. Auch iſt noch keine andere Aeußerung einer Kraft bekannt geworden (die mörderiſchen Erfindungen unſeres eigenen Geſchlechts mit eingerechnet), durch welche in dem kurzen Zeitraum von wenigen Sekunden oder Minuten eine größere Zahl von Menſchen (ſechzigtauſend in Sizilien 1693, dreißig— bis vierzigtauſend im Erdbeben von Riobamba 1797, vielleicht fünfmal ſo viel in Kleinaſien und Syrien unter Tiber und Juſtin dem Aelteren um die Jahre 19 und 526) getötet wurden. — 150 — Man hat Beiſpiele in der Andeskette von Südamerika, daß die Erde mehrere Tage hintereinander ununterbrochen er— bebte; Erſchütterungen aber, die faſt zu jeder Stunde monate— lang gefühlt wurden, kenne ich nur fern von allen Bul- kanen: am öſtlichen Abfall der Alpenkette des Mont Cenis bei Feneſtrelles und Pignerol ſeit April 1808, in den Ver— einigten Staaten von Nordamerika zwiſchen Neu-Madrid und Little Prairie e' (nördlich von Cincinnati) im Dezember 1811 wie den ganzen Winter 1812, im Paſchalik von Aleppo in den Monaten Auguſt und September 1822. Da der Volks⸗ glaube ſich nie zu allgemeinen Anſichten erheben kann und daher immer große Erſcheinungen lokalen Erd- und Luftprozeſſen zuſchreibt, ſo entſteht überall, wo die Erſchütterungen lange dauern, die Beſorgnis vor dem Ausbrechen eines neuen Vul⸗ kans. In einzelnen, ſeltenen Fällen 1 ſich allerdings dieſe Beſorgnis begründet gezeigt: ſo bei plötzlicher Erhebung vul⸗ kaniſcher Eilande, ſo in der Entſtehung des Vulkans von Jorullo (eines neuen Berges von 1580 Fuß [513 m] Höhe über der alten benachbarten Ebene) am 29. September 1759, nach 90 Tagen Erdbebens und unterirdiſchen Donners. Wenn man Nachricht von dem täglichen Zuſtande der geſamten Erdoberfläche haben könnte, ſo würde man ſich ſehr wahrſcheinlich davon überzeugen, daß faſt immerdar, an irgend einem Punkte, dieſe Oberfläche erbebt, daß ſie ununterbrochen der Reaktion des Inneren gegen das Aeußere unterworfen iſt. Dieſe Frequenz und Allverbreitung einer Erſcheinung, die wahrſcheinlich durch die erhöhte Temperatur der tiefſten ge⸗ ſchmolzenen Schichten begründet wird, erklärt ihre Unabhängig⸗ keit von der Natur der Gebirgsarten, in denen ſie ſich äußert. Selbſt in den lockerſten Alluvialſchichten von Holland, um Middelburg und Vlieſſingen, ſind (23. Februar 1828) Erdſtöße empfunden worden. Granit und Glimmerſchiefer werden wie Flözkalk und Sandſtein, wie Trachyt und Mandelſtein er⸗ ſchüttert. Es iſt nicht die chemiſche Natur der Beſtandteile, ſondern die mechaniſche Struktur der Gebirgsarten, welche die Fortpflanzung der Bewegung (die Erſchütterungswelle) modifiziert. Wo letztere längs einer Küſte oder an dem Fuß und in der Richtung einer Gebirgskette regelmäßig fortläuft, bemerkt man bisweilen, und dies ſeit Jahrhunderten, eine Unterbrechung an gewiſſen Punkten. Die Undulation ſchreitet in der Tiefe fort, wird aber an jenen Punkten an der Ober: fläche nie gefühlt. Die Peruaner!“ jagen von dieſen un⸗ — 151 — bewegten oberen Schichten, „daß ſie eine Brücke bilden“. Da die Gebirgsketten auf Spalten erhoben ſcheinen, ſo mögen die Wände dieſer Höhlungen die Richtung der den Ketten paral— lelen Undulationen begünſtigen; bisweilen durchſchneiden aber auch die Erſchütterungswellen mehrere Ketten faſt ſenkrecht. So ſehen wir ſie in Südamerika die Küſtenkette von Venezuela und die Sierra Parime gleichzeitig durchbrechen. In Aſien haben ſich die Erdſtöße von Lahore und vom Fuß des Hima— laya (22. Januar 1832), quer durch die Kette des Hindu-Khu, bis Badachſchan, bis zum oberen Oxus, ja bis Bochara fort— gepflanzt. Leider erweitern ſich auch die Erſchütterungskreiſe infolge eines einzigen ſehr heftigen Erdbebens. Erſt ſeit der Zerſtörung von Cumana (14. Dezember 1797) empfindet die, den Kalkhügeln der Feſtung gegenüberliegende Halbinſel Mani— quarez in ihren Glimmerſchieferfelſen jeden Erdſtoß der ſüdlichen Küſte. Bei den faſt ununterbrochenen Undulationen des Bo— dens in den Flußthälern des Miſſiſſippi, des Arkanſas und des Ohio von 1811 bis 1813 war das Fortſchreiten von Süden nach Norden ſehr auffallend. Es iſt, als würden unter— irdiſche Hinderniſſe allmählich überwunden; und auf dem ein— mal geöffneten Wege pflanzt ſich dann die Wellenbewegung jedesmal fort. Wenn das Erdbeben dem erſten Anſcheine nach ein bloßes dynamiſches, räumliches Phänomen der Bewegung zu ſein ſcheint, ſo erkennt man doch nach ſehr wahrhaft bezeugten Er— fahrungen, daß es nicht bloß ganze Landſtrecken über ihr altes Niveau zu erheben vermag (z. B. Ulla-Bund nach dem Erd— beben von Cutſch im Juni 1819, öſtlich von dem Delta des Indus, oder längs der Küſte von Chile im November 1822), ſondern daß auch während der Erdſtöße heißes Waſſer (bei Catania 1818), heiße Dämpfe (im Miſſiſſippithale bei Neu⸗ Madrid 1812), Mofetten (irreſpirable Gasarten), den weiden— den Herden in der Andeskette ſchädlich, Schlamm, ſchwarzer Rauch, und ſelbſt Flammen (bei Meſſina 1783, bei Cumana 14. November 1797) ausgeſtoßen wurden. Während des großen Erdbebens von Liſſabon am 1. November 1755 ſah man nahe bei der Hauptſtadt Flammen und eine Rauchſäule aus einer neugebildeten Spalte des Felſens von Alvidras auf— ſteigen. Der Rauch war jedesmal um ſo dicker, als das unter— irdiſche Getöſe an Stärke zunahm. Bei der Zerſtörung von Riobamba im Jahre 1797, wo die Erdſtöße von keinem Aus— bruch der ſehr nahen Vulkane begleitet waren, wurde die BEE. ie Moya, eine ſonderbare, mit Kohle, Augitkriſtallen und Kieſel— panzern der Infuſionstiere gemengte Maſſe, in zahlreichen kleinen fortſchreitenden Kegeln aus der Erde hervorgehoben. Der Ausbruch des kohlenſauren Gaſes auf Spalten während des Erdbebens von Neu-Granada (16. November 1827) im Magdalenathale verurſachte das Erſticken vieler Schlangen, Ratten und anderer in Höhlen lebender Tiere. Auch plötzliche Veränderungen der Witterung, plötzliches Eintreten der Regen— zeit zu einer unter den Tropen ungewöhnlichen Epoche ſind ee in Quito und Peru auf große Erdbeben gefolgt. Werden gasförmige, aus dem Inneren der Erde aufſteigende Flüfſigkeiten der Atmoſphäre beigemiſcht? oder find dieſe me— teorologiſchen Prozeſſe die Wirkung einer durch das Erdbeben geſtörten Luftelektrizität? In den Gegenden des tropiſchen Amerikas, wo bisweilen in zehn Monaten kein Tropfen Regen fällt, halten die Eingeborenen ſich oft wiederholende Erdſtöße, die den niedrigen Rohrhütten keine Gefahr bringen, für glück— liche Vorboten der Fruchtbarkeit und der Regenmenge. Der innere Zuſammenhang aller hier geſchilderten Er— ſcheinungen iſt noch in Dunkel gehüllt. Elaſtiſche Flüſſigkeiten ſind es gewiß, die ſowohl das leiſe, ganz unſchädliche, mehrere Tage dauernde Zittern der Erdrinde (wie 1816 zu Scaccia in Sizilien vor der vulkaniſchen Erhebung der neuen Inſel Julia) als die, ſich durch Getöſe verkündigenden, furchtbareren Ex⸗ ploſionen verurſachen. Der Herd des Uebels, der Sitz der bewegenden Kraft liegt tief unter der Erdrinde; wie tief, wiſſen wir ebenſowenig, als welches die chemiſche Natur ſo hochgeſpannter Dämpfe ſei. An zwei Kraterrändern gelagert, am Veſuv und auf dem turmartigen Fels, welcher den un— geheuren Schlund des Pinchincha bei Quito überragt, habe ich periodiſch und ſehr regelmäßig Erdſtöße empfunden, jedes— mal 20 bis 30 Sekunden früher als brennende Schlacken oder Dämpfe ausgeſtoßen wurden. Die Erſchütterung war um ſo ſtärker, als die Exploſionen ſpäter eintraten und alſo die Dämpfe länger angehäuft blieben. In dieſer einfachen, von ſo vielen Reiſenden beſtätigten Erfahrung liegt die allgemeine Löſung des Phänomens. Die thätigen Vulkane ſind als Schutz- und nente für die nächſte Umgegend zu betrachten. 1°! Die Gefahr des Erdbebens wächſt, wenn die Oeffnungen der Vulkane verſtopft, ohne freien Ve mit der Atmoſphäre ſind; doch lehrt der Umſturz von Liſſabon, Caracas, * Lima, Kaſchmir (1554), und ſo vieler Städte von Kalabrien, Syrien und Kleinaſien, daß im ganzen doch nicht in der Nähe noch brennender Vulkane die Kraft der Erdſtöße am größten iſt. Wie die gehemmte Thätigkeit der Vulkane auf die Er— ſchütterung des Bodens wirkt, ſo reagiert dieſe wiederum auf die vulkaniſchen Erſcheinungen ſelbſt. Eröffnung von Spalten begünſtigt das Aufſteigen der Eruptionskegel und die Prozeſſe, welche in dieſen Kegeln in freiem Kontakt mit dem Luftlreiſe vorgehen. Eine Rauchſäule, die man monatelang in Süd— amerika aus dem Vulkan von Paſto aufſteigen ſah, verſchwand plötzlich, als 48 Meilen weit in Süden (am 4. Februar 1797) die Provinz Quito das große Erdbeben von Riobamba erlitt. Nachdem lange in ganz Syrien, in den Kykladen und auf Euböa der Boden erbebt hatte, hörten die Erſchütterungen plötzlich auf, als ſich in der lelantiſchen Ebene bei Chalcis ein Strom „glühenden Schlammes“ (Lava aus einer Spalte) ergoß.!?? Der geiſtreiche Geograph von Amaſea, der uns dieſe Nachricht aufbewahrt, ſetzt hinzu: „Seitdem die Mün— dungen des Aetna geöffnet ſind, durch welche das Feuer empor— bläſt, und ſeitdem Glühmaſſen und Waſſer hervorſtürzen können, wird das Land am Meeresſtrande nicht mehr ſo oft erſchüttert als zu der Zeit, wo, vor der Trennung Siziliens von Unter— italien, alle Ausgänge in der Oberfläche verſtopft waren.“ In dem Erdbeben offenbart ſich demnach eine vulkaniſch— vermittelnde Macht; aber eine ſolche Macht, allverbreitet wie die innere Wärme des Planeten, und überall ſich ſelbſt ver— kündend, wird ſelten und dann nur an einzelnen Punkten bis zu wirklichen Ausbruchsphänomenen geſteigert. Die Gang— bildung, d. h. die Ausfüllung der Spalten mit kriſtalliniſchen, aus dem Inneren hervorquellenden Maſſen (Baſalt, Melaphyr und Grünſtein), ſtört allmählich die freie Kommunikation der Dämpfe. Durch Spannung wirken dieſe dann auf dreierlei Weiſe: erſchütternd; oder plötzlich, d. i. ruckweiſe, hebend; oder, wie zuerſt in einem großen Teil von Schweden beobachtet worden iſt, ununterbrochen, und nur in langen Perioden be— merkbar, das Niveauverhältnis von Meer und Land umändernd. Ehe wir dieſe große Erſcheinung verlaſſen, die hier nicht ſowohl in ihren Einzelheiten als in ihren allgemeinen phyſi— kaliſchen und geognoſtiſchen Verhältniſſen betrachtet worden iſt, müſſen wir noch die Urſache des unausſprechlich tiefen und ganz eigentümlichen Eindrucks berühren, welchen das erſte Erd— beben, das wir empfinden, ſei es auch von keinem unterirdiſchen Getöſe begleitet, in uns zurückläßt. Ein ſolcher Eindruck, — 154 — glaube ich, iſt nicht Folge der Erinnerung an die Schreckens— bilder der Zerſtörung, welche unſerer Einbildungskraft aus Erzählungen hiſtoriſcher Vergangenheit vorſchweben. Was uns ſo wunderbar ergreift, iſt die Enttäuſchung von dem ange— borenen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren, der feſten Erdſchichten. Von früher Kindheit ſind wir an den Kontraſt zwiſchen dem beweglichen Element des Waſſers und der Unbeweglichkeit des Bodens gewöhnt, auf dem wir ſtehen. Alle Zeugniſſe unſerer Sinne haben dieſen Glauben befeſtigt. Wenn nun urplötzlich der Boden erbebt, ſo tritt geheimnisvoll eine unbekannte Naturmacht als das Starre bewegend, als etwas Handelndes auf. Ein Augenblick vernichtet die Illuſion des ganzen früheren Lebens. Enttäuſcht ſind wir über die Ruhe der Natur; wir fühlen uns in den Bereich zerſtörender, unbekannter Kräfte verſetzt. Jeder Schall, die leiſeſte Regung der Lüfte ſpannt unſere Aufmerkſamkeit. Man traut gleichſam dem Boden nicht mehr, auf den man tritt. Das Ungewöhnliche der Erſcheinung bringt dieſelbe ängſtliche Unruhe bei Tieren hervor. Schweine und Hunde ſind beſonders davon ergriffen. Die Krokodile im Orinoko, ſonſt ſo ſtumm als unſere kleinen Eidechſen, verlaſſen den erſchüt— terten Boden des Fluſſes und laufen brüllend dem Walde zu. Dem Menſchen ſtellt ſich das Erdbeben als etwas All— gegenwärtiges, Unbegrenztes dar. Von einem thätigen Aus— bruchkrater, von einem auf unſere Wohnung gerichteten Lava— ſtrom kann man ſich entfernen, bei dem Erdbeben glaubt man ſich überall, wohin auch die Flucht gerichtet ſei, über dem Herd des Verderbens. Ein ſolcher Zuſtand des Gemüts, aus unſerer innerſten Natur hervorgerufen, iſt aber nicht von langer Dauer. Folgt in einem Lande eine Reihe von ſchwachen Erdſtößen aufeinander, ſo verſchwindet bei den Bewohnern faſt jegliche Spur der Furcht. An den regenloſen Küſten von Peru kennt man weder Hagel, noch den rollenden Donner und die leuch— tenden Exploſionen im Luftkreiſe. Den Wolkendonner erſetzt dort das unterirdiſche Getöſe, welches die Erdſtöße begleitet. Vieljährige Gewohnheit und die ſehr verbreitete Meinung, als ſeien gefahrbringende Erſchütterungen nur zwei- oder dreimal in einem Jahrhundert zu befürchten, machen, daß in Lima ſchwache Oszillationen des Bodens kaum mehr Aufmerkſamkeit erregen als ein Hagelwetter in der gemäßigten Zone. Nachdem wir ſo die Thätigkeit, gleichſam das innere Leben der Erde in ihrem Wärmegehalt, in ihrer elektromagne— tiſchen Spannung, in ihrer Lichtausſtrömung an den Polen, in ihren unregelmäßig wiederkehrenden Erſcheinungen der Be— wegung überſichtlich betrachtet haben, gelangen wir zu den ſtoffartigen Produktionen (chemiſchen Veränderungen in der Erdrinde und in der Zuſammenſetzung des Dunſtkreiſes), welche ebenfalls die Folge planetariſcher Lebensthätigkeit ſind. Wir ſehen aus dem Boden ausſtrömen: Waſſerdämpfe und gasförmige Kohlenſäure, meiſt frei von aller Beimengung von Stickſtoff; gekohltes Waſſerſtoffgas (in der chineſiſchen Provinz Sſetſchuan '“ ſeit Jahrtauſenden, in dem nordamerikaniſchen Staate von New York im Dorfe Fredonia ganz neuerdings zum Kochen und zur Beleuchtung benutzt); Schwefelwaſſer— ſtoffgas und Schwefeldampf, jeltener !“ ſchweflige und Hydro— chlorſäure. Solche Ausſtrömungen aus Erdſpalten bezeichnen nicht bloß die Gebiete noch brennender oder längſt erloſchener Vulkane, man beobachtet ſie auch ausnahmsweiſe in Gegenden, in denen nicht Trachyt und andere vulkaniſche Geſteine unbe— deckt zu Tage ausſtehen. In der Andeskette von Quindiu habe ich Schwefel in einer Höhe von 6410 Fuß (2082 m) über dem Meere ſich im Glimmerſchiefer aus warmen Schwefel— dämpfen niederſchlagen geſehen, während daß dieſelbe, einſt für uranfänglich gehaltene Gebirgsart in dem Cerro Cuello bei Ticſan (ſüdlich von Quito) ein ungeheures Schwefellager in reinem Quarze zeigt. Unter allen Luftquellen ſind die Exhalationen der Kohlenſäure (ſogenannte Mofetten) noch heute, der Zahl und Quantität der Produktion nach, die wichtigſten. Unſer deutſches Vaterland lehrt uns, wie in den tief eingeſchnittenen Thälern der Eifel, in der Umgebung des Laacher Sees, im Keſſelthal von Wehr und in dem weſtlichen Böhmen, gleichſam in den Brandſtätten der Vorwelt, oder in ihrer Nähe, ſich die Aus— ſtrömungen der Kohlenſäure, als letzte Regungen der vul⸗ kaniſchen Thätigkeit, offenbaren. In den früheren Perioden, wo, bei erhöhter Erdwärme und bei der Häufigkeit noch un⸗ ausgefüllter Erdſpalten, die Prozeſſe, welche wir hier beſchreiben, mächtiger wirkten, wo Kohlenſäure und heiße Waſſerdämpfe in größeren Maſſen ſich der Atmoſphäre beimiſchten, muß, wie Adolf Brongniart ſcharfſinnig entwickelt hat, die junge Pflanzenwelt, faſt überall und unabhängig von der geogra— phiſchen Ortsbreite, zu der üppigſten Fülle und Entwickelung ihrer Organe gelangt ſein. In den immer warmen, immer feuchten, mit Kohlenſäure überſchwängerten Luftſchichten müſſen die Gewächſe in ſolchem Grade Lebenserregung und Ueberfluß an Nahrungsſtoff gefunden haben, daß ſie das Material zu den Steinkohlen- und Lignitenſchichten hergeben konnten, welche in ſchwer zu erſchöpfenden Maſſen die phyſiſchen Kräfte und den Wohlſtand der Völker begründen. Solche Maſſen ſind vorzugsweiſe, und wie in Becken verteilt, gewiſſen Punkten Europas eigen. Sie ſind angehäuft in den britiſchen Inſeln, in Belgien, in Frankreich, am Niederrhein und in Oberſchleſien. In derſelben Urzeit allverbreiteter vulkaniſcher Thätigkeit iſt auch dem Schoße der Erde entquollen die ungeheure Menge Kohlenſtoffes, welchen die Kalkgebirge in ihrer Zuſammenſetzung enthalten und welcher, vom Sauerſtoff getrennt und in feſter Subſtanz ausgeſchieden, ungefähr den achten Teil der räum⸗ lichen Mächtigkeit jener Gebirge ausmachen würde. Was un: aufgenommen von den alkaliſchen Erden dem Luftkreis an Kohlenſäure noch beigemengt war, wurde allmählich durch die Vegetation der Vorwelt aufgezehrt, ſo daß davon der Atmo— ſphäre, wenn ſie der Prozeß des Pflanzenlebens gereinigt, nur der ſo überaus geringe Gehalt übrig blieb, welcher der jetzigen Organiſation der Tiere unſchädlich iſt. Auch häufiger ausbrechende ſchwefelſaure Dämpfe haben in den vielbelebten Binnenwaſſern der Urwelt den Untergang von Mollusken- und Fiſchgattungen, wie die Bildung der vielgekrümmten, wahr— ſcheinlich oft durch Erdbeben erſchütterten Gipsflöze bewirkt. Unter ganz ähnlichen phyſiſchen Verhältniſſen ſteigen aus dem Schoße der Erde hervor: Luftarten, tropfbare Flüſſig— keiten, Schlamm und durch den Ausbruchkegel der Vulkane, welche ſelbſt nur eine Art intermittierender Quellen ſind, geſchmolzene Erden. Alle dieſe Stoffe verdanken ihre Temperatur und ihre chemiſche Naturbeſchaffenheit dem Ort ihres Urſprungs. Die mittlere Wärme der Wafjerquellen iſt geringer als die des Luftkreiſes an dem Punkte, wo ſie ausbrechen, wenn die Waſſer von den Höhen herabkommen, ihre Wärme nimmt mit der Tiefe der Erdſchichten zu, welche ſie bei ihrem Urſprunge berühren. Das numeriſche Geſetz dieſer Zunahme haben wir bereits oben angegeben. Das Ge— miſch der Waſſer, welche aus der Höhe der Berge oder aus der Tiefe der Erde kommen, macht die Lage der Iſogeo— thermen !“ (Linien gleicher innerer Erdwärme) ſchwierig zu beſtimmen, wenn nämlich dieſe Beſtimmung aus der Tempe— ratur der ausbrechenden Waſſerquellen geſchloſſen werden ſoll. So haben es eigene Beobachtungen mich und meine Gefährten El in dem nördlichen Aſien gelehrt. Die Temperatur der Quellen, welche ſeit einem halben Jahrhundert ein ſo viel bearbeiteter Gegenſtand der phyſikaliſchen Unterſuchungen geworden iſt, hängt, wie die Höhe des ewigen Schnees, von vielen, ſehr verwickelten Urſachen gleichzeitig ab. Sie iſt Funktion der Temperatur der Erdſchicht, in der ſie entſpringt, der Wärme— kapazität des Bodens, der Menge und Temperatur der Meteor— waſſer, welche letztere ſelbſt wiederum nach der Art ihrer Entſtehung von der Lufttemperatur der unteren Atmoſphäre verſchieden !“ iſt. Die ſogenannten kalten Quellen können die mittlere Lufttemperatur nur dann anzeigen, wenn ſie, ungemiſcht mit den aus großer Tiefe aufſteigenden oder von beträchtlichen Berghöhen herabkommenden Waſſern, einen ſehr langen Weg (in unſeren Breiten zwiſchen vierzig und ſechzig Fuß (20,7 m), in der Aequinoktialzone nach Bouſſingault einen Fuß '?”) unter der Oberfläche der Erde zurückgelegt haben. Die hier bezeich— neten Tiefen ſind nämlich die der Erdſchicht, in welcher, in der gemäßigten und in der heißen Zone, die Unveränder— lichkeit der Temperatur beginnt, in der die ſtündlichen, täg— lichen oder monatlichen Wärmeveränderungen der Luft nicht mehr geſpürt werden. Heiße Quellen brechen aus den allerverſchiedenartigſten Gebirgsarten hervor; ja die heißeſten unter den permanenten, die man bisher beobachtet und die ich ſelbſt aufgefunden, zeigen ſich fern von allen Vulkanen. Ich führe hier aus meinem Reiſeberichte die Aguas calientes de las Trin— cheras in Südamerika, zwiſchen Porto Cabello und Nueva Valencia, und die Aguas de Comangillas im mexikaniſchen Gebiete bei Guanaxuato an; die erſten, aus Granit aus— brechend, hatten 90%), die zweiten aus Baſalt ausbrechend, 96%. Die Tiefe des Herdes, aus welchem Waſſer von dieſer Temperatur aufſteigen, iſt nach dem, was wir von dem Geſetz der Wärmezunahme im Inneren der Erde wiſſen, wahrſcheinlich an 6700 Fuß (2176 m, über ½ einer geographiſchen Meile). Wenn die Urſache der Thermalquellen wie der thätigen Vulkane die allverbreitete Erdwärme iſt, ſo wirken die Gebirgsarten nur durch ihre Wärmekapazität und ihre wärmeleitende Kraft. Die heißeſten aller permanenten Quellen (zwiſchen 95° und 970) find merkwürdigerweiſe die reinſten, die, welche am wenigſten Mineralſtoffe aufgelöſt enthalten. Ihre Temperatur ſcheint im ganzen auch minder beſtändig als die der Quellen zwiſchen 50° und 74°, deren Unveränderlichkeit in Wärme und Mineralgehalt, in Europa wenigſtens, ſeit den fünfzig bis ſechzig Jahren, in denen man genaue Ther— mometer und genaue chemiſche Analyſen angewandt, ſich ſo wunderbar bewährt hat. Bouſſingault hat gefunden, daß die Therme von las Trincheras ſeit meiner Reiſe in 23 Jahren (zwiſchen 1800 und 1823) von 903 auf 97“ geſtiegen iſt.!““ Dieſe überaus ruhig fließende Quelle iſt alſo jetzt faſt 7“ heißer als die intermittierenden Springbrunnen des Geiſer und des Strokr, deren Temperatur Krug von Nidda neuer: lichſt ſorgfältiger beſtimmt hat. Einen der auffallendſten Be— weiſe von der Entſtehung heißer Quellen durch das Herab— ſinken kalter Meteorwaſſer in das Innere der Erde und durch Berührung mit einem vulkaniſchen Herde hat erſt im vorigen Jahrhundert ein vor meiner amerikaniſchen Reiſe unbekannter Vulkan, der von Jorullo in Mexiko, dargeboten. Als ſich derſelbe im September 1759 plötzlich als ein Berg von 1580 Fuß (513 m) über die umliegende Ebene erhob, verſchwanden die zwei kleinen Flüſſe, Rios de Cuitimba y de San Pedro, und erſchienen einige Zeit nachher unter furchtbaren Erdſtößen als Be Quellen. Ich fand im Jahre 1803 ihre Temperatur 3 i Die Quellen in Griechenland fließen erweislich noch an denſelben Orten wie in dem helleniſchen Altertume. Die Era— ſinusquelle, zwei Stunden Weges ſüdlich von Argos am Ab— hange des Chaon, erwähnt ſchon Herodot. Bei Delphi ſieht man noch die Kaſſotis (jetzt Brunnen des heil. Nikolaos), ſüd— lich von der Lesche entſpringend und unter dem Apollotempel durchfließend; auch die Kaſtalia am Fuß der Phädriaden und die Pirene bei Akrokorinth, wie die heißen Bäder von Aedepſos auf Euböa, in denen Sulla während des Mithridatiſchen Krieges badete. !?“ Ich führe gern dieſe Einzelheiten an, weil ſie lebhaft daran erinnern, wie in einem ſo häufigen und heftigen Erderſchütterungen ausgeſetzten Lande doch das Innere unſeres Planeten in kleinen Verzweigungen offener und Waſſer führender Spalten, wenigſtens 2000 Jahre lang ſeine alte Ge— ſtaltung hat bewahren können. Auch die Fontaine jaillissante von Lillers im Departement du Pas de Calais iſt bereits im Jahre 1126 erbohrt worden, und ſeitdem ununterbrochen zu derſelben Höhe mit derſelben Waſſermenge geſtiegen; ja, der vor— treffliche Geograph der caramaniſchen Küſte, Kapitän Beaufort, hat dieſelbe Flamme, genährt von ausſtrömendem brennbarem Gas, im Gebiet des Phaſelis leuchten a welche Plinius als die Flamme der Chimära in Lycien beſchreibt. Die von Arago 1821 gemachte Beobachtung, daß die tieferen arteſiſchen Brunnen die wärmeren ſind, hat zuerſt ein großes Licht auf den Urſprung der Thermalquellen und auf die Auffindung des Geſetzes der mit der Tiefe zunehmenden Erdwärme verbreitet. Auffallend iſt es und erſt in 0 neuer Zeit beachtet, daß ſchon der heilige Patricius, wahrſcheinlich Biſchof von Pertuſa, durch die bei Karthago ausbrechenden heißen Quellen am Ende des 3. Jahrhunderts auf eine ſehr richtige Anſicht der Erſcheinungen geleitet wurde. Als man ihn nach der Urſache der ſiedenden, dem Erdſchoß ent— quellenden Waſſer befragte, antwortete er: „Feuer wird in den Wolken genährt und im Inneren der Erde, wie der Aetna ſamt einem anderen Berge in der Nähe von Neapel euch lehren. Die unterirdiſchen Waſſer ſteigen wie durch Heber empor. Die Urſache der heißen Quellen iſt dieſe: die Waſſer, welche vom unterirdiſchen Feuer entfernter ſind, zeigen ſich kälter; die, welche dem Feuer näher entquellen, bringen, durch dasſelbe erwärmt, eine unerträgliche Hitze an die Oberfläche, die wir bewohnen.“ So wie die Erderſchütterungen oft von Waſſer- und Dampfausbrüchen begleitet ſind, ſo erkennt man in den Salſen oder kleinen Schlammvulkanen einen Uebergang von den wechſelnden Erſcheinungen, welche die Dampfausbrüche und Thermalquellen darbieten, zu der mächtigen und grauſenvollen Thätigkeit lavaſpeiender Berge. Wenn dieſe als Quellen geſchmolzener Erden vulkaniſche Gebirgsarten hervor— bringen, ſo erzeugen heiße, mit Kohlenſäure und Schwefelgas geſchwängerte Quellwaſſer ununterbrochen, durch Nieder— ſchlag, horizontal aufeinander gelagerte Schichten von Kalk— ſtein (Travertino), oder bauen koniſche Hügel auf, wie im nördlichen Afrika (Algerien) und in den Banos von Caxamarca, an dem weſtlichen Abhange der peruaniſchen Andeskette. In dem Travertino von Vandiemensland (unweit Hobarttown) ſind nach Charles Darwin Reſte einer untergegangenen Vege— tation enthalten. Wir deuten hier durch Lava und Traver— tino (zwei Gebirgsarten, die fortfahren ſich unter unſeren Augen zu bilden) auf die Hauptgegenſätze geognoſtiſcher Ver— hältniſſe. Die Salſen oder Schlammvulkane verdienen mehr Auf— merkſamkeit, als die Geognoſten ihnen bisher geſchenkt haben. — 160 — Man hat die Größe des Phänomens verkannt, weil von den zwei Zuſtänden, die es durchläuft, in den Beſchreibungen ge— wöhnlich nur bei dem letzteren, dem friedlicheren Zuſtande, in dem ſie jahrhundertelang beharren, verweilt wird. Die Ent— ſtehung der Salſen iſt durch Erdbeben, unterirdiſchen Donner, Hebung einer ganzen Länderſtrecke und einen hohen, aber auf eine kurze Dauer beſchränkten Flammenausbruch bezeichnet. Als auf der Halbinſel Apſcheron, am Kaſpiſchen Meere, öſtlich von Baku, die Salſe von Jokmali ſich zu bilden anfing (27. November 1827), loderten die Flammen drei Stunden lang zu einer außerordentlichen Höhe empor; die nachfolgen— den 20 Stunden erhoben fie ſich kaum 3 Fuß (Im) über dem ſchlammauswerfenden Krater. Bei dem Dorfe Baklichli, weſt— lich von Baku, ſtieg die Feuerſäule ſo hoch, daß man ſie in ſechs Meilen (44,5 km) Entfernung ſehen konnte. Große Fels—⸗ blöcke, der Tiefe entriſſen, wurden weit umhergeſchleudert. Dieſe findet man auch um die gegenwärtig ſo friedlichen Schlammvulkane von Monte Zibio, nahe bei Saſſuolo im nördlichen Italien. Der Zuſtand des zweiten Stadiums hat ſich über 1 Jahrtauſende in den von den Alten beſchriebenen Salſen von Girgenti (den Macalubi) auf Sizilien erhalten. Dort ſtehen, nahe aneinander gereihet, viele kegelförmige Hügel von 8, 10, ja 30 Fuß (2,5, 3,25 und 9,75 m) Höhe, die veränderlich iſt, wie ihre Geſtaltung. Aus dem oberen, ſehr kleinen und mit Waſſer gefüllten Becken fließt, unter periodiſcher Entwickelung von Gas, lettiger Schlamm in Strömen herab. Dieſer Schlamm iſt gewöhnlich kalt, bis— weilen (auf der Inſel Java bei Damak in der Provinz Sama⸗ rang) von hoher Temperatur. Auch die mit Geräuſch aus— ſtrömenden Gasarten find verſchiedenartig: Waſſerſtoffgas mit Naphtha gemengt, Kohlenſäure und, wie Parrot und ich er— wieſen haben (auf der Halbinſel Taman und in den ſüdameri⸗ kaniſchen Volcancitos de Turbaco), faſt reines Stickgas. !*° Die Schlammvulkane bieten dem Beobachter, nach dem erſten gewaltſamen Feuerausbruch, der vielleicht in gleichem Maße nicht einmal allen gemein iſt, das Bild einer meiſt un- unterbrochen fortwirkenden aber ſchwachen Thätigkeit des inneren Erdkörpers dar. Die Kommunikation mit den tiefen Schichten, in denen eine hohe Temperatur herrſcht, wird bald wieder in ihnen verſtopft, und die kalten Ausſtrömungen der Salſen ſcheinen zu lehren, daß der Sitz des Phänomens im Beharrungs— zuſtande nicht ſehr weit von der Oberfläche entfernt ſein könne. — 161 — Von ganz anderer Mächtigkeit zeigt ſich die Reaktion des inneren Erdkörpers auf die äußere Rinde in den eigentlichen Vulkanen oder feuerſpeienden Bergen, d. i. in ſolchen Punkten der Erde, in welchen eine bleibende oder wenigſtens von Zeit zu Zeit erneuerte Verbindung mit einem tiefen Herde ſich offenbart. Man muß ſorgfältig unterſcheiden zwiſchen mehr oder minder geſteigerten vulkaniſchen Erſcheinungen, als da ſind: Erdbeben, heiße Waſſer- und Dampfquellen, Schlammvulkane, das Hervortreten von glocken- und dom— förmigen ungeöffneten Trachytbergen, die Oeffnung dieſer Berge oder der emporgehobenen Baſaltſchichten als Er— hebungskrater, endliches Aufſteigen eines permanenten Vulkans in dem Erhebungskrater ſelbſt oder zwiſchen den Trümmern ſeiner ehemaligen Bildung. Zu verſchiedenen Zeiten, bei verſchiedenen Graden der Thätigkeit und Kraft, ſtoßen die permanenten Vulkane Waſſerdämpfe, Säuren, weitleuchtende Schlacken oder, wenn der Widerſtand überwunden werden kann, bandförmig ſchmale Feuerſtröme geſchmolzener Erden aus. Als Folge einer großen, aber lokalen Kraftäußerung im Inneren unſeres Planeten heben elaſtiſche Dämpfe entweder einzelne Teile der Erdrinde zu domförmigen, ungeöffneten Maſſen feldſpatreichen Trachyts und Dolerits (Puy de Dome und Chimborazo) empor, oder es werden die gehobenen Schich— ten durchbrochen, und dergeſtalt nach außen geneigt, daß auf der entgegengeſetzten inneren Seite ein ſteiler Felsrand entſteht. Dieſer Rand wird dann die Umgebung eines Erhebungs— kraters.“! Wenn derſelbe, was keineswegs immer der Fall iſt, von dem Meeresgrunde ſelbſt aufgeſtiegen iſt, ſo hat er die ganze phyſiognomiſche Geſtaltung der gehobenen Inſel be— ſtimmt. Dies iſt die Entſtehung der zirkelrunden Form von Palma, die Leopold von Buch ſo genau und geiſtreich be— ſchrieben, und von Niſyros im Aegäiſchen Meere. Bisweilen iſt die eine Hälfte des ringförmigen Randes zerſtört, und in dem Buſen, den das eingedrungene Meer gebildet, haben ge— ſellige Korallentiere ihre zelligen Wohnungen aufgebaut. Auch auf den Kontinenten ſind die Erhebungskrater oft mit Waſſer gefüllt und verſchönern auf eine ganz eigentümliche Weiſe den Charakter der Landſchaft. Ihre Entſtehung iſt nicht an eine beſtimmte Gebirgsart gebunden; ſie brechen aus in Baſalt, Trachyt, Leucitporphyr (Somma), oder in doleritartigem Gemenge von Augit und Labrador. Daher die ſo verſchiedene Natur und äußere A. v. Humboldt, Kosmos. I. 11 Geſtaltung dieſer Art der Kraterränder. „Von ſolchen Um: gebungen gehen keine Eruptionserſcheinungen aus; es iſt durch ſie kein bleibender Verbindungskanal mit dem Inneren er— öffnet, und nur ſelten findet man in der Nachbarſchaft oder im Inneren eines ſolchen Kraters Spuren von noch wirkender vulkaniſcher Thätigkeit. Die Kraft, welche eine jo bedeutende Wirkung hervorzubringen vermochte, muß ſich lange im Inneren geſammelt und verſtärkt haben, ehe ſie den Widerſtand der darauf drückenden Maſſe überwältigen konnte. Sie reißt bei Entſtehung neuer Inſeln körnige Gebirgsarten und Konglo— merate (Tuffſchichten voll Seepflanzen) über die Oberfläche des Meeres empor. Durch den Erhebungskrater entweichen die geſpannten Dämpfe; eine jo große erhobene Maſſe fällt aber wieder zurück und verſchließt ſofort die nur für ſolche Kraftäußerung gebildete Oeffnung. Es entſteht kein Vulkan.“ Ein eigentlicher Vulkan entſteht nur da, wo eine bleibende Verbindung des inneren Erdkörpers mit dem Luftkreiſe er— rungen iſt. In ihm iſt die Reaktion des Inneren gegen die Oberfläche in langen Epochen dauernd. Sie kann, wie einſt beim Veſuv (Fiſove !“), jahrhundertelang unterbrochen ſein und dann doch wieder in erneuerter Thätigkeit ſich darbieten. Zu Neros Zeiten war man in Rom ſchon geneigt, den Aetna in die Klaſſe allmählich erlöſchender Feuerberge zu ſetzen; ja ſpäter behauptete Aelian ſogar, die Seefahrer fingen an, den einſinkenden Gipfel weniger weit vom hohen Meere aus zu ſehen. Wo die Zeugen des erſten Ausbruchs, ich möchte ſagen, das alte Gerüſte ſich vollſtändig erhalten hat, da ſteigt der Vulkan aus einem Erhebungskrater empor, da umgibt den iſolierten Kegelberg cirkusartig eine hohe Felsmauer, ein Mantel, der aus ſtark aufgerichteten Schichten beſteht. Bisweilen iſt von dieſer cirkusartigen Umgebung keine Spur mehr ficht- bar, und der Vulkan, nicht immer ein Kegelberg, ſteigt auch als ein langgedehnter Rücken, wie der Pichincha, an deſſen Fuß die Stadt Quito liegt, unmittelbar aus der Hochebene auf. Wie die Natur der Gebirgsarten, d. h. die Verbindung (Gruppierung) einfacher Mineralien zu Granit, Gneis und Glimmerſchiefer, zu Trachyt, Baſalt und Dolerit, unabhängig von den jetzigen Klimaten, unter den verſchiedenſten Himmels— ſtrichen dieſelbe iſt, ſo ſehen wir auch überall in der an— organiſchen Natur gleiche Geſetze der Geſtaltung ſich enthüllen, Geſetze, nach welchen die Schichten der Erdrinde ſich wechſel— ſeitig tragen, gangartig durchbrechen, durch elaſtiſche Kräfte — 163 — ſich heben. In den Vulkanen iſt dieſes Wiederkehren derſelben Erſcheinungen beſonders auffallend. Wo dem Seefahrer nicht mehr die alten Sterne leuchten, auf Inſeln ferner Meere, von Palmen und fremdartigen Gewächſen umgeben, ſieht er in den Einzelheiten des landſchaftlichen Charakters den Veſuv, die domförmigen Gipfel der Auvergne, die Erhebungskrater der kanariſchen und azoriſchen Inſeln, die Ausbruchsſpalten von Island wiederkehrend abgeſpiegelt; ja ein Blick auf den Begleiter unſeres Planeten, den Erdmond, verallgemeinert die hier bemerkte Analogie der Geſtaltung. In den, mittels großer Fernröhre entworfenen Karten des luft- und waſſerloſen Satelliten erkennt man mächtige Erhebungskrater, welche Kegel— berge umgeben oder ſie auf ihren Ringwällen tragen: unbe— ſtreitbare Wirkungen der Reaktion des Inneren gegen die Oberfläche des Mondes, begünſtigt von dem Einfluß einer geringeren Schwere. Wenn in vielen Sprachen Vulkane mit Recht feuer— ſpeiende Berge genannt werden, ſo iſt ein ſolcher Berg darum keineswegs durch eine allmähliche Anhäufung von ausfließen— den Lavaſtrömen gebildet; ſeine Entſtehung ſcheint vielmehr allgemein die Folge eines plötzlichen Emporhebens zäher Maſſen von Trachyt oder labradorhaltigem Augitgeſteine zu ſein. Das Maß der hebenden Kraft offenbart ſich in der Höhe der Vul— kane, und dieſe iſt ſo verſchieden, daß ſie bald die Dimenſion eines Hügels (Vulkan von Coſima, einer der japaniſchen Kurilen), bald die eines 18000 Fuß (5850 m) hohen Kegels hat. Es hat mir geſchienen, als ſei das Höhenverhältnis von großem Einfluß auf die Frequenz der Ausbrüche, als wären dieſe weit häufiger in den niedrigeren als in den höheren Vulkanen. Ich erinnere an die Reihenfolge: Stromboli (2175 Fuß = 706 m), der faſt täglich donnernde Guaca— mayo in der Provinz Quixos (ich habe ihn oft in 22 Mei— len [163 km] Entfernung in Chillo bei Quito gehört), der Veſuv (3637 F. = 1181 m), Aetna (10 200 F. = 3313 m), Pik von Tenerifa (11424 F. = 3711 m) und Cotopaxi (17 892 F. = 5812 m). Sit der Herd dieſer Vulkane in gleicher Tiefe, ſo gehört eine größere Kraft dazu, die geſchmolzenen Maſſen zu einer ſechs- und achtmal größeren Höhe zu erheben. Während daß der niedrige Stromboli (Strongyle) raſtlos arbeitet, wenigſtens ſeit den Zeiten homeriſcher Sagen, und, ein Leuchtturm des Tyrrheniſchen Meeres, den Seefahrern zum leitenden Feuerzeichen wird, ſind die höheren Vulkane durch — 164 — lange Zwiſchenzeiten von Ruhe charakteriſiert. So ſehen wir die Eruptionen der meiſten Koloſſe, welche die Andeskette krönen, faft durch ein ganzes Jahrhundert voneinander getrennt. Wo man Ausnahmen von dieſem Geſetze bemerkt, auf welches ich längſt ſchon aufmerkſam gemacht habe, mögen ſie in dem Umſtande gegründet ſein, daß die Verbindungen zwiſchen dem vulkaniſchen Herde und dem Ausbruchkrater nicht bei allen Vulkanen, die man vergleicht, in gleichem Maße als perma- nent frei gedacht werden können. In den niedrigen mag eine Zeitlang der Verbindungskanal verſchloſſen ſein, ſo daß ihre Ausbrüche ſeltener werden, ohne daß ſie deshalb dem Er— löſchen näher ſind. Mit den Betrachtungen über das Verhältnis der abſo— luten Höhe zur Frequenz der Entflammung des Vulkans, in- ſofern dieſelbe äußerlich ſichtbar iſt, ſteht in genauem Zu— ſammenhange der Ort, an welchem die Lava ſich ergießt. Bei vielen Vulkanen ſind die Ausbrüche aus dem Krater überaus ſelten; fie geſchehen meiſt, wie am Aetna im ſechzehnten Jahr: hundert der berühmte Geſchichtſchreiber Bembo !** ſchon als Jüngling bemerkte, auf Seitenſpalten, da wo die Wände des gehobenen Berges durch ihre Geſtaltung und Lage am wenig— ſten Widerſtand leiſten. Auf dieſen Spalten ſteigen bisweilen Auswurfskegel aus: große, die man fälſchlich durch den Namen neuer Vulkane bezeichnet und die aneinander ge— reihet die Richtung einer bald wieder geſchloſſenen Spalte be— zeichnen; kleine, in Gruppen zuſammengedrängt, eine ganz: Bodenſtrecke bedeckend, glocken- und bienenkorbartig. Zu den letzteren gehören die hornitos de Jorullo, und die Kegel des Veſuvausbruchs im Oktober 1822, des Vulkans von Awatſcha nach Poſtels und des Lavenfeldes bei den Baidarenbergen nach Erman, auf der Halbinſel Kamtſchatka. Stehen die Vulkane nicht frei und iſoliert in einer Ebene, ſind ſie, wie in der Doppelkette der Andes von Quito, von einem neun- bis zwölftauſend Fuß (2924 bis 3400 m) hohen Taffellande umgeben, ſo kann dieſer Umſtand wohl dazu beitragen, daß ſie bei den furchtbarſten Ausbrüchen feuriger Schlacken, unter Detonationen, die über hundert Meilen weit vernommen werden, keine Lavaſtröme erzeugen.!“ So die Vulkane von Popayan, der Hochebene von los Paſtos, und der Andes von Quito, vielleicht unter den letzten den ein— zigen Vulkan von Antiſana ausgenommen. Die Höhe des Aſchenkegels und die Größe und Form — 165 — des Kraters ſind Elemente der Geſtaltung, welche vorzugs— weiſe den Vulkanen einen individuellen Charakter geben; aber beide, Aſchenkegel und Krater, ſind von der Dimenſion des ganzen Berges völlig unabhängig. Der Veſuv iſt mehr als dreimal niedriger als der Pik von Tenerifa: und ſein Aſchen— kegel erhebt ſich doch zu 1 der ganzen Höhe des Berges, während der Aſchenkegel des Pils nur "aa derſelben beträgt. Bei einem viel höheren Vulkan als dem von Tenerifa, bei dem Rucu⸗-Pichincha, tritt dagegen ein Verhältnis ein, das wiederum dem des Veſuvs näher kommt. Unter allen Vulkanen, die ich in beiden Hemiſphären geſehen, iſt die Kegelform des Cotopaxi die ſchönſte und regelmäßigſte. Ein plötzliches Schmelzen des Schnees an ſeinem Aſchenkegel verkündigt die Nähe des Ausbruchs. Ehe noch Rauch ſichtbar wird in den dünnen Luftſchichten, die den Gipfel und die Krateröffnung umgeben, ſind bisweilen die Wände des Aſchenkegels von innen durchglüht, und der ganze Berg bietet dann den grauſen— vollſten, unheilverkündigenden Anblick der Schwärze dar. Der Krater, welcher, ſehr ſeltene Fälle ausgenommen, ſtets den Gipfel der Vulkane einnimmt, bildet ein tiefes, oft zugängliches Keſſelthal, deſſen Boden beſtändigen Verände— rungen unterworfen iſt. Die größere oder geringere Tiefe des Kraters iſt bei vielen Vulkanen ebenfalls ein Zeichen des nahen oder fernen Bevorſtehens einer Eruption. Es öffnen und ſchließen ſich wechſelsweiſe in dem Keſſelthale langgedehnte dampfausſtrömende Spalten oder kleine rundliche Feuerſchlünde, die mit geſchmolzenen Maſſen gefüllt ſind. Der Boden ſteigt und ſinkt; in ihm entſtehen Schlackenhügel und Auswurfs— kegel, die ſich bisweilen hoch über die Ränder des Kraters erheben, den Vulkanen ganze Jahre lang eine eigentümliche Phyſiognomie verleihen, aber urplötzlich während einer neuen Eruption zuſammenſtürzen und verſchwinden. Die Oeffnungen dieſer Auswurfskegel, die aus dem Kraterboden aufſteigen, dürfen nicht, wie nur zu oft geſchieht, mit dem Krater ſelbſt, der ſie einſchließt, verwechſelt werden. Iſt dieſer unzugäng— lich durch ungeheure Tiefe und durch ſenkrechten Abſturz der Ränder nach innen, wie auf dem Vulkan Ruecu⸗-Pichincha (14946 Fuß = 4855 m), fo blickt man von jenen Rändern auf die Gipfel der Berge hinab, die aus dem teilweiſe mit Schwefeldampf gefüllten Keſſelthale emporragen. Einen wunder— bareren und großartigeren Naturanblick habe ich nie genoſſen. In der Zwiſchenzeit zweier Eruptionen bietet ein Krater ent— — 166 — weder gar kein leuchtendes Phänomen, ſondern bloß offene Spalten und aufſteigende Waſſerdämpfe dar, oder man findet auf ſeinem kaum erhitzten Boden Schlackenhügel, denen man ſich gefahrlos nähern kann. Sie ergötzen gefahrlos den wandern— den Geognoſten durch das Auswerfen feurig-glühender Maſſen, die auf den Rand des Schlackenkegels herabfallen und deren Erſcheinen Meiner ganz lokale Erdſtöße regelmäßig vorher verkündigen. Lava ergießt ſich bisweilen aus offenen Spalten und kleinen Schlünden in den Krater ſelbſt, ohne den Krater⸗ rand zu durchbrechen und überzufließen. Geſchieht aber ein ſolcher Durchbruch, ſo fließt die neueröffnete Erdquelle meiſt dergeſtalt ruhig und auf ſo beſtimmten Wegen, daß das große Keſſelthal, welches man Krater nennt, ſelbſt in dieſer Eruptions— (poche beſucht werden kann. Ohne eine genaue Darſtellung von der Geſtaltung, gleichſam dem Normalbau der feuer— ſpeienden Berge können Erſcheinungen nicht richtig aufgefaßt werden, die durch phantaſtiſche Beſchreibungen und durch die Vieldeutigkeit oder vielmehr durch den jo unbeſtimmten Sprach⸗ gebrauch der Wörter Krater, Ausbruchkegel und Vulkane lange verunſtaltet worden ſind. Die Ränder des Kraters zeigen ſich teilweiſe weit weniger veränderlich, als man es vermuten ſollte. een Meſſungen, mit den meinigen ver— glichen, haben z. B. am Veſuv das merkwürdige Reſultat ge— geben, daß in 49 Jahren (1773 bis 1822) der norweſtliche Rand des Vulkans (Rocca del Palo) in ſeiner Höhe über der Meeres— fläche in den Grenzen der Genauigkeit unſerer Meſſungen als faſt unverändert betrachtet werden darf. Vulkane, welche, wie die der Andeskette, ihren Gipfel hoch über die Grenze des 8 Schnees erheben, bieten eigen— tümliche Erſcheinungen dar. Die Schneemaſſen erregen nicht bloß Dur plötzliches Schmelzen während der Eruption furcht— bare Ueberſchwemmungen, Waſſerſtröme, in denen dampfende Schlacken auf dicken Eismaſſen ſchwimmen; ſie wirken auch ununterbrochen, während der Vulkan in vollkommener Ruhe iſt, durch Infiltration in die Spalten des Trachytgeſteins. Höhlungen, welche ſich an dem Abhange oder am Fuß der Feuerberge befinden, werden ſo allmählich in unterirdiſche Waſſerbehälter verwandelt, die mit den Alpenbächen des Hoch— landes von Quito durch enge Oeffnungen vielfach kommuni— zieren. Die Fiſche dieſer Alpenbäche vermehren ſich vorzugs⸗ weiſe im Dunkel der Höhlen; und wenn dann Erdſtöße, die allen Eruptionen der Andeskette vorhergehen, die ganze Maſſe ET des Vulkans mächtig erſchüttern, fo öffnen ſich auf einmal die unterirdiſchen Gewölbe, und es entſtürzen ihnen gleichzeitig Waſſer, Fiſche und tuffartiger Schlamm. Dies iſt die ſonder— bare Erſcheinung, welche der kleine Wels der Cyklopen, die Prenadilla der Bewohner der Hochebene von Quito, gewährt. Als in der Nacht vom 19. zum 20. Juni 1698 der Gipfel des 18 000 Fuß (5847 m) hohen Berges Carguairazo zuſammen— ſtürzte, ſo daß vom Kraterrande nur zwei ungeheure Fels— hörner ſtehen blieben, da bedeckten flüſſiger Tuff und Unfrucht— barkeit verbreitender Lettenſchlamm (lodazales), tote Fiſche einhüllend, auf faſt zwei Quadratmeilen (110 qkm) die Felder umher. Ebenſo wurden, ſieben Jahre früher, die Faulfieber in der Gebirgsſtadt Ibarra, nördlich von Quito, einem Fiſch— auswurfe des Vulkans Imbaburu zugeſchrieben. Waſſer und Schlamm, welche in der Andeskette nicht dem Krater ſelbſt, ſondern den Höhlen in der Trachytmaſſe des Berges entſtrömen, ſind demnach im engeren Sinne des Wortes nicht den eigentlichen vulkaniſchen Phänomenen beizuzählen. Sie ſtehen nur in mittelbarem Zuſammenhange mit der Thätig— keit der Vulkane, faſt in demſelben Maße wie der ſonderbare meteorologiſche Prozeß, welchen ich in meinen früheren Schriften mit der Benennung vulkaniſcher Gewitter bezeichnet habe. Der heiße Waſſerdampf, welcher während der Eruption aus dem Krater aufſteigt und ſich in den Luftkreis ergießt, bildet beim Erkalten ein Gewölk, von dem die, viele tauſend Fuß hohe Aſchen- und Feuerſäule umgeben iſt. Eine ſo plötz— liche Kondenſation der Dämpfe und, wie Gay-Luſſac gezeigt hat, die Entſtehung einer Wolke von ungeheurer Oberfläche vermehren die elektriſche Spannung. Blitze fahren ſchlängelnd aus der Aſchenſäule hervor, und man unterſcheidet dann (wie am Ende des Ausbruches des Veſuves in den letzten Tagen des Oktobers 1822) deutlich den rollenden Donner des vul— kaniſchen Gewitters von dem Krachen des Inneren des Vulkans. Die aus der vulkaniſchen Dampfwolke herabfahren— den Blitze haben einſt auf Island (am Vulkan Katlagia 17. Oktober 1755), nach Olafſens Bericht, elf Pferde und zwei Menſchen getötet. Nachdem wir ſo in dem Naturgemälde den Bau und die dynamiſche Thätigkeit der Vulkane geſchildert haben, müſſen wir noch einen Blick auf die ſtoffartige Verſchiedenheit ihrer Erzeugniſſe werfen. Die unterirdiſchen Kräfte trennen alte Verbindungen der Stoffe, um neue Verbindungen hervorzu— — 168 — bringen; ſie bewegen zugleich das Umgewandelte fort, ſolange es, in Wärme aufgelöſt, noch verſchiebbar iſt. Das Erſtarren des Zähen oder des Beweglich-Flüſſigen unter größerem oder geringerem Drucke ſcheint hauptſächlich den Unterſchied der Bildung plutoniſcher und vulkaniſcher Gebirgsarten zu beſtimmen. Eine Gebirgsart, in ſchmalen Längenzonen einer vulkaniſchen Mündung (einem Erdequell) entfloſſen, heißt Lava. Wo mehrere Lavaſtröme ſich begegnen und in ihrem Laufe aufgehalten werden, dehnen ſie ſich in der Breite aus und füllen große Becken, in welchen ſie zu aufeinander ge— lagerten Schichten erſtarren. Dieſe wenigen Sätze enthalten das Allgemeine der produktiven Thätigkeit der Vulkane. Gebirgsarten, welche die Vulkane bloß durchbrechen, bleiben oft in den Feuerprodukten eingeſchloſſen. So habe ich feldſpatreiche Syenitmaſſen in den ſchwarzen Augitlaven des mexikaniſchen Vulkans von Jorullo, als eckige Stücke eingewachſen, gefunden; die Maſſen von Dolomit und körni— gem Kalkſtein aber, welche prachtvolle Druſen kriſtalliſierter Foſſilien (Veſuviane und Granaten, von Mejonit, Nephelin und Sodalit bedeckt) enthalten, ſind nicht Auswürflinge des Veſuvs: „fie gehören vielmehr einer ſehr allgemein ver: breiteten Formation, Tuffſchichten an, welche älter als die Erhebung der Somma und des Veſuvs, wahrſcheinlich Er: zeugniſſe einer ſubmariniſchen, tief im Inneren verborgenen, vulkaniſchen Wirkung ſind.“ Unter den Produkten der jetzigen Vulkane finden ſich fünf Metalle: Eiſen, Kupfer, Blei, Arſenik, und das von Stromeyer im Krater von Volcano entdeckte Selen. Durch dampfende Fumarolen ſublimieren ſich Chlor— eiſen, Chlorkupfer, Chlorblei und Chlorammonium; Eiſenglanz und Kochſalz (das letzte oft in großer Menge) erſcheinen als Gangtrümmer in friſchgefloſſenen Lavaſtrömen oder auf neuen Spalten der Kraterränder. Die mineraliſche Zuſammenſetzung der Laven iſt verſchie— den nach der Natur des kriſtalliniſchen Geſteins, aus welchem der Vulkan beſteht, nach der Höhe des Punktes, wo der Ausbruch geſchieht (ob am Fuß des Berges oder in der Nähe des Kraters), nach dem Temperaturzuſtande des Inneren. Glasartige vulkaniſche Bildungen, Obſidian, Perlſtein oder Bimsſtein fehlen einigen Vulkanen ganz, wenn dieſelben bei anderen nur aus dem Krater ſelbſt oder wenigſtens aus be— trächtlichen Höhen entſpringen. Dieſe wichtigen und verwickelten Verhältniſſe können allein durch ſehr genaue kriſtallographiſche — 169 — und chemische Unterſuchungen ergründet werden. Mein ſibi— riſcher Reiſebegleiter Guſtav Roſe, wie ſpäter Hermann Abich haben mit vielem Glück und Scharfſinn angefangen, über das dichte Gewebe ſo verſchiedenartiger vulkaniſcher Felsarten ein helles Licht zu verbreiten. Von den aufſteigenden Dämpfen iſt der größere Teil reiner Waſſerdampf. Kondenſiert wird derſelbe als Quelle z. B. auf der Inſel Pantellaria von Ziegenhirten benutzt. Was man am Morgen des 26. Oktober 1822 aus dem Krater des Veſuvs durch eine Seitenſpalte ſich ergießen ſah und lange für ſiedendes Waſſer hielt, war nach Monticellis genauer Unterſuchung trockene Aſche, die wie Triebſand herabſchoß, eine durch Reibung zu Staub zerfallene Lava. Das Erſcheinen der Aſche aber, welche ſtunden-, ja tagelang die Luft ver— finſtert und durch ihren Fall, den Blättern anklebend, den Weingärten und Oelbäumen ſo verderblich wird, bezeichnet durch ihr ſäulenförmiges Emporſteigen, von Dämpfen getragen, jedes Ende einer großen Eruption. Das iſt die prachtvolle Erſcheinung, die am Veſuv ſchon der jüngere Plinius in dem berühmten Briefe an Cornelius Tacitus mit der Geſtalt einer hochgezweigten, aber ſchattigen Pinie verglichen hat. Was man bei Schlackenausbrüchen als Flammen beſchreibt, iſt, wie der Lichtglanz der roten Glutwolken, die über dem Krater ſchweben, gewiß nicht brennendem Waſſerſtoffgas zuzuſchreiben. Es ſind vielmehr Lichtreflexe, die von den hochgeſchleuderten geſchmolzenen Maſſen ausgehen, teils auch Lichtreflexe aus der Tiefe, welche die aufſteigenden Dämpfe erleuchten. Was aber die Flammen ſein mögen, die man bisweilen während der Thätigkeit von Küſtenvulkanen oder kurz vor der Hebung eines vulkaniſchen Eilandes ſeit Strabos Zeiten aus dem tiefen Meere hat aufſteigen geſehen, entſcheiden wir nicht. Wenn die Frage aufgeworfen wird, was in den Vul— kanen brenne, was die Wärme errege, welche Erden und Metalle ſchmelzend miſcht, ja Lavaſtrömen von großer Dicke mehrere Jahre lang eine erhöhte Temperatur gibt; ſo liegt einer ſolchen Frage das Vorurteil zum Grunde, Vulkane müßten notwendig, wie die Erdbrände der Steinkohlenflöze, an das Daſein gewiſſer feuerernährender Stoffe gebunden ſein. Nach den verſchiedenen Phaſen chemiſcher Anſichten wurden ſo bald Erdpech, bald Schwefelkies oder der feuchte Kontakt von fein zerteiltem Schwefel und Eiſen, bald pyrophorartige Subſtanzen, bald die Metalle der Alkalien und Erden als die Urſache der Ir ON vulkaniſchen Erſcheinungen in ihrer intenſiven Thätigkeit be— zeichnet. Der große Chemiker, welchem wir die Kenntnis der brennbarſten metalliſchen Subſtanzen verdanken, Sir Humphry Davy, hat in ſeinem letzten, ein wehmütiges Gefühl erregen— den Werke (Consolation in travel and last days of a Philosopher) ſeiner kühnen chemiſchen Hypotheſe ſelbſt entſagt. Die große mittlere Dichtigkeit des Erdkörpers (5,44) verglichen mit dem ſpezifiſchen Gewichte des Kalium (0,865) und Natrium (0,972) oder der Erdmetalle (1,2), der Mangel von Waſſerſtoffgas in den luftförmigen Emanationen der Kraterſpalten und der nicht erkalteten Lavaſtröme, viele chemiſche Betrachtungen endlich ſtehen im Widerſpruch mit den früheren Vermutungen von Davy und Ampere. Ent⸗ wickelte ſich Hydrogen bei dem Ausbruch von Lava, wie groß müßte nicht deſſen Maſſe ſein, wenn bei einer ſehr niedrigen Lage des Eruptionspunktes die ausfließende Lava, wie in dem denkwürdigen von Mackenzie und Soemund Magnuſſen beſchriebenen Ausbruch am Fuß des Skaptar-Jökul auf Island (11. Juni bis 3. Auguſt 1783), viele Quadratmeilen Landes bedeckt, und angedämmt mehrere hundert Fuß Dicke erreicht! Eben ſolche Schwierigkeiten zeigen ſich bei der geringen Menge ausſtrömenden Stickgaſes, wenn man das Eindringen der atmoſphäriſchen Luft in den Krater oder, wie man bildlich ſich ausdrückt, ein Einatmen des Erdkörpers annimmt. Eine jo allgemeine, jo tief wirkende, ſich im Inneren jo weit fort- pflanzende Thätigkeit als die der Vulkane kann wohl nicht ihren Urquell in der chemiſchen Verwandtſchaft, in dem Kon— takt einzelner, nur örtlich verbreiteter Stoffe haben. Die neuere Geognoſie ſucht dieſen Urquell lieber in der unter jeg— lichem Breitegrade mit der Tiefe zunehmenden Temperatur; in der mächtigen inneren Wärme, welche der Planet ſeinem erſten Erſtarren, ſeiner Bildung im Weltraume, der kugel⸗ förmigen Zuſammenziehung dunſtförmiger, elliptiſch kreiſender Stoffe verdankt. Neben dem ſicheren Wiſſen ſteht das Ver: muten und Meinen. Eine philoſophiſche Naturkunde ſtrebt ſich über das enge Bedürfnis einer bloßen Naturbeſchreibung zu erheben. Sie beſteht, wie wir mehrmals erinnert haben, nicht in der ſterilen Anhäufung iſolierter Thatſachen. Dem neugierig regſamen Geiſte des Menſchen muß es erlaubt ſein, aus der Gegenwart in die Vorzeit hinüberzuſchweifen, zu ahnen, was noch nicht klar erkannt werden kann, und ſich an den alten, unter ſo vielerlei Formen immer wiederkehrenden — 171 — Mythen der Geognoſie zu ergötzen. Wenn wir Vulkane als unregelmäßig intermittierende Quellen betrachten, die ein flüſſiges Gemenge von oxydierten Metallen, Alkalien und Erden ausſtoßen, ſanft und ſtill fließen, wo dies Ge— menge, durch den mächtigen Druck der Dämpfe gehoben, irgendwo einen Ausgang findet, ſo erinnern wir uns unwill— kürlich an Platons geognoſtiſche Phantaſieen, nach denen die heißen Quellen, wie alle vulkaniſchen Feuerſtröme, Ausflüſſe des Pyriphlegethon!““, einer im Inneren des Erdkörpers allgegenwärtigen Urſache, ſind. Die Art der Verteilung der Vulkane auf der Erdfläche, unabhängig von allen klimatiſchen Verſchiedenheiten, iſt ſehr ſcharfſinnig und charakteriſtiſch auf zwei Klaſſen zurückgeführt worden: auf Central- und Reihenvulkane, „je nachdem dieſelben den Mittelpunkt vieler, faſt gleichmäßig nach allen Seiten hin wirkender Ausbrüche bilden, oder in einer Richtung, wenig voneinander entfernt, liegen, gleichſam als Eſſen auf einer langgedehnten Spalte. Die Reihenvulkane ſind wiederum zweierlei Art. Entweder erheben ſie ſich als einzelne Kegel— inſeln von dem Grunde des Meeres, und es läuft ihnen meiſt zur Seite, in derſelben Richtung, ein primitives Gebirge, deſſen Fuß ſie zu bezeichnen ſcheinen, oder die Reihenvulkane ſtehen auf dem höchſten Rücken dieſer Gebirgsreihe und bilden die Gipfel ſelbſt.“““ Der Pik von Tenerifa z. B. iſt ein Centralvulkan, der Mittelpunkt der vulkaniſchen Gruppe, von welchem die Ausbrüche von Palma und Yancerote her— zuleiten ſind. Die lange, mauerartig fortlaufende, bald ein— fache, bald in zwei und drei parallele Ketten geteilte und dann durch ſchmale Querjöcher gegliederte Andeskette bietet vom ſüdlichen Chile bis zur Nordweſtküſte von Amerika die großartigſte Erſcheinung des Auftretens von Reihenvulkanen in einem Feſtlande dar. In der Andeskette verkündigt ſich die Nähe thätiger Vulkane durch das plötzliche Auftreten ge— wiſſer Gebirgsarten (Dolerit, Melaphyr, Trachyt, Andeſit, Dioritporphyr), welche die ſogenannten uranfänglichen, wie die ſchieferigen und ſandſteinartigen Uebergangsſchichten und die Flözformationen trennen. Ein ſolches immer wiederkehren— des Phänomen hatte früh in mir die Ueberzeugung angeregt, daß jene ſporadiſchen Gebirgsarten der Sitz vulkaniſcher Er— ſcheinungen wären und daß ſie die vulkaniſchen Ausbrüche bedingten. Am Fuß des mächtigen Tunguragua, bei Penipe (an den Ufern des Rio Puela), ſah ich zum erſtenmal und a deutlich einen Glimmerſchiefer, der auf Granit ruht, vom vulkaniſchen Geſtein durchbrochen. Auch die Reihenvulkane des neuen Kontinents ſind teilweiſe, wo ſie nahe liegen, in gegenſeitiger Abhängigkeit voneinander; ja man ſieht ſeit Jahrhunderten ſich die vul— kaniſche Thätigkeit in gewiſſen Richtungen (in der Provinz Quito von Norden nach Süden) allmählich fortbewegen. Der Herd ſelbſt liegt unter dem ganzen Hochlande dieſer Provinz; die einzelnen Verbindungsöffnungen mit der Atmoſphäre ſind die Berge, welche wir, mit beſonderen Namen, als Vulkane von Pichincha, Cotopaxi oder Tunguragua bezeichnen, und die durch ihre Gruppierung, wie durch Höhe und Geſtaltung den erhabenſten und maleriſchten Anblick darbieten, der irgend— wo in einer vulkaniſchen Landſchaft auf einem ſchmalen Raume zu finden iſt. Da die äußerſten Glieder ſolcher Gruppen von Reihenvulkanen durch unterirdiſche Kommunikationen mitein⸗ ander verbunden ſind, wie vielfache Erfahrungen lehren, ſo erinnert dieſe Thatſache an Senecas alten und wahren Aus— ſpruch, “e daß „der Feuerberg nur der Weg der tiefer liegen— den vulkaniſchen Kräfte ſei“. Auch im mexikaniſchen Hoch— lande ſcheinen die Vulkane (Orizaba, Popocatepetl, Jorullo, Colima), von denen ich nachgewieſen, daß ſie alle in einer Richtung zwiſchen 18 59“ und 19° 12° nördl. Breite liegen, eine Querſpalte von Meer zu Meer und eine Abhängigkeit voneinander anzudeuten. Der Vulkan von Jorullo iſt den 29. September 1729 genau in dieſer Richtung, auf derſelben Querſpalte ausgebrochen, und zu einer Höhe von 1580 Fuß (513 m) über der umherliegenden Ebene emporgeſtiegen. Der Berg gab nur einmal einen Erguß von Lava, genau wie der Epomeo auf Ischia im Jahre 1302. Wenn aber auch der Jorullo, von jedem thätigen Vulkan zwanzig Meilen (148 km) entfernt, im eigentlichſten Sinne des Wortes ein neuer Berg iſt, ſo darf man ihn doch nicht mit der Erſcheinung des Monte Nuovo (19. September 1538) bei Pozzuoli verwechſeln, welcher den Erhebungskratern beigezählt wird. Naturgemäßer glaube ich ſchon ehemals den Ausbruch des neu entſtandenen mexikaniſchen Vulkans mit der vulkaniſchen Hebung des Hügels von Methone (fetzt Methana) auf der trözeniſchen Halbinſel verglichen zu haben. Dieſe, von Strabo und Pauſanias beſchriebene Hebung hat einen der phantaſiereichſten römiſchen Dichter veranlaßt, An— ſichten zu entwickeln, welche mit denen der neueren Geognoſie auf eine merkwürdige Art übereinſtimmen. „Einen Tumulus ſieht man bei Trözene, ſchroff und baumlos, einſt eine Ebene, jetzt einen Berg. Die in finſteren Höhlen eingeſchloſſenen Dämpfe ſuchen vergebens eine Spalte als Ausweg. Da ſchwillt durch der eingezwängten Dämpfe Kraft der ſich dehnende Boden wie eine luftgefüllte Blaſe empor; er ſchwillt wie das Fell eines zweigehörnten Bockes. Die Erhebung iſt dem Orte geblieben, und der hoch emporragende Hügel hat ſich im Laufe der Zeit zu einer nackten Felsmaſſe erhärtet.“ So maleriſch und, wie analoge Erſcheinungen uns zu glauben berechtigen, zugleich auch jo wahr ſchildert Ovidius die große Naturbegebenheit, die ſich zwiſchen Trözene und Epidaurus, da, wo Roßegger noch Trachytdurchbrüche gefunden, 282 Jahre vor unſerer Zeitrechnung, alſo 45 Jahre vor der vulkaniſchen Trennung von Thera (Santorin) und Theraſia, ereignete.!“ Unter den Eruptionsinſeln, welche den Reihenvulkanen zugehören, iſt Santorin die wichtigſte. „Sie vereinigt in ſich die ganze Geſchichte der Erhebungsinſeln. Seit vollen 2000 Jahren, ſo weit Geſchichte und Tradition reicht, haben die Verſuche nde der Natur nicht aufgehört, in der Mitte des Er— hebungskraters einen Vulkan zu bilden.“ Aehnliche inſulare Hebungen, und dazu noch faſt in regelmäßiger Wiederkehr von 80 oder 90 Jahren, s! offenbaren ſich bei der Inſel San Miguel in der Gruppe der Azoren; doch iſt der Meeresgrund hier nicht ganz an denſelben Punkten gehoben worden. Die von Kapitän Tillard benannte Inſel Sabrina iſt leider zu einer Zeit erſchienen (30. Januar 1811), wo der politiſche Zuſtand der ſeefahrenden Völker im Weſten von Europa wiſſenſchaftlichen Inſtituten nicht erlaubt hat, dieſem großen Ereignis die Aufmerkſamkeit zu ſchenken, welche ſpäter, in dem Meere von Sizilien (2. Juli 1831), der neuen und bald wieder zertrümmerten Feuerinſel Ferdinandea, zwiſchen der Kalkſteinküſte von Sciacca und der rein vulkaniſchen Pan— tellaria, zu teil wurde. Die geographiſche Verteilung der Vulkane, welche in hiſtoriſchen Zeiten thätig geblieben ſind, hat bei der großen Zahl von Inſel- und Küſtenvulkanen, wie bei den noch immer ſich von Zeit zu Zeit, wenn auch nur emphemer, dar— bietenden Ausbrüchen im Meeresgrunde, früh den Glauben erzeugt, als ſtehe die vulkaniſche Thätigkeit in Verbindung mit der Nähe des Meeres, als könne ſie ohne dieſelbe nicht fortdauern. „Viele Jahrhunderte ſchon,“ jagt Juſtinus, ““? oder vielmehr Trogus Pompejus, dem er nachſchreibt, „brennen der Aetna und die äoliſchen Inſeln; und wie wäre dieſe lange Dauer möglich, wenn nicht das nahe Meer dem Feuer Nahrung gäbe?“ Um die Notwendigkeit der Meeresnähe zu erklären, hat man ſelbſt in den neueren Zeiten die Hypotheſe des Eindringens des Meerwaſſers in den Herd der Vulkane, d. h. in tiefliegende Erdſchichten, aufgeſtellt. Wenn ich alles zuſammenfaſſe, was ich der eigenen Anſchauung oder fleißig geſammelten Thatſachen entnehmen kann, ſo ſcheint mir in dieſer verwickelten Unterſuchung alles auf den Fragen zu beruhen: ob die unleugbar große Maſſe von Waſſerdämpfen, welche die Vulkane, ſelbſt im Zuſtande der Ruhe, aushauchen, dem mit Salzen geſchwängerten Meerwaſſer oder nicht viel— mehr den ſogenannten ſüßen Meteorwaſſern ihren Ur— ſprung verdanken; ob bei verſchiedener Tiefe des vulkaniſchen Herdes (3. B. bei einer Tiefe von 88 000 Fuß (28 585 m), wo die Expanſivkraft des Waſſerdampfes an 2800 Atmoſphären beträgt) die Expanſivkraft der erzeugten Dämpfe dem hydro— ſtatiſchen Drucke des Meeres das Gleichgewicht halten und den freien Zutritt des Meeres zu dem Herde unter gewiſſen Bedingungen!“ geſtatten könne; ob die vielen metalliſchen Chlorüren, ja die Entſtehung des Kochſalzes in den Krater— ſpalten, ob die oftmalige Beimiſchung von Hydrochlorſäure in den Waſſerdämpfen notwendig auf jenen Zutritt des Meer: waſſers ſchließen laſſen; ob die Ruhe der Vulkane (die tem: poräre oder die endliche und völlige Ruhe) von der Verſtopfung der Kanäle abhange, welche vorher die Meer- oder Meteor— waſſer zuführten, oder ob nicht vielmehr der Mangel von Flammen und von ausgehauchtem Hydrogen (das geſchwefelte Waſſerſtoffgas iſt mehr den Solfataren als den thätigen Vul— kanen eigen) mit der Annahme großer Maſſen zerſetzten Waſſers in offenbarem Widerſpruch ſtehe? Die Erörterung ſo wichtiger phyſikaliſcher Fragen gehört nicht in den Entwurf eines Naturgemäldes. Wir ver— weilen hier bei der Angabe der Erſcheinungen, bei dem That— ſächlichen in der geographiſchen Verteilung der noch entzündeten Vulkane. Dieſe lehrt, daß in der Neuen Welt drei derſelben, der Jorullo, der Popocatepetl und der Volcan de la Fragua, 20, 33 und 39 geographiſche Meilen (148, 244, 290 km) von der Meeresküſte entfernt ſind; ja daß in Centralaſien, worauf Abel-Réſumat die Geognoſten zuerſt aufmerkſam ge: macht hat, eine große vulkaniſche Gebirgskette, der Tian-ſchan (Himmelsgebirge) !?“, mit dem lavaſpeienden Pe-ſchan, der Solfatare von Urumtſi und dem noch brennenden Feuerberge (Ho⸗tſcheu) von Turfan, faſt in gleicher Entfernung (370 bis 382 Meilen — 2745 bis 2830 km) von dem Litorale des Eismeeres und dem des Indiſchen Ozeans liege. Der Ab— ſtand des Pe⸗ſchan vom Kaſpiſchen Meere iſt auch noch volle 340 Meilen (2520 km); von den großen Seen Iſſikul und Balkaſch iſt er 43 und 52 Meilen (311 und 385 km).!“ Merk— würdig ſcheint dabei, daß ſich von den vier großen Gebirgs— ketten, dem Altai, dem Tian-ſchan, dem Kuen-lün und dem Himalaya, welche den aſiatiſchen Kontinent von Oſten nach Weſten durchſtreichen, nicht die einem Ozean nähere Gebirgs— kette (der Himalaya), ſondern die zwei inneren (der Tian— ſchan und Kuen-lün), in 400 und 180 Meilen (2970 und 1335 km) Entfernung vom Meere, feuerſpeiend, wie der Aetna und Veſuv, Ammoniak erzeugend, wie die Vulkane von Guatemala gezeigt haben. Die chineſiſchen Schriftſteller beſchreiben auf das unverkennbarſte in den Rauch- und Flammenausbrüchen des Pe-ſchan, welche im erſten und ſieben— ten Jahrhunderte unſerer Zeitrechnung die Umgegend ver— heerten, 10 Li lange Lavaſtröme. „Brennende Steinmaſſen,“ ſagen ſie, „floſſen dünn wie geſchmolzenes Fett.“ Die hier zuſammengedrängten, bisher nicht genug beachteten Thatſachen machen es wahrſcheinlich, daß Meeresnähe und das Eindringen von Meerwaſſer in den Herd der Vulkane nicht unbedingt notwendig zum Ausbrechen des unterirdiſchen Feuers ſei; und daß das Litorale dieſes Ausbrechen wohl nur deshalb befördere, weil es den Rand des tiefen Meerbeckens bildet, welches, von Waſſerſchichten bedeckt, einen geringeren Widerſtand leiſtet und viele tauſend Fuß tiefer liegt als das innere und höhere Feſtland. Die jetzt thätigen, durch permanente Krater gleichzeitig mit dem Inneren des Erdkörpers und mit dem Luftkreiſe kommunizierenden Vulkane haben ſich zu einer ſo ſpäten Epoche eröffnet, daß damals die oberſten Kreideſchichten und alle Tertiärgebilde ſchon vorhanden waren. Dies bezeugen die Trachyteruptionen, auch die Baſalte, welche oft die Wände der Erhebungskrater bilden. Melaphyre reichen bis in die mittleren Tertiärſchichten, fangen aber ſchon an, ſich zu zeigen unter der Juraformation, indem ſie den bunten Sandſtein durchbrechen. Mit den jetzt durch Krater thätigen Vulkanen ſind die früheren Ergießungen von Granit, Quarzporphyr — 116 — und Euphotide auf offenen, ſich bald wieder ſchließenden Spalten (Gängen) im alten Uebergangsgebirge nicht zu ver— wechſeln. Das Erlöſchen der vulkaniſchen Thätigkeit iſt entweder ein nur partielles, ſo daß in derſelben Gebirgskette das unterirdiſche Feuer einen anderen Ausweg ſucht; oder ein totales, wie in der Auvergne; ſpätere Beiſpiele liefern, in ganz hiſtoriſcher lat der Vulkan Moſychlos !°° auf der dem Hephäſtos geweihten Inſel, deſſen „emporwirbelnde Flammen— glut“ noch Sopholles kannte, und der Vulkan von Medina, welcher nach Burckhardt noch am 2. November 1276 einen Lava⸗ ſtrom ausſtieß. Jedes Stadium der vulkaniſchen Thätigkeit, von ihrer erſten Regung bis zu ihrem Erlöſchen, iſt durch eigene Produkte charakterifiert: zuerſt durch feurige Schlacken, durch Trachyt-, Pyroxen- und Obſidianlaven in Strömen, durch Rapilli und Tuffaſche unter Entwickelung vieler, meiſt reiner Waſſerdämpfe; ſpäter, als Solfatare, durch Waſſer⸗ dämpfe, gemiſcht mit Schwefelwaſſerſtoffgas und mit Kohlen⸗ ſäure; endlich bei völligem Erkalten durch kohlenſaure Exha⸗ lationen allein. Ob die wunderbare Klaſſe von Feuerbergen, die keine Lava, ſondern nur furchtbar verheerende heiße Waſſerſtröme, 154 angeſchwängert mit brennendem Schwefel und zu Pulver zerfallenem Geſtein, ausſtoßen (3. B. der Galunggung auf Java), einen Ae oder nur eine gewiſſe vorübergehende Modifikation des vulkaniſchen Prozeſſes offenbaren, bleibt ſo lange unentſchieden, als ſie nicht von Geognoſten beſucht werden, welche zugleich mit den Kenntniſſen der neueren Chemie ausgerüſtet ſind. Dies iſt die allgemeinſte Schilderung der Vulkane, eines ſo wichtigen Teils des Erdenlebens, welche ich hier zu ent⸗ werfen verſucht habe. Sie gründet ſich teilweiſe auf meine eigenen Beobachtungen, in der Allgemeinheit ihrer Umriſſe aber auf die Arbeiten meines vieljährigen Freundes, Leopold von Buch, des größten Geognoſten unſeres Zeitalters, welcher zuerſt den inneren Zuſammenhang der vulkaniſchen Erſchei⸗ nungen und ihre gegenſeitige Abhängigkeit voneinander nach ihren Wirkungen und räumlichen Verhältniſſen erkannt hat. Die Vulkanizität, d. h. die Reaktion des Inneren eines Planeten auf "feine äußere Rinde und Oberfläche, iſt lange Zeit nur als ein iſoliertes Phänomen, in der zerſtören⸗ den Wirkung ihrer finſteren unterirdiſchen Gewalten betrachtet worden; erſt in der neueſten Zeit hat man angefangen, zum . e größten Vorteil einer auf phyſikaliſche Analogieen gegründeten Geognoſie, die vulkaniſchen Kräfte als neue Gebirgsarten bildend oder als ältere Gebirgsarten umwandelnd zu betrachten. Hier iſt der ſchon früher angedeutete Punkt, wo eine tiefer ergründete Lehre von der Thätigkeit brennender oder Dämpfe ausſtrömender Vulkane uns in dem allgemeinen Naturgemälde auf Doppelwegen: einmal zu dem mineralogiſchen Teile der Geognoſie (Lehre vom Gewebe und von der Folge der Erdſchichten), dann zu der Geſtaltung der über dem Meeresſpiegel gehobenen Kontinente und Inſelgruppen (Lehre von der geographiſchen Form und den Umriſſen der Erd— teile) leitet. Die erweiterte Einſicht in eine ſolche Verket— tung von Erſcheinungen iſt eine Folge der philoſophiſchen Richtung, welche die ernſten Studien der Geognoſie ſo all— gemein genommen haben. Größere Ausbildung der Wiſſen— ſchaften leitet, wie die politiſche Ausbildung des Menſchen— geſchlechts, zur Einigung deſſen, was lange getrennt blieb. Wenn wir die Gebirgsarten nicht nach Unterſchieden der Geſtaltung und Reihung in geſchichtete und unge— ſchichtete, ſchiefrige und maſſige, normale und ab— norme einteilen, ſondern den Erſcheinungen der Bildung und Umwandlung nachſpüren, welche noch jetzt unter unſeren Augen vorgehen, jo finden wir einen vierfachen!“ Entſtehungsprozeß der Gebirgsarten: 1) Eruptionsgeſtein aus dem Inneren der Erde, vulkaniſch-geſchmolzen, oder in weichem, mehr oder minder zähem Zuſtande plutoniſch aus ge— brochen; 2) Sedimentgeſtein, aus einer Flüſſigkeit, in der die kleinſten Teile aufgelöſt waren oder ſchwebten, an der Oberfläche der Erdrinde niedergeſchlagen und abgeſetzt (der größere Teil der Flöz- und Tertiärgruppe); 3) umge: wandeltes (metamorphoſiertes) Geſtein, verändert in ſeinem inneren Gewebe und ſeiner Schichtenlage entweder durch Kon— takt und Nähe eines plutoniſchen oder vulkaniſchen (endoge— nen !“) Ausbruchsgeſteins; oder, was wohl häufiger der Fall iſt, verändert durch dampfartige Sublimation von Stoffen, ““ welche das heißflüſſige Hervortreten gewiſſer Eruptionsmaſſen begleitet; 4) Konglomerate, grob- oder feinkörnige Sand— ſteine, Trümmergeſteine, aus mechaniſch zerteilten Maſſen der drei vorigen Gattungen zuſammengeſetzt. Die vierfachen Geſteinbildungen, welche noch gegenwärtig fortſchreiten: durch Erguß vulkaniſcher Maſſen als ſchmaler Lavaſtröme, durch Einwirkung dieſer Maſſen auf früher er— A. v. Humboldt, Kosmos. I. 12 a härtete Geſteine, durch mechanische Abſcheidung oder chemiſche Niederſchläge aus den mit Kohlenſäure geſchwängerten tropf— baren Flüſſigkeiten, endlich durch Verkittung zertrümmerter, oft ganz ungleichartiger Felsarten, ſind Erſcheinungen und Bildungsprozeſſe, die gleichſam nur als ein ſchwacher Abglanz von dem zu betrachten ſein möchten, was bei intenſiverer Thätigkeit des Erdenlebens in dem chaotiſchen Zuſtande der Urwelt, unter ganz anderen Bedingungen des Druckes und einer erhöhten Temperatur, ſowohl der ganzen Erdrinde als des mit Dämpfen überfüllten und weit ausgedehnteren Luft— kreiſes, geſchehen iſt. Wenn jetzt, wo in der feſteren Erdrinde vormals offene, mächtige Spalten durch gehobene, gleichſam herausgeſchobene Gebirgsketten oder durch gangartig ſich ein— drängende Eruptionsgeſteine (Granit, Porphyr, Baſalt, Mela— phyr) mannigfach erfüllt und verſtopft ſind, auf Flächen⸗ räumen ſo groß als Europa kaum vier Oeffnungen (Vulkane) übrig geblieben ſind, durch welche Feuer- und Geſteinausbrüche geſchehen, ſo waren vormals in der vielgeſpaltenen, dünneren, auf⸗ und abwärts wogenden Erdrinde faſt überall Kommuni— kationswege zwiſchen dem geſchmolzenen Inneren und der Atmoſphäre vorhanden. Gasartige Ausſtrömungen, aus ſehr ungleichen Tiefen emporſteigend und deshalb chemiſch ver— ſchiedene Stoffe führend, belebten die plutoniſchen Bildungs— und Umwandlungsprozeſſe. Auch die Sedimentformationen, Niederſchläge aus tropfbaren Flüſſigkeiten, die wir als Tra⸗ vertinoſchichten bei Rom wie bei Hobarttown in Auſtra— lien aus kalten und warmen Quell- und Flußwaſſern ſich täglich bilden ſehen, geben nur ein ſchwaches Bild von dem Entſtehen der Flözformationen. Unſere Meere, durch Prozeſſe, die noch nicht allgemein und genau genug unterſucht worden ſind, bauen allmählich durch Niederſchlag, durch Anſchwemmung und Verkittung (ſiziliſche Küſten, Inſel Aſcenſion, König-Georg— Sund in Auſtralien) kleine Kalkſteinbänke auf, deren Härte freilich an einzelnen Punkten faſt der des Marmors von Car: rara gleichkommt. An den Küſten der antilliſchen Inſeln ent— halten dieſe Bildungen des jetzigen Ozeans Töpfe, Werkzeuge des menſchlichen Kunſtfleißes, ja (auf Guadeloupe) ſelbſt menſch— liche Skelette vom Karibenſtamme. Die Neger der franzö— ſiſchen Kolonieen bezeichnen dieſe Formation mit dem Aus— druck Gottesmauerwerk: maçonne-bon- Dieu. Eine kleine Oolithen-(Rogenſtein-) Schicht, welche trotz ihrer Neuheit an Jurakalkſtein erinnert, iſt auf der kanariſchen Inſel Lancerote — 179 für ein Erzeugnis des Meeres und der Seeſtürme erkannt worden. Die zuſammengeſetzten Gebirgsarten ſind beſtimmte Aſſociationen gewiſſer oryktognoſtiſch einfacher Foſſilien (Feld⸗ ſpate, Glimmer, feſte Kieſelſäure, Augit, Nephelin). Sehr ähnliche, aus denſelben Elementen beſtehende, aber anders gruppierte Gebirgsarten werden durch vulkaniſche Prozeſſe unter unſeren Augen wie in der Vorzeit erzeugt. Die Unabhängig— keit der Gebirgsarten von räumlichen geographiſchen Verhält— niſſen iſt ſo groß, daß, wie wir ſchon oben bemerkt, nördlich und ſüdlich vom Aequator, in den ferneſten Zonen, der Geo— gnoſt über ihr ganz heimiſches Anſehen, über die Wiederholung der kleinſten Eigenheiten in der periodiſchen Reihenfolge ſilu— riſcher Schichten, in der Wirkung des Kontaktes mit augitiſchen Eruptionsmaſſen erſtaunt. Treten wir nun der Anſicht von vier Entſtehungs— formen der Gebirgsarten (vier Phaſen der Bildungs— zuſtände) näher, in welchen ſich uns die geſchichteten und un— geſchichteten Teile der Erdrinde zeigen, ſo nennen wir in dem endogenen oder Eruptionsgeſtein, dem ſogenannten maſſigen und abnormen der neueren Geognoſten, als unmittelbare Erzeugniſſe unterirdiſcher Thätigkeit folgende Hauptgruppen: Granit und Syenit von ſehr verſchiedenem rela— tivem Alter; doch häufig der Granit neueren Urſprunges, den Syenit gangartig durchſetzend, dann alſo die trei— bende, hebende Kraft. „Wo der Granit inſelförmig als große Maſſe, als ſanft gewölbtes Ellipſoid auftritt, ſei es am Harz oder in Myſore, oder im unteren Peru, da iſt er mit in Blöcke zerſprengten Schalen bedeckt. Ein ſolches Felſenmeer verdankt wahrſcheinlich ſeinen Ur— ſprung einer Zuſammenziehung der anfänglich mit großer Ausdehnung aufſteigenden Oberfläche des Granitgewölbes.“ Auch im nördlichen Aſien, ““! in der reizenden, roman— tiſchen Umgebung des Koliwanſees am nordweſtlichen Ab— hange des Altai, wie am Abfall der Küſtenkette von Ca— racas bei las Trincheras habe ich Abteilungen des Granits in Bänken geſehen, die wohl ähnlichen Zuſammenzie— hungen ihren Urſprung verdanken, aber tief in das Innere einzudringen ſcheinen. Weiter im Süden vom See Koli— wan, gegen die Grenze der chineſiſchen Provinz Il-hin (zwiſchen Buchtarminsk und dem Fluſſe Narym), ſind die — 180 — Geſtaltungen des ganz ohne Gneis auftretenden Erup— tionsgeſteins auffallender. als ich ſie in irgend einem Erdteile geſehen. Der Granit, an der Oberfläche immer ſchalig und durch tafelförmige Abſonderung charak— teriſiert, steigt in der Steppe bald in kleinen, kaum 6 bis 8 Fuß (2 bis 2,60 m) hohen, halbkugelförmigen Hügeln, bald in baſaltähnlichen Kuppen auf, die am Fuße zu zwei entgegengeſetzten Seiten wie in ſchmale mauerförmige Ergießungen ausgehen.!“ In den Kata⸗ rakten des Orinoko, wie am 1 (Seißen), in Galizien, und zwiſchen der Südſee und der Hochebene von Mexiko (an dem Papagallo) habe ich den Granit in großen abgeplatteten Kugeln geſehen, die wie Baſalt ſich in konzentriſch abgeſonderte Stücke ſpalten. Im Sr: tyſchthale zwiſchen Buchtarminsk und Uſt⸗Kamenogorsk bedeckt der Granit eine Meile (7,4 km) lang den Ueber— gangsthonſchiefer !“ und dringt in denſelben von oben in ſchmalen, vielgeteilten, ſich auskeilenden Gängen ein. Ich habe dieſe Einzelheiten beiſpielsweiſe nur deshalb Aueh, um an einer weitverbreiteten Gebirgsart den individuellen Charakter der Eruptionsgeſteine zu bezeich⸗ nen. So wie der Granit in Sibirien und im Departe— ment du Finistere (Ile de Mihau) den Schiefer, jo bedeckt er in den Bergen von Oiſons (Fermonts) den Jurakalkſtein, in Sachſen bei Weinböhla den Syenit und mittels dieſes Geſteins die Kreide. Im Ural bei Mur: ſinsk iſt der Granit druſig; und dieſe Druſen ſind, wie bei Spalten und Druſen neuer vulkaniſcher Erzeugniſſe, der plutoniſche Sitz vieler prachtvollen Kriſtalle, be— ſonders von Beryllen und Topaſen. Quarzporphyre, den Lagerungsverhältniſſen nach oft gangförmiger Natur. Die ſogenannte Grundmaſſe iſt meiſt ein feinkörniges Gemenge derſelben Elemente, welche als größere eingewachſene Kriſtalle auftreten. Im granit- artigen Porphyr, der ſehr arm an Quarz iſt, wird die feldſpatartige Grundmaſſe faſt körnig blättrig. Grünſteine, Diorite, körnige Gemenge von weißem Albit und ſchwärzlichgrüner Hornblende, zu Dioritpor— phyren geſtaltet, wenn eine Grundmaſſe von dichterem Gewebe vorhanden iſt, in der die Kriſtalle ausgeſchieden liegen. Dieſe Grünſteine, bald rein, bald durch Diallage⸗ blätter, die ſie einſchließen (Fichtelgebirge), in Serpentin — 181 — übergehend, ſind bisweilen lagerartig auf den alten Schich— tungsklüften des grünen Thonſchiefers in dieſen einge— drungen; öfters aber durchſetzen ſie gangartig das Geſtein, oder erſcheinen als Grünſteinkugeln, ganz den Baſalt— und Porphyrkugeln analog. !°* Hyperſthenfels, ein körniges Gemenge von Labrador und Hyperſthen. Euphotid und Serpentin, ſtatt des Diallags bisweilen Augit⸗ und Uralitkriſtalle enthaltend und jo einem ande— ren häufigeren, und ich möchte ſagen noch thätigeren Eruptionsgeſtein, dem Augitporphyr, nahe verwandt. Melaphyr, Augit-, Uralit- und Oligoklaspor— phyre. Zu letzteren gehört der als Kunſtmaterial ſo berühmte echte Verde antico. Baſalt mit Olivin und in Säuren gelatinierenden Beſtandteilen, Phonolith (Porphyrſchiefer), Trachyt und Dolerit; das zweite dieſer Geſteine immer, das erſte nur teilweiſe in dünne Tafeln geſpalten, was beiden auf großen Strecken das Anſehen der Schichtung gibt. In der Zuſammenſetzung und dem innigen Gewebe des Baſalts bilden, nach Girard, Meſotyp und Nephelin einen wichtigen Teil. Der Nephelingehalt des Baſaltes mahnt den Geognoſten an den, mit Granit verwechſelten, bis— weilen zirkonhaltigen Miaſcit des Ilmengebirges im Ural, wie an den von Gumprecht aufgefundenen Pyroxen— nephelin bei Löbau und Chemnitz. Zu der zweiten Klaſſe der Entſtehungsformen, dem Sedimentgeſtein, gehört der größere Teil der Formationen, welche man unter den alten, ſyſtematiſchen, aber nicht gar korrekten Benennungen von Uebergangs-, Flöz- oder Se— kundär⸗- und Tertiärformationen begreift. Wenn das Eruptionsgeſtein nicht ſeinen hebenden, und bei gleichzeitigem Erbeben der Erde ſeinen erſchütternden Einfluß auf dieſe Sedimentbildungen ausgeübt hätte, ſo würde die Oberfläche unſeres Planeten aus gleichförmig horizontal übereinander gelagerten Schichten beſtehen. Von allen Gebirgsarten ent⸗ blößt, an deren Abhang im Pflanzenwuchſe und in den Ab— ſtufungen der Arten ſich die Skala verminderter Luftwärme maleriſch abſpiegelt; nur hier und da durch Eroſionsthäler gefurcht, oder durch kleine Anhäufungen von Schuttland, als Wirkung der ſchwach bewegten ſüßen Waſſer, zu ſanften Wellen geunebnet, würden die Kontinente von Pol zu Pol, — 12 — unter allen Himmelsſtrichen, das traurig einförmige Bild der ſüdamerikaniſchen Llanos oder der nordaſiatiſchen Steppen darbieten. Wie in dem größeren Teile von dieſen, würden wir das Himmelsgewölbe auf der Ebene ruhen und die Ge— ſtirne aufſteigen ſehen, als erhöben ſie ſich aus dem Schoße des Meeres. Ein ſolcher Zuſtand der Dinge kann aber auch in der Vorwelt wohl nie von beträchtlicher Dauer und von räumlicher Allgemeinheit geweſen ſein, da die unterirdiſchen Mächte ihn in allen Naturepochen zu verändern ftrebten. . Sedimentſchichten ſind niedergeſchlagen oder abgeſetzt aus tropfbaren Flüſſigkeiten, je nachdem die Stoffe vor der Bildung, ſei es des Kalkſteins, ſei es des Thonſchiefers, ent— weder als chemiſch aufgelöſt oder als ſchwebend und bei— gemengt gedacht werden. Auch wenn Erdarten aus kohlen— geſäuerten Flüſſigkeiten ſich niederſchlagen, iſt doch, während der Präzipitation, ihr Niederſinken und ihre Anhäufung in Schichten als ein mechaniſcher Hergang der Bildung zu be— trachten. Dieſe Anſicht iſt von einiger Wichtigkeit bei der Umhüllung organiſcher Körper in verſteinerungsführenden Kalk— flözen. Die älteſten Sedimente der Tranſitions- und Sekundär⸗ formationen haben ſich wahrſcheinlich aus mehr oder minder heißen Waſſern gebildet: zu einer Zeit, wo die Wärme der oberen Erdrinde noch ſehr beträchtlich war. In dieſer Hinſicht hat gewiſſermaßen auch bei den Sedimentſchichten, beſonders bei den älteſten, eine plutoniſche Einwirkung ſtattgefunden; aber dieſe Schichten ſcheinen ſchlammartig in ſchieferiger Struk— tur und unter großem Drucke erhärtet, nicht wie das dem Inneren entſtiegene Geſtein (Granit, Porphyr oder Baſalt), durch Abkühlung erſtarrt zu ſein. Als die allmählich minder heißen Urwaſſer aus der mit Dämpfen und kohlenſaurem Gas überſchwängerten Atmoſphäre das letztere Gas in reichlichem Maße ſich aneignen konnten, wurde die Flüſſigkeit geeignet, eine größere Maſſe von Kalkerde aufgelöſt zu enthalten. Die Sedimentſchichten, von denen wir hier alle an— deren exogenen, rein mechaniſchen Niederſchläge von Sand— oder Trümmergeſtein trennen, ſind: Schiefer des unteren und oberen Uebergangsgebirges, aus den ſiluriſchen und devoniſchen Formationen zuſam— mengeſetzt: von den unteren ſiluriſchen Schichten an, die man einſt kambriſch nannte, bis zu der oberſten, an den Bergkalk grenzenden Schicht des alten roten Sandſteins oder der devoniſchen Gebilde; — 183 — Steinkohlenablagerungen; Kalkſteine, den Uebergangsformationen und dem Kohlengebirge eingeſchichtet; Zechſtein, Muſchelkalk, Jura— formation und Kreide, auch der nicht als Sandſtein und Agglomerat auftretende Teil der Tertiärgebilde; Travertino, Süßwaſſerkalkſtein, Kieſelguren heißer Quellen; Bildungen, nicht unter dem Druck großer pela— giſcher Waſſerbedeckungen, ſondern faſt an der Luft in untiefen Sümpfen und Bächen erzeugt; Infuſorienlager: eine geognoſtiſche Erſcheinung, deren große Bedeutung, den Einfluß der organiſchen Thä— tigkeit auf die Bildung der Erdfeſte bezeichnend, erſt in der neueſten Zeit von meinem geiſtreichen Freunde und Reiſegefährten Ehrenberg entdeckt worden iſt. Wenn wir in dieſer kurzen, aber überſichtlichen Betrach— tung der mineraliſchen Beſtandteile der Erdrinde auf das ein— fache Sedimentgeſtein nicht unmittelbar die, teilweiſe ebenfalls ſedimentartig aus tropfbaren Flüſſigkeiten abgeſetzten und im Flöz⸗ und Uebergangsgebirge ſowohl dem Schiefer als dem Kalkſtein mannigfaltig eingelagerten Agglomerate und Sand— ſteinbildungen folgen laſſen, ſo geſchieht es nur, weil dieſe, neben den Trümmern des Eruptions- und Sedimentgeſteins, auch Trümmer von Gneis, Glimmerſchiefer und anderen meta— morphiſchen Maſſen enthalten. Der dunkle Prozeß und die Wirkung dieſer Ummandelung (Metamorphoſe) müſſen dem— nach ſchon die dritte Klaſſe der Entſtehungsformen bilden. Das endogene oder Eruptionsgeſtein (Granit, Porphyr und Melaphyr) wirkt, wie mehrmals bemerkt worden iſt, nicht bloß dynamiſch, erſchütternd oder hebend, die Schichten auf— richtend und ſeitwärts ſchiebend; ſein Hervortreten bewirkt auch Veränderungen in der chemiſchen Zuſammenſetzung der Stoffe wie in der Natur des inneren Gewebes. Es entſtehen neue Gebirgsarten: Gneis und Glimmerſchiefer, und körniger Kalk— ſtein (Marmor von Carrara und Paros). Die alten ſiluriſchen oder devoniſchen Tranſitionsſchiefer, der Belemnitenkalkſtein der Tarantaiſe, der ſeetanghaltige graue unſcheinbare Macigno (Kreideſandſtein) der nördlichen Apenninen ſind, nach ihrer Umwandlung, in einem neuen, oft glänzenden Gewande ſchwer zu erkennen. Der Glaube an die Metamorphoſe hat ſich erſt befeſtigen können, ſeitdem es geglückt iſt, den einzelnen Phaſen der Veränderung ſchrittweiſe zu folgen, und durch direkte che— miſche Verſuche, bei Verſchiedenheit des Schmelzgrades, des — 184 — Druckes und der Zeit des Erkaltens, den Induktionsſchlüſſen zu Hilfe zu kommen. Wo nach leitenden Ideen das Studium chemiſcher Verbindungen erweitert wird, kann auch aus den engen Räumen unſerer Laboratorien ſich ein helles Licht über das weite Feld der Geognoſie, über die große unterirdiſche, Geſtein bildende und Geſtein umwandelnde Werkſtätte der Natur verbreiten. Der philoſophiſche Forſcher entgeht der Täuſchung ſcheinbarer Analogieen, einer kleinlichen Anſicht der Naturprozeſſe, wenn er ununterbrochen die Komplikation der Bedingungen im Auge hat, welche mit ihrer intenſiven, unge— meſſenen Kraft in der Urwelt die gegenſeitige Wirkung ein— zelner uns wohlbekannter Stoffe modifizieren konnten. Die unzerſetzten Körper haben gewiß zu allen Zeiten denſelben An— ziehungskräften gehorcht; und da, wo jetzt Widerſprüche ſich finden, wird (es iſt meine innigſte Ueberzeugung) die Chemie meiſt ſelbſt den nicht in gleichem Maße erfüllten Bedingungen auf die Spur kommen, welche jene Widerſprüche erzeugten. Genaue, große Gebirgsſtrecken umfaſſende Beobachtungen erweiſen, daß das Eruptionsgeſtein nicht als eine wilde, ge— ſetzlos wirkende Macht auftritt. In den entfernteſten Welt⸗ gegenden ſieht man oft Granit, Baſalt oder das Dioritgejtein bis in die einzelnſten Kraftäußerungen gleichmäßig auf die Schichten des Thonſchiefers und des dichten Kalkes, auf die Quarzkörner des Sandſteins ihre umwandelnde Wirkung aus— üben. Wie dieſelbe endogene Gebirgsart faſt überall dieſelbe Art der Thätigkeit übt, fo zeigen dagegen verſchiedene Gebirgs— arten, derſelben Klaſſe der endogenen oder Eruptionsgebilde zugehörig, einen ſehr verſchiedenen Charakter. Intenſive Wärme hat allerdings in allen dieſen Erſcheinungen gewirkt; aber die Grade der Flüſſigkeit (vollkommenerer Verſchiebbarkeit der Teile oder zäheren Zuſammenhanges) find im Granit und im Baſalt ſehr ungleich geweſen: ja in verſchiedenen geologiſchen Epo— chen (Phaſen der Umwandlungen der Erdrinde) ſind auch gleich— zeitig mit dem Ausbruche von Granit, Baſalt, Grünſteinpor⸗ phyr oder Serpentin andere und andere im Dampf aufgelöſte Stoffe aus dem eröffneten Inneren aufgeſtiegen. Es iſt hier der Ort, von neuem daran zu erinnern, daß nach den ſinnigen Anſichten der neueren Geognoſie die Metamorphoſe des Geſteins ſich nicht auf ein bloßes Kontaktphänomen, auf eine Wirkung der Appoſition zweier Gebirgsarten beſchränkt, ſondern daß ſie genetiſch alles umfaßt, was das Hervortreten einer beſtimmten Eruptionsmaſſe begleitet hat. Da, wo — — 15 nicht unmittelbare Berührung ſtattfindet, bringt ſchon die Nähe einer ſolchen Maſſe Modifikationen der Verhärtung, der Ver— kieſelung, des Körnigwerdens, der Kriſtallbildung hervor. Alles Eruptionsgeſtein dringt zu Gängen veräſtelt in die Sedimentſchichten oder in andere, ebenfalls endogene Maſſen ein; aber der Unterſchied, der ſich zwiſchen plutoniſchen Ge— birgsarten (Granit, Porphyr, Serpentin) und den im engeren Sinne vulkaniſch genannten (Trachyt, Baſalt, Lava) offen— bart, iſt von beſonderer Wichtigkeit.!“ Die Gebirgsarten, welche die dem Erdkörper übrig gebliebene Thätigkeit unſerer jetzigen Vulkane erzeugt, erſcheinen in bandartigen Strömen, die da, wo mehrere in Becken zuſammenfließen, allerdings ein weit ausgebreitetes Lager bilden können. Baſaltausbrüche, wo ihnen tief nachgeſpürt worden iſt, hat man mehrmals in ſchmale Zapfen endigen ſehen. Aus engen Oeffnungen empor— gequollen, wie (um nur drei vaterländiſche Beiſpiele anzu— führen) in der Pflaſterkaute bei Markſuhl (2 Meilen — 15 km von Eiſenach), in der blauen Kuppe bei Eſchwege (Werraufer), und am Druidenſtein auf dem Hollerter Zuge (Siegen), durch— bricht der Baſalt bunten Sandſtein und Grauwackenſchiefer, und breitet ſich nach oben zu wie der Hut eines Pilzes in Kuppen aus, die bald gruppenweiſe in Säulen geſpalten, bald dünn geſchichtet ſind. Nicht ſo Granit, Syenit, Quarzporphyr, Serpentinfels und die ganze Reihe ungeſchichteter maſſiger Gebirgsarten, welchen man aus Vorliebe zu einer mytholo— iſchen Nomenklatur den Namen der plutoniſchen gegeben hat Dieſe ſind, einige Geſteingänge abgerechnet, wohl nicht geſchmolzen, ſondern nur zäh und erweicht hervorgetreten; nicht aus engen Klüften, ſondern aus weiten thalartigen Spal— ten, aus langgedehnten Schlünden ausgebrochen. Sie ſind hervorgeſchoben, nicht entfloſſen; ſie zeigen ſich nicht in Strömen, lavaartig, ſondern als mächtige Maſſen verbreitet. 1°% In dem Dolerit und Trachytgeſtein deuten einige Gruppen auf einen Grad baſaltartiger Fluidität; andere, zu mächtigen Glocken und kraterloſen Domen aufgetrieben, ſcheinen bei ihrem Hervortreten nur erweicht geweſen zu ſein. Noch andere Tra— chyte, wie die der Andeskette, welche ich oft auffallend den ſilberreichen, und dann quarzloſen Grünſtein- und Syenitpor- phyren verwandt gefunden habe, ſind gelagert wie Granit und Quarzporphyr. Verſuche über die Veränderungen, welche das Gewebe und die chemiſche Beſchaffenheit der Gebirgsarten durch Feuer — 186 — erleiden, haben gelehrt, daß die vulkaniſchen Maſſen (Diorit, Augitporphyr, Baſalt und Lava vom Aetna) nach Verſchieden— heit des Druckes, unter dem ſie geſchmolzen werden, oder der Dauer ihrer Abkühlung, entweder, bei ſchnellem Erkalten, ein ſchwarzes Glas von gleichartigem Bruche, oder, bei lang— ſamer Abkühlung, eine ſteinichte Maſſe von körnigem, kriſtal— liniſchem Gefüge geben. Die Kriſtalle haben ſich dann teils in Höhlungen, teils von der Grundmaſſe umſchloſſen gebildet. Dasſelbe Material (und dieſe Betrachtung iſt für die Natur des Eruptionsgeſteins oder für die Umwandlungen, welche es erregt, von großer Wichtigkeit) liefert die verſchiedenartigſten Bildungen. Kohlenſaure Kalkerde, unter ſtarkem Drucke ge— ſchmolzen, verliert ihren Gehalt an Kohlenſäure nicht; die erkaltete Maſſe wird körniger Kalkſtein, ſaliniſcher Marmor. So die Kriſtalliſation auf trockenem Wege; auf naſſem Wege entſteht ſowohl Kalkſpat als Aragonit, ecſterer bei einem ge— ringeren, letzterer bei einem höheren Wärmegrade. Nach Temperaturverſchiedenheiten ordnen ſich anders und anders die feſt werdenden Teile in beſtimmten Richtungen zur Kriſtall⸗ bildung aneinander, ja es verändert ſich die Form ſelbſt der Kriſtalle. Es gibt dabei, ohne daß ein flüſſiger Zuſtand ein— tritt, unter gewiſſen Verhältniſſen eine Verſchiebbarkeit der kleinſten Teile eines Körpers, die ſich durch optiſche Wirkungen äußert. Die Erſcheinungen, welche die Entglaſung, die Er— zeugung des Cement- und Gußſtahls, der Uebergang des faſeri— gen Gewebes des Eiſens in körniges durch erhöhte Temperatur, vielleicht ſelbſt durch ſehr kleine, aber gleichmäßige und lange fortgeſetzte Erſchütterungen darbieten, werfen ebenfalls Licht auf die geologiſchen Prozeſſe der Metamorphoſe. Wärme kann in kriſtalliſierten Körpern ſogar entgegengeſetzte Wirkun— gen gleichzeitig hervorrufen; denn nach Mitſcherlichs ſchönen Verſuchen iſt es eine Thatſache, daß der Kalkſpat, ohne ſeinen Aggregatzuſtand zu ändern, ſich in einer Achſenrichtung aus— dehnt, in einer anderen zuſammenzieht. Wenn wir von dieſen allgemeinen Betrachtungen zu einzelnen Beiſpielen übergehen, ſo ſehen wir zuerſt den Schiefer durch die Nähe plutoniſcher Eruptionsgeſteine in blauſchwarzglänzenden Dachſchiefer umgewandelt. Die Schich— tungsklüfte ſind dann, was eine ſpätere Einwirkung andeutet, durch ein anderes Syſtem von Klüften (Nebenabſonderungen), welche die erſteren faſt ſenkrecht ſchneiden, unterbrochen. Durch Eindringen von Kieſelſäure wird der Thonſchiefer von Quarz: — 187 — trümmern durchſetzt, in Wetzſchiefer und Kieſelſchiefer (letzterer bisweilen kohlenſtoffhaltig und dann galvaniſch nervenreizend) teilweiſe verändert. Der höchſte Grad der Verkieſelung!““ des Schiefers iſt aber ein edles Kunſtmaterial, der Band— jaſpis, im Uralgebirge durch Berührung und Ausbruch des Augitporphyrs (Orsk), des Dioritporphyrs (Auſchkul) oder eines in Kugeln geballten Hyperſthengeſteins (Bogoslowsk) hervorgebracht; auf der Inſel Elba (Monte Serrato) nach Friedrich Hoffmann und im Toskaniſchen nach Alexander Brongniart durch Kontakt mit Euphotid und Serpentin. Die Berührung und plutoniſche Einwirkung des Granits machen (wie wir, Gustav Roſe und ich, im Altai, innerhalb der Feſtung Buchtarminsk beobachtet haben) den Thonſchiefer körnig und laſſen ihn in eine granitähnliche Maſſe (in ein Gemenge von Feldſpat und Glimmer, in welchem wieder größere Glimmerblätter!“è liegen) übergehen. „Daß zwiſchen dem Eismeere und dem Finniſchen Meerbuſen aller Gneis aus ſiluriſchen Schichten der Tranſitionsformation durch Einwirkung des Granits entſtanden und umgewandelt worden iſt, kann jetzt,“ wie Leopold von Buch ſich ausdrückt, „als eine allen Geognoſten geläufige und von den meiſten für bewährt an— genommene Hypotheſe gelten. In den Alpen am Gotthard wird Kreidemergel ebenfalls durch Granit erſt zu Glimmer— ſchiefer, dann zu Gneis umgewandelt.“ Aehnliche Erſcheinun— gen der Gneis- und Glimmerſchieferbildung durch Granit bieten ſich dar: in der Oolithengruppe der Tarantaiſe, “e wo Belem— niten ſich in Geſteinen gefunden haben, die ſelbſt ſchon auf . den Namen des Glimmerſchiefers Anſpruch machen können; in der Schiefergruppe des weſtlichen Teils der Inſel Elba unfern dem Vorgebirge Calamita, und in dem Baireuther Fichtelgebirge!“ zwiſchen Lomitz und Markleiten. So wie ein den Alten in großen Maſſen nicht zugäng— liches Kunſtmaterial, 7! der Jaſpis, das Erzeugnis einer vul— kaniſchen Einwirkung des Augitporphyrs iſt, kann ein anderes, von ihnen ſo vielfach und glücklich angewandtes Kunſtmaterial, der körnige (ſaliniſche) Marmor, ebenfalls nur als eine durch Erdwärme und Nähe eines heißen Eruptionsgeſteins veränderte Sedimentſchicht betrachtet werden. Genaue Beobachtung der Kontaktphänomene und die merkwürdigen Schmelzverſuche von Sir James Hall, die nun ſchon über ein halbes Jahrhundert alt ſind und neben der ernſten Erforſchung der Granitgänge am meiſten zur frühen Begründung unſerer jetzigen Geognoſie — 188 — beigetragen haben, rechtfertigen eine ſolche Behauptung. Bis— weilen hat das Eruptionsgeſtein den dichten Kalk nur in einer gewiſſen, der Berührung nahen Zone in körnigen Kalkſtein verwandelt. So zeigt ſich eine partielle Umwandlung (wie ein Halbſchatten) in Irland (Belfaſt), wo Baſaltgänge die Kreide durchſetzen; ſo in dem dichten Flözkalkſtein, den ein ſyenitartiger Granit an der Brücke von Boscampo und in der durch den Grafen Marzari Pencati berühmt gewordenen Kas⸗ kade von Canzocoli (Tirol) in teilweiſe gebogenen Schichten berührt. Eine andere Art der Umwandlung iſt die, wo alle Schichten des dichten Kalkſteins durch Einwirkung von Granit, Syenit oder Dioritporphyr in körnigen Kalkſtein umgeändert ſind. g Es ſei hier erlaubt, noch ſpeziell des pariſchen und carrariſchen Marmors zu erwähnen, welche für die edelſten Werke der Bildhauerkunſt ſo wichtig geworden ſind und unſeren geognoſtiſchen Sammlungen nur zu lange als Haupttypen uranfänglichen Kalkſteins gedient haben. Die Wirkungen des Granits offenbaren ſich nämlich teils durch unmittelbare Be— rührung, wie in den Pyrenäen, teils, wie im Kontinent von Griechenland und in den Inſelreihen des Aegeiſchen Meeres, gleichſam durch die Zwiſchenſchichten von Gneis oder Glimmer— ſchiefer hindurch. Beides ſetzt einen gleichzeitigen, aber ver— ſchiedenartigen Prozeß der Geſteinumwandlung voraus. In Attika, auf Euböa und im Peloponnes iſt bemerkt worden, „daß der Regel nach der dem Glimmerſchiefer aufgelagerte Kalkſtein um ſo ſchöner und kriſtalliniſcher iſt, als ſich der Glimmerſchiefer ausgezeichnet reiner, d. h. minder thonhaltig, zeigt“. Dieſe letzte Gebirgsart, ſowie auch Gneisſchichten treten an vielen tiefen Punkten von Paros und Antiparos hervor. Wenn nach einer von Origenes erhaltenen Notiz des alten Eleaten Xenophanes von Kolophon,“ der ſich die ganze Erdrinde als einſt vom Meere bedeckt vorſtellte, in den Stein— brüchen von Syrakus Verſteinerungen von Seeprodukten und in dem tiefſten der Felſen von Paros der „Abdruck von einem kleinen Fiſch“ (einer Sardelle) gefunden wurden, ſo könnte man an das Uebrigbleiben einer dort nicht ganz metamor— phoſierten Flözſchicht glauben. Der ſchon vor dem Auguſteiſchen Zeitalter benutzte Marmor von Carrara (Luna), die Haupt⸗ quelle des ſtatuariſchen Kunſtmaterials, ſolange die Brüche von Paros nicht wieder eröffnet werden, iſt eine durch plu⸗ toniſche Kräfte umgewandelte Schicht desſelben Kreideſandſteins — 189 — (macigno), welche in der inſelförmig aufſteigenden Alp Alpuana zwiſchen gneisähnlichem Glimmer und Talffchiefer auftritt. Ob an einzelnen Punkten auch in dem Inneren der Erde körniger Kalk gebildet und, gangartig Spalten ausfüllend (Auerbach an der Bergſtraße), an die Oberfläche durch Gneis und Syenit emporgedrungen iſt, darüber darf ich mir, ſchon wegen des Mangels eigener Anſicht, kein Urteil erlauben. Unter aller Einwirkung eines maſſigen Eruptionsgeſteins auf dichte Kalkſchichten bieten aber, nach Leopold von Buchs ſcharfſinnigen Beobachtungen, den merkwürdigen Prozeß der Metamorphoſe die Dolomitmaſſen, beſonders im ſüdlichen Tirol und in dem italieniſchen Abfall der Alpenkette, dar. Eine ſolche Umwandlung des Kalkſteins geht von Klüften aus, welche denſelben nach allen Richtungen durchſetzen. Die Höhlungen ſind überall mit Rhomboiden von Bitterſpat bedeckt; ja das ganze Gebilde, dann ohne Schichtung und ohne Spur der Verſteinerungen, die es vorher enthielt, beſteht nur aus einer körnigen Anhäufung von Dolomitrhomboiden. Talk— blätter liegen hier und da vereinzelt in der neuentſtandenen Gebirgsart, Serpentintrümmer durchſetzen ſie. Im Faſſathale ſteigt der Dolomit ſenkrecht in glatten Wänden von blendender Weiße zu mehreren tauſend Fuß Höhe empor. Er bildet zugeſpitzte Kegelberge, die in großer Zahl nebeneinander ſtehen, ohne ſich zu berühren. Ihre phyſiognomiſche Geſtal— tung erinnert an die lieblich-phantaſtiſche Berglandſchaft, mit welcher Leonardo da Vinci das Bild der Mona Liſa als Hintergrund ſchmückte. Die geognoſtiſchen Erſcheinungen, welche wir hier ſchil— dern, regen die Einbildungskraft wie das Nachdenken an; ſie ſind das Werk eines Augitporphyrs, der hebend, zertrümmernd und umwandelnd einwirkt. Der Prozeß der Dolomitiſierung wird von dem geiſtreichen Forſcher, der zuerſt ihn angedeutet, keineswegs als eine Mitteilung der Talkerde aus dem ſchwarzen Porphyr, ſondern als eine gleichzeitige, das Hervortreten dieſes Ausbruchsgeſteins auf weiten dampferfüllten Spalten beglei— tende Veränderung betrachtet. Künftigen Forſchungen bleibt es übrig, zu beſtimmen, wie da, wo Dolomit in Schichten zwiſchen Kalkſtein eingelagert iſt, ohne Berührung mit endo— genem Geſteine die Umwandlung erfolgt iſt? wo dann die Zuführungskanäle plutoniſcher Einwirkung verborgen liegen? Vielleicht iſt es auch hier noch nicht notwendig, zu dem alten römiſchen Ausſpruch ſeine Zuflucht zu nehmen, nach welchem 190 — „vieles Gleiche in der Natur auf ganz verſchiedenen Wegen gebildet wird“. Wenn in einem weit ausgedehnten Erdſtriche zwei Erſcheinungen, das Emportreten von Melaphyr, und die Kriſtall- und chemiſche Miſchungsveränderung eines dichten Kalkgeſteins, einander immer begleiten, ſo darf man wohl da, wo die zweite Erſcheinung ohne die erſte ſichtbar wird, mit einigem Rechte vermuten, daß der ſcheinbare Widerſpruch in der Nichterfüllung gewiſſer die verborgene Haupturſache be— gleitender Bedingungen gegründet iſt. Würde man darum die vulkaniſche Natur, die Feuerflüſſigkeit des Baſalts in Zweifel ziehen, weil ſich einige ſeltene Fälle gezeigt haben, in denen Baſaltgänge, Steinkohlenflöze, Sandſtein oder Kreide— ſchichten durchſetzend, weder die Kohle weſentlich ihres Brenn— ſtoffes beraubt, noch den Sandſtein gefrittet und verſchlackt, noch die Kreide in körnigen Marmor verwandelt haben? Wo in der dunkeln Region der Geſteinbildung ein Dämmerlicht, eine leitende Spur aufgefunden worden, muß man beide nicht darum gleich undankbar verlaſſen, weil in den Verhältniſſen der Uebergänge und der iſolierten Einlagerung zwiſchen unver⸗ änderten 5 noch manches für jetzt unerklärt bleibt. Nach der Veränderung des dichten kohlenſauren Kalkes in körnigen Kalkſtein und in Dolomit muß hier noch einer dritten Umwandlung desſelben Geſteins erwähnt werden, welche 8 in der 9155 vulkaniſch ausgebrochenen ſchwefel— ſauren Dämpfen zuzuſchreiben iſt. Dieſe Umwandlung des Kalkes in Gips iſt mit dem Eindringen von Steinſalz und Schwefel (letzterer aus ſchwefelhaltigen Waſſerdämpfen nieder— geſchlagen) verwandt. In der hohen Andeskette von Quindiu, fern von allen Vulkanen, habe ich auf Klüften im Gneis dieſen Niederſchlag des Schwefels beobachtet, während Schwefel, Gips und Steinſalz in Sizilien (Cattolica bei Girgenti) zu den neueſten Sekundärſchichten der Kreideformation gehören. Spalten mit Steinſalz gefüllt, in beträchtlichen, bisweilen =, unerlaubten Handel begünftigenden Maſſen, habe ich am Veſuv in dem Rande des Kraters ſelbſt geſehen. An beiden Abhängen der Pyrenäen iſt der Zuſammenhang des Diorit- (und Pyroxen-?) Geſteins mit dem Auftreten der Dolomite, des Gipſes und des Steinſalzes nicht zu bezweifeln. Alles verkündigt in den hier geſchilderten Erſcheinungen die Ein— wirkung unterirdiſcher Mächte auf Sedimentſchichten des alten Meeres, Die reinen Quarzlager von ungeheurer Mächtigkeit, welche — 191 für die Andeskette von Südamerika ſo charalteriſtiſch find (ich habe, von Caxamarca gegen Guangamarca hin nach der Süd— ſee herabſteigend, Quarzmaſſen von ſieben- bis achttauſend Fuß [= 2270 bis 2600 m] mächtig gefunden), find von rätſel— hafter Entſtehung; ſie ruhen bald auf quarzloſem Porphyr, bald auf Dioritgeſtein. Wurden ſie aus Sandſtein umge— wandelt, wie Elie de Beaumont es von den Quarzſchichten am Col de la Boifjoniere (öſtlich von Briancon) vermutet? In Braſilien, in den neuerlichſt von Clauſen ſo genau unter— ſuchten Diamantdiſtrikten von Minas Geraes und St. Paul, haben plutoniſche Kräfte auf Dioritgängen bald gewöhnlichen Glimmer, bald Eiſenglimmer in dem Quarzitakolumit ent— wickelt. Die Diamanten von Grammagoa ſind in Schichten feſter Kieſelſäure enthalten; bisweilen liegen ſie von Glimmer— blättchen umhüllt, ganz wie die im Glimmerſchiefer entſtan— denen Granaten. Die nördlichſten aller Diamanten, die ſeit 1829 unter 58° Breite, am europäiſchen Abfall des Urals, entdeckten, ſtehen auch in geognoſtiſchen Verhältniſſen zum ſchwarzen kohlenſtoffhaltigen Dolomit von Adolfskoi, wie zum Augitporphyr, welche durch genaue Beobachtungen noch nicht hinlänglich aufgeklärt ſind. Unter die denkwürdigſten Kontaktphänomene gehört end— lich noch die Granitbildung im Thonſchiefer bei Berührung mit Baſalt und Doleritgeſtein (Northumberland und Inſel Angleſea), wie die Erzeugung einer großen Menge ſchöner und ſehr verſchiedenartiger Kriſtalle (Granat, Veſuvian, Augit und Ceylanit), welche an den Berührungsflächen von Eruptions— und Sedimentgeſtein, an der Grenze des Monzonſyenits mit Dolomit und dichtem Kalkſtein ſich entwickeln. Auf der Inſel Elba haben Serpentinſteinmaſſen, welche vielleicht nirgends ſo deutlich als Eruptionsgebirgsarten erſcheinen, in den Klüften eines Kreideſandſteins die Sublimation von Eiſenglanz und Roteiſenſtein bewirkt. Denſelben Eiſenglanz ſehen wir noch täglich am Kraterrande und in friſchen Lavaſtrömen des Vul— fans von Stromboli, des Veſuvs und des Aetna ſich aus der Dampfform an den Spaltwänden offener Gänge ſublimieren.!““ Wie hier durch vulkaniſche Kräfte ſich Gangmaſſen unter unſeren Augen bilden, da wo das Nebelgeſtein ſchon zu einem Zuſtande der Starrheit gelangt iſt, ſo haben auf eine ähnliche Weiſe in den Revolutionen der Erdrinde Geſtein- und Erz— gänge überall entſtehen können, wo die feſte, aber noch dünne inde des Planeten, öfter durch Erdſtöße erſchüttert, bei ger Volumveränderung im Erkalten zerklüftet und geſpalten, mehr: fache Verbindungen mit dem Inneren, mehrfache Auswege für aufſteigende, mit Erd- und Metallſtoffen geſchwängerte Dämpfe darbot. Die den Salbändern parallele, lagenweiſe Anordnung der Gemengteile, die regelmäßige Wiederholung gleichnamiger Lagen zu beiden Seiten (im Hangenden und Liegenden des Ganges), ja die druſenförmigen langgedehnten Höhlungen der Mitte bezeugen oft recht unmittelbar den plutoniſchen Prozeß der Sublimation in den Erzgängen. Da die durchſetzenden neueren Urſprunges als die durchſetzten ſind, ſo lehren die Lagerungsverhältniſſe des Porphyrs zu den Silbererzformationen, daß dieſe in dem ſächſiſchen Erzgebirge, alſo in dem wichtigſten und reichſten Erzgebirge Deutſchlands, zum wenigſten jünger als die Baumſtämme des Steinkohlen— gebirges und des Rotliegenden ſind.!““ B Alles, was mit unſeren geologiſchen Vermutungen über die Bildung der Erdrinde und die Umwandlung der Gebirgs— arten zuſammenhängt, hat ein unerwartetes Licht dadurch ge— wonnen, daß man den glücklichen Gedanken gehabt hat, die Schlackenbildung in unſeren Schmelzöfen mit der Entſtehung natürlicher Mineralien zu vergleichen, und künſtlich dieſe aus ihren Elementen wiederum zuſammenzuſetzen. Bei allen dieſen Operationen wirken dieſelben Verwandtſchaften, welche in unſeren Laboratorien wie in dem Schoße der Erde die Zu— ſammenſetzung chemiſcher Verbindungen beſtimmen. Der wich— tigſte Teil der einfachen Mineralien, welche ſehr allgemein verbreitete plutoniſche und vulkaniſche Eruptionsgeſteine, wie die durch ſie metamorphoſierten Gebirgsarten charakteriſieren, ſind ſchon kriſtalliniſch und in vollkommener Gleichheit unter den künſtlichen Mineralbildungen aufgefunden worden. Wir unterſcheiden die, welche in den Schlacken zufällig ent— ſtanden ſind, und die, welche abſichtlich von den Chemikern hervorgebracht wurden. Zu den erſteren gehören Feldſpat, Glimmer, Augit, Olivin, Blende, kriſtalliſiertes Eiſenoxyd (Eiſenglimmer), Magneteiſenoktaeder und metalliſches Titan; !?® zu den zweiten: Granat, Idokras, Rubin (dem orientalischen an Härte gleich), Olivin und Augit.!? Die hier genannten Mineralien bilden die Hauptbeſtandteile von Granit, Gneis und Glimmerſchiefer, von Baſalt, Dolerit und vielen Por— phyren. Die künſtliche Erzeugung von Feldſpat und Glimmer iſt beſonders von großer geognoſtiſcher Wichtigkeit für die Theorie der Gneisbildung durch Umwandlung des Thon— — 193 — ſchiefers. Dieſer enthält die Beſtandteile des Granits, Kali nicht ausgeſchloſſen. Es wäre demnach, bemerkt mit Recht ein ſcharfſinniger Geognoſt, Herr von Dechen, nicht ſehr un— erwartet, wenn wir an den Wänden eines Schmelzofens, der aus Thonſchiefer und Grauwacke aufgeführt iſt, einmal ein Gneisfragment ſich bilden ſähen. Es bleibt in dieſen allgemeinen Betrachtungen über die feſte Erdrinde nach Aufzählung von drei Entſtehungsformen (dem Eruptions-, Sediment- und metamorphoſierten Geſtein) noch eine vierte Klaſſe zu nennen übrig, die der Agglomerat— bildung oder des Trümmergeſteins. Dieſer Name ſelbſt erinnert an die Zerſtörungen, welche die Oberfläche der Erde erlitten; er erinnert aber auch an die Prozeſſe der Cemen— tierung (Verkittung), welche durch Eiſenoxyd, durch thon und kalkartige Bindemittel die bald abgerundeten, bald eckig ge— bliebenen Teile wiederum miteinander verbunden hat. Agglo— merate und Trümmergeſteine im weiteſten Sinne des Wortes offenbaren den Charakter einer zweifachen Entſtehungsweiſe. Die Materialien, welche ihre mechaniſche Zuſammenſetzung bilden, ſind nicht bloß von den flutenden Meereswogen oder bewegten ſüßen Waſſern herbeigeführt; es gibt Trümmer— geſteine, an deren Bildung der Stoß des Waſſers keinen An⸗ teil gehabt hat. „Wenn baſaltiſche Inſeln oder Trachytberge auf Spalten ſich erheben, veranlaßt die Reibung des auf— ſteigenden Geſteins gegen die Wände der Spalten, daß Baſalt und Trachyt ſich mit Agglomeraten ihrer eigenen Maſſen umgeben. In den Sandſteinen vieler Formationen ſind die Körner, aus denen ſie zuſammengeſetzt ſind, mehr losgeriſſen durch die Reibung des ausbrechenden (vulkaniſchen oder plu— toniſchen) Geſteins als zertrümmert durch die Bewegung eines nachbarlichen Meeres. Das Daſein ſolcher Reibungskon— glomerate (die in beiden Weltteilen in ungeheuren Maſſen gefunden werden) bezeugt die Intenſität der Kraft, mit welcher die Eruptionsmaſſen gegen die Erdoberfläche geſtoßen ſind, als ſie aus dem Inneren emporgetrieben wurden. Die Waſſer bemächtigen ſich dann der ihres Zuſammenhanges beraubten Körner und verbreiten ſich in Lagen auf dem Grunde ſelbſt, den ſie überdecken.“ !'' Sandſteingebilde findet man einge lagert durch alle Schichten von dem unteren ſiluriſchen Ueber— gangsgebirge an bis jenſeits der Kreide in den Tertiärforma— tionen. An den Rändern der unermeßlichen Ebenen des Neuen Weltteils, in und außerhalb der Tropen ſieht man ſie mauer— A. v. Humboldt, Kosmos. I. 13 9 artig gleichſam das alte Ufer bezeichnen, an dem die mächtige Wellenbrandung ſchäumte. Wenn man einen Blick wagen will auf die geographiſche Verbreitung der Gebirgsarten und ihre räumlichen Verhältniſſe in dem Teile der Erdrinde, welcher unſeren Beobachtungen zugänglich iſt, ſo erkennt man, daß der am allgemeinſten verbreitete chemiſche Stoff die Kieſelſäure iſt, meiſt in un— durchſichtigem Zuſtande und mannigfach gefärbt. Nach der feſten Kieſelſäure herrſcht zunächſt kohlenſaurer Kalk; dann kommen die Verbindungen von Kieſelſäure mit Thonerde, Kali und Natron, mit Kalkerde, Magneſia und Eiſenoxyd. Wenn das, was wir Gebirgsarten nennen, beſtimmte Aſſociationen einer kleinen Zahl von Mineralien ſind, denen ſich, wie paraſitiſch, einige andere, aber auch nur beſtimmte anſchließen; wenn in einem Eruptionsgeſtein, dem Granit, die Aſſociation von Quarz (Kieſelſäure), Feldſpat und Glimmer das Weſentliche iſt, ſo gehen dieſe Mineralien auch vereinzelt oder gepaart durch viele andere Schichten hindurch. Um nur beiſpielsweiſe zu zeigen, wie quantitative Verhältniſſe ein Feldſpatgeſtein von einem anderen, glimmerreichen unter— ſcheiden, erinnere ich daran, daß, wenn, nach Mitſcherlich, zum Feldſpat dreimal mehr Thonerde und ½ mehr Kieſel— ſäure, als demſelben eigen iſt, hinzugefügt wird, man die Zuſammenſetzung des Glimmers erhält. In beiden iſt Kali enthalten, ein Stoff, deſſen Exiſtenz in vielen Gebirgsarten wohl über den Anfang aller Vegetation auf dem Erdkörper hinaufſteigt. Die Reihenfolge und mit ihr das Alter der Formation wird durch die gegenſeitige Auflagerung der Sediment-, der umgewandelten und der Aggregatſchichten, durch die Natur der Gebilde, bis zu welcher die Eruptionsmaſſen hinaufſteigen, am ſicherſten aber durch die Anweſenheit organiſcher Reſte und die Verſchiedenartigkeit ihres Baues erkannt. Die Ans wendung der botaniſchen und zoologiſchen Kennzeichen auf die Beſtimmung des Alters der Felsmaſſen, die Chrono: metrik der Erdrinde, welche Hookes großer Geiſt ſchon ahnte, bezeichnet eine der glänzendſten Epochen der neuen, den ſemi— tiſchen Einflüſſen wenigſtens auf dem Kontinent endlich ent⸗ zogenen Geognoſie. Paläontologiſche Studien haben der Lehre von den ſtarren Gebilden der Erde, wie durch einen beleben— den Hauch, Anmut und Vielſeitigkeit verliehen. Die verſteinerungshaltigen Schichten bieten uns, in * — 195 — ihren Grabſtätten erhalten, die Floren und die Faunen der verfloſſenen Jahrtauſende dar. Wir ſteigen aufwärts in die Zeit, indem wir, die räumlichen Lagerungsverhältniſſe ergrün— dend, von Schicht zu Schicht abwärts dringen. Ein hinge— ſchwundenes Tier- und Pflanzenleben tritt vor unſere Augen. Weit verbreitete Erdrevolutionen, die Erhebung großer Berg— ketten, deren relatives Alter wir zu beſtimmen vermögen, be— zeichnen den Untergang alter Organismen, das Auftreten neuer. Einige wenige der älteren erſcheinen noch einige Zeit lang unter den neueren. In der Eingeſchränktheit unſeres Wiſſens vom Werden, in der Bilderſprache, welche dieſe Ein— geſchränktheit verbergen ſoll, nennen wir neue Schöpfungen die hiſtoriſchen Phänomene des Wechſels in den Organismen, wie in der Bewohnung der Urgewäſſer und des gehobenen trockenen Bodens. Bald ſind dieſe untergegangenen organiſchen Gebilde ganz erhalten, vollſtändig bis in die kleinſten Gewebe, Hüllen und gegliederte Teile; bald hat das laufende Tier, auf feuchtem Thonletten fortſchreitend, nur ſeine Fährte, in den Koprolithen die Reſte unverdauter Nahrung hinterlaſſen. In der unteren Juraſchicht (Lias von Lyme Regis) iſt die Erhaltung des Tintenbeutels !“? der Sepia jo wunderbar vollkommen, daß dieſelbe Materie, welche vor Myriaden von Jahren dem Tiere hat dienen können, um ſich vor ſeinen Feinden zu verbergen, noch die Farbe hergegeben hat, mit der ſein Bild entworfen wird. In anderen Schichten iſt oft nur der ſchwache Abdruck einer Muſchelſchale übrig geblieben; und doch kann dieſe, von Reiſenden aus einem fernen Lande mitgebracht, wenn ſie eine Leitmuſchel iſt, lehren, welche Gebirgsformation ſich dort vorfindet, mit welchen anderen organiſchen Reſten ſie vergeſellſchaftet war. Sie erzählt die Geſchichte des Landes. Das zergliedernde Studium des alten Tier- und Pflanzen⸗ lebens hat eine zweifache Richtung. Die eine iſt eine rein morphologiſche, und vorzugsweiſe der Naturbeſchreibung und Phyſiologie der Organismen zugewandt; ſie füllt durch unter— gegangene Bildungen die Lücken in der Reihe der jetzt noch be— ebten aus. Die zweite Richtung iſt eine geognoſtiſche, welche die foſſilen Reſte in ihrem Verhältnis zu dem Aufeinander— liegen und relativen Alter der Sedimentformationen betrachtet. Lange iſt die erſtere die vorherrſchende geweſen, und eine zu unvollſtändige und oberflächliche Vergleichung der Verſteine— rungen mit den jetzt exiſtierenden Arten hatte auf Irrwege — 196 — geleitet, deren Spuren noch in den wunderſamen Benennungen gewiſſer Naturkörper zu entdecken ſind. Man wollte in allen untergegangenen Arten die lebenden erkennen, wie nach falſchen Analogieen man im 16. Jahrhunderte die Tiere des alten und, neuen Kontinents miteinander verwechſelte. Peter Camper, Sömmering und Blumenbach hatten das Verdienſt, durch die wiſſenſchaftliche Anwendung einer feineren vergleichenden Anatomie den oſteologiſchen Teil der Paläontologie (Alter— tumskunde des organiſchen Lebens), ſoweit derſelbe die großen foſſilen Wirbeltiere betrifft, zuerſt aufzuklären; aber die eigentliche geognoſtiſche Anſicht der Verſteinerungs⸗ lehre, die glückliche Verbindung der zoologiſchen Charaktere mit der Alters- und Auflagerungsfolge der Schichten, ver— dankt man der großen Arbeit von Georg Cuvier und Alexander Brongniart. Die älteſten Sedimentformationen, die des Tranfitions- gebirges, 1°° bieten in den organiſchen Reſten, welche fie ein— ſchließen, ein Gemiſch von Bildungen, die auf der Stufen— leiter der ſich allmählich vervollkommnenden Entwickelung einen ſehr verſchiedenen Platz einnehmen. Von Pflanzen enthalten ſie freilich nur einigen Seetang, Lykopodiaceen, die vielleicht baumartig waren, Egquiſetaceen und tropiſche Farne; aber von den tieriſchen Organismen finden wir ſonderbar zuſammen: Kruſtaceen (Trilobiten mit Netzaugen und Kalymenen), Brachio⸗ poden (Spirifer, Orthis), die zierlichen Sphäroniten, welche den Krinoiden nahe ſtehen, Orthoceratiten aus den Cephalo- poden, Steinkorallen, und mit dieſen niederen Organismen ſchon Fiſche von wunderbarer Geſtalt in oberen ſiluriſchen Schichten. Die ſchwergepanzerte Familie der Cephalaſpiden, aus welcher Fragmente der Gattung Pterichthys lange für Trilobiten gehalten wurden, gehören dem devoniſchen Gebilde (Old Red) ausſchließlich an, und zeigen, nach Agaſſiz, in der Reihe der Fiſchformen einen ſo eigentümlichen Typus als Ichthyoſauren und Pleſioſauren unter den Reptilien. Aus der Gruppe der Ammoniten beginnen die Goniatiten ebenfalls in dem Uebergangskalk und der Grauwacke der devoniſchen Schichten, ja ſelbſt in den letzten ſiluriſchen. Die Abhängigkeit phyſiologiſcher Abſtufung von dem Alter der Formationen, welche bisher in der Lagerung der wirbel— loſen Tiere wenig erkannt worden iſt, offenbart ſich auf das regelmäßigſte in den Vertebraten oder Wirbeltieren ſelbſt. Die älteſten unter dieſen ſind, wie wir eben geſehen, die Fiſche; =. 9 dann folgen nach der Reihe der Formationen, von den uns teren zu den oberen übergehend, Reptilien und Säugetiere. Das erſte Reptil (ein Saurier, Monitor nach Cuvier), das ſchon die Aufmerkſamkeit von Leibnitz!“ anregte, zeigte ſich im Kupferſchieferflöz des Zechſteins in Thüringen; mit ihm von gleichem Alter, nach Murchiſon, Paläoſaurus und Thecodonto— ſaurus von Briſtol. Die Saurier nehmen zu im Muſchelkalk, im Keuper und in der Juraformation, wo ſie ihr Maximum erreichen. Zur Zeit dieſer Formation lebten: Pleſioſauren mit 30 Wirbel langem Schwanenhalſe, der Megaloſaurus, ein krokodilartiges Ungeheuer von 45 Fuß (14,6 m) Länge und mit Fußknochen wie ein ſchweres Landſäugetier, 8 Arten groß— äugiger Ichthyoſauren, der Geoſaurus oder Sömmerings Lacerta gigantea, endlich 7 ſcheußlich wunderbare Ptero— daktylen !“? oder Saurier mit einer Flughaut. In der Kreide nimmt die Zahl der krokodilartigen Saurier ſchon ab; doch bezeichnen dieſe Epoche das ſogenannte Krokodil von Maſtricht (Moſoſaurus von Conybeare) und das koloſſale, vielleicht grasfreſſende Iguanodon. Tiere, die zum jetzigen Geſchlechte der Krokodile gehören, hat Cuvier bis in die Tertiär— formation aufſteigen ſehen; ja Scheuchzers Sintflutmenſch (homo diluvii testis), ein großer Salamander, mit dem Axolotl verwandt, welchen ich aus den Seen um Mexiko mitgebracht, gehört der neueſten Süßwaſſerformation von Oeningen an. ö Das relative Alter der Organismen, durch die Auf— lagerung der Gebirgsſchichten beſtimmt, hat zu wichtigen Re— ſultaten über die Verhältniſſe geführt, welche zwiſchen den untergegangenen und noch lebenden Geſchlechtern und Arten (letzteren, den Arten, in ſehr geringer Zahl) erkannt werden. Alte und neue Beobachtungen erweiſen, daß die Floren und Faunen um ſo verſchiedener von den jetzigen Geſtalten der Pflanzen und Tiere ſind, als die Sedimentformationen zu den unteren, d. h. älteren, gehören.“ Die numeriſchen Verhält— niſſe, welche dieſe große, von Cuvier zuerſt aufgeklärte Wechſel— erſcheinung des organiſchen Lebens darbietet, haben beſonders in den verſchiedenen Gruppen der Tertiärformation, die eine beträchtliche Maſſe genau unterſuchter Gebilde enthalten, durch die verdienſtvolle Arbeit von Deshayes und Lyell zu ent— ſcheidenden Ergebniſſen geleitet. Agaſſiz, der von 1700 Arten foſſiler Fiſche Kenntnis genommen, und die Zahl der leben— den Arten, welche beſchrieben ſind oder in Sammlungen auf— — 198 — bewahrt werden, auf 8000 ſchätzt, ſagt mit Beſtimmtheit in ſeinem Meiſterwerke, „daß er mit Ausnahme eines einzigen kleinen, den Thongeoden von Grönland eigentümlichen, foſ— ſilen Fiſches, in 1 5 Tranſitions-, Flöz- und Tertiärſchichten kein Tier dieſer Klaſſe gefunden habe, das ſpezifiſch identiſch mit einem jetzt noch lebenden Fiſche wäre“; er fügt die wich— tige Bemerkung hinzu, „daß in den unteren Tertiärgebilden, z. B. im Grobkalk und London Clay, ½ der foſſilen Fiſche bereits ganz untergegangenen Geſchlechtern zugehöre; unter der Kreide ſei kein einziges Fiſchgeſchlecht der heutigen Zeit mehr zu finden, und die wunderbare Familie der Sauroiden (Fiſche mit Schmelzſchuppen, die in der Bildung ſich faſt den Reptilien nähern und von der Kohlenformation, in welcher die größten Arten liegen, bis zu der Kreide vereinzelt aufſteigen) verhalte ſich zu den beiden Geſchlechtern (Lepidoſteus und Polypterus), welche die amerikaniſchen Flüſſe und den Nil be— völkern, wie unſere jetzigen Elefanten und Tapire zu den Maſtodonten und Anaplotherien der Urwelt“. Kreideſchichten aber, welche noch zwei dieſer Sauroiden— fiſche, und rieſenhafte Reptilien, wie eine ganze bereits unter— gegangene Welt von Korallen und Muſcheln darbieten, ſind, nach Ehrenbergs ſchöner Entdeckung, aus mikroſkopiſchen Poly: thalamien zuſammengeſetzt, deren viele noch heute in unſeren Meeren, und zwar in mittleren Breiten, in der Nord- und Oſtſee leben. Die erſte Gruppe der Tertiärformation über der Kreide, eine Gruppe, die man ſich gewöhnt hatte durch den Namen: Schichten der Eocänperiode zu bezeichnen, ver— dient alſo eigentlich dieſen Namen nicht, „da die Morgen— dämmerung der mit uns lebenden Natur viel tiefer in die Geſchichte der Erde reicht, als man bisher geglaubt hatte“. Wie die Fiſche, die älteſten aller Wirbeltiere, ſchon in ſiluriſchen Tranſitionsſchichten ſich zeigen und dann ununter— brochen durch alle Formationen durchgehen, bis in die Schichten der tertiären Zeit, wie wir die Saurier mit dem Zechſtein haben beginnen ſehen, ſo finden ſich die erſten Säugetiere (Thylacotherium Prevostii und T. Bucklandi, nach Valen— ciennes mit den Beuteltieren nahe verwandt) in der Jura- formation!“ (dem Stonesfieldſchiefer), und der erſte Vogel in den älteren Kreidegebilden.!““ Das ſind nach unſerem jetzigen Wiſſen die unteren Grenzen der Fiſche, der Saurier, der Säugetiere und der Vögel. Wenn aber auch von den wirbelloſen Tieren in den — 199 — älteſten Formationen Steinkorallen und Serpuliten mit ſehr ausgebildeten Cephalopoden und Kruſtaceen gleichzeitig, alſo die verſchiedenſten Ordnungen unabgeſondert erſcheinen, ſo ſind dagegen in vielen einzelnen Gruppen derſelben Ordnung ſehr beſtimmte Geſetze entdeckt worden. Muſchelverſteinerungen der— ſelben Art, Goniatiten, Trilobiten und Nummuliten, bilden ganze Berge. Wo verſchiedene Geſchlechter gemengt ſind, iſt nicht bloß oft eine beſtimmte Reihenfolge der Organismen nach Verhältnis der Auflagerung der Formationen erkannt worden, man hat auch in den untergeordneten Schichten der— ſelben Formation die Aſſociation gewiſſer Geſchlechter und Arten beobachtet. Durch die ſcharfſinnige Auffindung der Geſetze der Lobenſtellung hat Leopold von Buch die Unzahl der Ammoniten in ei geſonderte Familien geteilt und er: wieſen, wie die Ceratiten dem Muſchelkalk, die Widder (Arietes) dem Lias, die Goniatiten dem Tranſitionskalkſtein und der Grauwacke angehören. Belemniten haben ihre untere Grenze im Keuper, den der Jurakalkſtein bedeckt; ihre obere in der Kreide. Die Waſſer ſind zu denſelben Epochen in weit von— einander entfernten Weltgegenden durch Schaltiere belebt ge— weſen, die wenigſtens teilweiſe, wie man heute beſtimmt weiß, identiſch mit den in Europa foſſilen waren. Leopold von Buch hat aus der ſüdlichen Hemiſphäre (Vulkan Maypo in Chile Exogyren und Trygonien, d'Orbigny hat aus dem Himalaya— gebirge und den indiſchen Ebenen von Cutſch Ammoniten und Grypheen bezeichnet, der Art nach genau identiſch mit denen, welche aus dem alten Jurameer in Deutſchland und Frank— reich abgeſetzt worden ſind. Gebirgsſchichten, ausgezeichnet durch beſtimmte Arten der Petrefakte oder durch beſtimmte Geſchiebe, die ſie ent— halten, bilden einen geognoſtiſchen Horizont, nach welchem der forſchende Geognoſt, wo er zweifelhaft bleibt, ſich orientieren kann, und deſſen Verfolgung ſichere Auf— ſchlüſſe gewährt über die Identität oder das relative Alter der Formationen, über die periodiſche Wiederkehr gewiſſer Schichten, ihren Parallelismus oder ihre gänz— liche Suppreſſion (Verkümmerung). Wenn man ſo den Typus der Sedimentgebilde in der größten Einfachheit ſeiner r auffaſſen will, ſo folgen von unten nach oben:!“ 1) das ſogenannte Uebergangsgebirge in den zwei Abteilungen unterer und oberer Grauwacke (ſlu— — 200 — riſcher und devoniſcher Schichten, letztere vormals als alter roter Sandſtein bezeichnet; 2) die untere Trias,“ als Bergkalk, Steinfohlen: gebirge ſamt totliegendem, und Zechſtein; 3) die obere Trias, als bunter Sandſtein, Muſchel— kalk und Keuper; 4) der Jurakalk (Lias und Oolithen); 5) Quaderſandſtein, untere und obere Kreide, als die letzte der Flözſchichten, welche mit dem Berg— kalk beginnen; 6) Tertiärgebilde in drei Abteilungen, die durch Grobkalk, Braunkohle und Subapenninengerölle be— zeichnet werden. Im Schuttlande folgen dann die rieſenmäßigen Knochen vorweltlicher Säugetiere: Maſtodonten, Dinotherium, Miſſu— rium, und die Megatheriden, unter denen Owens faultier— artiger Mylodon 11 Fuß (3,5 m) Länge erreicht. Zu dieſen vorweltlichen Geſchlechtern geſellen ſich die foſſilen Reſte jetzt lebender Tiere: Elefant, Rhinoceros, Ochs, Pferd und Hirſch. Das mit Maſtodontenknochen überfüllte Feld bei Bogota (Campo de Gigantes), in dem ich ſorgfältig graben ließ, liegt 8200 Fuß (2663 m) über dem Meeresſpiegel, und in den Hochebenen von Mexiko gehören die gefundenen Gebeine unter— gegangener Arten wahrer Elefanten an. So wie die, ge— wiß zu ſehr ungleichen Epochen gehobene Andeskette, enthalten auch die Vorgebirge des Himalaya (die Sewalikhügel, welche der Kapitän Cautley und Dr. Falconer ſo eifrig durchſucht haben) neben den zahlreichen Maſtodonten, dem Sivatherium und der rieſenhaften, 12 Fuß (3,9 m) langen und % Fuß (1,95 m) hohen Landſchildkröte der Vorwelt (Colossochelys) Geſchlechter unſerer Zeit: Elefanten, Rhinoceros und Giraffen; ja, was ſehr zu beachten iſt, in einer Zone, die heute noch dasſelbe tropiſche Klima genießt, welches man zur Zeit der Maſtodonten vermuten darf. Nachdem wir die anorganiſchen Bildungsſtufen der Erd— rinde mit den tieriſchen Reſten verglichen haben, welche in derſelben begraben liegen, bleibt uns noch übrig, einen an— deren Teil der Geſchichte des organiſchen Lebens zu berühren: den der Vegetationsepochen, der mit der zunehmen— den Größe des trockenen Landes und den Modifikationen der Atmoſphäre wechſelnden Floren. Die älteſten Tranſitions— ſchichten zeigen, wie ſchon oben bemerkt, nur zellige Laub— 8 N pflanzen des Meeres. Erſt in den devoniſchen Schichten hat man von Gefäßpflanzen einige kryptogamiſche Formen (Kala— miten und Lykopodiaceen) beobachtet. Nichts ſcheint zu be— weiſen, wie man aus theoretiſchen Anſichten über Ein fach— heit der erſten Lebensformen hat annehmen wollen, daß das vegetabiliſche Leben früher als das animaliſche auf der alten Erde erwacht ſei, daß dieſes durch jenes bedingt ſei. Selbſt die Exiſtenz von Menſchenſtämmen, welche in die eiſige Gegend der nordiſchen Polarländer zurückgedrängt worden ſind und allein von Fiſchfang und Cetaceen leben, mahnt uns an die Möglichkeit der Entbehrung alles Pflanzenſtoffes. Nach den devoniſchen Schichten und dem Bergkalk erſcheint ein Ge— bilde, deſſen botaniſche Zergliederung in der neueſten Zeit ſo glänzende Fortſchritte gemacht hat. Die Steinkohlen— formation umfaßt nicht bloß farnartige kryptogamiſche Ge— wächſe und phanerogamiſche Monokotylen (Gräſer, yukkaartige Liliengewächſe und Palmen), ſie enthält auch gymnoſperme Dikotyledonen (Koniferen und Cykadeen). Faſt 400 Arten ſind ſchon aus der Flor der Steinkohlengebilde bekannt. Wir nennen nur hier die baumartigen Kalamiten und Lykopo— diaceen, ſchuppige Lepidodendreen, Sigillarien, bis zu 60 Fuß (20 m) Länge, und bisweilen aufwärts ſtehend eingewurzelt und ausgezeichnet durch ein doppeltes Gefäßbündelſyſtem; kaktusähnliche Stigmarien, eine Unzahl von Farnkräutern, teils als Stämme, teils als Wedel, und durch ihre Menge die noch ganz inſulare Geſtalt des trockenen Landes andeutend; Cykadeen), “s und beſonders Palmen, in geringer Zahl, Aſtero— phylliten mit quirlförmigen Blättern, den Najaden verwandt, araukarienartige Koniferen '°° mit ſchwachen Andeutungen von Jahresringen. Die Verſchiedenartigkeit des Charakters einer Vegetation, welche auf den trockengelegten und gehobenen Teilen des alten roten Sandſteins ſich üppig entwickelt hat, von der Pflanzenwelt der jetzigen Zeit erhält ſich auch in der ſpäteren Vegetationsperiode bis zu den letzten Schichten der Kreide; aber bei großer Fremdartigkeit der Formen zeigt die Stein— kohlenflora doch eine ſehr auffallende einförmige Verbreitung derſelben Geſchlechter (wenn auch nicht immer derſelben Arten) in allen Teilen der damaligen Erdoberfläche: in Neuholland, Kanada, Grönland und Melvilles Inſel. Die Vegetation der Vorwelt bietet vorzugsweiſe ſolche Geſtalten dar, welche durch gleichzeitige Verwandtſchaft mit mehreren Familien der jetzigen Welt daran erinnern, daß mit — 202 — ihr viele Zwiſchenglieder organiſcher Entwickelungsſtufen unter— gegangen ſind. So ſtehen, um nur zwei Beiſpiele anzuführen, die Arten von Lepidodendron nach Lindley zwiſchen den Koni— feren und den Lykopoditen, !?“ dahingegen die Araukariten und Piniten in der Vereinigung der Gefäßbündel etwas Fremd— artiges zeigen. Bleibt aber auch unſere Betrachtung allein auf die Jetztwelt beſchränkt, jo iſt die Auffindung von Cyka⸗ deen und Zapfenbäumen (Koniferen) in der alten Steinkohlen— flora neben den Sagenarien und dem Lepidodendron doch von großer Bedeutſamkeit. Die Koniferen haben nämlich nicht bloß Verwandtſchaft mit den Kupuliferen und den Betulineen, welchen wir ſie in der Braunkohlenformation beigeſellt ſehen, ſie haben ſie auch mit den Lykopoditen. Die Familie der jagoartigen Cykadeen nähert ſich im äußeren Anſehen den Palmen, während ſie im Bau der Blüten und Samen weſent— lich mit den Koniferen übereinſtimmt. Wo mehrere Stein— kohlenflöze übereinander liegen, ſind die Geſchlechter und Arten nicht immer gemengt, ſondern meiſt geſchlechterweiſe geordnet, ſo daß Lykopoditen und gewiſſe Farnkräuter ſich nur in einem Flöze, und Stigmarien und Sigillarien in einem anderen finden. Um ſich von der Ueppigkeit des Pflanzenwuchſes der Vorwelt und von der durch Strömungen angehäuften Maſſe des, gewiß!“ auf naſſem Wege in Kohle verwandelten, vege— tabiliſchen Stoffes einen Begriff zu machen, muß man ſich erinnern, daß in dem Saarbrücker Kohlengebirge 120 Kohlen— lagen übereinander liegen, die vielen ſchwachen, bis gegen einen Fuß dicken, ungerechnet; daß es Kohlenflöze von 30, ja zu Johnſtone (Schottland) und in Creuzot (Burgund) von mehr als 50 Fuß (9,75 bis 16,25 m) Mächtigkeit gibt, während in der Waldregion unſerer gemäßigten Zone die Kohle, welche die Waldbäume eines gegebenen Flächenraumes enthalten, dieſen Raum in 100 Jahren im Durchſchnitt nur mit einer Schichte von 7 Linien (0,0175 m) Dicke bedecken würde.!“ Nahe der Mündung des Miſſiſſippi und in den vom Admiral Wrangel beſchriebenen ſogenannten hölzernen Bergen des Sibiriſchen Eismeeres findet ſich noch jetzt eine ſolche Zahl von Baumſtämmen durch Flußverzweigungen und Meeres: ſtröme zuſammengetrieben, daß die Schichten des Treibholzes an die Vorgänge mahnen können, welche in den Binnenwaſſern und Inſelbuchten der Vorwelt die Erzeugung der Steinkohlen— ablagerungen veranlaßten. Dazu verdanken dieſe Ablage— rungen gewiß einen beträchtlichen Teil ihres Materials nicht P77 ⅛ —U.u.. ⅛ͤ²'ÄÄ —²«: ˙Et en kin Br den großen Baumſtämmen, ſondern kleinen Gräſern, Laub— klräutern und niedrigen Kryptogamen. Die Zuſammengeſellung von Palmen und Koniferen, die wir bereits in dem Steinkohlengebilde bezeichnet haben, geht fort faſt durch alle Formationen bis tief in die Tertiärperiode. In der jetzigen Welt ſcheinen ſie ſich eher zu fliehen. Wir haben uns, wenngleich mit Unrecht, jo gewöhnt, alle Koni- feren als eine nordiſche Form zu betrachten, daß ich ſelbſt, von den Küſten der Südſee nach Chilpanzingo und den Hoch— thälern von Mexiko aufſteigend, in Erſtaunen geriet, als ich zwiſchen der Venta de la Moxonera und dem Alto de los Caxones (3800 Fuß = 1234 m über dem Meeresſpiegel) einen ganzen Tag durch einen dichten Wald von Pinus occiden- talis ritt, in welchem dieſer, der Weimutsfichte ſo ähnliche Zapfenbaum einer mit vielfarbigen Papageien bedeckten Fächer— palme!“ (Corypha duleis) beigeſellt war. Südamerika nährt Eichen, aber keine einzige Pinusart, und das erſte Mal, als ich wieder die heimiſche Geſtalt einer Tanne ſah, erſchien ſie mir in der entfremdenden Nähe einer Fächerpalme. Auch im nordöſtlichſten Ende der Inſel Cuba!“ ebenfalls unter den Tropen, doch kaum über dem Meeresſpiegel erhoben, ſah auf ſeiner erſten Entdeckungsreiſe Chriſtoph Kolombus Koniferen und Palmen zuſammen wachſen. Der ſinnige, alles beachtende Mann merkt es, als eine Sonderbarkeit, in ſeinem Reiſe— journale an, und ſein Freund Anghiera, der Sekretär Ferdi— nands des Katholiſchen, ſagt mit Verwunderung, „daß in dem neu aufgefundenen Lande man palmeta und pineta beiſammen fände“. Es iſt für die Geologie von großem Intereſſe, die jetzige Verteilung der Pflanzen auf dem Erdboden mit der zu vergleichen, welche die Floren der Vorwelt offenbaren. Die temperierte Zone der waſſer- und inſelreichen ſüdlichen Hemi— ſphäre, in welcher Tropenformen ſich wunderbar unter die Formen älterer Erdſtriche miſchen, bietet nach Darwins ſchönen, lebensfriſchen Schilderungen die belehrendſten Beiſpiele für alte und neue, vorweltliche und dermalige Pflanzengeographie. Die vorweltliche iſt im eigentlichen Sinne des Wortes ein Teil der Pflanzengeſchichte. Die Cykadeen, welche der Zahl der Arten nach in der Vorwelt eine weit wichtigere Rolle als in der jetzigen ſpielten, en die ihnen verwandten Koniferen von dem Steinkohlen— gebilde aufwärts. Sie fehlen faſt gänzlich in der Epoche des bunten Sandſteins, in welchen Koniferen von ſeltener Bildung — 204 — (Voltzia, Haidingera, Albertia) üppig wachſen; die Cykadeen erlangen aber ihr Maximum in den Keuperſchichten und dem Lias, wo an 20 verſchiedene Formen auftreten. In der Kreide herrſchen Meerespflanzen und Najaden. Die Cykadeenwälder der Juraformation ſind dann längſt erſchöpft, und ſelbſt in den älteren Tertiärgebilden bleiben ſie tief hinter den Koni— feren und Palmen zurück.!“ Die Ligniten oder Braunkohlenſchichten, die in allen Abteilungen der Tertiärperiode vorhanden ſind, zeigen in den früheſten kryptogamiſche Landpflanzen, einige Palmen, viel Koniferen mit deutlichen Jahresringen, und Laubhölzer von mehr oder minder tropiſchem Charakter. In der mittleren tertiären Periode bemerkt man das völlige Zurücktreten der Palmen und Cykadeen, in der letzten endlich eine große Aehnlichkeit mit der gegenwärtigen Flora. Es erſcheinen plötz— lich und in Fülle unfere Fichten und Tannen, unſere Kupus liferen, Ahorn und Pappeln. Die Dikotylenſtämme der Braun⸗ kohle zeichnen ſich bisweilen durch rieſenmäßige Dicke und hohes Alter aus. Bei Bonn wurde ein Stamm gefunden, in dem Nöggerath 792 Jahresringe zählte. Im nördlichen Frankreich bei Yſeux (unfern Abbeville) ſind im Torfmoor der Somme Eichen von 14 Fuß (4,55 m) Durchmeſſer entdeckt, eine Dicke, die im alten Kontinent außerhalb der Wendekreiſe ſehr auf— fallend iſt. Nach Göpperts gründlichen Unterſuchungen, welche hoffentlich bald durch Kupfertafeln erläutert erſcheinen werden, „kommt aller baltiſche Bernſtein von einer Konifere, die, wie die vorhandenen Reſte des Holzes und der Rinde in ver— ſchiedenen Alterszuſtänden beweiſen, unſerer Weiß- und Rot⸗ tanne am nächſten kam, aber eine eigene Art bildete. Der Bernſteinbaum der Vorwelt (Pinites suceifer) hatte einen Harzreichtum, welcher mit dem keiner Konifere der Jetztwelt zu vergleichen iſt, da nicht bloß in und auf der Rinde, ſon— dern auch im Holze nach dem Verlauf der Markſtrahlen, die, wie die Holzzellen, unter dem Mikroſkope noch deutlich zu er— kennen ſind, wie peripheriſch zwiſchen den Holzringen große Maſſen Bernſteinharz, bisweilen weißer und gelber Farbe zu— gleich, abgelagert ſind. Unter den im Bernſtein eingeſchloſſenen Vegetabilien finden ſich männliche und weibliche Blüten von hei— miſchem Nadelholz und Kupuliferen; aber deutliche Fragmente von Thuja, Cupressus, Ephedera und Castania vesca, mit Wacholder und Tannen gemengt, deuten auf eine Vegetation, welche nicht die unſerer Oſtſeeküſten und der baltiſchen Ebene iſt“. 0 In dem geologischen Teile des Naturgemäldes find wir nun die ganze Reihe der Bildungen von dem älteſten Erup— tionsgeſtein und den älteſten Sedimentbildungen an bis zu dem Schuttlande durchlaufen, auf welchem die großen Felsblöcke liegen, über deren Verbreitungsurſache noch lange geſtritten werden wird, die wir aber geneigt ſind, minder tra— genden Eisſchollen als dem Durchbruch und Herabſturz zurück— gehaltener Waſſermaſſen bei Hebung der Gebirgsketten zuzu— jchreiben.!°° Das älteſte Gebilde der Tranſitionsformation, das wir kennen gelernt, ſind Schiefer und Grauwacke, welche einige Reſte von Seetang einſchließen aus dem Siluriſchen, einſt Kambriſchen Meere. Worauf ruhte dies ſogenannte älteſte Gebilde, wenn Gneis und Glimmerſchiefer nur als umgewandelte Sedimentſchichten betrachtet werden müſſen? Soll man eine Vermutung wagen über das, was nicht Gegen— ſtand einer wirklichen geognoſtiſchen Beobachtung ſein kann? Nach einer indiſchen Urmythe trägt ein Elefant die Erde; er ſelbſt, damit er nicht falle, wird wiederum von einer Rieſenſchildkröte getragen. Worauf die Schildkröte ruhe, iſt den gläubigen Brahminen nicht zu fragen erlaubt. Wir wagen uns hier an ein ähnliches Problem, wenn auch mannigfaltigen Tadels der Löſung gewärtig. Bei der erſten Bildung der Planeten, wie wir ſie in dem aſtronomiſchen Teile des Natur— gemäldes wahrſcheinlich gemacht, wurden dunſtförmige, um die Sonne zirkulierende Ringe in Kugeln geballt, die von außen nach innen allmählich erſtarrten. Was wir die älteren ſiluriſchen Schichten nennen, ſind nur obere Teile der feſten Erdrinde. Das Eruptionsgeſtein, das wir dieſe durchbrechen und heben ſehen, ſteigt aus uns unzulänglicher Tiefe empor; es exiſtiert demnach ſchon unter den ſiluriſchen Schichten, aus derſelben Aſſociation von Mineralien zuſammengeſetzt, die wir als Gebirgsarten, da, wo ſie durch den Ausbruch uns ſicht— bar werden, Granit, Augitfels oder Quarzporphyr nennen. Auf Analogieen geſtützt, dürfen wir annehmen, daß das, was weite Spalten gleichſam gangartig ausfüllt und die Sediment— ſchichten durchbricht, nur Zweige eines unteren Lagers ſind. Aus den größten Tiefen wirken die noch thätigen Vulkane, und nach den ſeltenen Fragmenten zu urteilen, die ich in ſehr verſchiedenen Erdſtrichen in den Lavaſtrömen habe eingeſchloſſen gefunden, halte auch ich es für mehr als wahrſcheinlich, daß ein uranfängliches Granitgeſtein die Unterlage des großen, mit ſo vielen organiſchen Reſten angefüllten Schichtenbaues — 206 — jet. Wenn olivinführende Baſalte ſich erſt in der Kreide epoche, Trachyte noch ſpäter ſich zeigen, ſo gehören die Ausbrüche des Granits dagegen, wie auch die Produkte der Metamorphoſe es lehren, in die Epoche der älteſten Sedimentſchichten der Tranſitionsformation. Wo die Er— kenntnis nicht aus der unmittelbaren Sinnesanſchauung er— wachſen kann, iſt es wohl erlaubt, auch nach bloßer In— duktion, wie nach ſorgfältiger Vergleichung der Thatſachen eine Vermutung aufzuſtellen, die dem alten Granit einen Teil der bedrohten Rechte und den Ruhm der Uranfäng— lichkeit wiedergibt. Die neueren Fortſchritte der Geognoſie, d. i. die erweiterte Kenntnis von den geognoſtiſchen Epochen, welche durch die mineralogiſche Verſchiedenheit der Gebirgsformationen, durch die Eigentümlichkeit und Reihenfolge der Organismen, die ſie enthalten, durch die Lagerung (Aufrichtung oder ungeſtörte Horizontalität der Schichten) charakeriſiert werden, leiten uns, dem inneren Kauſalzuſammenhang der Erſcheinungen folgend, auf die räumliche Verteilung der Feſte und des Flüſ— ſigen: der Kontinente und der Meere, welche die Oberfläche unſeres Planeten bilden. Wir deuten hier auf einen Ver— bindungspunkt zwiſchen der erdgeſchichtlichen und der geo— graphiſchen Geognoſie, auf die Totalbetrachtung der Geſtalt und Gliederung der Kontinente. Die Umgrenzung des Starren durch das Flüſſige, das Arealverhältnis des einen zum anderen iſt ſehr verſchieden geweſen in der langen Reihenfolge der geognoſtiſchen Epochen: je nachdem Steinkohlenſchichten ſich horizontal an die aufgerichteten Schichten von Bergkalk und altem roten Sandſtein, Lias und Jura ſich an das Geſtade von Keuper und Muſchelkalk, Kreide ſich an die Abhänge von Grünſand und Jurakalk ſedimentariſch angelehnt haben. Nennt man nun mit Elie de Beaumont Jura- und Kreidemeere die Waſſer, unter denen ſich Jurakalk und Kreide ſchlamm— artig niederſchlagen, ſo bezeichnen die Umriſſe der eben ge— nannten Formationen für zwei Epochen die Grenze zwiſchen dem noch ſteinbildenden Ozean und der ſchon trockengelegten Feſte. Man hat den ſinnreichen Gedanken gehabt, Karten für den phyſiſchen Teil der alten Geographie zu entwerfen: Karten, die vielleicht ſicherer ſind als die der Wanderungen der Jo oder der Homeriſchen Geographie. Die letzteren ſtellen Meinungen, mythiſche Gebilde graphiſch dar, die erſteren Thatſachen der poſitiven Formationslehre. Das Reſultat der Unterſuchungen über die Raumverhält— niſſe des trockenen Areals iſt: daß in den früheſten Zeiten, in der ſiluriſchen und devoniſchen Tranſitionsepoche, wie in der erſten Flözzeit, über die Trias hinaus, der kontinentale, mit Land— pflanzen bedeckte Boden auf einzelne Inſeln beſchränkt war; daß dieſe Inſeln ſich in ſpäteren Epochen miteinander ver— einigten und längs tief eingeſchnittener Meerbuſen viele Land— ſeen umſchloſſen; daß endlich, als die Gebirgsketten der Pyrenäen, der Apenninen und die Karpathen emporſtiegen, alſo gegen die Zeit der älteren Tertiärſchichten, große Kon— tinente faſt ſchon in ihrer jetzigen Größe erſchienen. In der Welt, wie in der Epoche der Cykadeenfülle und rieſenartiger Saurier mochte, von Pol zu Pol, des trockenen Landes wohl weniger ſein als zu unſerer Zeit in der Südſee und in dem Indiſchen Meere. Wie dieſe überwiegende Waſſermenge in Gemeinſchaft mit anderen Urſachen zur Erhöhung der Tem— peratur und zu größerer Gleichmäßigkeit der Klimate beige— tragen hat, wird ſpäter entwickelt werden. Hier muß nur noch in der Betrachtung der allmählichen Vergrößerung (Agglutination) der gehobenen trockenen Erdſtriche bemerkt werden, daß kurz vor den Ummälzungen,'?” welche, nach kürzeren oder längeren Pauſen, in der Diluvialperiode den plötzlichen Untergang ſo vieler rieſenartiger Wirbeltiere herbeigeführt haben, ein Teil der jetzigen Kontinentalmaſſen doch ſchon vollkommen voneinander getrennt waren. Es herrſcht in Südamerika und in den Auſtralländern eine große Aehnlichkeit zwiſchen den dort lebenden und den untergegan— genen Tieren. In Neuholland hat man foſſile Reſte vom Känguruh, in Neuſeeland halbfoſſile Knochen eines unge— heuren ſtraußartigen Vogels, Owens Dinornis, entdeckt, welcher nahe mit der jetzigen Apteryx, wenig aber mit dem erſt ſpät untergegangenen Dronte (Dodo) von der Inſel Rodriguez verwandt iſt. Die derzeitige Geſtaltung der Kontinente verdankt viel— leicht großenteils ihre Hebung über dem umgebenden Waſſer— ſpiegel der Eruption der Quarzporphyre: einer Eruption, welche die erſte große Landflora, das Material des Steinkohlen— gebirges, ſo gewaltſam erſchüttert hat. Was wir Flachland der Kontinente nennen, ſind aber nur die breiten Rücken von Hügeln und Gebirgen, deren Fuß in dem Meeresboden liegt. Jedes Flachland iſt nach ſeinen ſubmariniſchen Verhältniſſen eine Hochebene, deren Unebenheiten durch neue Sediment— — 208 — formationen, in horizontaler Lage abgeſetzt, wie durch ange— ſchwemmtes Schuttland verdeckt werden. Unter den allgemeinen Betrachtungen, die in ein Natur— gemälde gehören, nimmt den erſten Rang ein die Quantität der über dem Meeresſpiegel hervorragenden und gehobenen Feſte; dieſer Beſtimmung des räumlichen Maßes folgt dann die Betrachtung der individuellen Geſtaltung in horizon— taler Ausdehnung (Gliederungsverhältniſſe) oder in ſenk— rechter Erhebung (hypſometriſche Verhältniſſe der Gebirgs— ketten). Unſer Planet hat zwei Umhüllungen: eine all⸗ gemeine, den Luftkreis, als elaſtiſche Flüſſigkeit, und eine partikuläre, nur lokal verbreitete, die Feſte umgrenzende und dadurch ihre Figur bedingende, das Meer. Beide Um⸗ hüllungen des Planeten, Luft und Meer, bilden ein Natur: ganzes, welches der Erdoberfläche die Verſchiedenheit der Klimate gibt: nach Maßgabe der relativen Ausdehnung von Meer und Land, der Gliederung und Orientierung der Feſte, der Richtung und Höhe der Gebirgsketten. Aus dieſer Kennt— nis der gegenſeitigen Einwirkung von Luft, Meer und Land ergibt ſich, daß große meteorologiſche Phänomene, von geo— gnoſtiſchen Betrachtungen getrennt, nicht verſtanden werden können. Die Meteorologie, wie die Geographie der Pflanzen und Tiere haben erſt begonnen, einige Fortſchritte zu machen, ſeitdem man ſich von der gegenſeitigen Abhängigkeit der zu ergründenden Erſcheinungen überzeugt hat. Das Wort Klima bezeichnet allerdings zuerſt eine ſpezifiſche Beſchaffenheit des Luftkreiſes, aber dieſe Beſchaffenheit iſt abhängig von dem perpetuierlichen Zuſammenwirken einer all- und tiefbewegten, durch Strömungen von ganz entgegengeſetzter Temperatur durchfurchten Meeresfläche mit der wärmeſtrahlenden trockenen Erde, die mannigfaltig gegliedert, erhöht, gefärbt, nackt oder mit Wald und Kräutern bedeckt iſt. In dem jetzigen Zuſtande der Oberfläche unſeres Pla⸗ neten verhält ſich das Areal der Feſte zu dem des Flüſſigen wie 1 zu 2°; (nach Rigaud wie 100: 270). Die Inſeln bilden dermalen kaum "ss der Kontinentalmaſſen. Letztere ſind ſo ungleich verteilt, daß ſie auf der nördlichen Halbkugel dreimal ſo viel Land darbieten als auf der ſüdlichen. Die ſüdliche Hemiſphäre iſt alſo recht eigentlich vorherrſchend ozeaniſch. Von 40° ſüdlicher Breite an gegen den antark— tiſchen Pol hin iſt die Erdrinde faſt ganz mit Waſſer bedeckt. Ebenſo vorherrſchend und nur von ſparſamen Inſelgruppen ea unterbrochen iſt das flüſſige Element zwiſchen der Oſtküſte der Alten und der Weſtküſte der Neuen Welt. Der gelehrte Hydrograph Fleurieu hat dieſes weite Meerbecken mit Recht zum Unterſchiede aller anderen Meere den Großen Ozean genannt. Es nimmt derſelbe unter den Wendetreiſen einen Raum von 145 Längengraden ein. Die ſüdliche und weſtliche Hemiſphäre (weſtlich vom Meridian von Tenerifa aus ge— rechnet) ſind alſo die waſſerreichſten Regionen der ganzen Erdoberfläche. Dies ſind die Hauptmomente der Betrachtung über die relative Quantität des Feſtlandes und der Meere: ein Ver— hältnis, das auf die Verteilung der Temperatur, den ver— änderten Luftdruck, die Windesrichtung und den, die Vege— tationskraft weſentlich beſtimmenden Feuchtigkeitsgehalt der Atmoſphäre ſo mächtig einwirkt. Wenn man bedenkt, daß faſt / der Oberfläche '°° des Planeten mit Waſſer bedeckt ſind, ſo iſt man minder verwundert über den unvollkommenen Zuſtand der Meteorologie bis zu dem Anfange des jetzigen Jahrhunderts: einer Epoche, in welcher zuerſt eine beträchtliche Maſſe genauer Beobachtungen über die Temperatur des Meeres unter verſchiedenen Breiten und in verſchiedenen Jahreszeiten erlangt und numeriſch miteinander verglichen wurden. Die horizontale Geſtaltung des Feſtlandes in ſeinen all— gemeinſten Verhältniſſen der Ausdehnung iſt ſchon in frühen Zeiten des griechiſchen Altertums ein Gegenſtand ſinnreicher Betrachtungen geweſen. Man ſuchte das Maximum der Aus— dehnung von Weſten nach Oſten, und Dicäarchus nach dem Zeugnis des Agathemerus fand es in der Breite von Rhodos, in der Richtung von den Säulen des Herkules bis Thinä. Das iſt die Linie, welche man den Parallel des Diaphragma des Dicäarchus nannte, und über deren aſtronomiſche Richtigkeit der Lage, die ich an einem anderen Orte unterſucht, man mit Recht erſtaunen muß. Strabo, wahrſcheinlich durch Eratoſthenes geleitet, ſcheint ſo überzeugt geweſen zu ſein, daß dieſer Parallel von 36, als Maximum der Ausdehnung in der ihm bekannten Welt, einen inneren Grund der Erdgeſtaltung habe, daß er das Feſtland, welches er prophetiſch in der nördlichen Halbkugel zwiſchen Iberien und der Küſte von Thinä vermutete, ebenfalls unter dieſem Breitengrade verkündigte. Wenn, wie wir ſchon oben bemerkt, auf der einen Halb— kugel der Erde (man mag dieſelbe durch den Aequator oder A. v. Humboldt, Kosmos. I. 14 210 — durch den Meridian von Tenerifa halbieren) beträchtlich mehr Land ſich über den Meeresſpiegel erhoben hat als auf der entgegengeſetzten, ſo haben die beiden großen Ländermaſſen, wahre vom Ozean auf allen Seiten umgebene Inſeln, welche wir die öſtliche und weſtliche Feſte, den alten und neuen Kontinent nennen, neben dem auffallenditen Kon— traſte der Totalgeſtaltung oder vielmehr der Orientierung ihrer größten Achſen doch im einzelnen manche Aehnlich— keit der Konfiguration, beſonders der räumlichen Beziehungen zwiſchen den einander gegenüberſtehenden Küſten. In der öſt— lichen Feſte iſt die vorherrſchende Richtung, die Lage der langen Achſe, von Oſten gegen Weſten (beſtimmter von Südweſt gegen Nordoſt), in der weſtlichen Feſte aber von Süden nach Norden, meridianartig (beſtimmter von SSO nach NNW). Beide Ländermaſſen find im Norden in der Richtung eines Breitenparallels (meiſt in dem von 70°) abgeſchnitten; im Süden laufen ſie in pyramidale Spitzen aus, meiſt mit ſubmaritimer Verlängerung in Inſeln und Bänken. Dies bezeugen der Archipel der Tierra del Fuego, die Lagulhas⸗ bank ſüdlich vom Vorgebirge der guten Hoffnung, Vandiemens⸗ land, durch die Baßſtraße von Neuholland (Auſtralien) ges trennt. Das nördliche aſiatiſche Geſtade überſteigt im Kap Taimyr (78° 16“ nach Kruſenſtern) den oben genannten Parallel, während es von der Mündung des großen Tſchu— kotſchjafluſſes an öſtlich gegen die Beringsſtraße hin im öſt— lichſten Vorgebirge Aſiens, in Cooks Oſtkap, nur 66° 3° nach Beechey erreicht.!?? Das nördliche Ufer des neuen Kontinents folgt ziemlich genau dem Parallelkreis von 70°, da ſüdlich und nördlich von der Barrowſtraße, von Boothia Felix und Viktorialand alles Land nur abgeſonderte Inſeln ſind. Die pyramidale Geſtaltung aller ſüdlichen Endſpitzen der Kontinente gehört unter die similitudines physicae in con- figuratione Mundi, auf welche ſchon Baco von Verulam im Neuen Organon aufmerkſam machte und an die Cooks Begleiter auf der zweiten Weltumſegelung, Reinhold Forſter, ſcharfſinnige Betrachtungen geknüpft hat. Wenn man von dem Meridian von Tenerifa ſich gegen Oſten wendet, ſo ſieht man die Endſpitzen der drei Kontinente, nämlich die Süd— ſpitzen von Afrika (als dem Extrem der ganzen Alten Welt), von Auſtralien und von Südamerika, ſtufenweiſe ſich dem Südpol mehr nähern. Das volle 12 Breitengrade lange Neu— ſeeland bildet ſehr regelmäßig ein Zwiſchenglied zwiſchen — 211 — Auſtralien und Südamerika, ebenfalls mit einer Inſel (Neu— leinſter) endigend. Eine merkwürdige Erſcheinung iſt noch, daß faſt ganz unter denſelben Meridianen, unter welchen in der Ländermaſſe des alten Kontinents ſich die größte Aus— dehnung gegen Süden zeigt, auch die nördlichen Geſtade am höchſten gegen den Nordpol vordringen. Dies ergibt ſich aus der Vergleichung des Vorgebirges der guten Hoffnung und der Bank Lagulhas mit dem europäiſchen Nordkap, der Halbinſel Malakka mit dem ſibiriſchen Kap Taimyr.?““ Ob feſtes Land die beiden Erdpole umgürtet, oder ob die Pole nur von einem Eismeere umfloſſen, mit Flözlagen von Eis (eritarrtem Waſſer) bedeckt ſind, wiſſen wir nicht. An dem Nordpol iſt man bis 82° 55“ Breite, an dem Südpol nur bis zu dem Parallel von 78° 10° gelangt.“ So wie die großen Ländermaſſen pyramidal enden, fo wiederholt ſich dieſe Geſtaltung auch mannigfaltig im kleinen: nicht bloß im Indiſchen Ozean (Halbinſeln von Arabien, Hin— doſtan und Malakka), ſondern auch, wie ſchon Eratoſthenes und Polybius bemerkten, im Mittelmeer, wo ſie die iberiſche, italiſche und helleniſche miteinander ſinnig verglichen haben. Europa, mit einem Areal fünfmal kleiner als das von Aſien, iſt gleichſam nur eine weſtliche vielgegliederte Halbinſel des aſiatiſchen, faſt ungegliederten Weltteils; auch beweiſen die klimatiſchen Verhältniſſe Europas, daß es ſich zu Aſien ver— hält wie die peninſulare Bretagne zum übrigen Frankreich.?“ Wie die Gliederung eines Kontinents, die höhere Entwickelung ſeiner Form zugleich auf die Geſittung und den ganzen Kultur— zuſtand der Völker wirkt, bemerkt ſchon Strabo, indem er unſeres kleinen Weltteils „vielgeſtaltete Form“ als einen beſonderen Vorzug preiſt. Afrika?»? und Südamerika, die ohnedies ſo viel Aehnlichkeit in ihrer Konfiguration zeigen, ſind unter allen großen Ländermaſſen diejenigen, welche die einfachſte Küftenform haben. Nur das öſtliche Litorale von Aſien bietet, wie von der öſtlichen Meeresſtrömung zertrümmert (fractas ex aequore terras), eine mannigfaltige, geſtalten— reiche Form dar. Halbinſeln und nahe Eilande wechſeln dort miteinander vom Aequator an bis 60 Breite. Unſer Atlantiſcher Ozean trägt alle Spuren einer Thal— bildung. Es iſt als hätten flutende Waſſer den Stoß erſt gegen Nordoſt, dann gegen Nordweſt, und dann wiederum nordöſtlich gerichtet. Der Parallelismus der Küſten nördlich von 10° ſüdl. Breite an, die vor- und einſpringenden Winkel, die Konvexität von Brafilien dem Golf von Guinea gegenüber, die Konvexität von Afrika unter einerlei Breiten mit dem antilliſchen Meerbuſen ſprechen für dieſe gewagt ſcheinende Anſicht. Hier im atlantiſchen Thale, wie faſt überall in der Geſtaltung großer Ländermaſſen, ſtehen eingeſchnittene und inſelreiche Ufer den uneingeſchnittenen entgegen. Ich habe längſt darauf aufmerkſam gemacht, wie geognoſtiſch denlwürdig auch die Vergleichung der Weſtküſten von Afrika und Süd— amerika in der Tropenzone ſei. Die buſenförmige Einbeugung des afrikaniſchen Geſtades bei Fernando Po (4% “ nördlicher Breite) wiederholt ſich in dem Südſeegeſtade unter 18 ½“ ſüdlicher Breite in dem Wendepunkt bei Arica, wo (zwiſchen dem Valle de Arica und dem Morro de Juan Diaz) die peruaniſche Küſte plötzlich ihre Richtung von Süden nach Norden in eine nordweſtliche verwandelt. Dieſe Veränderung der Richtung erſtreckt ſich in gleichem Maße auf die, in zwei Paralleljöcher geteilte, hohe Andeskette: nicht bloß auf die dem Litorale ?°* nahe, ſondern auch auf die öſtliche: den früheſten Sitz menſchlicher Kultur im ſüdamerikaniſchen Hoch— lande, wo das kleine Alpenmeer von Titicaca von den Berg: koloſſen des Sorata und Illimani begrenzt wird. Weiter gegen Süden, von Valdivia und Chiloe an (40° bis 42% ſüdl. Breite) durch den Archipel de los Chonos bis zum Feuer⸗ lande, findet ſich die ſeltene Fjordbildung wiederholt (das Gewirre ſchmaler, tief eindringender Buſen), welche in der nördlichen Hemiſphäre die Weſtküſten von Norwegen und Schottland charakteriſiert. Dies ſind die allgemeinſten Betrachtungen über die der— malige Geſtaltung der Kontinente (die Ausdehnung des Feſt⸗ landes in horizontaler Richtung), wie ſie der Anblick der Oberfläche unſeres Planeten veranlaßt. Wir haben hier That— ſachen zuſammengeſtellt, Analogieen der Form in entfernten Erdſtrichen, die wir nicht Geſetze der Form zu nennen wagen. Wenn man an dem Abhange eines noch thätigen Vulkans, z. B. am Veſuv, die nicht ungewöhnliche Erſcheinung partieller Hebungen beachtet, in denen kleine Teile des Bodens, vor einem Ausbruch oder während desſelben, ihr Niveau um mehrere Fuß bleibend verändern und dachförmige Gräten oder flache Erhöhungen bilden, ſo erkennt der Wanderer, wie von geringfügigen Zufällen der Kraftintenſität unterirdiſcher Dämpfe und der Größe des zu überwindenden Widerſtandes es ab— hangen muß, daß die gehobenen Teile dieſe oder jene Form — 213 — und Richtung annehmen. Ebenſo mögen geringe Störungen des Gleichgewichts im Inneren des Planeten die hebenden elaſtiſchen Kräfte beſtimmt haben, mehr gegen die nördliche als gegen die ſüdliche Erdhälfte zu wirken, das Feſtland in der öſtlichen Erdhälfte als eine breite zuſammenhängende Maſſe mit der Hauptachſe faſt dem Aequator parallel, in der weſtlichen, mehr ozeaniſchen Hälfte ſchmal und meridian— artig aufzutreiben. Ueber den Kauſalzuſammenhang ſolcher großen Begeben— heiten der Länderbildung, der Aehnlichkeit und des Kon— traſtes in der Geſtaltung, iſt wenig empiriſch zu ergründen. Wir erkennen nur das eine: daß die wirkende Urſache unter— irdiſch iſt, daß die jetzige Länderform nicht auf einmal ent⸗ ſtanden, ſondern, wie wir ſchon oben bemerkt, von der Epoche der ſiluriſchen Formation (neptuniſchen Abſcheidung) bis zu den Tertiärſchichten nach mannigfaltigen oszillierenden Hebun⸗ gen und Senkungen des Bodens ſich allmählich vergrößert hat und aus einzelnen kleineren Kontinenten zuſammengeſchmolzen iſt. Die dermalige Geſtaltung iſt das Produkt zweier Urſachen, die aufeinander folgend gewirkt haben: einmal einer unter: irdiſchen Kraftäußerung, deren Maß und Richtung wir zu— fällig nennen, weil wir ſie nicht zu beſtimmen vermögen, weil ſie ſich für unſeren Verſtand dem Kreiſe der Not— wendigkeit entziehen; zweitens der auf der Oberfläche wir- kenden Potenzen, unter denen vulkaniſche Ausbrüche, Erd— beben, Entſtehung von Bergketten und Meeresſtrömungen die Hauptrolle geſpielt haben. Wie ganz anders würde der Temperaturzuſtand der Erde, und mit ihm der Zuſtand der Vegetation, des Ackerbaues und der menſchlichen Geſellſchaft ſein, wenn die Hauptachſe des neuen Kontinents einerlei Richtung mit der des alten hätte; wenn die Andeskette, ſtatt meridianartig, von Oſten nach Weſten aufgeſtiegen wäre; wenn ſüdlich von Europa kein feſtes, wärmeſtrahlendes Tropenland (Afrika) läge; wenn das Mittelmeer, das einſt mit dem Kaſpi⸗ ſchen und Roten Meere zuſammenhing und ein ſo weſentliches Beförderungsmittel der Völkergeſittung geworden iſt, nicht exiſtierte; wenn ſein Boden zu gleicher Höhe mit der lombar— diſchen und kyrenaiſchen Ebene gehoben worden wäre! Die Veränderungen des gegenſeitigen Höhenverhältniſſes der flüſſigen und ſtarren Teile der Erdoberfläche (Verände— rungen, welche zugleich die Umriſſe der Kontinente beſtimmen, mehr niedriges Land trocken legen oder dasſelbe überfluten) — 214 — ſind mannigfaltigen, ungleichzeitig wirkenden Urſachen zuzu— ſchreiben. Die mächtigſten ſind unſtreitig geweſen: die Kraft der elaſtiſchen Dämpfe, welche das Innere der Erde einſchließt; die plötzliche Temperaturveränderung ?’ mächtiger Ge— birgsſchichten; der ungleiche ſäkulare Wärmeverluſt der Erd— rinde und des Erdkernes, welcher eine Faltung (Runzelung) der ſtarren Oberfläche bewirkt; örtliche Modifikationen der An— ziehungsfraft ?°° und durch dieſelben hervorgebrachte veränderte Krümmung einer Portion des flüſſigen Elementes. Daß die Hebung der Kontinente eine wirkliche Hebung, nicht bloß eine ſcheinbare, der Geſtalt der Oberfläche des Meeres zu— gehörige ſei, ſcheint, nach einer jetzt allgemein verbreiteten Anſicht der Geognoſten, aus der langen Beobachtung zuſammen- hängender Thatſachen, wie aus der Analogie wichtiger vul— kaniſcher Erſcheinungen zu folgen.?'? Auch das Verdienſt dieſer Anſicht gehört Leopold von Buch, der ſie in ſeiner denkwürdigen, in den Jahren 1806 und 1807 vollbrachten Reiſe durch Norwegen und Schweden :°® 9. wodurch ſie zuerſt in die Wiſſenſchaft eingeführt ward. Wäh⸗ rend die ganze ſchwediſche und finnländiſche Küſte von der Grenze des nördlichen Schonens, (Sölvitsborg) über Gefle bis Torneä, und von Tornes bis Abo ſich hebt (in einem Jahr: hundert bis 4 Fuß = 1,30 m), ſinkt nach Nilſon das ſüd— liche Schweden.???“ Das Maximum der hebenden Kraft ſcheint im nördlichen Lappland zu liegen. Die Hebung nimmt gegen Süden bis Kalmar und Sölvitsborg allmählich ab. Linien des alten Meeresniveaus aus vorhiſtoriſchen Zeiten ſind in ganz Norwegen vom Kap Lindesnäs bis zum äußerſten Nord— kap durch Muſchelbänke des jetzigen Meeres bezeichnet und neuerlichſt von Bravais während des langen winterlichen Aufenthaltes in Boſekop auf das genaueſte gemeſſen wor— den.?!“ Sie liegen bis 600° Fuß (195 m) hoch über dem jetzigen mittleren Meeresſtande, und erſcheinen nach Keilhau und Eugen Robert auch dem Nordkap gegenüber (in NNW) an den Küſten von Spitzbergen. Leopold von Buch, der am früheſten auf die hohe Muſchelbank bei Tromſoe (Breite 69400 aufmerkſam gemacht, hat aber ſchon gezeigt, daß die älteren Hebungen am nordiſchen Meere zu einer anderen Klaſſe von Erſcheinungen gehören als das ſanfte (nicht plötzliche oder ruckweiſe) Aufſteigen des ſchwediſchen Litorale im Bottniſchen Meerbuſen. Die letztere, durch ſichere hiſtoriſche Zeugniſſe wohl bewährte Erſcheinung darf ebenfalls nicht mit der — 215 — Niveauveränderung des Bodens bei Erdbeben (wie an den Küſten von Chile und Cutſch) verwechſelt werden. Sie hat ganz neuerlich zu ähnlichen Beobachtungen in anderen Ländern Veranlaſſung gegeben. Dem Aufſteigen entſpricht bisweilen als Folge der Faltung der Erdſchichten ein bemerkbares Sinken: ſo in Weſt-Grönland (nach Pingel und Graah), in Dalmatien und in Schonen. Wenn man es für überaus wahrſcheinlich hält, daß im Jugendalter unſeres Planeten die oszillierenden Bewegungen des Bodens die Hebung und Senkung der Oberfläche inten— ſiver als jetzt waren, “!! jo darf man weniger erſtaunt ſein, im Inneren der Kontinente ſelbſt noch einzelne Teile der Erdoberfläche zu finden, welche tiefer als der dermalige, überall gleiche Meeresſpiegel liegen. Beiſpiele dieſer Art bieten dar die vom General Andreéoſſy beſchriebenen Natron: ſeen, die kleinen bitteren Seen auf der Landenge von Suez, das Kaſpiſche Meer, der See Tiberias und vor allem das Tote Meer.?! Das Niveau der Waſſer in den beiden letzten Seen iſt 625 und 1230 Fuß (207 und 400 m) niedriger als der Waſſerſpiegel des Mittelländiſchen Meeres. Wenn man das Schuttland, welches die Steinſchichten in ſo vielen ebenen Gegenden der Erde bedeckt, plötzlich wegnehmen könnte, ſo würde ſich offenbaren, wie viele Teile der felſigen Erdober— fläche auch dermalen tiefer liegen als der jetzige Waſſerſpiegel. Das periodiſche, wenngleich unregelmäßig wechſelnde Steigen und Fallen der Waſſer des Kaſpiſchen Meeres, wovon ich ſelbſt in dem nördlichen Teile dieſes Beckens deutliche Spuren geſehen, ſcheint zu beweiſen,?!? wie die Beobachtungen von Darwin in den Korallenmeeren, daß, ohne eigentliches Erd— beben, der Erdboden noch jetzt derſelben ſanften und fort— ſchreitenden Oszillationen fähig iſt, welche in der Urzeit, als die Dicke der ſchon erharteten Erdrinde geringer war, ſehr allgemein geweſen ſind. Die Erſcheinungen, auf welche wir hier die Aufmerkſam— keit heften, mahnen an die Unbeſtändigkeit der gegenwärtigen Ordnung der Dinge, an die Veränderungen, denen nach langen Zeitintervallen der Umriß und die Geſtaltung der Kontinente ſehr wahrſcheinlich unterworfen ſind. Was für die nächſten Menſchenalter kaum bemerkbar iſt, häuft ſich in Perioden an, von deren Länge uns die Bewegung ferner Himmelskörper das Maß gibt. Seit 8000 Jahren iſt vielleicht das öſtliche Ufer der ſkandinaviſchen Halbinſel um 320 Fuß (104 m) . et geſtiegen; in 12000 Jahren werden, wenn die Bewegung gleich— mäßig iſt, Teile des Meerbodens, welche dem Ufer der Halb— inſel nahe liegen und heute noch mit einer Waſſerſchicht von beinahe 50 Braſſen Dicke bedeckt ſind, an die Oberfläche kommen und anfangen trocken zu liegen. Was iſt aber die Kürze dieſer Zeiten gegen die Länge der geognoſtiſchen Perioden, welche die Schichtenfolge der Formationen und die Scharen untergegan— gener, ganz verſchiedenartiger Organismen uns offenbaren! Wie wir hier nur das Phänomen der Hebung betrachten, ſo können wir, auf die Analogieen beobachteter Thatſachen geſtützt, in gleichem Maße auch die Möglichkeit des Sinkens, der Depreſſion ganzer Landſtriche annehmen. Die mittlere Höhe des nicht gebirgigen Teils von Frankreich beträgt noch nicht volle 480 Fuß (156 m). Mit älteren geognoſtiſchen Perioden verglichen, in denen größere Veränderungen im Inneren des Erdkörpers vorgingen, gehört alſo eben nicht eine ſehr lange Zeit dazu, um ſich beträchtliche Teile vom nordweſtlichen Europa bleibend überſchwemmt, in ihren Litorale— umriſſen weſentlich anders geſtaltet zu denken, als ſie es der— malen ſind. Sinken und Steigen des Feſten oder des Flüſſigen — in ihrem einſeitigen Wirken ſo entgegengeſetzt, daß das Steigen des einen das ſcheinbare Sinken des anderen hervorruft — ſind die Urſache aller Geſtaltveränderungen der Kontinente. In einem allgemeinen Naturgemälde, bei einer freien, nicht einſeitigen Begründung der Erſcheinungen in der Natur muß daher wenigſtens auch der Möglichkeit einer Waſſervermin— derung, eines wirklichen Sinkens des Meeresſpiegels Erwäh— nung geſchehen. Daß bei der ehemaligen erhöhten Temperatur der Erdoberfläche, bei der größeren, waſſerverſchluckenden Zer— klüftung derſelben, bei einer ganz anderen Beſchaffenheit der Atmoſphäre einſt große Veränderungen im Niveau der Meere ſtattgefunden haben, welche von der Zu- oder Abnahme des Tropfbarflüſſigen auf der Erde abhingen: iſt wohl keinem Zweifel unterworfen. In dem dermaligen Zuſtande unſeres Planeten fehlt es aber bisher gänzlich an direkten Beweiſen für eine reelle, fortdauernde Ab- oder Zunahme des Meeres, es fehlt auch an Beweiſen für allmähliche Veränderungen der mittleren Barometerhöhe im Niveau der Meere an denſelben Beobachtungspunkten. Nach Dauſſys und Antonio Nobiles Erfahrungen würde Vermehrung der Barometerhöhe ohnedies von ſelbſt eine Erniedrigung des Waſſerſpiegels hervorbringen. 3 Da aber der mittlere Druck der Atmoſphäre im Niveau des Ozeans aus meteorologiſchen Urſachen der Windesrichtung und Feuchtigkeit nicht unter allen Breiten derſelbe iſt, ſo würde das Barometer allein nicht einen ſicheren Zeugen der Niveau— veränderung des Tropfbarflüſſigen abgeben. Die denkwürdigen Erfahrungen, nach denen im Anfange dieſes Jahrhunderts wiederholt einige Häfen des Mittelmeeres viele Stunden lang ganz trocken lagen, ſcheinen zu beweiſen, daß in ihrer Richtung und Stärke veränderte Meeresſtrömungen, ohne wirkliche Waſſer— verminderung, ohne eine allgemeine Depreſſion des ganzen Ozeans, ein örtliches Zurücktreten des Meeres und ein per— manentes Trockenlegen von einem kleinen Teile des Litorale veranlaſſen können. Bei den Kenntniſſen, die wir neuerlichſt von dieſen verwickelten Erſcheinungen erlangt haben, muß man ſehr vorſichtig in ihrer Deutung ſein, da leicht einem der „alten Elemente“, dem Waſſer, zugeſchrieben wird, was zwei anderen, der Erde oder der Luft, angehört. Wie die Geſtaltung der Kontinente, die wir bisher in ihrer horizontalen Ausdehnung geſchildert haben, durch äußere Gliederung, d. i. vielfach eingeſchnittene Küſten— umriſſe, einen wohlthätigen Einfluß auf das Klima, den Handel und die Fortſchritte der Kultur ausübt, ſo gibt es auch eine Art der inneren Gliederung durch ſenkrechte Erhebung des Bodens (Bergzüge und Hochebenen), welche nicht minder wich— tige Folgen hat. Alles, was auf der Oberfläche des Planeten, dem Wohnſitze des Menſchengeſchlechtes, Abwechſelung der Formen und Vielgeſtaltung (Polymorphie) erzeugt (neben den Bergketten große Seen, Grasſteppen, ſelbſt Wüſten, von Waldgegenden küſtenartig umgeben), prägt dem Völkerleben einen eigentümlichen Charakter ein. Schneebedeckte Hochmaſſen hindern den Verkehr; aber ein Gemiſch von niedrigeren abge— ſonderten Gebirgsgliedern und Tiefländern, wie ſo glück— lich ſie das weſtliche und ſüdliche Europa darbietet, verviel— fältigt die meteorologiſchen Prozeſſe, wie die Produkte des ee es erzeugt auch, weil dann jedem Erdſtrich, ſelbſt unter denſelben Breitengraden, andere Kulturen ange— hören, Bedürfniſſe, deren Befriedigung die Thätigkeit der Ein— wohner anregt. So haben die furchtbaren Umwälzungen, welche infolge einer Wirkung des Inneren gegen das Aeußere durch plötzliches Aufrichten eines Teils der oxydierten Erdrinde das Emporſteigen mächtiger Gebirgsketten veranlaßten, dazu gedient, nach Wiederherſtellung der Ruhe, nach dem Wieder— — 218 — erwachen ſchlummernder Organismen den Feſten beider Erd— hälften einen ſchönen Reichtum individueller Bildungen zu ver⸗ leihen, ihnen wenigſtens dem größeren Teile nach die öde Einförmigkeit zu nehmen, welche verarmend auf die phyſiſchen und intellektuellen Kräfte der Menſchheit einwirkt. Jedem Syſteme dieſer Bergketten iſt nach den großartigen Anſechten von Elie de Beaumont ein relatives Alter ange⸗ wieſen, ſo daß das Aufſteigen der Bergkette notwendig zwiſchen die Ablagerungszeiten der aufgerichteten und der bis zum Fuß der Berge ſich horizontal erſtreckenden Schichten fallen muß. Die Faltungen der Erdrinde (Aufrichtungen der Schichten), welche von gleichem geognoſtiſchem Alter ſind, ſcheinen ſich dazu einer und derſelben Richtung anzuſchließen. Die Strei⸗ chungslinie der aufgerichteten Schichten iſt nicht immer der Achſe der Ketten parallel, ſondern durchſchneidet bisweilen dieſelbe, ſo daß dann, meiner Anſicht nach, das Phänomen der Auf— richtung der Schichten, die man ſelbſt in der angrenzenden Ebene wiederholt findet, älter ſein muß als die Hebung der Kette. Die Hauptrichtung des ganzen Feſtlandes von Europa (Südweſt gegen Nordoſt) iſt den großen Erdſpalten entgegen— geſetzt, welche ſich (Nordweſt gegen Südoſt) von den Mün⸗ dungen des Rheins und der Elbe durch das Adriatiſche und Rote Meer, wie durch das Bergſyſtem des Puſchti-Kuh in Luriſtan nach dem Perſiſchen Meerbuſen und dem Indiſchen Ozean hinziehen. Ein ſolches faſt rechtwinkeliges Durchkreuzen geodäſiſcher Linien hat einen mächtigen Einfluß ausgeübt auf die Handelsverhältniſſe von Europa mit Aſien und dem nord⸗ weſtlichen Afrika, wie auf den Gang der Civiliſation an den vormals glücklicheren Ufern des Mittelmeers. 21“ Wenn mächtige und hohe Gebirgsketten als Zeugen großer Erdrevolutionen, als Grenzſcheiden der Klimate, als Waſſer⸗ verteiler oder als Träger einer anderen Pflanzenwelt unſere Einbildungskraft beſchäftigen, ſo iſt es um ſo notweniger, durch eine richtige numeriſche Schätzung ihres Volums zu zeigen, wie gering im ganzen die Quantität der gehobenen Maſſen im Vergleich mit dem Areal ganzer Länder iſt. Die Maſſe der Pyrenäen z. B., einer Kette, von der die mittlere Höhe des Rückens und der Flächeninhalt der Baſis, welche ſie be— deckt, durch genaue Meſſungen bekannt ſind, würde, auf das Areal von Frankreich geſtreut, letzteres Land nur um 108 Fuß (35 m) erhöhen. Die Maſſe der öſtlichen und weſtlichen Alpen— kette würde in ähnlichem Sinne die Höhe des Flachlandes von — 219 — Europa nur um 20 Fuß (6,5 m) vermehren. Durch eine mühevolle Arbeit,?! die aber ihrer Natur nach nur eine obere Grenze, d. i. eine Zahl gibt, welche wohl kleiner, aber nicht größer ſein kann, habe ich gefunden, daß der Schwerpunkt des Volums der über dem jetzigen Meeresſpiegel gehobenen Länder in Europa und Nordamerika 630 (205 m) und 702 (228 m), in Aſien und Südamerika 1062 (341 m) und 1080 Fuß (351 m) hoch liegt. Dieſe Schätzungen bezeichnen die Niedrigkeit der nördlichen Regionen; die großen Steppen des Flachlandes von Sibirien werden durch die ungeheure An— ſchwellung des aſiatiſchen Bodens zwiſchen den Breitengraden von 28 ½ “ bis 40°, zwiſchen dem Himalaya, dem nordtibe— tiſchen Kuen-lün und dem Himmelsgebirge, kompenſiert. Man lieſt gewiſſermaßen in den gefundenen Zahlen, wo die pluto— niſchen Mächte des inneren Erdkörpers am ſtärkſten in der Hebung der Kontinentalmaſſen gewirkt haben. Nichts kann uns Sicherheit geben, daß jene plutoniſchen Mächte im Lauf kommender Jahrhunderte den von Elie de Beaumont bisher aufgezählten Bergſyſtemen verſchiedenen Al— ters und verſchiedener Richtung nicht neue hinzufügen werden. Warum ſollte die Erdrinde ſchon die Eigenſchaft ſich zu falten verloren haben? Die faſt zuletzt hervorgetretenen Gebirgs— ſyſteme der Alpen und der Andeskette haben im Montblanc und Monte Roſa, im Sorata, Illimani und Chimborazo Ko— loſſe gehoben, welche eben nicht auf eine Abnahme in der Intenſität der unterirdiſchen Kräfte ſchließen laſſen. Alle geo— gnoſtiſchen Phänomene deuten auf periodiſche Wechſel von Thätig— keit und Ruhe. Die Ruhe, die wir genießen, iſt nur eine ſcheinbare. Das Erdbeben, welches die Oberfläche unter allen Himmelsſtrichen, in jeglicher Art des Geſteins erſchüttert, das aufſteigende Schweden, die Entſtehung neuer Ausbruchsinſeln zeugen eben nicht für ein ſtilles Erdenleben. Die beiden Umhüllungen der ſtarren Oberfläche unſeres Planeten, die tropfbarflüſſige und die luftförmige, bieten, neben den Kontraſten, welche aus der großen Verſchiedenheit ihres Aggregat- und Elaſtizitätszuſtandes entſtehen, auch, wegen der Verſchiebbarkeit der Teile, durch ihre Strömungen und ihre Temperaturverhältniſſe mannigfaltige Analogieen dar. Die Tiefe des Ozeans und des Luftmeeres ſind uns beide unbe— kannt. Im Ozean hat man an einigen Punkten, unter den Tropen, in einer Tiefe von 25300 Fuß (8218 m) (mehr als einer geographiſchen Meile) noch keinen Grund gefunden; im PD >= letzteren, falls es, wie Wollaſton will, begrenzt alſo und wellen— ſchlagend iſt, läßt das Phänomen der Dämmerung auf eine wenigſtens neunmal größere Tiefe ſchließen. Das Luftmeer ruht teils auf der feſten Erde, deren Bergketten und Hoch— ebenen, wie wir ſchon oben bemerkt, als grüne, waldbewachſene Untiefen aufſteigen, teils auf dem Ozean, deſſen Oberfläche den beweglichen Boden bildet, auf dem die unteren dichteren, waſſergetränkten Luftſchichten gelagert ſind. N Von der Grenze beider, des Luftmeeres und des Ozeans, an aufwärts und abwärts ſind Luft- und Waſſerſchichten be⸗ ſtimmten Geſetzen der Wärmeabnahme unterworfen. In dem Luftmeer iſt dieſe Wärmeabnahme um vieles langſamer als im Ozean. Das Meer hat unter allen Zonen eine Ten- denz, die Wärme ſeiner Oberfläche in den der Luft nächſten Waſſerſchichten zu bewahren, da die erkalteten Teile als die ſchwereren hinabſteigen. Eine große Reihe ſorgfältiger Tem— peraturbeobachtungen lehrt, daß in dem gewöhnlichen und mittleren Zuſtande feiner Oberfläche der Ozean, vom Aequa— tor an bis 48° nördlicher und ſüdlicher Breite, etwas wärmer iſt als die zunächſt liegenden Luftſchichten. Wegen der mit der Tiefe abnehmenden Temperatur können Fiſche und andere Bewohner des Meeres, die vielleicht wegen der Natur ihrer Kiemen- und Hautreſpiration tiefe Waſſer lieben, ſelbſt unter den Wendekreiſen nach Willkür die niedrige Temperatur, das kühle Klima finden, welche ihnen in höheren Breiten unter der gemäßigten und kalten Zone vorzugsweiſe zuſagten. Dieſer Umſtand, analog der milden, ja ſelbſt kalten Alpen⸗ luft auf den Hochebenen der heißen Zone, übt einen weſent— lichen Einfluß aus auf die Migration und die geographiſche Verbreitung vieler Seetiere. Die Tiefe, in der die Fiſche leben, modifiziert durch vermehrten Druck gleichmäßig ihre Hautreſpiration und den Sauer- und Stickſtoffgehalt der Schwimmblaſe. Da ſüßes und ſalziges Waſſer nicht bei derſelben Tem— peratur das Maximum ihrer Dichtigkeit erreichen und der Salzgehalt des Meeres den Thermometergrad der größten Dichtigkeit herabzieht, ſo hat man auf den Reiſen von Kotzebue und Dupetit-Thouars aus den pelagiſchen Abgründen Waſſer ſchöpfen können, welche die niedrige Temperatur von 2%8 und 2% hatten. Dieſe eiſige Temperatur des Meerwaſſers herrſcht auch in der Tiefe der Tropenmeere, und ihre Exiſtenz hat zuerſt auf die Kenntnis der unteren Polarſtröme geleitet, die von den beiden Polen gegen den Aequator hin gerichtet ſind. Ohne dieſe unterſeeiſche Zuſtrömung würden die Tropen— meere in jenen Abgründen nur diejenige Temperatur haben können, welche dem Maximum der Kälte gleich iſt, die örtlich die herabſinkenden Waſſerteilchen an der wärmeſtrahlenden und durch Luftkontakt erkälteten Oberfläche im Tropenklima er— langen. In dem Mittelländiſchen Meere wird, wie Arago ſcharfſinnig bemerkt, die große Erkältung der unteren Waſſer— ſchichten bloß darum nicht gefunden, weil das Eindringen des tiefen Polarſtromes in die Straße von Gibraltar, wo an der Oberfläche das Atlantiſche Meer von Weſten gegen Oſten einſtrömt, durch eine oſtweſtliche untere Gegen— ſtrömung des Mittelländiſchen Meeres in den Atlantiſchen Ozean gehindert wird. Die im allgemeinen die Klimate ausgleichende und mil— dernde eee Umhüllung unſeres Planeten zeigt da, wo ſie nicht von pelagiſchen Strömen kalter und warmer Waſſer durchfurcht wird, fern von den Küſten in der Tropenzone, be— ſonders zwiſchen 10“ nördlicher und 10° ſüdlicher Breite, in Strecken, die Tauſende von Quadratmeilen einnehmen, eine bewundernswürdige Gleichheit und Beſtändigkeit der Tem— peratur. Man hat daher mit Recht gejagt, ?!“ daß eine genaue und lange fortgeſetzte Ergründung dieſer thermiſchen Verhält— niſſe der Tropenmeere uns auf die einfachſte Weiſe über das große, vielfach beſtrittene Problem der Konſtanz der Klimate und der Erdwärme unterrichten könne. Große Revolutionen auf der leuchtenden Sonnenſcheibe würden ſich demnach, wenn ſie von langer Dauer wären, gleichſam in der veränderten mittleren Meereswärme, ſicherer noch als in den mittleren Temperaturen der Feſte, reflektieren. Die Zonen, in welchen die Maxima der Dichte (des Salzgehaltes) und der Temperatur liegen, fallen nicht mit dem Aequator zuſammen. Beide Maxima ſind voneinander getrennt, und die wärmſten Waſſer ſcheinen zwei nicht ganz parallele Banden nördlich und ſüdlich vom geographiſchen Aequator zu bilden. Das Maximum des Salz⸗ gehalts 11“ fand Lenz, auf feiner Reiſe um die Erde, im Stillen Meere in 22° nördlicher und 17“ ſüdlicher Breite. Wenige Grade ſüdlich von der Linie lag ſogar die Zone des geringſten Salzgehaltes. In den Regionen der Windſtille kann die Sonnenwärme wenig die Verdunſtung befördern, weil eine mit Salzdunſt geſchwängerte Luftſchicht dort unbewegt und unerneuert auf der Oberfläche des Meeres ruht. Die Oberfläche aller miteinander zuſammenhangenden Meere muß im allgemeinen hinſichtlich ihrer mittleren Höhe als vollkommen in Niveau ſtehend betrachtet werden. Oertliche Urſachen (wahrſcheinlich herrſchende Winde und Strömungen) haben aber in einzelnen tiefeingeſchnittenen Buſen, z. B. im Roten Meere, permanente, wenngleich geringe Verſchiedenheiten des Niveaus hervorgebracht. An der Landenge von Suez beträgt der höhere Stand der Waſſer über denen des Mittel⸗ meers zu verſchiedener Tagesſtunde 24 und 30 Fuß (7,8 bis 9,75 m). Die Form des Kanals (Bab⸗el-Mandeb), durch welchen die indiſchen Waſſer leichter ein- als ausſtrömen können, ſcheint zu dieſer merkwürdigen permanenten, ſchon im Altertum bekannten Erhöhung der Oberfläche des Roten Meeres mit bei— zutragen. Die vortrefflichen geodätiſchen Operationen von Coraboeuf und Deleros zeigen längs der Kette der Pyrenäen wie zwiſchen den Küſten von Nordholland und Marſeille keine bemerkbare Verſchiedenheit der Gleichgewichtsoberfläche des Ozeans und des Mittelmeers. ?!“ Störungen des Gleichgewichts und die dadurch erregte Bewegung der Waſſer find: teils unregelmäßig und vorüber⸗ gehend vom Winde abhängig, und Wellen erzeugend, die fern von den Küſten im offenen Meere, im Sturm, über 35 Fuß (11,37 m) Höhe anſteigen, teils regelmäßig und periodiſch durch die Stellung und Anziehung der Sonne und des Mondes bewirkt (Ebbe und Flut); teils permanent, doch in ungleicher Stärke, als pelagiſche Strömung. Die Erſcheinungen der Ebbe und Flut, über alle Meere verbreitet (außer den kleinen und ſehr eingeſchloſſenen, wo die Flutwellen kaum oder gar nicht merklich wird), ſind durch die Newtonſche Naturlehre vollſtändig erklärt, d. h. in den Kreis des Notwendigen zurückgeführt. Jede dieſer periodiſch wiederkehrenden Schwan⸗ kungen des Meerwaſſers iſt etwas länger als ein halber Tag. Wenn ſie im offenen Weltmeer kaum die Höhe von einigen Fußen betragen, ſo ſteigen ſie als Folge der Konfiguration der Küſten, die ſich der kommenden Flutwelle entgegenſetzen, in St. Malo zu 50 (16,25 m), in Acadien zu 65 bis 70 Fuß (21 bis 22,75 m). „Unter der Vorausſetzung, daß die Tiefe des Meeres vergleichungsweiſe mit dem Halbmeſſer der Erde nicht bedeutend ſei, hat die Analyſe des großen Geometers Laplace bewieſen, wie die Stetigkeit des Gleichgewichts des Meeres fordere, daß die Dichte ſeiner Flüſſigkeit kleiner ſei als die mittlere Dichte der Erde. In der That iſt die letztere, Dj . , „ 3 wie wir oben geſehen, fünfmal jo groß als die des Waſſers. Das hohe Land kann alſo nie überflutet werden, und die auf den Gebirgen gefundenen Ueberreſte von Seetieren können keineswegs durch ehemals höhere Fluten (durch die Stellung der Sonne und des Mondes veranlaßt) in dieſe Lage ge— kommen ſein.“ Es iſt kein geringes Verdienſt der Analyſe, die in den unwiſſenſchaftlichen Kreiſen des ſogenannten bürger— lichen Lebens vornehm verſchmäht wird, daß Laplaces voll— endete Theorie der Ebbe und Flut es möglich gemacht hat, in unſeren aſtronomiſchen Ephemeriden die Höhe der bei jedem Neu: und Vollmonde zu erwartenden Springfluten vorher zu verkündigen und ſo die Küſtenbewohner auf die eintretende, beſonders bei der Mondnähe noch vermehrte Gefahr aufmerk— ſam zu machen. Ozeaniſche Strömungen, welche einen ſo wichtigen Ein— ſluß auf den Verkehr der Nationen und auf die klimatiſchen Verhältniſſe der Küſten ausüben, ſind faſt gleichzeitig von einer Menge ſehr verſchiedenartiger, teils großer, teils ſcheinbar kleiner Urſachen abhängig. Dahin gehören: die um die Erde fortſchreitende Erſcheinungszeit der Ebbe und Flut, die Dauer und Stärke der herrſchenden Winde, die durch Wärme und Salzgehalt unter verſchiedenen Breiten und Tiefen modi— fizierte Dichte und ſpezifiſche Schwere der Waſſerteilchen, 2!“ die von Oſten nach Weſten ſucceſiv eintretenden und unter den Tropen ſo regelmäßigen, ſtündlichen Variationen des Luftdruckes. Die Strömungen bieten das merkwürdige Schau— ſpiel dar, daß ſie von beſtimmter Breite in verſchiedenen Rich— tungen das Meer flußartig durchkreuzen, während daß nahe Waſſerſchichten unbewegt gleichſam das Ufer bilden. Dieſer Unterſchied der bewegten und ruhenden Teile iſt am auffallend— ſten, wo lange Schichten von fortgeführtem Seetang die Schätzung der Geſchwindigkeit der Strömung erleichtern. In den unteren Schichten der Atmoſphäre bemerkt man bei Stürmen bisweilen ähnliche Erſcheinungen der begrenzten Luftſtrömung. Mitten im dichten Walde werden die Bäume nur in einem ſchmalen Längenſtreifen umgeworfen. Die allgemeine Bewegung der Meere zwiſchen den Wende— kreiſen von Oſten nach Weiten (Aequatorial- oder Rota— tionsſtrom genannt) wird als eine Folge der fortſchreitenden Flutzeit und der Paſſatwinde betrachtet. Sie verändert ihre Richtung durch den Widerſtand, welchen ſie an den vorliegen— den öſtlichen Küſten der Kontinente findet. Das neue Reſultat, 2 welches Dauſſy aus der Bewegung aufgefangener, von Reiſen— den abſichtlich ausgeworfener Flaſchen geſchöpft hat, ſtimmt bis auf is mit der Schnelligkeit der Bewegung überein (10 franzöſiſche milles marins, jedes zu 952 Toiſen = 1855 m, alle 24 Stunden), welche ich nach der Vergleichung früherer Erfahrungen gefunden hatte. Schon in dem Schiffsjournal ſeiner dritten Reiſe (der erſten, in welcher er gleich im Meri— dian der kanariſchen Inſeln in die Tropengegend zu gelangen ſuchte) ſagt Chriſtoph Kolumbus: 22 „Ich halte es für auss gemacht, daß die Meereswaſſer ſich von Oſten gen Weſten bewegen, wie der Himmel (las aguas van con los cielos);“ d. i. wie die ſcheinbare Bewegung von Sonne, Mond und allen Geſtirnen. Die ſchmalen Ströme, wahre ozeaniſche Flüſſe, welche die Weltmeere durchſtreifen, führen warme Waſſer in höhere oder kalte Waſſer in niedere Breiten. Zu der erſten Klaſſe gehört der berühmte, von Enghiera und beſonders von Sir Humphrey Gilbert bereits im 16. Jahrhundert erkannte Atlantiſche Golfſtrom, deſſen erſter Anfang und Impuls ſüdlich vom Vorgebirge der guten Hoffnung zu ſuchen iſt, 221 und der in ſeinem großen Kreislaufe aus dem Meer der An— tillen und dem Mexikaniſchen Meerbuſen durch die Bahama— ſtraße ausmündet, von Süd-Süd-Weſt gegen Nord-Nord-Oſt gerichtet, ſich immer mehr und mehr von dem Litorale der Vereinigten Staaten entfernt und, bei der Bank von Neu— fundland oſtwärts abgelenkt, häufig tropiſche Samen (Mimosa scandens, Guilandina bonduc, Dolichos urens) an die Küſten von Irland, von den Hebriden und von Norwegen wirft. Seine nordöſtlichſte Verlängerung trägt wohlthätig zu der minderen Kälte des Seewaſſers und des Klimas an dem nörd— lichſten Kap von Skandinavien bei. Wo der warme Golfſtrom ſich von der Bank von Neufundland gegen Oſten wendet, ſendet er unweit der Azoren einen Arm gegen Süden. Dort liegt das Sargaſſomeer, die große Fukusbank, welche ſo lebhaft die Einbildungskraft von Chriſtoph Kolumbus be— ſchäftigte und welche Oviedo die Tangwieſen (Praderias de yerva) nennt. 222 Eine Unzahl kleiner Seetiere bewohnen dieſe ewig grünenden, von lauen Lüften hin und her bewegten Maſſen von Fucus natans, einer der verbreitetſten unter den geſelligen Pflanzen des Meeres. Das Gegenſtück zu dieſem, faſt ganz der nördlichen Hemi— ſphäre zugehörigen Strom im Atlantiſchen Meeresthale — 225 — zwiſchen Afrika, Amerika und Europa bildet eine Strömung in der Südſee, deren niedrige, auch auf das Klima des Lito— rales bemerkbar einwirkende Temperatur ich im Herbſt 1802 zuerſt aufgefunden habe. Sie bringt die kalten Waſſer der hohen ſüdlichen Breiten an die Küſten von Chile, folgt den Küſten dieſes Landes und denen von Peru erſt von Süden gegen Norden, dann (von der Bucht bei Arica an) von Süd— Süd⸗Oſt gegen Nord-Nord-Weſt. Mitten in der Tropengegend hat dieſer kalte ozeaniſche Strom zu gewiſſen Jahreszeiten nur 15% (12 ¼ o R.), während daß die ruhenden Waſſer außer— halb des Stromes eine Temperatur von 27%5 und 287 (22 bis 23“ R.) zeigen. Wo das Litorale von Südamerika, ſüdlich von Payta, am meiſten gegen Weſten vorſpringt, beugt der Strom ſich plötzlich in derſelben Richtung von dem Lande ab, von Oſten gegen Weſten gewandt, ſo daß man, weiter nach Norden ſchiffend, von dem kalten Waſſer plötzlich in das warme gelangt. Man weiß nicht, wie weit die ozeaniſchen Ströme, warme und kalte, gegen den Meeresboden hin ihre Bewegung fort— pflanzen. Die Ablenkung der ſüdafrikaniſchen Strömung durch die volle, 70 bis 80 Braſſen tiefe Lagulhasbank ſcheint eine ſolche Fortpflanzung zu erweiſen. Sandbänke und Untiefen, außer— halb der Strömungen gelegen, ſind mehrenteils, nach der Ent— deckung des edlen Benjamin Franklin, durch die Kälte der Waſſer erkennbar, welche auf denſelben ruhen. Dieſe Er— niedrigung der Temperatur ſcheint mir in dem Umſtande ge— gründet, daß durch Fortpflanzung der Bewegung des Meeres tiefe Waſſer an den Rändern der Bänke aufſteigen und ſich mit den oberen vermiſchen. Mein verewigter Freund Sir Humphrey Davy dagegen ſchrieb die Erſcheinung, von der die Seefahrer oft für die Sicherheit der Schiffahrt praktiſchen Nutzen ziehen könnten, dem Herabſinken der an der Oberfläche nächtlich erkalteten Waſſerteilchen zu. Dieſe bleiben der Ober— fläche näher, weil die Sandbank ſie hindert, in größere Tiefe herabzuſinken. Das Thermometer iſt durch Franklin in ein Senkblei umgewandelt. Auf den Untiefen entſtehen häufig Nebel, da ihre kälteren Waſſer den Dunſt aus der Seeluft niederſchlagen. Solche Nebel habe ich, im Süden von Ja— maika und auch in der Südſee, den Umriß von Bänken ſcharf und fern erkennbar bezeichnen geſehen. Sie ſtellen ſich dem Auge wie Luftbilder dar, in welchen ſich die Geſtaltungen des unterſeeiſchen Bodens abſpiegeln. Eine noch merkwürdigere A. v. Humboldt, Kosmos. I. : 15 — 226 — Wirkung der waſſererkältenden Untiefen iſt die, daß ſie, faſt wie flache Korallen- oder Sandinſeln, auch auf die höheren Luftſchichten einen bemerkbaren Einfluß ausüben. Fern von allen Küſten, auf dem hohen Meere, bei ſehr heiterer Luft ſieht man oft Wolken ſich über die Punkte lagern, wo die Untiefen gelegen ſind. Man kann dann, wie bei einem hohen Gebirge, bei einem iſolierten Pik, ihre Richtung mit dem Kompaß aufnehmen. Aeußerlich minder geſtaltenreich als die Oberfläche der Kontinente, bietet das Weltmeer bei tieferer Ergründung ſeines Inneren vielleicht eine reichere Fülle des organiſchen Lebens dar, als irgendwo auf dem Erdraume zuſammengedrängt iſt. Mit Recht bemerkt in dem anmutigen Journal ſeiner weiten Seereiſen Charles Darwin, daß unſere Wälder nicht ſo viele Tiere bergen als die niedrige Waldregion des Ozeans: wo die am Boden wurzelnden Tanggeſträuche der Untiefen oder die frei ſchwimmenden, durch Wellenſchlag und Strömung los— geriſſenen Fucuszweige ihr zartes, durch Luftzellen empor— gehobenes Laub entfalten. Durch Anwendung des Mikroskops ſteigert ſich noch mehr, und auf eine bewundernswürdige Weiſe, der Eindruck der Allbelebtheit des Ozeans: das überraſchende Bewußtſein, daß überall ſich hier Empfindung regt. In Tiefen, welche die Höhe unſerer mächtigen Gebirgsketten überſteigen, iſt jede der aufeinander gelagerten Waſſerſchichten mit poly⸗ gaſtriſchen Seegewürmen, Cyklidien und Ophrydinen belebt. Hier ſchwärmen, jede Welle in einen Lichtſaum verwandelnd und durch eigene Witterungsverhältniſſe an die Oberfläche ge— lockt, die zahlloſe Schar kleiner, funkelnd-blitzender Leuchttiere: Mammarien aus der Ordnung der Akalephen, Kruſtaceen, Peridinium und kreiſende Nereidinen. Die Fülle dieſer kleinen Tiere und des animaliſchen Stoffes, den ihre ſchnelle Zerſtörung liefert, iſt jo unermeß⸗ lich, daß das ganze Meerwaſſer für viele größere Seegeſchöpfe eine nährende Flüſſigkeit wird. Wenn ſchon der Reichtum an belebten Formen, die Unzahl der verſchiedenartigſten mikro— ſkopiſchen und doch teilweiſe ſehr ausgebildeten Organismen die Phantaſie anmutig beſchäftigt; ſo wird dieſe noch auf eine ernſtere, ich möchte ſagen feierlichere Weiſe angeregt durch den Anblick des Grenzenloſen und Unermeßlichen, welchen jede Seefahrt darbietet. Wer, zu geiſtiger Selbſtthätigkeit er— weckt, ſich gern eine eigene Welt im Inneren bauet, den erfüllt der Schauplatz des freien, offenen Meeres mit dem 4 > J N f > l 1 erhabenen Bilde des Unendlichen. Sein Auge feſſelt vor: zugsweiſe der ferne Horizont, wo unbeſtimmt wie im Dufte Waſſer und Luft aneinander grenzen, in den die Geſtirne hinabſteigen und aus dem ſie ſich erneuern vor den Schiffen— den. Zu dem ewigen Spiel dieſes Wechſels miſcht ſich, wie überall bei der menſchlichen Freude, ein Hauch wehmütiger Sehnſucht. Eigentümliche Vorliebe für das Meer; dankbare Erinne— rung an die Eindrücke, die mir das bewegliche Element, zwiſchen den Wendekreiſen, in friedlicher nächtlicher Ruhe oder auf— geregt im Kampf der Naturkräfte gelaſſen, haben allein mich beſtimmen können, den individuellen Genuß des Anblicks vor dem wohlthätigen Einfluſſe zu nennen, welchen unbeſtreit— bar der Kontakt mit dem Weltmeer auf die Ausbildung der Intelligenz und des Charakters vieler Völkerſtämme, auf die Vervielfältigung der Bande, die das ganze Menſchengeſchlecht umſchlingen ſollen, auf die Möglichkeit zur Kenntnis der Ge— ſtaltung des Erdraums zu gelangen, endlich auf die Vervoll— kommnung der Aſtronomie und aller mathematiſchen und phyſikaliſchen Wiſſenſchaften ausgeübt hat. Ein Teil dieſes Einfluſſes war anfangs auf das Mittelmeer und die Geſtade des ſüdweſtlichen Aſiens beſchränkt; aber von dem 16. Jahr— hundert an hat er ſich weit verbreitet, und auf Völker er— ſtreckt, die fern vom Meere im Inneren der Kontinente leben. Seitdem Kolumbus ?? „den Ozean zu entfeſſeln ge ſandt war“ (ſo rief ihm auf ſeinem Krankenlager, im Traumgeſicht am Fluſſe Belen, eine unbekannte Stimme zu), hat auch der Menſch ſich geiſtig freier in unbekannte Re— gionen gewagt. Die zweite und zwar äußerſte und allgemein verbreitete Umhüllung unſeres Planeten, das Luftmeer, auf deſſen niederem Boden oder Untiefen (Hochebenen und Bergen) wir leben, bietet ſechs Klaſſen der Naturerſcheinungen dar, welche den innigſten Zuſammenhang miteinander zeigen, und aus der chemiſchen Zuſammenſetzung der Atmoſphäre, aus den Ver— änderungen der Diaphanität, Polariſation und Färbung, aus denen der Dichtigkeit oder des Druckes, der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Elektrizität entſtehen. Enthält die Luft im Sauerſtoff das erſte Element des phyſiſchen Tierlebens, ſo muß in ihrem Daſein noch eine andere Wohlthat, man möchte ſagen höherer Art, bezeichnet werden. Die Luft iſt die „Trägerin des Schalles“, alſo auch die Trägerin der — 228 — Sprache, der Mitteilung der Ideen, der Geſelligkeit unter den Völkern. Wäre der Erdball der Atmoſphäre beraubt, wie unſer Mond, ſo ſtellte er ſich uns in der Phantaſie als eine klang— loſe Einöde dar. Das Verhältnis der Stoffe, welche den uns zugänglichen Schichten des Luftkreiſes angehören, iſt ſeit dem Anfange des 19. Jahrhunderts ein Gegenſtand von Unterſuchungen ge— weſen, an denen Gay-Luſſac und ich einen thätigen Anteil genommen haben. Erſt ganz neuerlich hat durch die vortreff— lichen Arbeiten von Dumas und Bouſſingault auf neuen und ſicheren Wegen die chemiſche Analyſe der Atmoſphäre einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht. Nach dieſer Ana— lyſe enthält die trockene Luft in Volum 20,8 Sauerſtoff und 79,2 Stickſtoff; dazu 2 bis 5 Zehntauſendteile Kohlenſäure, eine noch kleinere Quantität von gekohltem Waſſerſtoff,?““ und nach den wichtigen Verſuchen von Sauſſure und Liebig Spuren von Ammoniakaldämpfen, die den Pflanzen ihre ſtick— ſtoffhaltigen Beſtandteile liefern. Daß der Sauerſtoffgehalt nach Verſchiedenheit der Jahreszeiten oder der örtlichen Lage auf dem Meere und im Inneren eines Kontinents um eine kleine, aber bemerkbare Menge variiere, iſt durch einige Beobachtungen von Lewy wahrſcheinlich geworden. Man begreift, daß Ver— änderungen, welche mikroſkopiſche animaliſche Organismen in der in dem Waſſer aufgelöſten Sauerſtoffmenge hervorbringen, Veränderungen in den Luftſchichten nach ſich ziehen können, die zunächſt auf dem Waſſer ruhen. In einer Höhe von 8226 Fuß (2672 m) (Faulhorn) war die durch Martins ge— ſammelte Luft nicht ſauerſtoffärmer als die Luft zu Paris. Die Beimiſchung des kohlenſauren Ammoniaks in der Atmoſphäre darf man wahrſcheinlich für älter halten als das Daſein der organiſchen Weſen auf der Oberfläche der Erde. Die Quellen der Kohlenſäure ?? in dem Luftkreiſe find über: aus mannigfaltig. Wir nennen hier zuerſt die Reſpiration der Tiere, welche den ausgehauchten Kohlenſtoff aus der vege— tabiliſchen Nahrung, wie die Vegetabilien aus dem Luftkreiſe, empfangen; das Innere der Erde in der Gegend ausgebrannter Vulkane und die Thermalquellen; die Zerſetzung einer kleinen Beimiſchung gekohlten Waſſerſtoffs in der Atmoſphäre durch die in der Tropengegend ſo viel häufigere elektriſche Entladung der Wolken. Außer den Stoffen, die wir ſoeben als der Atmoſphäre in allen uns zugänglichen Höhen eigentümlich ge— nannt haben, finden ſich noch zufällig, beſonders dem Boden a nahe, andere ihr beigeſellt, welche teilweiſe als Miasmen und gasförmige Kontagien auf die tieriſche Organiſation gefahrbringend wirken. Ihre chemiſche Natur iſt uns bisher nicht durch unmittelbare Zerlegung erwieſen; wir können aber, durch Betrachtung der Verweſungsprozeſſe, welche perpetuier— lich auf der mit Tier- und Pflanzenſtoffen bedeckten Ober— fläche unſeres Planeten vorgehen, wie durch Kombinationen und Analogieen aus dem Gebiete der Pathologie geleitet, auf das Daſein ſolcher ſchädlichen örtlichen Beimiſchungen ſchließen. Ammoniakaliſche und andere ſtickſtoffhaltige Dämpfe, Schwefel— waſſerſtoffſäure, ja Verbindungen, die den vielbaſigen (ternären und quaternären) des Pflanzenreiches ähnlich ſind, können Miasmen bilden, welche unter mannigfaltiger Geſtaltung (keines— wegs bloß auf naſſem Sumpfboden oder am Meeresſtrande, wo er mit faulenden Mollusken oder mit niedrigen Gebüſchen von Rhizophora mangle und Avicennien bedeckt iſt) Tertiär— fieber, ja Typhus erregen. Nebel, welche einen eigentümlichen Geruch verbreiten, erinnern uns in gewiſſen Jahreszeiten an jene zufälligen Beimiſchungen des unteren Luftkreiſes. Winde und der durch die Erwärmung des Bodens erregte aufſteigende Luftſtrom erheben ſelbſt feſte, aber in feinen Staub zerfallene Subſtanzen zu beträchtlicher Höhe. Der die Luft auf einem weiten Areal trübende Staub, der um die kapverdiſchen Inſeln niederfällt und auf welchen Darwin mit Recht aufmerkſam gemacht hat, enthält nach Ehrenbergs Entdeckung eine Unzahl lieſelgepanzerter Infuſorien. Als Hauptzüge eines allgemeinen Naturgemäldes der Atmoſphäre erkennen wir: 1) in den Veränderungen des Luftdruckes die regelmäßigen, zwiſchen den Tropen ſo leicht bemerkbaren ſtündlichen Schwankungen, eine Art Ebbe und Flut der Atmoſphäre, welche nicht der Maſſenanziehung 22“ des Mondes zugeſchrieben werden darf, und nach der geo— graphiſchen Breite, den Jahreszeiten und der Höhe des Beob— achtungsortes über dem Meeresſpiegel ſehr verſchieden iſt; 2) in der klimatiſchen Wärmeverteilung die Wirkung der relativen Stellung der durchſichtigen und undurchſichtigen Maſſen (der flüſſigen und feſten Oberflächenräume), wie der hypſometriſchen Konfiguration der Kontinente, Verhältniſſe, welche die geographiſche Lage und Krümmung der Iſothermen— linien (Kurven gleicher mittlerer jährlicher Temperatur) in horizontaler oder vertikaler Richtung, in der Ebene oder in den übereinander gelagerten Luftſchichten beſtimmen; 3) in der — 230 — Verteilung der Luftfeuchtigkeit die Betrachtung der quantitativen Verhältniſſe nach Verſchiedenheit der feſten und der ozeaniſchen Oberfläche, der Entfernung vom Aequator und von dem Niveau des Meeres, die Formen des niedergeſchlagenen Waſſerdampfes und den Zuſammenhang dieſer Niederſchläge mit den Veränderungen der Temperatur und der Richtung wie der Folge der Winde; 4) in den Verhältniſſen der Luft- elektrizität, deren erſte Quelle bei heiterem Himmel noch ſehr beſtritten wird, das Verhältnis der aufſteigenden Dämpfe zur elektriſchen Ladung und Geſtalt der Wolken nach Maß— gabe der Tages- und Jahreszeit, der kalten und warmen Erd— zonen, der Tief- und Hochebenen; die Frequenz und Selten— heit der Gewitter, ihre Periodizität und Ausbildung im Sommer und Winter; den Kauſalzuſammenhang der Elektrizität mit dem ſo überaus ſeltenen nächtlichen Hagel, wie mit den von Peltier ſo ſcharfſinnig unterſuchten Wetterſäulen (Waſſer- und Sandhoſen). Die ſtündlichen Schwankungen des Barometers, in welchen dasſelbe unter den Tropen zweimal (9 Uhr oder 9½ Uhr morgens und 10 ½ oder 10°, Uhr abends) am höchſten und zweimal (um 4 Uhr oder 4½ Uhr nachmittags und um 4 Uhr morgens, alſo faſt in der heißeſten und kälteſten Stunde) am niedrigſten ſteht, ſind lange der Gegenſtand meiner ſorgfältig— ſten, täglichen und nächtlichen Beobachtungen geweſen. Ihre Regelmäßigkeit iſt jo groß, daß man, beſonders in den Tages- ſtunden, die Zeit nach der Höhe der Queckſilberſäule beſtimmen kann, ohne ſich im Durchſchnitt um 15 bis 17 Minuten zu irren. In der heißen Zone des neuen Kontinents, an den Küſten, wie auf Höhen von mehr als 12000 Fuß (3900 m) über dem Meere, wo die mittlere Temperatur auf 7“ herab— ſinkt, habe ich die Regelmäßigkeit der Ebbe und Flut des Luft⸗ meers weder durch Sturm, noch durch Gewitter, Regen und Erdbeben geſtört gefunden. Die Größe der täglichen Oszil⸗ lationen nimmt vom Aequator bis zu 70“ nördlicher Breite, unter der wir die ſehr genauen, von Bravais zu Boſekop ge— machten Beobachtungen beſitzen,??“ von 1,32 Lin. bis 0,18 Lin. ab. Daß dem Pole viel näher der mittlere Barometerſtand wirklich um 10 Uhr morgens geringer ſei als um 4 Uhr nach— mittags, ſo daß die Wendeſtunden ihren Einfluß miteinander vertauſchen, iſt aus Parrys Beobachtungen im Hafen Bowen (730 14°) keineswegs zu ſchließen. Die mittlere Barometerhöhe iſt, wegen des aufſteigenden Ze Luftſtromes, unter dem Aequator und überhaupt unter den Wendekreiſen etwas geringer als in der gemäßigten Zone; ſie ſcheint ihr Maximum im weſtlichen Europa in den Parallelen von 40° und 45° zu erreichen. Wenn man mit Kämtz die⸗ jenigen Orte, welche denſelben mittleren Unterſchied zwiſchen den monatlichen Barometerextremen darbieten, durch iſo— barometriſche Linien miteinander verbindet, ſo entſtehen dadurch Kurven, deren geographiſche Lage und Krümmungen wichtige Aufſchlüſſe über den Einfluß der Ländergeſtaltung und Meerverbreitung auf die Oszillationen der Atmoſphäre gewähren. Hindoſtan mit ſeinen hohen Bergketten und trian— gularen Halbinſeln, die Oſtküſte des neuen Kontinents, da, wo der warme Golfſtrom bei Neufundland ſich öſtlich wendet, zeigen größere iſobarometriſche Schwankungen als die Antillen und das weſtliche Europa. Die herrſchenden Winde üben den hauptſächlichſten Einfluß auf die Verminderung des Luftdrucks aus; dazu nimmt mit derſelben, wie wir ſchon oben erwähnt, nach Dauſſy, die mittlere Höhe des Meeres zu. Da die wichtigſten eh nach Stunden und Jahres- zeiten, regelmäßig wiederkehrenden, als die zufälligen, oft gewaltſamen und gefahrbringenden Veränderungen des Luft— drucks, wie alle ſogenannten Witterungserſcheinungen, ihre Haupturſache in der wärmenden Kraft der Sonnenſtrahlen haben, ſo hat man früh, zum Teil nach Lamberts Vorſchlag, die Windrichtungen mit den Barometerſtänden, den Abwech— ſelungen der Temperatur, der Zu- und Abnahme der Feuchtig— keit verglichen. Tafeln des Luftdruckes bei verſchiedenen Winden, mit dem Namen barometriſcher Windroſen bezeichnet, ge— währen einen tieferen Blick in den Zuſammenhang meteoro— logiſcher Phänomene. Mit bewunderungswürdigem Scharfſinn erkannte Dove in dem Drehungsgeſetze der Winde beider Hemiſphären, das er aufſtellte, die Urſache vieler großartiger Veränderungen (Prozeſſe) im Luftozean. ??? Die Temperatur: differenz zwiſchen den dem Aequator und den den Polen nahen Gegenden erzeugt zwei entgegengeſetzte Strömungen in den oberen Regionen der Atmoſphäre und an der Erdoberfläche. Wegen Verſchiedenheit der Rotationsgeſchwindigkeit der dem Pole oder dem Aequator näher liegenden Punkte wird die vom Pole herſtrömende Luft öſtlich, der Aequatorialſtrom aber weſtlich abgelenkt. Von dem Kampfe dieſer beiden Ströme, dem Ort des Herabkommens des höheren, dem abwechſelnden Verdrängen des einen durch den anderen hangen die größten — 232 —. Phänomene des Luftdrucks, der Erwärmung und Erkältung der Luftſchichten, der wäſſerigen Niederſchläge, ja, wie Dove genau dargeſtellt hat, die Bildung der Wolken und ihre Ge— ſtaltung ab. Die Wolkenform, eine alles belehrende Zierde der Landſchaft, wird Verkündigerin deſſen, was in der oberen Luftregion vorgeht, ja bei ruhiger Luft, am heißen Sommer— himmel auch das „projizierte Bild“ des wärmeſtrahlenden Bodens. Wo dieſer Einfluß der Wärmeſtrahlung durch die relative Stellung großer kontinentaler und ozeaniſcher Flächen bedingt iſt, wie zwiſchen der Oſtküſte von Afrika und der Weſt⸗ küſte der indiſchen Halbinſel, mußte dieſe, ſich mit der Dekli— nation der Sonne periodiſch verändernde Windesrichtung in den indiſchen Monſunen, ??“ dem Hippalos der griechiſchen Seefahrer, am früheſten erkannt und benutzt werden. In einer, gewiß ſeit Jahrtauſenden in Hindoſtan und China ver— breiteten Kenntnis der Monſune, im Arabiſchen öſtlichen und Malayiſchen weſtlichen Meere, lag, wie in der noch älteren und allgemeineren Kenntnis der Land- und Seewinde, gleich— ſam verborgen und eingehüllt der Keim unſeres jetzigen, ſo ſchnell fortſchreitenden, meteorologiſchen Wiſſens. Die lange Reihe magnetiſcher Stationen, welche nun von Moskau bis Peking durch das ganze nördliche Aſien gegründet ſind, können, da ſie auch die Erforſchung anderer meteorologiſcher Verhältniſſe zum Zweck haben, für das Geſetz der Winde von großer Wichtigkeit werden. Die Vergleichung von Beob— achtungsorten, die jo viele hundert Meilen voneinander ent— fernt liegen, wird entſcheiden, ob z. B. ein gleicher Oſtwind von der wüſten Hochebene Gobi bis in das Innere von Ruß⸗ land wehe, oder ob die Richtung des Luftſtromes erſt mitten in der Stationskette, durch Herabſenkung der Luft aus den höheren Regionen, ihren Anfang genommen hat. Man wird dann im eigentlichſten Sinne lernen, woher der Wind komme. Wenn man das geſuchte Reſultat nur auf ſolche Orte ſtützen will, in denen die Windesrichtungen länger als 20 Jahre beobachtet worden find, jo erkennt man (nach Wilhelm Mahl: manns neueſter und ſorgfältiger Berechnung), daß in den mittleren Breiten der gemäßigten Zone in beiden Kontinenten ein weſt-ſüd⸗weſtlicher Luftſtrom der herrſchende iſt. Die Einſicht in die Wärmeverteilung im Luftkreiſe hat einigermaßen an Klarheit gewonnen, ſeitdem man ver— ſucht hat, die Punkte, in welchen die mittleren Temperaturen — 233 — des Jahres, des Sommers und des Winters genau ergründet worden ſind, durch Linien miteinander zu verbinden. Das Syſtem der Iſothermen, Iſotheren und Iſochimenen, welches ich zuerſt im Jahre 1817 aufgeſtellt, kann vielleicht, wenn es durch vereinte Bemühungen der Phyſiker allmäh— lich vervollkommnet wird, eine der Hauptgrundlagen der vergleichenden Klimatologie abgeben. Auch die Er— gründung des Erdmagnetismus hat eine wiſſenſchaftliche Form erſt dadurch erlangt, daß man die zerſtreuten partiellen Re- ſultate in Linien gleicher Abweichung, gleicher Nei— gung und gleicher Kraftintenſität miteinander graphiſch verband. Der Ausdruck Klima bezeichnet in ſeinem allgemeinſten Sinne alle Veränderungen in der Atmoſphäre, die unſere Organe merklich affizieren: die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Veränderungen des barometriſchen Druckes, den ruhigen Luftzuſtand oder die Wirkungen ungleichnamiger Winde, die Größe der elektriſchen Spannung, die Reinheit der Atmoſphäre oder die Vermengung mit mehr oder minder ſchädlichen gas— förmigen Exhalationen, endlich den Grad habitueller Durch— ſichtigkeit und Heiterkeit des Himmels, welcher nicht bloß wichtig iſt für die vermehrte Wärmeſtrahlung des Bodens, die organiſche Entwickelung der Gewächſe und die Reifung der Früchte, ſondern auch für die Gefühle und ganze Seelen— ſtimmung des Menſchen. Wenn die Oberfläche der Erde aus einer und derſelben homogenen flüſſigen Maſſe, oder aus Geſteinſchichten zuſammen— geſetzt wäre, welche gleiche Farbe, gleiche Dichtigkeit, gleiche Glätte, gleiches Abſorptionsvermögen für die Sonnenſtrahlen beſäßen und auf gleiche Weiſe durch die Atmoſphäre gegen den Weltraum ausſtrahlten, ſo würden die Iſothermen, Iſo— | theren und Iſochimenen ſämtlich dem Aequator parallel laufen. In dieſem hypothetiſchen Zuſtande der Erdoberfläche wären dann, in gleichen Breiten, Abſorptions- und Emiſſionsvermögen für Licht und Wärme überall dieſelben. Von dieſem mittleren, gleichſam primitiven Zuſtande, welcher weder Strömungen der Wärme im Inneren und in der Hülle des Erdſphäroides, noch die Fortpflanzung der Wärme durch Luftſtrömungen aus— ſchließt, geht die mathematiſche Betrachtung der Klimate aus. Alles, was das Abſorptions- und Ausſtrahlungsvermögen an einzelnen Teilen der Oberfläche, die auf gleichen Parallelkreiſen liegen, verändert, bringt Inflexionen in den Iſothermen her— — 234 — vor. Die Natur dieſer Inflexionen, der Winkel, unter welchem die Iſothermen, Iſotheren oder Iſochimenen die Parallelkreiſe ſchneiden, die Lage der konvexen oder konkaven Scheitel in Bezug auf den Pol der gleichnamigen Hemiſphäre ſind die Wirkung von wärme- oder kälteerregenden Urſachen, die unter verſchiedenen geographiſchen Längen mehr oder minder mächtig auftreten. Die Fortſchritte der Klimatologie ſind auf eine merk— würdige Weiſe dadurch begünſtigt worden, daß die europäiſche Civiliſation ſich an zwei einander gegenüberſtehenden Küſten verbreitet hat, daß ſie von unſerer weſtlichen Küſte zu einer öſtlichen jenſeits des atlantiſchen Thales übergegangen iſt. Als die Briten, nach den von Island und Grönland aus— gegangenen ephemeren Niederlaſſungen die erſten bleibenden Anſiedelungen in dem Litorale der Vereinigten Staaten von Nordamerika gründeten, als religiöſe Verfolgungen, Fanatis⸗ mus und Freiheitsliebe die Kolonialbevölkerung vergrößerten, mußten die Anſiedler (von Nordkarolina und Virginien an bis zum St. Lorenzſtrome über die Winterkälte erſtaunen, die ſie erlitten, wenn ſie dieſelbe mit der von Italien, Frankreich und Schottland unter denſelben Breitengraden verglichen. Eine ſolche klimatiſche Betrachtung, ſo anregend ſie auch hätte ſein ſollen, trug aber nur dann erſt Früchte, als man ſie auf numeriſche Reſultate mittlerer Jahreswärme gründen konnte. Ver— gleicht man zwiſchen 58“ und 30° nördlicher Breite Nain an der Küſte von Labrador mit Gotenburg, Halifax mit Bordeaux, New York mit Neapel, San Auguſtin in Florida mit Kairo, ſo findet man unter gleichen Breitengraden die Unterſchiede der mittleren Jahrestemperatur zwiſchen Oſtamerika und Wejt: europa, von Norden gegen Süden fortſchreitend: 11%, 7%7, 3% und faſt 0%. Die allmähliche Abnahme der Unterſchiede in der gegebenen Reihe von 28 Breitengraden iſt auffallend. Noch ſüdlicher, unter den Wendekreiſen ſelbſt, ſind die Iſo— thermen überall in beiden Weltteilen dem Aequator parallel. Man ſieht aus den hier gegebenen Beiſpielen, daß die in ge— ſellſchaftlichen Kreiſen ſo oft wiederholten Fragen: um wie viel Grade Amerika (ohne Oſt- und 1 zu unter⸗ ſcheiden) kälter als Europa ſei? um wie viel die mittleren Jahreswärmen in Kanada und den Vereinigten nordamerika⸗ niſchen Staaten niedriger als unter gleicher Breite in Europa ſeien? allgemein ausgedrückt, keinen Sinn haben. Der Unterſchied iſt unter jedem Parallel ein anderer, und ohne 235 ſpezielle Vergleichung der Winter- und Sommertemperatur an den ee Küſten kann man ſich von den eigentümlichen klimatiſchen Verhältniſſen, inſofern ſie auf den Ackerbau, auf die Gewerbe und das Gefühl der Behaglichkeit 0 Unbehaglichkeit Einfluß haben, keinen deutlichen Begriff machen. Bei der Aufzählung der Urſachen, welche Störungen in der Geſtalt der Iſotherme hervorbringen, unterſcheide ich die temperaturerhöhenden und temperaturvermindern— den Urſachen. Zu der erſten Klaſſe gehören: die Nähe einer Weſtküſte in der gemäßigten Zone; die in Halbinſeln zer— ſchnittene Geſtaltung eines Kontinents, ſeine tiefeintretenden Buſen und Binnenmeere; die Orientierung, d. h. das Stellungs— verhältnis eines Teils der Feſte, entweder zu einem eis— freien Meere, das ſich über den Polarkreis hinaus erſtreckt, oder zu einer Maſſe kontinentalen Landes von beträchtlicher Ausdehnung, welches zwiſchen denſelben Meridianen unter dem Aequator oder wenigſtens in einem Teile der tropiſchen Zone liegt; ferner das Vorherrſchen von Süd- und Weſtwinden an der weſtlichen Grenze eines Kontinents in der gemäßigten nördlichen Zone; Gebirgsketten, die gegen Winde aus kälteren Gegenden als Schutzmauern dienen; die Seltenheit von Sümpfen, die im Frühjahr und Anfang des Sommers lange mit Eis belegt bleiben, und der Mangel an Wäldern in einem trockenen Sandboden; endlich die ſtete Heiterkeit des Himmels in den Sommermonaten und die Nähe eines pelagiſchen Stromes, wenn er Waſſer von einer höheren Temperatur, als das umliegende Meer, herbeiführt. Zu den, die mittlere Jahrestemperatur verändernden, kälteerregenden Urſachen zähle ich: die Höhe eines Ortes über dem Meeresſpiegel, ohne daß bedeutende Hochebenen auf— treten; die Nähe einer Oſtküſte in hohen und mittleren Breiten, die maſſenartige (kompakte) Geſtaltung eines Kontinents ohne Küſtenkrümmung und Buſen, die weite Ausdehnung der Feſte nach den Polen hin bis zu der Region des ewigen Eiſes (ohne daß ein im Winter offen bleibendes Meer dazwiſchen liegt); eine Poſition geographiſcher Länge, in welcher der Aequator und die Tropenregion dem Meere zugehören, d. i. den Mangel eines feſten, ſich ſtark erwärmenden, wärmeſtrah— lenden Tropenlandes zwiſchen denſelben Meridianen als die Gegend, deren Klima ergründet werden ſoll; Gebirgsketten, deren mauerartige Form und Richtung den Zutritt warmer — 236 — Winde verhindert, oder die Nähe iſolierter Gipfel, welche längs ihren Abhängen herabſinkende kalte Luftſtröme verurſachen; ausgedehnte Wälder, welche die Inſolation des Bodens hin— dern, durch Lebensthätigkeit der appendikulären Organe (Blätter) große Verdunſtung wäſſeriger Flüſſigkeit hervorbringen, mittels der Ausdehnung dieſer Organe die durch Ausſtrahlung ſich abkühlende Oberfläche vergrößern, und alſo dreifach: durch Schattenkühle, Verdunſtung und Strahlung, wirken; häufiges Vorkommen von Sümpfen, welche im Norden bis in die Mitte des Sommers eine Art unterirdiſcher Gletſcher in der Ebene bilden; einen nebeligen Sommerhimmel, der die Wirkung der Sonnenſtrahlen auf ihrem Wege ſchwächt; endlich einen ſehr heiteren Winterhimmel, durch welchen die Wärmeſtrahlung begünſtigt wird. Die gleichzeitige Thätigkeit der ſtörenden (erwär— menden oder erkältenden) Urſachen beſtimmt als Totaleffekt (beſonders durch Verhältniſſe der Ausdehnung und Konfigu— ration zwiſchen den undurchſichtigen kontinentalen und den flüſſigen ozeaniſchen Maſſen) die Inflexionen der auf die Erdoberfläche projizierten Iſothermen. Die Perturbationen erzeugen die konvexen und konkaven Scheitel der iſothermen Kurven. Es gibt aber ſtörende Urſachen verſchiedener Ord— nung; jede derſelben muß anfangs einzeln betrachtet werden; ſpäter, um den Totaleffekt auf die Bewegung (Richtung, örtliche Krümmung) der Iſothermenlinie zu ergründen, muß gefunden werden, welche dieſer Wirkungen, miteinander ver— bunden, ſich modifizieren, vernichten oder aufhäufen (verſtärken): wie das bekanntlich bei kleinen Schwingungen geſchieht, die ſich begegnen und durchkreuzen. So iſt der Geiſt der Methode, der es, wie ich mir ſchmeichle, einſt möglich werden wird, unermeßliche Reihen ſcheinbar iſoliert ſtehender Thatſachen miteinander durch empiriſche, numeriſch ausgedrückte Geſetze zu verbinden und die Notwendigkeit ihrer gegen— ſeitigen Abhängigkeit zu erweiſen. Da als Gegenwirkung der Paſſate (der Oſtwinde der Tropenzone) in beiden gemäßigten Zonen Weſt- oder Weſt⸗ Süd⸗Weſt⸗Winde die herrſchenden Luftſtrömungen ſind und da dieſe für eine Oſtküſte Land-, für eine Weſtküſte Seewinde ſind (d. h. über eine Fläche ſtreichen, die wegen ihrer Maſſe und des Herabſinkens der erkalteten Waſſerteilchen keiner großen Erkältung fähig iſt); ſo zeigen ſich, wo nicht ozeaniſche Strö— mungen dem Litorale nahe auf die Temperatur einwirken, — 237 — die Oſtküſten der Kontinente kälter als die Weſtküſten. Cooks junger Begleiter auf der zweiten Erdumſegelung, der geiſtreiche Georg Forſter, welchem ich die lebhafteſte Anregung zu weiten Unternehmungen verdanke, hat zuerſt auf eine recht beſtimmte Weiſe auf die Temperaturunterſchiede der Oſt- und Weſtküſten in beiden Kontinenten, wie auf die Temperatur: ähnlichkeit der Weſtküſte von Nordamerika in mittleren Breiten mit dem weſtlichen Europa aufmerkſam gemacht. Selbſt in nördlichen Breiten geben ſehr genaue Beob— achtungen einen auffallenden Unterſchied zwiſchen der mittle— ren Jahrestemperatur der Oſt- und Weſtküſte von Amerika. Dieſe Temperatur iſt zu Nain in Labrador (Br. 57° 100 volle 3,8 unter dem Gefrierpunkte, während ſie an der Nordweſtküſte in Neu-Archangelsk im ruſſiſchen Amerika (Br. 57° 3) noch 6 über dem Gefrierpunkte iſt. An dem erſten Orte erreicht die mittlere Sommertemperatur kaum 6%, während fie am zweiten noch 13%8 iſt. Peking (39° 54‘) an der Oſtküſte von Aſien hat eine mittlere Jahrestem— peratur (11,3), die über 5° geringer iſt als die des etwas nördlicher liegenden Neapels. Die mittlere Temperatur des Winters in Peking iſt wenigſtens 3° unter dem Gefrier— punkt, wenn fie im weſtlichen Europa, ſelbſt zu Paris (48° 50°), volle 3, über dem Gefrierpunkt erreicht. Peking hat alſo eine mittlere Winterkälte, die 2 / “ größer iſt als das 17 Breiten— grade nördlichere Kopenhagen. Wir haben ſchon oben der Langſamkeit gedacht, mit welcher die große Waſſermaſſe des Ozeans den Temperaturverände— rungen der Atmoſphäre folgt, und wie dadurch das Meer temperaturausgleichend wirkt. Es mäßigt dasſelbe gleich— zeitig die Rauheit des Winters und die Hitze des Sommers. Daraus entſteht ein zweiter wichtiger Gegenſatz: der zwiſchen dem Inſel- oder Küſtenklima, welches alle gegliederte, bufen= und halbinſelreiche Kontinente genießen, und dem Klima des Inneren großer Maſſen feſten Landes. Dieſer merk— würdige Gegenſatz iſt in ſeinen mannigfaltigen Erſcheinungen, in ſeinem Einfluſſe auf die Kraft der Vegetation und das Gedeihen des Ackerbaues, auf die Durchſichtigkeit des Himmels, die Wärmeſtrahlung der Erdoberfläche und die Höhe der ewigen Schneegrenze zuerſt in Leopold von Buchs Werken vollſtändig entwickelt worden. Im Inneren des aſiatiſchen Kontinents haben Tobolsk, Barnaul am Obi und Irkutsk Sommer wie in Berlin, Münſter und Cherbourg in der Normandie; aber — 238 — dieſen Sommern folgen Winter, in welchen der kälteſte Monat die ſchreckhafte Mitteltemperatur von — 18° bis — 20° hat. In den Sommermonaten ſieht man wochenlang das Thermo— meter auf 30° und 31°. Solche Kontinentalklimate find daher mit Recht von dem, auch in Mathematik und Phyſik jo erfahrenen Buffon exzeſſive genannt worden; und die Einwohner, welche in Ländern der exzeſſiven Klimate leben, ſcheinen faſt verdammt, wie Dante im Purgatorio ſingt, a sofferir tormenti caldi e geli. Ich habe in keinem Erdteile, ſelbſt nicht auf den kanariſchen Inſeln oder in Spanien oder im ſüdlichen Frankreich, herr— licheres Obſt, beſonders ſchönere Weintrauben, geſehen als in Aſtrachan nahe den Ufern des Kaſpiſchen Meeres (46° 21°). Bei einer mittleren Temperatur des Jahres von etwa 9° ſteigt die mittlere Sommerwärme auf 212, wie um Bordeaux, während nicht bloß dort, ſondern noch weiter ſüdlich, zu Kislar an der Terekmündung (in den Breiten von Avignon und Rimini), das Thermometer im Winter auf — 25° und — 830° herabſinkt. Irland, Guernſey und Jerſey, die Halbinſel Bretagne, die Küſten der Normandie und des ſüdlichen Englands liefern durch die Milde ihrer Winter, die niedrige Temperatur und den nebelverſchleierten Himmel ihrer Sommer den auffallend— ſten Kontraſt mit dem Kontinentalklima des inneren öſtlichen Europas. Im Nordoſten Irlands (54° 50°) unter einer Breite mit Königsberg in Preußen, vegetiert die Myrte üppig wie in Portugal. Der Monat Auguſt, welcher in Ungarn 21“ erreicht, hat in Dublin (auf derſelben Iſotherme von 912°) kaum 16°; die mittlere Winterwärme, die in Ofen zu — 2% herabſinkt, iſt in Dublin (bei der geringen Jahreswärme von 95,5) noch 43 über dem Gefrierpunkt, d. i. noch 2° höher als in Mailand, Pavia, Padua und der ganzen Lom— bardei, wo die mittlere Jahreswärme volle 12,7 erreicht. Auf den Orkney-Inſeln (Stromneß), keinen halben Grad ſüdlicher als Stockholm, iſt der Winter 4°, alſo wärmer als in Paris, faſt ſo warm als in London. Selbſt auf den Faröer-Inſeln in 62° Breite gefrieren unter dem begünſtigen— den Einfluſſe der Weſtwinde und des Meeres die Binnenwaſſer nie. An der lieblichen Küſte von Devonſhire, wo der Hafen Salcombe wegen ſeines milden Klimas das Montpellier des Nordens genannt worden iſt, hat man Agave mexicana — 239 — im Freien blühen, Orangen, die an Spalieren gezogen und kaum mit Matten geſchützt wurden, Früchte tragen ſehen. Dort, wie zu Penzance und Gosport und an der Küſte der Normandie zu Cherbourg ſteigt die mittlere Wintertemperatur über 5%5, d. i. nur 1, weniger hoch als die Winter von Montpellier und Florenz. Die hier angedeuteten Verhältniſſe zeigen, wie wichtig für die Vegetation, den Ackerbau, die Obſtkultur und das Gefühl klimatiſcher Behaglichkeit die ſo verſchiedene Verteilung einer und derſelben mittleren Jahres- temperatur unter die verſchiedenen Jahreszeiten iſt. Die Linien, welche ich Iſochimenen und Iſotheren (Linien gleicher Winter- und Sommerwärme) nenne, ſind keineswegs den Iſothermen (Linien gleicher Jahrestemperatur) parallel. Wenn da, wo Myrten wild wachſen und die Erde ſich im Winter nie bleibend in Schnee einhüllt, die Temperatur des Sommers und Herbſtes nur noch (man möchte faſt ſagen: kaum noch) hinlänglich iſt, Aepfel zur vollen Reife zu bringen, wenn die Weinrebe, um trinkbaren Wein zu geben, die Inſeln und faſt alle Küſten (ſelbſt die weſtlichen) flieht, ſo liegt der Grund davon keineswegs allein in der geringeren Sommer— wärme des Litorales, die unſere im Schatten der Luft aus— geſetzten Thermometer anzeigen; er liegt in dem bisher ſo wenig beachteten und doch in anderen Erſcheinungen (der Ent— zündung eines Gemiſches von Chlor und Waſſerſtoffgas) ſo wirkſamen Unterſchiede des direkten und zerſtreuten Lichtes, bei heiterem oder durch Nebel verſchleiertem Himmel. Ich habe ſeit langer Zeit??“ die Aufmerkſamkeit der Phyſiker und Pflanzen⸗Phyſiologen auf dieſe Unterſchiede, auf die unge— meſſene örtlich in der belebten Pflanzenzelle durch direktes Licht entwickelte Wärme zu leiten geſucht. Wenn man in der thermiſchen Skale der Kultur— arten von denen anhebt, die das heißeſte Klima erfordern, alſo von der Vanille, dem Kakao, dem Piſang und der Kokos— palme zu Ananas, Zuckerrohr, Kaffee, fruchttragenden Dattel— bäumen, Baumwolle, Zitronen, Oelbaum, echten Kaſtanien, trinkbaren Weinen herabſteigt, ſo lehrt die genaue geographiſche Betrachtung der Kulturgrenzen gleichzeitig in der Ebene und an dem Abhange der Berge, daß hier andere klimatiſche Verhältniſſe als die mittlere Temperatur des Jahres wirken. Um nur des einzigen Beiſpiels des Weinbaues zu erwähnen, jo erinnere ich, daß, um trinkbaren?? Wein hervorzubringen, nicht bloß die Jahreswärme 9½ überſteigen, ſondern auch — 240 — einer Wintermilde von mehr als + 0,5 eine mittlere Sommer: temperatur von wenigſtens 18° folgen muß. Bei Bordeaux am Flußthal der Garonne (Br. 44° 50) ſind die Tempera: turen des Jahres, des Winters, des Sommers und des Herbſtes 13%8, 6°2, 21% und 14,4. In den baltiſchen Ebenen (Br. 52% “), wo ungenießbare Weine erzeugt, und doch ge— trunken werden, find dieſe Zahlen 8%, — 0,7, 17% und 8,6. Wenn es befremdend ſcheinen kann, daß die großen Verſchiedenheiten, welche die vom Klima begünſtigte oder er- ſchwerte Weinkultur zeigt, ſich nicht noch deutlicher in unſeren Thermometerangaben offenbaren, ſo wird dieſe Befremdung durch die Betrachtung vermindert, daß ein im Schatten beob— achtetes, gegen die Wirkungen der direkten Inſolation und nächtlichen Strahlung faſt geſchütztes Thermometer nicht in allen Teilen des Jahres bei periodiſchen Wärmeveränderungen die wahre oberflächliche Temperatur des die ganze Inſolation empfangenden Bodens anzeigt. Wie das milde, jahrzeitengleichere Küſtenklima der Halb: inſel Bretagne ſich zum winterkälteren und ſommerheißeren Klima der übrigen kompakten Ländermaſſe von Frankreich ver— hält, ſo verhält ſich gewiſſermaßen Europa zum großen Feſtlande von Aſien, deſſen weſtliche Halbinſel es bildet. Europa verdankt ſein ſanfteres Klima der Exiſtenz und Lage von Afrika, das in weiter Ausdehnung, den aufſteigenden Luftſtrom begünſtigend, einen feſten wärmeſtrahlenden Boden der Tropenregion dar— bietet, während ſüdlich von Aſien die Aequatorialgegend meiſt ganz ozeaniſch iſt; ſeiner Gliederung und Meeresnähe an der weſtlichen Küſte der alten Feſte, dem eisfreien Meere, da, wo es ſich gegen Norden ausdehnt. Europa würde demnach kälter werden, wenn Afrika, vom Meere überflutet, unterginge; wenn die mythiſche Atlantis aufſtiege und Europa mit Nord— amerika verbände; wenn der wärmende Golfſtrom nicht in die nördlichen Meere ſich ergöſſe; oder wenn ein anderes feſtes Land ſich, vulkaniſch gehoben, zwiſchen die ſkandinaviſche Halb— inſel und Spitzbergen einſchöbe. Sieht man in Europa die mittleren Jahrestemperaturen ſinken, indem man unter denſelben Parallelkreiſen von der atlantiſchen Küſte, von Frankreich aus durch Deutſchland, Polen und Rußland gegen die Uralkette, alſo von Weſten nach Oſten fortſchreitet, jo iſt die Haupt: urſache dieſes Erkältungsphänomens in der nach und nach minder gegliederten, kompakteren, an Breite zunehmenden Form des Kontinents, in der Entfernung des kältemindernden Meeres, — 241 — wie in dem ſchwächeren Einfluſſe der Weſtwinde zu ſuchen. Jenſeits des Urals werden dieſe Weſtwinde ſchon erkältende Landwinde, wenn ſie über weite mit Eis und Schnee bedeckte Länderſtrecken fortwehen. Die Kälte des weſtlichen Sibiriens wird durch ſolche Verhältniſſe der Ländergeſtaltung und Luft— ſtrömung keineswegs?“ aber, wie ſchon Hippokrates und Trogus Pompejus annahmen und noch berühmte Reiſende des 18. Jahrhunderts fabelten, durch große Höhe des Bodens über dem Meeresſpiegel erzeugt. Wenn wir von der Temperaturverſchiedenheit in der Ebene zu den Unebenheiten der polyedriſchen Geſtalt der Ober— fläche unſeres Planeten übergehen, ſo betrachten wir die Ge— birge entweder nach ihrem Einfluß auf das Klima der benachbarten Tiefländer oder nach den Einwirkungen, die ſie infolge der hypſometriſchen Verhältniſſe auf ihre eigenen, oft in Hochebenen erweiterten Gipfel ausüben. Die Gruppierung der Berge in Bergketten teilt die Erdoberfläche in verſchiedene Becken, in oft eng umwallte Rundthäler, zirkusartige Keſſel, die (wie in Griechenland und in einem Teile von Kleinaſien) das Klima örtlich in Hinſicht auf Wärme, Feuchtigkeit und Durchſichtigkeit der Luft, auf Häufigkeit der Winde und der Gewitter individualiſieren. Dieſe Umſtände haben von jeher einen mächtigen Einfluß ausgeübt auf die Natur der Er— zeugniſſe und die Wahl der Kulturen, auf Sitten, Verfaſſungs— formen und Abneigung benachbarter Volksſtämme gegenein— ander. Der Charakter der geographiſchen Individualität erreicht ſozuſagen da ſein Maximum, wo die Verſchiedenheiten der Bodengeſtaltung in vertikaler und horizontaler Richtung, im Relief und in der Gliederung der Kontinente die möglich größten ſind. Mit ſolchen Bodenverhältniſſen kontraſtieren die Steppen des nördlichen Aſiens, die Grasebenen (Savanen, Llanos und Pampas) des Neuen Kontinents, die Heideländer (ericeta) Europas, die Sand- und Steinwüſten von Afrika. Das Geſetz der mit der Höhe abnehmenden Wärme unter verſchiedenen Breiten iſt einer der wichtigſten Gegenſtände für die Kenntnis meteorologiſcher Prozeſſe, für die Geographie der Pflanzen, die Theorie der irdiſchen Strahlenbrechung und die verſchiedenen Hypotheſen, welche ſich auf die Beſtimmung der Höhe der Atmoſphäre beziehen. Bei den vielen Bergreiſen, die ich in und außerhalb der Tropen habe unternehmen können, iſt die Ergründung dieſes Geſetzes ein vorzüglicher Gegenſtand meiner Unterſuchungen geweſen. A. v. Humboldt, Kosmos. I. 16 — 242 — Seitdem man die wahren Verhältniſſe der Wärmever— teilung auf der Oberfläche der Erde, d. i. die Inflexionen der Iſothermen und Iſotheren und den ungleichen Abſtand derſelben voneinander, in den verſchiedenen öſtlichen und weſt— lichen Temperaturſyſtemen von Aſien, Mitteleuropa und Nord— amerika, etwas genauer kennt, darf man nicht mehr im all— gemeinen die Frage aufwerfen, welcher Bruchteil der mittleren Jahres- oder Sommerwärme einer Veränderung der geogra— phiſchen Breite von 1“ entſpricht, wenn man auf demſelben Meridian fortſchreitet. In jedem Syſteme gleicher Krüm— mung der Iſothermen herrſcht ein inniger und notwendiger Zuſammenhang zwiſchen drei Elementen: der Wärmeabnahme in ſenkrechter Richtung von unten nach oben, der Temperatur— verſchiedenheit bei einer Aenderung von 1“ in der geographiſchen Breite, der Gleichheit der mittleren Temperatur einer Berg— ſtation und der Polardiſtanz eines im Meeresſpiegel gelegenen Punktes. In dem oſtamerikaniſchen Syſteme verändert ſich die mittlere Jahrestemperatur von der Küſte von Labrador bis Boſton jeden Breitengrad um 0,88, von Boſton bis Char: leston um 095, von Charleston bis zum Wendekreiſe des Krebſes in Cuba hin wird die Veränderung aber langſamer; ſie iſt dort nur 0%86. In der Tropenzone ſelbſt nimmt die Langſamkeit dergeſtalt zu, daß von der Havana bis Cumana die einem Breitengrade zukommende Variation nur noch 0%20 beträgt. Ganz anders iſt es in dem Syſtem der Iſothermen von Mitteleuropa. Zwiſchen den Parallelen von 38“ und 71° finde ich die Temperaturabnahme ſehr übereinſtimmend ½ Grad für einen Breitengrad. Da nun in demſelben Mitteleuropa die Abnahme der Wärme 1° in 80 bis 87 Toiſen (480 bis 522 Fuß = 160 bis 170 m) ſenkrechter Höhe beträgt, jo ergibt ſich hieraus, daß 40 bis 44 Toiſen (240 bis 264 Fuß — 80 bis 86 m) der Erhebung über dem Meeresſpiegel dort einem Breitengrad entſprechen. Die mittlere Jahrestemperatur des Bernhard: Kloſters, das 1278 Toiſen (7668 Fuß —= 2490 m) hoch in 4550“ Breite liegt, wilde ſich alſo in der Ebene bei einer Breite von 75° 50° wiederfinden. N In dem Teil der Andeskette, welcher in die Tropenzone fällt, haben meine bis zu 18000 Fuß (5850 m) Höhe anz geſtellten Beobachtungen die Wärmeabnahme von 1° auf 96 Toiſen (576 Fuß = 187 m) gegeben; mein Freund — 243 — Bouſſingault hat 30 Jahre ſpäter als Mittelreſultat 90 Toiſen (540 Fuß = 175 m) gefunden. Durch Vergleichung der Orte, welche in den Kordilleren in gleicher Höhe über dem Meere am Abhange ſelbſt oder in weit ausgedehnten Hoch— ebenen liegen, habe ich in den letzteren eine Zunahme der Jahrestemperatur von 1,5 bis 2% beobachtet. Ohne die nächtliche erkältende Wärmeſtrahlung würde der Unterſchied noch größer ſein. Da die Klimate ſchichtenweiſe übereinander gelagert ſind, von den Kakaowäldern des Tieflandes bis zum ewigen Schnee, und da die Wärme in der Tropenzone während des ganzen Jahres ſich nur ſehr wenig ändert, ſo kann man ſich eine ziemlich genaue Vorſtellung von den Temperatur— verhältniſſen machen, welchen die Bewohner der großen Städte in der Andeskette ausgeſetzt ſind, wenn man dieſe Verhältniſſe mit der Temperatur gewiſſer Monate in den Ebenen von Frankreich und Italien vergleicht. Während daß an den Wald— ufern des Orinoko täglich eine Wärme herrſcht, welche um 4° die des Monats Auguſt zu Palermo übertrifft, findet man, in- dem man die Andeskette erſteigt, zu Popayan (911 t = 1793 m) die drei Sommermonate von Marſeille, zu Quito (1492 t — 2908 m) das Ende des Monats Mai zu Paris, und auf den mit krüppeligem Alpengeſträuch bewachſenen, aber noch blütenreichen Paramos (1800 t = 3507 m) den Anfang des Monats April zu Paris. Der ſcharfſinnige Peter Martyr de Anghiera, einer der Freunde von Chriſtoph Kolumbus, iſt wohl der erſte geweſen, welcher (nach der im Oktober 1510 unternommenen Expedition von Rodrigo Enrique Colmenares) erkannt hat, daß die Schnee— grenze immer höher ſteigt, je mehr man ſich dem Aequator nähert. Ich leſe in dem ſchönen Werke De rebus Oceanieis: 285 „Der Fluß Gaira kommt von einem Berge (in der Sierra Nevada de Santa Marta) herab, welcher nach Ausſage der Reiſegefährten des Colmenares höher iſt als alle bisher ent— deckten Berge. Er muß es ohne Zweifel ſein, wenn er in einer Zone, die von der Aequinoktiallinie höchſtens 10° abiteht, den Schnee dauernd behält.“ Die untere Grenze des ewigen Schnees in einer gegebenen Breite iſt die Sommer: grenze der Schneelinie, d. i. das Maximum der Höhe, bis zu welcher ſich die Schneelinie im Laufe des ganzen Jahres zurück— zieht. Man muß von dieſer Höhe drei andere Phänomene unterſcheiden: die jährliche Schwankung der Schneegrenze, das Phänomen des ſporadiſchen Schneefalles und das der — AR Gletſcher, welche der gemäßigten und kalten Zone eigentümlich ſcheinen, und über welche, nach Sauſſures unſterblichem Werke über die Alpen, in dieſen letzten Jahren Venetz, Charpentier und mit ruhmwürdiger, gefahrentrotzender Ausdauer Agaſſiz neues Licht verbreitet haben. Wir kennen nur die untere, nicht die obere Grenze des ewigen Schnees; denn die Berge der Erde ſteigen nicht hinauf bis zu der ätheriſch-olympiſchen Höhe, zu den dünnen, trockenen Luftſchichten, von welchen man mit Bouguer ver— muten kann, daß ſie nicht mehr Dunſtbläschen in Eiskriſtalle verwandelt, dem Auge ſichtbar darbieten würden. Die untere Schneegrenze iſt aber nicht bloß eine Funktion der geogra= phiſchen Breite oder der mittleren Jahrestemperatur; der Ae, ja ſelbſt die Tropenregion iſt nicht, wie man lange gelehrt hat, der Ort, an welchem die Schneegrenze ihre größte Erhebung über dem Niveau des Ozeans erreicht. Das Phä⸗ nomen, das wir hier berühren, iſt ein ſehr zuſammengeſetztes: im allgemeinen von Verhältniſſen der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Berggeſtaltung abhängig. Unter⸗ wirft man dieſe Verhältniſſe einer noch ſpezielleren Analyſe, wie eine große Menge neuerer Meſſungen?“ es erlauben, jo erkennt man als gleichzeitig beſtimmende Urſachen, die Tem— peraturdifferenz der verſchiedenen Jahreszeiten, die Richtung der herrſchenden Winde und ihre Berührung mit Meer und Land, den Grad der Trockenheit oder Feuchtigkeit der oberen Luftſchichten, die abſolute Größe (Dicke) der gefallenen und aufgehäuften Schneemaſſen, das Verhältnis der Schneegrenze zur Geſamthöhe des Berges, die relative Stellung des letzteren in der Bergkette, die Schroffheit der Abhänge, die Nähe an— derer, ebenfalls perpetuierlich mit Schnee bedeckter Gipfel, die Ausdehnung, Lage und Höhe der Ebene, aus welcher der Schneeberg iſoliert oder als Teil einer Gruppe (Kette) auf: ſteigt und die eine Seeküſte oder der innere Teil eines Konti— nents, bewaldet oder eine Grasflur, ſandig und dürr und mit nackten Felsplatten bedeckt oder ein feuchter Moorboden ſein kann. Während daß die Schneegrenze in Südamerika unter dem Aequator eine Höhe erreicht, welche der des Gipfels des Mont— blanc in der Alpenkette gleich it, und fie im Hochlande von Mexiko gegen den nördlichen Wendekreis hin, in 19° Breite nach neueren Meſſungen, ſich ungefähr um 960 Fuß (312 m) ſenkt, ſteigt ſie nach Pentland in der ſüdlichen Tropenzone (Br. 40°,5 bis 18°), nicht in der öſtlichen, ſondern in der meer— nahen weſtlichen Andeskette von Chile, mehr als 2500 Fuß (812 m) höher als unter dem Aequator unfern Quito, am Chimborazo, am Cotopaxi und am Antiſana. Der Dr. Gillies behauptet ſogar noch weit ſüdlicher, am Abhange des Vulkans von Peuquenes (Br. 33°), die Schneehöhe bis zwiſchen 2270 und 2350 Toiſen (4424 und 4580 m) Höhe gefunden zu haben. Die Verdunſtung des Schnees bei der Strahlung in einer im Sommer überaus trockenen Luft gegen einen wolken— freien Himmel iſt ſo mächtig, daß der Vulkan von Acon— cagua nordöſtlich von Valparaiſo (Br. 32,5), welchen die Expedition des Beagle noch um mehr als 1400 Fuß (454 m) höher als den Chimborazo fand, einſt ohne Schnee geſehen wurde ?““. In der faſt gleichen nördlichen Breite (30,75 bis 31°) am Himalaya liegt die Schneegrenze am ſüdlichen Abhange ungefähr in der Höhe (2030 Toiſen oder 12 180 Fuß = 3956 m), in welcher man ſie nach mehrfachen Kombinationen und Ver— gleichungen mit anderen Bergketten vermuten konnte; am nörd— lichen Abhange aber, unter der Einwirkung des Hochlandes von Tibet, deſſen mittlere Erhebung an 1800 Toiſen (10 800 Fuß = 3507 m) zu fein ſcheint, liegt die Schneegrenze 2600 Toiſen (15 600 Fuß = 5067 m) hoch. Dieſe in Europa und Indien oft beſtrittene Erſcheinung, über deren Urſachen ich ſeit dem Jahre 1820 meine Anſichten in mehreren Schriften entwickelt habe?“, gewährt mehr als ein bloß phyſikaliſches Intereſſe; ſie hat einen wichtigen Einfluß auf das Leben zahl— reicher Volksſtämme ausgeübt. Meteorologiſche Prozeſſe des Luftkreiſes geſtatten und entziehen dem Ackerbau oder dem Hirtenleben weite Erdſtriche eines Kontinents. Da mit der Temperatur die Dampfmenge des Luftkreiſes zunimmt, ſo iſt dieſes für die ganze organiſche Schöpfung jo wichtige Element nach Stunden des Tages, nach den Jahres- zeiten, Breitengraden und Höhen verſchieden. Das neuerlichſt ſo allgemein verbreitete Verfahren, durch Anwendung von Auguſts Pſychrometer, nach Daltons und Daniells Ideen, vermittelſt des Unterſchiedes des Taupunkts und der Luft— wärme die relative Dampfmenge oder den Feuchtigkeitszuſtand der Atmoſphäre zu beſtimmen, hat unſere Kenntnis der hygro— metriſchen Verhältniſſe der Erdoberfläche anſehnlich vermehrt. Temperatur, Luftdruck und Windrichtung ſtehen im innigſten Zuſammenhange mit der belebenden Feuchtigkeit der Luft— — 246 — ſchichten. Dieſe Belebung iſt aber nicht ſowohl Folge der unter verſchiedenen Zonen aufgelöſten Dampfmenge, ſondern der Art und Frequenz der Niederſchläge als Tau, Nebel, Regen und Schnee, welche den Boden benetzen. Nach der Ermittelung des Drehungsgeſetzes von Dove und den An— ſichten dieſes ausgezeichneten Phyſikers iſt in unſerer nörd— lichen Zone „die Elaſtizität des Dampfes am größten bei Südweſtwind, am kleinſten bei Nordoſtwind. Auf der Weit: ſeite der Windroſe vermindert ſie ſich und ſteigt hingegen auf der Oſtſeite. Auf der Weſtſeite nämlich verdrängt der lalte, ſchwere, trockene Luftſtrom den warmen, leichten, viel Waſſerdampf enthaltenden, während auf der Oſtſeite dieſer durch jenen verdrängt wird. Der Südweſtſtrom iſt der durch— gedrungene Aequatorialſtrom, der Nordoſtſtrom der allein herrſchende Polarſtrom“. Das anmutig friſche Grün vieler Bäume, welches man in ſolchen Gegenden der Tropenländer bemerkt, wo fünf bis ſieben Monate lang kein Gewölk am Himmelsgewölbe auf— ſteigt, wo bemerkbar kein Tau und Regen fallen, beweiſt, daß die appendikulären Teile (die Blätter) durch einen eigenen Lebensprozeß, welcher vielleicht nicht bloß der einer kälte— erregenden Ausſtrahlung iſt, die Fähigkeit haben, Waſſer der Luft zu entziehen. Mit den regenloſen, dürren Ebenen von Cumana, Coro und Ceare (Nordbraſilien) kontraſtiert die Regen— menge, welche in anderen Tropengegenden fällt, z. B. in der Havana nach einem Durchſchnitt von ſechsjährigen Beob- achtungen von Ramon de la Sagra im Mitteljahr 102 Pariſer Zoll (2760 mm), vier- bis fünfmal fo viel als in Paris und Genf *“. An dem Abhange der Andeskette nimmt mit der Höhe wie die Temperatur jo auch die Regenmenge ess ab. Sie iſt von meinem ſüdamerikaniſchen Reiſegefährten Caldas in Santa Fe de Bogota, auf einer Höhe von faſt 8200 Fuß (2664 m), nicht über 37 Zoll (752 mm), alſo wenig größer wie an einigen weſtlichen Küſten von Europa, gefunden worden. Bouſſingault ſah bisweilen in Quito bei einer Temperatur von 12° bis 13“ das Sauſſureſche Hygrometer auf 26° zurück— gehen. In 6600 Fuß (2143 m) hohen Luftſchichten (bei einer Temperatur von 4°) ſah Gay-Luſſac in feiner großen afro- ſtatiſchen Aſzenſion an demſelben Feuchtigkeitsmeſſer auch 250,3. Die größte Trockenheit, die man bisher auf der Erde in den Tiefländern beobachtet hat, iſt wohl die, welche wir, Guftav Roſe, Ehrenberg und ich, im nördlichen Aſien fanden, zwiſchen y x 247 — den Flußthälern des Irtyſch und Obi. In der Steppe Pla— towſkaja, nachdem die Südweſtwinde lange aus dem Inneren des Kontinents geweht hatten, bei einer Temperatur von 237, fanden wir den Taupunkt 43 unter dem Gefrier— punkt. Die Luft enthielt nur noch 0,16 Waſſerdampf. Gegen die größere Trockenheit der Bergluft, welche aus Sauſſures und meinen Hygrometermeſſungen in der hohen Region der Alpen und der Kordilleren zu folgen ſcheint, haben in dieſen letzten Jahren genaue Beobachter, Kämtz, Bravais und Martins, Zweifel erregt. Man verglich die Luftſchichten in Zürich und auf dem freilich nur in Europa hoch zu nennenden Faulhorn. Die Näſſe, durch welche in der Tropenregion der Paramos (nahe der Gegend, wo Schnee zu fallen beginnt, zwiſchen 11000 und 12000 Fuß = 3570 bis 3900 m Höhe) einige Arten von großblütigen, myrtenblätterigen Alpenſträuchen faſt perpe— tuierlich getränkt werden, zeugt nicht eigentlich für das Daſein einer großen abſoluten Menge des Waſſerdunſtes in jener Höhe; dieſe Näſſe beweiſt nur, wie der häufige Nebel auf dem ſchönen Plateau von Bogota, die Frequenz der Niederſchläge. Nebelſchichten in ſolchen Höhen entſtehen und verſchwinden bei ruhiger Luft mehrmals in einer Stunde. Solcher ſchnelle Wechſel charakteriſiert die Hochebenen und Paramos der An— deskette. Die Elektrizität des Luftkreiſes, man mag ſie in den unteren Regionen oder in der hohen Wolkenhülle be— trachten, problematiſch in ihrem ſtillen periodiſchen täglichen Gange wie in den Exploſionen des leuchtenden und krachenden Ungewitters, ſteht in vielfachem Verkehr mit allen Erſcheinungen der Wärmeverteilung, des Drucks der Atmo— ſphäre und ihrer Störungen, der Hydrometeore, wahrſcheinlich auch des Magnetismus der äußerſten Erdrinde. Sie wirkt mächtig ein auf die ganze Tier- und Pflanzenwelt, nicht etwa bloß durch meteorologiſche Prozeſſe, durch Niederſchläge von Waſſerdämpfen, Säuren oder ammoniakaliſchen Verbindungen, die ſie veranlaßt, ſondern auch unmittelbar als elektriſche (nervenreizende oder Saftumlauf befördernde) Kraft. Es iſt hier nicht der Ort, den Streit über die eigentliche Quelle der Luftelektrizität bei heiterem Himmel zu erneuern, welche bald der Verdampfung unreiner (mit Erden und Salzen ge— ſchwängerter) Flüſſigkeiten, bald dem Wachstum der Pflanzen oder anderen chemiſchen Zerſetzungen auf der Oberfläche der Erde, bald der ungleichen Wärmeverteilung in den Luft— — 248 — ſchichten, bald endlich, nach Peltiers ſcharfſinnigen Unterſuchun— gen, der Einwirkung einer ſtets negativen Ladung des Erdballs zugeſchrieben worden iſt. Auf die Reſultate beſchränkt, welche elektrometriſche Beobachtungen, beſonders die zuerſt von Col— ladon vorgeſchlagene ſinnreiche Anordnung eines elektromagne— tiſchen Apparats, gegeben haben, ſoll die phyſiſche Welt— beſchreibung die mit der Höhe und der baumfreien Umgebung der Station unbeſtreitbar zunehmende Stärke der allgemeinen poſitiven Luftelektrizität, ihre tägliche Ebbe und Flut (nach Clarkes Dubliner Verſuchen in verwickelteren Perioden, als Sauſſure und ich ſie gefunden), die Unterſchiede der Jahres— zeiten, des Abſtandes vom Aequator, der kontinentalen und ozeaniſchen Oberflächen angeben. Wenn im ganzen da, wo das Luftmeer einen flüſſigen Boden hat, das elektriſche Gleichgewicht ſeltener geſtört iſt als in der Landluft, ſo iſt es um ſo auffallender, zu ſehen, wie in weiten Meeren kleine Inſelgruppen auf den Zuſtand der Atmoſphäre einwirken und die Bildung der Gewitter veran— laſſen. Im Nebel und bei anfangendem Schneefall habe ich in langen Reihen von Verſuchen die vorher permanente Glas- elektrizität ſchnell in reſinöſe übergehen und mehrfach abwech— ſeln ſehen, ſowohl in den Ebenen der kalten Zone als unter den Tropen in den Paramos der Kordilleren, zwiſchen 10000 und 14000 Fuß (3250 bis 4550 m) Höhe. Der wechſelnde Ueber— gang war dem ganz gleich, welchen die Elektrometer kurz vor und während des Gewitters angeben *. Haben die Dunſtbläschen ſich zu Wolken mit beſtimmten Umriſſen kondenſiert, ſo ver— mehrt ſich nach Maßgabe der Verdichtung die elektriſche Spannung der äußeren Hülle oder Oberfläche ?*°, auf welche die Elektrizität der einzelnen Dunſtbläschen überſtrömt. Die ſchiefergrauen Wolken haben nach Peltiers zu Paris an— geſtellten Verſuchen Harz-, die weißen, roſen- und orange: farbenen Wolken Glaselektrizität. Gewitterwolken umhüllen nicht bloß die höchſten Gipfel der Andeskette (ich ſelbſt habe die verglaſenden Wirkungen des we auf einem der Fels— türme gefunden, welche in einer Höhe von faſt 14300 Fuß 4644 m] den Krater des Vulkans von Toluca überragen); auch über dem Tieflande, in der gemäßigten Zone, ſind Ge— witterwolken in einer vertikalen Höhe von 25000 Fuß (8120 m) gemeſſen worden. Bisweilen ſenkt ſich aber die donnernde Wolkenſchicht bis zu 5000, ja zu 3000 Fuß Abſtand über der Ebene herab. 3 — Nach Aragos Unterſuchungen, den umfaſſendſten, welche wir bisher über dieſen ſchwierigen Teil der Meteorologie be— ſitzen, ſind die Lichtentbindungen (Blitze) dreierlei Art: zickzack— förmige, ſcharf an den Rändern begrenzte; Blitze, die das ganze, ſich gleichſam öffnende Gewölk erleuchten; Blitze in Form von Feuerkugeln. Wenn die erſteren beiden Arten kaum 0,001 der Sekunde dauern, jo bewegen ſich dagegen die globulären Blitze weit langſamer, ihre Erſcheinung hat eine Dauer von mehreren Sekunden. Bisweilen (und neue Beob— achtungen beſtätigen das ſchon von Nicholſon und Beccaria beſchriebene Phänomen) werden ganz ohne vernehmbaren Donner, ohne Anzeige von Gewitter iſolierte Wolken, welche hoch über dem Horizont ſtehen, ohne Unterbrechung auf lange Zeit leuch— tend im Inneren und an den Rändern; auch hat man fallende Hagelkörner, Regentropfen und Schneeflocken ohne vorher— gegangenen Donner leuchten geſehen. In der geographiſchen Verteilung der Gewitter bietet das peruaniſche Küſten— land, in dem es nie blitzt und donnert, den auffallendſten Kontraſt mit der ganzen übrigen Tropenzone dar, in welcher ſich zu gewiſſen Jahreszeiten faſt täglich, 4 bis 5 Stunden nach der Kulmination der Sonne, Gewitter bilden. Nach den vielen von Arago geſammelten Zeugniſſen der Seefahrer (Scoresby, Parry, Roß, Franklin) iſt nicht zu bezweifeln, daß im allgemeinen im hohen Norden zwiſchen 70° und 75° Breite elektriſche Exploſionen überaus ſelten?“ find. Der meteorologiſche Teil des Naturgemäldes, welchen wir hier beſchließen, zeigt, daß alle Prozeſſe der Lichtabſorp— tion, der Wärmeentbindung, der Elaſtizitätsveränderung, des hygrometriſchen Zuſtandes und der elektriſchen Spannung, welche das unermeßliche Luftmeer darbietet, ſo innig mit— einander zuſammenhangen, daß jeder einzelne e Prozeß durch alle anderen gleichzeitigen modifiziert wird. Dieſe Mannigfaltigkeit der Störungen, die unwillkürlich an die— jenigen erinnern, welche in den Himmelsräumen die nahen und beſonders die kleinſten Weltkörper (Trabanten, Kometen, Sternſchnuppen) in ihrem Laufe erleiden, erſchwert die Deutung der verwickelten meteorologiſchen Erſcheinungen; ſie beſchränkt und macht größtenteils unmöglich die Vorherbeſtimmung atmoſphäriſcher Veränderungen, welche für den Garten- und Landbau, für die Schiffahrt, für den Genuß und die Freuden des Lebens ſo wichtig wäre. Diejenigen, welche den Wert der Meteorologie nicht in die Kenntnis der Phänomene ſelbſt, a ſondern in jene problematische Vorherbeſtimmung ſetzen, find von der feſten Ueberzeugung durchdrungen, daß der Teil der Naturwiſſenſchaft, um den ſo viele Reiſen in ferne Berg— gegenden unternommen worden ſind, die Meteorologie, ſich ſeit Jahrhunderten keiner Fortſchritte zu rühmen habe. Das Vertrauen, das ſie den Phyſikern entziehen, ſchenken ſie dem Mondwechſel und gewiſſen lange berufenen Kalendertagen. „Große Abweichungen von der mittleren Temperatur- verteilung treten ſelten lokal auf, ſie ſind meiſt über große Länderſtrecken gleichmäßig verteilt. Die Größe der Abweichung iſt an einer beſtimmten Stelle ein Maximum und nimmt dann nach den Grenzen hin ab. Werden dieſe Grenzen über— ſchritten, ſo findet man ſtarke Abweichungen im entgegen— geſetzten Sinne. Gleichartige Witterungsverhältniſſe finden ſich häufiger von Süden nach Norden als von Weſten nach Oſten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine ſibiriſche Reiſe vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika ſich einer ungewöhnlichen Wärme er— freute. Es iſt eine ganz willkürliche Annahme, daß auf einen ſtrengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge.“ Die ſo verſchiedenartig entgegen— geſetzten Witterungsverhältniſſe nebeneinanderliegender Länder oder zweier kornbauender Kontinente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preiſen vieler Produkte des Wein- und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allen Luftſchichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußerſten Grenze der Atmo— ſphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht, während das Thermometer und Pſychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermiſchen und hygrometriſchen Modifikationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder aeroſtatiſchen Reiſen fehlen, nur aus hypothetiſchen Kombinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und Feuchtigkeits— beſtimmer dienen kann. Wichtige Witterungsveränderungen haben nicht eine örtliche Urſache an dem Beobachtungsorte ſelbſt; ſie ſind Folgen einer Begebenheit, die in weiter Ferne durch Störung des Gleichgewichts in den Luftſtrömungen be— gonnen hat, meiſt nicht an der Oberfläche der Erde, ſondern in den höchſten Regionen, kalte oder warme, trockene oder feuchte Luft herbeiführend, die Durchſichtigkeit der Luft trübend NE oder aufheiternd, die getürmte Haufenwolke in zart: gefiederten Cirrus umwandelnd. Weil alſo Unzugänglichkeit der Erſcheinungen ſich zu der Vervielfältigung und Kompli— kation der Störungen geſellt, hat es mir immer geſchienen, daß die Meteorologie ihr Heil und ihre Wurzel wohl zuerſt in der heißen Zone ſuchen müſſe, in jener glücklichen Region, wo ſtets dieſelben Lüfte wehen, wo Ebbe und Flut des atmo— ſphäriſchen Druckes, wo der Gang der Hydrometeore, wo das Eintreten elektriſcher Exploſionen periodiſch wieder— kehrend ſind. Nachdem wir, den ganzen Umfang des anorganiſchen Erdenlebens durchlaufend, den Planeten in ſeiner Geſtaltung, ſeiner inneren Wärme, ſeiner elektromagnetiſchen Ladung, ſeinem Lichtprozeſſe an den Polen, ſeiner, Vulkanismus genannten Reaktion gegen die ſtarre, mannigfach zuſammen— geſetzte, äußere Rinde, endlich in den Erſcheinungen ſeiner zweifachen äußeren Hüllen (des Ozeans und des Luftmeers) mit wenigen Zügen geſchildert haben, könnte nach der älteren Behandlung der phyſiſchen Erdbeſchreibung das Naturbild als vollendet betrachtet werden. Wo aber die Weltanſicht zu einem höheren Standpunkte ſich zu erheben ſtrebt, würde jenes Naturbild ſeines anmutigſten Reizes beraubt erſcheinen, wenn es uns nicht zugleich die Sphäre des organiſchen Lebens in den vielen Abſtufungen ſeiner typiſchen Entwickelung dar— böte. Der Begriff der Belebtheit iſt ſo an den Begriff von dem Daſein der treibenden, unabläſſig wirkſamen, entmiſchend ſchaffenden Naturkräfte geknüpft, welche in dem Erdkörper ſich regen, daß in den älteſten Mythen der Völker dieſen Kräften die Erzeugung der Pflanzen und Tiere zugeſchrieben, ja der Zuſtand einer unbelebten Oberfläche unſeres Planeten in die chaotiſche Urzeit kämpfender Elemente hinaufgerückt wurde. In das empiriſche Gebiet objektiver ſinnlicher Betrachtung, in die Schilderung des Gewordenen, des damaligen Zuſtandes unſeres Planeten, gehören nicht die geheimnisvollen und un— gelöſten Probleme des Werdens. Die Weltbeſchreibung, nüchtern an die Realität ge— feſſelt, bleibt nicht aus Schüchternheit, ſondern nach der Natur ihres Inhaltes und ihrer Begrenzung den dunkeln Anfängen einer Geſchichte der Organismen?“ fremd, wenn das Wort Geſchichte hier in ſeinem gebräuchlichſten Sinne ge— nommen wird. Aber die Weltbeſchreibung darf auch daran mahnen, daß in der anorganiſchen Erdrinde dieſelben Grund— — 252 — ſtoffe vorhanden ſind, welche das Gerüſte der Tier- und Pflanzenorgane bilden. Sie lehrt, daß in dieſen wie in jener dieſelben Kräfte walten, welche Stoffe verbinden und tren— nen, welche geſtalten und flüſſig machen in den organiſchen Geweben, aber Bedingungen unterworfen, die noch unergründet unter der ſehr unbeſtimmten Benennung von Wirkung der Lebenskräfte nach mehr oder minder glücklich geahndeten Analogieen ſyſtematiſch gruppiert werden. Der naturbeſchauen— den Stimmung unſeres Gemütes iſt es daher ein Bedürfnis, die phyſiſchen Erſcheinungen auf der Erde bis zu ihrem äußerſten Gipfel, bis zur Formentwickelung der Vegetabilien und der ſich ſelbſt beſtimmenden Bewegung im tieriſchen Organis— mus zu verfolgen. So ſchließt ſich die Geographie des Organiſch-Lebendigen (Geographie der Pflanzen und Tiere) an die Schilderung der anorganiſchen Naturerſchei— nungen des Erdkörpers an. Ohne hier die ſchwierige Frage zu erörtern über das „Sich ſelbſt Bewegende“, d. h. über den Unterſchied des vege— tabiliſchen und tieriſchen Lebens, müſſen wir zuerſt nur darauf aufmerkſam machen, daß, wenn wir von Natur mit mikro- ſkopiſcher Sehkraft begabt, wenn die Integumente der Pflanzen vollkommen durchſichtig wären, das Gewächsreich uns nicht den Anblick von Unbeweglichkeit und Ruhe darbieten würde, in welcher es jetzt unſeren Sinnen erſcheint. Die inneren Teile des Zellenbaues der Organe ſind unaufhörlich durch die verſchiedenartigſten Strömungen belebt. Es ſind: Rotations- ſtrömungen, auf und ab ſteigend, ſich verzweigend, ihre Rich— tungen verändernd, durch die Bewegung körnigen Schleims offenbart, in Waſſerpflanzen (Najaden, Characeen, Hydrocha⸗ riden) und in den Haaren phanerogamiſcher Landpflanzen; eine wimmelnde, von dem großen Botaniker Robert Brown entdeckte Molekularbewegung, welche freilich außerhalb der Organe bei jeder äußerſten Teilung der Materie ebenfalls be⸗ merkbar wird; die kreiſende Strömung der Milchſaftkügelchen (Cykloſe) in einem Syſtem eigener Gefäße; endlich die ſonder— baren, ſich entrollenden, gegliederten Fadengefäße in den An— theridien der Chara und den Reproduktionsorganen der Leber— mooſe und Tangarten, in welchen der der Wiſſenſchaft zu früh entriſſene Meyen ein Analogon der Spermatozoen der animaliſchen Schöpfung zu erkennen glaubte. Zählen wir zu dieſen mannigfaltigen Regungen und Wirbeln noch hinzu, was der Endosmoſe, den Prozeſſen der Ernährung und des Wachs— — 253 — tums, was den inneren Luftſtrömen zugehört, ſo haben wir ein Bild von den Kräften, welche, uns faſt unbewußt, in dem ſtillen Pflanzenleben thätig ſind. Seitdem ich in den Anſichten der Natur die All- belebtheit der Erdoberfläche, die Verbreitung der organiſchen Formen nach Maßgabe der Tiefe und Höhe geſchildert habe, iſt unſere Kenntnis auch in dieſer Richtung durch Ehrenbergs glänzende Entdeckungen „über das Verhalten des kleinſten Lebens in dem Weltmeere wie in dem Eiſe der Polarländer“ auf eine überraſchende Weiſe, und zwar nicht durch kombi— natoriſche Schlüſſe, ſondern auf dem Wege genauer Beob— achtung vermehrt worden. Die Lebensſphäre, man möchte ſagen der Horizont des Lebens, hat ſich vor unſeren Augen erweitert. „Es gibt nicht nur ein unſichtbar kleines, mikro— ſkopiſches, ununterbrochen thätiges Leben in der Nähe beider Pole, da wo längſt das größere nicht mehr gedeiht; die mikro— ſkopiſchen Lebensformen des Südpolmeers, auf der antarktiſchen Reiſe des Kapitäns James Roß geſammelt, enthalten ſogar einen ganz beſonderen Reichtum bisher ganz unbekannter, oft ſehr zierlicher Bildungen. Selbſt im Rückſtande des ge— ſchmolzenen, in rundlichen Stücken umherſchwimmenden Eiſes, unter einer Breite von 78° 10°, wurden über fünfzig Arten kieſelſchaliger Polygaſtren, ja Koſkinodiſken, mit ihren grünen Ovarien, alſo ſicher lebend und gegen die Extreme ſtrenger Kälte glücklich ankämpfend, gefunden. In dem Golf des Erebus wurden mit dem Senkblei in 1242 bis 1620 Fuß (403 bis 526 m) Tiefe 68 kieſelſchalige Polygaſtren und Phy— tolitharien und mit ihnen nur eine einzige kalkſchalige Poly— thalamia ene, Die bisher beobachteten ozeaniſchen mikroſkopiſchen Formen ſind in weit überwiegender Menge die kieſelſchaligen, ob— gleich die Analyſe des Meerwaſſers die Kieſelerde nicht als weſentlichen Beſtandteil zeigt (und dieſelbe wohl nur als re gedacht werden kann). Der Ozean iſt aber nicht bloß an einzelnen Punkten und in Binnenmeeren oder den Küſten nahe mit unſichtbaren, d. h. von nichtbewaffneten Augen ungeſehenen Lebensatomen dicht bevölkert; man kann auch nach den von Schayer auf ſeiner Rückreiſe aus Van— diemensland geſchöpften Waſſerproben (ſüdlich vom Vor— gebirge der guten Hoffnung in 75° Breite, wie mitten unter den Wendekreiſen im Atlantiſchen Meere) für erwieſen an— nehmen, daß der Ozean in ſeinem gewöhnlichen Zuſtande, ohne bejondere Färbung, ohne fragmentariſch ſchwimmende, den Oszillatorien unſerer ſüßen Waſſer ähnliche Filze kieſel— ſchaliger Fäden der Gattung Chaetoceros, bei klarſter Durch— ſichtigkeit zahlreiche mikroſkopiſche ſelbſtändige Organismen ent— halte. Einige Polygaſtren von den Cockburninſeln, mit Pin— guinexkrementen und Sand gemengt, ſcheinen über die ganze Erde verbreitet; andere ſind beiden Polen gemeinſam. Es herrſcht demnach, und die neueſten Beobachtungen beſtätigen dieſe Anſicht, in der ewigen Nacht der ozeaniſchen Tiefen vorzugsweiſe das Tierleben, während auf den Konti— nenten, des periodiſchen Reizes der Sonnenſtrahlen bedürftig, das Pflanzenleben am meiſten verbreitet iſt. Der Maſſe nach überwiegt im allgemeinen der vegetabiliſche Organismus bei weitem den tieriſchen auf der Erde. Was iſt die Zahl großer Cetaceen und Pachydermen gegen das Volum dicht— gedrängter, rieſenmäßiger Baumſtämme von 8 bis 12 Fuß (2,6 bis 3,9 m) Durchmeſſer in dem einzigen Waldraum, welcher die Tropenzone von Südamerika zwiſchen dem Orinoko, dem Amazonenfluß und dem Rio da Madeira füllt! Wenn auch der Charakter der verſchiedenen Erdräume von allen äußeren Erſcheinungen zugleich abhängt, wenn Umriß der Gebirge, Phyſiognomie der Pflanzen und Tiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengeſtalt und Durchſichtigkeit des Luftkreiſes den Total— eindruck bewirken, ſo iſt doch nicht zu leugnen, daß das Hauptbeſtimmende dieſes Eindrucks die Pflanzendecke iſt. Dem tieriſchen Organismus fehlt es an Maſſe, und die Be— weglichkeit der Individuen entzieht ſie oft unſeren Blicken. Die Pflanzenſchöpfung wirkt durch ſtetige Größe auf unſere Einbildungskraft; ihre Maſſe bezeichnet ihr Alter, und in den Gewächſen allein ſind Alter und Ausdruck der ſtets ſich er— neuernden Kraft miteinander gepaart. In dem Tierreiche (und auch dieſe Betrachtung iſt das Reſultat von Ehrenbergs Ent—⸗ deckungen) iſt es gerade das Leben, das man das kleinſte im Raume zu nennen pflegt, welches durch ſeine Selbſtteilung und raſche Vermehrung?“ die wunderbarſten Maſſenverhält— niſſe darbietet. Die kleinſten der Infuſorien, die Monadinen, erreichen nur einen Durchmeſſer von oe einer Linie, und doch bilden die kieſelſchaligen Organismen in feuchten Gegen— ai unterirdiſche belebte Schichten von der Dicke mehrerer Lachter. Der Eindruck der Allbelebtheit der Natur, anregend und wohlthätig dem fühlenden Menſchen, gehört jeder Zone an; — 255 — am mächtigſten wird er gegen den Aequator hin, in der eigent— lichen Zone der Palmen, der Bambuſen und der baumartigen Farne, da wo von dem mollusken- und korallenreichen Meeres- ufer der Boden ſich bis zur ewigen Schneegrenze erhebt. Die Ortsverhältniſſe der Pflanzen und Tiere umfaſſen faſt alle Höhen und Tiefen. Organiſche Gebilde ſteigen in das Innere der Erde herab; nicht bloß da, wo durch den Fleiß des Berg— mannes große Weitungen entſtanden ſind, auch in natürlichen Höhlen, die zum erſtenmal durch Sprengarbeit geöffnet wurden, und in die nur meteoriſche Tagewaſſer auf Spalten eindringen konnten, habe ich ſchneeweiße Stalaktitenwände mit dem zarten Geſchlechte einer Usnea bedeckt gefunden. Podu— rellen dringen in die Eisröhren der Gletſcher am Mont Roſe, im Grindelwald und dem oberen Aargletſcher; Chionaea ara- neoides, von Dalman beſchrieben, und die mikroſkopiſche Discerea nivalis (einſt Protococcus) leben im Schnee der Polarländer wie in dem unſerer hohen Gebirge. Das Rot— werden des alten Schnees war ſchon dem Ariſtoteles, wahr— ſcheinlich in den makedoniſchen Gebirgen, bekannt geworden. Während auf hohen Gipfeln der Schweizer Alpen nur Leci— deen, Parmelien und Umbilicarien das von Schnee entblößte Geſtein farbig, aber ſparſam überziehen, blühen noch ver— einzelt in der Tropengegend der Andeskette in 14000 und 14400 Fuß (4550 bis 4680 m) Höhe ſchöne Phanerogamen: das wollige Cucitium rufescens, Sida pichinchensis und Saxi- fraga Boussingaulti. Heiße Quellen enthalten kleine Inſekten (Hydroporus thermalis), Gallionellen, Oszillatorien und Kon— ferven; ſie tränken ſelbſt die Wurzelfaſern phanerogamiſcher Gewächſe. Wie Erde, Luft und Waſſer bei den verſchieden— ſten Temperaturen belebt ſind, ſo iſt es auch das Innere der verſchiedenſten Teile der Tierkörper. Es gibt Bluttiere in den Fröſchen wie im Lachſe; nach Nordmann ſind oft alle Flüſſigkeiten der Fiſchaugen mit einem Saugwurme (Diplo— stomum) gefüllt, ja in den Kiemen des Bleies lebt das wunderſame Doppeltier (Diplozoon paradoxum), welches der eben genannte Naturforſcher entdeckt hat, ein Tier, kreuz— förmig verwachſen, mit 2 Köpfen und 2 Schwanzenden verſehen. Wenn auch die Exiſtenz von ſogenannten Meteorinfu— ſorien mehr als zweifelhaft iſt, ſo darf doch die Möglich— keit nicht geleugnet werden, daß, wie Fichtenblütenſtaub jähr— lich aus der Atmoſphäre herabfällt, auch kleine Infuſionstiere, mit dem Waſſerdampf paſſiv gehoben, eine Zeitlang in den — 256 — Luftſchichten ſchweben können.““ Dieſer Umſtand iſt bei dem uralten Zwiſte über eine mutterloſe Zeugung?“ (generatio spontanea) in ernſte Betrachtung zu , um ſo mehr als Ehrenberg, wie ſchon oben bemerkt, entdeckt hat, daß der nebelartig die Luft trübende Staubregen, welchem See: fahrer häufig in der Nähe der kapverdiſchen Inſeln und bis in 380 Seemeilen Entfernung von der afrikaniſchen Küſte ausgeſetzt ſind, Reſte von 18 Arten kieſelſchaliger polygaſtri— ſcher 5 enthält. Die Fülle der Organismen, deren räumliche Verteilung die Geographie der Pflanzen und Tiere verfolgt, wird entweder nach der Verſchiedenheit und relativen Zahl der Bildungstypen, alſo nach der Geſtaltung der vorhandenen Gattungen und Arten, oder nach der Zahl der Individuen betrachtet, welche auf einem gegebenen Flächenraume einer jeden Art zukommt. Bei den Pflanzen wie bei den Tieren iſt es ein wichtiger Unterſchied ihrer Lebensweiſe, ob ſie iſo— liert (vereinzelt) oder Klaue lebend gefunden werden. Die Arten, welche ich geſellige Pflanzen genannt habe, be— decken einförmig große Strecken. Dahin gehören viele Tang⸗ arten des Meeres, Kladonien und Mooſe in den öden Flach— ländern des nördlichen Aſiens, Gräſer und orgelartig auf— ſtrebende Kakteen, Avicennia und Mangleſträucher in der Tropenwelt, Wälder von Koniferen und Birken in den bal- tiſchen und ſibiriſchen Ebenen. Dieſe Art der geographiſchen Verteilung beſtimmt, neben der individuellen Form der Pflanzen⸗ geſtalt, neben ihrer Größe, Blatt- und Blütenform, haupt⸗ ſächlich den phyſiognomiſchen Charakter einer Gegend. Das bewegliche Bild des Tierlebens, ſo mannigfaltig und reizend, ſo mehr angeeignet es unſeren Gefühlen der Zu: neigung oder des Abſcheues iſt, bleibt faſt demſelben fremd, wirkt wenigſtens minder mächtig auf ihn. Die ackerbauenden Völker vermehren künſtlich die Herrſchaft geſelliger Bilanzen, und jo an vielen Punkten der gemäßigten und nördlichen Zone den Anblick der Einförmigkeit der Natur; auch bereiten ſie den Untergang wildwachſenden Pflanzen und ſiedeln an⸗ dere, die dem Menden auf fernen Wanderungen folgen, ab⸗ ſichtslos an. Die üppige Zone der Tropenwelt widerſteht kräftiger dieſen gewaltſamen Umwandelungen der Schöpfung. Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landſtrecken durch— zogen, Gebirgsgruppen beſtiegen hatten, in denen die Klimate ſchichtenweiſe übereinander gelagert ſind, mußten ſich früh an— geregt fühlen von einer geſetzmäßigen Verteilung der Pflanzen— formen. Sie ſammelten rohe Materialen für eine Wiſſen— ſchaft, deren Name noch nicht ausgeſprochen war. Dieſelben Zonen (Regionen) der Gewächſe, welche als Jüngling der Kardinal Bembo am Abhange des Aetna im ſechzehnten Jahr— hundert beſchrieb, fand Tournefort am Ararat wieder. Er verglich ſcharfſinnig die Alpenflor mit der Flor der Ebenen unter verſchiedenen Breiten; er bemerkte zuerſt, daß die Er— höhung des Bodens über dem Meeresſpiegel auf die Ver teilung der Gewächſe wirke, wie die Entfernung vom Pole im Flachlande. Menzel in einer unedierten Flora von Japan ſprach zufällig den Namen der Geographie der Pflanzen aus. Dieſer Name findet ſich wieder in den phantaſtiſchen, aber anmutigen Studien der Natur von Bernardin de St. Pierre. Eine wiſſenſchaftliche Behandlung des Gegenſtandes hat erſt angefangen, als man die Geographie der Pflanzen mit der Lehre von der Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper in innige Verbindung brachte, als man die Gewächſe nach natür— lichen Familien ordnen, und ſo numeriſch unterſcheiden konnte, welche Formen vom Aequator gegen die Pole ab— oder zunehmen, in welchem Zahlenverhältnis in verſchiedenen Erdſtrichen jede Familie zu der ganzen daſelbſt wachſenden Maſſe der Phanerogamen ſtehe. Es iſt ein glücklicher Umſtand meines Lebens geweſen, daß zu der Zeit, in welcher ich mich faſt ausſchließend mit Botanik beſchäftigte, meine Studien, durch den Anblick einer großartigen, klimatiſch kontraſtierten Natur begünſtigt, ſich auf die eben genannten Gegenſtände der Unterſuchung richten konnten. Die geographiſche Verbreitung der Tierformen, über welche Buffon zuerſt allgemeine und großenteils ſehr richtige An— ſichten aufgeſtellt, hat in neueren Zeiten aus den Fortſchritten der Pflanzengeographie mannigfaltigen Nutzen gezogen. Die Krümmungen der Iſothermen, beſonders die der Iſochimenen, offenbaren ſich in den Grenzen, welche gewiſſe Pflanzen- und nicht weit wandernde Tierarten gegen die Pole zu, wie gegen den Gipfel ſchneebedeckter Gebirge, ſelten überſteigen. Das Elentier z. B. lebt auf der ſkandinaviſchen Halbinſel faſt zehn Grad nördlicher als im Inneren von Sibirien, wo die Linie gleicher Winterwärme ſo auffallend konkav wird. Pflanzen wandern im Ei. Der Samen vieler iſt mit eigenen Organen zur weiten Luftreiſe verſehen. Einmal angewurzelt, ſind ſie abhängiger vom Boden und von der Temperatur der Luft— A. v. Humboldt, Kosmos. I. 17 258 — ſchicht, welche ſie umgibt. Tiere erweitern nach Willkür ihren Verbreitungsbezirk von dem Aequator gegen die Pole hin: da vorzüglich, wo die Iſotheren ſich wölben und heiße Sommer auf eine ſtrenge Winterkälte folgen. Der Königs— tiger, von dem oſtindiſchen gar nicht verſchieden, ſtreift jeden Sommer im nördlichen Aſien bis in die Breite von Berlin und Hamburg, wie Ehrenberg und ich an einem anderen Orte entwickelt haben. i Die Gruppierung oder Aſſociation der Gewächsarten, welche wir Floren (Vegetationsgebiete) zu nennen gewohnt ſind, ſcheint mir, nach dem, was ich von der Erde geſehen, keineswegs das Vorherrſchen einzelner Familien ſo zu offen— baren, daß man berechtigt ſein könnte, Reiche der Umbellaten, Solidagoarten, Labiaten oder Scitamineen geographiſch auf— zuſtellen. Meine individuelle Anſicht bleibt in dieſem Punkte abweichend von der Anſicht mehrerer der ausgezeichnetſten und mir befreundeten Botaniker Deutſchlands. Der Charakter der Floren in den Hochländern von Mexiko, Neu-Granada und Quito, vom europäiſchen Rußland und von Nordaſien liegt, wie ich glaube, nicht in der relativ größeren Zahl der Arten, welche eine oder zwei natürliche Familien bilden, er liegt in den viel komplizierteren Verhältniſſen des Zuſ 1 ens vieler Familien und der relativen Zahlenwerte ihrer Arten. In einem Wieſen- und Steppenlande herrſchen allerdings die Gramineen und Cyperaceen, in unſeren nördlichen Wäldern die Zapfenbäume, Cupuliferen und Betulineen vor; aber dieſes Vorherrſchen der Formen iſt nur ſcheinbar, und täuſchend wegen des Anblickes, den geſellige Pflanzen gewähren. Der Norden von Europa und Sibirien in der Zone nördlich vom Altai verdienen wohl nicht mehr den Namen eines Reiches der Gramineen oder der Koniferen als die end— loſen Llanos zwiſchen dem Orinoko und der Bergkette von Caracas oder als die Fichtenwaldungen von Mexiko. In dem Zuſammenleben der Formen, die ſich teilweiſe erſetzen, in ihrer relativen Menge und Gruppierung liegt der Geſamteindruck von Fülle und Mannigfaltigkeit oder von Armut und Ein⸗ förmigkeit der vegetabiliſchen Natur. Ich bin in dieſer fragmentaren Betrachtung der Er— ſcheinungen des Organismus von den einfachſten Zellen, gleichſam dem erſten Hauche des Lebens, zu höheren und höheren Bildungen aufgeſtiegen. „Das Zuſammenhäufen von Schleimkörnchen zu einem beſtimmt geformten Cytoblaſten, — 259 — um den ſich blaſenförmig eine Membrane als geſchloſſene Zelle bildet“, iſt entweder durch eine ſchon vorhandene Zelle ver— anlaßt, ſo daß Zelle durch Zelle entſteht, oder der Zellen— bildungsprozeß iſt wie bei den ſogenannten Gärungs⸗ pilzen in das Dunkel eines chemiſchen Vorganges gehüllt. Die geheimnisvollſte Art des Werdens durfte hier nur leiſe berührt werden. Die Geographie der Organismen (der Pflanzen und Tiere) behandelt die ſchon entwickelten Keime, ihre Anſiedelung durch willkürliche oder unwillkürliche Wanderung, ihr relatives Verhältnis, ihre Geſamtverteilung auf dem Erdkörper. Es würde das allgemeine Naturbild, das ich zu entwerfen ſtrebe, unvollſtändig bleiben, wenn ich hier nicht auch den Mut hätte, das Menſchengeſchlecht in ſeinen phyſiſchen Ab— ſtufungen, in der geographiſchen Verbreitung ſeiner gleichzeitig vorhandenen Typen, in dem Einfluß, welchen es von den Kräften der Erde empfangen und wechſelſeitig, wenn gleich ſchwächer, auf ſie ausgeübt hat, mit wenigen Zügen zu ſchildern. Abhängig, wenn gleich in minderem Grade als Pflanzen und Tiere, von dem Boden und den meteorologiſchen Prozeſſen des Luftkreiſes, den Naturgewalten durch Geiſtes— thätigkeit und ſtufenweiſe erhöhte Intelligenz, wie durch eine wunderbare, ſich allen Klimaten aneignende Biegſamkeit des Organismus leichter entgehend, nimmt das Geſchlecht weſent⸗ lich teil an dem ganzen Erdenleben. Durch dieſe Beziehungen gehört demnach das dunkle und vielbeſtrittene Problem von der Möglichkeit gemeinſamer Abſtammung in den Ideenkreis, welchen die phyſiſche Weltbeſchreibung umfaßt. Es ſoll die Unterſuchung dieſes Problems, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, durch ein edleres und rein menſchliches Intereſſe das letzte Ziel meiner Arbeit bezeichnen. Das unermeſſene Reich der Sprachen, in deren verſchiedenartigem Organismus ſich die Geſchicke der Völker ahnungsvoll abſpiegeln, ſteht am nächſten dem Gebiet der Stammverwandtſchaft; und was ſelbſt kleine Stammverſchiedenheiten hervorzurufen vermögen, lehrt uns in der Blüte geiſtiger Kultur die helleniſche Welt. Die wichtigſten Fragen der Bildungsgeſchichte der Menſchheit lnüpfen ſich an die Ideen von Abſtammung, Gemeinſchaft der Sprache, Unwandelbarkeit in einer urſprünglichen Richtung des Geiſtes und des Gemütes. Solange man nur bei den Extremen in der Variation der Farbe und der Geſtaltung verweilte und ſich der Leb— haftigkeit der erſten ſinnlichen Eindrücke hingab, konnte man allerdings geneigt werden, die Raſſen nicht als bloße A b— arten, ſondern als urſprünglich verſchiedene Menſchenſtämme zu betrachten. Die Feſtigkeit gewiſſer Typen?“ mitten unter der feindlichſten Einwirkung äußerer, be onders klimatiſcher Potenzen ſchien eine ſolche Annahme zu nennen jo kurz auch die Zeiträume ſind, aus denen hiſtoriſche Kunde zu uns gelangt iſt. Kräftiger aber ſprechen, auch meiner Anſicht nach, für die Einheit des Menſchengeſchlechtes die vielen Mittelſtufen der Hautfarbe und des Schädelbaues, welche die raſchen Fortſchritte der Ländererkenntnis uns in neueren Zeiten dargeboten haben; die Analogie der Abartung in anderen wilden und zahmen Tierklaſſen; die ſicheren Erfahrungen, welche über die Grenzen fruchtbarer Baſtarderzeugung haben geſammelt werden können. Der größere Teil der Kontraſte, die man ehemals hatte zu finden geglaubt, iſt durch die fleißige Arbeit Tiedemanns über das Hirn der Neger und der Europäer, durch die anatomiſchen Unterſuchungen Vroliks und Webers über die Geſtalt des Beckens hinweggeräumt. Wenn man die dunkelfarbigen afrikaniſchen Nationen, über die Prichards gründliches Werk ſo viel Licht verbreitet hat, in ihrer Allgemeinheit umfaßt und ſie dazu noch mit den Stämmen des ſüdindiſchen und weſtauſtraliſchen Archipels, mit den Papua und Alfuru (Haraforen, Endamenen) ver: gleicht, ſo ſieht man deutlich, daß ſchwarze Hautfarbe, wolliges Haar und negerartige Geſichtszüge keineswegs immer mit— einander verbunden ſind. Solange den weſtlichen Völkern nur ein kleiner Teil der Erde aufgeſchloſſen war, mußten ein— ſeitige Anſichten ſich bilden. Sonnenhitze der Tropenwelt und ſchwarze Hautfarbe ſchienen unzertrennlich. „Die Aethiopen,“ jang der alte Tragiker Theodektes von Phaſelis,?“ „färbt der nahe Sonnengott in ſeinem Laufe mit des Rußes finſterem Glanz; die Sonnenglut kräuſelt ihnen dörrend das Haar.“ Erſt die Heerzüge Alexanders, welche ſo viele Ideen der phy— ſiſchen Erdbeſchreibung anregten, fachten den Streit über den unſicheren Einfluß der Klimate auf die Volksſtämme an. „Die Geſchlechter der Tiere und Pflanzen,“ ſagt einer der größten Anatomen unſeres Zeitalters, Johannes Müller, in ſeiner alles umfaſſenden Phyſiologie des Menſchen, „verändern ſich während ihrer Ausbreitung über die Oberfläche der Erde innerhalb der den Arten und Gattungen vorgeſchriebenen Grenzen. Sie pflanzen ſich als Typen der Variation der — 261 — Arten organisch fort. Aus dem Zuſammenwirken verſchiedener ſowohl innerer als äußerer, im einzelnen nicht nachweisbarer Bedingungen ſind die gegenwärtigen 1 0 5 der Tiere hervor— gegangen, von welchen ſich die auffallendſten Abarten bei denen finden, die der ausgedehnteſten Verbreitung auf der Erde fähig ſind. Die Menſchenraſſen ſind Formen einer einzigen Art, welche ſich fruchtbar paaren und durch Zeugung fortpflanzen; ſie ſind nicht Arten eines Genus: wären ſie das letztere, ſo würden ihre Baſtarde unter ſich unfruchtbar ſein. Ob die gegebenen Menſchenraſſen von mehreren oder einem Urmenſchen abſtammen, kann nicht aus der Erfahrung er— mittelt werden.“ Die geographiſchen Forſchungen über den alten Sitz, die ſogenannte Wiege des Menſchengeſchlechtes haben in der That einen rein mythiſchen Charakter. „Wir kennen,“ ſagt Wilhelm von Humboldt in einer noch ungedruckten Arbeit über die Verſchiedenheit der Sprachen und Völker, „geſchichtlich oder auch nur durch irgend ſichere Ueberlieferung keinen Zeitpunkt, in welchem das Menſchengeſchlecht nicht in Völkerhaufen getrennt geweſen wäre. Ob dieſer Zuſtand der urſprüngliche war oder erſt ſpäter entſtand, läßt ſich daher geſchichtlich nicht entſcheiden. Einzelne an ſehr verſchiedenen Punkten der Erde ohne irgend ſichtbaren Zuſammenhang wiederkehrende Sagen verneinen die erſtere Annahme und laſſen das ganze Menſchengeſchlecht von einem Menſchenpaare abſtammen. Die weite Verbreitung dieſer Sage hat fie bis- weilen für eine Urerinnerung der Menſchheit halten laſſen. Gerade dieſer Umſtand aber beweiſt vielmehr, daß ihr keine Ueberlieferung und nichts Geſchichtliches zum Grunde lag, ſon— dern nur die Gleichheit der menſchlichen Vorſtellungsweiſe zu derſelben Erklärung der gleichen Erſcheinung führte, wie gewiß viele Mythen, ohne geſchichtlichen Zuſammenhang, bloß aus der Gleichheit des menſchlichen Dichtens und Grübelns ent— ſtanden. Jene Sache trägt auch darin ganz das Gepräge menſchlicher Erfindung, daß ſie die außer aller Erfahrung liegende Erſcheinung des erſten Entſtehens des Menſchen— geſchlechtes auf eine innerhalb heutiger Erfahrung liegende Weiſe und ſo erklären will, wie in Zeiten, wo das ganze Menſchengeſchlecht ſchon Jahrtauſende hindurch beſtanden hatte, eine wüſte Inſel oder ein abgeſondertes Gebirgsthal mag be— völkert worden ſein. Vergeblich würde ſich das Nachdenken in das Problem jener erſten Entſtehung vertieft haben, da — 262 — der Menſch ſo an ſein Geſchlecht und an die Zeit gebunden iſt, daß ſich ein einzelner ohne vorhandenes Geſchlecht und ohne Vergangenheit gar nicht in menſchlichem Daſein ka läßt. Ob alſo in dieſer, weder auf dem Wege der Gedanken noch der Erfahrung zu entſcheidenden Frage wirklich jener an: geblich traditionelle Zuſtand der geſchichtliche war, oder ob das Menſchengeſchlecht von ſeinem Beginnen an völkerweiſe den Erdboden bewohnte, darf die Sprachkunde weder aus ſich beſtimmen, noch, die Entſcheidung anderswoher nehmend, zum Erklärungsgrunde für ſich naher wollen.“ Die Gliederung der Menſchheit iſt nur eine Gliederung in Abarten, die man mit dem, freilich etwas unbeſtimmten Worte Raſſen bezeichnet. Wie in dem Gewächsreiche, in der Naturgeſchichte der Vögel und Fiſche die Gruppierung in viele kleine Familien ſicherer als die in wenige, große Maſſen um⸗ faſſende Abteilungen iſt, jo ſcheint mir auch, bei der Beſtim⸗ mung der Raſſen, die Aufſtellung kleinerer Völkerfamilien vorzuziehen. Man mag die alte Klaſſifikation meines Lehrers Blumenbach nach fünf Raſſen (der kaukaſiſchen, mongoliſchen, amerikaniſchen, äthiopiſchen und malayiſchen) befolgen oder mit Prichard ſieben Raſſen (die iraniſche, turaniſche, amerika⸗ niſche, die der Hottentotten und Buſchmänner, der Neger, der Papua und der Alfuru) annehmen, immer iſt keine typiſche Schärfe, kein durchgeführtes natürliches Prinzip der Einteilung in ſolchen Gruppierungen zu erkennen. Man ſondert ab, was gleichſam die Extreme der Geſtaltung und Farbe bildet, un⸗ bekümmert um die Völkerſtämme, welche nicht in jene Klaſſen einzuſchalten find, und welche man bald ſkythiſche, bald allo— phyle Raſſen hat nennen wollen. Iraniſch iſt allerdings für die europäiſchen Völker ein minder ſchlechter Name als kau— kaſiſch; aber im allgemeinen darf man behaupten, daß geo- graphiſche Benennungen als Ausgangspunkt der Raſſe ſehr unbeſtimmt ſind, wenn das Land, welches der Raſſe den Namen geben ſoll, wie z. B. Turan (Mawerannahr), zu verſchiedenen Zeiten “” von den verſchiedenſten Volksſtämmen — indo⸗ germaniſchen und finniſchen, nicht aber mongoliſchen Urſprungs — bewohnt worden iſt. Die Sprachen als geiſtige Schöpfungen der Menſchheit, als tief in ihre geiſtige Entwickelung verſchlungen, haben, in⸗ dem ſie eine nationelle Form offenbaren, eine hohe Wichtig⸗ keit für die zu erkennende Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit der Raſſen. Sie haben dieſe Wichtigkeit, weil Gemeinſchaft der Abſtammung in das geheimnisvolle Labyrinth führt, in welchem die Verknüpfung der phyſiſchen (körperlichen) Anlagen mit der geiſtigen Kraft in tauſendfältig verſchiedener Geſtal— tung ſich darſtellt. Die glänzenden Fortſchritte, welche das philoſophiſche Sprachſtudium im deutſchen Vaterlande ſeit noch nicht einem halben Jahrhundert gemacht hat, erleichtern die Unterſuchungen über den Mattonel en Charakter der Spra- chen, über das, was die Abſtammung ſcheint herbeigeführt zu haben. Wie in allen Gebieten idealer Spekulation, ſteht aber auch hier die Gefahr der Täuſchung neben der Hoffnung einer reichen und ſicheren Ausbeute. Poſitive ethnographiſche Studien, durch gründliche Kennt— nis der Geſchichte unterſtützt, lehren, daß eine große Vorſicht in dieſer Vergleichung der Völker und der Sprachen, welcher die Völker ſich zu einer beſtimmten Zeitepoche bedienten, anzu— wenden ſei. Unterjochung, langes Zuſammenleben, Einfluß einer fremden Religion, Vermiſchung der Stämme, wenn auch oft nur bei geringer Zahl der mächtigeren und gebildeteren Einwanderer, haben ein in beiden Kontinenten ſich gleichmäßig erneuerndes Phänomen hervorgerufen, daß ganz verſchiedene Sprachfamilien ſich bei einer und derſelben Raſſe, daß bei Völkern ſehr verſchiedener Abſtammung ſich Idiome desſelben Sprachſtammes finden. Aſiatiſche Welteroberer haben am mächtigſten auf ſolche Erſcheinungen eingewirkt. Sprache iſt aber ein Teil der Naturkunde des Geiſtes; und wenn auch die Freiheit, mit welcher der Geiſt in glück— licher Ungebundenheit die ſelbſtgewählten Richtungen, unter ganz verſchiedenartigen phyſiſchen Einflüſſen, ſtetig verfolgt, ihn der Erdgewalt mächtig zu entziehen ſtrebt, ſo wird die Entfeſſelung doch nie ganz vollbracht. Es bleibt etwas von dem, was den Naturanlagen aus Abſtammung, dem Klima, der heiteren Himmelsbläue, oder einer trüben Dampfatmoſphäre der Inſelwelt zugehört. Da nun der Reichtum und die An— mut des 1 ſich aus dem Gedanken wie aus des Geiſtes zarteſter Blüte entfalten, ſo wollen wir nicht, daß bei der Innigkeit des Bandes, welches beide Sphären, die phyſiſche und die Sphäre der Intelligenz und der Gefühle, miteinander verknüpft, unſer Naturbild des freundlichen Lichtes und der Färbung entbehre, welche ihm die, hier freilich nur angedeu— teten Betrachtungen über das Verhältnis der Abſtammung zur Sprache verleihen können. Indem wir die Einheit des Menſchengeſchlechtes behaupten, — 264 — widerſtreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme ?“ von höheren und niederen Menſchenraſſen. Es gibt bildſamere, höher gebildete, durch geiſtige Kultur veredelte, aber keine edleren Volksſtämme. Alle ſind gleichmäßig zur Freiheit be— ſtimmt, zur Freiheit, welche in roheren Zuſtänden dem ein— zelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politiſcher Inſti— tutionen der Geſamtheit als Berechtigung zukommt. „Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geſchichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung ſichtbar iſt, wenn irgend eine die vielfach beſtrittene, aber noch vielfacher miß— verſtandene Vervollkommnung des ganzen Geſchlechtes beweiſt, ſo iſt es die Idee der Menſchlichkeit: das Beſtreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einſeitige Anſichten aller Art feindſelig zwiſchen die Menſchen geſtellt, aufzuheben, und die geſamte Menſchheit, ohne Rückſicht auf Religion, Nation und Farbe, als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwickelung inner— licher Kraft, beſtehendes Ganzes zu behandeln. Es iſt dies das letzte, äußerſte Ziel der Geſelligkeit, und zugleich die durch ſeine Natur ſelbſt in ihn gelegte Richtung des Menſchen auf unbeſtimmte Erweiterung ſeines Daſeins. Er ſieht den Boden, ſo weit er ſich ausdehnt; den Himmel, ſo weit, ihm entdeckbar, er von Geſtirnen umflammt wird, als innerlich ſein, als ihm zur Betrachtung und Wirkſamkeit gegeben an. Schon das Kind ſehnt ſich über die Hügel, über die Seen hinaus, welche ſeine enge Heimat umſchließen; es ſehnt ſich dann wieder pflanzenartig zurück, denn es iſt das Rührende und Schöne im Menſchen, daß Sehnſucht nach Erwünſchtem und nach Ver— lorenem ihn immer bewahrt, ausſchließlich in dem Augenblicke zu haften. So feſtgewurzelt in der innerſten Natur des Menſchen, und zugleich geboten durch ſeine höchſten Beſtrebungen, wird jene wohlwollend menſchliche Verbindung des ganzen Geſchlechtes zu einer der großen leitenden Ideen in der Ge— ſchichte der Menſchheit.“ ?““ Mit dieſen Worten, welche ihre Anmut aus der Tiefe der Gefühle ſchöpfen, ſei es dem Bruder erlaubt, die allge— meine Darſtellung der Naturerſcheinungen im Weltall zu be— ſchließen. Von den fernſten Nebelflecken und von kreiſenden Doppelſternen ſind wir zu den kleinſten Organismen der tie— riſchen Schöpfung im Meer und Land, und zu den zarten Pflanzenkeimen herabgeſtiegen, welche die nackte Felsklippe am Abhang eiſiger Berggipfel bekleiden. Nach teilweiſe erkannten — 265 — Geſetzen konnten hier die Erſcheinungen geordnet werden. Geſetze anderer, ehen volkeber Art walten in den höchſten Lebenskreiſen der organiſchen Welt, in denen des vielfach ge— ſtalteten, mit ſchaffender Geiſteskraft begabten, ſpracherzeu— genden Menſchengeſchlechts. Ein phyſiſches Naturgemälde bezeichnet die Grenze, wo die Sphäre der Intelligenz be— ginnt und der ferne Blick ſich ſenkt in eine andere Welt. Es bezeichnet die Grenze und überſchreitet ſie nicht. Anmerkungen. (S. 60.) Die Zahl der unauflöslichen Nebelflecken und Sternhaufen iſt jetzt auf über 5000 geſtiegen. Das vollſtändigſte Verzeichnis derſelben iſt der von J. Herſchel im Jahre 1864 ver— öffentlichte General Catalogue of nebulae and Clusters of Stars, welcher 5079 Poſitionen und gedrängte Beſchreibungen der Nebel enthält. Die meiſten find jo ſchwach, daß ſie mit geringeren Fern— rohren nicht geſehen werden können. — [D. Herausg.] ? (S. 61.) In der That führen die prächtigen neuen Dar— ſtellungen des Orionnebels von Bond, Laſſell, Lord Roſſe, d' Arreſt, Tempel im ganzen dazu, daß die Annahme großer Veränderungen in der Geſtalt des Nebels nicht begründet iſt; höchſtens ſind Hellig— keitsveränderungen einzelner Teile erfolgt. — [D. Herausg.] (S. 61.) Jetzt kennt man planetariſche Nebel von jo ge: ringem ſcheinbaren Durchmeſſer, daß ſie in ſchwächeren Fernrohren ſich von Sternen nicht unterſcheiden. — [D. Herausg.] (S. 61.) „Die beiden Magelhaniſchen Wolken, Nubecula major und minor, ſind höchſt merkwürdige Gegenſtände. Die größere Wolke iſt eine Zuſammenhäufung von Sternen und be— ſteht aus Sternhaufen von unregelmäßiger Geſtalt, aus kugelför— migen Haufen und aus Nebelſternen von verſchiedener Größe und Dichtigkeit. Es liegen dazwiſchen große, nicht in Sterne aufzu— löſende Nebelflecke, die wahrſcheinlich Sternenſtaub (star-dust) find und ſelbſt mit dem zwanzigfüßigen Teleſkop nur als eine allgemeine Helligkeit des Geſichtsfeldes erſcheinen und einen glänzenden Hinter— grund bilden, auf dem andere Gegenſtände von ſehr auffallender und unbegreiflicher Geſtalt zerſtreut ſind. An keinem anderen Teile des Himmels ſind auf einem ſo kleinen Raume ſo viele Nebel— und Sternhaufen zuſammengedrängt wie in dieſer Wolke. Die Nubecula minor iſt viel weniger ſchön; ſie zeigt mehr unauf— lösliches, nebliges Licht, und die darin befindlichen Sternhaufen ſind geringer an Zahl und ſchwächer.“ (Aus einem Briefe von Sir John Herſchel, Feldhuyſen und Kap der guten Hoffnung, 13. Juni 1836.) 5 (S. 62.) Man erklärt das Zodiakallicht oder Tierkreis⸗ licht bisher meiſt mit der Annahme, daß die Sonne in der Ebene — 267 — ihres (mit der Ekliptik nahezu zuſammenfallenden) Aequators von einem Ringe umgeben ſei, welcher das Sonnenlicht reflektiere; dem entgegen ſehen neuere Forſcher in dem Zodiakallicht eine in den äußerſten Schichten der Atmoſphäre vor ſich gehende elektriſche, dem Nordlicht analoge Erſcheinung, welche im weſentlichen alſo der Erde angehört. — [(D. Herausg.] 6 (S. 62.) Den ſchönen Ausdruck yöpros obpavod, welchen Heſychius einem unbekannten Dichter entlehnt, hätte ich oben bei Himmelsgarten angeführt, wenn yöpros nicht allgemeiner einen eingeſchloſſenen Platz und ſo den „Himmelsraum“ bezeichnete. Der Zuſammenhang mit dem germaniſchen Garten (gotiſch gards, nach Jakob Grimm von gairdan, eingere) iſt aber nicht zu ver⸗ kennen, jo wenig als die Verwandtſchaft mit dem ſlawiſchen grad, gorod und die von Pott bemerkte mit dem lateiniſchen chors (woher corte, cour) und dem oſſetiſchen khart. Hieran ſchließt ſich ferner das nordiſche gard, gärd (Umzäunung, dann, ein Ge- höfte, Landſitz) und das perſiſche gerd, gird (Umkreis, Kreis); dann ein fürſtlicher Landſitz, Schloß oder Stadt, wie in alten Ortsnamen in Firduſis Schanameh: Siyawakſchgird, Darabgird u. a. (S. 64.) Gylden hat die Parallaxe des Sirius zu 0/19 berechnet. — [D. Herausg.] „(S. 64.) Ueber die relativen Entfernungen der Sterne ver: ſchiedener Ordnung, wie die dritter Größe wahrſcheinlich dreifach entfernter ſind, und wie man ſich die körperliche Geſtaltung der Sternſchichten vorſtellen ſolle, finde ich bei Kepler in der Epitome Astronomiae Copernicanae 1618 T. I, lib. I. p. 34—39 eine merkwürdige Stelle: „Sol hie noster nil aliud est quam una ex fixis, nobis major et clarior visa, quia pro- prior quam fixa. Pone terram stare ad latus, una semidia- metro viae lacteae, tune haec via lactea apparebit circulus parvus, vel ellipsis parva, tota declinans ad latus alterum; eritque simul uno intuitu conspicua, quae nunc non potest nisi dimidia conspici quovis momento. Itaque fixarum sphaera non tantum orbe stellarum, sed etiam circulo lactis versus nos deorsum est terminata.“ ? (S. 65.) Nach unſerer jetzigen Kenntnis beſteht das Sonnen: ſyſtem aus einem Centralkörper, der Sonne, 8 Hauptplaneten, 231 Aſteroiden oder Planeten (bis Oktober 1882) von äußerſt kleinen Dimenſionen, und 20 Monden, Trabanten oder Satelliten. — [D. Herausg.)] 10 (S. 66.) „Si dans les zones abandonnees par l’atmo- sphere du soleil il s'est trouvé des molécules trop volatiles pour s'unir entre elles ou aux planetes; elles doivent en con- tinuant de circuler autour de cet astre offrir toutes les appa- rences de la lumiere zodiacale, sans opposer de resistance sensible aux divers corps du systeme planetaire: soit à cause de leur extr&me rareté, soit parce que leur mouvement est à fort peu pres le méme que celui des planetes qu'elles ren- contrent.“ Laplace, Expos. du Syst. du Monde (ed. 5) P. 415. (S. 67.) Kepler über die mit den Abſtänden von der Sonne zunehmende Dichte und zunehmendes Volum der Planeten, indem der Centralkörper (die Sonne) als der dichteſte aller Welt: körper beſchrieben wird, in der Epitome Astron. Copern. in VII libros digesta, 1618 1622, p. 420. Auch Leibnitz war der Meinung Keplers und Ottos von Guericke zugethan, daß die Planeten in Verhältnis der Sonnenferne an Volum zunehmen. S. deſſen Brief an den Magdeburger Bürgermeiſter (Mainz 1671) in Leibnitz, deutſchen Schriften, herausg. von Guhrauer, Teil J, S. 264. 1 (S. 67.) Nach neueren Ermittelungen iſt die Dichte des Uranus 0,24 bezogen auf die Erde, jene des Saturn bloß 0,13, erreicht mithin nicht einmal diejenige des Waſſers. — [D. Herausg.] (S. 68.) Dieſe Bezeichnung des „äußerſten“ Planeten kommt nicht mehr dem Uranus, ſondern dem Neptun zu. — [D. Herausg.] 5 14 (S. 69). Doch hat der äußerſte Planet, Neptun, bloß einen Trabanten. — [D. Herausg.] 5 (S. 69.) Das Mädlerſche Reſultat iſt angezweifelt worden, doch hat ſich über ſeine Richtigkeit eine Entſcheidung noch nicht treffen laſſen. — [D. Herausg.] 186 (S. 69.) Wenn der Halbmeſſer des Mondes nach Burck— hardts Beſtimmung 0,2725 und ſein Volum !/.s’os iſt, jo ergibt ſich feine Dichtigkeit 0,5596, nahe /. Vergl. auch Wilh. Beer und H. Mädler, der Mond S. 2 und 10, wie Mädlers Aſtr. S. 157. Der körperliche Inhalt des Mondes iſt nach Hanſen nahe an ½4 (nach Mädler ¼“7s) des körperlichen Inhalts der Erde, ſeine Maſſe ½827½2 der Maſſe der Erde. Bei dem größten aller Jupiterstrabanten, dem dritten, ſind die Verhältniſſe zum Haupt: planeten im Volum "/ıs3ro, in der Maſſe Yıısoo. (S. 69.) Das genaue Verhältnis nach Nasmyth und Car: penter iſt 0,64. Das ſpezifiſche Gewicht der Mondmaterie entſpricht alſo nahezu demjenigen des Flintglaſes oder des Diamanten. — D. Herausg.] (S. 70.) Uranus beſitzt bloß vier Trabanten. — [D. Herausg. 1 (S. 72.) Jetzt wohl an die 300. — [D. Herausg.] > (S. 73.) Die vier älteſten Kometen, deren Bahn hat be— rechnet werden können, und zwar nach chineſiſchen Beobachtungen, ſind die von 240 (unter Gordian III), 539 (unter Juſtinian), 565 und 837. Während daß dieſer letzte Komet, der nach du Sejour 24 Stunden lang weniger als 500 000 Meilen von der Erde entfernt war, Ludwig den Frommen dermaßen erſchreckte, daß er durch Stiftung von Klöſtern einer drohenden Gefahr zu entgehen hoffte, verfolgten 269 — die chineſiſchen Aſtronomen ganz wiſſenſchaftlich die Bahn des Ge— ſtirns, deſſen 60“ langer Schweif bald einfach, bald geteilt erſchien. Der erſte Komet, welcher nach europäiſchen Beobachtungen allein hat berechnet werden können, iſt der von 1456 lder Halleyſche, in der Erſcheinung, welche man lange, aber mit Unrecht, für die erſte, ſicher beſtimmte, gehalten hat. 21 (S. 73.) So wie bei hellem Sonnenſchein der Schweif des Kometen von 1402 geſehen wurde, ſind auch vom letzten großen Kometen von 1843 Kern und Schweif am 28. Februar in Nord— amerika (laut J. G. Clarke zu Portland im Staate Maine) zwiſchen 1 und 3 Uhr nachmittags ſichtbar geweſen. Man könnte Abſtände des ſehr dichten Kerns vom Sonnenrande mit vieler Genauigkeit meſſen. Kern und Schweif erſchienen wie ein ſehr reines, weißes Gewölk; nur zwiſchen dem Schweif und dem Kern war eine dunklere Stelle. * (S. 74.) Die von Herſchel gefundenen Durchmeſſer der Kerne waren 538 und 428 engl. Meilen (alfo 866 und 689 km). 2 (S. 74.) Bei einigen Kometen iſt der Kern mit bloßem Auge am hellen Tage geſehen, ſo in dieſem Jahrhundert bereits mehrfach, 1843, 1853, beſonders deutlich 1882. Der Kern des Kometen von 1811 hatte einen Durchmeſſer von 4000 km, der große Komet von 1858 hatte einen viel kleineren Kern, der Durchmeſſer betrug nur 1000 km und der des Kerns von 1798 gar nur 300 km. [D. Herausg.] (S. 75.) Arago, des changemens physiques de la Comöte de Halley du 15—23 Oct. 1835 im Annuaire pour 1836 p. 218—221. Die gewöhnlichere Richtung der Ausſtrö— mungen war auch zu Neros Zeiten bemerkt worden: comae radios solis effugiunt. > (S. 75.) William Herſchel glaubt auch in ſeinen Beobach— tungen des ſchönen Kometen von 1811 Beweiſe der Rotation des Kerns und Schweifes gefunden zu haben, ebenfalls Dunlop im dritten Kometen von 1825 zu Paramatta. 20 (S. 76.) Bei dem Einfluſſe, den Ariſtoteles auf das ganze Mittelalter ausgeübt hat, iſt es unendlich zu bedauern, daß er den großen und der Wahrheit mehr genäherten Anſichten vom Weltbau, welche die älteren Pythagoräer hatten, ſo abhold war. Er erklärt die Kometen für vergängliche, unſerer Atmoſphäre zugehörige Me— teore in demſelben Buche, in welchem er die Meinung der pytha— goräiſchen Schule anführt, nach der die Kometen Planeten von langem Umlauf ſind. Dieſe Lehre der Pythagoräer, welche nach dem Zeugnis des Apollonius Myndius noch viel älter bei den Chaldäern war, ging zu den, immer nur wiederholenden Römern über. Der Myndier beſchreibt die Bahn der Kometen als eine weit in die oberen Himmelsräume abführende. Daher Seneca: Cometes non est species falsa, sed proprium sidus sicut solis et lunae: altiora mundi secat et tune demum apparet quum in imum — 270 — cursum sui venit, und Cometas aeternos esse et sortis ejusdem, cujus caetera (sidera), etiamsi faciem illis non habent similem. Plinius jpielt ebenfalls auf den Apollonius Myndius an, wenn er jagt: Sunt qui et haec sidera perpetua esse credant suoque ambitu ire, sed non nisi relieta a soli cerni. 27 (S. 76.) Schon den Alten war es auffallend, daß man durch die Kometen wie durch eine Flamme ſehen kann. Das älteſte Zeugnis von den durch Kometen geſehenen Sternen iſt das des Demokritos. Dieſe Angabe führt Ariſtoteles zu der nicht unwid)- tigen Bemerkung, daß er ſelbſt die Bedeckung eines der Sterne der Zwillinge durch Jupiter beobachtete. Seneca erwähnt beſtimmt nur der Durchſichtigkeit des Schweifes. „Man ſieht,“ ſagt er, „Sterne durch den Kometen wie durch ein Gewölk; man ſieht aber nicht durch den Körper ſelbſt des Kometen, ſondern durch die Strahlen des Schweifes: non in ea parte qua sidus ipsum est spissi et solidi ignis, sed qua rarus splendor occurit et in erines dispergitur. Per intervalla ignium, non per ipsos, vides.“ Der letzte Zuſatz ift überflüffig, da man allerdings, wie Galilei im Saggiatore (Lettera a Monsignor Cesarini 1619) unterſuchte, durch eine Flamme ſieht, wenn ſie nicht eine zu große Dicke hat. 28 (S. 76.) Beſſel in den aſtron. Nachr. 1836 Nr. 301, S. 204 — 206; Struve in den Actes de la Séance publi- que de l’Acad. de St. Petersb. 1835, p. 140-143 und aſtr. Nachr. 1836, Nr. 303, S. 238. „Für Dorpat ſtand der Stern in der Konjunktion nur 2%2 vom hellſten Punkt des Ko⸗ meten ab. Der Stern blieb unausgeſetzt ſichtbar und ward nicht merklich geſchwächt, während der Kern des Kometen vor dem Glanze des kleinen Sterns (9—10ter Größe) zu verlöſchen ſchien.“ 29 (S. 76.) Die ſpektralanalytiſchen Unterſuchungen haben indes dieſe Anſicht faſt zur Gewißheit erhoben. Der erſte Komet, der mit dem Spektroſkop beobachtet werden konnte, war der Komet des Jahres 1864, und Donati fand, daß ſich die Lichtquelle im gasförmigen Zuſtande befand; dieſe Thatſache iſt in ſpäterer Zeit an allen anderen Kometen in gleicher Weiſe beſtätigt worden. — [D. Herausg.] 3 (S. 77.) Die erſten Verſuche Aragos, die Polariſation auf den Kometen anzuwenden, geſchahen am 3. Juli 1819, am Abend der plötzlichen Erſcheinung des großen Kometen. Ich war auf der Sternwarte zugegen und habe mich, wie Mathieu und der jetzt verſtorbene Aſtronom Bouvard, von der Ungleichartigkeit der Lichtſtärke im Polariſkop, wenn dasſelbe Kometenlicht empfing, über: zeugt. Bei der Capella, welche dem Kometen nahe und in gleicher Höhe ſtand, waren die Bilder von gleicher Intenſität. Als der Halleyſche Komet erſchien, im Jahre 1835, wurde der Apparat ſo abgeändert, daß er nach der von Arago entdeckten chromatiſchen Polariſation zwei Bilder von Komplementarfarben (grün und 97 are rot) gab. Annales de Chimie T. XIII, p. 108, Annuaire pour 1832, p. 216. „On doit conclure,“ ſagt Arago, „de Jen— semble de ces observations que la lumiere de la comete n’etait pas en totalitE composee de rayons doués des propriétés de la lumière directe, propre ou assimilee: il s’y trouvait de la lumière reflöchie speculairement ou polarisée, c’est-&-dire venant du soleil. On ne peut assurer d'une maniere absolue que les comötes brillent seulement d'un éclat d’emprunt. n effet, en devenant lumineux par eux-mömes, les corps ne perdent pas pour cela la faculte de reflechir des lumieres Etrang eres. (S. 77.) Heute wiſſen wir, daß mehrere Kometen auch eigenes Licht beſitzen, welches bei den hellen Kometen 1882 J und Il vorwiegend aus glühenden Natriumdämpfen zu beſtehen ſchien und das ſonſtige eigene und reflektierte Licht des Kometen an Intenſität jo ſehr überragte, daß der Komet auch ohne Spektroſkop gelblich erſchien. [D. Herausg.] (S. 81.) Zur Beruhigung wollen wir das Reſultat der Berechnungen mitteilen, welches Olbers über die Möglichkeit des Zuſammentreffens eines Kometen mit der Erde überhaupt erhielt. Es ergab ſich, daß nach der Wahrſcheinlichkeitsrechnung etwa in 220 Millionen Jahren allerdings einmal ein Komet mit der Erde zuſammentreffen könnte; doch wird es wohl niemand einfallen, ſich über dieſe ſo unwahrſcheinliche Eventualität einer Sorge hinzu— geben. — [D. Herausg.] (S. 82.) Ein nicht glücklicher Beweis von der Exiſtenz heilbringender Kometen findet ſich in Seneca; der Philoſoph ſpricht von dem Kometen, quem nos Neronis principatu laetissimo vidimus et qui cometis detraxit infamiam. (S. 83.) Gegenwärtig unterſcheidet man doch zwiſchen Stern: ſchnuppen und Feuerkugeln oder Meteoriten; es hat ſich nämlich eine Thatſache aus mehrfachen Beobachtungen und Berechnungen ergeben, die aufs entſchiedenſte für die Nichtidentität der Stern: ſchnuppen und Meteorite in die Wagſchale fällt, und dieſe liegt in der Art der Bewegung, welche bei den Sternſchnuppen eine ellip⸗ tiſche oder paraboliſche Bahn, bei den Meteoriten aber eine Hyperbel beſchreibt. — [D. Herausg.] (S. 83.) Einer meiner Freunde, der an genaue trigono- metriſche Meſſungen gewöhnt war, ſah in Popayan, einer Stadt, die in 2226“ nördl. Breite und in 5520 Höhe (1793 m) über dem Meere liegt, in der Mittagsſtunde, bei hellem Sonnenſchein und wolken— loſem Himmel, im Jahre 1788 ſein ganzes Zimmer durch eine Feuerkugel erleuchtet. Er ſtand mit dem Rücken gegen das Fenſter und als er ſich umdrehte, war noch ein größerer Teil der von der Feuerkugel durchlaufenen Bahn vom hellſten Glanze. — Ich würde mich gern in dem Naturgemälde, ſtatt des widrigen Ausdrudes Sternſchnuppe der ebenfalls echt deutſchen Wörter Stern— — 272 — ſchuß oder Sternfall (ſchwed. stjernfall, engl. star-shoot, ital. stella cadente) bedient haben, wenn ich es mir nicht in allen meinen Schriften zum Geſetz gemacht hätte, da, wo etwas Beſtimm— tes und allgemein Bekanntes zu bezeichnen iſt, das Ungewöhnlichere zu vermeiden. Nach der rohen Volksphyſik ſchneuzen und putzen ſich die Himmelslichter. In der Waldgegend des Orinoko, an den einſamen Ufern des Caſſiquiare, vernahm ich aus dem Munde der Eingebornen in der Miſſion Vaſiva noch unan— genehmere Benennungen. Sternſchnuppen wurden von ihnen Harn der Sterne und der Tau, welcher perlartig die ſchönen Blätter der Helikonien bedeckte, Speichel der Sterne genannt. Edler und erfreulicher offenbart ſich die ſymboliſierende Einbildungskraft in dem litauiſchen Mythus von dem Weſen und der Bedeutung der Sternſchnuppen. „Die Spinnerin, werpeja, beginnt den Schickſalsfaden des neugeborenen Kindes am Himmel zu ſpinnen, und jeder dieſer Fäden endet in einen Stern. Naht nun der Tod des Menſchen, ſo reißt ſein Faden, und der Stern fällt erbleichend zur Erde nieder.“ Jakob Grimm, Deutſche Mythologie 1843, S. 685. 6 (S. 84.) Nach dem Berichte von Deniſon Olmſted, Prof. an Pale College zu New Haven (Connecticut). Kepler, der „Feuer— kugeln und Sternſchnuppen aus der Aſtronomie verbannt, weil es nach ihm Meteore ſind, die, aus den Ausdünſtungen der Erde ent— ſtanden, ſich dem hohen Aether beimiſchen“, drückt ſich im ganzen ſehr vorſichtig über ſie aus. Stellae cadentes, ſagt er, sunt ma- teria viscida inflammata. Earum aliquae inter cadendum ab- sumuntur, aliquae vere in terram cadunt, pondere suo tractae. Nec est dissimile vero, quasdam conglobatas esse ex materia foeculentä, in ipsam auram aetheream immixta: exque aetheris regione, tractu rectilineo, per aörem trajicere, ceu minutos cometas, occultà causa motus utrorumque. Kepler, Epit, Astron. Copernicanae T. I, p. 80. 37 (S. 84.) Wenn man in den Sternſchnuppen, wie in den Kometen, Kopf (Kern) und Schweif unterſcheidet, ſo erkennt man an dem längeren und ſtärkeren Glanze des Schweifes die größere Durch⸗ ſichtigkeit der Atmoſphäre in der Tropenregion. Die Erſcheinung braucht darum dort nicht häuſiger zu ſein, weil ſie uns leichter ſicht— bar wird und ſichtbar bleibt. Die Einwirkung der Beſchaffenheit des Dunſtkreiſes zeigt ſich bei Sternſchnuppen bisweilen auch in unſerer gemäßigten Zone in ſehr kleinen Entfernungen. Wartmann be: richtet, daß in einem Novemberphänomen an zwei einander ganz nahegelegenen Orten, zu Genf und aux Planchettes, der Unter: ſchied der gezählten Meteore wie 1:7 war. Der Schweif der Stern: ſchnuppen, über den Brandes ſo viele genaue und feine Beobach— tungen angeſtellt hat, iſt keineswegs der Fortdauer des Lichtreizes auf der Netzhaut zuzuſchreiben. Seine Sichtbarkeit dauert bisweilen eine ganze Minute, in ſeltenen Fällen länger als das Licht des nnr — 273 — Kernes der Sternſchnuppe; die leuchtende Bahn ſteht dann meiſt unbeweglich. Auch dieſer Umſtand bezeugt die Analogie zwiſchen großen Sternſchnuppen und Feuerkugeln. Der Admiral Kruſen⸗ ſtern ſah auf feiner Reiſe um die Welt den Schweif einer längſt verſchwundenen Feuerkugel eine Stunde lang leuchten und ſich überaus wenig fortbewegen. Sir Alexander Burnes gibt eine reizende Beſchreibung von der Durchſichtigkeit der trockenen, die Liebe zur Aſtronomie einſt ſo begünſtigenden Atmoſphäre von Bo⸗ chara, das 1200“ (357 m) über der Meeresfläche und in 39° 43 Breite liegt: „There is a constant serenity in its atmosphere and a clearness in the sky. At night, the stars have un- common lustre, and the milky way shines gloriously in the firmament. There is also a never-ceasing display of the most brilliant meteors, which dart like rockets in the sky: ten or twelve of them are sometimes seen in an hour, assum- ing every colour: fiery, red, blue, pale and faint. It is a noble country for astronomical science, and great must have been the advantage enjoyed by the famed observatory of Samarcand.“ Burnes, Travels into Bokhara Vol. II (1834), p. 158. Man darf einem einzelnen Reiſenden nicht vor- werfen, daß er viel Sternſchnuppen ſchon 10—12 in der Stunde nennt; erſt durch ſorgfältige auf denſelben Gegenſtand gerichtete Beobachtungen iſt in Europa aufgefunden worden, daß man für den Geſichtskreis einer Perſon 8 Meteore als Mittelzahl der Stunde zu rechnen habe, während ſelbſt der ſo fleißig beobachtende Olbers dieſe Annahme auf 5—6 beſchränkte. (S. 85.) Ich habe ganz neuerlich an einem anderen Orte (Asie centrale T. J, p. 408) zu zeigen geſucht, wie die ſkythiſche Sage vom heiligen Gold, das glühend vom Himmel fiel und der Beſitz der goldenen Horde der Paralaten blieb, wahrſcheinlich aus der dunkeln Erinnerung eines Aerolithenfalles entſtanden iſt. Die Alten fabelten auch ſonderbar von Silber, das vom Himmel fiel und mit dem man bronzene Münzen zu überziehen verſuchte unter dem Kaiſer Severus; doch wurde das metalliſche Eiſen in den Meteorſteinen erkannt. Der oft vorkommende Ausdruck lapi- dibus pluit darf übrigens nicht immer auf Aerolithenfälle gedeutet werden. In Liv. XXV, 7 bezieht er ſich wohl auf Auswürflinge (Bimsſtein, rapilli) des nicht ganz erloſchenen Vulkans Mons Alba- nus, Monte Cavo. In einen anderen Ideenkreis gehört der Kampf des Herkules gegen die Ligyer, auf dem Wege vom Kaukaſus zu den Heſperiden; es iſt ein Verſuch, den Urſprung der runden Quarzgeſchiebe im ligyſchen Steinfelde an der Mündung des Rhodanus, welchen Ariſtoteles einem Spaltenauswurf bei einem Erdbeben, Poſidonius einem wellenſchlagenden Binnenwaſſer zuſchreibt, mythiſch zu erklären. In den Aeſchyleiſchen Fragmenten des gelöſten Prometheus geht aber alles wie in einem Aero⸗ lithenfalle vor: Jupiter zieht ein Gewölk zuſammen und läßt A. v. Humboldt, Kosmos. I. 18 — 274 — „mit runder Steine Regenguß das Land umher bedecken“. Schon Poſidonius hat ſich erlaubt, die geognoſtiſche Mythe von Geſchieben und Blöcken zu beſpötteln. Das ligyſche Steinfeld iſt übrigens bei den Alten naturgetreu beſchrieben. Die Gegend heißt jetzt la Crau. (S. 85.) Das ſpezifiſche Gewicht der Aerolithen ſchwankt zwiſchen 1,9 (Alais) und 4,3 (Tabor). Die gewöhnlichere Dichte iſt 3: das Waſſer zu 1 geſetzt. Was die in dem Texte angegebenen wirklichen Durchmeſſer der Feuerkugeln betrifft, ſo beziehen ſich die Zahlen auf die wenigen einigermaßen ſicheren Meſſungen, welche man ſammeln kann. Dieſe Meſſungen geben für die Feuerkugel von Weſton (Connecticut 14. Dez. 1807) nur 500° (162 m), für die von le Roi beobachtete (10. Juli 1771) etwa 10007 (24 m), für die von Sir Charles Blagden geſchätzte (18. Januar 1785) an 2600 (844 m) im Durchmeſſer. Brandes gibt den Sternſchnuppen 80-120“ (26—40 m), mit leuchtenden Schweifen von 3—4 Meilen (26-30 km) Länge. Es fehlt aber nicht an optiſchen Gründen, welche es wahrſcheinlich machen, daß die ſcheinbaren Durchmeſſer der Feuerkugeln und Sternſchnuppen ſehr überſchätzt worden find. Mit dem Volum des Ceres (ſollte man auch dieſem Planeten nur „70 engl. Meilen [112 km] Durchmeſſer“ geben wollen) iſt das Volum der Feuerkugeln wohl nicht zu vergleichen. — Ich gebe hier zur Erläuterung deſſen, was S. 85 über den großen, noch nicht wieder aufgefundenen Aerolithen im Flußbette bei Narni geſagt iſt, die von Pertz bekannt gemachte Stelle aus dem Chronicon Ben e— dicti, monachi Sancti Andreae in Monte Soracte, einem Dokumente, das in das zehnte Jahrhundert gehört und in der Bibliothek Chigi zu Rom aufbewahrt wird. Die barbariſche Schreib— art der Zeit bleibt unverändert. „Anno — 921 — temporibus domini Johannis Decimi pape, in anno pontificatus illius 7. visa sunt signa. Nam iuxta urbem Romam lapides plurimi de coelo cadere visi sunt. In civitate quae vocatur Narnia tam diri ac tetri, ut nihil aliud credatur, quam de infernali- bus locis deducti essent. Nam ita ex illis lapidibus unus omnium maximus est, ut decidens in flumen Narnus, ad men- suram unius cubiti super aquas fluminis usque hodie videretur. Nam et ignitae faculae de coelo plurimae omnibus in hac Ro- mani populi visae sunt, ita ut pene terra contingeret. Aliae cadentes etc.“ Ueber den Aerolithen bei Aegos Potamoi, deſſen Fall die Pariſche Chronik in Ol. 78,1 ſetzt. (S. auch unten die Noten 47, 60 und 61.) Nach einer mongoliſchen Volksſage ſoll nahe an den Quellen des gelben Fluſſes im weſtlichen China in einer Ebene ein 40° (13 m) hohes ſchwarzes Felsſtück vom Himmel gefallen ſein. 4 (S. 86.) Mein verewigter Freund Poiſſon ſuchte die Schwierigkeit einer Annahme der Selbſtentzündung der Meteor: ſteine in einer Höhe, wo die Dichtigkeit der Atmoſphäre faſt null — 275 — iſt, auf eine eigene Weiſe zu löſen. „A une distance de la terre ou la densité de l’atmosph£re est tout-à-fait insensible, il serait difficile d’attribuer, comme on le fait, l’incandescence des aörolithes à un frottement contre les molécules de l'air. Ne pourrait-on pas supposer que le fluide électrique à l'état neutre forme une sorte d’atmosphere, qui s’etend beaucoup au-delä de la masse d'air, qui est soumise & l'attraction de la terre, quoique physiquement imponderable, et qui suit, en consequence, notre globe dans ses mouvements? Dans cette hypothöse, les corps dont il s'agit, en entrant dans cette atmosphere imponderable, decomposeraient le fluide neutre, par leur action inégale sur les deux électricités, et ce serait en s'électrisant qu'ils s’&chaufferaient et deviendraient incan- descents.* (Poiſſon, rech. sur la Probabilite des juge- ments 1837, p. VI.) 41 (S. 86.) Neuerdings hat Raoul Pictet am 29. Juli 1884 ein überaus glänzendes Meteor beobachtet und darüber ſo zu— verläſſige Daten geſammelt, daß ſie einer Rechnung zu Grunde gelegt werden konnten, wonach er den Ort des Erſcheinens des Meteors auf 500—600 km oberhalb der Erdoberfläche fixieren konnte; eine ganz koloſſale Höhe verglichen mit den bisher allge— mein üblichen Vorſtellungen über die Grenze unſerer Atmoſphäre. — [D. Herausg.] 2 (S. 86.) Die erſte Ausgabe von Chladnis wichtiger Schrift über den Urſprung der von Pallas gefundenen und anderen Eiſenmaſſen erſchien zwei Monate vor dem Steinregen in Siena und zwei Jahre früher als Lichtenbergs Behauptung im Göttinger Taſchenbuche: „daß Steine aus dem allgemeinen Weltraume in unſere Atmoſphäre gelangen“. (S. 87.) Ende in Poggend. Annalen Bd. XXXIII, 1834, S. 213, Arago im Ann. pour 1836 p. 291; zwei Briefe von mir an Benzenberg vom 19. Mai und 22. Oktober 1837 über das mutmaßliche Fortrücken der Knoten in der Bahn periodiſcher Sternſchnuppenſtröme. Auch Olbers hat ſich ſpäter dieſer Mei- nung von der allmählichen Verſpätung des Novemberphänomens an— geſchloſſen. Wenn ich zwei von den Arabern aufgezeichnete Stern— ſchnuppenfälle mit der von Boguslawski aufgefundenen Epoche des vierzehnten Jahrhunderts verbinden darf, ſo ergeben ſich mir fol— gende, mehr oder minder übereinſtimmende Elemente der Knoten— bewegung: Im Oktober 902, in der Todesnacht des Königs Ibrahim ben Ahmed, ein großer Sternſchnuppenfall, „einem feurigen Regen gleich“. Das Jahr ward deshalb das Jahr der Sterne genannt. Am 19. Oktober 1202 ſchwankten die Sterne die ganze Nacht hindurch. „Sie fielen wie Heuſchrecken.“ Am 21. Oktober a. St. 1836, die seguente post festum XI millia Virginum, ab hora matutina usque ad horam primam — 276 — visae sunt quasi stellae de caelo cadere continuo, et in tanta multitudine, quod nemo narrare swuffieit. Dieſe merkwürdige Notiz, von der noch weiter unten im Texte die Rede ſein wird, hat Herr von Boguslawski der Sohn in Beneſſes (de Horowie) de Weitmil oder Weitmül Chronicon Ecclesiae Pra- gensis p. 389 aufgefunden. Die Chronik ſteht auch im zweiten Teile der Scriptores rerum Bohemicarum von Pelzel und Dobrowsky 1784. g Nacht vom 9.— 10. Nopbr. 1787 viele Sternſchnuppen von Hemmer im ſüdlichen Deutſchland, beſonders in Mannheim, be: obachtet. Nach Mitternacht am 12. Nopbr. 1799 der ungeheure Stern⸗ ſchnuppenfall in Cumana, den Bonpland und ich beſchrieben haben und der in einem großen Teil der Erde beobachtet worden iſt. Vom 12 — 13. Novbr. 1822 wurden Sternſchnuppen mit Feuer: kugeln gemengt in großer Zahl von Klöden in Potsdam geſehen. 13. Nopbr. 1831 um 4 Uhr morgens ein großer Stern⸗ ſchnuppenfall geſehen vom Kapitän Bérard an der ſpaniſchen Küſte bei Cartagena del Levante. In der Nacht vom 13. 14. Nopbr. 1833 das denkwürdige von Deniſon Olmſted in Nordamerika ſo vortrefflich beſchriebene Phänomen. In der Nacht vom 12.— 13. Novbr. 1834 derſelbe Schwarm, aber von etwas geringerer Stärke, in Nordamerika. Am 13. Novbr. 1835 wurde von einer ſporadiſch gefallenen Feuerkugel bei Belley, im Depart. de l' Ain, eine Scheune entzündet. Im Jahr 1838 zeigte der Strom ſich auf das beſtimmteſte in der Nacht vom 13. zum 14. November. (S. 87.) Es iſt mir nicht unbekannt, daß von den 62 in Schleſien im Jahr 1823 auf Veranlaſſung des Prof. Brandes gleichzeitig beobachteten Sternſchnuppen einige eine Höhe von 45 0, von 60, ja von 100 Meilen (339, 445 und 740 km) zu erreichen ſchienen; aber Olbers hält wegen Kleinheit der Parallaxen alle Be— ſtimmungen 30 Meilen (220 km) Höhe für zweifel haft. (S. 87.) Die planetariſche Translationsgeſchwindigkeit, das Fortrücken in der Bahn, iſt bei Merkur 6,6, bei Venus 4,8, bei der Erde 4,1 Meilen in der Sekunde (49, 35,6 und 30,4 km). a (S. 88.) Chladni hat aufgefunden, daß ein italieniſcher Phyſiker, Paolo Maria Terzago, 1660, bei Gelegenheit eines Aerolithenfalles zu Mailand, in dem ein Franziskanermönch getötet wurde, zuerſt von der Möglichkeit geſprochen habe, daß die Aero: lithen Mondſteine ſein könnten. Labant philosophorum mentes, jagt er in feiner Schrift (Musaeum Septalianum, Manfredi Septalae, Patrieii Mediolanensis, industrioso labore construc- tum, Tortona 1664, p. 44), sub horum lapidum ponderibus; ni dicere velimus, lunam terram alteram, sive mundum esse, ex cujus montibus divisa frusta in inferiorem nostrum hunc orbem — 277 — delabantur. Ohne von dieſer Vermutung etwas zu wiſſen, wurde Olbers im Jahr 1795 nach dem berühmten Steinfall von Siena (16. Juni 1794) auf die Unterſuchung geleitet, wie groß die an— fängliche Wurfkraft ſein müſſe, wenn vom Monde ausgeworfene Maſſen bis zur Erde gelangen ſollten. Ein ſolches balliſtiſches Problem beſchäftigte zehn bis zwölf Jahre lang die Geometer Laplace, Biot, Brandes und Poiſſon. Die damals noch ſehr ver— breitete, jetzt aufgegebene Meinung von thätigen Vulkanen im luft⸗ und waſſerleeren Monde begünſtigte im Publikum die Verwechſe— lung von dem, was mathematiſch möglich und phyſikaliſch wahr— ſcheinlich, d. h. anderen Hypotheſen vorzuziehen ſei. Olbers, Brandes und Chladni glaubten „in der relativen Geſchwindigkeit von 4 bis 8 Meilen (29½ —60 km), mit welcher Feuerkugeln und Stern— ſchnuppen in unſere Atmoſphäre kommen“, die Widerlegung ihres ſelenitiſchen Urſprungs zu finden. Um die Erde zu erreichen, würde nach Olbers, ohne den Widerſtand der Luft in Anſchlag zu bringen, eine anfängliche Geſchwindigkeit von 7780“ (2527 m) in der Sekunde (nach Laplace 7377“ oder 2396 m, nach Biot 77717 oder 2524 m, nach Poiſſon 7123“ oder 2314 m) hinlänglich ſein. Laplace nennt dieſe Anfangsgeſchwindigkeit nur 5—6mal größer als diejenige, welche die Kraft unſerer [damaligen] Geſchütze her⸗ vorbringt; aber Olbers hat gezeigt, „daß bei einer ſolchen anfäng— lichen Geſchwindigkeit von 7500-80007 (2436-2600 m) in der Sekunde die Meteorſteine nur mit der Geſchwindigkeit von 35 000, (1,53 geogr. Meilen oder 11,4 Kk m) an die Oberfläche unſerer Erde gelangen würden Da nun die gemeſſene Geſchwindigkeit der Meteorſteine im Mittel von 5 geograph. Meilen, über 1140007 (37,1 km) in der Sekunde iſt, ſo müßte die urſprüngliche Wurf— geſchwindigkeit im Monde von faſt 110 000“ (35732 m), alſo 14mal größer ſein, als ſie Laplace annimmt“. Der Mangel des Wider— ſtandes der Luft würde allerdings, wenn vulkaniſche Kräfte noch jetzt als thätig angenommen werden dürften, der Wurfkraft von Mondvulkanen einen Vorzug vor der Wurfkraft der Erdvulkane geben; aber auch über das Maß der Kräfte der letzteren fehlt es an allen ſicheren Beobachtungen. Es iſt ſogar wahrſcheinlich, daß dies Maß ſehr überſchätzt wird. Ein ſehr genauer und meſſen— der Beobachter der Aetnaphänomene, Dr. Peters, hat die größte Geſchwindigkeit der aus dem Krater ausgeworfenen Steine nur 1250, (406 m) in der Sekunde gefunden. Beobachtungen am Pik von Tenerifa 1798 gaben 3000’ (975 m). Wenn Laplace auch am Ende ſeines Werkes (expos. du Syst. du Monde, éd. de 1824 p. 399) von den Aerolithen jehr vorſichtig jagt: „que selon toutes les vraisemblances elles viennent des profondeurs de l’espace céleste,“ fo ſieht man doch an einer anderen Stelle, daß er, wahr: ſcheinlich mit der ungeheuren planetariſchen Geſchwindigkeit der Meteorſteine unbekannt, ſich zu der ſelenitiſchen Hypotheſe mit einiger Vorliebe hinneigte, aber immer vorausſetzte, daß die vom — 278 — Monde ausgeworfenen Steine „deviennent des satellites de la terre, décrivant autour d'elle une orbite plus ou moins allongee, de sorte qu'ils n'atteignent l’atmosphere de la terre qu'après plusieurs et m&me un tres grand nombre de révolutions.“ So wie ein Italiener in Tortona den Einfall . hatte, die Aerolithen kämen aus dem Monde, ſo hatten griechiſche Phyſiker auch den Einfall gehabt, ſie kämen aus der Sonne. Einer ſolchen Meinung erwähnt Diogenes Laertius II, 9 von dem Urſprunge der bei Aegos Potamoi niedergefallenen Maſſe (ſ. oben Note 40). Der alles regiſtrierende Plinius wiederholt die Meinung und beſpöttelt ſie um ſo lieber, weil er mit Früheren den Anaxagoras beſchuldigt, den Aerolithenfall aus der Sonne vorhergeſagt zu haben: „celebrant Graeci Anaxagoram Clazomenium Olympiadis septuagesimae octavae secundo anno praedixissi caelestium litterarum scientia, quibus diebus saxum casurum esse e sole, idque factum interdiu in Thraciae parte ad Aegos flumen. — Quod si quis praedictum eredat, simul fateatur necesse est, majoris miraculi divinitatem Anaxagorae fuisse, solvique rerum naturae intellectum, et confundi omnia, si aut ipse Sol lapis esse aut unquam lapidem in eo fuisse credatur; decidere tamen crebro non erit dubium.“ Auch den Fall des Steines von mäßiger Größe, der im Gymnaſium zu Aby— dos aufbewahrt wird, ſoll Anaxagoras prophezeit haben. Aero— lithenfälle bei hellem Sonnenſchein und wenn die Mondſcheibe nicht ſichtbar war, haben wahrſcheinlich auf die Idee der Sonnen— jteine geführt. Auch war, nach einem der phyſiſchen Dogmen des Anaxagoras, die ihn (wie zu unſerer Zeit die Geologen) theo— logiſchen Verfolgungen ausſetzten, die Sonne „eine geſchmolzene feurige Maſſe“ (öodpog Brarupoce). Im Phaethon des Euripides wurde nach denſelben Anſichten des Klazomeniers die Sonne eben— falls eine „goldene Scholle“ genannt, d. h. eine feuerfarbene, hell— leuchtende Materie, woraus man aber nicht auf Aerolithen als goldene Sonnenſteine (ſ. oben Note 39) ſchließen muß. — Wir finden demnach bei den griechiſchen Phyſikern vier Hypotheſen: einen telluriſchen Urſprung der Sternſchnuppen von aufſteigenden Dünſten, Stein maſſen von Orkanen gehoben bei Ariſtoteles, Ur— ſprung aus der Sonne, Urſprung aus den Himmelsräumen als lange unſichtbar gebliebener Himmelskörper. Ueber dieſe letzte, mit der unſrigen ganz übereinſtimmende Meinung des Diogenes von Apollonia, ſ. den Tert S. 95. Merkwürdig iſt es, daß man noch in Syrien, wie mich ein gelehrter Orientaliſt, mein perſiſcher Lehrer, Herr Andrea de Nerciat (jetzt in Smyrna), ver⸗ ſichert hat, nach einem alten Volksglauben, in ſehr hellen Mond— nächten Steinfälle aus der Luft beſorgt. Die Alten waren dagegen ſehr aufmerkſam auf den Fall der Meteormaſſen bei Mondfinſter— niſſen. Ueber die Unwahrſcheinlichkeit, daß die Meteormaſſen aus metallauflöſenden Gasarten entſtehen, die nach Fuſinieri in den — 279 — höchſten Schichten unſerer Atmoſphäre gelagert ſein ſollen und, vorher in ungeheure Räume zerſtreut, plötzlich zuſammengerinnen, wie über Penetration und Miſchbarkeit der Gasarten ſ. meine Rela t. hist. T. I, p. 525. 46 (S. 88.) Beſſel in Schum. aſtr. Nachr. 1839, Nr. 380 und 381, S. 222 und 346. Am Schluſſe der Abhandlung findet ſich eine Zuſammenſtellung der Sonnenlängen mit den Epochen des Novemberphänomens ſeit der erſten Beobachtung in Cumana von 1799. (S. 89.) Dr. Thomas Forſter berichtet, daß zu Cam- bridge im Chriſt Church College ein Manuſkript unter dem Titel Ephemerides rerum naturalium aufbewahrt wird, das man einem Mönche im vorigen Jahrhundert zuſchreibt. In dieſem Manuſtript ſind bei jedem Tage Naturerſcheinungen angedeutet: das erſte Blühen der Pflanzen, die Ankunft der Vögel u. ſ. f. Der 10. Auguſt iſt durch das Wort meteorodes bezeichnet. Dieſe Bezeichnung und die Tradition der feurigen Thränen des heil. Laurentius hatten Herrn Forſter beſonders veranlaßt, das Auguſt— phänomen eifrigſt zu verfolgen. (S. 89.) Arago jagt vom Novemberphänomen: „Ainsi se confirme de plus en plus à nous l’existence d'une zone conı- poste de millions de petits corps dont les orbites rencontrent le plan de l'écliptique vers le point que la terre va occuper tous les ans, du 11 au 13 novembre. C’est un nouveau monde planétaire qui commence à se reveler à nous.“ (©. 90.) Vergl. Muſchenbroek, Introd. ad Phil. Nat. 1762, T. II, p. 1061; Howard, Climate of London Vol. II. p. 23: Beobachtungen vom Jahr 1806, alſo 7 Jahre nach den früheſten Beobachtungen von Brandes; Auguſtbeobachtungen von Thomas Forſter, von Adolf Erman, Boguslawski und Kreil. Ueber den Anfangspunkt im Perſeus am 10. Auguſt 1839 ſ. die genauen Meſſungen von Beſſel und Erman; aber am 10. Au— guſt 1837 ſcheint die Bahn nicht rückläufig geweſen zu jein. » S. 90.) Am 25. April 1095 „ſahen unzählbare Augen in Frankreich die Sterne ſo dicht wie Hagel vom Himmel fallen“ (ut grando, nisi lucerent, pro densitate putaretur); und dieſes Ereignis wurde ſchon vor dem Konzilium von Clermont als eine Vorbedeutung der großen Bewegung in der Chriſtenheit betrachtet. Am 22. April 1800 ward ein großer Sternſchnuppenfall in Vir⸗ ginien und Maſſachuſetts geſehen; es war „ein Raketenfeuer, das zwei Stunden dauerte“. Arago hat zuerſt auf dieſe trainde d'astsroides als eine wiederkehrende aufmerkſam gemacht. Merk— würdig ſind auch die Aerolithenfälle im Anfang des Monats De— zember. Für ihre periodiſche Wiederkehr als Meteorſtrom ſprechen die alte Beobachtung von Brandes in der Nacht vom 6—7. De: zember 1798 (wo er 2000 Sternſchnuppen zählte) und vielleicht der ungeheure Aerolithenfall vom 11. Dezember 1836 in Braſilien — 280 — am Rio Aſſu bei dem Dorfe Macao. Capocci hat von 1809 bis 1839 zwölf wirkliche Aerolithenfälle zwiſchen dem 27. — 29. Novbr., andere am 13. Novbr., 10. Auguſt und 17. Juli aufgefunden. Es iſt auffallend, daß in dem Teil der Erdbahn, welcher den Monaten Januar und Februar, vielleicht auch März entſpricht, bisher keine periodiſchen Sternſchnuppen- oder Aerolithenſtrömungen bes merkt worden ſind; doch habe ich in der Südſee den 15. März 1803 auffallend viel Sternſchnuppen beobachtet, wie auch ein Schwarm derſelben in der Stadt Quito kurz vor dem ungeheuren Erdbeben von Riobamba (4. Februar 1797) geſehen ward. Beſondere Auf— merkſamkeit verdienen demnach bisher die Epochen: 22.— 25. April, 17. Juli (17.— 26. Juli ?). 10. Auguſt, 12.— 14. November, 27.— 29. November, 6.—12. Dezember. Die Frequenz dieſer Strömungen darf, jo groß auch die Verſchieden⸗ heit iſt zwiſchen iſolierten Kometen und mit Aſteroiden gefüllten Ringen, nicht in Erſtaunen ſetzen, wenn man der Raumerfüllung des Univerſums durch Myriaden von Kometen gedenkt. (In der Folgezeit iſt in der That dieſer Periodizität erhöhte Aufmerkſamkeit zugewandt worden und dadurch hat ſich gefunden, daß wirklich noch manche andere Zeiten des Jahres durch reichere Fälle ausgezeichnet ſind. So z. B. die Nächte vom 2.—3. Januar, um den 20. April, 18.—20. Oktober, 6.—8. Dezember, was zum Teil mit den obigen Angaben übereinſtimmt. — D. Herausg.] ’1 (©. 90.) Man hat mir in Cumana geſagt, daß kurz vor dem furchtbaren Erdbeben von 1766, alſo wieder 33 Jahre vor dem Sternſchnuppenfall vom 11.— 12. November 1799, ein eben ſolches Feuerwerk am Himmel geſehen worden fei: Aber das Erd— beben war nicht im Anfang des November, ſondern bereits am 21. Oktober 1766. Möchten doch Reiſende in Quito den Tag er— gründen können, an welchem dort der Vulkan von Cayambe eine Stunde lang wie in Sternſchnuppen eingehüllt erſchien, ſo daß man den Himmel durch Prozeſſionen beſänftigen wollte! (S. 91.) Aus einem Briefe an mich vom 24. Januar 1838. Der ungeheure Sternſchnuppenſchwarm vom November 1799 wurde faſt nur in Amerika, von Neu-Herrnhut in Grönland bis zum Aequator, geſehen. Der Schwarm von 1831 und 1832 war nur in Europa, der von 1833 und 1834 nur in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ſichtbar. (S. 91.) Zu Note 20 iſt hinzuzufügen, daß die Bahnen von vier Kometen (568, 547, 1337 und 1385) ebenfalls nach alleinigen chineſiſchen Beobachtungen berechnet worden ſind. 53 (S. 92.) „Il parait qu'un nombre, qui semble in- epuisable, de corps trop petits pour &tre observés, se meuvent — 281 — dans le ciel, soit autour du soleil, soit autour des planetes, soit peut-&tre m&me autour des satellites. On suppose que quand ces corps sont rencontrés par notre atmosphere, la difference entre leur vitesse et celle de notre planete est assez grande pour que le frottement qu'ils éprouvent contre l'air, les echauffe au point de les rendre incandescents, et quelquefois de les faire éclater. — Si le groupe des étoiles filantes forme un anneau continu autour du soleil, sa vitesse de eirculation pourra etre tres-differente de celle de la terre; et ces deplace- ments dans le ciel, par suite des actions plauétaires, pour- ront encore rendre possible ou impossible, à differentes épo- ques, le phenomene de la rencontre dans le plan de l’Ecliptique.* Poiſſon, recherches sur la Probabilite desjugements p. 306— 307. (S. 92.) Schon Plinius war auf die Farbe der Rinde aufmerkſam: colore adusto; auch das lateribus pluisse deutet auf das gebrannte äußere Anſehen der Aerolithen.“ ° (©. 93.) Das Eiſen iſt immer mit Nickel und Phosphor verbunden (Schreiberſit); auch findet ſich meteoriſches Einfach— Schwefeleiſen (Troilit). Außerdem finden ſich nach neueren Gr: gebniſſen, nebſt den im Texte erwähnten Beſtandteilen, Silikate, welche in ihrem kriſtalliniſchen, chemiſchen und optiſchen Verhalten mit unſeren entſprechenden irdiſchen Silikaten ganz übereinſtimmen. Außer Olivin fand man Augit, Orthoklas, Abbit, Anorthit, Bronzit, Enſtatit u. a. m., endlich noch kleinere Mengen von Chlor, Kohlen— ſtoff und, was Graham zuerſt nachwies, Waſſerſtoff. — [D. Herausg.] (S. 93.) „Es iſt,“ ſagt der ſcharfſinnige Olbers, „eine denkwürdige und noch unbeachtete Thatſache, daß man nie foſſile Meteorſteine, wie foſſile Muſcheln, in Sekundär- und Tertiär: formationen gefunden hat. Sollte man daraus ſchließen können, daß vor der jetzigen letzten Ausbildung der Oberfläche unſerer Erde noch keine Meteorſteine auf dieſelbe herabgefallen ſind, da gegen— wärtig nach Schreibers wahrſcheinlich in jedem Jahre an 700 Aero— lithenfälle ſtattfinden?“ Problematiſche nickelhaltige Maſſen von gediegenem Eiſen ſind in Nordaſien (Goldſeifenwerk von Petropawlowſk, 20 Meilen (150 km) in SD von Kusnezk) in 31“ (Io m) Tiefe, und neuerlichſt in den weſtlichen Karpathen (Ge: birge Magura bei Szlanicz) gefunden worden. Beide ſind den Meteorſteinen ſehr ähnlich. (S. 94.) „Sir Isaac said, he took all the planets to be composed of the same matter with this earth, viz. earth, water and stones, but variously concocted.“ Turnor, Col- lections for the hist. of Grantham, cont. authentic Memoirs of Sir Isaac Newton p. 172. (©. 95.) Biot ſchon hatte Zweifel gegen die Wahrſchein⸗ lichkeit erregt, daß der Novemberſtrom Anfang Mai wieder er— ſcheinen müſſe. Mädler hat die mittlere Temperaturerniedrigung — 282 — in den verrufenen drei Maitagen durch S6jährige Berliner Beobach— tungen geprüft und in den Temperaturen vom 11.— 13. Mai einen Rückſchritt von 1,22 gerade zu einer Zeit gefunden, in welche faſt die ſchnellſte Vermehrung der Wärme fällt. Es wäre zu wünſchen, daß das Phänomen dieſer Temperaturerniedrigung, das man ge— neigt geweſen iſt dem Schmelzen der Eismaſſen im Nordoſten von Europa zuzuſchreiben, an ſehr entlegenen Punkten in Amerika oder in der ſüdlichen Hemiſphäre ermittelt würde. % (S. 95.) Die Erzählung des Daimachos (Daimachos), nach welcher 70 Jahre lang ununterbrochen eine feurige Wolke am Himmel geſehen wurde, die Funken wie Sternſchnuppen ſprühte und endlich, ſich ſenkend, den Stein von Aegos Potamoi, „welcher nur ein unbedeutender Teil der Wolke war“, niederfallen ließ, iſt ſehr unwahrſcheinlich, weil die Richtung und Geſchwindigkeit der Feuerkugel ſo viele Tage lang der Erde hätte gleich bleiben müſſen, was bei der von Halley beſchriebenen Feuerkugel vom 19. Juli 1686 doch nur Minuten dauerte. Ob übrigens Daimachos, der Schrift: ſteller dept ebgeße lng, eine Perſon mit dem Daimachos aus Platäa ſei, der von Seleucus nach Indien an den Sohn des Androkottos geſchickt wurde und den Strabo „einen Lügenredner“ ſchimpft, bleibt ziemlich ungewiß. Man könnte es nach einer anderen Stelle des Plut. faſt glauben; auf jeden Fall haben wir hier nur die Erzählung eines ſehr ſpäten Schriftſtellers, der 1'/ Jahrhunderte nach dem berühmten Aerolithenfall in Thracien ſchrieb und deſſen Wahrhaftigkeit Plutarch ebenfalls bezweifelt (vergl. oben Note 40.) 61 (S. 96.) Die merkwürdige Stelle bei Plut. de place. Philos. II, 13 heißt alſo: „Anaxagoras lehrt, daß der umgebende Aether feurig ſei der Subſtanz nach; und durch die Stärke des Umſchwunges reiße er Felsſtücke von der Erde ab, entzünde dieſelben und habe ſie zu Sternen gemacht.“ Einem ſolchen Um— ſchwunge (Centrifugalkraft) ſoll der Klazomenier, eine alte Fabel zu einem phyſiſchen Dogma benutzend, auch das Herabfallen des Nemäiſchen Löwen aus dem Monde in den Peloponnes zu⸗ geſchrieben haben. Wir haben demnach hier ſtatt der Mondſteine ein Mondtier! Nach Böckhs ſcharfſinniger Bemerkung hat der alte Mythus des Nemäiſchen Mondlöwen einen aſtronomiſchen Ur— ſprung und hängt ſymboliſch in der Chronologie mit den Schalt— cyklen des Mondjahres, dem Mondkultus zu Nemea und den dor: tigen Feſtſpielen zuſammen. ‘2 (S. 97.) Folgende denkwürdige Stelle, eine der vielen Keplerſchen Inſpirationen über Wärmeſtrahlung der Firfterne, leiſes Verbrennen und Lebensprozeſſe findet ſich in den Paralipom. in Vitell. Astron. pars optica 104 Propos. XXXII, p. 25: „Luecis proprium est calor, sydera omnia calefaciunt. De syde- rum luci claritatis ratio testatur, calorem universorum in minori esse proportione ad calorem unius solis, quam ut ab homine, cujus est certa caloris mensura, uterque simul pereipi — 283 — et judicari possit. De eincindularum lucula tenuissima negare non potes, quin cum calore sit. Vivunt enim et moventur, hoc autem non sine calefactione perficitur. Sed neque putre- scentium lignorum lux suo calore destituitur; nam ipsa putredo quidam lentus ignis est. Inest et stirpibus suus calor.“ (S. 99.) „There is another thing, which I recommend to the observation of mathematical men: which is, that in February, and for a little before, and a little after that month (as J have observed several years together), about 6 in the evening, when the Twilight hath almost deserted the horizon, you shal see a plainly discernable way of the Twilight striking up toward the Pleiades, and seeming almost to touch them. It is so observed any clear night, but it is best illae nocte. There is no such way to be observed at any other time of the year (that I can perceive), nor any other way at that time to be perceived darting up elsewhere. And I believe it hath been, and will be constantly visible at that time of the year. But what the cause of it in nature should be, I cannot yet imagine, but leave it to further enquiry.“ Childrey, Britannia Baconica 1661, p. 183. Dies ift die erſte An- ſicht und einfache Beſchreibung und Erſcheinung. In dem eben angeführten jonderbaren Buche von Childrey finden ſich auch. ſchon verſtändige Angaben über die Epoche des Eintretens der Maxima und Minima in der Verteilung der Jahreswärme, wie in dem Gange der täglichen Temperatur; Angaben über Verſpätung der Extreme des Effekts in den meteorologiſchen Prozeſſen. Leider lehrt aber auch der bakoniſch-philoſophierende Kaplan des Lord Henry Somerſet (wie Bernardin de St. Pierre), daß die Erde an den Polen zugeſpitzt ſei. Sie war urſprünglich, ſagt er, kugelrund, aber die ununterbrochen fortſchreitende Zunahme der Eisſchichten an beiden Polen verändert die Figur des Erdkörpers; und da das Eis ſich aus Waſſer bildet, nimmt die Waſſermenge überall ab. (S. 99.) Dominikus Caſſini und Mairan haben ſelbſt die Behauptung aufgeſtellt, daß das 1668 in Perſien geſehene Phä— nomen das Zodiakallicht geweſen ſei. Delambre ſchreibt die Entdeckung dieſes Lichtes beſtimmt dem berühmten Reiſenden Char— din zu; aber ſowohl in Couronnement de Soliman als in mehreren Stellen ſeiner Reiſebeſchreibung erwähnt Chardin als niazouk (nyzek) oder petite lance nur: „la grande et fameuse comete qui parut presque par toute la terre en 1668 et dont la tete etoit cachee dans l’occident de sorte qu'on ne pouvoit en rien apercevoir sur l’horizon d'Ispahan.“ Der Kopf oder Kern dieſes Kometen iſt aber in Braſilien und in Indien geſehen worden. Ueber die Vermutung der Identität des letzten großen Kometen vom März 1843 mit dem, welchen Caſſini für das Zodia— kallicht hielt, ſ. Schum. aſtr. Nachr. 1843, Nr. 476 und 480. Im Perſiſchen werden nizehi äteschin (feurige Spieße oder Lanzen) — 284 — auch für die Strahlen der auf- oder untergehenden Sonne ge— braucht, wie nayazik nach Freytags arabiſchem Lexikon stellae cadentes bedeutet. Die Vergleichung der Kometen mit Lanzen und Schwertern war übrigens beſonders dem Mittelalter in allen Sprachen ſehr gewöhnlich. Selbſt der große Komet, welcher vom April bis Juni 1500 geſehen wurde, heißt bei den italieniſchen Schriftſtellern der Zeit immer il Signor Atsone. — Die vielfach geäußerten Vermutungen, daß Descartes oder gar Kepler das Zodiakallicht gekannt hätten, ſcheinen mir ganz unhaltbar. Descartes ſpricht auf eine ſehr dunkle Weiſe, wie Kometen⸗ ſchweife entſtehen: „par des rayons obliques qui, tombant sur diverses parties des orbes planétaires, viennent des parties laterales & notre oeil par une refraction extraordinaire“; auch wie morgens und abends Kometenſchweife „comme une longue poutre“ gejehen werden könnten, wenn die Sonne zwiſchen dem Kometen und der Erde ſteht. Dieſe Stelle iſt ſo wenig auf das Zodiakallicht zu deuten als das, was Kepler von der Exiſtenz einer Sonnenatmoſphäre (limbus circa solem, coma lucida) jagt, welche in totalen Sonnenfinſterniſſen hindert, „daß es ganz Nacht werde“. Noch unſicherer oder vielmehr irriger iſt die Behauptung, daß die „trabes quas donebs vocant* eine Andeutung des zungen: förmig aufſteigenden Zodiakallichtes ſeien, wie Caſſini und Mairan vorgeben. Ueberall bei den Alten ſind die trabes mit Boliden (ordores et faces) und anderen feurigen Meteoren in Verbindung geſetzt, auch wohl gar mit den langbärtigen Kometen. 5 (S. 99.) Das ſeltene Manujfript, welches dem Erzbiſchof von Reims, le Tellier, gehört hat, enthält ſehr verſchieden⸗ artige Auszüge aus einem aztekiſchen Ritualbuche, aus einem aſtro— logischen Kalender und aus hiſtoriſchen Annalen von 1197 1549. Die letztgenannten geben zugleich Naturerſcheinungen, Epochen der Erdbeben, Kometen, wie die von 1490 und 1529, und für die mexikaniſche Chronologie wichtige Sonnenfinſterniſſe an. In der handſchriftlichen Historia de Tlascala von Camargo wird das in Oſten faſt bis zum Zenith aufſteigende Licht ſonderbar ge— nug „funkelnd und wie dick mit Sternen beſäet“ genannt. Auf vulkaniſche Ausbrüche des Popocatepetl, der ſehr nahe in Südoſten liegt, paßt die Beſchreibung der vierzigtägigen Erſcheinung gar nicht. Neuere Kommentatoren haben dieſe Erſcheinung, die Monte⸗ zuma als eine der ihm Unglück verheißenden anſah, mit der „estrella que humeava“ (eigentlich: welche ſprudelte, mexikaniſch choloa, ſpringen und ſprudeln) verwechſelt. Ueber den Zuſammenhang dieſes Dampfes mit dem Stern Citlal Choloha (Venus) und dem Sternberge (Citlaltepetl, dem Vulkan von Orizaba) ſ. meine Monuments T. II, p. 303. 6% (S. 100.) Vergl. Sir John Herſchels Betrachtungen über Volum und Lichtſchwäche der planetariſchen Nebelflecke. Die Meinung, daß die Sonne ein Nebelſtern ſei, deſſen Atmoſphäre die Erſcheinung des Zodiakallichtes darbietet, iſt nicht von Domini: kus Caſſini, ſondern zuerſt 1731 von Mairan aufgeſtellt wor: den. Es war eine Erneuerung Keplerſcher Anſichten. 67 (S. 100.) Schon Dominikus Caſſini nahm, wie ſpäter Laplace, Schubert und Poiſſon, zur Erklärung der Geſtalt des Zodiakallichtes die Hypotheſe eines abgeſonderten Ringes an. Er jagt beſtimmt: „si les orbites de Mercure et de Venus &toient visibles (matériellement dans toute l’etendue de leur surface), nous les verrions habituellement de la m&me figure et dans la meme disposition ü l’&Egard du Soleil et aux m&mes tems de l’annde que la lumiere zodiacale.“ Caſſini glaubte, daß der dunſtförmige Ring des Zodiakallichtes aus einer Unzahl kleiner planetenartiger Körper, die um die Sonne kreiſen, zuſammengeſetzt ſei. Er war ſelbſt nicht abgeneigt zu glauben, daß der Fall von Feuerkugeln mit dem Durchgang der Erde durch den Zodiakal— nebelring zuſammenhangen könne. Olmſted und vorzüglich Biot haben dieſen Zuſammenhang mit dem Novemberphänomen zu er— gründen geſucht — einen Zuſammenhang, den Olbers bezweifelt. Ueber die Frage, ob die Ebene des Zodiakallichts mit der Ebene des Sonnenäquators vollkommen zuſammentrifft. [Vergl. Note 5. D. Herausg.] (S. 100.) Heis glaubt mit viel Wahrſcheinlichkeit, daß der Ring des Zodiakallichtes um die Erde innerhalb der Mondbahn ſchwebe. Doch iſt es noch immer nicht möglich, auf dieſe Fragen beſtimmte Antwort zu geben. — [D. Herausg.] 6 (S. 101.) Mehrere phyſikaliſche Thatſachen ſcheinen anzu: deuten, daß bei einer mechaniſchen Trennung der Materie in die kleinſten Teilchen, wenn die Maſſe ſehr gering im Verhältnis zur Oberfläche wird, die elektriſche Spannung ſich bis zur Licht- und Würmeſtrahlung erhöhen kann. Verſuche mit einem großen Hohl— ſpiegel haben bisher nicht entſcheidende Beweiſe von dem Daſein ſtrahlender Wärme im Zodiakallichte gegeben. ” (S. 101.) „Was Sie mir von den Lichtveränderungen im Zodikallichte und den Urſachen ſagen, welchen Sie unter den Tropen ſolche Veränderungen zuſchreiben, hat um ſo mehr mein Intereſſe erregt, als ich ſeit langer Zeit, in jedem Frühjahr, beſonders auf— merkſam auf jene Erſcheinung in unſeren nördlichen Breiten geweſen bin. Auch ich habe immer geglaubt, daß das Tierkreislicht rotiere; aber ich nahm an, daß es ſich mit beträchtlich zunehmender Hellig— keit ganz bis zur Sonne erſtrecke (gegen Poiſſons Aeußerung, die Sie mir mitteilen). Den lichten Kranz, der ſich bei totalen Sonnen⸗ finſterniſſen um die verfinſterte Sonne zeigt, habe ich für dieſen glänzendſten Teil des Zodiakallichtes gehalten. Ich habe mich über— zeugt, daß dieſes Licht in einzelnen Jahren ſehr verſchieden, oft mehrere Jahre hintereinander ſehr hell und ausgedehnt, oft auch, in anderen Jahren, gar nicht wahrzunehmen iſt. Die erſte Spur vom Daſein des Zodiakallichtes glaube ich in einem Briefe von — 286 — Rothmann an Tycho zu bemerken, der dieſem meldet, er habe im Frühjahr die Tiefe der Sonne unter dem Horizont, bei Ende der Abenddämmerung, 24“ gefunden. Gewiß hat Rothmann das Ver— ſchwinden des untergehenden Tierkreislichtes in den Dünſten des Abendhorizonts mit dem wirklichen Ende der Abenddämmerung ver— wechſelt. Aufwallungen habe ich ſelbſt, vermutlich wegen der Schwäche, womit in unſeren Gegenden das Zodiakallicht erſcheint, durchaus nicht bemerken können. Sie haben aber gewiß recht, wenn Sie dergleichen ſchnelle Lichtveränderungen himmliſcher Gegenſtände, die Sie in dem Tropenklima wahrgenommen, unſerer Atmoſphäre, vor— züglich den hohen Regionen derſelben, zuſchreiben. Das zeigt ſich am deutlichſten in den Schweifen großer Kometen. Oft ſieht man, beſonders bei dem heiterſten Wetter, in dieſen Schweifen Pulſationen, welche vom Kopfe des Kometen, als dem niedrigſten Punkte, an⸗ fangen, und in 1 oder 2 Sekunden den ganzen Schweif durchzittern, wobei ſich dann der Schweif ſchnell um einige Grade zu verlängern und gleich wieder zu verkürzen ſcheint. Daß dieſe Aufloderungen, auf die ehemals Robert Hooke und in neueren Zeiten Schröter und Chladni ſehr aufmerkſam waren, nicht in dem Kometenſchweife ſelbſt vorgehen, ſondern durch unſere Atmoſphäre hervorgebracht ſind, wird klar, wenn man bedenkt, daß die einzelnen Teile der (mehrere Millionen Meilen langen) Kometenſchweife in ſehr ver— ſchiedenen Abſtänden von uns liegen, und daß das Licht von ihnen nur in Zeiträumen zu uns gelangen kann, die um mehrere Minuten voneinander verſchieden ſind. Ob, was Sie am Orinoko, nicht in Intervallen von Sekunden, ſondern von Minuten geſehen, wirkliche Koruskationen des Tierkreislichtes waren, oder ganz und allein den oberen Schichten unſeres Lichtkreiſes zugehörte, will ich nicht entſcheiden. Auch weiß ich mir die ſo merkwürdigen Er⸗ hellungen ganzer Nächte, die anomalen Verſtärkungen und Verlängerungen der Dämmerung im Jahr 1831 nicht zu erklären, beſonders da man bemerkt haben will, daß der hellſte Teil dieſer ſonderbaren Dämmerungen nicht mit dem Orte der Sonne unter dem Horizonte zuſammentraf.“ (Aus einem Briefe des Dr. Olbers an mich, Bremen den 26. März 1833.) 1 (S. 103.) Vielleicht 1 Million Meilen (7420 000 km) täg⸗ lich, auf das mindeſte in relativer Geſchwindigkeit 834000 Meilen (6 188 650 km), alſo mehr als die doppelte Umlaufsgeſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn um die Sonne. — [Aus Huggins Beobach⸗ tungen einer großen Anzahl von Fixſternſpektren leitet Klinkerfues die Bewegung der Sonne zu 62 km in der Sekunde ab, mit einer Unſicherheit von etwa 10 km. D. Herausg.] (S. 104.) Ueber Bewegung des Sonnenſyſtems nach Bradley, Tobias Mayer, Lambert, Lalande und William Herſchel ſ. Arago im Annuaire pour 1842 p. 388 — 399; Argelander in Schum. aſtron. Nachr. Nr. 363, 364 und 398, und in der Abhandlung von der eigenen Bewegung des Sonnenſyſtems 1857 — 287 — S. 43 über den Perſeus als Centralkörper der ganzen Sternſchicht Nach Otto Struve wird durch eine ſpätere Kombination für die Rich— tung der Sonnenbewegung gefunden: 26123. A. R. + 3736, Dekl. und im Mittel aus Argelanders und ſeiner eigenen Arbeit durch eine Kombination von 797 Sternen: 259° A. R., + 3436“ Dell. — [Gauß glaubte den Apex der Sonnenbewegung in einem Viereck ſuchen zu müſſen, welches durch die Punkte 25840“ A. R., 3040“ Dekl. nee , 3057 „ nn, enge, re 1 beſtimmt iſt. D. Herausg.] (S. 104.) Mädler verlegt dieſe hypothetiſche Centralſonne in die Plejaden. — [D. Herausg.] 7“ (S. 105.) Will man ſich die etwas früher im Texte be— zeichnete Entfernung der Fixſterne bequemer verſinnlichen, fo erinnere man ſich, daß, wenn die Erde von der Sonne in einem Fuß Ent— fernung angenommen wird, Uranus 19 Fuß (6,17 m) und Wega der Leier 34½ geographiſche Meilen (256 Km) von der Sonne ent— fernt ift. 75 (S. 108.) Sir John Herſchel in einem Briefe aus Feld— huyſen vom 13. Januar 1836; Nicholl, Archit. of the Heavens 1838 p. 22. (S. auch einzelne Andeutungen von Sir William Herſchel über den ſternleeren Raum, der uns in großem Abſtande von der Milchſtraße trennt, in der Philos. Transact. for 1818 P. II, p. 328.) 7° (S. 108.) Sir John Herſchel, Astron. 8 624; der⸗ ſelbe in den Observations of Nebulae and Clusters of Stars (Philos. Transact. for the year 1833 P. II, p. 479, fig. 25): „we have here a brother System bearing a real physical resem- blance and strong analogy of structure of our own.“ 7 (S. 108.) Sir William Herſchel in den Philos. Pransaet for 1785 P. I, p. 257; Sir John Herſchel, -Astron. 8616. („The nebulous region of the heavens forms a nebulous mils way, composed of distinct nebulae as the other of Stars.“ Derſelbe in einem Briefe an mich vom März 1829.) (S. 109.) „An opening in the heavens“, William Herſchel in den Philos. Transact. for 1785 Vol LXXV, P. I. p. 256. S. le Frangais Lalande in der Connaiss. des tems pour Jan VIII, p 383; Arago im Annuaire 1842 p. 425. 2 (S. 110.) Im Dezember 1837 ſah Sir John Herſchel den Stern m Argo, der bisher als zweiter Größe und ganz unveränderlich erſchienen war, ſchnell bis zur erſten Größe zunehmen. Im Januar 1838 war die Intenſität feines Lichtes ſchon der von « Cent. gleich. Nach den neueſten Nachrichten fand Maclaer im März 1843 den Stern jo glänzend als Canopus; ja « Crucis ſah ganz dämmernd neben 1 Argo aus. h — 288 — 0 (S. 110.) „Hence it follows that the rays of ligth of the remotest nebulae must have been almost two millions of years on their way; and that consequently, so many years ago, this object must already have had an existence in the sidereal heaven, in order to send out those rays by which we now perceive it.“ William Herſchel in den Philos. Transact. for 1802 p. 498; John Herſchel, Astron. $ 590; Arago im Annuaire pour 1842 p. 334, 359 und 382 — 385. 51 (S. 111). Aus dem ſchönen Sonette meines Bruders: Freiheit und Geſetz. * (S. 114.) Bei den tiefſten Arbeiten der Menſchen im Innern der Erde iſt zu unterſcheiden zwiſchen der abſoluten Tiefe (unter der Oberfläche der Erde an dem Punkte, wo die Arbeit begonnen ift) und der relativen Tiefe (d. i. der unter dem Spiegel des Meeres). Die größte relative Tiefe, welche die Menſchen bisher erreicht haben, iſt vielleicht das Bohrloch zu Neu-Salzwerk bei Preußiſch Minden; fie betrug im Juni 1844 genau 1873 ½ Par. Fuß (607,4 m); die abſolute Tiefe war 20942 Fuß (680 m). Die Temperatur des Waſſers im Tiefſten ſtieg damals auf 329,7 Cent., was bei der An⸗ nahme von 9,6 mittlerer Luftwärme eine Wärmezunahme von 1“ auf 29 m, 6 gibt. Der arteſiſche Brunnen von Grenelle bei Paris hat nur 1683 Fuß (547 m) abſoluter Tiefe. Nach den Berichten des Miſſionars Imbert aus China wird die Tiefe unſerer arteſiſchen Brunnen von der der Feuerbrunnen, Ho-tsing, weit übertroffen: welche man abteuft, um ſich Waſſerſtoffgas zu verſchaffen, das zum Salzſieden angewendet wird. In der chineſiſchen Provinz Szü⸗tſchuan ſollen dieſe Feuerbrunnen ſehr gewöhnlich die Tiefe von 1800 bis 2000 Fuß (584-650 m) erreichen; ja bei Tſeu-lieu⸗tſing (Ort des Immerfließens) fol ein Ho-tſing, mit dem Seile im J. 1812 gebohrt, 3000 Fuß (975 m) tief ſein. Die relative Tiefe, welche man zu Monte Maſſi in Toscana, ſüdlich von Volterra, erreicht hat, beträgt nach Matteucci nur 1175 Fuß (382 w). Dem Bohrloch zu Neu⸗Salzwerk kommt an relativer Tiefe wahrſcheinlich ſehr nahe das Kohlenbergwerk zu Apendale bei Neweaſtle under Lyme (Stafford⸗ ſhire). Man arbeitet dort 725 Yards oder 2045 Par. Fuß (664m) unter der Oberfläche. Leider iſt mir die Höhe der Hängebank über dem Meeresſpiegel nicht genau bekannt. Die relative Tiefe der Grube Monk Wearmouth bei Neweaſtle iſt nur 1404 Fuß (456 m), die der Lütticher Steinkohlengrube Eſpérance zu Seraing nach Herrn Berghauptmann von Dechen 1271 Fuß (413 m), die ehemalige der Steinkohlengrube Marihaye bei Val St. Lambert im Maasthale nach dem Ingenieur des Mines Herrn Gernaert 1157 Fuß (376 m). Die abſolut tiefſten Arbeiten, welche die Menſchen unternommen haben, ſind meiſt in ſo hohen Gebirgsebenen oder ſo hohem Thalboden ange— ſetzt worden, daß dieſelben entweder gar nicht das Niveau des Meeres erreicht haben oder zu einer ſehr geringen Tiefe unter dieſes Niveau gelangt ſind. So hatte einſt der unfahrbare Eſelsſchacht zu Kuttenberg a 1 — 289 — in Böhmen die ungeheure abſolute Tiefe von 3545 Fuß (1152 m). Auch zu St. Daniel und beim Geiſt am Rörerbühel Landgericht Kitzbühl) waren im 16. Jahrhundert die Baue 2916 Fuß (947 m) tief. Man bewahrt noch die Grubenriſſe der Arbeiten am Rörer— bühel vom Jahre 1539. Man könnte glauben, daß die Kunde von der außerordentlichen Tiefe des Rörerbühel früh nach England ge— langt war; denn in Gilbert de Magnete finde ich die Be— hauptung, daß der Menſch 2400 bis 3000 Fuß (780 bis 975 m) in die Erdrinde gedrungen ſei. („Exigua videtur terrae portio, quae unquam hominibus spectanda emerget aut eruitur: cum pro- fundius in ejus viscera, ultra eflorescentis extremitatis cor- ruptelam, aut propter aquas in magnis fodinis, tanquamı per venas scaturientes, aut propter a@ris salubrioris ad vitamı operariorum sustinendam necessarii defectum, aut propter in- gentes sumptus ad tantos labores exantlandos, multasque diffi- cultates, ad profundiores terrae partes penetrare non possumus: adeo ut quadringentas aut [quod rarissime] quingentas orgyas in quibusdam metallis descendisse, stupendus omnibus videatur conatus.“) Die abſoluten Tiefen der Bergwerke im ſächſiſchen Erz: gebirge bei Freiberg ſind im Thurmhofer Zug 1824 Fuß (582 m), im Hohenbirger Zug 1714 Fuß (557 m); die relativen Tiefen er: reichen nur 626 und 260 Fuß (203 und 84 m), wenn man, um die Höhe der Hängebänke jedes Schachtes über dem Meere zu finden, die Höhe von Freiberg, nach Reichs neuer Beſtimmung, zu 1191 Fuß (387 m) annimmt. Die abſolute Tiefe der auch durch Reichtum berufenen Grubenbaue zu Joachimsthal in Böhmen (Verkreuzung des Jung Häuer Zechen- und Andreasganges) hat volle 1989 Fuß (646 m) erreicht, ſo daß, wenn die Hängebank nach des Herrn von Dechen Meſſungen ungefähr 2250 Fuß (733 m) über dem Meere liegt, die Grubenbaue dort noch nicht einmal den Meeresſpiegel erreicht haben. Am Harz wird auf der Grube Samſon zu Andreasberg in 2062 Fuß (670 m) abſoluter Tiefe gebaut. In dem ehemaligen ſpaniſchen Amerika kenne ich keine tiefere Grube als die Valenciana bei Gua— naxuato (Mexiko), wo ich die abſolute Tiefe der Planes de San Bernardo 1582 Fuß (514 m) gefunden habe. Es fehlen aber den Planes noch 5592 Fuß (1816 m), um den Meeresſpiegel zu erreichen. Wenn man die Tiefe der ehemaligen Kuttenberger Grubenbaue (eine Tiefe, welche die Höhe unſeres Brockens übertrifft und der des Veſuvs nur um 200 Fuß 65 m] nachſteht) mit der größten Höhe der von Menſchen aufgeführten Gebäude (der Pyramide des Cheops und des Straßburger Münſters) vergleicht, ſo findet man das Verhältnis von 8 zu 1. Bei den vielen unbeſtimmten und durch falſche Reduktion der Maße auf den Pariſer Fuß verunſtalteten Angaben, welche unſere geognoſtiſchen Schriften noch immer enthalten, ſchien es mir wichtig, in dieſer Anmerkung alles zuſammenzuſtellen, was ich Sicheres über die größten abſoluten und relativen Tiefen der Grubenbaue und Bohrlöcher habe auffinden können. Wenn man von Jeruſalem A. v. Humboldt, Kosmos. I. 19 — 290 — öſtlich gegen das Tote Meer hinabſteigt, ſo genießt man einen An— blick, den, nach unſeren jetzigen hypſometriſchen Kenntniſſen der Oberfläche unſeres Planeten, keine andere Erdgegend darbieten kann: man ſchreitet, indem man ſich dem Spalte naht, in welchem der Jordan fließt, an hellem Tage auf Geſteinſchichten, die nach Bertous und Rußeggers barometriſchem Nivellement 1300 Fuß (422 m) in ſenkrechter Tiefe unter dem Spiegel des Mittelmeeres liegen. 8 (S. 114.) Muldenförmig gekrümmte Schichten, die man ſich einſenken und in einer zu meſſenden Entfernung wieder auf— ſteigen ſieht, geben, wenn ſie auch in den tiefſten Punkten nicht durch bergmänniſche Arbeiten erreicht werden, doch ſinnliche Kenntnis von der Beſchaffenheit der Erdrinde in großen Abſtänden von der Oberfläche. Angaben dieſer Art gewähren demnach ein großes geognoſtiſches Intereſſe. Ich verdanke die folgenden dem vortreff— lichen Geognoſten, Herrn von Dechen. Er ſchreibt: „Die Tiefe der Steinkohlenmulde zu Lüttich am Mont St. Gilles, welche ich gemeinſchaftlich mit unſerem Freunde Herrn von Oeynhausen zu 3650 Fuß (1186 m) unter der Oberfläche ermittelt habe, liegt, da der Mont St. Gilles gewiß nicht 400 Fuß (130 m) abſolute Höhe hat, an 3250 Fuß (1056 m) unter dem Meeresſpiegel; die Stein- kohlenmulde zu Mons liegt ſogar noch volle 1750 Fuß (568 m) tiefer. Alle dieſe Tiefen ſind aber nur als gering gegen die zu betrachten, welche die Lagerungsverhältniſſe der Steinkohlenflöze in dem Saar: revier (Saarbrücken) offenbaren. Ich habe nach wiederholten Auf— nahmen gefunden, daß das unterſte Kohlenflöz, welches in der Gegend von Duttweiler bekannt iſt, bei Bettingen, nordöſtlich von Saarlouis, bis 19406 und 20 656 Fuß (ho geogr. Meilen S 6,6 km) unter dem Meeresſpiegel herabgeht.“ Dieſes Reſultat übertrifft noch um 8000 Fuß (2600 m) die Annahme, welche ich im Texte des Kosmos für eine Mulde devoniſcher Schichten gegeben habe. Jene Steinkohlenflöze liegen alſo ſo tief unter dem Niveau des Meeres, als der Chim— borazo über demſelben ſich erhebt: in einer Tiefe, in welcher die Erdwärme an 224° betragen muß. Von den höchſten Gipfeln des Himalaya bis zu jenen Mulden, welche die Vegetation der Vorwelt enthalten, iſt demnach ein ſenkrechter Abſtand von 45000 Fuß (14,6 km), d. i. ½3s des Erdhalbmeſſers. (S. 115) Die größte bis jetzt bekannte, vom „Tuscarora“ gemeſſene Tiefe im Stillen Ozean beträgt 8513 m, erreicht alſo nicht ganz die höchſte Bergeshöhe, denn der Mount Evereſt im Himalaya erhebt ſich 8840 m hoch über den Meeresſpiegel. — [D. Herausg.] s5 (S. 118) Seither iſt 1853 die große, 1817 begonnene, von Struve und Tenner geleitete, ruſſiſch-ſkandinaviſche Gradmeſſung vollendet und die 1861 vom verſtorbenen preußiſchen Generallieutenant von Baeyer vorgeſchlagene großartige Meſſung, an welcher ſich faſt ſämtliche Staaten Europas beteiligen, ins Werk geſetzt worden. — [D. Herausg.] NS. 918) El Mundo es poco (die Erde iſt klein und enge), * Zt — 291 — ſchreibt Kolumbus aus Jamaika an die Königin Iſabella den 7. Juli 1503, nicht etwa nach den philoſophiſchen Anſichten der beiden Römer, ſondern weil es ihm vorteilhaft ſchien zu behaupten, der Weg von Spanien ſei nicht lang, wenn man, wie er ſagte, „den Orient von Weſten her ſuche“. Vgl. mein Examen crit. de l’hist. de la Géogr. au l5me siecle, wo ich zugleich gezeigt habe, daß die von Delisle, Fréret und Goſſelin verteidigte Meinung, nach welcher die übermäßige Verſchiedenheit in den Angaben des Erdperimeters bei den Griechen bloß ſcheinbar ſei und auf Verſchiedenheit der Stadien beruhe, ſchon im Jahr 1495 von Jaime Ferrer, in einem Vorſchlag über die Beſtimmung der päpſtlichen Demarkationslinie, vorgetragen wurde. 7 (S. 119.) Brewſter, life of Sir Isaac Newton 1831 p. 162: „The discovery, of the spheroidal form of Jupiter by Cassini had probably directed the attention of Newton to the determination ofits cause, and consequently to the investigation of the true figure of the earth.“ Caſſini kündigte allerdings die Quantität der Abplattung des Jupiter (%s) erſt 1691 an; aber wir wiſſen durch Lalande, daß Maraldi einige gedruckte Bogen des von Caſſini angefangenen lateiniſchen Werkes „über die Flecken der Planeten“ beſaß, aus welchem zu erſehen war, daß Caſſini bereits vor 1666, alſo 21 Jahre vor dem Erſcheinen von Newtons Principia, die Abplattung des Jupiter kannte. (S. 119.) Nach neueren Ermittelungen beträgt die Abplattung der Erde ½ se des größten Durchmeſſers. — [D. Herausg.| (S. 119.) Nach Beſſels Unterſuchung von zehn Grad: meſſungen, in welcher der von Puiſſant aufgefundene Fehler in der Berechnung der franzöſiſchen Gradmeſſung berückſichtigt wurde, iſt die halbe große Achſe des elliptiſchen Rotationsſphäroids, dem ſich die unregelmäßige Figur der Erde am meiſten nähert, 3 272077 t, 14; die halbe kleine Achſe 3 261139 t, 33; die Abplattung "/ags,ıs2; die Länge des mittleren Meridiangrades 57013 t, 109, mit einem Fehler von + 2t, 23. Frühere Kombinationen der Gradmeſſungen ſchwankten zwiſchen ½ und ½97, jo Walbeck "/so2,7s in 1819; Ed. Schmidt !aar,ın in 1829 aus ſieben Gradmeſſungen. Aus den Mond: gleichungen allein fand Laplace zuerſt nach den älteren Tafeln von Bürg ½04,5; ſpäter nach den Mondsbeobachtungen von Burck— hard und Bouvard "2sa,ı. » (S. 120.) Die Pendelſchwingungen gaben als allgemeines Reſultat der großen Expedition von Sabine (1822 und 1823, vom Aequator bis 80“ nördl. Breite) 88; nach Freyeinet, wenn man die Verſuchsreihen von Ile de France, Guam und Mowi (Maui) ausſchließt, 84,2; nach Folter ½89,s; nach Duverrey ½86,4; nach Lütke aus 11 Stationen ½69. Dagegen folgt aus den Beobach— tungen zwiſchen Formentera und Dünkirchen nach Mathieu "/zes,2, und zwiſchen Formentera bis Inſel Unſt nach Biot 04. Der erſte Vorſchlag, die Pendellänge zur Maßbeſtimmung anzuwenden, — 292 — und den dritten Teil des Sekundenpendels (als wäre derſelbe überall von gleicher Länge) wie einen pes horarius zum allge: meinen, von allen Völkern immer wiederzufindenden Maße feſtzu— ſetzen, findet ſich in Huygens Horologium oscillatorium 1673 Prop. 25. Ein ſolcher Wunſch wurde 1742 in einem öffent: lich unter dem Aequator aufgeſtellten Monumente von Bouguer, La Condamine und Godin aufs neue ausgeſprochen. Es heißt in der ſchönen Marmortafel, die ich noch unverſehrt in dem ehemaligen Jeſuiterkollegium in Quito geſehen habe: Penduli simplicis aequi- noctialis unius minuti secundi archetypus, mensurae naturalis exemplar, utinam universalis! Aus dem, was La Condamine von unausgefüllten Stellen in der Inſchrift und einem kleinen Hader über die Zahlen mit Bouguer ſagt, vermutete ich, beträchtliche Unterſchiede zwiſchen der Marmortafel und der in Paris bekannt gemachten Inſchrift zu finden. Nach mehrmaliger Vergleichung be— merkte ich aber nur zwei ganz unerhebliche: ex arcu graduum 3½ ſtatt ex arcu graduum plus quam trium, und ſtatt 1742 die Jahrzahl 1745. Die letztere Angabe iſt ſonderbar, da La Condamine im November 1744, Bouguer im Junius desſelben Jahres nach Europa zurückkamen, auch Bodin Südamerika ſchon im Junius 1744 verlaſſen hatte. Die notwendigſte und nützlichſte Verbeſſerung in den Zahlen der Inſchrift würde die der aſtronomiſchen Länge der Stadt Quito geweſen ſein. Nouets an ägyptiſchen Monumenten eingegrabene Breiten geben uns ein neueres Beiſpiel von der Ge— fahr, welche eine feierliche Perpetuierung falſcher oder unvorſichtig berechneter Reſultate darbietet. 1 (S. 120) Ueber die vermehrte Intenſität der Anziehung in vulkaniſchen Inſeln (St. Helena, Ualan, Fernando de Noronha, Ile de France, Guaham, Maui und Galapagos) mit Ausnahme der Inſel Rawak, vielleicht wegen ihrer Nähe zu dem hohen Lande von Neu⸗Guinea, ſ. Mathieu in Delambre, Hist. de l’Astro- nomie au löme siècle p. 701. 92 (S. 120.) Zahlreiche Beobachtungen zeigen auch mitten in den Kontinenten große Unregelmäßigkeiten der Pendellängen, die man Lokalanziehungen zuſchreibt. Wenn man im ſüdlichen Frank— reich und in der Lombardei von Weſten nach Oſten fortſchreitet, ſo findet man in Bordeaux die geringſte Intenſität der Schwerkraft; und dieſe Intenſität nimmt ſchnell zu in den öſtlicher gelegenen Orten: Figeac, Clermont-Ferrand, Mailand und Padua. Die letzte Stadt bietet das Maximum der Anziehung dar. Der Einfluß des ſüdlichen Abhanges der Alpenkette iſt nicht bloß der all: gemeinen Größe ihres Volums, ſondern, wie Elie de Beaumont glaubt, am meiſten den Melaphyr- und Serpentingeſteinen zuzu⸗ ſchreiben, welche die Kette gehoben haben. Am Abhange des Ararat, der mit dem Kaukaſus wie im Schwerpunkte des aus Europa, Aſien und Afrika beſtehenden, alten Kontinents liegt, zeigen Fedorows ſo genaue Pendelverſuche ebenfalls nicht Höhlungen, ſondern dichte — 293 — vulkaniſche Maſſen an. In den geodätiſchen Operationen von Carlini und Plana in der Lombardei haben ſich Unterſchiede zwiſchen den unmittelbaren Breitenbeobachtungen und den Reſultaten jener Opera— tionen von 20“ bis 47% 8 gefunden. Mailand auf Bern reduziert, wie es aus der franzöſiſchen Triangulation folgt, hat die Breite von 45° 27° 52“, während daß die unmittelbaren aſtronomiſchen Beobachtungen die Breite zu 45° 2735“ geben. Da die Pertur— bationen fi) in der lombardiſchen Ebene bis Parma weit ſüdlich vom Po erſtrecken, ſo kann man vermuten, daß ſelbſt in der Boden— beſchaffenheit der Ebene ablenkende Urſachen wirken. Aehn— liche Erfahrungen hat Struve in den flächſten Teilen des öſtlichen Europas gemacht. Ueber den Einfluß von dichten Maſſen, welche man in einer geringen, der mittleren Höhe der Alpenkette gleichen Tiefe vorausſetzt, ſ. die analytiſchen Ausdrücke (nach Hoſſard und Rozet) in den Comptes rendus de l'Aca d. des Sc. T. XVIII, 1844, p. 292, welche zu vergleichen find mit Poiſſon, traité de Mécanique (2. Ed.) T. I, p. 482. Die früheſten Andeutungen von dem Einfluß der Gebirgsarten auf die Schwingungen des Pendels hat übrigens Thomas Young gegeben in den Philosoph. Transactions for 1819 p. 70—96. Bei den Schlüſſen von der Pendellänge auf die Erdkrümmung iſt wohl die Möglichkeit nicht zu überſehen, daß die Erdrinde kann früher erhärtet geweſen ſein, als metalliſche und dichte baſaltiſche Maſſen aus der Tiefe durch offene Gangklüfte eingedrungen und der Oberfläche nahe ge— kommen ſind. (S. 121.) La Cailles Pendelmeſſungen am Vorgebirge der guten Hoffnung, die Mathieu mit vieler Sorgfalt berechnet hat, geben eine Abplattung von ½84,4; aber nach mehrfachen Ver— gleichungen der Beobachtungen unter gleichen Breiten in beiden Hemiſphären (Neuholland und Malouinen verglichen mit Barcelona, New York und Dünkirchen) iſt bisher kein Grund vorhanden, die mittlere Abplattung der ſüdlichen Halbkugel für größer als die der nördlichen zu halten. (S. 121.) Die drei Beobachtungsmethoden geben folgende Reſultate: 1) durch Ablenkung des Senkbleis in der Nähe des Berges Shehallien (galiſch Thichallin) in Pertſhire 4,713 bei Maskelyne, Hutton und Playfair (1774—1776 und 1810) nach einer ſchon von Newton vorgeſchlagenen Methode; 2) durch Pendelſchwingung auf Bergen 4,837 (Carlinis Beobachtungen auf dem Mont Cenis ver— glichen mit Biots Beobachtungen in Bordeaux; 3) durch die Dreh— wage von Cavendiſh, nach einem urſprünglich von Mitchell erſonnenen Apparate, 5,48 (nach Huttons Reviſion der Rechnung 5,32; nach der Reviſion von Eduard Schmidt 5,52; durch die Drehwage von Reich 5,44. In der Berechnung dieſer, mit meiſterhafter Genauig— keit von Prof. Reich angeſtellten Verſuche war das urſprüngliche mittlere Reſultat 5,43 (mit einem wahrſcheinlichen Fehler von nur 0,0233), ein Reſultat, das, um die Größe vermehrt, um welche die — 294 — Schwungkraft der Erde die Schwerkraft vermindert, für die Breite von Freiberg (50 55°) in 5,44 zu verwandeln iſt. Die Anwendung von Maſſen aus Gußeiſen ſtatt des Bleies hat keine merkliche, den Beobachtungsfehlern nicht mit vollem Rechte zuzuſchreibende Ver— ſchiedenheit der Anziehung, keine Spuren magnetiſcher Wirkungen offenbart. Durch die Annahme einer zu kleinen Abplattung der Erde und durch die unſichere Schätzung der Geſteinsdichtigteit der Oberfläche hatte man früher die mittlere Dichtigkeit der Erde eben— falls, wie in den Verſuchen auf und an den Bergen, um ½ zu klein gefunden: 4,761 oder 4,785. Ueber die weiter unten ange— führte Halleyſche Hypotheſe von der Erde als Hohlkugel (den Keim Franklinſcher Ideen über das Erdbeben) ſ. Philos. Transact. for the year 1693 Vol. XVII. p. 563. Halley hält es für des Schöpfers würdiger, „daß der Erdball, wie ein Haus von mehreren Stockwerken, von innen und außen bewohnt ſei. Für Licht in der Hohlkugel würde auch wohl auf irgend eine Weiſe geſorgt werden können“. (S. 121.) Prynting wie Jolly ermittelten ſeither eine mittlere Dichtigkeit der Erde von 5,69, doch fanden 1872— 1873 Cornu und Baille durch ſehr präziſe Meſſungen mittels der Drehwage die Dichte der Erde nur 5,56 ſo groß wie die Dichte des Waſſers, ein Er— gebnis, das wohl bis jetzt als das zuverläſſigſte betrachtet werden darf. — [D. Herausg.] % (S. 123.) Dahin gehören die vortrefflichen analytiſchen Arbeiten von Fourier, Biot, Laplace, Poiſſon, Duhamel und Lams. In ſeinem Werke theorie mathematique de la Chaleur hat Poiſſon eine von Fouriers Anſicht ganz abweichende Hypo theſe entwickelt. Er leugnet den gegenwärtigen flüſſigen Zuſtand des Kerns der Erde; er glaubt, „daß bei dem Erkalten durch Strahlung gegen das die Erde umgebende Mittel die an der Ober— fläche zuerſt erſtarrten Teile herabgeſunken ſind; und daß durch einen doppelten, ab- und aufwärts gehenden Strom die große Un— gleichheit vermindert worden iſt, welche bei einem feſten, von der Oberfläche her erkaltenden Körper ſtattfinden würde“. Es ſcheint dem großen Geometer wahrſcheinlicher, daß die Erſtarrung in den dem Mittelpunkt näher liegenden Schichten angefangen habe; „das Phänomen der mit der Tiefe zunehmenden Wärme erſtrecke ſich nicht auf die ganze Erdmaſſe und ſei bloß eine Folge der Bewegung unſeres Planetenſyſtems im Weltraume, deſſen einzelne Teile durch Sternenwärme (chaleur stellaire) eine ſehr verſchiedene Tem: peratur haben“. Die Wärme der Waſſer unſerer arteſiſchen Brunnen wäre alſo, nach Poiſſon, bloß eine von außen in den Erdkörper eingedrungene Wärme, und man könnte letzteren „als einen Fels— block betrachten, der vom Aequator nach dem Pole geſchafft wurde, aber in einer ſo kurzen Zeit, daß er nicht ganz zu erkalten ver— mochte. Die Temperaturzunahme in dieſem Blocke würde ſich nicht bis zu den Schichten ſeiner Mitte erſtreckt haben“. Die phyſikaliſchen — 295 — Zweifel, welche man mit Recht gegen dieſe ſonderbare kosmiſche An— ſicht aufgeſtellt hat (gegen eine Anſicht, welche dem Himmelsraume zuſchreibt, was wohl eher dem erſten Uebergange der ſich ballenden Materie aus dem gasförmig flüſſigen in einen feſten Zuſtand an— gehört), findet man geſammelt in Poggendorffs Annalen der Phyſik und Chemie Bd. XXXIX, S. 93-100. 7 (S. 124.) Die Wärmezunahme iſt gefunden worden in dem Puits de Grenelle zu Paris von 98¾½80 Fuß (32 m), in dem Bohrloch zu Neuſalzwerk bei Preußiſch Minden faſt 91 Fuß (29,6 m); zu Prégny bei Genf, ohnerachtet dort die obere Oeff— nung des Bohrloches 1510 Fuß über dem Meeresſpiegel liegt, nach Auguſte de la Rive und Marcet, ebenfalls von 91 Fuß (29,6 m). Dieſe Uebereinſtimmung der Reſultate in einer Methode, welche erſt im Jahre 1821 von Arago vorgeſchlagen wurde, iſt ſehr auffallend und von drei Bohrlöchern hergenommen, von 1683 Fuß (547 m), 2094 Fuß (680 m) und 680 Fuß (221 m) abſoluter Tiefe. Die zwei Punkte der Erde, in kleiner ſenkrechter Entfernung untereinander, deren Jahrestemperaturen wohl am ge— naueſten beſtimmt ſind, ſind wahrſcheinlich die Temperatur der äußeren Luft der Sternwarte zu Paris und die Temperatur der Caves de l’Observatoire. Jene iſt 10%½822, dieſe 11,834: Unter: ſchied 1,012 auf 86 Fuß (28 m) Tiefe. Freilich iſt in den letzten 17 Jahren, aus noch nicht ganz ausgemittelten Urſachen, wo nicht die Temperatur der Caves de l’Observatoire, doch die Anzeige des dort ſtehenden Thermometers, um 0%,220 geſtiegen. Wenn in Bohr— löchern bisweilen das Eindringen von Waſſern aus Seitenklüften einige Störung hervorbringt, ſo ſind in Bergwerken andere Ver— hältuiſſe erkältender Luftſtrömung noch ſchädlicher für die Genauig— keit mit vieler Mühe erforſchter Reſultate. Das Geſamtreſultat von Reichs großer Arbeit über die Temperatur der Gruben im ſächſiſchen Erzgebirge iſt eine etwas langſame Wärmezunahme von 128 Fuß (41 m, 84) auf 1“. Doch hat Phillips in einem Schachte des Kohlenbergwerks von Monk Wearmouth bei Neweaſtle, wo, wie ich ſchon oben bemerkt, 1404 Fuß (456 m) unter dem Meeresſpiegel ge: arbeitet wird, auch eine Zunahme der Wärme von 99/0 Fuß (32 m,4), faſt ganz identiſch mit Aragos Reſultat im Puits de Grenelle gefunden. s (S. 126.) Es iſt zu bemerken, daß der Bruch !ıro eines Centeſimalgrades des Queckſilberthermometers, welcher im Texte als Grenze der Stabilität der Erdwärme ſeit Hipparchs Zeiten an— gegeben iſt, auf der Annahme beruht, daß die Dilatation der Stoffe, aus denen der Erdkörper zuſammengeſetzt iſt, gleich der des Glaſes ſei, d. i. Yıooooo für 1“ Wärme. 9 (S. 127.) William Gilbert von Colcheſter, den Galilei „bis zum Neid erregen groß“ nennt, ſagt ſchon: „magnus magnes ipse est globus terrestris“. Er beſpöttelt die Magnetberge als Magnetpole des Fracaſtoro, des großen Zeitgenoſſen von Chriſtoph — 296 — Kolumbus: „rejicienda est vulgaris opinio de montibus mag- neticis, aut rupe aliqua magnetica, aut polo phantastico a polo mundi distante.“ Er nimmt die Abweichung der Magnet— nadel auf dem ganzen Erdboden für unveränderlich an (variato uniuscujusque loci constans est) und erklärt die Krümmungen der iſogonis chen Linien aus der Geſtaltung der Kontinente und der relativen Lage der Meeresbecken, welche eine ſchwächere magnetiſche Ziehkraft ausüben als die über dem Ozean hervorragenden feſten Maſſen. | 100 (S. 127.) Es gibt auch Perturbationen, die ſich nicht weit fortpflanzen, mehr lokal ſind, vielleicht einen weniger tiefen Sitz haben. Ein ſeltenes Beiſpiel ſolcher außerordentlichen Störung, welche in den Freiberger Gruben und nicht in Berlin gefühlt wurde, habe ich ſchon vor vielen Jahren bekannt gemacht. Magnetiſche Ungewitter, die gleichzeitig von Sizilien bis Upſala gefühlt wurden, gelangten nicht von Upſala nach Alten. Unter den vielen in neuerer Zeit aufgefundenen, gleichzeitigen und durch große Länderſtrecken fortgepflanzten Perturbationen, welche in Sabines wichtigem Werke geſammelt find, iſt eine der denkwürdigſten die vom 25. Sep: tember 1841, welche zu Toronto in Kanada, am Vorgebirge der guten Hoffnung, in Prag und teilweiſe in Vandiemensland beob— achtet wurde. Die engliſche Sonntagsfeier, nach der es ſünd— haft iſt, nach Sonnabend Mitternacht eine Scala abzuleſen und große Naturphänomene der Schöpfung in ihrer ganzen Entwicklung zu verfolgen, hat, da das magnetiſche Ungewitter wegen des Längen— unterſchiedes in Vandiemensland auf einen Sonntag fiel, die Beobachtung desſelben unterbrochen! 0% (S. 128.) Die im Text geſchilderte Anwendung der Magnet— inklination zu Breitenbeſtimmungen längs einer N—S laufenden Küſte, die wie die Küſte von Chile und Peru einen Teil des Jahres in Nebel (garua) gehüllt iſt, habe ich angegeben in Lamétheries Journal de Physique T. LIX, 1804, p. 449. Dieſe Anwen⸗ dung iſt in der bezeichneten Lokalität um ſo wichtiger, als, bei der heftigen Strömung von Süden nach Norden bis Cabo Parißa, es für die Schiffahrt ein großer Zeitverluſt iſt, wenn man ſich der Küſte erſt nördlich von dem geſuchten Hafen nähert. In der Südſee habe ich vom Hafen Callao de Lima bis Truxillo, bei einem Breiten— unterſchiede von 3057, eine Veränderung an der Magnetinklination von 9° Cent. und von Callao bis Guayaquil, bei einem Breiten— unterſchied von 9507 eine Inklinationsveränderung von 239,05 gefunden. Von Guarmey (Br. 10 4 Süd), Huaura (Br. 11 3) bis Chancay (Br. 11“ 32°) find die Neigungen 6,80; 9°,00 und 10,35 centeſ. Einteilung. Die Ortsbeſtimmung mittels der magnetiſchen Inklination hat da, wo der Schiffskurs die iſokliniſchen Linien faſt ſenkrecht ſchneidet, das Merkwürdige, daß ſie die einzige iſt, welche jeder Zeitbeſtimmung, und alſo des Anblicks der Sonne und der anderen Geſtirne entbehren kann. Ich habe vor kurzem erſt auf— er m gefunden, daß ſchon am Ende des 16. Jahrhunderts, alſo kaum 20 Jahre nach der Erfindung des Inklinatoriums von Robert Norman, in dem großen Werke des de Magnete von William Gilbert, Vorſchläge, die Breite durch die Neigung der Magnet— nadel zu beſtimmen, gemacht worden ſind. Gilbert rühmt die Methode als anwendbar „aére caliginoso“. Edward Wright, in der Vorrede, welche er dem großen Werke ſeines Lehrers beigefügt hat, nennt einen ſolchen Vorſchlag „vieles Goldes wert“. Da er mit Gilbert irrigerweiſe annahm, daß die iſokliniſchen Linien mit den geographiſchen Parallelkreiſen, wie der magnetiſche Aequator mit dem geographiſchen, zuſammenfielen, ſo bemerkte er nicht, daß die erwähnte Methode eine lokale und viel eingeſchränktere An— wendung hat. 102 (S. 128.) Nach Faradays Behauptung iſt dem reinen Kobalt der Magnetismus ganz abzuſprechen. Es iſt mir nicht unbe— kannt, daß andere berühmte Chemiker (Heinrich Roſe und Wöhler dieſe Behauptung für nicht abſolut entſcheidend halten. Wenn von zwei mit Sorgfalt gereinigten Kobaltmaſſen, welche man beide für nickelfrei hält, ſich die eine als ganz unmagnetiſch (im ruhenden Magnetismus) zeigt, jo ſcheint mir der Verdacht, daß die andere ihre magnetiſche Eigenſchaft einem Mangel von Reinheit verdanke, doch wahrſcheinlich und für Faradays Anſicht ſprechend. (S. 129.) Die weſtlichen Völker, Griechen und Römer, wußten, daß Magnetismus dem Eiſen langdauernd mitgeteilt werden kann („sola haec materia ferri vires a magnete lapide accipit retinetque longo tempore“; Plin. XXXIV, 14). Die große Entdeckung der telluriſchen Richtkraft hing alſo allein davon ab, daß man im Oceident nicht durch Zufall ein längliches Frag— ment Magnetſtein oder einen magnetiſierten Eiſenſtab, mittels Holz auf Waſſer ſchwimmend oder an einem Faden hangend, in freier Bewegung beobachtet hatte. 10 (S. 129.) Ein ſehr langſames ſäkulares Fortſchreiten oder gar eine lokale Unveränderlichkeit der Magnetdeklination hebt die Verwirrung auf, welche durch telluriſche Einwirkungen in der Quantität des räumlichen Bodenbeſitzes da entſteht, wo mit völliger Unbeachtung der Deklinationskorrektion das Grund— eigentum, zu ſehr verſchiedenen Zeitepochen, durch bloße Anwendung der Buſſole vermeſſen worden iſt. „The whole mass of West- India property,“ jagt Sir John Herſchel, „has been saved from the bottomless pit of endless litigation by the invariab- ility of the magnetic declination in Jamaiea and the surround- ing archipelago during the whole of the last century, all surveys of property there having been conducted solely by the compass.“ In dem Mutterlande (England) hat ſich die Magnet— deklination in derſelben Zeit um volle 14“ verändert. 105 (S. 129.) Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, daß man in den auf uns gekommenen Dokumenten über die Schiffahrten — 298 — von Chriſtoph Kolumbus mit vieler Sicherheit drei Ortsbeſtimmungen der atlantiſchen Linie ohne Abweichung für den 13. Sep⸗ tember 1492, den 21. Mai 1496 und den 16. Auguſt 1498 erkennen kann. Die atlantiſche Kurve ohne Abweichung war zu jenen Epochen NO —SwW gerichtet. Sie berührte den ſüdamerikaniſchen Kontinent etwas öſtlich vom Kap Codera, während jetzt die Berührung an der Nordküſte von Braſilien beobachtet wird. Aus Gilberts Phy- siologia nova de Magnete ſieht man deutlich (und dieſe That⸗ ſache iſt ſehr auffallend), daß im Jahr 1600 die Abweichung noch null in der Gegend der Azoren war, ganz wie zu Kolumbus Zeit. Ich glaube, in meinem Examen critique aus Dokumenten er: wieſen zu haben, daß die berühmte Demarkationslinie, durch welche der Papſt Alexander VI. die weſtliche Hemiſphäre zwiſchen Portugal und Spanien teilte, darum nicht durch die weſtlichſte der Azoren gezogen wurde, weil Kolumbus eine phyſiſche Abteilung in eine politiſche zu verwandeln wünſchte. Er legte nämlich eine große Wichtigkeit auf die Zone (raya), „auf welcher die Buſſole keine Variation mehr zeige; wo Luft und Meer, letzteres mit Tang wieſen— artig bedeckt, ſich anders geſtalten; wo kühle Winde anfangen zu wehen, und (jo lehrten es ihn irrige Beobachtungen des Polarſternes) die Geſtalt (Sphärizität) der Erde nicht mehr dieſelbe ſei“. % (S. 130.) Es iſt eine Frage von dem höchſten Intereſſe für das Problem der phyſiſchen Urſachen des telluriſchen Magnetismus, ob die beiden ovalen, ſo wunderbar in ſich geſchloſſenen Syſteme iſogoniſcher Linien im Laufe der Jahrhunderte in dieſer geſchloſſenen Form fortrücken oder ſich auflöſen und entfalten werden? In dem oſtaſiatiſchen Knoten nimmt die Abweichung von außen nach innen zu, im Knoten oder Oval der Südſee findet das Entgegengeſetzte ſtatt; ja man kennt gegenwärtig in der ganzen Südſee, öſtlich vom Meridian von Kamtſchatka, keine Linie ohne Abweichung, keine, die unter 2“ wäre. Doch ſcheint Cornelius Schouten am Diter- tage des Jahres 1616 etwas ſüdöſtlich von Nukahiva, bei 15“ ſüdl. Breite und 132“ weſtl. Länge, alſo mitten in dem jetzigen in ſich geſchloſſenen iſogoniſchen Syſteme, die Abweichung null gefunden zu haben. Man muß bei allen dieſen Betrachtungen nicht ver— geſſen, daß wir die Richtung der magnetiſchen Linien in ihrem Fortſchreiten nur ſo verfolgen können, wie ſie auf der Erdoberfläche projiziert ſind. 7 (S. 131.) ©. die merkwürdige Karte iſokliniſcher Linien im atlantiſchen Ozean für die Jahre 1825 und 1837 in Sabines contributions to terrestrial Magnetism 1840 p. 139. (S. 132.) Folgendes iſt der hiſtoriſche Hergang der Auf: findung des Geſetzes von der (im allgemeinen) mit der magnetiſchen Breite zunehmenden Intenſität der Kräfte. Als ich mich 1798 der Expedition des Kapitän Baudin zu einer Erdumſegelung anſchließen wollte, wurde ich von Borda, der einen warmen Anteil an der Ausführung meiner Entwürfe nahm, aufgefordert, unter verſchiedenen — 299 — Breiten in beiden Hemiſphären eine ſenkrechte Nadel im magnetiſchen Meridian ſchwingen zu laſſen, um zu ergründen, ob die Intenſität der Kräfte dieſelbe oder verſchieden ſei. Auf meiner Reiſe nach den amerikaniſchen Tropenländern machte ich dieſe Unterſuchung zu einer der Hauptaufgaben meiner Unternehmung. Ich beobachtete, daß dieſelbe Nadel, welche in 10 Minuten zu Paris 245, in der Havana 246, in Mexiko 242 Schwingungen vollbrachte, innerhalb derſelben Zeit zu San Carlos del Rio Negro (Br. 1053“ N., 80" 40° W.) 216, auf dem magnetiſchen Aequator, d. i. der Linie, auf der die Neigung —= 0 iſt, in Peru (Br. 7° 1“ S., L. 80 54“ W.) nur 211, in Lima Br. 12° 2° S.) wieder 219 Schwingungen zeigte. Ich fand alſo in den Jahren 1799 bis 1803, daß die Totalkraft, wenn man dieſelbe auf dem magnetiſchen Aequator in der peruaniſchen Andeskette zwiſchen Micuipampa und Caxamarca — 1,0000 ſetzt, in Paris durch 1,3482, in Mexiko durch 1,3155, in San Carlos del Rio Negro durch 1,0480, in Lima durch 1,0773 ausgedrückt werde. Als ich in der Sitzung des Pariſer Inſtituts am 26. Frimaire des Jahres XIII in einer Abhandlung, deren mathematiſcher Teil Herrn Biot zugehört, dies Geſetz der veränderlichen Intenſität der telluriſchen Magnetkraft ent— wickelte und durch den numeriſchen Wert der Beobachtungen in 104 verſchiedenen Punkten erwies, wurde die Thatſache als vollkommen neu betrachtet. Erſt nach der Leſung dieſer Abhandlung, wie Biot in derſelben ſehr beſtimmt jagt und ich in der Relation hist. J. J. p. 262, note ! wiederholt habe, teilte Herr de Roſſel ſeine jechs früheren, ſchon 1791—1794 auf Vandiemensland, Java und Amboina gemachten Schwingungsbeobachtungen an Biot mit. Aus denſelben ergab ſich ebenfalls das Geſetz abnehmender Kraft im indiſchen Archipelagus. Es iſt faſt zu vermuten, daß dieſer vor— treffliche Mann in ſeiner eigenen Arbeit die Regelmäßigkeit der Zu: und Abnahme der Intenſität nicht erkannt hatte, da er von dieſem, gewiß nicht unwichtigen, phyſiſchen Geſetze vor der Leſung meiner Abhandlung unſeren gemeinſchaftlichen Freunden Laplace, Delambre, Prony und Biot nie etwas geſagt hatte. Erſt im Jahr 1808, vier Jahre nach meiner Rückkunft aus Amerika, erſchienen die von ihm angeſtellten Beobachtungen. Bis heute hat man die Gewohnheit beibehalten, in allen magnetiſchen Intenſitäts— tafeln, welche in Deutſchland, in England und in Frankreich erſchienen ſind, die irgendwo auf dem Erdkörper beobachteten Schwingungen auf das Maß der Kraft zu reduzieren, welches ich auf dem magnetischen Aequator im nördlichen Peru gefunden habe, ſo daß bei dieſer willkürlich angenommenen Einheit die Intenſität der magnetiſchen Kraft zu Paris 1,348 geſetzt wird. Noch älter aber als des Admirals Roſſel Beobachtungen ſind die, welche auf der unglücklichen Expedition von la Pérouſe, von dem Aufenthalt in Tenerifa (1785) an bis zur Ankunft in Macao (1787), durch Lamanon angeſtellt und an die Akademie der Wiſſenſchaften ge— ſchickt wurden. Man weiß beſtimmt, daß ſie ſchon im Juli 1787 — 300 — in den Händen Condorcets waren; fie ſind aber trotz aller Be— mühungen nicht aufgefunden worden. Von einem ſehr wichtigen Briefe Lamanons an den damaligen perpetuierlichen Sekretär der Akademie, den man vergeſſen in dem Voyage de la Perouse abzudrucken, beſitzt der Kapitän Duperrey eine Abſchrift. Es heißt darin ausdrücklich: „que la force attractive de l’aimant est moindre dans les tropiques qu'en avancant vers les pöles, et que l’inten- site magnetique deduite du nombre des oscillations de l’aiguille de la boussole d’inclinaison change et augmente avec la lati- tude.“ Hätte die Akademie der Wiſſenſchaften vor der damals ge: hofften Rückkunft des unglücklichen la Pérouſe ſich berechtigt ge— glaubt, im Lauf des Jahres 1787 eine Wahrheit zu publizieren, welche nacheinander von drei Reiſenden, deren keiner den anderen kannte, aufgefunden ward, ſo wäre die Theorie des telluriſchen Magnetismus 18 Jahre früher durch die Kenntnis einer neuen Klaſſe von Erſcheinungen erweitert worden. Dieſe einfache Erzählung der Thatſachen kann vielleicht eine Behauptung rechtfertigen, welche der dritte Band meiner Relation historique (p. 616) enthält: „Les observations sur les variations du magnetisme terrestre aux- quelles je me suis livré pendant 32 ans, au moyen d'instru— mens comparables entre eux, en Amerique, en Europe et en Asie; embrassent, dans les deux h&mispheres, depuis les fron- tieres de la Dzoungarie chinoise jusque vers l’ouest à la Mer du Sud, qui baigne les cötes du Mexique et du Pérou, un espace de 188° de longitude, depuis les 60 ° de latitude nord jusqu'aux 12° de latitude sud. J'ai regarde la loi du decroisse- ment des forces magnetiques, du pöle & l’equateur, comme le résultat le plus important de mon voyage américain.“ Es iſt nicht gewiß, aber ſehr wahrſcheinlich, daß Condorcet den Brief Lamanons vom Julius 1787 in einer Sitzung der Akademie der Wiſſenſchaften zu Paris vorgeleſen hat; und eine ſolche bloße Vor— leſung halte ich für eine vollgültige Art der Publikation. Die erſte Erkennung des Geſetzes gehört daher unſtreitig dem Begleiter la Pérouſes an; aber, lange unbeachtet oder vergeſſen, hat, wie ich glauben darf, die Kenntnis des Geſetzes der mit der Breite veränderlichen Intenſität der magnetiſchen Erdkraft erſt in der Wiſſenſchaft Leben gewonnen durch die Veröffentlichung meiner Beobachtungen von 1798 bis 1804. Der Gegenſtand und die Länge dieſer Note wird denen nicht auffallend ſein, welche mit der neueren Geſchichte des Magnetismus und dem durch dieſelbe angeregten Zweifel vertraut ſind, auch aus eigener Erfahrung wiſſen, daß man einigen Wert auf das legt, womit man ſich fünf Jahre ununter— brochen unter den Beſchwerden des Tropenklimas und gewagter Gebirgsreiſen beſchäftigt hat. — [Die Anſicht Humboldts, daß die Linie ohne Neigung zugleich die Linie ſchwächſter magnetiſcher Erdkraft ſei, weshalb er auch die an dieſer Stelle gefundene Inten— ſität als Einheit annahm, hat ſich ſpäter nicht beſtätigt. Dieſe — 301 — Humboldtſche Einheit blieb aber lange Zeit hindurch das einzige Maß für die Intenſität der magnetischen Erdkraft. Gauß hat jedoch infolge ſeiner für die Wiſſenſchaft des Erdmagnetismus epochemachenden Unterſuchungen zur Einheit der magnetiſchen Kraft jene Kraft ge— wählt, welche in der Sekunde der Maſſe eines Milligramms die Be— ſchleunigung von Umm erteilt. In England hat man als Längen— einheit den engliſchen Fuß = 304,8 mm und als Gewichtseinheit 1 Grain = 0,0648 f gewählt. Man verwandelt die engliſchen Ein— heiten in die Gaußſchen, wenn man ſie mit 0,4611 multipliziert (umgekehrt die Gaußſchen in die engliſchen vermittelſt des Faktors 2,1688). Die Humboldtſchen oder jog. konventionellen Einheiten, nach welchen die Intenſität zu Paris, wie oben bemerkt, 1,348 oder 1348 war, werden auf Gauß' Einheiten reduziert vermittelſt des Faktors 3,494 oder 0,00349. D. Herausg.] 109 (S. 133). Das Maximum der Intenſität der ganzen Erdober: fläche iſt nach den bisher geſammelten Beobachtungen 2,052, das Minimum 0,706. Beide Erſcheinungen gehören der ſüdlichen Hemi— ſphäre an, die erſte der Br. 73° 47“ S. und Länge 169° 30“ O., nahe bei Mount Crozier, in WW des ſüdlichen Magnetpols, an einem Punkte, wo Kapitän James Roß die Inklination der Nadel 87 11“ fand; die zweite, von Erman beobachtete unter Br. 19“ 59“ S. und Länge 37“ 24° W., an 80 Meilen öſtlich von der bra— ſilianiſchen Küſte der Provinz Eſpiritu Santo, an einem Punkte, wo die Inklination nur 7° 55° iſt. Das genaue Verhältnis der Intenſitäten iſt alſo wie 1 zu 2,906. Man hatte lange geglaubt, die ſtärkſte Intenſität der magnetiſchen Erdkraft ſei nur zwei- und ein halbmal ſo groß als die ſchwächſte, welche die Oberfläche unſeres Planeten zeigt. % (S. 134.) Vom Bernitein (suceinum, glessum) jagt Plinius: „Genera ejus plura. Attritu digitorum accepta caloris animo trahunt in se paleas ac folıa urida quae levia sunt, ac ut magnes lapis ferri ramenta quoque.“ Clemens Alex. Strom. II, p. 370, wo ſonderbar genug 75 sobyLov und zo nkearpov unter: schieden werden. Wenn Thales und Hippias dem Magnet und dem Bernſtein eine Seele zuſchreiben, ſo deutet dieſe Beſeelung nur auf ein bewegendes Prinzip. 111 (S. 134.) „Der Magnet zieht das Eiſen, wie der Bernſtein die kleinſten Senfkörner an. Es iſt wie ein Windeshauch, der beide geheimnisvoll durchwehet und pfeilſchnell ſich mitteilt.“ Dieſe Worte gehören dem Kuopho, einem chineſiſchen Lobredner des Magnets, Schriftſteller aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts. 112 (S. 134.) „The phenomena of periodical variations depend manifestly on the action of solar heat, operating pro— bably through the medium of thermoelectrie currents induced on the earth's surface. Beyond this rude guess however, no- thing is as yet known of the physical cause. It is even still a matter of speculation, whether the solar influence be a prin- — 302 — eipal, or only a subordinate cause in the phenomena of ter— restrial magnetism.“ (Observ. to be made in the An- taretie Exped. 1840 p. 35.) 113 (S. 135.) Lange vor Gilbert und Hooke ward ſchon in dem chineſiſchen Werke Ou-thsa-tsou gelehrt, daß die Hitze die Richt⸗ kraft der Magnetnadel vermindere. (S. 135.) Als die erſte Aufforderung zur Errichtung dieſer Warten (eines Netzes von Stationen, die mit gleichartigen In— ſtrumenten verſehen find) von mir ausging, durfte ich nicht die Hoffnung hegen, daß ich ſelbſt noch die Zeit erleben würde, wo durch die vereinte Thätigkeit trefflicher Phyſiker und Aſtronomen, hauptſächlich aber durch die großartige und ausdauernde Unter— ſtützung zweier Regierungen, der ruſſiſchen und großbritanniſchen, beide Hemiſphären mit magnetiſchen Häuſern gleichſam be— deckt ſein würden. Ich hatte in den Jahren 1806 und 1807 zu Berlin mit meinem Freunde und Mitarbeiter, Herrn Oltmanns, beſonders zur Zeit der Solſtitien und Aequinoktien, 5-6 Tage und ebenſoviele Nächte ununterbrochen von Stunde zu Stunde, oft von halber zu halber Stunde, den Gang der Nadel beobachtet. Ich hatte mich überzeugt, daß fortlaufende, ununterbrochene Beob— achtungen (observatio perpetua) von mehreren Tagen und Nächten den vereinzelten Beobachtungen vieler Monate vorzuziehen ſeien. Der Apparat, ein Pronyſches magnetiſches Fernrohr, in einem Glaskaſten an einem Faden ohne Torſion aufgehangen, gab an einem fern aufgeſtellten, fein geteilten, bei Nacht durch Lampen erleuchteten Signale Winkel von 7—8 Sekunden. Magnetiſche Perturbationen (Ungewitter), die bisweilen in mehreren auf— einanderfolgenden Nächten zu denſelben Stunden wiederkehrten, ließen mich ſchon damals den lebhaften Wunſch äußern, ähnliche Apparate in Weſten und Oſten von Berlin benutzt zu ſehen, um allgemeine telluriſche Phänomene von dem zu unterſcheiden, was lokalen Störungen im Inneren des ungleich erwärmten Erdkörpers oder in der wolkenbildenden Atmoſphäre zugehört. Meine Abreije nach Paris und die lange politiſche Unruhe im ganzen weſtlichen Europa hinderten damals die Erfüllung jenes Wunſches. Das Licht, welches (1820) die große Entdeckung Oerſteds über den inneren Zuſammenhang der Elektrizität und des Magnetismus ver— breitete, erweckte endlich, nach langem Schlummer, ein allgemeines Intereſſe für den periodiſchen Wechſel der elektromagnetiſchen La— dung des Erdkörpers. Arago, der mehrere Jahre früher auf der Sternwarte zu Paris, mit einem neuen vortrefflichen Gambeyſchen Deklinationsinſtrumente, die längſte ununterbrochene Reihe ſtünd— licher Beobachtungen begonnen hatte, welche wir in Europa beſitzen, zeigte durch Vergleichung mit gleichzeitigen Perturbationsbeobach— tungen in Kaſan, welchen Gewinn man aus korreſpondierenden Meſſungen der Abweichung ziehen könne. Als ich nach einem 18jährigen Aufenthalte in Frankreich nach Berlin zurückkehrte, ließ — 303 — ich im Herbſt 1828 ein kleines magnetiſches Haus aufführen, nicht bloß, um die 1806 begonnene Arbeit fortzuſetzen; ſondern haupt- ſächlich, damit zu verabredeten Stunden gleichzeitig in Berlin, Paris und Freiberg (in einer Teufe von 35 Lachtern unter Tage) beob— achtet werden könne. Die Gleichzeitigkeit der Perturbationen und der Parallelismus der Bewegungen für Oktober und Dezember 1829 wurde damals ſchon graphiſch dargeſtellt. Eine auf Befehl des Kaiſers von Rußland im Jahre 1829 unternommene Expedition im nördlichen Aſien gab mir bald Gelegenheit, meinen Plan in einem größeren Maßſtabe auszudehnen. Es wurde dieſer Plan in einer von der kaiſerlichen Akademie der Wiſſenſchaften ſpeziell ernannten Kommiſſion entwickelt, und unter dem Schutze des Chefs des Berg— korps, Grafen von Cancrin, und der vortrefflichen Leitung des Prof. Kupffer kamen magnetiſche Stationen von Nicolajeff an durch das ganze nördliche Aſien über Katharinenburg, Barnaul und Nertſchinſk bis Peking zuſtande. Das Jahr 1832 bezeichnet die große Epoche, in welcher der tiefſinnige Gründer einer allge— meinen Theorie des Erdmagnetismus, Friedrich Gauß, auf der Göttinger Sternwarte die nach neuen Prinzipien konſtruierten Ap— parate aufſtellte. Das magnetiſche Obſervatorium war 1834 voll: endet; und in demſelben Jahre verbreitete Gauß ſeine Inſtrumente und Beobachtungsmethode, an denen der ſinnreiche Phyſiker Wilhelm Weber den lebhafteſten Anteil nahm, über einen großen Teil von Deutſchland, Schweden und ganz Italien. In dieſem nun von Göttingen wie von einem Centrum ausgehenden magnetiſchen Ver— eine wurden ſeit 1836 vier Jahrestermine von 24ſtündiger Dauer feſtgeſetzt, welche mit denen der Aequinoktien und Solſtitien, die ich befolgt und 1830 vorgeſchlagen hatte, nicht übereinſtimmten. Bis dahin hatte Großbritannien, im Beſitz des größten Welthandels und der ausgedehnteſten Schiffahrt, keinen Teil an der Bewegung genommen, welche ſeit 1828 wichtige Reſultate für die ernſtere Er— gründung des telluriſchen Magnetismus zu verheißen anfing. Ich war ſo gücklich, durch eine öffentliche Aufforderung, die ich von Berlin aus unmittelbar an den damaligen Präſidenten der königl. Sozietät zu London, den Herzog von Suſſex, im April 1836 rich— tete, ein wohlwollendes Intereſſe für ein Unternehmen zu erregen, deſſen Erweiterung längſt das Ziel meiner heißeſten Wünſche war. Ich drang in dem Briefe an den Herzog von Suſſex auf permanente Stationen in Kanada, auf St. Helena, dem Vorgebirge der guten Hoffnung, Ile de France, Ceylon und Neu-Holland, welche ich ſchon fünf Jahre früher als vorteilhaft bezeichnet hatte. Es wurde in dem Schoße der Royal Society ein joint Physical and Meteoro- logical Committee ernannt, welches der Regierung neben den fixed magnetic Observatories in beiden Hemiſphären ein equip- ment of a naval Expedition for magnetic observations in the Antarctic Seas vorſchlug. Was die Wiſſenſchaft in dieſer Ange— legenheit der großen Thätigkeit von Sir John Herrſchel, Sabine, — 304 — Airy und Lloyd, wie der mächtigen Unterſtützung der 1838 zu Newceaſtle verſammelten British Association for the advancement of Science verdankt, brauche ich hier nicht zu entwickeln. Im Juni 1839 wurde die magnetiſche antarktiſche Expedition unter dem Be: fehle des Kapitäns James Clark Roß beſchloſſen; und jetzt, da ſie ruhmvoll zurückgekehrt iſt, genießen wir zweifache Früchte: die der wichtigſten geographiſchen Entdeckungen am Südpole und die gleich— zeitiger Beobachtungen in acht bis zehn magnetiſchen Stationen. 115 (S. 136). Ampere, ſtatt die innere Erdwärme einem Uebergange der Stoffe aus dem dunſtartig-flüſſigen in den ſtarren Zuſtand bei Bildung des Planeten zuzuſchreiben, hing der mir ſehr unwahrſcheinlichen Meinung an, die Erdwärme ſei Folge der fort— dauernden chemiſchen Wirkung eines Kernes von Erd- und alka— liſchen Metallen gegen die ſich oxydierende äußere Rinde. „On ne peut douter,“ jagt er in der meiſterhaften theorie des phéno— menes éElectro-dynamiques (1826, p. 199), „qu'il existe dans l’interieur du Globe des courants &lectro-magnetiques et que ces courants sont la cause de la chaleur qui lui est propre. Ils naissent d'un noyau metallique central, compose des metaux que Sir Humphry Davy nous a fait connaitre, sur la couche oxidee qui entoure le noyau.* 116 (S. 136). Der denkwürdige Zuſammenhang zwiſchen der Krümmung der magnetiſchen Linien und der Krümmung meiner Iſothermen iſt zuerſt von Sir David Brewſter aufgefunden worden. Dieſer berühmte Phyſiker nimmt in der nördlichen Erdhälfte zwei Kältepole (poles of maximum cold) an, einen amerikaniſchen (Br. 73“, Länge 102° W., nahe bei Kap Walker) und einen aſiatiſchen (Br. 73“; Länge 78“ O.), daraus entſtehen nach ihm zwei Wärme- und zwei Kältemeridiane, d. h. Meridiane der größten Wärme und Kälte. Schon im 16. Jahrhundert lehrte Acoſta, indem er ſich auf die Beobachtungen eines vielerfahrenen portu— gieſiſchen Piloten gründete, daß es vier Linien ohne Abweichung gebe. Dieſe Anſicht ſcheint durch die Streitigkeiten des Henry Bond (Verfaſſers des Longitude found 1676) mit Beck⸗ borrow auf Halleys Theorie der vier Magnetpole einigen Einfluß gehabt zu haben. 7 (S. 136). Auf die Frage nach dem Weſen der Polar: lichter, nach den phyſikaliſchen Bedingungen ihrer Entſtehung ver— mag die Wiſſenſchaft noch keine unbedingte Antwort zu geben. Wohl hat es ſich in neuerer Zeit als wahrſcheinlich erwieſen, daß die Erdelektrizität bei dem Zuſtandekommen der Nordlichter eine Rolle ſpiele, daß ſie durch elektriſche Ströme verurſachte Licht— erſcheinungen ſeien. Aber wenn auch die ſpektroſkopiſchen Beobach— tungen zeigen, daß es Beſtandteile der Luft ſind, welche als Polar— licht glühen, ſo bleibt doch eine Möglichkeit übrig, daß es auch kosmiſche Erſcheinungen, z. B. kosmiſcher Staub, ſein können, die eine gewiſſe Rolle dabei ſpielen. [D. Herausg.] . — 305 — 118 (S. 136.) Dove in Poggendorffs Annalen Bd. XX, S. 341, Bd. XIX, S. 388: „Die Deklinationsnadel verhält ſich ungefähr wie ein atmoſphäriſches Elektrometer, deſſen Divergenz ebenfalls die geſteigerte Spannung der Elektrizität erzeugt, ehe dieſe ſo groß geworden iſt, daß der Funken (Blitz) überſchlagen kann.“ Vergl. auch die ſcharfſinnigen Betrachtungen des Prof. Kämtz in feinem Lehrbuch der Meteorologie Bd. III, S. 511— 519, Sir David Brewſter, treatise on Magnetism p. 280. Ueber die magnetiſchen Eigenſchaften des galvaniſchen Flammen: oder Lichtbogens an einer Bunſenſchen Kohlenzinkbatterie ſ. Caſſel— manns Beob. (Marburg 1844) S. 56 62. 119 (S. 139.) Pary ſah ſelbſt den großen Nordlichtbogen bei Tage ſtehen bleiben. Etwas ähnliches war am 9. September 1827 in England bemerkt worden. Man unterſchied am hellen Mittag einen 20° hohen Lichtbogen und leuchtende, aus ihm aufſteigende Säulen in einem, nach vorhergegangenem Regen klar gewordenen Teile des Himmels. 120 (S. 139.) Ich habe nach der Rückkunft von meiner ameri— kaniſchen Reiſe die aus zarten, wie durch die Wirkung abſtoßender Kräfte ſehr gleichmäßig unterbrochenen Wolkenhäufchen (Cirro⸗ kumulus) als Polarſtreifen (bandes polaires) beſchrieben, weil ihre perſpektiviſchen Konvergenzpunkte meiſt anfangs in den Magnet— polen liegen, ſo daß die parallelen Reihen der Schäfchen dem magnetiſchen Meridiane folgen. Eine Eigentümlichkeit dieſes rätſel— haften Phänomens iſt das Hin- und Herſchwanken, oder zu anderer Zeit das allmähliche regelmäßige Fortſchreiten des Konvergenzpunktes. Gewöhnlich ſind die Streifen nur nach einer Weltgegend ganz aus— gebildet; und in der Bewegung ſieht man ſie, erſt von S nach N, und allmählich von O nach W gerichtet. Veränderten Luftſtrömen in der oberſten Region der Atmoſphäre möchte ich das Fortſchreiten der Zonen nicht zuſchreiben. Sie entſtehen bei ſehr ruhiger Luft und großer Heiterkeit des Himmels und ſind unter den Tropen viel häu— figer als in der gemäßigten und kalten Zone. Ich habe das Phä— nomen in der Andeskette faſt unter dem Aequator in 14000 Fuß (4550 m) Höhe, wie im nördlichen Aſien in den Ebenen zu Krasnojarsk, ſüdlich von Buchtarminsk, ſich ſo auffallend gleich entwickeln ſehen, daß man es als einen weitverbreiteten, von allgemeinen Naturkräften abhängigen Prozeß zu betrachten hat. Bei Südpolarbanden, aus ſehr leichtem Gewölk zuſammengeſetzt, welche Arago bei Tage den 23. Juni 1844 zu Paris bemerkte, ſchoſſen aus einem von Oſten gegen Weſten gerichteten Bogen dunkle Strahlen aufwärts. Wir haben ſchon oben (S. 107) bei nächtlich leuchtenden Nordpolarlichtern ſchwarzer, einem dunkeln Rauch ähnlicher Strahlen erwähnt. 121 (S. 139.) Das Nordlicht heißt auf den Shetlandinſeln the merry dancers. 122 (S. 140.) Ueber die Höhe der Polarlichter über der Erde herrſchen noch widerſtreitende Meinungen. [D. Herausg.| A. v. Humboldt, Kosmos. I. 20 . — 306 — 123 (S. 141.) Immerhin weiß man jetzt, daß die Regel der magnetiſchen Störung durch die Polarlichter in den Polar— gegenden ſelbſt im allgemeinen nicht gilt. Die Expeditionen in den Circumpolargegenden zwiſchen 60° und 115° n. L. haben da— ſſelbſt von Parry bis auf Nares herab keinen oder doch nur einen geringen Zuſammenhang zwiſchen den Störungen und dem Auf— treten der Polarlichter gefunden, auch die ſchwediſche Expedition auf Spitzbergen (1873-1874) hat keine hervorſtehende Relation zwiſchen beiden Erſcheinungen beobachtet. Hingegen teilte Karl Weyprecht mit, daß bei Franz-Joſephs-Land in den Wintern 1872 bis 1874 die Nordlichter und die magnetiſchen Störungen, die hier überaus häufig und groß waren, eine enge Beziehung zeigten. [D. Herausg.] 124 (S. 145.) Gegen das alte Vorurteil, daß Aegypten frei von Erdbeben ſei, ſpricht ſchon der eine wiederhergeſtellte Koloß des Memnon; aber freilich liegt das Nilthal außerhalb des Er— ſchütterungskreiſes von Byzanz, dem Archipel und Syrien. 125 (S. 145.) „Tutissimum est cum vibrat erispante aedi- ficiorum crepitu; et cum intumescit assurgens alternoque motu residet, innoxium et cum concurrentia tecta contrario ietu arietant; quoniam alter motus alteri renititur. Undantis in- clinatio et fluctus more quaedam volutatio infesta est, aut cum in unam partem totus se motus impellit.* Plin. II, 82. 126 (S. 146.) Selbſt in Italien hat man angefangen die Un: abhängigkeit der Erdſtöße von den Witterungsverhältniſſen, d. h. von dem Anblick des Himmels unmittelbar vor der Erſchütte— rung einzuſehen. Friedrich Hoffmanns numeriſche Angaben ſtimmen ganz mit den Erfahrungen des Abbate Scina von Ba: lermo überein. Rötliche Nebel am Tage des Erdbebens, kurz vor demſelben, habe ich einigemal ſelbſt beobachtet; ja am 4. November 1799 habe ich zwei heftige Erdſtöße in dem Augenblicke eines ſtarken Donnerſchlages erlebt; der Turiner Phyſiker Vaſalli Eandi hat bei den langdauernden Erdbeben von Pignerol (vom 2. April bis 17. Mai 1808) Voltas Elektrometer heftig bewegt geſehen. Aber dieſe Zeichen des Nebels, der veränderten Luftelektrizität, der Wind— ſtille dürfen nicht als allgemein bedeutſam, als mit der Erſchütterung notwendig zuſammenhangend betrachtet werden, da man in Quito, Peru und Chile, wie in Kanada und Italien ſo viele Erdbeben bei dem reinſten, völlig dunſtfreien Himmel, bei dem friſcheſten Land- und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens ſelbſt oder einige Tage vorher kein meteorologiſches Zeichen die Erſchütterung verkündigt, ſo iſt doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahrs- und Herbft: äquinoktien), des Eintrittes der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechſels der Mouſſons, für die der allge— meine Volksglaube ſpricht, nicht darum ganz wegzuleugnen, weil uns bis jetzt der genetiſche Zuſammenhang meteorologiſcher Prozeſſe — 307 — mit dem, was in dem Inneren der Erdrinde vorgeht, wenig klar iſt. Numeriſche Unterſuchungen über die Verteilung der Erdbeben unter die verſchiedenen Jahreszeiten, wie ſie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angeſtellt worden ſind, ſprechen für die Epochen der Tag- und Nachtgleichen. — Auffallend iſt es, wie Plinius am Ende ſeiner phantaſtiſchen Erdbebentheorie die ganze furchtbare Erſcheinung ein unterirdi— ſches Gewitter nennt, nicht ſowohl wegen des rollenden Getöſes, welches die Erdſtöße ſo oft begleitet, ſondern weil die elaſtiſchen, durch Spannung erſchütternden Kräfte ſich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn fie in dem Luftkreiſe fehlen! „Ventos in causa, esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et caver- nas ejus occulto afflatu. Neque aliud est in terra tremor, quam in nube tonitruum; nee hiatus aliud quam cum fulmen erumpit, incluso spiritu luctante et ad libertatem exire ni- tente.“ (Plin. II, 79.) In Seneca (Nat. Quest. VI, 4-31) liegt übrigens ziemlich vollftändig der Keim von allem, was man bis zur neueſten Zeit über die Urſachen der Erdbeben beobachtet und gefabelt hat. 127 (S. 146.) Beweiſe, daß der Gang der ſtündlichen Baro— meterveränderungen vor und nach den Erdſtößen nicht geſtört werde, habe ich gegeben in Relat. hist. T. I, p. 311 und 513. 128 (S. 148.) Ueber die bramidos von Guanaxuato ſ. mein Essai polit. sur la Nouv. Espagne T. I, p. 303. Das unterirdiſche Getöſe, ohne alle bemerkbare Erſchütterung in den tiefen Bergwerken und an der Oberfläche (die Stadt Guanaxuato liegt 6420 Fuß [2085 m] über dem Meere) wurde nicht in der nahen Hochebene, ſondern bloß in dem gebirgigen Teile der Sierra, von der Cueſta de los Aguilares unweit Marfil bis nördlich von S. Roſa gehört. Nach einzelnen Gegenden der Sierra, 6— 7 Meilen (44—52 km) nordweſtlich von Guanaxuato, jenſeits Chichime— quillo bei der ſiedenden Quelle von San Joſé de Comangil— las, gelangten die Schallwellen nicht. Wunderbar gewaltſame Maßregeln wurden vom Magiſtrat der großen Bergſtadt ſchon den 14. Januar (1784), als der Schrecken über den unterirdiſchen Donner am größten war, angeordnet. „Jede Flucht einer Familie ſollte bei Reichen mit 1000 Piaſtern, bei Armen mit zwei Monat Gefängnis beſtraft werden. Die Miliz ſollte die Fliehenden zurück— holen.“ Am denkwürdigſten iſt die Meinung, welche die Obrigkeit (el Cabildo) von ihrem Beſſerwiſſen hegte. Ich finde in einer der Proclamas den Ausdruck: „die Obrigkeit würde in ihrer Weis— heit (en su Sabiduria) ſchon erkennen, wenn wirkliche Gefahr vor— handen ſei, und dann zur Flucht mahnen; für jetzt ſeien nur Pro— zeſſionen abzuhalten.“ Es entſtand Hungersnot, da aus Furcht — 308 — vor den truenos keine Zufuhr aus der kornreichen Hochebene kam. — Auch die Alten kannten ſchon Getöſe oder Erdſtöße. Das ſonderbare Getöſe, welches vom März 1822 bis September 1824 auf der dalmatiſchen Inſel Meleda (4 Meilen d. i. 29½ km von Raguſa) vernommen wurde und über welches Partſch viel Licht verbreitet hat, war doch bisweilen von Erdſtößen begleitet. 19 (S. 150.) In der piemonteſiſchen Grafſchaft Pignerol blieben Waſſergläſer, die man bis zum Ueberlaufen angefüllt hatte, ſtundenlang in ununterbrochener Bewegung. 130 (S. 150.) Im Spaniſchen ſagt man: rocas que hacen puente. Mit dieſem Phänomen der Nichtfortpflanzung durch obere Schichten hängt die merkwürdige Erfahrung zuſammen, daß im Anz: fang dieſes Jahrhunderts in den tiefen Silberbergwerken zu Marien: berg im ſächſiſchen Erzgebirge Erdſtöße gefühlt wurden, die man auf der Oberfläche ſchlechterdings nicht ſpürte. Die Bergleute fuhren erſchrocken aus. Umgekehrt bemerkten (November 1823) die in den Gruben von Falun und Persberg arbeitenden Bergleute nichts von den heftigen Erſchütterungen, welche über Tage alle Einwohner in Schrecken ſetzten. 131 (S. 152.) Dieſe plutoniſche Theorie des Vulkanismus iſt ſeither durch Conſt. Prévoſt, Poullet Scrope, Dana, Daubree u. a. dahin ergänzt worden, daß auch die Rolle, welche das Waſſer bei den vulkaniſchen Eruptionen ſpielt, in das richtige Licht geſetzt wird. [D. Herausg.] 132 (S. 153.) Daß der Ausdruck wınAod dtardpon norapov nicht Kot (Schlammauswurf), ſondern Lava andeutet, erhellt deutlich aus Strabo lib. VI, p. 412. f 133 (S. 155.) Ueber die arteſiſchen Feuerbrunnen (Ho-tjing) in China und den alten Gebrauch von tragbarem Gas (in Bambus— röhren) bei der Stadt Khiungtſcheu ſ. Klaproth in meiner Asie centrale T. II, p. 519-530. 134 (S. 155.) Bouſſingault bemerkte in den Vulkanen von Neu⸗Granada gar keine Ausſtrömung von Hydrochlorſäure, während daß Monticelli in der Eruption von 1813 am Veſuv ſie in uns geheurer Menge fand. 135 (S. 156.) Ueber die Theorie der Iſogeothermen (Chthoniſothermen) ſ. die ſcharfſinnigen Arbeiten von Kupffer in Poggend. Ann. Bd. XV, S. 184 und Bd. XXXII, S. 270, im Voyage dans l’Orual p. 382—398 und im Edinb. Journal of Science, new Series Vol. IV, p. 355. Vergl. Kämtz, Lehr⸗ buch der Meteor. Bd. II, S. 217, und über das Aufſteigen der Chthoniſothermen in Gebirgsgegenden Biſchof S. 174— 198. 136 (S. 157.) Ueber die Temperatur der Regentropfen in Cumana, welche bis 22,3 herabſinkt, wenn die Lufttemperatur kurz vorher 30 — 31“ geweſen war und während des Regens 23% zeigte, ſ. meine Rel. hist. T. II, p. 22. Die Regentropfen ver: ändern, indem ſie herabfallen, die Normaltemperatur ihrer — 309 — Entſtehung, welche von der Höhe der Wolkenſchichten und deren Erwärmung an der oberen Fläche durch die Sonnenſtrahlen ab— hängt. Nachdem nämlich die Regentropfen bei ihrer erſten Bildung, wegen der frei werdenden latenten Wärme, eine höhere Temperatur als das umgebende Medium in der oberen Atmoſphäre angenommen haben, erwärmen ſie ſich allerdings etwas mehr, indem ſich im Fallen und bei dem Durchgange durch niedere, wärmere Luft— ſchichten Waſſerdampf auf ſie niederſchlägt und ſie ſich ſo ver— größern; aber dieſe Erwärmung wird durch Verdampfung kompen— ſiert. Erkältung der Atmoſphäre durch Regen wird (das abgerechnet, was wahrſcheinlich dem elektriſchen Prozeß bei Gewitterregen ange— hört) durch die Tropfen erregt, die, ſelbſt von niedriger Tempera— tur wegen des Ortes ihrer Entſtehung, einen Teil der kalten höheren Luftſchichten herabdrängen und, den Boden benetzend, Ver— dampfung hervorbringen. Dies ſind die gewöhnlichen Verhältniſſe der Erſcheinung. Wenn in ſeltenen Fällen die Regentropfen wärmer als die untere ſie umgebende Luft ſind, ſo kann vielleicht die Ur— ſache in oberen warmen Strömungen oder in größerer Erwärmung langgedehnter, wenig dicker Wolken durch Inſolation geſucht werden. Wie übrigens das Phänomen der Supplementarregen— bogen, welche durch Interferenz des Lichtes erklärt werden, mit der Größe der fallenden Regentropfen und ihrer Zunahme zu— ſammenhänge, ja wie ein optiſches Phänomen, wenn man es genau zu beobachten weiß, uns über einen meteorologiſchen Prozeß nach Verſchiedenheit der Zonen belehren kann, hat Arago mit vielem Scharfſinn entwickelt in Annuaire pour 1836 p. 300. 137 (157.) Nach Bouſſingaults gründlichen Unterſuchungen ſcheint mir kein Zweifel darüber obzuwalten, daß unter den Tropen in ſehr geringen Tiefen die Bodentemperatur im ganzen der mitt— leren Lufttemperatur gleich iſt. Ich begnüge mich folgende Bei— ſpiele hier anzuführen: Stationen 1 Fuß (0,32 m) mittlere Höhe über der inne ebenen fig e ein |. Ammann F Fuß ul n Guayaquil. 26% 25,6 0 Anſerma nuevo . 2307 230,8 3231 = 1049,5 EIN OS 219,9 215 3770 = 1224,6 Bopyan . . . 18°,2 18%7 5564 = 1807,4 eee 15% 15%5 8969 = 2913,4 Die Zweifel über die Erdwärme zwiſchen den Wendekreiſen, zu denen ich ſelbſt vielleicht durch meine Beobachtungen in der Höhle von Caripe (Cueva del Guacharo) Anlaß gegeben habe, werden durch die Betrachtung gelöſt, daß ich die vermutete mittlere Luft— temperatur des Kloſters Caripe (18,5) nicht mit der Lufttempe— — 310 — ratur in der Höhle (18,7), ſondern mit der Temperatur des unterirdiſchen Baches (16,8) verglichen hatte: ob ich gleich ſelbſt ſchon ausgeſprochen, daß zu den Waſſern der Höhle ſich wohl höhere Bergwaſſer könnten gemiſcht haben. f 138 (S. 158.) Die Quelle von Chaudes Aigues in der Auvergne hat nur 80%. Auch iſt zu bemerken, daß, während die Aguas ca- lientes de las Trincheras ſüdlich von Portocabello (Venezuela) aus einem in regelmäßige Bänke geſpaltenen Granit ausbrechend, fern von allen Vulkanen volle 97“ Wärme zeigen, alle Quellen am Abhange der noch thätigen Vulkane (Paſto, Cotopaxi und Tungus ragua) nur eine Temperatur von 36°--54° haben. 139 (S. 158.) Die Kaſſotis (Brunnen des heil. Nikolaus) und Kaſtaliaquellen (Fuß der Phädriaden) in Pauſanias X, 24, 5 und X, 8, 9; die Pirene (Akrokorinth) in Strabo p. 379; die Eraſinos⸗ quelle (Berg Chaon ſüdlich von Argos) in Herod. VI, 67 und Pauſan. II, 24, 7; die Quellen von Aedepſos (Euböa), von denen einige 31“, andere 62°—75° Wärme haben, in Strabo p. 60 und 447, Athenäus II, 3,73; die warmen Quellen von Thermopylä am Fuß des Oeta, zu 65“, in Pauſan. X, 21, 2. (Alles aus hand⸗ ſchriftlichen Nachrichten von dem gelehrten Begleiter Otfried Müllers, Herrn Profeſſor Curtius.) % (S. 160.) Ueber die Macalubi (das arabiſche malchlub, umgeſtürzt, das Umgekehrte, von der Wurzel khalaba), und wie „die Erde flüſſige Erde ausſtößt“, ſ. Solinus cap. 5: „idem ager Agrigentinus eructat limosas scaturigines, et ut venae fontium sufficiunt rivis subministrandis, ita in hae Siciliae parte solo nunquam deficiente, aeterna rejectatione terram terra evomit.* 141 (S. 161). Bei der Lektüre der im Texte folgenden Dar: ſtellung des Vulkanismus iſt nicht zu vergeſſen, daß über den eigentlichen Sitz und das Weſen der Kraft, die in den Vulkanen wirkt, ſelbſt die genaueſte örtliche Unterſuchung keine unzweideutige Auskunft zu geben vermag, die Wiſſenſchaft alſo noch immer vor dem Rätſelhaften ſteht, wenn es ſich um die Urſache des Vulkanis⸗ mus handelt. Natürlich muß ſich die Erklärung der vulkaniſchen Phänomen weſentlich anders geſtalten, je nachdem man, wie Buch und Humboldt, einen feurig⸗-flüſſigen Zuſtand des Erdinnern an⸗ nimmt oder dasſelbe, wie viele neuere thun, als längſt erſtarrt anſieht. Wer für die hohen Temperaturen bei Vulkanausbrüchen die richtige Quelle anzugeben weiß, beſitzt, wie Mallet treffend be— merkt, den Schlüſſel zum ganzen Geheimnis. Bis jetzt iſt aber dieſer Schlüſſel noch in niemandes Beſitz. Was aber die von L. v. Buch und Humboldt gemachte Unterſcheidung zwiſchen Er— hebungskrater oder Erhebungskegel und Eruptionskrater oder Erup⸗ tionskegel anbelangt, ſo haben neuere Beobachtungen die ſogenannte Erhebungstheorie als in der Natur unbegründet erwieſen und die Aufſchüttungstheorie zur Geltung gebracht. Dieſe Theorie RN — 311 — läßt die größten und komplizierteſten vulkaniſchen Gerüſte ebenſo wie die einfachſten Kegelberge durch allmähliche Aufſchüttung, d. h. durch Uebereinanderlegung von Lavaſtrömen, von Aſchen-, Schlacken- und Luftſchichten allmählich entſtehen und betrachtet Ringwälle wie die Somma am Veſuv und den Zirkus des Pik von Tenerifa als Ruinen großer Eruptionskegel, welche eingeſtürzt oder überhaupt zerſtört find. [D. Herausg.] 142 (S. 162.) Schon Strabo unterſcheidet ſehr ſchön da, wo er der Trennung Siziliens von Kalabrien erwähnt, die zwiefache Bildung von Inſeln. „Einige Inſeln,“ ſagt er, „ſind Bruchſtücke des feſten Landes; andere ſind aus dem Meere, wie noch jetzt ſich zuträgt, hervorgegangen. Denn die Hochſeeinſeln (die weit hinaus im Meere liegenden) wurden wahrſcheinlich aus der Tiefe empor— gehoben, hingegen die an Vorgebirgen liegenden ſcheinen (vernunft- gemäß) dem Feſtlande abgeriſſen.“ 143 (S. 162.) Ocre Fisove (Mons Vesuvius) in umbriſcher Sprache; das Wort ocre iſt ſehr wahrſcheinlich echt umbriſch und bedeutet, ſelbſt nach Feſtus, Berg. Aetna würde, wenn nach Voß Alxyn ein helleniſcher Laut iſt und mit aud und wtövos zuſam— menhängt, ein Brand- und Glanzberg ſein; aber der ſcharf— ſinnige Parthey bezweifelt dieſen helleniſchen Urſprung aus etymo— logiſchen Gründen, auch weil der Aetna keineswegs als ein leuch— tendes Feuerzeichen für helleniſche Schiffer und Wanderer daſteht, wie der raſtlos arbeitende Stromboli (Strongyle), den Homer zu bezeichnen ſcheint, wenn auch die geographiſche Lage minder be— ſtimmt angegeben iſt. Ich vermute, daß der Name Aetna ſich in der Sprache der Sikuler finden würde, wenn man irgend erhebliche Reſte derſelben beſäße. Nach Diodor wurden die Sikaner, d. i. die Eingebornen von Sizilien (Völker, die vor den Sikulern die Inſel bewohnten) durch Eruptionen des Aetna, welche mehrere Jahre dauerten, gezwungen, ſich in den weſtlichen Teil des Landes zu flüchten. Die älteſte beſchriebene Eruption des Aetna iſt die von Pindar und Aeſchylus erwähnte unter Hieron Ol. 75, 2. Es iſt wahrſcheinlich, daß Heſiodus ſchon verheerende Wirkungen des Aetna vor den griechiſchen Niederlaſſungen gekannt habe; doch über den Namen Alryn im Text des Heſiodus bleiben Zweifel, deren ich an einem anderen Orte umſtändlicher gedacht habe. 141 (S. 164.) Petri Bembi Opuscula (Aetna Dialogus), Basil. 1556, p. 63: „quicquid in Aetnae matris utero coalesecit, nunquam exit ex cratere superiore, quod vel eo incendere gravis materia non queat, vel, quia inferius alia spiramenta sunt, non fit opus. Despumant flammis urgentibus ignei rivi pigro fluxo totas delambentes plagas, et in lapidem indurescunt.“ 145 (S. 164). Daß übrigens nicht die Geſtaltung, Lage und abſolute Höhe der Vulkane die Urſache des völligen Mangels von Lavaſtrömen bei fortdauernder innerer Thätigkeit ſei, lehrt uns der größere Teil der Vulkane von Java. — 312 — 146 (S. 171.) Nach Platons geognoſtiſchen Anſichten, wie fie im Phädon entwickelt ſind, ſpielt der Pyriphlegethon in Hinſicht auf die Thätigkeit der Vulkane ungefähr dieſelbe Rolle, welche wir jetzt der mit der Tiefe zunehmenden Erdwärme und dem geſchmol— zenen Zuſtande der inneren Erdſchichten zuſchreiben. „Innerhalb der Erde rings umher ſind größere und kleinere Gewölbe. Waſſer ſtrömt in Fülle darin, auch viel Feuer und große Feuerſtröme, und Ströme von feuchtem Schlamm (teils reinerem, teils ſchmutzi⸗ gerem), wie in Sizilien die vor dem Feuerſtrome ſich ergießenden Ströme von Schlamm und der Feuerſtrom ſelbſt, von denen denn alle Oerter erfüllt werden, je nachdem jedesmal jeder der Ströme ſeinen Umlauf nimmt. Der Pyriphlegethon ergießt ſich in eine weite, mit einem gewaltigen Feuer brennende Gegend, wo er einen See bildet, größer als unſer Meer, ſiedend von Waſſer und Schlamm. Von hier aus bewegt er ſich im Kreiſe herum um die Erde trübe und ſchlammig.“ Dieſer Fluß geſchmolzener Erde und Schlammes iſt ſo ſehr die allgemeine Urſache der vulkaniſchen Erſcheinungen, daß Plato ausdrücklich hinzuſetzt: „So iſt der Pyriphlegethon be— ſchaffen, von welchem auch die Feuerſtröme (o ße), wo auf der Erde ſie ſich auch finden mögen (örny Av zbywa: N ng), kleine Teile (abgeriſſene Stücke) herauſblaſen.“ Die vulkani⸗ ſchen Schlacken und Lavaſtröme ſind demnach Teile des Pyriphlege— thon ſelbſt, Teile jener unterirdiſchen geſchmolzenen, ſtets wogen— den Maſſe. Daß aber ot ßönes Lavaſtröme und nicht, wie Schneider, Paſſow und Schleiermacher wollen, „feuerſpeiende Berge“ bedeute, iſt aus vielen, teilweiſe ſchon von Ukert geſammelten Stellen ſichtbar; 50% ift das vulkaniſche Phänomen von feiner bedeutendſten Seite, dem Lavaſtrom gefaßt. Daher der Ausdruck: die pögnes des Aetna; Diod. V, 6 und XIV, 59, wo die merf- würdigen Worte: „viele nahe am Meer unfern dem Aetna gelegenen Orte wurden zu Grunde gerichtet oͤrd Tod ανοοαονοο bömnoc"; Strabo VI, p. 269, XIII, p. 628, und von dem berühmten Glüh⸗ ſchlamme der lelantiſchen Ebene auf Euböa. Der Tadel, welchen Ariſtoteles über die geognoſtiſchen Phantaſien im Phädon aus— ſpricht, bezieht ſich eigentlich nur auf die Quellen der Flüſſe, welche die Oberfläche der Erde durchſtrömen. Auffallend muß uns die von Plato ſo beſtimmt ausgeſprochene Anſicht ſein, nach der „feuchte Schlammauswürfe in Sizilien den Glühſtrömen (Lavaſtrömen) vor⸗ hergehen.“ Beobachtungen am Aetna können dazu wohl keine Veranlaſſung gegeben haben, wenn gleich Rapilli und Aſche, wäh: rend des vulkaniſch-elektriſchen Gewitters am Eruptionskrater, mit geſchmolzenem Schnee und Waſſer breiartig gemiſcht, für aus— geworfenen Schlamm zu halten wären. Wahrſcheinlicher iſt es wohl, daß bei Plato die feuchten Schlammſtröme (ö rd mınkod rorap.ot) eine dunkle Erinnerung der Salſen (Schlammvulkane) von Agrigent ſind, die mit großem Getöſe Letten auswerfen und deren ich ſchon oben (Anm. 140) erwähnt habe. Unter den vielen ver: — 313 — lorenen Schriften des Theophraſt iſt in dieſer Hinſicht der Ver— luft des Buches „von dem vulkaniſchen Strom in Sizilien (repi bömnos To Ey Lrreto), deſſen Diog. Laert. V, 39 gedenkt, zu beklagen. 147 (S. 171.) Ich zweifle, daß man, wie der geiſtreiche Charles Darwin zu wollen ſcheint, Centralvulkane im allgemeinen als Reihenvulkane von kurzer Ausdehnung auf parallelen Spalten be— trachten könne. Schon Friedrich Hoffman glaubte in der Gruppe der Lipariſchen Inſeln, die er ſo trefflich beſchrieben und in der zwei Eruptionsſpalten ſich bei Panaria kreuzen, ein Zwiſchenglied zwiſchen den zwei Haupterſcheinungsweiſen der Vulkane, den von Leopold von Buch erkannten Central- und Reihenvulkanen zu finden. 148 (S. 172.) Seneca, indem er ſehr treffend von der proble— matiſchen Erniedrigung des Aetna ſpricht, ſagt in dem 79. Briefe: „Potest hoc accidere, non quia montis altitudo desedit, sed quia ignis evanuit et minus vehemens ac largus effertur: ob eandem eausam, fumo quoque per diem segniore. Neutrum autem incredibile est, nec montem qui devoretur quotidie minui, nec ignem non manere eundem; quia non ipse ex se est, sed in aliqua inferna valle conceptus exaestuat et alibi pascitur: in ipso monte non alimentum habet sed viam.“ Die unterirdiſche Verbindung „durch Hohlgänge“ zwiſchen den Vulkanen von Sizilien, den Liparen, den Pithecuſen (Ischia) und dem Veſuv, „von dem man vermuten darf, er habe ehemals gebrannt und Schlundbecher des Feuers gehabt“, iſt von Strabo vollkommen erkannt worden. Er nennt die ganze Gegend „unterfeurig“. 19 (S. 173.) Ueber den Ausbruch von Methone Ovidius Metamorph. XV, 296-306): Est prope Pittheam tumulus Troezena sine ullis Arduus arboribus, quondam planissima campi Area, nunc tumulus; nam — res horrenda relatu — Vis fera ventorum, caecis inclusa cavernis, Exspirare aliqua cupiens, luctataque frustra Liberiore frui coelo, cum carcere rima Nulla foret toto nec pervia flatibus esset, Extentam tumefecit humum; ceu spiritus oris Tendere vesicam solet, aut direpta bicorni Terga capro. Tumor ille loci permansit, et alti Collis habet speciem, longoque induruit aevo. Dieſe geognoſtiſch ſo wichtige Schilderung einer glockenförmigen Hebung auf dem Kontinent ſtimmt merkwürdig mit dem überein, was Ariſtoteles über die Hebung einer Eruptionsinſel berichtet. „Das Erdbeben der Erde hört nicht eher auf, als bis jener Wind (dſsüeos), welcher die Erſchütterung verurſacht, in der Erdrinde ausgebrochen iſt. So iſt es vor kurzem zu Heraclea in Pontus geſchehen und vormals auf Hiera, einer der äoliſchen Inſeln. — 314 — In dieſer nämlich iſt ein Teil der Erde aufgeſchwollen und hat ſich mit Getöſe zu einem Hügel erhoben, ſolange, bis der mächtig treibende Hauch (rveöpe«) einen Ausweg fand und Funken und Aſche ausſtieß, welche die nahe Stadt der Liparäer bedeckte und ſelbſt bis zu einigen Städten Italiens gelangte.“ In dieſer Be— ſchreibung iſt das blaſenförmige Auftreiben der Erdrinde (ein Sta— dium, in welchem viele Trachytberge dauernd verbleiben) von dem Ausbruche ſelbſt ſehr wohl unterſchieden. Auch Strabo beſchreibt das Phänomen von Methone: „bei der Stadt im hermioniſchen Buſen geſchah ein flammender Ausbruch; ein Feuerberg ward empor— gehoben, ſieben (2) Stadien hoch, am Tage unzugänglich vor Hitze und Schwefelgeruch, aber des Nachts wohlriechend (?) und jo er: hitzend, daß das Meer ſiedete fünf Stadien weit und trübe war wohl auf zwanzig Stadien, auch durch abgeriſſene Felſenſtücke ver: ſchüttet wurde.“ Ueber die jetzige mineralogiſche Beſchaffenheit der Halbinſel Methana ſ. Fiedler, Reiſe durch Griechenland Th. I, S. 257— 263. 150 (173). Eine fubmarine Inſel war wieder in der neueſten Zeit im Erſcheinen begriffen im Krater von Santorin. Um das Jahr 1810 war dieſe Inſel noch 15 Braſſen unter der Oberfläche des Meeres, aber 1830 nur 3—4 Braſſen. Sie erhebt ſich ſteil wie ein großer Zapfen aus dem Meeresgrund; und die fortdauernde unterirdiſche Thätigkeit des unterſeeiſchen Kraters offenbart ſich auch dadurch, daß, wie bei Methana zu Wromolimni, hier in der öſt— lichen Bucht von Neo-Kammeni ſchwefelſaure Dämpfe ſich dem Meer— waſſer beimiſchen. Mit Kupfer beſchlagene Schiffe legen ſich in der Bucht vor Anker, damit in kurzer Zeit auf natürlichem (d. i. vul— kaniſchem) Wege der Kupferbeſchlag gereinigt und wiederum glän— zend werde. 151 (S. 173.) Erſcheinungen der neuen Inſel bei der azori— ſchen Inſel San Miquel: 11. Juni 1638, 31. Dezember 1719, 13. Juni 1811. 152 (S. 173.) „Accedunt vicini et perpetui Aetnae montis ignes et insularum Aeolidum, veluti ipsis undis alatur incen- dium; neque enim aliter durare tot seculis tantus ignis po- tuisset, nisi humoris nutrimentis aleretur.* (Juſtin., hist. Philipp. IV, I.) Die vulkaniſche Theorie, mit welcher hier die phyſiſche Beſchreibung von Sizilien anhebt, iſt ſehr verwickelt. Tiefe Lager von Schwefel und Harz, ein ſehr dünner, höhlenreicher, leicht zerſpaltener Boden, ſtarke Bewegung der Meereswogen, welche, indem ſie zuſammenſchlagen, die Luft (den Wind) mit hinabziehen, um das Feuer anzuſchüren, ſind die Elemente der Theorie des Trogos. Da er als Phyſiognomiker auch die Geſichtszüge des Menſchen deutete, ſo darf man vermuten, daß er in ſeinen vielen, für uns verlorenen Schriften nicht bloß als Hiſtoriker auftrat. Die Anſicht, nach welcher Luft in das Innere der Erde hinabgedrängt wird, um dort auf die vulkaniſche Eſſe zu wirken, hing übrigens — 315 — bei den Alten mit Betrachtungen über den Einfluß der verſchiedenen Windesrichtung auf die Intenſität des Feuers, das im Aetna, in Hiera und Stromboli lodert, zuſammen. Die Berginſel Stromboli (Strongyle) galt deshalb für den Sitz des Aeolus, „des Verwalters der Winde“: da die Schiffenden nach der Heftigkeit der vulkaniſchen Ausbrüche von Stromboli das Wetter vorher verkündigten. Ein ſolcher Zuſammenhang der Ausbrüche eines kleinen Vulkans mit dem Barometerſtande und der Windrichtung wird noch jetzt allge— mein anerkannt, ſo wenig auch, nach unſerer jetzigen Kenntnis der vulkaniſchen Erſcheinungen und den ſo geringen Veränderungen des Luftdruckes, die unſere Winde begleiten, eine genügende Er: klärung gegeben werden kann. — Bembo, als Jüngling in Si— zilien von geflüchteten Griechen erzogen, erzählt anmutig ſeine Wanderungen und ſtellt in Aetna Dialogus (in der Mitte des 16. Jahrhunderts) die Theorie von dem Eindringen des Meerwaſſers in den Herd der Vulkane und von der notwendigen Meeresnähe der letzteren auf. Es wird bei Beſteigung des Aetna folgende Frage aufgeworfen: „Explana potius nobis quae petimus, ea incendia unde oriantur et orta quomodo perdurent: In omni tellure nuspiam majores fistulae aut meatus ampliores sunt quam in locis, quae vel mari vicina sunt, vel a mari protinus allauntur: mare erodit illa facillime pergitque in viscera terrae. Itaque cum in aliena regna sibi viam faciat, ventis etiam facit; ex quo fit, ut loca quaeque maritima maxime terraemotibus subjecta sint, parum mediterranea. Habes quum in sulfuris venas venti furentes inciderint, unde incendia 'oriantur Aetnae tuae. Vides, quae mare in radicibus habeat, quae sulfurea sit, quae cavernosa, quae a mari aliquando per- forata ventos admiserit aestuantes, per quos idonea flammae materies incenderetur.“ . 153 (S. 174.) Auf Rückwirkungen des vulkaniſchen Herdes durch die ſpannenden Waſſerſäulen, wenn nämlich die Expanſivkraft der Dämpfe den hydroſtatiſchen Druck überwindet, laſſen uns die Ausbrüche von Rauch und Waſſerdämpfen ſchließen, die man zu verſchiedenen Zeiten um Lancerote, Island und die kuriliſchen Inſeln während der Eruption benachbarter Vulkane geſehen hat. 154 (S. 175). Seit den fünfziger Jahren, als Centralaſien mehr und mehr der europäiſchen Forſchung ſich öffnete, wurde für viele der als vulkaniſch angenommenen Gegenden nachgewieſen, daß dort keine Vulkane vorhanden ſind. Namentlich waren es ruſſiſche Gelehrte (Schrenck, Säwerzow, Semenow, Wenjukow, Muſchketow), welche die meiſten dieſer negativen Beweiſe beibrachten, und zwar, weil ſie gerade mit der Erforſchung der genannten Gegenden be— ſchäftigt waren. In vielen Fällen wurde nachgewieſen, daß die ſo— genannten vulkaniſchen Erſcheinungen in Centralaſien großartige Brände von Steinkohlen waren. Schon im Jahre 1876 wollte Muſchketow keine neuen Vulkane in Centralaſien gelten laſſen, außer — 316 — dem ſogenannten Baiſchan. General Kolpakowsky gab ſich ſchon ſeit 1878 Mühe, die Frage durch eine dorthin entſendete Expedition zu löſen, jedoch die ſchwere Zugänglichkeit und Unſicherheit der Gegend erlaubte es vorläufig nicht. Endlich gelang es 1881, und er ſchickte folgendes Telegramm an Muſchketow: „Der Berg Bai: ſchan, chin. Bjonfinſjan, liegt 260 Werſt von Daſchet und 16 Werſt von Kutſcha. Er liegt in einem Keſſel, von den maſſiven Bergen Ainjak umringt. Dort brennen Steinkohlen ſeit einer ſo langen Zeit, daß keiner den Anfang des Brandes anzugeben weiß. Gegen— über liegt der Berg Kjuntag, wo der Brand der Steinkohlen ſchon beendet iſt; am Abhange des erſteren liegen Höhlen, aus welchen Rauch und Schwefelgaſe ausſtrömen. Der Brand im Inneren iſt von großem Geräuſch begleitet. Der Weg von Daſchet aus iſt ſehr beſchwerlich, die Chineſen halten ihn für unpaſſierbar. Die Er- forſchung iſt gemacht und Geſteinsproben geſammelt.“ Es ſcheint alſo die Frage über den Vulkanismus in Centralaſien entſchieden zu ſein, und zwar in negativem Sinne. Die meiſten Theorien des Vulkanismus, welche den Gewäſſern der Meere eine thätige Rolle dabei zuweiſen, werden durch dieſes Reſultat beſtärkt, denn die einzigen Ausnahmen, welche man dagegen anführen konnte — die Vulkane Centralaſiens, ſind nunmehr beſeitigt. [D. Herausg.] 155 (S. 175.) Das Daſein thätiger Vulkane in Kordofan, in 135 Meilen (1000 km) Entfernung vom Roten Meere, iſt von Rüppell neuerdings geleugnet worden. 6 (S. 176.) Die von Choiſeul veranſtaltete hydrographiſche Aufnahme von Lemnos macht es ſehr wahrſcheinlich, daß die aus⸗ gebrannte Grundfeſte des Moſychlos ſamt der Inſel Chryſe, Bhi- loktets wüſtem Aufenthalt, längſt vom Meere verſchlungen iſt. Felſenriffe und Klippen im Nordoſten von Lemnos bezeichnen noch die Stelle, wo das Aegäiſche Meer einſt einen dauernd thätigen Vulkan beſaß, gleich dem Aetna, dem Veſuv, dem Stromboli und dem Volcano der Liparen. 57 (S. 176.) Die lettigen Schlammausbrüche des Carguairazo, als der Vulkan 1698 zuſammenſtürzte, die Lodazales von Igualata, und die Moya von Pelileo ſind ähnliche vulkaniſche Erſcheinungen im Hochlande von Quito. * (S. 177.) Gegenwärtig unterſcheidet man hauptſächlich bloß zwei Bildungsweiſen der Geſteine, nämlich die auf „feurigem Wege“ entſtandenen Eruptivgeſteine und die auf „wäſſerigem Wege“ gebildeten Sedimentgeſteine. In Bezug auf die Bildung der kri— ſtalliniſchen Schiefergeſteine iſt man immer noch auf Hypotheſen angewieſen, doch läßt ſich der Metamorphismus an denſelben wiſſen— ſchaftlich nicht überzeugend nachweiſen. Ferdinand von Hochſtetten u. a. denken, es habe wohl eine Diageneſe, aber keine eigentliche Metamorphoſe ſtattgefunden. [D. Herausg.] > (S. 177.) In einem Profil der Umgegend von Tezcuco, Totonilco und Moran, das ich urſprünglich (1803) zu einer nicht — 317 — erſchienenen Pasigrafia geognostica destinadaaluso de los Jovenes del Colegio de Mineria de Mexico be: ſtimmte, habe ich 1832 das plutoniſche und vulkaniſche Eruptions— geſtein endogen (ein im Inneren erzeugtes), das Sediment- und Flözgeſtein exogen lein von außen an der Oberfläche der Erde er— zeugtes) genannt. Paſigraphiſch wurde das erſtere durch einen auf— wärts (), das zweite durch einen abwärts (J) gerichteten Pfeil be— zeichnet. Dieſe Bezeichnung gewährt wenigſtens den Vorteil, daß die Profile, welche meiſt horizontal übereinander gelagerte Sedi— mentformationen darſtellen, nicht, wie jetzt nur zu oft geſchieht, wenn man Ausbrüche und Durchdringung von Baſalt-, Porphyr— oder Syenitmaſſen andeuten will, durch von unten aufjtrebende, ſehr willkürlich geformte Zapfen unmaleriſch verunſtaltet werden. Die Benennungen, welche ich in dem paſigraphiſch-geognoſtiſchen Profile vorgeſchlagen, waren den Decandolliſchen ſendogen für monokotyliſche, exogen für dikotyliſche Pflanzen) nachgebildet; aber Mohls genauere Pflanzenzergliederung hat erwieſen, daß das Wachſen der Monokotylen von innen und der Dikotylen von außen für den vegetabiliſchen Organismus im ſtrengen und allgemeinen Sinne des Wortes nicht ſtattfinde. Was ich endogen nenne, bezeichnet Lyell charakteriſtiſch durch den Ausdruck „netherforned“* oder „hypogene rocks“. 1% (S. 177.) Vergl. Leop. von Buch über Dolomit als Gebirgsart, 1823, S. 36 und denſelben über den Grad der Flüſ— ſigkeit, welchen man plutoniſchen Felsarten bei ihrem Heraustreten zuſchreiben ſoll, wie über Entſtehung des Gneis aus Schiefern durch Einwirkung des Granits und der mit feiner Erhebung ver: bundenen Stoffe. 161 (S. 179.) In dem mauerartig aufſteigenden und in parallele ſchmale Bänke geteilten Granit des Kolivaner Sees ſind Feldſpat und Albit vorherrſchend, Titanitkriſtalle ſelten. 152 (S. 180.) ©. die Abbildung des Biri-tau, den ich von der Südſeite gezeichnet, wo Kirgiſenzelte ſtanden, in Roſe Bd. I, ©. 584. — Ueber Granitkugeln mit ſchalig abgeſonderten Stücken ſ. Humboldt, Rel. hist. T. II, p. 597 und Essai geogn. sur le Gisement des Roches p. 78. 163 (S. 180.) Humboldt, Asie centrale T. I, p. 299 bis 311, und die Zeichnungen in Roſes Reiſe Bd. I, S. 611, in welchem man die von Leopold von Buch als charckteriſtiſch be— zeichnete Krümmung der Granitſchalen wiederfindet. 164 (S. 181.) Eine wichtige Rolle ſpielen dieſe eingelagerten Diorite bei Steben in dem Nailaer Bergrevier, in einer Gegend, an welche, ſolange ich dort im vorigen Jahrhundert mit der Vor— richtung des Grubenbaues beſchäftigt war, die froheſten Erinne— rungen meines Jugendalters geknüpft ſind. 65 (S. 185.) Die Eruptiv: oder kriſtalliniſchen Maſſengeſteine pflegt man jetzt in acht Gruppen zu zerlegen, nämlich in jene des — 318 — Granits, der Grünſteine, des Porphyrs, des Melaphyrs, des Tra— chyts, des Baſalts, der Gabbro und des Olivins. [D. Herausg.] 66 (S. 185.) Die hier gegebene Darſtellung der Lagerungs— verhältniſſe des Granits drückt den allgemeinen oder Hauptcharakter der ganzen Bildung aus. An einzelnen Punkten zeigt freilich der Granit Geſtaltungen, die vermuten laſſen, daß er bei ſeinem Aus— bruch, wie der Trachyt, nicht immer denſelben Mangel an Flüſſig— keit gehabt hat. Da im Texte früher der engen Klüfte Erwähnung geſchehen iſt, durch welche bisweilen ſich die Baſalte ergießen, ſo will ich hier noch an die weiten Spalten erinnern, welche bei den, mit den Baſalten nicht zu verwechſelnden Melaphyren als Zuführungs— kanäle gedient haben. S. über eine 450 Fuß breite Spalte, durch welche in den Steinkohlengruben bei Cornbrook in Hoar Edge der Melaphyr aufgeſtiegen iſt, die intereſſante Darſtellung von Mur: chiſon, IS: Silurian System p. 126. 167 187.) Mit Zuſatz von Thon, Kalkerde und Kali: nicht eine bloße durch Eiſenoxyd gefärbte Kieſelſäure. Ueber die Jaſpis— entſtehung durch Dioritporphyr, Augitgeſtein und Hyperſthenfels ſ. Roſe Bd. II, S. 169, 187 und 192. Vergl. auch Bd. I, ©. 427, wo die Porphyrkugeln abgebildet ſind, zwiſchen denen der Jaſpis im kalkhaltigen Grauwackengebirge von Bogoſlowsk ebenfalls als Folge der plutoniſchen Einwirkung des Augitgeſteins auftritt. aas (S. 187.) Für die vulfanifche Entſtehung des Glimmers iſt es wichtig zu erinnern, daß Glimmerkriſtalle ſich finden: im Baſalt des böhmiſchen Mittelgebirges, in der Lava des Veſuvs von 1822, in Thonſchieferbruchſtücken, die am Hohenfels, unweit Gerol— ſtein in der Eifel von ſchlackigem Baſalt umwickelt ſind. Ueber ein Entſtehen des Feldſpats im Thonſchiefer durch Kontakt des Por— phyrs zwiſchen Urval und Pofet (Forez) ſ. Dufrénoy in der Geol. de la France T. I, p. 137. Einem ähnlichen Kontakt ſollen in der Bretagne bei Paimpol die Schiefer einen mandel— ſteinartigen und zelligen Charakter verdanken; deſſen Anſicht bei einer geognoſtiſchen Fußreiſe mit Profeſſor Kunth in dieſe inter— eſſante Gegend mich ſehr in Erſtaunen geſetzt hat. 169 (S. 187.) Elie de Beaumont in den Annales des Sciences naturelles T. XV, p. 362-372: „En se rappro- chant des masses primitives du Mont Rose et des montagnes situées à l’ouest de Coni, on voit les couches secondaires perdre de plus en plus les caracteres inherents à leur mode de dépöt. Souvent alors elles en prennent qui semblent provenir d’une toute autre cause, sans perdre pour cela leur stratification: rappelant par cette disposition la structure physique d'un tison à moitié charbonne, dans lequel on peut suivre les traces des fibres ligneuses, bien au-delà des points qui présentent encore les caractères mutuels du bois.“ Zu den auffallendſten Beweiſen der Umwandlung des Geſteins durch plutoniſche Ein— wirkung gehören die Belemniten in den Schiefern von Nuffenen — 319 — (Alpenthal von Eginen und Griesgletſcher); wie die Belemniten in ſogenanntem uranfänglichen Kalkſtein, welche Herr von Charpentier am weſtlichen Abhange des Col de Seigne, zwiſchen der Enclove de Monjovet und der Alpenhütte de la Lanchette gefunden und mir in Bex im Herbſt 1822 gezeigt hat. 17 (S. 187.) Hoffmann in Poggend. Annalen Bd. XVI, S. 552. „Schichten von Tranſitionsthonſchiefer des Fichtelgebirges, die in einer Länge von vier Meilen verfolgt werden können und nur an beiden Extremen, wo ſie mit dem Granite in Berührung kommen, in Gneis umgewandelt ſind. Man verfolgt dort die all— mähliche Gneisbildung, die innere Entwickelung des Glimmers und der Feldſpatmandeln in Thonſchiefer, der ja ohnedies faſt alle Ele— mente dieſer Subſtanzen enthält.“ 11 (S. 187.) In dem, was uns von den Kunſtwerken des griechiſchen und römiſchen Altertums übrig geblieben iſt, bemerkt man den Mangel von Jaſpisſäulen und großen Gefäßen aus Jaſpis, die jetzt allein das Uralgebirge liefert. Was man als Jaſpis von dem Rhabarberberge (Revennaja sopka) im Altai bearbeitet, gehört zu einem geſtreiften prachtvollen Porphyr. Der Name Jaſpis, aus den ſemitiſchen Sprachen übertragen, ſcheint ſich nach den ver— wirrten Beſchreibungen des Theophraſtus und Plinius, welcher den Jaſpis unter den undurchſichtigen Gemmen aufführt, auf Fragmente von Jaſpachat und ſogenannten Opaljaſpis zu beziehen, welche die Alten Jaſponyx nannten. Daher glaubt Plinius ſchon als ein ſeltenes Beiſpiel der Größe ein IIzölliges Stück Jaſpis aus eigener Anſicht anführen zu müſſen: „magnitudinem jaspidis undecim unciarum vidimus, formatamque inde effigiem Neronis thoracatam.* Nach Theophraftus ift der Stein, den er Smaragd nennt und aus dem große Obelisken geſchnitten werden, nichts anderes als ein unreifer Jaſpis. 72 (S. 188.) Ueber die Umwandlung des dichten Kalkſteins in körnigen durch Granit in den Pyrenäen (Montagne de Rancie) ſ. Dufrenoy in den Memoires géologiques T. II, p. 440, und in den Montagnes de l'Oisans ſ. Elie de Beau— mont, Mém. geol. T. II, p. 379—415; durch Diorit- und Pyroxenporphyre (Ophite; Elie de Beaumont, Geol. de la France T. |, p. 72) zwiſchen Toloſa und San Sebaſtian ſ. Dufrenoy in den Mém. geol. T. II, p. 130; durch Syenit in der Inſel Skye, wo in dem veränderten Kalkſtein ſogar noch Verſteinerungen ſichtbar geblieben ſind, H. von Dechen, Geognoſie ©. 573. In der Umwandlung der Kreide durch Berührung mit Baſalt iſt die Verſchiebung der kleinſten Teile bei Entſtehung der Kriſtalle und bei dem Körnigwerden um ſo merk— würdiger, als nach Ehrenbergs ſcharfſinnigen mikroſkopiſchen Unter— ſuchungen die Kreideteilchen vorher gegliederte Ringe bilden. % (S. 188.) Ich habe der merkwürdigen Stelle in n Philosophumena cap. 14 ſchon an einem anderen Orte — 320 — erwähnt. Nach dem ganzen Zuſammenhange iſt es ſehr unwahr⸗ ſcheinlich, daß Xenophanes einen Lorbeerabdruck (TI Sapvnz) ſtatt eines Fiſchabdruckes (törov aybns) gemeint habe. Delarue tadelt mit Unrecht die Korrektion des Jakob Gronovius, welcher den Lorbeer in eine Sardelle umgewandelt hat. Die Fiſch— verſteinerung iſt doch wahrſcheinlicher als das natürliche Silensbild, welches die Steinbrecher aus den pariſchen Marmorbrüchen des Berges Marpeſſos wollen herausgeſpalten haben. 7 (S. 191.) Auch in den Höhlungen des Obſidians vom Cerro del Jacal, den ich aus Mexiko mitgebracht, haben ſich (wahr— ſcheinlich aus Dämpfen) Olivinkriſtalle niedergeſchlagen. Es kommt demnach Olivin vor: in Baſalt, in Lava, in Obſidian, in künſtlichen Schlacken, in Meteorſteinen, im Syenit von Elfdalen und (als Hyaloſiderit) in der Wacke vom Kaiſerſtuhle. 75 (S. 192.) Konſtantin von Beuſt über die Porphyr— gebilde, 1835, S. 89—96, desſelben Beleuchtung der Wer: neriſchen Gangtheorie, 1840, S. 6; C. von Weißenbach, Abbildungen merkwürdiger Gangverhältniſſe, 1836, Fig. 12. Die bandförmige Struktur der Gangmaſſe iſt ebenſo— wenig allgemein, als die beſtimmte Altersfolge der einzelnen Glie— der dieſer Maſſen. 16 (S. 192.) In Schlacken: Kriſtalle von Feldſpat, von Heine beim Ausblaſen eines Kupferrohofens unweit Sangerhauſen aufgefunden und von Kerſten zerlegt; von Augit in den Schlacken von Sale, von Olivin, von Glimmer in alten Schlacken von Schloß Garpenberg, von Magneteiſen in Schlacken von Chatillon ſur Seine, von Eiſenglimmer in Töpferthon entſtanden. 177 (S. 192.) Abſichtlich hervorgebracht: Idokras und Granat, Rubin, Olivin und Augit. Ohnerachtet nach Guſtav Roſe Augit und Hornblende die größte Uebereinſtimmung der Kriſtallform zeigen und ihre chemiſche Zuſammenſetzung auch faſt dieſelbe iſt, ſo iſt doch noch nie Hornblende neben dem Augit in Schlacken be— obachtet worden; ebenſowenig iſt es den Chemikern geglückt, Horn— blende oder Feldſpat hervorzubringen. 7 (S. 193.) Leopold von Buch, geognoſtiſche Briefe S. 75—82, wo zugleich gezeigt wird, wie der rote Sandſtein (das Totliegende des thüringiſchen Flözgebirges) und das Stein: kohlengebilde als Erzeugniſſe des aufſteigenden Porphyrs betrachtet werden müſſen. 7 (S. 195.) Eine Entdeckung von Miß Mary Anning, welche auch die Koprolithen der Fiſche zuerſt aufgefunden hat. Dieſe und die Exkremente des Ichthyoſaurus werden in England (3. B. bei Lyme Regis) in ſolcher Menge geſehen, daß ſie nach Bucklands Ausdruck wie Kartoffeln auf dem Boden zerſtreut liegen. Ueber Hookes Hoffnung to raise a chronology aus dem bloßen Studium zerbrochener und verſteinerter Muſchelſchalen, and to state the intervals of the time wherein such or such cata- — 321 — strophes and mutations have happened, j. Post h. Works, Lecture Feb. 29, 1688. 30 (S. 196.) Es iſt dies die von den engliſchen Geologen ſogenannte Cambriſche Formation das Grenzglied zwiſchen dem kriſtalliniſchen Urgebirge und der Silurformation; in demſelben wurden Spuren von Organismen entdeckt, namentlich Bohrgänge von Ringelwürmern nebſt den höchſt eigentümlichen Reſten der Oldhamia antiqua und Oldhamia rodiata, von welcher es zweifel— haft iſt, ob man ſie zu den Meeresalgen, zu den Bryozoen oder Anthozoen ſtellen ſoll, die aber die älteſten, unzweifelhaft organiſchen Gebilde find, die man kennt. — [D. Herausg.] 1851 (S. 197.) Nach Hermann v. Meyer ein Protoſaurus. Die Rippe eines Sauriers, die angeblich dem Bergkalk (Kohlenkalk— ſtein) von Northumberland angehörte, iſt nach Lyell ſehr zweifel— haft. Der Entdecker ſelbſt ſchreibt ſie Alluvialſchichten zu, welche den Bergkalk bedecken. 1 (5: 197.) Siehe die ſcharfſinnigen Betrachtungen von Hermann v. Meyer über die Organiſation der fliegenden Saurier in Palaeologica S. 228 — 252. Auf dem verſteinerten Exem— plar des Pterodactylus crassirostris, welcher wie der länger be— rühmte P. longirostris (Ornithocephalus, Sömmering) zu Solen— hofen im lithographiſchen Schiefer der oberen Juraformation gefunden worden iſt, hat Profeſſor Goldfuß ſelbſt Spuren der Flughäute „mit den Abdrücken der gekrümmten flockigen, hie und da zolllangen Haare des Felles“ entdeckt. 183 (S. 197.) Zugleich ergab ſich, daß von den älteſten Bil— dungen bis zu den neueren ein Fortſchritt im Range der Lebeweſen, ſowohl der tieriſchen, als pflanzlichen ſtattfand. Die organiſierten Weſen haben eine allmähliche Entwickelung von Form zu Form, und zwar von niederen zu immer höheren Formen durchlaufen, ehe ſie zu ihrer gegenwärtigen mannigfaltigen Geſtaltung gelang— ten. — [D. Herausg.] 184 (S. 198.) Die älteſten Säugetierreſte, die man kennt, nämlich zwei kleine zweiwurzelige Zähne eines kleinen Beuteltieres (Microlestes antiquus), welche bei Steinbrunn in Württemberg gefunden wurden, ſtammen aus der dem Jura noch vorangehenden rätiſchen Formation, welche etwa dem Keuper der Trias ent— ſpricht. — [D. Herausg.] 185 (S. 198.) Im Weald-Clay; die Ornitholithen nehmen zu im Gips der Tertiärformation. Im Jahre 1866 wurde im lithographiſchen Schiefer von Solenhofen, dem weißen Jura an— gehörig, der Archaeopteryx macrurus entdeckt, der als der erſte Re: präſentant der Vögel gelten kann. — D. Herausg.] 155 (S. 199.) Vom heutigen Standpunkte der Erdgeſchichte geſtaltet ſich die Reihenfolge der Sedimentgebilde etwa folgender— maßen: A. v. Humboldt, Kosmos. I. 21 — 322 — Siluriſche Formation unge Epude Selle, ö Dyas oder permiſche „ 5 Trias g Meſozoiſche Epoche ö ee ee Kreide⸗ " Kanäozoiſche Epoche ö Rage 2 [D. Herausg! 187 (S. 200.) Murchiſon teilt den bunten Sandſtein in zwei Abteilungen, deren obere der Trias von Alberti ver— bleibt, während er aus der unteren, zu welcher der Vogeſenſand— ſtein von Elie de Beaumont gehört, aus dem Zechſtein und Tot— liegenden ſein permiſches Syſtem bildet. Mit der oberen Trias, d. h. mit der oberen Abteilung unſeres bunten Sandſteins, beginnen ihm erſt die ſekundären Formationen; das per: miſche Syſtem, der Kohlenkalk oder Bergkalk, die devoniſchen und ſiluriſchen Schichten ſind ihm paläozoiſche Gebilde. Nach dieſen Anſichten heißen Kreide und Jura die oberen, Keuper, Muſchelkalk und der bunte Sandſtein die unteren ſekundären For— mationen; das permiſche Syſtem und der Kohlenkalk heißen das obere, die devoniſchen und ſiluriſchen Schichten zuſammen das untere paläozoiſche Gebilde. Die Fundamente dieſer allgemeinen Klaſſifi— kation finden ſich in dem großen Werke entwickelt, in welchem der unermüdete britiſche Geognoſt einen großen Teil des ganzen öſt— lichen Europas darſtellen wird. [Dasſelbe iſt 1845 unter dem Titel: „Geology of Russia in Europe and the Ural Mountains“ zu London erſchienen. — D. Herausg.] 183 (S. 201.) Dahin gehören die vom Grafen Sternberg entdeckten und von Corda beſchriebenen Cykadeen aus der alten Steinkohlenformation zu Radnitz in Böhmen (zwei Arten Cycadites und Zamites Cordai. Auch in der oberſchleſiſchen Steinkohlen— formation zu Königshütte iſt eine Cykadee, Pterophyllum gonor- rhachis Goepp., gefunden worden. 169 (S. 201.) Herr Witham hat das große Verdienſt, die Exiſtenz der Koniferen in der frühen Vegetation des alten Steinkohlengebildes zuerſt erkannt zu haben. Vormals wurden faſt alle in dieſer Formation vorkommenden Holzſtämme als Palmen beſchrieben. Die Arten des Geſchlechtes Araucarites find aber nicht der Steinkohlenformation der britiſchen Inſeln allein eigentümlich, ſie finden ſich auch in Oberſchleſien. 19% (S. 202.) „By means of Lepidodendron a better passage is established from Flowering to Flowerless Plants than by either Equisetum or Cycas or any other known — 323 — genus.“ Lindley und Hutton, Fossil Flora Vol. II. ag. 53. 1 (S. 202.) Daß Steinkohlen nicht durch Feuer verkohlte Pflanzenfaſern ſind, ſondern ſich wahrſcheinlich auf naſſem Wege, unter Mitwirkung von Schwefelſäure, gebildet haben, beweiſt auf— fallend, nach Göpperts ſcharfſinniger Beobachtung, ein Stück in ſchwarze Kohle verwandelten Bernſteinbaumes. Die Kohle liegt dicht neben dem ganz unzerſetzten Bernſtein. Ueber den Anteil, welchen niedrige Gewächſe an der Bildung der Kohlenflöze haben können, ſ. Link in den Abhandlungen der Berliner Aka— demie der Wiſſenſchaft aus dem Jahre 1838, S. 38. 192 (S. 202.) Um die 7 Linien dicke Schicht Kohlenſtoff mit den Steinkohlenflözen zu vergleichen, muß man noch auf den un— geheueren Druck Rückſicht nehmen, welchen dieſe Flöze von dem dem darüber liegenden Geſtein erleiden und welcher ſich meiſt in der abgeplatteten Geſtalt der unterirdiſchen Baumſtämme offenbart. „Die ſogenannten hölzernen Berge an dem ſüdlichen Ufer der 1806 von Sirowatſkoi entdeckten Inſel Neu-Sibirien beſtehen nach Hedenſtröm in einer Höhe von 30 Faden aus horizontalen Schichten von Sandſtein, die mit bituminöſen Baumſtämmen abwechſeln. Auf dem Gipfel der Berge ſtehen die Stämme ſenkrecht. Die Schicht voll Treibholz iſt 5 Werſte lang ſichtbar.“ 3 (S. 203.) Dieſe Corypha iſt die soyate (aztekiſch zoyatl) oder Palma dulce der Eingebornen. Ein tiefer Kenner der ameri— kaniſchen Sprachen, Profeſſor Buſchmann, bemerkt, daß die Palma soyate auch in Wepes Vocabulario de la Lengua Othomi ge— nannt wird und daß das aztekiſche Wort zoyatl ſich in Ortsnamen Zoyatitlan und Zoyapanco in Chiapas wiederfindet. 94 (S. 203.) Bei Baracoa und Cayos de Moa; ſ. Tagebuch des Admirals vom 25. und 27. November 1492 und Humboldt, Examen critique de l’hist. de la Géogr. du Nou- veau Continent T. II, p. 252 und T. III, p. 23. Kolumbus iſt jo aufmerkſam auf alle Naturgegenſtände, daß er ſchon und zwar zuerſt Podocarpus von Pinus unterſcheidet. Ich finde, ſagt er: „en la tierra aspera del Cibao pinos que no llevan pinas (Tannenzapfen), pero por tal orden compuestos por naturaleza, que (los frutos) parecen azeytunas del Axarafe de Sevilla.“ Der große Pflanzenkenner Richard, als er feine treffliche Abhand— lung über Cykadeen und Koniferen herausgab, hatte nicht geahnt, daß vor L'Héritier ſchon am Ende des 15. Jahrhunderts Podo— den fei von den Abietineen durch einen Seefahrer getrennt wor— en ſei. 195 (S. 204.) Göppert beſchreibt noch drei Cykadeen (Arten von Cycadites und Pterophyllum) aus dem Braunkohlenſchiefer— thon von Altſattel und Kommotau in Böhmen, vielleicht aus der Eocänperiode. 196 (S. 205.) Dieſe Anſicht Humboldts iſt jetzt wohl gänzlich — 324 — aufgegeben. Man denkt ſich vielmehr die erratiſchen Blöcke des europäiſchen Schwemmlandes als auf dem Rücken einſtiger Gletſcher dahin gelangt. — [D. Herausg.] 17 (S. 207.) Bei den Geologen der älteren Schule in der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts war die Anſicht vorherrſchend, daß der Entwickelungsgang der Erde ein ſtürmiſcher, tumultuariſcher geweſen ſei. Mit einem Ruck ließen ſie Gebirge plötzlich aus Spalten aufſteigen, gewaltige Fluten über das Feſtland hereinbrechen, Meer— engen zerreißen u. dgl. Humboldt war ein Hauptvertreter dieſer nunmehr überwundenen „Revolutionstheorie“, und dieſes iſt beim Leſen der im Texte folgenden Ausführungen im Auge zu behal— ten. Der älteren Schule gegenüber begründeten v. Hoff und Sir Charles Lyell die moderne Schule, welche es ſich zur Aufgabe ſetzt, ſelbſt die größten Veränderungen, welche an der Erdoberfläche im Laufe der Zeiten vor ſich gegangen find, durch die jetzt noch wirken— den, unſcheinbaren, aber mit der Zeit die großartigſten Endreſultate hervorbringenden Kräfte der Natur zu erklären. Die Geſchichte der Erde iſt nach den neueren Anſichten eine allmähliche, ruhige, friedliche, nur ſelten durch Kataſtrophen unterbrochene Entwickelung. Dies iſt die moderne Evolutionstheorie. — [D. Herausg.] 0 (S. 209.) Im Mittelalter herrſchte die Meinung, daß die Meere nur den ſiebenten Teil der Erdoberfläche bedeckten; eine Meinung, welche der Kardinal d' Ailly auf das apokryphiſche 4. Buch Esra gründete. Kolumbus, der ſeine kosmologiſchen Kennt: niſſe immer aus den Werken des Kardinals ſchöpfte, hatte ein großes Intereſſe, dieſe Meinung von der Kleinheit der Meere, zu welcher wohl auch der mißverſtandene Ausdruck des „Fluſſes Ozean“ beitrug, zu verteidigen. 19 (S. 210.) Vergl. über die mittlere Breite der nord— aſiatiſchen Küſte und die wahre Benennung der Vorgebirge (Kap Siewero-wostotschnoi) und Kap Nordoſt (Schalagskoi mys) Sum: boldt, Asie centrale T. III, p. 35. und 37. [Der ruſſiſche Name Siewero-wostotschnoi oder Nordoſtkap im Gegenſatz zu dem Kap Taimyr oder Nordweſtkap kann füglich aufgegeben werden, wie er auch auf den meiſten Karten verſchwindet. Man erſetzt ihn durch den Namen ſeines erſten Beſuchers, des ruſſiſchen Lieutenants Tſcheljuskin, welcher die Landſpitze 1742 zu Schlitten erreichte. Das Kap bildet eine niedrige Landſpitze, durch eine Bucht in zwei Teile geteilt. Nach den aſtronomiſchen Beobachtungen und Trian— gulationsmeſſungen Nordenſkjölds 1878, liegt die weſtlichere Spitze unter 77° 36° 37“ n. Br. und 103° 25° 5“ 5. L. v. Gr., und die öſtlichere unter 77“ 41’ n. Br. und 104° 1“ ö. L. v. Gr. — D. Herausg.] 200 (S. 211.) Auch die Südſpitze von Amerika ſamt dem Archipelagus, welchen wir das Feuerland nennen, liegt im Meridian des nördlichſten Teiles der Baffinsbai und des großen noch uns begrenzten Polarlandes, das vielleicht zu Weſt-Grönland gehört. — 325 — 201 (S. 211). Die größte dermalen am Norpol erreichte Breite iſt die der Naresſchen Expedition mit 83“ 20“ 26“. Albert H. Markham erreichte ſie am 12. Mai 1876. — Gegen den Süd— pol iſt man nicht weiter als bis zu der im Texte angegebenen, von Roß im Februar 1842 erreichten Breite vorgedrungen. Die Frage über die Beſchaffenheit der Erdpole iſt ebenfalls noch immer nicht endgültig gelöſt, doch neigt man zur Annahme eisbedeckter Landmaſſen. — [D. Herausg.] 202 (S. 211.) Ich habe ſchon früh (1817) in meinem Werke: de distributione geographica plantarum secun- dum coeli temperiem et altitudinem montium auf jene, für Klimatologie und Menſchengeſittung gleich wichtigen Unterſchiede gegliederter und ungegliederter Kontinente aufmerkſam gemacht: „Regiones vel per sinus lunatos in longa cornua por— rectae, angulosis littorum recessibus quasi membratim dis- cerptae, vel spatia patentia in immensum, quorum littora nullis incisa angulis ambit sine anfractu Oceanus.“ Ueber das Verhältnis der Küftenlängen zum Areal eines Kontinents (gleichſam das Maß der Zugänglichkeit des Inneren) ſ. die Unterſuchungen in Berghaus, Annalen der Erdkunde Bd. XII, 1835, S. 490 und phyſikal. Atlas 1839, Nr III, S. 69. 208 (S. 211.) Von Afrika ſagt ſchon Plinius (V, ]): „Nee alia pars terrarum pauciores recipit sinus.“ Auch die kleine indiſche Halbinſel diesſeits des Ganges bietet als Dreieck eine dritte ſehr analoge Form dar. Im griechiſchen Altertume herrſchten Meinungen von einer regelmäßigen Geſtaltung der Feſten. Es ſollte vier Buſen geben, unter denen der Perſiſche dem Hyrkaniſchen (d. i. dem Kaſpiſchen Meere) gegenübergeſtellt wird. Die vier Buſen und die Landengen ſollen ſich ſogar, nach den optiſchen Phantaſien des Ageſianax, auf der Mondſcheibe abſpiegeln. Ueber die terra quadrifida, oder die vier Feſtlande, deren zwei nördlich und zwei ſüdlich vom Aequator liegen, ſ. Macrobius, comm. in Somnium Seipionis I, 9. Ich habe dieſen Teil der alten Geographie, über welchen viel Verwirrung herrſcht, einer neuen und ſorgfältigen Prüfung unter worfen im Examen erit. de l’hist. de la Géogr. T. I, p. 119, 145, 180—185, wie in Asie centr. T. II, p. 172—178. 204 (S. 212.) Ueber die merkwürdige Fjordbildung an dem Südoſtende von Amerika ſ. Darwin, Journal (narra- tive of the Voyages of the Adventure and Beagle Vol. III.) 1839, p. 266. Der Parallelismus der beiden Bergketten erhält ſich von 5“ ſüdlicher bis 5“ nördlicher Breite. Die Wen— dung der Richtung der Küſte bei Arica ſcheint die Folge des ver— änderten Streichens der Gangkluft (Spalte) zu ſein, auf welcher die Cordillera de los Andes aufgeſtiegen iſt. 20 (S. 214.) „Eine Sandſteinſchicht von 5 engl. Meilen Dicke wird, wenn ſie ſich um 100° Fahr. erwärmt, in ihrer Oberfläche — 326 — um 25 Fuß ſteigen. Erhitzte Lettenſchichten müſſen dagegen durch Kontraktion ein Sinken des Bodens hervorbringen.“ Vergl. die Berechnungen für das ſäkulare Steigen von Schweden, unter der Vorausſetzung der geringen Zunahme von 3“ Reaum. in einer 140 000 Fuß (45,5 km.) dicken, zu Schmelzhitze erwärmten Schicht, in Biſchof, Wärmelehre des Inneren unſeres Erd⸗ körpers S. 303. 206 (S. 214.) „Die (bisher ſo ſicher ſcheinende) Vorausſetzung des Gleichbleibens der Schwere an einem Meſſungspunkte iſt durch die neuen Erfahrungen über die langſame Erhebung großer Teile der Erdoberfläche einigermaßen unſicher geworden.“ 207 (S. 214.) Die Anſicht, daß die ſehr langſam erfolgenden ſäkularen Hebungen der Kontinente nur Scheinbewegungen ſind, hervorgerufen durch einen veränderlichen Niveauſtand des Ozeans, hat auch heute noch ihre Anhänger. — [D. Herausg.] 208 (S. 214.) Wenn, nicht vor Leopold von Buchs Reiſe nach Skandinavien, ſondern vor der Herausgabe dieſes Werkes, ſchon Playfair 1802 und, wie Keilhau erinnert, vor Playfair der Däne Jeſſen ebenfalls ſchon die Vermutung geäußert hat, daß nicht das Meer ſinke, ſondern das feſte Land von Schweden ſich erhebe, ſo ſind die Aeußerungen unſerem großen Geognoſten gänz— lich unbekannt geblieben und haben keinen Einfluß auf die Fort— ſchritte der phyſiſchen Erdbeſchreibung ausgeübt. Jeſſen hat die Urſachen der Veränderung des Niveauverhältniſſes des Meeres zur Höhe der Küſten nach den alten Angaben von Celſius, Kalm und Dalin zu ergründen geſucht. Er äußert verworrene Ideen über die Möglichkeit eines inneren Wachſens und Zunehmens der Steine (des felſigen Bodens), erklärt ſich aber zuletzt doch für Erhebung des Landes als Folge von Erdbeben. „Obgleich,“ ſagt er, gleich nach dem Erdbeben (bei Egerſund) keine ſolche Erhebung bemerkt worden iſt, ſo könnte doch dadurch anderen Urſachen die Gelegenheit dazu eröffnet worden ſein.“ 209 (S 214.) Die Inſeln Saltholm, Kopenhagen gegenüber, und Bornholm ſteigen aber ſehr wenig; Bornholm kaum 1 Fuß (32 cm) in einem Jahrhundert. 210 (S. 214.) Erſt in jüngſter Zeit find dieſe „alten Strand— linien“ genauer unterſucht worden, beſonders von Mohn, und end— lich hat Richard Lehmann alles darüber vorhandene Material ge— ſammelt und diskutiert. — [D. Herausg.] 211 (S. 215). Vergl. Anmerk. 199. 21 (S. 215.) Die Depreſſion des Toten Meeres iſt nach und nach ergründet worden durch die barometriſchen Meſſungen von Graf Bertou, durch die weit ſorgfältigeren von Rußegger, und durch die trigonometriſche Meſſung des engliſchen Schiſſs— lieutenants Symond. Die letzte gab, nach einem Briefe, den Herr Adlerſon an die geographiſche Geſellſchaft zu London richtete und den mir mein Freund, der Kapitän Waſhington, mitgeteilt, — — 327 — 1506 Fuß (489 m) für den Unterſchied des Waſſerſpiegels des Toten Meeres und des höchſten Hauſes in Jaffa. Herr Adlerſon glaubte damals (28. Nov. 1841), das Tote Meer liege ungefähr 1314 Fuß (427 m) unter dem Niveau des Mittelländiſchen Meeres. In einer neueren Mitteilung des Lieutenants Symond wird als Endreſultat zweier ſehr miteinander übereinſtimmenden trigonometriſchen Ope— rationen die Zahl 1231 Fuß (immer Pariſer Maß) = 400 m angegeben. 213 (S. 215.) Auf meine Aufforderung hat die kaiſerliche Akademie der Wiſſenſchaften zu St. Petersburg 1830 bei Baku auf der Halbinſel Abſcheron durch den gelehrten Phyſiker Lenz feſte Marken (Zeichen, den mittleren Waſſerſtand zu einer beſtimmten Epoche angebend) an verſchiedenen Punkten eingraben laſſen. Auch habe ich 1839 in einem der Nachträge zu der Inſtruktion, welche dem Kapitän Roß für die antarktiſche Expedition erteilt ward, darauf gedrungen, daß überall an Felſen in der ſüdlichen Hemiſphäre, wo ſich dazu Gelegenheit fände, Marken, wie in Schweden und am Kaſpiſchen Meere, eingegraben werden möchten. Wäre dies ſchon auf den älteſten Reiſen von Bougainville und Cook geſchehen, ſo würden wir jetzt wiſſen, ob die ſäkulare relative Höhenverände— rung von Meer und Land ein allgemeines oder nur ein örtliches Naturphänomen ſei; ob ein Geſetz der Richtung in den Punkten erkannt werden kann, die gleichzeitig ſteigen oder ſinken. 214 (S. 218.) Das Adriatiſche Meer folgt auch der Richtung SO -W. 215 (S. 219.) De la hauteur moyenne des continents in der Asie centrale T. I, p. 82—90 und 165—189. Die Re⸗ ſultate, welche ich erhalten, ſind als Grenzzahlen (nombres-limites) zu betrachten. Laplace hat die mittlere Höhe der Kontinente zu 3078 Fuß, alſo wenigſtens um das Dreifache zu hoch, angeſchlagen. Der unſterbliche Geometer ward zu dieſer Annahme durch Hypo— theſen über die mittlere Tiefe des Meeres veranlaßt. Ich habe gezeigt, wie ſchon die Alexandriniſchen Mathematiker nach dem Zeugnis des Plutarchus dieſe Meerestiefe durch die Höhe der Berge bedingt glaubten. Die Höhe des Schwerpunktes des Volums der Kontinentalmaſſen iſt in dem Lauf der Jahrtauſende wahr— ſcheinlich kleinen Veränderungen unterworfen. [Neuerdings hat Guſtav Leipoldt die Humboldtſchen Ziffern in Bezug auf Europa einer genauen Prüfung unterzogen und mit Benutzung der Ergeb— niſſe neuerer Höhenmeſſungen die mittlere Höhe für die einzelnen Staaten und für ganz Europa berechnet. Es ergab ſich für Europa eine mittlere Höhe von 296,8 m, ein Reſultat, welches das Hum— boldtſche um mehr als 90 m (45 Prozent) überſteigt. D. Herausg.] 216 (S. 221.) „On pourra (par la temperature de l'Océan sous les tropiques) attaquer avec succès une question capitale restee jusqu'ici indecise, la question de la constance des tem- peratures terrestres, sans avoir & s'inquiéter des influences — 328 — locales naturellement fort eirconscrites, provenant du deboise- ment des plaines et des montagnes, du desséchement des lacs et des marais. Chaque siècle, en léguant aux siècles futurs quelques chiffres bien facilles a obtenir, leur donnera le moyen peut ötre le plus simple, le plus exact et le plus direct de decider si le soleil, aujourd’hui source premiere, & peu pres exclusive de la chaleur de notre globe, change de constitution physique et d’eclat, comme la plupart des étoiles, ou si au contraire cet astre est arrive & un état permanent.“ (Arago.) 217 (S. 221.) Der durchſchnittliche Salzgehalt des Meeres be: trägt 3,5 Prozent. D. Herausg.] N a 215 (S. 222.) Durch das geodätiſche Nivellement, welches auf meine Bitte mein vieljähriger Freund, der General Bolivar, durch Lloyd und Falmare hat in den Jahren 1828 und 1829 ausführen laſſen, iſt erwieſen, daß die Südſee höchſtens 3¼ Fuß (1,1 m) höher als das Antilliſche Meer liegt, ja daß zu verſchiedenen Stunden der relativen Ebbe- und Flutzeit bald das eine, bald das andere Meer das niedere iſt. Wenn man bedenkt, daß in einer Länge von 16 Meilen (119 km) und bei 933 Einſtellungen des gebrauchten Niveaus in ebenſovielen Stationen man ſich leicht um eine halbe Toiſe habe irren können, ſo findet man hier einen Beweis des Gleichgewichtes der um das Kap Horn ſtrömenden Waſſer. Ich hatte durch Barometermeſſungen, die ich in den Jahren 1799 und 1804 anſtellte, ſchon zu erkennen geglaubt, daß wenn ein Unter— ſchied zwiſchen dem Niveau der Südſee und des Antilliſchen Meeres vorhanden wäre, derſelbe nicht über 3 m (9 Fuß 3 Zoll) betragen könne. Die Meſſungen, welche den hohen Stand der Waſſer im Golf von Mexiko und in dem nördlichſten Teile des Adriatiſchen Meeres durch Verbindung der trigonometriſchen Operationen von Deleros und Choppin mit denen der ſchweizeriſchen und öſterreichi— ſchen Ingenieure beweiſen ſollen, ſind vielem Zweifel unterworfen. Es iſt trotz der Form des Adriatiſchen Meeres unwahrſcheinlich, daß der Waſſerſpiegel in ſeinem nördlichſten Teile faſt 26 Fuß (8,45 m) höher als der Waſſerſpiegel des Mittelmeeres bei Marſeille und 23,4 Fuß (7,71 m) höher als der Atlantiſche Ozean ſei. 219 (S. 223.) Die relative Dichte der Waſſerteilchen hängt (was nicht ſorgfältig genug in den Unterſuchungen über die Ur— ſache der Strömungen unterſchieden wird) gleichzeitig von der Tem— peratur und der Stärke des Salzgehaltes ab. Der unterſeeiſche Strom, welcher die kalten Polarwaſſer den Aequatorialgegenden zuführt, würde einer ganz entgegengeſetzten Richtung vom Aequator gegen die Pole folgen, wenn die Verſchiedenheit des Salzgehaltes allein wirkte. In dieſer Hinſicht iſt die geographiſche Verteilung der Temperatur und der Dichte der Waſſerteilchen unter den verſchiede— nen Breiten- und Längenzonen des Weltmeeres von großer Wichtig— keit. Die zahlreichen Beobachtungen von Lenz und die auf Kapitän Beecheys Reiſe geſammelten verdienen eine beſondere Beachtung. = Fo — 329 — 220 (S. 224.) Kolumbus ſetzt bald hinzu, daß „in dem An— tilliſchen Meere die Bewegung am ſtärkſten ift“. In der That nennt jene Region Rennell „not a current, but a sea in motion“. 221 (S. 224.) Durch die neueren Forſchungen der Amerikaner iſt nachgewieſen, daß der Golfſtrom erſt bei Barbadoes aus der Aequatorialſtrömung entſteht. Nachdem die Strömung vom Kari— biſchen Meere in den Buſen von Mexiko eingetreten, beſchreibt ſie keinen Kreis um den letzteren, wie man annahm, ſondern läuft im Gegenteil nordwärts und oſtwärts in derſelben allgemeinen Rich— tung wie das Yufatanplateau und tritt durch die Floridaſtraße mit den Verſtärkungen hinaus, die ihr aus dem Kanal zwiſchen Cuba und den Bahamabänken zuſtrömen. [D. Herausg. | 222 (S. 224.) Die Exiſtenz der Sargaſſoſee wird durch den deutſchen Naturforſcher Otto Kuntze in Abrede geſtellt. [D. Herausg. 2286 (S. 227.) Die unbekannte Stimme ſagte ihm: „mara- villosamente Dios hizo sonar tu nombre en la tierra; de los atamientos de la mar Oceana, que estaban cereados con cu— denas tan fuertes, te dıö las llaves.“ Der Traum des Kolumbus iſt erzählt in dem Briefe an die katholiſchen Monarchen vom 7. Ju: lius 1503. 224 (S. 228.) Nach Bouſſingault und Lewy oszillierte der Kohlenſäuregehalt des Luftkreiſes in Andilly, alſo fern von den Ausdünſtungen der Städte, nur zwiſchen 0,000 28 und 0,00031 im Volum. 22 (S. 228.) In dieſer Aufzählung iſt des nächtlichen Aus— hauchens der Kohlenſäure durch die Pflanzen, indem ſie Sauerſtoff einhauchen, nicht gedacht, da dieſe Vermehrung der Kohlenſäure reichlich durch den Reſpirationsprozeß der Pflanzen während des Tages erſetzt wird. 226 (S. 229.) Bouvard hat im Jahre 1827 durch Anwendung der Formeln, die Laplace kurz vor ſeinem Tode dem Längen— bureau übergeben hatte, gefunden, daß der Teil der ſtündlichen Oszillationen des Luftdruckes, welcher von der Anziehung des Mondes herrührt, das Queckſilber im Barometer zu Paris nicht über / 000 eines Millimeters erheben könne, während nach 11jährigen Beob— achtungen ebendaſelbſt die mittlere Barometeroszillation von 9 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags 9,756 mm, von 3 Uhr nachmittags bis 9 Uhr abends 0,373 mm war. 227 (S. 230.) Zu Halle (Br. 51° 20“ iſt die Größe der Oszillation noch 0,28 Linien. Auf den Bergen in der gemäßigten Zone ſcheint eine große Menge von Beobachtungen erforderlich zu ſein, um zu einem ſicheren Reſultate über die Wendeſtunden zu gelangen. Vergl. die Beobachtungen ſtündlicher Variationen, welche auf dem Faulhorn 1832, 1841 und 1842 geſammelt wurden, in Martins, Meteorologie p. 254. 228 (S. 231.) S. Dove, meteorologiſche Unterſuchungen — 330 — 1837 S. 99— 343, und die ſcharfſinnigen Bemerkungen von Kämtz über das Herabſinken des Weſtwindes der oberen Luftſchichten in höheren Breiten und die allgemeinen Phänomene der Windesrich— tung in ſeinen Vorleſungen über Meteorologie, 1840, S. 58—66, 196 - 200, 327336, 353-364; Kämtz in Schu: machers Jahrbuch für 1838 S. 291-302. Eine ſehr ge⸗ lungene und lebendige Darſtellung meteorologiſcher Anſichten hat Dove in ſeiner kleinen Schrift: Witterungsverhältniſſe von Berlin, 1842, gegeben. Ueber frühe Kenntnis der Seefahrer von der Drehung des Windes vergl. Churruca, Viage al Magal- lanes 1793 p. 15; und über einen denkwürdigen Ausſpruch von Chriſtoph Kolumbus, den uns ſein Sohn Don Fernando Colon in der Vida del Almirante cap. 55 erhalten hat: Humboldt, Examen critique de l’hist. de la Geographie T. IV, P. 253. 229 (S. 232.) Monsun (malayiſch musim, der hippalus der Griechen) wird abgeleitet von dem arabiſchen Worte mausim: be: ſtimmte Zeit, Jahreszeit, Zeit der Verſammlung der Pilger in Mekka. Das Wort iſt auf die Jahreszeit der regelmäßigen Winde übergetragen, welche Namen haben von den Gegenden, aus denen ſie wehen; ſo ſagt man Mausim von Aden, Guzerat, Malabar u. ſ. w. 2% (S. 239.) „Haec de temperie aeris, qui terram late eircumfundit, ac in quo, longe a solo, instrumenta nostra meteorologica suspensa habemus. Sed alia est caloris vis, quem radii solis nullis nubibus velati, in foliis ipsis et fruc- tibus maturescentibus, magis minusve coloratis, gignunt, quem- que, ut egregia demonstrant experimenta amicissimorum Gay- Lussacii et Thenardi de combustione chlori et hydrogenis, ope thermometri metiri nequis. Etenim locis planis et montanis, vento libe spirante, circumfusi aeris temperies eadem esse po- test coelo sudo vel nebuloso; ideoque ex observationibus solis thermometricis, nullo adhibito Photometro, haud, cognosces, quam ob causam Galliae septentrionalis tractus Armoricanus et Nervicus, versus littora, coelo temperato sed sole raro utentia, Vitem fere non tolerant. Egent enim stirpes non solum caloris stimulo, sed et lucis, quae magis intensa locis excelsis quam planis, duplici modo plantas movet, vi sua tum propria, tum calorem in superficie earum excitante.“ (Hum⸗ boldt, de distributione geographica Plantarum, 1817, p. 163— 164.) 251 (S. 239.) Hier folgt eine die europäiſche Weinkultur er: läuternde Tabelle in abſteigender Skala, gleichſam die Verſchlechte— rung des Weines nach Maßgabe der klimatiſchen Verhältniſſe dar— ſtellend. Den Beiſpielen, welche im Text des Kosmos über die Weinkultur bei Bordeaux und Potsdam gegeben worden, ſind noch die numeriſchen Verhältniſſe der Rhein- und Maingegenden (Br. 485 bis 50%) beigefügt. Cherbourg (Normandie) und Irland — 331 — offenbaren am deutlichſten, wie bei Temperaturverhältniſſen, welche von denen des inneren Landes nach Angabe der im Schatten beob— achteten Thermometer wenig verſchieden ſind, die Pflanze bei hei— terem ſonnigen oder durch Nebel verſchleiertem Himmel reife oder unreife Frucht trägt. Höhe in III Bordeaux 4450“ Straßburg 48 3514, Heidelberg 49 24101, 9,7 Mannheim N 49 29 91,6 Würzburg 49 48 171,5 Frankfurt a. M. 50 7 Berlin 5231| 31,1 3 a Dublin 53 23 Som⸗ mer Orte Breite Jahr || Winter 18575 Herbſt Die große Uebereinſtimmung in der Verteilung der Jahreswärme unter die verſchiedenen Jahreszeiten, welche die Angaben vom Rhein- und Mainthale darbieten, zeugt für die Genauigkeit der angewandten meteorologiſchen Beobachtungen. Als Winter ſind, wie in meteorologiſchen Tabellen am vorteilhafteſten iſt, die Monate Dezember, Januar und Februar gerechnet. Die Thermometergrade ſind, wie im ganzen Kosmos, in hundertteiliger Skala. Wenn man die Qualität der Weine in Franken oder den baltiſchen Län— dern mit der mittleren Temperatur der Sommer- und Herbſtmonate um Würzburg und Berlin vergleicht, ſo iſt man faſt verwundert, nur 1— 1% Unterſchied zu finden; aber die Frühlingstempera— turen find um 2° verſchieden; und die Blütezeit der Rebe bei ſpäten Maifröſten, nach einem ebenfalls um 2“ kälteren Winter, iſt ein ebenſo wichtiges Element als die Zeit der ſpäten Reife der Traube und die Wirkung des direkten, nicht zerſtreuten (diffuſen) Lichtes bei unverdeckter Sonnenſcheibe. Der im Text berührte Unterſchied zwiſchen der wahren oberflächlichen Bodentemperatur und den Angaben eines im Schatten beobachteten geſchützten Ther— mometers iſt von Dove durch fünfzehnjährige Reſultate aus dem Garten zu Chiswick bei London ergründet worden. — 332 — 2 (S. 241.) Die ſibiriſche Bodenfläche zwiſchen Tobolsk, Tomsk und Barnaul von Altai zum Eismeere liegt noch ſo hoch als Mann⸗ heim und Dresden; ja ſelbſt weit in Oſten vom Jeniſei liegt Irkutsk (208 Toiſen = 40⁵ in) noch faſt ½ niedriger als München. 28 (S. 243.) In der Sierra de Santa Marta, deren höchſte Gipfel 18000 Fuß (5400 m) Höhe zu überſteigen ſcheinen, heißt noch jetzt eine Spitze Pico de Gaira. 2% (S. 244.) Vergl. meine Tafel der Höhe des ewigen Schnees in beiden Hemiſphären von 71 ¼ͤ “ nördlicher bis 539547 ſüdlicher Breite in der Asie centrale T. III, p. 360. 235 (S. 245.) Da der Vulkan von Aconcagua zu der Zeit nicht im Ausbruch begriffen war, ſo darf man wohl nicht das merkwürdige Phänomen der Schneeloſigkeit (wie bisweilen am Cotopaxi) innerer Durchwärmung (dem Ausziehen erhitzter Luft auf Spalten) zuſchreiben. 2886 (S. 245.) Während in Indien ſelbſt die gründlichſten und erfahrenſten Reiſenden: Colebrooke, Webb und Hodgſon, Viktor Jacquemont, Forbes Royle, Carl von Hügel und Vigne, welche alle den Himalaya aus eigener Anſchauung kannten, die größere Höhe der Schneegrenze am tibetiſchen Abfall bekräftigt hatten, wurde die Thatſache von John Gerard, von dem Geognoſten Mac Clelland, Herausgeber des Calcutta Journal, und vom Lieute⸗ nant Thomas Hutton (Assistant Surveyor of the Agra division) in Zweifel geſtellt. Die Erſcheinung meines Werkes über Central⸗ aſien hat den Streit von neuem angefacht. Ein eben angekommenes Stück des oſtindiſchen Journals für Naturgeſchichte enthält aber eine merkwürdige und ſehr entſcheidende Erklärung über die Schnee— grenzen am Himalaya. Herr Batten (Bengal service) ſchreibt aus dem Lager von Semulka am Coſillah River in der Provinz Ku: maon: „Erſt ſpät, aber mit Verwunderung, leſe ich die Behaup⸗ tungen des Herrn Thomas Hutton über die Grenze des ewigen Schnees. Ich bin es der Wiſſenſchaft um ſo mehr ſchuldig, ſolchen Behauptungen zu widerſprechen, als Herr Mac Clelland ſo weit geht, von dem Verdienſte zu ſprechen, welches ſich Herr Hutton dadurch ſoll erworben haben, daß er einen weit verbreiteten Irr⸗ tum aufgedeckt. Es wird ſogar irrig behauptet, daß jeder, der das Himalayagebirge durchſtrichen iſt, Huttons Zweifel teilen müſſe. Ich bin einer von denen, die den weſtlichen Teil unſerer mächtigen Gebirgskette am meiſten beſucht haben. Ich war durch den Borendo— paß in das Buſpathal und das untere Kunawurland gekommen, und durch den hohen Rupinpaß in die Rewaienberge von Gurwal zurückgekehrt. Ich drang vor zu den Quellen des Jumna bis Jumnotri, wendete mich von da zu den Gangeszuflüſſen von Mun⸗ dakni und Wiſchnu-Aluknunda nach Kadarnath und dem berühmten Schneegipfel von Nundidevi. Mehrmals wanderte ich über den Nitipaß nach dem tibetiſchen Hochlande. Die Anſiedelung von Bhote⸗ Mehals habe ich ſelbſt geſtiftet. Mein Wohnſitz mitten im Gebirge hat mich ſeit ſechs Jahren ununterbrochen mit europäiſchen und ein: 2 1 — 333 — ebornen Reiſenden in Verkehr geſetzt, mit ſolchen, die ich auf das orgfältigſte über den Anblick des Landes habe befragen können. tach allen auf dieſe Weiſe eingeſammelten Erfahrungen bin ich zu er Ueberzeugung gelangt, und bereit, dieſelbe überall zu verteidigen, aß in dem Himalaya die Grenze des ewigen Schnees n dem nördlichen (tibetiſchen) Abhange höher liegt als n dem ſüdlichen indiſchen Abhange. Herr Hutton verun— altet das Problem, indem er Humboldts allgemeine Anſicht der richeinung zu widerlegen glaubt; er ficht gegen ein von ihm ſelbſt eſchaffenes Phantaſiebild; er ſucht zu beweiſen, was wir ihm gern ügeben, „daß an einzelnen Bergen des Himalaya der Schnee inger auf der nördlichen als auf der ſüdlichen Seite liegen ge— lieben iſt“. (Vergl. auch oben die Note 5 zu Seite 1.) Wenn ie mittlere Höhe des tibetiſchen Hochlandes 1800 Toiſen 10 800 Fuß = 3508 m) iſt, jo kann man dasſelbe mit dem lieb— ich fruchtbaren peruaniſchen Plateau von Caxamarca vergleichen. 5 iſt nach dieſer Anſicht aber noch 1200 Fuß (390 m) niedriger ls die Hochebene von Bolivia um den See von Titicaca und als as Straßenpflaſter der Stadt Potoſi. Ladak liegt nach Vignes Neſſung mittels der Beſtimmung des Siedepunktes 1563 Toiſen 3048 m) hoch. Wahrſcheinlich iſt dies auch die Höhe von Hlaſſa Yul-fung), einer Mönchsſtadt, welche chineſiſche Schriftſteller das teich der Freude nennen und welche mit Weinbergen umgeben t. Sollten dieſe nicht in tief eingeſchnittenen Thälern liegen? 237 (S. 246.) Die mittlere Regenmenge in Paris iſt nach lrago von 1805—1822 geweſen: 18 Zoll 9 Linien (498 mm), t London (von 1812—1827) nach Howard 23 Zoll 4 Linien 632 mm), in Genf nach einem Mittel von 32 Jahren 28 Zoll Linien (770 mm). In der Küſtengegend von Hindoſtan iſt die tegenmenge 108 — 120 Zoll (2808-3250 mm), und auf der Inſel uba fielen 1821 volle 133 Zoll (3596 mm). Vergl. über die Ver: ilung der Regenmenge im mittleren Europa nach Jahreszeiten ie vortrefflichen Beobachtungen von Gasparin, Schouw und zravais in der Bibliotheque universelle T. XXXVIII, . 54 und 264, tableau du Climat de l' Italie p. 76 und Nartins Noten zu ſeiner ſehr bereicherten franzöſiſchen Ueber— bung von Kämtz Vorleſungen über Meteorologie p. 142. 233 (S. 246.) Nach Bouſſingault (Economie rurale . II, p. 693) war in Marmato (Breite 5° 27°, Höhe 731 t (1425 m) nd mittlere Temperatur 20,4) in den Jahren 1833 und 1834 die tittlere Regenmenge 60 Zoll 2 Linien (1624 mm), während in santa Fe de Bogota (Breite 436“, Höhe 1358 t [2647 m] nd mittlere Temperatur 14,5) ſie nur 37 Zoll 1 Linie (754 mm) etrug. N 9 (S. 248.) Ich mache hier nur auf diejenigen meiner zerſuche aufmerkſam, in denen der 3 Fuß (Im) lange metalliſche eiter des Sauſſureſchen Elektrometers weder auf- noch abwärts — 334 — bewegt, noch nach Voltas Vorſchlag mit brennendem Schwamm armiert war. Denjenigen meiner Leſer, welche die jetzt ſtreitigen Punkte der Luftelektrizität genau kennen, wird der Grund dieſer Beſchränkung verſtändlich ſein. Ueber die Bildung der Gewitter in den Tropen ſ. meine Relat. hist. T. II, p. 45 und 202 - 209. 24 (S. 248.) Nach den abweichenden Anſichten von Lame, Becquerel und Peltier iſt über die Urſache der ſpezifiſchen Verteilung der Elektrizität in Wolken, deren einige eine poſitive oder eine negative Spannung haben, bisher ſchwer zu entſcheiden. Auffallend iſt die, zuerſt von Tralles aufgefundene, von mir oft in verſchie⸗ denen Breiten beſtätigte, negative Elektrizität der Luft, die bei hohen Waſſerfällen Zerſtäubung der Waſſertropfen veranlaßt und in 300 — 400 Fuß (95—130 m) Entfernung für ſenſible Elektrometer bemerkbar iſt. 24% (S. 249.) Der um die Meteorologie des aſiatiſchen Nordens hoch verdiente Akademiker von Baer hat nicht die große Seltenheit der Gewitter in Island und Grönland in Abrede geſtellt, er hat nur angezeigt, daß man auch in Nowaja Semlja und Spitzbergen bisweilen habe donnern gehört. 24 (S. 251.) Die Geſchichte der Pflanzen, welche auf eine geiſtreiche Art und mit wenigen Zügen Endlicher und Unger geſchildert haben, habe ich vor einem halben Jahrhundert in meiner „unterirdiſchen Flora“ angehängten Aphorismen auf folgende Weiſe von der Pflanzengeographie getrennt: „Geognosia naturam animantem et inanimam vel, ut vocabulo minus apto, ex antiquitate saltem haud petito, utar, corpora organica aeque ac inorganica considerat. Sunt enim tria quibus absolvitur capita: Geographia oryctologica quam simplieiter Geognosiam vel Geologiam dicunt, virque acutissimus Wernerus egregie digessit; Geographia zoologica, cujus doctrinae fundamenta Zimmermanus et Treviranus jecerunt; et Geographia plantarum quam aequales nostri diu intactam reliquerunt. Geographia plantarum vincula et cognationem tradit, quibus omnia vege- tabilia inter se connexa sint, terrae tractus quos teneant, in aerem atmosphaericum quae sit eorum vis ostendit, saxa atque rupes quibus potissimum algarum primordiis radicibusque destruantur docet, et quo pacto in telluris superficie humus nas- catur, commemorat. Est itaque quod differat inter Geognosiam et Physiographiam, historia naturalis perperam nuncupa- tam, quum Zoognosia, Phytognosia et Oryctognosia a quae qui- dem omnes in naturae investigatione versantur, non nisi singu- lorum animalium, plantarum, rerum metallicarum vel (venia sit verbo) fossilium formas, anatomen, vires serutantur. Historia Telluris, Geognosiae magis quam Physiographiae affinis, nemini adhuc tentata, plantarum animaliumque genera orbem inhabi- tantia primaevum, migrationes eorum compluriumque interitum, ortum quem montes, valles, saxorum strata et venae metalli- — 335 — ferae ducunt, aerem, mutatis temporum vicibus, modo purum, modo vitiatum, terrae superficiem humo plantisque paulatim obtectam, fluminum inundantium impetu denuo nudatam, iterumque siccatam et gramine vestitam commemorat. Igitur Historia zoologica, Historia plantarum et Historia oryctologica, quae non nisi pristinum orbis terrae statum indicant, a Geo— gnosia probe distinguendae.“ Ueber die ſich ſelbſt beſtimmen— den Bewegungen, von denen weiter unten im Texte die Rede iſt, vergl. die merkwürdige Stelle des Ariſtoteles, de Coelo II, 2, p. 284 Bekker, wo der Unterſchied der belebten und unbelebten Körper in den inneren oder äußeren Beſtimmungsſitz der Bewegung geſetzt wird. Von der „ernährenden Pflanzenſeele“, ſagt der Stagirite, geht keine Bewegung aus, weil die Pflanzen in einem „ſtillen, nicht zu erweckenden Schlummer liegen“ und keine Begierden haben, die ſie zur Selbſtbewegung reizen. 243 (S. 254.) Ueber Vermehrung durch Selbſtteilung des Mutter— körpers und durch Einſchieben neuer Subſtanz ſ. Ehrenberg von den jetzt lebenden Tierarten der Kreidebildung, in den Abhandl. der Berliner Akad. der Wiſſ. 1839 S. 94. Die größte zeugende Kraft der Natur iſt in den Vorticellen. Schätzungen der möglichſt raſcheſten Maſſenentwickelung finden ſich in Ehren— bergs großem Werke: Die Infuſionstierchen als voll⸗ kommene Organismen, 1838, S. XIII, XIX und 244. „Die Milchſtraße dieſer Organismen geht durch die Gattungen Monas, Vibrio Bacterium und Bodo.“ Die Allbelebtheit der Natur iſt ſo groß, daß kleinere Infuſionstiere paraſitiſch auf größeren leben, ja daß die erſteren wiederum anderen zum Wohnſitz dienen. 244 (S. 256.) Zu der raſchen Vermehrung der kleinſten Organis— men geſellt ſich noch bei einigen (Weizenaalchen, Rädertieren, Waſſer— bären oder Tardigraden) die wunderbare Ausdauer des Lebens. Trotz einer 28tägigen Austrocknung im luftleeren Raume durch Chlorkalk und Schwefelſäure, trotz einer Erhitzung von 120“ wurde die Wiedererweckung aus dem Scheintode beobachtet. Siehe die ſchönen Verſuche des Herrn Doye&re im Mém. sur les Tardigrades et sur leur propriété de revenir a la vie, 1842, p. 119, 129, 131 und 133. Vergl. im allgemeinen über das Wiederaufleben jahrelang vertrodneter Tiere Ehrenberg S. 492—496. 245 (S. 256.) Man vergleiche über die vermeinte „primitive Um— bildung“ der organiſierten oder unorganiſierten Materie zu Pflanzen und Tieren Ehrenberg in Poggendorffs Annalen der Phyſik Bd. XXIV, S. 1—48 und desſelben Infuſionstierchen S. 121 und 525 mit Joh. Müller, Phyſiologie des Menſchen (4. Aufl. 1844) Bd. I, S. 8—17. Ueberaus merkwürdig ſcheint mir, daß Auguſtinus, der Kirchenvater ſich in ſeinen Fragen, wie möglicherweiſe die Inſeln nach der großen Flut haben aufs neue Pflanzen und Tiere empfangen können, der ſogenannten „keim- und — 336 — mutterloſen Zeugung“ (generatio aequivoca, spontanea aut pri- maria) keineswegs abgeneigt bezeigt. „Haben,“ ſagt er, „die Engel die Tiere nicht auf abgelegene Inſeln gebracht oder etwa jagdluſtige Bewohner der Kontinente, ſo müſſen ſie aus der Erde unmittelbar entſtanden ſein; wobei freilich die Frage entſteht, zu welchem Zwecke allerlei Tiere in der Arche verſammelt worden waren.“ „Si e terra exortae sunt (bestiae) secundum originem primam, quando dixit Deus: Producat terra animam vivam! multo elarius apparet, non tam reparandorum animalium causa, quam figurandarum variarum gentium (ö) propter ecelesiae sacramentum in Arca fuisse omnia genera, si in insulis, quo transire non possent, multa animalia terra produxit.“ Auguſtinus de Civitate Dei lib. XVI, cap. 7. — Schon 200 Jahre vor dem Biſchof von Hippo finden wir in den Auszügen des Trogus Pompejus die generatio primaria mit der früheſten Abtrocknung der Urwelt und der Hochebene von Aſien in Verbindung geſetzt, ganz wie in der paradieſiſchen Terraſſentheorie des großen Linné und in den Atlantis⸗ träumen des 18. Jahrhunderts: „Quodsi omnes quondam terrae submersae profundo fuerunt, profecto editissimam quamque partem decurrentibus aquis primum detectam; humillimo autem solo eandem aquam diutissime immoratam, et quanto prior quaeque pars terrarum siccata sit, tanto prius animalia gene- rare coepisse. Porro Scythiam adeo editorem omnibus terris esse, ut cuncta flumina ibi nata in Maeotim, tum deinde in Ponticum et Aegyptium mare decurrant.“ Juſtinus lib. IE cap. 1. Die irrige Meinung, daß das Land der Skythen eine Hoch⸗ ebene bilde, iſt ſo uralt, daß wir ſie ſchon recht deutlich im Hippo— krates ausgedrückt finden. „Skythien,“ ſagt er, „bildet hohe und nackte Ebenen, die, ohne von Bergen gekrönt zu fein, gegen Norden immer höher und höher anſteigen.“ 246 (S. 260.) Tacitus unterſcheidet in ſeinen Spekulationen über die Bevölkerung von Britannien ſehr ſchön, was den klima⸗ tiſchen Einwirkungen der Gegend, was, bei eingewanderten Stäm⸗ men, der alten unwandelbaren Kraft eines fortgepflanzten Typus angehören kann: „Britanniam qui mortales initio coluerunt, in- digenae an advecti, ut inter barbaros, parum compertum. Habitus corporis varii, atque ex eo argumenta; namque rutilae Caledoniam habitantium comae, magni artus Germanicam originem adseverant. Silurum colorati vultus et torti plerum- que crines, et posita contra Hispania, Iberos veteres trajecisse, easque sedes occupasse fidem faciunt; proximi Gallis, et similes sunt: seu durante originis vi; seu, procurrentibus in diversa terris, positio caeli corporibus babitum dedit.“ Vergl. über die Ausdauer der Geſtaltungstypen in heißen und kalten Erd⸗ und Bergſtrichen des Neuen Kontinentes meine Relation historique T. I, p. 498-503, T. II, p. 572— 574. 247 (S. 260.) Welcker glaubt, die von Strabo citierten Verſe — 337 — des Theodectes ſeien einer verlornen Tragödie entlehnt, die vielleicht den Titel Memnon führte. 24 (S. 262.) Die ſpäte Ankunft türkiſcher und mongoliſcher Stämme ſowohl am Oxus als in der Kirgiſenſteppe ſteht der An— nahme Niebuhrs, daß die Skythen des Herodot und Hippokrates Mongolen waren, entgegen. Es iſt weit wahrſcheinlicher, daß die Skythen (Scoloten) zu den indogermaniſchen Maſſa-Geten (Alanen) zu rechnen ſind. Die Mongolen, eigentliche Tataren (der letztere Name iſt ſpäter fälſchlich rein türkiſchen Stämmen in Rußland und Sibirien gegeben worden), ſaßen damals weit im Oſten von Aſien. Ein ausgezeichneter Sprachforſcher, Profeſſor Buſchmann, erinnert, daß Firduſi im Schahnameh, in ſeinen halb mythiſchen hiſtoriſchen Anfängen, „einer Feſte der Alanen“ am Meere erwähnt, in welche Selm, der älteſte Sohn des Königs Feridun (gewiß ein paar Jahrhunderte vor Cyrus), ſich flüchten wollte. Die Kirgiſen der ſogenannten ſkythiſchen Steppe ſind urſprünglich ein finniſcher Stamm; fie find jetzt wahrſcheinlich in ihren drei Horden das zahlreichſte aller wandernden Völker und lebten ſchon im 6. Jahrhundert in der Steppe, in welcher ich ſie geſehen. Der Byzantiner Menander erzählt ausdrücklich, wie der Chakan der Türken (Thu-khiu) im Jahre 569 dem vom Kaiſer Juſtinus II abgeſandten Zemarchus eine Kirgiſen⸗Sklavin ſchenkte; er nennt fie eine yspyts, und auch bei Abulgaſi heißen die Kirgiſen Kirkiz. Die Aehnlichkeit der Sitten iſt, wo die Natur des Landes den Hauptcharakter der Sitten hervor— ruft, ein ſehr unſicherer Beweis der Stammähnlichkeit. Das Leben in der Steppe erzeugt bei Türken (Ti, Tukiu), bei Baſchkiren (Finnen), bei Kirgiſen, bei Torgod und Dſungaren (Mongolen) dieſelben Ge— wohnheiten des nomadiſchen Lebens, denſelben Gebrauch von Filz— zelten, die auf Wagen fortgeführt und bei den Viehherden auf— geſchlagen werden. 2% (S. 264.) Das Unerfreulichſte und in ſpäteren Zeiten jo oft Wiederholte über die ungleiche Berechtigung der Menſchen zur Freiheit und über Sklaverei als eine naturgemäße Einrichtung findet ſich leider! ſehr ſyſtematiſch entwickelt in Ariſtoteles Politica 5 25 5, . 25% (S. 264.) Wilhelm von Humboldt über die Kawi— ſprache Bd. HI, ©, 426. Ich füge aus demſelben Werke noch folgendes hinzu: „Die ſtürmenden Eroberungen Alexanders, die ſtaatsklug bedächtigen der Römer, die wild grauſamen der Mexikaner, die deſpotiſchen Ländervereinigungen der Inkas haben in beiden Welten dazu beigetragen, das vereinzelte Daſein der Völker auf— zuheben und weitere Verbindungen zu ſtiften. Große und ſtarke Gemüter, ganze Nationen handelten unter der Macht einer Idee, die ihnen in ihrer Reinheit gänzlich fremd war. In der Wahrheit ihrer tiefen Milde ſprach ſie zuerſt, ob es ihr gleich nur langſam Eingang verſchaffen konnte, das Chriſtentum aus. Früher kommen nur einzelne Anklänge vor. Die neuere Zeit hat den Begriff der A. v. Humboldt, Kosmos. I. 22 — 338 — Ziviliſation lebendiger aufgefaßt, und das Bedürfnis erregt, Ver⸗ bindungen der Völker und Kultur weiter zu verbreiten; auch die Selbſtſucht gewinnt die Ueberzeugung, daß ſie auf dieſem Wege weiter gelangt als auf dem gewaltſamer Abſonderung. Die Sprache umſchlingt mehr, als ſonſt etwas im Menſchen, das ganze Geſchlecht. Gerade in ihrer völkertrennenden Eigenſchaft vereinigt ſie durch das Wechſelverſtändnis fremdartiger Rede die Verſchiedenheit der In⸗ 5 dividualitäten, ohne ihrer Eigentümlichkeit Eintrag zu thun.“ Inhalts Ueberſicht des I. Bandes des Kosmos. Vorrede S. VII XII. Einleitende Betrachtungen über die Verſchiedenartigkeit des Naturgenuſſes und die wiſſenſchaftliche Ergründung der Weltgeſetze S. 3—28. Einſicht in den Zuſammenhang der Erſcheinungen als Zweck aller Naturforſchung. — Natur iſt für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit. — Verſchiedenheit der Stufen des Natur— genuſſes. — Wirkung des Eintritts in das Freie; Genuß ohne Einſicht in das Wirken der Naturkräfte, ohne Eindruck von dem individuellen Charakter einer Gegend. — Wirkung der phyſiognomi— ſchen Geſtaltung der Oberfläche oder des Charakters der Vegetation. Erinnerung an die Waldthäler der Kordilleren und an den Vulkan von Tenerifa. Vorzüge der Gebirgsgegend dem Aequator nahe: wo im engſten Raume die Mannigfaltigkeit der Natureindrücke ihr Maximum erreicht, wo es dem Menſchen gegeben iſt, alle Geſtirne des Himmels und alle Geſtalten der Pflanzen gleichzeitig zu ſehen. S. 3—10. — Trieb nach Aufſuchung der Urſachen phyſiſcher Er— ſcheinungen. — Irrige Anſichten über das Weſen der Naturkräfte, durch Unvollſtändigkeit der Beobachtung oder der Induktion er— zeugt. — Rohe Anhäufung phyſiſcher Dogmen, die ein Jahrhundert dem anderen aufdringt. Verbreitung derſelben unter die höheren Volksklaſſen. Neben der wiſſenſchaftlichen Phyſik beſteht eine andere, ein tief eingewurzeltes Syſtem ungeprüfter, mißverſtandener Er— fahrungsſätze. — Aufſuchung von Naturgeſetzen. Beſorgnis, daß die Natur bei dem Forſchen in das innere Weſen der Kräfte von ihrem geheimnisvollen Zauber verliert, daß der Naturgenuß durch das Naturwiſſen notwendig geſchwächt werde. Vorzüge der generellen Anſichten, die der Wiſſenſchaft einen erhabenen und ernſten Cha— rakter verleihen. Mögliche Trennung des Allgemeinen von dem Beſonderen. Beiſpiele aus der Aſtronomie, den neuen optiſchen Entdeckungen, der phyſiſchen Erdkunde und der Geographie der — 340 — Pflanzen. Zugänglichkeit des Studiums der phyſiſchen Weltbeſchrei— bung. S. 11—25. — Mißverſtandenes populäres Wiſſen und Verwechſelung einer Weltbeſchreibung mit einer Encyklopädie der Naturwiſſenſchaften. Notwendigkeit der gleichzeitigen Würdi— gung aller Teile des Naturſtudiums. Einfluß dieſes Studiums auf . den Nationalreichtum und den Wohlſtand der Völker; doch iſt ſein erſter und eigentlicher Zweck ein innerer, der der erhöhten geiſtigen Thätigkeit. Form der Behandlung in Vortrag und Dar— ſtellung; Wechſelverkehr zwiſchen Gedanken und Sprache S. 25—28. In den Anmerkungen S. 29—33 (Nr. 1—11): Vergleichende hypſometriſche Angaben; Bergmeſſungen des Dhawalagiri, Jawahir, Chimborazo, Aetna nach Sir John Herſchel, der Schweizer Alpen u. ſ. w. S. 29. — Seltenheit der Palmen und Farne im Himalaya S. 30. Europäiſche Pflanzenformen in den indiſchen Gebirgen S. 30. — Nördliche und ſüdliche Grenze des ewigen Schnees am Himalaya; Einfluß der Hochebene von Tibet S. 30—32. — Fiſche der Bor: welt S. 33. Begrenzung und i Behandlung einer phyſiſchen Weltbeſchreibung S. 34—50 Inhalt der Lehre vom Kosmos oder der phyſiſchen Welt⸗ beſchreibung. Sonderung von anderen, verwandten Disziplinen. S. 34— 38. — Der uranalogiſche Teil des Kosmos iſt einfacher als der telluriſche; die Ausſchließung von allem Wahrnembaren der Stoffverſchiedenheit vereinfacht die Mechanik des Himmels. — Ur— ſprung des Wortes Kosmos, Schmuck und Weltordnung Das Seiende iſt im Begreifen der Natur nicht abſolut vom Werden zu trennen. Weltgeſchichte und Weltbeſchreibung. S. 39 bis 44. — Verſuche, die Vielheit der Erſcheinungen im Kosmos in der Einheit des Gedankens, in der Form eines rein rationalen Zuſammenhanges zu faſſen. — Naturphiloſophie iſt aller genauen Beobachtung ſchon im Altertum vorhergegangen: ein natür— liches, bisweilen irregeleitetes Streben der Vernunft. — Zwei Formen der Abſtraktion beherrſchen die ganze Maſſe der Erkennt- nis: quantitative (Verhältnisbeſtimmungen nach Zahl und Größe) und qualitative (ftoffartige Beſchaffenheiten). — Mittel, die Erſcheinungen dem Kalkül zu unterwerfen. Atome, mechaniſche Konſtruktionsmethoden; ſinnbildliche Vorſtellungen; Mythen der imponderablen Stoffe und eigener Lebenskräfte in jeglichem Or— ganismus. — Was durch Beobachtung und Experiment (Hervor— rufen der Erſcheinungen) erlangt iſt, führt durch Analogie und Induktion zur Erkenntnis empiriſcher Geſetze. Allmählich Vereinfachung und Verallgemeinerung derſelben. — Anordnung des Aufgefundenen nach leitenden Ideen. Der ſo viele Jahrhun— derte hindurch geſammelte Schatz empiriſcher Anſchauung wird nicht von der N wie von einer feindlichen Macht bedroht. 9 5— — 341 — In den Anmerkungen S. 51—54 (Nr. 1— 4): Ueber die allge: meine und vergleichende Erdkunde des Varenius S. 51—52. — Philologiſche Unterſuchung über zospos und mundus S. 53—54. Naturgemälde. Ueberſicht der Erſcheinungen S. 55— 265. Einleitung S. 55— 60: Ein beſchreibendes Weltgemälde umfaßt das Univerſum (rd c) in ſeinen beiden Sphären, der himmliſchen und irdiſchen. — Form und Gang der Darſtellung. Es beginnt dieſelbe mit den Tiefen des Weltraums, in denen wir nur die Herrſchaft der Gravitationsgeſetze erkennen, mit der Region der fernſten Nebelflecke und Doppelſterne und ſteigt ſtufenweiſe herab durch die Sternſchicht, der unſer Sonnenſyſtem angehört, zu dem luft: und meerumfloſſenen Erdſphäroid: ſeiner Geſtaltung, Temperatur und magnetiſchen Spannung; zu der organiſchen Lebens— fülle, welche, vom Lichte angeregt, ſich an ſeiner Oberfläche ent— faltet. — Partielle Einſicht in die relative Abhängigkeit der Er— ſcheinungen voneinander. — Bei allem Beweglichen und Veränder— lichen im Raume ſind mittlere Zahlenwerte der letzte Zweck; ſie ſind der Ausdruck phyſiſcher Geſetze, die Mächte des Kosmos. — Das Weltgemälde beginnt nicht mit dem Telluriſchen, wie aus einem ſubjektiven Standpunkte hätte vorgezogen werden können; es be— ginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Verteilung der Materie: ſie iſt teils zu rotierenden und kreiſenden Weltkörpern von ſehr verſchiedener Dichtigkeit und Größe geballt, teils ſelbſt— leuchtend, dunſtförmig als Lichtnebel zerſtreut. Vorläufige Ueber— ſicht der einzelnen Teile des Naturgemäldes, um die Aneinander— reihung der Erſcheinungen kenntlich zu machen. J. Uranologiſcher Teil des Kosmos S. 60—111. II. Telluriſcher Teil des Kosmos S. 111—265. a) Geſtalt der Erde, mittlere Dichtigkeit, Wärmegehalt, elektro— magnetiſche Thätigkeit, Lichtprozeſſe S. 111 — 143. b) Lebensthätigkeiten des Erdkörpers nach außen. — Reaktion des Inneren des Planeten gegen ſeine Rinde und Oberfläche. Unterirdiſches Getöſe ohne Erſchütterungswellen. Erdbeben als dynamiſches Phänomen S. 143—154. c) Stoffartige Produktionen, die das Erdbeben oft begleiten. Luft⸗ und Waſſerquellen. Salſen und Schlammoulfane. Hebungen des Bodens durch elaſtiſche Kräfte S. 154—161. d) Feuerſpeiende Berge. Erhebungskrater. Verteilung der Vulkane auf der Erde S. 161—176. e) Die vulkaniſchen Kräfte bilden neue Gebirgsarten und wandeln ältere um. — Geognoſtiſche Klaſſifikation der Gebirgs— maſſen in vier Gruppen. — Kontaktphänomen. — Verſteine— rungshaltige Schichten. Ihre Aufrichtung. Fauna und Flora der Vorwelt. Zerſtreuung der Felsblöcke S. 176 206. ) Die geognoſtiſchen Epochen, bezeichnet durch die minera⸗ logiſche Verſchiedenheit der Gebirgsarten, haben den Zuſtand — 342 — . räumlicher Verteilung der Feſte und des Flüſſigen, der Konti— nente und der Meere beſtimmt. Individuelle Geſtaltungen der Feſte in horizontaler Ausdehnung und ſenkrechter Erhebung. — Verhältnis der Areale. — Gliederung. Fortgeſetzte Faltung der Erdrinde S. 206— 220. f g) Umhüllungen der ſtarren Oberfläche des Planeten, tropf— bar⸗flüſſige und luftförmige. Wärmeverteilung in beiden. — Meer. Ebbe und Flut. Strömungen und ihre Folgen S. 220 bis. 227. h) Atmoſphäre. Chemiſche Zuſammenſetzung. Schwankungen der Dichtigkeit. — Geſetz der Windrichtung. Mittlere Wärme. Aufzählung der temperatur-erhöhenden und temperatur-vermin⸗ dernden Urſachen. Kontinental- und Inſelklima. Oſt- und Weſt⸗ küſten. — Urſache der Krümmung der Iſothermen. — Grenzen des ewigen Schnees. — Dampfmenge. — Elektrizität des Luft⸗ kreiſes. Wolkengeſtalt S. 227 — 251. 1) Scheidung des anorganiſchen Erdenlebens von der Geo: graphie des Organiſch-Lebendigen, der Geographie der Pflanzen und Tiere. — Phyſiſche Abſtufungen des Menſchengeſchlechts S. 251 — 265. Spezielle Zergliederung des Naturgemäldes, mit Beziehung auf den Inhalt der Anmerkungen. J. Uranologiſcher Teil des Kosmos: Text S. 60 bis 111, Anmerkungen S. 266— 288. Inhalt der Welträume. Vielgeſtaltete Nebelflecke, planetariſche Nebel und Nebelſterne. — Landſchaſtliche Anmut des ſüdlichen Himmels, Anm. S. 266. — Vermutungen über die räumliche An— ordnung des Weltgebäudes. Unſer Sternhaufen eine Weltinſel. Sterneichungen. — Doppelſterne, um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt kreiſend. Entfernung des Sterns 61 im Schwan S. 43, 110 und Anm. S. 267. — Attraktionsſyſteme verſchiedener Ordnung S. 60—65. — Unſer Sonnenſyſtem viel komplizierter, als man es noch am Ende des verfloſſenen Jahrhunderts geglaubt. Hauptplaneten mit Neptun, Aſträa, Hebe und Iris jetzt 15, Neben: planeten 18; Myriaden von Kometen, worunter mehrere innere, in die Planetenbahnen eingeſchloſſene; ein rotierender Ring (das Zodiakallicht) und wahrſcheinlich Meteorſteine als kleine Weltkörper. — Die teleſkopiſchen Planeten: Veſta, Juno, Ceres, Pallas, Aſträa, Hebe und Iris, mit ihren ſtark geneigten und mehr exzentriſchen, ineinander verſchlungenen Bahnen, ſcheiden, als mittlere Gruppe, die innere Planetengruppe (Merkur, Venus, Erde und Mars) von der äußeren (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun). Kon: traſte dieſer Planetengruppen. — Verhältniſſe der Abſtände von einem Centralkörper. Verſchiedenheiten der abſoluten Größe, Dich— tigkeit, Umdrehungszeit, Exzentrizität und Neigung der Bahnen. — 343 — Das ſogenannte Geſetz der Abſtände der Planeten von ihrer Gen- tralſonne. Mondreichſte Planeten S. 65— 69 und Anm. S. 267 bis 268. — Räumliche (abſolute und relative) Verhältniſſe der Nebenplaneten; größter und kleinſter der Monde. Größte Annähe— rung an einen Hauptplaneten. — Rückläufige Bewegung der Uranus— monde. Libration der Erdtrabanten S. 69 — 72 und Anm. S. 268. — Kometen. Kern und Schweif. Mannigfaltige Form und Richtung der Ausſtrömungen in konoidiſchen Hüllen mit dickerer und dünnerer Wandung. Mehrfache Schweife, ſelbſt der Sonne zugekehrt. Formen— wechſel des Schweifes; vermutete Rotation desſelben. Natur des Lichts. Sogenannte Bedeckungen von Fixſternen durch Kometen— kerne. Exzentrizität der Bahnen und Umlaufszeiten. Größte Ent— fernung und größte Nähe der Kometen. Durchgang durch das Syſtem der Jupitersmonde. — Kometen von kurzer Umlaufs— zeit, wohl beſſer innere Kometen genannt (Ende, Biela, Faye) S. 72—82 und Anm. S. 268 — 271. — Kreiſende Aerolithen (Meteorſteine, Feuerkugeln, Sternſchnuppen). Planetariſche Ge— ſchwindigkeit. Größe, Form, beobachtete Höhe. Periodiſche Wieder— kehr in Strömen, Novemberſtrom und der des heil. Laurentius. Chemiſche Zuſammenſetzung der Meteoraſteroiden S. 83 —98 und Anm. S. 271 — 282. — Ring des Tierkreislichts. — Beſchränkt⸗ heit der jetzigen Sonnenatmoſphäre S. 98—102 und Anm. S. 282 — 286. — Ortsveränderung des ganzen Sonnenſyſtems S. 102—104 und Anm. S. 286 — 287. — Das Walten der Gra— vitationsgeſetze auch jenſeits unſeres Sonnenſyſtems. — Milchſtraße der Sterne und ihr vermutetes Aufbrechen. Milchſtraße von Nebel— flecken, rechtwinkelig mit der der Sterne. — Umlaufszeiten zwei— farbiger Doppelſterne. — Sternenteppich; Oeffnungen im Himmel, in der Sternſchicht. — Begebenheiten im Weltraum; Auflodern neuer Sterne. — Fortpflanzung des Lichtes; der Anblick des ge— ſtirnten Himmels bietet Ungleichzeitiges dar S. 104— 111 und Anm. S. 286 288. II. Telluriſcher Teil des Kosmos S. 111—265 und Anm. S. 288 — 338. a) Geſtalt der Erde. Dichtigkeit, Wärmegehalt, elektromagne— tiſche Spannung und Erdlicht S. 111—143 und Anm. S. 288 bis 306: Ergründung der Abplattung und Krümmung der Erd— oberfläche durch Gradmeſſungen, Pendelſchwingungen und gewiſſe Ungleichheiten der Mondsbahn. — Mittlere Dichtigkeit der Erde. — Erdrinde, wie tief wir fie kennen? S. 111 — 123 und Anm. S. 288 bis 294. — Dreierlei Bewegung der Wärme des Erdkörpers, fein thermiſcher Zuſtand. Geſetz der Zunahme der Wärme mit der Wärme mit der Tiefe S. 123—126 und Anm. S. 294 — 295. — Magnetismus, Elektrizität in Bewegung. Periodiſche Veränderlich— keit des telluriſchen Magnetismus. Störung des regelmäßigen Ganges der Magnetnadel. Magnetiſche Ungewitter; Ausdehnung ihrer Wirkung. Offenbarungen der magnetiſchen Kraft an der — 344 — Oberfläche in drei Klaſſen der Erſcheinungen; Linien gleicher Kraft (iſodynamiſche), gleicher Neigung (iſokliniſche) und gleicher Abwei— chung (ifogonifche). — Lage der Magnetpole; ihr vermuteter Zu⸗ ſammenhang mit den Kältepolen. — Wechſel aller magnetiſchen Erſcheinungen des Erdkörpers. — Errichtung magnetiſcher Warten ſeit 1828; ein weitverbreitetes Netz magnetiſcher Stationen S. 126 bis 136 und Anm. 295 — 304. — Lichtentwickelung an den Magnet⸗ polen; Erdlicht als Folge elektro-magnetiſcher Thätigkeit unſeres Planeten. Höhe des Polarlichts. Ob das magnetiſche Gewitter mit Geräuſch verbunden iſt? Zuſammenhang des Polarlichts (einer elektromagnetiſchen Lichtentwickelung) mit der Erzeugung von Cirrus⸗ wölkchen. — Andere Beiſpiele irdiſcher Lichterzeugung S. 136—143 und Anm. S. 304 306. b) Lebensthätigkeit des Planeten nach außen als Hauptquelle geognoſtiſcher Erſcheinungen. Verkettung der bloß dynamiſchen Er⸗ ſchütterung oder Hebung ganzer Teile der Erdrinde mit ſtoffhal⸗ tigem Erguß und Erzeugung von gasförmigen und tropfbaren Flüſſigkeiten, von heißem Schlamme, von geſchmolzenen Erden, die als Gebirgsarten erhärten. Vulkanizität in der größten All⸗ gemeinheit des Begriffs iſt die Reaktion des Inneren eines Planeten gegen ſeine Oberfläche. — Erdbeben. Umfang der Erſchütterungs⸗ kreiſe und ihre allmähliche Erweiterung. — Ob Zuſammenhang mit Veränderungen im telluriſchen Magnetismus und Prozeſſen des Luftkreiſes. Getöſe, unterirdiſcher Donner ohne fühlbare Erſchütte⸗ rung. Gebirgsmaſſen, welche die Fortpflanzung der Erſchütterungs⸗ welle modifizieren. — Hebungen; Ausbrüche von Waſſer, heißen Dämpfen, Schlamm, Mofetten, Rauch und Flammen während des Erdbebens S. 143 154 und Anm. S. 306-308. c) Nähere Betrachtung von ſtoffartigen Produktionen als Folge innerer planetariſcher Lebensthätigkeit. Es ſteigen aus dem Schoße der Erde hervor, durch Spalten und Ausbruchkegel: Luftarten, tropfbare Flüſſigkeiten (rein oder geſäuert), Schlamm und ge— ſchmolzene Erden. — Die Vulkane ſind eine Art intermittierender Quellen. Temperatur der Thermen; ihre Konſtanz und Verände— rung. Tiefe des Herdes S. 154—159 und Anm. S. 308 — 310. — Salſen, Schlammvulkane. Wenn feuerſpeiende Berge als Quellen geſchmolzener Erden vulkaniſche Gebirgsarten hervorbringen, jo erzeugen dagegen Quellwaſſer durch Niederſchlag Kalkitein- ſchichten. Fortgeſetzte Erzeugung von Sedimentgeſtein S. 159 — 160 und Anm. S. 310. d) Mannigfaltigkeit der vulkaniſchen Hebungen. Domförmige ungeöffnete Trachytberge. — Eigentliche Vulkane, die aus Erhebungs— kratern oder zwiſchen den Trümmern ihrer ehemaligen Bildung her— vortreten. — Permanente Verbindung des inneren Erdkörpers mit dem Luftkreiſe. Verhältnis gegen gewiſſe Gebirgsarten. Einfluß der Höhenverhältniſſe auf die Frequenz der Ausbrüche. Höhe des Aſchenkegels. Eigentümlichkeiten der Vulkane, welche ſich über die — 345 — Schneegrenze erheben. — Aſchen- und Feuerſäulen. Vulkaniſche Gewitter während des Ausbruchs. Mineraliſche Zuſammenſetzung der Laven. S. 160 —171 und Anm. S. 310—313. — Verteilung der Vulkane auf der Erdfläche; Central- und Reihenvulkane, Inſel— und Küſtenvulkane. Abſtand der Vulkane von der Meeresküſte. Erlöſchen der vulkaniſchen Kräfte S. 171—176 und Anm. ©. 313 bis 316. e) Verhältnis der Vulkane zu der Natur der Gebirgsmaſſen; die vulkaniſchen Kräfte bilden neue Gebirgsarten und wandeln ältere um. Ihr Studium leitet auf Doppelwegen zu dem minera— logiſchen Teile der Geognoſie (Lehre vom Gewebe und von der Lage der Erdſchichten) und zur Geſtaltung der über den Meeresſpiegel gehobenen Kontinente und Inſelgruppen (Lehre von der geographiſchen Form und den Umriſſen der Erdteile). — Klaſſifikation der Gebirgsarten nach Maßgabe der Erſcheinungen der Bildung und Umwandlung, welche noch jetzt unter unſeren Augen vorgehen: Eruptionsgeſtein, Sedimentgeſtein, umgewandeltes (metamorphoſiertes) Geſtein, Konglomerate. — Die zuſammengeſetz— ten Gebirgsarten ſind beſtimmte Aſſociationen von oryktognoſtiſch einfachen Foſſilien. — Vier Phaſen der Bildungszuſtände: Eruptions— geſtein, endogenes (Granit, Syenit, Porphyre, Grünſteine, Hyperſthen— fels, Euphotid, Melaphyr, Baſalt und Phonolith); Sedimentgeſtein (ſiluriſche Schiefer, Steinkohlenablagerungen, Kalkſteine, Travertino, Infuſorienlager); umgewandeltes Geſtein, das neben den Trümmern des Eruptions- und Sedimentgeſteins auch Trümmer von Gneis, Glimmerſchiefer und älteren metamorphiſchen Maſſen enthält; Ag— gregate und Sandſteinbildungen (Trümmergeſtein) S. 176— 184 und Anm. S. 316-318. — Kontaktphänomene erläutert durch künſtliche Nachbildung der Mineralien. Wirkungen des Drucks und der verſchiedenen Schnelligkeit der Abkühlung. Entſtehung des körnigen (ſaliniſchen) Marmors, Verkieſelung der Schiefer zu Band— jaſpis, Umwandelung der Kreidemergel durch Granit zu Glimmer— ſchiefer; Dolomitiſierung, Granitbildung in Thonſchiefer bei Be— rührung mit Baſalt und Doleritgeſtein. — Füllung der Gangmaſſen von unten. Prozeſſe der Cementierung in den Agglomeratbil— dungen. Reibungskonglomerate S. 184 — 194 und Anm. S. 318 bis 320. — Relatives Alter der Felsmaſſen. Chronometrik der Erdrinde. Verſteinerungshaltige Schichten. — Relatives Alter der Organismen. Einfachheit der erſten Lebensformen? Abhängigkeit phyſiologiſcher Abſtufungen von dem Alter der Formationen. — Geognoſtiſcher Horizont, deſſen ſorgfältige Verfolgung ſichere Auf— ſchlüſſe gewährt über die Identität oder das relative Alter der Formationen, über die periodiſche Wiederkehr gewiſſer Schichten, ihren Parallelismus oder ihre gänzliche Suppreſſion (Verkümme— rung). — Typus der Sedimentgebilde in der größten Einfachheit ſeiner Verallgemeinerung aufgefaßt: ſiluriſche und devoniſche Schich— ten (die ehemals ſo genannten Uebergangsgebirge); die untere Trias — 346 — (Bergkalk, Steinkohlengebirge ſamt Totliegendem und Zechſtein); die obere Trias (bunter Sandſtein, Muſchelkalk und Keuper); Jura: kalk (Lias und Oolithen); Quaderſandſtein, untere und obere Kreide, als die letzte der Flözſchichten, welche mit dem Bergkalk beginnen; Tertiärgebilde in drei Abteilungen, die durch Grobkalk, Braunkohle. und Südapenninengerölle bezeichnet werden. — Faunen und Floren der Vorwelt, ihr Verhältnis zu den jetzigen Organismen. Rieſen— mäßige Knochen vorweltlicher Säugetiere im oberen Schuttlande — Vegetation der Vorwelt, Monumente der Pflanzengeſchichte. Wo gewiſſe Pflanzengruppen ihr Maximum erreichen; Cykadeen in den Kenperſchichten und der Lias, Koniferen im bunten Sand— ſtein. Ligniten und Braunkohlenſchichten (Bernſteinbaum). — Ab: lagerung großer Felsblöcke, Zweifel über ihren Urſprung S. 194 bis 206 und Anm. S. 320-324. f) Die Kenntnis der geognoſtiſchen Epochen, des länder: bildenden und zertrümmernden Emporſteigens von Bergketten und Hochebenen leitet durch inneren Kauſalzuſammenhang auf die räum— liche Verteilung der Feſte und des Flüſſigen, auf die Beſonderheiten der Naturgeſtaltung der Erdoberfläche. — Jetziges Arealverhältnis des Starren zum Flüſſigen ſehr verſchieden von dem, welches die für den heiligen Teil der älteren Geo: graphie entworfenen Karten darlegen. Wichtigkeit der Eruption der Quarzporphyre für die derzeitige Geſtaltung der Kontinental— maſſen. — Individuelle Geſtaltung in horizontaler Aus: dehnung (Gliederungsverhältniſſe) und in ſenkrechter Erhebung (hypſometriſchen Anſichten). — Einfluß der Arealverhältniſſe von Land und Meer auf Temperatur, Windrichtung, Fülle oder Karg— heit organiſcher Erzeugniſſe, auf die Geſamtheit aller meteoro— logiſchen Prozeſſe. — Orientierung der größten Achſen der Konti— nentalmaſſe. Gliederung, pyramidale Endigung gegen Süden, Reihe der Halbinſeln. Thalbildung des atlantiſchen Ozeans. Formen, die ſich wiederholen S. 206—213 und Anm. S. 324— 325. — Abgeſonderte Gebirgsglieder, Syſteme der Bergketten und Mittel, ihr relatives Alter zu beſtimmen. Verſuche, den Schwerpunkt des Volums der jetzt über dem Meeresſpiegel erhobenen 1 zu be⸗ ſtimmen. Die Hebung der Kontinente iſt noch jetzt in langſamem Fortſchreiten und an einzelnen Punkten durch bemerkbares Sinken kompenſiert. Alle geognoſtiſchen Phänomene deuten auf periodiſchen Wechſel von Thätigkeit im Inneren unſeres Planeten. Wahrſchein⸗ lichkeit neuer Faltungen S. 213—219 und Anm. S. 325—327. g) Die ſtarre Oberfläche der Erde hat zweierlei Umhüllungen: tropfbar-flüſſige und luftförmige. Kontraſte und Analogien, welche dieſe Umhüllungen, das Meer und die Atmoſphäre, darbieten in Aggregat: und Elektrizitätszuſtänden, Strömungen und Temperatur- verhältniſſen. Tiefen des Ozeans und des Luftmeeres, deſſen Un- tiefen unſere Hochländer und Bergketten ſind. — Wärmegehalt des Meeres an der Oberfläche in verſchiedenen Breiten und in den — 347 — unteren Schichten. Tendenz des Meeres wegen Verſchiebbarkeit der Teile und Veränderung der Dichtigkeit, die Wärme ſeiner Ober— fläche in den der Luft nächſten Schichten zu bewahren. Maximum der Dichtigkeit des ſalzigen Waſſers. — Lage der Zonen der wärmſten Waſſer und der am meiſten geſalzenen. Thermiſcher Einfluß der unteren Polarſtröme wie der Gegenſtröme in den Meerengen S. 219—221 und Anm. S. 327328. — Allgemeines Niveau der Meere und permanente örtliche Störungen des Gleichgewichts; periodiſche als Ebbe und Flut. Meeresſtrömungen: Aequatorial⸗ oder Rotationsſtrom; der atlantiſche warme Golfſtrom und der ferne Impuls, den er empfängt; der kalte peruaniſche Strom in dem öſtlichen Teile des Stillen Meeres ſüdlicher Zone. — Tempera— tur der Untiefen. — Allbelebtheit des Ozeans; Einfluß der kleinen ſubmarinen Waldregion am Boden wurzelnder Tanggeſträuche oder weitverbreiteter ſchwimmender Fukusbänke S. 221 — 227 und Anm. S. 328329. h) Die gasförmige Umhüllung unſeres Planeten, das Luft— meer. — Chemiſche Zuſammenſetzung der Atmoſphäre, Diaphanität, Polariſation, Druck, Temperatur, Feuchtigkeit und elektriſche Span⸗ nung. — Verhältnis des Sauerſtoffs zum Stickſtoff; Kohlenſäure— gehalt; gekohlter Waſſerſtoff; Ammoniakaldämpfe. Miasmen. Regelmäßige (ſtündliche) Veränderungen des Luftdruckes. Mittlere Barometerhöhe am Meere in verſchiedenen Erdzonen. Iſobaro— metriſche Kurven. — Barometriſche Windroſen; Drehungsgeſetz der Winde und ſeine Wichtigkeit für die Kenntnis vieler meteorologiſchen Prozeſſe. Land- und Seewinde; Paſſate und Monſune S. 227 bis 233 und Anm. S. 329— 330. — Klimatiſche Wärmeverteilung im Luftkreiſe als Wirkung der relativen Stellung der durchſichtigen und undurchſichtigen Maſſen (der flüſſigen und feſten Oberflächen: räume) wie der hypſometriſchen Konfiguration der Kontinente. — Krümmung der Iſothermen in horizontaler und vertikaler Richtung, in der Ebene und in den übereinander gelagerten Luftſchichten. Konvexe und konkave Scheitel der Iſothermen. — Mittlere Wärme der Jahre, der Jahreszeiten, der Monate, der Tage. Aufzählung der Urſachen, welche Störungen in der Geſtalt der Iſothermen hervorbringen, d. h. ihre Abweichung von der Lage der geogra— phiſchen Parallele bewirken. — Iſochimenen und Iſotheren, Linien gleicher Winter- und Sommerwärme. — Temperaturerhöhende und temperaturvermindernde Urſachen. Strahlung der Erdober— fläche nach Maßgabe ihrer Inklination, Farbe, Dichtigkeit, Dürre und chemiſchen Kompoſition. — Die Wolkenform, Verkündigerin deſſen, was in der oberen Luft vorgeht, iſt am heißen Sommer: himmel das „projizierte Bild“ des wärmeſtrahlenden Bodens. — Kontraſt zwiſchen dem Inſel⸗ oder Küſtenklima, deſſen alle vielgegliederte, buſen- und halbinſelreiche Kontinente genießen, und dem Klima des Inneren großer Ländermaſſen. Oſt- und Weſtküſten. Unterſchiede der ſüdlichen und nördlichen Hemiſphäre. — Thermiſche — 348 — Skalen der Kulturpflanzen, herabſteigend von Vanille, Kakao und Piſan bis zu Zitronen, Oelbaum und trinkbarem Wein. Einfluß, welchen dieſe Skalen auf die geographiſche Verbreitung der Kulturen aus— üben. Das günſtige Reifen und das Nichtreifen der Früchte wird weſentlich bedingt durch die Unterſchiede der Wirkung des direkten und zerſtreuten Lichtes bei heiterem und durch Nebel verſchleiertem Himmel. — Allgemeine Angabe der Urſachen, welche dem größeren Teile von Europa, als der weſtlichen Halbinſel von Aſien, ein milderes Klima verſchafſen S. 233—241 und Anm. S. 330 bis 332. — Beſtimmung der mittleren Temperaturveränderung der Jahres- oder Sommerwärme, welche dem Fortſchreiten um 1“ geographiſcher Breite entſpricht. Gleichheit der mittleren Tempera: tur einer Bergſtation und der Polardiſtanz eines im Meeres— ſpiegel gelegenen Punktes. — Abnahme der Temperatur mit der Höhe. Grenze des ewigen Schnees und Oszillation dieſer Grenze. Urſachen der Störung in der Regelmäßigkeit des Phänomens; nördliche und ſüdliche Himalayakette; Bewohnbarkeit der Hochebene von Tibet S. 242—245 und Anm. S. 332—333. — Dampfmenge des Luftkreiſes nach Stunden des Tages, nach den Jahreszeiten, Breitengraden und Höhen. Größte Trockenheit der Atmoſphäre, beobachtet im nördlichen Aſien zwiſchen den Flußgebieten des Irtyſch und Obi. — Tau als Folge der Strahlung. Regenmenge S. 245 bis 247 und Anm. S. 333. — Elektrizität des Luftkreiſes und Störung der elektriſchen Spannung. Geographiſche Verteilung der Gewitter. Vorherbeſtimmung atmoſphäriſcher Veränderungen. Die wichtigſten klimatiſchen Störungen haben nicht eine örtliche Urſache in dem Beobachtungsorte ſelbſt; ſie ſind Folge einer Begebenheit, welche in weiter Ferne das Gleichgewicht in den Luftſtrömungen aufgehoben hat, S. 247 —- 251 und Anm. S. 333-334. i) Die phyſiſche Erdbeſchreibung iſt nicht auf das elementare, anorganiſche Erdenleben beſchränkt; zu einem höheren Standpunkte erhoben, umfaßt ſie die Sphäre des organiſchen Lebens und der zahlloſen Abſtufungen ſeiner typiſchen Ent⸗ wickelung. — Tier- und Pflanzenleben. Allbelebtheit der Natur in Meer und Land; mikroſkopiſche Lebensformen zwiſchen dem Polar: eife, wie in den Tiefen des Ozeans zwiſchen den Wendekreiſen. Er: weiterung des Horizonts des Lebens durch Ehrenbergs Entdeckungen. — Schätzung der Maſſe (des Volums) der tieriſchen und vegetabi— lichen Organismen S. 251— 256 und Anm. S. 334-336. (Die ſpeziellen Temperaturverhältniſſe der Weinkultur S. 331.) — Geo— graphie der Pflanzen und Tiere. Wanderung der Or— ganismen im Ei oder durch eigene bewegungskräftige Organe. Verbreitungsſphären in Abhängigkeit klimatiſcher Verhältniſſe. Vege— tationsgebiete und Gruppierung der Tiergeſchlechter. Einzeln und und geſellig lebende Pflanzen und Tiere. Der Charakter der Floren und Faunen iſt nicht ſowohl durch das Vorherrſchen einzelner Familien unter gewiſſen Breiten als durch die viel komplizierteren Page Verhältniſſe des Zuſammenlebens vieler Familien und den relativen Zahlenwert ihrer Arten beſtimmt. Formen natür— licher Familien, welche vom Aequator nach den Polen hin ab- oder zunehmen. Unterſuchungen über das Zahlenverhältnis, in welchem in verſchiedenen Erdſtrichen jede der großen Familien zu der ganzen daſelbſt wachſenden Maſſe der Phanerogamen ſteht, S. 256—259 und Anm. S. 336. — Das Menſchengeſchlecht in ſeinen phyſi— ſchen Abſtufungen und in der geographiſchen Verbreitung ſeiner gleichzeitig vorhandenen Typen. Raſſen, Abarten. Alle Menſchen— raſſen ſind Formen einer einzigen Art. Einheit des Menſchen— geſchlechts. — Sprachen, als geiſtige Schöpfungen der Menſch— heit, Teile der Naturkunde des Geiſtes, offenbaren eine nationelle Form; aber geſchichtliche Ereigniſſe haben bewirkt, daß bei Völkern ſehr verſchiedener Abſtammung ſich Idiome desſelben Sprachſtammes finden S. 259 — 265 und Anm. S. 336— 338. * rt 5 * En a, 3 j 4 naar rs zn u y * 3% Ar 1 W ee eee T En FRE j u nen * ANN * 6 „nen a ne N 3 Pıyi) N . fi 1 m W DEE RC er E IR E 40 8 * N ade 2 n e 1 K. > 5 Geſammelte Werke Alexander von Humboldt. Zweiter Band. Kosmos 1. Stuttgart. Verlag der J. G. Cokka'ſchen Buchhandlung Nachfolger. Kosmos. Enlwurf einer phuſiſchen WVellbeſchreibung von Alexander von Humboldt. Zweiter Band. Stuttgart. Herlag der I. G. Cokka'ſchen Buchhandlung Nachfolger. 8 1 9 N eee ” e) 7 10 e IR N ar! ul wu 9 N N 7 4 7 L 3 j € u en 1 5 - N „ een u eee . * . - * 5 { h 0 1 L nz Ben. > rn + " = - 4 * 1232,” % DR j ar * * 1 8 9 > * * an 3 2 * ae N BEN TEE een A. Anregungsmittel zum Naturſtudium. Reſler der Außenwelt auf die Einbildungskraft: Dichteriſche Natur- beſchreibung — Landſchaftmalerei — Kultur exotiſcher Gewächſe, den phyſiognomiſchen Charakter der Pflanzendeke auf der Erdoberfläche bezeichnend. Wir treten aus dem Kreiſe der Objekte in den Kreis der Empfindungen. Die Hauptreſultate der Beobachtung, wie ſie, von der Phantaſte entblößt, der reinen Objektivität wiſſen— ſchaftlicher Naturbeſchreibung angehören, ſind, eng aneinander gereiht, in dem erſten Bande dieſes Werkes, unter der Form eines Naturgemäldes, aufgeſtellt worden. Jetzt betrachten wir den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichteriſch geſtimmte Ein— bildungskraft. Es eröffnet ſich uns eine innere Welt. Wir durchforſchen ſie, nicht um in dieſem Buche von der Natur zu ergründen — wie es von der Philoſophie der Kunſt ge— fordert wird —, was in der Möglichkeit äſthetiſcher Wirkungen dem Weſen der Gemütskräfte und den mannigfaltigen Rich tungen geiſtiger Thätigkeit zukommt, ſondern vielmehr um die Quelle lebendiger Anſchauung, als Mittel zur Erhöhung eines reinen Naturgefühls, zu ſchildern, um den Urſachen nach— zuſpüren, welche, beſonders in der neueren Zeit, durch Be— lebung der Einbildungskraft ſo mächtig auf die Liebe zum 0 und auf den Hang zu fernen Reiſen gewirkt aben. Die Anregungsmittel ſind, wie wir ſchon früher be— merkt haben, von dreierlei Art: äſthetiſche Behandlung von Naturſzenen, in belebten Schilderungen der Tier- und Pflanzen— welt, ein ſehr moderner Zweig der Litteratur; Landſchaft— . malerei, beſonders inſofern ſie angefangen hat, die Phyſio— gnomik der Gewächſe aufzufaſſen; mehr verbreitete Kultur von Tropengewächſen und kontraſtierende Zuſammenſtellung exotiſcher Formen. Jedes der hier bezeichneten Anregungs— mittel könnte ſchon ſeiner hiſtoriſchen Beziehungen wegen der Gegenſtand vielumfaſſender Erörterung werden; aber nach dem Geiſte und dem Zweck meiner Schrift ſcheint es geeig— neter, nur wenige leitende Ideen zu entwickeln, daran zu er— innern, wie die Naturwelt in verſchiedenen Zeitepochen und bei verſchiedenen Volksſtämmen ſo ganz anders auf die Ge— danken⸗ und Empfindungswelt eingewirkt hat, wie in einem Zuſtande allgemeiner Kultur das ernſte Wiſſen und die zar— teren Anregungen der Phantaſie ſich gegenſeitig zu durchdringen ſtreben. Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu ſchildern, darf man nicht bei den äußeren Erſcheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargeſtellt werden, wie ſie ſich im Inneren des Menſchen abſpiegelt, wie ſie durch dieſen Reflex bald das Nebelland phyſiſcher Mythen mit anmutigen Geſtalten füllt, bald den edlen Keim darſtellender Kunſtthätig— keit entfaltet. Indem wir uns hier auf die einfache Betrachtung der An— regungsmittel zum wiſſenſchaftlichen Naturſtudium beſchränken, erinnern wir zuerſt an die mehrfach ſich wiederholende Er— fahrung, daß oft ſinnliche Eindrücke und zufällig ſcheinende Umſtände in jungen Gemütern die ganze Richtung eines Menſchenlebens beſtimmen. Kindliche Freude an der Form von Ländern und eingeſchloſſenen Meeren, wie ſie auf Karten dargeſtellt ſind; der Hang nach dem Anblick der ſüdlichen Sternbilder, deſſen unſer Himmelsgewölbe entbehrt;! Ab— bildungen von Palmen und libanotiſchen Zedern in einer Bilderbibel können den früheſten Trieb nach Reiſen in ferne Länder in die Seele pflanzen. Wäre es mir erlaubt, eigene Erinnerungen anzurufen, mich ſelbſt zu befragen, was einer unvertilgbaren Sehnſucht nach der Tropengegend den erſten Anſtoß gab, ſo müßte ich nennen: Georg Forſters Schilde— rungen der Südſee-Inſeln; Gemälde von Hodges, die Ganges— ufer darſtellend, im Hauſe von Warren Haſtings zu London; einen koloſſalen Drachenbaum in einem alten Turme des bota— niſchen Gartens bei Berlin. Die Gegenſtände, welche wir hier beiſpielsweiſe aufzählen, gehörten den drei Klaſſen von Anregungsmitteln an, die wir früher bezeichneten: der Natur— beſchreibung, wie ſie einer begeiſterten Anſchauung des Erden— 5 lebens entquillt, der darſtellenden Kunſt als Landſchaftmalerei, und der unmittelbaren objektiven Betrachtung charakteriſtiſcher Naturformen. Dieſe Anregungsmittel üben aber ihre Macht nur da aus, wo der Zuftand moderner Kultur und ein eigen— tümlicher Gang der Geiſtesentwickelung unter Begünſtigung ur— ſprünglicher Anlagen die Gemüter für Natureindrücke empfäng— licher gemacht hat. . Uaturheſchreibung. — Uaturgefühl nach Verſchiedenheit der Zeiten und der Völkerſtämme. Es iſt oftmals ausgeſprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Altertume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls ſparſamer und minder leb— haft geweſen ſei denn in der neueren Zeit. „Wenn man ſich,“ ſagt Schiller in ſeinen Betrachtungen über die naive und ſentimentale Dichtung, „der ſchönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieſes Volk unter ſeinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie ſehr viel näher ſeine Vorſtellungsart, ſeine Empfindungsweiſe, ſeine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derſelben ſeine Dichter: werke ſind, ſo muß die Bemerkung befremden, daß man ſo wenig Spuren von dem ſentimentaliſchen Intereſſe, mit welchem wir Neueren an Naturſzenen und Naturcharakteren hangen können, bei denſelben antrifft. Der Grieche iſt zwar im höchſten Grade genau, treu, umſtändlich in Beſchreibung derſelben, aber mit nicht mehrerem Herzensanteil, als er es in der Beſchrei— bung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüſtung iſt. Die Natur ſcheint mehr ſeinen Verſtand als ſein moraliſches Ge— fühl zu intereſſieren; er hängt nicht mit Innigkeit und ſüßer Wehmut an derſelben wie die Neueren.“ So viel Wahres und Vortreffliches auch im einzelnen in dieſen Aeußerungen liegt, ſo können ſie doch keineswegs auf das ganze Altertum ausgedehnt werden. Auch dürfen wir es wohl eine beſchränkte Anſicht nennen, unter dem Altertum, wenn dasſelbe der neueren Zeit entgegengeſetzt werden ſoll, immer nur aus⸗ ſchließlich die helleniſche und römiſche Welt zu verſtehen. Tiefes Raturgefühl ſpricht ſich in den älteſten Dichtungen der Hebräer SE ee und Inder aus, alſo bei Volksſtämmen ſehr verſchiedener, ſemitiſcher und indogermaniſcher Abkunft. Wir können auf die Sinnesart der alten Völker nur aus den Aeußerungen der Naturgefühle ſchließen, welche in den Ueberbleibſeln ihrer Litteratur ausgeſprochen ſind; wir müſſen daher dieſen Aeußerungen um ſo ſorgfältiger nachſpüren und ſie um ſo vorſichtiger beurteilen, als ſie ſich unter den großen Formen der lyriſchen und epiſchen Dichtung nur ſparſam dar— bieten. In dem helleniſchen Altertum, in dem Blütenalter der Menſchheit, finden wir allerdings den zarteſten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichteriſchen Darſtellungen menſch— licher Leidenſchaft, einer der Sagengeſchichte entnommenen Handlung beigemiſcht; aber das eigentlich Naturbeſchreibende zeigt ſich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechiſchen dane eng ſich alles gleichſam im Kreiſe der Menſchheit ewegt. Beſchreibung der Natur in ihrer geſtaltenreichen Mannig— faltigkeit, Naturdichtung als ein abgeſonderter Zweig der Litteratur war den Griechen völlig fremd. Auch die Land— ſchaft erſcheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menſchliche Geſtalten ſich bewegen. Leidenſchaften in Thaten ausbrechend feſſelten faſt allein den Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen, ſchwärmeriſchen Verſenkung in das ſtille Treiben der Natur; ja den phyſiſchen Erſcheinungen wurde immer eine Beziehung auf die Menſchheit beigelegt, ſei es in den Verhältniſſen der äußeren Geſtaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Faſt nur ſolche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig, unter der ſinnigen Form des Gleichniſſes, als ab— geſonderte kleine Gemälde voll objektiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden. Zu Delphi wurden Frühlingspäaue geſungen, wahr— ſcheinlich beſtimmt, die Freude des Menſchen nach der über— ſtandenen Not des Winters auszudrücken. Eine naturbeſchrei— bende Darſtellung des Winters iſt den Werken und Tagen? des Heſiodus (vielleicht von der fremden Hand eines ſpäteren ioniſchen Rhapſoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didaktiſcher Form gibt dies Gedicht Anweiſungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethiſche Mah— nungen zu tadelloſem Wandel. Es erhebt ſich ebenfalls zu mehr lyriſchem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menſchengeſchlechtes oder die ſchöne allegoriſche Mythe a des Epimethus und der Pandora in ein anthropomorphiſches Gewand einhüllt. Auch in der Theogonie des Heſiodus, die aus ſehr verſchiedenen uralten Elementen zuſammengeſetzt iſt, finden ſich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der Nereiden,“ Naturſchilderungen des neptuniſchen Reiches unter bedeutſamen. Namen mythiſcher Perſonen verſteckt. Die böotiſche Sänger: ſchule und überhaupt die ganze alte Dichtkunſt wenden ſich den Erſcheinungen der Außenwelt zu, um ſie menſchenartig zu perſoniftzieren. Iſt, wie ſoeben bemerkt, Naturbeſchreibung, ſei ſie Dar— ln des Reichtums und der Ueppigkeit tropiſcher Vegetation, ſei ſie lebensfriſche Schilderung der Sitten der Tiere, gadjam nur in der neueſten Zeit ein abgeſonderter Zweig der Litteratur geworden, ſo iſt es nicht als habe da, wo ſo viel Sinnlich— keit atmet, die Empfänglichkeit für das Naturſchöne gemangelt; als müſſe man da, wo die ſchaffende Kraft der Hellenen in der Poeſie und der bildenden Kunſt unnachahmliche Meiſter— werke erzeugte, den lebensfriſchen Ausdruck einer anſchauenden Dichternatur vermiſſen. Was wir, nach dieſer Richtung hin, im Gefühl unſerer modernen Sinnesart, in jenen Regionen der antiken Welt nur zu ſparſam auffinden, bezeugt in ſeiner Negation weniger den Mangel der Empfänglichkeit als den eines regen Bedürfniſſes, das Gefühl des Naturſchönen durch Worte zu offenbaren. Minder der unbelebten Erſcheinungs— welt als dem handelnden Leben und der inneren, ſpontanen Anregung der Gefühle zugewandt, waren die früheſten und auch die edelſten Richtungen des dichteriſchen Geiſtes epiſch und lyriſch. In dieſen Kunſtformen aber könnten Natur: ſchilderungen ſich nur wie zufällig beigemiſcht finden. Sie erſcheinen nicht als geſonderte Erzeugniſſe der Phantaſie. Je mehr der Einfluß der alten Welt verhallte, je mehr ihre Blüten dahin welkten, ergoß ſich die Rhetorik in die beſchrei— bende wie in die belehrende, didaktiſche Poeſie. Dieſe war ernſt, großartig und ſchmucklos in ihrer älteſten philoſophiſchen, halb prieſterlichen Form, als Naturgedicht des Empedokles; ſie verlor allmählich durch die Rhetorik von ihrer Einfachheit und früheren Würde. Möge es uns erlaubt ſein, um das allgemein Geſagte zu erläutern, hier bei einzelnen Beiſpielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheiſcht, finden ſich in den Homeriſchen Geſängen immer nur als Beiwerk die anmutigſten Szenen des Naturlebens. „Der Hirte freut ſich der Wind— we 3 Adfart eig ftille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeſchwollenen, Eichenſtämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldſtromes.“ Mit der großartigen Schilderung der Waldeinſamkeit des Parnaſſos und ſeiner dunkeln, dicht— belaubten Felsthäler kontraſtieren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäakeninſel Scheria, und vor allem das Land der Cyklopen, „wo ſchwellend von ſaftreichem wogendem Graſe die Auen den ungepflegten Reben— hügel umgrenzen.““ Pindaros beſingt in einem Frühlings— dithyrambus, den er zu Athen hat aufführen laſſen, „die mit neuen Blüten bedeckte Erde, wenn in der Argeiſchen Nemea der ſich zuerſt entwickelnde Sprößling des Palmbaumes dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt“; er beſingt den Aetna, „die Säule des Himmels, Nährerin dauernden Schnees“; aber eilend wendet er ſich ab von der toten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syrakus zu feiern und die ſiegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perſer. Vergeſſen wir nicht, daß die griechiſche Landſchaft den eigentümlichen Reiz einer innigeren Verſchmelzung des Starren und Flüſſigen, des mit Pflanzen geſchmückten oder maleriſch felſigen, luftgefärbten Ufers und des wellenſchlagen— den, lichtwechſelnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben wie zwei getrennte Sphären der Natur erſchienen ſind, ſo ward dagegen den Hellenen, und nicht etwa bloß den Inſel— bewohnern, ſondern auch den Stämmen des ſüdlichen Feſt— landes, faſt überall gleichzeitig der Anblick deſſen, was im Kontakt und durch Wechſelwirkung der Elemente dem Natur— bilde ſeinen Reichtum und ſeine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene ſinnigen, glücklich geſtimmten Völker nicht ſollen angeregt werden von der Geſtalt waldbegrenzter Fels— rippen an den tief eingeſchnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem ſtillen nach Jahreszeit und Tagesſtunden wechſeln— den Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des \ Luftkreiſes, von der Verteilung der vegetabiliſchen Geſtalten? Wie ſollte in dem Zeitalter, wo die dichteriſche Stimmung die höchſte war, ſich nicht jegliche Art lebendiger ſinnlicher Regung des Gemütes in idealiſche Anſchauung auflöſen? Der Grieche dachte ſich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythiſcher Beziehung mit den Heroen und Göttern. Dieſe rächten TE > ſtrafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichſam die vegetabiliſchen Ge— ſtalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigentümlichkeit griechiſcher Geiſtesentwickelung das Alter— tum ſich beſchränkte, geſtatteten dem naturbeſchreibenden Teile nur eine mäßige Entfaltung. Einzeln bricht indes ſelbſt bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenſchaft und wehmütiger Gefühle ein tiefer Naturſinn in begeiſterte Schilderungen der Land— ſchaft aus. Wenn Oedipus ſich dem Haine der Eumeniden naht, ſingt der Chor „den edeln Ruheſitz des glanzvollen Kolonos, wo die melodiſche Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt“; er ſingt „die grünende Nacht der Epheugebüſche, die von himmliſchem Tau getränkten Narziſſen, den goldſtrahlenden Krokos und den unvertilgbaren, ſtets ſelber ſich wiedererzeugenden Oelbaum“.“ Indem Sophokles ſeinen Geburtsort, den Gau von Kolonos, zu verherrlichen ſtrebt, ſtellt er die hohe Geſtalt des ſchickſalverfolgten, herum— irrenden Königs an die ſchlummerloſen Gewäſſer des Kephiſſos, von heiteren Bildern ſanft umgeben. Die Ruhe der Natur vermehrt den Eindruck des Schmerzes, welchen die hehre Ge— ſtalt des Erblindeten, das Opfer verhängnisvoller Leidenſchaft, hervorruft. Auch Euripides! gefällt ſich in der maleriſchen Beſchreibung von „Meſſeniens und Lakoniens Triften, die, unter dem ewig milden Himmel, durch tauſend Quellenbrunnen genährt, von dem ſchönen Pamiſos durchſtrömt werden“. Die bukoliſche Dichtung, in den Gefilden von Sizilien entſtanden und zum Dramatiſchen volkstümlich hingeneigt, führt mit Recht den Namen einer Uebergangsform. Sie ſchildert im kleinen Hirtenepos mehr den Naturmenſchen als die Landſchaft. So erſcheint ſie in ihrer anmutigſten Voll— endung, in Theokrit. Ein weiches, elegiſches Element iſt übrigens dem Idyll eigen, gleichſam als wäre es „aus der Sehnſucht nach einem verlorenen Ideal“ entſtanden, als ſei immerdar in der Bruſt des Menſchen dem tiefen Naturgefühl eine gewiſſe Wehmut beigemiſcht. Wie nun mit dem freien Volksleben die Poeſie in Hellas erſtarb, wurde dieſe beſchreibend, didaktiſch, eine Trägerin des Wiſſens. Sternkunde, Erdbeſchreibung, Jagd und Fiſchfang treten auf in der alexandriniſchen Zeit als Gegenſtände der Dichtkunſt, oft geziert durch eine ſehr vorzügliche metriſche Technik. Die Geſtalten und Sitten der Tierwelt werden mit 1 Anmut und oft mit einer Genauigkeit geſchildert, daß die neuere klaſſifizierende Naturkunde Gattungen und ſelbſt Arten in den Beſchreibungen erkennen kann. Es fehlt aber allen dieſen Dichtungsarten das innere Leben, eine begeiſterte An— ſchauung der Natur, das, wodurch die Außenwelt dem an— geregten Dichter faſt unbewußt ein Gegenſtand der Phantaſie wird. Das Uebermaß des beſchreibenden Elementes findet ſich in den durch kunſtreichen Versbau ausgezeichneten 48 Geſängen der Dionysiaca des Aegyptiers Nonnus. Der Dichter ge: fällt ſich in der Darſtellung großer Naturumwälzungen, er läßt durch ein vom Blitz entzündetes Waldufer im Flußbette des Hydaspes ſelbſt die Fiſche verbrennen; er lehrt, wie auf— ſteigende Dämpfe den meteorologiſchen Prozeß des Gewitters und eines elektriſchen Regens erzeugen. Zur romantiſchen Poeſie hingeneigt, iſt Nonnus von Panopolis wunderſam un— gleich, bald begeiſtert und anregend, bald langweilig und wortreich. Mehr Naturgefühl und Zartheit der Empfindung offen— baren ſich in einzelnen Teilen der griechiſchen Blumenleſe (Anthologie), welche auf ſo verſchiedenen Wegen und aus verſchiedenen Zeiten zu uns gelangt iſt. In der anmutigen Ueberſetzung von Jacobs iſt alles, was das Tier- und Pflanzen— leben betrifft, in eine Abteilung vereinigt. Es ſind kleine Bilder, meiſt nur Anſpielungen auf individuelle Formen. Die Platane, welche „in ihrem Gezweige die moſtſchwellende Traube ernährt“, und aus Kleinaſien über die Inſel des Diomedes erſt unter Dionyſius dem älteren bis zu den Ufern des ſiziliſchen Anapus vordrang, wird vielleicht nur zu oft be— ſungen; doch ſcheint im ganzen der antike Sinn in dieſen Liedern und Epigrammen mehr der Tier- als der Pflanzen— welt zugewandt. Eine edle und zugleich etwas größere Kom— poſition iſt das Frühlingsidyllium des Meleager von Gadara in Gölefyrien. ? Schon des alten Rufes der Gegend wegen muß ich der Schilderung des Waldthales von Tempe erwähnen, welche Aelian? wahrſcheinlich nach dem Vorbilde des Dicäarchus entworfen hat. Es iſt das Ausführlichſte, was uns von Naturbeſchreibungen aus den griechiſchen Proſaikern erhalten iſt, topographiſch freilich, aber doch auch maleriſch zugleich; denn das ſchattige Thal wird belebt durch den pythiſchen Aufzug (theoria), „welcher vom heiligen Lorbeer die ſühnen— den Zweige bricht“. In der ſpäten byzantiniſchen Zeit, ſeit — 12 dem Ende des vierten Jahrhunderts, ſehen wir landwirtſchaft⸗ liche Schilderungen ſchon häufiger in die Romane der griechi— ſchen Proſaiker eingewebt. Durch dieſe Schilderungen zeichnet ſich der Schäferroman des Longus aus, in welchem aber doch zarte Lebensbilder den Ausdruck der Naturgefühle weit übertreffen. Es war nicht der Zweck dieſer Blätter, mehr zu liefern, als was durch ſpezielle Erinnerung an einzelne Kunſtformen die allgemeinen Betrachtungen über die dichteriſche Auffaſſung der Außenwelt zu erläutern vermag. Ich würde ſchon den Blütenkreis des helleniſchen Altertums verlaſſen, wenn in einem Werke, dem ich gewagt, den Namen Kosmos vorzu— ſetzen, mit Stillſchweigen die Naturſchilderung übergangen werden dürfte, mit der das pſeudo⸗ariſtoteliſche Buch vom Kosmos (oder von der Weltordnung) anhebt. Es zeigt uns dieſelbe „den Erdball mit üppigem Pflanzenwuchſe ge— ſchmückt, reich bewäſſert und (als das Preiswürdigſte) von denkenden Weſen bewohnt“. Die rhetoriſche Färbung eines ſo reichen Naturbildes, der konziſen und rein wiſſenſchaftlichen Darſtellungsweiſe des Stagiriten völlig unähnlich, iſt ſelbſt als eines der vielen Zeichen der Unechtheit jener Schrift über den Kosmos erkannt worden. Mag ſie immerhin dem Appulejus“ oder dem Chryſippus oder wem ſonſt zu⸗ gehören! Die naturbeſchreibende Stelle, die wir als arifio- teliſch entbehren, wird uns gleichſam durch eine andere echte erſetzt, welche Cicero uns erhalten hat. Aus einem ver⸗ lorenen Werke des Ariſtoteles führt dieſer in wörtlicher Ueber— tragung! folgendes an: „Wenn es Weſen gäbe, die in den Tiefen der Erde immerfort in Wohnungen lebten, welche mit Statuen und Gemälden und allem dem verziert wären, was die für glücklich Gehaltenen in reicher Fülle beſitzen; wenn dann dieſe Weſen Kunde erhielten von dem Walten und der Macht der Götter, und durch die geöffneten Erdſpalten aus jenen verborgenen Sitzen herausträten an die Orte, die wir bewohnen; wenn ſie urplötzlich Erde und Meer und das Himmelsgewölbe erblickten, den Umfang der Wolken und die Kraft der Winde erkennten, die Sonne bewunderten in ihrer Größe, Schönheit und lichtausſtrömenden Wirkung; wenn ſie endlich, ſobald die einbrechende Nacht die Erde in Finſternis hüllt, den Sternenhimmel, den lichtwechſelnden Mond, den Auf- und Untergang der Geſtirne und ihren von Ewigkeit her geordneten unveränderlichen Lauf erblickten, ſo würden r — 13 — ſie wahrlich ausſprechen, es gebe Götter und ſo große Dinge ſeien ihr Werk.“ Man hat mit Recht geſagt, daß dieſe Worte allein ſchon hinreichen, Ciceros Ausſpruch über „den goldenen Strom der ariſtoteliſchen Rede“ zu bewähren, daß in ihnen etwas von der begeiſternden Kraft des platoniſchen Genius weht. Ein ſolcher Beweis für das Daſein himmliſcher Mächte aus der Schönheit und unendlichen Größe der Werke der Schöpfung ſteht in dem Altertum ſehr vereinzelt da. Was wir, ich ſage nicht in der Empfänglichkeit des grie— chiſchen Volkes, ſondern in den Richtungen ſeiner litterariſchen Produktivität vermiſſen, iſt noch ſparſamer bei den Römern zu finden. Eine Nation, die nach alter ſikuliſcher Sitte dem Feldbau und dem Landleben vorzugsweiſe zugethan war, hätte zu anderen Hoffnungen berechtigt; aber neben ſo vielen An— lagen zur praktiſchen Thätigkeit war der Volkscharakter der Römer in ſeinem kalten Ernſte, in ſeiner abgemeſſenen, nüch— ternen Verſtändigkeit, ſinnlich weniger erregbar, der alltäg— lichen Wirklichkeit mehr als einer idealiſierenden dichteriſchen Naturanſchauung hingegeben. Dieſe Unterſchiede des inneren Lebens der Römer und der griechiſchen Stämme ſpiegeln ſich ab in der Litteratur, als dem geiſtigen Ausdruck alles Volks— ſinnes. Zu ihnen geſellt ſich noch, trotz der Verwandtſchaft in der Abſtammung, die anerkannte Verſchiedenheit in dem organiſchen Bau der beiden Sprachen. Der Sprache des alten Latium wird mindere Bildſamkeit, eine beſchränktere Wort— fügung, „eine mehr realiſtiſche Tendenz“ als idealiſtiſche Be— weglichkeit zugeſchrieben. Dazu konnte im auguſteiſchen Zeit— alter der entfremdende Hang, griechiſchen Vorbildern nachzu— ſtreben, den Ergießungen heimiſcher Gemütlichkeit und eines freien Naturgefühls hinderlich werden; aber, von Vaterlands— liebe getragen, wußten kräftige Geiſter durch ſchöpferiſche In— dividualität, durch Erhabenheit der Ideen, wie durch zarte Anmut der Darſtellung jene Hinderniſſe zu überwinden. Reichlich mit poetiſchem Genius ausgeſtattet iſt das be— geiſterte Naturgedicht des Lucretius. Es umfaßt den ganzen Kosmos; dem Empedokles und Parmenides verwandt, erhöht die archaiſtiſche Diktion den Ernſt der Darſtellung. Die Poeſie iſt hier tief mit der Philoſophie verwachſen, ohne deshalb in die „Froſtigkeit“ der Kompoſition zu verfallen, welche, gegen die phantaſiereiche Naturanſicht Platos abſtechend, ſchon von dem Rhetor Menander in dem über die phyſiſchen Hymnen gefällten Urteil jo bitter getadelt wird.!“ Mein Bruder hat — 1 mit vielem Scharfſinn die auffallenden Analogieen und Ver— ſchiedenheiten entwickelt, welche aus der Verwachſung meta⸗ Dope Abſtraktionen mit der Poeſie in den alten griechiſchen Lehrgedichten, in dem des Lucretius und in der Epiſode Bhagavad⸗Gita, aus dem indiſchen Epos Mahabharata! ent⸗ ſtanden ſind. Das große phyſiſche Weltgemälde des römiſchen Dichters kontraſtiert in ſeiner erkältenden Atomiſtik und ſeinen oft wilden geognoſtiſchen Träumen mit ſeiner lebensfriſchen Schilderung von dem Uebergange des Menſchengeſchlechtes aus dem Dickicht der Wälder zum Feldbau, zur Beherrſchung der Naturkräfte, zur erhöhten Kultur des Geiſtes und alſo auch der Sprache zur bürgerlichen Geſittung. Wenn bei einem Staatsmann, in einem bewegten und vielbeſchäftigten Leben, in einem durch politiſche Leidenſchaft aufgeregten Gemüte, lebendiges Naturgefühl und Liebe zu ländlicher Einſamkeit ſich erhalten, ſo liegt die Quelle davon in den Tiefen eines großen und edlen Charakters. Ciceros eigene Schriften bezeugen die Wahrheit dieſer Behauptung. Allerdings iſt, wie allgemein bekannt, in dem Buche von den Geſetzen und in dem vom Redner manches dem Phädrus des Plato nachgebildet; das italiſche Naturbild hat aber darum nichts von ſeiner Individualität verloren. Plato preiſt in allgemeinen Zügen den „dunkeln Schatten der hoch— belaubten Platane, die Kräuterfülle in vollem Dufte der Blüten, die Lüfte, welche ſüß und ſommerlich in den Chor der Cikaden wehen“. In Ciceros kleinem Naturbilde iſt, wie noch neuerlichſt ein ſinniger Forſcher “e bemerkt hat, alles jo dargeſtellt, wie man es heute noch in der wirklichen Land⸗ ſchaft wiederfindet. Den Liris ſehen wir von hohen Pappeln beſchattet; man erkennt, wenn man von dem ſteilen Berge hinter der alten Burg von Arpinum gegen Oſten hinabſteigt, den Eichenhain am Bache Fibrenus; wie die Inſel, jetzt Isola di Carnello genannt, welche durch die Teilung des Flüßchens entſteht und in die Cicero ſich zurückzog, um, wie er ſagt, „ſeinen Meditationen nachzuhangen, zu leſen oder zu ſchreiben“. Arpinum am volskiſchen Gebirge war des großen Staatsmannes Geburtsſitz, und die herrliche Umgebung hat gewiß auf ſeine Stimmung im Knabenalter gewirkt. Dem Menſchen unbewußt geſellt ſich früh, was die umgebende, mehr oder minder anregende Natur in der Seele abſpiegelt, zu dem, was tief und frei in den urſprünglichen Anlagen, in den inneren geiſtigen Kräften gewurzelt iſt. * Mitten unter den verhängnisvollen Stürmen des Jahres 708 (nach Erbauung der Stadt) fand Cicero Troſt in ſeinen Villen, abwechſelnd in Tusculum, in Arpinum, bei Cumä und Antium. „Nichts iſt erfreulicher,“ ſchreibt er an Atticus, „als dieſe Einſamkeit; nichts anmutiger als dieſer Landſitz, als das nahe Ufer und der Blick auf das Meer. — In der Einöde der Inſel Aſtura, an der Mündung des gleichnamigen Fluſſes, am Ufer des tyrrheniſchen Meeres, ſtört mich kein Menſch; und wenn ich mich frühmorgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlaſſe ich denſelben vor Abend nicht. Nächſt meinem Atticus iſt mir nichts ſo lieb als die Einſamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wiſſenſchaften, doch wird dieſer oft durch Thränen unter— brochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, ſoviel ich es vermag; aber noch bin ich ſolch einem Kampfe nicht ge— wachſen.“ Man hat mehrfach bemerkt, daß in dieſen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sen— timentalität nicht zu verkennen ſeien. Ich finde darin nur Anklänge tiefer Gemütlichkeit, die in jedem Zeitalter, bei jedem Volksſtamme aus dem ſchmerzlich beklommenen Buſen emporſteigen. Die Kenntnis der großen Dichterwerke des Virgil, des Horatius und des Tibullus iſt mit der allgemeinen Verbrei— tung der römiſchen Litteratur ſo innigſt verwebt, daß es über— flüſſig wäre, hier bei einzelnen Zeugniſſen des zarten und immer regen Naturgefühls, das einige dieſer Werke belebt, zu verweilen. In Virgils Nationalepos konnte nach der Natur dieſer Dichtung die Beſchreibung des Landſchaftlichen allerdings nur als Beiwerk erſcheinen und einen ſehr kleinen Raum einnehmen. Individuelle Auffaſſung beſtimmter Lokali— täten!“ bemerkt man nicht, wohl aber in mildem Farbenton ein inniges Verſtändnis der Natur. Wo iſt das ſanfte Spiel der Meereswogen, wo die Ruhe der Nacht glücklicher beſchrieben? Wie kontraſtieren mit dieſen heiteren Bildern die kräftigen Darſtellungen des einbrechenden Ungewitters im erſten Buche vom Landbau, der Meerfahrt und Landung bei den Stro— phaden, des Felſenſturzes oder des flammenſprühenden Aetnas in der Aeneis! Von Ovidius hätten wir als Frucht ſeines langen Aufenthaltes in den Ebenen von Tomi (in Untermöſien) eine dichteriſche Naturbeſchreibung der Steppen erwarten können, deren keine aus dem Altertum auf uns gekommen iſt. Der Verbannte ſah freilich nicht die Art von Steppen, welche im 2 Sommer mit vier bis ſechs Fuß hohen, ſaftreichen Kräutern dicht bedeckt ſind und bei jedem Windeshauch das anmutige Bild bewegter Blütenwellen darbieten; der Verbannungsort des Ovidius war ein ödes ſumpfreiches Steppenland, und der gebrochene Geiſt des unmännlich Klagenden war mit Er— innerungen an die Genüſſe der geſelligen Welt, an die politiſchen Ereigniſſe in Rom, nicht mit der Anſchauung der ihn um— ebenden ſkythiſchen Einöde erfüllt. Als Erſatz hat uns der Benni, jeder lebensfriſchen Darſtellung jo mächtige Dichter neben den, freilich nur zu oft wiederholten, allgemeinen Schil— derungen von Höhlen, Quellen und „ſtillen Mondnächten“ eine überaus individualiſierte, auch geognoſtiſch wichtige Be— ſchreibung des vulkaniſchen Ausbruches bei Methone, zwiſchen Epidaurus und Trözen, gegeben. Es iſt dieſer Beſchreibung ſchon an einem anderen Orte, in dem Naturgemälde,““ gedacht. Ovidius zeigt uns, „wie durch der eingezwängten Dämpfe Kraft der Boden gleich einer luftgefüllten Blaſe, gleich dem Fell des zweigehörnten Bockes anſchwillt und ſich als ein Hügel erhebt“. Am meiſten iſt zu bedauern, daß Tibullus keine große naturbeſchreibende Kompoſition von individuellem Charakter hat hinterlaſſen können. Unter den Dichtern des auguſteiſchen Zeitalters gehört er zu den wenigen, die, der alexandriniſchen Gelehrſamkeit glücklicherweiſe fremd, der Einſamkeit und dem Landleben ergeben, gefühlvoll und darum einfach, aus eigener Quelle ſchöpften. Elegieen müſſen freilich als Sittenbilder be— trachtet werden, in welchen die Landſchaft den Hintergrund bildet; aber die Feldweihe und die ſechſte Elegie des erſten Buches lehren, was von Horazens und Meſſalas Freund wäre zu erwarten geweſen. Lucanus, der Enkel des Rhetors M. Annäus Seneca, iſt dieſem freilich durch redneriſchen Schmuck der Diktion nur zu ſehr verwandt; doch finden wir bei ihm ein vortreffliches und naturwahres Gemälde von der Zerſtörung des Druiden— waldes an dem jetzt baumloſen Geſtade von Marſeille. Die gefällten Eichenſtämme erhalten ſich ſchwebend aneinander ge— lehnt; entblättert laſſen fie den erſten Lichtſtrahl in das ſchauer— volle, heilige Dunkel dringen. Wer lange in den Wäldern der Neuen Welt gelebt, fühlt, wie lebendig mit wenigen Zügen der Dichter die Ueppigkeit eines Baumwuchſes ſchildert, deſſen rieſenmäßige Reſte noch in einigen Torfmooren von Frank— reich begraben liegen. In dem didaktiſchen Gedichte Aetna 1 des Lucilius Junior, eines Freundes des L. Annäus Seneca, ſind allerdings die Ausbruchserſcheinungen eines Vulkans mit Wahrheit geſchildert; aber die Auffaſſung iſt ohne Indi— vidualität, mit viel minderer, als wir ſchon oben!“ an dem Aetna, dialogus, des jungen Bembo gerühmt haben. Als endlich die Dichtkunſt in ihren großen und edelſten Formen, wie erſchöpft, dahinwelkte, ſeit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, waren die poetiſchen Beſtrebungen, vom Zauber ſchöpferiſcher Phantaſie entblößt, auf die nüch— ternen Realitäten des Wiſſens und des Beſchreibens gerichtet. Eine gewiſſe redneriſche Ausbildung des Stils konnte nicht erſetzen, was an einfachem Naturgefühl und idealiſierender Be— geiſterung abging. Als Erzeugnis dieſer unfruchtbaren Zeit, in der das poetiſche Element nur wie ein zufälliger äußerer Schmuck des Gedankens erſcheint, nennen wir das Moſel— gedicht des Auſonius. Im aquitaniſchen Gallien geboren, 1225 der Dichter dem Feldzuge Valentinians gegen die Ale— mannen beigewohnt. Die Mosella, in dem alten Trier ge— dichtet, beſingt in einzelnen Stellen!“ nicht ohne Anmut die ſchon damals rebenbepflanzten Hügel eines der ſchönſten Ströme unſeres vaterländiſchen Bodens; aber die nüchterne Topographie des Landes, die Aufzählung der der Moſel zuſtrömenden Bäche, die Charakteriſtik der Fiſchgattungen in Geſtalt, Farbe und Sitten ſind Hauptgegenſtände dieſer ganz didaktischen Kom— poſition. In den römiſchen Proſaikern, unter denen wir ſchon oben einige denkwürdige Stellen des Cicero angeführt haben, ſind Naturbeſchreibungen ebenſo ſelten als in den griechiſchen. Nur die großen Hiſtoriker Julius Cäſar, Livius und Tacitus bieten einzelne Beiſpiele dar, wo ſie veranlaßt ſind, Schlacht— felder, Uebergänge von Flüſſen oder unwegbare Bergpäſſe zu beſchreiben; da, wo ſie das Bedürfnis fühlen, den Kampf der Menſchen mit Naturhinderniſſen zu ſchildern. In den Annalen des Tacitus entzücken mich die Beſchreibung der un— glücklichen Schiffahrt des Germanicus auf der Ems (Amisia) und die großartige geographiſche Schilderung der Bergketten von Syrien und Paläſtina.! Curtius!“ hat uns ein ſchönes Naturbild von einer waldigen Wildnis hinterlaſſen, die das macedoniſche Heer weſtlich von Hekatompylos in dem feuchten Mazenderan durchziehen mußte. Ich würde desſelben hier ausführlicher erwähnen, wenn man mit einiger Sicherheit unterſcheiden könnte, was ein Schriftſteller, deſſen Zeitalter A. v. Humboldt, Kosmos. II. 2 — Ba ner fo ungewiß it, aus ſeiner lebhaften Phantaſie, was er aus hiſtoriſchen Quellen geſchöpft hat. Des großen eneyklopädiſchen Werkes des älteren Plinius, dem an Reichtum des Inhalts kein anderes Werk des Alter— tums gleichkommt, wird ſpäterhin, in der Geſchichte der— Weltanſchauung, gedacht werden. Es iſt, wie der Neffe (der jüngere Plinius) ſich ſchön ausdrückt, „mannigfach wie die Natur“. Ein Erzeugnis des unwiderſtehlichen Hanges zu allumfaſſendem, oft unfleißigem Sammeln; im Stile un— gleich, bald einfach und aufzählend, bald gedankenreich, leben— dig und rhetoriſch geſchmückt iſt die Naturgeſchichte des älteren Plinius, ſchon ihrer Form wegen, an individuellen Natur: ſchilderungen arm; aber überall, wo die Anſchauung auf ein großartiges Zuſammenwirken der Kräfte im Weltall, auf den wohlgeordneten Kosmos (Naturae majestas) gerichtet iſt, kann eine wahre, aus dem Inneren quellende Hege nicht verkannt werden. Das Werk hat auf das ganze Mittel⸗ alter mächtig nachgewirkt. Als Beweiſe des Naturgefühls bei den Römern würden wir gern auch die anmutig gelegenen Villen auf dem Pincius, bei Tusculum und Tibur, am Vorgebirge Miſenum, bei Puteoli und Bajä anführen, wenn ſie nicht, wie die des Scaurus und Mäcenas, des Lucullus und des Hadrian, mit Prachtgebäuden überfüllt geweſen wären. Tempel, Theater und Rennbahnen wechſelten ab mit Vogelhäuſern und Ge— bäuden, der Zucht von Schnecken und Haſelmäuſen beſtimmt. Seinen allerdings einfacheren Landſitz zu Liternum hatte der ältere Scipio feſtungsartig mit Türmen umgeben. Der Name eines Freundes des Auguſtus (Matius) iſt uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerſt die Sitte des Beſchneidens der Bäume aufbrachte, um ſie nach architektoniſchen und plaſtiſchen Vorbildern kunſtmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmutige Beſchreibungen zweier?“ ſeiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beſchnittenem Buxus umgeben, mehr zuſammengedrängt findet, als nach unſerem Naturgefühl zu wünſchen wäre, ſo beweiſen doch dieſe Schilderungen, wie die Nachahmung des Thales von Tempe in der tiburtiniſchen Villa des Hadrian, daß neben der Liebe zur Kunſt, neben der ängſtlichſten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuſer nach Verhältnis zur Sonne und zu vorherrſchenden Winden auch Liebe zu freiem Genuß a re der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude ſetzen wir hinzu, daß dieſer Genuß auf den Yand- gütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklaven— elendes minder geſtört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrteſten ſeiner Zeit, er hatte auch, was im Altertum wenigſtens ſelten ausgedrückt iſt, rein menſchliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksklaſſen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Feſſeln; der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er ſich erworben. Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn ſie ſich am Abend oder am frühen Morgen röten, von der Schönheit des blauen Gletſchereiſes, von der großartigen Natur der ſchweizeriſchen Landſchaft iſt keine Schilderung aus dem Alter— tum auf uns gekommen, und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle dieſe Reiſenden wiſſen nur über die unfahrbaren ſcheußlichen Wege zu klagen; das Romantiſche der Naturſzenen beſchäftigte ſie nie. Es iſt ſogar bekannt, daß Julius Cäſar, als er zu ſeinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um „während des Ueberganges über die Alpen“ eine grammatiſche Schrift de analogia anzufertigen.?! Silius Italicus (er ſtarb unter Trajan, wo die Schweiz ſchon ſehr angebaut war) beſchreibt die Alpengegend als eine ſchreckenerregende, vegetationsloſe Einöde, während er mit Liebe alle Felſenſchluchten Italiens und die buſchigen Ufer des Liris (Garigliano) beſingt. Auf— fallend iſt dabei, daß der wunderſame Anblick gegliederter Baſaltſäulen, wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei ſie in vielfältigen Gruppen darbieten, die Römer zu keiner Beſchreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat. Während die Gefühle abſtarben, welche das klaſſiſche Altertum belebten und den Geiſt auf Handlung und Aeuße— rung menſchlicher Thatkraft, nicht auf Zuſtände und Be— ſchauung der Außenwelt leiteten, gewann eine neue Sinnes— art Raum. Es verbreitete ſich allmählich das Chriſtentum; und wie dieſes, ſelbſt wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen Freiheit des Menſchengeſchlechtes für die niederen Volksklaſſen wohlthätig wirkte, ſo erweiterte es auch den Blick in die freie Natur. Das Auge haftete nicht 15 an den Geſtalten der olympiſchen Götter; der Schöpfer (ſo lehren es die Kirchenväter in ihrer — 989 — kunſtgerechten, oft dichteriſch phantaſiereichen Sprache) zeigt ſich groß in der toten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im ſtillen Treiben der organiſchen Entfaltung. Bei der allmählichen Auflöſung der römiſchen Weltherrſchaft verſchwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die ſchöpferiſche Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diktion; ſie verſchwinden zuerſt in den lateiniſchen Ländern, ſpäter auch in dem griechiſchen Oſten. Hang zur Einſamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Verſenkung des Gemütes wird ſichtbar; ſie wirkt gleich— zeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Stiles. Wenn ſich auf einmal etwas Neues in den Gefühlen der Menſchen zu entwickeln ſcheint, ſo kann faſt immer ein früher, tiefliegender Keim wie vereinzelt aufgeſpürt werden. Die Weichheit des Mimnermos hat man oft eine ſentimentale Richtung des Gemütes genannt. Die alte Welt iſt nicht ſchroff von der neueren geſchieden; aber Veränderungen in den religiöſen Ahnungen der Menſchheit, in den zarteſten ſittlichen Gefühlen, in der ſpeziellen Lebensweiſe derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Maſſen ausüben, machten plötzlich vorherrſchend, was früher der Aufmerkſamkeit ent— gehen mußte. Die chriſtliche Richtung des Gemütes war die, aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweiſen. Eine ſolche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeſchreibungen. Die früheſten und ausführlichſten finden wir bei einem Zeitgenoſſen des Tertullianus und Philoſtratus, bei einem rhetoriſchen Sach— walter zu Rom, Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts. Man folgt ihm gern im Dämmerlichte an den Strand bei Oſtia, den er freilich maleriſcher und der Geſundheit zuträglicher ſchildert, als wir ihn jetzt finden. In dem religiöſen Geſpräch Oetavius wird der neue Glaube gegen die Einwürfe eines heidniſchen Freundes mutvoll ver— teidigt. Es iſt hier der Ort, aus den griechiſchen Kirchenvätern einige Naturſchilderungen fragmentariſch einzuſchalten, da ſie meinen Leſern gewiß weniger bekannt ſind, als was aus der römiſchen Litteratur uns die altitaliſche Liebe zum Landleben überliefert hat. Ich beginne mit einem Briefe Baſilius des Großen, für den ich lange ſchon eine beſondere Vorliebe hege. Aus Cäſarea in Kappadokien gebürtig, hatte Baſilius, nicht ==), viel über dreißig Jahre alt, dem heiteren Leben zu Athen entſagt, auch ſchon die chriſtlichen Einſiedeleien in Cöleſyrien und Oberägypten beſucht, als er ſich nach Art der vorchriſt— lichen Eſſener und Therapeuten in eine Wildnis am armeni— ſchen Fluſſe Iris zurückzog. Dort war fein zweiter Bruder ?? Naucratius nach fünfjährigem ſtrengen Anachoretenleben beim Fiſchen ertrunken. „Ich glaube endlich,“ ſchreibt er an Gregorius von Nazianz, „das Ende meiner Wanderungen zu finden. Die Hoffnung, mich mit Dir zu vereinigen, ich ſollte ſagen, meine ſüßen Träume (denn mit Recht hat man Hoffnungen Träume des wachenden Menſchen genannt), ſind unerfüllt geblieben. Gott hat mich einen Ort finden laſſen, wie er uns beiden oft in der Einbildungskraft vorgeſchwebt. Was dieſe uns in weiter Ferne gezeigt, ſehe ich jetzt vor mir. Ein hoher Berg, mit dichter Waldung bedeckt, iſt gegen Norden von friſchen, immerfließenden Waſſern befeuchtet. Am Fuße des Berges dehnt ſich eine weite Ebene hin, fruchtbar durch die Dämpfe, die ſie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem ſich viel— artige Bäume zuſammendrängen, ſchließt mich ab wie in eine feſte Burg. Die Einöde iſt von zwei tiefen Thalſchluchten begrenzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom Berge ſchäumend herabſtürzt, ein ſchwer zu überſchreitendes Hindernis, auf der anderen verſchließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte iſt auf dem Berggipfel ſo ge— legen, daß ich die weite Ebene überſchaue, wie den ganzen Lauf des Iris, welcher ſchöner und waſſerreicher iſt, als der Strymon bei Amphypolis. Der Fluß meiner Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht ſich an der vorſpringenden Felswand und wälzt ſich ſchäumend in den Abgrund, dem Bergwanderer ein anmutiger, wundervoller Anblick, den Ein— gebornen nutzbar zu reichlichem Fiſchfang. Soll ich Dir be— ſchreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde, die kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Waſſer— ſpiegel aufſteigen? Soll ich reden von dem lieblichen Geſang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor allem reizt, iſt die ſtille Ruhe der Gegend. Sie wird bis— weilen nur von Jägern beſucht, denn meine Wildnis nährt Hirſche und Herden wilder Ziegen, nicht eure Bären und eure Wölfe. Wie möchte ich einen anderen Ort mit dieſem vertauſchen! Alkmäon, nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren.“ ?” Es ſprechen ſich in dieſer einfachen Schilderung der Landſchaft und des Waldlebens ee Gefühle aus, welche ſich mit der modernen Zeit inniger ver: ſchmelzen als alles, was uns aus dem griechiſchen und römi— ſchen Altertume überkommen iſt. Von der einſamen Berg⸗ hütte, in die Baſilius ſich zurückgezogen, ſenkt ſich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief Regie Waldes. Der Ruheſitz, nach welchem er und ſein Freund Gregorius von Nazianz?“ jo lange ſich geſehnt, iſt endlich gefunden. Die dichteriſch mythiſche Anſpielung am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt in die chriſtliche herüberſchallt. Auch des Baſilius Homilien über das Hexaemeron zeugen von ſeinem Naturgefühl. Er beſchreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinaſien, wo, wie er ſich ausdrückt, die Sterne, „die ewigen Blüten des Himmels“, den Geiſt des Menſchen vom Sichtbaren zum Unſichtbaren erheben.? Wenn er in der Sage von der Weltſchöpfung die „Schönheit des Meeres“ preiſen will, ſo beſchreibt er den Anblick der grenzen⸗ loſen Fläche in ihren verſchiedenen, wechſelnden Zuſtänden, „wie ſie, vom Hauch der Lüfte ſanft bewegt, vielfarbig, bald weißes, bald blaues, bald rötliches Licht zurückwirft; wie ſie die Küſte liebkoſt in ihren friedlichen Spielen“. Dieſelbe ſentimental⸗ ſchwermütige, der Natur zugewandte Stimmung finden wir bei Gregorius von Nyſſa, dem Bruder des Großen Baſilius. „Wenn ich,“ ruft er aus, „jeden Felſenrücken, jeden Thalgrund, jede Ebene mit neuentſproſſenem Graſe be— deckt ſehe, dann den mannigfaltigen Schmuck der Bäume und zu meinen Füßen die Lilien, doppelt von der Natur aus⸗ geſtattet mit Wohlgeruch und Farbenreiz, wenn ich in der Ferne ſehe das Meer, zu dem hin die wandelnde Wolke führt, ſo wird mein Gemüt von Schwermut ergriffen, die nicht ohne Wonne iſt. Verſchwinden dann im Herbſte die Früchte, fallen die Blätter, ſtarren die Aeſte des Baumes, ihres Schmuckes beraubt, fo verſenken wir uns (bei dem ewig und regelmäßig wiederkehrenden Wechſel) in den Einklang der Wunderkräfte der Natur. Wer dieſe mit dem ſinnigen Auge der Seele durchſchaut, fühlt des Menſchen Kleinheit bei der Größe des Weltalls.“ “ Leitete eine ſolche Verherrlichung Gottes in liebevoller Anſchauung der Natur die chriſtlichen Griechen zu dichteriſchen Naturſchilderungen, ſo waren ſie dabei auch immer, in den früheren Zeiten des neuen Glaubens, nach der Eigentümlich— keit ihrer Sinnesart, voll Verachtung aller Werke der menſch— — 23 — lichen Kunſt. Chryſoſtomus ſagt in unzähligen Stellen: „Siehſt du ſchimmernde Gebäude, will dich der Anblick der Säulen— gänge verführen, ſo betrachte ſchnell das Himmelsgewölbe und die freien Felder, in welcher die Herden am Ufer der Seen weiden. Wer verachtet nicht alle Schöpfungen der Kunſt, wenn er in der Stille des Herzens früh die aufgehende Sonne bewundert, indem ſie ihr goldenes (krokosgelbes) Licht über den Erdkreis gießt, wenn er, an einer Quelle im tiefen Graſe oder unter dem dunkeln Schatten dichtbelaubter Bäume ruhend, ſein Auge weidet an der weiten dämmernd hinſchwindenden Ferne!“ ?? Antiochien war damals von Einſiedeleien um— geben, und in einer derſelben lebte Chryſoſtomus. Es war, als hätte die Beredſamkeit am Quell der Natur, in den da— mals waldigen Berggegenden von Syrien und Kleinaſien ihr Element, die Freiheit, wiedergefunden. Als aber in den ſpäteren, aller Geiſteskultur feindlichen Zeiten das Chriſtentum ſich unter germaniſche und keltiſche Volks— ſtämme verbreitete, die vormals dem Naturdienſt ergehen, in rohen Symbolen die erhaltenden und zerſtörenden Mächte ver— ehrten, wurde allmählich der nahe Umgang mit der Natur und das Aufſpüren ihrer Kräfte, als zur Zauberei anregend, ver— dächtigt. Dieſer Umgang ſchien ebenſo gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und faſt allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plaſtiſchen Künſte. In dem 12. und 13. Jahrhundert unterſagten Kirchenverſammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das ſündhafte Leſen phyſikaliſcher Schriften.?“ Erſt durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geiſtesfeſſeln mutvoll gebrochen, ri die „Natur entſündigt“ und in ihre alten Rechte ein— geſetzt. Wir haben bisher die Kontraſte geſchildert, welche bei Griechen und Römern, in zwei ſo nahe miteinander verwandten Litteraturen, ſich nach Verſchiedenheit der Zeitepochen offen— barten. Aber nicht die Zeit allein, d. h. die Weltbegeben— heiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöſe Anſchau— ungen unaufhaltſam umwandeln, bringen die Kontraſte in der Gefühlsweiſe hervor; noch auffallender ſind die, welche die Stammverſchiedenheit der Menſchen und ihre geiſtigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen ſich uns Lebendig— keit des Naturgefühls und dichteriſche Färbung der Natur— ſchilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den ſemitiſchen Stämmen, den Perſern und Indern! Es iſt a eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völ— kern die Freude an der Natur eine alte Sehnſucht nach den anmutigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropenvegetation hauptſächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenuſſes zu- zuſchreiben ſei. Wir leugnen nicht, daß die Sehnſucht nach dem Palmenklima abnimmt, je nachdem man ſich dem mit— täglichen Frankreich oder der iberiſchen Halbinſel nähert; aber der jetzt ſo allgemein gebrauchte, auch ethnologiſch richtige 2° Name indogermaniſcher Stämme ſollte allein ſchon daran erinnern, daß man jenen Einflüſſen des nordiſchen Winters nicht eine zu allgemeine Wirkſamkeit zuſchreiben müſſe. Die überreiche dichteriſche Litteratur der Inder lehrt, daß zwiſchen den Wendekreiſen und denſelben nahe, ſüdlich von der Himalaya— kette, immer grüne und immer blütenreiche Wälder die Ein— bildungskraft der oſtariſchen Völker von jeher lebhaft 1 daß dieſe Völker ſich zur naturbeſchreibenden Poeſie mehr noch hingeneigt fühlten, als die im unwirtbaren Norden bis Island verbreiteten echt germaniſchen Stämme. Eine Entbehrung oder wenigſtens eine gewiſſe Unterbrechung des Naturgenuſſes iſt aber auch den beglückteren Klimaten des ſüdlichen Aſiens eigen. = Jahreszeiten find ſchroff von— einander geſchieden durch 2 Vechſel von allbefruchtendem Regen und ſtaubig verödender Dürre. In Perſien (der weſtariſchen Hochebene) dringt die pflanzenleere Wüſte mannigfach buſen⸗ förmig in die geſegnetſten Fruchtländer ein. Waldung bildet oft in Mittel- und Vorderaſien das Ufer der weitgedehnten 1 Steppenmeere. So gewähren dem Bewohner jener heißen Klimate die räumlichen Verhältniſſe des Bodens in horizontaler Richtung denſelben Kontraſt der Oede und des Pflanzenreichtums als in ſenkrechter Richtung die ſchneebedeckten Bergketten von Indien und Afghaniſtan. Großartige Kontraſte der Jahreszeiten, der Vegetation und der Höhe ſind aber überall, wo eine lebendige Naturanſchauung mit der ganzen Kultur und den religiöfen Ahnungen eines Volksſtammes ver— webt iſt, die angrenzenden Elemente dichteriſcher Phantaſie. Freude an der Natur, dem beſchaulichen Hang der ger— maniſchen Nationen eigentümlich, ſpricht ſich in einem hohen Grade in den früheſten Gedichten des Mittelalters aus. Die ritterliche Poeſie der Minneſänger in der hohenſtaufiſchen Zeit gibt zahlreiche Beweiſe dafür. So mannigfaltige hiſtoriſche Berührungspunkte auch dieſe Poeſie mit der romaniſchen der Provengalen hat, iſt doch das echt germaniſche Prinzip nie daran verkannt worden. Ein inniges, alles durchdringendes Naturgefühl leuchtet aus den germaniſchen Sitten und allen Einrichtungen des Lebens, ja aus dem Hange zur Freiheit hervor.?“ Viel in höfiſchen Kreiſen lebend, ja oft aus ihnen entſproſſen, blieben die wandernden Minneſänger mit der Natur in beſtändigem Verkehr. Es erhielt ſich friſch in ihnen eine idylliſche, oft elegiſche Gemütsſtimmung. Um das zu würdigen, was eine ſolche Stimmung hervorgebracht, wende ich mich zu den Forſchungen der tiefſten Kenner unſeres deutſchen Mittelalters, zu meinen edeln Freunden Jakob und Wilhelm Grimm. „Die vaterländiſchen Dichter jener Epoche,“ ſagt der letztere, „haben ſich nirgends einer abgeſonderten Natur— ſchilderung hingegeben, einer ſolchen, die kein anderes Ziel hat, als den Eindruck der Landſchaft auf das Gemüt mit glänzenden Farben darzuſtellen. Der Sinn für die Natur fehlte den altdeutſchen Meiſtern gewiß nicht, aber ſie hinter— ließen uns keine andere Aeußerung dieſes Sinnes als die, welche der Zuſammenhang mit geſchichtlichen Vorfällen oder mit den Empfindungen erlaubte, die in lyriſche Gedichte aus— ſtrömten. Um mit dem Volksepos, den älteſten und wert— vollſten Denkmälern, zu beginnen, ſo findet ſich weder in den Nibelungen, noch in der Gudrun die Schilderung einer Naturſzene, ſelbſt da, wo dazu Veranlaſſung war. Bei der ſonſt umſtändlichen Beſchreibung der Jagd, auf welcher Sieg— fried ermordet wird, geſchieht nur Erwähnung der blumen— reichen Heide und des kühlen Brunnens unter der Linde. In der Gudrun, die eine gewiſſe feinere Ausbildung zeigt, bricht der Sinn für die Natur etwas mehr durch. Als die Königs— tochter mit ihren Gefährten, zu niedrigem Sklavendienſt ge— zwungen, die Gewänder ihrer grauſamen Gebieter an das Ufer des Meeres trägt, wird die Zeit bezeichnet, wo der Winter ſich eben gelöſt und der Wettgeſang der Vögel be— ginnt. Noch fallen Schnee und Regen herab, und das Haar der Jungfrauen wird vom rauhen Märzwinde gepeitſcht. Als Gudrun, ihre Befreier erwartend, das Lager verläßt und nun das Meer beim Aufgang des Morgenſterns zu ſchimmern be— ginnt, unterſcheidet ſie die dunkeln Helme und die Schilde der Freunde. Es ſind wenige Worte, welche dies andeuten, aber ſie geben ein anſchauliches Bild, beſtimmt, die Spannung vor einem wichtigen geſchichtlichen Ereignis zu vermehren. Nicht anders macht es Homer, wenn er die Cyklopeninſel ſchildert N und die geordneten Gärten des Aleinous; er will anſchaulich machen die üppige Fülle der Wildnis, in der die rieſigen Un— geheuer leben, und den prächtigen Wohnſitz eines mächtigen Königs. Beide Dichter gehen nicht darauf aus, eine für ſich beſtehende Naturſchilderung zu entwerfen. „Dem ſchlichten Volksepos ſtehen die inhaltreichen Er— zählungen der ritterlichen Dichter des 13. Jahrhunderts ent— gegen, die eine bewußte Kunſt übten und unter welchen ſich Hartmann von Aue, Wolfram von Eſchenbach und Gottfried von Straßburg im Beginn des Jahrhunderts ſo ſehr hervor— heben, daß man ſie die großen und klaſſiſchen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweiſe genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleich— niſſen ausbricht, ſammeln können; aber der Gedanke an un⸗ abhängige Naturſchilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortſchritt der Handlung, um bei der Be— trachtung des ruhigen Lebens der Natur ſtille zu ſtehen. Wie verſchieden davon ſind die neueren dichteriſchen Kompoſitionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereigniſſe nur als Rahmen für ſein Gemälde. Die lyriſchen Dichter des 13. Jahr⸗ hunderts, zumal wenn ſie die Minne beſingen (was ſie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Geſang der Nachtigall, dem Tau, welcher an den Blüten der Heide glänzt, aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die ſich darin abſpiegeln ſollen. Um trauernde Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verſtummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieſelben Gedanken, freilich ſchön und ſehr verſchiedenartig ausgedrückt, kehren unabläſſig wieder. Der ſeelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefſinnige Wolfram von Eſchenbach, von dem wir leider nur wenige lyriſche Geſänge beſitzen, ſind hier als glänzende Beiſpiele aufzuführen. „Die Frage, ob der Kontakt mit dem ſüdlichen Italien, oder durch die Kreuzzüge mit Kleinaſien, Syrien und Paläſtina die deutſche Dichtkunſt nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe? kann im allgemeinen nur verneint werden. Man be: merkt nicht, daß die Bekanntſchaft mit dem Orient dem Minne⸗ geſang eine andere Richtung gegeben habe. Die Kreuzfahrer kamen wenig in nahe Verbindung mit den Sarazenen; ja ſie lebten ſelbſt mit anderen Völkern, die für dieſelbe Sache kämpften, in großer Spannung. Einer der älteſten lyriſchen Dichter war Friedrich von Hauſen. Er kam in dem Heere te et Barbaroſſas um. Seine Lieder enthalten vielfache Beziehungen auf die Kreuzfahrt, aber ſie drücken nur religiöſe Anſichten aus oder den Schmerz, ſich von der Geliebten getrennt zu ſehen. Von dem Lande fanden er und alle, die an den Kreuzzügen teilnahmen, wie Reinmar der Alte, Rubin Neid— hart und Ulrich von Lichtenſtein, nicht Veranlaſſung, etwas zu ſagen. Reinmar kam als Pilgrim nach Syrien, wie es ſcheint, im Gefolge Herzog Leopolds VI. von Oeſterreich. Er klagt, daß die Gedanken an die Heimat ihn nicht los— laſſen und ihn von Gott abziehen. Die Dattelpalme wird hier einigemal genannt, wo der Palmenzweige gedacht iſt, welche fromme Pilger auf der Schulter tragen ſollen. Ich erinnere mich auch nicht, daß die herrliche Natur Italiens die Phantaſie der Minneſänger angeregt habe, welche die Alpen überſtiegen. Walther von der Vogelweide, der weit umhergezogen, hatte nur den Po geſehen; aber Freidank war?“! in Rom. Er bemerkt bloß, daß in den Paläſten derer, welche ſonſt dort herrſchten, Gras wachſe.“ Das deutſche Tierepos, welches nicht mit der Tier— fabel des Orients verwechſelt werden darf, iſt aus einem Zuſammenleben mit der Tierwelt entſtanden, ohne die Abſicht zu haben, dieſe darzuſtellen. Das Tierepos, welches Jakob Grimm in der Einleitung zu ſeiner Ausgabe des Reinhart Fuchs ſo meiſterhaft behandelt, bezeigt eine innige Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefeſſelten, mit Stimmen begabten, leidenſchaftlich aufgeregten Tiere kon— traſtieren mit dem Stillleben der ſchweigſamen Pflanzen. Sie ſind ein immerdar thätiges, die Landſchaft belebendes Prinzip. „Die alte Poeſie betrachtet das Naturleben gern mit menſch— lichem Auge, ſie leiht den Tieren und bisweilen ſelbſt den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menſchen, indem ſie phantaſiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Geſtalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen ſind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, ſie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutſchen Tiergedicht anwehe.“ An die Denkmäler germaniſcher Naturdichtung hätte man vormals geneigt ſein können, Reſte keltiſch-iriſcher Dichtung anzuſchließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Oſſians wie Nebelgeſtalten von Volk zu Volk gewandelt ſind; aber der Zauber iſt verſchwunden, ſeitdem des talent— vollen Macpherjons litterariſches Benehmen durch die Heraus— — NE gabe des von ihm geſchmiedeten galliſchen Urtextes (einer Rückübertragung des engliſchen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden iſt. Es gibt altiriſche Fingallieder, unter dem Namen der finnianiſchen aufgezeichnet, aus chriſtlicher Zeit, viel— leicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinauf— reichend; aber dieſe Volksgeſänge enthalten wenig von den ſentimentalen Naturſchilderungen, welche den Macpherſonſchen beſonderen Reiz geben.“? Wir haben ſchon oben bemerkt, daß, wenn ſentimental romantiſche Anregungen der Gefühle dem indogermaniſchen Menſchenſtamme des nördlichen Europas in einem hohen Grade eigentümlich ſind, man dieſe Erſcheinung nicht allein als Folge des Klimas, d. h. der durch lange Entbehrung geſteigerten Sehnſucht, betrachten darf. Wir haben erinnert, wie die indiſche und perſiſche Litteratur, unter der Glut des ſüdlichen Himmels entwickelt, die reizendſten Schilderungen liefert ſowohl der organiſchen als der toten elementariſchen Natur, des Ueber— ganges der Dürre zum tropiſchen Regen, der Erſcheinung des erſten Gewölkes im tiefen Blau der reinen Lüfte, wenn die langerſehnten eteſiſchen Winde in dem gefiederten Laube der Palmengipfel allmählich zu rauſchen beginnen. Es iſt hier der Ort, etwas tiefer in das Gebiet der Naturſchilderung einzudringen. „Denken wir uns,“ ſagt Laſſen in ſeiner vortrefflichen indiſchen Altertumskunde, „einen Teil des ariſchen Stammes aus ſeinem Urſitz, dem Nordweſtlande, nach Indien eingewandert, ſo fand ſich derſelbe dort von einer ganz neuen, wundervoll reichen Natur umgeben. Die Milde des Klimas, die Fruchtbarkeit des Bodens, ſeine freigebige Fülle an herrlichen Gaben mußten dem neuen Leben eine heitere Farbe mitteilen. Bei den urſprünglichen herrlichen Anlagen des ariſchen Volkes, bei dem Beſitze einer höheren Ausſtattung des Geiſtes, in der alles Erhabene und Große, das von den Indern ausgeführt iſt, wie in einem Keime wurzelt, erzeugte früh die Anſchauung der Außenwelt ein tiefes Nachdenken über die Kräfte der Natur, ein Nachdenken, welches die Grundlage der kontemplativen 8 iſt, die wir innigſt mit der älteſten Poeſie der Inder verwebt finden. Ein ſo allbeherrſchender Eindruck, welchen die Natur auf das Bewußtſein des Volkes gemacht, bethätigt ſich am deutlichſten in ſeiner religiöſen Grundanſicht, in der Erkenntnis des Gött— lichen in der Natur. Die ſorgenloſe Leichtigkeit des äußeren Daſeins kam einer kontemplativen Richtung fördernd entgegen. 8 Wer konnte ſich ungeſtörter und inniger der Betrachtung hin— geben, nachſinnen über das irdiſche Leben, den Zuſtand des Menſchen nach dem Tode, über das Weſen des Göttlichen, als die indiſchen Büßer, die waldbewohnenden Brahmanen??“ deren alte Schulen eine der eigentümlichſten Erſcheinungen des indiſchen Lebens bilden und auf die geiſtige Entwickelung 125 ganzen Stammes einen weſentlichen Einfluß ausgeübt haben.“ Soll ich hier, wie ich, von meinem Bruder und anderen Sanskritkundigen geleitet, in meinen öffentlichen Vorleſungen gethan, einzeln an das erinnern, was ein lebendiges und häufig ausbrechendes Naturgefühl in die beſchreibenden Teile der indiſchen Poeſie eingewebt hat, ſo beginne ich mit den Veden, dem erſten und heiligſten Denkmale der Kultur oſtariſcher Völker. Ihr Hauptgegenſtand iſt die Verehrung der Natur. Reizende Schilderungen der Morgenröte und des Anblicks der „goldhändigen“ Sonne enthalten die Hymnen des Rigveda. Die großen Heldengedichte Ramayana und Mahabharata ſind jünger als die Veden, älter als die Puranen. In den epiſchen Schöpfungen iſt ihrem Weſen nach die Verherrlichung der Natur an die Sage geknüpft. Wenn in den Veden ſich ſelten örtlich die Szene angeben läßt, welche die heiligen Weiſen begeiſterte, ſo ſind dagegen in den Heldengedichten die Naturſchilderungen meiſt individuell und an beſtimmte Lokalitäten gebunden, daher, was hauptſächlich Leben gibt, aus ſelbſtempfangenen Eindrücken geſchöpft. Von reicher Färbung iſt die Reiſe Ramas von Ayodhya nach der Reſidenzſtadt Dſchanakas, ſein Leben im Urwalde, das Bild von dem Einſiedlerleben der Panduiden. Der Name Kaliſadas iſt vielfach und früh unter den weſtlichen Völkern gefeiert worden. Der große Dichter glänzte an dem hochgebildeten Hofe des Vikramaditya, alſo gleichzeitig mit Virgil und Horaz. Die engliſchen und deutſchen Ueber— ſetzungen der Sakuntala haben die Bewunderung angeregt, welche dem Kaliſada in jo reichem Maße gezollt worden tft. ®* Zartheit der Empfindungen und Reichtum ſchöpferiſcher Phan— taſie weiſen ihm ſeinen hohen Rang unter den Dichtern aller Nationen an. Den Reiz ſeiner Naturſchilderungen bezeugen das liebliche Drama Vikrama und Urvaſi, wo der König im Dickicht der Wälder umherirrt, um die Nymphe Urvaſi zu ſuchen; das Gedicht der Jahreszeiten und der Wolkenbote (Meghaduta). Mit bewundernswürdiger Naturwahrheit iſt 5 in dieſem die Freude geſchildert, mit welcher nach langer tropiſcher Dürre die erſte Erſcheinung eines aufſteigenden Gewölkes als Anzeige der nahen Regenzeit begrüßt wird. Der Ausdruck Naturwahrheit, deſſen ich mich eben bedient habe, kann allein die Kühnheit rechtfertigen, neben dem indiſchen Wolkenboten an ein Naturbild von dem Eintritt der Regenzeit zu erinnern, das ich in Südamerika zu einer Epoche ent— worfen, wo Kalidaſas Meghaduta mir auch nicht ein— mal aus Chezys Ueberſetzung bekannt ſein konnte. Die ge— heimnisvollen meteorologiſchen Prozeſſe, welche im Luftkreiſe vorgehen, in Dunſtbildung, Wolkengeſtalt und leuchtenden elektriſchen Erſcheinungen, ſind zwiſchen den Wendekreiſen dieſelben in beiden Kontinenten; und die idealiſierende Kunſt, deren Beruf es iſt, die Wirklichkeit zu einem Bilde zu er— heben, würde nicht von ihrem Zauber verlieren, wenn es dem zergliedernden Beobachtungsgeiſte ſpäterer Jahrhunderte glückte, die Naturwahrheit einer alten, nur beſchauenden Dichtung zu bekräftigen. Von den Oſtariern, den brahmaniſchen Indern, und der entſchiedenen Richtung ihres Sinnes auf die maleriſche Schön— heit der Natur gehen wir zu den Weſtariern, den Perſern, über, welche ſich im nördlicheren Zendlande getrennt hatten, und urſprünglich einer geiſtigen Verehrung der Natur neben der dualiſtiſchen Anſchauung?' von Ahriman und Ormuzd zu— gethan waren. Was wir perſiſche Litteratur nennen, ſteigt nur in die Zeit der Saſſaniden hinauf; die älteſten Denkmale der Dichtung ſind untergegangen. Erſt nachdem das Land von den Arabern unterjocht und ſich ſelbſt entfremdet war, erhielt es wieder eine Nationallitteratur unter den Samaniden, Gazneviden und Seldſchukken. Der Flor der Poeſie von Firduſi bis Hafiz und Dſchami dauerte kaum vier- bis fünfhundert Jahre; er reicht faſt nur bis zur Schiffahrt von Vasco de Gama. Wenn wir dem Naturgefühl bei Indern und Perſern nachſpüren, ſo dürfen wir nicht N daß beide Völker, nach dem Maß ihrer Bildung betrachtet, gleichmäßig durch Zeit und Raum voneinander getrennt erſcheinen. Die per⸗ ſiſche Litteratur gehört dem Mittelalter, die große indiſche im eigentlichſten Sinne dem Altertume zu. Die Natur im iraniſchen Hochlande hat nicht die Ueppigkeit der Baumvege⸗ tation, die wunderſame M annigfaltigkeit von Geſtalt und Farbe der Gewächſe, welche den Boden von Hindoſtan ſchmücken. Die Vindhyakette, lange die Grenzſcheide der oſtariſchen . om 8 Völker, fällt noch in die Tropenzone, während ganz Perſien jenſeits des Wendekreiſes liegt, ja die perſiſche Dichtung teil— weiſe ſogar dem nördlichen Boden von Balkh und Fergana zugehört. Die von den perſiſchen Dichtern gefeierten vier Paradieſe waren das anmutige Thal von Soghd bei Samar— kand, Maſchanrud bei Hamadan, Scha'abi Bowan bei Kal'eh Sofid in Fars, und Ghute, die Ebene von Damaskus. Beiden, Iran und Turan, fehlt indes die Waldnatur und mit ihr das Einſiedlerleben des Waldes, welche beide ſo mächtig auf die Einbildungskraft der indiſchen Dichter gewirkt haben. Gärten, durch ſpringende Waſſer erfriſcht, mit Roſengebüſch und Frucht— bäumen gefüllt, erſetzen nicht die wilden, großartigen Natur: ſzenen von Hindoſtan. Kein Wunder daher, daß die be— ſchreibende Poeſie minder lebensfriſch, oft nüchtern und von gekünſtelter Zierlichkeit iſt. Wenn nach dem Sinne der Ein— gebornen das höchſte Lob dem gezollt wird, was wir durch die Worte Geiſt und Witz bezeichnen, ſo muß die Bewunde— rung ſich auf die Fruchtbarkeit der perſiſchen Dichter, auf die unabſehbare Mannigfaltigkeit der Formen beſchränken, unter welchen ſie denſelben Stoff zu behandeln wiſſen; Tiefe und Innigkeit der Gefühle werden vermißt. Auch die Schilderung der Landſchaft unterbricht nur ſelten die Erzählung in dem Nationalepos oder geſchichtlichen Helden— buche des Firduſi. Beſonders anmutig und von idealer Wahr— heit, die Milde des Klimas und Kraft der Vegetation be— ſchreibend, ſcheint mir das Lob des Küſtenlandes Mazenderan im Munde eines wandernden Sängers. Der König Kei Kawus wird durch dies Lob zu einem Zuge nach dem Kaſpiſchen Meere und zu einer neuen Eroberung angereizt. Die Frühlings- 5 5 von Eweri, Dſchelal-eddin Rumi, Adhab und des halbindiſchen Feiſi (der zweite gilt für den größten myſtiſchen Dichter des Orients) atmen ein friſches Leben, da wo der kleinliche Drang nach ſpielenden Gleichniſſen den Genuß nicht unbehaglich ſtört.? Sadi im Boſtan und Guliſtan (Frucht— und Roſengarten), Hafiz, deſſen fröhliche Lebensphiloſophie man mit der des Horaz verglichen hat, bezeichnen, wie Joſeph von Hammer in ſeinem großen Werke über die Geſchichte der perſi— ſchen Dichtung ſich ausdrückt, der erſte ein Zeitalter der Sitten— lehre, der zweite als Minneſänger den höchſten Schwung der Lyrik; aber Schwulſt und Ziererei verunſtalten oft die Schilderung der Natur.“ Der Lieblingsgegenſtand der perſiſchen Dichtung, „die Liebe der Nachtigall und der Roſe“, kehrt immer ermüdend 1 TEE wieder, und in den konventionellen Künſteleien der Blumen: ſprache erſtirbt im Morgenlande das innere Naturgefühl. Wenn wir von dem iraniſchen Hochlande durch Turan (im Zend Tüirja)!“ nordwärts in die Europa und Aſien ſcheidende Uralkette übergehen, jo gelangen wir zu dem Urſitze des finniſchen Stammes; denn der Ural iſt ein altfinniſches, wie der Altai ein alttürkiſches Land. Bei den finniſchen Stämmen nun, die ſich weit in Weſten auf europäiſchem Boden in der Niederung angeſiedelt, hat aus dem Munde der Karelier und der Landleute von Olonez Elias Lönnrot eine große Zahl finniſcher Lieder geſammelt, in denen nach dem Ausdruck von Jakob Grimm „ein reges ſinniges Natur— gefühl waltet, wie es faſt nur in indiſchen Dichtungen ange— troffen wird“. Ein altes Epos von faſt dreitauſend Verſen dreht ſich um den Kampf zwiſchen Finnen und Lappen und um die Schickſale eines göttlichen Helden, der Vaino genannt wird. Es enthält das Epos eine anmutvolle Beſchreibung des finniſchen Landlebens, beſonders da, wo die Frau des Eiſenſchmieds Ilmarinen ihre Herden in die Wälder ſendet und Gebete zum Schutze der Tiere ſpricht. Wenige Völker⸗ ſtämme bieten in er Geiſtesbildung und in der Richtung ihrer Gefühle, wie ſie durch entartende Knechtſchaft, oder kriegeriſche Wildheit, oder ausdauerndes Streben nach poli— tiſcher Freiheit beſtimmt worden iſt, mannigfaltigere und wunderſamere Abſtufungen dar als der finniſche Stamm in ſeinen ſprachverwandten Unterabteilungen. Wir erinnern an jene, jetzt jo friedlichen Landleute, bei denen das Epos auf: gefunden worden, an die lange mit Mongolen verwechſelten weltſtürmenden Hunnen, und an ein großes und edles Volk, die Magyaren. Bei der Betrachtung deſſen, was in der Lebendigkeit des Naturgefühls und der Form ſeiner Aeußerungen von der Ver— ſchiedenheit der Raſſen, von dem eigentümlichen Einfluſſe der Geſtaltung des Bodens, von der Staatsverfaſſung und der religiöſen Stimmung abzuhängen ſcheint, bleibt uns übrig, einen Blick auf die Völker Aſiens zu werfen, welche mit den ariſchen oder indogermaniſchen Stämmen, den Indern und Perſern, am meiſten kontraſtieren. Die ſemitiſchen oder aramäiſchen Nationen zeigen uns in den älteſten und ehr— würdigſten Denkmälern ihrer dichteriſchen Gemütsart und ſchaffenden Phantaſie Beweiſe eines tiefen Naturgefühls. Der Ausdruck desſelben offenbart ſich großartig und belebend in 3888 Hirtenſagen, in Tempel- und Chorgeſängen, in dem Glanz der lyriſchen Poeſie unter David, in der Seher- und Propheten— ſchule, deren hohe Begeiſterung der Vergangenheit faſt ent— fremdet, ahnungsvoll auf die Zukunft gerichtet iſt. Die hebräiſche Dichtungsweiſe bietet den Bewohnern des Abendlandes bei ihrer inneren, erhabenen Größe noch den beſonderen Reiz, daß ſie mit den lokalen Glaubenserinnerungen der Anhänger von drei weitverbreiteten Religionen, der mo— ſaiſchen, chriſtlichen und mohammedaniſchen, vielfach verwebt iſt. Durch Miſſionen, welche der Handelsgeiſt und die Eroberungs— ſucht ſchiffahrender Nationen begünſtigen, ſind geographiſche Namen und Naturſchilderungen des Morgenlandes, wie ſie die Schriften des alten Bundes uns aufbewahrt, tief in die Wälder der Neuen Welt und die Inſeln der Südſee eingedrungen. Es iſt ein charakteriſtiſches Kennzeichen der Naturpoeſie der Hebräer, daß, als Reflex des Monotheismus, ſie ſtets das Ganze des Weltalls in ſeiner Einheit umfaßt, ſowohl das Erdenleben als die leuchtenden Himmelsräume. Sie weilt ſeltener bei dem Einzelnen der Erſcheinung, ſondern erfreut ſich der Anſchauung großer Maſſen. Die Natur wird nicht geſchildert als ein für ſich Beſtehendes, durch eigene Schönheit Verherrlichtes; dem hebräiſchen Sänger erſcheint ſie immer in Beziehung auf eine höher waltende geiſtige Macht. Die Natur iſt ihm ein Geſchaffenes, Angeordnetes, der lebendige Ausdruck der Allgegenwart Gottes in den Werken der Sinnen— welt. Deshalb iſt die lyriſche Dichtung der Hebräer ſchon ihrem Inhalte nach großartig und von feierlichem Ernſt; ſie iſt trübe und ſehnſuchtsvoll, wenn ſie die irdiſchen Zuſtände der Menſchheit berührt. Bemerkenswert iſt auch noch, daß dieſe Poeſie trotz ihrer Größe, ſelbſt im Schwunge der höchſten, durch Zauber der Muſik hervorgerufenen Begeiſterung, faſt nie maßlos wie die indiſche Dichtung wird. Der reinen Anſchauung des Göttlichen hingegeben, ſinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in den Gedanken, gefällt ſie 5 in Gleichniſſen, die faſt rhythmiſch, immer dieſelben, wieder— kehren. Als Naturbeſchreibungen ſind die Schriften des alten Bundes eine treue Abſpiegelung der Beſchaffenheit des Landes, in welchem das Volk ſich bewegte, der Abwechſelung von Oede, Fruchtbarkeit und libanotiſcher Waldbedeckung, die der Boden von Paläſtina darbietet. Sie ſchildern die Verhältniſſe des Klimas in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker A. v. Humboldt, Kosmos. II. 3 Be und deren angeſtammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epiſchen oder hiſtoriſchen Darſtellungen ſind von naiver Ein— fachheit, faſt noch ſchmuckloſer als bet; naturwahr, wie, bei ſo geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältniſſe des Nomadenlebens, die neueren Reiſenden einſtimmig es be— zeugen. Geſchmückter aber und ein reiches Naturleben ent— faltend iſt die Lyrik der Hebräer. Man möchte ſagen, daß in dem einzigen 104. Pſalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt iſt: „Der Herr, mit Licht umhüllet, hat den Himmel wie einen Teppich ausgeſpannt. Er hat den Erdball auf ſich ſelbſt gegründet, daß er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewäſſer quellen von den Bergen herab in die Thäler, zu den Orten, die ihnen beſchieden, daß ſie nie überſchreiten die ihnen geſetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüfte Vögel ſingen unter dem Laube hervor. Saftvoll ſtehen des Ewigen Bäume, Libanons Zedern, die der Herr ſelbſt gepflanzt, daß ſich das Federwild dort niſte, und auf Tannen ſein Gehäus der Habicht baue.“ Es wird beſchrieben „das Weltmeer, in dem es wimmelt von Leben ohne Zahl. Da wandeln die Schiffe, und es regt ſich das Ungeheuer, das du ſchufeſt darin zu ſcherzen.“ Es wird die „Saat der Felder durch Menſchenarbeit be— ſtellt, der fröhliche Weinbau und die Pflege der Oel— gärten“ geſchildert. Die Himmelskörper geben dieſem Naturbilde ſeine Vollendung. „Der Herr ſchuf den Mond, die Zeiten einzuteilen, die Sonne, die das Ziel kennt ihrer Bahn. Es wird Nacht, da ſchwärmt Gewild umher. Nach Raube brüllen junge Löwen und verlangen Speiſe von Gott. Erſcheint die Sonne, ſo heben ſie ſich davon und lagern ſich in ihre Höhlen; dann geht der Menſch zu ſeinem Tagewerk, zu ſeiner Arbeit bis zum Abend.“ Man erſtaunt, in einer lyriſchen Dichtung von ſo geringem Umfange, mit wenigen großen Zügen, das Univerſum, Himmel und Erde geſchildert zu ſehen. Dem bewegten Elementarleben der Natur iſt hier des Menſchen ſtilles, mühevolles Treiben vom Aufgang der Sonne bis zum Schluß des Tagewerks am Abend entgegen— geſtellt. Dieſer Kontraſt, dieſe Allgemeinheit der Auffaſſung in der Wechſelwirkung der Erſcheinungen, dieſer Rückblick auf die allgegenwärtige unſichtbare Macht, welche „die Erde ver— jüngen“ oder in Staub zertrümmern kann, begründen das Feierliche einer minder lebenswarmen und gemütlichen als erhaben poetiſchen Dichtung. Aehnliche Anſichten des Kosmos kehren mehrmals ““ wieder (Pſalm 65, 7—14 und 74, 15—17), am vollendetſten vielleicht in dem 37. Kapitel des alten, wenn auch nicht vormoſaiſchen Buches Hiob. Die meteorologiſchen Prozeſſe, welche in der Wolkendecke vorgehen, die Formbildung und Auf löſung der Dünſte bei verſchiedener Windrichtung, ihr Farben— ſpiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners werden mit individueller Anſchaulichkeit beſchrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unſere heutige Phyſik in wiſſenſchaft licheren Ausdrücken zu formulieren, aber nicht befriedigend zu löſen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetſte Dichtung gehalten, welche die hebräiſche Poeſie hervorgebracht hat. Es iſt ſo maleriſch in der Darſtellung einzelner Erſcheinungen als kunſtreich in der Anlage der ganzen didaktiſchen Kompoſition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden iſt, laſſen ſeine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. „Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgetürmten Wellen. — Die Morgenröte er— faßt der Erde Saumen und geſtaltet mannigfach die Wolken— hülle, wie des Menſchen Hand den bildſamen Thon.“ — Es werden die Sitten der Tiere geſchildert, des Waldeſels und der Roſſe, des Büffels, des Nilpferdes und der Krokodile, des Adlers und des Straußen. — Wir ſehen den „reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegoſſenen Spiegel über die dürſtende Wüſte hingedehnt“.““ Wo die Natur kärglich ihre Gaben ſpendet, ſchärft ſie den Sinn des Menſchen, daß er auf jeden Wechſel im bewegten Luftkreiſe wie in den Wolkenſchichten lauſcht, daß er in der Einſamkeit der ſtarren Wüſte wie in der des wellenſchlagenden Ozeans jedem Wechſel der Erſcheinungen bis zu ſeinen Vorboten nach— ſpürt. Das Klima iſt beſonders in dem dürren und felſigen Teile von Paläſtina geeignet, ſolche Beobachtungen anzuregen. Auch an Mannigfaltigkeit der Form fehlt es der dichteriſchen Litteratur der Hebräer nicht. Während von Joſua bis Samuel die Poeſie eine kriegeriſche Begeiſterung atmet, bietet das kleine Buch der ährenleſenden Ruth ein Naturgemälde dar von der naiveſten Einfachheit und von unausſprechlichem Reize. Goethe in der Epoche ſeines Enthuſiasmus für das Morgen— land nennt es „das Lieblichſte, das uns epiſch und iduylliſch überliefert worden iſt“. Selbſt in den neueren Zeiten, in den erſten Denkmalen — 36 — der Litteratur der Araber, bemerkt man einen ſchwachen Abglanz der großartigen Naturanſchauung, welche dem ſemi— tiſchen Stamme ſo früh eigentümlich war. Ich erinnere an die maleriſche Schilderung des beduiniſchen Wüſtenlebens, die der Grammatiker Asmai an den großen Namen Antars ge— knüpft und mit anderen vormohammedaniſchen Sagen ritter⸗ licher Thaten zu einem großen Werke verſchmolzen 5 Die Hauptperſon dieſer romantiſchen Novelle iſt derſel Antar aus dem Stamme Abs, Sohn des fürftlihen Häuptlings Scheddad und einer ſchwarzen Sklavin, deſſen Verſe unter den in der Kaaba aufgehangenen Preisgedichten (moallakat) bewahrt werden. Der gelehrte engliſche Ueberſetzer Terrick Hamilton hat ſelbſt ſchon auf die bibliſchen Anklänge des Stils im Antar aufmerkſam gemacht. Den Sohn der Wüſte läßt Asmai nach Konſtantinopel reiſen, wodurch ein maleriſcher Gegenſatz von griechiſcher Kultur und nomadiſcher Roheit herbeigeführt wird. Daß in der früheſten arabiſchen Dichtung die Naturſchilderung des Bodens nur einen ſehr geringen Raum einnimmt, darf nach der Bemerkung eines berühmten Kenners dieſes Zweiges der Litteratur, meines Freundes Freytag zu Bonn, um ſo weniger W Wunder nehmen, als die Hauptgegenſtände der Dichtung Erzählungen von Waffenthaten, Lob der Gaſtfreundſchaft und der Liebestreue ſind; als faſt kein einziger der Sänger aus dem glücklichen Arabien ſtammte. Eine traurige Einförmigkeit von Grasfluren und ſtaubbedeckte Einöden konnten nur in eigentümlichen ſelteneren Stimmungen das Naturgefühl beleben. Wo dem Boden der Schmuck der Wälder fehlt, beſchäftigen, wie wir bereits früher bemerkt, die Lufterſcheinungen, Sturm, Gewitter und langerſehnter Regen, um jo mehr die Einbildungs— kraft. Ich erinnere vorzugsweiſe hier, um naturwahre Bilder dieſer Art den arabiſchen Dichtern zu entlehnen, an Antars Moallakat, welches die vom Regen befruchtete, vom Schwarm ſummender Inſekten beſuchte Flur beſchreibt, an die herrlichen und dazu noch örtlichen Schilderungen des Gewitters von Amru’l Kais und im ſiebten Buche der berühmten Hamaſa;!“ endlich an das Anſchwellen des Euphrat, wenn der Strom Schilfmaſſen und Baumſtämme in ſeinen Fluten fortrollt, im Nabegha Dhobyani. Das achte Buch der Hamaſa, welches „Reiſe und Schläfrigkeit“ überſchrieben iſt, mußte natürlich meine beſondere Aufmerkſamkeit auf ſich lenken. Ich wurde bald belehrt, daß die Schläfrigkeit“ ſich nur auf das erſte Bea. Fragment des Buches bezieht, und auch in dieſem um jo verzeihlicher iſt, als ſie einer Nachtreiſe auf dem Kamel zugeſchrieben wird. Ich habe in dieſem Abſchnitt fragmentariſch zu entwickeln geſucht, wie die Außenwelt, d. h. der Anblick der belebten und unbelebten Natur, zu verſchiedenen Zeitepochen und bei verſchiedenen Volksſtämmen ungleichartig auf die Gedanken— und Empfindungswelt eingewirkt hat. Aus der Geſchichte der Litteratur wurde das ausgehoben, was die lebendige Aeußerung des Naturgefühls charakteriſiert. Es kam dabei, wie in meinem ganzen Werke vom Kosmos, nicht auf Vollſtändigkeit, ſondern nur auf Allgemeinheit der Anſicht, auf die Auswahl ſolcher Beiſpiele an, in denen ſich die Eigentümlichkeiten der Zeiten und der Menſchenraſſen offenbaren. Ich habe die Griechen und Römer geſchildert bis zu dem allmählichen Abſterben der Gefühle, die dem klaſſiſchen Altertume in den Abendlanden einen unverlöſchbaren Glanz gegeben; ich habe in den Schriften der chriſtlichen Kirchenväter dem ſchönen Ausdruck des Natur— gefühls nachgeſpürt, den in ſtiller Rührung das Einſiedlerleben erzeugte. Bei Betrachtung der indogermaniſchen Völker lich nehme die Benennung hier in dem engeren Sinne des Wortes) ſind wir übergegangen von den Dichtungen der Deutſchen im Mittelalter zu denen der hochgebildeten alten Oſtarier (Inder) und der minder begabten Weſtarier, der Bewohner des alten Iran. Nach einem flüchtigen Blicke auf die keltiſchen (galliſchen) Geſänge und ein neuentdecktes finniſches Epos, habe ich das reiche Naturleben geſchildert, das in einem Zweige des ſemi— tiſchen (aramäiſchen) Stammes, in den erhabenen Gedichten der Hebräer und in denen der Araber, atmet. So haben wir die Erſcheinungswelt abgeſpiegelt geſehen in der Phantaſie der Völker im Norden und Südoſten von Europa, in Vorder— aſien, in den perſiſchen Hochebenen und dem indiſchen Tropen— lande. Um die Natur in ihrer ganzen Größe zu umfaſſen, glaubte ich ſie nach zweierlei Anſichten, einmal objektiv, als thatſächliche Erſcheinung und dann in den Gefühlen der Menſch— heit reflektiert, darſtellen zu müſſen. Nach dem Hinſchwinden aramäiſcher, griechiſcher und römiſcher Herrlichkeit, ich könnte ſagen nach dem Untergange der alten Welt, zeigt uns der große und begeiſterte Schöpfer einer neuen, Dante Alighieri, von Zeit zu Zeit das tiefſte Gefühl des irdiſchen Naturlebens. Er entzieht ſich dann den Leidenſchaften wie dem Subjektiven ſeines weiten Ideenkreiſes — 38 — einer ahnungsſchweren Myſtik. Die Zeitepoche, in der er lebte, folgt unmittelbar der, in welcher diesſeits der Alpen der ſchwäbiſche Minnegeſang, den wir oben geſchildert, zu ver— hallen anfing. Unnachahmlich malt Dante am Ende des erſten Geſanges des Purgatorio““ den Morgenduft und das zitternde Licht des ſanft bewegten fernen Meeresſpiegels (il tremolar de la marina), im fünften Geſange den Wolken— bruch und das Anſchwellen der Flüſſe, wobei nach der Schlacht von Campaldino der Leichnam des Buonconte da Montefeltro in den Arno verſank.!“ Der Eingang in den dichten Hain des irdiſchen Paradieſes erinnert den Dichter an den Pinien— wald bei Ravenna, „la pineta in sul lito di Chiassi“, wo in den Wipfeln der Frühgeſang der Vögel erſchallt. Mit der örtlichen Wahrheit dieſes Naturbildes kontraſtiert im himm— liſchen Paradieſe der Lichtſtrom, aus welchem Funken? ſprühen, „die ſich in die Blumen des Ufers ſenken, aber wie von Düften berauſcht zurücktauchen in den Strom, während andere ſich erheben“. Man möchte glauben, einer ſolchen Fiktion liege die Erinnerung an den eigentümlichen und ſelteneren Zuſtand der Phosphoreszenz des Ozeans zum Grunde, wo leuchtende Punkte beim Zuſammenſchlagen der Wellen ſich über der Oberfläche zu erheben ſcheinen und die ganze flüſſige Ebene ein bewegtes Sternenmeer bildet. Die außerordentliche Konziſion des Stils vermehrt in der Divina Commedia den Ernſt und die Tiefe des Eindrucks. Um noch auf italieniſchem Boden zu verweilen, aber dem froſtigen Schäferromane fremd zu bleiben, nenne ich hier, nach dem Dante: Petrarcas Trauerſonett, den Eindruck ſchil— dernd, welchen das anmutige Thal von Vaucluſe ihm ohne Laura, ſeit ihrem Hinſterben, gemacht; die kleineren Dichtungen des Bojardo, des Freundes des Herkules von Eſte, und die ſpäteren Stanzen der Vittoria Colonna.““ Als nun die klaſſiſche Litteratur allgemeiner wieder auf— blühte durch den plötzlichen Verkehr mit dem politiſch tief geſunkenen Griechenlande, finden wir unter den Proſaikern das erſte Beiſpiel reizender Naturbeſchreibungen bei dem kunſt— liebenden Kardinal Bembo, Rafaels Ratgeber und Freund. Seine kleine Jugendſchrift Aetna dialogus gibt uns ein lebendiges Bild der geographiſchen Verteilung der Gewächſe an dem Abhange des Gebirges, von Siziliens kornreichen Fluren bis zu dem ſchneebedeckten Rande des Kraters. Das vollendete Werk des reiferen Alters, die Historiae Venetae, r wer 4 7 — 39 — charakteriſieren auf eine noch mehr maleriſche Weiſe das Klima und die Vegetation des Neuen Kontinentes. Alles war damals dazu geeignet, den Geiſt gleichzeitig mit den großen Bildern des plötzlich erweiterten Weltraumes und der Erhöhung menſchlicher Kräfte zu erfüllen. Wie in dem Altertume der macedoniſche Zug nach dem Paropamiſus und den waldreichen Flußthälern von Vorderindien, durch den Anblick einer reich geſchmückten exotiſchen Natur, Eindrücke zurückließ, deren Lebendigkeit ſich nach Jahrhunderten noch in den Werken hochbegabter Schriftſteller offenbart, ſo wirkte zum zweitenmal, und ſelbſt in einem höheren Maßſtabe als die Kreuzzüge, auf die weſtlichen Völker die Entdeckung von Amerika. Die Tropenwelt mit der ganzen Ueppigkeit ihrer Vegetation in der Ebene, mit allen Abſtufungen des Organis— mus am Abhange der Kordilleren, mit allen Anklängen nörd— licher Klimate in den bewohnten Hochebenen von Mexiko, Neu-Granada und Quito wurde nun zuerſt den Europäern eröffnet. Die Phantaſie, ohne deren Anregung kein wahrhaft großes Werk der Menſchheit gedeihen kann, gab den Natur— ſchilderungen von Kolumbus und Veſpucci einen eigentümlichen Reiz. Den letzteren charakteriſiert in der Beſchreibung der braſilianiſchen Küſte eine genaue Bekanntſchaft mit den Dichtern alter und neuer Zeit; jenen in der Beſchreibung des milden Himmels von Paria und der (wie er wähnt) dem öſtlichen Paradieſe entſtrömenden Waſſermenge des Orinoko eine ernſte religiöſe Stimmung. Bei zunehmendem Alter, beim Ankämpfen gegen ungerechte Verfolgung ging dieſe Stimmung in Trüb— ſinn und ſchwärmeriſche Begeiſterung über. In den heroiſchen Zeiten der portugieſiſchen und kaſtilia— niſchen Volksſtämme führte nicht Golddurſt allein (wie man aus Unkunde des damaligen Volkslebens behauptet hat), ſon— dern allgemeine Aufregung zu den Wagniſſen ferner Reiſen. Die Namen Hayti, Cubagua und Darien wirkten, im Anfang des 16. Jahrhunderts, auf die Einbildungskraft der Menſchen wie in den neueren Zeiten die ſeit Anſon und Cook gefeierten Namen Tinian und Tahiti. Wenn da— mals die Kunde weit entlegener Länder die Jugend aus der ſpaniſchen Halbinſel, aus Flandern, Mailand und Süd— deutſchland unter die ſiegreichen Fahnen des großen Kaiſers auf den Rücken der Andeskette oder in die heißen Fluren von Uraba und Coro lockte, ſo gewann unter dem milden Ein— fluſſe ſpäterer Geſittung, bei gleichmäßigerer Eröffnung aller 1 Teile des Erdraumes, jenes unruhige Sehnen nach der Ferne andere Motive und eine andere Richtung. Leidenſchaftliche Liebe zum Naturſtudium, welche hauptſächlich vom Norden ausging, entflammte die Gemüter. Intellektuelle Größe der Anſichten wurde der materiellen Erweiterung des Wiſſens bei— geſellt, und die dichteriſch ſentimentale Stimmung des Zeit— alters individualiſierte ſich ſeit dem Ende des verfloſſenen Jahrhunderts in litterariſchen Werken, deren Formen der Vorzeit unbekannt waren. Werfen wir noch einmal den Blick zurück in die Zeit der großen Entdeckungen, welche jene moderne Stimmung vorbereiteten, ſo müſſen wir vor allem der Naturſchilderungen gedenken, die wir von Kolumbus ſelbſt beſitzen. Erſt ſeit kurzem kennen wir ſein eigenes Schiffsjournal, ſeine Briefe an den Schatzmeiſter Sanchez, an die Amme des Infanten Don Juan, Frau Juana de la Torre und an die Königin Iſabella. Ich habe ſchon an einem anderen Orte, in den kritiſchen Unterſuchungen über die Geſchichte der Geographie des 15. und 16. Jahrhunderts, zu zeigen geſucht, mit welchem tiefen Naturgefühle der große Entdecker begabt war; wie er das Erdenleben und den neuen Himmel, die ſich ſeinem Blicke offenbarten (viage nuevo al nuevo cielo y mundo que fasta entonces estaba en occulto), mit einer Schönheit und Einfachheit des Aus— drucks beſchrieb, die nur diejenigen ganz zu ſchätzen vermögen, welche mit der alten Kraft der Sprache jener Zeit vertraut ſind. Die phyſiognomiſche Geſtaltung der Pflanzen, das un— durchdringliche Dickicht der Wälder, „in denen man kaum unterſcheiden kann, welche Blüten und Blätter jedem Stamme zugehören“, die wilde Ueppigkeit des krautbedeckten Bodens der feuchten Felder, die roſenfarbigen Flamingos, welche fiſchend ſchon am frühen Morgen die Mündung der Flüſſe beleben, beſchäftigen den alten Seemann, als er längs den Küſten von Cuba, zwiſchen den kleinen lucayiſchen Inſeln und den auch von mir beſuchten Jardinillos hinfuhr. Jedes neu entdeckte Land ſcheint ihm noch ſchöner als das früher beſchriebene; er beklagt, nicht Worte zu finden, um die ſüßen Eindrücke wiederzugeben, die er empfangen. Mit der Kräuter: kunde völlig unbekannt, wenngleich durch Einfluß arabiſcher und jüdiſcher Aerzte ſich damals ſchon einige oberflächliche Kenntnis der Gewächſe in Spanien verbreitet hatte, treibt das einfache Naturgefühl den Entdecker an, alles Fremdartige a einzeln aufzufaſſen. Er unterſcheidet in Cuba ſchon jieben oder acht verſchiedene Palmenarten, die ſchöner und höher als die Dattelpalme ſind (variedades de palmas superiores a las nuestras en su belleza y altura); er meldet ſeinem geiſt— reichen Freunde Anghiera, daß er in derſelben Ebene Tannen und Palmen zuſammengruppiert, palmeta und pineta wunder- voll gemengt geſehen; er betrachtet die Vegetation mit ſolchem Scharfblick, daß er zuerſt bemerkt, es gebe im Cibao auf den Bergen Pinien, deren Früchte nicht Tannenzapfen ſind, ſondern Beeren wie die Oliven des Axarafe de Sevilla. Kolumbus hat alſo ſchon, wie ich bereits oben erinnert, das Geſchlecht Podocarpus von der Familie der Abietineen getrennt. „Die Anmut dieſes neuen Landes,“ ſagt der Entdecker, „ſteht hoch über der der Campina de Cordoba. Alle Bäume glänzen von immer grünem Laube und ſind ewig mit Früchten beladen. Auf dem Boden ſtehen die Kräuter hoch und blühend. Die Lüfte ſind lau wie im April in Kaſtilien; es ſingt die Nachtigall ſüßer, als man es beſchreiben kann. Bei Nacht ſingen wieder ſüß andere, kleinere Vögel; auch höre ich unſeren Grashüpfer und die Fröſche. Einmal kam ich in eine tief eingeſchloſſene Hafenbucht und ſah, was kein Auge geſehen: hohes Gebirge, von dem lieblich die Waſſer (lindas aguas) herabſtrömen. Das Gebirge war bedeckt mit Tannen und anderen vielfach geſtalteten, mit ſchönen Blüten geſchmückten Bäumen. Den Strom hinaufſteuernd, der in die Bucht mün— dete, war ich erſtaunt über die kühlen Schatten, die kriſtall— klaren Waſſer und die Zahl der Singvögel. Es war mir, als möchte ich jo einen Ort nie verlaſſen, als könnten tauſend Zungen dies alles nicht wiedergeben, als weigere ſich die ver— zauberte Hand, es niederzuſchreiben (para hacer relacion a los Reyes de las cosas que vian no bastäran mil lenguas a referillo, ni la mano para lo escribir, que le parecia questaba encantado).“ Wir lernen hier aus dem Tagebuche eines litterariſch ganz ungebildeten Seemannes, welche Macht die Schönheit der Natur in ihrer individuellen Geſtaltung auf ein empfäng— liches Gemüt auszuüben vermag. Gefühle veredeln die Sprache, denn die Proſa des Admirals iſt, beſonders da, wo er, bereits 67 Jahre alt, auf der vierten Reiſe ſeinen großartigen Wunder— traum an der Küſte von Veragua erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegoriſche Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und 1 Sidney, als Garcilaſos Salicio y Nemoroſo oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegiſch idylliſche Element war leider! nur zu lange vorherrſchend in der ita— lieniſchen und in der ſpaniſchen Litteratur. Es bedurfte des lebensfriſchen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darſtellte, um die Galatea desſelben Schriftſtellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, ſo ſehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt ſeiner Natur nach, wie die allegoriſchen Verſtandeskünſteleien des Mittelalters, froſtig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darſtellung; auch hat man in den herrlichſten beſchreibenden Stanzen des befreiten Jeruſalem Eindrücke von der maleriſchen Um— gebung des Dichters, Erinnerungen an die anmutige Land— ſchaft von Sorrent zu erkennen geglaubt. Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigener An— ſchauung entſpringt, glänzt im reichſten Maße in dem großen Nationalepos der portugieſiſchen Litteratur. Es weht wie ein indiſcher Blütenduft durch das ganze unter dem Tropenhimmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geſchrie— bene Gedicht. Mir geziemt es nicht, einen kühnen Ausſpruch Friedrich Schlegels zu bekräftigen, nach welchem die Luſiaden des Camoens „an Farbe und Fülle der Phantaſie den Arioſt bei weitem übertreffen“ ;*° aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beſchreibenden Teilen der Lu— ſiaden nie die Begeiſterung des Dichters, der Schmuck der Rede und die ſüßen Laute der Schwermut der Genauigkeit in der Darſtellung phyſiſcher Erſcheinungen hinderlich werden. Sie haben vielmehr, wie dies immer der Fall iſt, wenn die Kunſt aus ungetrübter Quelle ſchöpft, den belebenden Eindruck der Größe und Wahrheit der Naturbilder erhöht. Unnach— ahmlich ſind in Camoens die Schilderungen des ewigen Ver— kehrs zwiſchen Luft und Meer, zwiſchen der vielfach geſtalteten Wolkendecke, ihren meteorologiſchen Prozeſſen und den ver— ſchiedenen Zuſtänden der Oberfläche des Ozeans. Er zeigt uns dieſe Oberfläche, bald wenn milde Winde ſie kräuſeln und die kurzen Wellen im Spiel des zurückgeworfenen Licht— ſtrahles funkelnd leuchten, bald wenn Coelhos und Paul de Gamas Schiffe in einem furchtbaren Sturme gegen die tief aufgeregten Elemente ankämpfen.“ Camoens iſt im eigent⸗ lichen Sinne des Wortes ein großer Seemaler. Als Kriegs— N N mann hatte er gefochten am Fuße des Atlas im marokkaniſchen Gebiete, im Roten Meere und im Perſiſchen Meerbuſen; zwei— mal hatte er das Kap umſchifft und, mit tiefem Naturgefühl begabt, 16 Jahre lang an dem indiſchen und chineſiſchen Ge— ſtade alle Phänomene des Weltmeeres belauſcht. Er beſchreibt das elektriſche St. Elmsfeuer (Caſtor und Pollux der alten griechiſchen Seefahrer): „das lebende Licht““, dem Seevolke heilig“; er beſchreibt die gefahrdrohende Trombe in ihrer all— mählichen Entwickelung: „wie der Dunſt, aus feinem Duft gewoben, ſich im Kreiſe dreht, ein dünnes Rohr herabläßt und die Flut dürſtend aufpumpt, wie er, wenn das ſchwarze Gewölk ſich ſatt geſogen, den Fuß des Trichters zurückzieht, und, zum Himmel fliegend, auf der Flucht als ſüßes Waſſer den Wogen wiedergibt, was die Trombe Eh brauſend ent: zogen.““ Die Schriftgelehrten, jagt der Dichter (und er jagt es faſt auch zum Spott der jetzigen Zeit), die Schriftgelehrten mögen verſuchen, „der Welt verborgene Wunderdinge zu er— klären, da, vom Geiſt allein und von der Wiſſenſchaft geleitet, ſie ſo gern für falſch ausgeben, was man aus dem Munde 5 Schiffers hört, dem einziger Leiter die Erfahrung iſt“. Das naturbeſchreibende Talent des begeiſterten Dichters weilt aber nicht bloß bei den einzelnen Erſcheinungen; es glänzt auch da, wo es große Maſſen auf einmal umfaßt. Der dritte Geſang ſchildert mit wenigen Zügen die Geſtaltung von Europa’? vom kälteſten Norden an bis „zum Luſitanen⸗ reiche und zu der Meerenge, wo Herkules ſein letztes Werk gethan“ Ueberall wird auf die Sitten und den Kulturzuſtand der Völker angeſpielt, welche den vielgegliederten Weltteil be— wohnen. Von den Preußen, Moskowiten und den Stämmen, „que o Rheno frio lava“, eilt er zu den herrlichen Auen von Hellas, „que creastes os peitos eloquentes, e os juizos de alta phantasia*. Im zehnten Geſange erweitert ſich der Blick. Tethys führt den Gama auf einen hohen Berg, um ihm die Geheimniſſe des Weltbaues (machina de mundo) und der Planeten Lauf (nach ptolemäiſchen Anſichten) zu enthüllen.“ Es iſt ein Traumgeſicht im Stil des Dante; und da die Erde das Centrum des Bewegten bildet, ſo wird zuletzt bei 5 des Erdglobus die ganze Kenntnis der damals erforſchten Länder und ihrer Erzeugniſſe dargelegt. Es gilt hier nicht mehr, Europa allein zu ſchildern, wie früher im dritten Geſange, alle Erdteile werden durchmuſtert, ſelbſt das Land des heiligen Kreuzes (Braſilien) und die Küſten DE werden genannt, die Magelhan entdeckte, „durch die That, aber nicht durch die Treue ein Sohn Luſitaniens“. Wenn ich vorher den Camoens vorzugsweiſe als See— maler rühmte, ſo war es, um anzudeuten, daß das Erdeleben ihn minder lebhaft angezogen hat. Schon Sismondi bemerkt mit Recht, daß das ganze Gedicht keine Spur von etwas Anſchaulichem über die tropiſche Vegetation und ihre phyſio— gnomiſche Geſtaltung enthält. Nur die Arome und nützlichen Handelsprodukte werden bezeichnet. Die Epiſode der Zauber— injel °* bietet freilich das reizendſte Gemälde einer Landſchaft dar; aber die Pflanzendecke iſt gebildet, wie eine Ilha de Venus es erfordert, von „Myrten, dem Citrusbaume, duften— den Limonen und Granaten“, alle dem Klima des ſüdlichen Europa angeeignet. Bei dem größten der damaligen See— fahrer, Chriſtoph Kolumbus, finden wir mehr Freude an den Küſtenwäldern, mehr Aufmerkſamkeit auf die Formen des Gewächsreiches; aber Kolumbus ſchreibt ein Reiſejournal und verzeichnet in dieſem die lebendigen Eindrücke jedes Tages, während das Epos des Camoens die Großthaten der Portu— gieſen verherrlicht. Pflanzennamen den Sprachen der Ein— geborenen zu entlehnen und ſie in die Beſchreibung einer Landſchaft einzuflechten, in der, wie vor einem Hintergrund, die Handelnden ſich bewegen, konnte den an harmoniſche Klänge gewöhnten Dichter wenig reizen. Neben der ritterlichen Geſtalt des Camoens hat man oft die ebenſo romantiſche eines ſpaniſchen Kriegers aufgeſtellt, der unter dem großen Kaiſer in Peru und Chile diente und unter jenen fernen Himmelsſtrichen die Thaten beſang, an denen er rühmlichſt teilgenommen. In dem ganzen Epos der Araucana des Don Alfonſo de Ercilla hat die unmittel— bare Anſchauung, der Anblick mit ewigem Schnee bedeckter Vulkane, heißer Waldthäler und weit in das Land eindringen— der Meeresarme faſt nichts hervorgebracht, was man darſtellend nennen könnte. Das übermäßige Lob, welches Cervantes, bei Gelegenheit der geiſtreich ſatiriſchen Bücherſchau des Quixote, dem Ercilla geſpendet hat, iſt wohl nur durch leidenſchaftliche Rivalität zwiſchen der ſpaniſchen und italieniſchen Poeſie her— vorgerufen worden. Man möchte faſt ſagen, es habe Voltaire und viele neuere Kritiker irre geführt. Die Araucana iſt allerdings ein Werk, welches ein edles Nationalgefühl durch— dringt; die Schilderung der Sitten eines wilden Volksſtammes, der im Kampf für die Freiheit des Vaterlandes erliegt, it Be darin nicht ohne Leben, aber die Diktion des Ercilla iſt ſchleppend, mit Eigennamen überhäuft, ohne alle Spur dich— teriſcher Begeiſterung.““ Dieſe? Begeisterung findet ſich in mehreren Strophen des Romancero caballeresco;’® in der religiöſen Melancholie des Fray Luis de Leon, z. B. in ſeiner „heiteren Nacht“, wenn er die ewigen Lichter (resplandores eternales) des ge- ſtirnten Himmels beſingt,'“ und in den großen Schöpfungen des Calderon. „Als ſich die Komödie der Spanier bis zu einer hohen Vollendung ausgearbeitet hatte,“ ſagt der tiefſte Forſcher aller dramatiſchen Litteratur, mein edler Freund Ludwig Tieck, „finden wir oft beim Calderon und bei einem Zeitgenoſſen in romanzen- und kanzonartigen Silbenmaßen blendend ſchöne Schilderungen vom Meere, von Gebirgen, Gärten und waldigen Thälern, doch faſt immer mit allegori- ſchen Beziehungen, und mit einem künſtlichen Glanz übergoſſen, der uns nicht ſowohl die freie Luft der Natur, die Wahrheit des Gebirges, die Schatten der Thäler fühlen läßt, als daß in harmoniſchen, e eden Verſen eine geiftvolle Be⸗ ſchreibung gegeben wird, die mit kleinen Nüancen immer wiederkehrt.“ In dem Schauſpiel „Das Leben ein Traum (la vida es sueno)“ läßt Calderon den Prinzen Sigismund das Unglück ſeiner Gefangenſchaft in anmutigen Gegenſätzen mit der Freiheit der ganzen organiſchen Natur beklagen. Es werden geſchildert die Sitten der Vögel, „die im weiten Him— melsraume ſich in raſchen Flügen regen“, die Fiſche, „welche, kaum als Laich und Schlamm entſproſſen, ſchon das weite Meer ſuchen, deſſen Unendlichkeit ihnen bei ihren kecken Zügen nicht zu genügen ſcheint. Selbſt dem Bache, der im Ringel— gange zwiſchen Blüten hingleitet, gewährt die Flur einen freien Pfad“. Und ich, ruft Sigismund verzweiflungsvoll aus, der mehr Leben hat, ſoll bei Beam Geiſte mich in mindere Freiheit fügen! Auf ähnliche Weiſe, aber auch oft durch Antitheſen, witzige Gleichniſſe und Künſteleien aus Gongoras Schule verunſtaltet, ſpricht im ſtandhaften Prinzen Don Fernando zum Könige von Fez. Wir erinnern an dieſe Sinielnert Beiſpiele, weil ſie zeigen, wie in der dramatiſchen Dichtung, die es vornehmlich mit Begebenheiten, Leidenſchaften und Charakteren zu thun hat, „die Beſchreibungen nur Ab— bildungen des Gemütes, der Stimmung der handelnden Per— ſonen werden. Shakeſpeare, der in dem Drang ſeiner be— wegten Handlung faſt nie Zeit und Gelegenheit hat, ſich auf r Naturſchilderungen gefliſſentlich einzulaſſen, malt durch Vor— fälle, Andeutungen und Gemütsbewegung der Handelnden Landſchaft und Natur, daß wir ſie vor uns zu ſehen glauben und in ihr zu leben ſcheinen. So leben wir in der Sommer: nacht im Walder ſehen wir in den letzten Szenen des Kauf⸗ manns von Venedig den Mondſchein, welcher eine warme Sommernacht erhellt, ohne daß beide geſchildert werden. Eine wirkliche Naturbeſchreibung iſt aber die der Doverklippe im König Lear, wo der ſich wahnſinnig ſtellende Edgar ſeinem blinden Vater Gloſter, auf der Ebene gehend, vorbildet, ſie erſtiegen die Klippe. Schwindelerregend iſt die Schilderung des Blickes in die Tiefe von oben hinab.“ ?““ Wenn in Shakeſpeare innere Lebendigkeit der Gefühle und großartige Einfachheit der Sprache die Anſchaulichkeit und den individuellen Naturausdruck ſo wundervoll beleben, ſo iſt in Miltons erhabener Dichtung des verlorenen Para- dieſes, dem Weſen einer ſolchen Kompoſition nach, das Be— ſchreibende mehr prachtvoll als darſtellend. Der ganze Reich— tum der Phantaſie und der Sprache iſt auf die Schilderung der blühenden Natur des Paradieſes ausgegoſſen; aber hier wie in Thomſons lieblichem Lehrgedichte der Jahres zeiten hat die Schilderung der Vegetation nur in allgemeinen, un— beſtimmteren Umriſſen entworfen r werden können. Nach dem Ur- teile tiefer Kenner der indiſchen Dichtkunſt individualiſiert zwar Kalidaſas ähnliches indiſches Gedicht, Rituſanhara, das weit über anderthalbtauſend Jahre älter iſt, die kräftige Tropennatur mit größerer Lebendigkeit; es entbehrt aber der Anmut, welche in Thomſon aus der den höheren Breiten eigenen vielfacheren Scheidung der Jahreszeiten, aus den Uebergängen des objtreichen Herbſtes zum Winter und des Winters zum wiederbelebenden Frühling, aus der Schilderung des arbeitſamen oder heiteren Treibens der Menſchen in jedem Teile des Jahres entſpringt. Gehen wir zu der uns näheren Zeit über, jo bemerfen wir, daß ſeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ſich vorzugsweiſe die darſtellende Proſa in eigentümlicher Kraft entwickelt hat. Wenn auch bei dem nach allen Seiten hin erweiterten Naturſtudium die Maſſe des Erkannten übermäßig angewachſen iſt, ſo hat ſie darum doch nicht bei den wenigen, die einer hohen Begeiſterung fähig ſind, die intellektuelle An— ſchauung unter dem materiellen Gewichte des Wiſſens erdrückt. Dieſe intellektuelle Anſchauung (das Werk dichteriſcher Spon— taneität) hat vielmehr ſelbſt an Umfang und an Erhabenheit 7] des Gegenſtandes zugenommen, ſeitdem die Blicke tiefer in den Bau der Gebirge (der geſchichteten Grabſtätte untergegangener Organiſationen), in die geographiſche Verbreitung der Tiere und Pflanzen, in die Verwandtſchaft der Menſchenſtämme ein— gedrungen ſind. So haben zuerſt durch Anregung der Einbil— dungskraft mächtig auf die Belebung des Naturgefühles, den Kontakt mit der Natur und den davon unzertrennlichen Trieb zu fernen Reiſen gewirkt: in Frankreich Jean Jacques Rouſ— ſeau, Buffon, Bernardin de St. Pierre und, um hier ausnahmsweiſe einen noch lebenden Schriftſteller zu nennen, mein vieljähriger Freund Auguſt von Chateaubriand, in den britiſchen Inſeln der geiſtreiche Playfair, in Deutſchland Cooks Begleiter auf ſeiner zweiten Weltumſegelung, der be— redte und dabei jeder Verallgemeinerung der Naturanſicht glücklich zugewandte Georg Forſter. Es muß dieſen Blättern fremd bleiben, zu unterſuchen, was jeden dieſer Schriftſteller charakteriſiert, was in ihren überall verbreiteten Werken den Schilderungen der Landſchaft Reiz und Anmut verleiht, was die Eindrücke ſtört, die ſie hervorrufen wollten; aber einem Reiſenden, welcher ſein Wiſſen hauptſächlich der unmittelbaren Anſchauung der Welt verdankt, wird es erlaubt ſein, hier einige zerſtreute Betrachtungen über einen jüngeren und im ganzen wenig bearbeiteten Teil der Litteratur einzuſchalten. Buffon: großartig und ernſt, Pla— netenbau, Organiſation, Licht und magnetiſche Kraft gleich— zeitig umfaſſend, in phyſikaliſchen Unterſuchungen weit gründ— licher, als es ſeine Zeitgenoſſen wähnten, iſt, wenn er von den Sitten der Tiere zu der Beſchreibung des Landſchaftlichen übergeht, in kunſtreichem Periodenbau, mehr rhetoriſch pomp— haft als individualiſierend wahr, mehr zur Empfänglichkeit des Erhabenen ſtimmend als das Gemüt durch anſchauliche Schilderung des wirklichen Naturlebens, gleichſam durch An— klang der Gegenwart, ergreifend. Man fühlt, ſelbſt in den mit Recht bewunderten Verſuchen dieſer Art, daß er Mittel— europa nie verließ, daß ihm die eigene Anſicht der Tropenwelt fehlt, die er zu beſchreiben glaubt. Was wir aber beſonders in den Werken dieſes großen Schriftſtellers vermiſſen, iſt die harmoniſche Verknüpfung der Darſtellung der Natur mit dem Ausdruck der angeregten Empfindung; es fehlt faſt alles, was der geheimnisvollen Analogie zwiſchen den Gemüts— bewegungen und den Erſcheinungen der Sinnenwelt entquillt. Größere Tiefe der Gefühle und ein friſcherer Lebensgeiſt Be atmen in Jean Jacques Rouſſeau, in Bernardin de St. Pierre und in Chateaubriand. Wenn ich hier der hinreißenden Beredſamkeit des erſten, der maleriſchen Szenen von Clarens und Meillerie am Lemanſee erwähne, ſo iſt es, weil in den Hauptwerken des wenig gelehrten aber eifrigen Pflanzenſammlers (ſie ſind um zwanzig Jahre älter als Buffons phantaſiereiche Weltepochen “?) die Begeiſterung ſich hauptſächlich in der innerſten Eigentümlichkeit der Sprache offenbart, ja in der Proſa ebenſo überſtrömend ausbricht als in Klopſtocks, Schillers, Goethes und Byrons unſterblichen Dichtungen. Auch da, wo nichts beabſichtigt wird, was un— mittelbar an das Studium der Natur geknüpft iſt, kann doch unſere Liebe zu dieſem Studium durch den Zauber einer poetiſchen Darſtellung des Naturlebens, ſei es auch in den engſten, uns wohlbekannten Erdräumen, erhöht werden. Indem wir zu den Proſaikern wieder zurückkehren, ver— weilen wir gern bei der kleinen Schöpfung, welcher Bernardin de St. Pierre den ſchöneren Teil ſeines litterariſchen Ruhmes verdankt. Paul und Virginia, ein Werk, wie es kaum eine andere Litteratur aufzuweiſen hat, iſt das einfache Naturbild einer Inſel mitten im tropiſchen Meere, wo, bald von der Milde des Himmels beſchirmt, bald von dem mäch— tigen Kampf der Elemente bedroht, zwei anmutvolle Geſtalten in der milden Pflanzenfülle des Waldes ſich maleriſch wie von einem blütenreichen Teppich abheben. Hier und in der Chaumiöre indienne, ja ſelbſt in den Etudes de la Nature, welche leider durch abenteuerliche Theorieen und phyſikaliſche Irrtümer verunſtaltet werden, ſind der Anblick des Meeres, die Gruppierung der Wolken, das Rauſchen der Lüfte in den Bambusgebüſchen, das Wogen der hohen Palmen— gipfel mit unnachahmlicher Wahrheit geſchildert. Bernardin de St. Pierres Meiſterwerk Paul und Virginia hat mich in die Zone begleitet, der es ſeine Entſtehung verdankt. Viele Jahre lang iſt es von mir und meinem teuren Begleiter und Freunde Bonpland geleſen worden; dort nun (man verzeihe den Anruf an das eigene Gefühl) in dem ſtillen Glanze des ſüdlichen Himmels, oder wenn in der Regenzeit, am Ufer des Orinoko, der Blitz krachend den Wald erleuchtete, wurden wir beide von der bewundernswürdigen Wahrheit durchdrungen, mit der in jener kleinen Schrift die mächtige Tropennatur in ihrer ganzen Eigentümlichkeit dargeſtellt iſt. Ein ſolches Auf— faſſen des Einzelnen, ohne dem Eindruck des Allgemeinen zu 936 an er er ſchaden, ohne dem zu behandelnden äußeren Stoffe die freie innere Belebung dichteriſcher Phantaſie zu rauben, charakteri— ſiert in einem noch höheren Grade den geiſtreichen und gefühl— vollen Verfaſſer von Atala, René, der Märtyrer und der Reiſe nach Griechenland und Paläſtina. In ſeinen Schöpfungen ſind alle Kontraſte der Landſchaft in den ver— ſchiedenartigſten Erdſtrichen mit wundervoller Anſchaulichkeit zuſammengedrängt. Die ernſte Größe hiſtoriſcher Erinnerungen konnte allein den Eindrücken einer ſchnellen Reiſe Tiefe und Ruhe verleihen. In unſerem deutſchen Vaterlande hat ſich das Natur— gefühl wie in der italieniſchen und ſpaniſchen Litteratur nur zu lange in der Kunſtform des Idylls, des Schäferromans und des Lehrgedichtes offenbart. Auf dieſem Wege wandelten oft der perſiſche Reiſende Paul Flemming, Brockes, der ge— fühlvolle Ewald von Kleiſt, Hagedorn, Salomon Geßner und einer der größten Naturforſcher aller Zeiten, Haller, deſſen lokale Schilderungen wenigſtens beſtimmtere Umriſſe und eine mehr objektive Wahrheit des Kolorits darbieten. Das elegiſch— idylliſche Element beherrſchte damals eine ſchwermütige Land— ſchaftspoeſie, und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, ſelbſt in Voß, dem edlen und tiefen Kenner des klaſſiſchen Alter— tums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erſt als das Studium der Erd— räume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Natur— wiſſenſchaften ſich nicht mehr auf tabellariſche Aufzählung ſeltſamer Erzeugniſſe beſchränkten, ſondern ſich zu den groß— artigen Anſichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfriſchen Bildern ferner Zonen benutzt werden. Die älteren Reiſenden des Mittelalters, wie John Mande— ville (1353), Hans Schiltberger aus München (1425) und Bernhard von Breytenbach (1486), erfreuen uns noch heute durch eine liebenswürdige Naivität, durch ihre Freiheit der Rede, durch die Sicherheit, mit welcher ſie vor einem Publi— kum auftreten, das ganz unvorbereitet, und darum um ſo neugieriger und leichtgläubiger anhört, weil es ſich noch nicht ſchämen gelernt hat, ergötzt oder gar erſtaunt zu ſcheinen. Das Intereſſe der Reiſen war damals faſt ganz dramatiſch, ja die notwendige und dazu ſo leichte Einmiſchung des Wunder— baren gab ihnen beinahe eine epiſche Färbung. Die Sitten der Völker werden minder beſchrieben, als ſie ſich durch den A. v. Humboldt, Kosmos. II. 4 Kontakt des Reiſenden mit den Eingebornen anſchaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer ſehr angenehmen oder ſeltſam geſtalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimenſion von Stamm und Blättern gedacht wird. Unter den Tieren werden zunächſt die menſchenähnlichen, dann die reißenden, gefahr— bringenden mit beſonderer Vorliebe beſchrieben. Die Zeit— genoſſen des Reiſenden glaubten noch an alle Gefahren, die in ſolchen Klimaten wenige unter ihnen geteilt; ja die Lang— ſamkeit der Schiffahrt und der Mangel an Verbindungsmitteln ließ die indiſchen Länder (jo nannte man die ganze Tropen- zone) wie in einer unabſehbaren Ferne erſcheinen. Kolumbus!“ hatte noch nicht das Recht gehabt, der Königin Iſabella zu ſchreiben: „Die Erde iſt nicht gar groß, viel kleiner denn das Volk es wähnt.“ In Hinſicht auf Kompoſition hatten demnach die ver- geſſenen Reiſen des Mittelalters, die wir hier ſchildern, bei aller Dürftigkeit des Materials viele Vorzüge vor unſeren meiſten neueren Reiſen. Sie hatten die Einheit, welche jedes Kunſtwerk erfordert; alles war an eine Handlung geknüpft, alles der Reiſebegebenheit ſelbſt untergeordnet. Das Inter— eſſe entſtand aus der einfachen, lebendigen, meiſt für glaub- würdig gehaltenen Erzählung überwundener Schwierigkeiten. Chriſtliche Reiſende, unbekannt mit dem, was Araber, ſpaniſche Juden und buddhiſtiſche Miſſionäre vor ihnen gethan, rühmten ſich, alles zuerſt geſehen und beſchrieben zu haben. Bei der Dunkelheit, in welche der Orient und Inneraſien gehüllt er- ſchienen, vermehrte die Ferne ſelbſt die Größe einzelner Ge— ſtalten. Eine ſolche Einheit der Kompoſition fehlt meiſt den neueren Reiſen, beſonders denen, welche wiſſenſchaftliche Zwecke verfolgen. Die Handlung ſteht dann den Beobachtungen nach, ſie verſchwindet in der Fülle derſelben. Nur mühſelige, wenn gleich wenig belehrende Bergbeſteigungen und vor allem kühne Seefahrten, eigentliche Entdeckungsreiſen in wenig erforſchten Meeren oder der Aufenthalt in der ſchauervollen Oede der beeiſten Polarzone gewähren ein dramatiſches Intereſſe, wie die Möglichkeit einer individualiſierenden Darſtellung. Die Einſamkeit der Umgebung und die hilfloſe Abgeſchiedenheit der Seefahrer iſolieren dann das Bild und wirken um ſo an— regender auf die Einbildungskraft. Wenn es nun nach den vorliegenden Betrachtungen un— leugbar iſt, daß in den neueren Reiſebeſchreibungen das Element ar der Handlung in den Hintergrund tritt, daß fie der größeren Zahl nach nur ein Mittel geworden ſind, Natur- und Sitten— beobachtungen der Zeitfolge nach aneinander zu ketten, ſo bieten ſie dagegen für dieſe teilweiſe Entfärbung einen vollen Erſatz durch den Reichtum des Beobachteten, die Größe der Weltanſicht und das rühmliche Beſtreben, die Eigentümlichkeit jeder vaterländiſchen Sprache zu anſchaulichen Darſtellungen zu benutzen. Was die neuere Kultur uns gebracht, iſt die unausgeſetzt fortſchreitende Erweiterung unſeres Geſichts— lreiſes, die wachſende Fülle von Ideen und Gefühlen, die thätige Wechſelwirkung beider. Ohne den heimatlichen Boden zu verlaſſen, ſollen wir nicht bloß erfahren können, wie die Erdrinde in den entfernteſten Zonen geſtaltet iſt, welche Tier— und Pflanzenformen ſie beleben; es ſoll uns auch ein Bild verſchafft werden, das wenigſtens einen Teil der Eindrücke lebendig wiedergibt, welche der Menſch in jeglicher Zone von der Außenwelt empfängt. Dieſer Anforderung zu genügen, dieſem Bedürfnis einer Art geiſtiger Freuden, welche das Altertum nicht kannte, arbeitet die neuere Zeit; die Arbeit gelingt, weil ſie das gemeinſame Werk aller gebildeten Nationen iſt, weil die Vervollkommnung der Bewegungsmittel auf Meer und Land die Welt zugänglicher, ihre einzelnen Teile in der weiteſten Ferne vergleichbarer macht. Ich habe hier die Richtung zu bezeichnen verſucht, in welcher das Darſtellungsvermögen des Beobachters, die Be— lebung des naturbeſchreibenden Elements und die Verviel— fältigung der Anſichten auf dem unermeßlichen Schauplatze ſchaffender und zerſtörender Kräfte als Anregungs- und Er— weiterungsmittel des wiſſenſchaftlichen Naturſtudiums auftreten können. Der Schriftſteller, welcher in unſerer vaterländiſchen Litteratur nach meinem Gefühle am kräftigſten und am ge— lungenſten den Weg zu dieſer Richtung eröffnet hat, iſt mein berühmter Lehrer und Freund Georg Forſter geweſen. Durch ihn begann eine neue Aera wiſſenſchaftlicher Reiſen, deren Zweck vergleichende Völker- und Länderkunde iſt. Mit einem feinen äſthetiſchen Gefühle begabt, in ſich bewahrend die lebensfriſchen Bilder, welche auf Tahiti und anderen, da— mals glücklicheren Eilanden der Südſee ſeine Phantaſie (wie neuerlichſt wieder die von Charles Darwin) erfüllt hatten, ſchilderte Georg Forſter zuerſt mit Anmut die wechſelnden Vegetationsſtufen, die klimatiſchen Verhältniſſe, die Nahrungs— ſtoffe in Beziehung auf die Geſittung der Menſchen nach Verſchiedenheit ihrer urſprünglichen Wohnſitze und ihrer Ab- ſtammung. Alles, was der Anſicht einer exotiſchen Natur— wahrheit Individualität und Anſchaulichkeit gewähren kann, findet ſich in ſeinen Werken vereint. Nicht etwa bloß in ſeiner trefflichen Beſchreibung der zweiten Reiſe des Kapitän Cook, mehr noch in den kleinen Schriften liegt der Keim zu vielem Großen, das die ſpätere Zeit zur Reife gebracht hat. Aber auch dieſes jo edle, gefühlreiche, immer hoffende Leben durfte kein glückliches ſein! Hat man die Naturſchilderungen, deren ſich die neuere Zeit, vorzüglich in der deutſchen, franzöſiſchen, engliſchen und nordamerikaniſchen Litteratur, erfreut, mit den Benennungen „beſchreibender Poeſie und Landſchaftsdichtung“ tadelnd be— legt, jo bezeichnen dieſe Benennungen wohl nur den Miß— brauch, welcher vermeintlichen Grenzerweiterungen des Kunſt— gebiets ſchuld gegeben wird. Dichteriſche Beſchreibungen von Naturerzeugniſſen, wie ſie am Ende einer langen und rühm— lichen Laufbahn Delille geliefert, ſind bei allem Aufwande verfeinerter Sprachkunſt und Metrik keineswegs als Natur- dichtungen im höheren Sinne des Wortes zu betrachten. Sie bleiben der Begeiſterung und alſo dem poetischen Boden fremd, ſind nüchtern und kalt, wie alles, was nur durch äußere Zierde glänzt. Wenn demnach die ſogenannte „beſchreibende Poeſie“ als eine eigene, für ſich beſtehende Form der Dichtung mit Recht getadelt worden iſt, jo trifft eine ſolche Mißbilli— gung gewiß nicht ein ernſtes Beſtreben, die Reſultate der neueren inhaltreicheren Weltbetrachtung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes, anſchaulich zu machen. Sollte ein Mittel unangewandt bleiben, durch welches uns das belebte Bild einer fernen, von anderen durch— wanderten Zone, ja ein Teil des Genuſſes verſchafft werden kann, den die unmittelbare Naturanſchauung gewährt? Die Araber ſagen figürlich und ſinnig, die beſte Beſchreibung ſei die, „in welcher das Ohr zum Auge umgewandelt wird“. Es gehört in die Leiden der Gegenwart, daß ein unſeliger Hang zu inhaltloſer poetiſcher Proſa, zu der Leere ſogenannter ge— mütlicher Ergüſſe gleichzeitig in vielen Ländern verdienſtvolle Reiſende und naturhiſtoriſche Schriftſteller ergriffen hat. Ver— irrungen dieſer Art ſind um ſo unerfreulicher, wenn der Stil aus Mangel litterariſcher Ausbildung, vorzüglich aber aus Abweſenheit aller inneren Anregung in rhetoriſche Schwülſtig— keit und trübe Sentimentalität ausartet. oO — 53 — Naturbeſchreibungen, wiederhole ich hier, können ſcharf umgrenzt und wiſſenſchaftlich genau ſein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichteriſche muß aus dem geahnten Zuſammen hang des Sinnlichen mit dem Intellektuellen, aus dem Ge— fühl der Allverbreitung, der gegenſeitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenſtände ſind, deſto ſorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes iſt in feiner Kompoſition begründet; jede ge- fliſſentliche Anregung von ſeiten deſſen, der es aufſtellt, kann nur ſtörend ſein. 8 mit den großen Werken des Alter— tums vertraut, 1 ſicherem Beſitze des Reichtums ſeiner Sprache, einfach SR individualiſierend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anſchauung empfangen, wird den Ein— druck nicht verfehlen; er wird es um ſo weniger, als er, die äußere ihn umgebende Natur und nicht ſeine eigene Stim⸗ mung ſchildernd, die Freiheit des Gefühles in anderen unbe— ſchränkt läßt. Aber nicht die lebendige Beſchreibung jener reich ge: ſchmückten Länder der Aequinoktialzone allein, in welcher Intenſität des Lichtes und feuchte Wärme die Entwickelung aller organiſchen Keime beſchleunigen und erhöhen, hat in unſeren Tagen dem geſamten Naturſtudium einen mächtigen Reiz verſchafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organiſche Leben anregend wirkt, iſt nicht auf die Tropenwelt allein beſchränkt. Jeder Erdſtrich bietet die Wunder fortſchreitender Geſtaltung und Gliederung, nach wiederkehrenden oder leiſe abweichenden Typen, dar. Allver— breitet iſt das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwiſt der Elemente in der wolkenſchweren Himmels— decke wie in dem zarten e der belebten Stoffe zu bin— dender Eintracht löſen. Darum können alle Teile des weiten Schöpfungskreiſes, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall, wo der Frühling eine Knoſpe entfaltet, ſich einer begeiſternden Kraft auf das Gemüt erfreuen. Zu einem ſolchen Glauben iſt unſer deutſches Vaterland vor allem berechtigt. Wo iſt das ſüdlichere Volk, welches uns nicht um den großen Meiſter der Dichtung beneiden ſollte, deſſen Werke alle ein tiefes Ge— fühl der Natur durchdringt: in den Leiden des jungen Werthers wie in den Erinnerungen an Italien, in der Metamorphoſe der Gewächſe wie in ſeinen ver— miſchten Gedichten? Wer hat beredter feine Zeitgenofien — angeregt, „des Weltalls heilige Rätſel zu löſen“; das Bündnis, zu erneuern, welches im Jugendalter der Menſchheit Philo- — ſophie, Phyſik und Dichtung mit einem Bande umſchlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geiſtig heimiſche Land, wo g s Ein ſanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte ſtill und hoch der Lorbeer ſteht? E Landſchaftmalerei in ihrem Einfluß auf die Belebung des Uatur— ndiums. — Graphiſche Darſtellung der Phyſiognomik der Gewächſe. — Eharakterifik ihrer Geſtaltung unter verſchiedenen Zonen. Wie eine lebensfriſche Naturbeſchreibung, ſo iſt auch die Landſchaftmalerei geeignet, die Liebe zum Naturſtudium zu erhöhen. Beide zeigen uns die Außenwelt in ihrer ganzen geſtaltenreichen Mannigfaltigkeit; beide ſind fähig, nach dem Grade eines mehr oder minder glücklichen Gelingens in Auf— faſſung der Natur das Sinnliche an das Unſinnliche anzu— knüpfen. Das Streben nach einer ſolchen Verknüpfung be— zeichnet das letzte und erhabenſte Ziel der darſtellenden Künſte. Dieſe Blätter ſind durch den wiſſenſchaftlichen Gegenſtand, dem ſie gewidmet ſind, auf eine andere Anſicht beſchränkt: es kann hier der Landſchaftmalerei nur in der Beziehung ge— dacht werden, als ſie den phyſiognomiſchen Charakter der ver— ſchiedenen Erdräume anſchaulich macht, die Sehnſucht nach fernen Reiſen vermehrt und auf eine ebenſo lehrreiche als anmutige Weiſe zum Verkehr mit der freien Natur anreizt. In dem Altertum, welches wir vorzugsweiſe das klaſſiſche nennen, bei den Griechen und Römern, war nach der beſon— deren Geiſtesrichtung dieſer Völker die Landſchaftmalerei eben— ſowenig als die dichteriſche Schilderung einer Gegend ein für ſich beſtehendes Objekt der Kunſt. Beide wurden nur als Beiwerk behandelt. Anderen Zwecken untergeordnet, diente die Landſchaftmalerei lange nur als Hintergrund hiſtoriſcher Kompoſitionen oder als zufälliges Ornament in Wandgemälden. Auf eine ähnliche Weiſe verſinnlichte der epiſche Dichter durch eine maleriſche Beſchreibung der Landſchaft — ich könnte wieder ſagen des Hintergrundes, vor dem die handelnden Per— ſonen ſich bewegen — das Lokal eines geſchichtlichen Vor— ganges. Die URLS DE lehrt, wie allmählich das Beiwerk zur Hauptſache der Darſtellung wurde; wie die Landſchaft⸗ malerei, von der hiſtoriſchen geſondert, als eine eigene Gat⸗ tung auftrat; wie die menſchlichen Geſtalten bald nur als Staffage einer Berg- und Waldgegend, eines Seeſtrandes oder einer Gartenanlage gedient haben. Die Trennungen zweier Gattungen, der Geſchichts- und Landſchaftmalerei, iſt ſo, den allgemeinen Fortſchritt der Kunſt auf verſchiedenen Bildungs— ſtufen begünſtigend, allmählich vorbereitet worden; und man hat mit Recht bemerkt, daß, wenn überhaupt bei den Alten die Malerei der Plaſtik untergeordnet blieb, insbeſondere das Gefühl für die landſchaftliche Schönheit, welche der Pinſel wiedergeben ſoll, kein antikes, ſondern ein modernes Gefühl iſt. Graphiſche Andeutung von der Eigentümlichkeit einer Gegend mußte ſich allerdings ſchon in den älteſten Gemälden der Griechen finden, wenn, um einzelne Beiſpiele anzuführen, nach Herodots Berichte Mandrokles von Samos für den großen Perſerkönig den Uebergang des Heeres über den Bosporus darſtellen ließ, oder wenn Bolygnot °' in der Lesche zu Delphi den Untergang von Troja malte. Unter den Bildern, die der ältere Philoſtrat beſchreibt, wird ſogar eine Landſchaft erwähnt, in der man Rauch aus dem Gipfel eines Vulkans aufſteigen und Lavaſtröme ſich in das nahe Meer ergießen ſah. In dieſer ſehr verwickelten Kompoſition einer Anſicht von ſieben Inſeln glauben die neueſten Kommentatoren?“ ſogar die Darſtellung einer wirklichen Gegend, die kleine äoliſche oder lipariſche Vulkangruppe, nördlich von Sizilien, zu erkennen. Die perſpektiviſche Bühnenmalerei, durch welche die Aufführung der Meiſterwerke des Aeſchylos und Sophokles verherrlicht worden war, erweiterte allmählich dieſen Teil des Kunſtgebietes, indem ſie das Bedürfnis einer täuſchenden Nachahmung lebloſer Gegenſtände (von Baulichkeiten, Wald und Felſen) vermehrte. Von der Bühne, durch die Vervollkommnung der Szeno— graphie, ging die Landſchaftmalerei bei den Griechen und den nachahmenden Römern in die durch Säulen gezierten Hallen über, wo lange Wandflächen erſt mit eingeſchränkten Naturſzenen, bald aber mit großen Proſpekten von Städten, Seeufern und weiten Triften bedeckt wurden, auf denen Vieh— herden weiden. Solche anmutige Wandverzierungen hatte in dem Auguſteiſchen Zeitalter nicht erfunden, aber allgemein beliebt gemacht und durch die Staffage kleiner Figuren er— mm — 57 — heitert““ der römiſche Maler Ludius. Faſt zu derſelben Zeit und wohl noch ein halbes Jahrhundert früher finden wir ſchon bei den Indern in der glänzenden Epoche des Vikrama— ditya der Landſchaftmalerei als einer ſehr geübten Kunſt er— wähnt. In dem reizenden Drama Sakuntala wird dem König Duſchmanta das Bild ſeiner Geliebten gezeigt. Er iſt nicht zufrieden damit, denn er will, „daß die Malerin die Plätze abbilde, welche der Freundin beſonders lieb ſind: den Malinifuß mit einer Sandbank, auf der die roten Flamingos ſtehen, eine Hügelkette, welche ſich an den Himalaya anlehnt, und Gazellen auf dieſer Hügelkette gelagert“. Das ſind An⸗ forderungen nicht geringer Art; ſie deuten wenigſtens auf den Glauben an die Ausführbarkeit einer verwickelten Kompoſition. Seit den Cäſaren trat die Landſchaftmalerei zu Rom als eine eigene abgeſonderte Kunſt auf; aber nach dem vielen, was uns die Ausgrabungen von Herkulanum, Pompeji und Stabiä zeigen, waren dieſe Naturbilder oft nur landkarten— ähnliche Ueberſichten der Gegend, wieder mehr Darſtellung von Hafenſtädten, Villen und Kunſtgärten, als der freien Natur zugewandt. Den Griechen und Römern ſchien faſt allein das gemächlich Bewohnbare anziehend in der Land— ſchaft, nicht das, was wir wild und romantiſch nennen. Die Nachahmung⸗ konnte genau ſein, ſoweit eine oft ſtörende Sorgloſigkeit in der Perſpektive und ein Streben nach kon— ventioneller Anordnung es erlaubten; ja die arabeskenartigen Kompoſitionen, denen der ſtrenge Vitruvius abhold war, ver— einigten, rhythmiſch wiederkehrend und genialiſch aufgefaßt, Tier- und Pflanzengeſtalten; aber, um mich eines ee von Otfried Müller zu bedienen, „der ahnungsvolle Dämmer— ſchein des Geiſtes, mit welchem die Landſchaft uns anſpricht, erſchien den Alten nach ihrer Gemütsrichtung jeder künſt— leriſchen Ausbildung unfähig; ihre Landſchaften waren mehr ſcherzhaft als mit Ernſt und Gefühl entworfen. Wir haben die Analogie des Entwickelungsganges be— zeichnet, auf dem im klaſſiſchen Altertume zwei Mittel, die Natur anſchaulich darzuſtellen, durch die Sprache (das begeiſterte Wort) und durch graphiſche Nachbildungen, allmählich zu einiger Selbſtändigkeit gelangt ſind. Was uns die neuerlichſt ſo Fer fortgeſetzten Ausgrabungen in Pompeji von antiker andſchaftmalerei in der Manier des Ludius zeigen, gehört höchſt wahrſcheinlich einer einzigen und zwar ſehr kurzen Zeit⸗ epoche °° von Nero bis Titus an; denn die Stadt war ſechzehn Le Jahre vor dem berühmten Ausbruch des Veſuvs ſchon einmal durch Erdbeben gänzlich zerſtört worden. Die ſpätere chriſtliche Malerei blieb nach ihrem Kunſt— charakter, von Konſtantin dem Großen an bis zu dem An— fange des Mittelalters, der echt griechiſchen und römiſchen nahe verwandt. Es offenbart uns dieſelbe einen Schatz von alten Erinnerungen ſowohl in den Miniaturen,““ welche pracht— volle und wohlerhaltene Manufkripte zieren, wie in den ſelte— neren Moſaiken derſelben Epochen. Rumohr gedenkt eines Pſalmenmanuſkriptes in der Barberina zu Rom, wo in einer Miniatur „David die Harfe ſchlägt, von einem anmutigen Haine umgeben, aus deſſen Gezweige Nymphen hervorlauſchen. Dieſe Perſonifikation deutet auf die antike Wurzel des ganzen Bildes.“ Seit der Mitte des ſechſten Jahrhunderts, wo Italien verarmt und politiſch zerrüttet war, bewahrte vor— zugsweiſe die byzantiniſche Kunſt im öſtlichen Reiche den Nach— klang und die ſchwer verlöſchenden Typen einer beſſeren Zeit. Solche Denkmäler bilden den Uebergang zu den Schöpfungen des ſpäteren Mittelalters, nachdem die Liebe zu der Aus— ſchmückung der Manuſkripte ſich aus dem griechiſchen Orient nach den Abendländern und dem Norden, in die fränkiſche Monarchie, unter den Angelſachſen und in die Niederlande, verbreitet hatte. Es iſt daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geſchichte der neueren Kunſt, „daß die berühmten Brüder Hubert und Johann van Eyck dem Weſentlichen nach aus einer Schule der Miniaturmaler hervorgegangen ſind, welche ſeit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Flan— dern eine ſo große Vollkommenheit erlangt hatte“. Sorgfältige Ausbildung des Landſchaftlichen findet ſich nämlich zuerſt in den hiſtoriſchen Bildern dieſer Brüder van Eyck. Beide haben nie Italien geſehen; aber der jüngere Bruder Johann genoß den Anblick einer ſüdeuropäiſchen Vege— tation, als er im Jahr 1428 die Geſandtſchaft begleitete, welche der Herzog von Burgund, Philipp der Gute, wegen ſeiner Bewerbung um die Tochter König Johanns J. von Portugal nach Liſſabon ſchickte. Wir beſitzen hier in dem Muſeum zu Berlin die Flügel des herrlichen Bildes, welches die eben genannten Künſtler, die eigentlichen Begründer der großen niederländiſchen Malerſchule, für die Kathedralkirche zu Gent angefertigt hatten. Auf den Flügeln, welche die heiligen Einſiedler und Pilger darſtellen, hat Johann van Eyck die Landſchaft durch Orangenbäume, Dattelpalmen und Cypreſſen — geſchmückt, welche äußerſt naturgetreu über andere dunkle Maſſen einen ernſten, erhabenen Charakter verbreiten. Man fühlt bei dem Anblick des Bildes, daß der Maler ſelbſt den Eindruck einer Vegetation empfangen hat, die von lauen Lüften umweht iſt. Bei dem Meiſterwerke der Gebrüder van Eyck ſtehen wir noch in der erſten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als die vervollkommnete Oelmalerei eben erſt angefangen hatte, die Malerei in Tempera zu verdrängen und doch ſchon eine hohe techniſche Vollendung erlangt hatte. Das Streben nach einer lebendigen Darſtellung der Naturformen war erweckt; und will man die allmähliche Verbreitung eines ſich erhöhenden Naturgefühles verfolgen, jo muß man erinnern, wie Anto- nello di Meſſina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landſchaftlicher Auffaſſung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyckſchen Schule ſelbſt in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meiſter in ähn— lichem Sinne eingewirkt haben.“ Die Beſtrebungen dieſer Zeit waren auf eine jorgjame, aber meiſt ängitliche Nach: ahmung der Natur gerichtet. Frei und großartig aufgefaßt erſcheint dieſe erſt in den Meiſterwerken des Tizian, dem auch hier Giorgione zum Vorbild gedient. Ich habe das Glück gehabt, viele Jahre lang im Patiſer Muſeum das Ge— mälde des Tizian bewundern zu können, welches den Tod des von einem Albigenſer im Walde überfallenen Petrus Martyr °° in Gegenwart eines anderen Dominikanermönches darſtellt. Die Form der Waldbäume und ihre Belaubuna, . die bergige blaue Ferne, die Abtönung und Beleuchtung des Ganzen laſſen einen feierlichen Eindruck von Ernſt und Größe, von einer Tiefe der Empfindungen, welche die überaus ein— fache landſchaftliche Kompoſition durchdringt. So lebendig war das Naturgefühl des Tizian, daß er nicht etwa bloß in Bildniſſen ſchöner Frauen, wie in dem Hintergrunde der üppigen Geſtalt der Dresdener Venus, ſondern auch in den Bildniſſen ſtrengerer Auffaſſung, z. B. in dem des Dichters Pietro Aretino, ſei es der Landſchaft, ſei es dem Himmel einen der individuellen Darſtellung entſprechenden Charakter gab. Einem ſolchen Charakter der Erhabenheit blieben treu in der Bologneſer Schule Annibal Carracci und Domenichino. War aber die große Kunſtepoche der Hiſtorienmalerei das Cinquecento, jo iſt die Epoche der größten Landſchafter das 17. Jahrhundert. Bei dem immer mehr erkannten und — 60 — ſorgſamer beobachteten Reichtum der Natur konnte das Kunſt⸗ gefühl ſich über eine größere Mannigfaltigkeit von Gegen— ſtänden verbreiten; auch vermehrte ſich zugleich die Voll— kommenheit der techniſchen Darſtellungsmittel. Beziehungen auf die Stimmung des Gemütes wurden inniger, und durch ſie erhöhte ſich der zarte und milde Ausdruck des Natur- ſchönen, wie der Glaube an die Macht, mit welcher die Sinnenwelt uns anregen kann. Wenn dieſe Anregung, dem erhabenen Zwecke aller Kunſt gemäß, die wirklichen Gegen— ſtände in ein Objekt der Phantaſie verwandelt, wenn ſie har- moniſch in unſerem Inneren den Eindruck der Ruhe erzeugt, ſo iſt der Genuß nicht ohne Rührung; ſie ergreift das Herz, ſo oft wir in die Tiefen der Natur oder der Menſchheit blicken.“ In ein Jahrhundert finden wir zuſammengedrängt Claude Lorrain, den idylliſchen Maler des Lichts und der duftigen Ferne, Ruysdaels dunkle Waldmaſſen und ſein drohendes Gewölk, die heroiſchen Baumgeftalten von Gaspard und Nikolaus Pouſſin; die naturwahren Darſtellungen von Everdingen, Hobbema und Cuyp.?“ In dieſer glücklichen Entwickelungsperiode der Kunſt ahmte man geiſtreich nach, was die Vegetation des Nordens von Europa, was das ſüdliche Italien und die Iberiſche Halbinſel darboten. Man ſchmückte die Landſchaft mit Orangen- und Lorbeerbäumen, mit Pinien und Dattelpalmen. Die letzten (das einzige Glied dieſer herrlichen Familie, das man außer der kleinen, urſprünglich europäiſchen Strandpalme, Chamae- rops, durch eigenen Anblick kannte) wurden meiſt konventionell mit ſchlangenartig ſchuppigem Stamme dargeſtellt;““ ſie dienten lange zum Repräſentanten der ganzen Tropenvegetation, wie Pinus pinea nach einem noch ſehr verbreiteten Glauben die Vegetation Italiens ausſchließlich charakteriſieren ſoll. Die Umriſſe hoher Gebirgsketten wurden wenig ſtudiert; ja Schnee— gipfel, welche ſich über grüne Alpenwieſen erheben, wurden damals noch von Naturforſchern und Landſchaftmalern für unerreichbar gehalten. Die Phyſiognomik der Felsmaſſen reizte faſt nur da zu einer genaueren Nachbildung an, wo der Gießbach ſich ſchäumend Bahn gebrochen hat. Auch hier iſt wieder die Vielſeitigkeit eines freien, ſich in die ganze Natur verſenkenden, künſtleriſchen Geiſtes zu bezeichnen. Ein Geſchichtsmaler, derſelbe Rubens, der in ſeinen großen Jagd— ſtücken das wilde Treiben der Waldtiere mit unnachahmlicher Lebendigkeit geſchildert hat, faßte beinahe gleichzeitig die Geſtal— 2 tung des Erdreichs in der dürren, gänzlich öden, felſigen Hoch— ebene des Escorials mit ſeltenem Glücke landſchaftlich auf. Die Darſtellung individueller Naturformen, den Teil der Kunſt berührend, welcher der eigentliche Gegenſtand dieſer Blätter iſt, konnte an Mannigfaltigkeit und Genauigkeit erſt dann zunehmen, als der geographiſche Geſichtskreis erweitert, das Reiſen in ferne Klimate erleichtert und der Sinn für die relative Schönheit und Gliederung der vegetabiliſchen Ge ſtalten, wie ſie in Gruppen natürlicher Familien verteilt ſind, angeregt wurden. Die Entdeckungen von Kolumbus, Vasco de Gama und Alvarez Cabral in Mittelamerika, Süd— aſien und Braſilien, der ausgebreitete Spezerei- und Droguen— handel der Spanier, Portugieſen, Italiener und Niederländer, die Gründung botaniſcher, aber noch nicht mit eigentlichen Treibhäuſern verſehener Gärten in Piſa, Padua und Bologna zwiſchen 1544 und 1568 machten die Maler allerdings mit vielen wunderbaren Formen exotiſcher Produkte, ſelbſt mit denen der Tropenwelt bekannt. Einzelne Früchte, Blüten und Zweige wurden von Johann Breughel, deſſen Ruhm ſchon am Ende des 16. Jahrhunderts begann, mit anmutiger Natur— treue dargeſtellt; aber es fehlte bis kurz vor der Mitte des 17. Jahrhunderts an Landſchaften, welche den individuellen Charakter der heißen Zone, von dem Künſtler ſelbſt an Ort und Stelle aufgefaßt, wiedergeben konnten. Das erſte Ver— dienſt einer ſolchen Darſtellung gehört wahrſcheinlich, wie mich Waagen belehrt, dem niederländiſchen Maler Franz Poſt aus Harlem, der den Prinzen Moritz von Naſſau nach Braſilien begleitete, wo dieſer, mit den Erzeugniſſen der Tropenwelt lebhaft beſchäftigte Fürſt in den Jahren 1637 bis 1644 hollän— diſcher Statthalter in den eroberten portugieſiſchen Beſitzungen war. Poſt machte viele Jahre lang Studien nach der Natur am Vorgebirge San Auguſtin, in der Bucht Aller Heiligen, an den Ufern des Rio San Francisco und am unteren Laufe des Amazonenjtroms.’? Dieſe Studien wurden von ihm ſelbſt teils als Gemälde ausgeführt, teils mit vielem Geiſte radiert. Zu derſelben Zeit gehören die in Dänemark (in einer Galerie des ſchönen Schloſſes Frederiksborg) aufbewahrten, ſehr aus— gezeichneten großen Oelbilder des Malers Eckhout, der 1641 ſich ebenfalls mit Prinz Moritz von Naſſau an der braſilianiſchen Küſte befand. Palmen, Melonenbäume, Bananen und Helikonien ſind überaus charakteriſtiſch abgebildet; auch die Geſtalten der Eingebornen, buntgefiederte Vögel und kleine Quadrupeden. — nBen Es Solchen Beiſpielen phyſiognomiſcher Naturdarſtellung ſind bis zu Cooks zweiter Weltumſeglung wenige begabte Künſtler gefolgt. Was Hodges für die weſtlichen Inſeln der Südſee, was unſer verewigter Landsmann Ferdinand Bauer für Neu— holland und Vandiemensland geleiſtet, haben in den neueſten Zeiten in viel größerem Stile und mit höherer Meiſterſchaft für die amerikaniſche Tropenwelt Moritz Rugendas, der Graf Clarac, Ferdinand Bellermann und Eduard Hildebrandt; für viele andere Teile der Erde Heinrich von Kittlitz, der Be— gleiter des ruſſiſchen Admirals Lütke auf ſeiner Weltumſege— lung, gethan.“ Wer, empfänglich für die Naturſchönheit von Berg-, Fluß- und Waldgegenden, die heiße Zone ſelbſt durchwandert iſt, wer Ueppigkeit und Mannigfaltigkeit der Vegetation nicht etwa bloß an den bebauten Küſten, ſondern am Abhange der ſchneebedeckten Andes, des Himalaya und des myſoriſchen Nilgherigebirges, oder in den Urwäldern des Flußnetzes zwiſchen dem Orinoko und Amazonenſtrom geſehen hat, der allein kann fühlen, welch ein unabſehbares Feld der Land— ſchaftmalerei zwiſchen den Wendekreiſen beider Kontinente oder in der Inſelwelt von Sumatra, Borneo und der Philippinen zu eröffnen iſt; wie das, was man bisher Geiſtreiches und Treffliches geleiſtet, nicht mit der Größe der Naturſchätze ver— glichen werden kann, deren einſt noch die Kunſt ſich zu be— mächtigen vermag. Warum ſollte unſere Hoffnung nicht ge— gründet ſein, daß die Landſchaftmalerei zu einer neuen, nie geſehenen Herrlichkeit erblühen werde, wenn hochbegabte Künſtler öfter die engen Grenzen des Mittelmeers überſchreiten können; wenn es ihnen gegeben ſein wird, fern von der Küſte, mit der urſprünglichen Friſche eines reinen jugendlichen Gemütes, die vielgeſtaltete Natur in den feuchten Gebirgsthälern der Tropenwelt lebendig aufzufaſſen? Jene herrlichen Regionen ſind bisher meiſt nur von Reiſenden beſucht worden, denen Mangel an früher Kunſt⸗ bildung und anderweitige wifjenfchaftliche Beſchäftigung wenig Gelegenheit gaben, ſich als x Landſchaftmaler zu vervollkommnen. Die wenigſten von ihnen wußten bei dem botaniſchen Inter— eſſe, welches die individuelle Form der Blüten und Blätter erregte, den Totaleindrud der tropiſchen Zone aufzufaſſen. Oft wurden die Künſtler, welche große auf Koſten des Staates ausgerüſtete Expeditionen begleiten ſollten, wie durch Zufall gewählt und dann unvorbereiteter befunden, als es eine ſolche N — 63 — Beſtimmung erheiſcht. Das Ende der Reiſe nahte dann heran, wenn die Talentvolleren unter ihnen, durch den langen Anblick großer Naturſzenen und durch häufige Verſuche der Nachbildung, eben angefangen hatten, eine gewiſſe techniſche Meiſterſchaft zu erlangen. Auch ſind die ſogenannten Welt— umſegelungen wenig geeignet, den Künſtler in ein eigentliches Waldland oder zu dem oberen Laufe großer Flüſſe und auf den Gipfel innerer Gebirgsketten zu führen. Skizzen, in Angeſicht der Naturſzenen gemalt, können allein dazu leiten, den Charakter ferner Weltgegenden, nach der Rückkehr, in ausgeführten Landſchaften wiederzugeben; ſie werden es um ſo vollkommener thun, als neben denſelben der begeiſterte Künſtler zugleich eine große Zahl einzelner Studien von Baumgipfeln, wohlbelaubten, blütenreichen, fruchtbehan— genen Zweigen, von umgeſtürzten Stämmen, die mit Pothos und Orchideen beſetzt ſind, von Felſen, Uferſtücken und Teilen des Waldbodens nach der Natur in freier Luft gezeichnet oder gemalt hat. Der Beſitz ſolcher, in recht beſtimmten Umriſſen entworfenen Studien kann dem Heimkehrenden alle miß— leitende Hilfe von Treibhausgewächſen und ſogenannten botaniſchen Abbildungen entbehrlich machen. Eine große Weltbegebenheit, die Unabhängigkeit des ſpani— ſchen und portugieſiſchen Amerikas von europäiſcher Herrſchaft, die zunehmende Kultur in Indien, Neuholland, den Sandwich— inſeln und den ſüdlichen Kolonien von Afrika werden unaus— bleiblich, nicht der Meteorologie und beſchreibenden Natur- kunde allein, ſondern auch der Landſchaftmalerei einen neuen, großartigen Charakter und einen Schwung geben, den ſie ohne dieſe Lokalverhältniſſe nicht erreichen würden. In Süd— amerika liegen volkreiche Städte faſt bis zu 13000 Fuß (4220 Meter) Höhe über der Meeresfläche. Von da hinab bieten ſich dem Auge alle klimatiſchen Abſtufungen der Pflanzen— formen dar. Wie viel iſt nicht von maleriſchen Studien der Natur zu erwarten, wenn nach geendigtem Bürgerzwiſte und hergeſtellten freien Verfaſſungen, endlich einmal Kunſtſinn in jenen Hochländern erwacht! Alles, was ſich auf den Ausdruck der Leidenſchaften, auf die Schönheit menſchlicher Form bezieht, hat in der temperierten nördlichen Zone, unter dem griechiſchen und heſperiſchen Himmel, ſeine höchſte Vollendung erreichen können; aus den Tiefen ſeines Gemütes wie aus der ſinnlichen Anſchauung des eigenen Geſchlechtes ruft, ſchöpferiſch frei und nachbildend zugleich, N der Künſtler die Typen hiſtoriſcher Darſtellungen hervor. Die Landſchaftmalerei, welche ebenſowenig bloß nachahmend iſt, hat ein mehr materielles Subſtratum, ein mehr irdiſches Treiben. Sie bedarf einer großen Maſſe und Mannigfaltigkeit un— mittelbar ſinnlicher Anſchauung, die das Gemüt in ſich auf— nehmen und, durch eigene Kraft befruchtet, den Sinnen wie ein freies Kunſtwerk wiedergeben ſoll. Der große Stil der heroiſchen Landſchaft iſt das Ergebnis einer tiefen Naturauf— faſſung und jenes inneren geiſtigen Prozeſſes. Allerdings iſt die Natur in jedem Winkel der Erde ein Abglanz des Ganzen. Die Geſtalten des Organismus wieder— holen ſich in anderen und anderen Verbindungen. Auch der eiſige Norden erfreut ſich monatelang der krautbedeckten Erde, großblütiger Alpenpflanzen und milder Himmelsbläue. Nur mit den einfacheren Geſtalten der heimiſchen Flora vertraut, darum aber nicht ohne Tiefe des Gefühls und Fülle ſchöpfe— riſcher Einbildungskraft, hat bisher unter uns die Landſchaft— malerei ihr anmutiges Werk vollbracht. Bei dem Vaterlän— diſchen und dem Eingebürgerten des Pflanzenreichs verweilend, hat ſie einen engeren Kreis durchlaufen; aber auch in dieſem fanden hochbegabte Künſtler, die Carracci, Gaspard Pouſſin, Claude Lorrain und Ruysdael, Raum genug, um durch Wechſel der Baumgeſtalten und der Beleuchtung die glücklichſten und mannigfaltigſten Schöpfungen zauberiſch hervorzurufen. Was die Kunſt noch zu erwarten hat und worauf ich hindeuten mußte, um an den alten Bund des Naturwiſſens mit der Poeſie und dem Kunſtgefühl zu erinnern, wird den Ruhm jener Meiſterwerke nicht ſchmälern; denn, wie wir ſchon oben bemerkt, in der Landſchaftmalerei und in jedem anderen Zweige der Kunſt iſt zu unterſcheiden zwiſchen dem, was beſchränkterer Art die ſinnliche Anſchauung und die unmittelbare Beobachtung erzeugt, und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Em— pfindung und der Stärke idealiſierender Geiſteskraft aufſteigt. Das Großartige, was dieſer ſchöpferiſchen Geiſteskraft die Landſchaftmalerei, als eine mehr oder minder begeiſterte Natur— dichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Pouſſin und Hannibal Carracci hinauf), iſt, wie der mit Phantaſie begabte Menſch, etwas nicht an den Boden Gefeſſeltes. Bei den großen Meiſtern der Kunſt iſt die örtliche Beſchränkung nicht zu ſpüren; aber Erweiterung des ſinnlichen Horizonts, Bekanntſchaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vorteil, daß ſie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Subſtrats der Landſchaftmalerei, ſondern auch dahin wirken, bei minder begabten Künſtlern die Empfindung lebendiger anzuregen und ſo die ſchaffende Kraft zu erhöhen. Sei es mir erlaubt, hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich faſt vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig geleſenen Abhandlung: Ideen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe mitgeteilt habe; Betrachtungen, die in dem innigſten Zuſammenhange mit den eben behandelten Gegen— ſtänden ſtehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfaſſen und von Lokalphänomenen zu abſtrahieren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum . hin ſich auch allmählich die organiſche Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maße noch vom nördlichen Europa nach den ſchönen Küſtenländern des Mittelmeeres als von der Iberiſchen Halbinſel, von Süditalien und Griechenland gegen die Tropenwelt zu. Ungleich iſt der Teppich gewebt, den die blütenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet; dichter, wo die Sonne höher an dem dunkel-reinen oder von lichtem Gewölk umflorten Himmel emporſteigt; lockerer gegen den trüben Norden hin, wo der wiederkehrende Froſt bald die entwickelte Knoſpe tötet, bald die reifende Frucht . Wenn in der kalten Zone die Baumrinde mit dürren Flechten oder mit Laubmooſen bedeckt iſt, jo beleben in der Zone der Palmen und der . baumartigen Farne, Cym⸗ bidium und duftende Vanille den Stamm der Anakardien und rieſenmäßiger Fikusarten. Das friſche Grün der Dra— kontien und der tief eingeſchnittenen Pothosblätter kontraſtiert mit den vielfarbigen Blüten der Orchideen; rankende Bauhinien, Paſſifloren und gelbblühende Baniſterien umſchlingen, weit und hoch durch die Lüfte ſteigend, den Stamm der Wald— bäume; zarte Blumen entfalten ſich aus den Wurzeln der Theobromen wie aus der dichten und rauhen Rinde der Cres— centien und der Guſtavia. Bei dieſer Fülle von Blüten und Blättern, bei dieſem üppigen Wuchſe und der Verwirrung rankender Gewächſe wird es oft dem Naturforſcher ſchwer, zu erkennen, welchem Stamme Blüten und Blätter zugehören; ja ein einzelner Baum, mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium geſchmückt, bietet eine Fülle von Pflanzen dar, die, voneinander getrennt, einen 5 Flächenraum bedecken würden. A. v. Humboldt, Kosmos. II. 5 a a Aber jedem Erdſtrich find eigene Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit und erhabene Größe der Pflanzen- geſtalten, dem Norden der Anblick der Wieſen und das perio— diſche, langerſehnte Wiedererwachen der Natur beim erſten Wehen milder Frühlingslüfte. So wie in den Muſaceen (Piſanggewächſen) die höchſte Ausdehnung, ſo iſt in den Caſuarinen und in den ene die höchſte Zuſammen⸗ ziehung der Blattgefäße; Tannen, Thuja und Cypreſſen bilden eine nordiſche Form, welche in den ebenen Gegenden der Tropen ſehr ſelten iſt. Ihr ewig friſches Grün erheitert die öde Winterlandſchaft; es verkündet gleichſam den nordiſchen Völkern, daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen wie das prometheiſche Feuer nie auf unſerem Planeten erliſcht. Jede Vegetationszone hat außer den ihr eigenen Vor— zügen auch ihren eigentümlichen Charakter, ruft andere Ein: drücke in uns hervor. Wer fühlt ſich nicht, um an uns nahe vaterländiſche Pflanzenformen zu erinnern, anders geſtimmt in dem dunklen Schatten der Buchen, auf Hügeln, die mit einzelnen Tannen bekränzt ſind, und auf der weiten Gras⸗ flur, wo der Wind in dem zitternden Laube a Birken ſäuſelt? So wie man an einzelnen organiſchen Weſen eine beſtimmte Phyſiognomie erkennt, wie beſchreibende Botanik und Zoologie im engeren Sinne des Wortes Zergliederung der Tier⸗ und Pflanzenformen ſind, ſo gibt es auch eine gewiſſe Naturphyſiognomie, welche jedem Himmelsſtriche ausſchließlich zukommt. Was der Künſtler mit den Ausdrücken: Schweizernatur, italieniſcher Himmel bezeichnet, gründet ſich auf das dunkle Gefühl eines lokalen Naturcharakters. Himmels— bläue, Wolkengeſtaltung, Duft, der auf der Ferne ruht, Saft— fülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge ſind die Elemente, welche den Totaleindruck einer Gegend be— ſtimmen. Dieſen aufzufaſſen und anſchaulich wiederzugeben iſt die Aufgabe der Landſchaftmalerei. Dem Künſtler iſt es verliehen, die Gruppen zu zergliedern, und unter ſeiner Hand löſt ſich (wenn ich den figürlichen Ausdruck wagen darf) das große Zauberbild der Natur, gleich den geſchriebenen Werken der Menſchen, in wenige einfache Züge auf. Aber auch in dem jetzigen unvollkommenen Zuſtande bild— licher Darſtellungen der Landſchaft, die unſere Reiſeberichte als Kupfer begleiten, ja nur zu oft verunſtalten, haben ſie doch nicht wenig zur phyſiognomiſchen Kenntnis ferner Zonen, * — 1 Ze zu dem Hange nach Reiſen in die Tropenwelt und zu thäti— gerem Naturſtudium beigetragen. Die Vervollkommnung der Landſchaftsmalerei in großen Dimenſionen (als Dekorations— malerei, als Panorama, Diorama und Neorama) hat in neueren Zeiten zugleich die Allgemeinheit und die Stärke des Eindrucks vermehrt. Was Vitruvius und der Aegypter Julius Pollux als „ländliche (ſatiriſche) Verzierungen der Bühne“ ſchildern, was in der Mitte des 16. Jahrhunderts durch Serlios Kuliſſeneinrichtungen die Sinnestäuſchung vermehrte, kann jetzt, ſeit Prevoſts und Daguerres Meiſterwerken, in Parkerſchen Rundgemälden, die Wanderung durch ver— ſchiedenartige Klimate faſt erſetzen. Die Rundgemälde leiſten mehr als die Bühnentechnik, weil der Beſchauer, wie in einen magiſchen Kreis gebannt und aller ſtörenden Realität entzogen, ſich von der fremden Natur ſelbſt umgeben wähnt. Sie laſſen Crinnerungen zurück, die nach Jahren ſich vor der Seele mit den wirklich geſehenen Naturſzenen wunderſam täu— ſchend vermengen. Bisher ſind Panoramen, welche nur wirken, wenn ſie einen großen Durchmeſſer haben, mehr auf Anſichten von Städten und bewohnten Gegenden als auf ſolche Szenen angewendet worden, in denen die Natur in wilder Ueppigkeit und Lebensfülle prangt. Phyſiognomiſche Studien an den ſchroffen Berggehängen des Himalaya und der Kordilleren oder in dem Inneren der indiſchen und ſüdamerikaniſchen Flußwelt entworfen, ja durch Lichtbilder berichtigt, in denen nicht das Laubdach, aber die Form der Rieſenſtämme und der charak— teriſtiſchen Verzweigung ſich unübertrefflich darſtellt, würden einen magiſchen Effekt hervorbringen. Alle dieſe Mittel, deren Aufzählung recht weſentlich in ein Buch vom Kosmos gehört, ſind vorzüglich geeignet, die Liebe zum Naturſtudium zu erhöhen; ja die Kenntnis und das Gefühl von der erhabenen Größe der Schöpfung würden kräftig vermehrt werden, wenn man in großen Städten neben den Muſeen, und wie dieſe dem Volke frei geöffnet, eine Zahl von Rundgebäuden aufführte, welche wechſelnd Land— ſchaften aus verſchiedenen geographiſchen Breiten und aus ver— ſchiedenen Höhezonen darſtellten.“ Der Begriff eines Natur: ganzen, das Gefühl der Einheit und des harmoniſchen Einklanges im Kosmos werden um ſo lebendiger unter den Menſchen, als ſich die Mittel vervielfältigen, die Geſamtheit der Natur— erſcheinungen zu anſchaulichen Bildern zu geſtalten. III. Hullur von Tropengewächſen. — Kontraſtierende Zuſammenſtellung der pflanzengeſtalten. — Eindruck des phyſiognomiſchen Charakters der Vegetation, ſoweit Pflanzungen dieſen Eindruck hervorbringen können. Die Wirkung der Landſchaftmalerei iſt, trotz der Verviel— fältigung ihrer Erzeugniſſe durch Kupferſtiche und durch die neueſte Vervollkommnung der Lithographie, doch beſchränkter und minder anregend als der Eindruck, welchen der unmittel— bare Anblick exotiſcher Pflanzengruppen in Gewächshäuſern und freien Anlagen auf die für Naturſchönheit empfänglichen Gemüter macht. Ich habe mich ſchon früher auf meine eigene Jugenderfahrung berufen; ich habe daran erinnert, wie der Anblick eines koloſſalen Drachenbaumes und einer Fächerpalme in einem alten Turme des botaniſchen Gartens bei Berlin den erſten Keim unwiderſtehlicher Sehnſucht nach fernen Reiſen in mich gelegt hatte. Wer ernſt in ſeinen Erinnerungen zu dem hinaufſteigen kann, was den erſten Anlaß zu einer ganzen Lebensbeſtimmung gab, wird dieſe Macht ſinnlicher Eindrücke nicht verkennen. Ich unterſcheide hier den pittoresken Eindruck der Pflanzen: geſtaltung von den Hilfsmitteln des anſchaulichen botaniſchen Studiums; ich unterſcheide Pflanzengruppen, die durch Größe und Maſſe ſich auszeichnen (aneinander gedrängte Gruppen von Piſang und Helikonien, abwechſelnd mit Korypha-Palmen, Araukarien und Mimoſaccen; moosbedeckte Stämme, aus denen Drakontien, feinlaubige Farnkräuter und blütenreiche Orchideen hervorſproſſen), von der Fülle einzeln ſtehender niederer Kräuter, welche familienweiſe in Reihen zum Unterricht in der beſchreiben— den und ſyſtematiſchen Botanik kultiviert werden. Dort iſt die Betrachtung vorzugsweiſe geleitet auf die üppige Entwickelung der Vegetation in Cekropien, Karolineen und leichtgefiederten CO Bambuſen; auf die malerische Zuſammenſtellung großer und epler Formen, wie ſie den oberen Orinoko oder die von Martius und Eduard Pöppig ſo naturwahr beſchriebenen Waldufer des Amazonenfluſſes und des Huallaga ſchmücken; auf die Ein— drücke, welche das Gemüt mit Sehnſucht nach den Ländern erfüllen, in denen der Strom des Lebens reicher fließt und deren Herrlichkeit unſere Gewächshäuſer (einſt Krankenanſtalten für halbbelebte gärende Pflanzenſtoffe) in ſchwachem, doch freudigem Abglanze darbieten. Der Landſchaftmalerei iſt es allerdings gegeben, ein reiche— res, vollſtändigeres Naturbild zu liefern, als die künſtlichſte Gruppierung kultivierter Gewächſe es zu thun vermag. Die Landſchaftmalerei gebietet zauberiſch über Maſſe und Form. Faſt unbeſchränkt im Raume, verfolgt ſie den Saum des Waldes bis in den Duft der Ferne; ſie ſtürzt den Bergſtrom herab von Klippe zu Klippe, und ergießt das tiefe Blau des tropiſchen Himmels über die Gipfel der Palmen wie über die wogende, den Horizont begrenzende Grasflur. Die Beleuchtung und die Färbung, welche das Licht des dünnverſchleierten oder reinen Himmels unter den Wendekreiſen über alle irdiſchen Gegen— ſtände verbreitet, gibt der Landſchaftmalerei, wenn es dem Pinſel gelingt, dieſen milden Lichteffekt nachzuahmen, eine eigentümliche, geheimnisvolle Macht. Bei tiefer Kenntnis von dem Weſen des griechiſchen Trauerſpiels hat man ſinnig den Zauber des Chors in ſeiner allvermittelnden Wirkungsweiſe mit dem Himmel in der Landſchaft verglichen. Die Vervielfältigung der Mittel, welche der Malerei zu Gebote ſteht, um die Phantaſie anzuregen und die großartigſten Erſcheinungen von Meer und Land gleichſam auf einen kleinen Raum zu konzentrieren, iſt unſeren Pflanzungen und Garten— anlagen verſagt; aber wo in dieſen der Totaleindruck des Landſchaftlichen geringer iſt, entſchädigen ſie im einzelnen durch die Herrſchaft, welche überall die Wirklichkeit über die Sinne ausübt. Wenn man in dem Palmenhauſe von Loddiges oder in dem der Pfaueninſel bei Potsdam (einem Denkmal von dem einfachen Naturgefühl unſeres edlen, hingeſchiedenen Mon— archen) von dem hohen Altane bei heller Mittagsſonne auf die Fülle jchilf und baumartiger Palmen herabblickt, ſo iſt man auf Augenblicke über die Oertlichkeit, in der man ſich befindet, vollkommen getäuſcht. Man glaubt unter dem Tropen— klima ſelbſt, von dem Gipfel eines Hügels herab, ein kleines Palmengebüſch zu ſehen. Mau entbehrt freilich den Anblick der tiefen Himmelsbläue, den Eindruck einer größeren In— tenſität des Lichtes; dennoch iſt die Einbildungskraft hier noch thätiger, die Illuſion noch größer als bei dem vollkommenſten Gemälde. Man knüpft an jede Pflanzenform die Wunder einer fernen Welt; man vernimmt das Rauſchen der fächer— artigen Blätter, man ſieht ihre wechſelnd ſchwindende Er— leuchtung, wenn, von kleinen Luftſtrömen ſanft bewegt, die Palmengipfel wogend einander berühren. So groß iſt der Reiz, den die Wirklichkeit gewähren kann, wenn auch die Er— innerung an die künſtliche Treibhauspflege wiederum ſtörend einwirkt. Vollkommenes Gedeihen und Freiheit ſind unzer— trennliche Ideen auch in der Natur; und für den eifrigen, viel gereiſten Botaniker haben die getrockneten Pflanzen eines Herbariums, wenn ſie auf den Kordilleren von Südamerika oder in den Ebenen Indiens geſammelt wurden, oft mehr Wert als der Anblick derſelben Pflanzenart, wenn ſie einem europäiſchen Gewächshauſe entnommen iſt. Die Kultur ver— wiſcht etwas von dem urſprünglichen Naturcharakter, ſie ſtört in der gefeſſelten Organiſation die freie Entwickelung der Teile. Die phyſiognomiſche Geſtaltung der Gewächſe und ihre kontraſtierende Zuſammenſtellung iſt aber nicht bloß ein Gegen— ſtand des Naturſtudiums oder ein Anregungsmittel zu dem— ſelben; die Aufmerkſamkeit, welche man der Pflanzen— Phyſiognomik ſchenkt, iſt auch von großer Wichtigkeit für die Landſchaftgärtnerei, d. h. für die Kunſt, eine Garten- landſchaft zu komponieren. Ich widerſtehe der Verſuchung, in dieſes, freilich ſehr nahe gelegene Feld überzuſchweifen, und begnüge mich hier nur in Erinnerung zu bringen, daß, wie wir bereits in dem Anfange dieſer Abhandlung Gelegen— heit fanden, die häufigeren Ausbrüche eines tiefen Natur— gefühles bei den ſemitiſchen, indiſchen und iraniſchen Völkern zu preiſen, ſo uns auch die Geſchichte die früheſten Park— anlagen im mittleren und ſüdlichen Aſien zeige. Semiramis hatte am Fuß des Berges Bagiſtanos Gärten anlegen laſſen, welche Diodor beſchreibt '? und deren Ruf Alexander, auf ſeinem Zuge von Kelonä nach den Nyſäiſchen Pferdeweiden, veranlaßte, ſich von dem geraden Wege zu entfernen. Die Parkanlagen der perſiſchen Könige waren mit Cypreſſen ge— ſchmückt, deren obeliskenartige Geſtalt an Feuerflammen er: innerte und die deshalb nach der Erſcheinung des Zerduſcht (Zoroaſter) zuerſt von Guſchtasp um das Heiligtum der Feuer— ee tempel gepflanzt wurden. So leitete die Baumform ſelbſt auf die Mythe von dem Urſprunge der Cypreſſe aus dem Paradieſe.'“ Die aſiatiſchen irdiſchen Paradieſe (82 ⁰ e hatten ſchon früh einen Ruf in den weſtlichen Ländern; ““ ja der Baumdienſt ſteigt bei den Iraniern bis zu den Vor: ſchriften des Hom, des im Zend-Aveſta angerufenen Ver— künders des alten Geſetzes, hinauf. Man kennt aus Herodot die Freude, welche Xerxes noch an der großen Platane in Lydien hatte, die er mit goldenem Schmuck beſchenkte und der er in der Perſon eines der „zehntauſend Unſterblichen“ einen eigenen Wächter gab. Die uralte Verehrung der Bäume hing, wegen des erquickenden und feuchten Schattens eines Laubdaches, mit dem Dienſte der heiligen Quellen zuſammen. In einen ſolchen Kreis des urſprünglichen Naturdienſtes gehören bei den helleniſchen Völkern der Ruf des wunder— großen Palmbaums auf Delos wie der einer alten Platane in Arkadien. Die Buddhiſten auf Ceylon verehren den koloſ— ſalen indiſchen Feigenbaum (Banyane) von Anurahdepura. Es ſoll derſelbe aus Zweigen des Urſtammes entſproſſen ſein, unter welchem Buddha, als Bewohner des alten Magadha, in Seligkeit (Selbſtverlöſchung, nirwana) verſunken war. Wie einzelne Bäume wegen ihrer ſchönen Geſtalt ein Gegenſtand der Heiligung waren, ſo wurden es Gruppen von Bäumen als Haine der Götter. Pauſanias iſt voll des Lobes von einem Haine des Apollotempels zu Grynion in Aeolis; der Hain von Kolonos wird in dem berühmten Chore des Sopho— kles gefeiert. Wie nun das Naturgefühl ſich in der Auswahl und ſorgfältigen Pflege geheiligter Gegenſtände des Pflanzenreichs ausſprach, ſo offenbarte es ſich noch lebendiger und mannig— faltiger in den Gartenanlagen früh kultivierter oſtaſiatiſcher Völker. In dem fernſten Teile des alten Kontinents ſcheinen die chineſiſchen Gärten ſich am meiſten dem genähert zu haben, was wir jetzt engliſche Parks zu nennen pflegen. Unter der ſiegreichen Dynaſtie der Han hatten freie Gartenanlagen ſo viele Meilen im Umfange, daß der Ackerbau durch ſie gefährdet und das Volk zum Aufruhr angeregt wurde. „Was ſucht man,“ ſagt ein alter chineſiſcher Schriftſteller, Lieut-tſcheu, „in der Freude an einem Luſtgarten? In allen Jahrhunderten iſt man darin übereingekommen, daß die Pflanzung den Menſchen für alles Anmutige entſchädigen ſoll, was ihm die Entfernung von dem Leben in der freien Natur, ſeinem eigent— BEN lichen und liebſten Aufenthalte, entzieht. Die Kunſt, den Garten anzulegen, beſteht alſo in dem Beſtreben, Heiterkeit (der Ausſicht), Ueppigkeit des Wachstums, Schatten, Ein- ſamkeit und Ruhe ſo zu vereinigen, daß durch den ländlichen Anblick die Sinne getäuſcht werden. Die Mannigfaltigkeit, welche der Hauptvorzug der freien Landſchaft iſt, muß alſo geſucht werden in der Auswahl des Bodens, in dem Wechſel von Hügelketten und Thalſchluchten, von Bächen und Seen, die mit Waſſerpflanzen bedeckt ſind. Alle Symmetrie iſt er- müdend; Ueberdruß und Langeweile werden in Gärten erzeugt, in welchen jede Anlage Zwang und Kunſt verrät.“ Eine Be— ſchreibung, welche uns Sir George Staunton von dem großen kaiſerlichen Garten von Zhe-hol, nördlich von der chineſiſchen Mauer, gegeben hat, entſpricht jenen Vorſchriften des Lieut⸗ tſcheu: Vorſchriften, denen einer unſerer geiſtreichen Zeit— genoſſen, der Schöpfer des anmutigen Parks von Muskau, ſeinen Beifall nicht verſagen wird. In dem großen beſchreibenden Gedichte, in welchem der Kaiſer Kien⸗long um die Mitte des verfloſſenen Jahrhunderts die ehemalige mandſchuiſche Reſidenzſtadt Mukden und die Gräber ſeiner Vorfahren verherrlichen wollte, ſpricht ſich eben— falls die innigſte Liebe zu einer freien, durch die Kunſt nur ſehr teilweiſe verſchönerten Natur aus. Der poetiſche Herrſcher weiß in geſtaltender Anſchaulichkeit zu verſchmelzen die heiteren Bilder von der üppigen Friſche der Wieſen, von waldbekränzten Hügeln und friedlichen Menſchenwohnungen mit dem ernſten Bilde der Grabſtätte ſeiner Ahnherren. Die Opfer, welche er dieſen bringt, nach den von Konfucius vorgeſchriebenen Riten, die fromme Erinnerung an die hingeſchiedenen Monarchen und Krieger ſind der eigentliche Zweck dieſer merkwürdigen Dichtung. Eine lange Aufzählung der wildwachſenden Pflanzen, wie der Tiere, welche die Gegend beleben, iſt, wie alles Didak— tiſche, ermüdend; aber das Verweben des ſinnlichen Eindrucks von der Landſchaft, die gleichſam nur als Hintergrund des Gemäldes dient, mit erhabenen Objekten der Ideenwelt, mit der Erfüllung religiöſer Pflichten, mit Erwähnung großer geſchichtlicher Ereigniſſe gibt der ganzen Kompoſition einen eigentümlichen Charakter. Die bei dem chineſiſchen Volke ſo tief eingewurzelte Heiligung der Berge führt Kien-long zu ſorgfältigen Schilderungen der Phyſiognomik der unbelebten Natur, für welche die Griechen und Römer keinen Sinn hatten. Auch die Geſtaltung der einzelnen Bäume, die Art ce ihrer Verzweigung, die Richtung der Aeſte, die Form ihres Laubes werden mit beſonderer Vorliebe behandelt. Wenn ich der, leider zu langſam unter uns verſchwin— denden Abneigung gegen die chineſiſche Litteratur nicht nach— gebe und bei den Naturanſichten eines Zeitgenoſſen Friedrichs des Großen nur zu lange verweilt bin, ſo iſt es hier um ſo mehr meine Pflicht, ſieben und ein halbes Jahrhundert weiter hinaufzuſteigen und an das Gartengedicht des See-ma— kuang, eines berühmten Staatsmannes, zu erinnern. Die Anlagen, welche das Gedicht beſchreibt, ſind freilich teilweiſe voller Baulichkeiten, nach Art der alten italiſchen Villen; aber der Miniſter beſingt auch eine Einſiedelei, die zwiſchen Felſen liegt und von hohen Tannen umgeben iſt. Er lobt die freie Ausſicht auf den Melken, vielbeſchifften Strom Kiang; er fürchtet ſelbſt die Freunde nicht, wenn ſie kommen, ihm ihre Gedichte vorzuleſen, weil ſie auch die ſeinigen anhören. See-ma⸗kuang ſchrieb um das Jahr 1086, als in Deutſch— land die Poeſie, in den Händen einer rohen Geiſtlichkeit, nicht einmal in der vaterländiſchen Sprache auftrat. Damals, und vielleicht ein halbes Jahrtauſend früher, waren die Bewohner von China, Hinterindien und Japan ſchon mit einer großen Mannigfaltigkeit von Pflanzenformen bekannt. Der innige Zuſammenhang, welcher ſich zwiſchen den buddhiſtiſchen Mönchsanſtalten erhielt, übte auch in dieſem Punkte ſeinen Einfluß aus. Tempel, Klöſter und Begräbnis⸗ plätze wurden von Gartenanlagen umgeben, welche mit aus— ländiſchen Bäumen und einem Teppich vielfarbiger, vielgeſtal— teter Blumen geſchmückt waren. Indiſche Pflanzen wurden früh ſchon nach China, Korea und Nipon verbreitet. Siebold, deſſen Schriften einen weitumfaſſenden Ueberblick aller japa— niſchen Verhältniſſe liefern, hat zuerſt auf die Urſache einer Vermiſchung der Floren entlegener buddhiſtiſcher Länder auf— merkſam gemacht.““ Der Reichtum von charakteriſtiſchen Pflanzenformen, welche unſere Zeit der wiſſenſchaftlichen Beobachtung wie der Landſchaftmalerei darbietet, muß lebhaft anreizen, den Quellen nachzuſpüren, welche uns dieſe bend a dieſen Natur⸗ genuß bereiten. Die Aufzählung dieſer Quellen bleibt der nächſtfolgenden Abteilung dieſes Werkes, der Geſchichte der Weltanſchauung, vorbehalten. Hier kam es darauf an, in dem Reflex der Außenwelt auf das Innere des Menſchen, auf ſeine geiſtige Thätigkeit und ſeine Empfindungsweiſe ö die Anregungsmittel zu ſchildern, welche bei fortſchrei— tender Kultur ſo mächtig auf die Belebung des Naturſtudiums eingewirkt haben. Die urtiefe Kraft der Organiſation feſſelt, trotz einer gewiſſen Freiwilligkeit im Entfalten einzelner Teile, alle tieriſche und vegetabiliſche Geſtaltung an feſte, ewig wiederkehrende Typen; ſie beſtimmt in jeder Zone den ihr eingeprägten, eigentümlichen Charakter, d. i. die Phyſio— gnomik der Natur. Deshalb gehört es unter die ſchönſten Früchte europäiſcher Völkerbildung, daß es dem Menſchen möglich geworden, ſich faſt überall, wo ihn ſchmerzliche Ent— behrung bedroht, durch Kultur und Gruppierung exotiſcher Gewächſe, durch den Zauber der Landſchaftmalerei und durch die Kraft des begeiſterten Wortes einen Teil des Natur— genuſſes zu verſchaffen, den auf fernen, oft gefahrvollen Reiſen durch das Innere der Kontinente die wirkliche Anſchauung gewährt. * Anmerkungen. 1 (S. 4.) Purg. I, 25 — 28: Goder pareva il ciel di lor fiammelle: O settentrional vedovo sito, Poi che privato se' de mirar quelle! 2 (S. 7.) Doch nach dem Ausſpruch von Gottfr. Hermann „trägt des Heſiodus maleriſche Beſchreibung des Winters alle Zeichen eines hohen Altertums“. (S. 8.) Auch die Nereide Mära ſoll vielleicht das phos— phoriſche Leuchten der Meeresfläche ausdrücken, wie derſelbe Name woipe. den funkelnden Hundsſtern (Sirius) bezeichnet. 4 (S. 9.) Od. XIX, 431-445; VI, 290; IX, 115-199. Vergl. „des grünenden Haines Umſchattung“ bei der Felſengrotte der Kalypſo, „wo ein Unſterblicher ſelbſt würde bewunderungsvoll weilen und ſich herzlich erfreuen des Anblicks“, V. 55-73; die Brandung im Lande der Phäaken V, 400 —442; die Gärten des Aleinous VII, 113—130. „(S. 10.) Als Beſchreibungen der Landſchaft, in denen ſich ein tiefes Naturgefühl offenbart, muß ich hier noch erwähnen: der Schilderung des Cithäron in Euripides, Bacchen V. 1045, wo der Bote aus dem Aſoposthale aufſteigt; des Sonnenaufganges im delphiſchen Thale bei Euripides, Jon. V. 82; des Anblickes der heiligen Delos, mit trüben Farben gemalt: „von Möwen umflattert, von ſtürmiſchen Wellen gegeißelt“, bei Kallimachus im Hym— nos auf Dolos V. 11. 6 (S. 10.) Nach Strabo, wo er den Tragiker wegen einer geographiſch unrichtigen Begrenzung von Elis anklagt. Die ſchöne Stelle des Euripides iſt aus dem Kresphontes, und die Be— ſchreibung der Trefflichkeit Meſſenes ſtand mit der Expoſition der politiſchen Verhältniſſe (der Teilung der Länder unter die Hera— kliden) in genauer Verbindung. Die Naturſchilderung war alſo auch hier, wie Böckh ſcharfſinnig bemerkt, an menſchliche Verhält— niſſe gelnüpft. (S. 11.) Das Frühlingsgedicht des Meleager glaubte Zeno— betti um die Mitte des 18. Jahrhunderts zuerſt entdeckt zu haben. 2 Zwei ſchöne Waldgedichte des Marianos ſtehen in der Anthol. graeca II. 511 und 512. Mit dem Meleager kontraſtiert das Lob des Frühlings in den Eklogen des Himerius, eines Sophiſten, der unter Julian Lehrer der Rhetorik zu Athen war. Der Stil iſt im ganzen kalt und geziert, aber im einzelnen, beſonders in der beſchreibenden Form, kommt er bisweilen der modernen Welt— anſchauung ſehr nahe. Man muß ſich wundern, daß die herrliche Lage von Konſtantinopel den Sophiſten gar nicht begeiſtert habe. (S. 11.) Eine merkwürdige Naturliebe, beſonders eine Blumenliebhaberei, die William Jones ſchon mit der der indiſchen Dichter zuſammengeſtellt hat, bemerkt man bei einem Tragiker, dem Chäremon. ’(S. 12.) Stahr vermutet, wie Heumann, daß der heutige griechiſche Text eine umgeſtaltete Ueberſetzung des lateiniſchen Textes des Appulejus ſei. Letzterer ſagt beſtimmt: „er habe ſich in der Abfaſſung ſeines Buches an Ariſtoteles und Theophraſt gehalten“. 10 (S. 12.) Eine Stelle, in welcher Sextus Empiricus eine ähnliche Aeußerung des Ariſtoteles anführt, verdient um ſo mehr Aufmerkſamkeit, als Sextus kurz vorher auf einen anderen, für uns ebenfalls verlorenen Text (über Divination und Träume) anſpielt. 1 (S. 13.) Heeren, der ſtrenge Kritiker, nennt das didaktiſche Naturgedicht boypörspov, eine froſtige Kompoſition, in der die Naturkräfte ihrer Perſönlichkeit entkleidet auftreten, Apoll das Licht, Here der Inbegriff der Lufterſcheinungen, Zeus die Wärme iſt. Auch Plutarch verſpottet die ſogenannten Naturgedichte, welche nur die Form der Poeſie haben. Nach dem Stagiriten iſt Empe— dokles mehr Phyſiologe als Dichter, er hat mit Homer nichts ge- mein als das Versmaß. 12 (S. 14.) „Es mag wunderbar ſcheinen, die Dichtung, die ſich überall an Geſtalt, Farbe und Mannigfaltigkeit erfreut, gerade mit den einfachſten und abgezogenſten Ideen verbinden zu wollen; aber es iſt darum nicht weniger richtig. Dichtung, Wiſſenſchaft, Philoſophie, Thatenkunde ſind nicht in ſich und ihrem Weſen nach geſpalten; ſie ſind eins, wo der Menſch auf ſeinem Bildungsgange noch eins iſt oder ſich durch wahrhaft dichteriſche Stimmung in jene Einheit zurückverſetzt.“ Cicero ſchrieb freilich, wo nicht mürriſch, doch mit vieler Strenge, dem von Virgil, Ovid und Quintilian ſo hochgeprieſenen Lueretius mehr Kunſt als ſchöpferiſches Talent (ingenium) zu (S. 14.) S. die vortreffliche Schrift von Rudolf Abeken, Rektor des Gymnaſiums zu Osnabrück, welche unter dem Titel: Cicero in feinen Briefen im Jahre 1835 erſchienen tft, S. 431—434. Dieſe wichtige Zugabe über Ciceros Geburtsſtätte iſt von H. Abeken, dem gelehrten Neffen des Verfaſſers, ehemals preußiſchem Geſandtſchaftsprediger in Rom, jetzt teilnehmend an der wichtigen ägyptiſchen Expedition des Profeſſor Lepſius. (S. 15.) Die Stellen des Virgilius, welche Malte-Brun als Lokalbeſchreibungen anführt, beweiſen bloß, daß der Dichter die Erzeugniſſe der verſchiedenen Länder, den Safran des Berges Tmolus, den Weihrauch der Sabäer, die wahren Namen vieler kleinen Flüſſe, ja die mephitiſchen Dämpfe kannte, welche aus einer Höhle in den Apenninen bei Amſanctus aufſteigen. (S. 16) Zu den ſeltenen Beiſpielen von individuellen Naturbildern, ſolchen, die ſich auf eine beſtimmte Landſchaft be— ziehen, gehört, wie Roß zuerſt erwieſen, die anmutige Schilderung einer Quelle am Hymettus, welche mit dem Verſe anhebt: Est prope purpureos colles florentis Hymetti ... (Ovid. de arte am. III, 687). Der Dichter beſchreibt die bei den Alten berühmte, der Aphrodite geheiligte Quelle Kallia, die an der Weſtſeite des ſonſt ſehr waſſerarmen Hymettus ausbricht. 6 (S. 17.) Das Gedicht Aetna des Lucilius, ſehr wahr: ſcheinlich Teil eines größeren Gedichts über die Naturmerkwürdig— keiten Sizitiens, wurde von Wernsdorf dem Cornelius Severus zugeſchrieben. Eine beſondere Aufmerkſamkeit verdienen: das Lob des allgemeinen Naturwiſſens, als „Früchte des Geiſtes“ betrachtet, V. 270 — 280; die Lavaſtröme V. 360—370 und 474 —515, die Waſſerausbrüche am Fuß des Vulkans (2) V. 395, die Bildung des Bimsſteins V. 425. 7 (S. 17.) Vergl. auch die in naturhiſtoriſcher Hinſicht nicht unwichtige, von Valenciennes ſcharſſinnig benutzte Notiz über die Fiſche der Moſel, ein Gegenſtück zu Oppian. Zu dieſer trocken didaktiſchen Dichtungsart, welche ſich mit Naturprodukten beſchäftigte, gehörten auch die nicht auf uns gekommenen Ornithogonia und Theriaca des Aemilius Macer aus Verona, den Werken des Kolophoniers Nikander nachgebildet. Anziehender als des Auſonius Mosella war eine Naturbeſchreibung der ſüdlichen Küſte von Gallien, welche das Reiſegedicht des Claudius Rutilius Numa— tianus, eines Staatsmannes unter Honorius, enthielt. Durch den Einbruch der Barbaren von Rom vertrieben, kehrte Rutilius nach Gallien auf ſeine Landgüter zurück. Wir beſitzen leider nur ein Fragment des zweiten Buchs, welches nicht weiter als bis zu den Steinbrüchen von Carrara führt. 18 (S. 17.) Das einzige Fragment, das uns der Rhetor Seneca aus einem Heldengedicht erhalten hat, in welchem Ovids Freund Pedo Albinovanus die Thaten des Germanicus beſang, beſchreibt ebenfalls die unglückliche Schiffahrt auf der Ems. Seneca hält dieſe Schilderung des ſtürmiſchen Meeres für maleriſcher als alles, was die römiſchen Dichter hervorgebracht haben. Freilich jagt er ſelbſt: latini declamatores in Oceani descriptione non nimis viguerunt: nam aut tumide seripserunt aut curiose. 2 (©. 17.) In dem nur zu rhetoriſchen Lucius Annäus Seneca findet ſich die merkwürdige Beſchreibung eines der ver— ſchiedenen Untergänge des einſt reinen, dann ſündhaft gewordenen 2 Menſchengeſchlechts durch eine faſt allgemeine Waſſerflut: Cum fa- talis dies diluvii venerit ... bis: peracto exitio generis humani exstinctisque pariter feris in quarum homines ingenia transie- rant . . . . Vergl. die Schilderung chaotiſcher Erdrevolutionen im Bhagavata-Purana Buch III, cap. 17. 2 (S. 18.) Die Villa Laurentina des jüngeren Plinius lag bei der jetzigen Torre di Paterno im Küſtenthale la Palombara öſtlich von Oſtia. Den Ausbruch eines tiefen Naturgefühls ent— halten die wenigen Zeilen, welche Plinius vom Laurentinum aus an Minutius Fundanus ſchrieb: „Mecum tantum et cum libellis loquor. Rectam sinceramque vitam! dulce otium honestumque! O mare, o littus, verum secretumque poossioy! quam multa invenitis, quam multa dictatis!“ (I, 9.) Hirt hatte die Ueber: zeugung, daß, wenn in Italien, im 15. und 16. Jahrhundert, die ſtreng geregelte Gartenkunſt aufkam, welche man lange die fran— zöſiſche genannt und der freien Landſchaftsgärtnerei der Eng— länder entgegengeſtellt hat, die Urſache dieſer früheren Neigung zu langweilig geregelten Anlagen in dem Wunſch zu ſuchen ſei, nach— zuahmen, was der jüngere Plinius in ſeinen Briefen beſchrieben hatte. (S. 19.) Das verlorene Gedicht des Cäſar (Iter) be— ſchrieb die Reiſe nach Spanien, als er zu ſeiner letzten Kriegsthat ſein Heer, nach Sueton in 24, nach Strabo und Appian in 27 Tagen zu Lande von Rom nach Corduba führte, weil die Reſte der in Afrika geſchlagenen pompejaniſchen Partei ſich in Spanien wieder geſammelt hatten. 2 (S. 21.) Die jüdiſchen Eſſener führten zwei Jahrhunderte vor unſerer Zeitrechnung ein Einſiedlerleben am weſtlichen Ufer des Toten Meeres, in Verkehr mit der Natur. Plinius ſagt ſchön von ihnen (V. 15): „mira gens, socia palmarum“. Die Therapeuten wohnten urſprünglich, und in mehr klöſterlicher Ge— meinſchaft, in einer anmutigen Gegend am See Möris. 2 (S. 21.) Ueber den ſchönen Brief an Gregorius von Na— zianz und über die poetiſche Stimmung des heil. Baſilius ſ. Ville— main, de l’eloquence chretienne dans le quatrieme siècle, in jeinen Melanges historiques et littéraires J. III, p. 320 bis 325. Der Iris, an deſſen Ufern die Familie des großen Baſi⸗ lius alten Länderbeſitz hatte, entſpringt in Armenien, durchſtrömt die pontiſchen Landſchaften und fließt, mit den Waſſern des Lycus gemiſcht, in das Schwarze Meer. 2 (S. 22.) Gregorius von Nazianz ließ ſich jedoch nicht durch die Beſchreibung der Einſiedelei des Baſilius am Iris reizen; er zog Arianzus in der Tiberina Regio vor, obgleich ſein Freund diejen. Ort mürriſch ein unreines 80 Nn nennt. 25 (S. 22.) Vergl. damit den Ausdruck der tiefſten Schwer— mut in dem ſchönen Gedichte des Gregorius von Nazianz unter der Ueberſchrift: „Von der Natur des Menſchen.“ 26 (S. 22.) Die im Texte citierte Stelle des Gregorius von Nyſſa iſt aus einzelnen hier wörtlich überſetzten Fragmenten zuſammengetragen. Es finden ſich dieſelben in 8. Gregorii Nysseni Opp. ed. Par. 1615, T. I, p. 49 C, p. 589 D, p. 210 C, ed 860 B, p. 619 B, p. 619 D, p. 324 D. „Sei milde gegen die Regungen der Schwermut,“ ſagt Thalaſ— ſius in Denkſprüchen, welche von ſeinen Zeitgenoſſen bewundert wurden. (S. 23.) Die Werke des Baſilius und des Gregorius von Nazianz hatten ſchon früh, ſeitdem ich anfing Naturſchilderungen zu ſammeln, meine Aufmerkſamkeit gefeſſelt, aber alle angeführten trefflichen Ueberſetzungen von Gregorius von Nyſſa, Chryſoſtomus und Thalaſſus verdanke ich meinem vieljährigen, mir immer ſo hilfreichen Kollegen und Freunde, Herrn Haſe, Mitglied des Inſti— tuts und Konſervator der königlichen Bibliothek zu Paris. 25 (S. 23.) Ueber das Concilium Turonense unter Papſt Alexander II. ſ. Ziegelbauer, hist. Rei litter. ordinis 8. Benedicti T. III, p. 248 ed. 1754; über das Konzilium zu Paris von 1209 und die Bulle Gregors IX. vom Jahre 1231 f. Jourdain, recherches crit. sur les traductions d’Ari- stote 1819, p. 204—206. Es war das Leſen der phyſikaliſchen Bücher des Ariſtoteles mit ſtrengen Strafen belegt worden. In dem Concilium Lateranense von 1139 wurde den Mönchen bloß die Ausübung der Medizin unterſagt. > (S. 24.) Die Benennung wird heute vielfach wieder an— gefochten. [D. Herausg.] (S. 25.) Aus der ſehr frühen Zeit Karls des Großen iſt noch die dichteriſche Schilderung des waldigen, wieſeneinſchließenden Tiergartens bei Aachen anzuführen in dem Leben des großen Kaiſers von Angilbertus, Abt von St. Riquier. (S. 27.) Das ganze Urteil über das deutſche Volksepos und über den Minnegeſang (im Text von S. 25 bis S. 27) habe ich einem Briefe von Wilhelm Grimm an mich (Okt. 1845) ent⸗ lehnt. Aus einem ſehr alten angelſächſiſchen Gedichte über die Namen der Runen, welches Hickes zuerſt bekannt gemacht und das eine gewiſſe Verwandtſchaſt mit eddiſchen Liedern hat, ſchalte ich hier noch eine recht charakteriſtiſche Beſchreibung der Birke ein: „Beore iſt in Aeſten ſchön; an den Spitzen rauſcht ſie lieblich be— wachſen mit Blättern von den Lüften bewegt.“ Einfach und edel iſt die Begrüßung des Tages: „Tag iſt des Herren Bote, teuer dem Menſchen, herrliches Licht Gottes, Freude und Zuverſicht Reichen und Armen, allen gedeihlich!“ 32 (S. 28.) Die Unechtheit der Lieder Oſſians und des Macpherſonſchen Oſſians insbeſondere, von Talvj (1840), der geiſtreichen Ueberſetzerin der ſerbiſchen Volkspoeſien. Die erſte Publikation des Oſſian von Maepherſon iſt von 1760. Die finnianiſchen Lieder ertönen allerdings in den jchottifchen Hoch: — 80 — landen wie in Irland, aber ſie ſind nach O'Reilly und Drummond von Irland aus dahin übergetragen. (S. 29.) Ueber die indiſchen Waldeinſiedler, Vanapraſthen (sylvicolae) und Sramanen (ein Name, der in Sarmanen und Garmanen verſtümmelt wurde), ſ. Laſſen, de nominibus quibus veteribus appellantur Indorum philosophie im Rhein. Mu⸗ ſeum für Philologie 1833 S. 178—180. Wilhelm Grimm findet eine indiſche Färbung in der Waldbeſchreibung, die der Pfaffe Lambrecht vor 1200 Jahren in ſeinem Alexanderliede gibt, das zunächſt nach einem franzöſiſchen Vorbilde gedichtet iſt. Der Held kommt in einen wunderbaren Wald, wo aus großen Blumen übernatürliche, mit allen Reizen ausgeſchmückte Mädchen hervorwuchſen. Er verweilte ſo lange bei ihnen, bis Blumen und Mädchen wieder hinwelkten. Das ſind die Mädchen aus Edriſis öſtlichſter Zauberinſel Vacvac, die ein Ausfuhrartikel find und in der lateiniſchen Uebertragung des Maſudi Chothbeddin puellae vasvakienses heißen. 4 (S. 29.) Kalidaſa, am Hofe des Vikramaditya, lebte un: gefähr 56 Jahre vor unſerer Zeitrechnung. Das Alter der beiden großen Heldengedichte, des Ramayana und Mahabharata, reicht ſehr wahrſcheinlich weit über die Erſcheinung Buddhas, d. i. weit über die Mitte des ſechſten Jahrhunderts v. Chr., hinauf. Georg Forſter hat durch die Ueberſetzung der Sakuntala, d. i. durch die geſchmackvolle Verdeutſchung einer engliſchen Uebertragung von William Jones (1791), viel zu dem Enthuſiasmus beigetragen, welcher damals zuerſt für indiſche Dichtkunſt in unſerem Vaterlande ausbrach. Ich erinnere gern an zwei ſchöne Diſtichen Goethes, die 1792 erſchienen: Willſt du die Blüte des frühen, die Früchte des ſpäteren Jahres; Willſt du, was reizt und entzückt, willſt du, was ſättigt und nährt; Willſt du den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen: Nenn' ich, Sakontala, dich, und ſo iſt alles geſagt. (S. 30.) Um das Wenige zu vervollſtändigen, was in dem Texte der indiſchen Litteratur entlehnt iſt, und um (wie früher bei der griechiſchen und römiſchen Litteratur geſchehen iſt) die Quellen einzeln angeben zu können, ſchalte ich hier nach den freundlichen handſchriftlichen Mitteilungen eines ausgezeichneten philo— ſophiſchen Kenners der indiſchen Dichtungen, Herrn Theodor Gold— ſtücker, allgemeinere Betrachtungen über das indiſche Naturgefühl ein: „Unter allen Einflüſſen, welche die geiſtige Entwickelung des indiſchen Volkes erfahren, ſcheint mir derjenige der erſte und wich— tigſte, welchen die reiche Natur des Landes auf das Volk ausgeübt hat. Das tiefſte Naturgefühl iſt zu allen Zeiten der Grundzug des indiſchen Geiſtes geweſen. Drei Epochen laſſen ſich mit Bezug auf dieſe Weiſe angeben, in welcher ſich dieſes Naturgefühl offen— Fra: bart hat. Jede derſelben hat ihren beſtimmten, im Leben und in der Tendenz des Volkes tiefbegründeten Charakter. Daher können wenige Beiſpiele hinreichen, um die faſt dreitauſendjährige Thätig— keit der indiſchen Phantaſie zu bezeichnen. Die erſte Epoche des Ausdrucks eines regen Naturgefühls offenbaren die Vedas. Aus dem Rigveda führen wir an die einfach erhabenen Schilderungen der Morgenröte und der „goldhändigen“ Sonne. Die Verehrung der Natur war hier, wie bei anderen Völkern, der Beginn des Glaubens; ſie hat aber in den Vedas die beſondere Beſtimmtheit, daß der Menſch ſie ſtets in ihrem tiefſten Zuſammenhange mit ſeinem eigenen äußeren und inneren Leben auffaßt. — Sehr ver— ſchieden iſt die zweite Epoche. In ihr wird eine populäre Mytho— logie geſchaffen; ſie hat den Zweck, die Sagen der Vedas für das der Urzeit ſchon entfremdete Bewußtſein faßlicher auszubilden und mit hiſtoriſchen Ereigniſſen, die in das Reich der Mythe erhoben werden, zu verweben. Es fallen in dieſe zweite Epoche die beiden großen Heldengedichte Ramayana und Mahabharata, von denen das letztere, jüngere noch den Nebenzweck hat, die Brahmanenkaſte unter den vieren, welche die Verfaſſung des alten Indiens konſtituieren, zu der einflußreichſten zu machen. Darum iſt das Ramayana auch ſchöner, an Naturgefühl reicher; es iſt auf dem Boden der Poeſie geblieben, und nicht genötigt geweſen, Elemente, die dieſem fremd, ja faſt widerſprechend ſind, aufzunehmen. In beiden Dichtungen iſt die Natur nicht mehr, wie in den Vedas, das ganze Gemälde, ſondern nur ein Teil desſelben. Zwei Punkte unterſcheiden die Auf— faſſung der Natur in dieſer Epoche der Heldengedichte weſentlich von derjenigen, welche die Vedas darthun; des Abſtandes in der Form nicht zu gedenken, welcher die Sprache der Verehrung von der Sprache der Erzählung trennt. Der eine Punkt iſt die Lokaliſierung der Natur— ſchilderung; der andere Punkt, mit dem erſten nahe verbunden, betrifft den Inhalt, um den ſich das Naturgefühl bereichert hat. Die Sage, und zumal die hiſtoriſche, brachte es mit ſich, daß Beſchreibung be— ſtimmter Oertlichkeiten an die Stelle allgemeiner Naturſchilderung trat. Die Schöpfer der großen epiſchen Dichterformen, ſei es Valmiki, der die Thaten Ramas beſingt, ſeien es die Verfaſſer des Mahabharata, welche die Tradition unter dem Geſamtnamen Vyaſa zuſammenfaßt, alle zeigen ſich beim Erzählen wie vom Naturgefühl überwältigt. Die Reiſe Ramas von Ayodhya nach der Reſidenz— ſtadt Dſchanakas, ſein Leben im Walde, ſein Aufbruch nach Lanka (Ceylon), wo der wilde Ravana, der Räuber ſeiner Gattin Sita, hauſt, bieten, wie das Einſiedlerleben der Panduiden, dem begeiſter— ten Dichter Gelegenheit dar, dem urſprünglichen Triebe des indiſchen Gemütes zu folgen und an die Erzählung der Heldenthaten Bilder einer reichen Natur zu knüpfen. Ein anderer Punkt, in welchem ſich in Hinſicht auf das Naturgefühl dieſe zweite Epoche von der der Vedas unterſcheidet, betrifft den reicheren Inhalt der Poeſie ſelbſt. Dieſer iſt nicht mehr, wie dort, die Erſcheinung der himm— A. v. Humboldt, Kosmos. II. 6 — 82 — liſchen Mächte, er umfaßt vielmehr die ganze Natur, den Himmels— raum und die Erde, die Welt der Pflanzen und Tiere in ihrer üppigen Fülle und in ihrem Einfluß auf das Gemüt des Menſchen. — In der dritten Epoche der poetiſchen Litteratur Indiens (wenn wir die Puranen ausnehmen, welche die Aufgabe haben, das reli— giöſe Element im Geiſte der Sekten fortzubilden) übt die Natur die alleinige Herrſchaft, aber der beſchreibende Teil der Dichtkunſt iſt auf eine gelehrtere und örtliche Beobachtung gegründet. Um einige der großen Gedichte zu nennen, welche zu dieſer Epoche ge— hören, erwähnen wir hier des Bhattikavya, d. i. des Gedichts von Bhatti, das gleich dem Ramayana die Thaten des Rama zum Gegenſtande hat und in welchem erhabene Schilderungen des Wald— lebens während einer Verbannung, des Meeres und ſeiner lieblichen Geſtade wie des Morgenanbruchs in Lanka aufeinander folgen; des Siſupalabadha von Magha mit einer anmutigen Beſchreibung der Tageszeiten des Naiſchada-tſcharita von Sri Harſcha, wo, aber in der Geſchichte des Nalus und der Damayanti der Aus— druck des Naturgefühls in das Maßloſe übergeht. Mit dieſem Maßloſen kontraſtiert die edle Einfachheit des Ramayana, wenn z. B. Visvamitra ſeinen Zögling an die Ufer des Sona führt. Kalidaſa, der gefeierte Dichter der Sakuntala, iſt Meiſter in der Darſtellung des Einfluſſes, welchen die Natur auf das Gemüt der Liebenden ausübt. Die Waldſzene, die er in dem Drama Vikrama und Urvaſi geſchaffen, gehört zu den ſchönſten dichteriſchen Erzeug— niſſen, welche je eine Zeit hervorgebracht. In dem Gedichte der Jahreszeiten, beſonders der Regenzeit und des Frühlings, wie in dem Wolkenboten (alles Schöpfungen des Kalidaſa) iſt der Einfluß der Natur auf die Gefühle des Menſchen wieder der Hauptgegenſtand der Kompoſition. Der Wolkenbote (Meghaduta), den Wilſon und Gildemeiſter ediert, auch Wilſon und Chezy über— ſetzt haben, ſchildert die Trauer eines Verbannten auf dem Berge Ramagiri. In der Sehnſucht nach der Geliebten, von welcher er getrennt iſt, bittet er eine vorüberziehende Wolke, ſie möge Nach— richt von ſeinem Schmerze geben. Er bezeichnet der Wolke den Weg, welchen ſie nehmen ſoll, und ſchildert die Landſchaft, wie ſie ſich in einem tief aufgeregten Gemüte abſpiegelt. Unter den Schätzen, welche die indiſche Poeſie in dieſer dritten Periode dem Naturgefühl des Volkes verdankt, gebührt dem Gitagovinda des Dſchayadeva die rühmlichſte Erwähnung. Wir beſitzen von dieſem Gedichte, einem der anmutigſten und ſchwierigſten der ganzen Lit— teratur, Rückerts meiſterhafte rhythmiſche Ueberſetzung; es gibt die— ſelbe mit bewundernswürdiger Treue den Geiſt des Originals und eine Naturauffaſſung wieder, deren Innigkeit alle Teile der großen Kompoſition belebt.“ 36 (S. 30.) Den lange gehegten Irrtum, daß die Lehre Za— rathuſtras eine dualiſtiſche ſei, hat Dr. Julius Jolly widerlegt. [D. Herausg.] e 37 (S. 31.) Vergl. in Joſ. von Hammer, Geſch. der ſchönen Redekünſte Perſiens, 1818, S. 96 Ewhadeddin Enweri aus dem 12. Jahrhundert, in deſſen Gedichte an Schedſchai man eine denkwürdige Anſpielung auf die gegenſeitige Attraktion der Himmelskörper entdeckt hat, S. 183 Dſchelaleddin Rumi den Myſtiker, S. 259 Dſchelaleddin Adhad und S. 403 Feiſi, welcher als Verteidiger der Brahmareligion an Akbars Hofe auf— trat, und in deſſen Ghaſelen eine indiſche Zartheit der Gefühle wehen ſoll. (S. 31.) „Die Nacht bricht ein, wenn die Tintenflaſche des Himmels umgeſtürzt iſt;“ dichtet geſchmacklos Chodſchah Ab- dullah Waſſaf, der aber das Verdienſt hat, die große Sternwarte von Meragha mit ihrem hohen Gnomon zuerſt beſchrieben zu haben. Hilali aus Aſterabad läßt „die Mondſcheibe vor Hitze glühen“, und hält ſo den Tau für „den Schweiß des Mondes“. 9 (S. 32.) Tüirja oder Turan find Benennungen unent— deckter Herleitung. Doch hat Burnouf ſcharfſinnig an die bei Strabo genannte baktriſche Satrapie Turiua oder Turiva er— innert. Du Theil und Groskurd wollen aber Tapy ria leſen. % (S. 35.) Ich bin in den Pſalmen der trefflichen Ueber— tragung von Moſes Mendelsſohn gefolgt. Edle Nachklänge der althebräiſchen Poeſie finden ſich noch im elften Jahrhundert in den Hymnen des ſpaniſchen Synagogendichters Salomo ben Jehudah Gabirol, die eine dichteriſche Umſchreibung des pſeudo— ariſtoteliſchen Buches von der Welt darbieten. Auch die dem Naturleben entnommenen Züge in Moſe ben Jakob ben Esra ſind voll Kraft und Größe. (S. 35.) Die Stellen aus dem Buche Hiob habe ich der Ueberſetzung und Auslegung von Umbreit (1824) entlehnt. Die längſte und am meiſten charakteriſtiſche Tierbeſchreibung im Hiob iſt die des Krokodils; und doch iſt gerade in dieſer einer der Beweiſe enthalten, daß der Verfaſſer des Buchs Hiob aus Paläſtina ſelbſt gebürtig war. Da Nilpferde und Krokodile ehemals im ganzen Nildelta gefunden wurden, ſo darf man ſich nicht wundern, daß die Kenntnis von ſo ſeltſam geſtalteten Tieren ſich bis in das nahe Paläſtina verbreitet hatte. 42 (S. 36.) Vergl. auch das poetiſche Werk: Amrilkais, der Dichter und König, überſetzt von Fr. Rückert 1843, S. 29 und 62: wo zweimal die ſüdlichen Regenſchauer überaus natur— wahr geſchildert ſind. Der königliche Dichter beſuchte, mehrere Jahre vor der Geburt Mohammeds, den Hof des Kaiſers Juſtinian, um Hilfe gegen ſeine Feinde zu erbitten. 3 (S. 36.) Hamasae carmina, ed. Freytag P. I, 1828, p. 788. „Es iſt hier vollendet,“ heißt es ausdrücklich p. 796, „das Kapitel der Reiſe und der Schläfrigkeit.“ — 841 — 4 (S. 38.) Dante, Purgatorio canto I, v. 115: L’alba vinceva l’ora mattutina, Che fuggia innanzi, si che di lontano N 28. Conobbi il tremolar della marina. 45 (S. 38.) Purg. cant. V, v. 109—127; Ben sai come nell' aer si raccoglie Quell’ umido vapor, che in acqua riede, Tosto che sale, dove’l freddo il coglie... 46 (S. 38.) Para d. canto XXX, v. 61—69: E vidi lume in forma di riviera Fulvido di fulgore intra duo rive, Dipinte di mirabil primavera. Di tal fiumana uscian faville vive, E d’ogni parte si mettean ne’ fiori, Quasi rubin, che oro circonscrive. Poi, come inebriate dagli odori, Riprofondavan se nel miro gurge, E s’ una entrava, un’ altra n’uscia fuori. Ich habe nichts aus den Kanzonen der Vita nuova entlehnt, weil die Gleichniſſe und Bilder, die ſie enthalten, nicht in den reinen Naturkreis irdiſcher Erſcheinungen gehören. 47 (S. 38.) Ich erinnere an das Sonett des Bojardo: Ombrosa selva, che il mio duolo ascolti . . . und an die herr— lichen Stanzen der Vittoria Colonna, welche anheben: Quando miro la terra ornata e bella, Di mille vaghi ed odorati fiori ... Eine ſchöne und ſehr individuelle Naturbeſchreibung des Landſitzes des Fracaſtoro am Hügel von Incaſſi (Mons Caphius) bei Verona gibt dieſer, als Arzt, Mathematiker und Dichter ausgezeichnete Mann in feinem „Naugerius de poetica dialogus“. Vergl. auch in einem feiner Lehrgedichte lib. II, v. 208 —219 die anmutige Stelle über die Kultur des Citrus in Italien. Mit Verwunderung vermiſſe ich dagegen allen Ausdruck von Naturgefühl in den Briefen des Petrarca; ſei es, daß er 1345, alſo drei Jahre vor dem Tode der Laura, von Vaucluſe aus den Mont Ventoux zu beſteigen verſucht und ſehnſuchtsvoll hofft in ſein Vaterland hinüberzublicken, oder daß er die Rheinufer bis Köln, oder den Golf von Bajä be— ſucht. Er lebte mehr in den klaſſiſchen Erinnerungen an Cicero und die römiſchen Dichter oder in den begeiſternden Anregungen ſeiner aſketiſchen Schwermut, als in der ihn umgebenden Natur. Nur die Beſchreibung eines großen Sturmes, den Petrarca in Neapel 1343 beobachtete, iſt überaus maleriſch. 3 (S. 42.) S. Friedrich Schlegels ſämtliche Werke Bd. II, S. 96, und über den, freilich ſtörenden Dualismus der Mythik, das Gemiſch der alten Fabel mit chriſtlichen Anſchauungen E Bd. X, S. 54. Camoens hat in den nicht genug beachteten Stanzen 82 — 84 dieſen mythiſchen Dualismus zu rechtfertigen verſucht. Tethys geſteht auf eine faſt naive Weiſe, doch in dem herrlichſten Schwunge der Poeſie, „daß ſie ſelbſt, wie Saturn, Jupiter und aller Götter Schar, eitle Fabeleien ſind, die blinder Wahn den Sterblichen gebar; ſie dienen bloß, dem Liede Reiz zu geben. A Sancta Providencia que em Jupiter aqui se representa ...“ 49 (S. 42.) Os Lusiadas de Camöes canto J, est. 19, canto VI, est. 71—82. S. auch das Gleichnis in der ſchönen Be— ſchreibung des Sturmes, welcher in einem Walde wütet, canto J, est. 35. 0 (S. 43.) Das Elmsfeuer: „0 lume vivo, que a maritima gente tem por santo, em tempo de tormenta .. .“ canto V, est. 18. Eine Flamme, Helena des griechiſchen Seevolks, bringt Unglück; zwei Flammen, Kaſtor und Pollux, mit Geräuſch erſcheinend, „als flatterten Vögel“, ſind heilſame Zeichen. Ueber den hohen Grad eigentümlicher Anſchaulichkeit in den Naturbeſchreibungen des Camoens ſ. die große Pariſer Edition von 1818 in der Vida de Camöes von Dom Joze Maria de Souza p. CU. 51 (S. 43.) Die Waſſerhoſe (Wetterſäule) canto V, est. 19—22 iſt zu vergleichen mit der ebenfalls ſehr dichteriſchen und natur— wahren Beſchreibung des Lucretius VI, 423 — 442. Ueber das ſüße Waſſer, welches gegen Ende des Phänomens ſcheinbar aus dem oberen Teil der Waſſerhoſe herabſtürzt, ſ. Ogden on Water Spouts (nach Beobachtungen auf einer im Jahre 1820 gemachten Reiſe von der Havana nach Norfolk), in Sillimans Amer. Journal of Science Vol. XXIX, 1836, p. 254-260. 52 (S. 43.) Canto III. est. 7— 21. Ich befolge immer den Text des Camoens der Editio princeps von 1572, welche die vor— treffliche und ſplendide Ausgabe des Dom Joze Maria de Souza— Botelho (Paris 1818) uns wiedergegeben hat. In den deutſchen Citaten bin ich meiſt der Uebertragung Donners (1833) gefolgt. Der Hauptzweck der Luſiaden des Camoens war die Verherrlichung ſeiner Nation. Es wäre ein Monument, eines ſolchen dichteriſchen Ruhmes und einer ſolchen Nation würdig, wenn nach dem edlen Beiſpiele der Säle von Schiller und Goethe im großherzog— lichen Schloſſe zu Weimar, in Liſſabon ſelbſt die zwölf grandioſen Kompoſitionen meines hingeſchiedenen geiſtreichen Freundes Gérard, welche Souzas Ausgabe ſchmücken, in recht beträchtlichen Dimen— ſionen als Fresken an wohl beleuchteten Wänden ausgeführt würden. Das Traumgeſicht des Königs Dom Manoel, in welchem ihm die Flüſſe Indus und Ganges erſcheinen, der Gigant Adamaſtor über dem Vorgebirge der guten Hoffnung ſchwebend („Eu sou aquelle occulto e grande Cabo, A quem chamais vös outros Tormen— torio“), der Mord der Ignes de Caſtro und die liebliche Ilha de Venus würden von der herrlichſten Wirkung ſein. (S. 43). Camoens nennt wie Veſpucci die dem Südpol Se, nächfte Himmelsgegend ſternenarm; auch kennt er das Eis der ſüd— lichen Meere. 51 (S. 44.) Die ganze Inſel Ilha de Venus iſt eine alle— goriſche Mythe, wie est. 89 ausdrücklich angedeutet wird. Nur der Anfang der Erzählung des Traumes von Dom Manoel ſchildert eine indiſche Berg- und Waldgegend. 55 (S. 45.) Aus Vorliebe für die alte ſpaniſche Litteratur und für den reizenden Himmelsſtrich, in welchem die Araucana des Alonſo de Ercilla y Zuſtiga gedichtet wurde, habe ich gewiſſenhaft das leider 42000 Verſe lange Epos zweimal ganz geleſen, einmal in Peru, das andere Mal neuerlichſt in Paris; als ich zur Ver— gleichung mit dem Ereilla durch die Güte eines gelehrten Reiſenden, Herrn Ternaux Compans, ein ſehr ſeltenes, 1596 in Lima gedrucktes Buch, die neunzehn Geſänge des Arauco domado, compuesto por el Licenciado Pedro de Ona, natural de los Infantes de Engol en Chile, erhielt. Von dem Epos des Ercilla, in dem Voltaire eine „Ilias“, Sismondi eine „Zeitung in Reimen“ zu ſehen glauben, ſind die erſten fünfzehn Geſänge zwiſchen 1555 und 1563 gedichtet und ſchon 1569 erſchienen; die letzten wurden erſt 1590 gedruckt, nur ſechs Jahre vor dem elenden Gedichte von Pedro de Ona, das denſelben Titel führt als eines der dramatiſchen Meiſterwerke des Lope de Vega, in welchem aber der Cacique Cau— polican wieder die Hauptrolle ſpielt. Erecilla iſt naiv und treu— herzig, beſonders in den Teilen ſeiner Kompoſition, die er im Felde, aus Mangel an Papier, auf Baumrinde und Tierfelle ſchrieb. Die Schilderung ſeiner Dürftigkeit und des Undanks, welchen auch er an König Philipps Hofe erfuhr, iſt überaus rührend, beſonders am Schluß des 37. Geſanges: „Climas passe, mude constelaciones, Golfos inavegables navegando, Estendiendo, Senor, Vuestra Corona Hasta la austral frigida zona.“ „Die Blütenzeit meines Lebens iſt dahin; ich werde, ſpät belehrt, dem Irdiſchen entſagen, weinen und nicht mehr ſingen.“ Die Natur— beſchreibungen (der Garten des Zauberers, der Sturm, den Epo— namon erregt, die Schilderung des Meeres) entbehren alles Natur— gefühls; die geograhiſchen Wortregiſter find jo gehäuft, daß in einer Ottave 27 Eigennamen unmittelbar aufeinander folgen. Die Parte II, der Araucana iſt nicht von Ercilla, ſondern eine Fort: ſetzung in 20 cantos von Diego de Santiſtevan Oſorio, den 37 cantos des Ercilla folgend und dieſen angeheſtet. 56 (S. 45.) Im Romancero de Romances caballeres- cos é historicos, ordenado por D. Augustin Duran P. J, p. 189 und P. II. 237 erinnere ich an die ſchönen Strophen: Yba deelinando el dia — Su curso y ligeras horas ... und an die Flucht des Königs Rodrigo, welche beginnt; 4 u. u 8 Quando las pintadas aves Mudas estan y la tierra Atenta escucha los rios... 7 (S. 45.) Fray Luis de Leon, Obras proprias y tra- ducciones dedicadas à Don Pedro Portocarrero, 1681, p. 120: Noche serena. Ein tiefes Naturgefühl offenbart ſich bisweilen auch in den alten myſtiſchen Poeſien der Spanier (Fray Luis de Granada, Santa Tereſa de Jeſus, Malon de Chaide); aber die Naturbilder find meiſt nur die Hülle, in der ideale religiöfe Anſchauungen ſym— boliſiert ſind. * (S. 46.) Was in dem Texte, im Urteil über Calderon und Shakeſpeare, von Anführungszeichen begleitet iſt, habe ich aus einem ungedruckten an mich gerichteten Briefe von Ludwig Tieck entlehnt. (S. 48.) Dies iſt die Zeitfolge, nach welcher die Werke er: ſchienen ſind: Jean Jacques Rouſſeau 1759 (Nouvelle Héloise), Buffon 1778 (Epoques de la Nature, aber die Histoire Naturelle ſchon 17491767); Bernardin de St. Pierre: Etudes de la Nature 1784, Paul et Virginie 1788, Chaumiere indienne 1791; Georg Forſter, Reife nach der Südſee 1777, kleine Schriften 1794. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem Erſcheinen der Nouvelle Heloise hatte ſchon Madame de Sevigne in ihren anmutigen Briefen die Lebendigkeit eines Naturgefühls offenbart, das in dem großen Zeit— alter von Ludwig XIV. ſich ſo ſelten ausſprach. Vergl. die herr— lichen Nat urſchilderungen in den Briefen vom 20. April, 31. Mai, 15. Auguſt, 16. September und 6. November 1671, vom 23. Oktober und 28. Dezember 1689. — Wenn ich ſpäter im Texte des alten deutſchen Dichters Paul Flemming erwähnt habe, der von 1633 bis 1639 Adam Olearius auf ſeiner moskowitiſchen und perſiſchen Reiſe begleitete, ſo iſt es, weil nach dem gewichtigen Ausſpruche meines Freundes Varnhagen von Enſe „der Charakter von Flemmings Dichtungen eine geſunde und friſche Kraft iſt“, weil ſeine Naturbilder zart und voll Leben ſind. 6% (S. 50.) Brief des Admirals aus Jamaita vom 7. Juli 1503: „El mundo es poco; digo que el mundo no es tan grande como dice el vulgo.“ (Navarrete, colleccion de Viages p. 300.) 61 (S. 56.) Ein Teil der Werke des Polygnot und des Mikon (das Gemälde der Schlacht von Marathon in der Pökile zu Athen) wurde nach dem Zeugniſſe des Himerius noch am Ende des 4. Jahr— hunderts (nach dem Anfange unſerer Zeitrechnung) geſehen; dieſe Werke waren damals alſo gegen 850 Jahre alt. 62 (S. 56.) Philostratorum Imagines, ed. Jacobs und Welcker 1825, p. 79 und 485. Beide gelehrte Herausgeber ver— teidigen gegen ältere Verdächtigung die Wahrhaftigkeit der Gemälde— beſchreibung in der alten neapolitaniſchen Pinakothek. Otfried Müller . vermutet, daß Philoſtrats Gemälde der Inſeln wie die der Sumpf— gegend, des Bosporus und der Fiſcher in der Darſtellung viel Aehnlichkeit mit der Moſaik von Paleſtrina hatten. Auch Plato erwähnt im Eingange des Critias der Landſchaftmalerei: wie ſie Berge, Flüſſe und Waldungen darſtellt. 63 (S. 57.) Ludius qui primus (?) instituit amoenissimam parietum pieturam, Plin. XXXV, 10. Die topiaria opera des Plinius und varietates topiorum des Vitruvius waren kleine land» ſchaftliche Dekorationsgemälde. — Die im Text citierte Stelle des Kalidaſa ſteht in Sakuntala Akt VI (Böhtlingks Ueberſ. 1842, S. 90). 6 (S. 57.) Da früher im Texte des Kosmos der in Pompeji und Herkulaneum aufgefundenen Malereien gedacht worden iſt, als einer Kunſt, die der freien Natur wenig zugewandt war, ſo muß ich hier doch einige wenige Ausnahmen bezeichnen, welche durchaus als Landſchaften im modernen Sinne des Wortes gelten können. S. Pitture d' Ercolano Vol. II, Tab. 45, Vol. III, Tab. 53 und, als Hintergrund in reizenden hiſtoriſchen Kompoſitionen, Vol. IV, Tab. 61, 62 und 63. Ich erwähne nicht der merkwürdigen Dar: ſtellung in den Monumenti dell’ Instituto di Corrispon- denza archeologica Vol. III, Tab. 9, deren antike Echtheit ſchon von einem ſcharfſinnigen Archäologen, Raoul-Rochette, be⸗ zweifelt worden iſt. 65 (S. 57.) Gegen die Behauptung von du Theil, daß Pompeji noch mit Glanz unter Hadrian beſtanden und erſt am Ende des 5. Jahrhunderts völlig zerſtört worden ſei, ſ. Adolf von Hoff, Geſchichte der Veränderungen der Erdober— fläche T. II, 1824, S. 195— 199. es (S. 58.) S. Waagen, Kunſtwerke und Künſtler in England und Paris T. III, 1839, S. 195— 201, und beſonders S. 217—224, wo das berühmte Pſalterium der Pariſer Bibliothek (aus dem 10. Jahrhundert) beſchrieben wird, welches beweiſt, wie lange in Konſtantinopel ſich „die antike Auffaſſungsweiſe“ erhalten hat. Den freundſchaftlichen und leitenden Mitteilungen dieſes tiefen Kunſtkenners (des Profeſſor Waagen, Direktors der Gemäldegalerie in meiner Vaterſtadt) habe ich zur Zeit meiner öffentlichen Vor— träge im Jahre 1828 intereſſante Notizen über die Kunſtgeſchichte nach der römiſchen Kaiſerzeit verdankt. Was ich ſpäter über die allmähliche Entwickelung der Landſchaftmalerei aufgeſchrieben, teilte ich im Winter 1835 dem berühmten, leider uns ſo früh entriſſenen Ver— faſſer der italieniſchen Forſchungen, Freiherrn von Rumohr in Dresden, mit. Ich erhielt von dem edel mitteilenden Manne eine große Zahl hiſtoriſcher Erläuterungen, die er mir ſogar, wenn es nach der Form meines Werkes geſchehen könnte, vollſtändig zu veröffentlichen erlaubte. 67 (S. 59.) „Im Belvedere des Vatikan malte ſchon Pinturicchio Landſchaften als ſelbſtändige Verzierung; ſie waren reich und kom— 8 poniert. Er hat auf Rafael eingewirkt, in deſſen Bildern viele landſchaftliche Seltſamkeiten nicht von Perugino abzu— leiten ſind. Bei Pinturicchio und bei deſſen Freunden finden ſich auch ſchon die ſonderbaren ſpitzigen Bergformen, welche Sie früher in Ihren Vorleſungen geneigt waren von den, durch Leopold von Buch ſo berühmt gewordenen, tiroler Dolomitkegeln, abzuleiten, die auf reiſende Künſtler bei dem ſteten Verkehr zwiſchen Italien und Deutſch— land könnten Eindruck gemacht haben. Ich glaube vielmehr, daß dieſe Kegelformen auf den früheſten italieniſchen Landſchaften ent— weder ſehr alte konventionelle Uebertragungen ſind aus Berg— andeutungen in antiken Reliefs und muſiviſchen Arbeiten, oder daß ſie als ungeſchickt verkürzte Anſichten des Sorakte und ähnlicher iſolierter Gebirge in der Campagna di Roma betrachtet werden müſſen.“ (Aus einem Briefe von Karl Friedrich von Rumohr an mich im Oktober 1832.) — Um die Kegel- und Spitzberge näher zu bezeichnen, von denen hier die Rede iſt, erinnere ich an die phantaſtiſche Landſchaft, welche in Leonardo da Vincis allgemein bewundertem Bilde der Mona Liſa (Gemahlin des Francesco del Giocondo) den Hintergrund bildet. — Unter denen, welche in der niederländiſchen Schule die Landſchaft vorzugsweiſe als eine eigene Gattung ausgebildet haben, ſind noch Pateniers Nachfolger Herry de Bles, wegen ſeines Tiermonogramms Civetta genannt, und ſpäter die Brüder Matthäus und Paul Bril zu erwähnen, die bei ihrem Aufenthalte in Rom große Neigung zu dieſem abgeſonderten Zweige der Kunſt erweckten. In Deutſchland behandelte Albrecht Altdorfer, Dürers Schüler, die Landſchaftmalerei noch etwas früher und mit größerem Erfolge als Patenier. es (S. 59.) Gemalt für die Kirche San Giovanni e Paolo zu Venedig. 6 (S. 60.) Wilhelm von Humboldt, geſammelte Werke Bd. IV, S. 37. Vergl. auch über die verſchiedenen Stadien des Naturlebens und die durch die Landſchaft hervorgerufenen Ge— mütsſtimmungen Carus in ſeinen geiſtreichen Briefen über die Landſchaftmalerei, 1831, S. 45. (S. 60.) Das große Jahrhundert der Landſchaftmalerei vereinigte: Johann Breughel 1569 — 1625, Rubens 15771640, Domenichino 1581— 1641, Philippe de Champaigne 1602-1674, Nicolas Pouſſin 1594 1655, Gaspard Pouſſin (Dughet) 1613 bis 1675, Claude Lorrain 1600 —1682, Albert Cuyp 1606-1672, Jan Both 1610 - 1650, Salvator Roſa 1615-1673, Everdingen 1621-1675, Nikolaus Berghem 1624 1683, Swanevelt 1620 bis 1690, Ruysdael 1635-1681, Minderhoot Hobbema, Jan Wynants, Adriaan van de Velde 1639 —1672, Karl Dujardin 1644 1687. "1 (S. 60.) Wunderbar phantaſtiſche Darſtellungen der Dattel— palme, die in der Mitte der Laubkrone einen Knopf haben, zeigt mir ein altes Bild von Cima da Conegliano aus der Schule des Bellino (Dresdner Galerie 1835, Nr. 40). er 72 (S. 61.) Franz Poſt oder Pooſt war zu Harlem 1620 ge— boren. Er ſtarb daſelbſt 1680. Sein Bruder begleitete ebenfalls den Grafen Moritz von Naſſau als Architekt. Von den Gemälden waren einige, die Ufer des Amazonenſtroms darſtellend, in der Bildergalerie von Schleisheim zu ſehen; andere ſind in Berlin, Hannover und Prag. Die radierten Blätter (in Barläus, Reiſe des Prinzen Moritz von Naſſau und in der königlichen Samm— lung der Kupferſtiche zu Berlin) zeugen von ſchönem Naturgefühl in Auffaſſung der Küſtenform, der Beſchaffenheit des Bodens und der Vegetation. Sie ſtellen dar: Muſaceen, Kaktus, Palmen, Fikus— arten mit den bekannten bretterartigen Auswüchſen am Fuß des Stammes, Rhizophora und baumartige Gräſer. Die maleriſche bra— ſilianiſche Reiſe endigt ſonderbar genug mit einem deutſchen Kiefern— walde, der das Schloß Dillenburg umgibt. — Die früher im Texte: gemachte Bemerkung über den Einfluß, den die Gründung botaniſcher Gärten in Oberitalien gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts auf die phyſiognomiſche Kenntnis tropiſcher Pflanzengeſtaltung kann aus— geübt haben, veranlaßt mich, in dieſer Note an die wohlbegründete Thatſache zu erinnern, daß der für die Belebung der ariſtoteliſchen Philoſophie und der Naturkunde gleich verdiente Albertus Magnus im 13. Jahrhundert im Dominikanerkloſter zu Köln wahrſcheinlich ein warmes Treibhaus beſaß. Der berühmte, ſchon wegen ſeiner Sprechmaſchine der Zauberkunſt verdächtige Mann gab nämlich am 6. Januar 1249 dem römiſchen Könige Wilhelm von Holland bei ſeiner Durchreiſe ein Feſt in einem weiten Raume des Kloſter— gartens, in dem er bei angenehmer Wärme Fruchtbäume und blühende Gewächſe den Winter hindurch unterhielt. Die Erzählung dieſes Gaſtmahls, ins Wunderbare übertrieben, findet ſich in der Chronica Joannis de Beka aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Ob— gleich die Alten, wie einzelne Beiſpiele aus den pompejaniſchen Ausgrabungen lehren, Glasſcheiben in Gebäuden anwendeten, ſo iſt bisher doch wohl nichts aufgefunden worden, was in der antiken Kunſtgärtnerei den Gebrauch von erwärmten Glas- und Treibhäuſern bezeugte. Die Wärmeleitung der caldarıa in Bädern hätte auf Anlegung ſolcher Treibereien und der Gewächshäuſer leiten können, aber bei der Kürze des griechiſchen und italieniſchen Winters wurde das Bedürfnis der künſtlichen Wärme im Gartenbau weniger ge— fühlt. Die Adonisgärten (rr "Adwvesoe), für den Sinn des Adonisfeſtes ſo bezeichnend, waren nach Böckh „Pflanzungen in kleinen Töpfen, die ohne Zweifel den Garten darſtellen ſollten, in welchem Aphrodite ſich zum Adonis geſellte, dem Symbol der ſchnell hinwelkenden Jugendblüte, des üppigen Wachstums und des Ver— gehens. Die Adonien waren alſo ein Trauerfeſt der Weiber, eines jener Feſte, durch welche das Altertum die hinſterbende Natur betrauerte. Wie wir von Treibhauspflanzen reden im Gegen— ſatze des Naturwüchſigen, ſo haben die Alten oft ſprichwörtlich das Wort Adonisgarten gebraucht, um damit ſchnell Emporgeſproſſenes, 8 1 aber nicht zu tüchtiger Reife und Dauer Gediehenes zu bezeichnen. Die Pflanzen, nicht vielfarbige Blumen, nur Lattich, Fenchel, Gerſte und Weizen, wurden mit emſiger Pflege zu ſchnellem Wachstum gebracht, auch nicht im Winter, ſondern im vollen Sommer, und in einer Zeit von acht Tagen.“ Creuzer glaubt indes, daß zur Beſchleunigung des Wachstums der Pflanzen in den Adonisgärtchen „ſtarke natürliche, und auch wohl künſtliche Wärme im Zimmer an— gewendet wurde“. — Der Kloſtergarten des Dominikanerkloſters in Köln erinnert übrigens an ein grönländiſches oder isländiſches Kloſter des heil. Thomas, deſſen immer ſchneeloſer Garten durch natürliche heiße Quellen erwärmt war, wie die Fratelli Zeni in ihren, freilich der geographiſchen Oertlichkeit nach ſehr problematiſchen Reiſen (1388 - 1404) berichten. — In unſeren botaniſchen Gärten ſcheint die Anlage eigentlicher Treibhäuſer viel neuer zu ſein, als man gewöhnlich glaubt. Reife Ananas wurden erſt am Ende des 17. Jahrhunderts erzielt; ja Linné behauptet ſogar in der Musa Cliffortiana florens Hartecampi, daß man Piſang in Europa zum erſtenmal zu Wien im Garten des Prinzen Eugen 1731 habe blühen jehen. (S. 62.) Dieſe Anſichten der Tropenvegetation, welche die Phyſiognomik der Gewächſe charakteriſieren, bilden in dem königl. Muſeum zu Berlin (Abteilung der Miniaturen, Handzeich— nungen und Kupferſtiche) einen Kunſtſchatz, der ſeiner Eigentümlich— keit und maleriſchen Mannigfaltigkeit nach bisher mit keiner anderen Sammlung verglichen werden kann. Des Freiherrn von Kittlitz edierte Blätter führen den Titel: Vegetationsanſichten der Küſtenländer und Inſeln des Stillen Ozeans, auf: genommen 1827-1829 auf der Entdeckungsreiſe der kaiſ. ruſſ. Korvette Senjäwin (Siegen 1844). Von einer großen Naturwahrheit zeugen auch die Zeichnungen von Karl Bodmer, welche, meiſterhaft geſtochen, eine Zierde des großen Reiſewerkes des Prinzen Maximilian zu Wied in das Innere von Nordamerika ſind. (S. 67.) Dieſer Wunſch iſt durch die in den meiſten Groß— ſtädten Europas erbauten Panoramen zu freilich noch ſehr geringem Teile verwirklicht worden. — [D. Herausg.] (S. 70.) Diodor II, 12. Er gibt aber dem berühmten Garten der Semiramis nur 12 Stadien im Umkreiſe. Die Paß— gegend des Bagiſtanos heißt noch der Bogen oder Umfang des Gartens, Tauk-ı bostan. 7s (S. 71.) Im Schahnameh des Firduſi heißt es: „Eine ſchlanke Cypreſſe,dem Paradieſe entſproſſen, pflanzte Zerduſcht vor die Thür des Feuertempels (zu Kiſchmer in Choraſan). Ge— ſchrieben hatte er auf dieſe hohe Cypreſſe: Guſchtasp habe ange— nommen den guten Glauben; ein Zeuge ward ſomit der ſchlanke Baum; ſo verbreitet Gott die Gerechtigkeit. Als viele Jahre darüber verfloſſen waren, entfaltete ſich die hohe Cypreſſe und ward ſo groß, daß des Jägers Fangſchnur ihren Umfang nicht befaßte. Als ihren Gipfel vielfaches Gezweige umgab, umſchloß er ſie mit einem Palaſt von reinem Golde . und ließ ausbreiten in der Welt: Wo auf Erden gibt es eine Cypreſſe wie die von Kiſchmer ? Aus dem Parudieſe ſandte fie mir Gott und ſprach: Neige dich von dort zum Paradieſe. (Als der Kalif MNotewekkil die den MNagiern heilige . gab man ihr ein Alter von 1450 Jahren.) Heimat der Cypreſſe (arab. Arachol;, — ſcheinen die die Gebirge von Buſih weſtlich von Herat zu jein. * (S. 71.) Achill. Tat. 135; Longus, Past. IV, p. 108 Schäfer. „Gejenius (Thes linguae hebr. T. II, p. 1124) ſtellt ſehr richtig die Anſicht auf, daß das Wort Baradies urſprüng⸗ 2 — angehört habe; in der neuperſiſchen Sprache iſt ſein Gebrauch verloren gegangen. Firduſi ern Name ſelbſt daher — bedient ſich gewöhnlich nur des Wortes behischt:; aber für den zeugen drücklich Bollur im Onomast. IX. 3 und Tenophon, Oecon. 4, 13 und 21; Anab. I. 2. 7 und I. 4. 10: Cyrop. I. 4. 5. 8 Luſtgarten oder Garten iſt wahrſcheinlich aus dem das Wort in das Hebräiſche (pardes), Arabiſche (Grdans, m 1 Ableitung it parad&sa: Bezirk, Gegend oder Ausland), welche Denfey. Bohlen und Geſenius auch ſchon anführen, trifft der Form nach voll⸗ kommen, der Bedeutung nach aber wenig zu“ — s (S. 72.) Fürſt von „ Andeutungen über Landſchaftsgärtnerei, 1834; vergl. damit jeine maleri- den Beigreidunden der altem und neuen engliichen Parts wie die der ügyptiſchen Gärten von Schubra. (S. 78.) Welch ein Abſtand, wenn man die Namnigfaltigkeit der in Oſtaſien ſeit jo vielen Jahrhunderten fultioierten formen mit dem Material vergleicht, das Columella in “oz nüchternen Gedichte de eultu hortorum aufzählt, und auf K 6F7V7VVTCCC0T Annas EnEREE En B. Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung. Hauptmomente der allmählichen Entwickelung und Erweiterung des Begriffs vom Kosmos, als cinem Aaturganzen. Die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung. iſt die Geſchichte der Erkenntnis eines Naturganzen, die Dar— ſtellung des Strebens der Menſchheit, das Zusammenwirken der Kräfte in dem Erd- und Himmelsraume zu begreifen; ſie bezeichnet demnach die Epochen des Fortſchrittes in der Verallgemeinerung der Anſichten, fie iſt ein Teil der Geſchichte unſerer Gedankenwelt, inſofern dieſer Teil ſich auf die Gegen- ſtände ſinnlicher Erſcheinung, auf die Geſtaltung der geballten Materie und die ihr inwohnenden Kräfte bezieht. In dem erſten Teile dieſes Werkes, in dem Abſchnitt über die Begrenzung und wiſſenſchaftliche Behandlung einer phyſiſchen Weltbeſchreibung, glaube ich deutlich entwickelt zu haben, wie 4 einzelnen Naturwiſſenſchaften ſich zur Welt— beſchreibung, d . 5. zur Lehre vom Kosmos (vom Weltganzen), verhalten; wie dieſe Lehre aus jenen Disziplinen nur die Materialien zu ihrer wiſſenſchaftlichen Begründung ſchöpfe. Die Geſchichte der Erkenntnis des Weltganzen, zu welcher ich hier die leitenden Ideen darlege und welche ich der Kürze wegen bald Geſchichte des Kosmos, bald Ge— ſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung nenne, darf alſo nicht verwechſelt werden mit der Geſchichte der Natur- wiſſenſchaften, wie ſie mehrere unſerer vorzüglichſten Lehr— bücher der Phyſik oder die der Morphologie der Pflanzen und Tiere liefern. Um Rechenſchaft von der Bedeutung deſſen zu geben, was hier unter den Geſichtspunkt einzelner hiſtoriſcher Momente — 94 zuſammenzuſtellen iſt, ſcheint es am geeignetſten, beiſpiels— weiſe aufzuführen, was nach dem Zweck dieſer Blätter be= handelt oder ausgeſchloſſen werden muß. In die Geſchichte des Naturganzen gehören die Entdeckungen des zuſammen— geſetzten Mikroſkops, des Fernrohrs und der farbigen Polari⸗ ſation, weil ſie Mittel verſchafft haben, das, was allen Orga— nismen gemeinſam iſt, aufzufinden; in die fernſten Himmels— räume zu dringen und das erborgte reflektierte Licht von dem ſelbſtleuchtender Körper zu unterſcheiden, d. i. zu beſtimmen, ob das Sonnenlicht aus einer feſten Maſſe oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausſtrahle. Die Aufzählung der Ver: ſuche aber, welche ſeit Huygens allmählich auf Aragos Ent— deckung der farbigen Polariſation geleitet haben, werden der Geſchichte der Optik vorbehalten. Ebenſo verbleibt der Ge— ſchichte der Phytognoſie oder Botanik die Entwickelung der . nach denen die Maſſe vielgeſtalteter Gewächſe ſich in Familien aneinander reihen läßt, während die Geographie der Pflanzen, oder die Einſicht in die örtliche und klimatiſche Ver— teilung der Vegetation über den ganzen Erdkörper, über die Feſte und das algenreiche Becken der Meere, einen wichtigen Ab⸗ ſchnitt in der Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung ausmacht. Die denkende Betrachtung deſſen, was die Menſchen zur Einſicht eines Naturganzen geführt hat, iſt ebenſowenig die ganze Kulturgeſchichte der Menſchheit, als ſie, wie wir eben erinnert haben, eine Geſchichte der Naturwiſſen— ſchaften genannt werden kann. Allerdings iſt die Einſicht in den Zuſammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelſte Frucht der menſchlichen Kultur, als das Streben nach dem höchſten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, iſt nur ein Teil der Kulturgeſchichte ſelbſt. Dieſe umfaßt gleichzeitig, was den Fortſchritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geiſtesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir ger winnen nach einem eingeſchränkteren phyſikaliſchen Geſichts⸗ punkte der Geſchichte des menſchlichen Wiſſens nur eine Seite ab, wir heften vorzugsweiſe den Blick auf das Verhältnis des allmählich Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disziplinen als bei Reſul— taten, welche einer Verallgemeinerung fähig ſind oder kräftige materielle Hilfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verſchiedenen Zeitaltern geliefert haben. err 0 re u ee ar Pu * . 8 = 3 * Vor allem müſſen ſorgfältig ein frühes Ahnen und ein wirkliches Wiſſen ſcharf voneinander getrennt werden. Mit der zunehmenden Kultur des Menſchengeſchlechtes geht von dem erſten vieles in das zweite über, und ein ſolcher Ueber— gang verdunkelt die Geſchichte der Erfindungen. Eine ſinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft faſt un— bewußt das Ahnungsvermögen und erhöht dasſelbe wie durch eine begeiſtigende Kraft. Wie manches iſt bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den Zuſammen— hang von Naturerſcheinungen ausgeſprochen worden; erſt un— erwieſen und mit dem Unbegründetſten vermengt, aber in ſpäterer Zeit auf ſichere Erfahrung geſtützt und dann wiſſen— ſchaftlich erkannt! Die ahnende Phantaſie, die allbelebende Thätigkeit des Geiſtes, welche in Plato, in Kolumbus, in Kepler gewirkt, darf nicht angeklagt werden, als habe ſie in dem Gebiet der Wiſſenſchaft nichts geſchaffen, als müſſe ſie notwendig ihrem Weſen nach von der Ergründung des Wirk— lichen abziehen. Da wir die Geſchichte der phyſiſchen Weltan— ſchauung als die Geſchichte der Erkenntnis eines Naturganzen, gleichſam als die Geſchichte des Gedankens von der Einheit in den Erſcheinungen und von dem Zuſammen— wirken der Kräfte im Weltall, definiert haben, ſo kann die Behandlungs weiſe dieſer Geſchichte nur in der Aufzählung deſſen beſtehen, wodurch der Begriff von der Einheit der Er— ſcheinungen ſich allmählich ausgebildet hat. Wir unterſcheiden in dieſer Hinſicht: 1) das ſelbſtändige Streben der Vernunft nach Erkenntnis von Naturgeſetzen, alſo eine denkende Be— trachtung der dee 2) die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; 3) die Erfindung neuer Mittel ſinnlicher Wahrnehmung, gleichſam die Erfindung neuer Organe, welche den Menſchen mit den irdiſchen Gegenſtänden wie mit den fernſten Welt— räumen in näheren Verkehr bringen, welche die Beobachtung ſchärfen und vervielfältigen. Dieſer dreifache Geſichtspunkt muß uns leiten, wenn wir die Hauptepochen (Hauptmomente) beſtimmen, welche die Geſchichte der Lehre vom Kosmos zu durchlaufen hat. Um das Geſagte zu erläutern, wollen wir hier wiederum ſolche Beiſpiele anführen, die die Ver— ſchiedenheit der Mittel charakteriſieren, durch welche die Menſch— heit allmählich zum intellektuellen Beſitz von einem großen Teile der Welt gelangt iſt; Beiſpiele von erweiterter Natur— — 96 — kenntnis, von großen Begebenheiten und von der Er— findung neuer Organe. Die Kenntnis der Natur, als älteſte Phyſik der Hellenen, war mehr aus inneren Anſchauungen, aus der Tiefe des Gemüts als aus der Wahrnehmung der Erſcheinungen geſchöpft. Die Naturphiloſophie der ioniſchen Phyſio— logen iſt auf den Urgrund des Entſtehens, auf den Formen— wechſel eines einigen Grundſtoffes gerichtet; in der mathe⸗ matiſchen Symbolik der Pythagoräer, in ihren Betrach—⸗ tungen über Zahl und Geſtalt offenbart ſich dagegen eine Philoſophie des Maßes und der Harmonie. Indem die doriſch-italiſche Schule überall numeriſche Elemente ſucht, hat ſie von dieſer Seite, durch eine gewiſſe Vorliebe für die Zahlenverhältniſſe, die ſie im Raum und in der Zeit erkennt, gleichſam den Grund zur ſpäteren Ausbildung unſerer Gr: fahrungswiſſenſchaften gelegt. Die Geſchichte der Welt: anſchauung, wie ich ſie auffaſſe, bezeichnet nicht ſowohl die oft wiederkehrenden Schwankungen zwiſchen Wahrheit und Irrtum als die Hauptmomente der allmählichen Annäherung an die Wahrheit, an die richtige Anſicht der irdiſchen Kräfte und des Planetenſyſtems. Sie zeigt uns, wie die Pytha— goräer, nach dem Berichte des Philolaus aus Croton, die fortſchreitende Bewegung der nicht rotierenden Erde, ihren Kreislauf um den Weltherd (das Centralfeuer, Heſtia) lehrten, wenn Plato und Ariſtoteles ſich die Erde weder als rotierend noch fortſchreitend, ſondern als unbeweglich im Mittel— punkt ſchwebend vorſtellten. Hicetas von Syrakus, der min— deſtens älter als Theophraſt iſt, Heraklides Pontikus und Ekphantus kannten die Achſendrehung der Erde; aber nur Ariſtarch von Samos und beſonders Seleukus der Babylonier, anderthalb Jahrhunderte nach Alexander, wußten, daß die Erde nicht bloß rotiere, ſondern ſich zugleich auch um die Sonne, als das Centrum des ganzen Planetenſyſtems, bewege. Kehrte auch in den dunkeln Zeiten des Mittelalters durch chriſtlichen Fanatismus und den herrſchend bleibenden Einfluß des ptole— mäiſchen Syſtems der Glaube an die Unbeweglichkeit der Erde zurück, wurde auch ihre Geſtalt bei dem alexandriniſchen Cosmas Indicopleuſtes wieder die Scheibe des Thales, ſo hatte dagegen ein deutſcher Kardinal, Nikolaus de Cuß, zu— erſt die Geiſtesfreiheit und den Mut, faſt hundert Jahre vor Kopernikus, unſerem Planeten zugleich wieder die Achſen— drehung und die fortſchreitende Bewegung zuzuſchreiben. Nach — Kopernikus war Tychos Lehre allerdings ein Rückſchritt, aber ein Rückſchritt von kurzer Dauer. Sobald eine große Maſſe genauer Beobachtungen, zu der Tycho ſelbſt reichlich bei— getragen, angeſammelt war, konnte die richtige Anſicht des Weltbaues nicht auf lange verdrängt bleiben. Wir haben hier gezeigt, wie die Periode der Schwankungen vorzüglich u rg und naturphiloſophiſchen Phantaſieen ge— weſen iſt. Nach der vervollkommneten Kenntnis der Natur, als einer gleichzeitigen Folge unmittelbarer Beobachtung und ideeller Kombinationen, haben wir oben der Aufzählung großer Be— gebenheiten gedacht, d. i. ſolcher, durch welche der Hori— zont der Weltanſchauung räumlich erweitert wurde. Zu dieſen Begebenheiten gehören Völkerwanderungen, Schiffahrt und» Heerzüge. Sie haben von der natürlichen Beſchaffenheit der Erdoberflache (Geſtaltung der Kontinente, Richtung der Ge— birgsjoche, relativen Anſchwellung der Hochebenen) Kunde verſchafft, ja in weiten Länderſtrecken Material zur Ergrün— dung allgemeiner Naturgeſetze dargeboten. Es bedarf bei dieſen hiſtoriſchen Betrachtungen nicht der Darſtellung eines zuſammenhängenden Gewebes von Begebenheiten. Für die Geſchichte der Erkenntnis des Naturganzen iſt es hinlänglich in jeder Epoche nur an ſolche Begebenheiten zu erinnern, welche einen entſchiedenen Einfluß auf die geiſtigen Beſtrebungen der Menſchheit und auf eine erweiterte Welt- anſicht auszuüben vermochten. In dieſer Hinſicht ſind von großer Wichtigkeit geweſen für die Völker, die um das Becken des Mittelmeeres angeſiedelt waren, die Fahrt des Coläus von Samos jenſeits der Herkulesſäulen, der Zug Alexanders nach Vorderindien, die Weltherrſchaft der Römer, die Ver— breitung arabiſcher Kultur, die Entdeckung des neuen Kon— tinents. Wir verweilen nicht ſowohl bei der Erzählung von etwas Geſchehenem als bei der Bezeichnung der Wirkung, welche das Geſchehene, d. i. die Begebenheit, ſei ſie eine Ent— deckungsreiſe oder das Herrſchendwerden einer hochausgebildeten litteraturreichen Sprache, oder die plötzlich verbreitete Kenntnis der indo⸗afrikaniſchen Monſune, auf die Entwickelung der Idee des Kosmos ausgeübt hat. Wenn ich bei der Aufzählung ſo heterogener Anregungen ſchon beiſpielsweiſe der Sprachen erwähne, ſo will ich hier im allgemeinen auf ihre unermeßliche Wichtigkeit in zwei ganz verſchiedeuen Richtungen aufmerkſam machen. Die Sprachen A. v. Humboldt, Kosmos. II. 7 — 98 — wirken einzeln durch große Verbreitung als Kommunikations- mittel zwiſchen weit voneinander getrennten Völkerſtämmen; ſie wirken, miteinander verglichen, durch die erlangte Einſicht in ihren inneren Organismus und ihre Verwandtſchaftsgrade, auf das tiefere Studium der Geſchichte der Menſchheit. Die griechiſche Sprache und die mit derſelben ſo innigſt verknüpfte Nationalität der Griechen (das Griechenleben) haben eine zauberiſche Gewalt geübt über alle fremden von ihnen berührten Völker. Die griechiſche Sprache erſcheint in Inneraſien durch den Einfluß des baktriſchen Reiches als eine Trägerin des Wiſſens, das ein volles Jahrtauſend ſpäter, mit indiſchem Wiſſen gemiſcht, durch die Araber in den äußerſten Weſten von Europa zurückgebracht wird. Die altindiſche und die malayiſche Sprache haben in der Inſelwelt des ſüdöſtlichen Aſiens wie an der Oſtküſte von Afrika und auf Madagaskar den Handel und den Völkerverkehr befördert, ja wahrſcheinlich, durch die Nachrichten von den indiſchen Handelsſtationen der Banianen, das kühne Unternehmen von Vasco da Gama ver— anlaßt. Herrſchend gewordene Sprachen, die leider den ver— drängten Idiomen einen frühen Untergang bereiten, haben wie das Chriſtentum und wie der Buddhismus wohlthätig zur Einigung der Menſchheit beigetragen. Verglichen untereinander und als Objekte der Natur: kunde des Geiſtes betrachtet, nach der Analogie ihres inneren Baues in Familien geſondert, ſind die Sprachen (und dieſes iſt eines der glänzendſten Ergebniſſe der Studien neuerer Zeit, der letztverfloſſenen ſechzig bis ſiebzig Jahre) eine reiche Quelle des hiſtoriſchen Wiſſens geworden. Eben weil ſie das Produkt der geiſtigen Kraft des Menſchen ſind, führen ſie uns mittels der Grundzüge ihres Organismus in eine dunkle Ferne, in eine ſolche, zu welcher keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachſtudium zeigt, wie durch große Länder— ſtrecken getrennte Völkerſtämme miteinander verwandt und aus einem gemeinſchaftlichen Urſitze ausgezogen ſind; es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen; es erkennt, den Entwickelungsmomenten nachſpürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgeſtaltung, in der Permanenz ge— wiſſer Formen oder in der bereits fortgeſchrittenen Zertrüm— merung und Auflöſung des Formenſyſtems, welcher Volks— ſtamm der einſt im gemeinſamen Wohnſitz üblichen, gemeinſamen Sprache näher geblieben iſt. Zu dieſer Art der Unterſuchungen über die erſten altertümlichen Sprachzuſtände, in denen das — 99 — Menſchengeſchlecht im eigentlichſten Sinne des Wortes als ein lebendiges Naturganzes betrachtet wird, gibt die lange Kette der indogermaniſchen Sprachen vom Ganges bis zum iberiſchen Weſtende von Europa, von Sizilien bis zum Nord kap, vielfachen Anlaß. Dieſelbe hiſtoriſche Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewiſſer Erzeugniſſe, welche ſeit den älteſten Zeiten wichtige Gegenſtände des Tauſchhandels geweſen ſind. Die Sanskritnamen echt indiſcher Produkte, die von Reis, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechiſche und teilweiſe ſogar in die ſemitiſchen Sprachen übergegangen.! Nach den hier angedeuteten und durch Beiſpiele erläu— terten Betrachtungen erſcheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges, rationelles Hilfsmittel, um durch wiſſen— ſchaftliche, echt philologiſche Unterſuchungen zu einer Verall— gemeinerung der Anſichten über die Verwandtſchaft des Menſchen— geſchlechtes und ſeine mutmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden Verbreitungsſtrahlen zu gelangen. Die rationellen Hilfsmittel der ſich allmählich entwickelnden Lehre vom Kosmos ſind demnach ſehr verſchiedener Art: Er— forſchung des Sprachbaues, Entzifferung alter Schriftzüge und hiſtoriſcher Monumente in Hieroglyphen und Keilſchrift; Ver— vollkommnung der Mathematik, beſonders des mächtigen, Erd— geſtalt, Meeresflut und Himmelsräume beherrſchenden analy— tiſchen Kalküls. Zu dieſen Hilfsmitteln geſellen ſich endlich die materiellen Erfindungen, welche uns gleichſam neue Organe ſchaffen, die Schärfe der Sinne erhöhen, ja den Menſchen in einen näheren Verkehr mit den irdiſchen Kräften wie mit den fernen Welträumen ſetzen. Um hier nur diejenigen In— ſtrumente zu erwähnen, welche große Epochen der Kultur— geſchichte bezeichnen, nennen wir das Fernrohr und deſſen leider zu ſpäte Verbindung mit Meßinſtrumenten; das zu— ſammengeſetzte Mikroſkop, welches uns Mittel verſchafft, den Entwickelungszuſtänden des Organiſchen („der geſtaltenden Thätigkeit als dem Grunde des Werdens“, wie Ariſtoteles ſchon ſagt) zu folgen; die Bouſſole und die verſchiedenen Vor— richtungen zur Ergründung des Erdmagnetismus, den Ge— brauch des Pendels zum Zeitmaße, das Barometer, den Wärme— meſſer, hygrometriſche und elektrometriſche Apparate, das Polariſkop in Anwendung auf farbige Polariſations-Phänomene im Licht der Geſtirne oder im erleuchteten Luftkreiſe. Die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, — 100 — gegründet, wie wir eben entwickelt haben, auf denkende Be— trachtung der Naturerſcheinungen, auf eine Verkettung großer Begebenheiten, auf Erfindungen, welche den Kreis ſinnlicher Wahrnehmung erweitern, ſoll aber hier in ihren Hauptzügen nur fragmentariſch und überſichtlich dargeſtellt werden. Ich ſchmeichle mir mit der Hoffnung, daß die Kürze dieſer Dar— ſtellung den Leſer in den Stand ſetzen könne, den Geiſt, in welchem ein ſo ſchwer zu begrenzendes Bild einſt auszuführen wäre, leichter zu erfaſſen. Hier wie in dem Naturgemälde, welches der erſte Band des Kosmos enthält, wird nicht nach Vollſtändigkeit in Aufzählung von Einzelheiten, ſondern nach der klaren Entwickelung von leitenden Ideen getrachtet, ſolchen, welche einige der Wege bezeichnen, die der Phyſiker als Ge— ſchichtsforſcher durchlaufen kann. Die Kenntnis von dem Zu— ſammenhang der Begebenheiten und ihren Kauſalverhältniſſen wird als ein Gegebenes vorausgeſetzt; die Begebenheiten brauchen nicht erzählt zu werden, es genügt, ſie zu nennen und den Einfluß zu beſtimmen, den ſie auf die allmählich anwachſende Erkenntnis eines Naturganzen ausgeübt haben. Vollſtändig— keit, ich glaube es wiederholen zu müſſen, iſt hier weder zu erreichen noch als das Ziel eines ſolchen Unternehmens zu betrachten. Indem ich dies ausſpreche, um meinem Werke vom Kosmos den eigentümlichen Charakter zu bewahren, der dasſelbe allein ausführbar macht, werde ich mich freilich von neuem dem Tadel derer ausſetzen, welche weniger bei dem verweilen, was ein Buch enthält, als bei dem, was nach ihrer individuellen Anſicht darin gefunden werden ſollte. In den älteren Teilen der Geſchichte bin ich gefliſſentlich weit um— ſtändlicher als in den neueren geweſen. Wo die Quellen ſparſamer fließen, iſt die Kombination ſchwieriger, und die aufgeſtellten Meinungen bedürfen dann der Anführung nicht allgemein bekannter Zeugniſſe. Auch Ungleichmäßigkeit in der Behandlung der Materien habe ich mir da frei geſtattet, wo es darauf ankam, durch Aufzählung von Einzelheiten dem Vortrag ein belebenderes Intereſſe zu geben. Wie die Erkenntnis eines Weltganzen mit intuitiver Ahnung und wenigen wirklichen Beobachtungen über iſolierte Naturgebiete begonnen hat, ſo glauben wir auch in der ge— ſchichtlichen Darſtellung der Weltanſchauung von einem ein— geſchränkten Erdraume ausgehen zu müſſen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker ſich bewegt haben, auf deren Wiſſen unſere abendländiſche Kultur (die einzige — 101 — faſt ununterbrochen fortgeſchrittene) zunächſt gegründet iſt. Man kann die Hauptſtröme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Naturanſichten dem weſt⸗ lichen Europa zugeführt haben, aber bei der Vielfachheit dieſer Ströme iſt nicht ein einziger Urquell zu nennen. Tiefe Ein⸗ ſicht in die Kräfte der Natur, Erkenntnis der Natureinheit gehört nicht einem ſogenannten Urvolke an, für welches, nach dem Wechſel hiſtoriſcher Anſichten bald ein ſemitiſcher Stamm im nordchaldäiſchen Arparad (Arrahpachitis des Ptole⸗ mäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten Zendlande ? am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes aus⸗ gegeben wurden. Die Geſchichte, ſoweit ſie durch menſchliche Zeugniſſe begründet iſt, kennt kein Urvolk, keinen einzigen erſten Sitz der Kultur, keine Urphyſik, oder Naturweisheit, deren Glanz durch die ſündige Barbarei ſpäterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geſchichtsforſcher durchbricht die vielen übereinander gelagerten Nebelſchichten ſymboliſie⸗ render Mythen, um auf den feſten Boden zu gelangen, wo ſich die erſten Keime menſchlicher Geſittung nach natürlichen Geſetzen entwickelt haben. Im grauen Altertume, gleichſam am äußerſten Horizont des wahrhaft hiſtoriſchen Wiſſens, er⸗ blicken wir ſchon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Kultur, die gegeneinander ſtrahlen: ſo Aegypten, auf das wenigſte fünftauſend Jahre vor unſerer Zeitrechnung; Baby⸗ lon, Ninive, Kaſchmir, Iran; und China ſeit der erſten Kolonie, die vom nordöſtlichen Abfall des Kuen⸗lün her in das untere Flußthal des Hoangho eingewandert war. Dieſe Central⸗ punkte erinnern unwillkürlich an die größeren unter den fun⸗ kelnden Sternen des Firmaments, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume, von denen wir wohl die Stärke des Glanzes, nicht aber, einige wenige ausgenommen, die relative Ent⸗ fernung von unſerem Planeten kennen. Eine dem erſten Menſchenſtamme geoffenbarte Urphyſit, eine durch Kultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker gehört einer Sphäre des Wiſſens oder vielmehr des Glaubens an, welche dem Gegenſtande dieſes Werkes fremd bleibt. Wir finden einen ſolchen Glauben indes ſchon tief in der älteſten indiſchen Lehre Kriſchnas gewurzelt. „Die Wahrheit ſoll urſprünglich in den Menſchen gelegt, aber all- mählich eingeſchläfert und vergeſſen worden ſein; die Er⸗ kenntnis kehrt wie eine Erinnerung zurück.“ Wir laſſen es gern unentſchieden, ob die Volksſtämme, die wir gegenwärtig — 102 — Wilde nennen, alle im Zuſtande urſprünglich natürlicher Roheit ſind; ob nicht viele unter ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuten läßt, verwilderte Stämme, gleichſam zerſtreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh unter— gegangenen Kultur ſind.“ Ein naher Umgang mit dieſen ſo— genannten Naturmenſchen lehrt nichts von dem, was die Liebe zum Wunderbaren von einer gewiſſen Ueberlegenheit roher Völker in der Kenntnis der Erdkräfte gefabelt hat. Allerdings ſteigt ein dumpfes, ſchauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten in dem Buſen des Wilden auf; aber ein ſolches Gefühl hat nichts mit den Verſuchen gemein, den Zuſammenhang der Erſcheinungen unter Ideen zu faſſen. Wahrhaft kosmiſche Anſichten ſind erſt Folge der Beobachtung und ideeller Kombination, Folge eines lange dauernden Kon— taktes der Menſchheit mit der Außenwelt; auch ſind ſie nicht das Werk eines einzigen Volkes, ſie ſind die Frucht gegen— ſeitiger Mitteilung eines, wo nicht allgemeinen, doch großen Völkerverkehrs. Wie in den Betrachtungen über den Reflex der Außen- welt auf die Einbildungskraft wir, im Eingange dieſes Bandes, aus der allgemeinen Litteraturgeſchichte das ausgehoben haben, was ſich auf den Ausdruck eines lebendigen Natur— gefühls bezieht, ſo wird in der Geſchichte der Weltanſchauung aus der allgemeinen Kulturgeſchichte dasjenige ausgeſondert, was die Fortſchritte in der Erkenntnis eines Naturganzen be— zeichnet. Beide, nicht willkürlich, ſondern nach beſtimmten Grundſätzen abgeſonderte Teile haben wieder untereinander dieſelben Beziehungen als die Disziplinen, welchen ſie ent— lehnt ſind. Die Geſchichte der Kultur der Menſchheit ſchließt in ſich die Geſchichte der Grundkräfte des menſchlichen Geiſtes, und alſo auch der Werke, in denen nach verſchiedenen Rich— tungen dieſe Grundkräfte in Litteratur und Kunſt ſich offen— bart haben. Auf gleiche Weiſe erkennen wir in der Tiefe und Lebendigkeit des Naturgefühls, die wir nach dem Unter— ſchiede der Zeiten und der Völkerſtämme geſchildert, wirkſame Anregungsmittel zu ſorgfältigerer Beachtung der Erſcheinungen, zu ernſter Ergründung ihres kosmiſchen Zuſammenhanges. Eben weil nun ſo mannigfaltig die Ströme ſind, welche die Elemente des erweiterten Naturwiſſens getragen und im Laufe der Zeiten ungleich über den Erdboden verbreitet haben, iſt es, wie wir bereits oben bemerkt, am geeignetſten, in der Geſchichte der Weltanſicht von einer Völkergruppe und zwar — 103 — von der auszugehen, in der unſere jetzige wiſſenſchaftliche Kultur und die des ganzen europäiſchen Abendlandes ur— ſprünglich gewurzelt ſind. Die Geiſtesbildung der Griechen und Römer iſt allerdings ihrem Anfange nach eine ſehr neue zu nennen, im Vergleich mit der Kultur der Aegypter, Chineſen und Inder; aber was ihnen von außen, von dem Orient und von Süden her, zugeſtrömt iſt, hat ſich mit dem, was ſie ſelbſt hervorgebracht und verarbeitet, trotz des ewigen Wechſels der Weltbegebenheiten und des fremdartigen Gemiſches ein— dringender Völkermaſſen, ununterbrochen auf europäiſchem Boden fortgepflanzt. In den Regionen, wo man vor Jahr— tauſenden vieles früher gewußt, iſt entweder eine alles ver— dunkelnde Barbarei wiederum eingetreten, oder neben der Er— haltung alter Geſittung und feſter, komplizierter Staatsein— richtung (wie in China) iſt doch der Fortſchritt in Wiſſen— ſchaft und gewerblichen Kunſtfertigkeiten überaus gering, noch geringer der Anteil an dem Weltverkehr geweſen, ohne den allgemeine Anſichten ſich nie bilden können. Europäiſche Kultur— völker und die von ihnen abſtammenden in andere Kontinente übergegangen ſind, durch eine rieſenmäßige Erweiterung ihrer Schiffahrt in den fernſten Meeren, an den fernſten Küſten gleichſam allgegenwärtig geworden. Was ſie nicht beſitzen, können ſie bedrohen. In ihrem faſt ununterbrochen vererbten Wiſſen, in ihrer lang vererbten wiſſenſchaftlichen Nomenklatur liegen, wie Markſteine der Geſchichte der Menſchheit, Erinne— rungen an die mannigfaltigen Wege, auf denen wichtige Er— findungen oder wenigſtens der Keim zu denſelben den Völkern Europas zugeſtrömt ſind: aus dem öſtlichen Aſien die Kenntnis von der Richtkraft und Abweichung eines frei ſich bewegenden Magnetſtabes, aus Phönizien und Aegypten chemiſche Be— reitungen (Glas, tierische und vegetabiliſche Färbeſtoffe, Metall: oxyde), aus Indien allgemeiner Gebrauch der Poſition zur Beſtimmung des erhöhten Wertes weniger Zahlzeichen. Seitdem die Civiliſation ihre älteſten Urſitze innerhalb der Tropen oder in der ſubtropiſchen Zone verlaſſen, hat ſie ſich bleibend in dem Weltteile angeſiedelt, deſſen nördlichſte Regionen weniger kalt als unter gleicher Breite die von Aſien und Amerika ſind. Das Feſtland von Europa iſt eine weſt— liche Halbinſel von Aſien; und wie es eine größere, die all— gemeine Geſittung begünſtigende Milde ſeines Klimas dieſem Umſtande und ſeiner mannigfaltigen, vielgegliederten, ſchon von Strabo gerühmten Form, ſeiner Stellung gegen das in — 104 — der Aequatorialzone weit ausgedehnte Afrika, ſowie den vor— herrſchenden, über den breiten Ozean hinſtreichenden und des— halb im Winter warmen Weſtwinden verdankt, habe ich be— reits früher entwickelt. Die phyſiſche Beſchaffenheit von Europa hat der Verbreitung der Kultur weniger Hinderniſſe entgegen— geſtellt, als ihr in Aſien und Afrika geſetzt waren, da wo weit ausgedehnte Reihen von Parallelketten, Hochebenen und Sandmeeren als ſchwer zu überwindende Völkerſcheiden auf— treten. Wir beginnen demnach hier, bei der Aufzählung der Hauptmomente in der Geſchichte der phyſiſchen Welt— betrachtung, mit einem Erdwinkel, der durch ſeine räumlichen Verhältniſſe und ſeine Weltſtellung den wechſelnden Völker— verkehr und die Erweiterung kosmiſcher Anſichten, welche Folge dieſes Verkehres iſt, am meiſten begünſtigt hat. Hauptmomente einer Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchanung. I. Das Mittelmeer als Ausgangspunkt für die Darftellung der Verhält- niſſe, welche die allmähliche Erweiterung der Idee des Kosmos begründet haben. — Anreihung dieſer Darſtellung an die früheſte Kultur der Helleuen. — Verſuche ferner Schiffahrt gegen Nordoſt (Argonanten), gegen Süden (Ophir), gegen Weſten (Coläus von Samos). Ganz in dem Sinne einer großen Weltanſicht ſchildert Plato im Phädon die Enge des Mittelmeeres.“ „Wir,“ ſagt er, „die wir vom Phaſis bis zu den Säulen des Herkules wohnen, haben inne nur einen kleinen Teil der Erde, in dem wir uns, wie um einen Sumpf Ameiſen oder Fröſche, um das (innere) Meer angeſiedelt haben.“ Und dieſes enge Becken, an deſſen Rande ägyptiſche, phöniziſche und helleniſche Völker zu einem hohen Glanze der Kultur erblühten, iſt der Aus— gangspunkt der wichtigſten Weltbegebenheiten, die Koloniſie— rung großer Länderſtrecken von Afrika und Aſien, der nau— tiſchen Unternehmungen geweſen, durch welche eine ganze weſtliche Erdhälfte enthüllt worden iſt. Das Mittelmeer zeigt noch in ſeiner jetzigen Geſtaltung die Spuren einer ehemaligen Unterabteilung in drei geſchloſſene, aneinander grenzende, kleinere Becken.“ Das Aegeiſche iſt ſüdlich begrenzt durch die Bogenlinie, welche, von der kariſchen Küſte Kleinaſiens an, die Inſeln Rhodus, Kreta und Cerigo bilden, und die ſich an den Peloponnes anſchließt unfern des Vorgebirges Malea. Weſtlicher folgt das Joniſche Meer, das Syrtenbaſſin, in dem Malta liegt. Die Weſtſpitze von Sizilien nähert ſich dort auf 12 geographiſche Meilen (90 km) der Küſte von Afrika. Die plötzliche, aber kurz— dauernde Erſcheinung der gehobenen Feuerinſel Ferdinandea — 16 — (1831) ſüdweſtlich von den Kalkſteinfelſen von Sciacca mahnt an einen Verſuch der Natur, das Syrtenbaſſin zwiſchen Kap Grantola, der von Kapitän Smyth unterſuchten Adventure— bank, Pantellaria und dem afrikaniſchen Kap Bon wiederum zu ſchließen und ſo von dem weſtlichſten, dritten Baſſin, dem Tyrrheniſchen, zu trennen. Letzteres empfängt durch die Herkulesſäulen den von Weſten her einbrechenden Ozean und umſchließt Sardinien, die Balearen und die kleine vulkaniſche Gruppe der ſpaniſchen Kolumbraten. Dieſe Form des dreimal verengten Mittelmeeres hat einen großen Einfluß auf die früheſte Beſchränkung und ſpätere Erweiterung phöniziſcher und griechiſcher Entdeckungsreiſen gehabt. Die letzteren blieben lange auf das Aegeiſche und auf das Syrtenmeer beſchränkt. Zu der Homeriſchen Zeit war das kontinentale Italien noch ein „unbekanntes Land“. Die Phokäer eröffneten das Tyrrheniſche Baſſin weſtlich von Sizi⸗ lien; Tarteſſusfahrer gelangten zu den Säulen des Herkules. Man darf nicht vergeſſen, daß Karthago an der Grenze des Tyrrheniſchen und Syrtenbeckens gegründet ward. Die phyſiſche Geſtaltung der Küſten wirkte auf den Gang der Begeben— heiten, auf die Richtung nautiſcher Unternehmungen, auf den Wechſel der Meeresherrſchaft; die letzte wirkte wiederum auf die Erweiterung des Ideenkreiſes. Das nördliche Geſtade des inneren oder Mittelmeeres hat den ſchon vor Eratoſthenes nach Strabo bemerkten Vor— zug, reicher geformt, „vielgeſtalteter“, mehr gegliedert zu ſein als das ſüdliche libyſche. Dort treten drei Halbinjeln ” her— vor: die iberiſche, italiſche und helleniſche, welche, mannigfach buſenförmig eingeſchnitten, mit den nahen Inſeln und den gegenüberliegenden Küſten Meer- und Landengen bilden. Solche Geſtaltungen des Kontinents und der teils abgeriſſenen, teils vulkaniſch, reihenweiſe wie auf weit fortlaufenden Spalten gehobenen Inſeln haben früh zu geognoſtiſchen Anſichten über Durchbrüche, Erdrevolutionen und Ergießungen der angeſchwol— lenen höheren Meere in die tiefer ſtehenden geführt. Der Pontus, die Dardanellen, die Straße von Gades und das inſelreiche Mittelmeer waren ganz dazu geeignet, die Anſichten eines ſolchen Schleuſenſyſtems hervorzurufen. Der orphiſche Argonautiker, wahrſcheinlich aus chriſtlicher Zeit, hat alte Sagen eingewebt; er ſingt von der Zertrümmerung des alten Lyk— tonien in einzelne Inſeln, wie „Poſeidon, der finſtergelockte, dem Vater Kronion zürnend, ſchlug auf Lyktonien mit dem ** — 107 — goldenen Dreizack.“ Aehnliche Phantaſieen, die freilich oft aus einer unvollkommenen Kenntnis räumlicher Verhältniſſe entſtanden ſein konnten, waren in der eruditionsreichen, allem Altertümlichen zugewandten, alexandriniſchen Schule aus— geſponnen worden. Ob die Mythe der zertrümmerten Atlantis ein ferner und weſtlicher Reflex der Mythe von Lyktonien iſt, wie ich an einem anderen Ort wahrſcheinlich zu machen glaubte, oder ob nach Otfried Müller „der Untergang von Lyktonien (Leukonia) auf die ſamothrakiſche Sage von einer jene Gegend umgeſtaltenden großen Flut hindeute,“ ° braucht hier nicht ent— ſchieden zu werden. Was aber, wie ſchon oft bemerkt worden, die geographiſche Lage des Mittelmeeres vor allem wohlthätig in ihrem Einfluß auf den Völkerverkehr und die fortſchreitende Erweiterung des Weltbewußtſeins gemacht hat, iſt die Nähe des in der klein— aſiatiſchen Halbinſel vortretenden öſtlichen Kontinents; die Fülle der Inſeln des Aegeiſchen Meeres, welche eine Brücke für die übergehende Kultur geweſen ſind; die Furche zwiſchen Arabien, Aegypten und Abyſſinien, durch die der große Indiſche Ozean unter der Benennung des Arabiſchen Meerbuſens oder des Roten Meeres eindringt, getrennt durch eine ſchmale Erd enge von dem Nildelta und der ſüdöſtlichen Küſte des inneren Meeres. Durch alle dieſe räumlichen Verhältniſſe offenbarte ſich in der anwachſenden Macht der Phönizier und ſpäter in der der Hellenen, in der ſchnellen Erweiterung des Ideen— kreiſes der Völker der Einfluß des Meeres, als des verbin— denden Elementes. Die Kultur war in ihren früheren Sitzen in Aegypten, am Euphrat und Tigris, in der indiſchen Pentapotamia und in China in reiche Stromlandſchaften gefeſſelt geweſen; nicht ſo in Phönizien und Hellas. In dem bewegten Leben des Griechentums, vorzüglich im ioniſchen Stamme fand der frühe Drang nach ſeemänniſchen Unter nehmungen eine reiche Befriedigung in den merkwürdigen Formen des Mittelländiſchen Meerbeckens, in ſeiner relativen Stellung zu dem Ozean im Süden und Weſten. Die Exiſtenz des Arabiſchen Meerbuſens, als Folge des Einbruchs des Indiſchen Ozeans durch die Meerenge Babzel- Mandeb, gehört zu der Reihe großer phyſiſcher Erſcheinungen, welche uns erſt die neue Geognoſie hat offenbaren können. Der europäiſche Kontinent nämlich iſt in ſeiner Hauptachſe von Nordoſt gegen Südweſt gerichtet; aber faſt rechtwinklig mit dieſer Richtung findet ſich ein Syſtem von Spalten, die teils — 18 — zum Eindringen der Meereswaſſer, teils zu Hebung paralleler Gebirgsjoche Anlaß gegeben haben. Ein ſolches in verſes Streichen von Südoſt gegen Nordweſt zeigen (vom Indiſchen Ozean bis zum Ausfluß der Elbe im nördlichen Deutſchland) das Rote Meer in dem ſüdlichen Teile der Spalte, zu beiden Seiten von vulkaniſchen Gebirgsarten umgeben, der Perſiſche Meerbuſen mit dem Tieflande des Doppelſtromes Euphrat und Tigris, die Zagroskette in Luriſtan, die Ketten von Hellas und den nahen Inſelreihen des Archipels, das Adriatiſche Meer und die dalmatiſchen Kalkalpen. Die Kreuzung der beiden Syſteme geodätiſcher Linien (NO — SW und SO - NW), die ihre Urſache gewiß in Erſchütterungsrichtungen des Inneren unſeres Erdkörpers gehabt haben und von denen ich die Spalten SO — NW für neueren Urſprungs halte, hat den wichtigſten Einfluß auf die Schickſale der Menſchheit und die Erleichte— rung des Völkerverkehrs gehabt. Die relative Lage und die, nach der Abweichung der Sonne in verſchiedenen Jahreszeiten ſo ungleiche Erwärmung von Oſtafrika, Arabien und der Halbinſel von Vorderindien erzeugen eine regelmäßige Ab— wechſelung von Luftſtrömen (Monſun), welche die Schiffahrt nach der Myrrhifera Regio der Adramiten in Südarabien nach dem Perſiſchen Meerbuſen, Indien und Ceylon dadurch begünſtigten, daß in der Jahreszeit (April und Mai bis Oktober), wo Nordwinde auf dem Roten Meere wehen, der Südweſt-Monſun von Oſtafrika bis zur Küſte Malabar herrſcht, während der dem Rückweg günſtige Nordoſt-Monſun (Oktober bis April) zuſammentrifft mit der Periode der Südwinde zwiſchen der Meerenge Bab-el-Mandeb und dem Iſthmus von Suez. Nachdem wir nun, in dieſem Entwurf einer Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, den Schauplatz geſchildert haben, auf dem von ſo verſchiedenen Seiten fremde Elemente der Kultur und Länderkenntnis dem Griechenvolke zugeführt werden konnten, bezeichnen wir hier zuerſt diejenigen der das Mittelmeer umwohnenden Völker, welche ſich einer alten und ausgezeichneten Bildung erfreuten: die Aegypter, die Phönizier ſamt ihren nord- und weſtafrikaniſchen Kolonieen, und die Etrusker. Einwanderung und Handelsverkehr haben am mäch— tigſten gewirkt. Je mehr ſich in der neueſten Zeit durch Ent— deckung von Monumenten und Inſchriften, wie durch philo— ſophiſchere Sprachforſchung unſer hiſtoriſcher Geſichtskreis er— weitert hat, deſto mannigfaltiger erſcheint der Einfluß, welcher FE ER 00 —— in der früheſten Zeit auch vom Euphrat her, aus Lylien und durch die mit den thrakiſchen Stämmen verwandten Phrygier auf die Griechen ausgeübt wurde. In dem Nilthale, das eine ſo große Rolle in der Ge— 1 der Menſchheit ſpielt, „gehen ſichere Königsſchilder“ (ich folge den neueſten Forſchungen von Lepſius? und dem Reſultate ſeiner wichtigen, das ganze Altertum aufklärenden Expedition) „bis in den Anfang der 4. Manethoniſchen Dy— naſtie, welche die Erbauer der großen Pyramiden von Giſeh (Chephren oder Schafra, Cheops-Chufu und Menkera oder Mencheres) in ſich ſchließt. Dieſe Dynaſtie beginnt mehr als 34 Jahrhunderte vor unſerer chriſtlichen Zeitrechnung, 23 Jahr- hunderte vor der doriſchen Einwanderung der Herakliden in den Peloponnes.!“ Die großen Steinpyramiden von Dahſchur, etwas ſüdlich von Giſeh und Sakkara, hält Lepſius für Werke der dritten Dynaſtie. Auf den Blöcken der ſelben finden ſich Steinmetzinſchriften, aber bis jetzt keine Königsnamen. Die letzte Dynaſtie des alten Reiches, das mit dem Einfall der Hykſos endigte, wohl 1200 Jahre vor Homer, war die 12. Manethoniſche, welcher Amenemha III. angehörte, der Erbauer des urſprünglichen Labyrinths, der den Mörisſee künſtlich ſchuf durch Ausgrabung und mächtige Erddämme in Norden und Weſten. Nach der Vertreibung der Hykſos be— ginnt das neue Reich mit der 18. Dynaſtie (1600 Jahre vor Chr.). Der große Ramſes-Miamen (Ramſes II.) war der zweite Herrſcher der 19. Dynaſtie. Seine Siege, durch Abbildungen in Stein verewigt, wurden dem Germanicus von den Prieſtern in Theben erklärt.!“ Herodot kennt ihn unter dem Namen Seſoſtris, wahrſcheinlich durch eine Verwechſe— lung mit dem faſt ebenſo kriegeriſchen und mächtigen Eroberer Seti (Setos), welcher der Vater Ramſes' II. war.“ Wir haben geglaubt, hier bei dieſen Einzelheiten der Zeitrechnung verweilen zu müſſen, um da, wo für uns feſter Geſchichtsboden iſt, das relative Alter großer Begebenheiten in Aegypten, Phönizien und Griechenland annäherungsweiſe beſtimmen zu können. Wie wir vorher das Mittelmeer nach ſeinen räumlichen Verhältniſſen mit wenigen Zügen geſchildert, ſo mußten wir jetzt auch an die Jahrtauſende erinnern, um welche die menſchliche Kultur im Nilthal der von Hellas vor⸗ angegangen iſt. Ohne dieſe ſimultanen Beziehungen von Raum und Zeit können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geſchichtsbild entwerfen. — 110 — Die Kultur im Nilthale, früh durch geiſtiges Bedürfnis, durch eine ſonderbare phyſiſche Beſchaffenheit des Landes, durch prieſterliche und politiſche Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Kontakt mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und An— ſiedelungen angeregt. Was aber Geſchichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Er— oberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte eigene Schiffahrt. Ein ſo altes und mächtiges Kulturvolk ſcheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte, kleinere Volksſtämme. Die lange Arbeit ſeiner Nationalbildung, mehr den Maſſen als den Individuen ge— deihlich, iſt wie räumlich abgeſchieden und deshalb für die Er— weiterung kosmiſcher Anſichten wahrſcheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramſes-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., alſo volle 600 Jahre vor der erſten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge, nach Herodot „in Aethiopien (wo ſeine ſüdlichſten Bauwerke Lepſius am Berg Barkal fand), durch das paläſtiniſche Syrien, von Kleinaſien nach Europa überſetzend zu den Skythen, Thrakiern, endlich nach Kolchis und an den Phaſisſtrom, wo von ſeinen Soldaten des Herum— ziehens müde Anſiedler zurückblieben. Auch habe Ramſes zuerſt, ſagten die Prieſter, mit langen Schiffen die Küſten— bewohner längs dem Erythräriſchen Meere ſich unterworfen, bis er endlich im Weiterſchiffen in ein Meer kam, das vor Seichtigkeit nicht mehr ſchiffbar war.“ !? Diodor jagt be— ſtimmt, daß Seſooſis (der große Ramſes) in Indien bis über den Ganges ging, auch Gefangene aus Babylon zurückführte. „Die einzige ſichere Thatſache in Bezug auf die eigene alt— ägyptiſche Schiffahrt iſt die, daß ſeit den früheſten Zeiten die Aegypter nicht bloß den Nil, ſondern auch den Arabiſchen Meerbuſen befuhren. Die berühmten Kupferminen bei Wadi Magara auf der Sinai-Halbinſel wurden bereits unter der 4. Dynaſtie, unter Cheops-Chufu, bebaut. Bis zur 6. Dynaſtie gehen die Inſchriften von Hamamat an der Koſſerſtraße, welche das Nilthal mit der weſtlichen Küſte des Roten Meeres verband. Der Kanal von Suez wurde unter Ramſes dem Großen zu bauen verſucht, zunächſt wohl wegen des Verkehres mit dem arabiſchen Kupferlande.“ Größere nautiſche Unter— nehmungen, wie ſelbſt die ſo oft beſtrittene, mir gar nicht unwahrſcheinliche!? Umſegelung von Afrika unter Neku II. (611—595 vor Chr.) wurden phöniziſchen Schiffen anvertraut. « ya in ie r e eee — ne DEE — 11 — Faſt um dieſelbe Zeit, etwas früher, unter Nekus Vater Pſammitich (Pſemetek), und etwas ſpäter nach geendigtem Bürgerkriege unter Amaſis (Aahmes), legten griechiſche Miets— truppen und ihre Anſiedelung in Naucratis den Grund zu bleibendem auswärtigem Handelsverkehr, zur Aufnahme fremder Elemente, zu dem allmählichen Eindringen des Hellenismus in Niederägypten. Es war ein Keim geiſtiger Freiheit, größerer Unabhängigkeit von lokaliſierenden Einflüſſen, ein Keim, der ſich in der Periode einer neuen Weltgeſtaltung durch die macedoniſche Eroberung ſchnell und kräftig entwickelte. Die Eröffnung der ägyptiſchen Häfen unter Pſammitich bezeichnet eine um ſo wichtigere Epoche, als bis dahin das Land wenigſtens an ſeiner nördlichen Küſte ſich ſeit langer Zeit, wie jetzt noch Japan, gegen Fremde völlig abgeſchloſſen hielt.!“ In der Aufzählung der nichthelleniſchen Kulturvölker, welche das Becken des Mittelmeeres, den älteſten Sitz und Ausgangspunkt unſeres Wiſſens, umwohnen, reihen wir hier an die Aegypter die Phönizier an. Dieſe ſind als die thätigſten Vermittler der Völkerverbindung vom Indiſchen Meere bis in den Weſten und Norden des alten Kontinents zu betrachten. Eingeſchränkt in manchen Sphären geiſtiger Bildung, den ſchönen Künſten mehr als den mechaniſchen entfremdet, nicht großartig⸗ſchöpferiſch wie die ſinnigeren Bewohner des Nil— thales, haben die Phönizier doch als ein kühnes, allbewegtes Handelsvolk, vorzüglich durch Ausführung von Kolonieen, deren eine an politiſcher Macht die Mutterſtadt weit übertraf, früher als alle anderen Stämme des Mittelmeeres auf den Umlauf der Ideen, auf die Bereicherung und Vielſeitigkeit der Weltanſichten gewirkt. Der phöniziſche Volksſtamm hatte babyloniſches Maß und Gewicht, auch, wenigſtens ſeit der perſiſchen Herrſchaft, geprägte metalliſche Münze als Tauſchmittel, das — ſonderbar genug — den politiſch, ja künſtleriſch ſo ausgebildeten Aegyptern fehlte. Wodurch aber die Phönizier faſt am meiſten zu der Kultur der Nationen beitrugen, mit denen ſie in Kontakt traten, war die räumliche Verallgemeinerung und Mitteilung der Buchſtabenſchrift, deren ſie ſich ſchon längſt ſelbſt bedienten. Wenn auch die ganze Sagengeſchichte einer angeblichen Kolonie des Kadmus in Böotien in mythiſches Dunkel gehüllt bleibt, ſo iſt es darum nicht minder gewiß, daß die Hellenen die Buch— ſtabenſchrift, welche ſie lange phöniziſche Zeichen nannten, durch den Handelsverkehr der Jonier mit den Phöniziern er— hielten. Nach den Anſichten, die ſich ſeit Champollions großer — 12 — Entdeckung immer mehr über die früheren Zuſtände alpha⸗ betiſcher Schriftentwickelung verbreiten, iſt die phöniziſche wie die ganze ſemitiſche Zeichenſchrift als ein aus der Bilder— ſchrift allerdings urſprünglich ausgegangenes Lautalphabet zu betrachten, d. h. als ein ſolches, in welchem die ideelle Bedeutung der Bildzeichen völlig unbeachtet bleibt und letztere nur phonetiſch, als Lautzeichen, behandelt werden. Ein ſolches Lautalphabet, ſeiner Natur und Grundform nach ein Silben— alphabet, war geeignet, alle Bedürfniſſe graphiſcher Dar— ſtellung von dem Lautſyſteme einer Sprache zu befriedigen. „Als die ſemitiſche Schrift,“ ſagt Lepſius in ſeiner Abhand- lung über die Alphabete, „nach Europa zu indogermaniſchen Völkern überging, die durchgängig eine weit höhere Tendenz zu ſtrenger Sonderung der Vokale und Konſonanten zeigen und hierzu durch die weit höhere Bedeutung des Vokalismus in ihren Sprachen geleitet werden mußten, nahm man über⸗ aus wichtige und einflußreiche Veränderungen mit dieſen Silben— alphabeten vor.“ Das Streben die Syllabität aufzuheben, fand bei den Hellenen ſeine volle Befriedigung. So ver— ſchaffte die Uebertragung der phöniziſchen Zeichen faſt allen Küſtenländern des Mittelmeeres, ja ſelbſt der Nordweſt⸗ küſte von Afrika, nicht bloß Erleichterung in dem materiellen Handelsverkehr und ein gemeinſames Band, das viele Kultur⸗ völker umſchlang, nein, die Buchſtabenſchrift, durch ihre graphiſche Biegſamkeit verallgemeinert, war zu etwas Höherem berufen. Sie wurde die Trägerin des Edelſten, was in den beiden großen Sphären, der Intelligenz und der Gefühle, des for— ſchenden Sinnes und der ſchaffenden Einbildungskraft, das Volk der Hellenen errungen und als eine unvergängliche Wohl— that der ſpäteſten Nachwelt vererbt hat. Die Phönizier haben aber nicht bloß vermittelnd und anregend die Elemente der Weltanſchauung vermehrt, ſie haben auch erfinderiſch und ſelbſtthätig nach einzelnen Rich—⸗ tungen hin den Kreis des Wiſſens erweitert. Ein induſtrieller Wohlſtand, der auf eine ausgebreitete Schiffahrt und auf den Fabrikfleiß von Sidon in weißen und gefärbten Glaswaren, in Geweben und Purpurfärberei gegründet war, führte hier wie überall zu Fortſchritten in dem mathematiſchen und chemiſchen Wiſſen, vorzüglich aber in den techniſchen Künſten. „Die Sidonier,“ ſagt Strabo, „werden geſchildert als ſtreb— ſame Forſcher ſowohl in der Sternkunde als in der Zahlen— lehre, wobei ſie ausgingen von der Rechenkunſt und Nacht— — 13 — ſchiffahrt, denn beides iſt dem Handel und dem Schiffs— verkehr unentbehrlich.“ Um den Erdraum zu meſſen, der durch phöniziſche Schiffahrt und phöniziſchen Karawanenhandel zuerſt eröffnet wurde, nennen wir die Anſiedelung im Pontus an der bithyniſchen Küſte (Pronectus und Bithynium), wahr: ſcheinlich in ſehr früher Zeit; den Beſuch der Cykladen und mehrerer Inſeln des Aegeiſchen Meeres zur Zeit des Home— riſchen Sängers, das ſilberreiche ſüdliche Spanien (Tarteſſus und Gades), das nördliche Afrika weſtlich von der kleinen Syrte (Utika, Hadrumetum und Karthago); die Zinn='’ und Bernſteinländer des Nordens von Europa; zwei Handels— faktoreien im Perſiſchen Meerbuſen (Tylos und Aradus, die Bahreininſeln). f Der Bernſteinhandel, welcher wahrſcheinlich zuerſt nach den weſtlichen cimbriſchen Küſten!“ und dann ſpäter nach der Oſtſee, dem Lande der Aeſtyer, gerichtet war, verdankt der Kühnheit und der Ausdauer phöniziſcher Küſtenfahrer ſeinen erſten Urſprung. Er bietet uns in ſeiner nachmaligen Aus— dehnung für die Geſchichte der Weltanſchauung ein merkwürdiges Beiſpiel von dem Einfluſſe dar, den die Liebe zu einem einzigen fernen Erzeugnis auf die Eröffnung eines inneren Völkerverkehrs und auf die Kenntnis großer Länder— ſtrecken haben kann. So wie die phokäiſchen Maſſilier das britiſche Zinn quer durch Gallien bis an den Rhodanus führten, ſo gelangte der Bernſtein (electrum) von Volk zu Volk durch Germanien und das Gebiet der Kelten an beiden Abhängen der Alpen zum Padus, durch Pannonien an den Boryſthenes. Dieſer Landhandel ſetzte ſo zuerſt die Küſten des nördlichen Ozeans in Verbindung mit dem Adriatiſchen Meerbuſen und dem Pontus. Von Karthago und wahrſcheinlich von den 200 Jahre früher gegründeten Anſiedelungen Tarteſſus und Gades aus haben die Phönizier einen wichtigen Teil der Nordweſtküſte von Afrika erforſcht, weit jenſeits des Kap Bojador, wenn auch der Chretes des Hanno wohl weder der Chremetes der Meteorologie des Ariſtoteles, noch unſer Gambia iſt. Dort lagen die vielen Städte der Tyrier, deren Zahl Strabo bis zu 300 erhöht und die von den Pharuſiern und Nigriten!“ zerſtört wurden. Unter ihnen war Cerne (Dicuils Gaulea nach Letronne) die Hauptſtation der Schiffe wie der Haupt: ſtapelplatz der koloniſierten Küſte. Die Kanariſchen Inſeln und die Azoren, welche letzteren des Kolumbus Sohn Don A. v. Humboldt, Kosmos. II. 8 — 114 — Fernando für die von den Karthagern aufgefundenen Kaffite- riden hielt, ſind gegen Weſten; die Orkaden, Faröerinſeln und Island ſind gegen Norden gleichſam vermittelnde Stationen eworden, um nach dem neuen Kontinent überzugehen. Sie de die zwei Wege, auf denen zuerſt der europäiſche Teil des Menſchengeſchlechtes mit dem von Nord- und Mittel- amerika bekannt geworden iſt. Dieſe Betrachtung gibt der Frage, ob und wie früh die Phönizier des Mutterlandes oder die der iberiſchen und afrikaniſchen Pflanzſtädte (Gadeira, Karthago, Cerne) Porto Santo, Madeira und die Kanariſchen Inſeln gekannt haben, eine große, ich möchte ſagen eine welt— geſchichtliche Wichtigkeit. In einer langen Verkettung von Begebenheiten ſpürt man gern dem erſten Kettengliede nach. Wahrſcheinlich ſind ſeit der phöniziſchen Gründung von Tar— teſſus und Utika bis zur Entdeckung von Amerika auf dem nördlichen Wege, d. i. bis zu Erich Raudas Uebergang nach Grönland, dem bald Seefahrten bis Nordkarolina folgten, volle 2000 Jahre, auf dem ſüdlichen Wege, welchen Chriſtoph Kolumbus einſchlug, indem er nahe bei dem altphöniziſchen Gadeira auslief, 2500 Jahre verfloſſen. Wenn wir nun nach dem Bedürfnis der Verallgemeine— rung der Ideen, welche dieſem Werke obliegt, die Auffindung einer Inſelgruppe, die nur 42 geographiſche Meilen (312 km) von der afrikaniſchen Küſte entfernt iſt, als das erſte Glied einer langen Reihe gleichmäßig gerichteter Beſtrebungen be— trachten, ſo iſt hier nicht von einer aus dem Inneren des Gemütes erzeugten Dichtung, von dem Elyſion, den Inſeln der Seligen die Rede, welche an den Grenzen der Erde im Oceanus von der nahe untergehenden Sonnenſcheibe erwärmt werden. In der weiteſten Ferne dachte man ſich alle Anmut des Lebens, die koſtbarſten Erzeugniſſe der Erde. Das ideale Land, die geographiſche Mythe des Elyſion, ward weiter gegen Weſten geſchoben, über die Säulen des Herkules hinaus, je nachdem die Kenntnis des Mittelmeeres bei den Hellenen ſich erweiterte. Die wirkliche Weltkunde, die früheſten Entdeckungen der Phönizier, über deren Epoche keine beſtimmte Nachricht zu uns gekommen iſt, haben wahrſcheinlich nicht zu jener Mythe von ſeligen Inſeln Veranlaſſung gegeben; es iſt die Mythe erſt nachher gedeutet worden. Die geographiſche Ent— deckung hat nur ein Phantaſiegebilde verkörpert, ihm gleichſam zum Subſtrat gedient. Wo ſpätere Schriftſteller (wie ein unbekannter Kompi— — 15 — lator der dem Ariſtoteles zugeſchriebenen Sammlung wun— derbarer Erzählungen, welcher den Timäus benutzte, oder noch ausführlicher Diodor von Sizilien) der anmutigen Inſeln erwähnen, die man für die kanariſchen halten kann, wird großer Stürme gedacht, welche die zufällige Entdeckung ver— anlaßt haben. Phöniziſche und karthagiſche Schiffe, heißt es, „welche nach den (damals ſchon vorhandenen) Niederlaſſungen an der Küſte Libyens ſegelten“, wurden in das Meer hinaus— getrieben. Die Begebenheit ſoll ſich in der frühen Zeit der tyrrheniſchen Seeherrſchaft, in der des Streites zwiſchen den tyrrheniſchen Pelasgern und den Phöniziern, zugetragen haben. Statius Seboſus und der numidiſche König Juba nannten zuerſt die einzelnen Inſeln, aber leider nicht mit puniſchen Namen, wenn auch gewiß nach Notizen, die aus puniſchen Büchern geſchöpft waren. Weil Sertorius, aus Hiſpanien vertrieben, nach Verluſt ſeiner Flotte ſich mit den Seinen „nach einer Gruppe von nur zweiatlantiſchen Inſeln, 10000 Sta— dien im Weſten vom Ausfluſſe des Bätis“, retten wollte, ſo hat man vermutet, Plutarch habe die beiden Inſeln Porto Santo und Madeira gemeint, !° welche Plinius nicht undeutlich als Purpurariae bezeichne. Die heftige Meeresſtrömung, welche jenſeits der Herkulesſäulen von Nordweſten gegen Süd— oſten gerichtet iſt, konnte allerdings die Küſtenfahrer lange hindern, die vom Kontinent entfernteſten Inſeln, von denen nur die kleinere (Porto Santo) im 15. Jahrhundert bevölkert gefunden ward, zu entdecken. Der Gipfel des großen Vul— kans von Tenerifa hat, wegen der Erdkrümmung, auch bei einer ſtarken Strahlenbrechung von den phöniziſchen Schiffern, die an der Kontinentalküſte hinſchifften, nicht geſehen werden können, wohl aber nach meinen Unterſuchungen von den mäßigen Anhöhen, welche das Kap Bojador umgeben,!“ be— ſonders bei Feuerausbrüchen und durch den Reflex eines hohen über dem Vulkan ſtehenden Gewölkes. Behauptet man doch in Griechenland in neueren Zeiten Ausbrüche des Aetna vom Gebirge Taygetos aus geſehen zu haben.?“ In der Aufzählung der Elemente einer erweiterten Erd— kenntnis, welche früh den Griechen aus anderen Teilen des Mittelländiſchen Meerbeckens zuſtrömten, ſind wir bisher den Phöniziern und Karthagern in ihrem Verkehr mit den nörd— lichen Zinn⸗ und Bernſteinländern wie in ihren der Tropen— gegend nahen Anſiedelungen an der Weſtküſte von Afrika ge— folgt. Es bleibt uns übrig, an eine Schiffahrt gegen Süden — 116 — zu erinnern, welche die Phönizier 1000 geographiſche Meilen öſtlich von Gerne und Hannos Weſthorne weit über den Wendekreis in das Praſodiſche und Indiſche Meer führte. Mag auch Zweifel über die Lokaliſierung der Namen von fernen Goldländern (Ophir und Supara) übrig bleiben, mögen dieſe Goldländer die Weſtküſte der Indiſchen Halbinſel oder die Oſtküſte von Afrika ſein, immer iſt es gewiß, daß der— ſelbe regſame, alles vermittelnde, früh mit Buchſtabenſchrift ausgerüſtete ſemitiſche Menſchenſtamm von den Kaſſiteriden an bis ſüdlich von der Straße Bab-el-Mandeb tief innerhalb der Tropenregion in Kontakt mit den Erzeugniſſen der ver— ſchiedenartigſten Klimate trat. Tyriſche Wimpel wehten zu— gleich in Britannien und im Indiſchen Ozean. Die Phönizier hatten Handelsniederlaſſungen in dem nördlichſten Teile des Arabiſchen Meerbuſens in den Häfen von Elath und Ezion— Geber, wie im Perſiſchen Meerbuſen zu Aradus und Tylos, wo nach Strabo Tempel ſtanden, im Stil der Architektur denen am Mittelmeer ähnlich.?! Auch der Karawanenhandel, welchen die Phönizier trieben, um Gewürze und Weihrauch zu holen, war über Palmyra nach dem glücklichen Arabien und dem chaldäiſchen oder nabatäiſchen Gerrha am weſtlichen oder arabiſchen Geſtade des Perſiſchen Meerbuſens gerichtet. Von Ezion-Geber aus gingen die Hiram-Salomoniſchen Expeditionen, gemeinſchaftliche Unternehmungen der Tyrier und Israeliten, durch die Meerenge Bab-el-Mandeb nach Ophir (Opheir, Sophir, Sophara, das ſanskritiſche Supara?? des Ptolemäus). Der prachtliebende Salomo ließ eine Flotte am Schilfmeere bauen, Hiram gab ihm ſee— kundige phöniziſche Schiffsleute und auch tyriſche Schiffe, Tarſchiſchfahrer.?? Die Waren, welche aus Ophir zurück— gebracht wurden, waren Gold, Silber, Sandelholz (algummim), Edelgeſteine, Elfenbein, Affen (kophim) und Pfauen (thukkiim). Die Namen für dieſe Waren ſind nicht hebräiſch, ſondern in— diſch.?“ Nach den ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Geſenius, Benfey und Laſſen iſt es überaus wahrſcheinlich, daß die durch ihre Kolonieen am Perſiſchen Meerbuſen und ihren Ver— kehr mit den Gerrhäern der periodiſch wehenden Monſune früh kundigen Phönizier die weſtliche Küſte der Indiſchen Halb: inſel beſuchten. Chriſtoph Kolumbus war ſogar überzeugt, daß Ophir (Salomos Eldorado) und der Berg Sopora ein Teil von Oſtaſien, von der Chersonesus aurea des Ptole⸗ mäus ſei.? Wenn es ſchwierig ſcheint, ſich Vorderindien als eine ergiebige Quelle des Goldes zu denken, jo glaube ich, daß man nicht etwa an die „goldſuchenden Ameiſen“ oder an Kteſias' unverkennbare Beſchreibung eines Hüttenwerkes, in welchem aber nach ſeinem Vorgeben Gold und Eiſen zu— gleich geſchmolzen wurde,?“ ſondern nur an die Verhältniſſe der geographiſchen Nähe des ſüdlichen Arabiens, der von in— diſchen Anſiedlern bebauten Inſel des Dioskorides (Diu Zoco— tora der Neueren, Verſtümmelung des ſanskritiſchen Dvipa Sukhatara), und an die goldführende oſtafrikaniſche Küſte von Sofala zu erinnern braucht. Arabien und die ebengenannte Inſel, ſüdöſtlich von der Meerenge Bab-el-Mandeb, waren für den phöniziſch-jüdiſchen Handelsverkehr gleichſam vermit— telnde Elemente zwiſchen der Indiſchen Halbinſel und Oſt— afrika. In dieſem hatten ſich ſeit den älteſten Zeiten Inder wie auf einer ihrem Vaterlande gegenüberſtehenden Küſte nieder— gelaſſen, und die Ophirfahrer konnten in dem Baſſin des Erythräiſch-Indiſchen Meeres andere Quellen des Goldes als Indien ſelbſt finden. Nicht ſo vermittelnd als der phöniziſche Stamm, auch den geographiſchen Geſichtskreis weniger erweiternd, und früh ſchon unter dem griechiſchen Einfluſſe eines ſeewärts ein— brechenden Stromes pelasgiſcher Tyrrhener, zeigt ſich uns das düſtere, ſtrenge Volk der Tusker. Es trieb einen nicht un— beträchtlichen Landhandel durch das nördliche Italien über die Alpen, da wo eine heilige Straße von allen umwohnenden Stämmen geſchützt wurde, nach fernen Bernſteinländern. Faſt auf demſelben Wege ſcheint das tuskiſche Urvolk der Raſener aus Rätien an den Padus und weiter ſüdlich gelangt zu ſein. Am wichtigſten iſt für uns nach dem Standpunkte, den wir hier einnehmen, um immer das Allgemeinſte und Dauerndſte zu erfaſſen, der Einfluß, welchen das Gemeinweſen Etruriens auf die älteſten römiſchen Staats einrichtungen und jo auf das ganze römiſche Leben ausgeübt hat. Man darf ſagen, daß ein ſolcher Reflex (inſofern er durch das Römertum die Bildung der Menſchheit gefördert oder wenigſtens auf Jahrhunderte eigentümlich geſtempelt hat) in ſeinen abgeleiteten und entfernten Aeußerungen politiſch noch heute fortwirkt. Ein eigentümlicher, hier beſonders zu bezeichnender Cha— rakterzug des tuskiſchen Stammes war die Neigung zu einem innigen Verkehr mit gewiſſen Naturerſcheinungen. Die Divi— nation (das Geſchäft der ritterlichen Prieſterkaſte) veranlaßte eine tägliche Beobachtung der meteorologiſchen Prozeſſe des — 18 — Luftkreiſes. Die e (Fulguratoren) beſchäftigten ſich mit Erforſchung der Richtung der Blitze, dem „Herab— ziehen“ und dem „Abwenden“ derſelben.?? Sie unter: ſchieden ſorgfältig Blitze aus der hohen Wolkenregion, von denen, welche Saturn, ein Erdaott,?® von unten aufſteigen läßt und die man ſaturniſche Erdblitze nannte, ein Unter: ſchied, welchen die neuere Phyſik wieder einer beſonderen Auf— merkſamkeit gewürdigt hat. So entſtanden offizielle Ver: zeichniſſe täglicher Gewitterbeobachtungen. Auch die von den Tuskern geübte Kunſt des Waſſerſpürens (aquaelieium) und Quellen-Hervorlockens ſetzte bei den Aquilegen eine aufmerkſame Erforſchung natürlicher Merkmale der Schich— tung des Geſteins und der Unebenheiten des Bodens voraus. Diodor preiſt deshalb die Tusker als forſchende Naturkundige. Wir wollen zu dieſem Lobe hinzuſetzen, daß die vornehme und mächtige Prieſterkaſte von Tarquinii das ſeltene Beiſpiel einer Begünſtigung des phyſikaliſchen Wiſſens dar— geboten hat. Wir haben, ehe wir zu den Hellenen, zu dem hoch— begabten Stamme übergehen, in deſſen Kultur die unſerige am tiefſten wurzelt, und aus deſſen Ueberlieferungen wir einen wichtigen Teil aller früheren Völkerkunde und Weltanſicht ſchöpfen, die alten Sitze der Menſchenbildung in Aegypten, Phönizien und Etrurien genannt. Wir haben das Becken des Mittelmeeres in ſeiner eigentümlichen Geſtaltung und Welt— ſtellung, in dem Einfluß dieſer Verhältniſſe auf den Handels— verkehr mit der Weſtküſte von Afrika, mit dem hohen Norden, mit dem Arabiſch-Indiſchen Meere betrachtet. An keinem Punkte der Erde iſt mehr Wechſel der Macht und unter geiſtigem Einfluß mehr Wechſel eines bewegten Lebens geweſen. Die Bewegung hat ſich durch Griechen und Römer, beſonders ſeit— dem letztere die phöniziſch-karthagiſche Macht gebrochen, weit und dauernd fortgepflanzt. Dazu iſt das, was wir den An— fang der Geſchichte nennen, nur das Selbſtbewußtſein ſpäterer Generationen. Es iſt ein Vorzug unſerer Zeit, daß durch glänzende Fortſchritte in der allgemeinen und vergleichenden Sprachkunde, durch das ſorgfältigere Aufſuchen der Monumente und die ſicherere Deutung derſelben ſich der Blick des Ge— ſchichtsforſchers täglich erweitert, daß ſchichtweiſe ſich ein höheres Altertum unſeren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Kulturvölkern des Mittelmeeres, die wir oben angeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung; * — 119 — in Vorderaſien die Phrygier und Lykier, im äußerſten Weſten die Turduler und Turdetaner.?“ Von dieſen jagt Strabo: „Sie 1 die gebildetſten aller Iberer, bedienen ſich der Schreibekunſt und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Geſetze in Versmaß, denen ſie ein Alter von ſechstauſend Jahren beilegen.“ Ich habe bei dieſem einzelnen Beiſpiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Kultur ſelbſt bei europäiſchen Nationen für uns ſpurlos verſchwunden iſt, wie die Geſchichte der früheſten Welt— anſchaunng auf einen engen Kreis beſchränkt bleibt. Ueber den 48. Breitengrad hinaus, nördlich vom Aſow— ſchen und Kaſpiſchen Meere, zwiſchen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieſer dem goldreichen ſüdlichen Ural entquillt, ſind Europa und Aſien durch flache Steppen— länder wie ineinander verfloſſen. Auch betrachtet Herodot wie ſchon Pherecydes von Syros das ganze nördliche ſkythiſche Aſien (Sibirien) als zum ſarmatiſchen Europa gehörig, ja als Europa ſelbſt. Gegen Süden iſt unſer Erdteis von Aſien ſcharf getrennt; aber die weit vorgeſtreckte kleinaſiatiſche Halb— inſel wie der formreiche Archipelagus des Aegäiſchen Meeres (gleichſam eine Völkerbrücke zwiſchen zwei Weltteilen) haben den Menſchenſtämmen, den Sprachen und der Geſittung leichten Uebergang gewährt. Vorderaſien iſt ſeit der früheſten Zeit die große Heerſtraße von Oſten her einwandernder Völker geweſen, wie der Nordweſten von Hellas die Heerſtraße vor— dringender illyriſcher Stämme war. Die ägäiſche Inſelwelt, welche teilweiſe nacheinander phöniziſcher, perſiſcher und grie— chiſcher Herrſchaft unterlag, war das vermittelnde Glied zwiſchen dem Griechentum und dem fernen Orient. Als das phrygiſche Reich dem lydiſchen und dieſes dem Perſerreiche einverleibt wurde, erweiterte der Kontakt den Ideenkreis der aſiatiſchen und europäiſchen Griechen. Die perſiſche Weltherrſchaft erſtreckte ſich durch die kriegeriſchen Unternehmungen des Kambyſes und Darius Hyſtaspes von Cyrene und dem Nil bis in die Fruchtländer des Euphrats und des Indus. Ein Grieche, Skylax von Karyanda, wurde gebraucht, den Lauf des Indus von dem damaligen Gebiete von Kaſchmir (Kaspapyrus) bis zu ſeiner Mündung zu er— forſchen. Der Verkehr der Griechen mit Aegypten (mit Nau— kratis und dem peluſiſchen Nilarme) war ſchon lebhaft vor der perſiſchen Eroberung, er war es unter Pſammitich und Amaſis. Die hier geſchilderten Verhältniſſe entzogen viele — 120 — Griechen dem heimiſchen Boden, nicht etwa bloß bei Stiftung von fernen Kolonieen, deren wir ſpäter erwähnen werden, ſondern um als Söldner den Kern fremder Heere zu bilden, in Karthago, Aegypten, Babylon, Perſien und dem baktriſchen Oxuslande. Ein tieferer Blick in die Individualität und volkstümliche Geſtaltung der verſchiedenen griechiſchen Stämme hat gezeigt, daß, wenn bei den Doriern und teilweiſe bei den Aeoliern eine ernſte, faſt innungsartige Abgeſchloſſenheit herrſcht, dem hei⸗ teren ioniſchen Stamme dagegen ein durch Forſchbegier und Thatkraft unaufhaltſam angeregtes, nach innen und außen bewegtes Leben zuzuſchreiben iſt. Von objektiver Sinnesart geleitet, durch Dichtung und Kunſt phantaſiereich verſchönert, hat das ioniſche Leben überall, wo es in den Pflanzſtätten verbreitet war, die wohlthätigen Keime fortſchreitender Bil- dung ausgeſtreut. War dem Charakter der griechiſchen Landſchaft der eigentümliche Reiz einer innigen Verſchmelzung des Feſten und Flüſſigen gegeben, ſo mußte die Gliederung der Länder⸗ form, welche dieſe Verſchmelzung begründet, auch früh die Griechen zu Schiffahrt, zu thätigem Handelsverkehr und zu der Berührung mit Fremden anreizen. Auf die Seeherrſchaft der Kreter und Rhodier folgten die, freilich anfangs auf Menſchenraub und Plünderung gerichteten Expeditionen der Samier, Phokäer, Taphier und Thesproten. Die Heſiodiſche Abneigung gegen das Seeleben bezeugt nur eine individuelle Anſicht oder die ſchüchterne Unkunde in der Nautik bei an⸗ fangender Geſittung im Feſtlande von Hellas. Dagegen haben die älteſten Sagengeſchichten und Mythen Bezug auf weite Wanderungen, auf eine weite Schiffahrt, eben als erfreute ſich die jugendliche Phantaſie des Men ſchengeſchlechts an dem Kontraſte zwiſchen den idealen “Shönfungen und einer be— ſchränkten Wirklichkeit; ſo die Züge des Dionyſus und Her— kules (Melkarth im Tempel zu Gadeira), die Wanderung der Jo, des oft wieder entſtandenen Ariſteas, des hyperboreiſchen Wundermannes Abaris, in deſſen leitendem Pfeile?“ man einen Kompaß zu erkennen gewähnt hat. In ſolchen Wan— derungen ſpiegeln ſich gegenſeitig Begebenheiten und alte Welt— anſichten; ja die fortſchreitende Veränderlichkeit „der letzteren wirkt auf das 8 Geſchichtliche zurück. In den Ser: fahrten der von Troja zurückkehrenden Helden ließ Ariſtonikus den Menelaus ſelbſt Afrika mehr denn 500 Jahre vor Neku umſchiffen und von Gadeira nach Indien ſegeln. 2 In der Periode, die wir hier behandeln, in dem Griechen tum vor dem macedoniſchen Feldzuge nach Aſien, gibt es drei Begebenheiten, welche einen vorzüglichen Einfluß auf den er— weiterten Geſichtskreis helleniſcher Weltanſchauung gehabt haben. Dieſe Begebenheiten ſind die Verſuche aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Oſten und Weſten vorzudringen, und die Gründung zahlreicher Kolonieen von der Herkules— ſtraße bis zum nordöſtlichen Pontus, Kolonieen, welche ihrer. politiſchen Verfaſſung nach vielgeſtalteter und den Fortſchritten geiſtiger Bildung günſtiger waren als die der Phönizier und der Karthager im Aegäiſchen Meere, in Sizilien, Iberien, an der Nord- und Weſtküſte von Afrika. Das Vordringen gegen Oſten ungefähr zwölf Jahr— hunderte vor unſerer Zeitrechnung, 150 Jahre nach Ramſes Miamen (Seſoſtris) wird, als geſchichtliche Begebenheit be— trachtet, der Zug der Argonauten nach Kolchis genannt. Die wirkliche, aber mythiſch eingekleidete, d. h. in der Dar: ſtellung mit Idealem, innerlich Erzeugtem gemiſchte Begeben— heit iſt ihrem einfachen Sinne nach die Erfüllung eines natio— nalen Beſtrebens, den unwirtbaren Pontus zu eröffnen. Die Prometheusſage und die Entfeſſelung des feuerzündenden Titanen am Kaukaſus auf der öſtlichen Wanderung des Her— kules, das Aufſteigen der Jo aus dem Thal des Hybrites ®' nach dem Kaukaſus, die Mythe von Phrixus und Helle be— zeichnen alle dieſelbe Richtung des Weges, die Beſtrebung, in den euxiniſchen Pontus vorzudringen, in welchen früh ſchon ſich phöniziſche Schiffer gewagt hatten. Vor der doriſchen und äoliſchen Wanderung war das böotiſche Orchomenos, nahe dem nördlichſten Ende des Sees Kopais, ein durch Handelsverkehr reicher Seeſtaat der Minyer. Die Argofahrt aber begann in Jolkos, dem Hauptſitz der theſſaliſchen Minyer am Pagaſetiſchen Meerbuſen. Zu ver— ſchiedenen Zeiten mannigfach umgeſtaltet, hat ſich das Lokal der Sage, als Ziel und Endpunkt des Unternehmens,“? ſtatt des unbeſtimmten Fernlandes Aea, an die Mündung des Phaſis (Rion) und an Kolchis, einen Sitz älterer Kultur, gebunden. Die Seefahrten der Mileſier und ihre zahlreichen Pflanzſtädte am Pontus verſchafften eine genauere Kenntnis von der Oſt- und Nordgrenze des Meeres. Sie gaben dem geographiſchen Teile der Mythe beſtimmtere Umriſſe. Eine wichtige Reihe neuer Anſichten bot ſich gleichzeitig dar. Von dem nahen Kaſpiſchen Meere kannte man lange nur das weſt— — 12 — liche Geſtade, noch Hecatäus hält dies weſtliche Geſtade für das des kreiſenden Oeſtlichen Weltmeeres ſelbſt. Erſt der ehr— würdige Vater der Geſchichte lehrte (was nach ihm ſechs Jahr— hunderte lang, bis Ptolemäus, wiederum beſtritten ward), daß das Kaſpiſche Meer ein von allen Seiten geſchloſſenes Becken ſei. Auch der Völkerkunde ward in dem nordöſtlichen Winkel des Schwarzen Meeres ein weites Feld eröffnet. Man er— ſtaunte über die Vielzüngigkeit der Stämme,“ und das Be— dürfnis geſchickter Dolmetſcher (der erſten Hilfsmittel und roher Werkzeuge vergleichender Sprachkunde) wurde hier leb— haft gefühlt. Tauſchhandel leitete von dem, übermäßig groß geglaubten, Mäotiſchen Buſen durch die Steppe, in welcher jetzt die mittlere Kirgiſenhorde weidet, durch eine Kette ſkythiſch-ſkolotiſcher Völkerſchaften (ich halte ſie für indo— germaniſchen?“ Urſprungs), von den Argippäern und Iſſe⸗ donen zu den goldreichen Arimaſpen an dem nördlichen Abfall des Altai. Hier iſt das alte Reich der Greife, der Sitz des meteorologiſchen Mythus °° der Hyperboreer, welcher mit Herkules weit nach Weſten gewandert iſt. Man darf vermuten, daß der oben bezeichnete, in unſeren Tagen durch die ſibiriſchen Goldwäſchen wieder ſo berühmt gewordene Teil des nördlichen Aſiens, wie das viele bei den Maſſageten (von gotiſchem Stamme) zu Herodots Zeiten an— gehäufte Gold, eine durch den Verkehr mit dem Pontus er— öffnete wichtige Quelle des Reichtums und des Luxus für die Hellenen geworden iſt. Ich ſetze dieſe Quelle zwiſchen den 53. und 55. Breitengrad. Die Region des Goldſandes aber, von welcher die im Mahabharata und in des Mega: ſthenes Fragmenten genannten Daradas (Darder oder Derder) den Reiſenden Nachricht gaben und an welche wegen des zu— fälligen Doppelſinnes von Tiernamen!“ die oft wiederholte Fabel der Rieſenameiſen geknüpft worden iſt, gehört ſüdlicheren Breiten von 35° oder 37° zu. Sie fällt nach zweierlei Kom: binationen, entweder in das tibetiſche Hochland öſtlich von der Bolorkette zwiſchen den Himalaya nnd Kuen⸗-lün, weſtlich von Iskardo, oder nördlich vom Kuen-lün gegen die Wüſte Gobi hin, welche der immer ſo genau beobachtende chineſiſche Reiſende Hiuen-thſang (aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung) ebenfalls als goldreich beſchreibt. Wie viel zugänglicher mußte dem Verkehr der mileſiſchen Kolonieen an der nordöſtlichen Küſte des Pontus der nördliche Gold— — 13 — reichtum der Arimaſpen und Maſſageten ſein! Es ſchien mir geeignet, in der Geſchichte der Weltanſchauung hier alles das zu berühren, was als eine wichtige, ſpät noch wirkende Folge der Eröffnung des Pontus und des erſten Vordringens der Griechen nach Oſten betrachtet werden darf. Die große alles umgeſtaltende Begebenheit der doriſchen Wanderung und der Rückkehr der Herakliden in den Pelo— ponnes fällt ungefähr anderthalb Jahrhunderte nach der halb mythiſchen Argonautenfahrt, d. h. nach der Eröffnung des Pontus für die griechiſche Schiffahrt und den Handelsverkehr. Dieſe Wanderung hat gleichzeitig mit der Gründung neuer Staaten und neuer Verfaſſungen den erſten Anlaß zu dem Syſtem der Anlegung von Pflanzſtädten gegeben, einem Kolonialſyſtem, das eine wichtige Lebensperiode des helleniſchen Volkes bezeichnet und am einflußreichſten für die auf intellek— tuelle Kultur gegründete Erweiterung der Weltanſicht geworden iſt. Die engere Verkettung von Europa und Aſien iſt recht eigentlich durch Ausführung von Kolonieen begründet worden. Es bildeten dieſelben eine Kette von Sinope, Dioskurias und dem tauriſchen Pantikapäum an bis Saguntum und Cyrene, das von der regenloſen Thera geſtiftet worden war. Kein Volk der Alten Welt hat zahlreichere und in der Mehrzahl mächtigere Pflanzſtädte dargeboten als die Hellenen. Von der Ausführung der älteſten äoliſchen Kolonieen, unter denen Mytilene und Smyrna glänzten, bis zu der Gründung von Syrakus, Kroton und Cyrene ſind aber auch vier bis fünf Jahrhunderte verfloſſen. Die Inder und Malayen haben nur ſchwache Anſiedelungen an der Oſtküſte von Afrika, in Sokotora (Dioskorides) und im ſüdlichen aſiatiſchen Archipel verſucht. Bei den Phöniziern hat ſich zwar ein ſehr aus— gebildetes Kolonialſyſtem auf noch größere Räume als das griechiſche ausgedehnt, indem dasſelbe, doch mit ſehr großer Unterbrechung der Stationen, ſich vom Perſiſchen Meerbuſen bis Cerne an der Weſtküſte von Afrika erſtreckte. Kein Mutter— land hat je eine Kolonie geſchaffen, welche in dem Grade mächtig erobernd und handelnd zugleich geweſen iſt, als es Karthago war. Aber Karthago ſtand trotz ſeiner Größe in geiſtiger Kultur und artiſtiſcher Bildſamkeit tief unter dem, was in den griechiſchen Pflanzſtädten ſo herrlich und dauernd unter den edelſten Kunſtformen erblühte. Vergeſſen wir nicht, daß gleichzeitig viele volkreiche grie— chiſche Städte in Kleinaſien, im Aegäiſchen Meere, in Unter— — 14 — italien und Sizilien glänzten; daß, wie Karthago, ſo auch die Pflanzſtädte Miletus und Maſſilia andere Pflanzſtädte gründeten; daß Syrakus auf dem Gipfel ſeiner Macht gegen Athen und die Heere von Hannibal und Hamilkar kämpfte, daß Milet nach Tyrus und Karthago lange Zeit die erſte Handelsſtadt der Welt war. Indem ſich durch die Thatkraft eines, in ſeinem Inneren oft erſchütterten Volkes ein ſo reich bewegtes Leben nach außen entfaltete, wurden, bei zunehmen— dem Wohlſtande, durch die Verpflanzung einheimiſcher Kultur überall neue Keime der geiſtigen Nationalentwickelung hervor— gerufen. Das Band gemeinſamer Sprache und Heiligtümer umfaßte die fernſten Glieder. Durch dieſe trat das kleine helleniſche Mutterland in die weiten Lebenskreiſe anderer Völker. Fremde Elemente wurden aufgenommen, ohne dem Griechentum etwas von ſeinem großen und ſelbſtändigen Charakter zu ent— ziehen. Der Einfluß eines Kontakts mit dem Orient und, über hundert Jahre vor dem Einfall des Kambyſes, mit dem noch nicht perſiſch gewordenen Aegypten war ohnedies ſeiner Natur nach dauernder als der Einfluß ſo viel beſtrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlaſſungen des Cekrops aus Sais, des Kadmus aus Phönizien und des Danaus aus Chemmis. Was die griechiſchen Kolonieen von allen anderen, be— ſonders von den ſtarren phöniziſchen, unterſchied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinweſens eingriff, entſprang aus der Individualität und Verſchiedenheit der Stämme, in welche — Nation ſich teilte. Es war in den Kolonieen wie im ganzen Hellenismus ein Gemiſch von bindenden und tren— nenden Kräften. Dieſe Gegenſätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen, Verſchiedenheiten in Dichtungsweiſe und meliſcher Kunſt; ſie erzeugten überall die reiche Lebensfülle, in welcher ſich das ſcheinbar Feindliche, nach höherer Weltordnung, zu mildernder Eintracht löſte. Waren auch Milet, Epheſus und Kolophon ioniſch, Cos, Rhodus und Halikarnaß Darth, Croton und Sybaris achäiſch, ſo übte doch mitten in dieſer Vielſeitigkeit der W ja da, wo in Unteritalien Pflanzſtädte verſchiedener ? Volksſtämme nebeneinander lagen, die Macht des begeiſterten, tiefempfun— denen Wortes ihren allvermittelnden Zauber aus. Bei feſt gewurzelten Kontraſten in den Sitten und in den Staats— verfaſſungen, bei dem wechſelnden Schwanken der letzteren er— hielt ſich das Griechentum ungeteilt. Ein weites, durch — 125 — die einzelnen Stämme errungenes Reich der Ideen und Kunſt— typen wurde als das Eigentum der geſamten Nation betrachtet. Es bleibt mir übrig, in dieſem Abſchnitt noch des dritten Punktes zu erwähnen, den wir oben als vorzüglich einflußreich auf die Geſchichte der Weltanſichten neben der Eröffnung des Pontus und der Stiſtung der Kolonieen am Rande des inneren Meerbeckens bezeichnet haben. Die Gründung von Tarteſſus und Gades, wo ein Tempel dem wandernden Gotte Melkarth (einem Sohne des Baal) geheiligt war, die Pflanzſtadt Utika, älter als Karthago, erinnern daran, daß die Phönizier ſchon viele Jahrhunderte lang durch den freien Ozean ſchifften, als den Hellenen noch die Straße, welche Pindar ?” die Gadei— riſche Pforte nennt, verſchloſſen war. So wie die Mile— ſier in Oſten durch den geöffneten Pontus?“ Verbindungen ſtifteten, durch welche der Landhandel mit dem europäiſchen und aſiatiſchen Norden und in viel ſpäteren Zeiten mit dem Oxus und Indus belebt wurde, ſo ſuchten unter den Hellenen die Samier und Phokäer ? zuerſt aus dem Becken des Mittel: meeres gegen Weſten vorzudringen. Coläus von Samos wollte nach Aegypten ſchiffen, wo zu dieſer Zeit der vielleicht nur erneuerte Verkehr mit den Griechen unter Pſammitichus begonnen hatte. Er wurde durch Oſtſtürme nach der Inſel Platea und von da (Herodot fügt bedeutſam hinzu: „nicht ohne göttliche Schickung“) durch die Meerenge in den Ozean getrieben. Nicht bloß der Zufall eines unerwarteten Handelsgewinſtes in dem iberiſchen Tar— teſſus, ſondern die räumliche Entdeckung, der Eintritt in eine unbekannte, nur mythiſch geahnte Welt gab der Begeben— heit Größe und Ruf, ſo weit im Mittelmeer die griechiſche Zunge verſtändlich war. Hier, jenſeits der Säulen des Her— kules (früher Säulen des Briareus, des Aegäon und Kronos genannt), an dem weſtlichen Erdrande, auf dem Wege zum Elyſium und zu den Heſperiden, ſah man zuerſt die Urwaſſer des kreiſenden Okeanos,“ in welchem damals noch der Ur— ſprung aller Flüſſe geſucht ward. Am Phaſis war der Schiffer wieder an eine den Pontus begrenzende Küſte gelangt, jenſeits deren er ſich einen Sonnen— teich fabeln durfte; ſüdlich von Gadeira und Tarteſſus ruhte frei der Blick auf dem Unbegrenzten. Dieſer Umſtand hat anderthalb Jahrtauſende lang der Pforte des inneren Meeres eine eigene Wichtigkeit gegeben. Immerfort nach dem Jenſeitigen ſtrebend, haben ſeefahrende Völker, haben — 16 — hintereinander Phönizier, Hellenen, Araber, Katalanen, Major- kaner, Franzoſen aus Dieppe und La Rochelle, Genueſer, Venezianer, Portugieſen und Spanier Verſuche gemacht in dem Atlantiſchen Ozeane (er galt lange für ein ſchlamm— erfülltes, ſeichtes, nebeliges Dunkelmeer, Mare tenebrosum) vor⸗ zudringen, bis gleichſam ſtationsweiſe jene ſüdlichen Nationen, von den Kanariſchen Inſeln und den Azoren aus, endlich den neuen Kontinent erreichten, welchen aber Normannen ſchon früher und auf anderem Wege erreicht hatten. Während Alexander den fernſten Oſten eröffnete, leiteten ſchon Betrachtungen über die Geſtalt der Erde den großen Stagiriten *! auf die Idee der Nähe von Indien zu den Säulen des Herkules; ja Strabo ahnete ſogar, „daß in der nörd— lichen Hemiſphäre, vielleicht in dem Parallelkreiſe, welcher durch die Säulen, die Inſel Rhodus und Thinä geht, zwiſchen den Küſten des weſtlichen Europas und des öſtlichen Aſiens mehrere andere bewohnbare Ländermaſſen liegen könnten.“ Die Angabe einer ſolchen Oertlichkeit in der fort- geſetzten Längenachſe des Mittelmeeres hing mit einer aroß- artigen, im Altertum ſehr verbreiteten Erdanſicht des Erato— ſthenes zuſammen, nach welcher der ganze alte Kontinent in ſeiner weiteſten Ausdehnung von Weſten nach Oſten, un- gefähr im Parallel von 36°, eine wenig unterbrochene Hebungs— linie darbietet.“? Aber die Expedition des Coläus von Samos bezeichnet nicht bloß eine Epoche, in welcher ſich den griechiſchen Stämmen und den Nationen, auf die ihre Civiliſation vererbt wurde, neue Ausſicht zu fernen nautiſchen Unternehmungen entfaltete, ſie erweiterte auch unmittelbar den Kreis der Ideen. Ein großes Naturphänomen, das im periodiſchen Anſchwellen des Meeres den Verkehr der Erde mit dem Monde und der Sonne ſichtbar macht, feſſelte nun zuerſt dauernd die Aufmerkſam— keit. In den afrikaniſchen Syrten hatte das Phänomen den Griechen unregelmäßiger geſchienen, es war ihnen ſogar bis— weilen gefahrbringend geweſen. Poſidonius beobachtete Ebbe und Flut zu Ilipa und Gadeira, und verglich ſeine Beob— achtungen mit dem, was ihm dort über den Einfluß des Mondes die erfahreneren Phönizier mitteilen konnten. Se IT. Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen. — Umge— ſtaltung der Weltverhältniſſe. — Verſchmelzung des Weſtens mit dem Oſten. — Das Griechentum befördert die völkervermiſchung vom Nil bis zum Euphrat, dem Jarartes und Indus. — Plötzliche Erweiterung der Weltanſicht durch eigene Beobachtung der Natur wie durch den Ver- kehr mit altkultivierten, gewerbtreibenden Völkern, In dem Entwickelungsgange der Menſchengeſchichte, ſofern dieſelbe eine innigere Verbindung der europäiſchen Abendländer mit dem ſüdweſtlichen Aſien, dem Nilthale und Libyen dar— ſtellt, bezeichnen die Heerzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen, der Untergang der Perſerherrſchaft, der be— ginnende Verkehr mit Vorderindien, die Einwirkung des, 116 Jahre dauernden, griechiſch-baktriſchen Reiches eine der wich— tigſten Epochen des gemeinſamen Völkerlebens. War die Sphäre der Entwickelung faſt maßlos dem Raume nach, ſo gewann ſie dazu noch an intenſiver moraliſcher Größe durch das unabläſſige Streben des Eroberers nach Vermiſchung aller Stämme, nach einer Welteinheit unter dem begeiſtigenden Einfluſſe des Hellenismus. Die Gründung ſo vieler neuer Städte an Punkten, deren Auswahl höhere Zwecke andeutet, die Anordnung und Gliederung eines ſelbſtändigen Gemein— weſens zur Verwaltung dieſer Städte, die zarte Schonung der Nationalgewohnheiten und des einheimiſchen Kultus — alles bezeugt, daß der Plan zu einem großen organiſchen Ganzen gelegt war. Was vielleicht urſprünglich dieſem Plane nicht angehörte, hat ſich, wie es immer in dem Drange viel— umfaſſender Weltbegebenheiten der Fall iſt, ſpäter aus der Natur der Verhältniſſe von ſelbſt entwickelt. Erinnert man ſich nun, daß von der Schlacht am Granikus bis zu dem zerſtörenden Einbruch der Saker und Tocharer in Baktrien nur 52 Olympiaden verfloſſen ſind, ſo bewundert man die — 18 — Ausdauer und die zauberiſch vermittelnde Macht der von Weſten eingeführten helleniſchen Bildung. Dem Wiſſen der Araber, der Neuperſer und Inder beigemengt, hat dieſe Bil— dung ihre Wirkſamkeit bis in das Mittelalter ausgeübt, ſo daß es oft zweifelhaft bleibt, was der griechiſchen Litteratur, was unvermiſcht dem Erſindungsgeiſte jener aſiatiſchen Völker urſprünglich zugehört. Das Prinzip der Einigung und Einheit, oder vielmehr das Gefühl von dem wohlthätigen politiſchen Einfluſſe dieſes Prinzipes lag, wie alle ſeine Staatseinrichtungen beweiſen, tief in dem Gemüt des kühnen Eroberers. Selbſt auf Griechen— land angewandt, war es ihm von ſeinem großen Lehrer ſchon früh eingeprägt worden. In der Politik des Ariſtoteles leſen wir: „Den aſiatiſchen Völkern fehlt es nicht an Thätigkeit des Geiſtes und Kunſtgeſchicklichkeit, doch mutlos leben ſie in Unterwürfigkeit und Knechtſchaft, während die Hellenen, kräftig und regſam, in Freiheit lebend und deshalb gut verwaltet, wären ſie zu einem Staate vereinigt, alle Barbaren beherrſchen könnten.“ So ſchrieb der Stagirite bei ſeinem zweiten Aufenthalte in Athen, ehe noch Alexander über den Granikus ging. Die Grundſätze des Lehrers, ſo „widernatür— lich dieſem auch das unumſchränkte Königtum (die ruudasıhzia) erſchien“, haben zweifelsohne einen lebendigeren Eindruck auf den Eroberer gemacht, als die phantaſiereichen Berichte des Kteſias über Indien, denen Auguſt Wilhelm von Schlegel und vor ihm ſchon Saint-Croix eine fo große Wirkung zu⸗ ſchreiben. In dem vorhergehenden Abſchnitte haben wir das Meer als ein vermittelndes, völkerverbindendes Element, die durch Phönizier und Karthager, Tyrrhener und Tusker erweiterte Schiffahrt in wenigen Zügen geſchildert. Wir haben gezeigt, wie, durch zahlreiche Kolonieen in ihrer Seemacht verſtärkt, die Griechen gegen Oſten und Weſten, durch die Argonauten von Jolkos und durch den Samier Coläus, aus dem Becken des Mittelmeeres vorzudringen geſtrebt; wie gegen Süden die Salomon-Hiramſchen Expeditionen, in Ophirfahrten, durch das Rote Meer ferne Goldländer beſuchten. Der zweite Abſchnitt führt uns vorzugsweiſe in das Innere eines großen Kontinentes auf Wegen, die dem Landhandel und der Flußſchiffahrt geöffnet werden. In den kurzen Zeitraum von zwölf Jahren fallen der Zeitfolge nach: die Feldzüge in Vorderaſien und Syrien mit den Schlachten am Granikus — 19 — und in den Strandpäſſen von Iſſus, die Einnahme von Tyrus und die leichte Beſitznahme Aegyptens, der babyloniſch-perſiſche Feldzug, als bei Arbela (in der Ebene von Gaugamela) die Weltherrſchaft der Achämeniden vernichtet wurde, die Ex— pedition nach Baktrien und Sogdiana zwiſchen dem Hindu— Khu und dem Jaxartes (Syr), endlich das kühne Vordringen in das Fünfſtromland (Pentapotamia) von Vorderindien. Faſt überall hat Alexander helleniſche Anſiedelungen gegründet und in der ungeheuren Länderſtrecke vom Ammonstempel in der libyſchen Oaſe und von Alexandria am weſtlichen Nildelta bis zum nördlichen Alexandria am Jaxartes (dem jetzigen Khodſchend in Fergana) griechiſche Sitten verbreitet. Die Erweiterung des Ideenkreiſes — und dies iſt der Standpunkt, aus welchem hier des Macedoniers Unternehmen und die längere Dauer des baktriſchen Reiches betrachtet wer— den müſſen — war begründet: in der Größe des Raumes, in der Verſchiedenheit der Klimate von Cyropolis am Jaxartes (unter der Breite von Tiflis und Rom) bis zu dem öſtlichen Indusdelta bei Tira unter dem Wendekreiſe des Krebſes. Rechnen wir dazu die wunderbar wechſelnde Geſtaltung des Bodens, von üppigen Fruchtländern, Wüſten und Schnee— bergen mannigfaltig durchzogen, die Neuheit und rieſenhafte Größe der Erzeugniſſe des Tier- und Pflanzenreiches, den Anblick und die geographiſche Verteilung ungleich gefärbter Menſchenraſſen, den lebendigen Kontakt mit teilweiſe viel— begabten, uralt kultivierten Völkern des Orients, mit ihren religiöſen Mythen, ihren Philoſophemen, ihrem aſtronomi— ſchen Wiſſen und ihren ſterndeutenden Phantaſieen. In keiner anderen Zeitepoche (die, achtzehn und ein halbes Jahr— hundert ſpäter erfolgende Begebenheit der Entdeckung und Auf— ſchließung des tropiſchen Amerikas ausgenommen) iſt auf ein— mal einem Teile des Menſchengeſchlechtes eine reichere Fülle neuer Naturanſichten, ein größeres Material zur Begründung der phyſiſchen Erdkenntnis und des vergleichenden ethnologiſchen Studiums dargeboten worden. Für die Lebhaftigkeit des Eindruckes, welchen eine ſolche Bereicherung der Anſichten hervorgebracht, zeugt die ganze abendländiſche Litteratur; es zeugen ſelbſt dafür, wie bei allem, was unſere Einbildungs— kraft in Beſchreibung erhabener Naturſzenen anſpricht, die Zweifel, welche bei den griechiſchen und in der Folge bei den römiſchen Schriftſtellern die Berichte des Megaſthenes, Near— chus, Ariſtobulus und anderer Begleiter Alexanders erregt A. v. Humboldt, Kosmos. II. 9 — 130 — haben. Dieſe Berichterſtatter, der Färbung und dem Einfluß ihres Zeitalters unterworfen, Thatſachen und individuelle Mei— nungen eng miteinander verwebend, haben das wechſelnde Schickſal aller Reiſenden, die Oszillation zwiſchen anfänglichem bitteren Tadel und ſpäter mildernder Rechtfertigung erfahren. Die letztere iſt in unſeren Tagen um ſo häufiger eingetreten, als tiefes Sprachſtudium des Sanskrit, als allgemeinere Kennt⸗ nis einheimiſcher geographiſcher Namen, als baktriſche Münzen in den Topen aufgefunden, und vor allem eine lebendige An— ſicht des Landes und ſeiner organiſchen Erzeugniſſe der Kritik Elemente verſchafft haben, die dem vielverdammenden Erato— ſthenes, dem Strabo und Plinius bei ihrem ſo einſeitigen Wiſſen unbekannt blieben.“ Wenn man nach Unterſchieden der Längengrade die Er— ſtreckung des ganzen Mittelmeeres mit der Entfernung von Weſten nach Oſten vergleicht, welche Kleinaſien von den Ufern des Hyphaſis (Beas), von den Altären der Rückkehr trennt, ſo erkennt man, daß die Erdkunde der Hellenen in wenigen Jahren um das Zweifache vermehrt wurde. Um nun näher zu bezeichnen, was ich ein, durch Alexanders Heer— züge und Städtegründung ſo reichlich vermehrtes Material der phyſiſchen Geographie und Naturkunde genannt habe, erinnere ich zuerſt an die neu eingeſammelten Erfah— rungen über die beſondere Geſtaltung der Erdoberfläche. In den durchzogenen Ländern kontraſtieren Tiefländer (pflanzen— leere Wüſten oder Salzſteppen, wie nördlich von der Asferah— kette, einer Fortſetzung des Thian-ſchan, und vier große ange— baute Stromgebiete: des Euphrat, Indus, Oxus und Jaxartes) mit Schneegebirgen von faſt 19000 Fuß (6170 m) Höhe. Der Hindu-Khu oder indiſche Kaukaſus der Macedonier, eine Fortſetzung des nordtibetiſchen Kuen-lün, weſtlich von der durchſetzenden Meridiankette des Bolor, iſt in ſeiner Er— ſtreckung gegen Herat hin in zwei große, das Kafiriſtan be— grenzende Ketten geteilt;“ die ſüdlichere dieſer Ketten iſt die mächtigere. Alexander gelangte durch das noch 8000 Fuß (2600 m) hohe Plateau von Bamian, in dem man die Höhle des Prometheus zu ſehen wähnte, auf den Kamm des Koh: baba, um über Kabura, längs dem Choes, etwas nördlich vom jetzigen Attok, über den Indus zu ſetzen. Vergleichung des niedrigeren Taurus, an den die Griechen gewöhnt waren, mit dem ewigen Schnee des Hindu-Khu, welcher bei Bamian nach Burnes erſt in 12 200 Fuß (4540 m) Höhe beginnt, muß Veranlaſſung gegeben haben, hier in einem koloſſaleren Maßſtabe das Uebereinanderliegen der Klimate und Pflanzen— zonen zu erkennen. In regſamen Gemütern wirkt bleibend und tiefer, was die elementare Natur dem Menſchen unmittel— bar vor den Sinnen entfaltet. Strabo beſchreibt anſchaulich den Uebergang über das Bergland der Paropamiſaden, wo das Heer mit Mühe ſich durch den Schnee einen Weg bahnte und wo alle Baumvegetation aufhört.“ Was von indiſchen Erzeugniſſen und Kunſtprodukten durch ältere Handelsverbindungen oder aus den Berichten des Kteſias von Knidus, der 17 Jahre lang als Leibarzt des Artaxerxes Mnemon am perſiſchen Hoflager lebte, unvollkommen, ja faſt nur dem Namen nach gekannt war, davon wurde jetzt in dem Abendlande durch die macedoniſchen Anſiedelungen eine ſicherere Kunde verbreitet. Es gehören dahin: die bewäſſerten Reis— felder, von deren Kultur Ariſtobulus beſondere Nachricht ge— geben; die Baumwollenſtaude, wie die feinen Gewebe und das Papier, zu welchen jene Staude den Stoff lieferte; Ge— würze und Opium; Wein aus Reis und aus dem Saft der Palme, deren Sanskritname tala uns bei Arrian erhalten iſt;““ Zucker aus Zuckerrohr,!“ freilich oft in griechiſchen und römiſchen Schriftſtellern mit dem Tabaſchir des Bambusrohres verwechſelt; Wolle von großen Bombaxbäumen, Shawls aus tibetiſcher Ziegenwolle; ſeidene (ſeriſche) Gewebe;? Oel aus weißem Seſamum (ſanskr. tila), Roſenöl und andere Wohl— gerüche; Lack (ſanskr. läkschä, in der Vulgärſprache lakkha);““ und endlich der gehärtete indiſche Wetzſtahl. Neben der materiellen Kenntnis dieſer Produkte, welche bald ein Gegenſtand des großen Welthandels wurden und von welchen die Seleueiden mehrere nach Arabien verpflanzten, verſchaffte der Anblick einer ſo reich geſchmückten ſubtropiſchen Natur den Hellenen noch geiſtige Genüſſe anderer Art. Große und nie geſehene Tier- und Pflanzengeſtalten erfüllten die Einbildungskraft mit anregenden Bildern. Schriftſteller, deren nüchtern-wiſſenſchaftliche Schreibart ſonſt aller Begeiſterung fremd bleibt, werden dichteriſch, wenn ſie beſchreiben die Sitten der Elefanten; die „Höhe der Bäume, deren Gipfel mit einem Pfeile nicht erreicht werden kann, deren Blätter größer als die Schilde des Fußvolks ſind“; die Bambuſa, ein leicht— gefiedertes, baumartiges Gras, „deſſen einzelne Knoten (inter- nodia) als vielruderige Kähne dienen“; den durch ſeine Zweige wurzelnden indiſchen Feigenbaum, deſſen Stamm bis 28 Fuß — 12 — (9,10 m) Durchmeſſer erreicht und der, wie Oneſikritus ſehr naturwahr ſich ausdrückt, „ein Laubdach bildet gleich einem vielſäuligen Zelte“. Der hohen baumartigen Farne, nach meinem Gefühl des größten Schmuckes der Tropenländer, erwähnen indes Alexanders Gefährten nie, wohl aber der herrlichen, fächerartigen Schirmpalmen wie des zarten, ewig friſchen Grüns angepflanzter Piſanggebüſche.““ Die Kunde eines großen Teils des Erdbodens wurde nun erſt wahrhaft eröffnet. Die Welt der Objekte trat mit überwiegender Gewalt dem ſubjektiven Schaffen gegenüber, und indem, durch Alexanders Eroberungen, griechiſche 1 und Litteratur ſich fruchtbringend verbreiteten, waren gleich— zeitig die wiſſenſchaftliche Beobachtung und die ſyſtematiſche Bearbeitung des geſamten Wiſſens durch Ariſtoteles' Lehre und Vorbild dem Geiſte klar geworden. Wir bezeichnen hier ein glückliches Zuſammentreffen günſtiger Verhältniſſe; denn gerade in der Epoche, in der ſich plötzlich ein ſo ungeheurer Vorrat von neuem Stoffe der menſchlichen Erkenntnis darbot, war durch die Richtung, welche der Stagirite gleichzeitig dem empiriſchen Forſchen nach Thatſachen im Gebiete der Natur, der Verſenkung in alle Tiefen der Spekulation und der Aus⸗ bildung einer alles ſcharf umgrenzenden wiſſenſchaftlichen Aa gegeben hatte, die geiſtige Verarbeitung des Stoffes er 7 und vervielfältigt worden. So bleibt Ariſtoteles, wie Dante ſich ſchön ausdrückt, auf Jahrtauſende noch: il maestro di color che sanno. Der Glaube an eine unmittelbare Bereicherung des ariſto— teliſchen zoologiſchen Wiſſens durch die Heerzüge des Mace— doniers iſt jedoch durch ernſte neuere Unterſuchungen, wo nicht gänzlich verſchwunden, doch wenigſtens ſehr ſchwankend geworden. Die elende Kompilation eines Lebens des Stagi— riten, welche lange dem Ammonius, Sohn des Hermias, zuge— ſchrieben ward, hatte unter vielen hiſtoriſchen Irrtümern auch den verbreitet, daß der Philoſoph ſeinen Zögling wenigſtens bis an die Ufer des Nils begleitet habe.“? Das große Werk über die Tiere ſcheint um ſehr weniges neuer als die Me- teorologica, und dieſe fallen nach inneren Kennzeichen?“ in die 106. am ſpäteſten in die 111. Olympiade, alſo ent: weder vierzehn Jahre früher, als Ariſtoteles an den Hof des Philippus kam, oder auf das höchſte drei Jahre vor dem Ueber— gange über den Granikus. Gegen dieſe Anſicht einer frühen Vollendung der neun Bücher ariſtoteliſcher Tiergeſchichte werden nun freilich einzelne Angaben als widerſtreitend angeführt. Dahin gehört die genaue Kenntnis, welche Ariſtoteles von dem Elefanten, dem bärtigen Pferdhirſche (hippelaphos), dem baktriſchen zweibuckligen Kamele, dem Hippardion, das man für den Jagdtiger (Guepard) hält, und von dem indiſchen Büffel zu haben ſcheint, welcher letzte erſt zur Zeit der Kreuz— züge in Europa eingeführt wurde. Es iſt aber zu bemerken, daß gerade der Geburtsort jenes merkwürdig großen Hirſches mit der Pferdemähne, den Diard und Duvaucel aus dem öſt— lichen Indien an Cuvier geſchickt haben und welchem dieſer jogar den Namen Cervus Aristotelis gegeben hat, nach des Stagiriten eigener Angabe nicht die von Alexander durchzogene indiſche Pentapotamia iſt, ſondern Arachoſien, eine Landſchaft weſtlich von Kandahar, die mit Gedroſien eine altperſiſche Satrapie ausmachte.“? Sollten nicht die der Mehrzahl nach ſo kurzen Nachrichten über die Geſtalt und die Sitten der obengenannten Tiere dem Ariſtoteles, ganz unabhängig von dem macedoniſchen Heerzuge, aus Perſien und dem weltver— kehrenden Babylon überliefert worden ſein? Bei gänzlicher Unbekanntſchaft mit der Bereitung des Alkohols“ konnten ohne— dies nur Felle und Knochen, nicht aber weiche, der Zergliede— rung fähige Teile, aus dem fernen Aſien nach Griechenland geſchickt werden. So wahrſcheinlich es übrigens auch iſt, daß Ariſtoteles zur Förderung ſeiner phyſikaliſchen und natur— beſchreibenden Studien, zur Herbeiſchaffung eines ungeheuren zoologiſchen Materials aus dem geſamten Griechenland und aus den griechiſchen Meeren, ja zur Gründung der für ſeine Zeit einzigen Bücherſammlung, die an Theophraſt und ſpäter an Neleus von Skepſis überging, von Philippus und Alexander die freigebigſte Unterſtützung erhalten 9 ſo ſind doch wohl die Geſchenke von achthundert Talenten und die „Be— köſtigung ſo vieler tauſend Sammler, Aufſeher von Fiſch— teichen und Vogelhüter“ nur für ſpäte Uebertreibungen °° und mißverſtandene Traditionen des Plinius, Athenäus und Aelian zu halten. Die macedoniſche Expedition, welche einen großen und ſchönen Teil der Erde dem Einfluſſe eines einzigen und dazu eines jo hochgebildeten Volkes eröffnete, kann demnach im eigentlichſten Sinne des Wortes als eine wiſſenſchaftliche Expedition betrachtet werden, ja, als die erſte, in der ein Eroberer ſich mit Gelehrten aus allen Fächern des Wiſſens: mit Naturforſchern, Landmeſſern, Geſchichtſchreibern, Philo— ar te et ſophen und Künſtlern, umgeben hatte. Ariſtoteles wirkte aber nicht bloß durch das, was er ſelbſt hervorgebracht, er wirkte auch durch die geiſtreichen Männer ſeiner Schule, welche den Feldzug begleiteten. Unter dieſen glänzte vor allen des Sta— giriten naher Verwandter, Kalliſthenes aus Olynth, der ſchon vor dem Heerzuge botaniſche Werke und eine feine anatomiſche Unterſuchung über das Geſichtsorgan geliefert hatte. Durch die ernſte Strenge ſeiner Sitten und die ungemeſſene Freiheit ſeiner Rede ward er dem ſchon von ſeiner edeln und hohen Sinnesart herabgeſunkenen Fürſten wie deſſen Schmeichlern verhaßt. Kalliſthenes zog unerſchrocken die Freiheit dem Leben vor, und als man ihn zu Baktra in die Verſchwörung des Hermolaus und der Edelknaben ſchuldlos verwickelte, ward er die unglückliche Veranlaſſung zu der Erbitterung Alexanders gegen ſeinen früheren Lehrer. Theophraſt, des Olynthiers ge— mütlicher Freund und Mitſchüler, hatte den Biederſinn, ihn nach ſeinem Sturze öffentlich zu verteidigen; von Ariſtoteles wiſſen wir nur, daß er ihn vor ſeiner Abreiſe zur Vorſicht gemahnt und, durch den langen Aufenthalt bei Philipp von Macedonien, des Hoflebens, wie es ſcheint, ſehr kundig, ihm geraten habe: „mit dem König ſo wenig als möglich und wenn es ſein müßte, immer beifällig zu reden“.““ Von auserwählten Männern aus der Schule des Sta— giriten unterſtützt, hatte Kalliſthenes, als ein ſchon in Grie— chenland mit der Natur vertrauter Philoſoph, in den neu aufgeſchloſſenen weiteren Erdkreiſen die Forſchungen feiner Mit- arbeiter zu höheren Anſichten geleitet. Nicht die Pflanzenfülle und das mächtige Tierreich, nicht die Geſtaltung des Bodens oder die Periodizität des Anſchwellens der großen Flüſſe konnten allein die Aufmerkſamkeit feſſeln; der Menſch und ſeine Geſchlechter in ihren mannigfaltigen Abſtufungen der Färbung und Geſittung mußten nach dem eigenen Aus— ſpruche des Ariſtotekes als „der Mittelpunkt und Zweck der geſamten Schöpfung erſcheinen, als komme der Gedanke des göttlichen Denkens hienieden erſt in ihm zum Bewußtſein“. Aus dem Wenigen, was uns von den Berichten des im Alter: tum ſo getadelten Oneſikritus übrig iſt, erſehen wir, wie ſehr man in der macedeniſchen Expedition, weit zum Sonnenauf— gang gelangend, verwundert war, zwar die von Herodot ge— nannten dunkelfarbigen, den Aethiopen ähnlichen, in— diſchen Stämme, aber nicht die afrikaniſchen kraushaarigen Neger zu finden; man beobachtete ſcharf den Einfluß der Atmo— — 135 — ſphäre auf Färbung, die verſchiedene Wirkung der trockenen und feuchten Wärme. In der früheſten Homeriſchen Zeit und noch lange nach den Homeriden wurde die Abhängigkeit der Luftwärme von den Breitengraden, von den Polarabſtänden vollkommen verkannt; Oſten und Weſten beſtimmten damals die ganze thermiſche Meteorologie der Hellenen. Die nach dem Aufgang gelegenen Erdſtriche wurden für „ſonnennäher, für Sonnenländer“ gehalten. „Der Gott färbt in ſeinem Laufe mit des Rußes finſterem Glanze die Haut des Menſchen und kräuſelt ihm dörrend das Haar.“ ““ Alexanders Heerzüge gaben zuerſt Veranlaſſung, in einem großen Maßſtabe die, beſonders in Aegypten zuſammenſtrömen— den, afrikaniſchen Menſchenraſſen mit den ariſchen Geſchlechtern jenſeits des Tigris und den altindiſchen, ſehr dunkel gefärbten, aber nicht kraushaarigen Urvölkern zu vergleichen. Die Glie— derung der Menſchheit in Abarten, ihre Verteilung auf dem Erdboden, mehr als Folge geſchichtlicher Ereigniſſe als des 5 klimatiſchen Einfluſſes da, wo die Typen ein— mal feſtgeſetzt ſind, der ſcheinbare Widerſpruch zwiſchen Fär— bung und Wohnort mußten denkende Beobachter auf das leb— hafteſte anregen. Noch findet ſich im Inneren des großen indiſchen Landes ein weites Gebiet, das von ſehr dunkel, faſt ſchwarz gefärbten, von den ſpäter eingedrungenen helleren ariſchen Stämmen gänzlich verſchiedenen Ureinwohnern be— völkert iſt. Dahin gehören unter den Vindhyavölkern die Gond, die Bhil in den Waldgebirgen von Malava und Guzerat, wie die Kolh von Oriſſa. Der ſcharfſinnige Laſſen hält es für wahrſcheinlich, daß zu Herodots Zeit die ſchwarze aſiatiſche Raſſe, deſſen „Aethiopier vom Aufgang der Sonne“, den libyſchen wohl in der Hautfarbe, aber nicht in der Be— ſchaffenheit des Haares ähnlich, viel weiter als jetzt gegen Nordweſten verbreitet waren. Ebenſo dehnten im alten ägyptiſchen Reiche die eigentlichen wollhaarigen, oft beſiegten Negerſtämme ihre Wohnſitze weit in das nördliche Nubien aus.““ Zu der Bereicherung des Ideenkreiſes, welche aus dem Anblick vieler neuen phyſiſchen Erſcheinungen, wie aus dem Kontakt mit verſchiedenen Volksſtämmen und ihrer kontraſtieren— den Civiliſation entſprang, geſellten ſich, leider! nicht die Früchte ethnologiſcher Sprachvergleichung, inſofern dieſelbe philo— ſophiſch, abhängig von den Grundverhältniſſen des Ge— danfens,°® oder bloß hiſtoriſch iſt. Dieſe Art der Unter: ſuchung war dem ſogenannten klaſſiſchen Altertume fremd. — 16 — Dagegen lieferte Alexanders Expedition den Hellenen wiſſen— ſchaftliche Materialien, welche den lange aufgehäuften Schätzen früher kultivierter Völker entnommen werden konnten. Ich erinnere hier vorzugsweiſe daran, daß mit der Kenntnis der Erde und ihrer Erzeugniſſe durch die Bekanntſchaft mit Ba— bylon, nach neueren und gründlichen Unterſuchungen, auch die Kenntnis des Himmels anſehnlich vermehrt wurde. Allerdings war durch die Eroberung des Cyrus der Glanz des aſtronomiſchen Prieſterkollegiums in der orientaliſchen Weltſtadt bereits tief geſunken. Die Treppenpyramide des Belus (zugleich Tempel, Grab und eine, die nächtlichen Stun— den verkündende Sternwarte) war von Xerxes der Zerſtörung preisgegeben; das Monument lag zur Zeit des macedoniſchen Heerzuges bereits in Trümmern. Aber eben weil die ge— ſchloſſene Prieſterkaſte ſich bereits aufgelöſt, ja der aſtronomi— ſchen Schulen ſich eine große Zahl!“ gebildet hatte, war es dem Kalliſthenes möglich geworden (wie Simplicius behauptet, auf Rat des Ariſtoteles), Sternbeobachtungen aus einer ſehr langen Periode von Jahren (Porphyrius ſagt: für eine Periode von 1903 Jahren vor Alexanders Einzug in Babylon, Ol. 112, 2) nach Griechenland zu ſenden. Die älteſten chaldäiſchen Beobachtungen, deren das Almageſt erwähnt (wahrſcheinlich die älteſten, welche Ptolemäus zu ſeinen Zwecken tauglich fand), gehen aber freilich nur bis 721 Jahre vor unſerer Zeitrechnung, d. h. bis zu dem erſten meſſeniſchen Kriege. Gewiß iſt es, „daß die Chaldäer die mittleren Bewegungen des Mondes mit einer Genauigkeit kannten, welche die griechi— ſchen Aſtronomen veranlaßte, ſich derſelben zur Begründung der Mondstheorie zu bedienen.“?! Auch ihre Planetenbeob— achtungen, zu denen ſie eine uralte Liebe der Aſtrologie an— regte, ſcheinen ſie zur wirklichen Konſtruktion aſtronomiſcher Tafeln benutzt zu haben. Wie viel von den früheſten pythagoreiſchen Anſichten über die wahre Beſchaffenheit des Himmelsgebäudes, über den Planetenlauf und die nach Apollonius Mindius in langer geregelter Bahn wiederkehrenden Kometen den Chaldäern zu— gehört, iſt hier nicht der Ort zu entwickeln. Strabo nennt den „Mathematiker Seleucus“ einen Babylonier und unter— ſcheidet ihn ſo von dem Erythräer, der die Meeresflut maß. Es genügt zu bemerken, daß auch der griechiſche Tierkreis höchſt wahrſcheinlich „von der Dodekatemoria der Chaldäer entlehnt iſt, und daß derſelbe nach Letronnes wichtigen Unter— — 137 — ſuchungen?? nicht höher als bis zum Anfang des 6. Jahr— hunderts vor unſerer Zeitrechnung hinaufſteigt“. Was der Kontakt der Hellenen mit den Völkern indi— ſchen Urſprunges in der Epoche der macedoniſchen Heerzüge unmittelbar hervorgerufen, iſt in Dunkel gehüllt. Von wiſſen— ſchaftlicher Seite konnte wahrſcheinlich wenig gewonnen werden, weil Alexander in dem Fünfſtromlande (in dem Pan— tſchanada), nachdem er das Reich des Porus zwiſchen dem zederreichen“ Hydaspes (Ihelum) und dem Aceſines (Tſchinab) durchzogen, nur bis zum Hyphaſis vorgedrungen war, doch bis zu dem Punkte, wo dieſer Fluß bereits die Waſſer des Satadru (Heſidrus bei Plinius) empfangen hat. Mißmut ſeiner Kriegsvölker und Beſorgnis vor einem allgemeinen Auf— ſtande in den perſiſchen und ſyriſchen Provinzen zwangen den Helden, der gegen Oſten bis zum Ganges vordringen wollte, zur großen Kataſtrophe der Rückkehr. Die Länder, welche die Macedonier durchſtreiften, waren der Wohnſitz wenig kulti— vierter Stämme. In dem Zwiſchenlande zwiſchen dem Satadru und der Jamuna (dem Indus- und Gangesgebiete) bildet ein unbedeutender Fluß, die heilige Sarasvati, eine uralte ae Grenze zwiſchen den reinen, würdigen, frommen Brahma— anbetern im Oſten und den unreinen, nicht in Kaſten ge— teilten, königsloſen Stämmen im Weſten. Demnach ge— langte Alexander nicht bis zu dem eigentlichen Sitze höherer indiſcher Kultur. Erſt Seleucus Nicator, der Gründer des großen Seleueidenreiches, drang von Babylon aus gegen den Ganges vor und knüpfte durch die mehrfachen Geſandtſchaften des Megaſthenes nach Pataliputra politiſche nen mit dem mächtigen Sandracottus (Tſchandragupta). Auf dieſe Weiſe erſt entſtand ein lebhafter und „ Kontakt mit dem civiliſierteſten Teile von Madhya-Deſa (dem Land der Mitte). Zwar gab es auch im Pendſchab (in der Pentapotamia) einſiedleriſch lebende gelehrte Brah— manen. Wir wiſſen aber nicht, ob das herrliche indiſche Zahlenſyſtem, in dem die wenigen Zeichen ihren Wert durch bloße Stellung (Poſition) erlangen, jenen Brahmanen und Gymnoſophiſten bekannt war, ob (wie 0 zu vermuten ſteht) damals ſchon im kultivierteſten Teile des indiſchen Landes der Stellenwert erfunden war. Welch eine Revolution würde die Welt in der ſchnelleren Entwickelung und erleich— terten Anwendung mathematiſcher Kenntniſſe erfahren haben, wenn der Alexanders Heer begleitende Brahmane Sphines (im Heere Kalanos genannt), wenn ſpäter zu Auguſts Zeiten der Brahmane Bargoſa, ehe ſie beide freiwillig den Scheiter— haufen zu Suſa und Athen beſtiegen, den Griechen das indiſche Zahlenſyſtem auf eine Weiſe hätte mitteilen können, durch die dasſelbe zu einem allgemeinen Gebrauche gelangt wäre! Die ſcharfſinnigen und vielumfaſſenden Unterſuchungen von Chas— les haben allerdings gelehrt, daß die ſogenannte Methode des pythagoriſchen Abakus oder Algorismus, wie ſie ſich in der Geometrie des Boethius beſchrieben findet, mit dem indiſchen Zahlenſyſteme des Stellenwertes faſt identiſch ſei; aber jene Methode, lange unfruchtbar bei Griechen und Römern, hat erſt im Mittelalter eine allgemeine Verbreitung gewonnen, beſonders als das Nullzeichen an die Stelle des leeren Faches trat. Die wohlthätigſten Erfindungen bedürfen oft Jahr— hunderte, um anerkannt und vervollſtändigt zu werden. III. Zunahme der Weltanſchauung unter den Pplolemäern. — Muſeum im Serapeum. — Eigentümlicher Charakter der wiſſenſchaftlichen Richtung in dieſer Zeitepoche. — Encyhklopädiſche Gelehrſamkeit. — Verallge— meinerung der Uaturanſichten in den Erd- und Himmelsräumen. Nach der Auflöſung des macedoniſchen Weltreiches, das Gebiete dreier Kontinente umfaßte, entwickelten ſich, doch in ſehr verſchiedener Geſtaltung, die Keime, welche das ver— mittelnde, völkerverbindende Regierungsſyſtem des großen Macedoniers in einen fruchtbaren Boden gelegt hatte. Je mehr die nationale Abgeſchloſſenheit der helleniſchen Denkart dahinſchwand, je mehr ihre ſchöpferiſche begeiſternde Kraft an Tiefe und Stärke verlor, deſto gewinnreicher waren durch Be— lebung und Erweiterung des Völkerverkehrs, wie durch ratio— nelle Verallgemeinerung der Naturanſichten die Fortſchritte in der Kenntnis des Zuſammenhangs der Erſcheinungen. Im ſyriſchen Reiche, bei den Attaliden von Pergamum, unter den Seleuciden und Ptolemäern wurden ſie überall und faſt gleich— zeitig von ausgezeichneten Herrſchern begünſtigt. Das griechiſche Aegypten hatte den Vorzug politiſcher Einheit; es hatte auch den einer geographiſchen Weltſtellung, die durch den Einbruch des Arabiſchen Meerbuſens von Bab-el-Mandeb bis Suez und Akaba (in der Erſchütterungsrichtung SSO NNW) den Verkehr auf dem Indiſchen Ozean dem Verkehr an den Küſten des Mittelmeers auf wenige Meilen nahe bringt. Das Reich der Seleuciden genoß nicht dieſe Vorteile des Seehandels, wie ſie Form und Gliederung der Ländermaſſen den Lagiden darboten; ſeine Stellung war gefährdeter, von den Zerſplitterungen bedroht, welche die verſchiedenartige Natio— nalität der Satrapieen erzeugte. Der Verkehr im Seleuciden— reiche war überdies mehr ein innerer, an Stromgebiete oder an Karawanenſtraßen gefeſſelt, die allen hindernden Naturgewalten von ſchneebedeckten Gebirgsketten, Hochebenen und Wüſten trotzten. Der große Warenzug, in welchem die Seide das koſtbarſte Produkt war, ging aus Inneraſien von — 140 — der Hochebene der Serer nördlich von Uttara-Kuru, über den ſteinernen Turm (wahrſcheinlich eine befeſtigte Karawan— ſerai) ſüdlich von den Quellen des Jaxartes nach dem Oxus— thale zum Kaſpiſchen und Schwarzen Meere. Dagegen war der Hauptverkehr des Lagidenreiches, ſo lebhaft auch die Fluß— ſchiffahrt auf dem Nil und die Kommunikation zwiſchen den Nilufern und den Kunſtſtraßen längs dem Geſtade des Roten Meeres ſein mochte, doch im eigentlichſten Verſtande des Wortes der Seehandel. Nach Alexanders großen Anſichten ſollten, in Weſten und Oſten, das neugegründete ägyptiſche Alexandria und das uralte Babylon die beiden Hauptſtädte des mace— doniſchen Weltreichs werden; doch Babylon hat dieſen Hoff— nungen ſpäter nie entſprochen, und die Blüte der von Seleucus Nicator am unteren Tigris erbauten, durch Kanäle mit dem Euphrat verbundenen Seleukia trug dazu bei, den völligen Ver— fall von Babylon zu veranlaſſen. Drei große Regenten, die erſten drei Ptolemäer, deren Regierung ein ganzes Jahrhundert ausfüllt, haben, durch ihre Liebe für die Wiſſenſchaften, durch die glänzendſten Anſtalten zur Beförderung geiſtiger Bildung und durch ununterbrochenes Streben nach Erweiterung des Seehandels, der Natur- und Länderkenntnis einen Zuwachs verſchafft, wie derſelbe bis dahin noch von keinem Volke errungen worden war. Dieſer Schatz echt wiſſenſchaftlicher Kultur ging von den in Aegypten angeſiedelten Hellenen zu den Römern über. Schon unter Ptolemäus Philadelphus, kaum ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Alexanders (ſelbſt eher als der erſte puniſche Krieg den ariſtokratiſchen Freiſtaat der Karthager erſchütterte), war Alexandria der größte Handelsplatz der Welt. Ueber Alexan— dria ging der nächſte und bequemſte Weg von dem Becken des Mittelmeers nach dem ſüdöſtlichen Afrika, nach Arabien und Indien. Die Lagiden haben die Straße des Weltverkehrs, welche die Natur durch die Richtung des Arabiſchen Meerbuſens gleichſam vorgezeichnet, mit beiſpielloſem Erfolge benutzt, eine Straße, die ihr Recht in vollem Maße erſt dann wird wieder gelten laſſen, wenn die Verwilderung des morgenländiſchen Lebens und die ſtörende Eiferſucht der abendländiſchen Mächte gleichzeitig abnehmen. Selbſt als Aegypten eine römiſche Pro— vinz wurde, blieb es der Sitz eines unermeßlichen Reichtums, da der wachſende Luxus von Rom unter den Cäſaren auf das Nilland zurückwirkte und die Mittel ſeiner Befriedigung haupt— ſächlich in dem Weltverkehr von Alexandria fand. — 141 — Die wichtige Erweiterung der Natur- und Länderkenntnis unter den Lagiden war gegründet auf den Karawanenhandel in dem Inneren von Afrika über Cyrene und die Oaſen, auf die Eroberungen in Aethiopien und dem glücklichen Arabien unter Ptolemäus Evergetes, auf den Seehandel mit der ganzen weſtlichen Halbinſel Indiens vom Meerbuſen von Barygaza (Guzerat und Cambay) an längs den Küſten von Kanara und Malabar (Malayavara, Gebiet von Malaya) bis zu den brahmaniſchen Heiligtümern des Vorgebirges Komorin (Kumari) und der großen Inſel Ceylon (Lanka im Ramayana; Tapro— bane, ein von den Zeitgenoſſen Alexanders verjtümmelter °° einheimiſcher Name). Schon Nearchs mühevolle, fünf Monate dauernde Beſchiffung der Küſten von Gedroſien und Kara— manien (zwiſchen Pattala an der Mündung des Indus und dem Ausfluß des Euphrat) hatte weſentlich zu den Fortſchritten der Nautik beigetragen. Die Kenntnis der Monſunwinde, welche die Schiff— fahrt zwiſchen der Oſtküſte von Afrika und der Nord- und Weſtküſte von Indien ſo wirkſam begünſtigen, fehlte Alexanders Gefährten nicht. Nachdem, um den Indus dem Weltverkehr zu eröffnen, der Macedonier in einer zehn Monate langen Fahrt den Fluß zwiſchen Nicäa am Hydaspes und Pattala unterſucht hatte, eilte Nearch im Anfang des Oktobers (Ol. 113, 3) von der Mündung des Indus bei Stura abzuſegeln, weil er wußte, daß ſeine Seefahrt bis zum Perſiſchen Meerbuſen von dem Nordoſt- und Oſt-Monſun, längs der in einem Parallel— kreiſe laufenden Küſte, begünſtigt werden würde. Die Er— gründung eines ſo merkwürdigen lokalen Geſetzes der Wind— richtung U den Piloten jpäter den Mut, von Ocelis an der Straße Bab⸗el⸗Mandeb geradezu durch das hohe Meer nach dem großen malabariſchen Stapelplatze Muziris (ſüdlich von Mangalor) zu ſchiffen, wo durch inneren Verkehr auch die Waren der öſtlichen Küſte der indiſchen Halbinſel, ja ſelbſt das Gold der fernen Chryſe (Borneo?) zuſammenfloſſen. Die Ehre, dies neue Syſtem der indiſchen Schiffahrt zuerſt in An— wendung gebracht zu haben wird einem übrigens unbekannten 9 8 Hippalus zugeſchrieben, deſſen Zeitalter!“ zweifel— aft iſt. 5 In die Geſchichte der Weltanſchauung gehört die Auf— zählung aller Mittel, durch welche die Völker ſich genähert, große Teile des Erdkreiſes zugänglicher geworden, die Er— kenntnisſphären der Menſchheit erweitert worden ſind. Unter dieſen Mitteln ift eines der großartigſten geweſen die materielle Eröffnung einer Waſſerſtraße vom Roten zum Mittelländiſchen Meere vermittelſt des Nils. Wo zwei kaum zuſammenhängende Kontinentalmaſſen die tiefſten maritimen Einſchnitte darbieten, hatte, wenn auch nicht der große Seſoſtris (Ramſes Miamen), welchem Ariſtoteles und Strabo es zuſchreiben, doch Necho (Neku) die Ausgrabung eines Kanals begonnen, aber, durch prieſterliche Orakelſprüche geſchreckt, wiederum aufgegeben. Herodot ſah und beſchrieb einen vollendeten, der etwas ober— halb Bubaſtus in den Nil einmündete, ein Werk des Achä— meniden Darius Hyſtaspis. Wieder in Verfall geraten, ward endlich dieſer Kanal von Ptolemäus Philadelphus ſo voll— kommen hergeſtellt, daß er, wenn auch nicht, trotz ſeiner künſt— lichen Schleuſeneinrichtung, zu jeder Jahreszeit ſchiffbar, doch bis zu der Römer Herrſchaft, bis Mark Aurel, vielleicht bis Septimus Severus, alſo über vier und ein halbes Jahrhundert, den äthiopiſchen, arabiſchen und indiſchen Handel belebte. Zu denſelben Zwecken des Völkerverkehrs durch das Rote Meer wurde der Hafenbau in Myos Hormos und Berenice ſorgſam betrieben und durch eine herrliche Kunſtſtraße mit Koptos in Verbindung geſetzt.““ Allen dieſen Anſtalten und Unternehmungen der Lagiden, den merkantilen wie den wiſſenſchaftlichen, lag ein unaufhalt— ſames Streben nach dem Ganzen und Fernen, die Idee des Anknüpfens und der vermittelnden Einigung, des Umfaſſens großer Maſſen von Verhältniſſen und Anſchauungen zu Grunde. Eine ſo fruchtbringende Richtung der helleniſchen Gedanken— welt, lange im ſtillen vorbereitet, war durch Alexanders Heer— züge, durch ſeinen Verſuch, den Weſten mit dem Oſten zu verſchmelzen, zu einer großartigen Manifeſtation gelangt. Sie charakteriſiert in ihrer Erweiterung unter den Lagiden die Epoche, deren Bild ich hier entwerfe; ſie darf als ein wich— tiger Fortſchritt zur Erkenntnis eines Weltganzen betrachtet werden. Inſofern nun zu dieſer wachſenden Erkenntnis Reichtum und Fülle der Anſchauungen erforderlich ſind, konnte der Ver— kehr Aegyptens mit fernen Ländern, konnten wiſſenſchaftliche Unterſuchungsreiſen in Aethiopien auf Koſten der Regierung, °® ferne Strauß- und Elefantenjagden,““ Menagerieen wilder und ſeltener Tiere in den „Königshäuſern vom Bruchium“ an— regend zum Studium der Naturgeſchichte wirken und den An— forderungen des empiriſchen Wiſſens genügen; aber der eigen— — 143 — tümliche Charakter der ptolemäiſchen Epoche wie der ganzen alexandriniſchen Schule, die ihre beſondere Richtung bis in das 3. und 4. Jahrhundert behielt, offenbarte ſich auf einem anderen Wege, minder im Selbſtbeobachten des Einzelnen als in dem mühevollen Zuſammenfaſſen des Vor— handenen, in der Anordnung, Vergleichung und geiſtigen Be— fruchtung des längſt Geſammelten. Nachdem ſo viele Jahr— hunderte hindurch, bis zum mächtigen Auftreten des Ariſtoteles, die Naturerſcheinungen, jeder ſcharfen Beobachtung entzogen, in ihrer Deutung der alleinigen Herrſchaft der Ideen, ja der Willkür dumpfer Ahnungen und wandelbarer Hypotheſen an— heimgefallen waren, offenbarte ſich jetzt eine höhere Achtung für das empiriſche Wiſſen. Man unterſuchte und ſichtete, was man beſaß. Die Naturphiloſophie, minder kühn in ihren Speku— lationen und phantaſtiſchen Gebilden, trat endlich der forſchenden Empirie näher auf dem ſicheren Wege der Induktion. Ein mühevolles Streben nach Anhäufung des Stoffes hatte eine gewiſſe Polymathie notwendig gemacht; und wenn auch das vielſeitige Wiſſen in den Arbeiten ausgezeichneter Denker wohl— thätige Früchte darbot, ſo zeigte ſich dasſelbe doch, bei der hingeſunkenen Schöpfungskraft der Hellenen, nur zu oft von Geiſtloſigkeit und nüchterner Erudition begleitet. Auch haben Mangel an Pflege der Form wie an Lebendigkeit und Anmut der Diktion dazu beigetragen, die alexandriniſche Gelehrſamkeit ſtrengen Urteilen der Nachwelt auszuſetzen. Es iſt dieſen Blättern vorbehalten, hauptſächlich das her— vorzuheben, was die Epoche der Ptolemäer durch das Zu— ſammenwirken äußerer Verhältniſſe, durch Stiftung und plan— mäßige Ausſtattung zweier großer Anſtalten (des alexan— driniſchen Muſeums und zweier Bücherſammlungen im Bruchium ’° und in Rhakotis), durch die kollegialiſche An— näherung ſo vieler Gelehrten, die ein praktiſcher Sinn belebte, geleistet hat. Das eneyklopädiſche Wiſſen erleichterte die Ver— gleichung des Beobachteten, die Verallgemeinerung von Natur— anſichten. Das große wiſſenſchaftliche Inſtitut, welches den erſten beiden Lagiden ſeinen Urſprung verdankte, hat unter vielen Vorzügen lange auch den behauptet, daß feine Mit— glieder frei nach ganz verſchiedenen Richtungen“ arbeiteten und dabei doch, in einem fremden Lande angeſiedelt und von vielerlei Volksſtämmen umgeben, das Charakteriſtiſche helle— niſcher Sinnesart, helleniſchen Scharfſinnes bewahrten. Wenige Beiſpiele mögen, nach dem Geiſte und der Form — dieſer hiſtoriſchen Darſtellung, genügen, um zu beweiſen, wie in der Erd- und Himmelskunde unter dem ſchützenden Einfluß der Ptolemäer Erfahrung und Beobachtung ſich als die wahren Quellen der Erkenntnis Geltung verſchafften, wie in der Rich— tung des alexandriniſchen Zeitalters neben dem ſtoffanhäufenden Sammelfleiße doch immer eine glückliche Verallgemeinerung der Anſichten ſich offenbarte. Hatten auch die verſchiedenen griechiſchen Philoſophenſchulen, nach Niederägypten verpflanzt, in ihrer orientaliſchen Ausartung zu vielen mythiſchen Deu— tungen über die Natur der Dinge Anlaß gegeben, ſo blieb doch im Muſeum den platoniſchen Lehren?“ als ſicherſte Stütze das mathematiſche Wiſſen. Die Fortſchritte dieſes Wiſſens umfaßten faſt gleichzeitig reine Mathematik, Mechanik und Aſtronomie. In Platos hoher Achtung für mathematiſche Gedankenentwickelung wie in den alle Organismen umfaſſenden morphologiſchen Anſichten des Stagiriten lagen gleichſam die Keime aller ſpäteren Fortſchritte der Naturwiſſenſchaft. Sie wurden der Leitſtern, welcher den menſchlichen Geiſt durch die Verirrungen der Schwärmerei finſterer Jahrhunderte ſicher hindurchgeleitet, ſie haben die geſunde wiſſenſchaftliche Geiſtes— kraft nicht erſterben laſſen. Der Mathematiker und Aſtronom Eratoſthenes von Cyrene, der berühmteſte in der Reihe der alexandriniſchen Bibliothekare, benutzte die Schätze, welche ihm geöffnet ſtanden, um ſie zu einer ſyſtematiſchen Univerſalgeographie zu verarbeiten. Er reinigte die Erdbeſchreibung von den mythiſchen Sagen. Selbſt mit Chronologie und Geſchichte beſchäftigt, trennte er doch die Erdbeſchreibung von den geſchichtlichen Einmiſchungen, welche dieſelbe früher nicht ohne Anmut belebten. Einen be— friedigenden Erſatz lieferten mathematiſche Betrachtungen über die gegliederte Form und Ausdehnung der Kontinente, geo— gnoſtiſche Vermutungen über den Zuſammenhang der Berg— ketten, die Wirkung der Strömungen und die vormalige Waſſerbedeckung von Ländern, welche jetzt noch alle Spuren des trockenen Meeresbodens an ſich tragen. Der ozeaniſchen Schleufentheorie des Strato von Lampſakus günſtig, leitete der Glaube an das einſtige Anſchwellen des Pontus, an den Durchbruch der Dardanellen und die dadurch veranlaßte Er- öffnung der Herkulesſäulen den alexandriniſchen Bibliothekar auf die wichtige Unterſuchung des Problems von der Gleich— heit des Niveaus aller äußeren, die Kontinente um— fließenden Meere. Wie glücklich er in Verallgemeinerung der Anſichten war, bezeugt ferner ſeine Behauptung, daß der ganze Kontinent von Aſien in dem Parallel von Rhodus (in dem Diaphragma des Dikäarchus) von einer zuſammenhängenden, weſtöſtlich ſtreichenden Bergkette durchſchnitten ſei.““ Ein reger Wunſch nach Allgemeinheit der Anſichten, Folge der geiſtigen Bewegung jener Zeit, veranlaßte auch die erſte (helleniſche) Gradmeſſung zwiſchen Syene und Alexandrien, d. i. den Verſuch des Eratoſthenes, den Umfang der Erde an— näherungsweiſe zu beſtimmen. Es iſt nicht das erlangte Re— ſultat, auf unvollkommene Angaben von Bematiſten gegründet, welches unſer Intereſſe erregt; es iſt das Streben, ſich von dem engen Raume des heimatlichen Landes zu der Kenntnis der Größe des Erdballs zu erheben. Ein ähnliches Streben nach Verallgemeinerung der Ans ſichten bezeichnet in dem Zeitalter der Ptolemäer die glänzenden Fortſchritte einer wiſſenſchaftlichen Kenntnis der Himmels— räume. Ich erinnere hier an die Beſtimmungen der Fixſtern— örter der früheſten alexandriniſchen Aſtronomen Ariſtyllus und Timochares, an Ariſtarch von Samos, den Zeitgenoſſen des Kleanthes, welcher, mit altpythagoreiſchen Anſichten ver— traut, die räumliche Konſtruktion des ganzen Weltgebäudes zu ergründen wagte, den unermeßlichen Abſtand des Fixſtern— himmels von unſerem kleinen Planetenſyſteme zuerſt erkannte, ja die zweifache Bewegung der Erde um ihre Achſe und fort— ſchreitend um die Centralſonne mutmaßte; an den Seleucus aus Erythrä (oder aus Babylon“), der ein Jahrhundert ſpäter die noch wenig Anklang findende (kopernikaniſche) Mei— nung des Samiers zu begründen ſuchte; an Hipparch, den Schöpfer der wiſſenſchaftlichen Aſtronomie, den größten ſelbſt— beobachtenden Aſtronomen des ganzen Altertums. Hipparch war unter den Griechen der eigentliche Urheber aſtronomiſcher Tafeln, der Entdecker des Vorrückens der Nachtgleichen. Seine eigenen Fixſternbeobachtungen (zu Rhodus, nicht zu Alexandria an— geſtellt), als er ſie mit denen des Timochares und Ariſtyllus verglichen, leiteten ihn (wahrſcheinlich ohne das Auflodern eines neuen Sternes) zu dieſer großen Entdeckung, auf welche eine langfortgeſetzte Beobachtung des Frühaufgangs des Sirius die Aegypter allerdings ſollte geführt haben können.““ Ein eigentümlicher Charakterzug der Hipparchiſchen Beſtre— bungen iſt noch der geweſen, Erſcheinungen in den Himmels— räumen zu geographiſchen Ortsbeſtimmungen zu benutzen. Eine ſolche Verbindung der Erd- und Himmelskunde, der Reflex der A. v. Humboldt, Kosmos. II. 10 — 146 — einen auf die andere, belebte wie durch einigende Vermittelung die große Idee des Kosmos. Die Konſtruktion einer neuen Weltkarte des Hipparchus, auf die des Eratoſthenes begründet, beruht, wo die Anwendung aſtronomiſcher Beobachtungen mög— lich war, auf Mondfinſterniſſen und Schattenmeſſungen für die geographiſchen Längen und Breiten. Die hydrauliſche Uhr des Kteſibius, eine Vervollkommnung der früheren Klepſidren, konnte genauere Zeitmeſſungen verſchaffen, während für Be- ſtimmungen im Raume vom alten Gnomon und den Skaphen an bis zu der Erfindung von Aſtrolabien, von Solſtitial— armillen und Diopterlinealen den alexandriniſchen Aſtronomen allmählich beſſere Winkelmeſſer dargeboten wurden. So ge— langte ſtufenweiſe der Menſch wie durch neue Organe zu einer genaueren Kenntnis der Bewegungen im Planetenſyſteme. Nur die Kenntnis von der abſoluten Größe, Geſtaltung, Maſſe und phyſiſchen Beſchaffenheit der Weltkörper machte jahr— tauſendelang keine Fortſchritte. Nicht allein mehrere ſelbſtbeobachtende Aſtronomen des alexandriniſchen Muſeums waren ausgezeichnete Geometer, das Zeitalter der Ptolemäer war überhaupt die glänzendſte Epoche der Bearbeitung des mathematiſchen Wiſſens. Es erſcheinen in demſelben Jahrhundert Euklides, der Schöpfer der Mathe— matik als Wiſſenſchaft, Apollonius von Perga und Archimedes, der Aegypten beſuchte und durch Konon mit der alexandrini— ſchen Schule zuſammenhing. Der lange Weg, welcher von der ſogenannten geometriſchen Analyſis des Plato und den Menächmeiſchen Dreigeſtalten bis zu dem Zeitalter von Kepler und Tycho, Euler und Clairaut, d'Alembert und Laplace führt, bezeichnet eine Reihe mathematiſcher Entdeckungen, ohne welche die Geſetze der Bewegung der Weltkörper und ihre gegenſeitigen Verhältniſſe in den Himmelsräumen dem Menſchengeſchlechte nicht offenbart worden wären. Wie das Fernrohr, ein ſinn— liches näherndes, raumdurchdringendes Hilfsmittel, hat die Mathematik, durch Ideen verknüpfung in jene ferne Him⸗ melsregionen geführt, von einem Teil derſelben ſicheren Beſitz genommen; ja bei Anwendung aller Elemente, die der Stand— punkt der heutigen Aſtronomie geſtattet, hat in unſeren für Erweiterung des Wiſſens glücklichen Tagen das geiſtige Auge einen Weltkörper“ geſehen, ihm ſeinen Himmelsort, ſeine Bahn und ſeine Maſſe angewieſen, ehe noch ein Fernrohr auf ihn gerichtet war! 1% Römiſche Weltherrſchaft. — Einfluß eines großen Stantsverbandes auf die kosmiſchen Anſichten. — Fortſchritte der Erdkunde durch Landhandel. — Strabo und Ptolemäns. — Anfänge der mathematiſchen Optik und des chemiſchen Wiſſeus. — Verſuch einer phyſiſchen Weltheſchreibung durch Plinins. — Die Eutſtehung des Chriſtentums erzeugt und be- günſtigt das Gefühl von der Einheit des Meuſchengeſchlechts. Wenn man die geiſtigen Fortſchritte der Menſchheit und die allmähliche Erweiterung kosmiſcher Anſichten verfolgt, ſo tritt die Periode der römiſchen Weltherrſchaft als einer der wichtigſten Zeitpunkte hervor. Alle die fruchtbaren Erd— ſtriche, welche das Becken des Mittelmeers umgeben, finden wir nun zum erſtenmal in einem engen Staatsverbande ver— einigt. Große Ländermaſſen haben ſich ihm beſonders in Oſten angeſchloſſen. Es iſt hier der Ort, aufs neue daran zu erinnern, wie das Bild, das ich mich beſtrebe als Geſchichte der Welt— anſchauung in allgemeinen Zügen zu entwerfen, eben durch das Auftreten eines ſolchen Staatsverbandes eine objektive Einheit der Darſtellung empfängt. Unſere Civiliſation, d. i. die geiſtige Entwickelung aller Völker des ganzen europäiſchen Kontinents, kann man als gewurzelt betrachten in der der An— wohner des Mittelländiſchen Meerbeckens, und zunächſt in der Civiliſation der Griechen und Römer. Was wir vielleicht nur zu ausſchließlich klaſſiſche Litteratur nennen, erhielt dieſe Bezeichnung durch die Kenntnis von dem Urſprunge unſeres früheſten Wiſſens, von der erſten Anregung zu ſolchen Ideen— kreiſen und Gefühlen, die mit der Vermenſchlichung und Geiſtes— erhebung eines Volksſtammes am innigſten verwandt ſind. Es wird in dieſer Betrachtungsweiſe keineswegs für unwichtig er— klärt, was dem großen Strome griechiſcher und römiſcher Kul— tur auf mannigfaltigen, noch nicht genugſam ergründeten — 148 — Wanderungswegen aus dem Nilthale und aus Phönizien, vom Euphrat her oder aus Indien zugeführt worden iſt; aber auch dieſe fremdartigen Elemente verdanken wir zuerſt dem Griechen— tume und den von Etruskern und Griechen umgebenen Römern. Wie ſpät erſt haben die großen Denkmäler älterer Kultur: völker unmittelbar durchforſcht, gedeutet, nach ihrem relativen Alter geordnet werden können! Wie ſpät ſind Hieroglyphen und Keilſchriften geleſen worden, vor denen jahrtauſende— lang Heerſcharen und Karawanen vorbeigezogen waren, ohne etwas von ihrem Inhalte zu ahnen! Das Becken des Mittelmeeres iſt allerdings in ſeinen beiden vielgegliederten, nördlichen Halbinſeln der Ausgangs— punkt rationeller und politiſcher Bildung für diejenigen Na⸗ tionen geweſen, welche jetzt den, wir hoffen unvergänglichen, täglich ſich mehrenden Schatz wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe und ſchöpferiſcher Kunſtthätigkeiten beſitzen, welche Geſittung und mit ihr erſt Knechtſchaft und dann unwillkürlich Freiheit über eine andere Erdhälfte verbreiten; aber es bleiben doch au in unſerer Erdhälfte, wie durch die Gunſt des Schickſals wieder Einheit und Mannigfaltigkeit anmutig miteinander gepaart. Die Elemente, die aufgenommen wurden, waren ſo verſchieden als ihre Aneignung und Transformation nach den grell kon— traſtierenden Eigentümlichkeiten und den individuellen Gemüts⸗ richtungen der einzelnen Völkerraſſen von Europa. Selbſt jen— ſeits des Ozeans bewahren Kolonieen und Anſiedelungen, die mächtige freie Staaten geworden ſind oder hoffentlich einſt ſich organiſch dazu ausbilden werden, den Reflex dieſer Kontraſte. Der römiſche Staat in der Form einer Monarchie unter den Cäſaren iſt, nach feinem Flächeninhalte?? betrachtet, an abſoluter Größe allerdings von der chineſiſchen Weltherrſchaft unter der Dynaſtie der Thſin und der öſtlichen Han (30 Jahre vor bis 116 Jahre nach unſerer Zeitrechnung), von der Welt— herrſchaft der Mongolen unter Dſchingischan und dem jetzigen Areal des ruſſiſchen, europäiſch-aſiatiſchen Kaiſerreichs über— troffen worden; aber, die einzige ſpaniſche Monarchie, ſolange ſie über den neuen Kontinent ausgebreitet war, ausgenommen, iſt nie eine größere Maſſe durch Klima, Fruchtbarkeit und Weltſtellung begünſtigter Erdſtriche unter einem Zepter ver— bunden geweſen, denn in dem römiſchen Reiche von Oktavian bis Konſtantin. Von dem weſtlichen Ende Europas bis zum Euphrat, von Britannien und einem Teile Kaledoniens bis Gätulien — 149 — und zur Grenze des wüſten Libyens bot ſich nicht bloß die größte Mannigfaltigkeit von Bodengeſtaltung, organiſchen Er— zeugniſſen und phyſiſchen Erſcheinungen dar, auch das Menſchen— geſchlecht zeigte ſich dort in allen Abſtufungen ſeiner Kultur und Verwilderung, im Beſitze alten Wiſſens und lang geübter Künſte, wie im erſten Dämmerlichte des intellektuellen Er— wachens. Ferne Expeditionen in Norden und Süden, nach den Bernſteinküſten, und unter Aelius Gallus und Balbus nach Arabien und zu den Garamanten wurden mit ungleichem Glücke ausgeführt. Vermeſſungen des ganzen Reiches wurden durch griechiſche Geometer (Zenodoxus und Polykletus) ſchon unter Auguſtus begonnen; auch Itinerarien und Spezial— topographieen angefertigt (was freilich im chineſiſchen Reiche viele Jahrhunderte früher geſchah), um ſie unter die einzelnen Statthalter der Provinzen zu verteilen. Es waren die erſten ſtatiſtiſchen Arbeiten, welche Europa aufzuweiſen hat. Römer— ſtraßen, in Milien geteilt, durchſchnitten viele ausgedehnte Präfekturen; ja Hadrian beſuchte, doch nicht ohne Unterbrechung, in einer elfjährigen Reiſe ſein Weltreich von der Iberiſchen Halbinſel an bis Judäa, Aegypten und Mauretanien. So war ein großer der römiſchen Herrſchaft unterworfener Teil der Welt aufgeſchloſſen und wegſam gemacht: pervius orbis, wie mit minderem Rechte von dem ganzen Erdkreiſe der Chor!“ in der Medea des Seneca weisſagt. Bei dem Genuſſe eines langen Friedens hätte man viel— leicht erwarten ſollen, daß die Vereinigung ſo ausgedehnter, unter den verſchiedenartigſten Klimaten gelegener Länder zu einer Monarchie, daß die Leichtigkeit, mit der Staatsbeamte mit einem zahlreichen Gefolge vielſeitig gebildeter Männer die Provinzen durchreiſten, nicht bloß der Erdbeſchreibung, ſondern der geſamten Naturkunde und den höheren Anſichten über den Zuſammenhang der Erſcheinungen auf eine außerordentliche Weiſe förderlich geweſen ſein würde, aber ſo hochgeſpannte Erwartungen ſind nicht in Erfüllung gegangen. In dieſer langen Periode der ungeteilten römiſchen Weltherrſchaft, in faſt vier Jahrhunderten, erhoben ſich als Beobachter der Natur nur Dioskorides der Cilicier und Galenus von Pergamus. Der erſtere, die Zahl der beſchriebenen Pflanzenarten anſehn— lich vermehrend, ſteht tief unter dem philoſophiſch kombinie— renden Theophraſt, während durch Feinheit der Zergliederung und den Umfang phyſiologiſcher Entdeckungen Galenus, wel— cher ſeine Beobachtungen auf mehrere Tiergattungen ausge— dehnt hat, „ſehr nahe neben Ariſtoteles und meist über ihn geſtellt werden kann“. Dieſes Urteil hat Cuvier gefällt. Neben Dioskorides und Galenus glänzt nur noch ein dritter großer Name, der des Ptolemäus. Wir nennen ihn hier nicht als aſtronomiſchen Syſtematiker oder als Geogra— phen; ſondern als experimentierenden, die Strahlenbrechung meſſenden Phyſiker, als erſten Gründer eines wichtigen Teils der Optik. Seine ganz unbezweifelbaren Rechte ſind erſt ſpät erkannt worden.“ So wichtig auch die Fortſchritte in der Sphäre des organiſchen Lebens und in den allgemeinen An— ſichten der vergleichenden Zootomie waren, müſſen doch hier in einer Periode, welche der der Araber um eine halbes Jahr— tauſend vorhergeht, phyſiſche Experimente über den Gang der Lichtſtrahlen unſere Aufmerkſamkeit beſonders feſſeln. Es iſt wie der erſte Schritt in einer neugeöffneten Laufbahn, in dem Streben nach einer mathematiſchen Phyſik. Die ausgezeichneten Männer, welche wir ſoeben genannt als wiſſenſchaftlichen Glanz über die Kaiſerzeit verbreitend (der tiefſinnige, aber noch ſymbolloſe, arithmetiſche Algebriſt Dio— phantus “s gehört einer ſpäteren Zeit an), ſind alle griechiſchen Stammes. Bei dem Zwieſpalt der Bildung, den die römiſche Weltherrſchaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organi⸗ ſierten Kulturvolke, den Hellenen, die Palme; aber es zer— ſtreuten ſich nach dem allmählichen Untergange der ägyptiſch— alexandriniſchen Schule die geſchwächten Lichtpunkte des Wiſſens und des rationellen Forſchens; ſie erſcheinen erſt ſpäter wieder in Griechenland und Kleinaſien. Wie in allen unumſchränkten Monarchieen, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogenſten Elementen zuſammengeſetzt ſind, war das Stre— ben der Regierung hauptſächlich darauf gerichtet, durch mili⸗ täriſchen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach geteilten Adminiſtration die drohende Zerſtückelung des Länder— verbandes abzuwenden, durch Wechſel von Strenge und Milde den Familienzwiſt im Hauſe der Cäſaren zu verdecken, unter edlen Herrſchern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, ſtill ertragene Deſpotismus periodenweiſe ge— währen kann. Das Erringen der römiſchen Weltherrſchaft iſt allerdings ein Werk geweſen der Größe des römiſchen Charakters, einer lang bewährten Sittenſtrenge, einer ausſchließlichen, mit hohem Selbſtgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrſchaft errungen war, fanden ſich nach dem unvermeid⸗ lichen Einfluſſe der hervorgerufenen Verhältniſſe jene herrlichen Eigenſchaften allmählich geſchwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiſte erloſch die volkstümliche Beweglichkeit der einzelnen. Es verſchwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menſchen, die zwei Hauptſtützen freier Verfaſſungen. Die ewige Stadt war das Centrum eines zu großen Kreiſes geworden. Es fehlte der Geiſt, der einen ſo vielteiligen Staatskörper hätte dauernd beſeelen können. Das Chriſtentum wurde Staatsreligion, als das Reich bereits tief erſchüttert und die Milde der neuen Lehre durch den dogmatiſchen Zwiſt der Parteien in ihren wohlthätigen Wir— kungen geſtört war. Auch begann ſchon damals „der läſtige Kampf des Wiſſens und des Glaubens“, welcher unter man— cherlei Geſtaltung, der Forſchung hinderlich, durch alle Jahr— hunderte fortgeſetzt wird. Wenn aber auch ſeinem Umfange und ſeiner durch den Umfang bedingten Verfaſſung nach das römiſche Kaiſerreich, ganz im Gegenſatz des partiellen ſelbſtändigen Lebens der kleinen helleniſchen Republiken, die ſchaffende geiſtige Kraft der Menſch— heit nicht zu beleben und zu ſtärken vermochte, ſo bot es da— gegen andere eigentümliche Vorteile dar, die hier zu bezeichnen ſind. Es entſtand ein großer Reichtum von Ideen als Folge der Erfahrung und vielſeitiger Beobachtung. Die Welt der Objekte wurde anſehnlich vergrößert, und ſo für ſpätere Zeiten einer denkenden Betrachtung der Naturerſcheinungen vorge— arbeitet. Der Völkerverkehr wurde durch die Römerherrſchaft belebt, die römische Sprache verbreitet über den ganzen Occi— dent und einen Teil des nördlichen Afrikas. Im Orient blieb das Griechentum heimiſch, nachdem das baktriſche Reich ſchon längſt unter Mithridates J. (dreizehn Jahre vor dem Einfall der Saken oder Skythen) zerſtört war. Der Ausdehnung, d. h. der geographiſchen Verbreitung nach gewann, ſelbſt ehe der Sitz des Reiches nach Byzanz ver— legt wurde, die römiſche Sprache über die griechiſche. Dieſes Eindringen zweier hochbegabter, an litterariſchen Denkmalen reicher Idiome wurde ein Mittel der größeren Verſchmelzung und Einigung der Volksſtämme, ein Mittel zugleich, die Ge— ſittung und Bildungsfähigkeit zu vermehren, „den Menſchen (wie Plinius“! jagt) menſchlich zu machen und ihm ein ges meinſames Vaterland zu geben“. So viel Verachtung auch im ganzen der Sprache der Barbaren (der ſtummen, &ykwsso: nach Pollux) zugewandt war, gab es doch einzelne Beiſpiele, daß — 12 — in Rom, nach dem Vorbilde der Lagiden, die Uebertragung eines litterariſchen Werkes aus dem Puniſchen in das Latei— niſche befördert wurde. Die Schrift des Majo vom Ackerbau iſt bekanntlich auf Befehl des römiſchen Senats überſetzt worden. Wenn das Weltreich der Römer im Weſten des alten Kontinents, wenigſtens an der nördlichen Küſte des Mittel— meeres, ſchon das heilige Vorgebirge, alſo das äußerſte Ende erreicht hatte, ſo erſtreckte es ſich im Oſten ſelbſt unter Trajan, der den Tigris beſchiffte, doch nur bis zum Meridian des Per— ſiſchen Meerbuſens. Nach dieſer Seite hin war in der Periode, welche wir ſchildern, der Fortſchritt des Völkerverkehrs, des für die Erdkunde wichtigen Landhandels am größten. Nach dem Sturze des griechiſch-baktriſchen Reiches begünſtigte dazu die aufblühende Macht der Arſaciden den Verkehr mit den Serern; doch war derſelbe nur ein mittelbarer, indem der un— mittelbare Kontakt der Römer mit Inneraſien durch den leb— haften Zwiſchenhandel der Parther geſtört wurde. Bewegungen, die aus dem fernſten China ausgingen, veränderten ſtürmiſch ſchnell, wenn auch nicht auf eine lange Dauer, den politiſchen Zuſtand der ungeheuren Länderſtrecke, welche ſich zwiſchen dem vulkaniſchen Himmelsgebirge (Thian-ſchan) und der Kette des nördlichen Tibet (dem Kuen-lün) hinzieht. Eine chineſiſche Kriegsmacht bedrängte die Hiungnu, machte zinsbar die kleinen Reiche von Khotan und Kaſchgar, und trug ihre ſiegreichen Waffen bis an die öſtliche Küſte des Kaſpiſchen Meeres. Das iſt die große Expedition des Feldherrn Pantſchab unter dem Kaiſer Mingti aus der Dynaſtie der Han. Sie fällt in die Zeiten des Veſpaſian und Domitianus. Chineſiſche Schrift— ſteller ſchreiben ſogar dem kühnen und glücklichen Feldherrn einen großartigeren Plan zu; ſie behaupten, er habe das Reich der Römer (Tathſin) angreifen wollen, aber die Perſer hätten ihn abgemahnt. So entſtanden Verbindungen zwiſchen den Küſten des Stillen Meeres, dem Schenſi und jenem Oxus— gebiete, in welchem von früher Zeit her ein lebhafter Handel mit dem Schwarzen Meere getrieben wurde. Die Richtung der großen Völkerfluten in Aſien war von Oſten nach Weſten, in dem neuen Kontinente von Norden gegen Süden. Anderthalb Jahrhunderte vor unſerer Zeitrech— nung, faſt zur Zeit der Zerſtörung von Korinth und Karthago, gab der Anfall der Hiungnu (eines türkiſchen Stammes, den Deguignes und Johannes Müller mit den finniſchen Hunnen verwechſeln) auf die blonde und blauäugige, wahrſcheinlich indogermaniſche Raſſe“? der Yueti (Geten?) und Ufün, nahe an der chineſiſchen Mauer, den erſten Anſtoß zu der Völker— wanderung, welche die Grenzen von Europa erſt um ein . Jahrtauſend ſpäter berührte. So hat ſich langſam die ölkerwelle vom oberen Flußthal des Hoangho nach Weſten bis zum Don und zur Donau fortgepflanzt, und Bewegungen nach entgegengeſetzten Richtungen haben in dem nördlichen Ge— biete des alten Kontinents einen Teil des Menſchengeſchlechts mit dem anderen zuerſt in feindlichen, ſpäter in kommerziellen, friedlichen Kontakt gebracht. So werden große Volksſtrömun— gen, fortſchreitend wie die Strömungen des Ozeans zwiſchen ruhenden, unbewegten Maſſen, Begebenheiten von kosmiſcher Bedeutung. 8 Unter der Regierung des Kaiſers Claudius kam die Ge— ſandtſchaft des Rachias aus Ceylon über Aegypten nach Rom. Unter dem Marcus Aurelius Antoninus (bei den Geſchichts— ſchreibern der Dynaſtie der Han An-tun genannt) erſchienen römiſche Legaten am chineſiſchen Hofe. Sie waren zu Waſſer über Tunkin gekommen. Wir bezeichnen hier die erſten Spu— ren eines ausgebreiteten Verkehrs des Römerreiches mit China und Indien ſchon deshalb, weil höchſt wahrſcheinlich durch dieſen Verkehr in beide Länder, ungefähr in den erſten Jahr— hunderten unſerer Zeitrechnung, die Kenntnis der griechiſchen Sphäre, des griechiſchen Tierkreiſes und der aſtrologiſchen Planetenwoche verbreitet worden iſt. Die großen indiſchen Mathematiker Warahamihira, Brahmagupta und vielleicht ſelbſt Aryabhatta ſind neuer als die Periode, die wir hier ſchildern;“? aber was früher ſchon auf ganz einſamen, abgeſonderten Wegen in Indien entdeckt war und dieſem altgebildeten Volke ur— ſprünglich zugehört, kann auch vor Diophantus durch den unter den Lagiden und Cäſaren ſo ausgebreiteten Welthandel teilweiſe in den Occident eingedrungen ſein. Es ſoll hier nicht unternommen werden, abzuſondern, was jedem Völkerſtamme und jeder Zeitepoche eigentümlich iſt; es iſt genug, an die Wege zu erinnern, die dem Ideenverkehr geöffnet waren. Wie vielfach dieſe Wege und alle Fortſchritte des allge— meinen Verkehrs geworden waren, bezeugen am lebhafteſten die Rieſenwerke des Strabo und Ptolemäus. Der geiſt— reiche Geograph von Amaſea hat nicht die Hipparchiſche Ge— nauigkeit des Meßbaren und die Anſichten mathematiſcher Erd— kunde des Ptolemäus; aber an Mannigfaltigkeit des Stoffes, an Großartigkeit des entworfenen Planes übertrifft ſein Werk — 154 — alle geographiſchen Arbeiten des Altertums. Strabo hatte, wie er ſich deſſen gern rühmt, einen beträchtlichen Teil des Römerreiches mit eigenen Augen geſehen: „von Armenien bis an die tyrrheniſchen Küſten, vom Euxinus bis an die Grenzen Aethiopiens“. Nachdem er als Fortſetzung des Polybius 43 Geſchichtsbücher vollendet, hatte er in ſeinem 83 Lebens- jahres“ den Mut, die Redaktion feines geographiſchen Werkes zu beginnen. Er erinnert, „daß zu ſeiner Zeit die Herr— ſchaft der Römer und Parther die Welt eröffnet haben, mehr noch als Alexanders Heerzüge, auf die Eratoſthenes ſich ſtützen konnte“. Der indiſche Handel war nicht mehr in den Händen der Araber; Strabo ſtaunte in Aegypten über die ver— mehrte Zahl der Schiffe, die von Myos Hormos unmittelbar nach Indien ſegeln, ja ſeine Einbildungskraft führte ihn weiter über Indien hinaus an die öſtliche Küſte von Aſien. Da, wo nach ihm in dem Parallel der Herkulesſäulen und der Inſel Rhodus eine zuſammenhängende Gebirgskette (Fortſetzung des Taurus) den alten Kontinent in ſeiner größten Breite durch— zieht, ahnet er die Exiſtenz eines anderen Feſtlandes zwiſchen dem weſtlichen Europa und Aſien. „Es iſt ſehr wohl möglich,“ jagt er,“? „daß in demſelben gemäßigten Erdgürtel nahe an dem Parallelkreiſe von Thinä (oder Athen?), welcher durch das Atlantiſche Meer geht, außer der von uns bewohn— ten Welt noch eine andere oder ſelbſt mehrere liegen, mit Menſchen bevölkert, die von uns verſchieden ſind.“ Es muß wunder nehmen, daß dieſer Ausſpruch nicht die Aufmerk— ſamkeit der ſpaniſchen Schriftſteller auf ſich gezogen hat, welche am Anfang des 16. Jahrhunderts überall in den Klaſſikern Spuren einer Kenntnis des neuen Weltteils zu finden glaubten. „Wie bei allen Kunſtwerken,“ ſagt Strabo ſchön, „die etwas Großes darſtellen ſollen, es nicht vorzüglich auf die Voll— endung einzelner Teile ankommt,“ ſo wolle er „in ſeinem Rieſenwerke“ auch vor allem den Blick auf die Geſtaltung des Ganzen heften. Dieſer Hang nach Verallgemeinerung der Ideen hat ihn nicht abgehalten, gleichzeitig eine große Zahl trefflicher phyſikaliſcher, beſonders geognoſtiſcher Reſultate““ aufzuſtellen. Er behandelt wie Poſidonius und Polybius den Einfluß der ſchneller oder langſamer aufeinander folgenden Durchgänge der Sonne durch den Zenith auf das Maximum der Luftwärme unter dem Wendekreiſe oder dem Aequator, die mannigfaltigen Urſachen der Veränderungen, welche die Erdfläche erlitten, den Durchbruch abgeſchloſſener Seen, das allgemeine, ſchon von Archimedes anerkannte Niveau der Meere, die Strömungen derſelben, die Eruption unterſeeiſcher Vulkane, Muſchelverſteinerungen und Fiſchabdrücke; ja, was am meiſten unſere Aufmerkſamkeit auf ſich zieht, weil es der Kern der neueren Geognoſie geworden iſt, die periodiſchen Oszillationen der Erdrinde. Strabo ſagt ausdrücklich, daß die veränderten Grenzen zwiſchen Meer und Land mehr der Hebung und Senkung des Bodens als den kleinlichen Anſchwemmungen zuzuſchreiben ſeien; „daß nicht bloß einzelne Felsmaſſen oder kleine und große Inſeln, ſondern ganze Kontinente können emporgehoben werden“. Wie Herodot, iſt Strabo auch auf die Abſtammung der Völker und die Raſſenverſchiedenheit des Menſchen aufmerkſam, welchen er merkwürdig genug „ein Land— und Lufttier“ nennt, das „vieles Lichtes bedürftig“ iſt. Die ethnologiſche Abſonderung der Stämme finden wir am ſchärfſten aufgefaßt in den Kommentaren des Julius Cäſar wie 8 des Tacitus herrlicher Lobrede auf den Ancieofa, Leider iſt Strabos großes, an Thatſachen jo reichhaltiges Werk, deſſen kosmiſche Anſichten wir hier zuſammenſtellen, in dem römiſchen Altertume bis in das 5. Jahrhundert faſt unbekannt, ſelbſt von dem vielſammelnden Plinius unbenutzt geblieben. Es hat erſt am Ende des Mittelalters auf die Richtung der Ideen gewirkt, aber in minderem Maße als die mehr mathematiſche, den phyſikaliſchen Anſichten faſt ganz ent— fremdete, tabellariſch-nüchterne Geographie des Claudius Pto— lemäus. Letztere iſt bis in das 16. Jahrhundert der Leitfaden aller Reiſenden geweſen. Was man entdeckte, glaubte man faſt immer in ihr unter anderen Benennungen zu erkennen. Wie die Naturhiſtoriker lange neu aufgefundene Pflanzen und Tiere den klaſſiſchen Verzeichniſſen des Linnäus anſchloſſen, ſo erſchienen auch die früheſten Karten des neuen Kontinents in dem Atlas des Ptolemäus, welchen Agathodämon zu der— ſelben Zeit anfertigte, als im fernſten Aſien bei den hochge— bildeten Chineſen ſchon die weſtlichen Provinzen des Reiches in vierundvierzig Abteilungen verzeichnet waren. Die Univerſal— geographie des Ptolemäus hat allerdings den Vorzug, uns die ganze Welt ſowohl graphiſch (in Umriſſen) als numeriſch (in ſogenannten Ortsbeſtimmungen nach Längen, Polhöhen und Tagesdauer) darzuſtellen; aber ſo oft auch in derſelben der Vorzug aſtronomiſcher Reſultate vor den Angaben der Weglängen zu Waſſer und zu Lande ausgeſprochen wird, iſt doch leider in jenen unſicheren Ortsbeſtimmungen (über 2500 an der Zahl) nicht zu erkennen, auf welche Art von Fundamenten ſie gegründet ſind, welche relative Wahrſchein— lichkeit nach den damaligen Itinerarien ihnen zugeſchrieben werden könne. Die völlige Unkenntnis der Nordweiſung der Magnetnadel, d. i. der Nichtgebrauch der Buſſole, welche ſchon 1250 Jahre vor Ptolemäus neben einem Wegmeſſer in der Konſtruktion der magnetiſchen Wagen des chineſiſchen Kaiſers Tſchingwang angebracht war, machte bei Griechen und Römern die ausführlichſten Itinerarien wegen Mangels der Sicherheit in den Richtungen? (in dem Winkel mit dem Meri— dian) höchſt ungewiß. Je mehr man in der neueſten Zeit mit den indiſchen Sprachen und der altperſiſchen (dem Zend) bekannt geworden iſt, deſto mehr hat man erſtaunen müſſen, wie ein großer Teil der geographiſchen Nomenklatur des Ptolemäus als geſchicht— liches Denkmal von den Handels verbindungen zwiſchen dem Occident und den fernſten Regionen von Süd- und Mittel— aſien zu betrachten iſt.? Für eine der wichtigſten Folgen ſolcher Handelsverbindungen darf auch die richtige Anſicht der völligen Abgeſchloſſenheit des Kaſpiſchen Meeres gelten, eine Anſicht, welche die ptolemäiſche Erdkunde nach fünfhundertjährigem Irrtume wiederherſtellte. Herodot und Ariſtoteles (der letztere ſchrieb ſeine Meteorologiea glück— licherweiſe vor den aſiatiſchen Feldzügen Alexanders) hatten dieſe Abgeſchloſſenheit gekannt. Die Olbiopoliten, aus deren Munde der Vater der Geſchichte ſeine Nachrichten ſchöpfte, waren vertraut mit der nördlichen Küſte des Kaſpiſchen Meeres zwiſchen der Kuma, der Wolga (Rha) und dem Jaik (Ural). Nichts konnte dort bei ihnen die Idee eines Ausfluſſes nach dem Eismeere anregen. Ganz andere Urſachen der Täuſchung boten ſich dem Heere Alexanders dar, welches über Hekatom— pylos (Damaghan) in die feuchten Waldungen des Mazen— deran herabſtieg und das Kaſpiſche Meer bei Zadrakarta, etwas weſtlich von dem jetzigen Aſterabad, ſich endlos gegen Norden hindehnen ſah. Dieſer Anblick erzeugte, wie Plutarch in dem Leben Alexanders erzählt, zuerſt die Vermutung, das geſehene Meer ſei ein Buſen des Pontus. Die macedoniſche Expedition, im ganzen wohlthätig für die Fortſchritte der Erdkunde, führte zu einzelnen Irrtümern, die ſich lange erhalten haben. Der Tanais wurde mit dem Jaxartes (Herodots Araxes), der Kaukaſus mit dem Paropamiſus (Hindu-Khu) verwechſelt. * — 157 — Ptolemäus konnte durch ſeinen Aufenthalt in Alexandrien ſichere Nachrichten aus den Ländern, welche das Kaſpiſche Meer zunächſt umgrenzen (aus Albanien, Atropatene und Hyrkanien), wie von den Zügen der Aorſer haben, deren Kamele indiſche und babyloniſche Waren zum Don und zum Schwarzen Meere führten. Wenn er, gegen Herodots richtigere Kenntnis, die große Achſe des Kaſpiſchen Binnenmeeres von Weſten gegen Oſten gerichtet glaubte, verführte ihn vielleicht eine dunkle Kenntnis der ehemaligen großen Ausdehnung des ſkythiſchen Golfes (Karabogas) und der Exiſtenz des Aral— ſees, deſſen erſte beſtimmte Andeutung wir bei einem byzan— tiniſchen Schriftſteller, dem Menander, welcher den Agathias fortſetzte, finden. g Es iſt zu beklagen, daß Ptolemäus, der das Kaſpiſche Meer wiederum geſchloſſen, nachdem es durch die Hypotheſe von vier Meerbuſen und ſelbſt nach Reflexen in der Mond— jcheibe °° lange für geöffnet gehalten wurde, nicht die Mythe von dem unbekannten Südlande aufgegeben hat, welches das Vorgebirge Parfum mit Kattigara und Thinä, Sinarum metropolis, alſo Oſtafrika mit dem Lande der Tſin (China), verbinden ſollte. Dieſe Mythe, welche den Indiſchen Ozean zu einem Binnenmeer macht, wurzelt in Anſichten, die von Mari— nus aus Tyrus zu Hipparch und Seleucus dem Babylonier, ja ſelbſt bis zum Ariſtoteles hinaufſteigen. Es muß in dieſen kosmiſchen Schilderungen fortſchreitender Weltanſicht genügen, durch einige wenige Beiſpiele daran erinnert zu haben, wie durch lange Schwankungen im Erkennen und Wiſſen das ſchon halb Erkannte oft wieder verdunkelt wird. Je mehr durch Erweiterung der Schiffahrt und des Landhandels man glauben durfte, das Ganze der Erdgeſtaltung zu begreifen, deſto mehr verſuchte, beſonders im alexandriniſchen Zeitalter, unter den Lagiden und der römiſchen Weltherrſchaft, die nie ſchlummernde Einbildungskraft der Hellenen, in ſinnreichen Kombinationen alte Ahnungen mit neuem wirklichen Wiſſen zu verſchmelzen und die kaum entworfene Erdkarte vorſchnell zu vollenden. Wir haben bereits oben beiläufig daran erinnert, wie Claudius Ptolemäus durch ſeine Optik, welche uns die Araber, wenngleich ſehr unvollſtändig, erhalten haben, der Gründer eines Teils der mathematiſchen Phyſik geworden iſt, eines Teils, der freilich nach Theon von Alexandrien?“ in Hinſicht auf die Strahlenbrechung ſchon in der Katoptrik des Archi— medes berühmt worden war. Es iſt ein wichtiger Fortſchritt, — 158 — wenn phyſiſche Erſcheinungen, ſtatt bloß beobachtet und mit— einander verglichen zu werden, wovon wir denkwürdige Bei— ſpiele in dem griechiſchen Altertume in den inhaltreichen pſeudo— ariſtoteliſchen Problemen, in dem römiſchen Altertume bei Seneca vorfinden, willkürlich unter veränderten Bedingungen hervorgerufen?! und gemeſſen werden. Dieſes Hervorrufen und Meſſen charakteriſiert die Unterſuchungen des Ptolemäus über die Brechung der Lichtſtrahlen bei ihrem Durchgange durch Mittel ungleicher Dichtigkeit. Ptolemäus leitet die Strahlen von der Luft in Waſſer und in Glas, wie von Waſſer in Glas unter verſchiedenen Einfallswinkeln. Die Reſultate ſolcher phyſiſchen Experimente werden von ihm in Tabellen zuſammengeſtellt. Dieſe Meſſung einer abſichtlich hervorgerufenen phyſiſchen Erſcheinung, eines Naturprozeſſes, der nicht auf Bewegung von Lichtwellen reduziert iſt (Ariſto— teles nahm beim Lichte eine Bewegung des Mittels zwiſchen dem Auge und dem Geſehenen an), ſteht ganz iſoliert in dem Zeitraume, den wir hier behandeln. Es bietet derſelbe in der Erforſchung der elementaren Natur nur noch einige wenige chemiſche Arbeiten (Experimente) des Dioskorides dar und, wie ich an einem anderen Orte entwickelt habe, die techniſche Kunſt des Auffangens übergetriebener tropfbarer Flüſſigkeiten in echten Deſtillirapparaten. Da Chemie erſt dann beginnt, wenn der Menſch ſich mineraliſche Säuren, als mächtige Mittel der Löſung und Entfeſſelung der Stoffe, verſchaffen kann, fo iſt die von Alexander aus Aphrodiſias unter Cara— calla beſchriebene Deſtillation des Seewaſſers einer großen Beachtung wert. Sie bezeichnet den Weg, auf welchem man allmählich zur Kenntnis der Heterogeneität der Stoffe, ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung und gegenſeitigen Anziehungskraft gelangt iſt. In der organiſchen Naturkunde iſt neben dem Anatomen Marinus, dem Affenzergliederer Rufus von Epheſus, welcher Empfindungs- und Bewegungsnerven unterſchied, und dem alle verdunkelnden Galenus von Pergamus kein anderer Name zu nennen. Die Tiergeſchichte des Aelianus aus Präneſte, das Fiſchgedicht des Ciliciers Oppianus enthalten zerſtreute Notizen, nicht Thatſachen auf eigene Forſchung gegründet. Es iſt kaum zu begreifen, wie die Unzahl? ſeltener Tiere, welche vier Jahrhunderte im römiſchen Cirkus gemordet wur— den (Elefanten, Rhinozeros, Nilpferde, Elentiere, Löwen, Tiger, Panther, Krokodile und Strauße), für die vergleichende — 159 — Anatomie jo völlig unbenutzt blieben. Des Verdienſtes des Dioskorides um die geſamte Pflanzenkunde iſt ſchon oben ge— dacht worden; er hat einen mächtigen, langdauernden Einfluß auf die Botanik und pharmazeutiſche Chemie der Araber aus— geübt. Der botaniſche Garten des über hundert Jahre er— reichenden Arztes Antonius Caſtor zu Rom, vielleicht den botaniſchen Gärten des Theophraſt und Mithridates nachgebildet, hat den Wiſſenſchaften wahrſcheinlich nicht mehr genutzt als die Sammlung foſſiler Knochen des Kaiſers Auguſtus oder die Naturalienſammlung, die man aus ſehr ſchwachen Gründen dem geiſtreichen Apulejus von Madaura zugeſchrieben hat.““ Am Schluß der Darſtellung deſſen, was zu der Zeit römiſcher Weltherrſchaft in Erweiterung des kosmiſchen Wiſſens geleiſtet worden iſt, muß noch des großartigen Unternehmens einer Weltbeſchreibung gedacht werden, welche Cajus Pli— nius Secundus in 37 Büchern zu umfaſſen ſtrebte. Im ganzen Altertume iſt nichts Aehnliches verſucht worden; und wenn das Werk auch während ſeiner Ausführung in eine Art von Ency— klopädie der Natur und Kunſt ausartete (der Verfaſſer, in der Zueignung an den Titus, ſcheuet ſich ſelbſt nicht, den damals edleren griechiſchen Ausdruck π⁹̈ ,, gleichſam den „Inbegriff und Vollkreis allgemeiner Bildungswiſſen— ſchaften“, auf ſein Werk anzuwenden), ſo iſt es doch nicht zu leugnen, daß trotz des Mangels eines inneren Zuſammen— hanges der Teile das Ganze den Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung darbietet. Die Historia naturalis des Plinius, in der tabel— lariſchen Ueberſicht, welche jetzt das ſogenannte erſte Buch bildet, Historiae Mundi, in einem Briefe des Neffen an ſeinen Freund Macer ſchöner Naturae Historia genannt, begreift Himmel und Erde zugleich, die Lage und den Lauf der Weltkörper, die meteorologiſchen Prozeſſe des Luftkreiſes, die Oberflächengeſtaltung der Erde, alles Telluriſche, von der Pflanzendecke und den Weichgewürmen des Ozeans an bis hinauf zu dem Menſchengeſchlechte. Dieſes iſt betrachtet nach Verſchiedenheit ſeiner geiſtigen Anlagen wie in der Verherr— lichung derſelben zu den edelſten Blüten der bildenden Künſte. Ich nenne die Elemente des allgemeinen Naturwiſſens, welche in dem großen Werke faſt ungeordnet verteilt liegen. „Der Weg, den ich wandeln werde,“ ſagt Plinius mit edler Zu— verſicht zu ſich ſelbſt, „iſt unbetreten (non trita auctoribus via); keiner unter uns, keiner unter den Griechen hat unter— — 160 — nommen, einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos, qui unus omnia tractaverit). Wenn mein Unternehmen mir nicht gelingt, ſo iſt es doch etwas Schönes und Glänzendes (pulchrum atque magnificum), dergleichen verſucht zu haben.“ Es ſchwebte dem geiſtreichen Manne ein einziges großes Bild vor; aber, durch Einzelheiten zerſtreut, bei mangelnder, lebendiger Selbſtanſchauung der Natur, hat er dies Bild nicht feſtzuhalten gewußt. Die Ausführung iſt unvollkommen ge⸗ blieben, nicht etwa bloß wegen der Flüchtigkeit und oftmaligen Unkenntnis der zu behandelnden Gegenſtände (wir urteilen nach den erzerpierten Werken, welche uns noch heute zugäng⸗ lich find), als wegen der Fehler in der Anordnung. Man erkennt in dem Verfaſſer einen vielbeſchäftigten, e Mann, der ſich gern ſeiner Schlafloſigkeit und nächtlichen Arbeit rühmte, aber als Statthalter in Spanien und Ober⸗ aufſeher der Flotte in Unteritalien gewiß nur zu oft ſeinen wenig gebildeten Untergebenen das lockere Gewebe einer end⸗ loſen Kompilation anvertraute. Dies Streben nach Kompilation, d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatſachen, wie ſie das damalige Wiſſen liefern konnte, iſt an ſich keineswegs zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit, den eingeſammelten Stoff zu beherrſchen, das Naturbeſchreibende höheren, allge⸗ meineren Anſichten unterzuordnen, den Geſichtspunkt einer vergleichenden Naturkunde feſtzuhalten. Die Keime zu ſolchen höheren, nicht bloß orographiſchen, ſondern wahrhaft geognoſtiſchen Anſichten liegen in Eratoſthenes und Strabo; der erſtere wird ein einziges Mal, der zweite nie benutzt. Aus der anatomiſchen Tiergeſchichte des Ariſtoteles hat Plinius weder die auf die Hauptverſchiedenheit der inneren Organi⸗ ſation gegründete Einteilung in große Tierklaſſen, noch den Sinn für die allein ſichere Induktionsmethode in Verall⸗ gemeinerung der Reſultate zu ſchöpfen gewußt. Mit pantheiſtiſchen Betrachtungen anhebend, ſteigt Pli⸗ nius aus den Himmelsräumen zum Irdiſchen herab. Wie er die Notwendigkeit anerkennt, der Natur Kräfte und Herrlich⸗ keit (naturae vis atque majestas) als ein großes und zu⸗ ſammenwirkendes Ganzes darzuſtellen (ich erinnere an das Motto auf dem Titel meiner Schrift), ſo unterſcheidet er auch, im Eingange des dritten Buches, generelle und ſpezielle Erd⸗ kunde; aber dieſer Unterſchied wird bald wieder vernachläſſigt, — 161 — wenn er ſich in die dürre Nomenklatur von Ländern, Bergen und Flüſſen verſenkt. Den größeren Teil der Bücher VIII bis XXVII, XXXXIII und XXXIV, XXXVI und XXXVII füllen Verzeichniſſe aus den drei Reichen der Natur aus. Der jüngere Plinius charakteriſiert in einem ſeiner Briefe die Arbeit des Oheims ſehr richtig als ein „inhaltſchweres und gelehrtes Werk, das nicht minder mannigfaltig als die Natur ſelbſt iſt (opus diffusum, eruditum, nec minus varium quam ipsa natura).“ Manches, das dem Plinius zum Vor— wurf gemacht worden iſt, als wäre es eine unnötige und zu fremdartige Einmiſchung, bin ich geneigt, hier lobend hervor— zuheben. Es ſcheint mir beſonders erfreulich, daß er ſo oft und immer mit Vorliebe an den Einfluß erinnert, welchen die Natur auf die Geſittung und geiſtige Entwickelung der Menſchheit ausgeübt hat. Nur die Anknüpfungspunkte ſind ſelten glücklich gewählt (VII, 24— 47, XXV, 2; XXVI, I; XXXV, 2; XXXVI, 2-4; XXXVII, 1). Die Natur der Mineral- und Pflanzenſtoffe z. B. führt zu einem Fragmente aus der Geſchichte der bildenden Künſte, einem Fragmente, das für den heutigen Stand unſeres Wiſſens freilich wichtiger geworden iſt als faſt alles, was wir von beſchreibender Natur— geſchichte aus dem Werke ſchöpfen können. Der Stil des Plinius hat mehr Geiſt und Leben als eigentliche Größe; er iſt ſelten maleriſch bezeichnend. Man fühlt, daß der Verfaſſer ſeine Eindrücke nicht aus der freien Natur, ſo viel er auch dieſe unter ſehr verſchiedenen Himmels— ſtrichen genoſſen, ſondern aus Büchern geſchöpft hat. Eine ernſte, trübe Färbung iſt über das Ganze ausgegoſſen. In dieſe ſentimentale Stimmung iſt Bitterkeit gemiſcht, ſo oft die Zuſtände des Menſchengeſchlechtes und ſeine Beſtimmung berührt werden. Faſt wie in Cicero“, doch in minderer Ein— fachheit der Diktion, wird dann als aufrichtend und tröſtlich geſchildert der Blick in das große Weltganze der Natur. Der Schluß der Historia naturalis des Plinius, des größten römiſchen Denkmals, welches der Litteratur des Mittelalters vererbt wurde, iſt in dem echten Geiſte einer Weltbeſchreibung abgefaßt. Er enthält, wie wir ihn erſt ſeit 1831 kennen!“, einen Blick auf die vergleichende Naturgeſchichte der Länder in verſchiedenen Zonen, das Lob des ſüdlichen Europas zwiſchen den natürlichen Grenzen des Mittelmeeres und der Alpenkette, das Lob des heſperiſchen Himmels, „wo Mäßigung und ſanfte Milde des Klimas (ein Dogma der A. v. Humboldt, Kosmos. II. 11 1 Ko älteſten Pythagoreer) früh die Entwilderung der Menjchheit beſchleunigt“ hätten. Der Einfluß der Römerherrſchaft als ein fortwirkend einigendes und verſchmelzendes Element hat in einer Ge— ſchichte der Weltanſchauung um jo ausführlicher und kräftiger bezeichnet werden dürfen, als dieſer Einfluß, ſelbſt zu einer Zeit, wo die Einigung lockerer gemacht, ja durch den Sturm einbrechender Barbaren zerſtört wurde, bis in ſeine entfernten Folgen erkannt werden kann. Noch ſingt Claudian, der zu einer trüben und ſpäten Zeit, unter Theodoſius dem Großen und deſſen Söhnen, im Verfall der Litteratur mit neuer dichteriſcher Produktivität auftritt, freilich nur zu lobend, von der Herrſchaft der Römer: Haec est, in gremium victos quae sola recepit, Humanumque genus communi nomine fovit, Matris, non dominae, ritu; civesque vocavit Quos domuit, nexuque pio longinqua revinxit. Hujus pacificis debemus moribus omnes Quod veluti patriis regionibus utitur hospes ... Aeußere Mittel des Zwanges, kunſtreiche Staatsver— faſſungen, eine lange Gewohnheit der Knechtſchaft konnten freilich einigen, ſie konnten das vereinzelte Daſein der Völker aufheben, aber das Gefühl von der Gemeinſchaft und Einheit des ganzen Menſchengeſchlechtes, von der gleichen Berechtigung aller Teile desſelben hat einen edleren Urſprung. Es iſt in den inneren Antrieben des Gemütes und religiöſer Ueber— zeugungen gegründet. Das Chriſtentum hat hauptſächlich dazu beigetragen, den Begriff der Einheit des Menſchengeſchlechtes hervorzurufen; es hat dadurch auf die „Vermenſchlichung“ der Völker in ihren Sitten und Einrichtungen wohlthätig gewirkt. Tief mit den früheſten chriſtlichen Dogmen verwebt, hat der Begriff der Humanität ſich aber nur langſam Geltung ver— ſchaffen können, da zu der Zeit, als der neue Glaube aus politiſchen Motiven in Byzanz zur Staatsreligion erhoben wurde, die Anhänger desſelben bereits in elenden Parteiſtreit verwickelt, der ferne Verkehr der Völker gehemmt und die Fundamente des Reiches mannigfach durch äußere Angriffe erſchüttert waren. Selbſt die perſönliche Freiheit ganzer Menſchenklaſſen hat lange in den chriſtlichen Staaten, bei geiſtlichen Grundbeſitzern und Korporationen, keinen Schutz gefunden. — 163 — Solche unnatürliche Hemmungen, und viele andere, welche dem geiſtigen Fortſchreiten der Menſchheit wie der Veredelung des geſellſchaftlichen Zuſtandes im Wege ſtehen, werden all— mählich verſchwinden. Das Prinzip der individuellen und der politiſchen Freiheit iſt in der unvertilgbaren Ueberzeugung ge— wurzelt von der gleichen Berechtigung des einigen Menſchen— geſchlechtes. So tritt dieſes, wie ſchon an einem anderen Orte geſagt worden iſt, „als ein großer verbrüderter Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes (der freien Entwicke— lung innerlicher Kraft) beſtehendes Ganze“ auf. Dieſe Betrachtung der Humanität, des bald gehemmten, bald mächtig fortſchreitenden Strebens nach derſelben (keineswegs die Erfindung einer neueren Zeit!) gehört durch die Allgemein— heit ihrer Richtung recht eigentlich zu dem, was das kos— miſche Leben erhöht und begeiſtigt. In der Schilderung einer großen welthiſtoriſchen Epoche, der der Herrſchaft der Römer, ihrer Geſetzgebung und der Entſtehung des Chriſten— tums, mußte vor allem daran erinnert werden, wie dieſelbe die Anſichten des Menſchengeſchlechtes erweitert und einen milden, langdauernden, wenngleich langſam wirkenden Einfluß auf Intelligenz und Geſittung ausgeübt hat. 1 Einfall der Araber. — Geiſtige Bildfamkeit dieſes Teils des ſemitiſchen Volksſtammes. — Einfluß eines fremdartigen Elements auf den Ent- wickelungsgang europäiſcher Kultur. — Eigentümlichkeit des National charakters der Araber. — Hang zum Verkehr mit der Uatur und ihren Kräften. — Arzneimittellehre und Chemie. — Erweiterung der phyſiſchen Erdkunde im Inneren der Kontinente, der Aſtronomie und der mathe— matiſchen Wiſſenſchaften. Wir haben in dem Entwurf einer Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, d. h. in der Darſtellung der ſich allmählich entwickelnden Erkenntnis von einem Weltganzen, bereits vier Hauptmomente aufgezählt. Es ſind: die Verſuche, aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Oſten nach dem Pontus und Phaſis, gegen Süden nach Ophir und den tro— piſchen Goldländern, gegen Weſten durch die Herkulesſäulen in den „alles umſtrömenden Oceanus“ vorzudringen; der macedoniſche Feldzug unter Alexander dem Großen, das Zeit— alter der Lagiden und die römiſche Weltherrſchaft. Wir laſſen nun folgen den mächtigen Einfluß, welchen die Araber, ein fremdartiges Element europäiſcher Civiliſation, und ſechs bis ſieben Jahrhunderte ſpäter die maritimen Entdeckungen der Portugieſen und Spanier auf das allgemeine phyſiſche und mathematiſche Naturwiſſen, auf Kenntnis der Erd- und Him- melsräume, ihrer meßbaren Geſtaltung, der Heterogeneität der Stoffe und der ihnen inwohnenden Kräfte ausgeübt haben. Die Entdeckung und Durchforſchung des neuen Kontinents, ſeiner vulkanreichen Kordilleren, ſeiner Hochebenen, in denen gleichſam die Klimate übereinander gelagert ſind, ſeiner in 120 Breitengraden entfalteten Pflanzendecke bezeichnet unſtreitig die Periode, wo dem menſchlichen Geiſte in dem kürzeſten Zeitraum die größte Fülle neuer phyſiſcher Wahrnehmungen dargeboten wurde. — 165 — Von da an iſt die Erweiterung des kosmiſchen Wiſſens nicht an einzelne politiſche, räumlich wirkende Begebenheiten zu knüpfen. Die Intelligenz bringt fortan Großes hervor aus eigener Kraft, nicht durch einzelne äußere Ereigniſſe vor— zugsweiſe angeregt. Sie wirkt in vielen Richtungen gleich— zeitig, ſchafft durch neue Gedankenverbindung ſich neue Organe, um das zarte Gewebe des Tier- und Pflanzenbaues als Sub— ſtrat des Lebens, wie die weiten Himmelsräume zu durch— ſpähen. So erſcheint das ganze 17. Jahrhundert, glänzend eröffnet durch die große Erfindung des Fernrohres, wie durch die nächſten Früchte dieſer Erfindung: von Galileis Entdeckung der Jupiterstrabanten, der ſichelförmigen Geſtalt der Venus— ſcheibe und der Sonnenflecken an bis zu Iſaak Newtons Gravitationstheorie, als die wichtigſte Epoche einer neuge— ſchaffenen phyſiſchen Aſtronomie. Es zeigt ſich hier noch einmal, durch Einheit der Beſtrebungen in der Beobachtung des Himmels und der mathematiſchen Forſchung hervorgerufen, ein ſcharf bezeichneter Abſchnitt in dem großen, von nun an ununterbrochen fortlaufenden Prozeſſe intellektueller Ent— wickelung. Unſeren Zeiten näher wird das Herausheben einzelner Momente um ſo ſchwieriger, als die menſchliche Thätigkeit ſich vielſeitiger bewegt und als mit einer neuen Ordnung in den geſelligen und ſtaatlichen Verhältniſſen auch ein engeres Band alle wiſſenſchaftlichen Richtungen umſchließt. In den einzelnen Disziplinen, deren Entwickelung eine Geſchichte der phyſiſchen Wiſſenſchaften darſtellt, in der Chemie und der beſchreibenden Botanik, iſt es möglich, bis in die neueſte Zeit Perioden zu iſolieren, in denen die Fortſchritte am größten waren oder plötzlich neue Anſichten herrſchend wurden; aber in der Geſchichte der Weltanſchauung, welche ihrem Weſen nach der Geſchichte der einzelnen Dis— ziplinen nur das entlehnen ſoll, was am unmittelbarſten ſich auf die Erweiterung des Begriffes vom Kosmos als einem Naturganzen bezieht, wird das Anknüpfen an beſtimmte Epochen ſchon darum gefahrvoll und unthunlich, weil das, was wir eben einen intellektuellen Entwickelungsprozeß nann— ten, ein ununterbrochenes gleichzeitiges Fortſchreiten in allen Sphären des kosmiſchen Wiſſens vorausſetzt. An dem wich— tigen Scheidepunkte angelangt, wo nach dem Untergange der römiſchen Weltherrſchaft ein neues, fremdartiges Element der Bildung ſich offenbart, wo unſer Kontinent dasſelbe zum — 16 — erſtenmal unmittelbar aus einem Tropenlande empfängt, ſchien es mir nützlich, einen allgemeinen überſichtlichen Blick auf den Weg zu werfen, welcher noch zu durchlaufen übrig iſt. Die Araber, ein ſemitiſcher Urſtamm, verſcheuchen teil— weiſe die Barbarei, welche das von Völkerſtürmen erſchütterte Europa bereits ſeit zwei Jahrhunderten bedeckt hat. Sie führen zurück zu den ewigen Quellen griechiſcher Philoſophie; ſie tragen nicht bloß dazu bei, die wiſſenſchaftliche Kultur zu erhalten, ſie erweitern ſie und eröffnen der Naturforſchung neue Wege. In unſerem Kontinent begann die Erſchütterung erſt, als unter Valentinian T. die Hunnen (finniſchen, nicht mongoliſchen Urſprunges?“) in dem letzten Viertel des 4. Jahr— hunderts über den Don vordrangen und die Alanen, ſpäter mit dieſen die Oſtgoten bedrängten. Fern im öſtlichen Aſien war der Strom wandernder Völker in Bewegung geſetzt mehrere Jahrhunderte früher, als unſere Zeitrechnung beginnt. Den erſten Anſtoß zur Bewegung gab, wie wir ſchon früher erinnert, der Anfall der Hiungnu (eines türkiſchen Stammes) auf das blonde und blauäugige, vielleicht indogermaniſche Volk der Uſün, die, an die Yueti (Geten?) grenzend, im oberen Flußthal des Hoangho im nordweſtlichen China wohnten. Der verheerende Völkerſtrom, fortgepflanzt von der gegen die Hiungnu (214 vor Chr.) errichteten großen Mauer bis in das weſtliche Europa, bewegte ſich durch Mittelaſien, nördlich von der Kette des Himmelsgebirges. Kein Religionseifer be— ſeelte dieſe aſiatiſchen Horden, ehe ſie Europa berührten, ja man hat beſtimmt erwieſen, daß die Mongolen noch nicht Buddhiſten ?“ waren, als ſie ſiegreich bis nach Polen und Schleſien vordrangen. Ganz andere Verhältniſſe gaben dem kriegeriſchen Ausbruch eines ſüdlichen Volkes, der Araber, einen eigentümlichen Charakter. In dem wenig gegliederten Kontinent von Aſien dehnt ſich, ausgezeichnet durch ſeine Form, als ein merkwürdig ab— geſondertes Glied, die Arabiſche Halbinſel zwiſchen dem Roten Meere und dem Perſiſchen Meerbuſen, zwiſchen dem Euphrat und dem Syriſch-Mittelländiſchen Meere hin. Es iſt die weſtlichſte der drei Halbinſeln von Südaſien, und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäiſchen Meeresbecken bietet ihr große Vorteile ſowohl der politiſchen Weltſtellung als des Handels dar. In dem mittleren Teile der Arabiſchen Halbinſel lebte das Volk des Hedſchaz, ein edler, kräftiger Menſchenſtamm, unwiſſend, aber nicht roh, phantaſiereich und doch der ſorgfältigen Beob— 1.2 achtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, jahrtauſendelang faſt ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtenteils nomadiſch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete ſich durch geiſtigen Kontakt mit den Bewohnern alter Kulturſitze, bekehrte und herrſchte von den Herkulesſäulen bis zum Indus, bis zu dem Punkte, wo die Bolorkette den Hindu-Khu durchſchneidet. Schon ſeit der Mitte des 9. Jahrhunders unterhielt es Handelsverkehr gleich— zeitig mit den Nordländern Europas und Madagaskar, mit Oſtafrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indiſche Zahlen, gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiöſen Glauben zuſammengehaltenen Länderverband. Oft bei dieſen Zügen wurden große Provinzen nur vorüber— gehend durchſtreift. Der ſchwärmende Haufe, von den Ein— geborenen bedroht, lagerte ſich (ſo ſagt die einheimiſche Natur— dichtung) „wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerſtreut“. Eine lebensreichere Erſcheinung hat keine andere Völkerwan— derung dargeboten, und die dem Islam ſcheinbar inwohnende geiſtbedrückende Kraft hat ſich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabiſchen Herrſchaft als bei den türkiſchen Stämmen gezeigt. Religiöſe Verfolgung war hier wie überall (auch unter chriſtlichen Völkern) mehr Wirkung eines ſchranken— loſen dogmatiſierenden Deſpotismus? als Wirkung der ur— ſprünglichen Glaubenslehre, der religiöſen Anſchauung der Nation. Die Strenge des Korans iſt vorzugsweiſe gegen Ab— götterei und den Götzendienſt aramäiſcher Stämme gerichtet. Da das Leben der Völker außer den inneren geiſtigen Anlagen durch viele äußere Bedingniſſe des Bodens, des Klimas und der Meeresnähe beſtimmt wird, ſo muß hier zu— vörderſt an die ungleichartige Geſtaltung der Arabiſchen Halb— inſel erinnert werden. Wenn auch der erſte Impuls zu den großen Veränderungen, welche die Araber in drei Kontinenten hervorgebracht haben, von dem ismaelitiſchen Hedſchaz ausging und ſeine hauptſächlichſte Kraft einem einſamen Hirtenſtamme verdankte, ſo iſt doch der übrige Teil der Halbinſel an ſeinen Küſten ſeit Tauſenden von Jahren nicht von dem übrigen Weltverkehr abgeſchnitten geblieben. Um den Zuſammenhang und die Möglichkeit großer und ſeltſamer Ereigniſſe einzuſehen, muß man zu den Urſachen aufſteigen, welche dieſelben all— mählich vorbereitet haben. Gegen Südweſten, am Erythräiſchen Meere, liegt das — 168 — ſchöne Land der Joktaniden,““ emen, fruchtbar und acker— bauend, der alte Kulturſitz von Saba. Es erzeugt Weihrauch (lebonah der Hebräer, vielleicht Boswellia thurifera, Colebr. '"°), Myrrhe (eine Amyxisart, von Ehrenberg zuerſt genau beſchrie— ben) und den ſogenannten Mekkabalſam (Balsamodendron gileadense, Kunth), Gegenſtände eines wichtigen Handels der 9 achbarvölker, verführt zu den Aegyptern, Perſern und Indern wie zu den Griechen und Römern. Auf dieſe Erzeugniſſe gründet ſich die geographiſche Benennung des „glücklichen Arabiens“, welche wir zuerſt bei Diodor und Strabo finden. Im Südoſten der Halbinſel, am Perſiſchen Meerbuſen, lag Gerrha, den phöniziſchen Niederlaſſungen von Aradus und Tylus gegenüber, ein wichtiger Stapelplatz des Verkehrs mit indiſchen Waren. Wenngleich faſt das ganze Innere des ara— biſchen Landes eine baumloſe Sandwüſte zu nennen iſt, ſo findet ſich doch in Oman (zwiſchen Jailan und Batna) eine ganze Reihe wohl kultivierter, durch unterirdiſche Kanäle bes wäſſerter Oaſen; ja der Thätigkeit des verdienſtvollen Reiſen— den Wellſtedt verdanken wir die Kenntnis dreier Gebirgsketten, deren höchiter, waldbedeckter Gipfel, Dſchebel Akhdar, ſich bis 6000 Fuß (1950 m) Höhe über dem Meeresſpiegel bei Maskat erhebt. Auch in dem Berglande von Yemen öſtlich von Loheia und in der Küſtenkette von Hedſchaz, in Aſyr, wie öſtlich von Mekka bei Tayef, befinden ſich Hochebenen, deren perpetuierlich niedrige Temperatur ſchon dem Geographen Edriſi bekannt war. Dieſelbe Mannigfaltigkeit der Gebirgslandſchaft charak— teriſiert die Halbinſel Sinai, das Kupferland der Aegypter des alten Reiches (vor der Hykſoszeit), und die Felsthäler von Petra. Der phöniziſchen Handelsniederlaſſungen an dem nördlichſten Teile des Roten Meeres und der Hiram-Salomo— niſchen Ophirfahrt, die von Ezion-Geber ausging, habe ich bereits an einem anderen Orte erwähnt. Arabien und die von indiſchen Anſiedlern bewohnte nahe Inſel Sokotora (die Inſel des Dioskorides) waren Mittelglieder des Welthandels N Indien und der Oſtküſte von Afrika. Die Produkte dieſer Länder wurden gemeinhin mit denen von Hadhramaut und Yemen verwechſelt. „Aus Saba werden ſie kommen“ (die Dromedare von Midian), ſingt der Prophet Jeſaias, „wer— den Gold und Weihrauch bringen.“ Petra war der Stapel— platz koſtbarer Waren, für Tyrus und Sidon beſtimmt, ein Hauptſitz des einſt ſo mächtigen Handelsvolkes der Nabatäer, . — 169 — denen der Sprachgelehrte Quatremere als urſprünglichen Wohn— ſitz die Gerrhäergebirge am unteren Euphrat anweiſt. Dieſer nördliche Teil von Arabien iſt vorzugsweiſe durch die Nähe von Aegypten, durch die Verbreitung arabiſcher Stämme in dem ſyriſch-paläſtiniſchen Grenzgebirge und den Euphratländern, wie durch die berühmte mene von Damaskus über Emeſa und Tadmor (Palmyra) nach Babylon in belebendem Kontakt mit anderen Kulturſtaaten geweſen. Mohammed ſelbſt, entſproſſen aus einem vornehmen, aber verarmten Geſchlecht des Koreiſchitenſtammes, hatte, ehe er als inſpirierter Prophet und Reformator auftrat, in Handelsgeſchäften die Warenmeſſe von Basra an der ſyriſchen Grenze, die in Hadhramaut dem Weihrauchlande, und am meiſten die zwanzigtägige von Okadh bei Mekka beſucht, wo Dichter, meiſt Beduinen, ſich alljährlich zu lyriſchen Kampfſpielen verſammelten. Wir berühren dieſe Einzelheiten des Verkehrs und ſeiner Veranlaſſung, um ein lebendigeres Bild von dem zu geben, was vorbereitend auf eine Weltveränderung wirkte. Die Verbreitung der arabiſchen Bevölkerung gegen Norden erinnert zunächſt an zwei Begebenheiten, deren nähere Ver— hältniſſe freilich noch in Dunkel gehüllt ſind, welche aber doch dafür zeugen, daß ſchon Jahrtauſende vor Mohammed die Bewohner der Halbinſel ſich durch Ausfälle nach Weſten und Oſten, gegen Aegypten und den Euphrat hin, in die großen Welthändel gemiſcht hatten. Die ſemitiſche und aramäiſche Abſtammung der Hykſos, welche unter der zwölften Dynaſtie, 2200 Jahre vor unſerer Zeitrechnung, dem alten Reiche ein Ende machten, wird jetzt faſt allgemein von Geſchichtsforſchern angenommen. Auch Manetho ſagt: „Einige behaupten, daß dieſe Hirten Araber waren.“ In anderen Quellen werden ſie Phönizier genannt, ein Name, der im Altertume auf die Bewohner des . und auf alle arabiſchen Stämme ausgedehnt wird. Der ſcharfſinnige Ewald gedenkt beſonders der Amaleliter (Amalekäer), welche urſprünglich in Yemen wohnten, dann über Mekta und Medina ſich nach Kanaan verbreiteten, und in arabiſchen Urkunden als zu Joſephs Zeit über Aegypten herrſchend genannt werden.!“ Auffallend iſt es immer, wie die nomadiſchen Stämme der Hykſos das mäch- tige, wohleingerichtete alte Reich der Aegypter haben überwäl— tigen können. Freier geſinnte Menſchen traten glücklich gegen die an lange Knechtſchaft gewöhnten auf, und doch waren die ſiegreichen arabiſchen Einwanderer damals nicht, wie in neuerer Zeit, durch religiöſe Begeiſterung aufgeregt. Aus Furcht vor den Aſſyrern (Stämmen von Arpachſchad) gründeten die Hykſos den Waffenplatz und die Feſte Avaris am öſtlichen Nilarme. Vielleicht deutet dieſer Umſtand auf nachdringende Kriegs— ſcharen, auf eine große gegen Weſten gerichtete Völkerwan— derung. Eine zweite, wohl um tauſend Jahre ſpätere Begeben— heit iſt die, welche Diodor dem Kteſias nacherzählt. Ariäus, ein mächtiger Himyaritenfürſt, wird Bundesgenoſſe des Ninus am Tigris, ſchlägt mit ihm die Babylonier und kehrt mit eu Beute beladen in ſeine Heimat, das ſüdliche Arabien, zurück. War im ganzen das freie Hirtenleben das herrſchende im Hedſchaz, war es das Leben einer großen und kräftigen Volkszahl, ſo wurden doch auch dort die Städte Medina und Mekka (letztere mit ihrem uralten rätſelhaften Tempelheiligtum, der Kaaba) als anſehnliche, von fremden Nationen beſuchte Orte bezeichnet. In Gegenden, welche den Küſten oder den Karawanenſtraßen, die wie Flußthäler wirken, nahe lagen, herrſchte wohl nirgends die völlige, rohe Wildheit, welche die Abgeſchloſſenheit erzeugt. Schon Gibbon, der die menſchlichen Zuſtände immer ſo klar auffaßt, erinnert daran, wie in der Arabiſchen Halbinſel das Nomadenleben ſich weſentlich von dem unterſcheidet, welches Herodot und Hippokrates in dem ſogenannten Skythenlande beſchreiben, weil in dieſem kein Teil des Hirtenvolkes ſich je in Städten angeſiedelt hat, während auf der großen Arabiſchen Halbinſel das Landvolk noch jetzt mit den Städtebewohnern verkehrt, die es von gleicher urſprüng— licher Abkunft mit ſich ſelbſt hält. In der Kirgiſenſteppe, einem Teile der Ebenen, welche die alten Skythen (Skoloten und Saker) bewohnten, hat es auf einem Raume, der an Flächeninhalt Deutſchland übertrifft, ſeit & Jahrtauſenden nie eine Stadt gegeben; und doch überſtieg, zur Zeit meiner ſibi— riſchen Reiſe, die Zahl der Zelte (Murten oder Kibitken) in den drei Wanderhorden noch 400000, was ein Nomaden— volk von zwei Millionen andeutet. Wie ſehr ſolche Kontraſte der größeren oder minderen Abgeſ chloſſenheit des Hirtenlebens (ſelbſt wenn man gleiche innere Anlagen vorausſetzen will) auf die geiſtige Bildſamkeit wirken, bedarf hier keiner umſtänd— licheren Entwickelung. Bei dem edeln, von der Natur begünſtigten Stamme der Araber machen gleichzeitig die inneren Anlagen zu geiſtiger Bildſamkeit, die von uns angedeuteten Verhältniſſe der natür— N lichen Beſchaffenheit des Landes und der alte Handelsverkehr der Küſten mit hochkultivierten Nachbarſtaaten erklärlich, wie der Einbruch nach Syrien und Perſien und ſpäter der Beſitz von Aegypten ſo ſchnell Liebe zu den Wiſſenſchaften und Hang zu eigener Forſchung in den Siegern erwecken konnten. In den wunderſamen Beſtimmungen der Weltordnung lag es, daß die chriſtliche Sekte der Neſtorianer, welche einen ſehr wichtigen Einfluß auf die räumliche Verbreitung der Kenntniſſe ausgeübt hat, auch den Arabern, ehe dieſe nach dem vielge— lehrten und ſtreitſüchtigen Alexandrien kamen, nützlich wurde, ja daß der chriſtliche Neſtorianismus unter dem Schutze des bewaffneten Islam tief in das öſtliche Aſien dringen konnte. Die Araber wurden nämlich mit der griechiſchen Litteratur erſt durch die Syrer, einen ihnen verwandten ſemitiſchen Stamm, bekannt, während die Syrer ſelbſt, kaum anderthalb Jahrhunderte früher, die Kenntnis der griechiſchen Litteratur erſt durch die verketzerten Neſtorianer empfangen hatten. Aerzte, die in den Lehranſtalten der Griechen und auf der berühmten von den neſtorianiſchen Chriſten zu Edeſſa in Meſopotamien geſtifteten mediziniſchen Schule gebildet waren, lebten ſchon zu Mohammeds Zeiten, mit dieſem und mit Abu-Bekr be— freundet, in Mekka. Die Schule von Edeſſa, ein Vorbild der Benediktiner— ſchulen von Monte Caſſino und Salerno, erweckte die natur— wiſſenſchaftliche Unterſuchung der Heilſtoffe aus dem Mi— neral- und Pflanzenreiche. Als durch chriſtlichen Fanatismus unter Zeno dem Iſaurier ſie aufgelöſt wurde, zerſtreuten ſich die Neſtorianer nach Perſien, wo ſie bald eine politiſche Wichtigkeit erlangten und ein neues, vielbeſuchtes mediziniſches Inſtitut zu Dſchondiſapur in Khuſiſtan ſtifteten. Es gelang ihnen, ihre Kenntniſſe und ihren Glauben gegen die Mitte des 7. Jahrhunderts bis nach China unter der Dynaſtie der Thang zu verbreiten, 572 Jahre nachdem der Buddhismus dort aus Indien eingedrungen war. Der Same abendländiſcher Kultur, in Perſien durch gelehrte Mönche und durch die von Juſtinian verfolgten Philo— ſophen der letzten platoniſchen Schule von Athen ausgeſtreut, hatte einen wohlthätigen Einfluß auf die Araber während ihrer erſten aſiatiſchen Feldzüge ausgeübt. So ſchwach auch die Kenntniſſe der neſtorianiſchen Prieſter mögen geweſen ſein, konnten ſie doch, ihrer eigentümlich mediziniſch-pharmazeutiſchen Richtung nach, anregend auf einen Menſchenſtamm wirken, — 172 — der lange im Genuß der freien Natur gelebt und einen friſcheren Sinn für jede Art der Naturanſchauung bewahrte als die griechiſchen und italieniſchen Städtebewohner. Was der Epoche der Araber die kosmiſche Wichtigkeit gibt, die wir hier hervorheben i hängt großenteils mit dem eben bezeichneten Zuge ihres Nationalcharakters zuſammen. Die Araber ſind, wir wiederholen es, als die eigentlichen Gründer der phyſiſchen Wiſſenſchaften zu betrachten, in der Be— deutung des Wortes, welche wir ihm jetzt zu geben gewohnt ſind. Allerdings iſt in der Gedankenwelt, bei der inneren Ver— kettung alles Gedachten, ein abſoluter Anfang ſchwer an einen beſtimmten Zeitabſchnitt zu knüpfen. Einzelne Lichtpunkte des Wiſſens, wie der Prozeſſe, durch die das Wiſſen erlangt werden kann, zeigen 10 5 frühe zerſtreut. Wie weit iſt nicht Dios— torides, welcher O Queckſilber aus dem Zinnober übertrieb, vom arabiſchen Chemiker Dſcheber, wie weit iſt Ptolemäus als Optiker von Alhazen getrennt! Aber die Gründung der phy— ſiſchen Disziplinen, der Naturwiſſenſchaften ſelbſt, hebt da erſt an, wo auf neu geöffneten Wegen zugleich von vielen, wenn auch mit ungleichem Erfolge, fortgeſchritten wird. Nach der bloßen Natur beſchauung, nach dem Beobachten der Er— ſcheinungen, die ſich in den irdiſchen und himmliſchen Räumen zufällig dem Auge darbieten, kommt das Erforſchen, das Aufſuchen des V Vorhandene, das Meſſen von Größe und Dauer der Bewegung. Die früheſte Epoche einer ſolchen, doch aber meiſt auf das Organiſche beſchränkten Natur⸗ forſchung iſt die des Ariſtoteles geweſen. Es bleibt eine dritte und höhere Stufe übrig in der fortſchreitenden Kennt— nis phyſiſcher Erſcheinungen, die Ergründung der Naturkräfte; die des Werdens, bei dem dieſe Kräfte wirken, die der Stoffe ſelbſt, die entfeſſelt werden, um neue Verbindungen einzugehen. Das Mittel, welches zu dieſer Entfeſſelung führt, iſt das willkürliche Hervorrufen von Erſcheinungen, das Erperi- mentieren. Auf dieſe letzte, in dem Altertum faſt ganz unbetretene Stufe haben ſich vorzugsweiſe im großen d die Araber erhoben. Sie gehörten einem Lande an, das ganz des Palmen- und zur größeren Hälfte des Tropenklimas genießt (der Wende— kreis des Krebſes durchſchneidet die Halbinſel ungefähr von Maskat nach Mekka hin), alſo einer Weltgegend, in der bei erhöhter Lebenskraft der Organe das Pflanzenreich eine Fülle von Aromen, von balſamiſchen Säften, dem Menſchen wohl— — 13 — thätigen oder gefahrdrohenden Stoffen liefert. Früh mußte daher die Aufmerkſamkeit des Volkes auf die Erzeugniſſe des heimiſchen Bodens und der durch Handel erreichbaren mala bariſchen, ceyloniſchen und oſtafrikaniſchen Küſten gerichtet ſein. In dieſen Teilen der heißen Zone „individualiſieren“ ſich die organiſchen Geſtalten in den kleinſten Erdräumen. Jeder der— ſelben bietet eigentümliche Erzeugniſſe dar und vervielfältigt durch ſtete Anregung zum Beobachten den Verkehr des Men— ſchen mit der Natur. Es kam darauf an, ſo koſtbare, der Medizin, den Gewerben, dem Luxus der Tempel und Paläſte wichtige Waren ſorgfältig voneinander zu unterſcheiden und ihrem, oft mit gewinnſüchtiger Liſt verheimlichten Vaterlande nachzuſpüren. Ausgehend von dem Stapelplatze Gerrha am Perſiſchen Meerbuſen und aus dem Weihrauchdiſtrikte von Demen, durchſtrichen zahlreiche Karawanenſtraßen das ganze Innere der Arabiſchen Halbinſel bis Phönizien und Syrien, und die Namen jener kräftigen Naturprodukte, wie das Intereſſe für dieſelben, wurden überall verbreitet. Die Arzneimittellehre, gegründet von Dioskorides in der alexandriniſchen Schule, iſt ihrer wiſſenſchaftlichen Aus— bildung nach eine Schöpfung der Araber, denen jedoch eine reiche Quelle der Belehrung und die älteſte von allen, die der indischen Aerzte, ſchon früher geöffnet war.!“ Die chemiſche Apothekerkunſt iſt von den Arabern geſchaffen worden, und die erſten obrigkeitlichen Vorſchriften über Bereitung der Arznei— mittel, die jetzt ſogenannten Dispenſatorien, ſind von ihnen ausgegangen. Sie wurden ſpäter von der ſalernitaniſchen Schule durch das ſüdliche Europa verbreitet. Pharmazie und Materia medica, die erſten Bedürfniſſe der praktiſchen Heil— kunſt, leiteten nach zwei Richtungen gleichzeitig zum Studium der Botanik und zu dem der Chemie. Aus den engen Kreiſen der Nützlichkeit und einſeitiger Anwendung gelangte die Pflanzenkunde allmählich in ein weiteres und freieres Feld; ſie erforſchte die Struktur des organiſchen Gewebes, die Ver— bindung der Struktur mit den Kräften, die Geſetze, nach welchen die Pflanzenformen familienweiſe auftreten und ſich geographiſch nach Verſchiedenheit der Klimate und Höhen über den Erdboden verteilen. Seit den aſiatiſchen Eroberungen, für deren Erhaltung ſpäter Bagdad ein Centralpunkt der Macht und der Kultur wurde, bewegten ſich die Araber in dem kurzen Zeitraum von 70 Jahren über Aegypten, Cyrene und Karthago durch das — 174 — ganze nördliche Afrika bis zu der fernſten Iberiſchen Halbinſel. Der geringe Bildungszuſtand des Volkes und ſeiner Heer— führer konnte allerdings jeglichen Ausbruch wilder Noheit vermuten laſſen, aber die Mythe von der Verbrennung der alexandriniſchen Bibliothek durch Amru (das ſechsmonatliche Heizen von 4000 Badſtuben) beruht auf dem alleinigen Zeug— nis von zwei Schriftſtellern, welche 580 Jahre ſpäter lebten, als die Begebenheit ſich ſoll zugetragen haben. Wie in fried— licheren Zeiten, doch ohne daß die geiſtige Kultur der ganzen Volksmaſſe einen freien Aufſchwung hätte gewinnen können in der glanzvollen Epoche von Almanſur, Harun Alraſchid, Mamun und Motaſem, die Höfe der Fürſten und die öffent— lichen wiſſenſchaftlichen Inſtitute eine große Zahl der ausgezeichnetſten Männer vereinigen konnten, bedarf hier keiner beſonderen Entwickelung. Es gilt nicht, in dieſen Blättern eine Charakteriſtik der ſo ausgedehnten und in ihrer Mannigfaltig— keit ſo ungleichartigen arabiſchen Litteratur zu geben, oder zu unterſcheiden, was in den verborgenen Tiefen der Organi— ſation eines Menſchenſtammes und der Naturentfaltung ſeiner Anlagen, was in äußeren Anregungen und zufälligen Beding— niſſen gegründet iſt. Die Löſung dieſer wichtigen Aufgabe gehört einer anderen Sphäre der Ideen an. Unſere hiſto— riſchen Betrachtungen ſind auf eine fragmentariſche Herzählung deſſen beſchränkt, was in mathematiſchen, aſtronomiſchen und naturwiſſenſchaftlichen Kenntniſſen das Volk der Araber zur allgemeineren Weltanſchauung beigetragen hat. Alchimie, Zauberkunſt und myſtiſche Phantaſieen, durch ſcholaſtiſche Dialektik jeder dichteriſchen Anmut entblößt, ver— unreinigten freilich auch hier, wie überall im Mittelalter, die wahren Reſultate der Erforſchung; aber unabläſſig ſelbſt— arbeitend, mühevoll durch Ueberſetzungen ſich die Früchte früher gebildeter Generationen aneignend, haben die Araber die Natur— anſichten erweitert und vieles Eigene geſchaffen. Man hat mit Recht auf den großen Unterſchied der Kulturverhältniſſe aufmerkſam gemacht zwiſchen den einwandernden germaniſchen und den arabiſchen Stämmen. Jene bildeten ſich erſt nach der Einwanderung aus; dieſe brachten mit ſich ſchon aus der Hei— mat nicht bloß ihre Religion, auch eine hochausgebildete Sprache und die zarten Blüten einer Poeſie, welche nicht ganz ohne Einfluß auf die Provençalen und die Minneſänger geblieben tft. Die Araber beſaßen merkwürdige Eigenſchaften, um an— eignend und vermittelnd zu wirken vom Euphrat bis zum Guadalquivir und bis zu dem Süden von Mittelafrika. Sie beſaßen eine beiſpielloſe weltgeſchichtliche Beweglichkeit, eine Neigung, von dem abſtoßenden israelitiſchen Kaſtengeiſte ent fernt, ſich mit den beſiegten Völkern zu verſchmelzen und doch trotz des ewigen Bodenwechſels ihrem Nationalcharakter und den traditionellen Erinnerungen an die urſprüngliche Heimat nicht zu entſagen. Beiſpiele von größeren Landreiſen einzelner Individuen, nicht immer des Handels wegen, ſondern um Kenntniſſe einzuſammeln, hat kein anderer Volksſtamm auf— zuweiſen; ſelbſt die buddhiſtiſchen Prieſter aus Tibet und China, ſelbſt Marco Polo und die chriſtlichen Miſſionäre, welche zu den Mongolenfürſten geſandt wurden, haben ſich nur in engeren Räumen bewegt. Durch die vielen Verbindungen der Araber mit Indien und China (ſchon am Ende des 7. Jahr— hunderts es unter dem Kalifat der Ommajaden wurden die Eroberungen bis nach Kaſchgar, Kabul und dem Pendſchab ausgedehnt) gelangten wichtige Teile des aſiatiſchen Wiſſens nach Europa. Die ſcharfſinnigen Forſchungen von Reinaud haben gelehrt, wie viel aus arabiſchen Quellen für die Kennt— nis von Indien zu ſchöpfen iſt. Der Einfall der Mongolen in China ſtörte zwar den Verkehr über den Oxus, aber die Mongolen ſelbſt wurden bald ein vermittelndes Glied für die Araber, welche durch eigene Anſchauung und mühevolles For— ſchen von den Küſten des Stillen Meeres bis zu denen Weſt— afrikas, von den Pyrenäen bis zu des Scherifs Edriſi Sumpf— lande des Wangarah in Innerafrika die Erdkunde aufgeklärt haben. Die Geographie des Ptolemäus wurde nach Frähn ſchon auf Befehl des Kalifen Mamun zwiſchen 813 und 833 in das Arabiſche überſetzt; und es iſt ſogar nicht unwahr— ſcheinlich, daß bei der Ueberſetzung einige nicht auf uns ge— kommene Fragmente des Marinus Tyrius benutzt werden konnten. Von der langen Reihe vorzüglicher Geographen, welche die arabiſche Litteratur uns liefert, iſt es genug, die äußerſten Glieder, El-Iſtachri !“ und Alhaſſan (Johannes Leo, den Afri— faner), zu nennen. Eine größere Bereicherung hat die Erd— kunde nie auf einmal vor den Entdeckungen der Portugieſen und Spanier erhalten. Schon fünfzig Jahre nach dem Tode des Propheten waren die Araber bis an die äußerſte weſtliche Küſte von Afrika, bis an den Hafen Asfi, gelangt. Ob ſpäter, als die unter dem Namen der Almagrurin bekannten Abenteurer das Mare tenebrosum beſchifften, die Inſeln der Guanſchen von arabiſchen Schiffen beſucht worden ſind, wie mir lange wahr— — 176 — ſcheinlich war, iſt neuerdings wieder in Zweifel gezogen worden. Die große Maſſe arabiſcher Münzen, die man in den Oſtſee— ländern und im hohen Norden von Skandinavien vergraben findet, iſt nicht der eigenen Schiffahrt, ſondern dem weit ver⸗ breiteten inneren Handelsverkehr der Araber zuzuſchreiben.“ Die Erdkunde blieb nicht auf die Darſtellung räumlicher Verhältniſſe, auf Breiten- und Längenbeſtimmungen,!“' wie fie Abul-Haſſan vervielfältigt hat, auf Beſchreibung von Fluß⸗ gebieten und Bergketten beſchränkt; ſie leitete vielmehr das mit der Natur ſo befreundete Volk auf die organiſchen Erzeugniſſe des Bodens, beſonders auf die der Pflanzenwelt. Der Ab— ſcheu, welchen die Bekenner des Islam vor anatomiſchen Unter— ſuchungen hatten, hinderte ſie an allen Fortſchritten in der Tiergeſchichte. Sie begnügten ſich für dieſe mit dem, was ſie aus Ueberſetzungen des Ariſtoteles!““ und Galenus ſich an— eignen konnten; doch iſt die Tiergeſchichte des Avicenna, welche die königliche Bibliothek zu Paris beſitzt, von der des Ariſto⸗ teles verſchieden. Als Botaniker iſt Ibn-Baithar aus Ma⸗ laga zu nennen, den man wegen feiner Reiſen in Griechen: land, Perſien, Indien und Aegypten auch als ein Beiſpiel von dem Streben anſehen kann, durch eigene Beobachtungen die Erzeugniſſe verſchiedener Zonen des Morgen- und Abendlandes miteinander zu vergleichen. Der Ausgangspunkt aller dieſer Beſtrebungen war aber immer die Arzneimittelkunde, durch welche die Araber die chriſtlichen Schulen lange beherrſchten und zu deren Ausbildung Ibn-Sina (Avicenna), aus Afſchena bei Bochara gebürtig, Ibn-Roſchd (Averroes) aus Cordova, der jüngere Serapion aus Syrien, und Meſue aus Maridin am Euphrat alles benutzten, was der arabiſche Karawanen⸗ und Seehandel darbieten konnten. Ich nenne gefliſſentlich weit voneinander entfernte Geburtsörter berühmter arabiſcher Ge— lehrten, weil dieſe Geburtsörter recht lebhaft daran erinnern, wie das Naturwiſſen ſich durch die eigentümliche Geiſtesrich— tung des Stammes über einen großen Erdraum erſtreckte, wie durch gleichzeitige Thätigkeit ſich der Kreis der Anſichten er— weitert hatte. In dieſen Kreis wurde auch das Wiſſen eines älteren Kulturvolkes, das der Inder, gezogen, da unter dem Kalifate von Harun Alraſchid mehrere wichtige Werke, wahrſcheinlich die unter den halb fabelhaften Namen des Tſcharaka und Susruta!?? bekannten, aus dem Sanskrit in das Arabiſche überſetzt wurden. Avicenna, ein viel umfaſſender Geiſt, den . man oft mit Albert dem Großen verglichen, gibt in ſeiner Materia medica ſelbſt einen recht auffallenden Beweis dieſes Einfluſſes indiſcher Litteratur. Er kennt, wie der ge— lehrte Royle bemerkt, die Deodvarazeder!“ der ſchneebedeckten, gewiß im 11. Jahrhundert von keinem Araber beſuchten Himalaya-Alpen unter ihrem wahren Sanskritnamen und hält ſie für einen hohen Wacholderbaum, eine Juniperusart, welche zu Terpentinöl benutzt wird. Die Söhne von Aver— roes lebten am Hofe des großen Hohenſtaufen, Friedrichs II., der einen Teil ſeiner naturhiſtoriſchen Kenntnis indiſcher Tiere und Pflanzen dem Verkehr mit arabiſchen Gelehrten und ſprachkundigen ſpaniſchen Juden!“ verdankte. Der Kalif Ab— durrahman I. legte ſelbſt einen botaniſchen Garten bei Cordova an!! und ließ durch eigene Reiſende in Syrien und anderen aſiatiſchen Ländern ſeltene Sämereien ſammeln. Er pflanzte bei dem Palaſte der Rißafah die erſte Dattelpalme, die er in einem Gedichte voll ſchwermütiger Sehnſucht nach ſeiner Heimat Damastus beſang. Der wichtigſte Einfluß aber, den die Araber auf das all— gemeine Naturwiſſen ausgeübt haben, iſt der geweſen, welcher auf die Fortſchritte der Chemie gerichtet war. Mit den Ara— bern fing gleichſam ein neues Feld für dieſe Wiſſenſchaft an. Allerdings waren bei ihnen alchimiſtiſche und neuplatoniſche Phantaſieen mit der Chemie ebenſo verſchwiſtert wie Aſtrologie mit der Sternkunde. Die Bedürfniſſe der Pharmazie und die gleich dringenden der techniſchen Künſte leiteten zu Entdeckun— gen, welche von den alchimiſtiſch-metallurgiſchen Beſtrebungen bald abſichtlich, bald durch glückliche Zufälle begünſtigt wurden. Die Arbeiten von Geber oder vielmehr Djaber (Abu-Mußah Dſchafar al-Sufi) und die viel ſpäteren des Razes (Abu-Bekr Arraſi) ſind von den wichtigſten Folgen geweſen. Die Be— reitung von Schwefel- und Salpeterſäure, ! von Königs— waſſer, Queckſilberpräparaten und anderen Metalloxyden, die Kenntnis des alkoholiſchen !! Gärungsprozeſſes bezeichnen dieſe Epoche. Die erſte wiſſenſchaftliche Begründung und die Fort— ſchritte der Chemie ſind für die Geſchichte der Weltanſchau— ung um ſo wichtiger, als nun zuerſt die Heterogeneität der Stoffe und die Natur von Kräften erkannt wurden, die ſich nicht durch Bewegung ſichtbar verkündigen und neben der pythagoreiſch-platoniſchen „Vollkommenheit“ der Form auch der Miſchung Geltung verſchafften. Unterſchiede der Form und Miſchung ſind aber die Elemente unſeres ganzen Wiſſens A. v Humboldt, Kosmos. II. 12 - 178 — von der Materie; die Abſtraktionen, unter denen wir glauben das allbewegte Weltganze zu erfaſſen, meſſend und zer— ſetzend zugleich. Was die arabiſchen Chemiker mögen aus ihrer Bekannt— ſchaft mit der indiſchen Litteratur (den Schriften über das Rasayana, !“) aus den uralten technischen Künſten der Aegyp— ter, aus den neuen alchimiſtiſchen Vorſchriften des Pſeudo— Democritus und des Sophiſten Syneſius, oder gar aus chine— ſiſchen Quellen durch Vermittelung der Mongolen geſchöpft haben, iſt für jetzt ſchwer zu entſcheiden. Nach den neueſten, ſehr ſorgfältigen Unterſuchungen eines berühmten Orientaliſten, Herrn Reinaud, darf wenigſtens die Erfindung des Schieß— pulvers und deſſen Anwendung zur Fortſchleuderung von hohlen Projektilen nicht den Arabern zugeſchrieben werden. Haſſan Al-Rammah, welcher zwiſchen 1285 und 1295 ſchrieb, kannte dieſe Anwendung nicht, während daß bereits im 12. Jahrhundert, alſo faſt 200 Jahre vor Berthold Schwarz, im Rammelsberge am Harz eine Art Schießpulver zur Spren— gung des Geſteins gebraucht wurde. Auch die Erfindung eines Luftthermometers wird nach einer Angabe des Sancto— rius dem Avicenna zugeſchrieben; aber dieſe Angabe iſt ſehr dunkel, und es verfloſſen noch ſechs volle Jahrhunderte, bis Galilei, Cornelius Drebbel und die Academia del Cimento durch die Begründung einer genauen Wärmemeſſung ein großartiges Mittel verſchafften, in eine Welt unbekannter Er— ſcheinungen einzudringen, den kosmiſchen Zuſammen— hang von Wirkungen im Luftkreiſe, in den übereinander ge— lagerten Meeresſchichten und in dem Inneren der Erde zu begreifen, Erſcheinungen, deren Regelmäßigkeit und Periodi— zität Erſtaunen erregt. Unter den Fortſchritten, welche die Phyſik den Arabern verdankt, darf man nur Alhazens Arbeit über die Strahlenbrechung, vielleicht teilweiſe der Optik des Ptolemäus entlehnt, und die Kenntnis und erſte Anwendung des Pendels als Zeitmeſſers !“ durch den großen Aſtronomen Ebn⸗Junis erwähnen. Wenn auch die Reinheit und dabei ſo ſelten geſtörte Durch— ſichtigkeit des arabiſchen Himmels das Volk bereits in dem Zuſtand der früheſten Unkultur in ſeiner Heimat auf die Be— wegung der Geſtirne beſonders aufmerkſam gemacht hatte (neben dem Sterndienſt des Jupiter unter den Lachmiten finden wir, bei dem Stamm der Aſediten, ſelbſt die Heiligung eines ſonnen— nahen, ſeltener ſichtbaren Planeten, des Merkur), ſo iſt die 170. ſo ausgezeichnete wiſſenſchaftliche Thätigkeit der gebildeten Ara- ber in allen Teilen der praktiſchen Aſtronomie doch wohl mehr chaldäiſchen und indiſchen Einflüſſen zuzuſchreiben. Zuſtände der Atmoſphäre begünſtigen nur, was durch geiſtige Anlagen und den Verkehr mit gebildeteren Nachbarvölkern bei hoch— begabten Stämmen hervorgerufen wird. Wie viele regenloſe Gegenden des tropiſchen Amerikas (Cumana, Coro, Payta) haben eine noch durchſichtigere Luft als Aegypten, Arabien und Bochara! Das tropiſche Klima, die ewige Heiterkeit des in Sternen und Nebelflecken prangenden Himmelsgewölbes wirken überall auf das Gemüt; doch folgenreich, d. h. zu Ideen füh— rend, zur Arbeit des Menſchengeiſes in Entwickelung mathe— matiſcher Gedanken, regen ſie nur da an, wo andere, vom Klima ganz unabhängige innere und äußere Antriebe einen Völkerſtamm bewegen, wo z. B. die genaue Zeiteinteilung zur Befriedigung religiöſer oder agronomiſcher Bedürfniſſe eine Not— wendigkeit des geſelligen Zuſtandes wird. Bei rechnenden Handelsvölkern (Phöniziern), bei konſtruierenden, bauluſtigen, feldmeſſenden Nationen (Chaldäern und Aegyptern) werden früh empiriſche Regeln der Arithmetik und der Geometrie aufgefunden; aber alles dies kann nur die Entſtehung mathe- matiſcher und aſtronomiſcher Wiſſenſchaft vorbereiten. Erſt bei höherer Kultur wird geſetzliche Regelmäßigkeit der Ver— änderungen am Himmel in den irdiſchen Erſcheinungen wie reflektiert erkannt, auch in letzteren, laut dem Ausſpruch unſeres großen Dichters, nach dem „ruhenden Pole“ geforſcht. Die Ueberzeugung von dem Geſetzmäßigen in der Planetenbewegung hat unter allen Klimaten am meiſten dazu beigetragen, in dem wogenden Luftmeere, in den Oszillationen des Ozeans, in dem periodiſchen Gange der Magnetnadel, in der Verteilung des Organismus auf der Erdfläche Geſetz und Ordnung zu ſuchen. Die Araber erhielten indische Planetentafeln!! ſchon am Ende des 8. Jahrhunderts. Wir haben bereits oben er— innert, daß der Sus ruta, der uralte Inbegriff aller medi— ziniſchen Kenntniſſe der \ Inder, von Gelehrten überſetzt wurde, welche zu dem Hofe des Kalifen Harun Alraſchid gehörten, ein Beweis, wie ſehr die Sanskritlitteratur früh Eingang ge— funden hatte. Der arabiſche Mathematiker Albyruni ging ſelbſt nach Indien, um dort Aſtronomie zu ſtudieren. Seine Schriften, die erſt neuerlichſt zugänglich geworden ſind, beweiſen, wie genau er das Land, die Traditionen und das vielumfaſſende Wiſſen der Inder kannte. 116 — 180 — Aber die arabiſchen Aſtronomen, ſo viel ſie den früher civiliſierten Völkern, vorzüglich den indiſchen und alerandrini- ſchen Schulen verdankten, haben doch auch, bei ihrem eigen- tümlichen praktiſchen Sinne, durch die große Zahl und die Richtung ihrer Beobachtungen, durch die Werben re der winkelmeſſenden Inſtrumente, durch das eifrigſte Beſtreben, die älteren Tafeln bei ſorgfältiger Vergleichung mit dem Himmel zu verbeſſern, das Gebiet der Aſtronomie anſehnlich erweitert. In dem ſiebenten Buche von dem Almageſt des Abul-Wefa hat Seédillot die wichtige Störung der Länge des Mondes er— kannt, welche in den Syzygien und Quadraturen verſchwin⸗ det, ihren größten Wert in den Oktanten hat und bisher unter dem Namen der Variation lange für Tychos Entdeckung gehalten wurde.““ Die Beobachtungen von Ebn-Junis in Kairo ſind für die Störungen und ſekularen Bahnänderungen der beiden größten Planeten, Jupiter und Saturn, beſonders wichtig geworden. Eine Gradmeſſung, welche der Kalif Al- Mamum in der großen Ebene von Sindſchar zwiſchen Tad- mor und Rakka durch Beobachter ausführen ließ, deren Namen uns Ebn⸗Junis erhalten hat, iſt minder wichtig durch ihr Reſultat als durch das Zeugnis geworden, das ſie uns von der wiſſenſchaftlichen Bildung des arabiſchen Menſchenſtammes gewährt. Als der Abglanz einer ſolchen Bildung müſſen betrachtet werden: im Weſten, im chriſtlichen Spanien, der aſtronomiſche Kongreß zu Toledo unter Alfons von Kaſtilien, auf dem der Rabbiner Iſaak Ebn-Siv-Hazan die Hauptrolle ſpielte; im fernen Oſten die von Ilſchan Hulagu, dem Enkel des Welt⸗ ſtürmers Dſchingischan, auf einem Berge bei Meragha mit vielen Inſtrumenten ausgerüſtete Sternwarte, in welcher Naßir- Eddin aus Tus in Choraſan ſeine Beobachtungen anſtellte. Dieſe Einzelheiten verdienen in der Geſchichte der Weltan- ſchauung inſofern Erwähnung, als ſie lebhaft daran erinnern, wie die Erſcheinung der Araber vermittelnd in weiten Räu⸗ men auf Verbreitung des Wiſſens und Anhäufung der nume- riſchen Reſultate gewirkt hat, Reſultate, die in der großen Epoche von Kepler und Tycho weſentlich zur Begründung der theoretiſchen Sternkunde und einer richtigen Anſicht von den Bewegungen im Himmelsraume beigetragen haben. Das Licht, welches in dem von tatariſchen Völkern bewohnten Aſien an⸗ gezündet war, verbreitete ſich im 15. Jahrhundert weiter nach Weſten bis Samarkand, wo der Timuride Ulugh Beig neben — 181 — der Sternwarte ein Gymnaſium nach Art des alexandriniſchen Muſeums ſtiftete und einen Sternenkatalog anfertigen ließ, der ſich ganz auf neue und eigene Beobachtungen gründete.!!!“ Nach dem Lobe, welches hier dem Naturwiſſen der Araber in beiden Sphären, der Erdräume und des Himmels, gezollt worden iſt, haben wir auch an das zu erinnern, was fie, auf den ae Wegen der Gedankenentwickelung, dem Schatze des reinen mathematiſchen Wiſſens hinzufügten. Nach den neueſten Arbeiten, welche in England, Frankreich und Deutſch— land über die Geſchichte der Mathematik unternommen worden ſind, iſt die Algebra der Araber „wie aus zwei lange vonein— ander unabhängig fließenden Strömen, einem indiſchen und einem griechiſchen, urſprünglich entſtanden“. Das Kompen— dium der Algebra, welches auf Befehl des Kalifen Al-Ma— mum der arabiſche Mathematiker Mohammed Ben-Muſa (dev Chowarezmier) verfaßte, gründet ſich, wie mein ſo früh dahin geſchiedener gelehrter Freund Friedrich Roſen f hat, nicht auf Diophantus, ſondern auf indiſches Wiſſen; ja ſchon unter Almanſor am Ende des 8. Jahrhunderts waren in— diſche Aſtronomen an den glänzenden Hof der Abbaſiden be— rufen. Diophantus wurde nach Caſiri und Colebrooke erſt gegen das Ende des 10. Jahrhunderts von Abul-Wefa Buzjani ins Arabiſche überſetzt. Was bei den alten indiſchen Algebriſten ſoll vermißt werden, die von Satz zu Satz fort— ſchreitende Begründung des Erlangten, hatten die Araber der alexandriniſchen Schule zu verdanken. Ein ſo ſchönes, von ihnen vermehrtes Erbteil ging im 12. Jahrhunderte durch Johannes Hispalenſis und Gerhard von Cremona in die euro— päiſche Litteratur des Mittelalters über. „In den algebra- iſchen Werken der Inder findet ſich die allgemeine Löſung der unbeſtimmten Gleichungen des erſten Grades und eine weiter ausgebildete Behandlung derer des zweiten als in den auf uns gekommenen Schriften der Alexandriner; es unterliegt daher keinem Zweifel, daß, wären die Werke der Inder zwei Jahrhunderte früher und nicht erſt in unſeren Tagen den Euro— päern bekannt geworden, ſie auf die Entwickelung der moder nen Analyſis fördernd hätten einwirken müſſen.“ Auf demſelben Wege und durch dieſelben Verhältniſſe, welche den Arabern die Kenntnis der indiſchen Algebra zu führten, erhielten dieſe auch in Perſien und am Euphrat die indiſchen Zahlzeichen im 9. Jahrhundert. Perſer waren da— mals als Zollbediente am Indus angeſtellt, und der Gebrauch — 12 — der indischen Zahlen hatte ſich allgemein in die Zollämter der Araber im nördlichen Afrika (den Küſten von Sizilien gegen— über) verpflanzt. Dennoch machen die wichtigen und überaus gründlichen hiſtoriſchen Unterſuchungen, zu welchen ein aus— gezeichneter Mathematiker, Herr Chasles, durch ſeine richtige Interpretation der ſogenannten pythagoriſchen Tafel in der Geometrie des Boethius veranlaßt worden iſt, es mehr als wahrſcheinlich, daß die Chriſten im Abendlande ſelbſt früher als die Araber mit den indiſchen Zahlen vertraut waren, und daß ſie unter dem Namen des Syſtems des Abacus den Gebrauch der neun Ziffern nach ihrem Stellenwerte kannten. Es iſt hier nicht der Ort, dieſen Gegenſtand, welcher mich ſchon früher (1819 und 1829) in zwei, der Académie des Inscriptions zu Paris und der Akademie der Wiſſenſchaften zu Berlin vorgelegten Abhandlungen beſchäftigt hat,“?“ näher zu erläutern; aber bei einem hiſtoriſchen Probleme, über das noch viel zu entdecken übrig iſt, entſteht die Frage, ob auch der Stellenwert, der ſinnreiche Kunſtgriff der Poſition, welcher ſchon im tuskiſchen Acabus wie im Suanpan von Inneraſien hervortritt, zweimal abgeſondert, im Orient und Occident, erfunden worden, oder ob durch die Richtung des Welthandels unter den Lagiden das Syſtem des Stellenwertes von der indiſchen weſtlichen Halbinſel aus nach Alexandrien verpflanzt und in der Erneuerung der Träumereien der Pytha— goreer für eine Erfindung des erſten Stifters des Bundes ausgegeben worden iſt? An die bloße Möglichkeit uralter, uns völlig unbekannter Verbindungen vor der 60. Olympiade iſt wohl nicht zu erinnern. Warum ſollten in dem Gefühl ähnlicher Bedürfniſſe dieſelben Ideenverbindungen ſich nicht bei hochbegabten Völkern verſchiedenen Stammes abgeſondert dargeboten haben? Wie nun die Algebra der Araber durch das, was dies morgenländiſche Volk von Griechen und Indern aufgenommen und ſelbſt geſchaffen, trotz einer großen Dürftigkeit in der ſymboliſchen Bezeichnung, wohlthätig auf die glänzende Periode der italienischen Mathematiker des Mittelalters gewirkt hat, ſo bleibt auch den Arabern das Verdienſt, von Bagdad bis Cordova durch ihre Schriften und ihren ausgebreiteten Handels— verkehr den Gebrauch des indiſchen Zahlenſyſtems beſchleunigt zu haben. Beide Wirkungen, die gleichzeitige Verbreitung der Wiſſenſchaft und der numeriſchen Zeichen mit Stellenwert, haben verſchiedenartig, aber mächtig, die Fortſchritte des mathe— Feel matiſchen Teiles des Naturwiſſens befördert; den Zugang zu entlegenen Regionen in der Aſtronomie, in der Optik, in der phyſiſchen Erdkunde, in der Wärmelehre, in der Theorie des Magnetismus erleichtert, welche ohne jene Hilfsmittel un— eröffnet geblieben wären. Man hat mehrmals in der Völkergeſchichte die Frage aufgeworfen, welche Folge die Weltbegebenheiten würden ge— habt haben, wenn Karthago Rom beſiegt und das euro— päiſche Abendland beherrſcht hätte? „Man kann mit gleichem Rechte fragen,“ ſagt Wilhelm von Humboldt, „in welchem Zuſtande ſich unſere heutige Kultur befinden würde, wenn die Araber, wie ſie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Beſitz der Wiſſenſchaft geblieben wären und ſich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günſtiger Erfolg ſcheint mir in beiden Fällen nicht zweifel— haft. Derſelben Urſache, welche die römiſche Weltherrſchaft hervorbrachte, dem römiſchen Geiſt und Charakter, nicht äußeren, mehr zufälligen Schickſalen, verdanken wir den Ein— fluß der Römer auf unſere bürgerlichen Einrichtungen, auf unſere Geſetze, Sprache und Kultur. Durch dieſen wohl— thätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtſchaft wurden wir für griechiſchen Geiſt und griechiſche Sprache empfänglich, da die Araber vorzugsweiſe nur an den wiſſenſchaftlichen Reſultaten griechiſcher Forſchung (den naturbeſchreibenden, phyſiſchen, aſtronomiſchen, rein mathematiſchen) hingen.“ Die Araber haben, bei ſorgſamer Bewahrung der reinſten heimiſchen Mundart und des Scharfſinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitsſprüchen allerdings die Anmut dichteriſcher Färbung zu geben gewußt, aber ſie würden, nach dem zu urteilen, was ſie unter den Abbaſſiden waren, auch auf der Grundlage desſelben Altertums, mit dem wir ſie vertraut finden, wohl nie vermocht haben, die Werke erhabener Dichtung und bildend-ſchaffenden Kunſtſinnes ins Leben zu rufen, deren ſich in harmoniſcher Verſchmelzung die Blütezeit unſerer europäiſchen Kultur zu rühmen hat. vu Zeit der ozeaniſchen Entdeckungen. — Eröffnung der weſtlichen Hemifphäre. — Begebenheiten und Erweiterung wiſſenſchaftlicher Kenntnife, welche die ozeaniſchen Entdeckungen vorbereitet haben. — Kolumbus, Schaſtian Cabot und Gama. — Amerika und das Stille Reer. — Cabrillo, Schaftian Vizcaino, Mendana und Oniros. — Die reichſte Fülle des Materials zur Begründung der phyſiſchen Erdbeſchreibung wird den weſt— lichen Völkern Europas dargeboten. Das 15. Jahrhundert gehört zu den ſeltenen Zeitepochen, ı denen alle Geiſtesbeſtrebungen einen beſtimmten und ge— et Charakter andeuten, die unabänderliche Bewegung nach einem vorgeſteckten Ziele offenbaren. Die Einheit dieſes Strebens, der Erfolg, welcher es gekrönt, die handelnde That— kraft ganzer Völkermaſſen geben dem Zeitalter des Kolum— bus, des Sebaſtian Cabot und Gama Größe und dauernden Glanz. In der Mitte 1953 zwei verſchiedenen Bildungsſtufen der Menſchheit, iſt das 15. Jahrhundert gleichſam eine Ueber— gangsepoche, welche beiden, dem Mittelalter und dem An— fang der neueren Zeit, angehört. Es iſt die Epoche der größten Entdeckungen im Raume, ſolcher, die faſt alle Breiten— grade und alle Höhen der Erdoberfläche umfaſſen. Wenn dieſelbe für die Bewohner Europas die Werke der Schöpfung verdoppelt hat, ſo bot ſie n der Intelligenz neue und mächtige Anregungsmittel zur Vervollkommnung der Natur— wiſſenſchaften in ihren phyſiſchen und mathematiſchen Teilen dar. Wie in Alexanders Heerzügen, aber mit noch 1 genderer Macht, drängte ſich jetzt die Welt der Objekte, den Einzelformen des Wahrnehmbaren wie in dem Sufammen: wirken lebendiger Kräfte, dem kombinierenden Geiſte auf. Die zerſtreuenden Bilder ſinnlicher Anſchauung wurden, trotz ihrer Fülle und Verſchiedenartigkeit, allmählich zu einem konkreten — 15 — Ganzen verſchmolzen, die irdiſche Natur in ihrer Allgemein heit aufgefaßt, eine Frucht wirklicher Beobachtung; nicht nach bloßen Ahnungen, die in wechſelnden Geſtalten der Phantaſie vorſchweben. Auch das Himmelsgewölbe entfaltete dem noch immer unbewaffneten Auge neue Gebiete, nie geſehene Stern bilder, einzeln kreiſende Nebelwolken. Zu keiner anderen Zeit (wir haben es bereits oben bemerkt) iſt einem Teile des Menſchengeſchlechtes ein größerer Reichtum von Thatſachen, ein größeres Material zur Begründung der vergleichenden phyſiſchen Erdbeſchreibung dargeboten worden. Niemals haben aber auch Entdeckungen im Raume, in der materiellen Welt, durch Erweiterung des Geſichtskreifes, durch Vervielfältigung der Erzeugniſſe und Tauſchmittel, durch Kolonieen von einem Umfange, wie man ſie nie gekannt, außerordentlichere Ver— änderungen in den Sitten, in den Zuſtänden langer Knecht— ſchaft eines Teils der Menſchheit und ihres ſpäten Erwachens zu politiſcher Freiheit hervorgerufen. Was in jedem einzelnen Zeitpunkte des Völkerlebens einen wichtigen Fortſchritt der Intelligenz bezeichnet, hat ſeine tiefen Wurzeln in der Reihe vorhergehender Jahrhunderte. Es liegt nicht in der Beſtimmung des menſchlichen Geſchlechtes, eine Verfinſterung zu erleiden, die gleichmäßig das ganze Ge— ſchlecht ergriffe. Ein erhaltendes Prinzip nährt den ewigen Lebensprozeß der fortſchreitenden Vernunft. Die Epoche des Kolumbus erlangte nur deshalb ſo ſchnell die Erfüllung ihrer Beſtimmungen, weil befruchtende Keime von einer Reihe hoch— begabter Männer ausgeſtreuet worden waren, die wie ein Lichtſtreifen durch das ganze Mittelalter, durch finſtere Jahr— hunderte hindurchgeht. Ein einziges derſelben, das dreizehnte, zeigt uns Roger Baco, Nikolaus Scotus, Albert den Großen, Vincentius von Beauvais. Die erweckte Geiſtesthätigkeit trug bald ihre Früchte in Erweiterung der Erdkunde. Als Diego Ribero im Jahre 1525 von dem geographiſch-aſtrono— miſchen Kongreß zurückkam, welcher an der Puente de Cava nahe bei Yelves zur Schlichtung der Streitigkeiten über die Grenze zweier Weltreiche, der portugieſiſchen und ſpaniſchen Monarchie, gehalten wurde, waren ſchon die Umriſſe des neuen Kontinentes von dem Feuerlande bis an die Küſten von Labrador verzeichnet. Auf der weſtlichen Seite, Aſien gegenüber, waren die Fortſchritte natürlich langſamer. Doch war Rodriguez Cabrillo 1543 ſchon nördlicher als Monterey vorgedrungen, und wenn auch dieſer große und kühne See— — 16 — fahrer feinen Tod in dem Kanal von Santa Barbara bei Neu-Kalifornien fand, ſo führte der Steuermann der Expe— dition, Bartholomäus Ferrelo, doch die Expedition bis 43° der Breite, wo Vancouvers Vorgebirge Oxford liegt. Die wetteifernde Thätigkeit der Spanier, Engländer und Portu— gieſen, auf einen und denſelben Gegenſtand gerichtet, war da— mals ſo groß, daß ein halbes Jahrhundert genügte, um die äußere Geſtaltung der Ländermaſſe in der weſtlichen Halb— kugel, d. h. die Hauptrichtung ihrer Küſten, zu beſtimmen. Wenn die Bekanntſchaft der Völker Europas mit dem weſtlichen Teile des Erdballes der Hauptgegenſtand iſt, welchem wir dieſen Abſchnitt widmen und um welchen ſich als folgen— reichſte Begebenheit ſo viele Verhältniſſe der richtigeren und großartigeren Weltanſicht gruppieren, ſo muß die unbeſtreitbar erſte Entdeckung von Amerika in ſeinen nördlichen Teilen durch die Normänner von der Wiederauffindung desſelben Kontinentes in ſeinen tropiſchen Teilen ſtreng geſchieden werden. Als noch das Kalifat in Bagdad unter den Abbaſſiden blühete, wie in Perſien die der Poeſie ſo günſtige Herrſchaft der Samaniden, wurde Amerika um das Jahr 1400 von Leif, dem Sohne Eriks des Roten vom Norden her bis zu 41“ nördlicher Breite entdeckt.“?! Der erſte, aber zufällige Anſtoß zu dieſer Begebenheit kam aus Norwegen. Naddod war in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, da er nach den ſchon früher von den Irländern beſuchten Faröern hatte ſchiffen wollen, durch Sturm nach Island verſchlagen. Die erſte normänniſche Anſiedelung daſelbſt geſchah (875) durch Ingolf. Grönland, die öſtliche Halbinſel einer Ländermaſſe, welche überall durch Meereswaſſer vom eigentlichen Amerika getrennt erſcheint, wurde früh geſehen, “'? aber erſt hundert Jahre nachher (983) von Island aus bevölkert. Die Koloniſierung von Island, welches Naddod zuerſt Schneeland, Snjoland, genannt hatte, führte nun über Grönland in ſüdweſtlicher Richtung nach dem neuen Kontinent. Die Faröer und Island muß man als Zwiſchenſtationen, als Anfangspunkte zu Unternehmungen nach dem amerika— niſchen Skandinavien betrachten. Auf ähnliche Weiſe hatte die Niederlaſſung zu Karthago den Tyriern zur Erreichung der Meerenge von Gadeira und des Hafens Tarteſſus ge— dient; ebenſo führte Tarteſſus dies unternehmende Volk von Statian zu Station nach Gerne, dem Gauleon (der Schiffs— inſel) der Karthager. Trotz der Nähe der gegenüberliegenden Küſte von La— brador (Helluland it mikla) vergingen doch 125 Jahre von der erſten Anſiedelung der Normänner auf Island bis zu Leifs großer Entdeckung von Amerika. So gering waren die Mittel, welche zur Förderung der Schiffahrt in dieſen abgelegenen öden Erdwinkel von einem edeln, kräftigen, aber armen Menſchenſtamme angewandt werden konnten. Die Küſten— ſtrecke Winland, ſo wegen der von einem Deutſchen, Tyrker, dort aufgefundenen wilden Weintrauben genannt, reizte durch Fruchtbarkeit des Bodens und Milde des Klimas im Vergleich mit Island und Grönland. Durch Leif mit dem Namen des guten Winlands (Vinland it goda) bezeichnet, begriff es das Litorale zwischen Boſton und New Pork, alſo Teile der jetzigen Staaten Maſſachuſetts, Rhode-Island und Con— necticut, zwiſchen den Breitenparallelen von Cività vecchia und Terraeina, denen aber hier doch nur die mittleren 12 Jahrestemperaturen von 88 und 11°,2 entſprechen. Das war die Hauptanſiedelung der Normänner. Die Koloniſten hatten oft mit dem recht kriegeriſchen Stamme der Eskimo, welcher damals unter dem Namen der Skrälinger viel ſüd— licher verbreitet war, zu kämpfen. Der erſte grönländiſche Biſchof, Erik Upſi, ein Isländer, unternahm 1121 eine chriſt— liche Miſſionsfahrt nach Winland; und der Name des koloni— ſierten Landes iſt ſogar in alten Nationalgeſängen bei den Eingeborenen der Faröer aufgefunden worden. Von der Thätigkeit und dem kühnen Unternehmungs— geiſte der isländiſchen und grönländiſchen Abenteurer zeugt der Umſtand, daß, nachdem ſie ſich im Süden bis unter 41%“ Breite angeſiedelt, fie an der Oſtküſte der Baffinsbai unter der Breite von 72° 55° auf einer der Weiberinſeln, !?“ nordweſtlich von der jetzt nördlichſten däniſchen Kolonie Uper— navik, drei Grenzſäulen aufrichteten. Der Runenſtein, welchen man im Herbſt des Jahres 1824 aufgefunden, enthält nach Raſk und Finn Magnuſen die Jahrzahl 1135. Von dieſer öſtlichen Küſte der Baffinsbai aus beſuchten die Anſiedler des Fiſchfanges wegen ſehr regelmäßig den Lancaſterſund und einen Teil der Barrowſtraße, und zwar mehr denn ſechs Jahr— hunderte vor den kühnen Unternehmungen von Parry und Roß. Die Lokalität des Fiſchfanges iſt ſehr beſtimmt be— ſchrieben, und grönländiſche Prieſter aus dem Bistum Gardar leiteten (1266) die erſte Entdeckungsfahrt. Man nannte dieſe nordweſtliche Sommerſtation die Kroksfjardarheide. Es geſchieht — 188 — ſchon Erwähnung des angeſchwemmten (gewiß ſibiriſchen) Treibholzes, welches man dort ſammelte, der vielen Wal— fiſche, Phoken, Walroſſe und Seebären.! ?“ Ueber den Verkehr des hohen europäiſchen Nordens, wie über den der Grönländer und Isländer mit dem eigentlichen amerikaniſchen Kontinent reichen ſichere Nachrichten nur bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts. Noch im Jahre 1347 wurde von Grönland aus ein Schiff nach Markland (Neu— Schottland) geſandt, um Bauholz und andere Bedürfniſſe ein— zuſammeln. Auf der Rückreiſe von Markland wurde das Schiff vom Sturme verſchlagen und mußte in Straumfjörd im Weſten von Island landen. Dies iſt die letzte Nachricht von dem normänniſchen Amerika, welche uns altſkandi— naviſche Quellenſchriften aufbewahrt haben.!?“ Wir ſind bisher ſorgfältig auf hiſtoriſchem Boden ge— blieben. Durch die kritiſchen, nicht genug zu lobenden Be— mühungen von Chriſtian Rafn und der königlichen Geſellſchaft für nordiſche Altertumskunde in Kopenhagen ſind die Sagas und Urkunden über die Fahrten der Normänner nach Hellu— land (Neufundland), nach Markland (der Mündung des St. Lorenzfluſſes mit Nova Scotia) und nach Winland (Maſſa— chuſetts) einzeln abgedruckt und befriedigend kommentiert wor— den.!“ Die Länge der Fahrt, die Richtung in der man ge ſegelt, die Zeit des Aufganges und Unterganges der Sonne ſind genau angegeben. Geringere Gewißheit gewähren noch die Spuren, die man von einer früheren iriſchen Entdeckung von Amerika, vor dem Jahre 1000, glaubt gefunden zu haben. Die Skrälinger er— zählten den in Winland angeſiedelten Normännern: weiter in Süden jenſeits der Cheſapeakbai wohnten „weiße Menſchen, die in langen weißen Kleidern einhergingen, Stangen, an welche Tücher geheftet ſeien, vor ſich hertrügen und mit lauter Stimme riefen“. Dieſe Erzählung wurde von den chriſtlichen Normännern auf Prozeſſionen gedeutet, in denen man Fahnen trug und ſang. In den älteſten Sagas, in den geſchichtlichen Erzählungen von Thorfinn Karlsefne und dem isländiſchen Landnama-Buche ſind dieſe ſüdlichen Küſten zwiſchen Virginien und Florida durch den Namen des Weiß— männerlandes bezeichnet. Sie werden darin beſtimmt Groß-Irland (Irland it mikla) genannt, und es wird be— hauptet, ſie ſeien von den Iren bevölkert worden. Nach Zeugniſſen, die bis 1064 hinaufreichen, wurde, ehe noch Leif * — 1898 Winland entdeckte, wahrſcheinlich ſchon um das Jahr 982, Ari Marsſon, aus dem mächtigen isländiſchen Geſchlechte Ulfs des Schielers, auf einer Fahrt von Island gegen Süden durch Sturm an die Küſte des Weißmännerlandes verſchlagen, in demſelben als Chriſt getauft und, da man ihm nicht er— laubte, ſich zu entfernen, dort von Männern aus den Orkney— inſeln und Island erkannt. Die Meinung einiger nordiſchen Altertumsforſcher iſt nun, daß, da in den älteſten isländiſchen Dokumenten die erſten Bewohner der Inſel „über das Meer gekommene Weſt— männer“ genannt werden (Ankömmlinge, die ſich in Papyli an der Südoſtküſte und auf dem nahe gelegenen, kleinen Papareilande niedergelaſſen), Island zuerſt nicht unmittelbar von Europa, ſondern von Virginien und Karolina her, d. i. aus Groß-Irland (dem amerikaniſchen Weißmännerlande), von nach Amerika früh verpflanzten Iren bevölkert worden ſei. Die wichtige Schrift des irländiſchen Mönches Dicuil, De Mensura Orbis Terrae, welche um das Jahr 825 verfaßt wurde, alſo 38 Jahre früher als die Normänner durch Naddod Kenntnis von Island erhielten, beſtätigt aber dieſe Meinung. Im Norden von Europa haben chriſtliche Anachoreten, im Inneren Aſiens fromme Buddhiſtenmönche unzugängliche Gegenden zu erforſchen und der Civiliſation zu eröffnen ge— wußt. Das emſige Beſtreben, religiöſe Dogmen zu verbreiten, hat bald kriegeriſchen Unternehmungen, bald friedlichen Ideen und Handelsverbindungen den Weg gebahnt. Der den Reli— gionsſyſtemen von Indien, Paläſtina und Arabien ſo eigen— tümliche, dem Indifferentismus der polytheiſtiſchen Griechen und Römer durchaus fremde Eifer hat die Fortſchritte der Erdkunde in der erſten Hälfte des Mittelalters belebt. Letronne, der Kommentator des Dicuil, hat auf eine ſcharfſinnige Weiſe dargethan, daß, ſeitdem die irländiſchen Miſſionäre von den Normännern aus den Farböerinſeln verdrängt waren, ſie um das Jahr 975 Island zu beſuchen anfingen. Die Nor— männer, als ſie Island betraten, fanden daſelbſt irländiſche Bücher, Meßglocken und andere Gegenſtände, welche frühere Ankömmlinge, die Papar genannt werden, dort zurückgelaſſen hatten. Dieſe Papae (Väter) aber find die Clerici des Dicuil. Gehörten nun, wie man nach ſeinem Zeugnis vermuten muß, jene Gegenſtände irländiſchen Mönchen, die aus den Farber— inſeln kamen, jo fragt ſich, warum die Mönche (Papar) nach 0 einheimischen Sagen Weſtmänner, Vestmenn, „von Weiten über das Meer gekommene (komnir til vestän um hüf)“ genannt wurden? Ueber die Schiffahrt des gäliſchen Häupt— lings Madoc, Sohnes des Owen Guineth, nach einem großen weſtlichen Lande im Jahre 1170 und den Zuſammenhang dieſer Begebenheit mit dem Groß⸗Irland der isländiſchen Sagas iſt bis jetzt alles in tiefes Dunkel gehüllt. Auch ver— ſchwindet nach und nach die Raſſe der Keltoamerikaner, welche leichtgläubige Reiſende in mehreren Teilen der Vereinigten Staaten wollten gefunden haben; ſie verſchwindet, ſeitdem eine ernſte, auf grammatiſche Formen und organiſchen Bau, nicht auf zufällige Lautähnlichkeiten gegründete Sprachver— gleichung eingeführt iſt.! ?“ Daß dieſe erſte Entdeckung von Amerika in oder vor dem 11. Jahrhundert nichts Großes und Bleibendes zu Er— weiterung der phyſiſchen Weltanſchauung ſchaffen konnte, wie es das Wiederauffinden desſelben Kontinents durch Kolumbus am Ende des 15. Jahrhunderts hervorbrachte, ergibt ſich aus dem Zuſtande der Unkultur des Volksſtammes, welcher die erſte Entdeckung machte, und aus der Natur der Gegenden, auf welche dieſelbe beſchränkt blieb. Durch keine wiſſenſchaft— liche Kenntnis waren die Skandinavier vorbereitet, um, über die Befriedigung des nächſten Bedürfniſſes hinaus, die Länder, in denen fie ſich angeſiedelt, zu durchforſchen. Als das eigent- liche Mutterland jener neuen Kolonieen waren Grönland und Island zu betrachten, Regionen, in denen der Menſch alle Beſchwerden eines unwirtbaren Klimas zu bekämpfen hatte. Der wunderbar organiſierte isländiſche Freiſtaat erhielt aller- dings ſeine Selbſtändigkeit vierthalbhundert Jahre lang, bis die bürgerliche Freiheit unterging und das Land ſich dem norwegiſchen König Hakon VI. unterwarf. Die Blüte der isländiſchen Litteratur, die Geſchichtſchreibung, die Aufſamm— lung der Sagas und der Eddalieder, bezeichnen das 12. und 13. 1 HUN Es iſt eine merkwürdige Erſcheinung in der Kultur— geſchichte der Völker, den Nationalſchatz der älteſten Ueber— lieferungen des europäiſchen Nordens, durch Unruhen in der Heimat gefährdet und nach Island übertragen, dort ſorgſam gepflegt und für die Nachwelt gerettet zu ſehen. Dieſe Rettung, die entfernte Folge von Ingolfs erſter Anſiedelung auf Is land (875), iſt eine wichtige Begebenheit in den Kreiſen der Dichtung und ſchaffender Einbildungskraft in der formloſen — 191 — Nebelwelt ſkandinaviſcher Mythen und ſinnbildlicher Kosmo— gonieen geworden. Nur das Naturwiſſen gewann keine Er— weiterung. Reiſende Isländer beſuchten allerdings die Lehr— anſtalten Deutſchlands und Italiens, aber die Entdeckungen der Grönländer im Süden, der geringe Verkehr mit Winland, deſſen Vegetation keinen merkwürdig eigentümlichen phyſio— gnomiſchen Charakter darbot, zogen Anſiedler und Seefahrer ſo wenig von ihrem ganz europäiſchen Intereſſe ab, daß ſich unter den Kulturvölkern des ſüdlichen Europas keine Nach— richt von jenen neuangeſiedelten Ländern verbreitete. Ja, in Island ſelbſt ſcheint eine ſolche Nachricht nicht einmal zu den Ohren des großen genueſiſchen Seefahrers gelangt zu ſein. Island und Grönland waren nämlich damals ſchon über zwei Jahrhunderte voneinander getrennt; da Grönland 1261 ſeine republikaniſche Verfaſſung verloren hatte und ihm, als Kron— gut Norwegens, aller Verkehr mit Fremden und auch mit Island förmlich unterſagt wurde. Chriſtoph Kolumbus er— zählt in ſeiner ſo ſelten gewordenen Schrift „Ueber die fünf bewohnbaren Erdzonen“, daß er im Monat Februar 1477 Island beſuchte, „wo damals das Meer nicht mit Eis bedeckt war 12“ und das von vielen Kaufleuten von Briſtol beſucht wurde“. Hätte er dort von der alten Koloniſation eines gegenüberliegenden ausgedehnten zuſammenhängenden Land— ſtriches, von Helluland it miklä, Markland und dem „guten Winland“ reden hören, hätte er dieſe Kenntnis eines nahen Kontinentes mit den Projekten in Verbindung geſetzt, welche ihn ſchon ſeit 1470 und 1473 beſchäftigten, ſo würde in dem berühmten, erſt 1517 beendigten Prozeſſe über das Verdienſt der erſten Entdeckung um ſo mehr von der Reiſe nach Thyle (Island) die Rede geweſen fein, als der argwöhniſche Fistal ſelbſt einer Seekarte (mappamundo) erwähnt, die Martin Alonſo Pinzon in Rom geſehen hatte und auf der der neue Kontinent ſoll abgebildet geweſen ſein. Wenn Kolumbus ein Land hätte aufſuchen wollen, von dem er in Island Kenntnis erhalten, ſo würde er gewiß nicht auf ſeiner erſten Ent— deckungsreiſe von den Kanariſchen Inſeln aus in ſüdweſtlicher Richtung geſteuert haben. Zwiſchen Bergen und Grönland gab es aber noch Handelsverbindungen bis 1484, alſo bis ſieben Jahre nach des Kolumbus Reiſe nach Island. Ganz verſchieden von der erſten Entdeckung des neuen Kontinents im 11. Jahrhundert iſt durch ihre weltgeſchicht— lichen Folgen, durch ihren Einfluß auf die Erweiterung phy— = ſiſcher Weltanſchauung die Wiederauffindung dieſes Kontinents durch Chriſtoph Kolumbus, die Entdeckung der Tropenländer von Amerika geworden. Wenn auch der Seefahrer, welcher am Ende des 15. Jahrhunderts das große Unternehmen leitete, keineswegs die Abſicht hatte, einen neuen Weltteil zu entdecken, wenn es auch entſchieden iſt, daß Kolumbus und Amerigo Veſpucci in der feſten Ueberzeugung!““ geſtorben ſind, ſie hätten bloß Teile des öſtlichen Aſiens berührt, ſo hat die Expedition doch ganz den Charakter der Ausführung eines nach wiſſenſchaftlichen Kombinationen entworfenen Planes ge— habt. Es wurde ſicher geſchifft nach Weſten, durch die Pforte, welche die Tyrier und Coläus von Samos geöffnet, durch das „unermeßliche Dunkelmeer“ (mare tenebrosum) der arabiſchen Geographen. Man ſtrebte nach einem Ziele, deſſen Abſtand man zu kennen glaubte. Die Schiffer wurden nicht zufällig verſchlagen, wie Naddod und Gardar nach Island, wie Gunnbjörn, der Sohn von Ulf Kraka, nach Grönland. Auch wurde der Entdecker nicht durch Zwiſchenſtationen ge⸗ leitet. Der große Nürnberger Kosmograph Martin Behaim, welcher den Portugieſen Diego Cam auf ſeinen wichtigen Expeditionen nach der Weſtküſte von Afrika begleitet hatte, lebte vier Jahre, von 1486 bis 1490, auf den Azoren, und nicht von dieſen Inſeln aus, welche zwiſchen den iberiſchen Küſten und der Küſte Pennſylvaniens in °% Entfernung von der letzteren liegen, wurde Amerika BEER: Das Vor⸗ ſätzliche der That iſt dichteriſch ſchön in den Stanzen des Taſſo gefeiert. Er ſingt von dem, was Herkules nicht wagte: Non osö di tentar Palto Oceano: Segnö le mete, e'n troppo brevi chiostri L’ardir ristrinse dell’ ingegno umano — — Tempo verrä che fian d’Ercole i segni Favola vile ai naviganti industri — — Un uom della Liguria avrà ardimento All' incognito corso esporsi in prima — — Taſſo XV st. 25, 30 und 31. Und doch weiß von dieſem „uom della Liguria“ der große portugieſiſche Geſchichtſchreiber Johann Barros, deſſen erſte Dekade 1552 erſchienen iſt, nicht mehr zu ſagen, als daß er ein eitler phantaſtiſcher Schwätzer geweſen ſei (homem fallador, e elorioso em mostrar suas habilidades, e mais fantastico, e de im: ıginacoes com sua Ilha Cypango). So hat durch — 193 — alle Jahrhunderte, durch alle Abſtufungen der errungenen Civiliſation . Nationalhaß den Glanz ruhmvoller Namen zu verdunkeln geſtrebt. Die Entdeckung der Tropenländer von Amerika durch Chriſtoph Kolumbus, Alonſo de Hojeda und Alvarez Cabral kann in der Geſchichte der Weltanſchauung nicht als eine iſo— lierte Begebenheit betrachtet werden. Ihr Einfluß auf die Erweiterung des phyſiſchen Wiſſens und auf die Bereicherung der Ideenwelt im allgemeinen wird nur dann richtig auf— gefaßt, wenn man einen flüchtigen Blick auf diejenigen Jahr— hunderte wirft, welche das Zeitalter der großen nautiſchen Unternehmungen von dem der Blüte wiſſenſchaftlicher Kultur unter den Arabern trennen. Was der Aera des Kolumbus ihren eigentümlichen Charakter gab, den eines ununterbrochenen und gelingenden Strebens nach Entdeckungen im Raume, nach erweiterter Erdkenntnis, wurde langſam und auf vielfachen Wegen vorbereitet. Es wurde es durch eine kleine Zahl kühner Männer, welche früher auftraten und gleichzeitig zu allgemeiner Freiheit des Selbſtdenkens wie zum Erforſchen ein— zelner Naturerſcheinungen anregten; durch den Einfluß, welchen auf die tiefſten Quellen des geiſtigen Lebens ausübte die in Italien erneuerte Bekanntſchaft mit den Werken der griechiſchen Litteratur und die Erfindung einer Kunſt, die dem Gedanken Flügel und eine lange Dauer verlieh, durch die erweiterte Kenntnis des öſtlichen Aſiens, welche Mönchsgeſandtſchaften an die Mongolenfürſten und reiſende Kaufleute unter die weltverkehrenden Nationen des ſüdweſtlichen Europas ver— breiteten, unter ſolche, denen ein kürzerer Weg nach den Ge— würzländern ein Gegenſtand der eifrigſten Wünſche war. Zu den hier genannten Anregungsmitteln geſellten ſich noch, was die Befriedigung jener Wünſche gegen das Ende des 15. Jahr- hunderts am meiſten erleichterte, die Fortſchritte der Schiff— fahrtskunde, die allmähliche Vervollkommnung der nautiſchen Inſtrumente, der magnetiſchen wie der aſtronomiſch-meſſenden, endlich die Anwendung gewiſſer Methoden zur Ortsbeſtimmung des Schiffes und der allgemeinere Gebrauch der Sonnen- und Mondephemeriden des Regiomontanus. Ohne, was dieſen Blättern fremd bleiben muß, auf das Einzelne in der Geſchichte der Wiſſenſchaften einzugehen, nennen wir nur unter den Menſchen, welche die Epoche von Kolumbus und Gama vorbereitet haben, drei große Namen: Albertus Magnus, Roger Baco und Vincenz von Beauvais. Sie ſind A. v. Humboldt, Kosmos. II. 13 194 — hier der Zeitfolge nach aufgeführt; denn der wichtigere, mehr— umfaſſende, geiſtreichere iſt Roger Baco, ein Franziskaner⸗ mönch aus Ilcheſter, der ſich zu Oxford und Paris für die Wiſſenſchaften ausbildete. Alle drei ſind ihrem Zeitalter voran— geeilt und haben mächtig auf dasſelbe eingewirkt. In den langen, meiſt unfruchtbaren Kämpfen dialektiſcher Speku⸗ lationen und des logiſchen Dogmatismus einer Philoſophie, die man mit dem unbeſtimmten, vieldeutigen Namen der ſcho— laſtiſchen belegt hat, läßt ſich der wohlthätige Einfluß, man könnte ſagen die Nachwirkung der Araber nicht verkennen. Die Eigentümlichkeit ihres Nationalcharakters, die wir im vorigen Abſchnitte geſchildert, ihr Hang zum Verkehr mit der Natur hatte den neu überſetzten Schriften des Ariſtoteles eine Verbreitung verſchafft, welche mit der Vorliebe und der Begründung der Erfahrungswiſſenſchaften auf das innigſte zuſammenhing. Bis an das Ende des 12. und den Anfang des 13. Jahrhunderts herrſchten mißverſtandene Lehren der platoniſchen Philoſophie in den Schulen. Schon die Kirchen— väter glaubten in derſelben die Vorbilder zu ihren eigenen religiöſen Anſchauungen zu finden. Viele der ſymboliſieren— den phyſikaliſchen Phantaſieen des Timäus wurden mit Be— geiſterung aufgenommen, und durch chriſtliche Autorität lebten wieder verworrene Ideen über den Kosmos auf, deren Nichtig— keit die mathematiſche Schule der Alexandriner längſt erwieſen hatte. So pflanzten ſich von Auguſtinus an bis Alkuin, Johannes Scotus und Bernhard von Chartres tief in das Mittelalter hinab, unter wechſelnden Formen, die Herrſchaft des Platonismus oder richtiger zu ſagen neuplatoniſche An— klänge fort. Als nun, dieſe verdrängend, die ariſtoteliſche Philoſophie den entſchiedenſten Einfluß auf die Bewegungen des Geiſtes gewann, war es in zwei Richtungen zugleich, in den Forſchungen der ſpekulativen Philoſophie und in der philoſophiſchen Bear- beitung des empiriſchen Naturwiſſens. Die erſte dieſer Richtungen, wenn ſie auch dem Gegenſtande meiner Schrift entfernter zu liegen ſcheint, darf hier ſchon deshalb nicht unberührt bleiben, weil ſie mitten in der Zeit dialek— tiſcher Scholaſtik einige edle, hochbegabte Männer zum freien Selbſtdenken in den verſchiedenartigſten Gebieten des Wiſſens antrieb. Eine großartige phyſiſche Weltanſchauung bedarf nicht bloß der reichen Fülle der Beobachtungen, als Subſtrats der Verallgemeinerung der Ideen; ſie bedarf auch — 195 — der vorbereitenden Kräftigung der Gemüter, um in den ewigen Kämpfen zwiſchen Wiſſen und Glauben nicht vor den drohen— den Geſtalten zurückzuſchrecken, die bis in die neuere Zeit an den Eingängen zu gewiſſen Regionen der Erfahrungswiſſen— ſchaft auftreten und dieſe Eingänge zu verſperren trachten. Man darf nicht trennen, was in dem Entwickelungsgange der Menſchheit gleichmäßig belebt hat, das Gefühl der Be— rechtigung zur intellektuellen Freiheit und das lange un— befriedigte Streben nach Entdeckungen in fernen Räumen. Jene freien Selbſtdenker bildeten eine Reihe, welche im Mittel: alter mit Duns Scotus, Wilhelm von Occam und Nikolaus von Cuſa anhebt und durch Ramus, Campanella und Gior— dano Bruno bis zu Descartes leitet. | Die unüberſteiglich ſcheinende „Kluft zwiſchen dem Denken und dem Sein, die Beziehungen zwiſchen der erkennenden Seele und dem erkannten Gegenſtande“ trennten die Dialektiker in jene zwei berühmten Schulen der Realiſten und No mi— naliſten. Des faſt vergeſſenen Kampfes dieſer mittelalter— lichen Schulen muß hier gedacht werden, weil er einen weſent— lichen Einfluß auf die endliche Begründung der Erfahrungs— wiſſenſchaften ausgeübt hat. Die Nominaliſten, welche den allgemeinen Begriffen nur ein ſubjektives Daſein in dem menſchlichen Vorſtellungsvermögen zugeſtanden, wurden nach vielen Schwankungen zuletzt im 14. und 15. Jahrhundert die ſiegreiche Partei. Bei ihrer größeren Abneigung vor leeren Abſtraktionen drangen ſie zuerſt auf die Notwendigkeit der Erfahrung, auf die Vermehrung der ſinnlichen Grundlage der Erkenntnis. Eine ſolche Richtung wirkte wenigſtens mittel— bar auf die Bearbeitung des empiriſchen Naturwiſſens; aber auch ſchon da, wo ſich nur noch realiſtiſche Anſichten geltend machten, hatte die Bekanntſchaft mit der Litteratur der Araber Liebe zum Naturwiſſen, in glücklichem Kampfe mit der alles abſorbierenden Theologie, verbreitet. So ſehen wir in den verſchiedenen Perioden des Mittelalters, dem man vielleicht eine zu große Charaktereinheit zuzuſchreiben gewohnt iſt, auf ganz verſchiedenen Wegen, auf rein ideellen und empiriſchen, das große Werk der Entdeckungen im Erdraume und die Mög— lichkeit ihrer glücklichen Benutzung zur Erweiterung des kos— miſchen Ideenkreiſes ſich allmählich vorbereiten. Unter den gelehrten Arabern war das Naturwiſſen eng an Arzneikunde und Philoſophie, im chriſtlichen Mittelalter war es neben der Philoſophie an die theologiſche Dogmatik 8 geknüpft. Die letztere, ihrer Natur nach zur Alleinherrſchaft ſtrebend, bedrängte die empiriſche Forſchung in den Gebieten er Phyſik, der organiſchen Morphologie und der, meiſt mit Aſtrologie verſchwiſterten Sternkunde. Das von den Arabern und jüdiſchen Rabbinern überkommene Studium des allum— faſſenden Ariſtoteles hatte aber die Richtung nach einer philo— ſophiſchen Verſchmelzung aller Disziplinen hervorgerufen; daher galten Ibn-Sina (Avicenna) und Ibn-Roſchd (Averroes), Albertus Magnus und Roger Bacon für die Repräſentanten des ganzen menſchlichen Wiſſens ihrer Zeit. Der Ruhm, welcher im Mittelalter ihre Namen umſtrahlte, läßt ſich dieſem allgemein verbreiteten Glauben beimeſſen. Albert der Große, aus dem Geſchlechte der Grafen von Bollſtädt, muß auch als Selbſtbeobachter in dem Gebiete der zerlegenden Chemie genannt werden. Seine Hoffnungen waren freilich auf die Umwandlung der Metalle gerichtet; aber, um ſie zu erfüllen, vervollkommnete er nicht bloß die praktiſchen Handgriffe in Behandlung der Erze, er vermehrte auch die Einſicht in die allgemeine Wirkungsart der chemiſchen Naturkräfte. Ueber den organiſchen Bau und die Pflanzen— phyſiologie enthalten ſeine Werke einzelne überaus ſcharf⸗ ſinnige Bemerkungen. Er kannte den Schlaf der Pflanzen, das periodiſche ſich Oeffnen und Schließen der Blumen, die Verminderung des Saftes durch Verdunſtung aus der Sber⸗ haut der Blätter, den Einfluß der Teilung der Gefäßbündel auf die Ausſchnitte des Blattrandes. Er kommentierte alle phyſikaliſchen Schriften des Stagiriten, doch die Tiergeſchichte nur nach der lateiniſchen Ueberſetzung des Michael Scotus aus dem Arabiſchen.“ Ein Werk Alberts des Großen, welches den Titel führt: Liber cosmographicus de natura locorum, iſt eine Art phyſiſcher Geographie. Ich habe darin Betrachtungen aufgefunden über die gleichzeitige Abhängigkeit der Klimate von der Breite und der Höhe des Ortes, wie über die Wirkung des verſchiedenen Einfallwinkels der Sonnenſtrahlen auf die Erwärmung des Bodens, die mich ſehr überraſcht haben. Daß Albert von Dante gefeiert worden iſt, verdankt er vielleicht nicht ſo ſehr ſich ſelbſt als ſeinem geliebten Schüler, dem heiligen Thomas von Aquino, welchen er 1245 von Köln nach Paris und 1248 nach Deutſchland zurückführte. a Questi, che m'è a destra piü vicino, Frate e maestro fummi; ed esso Alberto E' di Cologna, ed io Thomas d’Aquino. Il Paradiso X, 97—99. In dem, was unmittelbar auf die Erweiterung der Natur— wiſſenſchaften gewirkt hat, auf ihre Begründung durch Mathe— matik und durch das Hervorrufen von Erſcheinungen auf dem Wege des Experimentes, iſt Alberts von Bollſtädt Zeitgenoſſe Roger Bacon die wichtigſte Erſcheinung des Mittelalters geweſen. Beide Männer füllen faſt das ganze 13. Jahr- hundert aus; aber dem Roger Bacon gehört der Ruhm, daß der Einfluß, welchen er auf die Form und Behandlung des Naturſtudiums ausgeübt hat, wohlthätiger und dauernd wirk— ſamer geweſen iſt als das, was man ihm von eigenen Er— findungen mit mehr oder minderem Rechte zugeſchrieben hat. Zum Selbſtdenken erweckend, rügte er ſtreng den blinden Autoritätsglauben der Schule; doch, weit davon entfernt, ſich nicht um das zu kümmern, was das griechiſche Altertum er— forſcht, pries er gleichzeitig gründliche Sprachkunde, ““? An— wendung der Mathematik und die Scientia experimentalis, der er einen eigenen Abſchnitt des Opus maus gewidmet hat.!“ Von einem Papſte (Klemens IV.) geſchützt und be— günſtigt, von zwei anderen (Nikolaus III. und IV.) der Magie beſchuldigt und eingekerkert, hatte er die wechſelnden Schick— ſale der großen Geiſter aller Zeiten. Er kannte die Optik des Ptolemäus ““ und das Almageſt. Da er den Hipparch immer, wie die Araber, Abraxis nennt, jo darf man ſchließen, 1 .. daß auch er ſich nur einer aus dem Arabiſchen herſtammen— den lateiniſchen Ueberſetzung bediente. Neben Bacons chemi— ſchen Verſuchen über brennbare explodierende Miſchungen ſind ſeine theoretiſch-optiſchen Arbeiten über die Perſpektive und die Lage des Brennpunktes bei Hohlſpiegeln am wichtigſten. Sein gedankenvolles „Großes Werk“ enthält Vorſchläge und Entwürfe zu möglicher Ausführung, nicht deutliche Spuren gelungener optiſcher Erfindungen. Tiefe des mathematiſchen Wiſſens iſt ihm nicht zuzuſchreiben. Was ihn charakteriſiert, iſt vielmehr eine gewiſſe Lebhaftigkeit der Phantaſie, deren ungemeſſene Aufregung bei den Mönchen des Mittelalters in ihren naturphiloſophiſchen Richtungen durch den Eindruck ſo vieler unerklärter großer Naturerſcheinungen wie durch langes angſtvolles Spähen nach Löſung geheimnisvoller Pröbleme krankhaft erhöht wurde. — 198 — Die durch das Koſtſpielige des Abſchreibens vermehrte Schwierigkeit, vor Erfindung des Bücherdrucks eine große Zahl einzelner Handſchriften zu ſammeln, erzeugte im Mittelalter, als der Ideenkreis ſich ſeit dem 13. Jahrhunderte wieder zu erweitern anfing, eine große Vorliebe für eneyklopädiſche Werke. Dieſe verdienen hier eine beſondere Beachtung, weil ſie zur Verallgemeinerung der Anſichten führten. Es erſchienen, meiſt aufeinander gegründet, die 20 Bücher de rerum natura von Thomas Cantipratenſis, Profeſſor in Löwen (1230); der Natur: ſpiegel (Speeulum naturale), welchen Vincenz von Beau— vais (Bellovacenſis) für den heiligen Ludwig und deſſen Ge— mahlin Margarete von Provence ſchrieb (1250); das Buch der Natur von Konrad von Meygenberg, Prieſter zu Regensburg (1349); und das Weltbild (Imago Mundi) des Kardinals Petrus de Alliaco, Biſchofs von Cambray (1410). Dieſe En- cytlopädieen waren die Vorläufer der großen Margarita philosophica des Pater Reiſch, deren erſte Ausgabe 1486 erſchien und welche ein halbes Jahrhundert lang die Verbrei— tung des Wiſſens auf eine merkwürdige Weiſe befördert hat. Bei dem Weltbilde (der Weltbeſchreibung des Kardinals Allia- eus (Pierre d'Ailly) müſſen wir hier noch beſonders verwei— len. Ich habe an einem anderen Orte erwieſen, daß das Buch Imago Mundi mehr Einfluß auf die Entdeckung von Ame— rika als der Briefwechſel mit dem gelehrten Florentiner Tosca— nelli ausgeübt hat.!“ Alles, was Chriſtoph Kolumbus von den griechiſchen und römiſchen Schriftſtellern wußte, alle Stellen des Ariſtoteles, des Strabo und des Seneca über die Nähe des öſtlichen Aſiens zu den Herkulesſäulen, welche, wie der Sohn Don Fernando ſagt, den Vater hauptſächlich anregten, die indischen Länder zu entdecken (autoridad de los eseritores para mover al Almirante ä descubrir las Indias), ſchöpfte der Admiral aus den Schriften des Kardinals. Er hatte fie bei ſich auf ſeinen Reiſen; denn in einem Briefe, den er im Monat Oktober 1498 von der Inſel Hayti an die ſpaniſchen Monarchen ſchrieb, überſetzt er wörtlich eine Stelle aus des Alliacus Abhandlung de quantitate terrae habitabilis, welche ihm den tiefſten Eindruck gemacht hatte. Er wußte wahrſcheinlich nicht, daß Alliacus auch von feiner Seite ein anderes, früheres Buch, das Opus majus des Roger Bacon, wörtlich ausgeſchrieben hatte. Sonderbares Zeitalter, in wel— chem ein Gemiſch von Zeugniſſen des Ariſtoteles und Aver— roes (Avenryz), des Esra und Seneca über die geringe Aus— mn im — dehnung der Meere im Vergleich mit der der Kontinentalmaſſen dem Monarchen die Ueberzeugung von der Sicherheit eines koſt— Wg Unternehmens geben konnte. ir haben erinnert, wie mit dem Ende des 13. Jahr- hunderts ſich eine entſchiedene Vorliebe zum Studium der Kräfte der Natur, auch eine fortſchreitend philoſophiſchere Rich— tung in der Form dieſes Studiums, in ſeiner wiſſenſchaftlichen Begründung durch Experimente zeigte. Es bleibt uns übrig, in wenigen Zügen den Einfluß zu ſchildern, welchen die Er— weckung der klaſſiſchen Litteratur ſeit dem Ende des 14. Jahr— hunderts auf die tiefſten Quellen des geiſtigen Lebens der Völker, und alſo auch auf eine allgemeine Weltanſchau— ung ausgeübt hat. Die Individualität einzelner hochbegabter Männer hatte dazu beigetragen, den Reichtum der Ideenwelt zu vermehren. Die Empfänglichkeit für eine freiere Ausbil— dung des Geiſtes war vorhanden, als, durch viele zufällig ſcheinende Verhältniſſe begünſtigt, die griechiſche Litteratur, in ihren alten Wohnſitzen bedrängt, eine ſichere Stelle in den Abendländern gewann. Die klaſſiſchen Studien der Araber waren allem fremd geblieben, was der begeiſterten Sprache angehört. Sie waren auf eine ſehr geringe Anzahl von Schrift— ſtellern des Altertums beſchränkt; nach der entſchiedenen Vor— liebe des Volkes für das Naturſtudium vorzugsweiſe auf die phyſiſchen Bücher des Ariſtoteles, auf das Almageſt des Pto— lemäus, die Botanik und Chemie des Dioskorides, die kos— mologiſchen Phantaſieen des Plato. Die ariſtoteliſche Dialektik wurde bei den Arabern mit der Phyſik, wie in den früheren Zeiten des chriſtlichen Mittelalters mit der Theologie ver— ſchwiſtert. Man entlehnte den Alten, was man zu ſpeziellen Anwendungen benutzen konnte; aber man war weit entfernt, den Geiſt des Griechentums im ganzen zu erfaſſen, in den organiſchen Bau der Sprache einzudringen, ſich der dichteri— ſchen Schöpfungen zu erfreuen, den wundervollen Reichtum in dem Gebiet der Redekunſt und der Geſchichtſchreibung zu ergründen. Faſt zwei Jahrhunderte vor Petrarca und Boccaccio hatten allerdings ſchon Johann von Salisbury und der platoniſie— rende Abälard wohlthätig auf die Bekanntſchaft mit einigen Werken des klaſſiſchen Altertums gewirkt. Beide hatten Sinn für die Anmut von Schriften, in denen Freiheit und Maß, Natur und Geiſt ſich ſtets miteinander verſchwiſtert finden; aber der Einfluß des in ihnen angeregten äſthetiſchen Gefühls — 200 — ſchwand ſpurlos dahin. Der eigentliche Ruhm, den geflüch— teten griechiſchen Muſen in Italien einen bleibenden Wohnſitz vorbereitet, an der Wiederherſtellung der klaſſiſchen Litteratur am kräftigſten gearbeitet zu haben, gebührt zwei innigſt be— freundeten Dichtern: Petrarca und Boccaccio. Ein Mönch aus Kalabrien, Barlaam, der lange in Griechenland in der Gunſt des Kaiſers Andronikus gelebt hatte, unterrichtete beide. Mit ihnen fing die ſorgfältigſte Sammlung römiſcher und grie- chiſcher Handſchriften an. Selbſt der hiſtoriſche Sinn für Sprachvergleichung war bei Petrarca erwacht, deſſen philo— logiſcher Scharffinn wie nach einer allgemeineren Weltanſchau— ung ſtrebte. Wichtige Beförderer der griechiſchen Studien waren Emanuel Chryſoloras, welcher als griechiſcher Ge— ſandter nach Italien und England (1391) geſchickt wurde, der Kardinal Beſſarion aus Trapezunt, Gemiſtus Pletho und der Athener Demetrius Chaklondylas, dem man die erſte gedruckte Ausgabe des Homer verdankt.!“ Alle dieſe griechiſchen Ein— wanderungen geſchahen vor der verhängnisvollen Einnahme von Konftantinopel (29. Mai 1453); nur Konſtantin Laskaris, deſſen Vorfahren dort einſt auf dem Throne geſeſſen, kam ſpäter nach Italien. Die koſtbare Sammlung griechiſcher Hand— ſchriften, die er mitbrachte, iſt in die ſelten benutzte Biblio- thek des Eskorials verſchlagen. Das erſte griechiſche Buch wurde nur 14 Jahre vor der Entdeckung von Amerika ge— druckt, wenngleich die Erfindung der Buchdruckerkunſt ſelbſt, wahrſcheinlich gleichzeitig und ganz jelbjtändig'?” von Guten⸗ berg in Straßburg und Mainz, von Lorenz Jansſon Koſter in Harlem ss gemacht, zwiſchen 1436 und 1439 fällt, alſo in die glückliche Epoche der erſten Einwanderung der gelehrten Griechen in Italien. Zwei Jahrhunderte früher als alle Quellen der griechi— ſchen Litteratur dem Abendlande geöffnet wurden, 25 Jahre vor der Geburt des Dante, einer der großen Epochen in der Kulturgeſchichte des ſüdlichen Europas, ereigneten ſich im in— neren Aſien wie im öſtlichen Afrika Begebenheiten, welche bei dem erweiterten Handelsverkehr die Umſchiffung von Afrika und die Expedition des Kolumbus beſchleunigten. Die Heer: züge der Mongolen, in 26 Jahren von Peking und der chine— ſiſchen Mauer bis Krakau und Liegnitz, erſchreckten die Chriſten⸗ heit. Eine Zahl rüſtiger Mönche wurden als Bekehrer und Diplomaten ausgeſandt: Johann de Plano Carpini und Niko— las Ascelin an Batu Chan, Ruisbroeck (Rubruquis) an Mangu * — 201 — Chan nach Karakorum. Von dieſen Miſſionären hat uns der zuletzt genannte feine und wichtige Bemerkungen über die räum— liche Verteilung der Sprach- und Völkerſtämme in der Mitte des 13. Jahrhunderts aufbewahrt. Er erkannte zuerſt, daß die Hunnen, die Baſchkiren (Einwohner von Paskatir, Baſch— gird des Ibn-Fozlan) und die Ungarn finniſche (uraliſche) Stämme ſind; er fand noch gotiſche Stämme, die ihre Sprache beibehalten, in den feſten Schlöſſern der Krim.!?° Rubruquis machte die beiden mächtigen ſeefahrenden Nationen Italiens, die Venezianer und Genueſer, lüſtern nach den unermeßlichen Reichtümern des öſtlichen Aſiens. Er kennt, ohne den großen Handelsort zu nennen, „die ſilbernen Mauern und goldenen Türme“ von Quinſay, dem heutigen Hangtſcheufu, welches 25 Jahre ſpäter durch den größten Landreiſenden aller Jahr— hunderte, Marco Polo,“ jo berühmt geworden iſt. Wahr— heit und naiver Irrtum finden ſich ſonderbar in Rubruquis, deſſen Reiſenachrichten uns Roger Bacon aufbewahrt, vermiſcht. Nahe bei dem Khatai, „das vom öſtlichen Meere begrenzt iſt“, beſchreibt er ein glückliches Land, „in welchem fremde Männer und Frauen, ſo wie ſie eingewandert ſind, zu altern auf— hören“. Leichtgläubiger noch als der Brabanter Mönch, aber deshalb auch weit mehr geleſen, war der engliſche Ritter John Mandeville. Er beſchreibt Indien und China, Ceylon und Sumatra. Der Umfang und die individuelle Form ſeiner Be— ſchreibungen haben (wie die Itinerarien von Balducci Pego— letti und die Reiſe des Ruy Gonzalez de Clavijo) nicht wenig dere beigetragen, den Hang zu einem großen Weltverkehr zu beleben. Man hat oft und mit ſonderbarer Beſtimmtheit behaup— tet, das vortreffliche Werk des wahrheitsliebenden Marco Polo, beſonders die Kenntnis, welche dasſelbe über die chineſiſchen Häfen und den Indiſchen Archipelagus verbreitete, habe einen großen Einfluß auf Kolumbus ausgeübt, ja dieſer ſei ſogar im Beſitz eines Exemplars von Marco Polo auf ſeiner erſten Entdeckungsreiſe geweſen. Ich habe bewieſen, daß Chriſtoph Kolumbus und ſein Sohn Fernando wohl des Aeneas Sylvius (Papſts Pius II.) Geographie von Aſien, aber nie Marco Polo und Mandeville nennen. Was ſie von Quinſay, Zaitun, Mangu und Zipangu wiſſen, kann aus dem berühmten Briefe des Toscanelli von 1474 über die Leichtigkeit, das öſtliche Aſien von Spanien aus zu erreichen, aus den Erzählungen des Nicolo de' Conti, welcher 25 Jahre lang Indien und das ſüdliche China durchreiſt war, genommen ſein, ohne unmittel- bare Bekanntſchaft mit den Kapiteln 68 und 77 des zweiten Buchs des Marco Polo. Die älteſte gedruckte Ausgabe ſeiner Reiſe iſt eine dem Kolombus und Toscanelli gewiß gleich un— verſtändlich gebliebene deutſche Ueberſetzung von 1477. Daß Kolombus zwiſchen den Jahren 1471 und 1492, in denen er ſich mit ſeinem Projekte, „den Oſten durch den Weſten zu ſuchen (buscar el levante por el poniente, pasar à donde nacen las especerias, navegando al oceidente)“, beſchäftigte, ein Manuffript des venezianiſchen Reiſenden geſehen haben könne, darf als Möglichkeit freilich nicht geleugnet werden; “! aber warum würde er ſich in dem Briefe an die Monarchen aus Jamaika vom 7. Junius 1503, wo er die Küſte von Veragua als einen Teil des aſiatiſchen Ciguare nahe beim Ganges beſchreibt und Pferde mit goldenem Geſchirr zu ſehen hofft, nicht lieber des Zipangu von Marco Polo als des Papa Pio erinnert haben? Wenn die diplomatiſchen Miſſionen der Mönche und wohl— geleitete merkantiliſche Landreiſen zu einer Zeit, wo die Welt— herrſchaft der Mongolen vom Stillen Meere bis an die Wolga das Innere von Aſien zugänglich machte, den großen ſeefahren— den Nationen eine Kenntnis von Khatai und Zipangu (China und Japan) verſchafften, ſo bahnte die Sendung des Petro de Covilham und Alonſo de Payva (1487), welche König Johann II. veranſtaltete, um den „afrikaniſchen Prieſter Johannes“ aufzuſuchen, den Weg, wenn auch nicht für Bartho⸗ lomäus Diaz, doch für Vasco da Gama. Vertrauend den Nachrichten, welche in Kalikut, Goa und Aden wie in Sofala an der Oſtküſte Afrikas von indiſchen und arabiſchen Piloten eingezogen wurden, ließ Covilham den König Johann II. durch zwei Juden aus Kairo wiſſen, daß, wenn die Portugieſen ihre Entdeckungsreiſen an der Weſtküſte gegen Süden weiter fort ſetzten, ſie an die Endſpitze von Afrika gelangen würden, von wo aus die Schiffahrt nach der Mondinſel (Magaſtar des Polo), nach Sanſibar und dem goldreichen Sofala über— aus leicht wäre. Ehe aber dieſe Nachrichten nach Liſſabon ge— langten, wußte man dort längſt, daß Bartholomäus Diaz das Vorgebirge der guten Hoffnung (Cabo tormentoso) nicht bloß entdeckt, ſondern (wenn auch nur auf eine kleine Strecke) um— ſchifft hatte.!“ Durch Aegypten, Abeſſinien und Arabien konnten ſich übrigens ſehr früh im Mittelalter Nachrichten von den indiſchen und arabiſchen Handelsſtationen an der afrika— — 203 — niſchen Oſtküſte und von der Konfiguration der Südſpitze des Kontinents nach Venedig verbreitet haben. Die trianguläre Geſtalt von Afrika iſt in der That ſchon auf dem Planiſphä— rium des Sanuto'*? von 1306, in dem genueſiſchen Portu— lano della Mediceo-Laurenziana von 1351, welchen der Graf Baldelli aufgefunden, und auf der Weltkarte von Fra Mauro deutlich abgebildet. Die Geſchichte der Welt— anſchauung bezeichnet, ohne dabei zu verweilen, die Epochen, in denen die Hauptgeſtaltung der großen Kontinentalmaſſen zuerſt erkannt wurde. Indem die ſich allmählich entwickelnde Kenntnis der Raum— verhältniſſe dazu anregte, auf Abkürzungen von Seewegen zu denken, wuchſen auch ſchnell die Mittel, durch Anwendung der Mathematik und Aſtronomie, durch Erfindung neuer Meß— inſtrumente und geſchicktere Benutzung der magnetiſchen Kräfte die praktiſche Nautik zu vervollkommnen. Die Benutzung der Nord: und Südweiſung des Magnetes, d. i. den Gebrauch des Seekompaſſes, verdankt Europa ſehr wahrſcheinlich den Arabern und dieſe verdanken ſie wiederum den Chineſen. In einem chineſiſchen Werke (in dem hiſtoriſchen Szuk des Szu— mathſian, eines Schriftſtellers aus der erſten Hälfte des 2. Jahr— hunderts vor unſerer Zeitrechnung) wird der magnetiſchen Wagen erwähnt, welche der Kaiſer Tſchingwang aus der alten Dynaſtie der Tſcheu über 900 Jahre früher den Ge— ſandten von Tunkin und Kochinchina geſchenkt hatte, damit ſie ihren Landweg zur Rückkehr nicht verfehlen möchten. Im 3. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung, unter der Dynaſtie der Han, wird in Hiutſchins Wörterbuche Schuewen die Art beſchrieben, wie man durch methodiſches Streichen einem Eiſen— ſtabe die Eigenſchaft gibt, ſich mit dem einen Ende gegen Süden zu richten. Wegen der gewöhnlichſten Richtung der daſigen Schiffahrt wird immer vorzugsweiſe die Südweiſung erwähnt. Hundert Jahre ſpäter, unter der Dynaſtie der Tſin, benutzen dieſelbe ſchon chineſiſche Schiffe, um ihre Fahrt auf offenem Meere ſicher zu leiten. Durch dieſe Schiffe hat die Kenntnis der Buſſole ſich nach Indien und von da nach der Oſtküſte von Afrika verbreitet. Die arabiſchen Benennungen zohron und aphron (für Süd und Nord),“ welche Vincenz von Beauvais in ſeinem Naturſpiegel den beiden Enden der Magnet— nadel gibt, bezeugen (wie die vielen arabiſchen Sternnamen, deren wir uns heute noch bedienen), auf welchem Wege und durch wen das Abendland belehrt wurde. In dem chriſtlichen Europa iſt von dem Gebrauch der Nadel, als von einem ganz bekannten Gegenſtande zuerſt in einem politiſch-ſatiriſchen Ge— dichte la Bible des Guyot von Provins, 1190, und in der Beſchreibung von Paläſtina des Biſchofs von Ptolemais, Jakob von Vitry zwiſchen 1204 und 1215, geredet worden. Auch Dante (Parad. XII, 29) erwähnt in einem Gleichnis der Nadel (ago), „die nach dem Sterne weiſt.“ Dem Flavio Gioja aus Poſitano, unweit des ſchönen und durch ſeine weit verbreiteten Seegeſetze ſo berühmten Amalfi, hat man lange die Erfindung des Seekompaſſes zu— geſchrieben; vielleicht war von demſelben (1302) irgend eine Vervollkommnung in der Vorrichtung angegeben worden. Eine viel frühere Benutzung des Kompaſſes in den europäiſchen Ge— wäſſern als im Anfang des 14. Jahrhunderts beweiſt auch eine nautiſche Schrift des Raimundus Lullus aus Majorca, des ſonderbaren, geiſtreichen, exzentriſchen Mannes, deſſen Dok— trinen Giordano Bruno ſchon als Knaben begeiſterten und der zugleich philoſophiſcher Syſtematiker, Scheidekünſtler, chriſt— licher Bekehrer und Schiffahrtskundiger war. In ſeinem Buche Fenix de las maravillas delorbe, das im Jahre 1286 verfaßt iſt, ſagt Lullus, daß die Seefahrer ſeiner Zeit ſich der „Meßinſtrumente, der Seekarten und der Magnetnadel“ bedienten.“ Die frühen Schiffahrten der Katalanen nach der Nordküſte von Schottland und nach der Weſtküſte des tro— piſchen Afrikas (Don Jayme Ferrer gelangte im Monat Auguſt 1346 an den Ausfluß des Rio de Ouro), die Entdeckung der Azoren (Bracir-Inſeln der Weltkarte von Pieigano, 1367) durch die Normänner erinnern uns, daß lange vor Kolumbus man den freien weſtlichen Ozean durchſchiffte. Was unter der Römerherrſchaft im Indiſchen Meere zwiſchen Ocelis und der malabariſchen Küſte bloß im Vertrauen auf die Regelmäßig— teit der Windesrichtungen ausgeführt wurde, geſchah jetzt unter Leitung der Magnetnadel. Die Anwendung der Aſtronomie auf die Schiffahrtskunde war vorbereitet durch den Einfluß, welchen vom 13. zum 15. Jahrhundert in Italien Andalone del Nero und der Be— richtiger der Alfonſiniſchen Himmelstafeln Johann Bianchini, in Deutſchland Nikolaus von Cuſa, ““ Georg von Peurbach und Regiomontanus ausübten. Aſtrolabien zur Beſtimmung der Zeit und der geographiſchen Breite durch Meridianhöhen, anwendbar auf einem immer bewegten Elemente, erhielten all— mähliche Vervollkommnung, ſie erhielten ſie von dem Aſtro— ER = labium der Piloten von Majorca an, welches Raimund Lullus !“ in dem Jahre 1295 in ſeiner Arte de navegar beſchreibt, bis zu dem, das Martin Behaim 1484 zu Liſſabon zuſtande brachte und das vielleicht nur eine Vereinfachung des Me— teoroſkops ſeines Freundes Regiomontanus war. Als der Infant Heinrich der Seefahrer (Herzog von Viſeo) in Sagres eine Pilotenakademie ſtiftete, wurde Maeſtro Jayme aus Ma— jorca zum Direktor derſelben ernannt. Martin Behaim hatte den Auftrag von König Johann II. von Portugal, Tafeln für die Abweichung der Sonne zu berechnen und die Piloten zu lehren „nach Sonnen- und Sternhöhen zu ſchiffen“. Ob man jchon am Ende des 15. Jahrhunderts die Vorrichtung der Logleine gekannt habe, um neben der durch den Kom— paß beſtimmten Richtung auch die Länge des zurückgelegten Weges zu ſchätzen, kann nicht entſchieden werden, doch iſt ge— wiß, daß Pigafetta, Magelhaens' Begleiter, von dem 0 (la catena a poppa) wie von einem längſt bekannten Mittel ſpricht, den zurückgelegten Weg zu meſſen.!““ Der Einfluß der arabiſchen Civiliſation, der aſtronomiſchen Schulen von Cordova, Sevilla und Granada auf das See— weſen in Spanien und Portugal iſt nicht zu überſehen. Man ahmte für das Seeweſen im kleinen die großen Inſtrumente der Schulen von Bagdad und Kairo nach. Auch die Namen gingen über. Der des Aſtrolabon, welches Martin Behaim an den großen Maſt befeſtigte, gehört urſprünglich dem Hipparch. Als Vasco da Gama an der Oſtküſte von Afrika landete, fand er, daß die indiſchen Piloten in Melinde den Ge— brauch der Aſtrolabien und Balleſtillen kannten. So war durch Mitteilung bei zunehmendem Weltverkehr wie durch eigene Er— findungsgabe und gegenſeitige Befruchtung des mathematiſchen und aſtronomiſchen Wiſſens alles vorbereitet, um die Ent— deckung des tropiſchen Amerikas, die ſchnelle Beſtimmung ſeiner Geſtaltung, die Schiffahrt um die Südſpitze von Afrika nach Indien, und die erſte Weltumſegelung, d. h. alles, was Großes und Ruhmwürdiges für die erweiterte Kenntnis des Erdraumes in dreißig Jahren (von 1492 bis 1522) geſchehen iſt, zu er— leichtern. Auch der Sinn der Menſchen war geſchärfter, um die grenzenloſe Fülle neuer Erſcheinungen in ſich aufzunehmen, zu verarbeiten und durch Vergleichung für allgemeine und höhere Weltanſichten zu benutzen. Von den Elementen dieſer höheren Weltanſichten, ſolcher, die zu der Einſicht in den Zuſammenhang der Erſcheinungen 206 — auf dem Erdkörper leiten konnten, genügt es, hier nur die vor— züglicheren zu berühren. Wenn man ſich ernſthaft mit den Originalwerken der früheſten Geſchichtſchreiber der Conquista beſchäftigt, ſo erſtaunt man, oft ſchon den Keim wichtiger phy— ſiſcher Wahrheiten in den ſpaniſchen Schriftſtellern des 16. Jahr— hunderts zu entdecken. Bei dem Anblick eines Feſtlandes, wel— ches in den weiten Einöden des Ozeans von allen anderen Gebieten der Schöpfung getrennt erſchien, bot ſich ſowohl der angeregten Neugierde der erſten Reiſenden als denen, welche ihre Erzählungen ſammelten, ein großer Teil der wichtigen Fragen dar, die uns noch heute beſchäftigen: Fragen über die Ein— heit des Menſchengeſchlechtes und deſſen Abweichungen von einer gemeinſamen Urgeſtaltung, über die Wanderungen der Völker und die Verſchwiſterung von Sprachen, welche in ihren Wurzel— wörtern oft größere Verſchiedenheiten als in den Flexionen oder grammatiſchen Formen offenbaren, über die Möglichkeit der Wanderung von Pflanzen- und Tierarten, über die Urſache der Paſſatwinde und der konſtanten Meeresſtrömungen, über die regelmäßige Wärmeabnahme an dem Abhange der Kordil— leren und in der Tiefe des Ozeans in übereinander gelager— ten Waſſerſchichten, über die gegenſeitige Einwirkung der in Ketten auftretenden Vulkane und den Einfluß derſelben auf die Frequenz der Erdbeben und die Ausdehnung der Erſchüt— terungskreiſe. Die Grundlage von dem, was man heute phyſikaliſche Erdbeſchreibung nennt, iſt, die mathema— tiſchen Betrachtungen abgerechnet, in des Jeſuiten Joſeph Acoſta Historia natural y moral de las Indias wie in dem kaum 20 Jahre nach dem Tode des Kolumbus erſchienenen Werke von Gonzalo Hernandez de Oviedo enthalten. In keinem anderen Zeitpunkte ſeit dem Entſtehen des geſellſchaftlichen Zuſtandes war der Ideenkreis in Bezug auf die Außenwelt und die räumlichen Verhältniſſe ſo plötzlich und auf eine ſo wunder— bare Weiſe erweitert, das Bedürfnis lebhafter gefühlt worden, die Natur unter verſchiedenen Breitengraden und in verſchie— denen Höhen über der Meeresfläche zu beobachten, die Mittel zu vervielfältigen, durch welche ſie befragt werden kann. Man möchte ſich vielleicht, wie ich ſchon an einem an— deren Orte bemerkt habe, zu der Annahme verleiten laſſen, daß der Wert ſo großer Entdeckungen, die ſich gegenſeitig her— vorriefen, der Wert dieſer zweifachen Eroberungen in der phyſiſchen und in der intellektuellen Welt erſt in unſeren Tagen anerkannt worden iſt, ſeitdem die Kulturgeſchichte des Men— — 207 ſchengeſchlechts ſich einer philoſophiſchen Behandlung erfreut. Eine ſolche Annahme wird durch die Zeitgenoſſen des Kolum— bus widerlegt. Die talentvollſten unter ihnen ahnten den Einfluß, welchen die Begebenheiten der letzten Jahre des 15. Jahrhunderts auf die Menſchheit ausüben würden. „Jeder Tag,“ ſchreibt Peter Martyr von Anghiera '*’ in feinen Briefen aus den Jahren 1493 und 1494, „bringt uns neue Wunder aus einer Neuen Welt; von jenen Antipoden des Weſtens, die ein gewiſſer Genueſer (Christophorus qui— dam, vir Ligur) aufgefunden hat. Von unſeren Monarchen, Ferdinand und Iſabella, ausgeſandt, hatte er mit Mühe drei Schiffe erlangen können, weil man für fabelhaft hielt, was er ſagte. Unſer Freund Pomponius Lätus (einer der aus: gezeichnetſten Beförderer der klaſſiſchen Litteratur und wegen ſeiner religiöſen Meinungen zu Rom verfolgt) hat ſich kaum der Freudenthränen enthalten können, als ich ihm die erſte Nachricht von einem ſo unverhofften Ereigniſſe mitteilte.“ Anghiera, dem wir dieſe Worte entlehnen, war ein geiſtreicher Staatsmann an dem Hofe Ferdinands des Katholiſchen und Karls V., einmal Geſandter in Aegypten, perſönlicher Freund von Kolumbus, Amerigo Veſpucci, Sebaſtian Cabot und Cor— tes. Sein langer Lebenslauf umfaßt die Entdeckung der weſt lichen azoriſchen Inſel, Corvo, die Expeditionen von Diaz, Kolumbus, Gama und Magelhaens. Der Papſt Leo X. las ſeiner Schweſter und den Kardinälen „bis in die tiefe Nacht“ die Oceanic des Anghiera vor. „Spanien,“ ſagt dieſer, „möchte ich von jetzt an nicht wieder verlaſſen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Län— dern ſtehe und als Geſchichtſchreiber ſo großer Begebenheiten hoffen darf, meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen.“ 1°° So lebhaft wurde von den Zeitgenoſſen ge— fühlt, was glänzend in den ſpäteſten Erinnerungen aller Jahr— hunderte leben wird. Kolumbus, indem er das weſtlich von dem Meridian der azoriſchen Inſel noch ganz unerforſchte Meer durchſchiffte und zur Ortsbeſtimmung das neu vervollkommnete Aſtrolabium anwandte, ſuchte das öſtliche Aſien auf dem Wege gegen Weſten nicht als ein Abenteurer; er ſuchte es nach einem feſten vor— gefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der Florentiner Arzt und Aſtronom Paola Tos— canelli 1477 geſchickt hatte und welche 53 Jahre nach ſeinem Tode noch Bartholomäus de las Caſas beſaß. Nach der hand— — 208 — ſchriftlichen Geſchichte des letzteren, die ich unterſucht, war dies auch die Carta de marear, '’' welche der Admiral am 25. September 1492 dem Martin Alonſo Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inſeln eingezeichnet waren. Wäre indes Kolumbus der Karte ſeines Ratgebers Toscanelli allein gefolgt, ſo würde er einen nördlichen Kurs und zwar im Parallelkreiſe von Li ſſabon gehalten haben; er ſteuerte dagegen, in der Doffnung Zipangu (Japan) ſchneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der kanariſchen Inſel Gomera, und ſpäter in Breite abnehmend, befand er ſich am 7 7. Oktober 1492 unter 25½ „. Unruhig darüber, die Küſten von Zipangu nicht zu entdecken, die er nach ſeiner Schiffsrechnung ſchon 216 Seemeilen öftlicher hatte finden ſollen, gab er nach langem Streite dem Befehlshaber der Caravele Pinta, dem eben ge— nannten Martin Alonſo Pinzon (einem der drei reichen, ein— flußvollen, ihm feindlichen Brüder), nach und ſteuerte gegen Südweſt. Dieſe Veränderung der Richtung führte am 12. Ok— tober zur Entdeckung von Guanahani. Wir müſſen hier bei einer Betrachtung verweilen, die eine wunderſame Verkettung kleiner Begebenheiten und den nicht zu verkennenden e einer ſolchen Verkettung auf große Weltſchickſale offenbart. Der verdienſtvolle Waſhington Irving hat mit Recht behauptet, daß, wenn Kolumbus, dem Rate des Martin Alonſo Pinzon widerſtehend, fortgefahren hätte, gegen Weſten zu ſegeln, er in den warmen Golfſtrom geraten wäre und nach Florida und von dort vielleicht nach dem Kap Hat⸗ teras und Virginien würde geführt worden ſein: ein Umſtand von unermeßlicher Wichtigkeit, da er den jetzigen Vereinigten Staaten von Nordamerika ſtatt einer ſpät angelangten prote— ſtantiſch-engliſchen Bevölkerung eine katholiſch-ſpaniſche hätte geben können. „Es iſt mir,“ ſagte Pinzon zu dem Admiral, „wie eine Eingebung (el corazon me da), daß wir anders ſteuern müſſen.“ Auch behauptete er deshalb in dem berühmten Prozeſſe, der (1513-1515) gegen die Erben des Kolumbus geführt wurde, daß die Entdeckung von Amerika ihm allein gehöre. Die Eingebung aber und, „was das Herz ihm ſagte“, verdankte Pinzon, wie in demſelben Prozeß ein alter Matroſe aus Moguer erzählt, dem Flug einer Schar von Papageien, die er abends hatte gegen Südweſten fliegen ſehen, um, wie er vermuten konnte, in einem Gebüſch am Lande zu ſchlafen. Niemals hat der Flug der Vögel gewichtigere Folgen gehabt. Man könnte ſagen, er habe entſchieden über — 209 — die erſten Anſiedelungen im neuen Kontinent, über die ur— ſprüngliche Verteilung romaniſcher und germaniſcher Menſchen— raſſen.“ “? Der Gang großer Begebenheiten iſt wie die Folge der Naturerſcheinungen an ewige Geſetze gefeſſelt, deren wir nur wenige vollſtändig erkennen. Die Flotte, welche König Emanuel von Portugal auf dem Wege, den Gama entdeckt, unter dem Befehle des Pedro Alvarez Cabral nach Oſtindien ſchickte, wurde unvermutet am 22. April 1500 an die Küſte von Braſilien verſchlagen. Bei dem Eifer, welchen die Portugieſen ſeit der Unternehmung des Diaz (1487) für die Umſchiffung des Vor— gebirges der guten Hoffnung zeigten, hätte es nicht an einer Wiederholung von Zufällen fehlen können, denen ähnlich, welche ozeaniſche Strömungen auf Cabrals Schiffe ausgeübt haben. Die afrikaniſchen Entdeckungen würden demnach die Entdeckung von Amerika ſüdlich vom Aequator veranlaßt haben. So durfte Robertſon ſagen, es habe in den Schickſalen der Menſchheit gelegen, daß vor dem Ende des 15. Jahrhunderts der neue Kontinent den europäiſchen Seefahrern bekannt würde. Unter den Charaktereigenſchaften von Chriſtoph Kolumbus müſſen beſonders der durchdringende Blick und der Scharfſinn hervorgeboben werden, womit er ohne gelehrte Bildung, ohne phyſikaliſche und naturhiſtoriſche Kenntniſſe, die Erſcheinungen der Außenwelt erfaßt und kombiniert. Bei ſeiner Ankunft „in einer neuen Welt und unter einem neuen Himmel“ beachtet er aufmerkſam die Form der Ländermaſſen, die Phyſiognomik der Vegetation, die Sitten der Tiere, die Verteilung der Wärme und die Variationen des Erdmagnetismus. Während der alte Seemann ſich beſtrebt, die Spezereien Indiens und den Rha— barber (ruibarba) aufzufinden, der durch die arabiſchen und jüdiſchen Aerzte, durch Rubruquis und die italieniſchen Rei— ſenden ſchon eine ſo große Berühmtheit erlangt hatte, unter— ſuchte er auf das genaueſte Wurzeln und Früchte und Blatt— bildung der Pflanzen. Indem hier an den Einfluß erinnert werden ſoll, welchen die große Epoche der Seefahrten auf die Erweiterung der Naturanſichten ausgeübt, wird die Schilde— rung an Lebendigkeit gewinnen, wenn ſie an die Individualität eines großen Mannes geknüpft iſt. In ſeinem Reiſejournal und in ſeinen Berichten, die erſt 1825 bis 1829 veröffentlicht worden ſind, findet man bereits faſt alle Gegenſtände berührt, auf welche ſich in der letzten Hälfte des 15. und im ganzen 16. Jahrhundert die wiſſenſchaftliche Thätigkeit gerichtet hat. A. v. Humboldt, Kosmos. II. 14 — 210 — Was die Geographie der weitlihen Hemiſphäre gleichſam durch Eroberungen im Raume von der Epoche an gewonnen hat, wo der Infant Dom Henrique der Seefahrer (auf ſeinem Landgute Terça naval an der ſchönen Bai von Sagres) ſeine erſten Entdeckungspläne entwarf, bis zu den Südſeeexpeditionen von Gaetano und Cabrillo, bedarf nur einer allgemeinen Er— innerung. Die kühnen Unternehmungen der Portugieſen, der Spanier und Engländer bezeugen, daß ſich auf einmal wie ein neuer Sinn für das Große und Unbegrenzte erſchloſſen hatte. Die Fortſchritte der Nautik und die Anwendung aſtro— nomiſcher Methoden zur Korrektion der Schiffs rechnung begünſtigten jene Beſtrebungen, welche dem Zeitalter einen eigentümlichen Charakter gaben, das Erdbild vervollſtändigten, den Weltzuſammenhang dem Menſchen offenbarten. Die Ent— deckung des feſten Landes des tropiſchen Amerikas (1. Auguſt 1498) war 17 Monate ſpäter als Cabots Be⸗ ſchiffung der labradoriſchen Küſte von Nordamerika. Kolumbus ſah zuerſt die Tierra firme von Südamerika, nicht, wie man bisher geglaubt, in der Gebirgsküſte von Paria, ſondern in dem Delta des Orinoko öſtlich vom Cano Macareo. Sebaſtian Cabot landete ſchon am 24. Juni 1497 an der Küſte von Labrador zwiſchen 56° und 58° Breite. Daß dieſe unwirt⸗ bare Gegend ein halbes Jahrtauſend früher von dem Isländer Leif Erikſon beſucht worden war, iſt ſchon oben entwickelt worden. Kolumbus legte bei ſeiner dritten Reiſe mehr Wert auf die Perlen der Inſeln Margarita und Cubagua als auf die Entdeckung der Tierra firme, da er bis zu ſeinem Tode feſt überzeugt war, ſchon im November 1492 auf der erſten Reiſe in Cuba einen Teil des feſten Landes von Aſien be— rührt zu haben.! Von dieſem Teile würde er (wie ſein Sohn Don Fernando und ſein Freund, der Cura de los Pa- lacios, erzählen), wenn er Lebensmittel genug gehabt hätte, „die Schiffahrt gegen Weſten fortſetzend, entweder zu Waſſer über Ceylon (Taprobane) und rodeando toda la tierra de los Negros, oder zu Lande über Jeruſalem und Jaffa nach Spanien!“ zurückgekehrt ſein.“ Solche Projekte nährte der Admiral bereits 1494, alſo vier Jahre vor Vasco da Gama, und eine Weltumſegelung träumend 27 Jahre vor Magelhaens und Sebaſtian de Elcano. Die Vorbereitungen zur zweiten Reiſe des Cabot, auf welcher dieſer bis 67 /“ nördlicher Breite zwiſchen Eisſchollen vordrang und eine nordweſtliche Durch— 11 u — 211 — fahrt zum Chatai (China) ſuchte, ließen ihn „für ſpätere Zeiten an eine Fahrt nach dem Nordpol (à lo del polo aretico)“ denken. Je mehr man nach und nach erkannte, daß das Ent— deckte von dem Labrador an bis zum Vorgebirge Paria und, wie die berühmte, ſpät erkannte Karte von Juan de la Coſa (1500) beweiſt, bis jenſeits des Aequators weit in die ſüd— liche Halbkugel einen zuſammenhängenden Erdſtrich bildete, deſto heißer wurde der Wunſch nach einer Durchfahrt im Süden oder im Norden. Nächſt der Wiederauffindung des Feſtlandes von Amerika und der Ueberzeugung von der meri— dianartigen Ausdehnung des neuen Kontinents von der Hud— ſonsbai bis zu dem von Garcia Jofre de Loayſa!“' entdeckten Kap Horn iſt die erlangte Kenntnis der Südſee, eines Meeres, das die weſtlichen Küſten von Amerika beſpült, das wichtigſte kosmiſche Ereignis der großen Zeitepoche, welche wir hier ſchildern. Zehn Jahre ehe Balboa die Südſee (25. Sept. 1513) von der Höhe der Sierra de Quarequa auf der Landenge von Panama erblickte, hatte bereits Kolumbus, als er die öſtliche Küſte von Veragua beſchiffte, beſtimmt erfahren, daß weſtlich von dieſem Lande ein Meer liege, „welches in weniger als neun Tagesfahrten nach der Chersonesus aurea des Ptole⸗ mäus und der Mündung des Ganges führe“. In derſelben Carta rarissima, welche die ſchöne und ſo poetifche Erzählung eines Traumes enthält, jagt der Admiral, daß „die ſich gegen— . Küſten von Veragua bei dem Rio de Belen ſich in ihrer Lage gegenſeitig verhalten wie Tortoſa nahe am Mittelmeer und Fuenterrabia in Biscaya, wie Venedig und Piſa“. Der Große Ozean (die Südſee) erſchien damals nur noch wie eine Fortſetzung des Sinus magnus (niyus zöhrog) des Ptolemäus, dem der goldene Cher ſones vorlag, während ſein öſtliches Ufer Cattigara und das Land der Sinen (Thinen) bilden ſollte. Hipparchs phantaſtiſche Hypotheſe, nach welcher dieſe öſtliche Küſte des großen Buſens ſich an den gegen Morgen weit vorgeſtreckten Teil des afrikaniſchen Kontinents!“ anſchloß und ſo aus dem Indiſchen Meere ein geſperrtes Binnenmeer machte, war glücklicherweiſe im Mittelalter, trotz der Anhänglichkeit an die Anſprüche des Ptolemäus, wenig beachtet worden; ſie würde gewiß auf die Richtung großer nautiſcher Unternehmungen einen nachteiligen Einfluß ausgeübt haben. Die Entdeckung und Beſchiffung der Südſee bezeichnen 1 für die Erkenntnis großer kosmiſcher Verhältniſſe eine um ſo wichtigere Epoche, als durch dieſelben zuerſt und alſo vor kaum viertehalbhundert Jahren nicht bloß die Geſtaltung der Weſtküſte des neuen und der Oſtküſte des alten Kontinents beſtimmt wurde, ſondern weil auch, was meteorologiſch noch weit folgereicher wurde, die numeriſche Größenvergleichung der Areale des Feſten und Flüſſigen auf der Oberfläche unſeres Planeten nun endlich von den irrigſten Anſichten be— freit zu werden anfing. Durch die Größe dieſer Areale, durch die relative Verteilung des Feſten und Flüſſigen werden aber der Feuchtigkeitsgehalt der Atmoſphäre, der wechſelnde Luftdruck, die Vegetationskraft der Pflanzendecke, die größere oder geringere Verbreitung gewiſſer Tiergeſchlechter und ſo viele andere allgemeine Erſcheinungen und phyſiſche Prozeſſe mächtig bedingt. Der größere Flächenraum, welcher dem Flüſ— ſigen, als dem das Feſte bedeckenden Elemente, eingeräumt iſt (im Verhältnis von 2%½ zu 1), vermindert allerdings das bewohnbare Feld für die Aide leg des Menſchengeſchlechts, die nährende Fläche für den größeren Teil der Säugetiere, Vögel und Reptilien, er iſt aber nach den jetzt herrſchenden Geſetzen des Organismus ein notwendiges Bedingnis der Er— haltung, eine wohlthätige Natureinrichtung für alles, was die Kontinente belebt. Als am Ende des 15. Jahrhunderts der lebhafte Drang nach dem kürzeſten Wege entſtanden war, der zu den aſiatiſchen Gewürzländern führen könnte, als faſt gleichzeitig in zwei geiſtreichen Männern Italiens, in dem Seefahrer Chriſtoph Kolumbus und dem Arzte und Aſtronomen !“ Paul Tosca- nelli, die Idee aufkeimte, den Orient durch eine Schiffahrt gegen Weſten zu erreichen, war die Meinung herrſchend, welche Ptolemäus im Almageſt aufgeſtellt, daß der alte Kontinent von der weſtlichen Küſte der Iberiſchen Halbinſel bis zu dem Meridian der öſtlichſten Sinen einen Raum von 180 Aequa— torialgraden ausfülle, d. i, ſeiner Erſtreckung nach von Weſten nach Oſten die ganze Hälfte des Erdſphäroids. Kolumbus, durch eine lange Reihe falſcher Schlüſſe verleitet, erweiterte dieſen Raum auf 240“; die erwünſchte aſiatiſche Oſtküſte ſchien ihm bis in den Meridian von San Diego in Neukalifornien vorzutreten. Kolumbus hoffte demnach, daß er nur 120 Meri— diangrade würde zu durchſchiffen haben, ſtatt der 231°, um welche z. B. die reiche, ſineſiſche Handelsſtadt Quinſay weſtlich von der Endſpitze der Iberiſchen Halbinſel wirklich gelegen iſt. 215 Auf eine noch jonderbarere, jeine Entwürfe begünftigende Weiſe verminderte Toscanelli in ſeinem Briefwechſel mit dem Admiral das Gebiet des flüſſigen Elementes. Das Waſſergebiet ſollte von Portugal bis China auf 52“ Meridianunterſchied einge— ſchränkt werden, ſo daß, ganz wie nach dem alten Ausſpruche des Propheten Esdras, ° der Erde trocken lägen. Kolumbus zeigte ſich dieſer Annahme in ſpäteren Jahren (in einem Briefe, den er an die Königin Iſabella, von Hayti aus gleich nach vollbrachter dritter Reiſe, richtete) um ſo geneigter, als dieſelbe von dem Manne, welcher für ihn die höchſte Autorität war, von dem Kardinal d'Ailly, in feinem Weltgemälde (Imago Mundi) verteidigt!“ worden war. Erſt ſechs Jahre nachdem Balboa, ein Schwert in der Hand, bis zum Knie in die Fluten tretend, für Kaſtilien Beſitz von der Südſee zu nehmen glaubte, zwei Jahre nachdem ſein Haupt in dem Aufruhr gegen den tyranniſchen Petrarias Da— vila !“? durch Henkershand gefallen war, erſchien Magelhaens (27. November 1520) in der Südſee, durchſchiffte den weiten Ozean von Südoſt nach Nordweſt in einer Strecke von mehr als drittehalbtauſend geographiſchen Meilen, und ſah, durch ein ſonderbares Geſchick, ehe er die Mariannen (ſeine Islas de los Ladrones oder de las Velas Latinas) und die Philip— pinen entdeckte, kein anderes Land als zwei kleine unbewohnte Inſeln (die Unglücklichen, Desventuradas), von denen, wenn man ſeinem Journale und ſeiner Schiffsrechnung trauen könnte, die eine öſtlich von den Niedrigen Inſeln (Low Islands), die andere etwas ſüdweſtlich vom Archipel des Men— dana liegt.“ Sebaſtian de Elcano vollendete nach Magelhaens' Ermordung auf der Inſel Zebu die erſte Weltumſegelung in der Nao Victoria, und erhielt zum Wappen einen Erdglobus, mit der ruhmvollen Inſchrift: Primus eircumdedisti me. Er lief erſt im September 1522 in den Hafen von San Lucar ein, und noch war kein volles Jahr vergangen, ſo drang ſchon Kaiſer Karl, von Kosmographen belehrt, in einem Briefe an Hernan Cortes auf die Entdeckung einer Durchfahrt, „die den Weg nach den Gewürzländern um es verkürzen würde“. Die Expedition des Alvaro de Saavedra wird aus einem Hafen der Provinz Zacatula an der Weſtküfte von Mexiko nach den Molukken geſchickt. Hernan Cortes korreſpondiert (1527) von der neu eroberten mexikaniſchen Hauptſtadt Te— nochtitlan aus „mit den Königen von Zebu und Tidor in der aſiatiſchen Inſelwelt“. So ſchnell vergrößerte ſich räum— — 214 — lich die Weltanſicht und mit ihr die Lebhaftigkeit des Welt: verkehrs! Später ging der Eroberer von Neuſpanien ſelbſt auf Entdeckungen in der Südſee und durch die Südſee auf die einer nordöſtlichen Durchfahrt aus. Man konnte ſich nicht an die Idee gewöhnen, daß das Feſtland undurchbrochen ſich von ſo hohen Breiten der ſüdlichen bis zu hohen Breiten der nördlichen Hemiſphäre meridianartig ausdehne. Als von den Küſten Kaliforniens her das Gerücht von dem Untergange der Expedition des Cortes verbreitet wurde, ließ die Gemahlin des Helden, Juana de Zuniga, die ſchöne Tochter des Grafen von Aguilar, zwei Schiffe ausrüſten, um ſichere Nachricht einzuholen. Kalifornien wurde, was man im 17. Jahrhundert wieder vergaß, ſchon vor 1541 für eine dürre, waldloſe Halb: inſel erkannt. Aus den uns jetzt bekannten Berichten von Balboa, Petrarias Davila und Hernan Cortes leuchtet übrigens hervor, daß man damals in der Südſee, als in einem Teile des Indiſchen Ozeans gruppenweiſe „an Gold, Edelſteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inſeln“ zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantaſie trieb zu großen Unternehmungen an: wie denn die Kühnheit dieſer im Gelingen und Nichtgelingen auf die Phantaſie zurückwirkte und ſie mächtiger entflammte. So vereinigte ſich vieles in dieſer wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anſtrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsſchwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politiſcher Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünſtigte und einzelnen höher Begabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemütes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquista— dores allein von Goldgeiz oder gar von religiöſem Fana— tismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poeſie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in ſeinem Einfluſſe auf die Entwickelung kosmiſcher Ideen ſchildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reiſen darbieten, einen Reiz, der unſerem ge— lehrten Zeitalter in den jetzt ſo vielfach aufgeſchloſſenen Erd⸗ räumen zu mangeln beginnt, den Reiz der Neuheit und ſtaunen— erregender Ueberraſchung. Nicht eine Erdhälfte, ſondern faſt 2% der Erdkugel waren damals noch eine neue und uner— forſchte Welt, ungeſehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitationsgeſetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unſerem tiefer — 215 — forſchenden und in Ideenreichtum fortgeſchrittenen Zeitalter iſt ein Erſatz geworden für die Abnahme jener Ueberraſchung, welche die Neuheit großer, maſſenhaft imponierender Natur— erſcheinungen einſt hervorrief; ein Erſatz, freilich nicht für den großen Haufen, ſondern lange noch für die kleine Zahl der mit dem Zuſtand der Wiſſenſchaften vertrauten Phyſiker. Ihn gewährt die zunehmende Einſicht in das ſtille Treiben der Kräfte der Natur, ſei es in dem Elektromagnetismus oder in der Polariſation des Lichtes, in dem Einfluß dia— thermaner Subſtanzen oder in den phyſiologiſchen Erſcheinungen lebendiger Organismen — eine ſich enthüllende Wunderwelt, an deren Eingang wir kaum gelangt ſind! Noch in der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden die Sandwichinſeln, das Land der Papua und einige Teile von Neuholland entdeckt.!“! Dieſe Entdeckungen bereiteten vor zu denen von Cabrillo, Sebaſtian Vizcaino, Mendana !°? und Quiros, deſſen Sagittaria Tahiti, deſſen Archipelago del Espiritu Santo die Neuen Hebriden von Cook ſind. Quiros war von dem kühnen Seefahrer begleitet, welcher ſpäter der Torresſtraße ſeinen Namen gab. Die Südſee er— ſchien nun nicht mehr, wie dem Magelhaens, eine Einöde; ſie erſchien durch Inſeln belebt, die aber freilich aus Mangel genauer aſtronomiſcher Ortsbeſtimmungen, wie ſchlecht ge— wurzelt, auf den Karten hin und her ſchwankten. Die Süd— ſee blieb auch lange der alleinige Schauplatz von den Unter— nehmungen der Spanier und Portugieſen. Die wichtige ſüd— indiſch-malayiſche Inſelwelt, von Ptolemäus, Cosmas und Polo dunkel beſchrieben, entfaltete ſich in beſtimmteren Um— riſſen, ſeitdem Albuquerque (1511) ſich in Malakka feſtſetzte und Anton Abreu ſchiffte. Es iſt das beſondere Verdienſt des klaſſiſchen portugieſiſchen Geſchichtſchreibers Barros, eines Zeitgenoſſen von Magelhaens und Camoens, die Eigentümlich— keit des phyſiſchen und ethniſchen Charakters der Inſelwelt ſo lebendig erkannt zu haben, daß er zuerſt das auſtraliſche Polyneſien als einen fünften Erdteil abzuſondern vorſchlug. Erſt als die holländiſche Macht in den Molukken die herr— ſchende wurde, fing Auſtralien an aus dem Dunkel heraus— zutreten und ſich für den Geographen zu geſtalten. Es be— gann nun die große Epoche von Abel Tasman. Wir liefern hier nicht die Geſchichte der einzelnen geographiſchen Ent— deckungen; wir erinnern bloß an die Hauptereigniſſe, durch welche in kurzer Zeit und in enger Verkettung, folgend dem — 216 — plötzlich erwachten Streben nach allem Weiten, Unbekannten und Fernen, zwei Dritteile der Erdoberfläche erſchloſſen wurden. Einer jolchen erweiterten Kenntnis von Land- und Meeres— räumen entſprach auch die erweiterte Gnſicht in das Weſen und die Geſetze der Naturkräfte, in die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper, in den Reichtum der Organismen und die Grenzen ihrer Verbreitung. Die Fortſchritte, welche am Schluſſe des wiſſenſchaftlich zu gering geachteten Mittelalters die einzelnen Disziplinen gemacht hatten, beſchleunigten das Auffaſſen und die ſinnige Vergleichung einer maßloſen Fülle phyſiſcher Erſcheinungen, die auf einmal der Beobachtung dar— geboten wurden. Die Eindrücke waren um ſo tiefer, zur Ergründung von kosmiſchen Geſetzen um ſo anregender, als die weſtlichen Völker Europas vor der Mitte des 16. Jahr- hunderts den neuen Kontinent bereits in den verſchiedenſten Breitengraden beider Hemiſphären, wenigſtens den Küſten nahe, durchforſcht hatten; als ſie hier zuerſt in der eigentlichen Aequatorialgegend feſten Fuß gefaßt, und als durch die dortige ſonderbare Höhengeſtaltung der Erdoberfläche auf „ Räumen die auffallendſten Kontraſte der vegetabiliſchen Organiſation und der Klimate ſich ihren Blicken dargeſtellt N Wenn ich mich hier wieder veranlaßt finde, die begeiſtigenden Vorzüge der Gebirgsländer in der Aequinoktial⸗ zone beſonders hervorzuheben, ſo kann mich der ſchon mehr— fach wiederholte Ausſpruch rechtfertigen, daß es den Be— wohnern dieſer Länder allein verliehen iſt, alle Geſtirne der Himmelsräume wie faſt alle Familiengeſtaltungen der Pflanzen— welt zu ſchauen; aber ſchauen iſt nicht beobachten, d. h. ver— gleichend kombinieren. Wenn ſich auch in Kolumbus, wie ich in einem anderen Werke glaube bewieſen zu haben, bei völligem Mangel naturhiſtoriſcher Vorkenntniſſe, bloß durch den Kontakt mit großen Naturphänomenen, der Sinn für genaue Beobachtung auf mannigfaltige Weiſe entwickelte, ſo darf man keineswegs eine ähnliche Entwickelung in der rohen und kriegeriſchen Maſſe der Konquiſtadoren vorausſetzen. Was Kurse unbeſtreit⸗ bar durch die Entdeckung von Amerika als zereicherung ſeines bierchen und phyſikaliſchen Wiſſens über die Konſti— tution des Luftkreiſes und ſeine Wirkungen auf die menſchliche Organiſation, über die Verteilung der Klimate am Abhange der Kordilleren, über die Höhe des ewigen Schnees nach Maßgabe der verſchiedenen B jreitengrade in beiden Hemiſphären, dr 55 — 217 — über die Reihenfolge der Vulkane, die Begrenzung der Er— ſchütterungskreiſe bei Erdbeben, die Geſetze des Magnetismus, die Richtung der Meeresſtröme, die Abſtufungen neuer Tier— und Pflanzenformen allmählich erlangt hat, verdankt es einer anderen, friedſameren Klaſſe von Reiſenden, einer geringen Zahl ausgezeichneter Männer unter den Munizipalbeamten, Geiſtlichen und Aerzten. Dieſe konnten, in altindiſchen Städten wohnend, deren einige 12000 Fuß (3900 m) hoch über dem Meere liegen, mit eigenen Augen beobachten, während eines langen Aufenthaltes das von anderen Geſehene prüfen und kombinieren, Naturprodukte ſammeln, beſchreiben und ihren europäiſchen Freunden zuſenden. Es genügt hier Go— mara, Oviedo, Acoſta und Hernandez zu nennen. Einige Naturprodukte (Früchte und Tierfelle) hatte Kolumbus be— reits von ſeiner erſten Entdeckungsreiſe heimgebracht. In einem Briefe aus Segovia (Auguſt 1494) fordert die Königin Iſabella den Admiral auf, in ſeinem Einſammeln fortzufahren. Sie begehrt von ihm befonders „alle Strand- und Waldvögel von Ländern, die ein anderes Klima und andere Jahreszeiten haben.“ Man hat bisher wenig darauf geachtet, daß von derſelben Weſtküſte Afrikas, von der Hanno faſt 2000 Jahre früher „gegerbte Felle wilder Frauen“ (der großen Gorilla— affen) mitbrachte, um ſie in einem Tempel aufzuhängen, Martin Behaims Freund Cadamoſto ſchwarzes, 1½ Palmen langes Elefantenhaar für den Infanten Heinrich den See— fahrer ſammelte. Hernandez, Leibarzt Philipps II. und von dieſem Monarchen nach Mexiko geſandt, um alle vegetabiliſchen und zoologiſchen Merkwürdigkeiten des Landes in herrlichen Abbildungen darſtellen zu laſſen, konnte ſeine Sammlungen durch die Kopie mehrerer ſehr ſorgfältig ausgeführter natur⸗ hiſtoriſcher Gemälde bereichern, welche auf Befehl eines Königs von Tezeuco, Nezahualcoyotl!“è (ein halbes Jahrhundert vor Ankunft der Spanier) angefertigt worden waren. Auch be— nutzte Hernandez eine Zuſammenſtellung von Medizinalpflanzen, die er in dem berühmten altmexikaniſchen Garten von Huax— tepec noch vegetierend gefunden. Wegen eines nahen neu angelegten ſpaniſchen Krankenhauſes “ hatten die Konqui— ſtadoren jenen Garten nicht verwüſtet. Faſt gleichzeitig ſammelte man und beſchrieb, was ſpäter für die Theorie der ſucceſſiven Hebung der Gebirgsketten ſo wichtig wurde, foſſile Maſtodontenknochen auf den Hochebenen von Mexiko, Neu— granada und Peru. Die Benennungen: Gigantenknochen — 218 — und Gigantenfelder (Campos de Gigantes) bedeuten das Phantaſtiſche der erſten Deutungen. Was in dieſer vielbewegten Zeit auch weſentlich zur Er— weiterung der Weltanſichten beitrug, war der unmittelbare Kontakt einer zahlreichen europäiſchen Menſchenmaſſe mit der freien und dabei großartigen exotiſchen Natur in den Ebenen und Gebirgsländern von Amerika, wie auch (als Folge der Schiffahrt von Vasco da Gama) an den öſtlichen Küſten von Afrika und Südindien. Hier legte ſchon im Anfange des 16. Jahrhunderts ein portugieſiſcher Arzt, Garcia de Orta, da wo jetzt Bombay liegt, unter dem Schutze des edlen Martin Alfonſo de Souſa, einen botaniſchen Garten an, in welchem er die Arzneigewächſe der Umgegend kultivierte. Die Muſe des Camoens hat ihm ein patriotiſches Lob geſpendet. Der Trieb zum Selbſtbeobachten war nun überall erwacht, während die kosmographiſchen Schriften des Mittelalters minder das Reſultat eigener Anſchauung geweſen ſind als Kompilationen, welche die Meinungen des klaſſiſchen Altertums einförmig wiedergaben. Zwei der größten Männer des 16. Jahrhunderts, Konrad Gesner und Andreas Cäſalpinus, haben in Zoologie und Botanik einen neuen Weg rühmlichſt vorgezeichnet. Um anſchaulicher den frühen Einfluß zu bezeichnen, welchen die ozeaniſchen Entdeckungen auf die erweiterte Sphäre des phyſiſchen und aſtronomiſch-nautiſchen Wiſſens ausgeübt haben, will ich, am Schluß dieſer Schilderung, auf einige Lichtpunkte aufmerkſam machen, die wir bereits in den Be— richten des Kolumbus aufglimmen ſehen. Ihr erſter ſchwacher Glanz verdient um ſo ſorgfältiger beachtet zu werden, als ſie die Keime allgemeiner kosmiſcher Anſichten enthalten. Ich übergehe die Beweiſe von Reſultaten, welche ich hier aufitelle, weil ich dieſelben in einer anderen Schrift: „Kritiſche Unter— ſuchungen über die hiſtoriſche Entwickelung der geo— graphiſchen Kenntniſſe von der Neuen Welt und der nautiſchen Aſtronomie in dem 15. und 16. Jahr— hundert“, ausführlich gegeben habe. Um aber dem Ver— dacht zu entgehen, daß ich die Anſichten der neueren Phyſik den Beobachtungen des Kolumbus unterlege, fange ich aus— nahmsweiſe damit an, aus einem Briefe, den der Admiral im Monat Oktober 1498 aus Hayti geſchrieben, einige Zeilen wörtlich zu überſetzen. Es heißt in dieſem Briefe: „Jedes— mal wenn ich von Spanien nach Indien ſegle, finde ich, ſo— bald ich hundert Seemeilen nach Weſten von den Azoren = He gelange, eine außerordentliche Veränderung in der Bewegung der himmlischen Körper, in der Temperatur der Luft und in der Beſchaffenheit des Meeres. Ich habe dieſe Veränderungen mit beſonderer Sorgfalt beobachtet, und erkannt, daß die Seekompaſſe (agujas de marear), deren Deklination bisher im Nordoſten war, ſich nun nach Nordweſten hinüberbewegten; und wenn ich dieſen Strich (raya), wie den Rücken eines Hügels (como quien traspone una cuesta), überſchritten hatte, fand ich die See mit einer ſolchen Maſſe von Tang, gleich kleinen Tannenzweigen, die Piſtazienfrüchte tragen, be— deckt, daß wir glauben mußten, die Schiffe würden aus Mangel von Waſſer auf eine Untiefe auflaufen. Vor dem eben bezeichneten Striche aber war keine Spur von ſolchem See— kraute zu ſehen. Auch wird auf der Grenzſcheide (hundert Meilen weſtlich von den Azoren) auf einmal das Meer ſtill und ruhig, faſt nie von einem Winde bewegt. Als ich von den Kanariſchen Inſeln bis zum Parallel von Sierra Leone herabkam, hatte ich eine furchtbare Hitze zu ertragen, ſobald wir aber uns jenſeits der oben erwähnten raya (in Weſten des Meridians der azoriſchen Inſelgruppe) befanden, ver— änderte ſich das Klima, die Luft wurde gemäßigt, und die Friſche nahm zu, je weiter wir vorwärts kamen.“ Dieſe Stelle, welche durch mehrere andere in den Schriften des Kolumbus erläutert wird, enthält Anſichten der phyſiſchen Erdkunde, Bemerkungen über den Einfluß der geographiſchen Länge auf die Abweichung der Magnetnadel, über die Inflexion der iſothermen Linien zwiſchen den Weſtküſten des alten und den Oſtküſten des neuen Kontinents, über die Lage der großen Sargaſſobank in dem Becken des Atlantiſchen Meeres, und die Beziehungen, in welchen dieſer Meeresſtrich zu dem über ihm liegenden Teile der Atmoſphäre ſteht. Irrige Beobachtungen der Bewegung des Polarſternes in der Nähe der azoriſchen Inſeln hatten Kolumbus ſchon auf der erſten Reiſe, bei der Schwäche ſeiner mathematiſchen Kenntniſſe, zu dem Glauben an eine Unregelmäßigkeit in der Kugelgeſtalt der Erde ver— führt. In der weſtlichen Hemiſphäre iſt nach ihm „die Erde angeſchwollener, die Schiffe gelangen allmählich in größere Nähe des Himmels, wenn fie an den Meeresſtrich (raya) kommen, wo die Magnetnadel nach dem wahren Norden weiſt; eine ſolche Erhöhung (euesta) iſt die Urſache der kühleren Temperatur“. Der feierliche Empfang des Admirals in Barce— lona war im April 1493, und ſchon am 4. Mai desſelben 220 Jahres wird jene berühmte Bulle, welche die Demarkations— linie!“ zwiſchen dem ſpaniſchen und portugieſiſchen Beſitz— rechte in einer Entfernung von 100 Meilen weſtlich von den Azoren „auf ewige Zeiten“ feſtſtellt, vom Papſte Alexander VI. unterzeichnet. Wenn man dazu erwägt, daß Kolumbus gleich nach ſeiner Rückkehr von der erſten Entdeckungsreiſe die Ab— ſicht hatte, ſelbſt nach Rom zu gehen, um, wie er ſagt, „dem Papſte über alles, was er entdeckt, Bericht abzuſtatten“, wenn man der Wichtigkeit gedenkt, welche die Zeitgenoſſen des Ko- lumbus auf die Auffindung der magnetiſchen Kurve ohne Abweichung legten, ſo kann man wohl eine von mir zuerſt aufgeſtellte hiſtoriſche Behauptung gerechtfertigt finden, die Behauptung, daß der Admiral in dem Augenblicke der höch ſten Hofgunſt daran gearbeitet hat, „die phyſiſche Abgren— zungslinie in eine politiſche verwandeln zu laſſen“. Der Einfluß, welchen die Entdeckung von Amerika und die damit zuſammenhängenden ozeaniſchen Unternehmungen jo ſchnell auf das geſamte phyſikaliſche und aſtronomiſche Wiſſen ausgeübt haben, wird am lebendigſten fühlbar gemacht, wenn man an die früheſten Eindrücke der Zeitgenoſſen und an den weiten Umfang wiſſenſchaftlicher Beſtrebungen erinnert, von denen der wichtigere Teil in die erſte Hälfte des 16. Jahr— hunderts fällt. Chriſtoph Kolumbus hat nicht allein das un— beſtreitbare Verdienſt, zuerſt eine Linie ohne magnetiſche Abweichung entdeckt, ſondern auch durch ſeine Betrachtungen über die fortſchreitende Zunahme der weſtlichen Abweichung, indem er ſich von jener Linie entfernte, das Studium des Erdmagnetismus in Europa zuerſt angeregt zu haben. Daß meiſt überall die Endſpitzen einer ſich frei bewegenden Magnet— nadel nicht genau nach dem geographiſchen Nord- und Südpol hinweiſen, würde zwar in dem Mittelländiſchen Meere und an allen Orten, wo im 12. Jahrhundert die Abweichung 8 bis 12 Grade betrug, auch bei einer großen Unvollkommenheit der Inſtrumente leicht mehrfach erkannt worden ſein. Es iſt aber nicht unwahrſcheinlich, daß die Araber oder die Kreuz— fahrer, die mit dem Orient von 1096 bis 1270 in Berührung ſtanden, indem ſie den Gebrauch der chineſiſchen und indiſchen Seekompaſſe verbreiteten, zugleich auch damals ſchon auf die Nordoſt- und Nordweſtweiſung in verſchiedenen Weltgegenden wie auf eine längſt erkannte Erſcheinung aufmerkſam machten. Wir wiſſen nämlich beſtimmt aus dem chineſiſchen Penth— jaoyan, welches unter der Dynaſtie der Song!“ zwiſchen 9 1111 und 1117 geſchrieben iſt, daß man damals die Quan— tität der weſtlichen Abweichung längſt zu meſſen verſtand, was dem Kolumbus gehört, iſt nicht die erſte Beobachtung der Exiſtenz der Abweichung (letztere findet ſich z. B. ſchon auf der Karte von Andrea Bianco 1436 angegeben), ſondern die Bemerkung, welche er am 13. September 1492 machte, „daß 2½ “ öſtlich von der Inſel Corvo die magnetische Varia tion ſich verändert, daß ſie von NO nach NIE überging“. Dieſe Entdeckung einer magnetiſchen Linie ohne Abweichung bezeichnet einen denkwürdigen Zeitpunkt in der nautiſchen Aſtronomie. Sie wird mit gerechtem Lobe von Oviedo, las Caſas und Herrera gefeiert. Wenn man dieſelbe mit Livio Sanuto dem berühmten Seemann Sebaſtian Cabot zuſchreibt, ſo vergißt man, daß deſſen erſte, auf Koſten einiger Kaufleute von Briſtol unternommene und durch die Berührung des Feſtlandes von Amerika” gekrönte Reiſe um fünf Jahre ſpäter fällt als die erſte Expedition des Kolumbus.!““ Dieſer aber hat nicht bloß das Verdienſt gehabt, im Atlantiſchen Ozeane eine Gegend aufgefunden zu haben, in welcher damals der magnetiſche Meridian mit dem geographiſchen zuſammen fiel; er machte zugleich auch die ſinnreiche Bemerkung, daß die magnetiſche Abweichung mit dazu dienen könne, den Ort des Schiffes in Hinſicht auf deſſen Länge zu beſtimmen. In dem Journal der zweiten Reiſe (April 1496) ſehen wir den Admiral ſich wirklich nach der beobachteten Abweichung orientieren. Die Schwierigkeiten, welche dieſer Längenmethode beſonders da entgegenſtehen, wo die magnetiſchen Abweichungs kurven ſich ſo beträchtlich krümmen, daß ſie nicht der Richtung der Meridiane, ſondern in großen Strecken der der Parallele folgen, waren freilich damals noch unbekannt. Magnetiſche und aſtronomiſche Methoden wurden ängſtlich geſucht, um auf Land und Meer die Punkte zu beſtimmen, welche von der ideal aufgeſtellten Demarkationslinie durchſchnitten werden. Die Wiſſenſchaft und der unvollkommene Zuſtand aller auf dem Meere zu brauchender, raum- und zeitmeſſender Inſtru mente waren 1493 der praktiſchen Löſung einer ſo ſchwierigen Aufgabe noch nicht gewachſen. Unter dieſen Verhältniſſen leiſtete Papſt Alexander VI., indem er den Uebermut hatte, eine Erdhälfte unter zwei mächtige Reiche zu teilen, ohne es zu wiſſen, gleichzeitig weſentliche Dienſte der aſtronomiſchen Nautik und der phyſikaliſchen Lehre vom Erdmagnetismus. Auch wurden die Seemächte von da an mit einer Unzahl — 222 — unausführbarer Vorſchläge bedrängt. Sebaſtian Cabot (jo be— richtet ſein Freund Richard Eden) rühmte ſich noch auf ſeinem Sterbebette, daß ihm „durch göttliche Offenbarung eine autrüglicht Methode mitgeteilt worden ſei, die geographiſche Länge zu finden“. Dieſe Offenbarung war der feſte Glaube an die mit den Meridianen ſich regelmäßig und ſchnell ver— ändernde magnetiſche Abweichung. Der Kosmograph Alonſo de Santa Cruz, einer der Lehrer des Kaiſers Karl V., unter— nahm es, die erſte allgemeine Variationskarte n“ zu ent⸗ werfen, ſchon um das Jahr 1530, alſo anderthalb Jahr- hunderte vor Halley, freilich nach ſehr unvollſtändigen Beob— achtungen. Von dem Fortſchreiten, d. h. der Bewegung der magne— tiſchen Linien, deren Kenntnis man gewöhnlich dem Gaſſendi zuſchreibt, hatte ſelbſt William Gilbert noch keine Ahnung, während früher Acoſta, „durch portugieſiſche Seefahrer unter: richtet“, auf dem ganzen Erdboden vier Linien ohne Abweichung annahm. 1° Kaum war in England durch Robert Norman 1576 die Inklinationsbuſſole erfunden, ſo rühmte ſich Gilbert, mittels dieſes Inſtrumentes in dunkler, ſternloſer Nacht (are caliginoso) den Ort des Schiffes zu beſtimmen. Ich habe, auf eigene Beobachtungen in der Südſee geſtützt, gleich nach meiner Rückkehr nach Europa gezeigt, wie unter gewiſſen Lokal— verhältniſſen, z. B. an den Küſten von Peru in der Jahres— zeit der beſtändigen Nebel (garua), aus der Inklination die Breite mit einer für die Bedürfniſſe der Schiffahrt hinreichen— den Genauigkeit beſtimmt werden kann. Es iſt hier bei dieſen Einzelheiten in der Abſicht verweilt worden, um an der gründ— lichen Betrachtung eines wichtigen kosmiſchen Gegenſtandes zu zeigen, wie (wenn man die Meſſung der Intenſität der magnetiſchen Kraft und der ſtündlichen Veränderungen der Deklination abrechnet) im 16. Jahrhundert ſchon alles zur Sprache kam, was die Phyſiker noch heute beſchäftigt. Auf der merkwürdigen Karte von Amerika, welche der römiſchen Ausgabe der Geographie des Ptolemäus vom Jahre 1508 beigefügt iſt, findet ſich nördlich von Gruentlant (Grönland), das als ein Teil von Aſien dargeſtellt wird, der magnetiſche Pol als ein Inſelberg verzeichnet. Martin Cortes in dem Breve Compendio de la Sphera (1545) und Livio Sa⸗ nuto in der Geographia di Tolomeo (1588) ſetzen ihn ſüdlicher. Letzterer nährte ſchon das, leider! noch bis in die neuere Zeit verbreitete Vorurteil, daß, „wenn man ſo glücklich e — 223 — wäre, den magnetischen Pol (il calamitico) ſelbſt zu erreichen, man dort alcun miracoloso stupendo effetto erleben würde“. In dem Gebiete der Wärmeverteilung und Meteorologie war ſchon am Ende des 15. und in dem Anfange des 16. Jahr— hunderts die Aufmerkſamkeit gerichtet auf die mit weſtlicher geographiſcher Länge abnehmende Wärme !7° (auf die Krüm— mung der iſothermen Linien), auf das von Bacon von Veru— lam verallgemeinerte Drehungsgeſetz der Winde, auf die Ab— nahme der Luftfeuchtigkeit und Regenmenge durch Zerſtörung der Waldungen,“ auf die mit der zunehmenden Höhe über dem Meeresſpiegel ſich vermindernde Temperatur und auf die untere Grenze des ewigen Schnees. Daß dieſe Grenze Funk— tion der geographiſchen Breite iſt, wurde zuerſt von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonſo de Hojeda und Amerigo Veſpucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 geſehen, Rodrigo Baſtidas und Juan de la Coſa unterſuchten ſie mehr in der Nähe 1501; aber erſt nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Veſpucci, Neffe des Amerigo, ſeinem Beſchützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mitteilte, bekam die an dem Gebirgsufer des Antilliſchen Meeres ſichtbare tropiſche Schneeregion eine große, man möchte ſagen, eine kosmiſche Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältniſſen der Wärmeabnahme und der Verſchiedenheit der Klimate in Verbindung geſetzt. Herodot in ſeinen Unterſuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Exiſtenz der Schneeberge ſüdlich vom Wende— kreiſe des Krebſes gänzlich geleugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Khu (Sen aravvıoo), aber dieſe liegen zwiſchen 34° und 36“ nörd— licher Breite. Die einzige, von Phyſikern ſehr unbeachtete Angabe von „Schnee in der Aequatorialzone“, die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, iſt in der berühmten Inſchrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und Auguſt gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntnis der Abhängigkeit der unteren Schnee— grenze von dem Polarabſtande des Ortes,!“ die erſte Einſicht in das Geſetz der ſenkrecht abnehmenden Wärme und die da— durch bedingte Senkung einer ungefähr gleich kalten oberen Luftſchicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht unwichtigen Zeitpunkt in der Geſchichte unſeres phyſi— kaliſchen Wiſſens. a Begünſtigten dieſes Wiſſen zufällige, ihrem Urſprunge nach ganz unwiſſenſchaftliche Beobachtungen in den plötzlich erweiterten Naturkreiſen, ſo blieb dagegen dem Zeitalter, das wir ſchildern, eine andere Begünſtigung, die einer rein ſeien— tifiſchen Anregung, durch das Mißgeſchick ſonderbarer Verhält— niſſe entzogen. Der größte Phyſiker des 15. Jahrhunderts, welcher mit ausgezeichneten mathematiſchen Kenntniſſen den bewundernswürdigſten Tiefblick in die Natur verband, Leonardo da Vinci, war der Zeitgenoſſe des Kolumbus; er ſtarb drei Jahre nach ihm. Die Meteorologie hatte den ruhmgekrönten Künſtler ebenſoviel als die Hydraulik und Optik beſchäftigt. Er wirkte bei ſeinem Leben durch die großen Werke der Malerei, welche er ſchuf, und durch ſeine begeiſterte Rede, nicht durch Schriften. Wären die phyſiſchen Anſichten des Leonardo da Vinci nicht in feinen Manuſkripten vergraben geblieben, jo würde das Feld der Beobachtung, welches die Neue Welt dar- bot, ſchon vor der großen Epoche von Galilei, Pascal und Huygens in vielen Teilen wiſſenſchaftlich bearbeitet worden ſein. Wie Francis Bacon, und ein volles Jahrhundert vor dieſem, hielt er die Induktion für die einzig ſichere Methode in der Naturwiſſenſchaft; dobbiamo cominciare dall' espe- rienza, e per mezzo di questa scoprirne la ragione.“ So wie nun, ſelbſt bei dem Mangel meſſender Inſtru— mente, klimatiſche Verhältniſſe in den tropiſchen Gebirgsländern, durch Verteilung der Wärme, Extreme der Lufttrockenheit und Frequenz elektriſcher Exploſionen, in den Schriften über die erſten Landreiſen häufig beſprochen wurden, ſo faßten auch ſehr früh die Seefahrer richtige Anſichten von der Direktion und Schnelligkeit von Strömungen, die, Flüſſen von ſehr veränderlicher Breite vergleichbar, den Atlantiſchen Ozean durch— ſetzen. Der eigentliche Aequatorialſtrom, die Bewegung der Waſſer zwiſchen den Wendekreiſen, iſt zuerſt von Kolumbus beſchrieben worden. Es drückt ſich derſelbe auf das beſtimm— teſte und in großer Allgemeinheit in ſeiner dritten Reiſe aus. „Die Waſſer bewegen ſich con los cielos (wie das Himmels— gewölbe) von Oſten nach Weſten.“ Selbſt die Richtung ein- zeln ſchwimmender Maſſen von Seetang !“ bekräftigen dieſen Glauben. Eine kleine Pfanne von leichtem Eiſenblech, welche er in den Händen der Eingeborenen der Inſel Guadalupe fand, leitete Kolumbus auf die Vermutung, daß ſie europäiſchen Urſprungs und aus den Trümmern eines geſcheiterten Schiffes entlehnt ſein könnte, welche die Aequatorialſtrömung von den iberiſchen Küſten nach den amerikanischen geführt hätte. In ſeinen geognoſtiſchen Phantaſieen hielt er die Exiſtenz der Inſelreihe der kleinen Antillen, wie die eigentümliche Ge— ſtaltung der großen, d. i. die Uebereinſtimmung der Richtung ihrer Küſten mit der der Breitenparallele, für die lange Wir— kung der oſt⸗weſtlichen Meeresbewegung zwiſchen den Wende— kreiſen. Als auf ſeiner vierten und letzten Reiſe der Admiral die nord⸗ſüdliche Richtung der Küſten des Kontinentes vom Vor— gebirge Gracias a Dios bis zur Laguna de Chiriqui erkannte, fühlte er die Wirkungen der heftigen Strömung, welche nach N und NNW treibt und eine Folge des Stoßes des oſt-weſt— lichen Aequatorialſtromes gegen die dammartig vorliegende Küſte iſt. Anghiera überlebte den Kolumbus lange genug, um die Ablenkung der Atlantiſchen Gewäſſer in ihrem ganzen Zuſammenhange aufzufaſſen, um den Wirbel in dem Golf von Mexiko und die Fortpflanzung der Bewegung bis zu der Tierra de los Bacallaos (Neufundland) und der Mündung des St. Lorenzfluſſes zu erkennen. Ich habe an einem anderen Orte umſtändlich entwickelt, wieviel die Expedition des Ponce de Leon im Jahre 1512 zur genaueren Feſtſtellung der Ideen beigetragen hat, und daß man in einer von Sir Humphrey Gilbert zwiſchen 1567 und 1576 geſchriebenen Abhandlung die Bewegung der Gewäſſer des Atlantiſchen Meeres von dem Vorgebirge der guten Hoffnung bis zur Bank von Neufundland nach Anſichten behandelt findet, welche mit denen meines vortrefflichen dahingeſchiedenen Freun— des, des Major Rennell, faſt ganz übereinſtimmen. Mit der Kenntnis der Strömungen verbreitete ſich auch die der großen Bänke von Seetang (Fucus natans), der ozeaniſchen Wieſen, welche das merkwürdige Schauſpiel der Zuſammenhäufung einer geſelligen Pflanze auf einem Raume darbieten, deſſen Flächeninhalt faſt ſiebenmal den von Frankreich übertrifft. Die große Fucusbank, das eigent— liche Mar de Sargasso, breitet ſich aus zwiſchen 19° und 34 nördlicher Breite. Ihre Hauptachſe liegt ungefähr 7“ weſt— lich von der Inſel Corvo. Die kleine Fucus bank fällt dagegen in den Raum zwiſchen den Bermuden und den Bahama⸗Inſeln. Winde und partielle Strömungen wirken nach Verſchiedenheit der Jahre auf die Lage und den Umfang dieſer atlantiſchen Tangwieſen, deren erſte Beſchreibung wir dem Kolumbus verdanken. Kein anderes Meer beider Hemi— A. v. Humboldt, Kosmos. II. 15 — 226 — ſphären zeigt in ähnlicher Größe dieſe Gruppierung geſelliger Pflanzen.!“ Aber die wichtige Zeitepoche der Entdeckungen im Erd— raume, die plötzliche Eröffnung einer unbekannten Erdhälfte hat auch die Anſicht der Welträume oder, wie ich mich be— ſtimmter ausdrücken ſollte, des ſcheinbaren Himnmelsgenine erweitert. Weil der Menſch, nach einem ſchönen Ausdruck des elegiſchen Garcilaſo de la Vega, in der Wanderung nach fernen Ländern (unter verſchiedenen Breitengraden) „Land und Geſtirne“ gleichzeitig ſich ändern ſieht,“' jo mußte das Vor— dringen zum Aequator an beiden Küſten von Afrika und bis über die Südſpitze des neuen Kontinentes den Seefahrern und Landreiſenden jetzt länger und öfter das prachtvolle Schau— ſpiel der ſüdlichen Sternbilder vorführen, als es zu den Zeiten des Hiram und der Ptolemäer, zu der der römiſchen Welt— herrſchaft und des arabiſchen Handelsverkehrs im Roten Meere oder in dem Indiſchen Ozean zwiſchen der Straße Babzel- Mandeb und der weſtlichen Halbinſel Indiens geſchehen konnte. Amerigo Veſpucci in feinen Briefen, Vicente Yanez Pinzon, Pigafetta, der Magelhaens' und Elcanos Begleiter war, haben, wie Andrea Corſali auf der Fahrt nach Cochin in Oſtindien, in dem Anfange des 16. Jahrhunderts die erſten und leben— digſten Anſchauungen des ſüdlichen Himmels (jenſeits der Füße des Kentauren und des herrlichen Sternbildes des Schiffes Argo) geliefert. Amerigo, litterariſch gelehrter, aber auch ruhmrediger als die anderen, preiſt nicht ohne Anmut die Lichtfülle, die maleriſche Gruppierung und den fremdartigen Anblick von Geſtirnen, die um den ſternarmen Südpol kreiſen. Er behauptet in ſeinem Briefe an Pierfrancesco de' Medici, daß er ſich auf ſeiner dritten Seefahrt ſorgfältig mit den ſüdlichen Konſtellationen beſchäftigt, den Polarabſtand der hauptſächlichſten gemeſſen und ſie gezeichnet habe. Was er davon mitteilt, läßt freilich den Verluſt jener Meſſungen leicht verſchmerzen. Die rätſelhaften ſchwarzen Flecke (Kohlenſäcke) finde ich zuerſt von Anghiera im Jahre 1510 beſchrieben. Sie waren ſchon 1499 von den Begleitern des Vicente Nanez Pinzon bemerkt worden auf der Expedition, die von Palos auslief und Beſitz von dem braſilianiſchen Kap San Auguſtin nahm. Der Canopo fosco (Canopus niger) des Amerigo iſt wahr: ſcheinlich auch einer der coalbags. Der ſcharfſinnige Acoſta vergleicht ſie mit dem verfinſterten Teile der Mondſcheibe (in 1 DD 27 partieller Finſternis) und ſcheint fie einer Leerheit im Himmels— raume, einer Abweſenheit von Sternen zuzuſchreiben. Rigaud hat gezeigt, wie ein berühmter Aſtronom die Kohlenſäcke, von denen Acoſta beſtimmt ſagt, daß ſie in Peru (nicht in Europa) ſichtbar ſind und wie andere Sterne ſich um den Südpol be— wegen, für die erſte Angabe von Sonnenflecken gehalten hat. Die Kenntnis der beiden Magelhaensſchen Wolken wird mit Unrecht dem Pigafetta zugeſchrieben. Ich finde, daß Anghiera, geſtützt auf die Beobachtungen portugieſiſcher See— fahrer, dieſer Wolken ſchon acht Jahre vor der Beendigung der Magelhaensſchen Weltumſchiffung erwähnt. Er vergleicht ihren milden Glanz mit dem der Milchſtraße. Der Scharfſinnigkeit der Araber ſcheint aber die große Wolke nicht entgangen zu ſein. Sie iſt ſehr wahrſcheinlich der weiße Ochſe, el Bakar, ihres ſüdlichen Himmels, d. h. der weiße Flecken, von dem der Aſtronom Abdurrahman Sofi ſagt, daß man ihn nicht in Bagdad, nicht im nördlichen Arabien, wohl aber im Tehama und im Parallel der Meerenge Bab-el-Mandeb ſehen kann. Griechen und Römer ſind denſelben Weg unter den Lagiden und ſpäter gewandert, und haben nichts bemerlt oder wenigſtens in auf uns gekommenen Schriften nichts aufgezeichnet über eine Lichtwolke, welche doch unter 11° bis 12% nördlicher Breite, zu der Zeit des Ptolemäus ſich 3°, zu der des Abdurrahman im Jahre 1000 zu mehr als 4° über den Horizont erhob.!“ Jetzt kann die Meridianhöhe der Mitte der Nubecula major bei Aden 5° erreichen. Wenn Seefahrer die Magelhaensſchen Wolken gewöhnlich erſt in weit ſüdlicheren Breiten, dem Aequator nahe oder gar ſüdlich von demſelben, deutlich erkennen, ſo liegt der Grund davon wohl in der Be— ſchaffenheit der Atmoſphäre und den weißes Licht reflektieren— den Dünſten am Horizont. Im ſüdlichen Arabien muß im Inneren des Landes die dunkle Bläue des Himmelsgewölbes und die große Trockenheit der Luft das Erkennen der Magel— haensſchen Wolken begünſtigen. Beiſpiele von der Sichtbarkeit von Kometenſchweifen am hellen Tage zwiſchen den Wende— kreiſen und in ſehr ſüdlichen Breiten ſprechen dafür. Die Einreihung der dem antarktiſchen Pole nahen Ge— ſtirne in neue Sternbilder gehört dem 17. Jahrhundert an. Was die holländiſchen Seefahrer Petrus Theodori von Emden und Friedrich Houtman, der (1596— 1599) ein Gefangener des Königs von Bantam und Atſchin auf Java und Sumatra war, mit unvollkommenen Inſtrumenten beobachteten, wurde 2 in die Himmelskarten von Hondius Blacuw (Jansonius Caesius) und Bayer eingetragen. Der an zuſammengedrängten Nebelflecken und Stern— ſchwärmen ſo reichen Zone des ſüdlichen Himmels zwiſchen den Parallelkreiſen von 50“ und 80° gibt die ungleichmäßigere Verteilung der Lichtmaſſen einen eigentümlichen, man möchte jagen landſchaftlichen Charakter; einen Reiz, der aus der Grup: pierung der Sterne erſter und zweiter Größe und ihrer Tren— nung durch Regionen hervorgeht, welche dem bloßen Auge verödet und glanzlos erſcheinen. Dieſe ſonderbaren Kontraſte, die mehrfach in ihrem Laufe heller auflodernde Milchſtraße, die iſoliert kreiſenden, abgerundeten Magelhaensſchen Lichtwolken und die Kohlenſäcke, von denen der größere einer ſchönen Kon— ſtellation ſo nahe liegt, vermehren die Mannigfaltigkeit des Naturbildes; ſie feſſeln die Aufmerkſamkeit empfänglicher Be— ſchauer an einzelne Regionen in der äußerſten Hälfte des ſüdlichen Himmelsgewölbes. Eine dieſer Regionen iſt ſeit dem Anfang des 16. Jahrhunderts durch beſondere, zum Teil religiöſe Beziehungen ſowohl chriſtlichen Seefahrern in den tropiſchen und ſüdlicheren Meeren wie chriſtlichen Miſſio— nären in beiden Indien wichtig geworden: es iſt die des ſüdlichen Kreuzes. Die vier Hauptſterne, welche es bilden, werden im Almageſt, alſo in den Epochen des Hadrian und Antonins des Frommen, den Hinterfüßen des Sternbildes des Kentauren beigezählt. Es darf faſt wunder nehmen, da die Geſtaltung des Kreuzes ſo auffallend iſt und ſich merkwürdig abſondernd individualiſiert, wie in dem großen und kleinen Wagen (den Bären), im Skorpion, in der Kaſſiopeia, im Adler, im Delphin, daß jene vier Sterne nicht früher von dem mächtigen alten Sternbilde des Kentauren getrennt wor— den find; es muß es um jo mehr, als der Perſer Kazwini und andere mohammedaniſche Aſtronomen aus dem Delphin und Drachen eigene Kreuze mit Mühe zuſammenſetzten. Ob höfiſche Schmeichelei alexandriniſcher Gelehrten, welche den Canopus in ein Plotemäon umgewandelt, auch die Geſtirne unſeres jetzigen ſüdlichen Kreuzes, zur Verherrlichung des Auguſtus, „an einen in Italien nie ſichtbaren Caesaris thro- non“ geheftet hatte, bleibt ziemlich ungewiß. Zur Zeit des Claudius Ptolemäus erreichte der ſchöne Stern am Fuß des ſüdlichen Kreuzes bei ſeinem Durchgang durch den Meridian in Alexandrien noch 6° 10“ Höhe, während er jetzt daſelbſt mehrere Grade unter dem Horizonte kulminiert. Um gegen— 4 . — —— wärtig (1847) 4 Crucis in 6° 10° Höhe zu ſehen, müßte man mit Rückſicht auf Strahlenbrechung ſich 10° füdlich von Alexan— drien, in 21“ 43“ nördlicher Breite, befinden. Auch die chriſtlichen Einſiedler in der Thebaide können im 4. Jahr— hundert das Kreuz noch in 10“ Höhe geſehen haben. Ich zweifle indes, daß von ihnen ſeine Benennung herrühre; denn Dante in der berühmten Stelle des Purgatorio: Io mi volsi a man destra, e posi mente All' altro polo, e vidi quattro stelle Non viste mai fuor ch' alla prima gente und Amerigo Veſpucci, welcher dieſer Stelle in ſeiner dritten Reiſe bei dem Anblick des geſtirnten ſüdlichen Himmels zuerſt gedachte, ja ſich rühmte „die vier nur von dem erſten Menſchen— paar geſehenen Sterne nun ſelbſt zu ſchauen,“ kennen die Be— nennung des Südkreuzes noch nicht. Amerigo ſagt ganz einfach: die vier Sterne bilden eine rhomboidale Figur, una mandorla; und dieſe Bemerkung iſt vom Jahre 1501. Je mehr die Seereiſen auf den durch Gama und Magelhaens er— öffneten Wegen ſich um das Vorgebirge der guten Hoffnung und durch die Südſee vervielfältigten und chriſtliche Miſſonäre in den neuentdeckten Tropenländern Amerikas vordrangen, deſto mehr nahm der Ruf jenes Sternbildes zu. Ich finde es zu— erſt als ein Wunderkreuz (eroce maravigliosa), „herrlicher als alle Konſtellationen des ganzen Himmels“, von dem Floren— tiner Andrea Corſali (1517), ſpäter (1520) auch von Piga— fetta genannt. Der beleſenere Florentiner rühmt Dantes prophetiſchen Geiſt; als hätte der große Dichter nicht ebenſoviel Erudition wie Schöpfungsgabe beſeſſen, als hätte er nicht arabiſche Sterngloben geſehen und mit vielen orien— taliſchen Reiſenden aus Piſa verkehrt. 7° Daß in den ſpaniſchen Niederlaſſungen im tropiſchen Amerika die erſten Anſiedler ſich gern, wie noch jetzt, der verſchiedentlich geneigten oder ſenk— rechten Stellung des ſüdlichen Kreuzes als einer Himmels— uhr bedienten, bemerkt ſchon Acoſta in feiner Historia natural y moral de las Indi as.“ Durch das Vorrücken der Nachtgleichen verändert ſich an jedem Punkte der Erde der Anblick des geſtirnten Himmels. Das alte Menſchengeſchlecht hat im hohen Norden prachtvolle ſüdliche Sternbilder aufſteigen ſehen, welche, lange unſichtbar, erſt nach Jahrtauſenden wiederkehren werden. Canopus war ſchon zur Zeit des Kolumbus zu Toledo (Br. 39“ 54% voll — 230 — 1° 20° unter dem Horizont von Cadiz. Für Berlin und die nördlichen Breiten überhaupt ſind die Sterne des ſüdlichen Kreuzes, wie und B des Kentauren, mehr und mehr im Ent: fernen begriffen, während ſich die Magelhaensſchen Wolken unſeren Breiten langſam nähern. Canopus iſt in dem verfloſſenen Jahrtauſend in ſeiner größten nördlichen Annäherung geweſen, und geht jetzt, doch überaus langſam wegen ſeiner Nähe am Südpol der Ekliptik, immer mehr ſüdlich. Das Kreuz fing in 52% “ nördlicher Breite an unſichtbar zu werden 2900 Jahre vor a Zeitrechnung; da dieſes Sternbild, nach Galle, ſich vorher auf mehr als 10° Höhe hatte erheben können. Als es an dem Horizont unſerer baltiſchen Länder verſchwand, ſtand in Aegypten ſchon ein halbes Jahrtauſend die große Pyramide des Cheops. Das Hirtenvolk der Hykſos machte ſeinen Einfall 700 Jahre ſpäter. Die Vorzeit tritt uns ſchein— bar näher, wenn man ihr Maß an denkwürdige Ereigniſſe knüpft. Gleichzeitig mit der Erweiterung einer mehr beſchaulichen als wiſſenſchaftlichen Kenntnis der Himmelsräume waren die Fortſchritte in der nautiſchen Aſtronomie, d. h. in der Ver⸗ vollkommnung der Weiten, den Ort des Schiffes (ſeine geo— graphiſche Breite und Länge) zu beſtimmen. Alles, was in dem Laufe der Zeiten dieſe Fortſchritte der Schiffahrtskunde hat begünſtigen können, der Kompaß und die ſichere Ergrün— dung der magnetifchen Abweichung, die Meſſung der Ge: ſchwindigkeit durch die ſorgfältigere Vorrichtung des Logs wie den Gebrauch der e und Mondabſtände, die beſſere Konſtruktion der Fahrzeuge, die Erſetzung der Kräfte des Windes durch eine andere Kraft, vor allem aber die geſchickte Anwendung der Aſtronomie auf die Schiffsrechnung, darf als kräftige Mittel betrachtet werden zur Erſchließung der ge— ſamten Erdräume, zur beſchleunigten Belebung des Weltver⸗ kehrs, zur Ergründung kosmiſcher Verhältniſſe. Dieſen Stand— punkt auffaſſend, erinnern wir hier von neuem daran, wie ſchon in der Mitte des 13. Jahrhunderts in der Marine der Katalanen und der Inſel Majorca „nautiſche Inſtrumente üblich waren, um die Zeit durch Sternhöhen zu finden“, und wie das von Raimundus Lullus in ſeiner Arte de Nave- gar beſchriebene Aſtrolabium faſt zweihundert Jahre älter iſt als das des Martin Behaim. Die Wichtigkeit der aſtrono— miſchen Methoden. wurde in Portugal ſo lebhaft anerkannt, daß gegen das Jahr 1484 Behaim zum Präſidenten einer — 231 — „Junta de Mathematicos“ ernannt wurde, welche Tafeln der Deklination der Sonne berechnen und, wie Barros ſagt, die Piloten lehren ſollte die maneira de navegar per altura do Sol. Von dieſer Schiffahrt „nach den Meridianhöhen der Sonne“ wurde damals ſchon ſcharf die Schiffahrt per la altura del Este-Oeste, d. h. durch Längenbeſtimmungen unter— ſchieden. Das Bedürfnis, die Lage der päpſtlichen Demarkations— linie, und ſo in dem neu entdeckten Braſilien und den ſüd— indiſchen Inſeln die Grenze zwiſchen dem rechtmäßigen Beſitze der portugieſiſchen und ſpaniſchen Krone aufzufinden, vermehrte, wie wir ſchon oben bemerkt, den Drang nach praktiſchen Längen— methoden. Man fühlte, wie ſelten die alte unvollkommene hipparchiſche Methode der Mondfinſterniſſe anzuwenden ſei; und der Gebrauch der Monddiſtanzen wurde ſchon 1514 von dem Nürnberger Aſtronomen Johann Werner, und bald nachher von Orontius Finäus und Gemma Friſius anempfohlen. Leider mußte aber dieſe Methode lange unanwendbar bleiben, bis, nach den vielen vergeblichen Verſuchen mit den Inſtrumenten von Peter Apianus (Bienewitz) und Alonſo de Santa Cruz, durch Newtons Scharfſinn (1700) der Spiegelſextant erfunden und durch Hadley (1731) unter die Seefahrer verbreitet wurde. Der Einfluß der arabiſchen Aſtronomen wirkte von Spanien aus auch auf die Fortſchritte der nautiſchen Aſtronomie. Man verſuchte freilich zur Längenbeſtimmung vieles, das nicht ge— lang, und die Schuld des Nichtgelingens wurde ſeltener auf die Unvollkommenheit der Beobachtung als auf Druckfehler in den aſtronomiſchen Ephemeriden des Regiomontanus ge— ſchoben, deren man ſich bediente. Die Portugieſen verdäch— tigten ſogar die Ergebniſſe der aſtronomiſchen Angaben der Spanier, deren Tafeln aus politiſchen Gründen verfälſcht ſein ſollten. Das auf einmal erwachte Bedürfnis nach den Hilfs— mitteln, welche die nautiſche Aſtronomie wenigſtens theoretiſch verhieß, ſpricht ſich beſonders lebhaft aus in den Reiſeberichten des Kolumbus, Amerigo Veſpucci, Pigafetta und Andres de San Martin, des berühmten Piloten der Magelhaensſchen Ex— pedition, der die Längenmethoden des Ruy Falero beſaß. Oppoſitionen der Planeten, Sternbedeckungen, Höhendifferenzen zwiſchen dem Monde und Jupiter, Veränderungen der Dekli— nation des Mondes wurden mit mehr oder wenigerem Erfolge verſucht. Wir beſitzen Konjunktionsbeobachtungen von Kolum— bus in der Nacht des 13. Januar 1493 aus Hayti. Die Not— — 232 — wendigkeit, einen eigenen, wohlunterrichteten Aſtronomen jeder großen Expedition beizugeben, wurde ſo allgemein gefühlt, daß die Königin Iſabella dem Kolumbus am 5. Sept. 1493 ſchreibt: „Ob er gleich in ſeinem Unternehmen bewieſen habe, daß er mehr wiſſe als irgend ein ſterblicher Menſch (que ninguno de los nacidos), ſo rate ich ihm doch, den Fray Antonio de Marchena, als einen gelehrten und fügſamen Sternkundigen, mit ſich zu nehmen.“ Kolumbus ſagt in der Beſchreibung ſeiner vierten Reiſe: „Es gibt nur eine untrügliche Schiffs— rechnung, die der Aſtronomen. Wer dieſe verſteht, kann zus frieden ſein. Was fie gewährt, gleicht einer vision profe- tica. 180 Unſere unwiſſenden Piloten, wenn ſie viele Tage die Küſte aus den Augen verloren haben, wiſſen nicht, wo ſie ſind. Sie würden die Länder nicht wiederfinden, die ich ent⸗ deckt. Zum Schiffen gehört Compas y arte, die Buſſole und das Wiſſen, die Kunſt der Aſtronomen.“ Ich habe dieſe charakteriſtiſchen Einzelheiten erwähnt, weil ſie anſchaulicher machen, wie die nautiſche Sternkunde, das mächtige Werkzeug der Sicherung der Schiffahrt und durch dieſe Sicherung das Mittel der erleichterten Zugänglichkeit zu allen Erdräumen, in dem hier geſchilderten Zeitabſchnitt die erſte Entwickelung empfing; wie in der allgemeinen Bewegung der Geiſter früh die Möglichkeit von Methoden erkannt wurde, die erſt nach Vervollkommnung der Uhren, der winkelmeſſenden Inſtrumente und der Sonnen- und Mondtafeln von ausge— breiteter praktiſcher Anwendung ſein konnten. Wenn der Cha— rakter eines Jahrhunderts „die Offenbarung des menſchlichen Geiſtes in einer beſtimmten Zeitepoche“ iſt, jo hat das Jahr— hundert des Kolumbus und der großen nautiſchen Entdeckungen, indem es auf eine unerwartete Weiſe die Objekte des Wiſſens und der Anſchauungen vermehrte, auch den folgenden Jahr— hunderten einen neuen und höheren Schwung gegeben. Es iſt die Eigentümlichkeit wichtiger Entdeckungen, daß ſie zugleich den Kreis der Eroberungen und die Ausſicht in das Gebiet, das noch zu erobern übrig bleibt, erweitern. Schwache Geiſter glauben in jeder Epoche wohlgefällig, daß die Menſchheit auf den Kulminationspunkt intellektueller Fortſchritte gelangt ſei; ſie vergeſſen, daß durch die innige Verkettung aller Natur— erſcheinungen, in dem Maße als man vorſchreitet, das zu durchlaufende Feld eine größere Ausdehnung gewinnt, daß es von einem Geſichtskreiſe begrenzt iſt, der unaufhörlich vor dem Forſcher zurückweicht. ee — 233 — Wo hat die Geſchichte der Völker eine Epoche aufzuweiſen, der gleich, in welcher die folgenreichſten Ereigniſſe: die Ent— deckung und erſte Koloniſation von Amerika, die Schiffahrt nach Oſtindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung und Magelhaens' erſte Erdumſegelung, mit der höchſten Blüte der Kunſt, mit dem Erringen geiſtiger, religiöſer Freiheit und der plötzlichen Erweiterung der Erd- und Himmelskunde zuſammen— trafen? Eine ſolche Epoche verdankt einen ſehr geringen Teil ihrer Größe der Ferne, in der ſie uns erſcheint, dem Umſtand, daß ſie ungetrübt von der ſtörenden Wirklichkeit der Gegen— wart nur in der geſchichtlichen Erinnerung auftritt. Wie in allen irdiſchen Dingen, iſt auch hier des Glückes Glanz mit tiefem Weh verſchwiſtert geweſen. Die Fortſchritte des kos— miſchen Wiſſens wurden durch alle Gewaltthätigkeiten und Greuel erkauft, welche die ſogenannten civiliſierenden Eroberer über den Erdball verbreiten. Es iſt aber eine unverſtändig vermeſſene Kühnheit, in der unterbrochenen Ent— wickelungsgeſchichte der Menſchheit über das Abwägen von Glück und Unglück dogmatiſch zu entſcheiden. Es geziemt dem Menſchen nicht, Weltbegebenheiten zu richten, welche, in dem Schoße der Zeit langſam vorbereitet, nur teilweiſe dem Jahr— hundert zugehören, in das wir ſie verſetzen. Die erſte Entdeckung des mittleren und ſüdlichen Teils der Vereinigten Staaten von Nordamerika durch die Skandi— navier iſt faſt gleichzeitig mit der Erſcheinung und dem ge— heimnisvollen Auftreten von Manco Capac in dem Hochlande von Peru, ſie iſt 200 Jahre älter als die Ankunft der Azteken im Thale von Mexiko. Die Gründung der Hauptſtadt (Tenoch— titlan) fällt um volle 325 Jahre ſpäter. Hätten dieſe nor— männiſchen Koloniſationen lange dauernde Folgen gehabt, wären ſie von einem mächtigen, politiſch einigen Mutterlande genährt und beſchützt worden, ſo würden die vordringenden germaniſchen Stämme viele unſtäte Jägerhorden!“ noch da umherziehend gefunden haben, wo die ſpaniſchen Eroberer anſäſſige Ackerbauer fanden. Die Zeiten der Conquista, das Ende des 15. und den Anfang des 16. Jahrhunderts, bezeichnet ein wunderſames Zuſammentreffen großer Ereigniſſe in dem politiſchen und ſitt— lichen Leben der Völker von Europa. In demſelben Monat, in welchem Hernan Cortes nach der Schlacht von Otumba gegen Mexiko anzog, um es zu belagern, verbrannte Martin Luther die päpſtliche Bulle zu Wittenberg und begründete die — 234 — Reform, welche dem Geiſte Freiheit und Fortſchritte auf faſt unverſuchten Bahnen verhieß.!“ Früher noch traten, wie aus ihren Gräbern, die herrlichſten Gebilde der alten helleniſchen Kunſt hervor: der Laokoon, der Torſo, der Apoll von Bel— vedere und die mediceiſche Venus. Es blüheten in Italien Michelangelo, Leonardo da Vinci, Tizian und Raffael, in unſerem deutſchen Vaterlande Holbein und Albrecht Dürer. Die Weltordnung war von Kopernikus aufgefunden, wenn auch nicht öffentlich verkündigt, in dem Todesjahr von Chri— ſtoph Kolumbus, vierzehn Jahre nach der Entdeckung des neuen Kontinents. Die Wichtigkeit dieſer Entdeckung und der erſten An— ſiedelung der Europäer berührt auch andere Sphären als die, welcher dieſe Blätter vorzugsweiſe gewidmet ſind; ſie gehört jenen intellektuellen und moraliſchen Wirkungen an, welche die plötzliche Vergrößerung der Geſamtmaſſe der Ideen auf die Verbeſſerung des geſellſchaftlichen Zuſtandes ausgeübt hat. Wir erinnern daran, wie ſeit jenem großen Zeitpunkte ein neues regſameres Leben des Geiſtes und der Gefühle, wie mutige Wünſche und ſchwer enttäuſchte Hoffnungen allmählich ſämtliche Klaſſen der bürgerlichen Geſellſchaft durchdrungen haben; wie die geringe Bevölkerung einer Hälfte der Erdkugel, beſonders an den Europa gegenüber liegenden Küſten, die Nieder— laſſungen von Kolonieen begünſtigen konnte, welche ihre Aus— dehnung und ihre Lage zu unabhängigen, in der Wahl ihrer freien Regierungsform unbeſchränkten Staaten umwandelte; wie endlich die religiöſe Reform, ein Vorſpiel großer poli— tiſcher Umwälzungen, die verſchiedenen Phaſen ihrer Ent— wickelung unter einem Himmelsſtrich durchlaufen mußte, welcher der Zufluchtsort aller Glaubensmeinungen und der verſchieden— artigſten Anſichten von göttlichen Dingen geworden war. Die Kühnheit des genueſiſchen Seefahrers iſt das erſte Glied in der unermeßlichen Kette dieſer verhängnisvollen Begebenheiten. Zufall, nicht Betrug und Ränke, “ haben dem Feſtland von Amerika den Namen des Kolumbus entzogen. Durch Handels— verkehr und Vervollkommnung der Schiffahrt ſeit einem halben Jahrhundert Europa näher gebracht, hat der neue Weltteil einen wichtigen Einfluß auf die politiſchen Inſtitutionen, auf die Ideen und Neigungen der Völker ausgeübt, welche im Oſten das ſcheinbar immer enger werdende Thal des Atlan— tiſchen Ozeans begrenzen. VII. Große Entdeckungen in den Himmelsräumen durch Anwendung des Fern- rohres. — Hauptepoche der Sternkunde und Mathematik von Galilei und Kepler bis Newton und Leibniz — Geſetze der Planetenbewegung und allgemeine Gravitationstheorie. Indem wir uns beſtreben, die am meiſten geſonderten Perioden und Entwickelungsſtufen kosmiſcher Anſchauung auf— zuzählen, haben wir zuletzt die Periode geſchildert, in welcher den Kulturvölkern der einen Erdhälfte die andere bekannt ge— worden iſt. Auf das Zeitalter der größten Entdeckungen im Raume an der Oberfläche unſeres Planeten folgt unmittelbar die Beſitznahme eines beträchtlichen Teiles der Himmelsräume durch das Fernrohr. Die Anwendung eines neugeſchaffenen Organes, eines Werkzeuges von raumdurchdringender Kraft ruft eine neue Welt von Ideen hervor. Es beginnt ein glän— zendes Zeitalter der Aſtronomie und der Mathematik; für die letztere beginnt die lange Reihe tiefſinniger Forſcher, welche zu dem „alles umgeſtaltenden“ Leonhard Euler führt, deſſen Geburtsjahr (1707) dem Todesjahre von Jakob Bernoulli ſo nahe liegt. Wenige Namen können genügen, um an die Rieſenſchritte zu erinnern, welche der menſchliche Geiſt vorzugsweiſe in Ent— wickelung mathematiſcher Gedanken, durch eigene innere Kraft, nicht durch äußere Begebenheiten angeregt, im Laufe des 17. Jahrhunderts gemacht hat. Die Geſetze des Falles der Körper und der Planetenbewegung werden erkannt. Der Druck der Luft, die Fortpflanzung des Lichtes, ſeine Brechung und Polariſation werden erforſcht. Die mathematiſche Natur— lehre wird geſchaffen und auf feſte Grundpfeiler geſtützt. Die Erfindung der Infiniteſimalrechnung bezeichnet den Schluß des Jahrhunderts, und dadurch erſtarkt, hat die menſch— liche Intelligenz ſich in den folgenden 150 Jahren mit Glück — 286 — an die Löſung von Problemen wagen können, welche die Störungen der Weltkörper, die Polariſation und Interferenz der Lichtwellen, die ſtrahlende Wärme, die elektromagnetiſchen in ſich zurückkehrenden Ströme, die ſchwingenden Saiten und Flächen, die Kapillaranziehung enger Röhren, und ſo viele andere Naturerſcheinungen darbieten. Die Arbeit in der Gedankenwelt geht nun ununterbrochen und ſich gegenſeitig unterſtützend fort. Keiner der früheren Keime wird erſtickt. Es nehmen gleichzeitig zu die Fülle des zu verarbeitenden Materials, die Strenge der Methoden und die Vervollkommnung der Werkzeuge. Wir beſchränken uns hier hauptſächlich auf das einige 17. Jahrhundert: das Zeit— alter von Kepler, Galilei und Bacon, von Tycho, Descartes und Huygens, von Fermat, Newton und Leibniz. Die Leiſtungen dieſer Männer ſind ſo allgemein bekannt, daß es nur leiſer Andeutungen bedarf, um das herauszuheben, wo— durch ſie in Erweiterung kosmiſcher Anſichten glänzen. Wir haben ſchon früher gezeigt, wie dem Auge, dem Organ ſinnlicher Weltanſchauung, durch die Erfindung des teleſkopiſchen Sehens eine Macht verliehen wurde, deren Grenze noch lange nicht erreicht iſt, die aber ſchon in ihrem erſten ſchwachen Anfange, bei einer kaum 32maligen Linearver— größerung !°* der Fernröhre in die bis dahin uneröffneten Tiefen des Weltraumes drang. Die genaue Kenntnis vieler Himmelskörper, welche zu unſerem Sonnenſyſtem gehören, die ewigen Geſetze, nach denen ſie in ihren Bahnen kreiſen, die vervollkommnete Einſicht in den wahren Weltbau ſind das Charakteriſtiſche der Epoche, welche wir hier zu ſchildern ver— ſuchen. Was dieſe Epoche hervorgebracht, beſtimmt gleichſam die Hauptumriſſe von dem großen Naturbilde des Kos— mos; es fügt den neu erkannten Inhalt der Himmels— räume, wenigſtens in einer Planetengruppe ſinnig geordnet, dem früher durchforſchten Inhalt der telluriſchen Räume hinzu. Nach allgemeinen Anſichten ſtrebend, begnügen wir uns, hier nur die wichtigſten Objekte der aſtronomiſchen Arbeiten des 17. Jahrhunderts zu nennen. Wir weiſen zu— gleich auf den Einfluß hin, welchen dieſe auf eine kräftige Anregung zu großen und unerwarteten mathematiſchen Ent— deckungen wie zu der mehr umfaſſenden, erhabeneren Anſchau— ung des Weltganzen ausgeübt haben. Es iſt bereits früher erwähnt worden, wie das Zeitalter von Kolumbus, Gama und Magelhaens, das der nautiſchen / 8 * 8 Unternehmungen, verhängnisvoll mit großen Ereigniſſen, mit dem Erwachen religiöſer Denkfreiheit, mit der Entwickelung eines edleren Kunſtſinnes und der Verbreitung des koper— nikaniſchen Weltſyſtemes zuſammentraf. Nikolaus Kopernikus (in zwei noch vorhandenen Briefen nennt er ſich Koppernit) hatte bereits ſein 21. Lebensjahr erreicht und beobachtete mit dem Aſtronomen Albert Brudzewski zu Krakau, als Kolumbus Amerika entdeckte. Kaum ein Jahr nach dem Tode des Ent— deckers, nach einem jechsjährigen Aufenthalte in Padua, Bologna und Rom, finden wir ihn wieder in Krakau, mit gänzlicher Umwandlung der aſtronomiſchen Weltanſicht beſchäftigt. Durch die Gunſt ſeines Oheims, des Biſchofs von Ermland Lukas Waißelrode von Allen, e 1510 zum Domherrn in Frauen— burg ernannt, arbeitete er dort noch 33 Jahre lang an der Vollendung feines Werkes De Revolutionibus orbium coelestium. Das erſte gedruckte Exemplar wurde ihm ge— bracht, als, an Körper und Geiſt gelähmt, er ſich ſchon zum Tode bereitete. Er ſah es, berührte es auch, aber ſein Sinn war nicht mehr auf das Zeitliche gerichtet; er ſtarb nicht, wie Gaſſendi in dem Leben des Kopernikus erzählt, wenige Stunden, '%° ſondern mehrere Tage nachher, am 24. Mai 1543. Zwei Jahre früher war aber ſchon ein wichtiger Teil ſeiner Lehre durch einen Brief eines ſeiner eifrigſten Schüler und Anhänger, Joachim Rhäticus, an Johann Schoner, Profeſſor zu Nürnberg, durch den Druck bekannt geworden. Doch iſt es nicht die Verbreitung des kopernikaniſchen Syſtemes, die erneuerte Lehre von einer Centralſonne (von der täglichen und jährlichen Bewegung der Erde) geweſen, welche etwas mehr als ein halbes Jahrhundert nach ſeinem erſten Erſcheinen zu den glänzenden Entdeckungen in den Himmelsräumen ge— führt hat, die den Anfang des 17. Jahrhunderts bezeichnen. Dieſe Entdeckungen ſind die Folge einer zufällig gemachten Erfindung, des Fernrohres, geweſen. Sie haben die Lehre des Kopernikus vervollkommnet und erweitert. Durch die Re— ſultate der phyſiſchen Aſtronomie (durch das aufgefundene Satellitenſyſtem des Jupiter und die Phaſen der Venus) be— kräftigt und erweitert, haben die Grundanſichten des Koper— nikus der theoretiſchen Aſtronomie Wege vorgezeichnet, die zu ſicherem Ziele führen mußten, ja zur Löſung von Problemen anregten, welche die Vervollkommnung des ana— lytiſchen Kalküls notwendig machten. So wie Georg Peurbach und Regiomontanus (Johann Müller aus Königsberg in — 238 — Franken) wohlthätig einwirken auf Kopernikus und ſeine Schüler Rhäticus, Reinhold und Möſtlin, ſo wirken dieſe, wenngleich der Zeit nach getrennter, auf die Arbeiten von Kepler, Galilei und Newton. Dies iſt die ideelle Verkettung zwiſchen dem 16. und 17. Jahrhundert, und man kann die erweiterte aſtronomiſche Weltanſicht in dieſem nicht ſchildern, ohne die Anregungen zu berühren, welche aus jenem über— ſtrömen. Es iſt eine irrige und, leider! noch in neuerer Zeit ſehr verbreitete Meinung, daß Kopernikus aus Furchtſamkeit und in der Beſorgnis prieſterlicher Verfolgung die planetariſche Be— wegung der Erde und die Stellung der Sonne im Centrum des ganzen Planetenſyſtemes als eine bloße Hypotheſe vor— getragen habe, welche den aſtronomiſchen Zweck erfülle, die Bahn der Himmelskörper bequem der Rechnung zu unter— werfen, „aber weder wahr noch auch nur wahrſcheinlich zu ſein brauche“. Allerdings lieſt man dieſe ſeltſamen Worte!“? in dem anonymen Vorbericht, mit dem des Kopernikus Werk anhebt und der De Hypothesibus hujus operis über— ſchrieben iſt; ſie enthalten aber Aeußerungen, welche, dem Kopernikus ganz fremd, in geradem Widerſpruch mit ſeiner Zueignung an den Papſt Paul III. ſtehen. Der Verfaſſer des Vorberichtes iſt, wie Gaſſendi in ſeinem Leben des großen Mannes auf das beſtimmteſte ſagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Oſiander, der mit Schoner den Druck des Buches De Revolutionibus beſorgte und, ob er gleich keines bibliſchen Skrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für ratſam hielt, die neuen Anſichten eine Hy— potheſe und nicht, wie Kopernikus, eine erwieſene Wahrheit zu nennen. Der Gründer unſeres jetzigen Weltſyſtems (die wichtigſten Teile desſelben, die großartigſten Züge des Weltgemäldes gehören 17 7 ihm) war durch ſeinen Mut und die Zu— verſicht, mit welcher er auftrat, faſt noch ausgezeichneter als durch ſein Wiſſen. Er verdiente in hohem Grade das ſchöne Lob, das ihm Kepler gibt, wenn er ihn in der Einleitung zu den Rudolfiniſchen Tafeln „den Mann freien Geiſtes“ nennt; „vir fuit maximo ingenio et, quod in hoc exer- eitio (in der Bekämpfung der Vorurteile) magni momenti est, animo liber“. Da wo Kopernikus in der Zueignung an den Papſt die Entſtehung ſeines Werkes ſchildert, ſteht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete ee A Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralſtellung der Erde ein „abſurdes acroama” zu nennen und die Stupi— dität derer anzugreifen, welche einem ſo irrigen Glauben an— hingen. „Wenn etwa leere Schwätzer (ararohöyro:), alles mathe— matiſchen Wiſſens unkundig, ſich doch ein Urteil über ſein Werk anmaßen wollten durch abſichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum. seripturae male ad suum propositum detortum), fo werde er einen ſolchen verwegenen Angriff verachten! Es ſei ja weltbekannt, daß der berühmte Lactantius, den man freilich nicht zu den Mathematikern zählen könne, recht kindiſch (pueri— liter) von der Geſtalt der Erde geſprochen und diejenigen verhöhnt habe, welche ſie für kugelförmig halten. Ueber mathematiſche Gegenſtände dürfe man nur für Mathematiker ſchreiben. Um zu beweiſen, daß er, von der Richtigkeit ſeiner Reſultate tief durchdrungen, kein Urteil zu ſcheuen habe, wende er ſich aus einem fernen Erdwinkel an das Oberhaupt der Kirche, auf daß es ihn vor dem Biß der Verleumder ſchütze, da die Kirche ſelbſt von ſeinen Unterſuchungen über die Jahres— länge und Mondbewegungen Vorteil ziehen werde.“ Aſtro— logie und Kalenderverbeſſerung verſchafften der Sternkunde lange allein Schutz bei der weltlichen und geiſtlichen Macht, wie Chemie und Botanik zuerſt nur der Arzneimittellehre dienten. Die kräftige, aus der innerſten Ueberzeugung hervor— brechende, freie Sprache des Kopernikus widerlegt hinlänglich die alte Behauptung, er habe das Syſtem, das ſeinen un— ſterblichen Namen führt, als eine dem rechnenden Aſtronomen bequeme Hypotheſe, als eine ſolche, die wohl auch unbegründet ſein könne, vorgetragen. „Durch keine andere Anordnung,“ ſagt er begeiſtert, „habe ich eine ſo bewundernswürdige Sym— metrie des Univerſums, eine ſo harmoniſche Verbindung der Bahnen finden können, als da ich die Weltleuchte (lucernam mundi), die Sonne, die ganze Familie kreiſender Geſtirne lenkend (eireumagentem gubernans astrorum familiam), wie in die Mitte des ſchönen Naturtempels auf einen königlichen Thron geſetzt.“ 1s Auch die Idee von der allgemeinen Schwere oder Anziehung (appetentia quaedam naturalis partibus indita) gegen den Weltmittelpunkt (centrum mundi), die Sonne aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern ge— ſchloſſen, ſcheint dem großen Manne vorgeſchwebt zu haben, wie eine merkwürdige Stelle!“ des 9. Kapitels im 1. Buche der Revolutionen beweiſt. — 240 — Wenn wir die verſchiedenen Entwickelungsſtufen kos⸗ miſcher Anſchauungen durchlaufen, ſo ſehen wir in den früheſten Zeiten Ahnungen von Maſſenanziehung und Centrifugal⸗ kräften. Jacobi in ſeinen leider noch handſchriftlichen Unter⸗ ſuchungen über das mathematiſche Wiſſen der Griechen verweilt mit Recht bei der „tiefen Naturbetrachtung des Anaxa⸗ goras, von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der Mond, ’°° wenn ſeine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder“. Vor ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apol- lonia über „Nachlaſſung im Umſchwunge“ habe ich bei Ge⸗ legenheit der Aerolithenfälle ſchon früher gehandelt. Von der Ziehkraft, welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle ſchweren Maſſen, die man von demſelben trennt, hatte aller⸗ dings Plato einen klareren Begriff als Ariſtoteles, der zwar, wie Hipparch, die Beſchleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufaſſen. Im Plato und bei Demokritus wird die Anziehung auf die Affinität, das Streben gleichartiger elementarer Stoffe beſchränkt.!“! Nur der Alexandriner Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeä, wahrſcheinlich erſt aus dem 6. Jahr⸗ hundert, ſchreibt die Bewegung der Weltkörper einem primi⸗ tiven Stoße zu, und verbindet mit dieſer Idee die des Falles, des Strebens aller ſchweren und leichten Stoffe gegen die Erde. Was Kopernikus ahnete, Kepler aber in ſeinem herr⸗ lichen Werke De Stella Martis deutlicher ausſprach, dort jelbjt "*? auf die Ebbe und Flut des Ozeans anwandte, findet man neu belebt und reich befruchtet (1666 und 1674) durch den Scharfſinn des geiſtreichen Robert Hooke. Nach ſolchen Vorbereitungen bot Newtons Lehre von der Gravitation das großartige Mittel dar, die ganze phyſiſche Aſtronomie in eine Mechanik des Himmels zu verwandeln. Kopernikus kannte, wie man nicht bloß aus der Zueig⸗ nung an den Papſt, ſondern in mehreren Stellen des Werkes ſelbſt ſieht, ziemlich vollſtändig die Vorſtellungen der Alten vom Weltbau. Er nennt indes aus der vorhipparchiſchen Zeit nur Hycetas aus Syrakus, den er immer als Nicetas auf⸗ führt, Philolaus den Pythagoreer, den Timäus des Plato, Ecphantus, Heraklides den Pontiker und den großen Geometer Apollonius von Perga. Von den beiden ſeinem Syſteme am nächſten ſtehenden Mathematikern, dem Ariſtarch von Sa⸗ mos und Seleucus dem Babylonier,“ erwähnt er den — 241 — erſteren ohne alle Bezeichnung und den zweiten gar nicht. Man hat oft behauptet, er habe die Meinung des Ariſtarch von Samos von der Centralſonne und der planetariſchen Erde darum nicht gekannt, weil der Arenarius und alle Werke des Archimedes erſt ein Jahr nach ſeinem Tode, ein volles Jahrhundert nach Erfindung der Buchdruckerkunſt, erſchienen ſeien; aber man vergißt, daß Kopernikus in der Zueignung an den Papſt Paul III. eine lange Stelle über Philolaus, Ecphantus und Heraklides vom Pontus aus des Plutarchus Werke Ueber die Meinungen der Philoſophen (III, 13) eitiert und daß er in demſelben (II, 24) hätte leſen können, wie Ariſtarch von Samos die Sonne den Firxſternen beigezählt abe. Was unter allen Meinungen der Alten den tiefſten Einfluß auf die Richtung und allmähliche Entwickelung ſeiner Ideen ausgeübt haben könnte, ſind nach Gaſſendis Behaup— tung eine Stelle in dem encyklopädiſchen, in halb barbariſcher Sprache abgefaßten Werke des Martianus Mineus Capella Hund das Weltſyſtem des Apollonius von Perga. Nach der Vorſtellungsart des Martianus Mineus aus Madaura, die mit zu großer Zuverjicht!?* bald den Aegyptern, bald den Chaldäern zugeſchrieben wird, ruht die Erde unbeweglich im Mittelpunkte, aber die Sonne wird als kreiſender Planet, von zwei Satelliten (Merkur und Venus) umgeben. Eine ſolche Anſicht des Weltgebäudes konnte freilich zu der der Central— kräfte der Sonne vorbereiten. Nichts rechtfertigt aber, weder in dem Almageſt und überhaupt in den Schriften der Alten, noch in dem Werke des Kopernikus De Revolutionibus, die von Gaſſendi ſo beſtimmt ausgeſprochene Behauptung über die vollkommene Aehnlichkeit des tychoniſchen Syſtems mit dem, welches man dem Apollonius von Perga zuſchreiben will. Von der Verwechſelung des kopernikaniſchen Syſtems mit dem des Pythagoreers Philolaus, in welchem die nicht rotierende Erde (die Antichthon oder Gegenerde iſt nicht ein eigener Pla— net, ſondern die entgegengeſetzte Halbkugel unſeres Planeten) wie die Sonne ſelbſt ſich um den Weltherd, das Centralfeuer, die Lebensflamme des ganzen Planetenſyſtems, bewegt, kann nach Böckhs vollendeten Unterſuchungen ferner keine Rede ſein. Die wiſſenſchaftliche Revolution, deren Urheber Nikolaus Kopernikus war, hat das ſeltene Glück gehabt (eine kurze rüd- ſchreitende Bewegung der tychoniſchen Hypotheſe abgerechnet) ununterbrochen zum Ziele, zur Entdeckung des wahren Welt⸗ baues zu führen. Die reiche Fülle genauer Beobachtungen, A. v. Humboldt, Kosmos. II. 16 — 42 — welche der eifernde Gegner ſelbſt, Tycho de Brahe, lieferte, begründete die Entdeckung der ewigen Geſetze planetariſcher Bewegung, die Keplers Namen einen unſterblichen Ruhm be— reiteten und, von Newton gedeutet, theoretiſch als notwendig erwieſen in das Lichtreich des Gedankens, eines denkenden Erkennens der Natur, übertragen wurden. Man hat!es mit Scharfſinn, aber vielleicht mit zu ſchwacher Bezeichnung des freien, ſelbſtändig die Gravitationstheorie ſchaffenden Geiſtes gelegt: „Kepler ſchrieb ein Geſetzbuch, Newton den Geiſt der eſetze.“ Die ſinnbildlichen dichteriſchen Mythen pythagoriſcher und platoniſcher Weltgemälde, wandelbar!?“ wie die Phantaſie, die ſie erzeugt, fanden teilweiſe noch ihren Reflex in Kepler; ſie erwärmten und erheiterten ſein oft getrübtes Gemüt, aber ſie lenkten nicht ab von der ernſten Bahn, die er verfolgte und an deren Ziel!?“ er gelangte zwölf Jahre vor feinem Tode in der denkwürdigen Nacht des 15. Mai 1618. Kopernikus hatte durch die tägliche Rotation der Erde um ihre Achſe, eine genügende Erklärung der ſcheinbaren Umwälzung des Fixſtern⸗ himmels und durch die jährliche Bewegung um die Sonne eine ebenſo vollkommene Auflöſung der auffallendſten Be— wegungen der Planeten (Stationen und Rückgänge) gegeben und ſo den wahren Grund der ſogenannten zweiten Un— gleichheit der Planeten gefunden. Die erſte Ungleichheit, die ungleichförmige Bewegung der Planeten in ihren Bahnen, ließ er unerklärt. Getreu dem alten pythagoriſchen Prinzipe von der den Kreisbewegungen innewohnenden Vollkommenheit, bedurfte Kopernikus noch zu ſeinem Weltenbau exzentriſcher, im Mittelpunkt leerer Kreiſe, auch einiger Epieykeln des Apollonius von Perga. So kühn der Weg war, den man eingeſchlagen, konnte man doch nicht auf einmal ſich von allen früheren Anſichten befreien. Der gleiche Abſtand, in welchem die Sterne voneinan- der bleiben, indem das ganze Himmelsgewölbe ſich von Oſten nach Weſten bewegt, hatte zu der Vorſtellung eines Firma— ments, einer ſoliden kriſtallenen Sphäre geführt, an welche ſich Anaximenes (vielleicht nicht viel jünger als Pythagoras) die Sterne wie Nägel e dachte. Geminus der Rho— dier, gleichzeitig mit Cicero, bezweifelt, daß die Sternbilder in einer Fläche liegen; einige liegen nach ihm höher, andere tiefer. Die Vorſtellung vom Fixſternhimmel wurde auf die Planeten übertragen; und ſo entſtand die Theorie der exzen— — 243 — triſchen ineinander geſchachtelten Sphären des Euxodus, Me— nächmus und des Ariſtoteles, der die rückwirkenden Sphä— ren erfand. Die Theorie der Epicykeln, eine Konſtruktion, welche ſich der Darſtellung und Berechnung der planetariſchen Bewegungen leichter anpaßte, verdrängte nach einem Jahr— hundert durch den Scharfſinn des Apollonius die ſtarren Sphären. Ob man, wie Ideler glaubt, erſt nach Errichtung des alexandriniſchen Muſeums angefangen habe, „eine freie Bewegung der Planeten im Weltraume für möglich zu halten“, ob man ſich allgemein früher ſowohl die eingeſchachtelten durch— ſichtigen Sphären (nach Eudoxus 27, nach Ariſtoteles 55) als die Epicykeln, die Hipparch und Ptolemäus dem Mittel— alter überlieferten, nicht als feſt, von materieller Dichte, ſon— dern nur als ideelle Anſchauungen dachte, darüber enthalte ich mich hier aller hiſtoriſchen Entſcheidungen, ſo ſehr ich auch der „bloß ideellen Anſchauung“ zugethan bin. Gewiſſer iſt es, daß in der Mitte des 16. Jahrhunderts, da die Theorie der 77 homozentriſchen Sphären des gelehrten Polyhiſtors Girolamo Fracaſtoro Beifall fand und da ſpäter die Gegner des Kopernikus alle Mittel aufſuchten, das ptolemäiſche Syſtem aufrecht zu halten, die, beſonders von den Kirchenvätern be— günſtigte Vorſtellung von der Exiſtenz ſolider Sphären, Kreiſe und Epicykeln noch weit verbreitet war. Tycho de Brahe rühmt ſich ausdrücklich des Verdienſtes, durch ſeine Betrach— tungen über die Kometenbahnen zuerſt die Unmöglichkeit ſolider Sphären erwieſen, das künſtliche Gerüſte derſelben zer— trümmert zu haben. Er füllte den freien Himmelsraum mit Luft, und glaubte ſogar das widerſtehende Mittel könne, von den kreiſenden Weltkörpern erſchüttert, Töne erzeugen. Dieſe erneuerte pythagoriſche Tonmythe glaubte der wenig poetiſche Rothmann wiederlegen zu müſſen. Die große Entdeckung Keplers, daß alle Planeten ſich in Ellipſen um die Sonne bewegen, und daß die Sonne in dem einen Brennpunkt dieſer Ellipſen liegt, hat endlich das urſprüng— liche kopernikaniſche Syſtem von den exzentriſchen Kreiſen und von allen Epicykeln befreit.“? Der planetariſche Weltbau er— ſchien nun objektiv, gleichſam architektoniſch, in ſeiner einfachen Größe; aber das Spiel und der Zuſammenhang der inneren, treibenden und erhaltenden Kräfte wurden erſt von Iſaak New— ton enthüllt. Wie man oft ſchon in der Geſchichte der all— mählichen Entwickelung des menſchlichen Wiſſens bemerkt hat, daß wichtige aber ſcheinbar zufällige Entdeckungen, wie das BE Auftreten großer Geiſter ſich in einen kurzen Zeitraum zu: ſammendrängen, ſo ſehen wir dieſe Erſcheiuung auf die auf— fallendſte Weiſe in dem erſten Dezennium des 17. Jahrhun— derts wiederholt. Tycho, der Gründer der neueren meſſenden Aſtronomie, Kepler, Galilei und Bacon von Verulam ſind Zeitgenoſſen. Alle, außer Tycho, haben in reiferen Jahren noch die Arbeiten von Descartes und Fermat erlebt. Die Grundzüge von Bacons Instauratio Magna erſchienen in engliſcher Sprache ſchon 1605, fünfzehn Jahre vor dem No— vum Organon. Die Erfindung des Fernrohrs und die größ— ten Entdeckungen der phyſiſchen Aſtronomie (Jupiterstrabanten, Sonnenflecken, Phaſen der Venus, Wundergeſtalt des Saturn) fallen zwiſchen die Jahre 1609 und 1612. Keplers Speku⸗ lationen über die elliptiſche Marsbahn beginnen 1601 und geben Anlaß zu der acht Jahre darauf vollendeten Astro— nomia nova seu Physica coelestis. „Durch das Stu— dium der Bahn des Planeten Mars,“ ſchreibt Kepler, „müſſen wir zu den Geheimniſſen der Aſtronomie gelangen oder wir bleiben in derſelben immer unwiſſend. Es iſt mir durch hart⸗ näckig fortgeſetzte Arbeit gelungen, die Ungleichheiten der Be— wegung des Mars einem Naturgeſetz zu unterwerfen.“ Die Verallgemeinerung desſelben Gedankens hat Kepler zu den großen Wahrheiten und kosmiſchen Ahnungen geführt, die der phantaſiereiche Mann zehn Jahre ſpäter in ſeiner Welt- harmonie (Harmonices Mundi libri quinque) dar⸗ gelegt. „Ich glaube,“ ſagt Kepler ſchön in einem Briefe an den däniſchen Aſtronomen Longomontanus, „daß Aſtronomie und Phyſik ſo genau miteinander verknüpft ſind, daß keine ohne die andere vervollkommnet werden kann.“ Auch erſchie— nen die Früchte ſeiner Arbeiten über die Struktur des Auges und die Theorie des Sehens 1604 in den Paralipomenen zum Vitellion, die Dioptrik!“? ſelbſt ſchon 1611. So verbreitete ſich das Wiſſen über die wichtigſten Gegenſtände der Erſcheinungswelt in den himmliſchen Räumen wie über die Art, durch Erfindung neuer Organe dieſe Gegenſtände zu erfaſſen, in dem kurzen Zeitraume der erſten 10 bis 12 Jahre eines mit Galilei und Kepler anbrechenden, mit Newton und Leibniz endenden Jahrhunderts. Die zufällige Erfindung der raumdurchdringenden Kraft der Fernröhre wurde zuerſt in Holland, wahrſcheinlich ſchon in den letzten Monaten des Jahres 1608, bekannt. Nach den neueſten archivariſchen Unterſuchungen?“ können Anſprüche auf diefe große Erfindung machen: Hans Lippershey, gebürtig aus Weſel, Brillenmacher zu Middelburg; Jakob Adriaans; mit dem Beinamen Metius, der auch Been pegel von Eis verfertigt haben ſoll, und Sadarias Janſen. Der erite wird in dem wichtigen Briefe des holländischen Geſandten Bo— reel an den Arzt Borelli, Verfaſſer der Abhandlung De vero telescopii inventore (1655), immer Lapreh genannt. Wenn man die Priorität nach den Zeitepochen beſtimmen will, in denen den Generalſtaaten Anträge gemacht wurden, ſo ge— hört dem Hans Lippershey der Vorrang. Er bietet der Re⸗ gierung drei Inſtrumente an, „mit denen man in die Ferne ſieht“, am 2. Oktober 1608. Des Metius Anerbieten iſt erſt vom 17. Oktober desſelben Jahres, aber er ſagt ausdrücklich in der Bittſchrift: „daß er durch Fleiß und Nachdenken ſchon ſeit zwei Jahren ſolche Inſtrumente konſtruiert habe“. Za— charias Janſen (wie Lippershey, Brillenmacher zu Middelburg) erfand in Gemeinſchaft mit ſeinem Vater Hans Janſen gegen das Ende des 16. Jahrhunderts (wahrſcheinlich nach 1590) das zuſammengeſetzte Mikroſkop, deſſen Okular ein Zer⸗ ſtreuungsglas iſt; aber erſt 1610, wie der Geſandte Boreel es bezeugt, das Fernrohr, welches er und ſeine Freunde zwar auf ferne irdiſche, aber nicht auf himmliſche Gegenſtände rich— teten. Der Einfluß, welchen das Mikroskop auf die tiefere Kenntnis alles Organiſchen in Geſtaltung und Bewegung der Teile, das Fernrohr auf die plötzliche Erſchließung der Welt⸗ räume ausgeübt haben, iſt ſo unermeßlich geweſen, daß die Ge— ſchichte der Entdeckung hier umſtändlicher berührt werden mußte. Als die Nachricht von der in Holland gemachten Erfin— dung des teleſkopiſchen Sehens im Mai 1609 ſich nach Vene— dig verbreitete, wo Galilei zufällig anweſend war, erriet dieſer das Weſentliche der Konſtruktion eines Fernrohrs und brachte ſogleich das ſeinige in Padua zuſtande. 'n Er richtete das⸗ ſelbe zuerſt auf die Gebirgslandſchaften des Mondes, deren höchſte Punkte er zu meſſen lehrt, 5 er, wie Leonardo da Vinci und Möſtlin, das afchfarbene & Licht des Mondes dem von der Erde auf den Mond reflektierten Sonnenlichte zu— ch er durchforſchte mit ſchwacher Vergrößerung die Gruppe der Plejaden, den Sternhaufen der Krippe im Krebſe, die Milchſtraße und die Sterngruppe im Kopf des Orion. Dann folgten ſchnell hintereinander die großen Entdeckungen der vier Trabanten des Jupiter, der zwei Handhaben des Sa— turn (ſeine undeutlich geſehene, nicht erkannte Ringumgebung), 246 — der Sonnenflecken und der ſichelförmigen Geſtalt der Venus. Die Monde des Jupiter, die erſten aller durch das Fernrohr aufgefundenen Nebenplaneten, wurden, wie es ſcheint, fait zugleich, und ganz unabhängigerweiſe am 29. Des zember 1609 von Simon Marius zu Ansbach und am 7. Ja— nuar 1610 von Galilei zu Padua entdeckt. In der Publi— kation dieſer Entdeckung kam Galilei durch den Nuncius Sidereus (1610) dem Mundus Jovialis (1614) des Simon Marius zuvor.?“? Dieſer hatte den Jupiterstraban— ten den Namen Sidera Brandenburgica zugedacht; Galilei ſchlug den Namen Sidera Cosmica oder Medicea vor, von denen in Florenz der letztere am Hofe mehr Beifall fand. Die kollektiven Namen genügten aber nicht dem ſchmeichleriſchen Sinne. Statt die Monde, wie wir jetzt thun, durch Zahlen zu bezeichnen, nannte ſie Marius: Jo, Europa, Ganymed und Kalliſto; durch Galileis Nomenklatur traten an die Stelle dieſer mythologiſchen Weſen die Familiennamen des mediceiſchen Herrſcherhanſes: Catharina, Maria, Coſimo der ältere und Coſimo der jüngere. Die Bekanntſchaft mit dem Satellitenſyſtem des Jupiter und die mit den Phaſen der Venus haben den weſentlichſten Einfluß auf die Befeſtigung und Verbreitung des koperni— kaniſchen Syſtemes gehabt. Die kleine Jupiterswelt (Mun— dus Jovialis) bot dem geiſtigen Blicke ein vollkommenes Bild des großen Planeten- und Sonnenſyſtems dar. Man erkannte, daß die Nebenplaneten den von Kepler entdeckten Geſetzen ge— horchen, am früheſten, daß die Quadrate der Umlaufszeiten ſich verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernungen der Satelliten vom Hauptplaneten. Deshalb ruft Kepler in der Harmonice Mundi, in dem feſten Vertrauen und der Sicherheit, welche „einem deutſchen Manne“ die philoſophiſche Freimütigkeit einflößt, den Stimmführenden jenſeits der Alpen zu: „Achtzig Jahre?“s ſind verfloſſen, in denen des Kopernikus Lehre von der Bewegung der Erde und von der Ruhe der Sonne ungehindert geleſen wurde, weil man für erlaubt hielt, über natürliche Dinge zu disputieren und die Werke Gottes zu beleuchten; und jetzt, da neue Dokumente zum Beweis der Lehre aufgefunden ſind, Dokumente, welche den (geiſt— lichen) Richtern unbekannt waren, wird die Verbreitung des wahren Syſtems vom Weltbau bei euch verpönt!“ Dieſe Verpönung, Folge des alten Kampfes der Naturwiſſenſchaft — 247 — mit der Kirche, hatte ſchon früher Kepler ſelbſt in dem pro— teſtantiſchen Deutſchland erfahren. Für die Geſchichte der Aſtronomie, ja für die Schickſale ihrer Begründung, bezeichnet die Entdeckung der Jupiters— trabanten eine ewig denkwürdige Epoche. Die Verfinſterungen der Trabanten, ihr Eintritt in den Schatten des Jupiters haben auf die Geſchwindigkeit des Lichtes (1675) und durch die Kenntnis dieſer Geſchwindigkeit zur Erklärung der Aberrations-Ellipſe der Fixſterne (1727) geleitet, in der ſich gleichſam am Himmelsgewölbe die große Bahn der Erde in ihrem jährlichen Laufe um die Sonne abſpiegelt. Man hat dieſe Entdeckungen Römers und Bradleys mit Recht „den Schluß— ſtein des kopernikaniſchen Syſtemes“, den ſinnlichen Beweis von der translatoriſchen Bewegung der Erde genannt. Auch die Wichtigkeit, welche die Verfinſterungen der Jupiterstrabanten für die geographiſchen Längenbeſtimmungen auf dem feſten Lande darbieten, wurde von Galilei früh (Sep— tember 1612) erkannt. Er ſchlug die Längenmethode erſt dem ſpaniſchen Hofe (1616), ſpäter den Generalſtaaten von Holland, und zwar für das Seeweſen, vor,?“ wenig bekannt, wie es ſcheint, mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche die praktiſche Anwendung der Methode auf dem vielbewegten Ele— mente findet. Er wollte mit hundert von ihm anzufertigenden Fernröhren ſelbſt nach Spanien gehen oder ſeinen Sohn Vicenzio dahin ſchicken. Er verlangte als Belohnung „una Croce di S. Jago“ und ein Jahrgehalt von 4000 Skudi; eine geringe Summe, ſagte er, da man ihm anfangs im Hauſe des Kardinals Borgia zu 6000 Dukaten Renten Hoffnung gemacht. Auf die Entdeckung der Nebenplaneten des Jupiters folgte bald die Beobachtung der ſogenannten Dreigeſtaltung des Saturn, planeta tergeminus. Schon im November 1610 meldete Galilei an Kepler, daß „der Saturn aus drei Ster— nen beſtehe, die ſich gegenſeitig berühren“. In dieſer Beob— achtung lag der Keim zur Entdeckung des Saturnringes. Heve— lius beſchrieb (1656) das Veränderliche dieſer Geſtaltung, die ungleiche Oeffnung der Anſen (Henkel) und ihr zuweilen eintreffendes gänzliches Verſchwinden. Das Verdienſt, alle Er— ſcheinungen des einigen Saturnringes wiſſenſchaftlich erklärt zu haben, gehört aber (1655) dem ſcharfſinnigen Huygens, der nach der mißtrauiſchen Sitte der Zeit ſeine Entdeckung, wie Galilei, in ein Anagramm und zwar von 88 Buchſtaben ein— hüllte. Erſt Dominikus Caſſini ſah den ſchwarzen Streifen am Ringe und erkannte (1684), daß er ſich (wenigſtens) in zwei konzentriſche Ringe teile. Ich faſſe zuſammen, was ein Jahrhundert über die wunderbarſte, ungeahnteſte aller Ge— ſtaltungen in den himmliſchen Räumen gelehrt hat, über eine Geſtaltung, die auf ſcharfſinnige Vermutungen über die ur— ſprüngliche Bildung von Neben- und Hauptplaneten hat leiten können. Die Sonnenflecken ſind zuerſt durch Fernröhre von Johann Fabricius, dem Oſtfrieſen, und von Galilei (man be— hauptet, zu Padua oder Venedig) beobachtet worden; in der Veröffentlichung der Entdeckung iſt unbeſtreitbar Fabricius (Juni 1611) dem Galilei (erſter Brief an den Bürgermeiſter Markus Welſer vom 4. Mai 1612) um ein Jahr zuvor⸗ gekommen. Die erſten Beobachtungen des Fabricius ſind nach Aragos ſorgfältiger Unterſuchung?'? vom März 1611, nach Sir David Brewſter ſogar von dem Ende des Jahres 1610, wenn Chriſtoph Scheiner die ſeinigen ſelbſt nur bis April 1611 zurückführt und wahrſcheinlich ſich erſt im Oktober desſelben Jahres ernſthaft mit den Sonnenflecken beſchäftigte. Ueber Galilei beſitzen wir nur ſehr dunkle und voneinander ab— weichende Angaben. Wahrſcheinlich erkannte er die Sonnen— flecken im April 1611; denn er zeigte ſie öffentlich zu Rom im Garten des Kardinals Bandini am Quirinal im April und Mai desſelben Jahres. Harriot, welchem Baron Zach die Entdeckung der Sonnenflecken (am 16. Januar 1610!) zu⸗ ſchreibt, ſah allerdings ſchon drei derſelben am 8. Dezember 1610 und bildete ihre Lage in einem Regiſter der Beobachtungen ab; er wußte aber nicht, daß er Sonnenflecken geſehen, ſo wenig als Flamſteed am 23. Dezember 1690 oder Tobias Mayer am 25. September 1756 den Uranus als Planeten erkannten, als er durch ihr Fernrohr ging. Harriot erkennt die Sonnenflecken erſt den 1. Dezember 1611, alſo 5 Monate nachdem Fabricius die Entdeckung veröffentlicht hatte. Galilei bemerkt ſchon, daß die Sonnenflecken, „von denen viele größer als das Mittelländiſche Meer, ja als Afrika und Aſien ſind“, eine beſtimmte Zone auf der Sonnenſcheibe einnehmen. Er ſieht bisweilen denſelben Flecken wiederkehren, er iſt überzeugt, daß ſie zu dem Sonnenkörper ſelbſt gehören. Die Unterſchiede der Dimenſionen im Centrum der Sonne und bei dem Ver— ſchwinden am Rande feſſeln beſonders ſeine Aufmerkſamkeit; doch finde ich in dem merkwürdigen zweiten Briefe an Markus Welſer (vom 14. Auguſt 1612) nichts, das ſich auf eine eee e beobachtete Ungleichheit des aſchfarbenen Randes zu beiden Seiten des ſchwarzen Kernes am Sonnenrande (Alexander Wilſons ſchöne Bemerlung von 1773!) deuten ließe. Von dem Kanonikus Tarde (1620) und von Malapertus (1633) wurden alle Verdunkelungen der Sonne kleinen um dieſelbe zirkulierenden, lichtraubenden Weltkörpern zugeſchrieben, den bourboniſchen und öſterreichiſchen Geſtirnen (Borbonia und Austriaca Sidera). Fabricius erkannte wie Galilei, daß die Flecken dem Sonnenförper ?°° ſelbſt angehören; auch er ſah früher geſehene verſchwinden und dann wiederkehren; ſolche Erſcheinungen lehrten ihn die Rotation der Sonne, die Kepler ſchon vor Entdeckung der Sonnenflecke geahnet hat. Die ge— naueſten Beſtimmungen (1630) der Rotationsdauer ſind aber von dem fleißigen Scheiner. Wenn in der neueſten Zeit das ſtärkſte Licht, welches die Menſchen bisher hervorgebracht, das Drummondſche Erglühen des Kalkes, auf die Sonnenſcheibe projiziert, tintenartig ſchwarz erſchienen iſt, jo darf es nicht wunder nehmen, daß Galilei, der zweifelsohne die großen Sonnenfackeln zuerſt beſchrieben hat, das Licht des Kernes der Sonnenflecken für intenſiver hielt als das des Vollmondes oder der Luft nahe um die Sonnenſcheibe. 2“ Phantaſieen über die mehrfachen Luft-, Wolken- und Lichthüllen, welche den (ſchwarzen) erdhaften Kern der Sonne um— geben, finden ſich ſchon in den Schriften des Kardinals Niko— laus von Cuſa aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Um den Cyklus der bewundernswürdigen Entdeckungen zu ſchließen, welcher kaum zwei Jahre umfaßt und in welchem des großen, unſterblichen Florentiners Name vorleuchtet, muß ich noch der Lichtgeſtalten der Venus erwähnen. Schon im Februar 1610 ſah Galilei den Planeten ſichelförmig, und verbarg (11. Dezember 1610), nach einer Sitte, deren wir bereits oben erwähnt, die wichtige Entdeckung in ein Anagramm, deſſen Kepler in der Vorrede zu ſeiner Dioptrik gedenkt. Auch von der wechſelnden Lichtgeſtalt des Mars glaubt er etwas trotz der ſchwachen Vergrößerung ſeiner Fernröhre zu erkennen, wie er in einem Briefe an Benedetto Caſtelli (30. Dezember 1610) ſagt. Die Entdeckung der mondartigen Sichelgeſtalt der Venus war der Triumph des kopernikaniſchen Syſtemes. Dem Ur— heber dieſes Syſtemes konnte gewiß die Notwendigkeit der Exiſtenz der Phaſen nicht entgehen; er diskutiert umſtändlich in dem 10. Kapitel des erſten Buches die Zweifel, welche in Hinſicht der Lichtgeſtalten die neueren Anhänger platoniſcher Meinungen gegen den ptolemäiſchen Weltbau erheben. Bei der Entwickelung ſeines eigenen Syſtemes ſpricht er ſich aber nicht beſonders über die Phaſen der Venus aus, wie Thomas Smith es in ſeiner Optik behauptet. Die Erweiterung des kosmiſchen Wiſſens, deren Schilde— rung leider nicht ganz von dem unheimlichen Hader über Prioritätsrecht der Entdeckungen zu trennen iſt, fanden, wie alles, was die phyſiſche Aſtronomie berührt, einen um ſo allgemeineren Anklang, als die Erfindung der Fern— röhre (1608) in eine Zeit fiel, in welcher, 36, 8 und 4 Jahre zuvor, große Himmelsbegebenheiten (das plötzliche Er— ſcheinen und Verlöſchen dreier neuer Sterne: in der Kaſſiopeia 1572, im Schwan 1600 und am Fuß des Ophiuchus 1604) das Zuſammenlaufen von erſtaunten Volksmaſſen erregt hatten. Alle dieſe Sterne waren heller als Sterne erſter Größe, und der von Kepler beobachtete im Schwan blieb 21 Jahre leuch— tend am Himmelsgewölbe die ganze Periode der galileiſchen Entdeckungen hindurch. Drei und ein halbes Jahrhundert ſind nun faſt verfloſſen, und kein neuer Stern erſter oder zweiter Größe iſt ſeitdem erſchienen; denn die merkwürdige Himmelsbegebenheit, deren Zeuge Sir John Herſchel (1837) in der ſüdlichen Halbkugel war, iſt die übergroße Zunahme der Lichtintenſität eines längſt geſehenen Sternes zweiter Größe (1 Argo), den man bisher nicht als veränderlich gekannt. Wie mächtig das Erſcheinen neuer Sterne zwiſchen 1572 und 1604 die Neugierde gefeſſelt, den Anteil an aſtronomiſchen Ent— deckungen vermehrt, ja zu phantaſiereichen Kombinationen an— geregt hat, lehren Keplers Schriften, lehrt alles, was wir erfahren, wenn dem bloßen Auge ſichtbare Kometen auftreten. Auch irdiſche Naturbegebenheiten, wie Erdbeben in Gegenden, wo dieſelben ſehr ſelten geſpürt worden ſind, Ausbrüche lang ruhender Vulkane, das Geräuſch der Aerolithen, die unſere Atmoſphäre durchſtreichen und ſich in derſelben erhitzen, be— leben auf eine gewiſſe Zeit von neuem das Intereſſe für Probleme, die dem Volke noch ungelöſter als den dogma— tiſierenden Phyſikern erſcheinen. Wenn ich in dieſen Betrachtungen über den Einfluß der unmittelbaren Sinnesanſchauung Kepler vorzugsweiſe genannt habe, jo war es, um darin zu erinnern, wie ſich in dieſem großen, herrlich begabten und wunderbaren Manne jener Hang zu phantaſiereichen Kombinationen mit einem ausgezeichneten Beobachtungstalente und einer ernſten, ſtrengen Induktions— — methode, mit einer mutigen, faſt beiſpielloſen Beharrlichkeit im Rechnen, mit einem mathematiſchen Tiefſinne vereinigt fand, der, in der Stereometria doliorum offenbart, auf Fermat und durch dieſen auf die Erfindung der Rechnung des Unendlichen einen glücklichen Einfluß ausgeübt hat.““? Ein ſolcher Geiſt ?“? war recht vorzugsweiſe vor allen dazu geeignet, durch den Reichtum und die Beweglichkeit ſeiner Ideen, ja durch die Wagniſſe kosmologiſcher Ahnungen Leben um ſich her zu verbreiten, die Bewegung zu vermehren, welche das 17. Jahrhundert unaufhaltſam ſeinem erhabenen Ziele erweiterter Weltanſchauung zuführte. Die vielen dem Auge ſichtbaren Kometen von 1577 an bis zu der Erſcheinung des Halleyſchen Kometen 1607 (acht an der Zahl) und das bereits oben erwähnte Erſcheinen von drei neuen Sternen faſt in derſelben Periode regten zu Speku— lationen über die Entſtehung dieſer Weltkörper aus einem die Himmelsräume füllenden kosmiſchen Nebel und Welt— dunſte an. Kepler glaubte, wie Tycho, daß die neuen Sterne ſich aus dieſem Weltdunſte zuſammengeballt und daß ſie ſich in ihn wieder auflöſen. Auch die Kometen, denen er, vor der thatſächlichen Ergründung der elliptiſchen Bahn der Pla— neten, eine geradlinige, nicht in ſich wiederkehrende und geſchloſſene Bahn zuſchrieb, ließ er (1608) in ſeinem neuen und ſeltſamen Dis kurſe über die Haarſterne „aus himmliſcher Luft“ entſtehen. Er ſetzte ſogar nach uralten Phantaſieen über die mutterloſe Erzeugung hinzu, daß Kometen entſtehen, „wie aus jeder Erde ein Kraut auch ohne Samen wachſe und wie aus dem Salzwaſſer Fiſche durch generatio spontanea erzeugt werden“. Glücklicher in anderen kosmiſchen Ahnungen, wagte Kepler folgende Sätze aufzuſtellen: alle Firjterne find Sonnen wie die unſrige, von Planetenſyſtemen umgeben; unſere Sonne iſt in eine Atmoſphäre gehüllt, die ſich als eine weiße Licht— krone in den totalen Sonnenfinſterniſſen offenbart; unſere Sonne liegt in der großen Weltinſel ſo, daß ſie das Centrum des zuſammengedrängten Sternenringes der Milchſtraße bildet; ſie ſelbſt, deren Flecken damals noch nicht entdeckt waren, alle Planeten und alle Firſterne haben eine Rotation um ihre Achſen; um Saturn (und um Mars) wird man Trabanten, wie die von Galilei um den Jupiter aufgefundenen, entdecken; in dem viel zu großen Abſtand?!“ zwiſchen Mars und Jupiter, wo wir jetzt 7 Aſteroiden kennen (wie zwiſchen Venus und BR. ge Merkur) bewegen, ſich ihrer Kleinheit wegen dem bloßen Auge unſichtbare Planeten. Ahnungsvolle Ausſprüche dieſer Art, ein glückliches Erraten von dem, was großenteils ſpäter auf— gefunden wurde, erregten ein allgemeines Intereſſe, während daß keiner von Keplers Zeitgenoſſen, Galilei ſelbſt nicht aus— genommen, der Entdeckung der drei Geſetze mit gerechtem Ruhme erwähnt, welche ſeit Newton und der Erſcheinung der Gravitationstheorie Keplers Namen auf ewig verherrlichen. Kosmiſche Betrachtungen, ſelbſt die, welche nicht auf Beobach— tungen, ſondern auf ſchwache Analogieen gegründet ſind, feſſelten damals, wie oft noch jetzt, die Aufmerkſamkeit mehr als die wichtigſten Ergebniſſe der rechnenden Aſtronomie. Nachdem ich die wichtigen Entdeckungen geſchildert, die in einem jo kleinen Cyklus von Jahren die Kenntnis der Welt- räume erweitert haben, muß ich noch der Fortſchritte in der phyſiſchen Aſtronomie gedenten, durch welche ſich die zweite Hälfte des großen Jahrhunderts auszeichnet. Die Vervoll— kommnung der Fernröhre veranlaßte die Auffindung der Sa— turnstrabanten. Huygens entdeckte zuerſt (25. März 1655) den ſechſten durch ein von ihm ſelbſt geſchliffenes Objektiv, 45 Jahre nach der Entdeckung der Jupiterstrabanten. Nach dem Vorurteil, welches er mit mehreren Aſtronomen ſeiner Zeit teilte, daß die Zahl der Nebenplaneten die der Haupt⸗ planeten nicht übertreffen könne, bemühte er ſich nicht andere Saturnsmonde zu entdecken. Vier derſelben, Sidera Lodo- vicea, d. i. den ſiebenten äußerſten, mit großer Lichtabwechſelung (1671), den fünften (1672), den vierten und dritten, durch Cam— paniſche Objektive von 100 bis 136 Fuß Fokallänge (1684), fand Dominikus Caſſini; die zwei innerſten, den erſten und zweiten, mehr als ein Jahrhundert ſpäter (1788 und 1789) durch ſein Rieſenteleſkop Wilhelm Herſchel. Der letztgenannte Saturns— mond bietet die merkwürdige Erſcheinung eines Umlaufs um den Hauptplaneten von weniger als einem Tage dar. Bald nach Huygens' Entdeckung eines Saturnstrabanten beobachtete Childrey (1658 —1661) das Tierkreislicht, deſſen räumliche Verhältniſſe aber erſt Dominikus Caſſini (1683 beſtimmt hat. Der letztere hielt dasſelbe nicht für einen Teil der Sonnenatmoſphäre, ſondern wie Schubert, Laplace und Poiſſon für einen abgeſondert kreiſenden Nebelring. Nächſt der erwieſenen Exiſtenz von Nebenplaneten und von dem freien und dazu konzentriſch geteilten Saturns— ringe gehört unſtreitig die mutmaßliche, wahrſcheinliche — 253 — Exiſtenz des dunſtartigen Tierkreisringes zu den groß— artigſten Erweiterungen der Anſicht des früher ſo einfach ſcheinenden Planetenſyſtems. In unſeren Tagen haben die ineinander geſchlungenen Bahnen der kleinen Planeten zwiſchen Mars und Jupiter, die inneren Kometen, deren erſten Encke als ſolchen erwieſen, und die an beſtimmte Tage geknüpften Sternſchnuppenſchwärme (wenn man ſie anders als kleine, mit planetariſcher Geſchwindigkeit ſich be— wegende, kosmiſche Maſſen betrachten darf) jene Weltanſichten wie mit neuen Objekten der Betrachtung in wunderſamer Mannigfaltigkeit bereichert. Auch die Ideen über den Inhalt der Welträume jenſeits des äußerſten Planetenkreiſes und jenſeits aller Kometenbahnen, über die Verteilung der Materie (des Ge— ſchaffenen, wie man das Seiende und Werdende zu nennen pflegt) wurden in dem Zeitalter von Kepler und Galilei großartig erweitert. In derſelben Periode, in welcher (15721604) drei neue Sterne erſter Größe in der Kaſſiopeia, im Schwan und im Schlangenträger aufloderten, bemerkten David Fabricius, Pfarrer zu Oſtell in Oſtfriesland (Vater des Entdeckers der Sonnenflecken), (1596) und Johann Bayer zu Augsburg (1603) am Halſe des Walfiſches einen wieder verſchwindenden Stern, deſſen veränderlichen Lichtwechſel aber, wie Arago in einer für die Geſchichte aſtronomiſcher Ent— deckungen wichtigen Abhandlung 21 gezeigt hat, erſt Johann Phocylides Holwarda, Profeſſor in Franecker (1638 und 1639) erkannt hat. Das Phänomen zeigte ſich nicht iſoliert. Noch in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden periodiſch veränderliche Sterne im Meduſenhaupte, in der Waſſerſchlange und im Schwane entdeckt. Wie genaue Beobachtungen des Lichtwechſels des Algol unmittelbar zur Beſtimmung der Ge— ſchwindigkeit des Lichtes dieſes Sternes führen können, iſt in der eben angeführten Abhandlung von 1842 mit vielem Scharf— ſinn gezeigt worden. Der Gebrauch des Fernrohres reizte nun auch zu der ernſteren Beobachtung einer Klaſſe von Erſcheinungen, von denen einige wenige auch dem unbewaffneten Auge nicht ent— gehen konnten. Simon Marius beſchrieb (1612) den Nebel- fleck der Andromeda, Huygens entwarf (1656) das Bild von dem am Schwert des Orion. Beide Nebel konnten als Typen dienen von einer verſchiedenartig, mehr oder weniger fort— geſchrittenen Verdichtung der dunſtförmigen kosmiſchen Materie. Indem Marius den Nebelfleck der Andromeda mit „einem Kerzenlichte“ vergleicht, „das man durch einen halb durch— ſichtigen Körper betrachtet“, bezeichnet er durch dieſe Ver— gleichung ſehr paſſend den Unterſchied zwiſchen den Nebel— flecken überhaupt und den von Galilei unterſuchten Stern— haufen und Sternſchwärmen, den Plejaden und der Krippe im Krebſe. Schon im Anfang des 16. Jahrhunderts hatten ſpaniſche und portugieſiſche Seefahrer, ohne den Vorteil des teleſkopiſchen Sehens, die beiden Magelhaensſchen um den Süd— pol kreiſenden Lichtwolken bewundert, deren eine, wie ſchon oben bemerkt, der weiße Fleck oder Ochſe des perſiſchen Aſtronomen Abdurrahman Sufi (aus der Mitte des 10. Jahr: hunderts) iſt. Galilei gebraucht im Nuncius Sidereus die Benennungen Stellae nebulosae und Nebulosae eigent⸗ lich für Sternſchwärme, die (wie er ſich ausdrückt) als areolae sparsim per aethera subfulgent. Da er den dem bloßen Auge ſichtbaren, aber für die ſtärkſten Vergrößerungen bisher ſternloſen Nebelfleck der Andromeda keiner beſonderen Auf— merkſamkeit gewürdigt hat, ſo hält er allen Schein des Nebels, alle ſeine Nebulosae, wie die Milchſtraße ſelbſt, für Lichtmaſſen ſehr zuſammengedrängter Sterne. Er unterſcheidet nicht Nebel und Stern, wie Huygens im Nebelfleck des Orion thut. Das ſind die ſchwachen Anfänge der großen Arbeiten über die Nebelflecke, welche die erſten Aſtronomen unſerer Zeit in beiden Hemiſphären rühmlichſt beſchäftigt haben. Wenn auch das 17. Jahrhundert in ſeinem Anfang der plötzlichen Erweiterung der Kenntnis der Himmelsräume durch Galilei und Kepler, an ſeinem Ende den Forſchritten des reinen mathematiſchen Wiſſens durch Newton und Leibniz ſeinen Hauptglanz verdankt, ſo hat doch zugleich auch der größte Teil der phyſikaliſchen Probleme, welche uns gegenwärtig beſchäftigen, in jenem Jahrhundert eine wohl— thätige und befruchtende Pflege erfahren. Um der Geſchichte der Weltanſchauung nichts von ihrem eigentümlichen Charakter zu rauben, beſchränke ich mich, nur die Arbeiten zu erwähnen, welche unmittelbar einen weſentlichen Einfluß auf allgemeine, d. h. kosmiſche Naturanſichten ausgeübt haben. Für die Prozeſſe des Lichtes, der Wärme und des Magnetismus nennen wir zuerſt Huygens, Galilei und Gilbert. Als Huy— gens mit der doppelten Brechung des Lichts im isländiſchen Kriſtall, d. h. mit der Zerſpaltung in zwei Lichtſtrahlen be— ſchäftigt war, entdeckte er (1678) auch die Art der Polarxi— — 255 — ſation des Lichtes, welches ſeinen Namen führt. Der Ent— deckung dieſer vereinzelten Erſcheinung, welche erſt 1690, alſo fünf Jahre vor ſeinem Tode, veröffentlicht wurde, ſind die großen Entdeckungen von Malus, Arago und Fresnel, von Brewſter 2“? und Biot erſt nach mehr als einem Jahrhunderte gefolgt! Malus fand (1808) die Polariſation durch Zurück— werfung von ſpiegelnden Flächen, Arago (1811) die farbige Polariſation. Eine Wunderwelt mannigfach modifizierter, mit neuen Eigenſchaften begabter Lichtwellen ward nun eröffnet. Ein Lichtſtrahl, der viele Millionen Meilen weit aus den fernſten Himmelsräumen zu unſerem Auge gelangt, verkündigt in Aragos Polariſkop gleichſam von ſelbſt, ob er reflektiert oder gebrochen ſei, ob er von einem feſten, oder tropfbar flüſſi— gen, oder gasförmigen Körper emaniert; er verkündigt ſogar den Grad ſeiner Intenſität. Auf dieſem Wege, der uns zu dem 17. Jahrhundert durch Huygens zurückführt, werden wir über die Konſtitution des Sonnenkörpers und ſeiner Hüllen, über das reflektierte oder eigene Licht der Kometenſchweife und des Tierkreislichtes, über die optiſchen Eigenſchaften unſerer Atmoſphäre und die Lage von vier neutralen Punkten der Polariſation unterrichtet, welche Arago, Babinet und Brewſter entdeckt haben. So ſchafft ſich der Menſch Organe, die, mit Scharfſinn angewandt, neue Weltanſichten eröffnen. Neben der Polariſation des Lichtes iſt noch der auf— fallendſten aller optiſchen Erſcheinungen, der Interferenz, zu erwähnen, von welcher ebenfalls im 17. Jahrhundert ſchon ſchwache Spuren ohne Verſtändnis der urſächlichen Bedingungen von Grimaldi (1665) und Hooke beobachtet worden waren. Die Auffindung dieſer Bedingungen, die klare Erkenntnis der Geſetze, nach denen (unpolariſierte) Lichtſtrahlen ſich zerſtören und Finſternis hervorbingen, wenn ſie aus einer und der— ſelben Quelle mit verſchiedener Länge des Weges kommen, verdankt die neuere Zeit dem glücklichen Scharfblicke von Thomas Young. Die Gefege der Interferenz des polariſierten Lichtes haben Arago und Fresnel (1816) entdeckt. Die von Huygens und Hooke angeregte, von Leonhard Euler verteidigte Undulationstheorie fand endlich feſten und ſicheren Grund. War die letzte Hälfte des 17. Jahrhunderts durch die erlangte Einſicht in die Natur der doppelten Strahlenbrechung für die Erweiterung des optiſchen Wiſſens wichtig geworden, ſo hat ſie einen weit höheren Glanz noch durch Newtons * Experimentalarbeiten und durch Olaus Römers Entdeckung (1675) der meßbaren Geſchwindigkeit des Lichtes gewonnen. Ein halbes Jahrhundert ſpäter (1728) hat dieſe Entdeckung Bradley in den Stand geſetzt, die von ihm aufgefundene Veränderung des ſcheinbaren Ortes der Sterne als eine Folge der Bewegung der Erde in ihrer Bahn, verbunden mit der Fortpflanzung des Lichtes, zu betrachten. Newtons herrliches Werk, ſeine Opti, erſchien (1704) aus perſönlichen Gründen erſt zwei Jahre nach Hookes Tode in engliſcher Sprache; es wird aber verſichert, daß der große Mann ſchon vor den Jahren 1666 und 1667 im Beſitz?!“ des Hauptſächlichſten feiner optiſchen Anſchauungen, ſeiner Gravitationstheorie und der Differentialrechnung (method of fluxions) geweſen ſei. Um das gemeinſame Band nicht aufzulöſen, welches die allgemeinen primitiven Erſcheinungen der Materie umſchlingt, laſſen wir hier auf die aphoriſtiſche Erwähnung der optiſchen Entdeckungen von Huygens, Grimaldi und New— ton die Betrachtungen über Erdmagnetismus und Wärme des Luftkreiſes folgen, inſofern beide Lehren im Laufe des Jahrhunderts begründet worden ſind, deſſen Schilderung wir hier unternommen haben. Das geiſtreichſte und wichtigſte Werk über die magnetiſchen und elektriſchen Kräfte, William Gilberts Physiologia nova de Magnete, erſchien in dem Jahre 1600. Ich habe Gelegenheit gehabt, desſelben ſchon mehrmals zu gedenken. Der von Galilei wegen ſeines Scharfſinnes jo bewunderte Mann 2! ahnet vieles von dem, was wir jetzt wiſſen. Er hält Magnetismus und Elektrizität für zwei Emanationen der einigen, aller Materie inwohnenden Grundkraft. Er behandelt daher beide zugleich. Solche dunkle auf Analogieen gegründete Ahnungen über die ann des herakleiſchen Magnetſteines auf das Eiſen, und die Ziehkraft des, wie Plinius ſagt, durch Wärme und Reibung beſeelten Amber gegen dürre Spreu gehören allen Zeiten, ja allen Volks— ſtämmen, der ioniſchen Naturphiloſophie wie den chineſiſchen Phyſikern an. Dem William Gilbert iſt die Erde ſelbſt ein Magnet, und die Kurven gleicher Abweichung und Neigung hängen in ihren Inflexionen von der Maſſenverteilung oder Geſtaltung der Kontinente, von der Form und Ausdehnung der tiefen dazwiſchen liegenden ozeaniſchen Becken ab. Die periodiſche Veränderlichkeit, welche die drei Hauptformen der magnetiſchen Erſcheinungen (die iſokliniſchen, iſogoniſchen und iſodynamiſchen) charakteriſiert, iſt mit dieſem ſtarren — 257 — Syſtem der Kraft: und Maſſenverteilung ſchwer zu vereinigen, wenn man ſich nicht die Ziehkraft der materiellen Teile durch ebenfalls periodiſche Temperaturveränderungen im Inneren des Erdkörpers modifiziert vorſtellt. In Gilberts Theorie wird bloß, wie bei der Gravitation, die Quantität der materiellen Teile geſchätzt, ohne auf die ſpezifiſche Heterogeneität der Stoffe zu achten. Dieſer Um— ſtand hat ſeinem Werke, zu Galileis und Keplers Zeit, einen Charakter kosmiſcher Größe gegeben. Durch die unerwartete Entdeckung des Rotationsmagnetismus von Arago (1825) iſt faktiſch bewieſen worden, daß alle Arten der Materie des Magnetismus fähig ſind; die neueſten Arbeiten von Faraday über die diamagnetiſchen Subſtanzen beſtätigen, unter beſon— deren Bedingniſſen der Meridian- oder Aequatorialrich— tung, des feſten, flüſſigen oder gasförmig-unwirkſamen Zu— ſtandes der Körper, jenes wichtige Reſultat. Gilbert hat einen ſo klaren Begriff von der Mitteilung der telluriſchen Mag— netkraft, daß er bereits den magnetiſchen Zuſtand von Eiſen— ſtangen am Kreuz alter Kirchtürme ?!“ dieſer Einwirkung der Erde zuſchrieb. Die zunehmende Thätigkeit der Schiffahrt bis zu den höchſten Breiten und die Vervollkommnung der magnetiſchen Inſtrumente, denen ſich ſchon ſeit 1576 die von Robert Nor— man aus Ratcliffe konſtruierte Neigungsnadel (das Inklina— torium) beigeſellt hatte, verallgemeinerten erſt im Laufe des 17. Jahrhunderts die Kenntnis von dem periodiſchen Fort— ſchreiten eines Teils der magnetiſchen Kurven, der Linien ohne Abweichung. Die Lage des magnetiſchen Aequators, den man lange mit dem geographiſchen identiſch glaubte, blieb ununterſucht. Inklinationsbeobachtungen wurden nur in einigen Hauptſtädten des weſtlichen und ſüdlichen Europas angeſtellt, und die ebenfalls in Raum und Zeit veränderliche Intenſität der magnetiſchen Erdkraft iſt zwar von Graham zu London (1723) durch die Oszillationen einer Magnetnadel zu meſſen verſucht worden, aber nach dem reſultatloſen Unter— nehmen von Borda auf ſeiner letzten Reiſe nach den Kanariſchen Inſeln (1776) iſt es erſt Lamanon (1785) in la Pérouſes Er- pedition geglückt, die Intenſität in verſchiedenen Erdzonen mit— einander zu vergleichen. Auf eine große Maſſe ſchon vorhandener Deklinations— beobachtungen von ſehr ungleichem Werte (Beobachtungen von Baffin, Hudſon, James Hall und Schouten) geſtützt, entwarf A. v. Humboldt, Kosmos. II. 17 258 — Edmund Halley 1683 ſeine Theorie von vier magnetischen Polen oder Konvergenzpunkten und von der periodiſchen Be— wegung der magnetiſchen Linie ohne Abweichung. Um dieſe Theorie zu prüfen und mit Hilfe neuer und genauerer Beob— achtungen zu vervollkommnen, ließ die engliſche Regierung ihn drei Reiſen (16981702) in dem Atlantiſchen Ozean auf einem Schiffe machen, das er ſelbſt befehligte. Er gelangte auf einer dieſer Seefahrten bis zu 52“ ſüdlicher Breite. Dies Unternehmen hat Epoche in der Geſchichte des telluriſchen Magnetismus gemacht. Eine allgemeine Variationskarte, in der die Punkte, an welchen die Seefahrer die Abweichung von gleicher Größe gefunden hatten, durch krumme Linien ver— bunden ſind, war die Frucht derſelben. Nie vorher, glaube ich, hatte ein Gouvernement eine Seeexpedition zu einem Zwecke angeordnet, von deſſen Erreichung die praktiſche Nautik ſich zwar viel verſprechen durfte, der aber doch recht eigent— lich ein wiſſenſchaftlicher phyſiko-mathematiſcher genannt zu werden verdiente. Da von einem aufmerkſamen Forſcher keine Erſcheinung iſoliert ergründet werden kann, ohne in ihrem Verhältnis zu einer anderen betrachtet zu werden, In wagte auch ſchon Halley, von ſeinen Reiſen zurückgekehrt, die 2 Vermutung, daß das Nord- licht eine magnetiſche Erſcheinung ſei. Ich habe in dem all— gemeinen Naturgemälde bemerkt, daß Faradays glänzende Entdeckung (Lichtentwickelung durch magnetiſche Kräfte) jene 1714 ausgeſprochene Hypotheſe zu einer empiriſchen Ge— wißheit erhoben hat. Sollen aber die Geſetze des Erdmagnetismus gründlich, d. h. in dem großen Cyklus des periodiſchen räumlichen Fort: ſchreitens aller drei Arten von magnetischen Kurven erforſcht werden, ſo iſt es nicht genug, den täglichen regelmäßigen oder geſtörten Gang der Nadel in den magnetiſchen Stationen zu beobachten, die ſeit 1828 angefangen haben einen beträcht— lichen Teil der Erdoberfläche in nördlichen und ſüdlichen Breiten zu bedecken; es müßte auch viermal in jedem Jahrhundert eine Expedition von drei Schiffen ausgeſandt werden, welche möglichſt gleichzeitig den Zuſtand des eee der Erde, ſoweit er ſich auf ihrer mit Waſſer bedeckten Oberfläche für uns meßbar offenbart, zu unterſuchen hätten. Der magnetiſche Aequator, d. h. die Kurve, auf welcher die Neigung null iſt, müßte nicht bloß aus der geographiſchen Ortslänge ihrer Knoten (der Interſektion mit dem geographiſchen Aequator) kin Er geſchloſſen werden, ſondern, den Kurs des Schiffes nach den Inklinationsangaben perpetuierlich abändernd, müßte man den dermaligen magnetiſchen Aequator nie verlaſſen. Landexpedi— tionen wären mit dieſem Unternehmen zu verbinden, um da, wo eine Ländermaſſe nicht ganz durchſtrichen werden kann, genau zu beſtimmen, an welchen Punkten des Litorales die magnetiſchen Kurven (beſonders die Linien ohne Abweichung) eintreten. Eine vorzügliche Aufmerkſamkeit möchten in ihrer Bewegung und allmählichen Auflöſung zwei iſoliert geſchloſ— ſene Syſteme von eiförmiger Geſtaltung mit faſt konzen— triſchen Abweichungskurven, im öſtlichen Aſien und in der Südſee im Meridian der Marqueſasinſelgruppe, verdienen. Seitdem die ruhmvolle antarktiſche Expedition von Sir Ja— mes Clark Roß (1839 — 1843), mit vortrefflichen Inſtru— menten ausgerüſtet, ein großes Licht über die ſüdliche Erd— hälfte bis zum Polarabſtand verbreitet und empiriſch den magnetiſchen Südpol beſtimmt hat, ſeitdem es dem großen Mathematiker unſeres Zeitalters, meinem verehrten Freunde Friedrich Gauß, gelungen iſt, die erſte allgemeine Theorie des Erdmagnetismus aufzuſtellen, darf man, bei ſo vielfachem Bedürfnis der Wiſſenſchaft und der Schiffahrt, die Hoffnung nicht aufgeben, daß dieſer ſo oft ſchon von mir angeregte Plan dereinſt ausgeführt werde. Möge das Jahr 1850 als die erſte normale Epoche bezeichnet werden können, in der die Materialien zu einer magnetiſchen Weltkarte geſammelt werden ſollen! Mögen permanente wiſſenſchaftliche Inſtitute (Akademieen) es ſich zum Geſetz machen, von 25 zu 25 Jahren ein die Fortſchritte der Nautik begünſtigendes Gouvernement an die Wichtigkeit des Unternehmens zu erinnern, deſſen großer kosmiſcher Wert an eine lange Wiederholung geknüpft iſt! Die Erfindung wärmemeſſender Inſtrumente (Galileis Thermoſkope ?! von 1593 bis 1602 waren gleichzeitig von den Veränderungen der Temperatur und des äußeren Luft— druckes abhängig) regte zuerſt den Gedanken an, durch eine Reihe zuſammenhängender Beobachtungen, der Zeitfolge nach, die Modiſikationen des Luftkreiſes zu ergründen. Wir er— fahren aus dem Diario der Academia del Cimento, welche in der kurzen Dauer ihrer Wirkſamkeit einen ſo glücklichen Einfluß auf die Liebe zu planmäßigem Experimentieren aus— geübt hat, daß mit Alkoholthermometern, den unſerigen ähn— lich, in vielen Stationen, zu Florenz im Kloſter degli Angeli, in den Ebenen der Lombardei und den Gebirgen um Piſtoja, — 260 — ja in der Hochebene von Innsbruck, bereits ſeit 1641, fünf— mal täglich Temperaturbeobachtungen angeſtellt wurden. Der Großherzog Ferdinand II. beauftragte mit dieſer Arbeit die Mönche mehrerer Klöſter in ſeinen Staaten.?!“ Auch die Temperatur der Mineralquellen wurde es beſtimmt, was au vielen Fragen über die Erdtemperatur Veranlaſſung gab. Da alle Naturerſcheinungen, alle Veränderungen der irdiſchen Materie mit Modifikationen der Wärme, des Lichtes und der Elektrizität, der ruhenden oder der in Strömen be— wegten, zuſammenhängen, zugleich die Phänomene der Wärme, auf Ausdehnung wirkend, der ſinnlichen Wahrnehmung am zugänglichſten ſind, ſo muß te, wie ich ſchon an einem anderen Orte erinnert 2 55 die Erfindung und Vervollkomm—⸗ nung von Wärmemeſſern eine große Epoche unter den Fortſchritten des allgemeinen Naturwiſſens bezeichnen. Das Gebiet der Anwendung des Thermometers und der rationellen Folgerungen, die aus ſeinen Anzeigen gezogen werden können, iſt ſo unermeßlich als das Gebiet der Naturkräfte ſelbſt, welche in dem Luftmeer, auf der Feſte oder in den übereinander gelagerten Schichten des Ozeans, in den unorganiſchen Stoffen wie in den chemiſchen Lebensprozeſſen der be walten. Auch die Wirkungen der ſtrahlenden Wärme ſind mehr als ein Jahrhundert vor Scheeles großen Arbeiten, von den Florentiner Mitgliedern der Academia del Cimento, durch merkwürdige Verſuche mit Hohlſpiegeln, gegen welche nicht leuchtende erhitzte Körper und Eismaſſen bis zu 500 Pfund Gewicht wirklich und ſcheinbar ſtrahlten, ergründet worden. Mariotte am Ende des 17. Jahrhunderts unterſuchte die Ver⸗ hältniſſe der ſtrahlenden Wärme bei ihrem Durchgange durch Glastafeln. Es mußte dieſer vereinzelten Experimente hier gedacht werden, da in ſpäterer Zeit die Lehre von der Wärme— ſtrahlung ein großes Licht über Erkaltung des Bodens, die Entſtehung des Taues und viele allgemeine klimatiſche Modi⸗ fikationen verbreitet, ja durch Mellonis bewundernswürdigen Scharfſinn zu der kontraſtierenden Diathermanie des Stein— ſalzes und Alauns geführt hat. Den Unterſuchungen über die nach Maßgabe der geo— graphiſchen Breite, der Jahreszeiten und der Erhebung des Bodens veränderte Wärme des Luftkreiſes geſellten ſich bald andere bei über den wechſelnden Druck und die Dunſtmenge der Atmoſphäre, über die ſo oft beobachtete periodiſche Folge, d. h. das Drehungsgeſetz, der Winde. Galileis richtige Anz — 261 — ſichten vom Luftdrucke hatten Torricelli ein Jahr nach dem Tode ſeines großen Lehrers auf die Konſtruktion des Baro— meters geleitet. Daß die Queckſilberſäule in der Torricelli— ſchen Röhre minder niedrig am Fuß eines Turmes oder eines Berges als auf deren Höhe ſtehe, bemerkte, wie es ſcheint, zuerſt in Piſa Claudio Beriguardi, und fünf Jahre ſpäter in Frankreich, auf Pascals Aufforderung, des letzteren Schwager Perrier, da er den Puy de Dome (840 Fuß [273 m] höher als der Veſuv) beſtieg. Die Idee, das Barometer zu Höhen— meſſungen anzuwenden, bot ſich nun wie von ſelbſt dar; viel— leicht ward ſie in Pascal durch einen Brief von Descartes geweckt. Wie viel das Barometer, als hypſometriſches Werk— zeug auf die Beſtimmung der partiellen Oberflächengeſtalt der Erde, als meteorologiſches Werkzeug auf Ergründung des Ein— fluſſes der Luftſtröme angewandt, zur Erweiterung der phyſi— kaliſchen Erdbeſchreibung und der Witterungslehre beigetragen habe, erheiſcht hier keine beſondere Erörterung. Die Theorie der eben erwähnten Luftſtröme iſt in ihren feſten Grund— pfeilern ebenfalls vor dem Schluß des 17. Jahrhunderts er— kannt worden. Bacon hat das Verdienſt (1664) gehabt, in ſeiner berühmten Historia naturalis et experimen- talis de ventis die Richtung der Winde in ihrer Abhängig— keit von der Temperatur und den Hydrometeoren zu betrachten; aber, die Richtigkeit des kopernikaniſchen Syſtems unmathe— matiſch leugnend, fabelte er von der Möglichkeit, „daß unſere Atmoſphäre ſich auf gleiche Weiſe als der Himmel täglich um Be Erde drehen und ſo den tropiſchen Oſtwind veranlaſſen önne“ Hookes allumfaſſendes Genie verbreitete auch hier wieder Geſetzmäßigkeit und Licht.?!“ Er erkannte den Einfluß der Rotation der Erde, wie die oberen und unteren Strömungen warmer und kalter Luft, vom Aequator zu den Polen, und von dieſen zum Aequator zurückkehrend. Galilei hatte in ſeinem letzten Dialogo allerdings auch die Paſſatwinde als Folge der Rotation der Erde betrachtet; aber das Zurückbleiben der Luftteile innerhalb der Tropen gegen die Notations- geſchwindigkeit der Erde ſchrieb er einer dunſtloſen Reinheit der Luft zwiſchen den Wendekreiſen zu.?!“ Hookes richtigere Anſicht iſt ſpät erſt im 18. Jahrhundert von Halley wiederum aufgenommen und in Hinſicht auf die Wirkung der jedem Parallelkreiſe zugehörigen Umdrehungsgeſchwindigkeit umſtänd— licher und befriedigend erläutert worden. Halley, durch ſeinen langen Aufenthalt in der heißen Zone dazu veranlaßt, hatte früher (1686) eine treffliche empiriſche Arbeit über die geo— graphiſche Verbreitung der Paſſate (trade-winds und mon- soons) geliefert. Es iſt zu verwundern, daß er in ſeinen magnetiſchen Expeditionen des für die geſamte Meteorologie ſo wichtigen Drehungsgeſetzes der Winde gar nicht er— wähnt, da es doch durch Bacon und Johann Chriſtian Sturm aus Hippolſtein (nach Brewſter 220 den eigentlichen Erfinder des Differentialthermometers) in allgemeinen Zügen erkannt war. In dem glänzenden Zeitalter der Gründung einer mathe— matiſchen Naturphiloſophie fehlte es auch nicht an Ver— ſuchen, die Luftfeuchtigkeit in ihrem Zuſammenhange mit den Veränderungen der Temperatur und der Windesrichtung zu erforſchen. Die Academia del Cimento hatte den glücklichen Gedanken, die Dampfmenge durch Verdunſtung und Nieder— ſchlag zu beſtimmen. Das älteſte Florentiner Hygrometer war demnach ein Kondenſationshygrometer, ein Apparat, in welchem die Menge des niedergeſchlagenen ablaufenden Waſſers durch Abwägen beſtimmt wurde. Dieſem Konden— ſationshygrometer, das durch Benutzung der Ideen von le Roy in unſeren Tagen zu den genauen pſychrometriſchen Methoden von Dalton, Daniell und Auguſt allmählich geleitet hat, ge— ſellten ſich, ſchon nach Leonardo da Vincis Vorgange, Ab— ſorptionshygrometer aus Subſtanzen des Tier⸗ und Pflanzen⸗ reiches von Santori (1625), Torricelli (1646) und Molineux bei. Darmſaiten und Grannen von Gräſern wurden faſt gleichzeitig angewandt. Solche Inſtrumente, welche ſich auf die Abſorption der in der Atmoſphäre enthaltenen Waſſerdämpfe durch organiſche Stoffe gründeten, waren mit Zeigern und kleinen Gegengewichten verſehen, der Konſtruktion nach den Sauſſureſchen und Delueſchen Haar- und Fiſchbeinhygrometern ſehr ähnlich; aber es fehlte bei den Inſtrumenten des 17. Jahr: hunderts die zur Vergleichung und zum Verſtändnis der Re— ſultate ſo notwendige und endlich durch Regnault erreichte Beſtimmung feſter Punkte der Trockenheit und Näſſe, minder die Empfindlichkeit bei langer Dauer der angewandten hygro— metriſchen Subſtanzen. Pictet fand in einem Sauſſureſchen Hygrometer befriedigend empfindlich das Haar einer Guanſchen— Mumie von Tenerifa, die vielleicht an 1000 Jahre alt war. Der elektriſche Prozeß ward als Wirkung einer eigenen, wenngleich der magnetiſchen verwandten Naturkraft von William Gilbert erkannt. Das Buch, in welchem dieſe — 263 — Anſicht zuerſt ausgeſprochen, ja die Worte elektriſche Kraft, elektriſche Ausflüſſe, elektriſche Anziehung zuerſt ??! ge— braucht ſind, iſt die oft genannte im Jahre 1600 erſchienene Phyſiologie vom Magnete und von dem Erd— körper als einem großen Magnet (De magno magnete tellure). „Die Fähigkeit,“ ſagt Gilbert, „gerieben, leichte Stoffe, welcher Natur ſie auch ſeien, anzuziehen, iſt nicht dem Bernſtein allein eigen, der ein verdickter Erdſaft iſt, welchen die Meereswogen aufwühlen und in dem fliegende Inſekten, Ameiſen und Gewürme wie in ewigen Gräbern (aeternis sepulchris) eingekerkert liegen. Die Ziehkraft gehört einer ganzen Klaſſe von ſehr verſchiedenen Subſtanzen an, wie Glas, Schwefel, Siegellack und allen Harzen, dem Bergkriſtall und allen Edelſteinen, dem Alaun und dem Steinſalze.“ Die Stärke der erregten Elektrizität mißt Gilbert an einer nicht eiſernen kleinen Nadel, die ſich auf einem Stifte frei bewegt (versorium electricum), ganz dem Apparate ähnlich, deſſen ſich Hauy und Brewſter bei Prüfung der Elektrizität ge— riebener und erwärmter Mineralien bedienten. „Die Reibung,“ ſagt Gilbert weiter, „bringt ſtärkere Wirkungen hervor bei trockener als bei feuchter Luft; das Reiben mit ſeidenen Tüchern iſt am vorteilhafteſten befunden. Die Erdkugel wird wie durch eine elektriſche Kraft (?) zuſammengehalten (globus tel- luris per se electrice congregatur et cohaeret); denn das elektriſche Streben geht auf bindende Anhäufung aus (motus electricus est motus coacervationis materiae).“ In dieſen dunkeln Axiomen liegt ausgedrückt die Anſicht einer tellu— riſchen Elektrizität, die Aeußerung einer Kraft, welche, wie der Magnetismus, der Materie als ſolcher angehört. Von Ab— ſtoßung, von Unterſchied zwiſchen Iſolatoren und Leitern iſt noch keine Rede. Mehr als bloße Anziehungserſcheinungen beobachtete zu— erſt der ſinnige Erfinder der Luftpumpe, Otto von Guericke. In ſeinen Verſuchen mit einem geriebenen Schwefelkuchen erkannte er Phänomene der Abſtoßung und ſolche, die ſpäter auf die Geſetze der Wirkungskreiſe und Verteilung der Elek— trizität geleitet haben. Er hörte das erſte Geräuſch, ſah das erſte Licht in ſelbſthervorgerufener Elektrizität. In einem Verſuche, welchen Newton 1675 anſtellte, zeigten ſich die erſten Spuren der elektriſchen Ladung an einer geriebenen Glasplatte. Wir haben hier bloß nach den erſten Keimen des eleltriſchen Wiſſens geforſcht, das in feiner großen, jonderbar — 264 — verſpäteten Entwickelung nicht bloß einer der wichtigſten Teile der Meteorologie geworden iſt, ſondern auch, ſeitdem man gelernt, daß der Magnetismus eine der vielfachen Formen iſt, unter denen die Elektrizität ſich offenbart, ſo vieles von dem inneren Treiben der Erdkräfte aufgehellt hat. a Wenngleich ſchon Wall (1708), Stephan Gray (1734) und Nollet die Identität der Reibungselektrizität und des Blitzes vermuteten, ſo wurde die empiriſche Gewißheit doch erſt um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch die glücklichen Beſtrebungen des edeln Benjamin Franklin erlangt. Von dem Zeitpunkte an trat der elektriſche Prozeß aus dem Gebiet der ſpekulativen Phyſik in das Gebiet kosmiſcher Naturanſchau— ung, aus dem Studierzimmer in das Freie. Die Lehre von der Elektrizität hat, wie die Optik und wie der Magnetismus, lange Epochen überaus ſchwacher Entwickelung gehabt, bis in den eben genannten drei Disziplinen die Arbeiten von Franklin und Volta, Thomas Young und Malus, Oerſted und Fara— day die Zeitgenoſſen zu einer bewundernswürdigen Thätigkeit anregten. An ſolchen Wechſel von Schlummer und plötzlich erweckter Thätigkeit iſt der Fortſchritt des menſchlichen Wiſſens geknüpft. Sind aber auch, wie wir eben entwickelt, durch die Er— findung geeigneter, obgleich noch ſehr unvollkommener, phy— ſikaliſcher Werkzeuge und durch den Scharfblick von Galilei, Torricelli und der Mitglieder der Academia del Cimento die Temperaturverhältniſſe, der wechſelnde Luftdruck und die Dunſtmenge der Atmoſphäre ein Gegenſtand unmittelbarer Forſchung geworden, ſo iſt dagegen alles, was die chemiſche Zuſammenſetzung des Luftkreiſes betrifft, in Dunkel gehüllt geblieben. Allerdings ſind die Grundlagen der pneuma— tiſchen Chemie durch Johann Baptiſt van Helmont und Jean Rey in der erſten, durch Hoofe, Mayow, Boyle und den dog: matiſierenden Becher in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelegt worden; aber ſo auffallend auch die richtige Auffaſſung einzelner und wichtiger Erſcheinungen iſt, fehlte doch die Ein— ſicht in ihren Zuſammenhang. Der alte Glaube an die elemen— tariſche Einfachheit der auf Verbrennung, Oxydation der Metalle und das Atmen wirkenden Luft war ein ſchwer zu überwindendes Hindernis. J Die entzündlichen oder lichtverlöſchenden Gasarten in Höhlen und Bergwerken (die spiritus letales des Plinius), das Entweichen dieſer Gasarten in Form von Bläschen in Ar Sümpfen und Mineralquellen, alſo Grubenwetter und Brunnengeiſter, hatten ſchon die Aufmerkſamkeit des Erfurter Benediktiners Baſilius Valentinus (wahrſcheinlich aus dem Ende des 15. Jahrhunderts) und des Libavius (1612), eines Bewunderers des Paracelſus, gefeſſelt. Man verglich, was man in alchimiſtiſchen Laboratorien zufällig bemerkte, mit dem, was man in den großen Werkſtätten der Natur, beſonders im Inneren der Erde, bereitet ſah. Bergbau auf erzführenden Lagerſtätten (vorzüglich auf ſchwefelkieshaltigen, die ſich durch Oxydation und Kontaktelektrizität erwärmen) führte zu Ahnungen über den chemiſchen Verkehr zwiſchen Metall, Säure und zutretender äußerer Luft. Schon Para- celſus, deſſen Schwärmereien in die Epoche der erſten Erobe— rung von Amerika fallen, bemerkte die Gasentwickelung während der Auflöſung von Eiſen in Schwefelſäure. Van Helmont, welcher ſich zuerſt des Wortes Gaſe bedient hat, unterſcheidet dieſelben von der atmoſphäriſchen Luft, und wegen ihrer Nicht— kondenſierbarkeit auch von den Dämpfen. Die Wolken ſind ihm Dämpfe, ſie werden zu Gas bei ſehr heiterem Himmel „durch Kälte und den Einfluß der Geſtirne“. Gas kann nur zu Waſſer werden, wenn es vorher wiederum in Dampf ver— wandelt iſt. Das ſind Anſichten über den meteorologiſchen Prozeß aus der erſten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Van Helmont kennt noch nicht das einfache Mittel, ſein Gas syl- vestre (unter dieſem Namen begriff er alle unentzündbaren, die Flamme und das Atmen nicht unterhaltenden, von der reinen atmoſphäriſchen Luft verſchiedenen Gaſe) aufzufangen und abzuſondern; doch ließ er ein Licht unter einem durch Waſſer abgeſperrten Gefäße brennen, und bemerkte, als die Flamme erloſch, das Eindringen des Waſſers und die Ab— nahme des Luftvolums. Auch durch Gewichtsbeſtim— mungen, die wir ſchon bei Cardanus finden, ſuchte van Helmont zu beweiſen, daß ſich alle feſten Teile der Vegetabilien aus Waſſer bilden. Die mittelalterlichen alchimiſtiſchen Meinungen von der Zuſammenſetzung der Metalle, von ihrer glanzzerſtörenden Ver— brennung (Einäſcherung, Vererdung und Verkalkung) unter Zutritt der Luft regten an, zu erforſchen, was dieſen Prozeß begleite, welche Veränderung die ſich verkalkenden oder vererdenden Metalle und die mit ihnen in Kontakt tretende Luft erleiden. Schon Cardanus hatte (1553) die Gewichts— zunahme bei der Oxydation des Bleies wahrgenommen und — 266 — ſie, ganz im Sinne der Mythe vom Phlogiſton, einer ent— weichenden, leichtmachenden „himmliſchen Feuermaterie“ zu: geſchrieben; aber erſt 80 Jahre ſpäter ſprach Jean Rey, ein überaus geſchickter Experimentator zu Bergerac, der mit größerer Genauigkeit die Gewichtszunahme der Metallkalke des Bleies, des Zinnes und des Antimons erforſcht hatte, das wichtige Reſultat aus, die Gewichtszunahme ſei dem Zutritt der Luft an den Metallkalk zuzuſchreiben. „Je responds et soustiens glorieusement,“ jagte er,??? „que ce surcroit de poids vient de l'air qui dans le vase a este espessi.“ Man war nun auf den Weg geraten, der zur Chemie unſerer Tage und durch ſie zur Kenntnis eines großen kos— miſchen Phänomens, des Verkehrs zwiſchen dem Sauerſtoff der Atmoſphäre und dem Pflanzenleben, führen ſollte. Die Gedankenverbindung aber, die ſich ausgezeichneten Männern darbot, war zunächſt von ſonderbar komplizierter Natur. Gegen das Ende des 17. Jahrhunderts trat, dunkel bei Hooke in ſeiner Micrographia (1665), ausgebildeter bei Mayow (1669) und bei Willis (1671), ein Glaube an jalpetrige Par- tikeln (spiritus nitro-aöreus, pabulum nitrosum) auf, welche, mit den im Salpeter fixierten identiſch, in der Luft enthalten und das Bedingende in den Verbrennungsprozeſſen ſein ſollten. „Es wurde behauptet, das Erlöſchen der Flamme im geſchloſ— ſenen Raume finde nicht deshalb ſtatt, weil die vorhandene Luft mit Dämpfen aus dem brennenden Körper überſättigt werde, ſondern das Erlöſchen ſei eine Folge der gänzlichen Abſorption des urſprünglich in der Luft enthaltenen ſalpetrigen spiritus nitro-abreus.“ Das plötzliche Beleben der Glut, wenn ſchmelzender (Sauerſtoffgas ausſtoßender) Salpeter auf Kohle geſtreut wird, und das ſogenannte Auswittern des Sal— peters an Thonwänden im Kontakt mit der Atmoſphäre ſcheinen dieſe Meinung gleichzeitig begünſtigt zu haben. Die ſalpetrigen Partikeln der Luft bedingen, nach Mayow, das Atmen der Tiere, deſſen Folge die Hervorbringung tieriſcher Wärme und Entſchwärzung des Blutes iſt, ſie bedingen alle Verbrennungs— prozeſſe und die Verkalkung der Metalle, ſie ſpielen ungefähr die Rolle des Sauerſtoffes in der antiphlogiſtiſchen Chemie. Der vorſichtig zweifelnde Robert Boyle erkannte zwar, daß die Anweſenheit eines gewiſſen Beſtandteiles der atmoſphäriſchen Luft zum Verbrennungsprozeſſe notwendig ſei, aber er blieb ungewiß über die ſalpetrige Natur desſelben. Der Sauerſtoff war für Hooke und Mayow ein ideeller — 267 — Gegenſtand, eine Fiktion der Gedankenwelt. Als Gas ſah den Sauerſtoff zuerſt der ſcharfſinnige Chemiker und Pflanzen— phyſiolog Hales aus dem Blei, das er zu Mennige verkalkte, bei ſtarker Hitze in großer Menge (1727) entweichen. Er ſah das Entweichen, ohne die Natur der Luftart zu unterſuchen oder das lebhafte Brennen der Flamme in derſelben zu be— merken. Hales ahnte nicht die Wichtigkeit der Subſtanz, die er bereitet hatte. Die lebhafte Lichtentwickelung brennender Körper im Sauerſtoffgas und die Eigenſchaften desſelben wurden — wie viele behaupten, ganz unabhängig??? — von Prieſtley (1772 bis 1774), von Scheele (1774 und 1775), und von Lavoiſier und Trudaine (1775) entdeckt. Die Anfänge der pneumatiſchen Chemie ſind in dieſen Blättern, ihrem hiſtoriſchen Zuſammenhange nach, berührt worden, weil ſie, wie die ſchwachen Anfänge des elektriſchen Wiſſens, das vorbereitet haben, was das folgende Jahrhundert an großen Anſichten über die Konſtitution des Luftkreiſes und deſſen meteorologiſche Veränderungen hat offenbaren können. Die Idee ſpezifiſch verſchiedener Gasarten wurde im 17. Jahr— hundert denen, welche dieſe Gasarten erzeugten, nie völlig klar. Man fing wieder an, den Unterſchied zwiſchen der atmo— ſphäriſchen Luft und den irreſpirabeln, lichtverlöſchenden oder entzündlichen Gasarten der Einmengung von gewiſſen Dünſten ausſchließlich zuzuſchreiben. Black und Cavendiſh erwieſen erſt 1766, daß Kohlenſäure (fixe Luft) und Waſſerſtoffgas (brenn— bare Luft) ſpezifiſch verſchiedene luftförmige Flüſſigkeiten ſind. So lange hatte der uralte Glaube an die elementare Ein— fachheit des Luftkreiſes jeden Fortſchritt des Wiſſens gelähmt. Die endliche Ergründung. der chemiſchen Zuſammenſetzung der Atmoſphäre (die feinſte Beſtimmung ihrer quantitativen Ver— hältniſſe durch die ſchönen Arbeiten von Bouſſingault und Dumas) iſt einer der Glanzpunkte der neueren Meteorologie. Die hier fragmentariſch geſchilderte Erweiterung des phyſi— kaliſchen und chemiſchen Wiſſens konnte nicht ohne Einfluß bleiben auf die früheſte Ausbildung der Geognoſie. Ein großer Teil der geognoſtiſchen Fragen, mit deren Löſung ſich unſer Zeitalter beſchäftigt, wurde durch einen Mann von den umfaſſendſten Kenntniſſen, den großen däniſchen Anatomen Nikolaus Steno (Stenſon), welchen der Großherzog von Tos— kana Ferdinand II. in ſeine Dienſte berief, durch einen anderen (engliſchen) Arzt, Martin Liſter, und den „würdigen Neben— buhler Newtons“, Robert Hooke, angeregt. Von Stenos Ver— — 268 — dienſten um die Poſitions- oder Lagerungsgeognoſie habe ich umſtändlicher in einem anderen Werke gehandelt. Aller— dings hatten ſchon Leonardo da Vinci gegen das Ende des 15. Jahrhunderts (wahrſcheinlich, indem er in der Lombardei Kanäle anlegte, welche Schuttland und Tertiärſchichten durch— ſchnitten), Fracaſtoro (1517) bei Gelegenheit zufällig entblößter fiſchreicher Geſteinſchichten im Monte Bolca bei Verona, und Bernard Paliſſy bei ſeinen Nachforſchungen über die Spring— brunnen (1563) das Daſein einer untergegangenen ozeaniſchen Tierwelt in ihren hinterlaſſenen Spuren erkannt. Leonardo, wie im Vorgefühl einer philoſophiſcheren Einteilung tieriſcher Geſtaltung, nennt die Konchylien „animali che hanno l’ossa di fuori“. Steno, in ſeinem Werke „Ueber das in den Geſteinen Enthaltene“ (De Solido intra Solidum naturaliter contento), unterſcheidet (1669) „Geſtein⸗ ſchichten (uranfängliche?), die ſich früher erhärtet haben, als es Pflanzen und Tiere gab, und daher nie organiſche Reſte enthalten, von Sedimentſchichten (turbidi maris sedimenta sibi invicem imposita), welche untereinander abwechſeln und jene bedecken. Alle verſteinerungshaltigen Niederjchlags- ſchichten waren urſprünglich horizontal gelagert. Ihre Nei- gung (Fallen) iſt entſtanden teils durch den Ausbruch unter— irdiſcher Dämpfe, welche die Centralwärme (ignis in medio terrae) erzeugt, teils durch das Nachgeben von ſchwach unter— ſtützenden unteren Schichten. Die Thäler ſind die Folge der Umſtürzung.“ Stenos Theorie der Thalformen iſt die von Delue, während Leonardo da Vinci, wie Cuvier, die Thäler durch ablaufende Fluten einfurchen läßt. In der geognoſtiſchen Be— ſchaffenheit des Bodens von Toskana erkennt Steno Umwäl— zungen, welche ſechs großen Naturepochen zugeſchrieben werden müſſen (sex sunt distinctae Etruriae facies, ex praesenti facie Etruriae collectae). Sechsmal nämlich iſt periodiſch das Meer eingebrochen und hat ſich, erſt nach langem Ver— bleiben im Inneren des Landes, in ſeine alten Grenzen zurück— gezogen. Alle Petrefakte gehören aber nicht dem Meere an; Steno unterſcheidet die pelagiſchen von den Süßwaſſerpetre— fakten. Scilla (1670) gab Abbildungen von den Verſteine— rungen von Kalabrien und Malta. Unter den letzteren hat unſer großer Zergliederer und Zoologe Johannes Müller die älteſte Abbildung der Zähne des rieſenhaften Hydrarchus (Zeu- glodon cetoides von Owen) von Alabama, eines Säugetieres — 269 — aus der großen Ordnung der Cetaceen, entdeckt,?“ Zähne, deren Krone wie bei den Seehunden geſtaltet iſt. Liſter ſtellte ſchon (1678) die wichtige Behauptung auf, daß jede Gebirgsart durch eigene Foſſilien charakteriſiert iſt, und daß „die Arten von Murex, Tellina und Trochus, welche in den Steinbrüchen von Northamptonſhire vorkommen, zwar denen der heutigen Meere ähnlich, aber, genauer unterſucht, von dieſen verſchieden gefunden werden“. Es ſeien, ſagt er, ſpezifiſch andere. Die ſtrengen Beweiſe von der Richtigkeit ſo großartiger Ahnungen konnten freilich, bei dem unvoll— kommenen Zuſtande der beſchreibenden Morphologie, nicht ge⸗ geben werden. Wir bezeichnen ein früh aufdämmerndes, bald wieder erſticktes Licht vor den herrlichen paläontologiſchen Ar— beiten von Cuvier und Alexander Brongniart, welche der Geognoſie der Sedimentformationen eine neue Geſtaltung ge— geben haben. Liſter, aufmerkſam auf die regelmäßige Reihen: folge der Schichten in England, fühlte zuerſt das Bedürfnis geognoſtiſcher Karten. Wenngleich dieſe Erſcheinungen und ihr Zuſammenhang mit alten Ueberflutungen (einer einmaligen oder mehrfachen) das Intereſſe feſſelten und, Glauben und Wiſſen miteinander vermengend, die ſogenannten Syſteme von Ray, Woodward, Burnet und Whiſton in England erzeugten, jo blieb doch, bei gänzlichem Mangel mineralogiſcher Unter: ſcheidung in den Beſtandteilen zuſammengeſetzter Gebirgsarten, alles, was das kriſtalliniſche und maſſige Eruptionsgeſtein und ſeine Umwandlung betrifft, unbearbeitet. Trotz der An— nahme einer Centralwärme des Erdkörpers wurden Erdbeben, heiße Quellen und vulkaniſche Ausbrüche nicht als Folgen der Reaktion des Planeten gegen ſeine äußere Rinde angeſehen, ſondern kleinlichen Lokalurſachen, z. B. der Selbſtentzündung von Schwefelkieslagern, zugeſchrieben. Spielende Verſuche von Lemery (1700) ſind, leider! von langdauerndem Einfluß auf vulkaniſche Theorieen geblieben, wenngleich die letzteren durch die phantaſiereiche Protogaea von Leibniz (1680) zu allgemeineren Anſichten hätten erhoben werden können. Die Protogaea, bisweilen dichteriſcher als die vielen jetzt eben bekannt gewordenen metriſchen Verſuche desſelben Philoſophen, “ lehrt „die Verſchlackung der kavernöſen, glühen— den, einſt ſelbſtändig leuchtenden Erdrinde, die allmähliche Ab- kühlung der in Dämpfe gehüllten wärmeftrahlenden Oberfläche, den Niederſchlag und die Verdichtung der allmählich erkalteten Dampfatmoſphäre zu Waſſer, das Sinken des Meeresſpiegels durch Eindringen der Waſſer in die inneren Erdhöhlen, endlich den Einſturz dieſer Höhlen, welche das Fallen der Schichten (ihre Neigung gegen den Horizont) veranlaßt“. Der phyſiſche Teil dieſes wilden Phantaſiebildes bietet einige Züge dar, welche den Anhängern der neuen, nach allen Richtungen mehr ausgebildeten Geognoſie nicht verwerflich ſcheinen werden. Dahin gehören die Bewegung der Wärme im Inneren des Erdkörpers und die Abkühlung mittels der Ausſtrahlung durch die Oberfläche, die Exiſtenz einer Dampfatmoſphäre, der Druck, welchen dieſe Dämpfe während der Konſolidierung der Schichten auf letztere ausüben, der doppelte Urſprung der Maſſen, als geſchmolzen und erſtarrt oder aus den Gewäſſern nieder— geſchlagen. Von dem typiſchen Charakter und dem minera— logiſchen Unterſchiede der Gebirgsarten, d. h. der in den entfernteſten Gegenden wiederkehrenden Aſſoziationen gewiſſer, meiſt kriſtalliſierter Subſtanzen, iſt in der Protogaea jo wenig die Rede wie in Hookes geognoſtiſchen Anſichten. Auch bei dieſem haben die phyſiſchen Spekulationen über die Wirkung unterirdiſcher Kräfte im Erdbeben, in der plötzlichen Hebung des Meeresbodens und der Küſtenländer, in der Ent— ſtehung von Inſeln und Bergen die Oberhand. Die Natur der organiſchen Ueberreſte der Vorwelt leitete ihn ſogar auf die Vermutung, daß die gemäßigte Zone früher die Wärme des tropiſchen Klimas müſſe genoſſen haben. Es bleibt noch übrig, der größten aller geognoſtiſchen Erſcheinungen zu gedenken, der mathematiſchen Geſtalt der Erde, in welcher die Zuſtände der Urzeit ſich erkennbar ab— ſpiegeln, die Flüſſigkeit der rotierenden Maſſe und ihre Er— härtung als Erdſphäroid. In ſeinen Hauptzügen, freilich nicht genau in den numeriſchen Angaben des Verhältniſſes zwiſchen der Polar- und Aequatorialachſe, wurde das Bild der Erd— geſtaltung am Ende des 17. Jahrhunderts entworfen. Picards Gradmeſſung, mit von ihm ſelbſt vervollkommneten Meß— inſtrumenten (1670) ausgeführt, iſt um ſo wichtiger geweſen, als ſie zuerſt Newton veranlaßte, ſeine ſchon 1666 aufgefundene und ſpäter vernachläſſigte Gravitationstheorie wiederum mit erneuertem Eifer aufzunehmen, weil ſie dem tiefſinnigen und glücklichen Forſcher die Mittel zu beweiſen darbot, wie die Anziehung der Erde den durch die Schwungkraft umgetriebenen Mond in feiner Bahn erhalte. Die viel früher erkannte Ab- plattung des Jupiter hatte, wie man glaubt, Newton angeregt, über die Urſache einer ſolchen von der Sphärizität abweichen— * . den Erſcheinung nachzudenken. Den Verſuchen über die wahre Länge des Sekundenpendels zu Cayenne von Richer (1673) und an der weſtlichen afrikaniſchen ane von Varin waren andere, weniger entſcheidende zu London, Lyon und Bologna in 7“ Breitenunterſchied vorhergegangen. Die Abnahme der Schwere vom Pol zum Aequator, welche lange noch ſelbſt Picard geleugnet, wurde nun allgemein angenommen. Newton erkannte die Polarabplattu ng der Erde und ihre ſphäroidiſche Geſtalt als eine Folge der Rotation; er wagte ſogar unter der Vorausſetzung einer homogenen Maſſe das Maß dieſer Erdabplattung numeriſch zu beſtimmen. Es blieb den ver— glichenen Gradmeſſungen des 18. und 19. Jahrhunderts unter dem Aequator, dem Nordpol nahe und in den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln, der ſüdlichen und nördlichen, vor— behalten, dieſes Maß der mittleren Abplattung und ſo die wahre Figur der Erde genau zu erörtern. Die Exiſtenz der Abplattung ſelbſt verkündigt, wie ſchon in dem Natur— gemälde bemerkt??“ worden iſt, was man die älteſte aller geognoſtiſchen Begebenheiten nennen kann, den Zuſtand der allgemeinen Flüſſigkeit eines Planeten, ſeine frühere und ſpätere Erhärtung. Wir haben die Schilderung des großen Zeitalters von Galilei und Kepler, Newton und Leibniz mit den Entdeckungen in den Himmelsräumen durch das neuerfundene Fernrohr be— gonnen. Wir endigen mit der Erdgeſtaltung, wie ſie aus theoretiſchen Schlüſſen erkannt worden iſt. „Newton erhob ſich zu der Erklärung des Weltſyſtems, weil es ihm glückte, die Kraft zu finden, von deren Wirkung die Keplerſchen Ge— ſetze die notwendige Folge ſind, und welche den Erſcheinungen entſprechen mußte, indem dieſe Geſetze ihnen entſprachen und ſie vorherverkündigten.“ Die Auffindung einer ſolchen Kraft, deren Daſein Newton in ſeinem unsterblichen Werke der Prin— zipien (einer allgemeinen Naturlehre) entwickelt hat, iſt faſt gleichzeitig geweſen mit den durch die Infiniteſimal— rechnung eröffneten Wegen zu neuen mathematiſchen Ent— deckungen. Die Geiſtesarbeit zeigt ſich in ihrer erhabenſten Größe da, wo ſie, ſtatt äußerer materieller Mittel zu bedürfen, ihren Glanz allein von dem erhält, was der mathematiſchen Gedankenentwickelung, der reinen Abſtraktion entquillt. Es wohnet inne ein feſſelnder, von dem ganzen Altertum gefeierter Zauber in der Anſchauung mathematiſcher Wahrheiten, der ewigen Verhältniſſe der Zeit und des Raumes, wie ſie ſich — 272 — in Tönen und Zahlen und Linien offenbaren. Die Vervoll— kommnung eines geiſtigen Werkzeuges der Forſchung, der Analyſis, hat die gegenſeitige Befruchtung der Ideen, welche ebenſo wichtig als der Reichtum ihrer Erzeugung iſt, mächtig befördert. Sie hat der phyſiſchen Weltanſchauung in ihrer irdiſchen und himmliſchen Sphäre (in den periodiſchen Schwan— kungen der Oberfläche des Weltmeeres, wie in den wechſeln— den Störungen der Planeten) neue Gebiete von ungemeſſenem Umfange eröffnet. r re 9 VIII. Rückblick auf die Reihenfolge der durchlaufenen Perioden. — Einſluß äußerer Ereigniſſe auf die ſich entwickelnde Erkenntnis des Weltganzen. — Dielſeitigkeit und innere Verkettung der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen in der neueſten Zeit. — Die Geſchichte der phyſiſchen Wiſſenſchaften ſchmilzt allmählich mit der Geſchichte des Kosmos zuſammen. Ich nähere mich dem Ende eines vielgewagten, inhalts— ſchweren Unternehmens. Mehr als zwei Jahrtauſende ſind durchlaufen worden, von den frühen Zuſtänden der Kultur unter den Völkern, die das Becken des Mittelmeeres und die fruchtbaren Stromgebiete des weſtlichen Aſiens umwohnten, bis zu dem Anfange des letztverfloſſenen Jahrhunderts, alſo bis zu einer Zeit, in der Anſichten und Gefühle ſich ſchon mit den unſerigen verſchmelzen. Ich habe in ſieben ſcharf voneinander geſchiedenen Abteilungen, gleichſam in der Reihen— folge von ebenſoviel einzelnen Gemälden, die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, d. h. die Geſchichte der ſich allmählich entwickelnden Erkenntnis des Weltganzen, darzuſtellen geglaubt. Ob es einigermaßen gelungen iſt, die Maſſe des angehäuften Stoffes zu beherrſchen, den Charakter der Hauptepochen aufzufaſſen, die Wege zu bezeichnen, auf denen Ideen und Geſittung zugeführt worden ſind, darf, in gerechtem Mißtrauen der ihm übrig gebliebenen Kräfte, der nicht entſcheiden, dem mit Klarheit nur in allgemeinen Zügen der Entwurf zu einem ſo großen Unternehmen vor der Seele ſchwebte. Ich habe bereits in dem Eingange zu der arabiſchen Epoche, als ich den mächtigen Einfluß zu ſchildern begann, den ein der europäiſchen Civiliſation eingemiſchtes fremdartiges Element ausgeübt, die Grenze angegeben, über welche hinaus die Geſchichte des Kosmos mit der der phyſiſchen Wiſſen— A. v. Humboldt, Kosmos. II. 18 — 274 — ſchaften zuſammenfällt. Die geſchichtliche Erkenntnis der all— mählichen Erweiterung des Naturwiſſens in beiden Sphären, der Erd⸗ und Himmelskunde, iſt nach meiner Anſicht an be— ſtimmte Perioden, an gewiſſe räumlich und intellektuell wirkende Ereigniſſe gebunden, die jenen Perioden Eigentümlichkeit und Färbung verleihen. Solche Ereigniſſe waren die Unterneh— mungen, welche in den Pontus führten und jenſeits des Phaſis ein anderes Seeufer ahnen ließen; die Expeditionen nach tropiſchen Gold- und Weihrauchländern; die Durchſchiffung der weſtlichen Meerenge, oder Eröffnung der großen mari— timen Völkerſtraße, auf der in langen Zeitabſtänden Cerne und die Heſperiden, die nördlichen Zinn- und Bernſteininſeln, die vulkaniſchen Azoren und der neue Kontinent des Kolum— bus, ſüdlich von den alten ſkandinaviſchen Anſiedelungen, ent— deckt wurden. Auf die Bewegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und dem nördlichſten Ende des nahen Ara— biſchen Meerbuſens ausgingen, auf die Pontus- und Ophir⸗ fahrten, folgen in meiner hiſtoriſchen Schilderung die Heer— züge des Macedoniers und ſein Verſuch, den Weſten mit dem Oſten zu verſchmelzen, die Wirkungen des indiſchen See— handels und der alexandriniſchen Inſtitute unter den Lagiden, die Weltherrſchaft der Römer unter den Cäſaren, der folgen— reiche Hang der Araber zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften, zu aſtronomiſchem, mathematiſchem und praktiſch— chemiſchem Wiſſen. Mit der Beſitznahme einer ganzen Erd— hälfte, welche verhüllt lag, mit den größten Entdeckungen im Raume, welche je den Menſchen geglückt, iſt für mich die Reihe der Ereigniſſe und Begebenheiten geſchloſſen, welche plötzlich den Horizont der Ideen erweitert, zum Erforſchen von phyſiſchen Geſetzen angeregt, das Streben nach dem end- lichen Erfaſſen des Weltganzen belebt haben. Die Intelligenz bringt fortan, wie wir ſchon oben angedeutet, Großes ohne Anregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener innerer Kraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor. Unter den Werkzeugen, gleichſam neuen Organen, die der Menſch ſich geſchaffen und welche das ſinnliche Wahrnehmungs— vermögen erhöhen, hat eines jedoch wie ein plötzliches Ereig— nis gewirkt. Durch die raumdurchdringende Eigenſchaft des Fernrohrs wird, faſt wie auf einmal, ein beträchtlicher Teil des Himmels erforſcht, die Zahl der erkannten Weltkörper vermehrt, ihre Geſtaltung und Bahn zu beſtimmen verſucht. Die Menſchheit gelangt jetzt erſt in den Beſitz der „himm⸗ BGE liſchen Sphäre“ des Kosmos. Ein ſiebenter Abſchnitt der Geſchichte der Weltanſchauung konnte auf die Wichtigkeit dieſer Beſitznahme und auf die Einheit der Beſtrebungen gegründet werden, welche der Gebrauch des Fernrohrs hervorrief. Ver— gleichen wir mit der Erfindung dieſes optiſchen Werkzeuges eine andere große Erfindung und zwar der neueren Zeit, die der Voltaſchen Säule, wie den Einfluß, welchen dieſelbe auf die ſcharfſinnige elektrochemiſche Theorie, auf die Darſtellung der Alkali- und Erdmetalle und auf die lange erſehnte Ent— deckung des Elektromagnetismus ausgeübt, ſo gelangen wir an eine Verkettung nach Willkür hervorzurufender Erſchei— nungen, welche nach vielen Seiten tief in die Erkenntnis des Waltens der Naturkräfte eingreift, aber mehr einen Abſchnitt in der Geſchichte der phyſiſchen Disziplinen als unmittelbar in der Geſchichte der kosmiſchen Anſchauungen bildet. Eben dieſe vielſeitige Verknüpfung alles jetzigen Wiſſens erſchwert die Abſonderung und Umgrenzung des Einzelnen. Den Elektro— magnetismus haben wir ja neuerlichſt ſelbſt auf die Richtung des polariſierten Lichtſtrahls wirken ſehen, Modifikationen her— vorbringend wie chemiſche Miſchungen. Wo durch die Geiſtes— arbeit des Jahrhunderts alles im Werden begriffen ſcheint, iſt es ebenſo gefahrvoll, in den intellektuellen Prozeß ein— zugreifen und das unaufhaltſam Fortſchreitende wie am Ziele angelangt zu ſchildern, als, bei dem Bewußtſein eigener Be— ſchränktheit, ſich über die relative Wichtigkeit ruhmvoller Be— ſtrebungen der Mitlebenden oder Nächſthingeſchiedenen aus— zuſprechen. In den hiſtoriſchen Betrachtungen habe ich faſt überall bei Angabe der frühen Keime des Naturwiſſens den Grad der Entwickelung bezeichnet, zu dem ſie in der neueſten Zeit gelangt ſind. Der dritte und letzte Teil meines Werkes liefert zur Erläuterung des allgemeinen Naturgemäldes die Er— gebniſſe der Beobachtung, auf welche der jetzige Zuſtand wiſſenſchaftlicher Meinung hauptſächlich gegründet iſt. Vieles, das man nach anderen Anſichten der Kompoſition eines Buches von der Natur, als die meinigen ſind, hier vermiſſen kann, wird dort ſeinen Platz finden. Durch den Glanz neuer Ent— deckungen angeregt, mit Hoffnungen genährt, deren Täuſchung oft erſt ſpät eintritt, wähnt jedes Zeitalter dem Kulminations— punkte im Erkennen und Verſtehen der Natur nahe gelangt zu ſein. Ich bezweifle, daß bei ernſtem Nachdenken ein ſol— cher Glaube den Genuß der Gegenwart wahrhaft erhöhe. — 276 — Belebender und der Idee von der großen Beſtimmung unſeres Geſchlechtes angemeſſener iſt die Ueberzeugung, daß der eroberte Beſitz nur ein ſehr unbeträchtlicher Teil von dem iſt, was bei fortſchreitender Thätigkeit und gemeinſamer Ausbildung die freie Menſchheit in den kommenden Jahrhunderten erringen wird. Jedes Erforſchte iſt nur eine S Stufe zu etwas Höherem in dem verhängnisvollen Laufe der Dinge. Was die Fortſchritte der Erkenntnis in dem 19. Jahr⸗ hundert beſonders befördert und den Hauptcharakter der Zeit gebildet hat, iſt das allgemeine und erfolgreiche Bemühen, den Blick nicht auf das Neuerrungene zu beſchränken, ſondern alles früher Berührte nach Maß und Gewicht ſtreng zu prüfen, das bloß aus Analogieen Geſchloſſene von dem Gewiſſen zu ſondern, und ſo einer und derſelben ſtrengen kritiſchen Me— thode alle Teile des Wiſſens: phyſikaliſche Aſtronomie, Studium der irdiſchen Naturkräfte, Geologie und Altertumskunde zu unterwerfen. Die Allgemeinheit eines ſolchen kritiſchen Ver— fahrens hat beſonders dazu beigetragen, die jedesmaligen Grenzen der einzelnen Wiſſenſchaften kenntlich zu machen, ja die Schwäche gewiſſer Disziplinen aufzudecken, in denen un— begründete Meinungen als Thatſachen, ſymboliſierende Mythen unter alten Firmen als ernſte Theorieen auſtreten. Unbeſtimmt⸗ heit der Sprache, Uebertragung der Nomenklatur aus einer Wiſſenſchaft in die andere haben zu irrigen Anſichten, zu täuſchenden Analogieen geführt. Die Zoologie iſt lange in ihren Fortſchritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Tierklaſſen alle Lebensthätigkeiten an gleichgeſtaltete Organe wie in den höchſten Tierklaſſen gebunden glaubte. Noch mehr iſt die Kenntnis von der Entwickelungsgeſchichte der Pflanzen in den ſogenannten enge Kormo— phyten (den Laub- und Lebermooſen, Farnen, Lykopodiaceen) oder in den noch niedrigeren Th allophyten (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Ana— logieen aus der geſchlechtlichen Fortpflanzung des Tierreichs zu finden glaubte. Wenn die Kunſt innerhalb des Zauberkreiſes der Ein— bildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemütes liegt, ſo beruhet dagegen die Erweiterung des Wiſſens vorzugs— weiſe auf dem Kontakt mit der Außenwelt. Dieſer wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zu— gleich. Das Erſchaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beob— achtung) vermehrt die geiſtige, oft auch die phyſiſche Macht — 277 — des Menſchen. Schneller als das Licht trägt in die weiteſte Ferne Gedanken und Willen der geſchloſſene elektriſche Strom. Kräfte, deren ſtilles Treiben in der elementariſchen Natur, wie in den zarten Zellen organiſcher Gewebe, jetzt noch unſeren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätig— keit erweckt, einſt in die unabſehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrſchung einzelner Naturgebiete und der leben— digeren Erkenntnis des Weltganzen näher führen. Anmerkungen. (S. 99.) Im Sanskrit Reiß vrihi, Baumwolle karpäsa, Zucker 'sarkara, Narde nanartha. Ueber sarkara und kanda, wovon unſer Zuckerkand, ſ. meine Prolegomena de dis- tributione geographica Plantarum, 1817, p. 211: „Confudisse videntur veteres saccharum verum cum Tebaschiro Bambusae, tum quia utraque in arundinibus inveniuntur, tum etiam quia vox sanscradana scharkara, quae hodie (ut pers. schakar et hindost. schukur) pro saccharo nostro adhibetur, observante Boppio, ex auctoritate Amarasinhae, proprie nil dulce (madu) significat, sed quiequid lapidosum et arenaceum est, ac vel calculum vesicae. Verisimile igitur vocem shar- kara initio dumtaxat tebaschirum (saccar mombu) indicasse, posterius in saccharum nostrum humilioris arundinis (ikschu, kandekschu, kanda) ex similitudine aspectus translatam esse, Vox Bambusae ex mambu derivatur; ex kanda nostratium voces candis, zuckerkand. In tebaschiro agnoscitur Persarum schir, h. e. lac, sanser. kschiram.* Der Sanskritname für tabaschir ift tvakkschiräs = Rindemilch, Milch aus der Rinde (tvatsch.) 2 (S. 101.) Bordj der Waſſernabel des Ormuzd: ungefähr da, wo das Himmelsgebirge (Thian-ſchan) an ſeinem weſtlichen Ende an den Bolor (Belurtagh) gangartig anſchart oder vielmehr dieſen unter dem Namen der Asferahkette durchſetzt, nördlich von dem Hochlande Pamir (Upa:Meru, Land über dem Meru). (S. 101.) Chronologiſche Angaben für Aegypten: „3900 Jahre vor Chr. Menes (auf das wenigſte, und wahrſcheinlich ziemlich ge⸗ nau), 3430 Anfang der vierten Dynaſtie (die Pyramidenbauer Chephren-Schafra, Cheops-Chufu und Mykerinos oder Mentera), 2200 Einfall der Hykſos unter der zwölften Dynaſtie, welcher Amenemha III., der Erbauer des urſprünglichen Labyrinths, zu: gehört. Vor Menes (3900 vor Chr.) iſt doch wenigſtens noch ein Jahrtauſend für das allmähliche Wachstum jener, zum mindeſten 3430 Jahre vor unſerer Zeitrechnung ganz fertigen, ja zum Teil ſchon erſtarrten Kultur zu vermuten, wahrſcheinlich noch weit mehr.“ (Lepſius in mehreren Briefen an mich vom März 1846, alſo Te ag — nach der Rückkunft von feiner ruhmvollen Expedition.) Vergl. auch Bunſens Betrachtungen „über die Anfänge unſerer ſogenannten Weltgeſchichte, welche ſtreng genommen nur die der neueren Menſch— heit oder, wenn es von jenen Anfängen eine Geſchichte geben ſollte, die neuere Geſchichte unſeres Geſchlechts iſt“, in dem geiſtreichen und gelehrten Werke: Aegyptens Stelle in der Welt: geſchichte, 1845, erſtes Buch, S. 11— 13. — Das hiſtoriſche Be- wußtſein und die geregelte Chronologie der Chineſen ſteigen bis 2400, ja ſelbſt 2700 Jahre vor unſerer Zeitrechnung, weit über Ju bis zu Hoang⸗ty, hinauf. Viele litterariſche Monumente find aus dem 13. Jahrhundert; und im 12. Jahrhundert v. Chr. wurde laut dem Tſcheu-li die Länge des Solſtitialſchattens bereits mit ſolcher Genauigkeit von Tſcheu-kung in der ſüdlich vom gelben Fluſſe erbauten Stadt Lo-yang gemeſſen, daß Laplace dieſe Länge ganz mit der Theorie von der Veränderung der Schiefe der Ekliptik, welche erſt am Ende des letzten Jahrhunderts aufgeſtellt worden iſt, übereinſtimmend gefunden hat. Jeder Verdacht einer Erdichtung der Angabe durch Zurückrechnen fällt alſo von ſelbſt weg. Die Erbauung von Tyrus und des uralten Tempels des Melkarth (des tyriſchen Herkules) ſoll nach der Erzählung, die Herodot von den Prieſtern empfing, 2670 Jahre vor unſerer Zeitrechnung hin— aufreichen. Simplicius ſchätzt nach einer Ueberlieferung des Por— phyrius das Alter der babyloniſchen Sternbeobachtungen, die dem Ariſtoteles bekannt waren, auf 1903 Jahre vor Alexander dem Großen, und Ideler, der ſo gründliche und vorſichtige Forſcher der Chronologie, hat dieſe Angabe keineswegs unglaublich gefunden. Ob man in Indien mehr als 1200 Jahre v. Chr. ſelbſt nach der Chronik von Kaſchmir (Radjatarangini, trad. par Troyer) einen hiſtoriſchen Boden finde, während Megaſthenes von Manu bis Kandragupta für 153 Könige der Dynaſtie von Magadha 60 bis 64 Jahrhunderte rechnet und der Aſtronom Aryabhatta den An— fang der Zeitrechnung auf 3102 v. Chr. beſtimmt, bleibt noch in Dunkel gehüllt. — Um den Zahlen, welche in dieſer Anmerkung zuſammengeſtellt ſind, eine höhere Bedeutung für die Kulturgeſchichte der Menſchheit zu geben, iſt es nicht überflüſſig, hier zu erinnern, daß bei den Griechen die Zerſtörung von Troja 1184, Homer 1000 oder 950, Kadmus der Mileſier, der erſte Geſchichtſchreiber unter den Griechen, 524 Jahre vor unſerer Zeitrechnung geſetzt werden. Dieſe Zuſammenſtellung der Epochen lehrt, wie ungleich, früh oder ſpät, bei den bildungsfähigſten Völkern das Bedürfnis einer ge— nauen Aufzeichnung von Ereigniſſen und Unternehmungen erwacht iſt; ſie erinnert unwillkürlich an den Ausſpruch, welchen Plato im Timäus den Prieſtern von Sais in den Mund legt: „O Solon, Solon! ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder; nirgends iſt in Hellas ein Greis. Eure Seelen ſind ſtets jugendlich; ihr habt in ihnen keine Kunde des Altertums, keinen alten Glauben, keine durch die Zeit ergraute Wiſſenſchaft.“ „(S. 102.) Letztere Anſicht wird von der an der Entwicke— lungslehre feſthaltenden modernen Richtung der Wiſſenſchaft in der Regel als unhaltbar betrachtet und nur in jenen ſeltenen Aus— nahmefällen gelten gelaſſen, wo für die eingetretene Verwilderung direkte Nachweiſe vorhanden find. — [D. Herausg.] (S. 105.) Plato, Phädon. Auch Kleomedes vertiefte die Erdfläche in der Mitte, um das Mittelmeer zu fajjen. (S. 105.) Ich habe dieſe Idee zuerſt entwickelt in meiner Rel. ES N du Voyage aux Regions- equino- xiales T. III, p. 236 und in dem Examen crit. de l’hist. de la Geogr. au l5me siecle T. I, p. 36—38. Das weft: lichſte Baſſin, welches ich im allgemeinen das tyrrheniſche nenne, begreift nach Strabo das Iberiſche, Liguſtiſche und Sardoiſche Meer. Das Syrtenbaſſin öſtlich von Sizilien be— greift das Auſoniſche oder Sikeliſche, das Libyſche und Joniſche Meer. Der ſüdliche und ſüdweſtliche Teil des Aegeiſchen Meeres hieß das Kretiſche, Saroniſche und Myrtoiſche. Die merkwürdige Stelle Ariſtot., de Mundo cap. 3, bezieht ſich bloß auf die Buſenform der Küſten des Mittelmeers und ihre Wirkung auf den einſtrömenden Ozean. (S. 106.) Die beiden merkwürdigen Stellen des Strabo ſind folgende: (Lib. II. p. 109) „Eratoſthenes nennt drei, Polybius fünf Landſpitzen, in die ſich Europa verläuft. Der erſtere nennt die gegen die Säulen ſich erſtreckende, auf welcher Iberia, die gegen den ſikeliſchen Sund, auf welcher Italia liegt; dann folgt die dritte (Halbinſel) gegen Malea, welche alle Völker zwiſchen dem Adrias, dem Euxinos und dem Tanais umfaßt.“ (Lib. II, p. 126): „Wir beginnen mit Europa, weil es vielgeſtaltig und für Veredelung der Menſchen und Bürger der gedeihlichſte Weltteil iſt. Er iſt ganz bewohnbar außer wenigen vor Kälte unbewohnten Landen um den Tanais.“ (S. 107.) Otfried Müller, Minyer S. 64 und der⸗ ſelbe in der, übrigens nur zu wohlwollenden Kritik meiner Be— handlung der mythiſchen Geographie der Griechen. Ich habe mich im allgemeinen alſo ausgeſprochen: „En soulevant des questions qui offriraient deja, de l'importance dans l’interet des etudes philologiques, je n’ai pu gagner sur moi de passer entierement sous silence ce qui appartient moins à la de- scription du monde reel qu'au cycle de la Geographie mythique. Il en est de l’espace comme du tems: on ne saurait traiter histoire sous un point de vue philosophique, en enseve- lissant dans un oubli absolu les tems heroiques. Les mythes des peuples, meles & l’histoire et à la geographie, ne sont pas en entier du domaine du monde ideal. Si le vague est un de leurs traits distinctifs, si le symbole y couvre la realite d'un voile plus ou moins épais, les mythes intimement lies entre eux, n'en revelent pas moins la souche antique des l „ e SAGEN — 281 — premiers apergus de cosmographie et de physique. Les faits de histoire et de la geographie primitives ne sont pas seulement, d’ingenieuses fietions, les opinions qu'on s’est formees sur le monde rcel, s’y refletent.*“ Der große mir befreundete Altertums— forſcher, deſſen früher Verluſt auf griechiſchem, von ihm ſo tief und mannigfach ergründetem Boden allgemein betrauert worden iſt, glaubt dagegen: „daß wirklichen Erfahrungen, welche durch Wunderſucht und Leichtgläubigkeit eine fabelhafte Geſtalt erhielten (wie man ſich beſonders die phöniziſchen Schifferſagen vorſtellt), keineswegs der Hauptanteil an der poetiſchen Geſtaltung der Erde, die in der griechiſchen Poeſie hervortritt, zuzuſchreiben ſei; die eigentlichen Wurzeln dieſer Gebilde lägen in gewiſſen ideellen Vorausſetzungen und Forderungen des Gefühls, auf welche eine wirkliche Länderkunde erſt allmählich einzuwirken beginne, woraus dann oft die intereſſante Erſcheinung hervor— gehe, daß rein ſubjektive Schöpfungen einer von gewiſſen Ideen geleiteten Phantaſie faſt unmerklich in wirkliche Länder und wohl— bekannte Gegenſtände der wiſſenſchaftlichen Geographie übergehen. Nach dieſen Betrachtungen könne man ſchließen, daß alle mythiſchen oder in mythiſche Formen ausgeprägten Phantaſiegemälde in ihrem eigentlichen Grunde einer idealen Welt angehören und mit der wirklichen Erweiterung der Erdkunde oder der Schiffahrt außerhalb der Säulen des Herkules urſprünglich nichts zu thun haben.“ Die von mir in dem franzöſiſchen Werke geäußerte Meinung ſtimmte mit den früheren Anſichten von Otfried Müller mehr überein, da er in den Prolegomenen zu einer wiſſenſchaftlichen Mythologie S. 68 u. 109 ſehr beſtimmt ſagte: „daß in mythiſchen Erzählungen Geſchehenes und Gedachtes, Reelles und Ideelles meiſt eng miteinander verbunden find“. ’ (©. 109.) Alles, was ſich auf ägyptiſche Chronologie und Geſchichte bezieht und (S. 109 — 110) durch Anführungszeichen im Texte unterſchieden iſt, gründet ſich auf handſchriftliche Mitteilungen meines Freundes, des Profeſſor Lepſius vom Monat März 1846. 10 (S. 109.) Ich ſetze die doriſche Einwanderung in den Peloponnes mit Otfried Müller 328 Jahre vor der erſten Olympiade. (S. 109.) In dem Papyrus von Sallier (campagnes de Sesostris) fand Champollion den Namen der Javanen oder Jouni und den der Luki (Jonier und Lycier ?). 12 (S. 110) Von den Denkſäulen (Stelen), die Ramſes— Miamen als Siegeszeichen in den durchzogenen Landen ſetzte, nennt Herodot ausdrücklich drei: „eine im paläſtiniſchen Syrien, zwei in Jonien, wo man aus dem Epheſiſchen nach Phokäa und von Sardes nach Smyrna geht“. Ein Felſenrelief, welches den Namen des Ramſes mehrmals darbietet, iſt in Syrien am Lykus, unfern Beirut (Berytus), aufgefunden, ſowie ein anderes, roheres, im Thal Karabel bei Nympho, nach Lepſius auf dem Wege aus — 282 — dem Epheſiſchen nach Phokäa. Ob der große Eroberer, wie Heeren glaubt, bis Perſien und Vorderindien vorgedrungen ſei, „weil da— mals das weſtliche Aſien noch kein großes Reich enthielt“ (die Er- bauung des aſſyriſchen Ninive wird erſt 1230 vor Chr. geſetzt), werden bei jetzt ſo ſchnell fortſchreitenden Entdeckungen die Archäo— logen und phonetiſchen Sprachforſcher einſt entſcheiden. Strabo nennt eine Denkſäule des Seſoſtris nahe bei der Meerenge Deire, jetzt Bab-el-Mandeb genannt. Es iſt übrigens auch ſehr wahrſchein— lich, daß ſchon im alten Reiche über 900 Jahre vor Ramſes— Miamen ähnliche Heerzüge ägyptiſcher Könige nach Aſien ſtatt— gefunden haben Unter dem, zur Dynaſtie gehörigen Pharao Setos II., des zweiten Nachfolger des großen Ramſes-Miamen, zog Moſes aus Aegypten aus, nach den Unterſuchungen von Lepſius ungefähr 1300 Jahre vor unſerer Zeitrechnung. 3 (S. 110.) Zu den wichtigen der Umſchiffung von Libyen günſtigen Meinungen von Rennell, Heeren und Sprengel muß man jetzt auch die eines überaus gründlichen Philologen, Etienne Quatremeère, zählen. Das überzeugendſte Argument für die Wahrheit des Berichts von Herodot IV, 42 ſcheint mir die dem Herodot unglaublich vorkommende Bemerkung, „daß die Seefahrer bei dem Umſchiffen Libyens (von Oſten nach Weſten ſegelnd) die Sonne zur Rechten bekommen hätten“. Im Mittelmeere jah man, ebenfalls von Oſten nach Weſten (von Tyrus nach Gadeira) ſchiffend, die Sonne um Mittag nur zur Linken. Uebrigens muß auch vor Neku II. (Necho) ſchon in Aegypten eine ältere Kennt— nis von der Möglichkeit einer ungehinderten Umſchiffung Libyens vorhanden geweſen ſein, da Herodot den Neku beſtimmt den Phö— niziern befehlen läßt, „ſie ſollten den Rückweg nach Aegypten durch die Säulen des Herkules nehmen“. Sonderbar iſt es immer, daß Strabo, der ſo weitläufig die verſuchte Umſchiffung des Eudoxus und Cyzicus unter der Kleopatra diskutiert, und auch der Trümmer des Schiffes aus Gadeira erwähnt, welches an der äthiopiſchen (öſtlichen) Küſte gefunden war, zwar die vorgegebenen wirklichen Umſchiffungen für eine Bergäiſche Fabel erklärt, aber die Möglichkeit der Umſchiffung keineswegs leugnet und daß er be— hauptet, es ſei öſtlich und weſtlich des noch Unumſchifften nur wenig. Strabo hing gar nicht der wunderſamen Iſthmushypotheſe des Hipparch und Marinus Tyrius an, nach der das öſtliche Afrika ſich an das Südoſtende von Aſien anſchließt und das Indiſche Meer zu einem Mittelmeer macht. Strabo citiert Herodot, nennt aber den Namen Nekos nicht, deſſen Expedition er mit der von Darius veranſtalteten Umſchifſung von Südperſien und ganz Arabien ver— wechſelt. Goſſelin hat ſogar allzu kühn die Lesart Darius in Neko verwandeln wollen. Ein Gegenſtück zu dem Pferdekopf des Schiffes von Gadeira, welchen Eudoxus in Aegypten auf einem Marktplatze gezeigt haben ſoll, ſind die Trümmer eines Schiffes aus dem Roten Meere, das nach der Erzählung eines ſehr glaubwürdigen arabiſchen — 283 — Geſchichtſchreibers Maſudi an die Küſte von Kreta durch weſt— liche Strömungen gelangt iſt. [An der Umſchiffung Afrikas durch Nechos Leute wird heute wenig mehr gezweifelt. — D. Herausg.!] 1 (S. 111.) Ueber die Wahrſcheinlichkeit eines Verkehrs zwiſchen Aegypten und Griechenland vor Pſammitich ſ. die ſcharf— ſichtigen Beobachtungen von Ludwig Roß in Hellenika Bd. 1, 1846, S. V und X. „In den nächſten Zeiten vor Pſammitich,“ ſagt er, „war in beiden Ländern eine Epoche innerer Zerrüttung, die notwendig eine Beſchränkung und teilweiſe Unterbrechung des Verkehrs herbeiführen mußte.“ (S. 113.) Die Beſtimmung des Zinnlandes (Britannien, die Scillyinſeln) iſt leichter als die Bernſteinküſte; denn daß die altgriechiſche Benennung teens, ſchöon in den Homeriſchen Zeiten verbreitet, von einem zinnreichen Berge Caſſius im ſüd— weſtlichen Spanien herzuleiten ſei, welchen der dieſer Gegend ſehr kundige Avienus zwiſchen Gaddir und die Mündung eines kleinen ſüdlichen Iberus verſetzt, iſt mir ſehr unwahrſcheinlich. Kassiteros iſt das altindiſche Sanskritwort kastira. Zinn (isl., dän., engl. tin; ſchwed. tenn) heißt in der malayiſchen und javaniſchen Sprache timah, eine Lautähnlichkeit, welche faſt an die des altgermaniſchen glessum (Name für den durchſichtigen Bernſtein) mit unſerem Worte Glas erinnert. Die Benennungen von Waren und Handels— artikeln gehen von einem Volke zum anderen in die verſchiedenſten Sprachfamilien über. Durch den Verkehr, welchen die Phönizier von ihren Faktoreien in dem Perſiſchen Meerbuſen aus mit der Oſtküſte von Indien trieben, hat das Sanskritwort kastira, welches ein ſo nützliches hinterindiſches Produkt bezeichnete und ſich unter den altaramäiſchen Idiomen noch jetzt im Arabiſchen als kasdir findet, den Griechen bekannt werden können, ehe ſelbſt Albion und die britanniſchen Kaſſiteriden beſucht wurden. Eine Benennung wird oft ein geſchichtliches Denkmal, und die etymologiſierende, zergliedernde Sprachforſchung, von Unkundigen verſpottet, trägt ihre Früchte. Den Alten war auch das Zinn, eines der ſeltenſten Metalle auf unſerem Erdkörper, im Lande der Artabrer und der Callaeci auf dem nordweſtlichſten iberiſchen Kontinente bekannt; alſo in einer größeren Nähe für die Seefahrt aus dem Mittelmeer als die Kaſſiteriden (Oestrymnides des Avienus). Als ich vor meiner Einſchiffung nach den Kanariſchen Inſeln im Jahre 1799 in Galicien war, wurde noch daſelbſt im Granitgebirge ein ſehr ärmlicher Bergbau getrieben. Dieſes Vorkommen des Zinnes iſt von einiger geognoſtiſchen Wichtigkeit wegen des ehemaligen Zu: ſammenhanges von Galicien, der Halbinſel Bretagne und Cornwall. 16 (S. 113.) Die ſchon früh geäußerte Meinung, daß der Bern— ſtein zuerſt nur von der weſtlichen cimbriſchen Küſte durch Schiff: fahrt und vorzüglich durch inneren Tauſchhandel auf Landwegen an das Mittelmeer gelangt ſei, gewinnt immer mehr Anklang. Die gründlichſte und ſcharfſinnigſte Unterſuchung dieſes Gegenſtandes — 284 — enthält Ukert's Abhandlung über das Elektrum in der Zeitſchrift für die Altertumswiſſenſchaft 1838, Nr. 52 bis 55, S. 425— 452. Die Maſſilier, welche Heeren unter Pytheas, nach den Phöniziern, bis in die Oſtſee vordringen läßt, überſchritten wohl kaum die Mündungen der Weſer und Elbe. Die Bernſtein— inſel Gleſſaria (auch Auftrania genannt) ſetzt Plinius beſtimmt weſtlich vom Vorgebirge der Cimbern in das Germaniſche Meer, und der Zuſammenhang mit der Expedition des Germanicus lehrt genugſam, daß nicht eine Inſel der Oſtſee gemeint ſei. Die großen Wirkungen der Ebbe und Flut in den aestuariis, welche Bernſtein auswerfen, wo nach Servius' Ausdruck „mare vicissim tum accedit, tum recedit“, paſſen ebenfalls nur auf die Küſtengegend zwiſchen dem Helder und der Cimbriſchen Halbinſel, und nicht auf die Oſtſee, in der des Timäus Inſel Baltia liegen mag. Abalus, eine Tagereiſe von einem aestuarıum entfernt, kann daher nicht die Kuriſche Nehrung ſein. Vergl. auch über die Fahrt des Pytheas nach der weſtlichen Küſte von Jütland und den Bernſteinhandel längs dem ganzen Litorale von Skagen bis zu den Niederlanden Werlauff, Bidrag til den nordiske Ravhandels Historie (Kopenh. 1835). Nicht Plinius, ſondern Tacitus kennt das glessum der Oſtſeeküſten im Lande der Aeſtyer (Aestuorum gentium) und der Veneder, von welchen der große Sprachforſcher Schaffarik ungewiß iſt, ob ſie Slaven oder Germanen waren. Die lebhaftere unmittelbare Verbindung mit der ſamländiſchen Oſtſeeküſte und mit den Aeſtyern mittels des Landweges durch Pannonien über Carnuntum, den ein römiſcher Ritter unter Nero einſchlug, ſcheint mir in die ſpätere Periode der römiſchen Cäſaren zu fallen. Von den Verbindungen zwiſchen der preußiſchen Küſte und den griechiſchen Kolonieen am Schwarzen Meere zeugen ſchöne, wahrſcheinlich vor Olymp. 85 geprägte Münzen, die man in den neueſten Zeiten im Netzediſtrikt gefunden hat. Zu verſchiedenen Zeiten iſt wohl auch aus ſehr verſchiedenen Gegenden das an die Küſten angeſchwemmte oder gegrabene Elektron, der Sonnen- ſtein der uralten Eridanusmythe, auf See- und Landwegen dem Süden zugeſtrömt. Der „an zwei Orten in Skythien gegrabene Bernſtein war teilweiſe ſehr dunkel gefärbt“. Allerdings wird noch heute bei Kaltſchedansk unfern Kamensk am Ural Bernſtein ge— ſammelt; wir haben Fragmente davon, in Braunkohle eingehüllt, in Katharinenburg erhalten. Das den Bernſtein oft umſchließende foſſile Holz hatte früh auch die Aufmerkſamkeit der Alten auf ſich gezogen. Das damals ſo koſtbare Harz wurde bald der Schwarz— pappel (nach dem Chier Seymnus v. 396, p. 367, Xetronne), bald einem Baume aus dem Zedern- oder Fichtengeſchlechte zu— geſchrieben. Die neueſten vortrefflichen Unterſuchungen des Prof. Göppert zu Breslau haben gelehrt, daß die Ahnung des römi— ſchen Sammlers das Richtigere war. Vergl. über den foſſilen Bernſteinbaum (Pinites suceinifer) einer untergangenen Pflanzen: — 285 — welt Kosmos Bd. I, S. 181 und Berendt, organiſche Reſte im Bernſtein Bd. I, Abt. 1, 1845, S. 89. 7 (S. 113.) Die Zerſtörung phöniziſcher Kolonieen durch Nigriten ſcheint auf eine ſehr ſüdliche Lage zu deuten; mehr vielleicht als die Krokodile und Elefanten, welche Hanno nennt, da beide beſtimmt ehemals nördlich von der Wüſte Sahara in Mauruſien und im ganzen weſtlichen Atlaslande gefunden wurden, wie Strabo, Aelian, Plinius und viele Vorfälle der Kriege zwiſchen Rom und Karthago beweiſen. (S. 115.) Ich habe dieſen oft beſtrittenen Gegenſtand wie die Stellen des Diodor und Pſeudo-Ariſtoteles an einem anderen Orte umſtändlich behandelt. Die Kompilation der Mira b. Auscult. ſcheint älter als das Ende des erſten puniſchen Krieges, da ſie Sardinien unter der Botmäßigkeit der Karthager ſchildert. Merkwürdig iſt auch, daß die waldreiche Inſel, deren dieſes Werk erwähnt, als unbewohnt (aljo von Guanſchen unbevölkert) be: ſchrieben wird. Guanſchen (Guanches) bewohnten die ganze Gruppe der Kanariſchen Inſeln; aber in der That nicht die Inſel Madeira, auf welcher weder Johann Gonzalves und Triſtan Vaz 1519, noch der frühere Robert Maſham mit Anna Dorſet (falls ihre Robin— ſonade geſchichtlich ſicher iſt) Einwohner fanden. Heeren bezieht dieſe Beſchreibung des Diodor auf Madeira allein, doch in dem mit puniſchen Schriften ſo vertrauten Feſtus Avienus glaubt er die häufigen vulkaniſchen Erderſchütterungen des Piks von Tenerifa erkennen zu dürfen. Dem geographiſchen Zuſammenhange nach ſcheint mir in der Darſtellung des Avienus eine nördlichere Gegend, vielleicht jelbjt im Kroniſchen Meere, gemeint zu ſein. Der puniſchen Quellen, die Juba benutzte, erwähnt auch Ammianus Marcellinus. Ueber die Wahrſcheinlichkeit des ſemitiſchen Ur— ſprungs der Benennung der Kanariſchen Inſeln (der Hunde— inſeln des lateiniſch etymologiſierenden Plinius!) ſ. Credner, die bibliſche Vorſtellung vom Paradieſe in Illgens Zeitſchrift für die hiſtoriſche Theologie Bd. VI, 1836, S. 166—186. Am gründlichſten und litterariſch vollſtändigſten iſt neuerlichſt alles, was von den älteſten Zeiten bis zum Mittelalter über die Kanariſchen Inſeln geſchrieben worden iſt, zuſammengeſtellt worden in einer Arbeit von Joaquim Joſé da Coſta de Ma— cedo unter dem Titel: Memoria em que se pretende provar que os Arabes näo conheceräo as Canarias antes dos Portuguezes, 1844. Wenn neben den Sagen die Geſchichte ſchweigt, inſofern fie auf ſichere und beſtimmt aus— gedrückte Zeugniſſe gegründet iſt, jo bleiben nur verſchiedene Ab- ſtufungen der Wahrſcheinlichkeit übrig; ein abſolutes Ableugnen alles Thatſächlichen in der Weltgeſchichte, wo die Zeugniſſe un— beſtimmter ſind, ſcheint mir aber keine glückliche Anwendung der philologiſchen und hiſtoriſchen Kritik zu ſein. Die vielen aus dem Altertum überkommenen Angaben und eine genaue Erwähnung — 286 — der räumlichen Verhältniſſe, beſonders der großen Nähe von alten unbeſtreitbaren Anſiedelungen der afrikaniſchen Küſte, laſſen mich glauben an eine Kenntnis der Kanariſchen Inſelgruppe bei den Phöniziern, Karthagern, Griechen und Römern, vielleicht ſelbſt bei den Etruskern. 1 (S. 115.) Vergl. die Berechnungen in meiner Rel. hist. T. I, p. 140 und 287. Der Pik von Tenerifa iſt 29 49° im Bogen von dem nächſten Punkte der afrikaniſchen Küſte entfernt. Bei einer Annahme mittlerer Strahlenbrechung von 0,08 kann der Gipfel des Piks folglich von einer Höhe von 202 Toiſen geſehen werden, alſo von den Montanas negras unfern des Vorgebirges Bojador. In dieſer Rechnung iſt der Pik zu 1904 t (3710 m) über der Meeresfläche angenommen. Neuerlichſt haben ihn trigono— metriſch Kapitän Vidal 1940t (3773 m), die Herren Coupvent und Dumoulin barometriſch 1900 t (3702 m) hoch gefunden. Aber Lancerote mit einem 300 t hohen Vulkan, la Corona und Forta— ventura liegen der Küſte viel näher als Tenerifa, die erſte dieſer Inſeln in 1° 15°, die zweite in 1° 2° Entfernung. 20 (S. 115.) Roß hat der Behauptung nur als einer Sage erwähnt. Sollte die Beobachtung nicht auf einer bloßen Täuſchung beruht haben? Wenn man die Höhe des Aetna über dem Meere zu 1704 Toiſen (Br. 37° 45°, Länge 12° 41’ von Paris), die des Beobachtungsortes auf dem Taygetos am Eliasberge zu 1236 t. (2409 m) (Br. 36° 57°, Länge 20° 1‘) und die Entfernung beider 88 geogr. Meilen (650 km) annimmt, jo ergeben ſich für die Höhe des Punktes, von welchem der Lichtſtrahl über dem Aetna ausging, um auf dem Taygetos geſehen zu werden, volle 7612 Toiſen (14836 m), alſo 4½ mal die Höhe des Aetna. Könnte man dagegen, bemerkt mein Freund, Herr Profeſſor Encke, den Reflex einer zwiſchen dem Aetna und Taygetos ſtehenden reflektierenden Fläche, d. i. den Reflex eines Gewölks annehmen, das 46 Meilen vom Aetna und und 42 Meilen vom Taygetos entfernt wäre, ſo brauchte die Höhe der reflektierenden Fläche über dem Meeresſpiegel nur 286 Toiſen (557 m) zu ſein. 21 (S. 116.) Nach Polybius ſollte man vom Gebirge Aimon den Pontus und das Adriatiſche Meer ſehen können, was ſchon Strabo beſpöttelt. 22 (S. 116.) Ueber die Synonymie von Ophir ſ. mein Examen crit. de l’hist. de la Géogr. T. II, p. 42. Ptolemäus hat ein Sapphara, Metropolis von Arabien, und Supara im Golf von Camboya (Barigazenus sinus, nach He— ſychius), „eine an Gold reiche Gegend“! Supara bedeutet indiſch Schönufer. (S. 116.) Ob Tarſisſchiffe Weltmeerſchiffe find? ob fie, was Michaelis beſtreitet, vom phöniziſchen Tarſus in Cilicien ihren Namen haben? S. Keil ©. 7, 15— 22 und 71-84. 2 (S. 116.) Der gelehrte Quatremère, der Ophir in — — 287 — einer ganz neuerlich erſchienenen Abhandlung M&m. de 1’Acad. des Inscriptions wieder wie Heeren für die öſtliche Küſte von Afrika hält, erklärt das Wort thukkiim (thukkiyym) nicht durch Pfau, ſondern durch Papagei oder Perlhuhn. Ueber Sokotora vergl. Bohlen, das alte Indien T. II, S. 139 mit Benfey, Indien S. 30 —32. Sofala wird von Edriſi und ſpäter nach Gamas Entdeckungsreiſe von den Portugieſen als ein goldreiches Land beſchrieben. Ich habe an einem anderen Orte darauf aufmerkſam gemacht, daß Edriſi in der Mitte des 12. Jahr— hunderts von der Anwendung des Queckſilbers in den Goldwäſchen der Neger dieſer Gegend als einer längſt eingeführten Amal— gamationsmethode ſpricht. Wenn man der häufigen Verwechſelung von r und ! gedenkt, jo findet ſich der Name des oſtafrikaniſchen Sofala vollkommen wieder in der Form Sophara, welche für das Salomoniſch-Hiramiſche Ophir in der Uebertragung der Septua— ginta neben mehreren anderen Formen vorkommt. Auch Ptolemäus kennt, wie wir ſchon oben erwähnt, ein Sapphara in Arabien und ein Supara in Indien. Auf nahe oder gegenüberſtehende Küſten hatte, wie wir noch heute ähnliche Verhältniſſe in dem ſpaniſch und engliſch redenden Amerika wiederfinden, das Mutter— land ſeine eigenen bedeutſamen Sanskritnamen reflektiert. Das Gebiet des Ophirhandels konnte alſo nach meiner Anſicht ebenſo erweitert werden, wie eine phöniziſche Tarteſſusfahrt Cyrene und Karthago, Gadeira und Cerne und eine Kaſſiteridenfahrt zugleich die Artabrer, Britannien und die eimbriſche Oſtküſte berühren konnte. Auffallend iſt es immer, daß Weihrauch, Gewürze, Seide und baumwollene Zeuge nicht unter den Ophirwaren neben Elfen— bein, Affen und Pfauen genannt werden. Die letzten ſind aus— ſchließlich indiſch, wenn ſie auch wegen ihrer allmählichen Verbrei— tung gegen Weſten von den Griechen oft mediſche und perſiſche Vögel genannt worden ſind, ja die Samier ſogar wegen der im Heiligtum der Here von Prieſtern genährten Pfauen ſie für ur— ſprünglich ſamiſch hielten. Aus einer Stelle des Euſtathius über die Heiligkeit der Pfauen in Libyen hat man mit Unrecht ſchließen wollen, daß der ds auch Afrika angehöre. > (S. 116.) S. Kolumbus über Ophir und el Monte Sopora, „den Salomos Flotte erſt in drei Jahren erreichen konnte“. An einem anderen Orte ſagt der große Entdecker, immer in der Hoff— nung Ophir zu erreichen: „Die Herrlichkeit und Macht des Goldes von Ophir iſt unbeſchreiblich. Wer es beſitzt, thut, was er will, in dieſer Welt; ja es glückt ihm ſogar, die Seelen aus dem Fegefeuer in das Paradies zu ziehen (llega à que echa las animas al paraiso).“ 26 (S. 117.) Ctesiae Cnidii Operum reliquiae ed. Felix Baehr 1824, cap. 4 und 12, p. 248, 271 und 300. Aber die aus einheimiſchen Quellen geſammelten und deshalb gar nicht ſo verwerflichen Nachrichten des Arztes am perſiſchen Hofe beziehen ſich auf Gegenden im Norden von Indien, und aus dieſen — 288 — müßte das Gold der Daradas auf vielen Umwegen nach Abhira, nach der Indusmündung und der Malabarküſte gelangt ſein. Sollte die wunderſame Angabe des Kteſias von einer indiſchen Quelle, in deren Grunde man Eiſen und zwar ſehr ſchmiedbares fände, wenn das flüſſige Gold abgelaufen iſt, ſich nicht auf die mißverſtandene Erzählung von einem Hüttenwerke gründen? Man hielt das ge— ſchmolzene Eiſen ſeiner Farbe wegen für Gold, und wenn nun die gelbe Farbe beim Erkalten verſchwunden war, fand man die ſchwarze Eiſenmaſſe darunter. 2 (©. 118.) Wenn man ehemals in Deutichland dem Pater Angelo Cortenovis nachfabelte, daß das von Varro beſchriebene, mit einem ehernen Hut und ehernen herabhängenden Ketten gezierte Grabmal des Helden von Cluſium, Lars Porſena, ein atmoſphäriſcher Elektrizitätsſammler oder ein Blitzableitungapparat (wie nach Michae— lis die metallenen Spitzen auf dem Salomoniſchen Tempel) geweſen ſei, ſo geſchah dies zu einer Zeit, in der man den alten Völkern gern die Reſte einer geoffenbarten, bald aber wieder ver— dunkelten Urphyſik zuſchrieb. Ueber den nicht ſchwer aufzufindenden Verkehr zwiſchen Blitz und leitenden Metallen ſcheint mir noch immer die wichtigſte Notiz die des Kteſias zu ſein. „Er habe,“ heißt es, „zwei eiſerne Schwerter beſeſſen, Geſchenke des Königs (Artaxerxes Mnemon) und deſſen Mutter (Paryſatis), Schwerter, welche, in die Erde gepflanzt, Gewölk, Hagel und Blitzſtrahlen ab— wendeten. Er habe die Wirkung ſelbſt geſehen, da der König zwei— mal vor ſeinen Augen das Experiment gemacht.“ — Die genaue Aufmerkſamkeit der Tusker auf die meteoriſchen Prozeſſe des Luft— kreiſes, auf alles, was von der gewöhnlichen Naturerſcheinung ab— wich, macht es gewiß beklagenswert, daß von den Fulgural— büchern nichts auf uns gekommen iſt. Die Epochen der Erſchei— nung großer Kometen, des Falles von Meteorſteinen und Stern— ſchnuppenſchwärmen waren gewiß darin ebenſo aufgezeichnet, als in den von Eduard Biot benutzten älteren chineſiſchen Annalen. Creuzer hat zu zeigen geſucht, wie die Naturbeſchaffenheit von Etrurien auf die eigentümliche Geiſtesrichtung der Bewohner wirken konnte. Ein Hervorlocken der Blitze, welches dem Prometheus zugeſchrieben wird, erinnert an das ſonderbare vorgebliche Herab— ziehen der Blitze durch die Fulguratoren. Es beſtand aber dieſe Operation in einem bloßen Herabbeſchwören, und mag wohl nicht wirkſamer geweſen ſein, als der abgehäutete Eſelskopf, durch den nach tuskiſchen Religionsgebräuchen man ſich vor einem Ungewitter ſchützen konnte. (S. 118.) Nach der, ſehr verwickelten, etruskiſchen Augural— theorie unterſchied man die ſanft erinnernden Blitze, welche Jupiter aus eigener Machtvollkommenheit ſendet, von den heftigeren elektriſchen Zuchtmitteln, die Jupiter konſtitutionsmäßig nur nach vorhergehender Beratung aller zwölf Götter ſenden durfte. > (S. 119.) Mit der Entzifferung des iberiſchen Alphabets — 289 — hat ſich neuerlichſt Herr de Saucly glücklich beſchäftigt, wie der ſcharfſinnige Entdecker der Keilſchrift Grotefend mit den Phrygiern und Sir Charles Fellows mit den Lykiern. % (S. 120.) In der Mythe des Abaris fährt der Wunder: mann nicht auf einem Pfeile durch die Luft, ſondern er trägt den Pfeil, „den ihm Pythagoras gab, damit er ihm nützlich werde in allen Hinderniſſen auf einer langen Irrfahrt“. Ueber den mehr— mals verſchwundenen und wieder erſchienenen Arimaſpenſänger Ariſteas von Proconneſus ſ. Herodot VI, 13—15. (S. 121.) Wahrſcheinlich das Thal des Don oder des Kuban. — Pherecydes ſagt ausdrücklich, der Kaukaſus habe ge: brannt und Typhon jet deshalb nach Italien geflüchtet, eine Notiz, aus welcher Klauſen das ideale Verhältnis des Feuer— zün ders (ropzasös) Prometheus zum Brandberge erklärt. Wenn auch die, neuerlichſt von Abich ſo gründlich erſpähte, geo— gnoſtiſche Beſchaffenheit des Kaukaſus und ſein Zuſammenhang mit dem vulkaniſchen inneraſiatiſchen Thian-ſchan (Himmelsgebirge), den ich an einem anderen Orte glaube nachgewieſen zu haben, es keinesweges unwahrſcheinlich machen, daß ſich in den älteſten Sagen des Menſchengeſchlechts Erinnerungen an große vulkaniſche Erſchei— nungen hätten erhalten können, ſo iſt doch wohl eher anzunehmen, daß etymologiſche Wagniſſe die Griechen auf die Hypotheſe des Brennens geleitet haben. Ueber die Sanskrit-Etymologieen von Graucaſus (Glanzberg?) ſ. Bohlens und Burnoufs Aeußerungen in meiner Asie centrale T. I, p. 109. 32 (S. 121.) Homer kannte nicht den Phaſis, nicht Kolchis, nicht die Herkulesſäulen, aber der Phaſis wird ſchon von Heſiodus genannt. Die mythiſchen Sagen über die Rückkehr der Argonauten durch den Phaſis in den öſtlichen Ozean und den durch die vor— gebliche Bifurkation des Iſter oder durch den gedoppelten, von vulkaniſchen Erderſchütterungen gebildeten Tritonſee, ſind von be— ſonderer Wichtigkeit für die Kenntnis der früheſten Anſichten über die Geſtaltung der Kontinente. Geographiſche Phantaſieen von Peiſandros, Timagetus und dem Rhodier Apollonius haben ſich übrigens bis in das ſpäte Mittelalter fortgepflanzt; ſie ſind bald verwirrende, abſchreckende Hinderniſſe, bald Anreizung zu wirklichen Entdeckungen geworden. Dieſe Rückwirkung des Altertums auf die jpäteren Zeiten, in denen man ſich mehr von Meinungen als von wirklichen Beobachtungen leiten ließ, wurde leider bisher in der Geſchichte der Geographie nicht hinlänglich beachtet. Es iſt der Zweck der Anmerkungen zum Kosmos, nicht etwa bloß bibliographiſche Quellen aus verſchiedenen Litteraturen zur Erläute— rung deſſen darzubieten, was im Text behauptet wird; ich habe in dieſen Anmerkungen, die eine freiere Bewegung geſtatten, auch einen reichhaltigen Stoff des Nachdenkens niederlegen wollen, ſo wie ich ihn aus der Erfahrung und aus langen litterariſchen Studien habe ſchöpfen können. A. v. Humboldt, Kosmos. II. 19 EB (S. 122.) Die alten Kolcher ſcheinen identiſch geweſen zu ſein mit dem Stamme der Lazen (Lazi, gentes Colchorum, die Arcor der byzantinischen Schriftiteller). Im Kaukaſus erklingen noch die Namen: Alanen (Alanethi für das Alanenland), Oſſi und Ab. Nach den mit philoſophiſchem Sprachſinn in den Thälern des Kaukaſus begonnenen Arbeiten von Georg Roſen enthält die Sprache der Lazen Reſte des alten kolchiſchen Idioms. Der iberiſche und gruſiſche Sprachſtamm begreift: Laziſch, Georgiſch, Suaniſch und Mingreliſch: alle zur Familie der indogermaniſchen Sprachen gehörig. Die der Oſſeten ſteht dem Gotiſchen näher als das Li— tauiſche. (S. 122.) Ueber die Verwandtſchaft der Skythen (Skoloten oder Sacae), Alanen, Goten, Maſſa-Geten und Mueti der chineſi— ſchen Geſchichtſchreiber ſ. Klaproth in dem Kommentar zu dem Voyage du Comte Potocki T. I, p. 129, wie auch meine Asie centrale T. I. p. 400, T. II, p. 252. Procopius ſagt ſelbſt ganz beſtimmt, daß die Goten ehemals Skythen genannt wurden. Die Identität der Geten und Goten hat Jakob Grimm in feiner neueſten Abhandlung über Jornandes, 1846, S. 21 er: wieſen. Die Behauptung Niebuhrs, daß die Skythen Herodots zur Familie der mongoliſchen Völkerſchaften gehören, hat um ſo weniger Wahrſcheinlichkeit, als dieſe Völkerſchaften unter dem Joche teils der Chineſen, teils der Hakas oder Kirgiſen (Xe sis des Menander) im Anfang des 13. Jahrhunderts noch weit im Oſten von Aſien um den Baikalſee wohnten. Herodot unterſcheidet dazu die kahl— köpfigen Argippäer von den Skythen; und ſind die erſteren „platt— naſig“, ſo haben ſie dabei auch ein „langes Kinn“, was nach meiner eigenen Erfahrung keineswegs ein phyſiognomiſches Kenn— zeichen der Kalmücken und anderer mongoliſcher Stämme iſt; eher wohl ein Kennzeichen der blonden (germaniſierenden?) Uſün und Tingling, welchen die chineſiſchen Geſchichtſchreiber „lange Pferde— geſichter“ zuteilen. (S. 122.) „Les Hyperboréens sont un mythe meteoro- logique. Le vent des montagnes (B’Oreas) sort des Monts Rhipeens. Au-delà de ces monts doit regner un air calme, un climat heureux, comme sur les sommets alpins, dans la partie qui depasse les nuages. Ce sont là les premiers aper- eus d'une physique qui explique la distribution de la chaleur et la difference des climats par des causes locales, par la direction des vents qui dominent, par la proximite du soleil, par l'action d'un principe humide ou salin. La consequence de ces idées systematiques était une certaine independance qu'on supposait entre les climats et la latitude des lieux; aussi le mythe des Hyperboreens, lie par son origine au culte dorien et primitivement boreal d’Apollon, a pu se deplacer du nord vers l’ouest, en suivant Hercule dans ses courses aux sources de l’Ister, à l’ile d’Erythia et aux Jardins des Hespe- ER rides. Les hes ou Monts Rhipeens sont aussi un nom signi- ficatif metdorologique. Ce sont les montagnes de l’impulsion ou du souffle glace (irn), celles d’oü se dechainent les tem- p&tes boréales.“ Asie centr. T. I, pag. 392 und 403. 6 (S. 122.) Im Hindoſtani bezeichnet (wie ſchon Wilford bemerkt) von zwei Wörtern, die verwechſelt werden könnten, das eine, tschiünfä, eine große ſchwarze Ameiſenart (woher das Dimi— nutiv tschiünti, tschinti: die kleine, gewöhnliche Ameiſe), das andere, tschitä, ein geflecktes Panthertier, den kleinen Jagdleoparden (Felis jubata, Schreb.). Das letzte Wort iſt das Sanskritwort tschitra, buntfarbig, gefleckt, wie der bengaliſche Name für das Tier (tschitäbägh und tschitibägh, von bäsh, ſanskr. wyäghra, Tiger) beweiſt. (Buſchmann.) — Im Mahabharata iſt neuerlichſt eine Stelle aufgefunden worden, in der von dem Ameiſengolde die Rede iſt. „Wilso invenit mentionem fieri etiam in Indieis litteris bestiarum aurum effodientium, quas, quum terram effo- diant, eodem nomine (pipilica) atque formicas Indi nuncu: pant.“ Auffallend iſt es mir geweſen, zu ſehen, daß in baſalt— reichen Gegenden des merikaniſchen Hochlandes die Ameiſen glänzende Körner von Hyalt zuſammentragen, die ich mir aus Ameiſenhaufen ſammeln konnte. (S. 125.) Die Fahrt des Coläus von Samos fällt nach Otfr. Müller in Ol. 31, nach Letronnes Unterſuchung in Ol. 35, 1 oder in das Jahr 640. Die Epoche iſt von der Gründung von Cyrene, welche Otfr. Müller zwiſchen Ol. 35 und 37 ſetzt, ab— hängig: weil man zur Zeit des Coläus von Thera noch nicht den Weg nach Libyen kannte. — Zumpt ſetzt die Gründung von Kar— thago 878, die von Gades 1100 v. Chr. (S. 125.) Nach Art der Alten rechne ich den ganzen Bon: tus ſamt der Mäotis, wie geognoſtiſche und phyſikaliſche Anſichten es erheiſchen, zu dem gemeinſamen Becken des großen Inneren Meeres. 39 (S. 125.) Herod. I, 163, wo den Phokſern ſogar die Entdeckung von Tarteſſus zugeſchrieben wird; aber die Handels— unternehmung der Phokäer war nach Ukert 70 Jahre ſpäter als Coläus von Samos. 1 (S. 125.) Nach einem Fragmente des Phavorinus ſind die Wörter Guss (und alfo auch &yry) keineswegs griechiſch, ſondern von den Barbaren entlehnt. Mein Bruder glaubte, daß ſie mit den Sanskritwurzeln ogha und ogh zuſammenhängen. 126) Seneca wagt zu jagen (Nat. Quaest. in praefat. 11): „contemnet curiosus spectator domicilii (terrae) angustias. Quantum enim est quod ab ultimis littoribus Hispaniae usque ad Indos jacet? Paneissimorum dierum spa- tium, si navem suus ventus implevit.“ - 42 (S. 126.) Im Diaphragma der (Erdſcheidungslinie) des Dicäarchus läuft die Hebung durch den Taurus, die Ketten des Nee Demavend und Hindu-Khu, den nordtibetiihen Kuen-lün und das mit ewigem Schnee bedeckte Wolkengebirge der r Provinzen Sſe⸗tſchuan und Kuang—⸗ſi. (S. 130.) Megaſthenes beſuchte oft Palibothra, den Hof des Königs von Magadha. Er war tief in die Chronologie der Inder eingeweiht und berichtet, „wie in der verfloſſenen Vor— zeit das All dreimal zur Freiheit gekommen ſei, wie drei Welt— alter abgelaufen und zu ſeiner Zeit das vierte begonnen war.“ Die Heſiodiſche Lehre von vier Weltaltern, an vier elementariſche Weltzerſtörungen geknüpft, die zuſammen eine Zeit von 18028 Jahren ausfüllen, findet ſich auch bei den Mexikanern. — Einen denkwürdigen Beweis für die Genauigkeit des Megaſthenes hat in neuerer Zeit das Studium des Rigveda und des Mahabharata ver— ſchafft. Man vergleiche, was Megaſthenes „über das Land der langlebenden Seligen im höchſten Norden von Indien, über das Land Uttara-Kuru (wahrſcheinlich nördlich von Kaſchmir gegen den Belurtagh hin) berichtet, das er nach ſeinen griechiſchen An— ſichten an das tauſendjährige Leben der Hyperboreer anſchließt“. Damit hängt eine Sage in dem nur zu lange verſchmähten Kte— ſias von einem heiligen Orte in der nördlichen Wüſte zuſammen. Den Martichoras, welchen Ariſtoteles nennt, die Greifen, welche halb Adler, halb Löwen ſind, das von Aelian erwähnte Kartazonon, einen einhörnigen wilden Eſel, hat Kteſias als wirk— liche Tiere aufgeführt, nicht als eigene Erdichtung, ſondern weil er, wie ſchon Heeren und Cuvier bemerkt haben, an perſiſchen Monumenten abgebildete ſymboliſierte Tiergeſtalten für Nachah— mung noch im fernen Indien lebender Untiere hielt. Die genaue Identifizierung des Martichoras mit perſepolitaniſchen Symbolen hat aber nach des ſcharfſinnigen Guigniaut Bemerkung viele Schwierigkeit. (S. 130.) Ich habe dieſe verwickelten orographiſchen Ver- hältniſſe erläutert in meiner Asse centrale T. II, p. 429 bis 434. 4 (S. 131.) Das Land zwiſchen Bamian und Ghori. Ich ſchreibe Paropaniſus, wie alle guten Codices des Ptolemäus haben und nicht Paropamiſus. 6 (S. 131.) Tala, als Name der Palme Borassus flabelli- formis (ſehr charakteriſtiſch von Amaraſinha ein König der Gräſer genannt), bei Arrian, Ind. VII, 3. 7 (S. 131.) Das Wort tabaschir wird auf das ſanskritiſche tvakkschirä (Rindenmilch) zurückgeführt. Ich habe ſchon 1817 in den geſchichtlichen Beilagen zu meinem Werke De distributione geographica Plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium p. 215 darauf aufmerkſam gemacht, daß neben dem Tabſchir der Bambuſa die Begleiter Alexanders auch den wahren Rohrzucker der Inder hatten kennen gelernt. Moſes von Chorene, welcher in der Mitte des 5. Jahrhunderts lebte, . u er a ne hat zuerſt die Bereitung des Zuckers aus dem Safte des Saccharum officinarum in der Provinz Choraſſan umſtändlich beſchrieben. (S. 131.) Die Stelle in Ariſtot. hist. de Animal. V. 17 von dem Geſpinſte einer großen gehörnten Raupe bezieht ſich auf die Inſel Cos. (S. 131.) So karros ypwparvos im Peripl. maris Erythr. p. 5. (S. 132.) Ich habe ſeit dem Jahre 1827 oft mit Laſſen über die merkwürdige Stelle des Plinius XII, 6 korreſpondiert: „Major alia (arbor) pomo et suavitate praecellentior, quo on pientes Indorum vivunt. Folium alas avium imitatur, longi- tudine trium cubitorum, latitudine duüm. Fructum eortice mittit, admirabilem succi dulcedine ut uno quaternos satiet. Arbori nomen palae, vomo arienae.“ Folgendes iſt das Reſultat der Unterſuchung meines gelehrten Freundes: „Amaraſinha ſtellt die Muſa (Banane, Piſang) an die Spitze aller nahrhaften Pflanzen. Unter den vielen Sanskritnamen, die er anführt, finden ſich: va— ranabuscha, bhanuphala (Sonnenfrucht) und moko, woraus das arabiſche mauza. Phala (pala) heißt Frucht im allgemeinen und iſt alſo nur aus Mißverſtändnis für den Namen der Pflanze ge⸗ halten worden. Varana kommt ohne buscha nicht im Sanskrit als Name der Muſa vor, die Abkürzung mag aber der Volksſprache angehört haben; varana wäre griechiſch 99, was gewiß von ariena nicht ſehr entfernt iſt.“ Den chemiſchen Zuſammenhang des nahrhaften Amylum mit dem Zuckerſtoff haben Proſper Al: pinus und Abd-Allatif gleichſam geahnet, indem fie die Entſtehung der Muſa aus der Inſertion des Zuckerrohrs oder der ſüßen Dattel— frucht in die Wurzel der Kolocaſia zu erklären ſuchten. (S. 132.) Civier hat, als er das Leben des Ariſtoteles bearbeitete, an dieſe Begleitung nach Aegypten geglaubt, von woher der Stagirite alle Materialien zu der Historia Animalium nach Athen erſt Ol. 112, 2 ſollte zurückgebracht haben. Später (1830) hat der große Naturforſcher dieſe Meinung aufgegeben, weil er nach näherer Unterſuchung bemerkte, „daß die Beſchreibungen der ägyptiſchen Tiere nicht nach dem Leben, ſondern nach Notizen des Herodot entworfen wären“. 2 (S. 132.) Zu dieſen inneren Kennzeichen gehören: die Angabe von der vollkommenen Abgeſchloſſenheit (Iſoliertheit) des Kaſpiſchen Meeres, die von dem großen unter dem Archonten Niko— machus erſchienenen Kometen, Ol. 109, 4 nach Corſini, der nicht mit dem, welchen Herr von Boguslawsky neuerlichſt den Kometen des Ariſtoteles (unter dem Archonten Aſteus, Ol. 101, 4; iden— tiſch mit dem Kometen von 1695 und 1843?) genannt hat, zu verwechſeln iſt, die Erwähnung der Zerſtörung des Tempels zu Epheſus, wie die eines in 50 Jahren zweimal geſehenen Mond— regenbogens. Daß die Tiergeſchichte ſpäter geſchrieben als die Meteorologiea, erkennt man auch daraus, daß in dieſen bereits Zum auf jene als auf einen Gegenſtand hingedeutet wird, der bald folgen joll. (S. 1333.) Die im Texte genannten fünf Tiere, und unter ihnen vorzüglich den Hippelaphus (Pferdhirſch mit langer Mähne), das Hip— pardion, das baktriſche Kamel und den Büffel, führt Cuvier als Be— weiſe der ſpäteren Abfaſſung der Historia Animalium des Ariſtoteles an. Cuvier unterſcheidet in dem vierten Bande ſeiner vortrefflichen Recherches sur les Össemens fossiles 1823, P. 40—43 und p. 502 zwiſchen zwei gemähnten Hirſchen Aſiens, die er Cervus hippelaphus und Cervus Aristotelis nennt. Anfangs hielt er den erſteren, von welchem er ein lebendiges Exemplar in London ge— ſehen und von welchem Diard ihm Felle und Geweihe aus Su— matra geſchickt hatte, für den hippelaphos des Ariſtoteles aus Arachoſien; ſpäter ſchien ihm ein von Duvancel aus Bengalen ge— ſandter Hirſchkopf, der Zeichnung des ganzen großen Tieres nach, noch mehr mit der Beſchreibung des Stagiriten vom Hippelaphus übereinzuſtimmen. Letzterer, einheimiſch in dem bengaliſchen Ge— birge Sylhet, in Nepal und öſtlich vom Indus, erhielt nun den Namen Cervus Aristotelis. Wenn in demſelben Kapitel, in welchem Ariſtoteles von gemähnten Tieren im allgemeinen redet, neben dem Pferdhirſch (Equicervus) auch der indische Guepard oder Jagdtiger (Felis jubata) bezeichnet ſein ſoll, ſo iſt, wie Schneider will, die Lesart napßıov der dd Inragoınv vorzuziehen. Die letztere Lesart würde am beſten, wie auch Pallas meint, auf die Giraffe zu deuten ſein. — Hätte Ariſtoteles den Guepard ſelbſt geſehen und nicht bloß beſchreiben hören, wie würde er die nicht retraktilen Klauen in einem katzenartigen Tiere unerwähnt gelaſſen haben! Ebenſo iſt es auffallend, daß der immer ſo genaue Ariſtoteles, wenn er wirklich (wie Auguſt Wilhelm von Schlegel behauptet) „nahe bei ſeiner Wohnung zu Athen eine Menagerie gehabt und einen von den bei Arbela erbeuteten Elefanten ſelbſt zergliedert“ hätte, die kleine Oeffnung neben den Schläfen, in welcher beſonders zur Brunſtzeit des Elefanten eine ſtarkriechende Flüſſigkeit abge— ſondert wird und auf welche die indiſchen Dichter ſo oft anſpielen, nicht beſchrieben habe. Ich erinnere an dieſen kleinlich ſcheinenden Umſtand hier beſonders deshalb, weil uns die eben genannte Drüſen— öffnung zunächſt aus Berichten des Megaſthenes bekannt war, und doch gewiß niemand darum dieſem eine anatomiſche Kenntnis zu— ſchreiben wird. Ich finde in den verſchiedenen zoologiſchen Werken des Ariſtoteles, welche auf uns gekommen ſind, nichts, was auf Selbſtbeobachtung an Elefanten oder gar auf Zergliederung der— ſelben zu ſchließen nötigte. Indes iſt die Möglichkeit, daß die Historia Animalium, wenn ſie auch am wahrſcheinlichſten ſchon vor dem kleinaſiatiſchen Feldzuge Alexanders vollendet war, doch, wie Stahr will, bis zu dem Lebensende des Verfaſſers (Ol. 114, , alſo drei Jahre nach dem Tode des großen Eroberers) durch Zuſätze habe vervollſtändigt werden können, keineswegs zu leugnen; es fehlt aber an direkten Zeugniſſen dafür. Alles, was wir von dem Briefwechſel des Ariſtoteles beſitzen, iſt unecht; und Schneider jagt mit großer Zuverſicht: „hoc enim tanquam certissimum sumere mihi licebit, scriptas comitum Alexandri notitias post mortem demum regis fuisse vulgatas.“ S. 133.) Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, daß, wenn auch die Zerlegung des geſchwefelten Queckſilbers durch Deſtil— lation ſchon im Diskorides beſchrieben iſt, doch die erſte Be— ſchreibung der Deſtillation einer Flüſſigkeit (bei künſtlicher Verſüßung des Seewaſſers) ſich in dem Kommentar des Alexander von Aphrodiſias zu dem Buche De Meteorol. des Ariſtoteles findet. Alexander aus Aphrodiſias in Karien, der gelehrte Kom— mentator der Meteorologica des Ariſtoteles, lebte unter Septimius Severus und Caracalla, und wenn bei ihm auch che— miſche Apparate yvıra Spyavo heißen, jo beweiſt doch wohl eine Stelle des Plutarch, daß das Wort Chemie, von den Griechen auf die ägyptiſche Kunſt angewandt, nicht von 58% abzuleiten iſt. (S. 133.) Wenn demnach die Sendungen aus Aegypten und Inneraſien ſehr unwahrſcheinlich ſind, ſo bezeugen dagegen die neueſten Arbeiten unſeres großen Anatomen Johannes Müller, mit welcher wundervollen Feinheit Ariſtoteles Fiſche der griechiſchen Meere zergliederte. S über die Adhärenz des Cies mit dem Uterus in einer der beiden im Mittelmeer lebenden Arten der Gattung Mustelus, die im Fötuszuſtande eine Placenta des Dotterſacks be— ſitzt, welche mit der Uterinplacenta der Mutter zuſammenhängt, die gelehrte Abhandlung von Johannes Müller und ſeine Unter— ſuchungen über den 7% 0s 7819 des Ariſtoteles in den Abhandl. der Berliner Akademie aus dem Jahr 1840, S. 192— 197. Ebenſo zeugen für die feinſten anatomiſchen Selbſtarbeiten des Stagiriten die Unterſcheidung und ausführliche Zergliederung der Tintenfiſcharten, die Beſchreibung der Zähne in den Schnecken und der Organe anderer Gaſteropoden. Auf die Geſtalt der Schnecken— zähne habe ich ſelbſt ſchon 1797 die neueren Naturforſcher auf— merkſam gemacht. (S. 134.) Valer Maxim. VII, 2: „ut cum Rege aut rarissime aut quam jucundissime loqueretur.“ * (S. 135.) So Theodectes von Phaſelis. Alles Nördliche wurde mehr dem Weſten, alles Südliche dem Oſten zugeſchrieben. Das Unbeſtimmte des Wortes Indien, ſchon damals an Ideen der Lage, der Menſchenfärbung und koſtbarer Erzeugniſſe geknüpft, trug zur Verbreitung ſolcher meteorologiſchen Hypotheſen bei; denn Indien hießen gleichzeitig Weſtarabien, das Land zwiſchen Ceylon und dem Ausfluß des Indus, das troglodytiſche Aethiopien, und das afrikaniſche Myrrhen- und Zimtland ſüdlich vom Vor— gebirge der Arome. a (S. 135.) Die geographiſche Verbreitung der Menſchen— raſſen kann ſo wenig als die der Pflanzen und Tiere in ganzen — 296 — Kontinenten nach Breitengraden beſtimmt werden. Das Axiom, welches Ptolemäus aufſtellt: daß es nördlich vom Parallel von Agiſymba keine Elefanten, kein Rhinoceros und keine Neger gebe, iſt völlig unbegründet. Die Lehre von dem allgemeinen Einfluß des Bodens und der Klimate auf die intellektuellen Anlagen und die Geſittung der Menſchheit blieb der alexandriniſchen Schule des Ammonius Saccas eigentümlich, beſonders dem Longinus. „(S. 135.) Unterſuchungen über die Sprache im allgemeinen, inſofern ſie die Grundverhältniſſe des Gedankens berührt, finden ſich aber ſchon bei Ariſtoteles, da, wo er den Zuſammenhang der Kategorieen mit grammatiſchen Verhältniſſen entwickelt. „ (S. 136.) Die Schulen der Orchener und Borſipener, Strabo lib. XVI, p. 739. In dieſer Stelle werden in Verbin— dung mit den chaldäiſchen Aſtronomen vier chaldäiſche Mathe— matiker namentlich aufgeführt; dieſer Umſtand iſt hiſtoriſch um ſo wichtiger, da Ptolemäus, als wären die Beobachtungen in Ba— bylon immer nur kollegialiſch angeſtellt worden, die Stern— beobachter ſtets durch den Geſamtnamen Xurdaisr bezeichnet. (S. 136.) Wenn man den Zweifel gegen den Glauben an die von Kalliſthenes aus Babylon nach Griechenland geſandten aſtro— nomiſchen Beobachtungen darauf gründet, „daß keine Spur von dieſen Beobachtungen der chaldäiſchen Prieſterkaſte ſich in den Schriften des Ariſtoteles finde“, ſo vergißt man, daß Ariſtoteles gerade da, wo er von einer von ihm ſelbſt beobachteten Bedeckung des Mars vom Monde ſpricht, ausdrücklich hinzufügt: „Eben der— gleichen vieljährige an den übrigen Planeten gemachte Beobach— tungen haben die Aegypter und die Babylonier angeſtellt, von denen viele zu unſerer Kunde gelangt ſind.“ 2 (S. 137.) Dieſe Unterſuchungen find vom Jahre 1824. 63 (S. 137.) Die herrlichen Waldungen von Cedrus deod- vara, am häufigſten zwiſchen 8000 und 11000 Fuß (2600-3570 m), am oberen Hydaspes (Behut), der den Wularſee in dem Alpen— thale von Kaſchmir durchſtrömt, haben das Material zu Nearchs Flotte hergegeben. Der Stamm dieſer Zeder hat nach der Beob— achtung des leider der Wiſſenſchaft (durch den Tod auf einem Schlachtfelde) entriſſenen Dr. Hofſmeiſter, des Begleiters des Prinzen Waldemar von Preußen, oft bis 40 Fuß (13 m) Umfang. 61 (S. 137.) Zwiſchen der Sarasvati, im Nordweſten von Delhi, und der felſenreichen Driſchadvati liegt nach Manus Geſetzbuch Brahmavarta, ein von den Göttern ſelbſt prieſter— lich eingerichteter Bezirk des Brahma; dagegen iſt im weiteren Sinne des Wortes Aryavarta (das Land der Würdigen, Arier) in der alten indiſchen Geographie das ganze Gebiet öſt— lich vom Indus zwiſchen dem Himalaya und der Vindhyakette, von welcher an ſüdbich die alte nichtariſche Urbevölkerung begann. Madhya-Deſa, das Land der Mitte, deſſen ich oben (Kosmos Bd. 1, S. 11) erwähnte. war nur ein Teil von Aryavarta. Die — 297 — antiken indiſchen Freiſtaaten, die Gebiete der Königs— loſen (von den orthodoxen öſtlichen Dichtern verdammt), lagen zwiſchen dem Hydraotes und Hyphaſis, d. i. zwiſchen dem jetzigen Ravi und dem Beas. 65 (S. 141.) „Verſtümmelt aus Tämbapanni. Dieſe Paliform lautet im Sanskrit Tämraparni; die griechiſche Form Taprobane gibt halb die ſanskritiſche (Tambra, Tapro), halb die Paliform wieder.“ Auch die Lakediven (lakke ſtatt lakscha und dive ſtatt dwipa, einhundertauſend Inſeln) waren wie die Malediven (Ma: layadiba, d. i. Inſeln von Malabar) den alexandriniſchen See— leuten bekannt. 66 (S. 141.) Hippalus ſoll erſt unter Claudius gelebt haben, aber die Angabe iſt unwahrſcheinlich; wenn auch unter den erſten Lagiden ein großer Teil der indiſchen Erzeugniſſe nur auf arabi— ſchen Märkten gekauft wurden. Uebrigens wurde der Südweſt— Monſun ſelbſt Hippalus genannt, wie auch ein Teil des Erythräi— ſchen oder Indiſchen Ozeans das Meer des Hippalus hieß. 67 (S. 142.) Siehe die Unterſuchungen von Letronne über den Kanalbau zwiſchen dem Nil und dem Roten Meere von Neku bis zum Kalifen Osmar, durch einen Zeitraum von mehr als 1300 Jahren, in der Revue des deux Mondes T. XXVII, 1841, p. 215— 235. 65 (S. 142.) Meteorologiſche Spekulationen über die fernen Urſachen des Anſchwellens des Nils veranlaßten einen Teil dieſer Reiſen, weil Philadelphus, wie Strabo ſich ausdrückt, „wegen Wißbegier und Körperſchwäche immer neue Zerſtreuungen und Er— götzlichkeiten ſuchte“. 9 (S. 142.) Zwei Jägerinſchriften, „von denen die eine vorzugsweiſe an die Elefantenjagden des Ptolemäus Philadelphus erinnert“, hat Lepſius auf ſeiner ägyptiſchen Reiſe an den Koloſſen von Abuſimbel (Ibſambul) gefunden und kopiert. Wenngleich indiſches Elfenbein nach dem Periplus maris Erythraei ein Ausfuhrartikel von Barygaza war, ſo wurde doch nach dem Berichte des Kosmas Elfenbein auch aus Aethiopien nach der weſtlichen Halbinſel von Indien exportiert. Die Elefanten haben ſich ſeit dem Altertume, auch im öſtlichen Afrika, mehr nach Süden zurück— gezogen. Nach dem Zeugniſſe des Polybius trieb da, wo in der Schlacht afrikaniſche und indiſche Elefanten einander gegenüber— ſtanden, der Anblick, der Geruch und das Geſchrei der größeren und ſtärkeren indiſchen Elefanten die afrikaniſchen in die Flucht. Der letzteren ſind wohl nie als Kriegselefanten ſo viele aufgeſtellt worden als in den aſiatiſchen Feldzugen, wo Kandragupta 9000, der mächtige König der Praſier 6000, ja ſelbſt Akbar noch ebenſo viele verſammelt hielten. % (S. 143.) Die Bibliothek im Bruchium war die ältere, welche bei dem Brande der Flotte unter Julius Cäſar zer— ſtört wurde. Die Bibliothek in Rhakotis machte einen Teil — 298 — des Serapeums aus, wo ſie mit dem Muſeum verbunden war. Die Bücherſammlung von Pergamus wurde durch die Freigebigkeit des Antonius der Bibliothek in Rhakotis einverleibt. (S. 143) Daß das Inſtitut von Alexandria, wie alle aka— demiſchen Korporationen, neben dem Vortrefflichen, was aus dem Zuſammenwirken der Kräfte und der Anſchaffung materieller Hilfs— mittel entſteht, auch einſchränkend und beherrſchend wirkte, wurde ſchon im Altertume mannigfaltig bezeugt. Ehe noch die einſt jo glänzende Stadt der traurige Sitz chriſtlich-theologiſcher Streitig— keiten wurde, beſtellte Hadrian ſeinen Lehrer Veſtinus zum Hohen— prieſter von Alexandria (zu einer Art von Kultusminiſter) und zugleich zum Vorſteher des Muſeums (zum Präſidenten der Aka— demie). (S. 144.) Fries, Geſchichte der Philoſophie Bd. II, S. 5 und deſſen Lehrbuch der Naturlehre T. J, S. 42. Vergl. auch die Betrachtungen über den Einfluß, welchen Plato auf die Begründung der Erfahrungswiſſenſchaften durch Anwendung der Mathematik ausgeübt hat, in Brandis, Geſchichte der griechiſch— römiſchen Philoſophie T. Il, Abt. 1 S. 216 „(S. 145.) Ueber die Richtigkeit der großartigen orogra— phiſchen Anſichten des Eratoſthenes ſ. meine As je centrale 1. I, p. 104-150, 198, 208 — 227, 413—415; T. II, p. 367 und 414-435, und Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 152—154. Ich habe die Gradmeſſung des Eratoſthenes mit Vorſicht die erſte helleniſche genannt, da eine uralte chal— däiſche Beſtimmung der Größe des Grades nach Kamelſchritten nicht zunwahrſcheinlich iſt. 7 8. 145.) Mir ſcheint die letztere Benennung die richtigere, da Strabo einen „Seleucus von Seleucia unter mehreren ſehr ehrenwerten Männern als einen ſternkundigen Chaldäer“ auf— führt. Hier iſt wahrſcheinlich Seleucia am Tigris gemeint, eine blühende Handelsſtadt. Sonderbar iſt es freilich, daß derſelbe Strabo einen Seleucus als genauen Beobachter der Ebbe und Flut ebenfalls einen Babylonier (lib. I. p. 6) und ſpäter wieder (lib. III, p. 174), vielleicht aus Nachläſſigkeit, einen Erythräer nennt. (S. 145.) Böckh hat unterſucht, ob die Pythagoräer ſchon früh aus ägyptiſchen Quellen die Präceſſion unter der Benennung Bewegung des Fixſternhimmels gekannt haben. Letronne und Ideler vindizieren aber dieſe Entdeckung ausſchließlich dem Hipparch. (S. 146.) Der von le Verrier entdeckte Planet. (S. 148.) Der Flächeninhalt des römiſchen Reiches unter Auguſt iſt nach der Umgrenzung, welche Heeren in ſeiner Ge— ſchichte der Staaten des Altertums S. 403 —470 annimmt, von Profeſſor Berghaus, dem Verfaſſer des vortrefflichen phyſi— kaliſchen Atlaſſes, zu etwas mehr als 100 000 geographiſchen Quadratmeilen berechnet worden: ungefähr ½ mehr als die Zahl (1600000 square miles), die Gibbon in der History of the u 14 the a: u DE — 299 — decline of the Roman Empire Vol. I, chapt. 1, p. 39, aber freilich ſelbſt als überaus zweifelhaft, angibt. (S. 149.) Act. II. v. 371: in der viel berufenen Weis: ſagung, welche ſchon ſeit Kolumbus dem Sohne auf die Entdeckung von Amerika gedeutet wurde. (S. 150.) Liber Ptholemei de opticis sive aspec: tibus, das ſeltene Manuffript der königlichen Pariſer Bibliothek Nr. 7310, welches ich bei Gelegenheit der Auffindung einer denk würdigen Stelle über die Strahlenbrechung im Sextus Empiri— cus unterſucht habe. Die Auszüge, die ich aus dem Pariſer Manuffripte 1811, alſo vor Delambre und Venturi, gegeben, ſtehen in der Einleitung meines Recueil d' Observations astro nomiques Vol. I, p. LXV—LXX. Das griechiſche Original iſt uns nicht erhalten, ſondern nur eine lateiniſche Ueberſetzung zweier arabiſcher Manuſkripte der Optik des Ptolemäus. Der la— teiniſche Ueberſetzer nennt ſich Amiracus Eugenius, Siculus. (S. 150.) Letronne beweiſt aus der Begebenheit des fanatiſch-chriſtlichen Mordes der Tochter des Theon von Alexandrien, daß das jo viel beſtrittene Zeitalter des Diophantus doch nicht nach dem Jahre 389 fallen kann. (S. 151.) Dieſe Wohlthat der Geſittung der Anregung zu menſchlichen Gefühlen durch Verbreitung einer Sprache iſt in dem Lobe Italiens von Plinius ſchön bezeichnet: „Omnium terra- rum alumna eadem et parens, numine Deüm electa, quae sparsa congregaret imperia ritusque molliret, et tot populorum discordes ferasque linguas sermonis commercio contraheret, eolloquia, et Ahumanitatem homini daret, breviterque una eunctarum gentium in toto orbe patria fieret.“ (S. 153.) Zu dieſer blonden, blauäugigen indogermani— ſchen, gotiſchen oder ariſchen Raſſe des öſtlichen Aſiens gehören die Uſün, Tingling, Hutis und großen Yueten. Die letzten werden von den chineſiſchen Schriftſtellern ein tibetiſcher Nomadenſtamm genannt, der ſchon 300 Jahre vor unſerer Zeitrechnung zwiſchen dem oberen Lauf des Hoangho und dem Schneegebirge Nanſchan eingewandert war. Ich erinnere hier an dieſe Abkunft, da die Serer ebenfalls rutilis comis et caeruleis oculis beſchrieben werden. Die Kenntnis dieſer blonden Raſſen, welche in dem öſtlichſten Teil von Aſien auftreten und den erſten Anſtoß zur ſogenannten großen Völkerwanderung gaben, haben wir den Nachforſchungen von Abel Rémuſat und Klaproth zu verdanken; fie gehören zu den glänzenden geſchichtlichen Entdeckungen unſeres Zeitalters. (S. 153.) Der gründliche Colebrooke ſetzt Warahamihira in das 5, Brahmagupta an das Ende des 6. Jahrhunderts, und Aryabhatta ziemlich unbeſtimmt zwiſchen 200 und 400 unſerer Zeit— rechnung. (S. 154.) Ueber die Gründe, welche nach dem Zeugnis unſeres Textes des Strabo den ſo überaus ſpäten Beginn der Aus— — 300 — arbeitung beweiſen, ſ. Groskurds deutſche Ueberſetzung T. I, (1831) S. XVII. > (S. 154.) In der wichtigen neuen Ausgabe des Strabo von Guſtav Kramer (1844) wird für „Kreis von Thinä Kreis von Athen geleſen, als wäre Thinä erſt im Pſeudo-Arrian, im Periplus maris Rubri genannt worden.“ Dieſen Periplus ſetzt Dodwell unter M. Aurelius und Lucius Verus, während derſelbe nach Letronne erſt unter Septimius Servus und Caracalla verfaßt wurde. Obgleich fünf Stellen des Strabo nach allen Hand— ſchriften Thinae haben, jo entſcheiden doch lib. II, p. 79, 86, 87 und vor allen 82, wo ſelbſt Eratoſthenes genannt iſt, für den Parallelkreis von Athen und Rhodus. Man verwechſelte beide, da die alten Geographen die Halbinſel von Attika zu weit gegen Süden vorſtreckten. Auch müßte es auffallend ſcheinen, wäre die gewöhn— liche Lesart Orvov νονννν die richtigere, daß nach einem jo wenig bekannten Orte der Sinen (Tſin) ein eigener Parallelkreis, das Diaphragma des Dicäarchus, bekannt worden ſei. Indes ſetzt Kosmas Indicopleuſtes ſein Tzinitza (Thinä) ebenfalls in Verbin— dung mit der Gebirgskette, welche Perſien und die romaniſchen Länder, wie die ganze bewohnte Welt in zwei Teile teilt; er fügt ſogar die Bemerkung hinzu (und dieſe Worte ſind ſehr merkwürdig): nach dem Glauben der indiſchen Philoſophen oder Brach— manen. Der Pſeudo-Arrian, Agathemeros nach den gelehrten Unterſuchungen von Profeſſor Franz und Cosmas ſchreiben be— ſtimmt der Metropolis der Sinen eine ſehr nördliche Breite, un— gefähr im Parallel von Rhodos und Athen, zu, während Ptole— mäus, durch Schiffernachrichten verführt, nur ein Thinä 3 Grade ſüdlich vom Aequator kennt. Ich vermute, daß Thinä bloß im all- gemeinen ein ſineſiſches Emporium, einen Hafen im Lande Tſin, bezeichnet und daß daher ein Thinä (Tzinitza) nördlich und ein an— deres ſüdlich vom Aequator habe genannt werden können. „(S. 154.) Ueber Hebung der Inſeln und des Feſtlandes ſ. beſonders lib. I, p. 51, 54 und 59. Schon der alte Eleate Xeno- phanes lehrte, durch die Fülle foſſiler Seeprodukte fern von den Küſten geleitet, „daß der jetzt trockene Erdboden aus dem Meere gehoben ſei“. Appulejus ſammelte zur Zeit der Antonine Ver— ſteinerungen auf den gätuliſchen (mauretaniſchen) Gebirgen und ſchrieb ſie der Deukalioniſchen Flut zu, welche er ſich demnach ebenſo allgemein dachte als die Hebräer die Noachidiſche und die mexikani— ſchen Azteken die Flut des Coxcox. Die Behauptungen Beckmanns und Cuviers, daß Appulejus eine Naturalienſammlung gehabt, hat Prof. Franz durch ſehr ſorgfältige Unterſuchung widerlegt. 7 (S. 156.) S. die auffallendſten Beiſpiele falſcher Orien- tierungen von Bergketten bei Griechen und Römern zuſammen— geſtellt in der Einleitung zu meiner Asie centrale T. |, p. XXXVII bis XL. Ueber die Ungewißheit der numeriſchen Fundamente von Ptolemäus' Ortsbeſtimmungen finden ſich die be— — 301 — friedigendſten ſpeziellen Unterſuchungen in einer Abhandlung von Ukert im Rheiniſchen Muſeum für Philologie Jahrg. VI, 1883, S. 314—324. (S. 156.) Beiſpiele von Zend: und Sanskritwörtern, die uns in der Geographie des Ptolemäus erhalten ſind, ſ. in Laſſen, Diss. de Taprobane insula p. 6, 9 und 17; in Bornoufs Comment. sur le Vana T. I, p. XCHI—CXX und CLXXXI bis CLXXXV, in meinem Examen crit. de l' hist. de la Geogr. T. IJ, p. 45— 49. In ſeltenen Fällen gibt Ptolemäus den Sanskritnamen und deſſen Bedeutung zugleich, wie für die Inſel Java als eine Gerſteninſel: "IuBadtov, 5 ampatver zunn< og. Noch heute wird nach Buſchmann in den hauptſächlichſten indiſchen Sprachen (dem Hindoſtani, Bengali und Nepal; in der mahrattiſchen, guzeratiſchen und ſinghaleſiſchen Sprache) wie im Perſiſchen und Malayiſchen die zweizeilige Gerſte, Hordeum disti— chon: yava, dschav oder dschau, im Oriſſa yaa genannt. (S. 157.) Die Hypotheſe des Ageſianax, nach welcher die Mondflecken, in denen Plutarch eine eigene Art (vulkaniſcher?) Lichtberge zu ſehen glaubte, bloß abgeſpiegelte Erdländer und Erd— meere mit ihren Iſthmen ſind, habe ich ſelbſt bei einigen ſehr ge— gebildeten Perſern wiedergefunden. „Was man uns,“ ſagten ſie, „durch Fernröhren auf der Mondfläche zeigt, ſind zurückgeworfene Bilder unſeres Landes.“ 9% (S. 157.) Theon erwähnt nie der Optik des Ptolemäus, ob er gleich zwei volle Jahrhunderte nach ihm lebte. „ (S. 158.) Oft iſt es in der Phyſik der Alten ſchwer zu entſcheiden, ob ein Reſultat Folge einer hervorgerufenen Er— ſcheinung oder einer zufällig beobachteten iſt. Wo Ariſtoteles von der Schwere der Luft handelt, was freilich Ideler zu leugnen ſcheint, ſagt er beſtimmt: „Ein aufgeblaſener Schlauch iſt ſchwerer als ein leerer.“ Der Verſuch muß mit verdichteter Luft gemacht worden ſein, falls er wirklich unternommen wurde. 92 (S. 158.) Der numidiſche Metellus ließ 142 Elefanten im Cirkus töten. In den Spielen, welche Pompejus gab, erſchienen 600 Löwen und 406 Panther. Auguſt hatte den Volksfeſten 3500 reißende Tiere geopfert; und ein zärtlicher Gatte klagt, daß er den Todestag ſeiner Gattin nicht durch ein blutiges Gladiatoren— gefecht zu Verona feiern könne, „weil widrige Winde die in Afrika gekauften Panther im Hafen zurückhalten!“ (S. 159.) Doch hat Appulejus, wie Cuvier erinnert, die knochenartigen Haken im zweiten und dritten Magen der Aplyſien (Seehaſen) zuerſt genau beſchrieben. (S. 161.) „Est enim animorum ingeniorumque naturale quoddam quasi pabulum consideratio contemplatioque naturae. Erigimur, elatiores fieri videmur, humana despicimus; cogi- tantesque supera atque coelestia haec nostra, ut exigua et minima, contemnimus,‘“ (S. 161.) Alle früheren Ausgaben endigten bei den Worten Hispaniam, quacunque ambitur mari. Der Schluß des Werkes iſt 1831 in einem Bamberger Kodex von Herrn Ludwig v. Jan (Profeſſor zu Schweinfurt) entdeckt worden. (S. 166.) Ueber die nähere ethnologiſche Stellung der abendländiſchen Hunnen iſt man noch nicht im klaren. Deguignes und Neumann halten die Hunnen für identiſch mit den Hiongnu, Klaproth dagegen nimmt an, ſie ſeien Finnen geweſen. Und ihm folgt Humboldt. [D. Herausg.] 7 (S. 166.) Wenn Karl Martell, wie man oft gejagt, durch ſeinen Sieg bei Tours das mittlere Europa gegen den einbrechen— den Islam geſchützt hat, ſo kann man nicht mit gleichem Rechte behaupten, daß der Rückzug der Mongolen nach der Schlacht bei Liegnitz den Buddhismus gehindert habe, bis an die Elbe und den Rhein vorzudringen. Die Mongolenſchlacht in der Ebene von Wahlſtatt bei Liegnitz, in welcher Herzog Heinrich der Fromme heldenmütig fiel, ward am 9. April 1241 geliefert, vier Jahre nachdem unter Batu, dem Enkel Dſchengischans, das Kiptſchak und Rußland den aſiatiſchen Horden dienſtbar wurden. Die erſte Ein— führung des Buddhismus unter den Mongolen fällt aber in das Jahr 1247, als fern im Oſten zu Leang:ticheu, in der chineſiſchen Provinz Schenſi, der kranke mongoliſche Prinz Godan den Sakya Pandita, einen tibetaniſchen Erzprieſter, zu ſich berief, um ſich von ihm heilen und bekehren zu laſſen. Dazu haben die Mongolen ſich nie mit der Bekehrung der überwundenen Völker beſchäftigt. 9 (S. 167.) Daher der Kontraſt zwiſchen den tyranniſchen Maßregeln des Motewekkil, zehnten Kalifen aus dem Hauſe der Abbaſſiden, gegen Juden und Chriſten und der milden Toleranz unter weiſeren Herrſchern in Spanien. Auch iſt zu erinnern, daß Omar nach der Einnahme von Jeruſalem jeden Ritus des chriſt— lichen Gottesdienſtes erlaubte und mit dem Patriarchen einen den Chriſten günſtigen Vertrag abſchloß 9 (S. 168.) „Ein ſtarker Zweig der Hebräer war, der Sage nach, lange vor Abraham unter dem Namen Jokthan (Oachthan) in das ſüdliche Arabien hinabgewandert und hatte dort blühende Reiche gegründet.“ 1% (S. 168.) Der Baum, welcher den arabiſchen, ſeit der urälteſten Zeit berühmten Weihrauch von Hadhramaut gibt (auf der Inſel Socotora fehlt derſelbe ganz), iſt noch von keinem Botaniker, ſelbſt nicht von dem mühſam forſchenden Ehrenberg, aufgefunden und beſtimmt worden. In Oſtindien findet ſich ein ähnliches Produkt, vorzüglich in Bundelkhund, mit welchem von Bombay aus ein beträchtlicher Handel nach China getrieben wird. Dieſer indiſche Weihrauch wird nach Colebrooke von einer durch Roxburgh bekannt gewordenen Pflanze: Boswellia thurifera oder serrata, aus der Familie der Burſeraceen von Kunth, gewonnen. Da wegen der älteſten Handelsverbindungen zwiſchen den Küſten — 303 — von Südarabien und des weſtlichen Indiens man in Zweifel ziehen konnte, ob der 718 des Theophraſtus (das thus der Römer) urſprünglich der Arabiſchen Halbinſel zugehört habe, ſo iſt Laſſens Bemerkung ſehr wichtig, daß der Weihrauch im Amara-Koſcha ſelbſt „jawana, javaniſch, d. h. arabiſch, genannt“, demnach als ein aus Arabien nach Indien gebrachtes Erzeugnis aufgeführt wird. „Turuschka' pindaka, sihlö (drei Benennungen des Weihrauchs) yäwanö“, heißt es im Amara-Koſcha. Auch Dioskorides unter: ſcheidet den arabiſchen von dem indiſchen Weihrauch. Carl Ritter in ſeiner vortrefflichen Monographie der Weihraucharten bemerkt ſehr richtig, dieſelbe Pflanzenart (Boswellia thurifera) könne wegen der Aehnlichkeit des Klimas wohl ihre Verbreitungsſphäre von In— dien durch das ſüdliche Perſien noch Arabien ausdehnen. Der amerikaniſche Weihrauch (Olibanum americanum unſerer Pharma- kopöen) kommt von Ieica gujanensis Aubl. und leica tacama- haca, die wir, Bonpland und ich, häufig in den großen Gras: ebenen (Llanos) von Calabozo in Südamerika gefunden haben. Ieien iſt wie Boswellia aus der Familie der Burſeraceen. Die Rottanne (Pinius abies Linn.) erzeugt den gemeinen Weihrauch unſerer Kirchen. — Die Pflanze, welche die Myrrhe trägt und welche Bruce glaubte geſehen zu haben, iſt bei el-Giſan in Arabien von Ehrenberg entdeckt und nach den von ihm geſammelten Exemplaren durch Nees von Eſenbeck unter dem Namen Balsamodendron myrrha beſchrieben worden. Man hielt lange fälſchlich Balsamo— dendron Kotaf Kunth, eine Amirys von Forskal, für den Baum der echten Myrrhe. 0% (S. 169.) Auf uralte Völkerwanderungen gegen Weſten deuten die Sagen von Perſern und Medern im nördlichen Afrika. Sie ſind an die vielgeſtaltete Mythe von Herkules und dem phöni— ziſchen Melkarth geknüpft worden. Strabo nennt die Mauriſier (Bewohner von Mauretanien) gar „mit Herkules gekommene Inder“. 1 (S. 173.) Ueber die Kenntniſſe, welche die Araber aus der Arzneimittellehre der Inder geſchöpft haben, ſ. die wichtigen Unterſuchungen von Wilſon im Oriental Magazine of Cal- cutta 1823 Februar und März und von Royle in ſeinem Essay on the antiquity of Hindoo Medicina 1837, p. 56—59, 64—66, 73 und 92. Vergl. ein Verzeichnis pharmazeutiſcher arabiſcher Schriften, die aus dem Indiſchen überſetzt ſind, in Ainslie (Ausgabe von Madras), p. 289. 103 (S. 175.) Reinaud in drei neueren Schriften, welche beweiſen, wie viel neben den chineſiſchen Quellen noch aus den arabiſchen und chineſiſchen zu ſchöpfen iſt: Fragments arabes et persans inedits relatifs a l'Inde, antérieurement au Xle siecle de l'ère chrétienne, 1845, p. XX—XXAIII; Relation des Voyages faits par les Arabes et les Per- sans dans l’Inde et à la Chine dans le INe siecle de notre &re, 1845, T. I, p. XLVI; Mémoire geographique — 304 — et historique sur l’Inde d'après les cerivains Arabes, Persans et Chinois, anterieurement au milieu du onzieme siècle de l’&re chrétienne, 1846, p. 6. Die zweite Schrift des gelehrten Orientaliſten Herrn Reinaud ift eine neue Bearbeitung der vom Abbé Renaudot ſo unvollſtändig herausgegebenen Anciennes relations des Indes et de la Chine de deux voyageurs Mahometans (1718). Die arabiſche Handſchrift enthält nur einen Reiſebericht, den des Kauf: manns Soleiman, welcher ſich auf dem Perſiſchen Meerbuſen im Jahre 851 einſchiffte. Dieſem Berichte iſt angehängt, was Abu: Zeyd-Haſſan aus Syraf im Farſiſtan, welcher nie nach Indien oder China gereiſt war, von anderen unterrichteten Kaufleuten erfahren hatte. 04 (S. 175.) Die Oriental Geography von Ebn⸗ Haukal, welche Sir William Ouſeley im Jahre 1800 zu London herausgegeben hat, iſt die des Abu-Ishak el-Iſtachri und, wie Frähn erwieſen, ein halbes Jahrhundert älter als Ebn-Haukal. Die Karten, welche das Buch der Klimate vom Jahre 920 be— gleiten und von denen die Bibliothek zu Gotha eine ſchöne Hand— ſchrift beſitzt, ſind mir ſehr nützlich bei meinen Arbeiten über das Kaſpiſche Meer und den Aralſee geworden Wir beſitzen vom Iſtachri ſeit kurzem eine Ausgabe und eine deutſche Ueberſetzung. 19 (S. 176.) Die Längenbeſtimmungen, welche Abul-Haſſan Ali aus Marokko, Aſtronom des 13. Jahrhunderts, ſeinem Werke über die aſtronomiſchen Inſtrumente der Araber einverleibt hat, ſind alle nach dem erſten Meridian von Arin gerechnet. Herr Sedillot der Sohn richtete zuerſt die Aufmerkſamkeit der Geo— graphen auf dieſen Meridian. Es hat derſelbe ebenfalls ein Gegen— ſtand meiner ſorgfältigen Unterſuchungen werden müſſen, da Chriſtoph Kolumbus, wie immer, von der Imago Mundi des Kardinals d Ailly geleitet, in feinen Phantaſieen über die Ungleichartigkeit der Erdgeſtalt in der öſtlichen und weſtlichen Hemiſphäre einer Isla de Arin erwähnt: „Centro de el hemispherio del qual habla Tolomeo y ques debaxo la linea equinoxial entre el Sino Arabico y aquel de Persia.“ Sonderbar iſt es, daß Edriſi nichts von Khobbet Arin (Cancadora, eigentlich Kankder; zu wiſſen ſcheint. Sédillot der Sohn ſetzt den Meridian von Arin in die Gruppe der Azoren, während der gelehrte Kommentator des Abulfeda, Herr Reinaud, annimmt, „daß Arin aus Verwechſelung mit azyn, ozein und Odjein, dem Namen eines alten Kulturſitzes (nach Bournouf Udjtjayani) in Malva, 0 hn des Ptolemäus, entſtanden iſt. Dies Ozene liege im Meridian von Lanka, und in ſpäterer Zeit ſei Arin für eine Inſel an der Küſte Zanguebar gehalten worden: vielleicht Eagboy des Ptolemäus.“ 106 (S. 176.) Der Kalif Al-Mamun ließ viele koſtbare grie— chiſche Handſchriften in Konſtantinopel, Armenien, Syrien und Aegypten aufkaufen und unmittelbar aus dem Griechiſchen in das — Arabiſche übertragen, da früher die arabiſchen Ueberſetzungen ſich lange auf ſyriſche Ueberſetzungen gründeten. Durch Al-Mamuns Bemühungen wurde daher manches gerettet, was ohne die Araber ganz für uns verloren gegangen wäre. Einen ähnlichen Dienſt haben, wie Neumann in München zuerſt gezeigt, armeniſche Ueber— ſetzungen geleiſtet. Leider läßt eine Notiz des Geſchichtſchreibers Geuzi aus Bagdad, die der berühmte Geograph Leo Africanus in einer Schrift De viris inter Arabes illustribus uns erhalten hat, vermuten, daß zu Bagdad ſelbſt manche grie— chiſche Originale, die man für unbrauchbar hielt, verbrannt worden ſind; aber die Stelle bezieht ſich wohl nicht auf wichtige ſchon überſetzte Handſchriften. Sie iſt mehrfacher Erklärung fähig, wie Bernhardy gegen Heerens Geſchichte der klaſſiſchen Lit— teratur gezeigt hat. — Die arabiſchen Ueberſetzungen haben aller— dings oft zu den lateiniſchen des Ariſtoteles gedient (3. B. der acht Bücher der Phyſik und der Geſchichte der Tiere), doch iſt der größere und beſſere Teil der 5 Uebertragungen unmittel— bar aus dem Griechiſchen gemacht. Dieſe zweifache Quelle erkennt man auch in dem denkwürdigen Briefe angegeben, mit welchem Kaiſer Friedrich II. von Hohenſtaufen im Jahre 1232 ſeinen Uni— verſitäten, beſonders der zu Bologna, Ueberſetzungen des Ariſtoteles ſandte und anempfahl. Dieſer Brief enthält den Ausdruck erhabe— ner Geſinnungen; er beweiſt, daß es nicht die Liebe zur Natur— geſchichte allein war, welche Friedrich II. den Wert der Philoſopheme, „compilationes varias quae ab Aristotele aliisque philosophis sub graecis arabicisque vocabulis antiquitus editae sunt“, ſchätzen lehrte. „Wir haben von früheſter Jugend an der Wiſſen— ſchaft nachgeſtrebt, wenngleich die Sorgen der Regierung uns von ihr abgezogen haben; wir verwendeten unſere Zeit mit freudigem Ernſte zum Leſen trefflicher Werke, damit die Seele ſich aufhelle und kräftige durch Erwerbungen, ohne welches das Leben des Menſchen der Regel und der Freiheit entbehrt (ut animae clarius vigeat instrumentum in acquisitione scientiae, sine qua mor- talium vita non regitur liberaliter). Libros ipsos tamquam praemium amici Caesaris gratulanter accipite, et ipsos antiquis philosophorum operibus, qui vocis vestrae ministerio reviviscunt, aggregantes in auditorio vestro ....... Die Araber find vermittelnd zwiſchen dem alten und neuen Wiſſen aufgetreten. Ohne ſie und ihre Ueberſetzungsluſt wäre den folgenden Jahr— hunderten ein großer Teil von dem verloren gegangen, was die griechiſche Welt geſchaffen oder ſich angeeignet hatte. Nach dieſer Anſicht haben die hier berührten, ſcheinbar bloß linguiſtiſchen Ver— hältniſſe ein allgemeines kosmiſches Intereſſe. 107 (S. 176.) Susruta, Sohn des Visvamitra, wird nach Wilſon für einen Zeitgenoſſen des Rama ausgegeben. Von ſeinem Werke haben wir eine Sanskritausgabe und eine lateiniſche Ueberſetzung. 1098 (S. 177.) „Deiudar (deodar) aus dem Geſchlechte des A. v. Humboldt, Kosmos. II. 20 — 306 — abhel (juniperus); auch indiſche Tanne, welche eine eigene Milch, syr deiudar (flüſſigen Terpentin), gibt,“ ſagt Avicenna. 100 (S. 177.) Spaniſche Juden aus Cordova brachten die Lehren des Avicenna nach Montpellier und trugen am meiſten zur Stiftung dieſer berühmten mediziniſchen Schule bei, die, nach arabi— ſchen Muſtern gebildet, ſchon in das 12. Jahrhundert fällt. % (S. 177.) Ueber die Gartenanlagen in dem Palaſt von Rißafah, welchen Abdurrahman Ibn-Moawijeh erbaute, ſ. History of the Mohammedan dynasties in Spain, extracted from Ahmed Ibn Mohammed Al-Makkari by Pascual de Gayangos Vol. I, 1840, p. 209 — 211. „En su Huerta plano el Rey Abdurrahman una palma que era entonces (756) unica, y de ella procedieron todas las que hay en Espana. La vista del arbol acrecentaba mas que templaba su melancolia.* (Antonio Conde, Hist. de la dominacion de los Arabes en EspanaT. I, p. 169.) 11 (S. 177.) Die Bereitung der Salpeterſäure und des Königs: waſſers von Djaber (eigentlich Abu-Mußah Dſchafar) ift über 500 Jahre älter als Albert der Große und Raimund Lullus, ja faſt 700 Jahre älter als der Erfurter Mönch Baſilius Valentius. Doch wurde lange dieſen dreien die epochemachende Entdeckung jener zerlegen— den (aufſchließenden) Säuren zugeſchrieben. 112 (S. 177.) Ueber die Vorſchrift des Razes zur Weingärung von Amylum und Zucker und zur Deſtillation des Alkohols ſ. Hoefer, Hist. de la Chimie T. I, p. 325. Wenn auch Alexander von Aphrodiſias eigentlich nur die Deſtillation des Seewaſſers umſtänd— lich beſchreibt, ſo erinnert er doch ſchon daran, daß auch Wein deſtilliert werden könne. Dieſe Behauptung iſt um ſo merkwürdiger, als Ariſtoteles die irrige Meinung vorträgt, durch natürliche Verdunſtung ſteige aus dem Wein nur ſüßes Waſſer auf, wie aus dem Salzwaſſer des Meeres. 113 (S. 178.) Die Chemie der Inder, die alchimiſtiſchen Künſte umfaſſend, heißt rasayana (rasa, Saft, Flüſſiges, auch Queckſilber, und àyana, Gang) und bildet nach Wilſon die ſiebente Abteilung des Ayur-Veda, der Wiſſenſchaft des Lebens oder der Lebens verlängerung. Die Inder kennen ſeit der älteſten Zeit die Anwendung der Beizen bei der Kaliko- oder Kattun— druckerei, einer ägyptiſchen Kunſt, die man bei Plinius auf das deutlichſte beſchrieben findet. Der Name Chemie für Scheidekunſt bezeichnet wörtlich ägyptiſche Kunſt, Kunſt des ſchwarzen Landes; denn ſchon Plutarch wußte, „daß die Aegypter ihr Land wegen der ſchwarzen Erde Xu nannten“. Die Inſchrift von Roſette hat Chmi. Das Wort Chemie, auf Scheidekunſt angewandt, finde ich zuerſt in dem Dekrete des Diokletian „gegen die alten Schriften der Aegypter, welche von der Chemie des Goldes und Silbers handeln (rept yrutas apybpov aut Ypvaod)“. 114 (S. 178.) Laplace, Am. Sedillot, auch Thomas — 307 — Young zweifeln nicht daran, daß Ebn-Junis am Ende des 10. Jahr hunderts das Pendel zur Zeitbeſtimmung angewandt hat; aber die Verbindung des Pendels mit Räderwerk ſchreibt er erſt dem Sanctorius (1612, alſo 44 Jahre vor Huygens) zu. Von der überaus künſt— lichen Uhr, die unter den Geſchenken ſich befand, welche Harun Al— raſchid oder vielmehr der Kalif Abdallah aus Perſien dem Kaiſer Karl dem Großen zwei Jahrhunderte früher (807) nach Aachen ſchickte, ſagt Eginhard beſtimmt, daß ſie durch Waſſer bewegt wurde (Horologium ex auricalco arte mechanica mirifice compositum, in quo duodeeim horarum cursus ad clepsydram vertebatur). Die Stunden wurden angegeben durch das tönende Herabfallen kleiner Kugeln, wie durch das Hervortreten von kleinen Reitern aus ebenſovielen ſich öffnenden Thüren. Die Art, wie das Waſſer in ſolchen Uhren wirkte, mag wohl bei Chaldäern, welche „die Zeit wogen“ (durch das Gewicht der Flüſſigkeit beſtimmten), bei Griechen und Indern in den Klepſydren ſehr verſchieden geweſen ſein; denn des Kteſibius hydrauliſches Uhrwerk (unter Ptolemäus Evergetes II.), welches das ganze Jahr hindurch zu Alexandria die bürgerlichen Stunden angab, kommt nach Ideler nie unter der gemeinen Be— nennung schöga vor. Nach Vitruvs Beſchreibung war es eine wirkliche aſtronomiſche Uhr ein horologium ex aqua, eine ſehr zuſammengeſetzte machina hydraulica, durch gezähnte Räder (ver— satilis tympani denticuli aequales alius alium impellentes) wirkend. Es iſt alſo nicht unwahrſcheinlich, daß die Araber, mit dem bekannt, was unter der römiſchen Weltherrſchaft ſich von ver— beſſerten mechaniſchen Vorrichtungen verbreitet hatte, eine hydrau— liſche Uhr mit Räderwerk, tympana quae nonnulli rotas appel- lant, Graeci autem regitpoſd, zuſtande gebracht haben. Doch äußert noch Leibniz ſeine Verwunderung über die Konſtruktion der Uhr des Harun Alraſchid. Viel merkwürdiger iſt aber das Kunſtwerk geweſen, welches der Sultan von Aegypten 1232 dem Kaiſer Friedrich II. ſchickte. Es war ein großes Zelt, in dem Sonne und Mond, durch künſtliche Vorrichtungen bewegt, auf- und unter— gingen und in richtigen Zwiſchenräumen die Stunden des Tages und der Nacht zeigten. In den Annales Godefridi monachi S. Pantaleonis apud Coloniam Agrippinam heißt es: „Ten- torium, in quo imagines Solis et Lunae artificialiter motae cursum suum certis et debitis spaciis peragrant et horas diei et noctis infallibiliter indicant.“ Der Mönch Godefridus, oder wer ſonſt in der vielleicht von mehreren Verfaſſern herrührenden und für das Kloſter St. Pantaleon in Köln eingerichteten Chronik dieſe Jahre behandelt hat, lebte zur Zeit des großen Kaiſers Friedrich II. ſelbſt. Der Kaiſer ließ das Kunſtwerk, deſſen Wert auf 20000 Mark angegeben wurde, in Venuſium bei anderen Schätzen bewahren. Daß, wie oft behauptet wird, das ganze Zelt ſich wie das Himmelsgewölbe bewegt habe, iſt mir ſehr unwahr ſcheinlich. In der Chronica Monasterii Hirsaugiensis, die Trithemius herausgegeben, ift die Stelle der Annales Godefridi faſt nur wiederholt, ohne daß man über die mechanische Vorrichtung belehrt würde. Reinaud ſagt, die Bewegung ſei ge— weſen „par des ressorts caches*. 115 (S. 179.) Ueber die indischen Tafeln, welche Alphazari und Alkoresmi ins Arabiſche überſetzt haben, ſ. Chasles, Recherches sur l’Astronomie indienne in den Comptes rendus des séances de l'Acad. des Sciences T. XXIII, 1846 p. 846-850. Die Subſtitution der Sinus für die Bögen, welche man gewöhnlich dem Albategnius im Anfang des 10. Jahrhunderts zuſchreibt, gehört urſprünglich auch den Indern; Sinustafeln finden ſich ſchon in dem Sur ya-Siddhanta. 116 (S. 179.) Albyrunis eigentlicher Name war Abul-Ryhan. Er war gebürtig aus Byrun im Industhale, war ein Freund des Avicenna und lebte mit ihm in der arabiſchen Akademie, die ſich im Charezm gebildet hatte. Sein Aufenthalt in Indien wie die Abfaſſung feiner Geſchichte von Indien (tärikhi-Hind), aus welcher Reinaud die merkwürdigſten Bruchſtücke bekannt gemacht hat, fallen in die Jahre 1030 —1032. 17 (S. 180.) Gegen dieſe Meinung behauptet Herr Biot, daß die ſchöne Entdeckung des Tycho dem Abul-Wefa keineswegs gehöre, daß dieſer nicht die variation, ſondern nur den zweiten Theil der evection gekannt habe. 118 (S. 181.) Ueber die Sternwarte von Meragha ſ. Delambre, Histoire de Astronomie du moyen-äge, p. 198 - 203, und Am. Sedillot, Mém. sur les Instr. arabes, 1841, p. 201— 205, wo der Gnomon mit zirkelrunder Oeffnung beſchrieben wird; über das Eigentümliche des Sternkatalogs von Ulugh Beig ſ. J. J. Sedillot, Traite des Instruments astronomiques des Arabes, 1834, p. 4. 119 (S. 181.) Auch nach China verbreiteten ſich gegen das Jahr 720 die mathematiſchen Kenntniſſe der Inder, aber zu einer Zeit, wo ſchon viele Araber in Canton und in anderen chineſiſchen Städten angeſiedelt waren. 120 (S. 182.) Vergl. auch mein Examen crit. de l’hist. de la Géographie T. IV, p. 275. „In der einfachen Herzählung der verſchiedenen Methoden, welche Völker, denen die indiſche Poſitions— arithmetik unbekannt war, angewandt haben, um die multipla der Fundamentalgruppen auszudrücken, liegt, glaube ich, die Erklärung von der allmählichen Entſtehung des indiſchen Syſtems. Wenn man die Zahl 3568 perpendikular oder horizontal durch Hilfe von Indikatoren ausdrückt, welche den verſchiedenen Abteilungen des 3568 Abakus entſprechen (alſo MCOXT), ſo erkennt man leicht, daß die Gruppenzeichen (M. C. . .) weggelaſſen werden können. Unſere indiſchen Zahlen ſind aber nichts anderes als jene Indikatoren; ſie ſind Multiplikatoren der verſchiedenen — 309 — Gruppen. An dieſe alleinige Bezeichnung durch Indikatoren er— innert auch der altaſiatiſche Suanpan (die Rechenmaſchine, welche die Mongolen in Rußland eingeführt haben) mit aufeinander folgen— den Reihen von Schnüren der Tauſende, Hunderte, Zehner und Ein— heiten. Dieſe Schnüre würden bei dem eben angeführten numeriſchen Beiſpiele 3, 5, 6 und 8 Kugeln darbieten. Im Suanpan iſt kein Gruppenzeichen ſichtbar; die Gruppenzeichen ſind die Stellen ſelbſt, und dieſe Stellen (Schnüre) werden mit Einheiten (3, 5, 6 und 8), als Multiplikatoren oder Indikatoren, angefüllt. Auf beiden Wegen, dem der figurativen (ſchreibenden) und dem der palpablen (betaſtenden) Arithmetik, gelangt man demnach zur Poſition, zum Stellenwert, zum einfachen Gebrauch von neun Zahlen. Iſt die Schnur leer, ſo bleibt die Stelle im Schreiben offen; fehlt eine Gruppe (ein Glied der Progreſſion), ſo wird graphiſch die Leere durch die Hieroglyphen der Leere (sünya, sifron, tzüphra) ausgefüllt. In der Methode des Eutocius finde ich bei der Gruppe der Myriaden die erſte Spur des für den Orient ſo wichtigen Exponential- oder viel— mehr Indikationsſyſtems unter den Griechen. M. Mg, My be: zeichnen 10000, 20 000, 30000. Was hier bei den Myriaden allein angewandt wird, geht bei den Chineſen und den Japaneſen, die ihre Kultur von den Chineſen erſt 200 Jahre vor unſerer Zeitrechnung erhielten, durch alle multipla der Gruppen hindurch. Im Gobar, der arabiſchen Staubſchrift, welche von meinem verewigten Freunde und Lehrer Silveſtre de Sacy in einem Manuffript aus der Bibliothek der alten Abtei St. Germain des Prés entdeckt worden iſt, find die Gruppenzeichen Punkte, alſo Nullen; denn in Indien, Tibet und Perſien find Nullen und Punkte identiſch. Man ſchreibt im Gobar 3“ ſtatt 30, 4 ſtatt 400, 6. ſtatt 6000. Die indiſchen Zahlen und die Kenntnis des Stellenwertes muß neuer ſein als die Trennung der Inder und der Arier, denn das Zendvolk bediente ſich der un— behilflichen Pehlwi-Zahlen. Für eine ſueceſſive Vervollkommnung der Zahlenbezeichnung in Indien ſcheinen mir beſonders die Tamul— Ziffern zu ſprechen, welche durch neun Zeichen der Einheiten und durch beſondere Gruppenzeichen für 10, 100 und 1000 alle Werte mittels links zugefügter Multiplikatoren ausdrücken. Für eine ſolche allmähliche Vervollkommnung ſprechen auch die ſonderbaren pig tvörzot in einem von Prof. Brandis in der Pariſer Bibliothek aufge— fundenen und mir gütigſt zur Bekanntmachung mitgeteilten Scholion des Mönches Neophytos. Die neun Ziffern des Neophytos ſind, außer der 4, ganz den jetzigen perſiſchen ähnlich; aber dieſe neun Einheiten werden 10fach, 1060 fach, 1000 fach dadurch erhöht, daß man ein oder zwei oder drei Nullzeichen darüber ſchreibt, gleich— 0 0 ſam wie 2 für zwanzig, 24 für vierundzwanzig, alſo durch Juxta— 00 00 poſition; 5 für fünfhundert, 36 für dreihundert und ſechs. Denken — 310 — wir uns ſtatt der Null bloß Punkte, ſo haben wir die arabiſche Staubſchrift, Gobar. So wie nach der oftmaligen Aeußerung meines Bruders, Wilhelm von Humboldt, das Sanskrit ſehr unbeſtimmt durch die Benennungen indiſche und altindiſche Sprache bezeichnet wird, da es auf der Indiſchen Halbinſel mehrere ſehr alte, vom Sanskrit gar nicht abſtammende Sprachen gibt, ſo iſt auch der Ausdruck: indiſche, altindiſche Ziffern im allgemeinen ſehr unbeſtimmt und eine ſolche Unbeſtimmtheit bezieht ſich ſowohl auf die Geſtaltung der Zahlzeichen als auf den Geiſt der Methoden, der ſich ausſpricht bald durch bloße Beifügung (Juxta— poſition), bald durch Koeffizienten und Indikatoren, bald durch eigentlichen Stellenwert. Selbſt die Exiſtenz eines Null- zeichens iſt, wie das Scholion des Neophytos beweiſt, in indiſchen Ziffern noch kein notwendiges Bedingnis des einfachen Stellen— wertes. Die tamul-ſprechenden Inder haben von ihrem Alphabet ſcheinbar abweichende Zahlzeichen, von denen die 2 und 8 eine ſchwache Aehnlichkeit mit den Devanagari-Ziffern von 2 und 5 haben (Rob. Anderſon, Rudiments of Tamul grammar, 1821, p. 135), und doch beweiſt eine genaue Vergleichung, daß die tamuliſchen Ziffern von der alphabetiſchen Tamulſchrift abgeleitet ſind. Noch verſchiedener von den Devanagari-Zahlen ſind nach Carey die ſinghaleſiſchen. In dieſen nun und in den tamuliſchen findet man keinen Stellenwert und kein Nullzeichen, ſondern Hiero— glyphen für die Gruppen von Zehnern, Hunderten und Taujenden. Die Singhaleſen operieren wie die Römer durch Juxtapoſition, die Tamulen durch Koeffizienten. Das wirkliche Nullzeichen als etwas Fehlendes wendet Ptolemäus ſowohl im Almageſt als in ſeiner Geo— graphie in der abwärts ſteigenden Skala für fehlende Grade und Minuten an. Das Nullzeichen iſt demnach im Oceident weit älter als der Einbruch der Araber.“ 12 (S. 186.) Geſehen wurden Teile von Amerika, aber nicht betreten, ſchon 14 Jahre vor Leif Eireksſon, auf der Schiffahrt, die Bjarne Herjulfsſon von Grönland gegen Süden im Jahre 986 unternahm. Dieſer ſah zuerſt das Land in der Inſel Nantucket, einen Grad ſüdlich von Boſton; dann in Neuſchottland, und zuletzt in Neufundland, das ſpäter Litla Helluland, nie aber Winland genannt wurde. Der Buſen, welcher Neufundland von dem Aus— fluß des großen Laurentiusſtromes trennt, hieß bei den Normännern, die auf Island und Grönland angeſiedelt waren, Marklandsbuſen. 122 (S. 186.) Gunnbjörn wurde nach den von ihm benannten Gunnbjörnsſchären, die Kapitän Graah neuerlichſt wieder entdeckt hat, im Jahre 876 oder 877 verſchlagen; er hat zuerſt die Oſtküſte von Grönland geſehen, ohne dort zu landen. 23 (S. 187.) Dieſe amerikaniſchen Jahrestemperaturen der öſtlichen Küſte unter den Parallelen von 42° 25° und 41° 15° ent⸗ ſprechen in Europa den Breiten von Berlin und Paris, alſo Orten, die 8“ bis 10“ nördlicher liegen. Dazu iſt auf der Oſtküſte von — 311 — Nordamerika die Abnahme der Jahrestemperatur von niederen zu höheren Breiten ſo ſchnell, daß in dem Breitenunterſchiede von Boſton und Philadelphia, welcher 2“ 41“ beträgt, 1“ Breite in der Jahrestemperatur eine Wärmeabnahme von faſt 2“ des hundert— teiligen Thermometers hervorbringt, während in dem Syſtem der iſothermen Linien von Europa die Abnahme der Jahrestemperatur nach meinen Unterſuchungen für denſelben Abſtand kaum einen halben Grad ausmacht. 1 (S. 187.) Der Runenſtein war auf dem höchſten Punkte der Inſel Kingiktorſoak geſetzt: „an dem Samstage vor dem Siegestage“, d. i. vor dem 21. April, einem heidniſchen Hauptfeſte der alten Skandinavier, das bei der Annahme des Chriſtentums in ein chriſtliches Feſt verwandelt wurde. Ueber die Zweifel an den Runenzahlen, welche Brynjulfſen, Mohnike und Klaproth geäußert, ſ. mein Examen cerit. T. II, p. 97—101; doch halten Brynjulfſen und Graah nach anderen Kennzeichen das wichtige Monument der Woman's Islands (wie die zu Igalikko und Egegeit, Br. 60° 51“ und 60° 0°, gefundenen Runenſchriften und die Ruinen von Gebäuden bei Upernavik, Br. 72° 50°) beſtimmt für dem 11. und 12. Jahr- hundert angehörig. 12 (S. 188.) Nach einer ſehr alten Saga wurde auch 1194 die nördlichſte Oſtküſte von Grönland unter der Benennung Spal— bard in einer Gegend beſucht, die dem Scoresby-Lande entſpricht, nahe dem Punkte, wo mein Freund, der damalige Kapitän Sabine, ſeine Pendelbeobachtungen gemacht und wo ich (73° 16‘) ein ſehr unfreundliches Vorgebirge beſitze. 126 (S. 188.) Die Niederlaſſungen auf der Weſtküſte von Grönland, welche ſich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts eines ſehr blühenden Zuſtandes erfreuten, fanden allmählich ihren Unter— gang durch die verderbliche Einwirkung von Handelsmonopolen, durch die Einfälle der Eskimo (Skrälinger), durch den ſchwarzen Tod, welcher nach Hecker beſonders während der Jahre 1347—1351 den Norden entvölkerte, auch durch den Anfall einer feindlichen Flotte, deren Ausgangspunkt unbekannt geblieben iſt. Heutiges— tages glaubt man nicht mehr an die meteorologiſche Mythe von einer plötzlichen Veränderung des Klimas; von der Bildung eines Eisdammes, welcher die gänzliche Trennung der in Grönland an— geſiedelten Kolonieen von ihrem Mutterlande auf einmal ſoll zur Folge gehabt haben. Da dieſe Kolonieen ſich nur in der gemäßigten Gegend der Weſtküſte von Grönland befunden haben, ſo kann ein Biſchof von Skalholt nicht im Jahre 1540 auf der Oſtküſte jenſeits der Eismauer „Schäfer geſehen haben, welche ihre Herden weideten“. Die Anhäufung der Eismaſſen an der, Island gegenüberliegenden, öſtlichen Küſte hängt von der Geſtaltung des Landes, der Nach— barſchaft einer der Richtung der Küſte parallelen, mit Gletſchern verſehenen Bergkette und der Richtung des Meeresſtromes ab. Dieſer Zuſtand der Dinge ſchreibt ſich nicht von dem Schluſſe des — 312 — 14. Jahrhunderts oder dem Anfang des 15. her. Er iſt, wie Sir John Barrow ſehr richtig entwickelt hat, vielen zufälligen Ver— änderungen, beſonders in den Jahren 18151817, ausgeſetzt ge— weſen. — Papſt Nikolaus V. hat noch 1448 einen grönländiſchen Biſchof ernannt. (S. 188.) Hauptquellen ſind die geſchichtlichen Erzählungen von Erik dem Roten, Thorfinn Karlsefne und Snorre Thor— brandsſon, wahrſcheinlich in Grönland ſelbſt und ſchon im 12. Jahr: hundert niedergeſchrieben, zum Teil von Abkömmlingen in Winland geborener Anſiedler. Die Sorgfalt, mit welcher die Geſchlechtstafeln gehalten ſind, war ſo groß, daß man die des Thorfinn Karlsefne, deſſen Sohn Snorre Thorbrandsjon in Amerika geboren war, von 1007 bis zu 1811 herabgeführt hat. 123 (S. 190.) Was ſchon ſeit Raleghs Zeiten über rein keltiſch ſprechende Eingeborene von Virginien gefabelt worden iſt, wie man dort den gäliſchen Gruß hao. hui, jach zu hören geglaubt, wie Owen Chapelain 1669 ſich aus den Händen der Tuskaroren, welche ihn ſkalpieren wollten, rettete, „weil er ſie in ſeiner gäliſchen Mutter— ſprache anredete“, habe ich in einer Beilage zu dem neunten Buche meiner Reiſe zuſammengetragen. Dieſe Tuskaroren in Nordcarolina ſind aber, wie man jetzt beſtimmt nach Sprachunterſuchungen weiß, ein Irokeſenſtamm. Eine beträchtliche Sammlung von Tuskarora— wörtern gibt Catlin, einer der vortrefflichſten Sittenbeobachter, welche je unter den amerikaniſchen Eingeborenen gelebt. Er iſt aber doch geneigt, die weißliche oft blauäugige Nation der Tuskaroren für ein Miſchvolk von alten Welſchen und amerikaniſchen Urein— wohnern zu halten. Eine andere Sammlung von Tuskarorawörtern findet ſich in den handſchriftlichen Spracharbeiten meines Bruders auf der königl. Bibliothek zu Berlin. „Comme la structure des idiomes americains parait singulierement bizarre aux differens peuples qui parlent les langues modernes de l'Europe occiden- tale et se laissent facilement tromper par de fortuites analogies de quelques sons, les théologiens ont cru generalement y voir de leben, les colons espagnols du basgıe, les colons anglais ou francais du gallois, de Idas ou du bas-breton. — — — Pai rencontre un jour, sur les cötes du Pérou, un officier de la marine espagnole et un baleinier anglais, dont l’un preten- dait avoir entendu parler basque à Tahiti, et l’autre gale- irlandais aux iles Sandwich.“ Wenn aber auch bisher fein Zu: ſammenhang der Sprachen erwieſen worden iſt, jo will ich doch auf keine Weiſe in Abrede ſtellen, daß die Basken und die Völker keltiſchen Urſprungs von Irland und Wales, welche früh an den entlegenſten Küſten mit Fiſchfang beſchäftigt waren, im nördlichen Teile des Atlantiſchen Meeres beſtändige Nebenbuhler der Skan— dinavier geweſen, ja daß auf den Faröberinſeln und Island die Irländer den Skandinaviern zuvorgekommen ſind. Es iſt ſehr zu wünſchen, daß in unſeren Tagen, wo eine geſunde Kritik zwar ſtrenge — 313 — geübt wird, aber keinen verſchmähenden Charakter annimmt, die alten Unterſuchungen von Powel und Richard Hakluyt in Eng— land und Irland ſelbſt wieder aufgenommen werden mögen Iſt es gegründet, daß Madoes Irrfahrt 15 Jahre vor Entdeckung durch Kolumbus in dem Gedichte des welſchen Sängers Meredith ver— herrlicht wurde? Ich teile nicht den wegwerfenden Sinn, mit welchem nur zu oft Volksüberlieferungen verdunkelt werden, ich lebe vielmehr der feſten Ueberzeugung, daß mit mehr Emſigkeit und mehr Ausdauer viele der geſchichtlichen Probleme, welche ſich auf die Seefahrten im früheſten Mittelalter, auf die auffallende Ueberein— ſtimmung in religiojen Ueberlieferungen, Zeiteinteilung und Werken der Kunſt in Amerika und dem öſtlichen Aſien, auf die Wande— rungen der mexikaniſchen Völker, auf jene alten Mittelpunkte aufdämmernder Civiliſation in Aztlen, Quivira und der oberen Louiſiana, ſowie in den Hochebenen von Cundinamarca und Peru beziehen, eines Tages durch Entdeckungen von Thatſachen werden aufgehellt werden, die uns bisher gänzlich unbekannt ge— blieben ſind. (S. 191.) Während dieſer Umſtand des mangelnden Eiſes im Februar 1477 als ein Beweis angeführt wurde, daß die Inſel Thyle des Kolumbus nicht Island ſein könne, hat Finn Magnuſen aus alten Urkunden aufgefunden, daß bis zum März 1477 das nördliche Island keinen Schnee hatte und daß im Februar desſelben Jahres die ſüdliche Küſte frei von Eis war. Sehr merkwürdig iſt, daß Kolumbus in demſelben Pratado de las cinco zonas habi— tables einer ſüdlicheren Inſel Frislanda erwähnt, ein Name, welcher in den meiſt für fabelhaft gehaltenen Reiſen der Gebrüder Zeni (1388 — 1404) cine große Rolle ſpielt, aber auf den Karten von Andrea Bianco (1436) wie auf der des Fra Mauro (1457 bis 1470) fehlt. Kolumbus kann die Reiſen der Fratelli Zeni nicht gekannt haben, da ſie der venezianiſchen Familie ſelbſt bis zum Jahre 1558 unbekannt blieben, in welchem Marcolini, 52 Jahre nach dem Tode des großen Admirals, ſie zuerſt herausgab. Woher kommt des Admirals Bekanntſchaft mit dem Namen Frislanda? 130 (S. 192.) S. die Beweiſe, die ich aus ſicheren Dokumenten geſammelt habe, für Kolumbus im Examen crit. T. IV, p. 233, 250 und 261; für Veſpucci T. V, p. 182-185. Kolumbus war der: geſtalt mit der Idee erfüllt, daß Cuba ein Teil des Kontinents von Aſien, ja das ſüdliche Khatai (die Provinz Mango) ſei, daß er am 12. Juni 1494 die ganze Mannſchaft ſeines Geſchwaders (etwa 80 Matroſen) ſchwören ließ: „ſie ſeien davon überzeugt, man könne von Cuba nach Spanien zu Lande gehen (que esta tierra de Cuba ruese la tierra firme al comienzo de las Indias y fin à quien en estas partes quisiere venir de Espana por tierra)“; wer von denen, „welche es jetzt beſchwören, einſt das Gegenteil zu behaupten wagte, würde den Meineid mit 100 Hieben und dem Ausreißen der Zunge zu büßen haben“. Als Kolumbus auf der erſten Expedition — 314 — ſich der Inſel Cuba nähert, glaubt er ſich gegenüber den chineſiſchen Handelsplätzen Zaitun und Quinſay (Y es cierto dice el Almirante questa es la tierra firme, y que estoy, dice @l, ante Zayto y @uinsay). „Er will die Briefe der katholiſchen Monarchen an den großen Mongolenchan (Gran Can) in Khatai abgeben, und wenn er ſo den ihm gegebenen Auftrag erfüllt, ſogleich nach Spanien (aber zur See) zurückkehren. Später ſendet er einen getauften Juden, Luis de Torres, ans Land, weil dieſer Hebräiſch, Chaldäiſch und etwas Arabiſch verſteht“, was in den aſiatiſchen Handelsſtädten ge— bräuchliche Sprachen ſind. Noch 1533 behauptet der Aſtronom Schoner, daß die ganze ſogenannte Neue Welt ein Teil von Aſien (superioris Indiae) iſt und daß die von Cortes eroberte Stadt Mexiko (Temiſtitan) nichts anderes ſei als die chineſiſche, von Marco Polo jo übermäßig gerühmte Handelsſtadt Quinſay. 131 (S. 196.) Das größere Verdienſt in Bearbeitung der Tier: geſchichte gehört dem Kaiſer Friedrich II. Man verdankt ihm wichtige eigene Beobachtungen über die innere Struktur der Vögel. Auch Cuvier nennt den Hohenſtaufen den „erſten ſelbſtarbeitenden Zoo— logen des ſcholaſtiſchen Mittelalters“. — Ueber Alberts des Großen richtige Anſicht von der Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper unter verſchiedenen Breiten und nach Verſchiedenheit der Jahres— zeiten ſ. deſſen Liber cosmographicus de natura locorum, Argent. 1515, fol. 14b und 23a. Bei eigenen Beobachtungen zeigt ſich aber doch leider in Albertus Magnus oft die Unkritik ſeines Zeitalters. Er glaubt zu wiſſen, daß „ſich Roggen auf gutem Boden in Weizen verwandelt, daß aus einem abgeholzten Buchenwalde durch Fäulnis ein Birkenwald entſteht, daß aus Eichenzweigen, die man in die Erde ſteckt, Weinreben entſtehen“. 132 (S. 197.) So viele Stellen des Opus maq us ſprechen für die Achtung, welche Roger Bacon dem griechiſchen Altertum zollte, daß man, wie ſchon Jourdain bemerkt hat, den in einem Briefe an den Papſt Clemens IV. geäußerten Wunſch: „die Bücher des Ariſtoteles zu verbrennen, um die Verbreitung der Irrtümer unter den Schülern zu verhindern“, nur auf die ſchlechten lateiniſchen Ueberſetzungen aus dem Arabiſchen deuten kann. 133. (S. 197.) „Scientia experimentalis a vulgo studentium penitus ignorata; duo tamen sunt modi cognoscendi, scilicet per argumentum et experientiam (der ideelle Weg und der des Experiments). Sine experientia nihil sufficienter seiri potest. Argumentum concludit, sed non certificat, neque removet dubi- tationem, ut quiescat animus in intuitu veritatis, nisi eam inveniat via experientiae“ (Opus majus Pars VI, cap. 1.) Ich habe alle Stellen, welche ſich auf die phyſiſchen Kenntniſſe und Erfindungsvorſchläge des Roger Bacon beziehen, zuſammen⸗ getragen im Examen crit. de l’hist. de la Géogr. T. II. f (S. 197.) Ich finde die Optik des Ptolemäus eitiert im Opus majus (ed. Jebb, Lond. 1733) p. 79, 288 und 404. Daß die aus Alhazen geſchöpfte Kenntnis von der vergrößernden Kraft von Kugelſegmenten den Bacon wirklich veranlaßt habe, Brillen (Augengläſer) zu konſtruieren, wird mit Recht geleugnet; die Er-, findung ſoll ſchon 1299 bekannt geweſen ſein oder dem Florentiner Salvino degli Armati gehören, welcher 1317 in der Kirche Santa Maria Maggiore zu Florenz begraben wurde. Wenn Roger Bacon, der das Opus majus 1267 vollendete, von Inſtrumenten ſpricht, durch welche kleine Buchſtaben groß erſcheinen, utiles senibus haben— tibus oculos debiles, jo beweiſen feine Worte und die thatſächlich irrigen Betrachtungen, die er hinzufügt, daß er nicht ſelbſt aus— geführt haben kann, was ihm als etwas Mögliches dunkel vor der Seele ſchwebte. 35 (S. 198.) II existe aussi de Pierre d’Ailly, que Don Fernando Colon nomme toujours Pedro de Helico, eing memoires de Concordantia astronomiae cum theologia. Ils rap- pellent quelques essais tres-modernes de G£ologie hebraisante publies 400 ans apres le Cardinal.“ 136 (S. 200. Die Florentiner Ausgabe des Homer von 1488; aber das erſte gedruckte griechiſche Buch war die Grammatik des Konſtantin Lascaris von 1476. 137 (S. 200.) Das Reſultat der Unterſuchungen des Biblio— thekars Ludwig Wachler zu Breslau. Der Druck ohne bewegliche Lettern geht auch in China nicht über den Anfang des 10. Jahr— hunderts unſerer Zeitrechnung hinauf. Die vier erſten Bücher des Konfucius wurden nach Klaproth in der Provinz Szütſchuen zwiſchen 890 ͤ und 925 gedruckt, und die Beſchreibung der techniſchen Mani— pulation der chineſiſchen Druckerei hätten die Abendländer ſchon 1310 in Raſchid-eddins perſiſcher Geſchichte der Herrſcher von Khatai leſen können. Nach dem neueſten Reſultate der wichtigen For— ſchungen von Stanislas Julien hatte aber in China ſelbſt ein Eiſenſchmied zwiſchen den Jahren 1041 und 1048, alſo faſt 400 Jahre vor Gutenberg, bewegliche Typen von gebranntem Thone ange— wandt. Das iſt die Erfindung des Pi-ſching, die aber ohne An— wendung blieb. 138 (S. 200.) Die Anſprüche Koſters, dem in feiner Vater: ſtadt Harlem 1856 ein ſchönes Denkmal errichtet worden iſt, auf die Entdeckung der Buchdruckerkunſt mit ee ee Lettern ſind durch die moderne Kritik ſeiner eigenen Landsleute endgültig be— ſeitigt worden. — [D. Herausg.] 139 (S. 201.) Joſafat Barbaro er ) und Gislin von Bus: beck (1555) fanden noch zwiſchen Tana (Aſow), Caffa und dem Erdil (der Wolga) Alanen und deutſch redende gotiſche Stämme. Roger Bacon nennt Rubruquis immer nur frater Willielmus, quem dominus Rex Francige misit ad Tartaros. 140 (S. 201.) Das große und herrliche Werk des Marco Polo (Il Milione di Messer Marco Polo), wie wir es in — 316 — der korrekten Ausgabe des Grafen Baldelli beſitzen, wird fälſchlich eine Reiſe genannt; es iſt größtenteils ein beſchreibendes, man möchte ſagen ſtatiſtiſches Werk, in welchem ſchwer zu unter— ſcheiden iſt, was der Reiſende ſelbſt geſehen, was er von anderen erfahren oder aus topographiſchen Beſchreibungen, an denen die chineſiſche Litteratur ſo reich iſt und die ihm durch ſeinen perſiſchen Dolmetſcher zugänglich werden konnten, geſchöpft habe. Die auf— fallende Aehnlichkeit des Reiſeberichts von Hiuen⸗thſang, dem bud— dhiſtiſchen Pilger des 7. Jahrhunderts, mit dem, was Marco Polo von dem Pamirhochlande 1277 erfahren, hatte früh meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich gelenkt. Der der aſiatiſchen Sprachkunde leider ſo früh entzogene Jacquet, der ſich, wie Klaproth und ich, lange mit dem venezianiſchen Reiſenden beſchäftigt hatte, ſchrieb mir kurz vor ſeinem Tode: „Je suis frappe comme Vous de la forme de rédaction litteraire du Milione. Le fond appar- tient sans doute à l’observation directe et personelle du voya- geur, mais il a probablement employé des documents qui lui ont ete communiques soit officiellement, soit en particulier. Biens de choses paraissent avoir été empruntées à des livres chinois et mongols, bien que ces influences sur la composition du Milione soient difficiles à reconnaitre dans les traduc- tions successives sur lesquelles Polo aura fonde ses extraits.“ Ebenſoſehr als die neueren Reiſenden ſich nur zu gern mit ihrer Perſon beſchäftigen, iſt dagegen Marco Polo bemüht, ſeine eigenen Beobachtungen mit den ihm mitgeteilten offiziellen An— gaben, deren er, als Gouverneur der Stadt Yangui, viele haben konnte, zu vermengen. Die kompilierende Methode des berühmten Reiſenden macht auch begreiflich, daß er im Gefängnis in Genua 1295 wie im Angeſicht vorliegender Dokumente ſeinem mitge— fangenen Freunde Meſſer Ruſtigielo aus Piſa ſein Buch diktieren konnte. (202.) Während des Lebens des Kolumbus erſchien ge— druckt die erſte deutſche Nürnberger Ueberſetzung von 1477 (das puch des edeln Ritters un landtfarers Marcho Polo), die erſte Lateinische Ueberſetzung von 1490, die erſten italieniſchen und portugieſiſchen Ueberſetzungen von 1496 und 1502. 42 (S. 202.) Barros ſagt ausdrücklich, daß „Bartholomeu Diaz, e os de sua companhia per causa dos perigos, e tor- mentas, que em o dobrar delle passäram, Ihe puzeram nome Tormentoso.* Das Verdienſt der erſten Umſchiffung ge— hört alſo nicht dem Vasco da Gama, wie man gewöhnlich an— gibt. Diaz war am Vorgebirge im Mai 1487, alſo faſt zu der— ſelben Zeit als Pedro de Covilham und Alonſo de Payva von Barcelona aus ihre Expedition antraten. Schon im Dezember 1487 brachte Diaz ſelbſt die Nachricht ſeiner wichtigen Entdeckung nach Portugal, 143 (S. 203.) Das Planiſphärium des Sanuto, der ſich ſelbſt „Marinus Sanuto dictus Torxellus de Veneciis“ nennt, gehört zu dem Werke Seereta fidelium Crucis. „Marinus precha adroitement une eroisade dans J'intérét du commerce, voulant detruire la prosperite de I'Egypte et diriger toutes les mar- chandises de l’Inde par Bagdad, Bassora et Tauris (Tebriz) d Kaffa, Tana (Azow), et aux cötes asiatiques de la Medi- terranée. Contemporain et compatriote de Polo, dont il n'a pas connu le Milione, Sanuto s’eleve à de grandes vues de politique commerciale. C'est le Raynal du moyen-äge, moins Lincrédibilité d'un abbé philosophe du 18me siècle.“ Das Vorgebirge der guten Hoffnung heißt Capo di Diab auf der Karte des Fra Mauro, welche zwiſchen 1457 und 1459 zuſammenge— tragen wurde. (S. 203.) Avron oder avr (aur) iſt ein ſelteneres Wort für Nord ſtatt des gewöhnlichen schemäl; das arabiſche zohron oder zohr, von welchem Klaproth irrtümlich das ſpaniſche sur und portugieſiſche sul (das mit unſerem Süd ohne Zweifel ein echt germaniſches Wort iſt) abzuleiten ſucht, paßt nicht eigentlich zu der Benennung der Weltgegend, es bedeutet nur die Zeit des hohen Mittags; Süden heißt dschenüb. Ueber die frühere Kenntnis der Chineſen von der Südweiſung der Magnetnadel. Navarete erinnert an eine merkwürdige Stelle in den ſpaniſchen Leyes de las Partidas aus der Mitte des 13. Jahrhunderts: „Die Nadel, welche den Schiffer in der finſteren Nacht leitet und ihm bei gutem wie bei böſem Wetter zeigt, wohin er ſich richten ſoll, iſt die Ver— mittlerin (medianera) zwiſchen dem Magnetſteine (la piedra) und dem Nordſterne . . .“ 115 (S. 204.) „Tenian los mareantes instrumento, carta, compas y aguja.“ Salazar, Discurso sobre los progresos de la Hydrografia en Espana 1809, p. 7. 6 (S. 204.) Ueber Cuſa (Nikolaus von Cuß, eigentlich von Cues an der Moſel), ſ. oben Kosmos Bd. II, S. 96) und Klemens, Abhandlung über Giordano Bruno und Niko— laus de Cuſa S. 97, wo ein wichtiges, erſt vor drei Jahren aufgefundenes Bruchſtück von Cuſas eigener Hand, eine dreifache Bewegung der Erde betreffend, mitgeteilt wird. 7 (S. 205.) Dem Lehrer des Regiomontanus, Georg von Peuerbach, wird eine wichtige Verbeſſerung der Beobachtung durch den Gebrauch des Bleilots zugeſchrieben. Letzteres wurde aber längſt von den Arabern angewandt, wie die im 13. Jahrhundert abgefaßte Beſchreibung der aſtronomiſchen Inſtrumente von Abul— Haſſan Ali lehrt. 145 (S. 205.) Es iſt in allen Schriften über die Schiff: fahrtskunde, die ich unterſucht, die irrige Meinung verbreitet, als ſei das Log zur Meſſung des zurückgelegten Weges nicht früher angewandt worden, als ſeit dem Ende des 16. oder im Anfang — 318 — des 17. Jahrhunderts. In der Encyclopaedia britannica heißt es noch: „The author of the device for measuring the ship's way is not known and no Mention of it oceurs till the year 1607 in an East India voyage published by Purchas.“ Dieſes Jahr iſt auch in allen früheren und ſpäteren Wörterbüchern als äußerſte Grenze angeführt worden. Nur Navarrete ſetzt den Gebrauch der Loglinie auf engliſchen Schiffen in das Jahr 1577; ſpäter, an einem anderen Orte behauptet er: „zu Magelhaens' Zeiten ſei die Schnelligkeit des Schiffes nur à 0jo (nach dem Augenmaße) geſchätzt worden, bis erſt im 16. Jahrhunderte die corredera (das Log) erfunden wurde“. Die Meſſung der „ge— ſegelten Diſtanz“ durch Auswerfen der Loglinie iſt, wenn auch das Mittel an ſich unvollkommen genannt werden muß, doch von ſo großer Wichtigkeit für die Kenntnis und Schnelligkeit der Richtung ozeaniſcher Strömungen geworden, daß ich ſie zu einem Gegen— ſtande ſorgfältiger Unterſuchungen habe machen müſſen. Ich teile hier die Hauptreſultate mit, die in dem noch nicht erſchienenen ſechſten Bande meines Examen critique de histoire de la Geogr. et des progès de l' Astronomie nautique enthalten ſind. Die Römer hatten zur Zeit der Republik auf ihren Schiffen Wegmeſſer, die in 4 Fuß (1,3 m) hohen, mit Schaufeln verſehenen Rädern an dem äußeren Schiffsborde beſtanden, ganz wie bei unſeren Dampfſchiffen und wie bei der Vorrichtung zur Be— wegung von Fahrzeugen, welche Blasco de Garay 1543 zu Barce— lona dem Kaiſer Karl V. angeboten hatte. Der altrömiſche Weg: meſſer („ratio a majoribus tradita, qua in via rheda sedentes vel mari navigantes seire possumus quot millia numero itineris fecerimus“) ift umſtändlich von Vitruvius, deſſen Auguſteiſches Zeitalter freilich neuerlichſt von C. Schultz und Oſann ſehr er— ſchüttert worden iſt, beſchrieben. Durch drei ineinander greifende gezahnte Räder und das Herabfallen kleiner runder Steinchen aus einem Radgehäuſe (loculamentum), das nur ein einziges Loch hat, ward die Zahl der Umgänge der äußeren Räder, welche in das Meer tauchten, und die Zahl der zurückgelegten Meilen in einer Tagereiſe angegeben. Ob dieſe Hodometer im Mittelländiſchen Meere viel gebraucht worden ſind, „da ſie Nutzen und auch Vergnügen“ ge— währen konnten, ſagt Vitruvius nicht. In der Lebensbeſchreibung des Kaiſers Pertinax von Julius Capitolinus wird des ver— kauften Nachlaſſes des Kaiſers Commodus erwähnt, in welchem ſich ein Reiſewagen, mit einer ähnlichen Hodometereinrichtung ver— ſehen, befand. Die Räder gaben zugleich „das Maß des zurück— gelegten Weges und die Dauer der Reiſe“ in Stunden an. Einen viel vollkommeneren, ebenfalls zu Waſſer und zu Lande gebrauchten Wegweiſer hat Hero von Alexandrien, der Schüler des Kteſibius, in ſeiner, griechiſch noch unedierten, Schrift über die Diopteren be— ſchrieben. In der Litteratur des ganzen Mittelaltes findet ſich wohl nichts über den Gegenſtand, den wir hier behandeln, bis man zu 6 — 319 — der Epoche der vielen, kurz nacheinander verfaßten oder im Druck erſchienenen Lehrbücher der Nautik von Antonio Pigafetta (Trattato di Navigazione, wahrſcheinlich vor 1530), Franz cisco Falero (1535, Bruder des Aſtronomen Ruy Falero, der den Magelhaens auf ſeiner Reiſe um die Welt begleiten ſollte und ein Regimiento para observar la longitud en la mar hinterließ), Pedro de Medina aus Sevilla (Arte de navegar 1545), Martin Cortes aus Bujalaroz (Breve com- pendio de la esfera y de la arte de navegar 1550) und Andres Garcia de Cespedes (Regimiento de Nave- gacion y Hidrografia 1606) gelangt. Aus faſt allen diejen, zum Teil jetzt ſehr ſeltenen Werken, wie aus der Suma de Geo- grafia, welche Martin Fernandez de Enciſo 1519 herausgab, erkennt man deutlichſt, daß die „geſegelte Diſtanz“ auf ſpaniſchen und portugieſiſchen Schiffen nicht durch irgend unmittelbare Meſſung, ſondern nur durch Schätzung nach dem Augenmaße und nach ge— wiſſen numeriſch feſtgeſetzten Grundſätzen zu beſtimmen gelehrt wird. Medina jagt: „Um den Kurs des Schiffes in der Länge des durchlaufenen Raumes zu kennen, muß der Pilot nach Stunden (d. h. durch die Sanduhr, ampolleta, geleitet) in ſeinem Regiſter aufzeichnen, wieviel das Schiff zurückgelegt; er muß deshalb wiſſen, daß das meiſte, was er in einer Stunde fortſchreitet, vier Meilen find; bei ſchwächerem Winde drei, auch nur zwei . ..“ Cespedes nennt dies Verfahren wie Medina echar punto por fantasia. Dieſe fantasia hängt allerdings, wenn man großen Irrtum ver— meiden will, wie Enciſo richtig bemerkt, von der Kenntnis ab, welche der Pilot von der Qualität ſeines Schiffes hat; aber im ganzen wird jeder, der lange auf dem Meere war, doch meiſt mit Ver— wunderung bemerkt haben, wie übereinſtimmend die bloße Schätzung der Geſchwindigkeit des Schiffes, bei nicht ſehr hohem Wellenſchlage, mit dem ſpäter erhaltenen Reſultate des ausgeworfenen Logs iſt. Einige ſpaniſche Piloten nennen die alte, freilich gewagte Methode bloßer Schätzung (cuenta de estima), gewiß ſehr ungerecht ſar— kaſtiſch: la corredera de los Holandeses, corredera de los pere- zosos. In dem Schiffsjournale des Chriſtoph Kolumbus wird oft des Streites gedacht mit Alonſo Pinzon über die Länge des zu— rückgelegten Weges ſeit der Abfahrt von Palos. Die gebrauchten Sanduhren, ampolletas, liefen in einer halben Stunde ab, jo daß der Zeitraum von Tag und Nacht zu 48 ampolletas gerechnet wurde. Es heißt in jenem wichtigen Schiffsjournale des Kolumbus (z. B. den 22. Januar 1493): „Andaba 8 millas por hora hasta pasadas 5 ampolletas, y 3 antes que comenzase la guardia, que eran 8 ampolletas.* Das Log, la corredera, wird nie ge— nannt. Soll man annehmen, Kolumbus habe es gekannt, benutzt und als ein ſchon ſehr gewöhnliches Mittel nicht zu nennen nötig erachtet, wie Marco Polo nicht des Thees und der chineſiſchen Mauer erwähnt hat? Eine ſolche Annahme ſcheint mir ſchon des— — 320 — halb ſehr unwahrſcheinlich, weil in den Vorſchlägen, welche der Pilot Don Jayme Ferrer 1495 einreicht, um die Lage der päpſt— lichen Demarkationslinie genau zu ergründen, es auf die Beſtim— mung der „geſegelten Diſtanz“ ankommt, und doch nur das über— einſtimmende Urteil (juicio) von 20 ſehr erfahrenen Seeleuten angerufen wird (que apunten en su carta de 6 en 6 horas el camino que la nao fara segun en juicio). Hätte das Log an— gewandt werden ſollen, ſo würde Ferrer gewiß vorgeſchrieben haben, wie oft es ausgeworfen werden ſollte. Die erſte Anwendung des Loggens finde ich in einer Stelle von Pigafettas Reiſejournal der Magelhaensſchen Weltumſegelung, das lange in der Ambroſianiſchen Bibliothek in Mailand unter den Handſchriften vergraben lag. Es heißt darin im Januar 1521, als Magelhaens ſchon in die Südſee gelangt war: „Secondo la misura che facevamo del viaggio colla ecatena a poppa, noi percorrevamo da 60 in 70 leghe al giorno.“ Was kann dieſe Vorrichtung der Kette am Hinter: teil des Schiffes (catena a poppa), „deren wir uns auf der ganzen Reiſe bedienten, um den Weg zu meſſen“, anders geweſen ſein als eine unſerem Log ähnliche Einrichtung? Der aufgewickel— ten, in Knoten geteilten Loglinie, des Logbrettes oder Logſchiffes und des Halbminuten- oder Logglaſes ge ſchieht keine beſondere Erwähnung; aber dieſes Stillſchweigen kann nicht verwundern, wenn von einer längſt bekannten Sache geredet wird. Auch in dem Teile des Trattato di Navigazione des Cavaliere Pigafetta, den Amoretti im Auszuge geliefert hat (freilich nur von 10 Seiten), wird die catena della poppa nicht wieder genannt. 19 (S. 207.) Vergl. Opus Epistolarum Petri Mar- tyris Anglerii Mediolanensis 1670, ep. CXXX und CLII. „Prae laetitia prosiliisse te, vixque à lachrymis prae gaudio temperasse, quando literas adspexisti meas, quibus de Anti- podum Orbe, latenti hactenus, te certiorem feci, mi suavissime Pomponi, insinuasti. Ex tuis ipse literis colligo, quid senseris. Sensisti autem, tantique rem fecisti, quanti virum summa doc- trina insignitum decuit; quis namque cibus sublimibus prae- stari potest ingeniis isto suavior? quod condimentum gratius? a me facio conjecturam. Beari sentio spiritus meos, quando accitos alloquor prudentes aliquos ex his qui ab ea redeunt provincia (Hispaniola Insula).“ Der Ausdruck Christophorus quidam Colonus erinnert, ich ſage nicht an das zu oft und mit Unrecht citierte nescio quis Plutarchus des Aulus Gellius, aber wohl an das quodam Cornelio seribente in dem Antworts— ſchreiben des Königs Theodorich an den Fürſten der Aeſtyer, welcher aus der Germania, cap. 45 des Tacitus über den wahren Urſprung des Bernſteins belehrt werden ſollte. 150 (S. 207.) Auch der begeiſterte Wundermann Hieronymus Cardanus, Phantaſtiker und doch ſcharfſinniger Mathematiker — 321 — zugleich, macht in ſeinen phyſiſchen Problemen darauf auf— merkſam, was die Erdkunde den Thatſachen verdanke, zu deren Beobachtung ein einziger Mann geleitet habe! Cardani Opera ed. Lugdun. 1663, T. II, Prob l. p. 630 und 659: „At nung quibus te laudibus efferam, Christophore Colombi, non familiae tantum, non Genuensis urbis, non Italiae Provinciae, non Ku- ropae parti orbis solum sed humani generis decus.* Wenn ich die Probleme des Cardanus mit denen aus der jpäten Schule des Stagiriten verglichen habe, ſo iſt bei der Verworrenheit und Schwäche der phyſiſchen Erklärungen, welche in beiden Samm— lungen faſt gleichmäßig herrſcht, mir doch augenſcheinlich und für die Epoche einer ſo plötzlich erweiterten Erdkunde charakteriſtiſch geworden, daß bei Cardanus der größere Teil der Probleme ſich auf die vergleichende Meteorologie bezieht. Ich erinnere an die Betrachtungen über das warme Inſelklima von England im Kontraſt mit dem Winter in Mailand; über die Abhängigkeit des Hagels von elektriſchen Exploſionen; über die Urſache und Richtung der Meeresſtrömungen; über das Maximum der atmoſphäriſchen Wärme und Kälte, das erſt nach jedem der beiden Solſtitien ein— tritt; über die Höhe der Schneeregion unter den Tropen; über die Temperatur, welche durch die Wärmeſtrahlung der Sonne und aller Sterne zugleich bedingt wird; über die größere Lichtſtärke des ſüd— lichen Himmels u. ſ. w. „Kälte iſt nicht bloß Abweſenheit der Wärme. Licht und Wärme ſind nur dem Namen nach verſchieden und in ſich unzertrennlich.“ 151 (S. 208.) Nach der handſchriftlichen Historia gene- ral de las Indi as lib. I, cap. 12 war „la carta de marear, que Maestro Paulo Fisico (Toscanelli) envio à Colon“, in den Händen von Bartholome de las Caſas, als er ſein Werk ſchrieb. Das Schiffsjournal des Kolumbus, von dem wir einen Auszug beſitzen, ſtimmt nicht ganz mit der Erzählung überein, welche ich in der Handſchrift des Las Caſas finde, deren gütige Mittei— lung ich Herrn Ternaux-Compans verdanke. Das Schiffsjournal ſagt: Iba hablando el Almirante (martes 25 de Setiembre 1492) con Martin Alonso Pinzon, capitan de la otra carabela Pinta, sobre una carta que le habia enviado tres dias hacia a la carabala, dunde segun parece tenia pintadas el Almirante ciertas islas por aquella mar ...“ Dagegen fteht in der Hand: ſchrift des Las Caſas: „La carta de marear que embiö (Toscanelli al Almirante) yo que esta historia escrivo la tengo en mi poder. Creo que todo su viage sobre esta carta fondo;“ lib. I, cap. 38: „asi fué que el martes 25 de Setiembre llegase Martin Alonso Pinzon con su caravela Pinta ä hablar con Christobal Colon sobre una carta de marear que Christobal Colon le avia embiado... Esta carta es la que le cembiö Paulo Fisico el Florentin, la qual yo tengo en mi poder con otras cosas del Almirante y escrituras de su misma mano que A. v. Humboldt, Kosmos. II. 21 — 322 — traxeron à mi poder. En ella le pintö muchas islas . ..“ Soll man annehmen, der Admiral habe in die Karte des Tosca— nelli die zu erwartenden Inſeln hineingezeichnet? oder ſoll tenia pintadas bloß ſagen: „der Admiral hatte eine Karte, auf der ge— malt waren ...“? 1% (S. 209.) Ueber den beſtrittenen erſten Landungspunkt in Weſtindien ſ. T. III. p. 186 bis 222. Die ſo berühmt gewordene, im Jahre 1832 während der Choleraepidemie von Walckenger und mir erkannte Weltkarte des Juan de la Coſa, welche ſechs Jahre vor dem Tode des Kolumbus entworfen iſt, hat ein neues Licht über dieſe Streitfrage verbreitet. 13 (S. 210.) Es heißt in einer wenig beachteten Stelle des Tagebuchs von Kolumbus vom 1. November 1492: „ich habe (in Cuba) gegenüber und nahe Zayto y Guinsay del Gran Can.“ Die Krümmung gegen Süden, welche Kolumbus auf der zweiten Reiſe in dem weſtlichſten Teile des Landes Cuba bemerkte, hat einen wichtigen Einfluß auf die Entdeckung von Südamerika, auf die des Orinoko-Delta und des Vorgebirges Paria ausgeübt, wie ich an einem anderen Orte gezeigt; „Putat (Colonus),“ ſchreibt Anghiera, „regiones has (Pariae) esse Cubae contiguas et adhaerentes: ita quod utraeque sint Indiae Gangetidis con- tinens ipsum. AS. 210.) Die wichtige Handſchrift des Andres Ber: naldez, Cura de la Villa de los Palicios (Historia de los Reyes Catholicos cap. 123). Dieſe Geſchichte begreift die Jahre 1488 bis 1513. Bernaldez hatte 1496 den Kolumbus, als er von der zweiten Reiſe zurückkam, in ſein Haus aufgenommen. Ich habe durch die beſondere Güte des Herrn Ternaux-Compans, dem die Geſchichte der Conquiſta viele wichtige Aufklärungen verdankt, zu Paris im Dezember des Jahres 1838 dieſe Hand— ſchrift, welche im Beſitz meines berühmten Freundes, des Hiſtorio— graphen Don Juan Baptiſta Munoz, geweſen iſt, frei benutzen können. 155 (S. 211.) Das Kap Horn wurde auf der Expedition des Comendador Garcia de Loayſa, welche, der des Magelhaens folgend, nach den Molukken beſtimmt war, im Februar 1526 von Francisco de Hoces entdeckt. Indes Loayſa durch die Magelhaensſche Straße ſegelte, hatte ſich Hoces mit ſeiner Caravele San Lesmes von der Flotille getrennt und war bis 55“ ſüdlicher Breite verſchlagen worden. „Dijeron los del buque que les parecia que era alli acabamiento de tierra“. Fleurieu behauptet, Hoces habe nur das Cabo del buen Successo weſtlich von der Staateninſel ge: ſehen. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts war bereits wieder eine ſo ſonderbare Ungewißheit über die Geſtaltung des Landes verbreitet, daß der Sänger der Araucana glauben konnte, die Magelhaensſche Meerenge habe ſich durch ein Erdbeben und durch Hebung des Seebodens geſchloſſen, wogegen Acoſta Zar das Feuerland für den Anfang feines großen ſüdlichen Polarlan— des hielt. 156 (S. 211.) Ob die Iſthmenhypotheſe, nach welcher das oſtafrikaniſche Vorgebirge Praſum ſich an die oſtaſiatiſche Land— zunge von Thinä anſchließt, auf Marinus Tyrius, oder auf Hip— parch, oder auf den Babylonier Seleucus, oder nicht vielmehr auf den Ariſtoteles, De Coelo (II. 14), zurückgeführt werden ſoll, habe ich umſtändlich an einer anderen Stelle erörtert. 157 (S. 212.) Paolo Toscanelli war als Aſtronom jo aus— gezeichnet, daß Behaims Lehrer Regiomontanus ihm 1493 fein gegen den Kardinal Nikolaus de Cuſa gerichtetes Werk De Quadratura Circuli zueignete. Er konſtruierte den großen Gnomon in der Kirche Santa Maria Novella zu Florenz und ſtarb 1482 in einem Alter von 85 Jahren, ohne die Freude gehabt zu haben, die Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoffnung durch Diaz und die des tropiſchen Teiles des neuen Kontinents durch Kolumbus zu erleben. 1 (S. 213.) Da der alte Kontinent von dem weſtlichen Ende der Iberiſchen Halbinſel bis zur Küſte von China faſt 130° Meridianunterſchied zählt, jo bleiben ungefähr 230° für den Raum übrig, den Kolumbus würde zu durchſchiffen gehabt haben, wenn er wollte bis Cathai (China), weniger, wenn er nur wollte bis Zipangi (Japan) gelangen. Der hier von mir bezeichnete Meridian— unterſchied von 230° gründet ſich auf die Lage des portugieſiſchen Vorgebirges St. Vincent (long. 11° 20° weſtlich von Paris) und des weit vortretenden chineſiſchen Ufers bei dem ehemals ſo be— rühmten, von Kolumbus und Toscanelli oft genannten Hafen Qu in— ſay (Breite 30“ 28°, Länge 117° 47“ öſtlich von Paris). Synonyme für Quinſay in der Provinz Tſchekiang ſind Kanfu, Hangtſcheuſu, Kingſzu. Der aſiatiſche öſtliche Welthandel war im 13. Jahr— hundert geteilt zwiſchen Quinſay und Zaitun (Pinghai oder Tſeuthung), welches der Inſel Formoſa (damals Tungfan) gegen— über unter 25° 5° nördlicher Breite lag. Der Abſtand des Vor— gebirges St. Vincent von Zipangi (Nippon) iſt 22 Längengrade geringer wie von Quinſay, alſo ſtatt 23053“ ungefähr nur 209°. Auffallend iſt es, daß die älteſten Angaben, die des Eratoſthenes und Strabo, dem oben gegebenen Reſultate von 129“ für den Meridianunterſchied der otronu.evn durch zufällige Kompenſationen bis auf 10 nahe kommen. Strabo ſagt gerade an der Stelle, wo er der möglichen Exiſtenz von zwei großen bewohnbaren Feſtländern in der nördlichen Erdhälfte gedenkt, daß unſere otrovuzvn im Parallel von Thinä mehr als ½ des ganzen Erdumkreiſes aus— macht. Marinus Tyrius, durch die Dauer der Schiffahrt von Myos Hormos nach Indien, durch die irrig angenommene Richtung der größeren Achſe des Kaſpiſchen Meeres von Weſten nach Oſten und die Ueberſchätzung der Länge des Landweges zu den Serern verleitet, gab dem alten Kontinent ſtatt 120° volle 225. Die * chineſiſche Küſte wurde dadurch bis zu den Sandwichinſeln vor: gerückt. Kolumbus zieht dies Reſultat natürlich dem des Ptole— mäus vor, nach welchem Quinſay nur in den öſtlichen Teil des Archipels der Karolinen fallen würde. Ptolemäus ſetzt nämlich im Almageſt die Küſte der Singe auf 180°, in der Geographie auf 177 ¼ “0. Da Kolumbus die Schiffahrt von Iberien zu den Sinen auf 120“, Toscanelli gar nur auf 52“ anſchlägt, ſo konnte beiden, wenn ſie die Länge des Mittelmeeres zu ungefähr 40“ ſchätzten, das jo gewagt ſcheinende Unternehmen allerdings ein brevissimo camino heißen. Auch Martin Behaim ſetzt auf ſeinem Weltapfel, dem berühmten Globus, welchen er 1492 vollendete und welcher noch im Behaimſchen Hauſe zu Nürnberg aufbewahrt wird, die Küſte von China (den Thron des Königs von Mango, Cambalu und Cathay) nur 100° weſtlich von den Azoren: d. i., da Be— haim vier Jahre in Fayal lebte und wahrſcheinlich von dieſem Punkte den Abſtand rechnet, wieder nur 119° 40°, weſtlich vom Vorgebirge St. Vincent. Kolumbus wird wahrſcheinlich Behaim in Liſſabon gekannt haben, wo beide von 1480 bis 1484 ſich aufhielten. Die vielen ganz unrichtigen Zahlen, welche man in allen Schriften über die Entdeckung von Amerika und die damals vermutete Aus— dehnung des öſtlichen Aſiens findet, haben mich veranlaßt, die Meinungen des Mittelalters genauer mit denen des klaſſiſchen Altertums zu vergleichen. 159 (S. 213.) Von weißen Menſchen iſt in einem Kanoe zu: erſt beſchifft der öſtlichſte Teil des Stillen Meeres, als Alonſo Martin de Don Benito, der den Meerhorizont mit Vasco Nunez de Balboa am 25. September 1513 auf der kleinen Bergkette von Quarequa geſehen, einige Tage darauf am Iſthmus zu dem Golfo de San Miguel herabſtieg, ehe Balboa die abenteuerliche Zeremonie der Beſitznahme ausführte. Schon ſieben Monate früher, im Januar 1513, meldete Balboa ſeinem Hofe, daß das ſüdliche Meer, von welchem er die Eingeborenen reden hörte, ſehr leicht zu be— ſchiffen wäre: „mar muy mansa y que nunca anda brava como la mar de nuestra banda“ (de las Antillas). Der Name Oceano Pacifico wurde indes, wie Pigafetta erzählt, der Mar del Sur (des Balboa) erſt von Magelhaens gegeben. Schon ehe Magelhaens' Expedition zuſtande kam (10. Auguſt 1519), hatte die ſpaniſche Regierung, der es nicht an ſorgſamer Thätigkeit fehlte, im No— vember 1514, gleichzeitig dem Pedrarias Davila, Gouverneur der Provinz Castilla del Oro (der nordweſtlichſten von Südamerika), und dem großen Seemann Juan Diaz de Solis geheime Befehle erteilt; dem erſteren, 4 Caravelen im Golfo de San Miguel bauen zu laſſen, „um Entdeckungen in der neuentdeckten Südſee zu machen“; dem zweiten, von der öſtlichen Küſte Amerikas aus eine Oeffnung, abertura de la tierra, zu finden, um in den Rücken (ä espaldas) des neuen Landes, d. i. in den meerumfloſſenen weſt— lichen Teil der Castilla del Oro, zu gelangen. Die Expedition — 325 — des Solis (Oktober 1515 bis Auguſt 1516) führte weit gegen Süden und zur Entdeckung des Rio de la Plata, welcher lange Rio de Solis genannt wurde. 16% (S. 213.) S. über die geographiſche Lage der zwei un— glücklichen Inſeln (San Pablo lat. 16° Süd, long. 135%“ weſtlich von Paris; Isla de Tiburones lat. 10% Süd, long. 145°) das Examen erit. T. I. p. 286 und Navarrete T. IV, p. LIX, 52, 218 und 267. — Zu fo ruhmvollen Wappenaus— ſchmückungen als wir im Texte für die Nachkommen des Sebaſtian de Elcano erwähnt haben (der Weltkugel mit der Inſchrift: Primus circumdedisti me), gab die große Zeit der Entdeckungen im Raume mehrfache Veranlaſſung. Das Wappen, welches dem Kolumbus, „um ſeine Perſon bei der Nachwelt zu verherrlichen, para subli— marlo“, ſchon den 20. Mai 1493 gegeben wird, enthält die erſte Karte von Amerika: eine Inſelreihe, die einem Golf vorliegt. Kaiſer Karl V. gab dem Diego de Ordaz, der ſich rühmte, den Vulkan von Orizaba erſtiegen zu haben, das Bild dieſes Kegel berges; dem Geſchichtſchreiber Oviedo, welcher 34 Jahre (von 1513 bis 1547) ununterbrochen im tropiſchen Amerika lebte, die vier ſchönen Sterne des ſüdlichen Kreuzes zu Wappenſchildern. 1 (S. 215.) Gaetano entdeckte eine der Sandwichinſeln 1542. Ueber die Schiffahrt des Don Jorge de Menezes (1526) und des Alvaro de Saavedra (1528) nach den Ilhas de Papuas ſ. Barros, Da Asia Dec. IV. liv. I. cap. 16 und Navarrete T. V, p. 125. Die im Britiſchen Muſeum aufbewahrte und von dem gelehrten Dalrymple unterſuchte Hydrographie von Joh. Rotz (1542) enthält Umriſſe von Neuholland, wie auch die Kartenſamm— lung von Jean Valard aus Dieppe (1552), deren erſte Kenntnis wir Herrn Coquebert Monbret verdanken. 2 (S. 215.) Nach dem Tode von Mendana übernahm in der Südſee ſeine durch perſönlichen Mut und große Geiſtesgaben ausgezeichnete Frau Dona Iſabella Baretos den Befehl der Ex— pedition, welche erſt 1596 endigte. — Quiros ſührte auf ſeinen Schiffen die Entſalzung des Seewaſſers im großen ein, und ſein Beiſpiel wurde mehrfach befolgt. Die ganze Operation war, wie ich an einem anderen Orte durch das Zeugnis des Alexander von Aphrodiſias erwieſen, ſchon im 3. Jahrhundert nach unſerer Zeitrechnung bekannt, wenn auch wohl nicht auf Schiffen benutzt. (S. 217.) Dieſer König ſtarb zur Zeit des mexikaniſchen Königs Axayacatl, welcher von 1464 bis 1477 regierte. Ein Ab— kömmling des Nezahualcoyotl, eines Dichterkönigs, war der gelehrte einheimiſche Geſchichtſchreiber Fernando de Alva Irtilxochitl, deſſen handſchriftliche Chronik der Chichimeken ich 1803 im Palaſte des Vizekönigs von Mexiko geſehen und die Herr Prescott ſo glück— lich benutzt hat. Der aztekiſche Name des Geſchichtſchreibers Fer— nando de Alva bedeutet Vanillengeſicht. Herr Ternaux-Compans hat 1840 eine franzöſiſche Ueberſetzung des Manuffripts in Paris — 326 — drucken laſſen. — Die Nachricht über die langen Elefantenhaare, welche Cadamoſto ſammelte, findet ſich in Ramuſio Vol. I. p. 109 und in Grynäus cap. 43, p. 33. 164 (S. 217.) Es iſt nach den übereinſtimmenden Zeugniſſen von Hernan Cortes in ſeinen Berichten an Kaiſer Karl V., von Bernail Diaz, Gomara, Oviedo und Hernandez keinem Zweifel unterworfen, daß zur Zeit der Eroberung von Montezumas Reich in keinem Teile von Europa Menagerieen und botaniſche Gärten (Sammlungen lebender Tiere und Pflanzen) entſtanden waren, die man mit denen von Huaxtepec, Chapultepec, Iztapa— lapan und Tezeuco hätte vergleichen können. 1 (S. 220.) Ueber die ſonderbaren Verſchiedenheiten der Bula de concesion A los Reyes Catholicos de las Indias des- cubiertas y que se descubrieren vom 3. Mai 1493 und der Bula de Alexandro VI sobre la particion del Oceano vom 4. Mai 1493 (erläutert in der Bula de extension vom 25. Sept. 1493) j. Examen crit. T. III, p. 52—54. Sehr verſchieden von dieſer Demarkationslinie iſt die in der Capitulacion de la particion del Mar Oceano entre los Reyes Catholicos y Don Juan Rey de Portugal vom 7. Juni 1494 beſtimmte Scheidungslinie, 370 le- guas (zu 17 auf einen Aequatorialgrad) weſtlich von den Kap— verdiſchen Inſeln. Die letztgenannte, welche zu dem Verkauf der Molukken (de el Maluco) an Portugal 1529 für die Summe von 350 000 Golddukaten geführt hat, ſtand in keiner Beziehung mit magnetiſchen und meteorologiſchen Phantaſieen. Die päpſtlichen Demarkationslinien verdienen aber darum hier eine genauere An— führung, weil ſie, wie im Texte erwähnt iſt, einen großen Einfluß auf die Beſtrebungen nach Vervollkommnung der nautiſchen Aſtro— nomie und beſonders der Längen methoden ausgeübt haben. Recht merkwürdig iſt es auch, daß die Capitulacion vom 7. Juni 1494 ſchon das erſte Beiſpiel von der feſten Bezeichnung eines Meridians durch in Felſen eingegrabene Marken oder errichtete Türme gibt. Es wird befohlen: „que se haga alguna senal 6 torre“ überall, wo der Grenzmeridian von Pol zu Pol in der öſtlichen und weſtlichen Halbkugel eine Inſel oder einen Kontinent durchſchneidet. In den Kontinenten ſoll die raya, von Diſtanz zu Diſtanz, durch eine Reihe ſolcher Zeichen oder Türme kenntlich ge— macht werden, was allerdings kein kleines Unternehmen geweſen wäre! 6 (S. 220.) Sehr bemerkenswert ſcheint mir zu ſein, daß der früheſte klaſſiſche Schriftſteller über den Erdmagnetismus, Wil— liam Gilbert, bei welchem man nicht die geringſte Kenntnis der chineſiſchen Litteratur vermuten kann, doch den Seekompaß für eine chineſiſche Erfindung hält, die Marco Polo nach Europa gebracht habe: „Illa quidem pyxide nihil unquam humanis excogitatum artibus humano generi profuisse magis, constat. Scientia nauticae pyxidulae traducta videtur in Italiam per Paulum Venetum, qui eirca annum MCCLX apud Chinas artem pyxidis — 327 — didicit.“ Die Einführung durch Marco Polo, deſſen Reiſen in die Jahre 1271 bis 1295 fallen, der alſo nach Italien zurückkehrte, als Guyot de Provius in ſeinem Gedichte des Seekompaſſes, wie Jacques de Vitry und Dante, als eines längſt bekannten Inſtrumentes ge— dacht hatten, iſt durch nichts begründet. Ehe Marco Polo abreiſte, ſchon in der Mitte des 13. Jahrhunderts, bedienten ſich Catalanen und Basken des Seekompaſſes. a 167 (S. 121.) Nach neueren Forſchungen fand Cabots erſte Fahrt nach Amerika ſchon 1494 ſtatt. [D. Herausg.] 168 (S. 222.) Das Zeugnis über den ſterbenden Sebaſtian Cabot j. in der mit vieler hiſtoriſcher Kritik abgefaßten Schrift von Biddle, Memoir of Seb. Cabot p. 222. „Man kennt,“ ſagt Biddle, „mit Genauigkeit weder das Todesjahr noch den Begräbnisort des großen Seefahrers, der Großbritannien faſt einen Kontinent geſchenkt und ohne den (wie ohne Sir Walter Raleigh) vielleicht die engliſche Sprache nicht von vielen Millionen der Bewohner Amerikas geſprochen würde.“ — Ueber die Materialien, nach denen die Variationskarte des Alonſo de Santa Cruz konſtruiert war, wie über die Variations— kompaſſe, deren Vorrichtung ſchon zugleich erlaubte, Sonnenhöhen zu nehmen, ſ. Navarrete, Noticia biografica del Cosmo- grafo Alonso de Santa Cruz p. 3—8. Der erſte Bariations: kompaß war ſchon vor 1525 von einem kunſtreichen Apotheker aus Sevilla, Felipe Guillen, zuftande gebracht. Das Beſtreben, die Richtung der magnetiſchen Deklinationskurven genauer kennen zu lernen, war ſo groß, daß 1585 Juan Jayme mit Francisco Gali bloß deshalb von Manila nach Acapulco ſchiffte, um ein von ihm erfundenes Deklinationsinſtrument in der Südſee zu prüfen. 6 (S. 222.) Dieſe vier magnetiſchen Linien ohne Abweichung haben Halley durch die Streitigkeiten zwiſchen Henry Bond und Beckborrow auf die Theorie von vier magnetiſchen Polen geführt. 0 (S. 223.) In der gemäßigten und kalten Zone iſt dieſe Krümmung der Iſothermen zwiſchen den weſtlichen Küſten von Europa und den öſtlichen Küſten von Nordamerika allerdings all— gemein, aber im Inneren der Tropenzone laufen die Iſothermen dem Aequator faſt parallel; und in den raſchen Schlüſſen, zu denen ſich Kolumbus verleitet ſieht, blieben unbeachtet die Unterſchiede des See- und Landklimas wie der Oſt- und Weſtküſten, der Ein— fluß der Breite und der Winde, die über Afrika wegwehen. (Vergl. die merkwürdigen Betrachtungen über die Klimate, welche in der Vida del Almirante cap. 66 zuſammengeſtellt find.) Die frühe Ahnung des Kolumbus von der Krümmung der Iſothermen im Atlantiſchen Ozean war wohl begründet, wenn man ſie auf die außertropiſche (gemäßigte und kalte) Zone beſchränkt. 171 (S. 223.) Der Admiral, jagt Fernando Colon (Vida del Alm, cap. 58), ſchrieb dem Umfang und der Dichtigkeit der Wälder, welche die Rücken der Berge bedeckten, die vielen erfriſchen— den, die Luft abkühlenden Regengüſſe zu, denen er ausgeſetzt war, — 328 — ſolange er längs der Küſte von Jamaika hinſegelte. Er bemerkt bei dieſer Gelegenheit in ſeinem Schiffsjournale, daß „vormals die Waſſermenge ebenſo groß war auf Madeira, auf den kanariſchen und Azoriſchen Inſeln; aber daß ſeit der Zeit, wo man die Bäume abgehauen hat, welche Schatten verbreiteten, die Regen daſelbſt viel ſeltener geworden ſind“. Dieſe Warnung iſt drei und ein halbes Jahrhundert faſt unbeachtet geblieben. 2 (S. 223.) Die Inſchrift von Adulis, faſt anderthalb— tauſend Jahre älter als Anghiera, ſpricht von „abeſſiniſchem Schnee, in den man bis an die Kniee verſinkt“. (S. 224.) Leonardo da Vinci jagt von dieſem Verfahren ſehr ſchön: questo € il methodo da osservarsi nella ricerca de' fenomeni della natura. Die meiſten phyſikaliſchen Arbeiten des Leonardo da Vinei ſind von 1498. (S. 224.) Wie groß die Aufmerkſamkeit auf Naturerſchei— nungen von früher Zeit an bei den Seeleuten geweſen iſt, erkennt man auch in den älteſten ſpaniſchen Berichten. Diego de Lepe z. B. fand 1499 (wie ein Zeugnis in dem fiskaliſchen Prozeſſe gegen die Erben von Chriſtoph Kolumbus es uns lehrt) mittels eines mit Klappenventilen verſehenen Gefäßes, welches ſich erſt am Meeres- boden öffnete, daß weit von der Mündung des Orinoko eine ſechs Faden dicke Schicht ſüßen Waſſers das Salzwaſſer bedeckt. Kolumbus ſchöpfte im Süden der Inſel Cuba milchweißes Seewaſſer („weiß, als wäre Mehl hineingeſtreut“), um es in Flaſchen mit nach Spa⸗ nien zu nehmen. Ich war der Längenbeſtimmungen wegen an denſelben Punkten, und es hat mich wunder genommen, daß dem alten erfahrenen Admiral die auf Untiefen ſo gewöhnliche trübe, milchweiße Farbe des Seewaſſers eine neue, unerwartete Erſchei— nung habe ſein können. — Was den Golfſtrom ſelbſt betrifft, der als ein wichtiges kosmiſches Phänomen zu betrachten iſt, ſo waren die Wirkungen desſelben ſchon lange vor der Entdeckung von Amerika auf den Azoriſchen und Kanariſchen Inſeln durch Anſchwemmung von Bambusrohr, Pinusſtämmen und ſonderbar geſtalteten Leich— namen aus den Antillen, ja ſelbſt durch die unwillkürliche Landung von fremden Menſchen in Kanven, „die nie untergehen können“, vielfach beobachtet worden. Man ſchrieb dieſelben aber damals allein der Stärke von Weſtſtürmen zu, ohne doch die von der Rich— tung der Winde ganz unabhängige Bewegung der Waſſer, die gleich— ſam rückwirkende Inflexion des pelagiſchen Stromes gegen Oſten und Südoſten, d. h. den Impuls zu erkennen, welcher alljährlich tropiſche Früchte der Antillen den iriſchen und norwegiſchen Küſten zuführt. 175 (S. 226.) Die Exiſtenz des Sargaſſomeeres in der bisher be— ſchriebenen Weiſe iſt von dem Weltreiſenden und Botaniker Dr. Otto Kuntze völlig in Abrede geſtellt worden. [D. Herausg.] 176 (S. 226.) Alonſo de Ercilla hat in der Araucana die Stelle des Gareilaſo nachgeahmt: Climas passe, mude con- stelaciones. — 329 — 177 (S. 227.) Nach den Begebenheiten, die Anghiera Dec. II, lib. X, p. 204 und Dec. III, lib. X, p. 232 anführt, muß die Stelle der Oceanic des Anghiera, welche von den Magelhaens— hen Wolken handelt, zwiſchen 1514 und 1516 geſchrieben worden ſein. Andrea Corſali beſchreibt auch in einem Briefe an Giuliano de' Medici die kreisförmige translatoriſche Bewegung von „due nugolette di ragionevol grandezza*. Der Stern, den er zwiſchen Nubecula major und minor abbildet, ſcheint mir 8 Hydra. Ueber Petrus Theodori von Emden und Houtman, den Schüler des Mathe— matikers Plancius, ſ. einen hiſtoriſchen Aufſatz von Olbers in Schuhmachers Jahrbuch für 1840 S. 249. 13 (S. 229.) Ich habe an einem anderen Orte die Zweifel, welche mehrere berühmte Kommentatoren des Dante in neueren Zeiten über die quattro stelle geäußert, zu löſen geſucht. Um das Problem in ſeinem ganzen Umfang zu faſſen, muß die Stelle lo mi volsi... (Purgat. I, v. 22 — 24) mit den anderen Stellen: Pur g. I, v. 37, VIII, v. 85—93, XXIX, v. 121, XXX, v. 97, XXXI, v. 106 und Inf. XXVI,. v. 117 und 127 verglichen werden. Der Mailänder Aſtronom de Cäſaris hielt die drei facelle (Di che’l polo di quà tutto quanto arde und welche untergehen, wenn die vier Sterne des Kreuzes aufgehen) für Canopus, Achernar und Foma— haut. Ich habe verſucht, die Schwierigkeiten durch die nachfolgenden Betrachtungen zu löſen: „Le mysticisme philosophique et reli— gieux qui penetre et vivifie l'immense composition du Dante, assigne A tous les objets, à cöte de leur existence reelle ou materielle, une existence ideale. C'est comme deux mondes, dont l'un est le reflet de l'autre. Le groupe des quatre étoiles represente, dans l’ordre moral, les vertus cardinales: la pru- dence, la justice, la force et la temperance; elles meritent pour cela le nom de „saintes lumieres, luci sante“. Les trois étoiles „qui éclairent le pöle*, representent les vertus theolo- gales: la foi, l’esperance et la charite. Les premiers de ces ötres nous revelent eux-m&mes leur double nature; ils chan- tent: „lei nous sommes des nymphes, dans le ciel nous sommes des étoiles; Noi sem qui Ninfe, e nel ciel semo stelle.“ Dans la Terre de la verite, le Paradis terrestre, sept nymphes se trouvent réunies: ‚In cerchio le facevan di se elaustro le sette Mie.“ C'est la reunion des vertus cardinales et theo- logales. Sous ces formes mystiques, les objets réels du firma- ment, eloignes les uns des autres, d’apres les lois eternelles de la Mecanique celeste, se reconnaissent à peine. Le monde ideal est une libre creation de l’äme, le produit de l’inspi- ration poetique.*“ 19 (S. 229.) Da die Sterne 4 und 7 des ſüdlichen Kreuzes faſt einerlei Geradaufſteigung haben, jo erſcheint das Kreuz ſenk— recht, wenn es durch den Meridian geht; aber die Eingeborenen vergeſſen nur zu oft, daß dieſe Himmelsuhr jeden Tag um 3“ 56“ — 330 — voreilt. — Alle Berechnungen über das Sichtbarſein ſüdlicher Sterne in nördlichen Breiten verdanke ich den freundſchaftlichen Mitteilungen des Herrn Dr. Galle, der zuerſt den Planeten von le Verrier am Himmel aufgefunden. „Die Unſicherheit der Berechnung, nach welcher der Stern des ſüdlichen Kreuzes, mit Rückſicht auf Re— fraktion, für 52° 25° nördlicher Breite um das Jahr 2900 vor der chriſtlichen Zeitrechnung anfing unſichtbar zu werden, kann vielleicht mehr als 100 Jahre betragen, und würde ſich auch bei ſtrengſter Berechnungsform nicht ganz beſeitigen laſſen, da die eigene Bewegung der Fixſterne für jo lange Zeiträume wohl nicht gleichförmig iſt. Die eigene Bewegung von Crucis beträgt etwa ½ Sekunde jähr— lich, meiſt im Sinne der Rektaſzenſion. Von der durch Vernach— läſſigung derſelben erzeugten Unſicherheit ſteht zu erwarten, daß ſie die obige Zeitgrenze nicht überſteige.“ 150 (S. 232.) Die Königin ſchreibt an Kolumbus: Nosotros mismos, / no otro alguno, habemos visto algo del libro que nos dejästes (ein Reiſejournal, in dem der mißtrauiſche Seemann alle numeriſchen Angaben von Breitengraden und Diſtanzen weg— gelaſſen hatte): quanto mas en esto platicamos y vemos, cono— cemos cuan gran cosa ha seido este negocio vuestro y que ha- beis sabido en ello mas que nunca se pensö que pudiera saber ninguno de los nacidos. Nos parece que seria bien que llevä— sedes con vos un buen Estrologo, y nos parescia que seria bueno para esto Fray Antonio de Marehena, porque es buen Estrologo y siempre nos pareciö que se comformaba con vuestro parecer. Dieſer Marchena iſt identiſch mit Fray Juan Perez, dem Guardian des Kloſters de la Rabida, in welchem Kolumbus in ſeiner Armut 1484 die Mönche „für ſein Kind um Brot und Waſſer anſprach“. — Die aſtronomiſchen Ephemeriden nennt Ko— lumbus eine vision profetica in einem Briefe an die Christianissi- mos Monarcas aus Jamaika vom 7. Juli 1503. — Der portu⸗ gieſiſche Aſtronom Ruy Falero, aus Cubilla gebürtig, von Karl V. 1519 zugleich mit Magelhaens zum Caballero de la Orden de Santiago ernannt, ſpielte eine wichtige Rolle in den Zurüſtungen zu Magelhaens Weltumſegelung. Er hatte eine eigene Abhandlung über die Längenbeſtimmungen für Magelhaens angefertigt, von welcher der große Geſchichtſchreiber Barros einige Kapitel handſchriftlich beſaß, wahrſcheinlich dieſelbe, welche 1535 in Sevilla bei Johann Crom— berger gedruckt worden iſt. Navarrete hat das Buch ſelbſt in Spanien nicht auffinden können. Ueber die vier Längenmethoden, die Falero durch Eingebung feines Demonio familiar beſaß, ſiehe Herrera Dec. II, lib. II, cap. 19 und Navarrete T. V, p. LXXVII. Später machte der Kosmograph Alonſo de Santa Cruz, derſelbe, welcher (wie der Apotheker aus Sevilla, Felipe Guillen, 1525) die Länge durch die Variation der Magnetnadel zu beſtimmen verſuchte, unausführbare Vorſchläge, zu demſelben Zweck durch Uebertragung der Zeit zu gelangen; aber ſeine Chronometer EEE — 331 — waren Sand- und Waſſeruhren, Räderwerke durch Gewichte bewegt, ja ſelbſt „in Oel getränkte Dochte“, die in ſehr gleicher Zeitdauer abbrannten! — Pigafetta (Transunto del Trattato di Navigazione p. 219) empfiehlt Mondhöhen im Meridian. Von den Lunarlängenmethoden jagt Amerigo Veſpucci ſehr naiv und wahr: der Vorteil, welchen ſie gewähren, entſpringe aus dem corso più leggier de la luna. 151 (S. 233.) Die amerikaniſche Menſchenraſſe, eine und die: ſelbe von 65° nördlicher bis 55“ ſüdlicher Breite, ging vom Jagd— leben nicht durch die Stufe des Hirtenlebens zum Ackerbau über. Dieſer Umſtand iſt um ſo merkwürdiger, als der Biſon, von welchem ungeheure Herden umherſchwärmen, der Zähmung fähig iſt und viel Milch gibt. Wenig beachtet iſt die Nachricht, die man in Gomara lieſt und nach der im Nordweſten von Mexiko unter 40° Breite noch im 16. Jahrhunderte ein Volksſtamm lebte, deſſen größter Reichtum in Herden gezähmter Biſons (bueyes con una giba) beftand. Von dieſen Tieren erhielten die Eingeborenen Stoff zur Bekleidung, Speiſe und Trank, wahrſcheinlich Blut; denn die Abneigung gegen Milch, oder wenigſtens der Nichtgebrauch derſelben, ſcheint, vor der Ankunft der Europäer, allen Eingeborenen des neuen Kontinents mit den Bewohnern von China und Kochinchina gemein geweſen zu ſein. Allerdings gab es von jeher in dem ge— birgigen Teile von Quito, Peru und Chile Herden zahmer Lamas— Dieſe Herden waren aber der Reichtum von Völkern, welche an— geſiedelt ſich mit der Kultur des Bodens beſchäftigten; in den Kor— dilleren von Südamerika fand man keine Hirtenvölker, kein Hirtenleben. Was ſind die „gezähmten Hirſche“ bei der Punta de S. Helena, deren ich Erwähnung finde in Herrera Dec. II, lib. X, cap. 6? Dieſe Hirſche ſollen Milch und Käſe gegeben haben: ciervos que dan leche y queso y se crian en casa! Aus welcher Quelle iſt dieſe Notiz geſchöpft? Sie kann aus einer Verwechſelung mit den geweih- und hornloſen Lamas der kalten Bergregion ent— ſtanden fein, von denen Gareilaſo behauptet, daß ſie in Peru, beſonders auf der Hochebene des Callao, zum Pflügen gebraucht wurden. Dieſe Anwendung ſcheint wohl nur eine ſeltene Aus— nahme, eine Lokalſitte geweſen zu ſein. Denn im allgemeinen war der amerikaniſche Menſchenſtamm durch Mangel von Haus— tieren charakteriſiert, was auf das Familienleben tief ein— wirkte. 32 (S. 234.) Ueber die Hoffnung, welche Luther bei der Aus— führung ſeines großen freiſinnigen Werkes zuerſt vorzugsweiſe auf die jüngere Generation, auf die Jugend Deutſchlands ſetzte, ſ. die merkwürdigen Aeußerungen in einem Briefe vom Monat Juni 1518. 183 (S. 234.) Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, wie die Kenntnis der Epoche, in welcher Veſpucci zum königlichen Ober— piloten ernannt wurde, allein ſchon die zuerſt von dem Aſtronomen — 332 — Schoner in Nürnberg 1533 erſonnene Anklage widerlegt, daß Ve— ſpucei die Worte Terra di Amerigo liſtig in die von ihm um— geänderten Küſtenkarten eingeſchrieben habe. Die hohe Achtung, welche der ſpaniſche Hof den hydrographiſchen und aſtronomiſchen Kenntniſſen des Amerigo Veſpucci ſchenkte, leuchtet deutlich hervor aus den Vorſchriften (Real titulo con extensas facultades), die ihm gegeben wurden, als man ihn am 22. März 1508 zum Piloto major ernannte. Er wird an die Spitze eines wahren Deposito hydrografico geſtellt und ſoll für die Casa de Contratacion in Sevilla, den Centralpunkt aller ozeaniſchen Unternehmungen, eine allgemeine Küſtenbeſchreibung und ein Poſitionsverzeichnis (Padron general) anfertigen, in dem jährlich alles neu Entdeckte nachzu— tragen wäre. Aber ſchon 1507 iſt der Name Americi terra von einem Manne, deſſen Exiſtenz dem Veſpucci gewiß unbekannt ge— blieben war, von dem Geographen Waldſeemüller (Martinus Hylacomylus) aus Freiburg im Breisgau, dem Vorſteher einer Druckerei zu St. Dié in Lothringen in einer kleinen Weltbeſchrei— bung: Cosmographiae Introductio. insuper quatuor Americi Vespucii Navigationes (impr. in oppido 8. Deodati 1507), für den neuen Kontinent vorgeſchlagen worden. Ningmann, Profeſſor der Kosmographie in Baſel (bekannter unter dem Namen Phileſius), Hylacomylus und der Pater Gregorius Reiſch, Herausgeber der Margarita philosophica, waren genaue Freunde. In der letzten Schrift findet ſich eine Abhandlung des Hylacomylus über Architektur und Perſpektive von 1509. Laurentius Phriſius in Metz, ein Freund des Hylacomylus und wie dieſer von dem mit Veſpucci in Briefwechſel ſtehenden Herzog Renatus von Lothringen beſchützt, nennt den Hylacomylus einen e in der Straßburger Ausgabe des Ptolemäus von 1522. Die in dieſer Ausgabe enthaltene, von Hylacomylus gezeichnete Karte des neuen Kontinents bietet zum erſtenmal in den Ausgaben der Geographie des Ptolemäus den Namen America dar. Nach meinen Unterſuchungen war indes ſchon zwei Jahre früher eine Weltkarte von Petrus Apianus erſchienen, welche einmal des Camers Ausgabe des Solinus, ein zweites Mal der Vadianiſchen Ausgabe des Mela beigefügt iſt und, wie neuere chineſiſche Karten, den Iſthmus von Panama durchbrochen darſtellt. Sehr mit Un— recht hat man ehemals die jetzt in Weimar befindliche Karte aus der Ebnerſchen Bibliothek zu Nürnberg von 1527 und die davon verſchiedene, von Güſſefeld geſtochene, des Diego Ribero von 1529 für die älteſten Karten des neuen Kontinents gehalten. Veſpucci hatte mit Juan de la Coſa, deſſen, volle ſechs Jahre vor des Kolumbus Tode, 1500 im Puerto de Santa Maria gezeichnete Karte ich zuerſt bekannt gemacht habe, in der Expedition von Alonſo de Hojeda 1499 die Küſten von Südamerika beſucht, ein Jahr nach Chriſtoph Kolumbus' dritter Reiſe. Veſpucei hätte gar keinen Zweck haben können, eine Reiſe vom Jahre 1497 zu fingieren, da er 8 n ſowohl als Kolumbus bis an ihren Tod feſt überzeugt geweſen ſind, nur Teile des öſtlichen Aſiens berührt zu haben. (Vergl. den Brief des Kolumbus an den Papſt Alexander VI. vom Februar 1502 und einen anderen an die Königin Iſabella vom Juli 1503 in Na— varrete J. I, p. 304, T. II, p. 280, wie Veſpuccis Brief an Pier Francesco de' Medici in Bandini, Vita e Lettere di Amerigo Vespuceci p. 66 und 83.) Pedro de Ledesma, Pilot des Kolumbus auf der dritten Reiſe, jagt noch 1513 in dem Pro— zeſſe gegen die Erben, „daß man Paria für einen Teil von Aſien halte, la tierra firme que dicese que es de Asia.“ Die oft gebrauchten Periphraſen Mondo nuovo, alter Orbis, Colonus novi orbis repertor ſtehen damit nicht in Widerſpruch, da ſie nur auf nie vorher geſehene Gegenden deuten und ebenſo von Strabo, Mela, Tertullian, Iſidor von Sevilla und Cadamoſto gebraucht werden. Noch mehr als 20 Jahre nach dem Tode von Veſpucci, der 1512 erfolgte, ja bis zu den Verleumdungen von Schoner im Opus— culum geographicum 1533 und von Servet in der Lyoner Ausgabe der Geographie des Ptolemäus von 1535 findet man keine Klage gegen den Florentiner Seefahrer. Chriſtoph Kolumbus nennt ihn ein Jahr vor ſeinem Tode einen Mann „von dem unbeſchol— tenſten Charakter (mucho hombre de bien), alles Vertrauens würdig, immer geneigt ihm nützlich zu ſein“. Ebenſo wohlwollend für Veſpucci ſind Fernando Colon, welcher das Leben ſeines Vaters erſt gegen 1535, vier Jahre vor ſeinem Tode, in Sevilla abfaßte und mit Juan Veſpucci, dem Neffen des Amerigo, 1524 der aſtro— nomiſchen Junta zu Badojoz und den Verhandlungen über den Be— ſitz der Molukken beiwohnte; Petrus Martyr de Anghiera, der per— ſönliche Freund des Admirals, deſſen Briefwechſel bis 1525 reicht; Oviedo, der alles aufſucht, was den Ruf des Kolumbus vermindern kann; Ramuſio und der große Geſchichtſchreiber Guicciardini. Wenn Amerigo abſichtlich die Zeitepochen ſeiner Reiſen hätte ver— fälſchen wollen, ſo würde er ſie miteinander in Uebereinſtimmung gebracht haben, nicht die erſte Reiſe fünf Monate nach dem An— tritt der zweiten geendigt haben. Die Zahlenverwirrungen in den vielen Ueberſetzungen ſeiner Reiſen ſind nicht ihm zuzuſchreiben, da er keinen dieſer Berichte ſelbſt herausgegeben. Solche Zahlen— verwechſelungen waren übrigens in den Druckſchriften des 16. Jahr— hunderts ſehr gewöhnlich. Oviedo hatte als Edelknabe der Königin der Audienz beigewohnt, in welcher Ferdinand und Iſabella 1493 den Admiral nach ſeiner erſten Entdeckungsreiſe in Barcelona pomp— haft empfingen. Er hat dreimal drucken laſſen, daß die Audienz im Jahre 1496 ſtattfand, ja ſogar, daß Amerika 1491 entdeckt wurde. Gomara läßt dasſelbe, nicht mit Ziffern, ſondern mit Worten drucken und ſetzt die Entdeckung der Tierra firme von Amerika in 1497, alſo genau in das für den Ruf des Amerigo Veſpucci ſo verhängnisvolle Jahr. Für das ganz ſchuldloſe Benehmen des Flo— rentiners, der nie dem neuen Kontinente ſeinen Namen beizulegen — 334 — verſucht hat, aber durch ſeine Ruhmredigkeit in den Berichten an den Gonfaloniere Piero Soderini, an Pierfrancesco de' Medici und an Herzog Renatus II. von Lothringen das Unglück gehabt hat, die Aufmerkſamkeit der Nachwelt mehr auf ſich zu ziehen, als er es verdiente, ſpricht am meiſten der Prozeß, welchen der Fiskal in den Jahren 1508 bis 1527 gegen die Erben von Chriſtoph Kolumbus führte, um ihnen die Privilegien und Rechte zu entziehen, die dem Admiral bereits 1492 von der Krone verliehen waren. Amerigo trat in Staatsdienſt als Pilato mayor in demſelben Jahre, als der Prozeß begann. Er lebte noch vier Jahre lang in Sevilla während der Führung des Prozeſſes, in welchem entſchieden werden ſollte, welche Teile des neuen Kontinents von Kolumbus berührt worden wären. Die elendeſten Gerüchte fanden Gehör und dienten dem Fiskal zur Anklage. Man ſuchte Zeugen in Santo Domingo und allen ſpaniſchen Häfen, in Moguer, Palos und Sevilla, gleichſam unter den Augen von Amerigo Veſpucci und ſeines Neffen Juan. Der Mundus Novus, gedruckt bei Johann Otmar zu Augsburg 1504, die Raccolta di Vicenza (Mondo Novo e paesi novamente retrovati da Alberico Vespuzio Fioren- tino) von Aleſſandro Zorzi 1507, gewöhnlich dem Fracanzio di Montalboddo zugeſchrieben, die Quatuor Navigationes von Martin Waldſeemüller (Hylacomylus) waren ſchon erſchienen; ſeit 1520 gab es Weltkarten, auf denen der Name Amerika, welchen Hylacomylus 1507 vorgeſchlagen und Joachim Vadianus 1512 in einem Briefe aus Wien an Rudolf Agricola belobt hatte, einge— ſchrieben war, und doch wurde der Mann, welchem in Deutſchland, in Frankreich und Italien weit verbreitete Schriften eine Reiſe nach der Tierra firme von Paria im Jahre 1497 zuſchrieben, von dem Fiskal in dem bereits begonnenen und 19 Jahre lang fortgeführten Prozeſſe weder perſönlich citiert, noch als Vorgänger und Wider: ſacher des Kolumbus genannt? Warum würde nicht nach dem Tode des Amerigo Veſpucci (22. Februar 1512 in Sevilla) ſein Neffe Juan Veſpucci, wie es mit Martin Alonſo und Vicente Nanez Pinzon, mit Juan de la Coſa und Alonſo de Hojeda geſchah, be— rufen worden ſein, um zu bezeugen, daß die Küſte von Paria, die nicht als „feſtes Land von Aſien“, ſondern wegen der nahen und einträglichen Perlenfiſcherei einen ſo großen Wert hatte, bereits vor Kolumbus, d. h. vor dem 1. Auguſt 1498, von Amerigo be— rührt worden ſei? Dieſe Nichtbenutzung des wichtigſten Zeugniſſes bleibt unerklärbar, wenn Amerigo Veſpucci ſich je gerühmt hätte eine Entdeckungsreiſe 1497 gemacht zu haben, wenn man damals auf die verworrenen Zeitangaben und Druckfehler der Quatuor Navigationes irgend einen ernſten Wert gelegt hätte. Das große, noch ungedruckte Werk eines Freundes des Kolumbus, Fray Bartholomé de las Caſas (die Historia general de las Indias), iſt, wie wir ſehr beſtimmt wiſſen, in den einzelnen Teilen zu ſehr verſchiedenen Epochen geſchrieben. Es wurde erſt 15 Jahre 4 7 * — 335 — nach dem Tode des Amerigo, 1527, begonnen und 1559 vollendet, ſieben Jahre vor dem im 92. Lebensjahre erfolgten Tode des greiſen Verfaſſers. Lob und bitterer Tadel ſind darin wunderbar gemiſcht. Man ſieht den Haß und den Verdacht des Betruges zuſammen, je mehr der Ruf des florentiniſchen Seefahrers ſich verbreitet. In der Vorrede (Prologo), die zuerſt geſchrieben worden iſt, heißt es: „Amerigo erzählt, was er in zwei Reiſen nach unſeren Indien unternommen; doch ſcheint er manche Umſtände verſchwiegen zu haben, ſei es gefliſſentlich (4 saviendas) oder weil er fie nicht be— achtete. Deshalb haben ihm einige zugeſchrieben, was anderen ge— hört, denen es nicht entzogen werden ſollte.“ Ebenſo gemäßigt iſt noch das Urteil lib. I. cap. 140: „Hier muß ich des Unrechtes er— wähnen, welches Amerigo ſcheint dem Admiral gethan zu haben oder vielleicht die, welche feine Quatuor Navigationes drucken ließen (6 los que imprimieron). Es wird ihm allein, ohne andere zu nennen, die Entdeckung des Feſtlandes zugeſchrieben. Auf Karten ſoll er den Namen Amerika geſetzt und ſo gegen den Admiral ſünd— lich gefehlt haben. Da Amerigo ſprachgewandt war und zierlich zu ſchreiben wußte (era latino y eloquente), jo hat er ſich für den Anführer der Expedition des Hojeda in dem Briefe an den König Renatus ausgegeben. Er war jedoch nur einer der Steuerleute, wenngleich erfahren im Seeweſen und gelehrt in der Kosmographie (hombre entendido en las cosas de la mar y docto en Cosmo— graphia) In der Welt iſt verbreitet worden, er ſei der Erſte geweſen am feſten Lande. Hat er dies mit Abſicht verbreitet, ſo iſt es große Bosheit; und war auch keine wirkliche Abſicht da, jo ſieht es doch danach aus (clara pareze la falsedad: y si fue de industria hecha, maldad grande fué; y ya que no lo fuese, al menos parezelo)..... Amerigo ſoll im Jahre 7 (1497) ab⸗ gereiſt ſein, eine Angabe, die freilich nur ein Schreibverſehen zu ſein ſcheint, nicht eine böswillige (pareze aver avido yerro de pendola y no malicia), weil er nach 18 Monaten will zurück— gekommen ſein. Die fremden Schriftſteller nennen das Land Amerika. Es ſollte Kolumba heißen.“ Dieſe Stelle zeigt deut— lich, daß Caſas bis dahin den Amerigo ſelbſt nicht beſchuldigt, den Namen Amerika in Umlauf geſetzt zu haben. Er jagt: „An tomado los escriptores extrangeros de nombrar la nuestra Tierra firme America, como si Americo solo y no otro con*el y antes que todos la oviera descubierto.“ In lib. I, cap. 164—169 und lib. II, cap. 2 bricht aber der ganze Haß auf einmal aus. Es wird nichts mehr einem bloßen Verſehen in der Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeſchrieben; alles iſt abſichtsvoller Betrug, deſſen Amerigo ſelbſt ſich ſchuldig gemacht (de industria lo hizo persistißö en el engana . .. de falsedad estä claramente convencido). Bartholoms de las Caſas bemüht ſich noch an beiden Stellen, dem Amerigo ſpeziell nachzu— weiſen, daß er in ſeinen Berichten die Reihenfolge der Ereigniſſe — 336 — der zwei erſten Reiſen verfälſcht, manches der erſten Reiſe zugeteilt habe, was auf der zweiten geſchehen, und umgekehrt. Auffallend genug iſt mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben ſcheint, wie ſehr das Gewicht ſeiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengeſetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit deſſen ſpricht, der das lebhafteſte Intereſſe hatte, den Amerigo Veſpucci anzugreifen, wenn er ihn für ſchuldig und ſeinem Vater für feindlich gehalten hätte. „Ich muß mich wundern,“ ſagt las Caſas (cap. 164), „daß Hernando Colon, ein Mann von großer Einſicht, der, wie ich es beſtimmt weiß, die Reiſeberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat.“ — Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt, das ſeltene Manuſkript von Bartholome de las Caſas zu unterſuchen, ſo habe ich über einen ſo wichtigen und bisher ſo unvollſtändig behandelten hiſtoriſchen Gegenſtand in dieſer langen Anmerkung dasjenige einſchalten wollen, was ich im Jahre 1839 in meinem Examen critique T. V, p. 178-217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte, iſt unerſchüttert zurückgeblieben: „Quand la denomination d'un grand continent, generalement adoptee et consacree par usage de plusieurs siècles, se présente comme un monument de J'injustice des hommes, il est naturel d’attribuer d’abord la cause de cette injustice à celui qui semblait le plus inter- esse à la commettre. L’etude des documens a prouve qu'au— cun fait certain n’appuie cette supposition, et que le nom d’Amerique a pris naissance dans un pays &loigne (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent ecarter jusqu'au soupgon d'une influence de la part de Vespuce. C'est la que s’arrete la critique historique. Le champ sans hbornes des causes inconnues, ou des combinaisons morales ‚possible, n'est pas du domaine de l’histoire positive. Un homme qui pendant une longue carriere a joui de l’estime des plus illustres de ses contemporains, s'est eleve, par ses connaissances en astronomie nautique, distinguees pour le temps où il vi- vait, à un emploi honorable. Le concours de circonstances fortuites lui a donné une celebrite dont le poids, pendant trois siecles, a pese sur sa mémoire, en fournissant des motifs pour avilir son caractere. Une telle position est bien rare dans l’histoire des infortunes humaines: c'est l’exemple d'une fletrissure morale croissant avec illustration du nom. Il va- lait la peine de scruter ce qui, dans ce mélange de succès et d’adversites, appartient au navigateur möme, aux hazards de la redactions preeipitee de ses écrits, ou à de maladroits et dangereux amis.“ Kopernikus ſelbſt hat zu dieſem gefahrbringen— den Ruhme beigetragen; auch er ſchreibt die Entdeckung des neuen Weltteils dem Veſpucei zu. Indem er über das „centrum gravi- tatis und centrum magnitudinis“ des Feſtlandes diskutiert, fügt — 337 — er hinzu: „Magis id erit clarum, si addantur insulae aetate nostra sub Hispaniarum Lusitaniaeque Prineipibus repertae, et praesertim America ab inventore denominata navium prae- fecto, quam, ob incompertam ejus adhuc magnitudinem, alte- rum orbem terrarum putant.“ 184 (S. 236.) „Die Fernröhre, welche Galilei ſelbſt kon— ſtruierte, und andere, deren er ſich bediente, um die Jupiters— trabanten, die Phaſen der Venus und die Sonnenflecken zu beob— achten, hatten ſtufenweiſe 4, 7- und 32malige Linearvergrößerung, nie eine größere.“ Ar ago im Annuaire du Bureau des Long. pour l'an 1842, p. 268. 185 (S. 237.) Weſtphal in der dem großen Königsberger Aſtronomen Beſſel gewidmeten Biographie des Kopernikus, 1822, S. 33, nennt, wie Gaſſendi, den Biſchof von Ermland Lukas Watzel— rodt von Allen. Nach Erläuterungen, die ich ganz neuerlich dem ge— lehrten Geſchichtſchreiber von Preußen, dem geh. Archivdirektor Voigt, verdanke, „wird die Familie der Mutter des Kopernikus in Urkunden: Weiſelrodt, Weißelrot, Weiſebrodt, am gewöhnlichſten Waißelrode genannt. Die Mutter war unzweifelhaft deutſchen Stammes, und das Geſchlecht der Waißelrode, urſprünglich von dem Geſchlechte derer von Allen, das ſeit dem Anfange des 15. Jahr— hunderts in Thorn blühte, verſchieden, hat, wahrſcheinlich durch Adop— tion oder wegen naher Verwandtſchaftsverhältniſſe den Namenszuſatz von Allen angenommen.“ Sniadecki und Czynski nennen die Mutter des großen Kopernikus Barbara Waſſelrode, welche der Vater, deſſen Familie ſie aus Böhmen herleiten, 1464 zu Thorn geheiratet habe. Den Namen des Aſtronomen, welchen Gaſſendi als Torneaus Borussus bezeichnet, ſchreiben Weſtphal und Czynski Köpernik, Krzyzanowski Kopirnig. In einem Briefe des erm— ländiſchen Biſchofs Martin Kromer aus Heilsberg am 21. November 1580 heißt es: „Cum Jo. (Nicolaus) Copernicus vivens orna— mento fuerit atque etiam nunc post fata sit, non solum huie Eeclesiae, verum etiam toti Prussiae patriae suae, iniquum esse puto, eum post obitum carere honore sepulchri sive mo- numenti.“ 186 (S. 237.) So Gaſſendi in Nicolai Coperniei vita, angehängt feiner Lebensbeſchreibung des Tycho (Tychonis Brahei vita), 1655, Hagae-Comitum, p. 320: eodem die et horis non multis priusquam animam efflaret. Nur Schubert und Robert Small behaupten, daß Kopernikus „wenige Tage nach dem Er— ſcheinen ſeines Werkes“ verſchieden ſei. Dies iſt auch die Mei— nung des Archivdirektors Voigt zu Königsberg, weil in einem Briefe, den der ermländiſche Domherr Georg Donner kurz nach dem Tode des Kopernikus an den Herzog von Preußen ſchrieb, geſagt wird: „der achtbare und würdige Doktor Nikolaus Koppernik habe ſein Werk kurz vor den Tagen ſeines letzten Abſchiedes von dieſem Elend, gleichſam als einen ſüßen Schwanengeſang ausgehen laſſen“. A. v. Humboldt, Kosmos. II. 22 — 338 — Nach der gewöhnlichen Annahme war das Werk 1507 begonnen und 1530 ſchon jo weit vollendet, daß ſpäterhin nur wenige Ber: beſſerungen angebracht wurden. Durch einen Brief des Kardinals Schönberg, aus Rom vom November 1536, wird die Herausgabe beeilt. Der Kardinal will durch Theodor von Reden das Manuſkript abſchreiben und ſich ſchicken laſſen. Daß die ganze Bearbeitung des Buches ſich bis in das quartum novennium verzögert habe, jagt Kopernikus ſelbſt in der Zueignung an Papſt Paul III. Wenn man nun bedenkt, wie viel Zeit zum Druck einer 400 Seiten langen Schrift erforderlich war und daß der große Mann ſchon im Mai 1543 ſtarb, ſo iſt zu vermuten, daß die Zueignung nicht im zuletzt genannten Jahre geſchrieben iſt, woraus dann für den Anfang der Bearbeitung ſich uns (36 Jahre zurückrechnend) nicht ein ſpäteres, ſondern ein früheres Jahr als 1507 ergibt. — Daß die zu Frauen- burg dem Kopernikus allgemein zugeſchriebene Waſſerleitung nach ſeinen Entwürfen ausgeführt worden ſei, bezweifelt Prof. Voigt. Er findet, daß erſt 1571 zwiſchen dem? Domkapitel und dem „kunſt⸗ reichen Meiſter Valentin Zendel, Rohrmeiſter in Breslau“, ein Kontrakt geſchloſſen wurde, um das Waſſer zu Frauenburg aus dem Mühlgraben in die Wohnungen der Domherren zu leiten. Von einer früher vorhandenen Waſſerleitung iſt keine Rede. Die jetzige iſt alſo erſt 28 Jahre nach dem Tode des Kopernikus ent: ſtanden. 157 (S. 238.) „Neque enim necesse est, eas hypotheses esse veras, imo ne verisimiles quidem; sed sufficit hoc unum, si calculum observationibus Per exhibeant“, jagt der Vorbericht des Oſiander. „Der Biſchof von Kulm, Tidemann Giſe, aus Danzig gebürtig, welcher jahrelang den Kopernikus wegen der Herausgabe ſeines Werkes bedrängte, erhielt endlich das Manu— ſkript mit dem Auftrage, es ganz nach ſeiner freien Wahl zum Druck zu befördern. Er ſchickte dasſelbe zuerſt an den Rhäticus, Profeſſor in Wittenberg, der kurz vorher lange bei ſeinem Lehrer in Frauenburg gelebt hatte. Rhäticus hielt Nürnberg geeigneter für die Herausgabe und trug die Beſorgung des Druckes dem dor— tigen Profeſſor Schoner und dem Andreas Oſiander auf.“ Die Lobſprüche, welche am Ende des Vorberichts dem Werke des Koper— nikus erteilt werden, hätten auch ſchon, ohne das ausdrückliche Zeugnis des Gaſſendi, darauf führen müſſen, daß der Vorbericht von fremder Hand ſei. Auch auf dem Titel der erſten Ausgabe, der von Nürnberg von 1543, hat Oſiander den in allem, was Kopernikus ſelbſt geſchrieben ſorgfältig vermiedenen Ausdruck: motus stellarum novis insuper ac admirabilibus hypothesibus ornati neben dem überaus unzarten Zuſatze: „igitur studiose lector, eme, lege, fruere* angebracht. In der zweiken, Baſeler, Ausgabe von 1566, die ich ſehr ſorgfältig mit der erſten, Nürnberger, ver— glichen, iſt auf dem Titel des Buches nicht mehr der „bewunderns— würdigen Hypotheſen“ gedacht; aber Oſianders Praefatiuncula de N — 339 — hypothesibus hujus operis, wie Gaſſendi den eingeſchobenen Vor: bericht nennt, iſt beibehalten. Daß übrigens Oſiander, ohne ſich zu nennen, ſelbſt hat darauf hinweiſen wollen, die Praefatiuncula ſei von fremder Hand, erhellt auch daraus, daß er die Dedikation an Paul III. als Praefatio authoris bezeichnet. Die erſte Aus— gabe hat nur 196 Blätter, die zweite 213 wegen der angefügten Narratio prima des Aſtronomen Georg Joachim Rhäticus, eines erzählenden an Schoner gerichteten Briefes, der, wie ich im Texte bemerkt, bereits 1541 durch den Mathematiker Gaſſarus in Baſel zum Druck befördert, der gelehrten Welt die erſte genauere Kennt— nis des kopernikaniſchen Syſtemes gab. Rhäticus hatte 1539 ſeine Profeſſur in Wittenberg niedergelegt, um zu Frauenburg ſelbſt des Kopernikus Unterricht zu genießen. Die Erläuterung von dem, was ſich Oſiander aus Furchtſamkeit zuzuſetzen bewogen fand, gibt Gaſſendi: „Andreas porro Osiander fuit, qui non modo opera- rum inspector (der Beſorger des Druckes) fuit, sed Praefatiun- culam quoque ad lectorem (tacito licet nomine) de Hypothe- sibus operis adhibuit. Ejus in ea consilium fuit, ut, tametsi Copernicus Motum Terrae habuisset, non solum pro Hypothesi, sed pro vero etiam placito; ipse tamen ad rem, ob illos, qui heine offenderentur, leniendam, excusatum eum faceret, quasi talem Motum non pro dogmate, sed pro Hypothesi mera as- sumpsisset.“ 188 (S. 239.) „Quis enim in hoc pulcherrimo templo lam- padem hanc in alio vel meliori loco poneret, quam unde to- tum simul possit illuminare? Siquidem non inepte quidam lucernam mundi, alii mentem, alii reetorem vocant. Trime- gistus visibilem Deum, Sophoclis Electra intuentem omnia. Ita profecto tanquam in solio regali Sol residens circum- agentem gubernat Astrorum familiam: Tellus quoque minime fraudatur lunari ministerio, sed ut Aristoteles de animalibus ait, maximam Luna cum terra cognationem habet. Concipit interea a Sole terra, et impregnatur annuo partu. Invenimus igitur sub hac ordinatione admirandam mundi symmetriam ac certum harmoniae nexum motus et magnitudinis orbium: qualis alio modo reperiri non potest.“ (Nikol. Kopernikus, De Revol. orbium coelestium lib. I, cap. 10, p. 9,b.) In dieſer Stelle, welche nicht ohne dichteriſche Anmut und Er: habenheit des Ausdrucks iſt, erkennt man, wie bei allen Aſtro— nomen des 17. Jahrhunderts, Spuren eines langen und ſchönen Verkehrs mit dem klaſſiſchen Altertume. Kopernikus hatte im An— denken: Cic. Somn. Scip. cap. 4, Plin. II, 4 und Mercur. Trismeg. lib. V. Die Anſpielung auf die Elektra des Sophokles iſt dunkel, da die Sonne nie ausdrücklich darin allſehend ge— nannt wird, wie ſonſt in der Ilias und der Odyſſee, auch in den Choephoren des Aeſchylus, die Kopernikus wohl nicht Elektra würde genannt haben. Nach Böckhs Vermutung iſt die Anſpielung Fr wohl einem Gedächtnisfehler zuzuſchreiben und Folge einer dunk— len Erinnerung an Vers 869 des Oedipus in Kolonos des So— phokles. Sonderbarerweiſe iſt ganz neuerlich in einer ſonſt lehr— reichen Schrift (Czynski, Kopernik et ses travaux, 1847, p. 102) die Elektra des Tragikers mit elektriſchen Strö— mungen verwechſelt worden. Man lieſt als Ueberſetzung der oben angeführten Stelle des Kopernikus: „Si on prend le soleil pour le flambeau de l' Univers, pour son ame, pour son guide, si Trimegiste le nomme un Dieu, si Sophocle le eroit une puissance dlectrique qui anime et contemple Vensemble de la e 189 (S. 239.) „Pluribus ergo existentibus centris, de centro quoque mundi non temere quis dubitabit, an videlicet fuerit istud gravitatis terrenae, an aliud. Equidem existimo, gravi- iatem non aliud esse, quam appetentiam quandam naturalem partibus inditam a divina providentia opificis universorum, ut in unitatem integritatemque suam sese conferant in formam globi coäuntes. Quam affectionem credibile est etiam Soli, Lunae, caeterisque errantium fulgoribus inesse, ut ejus efhi- cacia in ea qua se repraesentant rotunditate permaneant, quae nihilominus multis modis suos effieiunt eircuitus. Si igitur et terra faciat alios, utpote secundum centrum (mundi), ne- cesse erit eos esse qui similiter extrinsecus in multis apparent, in quibus invenimus annuum circuitum. — Ipse denique Sol medium mundi putabitur possidere, quae omnia ratio ordinis, quo illa sibi invicem succedunt, et mundi totius harmonia nos docet, si modo rem ipsam ambobus (ut ajunt) oculis inspiciamus.“ Kopern., DeRevol.orb. coel. lib. I, cap. 9, Pb: 190 (S. 240.) In der Stelle des Plutarch wird Anaxagoras nicht genannt; daß dieſer aber dieſelbe Theorie „vom Fall beim Nachlaſſen des Umſchwunges“ auf alle (ſteinerne) Himmelskörper an— wendet, lehren Diog. Laert. Il, 12 und die vielen Stellen, welche ich oben geſammelt. Vergl. auch Ariſtot. De Coelo II, 1 und eine merkwürdige Stelle des Simplicius in den Scholien nach der Ausgabe der Berliner Akademie, wo des „Nichtherabfallens der himmliſchen Körper“ gedacht wird, „wenn der Umſchwung die Ober: hand habe über die eigene Fallkraft oder den Zug nach unten“. An dieſe Ideen, welche übrigens teilweiſe dem Empedokles und Demokritus wie dem Anaxagoras zugehören, knüpft ſich das von Simplicius angeführte Beiſpiel, „daß das Waſſer in einer Phiole nicht ausgegoſſen wird beim Umſchwung derſelben, wenn der Um— ſchwung ſchneller iſt als die Bewegung des Waſſers nach unten, dus ent To raw Tod B Ypopäc.“ 91 (S. 240.) ©. die Beweisſtellen zu allem, was ſich im Altertum auf Anziehung, Schwere und Fall der Körper bezieht, mit großem Fleiß und mit Scharfſinn geſammelt in Th. Henri Martin, Bi en — 341 — Etudes sur le Tim&e de Platon, 1841, T. II, p. 272—280 und 34. 192 (240.) Er gab ſpäter die richtige Meinung auf, aber daß dem Centralkörper des Planetenſyſtems, der Sonne, eine Kraft in— wohne, welche die Bewegungen der Planeten beherrſche, daß dieſe Sonnenkraft entweder wie das Quadrat der Entfernungen oder in geradem Verhältnis abnehme, äußert ſchon Kepler in der 1618 voll— endeten Harmonice mundi. 193 (S. 240.) Die zerſtreuten Stellen, welche ſich in dem Werke des Kopernikus auf die vorhipparchiſchen Syſteme des Welt— baues beziehen, ſind außer der Zueignung folgende: lib. I. cap. 5 und 10, lib. V, cap. 1 und 3 (ed princ. 1548 p. 3, b; 7,b, 8, b, 133, b; 141, und b; 179, und 181,b). Ueberall zeigt Kopernikus eine Vorliebe und ſehr genaue Bekanntſchaft mit den Pythagoreern oder, um vorſichtiger mich auszudrücken, mit dem, was den älteſten unter ihnen zugeſchrieben wurde. So kennt er z B., wie der Ein— gang der Zueignung beweiſt, den Brief des Lyſis an den Hip— parchus, welcher allerdings bezeugt, daß die geheimnisliebende italiſche Schule, „wie es anfangs auch des Kopernikus Vorſatz war“, nur Freunden ihre Meinungen mitteilen wollte. Das Zeitalter des Lyſis iſt ziemlich unſicher; er wird bald ein unmittelbarer Schüler des Pythagoras genannt, bald und ſicherer ein Lehrer des Epami— nondas. Der Brief des Lyſis an Hipparch, einen alten Pythagoreer, der die Geheimniſſe des Bundes veröffentlicht hatte, iſt, wie ſo viele ähnliche Schriften, in ſpäten Zeiten geſchmiedet worden. Kopernikus hat ihn wahrſcheinlich aus der Sammlung des Aldus Manutius, .Epistolae diversorum philosophorum (Romae 1494), oder aus einer lateiniſchen Ueberſetzung des Kardinals Beſſarion (Venet. 1516) gekannt. Auch in dem Verbot der Kopernikaniſchen Schrift De Revolutionibus, in dem berühmten Dekret der Congregazione dell' Indice vom 5. März 1616, wird das neue Weltſyſtem ausdrücklich als „falsa illa doctrina Pythagorica, Divinae scripturae omnino adversans“ bezeichnet. Die wichtige Stelle über Ariſtarch von Samos, von welcher ich im Text geredet, ſteht im Arenarius pag. 449 der Pariſer Ausgabe des Archi— medes von 1615 von David Rivaltus. Die editio princeps aber iſt die Baſeler von 1544 apud Jo. Hervagium. Die Stelle im Arenarius ſagt ſehr beſtimmt: „Ariſtarch habe die Aſtronomen wider— legt, welche ſich die Erde unbewegt in der Mitte des Weltbaues denken. Die Sonne bezeichne dieſe Mitte; ſie ſei unbeweglich wie die anderen Sterne, während die Erde um die Sonne kreiſe.“ In dem Werk des Kopernikus ift Ariſtarch zweimal, p. 69,b und 79,a ohne alle Beziehung auf ſein Syſtem genannt. — Ideler fragt, ob Kopernikus die Schrift De docta ignorantia des Nikolaus von Cuſa gekannt habe? Die erſte Pariſer Ausgabe der Werke iſt allerdings von 1514, und der Ausdruck: jam nobis manifestum est terram in veritate moveri hätte aus dem Munde eines platoni— — 342 — ſierenden Kardinals auf den Domherrn von Frauenburg einigen Eindruck machen ſollen; aber ein Bruchſtück von Cuſas Hand, das durch Clemens ganz neuerlich 1843 in der Bibliothek des Hoſpitals zu Cues aufgefunden worden iſt, beweiſt genugſam, ſowie auch die Schrift De venatione sapıentae cap. 28, daß Cuſa ſich die Erde nicht um die Sonne, ſondern mit dieſer zugleich, aber lang— ſamer, „um die immerfort wechſelnden Pole der Welt“ bewegt dachte. 1 (S. 241) ©. die gründliche Behandlung des Gegenſtandes in Martin, Etudes sur Timee T. II, p. 111. Die Be: hauptung dieſes gelehrten Philologen, nach welcher das urſprüngliche Syſtem des Pythagoras ſelbſt von dem des Philolaus verſchieden iſt und die Erde unbewegt in die Mitte geſetzt haben ſoll, ſcheint mir nicht ganz überzeugend. Ueber die auffallende Behauptung Gaſſendis von dem tychoniſchen Syſteme des Apollonius von Perga, deren ich oben im Texte Erwähnung gethan, will ich hier mich be— ſtimmter erklären. Es heißt in den Biographieen des Gaſſendi: „Magnam imprimis rationem habuit Copernicus duarum opi- nionum affinium, quarum unam Martiano Capellae, alteram Apollonio Pergaeo attribuit. — Apollonius Solem delegit, eirca quem, ut centrum, non modo Mercurius et Venus, verum etiam Mars, Jupiter Saturnus suas obirent periodos, dum Sol interim, uti et Luna, circa Terram, ut circa centrum, quod foret etiam Affixarum mundique centrum, moverentur; quae deinceps quoque opinio Tychonis propemodum fuit. Rationen autem magnam harum opinionum Copernicus habuit, quod utraque eximie Mercurii ac Veneris circuitiones repraesentaret, eximieque causam retrogradationum, directionum, stationum in iis apparentium esprimeret: et posterior (Pergaei) eadem quoque in tribus Planetis superioribus praestaret.“ Mein Freund, der Aſtronom Galle, von dem ich Belehrung gewünscht, findet, wie ich, nichts, was Gaſſendis ſo beſtimmte Behauptung rechtfertigen könnte. „In den Stellen,“ ſchreibt er, „die Sie mir in des Ptole— mäus Almageſt (im Eingang von Buch XII) und in dem Werke von Kopernikus lib. V. cap. 3, pag. 141,a, cap. 35, pag. 179, a und b, cap. 36, pag. 181,b bezeichnen, iſt nur von der Erklärung der Rückgänge und Stillſtände der Planeten die Rede, wodurch zwar auf des Apollonius Annahme von der Umdrehung der Pla— neten um die Sonne hingewieſen wird (ſowie auch Kopernikus ſelbſt der Annahme des Stillſtandes der Erde ausdrücklich erwähnt); wo— her aber dieſer, was er von Apollonius vorausſetzt, geſchöpft habe, iſt nicht zu beſtimmen. Es wird deshalb nur auf eine ſpäte Auto— rität ein dem tychoniſchen gleiches Syſtem des Apollonius von Perga vermutet werden können, obgleich ich eine deutliche Darlegung dieſes Syſtems auch bei Kopernikus nicht erwähnt noch aus älteren Stellen eitiert gefunden habe. Sollte bloß lib. XII des Almageſt die Quelle fein, wonach dem Apollonius die vollſtändige tychoniſche 2 * 4 — 343 — Anſicht beigemeſſen wird, ſo iſt zu glauben, daß Gaſſendi in ſeinen Vorausſetzungen zu weit gegangen iſt und daß es ſich damit ebenſo verhalte wie mit den Phaſen des Merkur und der Venus, die Koper— nikus (lib. I, cap. 10, pag. 7,b und 8, a) zur Sprache gebracht, ohne ſie beſtimmt auf ſein Syſtem angewendet zu haben. Aehnlich hat vielleicht Apollonius die Erklärung der Rückgänge der Planeten unter der Annahme einer Umdrehung um die Sonne mathematiſch behandelt, ohne etwas Beſtimmtes und Allgemeines über die Wahr— heit dieſer Annahme hinzuzufügen. Der Unterſchied des von Gaſſendi beſchriebenen apolliniſchen Syſtems von dem des Tycho würde übrigens nur der ſein, daß dieſer auch noch die Ungleichheiten in den Bewegungen erklärt. Die Bemerkung von Robert Small, daß die Idee, welche dem tychoniſchen Syſteme zu Grunde liegt, keinesweges fremd dem Geiſte des Kopernikus geweſen ſei, ſondern ihm vielmehr als ein Durchgangspunkt für ſein eigenes Syſtem gedient habe, ſcheint mir wohlbegründet.“ 195 (S. 242.) Eine überaus gelungene und vollſtändige tabel— lariſche Ueberſicht aller aſtronomiſchen Anſchauungen des Weltbaues von den früheſten Zeiten der Menſchheit bis zu Newtons Gravi— tationsſyſtem (Inductive Table of Astronomy) hat Whewell gegeben in der Philosophy of the inductive Sciences Vol. II, p. 282. 196 (S. 242.) Plato iſt philolaiſch im Phädrus, im Timäus dagegen ganz dem Syſtem der unbewegten im Centrum ruhen— den Erde, das man ſpäter hipparchiſch und ptolemäiſch genannt hat, zugethan. Das aſtronomiſche Traumbild, in welches der Weltbau am Ende des Buches von der Republik gehüllt iſt, er— innert zugleich an das eingeſchachtelte Sphärenſyſtem der Planeten und den Einklang der Töne, „als Stimmen der mit umſchwingen— den Sirenen“. 17 (S. 242.) Kepler, Har monices Mundi libri quinque, 1619, p. 189. „Am 8. März 1618 kam Kepler nach vielen ver— geblichen Verſuchen auf den Gedanken, die Quadrate der Umlaufs— zeiten der Planeten mit den Würfeln der mittleren Entfernungen zu vergleichen, allein er verrechnete ſich und verwarf dieſen Ge— danken wieder. Am 15. Mai 1618 kam er auf den Gedanken zu— rück und rechnete richtig. Das dritte Keplerſche Geſetz war nun entdeckt.“ Dieſe Entdeckung und die damit verwandten fallen gerade in die unglückliche Epoche, in welcher der von früher Kindheit an den härteſten Schlägen des Schickſals ausgeſetzte Mann daran ar— beitet, ſeine 70jährige Mutter, die der Giftmiſchung, Thränenloſig— keit und Zauberei angeklagt iſt, in einem ſechs Jahre dauernden Hexenprozeſſe von der Folter und dem Scheiterhaufen zu retten. Der Verdacht war dadurch verſtärkt, daß ihr eigener Sohn, der bös— artige Zinngießer Chriſtoph Kepler, die Mutter anklagte, und daß dieſe bei einer Tante erzogen war, welche zu Weil als Hexe ver— brannt wurde. S. eine überaus intereſſante, im Auslande wenig — 344 — bekannt gewordene und nach neu aufgefundenen Manufkripten abge— faßte Schrift des Freiherrn von Breitſchwert: Johann Kepplers Leben und Wirken, 1831, S. 12, 97-147 und 196. Nach der: ſelben Schrift ward Kepler, der ſich in deutſchen Briefen immer Keppler unterzeichnet, nicht den 21. Dezember 1571 in der Reichs⸗ ſtadt Weil, wie man gewöhnlich annimmt, ſondern den 27. Dezember 1571 in dem württembergiſchen Dorfe Magſtatt geboren. Von Ko— pernikus iſt es ungewiß, ob er am 19. Januar 1472, oder am 19. Februar 1473, wie Möſtlin will, oder (nach Czynsky) den 12. Februar desſelben Jahres geboren iſt. Des Kolumbus Geburts— jahr ſchwankte lange um 19 Jahre. Ramuſio ſetzt es in 1430; Bernaldez, der Freund des Entdeckers, in 1436; der berühmte Geſchichtſchreiber Mußoz in das Jahr 1446. 98 (S. 243.) Eine beſſere Einſicht in die freie Bewegung der Körper, in die Unabhängigkeit der einmal gegebenen Richtung der Erdachſe von der rotatoriſchen und fortſchreitenden Bewegung der Erdkugel in ihrer Bahn hat das urſprüngliche Syſtem des Kopernikus auch von der Annahme einer Deklinationsbewegung oder ſogenannten dritten Bewegung der Erde De Revolut. orb. coel. lib. I, cap. 11, triplex motus telluris) befreit. Der Paralle— lismus der Erdachſe erhält ſich im jährlichen Umlauf um die Sonne, nach dem Geſetz der Trägheit, ohne Anwendung eines berichtigen— den Epicyfels. 19 (S. 244.) Wenn das Geſetz der Brechung der Lichtſtrahlen dem Leidener Profeſſor Willebrord Snellius (1626) gehört, der es in ſeinen Papieren vergraben hinterließ, ſo iſt dagegen die Publi— kation des Geſetzes unter einer trigonometriſchen Form zuerſt durch Descartes geſchehen. 200 (S. 244.) Vergl. zwei vortreffliche Abhandlungen über die Erfindung des Fernrohrs von Prof. Mohl aus Utrecht im Journal of de Royal Institution 1831, Vol. I, p. 319 und von Wilde zu Berlin in feiner Geſchichte der Optik, 1838, T. I, S. 138 172. Das in holländiſcher Sprache abgefaßte Werk von Moll führt den Titel: Geschied kundig Onder zoek naar de eerste Uitfinders der Vernkykers, uit de Aantekeningen van wyle den Hoogl. van Swinden zusamen- gesteld door G. Moll. (Amsterdam 1831.) Olbers hat einen Auszug aus dieſer intereſſanten Schrift mitgeteilt in Schumachers Jahrbuch für 1843, S. 56— 65. Die optiſchen Inſtrumente, welche Janſen dem Prinzen Moritz von Naſſau und dem Erzherzog Albert lieferte (letzterer ſchenkte das ſeinige an Cornelius Drebbel), waren, wie aus dem Briefe des Geſandten Boreel erhellt, der als Kind oft in des Brillenmachers Janſen Hauſe geweſen war und die Inſtrumente ſpäter im Laden ſah, Mikroſkope von 18 Zoll Länge, „durch welche kleine Gegenſtände, wenn man von oben hineinſah, wunderbar vergrößert wurden“. Die Verwechſelung der Mikroſkope und Teleſkope verdunkelt die Geſchichte der Erfindungen — — 345 — beider Werkzeuge. Der eben erwähnte Brief von Boreel (aus Paris 1655) macht es, trotz der Autorität von Tiraboſchi, unwahr— ſcheinlich, daß die erſte Erfindung des zuſammengeſetzten Mikroſkops Galilei gehöre. Vergl. über dieſe dunkle Geſchichte optiſcher Er— findungen Vincenzio Antinori in den Saggi di Naturali Esperienze fatte nell Accademia del Cimento, 1641, p. 22—26. Huygens, deſſen Geburtsjahr kaum 25 Jahre nach der mutmaßlichen Erfindungsepoche des Fernrohrs fällt, wagt ſchon nicht mit Gewißheit über den Namen des erſten Erfinders zu ent— ſcheiden. Nach den archivariſchen Forſchungen von van Swinden und Moll beſaß nicht nur Lippershey ſchon den 2. Oktober 1608 von ihm ſelbſt angefertigte Fernröhren, ſondern der franzöſiſche Ge— ſandte im Haag, Präſident Jeannin, ſchrieb auch ſchon den 28. De— zember desſelben Jahres an Sully, „daß er mit dem Middelburger Brillenmacher über ein Fernrohr unterhandle, welches er dem König Heinrich IV. ſchicken wolle“. Simon Marius (Mayer aus Gunzenhauſen, der Mitentdecker der Jupitersmonde) erzählt ſogar, daß ſeinem Freunde Fuchs von Bimbach, geheimen Rat des Mark— grafen von Ansbach, bereits im Herbſte 1608 in Frankfurt am Main von einem Belgier ein Fernrohr angeboten worden ſei. Zu London fabrizierte man Fernröhren im Februar 1610, alſo ein Jahr ſpäter als Galilei das ſeinige zuſtande brachte. Man nannte ſie anfangs Cylinder. Porta, der Erfinder der Camera obscura, hat, wie früher Fracaſtoro, der Zeitgenoſſe von Kolumbus, Ko— pernikus und Cardanus, bloß von der Möglichkeit geſprochen, durch aufeinander gelegte konvexe und konkave Gläſer (duo specilla ocularia alterum alteri superposita) „alles größer und näher zu ſehen“; aber die Erfindung des Fernrohrs kann man ihnen nicht zuſchreiben. Brillen waren in Harlem ſeit dem Anfang des 14. Jahrhunderts bekannt, und eine Grabſchrift in der Kirche Maria Maggiore zu Florenz nennt als Erfinder (Inventore degli oechiali) den 1317 geſtorbenen Salvino degli Armati. Einzelne, wie es ſcheint, ſichere Angaben über den Gebrauch der Brillen durch Greiſe hat man ſelbſt von 1299 und 1305. Die Stellen von Roger Bacon beziehen ſich auf die vergrößernde Kraft gläſerner Kugelſegmente. 201 (S. 245.) Ebenſo ſoll der oben genannte Arzt und mark— gräflich ansbachiſche Mathematikus Simon Marius ſchon 1608, nach der von Fuchs von Bimbach erhaltenen Beſchreibung von der Wirkung eines holländiſchen Fernrohrs, ſich ſelbſt eines konſtruiert haben. — Ueber Galileis früheſte Beobachtung der Gebirgsland— ſchaften des Mondes, deren ich im Texte erwähnt, vergl. Nelli, Vita di Galilei Vol. I, p. 200—206; Galilei, Opere 1744, T. II, p. 60, 403 und p. 409—424. Galilei findet einige kreis— runde, von Bergen überall umgebene Landſchaften im Monde, der Geſtaltung von Böhmen ähnlich. „Eundem facit aspectum Lunae locus quidam, ac faceret in terris regio consimilis Boemiae, — 346 — si montibus altissimis, inque peripheriam perfeeti circuli dis- positis oceluderetur undique.“ (T. II, p. 8.) Die Bergmeſſungen geſchahen nach der Methode der Lichttangenten. Galilei maß, wie ſpäter noch Hevelius that, den Abſtand des Berggipfels von der Erleuchtungsgrenze in dem Augenblick, wo die Berggipfel zuerſt von den Sonnenſtrahlen getroffen werden. Von der Länge der Bergſchatten finde ich keine Beobachtung. Er fand die Erhöhungen incirca miglia quattro hoch, und viele höher als unſere Berge auf der Erde. Die Vergleichung iſt ſonderbar, da nach Riccioli man damals ſo übertriebene Meinungen von unſeren Berggipfeln hatte und einer der vornehmſten, d. h. berufenſten, der Pik von Tenerifa, erſt 1724 mit einiger Genauigkeit trigonometriſch von Feuillee gemeſſen wurde. An die Exiſtenz von vielen Seen und einer Atmoſphäre des Mondes glaubte Galilei auch, wie alle Beob— achter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 202 (S. 246.) Ich finde hier Veranlaſſung, wiederum (ſ. Kos— mos Bd. I, S. 300) an den von Arago ausgeſprochenen Grundſatz zu erinnern: „Il n'y à qu'une maniere rationelle et juste d’ecrire V’histoire des sciences, c'est de sappuyer exclusivement sur des publications ayant date certaine; hors de la tout est con- fusion et obscurite.* — Die jo ſonderbar verſpätete Erſcheinung des Fränkiſchen Kalenders oder der Praktika (1612) und des, aſtronomiſch wichtigen Mundus Jovıalis anno 1609 detectus ope perspicilli Belgici (Februar 1614) konnte allerdings zu dem Verdachte Anlaß geben, Marius habe aus dem Nuntius Sidereus des Galilei, deſſen Zueignung vom März 1610 ift, oder gar aus früheren brieflichen Mitteilungen geſchöpft. Auch nennt ihn Galilei, gereizt durch den noch nicht vergeſſenen Prozeß über den Proportionalzirkel gegen Balthaſar Capra, einen Schüler des Marius, usurpatore del Sistema di Giove; ja Galilei wirft ſogar dem ketzeriſch-proteſtantiſchen Aſtronomen aus Gunzen— hauſen vor, daß ſeine frühere Beobachtung auf einer Kalenderver— wechſelung beruhe. „Tace il Mario di far cauto il lettore, come essendo egli separato della Chiesa nostra, ne avendo acettato l’emendatione gregoriana, il giorno 7 di gennaio del 1610 di noi cattolici (der Tag, an welchem Galilei die Satelliten ent— deckte), & J'istesso, che il di 28 di decembre del 1609 di loro eretici, e questa € tutta la precedenza delle sue finte osser- vationi.“ Nach einem Briefe, den Galilei 1614 an die Academia dei Lincei richtete, wollte derſelbe ſeine Klage gegen Marius etwas unphiloſophiſch an den Marchese di Brandeburgo richten. Im ganzen blieb indes Galilei wohlwollend geſinnt für die deutſchen Aſtronomen. „Gli ingegni singolari, che in gran numero fio- riscono nell' Alemagna, mi hanno lungo tempo tenuto in desiderio di vederla“; ſchreibt er im März 1611. Auffallend iſt es mir immer geweſen, daß, wenn Kepler in einem Geſpräche mit Marius ſcherzhaft als Taufzeuge jener mythologiſchen Benennungen, — 347 — Jo und Kalliſto, aufgeführt wird, derſelbe weder in ſeinem in Prag (April 1610) erſchienenen Kommentar zum Nuncius Side- reus nuper ad mortales a Galilae o missus, noch in ſeinen Briefen an Galilei oder an den Kaiſer Rudolf (Herbſt 1610) ſeines Landsmannes Marius Erwähnung thut, ſondern überall von „der glorreichen Entdeckung der mediceiſchen Geſtirne durch Galilei“ ſpricht. Indem er ſeine eigenen Satellitenbeobachtungen vom 4. bis 9. September 1610 veröffentlicht, gibt er einer kleinen zu Frank— furt 1611 erſchienenen Schrift den Titel: Keplerı Narrat io de observatis a se quatuor Jovis satellitibus erronibus quos Galilaeus Mathematicus Florentinus jure inventionis Medicea Sidera nuncupavit. Ein Brief aus Prag (25. Oktober 1610), an Galilei gerichtet, endigt mit den Worten: „neminem habes, quem metuas aemulum“. Durch einen Irrtum verleitet und nach einer ſehr unſorgfältigen Durch— ſicht aller zu Petworth, dem Landſitze von Lord Egremont, auf— bewahrten koſtbaren Handſchriften, hat Baron von Zach behauptet, daß der ausgezeichnete Aſtronom und virginiſche Reiſende Thomas Harriot gleichzeitig mit Galilei und vielleicht ſelbſt früher die Jupiterstrabanten entdeckt habe. Eine ſorgfältigere von Rigaud angeſtellte Unterſuchung von Harriots Manuſkripten hat gelehrt, daß ſeine Beobachtungen nicht am 15. Januar, ſondern erſt am 17. Oktober 1610 anfangen, 9 Monate nach Galilei und Marius. Die früheſten Originalbeobachtungen der Jupiterstrabanten, die Galilei und ſein Schüler Renieri angeſtellt haben, ſind erſt vor zwei Jahren aufgefunden worden. 20% (S. 246.) Es ſollte heißen 73 Jahre; denn das Verbot des kopernikaniſchen Syſtems durch die Kongregation des Index war vom 5. März 1616. 20 (S. 247.) Schon 1612, alſo kaum zwei Jahre nach der Entdeckung der Jupiterstrabanten, rühmte ſich Galilei, wohl etwas voreilig, die Tafeln dieſer Nebenplaneten „mit der Sicherheit einer Zeitminute“ vollendet zu haben. Eine lange diplomatiſche Kor— reſpondenz begann, ohne zum Ziel zu führen, mit dem ſpaniſchen Geſandten 1616, mit dem holländiſchen 1636. Die Fernröhren ſollten 40- bis 50malige Vergrößerung haben. Um die Satelliten auf dem ſchwankenden Schiffe leichter zu finden und beſſer (wie er wähnte) im Felde zu behalten, erfand er 1617 das Binokular— teleſkop, das gewöhnlich dem in optiſchen Dingen ſehr erfahrenen und nach Fernröhren von 4000maliger Vergrößerung ſtreben— den Kapuziner Schyrleus de Rheita zugeſchrieben wird. Galilei machte Verſuche mit ſeinem binoculo (auch von ihm celatone oder testiera genannt) im Hafen von Livorno bei heftigem, das Schiff ſtark bewegendem Winde. Auch ließ er im Arſenal zu Piſa an einer Vorrichtung arbeiten, in welcher der Beobachter der Trabanten dadurch „vor allen Schwankungen“ geſchützt werden ſollte, daß er in einer Art Kahn ſäße, der in einem anderen, mit — 348 — Waſſer oder Oel gefüllten Kahne frei ſchwämme. Sehr merk— würdig iſt der Beweis der Vorzüge, welche Galilei ſeiner Methode im Seedienſte vor der Methode der Monddiſtanzen von Morin zuſchreibt. 205 (S. 248.) Dem Jeſuiten Scheiner, der von Graz nach Rom berufen wurde, hat man ſchuld gegeben, daß er, um ſich wegen des litterariſchen Streites über die Entdeckung der Sonnenflecken an Galilei zu rächen, dem Papſt Urban VIII. durch einen anderen Jeſuiten, Graſſi, habe einflüſtern laſſen, er, der Papſt, ſei in den berühmten Dialoghi delle Scienze Nuove in der Perſon des albern unwiſſenden Simplicio aufgeführt. 206 (S. 249.) In Galileis Briefe an den Prinzipe Ceſi (25. Mai 1612) iſt dieſelbe Meinung ausgedrückt. 207 (S. 249.) S. geiſtreiche Betrachtungen Aragos über dieſen Gegenſtand in Annuaire pour Pan 1842, p. 481 488. (Der Verſuche mit dem Drummondſchen auf die Sonnenſcheibe projizierten Lichte erwähnt Sir John Herſchel in der Astron. § 334.) 20s (S 251.) Laplace jagt von Keplers Theorie der Ausmeſſung der Fäſſer, „welche wie die Sandrechnung des Archimedes über einen geringen Gegenſtand erhabene Ideen ent— wickelt“: „Kepler présente dans cet ouvrage des vues sur Pinfini qui ont influé sur la revolution que la Geometrie a eprouvee A la fin du 17me siecle; et Fermat, que l'on doit regarder comme le veritable inventeur du caleul dif- ferentiel, a fondé sur elles sa belle methode de marimis et minimis.““ Ueber den geometriſchen Scharfſinn, welchen Kepler in den fünf Büchern ſeiner Weltharmonie offenbart, ſ. Chasles, Aper gu hist. des Möthodes en Geometrie, 1837, p. 482—487. 209 (S. 251.) Sir David Brewſter ſagt ſehr ſchön in dem Account of Kepler's Method of investigating Truth: „The influence of imagination as an instrument of research has been much overlooked by those who have vent- ured to give laws to philosophy. This faculty is of greatest value in physical inquiries. If we use it asa guide and con- fide in its indications, it will infallibly deceive us; but if we employ it as an auxiliary, it will afford us the most in- valuable aid.“ 21 (S. 251.) Apelt fagt: „Das merkwürdige Geſetz der Abſtände, das gewöhnlich den Namen von Bode (oder von Titius) führt, iſt die Entdeckung Keplers, der es zuerſt durch vieljährigen anhaltenden Fleiß aus den Beobachtungen des Tycho de Brahe herausrechnete.“ Die Stellen des Plato, des Plinius, des Cenſo— rinus und des Achilles Tatius in den Prolegomenen zum Aratus ſind ſorgfältig geſammelt in Fries, Geſchichte der Philo— 4 * — 349 — ſophie Bd. IJ. 1837, S. 146—150; in Martin, Etudes sur le Timée T. II, p. 38; in Brandis, Geſchichte der griechiſch-römiſchen Philoſophie T. II, Abt. 1, 1844, S. 364. 21 (S. 253.) Noch im 17. Jahrhundert wurden als ver: änderlich erkannt, außer Mira Ceti (Holwarda 1638): Hydrae (Montanari 1672), 6 Persei oder Algol, und y Cygni (Kirch 1686). — Ueber das, was Galilei Nebelflecke nennt, ſ. deſſen Opere J. II, p. 15 und Nelli, Vita Vol. II, p. 208. Huygens bezeichnet im Systema Saturninum den Nebel im Schwert des Orion auf das deutlichſte, indem er im allgemeinen von dem Nebelflecke jagt: „Cui certe simile aliud nusquam apud reliquas fixas potui animadvertere. Nam ceterae nebulosae olim existimatae atque ipsa via lactea, perspicillis inspectae, nullas nebulas habere comperiuntur, neque alind esse quam plurium stellarum con- geries et frequentia.“ Es geht aus dieſer Stelle hervor, daß der von Marius zuerſt beſchriebene Nebel in der Andromeda von Huygens (wie früher von Galilei) nicht aufmerkſam betrachtet worden war. 212 (S. 255.) Ueber das von Brewſter aufgefundene wich— tige Geſetz des Zuſammenhanges zwiſchen dem Winkel der vollſtän— digen Polariſation und dem Brechungsvermögen der Körper, ſiehe Philosophical Transactions of the Royal Society of the yar 1815, p. 125 — 159. 218 (S. 256.) Für die Erfindung des method of fluxions, nach der offiziellen Erklärung des Komitees der königl. Sozietät zu London vom 24. April 1712 „one and the same with de differential method, excepting the name and mode of notation“, wird das Jahr 1665 angenommen. Ueber den ganzen unheimlichen Prioritäts— ſtreit mit Leibniz, welchem (wunderſam genug!) ſogar Anſchuldigungen gegen Newtons Rechtgläubigkeit eingemiſcht waren, ſ. Brewſter, p. 189-218. Daß in dem weißen Lichte alle Farben enthalten find, behaupteten ſchon de la Chambre in ſeinem Werke La Lumiere (Paris 1657), und Iſaak Voſſius, welcher ſpäter Kanonikus in Windſor wurde, in einer merkwürdigen Schrift, deren Mitteilung ich vor zwei Jahren in Paris Herrn Arago verdankte, De Lueis natura et proprietate (Amstelod. 1662). Von dieſer Schrift handeln Brandes in der neuen Bearbeitung von Gehlers phyſikaliſchem Wörterbuch Bd. IV (1827), und ſehr um: ſtändlich Wilde in feiner Geſchichte der Optik T. I (1838), S. 223, 228 und 317. Als Grundſtoff aller Farbe betrachtet aber Iſaak Voſſius den Schwefel, welcher nach ihm allen Körpern bei— gemiſcht iſt. — In Vossii responsum ad objecta Joh. de Bruyn, Professoris Trajectini, et Petri Petiti 1663 heißt es: „Nec lumen ullum est absque calore, nec calor ullus absque lumine. Lux, sonus, anima (ö), odor, vis mag- netica, quamvis incorporea, sunt tamen aliquid.“ — 350 — % (S. 256.) Um ſo ungerechter gegen Gilbert war Bacon von Verulam, deſſen allgemeine, im ganzen freie und methodiſche Anſichten von einem, leider! ſelbſt für ſeine Zeit recht geringen Wiſſen in Mathematik und Phyſik begleitet waren. „Bacon showed his inferior aptitude for physical research in rejeeting the Copernican doctrine, which William Gilbert adopted.“ 21 (S. 257.) Die erſten Beobachtungen derart waren (1590) an dem Turm der Auguſtinerkirche zu Mantua angeſtellt. Grimaldi und Gaſſendi kannten ähnliche Beiſpiele, immer in geographiſchen Breitegraden, wo die Inklination der Magnetnadel ſehr beträchtlich iſt. — Ueber die erſten Meſſungen der magnetiſchen Intenſität durch die Oszillation einer Nadel vergleiche meine Relat. hist. T. I. P. 260 — 264. 216 (S. 259.) Ueber die älteſten Thermometer ſ. Nelli, Vita e Commercio letterario di Galilei (Losanna 1793) Vol. I, p. 68—94; Opere di Galilei (Padova 1744) T. I, p. LV; Libri, Histoire des Sciences mathematiques en Italie T. IV (1841), p. 185—197. Als Zeugniſſe für die erſten vergleichenden Temperaturbeobachtungen können gelten die Briefe von Gianfrancesco Sagredo und Benedetto Caſtelli von 1613, 1616 und 1633 in Venturi, Memorie et Lettere inedite de Galilei P. I, 1818, p. 20. 217 (S. 260.) S. über Beſtimmung der Skale des Thermometers der Accademia del Cimento und über die, 16 Jahre lang, von einem Schüler des Galilei, dem Pater Raineri, fortgeſetzten meteorologiſchen Beobachtungen Libri in den Anna- les de Chemie et de Physique T. XLV, 1830, p. 354, und eine ſpäter ähnliche Arbeit von Schouw in ſeinem Tableau du Climat et de la Vegetation de l' Italie, 1839, I 10%: 218 (S. 261.) Hooke nahm aber, leider! wie Galilei, eine Ge: ſchwindigkeitsverſchiedenheit zwiſchen der Rotation der Erde und der Atmoſphäre an. 29 (S. 261.) Wenn auch gleich in Galileis Anſicht über die Urſache der Paſſate von einem Zurückbleiben der Luftteile die Rede iſt, ſo darf ſie doch nicht, wie neuerdings geſchehen, mit der An— ſicht von Hooke und Hadley verwechſelt werden. „Dicevamo pur’ ora,“ läßt Galilei im Dialogo quarto den Salviati jagen, „che l'aria, come corpo tenue, e fluido, e non saldamente congiunto alla terra, pareva, che non avesse necessitä d’obbe- dire al suo moto, se non in quanto l’asprezza della superficie terrestre ne rapisce, e seco porta una parte a se contigua, che di non molto intervallo sopravanza le maggiori altezze delle montagne; la qual porzion d'aria tante meno dovrà esser renitente alla conversion terrestre, quanto che ella è ripiena di vapori, fumi, ed esalazioni, materie tutte participanti delle qualitä terrene: e per consequenza attenate per lor natura(?) a de medesimi movimenti. Ma dove mancassero le cause del moto, cioè dove la superficie del globo avesse grandi spazii piani, e meno vi fusse della mistione de vapori terreni, quivi cesserebbe in parte la causa, per la quale l’aria ambiente dovesse totalmente obbedire al rapimento della conversion terrestre: si che in tali luoghi, mentre che la terra si volge verso Oriente, si dovrebbe sentir continuamente un vento, che ci ferisse, spirando da Levante verso Ponente; e tale spira- mento dovrebbe farsi piü sensibile, dove la vertigine del globo fusse piü veloce: il che sarebbe ne i luoghi piü remoti da i Poli, e vicini al cerchio massimo della diurna conversione. L'esperienza applaude molto a questo filosofico discorso, poichè ne gli ampi mari sottoposti alla Zona torrida, dove anco l’evaporazioni terrestri mancano(?), sisente una perpetua aura muovere da Oriente ...“ 220 (S. 262.) Sturm hat das Differentialthermometer beſchrieben in dem kleinen Werke: Collegium experimentale curiosum (Nürnberg 1676, p. 49). Ueber das Baconiſche Geſetz der Wind— drehung, das Dove erſt auf beide Zonen ausgedehnt und in ſeinem inneren Zuſammenhange mit den Urſachen aller Luftſtrömungen erkannt hat, ſ. die ausführliche Abhandlung von Muncke in der neuen Bearbeitung von Gehlers phyſikal. Wörterbuch Bd. X, S. 2003 - 2019 und 2030— 2035. 22 (S. 263.) Schon in der Interpretation der gebrauchten Nomenklatur heißt es: Electrica quae attrahit eadem ratione ut electrum; versorium non magneticum ex quovis metallo, inser- viens electrieis experimentis. Im Text ſelbſt findet man: magnetice ut ita dicam, vel electrice attrahere (vim illam electricam nobis placet appellare ...) (p. 52); effluvia electrica, attractiones electricae. Der abſtrakte Ausdruck electrieitas findet ſich nicht, jo wenig als das barbariſche Wort magnetismus des 18. Jahr: hunderts. Ueber die ſchon im Timäus des Plato p. 80c an: gedeutete Ableitung von Ykszrpov, „dem Zieher und Zugſteine“, von sers und ZArzeıv, und den wahrſcheinlichen Uebergang durch ein härteres ur ſ. Buttmann, Mythologus Bd. II (1829), S. 357. Unter den von Gilbert aufgeſtellten theoretiſchen Sätzen (die nicht immer mit gleicher Klarheit ausgedrückt ſind), wähle ich aus: Cum duo sint corporum genera, quae mani- festis sensibus nostris motionibus corpora allicere videntur, Electrica et Magnetica; Electrica naturalibus ab humore effluviis; Magnetica formalibus efficientiis, seu potius primariis vigoribus, incitationes faciunt. — Facile est hominibus ingenio, acutis, absque experimentis, et usu rerum labi, et errare. Substantiae proprietates aut familiaritates sunt generales nimis, nec tamen verae designatae causae, atque, ut ita dicam, verba quaedam sonant, re ipsä& nihil in specie ostendunt. Neque ista succini credita attractio, a singuları aliquà proprie- — 352 — tate substantiae, aut familiaritate assurgit: cum in pluribus aliis corporibus eundem effectum, majori industria invenimus, et omnia etiam corpora, cujusmodicunque proprietatis, ab omnibus illis alliciuntur.“ Gilberts vorzüglichere Arbeiten ſcheinen zwiſchen 1590 und 1600 zu fallen. Whewell weiſt ihm mit Recht eine wichtige Stelle unter denen an, die er „practical Reformers der poſitiven Wiſſenſchaften“ nennt. Gilbert war Leibarzt der Königin Eliſabeth und Jakobs J., und ſtarb ſchon 1603. Nach ſeinem Tode erſchien ein zweites Werk: De Mundo nostro Sublunari Philosophia nova. 222 (S. 266.) Rey ſpricht eigentlich nur von dem Zutritt der Luft an die Oxyde; er erkennt nicht, daß die Oxyde ſelbſt (die man damals vererdete Metalle nannte), eine bloße Verbindung von Metall und Luft ſind. Die Luft macht nach ihm „den Metallkalk ſchwerer; wie Sand an Gewicht zunimmt, wenn ſich Waſſer daran hängt. Der Metallkalk iſt dabei einer Sättigung mit Luft fähig. L'air espaissi s’attache à la chaux, ainsi le poids augmente du commencement jusqu'à la fin: mais quand tout en est affublé, elle n’en scauroit prendre d’avantage. Ne continuez plus vostre caleination soubs cet espoir, vous perdriez vostre peine.“ Reys Werk enthält demnach die erſte Annäherung zu der beſſeren Erklärung einer Erſcheinung, deren vollkommenes Ver— ſtändnis ſpäter auf das ganze Syſtem der Chemie reformierend eingewirkt hat. 22 (S. 267.) Prieſtleys letzte Klage über das, „was Lavoiſier ſich ſoll zugeeignet haben“, erſchallt in ſeiner kleinen Schrift: The doctrine of Phlogiston established (1800) p. 43. 22 (S. 269.) Vergl. Joh. Müller, Bericht über die von Herrn Koch in Alabama geſammelten foſſilen Knochenreſte ſeines Hydrarchus (des Baſiloſaurus von Harlan 1835, des Zeuglodon von Owen 1839, des Squalodon von Grateloup 1840, des Dorudon von Gibbes 1845), geleſen in der Königl. Akad. der Wiſſenſch. zu Berlin April bis Juni 1847. Dieſe koſtbaren im Staat Alabama (Waſhington-County und un— fern Clarksville) geſammelten Reſte des vorweltlichen Tieres ſind durch die Munifizenz unſeres Königs ſeit 1847 Eigentum des zoo— logiſchen Muſeums zu Berlin. Außer Alabama und Süd-Carolina wurden Teile des Hydrarchus in Europa zu Leognan bei Bordeaux, unweit Linz an der Donau und 1670 auf Malta entdeckt. 22 (S. 269.) Leibnizens geſchichtliche Aufſätze und Gedichte, herausgegeben von Pertz 1847 (in den geſammelten Werken: Geſchichte Bd. IV). Ueber den erſten Entwurf der Protogaea von 1691 und die nachmaligen Umarbeitungen ſ. Tellkampf, Jahresbericht der Bürgerſchule zu Hanno— ver 1847, S. 1-32. 26 (S. 271.) Den Prioritätsſtreit über die Abplattung in — 353 — Hinſicht auf eine von Huygens in der Pariſer Akademie 1669 vor: geleſene Abhandlung hat zuerſt Delambre aufgeklärt in feiner Hist. de l' Astr. mod. T. I, p. LII und T. II, p. 558. Richers Rück⸗ kunft nach Europa fiel allerdings ſchon in das Jahr 1673, aber ſein Werk wurde erſt 1679 gedruckt; und da Huygens Paris 1682 verließ, jo hat er das Additamentum zu der ſehr verſpätet publi- zierten Abhandlung von 1669 erſt dann geſchrieben, als er ſchon die Reſultate von Richers Pendelverſuchen und von Newtons großem Werke: Philosophiae Naturalis Principia mathematica vor Augen hatte. A. v. Humboldt, Kosmos. II. 23 Inhalts-Weberficht des II. Baudes des Kosmos. Allgemeine Ueberſicht des Inhalts. A. Anregungsmittel zum Naturſtudium. Reflex der Außenwelt auf die Einbildungskraft S. 3— 74. J. Dichteriſche Naturbeſchreibung. Naturgefühl nach Verſchiedenheit der Zeiten und der Völkerſtämme S. 6 — 54. IJ. Landſchaftmalerei. Graphiſche Darſtellung der Phyſio⸗ gnomik der Gewächſe S. 55— 67. III. Kultur exotiſcher Gewächſe. Kontraſtierende Zu: ſammenſtellung von Pflanzengeſtalten S. 68 — 74. B. Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung. Hauptmomente der allmählichen Entwickelung und Erweiterung des Begriffs vom Kosmos, als einem Naturganzen S. 93— 277. l. Das Mittelmeer als Ausgangspunkt der Ver⸗ ſuche ferner Schiffahrt gegen Nordoſt (Argonauten), gegen Süden (Ophir), gegen Weſten (Phönizier und Coläus von Samos). An⸗ reihung dieſer Darſtellung an die früheſte Kultur der Völker, die das Becken des Mittelmeeres umwohnten S. 105 — 126. II. Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen. Verſchmelzung des Oſtens mit dem Weſten. Das Griechentum befördert die Völkervermiſchung vom Nil bis zum Euphrat, dem Jaxartes und Indus. Plötzliche Erweiterung der Weltanſicht durch eigene Beobachtung wie durch den Verkehr mit altkultivierten, gewerbetreibenden Völkern S. 127 138. III. Zunahme der Weltanſchauung unter den La giden. Muſeum im Serapeum. Eneyklopädiſche Gelehrſamkeit. Verallgemeinerung der Naturanſichten in den Erd- und Himmels— räumen. Vermehrter Seehandel nach Süden S. 139 - 146. IV. Römiſche Weltherrſchaft. Einfluß eines großen Staatsverbandes auf die kosmiſchen Anſichten, Forifchritte der Erd: kunde durch Landhandel. Die Entſtehung des Chriſtentums er— zeugt und begünſtigt das Gefühl von der Einheit des Menſchen— geſchlechts S. 147—163. V. Einbruch des arabiſchen Volksſtammes. Geiſtige Bildſamkeit dieſes Teiles der ſemitiſchen Völker. Hang zum Ber: kehr mit der Natur und ihren Kräften. Arzneimittellehre und Chemie. Erweiterung der phyſiſchen Erkunde, der Aſtronomie und der mathematiſchen Wiſſenſchaften im allgemeinen S. 164 —183. VI. Zeit der großen ozeaniſchen Entdeckungen. Eröffnung der weſtlichen Hemiſphäre. Amerika und das Stille Meer. Die Skandinavier, Kolumbus, Cabot und Gama; Cabrillo, Mendana und Quiros. Die reichſte Fülle des Materials zur Begründung der phyſiſchen Erdbeſchreibung wird den weſtlichen Völkern Europas dargeboten S. 184— 234. VII. Zeit der großen Entdeckungen in den Himmels⸗ räumen durch Anwendung des Fernrohrs. Hauptepoche der Sternkunde und Mathematik von Galilei und Kepler bis Newton und Leibniz S. 235— 272. VIII. Vielſeitigkeit und innigere Verkettung der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen in der neueſten Zeit. Die Geſchichte der phyſiſchen Wiſſenſchaften ſchmilzt allmählich mit der Geſchichte des Kosmos zuſammen S. 273—277. Spezielle Ueberſicht des Inhalts. A. Anregungsmittel zum Naturſtudium. J. Dichteriſche Naturbeſchreibung. Die Hauptreſultate der Beobachtung, wie ſie der reinen Objektivität wiſſenſchaftlicher Naturbeſchreibung angehören, ſind in dem Naturgemälde aufgeſtellt worden; jetzt betrachten wir den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichteriſch geſtimmte Einbildungskraft. — Sinnesart der Griechen und Römer. Ueber den Vorwurf, als wäre in beiden das Naturgefühl minder lebhaft geweſen. Nur die Aeußerungen des Naturgefühls ſind ſeltener, weil in den großen Formen der lyriſchen und epiſchen Dichtung das Naturbeſchreibende bloß als Beiwerk auftritt und in der alten helleniſchen Kunſtbildung ſich alles gleichſam im Kreiſe der Menſch— heit bewegt. — Frühlingspäane, Homer, Heſiodus. Tragiker; Frag⸗ ment aus einem verlorenen Werke des Ariſtoteles. Bukoliſche — Dichtung, Nonnus, Anthologie. — Eigentümlichkeit der griechiſchen Landſchaft S. 6— 10 und Anm. S. 75— 76. — Römer: Lucretius, Virgil, Ovidius, Lucanus, Lucilius Junior. Spätere Zeit, wo das poetiſche Element nur als zufälliger Schmuck des Gedankens erſcheint; Moſelgedicht des Auſonius. Römiſche Proſaiker: Cicero in ſeinen Briefen, Tacitus, Plinius. Beſchreibung römiſcher Villen. S. 10 — 19 und Anm. S. 76-78. — Veränderungen der Sinnesart und der Dar— ſtellung der Gefühle, welche die Verbreitung des Chriſtentums und das Einſiedlerleben hervorbringen. Minucius Felix im Octavius. Stellen aus den Kirchenvätern; Baſilius der Große in der Wildnis am armeniſchen Fluſſe Iris, Gregorius von Nyſſa, Chryſoſtomus. Sentimental-ſchwermütige Stimmung S. 19—23 und Anm. S. 78 bis 79. — Einfluß der Raſſenverſchiedenheit, welche ſich in der Färbung der Naturſchilderungen offenbart bei Hellenen, italiſchen Stämmen, Germanen des Nordens, ſemitiſchen Völkern, Perſern und Indern. Die überreiche poetiſche Litteratur der drei letzten Raſſen lehrt, daß einer langen winterlichen Entbehrung des Natur— genuſſes wohl nicht allein die Lebendigkeit des Naturgefühls bei den nordiſchen germaniſchen Stämmen zuzuſchreiben iſt. — Ritterliche Poeſie der Minneſänger und deutſches Tierepos nach Jakob und Wilhelm Grimm. Keltiſch-iriſche Naturdichtungen S. 23—28 und Anm. ©. 79. — Oſt⸗- und weſt⸗ariſche Völker (Inder und Perſer). Ramayana und Mahabharata, Sakuntala und Kalidaſas Wolkenbote. Perſiſche Litteratur im iraniſchen Hochlande, nicht über die Zeit der Saſſaniden hinaufſteigend S. 29—32 und Anm. S. 80—83. (Ein Fragment von Theodor Goldſtücker.) — Finniſches Epos und Lieder, aus dem Munde der Karelier geſammelt von Elias Lönnrot S. 32 — Aramäiſche Nationen; Naturpoeſie der Hebräer, in der ſich der Monotheismus ſpiegelt S. 32—35 und Anm. S. 83. — Alte arabiſche Litteratur; Schilderung des beduiniſchen Wüſtenlebens in Antar, Naturbeſchreibung des Amruil Kais S. 35—37 und Anm. S. 83. — Nach dem Hinſchwinden aramäiſcher, griechiſcher und römiſcher Herrlichkeit erſcheint Dante Alighieri, deſſen poetiſche Schöpfung von Zeit zu Zeit das tiefſte Gefühl des irdiſchen Natur- lebens atmet. Petrarca; Bojardo und Vittoria Colonna. Aetna dialogus und maleriſche Schilderung des üppigen Pflanzenlebens der Neuen Welt in den Historiae Venetae des Bembo. Chriſtoph Kolumbus S. 37—42 und Anm. S. 84 —85. — Die Luſiaden des Camoens S. 42 —44 und Anm. S. 85 —86. — Spaniſche Poeſie; die Araucana des Don Alonſo de Ercilla, Fray Luis de Leon, und Calderon nach Ludwig Tieck. — Shakeſpeare, Milton, Thomſon S. 44—46 und Anm. S. 86 — 87. — Franzöſiſche Proſaiker: Rouſ⸗ ſeau, Buffon, Bernardin de St. Pierre und Chateaubriand S. 46 bis 49 und Anm. S. 87. — Rückblick auf die Darſtellung der älteren Reiſenden des Mittelalters: John Mandeville, Hans Schiltberger und Bernhard von Breitenbach; Kontraſt mit den neueren N Cooks Begleiter Georg Forſter S. 49—52 und Anm. S. 87. —— — Der gerechte Tadel der „beſchreibenden Poeſie“ als eigener, für ſich beſtehender Form der Dichtung trifft nicht das Beſtreben, ein Bild der durchwanderten Zonen aufzuſtellen, die Reſultate un— mittelbarer Naturanſchauung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes zu verſinnlichen. Alle Teile des weiten Schöpfungskreiſes vom Aequator bis zu der kalten Zone können ſich einer begeiſternden Kraft auf das Gemüt erfreuen S. 52—54. II. Landſchaftmalerei in ihrem Einfluß auf die Belebung des Naturſtudiums. — In dem klaſſiſchen Altertum war nach der beſonderen Geiſtesrichtung der Völker die Landſchaftmalerei ebenſo— wenig als die dichteriſche Schilderung einer Gegend ein für ſich be ſtehendes Objekt der Kunſt. Der ältere Philoſtrat. Szenographie. Ludius. — Spuren der Landſchaftmalerei bei den Indern in der glänzenden Epoche des Vikramaditya. — Hereulanum und Pompeji. — Chriſtliche Malerei von Konſtantin dem Großen bis zum Anfang des Mittelalters. Miniaturen der Manuſkripte S. 55—58 und Anm. S. 8789. — Ausbildung des Landſchaftlichen in den hiſtoriſchen Bildern der Gebrüder van Eyck. Das 17. Jahrhundert als die glänzende Epoche der Landſchaftmalerei (Claude Lorrain, Ruysdael, Gaspard und Nikolaus Pouſſin, Everdingen, Hobbema und Cupp). — Späteres Streben nach Naturwahrheit der Vegetationsformen. Darſtellung der Tropenvegetation. Franz Poſt, Begleiter des Prinzen Moritz von Naſſau. Eckhout. Bedürfnis phyſiognomiſcher Natur— darſtellung. — Eine große, kaum vollbrachte Weltbegebenheit: die Unabhängigkeit und Gründung geſetzlicher Freiheit im ſpaniſchen und portugieſiſchen Amerika (wo in der Andeskette zwiſchen den Wende— kreiſen volkreiche Städte bis zu 13000 Fuß Höhe über der Meeres- fläche liegen); die zunehmende Kultur von Indien, Neuholland, der Sandwichinſeln und Südafrikas werden einſt nicht bloß der Meteoro— logie und beſchreibenden Naturkunde, ſondern auch der Landſchaft— malerei, dem graphiſchen Ausdruck der Naturphyſiognomie einen neuen Schwung und großartigen Charakter geben. — Wichtigkeit der Benutzung Parkerſcher Rundgemälde. — Der Begriff eines Natur— ganzen, das Gefühl der harmoniſchen Einheit im Kosmos wird um ſo lebendiger unter den Menſchen werden, als ſich die Mittel vervielfältigen, die Geſamtheit der Naturerſcheinungen zu anſchau— lichen Bildern zu geſtalten S. 58-67 und Anm. S. 89— 91. III. Kultur exotiſcher Gewächſe; Eindruck der Phyſio gnomik der Gewächſe, ſoweit Pflanzungen dieſen Eindruck her- vorbringen können. — Landſchaftgärtnerei. Früheſte Parkanlagen im mittleren und ſüdlichen Aſien, heilige Bäume und Haine der Götter S. 68 — 71 und Anm. S. 91 — 92. — Gartenanlagen oſt⸗ aſiatiſcher Völker. Chineſiſche Gärten unter der ſiegreichen Dynaſtie der Han. Gartengedicht eines chineſiſchen Staatsmannes, See-ma⸗ kuang, aus dem Ende des 11. Jahrhunderts. Vorſchriften des Lieut⸗tſcheu. Naturbeſchreibendes Gedicht des Kaiſers Kien-long. — — 358 — Einfluß des Zuſammenhanges buddhiſtiſcher Mönchsanſtalten auf die Verbreitung ſchöner, charakteriſtiſcher Pflanzenformen. S. 71— 74 und Anm. S. 92. B. Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung. Einleitung. Die Geſchichte der Erkenntnis des Weltganzen iſt von der Geſchichte der Naturwiſſenſchaften, wie fie unſere Lehr— bücher der Phyſik und der Morphologie der Pflanzen und Tiere liefern, ganz verſchieden. Sie iſt gleichſam die Geſchichte des Ge— dankens von der Einheit in den Erſcheinungen und von dem Zu— ſammenwirken der Kräfte im Weltall. — Behandlungsweiſe der Geſchichte des Kosmos: a) ſelbſtändiges Streben der Vernunft nach Naturgeſetzen; b) Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; c) Erfindung neuer Mittel ſinn— licher Wahrnehmung. — Sprachen. Verbreitungsſtrahlen der Kultur. Sogenannte Urphyſik und durch Kultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker S. 93—104 und Anm. S. 278 — 280. Hauptmomente einer Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung. J. Das Becken des Mittelmeers als Ausgang der Ver- ſuche, die Idee des Kosmos zu erweitern. — Unterabteilungen der Geſtaltung des Beckens. Wichtigkeit der Bildung des Arabiſchen Meer— buſens. Kreuzung zweier geognoſtiſchen Hebungsſyſteme NO = SW und SSO —- NNW. Wichtigkeit der letzteren Spaltungsrichtung für den Weltverkehr. — Alte Kultur der das Mittelmeer umwohnenden Völker. — Nilthal, altes und neues Reich der Aegypter. — Phönizier, ein vermittelnder Stamm, verbreiten Buchſtabenſchrift (phöniziſche Zeichen), Münze als Tauſchmittel und das urſprünglich babyloniſche Maß und Gewicht. Zahlenlehre, Rechenkunſt. Nachtſchiffahrt. Weſtafri— kaniſche Kolonieen S. 105—115 und Anm. S. 280 — 286. — Hiram⸗ Salomoniſche Expeditionen nach den Goldländern Ophir und Supara S. 115— 117 und Anm. S. 286— 288. — Pelasgiſche Tyrrhener und Tusker (Raſener). Eigentümliche Neigung des tuskiſchen Stammes zu einem innigen Verkehr mit den Naturkräften; Fulguratoren und Aquilegen S. 117—118 und Anm. S. 288 — 289. — Andere ſehr alte Kulturvölker, die das Mittelmeer umwohnen. Spuren der Bildung im Oſten unter Phrygiern und Lykiern, im Weſten unter Turdulern und Turdetanern. — Anfänge der helleniſchen Macht. Vorderaſien, die große Heerſtraße von Oſten her einwandernder Völker; die ägäiſche Inſelwelt das vermittelnde Glied zwiſchen dem Griechentum und dem fernen Orient. Ueber den 48. Breitengrad hinaus ſind Europa und Aſien durch flache Steppenländer wie ineinander ver— floſſen; auch betrachten Phereeydes von Syros und Herodot das — 359 — ganze nördliche ſkythiſche Aſien als zum ſarmatiſchen Europa ge— hörig. — Seemacht, doriſches und ioniſches Leben in die Pflanz— ſtädte übergetragen. — Vordringen gegen Oſten nach dem Pontus und Kolchis, erſte Kenntnis der weſtlichen Geſtade des Kaſpiſchen Meeres, nach Hekatäus mit dem kreiſenden Oeſtlichen Weltmeer ver— wechſelt.⸗Tauſchhandel durch die Kette ſkythiſch-ſkolotiſcher Stämme mit den Argippäern, Iſſedonen und goldreichen Arimaſpen. Meteoro— logiſcher Mythus der Hyperboreer. — Gegen Weſten Oeffnung der Gadeiriſchen Pforte, die lange den Hellenen verſchloſſen war. Schiff— fahrt des Coläus von Samos. Blick in das Unbegrenzte, unaus— geſetztes Streben nach dem Jenſeitigen; genaue Kenntnis eines großen Naturphänomens, des periodiſchen Anſchwellens des Meeres S. 118—126 und Anm. S. 289 — 291. II. Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen und langer Einfluß des Baktriſchen Reichs. — In keiner anderen Zeitepoche (die, achtzehn und ein halbes Jahrhundert ſpäter erfolgte Begebenheit der Entdeckung und Aufſchließung des tropiſchen Amerikas ausgenommen) iſt auf einmal einem Teile des Menſchen— geſchlechtes eine reichere Fülle neuer Naturanſichten, ein größeres Material zur Begründung des kosmiſchen Wiſſens und des ver— gleichenden ethnologiſchen Studiums dargeboten worden. — Die Benutzung dieſes Materials, die geiſtige Verarbeitung des Stoffes wird erleichtert und in ihrem Werte erhöht durch die vorbereitende Richtung, welche der Stagirite dem empiriſchen Forſchen der philo— ſophiſchen Spekulation und einer alles ſcharf umgrenzenden wiſſen— ſchaftlichen Sprache gegeben hatte. — Die macedoniſche Ex— pedition war im eigenſten Sinne des Wortes eine wiſſenſchaft— liche Expedition. Kalliſthenes von Olynth, Schüler des Ariſtoteles und Freund des Theophraſt. — Mit der Kenntnis der Erde und ihrer Erzeugniſſe wurde durch die Bekanntſchaft mit Babylon und mit den Beobachtungen der ſchon aufgelöſten chaldäiſchen Prieſter— kaſte auch die Kenntnis des Himmels anſehnlich vermehrt S. 127 bis 138 und Anm. S. 291 295. III. Zunahme der Weltanſchauung unter den Ptole— mäern. — Das griechiſche Aegypten hatte den Vorzug politiſcher Einheit; und ſeine geographiſche Weltſtellung, der Einbruch des Arabiſchen Meerbuſens brachte den gewinnreichen Verkehr auf dem Indiſchen Ozean dem Verkehr an den ſüdöſtlichen Küſten des Mittel- meers um wenige Meilen nahe. — Das Seleueidenreich genoß nicht die Vorteile des Seehandels, war oft erſchüttert durch die verſchieden— artige Nationalität der Satrapien. Lebhafter Handel auf Strömen und Karawanenſtraßen mit den Hochebenen der Serer nördlich von Uttara⸗Kuru und dem Oxusthale. — Kenntnis der Monſunwinde. Wiedereröffnung des Kanals zur Verbindung des Roten Meeres mit dem Nil oberhalb Bubaſtus; Geſchichte dieſer Waſſerſtraße. — Wiſſen— ſchaftliche Inſtitute unter dem Schutz der Lagiden; alexandriniſches Muſeum und zwei Bücherſammlungen, im Bruchium und in Rhakotis. — 360 — Eigentümliche Richtung der Studien. Neben dem ſtoffanhäufenden Sammelfleiße offenbart ſich eine glückliche Verallgemeinerung der Anſichten. — Eratoſthenes von Cyrene. Erſter helleniſcher Verſuch einer Gradmeſſung zwiſchen Syene und Alexandrien auf unvoll— kommene Angaben der Bematiſten gegründet. Gleichzeitige Fort— ſchritte des Wiſſens in reiner Mathematik, Mechanik und Aſtronomie. Ariſtyllus und Timocharis. Anſichten des Weltgebäudes von dem Samier Ariſtarch und Seleucus dem Babylonier oder aus Erythrä. Hipparch der Schöpfer der wiſſenſchaftlichen Aſtronomie und der größte ſelbſtbeobachtende Aſtronom des ganzen Altertums. Euklides, Apollonius von Perga und Archimedes S. 139—146 und Anm. S. 295 — 298. 4 IV. Einfluß der römiſchen Weltherrſchaft, eines großen Staatsverbandes auf die Erweiterung der kosmiſchen An- ſichten. — Bei der Mannigfaltigkeit der Bodengeſtaltung und Ber- ſchiedenartigkeit der organiſchen Erzeugniſſe, bei den fernen Expe— ditionen nach den Bernſteinküſten und unter Aelius Gallus nach Arabien, bei dem Genuſſe eines langen Friedens hätte die Monarchie der Cäſaren in faſt vier Jahrhunderten das Naturwiſſen lebhafter fördern können; aber mit dem römiſchen Nationalgeiſte erloſch die volkstümliche Beweglichkeit der einzelnen, es verſchwanden Oeffentlich— keit und Bewahrung der Individualität, die zwei Hauptſtützen freier, das Geiſtige belebender Verfaſſungen. — In dieſer langen Periode erhoben ſich als Beobachter der Natur nur Dioskorides der Cilicier und Galenus von Pergamus. Die erſten Schritte in einem wich— tigen Teile der mathematiſchen Phyſik, in der ſelbſt auf Experimente gegründeten Optik, that Claudius Ptolemäus. — Materielle Vorteile der Ausdehnung des Landhandels nach Inneraſien und der Schiffahrt von Myos Hormos nach Indien. — Unter Veſpaſian und Domitian, zur Zeit der Dynaſtie der Han, dringt eine chineſiſche Kriegsmacht bis an die Oſtküſte des Kaſpiſchen Meeres. Die Richtung der Völkerfluten in Aſien geht von Oſten nach Weſten, wie ſie im neuen Kontinent von Norden nach Süden geht. Die aſiatiſche Völkerwanderung beginnt mit dem Anfall der Hiungnu, eines türkiſchen Stammes, auf die blonde, blauäugige, vielleicht indogermaniſche Raſſe der Yueti und Uſün nahe an der chineſiſchen Mauer, ſchon anderthalb Jahrhunderte vor unſerer Zeit— rechnung. — Unter Markus Aurelius werden römiſche Geſandte über Tunkin an den chineſiſchen Hof geſchickt. Kaiſer Claudius empfing ſchon die Botſchaft des Rachias aus Ceylon. Die großen indiſchen Mathematiker Warahamihira, Brahmagupta und vielleicht ſelbſt Aryabhatta ſind neuer als dieſe Perioden; aber was früher auf ganz einſamen, abgeſonderten Wegen in Indien entdeckt worden iſt, kann auch vor Diophantus durch den unter den Lagiden und Cäſaren jo ausgebreiteten Welthandel teilweiſe in den Oeeident ein— gedrungen ſein. — Den Reflex dieſes Welthandels offenbaren die geographiſchen Rieſenwerke des Strabo und Ptolemäus. Die geo— za graphiſche Nomenklatur des letzteren iſt neuerer Zeit durch gründ— liches Studium der indiſchen Sprachen und des weſtiraniſchen Zend als ein geſchichtliches Denkmal jener fernen Handelsverbindungen erkannt worden. — Großartiges Unternehmen einer Weltbeſchrei— bung durch Plinius; Charakteriſtik ſeiner Encyklopädie der Natur und Kunſt. — Hat in der Geſchichte der Weltanſchauung der lang— dauernde Einfluß der Römerherrſchaft ſich als ein fortwirkend einigen— des und verſchmelzendes Element erwieſen, ſo hat doch erſt die Ver— breitung des Chriſtentums, als der neue Glaube aus politiſchen Motiven in Byzanz gewaltſam zur Staatsreligion erhoben wurde, dazu beigetragen, den Begriff der Einheit des Menſchen— geſchlechts hervorzurufen und ihm mitten unter dem elenden Streite der Religionsparteien allmählich Geltung zu verſchaffen S. 147-163 und Anm. S. 298-302. = V. Einbruch des arabiſchen Volksſtammes. Wirkung eines fremdartigen Elements auf den Entwickelungsgang europäiſcher Kultur. — Die Araber, ein bildſamer ſemitiſcher Urſtamm, ver— ſcheuchen teilweiſe die Barbarei, welche das von Völkerſtürmen er— ſchütterte Europa ſeit zwei Jahrhunderten bedeckt hat; ſie erhalten nicht bloß die alte Kultur, ſie erweitern fie und eröffnen der Natur— forſchung neue Wege. — Naturgeſtalt der Arabiſchen Halbinſel. Er— zeugniſſe von Hadhramaut, Yemen und Oman. Gebirgsketten von Dſchebel Akhdar und Aſyr. Gerrah alter Stapelplatz des Verkehrs mit indiſchen Waren, den phöniziſchen Niederlaſſungen von Aradus und Tylus gegenüber. — Der nördliche Teil der Halbinſel iſt vor— zugsweiſe durch die Nähe von Aegypten, durch die Verbreitung arabiſcher Stämme in dem ſpyriſch-paläſtiniſchen Grenzgebirge und den Euphratländern in belebendem Kontakt mit anderen Kultur: | ſtaaten geweſen. — Heimiſche vorbereitende Kultur. Altes Ein— greifen in die Welthändel; Ausfälle nach Weſten und Oſten; Hykſos und der Himyaritenfürſt Ariäus, Bundesgenoſſe des Ninus am Tigris. — Eigentümlicher Charakter des arabiſchen Nomadenlebens neben Karawanenſtraßen und volkreichen Städten S. 164— 170 und Anm. S. 302—303. — Einfluß der Neſtorianer, der Syrer und der mediziniſch-pharmazeutiſchen Schule von Edeſſa. — Hang zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften. Die Araber werden die eigentlichen Gründer der phyſiſchen und chemiſchen Wiſſenſchaften. Arzneimittellehre. — Wiſſenſchaftliche Inſtitute in der glanzvollen Epoche von Al-Manſur, Harun Alraſchid, Mamun und Motaſem. Wiſſenſchaftlicher Verkehr mit Indien. Benutzung des Tſcharaka und Suſruta wie der alten techniſchen Künſte der Aegypter. Botaniſcher Garten bei Cordova unter dem poetiſchen Kalifen Abdurrahman. S. 170—178 und Anm. S. 303—306. — Aſtronomiſche Beſtre— bungen durch eigene Beobachtung und Vervollkommnung der Inſtru— mente. Ebn⸗Junis Anwendung des Pendels als Zeitmeſſers. Arbeit des Alhazen über die Strahlenbrechung. Indiſche Planetentafeln. Störung der Länge des Mondes von Abul-Wefa erkannt. Aſtro— — 362 — nomiſcher Kongreß zu Toledo, zu welchem Alfons von Kaſtilien Rabbiner und Araber berief. Sternwarte zu Meragha und ſpäte Wirkung derſelben auf den Timuriden Ulugh Beig zu Samarkand. Gradmeſſung in der Ebene zwiſchen Tadmor und Rakka. — Die Algebra der Araber aus zwei lange voneinander unabhängig fließen— den Strömen, einem indiſchen und einem griechiſchen, entſtanden. Mohammed Ben-Muſa, der Chowarezmier, Diophantus, erſt gegen das Ende des 10. Jahrhunderts von Abul-Wefa Buzjani ins Arabiſche überſetzt. — Auf demſelben Wege, welcher den Arabern die Kenntnis der indiſchen Algebra zuführte, erhielten dieſe in Perſien und am Euphrat auch die indiſchen Zahlzeichen und den ſinnreichen Kunſtgriff der Poſition, d. h. den Gebrauch des Stellenwertes. Sie verpflanzten dieſen Gebrauch in die Zollämter im nördlichen Afrika, den Küſten von Sizilien gegenüber. Wahrſcheinlichkeit, daß die Chriſten im Abendlande früher als die Araber mit den indiſchen Zahlen vertraut waren und daß ſie unter dem Namen des Syſtems des Abakus den Gebrauch der neun Ziffern nach ihrem Stellen— werte kannten. Die Poſition tritt ſchon im Suanpan von Inneraſien wie im tuskiſchen Abakus hervor. — Ob eine dauernde Weltherrſchaft der Araber bei ihrer faſt ausſchließlichen Vorliebe für die wiſſenſchaftlichen (naturbeſchreibenden, phyſiſchen und aſtronomiſchen) Reſultate griechiſcher Forſchung einer allge— meinen und freien Geiſteskultur und dem bildend ſchaffenden Kunſt⸗ ſinne hätte förderlich fein können? S. 178— 183 und Anm. S. 306 bis 310. VI. Zeit der großen ozeaniſchen Entdeckungen; Amerika und das Stille Meer. — Begebenheiten und Erweiterung wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe, welche die Entdeckungen im Raume vorbereitet haben. — Eben weil die Bekanntſchaft der Völker Europas mit dem weſtlichen Teile des Erdballs der Hauptgegenſtand dieſes Abſchnittes iſt, muß die unbeſtreitbare erſte Entdeckung von Amerika in ſeiner nördlichen und gemäßigten Zone durch die Normänner ganz von der Wiederauffindung desſelben Kontinents in den tro— piſchen Teilen geſchieden werden. — Als noch das Kalifat von Bagdad unter den Abbaſſiden blühte, wurde Amerika von Leif, dem Sohne Eriks des Roten, bis zu 41 ½ ““ nördl. Breite aufgefunden. Die Faröer und das durch Naddod zufällig entdeckte Island ſind als Zwiſchenſtationen, als Anfangspunkte zu den Unternehmungen nach dem amerikaniſchen Skandinavien zu betrachten. Auch die Oſt⸗ küſte von Grönland im Scoresbylande (Svalbord), die Oſtküſte der Baffinsbai bis 7255“ und der Eingang des Lancaſterſunds und der Barrowſtraße wurden beſucht. — Frühere? iriſche Entdeckungen. Das Weißmännerland zwiſchen Virginien und Florida. Ob vor Naddod und vor Ingolfs Koloniſierung von Island dieſe Inſel von Iren (Weftmännern aus dem amerikaniſchen Großirland) oder von den durch Normänner aus den Fardern verjagten irländi— ſchen Miſſionaren (Papar, den Clericis des Dicuil) zuerſt bewohnt „ — 363 — worden iſt? — Der Nationalſchatz der älteſten Ueberlieferungen des europäiſchen Nordens, durch Unruhen in der Heimat gefährdet, wurde nach Island übergetragen, das viertehalbhundert Jahre einer freien bürgerlichen Verfaſſung genoß, und dort für die Nachwelt gerettet. Wir kennen die Handelsverbindung zwiſchen Grönland und Neu— ſchottland (dem amerikaniſchen Markland) bis 1347; aber da Grün: land ſchon 1261 ſeine republikaniſche Verfaſſung verloren hatte und ihm, als Krongut Norwegens, aller Verkehr mit Fremden und alſo auch mit Island verboten war, ſo nimmt es weniger wunder, daß Kolumbus, als er im Februar 1477 Island beſuchte, keine Kunde von dem weſtlich gelegenen neuen Kontinent erhielt. Zwiſchen dem norwegiſchen Hafen Bergen und Grönland gab es aber Handels— verkehr noch bis 1484 S. 184— 191 und Anm. S. 310—313. — Weltgeſchichtlich ganz verſchieden von dem iſolierten, folgenloſen Ereignis der erſten normänniſchen Entdeckung des neuen Kontinents iſt ſeine Wiederauffindung in dem tropiſchen Teile durch Chriſtoph Kolum— bus geweſen, wenngleich dieſer Seefahrer, nur einen kürzeren Weg nach Oſtaſien ſuchend, weder je die Abſicht hatte, einen neuen Welt— teil aufzufinden, noch, wie ebenfalls Amerigo Veſpucci, bis zu ſeinem Tode glaubte, andere als oſtaſiatiſche Küſten berührt zu haben. — Der Einfluß, den die nautiſchen Entdeckungen am Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahrhunderts auf die Bereicherung der Ideen— welt ausgeübt haben, wird erſt verſtändlich, wenn man einen Blick auf diejenigen Jahrhunderte wirft, welche Kolumbus von der Blüte wiſſenſchaftlicher Kultur unter den Arabern trennen. — Was der Aera des Kolumbus ihren eigentümlichen Charakter gab, den eines ununterbrochenen und gelingenden Strebens nach erweiterter Erd— kenntnis, war: das Auftreten einer kleinen Zahl kühner Männer (Albertus Magnus, Roger Bacon, Duns Scotus, Wilhelm von Occam), die zum freien Selbſtdenken und zum Erforſchen einzelner Natur— erſcheinungen anregten; die erneuerte Bekanntſchaft mit den Werken der griechiſchen Litteratur, die Erfindung der Buchdruckerkunſt, die Mönchsgeſandtſchaften an die Mongolenfürſten und die merkantili— ſchen Reiſen nach Oſtaſien und Südindien (Marco Polo, Mandeville, Nicolo de' Conti), die Vervollkommnung der Schiffahrtskunde; der Gebrauch des Seekompaſſes oder die Kenntnis von der Nord- und Südweiſung des Magnets, welche man durch die Araber den Chineſen verdankt, S. 191— 206 und Anm. S. 313— 320. — Frühe Schiffahrten der Katalanen nach der Weſtküſte des tropiſchen Afrikas Entdeckung der Azoren, Weltkarte des Pieigano von 1367. Ber: hältnis des Kolumbus zu Toscanelli und Martin Alonſo Pinzon. Spät erkannte Karte von Juan de la Coſa. — Südſee und ihre Inſeln S. 206—218 und Anm. S. 321 — 326. — Entdeckung der mag: netiſchen Kurve ohne Abweichung im Atlantiſchen Ozean. Bemerkte Inflexion der Iſothermen 100 Seemeilen im Weſten der Azoren. Eine phyſiſche Abgrenzungslinie wird in eine politiſche verwandelt; Demarfationslinie des Papſtes Alexanders IV. vom — 364 — 4. Mai 1493. — Kenntnis der Wärmeverteilung; die Grenze des ewigen Schnees wird als Funktion der geographiſchen Breite er— kannt. Bewegung der Gewäſſer im Atlantiſchen Meeresthale. Große Tangwieſen S. 218 — 226 und Anm. S. 326 — 328. — Erweiterte Anſicht der Welträume; Bekanntſchaft mit den Geſtirnen des ſüd— lichen Himmels; mehr beſchauliche als wiſſenſchaftliche Kenntnis! — Vervollkommnung der Methode, den Ort des Schiffes zu beſtimmen; das politiſche Bedürfnis, die Lage der päpſtlichen Demarkationslinie feſtzuſetzen, vermehrt den Drang nach praktiſchen Längenmethoden. — Die Entdeckung und erſte Koloniſation von Amerika, die Schiff— fahrt nach Oſtindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung treffen zuſammen mit der höchſten Blüte der Kunſt, mit dem Erringen eines Teils der geiſtigen Freiheit durch die religiöje Reform, als Vorſpiel großer politiſcher Umwälzungen. Die Kühnheit des genueſiſchen Seefahrers iſt das erſte Glied in der unermeßlichen Kette verhängnis— voller Begebenheiten. Zufall, nicht Betrug und Ränke von Amerigo Veſpucci haben dem Feſtland von Amerika den Namen des Kolumbus entzogen. — Einfluß des neuen Weltteils auf die politiſchen In— ſtitutionen, auf die Ideen und Neigungen der Völker im alten Kon— tinent S. 226—234 und Anm. S. 328— 337. VII. Zeit der großen Entdeckungen in den Himmels⸗ räumen durch Anwendung des Fernrohrs; Vorbereitung dieſer Entdeckungen durch richtigere Anſicht des Weltbaues. — Nikolaus Kopernikus beobachtete ſchon mit dem Aſtronomen Brudzewski zu Krakau, als Kolumbus Amerika entdeckte. Ideelle Verkettung des 16. und 17. Jahrhunderts durch Peurbach und Regiomontanus. Kopernikus hat ſein Weltſyſtem nie als Hypotheſe, ſondern als unumſtößliche Wahrheit aufgeſtellt S. 235 —243 und Anm. S. 337 bis 344. — Kepler und die empiriſchen von ihm entdeckten Ger ſetze der Planetenbahnen S. 243 — 244 und Anm. S. 344 (auch S. 250 — 251 und Anm. S. 348). — Erfindung des Fernrohrs; Hans Lippershey, Jakob Adriaansz (Metius), Zacharias Janſen. Erſte Früchte des teleſkopiſchen Sehens: Gebirgslandſchaften des Mondes; Sternſchwärme und Milchſtraße, die vier Trabanten des Jupiter; Dreigeſtaltung des Saturn, ſichelförmige Geſtalt der Venus; Sonnenflecken und Rotationsdauer der Sonne. — Für die Schick⸗ ſale der Aſtronomie und die Schickſale ihrer Begründung bezeichnet die Entdeckung der kleinen Jupiterswelt eine denkwürdige Epoche. Die Jupitersmonde veranlaſſen die Entdeckung der Geſchwindigkeit des Lichtes, und die Erkenntnis dieſer Geſchwindigkeit führt zu Er— klärung der Aberrationsellipſe der Firfterne, d. i. zu dem ſinnlichen Beweiſe von der translatoriſchen Bewegung der Erde. — Den Ent⸗ deckungen von Galilei, Simon Marius und Johann Fabricius folgte das Auffinden der Saturnstrabanten durch Huygens und Caſſini, des Tierkreislichtes als eines kreiſenden abgeſonderten Nebelringes durch Childrey, des veränderlichen Lichtwechſels von Firfternen durch David Fabricius, Johann Bayer und Holwarda. Sternloſer Nebel— — — 365 — fleck der Andromeda von Simons Marius beſchrieben S. 244— 254 und Anm. S. 344 — 349. — Wenn auch das 17. Jahrhundert in ſeinem Anfang der plötzlichen Erweiterung der Kenntniſſe der Himmelsräume durch Galilei und Kepler, an ſeinem Ende den Fort— ſchritten des reinen mathematiſchen Wiſſens durch Newton und Leibniz ſeinen Hauptglanz verdankt, ſo hat doch auch in dieſer großen Zeit der wichtigſte Teil der phyſikaliſchen Probleme in den Prozeſſen des Lichtes, der Wärme und des Magnetismus eine be— fruchtende Pflege erfahren. Doppelte Strahlenbrechung und Polari— ſation; Spuren von der Kenntnis der Interſerenz bei Grimaldi und Hooke. William Gilbert trennt den Magnetismus von der Elektrizität. Kenntnis von dem periodiſchen Fortſchreiten der Linien ohne Abweichung. Halleys frühe Vermutung, daß das Polarlicht (das Leuchten der Erde) eine magnetiſche Erſcheinung ſei. Galileis Thermoſkope und Benutzung derſelben zu einer Reihe regelmäßiger täglicher Beobachtungen auf Stationen verſchiedener Höhe. Unter— ſuchungen über die ſtrahlende Wärme. Torricellis Röhre und Höhen— meſſungen durch den Stand des Queckſilbers in derſelben. Kenntnis der Luftſtröme und des Einfluſſes der Rotation der Erde auf die— ſelben. Drehungsgeſetz der Winde, von Bacon geahnet. Glück— licher, aber kurzer Einfluß der Academia del Cimento auf die Gründung der mathematiſchen Naturphiloſophie auf dem Wege des Experimentes. — Verſuche, die Luftfeuchtigkeit zu meſſen; Konden⸗ ſationshygrometer. — Elektriſcher Prozeß; telluriſche Elektrizität; Otto von Guericke ſieht das erſte Licht in ſelbſthervorgerufener Elektrizität. — Anfänge der pneumatiſchen Chemie; beobachtete Ge— wichtszunahme bei Oxydation der Metalle; Cardanus und Jean Rey, Hooke und Mayow. Ideen über einen Grundſtoff des Luftkreiſes (spiritus nitro-aëreus), welcher an die ſich verkalkenden Metalle tritt, für alle Verbrennungsprozeſſe und das Atmen der Tiere not— wendig iſt. — Einfluß des phyſikaliſchen und chemiſchen Wiſſens auf die Ausbildung der Geognoſie (Nikolaus Steno, Scilla, Liſter); Hebung des Meeresbodens und der Küſtenländer. In der größten aller geognoſtiſchen Erſcheinungen, in der mathematiſchen Geſtalt der Erde, ſpiegeln ſich erkennbar die Zuſtände der Urzeit ab, d. h. die primitive Flüſſigkeit der rotierenden Maſſe und ihre Erhärtung als Erdſphäroid. Gradmeſſungen und Pendelverſuche in verſchiedenen Breiten. Polarabplattung. Die Erdgeſtaltung wird von Newton aus theoretiſchen Gründen erkannt, und ſo die Kraft aufgefunden, von deren Wirkung die Keplerſchen Geſetze eine notwendige Folge ſind. Die Auffindung einer ſolchen Kraft, deren Daſein in Newtons unſterblichem Werke der Prinzipien entwickelt wird, iſt faſt gleich: zeitig mit den durch die Infiniteſimalrechnung eröffneten Wegen zu neuen mathematiſchen Entdeckungen geweſen S. 254— 272 und Anm. S. 349 — 352. VIII. Vielſeitigkeit und innigere Verkettung der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen in der neueſten Zeit. — — 366 — Rückblick auf die Hauptmomente in der Geſchichte der Weltanſchauung, die an große Begebenheiten geknüpft ſind. — Die Vielſeitigkeit der Verknüpfung alles jetzigen Wiſſens erſchwert die Abſonderung und Umgrenzung des einzelnen. — Die Intelligenz bringt fortan Großes, faſt ohne Anregung von außen, durch eigene innere Kraft nach allen Richtungen hervor. Die Geſchichte der phyſiſchen Wiſſenſchaften ſchmilzt ſo allmählich mit der Geſchichte von der Idee eines Natur- ganzen zuſammen S. 273 — 277 und Anm. ©. 352. “ Bee at de Geſammelte Werke Alexander von Humboldt. Dritter Sand. Kosmos III. Stuttgart. Berlag der J. G. Coffa'ſchen Buchhandlung Nachfolger. Kosmos. Enkwurf einer phyfifchen Wellbeſchreibung Alexander von Humboldt. Dritter Zand. Stuttgart. Herlag der I. G. Cotta'ſchen Buchhandlung 5 Nachfolger. E | ». . f Be: . p e ne nun And zin ee nate np Dleus von Gebrüder Kröner in Stungart . * Kosmos, 103 ldt, Kosmos. III. . 9 . Spezielle Ergebniſſe der Beobachtung in dem Gebiete kosmiſcher Erſcheinungen. Einleitung. Zu dieſem Ziele hinſtrebend, welches ich mir nach dem Maß meiner Kräfte und dem jetzigen Zuſtande der Wiſſenſchaften als erreichbar gedacht, habe ich in zwei ſchon erſchienenen Bänden des Kosmos die Natur unter einem zweifachen Ge— ſichtspunkte betrachtet. Ich habe ſie darzuſtellen verſucht zuerſt in der reinen Objektivität äußerer Erſcheinung; dann in dem Reflex eines durch die Sinne empfangenen Bildes auf das Innere des Menſchen, auf ſeinen Ideenkreis und ſeine Gefühle. Die Außenwelt der Erſcheinungen iſt unter der wiſſen⸗ ſchaftlichen Form eines allgemeinen Naturgemäldes in ihren zwei großen Sphären, der uranologiſchen und der tel— luriſchen, geſchildert worden. Es beginnt dasſelbe mit den Sternen, die in den fernſten Teilen des Weltraumes zwiſchen Nebelflecken aufglimmen, und ſteigt durch unſer Planeten— ſyſtem bis zur irdiſchen Pflanzendecke und zu den kleinſten, oft von der Luft getragenen, dem unbewaffneten Auge ver— borgenen Organismen herab. Um das Daſein eines gemein— ſamen Bandes, welches die ganze Körperwelt umſchlingt, um das Walten ewiger Geſetze und den urſachlichen Zuſammen— hang ganzer Gruppen von Erſcheinungen, ſoweit derſelbe bisher erkannt worden iſt, anſchaulicher hervortreten zu laſſen, mußte die Anhäufung vereinzelter Thatſachen vermieden wer— den. Eine ſolche Vorſicht ſchien beſonders da erforderlich, wo ſich in der telluriſchen Sphäre des Kosmos, neben den dyna— miſchen Wirkungen bewegender Kräfte, der mächtige Einfluß EB NEE ſpezifiſcher Stoffverſchiedenheit offenbart. In der ſideriſchen oder uranologiſchen Sphäre des Kosmos ſind für das, was der Beobachtung erreichbar wird, die Probleme, ihrem Weſen nach von bewundernswürdiger Einfachheit, fähig, nach der Theorie der Bewegung, durch die anziehenden Kräfte der Materie und die Quantität ihrer Maſſe einer ſtrengen Rechnung zu unterliegen. Sind wir, wie ich glaube, berechtigt, die kreiſenden Meteor-Aſteroiden für Teile unſeres Planetenſyſtems zu halten, jo ſetzen dieſe allein uns, durch ihren Fall auf den Erdkörper, in Kontakt mit erkennbar un— gleichartigen Stoffen des Weltraumes. Ich bezeichne hier die Urſache, weshalb die irdiſchen Erſcheinungen bisher einer mathematiſchen Gedankenentwickelung minder glücklich und minder allgemein unterworfen worden ſind als die ſich gegen— ſeitig ſtörenden und wieder ausgleichenden Bewegungen der Weltkörper, in denen für unſere Wahrnehmung nur die Grund— kraft gleichartiger Materie waltet. Mein Beſtreben war darauf gerichtet, in dem Natur— gemälde der Erde durch eine bedeutſame Anreihung der Er— ſcheinungen ihren urſachlichen Zuſammenhang ahnen zu laſſen. Es wurde der Erdkörper geſchildert in ſeiner Geſtaltung, ſeiner mittleren Dichtigkeit, den Abſtufungen ſeines mit der Tiefe zunehmenden Wärmegehaltes, ſeiner elektro-magnetiſchen Strö— mungen und polariſchen Lichtprozeſſe. Die Reaktion des In— neren des Planeten auf ſeine äußere Rinde bedingt den In— begriff vulkaniſcher Thätigkeit, die mehr oder minder geſchloſ— ſenen Kreiſe von Erſchütterungswellen und ihre nicht immer bloß dynamiſchen Wirkungen, die Ausbrüche von Gas, von heißen Waſſerquellen und Schlamm. Als die höchſte Kraft— äußerung der inneren Erdmächte iſt die Erhebung feuer— ſpeiender Berge zu betrachten. Wir haben ſo die Central— und Reihenvulkane geſchildert, wie ſie nicht bloß zerſtören, ſondern Stoffartiges erzeugen, und unter unſeren Augen, meiſt periodiſch, fortfahren, Gebirgsarten (Eruptionsgeſtein) zu bilden; wir haben gezeigt, wie, im Kontraſte mit dieſer Bildung, Sedimentgeſteine ſich ebenfalls noch aus Flüſſig— keiten niederſchlagen, in denen ihre kleinſten Teile aufgelöſt oder ſchwebend enthalten waren. Eine ſolche Vergleichung des Werdenden, ſich als Feſtes Geſtaltenden mit dem längſt als Schichten der Erdrinde Erſtarrten leitet auf die Unter— ſcheidung geognoſtiſcher Epochen, auf eine ſichere Beſtimmung der Zeitfolge der Formationen, welche die untergegangenen 5 Geſchlechter von Tieren und Pflanzen, die Fauna und Flora der Vorwelt, in chronologiſch erkennbaren Lebensreihen um— hüllen. Entſtehung, Umwandelung und Hebung der Erd: ſchichten bedingen epochenweiſe wechſelnd alle Beſonderheiten der Naturgeſtaltung der Erdoberfläche; ſie bedingen die räumliche Verteilung des Feſten und Flüſſigen, die Ausdehnung und Gliederung der Kontinemtalmaſſen in horizontaler und ſenk— rechter Richtung. Von dieſen Verhältniſſen hangen ab die thermiſchen Zuſtände der Meeresſtröme, die meteorologiſchen Prozeſſe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typiſche und geographiſche Verbreitung der Organismen. Eine ſolche Erinnerung an die Aneinanderreihung der telluriſchen Er— ſcheinungen, wie ſie das Naturgemälde dargeboten hat, ge— nügt, wie ich glaube, um zu beweiſen, daß durch die bloße Zu⸗ ſammenſtellung großer und verwickelt ſcheinender Reſultate der Beobachtung die Einſicht in ihren Kauſalzuſammenhang gefördert wird. Die Deutung der Natur iſt aber weſent— lich geſchwächt, wenn man durch zu große Anhäufung ein— 2 0 Thatſachen der Naturſchilderung ihre belebende Wärme entzieht. So wenig nun in einer mit Sorgfalt entworfenen ob— jektiven Darſtellung der Erſcheinungswelt Vollſtändigkeit bei Aufzählung der Einzelnheiten beabſichtigt worden tft, ebenſo⸗ wenig hat dieſelbe erreicht werden ſollen in der Schilderung des Reflexes der äußeren Natur auf das Innere des Men— ſchen. Hier waren die Grenzen noch enger zu ziehen. Das ungemeſſene Gebiet der Gedankenwelt, befruchtet ſeit Jahr— tauſenden durch die treibenden Kräfte geiſtiger Thätigkeit, zeigt uns in den verſchiedenen Menſchenraſſen und auf ver— ſchiedenen Stufen der Bildung bald eine heitere, bald eine trübe Stimmung des Gemütes, bald zarte Erregbarkeit und bald dumpfe Unempfindlichkeit für das Schöne. Es wird der Sinn des Menſchen zuerſt auf die Heiligung von Naturkräften und N Gegenſtände der Körperwelt geleitet; ſpäter folgt er religiböſen Anregungen höherer, rein geiſtiger Art. Der innere Reflex der äußeren Natur wirkt dabei mannigfaltig auf den geheimnisvollen Prozeß der Sprachenbildung, in welchem zugleich urſprüngliche körperliche Anlagen und Ein— drücke der umgebenden Natur als mächtige mitbeſtimmende Elemente auftreten. Die Menſchheit verarbeitet in ſich den Stoff, welchen die Sinne ihr darbieten. Die Erzeugniſſe einer ſolchen Geiſtesarbeit gehören ebenſo weſentlich zum Bereich ä des Kosmos als die Erſcheinungen, die ſich im Inneren ab— ſpiegeln. Da ein reflektiertes Naturbild unter dem Einfluß auf— geregter ſchöpferiſcher Einbildungskraft ſich nicht rein und treu erhalten kann, ſo entſteht neben dem, was wir die wirk— liche oder äußere Welt nennen, eine ideale und innere Welt, voll phantaſtiſcher, zum Teil ſymboliſcher Mythen, be— lebt durch fabelhafte Tiergeſtalten, deren einzelne Glieder den Organismen der jetzigen Schöpfung oder gar den erhaltenen Reſten untergegangener Geſchlechter entlehnt ſind. Auch Wunder— blumen und Wunderbäume entſprießen dem mythiſchen Boden: wie nach den Edda-Liedern die rieſige Eſche, der Weltbaum Vggdraſil, deſſen Aeſte über den Himmel emporſtreben, wäh- rend eine ſeiner dreifachen Wurzeln bis in die „rauſchenden Keſſelbrunnen“ der Unterwelt reicht. So iſt das Nebelland phyſiſcher Mythen, nach Verſchiedenheit der Volksſtämme und der Klimate, mit anmutigen oder mit grauenvollen Geſtalten gefüllt. Jahrhundertelang werden ſie durch die Ideenkreiſe ſpäter Generationen vererbt. Wenn die Arbeit, die ich geliefert, nicht genugſam dem Titel entſpricht, den ich oft ſelbſt als gewagt und unvorſichtig gewählt bezeichnet habe, ſo muß der Tadel der Unvollſtändig— keit beſonders den Teil dieſer Arbeit treffen, welcher das gei— ſtige Leben im Kosmos, die in die Gedanken- und Gefühls— welt reflektierte äußere Natur, berührt. Ich habe mich in dieſem Teile vorzugsweiſe begnügt, bei den Gegenſtänden zu verweilen, welche in mir der Richtung lang genährter Studien näher liegen: bei den Aeußerungen des mehr oder minder lebhaften „Naturgefühls im klaſſiſchen Altertum und in der neueren Zeit; bei den Fragmenten 5 Naturbeſchrei⸗ bung, auf deren Färbung die Individualität des Volkscharakters und die religiöſe, monotheiſtiſche Anſicht des Geſchaf— fenen einen ſo weſentlichen Einfluß ausgeübt haben; bei dem anmutigen Zauber der Landſchaftsmalerei; bei der Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, d. i. bei der Geſchichte der in dem Laufe von zwei Jahrtauſenden ſtufenweiſe entwickelten Erkenntnis des Weltganzen, der Einheit in den Er— ſcheinungen. Bei einem ſo vielumfaſſenden, ſeinem Zwecke nach zu— gleich wiſſenſchaftlichen und die Natur lebendig darſtellenden Werke darf ein erſter, unvollkommener Verſuch der Ausführung nur darauf Anſpruch machen, daß er mehr durch das wirke, Be was er anregt, als durch das, was er zu geben vermag. Ein Buch von der Natur, ſeines erhabenen Titels würdig, wird dann erſt erſcheinen, wenn die Naturwiſſenſchaften, trotz ihrer urſprünglichen Unvollendbarkeit, durch Fortbildung und Erweiterung einen höheren Standpunkt erreicht haben, und wenn ſo beide Sphären des einigen Kosmos (die äußere, durch die Sinne wahrnehmbare, wie die innere, reflektierte, geiſtige Welt) gleichmäßig an lichtvoller Klarheit gewinnen. Ich glaube hiermit hinlänglich die Urſachen berührt zu haben, welche mich beſtimmen mußten, dem allgemeinen Natur— gemälde keine größere Ausdehnung zu geben. Dem dritten und letzten Bande des Kosmos iſt es vorbehalten, vieles des Fehlenden zu ergänzen und die Ergebniſſe der Beobachtung darzulegen, auf welche der jetzige Zuſtand wiſſenſchaftlicher Meinungen vorzugsweiſe gegründet iſt. Die Anordnung dieſer Ergebniſſe wird hier wieder die ſein, welcher ich nach den früher ausgeſprochenen Grundſätzen in dem Naturgemälde gefolgt bin. Ehe ich jedoch zu den Einzelheiten übergehe, welche die ſpeziellen Disziplinen begründen, darf es mir er— laubt ſein, noch einige allgemeine erläuternde Betrachtungen voranzuſchicken. Das unerwartete Wohlwollen, welches meinem Unternehmen bei dem Publikum in weiten Kreiſen, in- und außerhalb des Vaterlandes, geſchenkt worden iſt, läßt mich doppelt das Bedürfnis fühlen, mich noch einmal auf das be— ſtimmteſte über den Grundgedanken des ganzen Werkes und über Anforderungen auszuſprechen, die ich ſchon darum nicht zu erfüllen verſucht habe, weil ihre Erfüllung nach meiner in— dividuellen Anſicht unſeres empiriſchen Wiſſens nicht von mir beabſichtige werden konnte. An dieſe rechtfertigenden Be— trachtungen reihen ſich wie von ſelbſt hiſtoriſche Erinnerungen an die früheren Verſuche, den Weltgedanken aufzufinden, der alle Erſcheinungen in ihrem Kauſalzuſammenhange auf ein einiges Prinzip reduzieren ſolle. Das Grundprinzip meines Werkes über den Kosmos, wie ich dasſelbe vor mehr als zwanzig Jahren in den fran— zöſiſchen und deutſchen zu Paris und Berlin gehaltenen Vor— leſungen entwickelt habe, iſt in dem Streben enthalten: die Welterſcheinungen als ein Naturganzes aufzufaſſen; zu zeigen, wie in einzelnen Gruppen dieſer Erſcheinungen die ihnen gemeinſamen Bedingniſſe, d. i. das Walten großer Geſetze, erkannt worden ſind; wie man von den Geſetzen zu der Er— forſchung ihres urſachlichen Zuſammenhanges aufſteigt. Ein 8 ſolcher Drang nach dem Verſtehen des Weltplans, d. h. der Naturordnung, beginnt mit Verallgemeinerung des Beſonderen, mit Erkenntnis der Bedingungen, unter denen die phyſiſchen Veränderungen ſich gleichmäßig wiederkehrend offenbaren; er leitet zu der denkenden Betrachtung deſſen, was die Empirie uns darbietet, nicht aber „zu einer Weltanſicht durch Speku— lation und alleinige Gedankenentwickelung, nicht zu einer ab— ſoluten Einheitslehre in Abſonderung von der Erfahrung“. Wir ſind, ich wiederhole es hier, weit von dem Zeitpunkt entfernt, wo man es für möglich halten konnte, alle unſere ſinnlichen Anſchauungen zur Einheit des Naturbegriffs zu konzentrieren. Der ſichere Weg iſt ein volles Jahrhundert vor Francis Bacon ſchon von Leonardo da Vinci vorgeſchlagen und mit wenigen Worten bezeichnet worden: cominciare dall’ esperienza e per mezzo di questa scoprirne la ragione. In vielen Gruppen der Erſcheinungen müſſen wir uns freilich noch mit dem Auffinden von empiriſchen Geſetzen begnügen; aber das höchſte, ſeltener erreichte Ziel aller Naturforſchung iſt das Erſpähen des Kauſalzuſammenhanges! ſelbſt. Die befriedigendſte Deutlichkeit und Evidenz herrſchen da, wo es möglich wird, das Geſetzliche auf mathematiſch beſtimmbare Erklärungsgründe zurückzuführen. Die phyſiſche Weltbeſchrei— bung iſt nur in einzelnen Teilen eine Welterklärung. Beide Ausdrücke ſind noch nicht als identiſch zu betrachten. Was der Geiſtesarbeit, deren Schranken hier bezeichnet wer— den, Großes und Feierliches inwohnt, iſt das frohe Bewußt— ſein des Strebens nach dem Unendlichen, nach dem Erfaſſen deſſen, was in ungemeſſener, unerſchöpflicher Fülle das Seiende, das Werdende, das Geſchaffene uns offenbart. Ein ſolches durch alle Jahrhunderte wirkſames Streben mußte oft und unter mannigfaltigen Formen zu der Täu— ſchung verführen, das Ziel erreicht, das Prinzip gefunden zu haben, aus dem alles Veränderliche der Körperwelt, der In— begriff aller ſinnlich wahrnehmbaren Erſcheinungen erklärt werden könne. Nachdem lange Zeit hindurch, gemäß der erſten Grundanſchauung des helleniſchen Volksgeiſtes, in den geſtaltenden, umwandelnden oder zerſtörenden Naturkräften das Walten geiſtiger Mächte in menſchlicher Form verehrt? worden war, entwickelte ſich in den phyſiologiſchen Phantaſieen der ioniſchen Schule der Keim einer wiſſenſchaftlichen Naturbetrachtung. Der Urgrund des Entſtehens der Dinge, der Urgrund aller Erſcheinungen ward, nach zwei Richtungen: 6 —ö-́ n éↄ Sei ug ae aus der Annahme konkreter, ſtoffartiger Prinzipien, ſogenannter Naturelemente, oder aus Prozeſſen der Verdünnung und Verdichtung, bald nach mechaniſchen, bald nach dynamiſchen Anſichten, abgeleitet. Die, vielleicht urſprünglich indiſche Hypo— theſe von vier oder fünf ſtoffartig verſchiedenen Elementen iſt von dem Lehrgedichte des Empedokles an bis in die ſpäteſten Zeiten allen Naturphiloſophemen beigemengt geblieben: ein uraltes Zeugnis und Denkmal für das Bedürfnis des Men— ſchen, nicht bloß in den Kräften, ſondern auch in qualitativer Weſenheit der Stoffe nach einer Verallgemeinerung und Ver— einfachung der Begriffe zu ſtreben. In der ſpäteren Entwickelung der ioniſchen Phyſiologie erhob ſich Anaxagoras von Klazomenä von der Annahme bloß bewegender Kräfte der Materie zu der Idee eines von aller Materie geſonderten, ihre gleichartigen kleinſten Teile entmiſchenden Geiſtes. Die weltordnende Vernunft (958) beherrſcht die kontinuierlich fortſchreitende Welt— bildung, den Urquell aller Bewegung und ſo auch aller phyſi— ſchen Erſcheinungen. Durch die Annahme eines centrifugalen Umſchwunges, deſſen Nachlaſſen, wie wir ſchon oben erwähnt, den Fall der Meteorſteine bewirkt, erklärt Anara: goras den ſcheinbaren (oſtweſtlichen) himmliſchen Kreislauf. Dieſe Hypotheſe bezeichnet den Ausgangspunkt von Wirbel— theorien, welche mehr denn zweitauſend Jahre ſpäter durch Descartes, Huygens und Hooke eine große kosmiſche Wichtig— keit erhielten. Ob des Klazomeniers weltordnender Geiſt die Gottheit ſelbſt oder pantheiſtiſch nur ein geiſtiges Prinzip alles Naturlebens bezeichnet,“ bleibt dieſem Werke fremd. In einem grellen Kontrafte mit den beiden Abteilungen der ioniſchen Schule ſteht die das Univerſum ebenfalls um— faſſende mathematiſche Symbolik der Pythagoreer. Der Blick bleibt einſeitig geheftet in der Welt ſinnlich wahrnehm— barer Naturerſcheinungen auf das Geſetzliche in der Geſtaltung (den fünf Grundformen), auf die Begriffe von Zahlen, Maß, Harmonie und Gegenſätzen. Die Dinge ſpiegeln ſich in den Zahlen, welche gleichſam eine „nachahmende Darſtellung“ (pipensrs) von ihnen ſind. Das Weſen der Dinge kann als Zahlenverhältniſſe, ihre Veränderungen und Umbildungen können als Zahlenkombinationen erkannt werden. Auch Platos Phyſik erhält Verſuche, alle Weſenheit der Stoffe im Weltall und ihrer Verwandlungsſtufen auf körperliche Formen und dieſe auf die einfachſten (triangularen) Flächenfiguren zurück— Er zuführen. Was aber die letzten Prinzipien (gleichſam die Elemente der Elemente) ſind, ſagt Plato in beſcheidenem Miß— mut, „weiß Gott allein, und wer von ihm geliebt wird unter den Menſchen“. Eine ſolche mathematiſche Behandlung phyſiſcher Erſcheinungen, die Ausbildung der Atomiſtik, die Philoſophie des Maßes und der Harmonie, hat noch ſpät auf die Entwickelung der Naturwiſſenſchaften eingewirkt, auch phantaſiereiche Entdecker auf Abwege geführt, welche die Ge⸗ ſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung bezeichnet. „Es wohnt ein feſſelnder, von dem ganzen Altertume gefeierter Zauber den einfachen Verhältniſſen der Zeit und des Raumes inne, wie ſie ſich in Tönen, in Zahlen und Linien offenbaren.“ Die Idee der Weltordnung und Weltregierung tritt geläutert und erhaben in den Schriften des Ariſtoteles hervor. alte Erſcheinungen der Natur werden in den phyſiſchen Vorträgen (Auscultationes physicae) als bewegende Lebensthätigkeiten einer allgemeinen Weltkraft geſchildert. Von dem „unbewegten Beweger der Welt“ hängt der Himmel und die Natur“ (die telluriſche Sphäre der Erſcheinungen) ab. Der „Anordner“ und der letzte Grund aller ſinnlichen Ver- änderungen muß als ein Nicht-Sinnliches, von aller Materie Getrenntes betrachtet werden. Die Einheit in den verſchie— denen Kraftäußerungen der Stoffe wird zum Hauptprinzipe erhoben, und dieſe Kraftäußerungen ſelbſt werden ſtets auf Bewegungen reduziert. So finden wir in dem Buche von der Seele’ ſchon den Keim der Undulations-Theorie des Lichtes. Die Empfindung des Sehens erfolgt durch eine Er— ſchütterung, eine Bewegung des Mittels zwiſchen dem Geſicht und dem geſehenen Gegenſtande, nicht durch Ausflüſſe aus dem Gegenſtande oder dem Auge. Mit dem Sehen wird das Hören verglichen, da der Schall ebenfalls eine Folge der Lufterſchütterung it Ariſtoteles, indem er lehrt, durch die Thätigkeit der denken— den Vernunft in dem Beſonderen der wahrnehmbaren Einzel— heiten das Allgemeine zu erforſchen, umfaßt immer das Ganze der Natur und den inneren Zuſammenhang nicht bloß der Kräfte, ſondern auch der organiſchen Geſtalten. In dem Buche über die Teile (Organe) der Tiere ſpricht er deutlich ſeinen Glauben an die Stufenleiter der Weſen aus, in der ſie von niederen zu höheren Formen aufiteigen.° Die Natur geht in ununterbrochenem, fortſchreitendem Entwickelungsgange von dem Unbelebten (Elementariſchen) durch die Pflanzen zu den 1 > 44,8 Sr Br Tieren über: zunächſt „zu dem, was zwar noch kein eigent— liches Tier, aber ſo nahe mit dieſem verwandt iſt, daß es ſich im ganzen wenig von ihm unterſcheidet“. In dem Uebergange der Bildungen „ſind die Mittelſtufen faſt unmerklich“.“ Das große Problem des Kosmos iſt dem Stagiriten die Einheit der Natur. „In ihr,“ ſagt er mit ſonderbarer Lebendigkeit des Ausdruckes, „iſt nichts zuſammenhangslos Eingeſchobenes wie in einer ſchlechten Tragödie.“ Das naturphiloſophiſche Streben, alle Erſcheinungen des einigen Kosmos einem Erklärungsprinzipe unterzuordnen, iſt in allen phyſikaliſchen Schriften des tiefſinnigen Weltweiſen und genauen Naturbeobachters nicht zu verkennen; aber der mangelhafte Zuſtand des Wiſſens, die Unbekanntſchaft mit der Methode des Experimentierens, d. h. des Hervorrufens der Er— ſcheinungen unter beſtimmten Bedingniſſen, hinderte ſelbſt kleine Gruppen phyſiſcher Prozeſſe in ihrem Kauſalzuſammenhange zu erfaſſen. Alles wurde reduziert auf die immer wieder— kehrenden Gegenſätze von Kälte und Wärme, Feuchtigkeit und Dürre, primitiver Dichtigkeit und Dünne; ja auf ein Bewirken von Veränderungen in der Körperwelt durch eine Art innerer Entzweiung (Antiperiſtaſe), welche an unſere jetzigen Hypo— theſen der entgegengeſetzten Polarität, an die hervorgerufenen Kontraſte von + und — erinnert.!“ Die vermeinten Löſungen der Probleme geben dann die Thatſachen ſelbſt verhüllt wieder, und der ſonſt überall jo mächtig konziſe Stil des Stagiriten geht in der Erklärung meteorologiſcher oder optiſcher Prozeſſe oft in ſelbſtgefällige Breite und etwas helleniſche Vielredenheit über. Da der Ariſtoteliſche Sinn wenig auf Stoffver— ſchiedenheit, vielmehr ganz auf Bewegung gerichtet iſt, ſo tritt die Grundidee, alle telluriſchen Naturerſcheinungen dem Impuls der Himmelsbewegung, dem Umſchwung der Himmels— ſphäre zuzuſchreiben, wiederholt hervor, geahnt, mit Vorliebe gepflegt,“ aber nicht in abſoluter Schärfe und Beſtimmtheit dargeſtellt. Der Impuls, welchen ich hier bezeichne, deutet nur die Mitteilung der Bewegung als den Grund aller irdiſchen Erſcheinungen an. Pantheiſtiſche Anſichten ſind ausgeſchloſſen. Die Gottheit iſt die höchſte „ordnende Einheit, welche ſich in allen Kreiſen der geſamten Welt offenbart, jedem einzelnen Naturweſen die Beſtimmung verleiht, als abſolute Macht alles zuſammenhält.“ Der Zweckbegriff und die teleologiſchen An— ſichten werden nicht auf die untergeordneten Naturprozeſſe, 3 die der anorganiſchen, elementariſchen Natur angewandt, ſon— dern vorzugsweiſe auf die höheren Organiſationen der Tier— und Pflanzenwelt. Auffallend iſt es, daß in dieſen Lehren die Gottheit ſich gleichſam einer Anzahl von Aſtralgeiſtern bedient, welche (wie der Maſſenverteilung und der Perturba— tionen kundig) die Planeten in den ewigen Bahnen zu er— halten wiſſen.!? Die Geſtirne offenbaren dabei das Bild der Göttlichkeit in der ſinnlichen Welt. Des kleinen, Pſeudo— Ariſtoteliſchen, gewiß ſtoiſchen Buches vom Kosmos iſt hier, trotz ſeines Namens, nicht Erwähnung geſchehen. Es ſtellt zwar, naturbeſchreibend und oft mit rhetoriſcher Lebendigkeit und Färbung, zugleich Himmel und Erde, die Strömungen des Meeres und des Luftkreiſes dar; aber es offenbart keine Tendenz, die Erſcheinungen des Kosmos auf allgemeine phyſi— kaliſche, d. h. in den Eigenſchaften der Materie gegründete, Prinzipien zurückzuführen. Ich habe länger bei der glänzendſten Epoche der Natur— anſichten des Altertums verweilt, um den früheſten Verſuchen der Verallgemeinerung die Verſuche der neueren Zeit gegen— überzuſtellen. In der Gedankenbewegung der Jahrhunderte, welche in Hinſicht auf die Erweiterung kosmiſcher Anſchau— ungen in einem anderen Teile dieſes Buches geſchildert worden iſt, zeichnen ſich das Ende des dreizehnten und der Anfang des vierzehnten Jahrhunderts aus; aber das Opus majus von Roger Bacon, der Naturſpiegel des Vincenz von Beauvais, die phyſiſche Geographie (Liber cosmographi- cus) von Albert dem Großen, das Weltgemälde (Imago Mundi) des Kardinals Petrus de Alliaco (Pierre d' Ailly) ſind Werke, welche, ſo mächtig ſie auch auf Zeitgenoſſen ge— wirkt haben, durch ihren Inhalt nicht dem Titel entſprechen, den ſie führen. Unter den italieniſchen Gegnern der Ariſto— teliſchen Phyſik wird Bernardino Teleſio aus Coſenza als der Gründer einer rationellen Naturwiſſenſchaft bezeichnet. Alle Erſcheinungen der ſich paſſiv verhaltenden Materie werden von ihm als Wirkungen zweier unkörperlichen Prinzipien (Thätig— keiten, Kräfte), von Wärme und Kälte, betrachtet. Auch das ganze organiſche Leben, die „beſeelten“ Pflanzen und Tiere ſind das Produkt jener ewig entzweiten Kräfte, von denen vorzugsweiſe die eine, die Wärme, der himmliſchen, die andere, die Kälte, der irdiſchen Sphäre zugehört. Mit noch ungezügelterer Phantaſie, aber auch mit tiefem Forſchungsgeiſte begabt, verſucht Giordano Bruno aus Nola 8 e 1 in drei Werken: De la Causa, Principio e Uno; Con— templationi circa lo Infinito, Universo e Mondi inumerabili, und De Minimo et Maximo, das Welt— ganze zu umfaſſen. In der Naturphiloſophie des Teleſio, eines Zeitgenoſſen des Kopernikus, erkennt man wenigſtens das Beſtreben, die Veränderungen der Materie auf zwei ihrer Grundkräfte zu reduzieren, „welche zwar als von außen wirkend gedacht werden“, doch ähnlich ſind den Grundkräften der An— ziehung und Abſtoßung in der dynamiſchen Naturlehre von Boscowich und Kant. Die kosmiſchen Anſichten des Nolaners ſind rein metaphyſiſch; ſie ſuchen nicht die Urſachen der ſinn— lichen Erſcheinungen in der Materie ſelbſt, ſondern berühren „die Unendlichkeit des mit ſelbſtleuchtenden Welten gefüllten Raumes, die Beſeeltheit dieſer Welten, die Beziehungen der höchſten Intelligenz, Gottes, zu dem Univerſum“. Mit ge— ringem mathematiſchen Wiſſen ausgerüſtet, war Giordano Bruno doch bis zu feinem furchtbaren Martertode ! ein enthuſiaſti— ſcher Bewunderer von Kopernikus, Tycho und Kepler. Zeit— genoſſe des Galilei, erlebte er nicht die Erfindung des Fern— rohres von Hans Lippershey und Zacharias Janſen, und alſo auch nicht die Entdeckung der „kleinen Jupiterswelt“, der Venusphaſen und der Nebelflecke. Mit kühner Zuverſicht auf das, was er nennt lume interno, ragione naturale, altezza dell' intelletto, überließ er ſich glücklichen Ahnungen über die Bewegung der Fixſterne, die planetenartige Natur der Kometen und die von der Kugelform abweichende Geſtalt der Erde.“ Auch das griechiſche Altertum iſt voll von ſolchen uranologiſchen Verheißungen, die ſpäter erfüllt wurden. In der Gedankenentwickelung über kosmiſche Verhältniſſe, deren Hauptformen und Hauptepochen hier aufgezählt werden, war Kepler, volle 78 Jahre vor dem Erſcheinen von Newtons unſterblichem Werke der Principia Philosophiae Natu- ralis, einer mathematiſchen Anwendung der Gravitationslehre am nächſten. Wenn der Eklektiker Simplicius bloß im allge— meinen den Grundſatz ausſprach, „das Nichtherabfallen der himmliſchen Körper werde dadurch bewirkt, daß der Umſchwung (die Centrifugalkraft) die Oberhand habe über die eigene Fall— kraft, den Zug nach unten“; wenn Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeä, die Bewegung der Welt— körper „einem primitiven Stoße und dem fortgeſetzten Streben zum Falle“ zuſchrieb; wenn, wie wir ſchon früher bemerkt, Kopernikus nur den allgemeinen Begriff der Gravitation, — 1 wie ſie in der Sonne, als dem Centrum der Planetenwelt, in der Erde und dem Monde wirke, mit den denkwürdigen Worten bezeichnet: gravitatem non aliud esse quam appetentiam quandum naturalem partibus inditam a divina providentia opifieis universorum, ut in unitatem integritatemque suum sese conferant, in formam globi coöuntes, jo finden wir bei Kepler in der Einleitung zu dem Bude De Stella Martis !? zuerft numerische Angaben von den Anziehungs- kräften, welche nach Verhältnis ihrer Maſſen Erde und Mond gegeneinander ausüben. Er führt beſtimmt Ebbe und Flut!“ als einen Beweis an, daß die anziehende Kraft des Mondes (virtus tractoria) ſich bis zur Erde erſtrecke; ja daß die Kraft, „ähnlich der, welche der Magnet auf das Eiſen ausübt“, die Erde des Waſſers berauben würde, wenn dieſe aufhörte, dasſelbe anzuziehen. Leider gab der große Mann zehn Jahre ſpäter, 1619, vielleicht aus Nachgiebigkeit gegen Galilei, welcher Ebbe und Flut der Rotation der Erde zuſchrieb, die richtige Erklärung auf, um in der Harmonice Mundi den Erdkörper als ein lebendiges Untier zu ſchildern, deſſen wal— fiſchartige Reſpiration, in periodiſchem, von der Sonnenzeit abhängigen Schlaf und Erwachen, das Anſchwellen und Sinken des Ozeans verurſacht. Bei dem mathematiſchen, ſchon von Laplace anerkannten Tiefſinne, welcher aus einer von Keplers Schriften hervorleuchtet, iſt zu bedauern, daß der Ent— decker von den drei großen Geſetzen aller planetariſchen Be— wegung nicht auf dem Wege fortgeſchritten iſt, zu welchem ihn ſeine Anſichten über die Maſſenanziehung der Weltkörper geleitet hatten. Mit einer größeren Mannigfaltigkeit von Naturkennt— niſſen als Kepler begabt und Gründer vieler Teile einer mathe— matiſchen Phyſik, unternahm Descartes in einem Werke, das er Traité du Monde, auch Summa Philosophiae nannte, die ganze Welt der Erſcheinungen, die himmliſche Sphäre und alles, was er von der belebten und unbelebten irdiſchen Natur wußte, zu umfaſſen. Der Organismus der Tiere, beſonders der des Menſchen, für welchen er elf Jahre lang ſehr ernſte anatomiſche Studien gemacht, ſollte das Werk beſchließen. In der Korreſpondenz mit dem Pater Merſenne findet man häufige Klagen über das langſame Fortſchreiten der Arbeit und über die Schwierigkeit, ſo viele Materien an— einander zu reihen. Der Kosmos, den Descartes immer feine Welt (son Monde) nannte, ſollte endlich am Schluſſe . des Jahres 1633 dem Druck übergeben werden, als das Ge: rücht von der Verurteilung Galileis in der Inquiſition zu Rom, welches erſt vier Monate ſpäter, im Oktober 1633, durch Gaſſendi und Bouillaud verbreitet wurde, alles rückgängig machte und die Nachwelt eines großen, mit ſo viel Mühe und Sorgfalt vollendeten Werkes beraubte. Die Motive der Nicht— herausgabe des Kosmos waren Liebe zu friedlicher Ruhe im lane Aufenthalte zu Deventer, wie die fromme Beſorgnis, unehrerbietig gegen die Dekrete des heiligen Stuhles wider die planetariſche Bewegung der Erde zu ſein. Erſt 1664, alſo vierzehn Jahre nach dem Tode des Philoſophen, wurden einige Fragmente unter dem ſonderbaren Titel: Le Monde ou Traité de la Lumiere gedruckt. Die drei Kapitel, welche vom Lichte handeln, bilden doch kaum ein Viertel des Ganzen. Dagegen wurden die Abſchnitte, welche urſprünglich zu dem Kosmos des Descartes gehörten und Betrachtungen über die Bewegung und Sonnenferne der Planeten, über den Erdmagnetismus, die Ebbe und Flut, das Erdbeben und die Vulkane enthalten, in den dritten und vierten Teil des be— rühmten Werkes Principes de la Philosophie verſetzt. Der Kosmotheoros von Huygens, der erſt nach feinem Tode erſchienen iſt, verdient, trotz ſeines bedeutungsvollen Namens, in dieſer Aufzählung kosmologiſcher Verſuche kaum genannt zu werden. Es ſind Träume und Ahnungen eines großen Mannes über die Pflanzen- und Tierwelt auf den festen Weltkörpern, beſonders über die dort abgeänderte Ge— ſtalt des Menſchengeſchlechtes. Man glaubt Keplers Som— nium astronomicum oder Kirchers ekſtatiſche Reiſe zu leſen. Da Huygens ſchon, ganz wie die Aſtronomen unſerer Zeit, dem Monde alles Waſſer “ und alle Luft verſagte, fo iſt er über die Exiſtenz des Mondmenſchen noch verlegener als über die Bewohner der „dunſt- und wolkenreichen ferneren Planeten“. Dem unſterblichen Verfaſſer des Werkes Philosophiae Naturalis Principia mathematica gelang es, den ganzen uranologiſchen Teil des Kosmos durch die Annahme einer einigen, alles beherrſchenden Grundkraft der Bewegung in dem Kauſalzuſammenhange ſeiner Erſcheinungen zu erfaſſen. Newton zuerſt hat die phyſiſche Aſtronomie zu der Löſung eines großen Problems der e zu einer mathematiſchen Wiſſenſchaft erhoben. Die Quantität der Materie in jeglichem Weltkörper gibt das Maß ſeiner anziehenden Kraft, einer Kraft, an die in umgekehrtem Verhältnis des Quadrats der Entfernung wirkt und die Größe der Störungen beſtimmt, welche nicht bloß die Planeten, ſondern alle Geſtirne der Himmelsräume aufeinander ausüben. Aber das Newtoniſche, durch Ein— fachheit und Allgemeinheit ſo bewundernswürdige Theorem der Gravitation iſt in ſeiner kosmiſchen Anwendung nicht auf die uranologiſche Sphäre beſchränkt, es beherrſcht auch die telluriſchen Erſcheinungen in zum Teil noch unerforſchten Rich— tungen; es gibt den Schlüſſel zu periodiſchen Bewegungen im Ozean und in der Atmoſphäre, zu der Löſung von Pro— blemen der Kapillarität, der Endosmoſe, vieler chemiſcher, elektromagnetiſcher und organischer Prozeſſe. Newton!“ ſelbſt unterſchied ſchon die Maſſenanziehung, wie ſie ſich in den Bewegungen aller Weltkörper und in den Phänomenen der Ebbe und Flut äußert, von der Molekularanziehung, die in unendlich kleiner Entfernung und bei der innigſten Be— rührung wirkſam wird. Auf dieſe Weiſe zeigt ſich unter allen Verſuchen, das Veränderliche in der Sinnenwelt auf ein einziges Grundprinzip zurückzuführen, die Lehre von der Gravitation als der umfaſſendſte und kosmiſch vielverheißendſte. Allerdings laſſen ſich, trotz der glänzenden Fortſchritte, welche in neueren Zeiten in der Stöchiometrie (in der Rechenkunſt mit chemiſchen Ele— menten und in den Volumverhältniſſen der gemengten Gas— arten) gemacht ſind, noch nicht alle phyſikaliſchen Theorieen der Stofflehre auf mathematiſch beſtimmbare Erklärungsgründe zurückführen. Empiriſche Geſetze ſind aufgefunden, und nach den weitverbreiteten Anſichten der Atomiſtik oder Corpuskular⸗ philoſophie iſt manches der Mathematik zugänglicher geworden; aber bei der grenzenloſen Heterogeneität der Stoffe und den mannigfaltigen Aggregationszuſtänden der ſogenannten Maſſen— teilchen ſind die Beweiſe jener empiriſchen Geſetze noch keines— wegs aus der Theorie der Kontaktanziehung mit der Gewißheit zu entwickeln, welche die Begründung von Keplers drei großen empiriſchen Geſetzen aus der Theorie der Maſſen— anziehung oder Gravitation darbietet. Zu derſelben Zeit aber, in der Newton ſchon erkannt hatte, daß alle Bewegungen der Weltkörper Folgen einer und derſelben Kraft ſeien, hielt er die Gravitation ſelbſt nicht, wie Kant, für eine Grundkraft der Materie“, ſondern entweder für abgeleitet von einer ihm noch unbekannten, höheren Kraft, oder für Folge eines „Umſchwunges des Aethers, welcher den 1 j j i zn rg Weltraum erfüllt und in den Zwiſchenräumen der Maſſen— teilchen dünner iſt, nach außen aber an Dichtigkeit zunimmt“. Die letztere Anſicht iſt umſtändlich in einem Briefe an Robert Boyle e (vom 28. Februar 1678) entwickelt, welcher mit den Worten endigt: „Ich ſuche in dem Aether die Urſache der Gravi— tation.“ Acht Jahre ſpäter, wie man aus einem Schreiben an Halley erſieht, gab Newton dieſe Hypotheſe des dünneren und dichteren Aethers gänzlich auf. Beſonders auffallend iſt es, daß er neun Jahre vor ſeinem Tode, 1717, in der ſo überaus kurzen Vorrede zu der zweiten Auflage ſeiner Optik es für nötig hielt, beſtimmt zu erklären, daß er die Gravi— tation keineswegs für eine Grundkraft der Materie (essen- tial property of bodies) halte? !, während Gilbert ſchon 1600 den Magnetismus für eine aller Materie inwohnende Kraft anſah. So ſchwankend war der tiefſinnigſte, immer der Erfahrung zugewandte Denker, Newton ſelbſt, über die „letzte mechaniſche Urſache“ aller Bewegung. Es iſt allerdings eine glänzende, des menſchlichen Geiſtes würdige Aufgabe, die ganze Naturlehre von den Geſetzen der Schwere an bis zu dem Bildungstriebe in den belebten Kör— pern als ein organiſches Ganzes aufzuſtellen; aber der un— vollkommene Zuſtand ſo vieler Teile unſeres Naturwiſſens ſetzt der Löſung jener Aufgabe unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Die Unvollendbarkeit aller Empirie, die Unbegrenzt— heit der Beobachtungsſphäre macht die Aufgabe, das Ver— änderliche der Materie aus den Kräften der Materie ſelbſt zu erklären, zu einer unbeſtimmten. Das Wahrgenommene erſchöpft bei weitem nicht das Wahrnehmbare. Wenn wir, um nur an die Fortſchritte der uns näheren Zeit zu erinnern, das unvollkommene Naturwiſſen von Gilbert, Robert Boyle und Hales mit dem jetzigen vergleichen, wir dazu der mit jedem Jahrzehnt zunehmenden Schnelligkeit des Fortſchrittes gedenken, ſo erfaſſen wir die periodiſchen, endloſen Umwande— lungen, welche allen phyſikaliſchen Wiſſenſchaften noch bevor— ſtehen. Neue Stoffe und neue Kräfte werden entdeckt werden. Wenn auch viele Naturprozeſſe, wie die des Lichts, der Wärme und des Elektromagnetismus, auf Bewegung (Schwingungen) reduziert, einer mathematiſchen Gedankenentwickelung zugäng— lich geworden ſind, ſo bleiben übrig die oft erwähnten, viel— leicht unbezwingbaren Aufgaben von der Urſache chemiſcher Stoffverſchiedenheit, wie von der ſcheinbar allen Geſetzen ent— zogenen Reihung in der Größe, der Dichtigkeit, Achſenſtellung A. v. Humboldt, Kosmos. III. 2 „ und Bahnerzentrizität der Planeten, in der Zahl und dem Abſtande ihrer Satelliten, in der Geſtalt der Kontinente und der Stellung ihrer höchſten Bergketten. Die hier beiſpiels— weiſe genannten räumlichen Verhältniſſe können bisher nur als etwas thatſächlich in der Natur Daſeiendes betrachtet werden. Sind die Urſachen und die Verkettung dieſer Ver— hältniſſe noch nicht ergründet, ſo nenne ich ſie nur darum aber nicht zufällig. Sie ſind das Reſultat von Begeben— heiten in den Himmelsräumen bei Bildung unſeres Planeten— ſyſtems, von geognoſtiſchen Vorgängen bei der Erhebung der äußerſten Erdſchichten als Kontinente und Gebirgsketten. Unſere Kenntnis von der Urzeit der phyſikaliſchen Weltge— ſchichte reicht nicht hoch genug hinauf, um das jetzt Daſeiende als etwas Werdendes zu ſchildern. Wo demnach der Kauſalzuſammenhang der Erſcheinungen noch nicht hat vollſtändig erkannt werden können, iſt die Lehre vom Kosmos oder die phyſiſche Weltbeſchreib ung nicht eine abgeſonderte Disziplin aus dem Gebiet der Naturwiſſenſchaften. Sie umfaßt vielmehr dieſes ganze Gebiet, die Phänomene beider Sphären, der himmliſchen und der telluriſchen; aber ſie umfaßt ſie unter dem einigen Geſichtspunkte des Strebens nach der Erkenntnis eines Weltganzen. Wie „bei der Dar— ſtellung des Geſchehenen in der moraliſchen und politiſchen Sphäre der Geſchichtsforſcher nach menſchlicher Anſicht den Plan der Weltregierung nicht unmittelbar erſpähen, ſondern nur an den Ideen erahnen kann, durch die ſie ſich offen— baren“, ſo durchdringt auch den Naturforſcher bei der Dar— ſtellung der kosmiſchen Verhältniſſe ein inniges Bewußtſein, daß die Zahl der welttreibenden, der geſtaltenden und ſchaffen— den Kräfte keineswegs durch das erſchöpft iſt, was ſich bisher aus der unmittelbaren Beobachtung und Zergliederung der Erſcheinungen ergeben hat. Anmerkungen. (S. 8.) In den einleitenden Betrachtungen zum Kosmos Bd. J, S. 23, hätte nicht im allgemeinen gejagt werden ſollen, daß „in den Erfahrungswiſſenſchaften die Auffindung von Geſetzen als das letzte Ziel menſchlicher Forſchung erſcheine“. Die Beſchränkung: „in vielen Gruppen der Erſcheinungen“, wäre notwendig geweſen. Die Vorſicht, mit welcher ich mich im zweiten Bande über das Ver— hältnis von Newton zu Kepler ausgedrückt habe, kann, glaube ich, keinen Zweifel darüber laſſen, daß ich das Auffinden von Natur— geſetzen und ihre Deutung, d. h. die Erklärung der Phänomene, nicht miteinander verwechsle. Ich ſage von Kepler: „Eine reiche Fülle genauer Beobachtungen, von Tycho de Brahe geliefert, be— gründete die Entdeckung der ewigen Geſetze planetariſcher Bewegung, die Keplers Namen einen unſterblichen Ruhm bereiteten und, von Newton gedeutet, theoretiſch als notwendig erwieſen, in das Lichtreich des Gedankens (eines denkenden Erkennens der Natur) übertragen wurden“; von Newton: „Wir endigen mit der Erdgeſtaltung, wie ſie aus theoretiſchen Schlüſſen erkannt worden iſt. Newton erhob ſich zu der Erklärung des Weltſyſtems, weil es ihm glückte, die Kraft zu finden, von deren Wirkung die Keplerſchen Geſetze die notwendige Folge ſind.“ * (S. 8.) In der denkwürdigen Stelle, in welcher Ariſto— teles von „den Trümmern einer früher einmal gefundenen und dann wieder verlorenen Weisheit“ ſpricht, heißt es ſehr bedeutungs— voll und frei von der Verehrung der Naturkräfte und menſchen— ähnlicher Götter: „Vieles iſt mythiſch hinzugefügt, zur Weber: redung der Menge, wie auch der Geſetze und anderer nützlicher Zwecke wegen.“ e 8) Die wichtige Verſchiedenheit dieſer naturphiloſophi— ſchen Richtungen, cb, iſt klar angedeutet in Ariſt. Phys. aus- cult. I. 4, p. 187 Bekker. (S. 9.) Eine merkwürdige Stelle des Simplicius, P. 491, b, ſetzt die Centripetalkraft deutlichſt dem Umſchwunge, der Centrifugalkraft, entgegen. Sie gedenkt des „Nichtherabfallens der himmliſchen Körper, wenn der Umſchwung die Oberhand hat über die eigene Fallkraft, den Zug nach unten“. Deshalb wird n bei Plutarch der nicht zur Erde fallende Mond mit „dem Stein in der Schleuder“ verglichen. (S. 9.) Für von dem Geiſte, 56, beſeelt, werden auch die Pflanzen gehalten. (S. 10.) Das Pſeudo-Ariſtoteliſche Buch De Mundo, welches Oſann dem Chryſippus zuſchreibt, enthält ebenfalls eine ſehr beredte Stelle über den Weltordner und Welterhalter. (S. 10.) Vergl. Ariſtot. De Anima II, 7, p. 419. In dieſer Stelle iſt die Analogie mit dem Schalle auf das deutlichſte ausgedrückt; aber in anderen Schriften hat Ariſtoteles ſeine Theorie des Sehens mannigfach modifiziert. So heißt es Delnsomniis cap. 3, p. 459 Bekker: „Es iſt offenbar, daß das Sehen, wie ein Leiden, ſo auch eine Thätigkeit iſt, und daß das Geſicht nicht allein von der Luft (dem Mittel) etwas erleidet, ſondern auch in das Mittel einwirkt.“ Zum Beweiſe wird angeführt, daß ein neuer, ſehr reiner Metallſpiegel unter gewiſſen Umſtänden, durch den darauf geworfenen Blick einer Frau, ſchwer zu vertilgende Nebel— flecken erhält. (S. 10.) Die wiſſenſchaftliche Begründung dieſer, wie man ſieht, ſehr alten Anſicht erfolgte bekanntlich erſt in unſeren Tagen durch Charles Darwin. [D. Herausg. 9 (S. 11.) Wenn im Tierreiche unter den Repräſentanten der vier Elemente auf unſerer Erde einige fehlen, z. B. die, welche das Element des reinſten Feuers darſtellen, ſo können vielleicht dieſe Mittelſtufen im Monde vorkommen. Sonderbar genug, daß der Stagirite in einem anderen Planeten ſucht, was wir als Mittel— glieder der Kette in den untergegangenen Formen von Tier- und Pflanzenarten finden! 10 (S. 11.) Die avurepistos:s des Ariſtoteles ſpielt beſonders eine große Rolle in allen Erklärungen meteorologiſcher Prozeſſe; fo in den Werken: De generatione et interitu, den Meteorologicis und den Problemen, die wenigſtens nach Ariſtoteliſchen Grundſätzen abgefaßt ſind. In der alten Polaritäts— hypotheſe zart’ evrreptstasev ziehen ſich aber gleichartige Zuſtände an und ungleichartige (+ und —9 ſtoßen ſich entgegengeſetzt ab. Die entgegengeſetzten Zuſtände, ſtatt ſich bindend zu vernichten, erhöhen vielmehr die Spannung. Das 9% ſteigert das deppöv, ſowie umgekehrt „die umgebende Wärme bei der Hagel— bildung, indem das Gewölk ſich in wärmere Luftſchichten ſenkt, den kalten Körper noch kälter macht“. Ariſtoteles erklärt durch ſeinen antiperiſtatiſchen Prozeß, durch Wärmepolarität, was die neuere Phyſik durch Leitung, Strahlung, Verdampfung, Verände— rung der Wärmekapazität zu erklären weiß. 1 (S. 11.) „Durch die Bewegung der Himmelsſphäre wird alles Veränderliche in den Naturkörpern, werden alle irdiſchen Er— ſcheinungen hervorgerufen.“ 12 (S. 12.) Ariſt., Meteorol. XII, p. 1074, zu welcher Stelle fg . eine denkwürdige Erläuterung im Kommentar des Alexander Aphro— diſienſis enthalten iſt. Die Geſtirne ſind nicht ſeelenloſe Körper, ſie ſind vielmehr als handelnde und lebendige Weſen zu betrachten. Sie find das Göttlichere unter dem Erſcheinenden, d Yzıstzou tüv gαεοααν. In der kleinen Pſeudo-Ariſtoteliſchen Schrift De Mundo, in welcher oft eine religiöje Stimmung vorherrſcht (von der er: haltenden Allmacht Gottes), wird der hohe Aether auch göttlich ge— nannt. Was der phantaſiereiche Kepler im Mysterium cos- mographicum „bewegende Geiſter, animae motrices“, nennt, iſt die verworrene Idee einer Kraft (virtus), welche in der Sonne (anima mundi) ihren Hauptſitz hat, nach den Geſetzen des Lichts in der Entfernung abnimmt und die Planeten in elliptiſchen Bahnen umtreibt. (S. 13.) Verbrannt zu Rom am 17. Februar 1600, nach der Sentenz: Ut quam clementissime et ceitra sanguinis ef- fusionem puniretur. Bruno war ſechs Jahre unter den Blei: dächern in Venedig, zwei Jahre in der Inquiſition zu Rom ge— fangen geweſen. Als das Todesurteil ihm verkündigt ward, ſagte der nichtgebeugte Mann die ſchönen, mutigen Worte: Majori forsitan cum timore sententiam in me fertis quam ego accipiam. Aus Italien flüchtig (1560), lehrte er in Genf, in Lyon, Toulouſe, Paris, Oxford, Marburg, Wittenberg (das er Deutſchlands Athen nennt), Prag, Helmſtedt, wo er 1589 die wiſſenſchaftliche Ausbildung des Herzogs Heinrich Julius von Braunſchweig-Wolfen⸗ büttel vollendete, und ſeit 1592 in Padua. (S. 13.) Ueber die große Himmelsbegebenheit des plötzlich (1572) in der Kaſſiopeia auflodernden neuen Sternes hat Bruno die einzelnen Beobachtungen ſorgfältig zuſammengeſtellt. Seine naturphiloſophiſchen Beziehungen zu zweien ſeiner kala⸗ breſiſchen Landsleute, Bernardino Teleſio und Thomas Campanella, wie zu dem platoniſierenden Kardinal Nikolaus Krebs aus Kuſa ſind in neueren Zeiten vielfach geprüft worden. (S. 14.) „Si duo lapides in aliquo loco Mundi collo- carentur propinqui invicem, extra orbem virtutis tertii cognati corporis; illi lapides ad similitudinem duorum Magneticorum corporum coirent loco intermedio, quilibet accedens ad alterum tanta intervallo, quanta est alterius moles in comparatione. Si luna et terra non retinerentur vi animali(!) aut alia ali- qua aequipollente, quaelibet in suo circuitu, Terra adscen- deret ad Lunam quinquagesima quarta parte intervalli, Luna descenderet ad Terram quinquaginta tribus eirciter partibus intervalli; ibi jungerentur, posito tamen quod substantia utri- usque sit unius et ejusdem densitatis.“ Kepler, Astronomia nova, seu Physica coelestis de Motibus Stellae Martis, 1609, Introd. fol. V. (S. 14.) „Si Terra cessaret attrahere ad se aquas suas, aquae marinae omnes elevarentur et in corpus Lunae influerent. Orbis virtutis tractoriae, quae est in Luna, porri- gitur usque ad terras, et prolect at aquas quacunque in ver- ticem loci incidit sub Zonam torridam, quippe in occursum suum quacunque inverticem lo ci incidit, insensibiliter in mari- bus inclusis, sensibiliter ibi ubi sunt latissimi alvei Oceani propinqui, aquisque spaciosa reciprocationis libertas.“ (Kepler J. c.) „Undas a Luna trahi ut ferrum a Magnete...“ Ke p- leri Harmonices Mundi libri quinque 1619, lib. IV, cap. 7, p. 162. Dieſelbe Schrift, welche jo viel Herrliches dar— bietet, ja die Begründung des wichtigen dritten Geſetzes (nach dem die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten ſich verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernungen), wird durch die mut— willigſten Phantaſieſpiele über die Reſpiration, die Nahrung und die Wärme des Erdtieres, über des Tieres Seele, ſein Gedächtnis (memoria animae Terrae), ja ſeine ſchaffende Ein- bildungskraft (animae Telluris imaginatio) verunſtaltet. Der große Mann hielt ſo feſt an dieſen Träumereien, daß er mit dem myſtiſchen Verfaſſer des Macrocosmos, Robert Fludd aus Orford (der an der Erfindung des Thermometers teil haben ſoll), über das Prioritätsrecht der Anſichten vom Erdtiere ernſthaft haderte. — Maſſenanziehung wird in Keplers Schriften oft mit magnetiſcher Anziehung verwechſelt. „Corpus Solis esse magneti- cum. Virtutem, que Planetas mov et, residere in corpore Solis.“ (Stella Martis Pars III, cap. 32 und 34.) Jedem Planeten wurde eine Magnetachſe zugeſchrieben, welche ſtets nach einer und derſelben Weltgegend gerichtet iſt. (S. 15.) „Lunam aquis carere et aöre: Marium similitu- dinem in Luna nullam reperio. Nam regiones planas quae montosis multo obscuriores sunt, quasque vulgo pro maribus haberi video et oceanorum nominibus insigniri, in his ipsis, longiore telescopio inspectis, cavitates exiguas inesse comperio rotundas, umbris intus cadentibus; quod maris superficiei con- venire nequit: Tum ipsi campi illi latiores non prorsus aequa- bilem superficiem praeferunt, cum diligentius eas intuemur. Quodcirca maria esse non possunt, sed materia constare debent minus candicante, quam quae est partibus asperioribus, in qui- bus rursus quaedam viridiori lumine caeteras praecellunt.“ Hugenii Cosmotheoros ed. alt. 1699, lib. II, p. 114. Auf dem Jupiter vermutet aber Huygens viel Sturm und Regen, denn: Ventorum flatus ex illa nubium Jovialium mutabili facie cognoscitur. Die Träume von Huygens über die Bewohner ferner Planeten, eines ſtrengen Mathematikers eben nicht würdig, ſind leider von Immanuel Kant in ſeinem vortrefflichen Werke: ALL: gemeine Naturgeſchichte und Theorie des Himmels, 1755, erneuert worden. (S. 16.) „Adjicere jam licet de spiritu quodam subti- lissimo corpora erassa pervadente et in iisdem latente, cujus 14 2 — vi et actionibus particulae corporum ad minimas distantias se mutuo attrahunt et contiguae factae cohaerent.* Newton, Principia Phil. Nat. (ed. Le Seur et Jacquier 1760) Schol. gen. T. III, p. 676. 10 (S. 16.) „Hactenus phaenomena caelorum et maris nostri per vim gravitatis exposui, sed causam gravitatis non- dum assignavi. Oritur utique haec vis a causa aliqua, quae penetrat ad usque centra solis et planetarum, sine virtutis diminutione; quaeque agit non pro quantitate superficierum particularum, in quas agit (ut solent causae mechanicae), sed pro quantitate materiae solidae. — Rationem harum gravi- tatis proprietatum ex phaenomenis nondum potui deducere et hypotheses non fingo. Satis est quod gravitas revera existat et agat secundum leges a nobis expositas.* Newton, Prin- eipia Phil. Nat. p. 676. — „To tell us that every species of things is endow’d with an occult specifick quality by which it acts and produces manifest effects, is to tell us nothing: but to derive two or three general principles of motion from phaenomena, and afterwards to tell us how the properties and actions of all corporeal things follow from those mani- fest principles, would be a very great step in Philosophy, though the causes of those principles were not yet discovered: and therefore I scruple not to propose the principles of motion and leave their causes to be found out.“ Newton, Opticks p. 377. Früher, Query 31, p. 351, heißt es: „Bodies act one upon another by the attraction of gravity, magnetism and electricity, and it is not improbable that there may be more attractive powers than these. How these attractions may be performed, I do not here consider. What I call attraction, may be performed by impulse or by some other means un- known to me. I use that word here to signify only in general any force by which bodies tend towards one another, what- soever be the cause.“ 20 (S. 17.) „I suppose the rarer aether within bodies and the denser without them.“ Operum Newtoni To- mus IV (ed. 1782 Sam. Horsley), p. 386, mit Anwendung auf die Erklärung der von Grimaldi entdeckten Diffraktion oder Licht: beugung. Am Schluſſe des Briefes von Newton an Robert Boyle vom Februar 1867, p. 394 heißt es: „I shall set down one con- jecture more which came into my mind: it is about the cause r “ Auch die Korreſpondenz mit Oldenburg vom Dezember 1675 beweiſt, daß der große Mann damals den Aether— hypotheſen nicht abgeneigt war. Nach dieſen ſollte der Stoß des materiellen Lichtes den Aether in Schwingung ſetzen; die Schwingungen des Aethers allein, welcher Verwandtſchaft mit einem Nervenfluidum hat, erzeugten nicht das Licht. 21 (S. 17.) Die Erklärung, not to take gravity for an — essential property of bodies, welche Newton im second Ad- vertisement gibt, fontraftiert mit den Attraktions- und Repulſions⸗ kräften, welche er allen Maſſenteilchen (molécules) zuſchreibt, um nach der Emiſſionstheorie die Phänomene der Brechung und Zu: rückwerfung der Lichtſtrahlen von ſpiegelnden Flächen „vor der wirklichen Berührung“ zu erklären. (Newton, Opticks Book II, Prop. 8, Pp. 241, und Brewſter a. a. O. p. 301.) Nach Kant kann die Exiſtenz der Materie nicht gedacht werden ohne dieſe Kräfte der Anziehung und Abſtoßung. Alle phyſiſchen Erſchei— nungen ſind deshalb nach ihm wie nach dem früheren Goodwin Knight auf den Konflikt der zwei Grundkräfte zurückzuführen. In den atomiſtiſchen Syſtemen, die Kants dynamiſchen Anſichten dia— metral entgegengeſetzt ſind, wurde durch eine Annahme, welche beſonders durch Lavoiſier ſich weit verbreitete, die Anziehungkraft den diskreten ſtarren Grundkörperchen (molécules), aus denen alle Körper beſtehen ſollen, die Abſtoßungskraft aber den Wärme— ſtoffatmoſphären, welche die Grundkörperchen umgeben, zu: geſchrieben. In dieſer Hypotheſe, welche den ſogenannten Wärme— ſtoff als eine ſtetig ausgedehnte Materie betrachtet, werden demnach zweierlei Materien, d. i. zweierlei Elementarſtoffe, wie in der Mythe von zwei Aetherarten angenommen. Man fragt dann, was wiederum jene Wärmematerie ausdehnt? Betrachtungen über die Dichtigkeit der molecules in Vergleich mit der Dichtigkeit ihrer Aggregate (der ganzen Körper) leiten nach atomiſtiſchen Hypotheſen zu dem Reſultate, daß der Abſtand der Grundkörperchen vonein— ander weit größer als ihr Durchmeſſer iſt. A. Ergebniſſe der Beobachkung aus dem uranologiſchen Teile der phyſiſchen Weltbeſchreibung. Wir beginnen wieder mit den Tiefen des Weltraumes und den fernen Sporaden der Sternſchwärme, welche dem teleſkopiſchen Sehen als ſchwach aufglimmende Nebelflecke erſcheinen. Stufenweiſe ſteigen wir herab zu den um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt kreiſenden, oft zweifarbigen Doppelſternen, zu den näheren Sternſchichten, deren eine unſer Planetenſyſtem zu umſchließen ſcheint; durch dieſes Planetenſyſtem zu dem luft: und meerumfloſſenen Erdſphä— roid, das wir bewohnen. Es iſt ſchon in dem Eingange des allgemeinen Naturgemäldes angedeutet worden, daß dieſer Ideengang dem eigentlichen Charakter eines Werkes über den Kosmos allein angemeſſen iſt: da hier nicht, den Bedürfniſſen unmittelbarer ſinnlicher Anſchauung entſprechend, von dem heimiſchen, durch organiſche Kräfte auf ſeiner Ober— fläche belebten, irdiſchen Wohnſitze begonnen und von den ſcheinbaren Bewegungen der Weltkörper zu den wirklichen über— gegangen werden kann. 1 Das uranologiſche Gebiet, dem telluriſchen ent— gegengeſetzt, zerfällt bequem in zwei Abteilungen, von denen die eine die Aſtrognoſie oder den Fixſternhimmel, die andere unſer Sonnen- und Planetenſyſtem umfaßt. Wie unvollkommen und ungenügend eine ſolche Nomenklatur, die Bezeichnung ſolcher Abteilungen iſt, braucht hier nicht 26 — wiederholt entwickelt zu werden. Es ſind in den Natur— wiſſenſchaften Namen eingeführt worden, ehe man die Ver— ſchiedenartigkeit der Objekte und ihre ſtrengere Begrenzung hinlänglich kannte. Das Wichtigſte bleibt die Verkettung der Ideen und die Anreihung, nach der die Objekte behandelt werden ſollen. Neuerungen in den Namen der Gruppen, Ablenkung vielgebrauchter Namen von ihrer bisherigen Be— deutung wirken entfremdend und zugleich Verwirrung erregend. *. Aſtrognoſie (Fixſternhimmel). Nichts iſt ruhend im Weltraum; auch die Fixſterne ſind es nicht, wie zuerſt Halley an Sirius, Arcturus und Aldebaran darzuthun verſuchte, und die neuere Zeit unwiderſprechlich bei vielen erwieſen hat. Der helle Stern im Ochſenhüter Arcturus hat in den 2100 Jahren (ſeit Ariſtillus und Hipparch), wie er beobachtet wird, um drittehalb Vollmondbreiten feinen Ort verändert gegen die benachbarten ſchwächeren Sterne. Encke bemerkt, „daß der Stern h in der Kaſſiopeia um 3 ½, der Stern 61 des Schwans um 6 Vollmondbreiten von ihrer Stelle gerückt erſchienen ſein würden, wenn die alten Beob— achtungen genau genug geweſen wären, um es anzuzeigen“. Schlüſſe, auf Analogieen gegründet, berechtigen zu der Ver— mutung, daß überall fortſchreitende und auch wohl rotierende Bewegung iſt. Der Name Firxſtern leitet auf irrige Voraus— ſetzungen; man mag ihn in ſeiner erſten Deutung bei den Griechen auf das Eingeheftetſein in den kriſtallenen Himmel, oder nach ſpäterer, mehr römiſcher Deutung auf das Feſte, Ruhende beziehen. Eine dieſer Ideen mußte zu der anderen führen. Im griechiſchen Altertum, wenigſtens hinaufreichend bis Anaximenes aus der ioniſchen Schule oder bis zu dem Pythagoreer Alkmäon, wurden alle Geſtirne ein— geteilt in wandelnde (#srpa riuvapeva oder rhavta) und in nicht wandelnde, feſte Sterne (arkuveis Astepes oder arhayr, νεοα Neben dieſer allgemein gebrauchten Benennung der Fixſterne, welche Macrobius im Somnium Seipionis durch Sphaera aplanes latiniſiert, findet ſich bei Aristoteles mehrfach (als wolle er einen neuen terminus technieus durch: führen) für Firſterne der Name eingehefteter Geſtirne, Eyßedsneva üstpa, ſtatt . Aus dieſer Wortform ſind entſtanden: bei Cicero sidera infixa coelo; bei Plinius stellas, quas putamus affixas; ja bei Manilius astra fixa, ganz wie unfere Firſterne. Die Idee des Eingeheftetſeins leitete auf den Nebenbegriff der Unbeweglichkeit, des Feſt— an⸗einer⸗Stelle-bleibens, und jo wurde das ganze Mittelalter hindurch, in lateiniſchen Ueberſetzungen, die ur— ſprüngliche Bedeutung des Worts infixum oder affıxum sidus nach und nach verdrängt und die Idee der Unbeweglichkeit allein feſtgehalten. Den Anſtoß 1 finden wir ſchon in der ſehr rhetoriſchen Stelle des Seneca (Nat. Quaest. VII, 25) über die Möglichkeit neue Planeten zu entdecken: „Credis autem in hoc maximo et pulcherrimo corpore inter in- numerabiles stellas, quae noctem decore vario distinguunt, quae aöra minime vacuum et inertem esse patiuntur, quinque solas esse, quibus exercere se liceat; ceteras stare, firum et immobilem populum?“ Dies stille, unbewegliche Volk iſt nirgends zu finden. Um die Hauptreſultate wirklicher Beobachtung und die Schlüſſe oder Vermutungen, zu welchen dieſe Beobachtungen führen, bequem in Gruppen zu verteilen, ſondere ich in der aſtro— gnoſtiſchen Sphäre der Weltbeſchreibung voneinander ab: 1) die Betrachtungen über den Weltraum und was ihn zu erfüllen ſcheint; 2) das natürliche und teleſkopiſche Sehen, das Funkeln der Geſtirne, die C des Lichts und die photometriſchen Verſuche über die Inten— ſität des Sternenlichtes; 3) die Zahl, Verteilung und Farbe der Sterne; die Sternhaufen (Sternſchwärme) und die Milch— ſtraße, welche mit wenigen Nebelflecken gemengt tft; 4) die neuerſchienenen und die verſchwundenen Sterne, die periodiſch veränderlichen; 5 die eigene Bewegung der Firſterne, die proble— matiſche Exiſtenz dunkeler Weltkörper, die Parallaxe und gemeſſene Entfernung einiger Fixſterne; 6) die Doppelſterne und die Zeit ihres Umlaufs um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt; 7) die Nebelflecke, welche in den Magelhaensſchen Wolken mit vielen Sternhaufen vermiſcht ſind; die ſchwarzen Flecken (Kohlenſäcke) am Himmelsgewölbe. SET RN Der Weltraum, und Vermutungen über das, was den Weltraum zwiſchen den Geſtirnen zu erfüllen ſcheint. Man iſt geneigt, die phyſiſche Weltbeſchreibung, wenn ſie von dem anhebt, was die fernſten Himmelsräume zwiſchen den geballten Weltkörpern ausfüllt und unſeren Organen unerreichbar bleibt, mit den mythiſchen Anfängen der Welt— geſchichte zu vergleichen. In der unendlichen Zeit wie im unendlichen Raume erſcheint alles in ungewiſſem, oft täuſchen— dem Dämmerlichte. Die Phantaſie iſt dann zweifach an— geregt, aus eigener Fülle zu ſchöpfen und den unbeſtimmten, wechſelnden Geſtalten Umriß und Dauer zu geben. Ein ſolches Geſtändnis kann genügen, denke ich, um vor dem Vorwurf zu bewahren, das, was durch unmittelbare Beobachtung oder Meſſung zu einer mathematiſchen Gewißheit erhoben worden, mit dem zu vermiſchen, was auf ſehr unvollſtändige In— duktionen gegründet iſt. Wilde Träume gehören in die Romantik der phyſiſchen Aſtronomie. Ein durch wiſſenſchaft— liche Arbeiten geübter Sinn verweilt aber gern bei ſolchen Fragen, welche, in genauem Zuſammenhange mit dem da— maligen Zuſtande unſeres Wiſſens, wie mit den Hoffnungen, welcher dieſer Zuſtand erregt, ſchon von den ausgezeichnetſten Aſtronomen unſerer Zeit einer ernſten Erörterung wert ge— halten worden ſind. Durch den Einfluß der Gravitation oder allgemeinen Schwere, durch Licht und ſtrahlende Wärme ſtehen wir, wie man mit großer Wahrſcheinlichkeit annehmen kann, in Ver— kehr nicht bloß mit unſerer Sonne, ſondern auch mit allen anderen leuchtenden Sonnen des Firmaments. Die wichtige Entdeckung von dem Widerſtande, welchen ein, den Weltraum füllendes Fluidum einem Kometen von fünfjähriger Umlaufs— zeit meßbar entgegenſetzt, hat ſich durch die genaue Ueberein— ſtimmung der numeriſchen Verhältniſſe vollſtändig bewährt. Auf Analogieen gegründete Schlüſſe können einen Teil der weiten Luft ausfüllen, welche die ſicheren Reſultate einer mathematiſchen Naturphiloſophie von den Ahnungen trennt, die auf die äußerſten, und darum ſehr nebeligen und öden Grenzen aller wiſſenſchaftlichen Gedankenentwickelung gerichtet ſind. ä Aus der Unendlichkeit des Weltraums, die freilich von Ariſtoteles bezweifelt ward, folgt ſeine Unermeßlichkeit. Nur einzelne Teile ſind meßbar geworden; und die, alle unſere Faſſungskraft überſchreitenden Reſultate der Meſſung werden gern von denen zuſammengeſtellt, welche an großen Zahlen eine kindliche Freude haben, ja wohl gar wähnen durch ſtaunen— und ſchreckenerregende Bilder phyſiſcher Größe den Eindruck der Erhabenheit aſtronomiſcher Studien vorzugsweiſe zu er— höhen. Die Entfernung des 61. Sterns des Schwans von der Sonne iſt 657000 Halbmeſſer der Erdbahn, und das Licht braucht etwas über 10 Jahre, um dieſe Entfernung zu durch— laufen, während es in 8“ 16/78 von der Sonne zur Erde gelangt. Sir John Herſchel vermutet nach einer ſinnreichen Kombination photometriſcher Schätzungen, daß Sterne des großen Ringes der Milchſtraße, die er im 20füßigen? Teleſkop aufglimmen ſah, wären es neu entſtandene leuchtende Welt— körper, an 2000 Jahre gebraucht haben würden, um uns den erſten Lichtſtrahl zuzuſenden. Alle Verſuche, ſolche numeriſchen Verhältniſſe anſchaulich zu machen, ſcheitern entweder an der Größe der Einheit, wodurch ſie gemeſſen werden ſollen oder an der Größe der Zahl aus den Wiederholungen dieſer Ein— heit. Beſſel ſagte ſehr wahr: daß „die Entfernung, welche das Licht in einem Jahre durchläuft, nicht anſchaulicher für uns iſt als die Entfernung, die es in zehn Jahren zurücklegt. Dazu verfehlt ihren Zweck jede Bemühung, eine Größe zu verſinnlichen, welche alle auf der Erde zugänglichen weit über— ſchreitet“. Die unſere Faſſungskraft bedrängende Macht der Zahlen bietet ſich uns in den kleinſten Organismen des Tier— lebens wie in der Milchſtraße der ſelbſtleuchtenden Sonnen dar, die wir Fixſterne nennen. Welche Maſſe von Poly: thalamien ſchließt nicht nach Ehrenberg eine dünne Kreide— ſchichte ein! Von der mikroſkopiſchen Galionella distans ent: hält ein Kubikzoll nach dieſem großen Naturforſcher in der 40 Fuß (13 m) hohen Bergkuppe des Biliner Polierſchiefers 41000 Millionen Einzeltiere. Von Galionella ferruginea enthält der Kubikzoll über 1 Billion 750000 Millionen In— dividuen. Solche Schätzungen erinnern an den Arenarius (Vappieng) des Archimedes, an die Sandkörner, welche den Weltraum ausfüllen könnten! Mahnen am Sternenhimmel die Eindrücke von nicht auszuſprechenden Zahlen und räum— licher Größe, von Dauer und langen Zeitperioden den Menſchen an ſeine Kleinheit, an ſeine phyſiſche Schwäche, an das — 30 — Ephemere ſeiner Exiſtenz, ſo erhebt ihn freudig und kräftigend wieder das Bewußtſein, durch Anwendung und glückliche Selbſt— entwickelung der Intelligenz ſchon jo vieles und fo wichtiges von der Geſetzmäßigkeit der Natur, von der ſideriſchen Welt— ordnung erforſcht zu haben. 5 Wenn die Welträume, welche die Geſtirne voneinander trennen, nicht leer, ſondern mit irgend einer Materie gefüllt ſind, wie nicht bloß die Fortpflanzung des Lichtes, ſondern auch eine beſondere Art ſeiner Schwächung, das auf die Um— laufszeit des Enckiſchen Kometen wirkende widerſtehende (hemmende) Mittel und die Verdunſtung zahlreicher und mächtiger Kometenſchweife zu beweiſen ſcheinen, ſo müſſen wir aus Vorſicht gleich hier in Erinnerung bringen, daß unter den unbeſtimmten jetzt gebrauchten Benennungen: Himmels— luft, kosmiſche (nicht ſelbſtleuchtende)y Materie, und Welt— äther, die letzte, uns aus dem früheſten ſüd- und weſt— aſiatiſchen Altertume überkommen, im Laufe der Jahrhunderte nicht ganz dieſelben Ideen bezeichnet hat. Bei den indiſchen Naturphiloſophen gehört der Aether (aka'sa) zum Fünftum (pantschatä), d. h. er iſt eins von den fünf Elementen: ein Fluidum unendlicher Feinheit, welches das Univerſum, das ganze Weltall durchdringt, ſowohl der Anreger des Lebens als das Fortpflanzungsmittel des Schalles. Etymologiſch bedeutet aka'sa nach Bopp „leuchtend, glänzend, und ſteht demnach in ſeiner Grundbedeutung dem Aether der Griechen fo nahe, als Leuchten dem Brennen ſteht“. Dieſer Aether (579) war nach den Dogmen der ioniſchen Naturphiloſophie, nach Anaxagoras und Empedokles, von der eigentlichen, gröberen (dichteren), mit Dünſten gefüllten Luft (%), die den Erdkreis umgibt „und vielleicht bis zum Monde reicht“, ganz verſchieden. Er war „feuriger Natur, eine reine Feuerluft: hellſtrahlend, von großer Feinheit (Dünne) und ewiger Heiterkeit“. Mit dieſer Definition ſtimmt vollkommen die etymologiſche Ableitung von brennen (view), die ſpäter ſonderbar genug aus Vorliebe für mechaniſche Anſichten, wegen des beſtändigen Umſchwunges und Kreislaufes, von Plato und Ariſtoteles wortſpielend in eine andere (Ast dss umgewandelt wurde.“ Der Begriff der Feinheit und Dünne des hohen Aethers ſcheint nicht etwa Folge der Kenntnis reiner, von ſchweren Erddünſten mehr befreiter Bergluft, oder gar der mit der Höhe abnehmenden Dichte der Luft— ſchichten geweſen zu ſein. Inſofern die Elemente der Alten e r re ee SIE weniger Stoffverſchiedenheiten oder gar Einfachheit (Unzerleg— barkeit) von Stoffen als Zuſtände der Materie ausdrücken, wurzelt der Begriff des hohen Aethers (der feurigen Himmels— luft) in dem erſten und normalen Gegenſatze von ſchwer und leicht, von unten und oben, von Erde und Feuer. Zwiſchen dieſen Extremen liegen zwei mittlere Elementar— zuſtände: Waſſer, der ſchweren Erde, Luft, dem leuchtenden Feuer näher.“ Der Aether des Empedokles hat als ein den Weltraum füllendes Mittel nur durch Feinheit und Dünne Analogie mit dem Aether, durch deſſen Transverſalſchwingungen die neuere Phyſik die Fortpflanzung des Lichtes und alle Eigen— ſchaften desſelben (doppelte Brechung, Polariſation, Inter— ferenz) jo glücklich nach rein mathematiſcher Gedankenentwicke— lung erklärt. In der Naturphiloſophie des Ariſtoteles wird dazu noch gelehrt, daß der ätheriſche Stoff alle lebendigen Organismen der Erde, Pflanzen und Tiere, durchdringe; daß er ihnen das Prinzip der Lebenswärme, ja der Keim eines ſeeliſchen Prinzips werde, welches unvermiſcht mit dem Körper die Menſchen zur Selbſtthätigkeit anfache. Dieſe Phantaſieen ziehen den Aether aus dem höheren Weltraum in die irdiſche Sphäre herab; ſie zeigen ihn als eine überaus feine, den Luftkreis und ſtarre Körper kontinuierlich durchdringende Subſtanz, ganz wie den ſchwingenden Lichtäther bei Huygens, Hooke und den jetzigen Phyſikern. Was aber zunächſt beide Hypotheſen des Aethers, die ältere ioniſche und die neuere, voneinander unterſcheidet, iſt die urſprüngliche, wenn auch von Ariſtoteles nicht ganz geteilte Annahme des Selbſtleuchtens. Die hohe Feuerluft des Empedokles wird ausdrücklich hell— ſtrahlend (rousavsov) genannt, und bei gewiſſen Erſchei— nungen von den Erdbewohnern durch Spalten und Riſſe (Jashuta), die in dem Firmamente ſich bilden, in Feuerglanz geſehen. Bei dem jetzt ſo vielfach erforſchten innigen Verkehr zwiſchen Licht, Wärme, Elektrizität und Magnetismus wird es für wahrſcheinlich gehalten, daß, wie die Transverſal— ſchwingungen des den Weltraum erfüllenden Aethers die Er⸗ ſcheinungen des Lichts erzeugen, die thermiſchen und elektro— magnetiſchen Erſcheinungen auf analogen Bewegungsarten (Strömungen) beruhen. Große Entdeckungen über dieſe Gegen— ſtände bleiben der Zukunft vorbehalten. Das Licht und die von dieſem unzertrennliche, ſtrahlende Wärme ſind für die nicht ſelbſtleuchtenden Weltkörper, für die Oberfläche unſeres Planeten eine Haupturſache aller Bewegung und alles organi— ſchen Lebens.“ Selbſt fern von der Oberfläche, im Inneren der Erdrinde, ruft die eindringende Wärme elektromagnetiſche Strömungen hervor, welche auf Stoffverbindungen und Stoffzerſetzungen, auf alle geſtaltende Thätigkeit im Mineral: reiche, auf die Störung des Gleichgewichts in der Atmoſphäre, wie auf die Funktionen vegetabiliſcher und animaliſcher Organis— men ihren anregenden Einfluß ausüben. Wenn in Strömungen bewegte Elektrizität magnetiſche Kräfte entwickelt, wenn nach einer früheren Hypotheſe von Sir William Herſchel die Sonne ſelbſt ſich in dem Zuſtande „eines perpetuierlichen Nordlichts“ (ich würde ſagen eines elektromagnetiſchen Gewitters) befände, ſo wäre es nicht ungeeignet, zu vermuten, daß auch in dem Weltraume das durch Aetherſchwingungen fort— gepflanzte Sonnenlicht von elektromagnetiſchen Strömungen begleitet ſei. Unmittelbare Beobachtung der periodiſchen Veränderung in der Deklination, Inklination und Intenſität hat freilich bisher in dem Erdmagnetismus bei den verſchiedenen Stellungen der Sonne [ſ. Zuſätze am Schluß d. Bd.] oder des uns nahen Mondes keinen Einfluß mit Sicherheit offenbart. Die magne— tiſche Polarität der Erde zeigt nicht Gegenſätze, welche ſich auf die Sonne beziehen und welche die Vorrückung der Nacht— gleichen bemerkbar affiziert. Nur die merkwürdige drehende oder ſchwingende Bewegung des ausſtrömenden Lichtkegels des Halleyſchen Kometen, welche Beſſel vom 12. zum 22. Oktober 1835 beobachtete und zu deuten verſuchte, hatte dieſen großen Aſtro— nomen von dem Daſein einer Polarkraft, „von der Wirkung einer Kraft überzeugt, welche von der Gravitation oder ge— wöhnlichen anziehenden Kraft der Sonne bedeutend verſchieden ſei, weil diejenigen Teile des Kometen, welche den Schweif bilden, die Wirkung einer abſtoßenden Kraft des Sonnenkörpers erfahren“. Auch der prachtvolle Komet von 1744, den Heinſius beſchrieben, hatte bei meinem ver— ewigten Freunde zu ähnlichen Vermutungen Anlaß gegeben. Für minder problematiſch als die elektromagnetiſchen Phänomene im Weltraum werden die Wirkungen der ſtrahlen— den Wärme gehalten. Die Temperatur des Weltraums iſt nach Fourier und Poiſſon das Reſultat der Wärmeſtrahlung der Sonne und aller Geſtirne, vermindert durch die Ab— ſorption, welche die Wärme erleidet, indem ſie den „mit Aether“ Et gefüllten Raum durchläuft.“ Dieſer Sternenwärme ge: ſchieht ſchon bei den Alten (bei Griechen und Römern) 1e mehrfach Erwähnung, nicht bloß weil nach einer allgemein herrſchenden Vorausſetzung die Geſtirne der Region des feurigen Aethers angehören, ſondern weil ſie ſelbſt feuriger Natur, ja nach der Lehre des Ariſtarch von Samos Fixſterne und Sonne einer Natur ſind. In der neueſten Zeit iſt durch die zwei großen franzöſiſchen Mathematiker, welche wir eben genannt, das Intereſſe für die ungefähre Beſtimmung der Temperatur der Welträume um ſo lebhafter angeregt worden, als man endlich eingeſehen hat, wie wichtig dieſe Beſtimmung wegen Wärmeſtrahlung der Erdoberfläche gegen das Himmelsgewölbe für alle thermiſchen Verhältniſſe, ja man darf ſagen für die ganze Bewohnbarkeit unſeres Planeten iſt. Nach der analy— tiſchen Theorie der Wärme von Fourier iſt die Temperatur des Weltraums (des espaces planetaires ou celestes) etwas unter der mittleren Temperatur der Pole, vielleicht ſelbſt noch unter dem größten Kältegrade, welchen man bisher in den Polargegenden beobachtet hat. Fourier ſchätzt ſie demnach auf — 50° bis — 60° Cent. (— 40° bis 48° Reaum. unter dem Gefrterpunfte). Der Eis pol (pole glacial), Punkt der größten Kälte, fällt ebenſowenig mit dem Erdpole zu— ſammen, als der Wärmeäquator (équateur thermal), der die wärmſten Punkte aller Meridiane verbindet, mit dem geo— graphiſchen Aequator. Der nördliche Erdpol iſt, aus der all— mählichen Abnahme der Mitteltemperaturen geſchloſſen, nach Arago — 25°, wenn das Maximum der im Januar 1834 im Fort Reliance (Br. 62° 46“ von Kapitän Back gemeſſenen Kälte (— 56,6“ — 45,3“ Reaum.) war. ! Die niedrigſte uns bekannte Temperatur, welche man bisher auf der Erde über— haupt wahrgenommen hat, iſt wohl die zu Jakutsk (Br. 62920 am 21. Januar 1838 von Neveroff beobachtete. Der in allen ſeinen Arbeiten ſo genaue Middendorff hatte die Inſtrumente des Beobachters mit den ſeinigen verglichen. Neveroff fand die Kälte des genannten Tages — 60° Cent. (— 48 R.). Zu den vielen Gründen der Unſicherheit eines nume— riſchen Reſultats für den thermiſchen Zuſtand des Weltraums gehört auch der, daß man bisher nicht vermag, das Mittel aus den Temperaturangaben der Eispole beider Hemiſphären zu ziehen, da wir mit der Meteorologie des Südpols, welche die mittleren Jahrestemperaturen entſcheiden ſoll, noch ſo wenig bekannt ſind. Die Behauptung Poiſſons, daß wegen A. v. Humboldt, Kosmos. III. 3 — 34 — der ungleichen Verteilung der wärmeſtrahlenden Sterne die verſchiedenen Regionen des Weltraums eine ſehr verſchiedene Temperatur haben, und daß der Erdkörper während der Bewegung des ganzen Sonnenſyſtems, warme und kalte Re— gionen durchwandernd, von außen ſeine innere Wärme erhalten habe, '* hat für mich eine ſehr geringe phyſikaliſche Wahr: ſcheinlichkeit. Ob der Temperaturzuſtand des Weltraumes, ob die Kli— mate der einzelnen Regionen desſelben in dem Lauf der Jahr— tauſende großen Veränderungen ausgeſetzt ſind, hängt vorzüg— lich von der Löſung eines von Sir William Herſchel lebhaft angeregten Problemes ab: ſind die Nebelflecke fortſchreitenden Geſtaltungsprozeſſen unterworfen, indem ſich in ihnen der Weltdunſt um einen oder um mehrere Kerne, nach Attrak— tionsgeſetzen, verdichtet? Durch eine ſolche Verdichtung des kosmiſchen Nebels nämlich muß, wie bei jedem Ueber— gange des Gasförmigen und Flüſſigen zum Starren, Wärme entbunden werden. Wenn nach den neueſten Anſichten, nach den wichtigen Beobachtungen von Lord Roſſe und Bond, es wahrſcheinlich wird, daß alle Nebelflecke, ſelbſt die, welche durch die größte Kraft der optiſchen Inſtrumente noch nicht ganz aufgelöſt wurden, dicht zuſammengedrängte Stern— ſchwär me find, jo wird der Glaube an dieſe perpetuierlich anwachſende Wärmeerzeugung allerdings etwas erſchüttert. Aber auch kleine ſtarre Weltkörper, die in Fernröhren als unterſcheidbare leuchtende Punkte aufglimmen, können zugleich ihre Dichte verändern, indem fie ſich zu größeren Maſſen ver: binden; ja viele Erſcheinungen, welche unſer eigenes Planeten— ſyſtem darbietet, leiten zu der Annahme, daß die Planeten aus einem dunſtförmigen Zuſtande erſtarrt ſind, daß ihre innere Wärme dem Geſtaltungsprozeſſe der geballten Materie ihren Urſprung verdankt. Es muß auf den erſten Anblick gewagt erſcheinen, eine ſo grauſenvoll niedrige Temperatur des Weltraums, welche zwiſchen dem Gefrierpunkt des Queckſilbers und dem des Weingeiſtes liegt, den bewohnbaren Klimaten des Erd— körpers, dem Pflanzen- und Tierleben, wenn auch nur mittel⸗ bar, wohlthätig zu nennen; aber um die Richtigkeit des Ausdrucks zu begründen, braucht man nur an die Wirkung der Wärmeausſtrahlung zu denken. Unſere durch den Sonnen— körper erwärmte Erdoberfläche und der Luftkreis ſelbſt bis zu ſeinen oberſten Schichten ſtrahlen frei gegen den Himmels— 1 raum. Der Wärmeverluſt, den ſie erleiden, entſteht aus dem thermiſchen Unterſchiede des Himmelsraums und der Luft— ſchichten, aus der Schwäche der Gegenſtrahlung. Wie unge— heuer!“ würde dieſer Verluſt ſein, wenn der Weltraum, ftatt der Wärme, welche wir durch — 60° eines Queckſilber— thermometers nach Centeſimalgraden bezeichnen, eine viel nied— rigere, z. B. — 800°, oder gar eine mehrere taufendmal geringere Temperatur hätte! Es bleibt uns übrig, noch zwei Betrachtungen über das Daſein eines den Weltraum füllenden Fluidums zu entwickeln, von denen die eine, ſchwächer begründete, auf eine beſchränkte Durchſichtigkeit des Weltraums, die andere, auf un— mittelbare Beobachtung geſtützt und numeriſche Reſultate lie— fernd, ſich auf die regelmäßig verkürzte Umlaufszeit des Enckiſchen Kometen bezieht. Olbers in Bremen und, wie Struve bemerkt, achtzig Jahre früher Loys de Cheſeaux in Genf machten auf das Dilemma aufmerkſam: es müſſe, da man ſich in dem unendlichen Weltraume keinen Punkt denken könne, der nicht einen Fixſtern, d. i. eine Sonne dar— böte, entweder das ganze Himmelsgewölbe, wenn das Licht vollſtändig ungeſchwächt zu uns gelangte, ſo leuchtend als unſere Sonne erſcheinen, oder, wenn dem nicht ſo ſei, eine Lichtſchwächung im Durchgang durch den Weltraum an— genommen werden, eine Abnahme der Lichtintenſität in ſtär— erem Maße als in dem umgekehrten Verhältnis des Qua— drats der Entfernung. Indem wir nun einen ſolchen den ganzen Himmel faſt gleichförmig bedeckenden Lichtglanz, deſſen auch Halley nach einer von ihm verworfenen Hypotheſe ge— denkt, nicht bemerken, ſo muß, nach Cheſeaux, Olbers und Struve, der Weltraum keine vollkommene und abſolute Durch— ſichtigkeit haben. Reſultate, die Sir William Herſchel aus Sterneichungen und aus ſinnreichen Unterſuchungen über die raumdurchdringende Kraft ſeiner großen Fernröhre ge— zogen, ſcheinen zu begründen, daß, wenn das Licht des Sirius auf ſeinem Wege zu uns durch ein gasförmiges oder äthe— riſches Fluidum auch nur um "soo geſchwächt würde, dieſe Annahme, welche das Maß der Dichtigkeit eines lichtſchwä— chenden Fluidums gäbe, ſchon hinreichen könnte, die Erſchei— nungen, wie ſie ſich darbieten, zu erklären. Unter den Zweifeln, welche der berühmte Verfaſſer der neuen Outlines of Astronomy gegen Olbers und Struve aufſtellt, iſt einer der wichtigſten, daß ſein zwanzigfüßiges Teleſkop in EEE dem größten Teile der Milchſtraße, in beiden Hemiſphären, ihm die kleinſten Sterne auf ſchwarzem Grunde pro— jiztert '* zeigt. Einen beſſeren und, wie ſchon oben gejagt, durch un— mittelbare Beobachtung begründeten Beweis von dem Daſein eines widerſtandleiſtenden hemmenden Fluidums liefern der Enckiſche Komet und die ſcharfſinnigen, ſo wichtigen Schlußfolgen, auf welche derſelbe meinen Freund geleitet hat. Das hemmende Mittel muß aber von dem alles durchdrin— genden Lichtäther verſchieden gedacht werden, weil dasſelbe nur Widerſtand leiſten kann, indem es das Starre nicht durch— dringt. Die Beobachtungen erfordern zur Erklärung der ver— minderten Umlaufszeit (der verminderten großen Achſe der Ellipſe) eine Tangentialkraft, und die Annahme des widerſtehenden Fluidums gewährt dieſe am direkteſten. “ Die größte Wirkung äußert ſich in den nächſten 25 Tagen vor dem Durchgange des Kometen durch das Perihel, und in den 25 Tagen, welche auf den Durchgang folgen. Der Wert der Konſtante iſt alſo etwas verſchieden, weil nahe am Sonnen: körper die ſo dünnen, aber doch gravitierenden Schichten des hemmenden Fluidums dichter ſind. Olbers behauptete, daß das Fluidum nicht in Ruhe ſein könne, ſondern rechtläufig um die Sonne rotiere; und deshalb müſſe der Widerſtand gegen rückläufige Kometen, wie der Halleyſche, ganz anders ſein als gegen den rechtläufigen Enckiſchen Kometen. Die Perturbationsrechnungen bei Kometen von langem lm: laufe und die Verſchiedenheit der Maſſen und Größen der Kometen verwickeln die Reſultate und verhüllen, was ein— zelnen Kräften zuzuſchreiben ſein könnte. Die dunſtartige Materie, welche den Ring des Tierkreis— lichtes bildet, iſt, wie Sir John Herſchel ſich ausdrückt, viel— leicht nur der dichtere Teil des kometenhemmenden Fluidums ſelbſt. Wenn auch ſchon erwieſen wäre, daß alle Nebelflecke nur undeutlich geſehene zuſammengedrängte Sternſchwärme ſind, ſo ſteht doch wohl die Thatſache feſt, daß eine Unzahl von Kometen durch das Verdunſten ihrer bis 14 Millionen Meilen langen Schweife den Weltraum mit Materie erfüllen. Arago hat aus optiſchen Gründen ſinnreich gezeigt,“ wie die veränderlichen Sterne, welche immer weißes Licht und in ihren periodiſchen Phaſen nie eine Färbung zeigen, ein Mittel dar— bieten könnten, die obere Grenze der Dichtigkeit zu beſtim— men, welche dem Weltäther zuzuſchreiben iſt, wenn man den— ſelben in ſeinem Brechungsvermögen den gasförmigen irdiſchen Flüſſigkeiten gleich ſetzt. Mit der Frage von der Exiſtenz eines ätheriſchen Flui— dums, welches die Welträume füllt, hängt auch die, von Wollaſton ſo lebhaft angeregte, über die Begrenzung der At— moſphäre zuſammen, eine Begrenzung, welche in der Höhe ſtattfinden muß, wo die ſpezifiſche Elaſtizität der Luft mit der Schwere ins Gleichgewicht kommt. Faradays ſcharfſinnige Verſuche über die Grenze einer Queckſilberatmoſphäre (über die Höhe, welche an Goldblättchen niedergeſchlagene Queck— ſilberdämpfe in luftvollem Raume kaum zu erreichen ſcheinen) haben der Annahme einer beſtimmten Oberfläche des Luft— kreiſes, „gleich der Oberfläche der Meere“, ein größeres Ge— wicht gegeben. Kann aus dem Weltraum ſich etwas Gas— artiges unſerem Luftkreiſe beimiſchen und meteorologiſche Veränderungen hervorbringen? Newton ! hat die Frage meiſt bejahend berührt. Wenn man Sternſchnuppen und Meteor- ſteine für planetariſche Aſteroiden hält, jo darf man wohl die Vermutung wagen, daß mit den Strömen des ſogenannten Novemberphänomens, wo 1799, 1833 und 1834 Myriaden von Sternſchnuppen das Himmelsgewölbe durchkreuzten, ja Nordlichterſcheinungen gleichzeitig beobachtet wurden, der Luftkreis etwas aus dem Weltraum empfangen hat, 208 ihm fremd war und elektromagnetiſche Prozeſſe anregen onnte. Anmerkungen. (S. 26.) Die Hauptſtelle für den techniſchen Ausdruck 888 dehsαν Astpu. iſt Ariſtot. De Coelo II, 8, p. 289 lin. 34, p. 290 lin. 19 Bekker. Es hatte dieſe Veränderung der Nomenklatur ſchon früher bei meinen Unterſuchungen über die Optik des Ptolemäus und ſeine Verſuche über die Strahlenbrechung meine Aufmerkſam— keit lebhaft auf ſich gezogen. Herr Profeſſor Franz, deſſen philo— logiſche Gelehrſamkeit ich oft und gern benutze, erinnert, daß auch Ptolemäus von den Fixſternen jagt: Gersg rpocreynröres, wie angeheftet. Ueber den Ausdruck πππ.τντι Arkavns (orbis inerrans) bemerkt Ptolemäus tadelnd: „Inſofern die Sterne ihre Abſtände ſtets zu einander bewahren, können wir fie mit Recht arkavsis nennen; inſofern aber die ganze Sphäre, in welcher ſie gleichſam angewachſen ihren Lauf vollenden, eine eigentümliche Bewegung hat, iſt die Benennung arkavens für die Sphäre wenig paſſend.“ (S. 29.) [Die Umrechnung der in Pariſer Fuß gemachten Angaben der Teleſkoplängen in das Metermaß wird hier und in den nachfolgenden Seiten als unweſentlich unterlaſſen. Zwanzig Par. Fuß = 6,5 m. D. Herausg.] (S. 30.) Schon Ariſtoteles beweiſt gegen Leukipp und Demokrit, daß es in der Welt keinen nicht erfüllten Raum, kein Leeres gibt. 5 (S. 30.) „Akä'sa iſt nach Wilſons Sanskrit-Wörterbuch: the subtle and aetherial fluid, supposed to fill and pervade the Universe, and to be the peculiar vehicle of life and sound. Das Wort Akä’sa (leuchtend, glänzend) kommt von der Wurzel kä’s, leuchten, in Verbindung mit der Präpoſition ü. Das Fünftum aller Elemente heißt pantschatä oder pantschatra; und der Tote wird ſonderbar genug erlangtes Fünftum habend (präpta- pantschatra), d. i. in die fünf Elemente aufgelöſt, genannt. So im Text des Amarakoscha, Amaraſinhas Wörterbuchs.“ (Bopp.) — Von den fünf Elementen handelt Colebrookes vor— treffliche Abhandlung über die Sänkhya-Philoſophie in den Trans- actions of the Asiat. Soc. Vol. I. Lond. 1827, p. 31. Auch Strabo erwähnt ſchon nach Megaſthenes des alles geſtaltenden fünften Elementes der Inder, ohne es jedoch zu nennen. 1 BET (S. 30.) Empedokles nennt den Aether rappavowv, hell: ſtrahlend, alſo ſelbſtleuchtend. ° (©. 30.) Plato, Cratyl. 410 B, wo Asıdenp vorkommt. Ariſtot. De Coelo J, 3, pag. 270 gegen Anaxagoras: altpa RPOSWYÖH.unSUy TOy AYWTäTW TOTOV, amd Tod Velv del Thy Alüroy ypbvov Yepevor Try erwvoniov udro. "Avusayöpag’ e zuruntyprtor To Dyon.arı todrw od νν ovopn.aler ap anepn ayıı nopsc. Umftänd: licher heißt es in Ariſtot. Meteor. I. 3, pag. 339: „Der ſoge— nannte Aether hat eine uralte Benennung, welche Anaxagoras mit dem Feuer zu identifizieren ſcheint, denn die obere Region ſei voll Feuer; und jener hielt es mit dieſer Region ſo, daß er ſie für Aether anſah; darin hat er auch recht. Denn den ewig im Lauf begriffenen Körper ſcheinen die Alten für etwas von Natur Göttliches angeſehen und deshalb Aether genannt zu haben, als eine Subſtanz, welche bei uns nichts Vergleichbares hat. Die— jenigen aber, welche den umgebenden Raum, nicht bloß die darin ſich bewegenden Körper, für Feuer und, was zwiſchen Erde und den Geſtirnen iſt, für Luft halten, würden von dieſem kindiſchen Wahn wohl ablaſſen, wenn ſie die Reſultate der neueren Forſchungen der Mathematiker genau betrachten wollten.“ (Eben dieſe Etymologie des Wortes vom ſchnellen Umlaufe wiederholt der ariſtoteliſche oder ſtoiſche Verfaſſer des Buches De Mundo.) Profeſſor Franz hat mit Recht bemerkt, „daß das Wortſpiel von dem im ewigen Lauf begriffenen Körper (sopa “el Yeny) und vom Göttlichen (deiov), deſſen die Meteorologica erwähnen, auffallend bezeichnend fei für die griechiſche Phantaſie, und ein Zeugnis mehr gebe für die jo wenig glückliche Behandlung der Etymologik bei den Alten.“ — Profeſſor Buſchmann macht auf ein Sanskritwort äschtra für Aether, Luftkreis aufmerkſam, das dem griechiſchen 79 ſehr ähnlich ſieht und ſchon von Vans Kennedy mit ihm zuſammengeſtellt worden iſt; es läßt ſich auch für dieſes Wort eine Wurzel (as, asch) anführen, welcher von den Indern die Bedeutung von glänzen, leuchten beigelegt wird. (S. 31.) Wenn der Stagirite dem Aether den Namen eines fünften Elements verſagt, was freilich Ritter und Martin leugnen, ſo iſt es nur, weil nach ihm dem Aether, als Zuſtand der Materie, ein Gegenſatz fehlt. Bei den Pythagoreern ward der Aether als ein fünftes Element durch den fünften der regelmäßigen Körper, das aus 12 Pentagonen zuſammengeſetzte Dodekaeder, vorgeſtellt. ® (©. 32.) Vgl. die ſchöne Stelle über den Einfluß der Sonnenſtrahlen in John Herſchel, Outlines of Ast. p. 237: „By the vivifying action of the sun's rays vegetables are enabled to draw support from inorganic matter and become, in their turn, the support of animals and of man, and the courses of those great deposits of dynamical efficieney which are laid up for human use in our coal strata. By them the waters of the sea are made to circulate in vapour through — | the air, and irrigate the land, producing springs and rivers. By them are produced all disturbances of the chemical equi- librium of the elements of nature, which, by a series of com- positions and decompositions, give rise to new products, and originate a transfer of materials....... (S. 33.) Numeriſche Schätzungen des Verluſtes, welchen durch Abſorption die Sternenwärme (chaleur stellaire) im Aether des Weltraums erleidet, verſucht Poiſſon, Theorie mathe- matique de la Chaleur p. 436, 447 und 521. 10 (S. 33.) Ueber die wärmende Kraft der Sterne |. Ariſtot. Meteor. I, 3, p. 340; und Seneca über die Höhe der Schichten des Luftkreiſes, welche das Minimum der Wärme haben, in Nat. Quaest. II, 10: „superiora enim aéris calorem vicinorum siderum sentiunt ... 1 (S. 33.) Swanberg findet aus Diskuſſionen über Strahlen: brechung für die Temperatur des Weltraums — 50,3“; Arago aus Polarbeobachtungen — 56,7“; Péclet — 600, Saigey durch die Wärmeabnahme in der Atmoſphäre aus 367 meiner Beobachtungen in der Andeskette und in Mexiko — 65“, durch Thermometer— meſſungen am Montblanc und bei der aövoftatiichen Reiſe von Gay: Luſſac — 77“; Sir John Herſchel — 132° F., alſo — 91“ Cent. Wie Poiſſon, da die Mitteltemperatur von Melville-Inſel (Br. 74“ 47°) ſchon 18,7“ ift, für den Weltraum aus rein theoretiſchen Gründen, nach denen der Weltraum wärmer als die äußere Grenze der Atmo— ſphäre ſein ſoll, nur — 13“, und dagegen Pouillet nach aktino— metriſchen Verſuchen gar — 142° finden, muß wunder nehmen und in dieſen intereſſanten Spekulationen das Vertrauen zu den bisher eingeſchlagenen Wegen mindern. 12 (S. 34.) Nach Poiſſon hat die Erhärtung der Erdſchichten von dem Centrum angefangen, und iſt von dieſem zur Oberfläche allmählich fortgeſchritten. (S. 35.) „Where no atmosphere, a thermometer, freely exposed (at sunset) to the heating influence of the earth’s radiation, and the cooling power of its own into space, would indicate a medium temperature between that of the celestial spaces ( 132° Fahr. = — 91° Cent.) and that of the earth's surface below it (82° F. = 27,7° Cent. at the equator; —85° F. = —19,5° Cent. in the Polar Sea). Under the equator, then, it would stand, on the average, at — 25° F. -- 31,9° Cent.; and in the Polar Sea at — 68° F. — 55, 5% Cent. The presence of the atmosphere tends to prevent the thermo- meter so exposed from attaining these extreme low tempe- ratures: first, by imparting heat by conduction; secondly by impeding radiation outwards.* Sir John Herſchel im Edin- burgh Review Vol. 87, 1848, p. 223. — „Si la chaleur des espaces planétaires n'existait point, notre atmosphere eprou- verait un refroidissement, dont on ne peut fixer la limite. SIE EN FE Probablement la vie des plantes et des animaux serait impos- sible à la surface du globe ou reléguée dans une étroite zone de cette surface.“ Saigey, Physique du Globe p. 77. (S. 36.) „Throughout by far the larger portion of the extent of the Milky Way in both hemispheres, the general blackness of the ground of the heavens, on which its stars are projected, etc...... In those regions where that zone is cleary resolved into stars well separated and seen projected on a black yround, and where we look out beyond them into Dee „Sir John Herſchel, Outlines p. 537 und 539. (S. 36.) Die ſchwingende Bewegung der Ausſtrömungen am Kopf einiger Kometen, wie dieſelbe an dem Kometen von 1744 und durch Beſſel am Halleyſchen Kometen zwiſchen dem 12. und 22. Oktober 1835 beobachtet worden iſt, „kann bei einzelnen Indi— viduen dieſer Klaſſe von Weltkörpern allerdings auf die trans— latoriſche Bewegung und Rotation Einfluß haben, ja auf Polar— kräfte ſchließen laſſen, welche von der gewöhnlichen anziehenden Kraft der Sonne verſchieden ſind“; aber die ſchon ſeit 63 Jahren jo regelmäßig ſich offenbarende Beſchleunigung der 3½jährigen Um: laufszeit des Enckiſchen Kometen darf doch wohl nicht als von einer Summe zufälliger Ausſtrömungen abhängig gedacht werden. Vergl. über dieſen kosmiſch wichtigen Gegenſtand Beſſel in Schum. aſtron. Nachr. Nr. 289, S. 6 und Nr. 310, S. 345— 350 mit Enckes Abhandlung über die Hypotheſe des widerſtehenden Mittels in Schum. Nr. 305, S. 265— 274. 1# (S. 36.) „En assimilant la matiere très rare qui remplit les espaces celestes, quant à ses proprietes refringentes, aux gas terrestres, la densite de cette matiere ne saurait depasser une certaine limite, dont les observations des etoiles changeantes, P. e. celles d'Algol ou de g de Persee, peuvent assigner la valeur.“ Arago im Annuaire pour 1842, p. 336—345. 17 (S. 37.) Newton, Prince. mathem. T. III (1760), P. 671. „Vapores, qui ex sole et stellis fixis et caudis cometarum oriuntur, incidere possunt in atmosphaeras planetarum .. ..“ II. Ualürliches und keleſkopiſches Sehen. — Funkeln der Geſtirne. — Geſchwindigkeit des Lichtes. — Ergebniſſe aus der Photometrie. Dem Auge, Organ der Weltanſchauung, iſt erſt ſeit dritt— halb Jahrhunderten durch künſtliche, teleſkopiſche Steigerung ſeiner Sehkraft das großartigſte Hilfsmittel zur Kenntnis des Inhalts der Welträume, zur Erforſchung der Geſtaltung, phyſiſchen Beſchaffenbeit und Maſſen der Planeten ſamt ihren Monden geworden. Das erſte Fernrohr wurde 1608, ſieben Jahre nach dem Tode des großen Beobachters Tycho, kon— ſtruiert. Schon waren nacheinander durch das Fernrohr die Jupiterstrabanten, die Sonnenflecke, die ſichelförmige Geſtalt der Venus, der Saturnsring als Dreigeſtaltung eines Planeten, teleſkopiſche Sternſchwärme und der Nebelfleck der Andromeda entdeckt, als ſich erſt 1634 dem um die Längen— beobachtungen ſo verdienten franzöſiſchen Aſtronomen Morin der Gedanke darbot, ein Fernrohr an die Alhidade eines Meß— inſtruments zu befeſtigen und den Arkturus bei Tage aufzu— ſuchen.! Die Vervollkommnung der Teilung des Bogens würde ihren Hauptzweck, größere Schärfe der Beobachtung, gänzlich oder doch großenteils verfehlt haben, wenn man nicht optiſche Werkzeuge mit aſtronomiſchen Inſtrumenten in Ver— bindung gebracht, die Schärfe des Erkennens mit der des Meſſens in Verhältnis geſetzt hätte. Die Mikrometervorrich— tung von feinen Fäden, im Brennpunkt des Fernrohrs aus— geſpannt, welche der Anwendung des letzteren erſt ihren eigent— lichen, und zwar einen unſchätzbaren Wert gab, wurde noch ſechs Jahre ſpäter, erſt 1640, von dem jungen talentvollen Gascoigne? erfunden. Umfaßt, wie ich eben erinnert habe, das teleſkopiſche Sehen, Erkennen und Meſſen nur 240 Jahre unſeres aſtro— nomiſchen Wiſſens, ſo zählen wir, ohne der Chaldäer, der a Aegypter und der Chineſen zu gedenken, bloß von Timochares und Ariſtyllus an bis zu den Entdeckungen von Galilei, mehr als neunzehn Jahrhunderte, in denen Lage und Lauf der Geſtirne mit unbewaffnetem Auge beobachtet worden iſt. Bei den vielen Störungen, welche in dieſer langen Periode unter den Völkern, die das Becken des Mittelmeeres um— wohnen, der Fortſchritt der Kultur und die Erweiterung des Ideenkreiſes erlitten hat, muß man über das erſtaunen, was Hipparch und Ptolemäus von dem Zurückweichen der Aequi— noktialpunkte, den verwickelten Bewegungen der Planeten, den zwei vornehmſten Ungleichheiten des Mondes und von den Sternörtern, was Kopernikus von dem wahren Weltſyſteme, Tycho von der Vervollkommnung der praktiſchen Aſtronomie und ihren Methoden vor Erfindung des teleſkopiſchen Sehens erkannt haben. Lange Röhren, deren ſehr wahr— ſcheinlich ſich ſchon die Alten, mit Gewißheit die arabiſchen Aſtronomen bedienten, zum Abſehen an Dioptern oder Spalt— öffnungen, konnten allerdings die Schärfe der Beobachtung etwas vermehren. Abul-Haſſan ſpricht ſehr beſtimmt von der Röhre, an deren Extremitäten die Okular- und Objektiv— diopter befeſtigt waren; auch wurde dieſe Vorrichtung auf der von Hulagu gegründeten Sternwarte zu Meragha benutzt. Wenn das Sehen durch Röhren die Aufſuchung von Sternen in der Abenddämmerung erleichterte, wenn die Sterne dem bloßen Auge durch die Röhre früher ſichtbar wurden als ohne dieſelbe, ſo liegt, wie ſchon Arago bemerkt hat, die Urſache darin, daß die Röhre einen großen Teil des ſtörenden diffuſen Lichts (die rayons perturbarteurs) der Luftſchichten abhält, welche zwiſchen dem an die Röhre angedrückten Auge und dem Sterne liegen. Ebenſo hindert die Röhre auch bei Nacht den Seiteneindruck des ſchwachen Lichtes, welches die Luftteilchen von den geſamten Sternen des Firmaments em— pfangen. Die Intenſität des Lichtbildes und die Größe des Sternes nehmen ſcheinbar zu. Nach einer viel emendierten und viel beſtrittenen Stelle des Strabo, in welcher des Sehens durch Röhren Erwähnung geſchieht, wird ausdrücklich „der erweiterten Geſtalt der Geſtirne“, irrig genug als Wirkung der Strahlenbrechung,! gedacht. Licht, aus welcher Quelle es kommen mag, aus der Sonne, als Sonnenlicht, oder von den Planeten reflektiert, aus den Fixſternen, aus faulem Holze, oder als Produkt der Lebensthätigkeit der Leuchtwürmer, zeigt dieſelben Brechungs— . verhältniſſe. Aber die prismatiſchen Farbenbilder (Spektra) aus verſchiedenen Lichtquellen (aus der Sonne und Fixſternen) zeigen eine Verſchiedenheit der Lage in den dunkeln Linien (raies du spectre), welche Wollaſton 1808 zuerſt entdeckt und deren Lage Fraunhofer zwölf Jahre ſpäter mit ſo großer Genauigkeit beſtimmt hat. Wenn dieſer ſchon 600 dunkle Linien (eigentliche Lücken, Unterbrechungen, fehlende Teile des Farbenbildes) zählte, ſo ſtieg in der Arbeit von Sir David Brewſter (1833) die Zahl der Linien bei den ſchönen Verſuchen mit Stickſtofforyd auf mehr als 2000. Man hatte bemerkt, daß zu gewiſſen Jahreszeiten beſtimmte Linien im Farbenbilde fehlten; aber Brewſter hat gezeigt, daß die Er— ſcheinung Folge der verſchiedenen Sonnenhöhe und der ver— ſchiedenen Abſorption der Lichtſtrahlen beim Durchgang durch die Atmoſphäre iſt. In den Farbenbildern, welche das zurück— geworfene Licht des Mondes, der Venus, des Mars und der Wolken gibt, erkennt man, wie wohl zu vermuten ſtand, alle Eigentümlichkeiten des Sonnenſpektrums. Dagegen ſind die dunkeln Linien des Spektrums des Sirius von denen des Kaſtor oder anderer Fixſterne verſchieden. Kaſtor zeigt ſelbſt andere Linien als Pollux und Procyon. Amici hat dieſe, ſchon von Fraunhofer angedeuteten Unterſchiede beſtätigt, und ſcharfſinnig darauf aufmerkſam gemacht, daß bei Fix— ſternen von jetzt gleichem, völlig weißem Lichte die dunkeln Linien nicht dieſelben ſind. Es bleibt hier noch ein weites und wichtiges Feld künftigen Unterſuchungen geöffnet, um das ſicher Aufgefundene von dem mehr Zufälligen, von der abſorbierenden Wirkung der Luftſchichten, zu trennen. Einer anderen Erſcheinung iſt hier zu erwähnen, in welcher die ſpezifiſche Eigentümlichkeit der Lichtquelle einen mächtigen Einfluß äußert. Das Licht glühender feſter Körper und das Licht des elektriſchen Funkens zeigen große Mannig— faltigkeit in der Zahl und Lage der dunkeln Wollaſtonſchen Linien. Nach den merkwürdigen Verſuchen von Wheatſtone mit Drehſpiegeln ſoll auch das Licht der Reibung s— elektrizität eine mindeſtens im Verhältnis von 3 zu 2 (das iſt um volle 20 980 geographiſche Meilen [155 680 km] in einer Zeitſekunde) größere Geſchwindigkeit haben als das Sonnenlicht. Das neue Leben, von dem alle Teile der Optik durch— drungen worden ſind, als zufällig das von den Fenſtern des Palais du Luxembourg zurückſtrahlende Licht der unter: — 15 — gehenden Sonne den ſcharfſinnigen Malus (1808) zu ſeiner wichtigen Entdeckung der Polariſation leitete, hat, durch die tiefer ergründeten Erſcheinungen der doppelten Brechung, der gewöhnlichen (Huygenſchen) und der farbigen Polariſation, der Interferenz und der Diffraktion, dem Forſcher unerwartete Mittel dargeboten, direktes und reflektiertes Licht zu unter— ſcheiden,“ in die Konſtitution des Sonnenkörpers und ſeiner leuchtenden Hüllen“ einzudringen, den Druck und den kleinſten Waſſergehalt der Luftſchichten zu meſſen, den Meeresboden und ſeine Klippen mittels einer Turmalinplatte zu erſpähen, ja nach Newtons Vorgange die chemiſche Beſchaffenheit (Mi— ſchung) mehrerer Subſtanzen mit ihren optiſchen Wirkungen zu vergleichen. Es iſt hinlänglich, die Namen Airy, Arago, Biot, Brewſter, Cauchy, Faraday, Fresnel, John Herſchel, Lloyd, Malus, Neumann, Plateau, Seebeck . . . zu nennen, um eine Reihe glänzender Entdeckungen und die glücklichſten Anwendungen des neu Entdeckten dem wiſſenſchaftlichen Leſer ins Gedächtnis zu rufen. Die großen und genialen Arbeiten von Thomas Young haben dieſe wichtigen Beſtrebungen mehr als vorbereitet. Aragos Polariſkop und die beobachtete Stel— lung farbiger Diffraktionsfranſen (Folgen der Interferenz) ſind vielfach gebrauchte Hilfsmittel der Erforſchung geworden. Die Meteorologie hat auf dem neu gebahnten Wege nicht minder gewonnen als die phyſiſche Aſtronomie. So verſchieden auch die Sehkraft unter den Menſchen iſt, gibt es doch auch hier für das unbewaffnete Auge eine gewiſſe Mittelſtufe organiſcher Fähigkeit, die bei dem älteren Geſchlechte (bei Griechen und Römern) dieſelbe wie heutzutage war. Die Plejaden geben den Beweis dafür, daß vor mehreren tauſend Jahren wie jetzt Sterne, welche die Aſtronomen 7. Größe nennen, dem bloßen Auge bei mittlerer Sehkraft unſichtbar blieben. Die Plejadengruppe beſteht aus einem Stern 3. Größe, Alcyone; aus zweien 4 ., Elektra und Atlas, dreien 5., Merope, Maja und Taygeta, zweien 6. bis 7., Plejone und Celäno, einem 7. bis 8., Aſterope, und vielen ſehr kleinen teleſkopiſchen Sternen. Ich bediene mich der jetzigen Benennung und Reihung, denn bei den Alten wurden dieſelben Namen teilweiſe anderen Sternen beigelegt. Nur die erſtgenannten ſechs Sterne 3., 4. und 5. Größe wurden mit Leichtigkeit geſehen.“ Quae septem dici, sex tamen esse solent; jagt Ovidius (Fast. IV, 170). Man hielt eine der Atlastöchter, Merope, die einzige, die ſich Br a, mit einem Sterblichen vermählt, für ſchamvoll verhüllt, auch wohl für ganz verſchwunden. Sie iſt wahrſcheinlich der Stern faſt 7. Größe, welchen wir Celäno nennen; denn Hipparch im Kommentar zu Aratus bemerkt, daß bei heiterer mond— leerer Nacht man wirklich ſieben Sterne erkenne. Man ſah dann Celäno; denn Plejone, bei gleicher Helligkeit, ſteht dem Atlas, einem Stern 4. Größe, zu nahe. Der kleine Stern Alkor, unſer Reuterchen, welcher nach Triesnecker in 11° 48“ Entfernung von Mizar im Schwanz des großen Bären ſteht, iſt nach Argelander 5. Größe, aber durch die Strahlen von Mizar überglänzt. Er wurde von den Arabern Saidak, der Prüfer, genannt; weil, wie der perſiſche Aſtronom Kazwint ° ſagt, „man an ihm die Sehkraft zu prüfen pflegte“. Ich habe Alkor mit unbewaff— netem Auge, trotz der niedrigen Stellung des großen Bären unter den Tropen, jeden Abend an der regenloſen Küſte von Cumana und auf den 12000 Fuß (3900 m) hohen Ebenen der Kordilleren in großer Deutlichkeit, nur ſelten und unge⸗ wiſſer in Europa und in den trockenen Luftſchichten der nord— aſiatiſchen Steppen erkannt. Die Grenze, innerhalb deren es dem unbewaffneten Auge nicht mehr möglich iſt, zwei ſich ſehr naheſtehende Objekte am Himmel voneinander zu trennen, hängt, wie Mädler ſehr richtig bemerkt, von dem relativen Glanze der Sterne ab. Die beiden mit „Capricorni bezeich— neten Sterne 3. und 4. Größe werden in gegenſeitiger Ent— fernung von 6% Minuten ohne Mühe als getrennt erkannt. Galle glaubt noch bei ſehr heiterer Luft s und 5 Lyrae in 3½ Minuten Diſtanz mit bloßem Auge zu ſondern, weil beide 4. Größe ſind. Das Ueberglänzen durch die Strahlen des nahen Pla— neten iſt auch die Hauptſache, warum die Jupiterstrabanten, welche aber nicht alle, wie man oft behauptet, einen Licht— glanz von Sternen 5. Größe haben, dem unbewaffneten Auge unſichtbar bleiben. Nach neueren Schätzungen und Vergleichung meines Freundes, des Dr. Galle, mit nahe— ſtehenden Sternen iſt der dritte Trabant, der hellſte, viel— leicht 5. bis 6. Größe, während die anderen bei wechſeln— der Helligkeit 6. bis 7. Größe ſind. Nur einzelne Bei— ſpiele werden angeführt, wo Perſonen von außerordentlicher Scharfſichtigkeit, d. h. ſolche, welche mit bloßen Augen ſchwächere Sterne als die 6. Größe deutlich erkennen, ein— zelne Jupiterstrabanten ohne Fernrohr geſehen haben. Die Ze a Angularentfernung des dritten, überaus hellen Trabanten iſt vom Centrum des Planeten 4‘ 12“; die des vierten, welcher nur ½ kleiner als der größte iſt, 8“ 16“, und alle Jupiters— monde haben, wie Arago behauptet,“ zuweilen auf gleicher Oberfläche ein intenſiveres Licht als der Planet; zuweilen erſcheinen ſie dagegen auf dem Jupiter als graue Flecken, wie neuere Beobachtungen gelehrt haben. Die überdeckenden Strahlen und Schwänze, welche unſerem Auge als von den Planeten und Fixſternen ausgehend erſcheinen, und ſeit den früheſten Zeiten der Menſchheit in bildlichen Darſtellungen, beſonders bei den Aegyptern, die glänzenden Himmelskörper bezeichnen (Haſſenfratz erklärt fie für Brennlinien, intersec- tions de deux caustiques, auf der Kriſtalllinſe), haben mindeſtens 5 bis 6 Minuten Länge. „Das Bild der Sterne, die wir mit bloßen Augen ſehen, iſt durch divergierende Strahlen vergrößert; es nimmt durch dieſe Ausdehnung auf der Netzhaut einen größeren Raum ein, als wenn es in einem einzelnen Punkte konzentriert wäre. Der Nerveneindruck iſt ſchwächer. Ein ſehr dichter Sternſchwarm, in welchem die einzelnen Sterne alle kaum 7. Größe ſind, kann dagegen dem unbewaffneten Auge ſicht— bar werden, weil die Bilder der vielen einzelnen Sterne ſich auf der Netzhaut übereinander legen und daher jeder ſenſible Punkt derſelben, wie bei einem konzentrierten Bilde, verſtärkt angeregt wird.“!“ Fernröhren und Teleſkope geben leider, wenngleich in einem weit geringeren Grade, den Sternen einen unwahren, fakticen Durchmeſſer. Nach den ſchönen Unterſuchungen von William Herſchel nehmen aber dieſe Durchmeſſer ab mit unehmender Stärke der Vergrößerung. Der ſcharfſinnige Beobachter ſchätzte den ſcheinbaren Durchmeſſer von Wega der Leier bei der ungeheuren Vergrößerung von 6500mal noch zu 0,36“. Bei terreſtriſchen Gegenſtänden beſtimmt außer der Beleuchtung auch die Form des Gegenſtandes die Größe des kleinſten Sehwinkels für das unbewaffnete Auge. Schon Adams hat ſehr richtig bemerkt, daß eine dünne lange Stange viel weiter ſichtbar iſt als ein Quadrat, deſſen Seite dem Durchmeſſer derſelben gleich iſt. Einen Strick ſieht man weiter als einen Punkt, auch wenn beide gleichen Durch— meſſer haben. Arago hat durch Winkelmeſſung der von der Pariſer Sternwarte aus ſichtbaren fernen Blitzableiter den Einfluß der Geſtaltung (des Umriſſes der Bilder) vielfältigen ER Meſſungen unterworfen. In der Beſtimmung des kleinſtmög— lichen optiſchen Sehwinkels, unter welchem irdiſche Objekte dem bloßen Auge erkenntlich ſind, iſt man ſeit Robert Hooke, der noch ſtreng eine volle Minute feſtſetzte, bis Tobias Mayer, welcher 34“ für einen ſchwarzen Fleck auf weißem Papier forderte, ja bis zu Leeuwenhoeks Spinnfäden (unter einem Winkel von 4,7“ bei ſehr gewöhnlicher Sehkraft ſichtbar), immer vermindernd fortgeſchritten. In den neueſten, ſehr genauen Verſuchen Huecks über das Problem von der Be— wegung der Kriſtalllinſe wurden weiße Striche auf ſchwarzem Grunde unter einem Winkel von 1,2“, ein Spinnenfaden bei 0,6“, ein feiner glänzender Draht bei kaum 0,2“ geſehen. Das Problem iſt gar nicht im allgemeinen numeriſch zu löſen, da alles von den Bedingungen der Geſtalt der Objekte, ihrer Erleuchtung, ihres Kontraſtes mit dem Hintergrunde, von dem ſie ſich abheben, der Bewegung oder Ruhe und der Natur der Luftſchichten, in denen man ſich befindet, ab— hängt. 8 Einen lebhaften Eindruck machte es mir einſt, als auf einem reizenden Landſitze des Marques de Selvalegre, zu Chillo (unfern Quito), wo man den langgeſtreckten Rücken des Vulkans Pichincha in einer trigonometriſch gemeſſenen horizontalen Entfernung von 85000 Pariſer Fuß (27612 m) vor ſich ausgeſtreckt ſieht, die Indianer, welche neben mir ſtanden, meinen Reiſebegleiter Bonpland, der eben allein in einer Expedition nach dem Vulkan begriffen war, als einen weißen, ſich vor ſchwarzen baſaltiſchen Felswänden fort: bewegenden Punkt früher erkannten, als wir ihn in den aufgeſtellten Fernröhren auffanden. Auch mir und dem un— glücklichen Sohn des Marques, Carlos Montufar (ſpäter im Bürgerkriege hingeopfert), wurde bald das weiße, ſich be— wegende Bild bei unbewaffnetem Auge ſichtbar. Bonpland war in einen weißen baumwollenen Mantel (den landes— üblichen Poncho) gehüllt. Bei der Annahme der Schulter— breite von 3 bis 5 Fuß (1—1,6 m), da der Mantel bald feſt anlag, bald weit zu flattern ſchien, und bei der bekannten Entfernung ergaben ſich 7“ bis 12“ für den Winkel, unter welchem der bewegte Gegenſtand deutlich geſehen wurde. Weiße Objekte auf ſchwarzem Grund werden nach Huecks wiederholten Verſuchen weiter geſehen als ſchwarze Objekte auf weißem Grunde. Der Lichtſtrahl kam bei heiterem Wetter, durch dünne Luftſchichten von 14412 Fuß (4682 m) 498 — Höhe über der Meeresfläche, zu unſerer Station in Chillo, das ſelbſt noch 8046 Fuß (2613 m) hoch liegt. Die an⸗ ſteigende Entfernung war 85 596 Fuß oder 3 ¾ geographiſche Meilen (28 km), der Stand von Barometer und Thermo— meter in beiden Stationen ſehr verſchieden; oben wahrſchein— lich 194 Linien und 8“ C., unten nach genauer Beobachtung 250,2 Linien und 18,7 C. Das Gaußiſche, für unſere deutſchen trigonometriſchen Meſſungen ſo wichtig gewordene Heliotroplicht wurde, vom Brocken aus auf den Hohenhagen reflektiert, dort mit bloßem Auge in einer Entfernung von 213000 Par. Fuß (mehr als 9 geographiſche Meilen = 70 km) geſehen, oft an Punkten, in welchen die ſcheinbare Breite eines dreizölligen Spiegels nur 0,43“ betrug. a Die Abſorption der Lichtſtrahlen, welche von dem irdi— ſchen Gegenſtande ausgehen und in ungleichen Entfernungen durch dichtere oder dünnere, mit Waſſerdunſt mehr oder minder geſchwängerte Luftſchichten zu dem unbewaffneten Auge ge— langen, der hindernde Intenſitätsgrad des diffuſen Lichtes, welches die Luftteilchen ausſtrahlen und viele noch nicht ganz aufgeklärte meteorologiſche Prozeſſe modifizieren die Sichtbar— keit ferner Gegenſtände. Ein Unterſchied der Lichtſtärke von "so iſt nach alten Verſuchen des immer fo genauen Bouguer zur Sichtbarkeit nötig. Man ſieht, wie er ſich ausdrückt, nur auf negative Weiſe wenig lichtſtrahlende Berggipfel, die ſich als dunkle Maſſen von dem Himmelsgewölbe abheben. Man ſieht ſie bloß durch die Differenz der Dicke der Luft— ſchichten, welche ſich bis zu dem Objekte oder bis zum äußerſten Horizont erſtrecken. Dagegen werden auf poſitive Weiſe ſtark leuchtende Gegenſtände, wie Schneeberge, weiße Kalk— felſen und Bimsſteinkegel, geſehen. Die Entfernung, in welcher auf dem Meere hohe Berggipfel erkannt werden können, iſt nicht ohne Intereſſe für die praktiſche Nautik, wenn genaue aſtronomiſche Ortsbeſtimmungen für die Lage des Schiffes fehlen. Ich habe dieſen Gegenſtand an einem anderen Orte bei Gelegenheit der Sichtbarkeit des Piks von Tenerifa umſtändlich behandelt. Das Sehen der Sterne bei Tage und mit bloßem Auge in den Schächten der Bergwerke und auf ſehr hohen Gebirgen iſt ſeit früher Jugend ein Gegenſtand meiner Nachforſchung geweſen. Es war mir nicht unbekannt, daß ſchon Ariſtoteles nn behauptete, Sterne werden bisweilen aus Erdgewölben und Ziſternen wie durch Röhren geſehen. Auch A. v. Humboldt, Kosmos. III. 4 Plinius erwähnt dieſer Sage und erinnert dabei an die Sterne, die man bei Sonnenſinſterniſſen deutlichſt am Himmelsgewölbe erkenne. Ich habe infolge meines Berufes als praktiſcher Bergmann mehrere Jahre lang einen großen Teil des T Tages in den Gruben zugebracht und durch tiefe Schächte das Him— melsgewölbe im Zenith betrachtet, aber nie einen Stern ge ſehen; auch in mexilaniſchen, peruaniſchen und ſibiriſchen Berg— werken nie ein Individuum aufgefunden, das vom Sternſehen bei Tage hätte reden hören, obgleich unter ſo verſchiedenen Breitengraden, unter denen ich in beiden Hemiſphären unter der Erde war, ſich doch Zenithalſterne genug hätten vorteil: haft dem Auge darbieten können. Bei dieſen ganz negativen Erfahrungen iſt mir um ſo auffallenber das ſehr glaubwür dige Zeugnis eines berühmten Optikers geweſen, der in früher Jugend Sterne bei hellem Tage durch einen Rauchfang er— blickte.“ Erſcheinungen, deren Sichtbarkeit von dem zu— fälligen Zuſammentreffen begünſtigender Umſtände abhängt, müſſen nicht darum geleugnet werden, weil fie jo ſelten ſind. Dieſer Grundſatz findet, glaube ich, ſeine Anwendung auch auf das von dem immer ſo gründlichen Sauſſure be— hauptete Sehen der Sterne mit bloßen Augen bei hellem Tage am Abfall des Montblanc, auf der Höhe von 11970 Fuß (8888 m). „Quelques-uns des guides m'ont assuré“, ſagt der berühmte Alpenforſcher, „avoir vu des stoiles en plein jour; pour moi Je n'y songeois pas, en Sorte que je n al point sté le tömoin de ce phenomene; mais l’assertion uniforme des quides ne me laisse aucun doute sur la rda- litd, Il faut d’ailleurs ötre entierement A l’ombre, et avoir meme au-dessus de la tete une masse d’ombre d'une epaisseur considsrable, sans quoi l’air trop fortement velaire fait évanouir la foible elarte des étoiles.“ Die Bedingungen find alſo faſt ganz dieſelben, welche die Ziſternen der Alten und der eben erwähnte Rauchfang dargeboten haben. Ich finde dieſe merkwürdige Behauptung (vom Morgen des 2. Auguſt 1787) in keiner anderen Reiſe durch die Schweizer Gebirge wiederholt. Zwei kenntnisvolle, vortreffliche Beob— achter, die Gebrüder Hermann und Adolf Schlagintweit, welche neuerlichſt die öſtlichen Alpen bis zum Gipfel des Großglockners, (12 213 Nuß — 8977 m) durchforſcht haben, konnten nie Sterne bei Tage ſehen, noch haben ſie die Sage unter den Hirten und Gemsjägern gefunden. Ich habe mehrere Jahre in den Kordilleren von Mexiko, Quito und Peru zu: N * gebracht und bin ſo oft mit Bonpland bei heiterem Wetter auf Höhen von mehr als 14 oder 15000 Fuß (4550 —5870 m) ge- weſen, und nie habe ich oder ſpäter mein Freund Bouſſingault Sterne am Tage erkennen können, obgleich die Himmelsbläue ſo tief und dunkel war, daß ſie an demſelben Cyanometer von Paul in Genf, an welchem Sauſſure auf dem Montblanc 39“ ablas, von mir unter den Tropen (zwiſchen 16000 und 18 000 Fuß 5200-5850 m Höhe) im Zenith auf 46° geſchätzt wurde. Unter dem herrlichen ätherreinen Himmel von Cumana, in der Ebene des Litorales, habe ich aber mehrmals und leicht, nach Beobachtung von Trabantenverfinſterungen, Jupiter mit bloßen Augen wieder aufgefunden und deutlichſt geſehen, wenn die Sonnenſcheibe ſchon 18 — 20“ über dem Horizont ſtand. Es iſt hier der Ort, wenigſtens beiläufig einer anderen optiſchen Erſcheinung zu erwähnen, die ich, auf allen meinen Bergbeſteigungen, nur einmal, und zwar vor dem Aufgang der Sonne, den 22. Junius 1799 am Abhange des Piks von Tenerifa, beobachtete. Im Malpays, ohngefähr in einer Höhe von 10 700 Fuß (3473 m) über dem Meere, ſah ich mit unbewafjnetem Auge tiefſtehende Sterne in einer wunder— bar ſchwankenden Bewegung. [S. Zuſätze am Schluß d. Bd.] Leuchtende Punkte ſtiegen aufwärts, bewegten ſich ſeitwärts und fielen an die vorige Stelle zurück. Das Phänomen dauerte nur 7—8 Minuten, und dirt auf lange vor dem Erſcheinen der Sonnenſcheibe am Meerhorizont. Dieſelbe Be— wegung war in einem Fernrohr ſichtbar, und es blieb kein Zweifel, daß es die Sterne ſelbſt waren, die ſich bewegten.!“ Gehörte dieſe Ortsveränderung zu der ſo viel beſtrittenen lateralen Strahlenbrechung? Bietet die wellenförmige Un— dulation der aufgehenden Sonnenſcheibe, ſo gering ſie auch durch Meſſung gefunden wird, in der lateralen Veränderung des bewegten Sonnenrandes einige Analogie dar? Nahe dem Horizont wird ohnedies jene Bewegung ſcheinbar vergrößert. Faſt nach einem halben Jahrhundert iſt dieſelbe Erſcheinung des Sterns e und genau an demſelben Orte im Malpays, wieder vor Sonnenaufgang, von einem unterrichteten und ſeh r aufmerkſamen Beobachter, dem Prinzen Adalbert von Preußen, zugleich mit bloßen Augen und im Fernrohr beob- achtet worden! Ich fand die Beobachtungen in ſeinem hand— ſchriftlichen Tagebuche; er hatte ſie eingetragen, ohne, vor ſeiner Rückkunft von dem Amazonenſtrome, erfahren zu haben, daß ich etwas ganz Aehnliches geſehen.“ Auf dem Rücken et der Andeskette oder bei der häufigen Luftſpiegelung (Kim: mung mirage) in den heißen Ebenen (Llanos) von Süd⸗ amerika habe ich, trotz der ſo verſchiedenartigen Miſchung un— gleich erwärmter Luftſchichten, keine Spur lateraler Refraktion je finden können. Da der Pik von Tenerifa uns ſo nahe iſt und oft von wiſſenſchaftlichen, mit Inſtrumenten verſehenen Reiſenden kurz vor Sonnenaufgang beſucht wird, ſo darf man hoffen, daß die hier von mir erneuerte Aufforderung zur Beobachtung des Sternſchwankens nicht wieder ganz ver— hallen werde. Ich habe bereits darauf aufmerkſam gemacht, wie lange vor der großen Epoche der Erfindung des teleſkopiſchen Sehens und ſeiner Anwendung auf Beobachtung des Him— mels, alſo vor den denkwürdigen Jahren 1608 und 1610, ein überaus wichtiger Teil der Aſtronomie unſeres Planeten— ſyſtems bereits begründet war. Den ererbten Schatz des griechiſchen und arabiſchen Wiſſens haben Georg Purbach, Regiomontanus (Johann Müller) und Bernhard Walther in Nürnberg durch mühevolle, ſorgfältige Arbeiten vermehrt. Auf ihr Beſtreben folgt eine kühne und großartige Gedankenent— , widelung, das Syſtem des Kopernikus; es folgen der Reichtum genauer Beobachtungen des Tycho, der kombinierende Scharf— ſinn und der beharrliche Rechnungstrieb von Kepler. Zwei große Männer, Kepler und Galilei, ſtehen an dem wichtigſten Wendepunkt, den die Geſchichte der meſſenden Sternkunde dar— bietet; beide bezeichnen die Epoche, wo das Beobachten mit unbewaffnetem Auge, doch mit ſehr verbeſſerten Meß— inſtrumenten, ſich von dem teleſkopiſchen Sehen ſcheidet. Galilei war damals ſchon 44, Kepler 37 Jahre alt, Tycho, der genaueſte meſſende Aſtronom dieſer großen Zeit, ſeit ſieben Jahren tot. Ich habe ſchon früher (Kosmos Bd. II, S. 252) erwähnt, daß Keplers drei Geſetze, die ſeinen Namen auf ewig verherrlicht haben, von keinem ſeiner Zeitgenoſſen, Galilei ſelbſt nicht ausgenommen, mit Lob erwähnt worden ſind. Auf rein empiriſchem Wege entdeckt, aber für das Ganze der Wiſſenſchaft folgereicher als die vereinzelte Entdeckung unge— ſehener Weltkörper, gehören ſie ganz der Zeit des natür— lichen Sehens, der Tychoniſchen Zeit, ja den Tychoni— ſchen Beobachtungen ſelbſt an, wenn auch der Druck der Astronomia nova, seu Physica coelestis de moti- bus Stellae Martis erſt 1609 vollendet, und gar das dritte Geſetz, nach welchem ſich die Quadrate der Umlaufs— 82 — 58 — zeiten zweier Planeten verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernung, erſt in der Harmonice Mundi 1619 ent: wickelt wurde. Der Uebergang des natürlichen zum teleſkopiſchen Sehen, welcher das erſte Zehentteil des 17. Jahrhunderts be— zeichnet und für die Aſtronomie (die Kenntnis des Welt— raumes) noch wichtiger wurde, als es für die Kenntnis der irdiſchen Räume das Jahr 1492 geweſen war, hat nicht bloß den Blick in die Schöpfung endlos erweitert, er hat auch, neben der Bereicherung des menſchlichen Ideenkreiſes, durch Darlegung neuer und verwickelter Probleme das mathe— matiſche Wiſſen zu einem bisher nie erreichten Glanze erhoben. So wirkt die Stärkung ſinnlicher Organe auf die Gedanken— welt, auf die Stärkung intellektueller Kraft, auf die Ver— edelung der Menſchheit. Dem Fernrohr allein verdanken wir in kaum drittehalb Jahrhunderten die Kenntnis von 13 neuen Planeten, von 4 Trabantenſyſtemen (4 Monden des Jupiter, 8 des Saturn, 4, vielleicht 6 des Uranus, 1 des Neptun), von den Sonnenflecken und Sonnenfackeln, den Phaſen der Venus, der Geſtalt und Höhe der Mondberge; den winter— lichen Polarzonen des Mars, den Streifen des Jupiters und Saturn, den Ringen des letzteren, den inneren (planetarifchen) Kometen von kurzer Umlaufszeit und von ſo vielen anderen Erſcheinungen, die ebenfalls dem bloßen Auge entgehen. Wenn unſer Sonnen ſyſtem, das jo lange auf 6 Planeten und einen Mond beſchränkt ſchien, auf die eben geſchilderte Weiſe in 240 Jahren bereichert worden iſt, ſo hat der ſogenannte Fixſternhimmel ſchichtenweiſe eine noch viel unerwartetere Erweiterung gewonnen. Tauſende von Nebelflecken, Stern— haufen und Doppelſternen ſind aufgezählt. Die veränderliche Stellung der Doppelſterne, welche um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt kreiſen, hat, wie die eigentliche Bewegung aller Fixſterne, erwieſen, daß Gravitationskräfte in jenen fernen Welträumen wie in unſeren engen planetariſchen, ſich wechſel— ſeitig ſtörenden Kreiſen walten. Seitdem Morin und Gas— coigne (freilich erſt 25—30 Jahre nach Erfindung des Fern: rohrs) optiſche Vorrichtungen mit Meßinſtrumenten verbanden, haben feinere Beſtimmungen der Ortsveränderung in den Ge— ſtirnen erreicht werden können. Auf dieſem Wege iſt es möglich geworden, mit größter Schärfe die jedesmalige Poſition eines Weltkörpers, die Aberrationsellipſen der Fixſterne und ihre Parallaxen, die gegenſeitigen Abſtände der Doppelſterne — 51 — von wenigen Zehntteilen einer Bogenſekunde zu meſſen. Die aſtronomiſche Kenntnis des Sonnenſyſtems erweiterte ſich allmählich zu der eines Weltſyſtems. Wir wiſſen, daß Galilei ſeine Entdeckungen der Jupiters— monde mit ſiebenmaliger Vergrößerung machte, und nie eine ſtärkere als zweiunddreißigmalige anwenden konnte. Ein⸗ hundertundſiebzig Jahre ſpäter ſehen wir Sir William Herſchel bei ſeinen Unterſuchungen über die Größe des ſcheinbaren Durchmeſſers von Arcturus (im Nebel 0,2“) und Wega in der Leier Vergrößerungen benutzen von 6500 mal. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wetteiferte man in dem Be— ſtreben nach langen Fernröhren. Chriſtian Huygens entdeckte zwar 1655 den erſten Saturnstrabanten, Titan (den 6. im Abſtande von dem Centrum des Planeten), nur noch mit einem zwölffüßigen Fernrohr; er wandte ſpäter auf den Himmel längere bis 122 Fuß (40 m) an; aber die drei Objektive von 123, 170 und 210 Fuß (40,3, 55 und 68 m) Brennweite, welche die Royal Society von London beſitzt und welche von Konſtantin Huygens, dem Bruder des großen Aſtronomen, verfertigt wurden, ſind von letzterem, wie er ausdrücklich ſagt,““ nur auf terreſtriſche Gegenſtände geprüft worden. Auzout, der ſchon 1663 Rieſenfernröhren ohne Röhre, alſo ohne feſte (ſtarre) Verbindung zwiſchen dem Objektiv und dem Okular, konſtruierte, vollendete ein Objectiv, das bei 300 Fuß (97 m) Fokallänge eine 600 malige Vergrößerung ertrug. Den nütz— lichſten Gebrauch von ſolchen, an Maſten befeſtigten Objektiven machte Dominikus Caſſini zwiſchen den Jahren 1671 und 1684 bei den aufeinander folgenden Entdeckungen des 8., 5., 4. und 3. Saturnstrabanten. Er bediente ſich der Objektive, die Borelli, Campani und Hartſoeker geſchliffen hatten. Die letzteren waren von 250 Fuß (81 m) Brennweite. Die von Campani, welche des größten Rufes unter der Regierung Ludwigs XIV. genoſſen, habe ich bei meinem vieljährigen Aufenthalte auf der Parifer Sternwarte mehrmals in Händen gehabt. Wenn man an die geringe Lichtttarke der Saturns— trabanten und an die Schwierigkeit ſolcher nur durch Stricke bewegten Vorrichtungen!“ denkt, jo kann man nicht genug bewundern die Geſchicklichkeit, den Mut und die Ausdauer des Beobachters. Die Vorteile, welche man damals allein glaubte durch rieſennäßige Längen erreichen zu können, leiteten, wie es ſo oft geſchieht, große Geiſter zu exzentriſchen Hoffnungen. — 585 — Auzout glaubte Hooke widerlegen zu müſſen, der, um Tiere im Monde zu ſehen, Fernröhren von einer Länge von 10000 Fuß (3250 m), alſo faſt von der Länge einer halben geographi— ſchen Meile, vorgeſchlagen haben ſoll.!“ Das Gefühl der praktiſchen Unbequemlichkeit von optiſchen Inſtrumenten mit mehr als hundertfacher Fokallänge verſchaffte allmählich durch Newton (nach dem Vorgange von Merſenne und James Gregory von Aberdeen) den kürzeren Reflexionsinſtrumenten beſonders in England Eingang. Bradleys und Pounds ſorg— fältige Vergleichung von 5füßigen Haleyſchen Spiegelteleſkopen mit dem Refraktor von Konſtantin Huygens, der 123 Fuß (40,3 m) Brennweite hatte und deſſen wir oben erwähnten, fiel ganz zum Vorteil der erſteren aus. Shorts koſtbare Re— fleftoren wurden nun überall verbreitet, bis John Dollonds glückliche praktiſche Löſung des Problems vom Achromatismus (1759), durch Leonhard Euler und Klingenſtierna angeregt, den Refraktoren wieder ein großes Uebergewicht verſchaffte. Die, wie es ſcheint, unbeſtreitbaren Prioritätsrechte des ge— heimnisvollen Cheſter More Hall aus Eſſex (1729) wurden dem Publikum erſt bekannt, als dem John Dollond das Patent für ſeine achromatiſchen Fernröhren verliehen wurden. Der hier bezeichnete Sieg der Refraktionsinſtrumente war aber von nicht langer Dauer. Neue Oszillationen der Mei— nung wurden ſchon, 18—20 Jahre nach der Bekanntmachung von John Dollonds Erfindung des Achromatismus mittels Verbindung von Kron- und Flintglas, durch die gerechte Be— wunderung angeregt, welche man in und außerhalb Englands den unſterblichen Arbeiten eines Deutſchen, William Herſchel, zollte. Die Konſtruktion ſeiner zahlreichen 7füßigen und 20“ füßigen Teleſkope, auf welche Vergrößerungen von 2200 bis 6000mal glücklich angewandt werden konnten, folgte die Kon— ſtruktion ſeines 40füßigen Reflektors. Durch dieſen wurden im Auguſt und September 1789 die beiden innerſten Saturns— trabanten, der zweiten (Enceladus), und bald darauf der erſte, dem Ringe am nächſten liegende, Mimas, entdeckt. Die Ent— deckung des Planeten Uranus (1781) gehört dem 7füßigen Teleſkop von Herſchel; die ſo lichtſchwachen Uranustrabanten ſah er (1787) zuerſt im 20füßigen Inſtrumente zur Front- view eingerichtet.!“ Eine bis dahin noch nie erreichte Voll— kommenheit, welche der große Mann ſeinen Spiegelteleſkopen zu geben wußte, in denen das Licht nur einmal reflektiert wird, hat, bei einer ununterbrochenen Arbeit von mehr als 40 Jahren, — 56 — zur wichtigſten Erweiterung aller Teile der phyſiſchen Ajtro- nomie in den Planetenkreiſen wie in der Welt der Nebelflecke und der Doppelſterne, geführt. Auf eine lange Herrſchaft der Reflektoren folgte wieder in dem erſten Fünftel des 19. Jahrhunderts ein erfolgreicher Wetteifer in Anfertigung von achromatiſchen Refraktoren und Heliometern, die durch Uhrwerke parallaktiſch bewegt werden. Zu Objektiven von außerordentlichen Größen lieferten in Deutſchland das Münchener Inſtitut von Utzſchneider und und Fraunhofer, ſpäter von Merz und Mahler, in der Schweiz und Frankreich (für Lerebours und Cauchois) die Werkſtätte von Guinand und Bontems ein homogenes, ſtreifenloſes Flint— glas. Es genügt für den Zweck dieſer hiſtoriſchen Ueberſicht, hier beiſpielsweiſe zu nennen die unter Fraunhofers Leitung gearbeiteten großen Refraktoren der Dorpater und Berliner Sternwarte von 9 Pariſer Zoll (0,24 m) freier Oeffnung bei einer Fokalweite von 13% Fuß (4,33 m); die Refraktoren von Merz und Mahler a den Sternwarten von Pulkowa und Cambridge in den Vereinigten Staaten von Nordamerika,“ beide mit Objektiven von 14 Pariſer Zoll (0,40 m) und 21 Fuß (6,82 m) Brennweite verſehen. Das Heliometer der Königsberger Sternwarte, lange Zeit das größte, hat 6 Zoll (0,16 m) Oeffnung und iſt durch Beſſels unvergeßliche Ar— beiten berühmt geworden. Die lichtvollen und kurzen dialy— tiſchen Refraktoren, welche Plößl in Wien zuerſt ausführte und deren Vorteile Rogers in England faſt gleichzeitig er— kannt hatte, verdienen in großen Dimenſionen konſtruiert zu werden. In derſelben Zeitepoche, deren Beſtrebungen ich hier be— rühre, weil ſie auf die Erweiterung kosmiſcher Anſichten einen ſo weſentlichen Einfluß ausgeübt, blieben die mechani— ſchen Fortſchritte in Vervollkommnung der meſſenden In— ſtrumente (Zenithſektoren, Meridiankreiſe, Mikrometer) gegen die optiſchen Fortſchritte und die des Zeitmaßes nicht zurück. Unter ſo vielen ausgezeichneten Namen der neueren Zeit erwähnen wir hier nur für Meßinſtrumente: die von Ramsden, Troughton, June, Reichenbach, Gambey, Ertel, Steinheil, Repſold, Piſtor, X Oertling 1 für Chronometer und aſtronomiſche Pendeluhren: Mudge, Arnold, Emery, Earn: ſhaw, Breguet, Jürgenſen, Keſſels, Winnerl, Tiede In den ſchönen Arbeiten, welche wir William und John Herſchel, South, Struve, Beſſel und Dawes über Abſtände 3, und periodische Bewegung der Doppelſterne verdanken, offen: bart ſich vorzugsweiſe jene Gleichzeitigkeit der Vervollkomm— nung in ſcharfem Sehen und Meſſen. Struves Klaſſifikation der Doppelſterne liefert von denen, deren Abſtand unter 1“ iſt, gegen 100; von denen, die zwiſchen 1“ und 2“ fallen, 336, alle mehrfach gemeſſen. Seit wenigen Jahren haben zwei Männer, welche jedem induſtriellen Gewerbe fern ſtehen, der Earl of Roſſe in Par— ſonstown (12 Meilen — 89 km weſtlich von Dublin) und Herr Laſſell zu Starfield bei Liverpool, aus edler Begeiſte— rung für die Sternkunde, mit der aufopferndſten Freigebigkeit und unter eigener unmittelbaren Leitung, zwei Reflektoren zuſtande gebracht, welche aufs höchſte die Erwartung der Aſtronomen ſpannen.?“ Mit dem Teleſkope von Laſſell, das nur 2 Fuß (0,65 m) Oeffnung und 20 Fuß (6,5 m) Brenn: weite hat, ſind ſchon ein Trabant des Neptun und ein achter Trabant des Saturn entdeckt worden, auch wurden zwei Uranustrabanten wieder aufgefunden. Das neue Rieſenteleſkop von Lord Roſſe hat 5 Fuß 7 Zoll 7 Linien (6 engl. Fuß — 1,83 m) Oeffnung und 46 Fuß 11 Zoll (50 engl. Fuß — 15,24 m) Länge. Es ſteht im Meridian zwiſchen zwei Mauern, die von jeder Seite 12 Fuß (3,90 m) von dem Tubus entfernt und 45—52 Fuß (14,8 — 16,9 m) hoch find. Viele Nebelflecke, welche bisher kein Inſtrument auflöſen konnte, ſind durch dieſes herrliche Teleſkop in Sternſchwärme auf: gelöſt, die Geſtalt anderer Nebelflecke iſt in ihren wahren Umriſſen nun zum erſtenmal erkannt worden. Eine wunder— ſame Helligkeit (Lichtmaſſe) wird von dem Spiegel ausge— oſſen. En Morin, der mit Gascoigne (vor Picard und Auzout) zuerſt das Fernrohr mit Meßinſtrumenten verband, fiel gegen 1638 auf den Gedanken, Geſtirne bei hellem Tage teleſkopiſch zu beobachten. „Nicht Tychos große Arbeit über die Poſition der Fixſterne, indem dieſer 1582, alſo 28 Jahre vor Er: findung der Fernröhren, Venus bei Tage mit der Sonne und bei Nacht mit den Sternen verglich, ſondern,“ ſagt Morin ſelbſt, „der einfache Gedanke, daß, wie Venus, ſo auch Arc— turus und andere Fixſterne, wenn man ſie einmal vor Sonnen— aufgang im Felde des Fernrohrs hat, nach Sonnenaufgang am Himmelsgewölbe verfolgt werden können, habe ihn zu einer Entdeckung geführt, welche für die Längenbeſtimmungen auf dem Meere wichtig werden möge. Niemand habe vor ihm — 58 die Firfterne in Angeſicht der Sonne auffinden können.“ Seit der Aufſtellung großer Mittagsfernröhren durch Römer (1691) wurden Tagesbeobachtungen der Geſtirne häufig und fruchtbar, ja bisweilen ſelbſt auf Meſſung von Doppelſternen mit Nutzen angewandt. Struve bemerkt, er habe in dem Dorpater Refraktor mit Anwendung einer Vergrößerung von 320mal die kleinſten Abſtände überaus ſchwacher Doppelſterne beſtimmt, bei ſo hellem Crepuskularlichte, daß man um Mitternacht bequem leſen konnte. Der Polarſtern hat in nur 18“ Entfernung einen Begleiter 9. Größe; im Dorpater Re— fraktor haben Struve und Wrangel dieſen Begleiter bei Tage geſehen, ebenſo einmal Ende und Argelander. Die Urſache der mächtigen Wirkung der Fernröhren zu einer Zeit, wo durch vielfache Reflexion das diffuſe Licht!! der Atmoſphäre hinderlich iſt, hat mancherlei Zweifel erregt. Als optiſches Problem intereſſierte ſie auf das lebhafteſte den der Wiſſenſchaft ſo früh entriſſenen Beſſel. In ſeinem langen Briefwechſel mit mir kam er oft darauf zurück, und bekannte, keine ihn ganz befriedigende Löſung finden zu können. Ich darf auf den Dank meiner Leſer rechnen, wenn ich in einer Anmerkung ?? Aragos Anſichten einſchalte, wie dieſelben in einer der vielen Handſchriften enthalten ſind, welche mir bei meinem häufigen Aufenthalte in Paris zu benutzen erlaubt war. Nach der ſcharfſinnigen Erklärung meines vieljährigen Freundes erleichtern ſtarke Vergrößerungen das Auffinden und Erkennen der Fixſterne, weil ſie, ohne das Bild derſelben merkbar auszudehnen, eine größere Menge des intenſiven Lichtes der Pupille zuführen, aber dagegen nach einem anderen Ge— ſetze auf den Luftraum wirken, von welchem ſich der Fix— ſtern abhebt. Das Fernrohr, indem es gleichſam die erleuch— teten Teile der Luft, welche das Objektiv umfaßt, voneinander entfernt, verdunkelt das Geſichtsfeld, vermindert die Intenſität ſeiner Erleuchtung. Wir ſehen aber nur durch den Unter— ſchied des Lichtes des Fixſternes und des Luftfeldes, d.h. der Luftmaſſe, welche ihn im Fernrohr umgibt. Ganz anders als der einfache Strahl des Fixſternbildes verhalten ſich Pla: netenſcheiben. Dieſe verlieren in dem vergrößerten Fern— rohre durch Dilatation ihre Lichtintenſität ebenſo wie das Luft— feld (l’aire aérienne). Noch it zu erwähnen, daß ſtarke Vergrößerungen die ſcheinbare Schnelligkeit der Bewegung des Fixſterns wie die der Scheibe vermehren. Dieſer Umſtand kann in Inſtrumenten, welche nicht durch Uhrwerk parallaktiſch ee der Himmelsbewegung folgen, das Erkennen der Gegenſtände am Tage erleichtern. Andere und andere Punkte der Netzhaut werden gereizt. Sehr ſchwache Schatten, bemerkt Arago an einem anderen Orte, werden erſt ſichtbar, wenn man ihnen eine Bewegung geben kann. Unter dem reinen Tropenhimmel, in der trockenſten Jahreszeit, habe ich oft mit der ſchwachen Vergrößerung von 95mal in einem Fernrohr von Dollond die blaſſe Jupiters— ſcheibe auffinden können, wenn die Sonne ſchon 15— 18 hoch ſtand. Lichtſchwäche des Jupiter und Saturn, bei Tage im großen Berliner Refraktor geſehen und kontraſtierend mit dem ebenfalls reflektierten Lichte der der Sonne näheren Planeten, Venus und Merkur, hat mehrmals Dr. Galle überraſcht. Jupitersbedeckungen ſind mit ſtarken Fernröhren bisweilen bei Tage (von Flaugergues 1792, von Struve 1820) beobachtet worden. Argelander ſah (7. Dezember 1849) in einem 5füßigen Fraunhofer eine Viertelſtunde nach Sonnenaufgang zu Bonn ſehr deutlich drei Jupiterstrabanten. Den vierten konnte er nicht erkennen. Noch ſpäter ſah der Gehilfe Herr Schmidt den Aus— tritt ſämtlicher Trabanten, auch des vierten, aus dem dunkeln Mondrande in dem Sfühigen Fernrohre des Heliometers. Die Beſtimmung der Grenzen der teleſkopiſchen Sichtbarkeit kleiner Sterne bei Tageshelle unter verſchiedenen Klimaten und auf verſchiedenen Höhen über der Meeresfläche hat gleichzeitig ein optiſches und ein meteorologiſches Intereſſe. Zu den merkwürdigen und in ihren Urſachen viel be— ſtrittenen Erſcheinungen im natürlichen wie im teleſkopiſchen Sehen gehört das nächtliche Funkeln (das Blinken, die Seintillation) der Sterne. Zweierlei iſt nach Argos Unter: ſuchungen?« in der Seintillation weſentlich zu unterſcheiden: 1) Veränderung der Lichtſtärke in plötzlicher Abnahme bis zum Verlöſchen und Wiederauflodern, 2) Veränderung der Farbe. Beide Veränderungen ſind in der Realität noch ſtärker, als ſie dem bloßen Auge erſcheinen; denn wenn einzelne Punkte der Netzhaut einmal angeregt ſind, ſo bewahren ſie den empfangenen Lichteindruck, ſo daß das Verſchwinden des Sterns, ſeine Verdunkelung, ſein Farbenwechſel nicht in ihrem ganzen, vollen Maße von uns empfunden werden. Auf— fallender zeigt ſich das Phänomen des Sternfunkelns im Fern— rohr, ſobald man dasſelbe erſchüttert. Es werden dann andere und andere Punkte der Netzhaut gereizt; es erſcheinen farbige, oft unterbrochene Kreiſe. In einer Atmoſphäre, die aus ſtets Ba wechſelnden Schichten von verſchiedener Temperatur, Feuchtig— keit und Dichte zuſammengeſetzt iſt, erklärt das Prinzip der Interferenz, wie nach einem augenblicklichen farbigen Auf— lodern ein ebenſo augenblickliches Verſchwinden oder die plöß- liche Verdunkelung des Geſtirnes ſtattfinden kann. Die Un— dulationstheorie lehrt im allgemeinen, daß zwei Lichtſtrahlen zwei Wellenſyſteme), von einer Lichtquelle (einem Erſchütte— rungsmittelpunkte) ausgehend, bei Ungleichheit des Weges ſich zerſtören; daß das Licht des einen Strahles, zu dem des anderen Strahles hinzugefügt, Dunkelheit hervorbringt. Wenn das Zurückbleiben des einen Wellenſyſtems gegen das andere eine ungerade Anzahl halber Undulationen beträgt, ſo ſtreben beide Wellenſyſteme demſelben Aethermoleküle zu gleicher Zeit gleiche, aber entgegengeſetzte Geſchwindigkeiten mitzuteilen, ſo daß die Wirkung ihrer Vereinigung die Ruhe des Aether— moleküles, alſo Finſternis iſt. In gewiſſen Fällen ſpielt die Refrangibilität der verſchiedenen Luftſchichten, welche die Licht— ſtrahlen durchſchneiden, mehr als die verſchiedene Länge des Weges, die Hauptrolle bei der Erſcheinung. Die Stärke der Seintillation iſt unter den Fixſternen ſelbſt auffallend verſchieden; nicht von der Höhe ihres Standes und von ihrer ſcheinbaren Größe allein abhängig, ſondern, wie es ſcheint, von der Natur ihres eigenen Lichtprozeſſes. Einige, z. B. Wega, zittern weniger als Arctur und Procyon. Der Mangel der Seintillation bei den Planeten mit größeren Scheiben iſt der Kompenſation und ausgleichenden Farben— vermiſchung zuzuſchreiben, welche die einzelnen Punkte der Scheibe geben. Es wird die Scheibe wie ein Aggregat von Sternen betrachtet, welche das fehlende, durch Interferenz ver— nichtete Licht gegenſeitig erſetzen und die farbigen Strahlen zu weißem Lichte wiederum vereinigen. Bei Jupiter und Saturn bemerkt man deshalb am ſeltenſten Spuren der Seintillation, wohl aber bei Merkur und Venus, da der ſcheinbare Durch— meſſer der Scheiben in den letztgenannten zwei Planeten bis 4,4“ und 9,5“ herabſinkt. Auch bei Mars kann zur Zeit der Konjunktion ſich der Durchmeſſer bis 3,3“ vermindern. In den heiteren, kalten Winternächten der gemäßigten Zone ver— mehrt die Scintillation den prachtvollen Eindruck des geſtirnten Himmels auch durch den Umſtand, daß, indem wir Sterne 6. bis 7. Größe bald hier, bald dort aufglimmen ſehen, wir, getäuſcht, mehr leuchtende Punkte vermuten und zu erkennen glauben, als das unbewaffnete Auge wirklich unterſcheidet. eh Daher das populäre Erſtaunen über die wenigen Tauſende von Sternen, welche genaue Sternkataloge als dem bloßen Auge ſichtbar angeben! Daß das zitternde Licht die Firjterne von den Planeten unterſcheide, war von früher Zeit den grie— chiſchen Aſtronomen bekannt; aber Ariſtoteles, nach der Aus— ſtrömungs- und Tangentialtheorie des Sehens, der er an— hängt, ſchreibt das Zittern und Funkeln der Fixſterne, ſonder— bar genug, einer bloßen Anſtrengung des Auges zu. „Die eingehefteten Sterne“ (die Fixſterne) ſagt er, „funkeln, die Planeten nicht; denn die Planeten ſind nahe, ſo daß das Geſicht imſtande iſt, ſie zu erreichen: bei den feſtſtehenden aber (doe de cos f νννν gerät das Auge wegen der Ent: fernung und Anſtrengung in eine zitternde Bewegung.“ Zu Galileis Zeiten, zwiſchen 1573 und 1604, in einer Epoche großer Himmelsbegebenheiten, da drei neue Sterne von mehr Glanz als Sterne erſter Größe plötzlich erſchienen und einer derſelben im Schwan 21 Jahre leuchtend blieb, zog das Funkeln als das mutmaßliche Kriterium eines nicht planetariſchen Weltkörpers Keplers Aufmerkſamkeit beſonders auf ſich. Der damalige Zuſtand der Optik verhinderte freilich den um dieſe Wiſſenſchaft ſo hochverdienten Aſtronomen, ſich über die gewöhnlichen Ideen von bewegten Dünſten zu er— heben. Auch unter den neu erſchienenen Sternen, deren die chineſiſchen Annalen nach der großen Sammlung von Ma-tuan- lin erwähnen, wird bisweilen des ſehr ſtarken Funkelns gedacht. Zwiſchen den Wendekreiſen und ihnen nahe gibt bei gleichmäßigerer Miſchung der Luftſchichten die große Schwäche oder völlige Abweſenheit der Seintillation der Fixſterne, 12 bis 15 Grade über dem Horizont, dem Himmelsgewölbe einen eigentümlichen Charakter von Ruhe und milderem Lichte. Ich habe in mehreren meiner Naturſchilderungen der Tropenwelt dieſes Charakters erwähnt, der auch ſchon dem Beobachtungs— geiſte von La Condamine und Bouguer in den peruaniſchen Ebenen, wie dem von Garein in Arabien, Indien und an den Küſten des Perſiſchen Meerbuſens (bei Bender Abaſſi) nicht entgangen war. Da der Anblick des geſtirnten Himmels in der Jahreszeit perpetuierlich heiterer, ganz wolkenfreier Tropennächte für mich einen beſonderen Reiz hatte, ſo bin ich bemüht geweſen, in meinen Tagebüchern ſtets die Höhen über dem Horizonte auf— zuzeichnen, in der das Funkeln der Sterne bei verſchiedenen Hygrometerſtänden aufhörte. Cumana und der regenloſe Teil Ben.) Da des peruaniſchen Litorales der Südſee, wenn in letzterem die Zeit der Garua (des Nebels) noch nicht eingetreten war, eigneten ſich vorzüglich zu ſolchen Beobachtungen. Nach Mittel— zahlen ſcheinen die größeren Fixſterne meiſt nur unter 10° oder 12° Höhe über dem Horizont zu ſeintillieren. In größeren Höhen gießen ſie aus ein milderes, planetariſches Licht. Am ſicherſten wird der Unterſchied erkannt, wenn man dieſelben Firſterne in ihrem allmählichen Aufſteigen oder Niederſinken verfolgt und dabei die Höhenwinkel mißt oder (bei bekannter Ortsbreite und Zeit) berechnet. In einzelnen gleich heiteren und gleich windloſen Nächten erſtreckte ſich die Region des Funkelns bis 20°, ja bis 25° Höhe; doch war zwiſchen dieſen Verſchiedenheiten der Höhe oder der Stärke der Seintillation und den Hygrometer- und Thermometerſtänden, welche in der unteren uns allein zugänglichen Region der Luft beobachtet wurden, faſt nie ein Zuſammenhang zu entdecken. Ich ſah in aufeinanderfolgenden Nächten nach beträchtlicher Seintillation 60° bis 70° hoher Geſtirne, bei 85° des Sauſſureſchen Haar— Hygrometers, die Seintillation bis 15° Höhe über dem Ho— rizont völlig aufhören, und dabei doch die Luftfeuchtigkeit ſo anſehnlich vermehrt, daß das Hygrometer bis 93° fortſchritt. Es iſt nicht die Quantität der Waſſerdämpfe, welche die Atmo— ſphäre aufgelöſt erhält; es iſt die ungleiche Verteilung der Dämpfe in den übereinander liegenden Schichten und die, in den unteren Regionen nicht bemerkbaren, oberen Strömungen kalter und warmer Luft, welche das verwickelte Ausgleichungs— ſpiel der Interferenz der Lichtſtrahlen modifizieren. Auch bei ſehr dünnem gelbrotem Nebel, der kurz vor Erdſtößen den Himmel färbte, vermehrte ſich auffallend das Funkeln hoch— ſtehender Geſtirne. Alle dieſe Bemerkungen beziehen ſich auf die völlig heitere, wolken- und regenloſe Jahreszeit der tro— piſchen Zone 10° bis 12° nördlich und ſüdlich vom Aequator. Die Lichtphänomene, welche beim Eintritt der Regenzeit während des Durchgangs der Sonne durch den Zenith erſcheinen, hängen von ſehr allgemein und kräftig, ja faſt ſtürmiſch wir— kenden Urſachen ab. Die plötzliche Schwächung des Nordoſt— paſſates und die Unterbrechung regelmäßiger oberer Strömungen vom Aequator zu den Polen und unterer Strömungen von den Polen zum Aequator erzeugen Wolkenbildungen, täglich zu beſtimmter Zeit wiederkehrende Gewitter und Regengüſſe. Ich habe mehrere Jahre hintereinander bemerkt, wie an den Orten, an denen das Funkeln der Fixſterne überhaupt etwas — — Seltenes iſt, der Eintritt der Regenzeit viele Tage im voraus ſich durch das zitternde Licht der Geſtirne in großer Höhe über dem Horizont verkündigt. Wetterleuchten, einzelne Blitze am fernen Horizont ohne ſichtbares Gewölk oder in ſchmalen, ſenkrecht aufſteigenden Wolkenſäulen ſind dann begleitende Erſcheinungen. Ich habe dieſe charakteriſtiſchen Vorgänge, die phyſiognomiſchen Veränderungen der Himmelsluft in mehreren meiner Schriften zu ſchildern verſucht.?“ Ueber die Geſchwindigkeit des Lichtes, über die Wahr— ſcheinlichkeit, daß dasſelbe eine gewiſſe Zeit zu ſeiner Fort— pflanzung brauche, findet ſich die älteſte Anſicht bei Bacon von Verulam in dem zweiten Buche des Novum Organum. Er ſpricht von der Zeit, deren ein Lichtſtrahl bedarf, die un— geheure Strecke des Weltraums zu durchlaufen; er wirft ſchon die Frage auf, ob die Sterne noch vorhanden ſind, die wir gleichzeitig funkeln ſehen??“ Man erſtaunt, dieſe glückliche Ahnung in einem Werke zu finden, deſſen geiſtreicher Verfaſſer in mathematiſchem, aſtronomiſchem und phyſikaliſchem Wiſſen tief unter dem ſeiner Zeitgenoſſen ſtand. Gemeſſen wurde die Geſchwindigkeit des reflektierten Sonnenlichts durch Römer (November 1675) mittels der Vergleichung von Ver— finſterungsepochen der Jupiterstrabanten, die Geſchwindigkeit des direkten Lichtes der Fixſterne mittels Bradleys großer Entdeckung der Aberration (Herbſt 1727), des ſinnlichen Beweiſes von der translatoriſchen Bewegung der Erde, d. i. von der Wahrheit des kopernikaniſchen Syſtemes. In der neueſten Zeit iſt eine dritte Methode der Meſſung durch Arago vorgeſchlagen worden, die der Lichterſcheinungen eines ver— änderlichen Sternes, z. B. des Algol im Perſeus.?“ Zu dieſen aſtronomiſchen Methoden geſellt ſich noch eine terreſtriſche Meſſung, welche mit Scharfſinn und Glück ganz neuerlich Herr Fizeau in der Nähe von Paris ausgeführt hat. Sie erinnert an einen frühen, zu keinem Reſultate leitenden Verſuch von Galilei mit zwei gegenſeitig zu verdeckenden Laternen. Aus Römers erſten Beobachtungen der Jupiterstrabanten ſchätzten Horrebow und du Hamel den Lichtweg in Zeit von der Sonne zur Erde bei mittlerer Entfernung erſt 14“ 7“, dann 11“, Caſſini 14° 10“, Newton,?“ was recht auffallend iſt, der Wahrheit weit näher 7“ 30". Delambre fand, indem er bloß unter den Beobachtungen ſeiner Zeit die des erſten Trabanten in Rechnung nahm, 8“ 13,2“. Mit vielem Rechte hat Encke bemerkt, wie wichtig es wäre, in der ſicheren Hoff— Er ae le: nung, bei der jetzigen Vollkommenheit der Fernröhren überein- ſtimmende Reſultate zu erlangen, eine eigene Arbeit über die Verfinſterungen der Jupiterstrabanten zur Ableitung der Licht— geſchwindigkeit zu unternehmen. Aus Bradleys, von Rigaud in Oxford wieder aufgefun— denen Aberrationsbeobachtungen folgen nach der Unterſuchung von Dr. Buſch ?” in Königsberg für den Lichtweg von der Sonne zur Erde 8° 12,14“; die Geſchwindigkeit des Stern: lichts 41994 geogr. Meilen (311614 km) in der Sekunde, und die Aberrationskonſtante 20,2116“; aber nach neueren achtzehnmonatlichen Aberrationsbeobachtungen von Struve am großen Paſſageinſtrument von Pulkowa ?“ muß die erſte dieſer Zahlen anſehnlich vergrößert werden. Das Reſultat dieſer großen Arbeit war 8° 17,78“, woraus bei der Aberrationskonſtante von 20,4451“ mit Enckes Verbeſſerung der Sonnenparallaxe im Jahre 1835 und der im aſtronomiſchen Jahrbuch für 1852 von ihm angegebenen Werte des Erdhalbmeſſers die Licht— geſchwindigkeit von 4549 geogr. Meilen (308312 km) folgt. Der wahrſcheinliche Fehler in der Geſchwindigkeit ſoll kaum noch 2 geogr. Meilen (15 km) betragen. Dies Struviſche Reſultat iſt von dem Delambriſchen (8, 13,2“), das von Beſſel in den Tab. Regiomont. und bisher in dem Berliner aſtronomiſchen Jahr: buche angewandt worden iſt, für die Zeit, welche der Licht: ſtrahl von der Sonne zur Erde braucht, um "ıoo verſchieden. Als völlig abgeſchloſſen iſt die Diskuſſion des Gegenſtandes noch nicht zu betrachten. Die früher gehegte Vermutung, daß die Lichtgeſchwindigkeit des Polarſterns in Verhältnis von 133 zu 134 ſchwächer ſei als die ſeines Begleiters, iſt aber vielem Zweifel unterworfen geblieben. Ein durch ſeine Kenntniſſe wie durch ſeine große Feinheit im Experimentieren ausgezeichneter Phyſiker, Herr Fizeau, hat durch ſinnreich konſtruierte Vorrichtungen, in denen künſtliches ſternartiges Licht von Sauerſtoff und Waſſerſtoff durch einen Spiegel in 8633 m (26575 Par. Fuß) Entfernung, zwiſchen Suresne und la Butte Montmartre, an den Punkt zurück— geſandt wird, von dem es ausgegangen, eine terreſtriſche Meſ— ſung der Lichtgeſchwindigkeit vollbracht. Eine mit 720 Zähnen verſehene Scheibe, welche 12,6 Umläufe in der Sekunde machte, verdeckte abwechſelnd den Lichtſtrahl oder ließ ihn frei durch zwiſchen den Zähnen des Randes. Aus der Angabe eines Zählers (compteur) glaubte man ſchließen zu können, daß das künſtliche Licht 17266 m, d. i. den doppelten Weg zwiſchen 1 den Stationen in 18g einer Zeitſekunde zurücklegte, woraus ſich eine Geſchwindigkeit von 310 788 km oder (da 1 geogr. Meile 7419 m iſt) von 41882 geogr. Meilen in der Sekunde?“ ergibt. Dies Reſultat käme demnach dem von Delambre (41903 Meilen) aus den Jupiterstrabanten geſchloſſenen am nächſten. Direkte Beobachtungen und ſinnreiche Betrachtungen über die Abweſenheit aller Färbung während des Lichtwechſels der veränderlichen Sterne, auf die ich ſpäter zurückkommen werde, haben Arago zu dem Reſultate geführt, daß nach der Undulationstheorie die Lichtſtrahlen, welche verſchiedene Farbe und alſo ſehr verſchiedenartige Länge und Schnelligkeit der Transverſalſchwingungen haben, ſich in den himmliſchen Räumen mit gleicher Geſchwindigkeit bewegen. Deshalb iſt aber doch im Inneren der verſchiedenen Körper, durch welche die farbigen Strahlen gehen, ihre Fortpflanzungsgeſchwindigkeit und Brechung verſchieden. Die Beobachtungen Aragos haben nämlich ge: lehrt, daß im Prisma die Brechung nicht durch die relative Geſchwindigkeit des Lichtes gegen die Erde verändert wird. Alle Meſſungen gaben einſtimmig als Reſultat, daß das Licht von den Sternen, nach welchen die Erde ſich hinbewegt, den— ſelben Brechungsindex darbietet als das Licht der Sterne, von welchen die Erde ſich entfernt. In der Sprache der Emiſſions— hypotheſe ſagte der berühmte Beobachter, daß die Körper Strahlen von allen Geſchwindigkeiten ausſenden, daß aber unter dieſen verſchiedenen Geſchwindigkeiten nur eine die Empfindung des Lichtes anzuregen vermag.“? Vergleicht man die Geſchwindigkeit des Sonnen-, Sternen— und irdiſchen Lichtes, welche auch in den Brechungswinkeln des Prisma ſich alle auf ganz gleiche Weiſe verhalten, mit der Geſchwindigkeit des Lichtes der Reibungselektrizität, ſo wird man geneigt, nach den von Wheatſtone mit bewunderns— würdigem Scharfſinn angeordneten Verſuchen die letztere auf das mindeſte für ſchneller im Verhältnis wie 3 zu 2 zu halten. Nach dem ſchwächſten Reſultate des Wheatſtoneſchen optiſchen Drehapparates legt das elektriſche Licht in der Sekunde 288000 engliſche Meilen (464482 km) zurück oder (1 Statutmeile, deren 69,12 auf den Grad gehen, zu 4954 Pariſer Fuß ge— rechnet) mehr als 62 500 geographiſche Meilen.? Rechnet man nun mit Struve für Sternenlicht in den Aberrationsbeobach— tungen 41549, ſo erhält man den oben angegebenen Unter— ſchied von 20951 geographiſchen Meilen (155 170 km) als größere Schnelligkeit der Elektrizität. A. v. Humboldt, Kosmos. III. 5 — 3 — Dieſe Angabe widerſpricht ſcheinbar der ſchon von William Herſchel aufgeſtellten Anſicht, nach der das Sonnen- und Fix— ſternlicht vielleicht die Wirkung eines elektromagnetiſchen Pro— zeſſes, ein perpetuierliches Nordlicht ſein ſoll. Ich ſage ſchein— bar, denn es iſt wohl nicht die Möglichkeit zu beſtreiten, daß es in den leuchtenden Weltkörpern mehrere, ſehr verſchieden— artige magnetoelektriſche Prozeſſe geben könne, in denen das Erzeugnis des Prozeſſes, das Licht, eine verſchiedenartige Fort— pflanzungsgeſchwindigkeit beſäße. Zu dieſer Vermutung geſellt ſich die Unſicherheit des numeriſchen Reſultates in den Wheatſtoneſchen Verſuchen. Ihr Urheber ſelbſt hält dasſelbe für „nicht hinlänglich begründet und neuer Beſtätigung be— dürftig“, um befriedigend mit den Aberrations- und Satelliten— beobachtungen verglichen zu werden. Neuere Verſuche, welche Walker in den Vereinigten Staaten von Nordamerika über die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der Elektrizität bei Gelegenheit feiner telegraphiſchen Längenbeſtim— mungen von Waſhington, Philadelphia, New York und Cam⸗ bridge machte, haben die Aufmerkſamkeit der Phyſiker lebhaft auf ſich gezogen. Nach Steinheils Beſchreibung dieſer Ver— ſuche war die aſtronomiſche Uhr des Obſervatoriums in Phi— ladelphia mit dem Schreibapparate von Morſe auf der Tele— graphenlinie in ſolche Verbindung geſetzt, daß ſich auf den end— loſen Papierſtreifen des Apparats der Gang dieſer Uhr durch Punkte ſelbſt aufzeichnete. Der elektriſche Telegraph trägt jedes dieſer Uhrzeichen augenblicklich nach den anderen Stationen und gibt denſelben durch ähnliche Punkte auf ihren fortrücken⸗ den Papierſtreifen die Zeit von Philadelphia. Auf dieſe Weiſe können willkürliche Zeichen oder der Moment des Durchganges eines Sternes in gleicher Art von dem Beobachter der Station eingetragen werden, indem er bloß mit dem Finger drückend eine Klappe berührt. „Der weſentliche Vorteil dieſer amerika— niſchen Methode beſteht,“ wie Steinheil ſich ausdrückt, „darin, daß ſie die Zeitbeſtimmung unabhängig von der Verbindung der beiden Sinne — Geſicht und Gehör — gemacht hat, indem der Uhrgang ſich ſelbſt notiert und der Moment des Sterndurchganges (nach Walkers Behauptung bis auf den mittleren Fehler von dem 70. Teil einer Sekunde) bezeichnet wird. Eine konſtante Differenz der verglichenen Uhrzeichen von Philadelphia und Cambridge entſpringt aus der Zeit, die der elektriſche Strom braucht, um zweimal den Schließungskreis zwiſchen beiden Stationen zu durchlaufen.“ 7. Meſſungen, welche auf Leitungswegen von 1050 engliſchen oder 242 geographiſchen Meilen (1053 km) Länge angeſtellt wurden, gaben aus 18 Bedingungsgleichungen die Fortpflanzungs— geſchwindigkeit des hydrogalvaniſchen Stromes nur zu 18700 engliſchen oder 4060 geographiſchen Meilen (30127 km),“ d. h. fünfzehnmal langſamer als der elektriſche Strom in Wheatſtones Drehſcheiben! Da in den merkwürdigen Verſuchen von Walker nicht zwei Drähte angewandt wurden, ſondern die Hälfte der Leitung, wie man ſich auszudrücken pflegt, durch den feuchten Erdboden geſchah, ſo könnte hier die Vermutung ge— rechtfertigt ſcheinen, daß die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der Elekrizität ſowohl von der Natur als der Dimenſion des Me— diums abhängig iſt. Schlechte Leiter in der Voltaiſchen Kette erwärmen ſich ſtärker als gute Leiter, und die elektriſchen Ent— ladungen find nach den neueſten Verſuchen von Rieß *) ein ſehr verſchiedenartig kompliziertes Phänomen. Die jetzt herr— ſchenden Anſichten über das, was man „Verbindung durch Erdreich“ zu nennen pflegt, ſind der Anſicht von linearer Molekularleitung 8 den beiden Drahtenden und der Vermutung von Leitungshinderniſſen, von Anhäufung und Durchbruch in einem Strome entgegen, da das, was einſt als Zwiſchenleitung in der Erde betrachtet wurde, einer Aus— gleichung (Wiederherſtellung) der elektriſchen Spannung allein angehören ſoll. Wenn es gleich nach den jetzigen Grenzen der Genauigkeit in dieſer Art von Beobachtungen wahrſcheinlich iſt, daß die Aberrationskonſtante und demnach die Lichtgeſchwindigkeit aller Fixſterne dieſelbe iſt, ſo iſt doch auch mehrmals der Möglichkeit gedacht worden, daß es leuchtende Weltkörper gebe, deren Licht deshalb nicht bis zu uns gelangt, weil bei ihrer ungeheuren Maſſe die Gravitation die Lichtteilchen zur Umkehr nötigt. Die Emiſſionstheorie gibt ſolchen Phantaſieen eine wiſſenſchaftliche Form.?“ Ich erwähne hier derſelben nur deshalb, weil ſpäter gewiſſer Eigentümlichkeiten der Bewegung, welche dem Procyon zugeſchrieben wurden und auf eine Störung durch dunkle Weltkörper zu leiten ſchienen, Erwähnung ge— ſchehen muß. Es iſt der Zweck dieſes Teiles meines Werkes, das zu berühren, was zur Zeit ſeiner Ausarbeitung und ſeines Erſcheinens die Wiſſenſchaft nach verſchiedenen Richtungen be— wegt hat und ſo den individuellen Charakter einer Epoche in der ſideriſchen wie in der telluriſchen Sphäre bezeichnet. Die photometriſchen oder Helligkeitsverhältniſſe ſelbſt— — 68 — leuchtender Geſtirne, welche den Weltraum erfüllen, ſind ſeit mehr als zweitauſend Jahren ein Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Beobachtung und Schätzung geweſen. Die Beſchreibung des geſtirnten Himmels umfaßte nicht bloß die Ortsbeſtimmungen, die Meſſung des Abſtandes der leuchtenden Weltkörper von— einander und von den Kreiſen, welche ſich auf den ſcheinbaren Sonnenlauf und die tägliche Bewegung des Himmelsgewölbes beziehen; ſie berührte auch zugleich die relative Lichtſtärke der Geſtirne. Die Aufmerkſamkeit der Menſchen iſt gewiß am früheſten auf den letzten Gegenſtand geheftet geweſen; einzelne Sterne haben Namen erhalten, ehe man ſie ſich als mit an— deren in Gruppen und Bildern verbunden dachte. Unter den wilden kleinen Völkerſchaften, welche die dichten Waldgegenden des oberen Orinoko und Atabapo bewohnen, an Orten, wo der undurchdringliche Baumwuchs mich gewöhnlich zwang, zu Breitenbeſtimmungen nur hoch kulminierende Sterne zu beob— achten, fand ich oft bei einzelnen Individuen, beſonders bei Greiſen, Benennungen für Canopus, Achernar, die Füße des Zentauren und des ſüdlichen Kreuzes. Hätte das Verzeichnis der Sternbilder, welches wir unter dem Namen der Kata— ſterismen des Eratoſthenes beſitzen, das hohe Alter, das man ihm ſo lange zugeſchrieben (zwiſchen Autolycus von Pitane und Timocharis, alſo fait anderthalb Jahrhunderte vor Hipparch), ſo beſäßen wir in der Aſtronomie der Griechen eine Grenze für die Zeit, wo die Fixſterne noch nicht nach relativen Größen gereihet waren. Es wird in den Kataſterismen bei der Aufzählung der Geſtirne, welche jedem einzelnen Sternbilde zukommen, oft der Zahl der in ihnen leuchtendſten und der größten, oder der dunkeln, wenig erkennbaren ge— dacht,” aber keiner relativen Beziehung der Angaben von einem Sternbilde zum anderen. Die Kataſterismen ſind nach Bernhardy, Baehr und Letronne mehr als zwei Jahrhunderte neuer als der Katalog des Hipparchus, eine unfleißige Kom— pilation, ein Exzerpt aus dem, dem Julius Hyginus zuge— ſchriebenen Poeticum astronomicum, wenn nicht aus dem Gedichte Pops des alten Eratoſthenes. Jener Katalog des Hipparchus, welchen wir in der Form beſitzen, die ihm im Almageſt gegeben iſt, enthält die erſte und wichtige Be— ſtimmung der Größenklaſſen (Helligkeitsabſtufungen) von 1022 Sternen, alſo ungefähr von ½ aller am ganzen Himmeln mit bloßen Augen ſichtbaren Sterne zwiſchen 1. und 6. Größe, letztere mit eingeſchloſſen. Ob die Schätzungen von Hipparchus a allein herrühren, ob ſie nicht vielmehr teilweiſe den Beobach— tungen des Timocharis oder Ariſtyllus angehören, welche von Hypparchus ſo oft benutzt wurden, bleibt ungewiß. Dieſe Arbeit iſt die wichtige Grundlage geweſen, auf welcher die Araber und das ganze Mittelalter fortgebaut; ja die bis in das 19. Jahrhundert übergegangene Gewohnheit, die Zahl der Sterne erſter Größe auf 15 zu beſchränken (Mädler zählt deren 18, Rümker nach ſorgfältigerer Erforſchung des ſüdlichen Himmels über 20), ſtammt aus der Klaſſifikation des Almageſt am Schluß der Sterntafel des achten Buches her. Ptolemäus, auf das natürliche Sehen angewieſen, nannte dunkle Sterne alle, welche ſchwächer als ſeine 6. Klaſſe leuchten; von dieſer Klaſſe führt er ſonderbarerweiſe nur 49 auf, faſt gleichartig unter beide Hemiſphären verteilt. Erinnert man ſich, daß das Verzeichnis ungefähr den fünften Teil aller dem bloßen Auge ſichtbaren Fixſterne aufführt, ſo hätte dasſelbe nach Argelanders Unterfuchungen 640 Sterne 6. Größe geben jollen. Die Nebelſterne (veysros:3ei:) des Ptolemäus und der Kataſterismen des Pſeudo— Eratoſthenes ſind meiſt kleine Sternſchwärme,“ welche bei der reineren Luft des ſüdlichen Himmels als Rebelflecke erſcheinen. Ich gründe dieſe Ver— mutung beſonders auf die Angabe eines Nebels an der rechten Hand des Perſeus. Galilei, der ſo wenig als die griechiſchen und arabiſchen Aſtronomen den dem bloßen Auge ſichtbaren Nebelfleck der Andromeda kannte, jagt im Nuncius sidereus ſelbſt, daß stellae nebulosae nichts anderes ſind als Stern: haufen, die wie areolae sparsim per aethera fulgent. Das Wort Größenordnung (c pe c rc). obgleich auf den Glanz beſchränkt, hat doch ſchon im 9. Jahrhunderte zu Hypo— theſen über die Durchmeſſer der Sterne verſchiedener Helligkeit geführt, als hinge die Intenſität des Lichtes nicht zugleich von der Entfernung, dem Volum, der Maſſe und der eigen— tümlichen, den Lichtprozeß begünſtigenden Beſchaffenheit der Oberfläche eines Weltkörpers ab. Zur Zeit der mongoliſchen Obergewalt, als im 15. Jahr: hundert unter dem Timuriden Ulugh Beig die Aſtronomie in Samarkand in größter Blüte war, erhielten photometriſche Beſtimmungen dadurch einen Zuwachs, daß jede der 6 Klaſſen der hipparchiſchen und ptolemäiſchen Stern größen in 3 Unter⸗ abteilungen geteilt wurde; man unterſchied kleine, mittlere und große Sterne der zweiten Größe, was an die Verſuche zehnteiliger Abſtufungen von Struve und Argelander erinnert.!“ — 70 In den Tafeln von Ulugh Beig wird dieſer photometriſche Fortſchritt, die genauere Beſtimmung der Lichthelligkeiten, dem Abdurrahman Sufi zugeſchrieben, welcher ein eigenes Werk „von der Kenntnis der Fixen“ herausgegeben hatte und zuerſt der einen (Magelhaensſchen) Lichtwolke unter dem Namen des Weißen Ochſen erwähnte. Seit der Einführung des teleſkopiſchen Sehens und ſeiner allmählichen Vervollkomm— nung wurden die Schätzungen der Lichtabſtufung weit über die 6. Klaſſe ausgedehnt. Das Bedürfnis, die im Schwan und im Ophiuchus neu erſchienenen Sterne (der erſtere blieb 21 Jahre lang leuchtend) in der Zunahme und Abnahme ihres Lichtes mit dem Glanze anderer Sterne zu vergleichen, reizte zu photometriſchen Betrachtungen. Die ſogenannten dunklen Sterne des Ptolemäus (unter der 6. Größe) erhielten numeriſche Benennungen relativer Lichtintenſität. „Aſtronomen,“ ſagt Sir John Herſchel, „welche an den Gebrauch mächtiger, raumdurchdringender Fernröhren gewöhnt ſind, verfolgen ab— wärts die Reihung der Lichtſchwäche von der 8. bis zur 16. Größe.“ Aber bei ſo ſchwachem Lichtglanze ſind die Be— nennungen der Größenklaſſen teilweiſe ſehr unbeſtimmt, da Struve bisweilen zur 12. bis 13. Größe zählt, was John Herſchel 18. bis 20. nennt. Es iſt hier nicht der Ort, die ſehr ungleichartigen Me— thoden zu prüfen, welche in anderthalb Jahrhunderten, von Auzout und Huygens bis Bouguer und Lambert, von William Herſchel, Rumford und Wollaſton bis Steinheil und John Herſchel, zu Lichtmeſſungen angewandt worden ſind. Es ge— nügt nach dem Zweck dieſes Werkes die Methoden überſicht— lich zu nennen. Sie waren: Vergleichung mit den Schatten künſtlicher Lichter, in Zahl und Entfernung verſchieden, Dia— phragmen, Plangläſer von verſchiedener Dicke und Farbe, künſtliche Sterne, durch Reflex aus Glaskugeln gebildet, Neben— einanderſtellung von zwei ſiebenfüßigen Teleſkopen, bei denen man faſt in einer Sekunde von einem zum anderen gelangen konnte; Reflexionsinſtrumente, in welchen man zwei zu ver— gleichende Sterne zugleich ſieht, nachdem das Fernrohr vor— her ſo geſtellt worden iſt, daß der unmittelbar geſehene Stern zwei Bilder von gleicher Intenſität gegeben hat;““ Apparate mit einem vor dem Objektiv angebrachten Spiegel und mit Objeftivblendungen, deren Drehung auf einem Ringe gemeſſen wird; Fernröhren mit geteilten Objekten, deren jede Hälfte das Sternlicht durch ein Prisma erhält; Aſtrometer,“ in welchen — 71 ein Prisma das Bild des Mondes oder des Jupiter reflektiert, und durch eine Linſe in verſchiedenen Entfernungen das Bild zu einem lichtvolleren oder lichtſchwächeren Stern konzentriert wird. Der geiſtreiche Aſtronom, welcher in der neueſten Zeit in beiden Hemiſphären ſich am eifrigſten mit der numeriſchen Beſtimmung der Lichtſtärke beſchäftigt hat, Sir John Herſchel, geſteht doch nach vollbrachter Arbeit ſelbſt, daß die praktiſche Anwendung genauer photometriſcher Methoden noch immer als „ein Deſideratum der Aſtronomie“ betrachtet werden müſſe, daß „die Lichtmeſſung in der Kindheit liege“. Das zunehmende Intereſſe für die veränderlichen Sterne, und eine neue Himmelsbegebenheit, die außerordentliche Lichtzunahme eines Sternes im Schiffe Argo im Jahre 1837, haben das Be— dürfnis ſicherer Lichtbeſtimmungen jetzt mehr als je fühlen laſſen. Es iſt weſentlich zu unterſcheiden zwiſchen der bloßen Reihung der Geſtirne nach ihrem Glanze, ohne numeriſche Schätzungen der Intenſität des Lichtes (eine ſolche Reihung enthält Sir John Herſchels wiſſenſchaftliches Hand— buch für Seefahrer), und zwiſchen Klaſſifikationen mit zugefügten Zahlen, welche die Intenſität unter der Form ſo— genannter Größenverhältniſſe oder durch die gewagteren An— gaben der Quantitäten des ausgeſtrahlten Lichtes ausdrücken.“? Die erſte Zahlenreihe, auf Schätzungen mit dem bloßen Auge gegründet, aber durch ſinnreiche Bearbeitung des Stoffes ver: vollkommnet, verdient unter den approximativen Methoden in dem gegenwärtigen ſo unvollkommenen Zuſtande der photo— metriſchen Apparate wahrſcheinlich den Vorzug,“ jo ſehr auch bei ihr durch die Individualität des Beobachters, die Heiter— keit der Luft, die verſchiedene Höhe weit voneinander ent— fernter und nur vermöge vieler Mittelglieder zu vergleichender Sterne, vor allem aber durch die ungleiche Färbung des Lichtes die Genauigkeit der Schätzungen gefährdet wird. Sehr glänzende Sterne erſter Größe: Sirius und Canopus, „ Cen- tauri und Achernar, Deneb und Wega, ſind ſchon bei weißem Lichte, weit ſchwieriger durch Schätzung des bloßen Auges miteinander zu vergleichen als ſchwächere Sterne unter der 6. und 7. Größe. Die Schwierigkeit der Vergleichung nimmt bei Sternen ſehr intenſiven Lichtes aber noch zu, wenn gelbe Sterne: Procyon, Capella oder Atair mit rötlichen, wie Alde— baran, Arctur und Beteigeuze, verglichen werden ſollen. Mittels einer photometriſchen Vergleichung des Mondes mit dem Doppelſterne „Centauri des ſüdlichen Himmels, dem Be dritten aller Sterne an Lichtſtärke, hat Sir John Herſchel es verſucht, das Verhältnis zwiſchen der Intenſität des Sonnen— lichts und dem Lichte eines Sternes 1. Größe zu beſtimmen; es wurde dadurch (wie früher durch Wollaſton) ein Wunſch erfüllt, den John Michell ſchon 1767 ausgeſprochen hatte. Nach dem Mittel aus 11 Meſſungen, mit einem prismatiſchen Apparate veranſtaltet, fand Sir John Herſchel den Voll— mond 27408 mal heller als „Centauri. Nun iſt nach Wolla⸗ iton ** die Sonne 801072 mal lichtſtärker als der Vollmond; es folgt alſo daraus, daß das Licht, welches uns die Sonne zuſendet, ſich zu dem Lichte, das wir von Centauri em⸗ pfangen, ungefähr verhält wie 22000 Millionen zu 1. Es iſt demnach ſehr wahrſcheinlich, wenn man nach ſeiner Parallaxe die Entfernung des Sternes in Anſchlag bringt, daß deſſen innere (abſolute) Leuchtkraft die unſerer Sonne 2/120 mal über— ſteigt. Die Helligkeit von Sirius hat Wollaſton 20000 Mil: lionenmal ſchwächer gefunden als die der Sonne. Nach dem, was man jetzt von der Parallele des Sirius zu wiſſen glaubt (0,230 /, überträfe aber ſeine wirkliche (abſolute) Lichtſtärke die der Sonne 63mal. Unſere Sonne gehörte alſo durch die Intenſität ihrer Lichtprozeſſe zu den ſchwachen Firjternen. Sir John Herſchel ſchätzt die Lichtſtärke des Sirius gleich dem Lichte von faſt zweihundert Sternen 6. Größe. Da es nach Analogie der ſchon eingeſammelten Erfahrungen ſehr wahr— ſcheinlich iſt, daß alle Weltkörper, wenn auch nur in ſehr langen und ungemeſſenen Perioden, veränderlich ſind im Raume wie in der Lichtſtärke, ſo erſcheint, bei der Ab— hängigkeit alles organiſchen Lebens von der Temperatur und Lichtſtärke der Sonne, die Vervollkommnung der Photometrie wie ein großer und ernſter Zweck wiſſenſchaftlicher Unter: ſuchung. Dieſe Vervollkommnung allein kann die Möglich— keit darbieten, künftigen Geſchlechtern numeriſche Beſtimmungen zu hinterlaſſen über den Lichtzuſtand des Firmaments. Viele geognoſtiſche Erſcheinungen, welche ſich beziehen auf die ther— miſche Geſchichte unſeres Luftkreiſes, auf ehemalige Verbreitung von Pflanzen- und Tierarten, werden dadurch erläutert werden. Auch waren ſolche Betrachtungen ſchon vor mehr als einem halben Jahrhunderte dem großen Forſcher William Herſchel nicht entgangen, welcher, ehe noch der enge Zuſammenhang von Elektrizität und Magnetismus entdeckt war, die ewig leuchtenden Wolkenhüllen des Sonnenkörpers mit dem Polarlichte des Erdballes verglich. 9 Das vielverſprechendſte Mittel direkter Meſſung der Licht— ſtärke hat Arago in dem Komplementarzuſtande der durch Trans— miſſion und Reflexion geſehenen Farbenringe erkannt. Ich gebe in einer Anmerkung“ mit den eigenen Worten meines Freundes die Angabe ſeiner photometriſchen Methode, der er auch den optiſchen Grundſatz, auf welchem ſein Cyano— meter beruht, beigefügt hat. Die ſogenannten Größenverhältniſſe der Fixſterne, welche jetzt unſere Kataloge und Sternkarten angeben, führen zum Teil als gleichzeitig auf, was bei den kosmiſchen Lichtver— änderungen ſehr verſchiedenen Zeiten zugehört. Ein ſicheres Kennzeichen ſolcher Lichtveränderungen iſt aber nicht immer, wie lange angenommen worden iſt, die Reihenfolge der Buch— ſtaben, welche in der ſeit dem Anfang des 17. Jahrhunderts ſo viel gebrauchten Uranometria Bayeri den Sternen beigefügt ſind. Argelander hat glücklich erwieſen, daß man von dem alphabetiſchen Vorrange nicht auf die relative Hellig— keit ſchließen kann, und daß Bayer in der Wahl der Buch— ſtaben ſich von der Geſtalt und Richtung der Sternbilder habe leiten lajjen. *° Anmerkungen. (S. 42.) Morin ſagt ſelbſt in feiner 1634 erſchienenen Scien- tialongitudinum: „Applicatio tubi optici ad alhidadam pro stellis fixis prompte et accurate mensurandis a me excogitata est.“ Picard bediente ſich noch bis 1667 keines Fernrohrs am Mauerquadranten, und Hevelius, als ihn Halley 1679 in Danzig beſuchte und die Genauigkeit ſeiner Höhenmeſſungen bewunderte, beobachtete durch vervollkommnete Spaltöffnungen. (S. 42.) Der unglückliche, lang verkannte Gascoigne fand, kaum 23 Jahre alt, den Tod in der Schlacht bei Marſton Moor, die Cromwell den königlichen Truppen lieferte. Ihm gehört, was man lange Picard und Auzout zugeſchrieben und was der beob— achtenden Aſtronomie, deren Hauptgegenſtand es iſt, Orte am Himmelsgewölbe zu beſtimmen, einen vorher unerreichten Auſſchwung gegeben hat. [William Gascoigne, geb. um 1621, geſt. am 2. Juli 1644, iſt der Erfinder des Mikrometers. — D. Herausg.] (S. 43.) Die Stelle, in welcher Strabo die Anſicht des Poſidonius zu widerlegen ſucht, lautet nach den Handſchriften alſo: „Das Bild der Sonne vergrößere ſich auf den Meeren, ebenſowohl beim Aufgang als beim Untergang, weil da in größerem Maße die Ausdünſtungen aus dem feuchten Elemente aufſteigen; denn das Auge, wenn es durch die Ausdünſtungen ſehe, empfange, wie wenn es durch Röhren ſieht, gebrochen die Bilder in erweiterter Ge— ſtalt, und dasſelbe geſchehe, wenn es durch eine trockene und dünne Wolke Sonne und Mond im Untergehen ſehe, in welchem Falle denn auch das Geſtirn rötlich erſcheine.“ Man hat dieſe Stelle noch ganz neuerdings für korrumpiert gehalten und ſtatt 3. : d harry (durch Glaskugeln) leſen wollen. Die vergrößernde Kraft der hohlen gläſernen, mit Waſſer gefüllten Kugeln war den Alten allerdings ſo bekannt, als die Wirkungen der Brenngläſer oder Brennkriſtalle und des Neroniſchen Smaragds, aber zu aſtrono— miſchen Meßinſtrumenten konnten jene Kugeln gewiß nicht dienen. Sonnenhöhen, durch dünne, lichte Wolken oder durch vulkaniſche Dämpfe genommen, zeigen keine Spur vom Einfluß der Refraktion. Obriſt Baeyer [berühmter Geodät, geb. 5. November 1794 zu Müggels— heim bei Köpenick, geſt. am 10. September 1885 zu Berlin als kgl. preuß. Generallieutenant und Präſident des geodätiſchen Inſtituts, ſowie des Centralbüreaus der europäischen Gradmeſſung. — Der Herausg.] hat bei vorbeiziehenden Nebelſtreifen, ja bei gefliſſentlich erregten Dämpfen keine Angularveränderung des Heliotroplichts gefunden und alſo Aragos Verſuche völlig beſtätigt. Peters in Pulkowa, indem er Gruppen von Sternhöhen, bei heiterem Himmel und durch lichte Wolken gemeſſen, vergleicht, findet keinen Unter— ſchied, der 0,017“ erreicht. — Ueber die Anwendung der Röhren beim Abſehen in den arabiſchen Inſtrumenten ſ. Jourdain, Sur l’Observatoire de Meragah p. 27 und A. Sedillot, Mém. sur les Instruments astronomiques des Arabes 1841. p. 198. Arabiſche Aſtronomen haben auch das Verdienſt, zuerſt große Gnomonen mit kleiner zirkularer Oeffnung eingeführt zu haben. In dem koloſſalen Sextanten von Abu Mohammed al-Chokandi erhielt der von 5 zu 5 Minuten eingeteilte Bogen das Bild der Sonne ſelbſt. „A midi les rayons du Soleil passaient par une ouverture pratiquee dans la voüte de l'Observatoire qui couvrait l'instrument, suivaient le fuyau et formaient sur la concavite du Sextant une image circulaire, dont le centre donnait, sur l’arce gradué, le complement de la hauteur du soleil. Cet instrument ne differe de Notre Mural qu'en ce qu'il était garni d'un simple tuyau au lieu d'une lunette.“ Sédillot p. 37, 202 und 205. Die durchlöcherten Abſeher (Dioptern, pinnulae) wurden bei den Griechen und Arabern zu Beſtimmung des Mond— durchmeſſers dergeſtalt gebraucht, daß die zirkulare Oeffnung in der beweglichen Objektivdiopter größer als die der feſtſtehenden Okular— diopter war, und erſtere ſo lange verſchoben ward, bis die Mond— ſcheibe, durch die Okularöffnung geſehen, die Objektivöffnung aus— füllte. Die Abſeher mit runden oder Spaltöffnungen des Archi— medes, welcher ſich der Schattenrichtung von zwei kleinen, an der— ſelben Alhibade befeſtigten Cylinder bediente, ſcheinen eine erſt von Hipparch eingeführte Vorrichtung zu ſein. (S. 44.) P. Angelo Secchi, der ſich mehrere Jahre mit ganz beſonders großem Eifer mit der Unterſuchung der Stern— ſpektren beſchäftigte und faſt alle Hauptſterne nebſt vielen anderen, im ganzen wenigſtens 4000 unter das Spektroſkop brachte, hat die Thatſache erwieſen, daß trotz der großen Anzahl der Sterne, die Spektren derſelben ſich auf wenige beſtimmte und wohl unter— ſchiedene Formen, vier Typen, wie er ſie nennt, zurückführen laſſen. Zwiſchen den verſchiedenen Typen gibt es nun manche Uebergangs— ſtufen, ſo daß es bei manchen Sternen zweifelhaft ſein kann, welchem Typus ſie zuzurechnen ſind. Andererſeits ſind einige Sterne mit beſond ers auffälligen Spektren überhaupt unter Secchis Typen nicht unterzubringen, und der gelehrte Jeſuit hat daher einzelne Sterne wieder zu einem fünften Typus zuſammengefaßt. — [D. Herausg.] (S. 45.) Für die wichtige Unterſcheidung des eigenen und reflektierten Lichtes kann hier als Beiſpiel angeführt werden Aragos Unterſuchung des Kometenlichtes. Durch Anwendung der von ihm N en 1811 entdeckten chromatiſchen Polariſation bewies die Erzeugung von Komplementarfarben, rot und grün, daß in dem Lichte des Halleyſchen Kometen (1835) reflektiertes Sonnenlicht ent— halten ſei. Den früheren Verſuchen mittels gleicher und ungleicher Intenſität der Bilder im Polariſkop das eigene Licht der Capella mit dem des plötzlich (Anfang Juli 1819) aus den Sonnenſtrahlen heraus— tretenden glanzvollen Kometen zu vergleichen, habe ich ſelbſt bei— gewohnt. 6 (S. 45.) Lettre de M. Arago à Alexandre de Humboldt 1840, p. 37: „A l'aide d'un polariscope de mon invention, je reconnus (avant 1820), que la lumière de tous les corps terrestres incandescents, solides ou liquides, est de la lumiere naturelle, tant qu'elle &mane du corps sous des inci- dences perpendiculaires. La lumiere, au contraire, qui sort de la surface incandescente sous un angle aigu, offre des marques manifestes de polarisation. Je ne m’arrete pas à te rappeler ici, comment je deduisis de ce fait de consequence curleuse que la lumiere ne s’engendre pas seulement à la surface des corps; qu'une portion nait dans leur substance meme, cet substance füt-elle du platine. J'ai seulement besoin de dire qu'en repetant la m&me serie d’epreuves et avec les meémes instruments sur la lumiere que lance une substance gazeuse enflammee, on ne lui trouve, sous quelque inclinaison que ce soit, aucun des caracteres de la mere polarisee; que la lumiere des gaz, prise a la sortie de la surface en- tlammee, est de la lumière naturelle: ce qui n'empéche pas qu'elle ne se polarise ensuite completement si on la soumet ä des reflexions ou à des réfractions convenables. De lä une methode tres simple pour decouvrir & 40 millions de lieues de distance la nature du Soleil. La lumiere provenant du bord de cet astre, la lumiere émanée de la matiere solaire sus un angle aigu, et nous arrivant sans avoir éprouvé en route des reflexions ou des refractions sensibles, offre-t-elle des traces de polarisation: le Soleil est un corps solide ou liquide. S'il n'y a, au contraire, aucun indice de polarisation dans la lumiere du bord, la partie incandescente du Soleil est gazeuse. C'est par cet enchainement methodique d’observations qu'on peut arriver à des notions exactes sur la constitution physique du Soleil.“ Alle umſtändlichen optischen Erörterungen, die ich den gedruckten oder handſchriftlichen Abhandlungen meines Freundes entlehne, gebe ich mit ſeinen eigenen Worten wieder, um Mißdeutungen zu vermeiden, welche bei dem Zurücküberſetzen in die franzöſiſche Sprache oder in viele andere Sprachen, in denen der Kosmos erſcheint, durch das Schwankende der wiſſenſchaftlichen Terminologie entſtehen könnten. (S. 45.) Um die Behauptung des Aratus, daß in den Plejaden nur ſechs Sterne ſichtbar ſind, zu widerlegen, ſagt Hipp— Zn arch: „Dem Aratus iſt ein Stern entgangen. Denn wenn man in einer heiteren und mondloſen Nacht ſein Auge auf die Konſtellation ſcharf heftet, jo erſcheinen in derſelben ſieben Sterne, daher es wunderſam ſcheinen kann, daß Attalus bei ſeiner Be— ſchreibung der Plejaden ihm (dem Aratus) auch dieſes Verſehen hat durchgehen laſſen, als ſei deſſen Angabe in der Ordnung.“ Merope wird in den dem Eratoſthenes zugeſchriebenen Kataſte— rismen die unſichtbare, ruvugavns, genannt. 8 (S. 46.) Ideler, Sternnamen S. 19 und 25. — „On observe,“ jagt Arago, „qu'une lumiere forte fait disparaitre une lumiere faible place dans le voisinage. Quelle peut en etre la cause? Il est possible physiologiquement que l’ebranle- ment communique ü la retine par la lumiere forte s’etend au delä des points que la lumiere forte a frappes, et que cet ebranlement secondaire absorbe et neutralise en quelque sorte l’ebranlement provenant de la seconde et faible lumiere. Mais sans entrer dans ces causes physiologiques, il y a une cause directe qu'on peut indiquer pour la disparition de la faible lumiere: c'est que les rayons provenant de la grande wont pas seulement formé une image nette sur la retine, mais se sont disperses aussi sur toutes les parties de cet organe à cause des imperfections de transparence de la cornée. — Les rayons du corps plus brillant « en traversant la cornee se comportent comme en traversant un corps legerement depoli. Une partie de ces rayons refractes régulièrement forme l'image meme de a, l'autre partie dispersde éclaire la totalite de la retine. C'est done sur ce fond lumineux que se projette l’image de l’objet voisin db. Cette derniere image doit donc ou dis- paraitre ou &tre affaiblie. De jour deux causes contribuent a l’affaiblissement des étoiles. L'une de ces causes c'est l’image distincte de cette portion de l’atmosphere comprise dans la direction de l’etoile (de la portion aérienne placee entre l’oeil et l’etoile) et sur laquelle l'image de l’etoile vient de se peindre; l’autre cause c’est la lumiere diffuse provenant de la dispersion que les defauts de la cornee impriment aux rayons emanants de tous les points de l’atmosphere visible, De nuit les couches atmospheriques interposees entre l'oeil et l’etoile vers laquelle on vise, n'agissent pas; chaque étoile du firma- ment forme une image plus nette, mais une partie de leur lumiere se trouve dispersee à cause du manque de diaphanite de la cornee. Le meme raisonnement s’applique à une deuxième, troisieme .... millieme étoile. La retine se trouve donc éclairée en totalite par une lumiere diffuse, proportionnelle au nombre de ces étoiles et à leur éclat. On concoit par-la que cette somme de lumiere diffuse affaiblisse ou fasse entierement dis- paraitre limage de l’etoile vers laquelle on dirige la vue.“ (Arago, handſchriftliche Aufſätze vom Jahr 1847.) — & (S. 47.) Arago im Annuaire pour 1842, p. 284 und in den Comptes rendus T. XV, 1842, p. 750. „In Bezug auf Ihre Vermutungen über die Sichtbarkeit des Jupiterstrabanten,“ ſchreibt mir Herr Dr. Galle, „habe ich einige Schätzungen der Größe angeſtellt, jedoch gegen mein eigenes Erwarten gefunden, daß dieſelben nicht 5. Größe, ſondern höchſtens 6. oder 7. Größe ſind. Bloß der hellſte, dritte Trabant zeigte ſich einem benach— barten Sterne 6. Größe (den ich in einiger Entfernung vom Ju— piter nur eben mit unbewaffnetem Auge erkennen konnte) etwa gleich, ſo daß, mit Rückſicht auf den Schein des Jupiter, dieſer Trabant vielleicht 5. bis 6. Größe geſchätzt werden könnte, wenn er iſoliert ſtände. Der 4. Trabant befand ſich in ſeiner größten Elon— gation; ich konnte ihn aber nur 7. Größe ſchätzen. Die Strahlen des Jupiter würden die Sichtbarkeit dieſes Trabanten nicht hindern, wenn derſelbe heller wäre. Nach Vergleichungen des Aldebaran mit dem benachbarten, deutlich als doppelt erkennbaren Stern 9 Tauri (mit 5½ Minuten Diſtanz) ſchätze ich für ein gewöhnliches Auge die Strahlenbrechung des Jupiters auf mindeſtens 5—6 Minuten.“ Dieſe Schätzungen ſtimmen mit denen von Arago überein; dieſer glaubt ſo— gar, daß die falſchen Strahlen bei einigen Perſonen das Doppelte betragen. Die mittleren Entfernungen der vier Trabanten vom Centrum des Hauptplaneten find bekanntlich 1751“, 257“, 442“ und 8,16“. „Si nous supposons que limage de Jupiter, dans certains yeux exceptionnels, s’epanouisse seulement par des rayons d'une ou deux minutes d’amplitude, il ne semblera pas impossible que les satellites soient de tems en tems aperęus, sans avoir besoin de recourir à l’artifice de l’amplification. Pour verifier cette conjecture, j'ai fait construire une petite lunette dans laquelle l’objectif et l’oculaire ont à peu pres le m&me foyer, et qui des lors ne grossit point. Cette lunette ne detruit pas entierement les rayons divergents, mais elle en reduit considerablement la longueur. Cela a suffi pour qu'un Satellite convenablement écarté de la planète, soit devenu visible. Le fait a été constate par tous les jeunes astronomes de l’Observatoire.“ Arago in den Comptes rendus T. XV (1842), p. 751. — Als ein merkwürdiges Beiſpiel der Scharfſichtig— keit und großen Senſibilität der Netzhaut einzelner Individuen, welche mit unbewaffnetem Auge Jupiterstrabanten ſehen, kann ein 1837 in Breslau verſtorbener Schneidermeiſter Schön angeführt werden, über den mir der gelehrte und thätige Direktor der dortigen Sternwarte, Herr von Boguslawski, intereſſante Mitteilungen ge: macht hat. „Nachdem man ſich mehrfach ſeit 1820 durch ernſte Prüfung überzeugt hatte, daß in heiteren, mondloſen Nächten Schön die Stellung von Jupiterstrabanten, ſelbſt von mehreren zugleich, richtig angab, und man ihm von den Ausſtrahlungen und Stern— ſchwänzen ſprach, die andere zu hindern ſchienen ein Gleiches zu thun, äußerte Schön ſeine Verwunderung über jene hindernden 4 | Ausftrahlungen. Aus den lebhaft geführten Debatten zwiſchen ihm und den Umſtehenden über die Schwierigkeit des Sehens der Tra— banten mit bloßem Auge mußte der Schluß gezogen werden, dem Schön ſeien Planeten und Fixſterne immer frei von Strahlen, wie leuchtende Punkte, erſchienen. Am beſten ſah er den dritten Trabanten, auch wohl den erſten, wenn er gerade in der größten Digreſſion war; nie aber ſah er den zweiten und vierten allein. Bei nicht ganz günſtiger Luft erſchienen ihm die Trabanten bloß als ſchwache Lichtſtreifen. Kleine Fixſterne, vielleicht wegen des funkelnden, minder ruhigen Lichtes, verwechſelte er bei den Ver— ſuchen nie mit Trabanten. Einige Jahre vor ſeinem Tode klagte mir Schön, daß ſeine alternden Augen nicht mehr bis zu den Jupitersmonden reichten, und daß ſie jetzt auch bei heiterer Luft ihm einzeln nur ihre Stelle als ſchwache lichte Streifen bezeichneten.“ Die eben erwähnten Verſuche ſtimmten ganz mit dem, was längſt über die relative Helligkeit der Jupiterstrabanten bekannt iſt; denn Helligkeit und Qualität des Lichtes wirken bei Individuen von ſo großer Vollkommenheit und Senſibilität des Organs wahrſcheinlich mehr als Abſtand vom Hauptplaneten. Schön ſah nie den zweiten und vierten Trabanten. Jener iſt der kleinſte von allen, dieſer nach dem dritten allerdings der größte und fernſte, aber periodiſch von dunkler Färbung und gewöhnlich der lichtſchwächſte unter den Trabanten. Von dem dritten und erſten, die am beſten und häufigſten mit unbewaffnetem Auge geſehen wurden, iſt jener, der größte aller, in der Regel der hellſte, und von ſehr entſchieden gelber Farbe; dieſer, der erſte, übertrifft bisweilen in der Intenſität ſeines hell⸗ gelben Lichtes den Glanz des dritten und viel größeren. (Mädler, Aſtron. 1846, S. 231 bis 234 und 439.) Wie durch eigene Brechungsverhältniſſe im Sehorgan entfernte leuchtende Punkte als lichte Streifen erſcheinen können, zeigen Sturm und Airy in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XX, 1845, p. 764766. 10 (S. 47.) „L'image dpanouie d'une étoile de 7eme gran- deur n’ebranle pas suffisamment la retine: elle n'y fait pas naitre une sensation appreciable de lumiere. Si l’image n’dait voint Epanouie (par des rayons divergents), la sensation aurait plus de force, et l’etoile se verrait. La premiere classe d’etoi- les invisibles & l'oeil nu ne serait plus alors la septième: pour la trouver, il faudrait peut-&tre descendre alors jusqu'à la 125. Considerons un groupe d’etoiles de 7° grandeur tellement rapprochees les unes des autres que les intervalles &chappent nécessairement à l'oeil. % la Vision avait de la nettete, si image de chaque étoile était tres petite et bien terminée, l’observateur apercevrait un champ de lumière dont chaque point aurait Leclat eoncentreE d'une étoile de 7° grandeur. L'ęclat concentr d'une étoile de 7° grandeur suffit à la vision ä l'oeil nu. Le groupe serait donc visible à l’oeil nu. Dila- ee tons maintenant sur la retine l'image de chaque étoile du groupe; remplacons chaque point de l’ancienne image generale par un petit cercle: ces cercles empieteront les uns sur les autres, et les divers points de la retine se trouveront éclairés par de la lumiere venant simultanement de plusieurs étoiles. Pour peu qu'on y reflechisse, il restera évident qu’excepte sur les bords de l'image generale, l’aire lumineuse ainsi éclairée a precisement, à cause de la superposition des cercles, la meme intensite que dans le cas oü chaque étoile n'éclaire qu'un seul point au fond de l’oeil; mais si chacun de ces points regoit une lumiere égale en intensit@ à la lumiere concentree d'une étoile de 7° grandeur, il est clair que l’epa- nouissement des images individuelles des étoiles contiguäs ne doit pas empecher la visibilit@ de Lensemble. Les instru- ments telescopiques ont, quoiqu’a un beaucoup moindre degré, le defaut de donner aussi aux étoiles un diametre sensible et factice. Avec ces instruments, comme ä l’oeil nu, on doit done apercevoir des groupes, composés d’etoiles inferieures en intensite & celles que les m@mes lunettes ou telescopes feraient apercevoir isolement.“ Arago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1842, p. 284. 11(&. 49.) Die von Buffon erwähnte Stelle des Arifto- teles findet fi in einem Buche, wo man ſie am wenigſten ge: ſucht hatte: in dem De generat. Animal. V. 1, p. 780 Bekker. Sie lautet genau überſetzt folgendermaßen: „Scharf ſehen heißt einerſeits vermögen, fern zu ſehen, andererſeits die Unter: ſchiede des Geſehenen genau erkennen. Beides iſt nicht zugleich bei denſelben (Individuen) der Fall. Denn derjenige, welcher ſich die Hand über die Augen hält oder durch eine Röhre ſieht, iſt nicht mehr und nicht weniger imſtande die Unterſchiede der Farben zu ergründen, wird aber wohl die Gegenſtände in größerer Entfernung ſehen. So kommt es ja auch vor, daß die, welche in Erdgewölben und Ziſternen ſich befinden, von da aus bisweilen Sterne ſehen.“ "Opdrnuru und beſonders opzora. find unterirdiſche Ziſternen oder Quellgemächer, welche in Griechenland, wie als Augenzeuge Prof. Franz bemerkt, durch einen ſenkrechten Schacht mit Luft und Licht in Verbindung geſetzt ſind und ſich nach unten wie der Hals einer Flaſche erweitern. Plinius jagt: „Altitudo cogit minores videri stellas; affixas caelo Solis fulgor interdiu non cerni, quum aeque ac noctu luceant: idque manifestum fiat defectu Solis et praealtis puteis. Kleomedes ſpricht nicht von bei Tage geſehenen Sternen, behauptet aber, „daß die Sonne, aus tiefſten Ziſternen betrachtet, größer erſcheine wegen der Dunkelheit und feuchten Luft“. 12 (S. 50.) „We have ourselves heard it stated by a celebrated Optician, that the earliest circumstance which drew his attention to astronomy, was the regular appearance, at a il certain hour, for several successive days, of a considerable star, through the shaft of a chimney.* John Herſchel, Out- lines of Astr. $ 61. Die Rauchfangkehrer, bei denen ich nad): geforſcht, berichten bloß, aber ziemlich gleichförmig, „daß ſie bei Tage nie Sterne geſehen, daß aber bei Nacht ihnen aus tiefen Röhren die Himmelsdecke ganz nahe und die Sterne wie vergrößert ſchienen.“ Ich enthalte mich aller Betrachtung über den Zuſammen⸗ hang beider "Ssfuflonen: 1 (S. 51.) Humboldt, Voy. aux Regions équin. T. I, p. 125: „On eroyoit voir de petites fusees lancees dans l'air. Des points lumineux, élevés de 7 à 8 degrés, paroissoient d’abord se mouvoir dans le sens vertical, mais puis se con- vertir en une veritable oscillation horizontale. Ces points lumineux etoient des images de plusieurs étoiles agrandies (en apparence) par les vapeurs et revenant au méme point d'où elles etoient parties.“ 14 (S. 51.) Prinz Adalbert von Preußen, aus meinem Tagebuche 1847, S. 213. Hängt die von mir be- ſchriebene Erſcheinung vielleicht mit der zuſammen, welche Carlini beim Durchgange des Polarſterns und bei deſſen Oszillationen von 10 bis 12 Sekunden in dem ſtark vergrößernden Mailänder Mittags: fernrohr beobachtet hat? Brandes will ſie auf Luftſpiegelung (mirage) zurückführen. Auch das ſternartige Heliotroplicht ſah ein vortrefflicher und geübter Beobachter, Obriſt Baeyer, oft in hori— zontalem Hin- und Herſchwanken. (S. 54.) Das ausgezeichnete künſtleriſche Verdienſt von Konſtantin Huygens, welcher Sekretär des Königs Wilhelm III. war, iſt neuerdings in das gehörige Licht geſetzt worden, durch Uylenbroek in der Oratio de fratribus Christiano atque Constantino Hugenio, artis dioptricae cultoribus, 1838; und von dem gelehrten Direktor der Leidener Sternwarte, Prof. Kaiſer, in Schumachers aſtron. Nachr. Nr. 592, S. 246. 16 (S. 54.) „Nous avons placé ces grands verres,“ jagt Dominique Caſſini, „tantöt sur un grand mät, tantöt sur la tour de bois venue de Manly; enfin nous les avons mis dans un tuyau monté sur un support en forme d’echelle à trois faces, ce qui a eu (dans la découverte des Satellites de Sa- turne) le succès que nous en avions espéré.“ Dieſe übermäßigen Längen der optiſchen Werkzeuge erinnern an die arabiſchen Meß⸗ inſtrumente: Quadranten von 180 Fuß (57,5 m) Radius, in deren eingeteilten Bogen das Sonnenbild durch eine kleine runde Oeffnung gnomoniſch einfiel. Ein ſolcher Quadrant ſtand zu Samarkand, wahrſcheinlich dem früher konſtruierten Sextanten von 57 Fuß (8,5 m) Höhe des Al-Chokandi nachgebildet. 1? (S. 55.) Früher ſchon hatte der myſtiſche, aber in optiſchen Dingen ſehr erfahrene Kapuzinermönch Schyrle von Rheita A. v. Humboldt, Kosmos. III. 6 — 8 in feinem Oculus Enoch et Eliae (Antv., 1645) von der nahen Möglichkeit geſprochen, ſich 4000malige Vergrößerungen der Fernröhren zu ſchaffen, um genaue Bergkarten des Mondes zu liefern. (S. 55.) Ich habe in dem Texte die Benennungen Herſchel— ſcher Spiegelteleſkope von 40, 29 und? engliſchen Fußen beibehalten, wenn ich auch ſonſt überall franzöſiſches Maß anwende; ich thue dies hier nicht bloß, weil dieſe Benennungen bequemer ſind, ſondern hauptſächlich, weil ſie durch die großen Arbeiten des Vaters und des Sohnes in England und zu Feldhauſen am Vorgebirge der guten Hoffnung eine hiſtoriſche Weihe erhalten haben. 19 (S. 56.) Cauchois und Lerebours haben auch Objektive von mehr als 12 ½ Par. Zoll (333 mm) und 23% Fuß (7,5 m) Fokal⸗ weite geliefert. 20 (S. 57.) Herr Airy hat neuerlichſt die Fabrikationsmetho— den beider Teleſkope vergleichend beſchrieben, den Guß der Spiegel und die Metallmiſchung, die Vorrichtung zum Polieren, die Mittel der Aufſtellung. Von dem Effekt des ſechsfüßigen Metallſpiegels des Lord Roſſe heißt es dort: „The Astronomer Royal (Mr. Airy) alluded tho te impression made by the enormous light of the telescope: partly by the modifications produced in the appearances of nebulae already figured, partly by the great number of stars seen even at a distance from the Milky Way, and partly from the prodigious brilliancy of Saturn. The account given by another astronomer of the appearance of Jupiter was, that it resembled a coach-lamp in the telescope; and this well expresses the blaze of light which is seen in the instrument.“ Vergl. Sir John Herſchel, Outl. of Astr. § 870: „The sublimity of the spectacle afforded by the mag- nificent reflecting telescope constructed by Lord Rosse of some of the larger globular clusters of nebulae is declared by all, who have witnessed it, to be such as no words can express. This telescope has resolved or rendered resolvable multitudes of nebulae which had resisted all inferior powers.“ 21 (S. 58.) „La lumière atmospherique diffuse ne peut s’expliquer par le reflet des rayons solaires sur la surface de separation des couches de différentes densités dont on sup- pose l’atmosphere composee. En effet supposons le Soleil place à l’horizon, les surfaces de separation dans la direction du zenith seraient horizontales, par conséquent la reflexion serait horizontale aussi et nous ne verrions aucune lumiere au zenith. Dans la supposition des couches aucun rayon ne nous arriverait par voie d'une premiere reflexion. Ce ne se- raient que les réflexions multiples qui pourraient agir. Donc pour expliquer la Zumiere diffuse, il faut se figurer l’atmosphere composee de molecules (spheriques par exemple) dont chacune donne une image du soleil à peu pres comme les boules de verre que nous plagons dans nos Jardins. L’air pur est bleu; 88 parce que d’apres Newton les molécules de Lair ont IE. qui convient à la réflexion des rayons bleus. Il est done naturel que les petites images du soleil que de tous eötes réfléchissent les molécules spheriques de l’air et qui sont la lumiere diffuse, aient une teinte bleue; mais ce bleu n’est pas du bleu pur, c'est un blanc dans lequel le bleu prédomine. Lorsque le ciel n'est pas dans toute sa pureté et que l’air est mélé de vapeurs visibles, la lumiere diffuse regoit beau- coup de blanc. Comme la lune est jaune, le bleu de l’air pendant la nuit est un peu verdätre, c’est-ä-dire mélangé de bleu et de jaune.“ (Arago, Handſchrift von 1847.) 22 (S. 58.) D'un des effets des Lunettes sur la visibilit@ des étoiles. (Lettre de Mr. Ara go a Mr. de Humboldt, en décembre 1847.) „L'oeil n'est doué que d'une sensibilité circonscrite, bornée. Quand la lumiere qui frappe la rétine, wa pas assez d’inten- site, l’oeil ne sent rien. C'est par un manque d'intensité que beaucoup d' ies, m&eme dans les nuits les plus profondes, echappent ä nos observations. Les lunettes ont pour effet, quant aux £toiles, d’augmenter lintensite de l’image. Le fais- ceau cylindrique de rayons parallèles venant d'une étoile, qui s’appuie sur la surface de la lentille objective et qui a cette surface eirculaire pour base, se trouve considérablement res- serré & la sortie de la lentille oculaire. Le diametre du premier cylindre est au diametre du second, comme la di- stance focale de l’objectif est & la distance focale de l’oculaire, . ou bien comme le diametre de l’objectif est au diamötre de la portion d’oculaire, qu’occupe le faisceau émergent. Les inten- sites de lumiere dans les deux cylindres en question (dans les deux eylindres incident et @mergent) doivent étre entr' elles comme les étendues superficielles des bases. Ainsi la lumière emergente sera plus condensee, plus intense, que la lumiere naturelle tombant sur l’objectif, dans le rapport de la surface de cet objectif à la surface circulaire de la base du faisceau emergent. Le faisceau emergent, quand la lunette grossit, étant plus etroit que le faisceau eylindrique qui tombe sur l’ob- jectif, il est evident que la pupille, quelle que soit son ouver- ture, recueillera plus de rayons par l’intermediaire de la lunette que sans elle. La lunette augmentera donc toujours l'intensité de la lumiere des etoiles.“ „Le cas le plus favorable, quant a l'effet des lunettes, est evidemment celui où l’oeil recoit la totalite du faisceau &mer- gent, le cas où ce faisceau a moins de diamètre que la pupille. Alors toute la Tumiere que l’objectif rembrasse, concourt, par l’entremise du telescope, à la formation de l'image. A l’oeil nu, au contraire, une portion seule de cette m&me lumiere est mise à profit: c'est la petite portion que la surface de la 1 pupille découpe dans le faisceau incident naturel. L’intensit® de l'image télescopique d'une etoile est donc a lintensite de image a l’oeil nu, comme la surface de Vobjectif est d celle de la pupille*. „Ce qui precede, est relatif & la visibilité d'un seul point, d'une seule étoile. Venons à l’observation d'un objet ayant. des dimensions angulaires sensibles, à l’observation d'une planete. Dans les cas les plus favorables, c’est-a-dire lorsque la pupille recoit la totalite du pinceau émergent, lintensite de l’image de chaque point de la planete se calculera par la proportion que nous venons de donner. La quantité totale de lumiere concourant à former l’ensemble de l'image à Toeil nu, sera done aussi à la guantite totale de lumiere qui forme limage de la planete à l'aide d'une lunette, comme la surface de la pupille est à la surface de l’objectif. Les intensites comparatives, non plus de points isolés, mais des deux images d'une planète, qui se forment sur la retine à l’oeil nu, et par l’intermediaire d'une lunette, doivent évidemment diminuer proportionnellement aux etendues superficielles de ces deux images. Les dimensions lindaires des deux images sont entr' elles comme le diamètre de l’objecetif est au diametre du faisceau émergent. Le nombre de fois que la surface de image amplifiee surpasse la surface de image à Poeil nu, s’obtiendra donc en divisant le carre du diametre de lobjeetif par le carré du diametre du faisceau dmergent, ou bien la surface de lobjectif par la surface de la base eirculaire du faisceau &emergent.“ „Nous avons deja obtenu le rapport des quantites totales de lumiere qui engendrent les deux images d’une planete, en divisant la surface de l’objectif par la surface de la pupille. Ce nombre est plus petit que le quotient auquel on arrive in divisant la surface de lobjectif par la surface du faisceau emergent. Il en résulte, quant aux planetes: qu'une lunette fait moins gagner en intensit€ de lumiere, qu'elle ne fait perdre en agrandissant la surface des images sur la retine; lintensit& de ces images doit donc aller continuellement en s’affaiblissant à mesure que le pouvoir amplificatif de la lunette ou du telescope s’accroit.“ „L’atmosphere peut &tre consideree comme une planete ä dimensions indéfinies. La portion qu'on en verra dans une lunette, subira donc aussi la Joi d’affaiblissement que nous venons d’indiquer. Le rapport entre l’intensite de la lumiere d'une plante et le champ de lumiere atmospherique à travers lequel on la verra, sera le m&me & l’oeil nu et dans les lunettes de tous les grossissements, de toutes les dimensions. Les lunettes, sous le rapport de Nintensité, ne favorisent done pas la visibi- lite des planetes.“ „Il n’en est point ainsi des dtoiles. L’intensite de l'image d'une étoile est plus forte avec une lunette qu'à l’oeil nu; au contraire, le champ de la vision, uniformement éclairé dans les deux cas par la lumiere atmospherique, est plus clair ä l'oeil nu que dans la lunette. I] ya donc deux raisons, sans sortir des considerations d’intensite, pour que dans une lunette image de l’etoile predomine sur celle de l’atmosphere, nota- blement plus qu’a l’oeil nu.“ „Cette predominance doit aller graduellement en augmen- tant avec le grossissement. En effet, abstraction faite de certaine augmentation du diametre de l’etoile, consequence de divers effets de diffraction ou d’interference, abstraction faite aussi d'une plus forte reflexion que la lumière subit sur les surfaces plus obliques des oculaires de très courts foyers, Vintensité de la lumiere de Vetoile est constante tant que l’ou- verture de l’objectif ne varie pas. Comme on l'a vu, la clarte du champ de la lunette, au contraire, diminue sans cesse & mesure que le pouvoir amplificatif s’acceroit. Donc, toutes autres circonstances restant égales, une étoile sera d’autant plus visible, sa prédominance sur la lumiere du champ du telescope sera d’autant plus tranchee qu'on fera usage d'un grossissement plus fort.“ (Arago, Handſchrift von 1847.) — Ich füge noch hinzu aus dem Annuaire du Bureau des Long. pour 1846 (notices scientif. par Mr. Ara go) p. 381: „L’experience a montré que, pour le commun des hommes, deux espaces éclairés et contigus ne se distinguent pas l'un de l'autre, à moins que leurs intensites comparatives ne pré— sentent, au minimum, une difference de ½o. Quand une lunette est tournée vers le firmament, son champ semble uni- formement éclairé: c'est qu'alors il existe, dans un plan pas- sant par le foyer et perpendiculaire à l’axe de l’objectif, une image inde£finie de la region atmospherique vers laquelle la lunette est dirigee. Supposons qu'un astre, c’est-A-dire un objet situé bien au delä de l’atmosphere, se trouve dans la direction de la lunette: son image ne sera visible qu’autant qu'elle augmentera de ½o, au moins, l’intensite de la portion de image focale indefinie de l’atmosphere, sur laquelle sa propre image limitde ira se placer. Sans cela, le champ visuel continuera & paraitre partout de la méme intensité.“ (S. 59.) Die früheſte Bekanntmachung von e Er⸗ klärung der Seintillation geſchah in dem Anhange zum 4. Buche meines Voyage aux Regions equinoxales T. I. p. 62³ Ich freue mich, mit den hier folgenden Erläuterungen, welche ich aus den oben (Anm. 6) angegebenen Gründen wieder in dem Originaltexte abdrucken laſſe, den Abſchnitt über das natür— liche und teleſkopiſche Sehen bereichern zu können. — 88 Des causes de la Scintillation des étoiles. „Ce qu'il y a de plus remarquable dans le phenomene de la seintillation, c'est le changement de couleur. Ce change- ment est beaucoup plus frequent que l’observation ordinaire lindique. En eflet, en agitant la lunette, on transforme image dans une ligne ou un cercle, et tous les points de cette ligne ou de ce cercle paraissent de couleurs differentes. C'est la résultante de la superposition de toutes ces images que l'on voit, lorsqu’on laisse la lunette immobile. Les rayons qui se reunissent au foyer d’une lentille, vibrent d’accord ou en desaccord, s'ajoutent ou se detruisent, suivant que les couches qu'ils ont traversees, ont telle ou telle refringence. L'ensemble des rayons rouges peut se detruire seul, si ceux de droite et de gauche et ceux de haut et de bas ont traverse de milieux inegalement refringents. Nous avons dit seul, parce que la difference de refringence qui correspond à la destruction du rayon rouge, n'est pas la m&me que celle qui amene la de- struction du rayon vert, et réciproquement. Maintenant si des rayons rouges sont detruits, ce qui reste, sera le blanc moins le rouge, c'est-à-dire du vert. Si le vert au contraire est detruit par interference. image sera du blanc moins le vert, c’est-A-dire du rouge. Pour expliquer pourquoi les planetes a grand diametre ne scintillent pas ou tres peu, il faut se rappeler que le disque peut &tre considere comme une aggre- gation d’etoiles ou de petits points qui scintillent isolément; mais les images de differentes couleurs que chacun de ces points pris isolement donnerait, empietant les unes sur les autres, formeraient du blanc. Lorsqu'on place un diaphragme ou un bouchon perce d'un trou sur l’objectif d'une lunette, les étoiles acquierent un disque entoure d'une serie danneaux lumineux. Si l'on eufonce l’oculaire, le disque de l’etoile augmente de diametre, et il se produit dans son centre un trou obscur; si on l’enfonce davantage, un point lumineux se substitue au point noir. Un nouvel enfoncement donne naissance à un centre noir, etc. Prenons la lunette lorsque le centre de image est noir, et visons à une étoile qui ne seintille pas: le centre restera noir, comme il l’etait aupara- vant. Si au contraire on dirige la lunette à une étoile qui scintille, on verra le centre de image lumineux et obscur par intermittence. Dans la position ou le centre de image est occupe par un point lumineux, on verra ce point dispa- raitre et renaitre successivement. Cette disparition ou reap- parition du point central est la preuve directe de linterference variable des rayons, Pour bien concevoir absence de lumière au centre de ces images dilatees, il faut se rappeler que les rayons regulierement refractes par l’objectif ne se reunissent et ne peuvent par consequent interferer quuu foyer: par . consequent les images dilatées que ces rayons peuvent produire, resteraient toujours pleines (sans trou). Si dans une certaine position de l’oculaire un trou se présente au centre de image, c'est que les rayons regulierement réfractés interferent avec des rayons diffractes sur les bords du diaphragme circulaire. Le phénomène n'est pas constant, parce que les rayons qui inter- ferent dans un certain moment, n’interferent pas un instant apres, lorsqu'ils ont traversé des couches atmospheriques dont le pouvoir réfringent a varie. On trouve dans cette experience la preuve manifeste du röle que joue dans le phenom£ne de la scintillation l'inégale réfrangibilité des couches atmospheri- ques traversdes par les rayons dont le faisceau est tres étroit.“ „I résulte de ces considerations que l’explication des scintillations ne peut ötre rattachee qu'aux phenomenes des interferences lumineuses. Les rayons des étoiles, après avoir traversé une atmosph£re où il existe des couches inegalement chaudes, inegalement denses, inegalement humides, vont se reunir au foyer d’une lentille, pour y former des images d'intensité et de couleurs perpetuellement changeantes, c'est. ä-dire des images telles que la scintillation les présente. II y a aussi scintillation hors du foyer des lunettes. Les expli- cations proposdes par Galilei, Scaliger, Kepler, Descartes, Hooke, Huygens, Newton et John Michell, que j'ai examindes dans un memoire presente à l'Institut en 1840 (Comptes rendus T. X, p. 83), sont inadmissibles. Thomas Young, auquel nous devons les premieres lois des interferences, a eru inexplicable le phenom£ne de la seintillation. La faussete de l’ancienne explication par des vapeurs qui voltigent et depla- cent, est deja prouvee par la circonstance que nous voyons la seintillation des yeux, ce qui supposerait un deplacement d’une minute. Les ondulations du bord du Soleil sont de 4" à 5“ et peut-&tre des pieces qui manguent, donc encore effet de l’interference des rayons.“ (Auszüge aus Hand— ſchriften von Arago 1847.) . 2 (S. 63.) „En Arabie,“ ſagt Garcin, „de meme qu'a Bender-Abassi, port fameux du Golfe Persique, Pair est par- faitement serein presque toute l'année. Le printemps, l’ete et l’automne se passent, sans qu'on y voie la moindre rosee. Dans ces m&mes temps tout le monde couche dehors sur le haut des maisons. Quand on est ainsi couché, il n'est pas possible d'exprimer le plaisir qu'on prend à contempler la beauté du ciel, l’eclat des étoiles. C'est une lumiere pure, ferme et eclatante, sans étincellement. Ce n'est qu'au milieu de l’hiver que la Seintillation, quoique très-foible, s’y fait apercevoir.“ 25 (S. 63.) Von den Täuſchungen ſprechend, welche die Ge— ſchwindigkeiten des Schalles und des Lichts verlaſſen, ſagt Bacon: „Atque hoc cum similibus nobis quandoque dubitationem ee peperit plane monstrosam; videlicet, utrum coeli sereni et stellati facies ad idem tempus cernatur, quando vere existit, an potius aliquanto post; et utrum non sit (quatenus ad visum coelestium) non minus tempus verum et tempus visum, quam locus verus et locus visus, qui notatur ab astronomis in parallaxibus. Adeo incredibile nobis videbatur, species sive radios corporum coelestium, per tam immensa spatia milliarium, subito deferri posse ad visum; sed potius debere eus in tempore aliquo notabili delabi. Verum illa dubitatio (quoad majus aliquod intervallum temporis inter tempus verum et visum) postea plane evanuit, reputantibus nobis ...* Er nimmt dann, ganz nach Art der Alten, eine eben geäußerte wahre Anſicht wieder zurück. 26 (S. 63.) S. Aragos Entwickelung ſeiner Methode im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1842, p. 337 bis 343. „L'observation attentive des phases d’Algol à six mois d’intervalle servira à determiner directement la vitesse de la lumiere de cette étoile. Pres du maximum et du mini- mum le changement d'intensité s’opere lentement; il est au contraire rapide à certaines époques intermediaires entre celles qui correspondent aux deux états extremes, quand Algol, soit en diminuant, soit en augmentant d’eclat, passe par la troisieme grandeur.“ i 27 (S. 63.) Newton, Opticks 24d Ed. (Lond. 1718), p. 325: „Light moves from the Sun to us 7 or 8 minutes ot time.“ Newton vergleicht die Geſchwindigkeit des Schalles (1140 feet 348 m] in 1“) mit der des Lichtes. Wenn er für die letztere, nach Beobachtungen von Verfinſterungen von Jupiterstrabanten (der Tod des großen Mannes fällt ungefähr ein halbes Jahr vor Brad— leys Entdeckung der Aberration), von der Sonne zur Erde 7° 30" rechnet, bei der Annahme von einem Abſtand von 70 Millionen engliſcher Meilen (112650000 km), jo durchläuft das Licht in je— der Zeitſekunde 1555558 engl. Meilen (250337 km). Die Re⸗ duktion dieſer Meilen auf geographiſche (15 = 1”) iſt Schwankungen unterworfen, je nachdem man die Geſtalt der Erde verſchieden an— nimmt. Nach Enckes genauen Annahmen im Jahrbuch für 1852 gehen (wenn nach Dove 1 engl. Meile = 5280 engl. Fuß = 4954206 Pariſer Fuß) 69 1637 engl. Meilen auf einen Aequatorial— grad. Für Newtons Angabe folgt demnach eine Lichtgeſchwindigkeit von 33 736 geographiſchen Meilen (250436 km). Newton hat aber die Sonnenparallaxe zu 12“ angenommen. Iſt dieſe, wie ſie Enckes Berechnung des Venusdurchganges gegeben hat, 8,57116“, ſo wird damit die Entfernung größer, und man erhält für die Lichtgeſchwindigkeit (bei 7 Minuten) 47232 geographiſche Meilen (350482 km) für eine Zeitſekunde; alſo zu viel, jtatt vorher zu wenig. Es iſt gewiß ſehr merkwürdig, und von Delambre nicht bemerkt worden, daß Newton, während die Angaben des Licht— 0 c 8 weges in dem Halbmeſſer der Erdbahn ſeit Römers Entdeckung 1675 bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts, übertrieben hoch, zwiſchen 11“ und 14° 10“ ſchwankten, vielleicht auf neuere engliſche Beobachtungen des erſten Trabanten geſtützt, der Wahrheit (dem jetzt angenommenen Struviſchen Reſultate) ungefähr bis auf 47“ nahe kam. Die älteſte Abhandlung, in welcher Römer, Picards Schüler, der Akademie ſeine Entdeckung vortrug, war vom 22. No— vember 1675. Er fand durch 40 Aus- und Eintritte der Jupiters— trabanten „un retardement de lumiere de 22 minutes par lintervalle qui est le double de celui qu'il y a d'ici au Soleil.“ Caſſini beſtritt nicht die Thatſache der Verlangſamung, aber er beſtritt das angegebene Zeitmaß, weil (was ſehr irrig iſt), ver— ſchiedene Trabanten andere Reſultate darböten. Du Hamel, der Sekretär der Pariſer Akademie gibt, 17 Jahre nachdem Römer Paris verlaſſen hatte, und doch ihn bezeichnend, 10 bis 11 Minuten an; aber wir wiſſen durch Peter Horrebow, daß Römer, als er 1704, alſo 6 Jahre vor feinem Tode, ein eigenes Werk über die Geſchwindigkeit des Lichtes herausgeben wollte, bei dem Reſultate von 11“ feſt beharrte, ebenſo Huygens. Ganz anders verfährt Caſſini; er findet für den erſten Trabanten 7° 5“, für den zweiten 14‘ 12“, und legte für ſeine Jupiterstafeln zum Grunde 14° 10” pro peragrando diametri semissi. Der Irrtum war alſo im Zunehmen. (S. 64.) Ueber die bisherigen Erklärungsverſuche der Aberration nach der Undulationstheorie des Lichts ſ. Doppler in den Abhandl. der Kön. böhmiſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaft, 5. Folge, Bd. III, S. 745 bis 765. Ungemein merkwürdig iſt für die Geſchichte großer aſtronomiſcher Entdeckungen, daß Picard mehr als ein halbes Jahrhundert vor Bradleys eigent— licher Entdeckung und Erklärung der Urſache der Aberration, wahr— ſcheinlich ſeit 1667, eine wiederkehrende Bewegung des Polarſternes von ungefähr 20“ bemerkt, welche „weder Wirkung der Parallaxe, noch der Refraktion ſein könne und in entgegengeſetzten Jahres— zeiten ſehr regelmäßig ſei“. Picard war auf dem Wege, die Ge— ſchwindigkeit des direkten Lichts früher zu entdecken, als ſein Schüler Römer die Geſchwindigkeit des reflektierten Lichtes bekannt machte. 29 (S. 64.) Wenn in dem Annuaire pour 1842, p. 287 die Geſchwindigkeit des Lichtes in der Sekunde zu 308000 km oder 77000 lieues (alſo jede zu 4000 m) geſchätzt wird, fo ſteht dieſe Angabe der neuen Struviſchen am nächſten. Sie gibt 41507 geogr. Meilen (308000 km), die der Pulkowaer Stern: warte 41549 (308312 km). Ueber den Unterſchied der Aberra— tion des Polarſternes und ſeines Begleiters, und Struves eigene neuere Zweifel ſ. Mädler, Aſtronomie 1849, S. 393. Ein noch größeres Reſultat für den Lichtweg von der Sonne zur Erde gibt William Richardſon, nämlich 3° 19,28“, wozu die Geſchwindig— keit von 41422 geogr. Meilen (307370 km) gehört. 0 (S. 65.) Fizeau gibt ſein Reſultat in lieues an, deren — 9 25 auf einen Aequatorialgrad gehen und welche demnach 4452 m haben; zu 70000 ſolcher lieues in der Sekunde. In Moignos Repert. d’Optique moderne P. III, p. 1162 iſt das Reſultat zu 70843 lieues (25 — 1°) angegeben, alſo 42 506 geogr. Meilen (315413 km), dem Reſultat von Bradley nach Buſch am nächſten. (S. 65.) „D’apres la théorie mathematique dans le systeme des ondes, les rayons de differentes couleurs, les rayons dont les ondulations sont inégales, doivent neanmoins se propager dans l’Ether avec la meme vitesse. II n'y a pas de difference à cet égard entre la propagation des ondes sonores, lesquelles se propagent dans Fair avec la meme rapi- dite. Cette egalite de propagation des ondes sonores est bien établie experimentalement par la similitude d'effet que pro- duit une musique donnée à toutes distances du lieu ou on exeeute. La principale difficulte, je dirai unique diffieulte qu'on eüt élevée contre le systeme des ondes, consistait donc & expliquer, comment la vitesse de propagation des rayons de differentes couleurs dans des corps différents pouvait @tre dissemblable et servir à rendre compte de l'inegalite de refrac- tion de ces rayons ou de la dispersion. On a montré recem- ment que cette diffieulte n'est pas insurmontable; qu'on peut constituer l’Ether dans les corps inegalement denses de maniere que des rayons & ondulations dissemblables sy pro- pagent avec des vitesses inégales; reste à determiner, si les conceptions des geometres à cet égard sont conformes à la nature de choses. Voici les amplitudes des ondulations dedui- tes experimentalement d’une serie de faits relatifs aux inter- ferences: ni violet . 0,000423 ° jaune . 0,000551 rouge . 0, 000620. La vitesse de transmission des rayons de differentes couleurs dans les espaces celestes est la m&me dans le systeme des ondes et tout à fait indépendante de l’etendue ou de la vi- tesse des ondulations.“ Arago, Handſchr. von 1849. Vergl. auch Annuaire pour 1842, p. 333 bis 336. — Die Länge der Lichtwelle des Aethers und die Geſchwindigkeit der Schwingungen beſtimmen den Charakter der Farbenſtrahlen. Zum Violett, dem am meiſten refrangibeln Strahle, gehören 662, zum Rot, der am wenigſten refrangibeln Strahle (bei größter Wellenlänge), nur 451 Billionen Schwingungen in der Sekunde. 32 (S. 65.) „Pai prouve, il y a bien des années, par des observations directes, que les rayons des étoiles vers lesquelles la Terre marche, et les rayons des etoiles dont la Terre s’eloigne, se réfractent exactement de la m&me quantite. Un tel résultat ne peut se eoncilier avec la fie de Femission 0 DU 2a Io 03 2 ee re ee ee — qu'à laide d'une addition importante & faire à cette theorie; il faut admettre que les corps lumineux émettent des rayons de toutes les vitesses, et que les seuls rayons d'une vitesse determinee sont visibles, qu'eux seuls produisent dans l’oeil la sensation de lumiere. Dans la theorie de l'émission, le rouge, le jaune, le vert, le bleu, le violet solaires sont respec- tivement accompagnes de rayons pareils, mais obscurs par defaut ou par excès de vitesse. A plus de vitesse correspond une moindre refraction, comme moins de vitesse entraine une refraction plus grande. Ainsi chaque rayon rouge visible est accompagné de rayons obscurs de la m&me nature, qui se refractent les uns plus, les autres moins que lui, ainsi / existe des rayons dans les stries noires de la portion rouge du spectre; la m&me chose doit ètre admise des stries situées dans les portions jaunes, vertes, bleues et violettes.“ Arago in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XVI, 1843, p. 404. Nach den Anſichten der Undulations— theorie ſenden die Geſtirne Wellen von unendlich verſchiedenen transverſalen Oszillationsgeſchwindigkeiten aus. 33 (S. 65.) Wheatſtone in den Philos. Transact. of the Royal Soc. for 1834, p. 589 und 591. Aus den in dieſer Abhandlung beſchriebenen Verſuchen ſcheint zu folgen, daß das menſchliche Auge fähig iſt, Lichterſcheinungen zu empfinden (p. 591), „deren Dauer auf ein Millionenteilchen einer Sekunde eingeſchränkt iſt“. Ueber die im Texte erwähnte Hypotheſe, nach welcher das Sonnenlicht unſerem Polarlicht analog iſt, ſ. Sir John Herſchel, Results of Astron. Observ. at the Cape of @ood Hope 1847, p. 351. Der ſcharfſinnigen Anwendung eines durch Breguet vervollkommneten Wheatſtoneſchen Drehungs— apparats, um zwiſchen der Emiſſions- und Undulationstheorie zu entſcheiden, da nach der erſteren das Licht ſchneller, nach der zweiten langſamer durch Waſſer als durch Luft geht, hat Arago ſchon erwähnt. 3 (S. 67.) Noch neuere ſinnreiche Verſuche von Mitchel, Direktor der Sternwarte von Cincinnati und von Fizeau und Gounelle zu Paris (April 1850) entfernen ſich zugleich von Wheat— ſtones und Walkers Reſultaten. Auffallende Unterſchiede von Lei— tung durch Eiſen und Kupfer zeigen die Verſuche in den Comptes rendus T. XXX, 1850, p. 439. (S. 67.) Ueber die Nichtleitung des zwiſchenliegenden Erd— reichs ſ. die wichtigen Verſuche von Guillemin sur le courant dans une pile isolée et sans communication entre les pöles in den Compt. rendus T. XXIX, 1849, p. 521. „Quand on rem— place un fil par la terre dans les telegraphes electriques, la terre sert plutöt de reservoir commun que de moyen d'union entre les deux extrémités du fil.“ 3% (S. 67.) Laplace nach Moigno, Repertoire 92 d’Optigue moderne 1847, T. I, p. 72: „Selon la theorie de l'émission on croit pouvoir demontrer que si le diametre d'une étoile fixe serait 250 fois plus grand que celui du soleil, sa densité restant la meme, l’attraction exercee A sa surface détruirait la quantit& de mouvement de Ja molécule lumineuse ömise, de sorte qu'elle serait invisible à de grandes distances.“ Wenn man dem Arcturus mit William Herſchel einen ſcheinbaren Durchmeſſer von 0,1“ zuſchreibt, ſo folgt aus dieſer Annahme, daß der wirkliche Durchmeſſer dieſes Sterns nur IImal größer iſt als der unſerer Sonne. Nach der obigen Betrachtung über eine der Urſachen des Nichtleuchtens würde bei ſehr verſchiedenen Dimen- ſionen der Weltkörper die Lichtgeſchwindigkeit verſchieden ſein müſſen, was bisher durch die Beobachtung keineswegs beſtätigt iſt. (Arago in den Comptes rendus T. VIII, 1839, p. 326: „Les expériences sur l’egale deviation prismatique des étoiles vers lesquelles la terre marche ou dont elle s’eloigne, rend compte de l'égalité de vitesse apparente des rayons de toutes les etoiles.“) 7 (S. 68.) Die Beſchreibung unterscheidet unter den Sternen Kanrpods (merzkone) und Apanpods. Ebenſo Ptolemäus; bei ihm beziehen ſich ot Apöpgwro: nur auf die Sterne, welche nicht förm— lich zu einem Sternbilde gehören. 38 (S. 69.) Ptol. Almag. und in Eratoſth. Catast.: 7 de xegarı zo i äpen Avanıos dpürar, dr BE venekmönng suorpowng do, tıory opäcdur. Ebenſo Geminus, Phaenom. 39 (S. 69.) Einige Handſchriften des Almageſt deuten auch auf ſolche Unterabteilungen oder Zwiſchenklaſſen hin, da ſie den Größenbeſtimmungen die Wörter sis oder Ts) zufügen. Tycho drückte dieſe Mehrung und Minderung durch Punkte aus. 40 (S. 70.) Das iſt die Anwendung des Spiegelſextanten zur Beſtimmung der Lichtſtärke der Sterne, deſſen ich mich mehr noch als der Diaphragmen, die mir Borda empfohlen hatte, unter den Tropen bedient habe. Ich begann die Arbeit unter dem ſchönen Himmel von Cumana und ſetzte ſie ſpäter in der ſüdlichen Hemiſphäre, unter weniger günſtigen Verhältniſſen, auf der Hochebene der Andes und dem Südſeeufer bei Guayaquil bis 1803 fort. Ich hatte mir eine willkürliche Skale gebildet, in der ich Sirius als den glänzendſten aller Firfterne = 100 ſetzte; die Sterne 1. Größe zwiſchen 100 und 80, die 2. Größe zwiſchen 80 und 60, die 3. Größe zwiſchen 60 und 45, die 4. Größe zwiſchen 45 und 30, die 5. Größe zwiſchen 30 und 20. Ich muſterte be— ſonders die Sternbilder des Schiffes und des Kranichs, in denen ich ſeit La Cailles Zeit Veränderungen zu finden glaubte. Mir ſchien, nach ſorgfältigen Kombinationen der Schätzung und andere Sterne als Mittelſtufen benutzend, Sirius ſo viel lichtſtärker als Canopus, wie „ Centauri lichtſtärker iſt als Achernar. Meine Zahlen können wegen der oben erwähnten Klaſſifikation 2 keineswegs unmittelbar mit denen verglichen werden, welche Sir John Herſchel ſchon ſeit 1838 bekannt gemacht hat. (Siehe Lettre de Mr. de Humboldt à Mr. Schumacher en fevr. 1839, in den Aſtr. Nachr. Nr. 374.) In dieſem Briefe heißt es: „Mr. Arago, qui possede des moyens photometriques entièrement différents de ceux qui ont été publiés jusqu’ici, m'avait rassuré sur la partie des erreurs qui pouvaient pro- venir du changement d’inclinaison d'un miroir entame sur la face interieure. Il bläme d’ailleurs le principe de ma methode et Je regarde comme peu susceptible de perfectionnement, non seulement à cause de la difference des angles entre l’etoile vue directement et celle qui est amenée par reflexion, mais surtout parce que le résultat de la mesure d'intensité depend de la partie de P'oeil qui se trouve en face de l’ocu- laire. Il y a erreur lorsque la pupille n'est pas très exacte- ment & la hauteur de la limite inferieure de la portion non entamée du petit miroir.“ (S. 70.) Mit dem Photometer von Steinheil hat Seidel 1846 die Lichtquantitäten mehrerer Sterne 1. Größe, welche in unſeren nördlichen Breiten in hinreichender Höhe erſcheinen, zu beſtimmen verſucht. Er ſetzt Wega = 1, und findet dann: Sirius 5,13; Rigel, deſſen Glanz im Zunehmen ſein ſoll, 1,30; Arcturus 0, 84; Capella 0,83; Procyon 0,71; Spica 0,49; Atair 0,40; Aldebaran 0,36; Deneb 0,35; Regulus 0,34; Pollux 0,30. Betei— geuze fehlt, weil er veränderlich iſt, wie ſich beſonders zwiſchen 1836 und 1839 gezeigt hat. 42 (S. 71.) Um die bisher übliche konventionelle Sprache (die alte Klaſſeneinteilung nach Größen) zu vervollkommnen, iſt in den Outlines of Astronomie p. 645 der vulgar Scale ot Magnitudes, die am Ende dieſes Abſchnittes mit Verbindung der nördlichen und ſüdlichen Sterne eingeſchaltet werden ſoll, eine Scale of photometrie Magnitudes beigefügt, bloß durch Addition von 0,41. (S. 71.) Seither hat ſich das Zöllnerſche Photometer, welches gleichzeitig ein Kolorimeter iſt, als beſonders zweckmäßig bewährt. Mit ihm und anderen Photometern iſt die relative Hellig— keit einer großen Anzahl von Sternen gemeſſen worden. — [D. Herausg.] a 14 (S. 72.) Wollaſtons Vergleichung des Sonnen- und Mond— lichts iſt von 1799 und auf Schatten und Kerzenlicht gegründet, während daß in den Verſuchen mit Sirius 1826 und 1827 von einer Glaskugel reflektierte Bilder angewandt wurden. Die früheren Angaben der Intenſität der Sonne im Verhältnis zum Monde weichen ſehr von dem hier gegebenen Reſultate ab. Sie waren bei Michell und Euler aus theoretiſchen Gründen 450000 und 374000, bei Bouguer nach Meſſungen von Schatten der Kerzenlichte gar nur 300000. Lambert will, daß Venus in ihrer größten Lichtſtärke N 3000 mal ſchwächer als der Vollmond ſei. Nach Steinheil müßte die Sonne 3 286 500mal weiter entfernt werden, als ſie es jetzt iſt, um dem Erdbewohner wie Arctur zu erſcheinen, und Arctur hat nach John Herſchel für uns nur die halbe Lichtſtärke von Canopus. Alle dieſe Intenſitätsverhältniſſe, beſonders die wichtige Vergleichung der Lichtſtärke von Sonne, Vollmond und dem nach Stellung zur reflektierenden Erde ſo verſchiedenen, aſchfarbigen Lichte unſeres Trabanten, verdienen eine endliche, viel ernſtere Unterſuchung. 45 (S. 73.) Extrait d'une Lettre de Mr. Arago a Mr. de Humboldt (mai 1850). a) Mesures photometriques. „Il n’existe pas de Photomètre proprement dit, c’est-a-dire d’instrument donnant l’intensite d'une lumière isolée; le Photo- metre de Leslie, à l’aide duquel il avait eu l’audace de vou- loir comparer la lumiere de la lune à la lumiere du soleil, par des actions calorifiques, est completement defectueux. Jai prouve, en effet, que ce pretendu Photometre monte quand on l’expose a la lumiere du soleil, qu'il descend sous l’action de la lumiere du feu ordinaire, et qu'il reste complete- ment stationnaire lorsqu'il regoit la lumiere d'une lampe d’Argand. Tout ce qu'on a pu faire jusqu'ici, c'est de com- parer entr'elles deux lumieres en presence, et cette compa- raison n'est m&me A l’abri de toute objection que lorsqu’on ramene ces deux lumieres à l'égalité par un affaiblissement graduel de la lumière la plus forte. C'est comme criterium de cette egalite que j'ai employé les anneaux colores, Si on place l'une sur l’autre deux lentilles d'un long foyer, il se forme autour de leur point de contact des anneaux colores tant par voie de reflexion que par voie de transmission. Les anneaux reflechis sont complémentaires en couleurs des anneaux transmis: ces deux series d’anneaux se neutralisent mutuelle- ment quand les deux lumieres qui les forment et qui arri- vent simultanément sur les deux lentilles, sont egales entr'elles.“ „Dans le cas contraire on voit des traces ou d’anneaux reflechis ou d’anneaux transmis, suivant que la lumiere qui forme les premiers, est plus forte ou plus faible que la lumiere ä laquelle on doit les seconds. C'est dans ce sens seulement que les anneaux colorés jouent un röle dans les mesures de la lumiere auxquelles je me suis livré.“ b) Cyanometre, „Mon cyanomötre est une extension de mon polariscope. Ce dernier instrument, comme tu sais, se compose d'un tube fermé à l’une de ses extremites par une plaque de cristal de roche perpendiculaire a l'axe, de 5 millimetres d'épaisseur; et d'un prisme doué de la double réfraction, place du cote de l’oeil. Parmi les couleurs variees que donne cet appareil, 9 lorsque de la lumiere polarisee le traverse, et qu'on fait tourner le prisme sur lui-meme, se trouve par un heureux hasard la nuance du bleu de ciel. Cette couleur bleue fort affaiblie, c’est-a-dire tres melangee de blanc lorsque la lumiere est presque neutre, augmente d'intensité — progressivement a mesure que les rayons qui penetrent dans l’instrument, ren- ferment une. plus grande proportion de rayons polarisés.“ „Supposons donc que le polariscope soit dirige sur une feuille de papier blanc; qu’entre cette feuille et la lame de cristal de roche il existe une pile de plaques de verre sus- ceptible de changer d'inclinaison, ce qui rendra la lumiere eclairante du papier plus ou moins polarisee; la couleur bleue fournie par linstrument va en augmentant avec l’inclinaison de la pile, et l'on s’arrete lorsque cette couleur parait la meme que celle de la region de l’atmosphere dont on veut determiner la teinte cyanometrique, et qu'on regarde à l’oeil nu immediatement à cöte de instrument. La mesure de cette teinte est donnee par l'inclinaison de la pile. Si cette derniere partie de l’instrument se compose du m&me nombre de plaques et d'une meme espèce de verre, les observations faites dans divers lieux seront parfaitement comparables entr'elles.“ 46 (S. 73.) Argelander de fide Uranometriae Bayerie 1842, p. 14— 23. „In eadem classe littera prior majorem splendorum nullo modo indicat“ ($ 9). Durch Bayer it demnach gar nicht erwieſen, daß Caſtor 1603 lichtſtärker geweſen ſei als Pollux. Photomekriſche Reihung der Firfterne. Ich beſchließe dieſen zweiten Abſchnitt mit einer Tafel, welche den Outlines of Astronomy von Sir John Herſchel, p. 645 und 646, entnommen iſt. Ich verdanke die Zuſammen— ſtellung und lichtvolle Erläuterung derſelben meinem gelehrten Freunde, Herrn Dr. Galle, und laſſe einen Auszug ſeines an mich „ Briefes (März 1850) hier folgen: „Die Zahlen der photometric scale in den Outlines of Astronomy ſind Rechnungsreſultate aus der vulgar scale, mittels durchgängiger Addition von 0,41 erhalten. Zu dieſen ge⸗ naueren Größenbeſtimmungen der Sterne iſt der Verf. durch beob— achtete Reihenfolgen (sequences) ihrer Helligkeit und Verbindung dieſer Beobachtungen mit den durchſchnittlichen gewöhnlichen Größen: angaben gelangt, wobei insbeſondere die Angaben des Katalogs der Astronomical Society vom Jahre 1827 zu Grunde gelegt ſind (p. 305). Die eigentlichen photometriſchen Meſſungen mehrerer Sterne mittels des Aſtrometers ſind bei dieſer Tafel nicht unmittel⸗ bar benutzt, ſondern haben nur im allgemeinen gedient, um zu ſehen, wie die gewöhnliche Scale (J., 2., 3. . . . Größe) ſich zu den wirklichen Lichtquantitäten der einzelnen Sterne verhält. Dabei hat ſich denn das allerdings merkwürdige Reſultat gefunden, daß unſere gewöhnlichen Sterngrößen (1., 2., 3. . . .) ungefähr jo ab— nehmen, wie wenn man einen Stern 1. Größe nach und nach in die Entfernungen 1., 2., 3. . . . brächte, wodurch feine Hellig— keit nach photometriſchem Geſetz die Werte 1, "a, Ya, s . erlangen würde; um aber die Uebereinſtimmung noch größer zu machen, ſind unſere bisherigen Sterngrößen nur um etwa eine halbe Größe (genauer 0,41) zu erhöhen, ſo daß ein Stern 2,00. Größe künftig 2,41. Größe genannt wird, ein Stern 2,5. Größe künftig 2,91. Größe u. ſ. w. Sir John Herſchel ſchlägt daher dieſe „photo— metriſche“ (erhöhte) Skale zur Annahme vor, welchem Vorſchlage man wohl nur beiſtimmen kann. Denn einesteils iſt der Unter— ſchied von der gewöhnlichen Skale kaum merklich (would hardly be felt, Kapreiſe, p. 372); andernteils kann die Tafel, Outlines p. 645 flgd., bis zur 4. Größe hinab als Grund: lage bereits dienen, und die Größenbeſtimmung der Sterne nach Au Regel — daß nämlich die Helligkeiten der Sterne 1, 2., 3., 4. . . . Größe ſich genau wie 1, Ya, ½, ½½1 ... verhalten ſollen, c — 97 — was ſie näherungsweiſe ſchon jetzt thun — iſt demnach zum Teil bereits ausführbar. Als Normalſtern 1. Größe für die photometric scale und als Einheit der Lichtmenge wendet Sir John Herſchel Centauri an. Wenn man demnach die photometriſche Größe eines Sterns quadriert, hat man das umgekehrte Verhältnis ſeiner Lichtmenge zu der von 4 Centauri. So z. B. hat * Orionis die photometriſche Größe 3, enthält daher 8 ſoviel Licht als Centauri. Zugleich würde die Zahl 3 anzeigen, Dar * Orionis Zmal weiter von uns entfernt iſt, als Centauri, wenn beide Sterne gleich große und gleich helle Körper ſind. Bei der Wahl eines anderen Sternes, z. B. des Afach helleren Sirius, als Einheit der die Ent— fernungen andeutenden photometriſchen Größen würde ſich die er— wähnte Geſetzmäßigkeit nicht ſo einfach erkennen laſſen. Auch iſt es nicht ohne Intereſſe, daß von Centauri die Entfernung mit Wahrſcheinlichkeit bekannt und daß dieſelbe von den bis jetzt unter— ſuchten die kleinſte iſt. — Die mindere Zweckmäßigkeit anderer Skalen als der photometriſchen (welche nach den Quadraten fort— ſchreitet: 1, ½, ½, ½16 . . .) behandelt der Verfaſſer in den Out— lines p. 521. Er erwähnt daſelbſt geometriſche Progreſſionen, e, der 1, , e, Hr... Nah Art einer arithmetiſchen Progreſſion ſchreiten die von Ihnen in den Beob— achtungen unter dem Aequator während Ihrer amerikaniſchen Ex— pedition gewählten Abſtufungen fort. Alle dieſe Skalen ſchließen ſich der vulgar scale weniger an als die photometriſche (quadra— tiſche) Progreſſion. — In der beigefügten Tafel ſind die 190 Sterne der Outlines, ohne Rückſicht auf ſüdliche oder nördliche Dekli— nation, nur nach den Größen geordnet.“ verzeichnis von 190 Sternen 1. bis 3. Größe, nach den Beſtimmungen von Sir John Herfchel geordnet, und mit genauerer Angabe fowohl der N nlichen Größe als der von demſelben vorgeſchlagenen Einteilung nach photometriſcher Größe. Sterne 1. Größe Stern | gew. vhot | Stern | gew. | phot. Sirius 0,08 | 0,49 4 Orionis 1 N Argus (Var.) — 4 Eridani 1,09 | 1,50 Canopus 0,70 Aldebaran 41: 1: a. Centauri 0,59 | 1,00 8 Centauri 1.17.1758 Arcturus 0,77 | 1,18 a Crucis 1,2 1,6 Nigel 0,82 | 1,23 Antares 12 1,6 Gapella 1,0: 1,4: [ Aquilae 1,28 | 1,69 a Lyrae 1,0% 1,4: Spica 138 170 Procyon 1.0 771,4: A. v. Humboldt, Kosmos. III. 7 Sterne 2. Größe Stern | gew. | phot. Stern | gew. Fomalhaut 154 | 1 o. Triang.austr.| 2,23 B Crucis 1 8 Sagittarii 2,26 Pollux 16 2 Tauri 2,28 Regulus ie Polaris 2,28 o. Gruis 1.662102 % Scorpü 2,29 Crucis 18 || 4 Hydrae 2,30 e Orionis 8 Canis 2,32 = Canis 8 o. Pavonis 2,08 . Scorpli 1,87 | 2 Leonis 2,34 % Cygni 1,90 6 Gruis 2,36 Caſtor 1,94 . Arietis 2,40 e Ursae (Var.) | 1,95 s Sagittarii 2,41 * Ursae (Var.) | 1,96 5 Argus 2,42 © Orionis 2,01 & Ursae 2,43 B Argus 2,03 ß Andromedae | 2,45 a. Persei 2,07 B 2,46 Argus 2,08 h 2,46 e Argus 2,18 2,48 Ursae (Var.) | 2,18 2,50 1 Orionis 2,18 Stern | gew vhot | Stern | gem | phot. x Cassiopeiae 2,52 | 2,93 [ Pegasi 2,68 | 3,06 % Andromedae | 2,54 | 2,95 ||B Pegasi 2,65 | 3,06 Centauri 2,54 2,95 ||y Centauri 2,68 | 3,09 a Cassiopeiae | 2,57 | 2,98 |” Coronae 2,69 | 3,10 Canis 2,58 | 2,99 |y Ursae 2, 7 * Orionis 2,59 | 3,00 e Scorpii 2,71 312 x Geminorum | 2,59 | 3,00 [e Argus 2,12 au ° Orionis 2,61 | 3,02 6 Ursae 2,77 0848 Algol (Var.) 2,62 3,03 ||» Phoenieis 2,78 | 3,19 5 Pegasi 2,62 [ 3,03 e Argus 2,80 3,21 Draconis 2,62 | 3,03 e Bootis 2,80 | 3,21 5 Leonis 2,63 | 3,04 [ Lupi 2,82 | 3,23 a. Ophiuchi 2,63 | 3,04 s Centauri 2,82 | 3,23 6 Cassiopeiae | 2,63 | 3,04 || Canis 2,85] 3,26 x Cygni 2,63 3,04 ||B Aquarii 2,85 | 3,26 5 : Too A O N S DA SC DI 3 03002 r Sterne 3. Größe Stern | gew. | hot. Stern | gem | phot. Scorpii 2,86 | 3,27 [ Can. ven. 3,22 | 3,63 Cygni 2,88 | 3,29 8 Ophiuchi 3,23 | 3,64 Ophiuchi 2,89 | 3,30 [ Cygni 3,24 | 3,65 Corvi 2,90 | 3,31 ||= Persei 328 8,07 Cephei 2,90 | 3,31 [ Tauri? 3,26 | 3,67 Centauri 2,91 | 3,32 [8 Eridani 3,26 | 8,67 Serpentis 2,92 | 3,33 9 Argus 3,26 | 3,67 Leonis 2,94 | 3,35 [8 Hydri 3,27 | 3,68 Argus 2,94 | 3,35 [E Persei e Corvi. 2,95 | 3,36 é Hereulis 3,28 | 3,69 Scorpii 2,96 | 3,37 e Corvi 3,28 | 3,69 Centauri 2,96 | 3,37 ſ Aurigae 8,29 | 3,70 Ophiuchi 2,97 | 3,38 [ Urs. min. ale Aquarü 2,97 | 3,38 ||n Pegasi 3,31 | 3,72 Argus 2,98 3,39 8 Arae 331 372 Aquilae 2,98 | 3,39 %% Toucanı 3222 Cassiopeiae | 2,99 | 3,40 f Capricorni 3,32 „73 Centauri 2,99 | 3,40 ||p Argus 3882 Leporis 3,00 | 3,41 [E Aquilae 3,32 3,73 Ophiuchi 3,00 | 3,41 8 Cygni 3,33 3,74 Sagittarii 3,01 3,42 ||y Persei 3,34 | 3,75 Bootis 3,01 | 3,42 p. Ursae 3,35 | 3,76 Draconis 3,02 | 3,43 ||B Triang. bor. | 3,35 | 3,76 Ophiuchi 3,05 | 3,46 r Scorpii 3385 3,16 Draconis 3,06 | 3,47 ||B Leporis 310 Librae 3,07 | 3,48 [ Lupi 336 377 x Virginis 3,08 | 3,49 [8 Persei Fact p. Argus 3,08 | 3,49 ||) Ursae 388 3,77 3 Arietis 3,09 3,50 [ Aurigae (Var.) 3,37 3,78 Pegasi 3,11 | 3,52 o Scorpii 387 8 5 Sagittarii e eee eee r * Librae 3,12 | 3,53 [ Lyneis 8,39 -| 3,80 . Sagittarii 3,13 3,54 [ Draconis 3,40 3,81 3 Lupi 3,14 | 3,55 [ Arae 3,40 | 3,81 e Virginis? 3,14 | 3,55 [u Sagittarii 340 | 3,81 a. Columbae 3,15 | 3,56 l Herculis 341 | 3,82 % Aurigae 3,17 3,58 [B Can. min.? | 3,41 | 3,82 3 Herculis >18 | 859 IE Tanz A Centauri 3,20 | 3,61 8 Draconis 342 3,88 3 Capricorni 3,20 | 3,61 [p. Geminorum | 3,42 | 3,83 ° Corvi 3,22 | 3,63 [ Bootis 3,43 | 3,84 — 100 — Sterne 3. Größe Stern | gew. phot. | Stern | gew. | phot. e Geminorum | 3,43 | 3,84 6 Triang.austr.] 3,46 | 3,87 „ Muscae 3,43 | 3,84 [e Ursae 3,46 | 3,87 * Hydri? 3,44 | 3,85 || Aurigae 346 023.87 x Scorpii 3,44 | 3,85 f Lyrae 3,47 | 3,88 ö Hereulis 3,44 | 3,85 || Geminorun | 3,48 | 3,89 3 Geminorum | 3,44 | 3,85 % Cephei 3,48 |. 3,89 q Orionis 3,45 | 3,86 [ Ursae 3,49 | 3,90 5 Cephei 3,45 | 3,86 e Cassiopeiae | 3,49 | 3,90 9 Ursae 3,45 | 3,86 [ Aquilae 3,50 13,91 & Hydrae 3,45 | 3,86 s Scorpü 3:90 1 st x Hydrae 9,46 | 3,87 r Argus 3,50 | 3,91 „Noch könnte auch folgende kleine Tafel der Lichtmenge von 17 Sternen 1. Größe (wie ſolche aus den photometriſchen Größen folgt) von einigem Intereſſe ſein: Sin 727243165 Argus 283 — Canopus 2,041 Gent 8 Artur! 8 Rig ek 0%, DioHE Capellg 0,10 „ DF ln Proehn . Orionis 0289 E! l Aldebaran . 0,444 Br’GCentaun 22 040 a Gruesse ra Antag? 9 o. Aquilaa 0,350 Spica. . 0,312 ſowie die Lichtmenge ae Sterne, die genan 1, 6. Größe ſind: Größe nach der gew. Skale Lichtmenge 1,00 0,500 2,00 0,172 3,00 0,086 4,00 0,051 5,00 0,034 6,00 0,024 wobei die Lichtmenge von Centauri durchgängig die Einheit bildet.“ III. Zahl, verteilung und Farbe der Firſterne. — Sternhaufen (Stern— ſchwärme). — Milchſtraße, mit wenigen Nebelfleken gemengt. Es iſt ſchon in dem erſten Abſchnitt dieſer fragmentari— ſchen Aſtrognoſie an eine zuerſt von Olbers angeregte Be— trachtung erinnert worden. Wenn das ganze Himmelsgewölbe mit hintereinander liegenden, zahlloſen Sternſchichten, wie mit einem allverbreiteten Sternteppich, bedeckt wäre, ſo würde bei ungeſchwächtem Lichte im Durchgange durch den Weltraum die Sonne nur durch ihre Flecke, der Mond als eine dunklere Scheibe, aber kein einzelnes Sternbild der allgemeinen Hellig— keit wegen erkennbar ſein. An einen in Hinſicht auf die Urſache der Erſcheinung ganz entgegengeſetzten, aber dem menſch— lichen Wiſſen gleich nachteiligen Zuſtand des Himmelsgewölbes bin ich vorzugsweiſe in der peruaniſchen Ebene zwiſchen der Südſeeküſte und der Andeskette lebhaft erinnert worden. Ein dichter Nebel bedeckt dort mehrere Monate lang das Firma— ment. Man nennt dieſe Jahreszeit le tiempo de la garua. Kein Planet, keiner der ſchönſten Sterne der ſüdlichen Hemi— ſphäre, nicht Canopus oder das Kreuz oder die Füße des Centauren, ſind ſichtbar. Man errät oft kaum den Ort des Mondes. Iſt zufällig bei Tage einmal der Umriß der Sonnen— ſcheibe zu erkennen, ſo erſcheint dieſelbe ſtrahlenlos wie durch gefärbte Blendgläſer geſehen; gewöhnlich gelbrot, bisweilen weiß, am ſeltenſten blaugrün. Der Schiffer, von den kalten Südſtrömungen des Meeres getrieben, verkennt dann die Küſte und ſegelt, aller Breitenbeobachtungen entbehrend, bei den Häfen vorüber, in welche er einlaufen ſoll. Eine Inklinations— nadel allein könnte ihn, bei der dortigen Richtung der magne— tiſchen Kurven, vor Irrtum bewahren, wie ich an einem an— deren Orte gezeigt habe. = HE Bouguer und fein Mitarbeiter Don Jorge Juan haben lange vor mir über „Perus unaſtronomiſchen Himmel“ Klage gefuͤhrt. Eine ernſtere Betrachtung knüpft ſich noch an dieſe lichtraubende, jeder elektriſchen Entladung unfähige, blitz und donnerloſe Dunſtſchicht an, über welche frei und unbewölkt die Kordilleren ihre Hochebenen und ſchneebedeckten Gipfel er— heben. Nach dem, was uns die neuere Geologie über die alte Geſchichte unſeres Luftkreiſes vermuten läßt, muß ſein primitiver Zuſtand in Miſchung und Dichte dem Durch— gange des Lichts nicht günſtig geweſen ſein. Wenn man nun der vielfachen Prozeſſe gedenkt, welche in der Urwelt die Scheidung des Feſten, des Flüſſigen und Gasförmigen um die Erdrinde mögen bewirkt haben, ſo kann man ſich nicht des Gedankens erwehren, wie nahe die Menſchheit der Gefahr geweſen iſt, von einer undurchſichtigeren, manchen Gruppen der Vegetation wenig hinderlichen, aber die ganze Sternen— decke verhüllenden Atmoſphäre umgeben zu ſein. Alle Kenntnis des Weltbaues wäre dann dem Forſchungsgeiſte entzogen ge— blieben. Außer uns ſchiene nichts Geſchaffenes vorhanden zu ſein als vielleicht Mond und Sonne. Wie ein iſoliertes Dreigeſtirn würden ſcheinbar Sonne, Mond und Erde allein den Weltraum füllen. Eines großartigen, ja des erhabenſten Teils ſeiner Ideen über den Kosmos beraubt, würde der Menſch aller der Anregungen entbehren, die ihn zur Löſung wichtiger Probleme ſeit Jahrhunderten unabläſſig geleitet und einen ſo wohlthätigen Einfluß auf die glänzendſten Fortſchritte in den höheren Kreiſen mathematiſcher Gedankenentwickelung aus— geübt haben. Ehe zur Aufzählung deſſen übergegangen wird, was bereits errungen worden iſt, gedenkt man gern der Gefahr, der die geiſtige Ausbildung unſeres Geſchlechts entgangen iſt, der phyſiſchen Hinderniſſe, welche dieſelbe un— abwendbar hätten beſchränken können. In der Betrachtung der Zahl der Weltkörper, welche die Himmelsräume füllen, ſind drei Fragen zu unterſcheiden: Wie viel Fixſterne werden mit bloßen Augen geſehen? Wie viele von dieſen ſind allmählich mit ihren Ortsbeſtimmungen (nach Länge und Breite, oder nach ihrer geraden Aufſteigung und Abweichung) in Verzeichniſſe gebracht? Welches iſt die Zahl der Sterne von 1. bis 9. und 10. Größe, die durch Fern— röhren am ganzen Himmel geſehen werden? Dieſe drei Fragen können, nach dem jetzt vorliegenden Material der Beobachtung, wenigſtens annäherungsweiſe beantwortet werden. Anderer — 105 Art find die bloßen Vermutungen, welche, auf Sterneichungen einzelner Teile der Milchſtraße gegründet, die theoretiſche Löſung der Frage berühren: wie viele Sterne würden durch Herſchels 20füßiges Teleſkop am ganzen Himmel unterſchieden werden? das Sternenlicht mit eingerechnet, von dem man glaubt, „daß es 2000 Jahre braucht, um zu uns zu gelangen“. Die numeriſchen Angaben, welche ich über dieſen Gegen— ſtand hier veröffentlichte, gehören beſonders in den Endreſul— taten meinem verehrten Freunde Argelander, Direktor der Sternwarte zu Bonn. Ich habe den Verfaſſer der „Durch— muſterung des nördlichen Himmels“ aufgefordert, die bisherigen Ergebniſſe der Sternkataloge von neuem aufmerkſam zu prüfen. Die Sichtbarkeit der Sterne mit bloßen Augen erregt in der letzten Klaſſe bei organiſcher Verſchiedenheit der individuellen Schätzungen mancherlei Ungewißheit, weil Sterne 6. bis 7. Größe ſich unter die 6. Größe gemengt finden. Als Mittel— zahl erhält man, durch vielfache Kombinationen, 5000 bis 5800 für die dem unbewaffneten Auge am ganzen Himmel ſichtbaren Sterne.! Die Verteilung der Firfterne nach Ver— ſchiedenheit der Größen beſtimmt Argelander, bis zur 9. Größe hinabſteigend, ungefähr in folgendem Verhältnis: 1. Gr. 2. Gr. 3. Gr. 4. Gr. 5. Gr. 20 65 190 425 1100 6. Gr. 7. Gr. 8. Gr. 9. Gr. 3200 13 000 40 000 142000 Die Zahl der dem unbewaffneten Auge deutlich erkennbaren Sternenmenge (über dem Horizont von Berlin 4022, über dem von Alexandrien 4638) ſcheint auf den erſten Blick auf— fallend gering.“ Wenn man den mittleren Mondhalbmeſſer zu 15, 33,5“ annimmt, ſo bedecken 195291 Vollmondflächen den ganzen Himmel. Bei der Annahme gleichmäßiger Ver— teilung und der runden Zahl von 200 000 Sternen aus den Klaſſen 1. bis 9. Größe findet man demnach ungefähr einen dieſer Sterne für eine Vollmondfläche. Eben dieſes Reſultat erklärt aber auch, wie unter einer beſtimmten Breite der Mond nicht häufiger dem bloßen Auge ſichtbare Sterne bedeckt. Wollte man die Vorausberechnung der Sternbedeckungen bis zur 9. Größe ausdehnen, ſo würde durchſchnittlich nach Galle alle 44 30“ eine Sternbedeckung eintreffen; denn in dieſer Zeit beſtreicht der Mond jedesmal eine neue Fläche am Himmel, die ſeiner eigenen Fläche gleich iſt. Sonderbar, daß Plinius, — 104 — der gewiß Hipparchs Sternverzeichnis kannte, und der es ein kühnes Unternehmen nennt, „daß Hipparch der Nachwelt den Himmel wie zur Erbſchaft hinterlaſſen wollte“, an dem ſchönen italieniſchen Himmel nur erſt 1600 ſichtbare Sterne zählte!“ Er war jedoch in dieſer Schätzung ſchon tief zu den Sternen 5. Größe herabgeſtiegen, während ein halbes Jahrhundert ſpäter Ptolemäus nur 1025 Sterne bis zu der 6. Klaſſe ver— zeichnete. Seitdem man die Fixſterne nicht mehr bloß nach den Sternbildern aufzählte, denen ſie angehörten, ſondern ſie nach ihren Beziehungen auf die großen Kreiſe des Aequators oder der Ekliptik, alſo nach Ortsbeſtimmungen, in Verzeichniſſe eingetragen hat, iſt der Zuwachs dieſer Verzeichniſſe wie ihre Genauigkeit von den Fortſchritten der Wiſſenſchaft und der Vervollkommnung der Inſtrumente abhängig geweſen. Von Timocharis und Ariſtyllus (283 vor Chr.) iſt kein Stern— katalog auf uns gekommen; aber wenn ſie auch, wie Hipparch in ſeinem, im ſiebenten Buche des Almageſt (cap. 3 pag. 15 Halma) citierten Fragmente „über die Jahreslänge“ ſich aus— drückt, ihre Beobachtungen ſehr roh (& SAosyspw;) an: ſtellten, ſo kann doch kein Zweifel ſein, daß beide die Ab— weichung vieler Sterne beſtimmten und daß dieſe Beſtim— mungen der Fixſterntafel Hipparchs um faſt anderthalb Jahr— hunderte vorhergingen. Hipparch ſoll bekanntlich (wir haben aber für dieſe Thatſache das alleinige Zeugnis des Plinius) durch die Erſcheinung eines neuen Sternes zu Ortsbeſtim— mungen und Durchmuſterung des ganzen Firmaments an— geregt worden ſein. Ein ſolches Zeugnis iſt mehrmals für den Nachhall einer ſpät erdichteten Sage erklärt worden. Es muß allerdings auffallen, daß Ptolemäus derſelben gar nicht erwähnt; aber unleugbar iſt es doch, daß die plötzliche Er— ſcheinung eines hellleuchtenden Sternes in der Kaſſiopeia (November 1572) Tycho zu ſeiner großen Katalogiſierung der Sterne veranlaßte. Nach einer ſcharfſinnigen Vermutung von Sir John Herſchel könnte ein 134 Jahre vor unſerer Zeit⸗ rechnung im Monat Julius (laut den chineſiſchen Annalen unter der Regierung von Wou-ti aus der Han-Dynaſtie) im Skorpion erſchienener neuer Stern wohl der ſein, deſſen Plinius erwähnt hat. Seine Erſcheinung fällt gerade 6 Jahre vor die Epoche, zu der (nach Idelers Unterſuchungen) Hipparch ſein Sternverzeichnis anfertigte. Der den Wiſſenſchaften ſo früh entriſſene Eduard Biot hat dieſe Himmelsbegebenheit in PERLE — 105 — der berühmten Sammlung des Mas⸗tuan-lin aufgefunden, welche alle Erſcheinungen der Kometen und ſonderbaren Sterne zwiſchen den Jahren 613 vor Chr. und 1222 nach Chr. enthält. Das dreiteilige Lehrgedicht des Aratus,' dem wir die einzige Schrift des Hipparch verdanken, welche auf uns ge— kommen iſt, fällt ungefähr in die Zeit des Eratoſthenes, des Timocharus und Ariſtyllus. Der aſtronomiſche, nicht meteoro— logiſche Teil des Gedichts gründet ſich auf die Himmels— beſchreibung des enidiſchen Eudoxus. Die Sterntafel des Hipparch ſelbſt iſt uns leider nicht erhalten; ſie machte nach Ideler“ wahrſcheinlich den weſentlichſten Beſtandteil ſeines von Suidas citierten Werkes über die Anordnung des Firſternhimmels und die Geſtirne aus, und ent— hielt 1080 Poſitionen für das Jahr 128 vor unſerer Zeit— rechnung. In Hipparchs Kommentar zum Aratus ſind alle Poſitionen, wahrſcheinlich mehr durch die Aequatorial-Armille als durch das Aſtrolabium beſtimmt, auf den Aequator nach Rektaſcenſion und Abweichung bezogen; in dem Stern— verzeichnis des Ptolemäus, das man ganz dem Hipparchus nachgebildet glaubt und das mit 5 ſogenannten Nebeln 1025 Sterne enthält, ſind fie an die Ekliptik nach Angaben von Längen und Breiten geknüpft. Wenn man die Zahl der Fixſterne des Hipparch-Ptolemäiſchen Verzeichniſſes (Almageſt ed. Halma T. II, p. 83): . Gr. 2. Gr. 3. Gr. 4. Gr. 5. Gr. 6. Gr. 15 45 208 474 217 49 mit den oben gegebenen Zahlen von Argelander vergleicht, ſo zeigt ſich neben der zu erwartenden Vernachläſſigung von Sternen 5. und 6. Größe ein ſonderbarer Reichtum in den Klaſſen 3. und 4. Die Unbeſtimmtheit in den Schätzungen der Lichtſtärke in älterer und neuerer Zeit macht freilich jede unmittelbare Vergleichung unſicher. Wenn das ſogenannte Ptolemäiſche Fixſternverzeichnis nur den vierten Teil der in Rhodus und Alexandrien dem bloßen Auge ſichtbaren Sterne enthält, und wegen der fehlerhaften Präzeſſionsreduktion Poſitionen darbietet, als wären ſie im Jahre 63 unſerer Zeitrechnung beſtimmt, ſo haben wir in den unmittelbar folgenden 16 Jahrhunderten nur drei für ihre Zeit vollſtändige und originelle Sternfataloge: den des Ulugh Beg (1437), des Tycho (1600) und des Hevelius (1660). Mitten unter den Verheerungen des Krieges und wilder Staats— umwälzungen gelangte in kurzen Zwiſchenräumen der Ruhe I von der Mitte des 9. bis zu der des 15. Jahrhunderts, unter Arabern, Perſern und Mongolen: von Al-Mamun, dem Sohn des großen Harun Al-Raſchid, bis zu dem Timuriden Mo— hammed Taraghi Ulugh Beg, dem Sohne von Schah Rokh, die beobachtende Sternkunde zu einem nie geſehenen Flor. Die aſtronomiſchen Tafeln von Ebn-Junis (1007), zu Ehre des fatimitiſchen Kalifen Aziz Ben-Hakem Biamrilla die Hakemitiſchen genannt, bezeugen, wie die ilkhaniſchen Tafeln? des Naßir-Eddin Tuſi, des Erbauers der großen Sternwarte von Meragha unweit Tauris (1259), die fort: geſchrittene Kenntnis der Planetenbewegungen, die Vervoll— kommnung der Meßinſtrumente und die? Vervielfältigung ge⸗ nauerer, von den Ptolemäiſchen abweichender Methoden. Neben der Klepſydra wurden nun auch ſchon Pendeloszillationen als Zeitmaß gebraucht. Die Araber haben das große Verdienſt gehabt, zu zeigen, wie durch Vergleichung der Tafeln mit den Beobachtungen jene allmählich verbeſſert werden können. Der Sternkatalog von Ulugh Beg, urſprünglich perſiſch geſchrieben, iſt, einen Teil der ſüdlichen, unter 30“ 5202) Breite nicht ſichtbaren“ Ptolemäiſchen Sterne abgerechnet, im Gymnaſium zu Samar— kand nach Originalbeobachtungen, angefertigt. Er enthält eben— falls nur erſt 1019 Sternpoſitionen, die auf das Jahr 1437 reduziert ſind. Ein ſpäterer Kommentar liefert 300 Sterne mehr, welche Abu-Bekri Altizini 1533 beobachtete. So ge— langen wir durch Araber, Perſer und Mongolen bis zu der großen Zeit des Kopernikus, faſt bis zu der von Tycho. Die erweiterte Schiffahrt in den Meeren zwiſchen den Wendekreiſen und in großen ſüdlichen Breiten hat ſeit dem Anfang des 16. Jahrhunderts auf die allmählich erweiterte Kenntnis des Firmaments mächtig, doch in geringerem Maße wie die ein Jahrhundert ſpätere Anwendung der Fernröhren, gewirkt. Beide Mittel eröffneten neue, unbekannte Welträume. Was von der Pracht des ſüͤdlichen Himmels zuerſt von Ame— rigo Veſpucci, dann von Magelhaens und Elcanos Begleiter, Pigafetta, verbreitet wurde, wie die ſchwarzen Flecken (Kohlen— ſäcke) von Vicente Yanez Pinzon und Acoſta, wie die Magel— haensſchen Wolken von Anghiera und Andrea Corſali beſchrieben wurden, habe ich bereits an einem anderen Orte entwickelt. Die beſchauende Aſtronomie ging auch hier der meſſenden voraus. Der Reichtum des Firmaments dem, wie allgemein bekannt, ſternarmen Südpol nahe wurde dergeſtalt übertrieben, — 107 — daß der geniale Polyhiſtor Cardanus dort 10 000 helle Sterne angibt, die von Veſpucci mit bloßen Augen geſehen worden wären. Erſt Friedrich Houtman uud Petrus Theodori von Emden (der nach Olbers mit Dircksz Keyſer eine Perſon war) traten als ernſte Beobachter auf. Sie maßen Sternabſtände auf Java und Sumatra, und die ſüdlichſten Sterne wurden nun in die Himmelskarten von Bartſch, Hondius und Bayer, wie durch Keplers Fleiß in den Rudolfiniſchen Sternkatalog von Tycho eingetragen. Kaum ein halbes Jahrhundert nach Magelhaens' Erd— umſeglung beginnt Tychos bewundernswürdige Arbeit über die Poſition der Fixſterne, an Genauigkeit alles übertreffend, was die praktiſche Aſtronomie bisher geleijiet hatte, ſelbſt die fleißigen Fixſternbeobachtungen des Landgrafen Wilhelms IV. zu Kaſſel. Tychos Katalog, von Kepler bearbeitet und heraus— gegeben, enthält doch wieder nur 1000 Sterne, worunter höchſtens % 6. Größe. Dieſes Verzeichnis und das weniger gebrauchte von Hevelius, mit 1564 Ortsbeſtimmungen für das Jahr 1660, ſind die letzten, welche (wegen der eigenſinnigen Abneigung des Danziger Aſtronomen gegen die Anwendung der Fernröhren zu Meſſungen) mit dem unbewaffneten Auge hergeſtellt wurden. Dieſe Verbindung des Fernrohrs mit den Meßinſtru— menten, das teleſkopiſche Sehen und Meſſen, bot endlich die Möglichkeit von Ortsbeſtimmung der Sterne unter der 6. Größe (beſonders zwiſchen der 7. und 12.) dar. Die Aſtronomen wurden nun erſt dem eigentlichen Beſitz der Fiyſternwelt näher gebracht, Zählungen und Ortsbeſtimmungen der ſchwäche— ren teleſkopiſchen Sterne haben aber nicht etwa bloß den Vorteil gewährt, durch Erweiterung des Horizonts der Beob— achtung mehr von dem Inhalt des Weltraumes erkennbar zu machen, ſie haben auch, was noch wichtiger iſt, mittelbar einen weſentlichen Einfluß auf die Kenntnis des Weltgebäudes und ſeiner Geſtaltung, auf die Entdeckung neuer Planeten, auf die ſchnellere Beſtimmung ihrer Bahnen ausgeübt. Als Wilhelm Herſchel den glücklichen Gedanken hatte, gleichſam das Senkblei in die Tiefen des Himmels zu werfen und in ſeinen Stern-Eichungen die Sterne zu zählen, welche nach verſchiedenen Abſtänden von der Milchſtraße durch das Ge— ſichtsfeld ſeines großen Teleſkopes gingen, wurde das Geſetz der mit der Nähe der Milchſtraße zunehmenden Sternenmenge aufgefunden und mit dieſem Geſetz die Idee angeregt von der — 108 = Exiſtenz großer konzentriſcher, mit Millionen von Sternen er— füllter Ringe, welche die mehrfach geteilte Galaxis bilden. Die Kenntnis von der Zahl und gegenſeitigen Lage der ſchwächſten Sterne erleichtert, wie Galles ſchnelle und glück— liche Auffindung des Neptun und die mehrerer der ſogenannten kleinen Planeten bezeugen, die Entdeckung der planetariſchen, ihren Ort wie zwiſchen feſten Ufern verändernden Weltkörper. Ein anderer Umſtand läßt noch deutlicher die Wichtigkeit ſehr vollſtändiger Sternverzeichniſſe erkennen. Iſt der neue Planet einmal am Himmelsgewölbe entdeckt, io beſchleunigt feine zweite Entdeckung in einem älteren Poſitionskatalog die ſchwie— rige Berechnung der Bahn. Ein jetzt vermißter, aber als einſt . verzeichneter Stern gewährt oft mehr, als, bei der Langſamkeit der Bewegung, viele folgende Jahre der ſorg⸗ fältigſten Meſſungen würden darbieten können. So ſind für Uranus der Stern Nr. 964 im Katalog von Tobias Mayer, für Neptun der Stern Nr. 26266 im Katalog von Lalande von großer Wichtigkeit geweſen. Uranus iſt, ehe man ihn als Planeten erkannte, wie man jetzt weiß, 21 mal beobachtet worden, Imal, wie eben geſagt, von Tobias Mayer, 7mal von Flamſteed, Imal von Bradley und 12mal von le Monnier. Man kann ſagen, daß die zunehmende Hoffnung künftiger Entdeckungen planetariſcher Körper teils auf die Vollkommen⸗ heit der jetzigen Fernröhren (Hebe war bei der Entdeckung im Juli 1847 ein Stern 8. 9. Größe, dagegen im Mai 1849 nur 11. Größe), teils und vielleicht mehr noch auf Vollſtän— digkeit der Sternverzeichniſſe und die Sorgfalt der Beobachter gegründet ſei. Seit dem Zeitpunkte, wo Morin und Gascoigne Fern— rohre mit den meſſenden Inſtrumenten verbinden lehrten, war der erſte Sternkatalog, welcher erſchien, der der ſüdlichen Sterne von Halley. Er war die Frucht eines kurzen Auf— enthalts auf St. Helena in den Jahren 1677 und 1678 und enthielt, ſonderbar genug, doch keine Beſtimmung unter der 6. Größe. Früher hatte allerdings ſchon Flamſteed die Ar- beit ſeines großen Sternatlas unternommen, aber das Werk dieſes berühmten Mannes erſchien erſt 1712. Ihm folgten die Beobachtungen von Bradley (1750 bis 1762), welche auf die Entdeckung der Aberration und Nutation leiteten und von unſerem Beſſel durch ſeine Fundamenta Astro- nomiae (1818) gleichſam verherrlicht wurden, die Stern— kataloge von La Caille, Tobias Mayer, Cagnoli, Piazzi, Zach, — 19 — Pond, Taylor, Groombridge, Argelander, Airy, Brisbane und Rümker. Wir verweilen hier nur bei den Arbeiten, welche größere Maſſen!“ und einen wichtigen Teil deſſen liefern, was von Sternen 7. bis 10. Größe die Himmelsräume füllt. Der Katalog, welcher unter dem Namen von Seröme de Lalande bekannt iſt, ſich aber allein auf Beobachtungen zwiſchen den Jahren 1789 und 1800 von feinem Neffen le Francais de Lalande und von Burckhardt gründet, hat ſpät erſt eine große Anerkennung erfahren. Er enthält nach der ſorgfäl— tigen Bearbeitung (1847), welche man Francis Baily und der British Association for the Advancement of Science ver: dankt, 47300 Sterne, von denen viele 9. und etwas unter der 9. Größe ſind. Harding, der Entdecker der Juno, hat über 50 000 Sterne in 27 Blätter eingetragen. Die große Arbeit der Zonenbeobachtung von Beſſel, welche 75 000 Beob- achtungen umfaßt (in den Jahren 1825 bis 1833 zwiſchen — 15° und +45° Abweichung) iſt mit rühmlichſter Sorgfalt von Argelander 1841 bis 1847 zu Bonn bis + 80“ Abm. fortgeſetzt worden. Aus den Beſſelſchen Zonen von — 15° bis +15° Abw. hat auf Veranſtaltung der Akademie zu St. Petersburg Weiße zu Krakau 31895 Sterne, unter denen allein 19 738 von der 9. Größe find, auf das Jahr 1825 reduziert. Argelanders „Durchmuſterung des nördlichen Him— mels von 2 45“ bis + 80 Abw.“ enthält an 22 000 wohl: beſtimmte Sternörter. Des großen Werks der Sternkarten der Berliner Akademie glaube ich nicht würdiger erwähnen zu können, als indem ich über die Veranlaſſung dieſes Unternehmens aus der gehaltvollen Gedächtnis rede auf Beſſel Endes eigene Worte hier einſchalte: „An die Vervollſtändigung der Kataloge knüpft ſich die Hoffnung, alle beweglichen Himmelskörper, die wegen ihrer Lichtſchwäche dem Auge kaum unmittelbar die Veränderung ihres Ortes merklich werden laſſen, durch ſorg— fältige Vergleichung der als feſte Punkte verzeichneten Sterne mit dem jedesmaligen Anblick des Himmels, aufzufinden und auf dieſem Wege die Kenntnis unſeres Sonnenſyſtems zu vollenden. So wie der vortreffliche Hardingiſche Atlas ein vervollſtändigtes Bild des geſtirnten Himmels iſt, wie Lalandes Histoire céleste, als Grundlage betrachtet, dieſes Bild zu geben vermochte, ſo entwarf Beſſel 1824, nachdem der erſte Hauptabſchnitt ſeiner Zonenbeobachtungen vollendet an war, den Plan, auf dieſe eine noch ſpeziellere Darſtellung des geſtirnten Himmels zu gründen, die nicht bloß das Beob- achtete wiedergeben, ſondern mit Konſequenz die Vollſtändig— keit erreichen ſollte, welche jede neue Erſcheinung unmittelbar wahrnehmen laſſen würde. Die Sternkarten der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften, nach Beſſels Plane entworfen, haben, wenn ſie auch noch nicht den erſten fortgeſetzten Cyklus abſchließen konnten, doch ſchon den Zweck der Auffindung der neuen Planeten auf das glänzendſte erreicht, da ſie haupt— ſächlich, wenn auch nicht ganz allein, bis jetzt (1850) 7 neue Planeten haben auffinden laſſen.“ Von den 24 Blättern, welche den Teil des Himmels darſtellen ſollen, der ſich 15° zu beiden Seiten des Aequators erſtreckt, hat unſere Akademie bisher 16 herausgegeben. Sie enthalten möglichſt alle Sterne bis zur 9. und teilweiſe bis zur 10. Größe. Die ungefähren Schätzungen, die man über die Zahl der Sterne gewagt, welche mit den jetzigen großen, raumdurch— dringenden Fernröhren am ganzen Himmel dem Menſchen ſichtbar ſein könnten, mögen hier auch ihren Platz finden. Struve nimmt für das Herſchelſche 20füßige Spiegelteleſkop, das bei den berühmten Sterneichungen (gauges, sweeps) ans gewandt wurde, mit 180maliger Vergrößerung: für die Zonen, welche zu beiden Seiten des Aequators 30° nördlich und ſüdlich liegen, 5800 000, für den ganzen Himmel 20 374000 an. In einem noch mächtigeren Inſtrumente, in dem 40füßigen Spiegelteleſkop, hielt Sir William Herſchel in der Milchſtraße allein 18 Millionen für ſichtbar. Nach einer ſorgfältigeren Betrachtung der nach Orts— beſtimmung in Katalogen aufgeführten, ſowohl dem unbewaff— neten Auge ſichtbaren als bloß teleſkopiſchen Fixſterne wenden wir uns nun zu der Verteilung und Gruppierung der⸗ ſelben an der Himmelsdecke. Wir haben geſehen, wie bei der geringen und ſo überaus langſamen (ſcheinbaren und wirk— lichen) Ortsveränderung der einzelnen, teils durch die Prä— zeſſion und den ungleichen Einfluß des Fortſchreitens unſeres Sonnenſyſtems, teils durch die ihnen eigene Bewegung, ſie als feſte Markſteine im unermeßlichen Weltraume zu betrachten ſind, als ſolche, welche alles zwiſchen ihnen mit größerer Schnelligkeit oder in anderen Richtungen Bewegte, alſo den teleſkopiſchen Kometen und Planeten Zugehörige, der auf— merkſamen Beobachtung offenbaren. Das erſte und Haupt— intereſſe beim Anblick des Firmaments iſt ſchon wegen der — EEE er Vielheit und überwiegenden Maſſe der Weltkörper, die den Weltraum füllen, auf die Firſterne gerichtet; von ihnen geht in Bewunderung des Firmaments die ſtärkere ſinnliche Anregung aus. Die Bahn der Wandelſterne ſpricht mehr die grübelnde Vernunft an, der ſie, den Entwickelungsgang aſtronomiſcher Gedankenverbindung beſchleunigend, verwickelte Probleme darbietet. Aus der Vielheit der an dem Himmelsgewölbe ſcheinbar, wie durch Zufall, vermengten großen und kleinen Geſtirne ſondern die roheſten Menſchenſtämme (wie mehrere jetzt ſorg⸗ fältiger unterſuchte Sprachen der ſogenannten wilden Völker bezeugen) einzelne und faſt überall dieſelben Gruppen aus, in welchen helle Sterne durch ihre Nähe zu einander, durch ihre gegenſeitige Stellung oder eine gewiſſe Iſoliertheit den Blick auf ſich ziehen. Solche Gruppen erregen die dunkle Ahnung von einer Beziehung der Teile aufeinander; ſie er— halten, als Ganze betrachtet, einzelne Namen, die, von Stamm zu Stamm verſchieden, meiſt von organiſchen Erderzeugniſſen hergenommen, die öden, ſtillen Räume phantaſtiſch beleben. So ſind früh abgeſondert worden das Siebengeſtirn (die Gluck— henne), die ſieben Sterne des großen Wagens (der kleine Wagen ſpäter und nur wegen der wiederholten Form), der Gürtel des Orion (Jakobsſtab), Kaſſiopeia, der Schwan, der Skorpion, das ſüdliche Kreuz (wegen des auffallenden Wech— ſels der Richtung vor und nach der Kulmination), die ſüdliche Krone, die Füße des Centauren (gleichſam die Zwillinge des ſüdlichen Himmels) u. ſ. f. Wo Steppen, Grasfluren oder Sandwüſten einen weiten Horizont darbieten, wird der mit den Jahreszeiten oder den Bedürfniſſen des Hirtenlebens und Feldbaues wechſelnde Auf— und Untergang der Konſtellationen ein Gegenſtand fleißiger Beachtung und allmählich auch ſymboliſierender Ideenverbin— dung. Die beſchauende, nicht meſſende Aſtronomie fängt nun an, ſich mehr zu entwickeln. Außer der täglichen, allen Himmelskörpern gemeinſchaftlichen Bewegung von Morgen gegen Abend wird bald erkannt, daß die Sonne eine eigene, weit langſamere, in entgegengeſetzter Richtung habe. Die Sterne, die nach ihrem Untergange am Abendhimmel ſtehen, ſinken mit jedem Tage tiefer zu ihr hinab und verlieren ſich endlich ganz in ihre Strahlen während der Dämmerung; da⸗ gegen entfernen ſich von der Sonne diejenigen Sterne, welche vor ihrem Aufgange am Morgenhimmel glänzen. Bei dem a ſtets wechſelnden Schauſpiel des geſtirnten Himmels zeigen ſich immer andere Konſtellationen. Mit einiger Aufmerkſamkeit wird leicht erkannt, daß es dieſelben ſind, welche zuvor im Weſten unſichtbar geworden waren, daß ungefähr nach einem halben Jahre diejenigen Sterne, welche ſich vorher in der Nähe der Sonne gezeigt hatten, ihr gegenüberſtehen, unter— gehend bei ihrem Aufgange, aufgehend bei ihrem Untergange. Von Heſiod bis Eudorus, von Eudorus bis Aratus und Hipp— u it die Litteratur der Hellenen voll Anſpielungen auf das Verſchwinden der Sterne in den Sonnenſtrahlen (den helia— kiſchen oder Spätuntergang) wie auf das Sichtbarwerden in der Morgendämmerung den heliakiſchen oder Früh— aufgang. Die genaue Beobachtung dieſer Erſcheinungen bot die früheſten Elemente der Zeitkunde dar: Elemente, nüchtern in Zahlen ausgedrückt, während ie die Mythologie, bei heiterer oder düſterer Stimmung des Volksſinnes, fortfuhr, 111 unumſchränkter Willkür in den hohen Himmelsräumen zu walten. Die primitive griechische Sphäre (ich folge hier wieder, wie in der Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, den Unterſuchungen meines ſo früh dahingeſchiedenen, geiſtreichen Freundes Letronne), die griechiſche Sphäre hat ſich nach und nach mit Sternbildern gefüllt, ohne daß man ſich dieſelben anfangs in irgend einer Beziehung zu der Ekliptik dachte. So kennen ſchon Homer und Heſiodus verſchiedene Sterngruppen und einzelne Sterne mit Namen bezeichnet, jener die Bärin („die ſonſt der Himmelswagen genannt wird — und die allein niemals in Okeanos Bad ſich hinabtaucht“), den Bootes und den Hund des Orion; dieſer den Sirius und den Arctur; beide die Plejaden, die Hyaden und den Orion. Wenn Homer zweimal ſagt, daß die Konſtellation der Bärin allein ſich nie in das Meer taucht, ſo folgt daraus bloß, daß zu ſeiner Zeit noch nicht in der griechiſchen Sphäre die Sternbilder des Drachen, des Cepheus und des kleinen Bären, welche auch nicht untergehen, vorhanden waren. Es wird keineswegs die Kenntnis von der Exiſtenz der einzelnen Sterne, welche jene drei Kataſterismen bilden, geleugnet, nur ihre Reihung in Bilder. Eine lange, oft mißverſtandene Stelle des Strabo (lib. I, pag. 3 Caſaub.) über Homer II, XVIII, 485 —489 beweiſt vorzugsweiſe, was hier wichtig if, die allmähliche Aufnahme von Bildern in die griechiſche Sphäre. „Mit Un- recht,“ ſagt Strabo, „beſchuldigt man Homer der Unwiſſenheit, — 113 — als habe er nur eine Bärin ſtatt zweier gekannt. Vermutlich war die andere noch nicht verſternt, ſondern erſt ſeitdem die Phönizier dieſes Sternbild bezeichneten und zur Seefahrt be— nutzten, kam es auch zu den Hellenen.“ Alle Scholien zum Homer, Hygin und Diogenes aus Laerte ſchreiben die Ein— führung dem Thales zu. Der Pſeudo-Eratoſthenes hat den Kleinen Bären Porwirn (gleichſam das phöniziſche Leitgeſtirn) genannt. Hundert Jahre ſpäter (Ol. 71) bereicherte Cleoſtratus von Tenedos die Sphäre mit dem Schützen, dasses, und dem Widder, zpröc. In dieſer Epoche erſt, die der Gewaltherrſchaft der Piſiſtra— tiden, fällt nach Letronne die Einführung des Tierkreiſes in die alte griechiſche Sphäre. Eudemus aus Rhodos, einer der ausgezeichnetſten Schüler des Stagiriten, Verfaſſer einer „Ge— ſchichte der Aſtronomie“, ſchreibt die Einführung des Tier— kreis-Gürtels („ do Cwbrarod d, auch Ewiötog RörA0g) dem Oenopides von Chios, einem Zeitgenoſſen des Anaxagoras, zu. Die Idee von der Beziehung der Planeten und Fix— ſterne auf die Sonnenbahn, die Einteilung der Ekliptik in zwölf gleiche Teile (Dodekatomerie) ſind altchaldäiſch und höchſt wahrſcheinlich den Griechen aus Chaldäa ſelbſt und nicht aus dem Nilthale, am früheſten im Anfang des 5. oder im 6. Jahrhunderte vor unſerer Zeitrechnung '? überkommen. Die Griechen ſchnitten nur aus den ihrer primitiven Sphäre ſchon früher verzeichneten Sternbildern diejenigen aus, welche der Ekliptik am nächſten lagen und als Tierkreisbilder ge— braucht werden konnten. Wäre mehr als der Begriff und die Zahl der Abteilungen (Dodekatomerie) eines Tierkreiſes, wäre der Tierkreis ſelbſt mit ſeinen Bildern einem fremden Volke von den Griechen entlehnt worden, ſo würden dieſe ſich nicht urſprünglich mit elf Bildern begnügt, nicht den Skorpion zu zwei Abteilungen angewandt, nicht Zodiakalbilder erfunden haben, deren einige, wie Stier, Löwe, Fiſche und Jungfrau, mit ihren Umriſſen 35° bis 48°, andere, wie Krebs, Widder und Steinbock, nur 19° bis 23% einnehmen, welche unbequem nördlich und ſüdlich um die Ekliptik ſchwanken, bald weit ge— trennt, bald, wie Stier und Widder, Waſsermünn und Stein⸗ bock, eng gedrängt und faſt ineinander eingreifend. Dieſe Verhältniſſe bezeugen, daß man früher gebildete Kataſterismen zu Zodiakalzeichen ſtempelte. Das Zeichen der Wage wurde nach Letronnes Vermutung zu Hipparchs Zeiten, vielleicht durch ihn ſelbſt, eingeführt. A. v. Humboldt, Kosmos. III. 8 — 114 — Eudoxus, Archimedes, Autolycus und ſelbſt Hipparch, in dem wenigen, was wir von ihm beſitzen (eine einzige, wahrſchein— lich von einem Kopiſten verfälſchte Stelle!“ abgerechnet), er— wähnen ihrer nie. Das neue Zeichen kommt erſt bei Geminus und Varro, kaum ein halbes Jahrhundert vor unſerer Zeit— rechnung vor, und da der Hang zur Aſtrologie bald mächtig in die römiſche Volksſitte einbrach, von Auguſt bis Antonin, ſo erhielten auch diejenigen Sternbilder, „die am himmliſchen Sonnenwege lagen“, eine erhöhte, phantaſtiſche Wichtigkeit. Der erſten Hälfte dieſes Zeitraums römiſcher Weltherrſchaft gehören die ägyptiſchen Tierkreisbilder in Dendera, Esne, dem Propylon von Panopolis und einiger Mumiendeckel an, wie Visconti und Teſta ſchon zu einer Epoche behauptet haben, wo noch nicht alle Materialien für die Entſcheidung der Frage geſammelt waren, und wilde Hypotheſen herrſchten über die Bedeutung jenes ſymboliſchen Zodiakalzeichens und deſſen Ab— hängigkeit von der Präzeſſion der Nachtgleichen. Das hohe Alter, welches Auguſt Wilhelm von Schlegel den in Indien gefundenen Tierkreiſen nach Stellen aus Manus Geſetzbuch, aus Valmikis Ramayana und aus Amaraſinhas Wörterbuch beilegen wollte, iſt nach Adolf Holtzmanns ſcharfſinnigen Unterſuchungen ſehr zweifelhaft geworden.!“ Die durch den Lauf der Jahrhunderte ſo zufällig ent— ſtandene, künſtliche Gruppierung der Sterne zu Bildern, ihre oft unbequeme Größe und ſchwankenden Umriſſe, die ver— worrene Bezeichnung der einzelnen Sterne in den Konſtel— lationen, mit Erſchöpfung mehrerer Alphabete, wie in dem Schiffe Argo, das geſchmackloſe Vermiſchen mythiſcher Perſonen mit der nüchternen Proſa von phyſikaliſchen Inſtrumenten, chemiſchen Oefen und Pendeluhren am ſüdlichen Himmel haben mehrmals zu Vorſchlägen geleitet über neue, ganz bildloſe Einteilungen des Himmelsgewölbes. Für die ſüdliche Hemi— ſphäre, wo Skorpion, Schütze, Centaur, das Schiff und der Eridanus allein einen alten dichteriſchen Beſitz haben, ſchien das Unternehmen weniger gewagt.!“ Der Fixſternhimmel (orbis inerrans des Apulejus), der uneigentliche Ausdruck Fixſterne (astra fixa des Mani⸗ lius) erinnern, wie wir ſchon oben in der Einleitung zur Aſtrognoſie bemerkt, an die Verbindung, ja Verwechſelung der Begriffe von Einheftung und abſoluter Unbeweglichkeit (Fixität). Wenn Ariſtoteles nicht die wandernden Weltkörper (arkavn äctou) eingeheftete („eden /), wenn Ptolemäus ſie an— rl gewachſene (rposreyurörss) nennt, jo beziehen ſich zunächſt dieſe Benennungen auf die Vorſtellung des Anaximenes von der kriſtallartigen Sphäre. Die ſcheinbare Bewegung aller Firfterne von Oſten nach Weſten, während daß ihr Abſtand untereinander ſich gleich blieb, hatte dieſe Hypotheſe erzeugt. „Die Fixſterne (andavn Astou) gehören der oberen, von uns entfernteren Region, in der ſie wie Nägel an den Kriſtall— himmel angeheftet ſind; die Planeten (Asıpm rAavapevu oder M,), welche eine entgegengeſetzte Bewegung haben, ge— hören der unteren, näheren Region an.“ Wenn bei Mani: lius ſchon in der früheſten Zeit der Cäſaren stella fixa für infixa oder affixa geſagt wurde, ſo läßt ſich annehmen, daß die Schule in Rom anfangs doch nur der urſprünglichen Be— deutung des Angeheftetſeins anhing; aber da das Wort fixus auch die Bedeutung der Unbeweglichkeit einſchloß, ja für ſynonym mit immotus und immobilis genommen werden konnte, ſo war es leicht, daß der Volksglaube oder vielmehr der Sprachgebrauch allmählich an eine stella fixa vorzugs— weiſe die Idee der Unbeweglichkeit knüpfte, ohne der feſten Sphäre zu gedenken, an die ſie geheftet iſt. So durfte Seneca die Fixſternwelt fixum et immobilem populum nennen. Wenn wir auch nach Stobäus und dem Sammler der „Anſichten der Philoſophen“ die Benennung Kriſtallhimmel bis zur frühen Zeit des Anaximenes hinaufführen, ſo finden wir doch die Idee, welche der Benennung zu Grunde liegt, erſt ſchärfer bei Empedokles entwickelt. Den Fixſternhimmel hält dieſer für eine feſte Maſſe, welche aus dem durch Feuer kriſtallartig ſtarr gewordenen Aether gebildet wurde.!“ Der Mond iſt ihm ein durch die Kraft des Feuers hagelartig geronnener Körper, welcher ſein Licht von der Sonne erhält. Der urſprüngliche Begriff des Durchſichtigen, Geronnenen, Erſtarrten würde nach der Phyſik der Alten!“ und ihren Be— griffen vom Feſtwerden des Flüſſigen nicht unmittelbar auf Kälte und Eis führen; aber die Verwandtſchaft von zpöstakkos mit apb%s und »pustaivo, wie die Vergleichung mit den durch— ſcheinendſten aller Körper, veranlaßten die beſtimmteren Be— hauptungen, daß das Himmelsgewölbe aus Eis oder aus Glas beſtehe. So finden wir bei Lactantius: coelum aörem gla- ciatum esse, und vitreum coelum. Empedokles hat gewiß noch nicht an phöniziſches Glas, wohl aber an Luft gedacht, die durch feurigen Aether in einen durchſichtigen feſten Körper zuſammengeronnen iſt. Die Idee des Durchſichtigen war in — 116 — der Vergleichung mit dem Eife, zpöstukhos, das Vorherrſchende; man dachte nicht an Urſprung des Eiſes durch Kälte, ſondern zunächſt nur an ein durchſichtiges Verdichtetes. Wenn der Dichter das Wort Kriſtall ſelbſt brauchte, ſo bedient ſich die Proſa (wie die in der 34. Anmerkung angeführte Stelle des Achilles Tatius, des Kommentators von Aratus, bezeugt) nur des Ausdrucks: kriſtallähnlich, zeusterkosins. Ebenſo bedeutet zayos (von anywoster, feſt werden) ein Stück Eis, wobei bloß die Verdichtung in Betracht gezogen wird. Durch die Kirchenväter, welche ſpielend 7 bis 10, wie Zwiebelhäute übereinander gelagerte, gläſerne Himmels— ſchichten annahmen, iſt dieſe Anſicht des kriſtallenen Gewölbes in das Mittelalter übergegangen, ja ſie hat ſich ſelbſt in einigen Klöjtern des ſüdlichen Europas erhalten, wo zu meinem Erſtaunen ein ehrwürdiger Kirchenfürſt mir, nach dem ſo viel Aufſehen erregenden Aerolithenfall bei Aigle, die Meinung äußerte: was wir mit einer vitrifizierten Rinde bedeckte Me— teorſteine nennten, wären nicht Teile des gefallenen Steines ſelbſt, ſondern ein Stück des durch den Stein zerſchlagenen kriſtallenen Himmels. Kepler, zuerſt durch die Betrachtung über die alle Planetenbahnen durchſchneidenden Kometen veranlaßt, hat ſich ſchon drittehalb Jahrhunderte früher ge— rühmt, die 77 homozentriſchen Sphären des berühmten Giro⸗ lamo Fracaſtoro, wie alle älteren rückwirkenden Epicykeln zerſtört zu haben. Wie jo große Geiſter, als Eudoxus, Me- nächmus, Ariſtoteles und Apollonius von Pergä ſich die Möglichkeit des Mechanismus und der Bewegung ſtarrer, in⸗ einander greifender, die Planeten führender Sphären gedacht haben; ob ſie dieſe Syſteme von Ringen nur als ideale An— ſchauungen, als Fiktionen der Gedankenwelt betrachteten, nach denen ſchwierige Probleme des Planetenlaufes erklärt und annähernd berechnet werden könnten, ſind Fragen, welche ich ſchon an einem anderen Orte berührt habe und welche für die Geſchichte der Aſtronomie, wenn ſie Entwickelungsperioden zu unterſcheiden ſtrebt, nicht ohne Wichtigkeit ſind. Ehe wir von der uralten, aber künſtlichen, Zodiakal⸗ gruppierung der Fixſterne, wie man ſich dieſelben an feſte Sphären angeheftet dachte, zu ihrer natürlichen, reellen Gruppierung und den ſchon erkannten Geſetzen relativer Ver— teilung übergehen, müſſen wir noch bei einigen ſinnlichen Er— ſcheinungen der einzelnen Weltkörper, ihren überdeckenden Strahlen, ihren ſcheinbaren, unwahren Durchmeſſern und der — 117 — Verſchiedenheit ihrer Farbe, verweilen. Von dem Einfluß der ſogenannten Sternſchwänze, welche der Zahl, Lage und Länge nach bei jedem Individuum verſchieden ſind, habe ich ſchon bei den Betrachtungen über die Unſichtbarkeit der Ju— pitersmonde gehandelt. Das undeutliche Sehen (la vue indistincte) hat vielfache organiſche Urſachen, welche von der Aberration der Sphärizität des Auges, von der Diffraktion an den Rändern der Pupille oder an den Wimpern, und von der ſich mehr oder weniger weit aus einem gereizten Punkte fortpflanzenden Irritabilität der Netzhaut abhängen.!“ Ich ſehe ſehr regelmäßig 8 Strahlen unter Winkeln von 45° bei Sternen 1. bis 3. Größe. Da nach Haſſenfratz dieſe Strah— lungen ſich auf der Kriſtalllinſe kreuzende Brennlinien (caustiques) ſind, ſo bewegen ſie ſich, je nachdem man den Kopf nach einer oder der anderen Seite neigt. Einige meiner aſtronomiſchen Freunde ſehen nach oben hin 3, höchſtens 4 Strahlen, und nach unten gar keine. Merkwürdig hat es mir immer geſchienen, daß die alten Aegypter den Sternen regelmäßig nur 5 Strahlen (alſo um je 72“ entfernt) geben, ſo daß dies Sternzeichen nach Horapollo hieroglyphiſch die Zahl 5 bedeuten ſoll.!“ Die Sternſchwänze verſchwinden, wenn man das Bild der ſtrahlenden Sterne (ich habe oft Canopus wie Sirius auf dieſe Weiſe beobachtet) durch ein ſehr kleines mit einer Nadel in eine Karte gemachtes Loch empfängt. Ebenſo iſt es bei dem teleſkopiſchen Sehen mit ſtarker Vergrößerung, in welchem die Geſtirne entweder als leuchtende Punkte von intenſiverem Lichte oder auch wohl als überaus kleine Scheiben ſich dar— ſtellen. Wenngleich das ſchwächere Funkeln der Fixſterne unter den Wendekreiſen einen gewiſſen Eindruck der Ruhe ge— währt, ſo würde mir doch, bei unbewaffnetem Auge, eine völlige Abweſenheit aller Sternſtrahlung das Himmelsgewölbe zu veröden ſcheinen. Sinnliche Täuſchung, undeutliches Sehen vermehren vielleicht die Pracht der leuchtenden Himmelsdecke; Arago hat ſchon längſt die Frage aufgeworfen, warum trotz der großen Lichtſtärke der Fixſterne 1. Größe man nicht dieſe, und doch den äußerſten Rand der Mondſcheibe? am Horizonte beim Aufgehen erblicke? Die vollkommenſten optiſchen Werkzeuge, die ſtärkſten Vergrößerungen geben den Fixſternen falſche Durchmeſſer (spurious disks, diametres factices), welche nach Sir John Herſchels Bemerkung?? „bei gleicher Vergrößerung um jo le kleiner werden, als die Oeffnung des Fernrohrs wächſt“. Ver: finſterungen der Sterne durch die Mondſcheibe beweiſen, wie Ein: und Austritt dergeſtalt augenblicklich find, daß keine Fraktion einer Zeitſekunde für die Dauer erkannt werden kann. Das oft beobachtete Phänomen des ſogenannten Kle— bens des eintretenden Sternes auf der Mondſcheibe iſt ein Phänomen der Lichtbeugung, welches in keinem Zuſammen— hange mit der Frage über die Sterndurchmeſſer ſteht. Wir haben ſchon an einem anderen Ort erinnert, daß Sir William Herſchel bei einer Vergrößerung von 6500 mal den Durchmeſſer von Wega noch 0,36“ fand. Das Bild des Arcturus wurde in einem dichten Nebel ſo verkleinert, daß die Scheibe noch unter 0,2“ war. Auffallend iſt es, wie wegen der Täuſchung, welche die Sternſtrahlung erregt, vor der Erfindung des tele— ſkopiſchen Sehens Kepler und Tycho dem Sirius Durchmeſſer von 4° und 2˙20“ zuſchrieben. Die abwechſelnd lichten und dunkeln Ringe, welche die kleinen falſchen Sternſcheiben bei Vergrößerungen von 2 bis 300 mal umgeben und die bei Anwendung von Diaphragmen verſchiedener Geſtalt iriſieren, ſind gleichzeitig die Folgen der Interferenz und der Dif— fraktion, wie Aragos und Airys Beobachtungen lehren. Die kleinſten Gegenſtände, welche teleſkopiſch noch deutlich als leuchtende Punkte geſehen werden (doppelte Doppelſterne, wie 2 der Leier, der 5. und 6. Stern, den Struve im Jahr 1826 und Sir John Herſchel im Jahr 1832 im Trapezium des großen Nebelfleckes des Orion entdeckt haben,?? welches der vierfache Stern J des Orion bildet), können zur Prüfung der Vollkommenheit und Lichtfülle optiſcher Inſtrumente, der Re— fraktoren wie der Reflektoren, angewandt werden. Eine Farben verſchiedenheit des eigentümlichen Lichtes der Fixſterne wie des reflektierten Lichtes der Planeten iſt von früher Zeit an erkannt, aber die Kenntnis dieſes merk— würdigen Phänomens iſt erſt durch das teleſkopiſche Sehen, beſonders ſeitdem man ſich lebhaft mit den Doppelſternen be— ſchäftigt hat, wunderſam erweitert worden. Es iſt hier nicht von dem Farbenwechſel die Rede, welcher, wie ſchon oben er— innert worden iſt, das Funkeln auch in den weißeſten Ge— ſtirnen begleitet, noch weniger von der vorübergehenden, meiſt rötlichen Färbung, welche nahe am Horizont wegen der Be— ſchaffenheit des Mediums (der Luftſchichten, durch die wir ſehen) das Sternlicht erleidet, ſondern von dem weißen oder farbigen Sternlichte, das als Folge eigentümlicher Lichtprozeſſe = — und der ungleichen Konſtitution feiner Oberfläche jeder Welt: körper ausſtrahlt. Die griechiſchen Aſtronomen kennen bloß rote Sterne, während die neueren an der geſtirnten Himmels— decke, in den vom Licht durchſtrömten Gefilden, wie in den Blumenkronen der Phanerogamen und den Metalloryden faſt alle Abſtufungen des prismatiſchen Farbenbildes zwiſchen den Extremen der Brechbarkeit, den roten und violetten Strahlen teleſkopiſch aufgefunden haben. Ptolemäus nennt in ſeinem Fixſternkatalog 6 Sterne rise, feuerrötlich,?“ nämlich Arcturus, Aldebaran, Pollux, Antares, „des Orion (die rechte Schulter) und Sirius. Cleomedes vergleicht ſogar Antares im Skorpion mit der Nöte des Mars, der ſelbſt bald noßßes, bald zugosirs genannt wird. Von den ſechs oben aufgezählten Sternen haben fünf noch zu unſerer Zeit ein rotes oder rötliches Licht. Pollux wird noch als rötlich, aber Caſtor als grünlich aufgeführt. Sirius gewährt demnach das einzige Beiſpiel einer hiſtoriſch erwieſenen Veränderung der Farbe, denn er hat gegenwärtig ein vollkommen weißes Licht. Eine große Naturrevolution ?° muß allerdings auf der Oberfläche oder in der Photoſphäre eines ſolchen Fixſternes (einer fernen Sonne, wie ſchon Ari— ſtarch von Samos die Fixſterne würde genannt haben) vor⸗ gegangen ſein, um den Prozeß zu ſtören, vermöge deſſen die weniger brechbaren roten Strahlen durch Entziehung (Ab⸗ ſorption) anderer Komplementarſtrahlen (ſei es in der Photo— ſphäre des Sternes ſelbſt, ſei es in wandernden kosmiſchen Gewölken) vorherrſchend wurden. Es wäre zu wünſchen, da dieſer Gegenſtand bei den großen Fortſchritten der neueren Optik ein lebhaftes Intereſſe auf ſich gezogen hat, daß man die Epoche einer ſolchen Naturbegebenheit, des Ver— ſchwindens der Rötung des Sirius, durch Beſtimmung ge⸗ wiſſer Zeitgrenzen, auffinden könne. Zu Tychos Zeit hatte Sirius gewiß ſchon weißes Licht, denn als man mit Ver⸗ wunderung den neuen in der Kaſſiopeia 1572 erſchienenen blendend weißen Stern im Monat März 1573 ſich röten und im Januar 1574 wieder weiß werden ſah, wurde der rote Stern mit Mars und Aldebaran, aber nicht mit Sirius ver— glichen. Vielleicht möchte es Södillot oder anderen mit der arabiſchen und perſiſchen Aſtronomie vertrauten Philologen I}. Zuſätze am Schluß d. Bandes] glüden, in den Zeitabſtänden von El⸗Batani (Albategnius) und El-Fergant (Alfraganus) bis Abdurrahman Sufi und Ebn⸗Junis (von 880 bis 1007 5 von Ebn-Junis bis Naßir-Eddin und Ulugh Beg (von 1007 bis 1437) irgend ein Zeugnis für die damalige Farbe des Sirius aufzufinden. El-Fergani (eigentlich Mohammed Ebn— Kethir El-Fergani), welcher ſchon in der Mitte des 10. Jahr: hunderts zu Rakka (Aracte) am Euphrat beobachtete, nennt als rote Sterne (stellae ruffae ſagt die alte lateiniſche Ueber: ſetzung von 1590) wohl den Aldebaran und, rätſelhaft genug,!“ die jetzt gelbe, kaum rötlichgelbe Capella, nicht aber den Sirius. Allerdings würde es auffallend ſein, wäre Sirius zu ſeiner Zeit ſchon nicht mehr rot geweſen, daß El-Fergani, der überall dem Ptolemäus folgt, die Farbenveränderung in einem ſo berühmten Stern nicht ſollte bezeichnet haben. Negative Gründe find allerdings ſelten beweiſend, und auch bei Beteigeuze (4 Orionis), der jetzt noch rot iſt wie zu des Ptolemäus' Zeiten, erwähnt El-Fergani in derſelben Stelle der Farbe nicht. Es iſt längſt anerkannt, daß unter allen hell leuchtenden Fixſternen des Himmels Sirius in chronologiſcher Hinſicht, wie in ſeiner hiſtoriſchen Anknüpfung an die früheſte Ent— wickelung menſchlicher Kultur im Nilthale, die erſte und wich— tigſte Stelle einnimmt. Die Sothisperiode und der helia— kiſche Aufgang der Sothis (Sirius), über die Biot eine vortreffliche Arbeit geliefert hat, verlegt nach den neueſten Unterſuchungen von Lepſius ? die vollſtändige Einrichtung des ägyptiſchen Kalenders in jene uralte Epoche von faſt 33 Jahr— hunderten vor unſerer Zeitrechnung, „in welcher nicht nur die Sommerſonnenwende und folglich der Anfang des Nil— anſchwellens auf den Tag des erſten Waſſermonats (auf den erſten Pachon) fiel, ſondern auch der heliakiſche Aufgang der Sothis.“ Die neueſten, bisher unveröffentlichten, etymologi— ſchen Verſuche über Sothis und Sirius aus dem Kop— tiſchen, dem Zend, Sanskrit und Griechiſchen werde ich in eine Notes zuſammendrängen, die nur denen willkommen ſein kann, welche aus Liebe zur Geſchichte der Aſtronomie in den Sprachen und ihrer Verwandtſchaft Denkmäler des früheren Wiſſens erkennen. Entſchieden weiß ſind gegenwärtig, außer Sirius, Wega, Deneb, Regulus und Spica; auch unter den kleinen Doppel— ſternen zählt Struve an 300 auf, in denen beide Sterne weiß ſind. Gelbes und gelbliches Licht haben Procyon, Atair, der Polarſtern und beſonders 8 des kleinen Bären. Von roten und rötlichen großen Sternen haben wir ſchon Beteigeuze, Arcturus, Aldebaran, Antares und Pollux genannt. Rümker findet u Zinn — 121 — + Crueis von ſchöner roter Farbe, und mein vieljähriger Freund, Kapitän Berard, ein vortrefflicher Beobachter, ſchrieb aus Mada— gaskar 1847, daß er ſeit einigen Jahren auch » Crueis ſich röten ſehe. Der durch Sir John Herſchels Beobachtungen berühmt gewordene Stern im Schiffe, Argus, deſſen ich bald umſtändlicher erwähnen werde, verändert nicht bloß ſeine Lichtſtärke, er verändert auch ſeine Farbe. Im Jahre 1843 fand in Kalkutta Herr Mackay dieſen Stern an Farbe dem Arcturus gleich, alſo rötlichgelb, aber in Briefen aus Santiago de Chile vom Februar 1850 nennt ihn Lieutenant Gilliß von dunklerer Farbe als Mars. Sir John Herſchel gibt am Schluß ſeiner Kapreiſe ein Verzeichnis von 76 rubinfarbigen (ruby coloured) kleinen Sternen 7. bis 9. Größe. Einige erſcheinen im Fernrohr wie Blutstropfen. Auch die Mehrzahl der ver— änderlichen Sterne wird als rot und rötlich beſchrieben. Ausnahmen machen: Algol am Kopf der Meduſa, 8 Lyrae, e Aurigae,... die ein rein weißes Licht haben. Mira Ceti, deren periodiſcher Lichtwechſel am früheſten erkannt worden iſt, hat ein ſtark rötliches Licht, aber die Veränder— lichkeit von Algol, 8 Lyrae . .. beweiſt, daß die rote Farbe nicht eine notwendige Bedingung der Lichtveränderung ſei, wie denn auch mehrere rote Sterne nicht zu den veränderlichen gehören. Die lichtſchwächſten Sterne, in denen noch Farben zu unterſcheiden ſind, gehören nach Struve in die 9. und 10. Größe. Der blauen Sterne hat zuerſt Mariotte 1686 in ſeinem Traite des couleurs gedacht. Bläulich iſt . der Leier. Ein kleiner Sternhaufen von 3 ½ Minuten Durch: meſſer am ſüdlichen Himmel beſteht nach Dunlop bloß aus blauen Sternchen. Unter den Doppelſternen gibt es viele, in welchen der Hauptſtern weiß und der Begleiter blau iſt, einige, in denen Hauptſtern und Begleiter beide ein blaues Licht haben (fo d Serp. und 59 Androm.). Bisweilen find, wie in dem von Lacaille für einen Nebelfleck gehaltenen Stern— ſchwarm bei » des ſüdlichen Kreuzes, über hundert vielfarbige (rote, grüne, blaue und blaugrüne) Sternchen ſo zuſammen— gedrängt, daß fie wie polychrome Edelgeſteine (like a superb piece of fancy jewellery) in großen Fernröhren erſcheinen. Die Alten glaubten in der Stellung gewiſſer Sterne 1. Größe eine merkwürdige ſymmetriſche Anordnung zu er— kennen. So war ihre Aufmerkſamkeit vorzugsweiſe auf die ſogenannten vier königlichen Geſtirne, welche ſich in der Sphäre gegenüberſtehen, auf Aldebaran und Antares, Regulus und Fomalhaut, gerichtet. Wir finden diefer regelmäßigen Anordnung, die ich ſchon an einem anderen Orte behandelt, ausführlich bei einem ſpäten römiſchen Schriftſteller, aus der konſtantiniſchen Zeit, dem Julius Firmicus Maternus, erwähnt. Die Rektaſzenſionalunterſchiede der königlichen Sterne, stellae regales, find: 11 57° und 12 49“. Die Wichtigkeit, welche man dieſem Gegenſtande beilegte, iſt wahr— ſcheinlich auf Ueberlieferungen aus dem Orient gegründet, welche unter den Cäſaren mit einer großen Vorliebe zur Aſtro— logie in das römiſche Reich eindrangen. Eine dunkle Stelle des Hiob (9, 9), in welcher „den Kammern des Südens“ der Schenkel, d. i. das Nordgeſtirn des großen Bären (der berühmte Stierſchenkel auf den aſtronomiſchen Dar— ſtellungen von Dendera und in dem ägyptiſchen Totenbuche) entgegengeſetzt wurde, ſcheint ebenfalls durch 4 Sternbilder die 4 Himmelsgegenden bezeichnen zu wollen.?“ Wenn dem Altertum, ja dem ſpäten Mittelalter ein großer und ſchöner Teil des ſüdlichen Himmels jenſeits der Geſtirne von 53° ſüdlicher Abweichung verhüllt geblieben war, ſo wurde die Kenntnis des Südhimmels ungefähr hundert Jahre vor der Erfindung und Anwendung des Fernrohrs all— mählich vervollſtändigt. Zur Zeit des Ptolemäus ſah man am Horizont von Alexandrien: den Altar, die Füße des Centaur, das ſüdliche Kreuz, zum Centaur gerechnet oder auch wohl zu Ehren des Auguſtus (nach Plinius) Caesaris Thronus genannt, endlich Canopus (Canobus) im Schiffe, den der Scholiaſt zum Germantcus ®° das Ptelemaeon nennt. Im Katalog des Almageſt iſt auch der Stern 1. Größe, der letzte im Fluſſe Eridanus (arabiſch achir el-nahr), Achernar, aufgeführt, ob er gleich 9“ unter dem Horizont war. Eine Nachricht von der Exiſtenz dieſes Sternes war alſo dem Ptole— mäus aus ſüdlicheren Schiffahrten im Roten Meere oder zwiſchen Ocelis und dem malabariſchen Stapelplatze Muziris zugeführt worden. Die Vervollkommnung der Nautik führte längs der weſtlichen afrikaniſchen Küſte allerdings ſchon 1484 Diego Cam in Begleitung von Martin Behaim, 1487 Bar⸗ tholomäus Diaz, 1497 Gama auf die Fahrt nach Oſtindien weit über den Aequator hinaus und in die antarktiſchen Ge— wäſſer bis 35° ſüdlicher Breite; aber die erſte ſpezielle Be— achtung der großen Geſtirne und Nebelflecke, die Beſchreibung der Magelhaensſchen Wolken und der Kohlenſäcke, ja der Ruf von den „Wundern des im Mittelmeere nicht — 123 — geſehenen Himmels“, gehört der Epoche von Vicente Yanez Pinzon, Amerigo Veſpucci und Andrea Corſali zwiſchen 1500 und 1515 an. Sternabſtände am ſüdlichen Himmel wurden am Ende des 16. Jahrhunderts und im Anfang des 17. ge— meſſen. In der Verteilung der Fixſterne an dem Himmels— gewölbe hat man erſt angefangen gewiſſe Geſetze relativer Verdichtung zu erkennen, ſeitdem William Herſchel im Jahre 1785 auf den glücklichen Gedanken verfiel, die Zahl der Sterne in demſelben Geſichtsfelde von 15“ Durchmeſſer in ſeinem 20ſüßigen Spiegelteleſkop in verſchiedenen Höhen und Rich— tungen zu ſchätzen. Dieſer mühevollen Methode der Eichungen (franz. jauges, engl. process of gauging the heavens, star- gauges) iſt in dieſem Werke ſchon mehrmals gedacht worden. Das Geſichtsfeld umfaßte jedesmal nur 82sos des ganzen Himmels, und ſolche Eichungen über die ganze Sphäre würden, nach einer Bemerkung von Struve, an 83 Jahre dauern. Man muß bei den Unterſuchungen über die partielle Ver- teilung der Geſtirne beſonders die Größenklaſſe, zu der ſie photometriſch gehören, in Anſchlag bringen. Wenn man bei den hellen Sternen der erſten 3 oder 4 Größenklaſſen ſtehen bleibt, ſo findet man dieſe im ganzen ziemlich gleichförmig verteilt, doch örtlich in der ſüdlichen Hemiſphäre von = des Orion bis 4 des Kreuzes vorzugsweiſe in eine prachtvolle Zone in der Richtung eines größten Kreiſes zufammengedrängt. Das ſo verſchiedene Urteil, welches von Reiſenden über die relative Schönheit des ſüdlichen und nördlichen Himmels ge— fällt wird, hängt, wie ich glaube, oft nur von dem Umſtande ab, daß einige der Beobachter die ſüdlichen Regionen zu einer Zeit beſucht haben, in welcher der ſchönſte Teil der Konſtel— lationen bei Tage kulminiert. Durch die Eichungen beider Herſchel an dem nördlichen und ſüdlichen Himmelsgewölbe er— gibt ſich, daß die Fixſterne von der 5. und 6. Ordnung herab bis unter die 10. und 15. Größe (beſonders alſo die tele— ſkopiſchen) an Dichtigkeit regelmäßig zunehmen, je nachdem man ſich den Ringen der Milchſtraße (6 yurukius zörkog) nähert, daß es demnach Pole des Sternreichtums und Pole der Sternarmut gibt, letztere rechtwinkelig der Hauptachſe der Milchſtraße. Die Dichte des Sternlichtes iſt am kleinſten in den Polen des galaktiſchen Kreiſes, ſie nimmt aber zu, erſt langſam und dann ſchneller und schneller, von allen Seiten mit der galaktiſchen Polardiſtanz. — 14 — Durch eine ſcharfſinnige und jorgfältige Behandlung der Reſultate der vorhandenen Eichungen findet Struve, daß, im Mittel, im Inneren der Milchſtraße, 29,4mal (faſt 30mal) ſo viel Sterne liegen als in den Regionen, welche die Pole der Milchſtraße umgeben. Bei nördlichen galaktiſchen Polar⸗ diſtanzen von 0“, 30°, 60°, 75° und 90° find die Verhältnis: zahlen der Sterne in einem Felde des Velen von 15‘ Durch⸗ meſſer: 4,15, 6,52, 17,68, 30,30 und 122,00. In der Ver⸗ gleichung beider Zonen findet ſich trotz großer Aehnlichkeit in dem Geſetze der Zunahme des Sternreichtums doch wieder ein abſolutes Uebergewicht der Sternmenge auf ſeiten des ſchöneren ſüdlichen Himmels. Als ich im Jahre 1843 den Ingenieurhauptmann Schwinck freundſchaftlich aufforderte, mir die Verteilung der 12 148 Sterne (In bis 7 inkluſive), welche er auf Beſſels Anregung in ſeine Mappa coelestis eingetragen, nach Rektaſzenſionsverſchieden— heit mitzuteilen, fand er in vier Gruppen: — Rektaſz. von 50° bis 140° Zahl der Sterne 3147 57 6 140 N I 2 230 ? „ " " 2627 ‘ "„ 7 230° 115 320 9 5 " 5 3523 320° 90° 2851. Diele Gruppen ſtimmen mit den noch genaueren Reſultaten der Etudes stellaires überein, nach denen von Sternen 1” bis gw die Maxima in Rektaſz. in 6 40“ und 18 400, die Minima in 16 30° und 13" 30° fallen. ®' Unter der zahllofen Menge von Sternen, welche an dem Himmel glänzen, ſind weſentlich voneinander zu unterſcheiden, in Hinſicht auf die . Geſtaltung des Weltbaues und auf die Lage oder Tiefe der Schichten geballter Materie: die einzeln, ſporadiſch, zerſtreuten Fixſterne, und diejenigen, welche man in abgeſonderte ſelbſtändige Gruppen zuſammen⸗ gedrängt findet. Die letzteren find Sternhaufen oder Stern: ſchwärme, die oft viele Tauſende von teleſkopiſchen Sternen in erkennbarer Beziehung zu einander enthalten und die dem unbewaffneten Auge bisweilen als runde Nebel, kometen— artig leuchtend, erſcheinen. Das ſind die nebligen Sterne des Eratoſthenes und Ptolemäus, die nebulosae der Alfon— ſiniſchen Tafeln von 1252 und die des Galilei, welche (wie es im Nuncius sidereus heißt) sieut areolae sparsim per aethera subfulgent. Die Sternhaufen ſelbſt liegen entweder wiederum ver: einzelt am Himmel, oder eng und ungleich, wie ſchichtenweiſe, — 125 — uſammengedrängt, in der Milchſtraße und in den beiden Magelhaensſchen Wolken. Der größte und gewiß für die Konfiguration der Milchſtraßenringe bedeutſamſte Reichtum von runden Sternhaufen (globular elusters) findet ſich in einer Region des ſüdlichen Himmels zwiſchen der Corona australis, dem Schützen, dem Schwanz des Skorpions und dem Altar (RA. 16 45 bis 19). Aber nicht alle Sternhaufen in oder nahe der Milchſtraße ſind rund und kugelförmig; es gibt dort auch mehrere von unregelmäßigen Umriſſen, wenig reich an Sternen und mit einem nicht ſehr dichten Centrum. In vielen runden Sterngruppen ſind die Sterne von gleicher Größe, in anderen ſind ſie ſehr ungleich. In einigen ſeltenen Fällen zeigen fie einen ſchönen rötlichen Centralſtern (RA. 2" 10“, nördl. Dekl. 56° 21°). Wie ſolche Weltinſeln mit allen darin wimmelnden Sonnen frei und ungeſtört rotieren können, iſt ein ſchwieriges Problem der Dynamik. Nebelflecke und Sternhaufen, wenn auch von den erſteren jetzt ſehr allge— mein angenommen wird, daß ſie ebenfalls aus ſehr kleinen, aber noch ferneren Sternen beſtehen, ſcheinen doch in ihrer örtlichen Verteilung verſchiedenen Geſetzen unterworfen. Die Erkenntnis dieſer Geſetze wird vorzugsweiſe die Ahnungen über das, was man kühn den Himmelsbau zu nennen pflegt, modifizieren. Auch iſt die Beobachtung ſehr merkwür— dig, daß runde Nebelflecke ſich bei gleicher Oeffnung und Ver— größerung des Fernrohrs leichter in Sternhaufen auflöſen als ovale. Von den wie in ſich abgeſchloſſenen Syſtemen der Stern— haufen und Sternſchwärme begnügen wir uns hier zu nennen: die Plejaden, gewiß den roheſten Völkern am früheſten bekannt, das Schiffahrtsgeſtirn, Pleias And ch rkeiv: wie der alte Scholiaſt des Aratus wohl richtiger etymologiſiert als neuere Schriftſteller, die den Namen von der Fülle, von rkeog, herleiten; die Schiffahrt des Mittelalters dauerte vom Mai bis Anfang November, vom Frühaufgange bis zum Früh— untergang der Plejaden; die Krippe im Krebs, nach Plinius nubecula quam Prae- sepia vocant inter Asellos, ein veo£ktov des Pſeudo-Erato— ſthenes; den Sternhaufen am Schwerthandgriff des Perſeus, von den griechiſchen Aſtronomen oft genannt; das Haupthaar der Berenice; wie die drei vorigen dem bloßen Auge ſichtbar; — 126 — Sternhaufen in der Nähe des Arcturus (Nr. 1663), tele: ſkopiſch; RA. 13h 34° 12“, nördl. Dekl. 29“ 147; mehr als tauſend Sternchen 10. bis 12. Größe; Sternhaufen zwiſchen W und 6 Hereulis; in hellen Nächten dem bloßen Auge ſichtbar, im Fernrohr ein prachtvoller Gegen— ſtand (Nr. 1968), mit ſonderbar ſtrahlförmig auslaufendem Rande; RA. 16 35° 37“, nördl. Dekl. 36“ 47°; von Halley 1714 zuerſt beſchrieben; Sternhaufen bei » des Centauren; von Halley ſchon 1677 beſchrieben, dem bloßen Auge erſcheinend wie ein kometen— artiger runder Flecken, faſt leuchtend als ein Stern Am bis 5m; in mächtigen Fernröhren erſcheint er aus zahlloſen Sternchen 3. bis 15. Größe zuſammengeſetzt, welche ſich gegen die Mitte verdichten; RA. 13h 16“ 38“, ſüdl. Dekl. 46“ 35; in Sir John Herſchels Katalog der Sternhaufen des ſüdlichen Himmels Nr. 3504, im Durchmeſſer 15° (Kapreiſe p. 21 und 105, Out l. of Astr. p. 595); Sternhaufen bei x des ſüdlichen Kreuzes (Nr. 3435): zuſammengeſetzt aus vielfarbigen Sternchen 12. bis 16. Größe, welche auf eine Aera von "ss eines Quadratgrades verteilt ſind; nach Lacaille ein Nebelſtern, aber durch Sir John Herſchel ſo vollſtändig aufgelöſt, daß gar kein Nebel übrig blieb; der Centralſtern geſättigt rot (Kapreiſe p. 17 und 102 FI I ig 2; Sternhaufen 47 Toucani Bode; Nr. 2322 des Katalogs von Sir John Herſchel, eines der merkwürdigſten Objekte des ſüdlichen Himmels. Es hat dasſelbe auch mich einige Nächte kometenartig getäuſcht, als ich zuerſt nach Peru kam und es unter 12“ ſüdlicher Breite ſich höher über den Horizont erheben ſah. Die Sichtbarkeit für das unbewaffnete Auge iſt um jo größer, als der Sternhaufen des Toucan, von 15° bis 20“ Durchmeſſer, zwar der kleinen Magelhaensſchen Wolke nahe, aber auf einer ganz ſternleeren Stelle ſteht. Er iſt im Inneren blaßroſenrot, konzentriſch mit einem weißen Rande umgeben, aus Sternchen (14 bis 1600) und zwar von gleicher Größe zuſammengeſetzt, alle Kennzeichen der Kugelform körperlich dar— bietend.? Sternhaufen am Gürtel der Andromeda bei dieſer Kon— ſtellation. Die Auflöſung des berühmten Nebelfleckes der Andromeda in Sternchen, von denen über 1500 erkannt worden ſind, gehört zu den merkwürdigſten Entdeckungen in der be— ſchauenden Aſtronomie unſerer Zeit. Sie iſt das Verdienſt von George Bond, Gehilfen an der Sternwarte zu Cambridge in den Vereinigten Staaten (März 1848), und zeugt zugleich für die vortreffliche Lichtſtärke des dort aufgeſtellten, mit einem Objektiv von 14 Pariſer Zoll Durchmeſſer verſehenen Refrak— tors, da ſelbſt ein Reflektor von 18 Zoll Durchmeſſer des an. Spiegels „noch keine Spur von der Anweſenheit eines Sternes ahnen läßt“. Vielleicht iſt der Sternhaufen in der Andromeda ſchon am Ende des 10. Jahrhunderts als ein Nebel von ovaler Form aufgeführt worden; ſicherer iſt es aber, daß Simon Marius (Mayer aus Gunzenhauſen, derſelbe, der auch den Farbenwechſel bei der Seintillation bemerkte) ihn am 15. Dezember 1612 als einen neuen, von Tycho nicht ge— nannten, ſternloſen, wunderſamen Weltkörper erkannt und zuerſt umſtändlich beſchrieben hat. Ein halbes Jahrhundert ſpäter beſchäftigte ſich Boulliau, der Verfaſſer der Astronomia philolaica, mit demſelben Gegenſtande. Was dieſem Stern— haufen, der 2¼“ Länge und über 1° Breite hat, einen be— ſonderen Charakter gibt, ſind die zwei merkwürdigen, unter ſich und der Längenachſe parallelen, ſehr ſchmalen ſchwarzen Streifen, welche rißartig das Ganze nach Bonds Unterſuchung durchſetzen. Dieſe Geſtaltung erinnert lebhaft an den ſonder— baren Längenriß in einem unaufgelöſten Nebel der ſüdlichen Hemiſphäre, Nr. 3501, welchen Sir John Herſchel beſchrieben und abgebildet hat (Kapreiſe p. 20 und 105 Pl. IV, fig. 2). Ich habe dieſer Auswahl merkwürdiger Sternhaufen, trotz der wichtigen Entdeckungen, welche wir dem Lord Roſſe und ſeinem Rieſenreflektor zu verdanken haben, den großen Nebel im Gürtel des Orion noch nicht beigefügt, da es mir geeigneter zu ſein ſcheint, von den in demſelben bereits auf— gelöſten Teilen in dem Abſchnitt von den Nebenflecken zu handeln. Die größte Anhäufung von Sternhaufen, keineswegs von Nebelflecken, findet ſich in der Milchſtraße? (Galaxias, dem Himmelsfluſſe? der Araber), welche faſt einen größten Kreis der Sphäre bildet und gegen den Aequator unter einem Winkel von 63° geneigt iſt. Die Pole der Milchſtraße liegen: RA. 12 47°, nördl. Dekl. 27° und RA. ON 47, ſüdl. Dekl. 27°, alſo als Nordpol nahe dem Haupthaar der Berenice, als Südpol zwiſchen Phönix und Walfiſch. Wenn alle planetariſchen örtlichen Verhältniſſe auf die Ekliptik, auf den größten Kreis, in welchem die Ebene der Sonnenbahn die Sphäre durchſchneidet, bezogen werden, ſo finden gleich bequem viele örtliche Beziehungen der Fixſterne (z. B. die ihrer Anhäufung oder Gruppierung) auf den faſt größten Kreis der Milchſtraße ſtatt. In dieſem Sinne iſt dieſelbe für die ſideriſche Welt, was die Ekliptik vorzugsweiſe für die Planetenwelt unſeres Sonnenſyſtemes iſt. Die Milchſtraße ſchneidet den Aequator im Einhorn zwiſchen Procyon und — 128 — Sirius, RA. 6" 54° (für 1800), und in der linken Hand des Antinous, RA. 19 15°. Die Milchſtraße teilt demnach die Himmelsſphäre in zwei etwas ungleiche Hälften, deren Areale ſich ungefähr wie 8:9 verhalten. In der kleineren Hälfte liegt der Frühlingspunkt. Die Breite der Milchſtraße iſt in ihrem Laufe ſehr veränderlich. Wo ſie am ſchmälſten und zugleich mit am glänzendſten iſt, zwiſchen dem Vorderteil des Schiffes und dem Kreuze, dem Südpol am nächſten, hat ſie kaum 3 bis 4 Grad Breite; an anderen Punkten 16°, und geteilt zwiſchen dem Schlangenträger und Antinous bis 22“. William Herſchel hat bemerkt, daß, nach ſeinen Sterneichungen zu urteilen, die Milchſtraße in vielen Regionen eine 7 bis 8 Grad größere Breite hat, als es uns der dem unbewaffneten Auge ſichtbare Sternſchimmer verkündigt. Der Milchweiße der ganzen Zone hatte ſchon Huygens, welcher im Jahre 1656 ſeinen 23füßigen Refraktor auf die Milchſtraße richtete, den unauflöslichen Nebel abgeſprochen. Sorgfältigere Anwendung von Spiegelteleſkopen der größten Dimenſion und Lichtſtärke hat ſpäter noch ſicherer erwieſen, was ſchon Demokritus und Manilius vom alten Wege des Phaethon vermuteten, daß der milchige Lichtſchimmer allein den zuſammengedrängten kleinen Sternſchichten, nicht aber den ſparſam eingemengten Nebelflecken zuzuſchreiben ſei. Dieſer Lichtſchimmer iſt derſelbe an Punkten, wo alles ſich vollkommen in Sterne auflöſt, und zwar in Sterne, die ſich auf einen ſchwarzen, ganz dunſtfreien Grund pro— jizteren.°° Es iſt im allgemeinen ein merkwürdiger Cha: rakter der Milchſtraße, daß kugelförmige Sternhaufen (globular , clusters) und Nebelflecke von regelmäßiger ovaler Form in derſelben gleich ſelten ſind,,“ während beide in ſehr großer Entfernung von der Milchſtraße ſich angehäuft finden, ja in den Magelhaensſchen Wolken iſolierte Sterne, kugelförmige Sternhaufen in allen Zuſtänden der Verdichtung und Nebel— flecke von beſtimmt ovaler und von ganz unregelmäßiger Form miteinander gemengt ſind. Eine merkwürdige Ausnahme von dieſer Seltenheit kugelförmiger Sternhaufen in der Milchſtraße bildet eine Region derſelben zwiſchen RA. 16" 45° und 18 44“, zwiſchen dem Altar, der ſüdlichen Krone, dem Kopf und Leibe des Schützen und dem Schwanz des Skorpions. Zwiſchen s und 9 des letzteren liegt ſelbſt einer der am ſüd— lichen Himmel ſo überaus ſeltenen ringförmigen Nebel. In dem Geſichtsfelde mächtiger Teleſkope (und man muß ſich BT — 129 — erinnern, daß nach Schätzungen von Sir William Herſchel ein 20füßiges Inſtrument 900, ein 40füßiges 2800 Siriusweiten eindringt) erſcheint die Milchſtraße ebenſo verſchiedenartig in ihrem ſideralen Inhalte, als ſie ſich unregelmäßig und unbeſtimmt in ihren Umriſſen und Grenzen dem unbewaffneten Auge darſtellt. Wenn in einigen Strichen ſie über weite Räume die größte Einförmigkeit des Lichtes und der ſcheinbaren Größe der Sterne darbietet, ſo folgen in anderen Strichen die glän— zendſten Fleckchen eng zuſammengedrängter Lichtpunkte, durch dunklere?“ ſternarme Zwiſchenräume körnig oder gar netz— förmig unterbrochen; ja in einigen dieſer Zwiſchenräume, ganz im Inneren der Galaxis, iſt auch nicht der kleinſte Stern (18m oder 20”) zu entdecken. Man kann ſich des Ge— dankens nicht erwehren, daß man dort durch die ganze Stern— ſchicht der Milchſtraße wirklich durchſehe. Wenn Stern— eichungen eben erſt im teleſkopiſchen Geſichtsfelde (von 15“ Durchmeſſer) nur 40 bis 50 Sterne als Mittelzahl gegeben haben, ſo folgen bald daneben Geſichtsfelder mit 400 bis 500. Sterne von höherer Ordnung treten oft im feinſten Sternen— dunſte auf, während alle mittleren Ordnungen fehlen. Was wir Sterne der niedrigſten Ordnung nennen, mögen uns nicht immer nur wegen ihres ungeheuren Abſtandes als ſolche er— ſcheinen, ſondern auch weil ſie wirklich von geringerem Volum und geringerer Lichtentwickelung ſind. Um die Kontraſte der reicheren oder ärmeren Anhäufung von Sternen, des größten oder minderen Glanzes aufzu— faſſen, muß man Regionen bezeichnen, die ſehr weit von— einander entfernt liegen. Das Maximum der Anhäufung und der herrlichſte Glanz findet ſich zwiſchen dem Vorderteil des Schiffes und dem Schützen oder, genauer geſprochen, zwiſchen dem Altar, dem Schwanz des Skorpions, der Hand und dem Bogen des Schützen und dem rechten Fuß des Schlangenträgers. „Keine Gegend der ganzen Himmelsdecke gewährt mehr Mannigfaltigkeit und Pracht durch Fülle und Art der Gruppierung.” ?° Dieſer ſüdlichen Region kommt im Maximum am nächſten an unſerem nördlichen Himmel die anmutige und ſternreiche Gegend im Adler und Schwan, wo die Milchſtraße ſich teilt. So wie die größte Schmalheit unter den Fuß des Kreuzes fällt, iſt dagegen die Region des Minimums des Glanzes (der Verödung der Milchſtraße) in der Gegend des Einhorns wie in der des Perſeus. Die Pracht der Milchſtraße in der ſüdlichen Hemiſphäre A. v. Humboldt, Kosmos. III. 9 — 130 — wird noch durch den Umſtand vermehrt, daß zwiſchen dem durch ſeine Veränderlichkeit ſo berühmt gewordenen Stern „Argus und 3 Crueis, unter den Parallelen von 59 und 60° füdl. Breite, die merkwürdige Zone ſehr großer und wahrſcheinlich uns ſehr naher Geſtirne, zu welcher die Konſtellationen des Orion und des großen Hundes, des Skor⸗ pions, des Centauren und des Kreuzes gehören, die Milch— ſtraße unter einem Winkel von 20° ſchneidet. Ein größter Kreis, der durch = Orionis und den Fuß des Kreuzes ge— legt wird, bezeichnet die Richtung dieſer merkwürdigen Zone. Die, man möchte ſagen, maleriſch-landſchaftliche Wirkung der Milchſtraße wird in beiden Hemiſphären durch ihre mehr— fache Teilung erhöht. Sie bleibt ungefähr s ihres Zuges hindurch ungeteilt. In der großen Bifurkation trennen ſich nach Sir John Herſchel die Zweige bei 4 Centauri, nicht bei 8 Centauri, wie unſere Sternkarten angeben, oder beim Altar, wie Ptolemäus will; ' fie kommen wieder zuſammen im Schwan. Um den ganzen Verlauf und die Richtung der Milch— ſtraße mit ihren Nebenzweigen im allgemeinen überſehen zu können, geben wir hier in gedrängter Kürze eine Ueberſicht, die nach der Folge der Rektaſzenſionen geordnet iſt. Durch 7 und e Cassiopejae hindurchgehend ſendet die Milchſtraße ſüdlich einen Zweig nach) = Persei, welcher ſich gegen die Plejaden und Hyaden verliert. Der A hier ſehr ſchwach, geht über die Hoedi (Böckchen) im Fuhrmann, die Füße der Zwillinge, die Hörner des Taurus, das Sommer-Solſtitium der Ekliptik und die Keule des Orion nach 6h 54 RA. (für 1800), den Aequator an dem Halſe des Einhorns ſchneidend. Von hier an nimmt die Helligkeit beträchtlich zu. Am Hinter⸗ teil des Schiffes geht ein Zweig ſüdlich ab bis Argus, wo derſelbe plötzlich abbricht. Der Hauptſtrom ſetzt fort bis 330 ſüdl. Dekl., wo er, fächerförmig zerteilt (20 breit), ebenfalls abbricht, ſo daß in der Linie von 7 nach „ Argus ſich eine weite Lücke in er Milchſtraße zeigt. In ähnlicher Ausbreitung beginnt letztere nachher wieder, verengt ſich aber an den Hinter— füßen des Centauren und vor dem Eintritte in das ſüdliche Kreuz, wo ſie ihren ſchmalſten Streifen von nur 3“ oder 4° Breite bildet. Bald darauf dehnt ſich der Lichtweg wieder zu einer hellen und breiten Maſſe aus, die 8 Centauri wie = und 8 Crueis einſchließt und in deren Mitte der ſchwarze birnförmige Kohlenſack liegt, deſſen ich im 7. Abſchnitt Fa: näher erwähnen werde. In dieſer merkwürdigen Region, etwas unterhalb des Kohlenſackes, iſt die Milchſtraße dem Südpol am nächſten. Bei Centauri tritt die ſchon oben berührte Hauptteilung ein, eine Bifurkation, welche ſich nach den älteren Anſichten bis zu dem Sternbild des Schwanes erhält. Zuerſt, von „ Cen- tauri aus gerechnet, geht ein ſchmaler Zweig nördlich nach dem Wolf hinwärts, wo er ſich verliert; dann zeigt ſich eine Teilung beim Winkelmaß (bei 7 Normae). Der nördliche Zweig bildet unregelmäßige Formen bis in die Gegend des Fußes des Schlangenträgers, wo er ganz verſchwindet; der ſüdlichſte Zweig wird jetzt der Hauptſtrom und geht durch den Altar und den Schwanz des Skorpions nach dem Bogen des Schützen, wo er in 276 OLänge die Ekliptik durchſchneidet. Weiterhin erkennt man ihn aber in unterbrochener, fleckiger Geſtalt, fortlaufend durch den Adler, den Pfeil und den Fuchs bis zum Schwan. Hier beginnt eine ſehr unregelmäßige Gegend, wo zwiſchen =, » und 7 Cygni eine breite, dunkle Leere ſich zeigt, die Sir John Herſchel?“ mit dem Kohlenſack im ſüdlichen Kreuze vergleicht und die wie ein Centrum bildet, von welchem drei partielle Ströme ausgehen. Einer derſelben, von größerer Lichtſtärke, kann gleichſam rückwärts über 8 Cygni und s Aquilae verfolgt werden, jedoch ohne ſich mit dem bercits oben erwähnten, bis zum Fuß des Ophiuchus gehenden Zweige zu vereinigen. Ein beträchtlicher Anſatz der Milchſtraße dehnt ſich außerdem noch vom Kopfe des Cepheus, alſo in der Nähe der Kaſſiopeia, von welcher Konſtellation an wir die Schilderung der Milchſtraße begonnen haben, nach dem kleinen Bären und dem Nordpol hin aus. Bei den außerordentlichen Fortſchritten, welche durch An— wendung großer Teleſkope allmählich die Kenntnis von dem Sterninhalte und der Verſchiedenheit der Lichtkonzentration in einzelnen Teilen der Milchſtraße gemacht hat, ſind an die Stelle bloß optiſcher Projektionsanſichten mehr phyſiſche Geſtaltungsanſichten getreten. Thomas Wright *' von Durham, Kant, Lambert und zuerſt auch William Herſchel waren geneigt, die Geſtalt der Milchſtraße und die ſcheinbare Anhäufung der Sterne in derſelben als eine Folge der abgeplatteten Geſtalt und ungleichen Dimenſionen der Weltinſel (Sternſchicht) zu betrachten, in welche unſer Sonnenſyſtem eingeſchloſſen iſt. Die Hypotheſe von der gleichen Größe und gleichartigen Ver— teilung der Fixſterne iſt neuerdings vielſeitig erſchüttert worden. *? — 132 — Der kühne und geiſtreiche Erforſcher des Himmels, William Herſchel hat ſich in ſeinen letzten Arbeiten für die Annahme eines Ringes von Sternen entſchieden, die er in ſeiner ſchönen Abhandlung vom Jahre 1784 beſtritt. Die neueſten Beob— achtungen haben die Hypotheſe von einem Syſtem voneinander abſtehender konzentriſcher Ringe begünſtigt. Die Dicke dieſer Sternringe ſcheint ſehr ungleich, und die einzelnen Schichten, deren vereinten ſtärkeren oder ſchwächeren Licht: glanz wir empfangen, liegen gewiß in ſehr verſchiedenen Höhen, d. h. in verſchiedenen Entfernungen von uns: aber die relative Helligkeit der einzelnen Sterne, die wir von 10. bis 16. Größe ſchätzen, kann nicht in der Art als maß⸗ gebend für die Entfernung betrachtet werden, daß man be— friedigend den Radius der Abſtandsſphäre numeriſch daraus beſtimmen könnte. In vielen Gegenden der Milchſtraße genügt die raum: durchdringende Kraft der Inſtrumente, ganze Sternwolken auf— zulöſen und die einzelnen Lichtpunkte auf die dunkle, ſternloſe Himmelsluft projiziert zu ſehen. Wir blicken dann wirklich d urch wie ins Freie. „It leads us,“ jagt Sir John Herſchel, „irresistibly to the conclusion, that in these regions we see fairly through the starry stratum.“ “ In anderen Ge: genden ſieht man wie durch Oeffnungen und Spalten, ſei es auf ferne Weltinſeln oder weit auslaufende Zweige des Ringſyſtems; in noch anderen iſt die Milchſtraße bisher un- ergründlich (fathomless, insondable) geblieben, ſelbſt für das 40füßige Teleſkop.!“ Unterſuchungen über die ungleich— artige Lichtintenſität der Milchſtraße wie über die Größen— ordnungen der Sterne, welche von den Polen der Milch— ſtraße zu ihr ſelbſt hin an Menge regelmäßig zunehmen (die Zunahme wird vorzugsweiſe 30 auf jeder Seite der Milch⸗ ſtraße in Sternen unterhalb der 11. Größe, alſo in nr aller Sterne, bemerkt), haben den neueſten Erforſcher der ſüd— lichſten Himmelsſphäre zu merkwürdigen Anſichten und wahr: ſcheinlichen Reſultaten über die Geſtalt des galaktiſchen Ring— ſyſtems und über das geleitet, was man kühn die Stelle der Sonne in der Weltinſel nennt, welcher jenes Ringſyſtem angehört. Der Standort, den man der Sonne anweiſt, iſt exzentriſch, vermutlich da, wo eine Nebenſchicht ſich von dem Hauptringe abzweigt, in einer der verödeteren Regionen, die — dem ſüdlichen Kreuze näher liegt als dem entgegenge— ſetzten Knoten der Milchſtraße.““ „Die Tiefe, zu der unſer — 133 — Sonnenſyſtem in das Sternſtratum, welches die Milchſtraße bildet, eingetaucht liegt, ſoll dazu (von der ſüdlichen Grenz— oberfläche an gerechnet) dem Abſtande oder Lichtwege von Sternen der 9. und 10., nicht der 11. Größe gleich ſein.“ 0 der eigentümlichen Natur gewiſſer Probleme nach, Meſ— ungen und unmittelbare ſinnliche Wahrnehmungen fehlen, ruht nur wie ein Dämmerlicht auf Reſultaten, zu welchen, ahnungsvoll getrieben, die geiſtige Anſchauung ſich erhebt. Anmerkungen. (S. 103.) Heis verfichert, daß an dem im mittleren Europa ſichtbaren Teil des Himmels nicht mehr als 4 bis 5000 Sterne ge— zählt werden können. Zu Münſter zählte er 5421 Sterne. Da in Münſter acht Zehntel des Himmels ſichtbar ſind, ſo würde unter der Annahme, daß der Reſt der Halbkugel ebenſo dicht mit Sternen be— deckt iſt, als der übrige Himmel, die Geſamtzahl der ſichtbaren Sterne 6800 betragen [D. Herausg.] (S. 103.) Ich kann nicht verſuchen, in eine Anmerkung alle Gründe zuſammenzudrängen, auf welche ſich Argelanders- Anſichten ſtützen. Es wird hinlänglich ſein, aus ſeinen freundſchaft— lichen Briefen an mich hier folgendes mitzuteilen: „Sie haben in früheren Jahren (1843) den Hauptmann Schwinck aufgefordert, nach Maßgabe der auf ſeine Mappa coelestis aufgetragenen Sterne die Zahl derer zu ſchätzen, welche 1. bis 7. Größe (letztere eingeſchloſſen) das ganze Himmelsgewölbe zu enthalten ſcheint. Er findet von — 30° bis + 90° nördlicher Abweichung 12148 Sterne; folglich, in der Vorausſetzung, daß die Anhäufung vom 30° ſüdlicher Abweichung bis zum Südpol dieſelbe ſei, am ganzen Firmament 16200 Sterne von den eben genannten Größen. Dieſe Schätzung ſcheint auch mir der Wahrheit ſehr nahe zu kommen. Es iſt bekannt, daß, wenn man nur die ganze Maſſe betrachtet, jede folgende Klaſſe ungefähr dreimal ſo viel Sterne enthält als die vorhergehende. Nun habe ich nördlich von dem Aequator in meiner Uranometrie 1441 Sterne 6m, woraus für den ganzen Himmel etwa 3000 folgen würden; hierin ſind aber die Sterne 6. 7m nicht einbegriffen, welche man, wenn nur ganze Klaſſen ge: zählt werden, noch zu der ſechſten Klaſſe rechnen müßte. Ich glaube, daß man dieſe zu 1000 annehmen könne, ſo daß man 4000 Sterne 6m hätte, und alſo nach der obigen Regel 12 000 Sterne 7m, oder 18 000 Sterne von In bis 7m inkl. Etwas näher komme ich durch andere Betrachtungen über die Zahl der Sterne 7m, welche ich in meinen Zonen verzeichnet habe, nämlich 2251, bei Berückſichtigung der darunter doppelt oder mehrfach beobachteten und der wahr- ſcheinlich überſehenen. Ich finde auf dieſem Wege zwiſchen 45“ und 80“ nördl. Dekl. 2340 Sterne 7”, und daraus für den ganzen 2 Zu Himmel gegen 17000 Sterne. — Struve gibt die Zahl der Sterne bis 7m in der von ihm durchmuſterten Himmelsgegend (von — 15° zu 490°) zu 13400 an, woraus für den ganzen Himmel 21300 folgen würden. Nach der Einleitung zu Weißes Catol. e zonis Regiomontanis ded. p. XXXII findet Struve in dem Gürtel von — 15° bis + 15“ nach einer Wahrſcheinlichkeits— rechnung 3903 Sterne 1” bis 7m, alſo am ganzen Himmel 15 050. Die Zahl iſt geringer, weil Beſſel die helleren Sterne um faſt eine halbe Größe geringer ſchätzte als ich. Es iſt hier nur ein Mittel— wert zu erhalten, und dieſer würde alſo wohl 18000 von Im bis 7m inkl. ſein. Sir John Herſchel ſpricht in der Stelle der Outlines of Astronomy p. 521, an die Sie mich er— innern, nur von bereits eingetragenen Sternen: „The whole number of stars already registered down to the seventh magnitude, inclusive, amounting to- from 12000 to 15 000.“ Was die ſchwächeren Sterne Sm und 9m betrifft, jo findet Struve in dem oben bezeichneten Gürtel von — 15° bis + 15°: Sterne 8. Größe 10 557, Sterne 9. Größe 37 739; folglich für den ganzen Himmel 40800 Sterne 8m und 145 800 Sterne Im, Wir hätten alſo von Struve von 1. bis 9. Größe inkl. 15 100 + 40800 — 145800 = 201 700 Sterne. Dieſe Zahlen hat Struve gefunden, indem er diejenigen Zonen oder Teile von Zonen, welche dieſelben Himmelsgegenden umfaßten, ſorgfältig verglich, und aus der Zahl der in denſelben gemeinſchaftlichen und der in jeder verſchiedenen Sterne nach der Wahrſcheinlichkeitsrechnung auf die Zahl der wirklich vorhandenen Sterne ſchloß. Da hierbei eine große Zahl von Sternen konkurriert hat, ſo verdient dieſe Rechnung ſehr viel Vertrauen. — Beſſel hat in ſeinen ſämtlichen Zonen zwiſchen — 15° und + 45°, nach Abzug der doppelt oder mehrfach beobachteten und der Sterne 9. 10m, etwa 61000 verſchiedene Sterne Im bis Im inkl. verzeichnet, woraus, mit Berückſichtigung der nach der Wahrſcheinlichkeit über— ſehenen, etwa 101500 der genannten Größen in dieſem Teile des Himmels folgen würden. Meine Zonen enthalten zwiſchen + 45“ und - 80“ etwa 22000 verſchiedene Sterne, davon müſſen aber etwa 3000 von 9. 10m abgezogen werden, bleiben 19000. Meine Zonen ſind etwas reicher als die Beſſelſchen, und ich glaube daher in ihren Grenzen (= 45 und - 80“) überhaupt nicht mehr als 28 500 wirklich exiſtierende Sterne annehmen zu können, jo daß wir aljo 130000 Sterne bis zur Yu inkl. zwiſchen — 15“ und + 80“ hätten. Dies iſt aber 0,62181 des ganzen Himmels; und wir fänden bei gleichmäßiger Verteilung am ganzen Firmament 209000 Sterne, alſo wieder nahe dieſelbe Zahl wie nach Struve, vielleicht ſelbſt eine nicht unbedeutend größere, da Struve die Sterne 9. 10m zu den Sternen Im gerechnet hat. — Die Zahlen, die wir nach meiner Anſicht für den ganzen Himmel annehmen können, wären alſo Im 20, 2m 65, 3m 190, 4m 425, 5m 1100, 6m 3200, 7m 13000, 8m 40000, 9m 142 000; zuſammen von 1. bis — 136 — 9. Größe inkl. 200000 Sterne. — Wenn Sie mir einwerfen, daß Lalande die Zahl der von ihm beobachteten mit bloßen Augen ſichtbaren Sterne zu 6000 angibt, ſo bemerke ich hierauf, daß darunter ſehr viele doppelt und mehrfach beobachtete vorkommen, und daß man nach Weglaſſung dieſer zu der Zahl von nur ungefähr 3800 Sternen in dem zwiſchen — 26° 30° und + 90° liegenden Teile des Him— mels, welchen Lalandes Beobachtungen umfaſſen, gelangt. Da dieſes 0,72310 des ganzen Himmels iſt, jo würden ſich für dieſen wieder 5255 mit bloßen Augen ſichtbare Sterne ergeben. Eine Durchmuſterung der aus ſehr heterogenen Elementen zuſammen— geſetzten Uranographie von Bode (17240 Sterne) gibt nach Ab— zug der Nebelflecke und kleineren Sterne, ſowie der zu 6. Größe erhobenen Sterne 6 . 7. Größe nicht über 5600 von Im bis 6 inkl. Eine ähnliche Schätzung nach den von La Caille zwiſchen dem Südpol und dem Wendekreiſe des Steinbocks verzeichneten Sternen Im bis 6m reduziert ſich für den ganzen Himmel, in zwei Grenzen von 3960 und 5900, wieder auf die Ihnen früher gegebenen mitt— leren Reſultate. Sie ſehen, daß ich mich gern beſtrebt habe, Ihren Wunſch einer gründlicheren Unterſuchung der Zahlen zu erfüllen. Ich darf hinzufügen, daß Herr Oberlehrer Heis in Aachen ſeit mehreren Jahren mit einer überaus ſorgfältigen Umarbeitung meiner Uranometrie beſchäftigt iſt. Nach dem, was von dieſer Arbeit be— reits vollendet worden, und nach den beträchtlichen Vermehrungen meiner Uranometrie, welche ein mit ſchärferem Sehorgan begabter Beobachter erlangt hat, finde ich für die nördliche Halbkugel des Himmels 2836 Sterne Um bis 6m inkl., alſo, bei der Voraus: ſetzung gleicher Verteilung, für das ganze Firmament wieder 5672 dem ſchärfſten Auge ſichtbare Sterne.“ (Aus Handſchriften von Profeſſor Argelander, März 1850.) (S. 103.) Schubert rechnet Sterne bis zur 6. Größe am ganzen Himmel 7000 (faſt wie ich ehemals im Kosmos Bd. |, S. 107) und für den Horizont von Paris über 5000; in der ganzen Sphäre bis zur 9. Größe 70000. Alle dieſe Angaben ſind be— 8 zu hoch. Argelander findet von Im bis Sm nur 58000. S. 104.) „Patrocinatur vastitas caeli, immensa discreta abi in duo atque septuaginta signa. Haec sunt rerum et animantium effigies, in quas digessere caelum periti. In his quidem mille sexcentas adnotavere stellas, insignes vide- licet effectu visuve . .... Plin. Il, 41. — „Hipparchus nun- quam satis laudatus, ut quo nemo magis approbaverit cog- nationem cum homine siderum animasque nostras partem esse caeli, novam stellam et aliam in aevo suo genitam depre- hendit, ejusque motu, qua die fulsit, ad dubitationem est adductus, anne hoc saepius fieret moverenturque et eae quas putamus affıxas; itemque ausus rem etiam Deo improbam, adnumerare posteris stellas ac sidera ad nomen expungere, organis excogitatis, per quae singularum loca atque magni- u me Zul ee M ke ei ec ee * — 137 — tudines signaret, ut facile discerni posset ex eo, non modo an obirent nascerenturve, sed an omnino aliqua transirent moverenturve, item an crescerent minuerenturque, caelo in hereditate cunctis relicto, si quisquam qui cretionem eam caperet inventus esset.“ Plin. II. 26., (S. 105.) Aratus hat das ſeltene Geſchick gehabt, faſt zu: gleich von Ovidius und vom Apoſtel Paulus zu Athen, in einer ernſteren, gegen die Epikureer und Stoiker gerichteten Rede, ge— prieſen zu werden. Paulus nennt zwar nicht den Namen ſelbſt, erwähnt aber unverkennbar eines Verſes aus dem Aratus über die innige Gemeinſchaft des Sterblichen mit der Gottheit. (S. 105.) Von den Jahren unſerer Zeitrechnung, an welche die Beobachtungen des Ariſtyllus wie die Sterntafeln des Hipparchus (128, nicht 140 vor Chr.) und Ptolemäus (138 nach Chr.) zu knüpfen find, handelt auch Baily in den Memoirs ol the Astron. Soc. Vol XIII, 1843, p. 12 und 15. (S. 105.) Die Behauptung, daß, wenn auch Hipparch immer die Sterne nach ihrer Geradaufſteigung und Deklination bezeichnet habe, doch ſein Sternkatalog wie der des Ptolemäus nach Längen und Breiten geordnet geweſen ſei, hat wenig Wahrſcheinlichkeit, und ſteht im Widerſpruch mit Almageſt Buch VII, cap. 4, wo die Beziehungen auf die Ekliptik als etwas Neues, die Kenntnis der Bewegung der Fixſterne um die Pole der Ekliptik Erleichterndes dargeſtellt werden. Die Sterntafel mit beigeſetzten Längen, welche Petrus Victorius in einem mediceiſchen Kodex gefunden und mit dem Leben des Aratus zu Florenz 1567 herausgegeben, wird von dieſem allerdings dem Hipparch zugeſchrieben, aber ohne Beweis. Sie ſcheint eine bloße Abſchrift des Ptolemäiſchen Verzeichniſſes aus einer alten Handſchrift des Almageſt, mit Vernachläſſigung aller Breiten. Da Ptolemäus eine unvollkommene Kenntnis von der Quantität des Zurückweichens der Aequinoktial- und Solſtitial— punkte hatte und dieſelbe ungefähr um 2/9 zu langſam annahm, ſo ſtellt ſein Verzeichnis, das er für den Anfang der Regierung Antonins beſtimmte, die Oerter der Sterne für eine viel frühere Epoche (für das Jahr 63 nach Chr.) dar. Die frühere Epoche, für die das Ptolemäiſche Sternverzeichnis, ſeinem Verfaſſer un— bewußt, das Firmament darſtellt, fällt übrigens ſehr wahrſcheinlich mit der Epoche zuſammen, in welche man die Kataſterismen des Pſeudo-Eratoſthenes verſetzen kann, welche, wie ich ſchon an einem anderen Orte bemerkt habe, ſpäter als der Auguſteiſche Hygin ſind, aus ihm geſchöpft ſcheinen und dem Gedichte Hermes des echten Eratoſthenes fremd bleiben. Dieſe Kataſterismen des Pſeudo— Eratoſthenes enthalten übrigens kaum 700 einzelne Sterne unter die mythiſchen Konſtellationen verteilt. s (S. 106.) Von den ilkhaniſchen Tafeln beſitzt die Pariſer Bibliothek ein Manuſkript von der Hand des Sohnes von Naßir⸗Eddin. Sie führen ihren Namen von dem Titel Ilkhan, — 138 — welchen die in Perſien herrſchenden tatariſchen Fürſten angenom— men hatten. (S. 106.) In meinen Unterſuchungen über den relativen Wert der aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen von Inneraſien habe ich nach den verſchiedenen arabiſchen und perſiſchen Handſchriften der Pariſer Bibliothek die Breiten von Samarkand und Bokhara angegeben. Ich habe wahrſcheinlich gemacht, daß die erſtere größer als 39° 52° ift, während die meiſten und beſſeren Handſchriften von Ulugh Beg 39° 37“, ja das Kitab al-athual von Alfares und der Kanun des Albyruni 40° haben. Ich glaube von neuem darauf aufmerkſam machen zu müſſen, wie wichtig es für die Geographie und für die Geſchichte der Aſtronomie wäre, endlich einmal die Poſition von Samarkand in Länge und Breite durch eine neue und glaubwürdige Beobachtung beſtimmen zu laſſen. Die Breite von Bokhara kennen wir durch Sternkulminationen aus der Reiſe von Burnes. Sie gaben 39° 43° 41”. Die Fehler der zwei ſchönen perſiſchen und arabiſchen Handſchriften (Nr. 164 und 2460) der Pariſer Bibliothek ſind alſo nur ſieben bis acht Minuten; aber der immer in ſeinen Kombinationen ſo glückliche Major Rennell hatte ſich für Bokhara um 19“ geirrt. 1 (S. 109.) Ich dränge hier in eine Note die numeriſchen Angaben aus den Sternverzeichniſſen zuſammen, die minder große Maſſen, eine kleinere Zahl von Poſitionen enthalten. Es folgen die Namen der Beobachter mit Beiſatz der Zahl der Ortsbeſtimmungen: La Caille (er beobachtete kaum zehn Monate 1751 und 1752, mit nur achtmaliger Vergrößerung) 9766 ſüdliche Sterne bis 7m inkl., reduziert auf das Jahr 1750 von Henderſon; Tobias Mayer 998 Sterne für 1756; Flamſteed urſprünglich 2866, aber durch Bailys Sorgfalt mit 564 vermehrt; Bradley 3222, von Beſſel auf das Jahr 1755 reduziert; Pond 1112; Piazzi 7646 Sterne, für 1800; Groombridge 4243, meiſt Cirkumpolarſterne, für 1810; Sir Thomas Brisbane und Rümker 7385 in den Jahren 1822 bis 1828 in Neuholland beobachtete ſüdliche Sterne; Airy 2156 Sterne, auf das Jahr 1845 reduziert; Rümker 12000, am Ham⸗ burger Horizont; Argelander (Kat. von Abo) 560; Taylor (Madras) 11015. Der British Association Catalogue of Stars, 1845 unter Bailys Aufficht bearbeitet, enthält 8377 Sterne von Größe 1 bis 7½. Für die ſüdlichſten Sterne beſitzen wir noch die reichen Verzeichniſſe von Henderſon, Fallows, Maclear und Johnſon auf St. Helena. 1 (S. 113.) Letronne a. a. O. p. 25 und Carteron, Analyse des recherches de Mr. Letronne sur les re— présentations zodiacales 1843, p. 119. „Il est très douteux qu'Eudoxe (Ol. 103) ait jamais employé le mont CC. On le trouve pour la premiere fois dans Euclide et dans le Commentaire d’Hipparque sur Aratus (Ol. 160). Le nom I'seliptique, Seine, est aussi for recent.“ — 139 — (©. 113.) Auch Ideler und Lepſius halten für wahr: ſcheinlich, „daß zwar die Kenntnis des chaldäiſchen Tierkreiſes ſo— wohl der Einteilung als dem Namen nach bereits im 7. Jahr— hundert vor unſerer Zeitrechnung zu den Griechen gelangt, die Aufnahme aber der einzelnen Zodiakalbilder in die griechiſche aſtro— nomiſche Litteratur erſt ſpäter und allmählich erfolgt ſei“. Ideler iſt geneigt zu glauben, daß die Orientalen für die Dodekatomerie Namen ohne Sternbilder hatten; Lepſius hält es für die natür— lichſte Annahme, „daß die Griechen zu einer Zeit, wo ihre Sphäre größtenteils leer war, auch die chaldäiſchen Sternbilder, nach welchen die zwölf Abteilungen genannt waren, den ihrigen zugefügt haben“. Könnte man aber nicht bei dieſer Vorausſetzung fragen, warum die Griechen anfangs nur elf Zeichen hatten, warum nicht alle zwölf der chaldäiſchen Dodekatomerie? Hätten ſie zwölf Bilder überkommen, ſo würden ſie doch wohl nicht eines weggeſchnitten haben, um es ſpäter wieder zuzufügen. (S. 114.) Schon 1812, als ich auch noch der Meinung von einer ſehr alten Bekanntſchaft der Griechen mit dem Zeichen der Wage zugethan war, habe ich in einer ſorgfältigen Arbeit, die ich über alle Stellen des griechiſchen und römiſchen Altertums ge— liefert, in welchen der Name der Wage als Zodiakalzeichens vor— kommt, auf jene Stelle bei Hipparch, in welcher von dem 9519 die Rede iſt, das der Centaur (an dem Vorderfuß) hält, wie auf die merkwürdige Stelle des Ptolemäus lib. IX, cap. 7 hingewieſen. In der letzteren wird die ſüdliche Wage mit dem Beiſatz zur“ Xaxöatons genannt und den Skorpionsſcheren entgegengeſetzt in einer Beobachtung, die gewiß nicht in Babylon, ſondern von den in Syrien und Alexandrien zerſtreuten aſtrologiſchen Chaldäern gemacht war. Buttmann wollte, was wenig wahrſcheinlich iſt, daß die yrokor urſprünglich die beiden Schalen der Wage bedeutet hätten und ſpäter durch ein Mißverſtändnis in die Scheren eines Skor— pions umgewandelt wurden. Auffallend bleibt es mir immer, bei der Analogie zwiſchen vielen Namen der 27 Mondhäuſer und der Dodekatomerie des Tierkreiſes, daß unter den gewiß ſehr alten indiſchen Nakſchatras (Mondhäuſern) ſich ebenfalls das Zeichen der Wage befindet. (S. 114.) Adolf Holtzmann über den griechiſchen Urſprung des indiſchen Tierkreiſes 1841, S. 9, 16 und'23. „Die aus dem Amarakoſcha und Ramayana angeführten Stellen,“ heißt es in der letztgenannten Schrift, „ſind von unzweifelhafter Auslegung, ſie ſprechen in den deutlichſten Ausdrücken vom Tier— kreiſe ſelbſt; aber wenn die Werke, in denen ſie enthalten, früher verfaßt ſind, als die Kunde des griechiſchen Tierkreiſes nach Indien gelangen konnte, ſo iſt genau zu unterſuchen, ob jene Stellen nicht jüngere Zuſätze ſind.“ (S. 114.) Bei Gelegenheit der förmlichen Unterhandlungen Lalandes mit Bode über die Einführung ſeiner Hauskatze und — 140 — eines Erntehüters (Messier!) klagt Olbers darüber, daß, „um für Friedrichs Ehre am Himmel Raum zu finden, die Andromeda ihren rechten Arm an eine andere Stelle legen mußte, als derſelbe ſeit 3000 Jahren eingenommen hatte.“ S. 115.) Plut. De plac. Phil. 55 11; Diog. Laert. VIII, 705 Achilles Tat. a d. Ara t., cap. 5: Ex., a οτννανν 705 0 (7557 obpmybv) eivar wnav, NN Tod nu 8 80890 suhkerevem; ebenſo findet fi) nur der Ausdruck friftallartig bei Diog. und Galenus, Empedocles, Lactantius, De opificio Dei, c. 17: „an, si mihi quispiam dixerit aeneum esse coelum, aut vitreum, aut, Empedocles ait, aörem glaciatum, statimne assen- tiar, quia coelum ex qua materia sit, ignorem?“ Für dies coelum vitreum gibt es fein auf uns gekommenes frühes helleni— ſches Zeugnis; denn nur ein Himmelskörper, die Sonne, wird von Philolaus ein glasartiger Körper genannt, welcher die Strahlen vom Centralfeuer empfängt und uns zuwirft. (Die oben im Text bezeichnete Anſicht des Empedokles von Reflexion des Sonnen— lichts durch den hagelartig geronnenen Mondkörper iſt von Plutarch erwähnt apud Euseb. Praep. Evangel. I. p. 24 D und de facie in orbe Lunae cap. 5.) Wenn in Homer und Pindar der Uranos yarreos und srönpeos heißt, jo bezieht ſich der Ausdruck, wie in dem ehernen Herzen und in der ehernen Stimme, nur auf das Feſte, Dauernde, Unvergängliche. Das Wort »pbsto.kkog, auf den eisartig durchſichtigen Bergkriſtall angewandt, findet ſich wohl zuerſt vor Plinius bei Dionyſius Periegetes, Aelian und bei Strabo. Die Meinung, daß die Idee des kriſtallenen Himmels als Eisgewölbes (aör glaciatus des Lactantius) mit der den Alten durch Bergreiſen und den Anblick von Schnee— bergen wohlbekannten Wärmeabnahme der Luftſchichten von unten nach oben entſtanden ſei, wird dadurch widerlegt, daß man ſich über der Grenze des eigentlichen Luftkreiſes den feurigen Aether und die Sterne an ſich als warm dachte. — Bei Erwähnung der Himmelstöne, welche „nach den Pythagoreern die Menſchen darum nicht vernehmen, weil ſie kontinuierlich ſind, und Töne nur ver— nommen werden, wenn ſie durch Stillſchweigen unterbrochen ſind“, behauptet Aristoteles ſonderbar genug, daß die Bewegung der Sphären Wärme in der unter ihnen liegenden Luft erzeugt, ohne ſich ſelbſt zu erhitzen. Ihre Schwingungen bringen Wärme, keine Töne hervor. „Die Bewegung der Firſternſphäre iſt die ſchnellſte, während dieſe Sphäre und die an ſie gehefteten Körper im Kreiſe ſich herumſchwingen, wird immer der zunächſt unten liegende Raum durch die Sphärenbewegung in Hitze gebracht, und es erzeugt ſich die bis zur Erdoberfläche herab verbreitete Wärme.“ Auffallend iſt es mir immer geweſen, daß der Stagirite ſtets das Wort Kriſtallhimmel vermeidet, da der Ausdruck: angeheftete Sterne, sens. date, deſſen er ſich bedient, doch auf den all— gemeinen Begriff feſter Sphären hindeutet, ohne aber die Art der 1 c ²⁰iů ̃ ö ᷑u . ¼omro:Mi ̃ ;1 ̃ ͤ—⅜.n.g —;f̃ ůÿEAp̃ͥũ mm t!½̃̃ i!! — m ũmůͥu . — u — 141 — Materie zu ſpezifizieren. Cicero ſelbſt läßt ſich über dieſe auch nicht vernehmen, aber in ſeinem Kommentator Macrobius findet man Spuren freierer Ideen über die mit der Höhe abnehmende Wärme. Nach ihm ſind die äußerſten Zonen des Himmels von ewiger Kälte heimgeſucht. „Ita enim non solum terram sed ipsum quoque coelum, quod vere mundus vocatur, temperari a sole certissimum est, ut extremitates ejus, quae a via solis longissime recesserunt, omni careant beneficio caloris et una frigoris perpetuitate torpescant.“ Dieſe extremitates coeli, in welche der Biſchof von Hippo eine Region eiskalter Waſſer, dem oberſten und darum kälteſten aller Planeten, Saturn, nahe, ver— legte, ſind immer noch der eigentliche Luftkreis; denn höher über dieſer äußerſten Grenze liegt erſt, nach einer etwas früheren Aus— ſage des Macrobius, der feurige Aether, welcher, rätſelhaft genug, jener ewigen Kälte nicht hinderlich iſt. „Stellae, supra coelum locatae, in ipso purissimo aethere sunt, in quo omne, quid- quid est, lux naturalis et sua-est (der Sitz ſelbſtleuchtender Ge— jtirne), quae tota cum igne suo I“ sphaerae solis incumbit, ut coeli zonae, quae procul a sole sunt, perpetuo frigore oppressae sint.“ Wenn ich hier den phyſikaliſchen und meteoro- logiſchen Ideenzuſammenhang bei Griechen und Römern ſo um— ſtändlich entwickele, ſo geſchieht es nur, weil dieſe Gegenſtände außer den Arbeiten von Ukert, Henri Martin und dem vortreff— lichen Fragmente der Meteorologia veterum von Julius Ideler bisher ſo unvollſtändig und meiſt ungründlich behandelt worden ſind. 7 (S. 115.) Daß daß Feuer die Kraft habe, erſtarren zu machen, daß die Eisbildung ſelbſt durch Wärme befördert wird, ſind tief eingewurzelte Meinungen in der Phyſik der Alten, die auf einer ſpielenden Theorie der Gegenſätze (antiperistasis), auf dunkeln Begriffen der Polarität (auf einem Hervorrufen entgegen— geſetzter Qualitäten oder Zuſtände) beruhen. Hagel entſteht in um ſo größerer Maſſe, als die Luftſchichten erwärmter ſind. Beim Winterfiſchfang an der Küſte des Pontus wird warmes Waſſer angewandt, damit in der Nähe des eingepflanzten Rohres das Eis ſich vermehre. 18 (S. 116.) Kepler ſagt ausdrücklich in Stella Martis, fol: 9: solidos orbes rejeci; in der Stella nova 1606, cap. 2, P. 8: planetae in puro aethere, perinde atque aves in aöre, eursus suos conficiunt. Früher war er aber der Meinung von einem feſten, eiſigen Himmelsgewölbe (orbis ex aqua factus gelu concreta propter solis absentiam) zugethan. Schon volle 2000 Jahre vor Kepler behauptete Empedokles, daß die Firfterne am Kriſtallhimmel angeheftet, „die Planeten aber frei und losgelaſſen ſeien (ce d rhavmtas aveisdor). Wie nach Plato im Timäus (nicht nach Ariſtoteles) die an feſte Sphären gehefteten Fixſterne einzeln rotierend gedacht werden ſollen, iſt ſchwer zu begreifen. ee TE " (S. 117.) „Les principales causes de la vue indistincte sont: aberration de spherieite de l’oeil, diffraction sur les bords de la pupille, communication d' irritabilite à des points voisins sur la retine. La vue confuse est celle oü le foyer ne tombe pas exactement sur la retine, mais tombe au devant ou derriere la retine. Les queues des étoiles sont l’effet de la vision indistincte autant qu'elle depend de la constitution du eristallin. D’apres un tres ancien mémoire de Hassenfratz (1809) ‚les queues au nombre de 4 ou 8 qu’offrent les étoiles ou une bougie vue & 25 metres de distance, sont les caustiques du cristallin formées par l’intersection des rayons refractes.‘ Ces caustiques se meuvent à mesure que nous inclinons la tete. — La propriete de la lunette de terminer l’image fait qu'elle concentre dans un petit espace la lumiere qui sans cela en aurait occupe un plus grand. Cela est vrai pour les étoiles fixes et pour les disques des planetes. La lumiere des étoiles qui n’ont pas de disques reels, conserve la meme intensite, quel que soit le grossissement. Le fond de Pair duquel se detache l’etoile dans la lunette, devient plus noir par le grossissement, qui dilate les molécules de l'air qu’em- brasse fe champ de la lunette. Les planètes a vrais disques deviennent elles-m&mes plus päles par cet effet de dilatation. — (Juand la peinture focale est nette, quand les rayons partis d'un point de l’objet se sont concentrés en un seul point dans l'image, l’oculaire donne des résultats satisfaisants. Si au contraire les rayons emanes d'un point ne se réunissent pas au foyer en un seul point, s'ils y forment un petit cercle, les images de deux points contigus de l'objet empietent néces— sairement l’une sur l'autre; leurs rayons se confondent. Cette confusion la lentille oculaire ne saurait la faire disparaitre. L'office qu'elle remplit exclusivement, c'est de grossir; elle grossit tout ce qui est dans l'image, les defauts comme le reste. Les étoiles n'ayant pas de diametres angulaires sen- sibles, ceux qu'elles conservent toujours, tiennent pour la plus grande partie au manque de perfection des instrumens (à la courbure moins reguliere donnée aux deux faces de la lentille objective) et à quelques defauts et aberrations de notre oeil. Plus une étoile semble petite, tout étant egal quand au dia- metre de l’objectif, au grossissement employé et a l’eclat de l'etoile observée, et plus la lunette a de perfection. Or le meilleur moyen de juger si les étoiles sont tres petites, si des points sont representes au foyer par de simples points, c'est evidemment de viser à des étoiles excessivement rapprochees entr’elles et de voir si dans les étoiles doubles connues les images se confondent, si elles empietent Pune sur l'autre, ou bien si on les apergoit bien nettement séparées.“ (Arago, Handſchr. von 1834 und 1847.) — 143 — 20 (S. 117.) Horapollinis Niloi Hieroglyphica. Der gelehrte Herausgeber (Leemans) erinnert aber gegen Jomard, daß der Stern als Zahlzeichen 5 bisher auf den Monumenten und Papyrusrollen noch nicht gefunden worden iſt. 21 (S. 117.) Auf ſpaniſchen Schiffen in der Südſee habe ich bei Matroſen den Glauben gefunden, daß man vor dem erſten Viertel das Alter des Mondes beſtimmen könne, wenn man die Mondſcheibe durch ein ſeidenes Gewebe betrachte und die Vervielfältigung der Bilder zähle; — ein Phänomen der Diffraktion durch feine Spalten. , 22 (S. 117.) Arago hat den falſchen Durchmeſſer des Aldebaran im Fernrohr von 4“ bis 15“ wachſen machen, indem er das Ob— jektiv verengte. 23 (S. 118.) „Minute and very close companions, the severest tests which can be applied to a telescope“; Outlines $ 837. Unter den planetariſchen Weltkörpern können zur Prüfung der Lichtſtärke eines ſtark vergrößernden optiſchen Inſtrumentes dienen: der erſte und vierte, von Laſſel und Otto Struve 1847 wieder geſehene Uranustrabant; die beiden innerſten und der ſiebente Saturnstrabant (Mimas, Enceladus und Bonds Hyperion); der von Laſſell aufgefundene Neptunsmond. Das Eindringen in die Tiefen der Himmelsräume veranlaßt Bacon in einer beredten Stelle zum Lobe Galileis, dem er irrigerweiſe die Erfindung der Fern— röhren zuſchreibt, dieſe mit Schiffen zu vergleichen, welche die „Menſchen in einen unbekannten Ozean leiten, „ut propiora exer- cere possint cum coelestibus commercia“. 2 (S. 119.) „Der Ausdruck Öroxrıspos, deſſen ſich Ptolemäus in ſeinem Katalog für die ſechs von ihm genannten Sterne gleich— förmig bedient, bezeichnet einen geringen Grad des Ueberganges von feuergelb in feuerrot; er bedeutet alſo, genau zu ſprechen, feuerrötlich. Den übrigen Fixſternen ſcheint er im allgemeinen das Prädikat 8/99 ds, feuergelb, zu geben. K:zösc iſt nach Galenus ein blaſſes Feuerrot, das in Gelb ſpielt. Gellius ver— gleicht das Wort mit melinus, was nach Servius ſo viel bedeutet als gilvus und fulvus. Da Sirius von Seneca röter als Mars genannt wird, und derſelbe zu den Sternen gehört, welche im Almageſt drözıppo. genannt werden, jo bleibt kein Zweifel, daß das Wort das Vorherrſchen oder wenigſtens einen gewiſſen Anteil roter Strahlen andeutet. Die Behauptung, daß das Wort zarztkoz, welches Aratus v. 327 dem Sirius beilegt, von Cicero durch rutilus überſetzt worden ſei, iſt irrig Cicero ſagt allerdings v. 348: Namque pedes subter rutilo cum lumine claret Fervidus ille Canis stellarum luce refulgens; allein rutile cum lumine iſt nicht Ueberſetzung des romiloc, ſondern ein Zuſatz des freien Ueberſetzers.“ (Aus Briefen des Herrn — 14 — „ Profeſſor Franz an mich.) „Si en substituant 1π]Guius,“ ſagt Arago, „au terme grec d' Aratus, l’orateur romain renonce a dessein & la fidelite, il faut supposer que lui-m&me avait reconnu les propriétés rutilantes de la lumiere de Sirius.“ (S. 119.) Sir John Herſchel im Edinb. Review. Vol. 5 1848, p. 189: „It seems much more likely that in Sirius a red colour should be the effect of a medium inter- fered, than that in the short space of 2000 years so vast a body should have actually undergone such a material change in its physical constitution. It may be supposed the existence of some sort of cosmical eloudiness, subject to internal move- ments, depending on causes of which we are ignorant.“ 26 (S. 120.) In Muhamedis Alfragani Chronolo- gica et Astronomica elementa, ed. Jacobus Christ- mannus 1590, cap. 22, p. 97 heißt es: „stella ruffa in Tauro Aldebaran; stella ruffa in G minis quae appellatur Hajo, hoc est Capra.“ Alhajoc, Aijuk find aber im arabiſch-lateiniſchen Almageſt die gewöhnlichen Namen der Capella im Fuhrmann. Argelander bemerkt dazu mit Recht, daß Ptolemäus in dem echten, durch Stil und ale Zeugniſſe bewährten, aſtrologiſchen Werke (terpaßıBkog odvrad:c) nach Aehnlichkeit der Farbe Planeten an Sterne knüpft und 0 Capella mit Martis stella, quae urit sicut congruit igneo ipsius colori, mit Aurigae stella verbindet. Auch Riccioli rechnet Capella neben Antares, Al debaran und Arcturus zu den roten Sternen. [S. den Zuſatz am Schluſſe dieſes Bandes.] (S. 120.) Die vollſtändige Einrichtung des ägyptiſchen Kalenders wird in die früheſte Epoche des Jahres 3285 vor unſerer Zeitrechnung, d. i. ungefähr anderthalb Jahrhunderte nach der Erbauung der großen Pyramide des Cheops-Chufu, und 940 Jahre vor der gewöhnlichen Angabe der Sintflut, geſetzt. In der Be— rechnung über den Umſtand, daß die von Oberſt Vyſe gemeſſene Inklination des unterirdiſchen, in das Innere der Pyramide führen— den, engen Ganges ſehr nahe dem Winkel von 26° 15“ entſpricht, welchen zu den Zeiten des Cheops (Chufu) der den Pol bezeichnende Stern „ des Drachen in der unteren Kulmination zu Gizeh er: reichte, iſt die Epoche des Pyramidenbaues nicht, wie nach Lepſius im Kosmos, zu 3430, ſondern zu 3970 vor Chr. angenommen. Dieſer Unterſchied von 540 Jahren widerſtreitet um ſo weniger der Annahme, daß « Drac. für den Polarſtern galt, als derſelbe im Jahre 3970 noch 3° 44° vom Pole abſtand. (S. 120.) Aus freundſchaftlichen Briefen des Profeſſors Lepſius (Februar 1850) habe ich folgendes geſchöpft: „Der ägyp— tiſche Name des Sirius iſt Sothis, als ein weibliches Geſtirn bezeichnet; daher griechiſch J Lcges identifiziert mit der Göttin Sote (hieroglyphiſch öfters Sit) und im Tempel des großen Ramſes in Theben mit Iſis-Sothis. Die Bedeutung der Wurzel findet ſich im Koptiſchen, und zwar mit einer zahlreichen Wortfamilie ver— wandt, deren Glieder ſcheinbar weit auseinander gehen, ſich aber folgendermaßen ordnen laſſen. Durch dreifache Uebertragung der Verbalbedeutung erhält man aus der Urbedeutung auswerfen, projicere (sagittam, telum) erſt ſäen, seminare; dann exten- dere, ausdehnen, ausbreiten (geſponnene Fäden); endlich, was hier am wichtigſten iſt, Licht ausſtrahlen und glänzen (von Sternen und Feuer). Auf dieſe Reihe der Begriffe laſſen ſich die Namen der Gottheiten Satis (die Schützin), Sothis (die Strahlende) und Seth (der Feurige) zurückführen. Hieroglyphiſch laſſen ſich nad): weiſen: sit oder seti, der Pfeil wie auch der Strahl, seta, ſpinnen, setu, ausgeſtreute Körner. Sothis iſt vorzugsweiſe das hellſtrah— lende, die Jahreszeiten und Zeitperioden regelnde Geſtirn. Der kleine, immer gelb dargeſtellte Triangel, der ein ſymboliſches Zeichen der Sothis iſt, wird, vielfach wiederholt und aneinander gereihet (in dreifachen Reihen, von der Sonnenſcheibe abwärts ausgehend), zur Bezeichnung der ſtrahlenden Sonne benutzt! Seth iſt der Feuergott, der ſengende, im Gegenſatz der wärmenden, befruchtenden Nilflut, der die Saaten tränkenden weiblichen Gottheit Satis. Dieſe iſt die Göttin der Katarakte, weil mit dem Erſcheinen der Sothis am Himmel zur Zeit der Sommerwende das Anſchwellen des Nils begann. Bei Vettius Valens wird der Stern ſelbſt Ind ftatt Sothis genannt; keineswegs aber kann man, wie Ideler gethan hat, dem Namen oder der Sache nach auch Thoth mit Seth oder Sothis identifizieren.“ Dieſen Betrachtungen aus der ägyptiſchen Urzeit laſſe ich die helleniſchen Zend: und Sanskritetymologieen folgen „sip, die Sonne,“ ſagt Profeſſor Franz, „iſt ein altes Stammwort, nur mundartlich verſchieden von Jep, 98998, die Hitze, der Sommer, wobei die Veränderung des Vokallautes wie in zeipos und 8995 oder des hervortritt. Zum Beweis der Richtigkeit der angegebenen Verhältniſſe der Stammwörter seie und dep, Jsgos dient nicht nur die Anwendung von Jegstrotos bei Aratus v. 149, ſondern auch der ſpätere Gebrauch der aus gelß abgeleiteten Formen szıpös, gelprog, Seibt, heiß, brennend. Es iſt nämlich bezeichnend, daß ger oder serpıva ic ebenſo gejagt wird wie depıva Inarım, leichte Sommerkleider. Ausgebreiteter aber ſollte die Anwendung der Form ssigios werden; fie bildete das Beiwort aller Geſtirne, welche Einfluß auf die Sommerhitze haben, daher nach der Ueber— lieferung des Dichters Archilochus die Sonne setproc ag und Ibycus die Geſtirne überhaupt sein, die leuchtenden, nennt. Daß in den Worten des Archilochus: moAAods yEv udrod selptos Ru- ravovet SU Ehhaproy die Sonne wirklich gemeint iſt, läßt ſich nicht bezweifeln. Nach Heſychius und Suidas bedeutet allerdings Leigtos Sonne und Hundsſtern zugleich; aber daß die Stelle des Heſiodus, wie Tzetzes und Proclus wollen, ſich auf die Sonne und nicht auf den Hundsſtern beziehe, iſt mir ebenſo gewiß als dem neuen Herausgeber des Theon aus Smyrna, Herrn Martin. A. v. Humboldt, Kosmos. III. 10 — 146 — Von dem Adjektivum seiproc, welches ſich als epitheton perpetuum des Hundsſternes ſelbſt feſtgeſetzt hat, kommt das Verbum seıpızv, das durch funkeln überſetzt werden kann. Aratus, v. 331, ſagt vom Sirius: 588 serpezer, er funkelt ſcharf. Eine ganz andere Etymologie hat das allein ſtehende Wort Lei, die Sirene; und Ihre Vermutung, daß es wohl nur eine zufällige Klangähnlichkeit mit dem Leuchtſtern Sirius habe, iſt vollkommen begründet. Ganz irrig iſt die Meinung derer, welche nach Theon Smyrnäus Zerprnv von osısralery (einer übrigens auch unbeglaubigten Form für geit) ableiten. Während daß in seiptos die Bewegung der Hitze und des Leuchtens zum Ausdruck kommt, liegt dem Worte Leite eine Wurzel zum Grunde, welche den fließenden Ton des Naturphänomens darſtellt. Es iſt mir nämlich wahrſcheinlich, daß Leis mit etperv (Plato, Cratyl. 389 D rb rag siperv H sort) zuſammenhängt, deſſen urſprünglich ſcharfer Hauch in den Ziſchlaut überging.“ (Aus Briefen des Profeſſor Franz an mich, Januar 1850.) Das griechiſche Teip, die Sonne, läßt ſich nach Bopp „leicht mit dem Sanskritworte svax vermitteln, das freilich nicht die Sonne, ſondern den Himmel (als etwas Glänzendes bedeutet. Die ge— wöhnliche Sanskritbenennung der Sonne iſt sürya, eine Zuſammen⸗ ziehung von svärya, das nicht vorkommt. Die Wurzel svar be⸗ deutet im allgemeinen glänzen, leuchten. Die zendiſche Be— nennung der Sonne iſt hvare, mit h für s. Das griechiſche Jeg, depos und Jsches kommt von dem Sanskritworte gharma (Nom. gharmas), Wärme, Hitze, her.“ Der ſcharfſinnige Herausgeber des Rigveda, Max Müller, be— merkt, daß „der indiſche aſtronomiſche Name des Hundsſternes vor— zugsweiſe Lubdhaka ift, welches Jäger bedeutet, eine Bezeichnung, die, wenn man an den nahen Orion denkt, auf eine uralte gemein: ſchaftliche ariſche Anſchauung dieſer Sterngruppe hinzuweiſen ſcheint.“ Er iſt übrigens am meiſten geneigt, „Tsiptos von dem vediſchen Worte sira (davon ein Adjektivum sairya) und der Wurzel sri, gehen, wandeln, abzuleiten, ſo daß die Sonne und der hellſte der Sterne, Sirius, urſprünglich Wandelſtern hießen.“ 29 (S. 122.) Lepſius, Chronol. der Aegypter, Bd. J. S. 143. „Im hebräiſchen Texte werden genannt: Asch, der Rieſe (Orion ?), das Vielgeſtirn (die Plejaden, Gemut?) und die Kammern des Südens. Die Siebzig überſetzen: 6 norwv Iieradu zul "Eszepov vor ”Äprtodpoy zul ͤνẽð¼ vorod. % (S. 122.) Martianus Capella verwandelt das Ptolemaeon in Ptolemaeus; beide Namen waren von den Schmeichlern am ägyptiſchen Königshofe erſonnen. Amerigo Veſpucci glaubt drei Canopen ge— ſehen zu haben, deren einer ganz dunkel (fosco) war; „Canopus ingens et niger“, jagt die lateiniſche Ueberſetzung, gewiß einer der ſchwarzen Kohlenſäcke. In den oben angeführten Elem. Chronol. et Astron. von El-Fergani wird erzählt, daß die chriſtlichen PU Pilgrime den Sohel der Araber (Canopus) den Stern der heili— gen Katharina zu nennen pflegen, weil ſie die Freude haben, ihn zu ſehen und als Leitſtern zu bewundern, wenn ſie von Gaza nach dem Berg Sinai wandern. In einer ſchönen Epiſode des älteſten Heldengedichtes der indiſchen Vorzeit, des Ramayana, werden die dem Südpol näheren Geſtirne aus einem ſonderbaren Grunde für neuer geſchaffen erklärt, denn die nördlicheren. Als nämlich die von Nordweſten in die Gangesländer eingewanderten brahma— niſchen Indier von dem 30. Grade nördlicher Breite an weiter in die Tropenländer vordrangen und dort die Urbewohner unter— jochten, ſahen ſie, gegen Ceylon vorſchreitend, ihnen unbekannte Geſtirne am Horizonte aufſteigen. Nach alter Sitte vereinigten ſie dieſelben zu neuen Sternbildern. Eine kühne Dichtung ließ die ſpäter erblickten Geſtirne ſpäter erſchaffen werden durch die Wunderkraft des Visvamitra. Dieſer bedrohte „die alten Götter, mit ſeiner ſternreicheren ſüdlichen Hemiſphäre die nördlichere zu überbieten“. Wenn in dieſer indiſchen Mythe das Erſtaunen wan— dernder Völker über den Anblick neuer Himmelsgefilde ſinnig be— zeichnet wird (der berühmte ſpaniſche Dichter Garcilaſo de la Vega ſagt von den Reiſenden: ſie wechſeln [gleichzeitig] Land und Sterne, mudan de pays y de estrellas), jo wird man lebhaft an den Ein- druck erinnert, welchen an einem beſtimmten Punkte der Erde das Erſcheinen (Aufſteigen am Horizont) bisher ungeſehener großer Sterne, wie der in den Füßen des Centauren, im ſüdlichen Kreuze, im Eridanus oder im Schiffe, und das völlige Verſchwinden der lange heimatlichen auch in den roheſten Völkern erweckt haben muß. Die Fixſterne kommen zu uns und entfernen ſich wieder durch das Vorrücken der Nachtgleichen. Wir haben an einem anderen Orte daran erinnert, daß das ſüdliche Kreuz in unſeren baltiſchen Län— dern bereits 7“ hoch am Horizonte leuchtete, 2900 Jahre vor unſerer Zeitrechnung, alſo zu einer Zeit, wo die großen Pyramiden Aegyptens ſchon ein halbes Jahrtauſend ſtanden. „Canopus kann dagegen nie in Berlin ſichtbar geweſen ſein, da ſeine Diſtanz vom Südpol der Ekliptik nur 14° beträgt. Sie müßte 1“ mehr betragen, um nur die Grenze der Sichtbarkeit für unſeren Horizont zu erreichen.“ (S. 124.) Schwind findet in ſeinen Karten RA. 0 bis 90° Sterne 2858, RA. 90 bis 180° Sterne 3011, RA. 180° bis 270° Sterne 2688, RA. 270° bis 360° Sterne 3591: Summe 12148 Sterne bis 7m. 2 (S. 126.) „A stupendous object, a most magnificent globular cluster,“ jagt Sir John Herſchel, „completely insulated, upon a ground of the sky perfectly b/ack throughout the whole breadth of the sweep.“ 3 (S. 127.) Die erſte und einzige ganz vollſtändige Be— ſchreibung der Milchſtraße in beiden Hemiſphären verdanken wir Sir John Herſchel. In dem ganzen Abſchnitt des Kosmos, welcher der Richtung, der Verzweigung und dem ſo verſchieden— artigen Inhalte der Milchſtraße gewidmet iſt, bin ich allein dem — 148 — obengenannten Aſtronomen und Phyſiker gefolgt. Es bedarf hier wohl kaum der Bemerkung, daß, um nicht dem Sicheren Unſicheres beizumengen, ich in der Beſchreibung der Milchſtraße nichts von dem benutzt habe, was ich, mit lichtſchwachen Inſtrumenten aus: gerüſtet, über das ſo ungleichartige Licht der ganzen Zone während meines langen Aufenthaltes in der ſüdlichen Hemiſphäre in Tage— büchern niedergeſchrieben hatte. 34 (S. 127.) Die Vergleichung der geteilten Milchſtraße mit einem Himmelsfluſſe hat die Araber veranlaßt, Teile der Kon: ſtellation des Schützen, deſſen Bogen in eine ſternreiche Region derſelben fällt, das zur Tränke gehende Vieh zu nennen, ja den ſo wenig des Waſſers bedürftigen Strauß darin zu finden. 35 (S. 128.) „Stars standing on a clear black ground (Kapreiſe, p. 391). This remarkable belt (the milky way, when examined through powerful telescopes) is found (won- derful to relate!) to consist entirely ef stars scattered by millions, like glittering dust, on the black ground of the general heavens.“ (Outlines p. 182, 537 und 539.) 36 (S. 128.) „Globular elusters, except in one region of small extent (between 16" 45‘, and 19 in RA.), and nebulae of regular elliptie forms are comparatively rare in the Milky Way, and are found congregated in the greatest abundance in a part of the heavens the most remote possible from that circle.“ Outlines p. 614. Schon Huygens war ſeit 1656 auf den Mangel alles Nebels und aller Nebelflecke in der Milchſtraße aufmerkſam. In derſelben Stelle, in welcher er die erſte Ent— deckung und Abbildung des großen Nebelfleckes in dem Gürtel des Orion durch einen 28füßigen Refraktor (1656) erwähnt, jagt er (wie ich ſchon oben im zweiten Bande des Kosmos, S. 349, be— merkt): viam lacteam perspicillis inspectam nullas habere ne- bulas; die Milchſtraße ſei wie alles, was man für Nebelſterne halte, ein großer Sternhaufen. Die Stelle iſt abgedruckt in Hugenii Opera varia 1724, p. 540. 37 (S. 129.) „Intervals absolutely dark and completely void of any star of the smallest telescopic magnitude.“ Out- lines p. 536. 3s (S. 129.) „No region of the heavens is fuller of ob- jects, beautiful and remarkable in themselves, and rendered still more so by their mode of association and by the peculiar features assumed by the Milky Way, which are without a parallel in any other part of its course.“ (Kapreiſe p. 386.) Dieſer jo lebendige Ausſpruch von Sir John Herſchel ſtimmt ganz mit den Eindrücken überein, die ich ſelbſt empfangen. Kapitän Jacob (Bombay Engineer) jagt von der Lichtintenſität der Milch: ſtraße in der Nähe des ſüdlichen Kreuzes mit treffender Wahrheit: „Such is the general blaze of starlight near the Cross from that part of the sky, that a person is immediately made — 149 — aware of its having risen above the horizon, though he should not be at the time looking at the heavens, by the increase of general illumination of the atmosphere, resembling the effect of the young moon.“ 39 (S. 130.) Die Beſchreibung des Ptolemäus iſt in einzelnen Teilen vortrefflich, beſonders verglichen mit der Behandlung der Milchſtraße in Ariſtot. Meteorol. lib. I, p. 29 und 34 nach Idelers Ausgabe. % (S. 131.) Auch zwiſchen und y der Kaſſiopeia iſt ein auffallend dunkler Flecken dem Kontraſte der leuchtenden Um— gebung zugeſchrieben. 1 (S. 131.) Einen Auszug aus dem jo ſeltenen Werke des Thomas Wright von Durham (Theory of the Universe, London 1750) hat Morgan gegeben in dem Philos. Magazine Ser. III, No. 32, p. 241. Thomas Wright, auf deſſen Beſtrebungen Kants und William Herſchels ſinnreiche Spekulationen über die Geſtaltung unſerer Sternſchicht die Aufmerkſamkeit der Aſtronomen ſeit dem Anfang dieſes Jahrhunderts ſo bleibend geheftet haben, beobachtete ſelbſt nur mit einem Reflektor von einem Fuß Fokal— länge. (S. 131.) Eine beſtimmte Geſetzmäßigkeit in der Verteilung, ſowohl der Sterne erſter Größe als auch der kleineren Fixſterne, iſt neuerdings wieder von P. Angelo Secchi erkannt worden. — [D. Herausg.] #3 (S. 132.) Outlines p. 536. Auf der nächſtfolgenden Seite heißt es über denſelben Gegenſtand: „In such cases it is equally impossible not to perceive that we are looking through a sheet of stars of no great thickness compared with the distance which separates them from us.‘ 44 (S. 132.) Struve, Etudes stell. p. 63. Bisweilen erreichen die größten Fernröhren einen ſolchen Raum der Himmels— luft, in welchem das Daſein einer in weiter Ferne aufglimmenden Sternſchicht ſich nur durch ein „getüpfeltes, gleichſam lichtgeflecktes“ Anſehen verkündigt (by an uniform dotting or stippling of the field of view). S. in der Kapreiſe, p. 390, den Abſchnitt: „On some indications of very remote telescopie branches of the Milky Way, or of an independent sidereal System, or Systems, bearing a resemblance to such branches.“ 4 (S. 132.) „I think,“ jagt Sir John Herſchel, „it is impossible to view this splendid zone from « Centauri to the Cross without an impression amounting almost to conviction, that the milky way is not a mere stratum, but annular; or at least that our system is placed within one of the poorer or almost vacant parts of its general mass, and that eccen- trically, so as to be much nearer to the region about the Cross than to that diametrieally opposite to it,“ IV. Acn erſchienent und verſchwundent Sterne. — Veränderlide Sterne in gemcſſenen, wiederkehrenden Perioden. — Intenfitätsperänderungen des Lichtes in Geſtirnen, bei denen die Periodizität noch uncrforſcht if. Neue Sterne. — Das Erſcheinen vorher nicht geſehener Sterne an der Himmelsdecke, beſonders wenn es ein plötz⸗ liches Erſcheinen von ſtark funkelnden Sternen erſter Größe iſt, hat von jeher als eine Begebenheit in den Welt⸗ räumen Erſtaunen erregt. Es iſt dies Erſtaunen um ſo größer, als eine ſolche Naturbegebenheit, ein auf einmal Sichtbar⸗ werden deſſen, was vorher ſich unſerem Blicke entzog, aber deshalb doch als vorhanden gedacht wird, zu den allerſeltenſten Erſcheinungen gehört. In den drei Jahrhunderten von 1500 bis 1800 ſind 42 den Bewohnern der nördlichen Hemiſphäre mit unbewaffnetem Auge ſichtbare Kometen erſchienen, alſo im Durchſchnitt in hundert Jahren vierzehn, während für dieſelben drei Jahrhunderte nur acht neue Sterne beobachtet wurden. Die Seltenheit der letzteren wird noch auffallender, wenn man größere Perioden umfaßt. Von der in der Ge⸗ ſchichte der Aſtronomie wichtigen Epoche der Vollendung der Alfonſiniſchen Tafeln an bis zum Zeitalter von William Herſchel, von 1252 bis 1800, zählt man der ſichtbaren Kometen ungefähr 63, der neuen Sterne wieder nur 9; alſo für die Zeit, in welcher man in europäiſchen Kulturländern auf eine ziemlich genaue Aufzählung rechnen kann, ergibt ſich das Verhältnis der neuen Sterne zu den ebenfalls mit bloßen Augen ſichtbaren Kometen wie 1 zu 7. Wir werden bald zeigen, daß, wenn man die nach den Verzeichniſſen des Ma⸗ tuan⸗lin in China beobachteten neu erſchienenen Sterne ſorg⸗ fältig von den ſich ſchweiflos bewegenden Kometen trennt und bis anderthalb Jahrhunderte vor unſerer Zeitrechnung hinauf⸗ jteigt, in faſt 2000 Jahren in allem kaum 20 bis 22 ſolcher Erſcheinungen mit einiger Sicherheit aufgeführt werden können.! Ehe wir zu allgemeinen Betrachtungen übergehen, ſcheint es mir am geeignetſten, durch die Erzählung eines Augen— zeugen und bei einem einzelnen Beiſpiele verweilend, die Lebendigkeit des Eindrucks zu ſchildern, welchen der Anblick eines neuen Sternes hervorbringt. Als ich, ſagt Tycho Brahe, von meinen Reiſen in Deutſchland nach den däniſchen Inſeln zurückkehrte, verweilte ich (ut aulicae vitae fastidium le- nirem) in dem anmutig gelegenen ehemaligen Kloſter Herritzwadt bei meinem Onkel Steno Bille, und hatte die Gewohnheit, erſt am Abend mein chemiſches Laboratorium zu verlaſſen. Da ich nun im Freien nach gewohnter Weiſe den Blick auf das mir wohlbekannte Himmelsgewölbe richtete, ſah ich mit nicht zu beſchreibendem Erſtaunen nahe am Zenith in der Kaſſiopeia einen ſtrahlenden Fixſtern von nie geſehener Größe. In der Aufregung glaubte ich meinen Sinnen nicht trauen zu können. Um mich zu überzeugen, daß es keine Täuſchung ſei und um das Zeugnis anderer einzuſammeln, holte ich meine Arbeiter aus dem Laboratorium und befragte alle vor— beifahrenden Landleute, ob ſie den plötzlich auflodernden Stern ebenſo ſähen als ich. Später habe ich erfahren, daß in Deutſch— land Fuhrleute und „anderes gemeines Volk“ die Aſtronomen erſt auf die große Erſcheinung am Himmel aufmerkſam machten, „was dann (wie bei den nicht vorher angekündigten Kometen) die gewohnten Schmähungen auf gelehrte Männer erneuerte“. „Den neuen Stern,“ fährt Tycho fort, „fand ich ohne Schweif, von keinem Nebel umgeben, allen anderen Fixſternen völlig gleich, nur noch ſtärker funkelnd als Sterne erſter Größe. Sein Lichtglanz übertraf den des Sirius, der Leier und des Jupiter. Man konnte ihn nur der Helligkeit der Venus gleich ſetzen, wenn ſie der Erde am nächſten ſteht (wo dann nur ihr vierter Teil erleuchtet iſt). Menſchen, die mit ſcharfen Augen begabt ſind, erkannten bei heiterer Luft den neuen Stern bei Tage ſelbſt in der Mittagsſtunde. Zur Nachtzeit, bei be— decktem Himmel, wenn alle anderen Sterne verſchleiert waren, wurde er mehrmals durch Wolken von mäßiger Dicke (nubes non admodum densas) geſehen. Abſtände von anderen nahen Sternen der Kaſſiopeia, die ich im ganzen folgenden Jahre mit vieler Sorgfalt maß, überzeugten mich von ſeiner völligen Unbeweglichkeit. Bereits im Dezember 1572 fing die Licht- ſtärke an abzunehmen, der Stern wurde dem Jupiter gleich; im Januar 1573 war er minder hell als Jupiter. Fortgeſetzte photometriſche Schätzungen gaben: für Februar und März Gleichheit mit Sternen erſter Ordnung (stellarum affixarum primi honoris; denn Tycho ſcheint den Ausdruck des Manilius, stellae fixae, nie gebrauchen zu wollen), für April und Mai Lichtglanz von Sternen 2., für Juli und Auguſt 3., für Of: tober und November 4. Größe. Gegen den Monat November war der neue Stern nicht heller als der 11. im unteren Teil der Stuhllehne der Kaſſiopeia. Der Uebergang zur 5. und 6. Größe fand vom Dezember 1573 bis Februar 1574 ſtatt. Im folgenden Monat verſchwand der neue Stern, nachdem er 17 Monate lang geleuchtet, ſpurlos für das bloße Auge.“ (Das Fernrohr wurde erſt 37 Jahre ſpäter erfunden.) Der allmähliche Verluſt der Leuchtkraft des Sternes war dazu überaus regelmäßig, ohne (wie bei Argüs, einem freilich nicht neu zu nennenden Sterne, in unſeren Tagen der Fall iſt) durch mehrmalige Perioden des Wiederauf— loderns, durch eine Wiedervermehrung der Lichtſtärke unter: brochen zu werden. Wie die Helligkeit, ſo veränderte ſich auch die Farbe, was ſpäter zu vielen irrigen Schlüſſen über die Geſchwindigkeit farbiger Strahlen auf ihrem Wege durch die Welträume Anlaß gegeben hat. Bei ſeinem erſten Erſcheinen, ſolange er den Lichtglanz der Venus und des Jupiter hatte, war er zwei Monate lang weiß, dann ging er durch die gelbe Farbe in die rote über. Im Frühjahr 1573 vergleicht ihn Tycho mit Mars, dann findet er ihn faſt mit der rechten Schulter des Orion (mit Beteigeuze) vergleichbar. Am meiſten glich ſeine Farbe der roten Färbung des Aldebaran. Im Früh: jahr 1573, beſonders im Mai, kehrte die weißliche Farbe zurück (albedinem quandam sublividam induebat, qualis Saturni stellae subesse videtur). So blieb er im Januar 1574 fünfter Größe und weiß, doch mit einer mehr getrübten Weiße und im Verhältnis zur Lichtſchwäche auffallend ſtark funkelnd, bis zum allmählichen völligen Verſchwinden im Monat März 1574. Die Umſtändlichkeit dieſer Angaben? beweiſt ſchon den Einfluß, welchen das Naturphänomen in einer für die Aſtro— nomie ſo glänzenden Epoche auf Anregung der wichtigſten Fragen ausüben mußte. Da (trotz der oben geſchilderten all— gemeinen Seltenheit der neuen Sterne) Erſcheinungen derſelben 23 Art ſich, zufällig in den kurzen Zeitraum von 32 Jahren — 13 — zuſammengedrängt, für europäiſche Aſtronomen dreimal wieder— holten, ſo wurde die Anregung um ſo lebhafter. Man er— kannte mehr und mehr die Wichtigkeit der Sternkataloge, um der Neuheit des auflodernden Geſtirns gewiß zu ſein, man diskutierte die Periodizität“ (das Wiedererſcheinen nach vielen Jahrhunderten); ja Tycho ſtellt kühn eine Theorie über die Bildungs- und Geſtaltungsprozeſſe der Sterne aus kosmiſchem Nebel auf, welche viel Analogie mit der des großen William Herſchel hat. Er glaubt, daß der dunſtförmige, in ſeiner Ver— dichtung leuchtende Himmelsſtoff ſich zu Fixſternen balle: Caeli materiam tenuissimam, ubique nostro visui et Pla- netarum circuitibus perviam, in unum globum conden- satam, stellam effingere. Dieſer überall verbreitete Himmels— ſtoff habe ſchon eine gewiſſe Verdichtung in der Milchſtraße, die in einem milden Silberlichte aufdämmere. Deshalb ſtehe der neue Stern, wie die, welche in den Jahren 945 und 1264 aufloderten, am Rande der Milchſtraße ſelbſt (quo factum est quod nova stella in ipso Galaxiae margine constiterit); man glaube ſogar noch die Stelle (die Oeffnung, hiatus) zu erkennen, wo der neblige Himmelsſtoff der Milch— ſtraße entzogen worden ſei.“ Alles dies erinnert an den Ueber— gang des kosmiſchen Nebels in Sternſchwärme, an die haufen— bildende Kraft, an die Konzentration zu einem Centralkern, wan die Hypotheſen über die ſtufenweiſe Entwickelung des Starren aus dem dunſtförmig Flüſſigen, welche im Anfange des 19. Jahrhunderts zur Geltung kamen, jetzt aber, nach ewig wechſelnden Schwankungen in der Gedankenwelt, vielfach neuem Zweifel unterworfen werden. Zu den neu erſchienenen kurzzeitigen Sternen (tem— porary stars) kann man mit ungleicher Gewißheit folgende rechnen, die ich nach den Epochen des erſten Aufloderns ge— ordnet habe: a) 134 vor Chr. im Skorpion, b) 123 nach Chr. im Ophiuchus, c) 173 im Centaur, d) 3692 e) 386 im Schützen, f) 389 im Adler, g) 393 im Skorpion, h) 827? im Skorpion, i) 945 zwiſchen Cepheus und Kaſſiopeia, *) 1012 im Widder, — — 154 — ) 1203 im Skorpion, m) 1230 im Ophiuchus, n) 1264 zwiſchen Cepheus und Kaſſiopeia, o) 1572 in der Kaſſiopeia, p) 1578, q) 1584 im Skorpion, r) 1600 im Schwan, s) 1604 im Ophiuchus, t) 1609, u) 1670 im Fuchs, v) 1848 im Ophiuchus. Erläuterungen. a) Erſte Erſcheinung, Juli 134, vor dem Anfang unſerer Zeit— rechnung. Aus chineſiſchen Verzeichniſſen des Ma-tuan-lin, deren Bearbeitung wir dem Sprachgelehrten Eduard Biot verdanken (Con naissance des temps pour l’an 1846, p. 61), zwiſchen 3 und p des Skorpions. Unter den außerordentlichen, fremdartig ausſehenden Geſtirnen dieſer Verzeichniſſe, welche auch Gaſtſterne (Etoiles hötes, ke-sing, gleichſam Fremdlinge von ſonderbarer Phyſiognomie) genannt und von den mit Schweifen verſehenen Kometen durch die Beobachter ſelbſt geſondert worden ſind, finden ſich allerdings unbewegliche neue Sterne mit einigen ungeſchwänzten fortſchreitenden Kometen vermiſcht; aber in der An— gabe der Bewegung Ke-ſing von 1092, 1181 und 1458) und in der Nichtangabe der Bewegung, wie in dem gelegentlichen Zuſatz: „der Ke-ſing löſte ſich auf“ (und verſchwand), liegt ein wichtiges, wenngleich nicht untrügliches Kriterium. Auch iſt hier an das ſo ſchwache, nie funkelnde, mildſtrahlende Licht des Kopfes aller geſchweiften und ungeſchweiften Kometen zu erinnern, während die Lichtintenſität der chineſiſchen ſogenannten außer— ordentlichen (fremdartigen) Sterne mit der der Venus ver- glichen wird, was auf die Kometennatur überhaupt und insbeſon⸗ dere auf die der ungeſchweiften Kometen gar nicht paßt. Der unter der alten Dynaſtie Han (134 vor Chr.) erſchienene Stern könnte, wie Sir John Herſchel bemerkt, der neue Stern des Hipparch ſein, welcher nach der Ausſage des Plinius ihn zu ſeinem Stern: verzeichnis veranlaßt haben ſoll. Delambre nennt die Angabe zwei— mal eine Fabel, „une historiette“ (Hist. de l’Astr. anc. T. I, p. 290 und Hist. de l' Astr. mo d. T. I, p. 186). Da nach des Ptolemäus ausdrücklicher Ausſage (Almag. VII, 2, p. 13 Halma) Hipparchs Verzeichnis an das Jahr 128 vor unſerer Zeit: rechnung geknüpft iſt und Hipparch (wie ich ſchon an einem anderen Orte geſagt) in Rhodos und vielleicht auch in Alexandrien zwiſchen den Jahren 162 und 127 vor Chr. beobachtete, ſo ſteht der Konjektur 4 — 155 — nichts entgegen; es iſt ſehr denkbar, daß der große Aſtronom von Nicäa viel früher beobachtete, ehe er auf den Vorſatz geleitet wurde, einen wirklichen Katalog anzufertigen. Des Plinius Aus— druck „suo aevo genita“ bezieht ſich auf die ganze Lebenszeit. Als der Tychoniſche Stern 1572 erſchien, wurde viel über die Frage geſtritten, ob Hipparchs Stern zu den neuen Sternen, oder zu den Kometen ohne Schweif gerechnet werden ſollte. Tycho war der erſten Meinung (Progymn. p. 319 - 325). Die Worte „ejusque motu ad dubitationem adductus“ könnten allerdings auf einen ſchwach- oder ungeſchweiften Kometen leiten, aber die rhetoriſche Sprache des Plinius erlaubt jegliche Unbeſtimmtheit des Ausdrucks. b) Eine chineſiſche Angabe. Im Dezember 123 nach dem An- fang unſerer Zeitrechnung zwiſchen » Herc. und Ophiuchi; Ed. Biot aus Ma⸗tuan-lin. (Auch unter Hadrian um das Jahr 130 ſoll ein neuer Stern erſchienen ſein.) c) Ein ſonderbarer, ſehr großer Stern; wieder aus dem Ma— tuan-lin, wie die nächſtfolgenden drei. Es erſchien derſelbe am 10. Dezember 173 zwiſchen und 3 des Centauren, und. ver: ſchwand nach acht Monaten, als er nacheinander die fünf Farben gezeigt. Eduard Biot jagt in ſeiner Ueberſetzung successivement. Ein ſolcher Ausdruck würde faſt auf eine Reihe von Färbungen wie im oben beſchriebenen Tychoniſchen neuen Sterne leiten; aber Sir John Herſchel hält ihn richtiger für die Bezeichnung eines farbigen Funkelns (Outlines p. 540), wie Arago einen faſt ähnlichen Ausdruck Keplers, für den neuen Stern (1604) im Schlangenträger gebraucht, auf gleiche Weiſe deutet (Annuaire pour 1842, P. 347). d) Dauer des Leuchtens vom März bis Auguſt im Jahre 369. e) Zwiſchen A und u des Schützen. Im chineſiſchen Verzeich— nis iſt diesmal noch ausdrücklich bemerkt, „wo der Stern ver— blieb (d. h. ohne Bewegung) von April bis Juli 386". f) Ein neuer Stern nahe bei des Adlers, auflodernd mit der Helligkeit der Venus zur Zeit des Kaiſers Honorius im Jahre 389, wie Cuspinianus, der ihn ſelbſt geſehen, erzählt. Er ver— ſchwand ſpurlos drei Wochen ſpäter.“ g) März 393, wieder im Skorpion und zwar im Schwanze dieſes Geſtirns; aus Ma⸗-tuan-lins Verzeichnis. h) Das Jahr 827 iſt zweifelhaft; ſicherer iſt die Epoche der erſten Hälfte des 9. Jahrhunderts, in welcher unter der Regierung des Kalifen Al-Mamun die beiden berühmten arabiſchen Aſtro— nomen Haly und Giafar Ben-Mohammed Albumazar zu Babylon einen neuen Stern beobachteten, „deſſen Licht dem des Mondes in ſeinen Vierteln geglichen“ haben ſoll! Dieſe Naturbegebenheit fand wieder ſtatt im Skorpion. Der Stern verſchwand ſchon nach einem Zeitraum von vier Monaten. 1) Die Erſcheinung dieſes Sternes, welcher unter dem Kaiſer Otto dem Großen im Jahre 945 aufgeſtrahlt ſein ſoll, wie die des — 156 — Sternes von 1264, beruhen auf dem alleinigen Zeugnis des böh— miſchen Aſtronomen Cyprianus Leovitius, der ſeine Nachrichten aus einer handſchriftlichen Chronik geſchöpft zu haben verſichert und der darauf aufmerkſam macht, daß beide Erſcheinungen (in den Jahren 945 und 1264) zwiſchen den Konſtellationen des Cepheus und der Kaſſiopeia, der Milchſtraße ganz nahe, ebenda ſtattgefunden haben, wo 1572 der Tychoniſche Stern erſchien. Tycho (Progymn. p. 331 und 709) verteidigt die Glaubwürdig— keit des Cyprianus Leovitius gegen Pontanus und Camerarius, welche eine Verwechſelung mit langgeſchweiften Kometen vermuteten. k) Nach dem Zeugnis des Mönchs von St. Gallen Hepidannus (der im Jahre 1088 ſtarb und deſſen Annalen vom Jahre 709 bis 1044 nach Chr. gehen) wurde 1012 am ſüdlichſten Himmel im Zeichen des Widders vom Ende des Monats Mai an drei Monate lang ein neuer Stern von ungewöhnlicher Größe und einem Glanze, der die Augen blendete (oculos verberans), geſehen. Er ſchien auf wunderbare Weiſe bald größer, bald Kleiner, zuweilen ſah man ihn auch gar nicht. „Nova stella apparuit insolitae magnitu- dinis, aspectu fulgurans, et oculos verberans non sine terrore. (Quae mirum in modum aliquando contractior, aliquando dif- fusior, etiam extinguebatur interdum. Visa est autem per tres menses in intimis finibus Austri, ultra omnia signa quae videntur in coelo.* (©. Hepidanni annales breves in Duchesne, Historiae Francorum Scriptores T. III, 1641, 3 477; vergl. auch Schnurrer, Chronik der Seuchen, I 201). Der von Duchesne und Goldaſt benutzten Hand— ſchrift, ee die Erſcheinung unter das Jahr 1012 ſtellt, hat je— doch die neuere hiſtoriſche Kritik eine andere Handſchrift vorgezogen, welche viele Abweichungen in den Jahrzahlen gegen jene, nament— lich um 6 Jahre rückwärts, zeigt. Sie ſetzt die Erſcheinung des Sternes in das Jahr 1006 (ſ. Annales Sangallenses majores in Pertz, Monumenta Germaniae historica, Scriptorum T. I, 1826, p. 81). Auch die Autorſchaſt des Hepi— dannus iſt durch neue Forſchungen zweifelhaft geworden. Jenes ſonderbare Phänomen der Veränderlichkeit nennt Chladni den Brand und die Zerſtörung eines Fixſternes. Hind (No— tices of the Astron. Soc. Vol. VIII, 1848, p. 156) ver⸗ mutet, daß der Stern des Hepidannus identiſch ſei mit einem neuen Stern, welchen Ma-tuan-lin als in China im Februar 1011 im Schützen zwiſchen s und » geſehen verzeichnet. Aber dann müßte ſich Ma⸗tuan⸗lin nicht bloß in dem Jahre, ſondern auch in der Angabe der Konſtellation geirrt haben, in welcher der Stern erſchien. I) Ende Juli 1203 im Schwanz des Skorpions. Nach dem chineſiſchen Verzeichnis „ein neuer Stern von weiß-bläulicher Farbe ohne allen leuchtenden Nebel, dem Saturn ähnlich“. (Eduard Biot in der Con naissance des temps pour 1846, p. 68.) er j — 157 — m) Wieder eine chineſiſche Beobachtung aus Ma tuan⸗lin, deſſen aſtronomiſche Verzeichniſſe, mit genauer Angabe der Poſition der Kometen und Firfterne, bis 613 Jahre vor Chr., alſo bis zu den Zeiten des Thales und der Expedition des Coläus von Samos, hinaufſteigen. Der neue Stern erſchien Mitte Dezembers 1230 zwiſchen Ophiuchus und der Schlange. Er löſte ſich auf Ende März 1231. n) Es iſt der Stern, deſſen Erſcheinung der böhmiſche Aſtronom Cyprianus Leovitius gedenkt (ſ. oben bei dem neunten Sterne im Jahre 945). Zu derſelben Zeit (Juli 1264) erſchien ein großer Komet, deſſen Schweif den halben Himmel einnahm und welcher eben deshalb nicht mit einem zwiſchen Cepheus und Kaſſiopeia neu auflodernden Sterne hat verwechſelt werden können. a o) Der Tychoniſche Stern vom 11. November 1572 im Thron: ſeſſel der Kaſſiopeia; RA. 3“ 26, Dekl. 63 3° (für 1800). p) Februar 1578, aus Ma⸗tuan-lin. Die Konſtellation iſt nicht angegeben; aber die Intenſität des Lichtes und die Strahlung müſſen außerordentlich geweſen ſein, da das chineſiſche Verzeichnis den Beiſatz darbietet: „ein Stern groß wie die Sonne“! g) Am 1. Juli 1584, unweit x des Skorpions; eine chine— ſiſche Beobachtung. r) Der Stern 34 Cygni nach Bayer. Wilhelm Janſon, der ausgezeichnete Geograph, welcher eine Zeitlang mit Tycho beobachtet hatte, heftete zuerſt ſeine Aufmerkſamkeit auf den neuen Stern in der Bruſt des Schwans am Anfange des Halſes, wie eine Inſchrift ſeines Sternglobus bezeugt. Kepler, durch Reiſen und Mangel von Inſtrumenten nach Tychos Tode gehindert, fing erſt zwei Jahre ſpäter an, ihn zu beobachten, ja er erhielt erſt damals (was um ſo mehr Verwunderung erregt, als der Stern 3. Größe war) Nachricht von ſeiner Exiſtenz. „Cum mense Majo anni 1602,“ ſagt er, „primum litteris monerer de novo Cygni phaeno- meno .. (Kepler, De Stella nova tertii honoris in Cygno 1606, angehängt dem Werke De Stella nova in serpent., p. 152, 154, 164 und 167.) In Keplers Abhandlung wird nirgends geſagt (wie man in neueren Schriften oft angeführt findet), daß der Stern im Schwan bei ſeinem erſten Erſcheinen 1. Größe geweſen ſei. Kepler nennt ihn ſogar parva Cygni stella und bezeichnet ihn überall als 3. Ordnung. Er beſtimmt ſeine Poſition in RA. 300° 46“, Dekl. 36° 52° (aljo für 1800: RA. 302° 36“, Dekl. + 37° 27°). Der Stern nahm an Helligkeit beſonders ſeit 1619 ab und perſchwand 1621. Dominique Caſſini (f. Jacques Caſſini, Elémens d' Astr. p. 69) ſah ihn wiederum zu 3. Größe gelangen 1655 und dann ver— ſchwinden; Hevel beobachtete ihn wieder im November 1665, an— fangs ſehr klein, dann größer, doch ohne je die 3. Größe wie— der zu erreichen. Zwiſchen 1677 und 1682 war er ſchon nur noch 6. Größe, und als ſolcher blieb er am Himmel. Sir John Herſchel führt ihn auf in der Liſte der veränderlichen Sterne, nicht jo Argelander. s) Nächſt dem Stern in der Kaſſiopeia von 1572 iſt der be— rühmteſte geworden der neue Stern des Schlangenträgers von 1604 (RA. 259° 42“ und ſüdl. Dekl. 21° 15° für 1800). An je⸗ den derſelben knüpft ſich ein großer Name. Der Stern im rechten Fuß des Schlangenträgers wurde zuerſt nicht von Kepler ſelbſt, ſondern von ſeinem Schüler, dem Böhmen Johann Brunowski, am 10. Oktober 1604, „größer als alle Sterne 1. Ordnung, größer als Jupiter und Saturn, doch weniger groß als Venus“, geſehen. Herlicius will ihn ſchon am 27. September beobachtet haben. Seine Helligkeit ſtand der des Tychoniſchen Sternes von 1572 nach, auch wurde er nicht wie dieſer bei Tage erkannt; ſeine Seintillation war aber um vieles ſtärker und erregte beſonders das Erſtaunen⸗ aller Beobachter. Da das Funkeln immer mit Farbenzerſtreuung verbunden iſt, ſo wird viel von ſeinem farbigen, ſtets wechſelnden Lichte geſprochen. Arago (Annuaire pour 1834, p. 299 bis 301 und Ann. pour 1842, p. 345 bis 347) hat ſchon darauf aufmerkſam gemacht, daß der Keplerſche Stern keinesweges, wie der Tychoniſche, nach langen Zwiſchenräumen eine andere, gelbe, rote und dann wieder weiße Färbung annahm. Kepler ſagt beſtimmt, daß ſein Stern, ſobald er ſich über die Erddünſte erhob, weiß war. Wenn er von den Farben der Iris ſpricht, ſo iſt es, um das farbige Funkeln deutlich zu machen: „Exemplo adamantis multanguli, qui Solis radios inter convertendum ad speetantium oculos variabili fulgore revibraret, colores Iridis (stella nova in Ophiucho) successive vibratu continue reciprocabat.“ (De nova Stella Serpent. p. 5 und 125). Im Anfang des Januars 1605 war der Stern noch heller als Antares, aber von geringerer Lichtſtärke als Areturus. Ende März desſelben Jahres wird er als 3. Größe beſchrieben. Die Nähe der Sonne hinderte alle Beobachtungen vier Monate lang. Zwiſchen Februar und März 1806 verſchwand er ſpurlos. Die ungenauen Beobachtungen über die „großen Poſitionsveränderungen des neuen Sterns“ von Seipio Claramontius und dem, Geographen Blaeu (Blaew) verdienen, wie ſchon Jacques Gafjint ( (Elémens d' Astr. P. 65) bemerkt, kaum einer Erwähnung, da ſie durch Keplers ſicherere Arbeit widerlegt ſind. Die chineſiſchen Verzeichniſſe von Ma-tuan⸗ lin führen eine Erſcheinung an, die mit dem Auflodern des neuen Sterns im Schlangenträger der Zeit und der Poſition nach einige Aehnlichkeit zeigt. Am 30. September 1604 ſah man in China unfern rn des Skorpions einen rotgelben („kugelgroßen“?) Stern. Er leuchtete in Südweſt bis November desſelben Jahres, wo er unſichtbar wurde. Er erſchien wieder den 14. Januar 1605 in Südoſt, verdunkelte ſich aber ein wenig im März 1606. (Con- naissanse des temps pour 1846, p. 59.) Die Oertlichkeit * des Skorpions kann leicht mit dem Fuß des Schlangenträgers ver— wechſelt werden, aber die Ausdrücke Südweft und Südoſt, das Wiedererſcheinen, und der Umſtand, daß kein endliches völliges Verſchwinden angekündigt wird, laſſen Zweifel über die Identität. t) Auch ein neuer Stern von anſehnlicher Größe, in Südweſt geſehen, aus Ma-tuan-lin. Es fehlen alle näheren Beſtimmungen. u) Der vom Kartäuſer Anthelme am 20. Juni des Jahres 1670 am Kopfe des Fuchſes (RA. 2949 27°, Dekl. 26“ 47°) ziem⸗ lich nahe bei 3 des Schwans entdeckte neue Stern. Er war bei ſeinem erſten Aufſtrahlen nicht 1., ſondern nur 3. Größe, und ſank am 10. Auguſt ſchon bis zur 5. Größe herab. Er ver— ſchwand nach drei Monaten, zeigte ſich aber wieder den 17. März 1671 und zwar in 4. Größe. Dominique Caſſini beobachtete ihn fleißig im April 1671 und fand ſeine Helligkeit ſehr veränder— lich. Der neue Stern ſollte ungefähr nach zehn Monaten zu dem— ſelben Glanze zurückkehren, aber man ſuchte ihn vergebens im Februar 1622. Er erſchien erſt den 29. März desſelben Jahres, doch nur in 6. Größe, und wurde ſeitdem nie wieder geſehen. (Jacques Caſſini, Elémens d' Astr. p. 69 bis 71). Dieſe Er: ſcheinungen trieben Dominique Caſſini zum Aufſuchen vorher (von ihm!) nicht geſehener Sterne an. Er behauptet deren 14 auf— gefunden zu haben, und zwar 4., 5. und 6. Größe (acht in der Kaſſiopeia, zwei im Eridanus und vier nahe dem Nordpole). Bei dem Mangel der Angaben einzelner Oertlichkeiten können ſie, da ſie ohnedies, wie die zwiſchen 1694 und 1709 von Maraldi aufgefun— denen, mehr als zweifelhaft ſind, hier nicht aufgeführt werden. (Jacques Caſſini, Elém. d' Astron. p. 73 bis 77; Delambre, Hist. de l’Astron. mod. T. II, p. 780). v) Seit dem Erſcheinen des neuen Sternes im Fuchſe ver— gingen 178 Jahre, ohne daß ein ähnliches Phänomen ſich dargeboten hätte, obgleich in dieſem langen Zeitraume der Himmel am ſorg— fältigſten durchmuſtert wurde, bei fleißigerem Gebrauch von Fern— röhren und bei Vergleichung mit genaueren Sternkatalogen. Erſt am 28. April 1848 machte Hind auf der Privatſternwarte von Biſhop (South Villa, Regents Park) die wichtige Entdeckung eines neuen rötlich-gelben Sternes 5. Größe in dem Schlangen: träger: RA. 16h 50“ 59“, ſüdl. Dekl. 12% 39° 16“ für 1848. Bei keinem anderen neu erſchienenen Stern iſt die Neuheit der Erſchei— nung und die Unveränderlichkeit ſeiner Poſition mit mehr Ge— nauigkeit erwieſen worden. Er iſt jetzt (1850) kaum 11m, und nach Lichtenbergers fleißiger Beobachtung wahrſcheinlich dem Ver— ſchwinden nahe. (Notices of the Astr. Soc. Vol. VIII. p. 146 und 155 bis 158.) Die vorliegende Zuſammenſtellung der ſeit 2000 Jahren neu erſchienenen und wieder verſchwundenen Sterne iſt vielleicht etwas vollſtändiger als die, welche bisher gegeben worden ſind. Sie berechtigt zu einigen allgemeinen Betrachtungen. — 160 — Man unterſcheidet dreierlei: neue Sterne, die plötzlich auf— ſtrahlen und in mehr oder weniger langer Zeit verſchwinden, Sterne, deren Helle einer periodiſchen, ſchon jetzt beſtimmbaren Veränderlichkeit unterliegt, und Sterne, die, wie + Argus, auf einmal einen ungewöhnlich wachſenden und unbeſtimmt wechſelnden Lichtglanz zeigen. Alle drei Erſcheinungen ſind wahrſcheinlich ihrer inneren Natur nach nahe miteinander ver— wandt. Der neue Stern im Schwan (1600), welcher nach dem völligen Verſchwinden (freilich für das unbewaffnete Auge!) wieder erſchien und ein Stern 6. Größe verblieb, leitet uns auf die Verwandtſchaft der beiden erſten Arten der Himmels— erſcheinungen. Den berühmten Tychoniſchen Stern in der Kaſſiopeia (1572) glaubte man ſchon in der Zeit, als er noch leuchtete, für identiſch mit den neuen Sternen von 945 und 1264 halten zu dürfen. Die dreihundertjährige Periode, welche Goodricke vermutete (die partiellen Abſtände der nume— riſch vielleicht nicht ſehr ſicheren Erſcheinungen ſind 319 und 308 Jahre!), wurde von Keill und Pigott auf 150 Jahre reduziert. Arago hat gezeigt, wie unwahrſcheinlich es ſei, daß Tychos Stern (1572) unter die Zahl der periodiſch ver— änderlichen gehöre. Nichts ſcheint bisher zu berechtigen, alle neu erſchienenen Sterne für veränderlich, und zwar in langen, uns wegen ihrer Länge unbekannt gebliebenen Perio— den, zu halten. Iſt z. B. das Selbſtleuchten aller Sonnen des Firmaments Folge eines elektromagnetiſchen Prozeſſes in ihren Photoſphären, ſo kann man ſich (ohne lokale und tem— poräre Verdichtungen der Himmelsluft oder ein Da: zwiſchentreten ſogenannter kosmiſcher Gewölke anzunehmen) dieſen Lichtprozeß als mannigfaltig verſchieden, einmalig oder periodiſch, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrend, denken. Die elektriſchen Lichtprozeſſe unſeres Erdkörpers, als Gewitter im Luftkreiſe oder als Polarausſtrömungen ſich darſtellend, zeigen neben vieler unregelmäßig ſcheinenden Veränderlichkeit doch oft ebenfalls eine gewiſſe von Jahreszeiten und Tages— ſtunden abhängige Periodizität. Dieſelbe iſt ſogar oft meh— 1 Tage hintereinander, bei ganz heiterer Luft, in der Bildung kleinen Gewölkes an beſtimmten Stellen des Himmels bemerkbar wie die oft vereitelten Kulminationsbeobachtungen von Sternen beweiſen. Eine beſondere und zu beachtende Eigentümlichkeit ſcheint mir der Umſtand zu ſein, daß faſt alle mit einer ungeheuren Lichtſtärke, als Sterne 1. Größe und ſelbſt ſtärker funkelnd „ u ee — 161 — wie dieſe, auflodern und daß man ſie, wenigſtens für das bloße Auge, nicht allmählich an Helligkeit zunehmen ſieht. Kepler war auf dieſes Kriterium ſo aufmerkſam, daß er das eitle Vorgeben des Antonius Laurentinus Politianus, den Stern im Schlangenträger (1604) früher als Brunowski ge— ſehen zu haben, auch dadurch widerlegte, daß Laurentinus jagt: „apparuit nova Stella parva, et postea de die in diem erescendo apparuit lumine non multo inferior Venere, superior Jove.“ Faſt ausnahmsweiſe erkennt man nur 3 Sterne, die nicht in 1. Größe aufſtrahlten, nämlich die Sterne 3. Ord— nung im Schwan (1600) und im Fuchſe (1670), und Hinds neuen Stern 5. Ordnung im Schlangenträger (1848). Es iſt ſehr zu bedauern, daß ſeit Erfindung des Fern— rohrs, wie ſchon oben bemerkt, in dem langen Zeitraume von 178 Jahren, nur 2 neue Sterne geſehen wurden, während daß bisweilen die Erſcheinungen ſich ſo zuſammendrängten, daß am Ende des 4. Jahrhunderts in 24 Jahren 4, im 13. Jahrhundert in 61 Jahren 3, am Ende des 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts, in der Tycho-Keplerſchen Periode, in 37 Jahren 6 beobachtet wurden. Ich nehme in dieſen Zahlenverhältniſſen immer Rückſicht auf die chineſiſchen Beob— achtungen außerordentlicher Sterne, deren größerer Teil nach dem Ausſpruch der ausgezeichnetſten Aſtronomen Ver— trauen verdient. Warum unter den in Europa geſehenen Sternen vielleicht der Keplerſche im Schlangenträger (1604), nicht aber der Tychoniſche in der Kaſſiopeia (1572) in Ma⸗ tuan⸗lins Verzeichniſſen aufgeführt iſt, weiß ich ebenſowenig einzeln zu erklären, als warum im 16. Jahrhundert z. B. über die große in China geſehene Lichterſcheinung vom Februar 1578 von europäiſchen Beobachtern nichts berichtet wird. Der Unterſchied der Länge (114°) könnte nur in wenigen Fällen die Unſichtbarkeit erklären. Wer je mit ähnlichen Unter— ſuchungen beſchäftigt geweſen iſt, weiß, daß das Nichtanführen von politiſchen oder Naturbegebenheiten, auf der Erde und am Himmel, nicht immer ein Beweis der Nichtexiſtenz ſolcher Begebenheiten iſt, und wenn man die drei verſchiedenen chineſiſchen im Ma-tuan⸗lin enthaltenen Sternverzeichniſſe mit— einander vergleicht, ſo findet man auch Kometen (z. B. die von 1385 und 1495) in dem einen Verzeichnis aufgeführt, welche in dem anderen fehlen. Schon ältere Aſtronomen, Tycho und Kepler, haben, wie neuere, Sir John Herſchel und Hind, darauf aufmerkſam A. v. Humboldt, Kosmos. III. 11 gemacht, daß bei weitem die Mehrzahl aller in Europa und China beſchriebenen neuen Sterne lich finde ½) ſich in der Nähe der Milchſtraße oder in dieſer ſelbſt gezeigt haben. Iſt, was den ringförmigen Sternſchichten der Milchſtraße ein ſo mildes Nebellicht gibt, wie mehr als wahrſcheinlich iſt, ein bloßes Aggregat teleſkopiſcher Sternchen, ſo fällt Tychos oben erwähnte Hypotheſe von der Bildung neu auflodernder Fixſterne aus ſich ballendem verdichteten dunſtförmigen Himmels: ſtoff über den Haufen. Was in gedrängten Sternſchichten und Sternſchwärmen, falls ſie um gewiſſe centrale Kerne rotieren, die Anziehungskräfte vermögen, iſt hier nicht zu be— ſtimmen und gehört in den mythiſchen Teil der Aſtrognoſie. Unter 21 in der vorſtehenden Liſte aufgeführten neu er— ſchienenen Sternen ſind 5 (134, 393, 827, 1203, 1584) im Skorpion, 3 in der Kaſſiopeia und dem Cepheus (945, 1264, 1572), 4 im Schlangenträger (123, 1230, 1604, 1848) auf: geſtrahlt; aber auch ſehr fern von der Milchſtraße iſt ein— mal (1012) im Widder ein neuer Stern geſehen worden (der Stern des Mönchs von St. Gallen). Kepler ſelbſt, der den von Fabricius 1596 am Halſe des Walfiſches als auf: lodernd beſchriebenen und im Oktober desſelben Jahres für ihn verſchwundenen Stern für einen neuen hielt, gibt dieſe Poſition ebenfalls für einen Gegengrund an (Kepler, De Stella nova Serp. p. 112). Darf man aus der Fre⸗ quenz des Aufloderns in denſelben Konſtellationen folgern, daß in gewiſſen Richtungen des Weltraums, z. B. in denen, in welchen wir die Sterne des Skorpions und der Kaſſiopeia ſehen, die Bedingungen des une „durch örtliche Ver— hältniſſe beſonders begünſtigt werden? Liegen nach dieſen Richtungen hin vorzugsweiſe ſolche Geſtirne, welche zu explo— ſiven, kurzzeitigen Lichtprozeſſen geeignet ſind? Die Dauer des Leuchtens neuer Sterne iſt die kürzeſte geweſen in den Jahren 389, 827 und 1012. In dem erſten der genannten Jahre war ſie 3 Wochen, in dem zweiten 4, in dem dritten 3 Monate. Dagegen hat des Tycho Stern in der Kaſſiopeia 17 Monate lang geleuchtet, Keplers Stern im Schwan (1600) volle 21 Jahre bis zu ſeinem Verſchwinden. Er erſchien wieder 1655 und zwar, wie beim erſten Auf— lodern, in 3. Größe, um bis zu 6. zu ſchwinden, ohne nach Argelanders Beobachtungen in die Klaſſe periodiſch veränder— licher Sterne zu treten. Verſchwundene Sterne. — Die Beachtung und Auf— — 163 — zählung der ſogenannten verſchwundenen Sterne iſt von Wichtig— keit für das Aufſuchen der großen Zahl kleiner Planeten, die wahrſcheinlicherweiſe zu unſerem Sonnenſyſtem gehören, aber trotz der Genauigkeit der neuen Poſitionsverzeichniſſe tele— ſkopiſcher Fixſterne und der neuen Sternkarten iſt die Ueber— zeugung der Gewißheit, daß ein Stern an dem Himmel wirk— lich ſeit einer beſtimmten Epoche verſchwunden it, doch nur bei großer Sorgfalt zu erlangen. Beobachtungs-, Reduktions⸗ und Druckfehler! entſtellen oft die beiten Kataloge. Das Ver⸗ ſchwinden der Weltkörper an den Orten, wo man ſie ehemals beſtimmt geſehen, kann ſo gut die Folge eigener Bewegung als eine ſolche Schwächung des Lichtprozeſſe⸗ auf der Ober⸗ fläche oder in der Photoſphäre ſein, daß die Lichtwellen unſer Sehorgan nicht mehr hinlänglich anregen. Was wir nicht mehr ſehen, iſt darum nicht untergegangen. Die Idee der Zerſtörung, des Ausbrennens von unſichtbar werden— den Sternen gehört der Tychoniſchen Zeit an. Auch Plinius fragt in der ſchönen Stelle über Hipparch: „Stellae an obirent nascerenturve.“ Der ewige ſcheinbare Weltwechſel des Werdens und Vergehens iſt nicht Vernichtung, ſondern Uebergang der Stoffe in neue Formen, in Miſchungen, die neue Prozeſſe bedingen. Dunkele Weltkörper können durch einen er— neuerten Lichtprozeß plötzlich wieder aufſtrahlen. g Periodiſch veränderliche Sterne. — Da an der Himmelsdecke ſich alles bewegt, alles dem Raum und der Zeit nach veränderlich iſt, ſo wird man durch Analogieen zu der Vermutung geleitet, daß, wie die Fixſterne insgeſamt eine ihnen eigentümliche, nicht etwa bloß ſcheinbare, Bewegung haben, ebenſo allgemein die Oberfläche oder die leuchtende Atmoſphäre derſelben Veränderungen erleiden, welche bei der größeren Zahl dieſer Weltkörper in überaus langen und daher ungemeſſenen, vielleicht unbeſtimmbaren, Perioden wiederkehren; bei wenigen, ohne periodiſch zu ſein, wie durch eine plötzliche Revolution, auf bald längere, bald kürzere Zeit eintreten. Die letztere Klaſe von Erſcheinungen, von der in unſeren Tagen ein großer Stern im Schiffe ein merkwürdiges Beiſpiel darbietet, wird hier, wo nur von veränderlichen Sternen in ſchon erforſchten und gemeſſenen Perioden die Rede iſt, nicht behandelt. Es iſt wichtig, drei große ſiderale Naturphänomene, deren Zuſammenhang noch nicht erkannt worden iſt, voneinander zu trennen, näm— lich veränderliche Sterne von bekannter Periodizität, Auflodern — 164 — von ſogenannten neuen Sternen, und plötzliche Lichtverände— rung von längſt bekannten, vormals in gleichförmiger Inten— ſität leuchtender Fixſternen. Wir verweilen zuerſt ausſchließ— lich bei der erſten Form der Veränderlichkeit, wovon das am früheſten genau beobachtete Beiſpiel (1638) durch Mira Ceti, einen Stern am Halſe des Walfiſches, dargeboten ward. Der oſtfrieſiſche Pfarrer David Fabricius, der Vater des Ent- deckers der Sonnenflecken, hatte allerdings ſchon 1596 den Stern am 13. Auguſt als einen 3. Größe beobachtet und im Oktober desſelben Jahres verſchwinden ſehen. Den alter— nierend wiederkehrenden Lichtwechſel, die periodiſche Veränder— lichkeit entdeckte erſt 42 Jahre ſpäter ein Profeſſor von Franeker, Johann Phocylides Holwarda. Dieſer Entdeckung folgte in demſelben Jahrhundert noch die zweier anderer vaterländiſcher Sterne, 3 Persei (1669), von Montanari und „Cygni (1687), von Kirch beſchrieben. Unregelmäßigkeiten, welche man in den Perioden be— merkte, und die vermehrte Zahl der Sterne derſelben Klaſſe haben ſeit dem Anfang des 19. Jahrhunderts das Intereſſe für dieſe ſo komplizierte Gruppe von Erſcheinungen auf das lebhafteſte angeregt. Bei der Schwierigkeit des Gegenſtandes und bei meinem Streben, in dieſem Werke die numeriſchen Elemente der Veränderlichkeit, als die wichtigſte Frucht aller Beobachtung, ſo darlegen zu können, wie ſie in dem dermaligen Zuſtande der Wiſſenſchaft erforſcht ſind, habe ich die freundliche Hilfe des Aſtronomen in Anſpruch genommen, welcher ſich unter unſeren Zeitgenoſſen mit der angeſtrengteſten Thätigkeit und dem glänzendſten Erfolge dem Studium der periodiſch veränderlichen Sterne gewidmet hat. Die Zweifel und Fragen, zu denen mich meine eigene Arbeit veranlaßte, habe ich meinem gütigen Freunde Argelander, Direktor der Sternwarte zu Bonn, vertrauensvoll vorgelegt, und ſeinen handſchriftlichen Mitteilungen allein verdanke ich, was hier folgt und großenteils auf anderen Wegen noch nicht veröffent— licht worden iſt. Die Mehrzahl der veränderlichen Sterne iſt allerdings rot oder rötlich, keineswegs aber ſind es alle. So z. B haben ein weißes Licht, außer 8 Persei (Algol am Medufen- haupte), auch 8 Lyrae und e Aurigae. Etwas gelblich iſt „ Aquilae und in noch geringerem Grade 8 Geminorum. Die ältere Behauptung, daß einige veränderliche Sterne, be— ſonders Mira Ceti, beim Abnehmen röter ſeien als beim Zu: — 165 — f nehmen der Helligkeit, ſcheint ungegründet. Ob in dem Doppelſtern „ Hereulis, in welchem der große Stern von Sir William Herſchel rot, von Struve gelb, der Begleiter dunkel— blau genannt wird; dieſer kleine Begleiter, zu 5 bis 7m ge ſchätzt, ſelbſt auch veränderlich iſt, ſcheint ſehr problematiſch. Struve ſelbſt jagt auch nur: suspicor minorem esse varia- bilem. nen iſt keineswegs an die rote Farbe ge: bunden. Es gibt viele rote Sterne, zum Teil ſehr rote, wie Arcturus und Aldebaran, an denen noch leine Veränderlichkeit bisher wahrgenommen worden iſt. Dieſelbe iſt auch mehr als zweifelhaft in einem Stern des Cepheus (Nr. 7582 des Katalogs der britiſchen Aſſoziation), welchen wegen ſeiner außerordentlichen Röte William Herſchel 1782 den Granat— ſtern genannt hat. Die Zahl der periodiſch veränderlichen Sterne iſt ſchon deshalb ſchwierig anzugeben, weil die bereits ermittelten Perioden von ſehr ungleicher Unſicherheit ſind. Die zwei ver— änderlichen Sterne des Pegaſus, ſowie & Hydrae, = Aurigae, 4 Cassiopeae haben nicht die Sicherheit von Mira Ceti, Algol und 2 Cephei. Bei der Aufzählung in einer Tabelle kommt es alſo darauf an, mit welchem Grade der Gewißheit man ſich begnügen wolle. Argelander zählt, wie in ſeiner am Ende dieſer Unterſuchung abgedruckten Ueberſichtstafel zu er— - jehen ift, der befriedigend beſtimmten Perioden nur 24 auf.“ Wie das Phänomen der Veränderlichkeit ſich bei roten und einigen weißen Sternen findet, ſo bieten es auch Sterne von den verſchiedenſten Größenordnungen dar: z. B. ein Stern 1" „ Orionis; 2m Mira Ceti, „ Hydrae, * Cassiopeae, B Pegasi; 2. Zu g Persei; 3.4” Aquilae und 8 Lyrae. Es gibt aber zugleich auch, und in weit größerer Menge, ver— änderliche Sterne 6" bis 9", wie die variabiles Coronae, Virginis, Cancri und Aquarii. Der Stern y im Schwan hat ebenfalls im Maximum ſehr große Schwankungen. Daß die Perioden der veränderlichen Sterne lehr un⸗ regelmäßig ſind, war längſt bekannt; aber daß dieſe Veränder— lichkeit in ihrer ſcheinbaren Unregelmäßigkeit beſtimmten Ge— ſetzen unterworfen iſt, hat Argelander zuerſt ergründet. Er hofft es in einer eigenen, größeren Abhandlung umſtändlicher erweiſen zu können. Bei y Cygni hält er jetzt zwei Pertur— e in der Periode, die eine von 100, die andere von 8½ Einzelperioden, für wahrſcheinlicher als eine von 108. Ob ſolche Störungen in Veränderungen des Lichtprozeſſes, — 16 — welcher in der Atmoſphäre des Sternes vorgeht, gegründet find, oder in der Umlaufszeit eines um die Fixſternſonne „ Cygni kreiſenden, auf die Geſtalt jener Photoſphäre durch Anziehung wirkenden Planeten, bleibt freilich noch ungewiß. Die größten Unregelmäßigkeiten in der Veränderung der In— tenſität bietet ſicherlich variabilis Seuti (des Sobieskiſchen Schildes) dar, da dieſer Stern bisweilen von 5.4” bis zu gen herabſinkt, ja nach Pigott am Ende des vorigen Jahrhunderts einmal ganz verſchwunden ſein ſoll. Zu anderen Zeiten ſind feine Schwankungen in der Helligkeit nur zwiſchen 6. 5% und m geweſen. Im Maximum hat „ Cygni zwiſchen 6.7” und 4”, Mira zwiſchen 4” und 2.1” geſchwankt. Dagegen zeigt ? Cephei eine außerordentliche, ja von allen ver- änderlichen die größte Regelmäßigkeit in der Länge der Perioden, wie 87 zwiſchen dem 10. Oktober 1840 und 8. Januar 1848 und noch ſpäter beobachtete Minima erwieſen haben. Bei = Aurigae geht die von einem unermüdlichen Beobachter, Herrn Heis in Aachen, aufgefundene Veränderung der Lichthelle nur von 3.4” bis 4.5 m. Große Unterſchiede der Helligkeit im Maximum zeigt Mira Ceti. Im Jahre 1779 z. B. war (6. November) Mira nur wenig ſchwächer als Aldebaran geweſen, gar nicht ſelten heller, als Sterne 2", während dieſer veränderliche Stern zu anderen Zeiten nicht die Intenſität (m) von 3 Ceti erreichte. Seine mittlere Helligkeit iſt gleich der von 7 Ceti (3”). Wenn man die Helligkeit der ſchwächſten dem unbewaffneten Auge ſicht— baren Sterne mit 0, die des Aldebaran mit 50 bezeichnet, jo hat Mira in ihrem Maximum zwiſchen 20 und 47 geſchwankt. Ihre wahrſcheinliche Helligkeit iſt durch 30 auszudrücken, ſie bleibt öfter unter dieſer Grenze, als ſie dieſelbe überſteigt. Die Ueberſteigungen ſind aber, wenn ſie eintreten, dem Grade nach bedeutender. Eine entſchiedene Periode dieſer Oszillationen iſt noch nicht entdeckt, aber es gibt Andeutungen von einer 40jährigen und einer 160jährigen Periode. Die Dauer der Perioden der Lichtveränderung variiert nach der Verſchiedenheit der Sterne wie 1:250. Die kürzeſte Periode bietet unſtreitig 8 Persei dar, von 68 Stunden 49 Minuten; wenn ſich nicht die des Polaris von weniger als 2 Tagen beſtätigen ſollte. Auf 8 Persei folgen zunächſt ö Cephei (5 T. 8 St. 49 Min.), n Aquilae (7 T. 4 St. 14 Min.) und c Geminorum (10 T. 3 St. 35 Min.). Die längſte Dauer der Lichtveränderung haben: 30 Hydrae Hevelii El; von 495 Tagen, „ Cygni von 406 T., variabilis Aquarii von 388 T., Serpentis S von 367 T. und Mira Ceti von 332 T. Bei mehreren veränderlichen iſt es ganz ent— ſchieden, daß ſie geſchwinder zu- als abnehmen; am auf— fallendſten zeigt ſich dieſe Erſcheinung bei 3 Cephei. Andere brauchen gleiche Zeit zum Zu- und Abnehmen (3. B. 8 Lyrae). Bisweilen erkennt man ſogar in dieſem Verhältnis eine Ver— ſchiedenheit bei denſelben Sternen, aber in verſchiedenen Epochen ihrer Lichtprozeſſe. Mira Ceti nimmt in der Regel (wie 2 Cephei) raſcher zu als ab; doch iſt bei Mira auch ſchon das Entgegengeſetzte beobachtet worden. Was Perioden von Perioden betrifft, ſo zeigen ſich ſolche mit Beſtimmtheit bei Algol, bei Mira Ceti, bei 8 Lyrae und mit vieler Wahrſcheinlichkeit bei „ Cygni. Die Abnahme der Periode von Algol iſt jetzt unbezweifelt. Goodricke hat dieſelbe nicht gefunden, wohl aber Argelander, als er im Jahre 1842 über 100 ſichere Beobachtungen vergleichen konnte, von denen die äußerſten über 58 Jahre (7600 Perioden umfaſſend) voneinander entfernt waren (Schumachers aſtron. Nachr. Nr. 472 und 624). Die Abnahme der Dauer wird immer bemerkbarer.“ Für die Perioden des Maximums von Mira (das von Fabricius 1596 beobachtete Maximum der Helligkeit mit eingerechnet) hat Argelander eine Formel!“ aufgeſtellt, aus welcher alle Maxima ſich jo ergeben, daß der wahr: ſcheinliche Fehler, bei einer langen Periode der Verän— derlichkeit von 331 T. 8 St., im Mittel nicht 7 Tage über— ſteigt, während bei Annahme einer gleichförmigen Periode er 15 Tage ſein würde. Das doppelte Maximum und Minimum von 8 Lyrae in jeder faſt 13tägigen Periode hat ſchon der Entdecker Goodricke (1784) ſehr richtig erkannt; es iſt aber durch die neueſten Beobachtungen noch mehr außer Zweifel geſetzt worden. Merkwürdig iſt es, daß der Stern in beiden Maximis dieſelbe Helligkeit erlangt, aber in dem Hauptminimum wird er um eine halbe Größe ſchwächer als in dem anderen. Seit der Entdeckung der Veränderlichkeit von 8 Lyrae iſt die Periode in der Periode wahrſcheinlich immer länger ge— worden. Anfangs war die Veränderlichkeit raſcher, dann wurde ſie allmählich langſamer, und dieſe Zunahme der Langſamkeit fand ihre Grenze zwiſchen den Jahren 1840 und 1844. In dieſer Zeit blieb die Dauer ungefähr dieſelbe, jetzt iſt ſie be— ſtimmt wieder im Abnehmen begriffen. Etwas Aehnliches wie — 168 — das doppelte Maximum von 5 Lyrae zeigt ſich bei ? Cephei; es iſt inſofern eine Hinneigung zu einem zweiten Maximum, als die Lichtabnahme nicht gleichförmig fortſchreitet, ſondern nachdem ſie anfangs zienilich raſch geweſen iſt, nach einiger Zeit ein Stillſtand oder wenigſtens eine ſehr unbedeutende Abnahme in der Helligkeit eintritt, bis die Abnahme auf ein- mal wieder raſcher wird. Es iſt, als wenn bei einigen Sternen das Licht gehindert werde, ſic völlig zu einem zweiten Maximum zu erheben. In / Cygni walten ſehr wahrſchein— lich, wie (S. 165) geſagt, zwei Perioden der Veränderlich— keit, eine größere von 100 und eine kleinere von 8 ½ Einzel— perioden. Die Frage, ob im ganzen mehr Regelmäßigkeit bei ver- änderlichen Sternen von ſehr kurzen als von ſehr langen Perioden herrſche, iſt ſchwer zu beantworten. Die Abweichungen von einer gleichförmigen Periode können nur relativ genommen werden, d. h. in Teilen dieſer Periode ſelbſt. Um bei langen Perioden zu beginnen, müſſen 4 Cygni, Mira Ceti und 30 Hydrae zuerſt betrachtet werden. Bei / Cygni gehen die Abweichungen von der Periode (406,0634 T.), welche in der Vorausſetzung einer gleichförmigen Veränderlichkeit am wahr⸗ ſcheinlichſten iſt, bis auf 39,4 T. Wenn auch von dieſen ein Teil den Beobachtungsfehlern zugeſchrieben wird, jo bleiben gewiß noch 29 bis 30 Tage, d. i. „ der ganzen Periode. Bei Mira Ceti, !! in einer Periode von 331,340 T., gehen die Abweichungen auf 5,55 T.; ſie gehen ſo weit, ſelbſt wenn man die Beobachtung von David Fabricius unberückſichtigt läßt. Beſchränkt man die Schätzung wegen der Beobachtungs— fehler auf 40 Tage, jo erhält man ,, alſo im Vergleich mit J Cyeni eine faſt doppelt große Abweichung. Bei 30 Hydrae, welche eine Periode von 495 Tagen hat, iſt dieſelbe gewiß noch größer, vielleicht . Die veränderlichen Sterne mit ſehr kurzen Perioden ſind erſt ſeit wenigen Jahren (ſeit 1840 und noch ſpäter) anhaltend und mit gehöriger Genauigkeit beob— achtet worden, ſo daß, auf ſie angewandt, das hier behandelte Problem noch ſchwerer zu löſen iſt. Es ſcheinen jedoch nach den bisherigen Erfahrungen weniger große Abweichungen ſich darzubieten. Bei Aquilae (Periode 7 T. 4 St.) ſind ſie nur auf ½e oder ½7 der ganzen Periode, bei 8 Lyrae (Periode 12 T. 21 St.) auf "sr oder "so geſtiegen; aber dieſe Unterſuchung iſt bisher noch vielen Ungewißheiten unter— worfen bei Vergleichung kurzer und langer Perioden. Von — 169 — 6 Lyrae find 1700 bis 1800 Perioden beobachtet, von Mira Cęti 279, von y Cygni gar nur 145. Die angeregte Frage, ob Sterne, die lange in regel— mäßigen Perioden ſich veränderlich gezeigt haben, aufhören es zu ſein, ſcheint verneint werden zu müſſen. So wie es unter den fortwährend veränderlichen Sternen ſolche gibt, welche zu— weilen eine ſehr ſtarke, zuweilen eine ſehr ſchwache Veränder— lichkeit zeigen (z. B. variabilis Scuti), ſo ſcheint es auch andere zu geben, deren Veränderlichkeit zu gewiſſen Zeiten ſo gering iſt, daß wir ſie mit unſeren beſchränkten Mitteln nicht wahrzunehmen vermögen. Dahin gehört variabilis Coronae bor. (Nr. 5236 im Katalog der British Association), von Pigott als veränderlich erkannt und eine Zeitlang beobachtet. Im Winter 1795/96 ward der Stern völlig unſichtbar; ſpäter erſchien er wieder und ſeine Lichtveränderungen wurden von Koch beobachtet. Harding und Weſtphal fanden ſeine Hellig— keit 1817 faſt ganz konſtant, bis 1824 wieder Olbers ſeinen Lichtwechſel beobachten konnte. Die Konſtanz trat nun wieder ein und wurde vom Auguſt 1843 bis September 1845 von Argelander ergründet. Ende September fing eine neue Ab— nahme an. Im Oktober war der Stern im Kometenſucher nicht mehr ſichtbar, erſchien wieder im Februar 1846 und er— reichte anfangs Juni ſeine gewöhnliche 6. Größe. Er hat ſie ſeitdem behalten, wenn man kleine und nicht ſehr ſichere Schwankungen abrechnet. Zu dieſer rätſelhaften Klaſſe von Sternen gehört auch variabilis Aquarii, und vielleicht Jan— ſons und Keplers Stern im Schwan von 1600, deſſen wir bereits unter den neu erſchienenen Sternen gedacht haben. Tabelle über die veränderliden Sterne, von Fr. Argelander. Bezeichnung Dauer Helligkeit Name des Ent⸗ Nr. des der im deckers und Zeit | Sterns Periode | Marimum | Winim. der Entdeckung T. St Min.] Größe Gr. Gr Gr 1 Ceti 331 20 — 4 bis 2.1 0 | Holwarda 26 Persei 2 20 49 2.3 4 Montanari 3% Cygni 406 1 306.7 bis 4 0 Gottfr. Kirch 430 Hydrae Hev.495 — —| 5 „ 4 0 | Maraldi 5 \LeonisR,420M.|312 18 — 5 0 Koch 6% Aquilae 7 4 14 3.4 5.4 E. Pigott 716 Lyrae 12 21 45 3.4 4.5 Goodricke 8% Cephei 5 8 49 4.3 5.4 Goodricke 9% Herculis 66 8 — 3 3.4 Wilh. Herſchel 10 Coronae R 323 — — 6 0E. Pigott 11 Scuti R 71 17 — 6.5 bis 5.4 9 bis 6 E. Pigott 12 Virginis R den 0 | Harding 13 Aquarii R 388 13 — 9 „ 6.7 0 | Harding 14 Serpentis K 359 — — 6.7 0 | Harding 15 Serpentis S 367 5-8 „ 0 Harding 16 Cancri R 380 — — 7 0 Schwerd 17 4 Cassiopeae 79 3 — 2] 3.2 Birt 18% Orionis 196 0 — 1 1.2 John Herſchel 19% Hydrae 55 — — 2 2.3 John Herſchel 2058 Aurigae 2 3.4 4.5 Heis 21 4 Geminorum 10 3 35 4.3 5.4 Schmidt 22 8 Pegasi 40 23 — 2 2.3 Schmidt 23 Pegasi R 350 — — 8 0 | Sind 24 Cancri S 2 7.8 0 | Sind Bemerkungen. Die 0 in der Kolumne für das Minimum bedeutet, daß der Stern zur Zeit desſelben ſchwächer als 10. Größe iſt. Um die kleineren veränderlichen Sterne, die meiſtens weder Namen noch ſonſtige Bezeichnungen haben, einfach und bequem angeben zu können, habe ich mir erlaubt, ihnen Buchſtaben beizulegen, und zwar, da die griechiſchen und kleinen lateiniſchen zum großen Teile ſchon von Bayer gebraucht worden ſind, die des großen Alphabets. Außer den in der Tabelle aufgeführten gibt es faſt noch ebenſo viele Sterne, die der Veränderlichkeit verdächtig ſind, indem ſie von verſchiedenen Beobachtern mit verſchiedenen Größen an— u. geführt werden. Da dieſe Schätzungen aber nur gelegentliche und nicht mit großer Schärfe ausgeführt waren, auch verſchiedene Aſtro— nomen verſchiedene Grundſätze beim Schätzen der Größen haben, ſo ſcheint es ſicherer, ſolche Fälle nicht zu berückſichtigen, bis der— ſelbe Beobachter zu verſchiedenen Zeiten entſchiedene Veränderlich— keit gefunden hat. Bei allen in der Tafel angegebenen iſt dies der Fall; und ihr periodiſcher Lichtwechſel iſt ſicher, auch wo die Periode ſelbſt noch nicht hat beſtimmt werden können. Die an— gegebenen Perioden beruhen zum größten Teil auf eigenen Unter— ſuchungen ſämtlicher bekannt gewordener älterer und meiner über zehn Jahre umfaſſenden, noch ungedruckten Beobachtungen. Aus— nahmen werden in den folgenden Notizen über die einzelnen Sterne angegeben werden. In dieſen gelten die Poſitionen für 1850 und ſind in ge— rader Aufſteigung und Abweichung ausgedrückt. Der oft gebrauchte Ausdruck Stufe bedeutet einen Unterſchied in der Helligkeit, wel— cher ſich noch ſicher mit bloßen Augen erkennen läßt, oder für die mit unbewaffnetem Auge unſichtbaren Sterne durch einen Fraun— hoferſchen Kometenſucher von 24 Zoll Brennweite. Für die helleren Sterne über 6. Größe beträgt eine Stufe ungefähr den zehnten Teil des Unterſchiedes, um welchen die einander folgenden Größen— klaſſen voneinander verſchieden ſind; für die kleineren Sterne find die gebräuchlichen Größenklaſſen bedeutend enger. 1) o Ceti; AR. 32° 57°, Decl. — 3” 40°; auch wegen ſeines wunderbaren Lichtwechſels, er an dieſem Sterne zuerſt wahr— genommen wurde, Mira genannt. Schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erkannte man die Periodizität dieſes Sterns, und Boulliaud beſtimmte die Dauer der Periode auf 333 Tage; indes fand man auch zugleich, daß dieſe Dauer bald länger, bald kürzer ſei, ſowie, daß der Stern in ſeinem größten Lichte bald heller, bald ſchwächer erſcheine. Dies hat nun die Folgezeit voll— kommen beſtätigt. Ob der Stern jemals ganz unſichtbar wird, iſt noch nicht entſchieden; man hat ihn zuweilen 11. oder 12. Größe zur Zeit des Minimums geſehen, zu anderen Zeiten mit drei— und vierfüßigen Fernröhren nicht ſehen können. So viel iſt gewiß, daß er eine lange Zeit ſchwächer als 10. Größe iſt. Es ſind aber überhaupt über dies Stadium nur wenige Beobach— tungen vorhanden; die meiſten beginnen erſt, wenn er als 6. Größe dem bloßen Auge ſich zu zeigen anfängt. Von dieſem Zeitpunkte nimmt der Stern nun anfangs raſch, dann langſamer, zuletzt kaum merklich an Helligkeit zu; dann wieder, erſt langſam, nachher raſcher, ab. Im Mittel dauert die Zeit der Lichtzunahme von der 6. Größe an 50, die der Lichtabnahme bis zur ge— nannten Helligkeit 69 Tage, ſo daß der Stern alſo ungefähr vier Monate mit bloßen Augen ſichtbar iſt. Allein dies iſt nur die mittlere Dauer der Sichtbarkeit; zuweilen hat ſie ſich auf fünf Monate geſteigert, während ſie zu anderen Zeiten nur drei Monate geweſen iſt. Ebenſo iſt auch die Dauer der Lichtzu- und Abnahme großen Schwankungen unterworfen, und jene zuweilen langſamer als dieſe, wie im Jahre 1840, wo der Stern 62 Tage brauchte, um bis zur größten Helligkeit zu kommen, und in 49 Tagen von dieſer bis zur Unſichtbarkeit mit bloßen Augen herabſank. Die kürzeſte beobachtete Dauer des Wachſens fand im Jahre 1679 mit 30 Tagen ſtatt; die längſte, von 67 Tagen, ward im Jahr 1709 beobachtet. Die Lichtabnahme dauerte am längſten im Jahre 1839, nämlich 91 Tage; am kürzeſten im Jahre 1660, nämlich nur 52 Tage. Zuweilen verändert der Stern zur Zeit ſeiner größten Hellligkeit dieſe einen Monat lang kaum merklich, zu anderen Zeiten läßt ſich ſchon nach wenigen Tagen eine Veränderung deutlich wahr— nehmen. Bei einigen Erſcheinungen hat man, nachdem der Stern einige Wochen an Helligkeit abgenommen hatte, während mehrerer Tage einen Stillſtand, oder wenigſtens eine kaum merkliche Licht— abnahme wahrgenommen; ſo im Jahre 1678 und 1847. Die Helligkeit im Maximum iſt, wie ſchon erwähnt, auch keines— wegs immer dieſelbe. Bezeichnet man die Helligkeit der ſchwächſten mit bloßen Augen ſichtbaren Sterne mit 0, die des Aldebaran ( im Stier), eines Sterns 1. Größe, mit 50, jo hat die Hellig— keit von Mira im Maximum zwiſchen 20 und 47 geſchwankt, d. h. zwiſchen der Helligkeit der Sterne 4. und 1. bis 2. Größe; die mittlere Helligkeit iſt 28 oder die des Sterns 7 Ceti. Aber faſt noch unregelmäßiger hat ſich die Dauer der Periode ge— zeigt; im Mittel beträgt dieſelbe 331 Tage 20 Stunden, ihre Schwankungen aber ſteigen bis auf einen Monat, denn die kürzeſte von einem Maximum bis zum nächſten verfloſſene Zeit war nur 306 Tage, die längſte dagegen 367 Tage. Und noch auf— fallender werden dieſe Unregelmäßigkeiten, wenn man die einzelnen Erſcheinungen des größten Lichtes ſelbſt mit denjenigen vergleicht, welche ſtattfinden ſollten, wenn man dieſe Maxima unter Annahme einer gleichförmigen Periode berechnet. Die Unterſchiede zwiſchen Rechnung und Beobachtung ſteigen dann auf 50 Tage; und zwar zeigt es ſich, daß dieſe Unterſchiede mehrere Jahre hintereinander nahe von derſelben Größe und nach derſelben Seite hin ſind. Dies deutet offenbar auf eine Störung in den Lichterſcheinungen hin, welche eine ſehr lange Periode hat. Die genauere Rechnung hat aber erwieſen, daß man mit einer Störung nicht ausreicht, ſondern mehrere annehmen muß, die freilich aus derſelben Urſache her— rühren können, und zwar eine, die nach 11, eine zweite, die nach 88, eine dritte, die nach 176, und eine vierte, die erſt nach 264 Einzel— perioden wiederkehrt. Danach entſteht die S. 185 Anm. 10 an- geführte Sinusformel, mit welcher nun die einzelnen Maxima ſehr nahe ſtimmen, obgleich immer noch Abweichungen vorhanden ſind, die ſich durch Beobachtungsfehler nicht erklären laſſen. 2) 8 Persei, Algel; AR. 44° 36‘, Decl. + 40° 227 Obgleich Geminiano Montanari ſchon im Jahre 1667 die Veränder— — 173 — lichkeit dieſes Sterns bemerkt und Maraldi ſie gleichfalls beobachtet hatte, fand doch erſt Goodricke im Jahre 1782 die Regelmäßigkeit derſelben. Der Grund hiervon iſt wohl darin zu ſuchen, daß der Stern nicht wie die meiſten übrigen veränderlichen allmählich an Helligkeit ab- und zunimmt, ſondern während 2 Tagen 13 Stun: den in der gleichen 2., 3. Größe glänzt, und nur 7 bis 8 Stun— den lang ſich in geringerer zeigt, wobei er bis zur 4. Größe herabſinkt. Die Ab- und Zunahme der Helligkeit iſt nicht ganz regelmäßig, ſondern geht in der Nähe des Minimums raſcher vor ſich, woher ſich auch der Zeitpunkt der geringſten Helligkeit auf 10 bis 15 Minuten genau beſtimmen läßt. Merkwürdig iſt dabei, daß der Stern nachdem er gegen eine Stunde an Licht zugenommen hat, etwa ebenſo lange faſt in derſelben Helligkeit bleibt, und dann erſt wieder merklich wächſt. Die Dauer der Periode wurde bisher für vollkommen gleichförmig gehalten, und Wurm konnte, indem er ſie zu 2 Tagen 21 Stunden 48 Minuten 58½ Sekunden annahm, alle Beobachtungen gut darſtellen. Eine genauere Berechnung, bei der ein faſt doppelt ſo großer Zeitraum benutzt werden konnte, als der Wurm zu Gebote geſtanden, hat aber gezeigt, daß die Periode allmählich kürzer wird. Sie war im Jahre 1784 2 Tage 20 Stunden 48 Minuten 59,4 Sekunden und im Jahre 1842 nur 2 Tage 20 Stunden 48 Minuten 55,2 Se— kunden. Aus den neueſten Beobachtungen wird es außerdem ſehr wahrſcheinlich, daß alſo auch dieſe Abnahme der Periode jetzt ſchneller vor ſich geht als früher, ſo daß alſo auch bei dieſem Sterne mit der Zeit eine Sinusformel für die Störung der Periode ſich ergeben wird. Dieſe gegenwärtige Verkürzung der Periode würde ſich übrigens erklären laſſen, wenn wir annehmen, daß Algol ſich uns jedes Jahr 500 Meilen mehr nähert, oder ſich um ſo viel weniger von uns entfernt wie das vorhergehende, indem dann das Licht um ſo viel früher jedes Jahr zu uns gelangen muß, als die Abnahme der Periode fordert, nämlich ungefähr 12 Tauſendteile einer Sekunde. Iſt dies der wahre Grund, ſo muß natürlich mit der Zeit eine Sinusformel ſich ergeben. 3) x Cygny; AR. 29612“, Decl. + 32° 32“. Auch dieſer Stern zeigt nahe dieſelben Unregelmäßigkeiten wie Mira; die Ab— weichungen der beobachteten Maxima von den mit einer gleichför— migen Periode berechneten gehen bis auf 40 Tage, werden aber ſehr verringert durch Einführung einer Störung von 8½ Einzel— perioden und einer anderen von 100 ſolcher Perioden. Im Maximum erreicht der Stern im Mittel die Helligkeit von ſchwach 5. Größe, oder eine hellere Stufe als der Stern 17 Cygni. Die Schwankungen ſind aber auch hier ſehr bedeutend und ſind von 13 Stufen unter der mittleren bis 10 Stufen über derſelben beobachtet worden. Wenn der Stern jenes ſchwächſte Maximum hatte, war er dem bloßen Auge ganz unſichtbar, wogegen er im Jahre 1847 volle 97 Tage ohne Fernglas geſehen werden konnte; — 174 — ſeine mittlere Sichtbarkeit iſt 52 Tage, wovon er im Mittel 20 Tage im Zunehmen und 32 im Abnehmen iſt. 4) 30 Hydrae Hevelii; AR. 200° 23°, Decl. — 22° 30°. Von dieſem Sterne, der wegen feiner Lage am Himmel nur kurze Zeit jedes Jahr zu ſehen iſt, läßt ſich nur ſagen, daß ſowohl ſeine Periode, als auch ſeine Helligkeit im Maximum ſehr großen Un— regelmäßigkeiten unterworfen ſind. 5) Leonis R = 420 May eri; AR. 144° 52%, Deel. + 12° 7°. Dieſer Stern iſt häufig mit den nahe bei ihm ſtehen— den Sternen 18 und 19 Leonis verwechſelt und deshalb ſehr wenig beobachtet worden; indes doch hinlänglich, um zu zeigen, daß die Periode ziemlich unregelmäßig iſt. Auch ſcheint die Helligkeit im Maximum um einige Stufen zu ſchwanken. 6) n Aquilae, auch n Antinoi genannt; AR. 296° 12, Decl. + 0° 37°. Die Periode dieſes Sterns iſt ziemlich gleich: förmig 7 Tage 4 Stunden 13 Minuten 53 Sekunden; aber doch zeigen die Beobachtungen, daß auch in ihr nach längeren Zeit— räumen kleine Schwankungen vorkommen, die jedoch nur auf etwa 20 Sekunden gehen. Der Lichtwechſel ſelbſt geht ſo regelmäßig vor ſich, daß bis jetzt noch keine Abweichungen ſichtbar geworden ſind, die nicht durch Beobachtungsfehler ſich erklären ließen. Im Minimum iſt der Stern eine Stufe ſchwächer als : Aquilae; er nimmt dann erſt langſam, darauf raſcher, zuletzt wieder langſam zu, und erreicht 2 Tage 9 Stunden nach dem Minimum ſeine größte Helligkeit, in der er faſt drei Stufen heller wird als 8, aber noch zwei Stufen ſchwächer bleibt als 5 Aquilae. Vom Maximum ſinkt die Helligkeit nicht ſo regelmäßig herab, indem ſie, wenn der Stern die Helligkeit von 5 erreicht hat (1 Tag 10 Stunden nach dem Maximum), ſich langſamer verändert als vorher und nachher, 7)-B Lyrae; AR. 281° 8, Decl. + 3311“; ein merk⸗ würdiger Stern dadurch, daß er zwei Maxima und zwei Minima hat. Wenn er im kleinſten Lichte, / Stufe ſchwächer als £ Lyrae, geweſen iſt, ſteigt er in 3 Tagen 5 Stunden bis zu ſeinem erſten Maximum, in welchem er ¼ Stufen ſchwächer bleibt als y Lyrae. Darauf ſinkt er in 3 Tagen 3 Stunden zu ſeinem zweiten Maximum herab, in welchem ſeine Helligkeit die von & um 5 Stufen übertrifft. Nach weiteren 3 Tagen 2 Stunden er— reicht er im zweiten Maximum wieder die Helligkeit des erſten, und ſinkt nun in 3 Tagen 12 Stunden wieder zur geringſten Helligkeit hinab, ſo daß er in 12 Tagen 21 Stunden 46 Minuten 40 Sekunden ſeinen ganzen Lichtwechſel durchläuft. Dieſe Dauer der Periode gilt aber nur für die Jahre 1840 bis 1844; früher iſt ſie kürzer geweſen, im Jahre 1784 um 2½ Stunden, 1817 und 1818 um mehr als eine Stunde; und jetzt zeigt ſich deutlich wieder eine Verkürzung derſelben. Es iſt alſo nicht zweifelhaft, daß auch bei dieſem Sterne die Störung der Periode ſich durch eine Sinusformel wird ausdrücken laſſen. 8) 5 Cephe,, Alt. 335" 54‘, Decl. + 57° 39“; zeigt von allen bekannten Sternen in jeder Hinſicht die größte Regelmäßig: keit. Die Periode von 5 Tagen 8 Stunden 47 Minuten 39½ Se: kunden ſtellt alle Beobachtungen von 1784 bis jetzt innerhalb der Beobachtungsfehler dar; und durch ſolche können auch die kleinen Verſchiedenheiten erklärt werden, welche ſich in dem Gange des Lichtwechſels zeigen. Der Stern iſt im Minimum ?/ Stufen heller als s, im Maximum gleich dem Sterne desſelben Sternbildes; er braucht 1 Tag 15 Stunden, um von jenem zu dieſem zu ſteigen; dagegen mehr als das Doppelte dieſer Zeit, nämlich 3 Tage 18 Stunden, um wieder zum Minimum zurückzukommen; von dieſer letzteren Zeit verändert er ſich aber 8 Stunden lang faſt gar nicht und einen ganzen Tag lang nur ganz unbedeutend. 9) Herculis; AR. 256° 57‘, Decl. + 14° 34°; ein ſehr roter Doppelſtern, deſſen Lichtwechſel in jeder Hinſicht ſehr unregel— mäßig iſt. Oft verändert er ſein Licht monatelang faſt gar nicht, zu anderen Zeiten iſt er im Maximum um 5 Stufen heller als im Minimum; daher iſt auch die Periode noch ſehr unſicher. Der Entdecker hatte ſie zu 63 Tagen angenommen, ich anfänglich zu 95, bis eine ſorgfältige Berechnung meiner ſämtlichen Beobachtungen während ſieben Jahren mir jetzt die im Texte angeſetzte Periode ge— geben hat. Heis glaubt die Beobachtungen durch eine Periode von 184,9 Tagen mit zwei Maximis und zwei Minimis darſtellen zu können. 10) Coronae R; AR. 235° 36‘, Decl. + 28° 37°. Der Stern iſt nur zeitweiſe veränderlich; die angegebene Periode iſt von Koch berechnet worden aus ſeinen eigenen Beobachtungen, die leider verloren gegangen ſind. 11) Seuti R; AR. 279° 52“, Decl. — 5° 51“. Die Hellig- keitsſchwankungen dieſes Sterns bewegen ſich zuweilen nur inner— halb weniger Stufen, während er zu anderen Zeiten von der 5. bis zur 9. Größe hinabſinkt. Er iſt noch zu wenig beobachtet worden, um zu entſcheiden, ob in dieſen Abwechſelungen eine beſtimmte Regel herrſcht. Ebenſo iſt auch die Dauer der Periode bedeutenden Schwankungen unterworfen. 12) Virginis R; AR. 187° 43‘, Decl. + 7° 49“. Er hält ſeine Periode und Helligkeit im Maximum mit ziemlicher Regel— mäßigkeit ein; doch kommen Abweichungen vor, die mir zu groß ſcheinen, um ſie allein Beobachtungsfehlern zuſchreiben zu können. 13) Aquarii R; AR. 554° 11% Decl. — 16° 6‘. 14) Serpentis R; AR. 235 25’, Decl. + 15° 36°. 15) Serpentis S; AR. 298° 40°, Decl. + 14° 52°. 16) Cancri R; AR. 122 6‘, Decl. + 12° 9, Ueber dieje vier Sterne, die nur höchft dürftig beobachtet find, läßt ſich wenig mehr jagen, als die Tabelle gibt. 17) 4 Cassiopeae; AR. 8° 0‘, Decl. + 55° 43°. Der Stern iſt ſehr ſchwierig zu beobachten; der Unterſchied zwiſchen — 176 — Maximum und Minimum beträgt nur wenige Stufen und iſt außerdem ebenſo variabel, als die Dauer der Periode. Aus dieſem Umſtande ſind die ſehr verſchiedenen Angaben für dieſelbe zu er— klären. Die angegebene, welche die Beobachtungen von 1782 bis 1849 genügend darſtellt, ſcheint mir die wahrſcheinlichſte zu ſein. 18) K Orionis; AR. 86° 46‘, Decl. + 7° 22°. Auch dieſes Sterns Lichtwechſel beträgt vom Minimum zum Maximum nur 4 Stufen; er nimmt während 91½ Tagen zu an Helligkeit, während 104½ ab, und zwar vom 20. bis 70. Tage nach dem Maximum ganz unmerklich. Zeitweiſe iſt ſeine Veränderlichkeit noch geringer und kaum zu bemerken. Er iſt ſehr rot. 19) K Hydra e; AR. 140° 3‘, Decl. — 8° 17; iſt von allen veränderlichen am ſchwierigſten zu beobachten, und die Periode noch ganz unſicher. Sir John Herſchel gibt ſie zu 29 bis 30 Tagen an. 20) e Aurigae; AR. 72° 48“, Decl. + 43° 36°. Der Lichtwechſel dieſes Sterns iſt entweder ſehr unregelmäßig, oder es finden während einer Periode von mehreren Jahren mehrere Maxima und Minima ſtatt, was erſt nach Verlauf vieler Jahre wird ent— ſchieden werden können. 21) é Geminorum; AR. 103° 48, Decl. + 20% 47% Dieſer Stern hat bis jetzt einen ganz regelmäßigen Verlauf des Lichtwechſels gezeigt. Im Minimum hält ſeine Helligkeit die Mitte zwiſchen v und o desſelben Sternbildes, im Maximnm erreicht fie die von A nicht völlig; der Stern braucht 4 Tage 21 Stunden zum Hellwerden und 5 Tage 6 Stunden zum Abnehmen. 22) B Pegasi; AR. 344° 7‘, Decl. + 27° 16°. Die Periode iſt Schon ziemlich gut beſtimmt, über den Gang des Lichtwechſels läßt ſich aber noch nichts ſagen. 23) Pegasi R; AR. 344° 47“, Decl. + 9° 43“. 24) Caneri S; AR. 128° 50‘, Decl. + 19 34°. Ueber beide Sterne iſt noch nichts zu ſagen. Bonn, im Auguſt 1850. Fr. Argelander. Veränderung des Sternlichtes in unerforſch— ter Periodizität. — Bei der wiſſenſchaftlichen Begründung wichtiger Naturerſcheinungen im Kosmos, ſei es in der tellu— riſchen oder in der ſideriſchen Sphäre, gebietet die Vorſicht, nicht allzu früh miteinander zu verketten, was noch in ſeinen nächſten Urſachen in Dunkel gehüllt iſt. Deshalb unterſcheiden wir gern neu erſchienene und wieder gänzlich verſchwundene Sterne (in der Kaſſiopeia 1572), neu erſchienene und nicht wieder verſchwundene (im Schwan 1600), veränderliche mit erforſchten Perioden (Mira Ceti, Algol), Sterne, deren Licht: intenſität ſich verändert, ohne daß in dieſem Wechſel bisher eine Periodizität entdeckt worden iſt (. Argus). Es iſt keines— wegs unwahrſcheinlich, aber auch nicht notwendig, daß dieſe * . vier Arten der Erſcheinungen!? ganz ähnliche Urſachen in der en jener fernen Sonnen oder in der Natur ihrer Oberfläche haben. Wie wir die Schilderung der neuen Sterne mit der ausgezeichnetſten dieſer Klaſſe von Himmelsbegebenheiten, mit der plötzlichen Erſcheinung des Sterns von Tycho, begonnen haben, ſo beginnen wir, von denſelben Gründen geleitet, die Darſtellung der Veränderung des Sternlichts bei unerforſchter Periodizität mit den noch heutzutage fortgehenden unperio— diſchen Helligkeitsſchwankungen von 7 Argus. Dieſer Stern liegt in der großen und prachtvollen Konſtellation des Schiffes, der „Freude des ſüdlichen Himmels“. Schon Halley, als er 1677 von ſeiner Reiſe nach der Inſel St. Helena zurückkehrte, äußerte viele Zweifel über den Lichtwechſel der Sterne des Schiffes Argo, beſonders am Schilde des Vorderteils und am Verdeck (A und zarasıpwna), deren relative Größenord— nung Ptolemäus angegeben hatte, aber bei der Ungewißheit der Sternpoſitionen der Alten, bei den vielen Varianten der Hand— ſchriften des Almageſt und den unſicheren Schätzungen der Lichtſtärke konnten dieſe Zweifel zu keinen Reſultaten führen. Halley hatte J Argus 1677 4., Lacaille 1751 bereits 2. Größe gefunden. Der Stern ging wieder zu ſeiner früheren ſchwächeren Intenſität zurück, denn Burchell fand ihn während ſeines Auf— enthalts im ſüdlichen Afrika (1811 bis 1815) von der 4. Größe. Fallows und Brisbane ſahen ihn 1822 bis 1826 2 u, Burchell, der ſich damals (Februar 1827) zu S. Paulo in Braſilien befand, 1”, ganz dem Crueis gleich. Nach einem Jahre ging der Stern wieder zu 2” zurück. So fand ihn Burchell in der braſilianiſchen Stadt Goyaz am 29. Februar 1828, ſo führen ihn Johnſon und Taylor von 1829 und 1833 in ihren Verzeichniſſen auf. Auch Sir John Herſchel ſchätzte ihn am Vorgebirge der guten Hoffnung von 1834 bis 1837 zwiſchen m und 1 u. Als nämlich am 16. Dezember 1837 dieſer berühmte Aſtronom eben ſich zu photometriſchen Meſſungen von einer Unzahl teleſkopiſcher Sterne 11” bis 16 rüſtete, welche den herrlichen Nebelfleck um ] Argüs füllen, erſtaunte er, dieſen oft vorher beobachteten Stern zu einer ſolchen Intenſität des Lichtes angewachſen zu finden, daß er faſt dem Glanze von 4 Centauri gleichkam und alle anderen Sterne 1. Größe außer Canopus und Sirius an Glanz übertraf. Am 2. Ja- ‚nuar 1838 hatte er dieſes Mal das Maximum ſeiner Hellig— A. v. Humboldt, Kosmos. III. 12 keit erreicht. Er wurde bald ſchwächer als Arcturus, übertraf aber Mitte April 1838 noch Aldebaran. Bis März 1843 erhielt er ſich in der Abnahme, doch immer als Stern 1”; dann, beſonders im April 1843, nahm wieder das Licht ſo zu, daß nach den Beobachtungen von Mackay in Kalkutta und Maclear am Kap „ Argüs glänzender als Canopus, ja fait dem Sirius gleich wurde. Dieſe hier bezeichnete Lichtintenſität hat der Stern faſt noch bis zu dem Anfang des laufenden Jahres behalten. Ein ausgezeichneter Beobachter, Lieutenant Gilliß, der die aſtronomiſche Expedition befehligt, welche die Regierung der Vereinigten Staaten an die Küſte von Chile geſchickt hat, ſchreibt von Santiago im Februar 1850: % Argus, mit ſeinem gelblich-roten Lichte, welches dunkler als das des Mars iſt, kommt jetzt dem Canopus an Glanz am nächſten, und iſt heller als das vereinigte Licht von „ Centauri.“ '? Seit der Erſcheinung im Schlangenträger 1604 iſt kein Fix ſtern zu einer ſolchen Lichtſtärke und in einer langen Dauer von nun ſchon 7 Jahren aufgeſtrahlt. In den 173 Jahren (von 1677 bis 1850), in welchen wir Nachricht von der Größenordnung des ſchönen Sterns im Schiffe haben, hat derſelbe in der Vermehrung und Verminderung ſeiner Inten— ſität 8 bis 9 Oszillationen gehabt. Es iſt, als ein Antriebs- mittel zur dauernden Aufmerkſamkeit der onen auf das Phänomen einer großen, aber unperiodiſchen Veränderlichkeit von Argus, ein glücklicher Zufall geweſen, daß die Erſchei— nung in die Epoche der rühmlichen fünfjährigen Kapexpedition von Sir John Herſchel gefallen iſt. Bei mehreren anderen, ſowohl iſolierten Airjternen als von Struve beobachteten Doppelſternen (Stellarum compos. Mensurae microm. p. LXXI—LXXIL) find ähnliche, noch nicht periodisch erkannte Lichtveränderungen bemerkt worden. Die Beiſpiele, die wir uns hier anzuführen begnügen, ſind auf wirkliche, von demſelben Aſtronomen zu verſchiedenen Zeiten aufgeſtellte photometriſche Schätzungen und Meſſungen gegründet, keineswegs aber auf die Buchſtabenreihen in Bayers Uranometrie. Argelander hat in der Abhandlung De fide Uranometriae Bayerianae 1842, p. 15 ſehr über⸗ zeugend erwieſen, daß Bayer gar nicht den Grundſatz befolgt, die hellen Sterne mit den früheren Buchſtaben zu bezeichnen, ſondern im Gegenteil in derſelben Größenklaſſe die Buch- ſtaben in Reihenfolge der Lage ſo verteilte, daß er gewöhn: lich vom Kopf der Figur in jeglichem Sternbilde zu den Füßen, — 179 — überging. Die Buchſtabenreihe in Bayers Uranometrie hat lange den Glauben an die Lichtveränderungen verbreitet von 4 Aquilae, von Caſtor der Zwillinge und Alphard der Waſſerſchlange. Struve (1838) und Sir John Herſchel ſahen Capella an Licht zunehmen. Der letztere findet die Capella jetzt um vieles heller als Wega, da er ſie vorher immer für ſchwächer annahm.!“ Ebenſo auch Galle und Heis in jetziger Ver— gleichung von Capella und Wega. Der letztere findet Wega um 5 bis 6 Stufen, alſo mehr als eine halbe Größenklaſſe, ſchwächer. Die Veränderungen in dem Lichte einiger Sterne in den Konſtellationen des großen und kleinen Bären verdienen be— ſondere Aufmerkſamkeit. „Der Stern „ Ursae majoris,“ jagt Sir John Herſchel, „iſt jetzt gewiß unter den 7 hellen Sternen des großen Bären der vorleuchtendſte, wenn 1837 noch es un: beſtreitbar den erſten Rang einnahm.“ Dieſe Bemerkung hat mich veranlaßt, Herrn Heis, der ſich ſo warm und umſichtig mit der Veränderlichkeit des Sternlichts beſchäftigt, zu be— fragen. „Aus dem Mittel der 1842 bis 1850 zu Aachen von mir angeſtellten Beobachtungen,“ ſchreibt Herr Heis, „ergab ſich die Reihenfolge: 1) = Ursae maj. oder Alioth, 2) „ oder Dubhe, 3) n oder Benetnaſch, 4) F oder Mizar, 5) 86, 6) x, 7) 3. In den Helligkeitsunterſchieden dieſer 7 Sterne ſind ſich nahe gleich =, „ und 1, jo daß ein nicht ganz reiner Zu— ſtand der Luft die Reihenfolge unſicher machen kann; £ iſt entſchieden ſchwächer als die drei genannten. Die beiden Sterne 8 und 7, beide merklich ſchwächer als &, ſind unter— einander faſt gleich; ? endlich, in älteren Karten von gleicher Größe mit 8 und 7 angegeben, iſt um mehr als eine Größen— ordnung ſchwächer als dieſe Sterne. Veränderlich iſt beſtimmt s. Obgleich der Stern in der Regel heller als „ iſt, jo habe ich ihn doch in 3 Jahren Smal entſchieden ſchwächer als „ ge- ſehen. Auch 3 Ursae maj. halte ich für veränderlich, ohne beſtimmte Perioden angeben zu können. Sir John Herſchel fand in den Jahren 1840 und 1841 8 Ursae min. viel heller als den Polarſtern, während daß ſchon im Mai 1846 das Entgegengeſetzte von ihm beobachtet wurde. Er vermutet Ver— änderlichkeit in 8. Ich habe ſeit 1843 der Regel nach Polaris ſchwächer als 8 Ursae min. gefunden, aber von Oktober 1843 bis Juli 1849 wurde nach meinen Verzeichniſſen Polaris zu 14 Malen größer als 8 geſehen. Daß wenigſtens die Farbe sr Aare des letztgenannten Sterns nicht immer gleich rötlich iſt, davon habe ich mich häufig zu überzeugen Gelegenheit gehabt; ſie iſt zuweilen mehr oder weniger gelb, zuweilen recht entſchieden rot.!“ Alle mühevollen Arbeiten über die relative Helligkeit der Geſtirne werden dann erſt an Sicherheit gewinnen, wenn die Reihung nach bloßer Schätzung endlich einmal durch Meſſungsmethoden, welche auf die Fortſchritte der neue— ren Optik gegründet ſind, erſetzt werden kann. Die Möglich— keit, ein ſolches Ziel zu erreichen, darf von Aſtronomen und Phyſikern nicht bezweifelt werden. Bei der wahrſcheinlich großen phyſiſchen Aehnlichkeit der Lichtprozeſſe in allen ſelbſtleuchtenden Geſtirnen (in dem Central— körper unſeres Planetenſyſtems und den fernen Sonnen oder Firſternen) hat man längſt mit Recht darauf hingewieſen, wie bedeutungs- und ahnungsvoll der periodiſche oder un— periodiſche Lichtwechſel der Sterne iſt für die Klimatologie im allgemeinen, für die Geſchichte des Luftkreiſes, d. i. für die wechſelnde Wärmemenge, welche unſer Planet im Lauf der Jahrtauſende von der Ausſtrahlung der Sonne empfangen hat, für den Zuſtand des organiſchen Lebens und deſſen Ent— wickelungsformen unter verſchiedenen Breitengraden. Der ver— änderliche Stern am Halſe des Walfiſches (Mira Ceti) geht von der 2. Größe bis zur 11., ja bis zum Verſchwinden herab; wir haben eben geſehen, daß 7 des Schiffes Argo von der 4. Größe bis zur 1. und unter den Sternen dieſer Ordnung bis zum Glanz des Canopus, faſt bis zu dem von Sirius ſich erhoben hat. Wenn je auch nur ein ſehr geringer Teil der hier geſchilderten Veränderungen in der Intenſität der Licht— und Wärmeſtrahlung nach ab- oder aufſteigender Skala unſere Sonne angewandelt hat (und warum ſollte ſie von anderen Sonnen verſchieden ſein?), ſo kann eine ſolche Anwandlung, eine ſolche Schwächung oder Belebung der Lichtprozeſſe doch mächtigere, ja furchtbarere Folgen für unſeren Planeten ge— habt haben, als zur Erklärung aller geognoſtiſchen Verhält— niſſe und aller Erdrevolutionen erforderlich ſind. William Herſchel und Laplace haben zuerſt dieſe Betrachtungen an— geregt. Wenn ich hier bei denſelben länger verweilt bin, ſo iſt es nicht darum geſchehen, weil ich in ihnen ausſchließlich die Löſung der großen Probleme der Wärmeveränderung auf unſerem Erdkörper ſuche. Auch die primitive hohe Temperatur des Planeten, in ſeiner Bildung und der Verdichtung der ſich ballenden Materie gegründet, die Wärmeſtrahlung der tiefen Br age Erdſchichten durch offene Klüfte und unausgefüllte Gang— ſpalten, die Verſtärkung elektriſcher Ströme, eine ſehr verſchie— dene Verteilung von Meer und Land konnten in den früheſten Epochen des Erdelebens die Wärmeverteilung un— abhängig machen von der Breite, d. h. von der Stellung gegen einen Centralkörper. Kosmiſche Betrachtungen dürfen ſich nicht einſeitig auf aſtrognoſtiſche Verhältniſſe beſchränken. Anmerkungen. (S. 151.) Ein neuer Stern iſt im Sommer 1885 ganz plötzlich im Nebel der Andromeda erſchienen. Meſſier — ſo ſchreibt der bekannte Kölner Aſtronom Dr. Hermann J. Klein — ſah keinen Stern in dem Nebel, jedoch Fr. Wilhelm Herſchel, der den Nebel mit ſeinen mächtigen Teleſkopen unterſuchte, fand den cen— tralen hellen Teil zwar nebelig, aber mit Andeutung, daß er viel— leicht in Sterne auflösbar ſei. Der große Beobachter bemerkt ferner, daß die Diſtanz dieſes Nebels dem 2000 fachen der Entfernung des Sirius vergleichbar ſei. Dieſen Abſtand zu ee braucht das Licht 6000 Jahre (in einem Jahre durchläuft das Licht den un— geheuren Weg von mehr als 1½ Billionen Meilen), jo daß, wenn Herſchels Schätzung der Entfernung richtig iſt, die erſt heute für uns ſichtbar gewordene Neubildung in jenem Nebel ſich in Wirk⸗ lichkeit bereits ereignet hat zu einer Zeit, die der älteſten beglau— bigten Geſchichte Aegyptens und Babylons voraufgeht. Der mittlere Teil oder der ſogenannte Kern des Nebels iſt nicht ſternartig, ſon— dern in ſtarken Ferngläſern gewiſſermaßen flockig, ſo daß man der Anſicht Herſchels, er beſtehe aus Sternen, beipflichten muß. End: lich hat 1848 der große Refraktor zu Cambridge (Nordamerika dort innerhalb der Grenzen des Nebels mehr als 1500 einzelne Sternchen erkennen laſſen, ohne daß jedoch der nebelhafte Umriß des Ganzen verſchwunden wäre. Durch dieſe Sternmaſſe zogen ſich zwei ſchmale, dunkle, parallele Streifen, gewiſſermaßen wie zwei Riſſe, die auch ſpäter von anderen Beobachtern geſehen worden ſind. Das Spektroſkop hat endlich gezeigt, daß dieſer Nebel ein kontinuierliches Spektrum beſitzt, derſelbe alſo keine glühende Gas— maſſe, ſondern ein dichtgedrängter Sternhaufen ſein muß, wenigſtens in den centralen Teilen. Dort iſt nun auch der neue Stern er— ſchienen, und die verhältnismäßig große Helligkeit, welche er zeigt, läßt gar keinen Zweifel darüber, daß es ſich dabei um einen Vor— gang handelt, den man als eine Weltkataſtrophe bezeichnen muß. Genaueres wird ſich hierüber ſagen laſſen, ſobald günſtige Witterung die Anwendung des Spektroſkops geſtattet. Schließlich ſei noch bemerkt, daß ſich im Jahre 1860 bei einem Nebelfleck im Skorpion, der in Wirklichkeit auch ein ſehr dichtgedrängter Stern: haufen iſt, eine Erſcheinung gezeigt hat, welche große Aehnlichkeit — 13 — mit derjenigen im Andromedanebel beſitzt. Damals erſchien plöß- lich am Orte des Nebels ein Stern 7. bis 6. Größe, nach etwa 14 Tagen war derſelbe jedoch verſchwunden und an ſeiner Stelle zeigte ſich der Nebel wie früher. So weit Dr. Klein. Eine neue Erklärung dieſer wunderbaren Vorgänge am Himmel brachte mit Bezug auf den neuen Stern von 1885 der Wiener Aſtronom Dr. M. Wilhelm Meyer. Ihm zufolge iſt es ein Weltunter⸗ gang, den wir vor Augen ſahen. „In der Umgebung des neuen Sternes fehlt in dem Nebel keine Materie; die dunklen Streifen in ſeinem Körper ſind ganz wie früher ſichtbar; nichts hat ſich im übrigen darin verändert. Auch dieſes beweiſt, daß in dem Nebel keine kataſtrophenartige Zuſammenziehung des Stoffes bis zur Dichtigkeit einer Sonne, wie wir ſie uns in Myriaden von Jahren ſich hier vorgehend denken, ſtattgefunden haben kann, weil dieſe den ganzen Nebel in Mitleidenſchaft gezogen haben müßte. Wir müſſen vielmehr vermuten, daß zwei aus jener un— gezählten Zahl von Sternen, welche ſich um den Mittelpunkt des Nebels drängen und wie alle übrigen um dieſes Centrum in mäch— tigem Schwunge bewegen müſſen, in fürchterlichem Zuſammenſtoße gegeneinander ſchlugen; zwei Sonnen, die ſich zermalmen und im vehementen Anpralle eine ganz ungeheure Hitze entwickeln, die in den Raum hinausſtrömt. Bereits erlöſchende Teile der in ihrem Fluge jäh aufgehaltenen Sonnen geraten in neue Glut; was vor— her ſchon glühte, wird heißer angefacht. Ein hundertfältig ſtärkeres Licht ſtrahlt plötzlich von ihnen aus, und ſobald die aufgewühlte Lichtwelle uns erreicht, erſcheint ein neuer Stern. Aber die ſchnell - aufzifchende Glut hat keinen langen Beſtand. Sie tft wie ein Funke, der vom Stahl abſprüht, wenn ihn der Stein trifft. Alle neuen Sterne ſind immer ſofort in ihrem hellſten Lichte erſchienen, um dann bald darauf in mehr oder weniger regelmäßiger Stufen— folge abzunehmen, bis ſie gänzlich wieder erloſchen waren. Auch der neue Stern im Nebel der Andromeda zeigt bereits ein ähn— liches Verhalten. Als er zuerſt aufleuchtete, war er reichlich 6. bis 7. Größe. Als ich ihn dagegen am Montag wieder ſah, war er bereits zur achten Größenklaſſe herabgeſunken, und auch ſeine Farbe hatte ſich merklich verändert. Seitdem iſt das Wetter leider trüb geworden. Allem Anſcheine nach wird alſo ſchon nach wenigen Wochen das große Schauſpiel zu Ende ſein. Dann wird man es beſſer kritiſieren können.“ — [D. Herausg.] (S. 152.) Ich bin in dem Texte ganz der Erzählung ge: folgt, welche Tycho ſelbſt gibt. Der ſehr unwichtigen, aber in vielen aſtronomiſchen Schriften wiederholten Behauptung, daß Tycho zuerſt durch einen Zuſammenlauf von Landvolk auf die Erſcheinung des neuen Sterns aufmerkſam gemacht wurde, durfte daher hier nicht gedacht werden. 8 (S. 153.) Cardanus in feinem Streite mit Tycho ſtieg bis zu dem Stern der Magier hinauf, welcher mit dem Stern — 184 — von 1572 identiſch ſein ſollte. Ideler glaubt nach ſeinen Kon— junktionsberechnungen des Saturn mit Jupiter und nach gleichen Vermutungen, die Kepler bei dem Erſcheinen des neuen Sterns im Schlangenträger von 1604 ausgeſprochen, daß der Stern der Weiſen aus dem Morgenlande, wegen der häufigen Ver— wechſelung von irie und nch, nicht ein einzelner großer Stern, ſondern eine merkwürdige Geſtirnſtellung, die große An— näherung zweier hellglänzenden Planeten zu weniger als einer Mondbreite, geweſen ſei. (S. 153.) Tycho gründet ſich in ſeiner Theorie der neuen Sternbildung aus dem kosmiſchen Nebel der Milchſtraße auch auf die merkwürdigen Stellen des Ariſtoteles über den Ver— kehr der Kometenſchweife (der dunſtförmigen Ausſtrahlungen der Kometenkerne) mit dem Galaxias, deren ich ſchon oben erwähnte. (S. 155.) Andere Angaben ſetzen die Erſcheinung in die Jahre 388 oder 398. (S. 163.) Siehe über Beiſpiele von nicht verſchwundenen Sternen Argelander in Schumachers aſtronom. Nachr. Nr. 624, S. 371. Um auch eines Beiſpieles aus dem Altertum zu gedenken, iſt hier zu erinnern, wie die Nachläſſigkeit, mit der Aratus ſein poetiſches Sternverzeichnis angeregt hat, zu der oft erneuerten Frage führte, ob Wega oder Leier ein neuer oder in langen Perioden veränderlicher Stern ſei. Aratus ſagt nämlich, die Konſtellation der Leier habe nur kleine Sterne. Auffallend iſt es allerdings, daß Hipparch in dem Kommentar dieſen Irrtum nicht bezeichnet, da er doch den Aratus wegen ſeiner Angaben von der relativen Lichtſtärke der Sterne der Kaſſiopeia und des Schlangen— trägers tadelt. Alles dieſes iſt aber nur zufällig und nichts be— weiſend; denn da Aratus auch dem Schwane nur Sterne „von mittlerem Glanze“ zuſchreibt, ſo widerlegt Hipparch ausdrücklich dieſen Irrtum, und ſetzt hinzu, daß der helle Stern am Schwanze (Deneb), an Lichtſtärke der Leier (Wega) wenig nachſtehe. Ptole— mäus ſetzt Wega unter die Sterne erſter Ordnung, und in den Kataſterismen des Eratoſthenes wird Wega Aevany zul Auympbv genannt. Würde man bei den vielen Ungenauigkeiten eines die Sterne nicht ſelbſt beobachtenden Dichters der Behauptung Glauben beimeſſen wollen, daß Wega der Leier (Fidicula des Plinius XVIII. 25) erſt zwiſchen den Jahren 282 und 127 vor unſerer Zeitrechnung, zwiſchen Aratus und Hipparch, ein Stern 1. Größe geworden ſei? 3 7 (S. 165.) „Ich glaube,“ jagt Argelander, „daß es ſehr ſchwierig iſt, in einem lichtſtarken Fernrohr die Helligkeit ſo über— aus verſchiedener Sterne, als es die beiden Komponenten von „ Herculis find, richtig zu ſchätzen. Meine Erfahrung iſt ent— ſcheidend gegen die Veränderlichkeit des Begleiters, da ich Her— culis, bei vielfachen Tagesbeobachtungen in den Fernröhren der Meridiankreiſe zu Abo, Helſingfors und Bonn, nie einfach geſehen habe, was doch wohl der Fall geweſen jein würde, wenn der Be: gleiter im Minimum 7. Größe wäre. Ich halte dieſen konſtant für 5m oder 5. 6m.“ (S. 165.) Mädlers Tafel enthält mit ſehr verſchiedenen numeriſchen Elementen 18 Sterne; Sir John Herſchel zählt mit den in den Noten berührten über 45 auf. (S. 167.) „Wenn ich,“ ſagte Argelander, „das kleinſte Licht des Algol 1800 Januar 1. um 18 Stunden 1 Minute mittlerer Pariſer Zeit für die 0 Epoche annehme, ſo erhalte ich die Dauer der Periode für: — 1987 .. 2 T. 20 St. 48 M. . 59,416 .. + 0,316 — 1406 58,737 + 0,094 — 825 58,393 + 0,175 + 751 58,454 + 0,039 + 2328 58,193 + 0,096 + 3885 57,971 + 0,045 at 55,182 + 0,348 In dieſer Tabelle haben die Zahlen folgende Bedeutung: Nennt man die Epoche des Minimums 1, Januar 1800 1 die nächſt vorhergehende — 1, die nächſtfolgende E u. f. we so war die Dauer zwiſchen dem — 1987 und — 1986 genau 2 Tage 20 Stunden 48 Minuten 59,416 Sekunden; die Dauer zwiſchen + 5441 und + 5442 aber Tage 20 Stunden 48 Minuten 55,182 Sekunden; jenes entſpricht dem Jahre 1784, dieſes dem Jahre 1842. Die hinter den + Zeichen ſtehenden Zahlen ſind die wahr: ſcheinlichen Fehler. Daß die Abnahme immer raſcher wird, zeigen ſowohl die letzte Zahl als alle meine Beobachtungen ſeit 1847.“ (S. 167.) Argelanders Formel zur Darſtellung aller Be— obachtungen der Maxima von Mira Ceti ift nach feiner Mit teilung dieſe: „1751 September 9,76 + 331,3363 T. + 10,5 T. 480 Sim = E+85023°) +. 18,2%. Sin. 11 1 231 42 + 33,9 T. Sin. [Sen 00 1 W Sin. (EEG . wo E die Anzahl der ſeit 1751 September 9. eingetretenen Maxima bedeutet und die Koeffizienten in Tagen gegeben ſind. Für das jetzt laufende Jahr folgt daraus das Maximum: 1751 Septbr. 9,76 + 36115,65 T. + 8,44 T. — 12,24 T. + 18,59 T. + 27,34 T. = 1850 Septbr. 8,54. Was am meiſten für dieſe Formel zu ſprechen ſcheint, iſt der Umſtand, daß mit ihr auch die Beobachtung des Maximums von — ABB, 1596 (Kosmos Bd. II, S. 253) dargeſtellt wird, die bei jeder Annahme einer gleichförmigen Periode um mehr als 100 Tage abweicht. Doch ſcheint das Geſetz der Lichtveränderung dieſes Sternes ſo kompliziert zu ſein, daß in einzelnen Fällen, z. B. für das ſehr genau beobachtete Maximum des Jahres 1840, die Formel noch viele Tage (faſt 25) abgewichen 1115 (S. 168.) Zu den früheſten ernſten Beſtrebungen, die mittlere Dauer der Veränderlichkeitsperiode von Mira Ceti zu er— gründen, gehört die Arbeit von Jacques Caſſini, Elémens d' Astronomie 1740, p. 66—69. ” (©. 177.) Newton unterſcheidet nur zwei Arten dieſer ſideriſchen Erſcheinungen: „Stellae fixae quae per vices apparent et evanescunt quaeque paulatim erescunt, videntur revolvendo partem lucidam et partem obscuram per vices ostendere.“ Dieſe Erklärung des Lichtwechſels hatte ſchon früher Riccioli vor— getragen. Ueber die Vorſicht, mit welcher Periodizität vorausgeſetzt werden muß, ſ. die wichtigen Betrachtungen von Sir John Herſchel in der Kapreiſe 8 261. 13 (S. 178.) Brief des Aſtronomen der Sternwarte zu Waſhington, Lieutenant Gilliß an Dr. Flügel, Konſul der Verein. Staaten von Nordamerika zu Leipzig (Handſchrift)ſ. Die acht Mo— nate lang dauernde, ungetrübte Reinheit und Durchſichtigkeit der Atmoſphäre in Santiago de Chile iſt ſo groß, daß Lieutenant Gilliß in dem erſten in Amerika konſtruierten, großen Fernrohr von 6% Zoll Oeffnung (konſtruiert von Henry Fritz in New Nork und William Young in Philadelphia) den 6. Stern im Trapezium des Orion deutlich erkannte 14 (S. 179.) Sir John Herſchel, Kapreiſe p. 334 350 Note 1, und 440. Argelander hegt dagegen vielen Zweifel über die Veränderlichkeit der Capella und der Bärenſterne. (S. 180.) Heis in handſchriftliche Notizen vom Mai 1850. (Die behauptete Veränderlichkeit von , d und ? Ursae mag. iſt auch beſtätigt in Outlines p. 559.) Ueber die Reihenfolge der Sterne, welche vermöge ihrer Nähe nach und nach den Nord— pol bezeichnen werden, bis, nach 12000 Jahren, Wega der Leier, der prachtvollſte aller möglichen Polarſterne, die Stelle einnehmen wird, ſ. Mädler, Aſtronomie S. 432. V. Eigene Bewegung der Firfterne. — Problematiſche Exiſtenz dunkler Welt- körper. — Parallarc. — Gemeſſene Entfernung einiger Firfterne. — Zweifel über die Annahme eines Eentralkörpers für den ganzen Fitſternhimmel. Neben den Veränderungen der Lichtſtärke zeigt der Fix— ſternhimmel als ſolcher und im Widerſpruch mit ſeiner Be— nennung auch Veränderungen durch die perpetuierlich fort— ſchreitende Bewegung der einzelnen Fixſterne. Es iſt ſchon früher daran erinnert worden, wie, ohne daß dadurch im all— gemeinen das Gleichgewicht der Sternſyſteme geſtört werde, ſich kein feſter Punkt am ganzen Himmel befindet, wie von den hellen Sternen, welche die älteſten unter den griechiſchen Aſtronomen beobachtet haben, keiner ſeinen Platz im Welt— raume unverändert behauptet hat. Die Ortsveränderung iſt in zweitauſend Jahren bei Arctur, bei u der Kaſſiopeia und bei einem Doppelſtern im Schwan durch Anhäufung der jähr— lichen eigenen Bewegung auf 2½, 3½ und 6 Vollmondbreiten angewachſen. Nach dreitauſend Jahren werden etwa 20 Fix— ſterne ihren Ort um 1“ und mehr verändert haben. Da nun die gemeſſenen eigenen Bewegungen der Fixſterne von % bis 7,7 Sekunden ſteigen (alſo im Verhältnis von wenigſtens 1: 54 verſchieden ſind), jo bleiben auch der relative Abſtand der Fixſterne untereinander und die Konfiguration der Kon— ſtellationen in langen Perioden nicht dieſelben. Das ſüdliche Kreuz wird in der Geſtalt, welche jetzt dies Sternbild zeigt, nicht immer am Himmel glänzen, da die vier Sterne, welche es bilden, mit ungleicher Geſchwindigkeit eines verſchiedenen Weges wandeln. Wie viele Jahrtauſende bis zur völligen Auflöſung verfließen werden, iſt nicht zu berechnen. In den Raumverhältniſſen und in der Zeitdauer gibt es kein abſolutes Großes und Kleines. — 188 — Will man unter einem allgemeinen Geſichtspunkt zu: ſammenfaſſen, was an dem Himmel ſich verändert und was im Lauf der Jahrhunderte den phyſiognomiſchen Cha— rakter der Himmelsdecke, den Anblick des Firmaments an einem beſtimmten Orte modifiziert, fo muß man aufzählen als wirkſame Urſachen ſolcher Veränderung: 1) das Vorrücken der Nachtgleichen und das Wanken der Erdachſe, durch deren ge— meinſame Wirkung neue Sterne am Horizont aufſteigen, an— dere unſichtbar werden; 2) die periodiſche und unperiodiſche Veränderung der Lichtſtärke vieler Fixſterne; 3) das Auflodern neuer Sterne, von denen einige wenige am Himmel verblieben ſind; 4) das Kreiſen teleſkopiſcher Doppelſterne um einen ge— meinſamen Schwerpunkt. Zwiſchen dieſen ſich langſam und ungleich in Lichtſtärke und Poſition verändernden ſogenannten Fixſternen vollenden ihren ſchnelleren Lauf 20 Hauptplaneten, von denen fünf zuſammen 20 Satelliten darbieten. Es be— wegen ſich alſo außer den ungezählten, gewiß auch rotierenden Fixſternen 40 bis jetzt (Oktober 1850) aufgefundene plane— tariſche Körper.! Zur Zeit des Kopernikus und des großen Vervollkommners der Beobachtungskunſt, Tycho, waren nur ſieben bekannt. Faſt 200 berechnete Kometen, deren fünf von kurzem Umlauf und innere, d. h. zwiſchen den Bahnen der Hauptplaneten eingeſchloſſene, ſind, hätten hier ebenfalls noch als planetariſche Körper aufgeführt werden können. Sie beleben während ihres meiſt kurzen Erſcheinens, wenn ſie dem bloßen Auge ſichtbar werden, nächſt den eigentlichen Planeten und den neuen als Sterne erſter Größe plötzlich auflodernden Weltkörpern, am anziehendſten das an ſich ſchon reiche Bild des geſtirnten Himmels; ich hätte faſt gejagt deſſen land— ſchaftlichen Eindruck. Die Kenntnis der eigenen Bewegung der Fixſterne hängt geſchichtlich ganz mit den Fortſchritten zuſammen, welche die Beobachtungskunſt durch Vervollkommnung der Werkzeuge und der Methoden gemacht hat. Das Auffinden dieſer Bewegung wurde erſt möglich, als man das Fernrohr mit geteilten In— ſtrumenten verband; als von der Sicherheit einer Bogenminute, die zuerſt mit großer Anſtrengung Tycho auf der Inſel Hveen ſeinen Beobachtungen zu geben vermochte, man allmählich zur Sicherheit von einer Sekunde und von Teilen dieſer Sekunde herabſtieg, oder durch eine lange Reihe von Jahren getrennte Reſultate miteinander vergleichen konnte. Eine ſolche Ver— gleichung ſtellte Halley mit den Poſitionen des Sirius, Arcturus — 189 — und Aldebaran an, wie ſie Ptolemäus in ſeinen Hipparchiſchen Katalogus, alſo vor 1844 Jahren, eingetragen hatte. Er glaubte ſich durch dieſelbe berechtigt (1717), eine eigene Bewegung in den eben genannten drei Fixſternen zu verkündigen.“ Die große und verdiente Achtung, welche ſelbſt noch lange nach den Beobachtungen von Flamſteed und Bradley den im Triduum von Römer enthaltenen Rektaſzenſionen geſpendet wurde, regte Tobias Mayer (1756), Maskelyne (1770) und Piazzi (1800) an, Römers Beobachtungen mit den ſpäteren zu vergleichen. Die eigene Bewegung der Sterne wurde dergeſtalt ſchon ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in ihrer Allgemeinheit anerkannt; aber die genaueren und numeriſchen Beſtimmungen dieſer Klaſſe von Erſcheinungen verdankte man erſt 1783 der großen Arbeit von William Herſchel, auf Flamſteeds Beobach— tungen gegründet, wie in noch weit höherem Grade Beſſels und Argelanders glücklicher Vergleichung von Bradleys Stern— poſitionen für 1755 mit den neueren Katalogen. Die Entdeckung der eigenen Bewegung der Fix— ſterne hat für die phyſiſche Aſtronomie eine um ſo höhere Wichtigkeit, als dieſelbe zu der Kenntnis der Bewegung un— ſeres eigenen Sonnenſyſtems durch die ſternerfüllten Welt— räume, ja zu der genauen Kenntnis der Richtung dieſer Be— wegung geleitet hat. Wir würden nie irgend etwas von dieſer Thatſache erfahren haben, wenn die eigene fortſchreitende Be— wegung der Fixſterne jo gering wäre, daß ſie allen unſeren Meſſungen entginge. Das eifrige Beſtreben, dieſe Bewegung in Quantität und Richtung, die Parallaxe der Firfterne und ihre Entfernung zu ergründen, hat am meiſten dazu beigetragen, durch Vervollkommnung der mit den optiſchen Inſtrumenten verbundenen Bogenteilungen und der mikro— metriſchen Hilfsmittel die Beobachtungskunſt auf den Punkt zu erheben, zu dem ſie ſich bei ſcharfſinniger Benutzung von großen Meridiankreiſen, Refraktoren und Heliometern (vorzugs— weiſe ſeit dem Jahre 1830) emporgeſchwungen hat. Die Quantität der gemeſſenen eigenen Bewegung wechſelt, wie wir ſchon im Eingange dieſes Abſchnittes bemerkt, von dem 20. Teil einer Sekunde bis zu faſt 8“. Die leuchtenden Sterne haben großenteils dabei ſchwächere Bewegung als Sterne 5. bis 6. und 7. Größe. Die ſieben Sterne, welche eine un— gewöhnlich große eigene Bewegung offenbart haben, ſind: Arcturus I (2, 25“), 4 Centauri 1m (3,587), . Cassiopeae 6m (3,74), der Doppelſtern 2 des Eridanus 5. 4 u (4,3), — 190 — der Doppelſtern 61 des Schwans 5. 6 mu (5,123), von Beſſel 1812 durch Vergleichung mit Bradleys Beobachtungen erkannt, ein Stern auf der Grenze der Jagdhunde und des großen Bären, Nr. 1830 des Katalogs der Cirkumpolarſterne von Groombridge, 7m (nach Argelander 6,974”), = Indi (7,74% nach d'Arreſt,“ 2151 Puppis des Schiffes 6m (7 871%. Das arithmetiſche Mittel der einzelnen Eigenbewegungen der Fix⸗ ſterne aus allen Zonen, in welche Mädler die Himmelskugel geteilt hat, würde kaum 0,102“ überſteigen. Eine wichtige Unterſuchung über die „Veränderlichkeit der eigenen Bewegungen von Procyon und Sirius“ hat Beſſel, dem größten Aſtronomen unſerer Zeit, im Jahre 1844, alſo kurz vor dem Beginnen ſeiner tödlichen ſchmerzhaften Krankheit, die Ueberzeugung aufgedrängt, „daß Sterne, deren veränder— liche Bewegungen in den vervollkommnetſten Inſtrumenten bemerkbar werden, Teile von Syſtemen find, welche, vergleichungs— weiſe mit den großen Entfernungen der Sterne voneinander, auf kleine Räume beſchränkt ſind.“ Dieſer Glaube an die Exiſtenz von Doppelſternen, deren einer ohne Licht iſt, war in Beſſel, wie meine lange Korreſpondenz mit ihm bezeugt, ſo feſt, daß ſie bei dem großen Intereſſe, welches ohnedies jede Erweiterung der Kenntnis von der phyſiſchen Beſchaffenheit des Fixſternhimmels erregt, die allgemeinfte Aufmerkſamkeit auf ſich zog. „Der anziehende Körper,“ jagt der berühmte Beobachter, „muß entweder dem Firſterne, welcher die merk— liche Veränderung zeigt, oder der Sonne ſehr nahe ſein. Da nun aber ein anziehender Körper von beträchtlicher Maſſe in ſehr kleiner Entfernung von der Sonne ſich in den Bewegungen unſeres Planetenſyſtems nicht verraten hat, ſo wird man auf ſeine ſehr kleine Entfernung von einem Sterne, als auf die einzig ſtatthafte Erklarung der im Laufe eines Jahrhunderts merklich werdenden Veränderung in der eigenen Bewegung des letzteren, N In einem Briefe an mich (Juli 1844) heißt es (ich hatte ſcherzend einige Beſorgnis über 2 Geſpenſterwelt der dunklen Geſtirne geäußert): Allerdings beharre ich in dem Glauben, daß Procyon und Sirius wahre Doppelſterne Ind, beſtehend aus einem ſicht— baren und einem unſichtbaren Sterne. Es iſt kein Grund vor— handen, das Leuchten für eine weſentliche Eigenſchaft der Körper zu halten. Daß zahlloſe Sterne ſichtbar ſind, beweiſt offenbar nichts gegen das Daſein ebenſo zahlloſer unſichtbarer. Die phyſiſche Schwierigkeit, die einer Veränderlichkeit in der — 191 — eigenen Bewegung, wird befriedigend durch die Hypotheſe dunkler Sterne beſeitigt. Man kann die einfache Vorausſetzung nicht tadeln, daß eine Veränderung der Geſchwindigkeit nur infolge einer Kraft ſtattfindet und daß die Kräfte nach den Newtonſchen Geſetzen wirken“ Ein Jahr nach Beſſels Tode hat Fuß auf Struves Ver— anlaſſung die Unterſuchung über die Anomalieen von Procyon und Sirius, teils durch neue Beobachtungen am Ertelſchen Meridianfernrohr zu Pulkowa, teils durch Reduktionen und Vergleichung mit dem früher Beobachteten erneuert. Das Re— ſultat iſt nach der Meinung von Struve und Fuß gegen die Beſſelſche Behauptung ausgefallen. Eine große Arbeit, die Peters in Königsberg eben vollendet hat, rechtfertigt die Beſſelſchen Behauptungen, wie eine ähnliche von Schubert, dem Kalkulator am nordamerikaniſchen Nautical Almanac. Der Glaube an die Exiſtenz nicht leuchtender Sterne war ſchon im griechiſchen Altertume und beſonders in der früheſten chriſtlichen Zeit verbreitet. Man nahm an, daß „zwiſchen den feurigen Sternen, die ſich von den Dünſten nähren, ſich noch einige andere erdartige Körper bewegen, welche uns unſichtbar bleiben.“ Das völlige Verlöſchen der neuen Sterne, beſonders der von Tycho und Kepler ſo ſorgfältig beobachteten in der Kaſſiopeia und im Schlangenträger, ſchien dieſer Meinung eine feſtere Stütze zu geben. Weil damals vermutet wurde, der erſte dieſer Sterne ſei ſchon zweimal vorher und zwar in Ab— ſtänden von ungefähr 300 Jahren aufgelodert, ſo konnte die Idee der Vernichtung und völligen Auflöſung keinen Beifall finden. Der unſterbliche Verfaſſer der Mecanique celeste gründet ſeine Ueberzeugung von dem Daſein nicht leuchtender Maſſen im Weltall auf dieſelben Erſcheinungen von 1572 und 1604. „Ces astres devenus invisibles apres avoir surpassd l'éclat de Jupiter meme, n’ont point change de place durant leur apparition. (Der Lichtprozeß hat bloß in ihnen aufgehört.) Il existe done dans l’espace celeste des corps opaques aussi considerables et peut-etre en aussi grands nombres que les étoiles.“ Ebenſo jagt Mädler in den Unterſuchungen über die Fixſternſyſteme: „Ein dunkler Körper könnte Centralkörper ſein; er könnte wie unſere Sonne in unmittelbarer Nähe nur von dunklen Körpern, wie unſere Planeten ſind, umgeben ſein. Die von Beſſel angedeu— teten Bewegungen von Sirius und Procyon nötigen (2) ſogar zu der Annahme, daß es Fälle gibt, wo leuchtende Körper — 12 — die Satelliten dunkler Maſſen bilden.“ Es iſt ſchon früher erinnert worden, daß ſolche Maſſen von einigen Anhängern der Emanationstheorie für zugleich unſichtbar und doch licht— ſtrahlend gehalten werden; unſichtbar, wenn ſie von ſo unge— heuren Dimenſionen ſind, daß die ausgeſandten Lichtſtrahlen (Lichtmolekülen), durch Anziehungskräfte zurückgehalten, eine gewiſſe Grenze nicht überſchreiten können. Gibt es, wie es wohl annehmbar iſt, dunkle, unſichtbare Körper in den Welt— räumen, ſolche, in welchen der Prozeß lichterzeugender Schwin— gungen nicht ſtattfindet, ſo müſſen dieſe dunklen Körper nicht in den Umfang unſeres Planeten- und Kometenſyſtemes fallen oder doch nur von ſehr geringer Maſſe ſein, weil ihr Daſein ſich uns nicht durch bemerkbare Störungen offenbart. Die Unterſuchung der Bewegung der Fixſterne in Quantität und Richtung (der wahren ihnen eigenen Bewegung wie der bloß ſcheinbaren durch Veränderung des Ortes der Beobachtung in der durchlaufenen Erdbahn hervorgebrachten), die Beſtimmung der Entfernung der Fixſterne von der Sonne durch Ergründung ihrer Parallaxen, die Vermu— tungen über den Ort im Weltraum, nach dem hin unſer Planetenſyſtem ſich bewegt, ſind drei Aufgaben der Aſtronomie, welche durch die Hilfsmittel der Beobachtung, deren man ſich zu ihrer teilweiſen Löſung glücklich bedient hat, in naher Verbindung miteinander ſtehen. Jede Vervollkomm— nung der Inſtrumente und der Methoden, die man zur För— derung einer dieſer ſchwierigen und verwickelten Arbeiten an— gewandt hat, iſt für die andere erſprießlich geworden. Ich ziehe vor, mit den Parallaxen und der Beſtimmung des Abſtandes einiger Fixſterne zu beginnen, um das zu vervoll— ſtändigen, was ſich vorzugsweiſe auf unſere jetzige Kenntnis der iſoliert ſtehenden Fixſterne bezieht. Schon Galilei hat im Anfang des 17. Jahrhunderts die Idee angeregt, den „gewiß überaus ungleichen Abſtand der Fixſterne von dem Sonnenſyſteme zu meſſen“, ja ſchon zuerſt mit großem Scharfſinn das Mittel angegeben, die Parallaxe aufzufinden, nicht durch die Beſtimmung der Entfernung eines Sternes vom Scheitelpunkte oder dem Pole, ſondern „durch ſorgfältige Vergleichung eines Sternes mit einem anderen, ſehr naheſtehenden“. Es iſt in ſehr allgemeinen Ausdrücken die Angabe des mikrometriſchen Mittels, deſſen ſich ſpäter William Herſchel (1781), Struve und Beſſel bedient haben. „Perche io non credo,“ jagt Galilei“ in dem dritten Geſpräche — 19 — (Giornata terza), „che tutte le stelle siano sparse in una sferica superficie egualmente distanti da un centro; ma stimo, che le loro lontananze da noi siano talmente varie, che alcune ve ne possano esser 2 e 3 volte piü remote di alcune altre; talche quando si trovasse col Telescopio qualche picciolissima stella vieinissima ad alcuna delle mag- giori, e che però quella fusse altissima, potrebbe accadere, che qualche sensibil mutazione succedesse tra di loro.“ Mit dem kopernikaniſchen Weltſyſteme war dazu noch gleichſam die Forderung gegeben, durch Meſſungen numeriſch den Wechſel der Richtung nachzuweiſen, welchen die halbjährige Orts— veränderung der Erde in ihrer Bahn um die Sonne in der Lage der Fixſterne hervorbringen müſſe. Da die von Kepler ſo glücklich benutzten Tychoniſchen Winkelbeſtimmungen, wenn ſie gleich bereits (wie ſchon einmal bemerkt) die Sicherheit von einer Bogenminute erreichten, noch keine parallaktiſche Veränderung in der ſcheinbaren Poſition der Fixſterne zu er: kennen gaben, ſo diente den Kopernikanern lange als Recht— fertigung der beruhigende Glaube, daß der Durchmeſſer der Erdbahn (41½ Millionen geogr. Meilen — 308 Millionen km) zu gering ſei im Verhältnis der übergroßen Entfernung der Fixſterne. Die Hoffnung der Bemerkbarkeit einer Parallaxe mußte demnach als abhängig erkannt werden von der Ver— vollkommnung der Seh- und Meßinſtrumente und von der Möglichkeit, ſehr kleine Winkel mit Sicherheit zu beſtimmen. Solange man nur einer Minute gewiß war, bezeugte die nicht bemerkte Parallaxe nur, daß die Fixſterne über 3438 Erdweiten (Halbmeſſer der Erdbahn, Abſtand der Erde von der Sonne) entfernt ſein müſſen. Dieſe untere Grenze der Entfernung ſtieg bei der Sicherheit einer Sekunde in den Beobachtungen des großen Aſtronomen James Bradley bis 206 265; ſie ſtieg in der glänzenden Epoche Fraunhoferſcher Inſtrumente (bei unmittelbarer Meſſung von ungefähr dem zehnten Teil einer Bogenſekunde) bis 2062648 Erdweiten. Die Beſtrebungen und ſo ſcharfſinnig ausgedachten Zenithal— vorrichtungen von Newtons großem Zeitgenoſſen Robert Hooke (1669) führten nicht zum bezweckten Ziele. Picard, Horrebow, welcher Römers gerettete Beobachtungen bearbeitete, und Flam— ſteed glaubten Parallaxen von mehreren Sekunden gefunden zu haben, weil ſie die eigenen Bewegungen der Sterne mit den wahren parallaktiſchen Veränderungen verwechſelten. A. v. Humboldt, Kosmos. III. 13 — 194 — Dagegen war der ſcharfſinnige John Michell (Philos. Trans— act. 1767, Vol. LVII, p. 234—264) der Meinung, daß die Parallaxen der nächſten Fixſterne geringer als 0,02“ ſein müßten und dabei nur „durch 12000 malige Vergrößerung erkennbar“ werden könnten. Bei der ſehr verbreiteten Mei— nung, daß der vorzügliche Glanz eines Sternes immer eine ge— ringere Entfernung andeuten müſſe, wurden Sterne 1. Größe: Wega, Aldebaran, Sirius und Procyon, der Gegenſtand nicht glücklicher Beobachtungen von Calandrelli und dem verdienſt— vollen Piazzi (1805). Sie ſind denen beizuzählen, welche (1815) Brinkley in Dublin veröffentlichte und die 10 Jahre ſpäter von Pond und beſonders von Airy widerlegt wurden. Eine ſichere, befriedigende Kenntnis von Parallaxen beginnt erſt, auf mikrometriſche Abſtandsmeſſungen gegründet, zwiſchen den Jahren 1832 und 1838. 5 Obgleich Peters in ſeiner wichtigen Arbeit über die Ent— fernung der Fixſterne (1846) die Zahl der ſchon aufgefun⸗ denen Parallaxen zu 33 angibt, ſo beſchränken wir uns hier auf die Angabe von 9, die ein größeres, doch aber ſehr un— gleiches Vertrauen verdienen und die wir nach dem ungefähren Alter ihrer Beſtimmungen aufführen: enen, een dere de Beuge „ Centauri 0,913“ 0,070“ | Henderfon und Maclear 61 Cygni 0,3744“ 0,020“ Beſſ ein Sirius 0,230“ Henderſon 1830 Groombridge | 0,226 0,141” Peters Ursae maj. 0,183” 0,106“ | Peters Arcturus 0, 127% 0,73% Peters a Lyrae 0,207“ 0,038“ Peters Polaris 0,106“ 0,012“ Peters Capella 0,046“ 0,200“ Peters Den erſten Platz verdient der durch Beſſel ſo berühmt gewordene 61. Stern im Sternbilde des Schwans. Der — — 195 — Königsberger Aſtronom hat ſchon 1812 die große eigene Be— wegung, aber erſt 1838 die Parallaxe dieſes Doppelſternes (unter 6. Größe) durch Anwendung des Heliometers beſtimmt. Meine Freunde Arago und Mathieu machten vom Auguſt 1812 bis November 1813 eine Reihe zahlreicher Beobachtungen, indem ſie zur Auffindung der Parallaxe die Entfernung des Sterns 61 Cygni vom Scheitelpunkt maßen. Sie gelangten durch ihre Arbeit zu der ſehr richtigen Vermutung, daß die Parallaxe jenes Firiternes geringer als eine halbe Sekunde ſei. Noch in den Jahren 1815 und 1816 war Beſſel, wie er ſich ſelbſt ausdrückt, „zu keinem annehmbaren Reſultate“ gekommen. Erſt die Beobachtungen von Auguſt 1837 bis Oktober 1838 führten ihn durch Benutzung des 1829 aufge— ſtellten großen Heliometers zu der Parallaxe von 0,3483“, der ein Abſtand von 592 200 Erdweiten und ein Lichtweg von 9½ Jahren entſprechen. Peters beſtätigte (1842) dieſe Angabe, indem er 0,3490“ fand, aber ſpäter das Beſſelſche Reſultat durch Wärmekorrektion in 0,3744“ umwandelte.“ Die Parallaxe des ſchönſten Doppelſternes am ſüdlichen Himmel, „ Centauri, iſt durch Beobachtungen am Vorgebirge der guten Hoffnung von Henderſon 1832, von Maclear 1839 zu 0,9128“ beſtimmt worden.!“ Es iſt demnach der nächſte aller bisher gemeſſenen Fixſterne Zmal näher als 61 Cygni. Die Parallaxe von Lyrae iſt lange der Gegenſtand der Beobachtungen von Struve geweſen. Die früheren Beob— achtungen (1836) gaben! zwiſchen 0,07“ und 0,18“, ſpätere 0,2613“ und einen Abſtand von 771400 Erdweiten mit einem Lichtweg von 12 Jahren; aber Peters hat den Ab— ſtand dieſes scene Sternes noch viel größer ge— funden, da er die Parallaxe nur zu 0,103“ angibt. Dieſes Reſultat kontraſtiert mit einem anderen Stern 1” ( Cen- tauri) und einem 6m (61 Cygni). Die Parallaxe des Polarſternes iſt von Peters nach vielen Vergleichungen in den Jahren 1818 bis 1838 zu 0,106“ beſtimmt worden, und um ſo befriedigender, als ſich aus denſelben Vergleichungen die Aberration 20,455“ ergibt. Die Parallaxe von Arcturus iſt nach Peters 0,127“ (Rümkers frühere Beobachtungen am Hamburger Meridian— kreiſe hatten ſie um vieles größer gegeben). Die Parallaxe eines anderen Sternes 1. Größe, Capella, iſt noch geringer, nach Peters 0,046“. Der Stern 1830 des Katalogus von Groombridge, welcher — 196 — nach Argelander unter allen bisher am Firmament beobachteten Sternen die größte eigene Bewegung zeigte, hat eine Parallaxe von 0,226“, nach 48 von Peters in den Jahren 1842 und 1843 ſehr genau beobachteten Zenithaldiſtanzen. Faye hatte fie 5mal größer (1,08“) geglaubt, größer als die Parallaxe von Centauri. Die bisher erlangten Reſultate ergeben gar nicht im allgemeinen, daß die hellſten Sterne zugleich die uns naheren find. Wenn auch die Parallaxe von „ Centauri die größte aller bis jetzt bekannten iſt, ſo haben dagegen Wega der Leier, Arcturus, und beſonders Capella, eine 3 bis Smal kleinere Parallaxe als ein Stein 6. Größe im Schwan. Auch die zwei Sterne, welche nach 2151 Puppis und e Indi die ſchnellſte eigene Bewegung zeigen, der ebengenannte Stern des Schwans (Bewegung von 5,123“ im Jahre), und Nr. 1830 von Groom⸗ bridge, den man in Frankreich „Argelanders Stern“ nennt (Bewegung 6,974“), ſind der Sonne 3 und 4mal jo fern als „ Centauri mit der eigenen Bewegung von 3,58“. Volum, Maſſe, Intenſität des Lichtprozeſſes, eigene Be— wegung '? und Abſtand von unſerem Sonnenſyſtem ſtehen gewiß in mannigfaltig verwickeltem 990 zu einander. Wenn es daher auch im allgemeinen wahrſcheinlich ſein mag, daß die hellſten Sterne die näheren ſind, ſo kann es doch im einzelnen ſehr entfernte kleine Sterne geben, deren Photo— ſphäre und Oberfläche nach der Natur ihrer phyſiſchen Be— ſchaffenheit einen ſehr intenſiven Lichtprozeß unterhalten. Sterne, die wir ihres Glanzes wegen zur erſten Ordnung rechnen, können uns daher entfernter liegen als Sterne 4. bis 6. Größe. Steigen wir von der Betrachtung der großen Sternenſchicht, von welcher unſer Sonnenſyſtem ein Teil iſt, zu dem untergeordneten Partikularſyſteme unſerer Planetenwelt oder zu dem noch tieferen der Saturns- und Jupitersmonde ſtufenweiſe herab, ſo ſehen wir auch die Centralkörper von Maſſen umgeben, in denen die Reihenfolge der Größe und der Intenſität des reflektierten Lichtes von den Abſtänden gar nicht abzuhängen ſcheint. Die unmittel— bare Verbindung, in welcher unſere noch ſo ſchwache Kenntnis der Parallaxen mit der Kenntnis der ganzen Geſtaltung des Weltbaues ſteht, gibt den Betrachtungen, welche ſich auf die Entfernung der Fixſterne beziehen, einen eigenen Reiz. Der menſchliche Scharfſinn hat zu dieſer Klaſſe von Unterſuchungen Hilfsmittel erdacht, welche von den gewöhn— 4 a — 197 — lichen ganz verſchieden ſind und, auf die Geſchwindigkeit des Lichtes gegründet, hier eine kurze Erwähnung verdienen. Der den phyſikaliſchen Wiſſenſchaften ſo früh entriſſene Savary hat gezeigt, wie die Aberration des Lichtes bei Doppelſternen zur Beſtimmung der Parallaxe benutzt werden könne. Wenn nämlich die Ebene der Bahn, welche der Nebelſtern um den Centralkörper beſchreibt, nicht auf der Geſichtslinie von der Erde zu dem Doppelſtern ſenkrecht ſteht, ſondern nahe in dieſe Geſichtslinie ſelbſt fällt, ſo wird der Nebenſtern in ſeinem Laufe ebenfalls nahe eine gerade Linie zu beſchreiben ſcheinen und die Punkte der der Erde zugekehrten Hälfte ſeiner Bahn werden alle dem Beobachter näher liegen als die entſprechenden Punkte der zweiten, von der Erde abge— wandten Hälfte. Eine ſolche Teilung in zwei Hälften bringt nur für den Beobachter (nicht in Wirklichkeit) eine ungleiche Geſchwindigkeit hervor, in welcher der Nebenſtern in ſeiner Bahn ſich von ihm entfernt oder ſich ihm nähert. Iſt nun der Halbmeſſer jener Bahn ſo groß, daß das Licht mehrere Tage oder Wochen gebraucht, um ihn zu durchlaufen [ſ. Zuſ. am Schluß des Bandes], jo wird die Zeit der halben Revo— lution in der abgewandten entfernteren Seite größer aus— fallen als die Zeit in der dem Beobachter zugekehrten Seite. Die Summe beider ungleichen Zahlen der Dauer bleibt der . wahren Umlaufszeit gleich; denn die von der Geſchwindig— keit des Lichtes verurſachten Ungleichheiten heben ſich gegen— ſeitig auf. Aus dieſen Verhältniſſen der Dauer nun laſſen ſich, nach Savarys ſinnreicher Methode, wenn Tage und Teile der Tage in ein Längenmaß verwandelt werden (3589 Mill. geogr. Meilen — 26632 Mill. km durchläuft das Licht in 24 Stunden), die abſolute Größe des Halbmeſſers der Bahn, und durch die einfache Beſtimmung des Winkels, unter welchem der Halbmeſſer ſich dem Beobachter darbietet, die Entfernung des Centralkörpers und ſeine Parallaxe ableiten. Wie die Beſtimmung der Parallaxe uns über die Ab— ſtände einer geringen Zahl von Fixſternen und über die ihnen anzuweiſende Stelle im Weltraume belehrt, ſo leitet die Kenntnis des Maßes und der Richtung eigener Bewegung, d. h. der Veränderungen, welche die relative Lage ſelbſtleuch— tender Geſtirne erfährt, auf zwei voneinander abhängige Pro— bleme, die der Bewegung des Sonnenſyſtemes und der Lage des Schwerpunktes des ganzen Fixſternhimmels. Was ſich — 198 — bisher nur ſehr unvollſtändig auf Zahlenverhältniſſe zurück— führen läßt, iſt Schon deshalb nicht geeignet, den urſachlichen Zuſammenhang mit Klarheit zu offenbaren. Von den beiden ebengenannten Problemen hat nur das erſte, beſonders nach Argelanders trefflichen Unterſuchungen, mit einem gewiſſen Grade befriedigender Beſtimmtheit gelöſt werden können; das zweite, mit vielem Scharfſinn von Mädler behandelt, ent— behrt, bei dem Spiel ſo vieler ſich ausgleichender Kräfte, nach dem eigenen Geſtändnis dieſes Aſtronomen in der unter— nommenen Löſung „aller Evidenz eines vollſtändigen, wiſſen— ſchaftlich genügenden Beweiſes“. Wenn ſorgfältig abgezogen wird, was dem Vorrücken der Nachtgleichen, der Nutation der Erdachſe, der Abirrung des Lichtes und einer durch den Umlauf um die Sonne er— zeugten parallaktiſchen Veränderung angehört, ſo iſt in der übrig bleibenden jährlichen Bewegung der Fixſterne immer zugleich das enthalten, was die Folge der Translation des ganzen Sonnenſyſtemes im Weltraume und die Folge der wirklichen Eigenbewegung der Fixſterne iſt. In der herrlichen Arbeit Bradleys über die Nutation, in ſeiner großen Abhandlung vom Jahre 1748, findet ſich die erſte Ahnung der Translation des Sonnenſyſtemes und gemifjer- maßen auch die Angabe der vorzüglichſten Beobachtungsmethode. „Wenn man erkennt,“ heißt es dort,!“ „daß unſer Pla— netenſyſtem ſeinen Ort verändert im abſoluten Raume, ſo kann daraus in der Zeitfolge eine ſcheinbare Variation in der Angulardiſtanz der Fixſterne ſich ergeben. Da nun in dieſem Falle die Poſition der uns näheren Ge— ſtirne mehr als die der entfernteren beteiligt iſt, ſo werden die relativen Stellungen beider Klaſſen von Geſtirnen zu einander verändert ſcheinen, obgleich eigentlich alle unbewegt geblieben ſind. Wenn dagegen unſer Sonnenſyſtem in Ruhe iſt und einige Sterne ſich wirklich bewegen, ſo werden ſich auch ihre ſcheinbaren Poſitionen verändern, und zwar um ſo mehr, als die Bewegungen ſchneller ſind, als die Sterne in einer günſtigen Lage und in kleinerer Entfernung von der Erde ſich befinden. Die Veränderung der relativen Poſition kann von einer ſo großen Zahl von Urſachen abhängen, daß vielleicht viele Jahrhunderte hingehen werden, ehe man das Geſetzliche erkennen wird.“ Nachdem ſeit Bradlay bald die bloße Möglichkeit, bald die größere oder geringere Wahrſcheinlichkeit der Bewegung — 19 — des Sonnenſyſtemes in den Schriften von Tobias Mayer, Lambert und Lalande erörtert worden war, hatte William Herſchel das Verdienſt, zuerſt die Meinung durch wirkliche Beobachtung (1783, 1805 und 1806) zu befeſtigen. Er fand, was durch viele ſpätere und genauere Arbeiten be— ſtätigt und näher begrenzt worden iſt, daß unſer Sonnen— ſyſtem ſich nach einem Punkte hinbewegt, welcher nahe dem Sternbilde des Herkules liegt, in RA. 260° 44° und nörd— licher Dekl. 26° 16“ (auf 1800 reduziert). Argelander fand (aus Vergleichung von 319 Sternen und mit Beachtung von Lundahls Unterſuchungen) für 1800, RA. 257° 54,1“, Defl. + 28° 49,2“, für 1850 RA. 258 23,5“, Dekl. + 28° 45,6; Otto Struve (aus 392 Sternen) für 1800 RA. 261° 26,9“, Dekl. + 37° 35,5, für 1850 RA. 261° 52,6“, Dekl. 37° 33,0“ Nach Gauß! fällt die geſuchte Stelle in ein Viereck, deſſen Endpunkte find: RA. 253° 40“, Dekl. 30° 40“, 258° 42' +30° 57, 259° 13“ +½ 31 9°, 260° 4 + 30 33“. Es blieb noch übrig zu verſuchen, welches Reſultat man er⸗ halten würde, wenn man allein ſolche Sterne der ſüdlichen Hemiſphäre anwendete, die in Europa nie über den Horizont kommen. Dieſer Unterſuchung hat Galloway einen beſon— deren Fleiß gewidmet. Er hat ſehr neue Beſtimmungen (1830) von Johnſon auf St. Helena und von Henderſon am Vor— gebirge der guten Hoffnung mit alten Beſtimmungen von Lacaille und Bradlay (1750 und 1757) verglichen. Das Reſultat iſt geweſen (für 1790) RA. 2600“, Dekl. 34° 23“, alſo für 1800 und 1850 260° 5* 34 22“ und 260° 833“ + 34° 20°. Dieſe Uebereinſtimmung mit den Reſultaten aus den nördlichen Sternen iſt überaus befriedigend. Iſt demnach die Richtung der fortſchreitenden Bewegung unſeres Sonnenſyſtemes innerhalb mäßiger Grenzen beſtimmt worden, ſo entſteht ſehr natürlich die Frage, ob die Fixſtern— welt, gruppenweiſe verteilt, nur aus nebeneinander beſtehenden Partialſyſtemen zuſammengeſetzt ſei, oder ob eine all— gemeine Beziehung, ein Kreiſen aller ſelbſtleuchtenden Himmels— körper (Sonnen) um einen, entweder mit Maſſe ausge füllten oder leeren, unausgefüllten Schwerpunkt dart werden müſſe. Wir treten hier in das Gebiet bloßer ermutungen, ſolcher, denen man zwar eine wiſſenſchaftliche Form geben kann, die aber keineswegs, bei der Unvollſtändig— keit des vorliegenden Materials von Beobachtungen und Ana— logieen, zu der Evidenz führen können, deren ſich andere — 200 — Teile der Aſtronomie erfreuen. Einer gründlichen mathe— matiſchen Behandlung ſolcher ſchwer lösbaren Probleme ſteht beſonders entgegen unſere Unkenntnis der Eigenbewegung einer grenzenloſen Menge ſehr kleiner Sterne (10 bis 14%, welche vornehmlich in dem ſo wichtigen Teile der Sternſchicht, der wir angehören, in den Ringen der Milchſtraße, zwiſchen hellleuchtenden zerſtreut erſcheinen. Die Betrachtung unſerer Planetenkreiſe, in welchen man von den kleinen Partialſyſtemen der Monde des Jupiter, des Saturn und des Uranus zu dem höheren, dem allgemeinen Sonnen: ſyſteme, aufſteigt, hat leicht zu dem Glauben verleitet, daß man ſich die Fixſterne auf eine analoge Weiſe in viele ein⸗ zelne Gruppen geteilt und durch weite Zwiſchenräume ge ſchieden, wiederum (in höherer Beziehung ſolcher Gruppen gegeneinander) der überwiegenden Anziehungskraft eines großen Centralkörpers (einer einigen Weltſonne) unterworfen denken könne. Die hier berührte, auf die Analogie unſeres Sonnen— ſyſtemes geſtützte Schlußfolge iſt aber durch die bisher beob— achteten Thatſachen widerlegt. In den vielfachen Sternen kreiſen zwei oder mehrere ſelbſtleuchtende Geſtirne (Sonnen) nicht umeinander, ſondern um einen weit außer ihnen lie— genden Schwerpunkt. Allerdings findet in unſerem Planeten: ſyſteme inſofern etwas Aehnliches ſtatt, als die Planeten ſich auch nicht eigentlich um den Mittelpunkt des Sonnenkörpers ſelbſt, ſondern um den gemeinſchaftlichen Schwerpunkt aller Maſſen des Syſtemes bewegen. Dieſer gemeinſame Schwer— punkt aber fällt, nach der relativen Stellung der großen Planeten Jupiter und Saturn, bald in den körperlichen Um— fang der Sonne, bald (und diefer Fall tritt häufig ein) außer: halb dieſes Umfanges. Der Schwerpunkt, welcher in den Doppelſternen leer iſt, iſt demnach im Sonnenſyſteme bald leer, bald mit Materie erfüllt. Was man über die Möglich— keit der Annahme eines dunkeln Centralkörpers im Schwer⸗ punkt der Doppelſterne oder urſprünglich dunkler, aber ſchwach durch fremdes Licht erleuchteter, um ſie kreiſender Planeten ausgeſprochen, gehört in das vielfach erweiterte Reich der mythiſchen Hypotheſen. Ernſter und einer gründlichen Unterſuchung würdiger iſt die Betrachtung, daß, ne der Vorausſetzung einer Kreis: bewegung ſowohl für unſer ganzes, jeinen Ort veränderndes Sonnenſyſtem als für alle Eigenbewegungen der ſo verſchieden entfernten Fixſterne, das Centrum der Kreisbewegungen — 201 — 90° von dem Punkte entfernt liegen müſſe, nach welchem unſer Sonnenſyſtem ſich hinbewegt. In dieſer Ideenverbin— dung wird die Lage der mit ſtarker oder ſehr ſchwacher Eigenbewegung begabten Sterne von großem Moment. Arge— lander hat mit Vorſicht und dem ihm eigenen Scharfſinn den Grad der Wahrſcheinlichkeit geprüft, mit der man in unſerer Sternſchicht ein allgemeines Centrum der Attraktion in der Konſtellation des Perſeus!è ſuchen könne. Mädler, die Annahme der Exiſtenz eines zugleich an Maſſe überwiegenden und den allgemeinen Schwerpunkt ausfüllenden Centralkörpers verwerfend, ſucht den Schwerpunkt allein in der Plejaden— gruppe, und zwar in der Mitte dieſer Gruppe, in oder nahe!“ dem hellen Stern Tauri (Alcyone). Es iſt hier nicht der Ort, die Wahrſcheinlichkeit oder nicht hinlängliche Begründung!“ einer ſolchen Hypotheſe zu erörtern. Dem ſo ausgezeichnet thätigen Direktor der Sternwarte zu Dorpat bleibt das Ver⸗ dienſt, bei ſeiner mühevollen Arbeit die Poſition und Eigen— bewegung von mehr als 800 Fixſternen geprüft und zugleich Unterſuchungen angeregt zu haben, welche, wenn ſie auch nicht ſicher zur Löſung des großen Problems ſelbſt führen, doch geeignet ſind, Licht über verwandte Gegenſtände der phyſiſchen Aſtronomie zu verbreiten. Anmerkungen. (S. 188.) Gegenwärtig unterscheidet man nebſt dem Central: körper der Sonne acht Hauptplaneten, von denen ſechs zuſammen 20 Satelliten darbieten. Die Zahl der Planetoiden oder Aſteroi— den betrug bis Oktober 1882 im ganzen 231 und iſt ſeither durch neue Entdeckungen beſtändig vermehrt worden. — [D. Herausg.] (S. 189.) Die Betrachtung bezog ſich aber bloß auf die Variationen in der Breite; Jacques Caſſini fügte zuerſt Varia— tionen in der Länge hinzu. (S. 189.) Die Eigenbewegung des Arcturus, 2,25“, kann, als die eines ſehr hellen Sternes, im Vergleich mit Aldebaran, 0,185", und Lyrae, 0,400“, groß genannt werden. Unter den Sternen 1. Größe macht Centauri mit der ſehr ſtarken Eigen— bewegung 3,58“ eine ſehr merkwürdige Ausnahme. Die eigene Bewegung des Doppelſternſyſtems des Schwanes beträgt nach Beſſel 5,123“. (S. 190.) DeArreſt gründet das Reſultat auf Vergleichungen von Lacaille (1750) mit Brisbane (1825) und von Brisbane mit Taylor (1835). Der Stern 2151 Puppis des Schiffes hat Eigen- bewegung 7,871“ und iſt 6m. „(S. 191.) Lambert zeigt in den kosmologiſchen Briefen eine auffallende Neigung zur Annahme großer dunkler Weltkörper. 6 (S. 192.) Opere di Galileo Galilei Vol Milano 1811, p. 206. Dieſe denkwürdige Stelle, welche die Mög— lichkeit und das Projekt einer Meſſung ausdrückt, iſt von Arago aufgefunden worden. (S. 195.) Arago in der Con naissance des tems pour 1834, p. 281: „Nous observämes avec beaucoup de soin, Mr. Mathieu et moi, pendant le mois d’aoüt 1812 et pendant le mois de Novembre suivant, la hauteur angulaire, de l’etoile au-dessus de l’horizon de Paris. Cette hauteur, à la seconde epoque, ne surpasse la hauteur angulaire à la premiere que de 0,66“. Une parallaxe absolue d'une seule seconde aurait necessairement amené entre ces deux hauteurs une difference de 1.2”. Nos observations n'indiquent done pas que le rayon de P'orbite terrestre, que 39 millions de lieues soient vus de „ er u u — 203 — la 61e du Cygne sous un angle de plus d’une demi-seconde. Mais une base vue perpendiculairement soutend un angle d'une demi-seconde quand on en est éloigné de 412 mille fois sa longueur. Donc la 61° du Cygne est au moins a une distance de la Terre egale & 412 mille fois 39 millions de lieues.“ ® (S. 195.) Beſſel veröffentlichte 1839 das Reſultat 0,3136“ als eine erſte Annäherung. Sein ſchließliches ſpäteres Nefultat war 0,3483“. Peters fand durch eigene Beobachtung faſt identiſch 0,3490“. Die Aenderung, welche nach Beſſels Tode Prof. Peters mit der Beſſelſchen Berechnung der durch das Königsberger Helio— meter erhaltenen Winkelmeſſungen gemacht hat, beruht darauf, daß Beſſel verſprach, den Einfluß der Temperatur auf die Reſultate des Heliometers einer nochmaligen Unterſuchung zu unterwerfen. Das hat er allerdings auch teilweiſe in dem erſten Bande ſeiner Aſtronomiſchen Unterſuchungen gethan, er hat aber die Temperaturkorrektion nicht auf Parallaxenbeobachtungen angewandt. Dieſe Anwendung iſt von Peters geſchehen, und dieſer ausgezeich— nete Aſtronom findet durch die Temperaturkorrektionen 0,3744“ ſtatt 0,3483“. (S. 195.) Dieſe 0,3744“ geben nach Argelander: Abſtand des Doppelſterns 61 Cygni von der Sonne 550 900 mittlere Ab— ſtände der Erde von der Sonne oder 11394000 Millionen Meilen, eine Diſtanz, die das Licht in 3177 mittleren Tagen durchläuft. Durch die drei aufeinander folgenden Angaben der Beſſelſchen Parallaxen, 0,3136“, 0,3483“ und 9,3744“, ift uns (ſcheinbar) der berühmte Doppelſtern allmählich näher gekommen, in Lichtwegen von 10, 9½ und 85 Jahren. 10 (S. 195.) Mädler gibt für Cent. ſtatt 0,9128“ die Parallaxe 0,9213“. (S. 195.) Airy hält die Parallaxe von Lyrae, welche Peters ſchon bis 0,1“ vermindert hat, für noch kleiner, d. h. für zu gering, um für unſere jetzigen Inſtrumente meßbar zu jein. (S. 196.) Vergl. über das Verhältnis der Größe eigener Bewegung zur Nähe der hellleuchtendſten Sterne. Struve, Stel larum composit. Mensurae micrometricae p. CLXIV. (S. 198.) Arago hat zuerſt auf dieſe merkwürdige Stelle Bradleys aufmerkſam gemacht. (S. 199.) Nach einem Briefe an mich. 5 (S. 201.) Nicht durch numeriſche Unterſuchungen geleitet, ſondern nach phantaſiereichen Ahnungen hatten früh ſchon Kant den Sirius, Lambert den Nebelfleck im Gürtel des Orion für den Centralkörper unſerer Sternenſchicht erklärt. 15 (S. 201.) (Alcyone liegt RA. 54° 30°, Dekl. 23% 36° für das Jahr 1840.) Wäre die Parallaxe der Alcyone wirklich 0,0065“, jo würde ihre Entfernung 31 Millionen Halbmeſſer der Erdbahn betragen, ſie alſo 50mal entfernter von uns ſein, als nach Beſſels älteſter Beſtimmung der Abſtand des Doppelſternes 61 Cygni iſt. — 204 — Das Licht, welches in 8° 18,2“ von der Sonne zur Erde kommt, würde dann 500 Jahre von der Alcyone zur Erde brauchen. Die Phantaſie der Griechen gefiel ſich in wilden Schätzungen von Fall— höhen. In des Heſiodus Theogonia v. 722—725 heißt es vom Sturz der Titanen in den Tartarus: „Wenn neun Tage und Nächte dereinſt ein eherner Amboß fiele vom Himmel herab, am zehenten käm' er zur Erde . . . .. Der Fallhöhe in 777 600 Zeitſekunden entſprechen für den Amboß 77 356 geogr. Meilen (mit Rückſicht auf die, in planetariſchen Entfernungen ſtarke Abnahme der Anziehungskraft der Erde nach Galles Berechnung), alſo das 1½ fache der Entfernung des Mondes von der Erde. Aber nach Ilias J, 592 fiel Hephäſtos ſchon in einem Tage auf Lemnos herab, und „atmete nur noch ein wenig“. Die Länge der vom Olymp zur Erde herabhängenden Kette, an der alle Götter ver— ſuchen ſollen, den Zeus herabzuziehen, bleibt unbeſtimmt; es iſt nicht ein Bild der Himmelshöhe, ſondern der Stärke und Allmacht Jupiters. 7 (S. 201.) Vergl. die Zweifel von Peters und Sir John Herſchel: „In the present defective state of our knowledge respecting the proper motion of the smaller stars, we cannot but regard all attempts of the kind as to a certain extent premature, though by no means to be discouraged as forerun- ners of something more decisive.“ Sn Die vielfachen oder Doppelflerne. — Ihre Zahl und ihr gegenfeitiger Abſland. — Umlaufszeit von zwei Sonnen um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt. Wenn man in den Betrachtungen über die Fixſternſyſteme von den geahneten allgemeineren, höheren, zu den ſpeziellen, niederen, herabſteigt, ſo gewinnt man einen feſteren, zur un— mittelbaren Beobachtung mehr geeigneten Boden. In den vielfachen Sternen, zu denen die binären oder Doppel— ſterne gehören, ſind mehrere ſelbſtleuchtende Weltkörper (Sonnen) durch gegenſeitige Anziehung miteinander verbunden, und dieſe Anziehung ruft notwendig Bewegungen in ge— ſchloſſenen krummen Linien hervor. Ehe man durch wirk— liche Beobachtung den Umlauf der Doppelſterne erkannte, waren ſolche Bewegungen in geſchloſſenen Kurven nur in unſerem planetenreichen Sonnenſyſtem bekannt. Auf dieſe ſcheinbare Analogie wurden voreilig Schlüſſe gegründet, die lange auf Irrwege leiten mußten. Da man mit dem Namen Doppelſtern jedes Sternpaar bezeichnete, in welchem eine ſehr große Nähe dem unbewaffneten Auge die Trennung der beiden Sterne nicht geſtattet (wie in Caſtor, „ Lyrae, 8 Orio- nis, & Centauri), jo mußte dieſe Benennung ſehr natürlich zwei Klaſſen von Sternpaaren begreifen, ſolche, die durch ihre zufällige Stellung in Beziehung auf den Standpunkt des Be— obachters einander genähert ſcheinen, aber ganz verſchiedenen Abſtänden und Sternſchichten zugehören, und ſolche, welche, einander näher gerückt, in gegenſeitiger Abhängigkeit oder Attraktion und Wechſelwirkung zu einander ſtehen und dem— nach ein eigenes, partielles Sternſyſtem bilden. Die erſteren nennt man nach nun ſchon langer Gewohnheit op— tiſche, die zweite Klaſſe phyſiſche Doppelſterne. Bei — 206 — ſehr großer Entfernung und bei Langſamkeit der elliptiſchen Bewegung können mehrere der letzteren mit den erſteren ver— wechſelt werden. Alkor, mit dem die arabiſchen Aſtronomen ſich viel beſchäftigt haben, weil der kleine Stern bei ſehr reiner Luft und ſcharfen Geſichtsorganen dem bloßen Auge ſichtbar wird, bildet (um hier an einen ſehr bekannten Gegen— ſtand zu erinnern) mit c im Schwanz des großen Bären im weiteſten Sinne des Wortes eine ſolche optiſche Verbindung ohne nähere phyſiſche Abhängigkeit. Von Schwierigkeit des Trennens, welche dem unbewaffneten Auge darbieten die ſehr ungleiche Lichtintenſität nahe gelegener Sterne, der Einfluß der Ueberſtrahlung und der Sternſchwänze, wie die organiſchen Fehler, die das undeutliche Sehen hervor— bringen, habe ich ſchon oben im 2. und 3. Abſchnitte ge— handelt.! Galilei, ohne die Doppelſterne zu einem beſonderen Gegenſtande ſeiner teleſkopiſchen Beobachtungen zu machen (woran ihn auch die große Schwäche ſeiner Vergrößerungen würde gehindert haben), erwähnt in einer berühmten, ſchon von Arago bezeichneten Stelle der Giornata terza ſeiner Ge— ſpräche den Gebrauch, welchen die Aſtronomen von optiſchen Doppelſternen (quando si trovasse nel telescopio qualche picciolissima stella, vicinissima ad alcuna delle maggiori) zur Auffindung einer Fixſternparallaxe machen könnten.? Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren in den Sternverzeichniſſen kaum 20 Doppelſterne aufgeführt, wenn man diejenigen ausſchließt, welche weiter als 32“ voneinander abſtehen; jetzt, hundert Jahre ſpäter, ſind (Dank ſei es haupt⸗ ſächlich den großen Arbeiten von Sir William Herſchel, Sir John Herſchel und Struve!) in beiden Hemiſphären an 6000 aufgefunden. Zu den älteſten beſchriebenen Doppelſternen ge: hören: 4 Ursae mag. (7. September 1700 von Gottfried Kirch), 4 Centauri (1709 von Feuillée), 7 Virginis (1718), „ Geminorum (1719), 61 Cygni (1753, wie die beiden vorigen, von Bradley nach Diſtanz und Richtungswinkel beob— achtet), p Ophiuchi, & Cancri Es vermehrten ſich all— mählich die aufgezählten Doppelſterne, von Flamſteed an, der ſich eines Mikrometers bediente, bis zum Sternkatalog von To- bias Mayer, welcher 1756 erſchien. Zwei ſcharfſinnig ahnende und kombinierende Denker, Lambert („Photometria“ 1760, „Kosmologiſche Briefe über die Einrichtung des Weltbaues“ 1761) und John Michell (1767), beobachteten nicht ſelbſt — 207 — Doppelſterne, verbreiteten aber zuerſt richtige Anſichten über die Attraktionsbeziehungen der Sterne in partiellen binären Syſtemen. Lambert wagte wie Kepler die Vermutung, daß die fernen Sonnen (Fixſterne) wie die unſerige von dunkeln Weltkörpern, Planeten und Kometen, umgeben ſeien, von den einander naheſtehenden Fixſternen aber glaubte er, ſo ſehr er auch ſonſt zur Annahme dunkler Centralkörper geneigt ſcheint, „daß ſie in einer nicht zu langen Zeit eine Revulution um ihren gemeinſchaftlichen Schwerpunkt vollendeten“. Michell, der von Kants und Lamberts Ideen keine Kenntnis hatte, wandte zuerſt und mit Scharfſinn die Wahrſcheinlichkeits— rechnung auf enge Sterngruppen, beſonders auf vielfache Sterne, binäre und quaternäre, an; er zeigte, wie 500 000 gegen 1 zu wetten ſei, daß die Zuſammenſtellung von ſechs Hauptſternen der Plejaden nicht vom Zufalle herrühre, daß vielmehr ihre Gruppierung in einer inneren Beziehung der Sterne gegeneinander gegründet ſein müſſe. Er iſt der Exi— ſtenz von leuchtenden Sternen, die ſich umeinander bewegen, ſo gewiß, daß er dieſe partiellen Sternſyſteme zu ſinn— reicher Löſung einiger aſtronomiſchen Aufgaben anzuwenden vorſchlägt.“ Der Mannheimer Aſtronom Chriſtian Mayer hat das große Verdienſt, auf dem ſicheren Wege wirklicher Beob— achtungen die Doppelſterne zuerſt (1778) zu einem beſonderen Ziele ſeiner Beſtrebungen erhoben zu haben. Die unglücklich gewählte Benennung von Fixſterntrabanten und die Be— ziehungen, welche er zwiſchen Sternen zu erkennen glaubte, die von Arcturus 2½ “ bis 2° 55“ ;abſtehen, ſetzten ihn bitteren Angriffen ſeiner Zeitgenoſſen, und unter dieſen dem Tadel des großen und ſcharfſinnigen Mathematikers Nikolaus Fuß, aus. Das Sichtbarwerden dunkler planetariſcher Körper in reflektiertem Lichte war bei ſo ungeheurer Entfernung aller— dings unwahrſcheinlich. Man achtete nicht auf die Reſultate ſorgfältig angeſtellter Beobachtungen, weil man die ſyſte— matiſche Erklärung der Erſcheinungen verwarf; und doch hatte Chriſtian Mayer in einer Verteidigungsſchrift gegen den Pater Maximilian Hell, Direktor der kaiſerlichen Sternwarte zu Wien, ausdrücklich erklärt, „daß die kleinen Sterne, welche den großen ſo nahe ſtehen, entweder erleuchtete, an ſich dunkle Planeten, oder daß beide Weltkörper, der Hauptſtern und ſein Begleiter, zwei umeinander kreiſende, ſelbſtleuchtende Sonnen ſeien“. Das Wichtige von Chriſtian Mayers Arbeit iſt lange — 208 — nach ſeinem Tode von Struve und Mädler dankbar und öffentlich anerkannt worden. In ſeinen beiden Abhandlungen: Verteidigung neuer Beobachtungen von Fixſtern— trabanten (1778) und Diss. de novis in coelo sidereo phaenomenis (1779), find 80 von ihm beobachtete Stern: paare beſch hrieben, unter denen 67 einen geringeren Abſtand als 32“ 10 Die meiſten derſelben ſind von Chriſtian Mayer neu entdeckt durch das vortreffliche 8füßige Fernrohr des Mannheimer Mauerquadranten; „manche gehören noch jetzt zu den ſchwierigſten Objekten, welche nur kräftige In⸗ ee darzuſtellen vermögen , wie „ und 71 Hereulis, 5 Lyrae und o Piscium“. May er maß freilich nur am Meridianinſtrumente (wie man 775 noch lange nach ihm ge— than) Abſtände in Rektaſzenſion und Deklination, und wies aus ſeinen wie aus den Beobachtungen früherer Aſtronomen Poſi⸗ tionsveränderungen nach, von deren numeriſchem Werte er irrigerweiſe nicht abzog, was (in einzelnen Fällen) der eigenen Bewegung der Sterne angehörte. Dieſen ſchwachen, aber denkwürdigen Anfängen folgte William Herſchels Rieſenarbeit über die vielfachen Sterne. Sie umfaßt eine lange Periode von mehr als 25 Jahren. Denn wenn auch das erſte Verzeichnis von Herſchels Doppel: ſternen vier Jahre ſpäter als Chriſtian Mayers Abhandlung über denſelben Gegenſtand veröffentlicht wurde, ſo reichen des erſteren Beobachtungen doch bis 1779, ja, wenn man die Unterſuchungen über das Trapezium im großen Nebelfleck des Orion hinzurechnet, bis 1776 hinauf. Faſt alles, was wir heute von der vielfältigen Geſtaltung der Doppelſterne wiſſen, wurzelt urfprünglid in Sir William Herſchels Arbeit. Er hat in den Katalogen von 1782, 1783 und 1804 nicht bloß 836, Meik von ihm allein entdeckte, in Poſition und Diſtanz beſtimmte 2 ae aufgejtellt, ſondern, was weit wichtiger als die Vermehrung der Anzahl iſt, er hat ſeinen Scharfſinn und e e e auch ſchon an allem dem geübt, was ſich auf die Bahn, die vermutete Umlaufszeit, auf He ligkeit, Farbenkontraſt und Klaſſifikation nach Größe der gegenſeitigen Abſtände bezieht. Phantaſiereich und doch immer mit großer Vorſicht fortſchreitend, ſprach er ſich erſt im Jahre 1794, in- dem er optiſche und phyſiſche Doppelſterne unterſchied vor⸗ läufig über die Natur der Beziehung. des größeren Sternes zu ſeinem kleineren Begleiter aus. Den ganzen Zuſammen— hang der Erſcheinungen entwickelte er erſt 9 Jahre ſpäter in — 209 — dem 93. Bande der Philosophical Transactions. Es wurde nun der Begriff von partiellen Sternſyſtemen feſtgeſetzt, in denen mehrere Sonnen um ihren gemeinſchaftlichen Schwer— punkt kreiſen. Das mächtige Walten von Anziehungskräften, das in unſerem Sonnenſyſtem ſich bis zum Neptun in 30 Erd— weiten (622 Mill. geogr. Meilen —= 4615 % Mill. km) er: ſtreckt, ja durch Anziehung der Sonne den großen Kometen von 1680 in der Entfernung von 28 Neptunsweiten (d. i. von 853 Erdweiten oder 17700 Mill. geogr. Meilen S 131342 Mill. km) zum Umkehren zwingt, offenbart ſich auch in der Bewegung des Doppelſternes 61 des Schwans, welcher 18 240 Neptunsweiten (550 900 Erdweiten oder 11394000 Mill. geogr. Meilen — 820000000 Mill. km), bei einer Parallaxe von 0,3744“ von der Sonne entfernt iſt. Wenn aber auch Sir William Herſchel die Urſachen und den allge— meinen Zuſammenhang der Erſcheinungen in großer Klarheit erkannte, ſo waren doch in dem erſten Jahrzehnt des 19. Jahr— hunderts die Poſitionswinkel, welche ſich aus den eigenen Be— obachtungen und aus den nicht ſorgfältig genug benutzten älteren Sternkatalogen ergaben, an zu kurze und allzu nahe Epochen gebunden, als daß die einzelnen numeriſchen Ver— hältniſſe der Umlaufszeiten oder Bahnelemente eine volle Sicherheit gewähren könnten. Sir John Herſchel erinnert ſelbſt an die ſo unſicheren Angaben der Umlaufszeiten von o. Geminorum (334 Jahre ſtatt nach Mädler“ 520), von y Virginis (708 ſtatt 169), und von Leonis (1424 des großen Katalogs von Struve), einem prachtvollen Sternpaar, gold— farben und rötlichgrün (1200 Jahre). Nach William Herſchel haben mit bewundernswürdiger Thätigkeit, und durch vervollkommnete Inſtrumente (beſonders durch Mikrometerapparate) unterſtützt, die eigentlichen ſpeziel— leren Grundlagen eines ſo wichtigen Zweiges der Aſtronomie Struve der Vater (1813 bis 1842) und Sir John Herſchel (1819 bis 1838) gelegt. Struve veröffentlichte ſein erſtes Dor— pater Verzeichnis von Doppelſternen (796 an der Zahl) im Jahre 1820. Demſelben folgte ein zweites 1824 mit 3112 Doppelſternen bis 9. Größe in Abſtänden unterhalb 32“, von welchen nur etwa % früher geſehen worden war. Um dieſe Arbeit zu vollbringen, wurden im großen Refraktor von Fraunhofer an 120 000 Fixſterne unterſucht. Struves drittes Verzeichnis vielfacher Sterne iſt von 1837 und bildet das wichtige Werk: Stellarum compositarum Mensurae A. v. Humboldt, Kosmos. III. 14 — 210 — micrometricae.° Es enthält, da mehrere, unſicher beob— achtete Objekte mit Sorgfalt ausgeſchloſſen wurden, 2787 Doppelſterne. Dieſe Zahl iſt wiederum durch Sir John Herſchels Be⸗ harrlichkeit während feines vierjährigen, für die genaueſte topo— graphiſche Kenntnis des ſüdlichen Himmels Epoche machenden Aufenthalts in Feldhauſen am Vorgebirge der guten Hoffnung mit mehr als 2100, bis auf wenige Ausnahmen bisher un: beobachteten Doppelſternen bereichert worden. Alle dieſe afri— kaniſchen Beobachtungen find durch ein 20füßiges Spiegel: teleffop gemacht, auf 1830 reduziert, und angereiht den 6 Katalogen, welche, 8346 Doppelſterne enthaltend, Sir John Herſchel der Astronomical Society zu London für den 6. und 9. Teil ihrer reichhaltigen Memoirs übergeben hat. In dieſen europäiſchen Verzeichniſſen ſind die 380 Doppelſterne aufgeführt, welche der eben genannte berühmte Aſtronom 1825 gemeinſchaftlich mit Sir James South beob— achtet hatte. Wir ſehen in dieſer hiſtoriſchen Entwickelung, wie die Wiſſenſchaft in einem halben Jahrhundert allmählich zu dem Schatz gründlicher Kenntnis von partiellen, beſonders bi— nären Syſtemen im Weltraum gelangt iſt. Die Zahl der Doppelſterne (optiſche und phyſiſche zuſammengenommen) kann gegenwärtig mit einiger Sicherheit auf 6000 geſchätzt werden, wenn eingeſchloſſen ſind die von Beſſel durch das herrliche Fraunhoferſche Heliometer beobachteten, die von Argelander ® zu Abo (1827 bis 1835), von Ende und Galle zu Berlin (1836 und 1839), von Preuß und Otto Struve in Pulkowa (feit dem Katalogus von 1837), von Mädler in Dorpat und Michell in Cincinnati (Ohio) mit einem 17füßigen Münchener Re⸗ fraktor beobachteten. Wie viele von jenen 6000 für das be— waffnete Auge nahe aneinander gerückten Sternen in unmittel— barer Attraktionsbeziehung miteinander ſtehen, eigene Syſteme bilden und ſich in geſchloſſenen Bahnen bewegen, d. h. ſogenannte phyſiſche (kreiſende) Doppelſterne ſind, iſt eine wichtige, aber ſchwer zu beantwortende Frage. Der kreiſenden Begleiter werden allmählich immer mehr entdeckt. Außerordentliche Langſamkeit der Bewegung oder die Rich— tung der für unſer Auge projizierten Bahnfläche, in welcher der ſich bewegende Stern eine der Beobachtung ungünſtige Poſition einnimmt, laſſen uns lange phyſiſche Doppelſterne den optiſchen, nur genähert ſcheinenden, beizählen. Aber N N — 211 — nicht bloß deutlich erkannte, meßbare Bewegung iſt ein Kri— terium, ſchon die von Argelander und Beſſel bei einer be— trächtlichen Zahl von Sternpaaren erwieſene, ganz gleiche Eigenbewegung im großen Weltraume lein gemeinſchaft— liches Fortſchreiten, wie das unſeres ganzen Sonnengebietes, alſo der Erde und des Mondes, des Jupiter, des Saturn, des Uranus, des Neptun mit ihren Trabanten) zeugt für den Zuſammenhang der Hauptſterne und ihrer Begleiter, für das Verhältnis in abgeſchloſſenen, partiellen Syſtemen. Mädler hat die intereſſante Bemerkung gemacht, daß, während bis 1836 man unter 2640 katalogiſierten Doppelſternen nur 58 Sternpaare erkannte, in denen eine Stellungsverſchieden— heit mit Gewißheit beobachtet wurde, und 105, in welchen dieſelben nur für mehr oder minder wahrſcheinlich gehalten werden konnte, gegenwärtig das Verhältnis der phyſiſchen Doppelſterne zu den optiſchen ſo verändert ſei zum Norteil der erſteren, daß unter 6000 Sternpaaren man nach einer 1849 veröffentlichten Tabelle ſchon ſiebenthalbhundert? kennt, in denen ſich eine gegenſeitige Poſitionsveränderung nach— weiſen läßt. Das ältere Verhältnis gab *ıs, das neueſte bereits % für die durch beobachtete Bewegung des Haupt— ſternes und den Begleiter ſich als phyſiſche Doppelſterne offen— barenden Weltkörper. Ueber die verhältnismäßige räumliche Verteilung der binären Sternſyſteme, nicht bloß in den Himmelsräumen, ſondern auch nur an dem ſcheinbaren Himmels gewölbe, iſt numeriſch noch wenig ergründet. In der Richtung gewiſſer Sternbilder (der Andromeda, des Bootes, des großen Bären, des Luchſes und des Orion) ſind in der nördlichen Hemi— ſphäre die Doppelſterne am häufigſten. Für die ſüdliche Hemiſphäre macht Sir John Herſchel das unerwartete Reſultat bekannt, „daß in dem extratropikalen Teile dieſer Hemiſphäre die Zahl der vielfachen Sterne um vieles geringer iſt als in dem korreſpondierenden nördlichen Teile“. Und doch ſind jene anmutigen ſüdlichen Regionen mit einem lichtvollen 20füßigen Spiegelteleſkope, das Sterne 8. Größe bis in Ab— ſtänden von / Sekunden trennte, unter den günſtigſten atmo- ſphäriſchen Verhältniſſen von dem geübteſten Beobachter durch— forſcht worden. Eine überaus merkwürdige Eigentümlichkeit der vielfachen Sterne iſt das Vorkommen kontraſtierender Farben unter den— ſelben. Aus 600 helleren Doppelſternen ſind in Beziehung — 212 — auf Farbe von Struve in ſeinem großen 1837 erſchienenen Werke folgende Reſultate gezogen worden: Bei 375 Stern: paaren waren beide Teile, der Hauptſtern und der Begleiter, von derſelben und gleich intenſiver Farbe. In 101 war nur ein Unterſchied der gleichnamigen Farbe zu erkennen. Der Sternpaare mit ganz verſchiedenartigen Farben waren 120, oder ½ des Ganzen, während die Einfarbigkeit des Hauptſternes und des Begleiters ſich auf ½ der ganzen, ſorg— fältig unterſuchten Maſſe erſtreckte. Faſt in der Hälfte jener 600 Doppelſterne waren Hauptſtern und Begleiter weiß. Unter den verſchiedenfarbigen ſind Zuſammenſetzungen von Gelb und Blau (wie in » Cancri), und Rotgelb und Grün (wie im ternären 7 Andromedae) ſehr häufig. Arago hat zuerſt (1825) darauf aufmerkſam gemacht, daß die Verſchiedenartigkeit der Farbe in dem binären Syſteme hauptſächlich oder wenigſtens in ſehr vielen Fällen ſich auf Komplementarfarben (auf die ſich zu Weiß ergänzen— den, ſogenannten ſubjektiven) bezieht. Es tft eine be- kannte optiſche Erſcheinung, daß ein ſchwaches weißes Licht grün erſcheint, wenn ein ſtarkes (intenfives) rotes Licht genähert wird; das weiße Licht wird blau, wenn das ſtärkere umgebende Licht gelblich iſt. Arago hat aber mit Vorſicht daran erinnert, daß, wenn auch bisweilen die grüne oder blaue Färbung des Begleiters eine Folge des Kontraſtes iſt, man doch im ganzen keinesweges das reelle Daſein grüner oder blauer Sterne leugnen könne.“ Es gibt Beiſpiele, in denen ein hellleuchtender weißer Stern (1527 Leonis, 1768 Can. ven.) von einem kleinen blauen Stern begleitet iſt, wo in einem Sternpaar (3 Serp.) beide, der Hauptſtern und ſein Be— gleiter blau find; !° er ſchlägt vor, um zu unterſuchen, ob die kontraſtierende Färbung nur ſubjektiv ſei, den Hauptſtern im Fernrohr (ſobald der Abſtand es erlaubt) durch einen Faden oder ein Diaphragma zu verdecken. Gewöhnlich iſt nur der kleinere Stern der blaue; anders iſt es aber im Sternpaar 23 Orionis (696 des Kat. von Struve p. LXXX); in dieſem iſt der Hauptſtern bläulich, der Begleiter rein weiß. Sind oftmals in den vielfachen Sternen die verſchiedenfarbigen Sonnen von uns unſichtbaren Planeten umgeben, ſo müſſen letztere verſchiedenartig erleuchtet, ihre weißen, blauen, roten und grünen Tage haben. So wenig, wie wir ſchon oben gezeigt haben, die perio— diſche Veränderlichkeit der Sterne notwendig an die rote 0 oder rötliche Farbe derſelben gebunden iſt, ebenſowenig iſt Färbung im allgemeinen oder eine kontraſtierende Ver⸗ ſchiedenheit der Farbentöne zwiſchen dem Hauptſtern und dem Begleiter den vielfachen Sternen eigentümlich. Zuſtände, weil wir ſie häufig hervorgerufen finden, ſind darum nicht die allgemein notwendigen Bedingungen der Erſcheinungen, ſei es des periodiſchen Lichtwechſels, ſei es des Kreiſens in partiellen Syſtemen um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt. Eine ſorgfältige Unterſuchung der hellen Doppelſterne (Farbe iſt noch bei Sternen 9. Größe zu beſtimmen) lehrt, daß außer dem reinen Weiß auch alle Farben des Sonnenſpektrums in den Doppelſternen gefunden werden, daß aber der Hauptſtern, wenn er nicht weiß iſt, ſich im allgemeinen. dem roten Extrem (dem der weniger refrangiblen Strahlen) nähert, der Begleiter dem violetten Extrem (der Grenze der am meiſten refrangiblen Strahlen). Die rötlichen Sterne ſind doppelt ſo häufig als die blauen und bläulichen, die weißen find ungefähr 2½ mal ſo zahlreich als die roten und rötlichen. Merkwürdig iſt es auch, daß gewöhnlich ein großer Unterſchied der Farbe mit einem bedeutenden Unterſchied in der Helligkeit verbunden iſt. In zwei Sternpaaren, die wegen ihrer großen Helligkeit in ſtarken Fernröhren bequem bei Wage gemeſſen werden können, in 4 Bootis und 7 Leonis, beſteht das erſtere Paar aus zwei weißen Sternen Zu und 4b, das letztere aus einem Haupt— ſtern m und einem Begleiter von 3,5 . Man nennt dieſen den ſchönſten Doppelſtern des nördlichen Himmels, während daß „ Centauri! und 4 Crucis am ſüdlichen Himmel alle anderen Doppelſterne an Glanz übertreffen. Wie in & Bootis, bemerkt man in 4 Centauri und 7 Virginis die ſeltene Zu⸗ ſammenſtellung zweier großer Sterne von wenig ungleicher Lichtſtärke. Ueber das Veränderliche der Helligkeit in vielfachen Sternen, beſonders über Veränderlichkeit der Begleiter, herrſcht noch nicht einſtimmige Gewißheit. Wir haben ſchon oben mehrmals der etwas unregelmäßigen Veränderlichkeit des Glanzes vom gelbroten Hauptſtern K Herculis erwähnt. Auch der von Struve (1831 bis 1833) beobachtete Wechſel der Hellig— keit der nahe gleichen und gelblichen Sterne (zu), des Doppel— ſternes J Virginis und Anon. 2718, deutet vielleicht auf eine ſehr langſame Achſendrehung beider Sonnen. Ob in Doppel— ſternen je eine wirkliche Farbenveränderung vorgegangen jet (y Leonis und 7 Delphini?), ob in ihnen weißes Licht — 214 — farbig wird, wie umgekehrt im iſolierten Sirius farbiges Licht weiß geworden iſt, bleibt noch unentſchieden, und wenn die beſtrittenen Unterſchiede ſich nur auf ſchwache Farbentöne be- ziehen, ſo iſt auf die organiſche Individualität der Beobachter und wo nicht Refraktoren angewandt werden, auf den oft rötenden Einfluß der Metallſpiegel in den Teleſkopen Rück— ſicht zu nehmen. Unter den mehrfachen Syſtemen finden ſich: dreifache (S Lybrae, “ Cancri, 12 Lyneis, 11 Monoe.), vierfache (102 und 2681 des Struveſchen Katalogs, Andromedae, e Lyrae), eine ſechsfache Verbindung in 9 Orionis, dem be— rühmten Trapezium des großen Orionnebels, wahrſcheinlich einem einigen phyſiſchen Attraktionsſyſtem, weil die 5 kleineren Sterne (6,3w, 7m, 8m, 11, 3m und 1259) der Eigenbewegung des Hauptſternes (4,7 w) folgen. en) in der gegen: feitigen Stellung iſt aber bisher nicht bemerkt worden. In 2 dreifachen Sternpaaren, & Lybrae und £ Cancri, iſt die Umlaufsbewegung beider Begleiter mit großer Sicherheit er- kannt worden. Das letztere Paar beſteht aus 3 an Hellig— keit wenig verſchiedenen Sternen 3. Größe, und der nähere Begleiter ſcheint eine 10 fach ſchnellere Bewegung als der ent— ferntere zu haben. Die Zahl der Doppelſterne, deren Bahnelemente ſich haben berechnen laſſen, wird gegenwärtig zu 14 bis 16 angegeben. Unter dieſen hat 4 Herculis ſeit der Zeit der erſten Ent: deckung ſchon zweimal ſeinen Umlauf vollendet, und während desſelben (1802 und 1831) das Phänomen der ſcheinbaren Bedeckung eines Firfternes durch einen anderen Fixſtern dar: geboten. Die früheſten Meſſungen und Berechnungen der Doppelſternbahnen verdankt man dem Fleiße von Savary ( Ursae maj.), Ende (70 Ophiuchi) und Sir John Herſchel; ihnen ſind ſpäter Beſſel, Struve, Mädler, Hind, Smith und Kapitän Jacob gefolgt. Savarys und Endes Methoden for- dern 4 vollſtändige, AAN weit voneinander entfernte Beobachtungen. Die kürzeſten Umlaufsperioden find von 30, 42, 58 und 77 Jahren, alſo zwiſchen den planetariſchen Um⸗ laufszeiten des Saturn und Uranus, die längſten mit einiger Sicherheit beſtimmten, überſteigen 500 Jahre, d. i. ſie ſind ungefähr gleich dem dreimaligen Umlauf von le Verriers Neptun. Die Exzentrizität der elliptiſchen Doppelſternbahnen iſt nach dem, was man bis jetzt erforſcht hat, überaus be- trächtlich, meiſt kometenartig von 0,62 ( Coronae) bis 0,95 — 215 — (3 Centauri) anwachſend. Der am wenigſten exzentriſche innere Komet, der von Faye, hat die Exzentrizität 0,55, eine geringere als die Bahn der eben genannten zwei Doppelſterne. Auffallend geringere Exzentrizitäten bieten g Coronae (0,29) und Caſtor (0,22 oder 0,24) nach Mädlers und Hinds Be— rechnungen dar. In dieſen Doppelſternen werden von den beiden Sonnen Ellipſen beſchrieben, welche denen zweier der kleinen Hauptplaneten unſeres Sonnenſyſtemes (den Bahnen der Pallas, 0,24, und Juno, 0,25) nahe kommen. Wenn man mit Encke in einem binären Syſtem einen der beiden Sterne, den helleren, als ruhend betrachtet und demnach die Bewegung des Begleiters auf dieſen bezieht, fo ergibt ſich aus dem bisher Beobachteten, daß der Begleiter um den Hauptſtern einen Kegelſchnitt beſchreibt, in deſſen Brennpunkt ſich der letztere befindet, eine Ellipſe, in welcher der Radius vector des umlaufenden Weltkörpers in gleichen Zeiten gleiche Flächenräume zurücklegt. Genaue Meſſungen von Poſitionswinkeln und Abſtänden, zu Bahnbeſtimmungen geeignet, haben ſchon bei einer beträchtlichen Zahl von Doppel— ſternen gezeigt, daß der Begleiter ſich um den als ruhend be— trachteten Hauptſtern, von denſelben Gravitationskräften ge— trieben, bewegt, welche in unſerem Sonnenſyſtem walten. Dieſe feſte, kaum erſt ſeit einem Vierteljahrhundert errungene Ueberzeugung bezeichnet eine der großen Epochen in der Ent— wickelungsgeſchichte des höheren kosmiſchen Naturwiſſens. Welt— körper, denen man nach altem Brauche den Namen der Fir: ſterne erhalten hat, ob ſie gleich weder an die Himmelsdecke angeheftet noch unbewegt ſind, hat man ſich gegenſeitig bedecken geſehen. Die Kenntnis von der Exiſtenz partieller Syſteme in ſich ſelbſt gegründeter Bewegung erweitert um ſo mehr den Blick, als dieſe Bewegungen wieder allgemeineren, die Himmelsräume belebenden, untergeordnet ſind. — 216 — Bahnelemente von Doppelſternen. (Hierzu iſt der große Zuſatz am Schluß dieſes Bandes zu fügen.) halbe Exzentri⸗ Umlaufs⸗ ER eit in Berechner große Achſe zität res I DeUrsaemaj “ 3,857” | 0,4164 | 58202 | San Name 3,278“ | 0,3777 | 60,720 Tabelle von 1849 Mädler 1847 Encke 1832 Mädler 1847 2,295“ 0,4037 61,300 2) P Ophiuchi 4,328“ 0,4300 73,862 3) CHerculis 1,208“ 0,4320 30,22 1 37 7 . John Herſchel 4) Castor 8,086 0,7582 | 252,66 (Tabelle von 1849 Mädler 1847 Hind 1849 5,692“ 0,2194 | 519,77 6,300“ 0,2405 | 632,27 5) Virginis | 3,580“ | 0,8795 182,12 Tabelle on 1849 Mädler 1847 3,863“ 0,8806 | 169,44 6)» Centauri | 15,500“ | 0,9500 | 77,00 | Cap Sacob a a rn a a # an ZU 8 md Anmerkungen. (S. 206.) Als merkwürdige Beiſpiele von der Schärfe der Sehorgane iſt noch anzuführen, daß Keplers Lehrer Möſtlin mit bloßen Augen 14, und ſchon einige der Alten neun Sterne, in dem Siebengeſtirn mit bloßen Augen erkannten. (S. 206.) Auch Dr. Gregory von Edinburg empfiehlt 1675 (alſo 33 Jahre nach Galileis Hinſcheiden) dieſelbe parallaktiſche Methode. Bradley (1748) ſpielt auf dieſe Methode an am Ende der berühmten Abhandlung über die Nutation. (S. 207.) John Michell: „If it should hereafter be found, that any of the stars have others revolving about them (for no satellites by a borrowed light could possibly be visible), we should then have the means of disceovering...... Er leugnet in der ganzen Diskuſſion, daß einer der zwei kreiſenden Sterne ein dunkler, fremdes Licht reflektierender Planet ſein könne, weil beide uns trotz der Ferne ſichtbar werden. Er vergleicht die Dichtigkeit beider, von denen er den größeren den Central star nennt, mit der Dichtigkeit unſerer Sonne, und bezieht das Wort Satellit nur auf die Idee des Kreiſens, auf die einer wechſel— ſeitigen Bewegung; er ſpricht von der „greatest apparent elon- gation of those stars, thad revolved about the others as satel- lites“. Ferner heißt es: „We may conclude with the highest probability (the odds against the contrary opinion being many million millions to one) that stars form a kind of system by mutual gravitation. It is highly probable in particular, and next to a certainty in general, that such double stars as appear to consist of two or more stars placed near together, are under the influence of some general law, such perhaps as gravity..... Den numeriſchen Reſultaten der Wahrſchein— lichkeitsrechnung, welche Michell angibt, muß man einzeln keine große Sicherheit zuſchreiben, da die Vorausſetzungen, daß es 230 Sterne am ganzen Himmel gebe, welche an Lichtſtärke dem 8 Capri- corni, und 1500, welche der Lichtſtärke der ſechs größeren Plejaden gleich ſeien, keine Richtigkeit haben. Die geiſtreiche kosmologiſche Abhandlung von John Michell endigt mit dem ſehr gewagten Ver— ſuch einer Erklärung des Funkelns der Fixſterne durch eine Art von „Pulſation in materiellen Lichtausſtößen“, einer nicht glück— — 218 — licheren als die, welche Simon Marius, einer der Entdecker der Jupiterstrabanten, am Ende feines Mundus Jovialis (1614) gegeben hatte. Michell hat aber das Verdienſt, darauf aufmerkſam gemacht zu haben, daß das Funkeln immer mit Farbenveränderung verbunden iſt, „besides their brightness there is in the twink- ling of the fixed stars a change of colour.“ (S. 209.) Man hat für Caſtor zwei alte Beobachten von Bradley 1719 und 1759 (die erſte gemeinſchaftlich mit Pond, die zweite mit Maskelyne), zwei von Herſchel dem Vater von 1779 und 1803. ’ (©. 210.) Es find im ganzen 2641 + 146, alſo 2787 beobachtete Sternpaare. (S. 210.) Argelander, indem er eine große Zahl von Fixſternen zur ſorgfältigſten Ergründung eigener Bewegung unter: ſuchte. Auf 600 ſchlägt Mädler die Zahl der zu Pulkowa ſeit 1837 in der Nordhemiſphäre des Himmels neu entdeckten, vielfachen Sterne an. (S. 211.) Die Zahl der Firfterne, an denen man mit Ge— wißheit Eigenbewegung bemerkt hat, während man ſie bei allen vermuten kann, iſt um ein geringes größer, als die Stern— paare, bei welchen Stellungsverſchiedenheit beobachtet worden iſt. Ergebniſſe durch Anwendung der Wahrſcheinlichkeits— rechnung auf dieſe Verhältniſſe, je nachdem die gegenjeitigen Ab: ſtände in den Sternpaaren 0“ bis 1”, 2“ bis 8“ oder 16“ bis 32“ ſind, gibt Struve. Abſtände, welche kleiner als 0,8“ ſind, werden geſchätzt, und Verſuche mit ſehr nahen künſtlichen Doppel: ſternen haben dem Beobachter die Hoffnung beſtätigt, daß dieſe Schätzungen meiſt bis 0,1“ ſicher ſind. (S. 212.) Zwei Gläſer, welche Komplementarfarben dar: ſtellen, dienen dazu, wenn man dieſelben aufeinander legt, weiße Sonnenbilder zu geben. Mein Freund hat ſich, während meines langen Aufenthaltes auf der Pariſer Sternwarte, dieſes Mittels mit vielem Vorteil ſtatt der Blendgläſer bei Beobachtung von Sonnenfinſterniſſen und Sonnenflecken bedient. Man wählt: Rot mit Grün, Gelb mit Blau, Grün mit Violett. „Lorsqu' une lumiere forte se trouve auprès d'une lumiere faible, la derniere prend la teinte complementaire de la premiere. C'est la le contraste, mais comme le rouge n'est presque jamais pur, on peut tout aussi bien dire que le rouge est comple- mentaire du bleu. Les couleurs voisines du Spectre solaire se substituent.“ (Arago, Handſchrift von 1847.) (S. 212.) „Les exceptions que je cite, prouvent que j'avais bien raison, en 1825, de n'introduire la notion physique du contraste dans la question des étoiles doubles qu'avee la plus grande réserve. Le bleu est la couleur reelle de certaines étoiles. Il résulte des observations recueillies jusqu' ici que le firmament est non seulement parsemé de soleils — 219 — rouges et jaunes, comme le savaient les anciens, mais encore de soleils bleus et verts. OG'est au temps et à des observations futures à nous apprendre si les étoiles vertes ou bleues ne sont pas des soleils deja en voie de decroissance; si les dif- ferentes nuances de ces astres n'indiquent pas que la com- bustion sy opere à differens degres; si la teinte, avec excès des rayons les plus refrangibles, que présente souvent la petite étoile, ne tiendrait pas à la force absorbante d'une atmo- sphere que developperait l’action de l’etoile, ordinairement beaucoup plus brillante, qu'elle accompagne.“ (Arago im Annuaire pour 1834, p. 295 bis 301.) (©. 212.) Struve zählt 63 Sternpaare auf, in denen beide Sterne blau oder bläulich ſind und bei denen alſo die Farbe nicht Folge des Kontraſtes ſein kann. Wenn man gezwungen iſt, die Farbenangaben desſelben Sternpaares von verſchiedenen Beob— achtern miteinander zu vergleichen, ſo wird es beſonders auffal— lend, wie oft der Begleiter eines roten oder gelbroten Haupt— ſternes von einem Beobachter blau, von anderen grün genannt worden iſt. 1 (S. 213.) „This superb double star (4 Cent.) is beyond all comparison the most striking object of the kind in the heavens, and consists of two individuals, both of a high ruddy or orange colour, though that of the smaller is of a some- what more sombre and brownish cast.“ Sir John Herſchel, Kapreiſe p. 300. Nach den ſchönen Beobachtungen von Kapi— tän Jacob (Bombay Engineers, in den Jahren 1846 bis 1848) iſt aber der Hauptſtern Im, der Begleiter 2,5m bis Zw geſchätzt. NR Die Uchelflecke. — Ob alle nur ferne und ſehr dichte Sternhaufen find? — Die beiden Magelhaensſchen Wolken, in denen ſich Aebelflecke mit vielen Steruſchwärmen zuſammengedrängt finden. — Die fogenannten ſchwarzen Flecken oder Kohlenſäcke am ſüdlichen Himmelsgewölbe. Unter den ſichtbaren, den Himmelsraum erfüllenden Weltkörpern gibt es neben denen, welche mit Sternlicht glänzen (ſelbſt leuchtenden oder bloß planetariſch erleuchteten, iſoliert ſtehenden, oder vielfach gepaarten und um einen ge— meinſchaftlichen Schwerpunkt kreiſenden Sternen) auch Maſſen mit milderem, mattem Nebelſchimmer. Bald als ſcharf begrenzte, ſcheibenförmige Lichtwölkchen auftretend, bald un— förmlich und vielgeſtaltet über große Räume ergoſſen, ſcheinen dieſe auf den erſten Blick dem bewaffneten Auge ganz von den Weltkörpern verſchieden, welche wir in den letzten vier Abſchnitten der Aſtrognoſie umſtändlich behandelt haben. Wie man geneigt iſt, aus der beobachteten, bisher unerklärten Be— wegung geſehener Weltkörper auf die Exiſtenz ungeſehener zu ſchließen, ſo haben Erfahrungen über die Auflöslich— keit einer beträchtlichen Zahl von Nebelflecken in der neueſten Zeit zu Schlußfolgen über die Nichtexiſtenz aller Nebel— flecke, ja alles kosmiſchen Nebels im Weltraume geleitet. Mögen jene wohlbegrenzten Nebelflecke eine ſelbſtleuchtende dunſtartige Materie, oder ferne, eng zuſammengedrängte, rund— liche Sternhaufen ſein, immer bleiben ſie für die Kenntnis der Anordnung des Weltgebäudes, deſſen, was die Himmels— räume ausfüllt, von großer Wichtigkeit. Die Zahl der örtlich in Rektaſzenſion und Deklination beſtimmten überſteigt ſchon 3600. Einige der unförmlich ausgedehnten haben die Breite von acht Monddurchmeſſern. Nach William Herſchels älterer Schätzung (1811) bedecken die Nebelflecke wenigſtens /e des ganzen ſichtbaren Firmamentes. — 221 — Durch Rieſenfernröhren geſehen, führt ihre Betrachtung in Regionen, aus denen der Lichtſtrahl nach nicht ganz unwahr— ſcheinlicher Annahme Millionen von Jahren braucht, um zu uns zu gelangen, auf Abſtände, zu deren Ausmeſſung die Dimenſionen unſerer näheren Fixſternſchicht (Siriusweiten oder berechnete Entfernungen von den Doppelſternen des Schwanes und des Centauren) kaum ausreichen. Sind die Nebelflecke elliptiſche oder kugelförmige Sterngruppen, ſo er— innern ſie durch ihre Konglomeration ſelbſt an ein rätſel— haftes Spiel von Gravitationskräften, denen ſie gehorchen. Sind es Dunſtmaſſen mit einem oder mehreren Nebelkernen, ſo mahnen die verſchiedenen Grade ihrer Verdichtung an die Möglichkeit eines Prozeſſes allmählicher Sternbildung aus un— geballter Materie. Kein anderes kosmiſches Gebilde, kein anderer Gegenſtand der mehr beſchauenden als meſſenden Aſtronomie iſt in gleichem Maße geeignet, die Einbildungs— kraft zu beſchäftigen, nicht etwa bloß als ſymboliſierendes Bild räumlicher Unendlichkeit, ſondern weil die Erforſchung verſchiedener Zuſtände des Seins und ihre geahnete Ver— knüpfung in zeitlicher Reihenfolge uns Einſicht in das Werden zu offenbaren verheißt. Die hiſtoriſche Entwickelung unſerer gegenwärtigen Kennt— nis von den Nebelflecken lehrt, daß hier, wie faſt überall in der Geſchichte des Naturwiſſens, dieſelben entgegengeſetzten Meinungen, welche jetzt noch zahlreiche Anhänger haben, vor langer Zeit, doch mit ſchwächeren Gründen verteidigt wurden. Seit dem allgemeinen Gebrauch des Fernrohres ſehen wir Galilei, Dominikus Caſſini und den ſcharfſinnigen John Michell alle Nebelflecke als ferne Sternhaufen betrachten, während Halley, Derham, Lacaille, Kant und Lambert die Exiſtenz ſternloſer Nebelmaſſen behaupteten. Kepler (wie vor der Anwendung des teleſkopiſchen Sehens Tycho de Brahe) war ein eifriger Anhänger der Theorie der Sternbildung aus kosmiſchem Nebel, aus verdichtetem, zuſammengeballtem Him— melsdunſte. Er glaubte: „eaeli materiam tenuissimam (der Nebel, welcher in der Milchſtraße mit mildem Sternenlicht leuchte), in unum globum condensatam, stellam effingere“; er gründete ſeine Meinung nicht auf den Verdichtungsprozeß, der in begrenzten rundlichen Nebelflecken vorgehe (dieſe waren ihm unbekannt), ſondern auf das plötzliche Auflodern neuer Sterne am Rande der Milchſtraße. Wie die Geſchichte der Doppelſterne, ſo beginnt auch — 2 — die der Nebelflecke, wenn man das Hauptaugenmerk auf die Zahl der aufgefundenen Objekte, auf die Gründlichkeit ihrer teleſkopiſchen Unterſuchung und die Verallgemeinerung der Anſichten richtet, mit William Herſchel. Bis zu ihm (Meſſiers verdienſtvolle Bemühungen eingerechnet) waren in beiden Hemiſphären nur 120 unaufgelöſte Nebelflecke der Poſition nach bekannt, und im Jahre 1786 veröffentlichte der große Aſtronom von Slough ein erſtes Verzeichnis, das deren 1000 enthielt. Schon früher habe ich in dieſem Werke umſtändlich erinnert, daß, was vom Hipparchus und Geminus in den Kataſterismen des Pſeudo-Eratoſthenes und im Almageſt des Ptolemäus Nebelſterne (verskosdsis) genannt wird, Sternhaufen ſind, welche dem unbewaffneten Auge in Nebel— ſchimmer erſcheinen. Dieſelbe Benennung, als Nebulosae latiniſiert, iſt in der Mitte des 13. Jahrhunderts in die Alfonſiniſchen Tafeln übergegangen, wahrſcheinlich durch den überwiegenden Einfluß des jüdiſchen Aſtronomen Iſaak Aben Sid Haſſan, Vorſtehers der reichen Synagoge zu Toledo. Gedruckt erſchienen die Alfonſiniſchen Tafeln erſt 1483, und zwar zu Venedig. Die erſte Angabe eines wunderſamen Aggregates von zahlloſen wirklichen Nebelflecken, mit Sternſchwärmen vermiſcht, finden wir bei einem arabiſchen Aſtronomen aus der Mitte des 10. Jahrhunderts, bei Abdurrahman Sufi aus dem perſiſchen Irak. Der weiße Ochſe, den er tief unter Canopus in milchigem Lichte glänzen ſah, war zweifels— ohne die große Magelhaensſche Wolke, welche bei einer ſcheinbaren Breite von faſt 12 Monddurchmeſſern einen Him— melsraum von 42 Quadratgraden bedeckt, und deren euro— päiſche Reiſende erſt im Anfang des 16. Jahrhunderts Er— wähnung thun, wenngleich ſchon zweihundert Jahre früher Normänner an der Weſtküſte von Afrika bis Sierra Leone (8 ½ % nördl. Br.) gelangt waren.? Eine Nebelmaſſe von fo großem Umfange, dem unbewaffneten Auge vollkommen ſicht— 5 hätte doch früher die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen ollen. Der erſte iſolierte Nebelfleck, welcher als völlig ſtern— los und als ein Gegenſtand eigener Art durch ein Fern— rohr erkannt und beachtet wurde, war der, ebenfalls dem bloßen Auge ſichtbare Nebelfleck bei v der Andromeda. Simon Marius (Mayer aus Gunzenhauſen in Franken), früher Muſiker, dann Hofmathematikus eines Markgrafen von Kulm— — 223 — bach, derſelbe, welcher die Jupiterstrabanten neun Tage? früher als Galilei geſehen, hat auch das Verdienſt, die erſte und zwar eine ſehr genaue Beſchreibung eines Nebelfleckes gegeben zu haben. In der Vorrede ſeines Mundus Jovialis erzählt er, daß „am 15. Dezember 1612 er einen Fixſtern aufgefunden habe von einem Anſehen, wie ihm nie einer vor— gekommen ſei. Er ſtehe nahe bei dem 3. und nördlichen Sterne im Gürtel der Andromeda; mit unbewaffnetem Auge geſehen, ſchiene er ihm ein bloßes Wölkchen, in dem Fernrohr finde er aber gar nichts Sternartiges darin, wodurch ſich dieſe Erſcheinung von den Nebelſternen des Krebſes und anderen nebligen Haufen unterſcheide. Man erkenne nur einen weiß— lichen Schein, der heller im Centrum, ſchwächer gegen die Ränder hin ſei. Bei einer Breite von ½ Grad gleiche das Ganze einem in großer Ferne geſehenen Lichte, das (in einer Laterne) durch (halb durchſichtige) Scheiben von Horn geſehen werde (similis fere splendor apparet, si a longinquo can- dela ardens per cornu pellueidum de noctu cernatur).“ Simon Marius fragt ſich, ob dieſer ſonderbare Stern ein neu entſtandener ſei? Er will nicht entſcheiden, findet es aber recht auffallend, daß Tycho, welcher alle Sterne des Gürtels der Andromeda aufgezählt habe, nichts von dieſer Nebulosa ge— ſagt. In dem Mundus Jovialis, der erſt 1614 erſchien, iſt alſo (wie ich ſchon an einem anderen Orte bemerkt habe) der Unterſchied zwiſchen einem für die damaligen teleſkopiſchen Kräfte unauflöslichen Nebelfleck und einem Stern— haufen (engl. eluster, franz. amas d'étoiles) ausgeſprochen, welchem die gegenfeitige Annäherung vieler, dem bloßen Auge unſichtbarer, kleiner Sterne einen Nebelſchein gibt. Trotz der großen Vervollkommnung optiſcher Werkzeuge iſt faſt drittehalb Jahrhunderte lang der Nebel der Andromeda wie bei ſeiner Entdeckung, für vollkommen ſternenleer gehalten worden, bis vor zwei Jahren jenſeits des Atlantiſchen Ozeans von George Bond zu Cambridge (V. St.) 1500 kleine Sterne within the limits of the nebula erkannt worden ſind. Ich habe, trotz des unaufgelöſten Kerns, nicht angeſtanden, ihn unter den Sternhaufen aufzuführen. Es iſt wohl nur einem ſonderbaren Zufall zuzuſchreiben, daß Galilei, der ſich ſchon vor 1610, als der Sydereus Nuntius erſchien, mehrfach mit der Konſtellation des Orion beſchäftigte, ſpäter in ſeinem Saggiatore, da er längſt die Entdeckung des ſternloſen Nebels in der Andromeda aus dem — 224 — Mundus Jovialis kennen konnte, keines anderen Nebels am Firmamente gedenkt als ſolcher, welche ſich ſelbſt in ſeinen ſchwachen optiſchen Inſtrumenten in Sternhaufen auflöſten. Was er Nebulose del Orione et del Presepe nennt, ſind ihm nichts als „Anhäufungen (evacervazioni) zahlloſer kleiner Sterne“.“ Er bildet ab nacheinander unter den täuſchenden Namen Nebulosae Capitis, Cinguli et Ensis Orionis Stern: haufen, in denen er ſich freut, in einem Raum von 1 oder 2 Graden 400 bisher unaufgezählte Sterne aufgefunden zu haben. Von unaufgelöſtem Nebel iſt bei ihm nie die Rede. Wie hat der große Nebelfleck im Schwerte ſeiner Aufmerkſamkeit entgehen, wie dieſelbe nicht feſſeln können? Aber wenn auch der geiſtreiche Forſcher wahrſcheinlich nie den unförmlichen Orionsnebel oder die rundliche Scheibe eines ſogenannten unauflöslichen Nebels geſehen hat, ſo waren doch ſeine allgemeinen Betrachtungen? über die innere Natur der Nebelflecke denen ſehr ähnlich, zu welchen gegenwärtig der größere Teil der Aſtronomen geneigt iſt. So wenig als Galilei, hat auch Hevel in Danzig, ein ausgezeichneter, aber dem teleſkopiſchen Sehen beim Katalogiſieren der Sterne wenig holder“ Beobachter, des großen Orionsnebels in ſeinen Schriften erwähnt. Sein Sternverzeichnis enthält überhaupt kaum 16 in Poſition beſtimmte Nebelflede. Endlich im Jahre 1656 entdeckte Huygens den durch Ausdehnung, Geſtalt, die Zahl und die Berühmtheit ſeiner ſpäteren Erforſcher ſo wichtig gewordenen Nebelfleck im Schwert des Orion, und veranlaßte Picard, ſich fleißig (1676) mit demſelben zu beſchäftigen. Die erſten Nebelflecke der in Europa nicht ſichtbaren Regionen des ſüdlichen Himmels be— ſtimmte, aber in überaus geringer Zahl, bei ſeinem Auf— enthalte auf St. Helena (1677) Edmund Halley. Die leb— hafte Vorliebe, welche der große Caſſini (Johann Dominikus) für alle Teile der beſchauenden Aſtronomie hatte, leitete ihn gegen das Ende des 17. Jahrhunderts auf die ſorgfältigere Erforſchung der Nebel der Andromeda und des Orion. Er glaubte ſeit Huygens Veränderungen in dem letzteren, „ja Sterne in dem erſteren erkannt zu haben, die man nicht mit ſchwachen Fernröhren ſieht“. Man hat Gründe, die Behaup— tung der Geſtaltveränderung für eine Täuſchung zu halten, nicht ganz die Exiſtenz von Sternen in dem Nebel der Andromeda ſeit den merkwürdigen Beobachtungen von George Bond. Caſſini ahnete dazu aus theoretiſchen Gründen eine ſolche Auf— — 225 — löſung, da er, in direktem Widerſpruch mit Halley und Derham, alle Nebelflecke für ſehr ferne Sternſchwärme hielt. Der matte, milde Lichtſchimmer in der Andromeda, meint er, ſei allerdings dem des Zodiakallichtes analog, aber auch dieſes ſei aus einer Un— zahl dicht zuſammengedrängter kleiner planetiſcher Körper zu— ſammengeſetzt. Lacailles Aufenthalt in der ſüdlichen Hemiſphäre (am Vorgebirge der guten Hoffnung, auf Ile de France und Bour: bon, 1750 bis 1752) vermehrte ſo anſehnlich die Zahl der Nebelflecke, daß Struve mit Recht bemerkt, man habe durch dieſes Reiſenden Bemühungen damals mehr von der Nebel— welt des ſüdlichen Firmaments als von der in Europa ſicht— baren gewußt. Lacaille hat übrigens mit Glück verſucht, die Nebelflecke nach ihrer ſcheinbaren Geſtaltung in Klaſſen zu verteilen; auch unternahm er zuerſt, doch mit wenigem Er— folge, die ſchwierige Analyſe des ſo heterogenen Inhalts der beiden Magelhaensſchen Wolken (Nubecula major et minor). Wenn man von den anderen 42 iſolierten Nebelflecken, welche Lacaille an dem ſüdlichen Himmel beobachtete, 14 vollkommen, und ſelbſt mit ſchwacher Vergrößerung, zu wahren Stern— haufen aufgelöſte abzieht, ſo bleibt nur die Zahl von 28 übrig, während, mit mächtigeren Inſtrumenten wie mit größerer Uebung und Beobachtungsgabe ausgerüſtet, es Sir John Herſchel glückte, unter derſelben Zone, die Clusters ebenfalls ungerechnet, an 1500 Nebelflecke zu entdecken. Entblößt von eigener Anſchauung und Erfahrung, phan— taſierten, nach ſehr ähnlichen Richtungen hinſtrebend, ohne urjprünglich ° voneinander zu wiſſen, Lambert (ſeit 1749), Kant (ſeit 1755) mit bewundernswürdigem Scharfſinn über Nebelflecke, abgeſonderte Milchſtraßen und ſporadiſche, in den Himmelsräumen vereinzelte Nebel- und Sterninſeln. Beide waren der Dunſttheorie (nebular hypothesis) und einer per— petuierlichen Fortbildung in den Himmelsräumen, ja den Ideen der Sternerzeugung aus kosmiſchem Nebel zugethan. Der vielgereiſte le Gentil (1760 bis 1769) belebte lange vor ſeinen Reiſen und den verfehlten Venusdurchgängen das Studium der Nebelflecke durch eigene Beobachtung über die Konſtellationen der Andromeda, des Schützen und des Orion. Er bediente ſich eines der im Beſitze der Pariſer Sternwarte befindlichen Objekte von Campani, welches 34 Fuß Fofal- länge hat. Ganz den Ideen von Halley und Lacaille, Kant und Lambert widerſtrebend, erklärte der geiſtreiche John Michel wieder (wie Galilei und Dominikus Caſſini) alle Nebel für A. v. Humboldt, Kosmos. III. 15 226 — Sternhaufen, Aggregate von ſehr kleinen oder ſehr fernen teleſkopiſchen Sternen, deren Daſein bei Vervollkommnung der Inſtrumente gewiß einſt würde erwieſen werden.“ Einen reichen Zuwachs, verglichen mit den langſamen Fortſchritten, welche wir bisher geſchildert, erhielt die Kenntnis der Nebel— flecke durch den beharrlichen Fleiß von Meſſier. Sein Kata— logus von 1771 enthielt, wenn man die älteren, von Lacaille und Mächain entdeckten Nebel abzieht, 66 bis dahin unge⸗ ſehene. Es gelang ſeiner Anſtrengung, auf dem ärmlich aus— gerüſteten Observatoire de la Marine (Hotel de Clugny) die Zahl der damals in beiden Hemiſphären aufgezählten Nebelflecke zu verdoppeln.!“ Auf dieſe ſchwachen Anfänge folgte die glänzende Epoche der Entdeckungen von William Herſchel und ſeinem Sohne. Der erſtere begann ſchon 1779 eine regelmäßige Muſterung des nebelreichen Himmels durch einen 7füßigen Reflektor. Im Jahre 1787 war ſein 40füßiges Rieſenteleſkop vollendet, und in drei Katalogen, welche 1786, 1789 und 1801 er— ſchienen, lieferte er die Poſitionen von 2500 Nebeln und Sternhaufen. Bis 1785, ja faſt bis 1791, ſcheint der große Beobachter mehr geneigt geweſen zu ſein, wie Michel, Caſſini, und jetzt Lord Roſſe, die ihm unauflöslichen Nebelflecke für ſehr entfernt liegende Sternhaufen zu halten; aber eine längere Beſchäftigung mit dem Gegenſtande zwiſchen 1799 und 1802 leitete ihn, wie einſt Halley und Lacaille, auf die Dunſt— theorie, ja, wie Tycho und Kepler, auf die Theorie der Stern— bildung durch allmähliche Verdichtung des kosmiſchen Nebels. Beide Anſichten ſind indes nicht notwendig!! miteinander ver— bunden. Die von Sir William Herſchel beobachteten Nebel und Sternhaufen hat ſein Sohn, Sir John, von 1825 bis 1833 einer neuen Muſterung unterworfen; er hat die älteren Ver— zeichniſſe durch 500 neue Gegenſtände bereichert, und in den Philosophical Transactions for 1833 (p. 365 bis 481) einen vollſtändigen Katalogus von 2307 Nebulae and Glu- sters of stars veröffentlicht. Dieſe große Arbeit enthält alles, was in dem mittleren Europa am Himmel aufgefunden war, und ſchon in den unmittelbar folgenden 5 Jahren (1834 bis 1838) ſehen wir Sir! John Herſchel am Vorgebirge 11 guten Hoffnung, mit einem 20füßigen Reflektor aus— gerüſtet, den ganzen dort ſichtbaren Himmel durchforſchen, und zu jenen 2307 Nebeln und Sternhaufen ein Verzeichnis von 1708 Poſitionen hinzufügen!!? Von Dunlops Katalogus ſüd— a licher Nebel und Sternhaufen (629 an der Zahl, zu Para— matta beobachtet durch einen 9füßigen, mit einem Spiegel von 9 Zoll Durchmeſſer verſehenen Reflektor von 1825 bis 1827) iſt nur ½ in Sir John Herſchels Arbeit übergegangen. Eine dritte große Epoche in der Kenntnis jener rätſel— haften Weltkörper hat mit der Konſtruktion des bewunderns— würdigen 50füßigen Teleſkopes des Earl of Roſſe zu Parſons— town begonnen. Alles, was, in dem langen Schwanken der Meinungen, auf den verſchiedenen Entwickelungsſtufen kosmiſcher Anſchauung zur Sprache gekommen war, wurde nun in dem Streit über die Nebelhypotheſe und die be— hauptete Notwendigkeit, ſie gänzlich aufzugeben, der Gegenſtand lebhafter Diskuſſionen. Aus den Berichten ausgezeichneter und mit den Nebelflecken lange vertrauter Aſtronomen, die ich habe ſammeln können, erhellt, daß von einer großen Zahl der aus dem Katalogus von 1833 wie zufällig unter allen Klaſſen ausgewählten, für unauflöslich gehaltenen Objekte faſt alle (der Direktor der Sternwarte von Armagh, Dr. Robinſon, gibt deren über 40 an) vollſtändig aufgelöſt wurden.!“ Auf gleiche Weiſe drückt ſich Sir John Herſchel, ſowohl in der Eröffnungsrede der Verſammlung der British Association zu Cambridge 1845 als in den Outlines of Astronomy 1849, aus. „Der Reflektor von Lord Roſſe,“ ſagt er, „hat aufgelöſt oder als auflösbar gezeigt eine beträchtliche Anzahl (multitudes) von Nebeln, welche der raumdurchdringenden Kraft der ſchwächeren optiſchen Inſtrumente widerſtanden hatten. Wenn es gleich Nebelflecke gibt, welche jenes mächtige Tele— ſkop von ſechs engliſchen Fußen Oeffnung nur als Nebel, ohne alle Anzeige der Auflöſung, darſtellt, ſo kann man doch nach Schlüſſen, die auf Analogieen gegründet ſind, vermuten, daß in der Wirklichkeit kein Unterſchied zwiſchen Nebeln und Sternhaufen vorhanden ſei.““ Der Urheber des mächtigen optiſchen Apparates von Parſonstown, ſtets das Reſultat wirklicher Beobachtungen von dem trennend, zu dem nur gegründete Hoffnung vor— handen iſt, drückt ſich ſelbſt mit großer Vorſicht über den Orionsnebel in einem Briefe an Profeſſor Nichol zu Glas— gow ! aus (19. März 1846). „Nach unſerer Unterſuchung des berühmten Nebelfleckes,“ ſagt er, „kann ich mit Gewiß— heit ausſprechen, daß, wenn anders irgend einer, nur ein ge— ringer Zweifel über die Auflösbarkeit bleibt. Wir konnten wegen der Luftbeſchaffenheit nur die Hälfte der Vergrößerung — 228 — anwenden, welche der Spiegel zu ertragen imſtande iſt, und doch ſahen wir, daß alles um das Trapezium umher eine Maſſe von Sternen bildet. Der übrige Teil des Nebels iſt ebenfalls reich an Sternen und trägt ganz den Charakter der Auflösbarkeit.“ Auch ſpäter noch (1848) ſoll Lord Roſſe nie eine ſchon erlangte völlige Auflöſung des Orionsnebels, ſon— dern immer nur die nahe Hoffnung dazu, die gegründete Wahrſcheinlichkeit, den noch übrigen Nebel in Sterne auf— zulöſen, verkündet haben. Wenn man trennt, in der neuerlich ſo lebhaft angeregten Frage über die Nichtexiſtenz einer ſelbſtleuchtenden, dunſt— förmigen Materie im Weltall, was der Beobachtung und was induktiven Schlußformen angehört, ſo lehrt eine ſehr ein— fache Betrachtung, daß durch wachſende Vervollkommnung der teleſkopiſchen Sehkraft allerdings die Zahl der Nebel be— trächtlich vermindert, aber keineswegs durch dieſe Vermin— derung erſchöpft werden könne. Unter Anwendung von Fern— röhren wachſender Stärke wird jedes nachfolgende auflöſen, was das vorhergehende unaufgelöſt gelaſſen hat, zugleich aber auch wenigſtens teilweiſe, wegen ſeiner zunehmenden, raum— durchdringenden Kraft, die aufgelöſten Nebel durch neue, vor— her unerreichte, erſetzen. Auflöſung des Alten und Entdeckung des Neuen, welches wieder eine Zunahme von optiſcher Stärke erheiſcht, würden demnach in endloſer Reihe aufeinander folgen. Sollte dem nicht ſo ſein, ſo muß man ſich nach meinem Be— dünken entweder den gefüllten Weltraum begrenzt, oder die Weltinſeln, zu deren einer wir gehören, dermaßen von— einander entfernt denken, daß keines der noch zu erfindenden Fernröhren zu dem gegenüberliegenden Ufer hinüberreicht, und daß unſere letzten (äußerſten) Nebel ſich in Sternhaufen auf⸗ löſen, welche ſich wie Sterne der Milchſtraße „auf ſchwarzen, ganz dunſtfreien Grund projizieren“. Iſt aber wohl ein ſolcher Zuſtand des Weltbaues und zugleich der Vervoll— kommnung optiſcher Werkzeuge wahrſcheinlich, bei dem am ganzen Firmament kein unaufgelöſter Nebelfleck mehr auf— zufinden wäre? Die hypothetiſche Annahme eines ſelbſtleuchtenden Flui— dums, das, ſcharf begrenzt, in runden oder ovalen Nebel— flecken auftritt, muß nicht verwechſelt werden mit der ebenfalls hypothetiſchen Annahme eines nicht leuchtenden, den Welt— raum füllenden, durch ſeine Wellenbewegung Licht ſtrahlende Wärme und Elektromagnetismus erzeugenden Aethers. Die — 229 — Ausſtrömungen der Kometenkerne, als Schweife oft ungeheure Räume einnehmend, verſtreuen ihren uns unbekannten Stoff zwiſchen die Planetenbahnen des Sonnenſyſtems, welche ſie durchſchneiden. Getrennt von dem leitenden Kerne, hört aber der Stoff, auf uns bemerkbar zu leuchten. Schon Newton hielt für möglich, daß „vapores ex Sole et Stellis fixis et Caudis Cometarum“ ſich der Erdatmoſphäre beimiſchen könnten. In dem dunſtartigen, kreiſenden, abgeplatteten Ringe des Zo. diakalſcheines hat noch kein Fernrohr etwas Sternartiges ent— deckt. Ob die Teilchen, aus welchen dieſer Ring beſteht und welche nach dynamiſchen Bedingungen von einigen als um ſich ſelbſt rotierend, von anderen als bloß um die Sonne kreiſend gedacht werden, erleuchtet oder, wie mancher irdiſche Nebel, ſelbſtleuchtend find, bleibt unentſchieden. Dominikus Caſſini glaubte, daß ſie kleine planetenartige Körper ſeien. Es iſt wie ein Bedürfnis des ſinnlichen Menſchen, in allem Flüſſigen diskrete Molekularteile zu ſuchen, gleich den vollen oder hohlen Wolkenbläschen; und die Gradationen der Dichtigkeitsabnahme in unſerem Planetenſyſteme von Merkur bis Saturn und Neptun (von 1,12 bis 0,14, die Erde — 1 geſetzt) führen zu den Kometen, durch deren äußere Kernſchichten noch ein ſchwacher Stern ſichtbar wird, ja ſie führen allmählich zu diskreten, aber ſo undichten Teilen, daß ihre Starrheit in großen oder kleinen Dimenſionen faſt nur durch Begrenztheit charakteriſiert werden könnte. Es ſind gerade ſolche Be— trachtungen über die Beſchaffenheit des ſcheinbar dunſtförmigen Tierkreislichtes, welche Caſſini lange vor Entdeckung der ſo— genannten kleinen Planeten zwiſchen Mars und Jupiter und vor den Mutmaßungen über Meteoraſteroiden auf die Idee geleitet hatten, daß es Weltkörper von allen Dimenſionen und allen Arten der Dichtigkeit gebe. Wir berühren hier faſt unwillkürlich den alten naturphiloſophiſchen Streit über das primitiv Flüſſige und das aus diskreten Mole— kularteilen Zuſammengeſetzte, was freilich deshalb der mathematiſchen Behandlung zugänglicher iſt. Um ſo ſchneller kehren wir zu dem rein Objektiven der Erſcheinung zurück. In der Zahl von 3926 (2451 + 1475) Poſitionen, welche zugehören: a) dem Teil des Firmaments, welcher in Slough ſichtbar iſt und welchen wir hier der Kürze wegen den nörd— lichen Himmel nennen wollen (nach drei Verzeichniſſen von Sir William Herſchel von 1786 bis 1802) und der oben er: wähnten großen Muſterung des Sohnes (in den Philos. — 230 — Transact. von 1833), und b) dem Teile des ſüd lichen Himmels, welcher am Vorgebirge der guten Hoff— nung ſichtbar iſt, nach den afrikaniſchen Katalogen von Sir John Herſchel, finden ſich Nebelflecke und Sternhaufen (Nebulae and Clusters of stars) untereinander gemengt. So innig auch dieſe Gegenſtände ihrer Natur nach miteinander ver— wandt ſein mögen, habe ich ſie doch, um einen beſtimmten Zeitpunkt des ſchon Erkannten zu bezeichnen, in der Auf— zählung voneinander geſondert. Ich finde!“ in dem nörd— lichen Katalog der Nebelflecke 2299, der Stern— haufen 152; im ſüdlichen oder Kapkatalog der Nebel— flecke 1239, der Sternhaufen 236. Es ergibt ſich dem- nach für die Nebelflecke, welche in jenen Verzeichniſſen als noch nicht in Sternhaufen aufgelöſt angegeben werden, am ganzen Firmament die Zahl von 3538. Es kann dieſelbe wohl bis 4000 vermehrt werden, wenn man in Betrachtung zieht 300 bis 400 von Herſchel dem Vater gejehene !“ und nicht wieder beſtimmte, wie die von Dunlop in Para⸗ matta mit einem 9zölligen Newtonſchen Reflektor beob— achteten 629, von denen Sir John Herſchel nur 206 ſeinem Verzeichnis angeeignet hat. Ein ähnliches Reſultat haben neuerlichſt auch Bond und Mädler veröffentlicht. Die Zahl der Nebelflecke ſcheint ſich alſo zu der der Doppelſterne in dem jetzigen Zuſtande der Wiſſenſchaft ungefähr wie 2:3 zu verhalten; aber man darf nicht vergeſſen, daß unter der Benennung von Doppelſternen die bloß optiſchen mit— begriffen ſind, und daß man bisher nur erſt in dem neunten, vielleicht gar nur im achten Teile Poſitionsveränderungen er— kannt hat. Die oben gefundenen Zahlen: 2299 Nebelflecke neben 152 Sternhaufen in dem nördlichen, und nur 1239 Nebel: flecke neben 236 Sternhaufen in dem ſüdlichen Verzeichniſſe, zeigen, bei der geringeren Anzahl von Nebelflecken in der ſüdlichen Hemiſphäre, dort ein Uebergewicht von Stern— haufen. Nimmt man an, daß alle Nebelflecke ihrer wahr— ſcheinlichen Beſchaffenheit nach auflösbar, nur fernere Stern— haufen, oder aus kleineren und weniger gedrängten, ſelbſt— leuchtenden Himmelskörpern zuſammengeſetzte Sterngruppen ſind, ſo bezeichnet dieſer ſcheinbare Kontraſt, auf deſſen Wichtigkeit ſchon Sir John Herſchel um jo mehr aufmerkſam gemacht hat, als von ihm in beiden Hemiſphären Reflektoren von gleicher Stärke angewandt worden ſind, auf das wenigſte — 231 — eine auffallende Verſchiedenheit in der Natur und Welt— ſtellung der Nebel, d. h. in Hinſicht der Richtungen, nach denen hin ſie ſich den Erdbewohnern am nördlichen oder ſüd— lichen Firmamente darbieten. Dem ebengenannten großen Beobachter verdanken wir auch die erſte genaue Kenntnis und kosmiſche Ueberſicht von der Verteilung der Nebel und Sterngruppen an der ganzen Himmelsdecke. Er hat, um ihre Lage, ihre relative lokale Anhäufung, die Wahrſcheinlichkeit oder Unwahrſchein— lichkeit ihrer Folge nach gewiſſen Gruppierungen und Zügen zu ergründen, viertehalbtauſend Gegenſtände graphiſch in Fächer eingetragen, deren Seiten in der Deklination 3°, in der Rektaſzenſion 15° meſſen. Die größte Anhäufung von Nebel— flecken des ganzen Firmamentes findet ſich in der nördlichen Hemiſphäre. Es iſt dieſelbe verbreitet durch die beiden Löwen, den Körper, den Schweif und die Hinterfüße des großen Bären, die Naſe der Giraffe, den Schwanz des Drachen, die beiden Jagdhunde, das Haupthaar der Berenice (wo der Nordpol der Milchſtraße liegt), den rechten Fuß des Bootes und vor allem das Haupt, die Flügel und die Schulter der Jungfrau. Dieſe Zone, welche man die Nebelregion der Jungfrau genannt hat, enthält, wie wir ſchon oben er— wähnt haben, in einem Raume,“ welcher den achten Teil der Oberfläche der ganzen Himmelsſphäre ausfüllt, "s von der geſamten Nebelwelt. Sie überſchreitet wenig den Aequator; nur von dem ſüdlichen Flügel der Jungfrau dehnt ſie ſich aus bis zur Extremität der großen Waſſerſchlange und zum Kopf des Centauren, ohne deſſen Füße und das jüdliche Kreuz zu erreichen. Eine geringere Anhäufung von Nebeln an dem nördlichen Himmel iſt die, welche ſich weiter als die vorige in die ſüdliche Hemiſphäre erſtreckt. Sir John Herſchel nennt ſie die Nebelregion der Fiſche. Sie bildet eine Zone, von der Andromeda, die ſie faſt ganz erfüllt, gegen Bruſt und Flügel des Pegaſus, gegen das Band, welches die Fiſche verbindet, den ſüdlichen Pol der Milchſtraße und Fomalhaut hin. Einen auffallenden Kontraſt mit dieſen An— häufungen macht der öde, nebelarme Raum um Perſeus, Widder, Stier, Kopf und oberen Leib des Orion, um Fuhr— mann, Herkules, Adler und das ganze Sternbild der Leier. Wenn man aus der in dem Werke über die Kapbeobachtungen mitgeteilten Ueberſicht aller Nebelflecke und Sternhaufen des nördlichen Katalogs (von Slough), nach einzelnen Stunden der Rektaſzenſion verteilt, 6 Gruppen von je 4 Stunden zu: ſammenzieht, ſo erhält man: R Ob his , 1 4 „ 087 2 FO Birne 1a n. At 120,06. 16: % 20 % % „ 20 0 239. In der ſorgfältigeren Scheidung nach nördlicher und ſüdlicher Deklination findet man, daß in den 6 Stunden Rektaſzenſion von 9" bis 153 in der nördlichen Hemiſphäre allein 1111 Nebel— flecke und Sternhaufen zuſammengehäuft find, '* nämlich: Dot ois , re On L ar en 5 Tea ee 120 MalV, 1600 u Me 14 15 130. Das eigentliche nördliche Maximum liegt alſo zwiſchen 12 und 13, dem nördlichen Pole der Milchſtraße ſehr nahe. Weiterhin zwiſchen 15" und 161 gegen den Herkules zu tft die Verminderung jo plötzlich, daß auf die Zahl 130 un⸗ mittelbar 40 folgt. In der ſüdlichen Hemiſphäre iſt nicht bloß eine geringere Anzahl von Nebelflecken, ſondern auch eine weit gleichförmigere Verteilung erkannt worden. Nebelleere Räume wechſeln dort häufig mit ſporadiſchen Nebeln; eine eigentliche lokale An— häufung, und zwar eine noch gedrängtere als in der Nebel— region der Jungfrau am nördlichen Himmel, findet man nur in der großen Magelhaensſchen Wolke, welche allein an 300 Nebelflecke enthält. Die Gegend zunächſt den Polen iſt in beiden Hemiſphären nebelarm, und bis 15° Polar— diſtanz iſt ſie um den ſüdlichen Pol im Verhältnis von 7:4 noch ärmer als um den nördlichen Pol. Der jetzige Nordpol hat einen kleinen Nebelfleck, welcher nur 5 Minuten von ihm entfernt liegt; ein ähnlicher, den Sir John Herſchel mit Recht „Nebula Polarissima Australis“ nennt (Nr. 3176 ſeines Kapkatalogs, RA. 9h 27° 56“, N. P. D. 179° 34° 14, ſteht noch 25 Minuten vom Südpole ab. Dieſe Sternödigkeit des Südpols, der Mangel eines dem unbewaffneten Auge ſichtbaren Polarſternes, war ſchon der Gegenſtand bitterer Klagen von Amerigo Veſpucei und Vicente Yanez Pinzon, als ſie am Ende des 15. Jahrhunderts weit über den Aequator bis zum Vorgebirge San Auguſtin vordrangen, und als der erſtere ſogar die irrige Meinung ausſprach, daß die ſchöne Stelle des Dante: „lo mi volsi a man destra e posi mente. 15 wie die vier Sterne „non viste mai fuor ch’alla prima gente“, ſich auf antarktiſche Polarſterne bezögen.!“ Wir haben bisher die Nebel in Hinſicht auf ihre Zahl und ihre Verteilung an der Himmelsdecke, an dem, was wir das Firmament nennen, betrachtet; eine ſcheinbare Verteilung, welche man nicht mit der wirklichen in den Welt⸗ räumen verwechſeln muß. Von dieſer Unterſuchung gehen wir nun zu der wunderſamen Verſchiedenheit ihrer individuellen Geſtaltung über. Dieſe iſt bald regelmäßig (kugel— förmig, elliptiſch in verſchiedenen Graden, ringförmig, planetariſch, oder gleich einer Photoſphäre einen Stern umgebend), bald unregelmäßig und ſo ſchwer zu klaſſi— fizieren wie die geballten Waſſernebel unſeres Luftkreiſes, die Wolken. Als Normalgeſtalt der Nebelflecke am Firmament wird die elliptiſche (ſphäroidiſche) genannt, die, bei der— ſelben Stärke des Fernrohrs, wenn ſie in die kugelförmige übergeht, ſich am leichteſten in einen Sternhaufen ver— wandelt; wenn ſie dagegen ſehr abgeplattet nach einer Dimen— ſion verlängert und ſcheibenförmig erſcheint, um fo ſchwerer?! auflöslich wird. Allmähliche Uebergänge der Geſtalten vom Runden zum länglich Elliptiſchen und Pfriemförmigen (Philos. Transact. 1833, p. 494, Pl. IX, fig. 19 bis 24) ſind mehrfach am Himmel aufzufinden. Die Verdichtung des milchigen Nebels it ſtets gegen ein Centrum, bisweilen ſelbſt nach mehreren Centralpunkten (Kernen) zugleich gerichtet. Nur in der Abteilung der runden oder ovalen Nebel kennt man Doppelnebel, bei denen, da keine relative Bewegung unter den Individuen bemerkbar wird (weil ſie fehlt oder außerordentlich langſam iſt), das Kriterium mangelt, durch welches eine gegenſeitige Beziehung zu einander erwieſen werden kann, wie bei Sonderung der phyſiſchen von den bloß optiſchen Doppelſternen. (Abbildungen von Doppel— nebeln findet man in den Philos. Transact. for the year 1833, fig. 68 bis 71. Vergl. auch Herſchel, Outlines of Astr. $ 878, Observ. at the Cape of Good Hope $ 120). Ringförmige Nebel gehören zu den ſeltenſten Er⸗ ſcheinungen. Man kennt deren in der nördlichen Hemiſphäre — 234 — jetzt nach Lord Roſſe ſieben. Der berühmteſte der Nebelringe liegt zwiſchen 8 und 7 Lyrae (Nr. 57 Meſſier, Nr. 3023 des Katalogs von Sir John Herſchel), und iſt 1779 von Darquier in Toulouſe entdeckt, als der von Bode aufgefundene Komet in ſeine Nähe kam. Er iſt faſt von der ſcheinbaren Größe der Jupitersſcheibe, und elliptiſch im Verhältnis ſeiner Durch— meſſer wie 4:5. Das Innere des Ringes iſt keineswegs ſchwarz, ſondern etwas erleuchtet. Schon Sir William Herſchel hatte einige Sterne im Ringe erkannt, Lord Roſſe und Bond haben ihn ganz aufgelöſt. Vollkommen ſchwarz in der Höhlung des Ringes ſind dagegen die ſchönen Nebelringe der ſüdlichen Hemiſphäre Nr. 3680 und 3686. Der letztere iſt dazu nicht elliptiſch, ſondern vollkommen rund; alle ſind wahrſcheinlich ringförmige Sternhaufen. Mit der zunehmenden Mächtigkeit optiſcher Mittel erſcheinen übrigens im allgemeinen ſowohl elliptiſche als ringförmige Nebelflecke in ihren Umriſſen weniger abgeſchloſſen. In dem Rieſenfernrohr des Lord Roſſe zeigt ſich ſogar der Ring der Leier wie eine einfache Ellipſe mit ſonderbar divergierenden, fadenförmigen Nebelanſätzen. Be— ſonders auffallend iſt die Umformung eines für ſchwächere Fernröhren einfach elliptiſchen Nebelfleckes in Lord Roſſes Krebsnebel (Crab-Nebula). Weniger ſelten als Ringnebel, aber doch nach Sir John Herſchel nur 25 an Zahl, von denen faſt , in der ſüdlichen Hemiſphäre liegen, ſind die ſogenannten planetariſchen Nebelflecke, welche zuerſt Herſchel der Vater entdeckt hat und welche zu den wunderſamſten Erſcheinungen des Himmels gehören. Sie haben die auffallendſte Aehnlichkeit mit Planeten— ſcheiben. Der größere Teil iſt rund oder etwas oval, bald ſcharf begrenzt, bald verwaſchen und dunſtig an den Rändern. Die Scheiben vieler haben ein ſehr gleichförmiges Licht, an— dere ſind wie geſprenkelt oder ſchwach gefleckt (mottled or of a peculiar texture, as if curdled). Man ſieht nie Spuren einer Verdichtung gegen das Centrum. Fünf planetariſche Nebelflecke hat Lord Roſſe als Ringnebel erkannt, mit 1 oder 2 Centralſternen. Der größte planetariſche Nebelfleck liegt im großen Bären (unfern 8 Ursae maj.), und wurde von Mechain 1781 entdeckt. Der Durchmeſſer der Scheibe?? iſt 240“. Der planetariſche Nebel im ſüdlichen Kreuz (Nr. 3365, Kap- reiſe p. 100) hat bei einer Scheibe von kaum 12“ Durch— meſſer doch die Helligkeit eines Sterns 6.7. Größe. Sein Licht iſt indigoblau, und eine ſolche bei Nebelflecken merk— würdige Färbung findet ſich auch bei drei anderen Gegen: ſtänden derſelben Form, in denen jedoch das Blau eine geringere Intenſität hat.“ Die blaue Färbung einiger plane: tariſchen Nebel ſpricht gar nicht gegen die Möglichkeit, daß ſie aus kleinen Sternen zuſammengeſetzt ſeien; denn wir kennen blaue Sterne nicht bloß in beiden Teilen eines Doppel— ſternpaares, ſondern auch ganz blaue Sternhaufen, oder ſolche, die mit roten und gelben Sternchen vermiſcht ſind.!“ Die Frage, ob die planetariſchen Nebelflecke ſehr ferne Nebelſterne ſind, in denen der Unterſchied zwiſchen einem er— leuchtenden Centralſterne und der ihn umgebenden Dunſthülle für unſer teleſkopiſches Sehen verſchwindet, habe ich ſchon in dem Anfange des Naturgemäldes berührt. Möchte durch Lord Roſſes Rieſenteleſkop doch endlich die Natur ſo wunderbarer planetariſcher Dunſtſcheiben erforſcht werden! Wenn es ſchon ſo ſchwierig iſt, ſich von den verwickelten dynamiſchen Be— dingungen einen klaren Begriff zu machen, unter denen in einem kugelrunden oder ſphäroidiſch abgeplatteten Sternhaufen die rotierenden, zuſammengedrängten und gegen das Centrum hin ſpezifiſch dichteren Sonnen (Firjterne) ein Syſtem des Gleichgewichtes bilden, jo nimmt dieſe Schwierigkeit noch mehr in denjenigen udn, wohlumgrenzten, planetariſchen Nebelſcheiben zu, welche eine ganz gleichförmige, im Centrum gar nicht verſtärkte Helligkeit zeigen. Ein ſolcher Zuſtand iſt mit der Kugelform (mit dem Aggregatzuſtande vieler tauſend Sternchen) weniger als mit der Idee einer gasförmigen Photo— ſphäre zu vereinigen, die man in unſerer Sonne mit einer dünnen, undurchſichtigen, oder doch ſehr ſchwach erleuchteten Dunſtſchicht bedeckt glaubt. Scheint das Licht in der plane— tariſchen Nebelſcheibe nur darum ſo gleichförmig verbreitet, weil wegen großer Ferne der Unterſchied zwiſchen Centrum und Rand verſchwindet? Die vierte und letzte Formgattung der regelmäßigen Nebel ſind William Herſchels Nebelſterne (Nebulous Stars), d. i. wirkliche Sterne mit einem milchigen Nebel umgeben, welcher ſehr wahrſcheinlich in Beziehung zu dem Centralſterne ſteht und von dieſem abhängt. Ob der Nebel, welcher nach Lord Roſſe und Mr. Stoney bei einigen ganz ringförmig er⸗ ſcheint (Philos. Transact. for 1850, Pl. XXXVIII, fig. 15 und 16), ſelbſtleuchtend iſt und eine Photoſphäre wie bei un⸗ ſerer Sonne bildet, ob er (was wohl weniger wahrſcheinlich) von der Centralſonne bloß erleuchtet wird, darüber herrſchen — 236 — ſehr verſchiedenartige Meinungen. Derham und gewiſſermaßen auch Lacaille, welcher am Vorgebirge der guten Hoffnung viele Nebelſterne aufgefunden, glaubten, daß die Sterne weit vor den Nebeln ſtünden und ſich auf dieſe projizierten. Marian ſcheint zuerſt (1731) die Anſicht ausgeſprochen zu haben, daß die Nebelſterne von einer Lichtatmoſphäre umgeben ſeien, die 1 0 angehöre. Man „Findet ſelbſt größere Sterne (3. B. Größe, wie in Nr. 675 des Kat. von 1833), deren Photo— ſphtre einen Durchmeſſer von 2 bis 3 Minuten hat.?“ Eine Klaſſe von Nebelflecken, welche von der bisher be— ſchriebenen, ſogenannten regelmäßigen und immer wenigſtens ſchwach begrenzten gänzlich abweicht, ſind die großen Nebel— maſſen von unregelmäßiger Geſtaltung. Sie zeichnen ſich durch die verſchiedenartigſten unſymmetriſchen Formen mit unbeſtimmten Umriſſen und verwaſchenen Rändern aus. Es find rätſelhafte Naturerſcheinungen sui generis, die haupt— ſächlich zu den Meinungen von der Exiſtenz kosmiſchen Gewölkes und ſelbſtleuchtender Nebel, welche in den Himmelsräumen zerſtreut und dem Subſtra tum des Tier- kreislichtes ähnlich ſeien, Anlaß gegeben haben. Einen auffallenden Kontraſt bieten ſolche irreguläre Nebel dar, die mehrere Quadratgrade des Himmelsgewölbes bedecken, mit der kleinſten aller regulären, iſolierten und ovalen Nebelſcheiben, welche die Lichtſtärke eines teleſkopiſchen Sternes 14. Größe hat und zwiſchen dem Altar und dem Paradies⸗ vogel in der ſüdlichen Hemiſphäre liegt. Nicht zwei von den unſymmetriſchen, diffuſen Nebelmaſſen gleichen einander,?“ aber, ſetzt nach vieljähriger Beobachtung Sir John Herſchel hinzu, „was man in allen erkennt, und was ihnen einen eigentüm— lichen Charakter gibt, iſt, daß alle in oder ſehr nahe den Rändern der Milchſtraße liegen, ja als Ausläufer von ihr betrachtet werden können“. Dagegen ſind die regelmäßig geſtalteten, meiſt wohlumgrenzten, kleinen Nebelflecke teils über den ganzen Himmel zerſtreut, teils zuſammengedrängt fern von der Milch— ſtraße in eigenen Regionen, in der nördlichen Hemiſphäre in den Regionen der Jungfrau und der Fiſche. Sehr ent— fernt von dem ſichtbaren Rande der Milchſtraße (volle 15°) ul allerdings die große irreguläre Nebelmaſſe im Schwert des Orion, doch aber gehört auch ſie vielleicht der Ver— längerung des Zweiges der Milchſtraße an, welcher von « und s des Perſeus ſich gegen Aldebaran und die Hyaden zu verlieren ſcheint und deſſen wir ſchon oben (Kosmos Bd. III, — 237 — S. 130) erwähnt haben. Die ſchönſten Sterne, welche der Konſtellation des Orion ihre alte Berühmtheit gegeben, werden ohnedies zu der Zone ſehr großer und wahrſcheinlich uns naher Geſtirne gerechnet, deren verlängerte Richtung ein durch = Orionis und 4 Crucis gelegter größter Kreis in der ſüdlichen Milchſtraße bezeichnet. Eine früher weit verbreitete Meinung von einer Milch; ſtraße der Nebelflecke, welche die Milchſtraße der Sterne ungefähr rechtwinkelig ſchneide, iſt durch neuere und genauere Beobachtungen über Verbreitung der ſymmetriſchen Nebelflecke am Himmelsgewölbe keineswegs? beſtätigt worden. Es gibt allerdings, wie eben erinnert worden iſt, ſehr große Anhäufungen an dem nördlichen Pole der Milchſtraße, auch eine anſehnliche Fülle bei den Fiſchen am ſüdlichen Pole, aber eine Zone, welche dieſe beiden Pole miteinander ver— bände und durch Nebelflecke bezeichnet würde, kann der vielen Unterbrechungen wegen nicht als ein größter Zirkel aufgefunden werden. William Herſchel hatte 1784, am Schluſſe der erſten Abhandlung über den Bau des Himmels, dieſe Anſicht auch nur mit der den Zweifel nicht ausſchließenden Vorſicht entwickelt, welche eines ſolchen Forſchers würdig war. Von den unregelmäßigen oder vielmehr unſym⸗ metriſchen Nebeln ſind einige (im Schwert des Orion, bei Argus, im Schützen und im Schwan) merkwürdig durch 1 5 außerordentliche Größe, andere (Nr. 27 und 51 des Ver— zeichniſſes von Meſſier) durch ihre beſondere Geſtalt. Was den großen Nebelfleck im Schwerte des Orion betrifft, ſo iſt ſchon früher bemerkt worden, daß Galilei, der ſich ſo viel mit den Sternen zwiſchen dem Gürtel und dem Schwert des Orion beſchäftigt,?' ja eine Karte dieſer Gegend entworfen hat, nie desſelben erwähnt. Was er Nebulosa Orionis nennt und neben Nebulosa Praesepe ab: bildet, erklärt er ausdrücklich für eine Anhäufung kleiner Sterne (stellarum constipatarum) im Kopfe des Orion. In der Zeichnung, die in dem Side reus Nuncius 8 20 von dem Gürtel bis zum Anfang des rechten Schenkels ( Orionis) reicht, erkenne ich über dem Stern! den vielfachen Stern 9. Die Vergrößerungen, welche Galilei e erhoben ſich von der achtmaligen nur zur dreißigmaligen. Da der Nebel im Schwerte nicht iſoliert ſteht, ſondern in unvollkommenen Fernröhren oder trüber Luft eine Art Hof um den Stern 9. bildet, ſo möchte dem großen Florentiner Beobachter deshalb — 588 jeine individuelle Exiſtenz und feine Geſtaltung entgangen jein. Es war derſelbe ohnedies wenig zur Annahme von Nebeln geneigt. Erſt 14 Jahre nach Galileis Tode, im Jahre 1656, entdeckte Huygens den großen Orionnebel; er gab eine rohe Abbildung desſelben in dem Systema Saturnium, das 1659 erſchien. „Als ich,“ ſagt der große Mann, „durch einen Refraktor von 23 Fuß Fokallänge die veränderlichen Streifen des Jupiter, einen dunkeln Centralgürtel im Mars und einige ſchwache Phaſen des Planeten beobachtete, iſt mir in den Fixſternen eine Erſcheinung vorgekommen, welche meines Wiſſens bisher noch von niemand beobachtet worden iſt und nur durch ſolche große Fernröhren genau beobachtet werden kann, als ich anwende. Im Schwert des Orion werden von den Aſtronomen drei Sterne aufgezählt, die ſehr nahe an— einander liegen. Als ich nun zufällig im Jahre 1656 den mittleren dieſer Sterne durch mein Fernrohr betrachtete, zeigten ſich mir ſtatt eines einzelnen Sternes zwölf, was (bei Fern— röhren) allerdings nichts Seltenes iſt. Von dieſen waren (wieder) drei faſt einander berührend und andere vier leuch— teten wie durch einen Nebel, ſo daß der Raum um ſie her, geſtaltet, wie er in der beigefügten Figur gezeichnet iſt, viel heller erſchien als der übrige Himmel. Dieſer war gerade ſehr heiter und zeigte ſich ganz ſchwarz, es war daher die Erſcheinung, als gäbe es hier eine Oeffnung (hiatus), eine Unterbrechung. Alles dies ſah ich bis auf den heutigen Tag mehrmals und in derſelben Geſtalt unverändert, alſo, daß dies Wunderweſen, was es auch ſein möge, dort ſeinen Sitz wahr— ſcheinlich für immer hat. Etwas Aehnliches habe ich bei den übrigen Fixſternen nie geſehen.“ (Der 54 Jahre früher von Simon Marius beſchriebene Nebelfleck der Andromeda war ihm alſo unbekannt oder hatte ihm wenig Intereſſe erregt!) „Was man ſonſt für Nebel hielt,“ ſetzt Huygens hinzu, „ſelbſt die Milchſtraße durch Fernröhren betrachtet, zeigen nichts Nebel— artiges und ſind nichts anderes, als eine in Haufen zuſammen— gedrängte Vielzahl von Sternen.“ ?“ Die Lebhaftigkeit dieſer erſten Beſchreibung zeugt von der Friſche und Größe des Eindruckes; aber welch ein Abſtand von dieſer erſten Abbil— dung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts und den etwas weniger unvollkommenen von Picard, le Gentil und Meſſier bis zu den herrlichen Zeichnungen von Sir John Herſchel (1837) und William Cranch Bond (1848), dem Direktor der Sternwarte zu Cambridge in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. — 239 — Der erſte unter den zwei zuletzt genannten Aſtronomen hat den großen Vorzug gehabt, den Orionsnebel ſeit 1834 am Vorgebirge der guten Hoffnung in einer Höhe von 60“ und mit einem 20füßigen Reflektor zu beobachten und ſeine frühere“ Abbildung von 1824 bis 1826 noch zu vervollkommnen. In der Nähe von 3 Orionis wurde die Poſition von 150 Sternen, meiſt 15. bis 18. Größe, beſtimmt. Das berühmte Trapez, das nicht von Nebel umgeben iſt, wird von vier Sternen, 4m, 6m, 7m und Sm gebildet. Der 4. Stern ward (16662) von Dominikus Caſſini in Bologna“? entdeckt, der 5. (5) im Jahre 1826 von Struve, der 6., welcher 13. Größe iſt (2), im Jahre 1832 von Sir John Herſchel. Der Direktor der Sternwarte des Collegio Romano, de Vico, hat angekün— digt, im Anfange des Jahres 1839 durch ſeinen großen Re— fraktor von Cochoix innerhalb des Trapezes ſelbſt noch drei andere Sterne aufgefunden zu haben. Sie ſind von Herſchel dem Sohne und von William Bond nicht geſehen worden. Der Teil des Nebels, welcher dem faſt unnebligen Trapez am nächſten liegt und gleichſam den vorderen Teil des Kopfes, über dem Rachen, die Regio Huygeniana, bildet, iſt fleckig, von körniger Textur und durch das Rieſenteleſkop des Carl of Roſſe wie in dem großen Refraktor von Cambridge in den Ver— einigten Staaten von Nordamerika in Sternhaufen aufgelöſt.““ Unter den genauen neuen Beobachtern haben auch Lamont in München, Cooper und Laſſel in England viele Poſitionen kleiner Sterne beſtimmt; der erſte hat eine 1200malige Ber: größerung angewandt. Von Veränderungen in dem relativen Glanze und den Umriſſen des großen Orionsnebels glaubte Sir William Herſchel ſich durch Vergleichung ſeiner eigenen, mit denſelben Inſtrumenten angeſtellten Beobachtungen von 1783 bis 1811 überzeugt zu haben. Bouillaud und le Gentil hatten eben dies vom Nebel der Andromeda behauptet. Die gründlichen Unterſuchungen von Herſchel dem Sohne machen dieſe für erwieſen gehaltenen kosmiſchen Veränderungen auf das wenigſte überaus zweifelhaft. Großer Nebelfleck um g Argus. — Es liegt der: ſelbe in der durch ihren prachtvollen Lichtglanz ſo ausgezeich— neten Region der Milchſtraße, welche ſich von den Füßen des Centauren durch das ſüdliche Kreuz nach dem mittleren Teile des Schiffes hinzieht. Das Licht, welches dieſe Region aus— gießt, iſt jo außerordentlich, daß ein genauer, in der Tropen- welt von Indien heimiſcher Beobachter, der Kapitän Jacob, ae Fr ganz mit meiner vierjährigen Erfahrung übereinſtimmend, be: merkt, man werde, ohne die Augen auf den Himmel zu richten, durch eine plötzliche Zunahme der Erleuchtung an den Aufgang des Kreuzes und der dasſelbe begleitenden Zone erinnert.“ Der Nebelfleck, in deſſen Mitte der durch feine In— tenſitätsveränderungen jo berühmt gewordene Stern Argus liegt, bedeckt über / eines Quadratgrades der Himmelsdecke. Der Nebel ſelbſt, in viele unförmliche Maſſen verteilt, die in ungleicher Lichtſtärke ſind, zeigt nirgends das geſprenkelte, körnige Anſehen, welches die Auflöſung ahnen läßt. Er umſchließt ein ſonderbar geformtes, leeres, mit einem ſehr ſchwachen Lichtſchein bedecktes, ausgeſchweiftes Lemniskat-Oval. Eine ſchöne Abbildung der ganzen Erſcheinung, die Frucht von zweimonatlichen Meſſungen, findet ſich in den Kapbeob— achtungen von Sir John Herſchel. Dieſer hat in dem Nebel— fleck von n Argus nicht weniger als 1216 Poſitionen von Sternen, meiſt 14” bis 16”, beſtimmt. Die Reihenfolge derſelben erſtreckt ſich noch weit außerhalb des Nebels in die Milchſtraße hinein, wo ſie ſich auf den ſchwärzeſten Himmels— grund projizieren und von ihm abheben. Sie ſtehen daher wohl in keiner Beziehung zu dem Nebel ſelbſt und liegen wahrſcheinlich weit vor ihm. Die ganze benachbarte Gegend der Milchſtraße iſt übrigens ſo reich an Sternen (nicht Stern— haufen), daß zwiſchen RA. 9 50° und 11" 34“ durch den teleſkopiſchen Eichprozeß (star-gauges) für einen jeden mitt— leren Quadratgrad 3138 Sterne gefunden worden ſind. Dieſe Sternmenge ſteigt ſogar bis 5093 in den Eichungen (sweeps) für RA. 114 24“; das find für einen Quadratzoll Himmels— gewölbe mehr Sterne als dem unbewaffneten Auge am Hori— zont von Paris oder Alexandrien Sterne 1. bis 6. Größe ſichtbar werden. Der Nebelfleck im Schützen. — Er iſt von beträdht- licher Größe, wie aus vier einzelnen Maſſen zuſammengeſetzt (RA. 17 53“, N. P. D. 114° 21°), deren eine wiederum dreiteilig iſt. Alle ſind durch nebelfreie Stellen unter— brochen, und das Ganze war ſchon von Meſſier unvollkommen geſehen. Die Nebelflecke im Schwan. — Mehrere irreguläre Maſſen, von denen eine einen ſehr ſchmalen, geteilten Strang bildet, welcher durch den Doppelſtern Cygni geht. Den Zuſammenhang der ſo ungleichen Nebelmaſſen durch ein ſonder— bares zellenartiges Gewebe hat zuerſt Maſon erkannt.“ e 7 * d — 241 — Der Nebelfleck im Fuchſe — von Meſſier unvoll— kommen geſehen, Nr. 27 ſeines Verzeichniſſes; aufgefunden bei der Gelegenheit der Beobachtung des Bodeſchen Kometen von 1779. Die genaue Beſtimmung der Poſition (RA. 19° 52“, N. P. D. 67“ 43“) und die erſte Abbildung find von Sir John Herſchel. Es erhielt der Nebelfleck, der eine nicht unregelmäßige Geſtalt hat, zuerſt den Namen Dumb: bell, bei Anwendung eines Reflektors mit 18zölliger Oeffnung (Philos. Transact. for 1833, Nr. 2060, fig. 26; Outlines 8881). Die Aehnlichkeit mit den Dumb-bells (eifernen, bleigefüllten, lederüberzogenen Kolben, zu beiden Seiten kugelförmig endi— gend, deren man ſich in England zur Stärkung der Muskeln gymnaſtiſch bedient) iſt in einem Reflektor von Lord Roſſe?“ mit Sfüßiger Oeffnung verſchwunden (f. deſſen wichtige neueſte Abbildung, Philos. Transact. for 1850, Pl. XXXVIII, fig. 17). Die Auflöſung in zahlreiche Sterne gelang eben— falls, aber die Sterne blieben mit Nebel gemiſcht. Der Spiral-Nebelfleck im nördl. Jagd hunde. Er wurde von Meſſier aufgefunden am 13. Oktober 1773 (bei Gelegenheit des von ihm entdeckten Kometen) am linken Ohre des Aſterion, ſehr nahe bei + (Benetnaſch) am Schwanz des großen Bären (Nr. 51 Meſſier und Nr. 1622 des großen Verzeichniſſes in den Philos. Transact. 1833, p. 496, fig. 25); eine der merkwürdigſten Erſcheinungen am Firma— mente, ſowohl wegen der wunderſamen Geſtaltung des Nebels, als wegen der unerwarteten formumwandelnden Wirkung, welche der 6füßige Spiegel des Lord Roſſe auf ihn ausgeübt hat. In dem 18zölligen Spiegelteleſkop von Sir John Herſchel zeigte ſich der Nebelfleck kugelrund, von einem weit abſtehenden Ringe umgeben, ſo daß er gleichſam ein Bild unſerer Stern— ſchicht und ihres Milchſtraßenringes darſtellte. Das große Teleſkop von Parſonstown verwandelte aber im Frühjahr 1845 das Ganze in ein ſchneckenartig gewundenes Tau, in eine leuchtende Spira, deren Windungen uneben erſcheinen und an beiden Extremen, im Centrum und auswärts, in dichte, körnige, kugelrunde Knoten auslaufen. Dr. Nichol hat eine Abbildung dieſes Gegenſtandes (dieſelbe, welche Lord Roſſe der Gelehrtenverſammlung in Cambridge 1845 vorlegte) bekannt gemacht.“ Die vollkommenſte iſt aber die von Mr. Johnſtone Stoney, Philos. Transact. 1850, Part. 1, Pl. XXV, fig. 1. Ganz ähnliche Spiral form haben Nr. 99 Meſſier, mit einem einzigen Centralnucleus, und andere nördliche Nebel. A. v. Humboldt, Kosmos. III. 16 — 242 — Es bleibt noch übrig, ausführlicher, als es in dem all— gemeinen Naturgemälde hat geſchehen können, von einem Gegenſtande zu reden, welcher in der Welt der Geſtaltungen, die das geſamte Firmament darbietet, einzig iſt, ja, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, die landſchaftliche Anmut der ſüd— lichen Himmelsgefilde erhöht. Die beiden Magelhaensſchen Wolken, welche wahrſcheinlich zuerſt von portugieſiſchen, dann von holländiſchen und däniſchen Piloten Kapwolken ge— nannt wurden,“ feſſeln, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, durch ihren Lichtglanz, ihre ſie individualiſierende Iſoliertheit, ihr gemeinſames Kreiſen um den Südpol, doch in ungleichen Abſtänden, auf das lebhafteſte die Aufmerkſamkeit des Rei— ſenden. Daß diejenige Benennung, welche ſich auf Magelhaens Weltumſegelung bezieht, nicht die ältere ſei, wird durch die ausdrückliche Erwähnung und Beſchreibung der kreiſenden Licht— wolken von dem Florentiner Andrea Corſali in der Reiſe nach Cochin und von dem Sekretär Ferdinands des Katholiſchen, Petrus Martyr de Anghiera, in ſeinem Werke De rebus Oceanieis et Orbe novo (Dee. I, lib. IX, p. 96) wider⸗ legt. Die hier bezeichneten Angaben ſind beide vom Jahr 1515, während Pigafetta, der Begleiter Magelhaens, in ſeinem Reiſe— journale der nebbiette nicht eher als im Jahre 1521 ge: denkt, wo das Schiff Viktoria aus der Patagoniſchen Meerenge in die Südſee gelangte. Der ſehr alte Name Kapwolken iſt übrigens nicht durch die Nähe der noch ſüdlicheren Kon— ſtellation des Tafelberges entſtanden, da letztere erſt von Lacaille eingeführt worden iſt. Die Benennung könnte eher eine Beziehung haben auf den wirklichen Tafelberg und auf die lange von den Seeleuten gefürchtete ſturmverkün⸗ dende Erſcheinung einer kleinen Wolke auf ſeinem Gipfel. Wir werden bald ſehen, daß die beiden Nubeculae, in der ſüdlichen Hemiſphäre lange bemerkt, aber namenlos geblieben, mit Ausdehnung der Schiffahrt und zunehmender Belebtheit gewiſſer Handelsſtraßen Benennungen erhielten, welche durch dieſe Handelsſtraßen ſelbſt veranlaßt wurden. Die frequente Beſchiffung des Indiſchen Meeres, welches das öſtliche Afrika beſpült, hat am früheſten, beſonders ſeit der Zeit der Lagiden und der Monſunfahrten, Seefahrer mit den dem antarktiſchen Pole nahen Geſtirnen bekannt gemacht. Bei den Arabern findet man, wie bereits oben erwähnt worden iſt, ſchon in der Mitte des 10. Jahrhunderts einen Namen für die größere der Magelhaensſchen Wolken. Sie iſt, — 243 — wie Ideler aufgefunden, identiſch mit dem (weißen) Ochſen, el-bakar, des berühmten Aſtronomen Derwiſch Abdurrahman Sufi aus Rai, einer Stadt des perſiſchen Irak. Es ſagt der— ſelbe in der Anleitung zur Kenntnis des geſtirnten Himmels, die er am Hofe der Sultane aus der Dynaftie der Buyiden anfertigte: „Unter den Füßen des Suhel les iſt hier ausdrücklich der Suhel des Ptolemäus, alſo Ca— nopus, gemeint, wenngleich die arabiſchen Aſtronomen auch mehrere andere große Sterne des Schiffes, el-sefina, Suhel nannten) ſteht ein weißer Fleck, den man weder in Irak (in der Gegend von Bagdad) noch im Nedſchd (Nedjed), dem nördlicheren und gebirgigeren Arabien, ſieht, wohl aber in der ſüdlichen Tehama zwiſchen Mekka und der Spitze von Yemen, längs der Küſte des Roten Meeres.“ Die relative Poſition des Weißen Ochſen zum Canopus iſt hier für das un— bewaffnete Auge genau genug angegeben; denn die Rekt— aſzenſion von Canopus iſt 6 20“, und der öſtliche Rand der Großen Magelhaensſchen Wolke hat die Rektaſzenſion 6 07, Die Sichtbarkeit der Nubecula major in nördlichen Breiten hat durch die Präzeſſion ſeit dem 10. Jahrhundert ſich nicht erheblich ändern können, indem dieſelbe in den nächſtverfloſſenen Jahrtauſenden das Maximum ihrer Entfernung vom Norden erreichte. Wenn man die neue Ortsbeſtimmung der großen Wolke von Sir John Herſchel annimmt, ſo findet man, daß zur Zeit von Abdurrhaman Sufi der Gegenſtand bis 17“ nörd— licher Breite vollſtändig ſichtbar war; gegenwärtig iſt er es ungefähr bis 18“. Die ſüdlichen Wolken konnten alſo ge: ſehen werden im ganzen ſüdweſtlichen Arabien, in dem Weih— rauchlande von Hadhramaut, wie in Yemen, dem alten Kultur: ſitze von Saba und der früh eingewanderten Joktaniden. Die ſüdlichſte Spitze von Arabien, bei Aden, an der Straße von Bab⸗el⸗Mandeb, hat 12° 45“, Loheia erſt 15“ 44“ nördlicher Breite. Die Entſtehung vieler arabiſcher Anſiedelungen an der Oſtküſte von Afrika zwiſchen den Wendekreiſen, nördlich und ſüdlich vom Aequator, trug natürlich auch zur ſpezielleren Kenntnis der ſüdlichen Geſtirne bei. Gebildetere europäiſche (vor allen katalaniſche und por— tugieſiſche) Piloten beſuchten zuerſt die Weſtküſte Afrikas jenſeits der Linie. Unbezweifelte Dokumente: die Weltkarte von Marino Sanuto Torſello aus dem Jahre 1306, das genueſiſche Portulano Mediceo (1351), das Planisferio de la Palatina (1417) und das Mappamondo di Fra — 244 — Mauro Camaldolese (zwijchen 1457 und 1459) beweiſen, wie ſchon 178 Jahre vor der ſogenannten erſten Entdeckung des Cabo tormentoso (Vorgebirge der guten Hoffnung), durch Bartholomäus Diaz im Monat Mai 1487, die triangulare Konfiguration der Südextremität des afrikaniſchen Kontinentes bekannt war.“» Die mit Gamas Expedition ſchnell zuneh— mende Wichtigkeit eines ſolchen Handelsweges iſt wegen des gemeinſamen Zieles aller weſtafrikaniſchen Reiſen die Veran— laſſung geweſen, daß den beiden ſüdlichen Nebelwolken die Benennung Kapwolken von den Piloten, als ſonderbarer, auf Kapreiſen geſehener Himmelserſcheinungen, beigelegt wurde. An der Oſtküſte von Amerika haben die fortgeſetzten Be— ſtrebungen, bis jenſeits des Aequators, ja bis an die Süd— ſpitze des Kontinentes vorzudringen, von der Expedition des Alonſo de Hojeda, welchen Amerigo Veſpucci begleitete (1499), bis zu der Expedition von Magelhaens mit Sebaſtian del Cano (1521) und von Garcia de Loayja?! mit Francisco de Hoces (1525), die Aufmerkſamkeit der Seefahrer ununterbrochen auf die ſüdlichen Geſtirne gerichtet. Nach den Tagebüchern, die wir beſitzen, und nach den hiſtoriſchen Zeugniſſen von Anghiera iſt dies vorzugsweiſe geſchehen bei der Reiſe von Amerigo Veſpucci und Vincente Yanez Pinzon, auf welcher das Vor— gebirge San Auguſtin (8° 20° ſüdl. Br.) entdeckt wurde. Veſpucci rühmt ſich, drei Canopen (einen dunklen, Canopo fosco, und zwei Canopi risplendenti) geſehen zu haben. Nach einem Verſuche, welchen Ideler, der ſcharfſinnige Verfaſſer der Werke über die Sternnamen und die Chronologie gemacht hat, Veſpuccis ſehr verworrene Beſchreibung des ſüd— lichen Himmels in dem Briefe an Lorenzo Pierfrancesco de' Medici, von der Partei der Popolani, zu erläutern, ge— brauchte jener das Wort Canopus auf eine ebenſo unbeſtimmte Weiſe, als die arabiſchen Aſtronomen das Wort Suhel. Ideler erweiſt, „der Canopo fosco nella via lattea jet nichts anderes als der ſchwarze Flecken oder große Kohlenſack im ſüdlichen Kreuze geweſen, und die Poſition von drei Sternen, in denen man , 8 und 7 der kleinen Waſſerſchlange (Hydrus) zu erkennen glaubt, mache es höchſt wahrſcheinlich, daß der Canopo risplendente di notabile grandezza (von beträchtlichem Umfange) die Nubecula major, wie der zweite risplendente die Nubecula minor ſei“. Es bleibt immer ſehr auffallend, daß Veſpucci dieſe am Firmament neu geſehe— — 245 — nen Gegenſtände nicht, wie alle anderen Beobachter beim erſten Anblicke gethan, mit Wolken verglichen habe. Man ſollte glauben, eine ſolche Vergleichung biete ſich unwider— ſtehlich dar. Petrus Martyr Anghiera, der mit allen Ent— deckern perſönlich bekannt war und deſſen Briefe unter dem lebendigen Eindrucke ihrer Erzählungen geſchrieben ſind, ſchil— dert unverkennbar den milden, aber ungleichen Lichtglanz der Nubeculae. Er jagt: „Assecuti sunt Portugallenses alte- rius poli gradum quinquagesimum amplius, ubi punctum (polum?) circumeuntes quasdam nubeculas licet intueri, veluti in lactea via sparsos fulgores per universi coeli globum intra ejus spatii latitudinem.““? Der glänzende Ruf und die lange Dauer der Magelhaensſchen Weltumſegelung (vom Auguſt 1519 bis September 1522), der lange Aufent— halt einer zahlreichen Mannſchaft unter dem ſüdlichen Himmel verdunkelte die Erinnerung an alles früher Beobachtete und der Name Magelhaensſcher Wolken verbreitete ſich unter den ſchiffahrenden Nationen des Mittelmeeres. Wir haben hier in einem einzelnen Beiſpiele gezeigt, wie die Erweiterung des geographiſchen Horizontes gegen Süden der beſchauenden Aſtronomie ein neues Feld geöffnet hat. Den Piloten boten ſich unter dem neuen Himmel beſonders vier Gegenſtände der Neugier dar: das Aufſuchen eines ſüd— lichen Polarſternes, die Geſtalt des ſüdlichen Kreuzes, das ſenkrechte Stellung hat, wenn es durch den Meridian des Beobachtungsortes geht, die Kohlenſäcke und die kreiſenden Lichtwolken. Wir lernen aus der in viele Sprachen überſetzten Anweiſung zur Schiffahrt (Arte de Navegar, lib. V, cap. 11) von Pedro de Medina, zuerſt heraus— gegeben 1545, daß ſchon in der erſten Hälfte des 16. Jahr: hunderts Meridianhöhen des Cruzero zu Beſtimmung der Breite angewandt wurden. Auf das bloße Beſchauen folgte alſo ſchnell das Meſſen. Die erſte Arbeit über Stern— poſitionen nahe am antarktiſchen Pole wurde durch Abſtände von bekannten Tychoniſchen Sternen der Rudolfiniſchen Ta— feln erlangt; ſie gehört, wie ich ſchon früher bemerkt habe, dem Petrus Theodori aus Emden und dem Friedrich Houtman aus Holland, welcher um das Jahr 1594 in den irdiſchen Meeren ſchiffte, an. Die Reſultate ihrer Meſſungen wurden bald in die Sternkataloge und Himmelsgloben von Blaeuw (1601), Bayer (1603) und Paul Merula (1605) aufge— nommen. Das ſind die ſchwachen Anfänge zur Ergründung der Topographie des ſüdlichen Himmels vor Halley (1677), vor den verdienſtvollen aſtronomiſchen Beſtrebungen der Je— ſuiten Jean de Fontaney, Richaud und Noel. Es bezeichnen in innigem Zuſammenhange die Geſchichte der Aſtronomie und die Geſchichte der Erdkunde jene denkwürdigen Epochen, in denen (kaum erſt ſeit drittehalbhundert Jahren) das kosmiſche Bild des Firmamentes wie das Bild von den Umriſſen der Kontinente vervollſtändigt werden konnten. Die Magelhaensſchen Wolken, von welchen die größere. 42, die kleine 10 Quadratgrade des Himmels— gewölbes bedeckt, laſſen dem bloßen Auge allerdings auf den erſten Anblick denſelben Eindruck, welchen zwei glänzende Teile der Milchſtraße von gleicher Größe machen würden, wenn ſie iſoliert ſtünden. Bei hellem Mondſchein verſchwindet indes die kleine Wolke gänzlich, die große verliert nur be— trächtlich von ihrem Lichte. Die Abbildung, welche Sir John Herſchel gegeben hat, iſt vortrefflich und ſtimmt genau mit meinen lebhafteſten peruaniſchen Erinnerungen überein. Der angeſtrengten Arbeit dieſes Beobachters im Jahre 1837 am Vorgebirge der guten Hoffnung verdankt!“ die Aſtronomie die erſte genaue Analyſe eines ſo wunderbaren Aggregates der verſchiedenartigſten Elemente. Er fand einzelne zerſtreute Sterne in großer Zahl, Sternſchwärme und kugelförmige Sternhaufen, ovale reguläre und irreguläre Nebelflecke, mehr zuſammengedrängt als in der Nebelzone der Jungfrau und des Haupthaares der Berenice. Die Nubeculae ſind alſo eben wegen dieſes komplizierten Aggregatzuſtandes weder (wie nur zu oft geſchehen) als außerordentlich große Nebel— flecke noch als ſogenannte abgeſonderte Teile der Milchſtraße zu betrachten. In dieſer gehören runde Sternhaufen und beſonders ovale Nebelflecke, zu den ſelteneren Erſcheinungen, eine kleine Zone abgerechnet, welche zwiſchen dem Altar und dem Schwanz des Skorpions liegt. Die Magelhaensſchen Wolken hängen weder untereinander noch mit der Milchſtraße durch einen erkennbaren Nebelduft zuſammen. Die kleine liegt, außer der Nähe des Stern— haufens im Toucan, in einer Art von Sternwüſte, die große in einem minder öden Himmelsraume. Der letzteren Bau und innere Geſtaltung iſt ſo verwickelt, daß in derſelben Maſſen (wie Nr. 2878 des Herſchelſchen Verzeichniſſes) ge— funden werden, welche den Aggregatzuſtand und das Bild der ganzen Wolke genau wiederholen. Des verdienſtvollen — 247 — Horners Vermutung, als ſeien die Wolken einſt Teile der Milchſtraße geweſen, in der man gleichſam ihre vormaligen Stellen erkenne, iſt eine Mythe, und ebenſo unbegründet als die Behauptung, daß in ihnen ſeit Lacailles Zeiten eine Fort— bewegung, eine Veränderung der Poſition zu bemerken ſei. Dieſe Poſition iſt wegen Unbeſtimmtheit der Ränder in Fern: röhren von kleinerer Oeffnung früher unrichtig angegeben wor— den; ja Sir John Herſchel erwähnt, daß auf allen Himmels— globen und Sternkarten die kleine Wolke faſt um eine Stunde in Rektaſzenſion falſch eingetragen wird. Nach ihm liegt Nubecula minor zwiſchen den Meridianen von 0 28° und 1 15“, N. P. D. 162° und 165°, Nubecula major RA. 4h 40° bis 6b 0° und N. P. D. 156° bis 162%. Von Sternen, Nebelflecken und Clusters hat er in den letzteren nicht weniger als 919, in den erſten 244 nach Geradaufſteigung und Ab— weichung verzeichnet. Um die drei Klaſſen von Gegenſtänden zu trennen, habe ich in dem Verzeichnis gezählt: in Nub. major 582 Sterne, 291 Nebelflecke, 46 Sternhaufen in Nub. minor 200 „ 37 5 7 7 Die geringere Zahl der Nebel in der kleinen Wolke iſt auf— fallend. Das Verhältnis derſelben zu den Nebeln der großen Wolke iſt wie 1:8, während das Verhältnis der iſolierten Sterne ſich ungefähr wie 1: 3 ergibt. Dieſe verzeichneten Sterne, faſt 800 an der Zahl, ſind meiſtenteils 7. und 8. Größe, einige 9. bis 10. Mitten in der großen Wolke liegt ein ſchon von Lacaille erwähnter Nebelfleck, 30 Doradüs Bode (Nr. 2491 von John Herſchel), von einer Geſtalt, welcher keine andere am Himmel gleichkommen ſoll. Es nimmt dieſer Nebelfleck kaum "soo der Area der ganzen Wolke ein, und doch hat Sir John Herſchel die Poſition von 105 Sternen 14. bis 16. Größe in dieſem Raume beſtimmt, Sternen, die ſich auf den ganz unaufgelöſten, gleichförmig ſchimmernden, nicht ſcheckigen Nebel projizieren. Den eee Lichtwolken gegenüber kreiſen um den Südpol in größerem Abſtande die ſchwarzen Flecken, welche früh, am Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahr— hunderts, die Aufmerkſamkeit portugieſiſcher und ſpaniſcher Piloten auf ſich gezogen haben. Sie ſind wahrſcheinlich, wie ſchon geſagt, unter den drei Canopen, deren Amerigo Veſpucci in ſeiner dritten Reiſe erwähnt, der Canopo fosco. Die erſte ſichere Andeutung der Flecken finde ich in der erſten Dekade von Anghieras Werke De rebus Oceanieis (Dee. I, lib. IX, ed. 1533, p. 20, b). „Interrogati a me nautae qui Vicentium Agnem Pinzonum fuerant comitati (1499), an antareticum viderint polum, stellam se nullam huie arcticae similem, quae discerni eirca punctum (polum?) possit, cognovisse inquiunt. Stellarum tamen aliam, ajunt, se prospexisse, faciem densamque quandam ab horizonte vaporosam caliginem, quae oculos fere obtenebraret.“ Das Wort stella wird hier wie ein himmliſches Gebilde genommen, und die Erzählenden mögen ſich freilich wohl nicht ſehr deutlich über eine caligo, welche die Augen verfinſtert, ausgedrückt haben. Befriedigender ſpricht Pater Joſeph Acoſta aus Medina del Campo über die ſchwarzen Flecken und die Urſache dieſer Erſcheinung. Er vergleicht ſie in ſeiner Historia natural de las Indias (lib. I, cap. 2) in Hinſicht auf Farbe und Geſtalt mit dem verfinſterten Teile der Mond— ſcheibe. „So wie die Milchſtraße,“ ſagt er, „glänzender iſt, weil ſie aus dichterer Himmelsmaterie beſteht und deshalb mehr Licht ausſtrahlt, ſo ſind die ſchwarzen Flecken, die man in Europa nicht ſieht, ganz ohne Licht, weil ſie eine Region des Himmels bilden, welche leer, d. h. aus ſehr un— dichter und durchſichtiger Materie zuſammengeſetzt iſt.“ Wenn ein berühmter Aſtronom in dieſer Beſchreibung die Sonnen— flecken erkannt hat, ſo iſt dies nicht minder ſonderbar, als daß der Miſſionar Richaud (1689) Acoſtas manchas negras für die Magelhaensſchen Lichtwolken hält. Richaud ſpricht übrigens, wie die älteſten Piloten, von Kohlenſäcken im Plural; er nennt deren zwei: den großen im Kreuz und einen anderen in der Karlseiche; der letztere wird in anderen Beſchreibungen gar wieder in zwei von— einander getrennte Flecken geteilt. Dieſe beſchreiben Feuillee, in den erſten Jahren des 18. Jahrhunderts, und Horner (in einem Briefe von 1804, aus Braſilien an Olbers gerichtet) als unbeſtimmter und an den Rändern verwaſchen. Ich habe während meines Aufenthaltes in Peru von den Coal-bags der Karlseiche nie etwas Befriedigendes auffinden können, und da ich geneigt war, es der zu tiefen Stellung der Kon— ſtellation zuzuſchreiben, ſo wandte ich mich um Belehrung an Sir John Herſchel und den Direktor der Hamburger Sternwarte, Herrn Rümker, welche in viel ſüdlicheren Breiten als ich geweſen ſind. Beide haben, trotz ihrer Bemühung, ebenfalls nichts aufgefunden, was in Beſtimmtheit der Um— — 249 — riſſe und Tiefe der Schwärze mit dem Coal-sack im Kreuze verglichen werden könnte. Sir John glaubt, daß man nicht von einer Mehrheit von Kohlenſäcken reden müſſe, wenn man nicht jede, auch nicht umgrenzte dunklere Himmelsſtelle (wie zwiſchen „ Centauri und 8 und 7 Trianguli, zwiſchen und 9 Argüs, und beſonders am nördlichen Himmel den leeren Raum in der Milchſtraße zwiſchen s, „ und + Cygni dafür wolle gelten laſſen. Der dem unbewaffneten Auge auffallendſte und am längſten bekannte ſchwarze Flecken des ſüdlichen Kreuzes liegt zur öſtlichen Seite dieſer 1 und hat eine birnförmige Geſtalt, bei 8° Länge und 5° Breite. In dieſem großen Raume befinden ſich ein later Stern 6. bis 7. Größe, dazu eine große Menge teleſkopiſcher Sterne 11. bis 18. Größe. Eine kleine Gruppe von 40 Sternen liegt ziemlich in der Mitte. Sternleerheit und Kontraſt neben dem prachtvollen Lichtglanze umher werden als Ur— ſachen der merkwürdigen Schwärze dieſes Raumes angegeben. Dieſe letztere Meinung hat ſich ſeit La Caille ** allgemein erhalten. Sie iſt vorzüglich durch die Sterneichungen (gauges and sweeps) um den Raum, wo die Milchſtraße wie von einem ſchwarzen Gewölk bedeckt erſcheint, bekräftigt. In dem coal-bag gaben die Eichungen (in gleicher Größe des Ge: N fichtsfeldes) 7 bis 9 teleſkopiſche Sterne (nie völlige Leerheit, blank fields), wenn an den Rändern 120 bis 200 Sterne gezählt wurden. Solange ich in der ſüdlichen Tropengegend war, unter dem ſinnlichen Eindruck der Himmelsdecke, die mich ſo lebhaft beſchäftigte, ſchien mir, wohl mit Unrecht, die Erklärung durch den Kontraſt nicht befriedigend. William Herſchels Betrachtungen über ganz ſternleere Räume im Skor— pion und im Schlangenträger, die er Oeffnungen in dem Himmel (Openings in the heavens) nennt, leiteten mich auf die Idee, daß in ſolchen Regionen die hintereinander liegenden Sternſchichten dünner oder gar unterbrochen ſeien, daß unſere optiſchen Inſtrumente die letzten Schichten nicht erreichen, „daß wir wie durch Röhren in den fernſten Welt— raum blicken“. Ich habe dieſer Oeffnungen ſchon an einem Orte gedacht und die Wirkungen der Perſpektive auf ſolche Unterbrechungen in den Sternſchichten ſind neuerlichſt wieder ein Gegenſtand ernſter Betrachtung geworden.““ Die äußerſten und fernſten Schichten ſelbſtleuchtender Weltkörper, der Abſtand der Nebelflecke, alles, was wir in — 250 — dem letzten der ſieben ſideriſchen oder aſtrognoſtiſchen Abſchnitte dieſes Werkes zuſammengedrängt haben, erfüllen die Einbil— dungskraft und den ahnenden Sinn des Menſchen mit Bildern von Zeit und Raum, welche ſeine Faſſungskraft überſteigen. So bewundernswürdig die Vervollkommnungen der optiſchen Werkzeuge ſeit kaum ſechzig Jahren geweſen ſind, ſo iſt man doch zugleich mit den Schwierigkeiten ihrer Konſtruktion genug vertraut geworden, um ſich über die ungemeſſenen Fortſchritte dieſer Vervollkommnung nicht ſo kühnen, ja ausſchweifenden Erwartungen hinzugeben, als die waren, welche den geiſt— reichen Hooke in den Jahren 1663 bis 1665 ernſthaft be— ſchäftigten. Mäßigung in den Erwartungen wird auch hier ſicherer zum Ziele führen. Jedes der aufeinander folgenden Menſchengeſchlechter hat ſich des Größten und Erhabenſten zu erfreuen gehabt, was es auf der Stufe, zu welcher die Kunſt ſich erhoben, als die Frucht freier Intelligenz erringen konnte. Ohne in beſtimmten Zahlen auszuſprechen, wie weit die den Weltraum durchdringende teleſkopiſche Kraft bereits reiche, ohne dieſen Zahlen viel Glauben zu ſchenken, mahnt uns doch ſchon die Kenntnis von der Geſchwindigkeit des Lichtes, daß das Aufglimmen des fernſten Geſtirnes, der lichterzeu— gende Prozeß auf feiner Oberfläche „das älteſte ſinnliche Zeugnis von der Exiſtenz der Materie iſt“. F Anmerkungen. (S. 220.) Die Zahl der Nebelfleden iſt unermeßlich groß. John Herſchel verzeichnete 1864 ihrer 5079; ſeither ſind in Rom und mit dem großen Teleſkop von 0,90 m Oeffnung in Marſeille zahlreiche Nebelflecken entdeckt worden, und ihre Zahl wird ver— mutlich mit den Dimenſionen der Inſtrumente noch mehr zunehmen. [D. Herausg.] (S. 222.) Vor der Expedition von Alvaro Becerra. Die Portugieſen drangen 1471 bis ſüdlich vom Aequator vor. Aber auch in Oſtafrika wurde unter den Lagiden der Handelsweg durch den Indiſchen Ozean, begünſtigt durch den Südweſtmonſun (Hip— palus), von Ocelis an der Straße Bab-el-Mandeb nach dem mala— bariſchen Stapelplatze Muziris und Ceylon benutzt. Auf allen hier genannten Seefahrten waren die Magelhaensſchen Wolken geſehen, aber nicht beſchrieben worden. (S. 223.) Galilei, welcher den Unterſchied der Entdeckungs— tage (29. Dezember 1609 und 7. Januar 1610) dem Kalender: unterſchied zuzuſchreiben ſucht, behauptet deshalb, die Jupiters— ſatelliten einen Tag früher als Marius geſehen zu haben; er geht in feinem Zorne gegen die „bugia del impostore eretico Guntzen- husano“ jo weit zu erklären: „Che molto probabilmente il Eretico Simon Mario non ha osservato giammai i Pianeti Medicei.“ Sehr friedſam und beſcheiden hatte ſich doch der Eretico ſelbſt über das Maß ſeines Verdienſtes in der Entdeckung ausgedrückt. „Ich behaupte bloß,“ ſagt Simon Marius in der Vorrede zum Mundus Jovialis: „haec sidera (Brandenburgica) a nullo mortalium mihi ulla ratione commonstrata, sed propria inda- gine sub ipsissimum fere tempus, vel aliquanto citius quo Galilaeus in Italia ea primum vidit, a me in Germania ad- inventa et observata fuisse. Merito igitur Galilaeo tribuitur et manet laus primae inventionis horum siderum apud Italos. An autem inter meos Germanos quispiam ante me ea invenerit et viderit, hactenus intelligere non potui.“ (S. 224.) „Galilei notö che le Nebulose di Orione null’ altro erano che mucchi e coacervazioni d'innumerabili Stelle.“ Nelli, Vita di Galilei Vol. I, p. 208. (S. 224.) „In primo integram Orionis Constellationem bingere decreveram; vero, ab ingenti stellarum copia, tem- poris vero inopia obrutus, aggressionem hanc in aliam oc- casionem distuli. — Cum non tantum in Galaxia lacteus ille candor veluti albicantis nubis spectetur, sed complures con- similis coloris areolae sparsim per aethera subfulgeant, si in illarum quamlibet Specillum convertas, Stellarum constipa- tarum coetum offendes. Amplius (quod magis mirabile) Stellae, ab Astronomis singulis in hanc usque diem Nebulosae appel- latae, Stellarum mirum in modum consitarum greges sunt: ex quarum radiorum commixtione, dum unaquaque ob exili- tatem, seu maximam a nobis remotionem, oculorum aciem fugit, candor ille consurgit, qui densior pars caeli, Stellarum aut Solis radios retorquere valens, hucusque creditus est.“ Opere di Galileo Galilei, Padova 1744, T. II, p. 14 bis 15. (S. 224.) Ich erinnere auch an die Vignette, welche die Einleitung von Hevelii Firmamentum Sobescianum 1687 beſchließt und auf der man drei Genien ſieht, von welchen zwei am Hevelſchen Sextanten beobachten. Dem dritten Genius, der ein Fernrohr zuträgt und es anzubieten ſcheint, antworten die Beobachtenden: Praestat nudo oculo! (S. 225.) „Dans les deux nebuleuses d’Andromede et A’Orion,“ jagt Dominikus Caſſini, „j'ai vu des étoiles qu'on n'aperçoit pas avec des lunettes communes. Nous ne savons pas si on ne pourroit pas avoir des lunettes assez grandes pour que toute la nebulosite püt se resoudre en de plus pe- tites étoiles, comme il arrive a celles du Cancer et du Sa— gittaire.“ (S. 225.) Ueber Ideengemeinſchaft und Ideenverſchiedenheit von Lambert und Kant wie über die Zeiten ihrer Publikationen ſ. Struve, Etudes d' Astr. stellaire p. 11, 13 und 21; notes 7, 15 und 33. Kants „Allgemeine Naturgeſchichte und Theorie des Himmels“ erſchien anonym und dem großen König zugeeignet 1755; Lamberts „Photometria“, wie ſchon oben bemerkt worden iſt, 1760, ſeine „Sammlung kosmologiſcher Briefe über die Ein— richtung des Weltbaues“ 1761. (S. 226.) „Those Nebulae,“ ſagt John Michell 1767, „in which we can discover either none, or only a few stars even with the assistance of the best telescopes, are probably systems, that are still more distant than the rest.“ 0 (S. 226.) Das ganze Verzeichnis enthält 103 Objekte. 11 (S. 226.) „The nebular hypothesis, as it has been termed, and the theory of siderial aggregation stand in fact quite independent of each other.“ Sir John Herſchel, Out- lines of astronomy $. 872, p. 599. 1 (S. 226.) Die Zahlen, welche ich hier gebe, find die auf: gezählter Objekte von Nr. 1 bis 2307 im europäiſchen, nörd— — 253 — lichen Katalog von 1833 und die von Nr. 2308 bis 4015 im afrikaniſchen, ſüdlichen Katalog. 13 (S. 227.) An account of the Earl of Ross e'e great Telescope p. 14 bis 17; wo die Liſte der im März 1845 von Dr. Robinſon und Sir James South aufgelöſten Nebel gegeben wird. „Dr. Robinson could not leave this part of his subject without calling attention to the fact, that no real nebula seemed to exist among so many of these objects chosen without any bias: all appeared to be clusters of stars, and every ad- ditional one which shall be resolved will be an additional argument against the existence of any such.“ — In der No- tice sur les grands Télescopes de Lord Oxmantown, aujourd'hui Earl of Rosse (Bibliothédue universelle de Genève T. LVII, 1845, p. 342 bis 357) heißt es: „Sir James South rappelle que jamais il n'a vu de rèeprésentations sidé- rales aussi magnifiques que celles que lui offrait l’instrument de Parsonstown; qu'une bonne partie des nébuleuses se présen- taient comme des amas ou groupes d'étoiles, tandis que quel- ques autres, à ses yeux du moins, n’offraient aucune apparence de resolution en Etoiles.“ 11 (S. 227.) „By far the major part,“ ſagt Sir John Herſchel, „probably at least nine tenths of the nebulous con- tents of the heavens consist of nebulae of spherical or ellip- tical forms, presenting every variety of elongation and central condensation. Of these a great number have been resolved into distant stare (by the Reflector of the Earl of Rosse), and a vast multitude more have been found to present that mottled appearance, which renders it almost a matter of certainty that an increase of optical power would show them to be similarly composed. A not unnatural or unfair induction would therefore seem to be, that those which resist such re- solution, do so only in consequence of the smallness and closeness of the stars of which they consist: that, in short, they are only optically and not physically nebulous. — Although nebulae do exist which even in this powerful tele- scope (of Lord Rosse) appear as nebulae, without any sien of . resolution, it may very reasonably be doubted wheter there be really. any essential physical distinction between nebulae and clusters of stars.“ 5 (S. 227.) Dr. Nichol, Profeſſor der Aſtronomie zu Glas— gow, hat dieſen, aus Castle Parsonstown datierten Brief in feinen Thoughts of some important points relating to the System of the World, 1846, p. 55, bekannt gemacht: „In accordance with my promise of communicating to you the result of our examination of Orion, I think, I may safely say, that there can be little, if any doubt as to the resolvability of the Nebula. Since you left us, there was not a single night when, in absence of the moon, the air was fine enough to admit of our using more than half the magnifying power the speculum bears: still we could plainly see that all about the trapezium is a mass of stars; the rest of the nebula also abounding with stars and exhibiting the characteristics of resolvability strongly marked.“ 16 (S. 230.) Die Fundamente dieſer Aufzählung erheiſchen hier eine Erläuterung. Die drei Kataloge von Herſchel dem Vater enthalten 2500 Objekte, nämlich 2303 Nebel und 197 Sternhaufen. In der ſpäteren, weit genaueren Muſterung des Sohnes wurden dieſe Zahlen verändert. Ungefähr 1800 Objekte waren identiſch mit denen der drei früheren Kataloge; drei bis vierhundert aber wurden vorläufig ausgeſchloſſen, und mehr als fünfhundert neu entdeckte in Rektaſzenſion und Deklination beſtimmt. Das nörd— liche Verzeichnis enthält 152 Sternhaufen, folglich 2307 — 152 — 2155 Nebelflecke; aber unter den Nummern des ſüdlichen Kataloges ſind von 4015 — 2307 1708 Objekten, unter denen ſich 236 Sternhaufen finden, 233 abzuziehen (nämlich 89 = 135 + 9) als zum nördlichen Verzeichnis gehörig, beobachtet von Sir William und Sir John Herſchel in Slough und von Meſſier in Paris. Es bleiben alſo für die Kapbeobachtungen übrig: 1708 — 233 — 1475 Nebel und Sternhaufen, oder 1239 Nebelflecke allein. Zu den 2307 Objekten des nördlichen Katalogus von Slough ſind dagegen zuzurechnen 135 7 9 = 144. Es wird daher dieſes nörd— liche Verzeichnis anwachſen zu 2451 Objekten, in denen, nach Abzug von 152 Clusters, 2299 Nebelflecke enthalten ſind, welche Zahlen ſich indes nicht auf eine ſtrenge Abgrenzung nach der Polhöhe von Slough beziehen. Wenn in der Topographie des Firmaments beider Hemiſphären numeriſche Verhältniſſe angegeben werden müſſen, ſo glaubt der Verfaſſer auch in ſolchen Zahlen, die allerdings ihrer Natur wegen nach Verſchiedenheit der Zeitepochen und den Fort⸗ ſchritten in der Beobachtung veränderlich ſind, nicht unſorgfältig ſein zu dürfen. Der „Entwurf zu einem Kosmos“ ſoll ſtreben, den an eine beſtimmte Epoche gebundenen Zuſtand des Wiſſens zu ſchildern. 7 (S. 230.) „There are between 300 and 400 Nebulae of Sir William Herschel’s Catalogue still unobserved by me, for the most part very faint objects . . ..“; heißt es in den Kapbeobachtungen p. 134. (S. 231.) „In this Region of Virgo, occupying about one-eighth of the whole surface of the sphere, one-third of the entire nebulous contents of the heavens are congregated. Outlines p. 596. (S. 232.) Ich gründe mich in dieſen numeriſchen Angaben auf Summierung derjenigen Zahlen, welche die Projektion des nörd— lichen Himmels darbietet. 2 (S. 233.) In der langen Reihe von Seefahrten, welche die Portugieſen unter dem Einfluß des Infanten Don Henrique längs der Weſtküſte von Afrika unternahmen, um bis zum Aequator vorzudringen, war der Venezianer Cadamoſto (eigentlich genannt Alviſe de Ca da Moſto), als er ſich mit Antoniotto Uſodimare an der Mündung des Senegal 1454 vereinigt hatte, zuerſt mit der Lage und Aufſuchung eines Südpolarſterns beſchäftigt geweſen. „Da ich,“ ſagt er, „noch den Nordpolarſtern ſehe ler befand ſich ungefähr in 13“ nördlicher Breite), ſo kann ich nicht den ſüdlichen ſelbſt ſehen; aber die Konſtellation, welche ich gegen Süden erblicke, iſt der Carro del ostro (der Wagen des Südens).“ Sollte er ſich aus einigen großen Sternen des Schiffes einen Wagen ge— bildet haben? Die Idee, daß beide Pole jeder einen Wagen hätten, ſcheint damals jo verbreitet geweſen zu fein, daß in dem Itine- rarium Portugallense 1508, fol. 23 b und in Grynäus, Novus Orbis 1532, p. 58, eine ganz dem kleinen Bär ähnliche Konſtellation, als von Cadamoſto gejehen, abgebildet wurde, wäh— rend Ramuſio und die neue Colleceäo de Noticias para a hist. e geogr. das Nagöes Ultramarinas ſtatt deſſen ebenſo willkürlich das ſüdliche Kreuz abbilden. Weil man im Mittelalter, wahrſcheinlich um die zwei Tänzer, Yopevrut, des Hygin, d. i. die Ludentes des Scholiaſten zum Germanicus oder Ay des Vegetius, im kleinen Wagen zu erſetzen, die Sterne B und des kleinen Bären wegen ihres Kreiſens um den nahen Nordpol zu Wächtern dieſes Pols (le due Guardie, the Guards) beſtellt hatte, und da dieſe Benennung, wie der Gebrauch der Wächter zu Beſtimmung der Polhöhe bei den europäiſchen Piloten aller Nationen in den nördlichen Meeren weit verbreitet war, ſo führten Trugſchlüſſe der Analogie ebenfalls dahin, daß man am ſüdlichen Horizont zu erkennen glaubte, was man lange vorher geſucht. Erſt als Amerigo Veſpucei auf jeiner zweiten Reiſe (Mai 1499 bis September 1500) und Vicente Yanez Pinzon (beide Reiſen find vielleicht eine und dieſelbe) in der ſüdlichen Hemiſphäre bis zum Kap San Auguſtin gelangten, beſchäftigten ſie ſich fleißig, aber ver— gebens, mit dem Aufſuchen eines ſichtbaren Sternes in der un— mittelbaren Nähe des Südpols. Der Südpol lag damals in der Konſtellation des Oktanten, jo daß 8 der kleinen Waſſerſchlange, wenn man die Reduktion nach dem Katalogus von Brisbane macht, noch volle 8057 ſüdliche Deklination hatte. „Indem ich mit den Wundern des ſüdlichen Himmels beſchäftigt war und umſonſt einen Südpolarſtern ſuchte,“ ſagt Veſpueci in dem Briefe an Pietro Francesco de' Medici, „erinnerte ich mich der Worte (de un detto) unſeres Dante, als er im erſten Kapitel des Purgatorio fingiert aus einer Hemiſphäre in die andere überzugehen, den antarktiſchen Pol beſchreiben will und ſingt: lo mi volsi a man destra.... Mein Glaube iſt, daß in dieſen Verſen der Dichter durch ſeine vier Sterne (non viste mai fuor ch'alla prima gente) den Pol des anderen Firmamentes hat bezeichnen wollen. Ich bin um ſo — 256 — gewiſſer, daß dem ſo ſei, als ich in der That vier Sterne ſah, die zuſammen eine mandorla bildeten und eine geringe (2) Bewegung haben.“ Veſpucci meint das ſüdliche Kreuz, la croce maravigliosa, des Andrea Corſali (Brief aus Cochin vom 6. Januar 1515 in Ramuſio Vol. I, p. 177), deſſen Namen er noch nicht kannte, das ſpäter allen Piloten (wie am Nordpole B und 7 des kleinen Bären) zur Aufſuchung des Südpols und zu Breitenbeſtimmungen diente. Vergl. meine Unterſuchung der berühmten Stelle des Dante in dem Examen crit. de hist., de la Geographie T. IV, p. 319 bis 334. Ebenda habe ich auch daran erinnert, daß des ſüdlichen Kreuzes, mit welchem in neuerer Zeit Dunlop (1826) und Rümker (1836) ſich in Paramatta beſchäftigt haben, zu den Sternen gehört, deren Vielfachheit am früheſten 1681 und 1687 von den Jeſuiten Fontaney, Noel und Richaud erkannt worden iſt. Ein jo frühes Erkennen von binären Syſtemen, lange vor dem von “ Ursae maj., iſt um jo merkwürdiger, als 70 Jahre darauf Lacaille & Crucis nicht als Doppelſtern beſchreibt; vielleicht weil (wie Rümker ver— mutet) damals der Hauptſtern und der Begleiter in allzu kleiner Entfernung voneinander jtanden. Faſt zugleich mit der Doppel—⸗ heit von Crucis wurde von Richaud auch die von Centauri entdeckt, und zwar 19 Jahre vor Feuillées Reiſe, welchem Henderſon dieſe Entdeckung irrig zuſchrieb. Richaud bemerkt: „daß zur Zeit des Kometen von 1689 die beiden Sterne, welche den Doppelſtern 4 Crucis bilden, beträchtlich voneinander abſtanden; daß aber in einem zwölffüßigen Refraktor die beiden Teile von Centauri zwar deutlichſt zu erkennen waren, ſich aber faſt zu berühren ſchienen.“ 21 (S. 233.) Doch iſt es, wie wir ſchon oben bei den Stern: haufen bemerkt haben, Herrn Bond in den Vereinigten Staaten von Nordamerika durch die außerordentliche Kraft ſeines Refraktors geglückt, den ſehr länglich geſtreckten, elliptiſchen Nebel der Andro— meda, welcher nach Bouillaud ſchon vor Simon Marius 985 und 1428 beſchrieben wurde und einen rötlichen Schimmer hat, gänzlich aufzulöſen. In der Nachbarſchaft dieſes berühmten Nebelfleckes be— findet ſich der noch unaufgelöſte, aber in Geſtaltung ſehr ähnliche, welchen meine in hohem Alter dahingeſchiedene, allgemein verehrte Freundin Miß Carolina Herſchel am 27. Auguſt 1783 entdeckte. * (S. 234.) Betrachtet man den planetariſchen Nebelfleck im großen Bären als eine Sphäre von 2’ 40“ ſcheinbaren Durch— meſſers „und nimmt die Entfernung derſelben gleich der bekannten von 61 Cygni, ſo erhält man einen wirklichen Durchmeſſer der Sphäre, der ſiebenmal größer wäre als die Bahn, welche Neptun beſchreibt.“ Outlines $ 876. >> (S. 235.) Ein orangenroter Stern 8m ift in der Nähe von Nr. 3365; aber der planetariſche Nebel bleibt auch dann tief— indigoblau, wenn der rote Stern nicht im Felde des Teleſkopes iſt. Die Färbung iſt alſo nicht Folge des Kontraſtes. F r ⁰ ůDn ˙—˙—w » A — 257 — 24 (S. 235.) Der Begleiter und der Hauptſtern ſind blau oder bläulich in mehr als 63 Doppelſternen. Indigoblaue Sternchen ſind eingemengt in den prachtvollen, vielfarbigen Sternhaufen Nr. 3435 des Kapkataloges (Dunlops Kat. Nr. 301.). Ein ganzer einförmig blauer Sternhaufen ſteht am ſüdlichen Himmel (Nr. 573 von Dunlop, Nr. 3770 von John Herſchel). Es hat derſelbe 3½ Minuten im Durchmeſſer, mit Ausläufern von 8 Minuten Länge; die Sternchen ſind 14. und 16. Größe. > (S. 235.) Ueber die Verwickelung der dynamiſchen Ber: hältniſſe bei den partiellen Attraktionen im Inneren eines kugel⸗ runden Sternhaufens, welche für ſchwache Teleſkope als ein runder, gegen das Centrum dichterer Nebelfleck erſcheint, ſ. Sir John Herſchel in Outl. of Astr. $ 866 und 872, Kapreiſe $ 44 und 111 bis 113, Philos. Trans act. for 1833, p. 501, Address of the President in dem Report of the 15th meeting of the British Association 1845, p. XXXVIL 26 (S. 236.) Andere Beiſpiele von Nebelſternen find nur 8m bis 9m, wie Nr. 311 und 450 des Kataloges von 1833, Fig. 31, mit Bhotofphären von 1’ 30%, (S. 236.) Merkwürdige Formen der unregelmäßigen Nebel find: die omega⸗artige; auch unterſucht und beſchrieben von Lamont und einem hoffnungsvollen, der Wiſſenſchaft zu früh entriſſenen nordamerikaniſchen Aſtronomen, Mr. Maſon; ein Nebel mit ſechs bis acht Kernen; die kometenartigen, büſchelförmigen, in denen die Nebelſtrahlen bisweilen wie von einem Stern 9m ausgehen; ein Silhouettenprofil, büſtenartig; eine Spaltöffnung, die einen fadenförmigen Nebel einſchließt. 28 (S. 237.) „A zone of nebulae,“ jagt Sir John Herſchel, „encircling the heavens, has so many interruptions and is so faintly marked out through by far the greater part of the circumference, that its existence as such can be hardly more than suspected.“ 29 (S. 237.) „Es iſt wohl kein Zweifel,“ ſchreibt Dr. Galle, „daß in der Zeichnung, welche Sie mir mitteilen, auch der Gürtel des Orion und das Schwert mit enthalten ſind, folglich auch der Stern 8; aber bei der augenfälligen Ungenauigkeit der Abbildung ſind die drei kleinen Sterne am Schwerte, deren mittelſter 9 iſt und die (für das unbewaffnete Auge) wie in gerader Linie ſtehen, ſchwer herauszufinden. Ich vermute, daß ſie den Stern! richtig bezeichnet haben, und daß der helle Stern rechts daneben oder der Stern unmittelbar darüber 9 iſt.“ Galilei jagt ausdrücklich: „In primo integram Orionis Constellationem pingere decreveram; verum, ab ingenti stellarum copia, temporis vero inopia obrutus, aggressionem hanc in aliam occasionem distuli.“ Die Be⸗ ſchäftigung Galileis mit der Konſtellation des Orion iſt um ſo merkwürdiger, als 400 Sterne, die er zwiſchen dem Gürtel und dem Schwerte auf zehn Quadratgraden zu zählen glaubte, ſpät noch A. v. Humboldt, Kosmos. III. 17 — 258 — Lambert zu der unrichtigen Schätzung von 1650000 Sternen am ganzen Firmament verleiteten. 0 (S. 238.) „Ex bis autem tres illae pene inter se con- tiguae stellae, cumque his aliae quatuor, velut trans nebulam lucebant: ita ut spatium circa ipsas, qua forma hic conspieitur, multo illustrius appareret reliquo omni caelo; quod cum ap- prime serenum esset ac cerneretur nigerrimum, velut hiatu quodanı interruptum videbatur, per quem in plagam magis lucidam esset prospectus. Idem vero in hanc usque diem immutata facie saepius atque eodem loco conspexi; adeo ut perpetum illie sedem habere credibile sit hoc quidquid est portenti: cui certe simile aliud nusquam apud reliquas fixas potui animadvertere. Nam caeterae nebulosae olim existi- matae, atque ipsa via lactea, perspicillo inspectae, nullas ne- bulas habere comperiuntur, neque aliud esse quam plurium stellarum congeries et frequentia.“ ChristianiHugenii Opera varia Lugd. Bat. 1724, p. 540 bis 541. Die Vergrößerung, welche Huygens in ſeinem 23füßigen Refraktor anwandte, ſchätzte er ſelbſt nur hundertfach (p. 538). Sind die quatuor stellae trans ne- bulam lucentes die Sterne des Trapez? Die kleine, ſehr rohe Zeichnung ſtellt nur eine Gruppe von drei Sternen dar, allerdings neben einem Einſchnitte, welchen man für den Sinus magnus halten möchte. Vielleicht ſind nur die drei Sterne im Trapez, welche 4. bis 7. Größe ſind, verzeichnet. Auch rühmt Dominikus Caſſini, daß der vierte Stern erſt von ihm geſehen worden ſei. 1 (S. 239.) Die letztere Abbildung gibt die Nomenklatur der einzelnen Regionen des von ſo vielen Aſtronomen durchforſchten Orionsnebels. * (S. 239.) Caſſini rechnete die Erſcheinung dieſes vierten Sternes („aggiunta della quarta stella alle tre contigue“) zu den Veränderungen, welche der Orionsnebel in ſeiner Zeit erlitten habe. 33 (S. 239.) „It is remarkable that within the area of the trapezium no nebula exists. The brighter portion of the nebula immediately adjacent to the trapezium, forming the square front of the head, is shown with the 18 inch reflector broken up into masses, whose mottled and curdling light evidently indicates by a sort of granular texture its consisting of stars; and when examined under the great light of Lord Rosses reflector or the exquisite defining power of the great achromatie at Cambridge, U. S., is evidently perceived to consist of clustering stars. There can therefore be little doubt as to the whole consisting of stars, too minute to be discerned individually even with the powerful aids, but which become visible as points of light when closely adjacent in the more crowded parts.“ (Outlines p. 609.) William C. Bond, der einen 23füßigen, mit einem 14zölligen Objektiv verſehenen Refraktor anwandte, ſagt: „There is a great diminution of light in the — 259 — interior of the Trapezium, but no suspicion of a star“ (Mem. of the Amer. Acad., new Series, Vol. III, p. 93.) 4 (S. 240.) „Such is the general blaze from that part of the sky, jagt der Kapitän Jacob (Bombay Engineers) zu Punah, „that a person is immediately made aware of its having risen above the horizon, though he should not be at the time looking at the heavens, by the increase of general illumination of the atmosphere, resembling the effect of the young moon.“ } » (S. 240.) Nebel im Schwan, teilweiſe RA. 20 h 49%, N. P. D. 58927. 36 (S. 241.) „Lord Rosse describes and figures this Ne- bula as resolved into numerous stars with intermiæed nebhulde,““ ſagt Sir John Herſchel. g 57 (S. 241.) In den Outlines $ 882 heißt es: „The whole, if not clearly resolved into stars, has a resolvable character, which evidently endicates its composition.“ (S. 242.) Es ift eine ſchädliche Verwirrung der Termi— nologie, wie Horner und Littrow, auch die Kohlenſäcke Magel— haensſche Flecken oder Kapwolken zu nennen. » (S. 243.) Der Name Abdurrahman Sufi iſt von Ulugh Beg abgekürzt aus: Abdurrahman Ebn-Omar Ebn-Mohammed Ebn— Sahl Abu'l-Haſſan el-Sufi el⸗Razi. Ulugh Beg, der, wie Naßir— eddin, die Ptolemäiſchen Sternpoſitionen durch eigene Beobachtungen (1437) verbeſſerte, geſteht, aus der Arbeit des Abdurrahman Sufi 27 Poſitionen ſüdlicher, in Samarkand nicht ſichtbarer Sterne ent— lehnt zu haben. % (S. 244.) Die Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoff: nung, welches Martin Behaim Terra Fragosa, nicht Cabo tormen- toso nennt, geſchah, ſonderbar genug, als Diaz von Oſten kam, aus der Bai von Algoa (ſüdl. Br. 33“ 47, über 7“ 18“ öſtlich von der Tafelbai). +1 (S. 244.) Die wichtige, nicht genug beachtete Entdeckung der Südſpitze des neuen Kontinentes unter 55° ſüdl. Br. (Urda— netas Tagebuch bezeichnet die Entdeckung ſehr charakteriſtiſch durch die Worte: acabamiento de tierra, das Aufhören des Landes) gehört dem Francisco de Hoces, welcher eines der Schiffe der Expe— dition von Loayſa 1525 befehligte. Er ſah wahrſcheinlich einen Teil des Feuerlandes weſtlich von der Staateninſel; denn das Kap Horn liegt nach Fitz-Roy 55“ 58° 41“. 2 (S. 245.) Ich kann aus den numeriſchen Angaben Dec. II, lib. 10, p. 204 und Dec. III, lib. 10, p. 232 erweiſen, daß der Teil der Oceanica, in welchem der Magelhaensſchen Wolken ge— dacht wird, zwiſchen 1514 und 1516, alſo unmittelbar nach der Expedition von Juan Diaz de Solis nach dem Rio de la Plata (damals Rio de Solis, una mar dulce), geſchrieben iſt. Die Breitenangabe iſt ſehr übertrieben. — 260 — % [S. 246.) So irrig waren die Anſichten der erſten Beob- achter, daß der von Dominikus Caſſini ſehr geſchätzte Jeſuit Fontaney, welchem man viele wertvolle aſtronomiſche Beobachtungen aus Indien und China verdankt, noch 1685 ſchreibt: „Le grand et le petit Nuages sont deux choses singulieres. Ils ne paroissent aucunement un amas d’etoiles comme Praesepe Cancri, ni meme une lueur sombre, comme la Nebuleuse d’Andromöde. On n'y voit presque rien avec de très grandes lunettes, quoique sans ce secours on les voye fort blancs, particulièrement le grand Nuage.“ Ich bin im Texte bei der Beſchreibung der Magel⸗ haensſchen Wolken allein der Arbeit von Sir John Herſchel gefolgt. (S. 249.) „Cette apparence d'un noir fonce dans la partie orientale de la Croix du sud, qui frappe la vue de tous ceux qui regardent le ciel austral, est causee par la vivacité de la blancheur de la voie lactee, qui renferme l'espace noir et l'entoure de tous cötes.* La Caille in den Memoires de l' Academie des Sciences, Année 1755 (Par. 1761), 199. 45 (S. 249.) „When we see,“ jagt Sir John Herſchel, „in the Coal-sack (near a Crucis) a sharply defined oval space free from stars, it would seem much less probable that a conical or tubular hollow traverses the whole of a starry stratum, continuously extended from the eye outwards, than that a distant mass of comparatively moderate thickness should be simply perforated from side to side..... 3. Sonnengebiet. Planeten und ihre Monde, Kometen, Ring des Tierkreislichtes und Schwärme der Meteoraſteroiden. Wenn wir in dem uranologiſchen Teile der phy— ſiſchen Weltbeſchreibung von dem Fixſternhimmel zu unſerem Sonnen- und Planetenſyſtem herabſteigen, ſo gehen wir von dem Großen und Univerſellen zu dem relativ Kleinen und Beſonderen über. Das Gebiet der Sonne iſt das Gebiet eines einzelnen Fixſternes unter den Millionen derer, welche uns das Fernrohr an dem Firmamente offen- bart; es iſt der beſchränkte Raum, in welchem ſehr verſchieden— artige Weltkörper, der unmittelbaren Anziehung eines Central— körpers gehorchend, in engeren oder weiteren Bahnen um dieſen kreiſen, ſei es einzeln oder wiederum von anderen ihnen ähnlichen umgeben. Unter den Sternen, deren An: ordnung wir in dem ſideriſchen Teile der Uranologie zu behandeln verſucht haben, zeigt allerdings auch eine Klaſſe jener Millionen teleſkopiſcher Fixſterne, die Klaſſe der Doppel: ſterne, partikuläre, binäre oder vielfältiger zuſammen⸗ geſetzte Syſteme; aber trotz der Analogie ihrer treibenden Kräfte ſind ſie doch, ihrer Naturbeſchaffenheit nach, von unſerem Sonnenſyſteme verſchieden. In ihnen bewegen ſich ſelbſt— leuchtende Fixſterne um einen gemeinſchaftlichen Schwer— punkt, der mit ſichtbarer Materie nicht erfüllt iſt; in dem Sonnenſyſteme kreiſen dunkle Weltkörper um einen ſelbſt⸗ leuchtenden Körper oder, um beſtimmter zu reden, um einen gemeinſamen Schwerpunkt, welcher zu verſchiedenen Zeiten innerhalb des Centralkörpers oder au ßerhalb desſelben liegt. „Die große Ellipſe, welche die Erde um die Sonne beſchreibt, ſpiegelt ſich ab in einer kleinen, ganz ähnlichen, in welcher der Mittelpunkt der Sonne um den gemeinſchaftlichen Schwer— aa punkt der Erde und Sonne herumgeht. Ob die planetariſchen Körper, zu denen die inneren wie die äußeren Kometen ge: rechnet werden müſſen, außer dem Lichte, welches ihnen der Gentraltörper gibt, nicht auch teilweiſe etwas eigenes = zu erzeugen fühig ſind, bedarf hier, dei ſo allgemeinen An⸗ Deutungen, noch feiner beſonderen Erwähnung. Von der Eriftenz dunkler planetariſcher Körper, a um andere Fuftern iriterne kreiſen, haben wir bisher feine direkten Beweiſe. Die Schwäche des reflektierten Lichtes würde ſolche Planeten, die ſchon (lange vor Lambert) Kepler um Fixſtern vermutete, hindern, uns je ſichtbar zu werden. der müchſte Irttern * Centauri, 226 000 Erdweiten oder 7523 Neptunsweiten, ein ſich ſehr weit entfernender Komet, der von 1680, welchem man (freilich nach ſehr unſicheren Fundamenten) einen Umlauf von 8800 Jahren zuſchreibt, im Aphel 28 ie von unjerem Sonnentörper abiteht, jo iſt die Entfernung des Firſternes = Centauri noch 270mal größer als unſer — bis zum Aphel jenes fernſten Kometen. Wir ſehen das reflektierte Licht des Neptun in fernung, In e e e ee e u Centauri freiſenden Trabanten teleſfopiſch empfangen jollten. Iſt aber überhaupt die Annahme von Firf unbedingt notwendig? Wenn wir einen Blick werfen auf die niederen Partifularſy ſteme innerhalb unſeres großen Planeten⸗ ſyſtemes, S trotz der Analogieen, welche die von vielen Trabanten umfreiſten Planeten darbieten können, auch andere Planeten, Merkur, Venus, Mars, die gar feinen Tra⸗ banten haben. Abjtrahieren wir von dem bloß Möglichen und beſchrünken uns auf das wirklich Erforſchte, ſo werden wir lebhaft von der Ider unsprungen, daß das ga beſonders in der großen Zuſammenſetzung, welche die letzten Jahrzehnte uns enthüllt haben, das reichſte Bild gewährt von den leicht zu erkennenden unmittelbaren Beziehungen vieler Weltkörper zu einem einzigen. Der beichränttere Raum des Planetenſyſtemes ge wührt gerade wegen dieſer Beſchränktheit für Sicherheit und Evidenz der Neſultate in der meſſenden und rechnenden Aſtro⸗ EN Be — 263 — nomie unbeſtreitbare Vorzüge vor den Ergebniſſen aus der Betrachtung des Fixſternhimmels. Vieles von dieſen ge: hört nur der beſchauenden Aſtronomie in dem Gebiete der Sternſchwärme und Nebelgruppen, wie in der auf ſo un⸗ ſicheren Fundamenten beruhenden photometriſchen Reihung der Geſtirne an. Der ſicherſte und glänzendſte Teil der Aſtrognoſie iſt die in unſerer Zeit jo überaus vervollkomm— nete und vermehrte Beſtimmung der Poſitionen in RA. und Dekl., ſei es von einzelnen Fixſternen oder von Doppel⸗ ſternen, Sternhaufen und Nebelflecken. Auch bieten ſchwierige, aber in höherem oder niederem Grade genau meßbare Ber: hältniſſe dar: die eigene Bewegung der Sterne, die Elemente, nach denen ihre Parallaxe ergründet wird, die teleſkopiſchen Sterneichungen, welche auf die räumliche Verteilung der Weltkörper leiten, die Perioden von veränderlichen Sternen und der langſame Umlauf der Doppelſterne. Was ſeiner Natur nach ſich der eigentlichen Meſſung entzieht, wie die relative Lage und Geſtaltung von Sternſchichten oder Ringen von Sternen, die Anordnung des Weltbaues, die Wirkungen ewaltſam umändernder Naturgewalten im Auflodern oder Verlöſchen ſogenannter neuer Sterne, regt um ſo tiefer und 1 an, als es das anmutige Nebelland der Phantaſie erührt. Wir enthalten uns vorſätzlich in den nächſtfolgenden Blättern aller Betrachtungen über die Verbindung unſeres Sternenſyſtemes mit den Syſtemen der anderen Fixſterne; wir kommen nicht wieder zurück auf die Fragen von der Unterordnung und Gliederung der Syſteme, die, man möchte ſagen, aus intellektuellen Bedürfniſſen ſich uns aufdrängen; auf die Frage, ob unſer Centralkörper, die Sonne, nicht ſelbſt in planetariſcher Abhängigkeit zu einem höheren Syſteme ſtehe, vielleicht gar nicht einmal als Hauptplanet, ſondern nur der Trabant eines Planeten, wie unſere Jupitersmonde. Be⸗ ſchränkt auf den mehr heimiſchen Boden, auf das Sonnen- gebiet, haben wir uns des Vorzuges zu erfreuen, daß, mit Ausnahme deſſen, was ſich auf die Deutung des Oberflächen⸗ anſehens oder gasförmiger Umhüllungen der kreiſenden Welt⸗ körper, den einfachen oder geteilten Schweif der Kometen, auf den Ring des Zodiakallichtes oder das rätſelhafte Erſcheinen der Meteoraſteroiden bezieht, faſt alle Reſultate der Beob⸗ achtung einer Zurückführung auf Zahlenverhältniſſe fähig ſind, alle ſich als Folgerung aus ſtreng zu prüfenden Vorausſetzungen — 264 — darbieten. Nicht die Prüfung dieſer Vorausſetzungen ſelbſt gehört in den Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchrei— bung, ſondern die methodische Zuſammenſtellung numeri— ſcher Reſultate. Sie ſind das wichtige Erbteil, welches, immerdar wachſend, ein Jahrhundert dem anderen überträgt. Eine Tabelle, die Zahlenelemente der Planeten (mittlere Ent: fernung von der Sonne, ſideriſche Umlaufszeit, ene der Bahn, Neigung gegen die Ekliptik, Durchmeſſer, Maſſe und Dichtigkeit) umfaſſend, bietet jetzt in einem überkleinen Raume den Stand der geiſtigen Errungenſchaften des Zeit— alters dar. Man verſetze ſich einen Augenblick in das Altertum zurück, man denke ſich Philolaus den Pythagoreer, Lehrer des Plato, den Ariſtarch von Samos oder Hipparchus im Beſitze eines ſolchen mit Zahlen gefüllten Blattes oder einer graphi— ſchen Darſtellung der Planetenbahnen, wie ſie unſere abge— kürzteſten Lehrbücher darſtellen, ſo läßt ſich das bewundernde Erſtaunen dieſer Männer, Heroen des früheren beſchränkten Wiſſens, nur mit dem vergleichen, welches ſich des Eratoſthenes, des Strabo, des Claudius Ptolemäus bemächtigen würde, wenn dieſen eine unſerer Weltkarten (Mercators Projektion von wenigen Zollen Höhe und Breite vorgelegt werden könnte. Die Wiederkehr der Kometen in geſchloſſenen elliptiſchen Bahnen bezeichnet als Folge der Anziehungskraft des Central— körpers die Grenze des Sonnengebietes. Da man aber un- gewiß bleibt, ob nicht einſt noch Kometen erſcheinen werden, deren große Achſe länger gefunden wird, als die der ſchon erſchienenen und berechneten Kometen, ſo geben dieſe in ihrem Aphel nur die Grenze, bis zu welcher das Sonnengebiet zum wenigſten reicht. Das Sonnengebiet wird demnach charak— teriſiert durch die ſichtbaren und meßbaren Folgen eigener ein— wirkender Centralkräfte, durch die Weltkörper (Planeten und Kometen), welche in geſchloſſenen Bahnen um die Sonne kreiſen und durch enge Bande an ſie gefeſſelt bleiben. Die Anziehung, welche die Sonne jenſeits dieſer wiederkehrenden Weltkörper auf andere Sonnen (Fixſterne) in weiteren Räumen ausübt, gehört nicht in die Betrachtungen, die uns hier be— ſchäftigen. Das Sonnengebiet umfaßt nach dem Zuſtand unſerer Kenntniſſe am Schluß des halben neunzehnten Jahrhunderts, und wenn man die Planeten nach Abſtänden von dem Central: körper ordnet: u De u Me — 265 — 22 Hauptplaneten (Merkur, Venus, Erde, Mars, Flora, Victoria, Veſta, Iris, Metis, Hebe, Parthe— nope, Irene, Aſträa, Egeria, Juno, Ceres, Pallas, Hygea, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun); 21 Trabanten (einen der Erde, 4. des Jupiter, 8 des Saturn, 6 des Uranus, 2 des Neptun); 197 Kometen, deren Bahn berechnet iſt, darunter 6 innere, d. h. ſolche, deren Aphel von der äußerſten Planetenbahn, der des Neptun, umſchloſſen iſt; ſodann mit vieler Wahrſcheinlichkeit; den Ning des FCierkreislichtes, vielleicht zwiſchen der Venus: und Marsbahn liegend; und nach der Meinung vieler Beobachter: f die Schwärme der Meteoraſteroiden, welche die Erd— bahn vorzugsweiſe in gewiſſen Punkten ſchneiden. Bei der Aufzählung der 22 Hauptplaneten, von welchen nur 6 bis zum 13. März 1781 bekannt waren, ſind die 14 kleinen Planeten (bisweilen auch Koplaneten und Aſteroiden genannt und in untereinander verſchlungenen Bahnen zwiſchen Mars und Jupiter liegend) durch weiteren Druck von den 8 größeren Planeten unterſchieden worden. In der neueren Geſchichte planetariſcher Entdeckungen ſind Hauptepochen geweſen: das Auffinden des Uranus, als des erſten Planeten jenſeits der Saturnsbahn, von William Herſchel zu Bath am 13. März 1781 erkannt durch Scheiben— form und Bewegung, das Auffinden der Ceres, des erſten der kleinen Planeten, am 1. Janur 1801 durch Piazza zu Palermo, die Erkennung des erſten inneren Kometen durch Encke zu Gotha im Auguſt 1819, und die Verkündigung der Exiſtenz des Neptun vermittelſt planetariſcher Störungsberech— nungen durch le Verrier zu Paris im Auguſt 1846, wie die Entdeckung des Neptun durch Galle zu Berlin am 23. Sep: tember 1846. Jede dieſer wichtigen Entdeckungen hat nicht bloß die unmittelbare Erweiterung und Bereicherung unſeres Sonnenſyſtemes zur Folge gehabt, ſie hat auch zu zahlreichen ähnlichen Entdeckungen veranlaßt, zur Kenntnis von 5 an— deren inneren Kometen (durch Biela, Faye, de Vico, Brorſen und d'Arreſt zwiſchen 1826 und 1851), wie von 13 kleinen Planeten, unter denen von 1801 bis 1807 drei (Pallas, Juno und Veſta) und, nach einer Unterbrechung von vollen 38 Jahren, ſeit Henckes glücklicher und auch beabſichtigter Entdeckung der — 266 — Aſträa am 8. Dezember 1845, in ſchneller Folge durch Hencke, Hind, Graham und de Gaſparis von 1845 bis Mitte 1851 neun aufgefunden worden ſind. Die Aufmerkſamkeit auf die Kometenwelt iſt ſo geſtiegen, daß in den letzten 11 Jahren die Bahnen von 33 neuentdeckten Kometen berechnet wurden, alſo nahe ebenſoviel als in den 40 vorhergehenden Jahren dieſes Jahrhunderts. I. »Die Sonne, als Centralkörper. Die Weltleuchte (lucerna Mundi), welche in der Mitte thront, wie Kopernikus die Sonne nennt, iſt das allbelebende pulſierende „Herz des Univerjums nach Theon dem Smyrnäer; ſie iſt der Urquell des Lichtes und der ſtrahlenden Wärme, der Erreger vieler irdiſchen elektromagnetiſchen Prozeſſe, ja des größeren Teiles der organiſchen Lebensthätigkeit, be— ſonders 155 vegetabiliſchen, auf unſerem Planeten. Die Sonne bringt, wenn man ihre Kraftäußerungen in der größten Ver— allgemeinerung bezeichnen will, Veränderungen auf der Ober— fläche der Erde hervor, teils durch Maſſenattraktion, wie in der Ebbe und Flut des Ozeans, wenn man von der ganzen Wirkung den Teil abzieht, welcher der Lunaranziehung gehört, teils durch licht- und wärmeerregende Wallungen (Transverſal— ſchwingungen) des Aethers, wie in der befruchtenden Ver— miſchung der Luft und Waſſerhüllen des Planeten (bei dem Kontakt der Atmoſphäre mit dem verdunſtenden flüſſigen Ele: mente im Meere, in Landſeen und Flüſſen). Sie wirkt in den durch Wärmeunterſchiede erregten atmoſphäriſchen und ozeaniſchen Strömungen, deren letztere ſeit Jahrtauſenden fort⸗ fahren (doch in ſchwächerem Grade) Geröllſchichten aufzuhäufen oder entblößend mit ſich fortzureißen und ſo die Oberfläche des angeſchwemmten Landes umzuwandeln; ſie wirkt in der Erzeugung und Unterhaltung der elektromagnetiſchen Thätigkeit der Erdrinde und der des Sauerſtoffgehaltes der Atmoſphäre, bald ſtill und ſanft chemiſche Ziehkräfte erzeugend und das organiſche Leben mannigfach in der Endosmoſe der Zellen⸗ wandung, in dem Gewebe der Muskel- und Nervenfaſer be- ſtimmend, bald Lichtprozeſſe im Luftkreiſe (farbig flammendes Polarlicht, Donnerwetter, Orkane und Meerſäulen) hervor— rufend. — 268 — Haben wir hier verſucht, die ſolaren Einflüſſe, inſofern ſie ſich nicht auf die Achſenſtellung und Bahn unſeres Welt— körpers beziehen, in ein Gemälde zuſammenzudrängen, ſo iſt es, um durch Darſtellung des Zuſammenhanges großer und auf den erſten Blick heterogen ſcheinender Phänomene recht überzeugend zur Anſchauung zu bringen, wie die phyſiſche Natur in dem Buche vom Kosmos als ein durch innere, oft ſich ausgleichende Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes zu ſchildern ſei. Aber die Lichtwellen wirken nicht bloß zer- ſetzend und wieder bindend auf die Körperwelt, ſie rufen nicht bloß hervor aus der Erde die zarten Keime der Pflanzen, erzeugen den Grünſtoff (Chlorophyll) in den Blättern und färben duftende Blüten, ſie wiederholen nicht bloß tauſend— und aber tauſendfach reflektierte Bilder der Sonne im an— mutigen Spiel der Welle wie im bewegten Grashalm der Wieſe, das Himmelslicht in den verſchiedenen Abſtufungen ſeiner Intenſität und Dauer ſteht auch in geheimnisvollem Verkehr mit dem Inneren des Menſchen, mit ſeiner geiſtigen Erregbarkeit, mit der trüben oder heiteren Stimmung des Gemütes. Caeli tristitiam discutit Sol et humani nubila animi serenat (Plin., Hist. Nat. II, 6). Bei jedem der zu beſchreibenden Weltkörper laſſe ich die numeriſchen Angaben dem vorangehen, was hier, mit Ausnahme der Erde, von ihrer phyſiſchen Beſchaffenheit wird beizubringen ſein. Die Anordnung der Reſultate in Zahlen iſt ungefähr dieſelbe wie in der vortrefflichen „Ueberſicht des Sonnenſyſtems“ von Hanſen, doch mit numeriſchen Ver— änderungen und Zuſätzen, da ſeit dem Jahre 1837, in dem Hanſen ſchrieb, elf Planeten und drei Trabanten entdeckt worden ſind. Die mittlere Entfernung des Centrums der Sonne von der Erde iſt nach Enckes nachträglicher Korrektion der Sonnen— parallaxe (Abhandl. der Berl. Akad. 1835, S. 309) 20682000 geogr. Meilen, deren 15 auf einen Grad des Erd— äquators gehen und deren jede nach Beſſels Unterſuchung von zehn Gradmeſſungen (Kosmos Bd. I, S. 291) genau 3807,23 Toiſen oder 22 843,38 Pariſer Fuß zählt. Das Licht braucht, um von der Sonne auf die Erde zu gelangen, d. i. um den Halbmeſſer der Erdbahn zu durchlaufen, nach den Aberrationsbeobachtungen von Struve 8° 17,78“ (Kosmos Bd. III, S. 64 und 89, Anm. 28), weshalb der wahre Ort der Sonne dem ſcheinbaren um 20,445“ voraus iſt. — 269 — Der ſcheinbare Durchmeſſer der Sonne in der mittleren Entfernung derſelben von der Erde iſt 32“ 1,8“, alſo nur 54,8“ größer als die Mondſcheibe in mittlerer Entfernung von uns. Im Perihel, wenn wir im Winter der Sonne am nächſten ſind, hat ſich der ſcheinbare Sonnendurchmeſſer ver— größert bis 32“ 34,6“; im Aphel, wenn wir im Sommer von der Sonne am fernſten ſind, iſt der ſcheinbare Sonnendurch— meſſer verkleinert bis 31’ 30,1”. Der wahre Durchmeſſer der Sonne iſt 192 700 geogra⸗ phiſche Meilen (1385300 km), oder mehr denn 112mal ® größer als der Durchmeſſer der Erde. Die Sonnenmaſſe iſt nach Endes Berechnung der Pendel— formel von Sabine das 359 551fache der Erdmaſſe oder das 355499 fache von Erde und Mond zuſammen (Vierte Abh. über den Kometen von Pons in den Schriften der Berl. Akad. 1842, S. 5); demnach iſt die Dichtigkeit der Sonne nur ungefähr / (genauer 0,252) der Dichtigkeit der Erde. Die Sonne hat an 600mal mehr Volum und nach Galle 738mal mehr Maſſe als alle Planeten zuſammengenommen. Um gewiſſermaßen ein ſinnliches Bild von der Größe des Sonnenkörpers zu entwerfen, hat man daran erinnert, daß, wenn man ſich die Sonnenkugel ganz ausgehöhlt und die Erde im Centrum denkt, noch Raum für die Mondbahn ſein würde, wenn auch die halbe Achſe der Mondbahn um mehr als 4000 geographiſche Meilen (296817 km) verlängert würde. Die Sonne dreht ſich in 25 Tagen um ihre Achſe. Der Aequator iſt um 77¼ “ gegen die Ekliptik geneigt. Nach Laugiers ſehr ſorgfältigen Beobachtungen (Comptes rendus de l' Acad. des Sciences T. XV, 1842, p. 941) tft die Rotationszeit 25,34 Tage (oder 25° 8 9“ und die Nei⸗ gung des Aequators 79“. Die Vermutungen, zu denen die neuere Aſtronomie all: mählich über die phyſiſche Beſchaffenheit der Oberfläche der Sonne gelangt iſt, gründen ſich auf lange und ſorgfältige Beobachtung der Veränderungen, welche in der ſelbſtleuchtenden Scheibe vorgehen. Die Reihenfolge und der Zuſammenhang dieſer Veränderungen (der Entſtehung der Sonnenflecken, des Verhältniſſes der Kernflecke von tiefer Schwärze zu den ſie umgebenden aſchgrauen Höfen oder Penumbren) hat auf die Annahme geleitet, daß der Sonnenkörper ſelbſt faſt ganz dunkel, aber in einer großen Entfernung von einer Lichthülle — 270 — umgeben ſei, daß in der Lichthülle durch Strömungen von unten nach oben trichterförmige Oeffnungen entſtehen, und daß der ſchwarze Kern der Flecken ein Teil des dunklen Sonnen— körpers ſelbſt ſei, welcher durch jene Oeffnung ſichtbar werde. Um dieſe Erklärung, die wir hier nur vorläufig in größter Allgemeinheit geben, für das Einzelne der Erſcheinungen auf der Sonnenoberfläche befriedigender zu machen, werden in dem gegenwärtigen Zuſtand der Wiſſenſchaft drei Umhüllungen der dunklen Sonnenkugel angenommen, zunächſt eine innere, wolkenartige Dunſthülle, darüber die Lichthülle (Photoſphäre), und über dieſer (wie beſonders die totale Sonnenfinſternis vom 8. Juli 1842 erwieſen zu haben ſcheint) eine äußere Wolkenhülle, dunkel oder doch nur wenig erleuchtet.“ Wie glückliche Ahnungen und Spiele der Phantaſie (das griechiſche Altertum iſt voll von ſolchen ſpät erfüllten Träumen), lange vor aller wirklichen Beobachtung, bisweilen den Keim richtiger Anſichten enthalten, ſo finden wir ſchon in der Mitte des 15. Jahrhunderts in den Schriften des Kardinals Nikolaus von Cuſa, im 2. Buche De docta ignorantia, deutlich die Meinung ausgedrückt, daß der Sonnenkörper für ſich nur „ein erdhafter Kern“ ſei, der von einem Lichtkreiſe wie von einer feinen Hülle umgeben werde; daß in der Mitte (zwiſchen dem dunklen Kern und der Lichthülle 2) ſich ein Ge⸗ miſch von waſſerhaltigen Wolken und klarer Luft, gleich un: ſerem Dunſtkreiſe befinde; daß das Vermögen, ein die Vege— tation auf der Erde belebendes Licht auszuſtrahlen, nicht dem erdigen Kern des Sonnenkörpers, ſondern der Lichthülle, welche mit demſelben verbunden iſt, zugehöre. Dieſe, in der Geſchichte der Aſtronomie bisher ſo wenig beachtete Anſicht der phyſiſchen Beſchaffenheit des Sonnenkörpers hat viel? Aehnlichkeit mit den jetzt herrſchenden Meinungen. Die Sonnenflecken ſelbſt, wie ich früher in den Ge— ſchichtsepochen der phyſiſchen Weltanſchauung ent⸗ wickelt habe, ſind nicht von Galilei, Scheiner oder Harriot, ſondern von Johann Fabricius, dem Oft frieſen, zuerſt geſehen und in gedruckten Schriften beſchrieben worden. Sowohl der Entdecker als auch Galilei, wie deſſen Brief an den Principe Ceſi (vom 25. Mai 1612) beweiſt, wußten, daß die Flecken dem Sonnenkörper ſelbſt angehören; aber 10 und 20 Jahre ſpäter behaupteten faſt zugleich ein Kanonikus von Sarlat, Jean Tarde, und ein belaticher | Jeſuit, daß die Sonnenflecken Durchgänge kleiner Planeten wären. Der eine nannte ſie — 271 — Sidera Borbonia, der andere Sidera Austriaca.“ Scheiner bediente ſich zuerſt bei Sonnenbeobachtungen der ſchon 70 Jahre früher von Apian (Bienewitz) im Astronomicum Caesa— reum vorgeſchlagenen, auch von belgiſchen Piloten längſt ge: brauchten blauen und grünen Blendgläſer, deren Nichtgebrauch viel zu Galileis Erblindung beigetragen hat. Die beſtimmteſte Aeußerung über die Notwendigkeit der Annahme einer dunklen Sonnenkugel, welche von einer Licht: hülle (Photoſphäre) umgeben ſei, finde ich, durch wirkliche Beobachtung, nach Entdeckung der Sonnenflecken hervorgerufen, zuerſt bei dem großen Dominikus Caſſini' etwa um das Jahr 1671. Nach ihm iſt die Sonnenſcheibe, die wir ſehen, ein „Lichtozean, welcher den feſten und dunklen Kern der Sonne umgibt; gewaltſame Bewegungen (Aufwallungen), die in der Lichthülle vorgehen, laſſen uns von Zeit zu Zeit die Berg⸗ gipfel jenes lichtloſen, Sonnenkörpers ſehen. Das ſind die ſchwarzen Kerne im Centrum der Sonnenflecken“. Die aſchfarbenen Höfe (Penumbren), von welchen die Kerne um⸗ geben ſind, blieben damals noch unerklärt. Eine finnreiche und ſeitdem vielfach beſtätigte Beobachtung, welche Alexander Wilſon, der Aſtronom von Glasgow, an einem großen Sonnenflecken den 22. November 1769 machte, leitete ihn auf die Erklärung der Höfe. Wilſon entdeckte, daß, ſo wie ein Flecken ſich gegen den Sonnenrand hinbewegt, die Penumbra nach der gegen das Centrum der Sonne gekehrten Seite im Vergleich mit der entgegengeſetzten Seite allmählich ſchmäler und ſchmäler wird. Der Beobachter ſchloß ſehr richtig aus dieſen Dimenſionsverhältniſſen im Jahre 1774, daß der Kern des Fleckens (der durch die trichterförmige Erkavation in der Lichthülle ſichtbar werdende Teil des dunklen Sonnen— körpers) tiefer liege als die Penumbra, und daß dieſe von den abhängigen Seitenwänden des Trichters gebildet werde. Dieſe Erklärungsweiſe beantwortete aber noch nicht die Frage, warum die Höfe am lichteſten nahe bei dem Kernflecken ſind? In ſeinen „Gedanken über die Natur der Sonne und die Entſtehung ihrer Flecken“ entwickelte, ohne Wilſons frühere Abhandlung zu kennen, unſer Berliner Aſtronom Bode mit der ihm eigentümlichen populären Klarheit ganz ähnliche Ideen. Er hat dazu das Verdienſt gehabt, die Erklärung der Penumbra dadurch zu erleichtern, daß er, faſt wie in den Ahnungen des Kardinals Nikolaus von Cuſa, zwiſchen der Photoſphäre und dem dunklen Sonnenkörper noch eine wolkige Dunſtſchicht — 272 — annahm. Dieſe Hypotheſe von zwei Schichten führt zu folgenden Schlüſſen: Entſteht in weniger häufigen Fällen in der Photo— ſphäre allein eine Oeffnung und nicht zugleich in der trüben unteren, von der Photoſphäre ſparſam erleuchteten Dunſtſchicht, fo reflektiert dieſe ein ſehr gemäßigtes Licht gegen den Erd: bewohner, und es entſteht eine graue Penumbra, ein bloßer Hof ohne Kern. Erſtreckt ſich aber, bei ſtürmiſchen meteoro- logiſchen Prozeſſen an der Oberfläche des Sonnenkörpers, die Oeffnung durch beide Schichten (durch die Licht- und die Wolfen: hülle) zugleich, ſo erſcheint in der aſchfarbigen Penumbra ein Kernflecken, „welcher mehr oder weniger Schwärze zeigt, je nachdem die Oeffnung in der Oberfläche des Sonnenkörpers ſandiges oder felſiges Erdreich oder Meere trifft“. Der Hof, welcher den Kern umgibt, iſt wieder ein Teil der äußeren Oberfläche der Dunſtſchicht, und da dieſe wegen der Trichter— form der ganzen Exkavation weniger geöffnet iſt als die Photo: ſphäre, ſo erklärt der Weg der Lichtſtrahlen, welche zu beiden Seiten an den Rändern der unterbrochenen Hüllen hinſtreifen und zu dem Auge des Beobachters gelangen, die von Wilſon zuerſt aufgefundene Verſchiedenheit in den gegenüberſtehenden Breiten der Penumbra, je nachdem der Kernflecken ſich von dem Centrum der Sonnenſcheibe entfernt. Wenn, wie Laugier mehrmals bemerkt ne ſich der Hof über den ſchwarzen Kern: flecken ſelbſt hinzieht und dieſer gänzlich verſchwindet, ſo iſt die Urſache davon die, daß nicht die Photoſphäre, aber wohl die Dunſtſchicht unter derſelben ihre Oeffnung geſchloſſen hat. Ein Sonnenflecken, der im Jahre 1779 mit bloßen Augen ſichtbar war, leitete glücklicherweiſe William Herſchels gleich geniale Beobachtungs- und Kombinationsgabe auf den Gegen: ſtand, welcher uns hier beſchäftigt. Wir beſitzen die Reſultate ſeiner großen Arbeit, die das Einzelnſte in einer ſehr be— ſtimmten von ihm feſtgeſetzten Nomenklatur behandelt, in zwei Jahrgängen der Philosophical Transactions, von 1795 und 1801. Wie gewöhnlich geht der große Mann auch hier wieder ſeinen eigenen Weg; er nennt bloß einmal Alexander Wilſon. Das Allgemeine der Anſicht iſt identiſch mit der von Bode, ſeine Konſtruktion der Sichtbarkeit und Dimenſionen des Kernes und der Penumbra (Philos. Transact. 1801, p. 270 und 318, Tab. XVIII, fig. 2) gründet ſich auf die An⸗ nahme einer Oeffnung in zwei Umhuͤllungen; aber zwiſchen der Dunſthülle und dem dunklen Sonnenkörper ſetzt er noch (P. 302) eine helle Luftatmoſphäre (elear and transparent), — 273 — in welcher die dunklen oder wenigſtens nur durch Reflex ſchwach erleuchteten Wolken etwa 70—80 geogr. Meilen (520 bis 600 km) hoch hängen. Eigentlich ſcheint William Herſchel geneigt, auch die Photoſphäre nur als eine Schicht unzu— ſammenhängender phosphoriſcher Wolken von ſehr rauher (ungleicher) Oberfläche zu betrachten. Ein elaſtiſches Fluidum unbekannter Natur ſcheint ihm aus der Rinde oder von der Oberfläche des dunklen Sonnenkörpers aufzuſteigen und in den höchſten Regionen bei einer ſchwachen Wirkung nur kleine Lichtporen, bei heftiger, ſtürmiſcher Wirkung große Oeffnungen und mit ihnen Kernflecken, die von Höfen (shallows) umgeben find, zu erzeugen.“ Die ſelten runden, faſt immer eingeriſſen eckigen, durch einſpringende Winkel charakteriſierten ſchwarzen Kernflecken ſind oft von Höfen umgeben, welche dieſelbe Figur in ver— größertem Maßſtabe wiederholen. Es iſt kein Uebergang der Farbe des Kernfleckens in den Hof oder des Hofes, welcher bisweilen farbig iſt, in die Photoſphäre bemerkbar. Capocci und ein ſehr fleißiger Beobachter, Paſtorff (zu Buchholz in der Mark), haben die eckigen Formen der Kerne ſehr genau abgebildet (Schum. Aſtr. Nachr. Nr. 115, S. 316, Nr. 133, S. 291 und Nr. 144, S. 471). William Herſchel und Schwabe ſahen die Kernflecke durch glänzende Lichtadern, ja wie durch Lichtbrücken (luminous bridges) geteilt, Phänomene wolken— artiger Natur aus der zweiten, die Höfe erzeugenden Schicht. Solche ſonderbare Geſtaltungen, wahrſcheinlich Folgen auf: ſteigender Ströme, die tumultuariſchen Entſtehungen von Flecken, Sonnenfackeln, Furchen und hervorragenden Streifen (Kämmen von Lichtwällen) deuten nach dem Aſtronomen von Slough auf ſtarke Lichtentbindung; dagegen deutet nach ihm „Abweſenheit von Sonnenflecken und der ſie begleitenden Erſcheinungen auf Schwäche der Kombuſtion und daher minder wohlthätige Wirkung auf die Temperatur unſeres Planeten und das Gedeihen der Vegetation.“ Durch dieſe Ahnungen wurde William Herſchel zu dem Verſuche geleitet, die Ab— weſenheit von Sonnenflecken in den Jahren 1676 bis 1684 (nach Flamſteed), von 1686 bis 1688 (nach Dominikus Caſſini), von 1695 bis 1700, von 1795 bis 1800 mit den Korn⸗ preiſen und den Klagen über ſchlechte Ernten zu vergleichen. Leider! wird es aber immer an der Kenntnis numeriſcher Elemente fehlen, auf welche ſich auch nur eine mutmaßliche Löſung eines ſolchen Problems gründen könnte, nicht etwa A. v. Humboldt, Kosmos. III. 18 ONE bloß, wie der immer fo umfichtige Aſtronom ſelbſt bemerkt, weil die Kornpreiſe in einem Teile von Europa nicht den Maßſtab für den Vegetationszuſtand des ganzen Kontinentes abgeben können, ſondern vorzüglich, weil aus der Verminderung der mittleren Jahrestemperatur, ſollte ſie auch ganz Europa umfaſſen, ſich keineswegs auf eine geringere Quantität Wärme ſchließen läßt, welche in demſelben Jahre der Erdkörper von der Sonne empfangen hat. Aus Doves Unterſuchungen über die nicht periodiſchen Temperaturänderungen ergibt ſich, daß Witterungsgegenſätze ſtets ſeitlich (zwiſchen faſt gleichen Breitenkreiſen) nebeneinander liegen. Unſer Kontinent und der gemäßigte Teil von Nordamerika bilden in der Regel ſolch einen Gegenſatz. Wenn wir hier ſtrenge Winter erleiden, ſo ſind ſie dort milde und umgekehrt: — Kompenſationen in der räumlichen Wärmeverteilung, welche da, wo nahe ozeaniſche Verbindungen ſtattfinden, wegen des unbeſtreitbaren Einfluſſes der mittleren Quantität der Sommerwärme auf den Vegetations⸗ cyklus und demnach auf das Gedeihen der Cerealien, von den wohlthätigſten Folgen für die Menſchheit ſind. Wie William Herſchel der Thätigkeit des Centralkörpers, dem Prozeſſe, deſſen Folgen die Sonnenflecken find, eine Zu: nahme der Wärme auf dem Erdkörper zuſchrieb, ſo hatte faſt drittehalb Jahrhunderte früher Batiſta Baliani in einem Briefe an Galilei die Sonnenflecken als erkältende Potenzen geſchildert.!“ Dieſem Reſultate würde ſich auch nähern der Verſuch, welchen der fleißige Aſtronom Gautier in Genf gemacht hatte, vier Perioden von vielen und wenigen Flecken auf der Sonnen— ſcheibe (von 1827 bis 1843) mit den mittleren Temperaturen zu vergleichen, welche 33 europäiſche und 29 amerikaniſche Sta- tionen ähnlicher Breiten darboten. Es offenbaren in dieſer Vergleichung ſich wieder, durch poſitive und negative Unter— ſchiede ausgedrückt, die Gegenſätze der einander gegenüber: ſtehenden atlantiſchen Küſten. Die Endreſultate geben aber für die erkältende Kraft, die hier den Sonnenflecken zuge— ſchrieben wird, kaum 0,42“ Cent., welche ſelbſt für die bezeich— neten Lokalitäten den Fehlern der Beobachtung und der Wind— richtungen ebenſogut als den Sonnenflecken zuzuſchreiben ſein können. Es bleibt uns übrig, noch von einer dritten Umhüllung der Sonne zu reden, deren wir ſchon oben erwähnt. Sie iſt die äußerſte von allen, bedeckt die Photoſphäre (die ſelbſt— leuchtende Lichthülle), und iſt wolkig und unvollkommen durch— ſcheinend. Merkwürdige Phänomene, rötliche, bera= oder flammen— artige Geſtalten, welche während der totalen Sonnenfinſternis vom 8. Juli 1842, wenn auch nicht zum erſtenmal, doch viel deutlicher und gleichzeitig von mehreren der geübteſten Beobachter geſehen wurden, haben zu der Annahme einer ſolchen dritten Hülle geführt. Arago hat mit großem Scharf— ſinn, nach gründlicher Prüfung der einzelnen Beobachtungen, in einer eigenen Abhandlung die Motive aufgezählt, welche dieſe Annahme notwendig machen. Er hat gleichzeitig erwieſen, daß ſeit 1706 in totalen oder ringförmigen Sonnenfinſterniſſen bereits achtmal ähnliche rote randartige Hervorragungen be— ſchrieben worden ſind.!“ Am 8. Juli 1842 ſah man, als die ſcheinbar größere Mondſcheibe die Sonne ganz bedeckte, nicht bloß einen weißlichen! Schein als Krone oder leuchtenden Kranz die Mondſcheibe umgeben; man ſah auch, wie auf ihrem Rande wurzelnd, zwei oder drei Erhöhungen, welche einige der Beobachter mit rötlichen, zackigen Bergen, andere mit ge— röteten Eismaſſen, noch andere mit unbeweglichen, gezahnten, roten Flammen verglichen. Arago, Laugier und Mauvais in Perpignan, Petit in Montpellier, Airy auf der Superga, Schumacher in Wien und viele andere Aſtronomen ſtimmten in den Hauptzügen der Endreſultate, trotz der großen Ver— ſchiedenheit der angewandten Fernröhren, vollkommen mitein— ander überein. Die Erhöhungen erſchienen nicht immer gleich— zeitig, an einigen Orten wurden ſie ſogar mit dem unbewaff— neten Auge erkannt. Die Schätzung der Höhenwinkel fiel allerdings verſchieden aus; die ſicherſte iſt wohl die von Petit, dem Direktor der Sternwarte zu Toulouſe. Sie war 145“ und würde, wenn die Erhabenheiten wirkliche Sonnenberge wären, Höhen von 10000 geogr. Meilen (74000 km) geben; das iſt faſt ſiebenmal der Durchmeſſer der Erde, während dieſer nur 112mal im Durchmeſſer der Sonne enthalten iſt. Die Geſamtheit der diskutierten Erſcheinungen hat zu der ſehr wahrſcheinlichen Hypotheſe geführt, daß jene roten Geſtalten Aufwallungen in der dritten Hülle ſind, Wolkenmaſſen, welche die Photoſphäre erleuchtet “' und färbt. Arago, indem er dieſe Hypotheſe aufſtellt, äußert zugleich die Vermutung, daß das tiefe Dunkel des blauen Himmels, welches ich ſelbſt auf den höchſten Kordilleren mit, freilich noch bis jetzt ſo unvollkommenen Inſtrumenten gemeſſen, bequem Gelegenheit darbieten könne, jene bergartigen Wolken des äußerſten Dunſt— kreiſes der Sonne häufig zu beobachten.!“ — 276 — Wenn man die Zone betrachtet, in welcher die Sonnen— flecken am gewöhnlichſten gefunden werden les beſchreiben die— ſelben bloß am 8. Juni und 9. Dezember gerade, und dazu unter ſich und dem Sonnenäquator parallele, nicht konkav oder konvex gekrümmte Linien auf der Sonnenſcheibe), ſo iſt es gleich charakteriſtiſch, daß ſie ſelten in der Aequatorialgegend von 3° nördlicher bis 3“ ſüdlicher Breite geſehen werden, ja in der Polargegend gänzlich fehlen. Sie ſind im ganzen am häufigſten zwiſchen 11° und 15° nördlich vom Aequator und überhaupt in der nördlichen Hemiſphäre häufiger, oder, wie Sömmering will, dort ferner vom Aequator zu ſehen als in der ſüdlichen Hemiſphäre(Outlines § 393, Kapreiſe p. 433). Schon Galilei beſtimmte als äußerſte Grenzen nördlicher und ſüdlicher heliozentriſcher Breite 29°. Sir John Herſchel er: weitert dieſe Grenzen bis 35°, ebenſo Schwabe (Schum. Aſtr. Nachr. Nr. 473). Einzelne Flecken hat Laugier (Comptes rendus T. XV, p. 944) bis 41°, Schwabe bis 50° auf⸗ gefunden. Zu den größten Seltenheiten gehört ein Flecken, welchen La Hire unter 70° nördlicher Breite beſchreibt. Die eben entwickelte Verteilung der Flecken auf der Sonnenſcheibe, ihre Seltenheit unter dem Aequator ſelbſt und in der Polargegend, ihre Reihung parallel dem Aequator haben Sir John Herſchel zu der Vermutung ver— anlaßt, daß Hinderniſſe, welche die dritte dunſtförmige äußerſte Umhüllung an einigen Punkten der Entweichung der Wärme entgegenſetzen kann, Strömungen in der Sonnenatmoſphäre von den Polen zum Aequator erzeugen, denen ähnlich, welche auf der Erde, wegen der Geſchwindigkeitsverſchiedenheit unter jedem der Parallelkreiſe, die Urſache der Paſſatwinde und der Windſtillen nahe am Aequator ſind. Einzelne Flecken zeigen ſich ſo permanent, daß ſie, wie der große von 1779, ſechs volle Monate lang immer wiederkehren. Schwabe hat dieſelbe Gruppe 1840 achtmal verfolgen können. Ein ſchwarzer Kern: flecken, welcher in der von mir ſo viel benutzten Kapreiſe von Sir John Herſchel abgebildet iſt, wurde durch genaue Meſſung ſo groß gefunden, daß, wenn unſer ganzer Erdball durch die Oeffnung der Photoſphäre wäre geworfen worden, noch auf jeder Seite ein freier Raum von mehr als 230 geogr. Meilen (1600 km) übrig geblieben wäre. Sömmering macht darauf aufmerk ſam, daß es an der Sonne gewiſſe Meridianſtreifen gibt, in denen er viele Jahre lang nie einen Sonnenflecken hat entſtehen ſehen (Thilo, De Solis maculis a Soemme- — 277 — ringio observatis 1828, p. 22). Die ſo verſchiedenen Angaben der Umlaufszeit der Sonne ſind keineswegs der Ungenauigkeit der Beobachtung allein zuzuſchreiben; ſie rühren von der Eigenſchaft einiger Flecken her, ſelbſt ihren Ort auf der Scheibe zu verändern. Laugier hat dieſem Gegenſtand eine ſpezielle Unterſuchung gewidmet und Flecken beobachtet, welche einzeln Rotationen von 24,28 5 und 26,46 * geben würden. Unſere Kenntnis von der wirklichen Rotationszeit der Sonne kann daher nur als das Mittel aus einer großen Zahl von beobachteten Flecken gelten, welche durch Permanenz der Ge— ſtaltung und durch Unveränderlichkeit des Abſtandes von an— deren, gleichzeitigen Flecken Sicherheit gewähren. Obgleich für den, welcher unbewaffneten Auges mit Abſicht die Sonnenſcheibe durchſpäht, viel öfter deutlich Sonnen— flecken erkennbar werden, als man gewöhnlich glaubt, ſo findet man doch bei ſorgfältiger Prüfung zwiſchen den Anfängen des 9. und des 17. Jahrhunderts kaum Rn bis drei Er: ſcheinungen aufgezeichnet, welchen man Vertrauen ſchenken kann. Ich rechne dahin: aus den zuerſt einem Aſtronomen aus dem Benediktinerorden, ſpäter dem Eginhard zugeſchrie— benen Annalen der fränkiſchen Könige, den ſogenannten acht⸗ tägigen Aufenthalt des Merkur in der Sonnenſcheibe im Jahre 807; den 91 Tage dauernden Durchgang der Venus durch die Sonne unter dem Kalifen Al⸗Motaßem im Jahre 840; die Signa in Sole im Jahre 1096 nach Staindelii Chro— nicon. Die Epochen von rätſelhaften geſchichtlichen Verdunke— lungen der Sonne oder, wie man ſich genauer ausdrücken ſollte, von mehr oder weniger lange dauernder Verminderung der Tageshelle haben mich ſeit Jahren, als meteorologiſche oder vielleicht kosmiſche Erſcheinungen, zu ſpeziellen Unter— juchungen!? veranlaßt. Da große Züge von Sonnenflecken (Hevelius beobachtete dergleichen am 20. Juli 1643, welche den dritten Teil der Scheibe bedeckten) immer von vielen Sonnenfackeln““ begleitet find, jo bin ich wenig geneigt, jene Verdunkelungen, bei denen zum Teil Sterne, wie in totalen Sonnenfinſterniſſen, ſichtbar wurden, den Kernflecken zuzuſchreiben. Die Abnahmen des Tageslichtes, von welchen die An— naliſten Kunde geben, können, glaube ich, ſchon ihrer viel— ſtündigen Dauer wegen (nach du Sejours Berechnung iſt die längſt mögliche Dauer einer totalen Verfinſterung der Sonne für den Aequator 7558“, für die Breite von Paris nur 6° 10“), ee möglicherweise in drei ganz verſchiedenen Urſachen gegründet ſein: 1) in dem geſtörten Prozeß der Lichtentbindung, gleich— ſam in einer minderen Intenſität der Photoſphäre; 2) in Hinderniſſen (größerer und dichterer Wolkenbildung), welche die äußerſte opake Dunſthülle, die, welche die Photoſphäre umgibt, der Licht- und Wärmeſtrahlung der Sonne entgegen— ſetzt; 3) in der Verunreinigung unſerer Atmoſphäre, wie durch verdunkelnden, meiſt organischen Paſſatſtaub, durch Tinten: regen oder mehrtägigen von Macgowan beſchriebenen, chine— ſiſchen Sandregen. Die zweite und dritte der genannten Urſachen erfordern keine Schwächung des vielleicht elektro— magnetiſchen Lichtprozeſſes (des perpetuierlichen Polarlichtes !“ in der Sonnenatmoſphäre; die letzte Urſache ſchließt aber das Sichtbarwerden von Sternen am Mittag aus, von dem ſo oft bei jenen rätſelhaften, nicht umſtändlich genug beſchriebenen Verfinſterungen die Rede iſt. Aber nicht bloß die Exiſtenz der dritten und äußerſten Umhüllung der Sonne, ſondern die Vermutungen über die ganze phyſiſche Konſtitution des Centralkörpers unſeres Planeten— ſyſtems werden bekräftigt durch Aragos Entdeckung der chro— matiſchen Polariſation. „Ein Lichtſtrahl, der viele Mil— lionen Meilen weit aus den fernſten Himmelsräumen zu unſerem Auge gelangt, verkündigt im Polariſkop gleichſam von ſelbſt, ob er reflektiert oder gebrochen ſei, ob er von einem feſten, von einem tropfbar flüſſigen oder von einem gas— förmigen Körper emaniert, er verkündigt ſogar den Grad ſeiner Intenſität.“ Es iſt weſentlich zu unterſcheiden zwiſchen dem natürlichen Lichte, wie es unmittelbar (direkt) der Sonne, den Fixſternen oder Gasflammen entſtrömt und durch Reflexion von einer Glasplatte unter einem Winkel von 35° 25“ pola- riſiert wird, und zwiſchen dem polariſierten Lichte, das als ſolches gewiſſe Subſtanzen (glühende, ſowohl feſte als tropf— bar flüſſige Körper) von ſelbſt ausſtrahlen. Das polarifierte Licht, welches die ebengenannten Klaſſen von Körpern geben, kommt ſehr wahrſcheinlich aus ihrem Inneren. Indem es aus einem dichteren Körper in die dünnen umgebenden Luftſchichten tritt, wird es an der Oberfläche gebrochen, und bei dieſem Vorgange kehrt ein Teil des gebrochenen Strahles nach dem Inneren zurück und wird durch Reflexion polariſiertes Licht, während der andere Teil die Eigenſchaften des durch Refraktion polariſierten Lichtes darbietet. Das chro— matiſche Polariſkop unterſcheidet beide durch die entgegen— — 279 — folgt Stellung der farbigen Komplementarbilder. Mittels ſorgſältiger Verſuche, die über das Jahr 1820 hinausreichen, hat Arago erwieſen, daß ein glühender feſter Körper (z. B. eine rotglühende eiſerne Kugel) oder ein leuchtendes, geſchmol— zenes, fließendes Metall in Strahlen, die in perpendikularer Richtung ausſtrömen, bloß natürliches Licht geben, während die Lichtſtrahlen, welche unter ſehr kleinen Winkeln von den Rändern zu unſerem Auge gelangen, polariſiert ſind. Wurde nun dasſelbe optiſche Werkzeug, durch welches man beide Licht— arten ſcharf voneinander unterſcheidet, das Polariſkop, auf Gasflammen angewendet, ſo war keine Polariſation zu ent— decken, ſollten auch die Lichtſtrahlen unter noch ſo kleinen Winkeln emanieren. Wenn gleich ſelbſt in den gasförmigen Körpern das Licht im Inneren erzeugt wird, ſo ſcheint doch bei der ſo geringen Dichtigkeit der Gasſchichten weder der längere Weg die ſehr obliquen Lichtſtrahlen an Zahl und Stärke zu ſchwächen, noch der Austritt an der Oberfläche, der Uebergang in ein anderes Medium, Polariſation durch Re— fraktion zu erzeugen. Da nun die Sonne ebenfalls keine Spur von Polariſation zeigt, wenn man das Licht, welches in ſehr obliquer Richtung unter bedeutend kleinen Winkeln von den Rändern ausſtrömt, im Polariſkop unterſucht, ſo folgt aus dieſer wichtigen Vergleichung, daß das, was in der Sonne leuchtet, nicht aus dem feſten Sonnenkörper, nicht aus etwas tropfbar Flüſſigem, ſondern aus einer gasförmigen ſelbſt— leuchtenden Umhüllung kommt. Wir haben hier eine materielle phyſiſche Analyſe der Photoſphäre. Dasſelbe Inſtrument hat aber auch zu dem Schluſſe ge— führt, daß die Intenſität des Lichtes in dem Centrum der Sonnenſcheibe nicht größer als die der Ränder iſt. Wenn die zwei komplementaren Farbenbilder der Sonne, das rote und blaue, ſo übereinander geſchoben werden, daß der Rand des einen Bildes auf das Centrum des anderen fällt, ſo ent— ſteht ein vollkommenes Weiß. Wäre die Intenſität des Lichtes in den verſchiedenen Teilen der Sonnenſcheibe nicht dieſelbe, wäre z. B. das Centrum der Sonne leuchtender als der Rand, ſo würde, bei dem teilweiſen Decken der Bilder, in dem ge— meinſchaftlichen Segmente des blauen und roten Diskus nicht ein reines Weiß, ſondern ein blaſſes Rot erſcheinen, weil die blauen Strahlen nur vermögend wären, einen Teil der häufi— geren roten Strahlen zu neutraliſieren. Erinnern wir uns nun wieder, daß in der gasförmigen Photoſphäre der Sonne, — 280 — ganz im Gegenſatz mit dem, was in feſten oder tropfbar flüſſigen Körpern vorgeht, die Kleinheit der Winkel, unter welchen die Lichtſtrahlen emanieren, nicht ihre Zahl an den Rändern vermindert, ſo würde, da derſelbe Viſionswinkel an den Rändern eine größere Menge leuchtender Punkte umfaßt, als in der Mitte der Scheibe, nicht auf die Kompenſation zu rechnen ſein, welche, wäre die Sonne eine leuchtende eiſerne Kugel, alſo ein feſter Körper, an den Rändern zwiſchen den entgegengeſetzten Wirkungen der Kleinheit des Strahlungs— winkels und des Umfaſſens einer größeren Zahl von Licht— punkten unter demſelben Viſionswinkel ſtattfände. Die ſelbſt— leuchtende gasförmige Umhüllung, d. i. die uns ſichtbare Sonnenſcheibe, müßte ſich alſo im Widerſpruch mit den An— zeigen des Polariſkops, welches den Rand und die Mitte von gleicher Intenſität gefunden, leuchtender in dem Centrum als an dem Rande darſtellen. Daß dem nicht ſo iſt, wird der äußerſten, trüben Dunſthülle zugeſchrieben, welche die Photo— ſphäre umgibt, und das Licht vom Centrum minder dämpft als die auf langem Wege die Dunſthülle durchſchneidenden Lichtſtrahlen der Ränder.!“ Bouguer und Laplace, Airy und Sir John Herſchel ſind den hier entwickelten Anſichten meines Freundes entgegen; ſie halten die Intenſität des Lichtes der Ränder für ſchwächer als die des Centrums, und der zuletzt genannte unter den berühmten Phyſikern und Aſtronomen er— innert,“ „daß, nach den Geſetzen des Gleichgewichtes, dieſe äußere Dunſthülle eine mehr abgeplattete, ſphäroidiſche Ge— ſtalt haben müſſe als die darunter liegenden Hüllen, ja daß die größere Dicke, welche der Aequatorialgegend zukommt, einen Unterſchied in der Quantität der Lichtausſtrahlung her— vorbringen möchte“. Arago iſt in dieſem Augenblick mit Ver— ſuchen beſchäftigt, durch die er nicht bloß ſeine eigenen An— ſichten prüfen, ſondern auch die Reſultate der Beobachtung auf genaue numeriſche Verhältniſſe zurückführen wird. Die Vergleichung des Sonnenlichtes mit den zwei inten— ſivſten künſtlichen Lichtern, welche man bisher auf der Erde hat hervorbringen können, gibt, nach dem noch ſo unvoll— kommenen Zuſtande der Photometrie, folgende numeriſche Re— ſultate: In den ſcharfſinnigen Verſuchen von Fizeau und Foucault war Drummonds Licht (hervorgebracht durch die Flamme der Oxhydrogenlampe, auf Kreide gerichtet), zu dem der Sonnenſcheibe wie 1 zu 146. Der leuchtende Strom, welcher in Davys Experiment zwiſchen zwei Kohlenſpitzen — 281 — mittels einer Bunſenſchen Säule erzeugt wird, verhielt 5 bei 46 kleineren Platten zum Sonnenlichte wie 1 zu = bei Anwendung ſehr großer Platten aber wie 1 zu 2,5; war alſo noch nicht dreimal ſchwächer als Sonnenlicht. = de Wenn man heute noch nicht ohne Erſtaunen vernimmt, daß Drummonds blendendes Licht, auf die Sonnenſcheibe proji⸗ ziert, einen ſchwarzen Flecken bildet, jo erfreut man ſich zwei: fach der Genialität, mit der Galilei ſchon 1612 Se eine Reihe von Schlüſſen r über die Kleinheit der Entfernung von der Sonne, in welcher die Scheibe der Venus am Him— melsgewölbe nicht mehr dem bloßen Auge ſichtbar iſt, zu dem Reſultate gelangt war, daß der ſchwärzeſte Kern der Sonnenflecken leuchtender ſei als die hellſten Teile des Voll: mondes. William Herſchel ſchätzte (die Intenſität des ganzen Sonnenlichts zu 1000 geſetzt) die Höfe oder Penumbren der Sonnenflecken im Mittel zu 469 und den ſchwarzen Kernfleck ſelbſt zu 7. Nach dieſer, wohl nur ſehr mutmaßlichen An— gabe beſäße, da man die Sonne nach Bouguer für 300000 mal lichtſtärker als den Vollmond hält, ein ſchwarzer Kernfleck noch über 2000mal mehr Licht als der Vollmond. Der Grad der Erleuchtung der von uns geſehenen Kernflecken, d. i. des an ſich dunklen Körpers der Sonne, erleuchtet durch Reflex von den Wänden der geöffneten Photoſphäre, von der inneren, die Penumbren erzeugenden Dunſthülle, und durch das Licht der irdiſchen Luftſchichten, durch die wir ſehen, hat ſich auch auf eine merkwürdige Weiſe bei einigen Durchgängen des Merkur offenbart. Mit dem Planeten verglichen, welcher uns alsdann die ſchwarze Nachtſeite zuwendet, erſchienen die nahen, dunkelſten Kernflecken in einem lichten Braungrau. Ein vor⸗ trefflicher Beobachter, Hofrat Schwabe in Deſſau, iſt bei dem Merkurdurchgange vom 5. Mai 1832 auf dieſen Unterſchied der Schwärze zwiſchen Planet und Kernflecken beſonders auf— merkſam geweſen. Mir ſelbſt iſt leider bei dem Durchgang vom 9. November 1802, welchen ich in Peru beobachtete, da ich zu anhaltend mit Abſtänden von den Fäden beſchäftigt war, die Vergleichung entgangen, obgleich die Merkurſcheibe die nahen dunklen Sonnenflecken faſt berührte. Daß die Sonnenflecken bemerkbar weniger Wärme ausſtrahlen als die fleckenloſe Teile der Sonnenſcheibe, iſt ſchon 1815 in Amerika von dem Profeſſor Henry zu Princeton durch ſeine Verſuche erwieſen worden. Das Bild der Sonne und eines großen Sonnenfleckens wurden auf einen Schirm projiziert und die Wärmeunterſchiede mittels eines thermoelektriſchen Apparates gemeſſen. Sei es, daß die Wärmeſtrahlen ſich von den d durch andere Längen der Transverſalſchwingungen des Aethers unterſcheiden, oder, mit den Lichtſtrahlen identiſch, nur in einer gewiſſen Geſchwindigkeit von Schwingungen, welche ſehr hohe Temperaturen erzeugt, in unſeren Organen die Licht— empfindung hervorbringen, ſo kann die Sonne doch, als Hauptquelle des Lichtes und der Wärme, auf unſerem Pla— neten, beſonders in deſſen gasartiger Umhüllung, im Luft— kreiſe, magnetiſche Kräfte hervorrufen und beleben. Die frühe Kenntnis thermoelektriſcher Erſcheinungen in kriſtalli— ſierten Körpern (Turmalin, Boracit, Topas) und Oberſtedts große Entdeckung (1820), nach welcher jeder von Elektrizität durchſtrömte Leiter während der Dauer des elektriſchen Stromes beſtimmte Einwirkung auf die Magnetnadel hat, offenbarten faktiſch den Verkehr zwiſchen Wärme, Elektrizität und Magne— tismus. Auf die Idee ſolcher Verwandtſchaft geſtützt, ſtellte der geiſtreiche Ampere, der allen Magnetismus ellektriſchen Strömungen zuſchrieb, welche in einer ſenkrecht auf die Achſen der Magnete gerichteten Ebene liegen, die Hypotheſe auf, daß der Erdmagnetismus (die magnetiſche Ladung des Erd— körpers) durch elektriſche Strömungen erzeugt werde, welche den Planeten von Oſt nach Weſt umfließen, ja daß die ſtünd— lichen Variationen der magnetiſchen Deklination deshalb Folge der mit dem Sonnenſtand wechſelnden Wärme, als des Er— regers der Strömungen, ſei. Die thermomagnetiſchen Ver— ſuche von Seebeck, in welchen Temperaturdifferenzen in den Verbindungsſtellen eines Kreiſes (von Wismut und Kupfer oder anderen heterogenen Metallen) eine Ableitung der Mag: netnadel verurſachen, beſtätigten Amperes Anſichten. Eine neue, wiederum glänzende Entdeckung Faradays, deren nähere Erörterung faſt mit dem Druck dieſer Blätter zuſammenfällt, wirft ein unerwartetes Licht über dieſen wich— tigen Gegenſtand. Während frühere Arbeiten dieſes großen Phyſikers lehrten, daß alle Gasarten diamagnetiſch, d. h. ſich oſtweſtlich ſtellend, wie Wismut und Phosphor, ſeien, das Sauerſtoffgas aber am ſchwächſten, wurde durch ſeine letzte Arbeit, deren Anfang bis 1847 hinaufreicht, erwieſen, daß Sauerſtoffgas allein unter allen Gasarten ſich wie Eiſen, d. h. in nordſüdlicher Achſenſtellung, verhalte, ja daß das — 283 — Sauerſtoffgas durch Verdünnung und Erhöhung der Tem— peratur von ſeiner paramagnetiſchen Kraft verliere. Da die diamagnetiſche Thätigkeit der anderen Beſtandteile der Atmo— ſphäre, des Stickgaſes und der Kohlenſäure, weder durch ihre Ausdehnung, noch durch Temperaturerhöhung modifiziert wird, ſo iſt nur die Hülle von Sauerſtoff in Betrachtung zu ziehen, welche den ganzen Erdball „gleichſam wie eine große Kuppel von dünnem Eiſenblech umgibt und von ihm Magne— tismus empfängt“. Die Hälfte der Kuppel, welche der Sonne zugekehrt iſt, wird weniger paramagnetiſch ſein als die ent— gegengeſetzte, und da dieſe Hälften durch Rotation und Revo— lution um die Sonne ſich immerfort in ihren Grenzen räum— lich verändern, ſo iſt Faraday geneigt, aus dieſen thermiſchen Verhältniſſen einen Teil der Variationen des telluriſchen Magnetismus auf der Oberfläche herzuleiten. Die durch Ex— perimente begründete Aſſimilation einer einzigen Gasart, des Sauerſtoffs mit dem Eiſen iſt eine wichtige Ent— deckung unſerer Zeit; ſie iſt um ſo wichtiger, als der Sauer— ſtoff wahrſcheinlich faſt die Hälfte aller ponderablen Stoffe in den uns zugänglichen Teilen der Erde bildet. Ohne die An— nahme magnetiſcher Pole in dem Sonnenkörper oder eigener magnetiſcher Kräfte in den Sonnenſtrahlen kann der Central— körper als ein mächtiger Wärmequell magnetiſche Thätigkeit auf unſerem Planeten erregen. Die Verſuche, welche man gemacht hat, durch vieljährige, an einzelnen Orten angeſtellte, meteorologiſche Beobachtungen zu erweiſen, daß eine Seite der Sonne (z. B. die, welche am 1. Januar 1846 der Erde zugewandt war) eine ſtärker wär⸗ mende Kraft als die entgegengeſetzte beſitze, haben ebenſo— wenig zu ſicheren Reſultaten geführt, als die ſogenannten Be: weiſe der Abnahme des Sonnendurchmeſſers, geſchloſſen aus den älteren Greenwicher Beobachtungen von Maskelyne. Feſter begründet aber ſcheint die vom Hofrat Schwabe in Deſſau auf beſtimmte Zahlenverhältniſſe reduzierte Periodizität der Sonnenflecken.?? Keiner der letzt lebenden Aſtronomen, die mit vortrefflichen Inſtrumenten ausgerüſtet ſind, hat dieſem Gegenſtand eine ſo anhaltende Aufmerkſamkeit widmen können. Während des langen Zeitraums von 24 Jahren hat Schwabe oft über 300 Tage im Jahre die Sonnenſcheibe durchforſcht. Da ſeine Beobachtungen der Sonnenflecken von 1844 bis 1850 noch nicht veröffentlicht waren, ſo habe ich von ſeiner Freund— ſchaft erlangt, daß er mir dieſelben mitgeteilt, und zugleich — 284 — auf eine Zahl von Fragen geantwortet hat, die ich ihm vor— gelegt. Ich ſchließe den Abſchnitt von der phyſiſchen Kon— ſtitution unſeres Centralkörpers mit dem, womit jener Beobachter den aſtronomiſchen Teil meines Buches hat be— reichern wollen. i „Die in der nachfolgenden Tabelle enthaltenen Zahlen laſſen wohl keinen Zweifel übrig, daß wenigſtens vom Jahre 1826 bis 1850 eine Periode der Sonnenflecken von ungefähr 10 Jahren in der Art ſtattgefunden hat, daß ihr Maximum in die Jahre 1828, 1837 und 1848, ihr Minimum in die Jahre 1833 und 1843, gefallen iſt. Ich habe keine Gelegenheit gehabt (ſagt Schwabe), ältere Beobachtungen in einer fortlaufenden Reihe kennen zu lernen, ſtimme aber gern der Meinung bei, daß dieſe Periode ſelbſt wieder veränder— lich fein könne.?“ Fleckenfreie Beobachtungs— Jahr Gruppen Tage | Tage 1826 118 22 277 1827 161 2 273 1828 225 0 282 1829 199 0 244 1830 190 1 217 1831 149 3 239 1832 84 49 270 1833 33 139 267 1834 51 120 273 1835 173 18 244 1836 272 0 200 | 1837 — 333 0 168 1838 282 0 202 1839 162 0 205 1840 152 3 263 1841 102 15 | 283 1842 68 64 307 1843 34 149 | 312 1844 52 111 321 1845 114 29 | 332 1846 157 1 314 1847 257 0 | 276 1848 330 0 278 | 1849 238 0 285 | 1850 186 2 308 | — 285 — „Große, mit unbewaffnetem Auge ſichtbare Sonnen— flecken beobachtete ich faſt in allen den Jahren, in welchen das Minimum nicht ſtattfand; die größten erſchienen 1828, 1829, 1831, 1836, 1837, 1838, 1839, 1847, 1848. Große Sonnenflecken nenne ich aber diejenigen, welche einen Durch— meſſer von mehr als 50“ haben. Dieſe fangen dann erſt an, dem unbewaffneten, ſcharfſichtigen Auge ſichtbar zu werden. „Unbezweifelt ſtehen die Sonnenflecken in genauer Be— ziehung zu der Fackelbildung; ich ſehe häufig ſowohl nach dem Verſchwinden der Flecken an demſelben Orte Fackeln oder Narben entſtehen, als auch in den Fackeln neue Sonnen— flecken ſich entwickeln. Jeder Flecken iſt mit mehr oder weniger ſtarkem Lichtgewölk umgeben. Ich glaube nicht, daß die Sonnenflecken irgend einen Einfluß auf die Tempe— ratur des Jahres haben. Ich notiere täglich dreimal den Barometer- und Thermometerſtand; die hieraus jährlich ge: zogenen Mittelzahlen laſſen bisher keinen bemerkbaren Zu— ſammenhang ahnen zwiſchen Klima und Zahl der Flecken. Wenn ſich aber auch in einzelnen Fällen ſcheinbar ein ſolcher Zuſammenhang zeigte, ſo würde derſelbe doch nur dann erſt von Wichtigkeit werden, wenn die Reſultate aus vielen an— deren Teilen der Erde damit übereinſtimmten. Sollten die Sonnenflecken irgend einen geringen Einfluß auf unſere Atmo— ſphäre haben, ſo würde meine Tabelle vielleicht eher darauf hindeuten, daß die fleckenreichen Jahre weniger heitere Tage zählten als die fleckenarmen. (Schumachers Nitro: nomiſche Nachrichten Nr. 638, S. a „William Herſchel nannte die helleren? Lichtſtreifen, welche ſich nur gegen den Sonnenrand hin zeigen, Fackeln, Narben aber die aderartigen Stellen, welche bloß gegen die Mitte der Sonnenſcheibe hin ſichtbar werden (Aſtr. Nachr. Nr. 350, S. 243). Ich glaube mich überzeugt zu haben, daß Fackeln und Narben aus demſelben geballten Lichtgewölk her— rühren, welches am Sonnenrande lichtvoller hervortritt, in der Mitte der Sonnenſcheibe aber, weniger hell als die Oberfläche, in der Form von Narben erſcheint. Ich ziehe vor, alle helleren Stellen auf der Sonne Lichtgewölk zu nennen, und das— ſelbe nach ſeiner Geſtaltung in geballtes und ad erförmiges einzuteilen. Dieſes Lichtgewölk iſt auf der Sonne unregel— mäßig verteilt, und gibt bisweilen der Scheibe bei ſeinem ſtärkeren Hervortreten ein marmoriertes Anſehen. Das— ſelbe iſt oft am ganzen Sonnenrande, ja zuweilen bis zu den — 286 — Polen, deutlich ſichtbar, jedoch immer am kräftigſten in den eigentlichen beiden Fleckenzonen, ſelbſt in Epochen, wo dieſe keine Flecken haben. Alsdann erinnern beide helle Flecken— zonen der Sonne lebhaft an die Streifen des Jupiter. „Furchen ſind die zwiſchen dem aderförmigen Lichtgewölk befindlichen matteren Stellen der allgemeinen Sonnenober— fläche, welche ſtets ein chagrinartiges, grießſandiges Anſehen hat, d. h. an Sand erinnert, der aus gleich großen Körnern beſteht. Auf dieſer chagrinartigen Oberfläche ſieht man zu— weilen außerordentlich kleine mattgraue (nicht ſchwarze) Punkte (Poren), die wiederum mit äußerſt feinen dunklen Aederchen durchzogen ſind (Aſtr. Nachr. Nr. 473, S. 286). Solche Poren bilden, wenn ſie in Maſſe vorhanden ſind, graue, nebelartige Stellen, ja die Höfe der Sonnenflecken. In dieſen ſieht man Poren und ſchwarze Punkte meiſt ſtrahlenförmig ſich vom Kern aus zum Umfange des Hofes verbreiten, wor— aus die ſo oft ganz übereinſtimmende Geſtalt des Hofes mit der des Kernes entſteht.“ Die Bedeutung und der Zuſammenhang ſo wechſelnder Erſcheinungen werden ſich dann erſt dem forſchenden Phyſiker in ihrer ganzen Wichtigkeit darbieten, wenn einſt unter der vielmonatlichen Heiterkeit des Tropenhimmels mit Hilfe mecha— niſcher Urbewegung und photographiſcher Apparate eine un— unterbrochene Reihe von Darſtellungen der Sonnenflecken er: langt werden kann. Die in den gasförmigen Umhüllungen des dunklen Sonnenkörpers vorgehenden meteorologiſchen Pro— zeſſe bewirken die Erſcheinungen, welche wir Sonnenflecken und geballte Lichtwolken nennen. Wahrſcheinlich ſind auch dort, wie in der Meteorologie unſeres Planeten, die Stö— rungen von ſo mannigfaltiger und verwickelter Art, in ſo allgemeinen und örtlichen Urſachen gegründet, daß nur durch eine lange und nach Vollſtändigkeit ſtrebende Beobachtung ein Teil der noch dunklen Probleme gelöſt werden kann. Anmerkungen. (S. 262.) Vergl. oben, wo ich nach Uranusweiten, als dem damaligen Maß der Begrenzung des Planetenſyſtems, rechnete, Kosmos Bd. J, S. 80, 105 und 287 (Anm. 76). Wenn man den Abſtand des Neptuns von der Sonne zu 30,04 Erd: weiten annimmt, jo iſt die Entfernung des * Centauri von der Sonne noch 7523 Neptunsweiten, die Parallaxe angenommen zu 0,9128“; und doch iſt die Entfernung von 61 Cygni ſchon faſt 2½/ mal, die des Sirius (bei einer Parallaxe von 0,230") Amal größer als die von « Centauri. (Eine Neptunsweite iſt ungefähr 4608 Millionen km, oder 621 Millionen geographiſcher Meilen, deren nach Hanſen 396 ½ Millionen auf den Abſtand des Uranus gehen. Eine Siriusweite beträgt nach Galle, bei Henderſons Parallaxe, 896 800 Halbmeſſer der Erdbahn = 18547 000 Millionen geogr. Meilen — 137626880 Millionen km; eine Ent- fernung, die einem Lichtwege von 14 Jahren entſpricht.) Das Aphel des Kometen von 1680 iſt 44 Uranusweiten, alſo 28 Nep⸗ tunsweiten, von der Sonne entfernt. Nach dieſen Annahmen iſt der Sonnenabſtand des Sternes & Centauri faſt 270mal größer als jenes Aphel, welches wir hier als das Minimum der ſehr ge— wagten Schätzung von dem halben Durchmeſſer des Sonnengebiets betrachten (Kosmos Bd. III, S. 209). Die Angabe ſolcher nume— riſchen Verhältniſſe gewährt, bei geringer Anſchaulichkeit, doch wenigſtens den Vorteil, daß die Annahme eines ſehr großen räum— lichen Grundmaßes zu Reſultaten führt, die in kleineren Zahlen ausgedrückt werden können. (S. 267.) „Die Sonne ſei das Herz des Univerſums“; aus Theonis Smyrnaei Platonici liber de Astrono mia ed. H. Martin 1849, p. 182 und 298: ds Euboytas n&sov N cep! c MAtov, olovel zapülnv ννιν Tod , Odev WEponaty adrod ., nv boymv Gokauevmv di mavros Treiv Tod oWwumtog reranevnv and av ,,,. (Dieje neue Ausgabe iſt merkwürdig, weil ſie peripatetiſche Meinungen des Adraſtus und viele plato— niſche des Dercyllides vervollſtändigt.) (S. 269.) Nach neueren Meſſungen beträgt der Durchmeſſer der Sonne bloß das 109fache desjenigen der Erde. — (D. Herausg.) — 288 — (S. 270.) „D’apres l'état actuel le nos connaissances astronomiques le Soleil se compose: 1“ d'un globe central à peu pres obscur; 2“ d'une immense couche de nuages qui est suspendue à une certäine distance de ce globe et l’en- veloppe de toutes parts; 3“ d'une photosphere; en autres termes d’une sphere resplendissante qui enveloppe la couche nuageuse, comme celle-ci a son tour, enveloppe le noyau obscur. L’eclipse totale du 8 juillet 1542 nous a mis sur la trace d’une troisieme enveloppe, situee au-dessus de la photosphere et forınee de nuages obscurs ou faiblement lumineux. — Ce sont les nuages de la troisieme enveloppe solaire, situes en appa- rence, pendant l’eclipse totale, sur le contour de l’astre ou un peu en dehors, qui ont donné lieu à ces singulieres pro- eminences rougeätres qui en 1842 ont si vivement excite l’at- tention du monde savant.“ Arago in dem Annuaire du Bureau des Longitudes pour lan 1846, p. 464 und 471. Auch Sir John Herſchel nimmt an: „Above the luminous surface of the Sun and the region, in which the sports reside, the existence of a gaseous atmosphere having a somewhat imperfect transparency.“ [Nach den bisherigen, teleſkopiſchen Wahrnehmungen geſtaltet ſich das Bild des Sonnenkörpers weſent— lich anders, nämlich kurz ſo: Um den eigentlichen Sonnenkern, in den weder das Fernrohr, noch das Spektroſkop einzudringen ver- mag, lagert ſich konzentriſch die Photoſphäre über diejenige Schicht, von der hauptſächlich Licht und Wärme ausgeht, und deren äußere Begrenzung die uns gewöhnlich ſichtbare Oberfläche bildet. Zunächſt über derſelben befindet ſich eine aus glühenden Gaſen und Dämpfen aller Stoffe, deren Anweſenheit auf der Sonne ſpektroſkopiſch nachgewieſen iſt, beſtehende Atmoſphäre von ſehr geringer, kaum 1500 km überſteigender Höhe. Ueber dieſer Schicht breitet ſich die ſogenannte Chromoſphäre aus, welche in ihren oberen Teilen hauptſächlich aus Waſſerſtoffgas beſteht, in den niedrigeren mit metalliſchen Dämpfen gefüllt iſt, und darüber hin— aus die in ungeheure Entfernungen ſich erſtreckende Corona. — D. Herausg.] (S. 270.) Es kommt zuerſt darauf an, die Stellen, auf welche ich mich im Texte beziehe und durch eine lehrreiche Schrift von Clemens (Giordano Bruno und Nikolaus von Cuſa 1847, S. 10) aufmerkſam geworden bin, in der Original: ſprache zu geben. Der Kardinal Nikolaus von Cuſa (der Familien⸗ name war Khrypffs, d. i. Krebs), gebürtig aus Cues an der Moſel, ſagt in dem 12. Kapitel des zweiten Buches von dem zu ſeiner Zeit jo berühmten Traktate De docta Ignorantia: „Neque color nigredinis est argumentum vilitatis Terrae; nam in Sole si quis esset, non appareret illa elaritas quae nobis; considerato enim corpore Solis, tune habet quandam quasi terram centraliorem, et quandam luciditatem quasi ignilem — 289 — circumferentialem, et in medio quasi aqueam nubem et aörem clariorem, quemadmodum terra ista sua elementa.“ Daneben ſteht: Paradoxa und Hypni; das letzte Wort ſoll alſo hier gewiß Träumereien (Evörvem), etwas Gewagtes be— zeichnen. — In der langen Schrift „Exercitationes ex Sermonibus Cardinalis“ finde ich wieder in einem Gleich— nis: „Sicut in Sole considerari potest natura corporalis, et illa de se non est magnae virtutis (trotz der Maſſenanziehung oder Gravitation!) et non potest virtutem suam aliis corporibus communicare, quia non est radiosa. Et alia natura lucida illi unita, ita quod Sol ex unione utriusque naturae habet virtutem, quae sufficit huie sensibili mundo, ad vitam innovandam in vegetabilibus et animalibus, in elementis et mineralibus per suam influentiam radiosam. Sie de Christo, qui est sol justi- Dae “ Dr. Clemens glaubt, dies alles ſei mehr als qlüd- liche Ahnung. Es ſcheint ihm „ſchlechterdings unmöglich, daß ohne eine ziemlich genaue Beobachtung der Sonnenflecken, jo- wohl der dunklen Stellen in denſelben, als der Halbſchatten, Cuſa ſich an den angeführten Orten (considerato corpore Solis, in Sole considerari potest ..... ) auf die Erfahrung hätte berufen können“. Er vermutet, „daß der Scharfblick des Philoſophen der neueſten Wiſſenſchaft in ihren Ergebniſſen vorgegriſffen, und daß auf ſeine Anſichten Entdeckungen eingewirkt haben mögen, die erſt Späteren zugeſchrieben zu werden pflegen.“ Es iſt allerdings nicht bloß möglich, ſondern ſogar recht wahrſcheinlich, daß in Gegenden, wo die Sonne mehrere Monate verſchleiert iſt, wie während der garua im Litorale von Peru, ſelbſt ungebildete Völker mit bloßen Augen Sonnenflecken geſehen haben; aber daß ſie dieſelben beachtet, beim Sonnendienſt in ihre religiöſen Mythen verflochten hätten, davon hat noch kein Reiſender Kunde geben können. Die bloße und ſo ſeltene Erſcheinung eines Sonnenfleckens, mit unbewaff— netem Auge in der niedrig ſtehenden oder dünn verſchleierten, dann weißen, roten, vielleicht grünlichen Sonnenſcheibe geſehen, würde ſelbſt geübte Denker wohl nie auf die Vermutung mehrerer Umhül— lungen des dunklen Sonnenkörpers geführt haben. Wenn der Kar— dinal Cuſa etwas von Sonnenflecken gewußt hätte, würde er gewiß nicht unterlaſſen haben, bei den vielen Vergleichungen phy— ſiſcher und geiſtiger Dinge, zu denen er nur allzu geneigt iſt, der maculae Solis zu erwähnen. Man erinnere ſich nur des Aufſehens und bitteren Streites, welche im Anfang des 17. Jahrhunderts, gleich nach Erfindung des Fernrohrs, die Entdeckungen von Joh. Fabricius und Galilei erregten. An die dunkel ausgedrückten aſtro— nomiſchen Vorſtellungen des Kardinals, der 1464, alſo neun Jahre eher ſtarb, als Kopernikus geboren war, habe ich ſchon früher er— innert. — Die merkwürdige Stelle: Jam nobis manifestum est Terram in veritate moveri, ſteht in lib. II, cap. 12, De docta Ignorantia. Nach Cuſa iſt in jedem Teile des Himmelsraumes A. v. Humboldt, Kosmos. III. 19 — 290 — alles bewegt; wir finden keinen Stern, der nicht einen Kreis be— ſchriebe. „Terra non potest esse fixa, sed movetur ut aliae stellae.* Die Erde kreiſt aber nicht um die Sonne, ſondern Erde und Sonne kreiſen, „um die ewig wechſelnden Pole des Univer— ſums“. Cuſa iſt alſo kein Kopernikaner, wie dies erſt das ſo glücklich im Hoſpital zu Cues aufgefundene, von des Kardinals eigener Hand 1444 geſchriebene Bruchſtück erweiſt. ° (S. 271.) „Borbonia Sidera, id est planetae qui Solis lumina eircumvolitant motu proprio et regulari, falso hacte- nus ab helioscopis Maculae Solis nuncupati, ex novis ob- servationibus Joannis Tarde 1620.“ — „Austriaca Sidera heliocyclica astronomicis hypothesibus illigata opera Caroli Malapertii Belgae Montensis a Societate Jesu 1633.“ Die letztere Schrift hat wenigſtens das Verdienſt, Beobachtungen von einer Reihe von Sonnenflecken zwiſchen 1618 und 1626 zu geben. Es ſind aber dieſelben Jahre, für welche Scheiner in Rom eigene Beob— achtungen in ſeiner Rosa Ursina veröffentlichte. Der Kanoni— kus Tarde glaubt ſchon darum an Durchgänge kleiner Planeten, weil das Weltauge, „'oeil du Monde ne peut avoir des oph- thalmies!“ Es muß mit Recht wunder nehmen, daß 20 Jahre nach Tarde und ſeinen borboniſchen Trabanten der um die Beobachtungskunſt ſo verdiente Gascoigne noch die Sonnenflecken einer Konjunktion vieler um den Sonnenkörper in großer Nähe kreiſender, faſt durchſcheinender, planetariſcher Körper zuſchrieb. Mehrere derſelben, gleichſam übereinander gelegt, ſollten ſchwarze Schattenbilder verurſachen. (S. 271.) Obgleich Caſſini ſchon 1671 und La Hire 1700 den Sonnenkörper für dunkel erklärt hatten, fährt man fort, in ſchätzbaren aſtronomiſchen Lehrbüchern die erſte Idee dieſer Hypo— theſe dem verdienſtvollen Lalande zuzuſchreiben. Lalande, in der Ausgabe feiner Aſtronomie von 1792, T. III. S 3240, wie in der erſten von 1764, T. II, $ 2515, bleibt bloß der alten Meinung von La Hire getreu, der Meinung: Que les taches sont les emi- nences de la masse solide et opaque du Soleil, recouverte communément (en entier) par le Auide igné. Zwiſchen 1769 und 1774 hat Alexander Wilſon die erſte richtige Anſicht einer trichterförmigen Oeffnung in der Photoſphäre gehabt. (S. 271.) Alexander Wilſon, Observ. on the Solar Spots in den Philos. Transact. Vol. LXIV, 1774, Part. 1. p. 6-13, Tab. 1. „I found that de Umbra, which before was equally broad all round the nucleus, appeared much contracted on that part which lay towards the centre of the disc, whilst the other parts of it remained nearly of the for- mer dimensions. I perceived that the shady zone or umbra, which surrounded the nucleus, might be nothing else but the shelving sides of the luminous matter of the sun.“ ’ (S. 273.) Die hier im Texte entwickelte Theorie W. Herſchels — 291 — hat heute nur noch hiſtoriſches Intereſſe. Mit der Anwendung der Spektralanalyſe, alſo ſeit 1859, dem Todesjahre A. von Humboldts, trat die Unhaltbarkeit der ihr zu Grunde liegenden Annahmen in beſtimmteſter Weiſe hervor. — [D. Herausg.] (S. 274.) Ein offizielles Zuſammenſtellen von Kornteue— rung und vielmonatlicher Verdunkelung der Sonnenſcheibe wird in den hiſtoriſchen Fragmenten des älteren Cato erwähnt. Luminis caligo und defectus Solis deutet bei römiſchen Schrift— ſtellern, z. B. in Erzählungen über die Verbleichung der Sonne nach dem Tode des Cäſar, keineswegs immer auf eine Sonnen— finſternis. So findet ſich bei Aulus Gellius: „Verba Catonis in Originum quarto hac sunt: non libet scribere, quod in tabula apud Pontificem maximum est, quotiens anona cara. quotiens lunae an solis lumini caligo, aut quid obstiterit.“ (S. 275.) Dieſe „Protuberanzen“ find ſeither der Gegenſtand aufmerkſamer und regelmäßiger Beobachtungen geworden, zumal ſeit— dem es gelungen iſt, dieſelben auch außerhalb der Sonnenfinſterniſſe, zu jeder Zeit unterſuchen zu können. Es ergab ſich daraus unzmeifel- haft, daß ſie ſolare Gebilde, lokale Anhäufungen eines glühenden, gasförmigen, hauptſächlich aus Waſſerſtoffgas beſtehenden Mittels ſind, welches die ganze Sonne umhüllt und nach Norman Lockyers Vorſchlag Chromoſphäre benannt worden iſt. — [D. Herausg.] 1 (S. 275.) Das iſt der weißliche Schein, welcher auch in der Sonnenfinſternis vom 15. Mai 1836 geſehen ward und von welchem ſchon damals der große Königsberger Aſtronom ſehr richtig ſagte, „daß, als die Mondſcheibe die Sonne ganz verdeckte, noch ein leuchtender Ring der Sonnenatmoſphäre übrig blieb“. 1 (S. 275.) „Si nous examinions de plus pres l’expli- cation d’apres laquelle les protuberances rougeätres seraient assimilees à des nuages (de la troisieme enveloppe), nous ne trouverions aucun principe de physique qui nous empächät d’admettre que des masses nuageuses de 25 & 30000 lieues de long flottent dans l’atmosphere du Soleil, que ces masses comme certains nuages de l’atmosphere terrestre, ont des contours arr&tes, qu'elles affectent, ca et lä, des formes tres tourmentees, m@me des formes en surplomb; que la lumiere solaire (la photosphere) les colore en rouge. — Si cette troisieme enveloppe existe, elle donnera peut-&tre la clef de quelques- unes des grandes et deplorables anomalies que l’on remarque dans le cours des saisons.“ Arago im Annuaire pour 1846, p. 460 und 467. 14 (S. 275.) „Tout ce qui affaiblira sensiblement l'in- tensite éclairante de la portion de l’atmosphere terrestre qui parait entourer et toucher le contour circulaire du Soleil, pourra contribuer à rendre les pro@minences rougeätres vi- sibles. Il est done permis d’esperer qu'un astronome exerce, etabli au sommet d'une tres haute montagne, pourrait y — 2 observer regulierement les nuages de la troisiöme enveloppe so- laire situés, en apparence, sur le contour de l’astre ou un peu en dehors,; determiner ce qu'ils ont de permanent et de va- riable, noter les periodes de disparition et de r&apparition ....“ Arago, a. a. O. p. 471. (S. 277.) Wenn es auch nicht zu leugnen iſt, daß bei Griechen und Römern einzelne Individuen mit bloßem Auge große Sonnenflecken geſehen haben mögen, ſo ſcheint es doch ge— wiß, daß ſolche vereinzelte Beobachtungen nie griechiſche und rö— miſche Schriftſteller in den auf uns gekommenen Werken veranlaßt haben, der Erſcheinung zu erwähnen. Die Stellen des Theophraſt, des Aratus, Diosemea, und Proelus, in welchen Ideler, der Sohn, Bezeichnung von Sonnenflecken zu finden glaubte, be— ſagen bloß, daß die Sonnenſcheibe, die gutes Wetter bedeute, keine Verſchiedenheit auf ihrer Oberfläche, nichts Bezeichnendes (es zı spa. gEpor), ſondern völlige Gleichartigkeit zeige. Das uus, die ſcheckige Oberfläche, wird dazu ausdrücklich leichtem Gewölk, dem atmoſphäriſchen Dunſtkreiſe (der Scholiaſt des Artus ſagt: der Dicke der Luft) zugeſchrieben; daher iſt auch immer von Morgen⸗ und Abendſonne die Rede, weil deren Scheiben, unabhängig von allen wirklichen Sonnenflecken, als Diaphanometer, noch gegen- wärtig den Ackerbauer wie den Seemann, nach einem alten, nicht zu verachtenden Glauben, über nahe bevorſtehende Wetterverände— rungen belehren. Die Sonnenſcheibe am Horizont gibt Aufſchlüſſe über den Zuſtand der unteren, der Erdoberfläche näheren Luft ſchichten. — Von den im Text bezeichneten, dem unbewaffneten Auge ſichtbaren Sonnenflecken, welche man in den Jahren 807 und 840 fälſchlich für Durchgänge des Merkur und der Venus ge— halten hat, iſt der erſtere aufgeführt in der großen hiſtoriſchen Sammlung von Juſtus Reuberus, Veteres Scriptores (1726), und zwar in der Abteilung: Annales Regum Fran- corumPipini, Karoli Magni etLudoviei a quodam ejus aetatis Astronomo, Ludovici regis domestico, conscripti, p. 58. Für den Verfaſſer dieſer Annalen wurde zuerſt ein Bene: diktinermönch (p. 28), ſpäter und mit Recht der berühmte Egin⸗ hard (Einhard, Karls des Großen Geheimſchreiber) gehalten. Die Stelle heißt: „DCCCVII. stella Mercurii XVI kal. April. visa est in Sole qualis parva macula nigra, paululum superius medio centro ejusdem sideris, quae a nobis octo dies conspi- cata est; sed quando primum intravit vel exivit, nubibus im- pedientibus, minime notare potuimus.“ — Den von den ara= biſchen Aſtronomen erwähnten ſogenannten Durchgang der Venus führt Simon Aſſemanus in der Einleitung zum Globus caelestis Cufico-Arabicus Veliterni Musei Borgiani 1790, p. XXXVII, auf: „Anno Hegyrae 225 regnante Almootasemo Chalifa visa est in Sole prope medium nigra quedam macula, idque feria tertia die decima nona Mensis Regebi..... Man — 293 — hielt fie für den Planeten Venus, und glaubte dieſelbe macula nigra (alſo wohl mit Unterbrechungen von 12—13 Tagen?) 91 Tage lang geſehen zu haben. Bald darauf ſei Motaßem geſtorben. — Von den geſchichtlichen (der populären Tradition entnommenen) Nachrichten über plötzlich eintretende Abnahme der Tageshelle will ich aus den vielen von mir geſammelten Thatſachen hier folgende 17 Beiſpiele anführen: 45 33 358 vor Chr. Geburt: Bei dem Tode des Julius Cäſar, nach welchem ein ganzes Jahr lang die Sonne bleich und minder wärmend war, weshalb die Luft dick, kalt und trübe blieb und die Früchte nicht gediehen. nach Chr. Geb.: Todesjahr des Erlöſers. „Von der ſechs— ten Stunde an ward eine Finſternis über das ganze Land bis zu der neunten Stunde.“ Nach dem Evang. Luca Kap. 23 V. 45 „verlor die Sonne ihren Schein“. Euſebius führt zur Erklärung und Beſtätigung eine Sonnenfinſternis der 202. Olympiade an, deren ein Chronikenſchreiber, Phlegon von Tralles, erwähnt hatte. Wurm hat aber gezeigt, daß die dieſer Olympiade zugehörige und in ganz Kleinaſien ſichtbare Sonnenfinſternis ſchon am 24. November des Jahres 29 nach Chriſti Geburt ſtatthatte Der Todestag fiel mit dem jüdiſchen Paſſahmahle zuſammen, am 14. Niſan, und das Paſſah wurde immer zur Zeit des Vollmondes gefeiert. Die Sonne kann daher nicht durch den Mond drei Stunden lang verfinſtert worden fein. Der Jeſuit Scheiner glaubte die Abnahme des Lichtes einem Zuge großer Sonnenflecken zuſchreiben zu dürfen. am 22. Auguſt zweiſtündige Verfinſterung vor dem furcht— baren Erdbeben von Nikomedia, das auch viele andere Städte in Makedonien und am Pontus zerſtörte. Die Dunkelheit dauerte zwei bis drei Stunden: nec contigua vel adpo- sita cernebantur. In allen öſtlichen Provinzen des römiſchen Reiches (per Eoos tractus) war caligo a primo aurorae exortu adus- que meridiem: aber Sterne leuchteten, alſo wohl weder Aſchenregen noch, bei der langen Dauer des Phänomens, Wirkung einer totalen Sonnenfinſternis, der es der Ge— ſchichtſchreiber beimißt: „Cum lux coelestis operiretur, e mundi conspectu penitus luce abrepta, defecisse diutius solem pavidae mentes hominum aestimabant: primo attenuatum in lunae corniculantis effigiem, deinde in speciem auctum semenstrem, posteaque in integrunı restitutum. Quod alias non evenit ita perspicue, nisi cum post inaequales cursus inter menstruum lunae ad idem revocatur.“ Die Beſchreibung iſt ganz die einer wirklichen Sonnenfinſternis; aber die Dauer und caligo in allen öſtlichen Provinzen? 409. 536. — 294 als Alarich vor Rom erſchien: Verdunkelung ſo, daß die Sterne bei Tage geſehen wurden. Justinianus J Caesar imperavit annos triginta octo (527 565). Anno imperii nono deliquium lucis passus est Sol, quod annum integrum et duos amplius menses duravit, adeo ut parum admodum de luce ipsius ap- pareret; dixeruntque homines Soli aliquid aceidisse; quod nunquam ab eo recederet. Gregorius Abu'l— Faragius, Supplementum historiae Dyna- stiarum, ed. Edw. Pocock 1663, p. 94. Ein Phänomen, dem von 1783 ſehr ähnlich, für das man wohl einen Namen ([Höhenrauch), aber in vielen Fällen keine befriedigende Erklärung hat. 567. Justinus II annos 13 imperavit (565-578). Anno im- 934. 1091 perii ipsius secundo apparuit in coelo ignis flammans juxta polum arcticum qui annum integrum permansit; obtexeruntque tenebrae mundum ab hora diei nona noctem usque, adeo ut nemo quicquam videret; deci- ditque ex are quoddam pulveri minuto et eineri simile. Abu'l-Faragius, I. c. p. 95. Erſt ein Jahr lang wie ein perpetuierlicher Nordſchein (ein magnetiſches Gewitter), dann Finſternis und fallender Paſſatſtaub? wieder nach Abu'l-Farag ius, acht Monate lang die halbe Sonnenſcheibe verfinſtert geblieben. 3. Ein Jahr nachdem die Araber durch die Schlacht bei Tours über die Pyrenäen zurückgedrängt worden, ward die Sonne am 19. Auguſt auf eine ſchreckenerregende Weiſe verdunkelt. ein Sonnenfleck, welchen man für den Merkur hielt. vom 28. Mai bis 26. Auguſt (Aſſemani rechnet auffallender— weiſe Mai 839) der ſogenannte Durchgang der Venus durch die Sonnenſcheibe. (Der Kalif Al-Motaßem regierte von 834841, wo Harun el-Watek, der neunte Kalif, ihm folgte.) In der ſchätzbaren Historia de Portugal von Faria y Souſa 1730, p. 147 finde ich: „(En Portugal) se viöo sin luz la tierra por dos meses. Avia el Sol perdido su resplandor.“ Dann öffnete ſich der Himmel por frac- tura mit vielen Blitzen, und man hatte plötzlich den vollen Sonnenſchein. am 21. September eine Verdunkelung der Sonne, welche drei Stunden dauerte; nach der Verdunkelung blieb der Sonnenſcheibe eine eigene Färbung. „Fuit eclipsis Solis 11 Kal. Octob. fere tres horas: Sol circa meridiem dire nigrescebat.* Martin Cruſius, Annales Svevici, Francof. 1595, T. I, p. 279. 1096 am 3. März Sonnenflecken, mit unbewaffnetem Auge er— kannt: „Signum in Sole apparuit V. Non. Marcii feria — 295 — secunda incipientis quadragesimae.“ Joh. Staindelii, presbyteri Pataviensis, Chronicon generale. 1206 am letzten Tage des Februars nach Joaquin de Villalba vollkommene Dunkelheit während ſechs Stunden: „EI dia ultimo del mes de Febrero hubo un eclipse de sol que durö seis horas con tanta obscuridad como si fuera media noche. Siguieron à este fenomeno abundantes y continuas Iluvias.“ — Ein faſt ähnliches Phänomen wird für Junius 1191 angeführt von Schnurrer, T. |, S. 258 und 265. 1241 fünf Monate nach der Mongolenſchlacht bei Liegnitz: „Ob— scuratus est sol (in quibusdam locis ?), et facta sunt tenebrae, ita ut stellae viderentur in coelo, circa festum S. Michaelis hora nona.“ Chronicon Claustro— Neoburgense (von Kloſter-Neuburg bei Wien, die Jahre 218 nach Chr. bis 1348 enthaltend). 1547 den 23., 24. und 25. April, alſo einen Tag vor und einen Tag nach der Schlacht bei Mühlberg, in welcher der Kur— fürſt Johann Friedrich gefangen wurde. Kepler ſagt in Paralipom. ad Vitellium: „Refert Gemma, pater et filius, anno 1547 ante conflietum Caroli V cum Saxoniae Duce Solem per tres dies ceu sanguine per- fusum comparuisse, ut etiam stellae pleraeque in meri- die conspicerentur.“ Ueber die Urſache ift er ſehr zweifel— haft: „Solis lumen ob causas quasdam sublimes hebe- tari . ... vielleicht habe gewirkt materia cometica latius sparsa Die Urſache könne nicht in unſerer Atmoſphäre ge— legen haben, da man Sterne am Mittag geſehen.“ Schnurrer will trotz der Sterne, daß es Höhenrauch geweſen ſei, weil Kaiſer Karl V. vor der Schlacht ſich beklagte: „Semper se nebulae densitate infestari, quoties sibi cum hoste pug- nandum sit.“ (S. 277.) „Fackeln“ nennt man wellenartig ſich hin— ziehende, helle Lichtadern, welche in der Regel die Sonnenflecken umgeben. Sie bedecken eine viel größere Fläche als der Fleck ſelbſt, den ſie umgeben, einnimmt, und ihre Dimenſionen ſind ganz enorm. Die Fackeln ſind wie die Flecken von ſehr veränderlicher Natur; ſie erſcheinen zuweilen faſt plötzlich, vergehen häufig ebenſo ſchnell, laſſen ſich aber in anderen Fällen tage-, wochen-, ſelbſt monate— lang beobachten. — [D. Herausg.] (S. 278.) Schon Horrebow bedient ſich desſelben Aus— druckes. Das Sonnenlicht iſt nach ihm „ein perpetuierlich, im Sonnendunſtkreiſe vorgehendes Nordlicht, durch thä— tige magnetiſche Kräfte hervorgebracht.“ s (S. 280.) Es iſt ebenfalls merkwürdig und beweiſend für eine große Gleichartigkeit in der Natur des Lichtes, aus dem Centrum und aus dem Rande der Sonnenſcheibe emanierend, daß EI nach einem ſinnreichen Verſuch von Forbes, während einer Sonnen finſternis im Jahre 1836, ein aus alleinigen Randſtrahlen gebil— detes Spektrum in Hinſicht auf Zahl und Lage der dunkeln Linien oder Streifen, die es durchlaufen, ganz identiſch mit dem war, welches aus der Geſamtheit des Sonnenlichtes entſpringt. Wenn im Sonnenlicht Strahlen von gewiſſer Brechbarkeit fehlen, ſo ſind ſie alſo wohl nicht, wie Sir David Brewſter vermutet, in der Sonnenatmoſphäre ſelbſt verloren gegangen, weil die Strahlen des Randes, eine viel dickere Schicht durchſchneidend, dieſelben dunkeln Linien hervorbringen. Ich ſtelle am Ende dieſer Note alles zuſammen, was ich im Jahre 1847 aus Aragos Hand— ſchriften geſammelt: „Des phénomenes de la Polarisation coloree donnent la certitude que le bord du soleil a la meme intensite de lu- mière que le centre; car en placant dans le Polariscope un segment du bord sur un segment du centre, j'obtiens (comme effet complémentaire du rouge et du bleu) un blanc pur. Dans un corps solide (dans une boule de fer chauffée au rouge) le möme angle de vision embrasse une plus grande etendue au bord qu'au centre, selon la proportion du Cosinus de l'angle: mais dans la mème proportion aussi le plus grand nombre de points materiels emettent une lumiere plus faible en raison de leurs obliquite. Le rapport de l’angle est naturelle- ment le m&me pour une sphere gazeuse; mais Fobliquité ne produisant pas dans les gaz le meme effet de diminution que dans les corps solides, le bord de la sphere gazeuse serait plus lumineux que le centre. Ce que nous appelons le disque lumineux du Soleil, est la Photosphere gazeuse, comme je l’ai prouvé par le manque absolu de traces de polarisation sur le bord du disque. Pour expliquer done L'egalité d’inten- sitE du bord et du centre indiquee par le Polariscope, il faut admettre une enveloppe exterieure qui diminue (éteint) moins la lumiere qui vient du centre que les rayons qui viennent sur le long trajet du bord à l'oeil. Cette enveloppe exterieure forme la couronne blanchätre dans les éclipses totales du Soleil. — La lumière qui émane des corps solides et liquides incandescens, est partiellement polarisee quand les rayons observes forment, avec la surface de sortie, un angle d'un petit nombre de degrés; mais il n'y a aucune trace sensible de polarisation lorsqu’on regarde de la möme maniere dans le Polariscope des gaz enflammes. Cette experience demontre que la lumiere solaire ne sort pas d'une masse solide ou li- quide incandescente. La lumiere ne s’engendre pas unique- ment à la surface des corps; une portion nait dans leur sub- stance méme, cette substance füt-elle du platine. Ce n'est done pas la decomposition de l’oxygene ambiant qui donne la lumiere, L’emission de lumiere polarisee par le fer liquide est — 297 — un effet de refraction au passage vers un moyen d'une moindre densite. Partout oü il y a réfraction, il y a production d'un peu de lumiere polarisee. Les gaz n'en donnent pas, parce que leurs couches n'ont pas assez de densite. — La lune suivie pendant le cours d'une lunaison entiere offre des effets de polarisation, excepte à l’epoque de la pleine lune et des jours qui en approchent beaucoup. La lumi£re solaire trouve, surtout dans les premiers et derniers quartiers, à la surface inegale (montagneuse) de notre Satellite des inclinaisons de plans convenables pour produire la polarısation par reflexion.“ [Die Bemerkung, daß die Sonnenſcheibe nicht gleichförmig hell ift, ſondern daß die Intenſität des Lichtes nach dem Rande abnimmt, ward ſchon zu Galileis Zeiten gemacht. Was dagegen auch vor— gebracht werden möge, die Abnahme iſt ſo augenfällig, daß ſie ſo— gleich auch ohne beſondere Meſſungen bemerkt wird, wenn man z. B. in einem dunklen Zimmer das auf einen weißen Schrein projizierte Sonnenbild betrachtet. Nach dem, was wir heute über die Konſtitution der Sonne wiſſen, liegt die Erklärung ſehr nahe und iſt in nichts anderem zu ſuchen, als in der Abſorption, welche die die leuchtende Schicht des Sonnenkörpers umgebende Atmo— ſphäre auf die Lichtſtrahlen ausübt. — D. Herausg.] (S. 280.) Es iſt merkwürdig genug, daß Giordano Bruno, der acht Jahre vor Erfindung des Fernrohrs und elf Jahre vor der Entdeckung der Sonnenflecken den Scheiterhaufen beſtieg, an die Rotation der Sonne um ihre Achſe glaubte. Er hielt dagegen das Centrum der Sonnenſcheibe für lichtſchwächer als die Ränder. Er meinte, optiſch getäuſcht, die Scheibe ſich drehen, die wirbelnden Ränder ſich ausdehnen und zuſammenziehen zu ſehen. 20 (S. 281.) „The most intensely ignited solids (ignited quicklime in Lieutenant Drummond’s oxy-hydrogen lamp) appear only as black spols on the disc of the Sun when held between it and the eye. Outl. p. 236. 21 (S. 281.) Vergl. Aragos Kommentar zu Galileis Briefen an Markus Welſer, wie deſſen optiſche Erläuterungen über den Einfluß des diffuſen reflektierten Sonnenlichtes der Luftſchichten, welches die im Felde eines Fernrohrs am Himmelsgewölbe ge— ſehenen Gegenſtände wie mit einem Lichtſchleier bedeckt; im Annuaire du Bureau des Longit. pour 1842, p. 482 bis 487. 22 (S. 283.) Nach dem, was wir gegenwärtig von den Sonnen: flecken wiſſen, iſt ihre Verteilung über die Sonnenoberfläche keine gleichmäßige; vielmehr gibt es zwei, durch beſonderen Fleckenreich— tum ausgezeichnete Zonen, deren eine von den nördlichen Parallel— kreiſen von 10“ hel. Breite und 30“ hel. Br. begrenzt wird, und deren andere zwiſchen den entſprechenden Parallelkreiſen der ſüd— lichen Hemiſphäre eingeſchloſſen liegt. Nicht minder auffällig und ebenſowenig in ihrer Urſache ſicher erkannt, wie die Verteilung der De Sonnenflecken in räumlicher Beziehung, iſt ihre wechſelnde Häufig: keit nach der Zeit. Durch Heinrich Schwabes 46jährige Beobach- tungen iſt ermittelt, daß der Fleckenbeſtand eine etwa zehnjährige Periode habe, innerhalb welcher er von einem Minimum zu einem Maximum anwächſt und wieder herabſinkt. Zugleich ſtellte ſich ein paralleler Gang zwiſchen der Häufigkeit der Sonnenflecken und ge— wiſſen erdmagnetiſchen Erſcheinungen heraus. Die mittlere tägliche Variation der Deklinationsnadel erreicht nämlich den größten Wert zu jener Zeit, in welcher die Sonnenflecken am häufigſten, den kleinſten Wert, wenn ſie am ſeltenſten ſind. Neben der zehn- bis elfjährigen Periode der Häufigkeit der Sonnenflecken beſteht noch eine größere 56jährige, welche je fünf jener ſekundären Perioden in ſich ſchließt, und es ſind Anzeichen vorhanden, daß auch dieſe Periode in der Variation der magnetiſchen Deklination auftritt. Eine ebenſo charakteriſtiſche Beziehung zu den Sonnenflecken haben die Polarlichterſcheinungen; der Zuſammenhang beider iſt unzweifel— haft nachgewieſen, in der Weiſe, daß beide Erſcheinungen nach größeren Perioden von nahe 56 Jahren, denen je fünf ſekundäre Perioden von nahe elf Jahren untergeordnet ſind, derart an Zahl und Größe wechſeln, daß zur Zeit der reichſten Fleckenbildung das Polarlicht am häufigſten und großartigſten ſich entwickelt und daß umgekehrt die Minima beider Erſcheinungen zuſammenfallen. — [D. Herausg.] (S. 284.) Was den handſchriftlichen Mitteilungen von Schwabe entnommen iſt, habe ich durch Anführungszeichen unter— ſchieden. Nur die Beobachtungen der Jahre 1826-1843 waren ſchon in Schumachers Aſtronomiſchen Nachrichten Nr. 495, S. 235 veröffentlicht. IX. Die Planeten. Allgemeine vergleichende Betrachtungen über eine ganze Klaſſe von Weltkörpern ſollen hier der Beſchreibung der ein— zelnen Weltkörper vorangehen. Es beziehen ſich dieſe Be— trachtungen auf die 22 Hauptplaneten und 21 Monde (Trabanten oder Nebenplaneten), welche bis jetzt ent— deckt worden ſind, nicht auf die planetariſchen Weltkörper überhaupt, unter denen die Kometen von berechneten Bahnen ſchon zehnmal zahlreicher ſind. Die Planeten haben im ganzen eine ſchwache Scintillation, weil ſie von reflektiertem Sonnen— lichte leuchten und ihr planetariſches Licht aus Scheiben emaniert (Kosmos Bd. III, S. 60). In dem aſchfarbenen Lichte des Mondes, wie in dem roten Lichte ſeiner verfinſterten Scheibe, welches beſonders intenſiv zwiſchen den Wendekreiſen geſehen wird, erleidet das Sonnenlicht für den Beobachter auf der Erde eine zweimalige Aenderung ſeiner Richtung. Daß die Erde und andere Planeten, wie zumal einige merkwürdige Erſcheinungen auf dem der Sonne nicht zugekehrten Teile der Venus beweiſen, auch einer eigenen, ſchwachen Lichtentwicke— lung fähig ſeien, iſt ſchon an einem anderen Orte erinnert worden. Wir betrachten die Planeten nach ihrer Zahl, nach der Zeitfolge ihrer Entdeckung, nach ihrem Volum, unter ſich oder mit ihren Abſtänden von der Sonne verglichen, nach ihren relativen Dichtigkeiten, Maſſen, Rotationszeiten, Exzentrizitäten, Achſenneigungen und charakteriſtiſcher Verſchiedenheit diesſeits und jenſeits der Zone der kleinen Planeten. Bei dieſen Gegenſtänden vergleichender Betrachtung iſt es der Natur dieſes Werkes angemeſſen, einen beſonderen Fleiß auf die Auswahl der numeriſchen Verhält— niſſe zu verwenden, welche zu der Epoche, in der dieſe Blätter erſcheinen, für die genaueſten, d. h. für die Reſultate der neueſten und ſicherſten Forſchungen, gehalten werden. a. Hauptplaneten. 1) Zahl und Epoche der Entdeckung. — Von den ſieben Weltkörpern, welche ſeit dem höchſten Altertume durch ihre ſtets veränderte relative Entfernung untereinander von den, gleiche Stellung und gleiche Abſtände ſcheinbar bewahren— den, funkelnden Sternen des Fixſternhimmels (Orbis inerrans) unterſchieden worden ſind, zeigen ſich nun fünf: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, ſternartig, quinque stella errantes. Die Sonne und der Mond blieben, da ſie große Scheiben bilden, auch wegen der größeren Wichtigkeit, die man infolge religiöſer! Mythen an ſie knüpfte, gleichſam von den übrigen abgeſondert. So kannten nach Diodor (II, 30) die Chaldäer nur 5 Planeten; auch Plato, wo er im Timäus nur einmal der Planeten erwähnt, jagt ausdrücklich: „Um die im Centrum des Kosmos ruhende Erde bewegen ſich der Mond, die Sonne und fünf andere Sterne, welchen der Name Planeten beigelegt wird, das Ganze alſo in 7 Umgängen.“ Ebenſo werden in der alten pythagoreiſchen Vorſtellung vom Himmelsgebäude nach Philolaus unter den 10 göttlichen Körpern, welche um das Centralfeuer (den Welt— herd, sta) kreiſen, „unmittelbar unter dem Fixſternhimmel“ die fünf Planeten genannt; ihnen folgten dann Sonne, Mond, Erde und die cy (die Gegenerde). Selbſt Ptolemäus redet immer nur noch von 5 Planeten. Die Aufzählung der Reihen von 7 Planeten, wie ſie Julius Firmicus unter die Dekane verteilt, wie ſie der von mir an einem anderen Orte? unterſuchte Tierkreis des Bianchini (wahrſcheinlich aus dem 3. Jahrhundert nach Chr.) darſtellt und fie ägyptiſche Monu— mente aus den Zeiten der Cäſaren enthalten, gehört nicht der alten Aſtronomie, ſondern den ſpäteren Epochen an, in welchen die aſtrologiſchen Träumereien ſich überall verbreitet hatten.“ Daß der Mond in die Reihe der 7 Planeten geſetzt ward, muß uns nicht wundern, da von den Alten, wenn man eine denkwürdige Attraktionsanſicht des Anaxagoras (Kosmos Bd. II, S. 240 und 340, Anm. 190) ausnimmt, faſt nie ſeiner näheren Abhängigkeit von der Erde gedacht wird. Dagegen ſind nach einer Meinung über den Weltbau, welche Vitruvius“ und Martianus Capellas anführen, ohne ihren Urheber zu nennen, Merkur und Venus, die wir untere Planeten nennen, Satelliten der ſelbſt um die Erde kreiſenden Sonne. Ein ſolches Syſtem iſt mit ebenſowenig Grund ein ägyptiſches! —— — * — 301 — zu nennen als mit den Ptolemäiſchen Epicykeln oder der Tychoniſchen Weltanſicht zu verwechſeln. Die Namen, durch welche die ſternartigen 5 Planeten bei den alten Völkern bezeichnet wurden, ſind zweierlei Art: Götternamen, oder bedeutſame beſchreibende, von phyſi— ſchen Eigenſchaften hergenommene. Was urſprünglich davon den Chaldäern oder den Aegyptern angehöre, iſt nach den Quellen, die bisher haben benutzt werden können, um jo ſchwerer zu entſcheiden, als die griechiſchen Schriftſteller uns nicht die urſprünglichen, bei anderen Völkern gebräuchlichen Namen, ſondern nur in das Griechiſche übertragene, nach der Individualität ihrer Anſichten gemodelte Aequivalente dar— bieten. Was die Aegypter früher als die Chaldäer beſeſſen, ob dieſe bloß als begabte Schüler der erſteren auftreten, be— rührt die wichtigen, aber dunklen Probleme der erſten Ge— ſittung des Menſchengeſchlechtes, die Anfänge wiſſenſchaftlicher Gedankenentwickelung am Nil oder am Euphrat. Man kennt die ägyptiſchen Benennungen der 36 Dekane, aber die ägyp— tiſchen Namen der Planeten ſind uns, bis auf einen oder zwei, nicht erhalten.“ Auffallend iſt es, daß Plato und Ariſtoteles ſich nur der göttlichen Namen für die Planeten, die auch Diodor nennt, bedienen, während ſpäter, z. B. in dem dem Ariſtoteles fälſchlich zugeſchriebenen Buche De Mundo ſchon ein Gemiſch von beiden Arten der Benennungen, der göttlichen und der beſchreibenden (expreſſiven), ſich findet, 2% für Saturn, orig für Merkur, ußbers für Mars. Wenn dem Saturn, dem äußerſten der damals bekannten Planeten, ſonderbar genug, wie Stellen aus dem Kommentar des Simplicius (p. 122) zum 8. Ariſtoteliſchen Buche De Coelo, aus Hygin, Diodor und Theon dem Smyrnäer beweiſen, die Benennung Sonne beigelegt ward, ſo war es gewiß nur ſeine Lage und die Länge ſeines Umlaufes, was ihn zum Herrſcher der anderen Planeten erhob. Die beſchreibenden Benennungen, ſo alt und chaldäiſch ſie zum Teil auch ſein mögen, fanden ſich bei griechiſchen und römiſchen Schriftſtellern, doch erſt recht häufig in der Zeit der Cäſaren. Ihre Verbreitung hängt mit dem Einfluß der Aſtrologie zuſammen. Die Planetenzeichen ſind, wenn man die Scheibe der Sonne und die Mondſichel auf ägyptiſchen Monumenten abrechnet, ſehr neuen Urſprungs, nach Letronnes Unterſuchungen! ſollen ſie ſogar nicht älter als das 10. Jahrhundert ſein. Selbſt auf Steinen mit gnoſti— — 302 — ſchen Inſchriften findet man ſie nicht. Späte Abſchreiber haben ſie aber gnoſtiſchen und alchimiſtiſchen Handſchriften beigefügt, faſt nie den älteſten Handſchriften griechiſcher Aſtro— nomen, des Ptolemäus, des Theon oder des Cleomedes. Die früheften Planetenzeichen, von denen einige (Jupiter und Mars), wie Salmaſius mit gewohntem Scharfſinn gezeigt, aus Buchſtaben entſtanden ſind, waren ſehr von den unſerigen verſchieden; die jetzige Form reicht kaum über das 15. Jahr- hundert hinaus. Unbezweifelt iſt es und durch eine dem Proclus (Ad Tim. ed. Basil. p. 14) von Olympiodor ent- lehnte Stelle, wie auch durch ein ſpätes Scholion zum Pindar (Isthm. V, 2) erwieſen, daß die ſymboliſierende Gewohnheit, gewiſſe Metalle den Planeten zu weihen, ſchon neuplatoniſchen alexandriniſchen Vorſtellungen des 5. Jahrhunderts zugehört. (Vergl. Olympiod. Comment. in Aristot. Metereol. cap. 7, 3 in Idelers Ausgabe der Metereol. T. II, p. 163; auch T. I, p. 199 und 251.) Wenn ſich die Zahl der ſichtbaren Planeten nach der früheſten Einf ſchränkung der Benennung auf 5, ſpäter mit Hinzufügung der großen Scheiben der Sonne und des Mondes auf 7 belief, ſo herrſchten doch auch ſchon im Altertum Ver— mutungen, daß außer dieſen ſichtbaren Planeten noch andere, lichtſchwächere, ungeſehene, vorhanden wären. Dieſe Meinung wird von Simplicius als eine ariſtoteliſche bezeichnet. „Es ſei wahrſcheinlich, daß ſolche dunkle Weltkörper, die ſich um das gemeinſame Centrum bewegen, bisweilen Mondfinſterniſſe ſo gut als die Erde veranlaſſen.“ Artemidorus aus Epheſus, den Strabo oft als Geographen anführt, glaubte an unzählige ſolcher dunkeln kreiſenden Weltkörper. Das alte ideale Weſen, die Gegenerde (A der Pythagoreer, gehört aber nicht in den Kreis dieſer Ahnungen. Erde und Gegenerde haben eine parallele, konzentriſche Bewegung, und die Gegenerde, erſonnen, um ſich der planetariſch in 24 Stunden um das Gentralfeuer bewegenden Erde die Rotationsbewegung zu er⸗ ſparen, iſt wohl nur die entgegengeſetzte Halbkugel, die Anti— podenhälfte unſeres Planeten. Wenn man von den jetzt bekannten 43 Haupt- und Nebenplaneten, dem Sechsfachen von den dem Altertum be— kannten planetariſchen Weltkörpern, chronologiſch, nach der Zeitfolge ihrer Entdeckung, die 36 Gegenſtände abſondert, welche ſeit der Erfindung der Fernröhren erkannt worden ſind, jo erhält man für das 17. Jahrhundert neun, für das 18. Jahr: — 303 — hundert wieder neun, für das halbe 19. Jahrhundert acht— zehn neu entdeckte. Zeitfolge der planetariſchen Entdeckungen (Haupt⸗ und Nebenplaneten) ſeit der Erfindung des Fernrohres im Jahre 1608. A. Das ſiebzehnte Jahrhundert. Vier Jupiterstrabanten: Simon Marius zu Ansbach 29. Dezember 1609, Galilei 7. Januar 1610 zu Padua; Dreigeſtaltung des Saturn: Galilei November 1610; Hevelius, Anſicht von zwei Seitenſtäben 1656; Huygens, endliche Er— kenntnis der wahren Geſtalt des Ringes 17. Dezember 1657; der 6. Saturnstrabant (Titan): Huygens am 25. März 1655; der 8. Saturnstrabant (der äußerſte, Japetus): Dominikus Caſſini Oktober 1671; der 5. Saturnstrabant (Rhea): Caſſini 23. Dezember 1672; der 3. und 4. Saturnstrabant (Thetis und Dione): Caſſini Ende März 1684. B. Das achtzehnte Jahrhundert. Uranus: William Herſchel 13. März 1781 zu Bath; der 2. und 4. Uranustrabant: William Herſchel 11. Januar 1787; der 1. Saturnstrabant (Mimas): William Herſchel 28. Auguſt 1789; der 2. Saturnstrabant (Enceladus): William Herſchel 17. September 1789; der 1. Uranustrabant: William Herſchel 18. Januar 1790; der 5. Uranustrabant: William Herſchel 9. Februar 1790; der 6. Uranustrabant: William Herſchel 28. Februar 1794; der 3. Uranustrabant: William Herſchel 26. März 1794. C. Das neunzehnte Jahrhundert. Ceres“: Piazzi zu Palermo 1. Januar 1801; Pallas“: Olbers zu Bremen 28. März 1802; Juno“: Harding zu Lilienthal 1. September 1804; Veſta*: Olbers zu Bremen 29. März 1807. (38 Jahre lang keine planetariſche Entdeckung.) Aſträa*: Hencke zu Drieſen 8. Dezember 1845; Neptun“: Galle zu Berlin 23. September 1846; der 1. Neptunstrabant: W. Laſſell zu Starfield bei Liverpool; November 1846 Bond zu Cambridge (V. St.); Hebe“: Hencke zu Drieſen 1. Juli 1847; Iris“: Hind zu London 13. Auguſt 1847; Flora“: Hind zu London 18. Oktober 1847; Metis*: Graham zu Markree⸗Caſtle 25. April 1848; der 7. Saturnstrabant (Hyperion): Bond in Cambridge (V. St.) 16. bis 19. September 1848, Laſſell zu Liverpool 19. bis 20. September 1848; — 304 — Hygiea*: de Gasparis zu Neapel 12. April 1849; Parthenope*: de Gasparis zu Neapel 11. Mai 1850; der 2. Neptunstrabant: Laſſell zu Liverpool 14. Auguſt 1850; Viktoria*: Hind zu London 13. September 1850; Ggeria*: de Gasparis zu Neapel 2. November 1850; Irene*: Hind zu London 19. Mai 1851 und de Gasparis zu Neapel 23. Mai 1851. Es find in dieſer chronologiſchen Ueberſicht!» die Haupt— planeten von den Nebenplaneten oder Trabanten (Sa— telliten) durch größere Lettern unterſchieden, ein Sternchen iſt der Klaſſe von Hauptplaneten beigefügt, welche eine eigene und ſehr ausgedehnte Gruppe, gleichſam einen Ring von 33 Mill. geogr. Meilen (245 Mill. km) Breite, zwiſchen Mars und Jupiter bilden, und gewöhnlich kleine Planeten, auch wohl teleſkopiſche, Koplaneten, Aſteroiden oder Planetoiden, genannt werden. Von dieſen find 4 in den erſten 7 Jahren dieſes Jahrhunderts und 10 in den letzt— verfloſſenen 6 Jahren aufgefunden worden, was minder der Vorzüglichkeit der Fernröhren als dem Fleiß und Geſchick der Suchenden, wie beſonders den verbeſſerten und mit Fixſternen 9. und 10. Größe bereicherten Sternkarten zuzuſchreiben iſt. Man erkennt jetzt leichter das Bewegte zwiſchen dem Unbe— wegten (ſ. oben S. 109). Die Zahl der Hauptplaneten iſt genau verdoppelt, ſeitdem der erſte Band des Kosmos er— ſchienen iſt. So überſchnell iſt die Folge der Entdeckungen geweſen, die Erweiterung und Vervollkommnung der Topo— graphie des Planetenſyſtems. 2) Verteilung der Planeten in zwei Gruppen. — Wenn man in dem Sonnengebiete die Region der kleinen Planeten zwiſchen den Bahnen des Mars und des Jupiter, doch der erſteren im ganzen mehr genähert, als eine ſcheidende Zone räumlicher Abteilung betrachtet, gleichſam als eine mittlere Gruppe, ſo bieten, wie ſchon früher bemerkt worden iſt, die der Sonne näheren, inneren Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) manche Aehnlichkeiten unter ſich und Kontraſte mit den äußeren, der Sonne ferneren, jen— ſeits der ſcheidenden Zone gelegenen Planeten (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun) dar. Die mittlere dieſer drei Gruppen füllt kaum die Hälfte des Abſtandes der Marsbahn von der Jupitersbahn aus. In dem Raume zwiſchen den zwei großen Hauptplaneten Mars und Jupiter iſt der dem Mars nähere Teil bisher am reichſten gefüllt; denn wenn 18388 — 305 — man in der Zone, welche die Aſteroiden einnehmen, die äußerſten, Flora und Hygiea, in Betrachtung zieht, ſo findet man, daß Jupiter mehr denn dreimal weiter von Hygiea ab— ſteht als Flora vom Mars. Dieſe mittlere Planetengruppe hat den abweichendſten Charakter, durch ihre ineinander ver— ſchlungenen, ſtark geneigten und exzentriſchen Bahnen, durch die beträchtliche Kleinheit ihrer Planeten. Die Neigung der Bahnen gegen die Ekliptik ſteigt bei Er auf 13° 3°, bei Hebe auf 14° 47°, bei Egeria auf 16° bei Pallas gar auf 34“ 37“, während ſie in derſelben 11 Gruppe bei Aſträa bis 5% 19“, bei i Parthenope bis 4° 37“, bei Hygiea bis 3“ 47° herabſinkt. Die ſämtlichen Bahnen der kleinen Planeten mit Neigungen geringer als 7° ſind, vom Großen zum Kleinen übergehend, die von Flora, Metis, Iris, Aſträa, Parthenope und Hygiea. Keine dieſer Bahnneigungen erreicht indes an Kleinheit die von Venus, Saturn, Mars, Neptun, Jupiter und Uranus. Die Erzentrizitäten übertreffen teil: weiſe noch die des Merkur (0,206); denn Juno, Pallas, Iris und Viktoria haben 0,255, 0,239, 0,232 und 0,218, während Ceres (0,076), Egeria (0,086) und Veſta (0,089) weniger exzentriſche Bahnen haben als Mars (0,093), ohne jedoch die übrigen Planeten (Jupiter, Saturn, Uranus) in den ange— näherteren Kreisförmigkeiten zu erreichen. Der Durchmeſſer der teleſkopiſchen Planeten iſt faſt unmeßbar klein, und nach Beobachtungen von Lamont in München und Mädler im Dorpater Refraktor iſt es wahrſcheinlich, daß der größte der kleinen Planeten aufs höchſte 145 geogr. Meilen (1020 km) im Durchmeſſer hat; das iſt „ des Merkur und 1e der Erde. Nennen wir die 4 der Sonne näheren Planeten zwiſchen dem Ringe der Aſteroiden (der kleinen Planeten) und dem Centralkörper gelegen, innere Planeten, ſo zeigen ſie ſich alle von mäßiger Größe, dichter, ziemlich gleich und dabei langſam um ihre Achſen rotierend (in faſt 24ſtündiger Um⸗ behengszeih, minder abgeplattet und bis auf einen (die Erde) gänzlich mondlos. Dagegen find die 4 äußeren, ſonnen⸗ ferneren Planeten, die zwiſchen dem Ringe der Aſteroiden und den uns unbekannten Extremen des Sonnengebietes gelegenen, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, mächtig größer, 5mal undichter, mehr als 2mal ſchneller in der Rotation um die Achſe, ſtärker abgeplattet und mondreicher im Verhältnis von 20: 1. Die inneren Planeten ſind alle kleiner als die Erde (Merkur und Mars % und ½ mal kleiner im Durch— A. v. Humboldt, Kosmos. III. 20 — 306 — meſſer), die äußeren Planeten ſind dagegen 4,2 bis 11, mal größer als die Erde. Die Dichtigkeit der Erde S 1 geſetzt, ſind die Dichtigkeiten der Venus und des Mars bis auf weniger als ½) damit übereinſtimmend, auch die Dichtigkeit des Merkur (nach Enckes aufgefundener Merkursmaſſe) iſt nur wenig größer. Dagegen überſteigt keiner der äußeren Pla⸗ neten die Dichtigkeit /; Saturn iſt ſogar nur ½, faſt nur halb ſo undicht als die übrigen äußeren Planeten und als die Sonne. Die äußeren Planeten bieten dazu das ein— zige Phänomen des ganzen Sonnenſyſtems, das Wunder eines ſeinen Hauptplaneten frei umſchwebenden feſten Ringes, dar; auch Atmoſphären, welche durch die Eigentümlichkeit ihrer Verdickungen ſich unſerem Auge als veränderliche, ja im Sa— turn bisweilen als unterbrochene Streifen darſtellen. Obgleich bei der wichtigen Verteilung der Planeten in zwei Gruppen von inneren und äußeren Planeten gene— relle Eigenſchaften der abſoluten Größe, der Dichtigkeit, der Abplattung, der Geſchwindigkeit in der Rotation, der Mond⸗ loſigkeit ſich als abhängig von den Abſtänden, d. i. von ihren halben großen Bahnachſen zeigen, ſo iſt dieſe Abhängigkeit in jeder einzelnen dieſer Gruppen keineswegs zu behaupten. Wir kennen bisher, wie ich ſchon früher bemerkt, keine innere Notwendigkeit, kein mechaniſches Naturgeſetz, das (wie das ſchöne Geſetz, welches die Quadrate der Umlaufszeiten an die Würfel der großen Achſen bindet) die ebengenannten Elemente für die Reihenfolge der einzelnen planetariſchen Weltkörper jeder Weltgruppe in ihrer Abhängigkeit von den Abſtänden darſtellte. Wenn der der Sonne nächſte Planet, Merkur, der dichteſte, ja 6 oder Smal dichter als einzelne der äußeren Planeten, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, iſt, ſo zeigt ſich doch die Reihenfolge bei Venus, Erde und Mars, oder bei Jupiter, Saturn und Uranus als ſehr unregelmäßig. Die abſoluten Größen ſehen wir, wohl im allgemeinen, wie ſchon Kepler bemerkt (Harmonice mundi V, 4, p. 194, Kosmos Bd. I, S. 268), aber nicht einzeln betrachtet, mit den Abſtänden wachſen. Mars iſt kleiner als die Erde, Uranus kleiner als Saturn, Saturn kleiner als Jupiter, und dieſer folgt unmittelbar auf eine Schar von Planeten, welche wegen ihrer Kleinheit faſt unmeßbar ſind. Die Rotationszeit nimmt im allgemeinen freilich mit der Sonnenferne zu, aber ſie iſt bei Mars wieder langſamer als bei der Erde, bei Sa— turn langſamer als bei Jupiter. . VE — 307 — Die Welt der Geſtaltungen, ich wiederhole es, kann in der Aufzählung räumlicher Verhältniſſe nur geſchildert werden als etwas Thatſächliches, als etwas Daſeiendes (Wirkliches) in der Natur, nicht als Gegenſtand intellektueller Schlußfolge, ſchon erkannter urſachlicher Verkettung. Kein allgemeines Geſetz iſt hier für die Himmelsräume aufgefunden, ſo wenig als für die Erdräume in der Lage der Kulminationspunkte der Bergketten oder in der Geſtaltung der einzelnen Umriſſe der Kontinente. Es ſind Thatſachen der Natur, hervor— gegangen aus dem Konflikt vielfacher, unter uns unbekannt gebliebener Bedingungen wirkender Wurf- und Anziehungs— kräfte. Wir treten hier mit geſpannter und unbefriedigter Neugier in das dunkle Gebiet des Werdens. Es handelt ſich hier, im eigentlichſten Sinne des ſo oft gemißbrauchten Wortes, um Weltbegebenheiten, um kosmiſche Vorgänge in für uns unmeßbaren Zeiträumen. Haben ſich die Pla— neten aus kreiſenden Ringen dunſtförmiger Stoffe gebildet, ſo muß die Materie, als ſie ſich nach dem Vorherrſchen einzelner Attraktionspunkte zu ballen begann, eine unabſehbare Reihe von Zuſtänden durchlaufen ſein, um bald einfache, bald ver— ſchlungene Bahnen, Planeten von ſo verſchiedener Größe, Ab— plattung und Dichte, mondloſe und mondreiche, ja in einen feſten Ring verſchmolzene Satelliten zu bilden. Die gegen— wärtige Form der Dinge und die genaue numeriſche Beſtim— mung ihrer Verhältniſſe hat uns bisher nicht zur Kenntnis der durchlaufenen Zuſtände führen können, nicht zu klarer Einſicht in die Bedingungen, unter denen ſie entſtanden ſind. Dieſe Bedingungen dürfen aber darum nicht zufällig heißen, wie dem Menſchen alles heißt, was er noch nicht genetiſch zu erklären vermag. 3) Abſolute und ſcheinbare Größe, Geſtaltung. — Der Durchmeſſer des größten aller Planeten, Jupiters, iſt 30mal ſo groß als der Durchmeſſer des kleinſten der ſicher beſtimmten Planeten, Merkurs; faſt 11mal ſo groß als der Durchmeſſer der Erde. Beinahe in demſelben Verhältnis ſteht Jupiter zur Sonne. Die Durchmeſſer beider ſind nahe wie 1:10. Man hat vielleicht irrig behauptet, der Größenabſtand der Meteorſteine, die man geneigt iſt für kleine planetariſche Körper zu halten, zur Veſta, welche nach einer Meſſung von Mädler 66 geogr. Meilen (482 km) im Durchmeſſer, alſo 80 Meilen (594 km) weniger hat wie Pallas nach Lamont, ſei nicht bedeutender als der Größenabſtand der Veſta zur — 308 — Sonne. Nach dieſem Verhältniſſe müßte es Meteorſteine von 517 Fuß (168 m) im Durchmeſſer geben. Feuerkugeln haben, ſolange ſie ſcheibenartig erſcheinen, allerdings bis 2600 Fuß (845 m) Durchmeſſer. Die Abhängigkeit der Abplattung von der Umdrehungs— geſchwindigkeit zeigt ſich am auffallendſten in der Vergleichung der Erde als eines Planeten der inneren Gruppe (Rot. 23h 56°, Abpl. e) mit den äußeren Planeten Jupiter (Rot. 10h 55, Abpl. nach Arago "ır, nach John Herſchel ) und Saturn (Rot. 10 29°, Abpl. o). Aber Mars, deſſen Rotation ſogar noch 41 Minuten langſamer iſt als die Rotation der Erde, hat, wenn man auch ein viel ſchwächeres Reſultat als das von William Herſchel annimmt, doch immer ſehr wahrſcheinlich eine viel größere Abplattung. Liegt der Grund dieſer Anomalie, inſofern die Oberflächengeſtalt des elliptiſchen Sphäroids der Umdrehungsgeſchwindigkeit ent⸗ ſprechen ſoll, in der Verſchiedenheit des Geſetzes der zunehmen— den Dichtigkeiten aufeinander liegender Schichten gegen das Centrum hin? oder in dem Umſtand, daß die flüſſige Ober⸗ fläche einiger Planeten früher erhärtet iſt, als ſie die ihrer Rotationsgeſchwindigkeit zugehörige Figur haben annehmen können? Von der Geſtaltung der Abplattung unſeres Pla- neten hängen, wie die theoretiſche Aſtronomie beweiſt, die wichtigen Erſcheinungen des Zurückweichens des Aequinoktial⸗ punkte oder des ſcheinbaren Vorrückens der Geſtirne (Prä— zeſſion), die der Nutation (Schwankung der Erdachſe) und der Veränderung der Schiefe der Ekliptik ab. Die abſolute Größe der Planeten und ihre Entfernung von der Erde beſtimmen ihren ſcheinbaren Durchmeſſer. Der abſoluten (wahren) Größe nach haben wir die Planeten, von den kleineren zu den größeren übergehend, alſo zu reihen: die in ihren Bahnen verſchlungenen kleinen Planeten, deren größte Pallas und Veſta zu ſein ſcheinen, Merkur, Mars, Venus, Erde, Neptun, Uranus, Saturn, Jupiter. — 309 — In der mittleren Entfernung von der Erde hat Jupiter einen ſcheinbaren Aequatorialdurchmeſſer von 38,4“, wenn derſelbe bei der, der Erde an Größe ungefähr gleichen Venus, eben— falls in mittlerer Entfernung, nur 16,9“, bei Mars 5,8“ iſt. In der unteren Konjunktion wächſt aber der ſcheinbare Durch— meſſer der Scheibe der Venus bis 62“, wenn der des Jupiter in der Oppoſition nur eine Vergrößerung bis 46“ erreicht. Es iſt hier notwendig, zu erinnern, daß der Ort in der Bahn der Venus, an welchem ſie uns im hellſten Lichte erſcheint, zwiſchen ihre untere Konjunktion und ihre größte Digreſſion von der Sonne fällt, weil da die ſchmale Lichtſichel wegen der größten Nähe zu der Erde das intenſivſte Licht gibt. Im Mittel erſcheint Venus am herrlichſten leuchtend, ja in Ab— weſenheit der Sonne Schatten werfend, wenn ſie 40“ öſtlich oder weſtlich von der Sonne entfernt iſt, dann beträgt ihr ſcheinbarer Durchmeſſer nur an 40“ und die größte Breite der beleuchteten Phaſe kaum 10“,. Scheinbarer Durchmeſſer von 7 Planeteu: Merkur in mittl. Entfernung 6,7“ (oszilliert von 4,4— 12°) 1 Venus " 77 " ’ 5 1 719 95—62 0 1 30 991 N ars . 72 7 7 5 8 ( [7 7 3,3—28 1 Jupiter 5 " " 8,4 ( " " 30—46“) Saturn „ „ 5 17,1, „ „ 15-20% anus „ „ 1 3,9 rr N 27 Das Volumen der Planeten im Verhältnis zur Erde iſt bei Merkur wie 1.3767 Venus „ E 155 Erde 1 7443 Mars 1 12 7,1 Jupiter „ 1414: 1 Saturn „ 735: 1 Uranus „ 82: 1 Neptun „ 108: 1 während das Volum der Sonne zu dem der Erde = 1407124 zu 1 iſt. Kleine Aenderungen der Meſſungen des Durch— meſſers vergrößern die Angaben der Volumina im Verhältnis des Kubus. Die ihren Ort verändernden, den Anblick des geſtirnten Himmels anmutig belebenden Planeten wirken gleichzeitig auf uns durch die Größe ihrer Scheiben und ihre Nähe, durch Farbe des Lichtes, durch Scintillation, die einigen Planeten in gewiſſen Lagen nicht ganz fremd iſt; durch die Eigentüm— lichkeit, mit der ihre verſchiedenartigen Oberflächen das Sonnen— licht reflektieren. Ob eine ſchwache Lichtentwicklung in den Planeten ſelbſt die Intenſität und Beſchaffenheit ihres Lichtes modifiziere, ji ein noch zu löſendes Problem. 4) Reihung der Planeten und ihre Abſtände von der Sonne. — Um das bisher entdeckte Planetenſyſtem als ein Ganzes zu umfaſſen und in ſeinen mittleren Abſtänden von dem Centralkörper, der Sonne, darzuſtellen, liefern wir die nachfolgende Tabelle, in welcher, wie es immer in der Aſtronomie gebräuchlich geweſen, die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne (20682000 geogr. Meilen [148 64 Mill. km nach Foucault]) zur Einheit angenommen iſt. Wir fügen ſpäter bei den einzelnen Planeten die größten und kleinſten Entfernungen von der Sonne im Aphel und Perihel hinzu, je nachdem der Planet in der Ellipſe, deren Brennpunkt die Sonne einnimmt, ſich in demjenigen Endpunkte der großen Achſe (Apſidenlinie) befindet, welcher dem Brennpunkt am fernſten oder am nächſten iſt. Unter der mittleren Ent— fernung von der Sonne, von welcher hier allein die Rede iſt, wird das Mittel aus der größten und kleinſten Entfernung, oder die halbe große Achſe der Planetenbahn, verſtanden. Auch iſt zu bemerken, daß die numeriſchen Data hier wie bisher, und ſo auch im folgenden, größtenteils aus Hanſens ſorgfältiger Zuſammenſtellung der Planetenelemente in Schu— machers Jahrbuch für 1836 entnommen ſind. Wo die Data ſich auf Zeit beziehen, gelten ſie bei den älteren und größeren Planeten für das Jahr 1800, bei Neptun aber für 1851, mit Benutzung des Berliner aſtronomiſchen Jahrbuchs von 1853. Die weiter unten folgende Zuſammenſtellung der kleinen Planeten, deren Mitteilung ich der Freundſchaft des Dr. Galle verdanke, bezieht ſich durchgängig auf neuere Epochen. Abſtände der Planeten von der Sonne: Merkutt 88 Venus i N072888 Erde aa Mars e nien een — 311 — Kleine Planeten: Jlora. 42202 Viktoria . . 2,335 Bette . 7. fan SU ee Metis 2388 ere "IPATEM AUWE SABBE Parthenope . . 2,448 Irene . . 2,908 1 2,577 Eogerta ti Una een 2,669 Geres. 2,768 Pallas 2,773 Soe. 3,151 Jupiter 520277 Satuen 9,3885 e 1. DE: 775 > . 30,03 628 Die einfache Beobachtung der ſich von Saturn und Jupiter bis Mars und Venus ſchnell vermindernden Umlaufszeiten hatte, bei der Annahme, daß die Planeten an bewegliche Sphären geheftet ſeien, ſehr früh auf Ahnungen über die Abſtände dieſer Sphären voneinander geführt. Da unter den Griechen vor Ariſtarch von Samos und der Errichtung des alexandriniſchen Muſeums von methodiſch angeſtellten Beobachtungen und Meſſungen keine Spur zu finden iſt, ſo entſtand eine große Verſchiedenheit in den Hypotheſen über die Reihung der Planeten und ihrer relativen Abſtände; ſei es, wie nach dem am meiſten herrſchenden Syſteme, über die Abſtände von der im Centrum ruhenden Erde, oder, wie bei den Pythagoreern, über die Abſtände von dem Herd des Weltalls, der Heſtia. Man ſchwankte beſonders in der Stellung der Sonne, d. h. in ihrer relativen Lage gegen die unteren Planeten und den Mond.! Die Pythagoreer, denen Zahl die Quelle der Erkenntnis, die Weſenheit der Dinge war, wandten ihre Zahlentheorie, die alles verſchmelzende Lehre der Zahlenverhältniſſe auf die geometriſche Betrachtung der früh erkannten 5 regelmäßigen Körper, auf die muſika— liſchen Intervalle der Töne, welche die Akkorde beſtimmen und verſchiedene Klanggeſchlechter bilden, ja auf den Welten— — 312 — bau ſelbſt an, ahnend, daß die bewegten, gleichſam ſchwin— genden, Klangwellen erregenden Planeten nach den har— moniſchen Verhältniſſen ihrer räumlichen Intervalle eine Sphärenmuſik hervorrufen müßten. „Dieſe Muſik,“ ſetzten ſie hinzu, „würde dem menſchlichen Ohre vernehmbar ſein, wenn ſie nicht, eben darum weil fie perpetuierlich iſt, und weil der Menſch von Kindheit auf daran gewöhnt iſt, überhört würde.““? Der harmoniſche Teil der pythagoreiſchen Zahlenlehre ſchloß ſich ſo der figürlichen Darſtellung des Kosmos an, ganz im Sinne des platoniſchen Timäus; denn „die Kosmogonie iſt dem Plato das Werk der von der Har— monie zuſtande gebrachten Vereinigung entgegengeſetzter Ur— gründe“. Er verſucht ſogar in einem anmutigen Bilde die Welttöne zu verſinnlichen, indem er auf jede der Planeten— ſphären eine Sirene ſetzt, die, von den ernſten Töchtern der Notwendigkeit, den drei Mören, unterſtützt, die ewige Um— kreiſung der Weltſpindel fördern.“ Eine ſolche Dar— ſtellung der Sirenen, an deren Stelle bisweilen als Himmels— ſängerinnen die Muſen treten, iſt uns in antiken Kunſtdenk— mälern, beſonders in geſchnittenen Steinen, mehrfach erhalten. Im chriſtlichen Altertume, wie im ganzen Mittelalter, von Baſilius dem Großen an bis Thomas von Aquino und Petrus Alliacus, wird der Harmonie der Sphären noch immer, doch meiſt tadelnd, gedacht.!“ Am Ende des 16. Jahrhunderts erwachten in dem phantaſiereichen Kepler wieder alle pythagoreiſchen und plato— niſchen Weltanſichten, gleichzeitig die geometriſchen wie die muſikaliſchen. Kepler baute, nach ſeinen naturphiloſophiſchen Phantaſieen, das Planetenſyſtem erſt in dem Mysterium cosmographicum nach der Norm der 5 regulären Körper, welche zwiſchen die Planetenſphären gelegt werden können, dann in der Harmonice Mundi nach den Intervallen der Töne auf. Von der Geſetzlichkeit in den relativen Ab— ſtänden der Planeten überzeugt, glaubte er das Problem durch eine glückliche Kombination ſeiner früheren und ſpäteren An— ſichten gelöſt zu haben. Auffallend genug iſt es, daß Tycho de Brahe, den wir ſonſt immer ſo ſtreng an die wirkliche Beobachtung gefeſſelt finden, ſchon vor Kepler die von Roth— mann beſtrittene Meinung geäußert hatte, daß die kreiſenden Weltkörper die Himmelsluft (was wir jetzt das wider— ſtehende Mittel nennen) zu erſchüttern vermöchten, um Töne zu erzeugen. Die Analogieen der Tonverhältniſſe mit den — 313 — Abſtänden der Planeten, denen Kepler ſo lange und ſo müh— ſam nachſpürte, blieben aber, wie mir ſcheint, bei dem geiſt— reichen Forſcher ganz in dem Bereich der Abſtraktionen. Er freut ſich, zu größerer Verherrlichung des Schöpfers, in den räumlichen Verhältniſſen des Kosmos muſikaliſche Zahlenver— hältniſſe entdeckt zu haben; er läßt, wie in dichteriſcher Be— geiſterung, „Venus zuſammen mit der Erde in der Sonnen— ferne Dur, in der Sonnennähe Moll ſpielen, ja, der höchſte Ton des Jupiter und der Venus müſſen im Mollakkord zu— ſammentreffen“. Trotz aller dieſer ſo häufig gebrauchten und doch nur ſymboliſierenden Ausdrücke ſagt Kepler beſtimmt: „Jam soni in eoelo nulli existunt, nec tam turbulentus est motus, ut ex attritu aurae coelestis eliciatur stridor.“ (Harmonice Mundi lib. V, cap. 5.) Der dünnen und heiteren Weltluft (aura coelestis) wird hier alſo wieder gedacht. Die vergleichende Betrachtung der Planetenintervalle mit den regelmäßigen Körpern, welche dieſe Intervalle ausfüllen müſſen, hatte Kepler ermutigt, ſeine Hypotheſen ſelbſt bis auf die Fixſternwelt auszudehnen.“ Was bei der Auffindung der Ceres und der anderen ſogenannten kleinen Planeten an die pythagoreiſchen Kombinationen Keplers zuerſt wieder leb— haft erinnert hat, iſt deſſen faſt vergeſſene Aeußerung geweſen über die wahrſcheinliche Exiſtenz eines noch ungeſehenen Planeten in der großen planetenloſen Kluft zwiſchen Mars und Jupiter. („Motus semper distantiam pone sequi videtur; atque ubi magnus hiatus erat inter orbes, erat et inter motus.“) „Ich bin kühner geworden,“ ſagt er in der Einleitung zum Mysterium cosmographicum, „und ſetze zwiſchen Mars und Jupiter einen neuen Pla— neten, wie auch (eine Behauptung, die weniger glücklich war und lange unbeachtet! blieb) einen anderen Planeten zwiſchen Venus und Merkur; man hat wahrſcheinlich beide ihrer außerordentlichen Kleinheit wegen nicht geſehen.“!“ Später fand Kepler, daß er dieſer neuen Planeten für ſein Sonnen— ſyſtem nach den Eigenſchaften der 5 regelmäßigen Körper nicht bedürfe; es komme nur darauf an, den Abſtänden der alten Planeten eine kleine Gewalt anzuthun. („Non reperies novos et incognitos Planetas, ut paulo antea, interpositos, non ea mihi probatur audacia; sed illos veteres parum admodum luxatos.“ Myst. cosmogr., p. 10.) Die geiſtigen Richtungen Keplers waren den pythagoreiſchen und noch mehr den im Timäus ausgeſprochenen platoniſchen jo analog, daß, jo wie Plato (Cratyl. p. 409) in den 7 Planetenſphären neben der Verſchiedenheit der Töne auch die der Farben fand, Kepler ebenfalls (Astron. opt. cap. 6, pag. 261) eigene Verſuche anſtellte, um an einer verſchieden erleuchteten Tafel die Farben der Planeten nachzuahmen. War doch der große, in ſeinen Vernunftſchlüſſen immer ſo ſtrenge Newton ebenfalls noch geneigt, wie ſchon Prevoſt (Mem. de l’Acad. de Berlin pour 1802, p. 77 und 93) bemerkt, die Dimenſion der 7 Farben des Spektrums auf die diatoniſche Skala zu reduzieren.!“ Die Hypotheſe von noch unbekannten Gliedern der Pla— netenreihe des Sonnenſyſtems erinnert an die Meinung des helleniſchen Altertums, daß es weit mehr als 5 Planeten gebe; dies ſei ja nur die Zahl der beobachteten, viele andere aber blieben ungeſehen wegen der Schwäche ihres Lichtes und ihrer Stellung. Ein ſolcher Ausſpruch ward beſonders dem Artemidor aus Epheſus zugeſchrieben.!“ Ein anderer alt— helleniſcher, vielleicht ſelbſt ägyptiſcher Glaube ſcheint der ge— weſen zu ſein, „daß die Himmelskörper, welche wir jetzt ſehen, nicht alle von jeher zugleich ſichtbar waren“. Mit einem ſolchen phyſiſchen oder vielmehr hiſtoriſchen Mythus hängt die ſonderbare Form des Lobes eines hohen Alters zu— ſammen, das einige Volksſtämme ſich ſelbſt beilegten. So nannten ſich Proſelenen die vorhelleniſchen pelasgiſchen Bewohner Arkadiens, weil ſie ſich rühmten, früher in ihr Land gekommen zu ſein, als der Mond die Erde begleitete. Vor— helleniſch und vormondlich waren ſynonym. Das Er— ſcheinen eines Geſtirnes wurde als eine Himmelsbegebenheit geſchildert, wie die deukalioniſche Flut eine Erdbegebenheit war. Apulejus (Apologia Vol. II, p. 494 ed. Oudendorp; Kosmos Bd. II, S. 300, Anm. 86) dehnte die Flut bis auf die gätuliſchen Gebirge des nördlichen Afrikas aus. Bei Apollonius Rhodius, der nach alexandriniſcher Sitte gern alten Muſtern nachahmte, heißt es von der frühen Anſiedelung der Aegypter im Nilthale: „Noch kreiſten nicht am Himmel die Geſtirne alle, noch waren die Danaer nicht erſchienen, nicht das deukalioniſche Geſchlecht.“?“ Dieſe wichtige Stelle erläutert das Lob des pelasgiſchen Arkadien. Ich ſchließe dieſe Betrachtungen über die Abſtände und räumliche Reihung der Planeten mit einem Geſetz, welches eben nicht dieſen Namen verdient, und das Lalande und „ I Zu 2 u — 315 — Delambre ein Zahlenſpiel, andere ein mnemoniſches Hilfs: mittel nennen. Es hat dasſelbe unſeren verdienſtvollen Bode viel beſchäftigt, beſonders zu der Zeit, als Piazzi die Ceres auffand, eine Entdeckung, die jedoch keineswegs durch jenes ſogenannte Geſetz, ſondern eher durch einen Druckfehler in Wollaſtons Sternverzeichnis veranlaßt wurde. Wollte man die Entdeckung als die Erfüllung einer Vorausſagung be— trachten, ſo muß man nicht vergeſſen, daß letztere, wie wir ſchon oben erinnert haben, bis zu Kepler hinaufreicht, alſo mehr denn 1½ Jahrhunderte über Titius und Bode hinaus. Obgleich der Berliner Aſtronom in der 2. Auflage ſeiner populären und überaus nützlichen „Anleitung zur Kenntnis des geſtirnten Himmels“ bereits ſehr beſtimmt erklärt hatte, „daß er das Geſetz der Abſtände einer in Wittenberg durch Prof. Titius veranitalteten Ueberſetzung von Bonnets Con— temp! ation de la Nature entlehne“, ſo hat dasſelbe doch meiſt ſeinen Namen und ſelten den von Titius geführt. In einer Note, welche der letztere dem Kapitel über das Welt— gebäude hinzufügte, heißt es: „Wenn man die Abſtände der Planeten unterſucht, jo findet man, daß faſt alle in der Pro— portion voneinander entfernt ſind, wie ihre körperlichen Größen zunehmen. Gebet der Diſtanz von der Sonne bis zum Saturn 100 Teile, ſo iſt Merkur 4 ſolcher Teile von der Sonne ent— fernt, Venus 43 7 derſelben, die Erde 4 6 = 10, Mars 412 = 16. Aber von Mars bis zu Jupiter kommt eine Ab— weichung von dieſer jo genauen (!) Progreſ ſion vor. Vom Mars folgt ein Raum von 4+ 24 28 ſolcher Teile, darin weder ein Hauptplanet noch ein Nebenplanet zur Zeit geſehen wird. Und der Bauherr ſollte dieſen Raum leer gelaſſen haben? Es iſt nicht zu zweifeln, daß dieſer Raum den bisher noch unentdeckten Trabanten des Mars zugehöre, oder daß vielleicht auch Jupiter noch Trabanten um ih habe, die bisher durch kein Fernrohr geſehen find. Von dem uns (in feiner Erfüllung) unbekannten Raum erhebt ſich Jupiters Wirkungs⸗ kreis in 4.48 = 52. Dann folgt Saturn in 4 + 96 = 100 Teilen — ein bewundernswürdiges Verhältnis.“ — Titius war alſo geneigt, den Raum zwiſchen Mars und Jupiter nicht mit einem, ſondern mit mehreren Weltkörpern, wie es wirklich der Fall iſt, auszufüllen, aber er vermutete, daß dieſelben eher Neben- als Hauptplaneten wären. Wie der Ueberſetzer und Kommentator von Bonnet zu der Zahl 4 für die Merkursbahn gelangte, iſt nirgends — 316 — ausgeſprochen. Er wählte ſie vielleicht nur, um für den da— mals entfernteſten Planeten Saturn, deſſen Entfernung 9,5, alſo nahe —= 10,0 iſt, genau 100 zu haben, in Verbindung mit den leicht teilbaren Zahlen 96, 48, 24 u. ſ. f. Daß er die Reihenfolge bei den näheren Planeten beginnend auf— geſtellt habe, iſt minder wahrſcheinlich. Eine hinreichende Uebereinſtimmung des nicht von der Sonne, ſondern vom Merkur anhebenden Geſetzes der Verdoppelung mit den wahren Planetenabſtänden konnte ſchon im vorigen Jahrhun— dert nicht behauptet werden, da letztere damals genau genug für dieſen Zweck bekannt waren. In der Wirklichkeit nähern ſich allerdings der Verdoppelung ſehr die Abſtände zwiſchen Jupiter, Saturn und Uranus; indes hat ſich ſeit der Ent— deckung des Neptun, welcher dem Uranus viel zu nahe ſteht, das Mangelhafte der Progreſſion in einer augenfälligen Weiſe zu erkennen gegeben.?! Was man das Geſetz des Vicarius Wurm aus Leonberg nennt und bisweilen von dem Titius-Bodeſchen Geſetze unter— ſcheidet, iſt eine bloße Korrektion, welche Wurm bei der Ent— fernung des Merkur von der Sonne und bei der Differenz der Merkur- und Venusabſtände angebracht hat. Er ſetzt, der Wahrheit ſich mehr nähernd, den erſteren zu 387, den zweiten zu 680, den Erdabſtand zu 1000.22 Gauß hat ſchon bei Gelegenheit der Entdeckung der Pallas durch Olbers in einem Briefe an Zach (Oktober 1802) das ſogenannte Geſetz der Abſtände treffend gerichtet. „Das von Titius angegebene,“ ſagt er, „trifft bei den meiſten Planeten, gegen die Natur aller Wahrheiten, die den Namen Geſetz verdienen, nur ganz beiläufig, und, was man noch nicht einmal bemerkt zu haben ſcheint, beim Merkur gar nicht zu. Es iſt einleuchtend, daß die Reihe 4, 443, 446, 4 +12, 4424, 4 48, 4 796, 4 4 192, womit die Abſtände übereinſtimmen ſollten, gar nicht einmal eine kontinuierliche Reihe iſt. Das Glied, welches vor 4 hergeht, muß ja nicht 4, d. i. 470, ſondern 4 1½ fein. Alſo zwiſchen 4 und 4+3 ſollten noch unendlich viele liegen, oder, wie Wurm ſich ausdrückt, für n—=1 kommt aus 47 22. 3 nicht 4, ſondern 5. Es iſt übrigens gar nicht zu tadeln, wenn man dergleichen ungefähre Uebereinſtimmungen in der Natur aufſucht. Die größten Männer aller Zeiten haben ſolchem lusus ingenii nachgehaͤngen.“ 5) Maſſen der Planeten. — Sie find durch Satel— liten, wo ſolche vorhanden ſind, durch gegenſeitige Störungen der Hauptplaneten untereinander oder durch Einwirkung eines Kometen von kurzem Umlauf ergründet worden. So wurde von Encke 1841 durch Störungen, welche ſein Komet erleidet, die bis dahin unbekannte Maſſe des Merkur beſtimmt. Für Venus bietet derſelbe Komet für die Folge Ausſicht der Maſſenverbeſſerung dar. Auf Jupiter werden die Störungen der Veſta angewandt. Die Maſſe der Sonne als Einheit genommen, ſind (nach Encke, Vierte Abhandlung über den Kometen von Pons in den Schriften der Ber— liner Akademie der Wiſſenſchaften für 1842, S. 5): Merkur 488751 ee ee, aan Bose; alla an e u e (Erde und Mond zufammen .. er) Mars . ar Jupiter mit feinen Trabanten . rn Saturn e Uranus — Neptun ili Noch größer, jedoch der Wahrheit bemerkenswert nahe: 52, iſt die Maſſe, welche le Verrier vor der wirklichen Auffindung des Neptun durch Galle mit Hilfe ſeiner ſcharfſinnigen Be— rechnungen ermittelte. Die Reihung der Hauptplaneten, die kleinen ungerechnet, iſt demnach bei zunehmender Maſſe folgende: Merkur, Mars, Venus, Erde, Uranus, Neptun, Saturn, Jupiter, alſo, wie auch in Volum und Dichte, ganz verſchieden von der Reihenfolge der Abſtände vom Centralkörper. 6) Dichtigkeit der Planeten. — Die vorher er⸗ wähnten Volumina und Maſſen anwendend, erhält man für die Dichtigkeiten der Planeten (je nachdem man die des Erd— körpers oder die des Waſſers gleich 1 ſetzt) folgende numeriſche Verhältniſſe: — 318 — Verhältnis Verhältnis Planeten zum zur Dichtigkeit Erdkörper | des Waſſers Miert m e KA 0,234 6 Venn ic ant a 0,940 5,11 Erde ie 1,000 5,44 Parr Er 0,958 5,21 Jil 0 0,243 1,32 Sr Ne; 0,140 0,76 Hann AR Ren 0,178 0,97 Neptun een 0,230 1,25 In der Vergleichung der planetariſchen Dichtigkeiten mit Waſſer dient zur Grundlage die Dichtigkeit des Erdkörpers. Reichs Verſuche mit der Drehwage haben in Freiberg 5,4383 gegeben, ſehr gleich den analogen Verſuchen von Cavendiſh, welche nach der genaueren Berechnung von Francis Baily 5,448 gaben. Aus Bailys eigenen Verſuchen folgte das Re— ſultat 5,660. Man erkennt in der obigen Tabelle, daß Merkur nach Enckes Maſſenbeſtimmung den anderen Planeten von mittlerer Größe ziemlich nahe ſteht. Die vorſtehende Tabelle der Dichtigkeiten erinnert lebhaft an die mehrmals von mir berührte Einteilung der Planeten in zwei Gruppen, welche durch die Zone der kleinen Planeten voneinander getrennt werden. Die Unterſchiede der Dichtig— keit, welche Mars, Venus, die Erde und ſelbſt Merkur dar: bieten, ſind ſehr gering; faſt ebenſo ſind unter ſich ähnlich, aber 4 bis 7mal undichter als die vorige Gruppe, die ſonnen— ferneren Planeten Jupiter, Neptun, Uranus und Saturn. Die Dichtigkeit der Sonne (0,252, die der Erde = 1,000 geſetzt, alſo im Verhältnis zum Waſſer 1,37) iſt um weniges größer, als die Dichtigkeiten des Jupiter und Neptun. Der zuneh— menden Dichte nach müſſen demnach Planeten und Sonne?“ folgendermaßen gereiht werden: Saturn, Uranus, Neptun, Jupiter, Sonne, Venus, Mars, Erde, Merkur. Obgleich die dichteſten Planeten, im ganzen genommen, die der Sonne näheren ſind, ſo iſt doch, wenn man die Planeten einzeln betrachtet, ihre Dichtigkeit keineswegs den Abſtänden proportional, wie Newton anzunehmen geneigt war.“ 319 7) Sideriſche Umlaufszeit und Achſendrehung. — Wir begnügen uns, hier die ſideriſchen oder wahren Um: laufszeiten der Planeten in Beziehung auf die Firſterne oder einen feſten Punkt des Himmels anzugeben. In der Zeit einer ſolchen Revolution legt ein Planet volle 360 Grade um die Sonne zurück. Die ſideriſchen Revolutionen (Umläufe) find ſehr von den tropiſchen und ſynodiſchen zu unter— ſcheiden, deren erſtere ſich auf die Rückkehr zur Frühlings: nachtgleiche, letztere ſich auf den Zeitunterſchied zwiſchen zwei nächſten Konjunktionen oder Oppoſitionen beziehen. Sideriſche— Ä Planeten Umlaufsgeiten Rotation err MD, 87,90028 Tage P ee ee Bades me mar 369,25637 „ | 0% 235 56“ 4“ eee de 686,97964 „ 17 Ob 37“ 20” V e, ee d 10759 98 70271029292 177 Fee,, ee 459126, F | In einer anderen, mehr überſichtlichen Form find die wahren Umlaufszeiten: Merkur 87% 23h 15“ 46“ Venus 224% 16h 49“ 7“ Erde 365% 6b 9 10,7496“, woraus gefolgert wird die tropiſche Umlaufszeit oder die Länge des Sonnenjahres zu 365,24222° oder 365 7 5h 48“ 47,8091“; die Länge des Sonnenjahres wird wegen des Vor— rückens der Nachtgleichen in 100 Jahren um 0,595“ kürzer Mars 1 Jahr 3212 17 30“ 41“ Jupitet LE hre 314” 208 2 7 Saturn 29 Jahre 1665 23h 16“ 32“ Uranus 84 Jahre 5 19 41’ 36“ Neptun 164 Jahre 225 17 Die Rotation iſt bei den ſehr großen äußeren Planeten, welche zugleich eine lange Umlaufszeit haben, am ſchnellſten, bei den kleineren inneren, der Sonne näheren, langſamer. — 320 — Die Umlaufszeit der Aſteroiden zwiſchen Mars und Jupiter iſt ſehr verſchieden und wird bei der Herzählung der einzelnen Planeten erwähnt werden. Es iſt hier hinlänglich, ein ver— gleichendes Reſultat anzuführen, und zu bemerken, daß unter den kleinen Planeten ſich die längſte Umlaufszeit findet bei Hygiea, die kürzeſte bei Flora. 8) Neigung der Planetenbahnen und Rotations— achſen. — Nächſt den Maſſen der Planeten gehören die Neigung und Exzentrizität ihrer Bahnen zu den wichtigſten Elementen, von welchen die Störungen abhängen. Die Vergleichung derſelben in der Reihenfolge der inneren, kleinen mittleren, und äußeren Planeten (von Merkur bis Mars, von Flora bis Hygiea, von Jupiter bis Neptun) bietet mannig- faltige Aehnlichkeiten und Kontraſte dar, welche zu Betrach— tungen über die Bildung dieſer Weltkörper und ihre an lange Zeitperioden geknüpften Veränderungen leiten. Die in ſo verſchiedenen elliptiſchen Bahnen kreiſenden Planeten liegen auch alle in verſchiedenen Ebenen; ſie werden, um eine nume— riſche Vergleichung möglich zu machen, auf eine feſte oder nach einem gegebenen Geſetze bewegliche Fundamentalebene bezogen. Als eine ſolche gilt am bequemſten die Ekliptik (die Bahn, welche die Erde wirklich durchläuft) oder der Aequator des Erdſphäroids. Wir fügen zu derſelben Ta: belle die Neigungen der Rotationsachſen der Planeten gegen ihre eigene Bahn hinzu, ſoweit dieſelben mit einiger Sicherheit ergründet ſind: Neigung Neigung der Neigung der der Planeten-⸗ Planetenbahnen Achſen der bahnen gegen gegen den Planeten gegen die Ekliptik Erdäquator ihre Bahnen Planeten Merkur fr, , USA: Pens 121151025298 15241 24.0203262, Erde 0 0 2 RN a Alena An Er Jupiter g 17250019727 | Saturn . 2 29“ 35,9“ 229 38 Uranus os 46. 28023 2 Neptün HIORATE 22 All, Die kleinen Planeten ſind hier ausgelaſſen, weil ſie weiter unten als eine eigene abgeſchloſſene Gruppe behandelt werden. LL̃VL EEE TEE nee — 321 — Wenn man den ſonnennahen Merkur ausnimmt, deſſen Bahn— neigung gegen die Ekliptik (70 5,9”) der des Sonnen— äquators (730 ſehr nahe kommt, fo ſieht man die Neigung der anderen ſieben Planetenbahnen zwiſchen 0¼8 “ und 3 ½“ oszillieren. In der Stellung der Rotationsachſen gegen die eigene Bahn iſt es Jupiter, welcher ſich dem Extreme der Perpendikularität am meiſten nähert. Im Uranus dagegen fällt, nach der Neigung der Trabantenbahnen zu ſchließen, die Rotationsachſe faſt mit der Ebene der Bahn des Planeten zuſammen. Da von der Größe der Neigung der Erdachſe gegen die Ebene der Erdbahn, alſo von der Schiefe der Ekliptik (d. h. von dem Winkel, welchen die ſcheinbare Sonnenbahn in ihrem Durchſchnittspunkte mit dem Aequator macht), die Verteilung und Dauer der Jahreszeiten, die Sonnenhöhen unter ver— ſchiedenen Breiten und die Länge des Tages abhängen, ſo iſt dieſes Element von der äußerſten Wichtigkeit für die aſtro— nomiſchen Klimate, d. h. für die Temperatur der Erde, inſofern dieſelbe Funktion der erreichten Mittagshöhen der Sonne und der Dauer ihres Verweilens über dem Horizonte iſt. Bei einer großen Schiefe der Ekliptik, oder wenn gar der Erdäquator auf der Erdbahn ſenkrecht ſtünde, würde jeder Ort einmal im Jahre, ſelbſt unter den Polen, die Sonne im Zenith, und längere oder kürzere Zeit nicht aufgehen ſehen. Die Unterſchiede von Sommer und Winter würden unter jeder Breite (wie die Tagesdauer) das Maximum des Gegen— ſatzes erreichen. Die Klimate würden in jeder Gegend der Erde im höchſten Grade zu denen gehören, welche man extreme nennt und die eine unabſehbar verwickelte Reihe ſchnell wech— ſelnder Luftſtrömungen nur wenig zu mäßigen vermöchte. Wäre im umgekehrten Fall die Schiefe der Ekliptik null, fiele der Erdäquator mit der Ekliptik zuſammen, ſo hörten an jedem Orte die Unterſchiede der Jahreszeiten und Tageszeiten auf, weil die Sonne ſich ununterbrochen ſcheinbar im Aequator bewegen würde. Die Bewohner des Pols würden nie auf— hören, ſie am Horizonte zu ſehen. „Die mittlere Jahres— temperatur eines jeden Punktes der Erdoberfläche würde auch die eines jeden einzelnen Tages ſein.“ Man hat dieſen Zu— ſtand den eines ewigen Frühlings genannt, doch wohl nur wegen der allgemein gleichen Länge der Tage und Nächte. Ein großer Teil der Gegenden, welche wir jetzt die gemäßigte Zone nennen, würden, da der Pflanzenwuchs jeder anregenden A. v. Humboldt, Kosmos. III. 21 — 322 — Sonnenwärme entbehren müßte, in das faſt immer gleiche, eben nicht erfreuliche Frühlingsklima verſetzt ſein, von welchem ich unter dem Aequator in der Andeskette, der ewigen Schneegrenze nahe, auf den öden Bergebenen (Paramos) zwiſchen 10000 und 12000 Fuß (3250 bis 3900 m) viel ge⸗ litten. Die Tagestemperatur der Luft oszilliert dort immer: dar zwiſchen 4½ “ und 9“ Reaumur. Das griechiſche Altertum iſt viel mit der Schiefe der Ekliptik beſchäftigt geweſen, mit rohen Meſſungen, mit Mut⸗ maßungen über ihre Veränderlichkeit, und dem Einfluß der Neigung der Erdachſe auf Klimate und Ueppigkeit der organi- ſchen Entwickelung. Dieſe Spekulationen gehörten vorzüglich dem Anaxagoras, der pythagoreiſchen Schule und dem Oeno— pides von Chios an. Die Stellen, welche uns darüber auf: klären ſollen, ſind dürftig und unbeſtimmt; doch geben ſie zu erkennen, daß man ſich die Entwickelung des organiſchen Lebens und die Entſtehung der Tiere als gleichzeitig mit der Epoche dachte, in welcher die Erdachſe ſich zu neigen anfing, was auch die Bewohnbarkeit des Planeten in einzelnen Zonen ver— änderte. Nach Plutarch De plac. Philos. II, 8 glaubte Anaxagoras: „daß die Welt, nachdem ſie entſtanden und lebende Weſen aus ihrem Schoße hervorgebracht, ſich von ſelbſt gegen die Mittagſeite geneigt habe“. In derſelben Beziehung ſagt Diogenes Laertius II, 9 von dem Klazomenier: „Die Sterne hatten ſich anfangs in kuppelartiger Lage fortgeſchwungen, ſo daß der jedesmal erſcheinende Pol ſcheitelrecht uͤber der Erde ſtand; ſpäter aber hatten ſie die ſchiefe Richtung angenommen.“ Die Entſtehung der Schiefe der Ekliptik dachte man ſich wie eine kosmiſche Begebenheit. Von einer fort— ſchreitenden ſpäteren Veränderung war keine Rede. Die Schilderung der beiden extremen, alſo entgegen— geſetzten Zuſtände, denen ſich die Planeten Uranus und Jupiter am meiſten nähern, ſind dazu geeignet, an die Veränderungen zu erinnern, welche die zunehmende oder abnehmende Schiefe der Ekliptik in den metereologiſchen Verhältniſſen unſeres Planeten und in der Entwickelung der organiſchen Lebensformen hervorbringen würde, wenn dieſe Zu- oder Ab— nahme nicht in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen wäre. Die Kenntnis dieſer Grenzen, Gegenſtand der großen Arbeiten von Leonhard Euler, Lagrange und Laplace, kann für die neuere Zeit eine der glänzendſten Errungenſchaften der theo— retiſchen Aſtronomie und der vervollkommneten höheren Ana— 7²—˙ , ↄ—oܧ..... œ é —ôG 7 od.̃ÿ⅛ÜP:1̃·ĩͤůqLf —è'iAu P½i½ ⅛wv? ,—½⁸ͤ—⅛T»bö — 323 — lyſis genannt werden. Dieſe Grenzen ſind ſo enge, daß Laplace Expos. du Systeme du Monde, ed. 1824, p. 303) die Behauptung aufitellte, die Schiefe der Ekliptik oszilliere nach beiden Seiten nur 1½ “ um ihre mittlere Lage. Nach dieſer Angabe ?' würde uns die Tropenzone (der Wen dekreis des Krebſes, als ihr nördlichſter, äußerſter Saum) nur um ebenſoviel näher kommen. Es wäre alſo, wenn man die Wirkung ſo vieler anderer metereologiſcher Perturbationen ausſchließt, als würde Berlin von ſeiner jetzigen iſothermen Linie allmählich auf die von Prag verſetzt. Die Erhöhung der mittleren Jahrestemperatur würde kaum mehr als einen Grad des hundertteiligen Thermometers betragen.?“ Biot nimmt zwar auch nur enge Grenzen in der alternierenden Ver— änderung der Schiefe der Ekliptik an, hält es aber für rat⸗ ſamer, fie nicht an beſtimmte Zahlen zu feſſeln. „La dimi- nution lente et seculaire de l’obliquite de l'ecliptique,“ jagt er, „offre des etats alternatifs qui produisent une oscillation éternelle, comprise entre des limites fixes. La theorie n'a pas encore pu parvenir à determiner ces limites; mais d’apres la constitution du systeme planetaire, elle a demontre qu'elles existent et qu'elles sont tres peu etendues. Ainsi, & ne considerer que le seul effet de causes constantes qui agissent actuellement sur le syst&me du monde, on peut affirmer que le plan de l’ecliptique n’a jamais coincideE et ne coincidera jamais avec le plan de l’equateur: phenomene qui, s’il arrivait, produirait sur la terre le (pretendu!) printemps perpetuel.“ Biot, Traited’Astronomie physique, 3e ed. 1847, T. IV, 291. 5 Während die von Bradley entdeckte Nutation der Erd— achſe bloß von der Einwirkung der Sonne und des Erd— ſatelliten auf die abgeplattete Geſtalt unſeres Planeten ab— hängt, iſt das Zunehmen und Abnehmen der Schiefe der Ekliptik die Folge der veränderlichen Stellung aller Planeten. Gegenwärtig ſind dieſe ſo verteilt, daß ihre Geſamtwirkung auf die Erdbahn eine Verminderung der Schiefe der Ekliptik hervorbringt. Letztere beträgt jetzt nach Beſſel jährlich 0,457“. Nach dem Verlauf von vielen tauſend Jahren wird die Lage der Planetenbahnen und ihrer Knoten (Durchſchnittspunkte auf der Ekliptik) ſo verſchieden ſein, daß das Vorwärtsgehen der Aequinoktien in ein Rückwärtsgehen und demnach in eine Zunahme der Schiefe der Ekliptik wird verwandelt ſein. Die — 324 — Theorie lehrt, daß dieſe Zu- und Abnahme Perioden von ſehr ungleicher Dauer ausfüllt. Die älteften aſtronomiſchen Beobachtungen, welche uns mit genauen numeriſchen Angaben erhalten ſind, reichen bis in das Jahr 1104 vor Chriſtus hinauf und bezeugen das hohe Alter chineſiſcher Civiliſation. Litterariſche Monumente ſind kaum hundert Jahre jünger, und eine geregelte hiſtoriſche Zeitrechnung reicht (nach Eduard Biot) bis 2700 Jahre vor Chriſtus hinauf. Unter der Regent— ſchaft des Tſcheu-⸗kung, Bruders des Wu-Wang, wurden an einem Sfüßigen Gnomon in der Stadt Lo-jang ſüdlich vom gelben Fluſſe (die Stadt heißt jetzt Ho-nan-fu, in der Provinz Ho:nan) in einer Breite von 34° 46“ die Mittagsſchatten in zwei Solſtitien gemeſſen. Sie gaben die Schiefe der Ekliptik zu 23° 54“, alſo um 27 größer, als fie 1850 war. Die Beobachtungen von Pytheas und Eratoſthenes zu Marſeille und Alexandrien ſind ſechs und ſieben Jahrhunderte jünger. Wir beſitzen 4 Reſultate über die Schiefe der Ekliptik vor unſerer Zeitrechnung, und 7 nach derſelben bis zu Ulugh Begs Beobachtungen auf der Sternwarte zu Samarkand. Die Theorie von Laplace ſtimmt auf eine bewundernswürdige Weiſe, bald in plus, bald in minus, mit den Beobachtungen für einen Zeitraum von faſt 3000 Jahren überein. Die uns überkommene Kenntnis von Tſcheu-kungs Meſſung der Schatten— längen iſt um ſo glücklicher, als die Schrift, welche ihrer er— wähnt, man weiß nicht aus welcher Urſache, der großen vom Kaiſer Schi⸗hoang⸗ti aus der Tſindynaſtie im Jahre 246 vor Chr. anbefohlenen fanatiſchen Bücherzerſtörung entgangen iſt. Da der Anfang der 4. ägyptiſchen Dynaſtie mit den pyramidenbauenden Königen Chufu, Schafra und Menkera nach den Unterſuchungen von Lepſius 23 Jahrhunderte vor der Solſtitialbeobachtung zu Lo-jang fällt, ſo iſt bei der hohen Bildungsſtufe des ägyptiſchen Volkes und ſeiner frühen Kalender— einrichtung es wohl ſehr wahrſcheinlich, daß auch damals ſchon Schattenlängen im Nilthal gemeſſen wurden, Kenntnis davon iſt aber nicht auf uns gekommen. Selbſt die Peruaner, ob— gleich weniger fortgeſchritten in der Vervollkommnung des Kalenderweſens und der Einſchaltungen, als es die Mexikaner und die Muyscas (Bergbewohner von Neugranada) waren, hatten Gnomonen, von einem auf ſehr ebener Grundfläche eingezeichneten Kreiſe umgeben. Es ſtanden dieſelben ſowohl im Inneren des großen Sonnentempels zu Cuzco als an vielen anderen Orten des Reiches; ja der Gnomon zu Quito, ’ — 325 — faſt unter dem Aequator gelegen und bei den Aequinoktial— feſten mit Blumen bekränzt, wurde in größerer Ehre als die anderen gehalten.!“ 9) Exzentrizität der Planetenbahnen. — Die Form der elliptiſchen Bahnen iſt beſtimmt durch die größere oder geringere Entfernung der beiden Brennpunkte vom Mittel— punkt der Ellipſe. Dieſe Entfernung oder Exzentrizität der Planetenbahnen variiert, in Teilen der halben großen Achſe der Bahnen ausgedrückt, von 0,006 (alſo der Kreisform ſehr nahe) in Venus und von 0,076 in Ceres bis 0,205 in Merkur und 0,255 in Juno. Auf die am wenigſten exzen— triſchen Bahnen der Venus und des Neptun folgen am nächſten: die Erde, deren Exzentrizität ſich jetzt vermindert und zwar um 0,0004299 in 100 Jahren, während die kleine Achſe ſich vergrößert, Uranus, Jupiter, Saturn, Ceres, Egeria, Veſta und Mars. Die am meiſten exzentriſchen Bahnen find die der Juno (0,255), Pallas (0,239), Iris (0,232), Viktoria (0,217), des Merkur (0,205) und der Hebe (0,202). Die Erzentrizitäten ſind bei einigen Planeten im Wachſen, wie bei Merkur, Mars und Jupiter, bei anderen im Abnehmen, wie bei Venus, der Erde, Saturn und Uranus. Die nachfolgende Tabelle gibt die Exzentrizitäten der großen Planeten nach Hanſen für das Jahr 1800. Die Exzentrizitäten der 14 kleinen Planeten ſollen ſpäter nebſt anderen Elementen ihrer Bahnen für die Mitte des 19. Jahrhunderts geliefert werden. Merkur 0,2056163 Benus... 99068618 Erde 0,0167922 oel ain 908121 C Uranus . 0,0466108 Neptun 900871946 Die Bewegung der großen Achſe (Apſidenlinie) der Planetenbahnen, durch welche der Ort der Sonnennähe (des Perihels) verändert wird, iſt eine Bewegung, die ohne Ende, der Zeit proportional, nach einer Richtung fortſchreitet. Sie iſt eine Veränderung in der Poſition der Apſidenlinie, welche ihren Cyklus erſt in mehr als hunderttauſend Jahren vollendet, und weſentlich von den Veränderungen zu unter— ſcheiden, welche die Geſtalt der Bahnen, ihre Elliptizität, — 326 — erleidet. Es iſt die Frage aufgeworfen worden, ob der wach— ſende Wert dieſer Elemente in der Folge von Jahrtauſenden die Temperatur der Erde in Hinſicht auf Quantität und Verteilung nach Tages- und Jahreszeiten beträchtlich modi— fizieren könne? ob in dieſen aſtronomiſchen, nach ewigen Geſetzen regelmäßig fortwirkenden Urſachen nicht ein Teil der Löſung des großen geologiſchen Problems der Vergrabung tropiſcher Pflanzen- und Tierformen in der jetzt kalten Zone gefunden werden könne? Dieſelben mathematischen Gedanken— verbindungen, welche zu den Beſorgniſſen über Poſition der Apſiden, über Form der elliptiſchen Planetenbahnen (je nach— dem dieſe ſich der Kreisform oder einer kometenartigen Exzen— trizität nähern), über Neigung der Planetenachſen, Veränderung der Schiefe der Ekliptik, Einfluß der Präzeſſion auf die Jahres— länge anregen, gewähren in ihrer höheren analytiſchen Ent— wickelung auch kosmiſche Motive der Beruhigung. Die groß en Achſen und die Maſſen ſind konſtant. Periodiſche Wieder— kehr hindert ein maßloſes Anwachſen gewiſſer Pertur— bationen. Die ſchon an ſich ſo mäßigen Exzentrizitäten der mächtigſten zwei Planeten, des Jupiter und des Saturn, ſind durch eine gegenſeitige und dazu noch ausgleichende Wirkung wechſelsweiſe im Zu- und Abnehmen begriffen, wie auch in beſtimmte, meiſt enge Grenzen eingeſchloſſen. Durch die Veränderung der Po ſition der Apſidenlinie fällt allmählich der Punkt, in welchem die Erde der Sonne am nächſten iſt, in ganz entgegengeſetzte Jahreszeiten. Wenn gegenwärtig das Perihel in die erſten Tage des Januar, wie die Sonnenferne (Aphel) ſechs Monate ſpäter, in die erſten Tage des Juli, fällt, ſo kann durch das Fortſchreiten (die Drehung) der Apſidenlinie oder großen Achſe der Erd— bahn das Maximum des Abſtandes im Winter, das Minimum im Sommer eintreten, ſo daß im Januar die Erde der Sonne um 700 000 geographiſche Meilen = 5194307 km (d. i. un- gefähr ½ des mittleren Abſtandes der Erde von der Sonne) ferner ſtehen würde als im Sommer. Auf den erſten An— blick möchte man alſo glauben, daß das Eintreten der Sonnen— nähe in eine entgegengeſetzte Jahreszeit (ſtatt des Winters, wie jetzt der Fall iſt, in den Sommer) große klimatiſche Ver— änderungen hervorbringen müſſe; aber in der gemachten Vorausſetzung wird die Sonne nicht mehr ſieben Tage länger in der nördlichen Halbkugel verweilen, nicht mehr, wie jetzt, den Teil der Ekliptik vom Herbſtäquinoktium bis zum Früh— — 327 — lingsäquinoktium in einer Zeit durchlaufen, welche um eine Woche kürzer iſt als diejenige, während welcher ſie die andere Hälfte ihrer Bahn, vom Frühlings- zum Herbſtäquinoktium, zurücklegt. Der Temperaturunterſchied (und wir verweilen hier bloß bei den aſtronomiſchen Klimaten, mit Aus— ſchluß aller phyſiſchen Betrachtungen über das Verhältnis des Feſten zum Flüſſigen auf der vielgeſtalteten Erdoberfläche, der Temperaturunterſchied, welcher die befürchtete Folge der Drehung der Apſidenlinie ſein ſoll, wird meiſt dadurch im ganzen ver— ſchwinden, daß der Punkt, in welchem unſer Planet der Sonne am nächſten ſteht, immer zugleich der iſt, durch den der Planet ſich am ſchnellſten bewegt. Das ſchöne zuerſt von Lambert?“ aufgeſtellte Theorem, nach dem die Wärme— menge, welche die Erde in jedwedem Teile des Jahres von der Sonne empfängt, dem Winkel proportional iſt, den in derſelben Zeitdauer der radius vector der Sonne beſchreibt, enthält gewiſſermaßen die beruhigende Auflöſung des oben bezeichneten Problems. Wie die veränderte Richtung der Apſidenlinie wenig Ein— fluß auf die Temperatur des Erdkörpers ausüben kann, ſo ſind auch, nach Arago und Poiſſon,?e die Grenzen der wahrſcheinlichen Veränderungen der elliptiſchen Form der Erd— bahn ſo eng beſchränkt, daß ſie die Klimate der einzelnen Zonen nur mäßig und dazu in langen Perioden ſehr all— mählich modifizieren. Iſt auch die Analyſe, welche dieſe Grenze genau beſtimmt, noch nicht ganz vollendet, ſo geht aus derſelben doch wenigſtens ſo viel hervor, daß die Exzen— trizität der Erde nie in die der Juno, der Pallas und der Viktoria übergehen werde. 10) Lichtſtärke der Sonne auf den Planeten. — Wenn man die Lichtſtärke auf der Erde — 1 ſetzt, jo findet man für Miu: en CCC re Moves 2. „mei ö Bialtıas Kauf. 80 Düften 19 SWEET RT een Arens 8 Nöp tan 990 — 328 — Als Folge ſehr großer Exzentrizität haben Lichtintenſität: Merkur in dem Perihel 10,58, im Aphel 4,59 Mars n 7 0,52, n „ 0,36 Juno „ " 0,25, " 4,09 während die Erde bei der geringen Exzentrizität ihrer Bahn im Perihel 1,034, im Aphel 0,967 hat. Wenn das Sonnen— licht auf Merkur 7mal intenſiver als auf der Erde iſt, fo muß es auf Uranus 368mal ſchwächer ſein. Der Wärme— verhältniſſe iſt hier ſchon darum nicht Erwähnung ge— ſchehen, weil ſie, als ein kompliziertes Phänomen, von der beſonderen Beſchaffenheit der Planetenatmoſphären, ihrer Höhe, ihrer Exiſtenz oder Nichtexiſtenz abhängig ſind. Ich erinnere nur hier an die Vermutungen von Sir John Herſchel über die Temperatur der Mondoberfläche, „welche vielleicht den Siede— punkt des Waſſers anſehnlich übertrifft“. „ b. Nebenplaneten. Die allgemeinen vergleichenden Betrachtungen über die Nebenplaneten ſind mit einiger Vollſtändigkeit ſchon im Naturgemälde (Kosmos Bd. I, S. 69 bis 72) geliefert worden. Damals (März 1845) waren nur 11 Haupt- und 18 Nebenplaneten bekannt. Von den Aſteroiden, ſogenannten teleſkopiſchen oder kleinen Planeten waren bloß erſt vier: Ceres, Pallas, Juno und Veſta, entdeckt. Gegenwärtig (Auguſt 1851) übertrifft die Zahl der Hauptplaneten die der Trabanten. Wir kennen von den erſteren 22, von den letzteren 21. Nach einer 38j;jährigen Unterbrechung planeta— riſcher Entdeckungen, von 1807 bis Dezember 1845, begann mit der Aſträa von Hencke eine lange Folge von 10 neu— entdeckten kleinen Planeten. Von dieſen hat Hencke zu Drieſen zwei (Aſträa und Hebe), Hind in London vier (Iris, Flora, Viktoria und Irene), Graham zu Markree-Caſtle einen (Metis) und de Gasparis zu Neapel drei (Hygiea, Parthenope und Egeria) zuerſt erkannt. Der äußerſte aller großen Planeten, der von le Verrier in Paris verkündigte, von Galle zu Berlin aufgefundene Neptun, folgte nach 10 Monaten der Aſträa. Die Entdeckungen häufen ſich jetzt mit ſolcher Schnellig— keit, daß die Topographie des Sonnengebietes nach Ablauf weniger Jahre ebenſo veraltet erſcheint als ſtatiſtiſche Länder— beſchreibungen. — 329 — Von den jetzt bekannten 21 Satelliten gehören, einer der Erde, 4 dem Jupiter, 8 dem Saturn (ber lebt: entdeckte unter dieſen 8 iſt dem Abſtande nach der 7., Hype— rion; zugleich in zwei Weltteilen von Bond und Laſſell ent— deckt), 6 dem Uranus (von denen beſonders der 2. und 4. am ſicherſten beſtimmt find), 2 dem Neptun. Die um Hauptplaneten kreiſenden Satelliten ſind unter— geordnete Syſteme, in welchen die Hauptplaneten als Centralkörper auftreten, eigene Gebiete von ſehr verſchiedenen Dimenſionen bildend, in denen ſich im kleinen das große Sonnen— gebiet gleichſam wiederholt. Nach unſeren Kenntniſſen hat das Gebiet des Jupiter im Durchmeſſer 520000 (3 858 600 km), das des Saturn 1050 000 geogr. Meilen (7791400 km). Dieſe Analogieen zwiſchen den untergeordneten Syſtemen und dem Sonnenſyſteme haben zu Galileis Zeiten, in denen der Ausdruck einer kleinen Jupiterswelt (Mundus Jovialis) oft gebraucht wurde, viel zur ſchnelleren und allgemeineren Verbreitung des kopernikaniſchen Weltſyſtems beigetragen. Sie mahnen an Wiederholung von Form und Stellung, welche das organiſche Naturleben in untergeordneten Sphären eben— falls oft darbietet. Die Verteilung der Satelliten im Sonnengebiete iſt ſo ungleich, daß, wenn im ganzen die mondloſen Hauptplaneten ſich wie 3 zu 5 zu den von Monden begleiteten verhalten, die letzteren alle bis auf einen einzigen, die Erde, zu der äußeren planetariſchen Gruppe, jenſeits des Ringes der miteinander verſchlungenen Aſteroiden, gehören. Der ein: zige Satellit, welcher ſich in der Gruppe der inneren Planeten zwiſchen der Sonne und den Aſteroiden gebildet hat, der Erd— mond, iſt auffallend groß im Verhältnis ſeines Durchmeſſers zu dem ſeines Hauptplaneten. Dieſes Verhältnis iſt 76, da doch der größte aller Saturnstrabanten (der 6., Titan) vielleicht nur — und der größte der Jupiterstrabanten, der 3., 258 des Durchmeſſers ihres Hauptplaneten ſind. Man muß dieſe Betrachtung einer relativen Größe ſehr von der abſoluten Größe unterſcheiden. Der relativ ſo große Erdmond (454 Meilen im Durchmeſſer) iſt abſolut kleiner als alle vier Jupiters— trabanten (von 776, 664, 529 und 475 Meilen S 4060, 3410, 5770 und 4810 km). Der 6. Saturnstrabant iſt ſehr wenig von der Größe des Mars (892 Meilen) verſchieden. Wenn das Problem der teleſkopiſchen Sichtbarkeit von dem — 330 — Durchmeſſer allein abhinge, und nicht gleichzeitig durch die Nähe der Scheibe des Hauptplaneten, durch die große Ent⸗ fernung und die Beſchaffenheit der lichtreflektierenden Ober— fläche bedingt wäre, jo würde man für die kleinſten der Neben: planeten den 1. und 2. der Saturnstrabanten (Mimas und Enceladus) und die beiden mehrfach geſehenen Uranustrabanten zu halten haben; vorſichtiger iſt es aber, ſie bloß als die kleinſten Lichtpunkte zu bezeichnen. Gewiſſer ſcheint es bis jetzt, daß unter den kleinen Planeten überhaupt die kleinſten aller planetariſchen Weltkörper (Haupt- und Nebenplaneten) zu ſuchen ſind.!“ Die Dichtigkeit der Satelliten iſt keineswegs immer ge— ringer als die ihres Hauptplaneten, wie dies der Fall iſt beim Erdmonde (deſſen Dichtigkeit nur 0,619 von der unſerer Erde iſt) und bei dem 4. Jupiterstrabanten. Der dichteſte dieſer Trabantengruppe, der 2., iſt auch dichter als Jupiter ſelbſt, während der 3. und größte gleiche Dichtigkeit mit dem Hauptplaneten zu haben ſcheint. Auch die Maſſen nehmen gar nicht mit dem Abſtande zu. Sind die Planeten aus kreiſenden Ringen entſtanden, ſo müſſen eigene, uns vielleicht ewig unbekannt bleibende Urſachen größere und kleinere, dichtere oder undichtere Anhäufungen um einen Kern veranlaßt haben. Die Bahnen der Nebenplaneten, die zu einer Gruppe gehören, haben ſehr verſchiedene Exzentrizitäten. Im Jupiters— ſyſteme find die Bahnen der Trabanten 1 und 2 faſt kreis⸗ förmig, während die Exzentrizitäten der Trabanten 3 und 4 anf 0,0013 und 0,0072 ſteigen. Im Saturnsſyſteme tft die Bahn des dem Hauptplaneten nächſten Trabanten (Mimas) ſchon beträchtlich exzentriſcher als die Bahnen von Enceladus und des von Beſſel ſo genau beſtimmten Titan, welcher zuerſt entdeckt wurde und der größte iſt. Die Exzentrizität dieſes 6. Trabanten des Saturn iſt nur 0,02922. Nach allen dieſen Angaben, die zu den ſicheren gehören, iſt Mimas allein mehr exzentriſch als der Erdmond (0,05484); letzterer hat die Eigen⸗ heit, daß ſeine Bahn um die Erde unter allen Satelliten die ſtärkſte Exzentrizität im Vergleich mit der des Hauptplaneten zeigt. Mimas (0,068) kreiſt um Saturn (0,056), aber unſer Mond (0,054) um die Erde, deren Exzentrizität nur 0,016 iſt. Ueber die Abſtände der Trabanten von den Haupt— planeten vergl. Kosmos Bd. I, S. 70. Die Entfernung des dem Saturn nächſten Trabanten (Mimas) wird gegen- wärtig nicht mehr zu 20022 geogr. Meilen, ſondern zu 25 600 — 331 — (190000 km) angeſchlagen, woraus ſich ein Abſtand von dem Ringe des Saturn, dieſen zu 6047 Meilen (44870 km) Breite und den Abſtand des Ringes von der Oberfläche des Planeten zu 4594 Meilen (34490 km) gerechnet, von etwas über 7000 Meilen (51940 km) ergibt.“! Auch in der Lage der Satellitenbahnen zeigen ſich merkwürdige Anomalieen neben einer gewiſſen Uebereinſtimmung in dem Syſteme des Jupiter, deſſen Satelliten ſich ſehr nahe alle in der Ebene des Aequators des Hauptplaneten bewegen. In der Gruppe der Saturns— trabanten kreiſen 7 meiſt in der Ebene des Ringes, während der äußerſte 8., Japetus, 12° 14° gegen die Ringebene ge— neigt iſt. In dieſen allgemeinen Betrachtungen über die Planeten⸗ kreiſe im Weltall find wir von dem höheren, wahrſcheinlich. nicht höchſten, Syſteme, von dem der Sonne, zu den unter— geordneten Partialſyſtemen des Jupiter, des Saturn, des Uranus, des Neptun herabgeſtiegen. Wie dem denkenden und zugleich phantaſierenden Menſchen ein Streben nach Verall— emeinerung der Anſichten angeboren iſt, wie ihm ein un⸗ Dekviebintes kosmiſches Ahnen in der translatoriſchen Be— wegung 32 unſeres Sonnenſyſtemes durch den Weltraum die Idee einer höheren Beziehung und Unterordnung darzubieten ſcheint, ſo iſt auch der Möglichkeit gedacht worden, daß die Trabanten des Jupiter wieder Centralkörper für andere ſekundäre, wegen ihrer Kleinheit nicht geſehene Weltkörper ſein könnten. Dann wären den einzelnen Gliedern der Partial— ſyſteme, deren Hauptſitz die Gruppe der äußeren Hauptplaneten iſt, andere, ähnliche Partialſyſteme untergeordnet. Form⸗ wiederholungen in wiederkehrender Gliederung gefallen aller— dings, auch als ſelbſtgeſchaffene Gebilde, dem ordnenden Geiſte; aber jeder ernſteren Forſchung bleibt es geboten, den idealen Kosmos nicht mit dem wirklichen, das Mögliche nicht mit dem durch ſichere Beobachtung Ergründet en zu vermengen. Anmerkungen. (S. 300.) Bei den Chaldäern waren Sonne und Mond die zwei Hauptgottheiten, den fünf Planeten ſtanden nur Genien vor. (S. 300.) Humboldt, Monumens des peuples in- digenes de 'Amérique T. II, p. 42—49. Ich habe ſchon damals, 1812, auf die Analogieen des Tierkreiſes von Bianchini mit dem von Dendera aufmerkſam gemacht. (S. 300.) Letronne beſtreitet ſchon wegen der Zahl 7 den altchaldälſchen Urſprung der Planetenwoche. (S. 300). Weder Vitruvius noch Martianus Capella geben die Aegypter als Urheber eines Syſtemes an, nach welchem Merkur und Venus Satelliten der planetariſchen Sonne ſind. Bei dem erſteren heißt es: „Mercurii autem et Veneris stellae circum Solis radios, Solem ipsum, uti centrum, itineribus coronantes, regressus retrorsum et retardationes faciunt.“ (S. 300.) Martianus Mineus Felix Capella, De nup- tiis philos. et Mercurii lib. VIII, ed. Grotii 1599, p. 289: „Nam Venus Mercuriusque licet ortus occasusque quotidianos ostendant, tamen eorum eirculi Terras omnino non ambiunt, sed circa Solem laxiore ambitu circulantur. Denique cireu— lorum suorum centron in Sole constituunt, ita ut supraipsum aliquando....“ Da dieſe Stelle überjchrieben iſt: Quod Tellus non sit centrum omnibus planetis, jo konnte fie freilich, wie Gaſſendi behauptet, Einfluß auf die erſten Anſichten des Kopernikus ausüben, mehr als die dem großen Geometer Apollonius von Perga zugeſchriebenen Stellen. Doch ſagt Kopernikus auch nur: „minime contemnendum arbitror, quod Martianus Capella scripsit, existi- mans quod Venus et Mercurius eireumerrant Solem in medio existentem.“ (S. 300.) Henri Martin in feinem Kommentar zum Timäus ſcheint mir ſehr glücklich die Stelle des Macrobius über die ratio Chaldaeorum, welche den vortrefflichen Ideler irre geführt hat, erläutert zu haben. Macrobius weiß nichts von dem Syſteme des Vitruvius und Martianus Capella, nach welchem Merkur und Venus Trabanten der Sonne ſind, die ſich aber ſelbſt wie die anderen Planeten um die feſt im Centrum ſtehende Erde bewegt. r Er zählt bloß die Unterſchiede auf in der Reihenfolge der Bahnen von Sonne, Venus, Merkur und Mond nach den Annahmen des Cicero. „Ciceroni,“ ſagt er, „Archimedes et Chaldaeorum ratio eonsentit, Plato Aegyptios secutus est.“ Wenn Cicero in der beredten Schilderung des ganzen Planetenſyſtemes ausruft: „hung (Solem) ut comites consequuntur Veneris alter, alter Mercurii cursus“, ſo deutet er nur auf die Nähe der Kreiſe der Sonne und jener zwei unteren Planeten, nachdem er vorher die drei Kurſus des Saturn, Jupiter und Mars aufgezählt hatte, alle kreiſend um die unbewegliche Erde. Die Kreisbahn eines Nebenplaneten kann nicht die Kreisbahn eines Hauptplaneten umſchließen, und doch ſagt Macrobius beſtimmt: „Aegyptiorum ratio talis est: circulus, per quem Sol discurrit, a Mercurii eirculo ut inferior ambitur, illum quoque superior eirculus Veneris includit.“ Es find alles ſich parallel bleibende, einander gegenſeitig umfangende Bahnen. (S. 301.) Der bei Vettius Valens und Cedrenus ver— ſtümmelte N des Planeten Mars ſoll mit Wahrſcheinlichkeit dem Namen Her-tosch entſprechen, wie Seb dem Saturn. (S. 301.) Die auffallendſten Unterſchiede finden ſich, wenn man vergleicht Ariſtot. Metaphys. XII, cap. 8, p. 1073 Bekker mit Pſeudo-Ariſtot. De Mundo cap. 2, p. 392. In dem letzteren Werke erſcheinen ſchon die Planetennamen Phaethon, Pyrois, Her: kules, Stilbon und Juno, was auf die Zeiten des Apulejus und der Antonine hindeutet, wo chaldäiſche Aſtrologie bereits über das ganze römiſche Reich verbreitet war und Benennungen verſchiedener Völker miteinander gemengt waren. Daß die Chaldäer zuerſt die Planeten nach ihren babyloniſchen Göttern genannt haben und daß dieſe göttlichen Planetennamen ſo zu den Griechen übergegangen ſind, ſpricht beſtimmt aus Diodor von Sizilien. Ideler ſchreibt dagegen dieſe Benennungen den Aegyptern zu, und gründet ſich auf die alte Exiſtenz einer ſiebentägigen Planetenwoche am Nil, eine Hypotheſe, die Lepſius vollkommen widerlegt hat. Ich will hier aus dem Eratoſthenes, aus dem Verfaſſer der Epinomis (Philippus Opuntius?), aus Geminus, Plinius, Theon dem Smyr— näer, Cleomedes, Achilles Tatius, Julius Firmicus und Simplicius die Synonymie der fünf älteſten Planeten zuſammentragen, wie ſie uns hauptſächlich durch Vorliebe zu aſtrologiſchen Träumereien erhalten worden, ſind: Saturn: patvoy, Nemeſis, auch eine Sonne genannt von fünf Autoren (Theon. Smyrn. p. 87 und 165 Martin); Jupiter: yusdwv, Oſiris; Mars: cogbetg, Herkules; Venus: Ewspöpos, psp, Luzifer; Esmepog, Veſper; Juno, Iſis; Merkur: stiABwv, Apollo. Achilles Tatius findet es befremdend, daß „Aegypter wie Griechen den lichtſchwächſten der Planeten (wohl nur weil er Heil bringt) — 334 — den Glänzenden nennen.“ Nach Diodor bezieht ſich der Name darauf, „daß Saturn der die Zukunft am meiſten und klarſten ver— kündigende Planet war“. Benennungen, die von einem Volke zum anderen als Aequivalente übergehen, hängen allerdings oft ihrem Urſprunge nach von nicht zu ergründenden Zufälligkeiten ab; doch iſt hier wohl zu bemerken, daß ſprachlich 9% = ein bloßes Scheinen, alſo ein matte res Leuchten mit kontinuierlichem, gleichmäßigem Lichte ausdrückt, während grass ein unterbrochenes, lebhafter glänzendes, funkelnde res Licht vorausſetzt. Die beſchreibenden Benennungen: yarvwy für den entfernteren Saturn, grüße für den uns näheren Planeten Merkur, ſcheinen um jo paſſender, als ich ſchon früher daran erinnert habe, wie bei Tage im großen Refraktor von Fraunhofer Saturn und Jupiter lichtſchwach erſcheinen in Vergleich mit dem funkelnden Merkur. Es iſt daher, wie Profeſſor Franz bemerkt, eine Folge zunehmenden Glanzes angedeutet von Saturn (zatvwv) bis zu Jupiter, dem leuchtenden Lenker des Lichtwagens (vasdwy), bis zum farbig glühenden Mars (rogoers), bis zu der Venus (vwsgöpos) und dem Merkur (rg). Die mir bekannte indiſche Benennung des langſam Wan— delnden ('sanaistschara) für Saturn hat mich veranlaßt, meinen berühmten Freund Bopp zu befragen, ob überhaupt auch in den indiſchen Pianetennamen, wie bei den Griechen und wahrſcheinlich den Chaldäern, zwiſchen Götternamen und beſchreibenden Namen zu unterſcheiden ſei. Ich teile hier mit, was ich dieſem großen Sprachforſcher verdanke, laſſe aber die Planeten nach ihren wirklichen Abſtänden von der Sonne wie in der obigen Tabelle (beginnend vom größten Abftande, folgen, nicht wie ſie im Amara— koſcha gereiht ſind. Es gibt nach Sanskritbenennung in der That unter fünf Namen drei beſchreibende: Saturn, Mars und Venus. „Saturn: 'sanaistschara, von 'sanais, langſam, und tschara, gehend; auch 'sauri: eine Benennung des Wiſchnu (herſtammend als Patronymikum von 'süra, Großvater des Kriſchna) und 'sani. Der Planetenname 'sani-vära für dies Satu ni iſt wurzelhaft verwandt mit dem Adverbium "-anais, langſam. Die Benennungen der Wochentage nach Planeten ſcheint aber Amaraſinha nicht zu kennen. Sie ſind wohl ſpäterer Einführung.“ „Jupiter: Vrihaspati, oder nach älterer, vediſcher Schreib— art, der Laſſen folgt, Brihaspati, Herr des Wachſens; eine vediſche Gottheit, von vrih (brih), wachſen, und pati, Herr.“ „Mars: angaraka (von angara, brennende Kohle); auch lohitänga, der Rotkörper; von löhita, rot, und anga, Körper.“ „Venus: ein männlicher Planet, der 'sukra heißt, d. i. der glänzende. Eine andere Benennung dieſes Planeten iſt daitya- guru, Lehrer, guru, der Titanen, Daityas.“ a a a a = 3 „Merkur: Budha, nicht zu verwechſeln als Planetenname mit dem Religionsſtiſter Buddha, auch Rauhinèya, Sohn der Nymphe Rohini, Gemahlin des Mondes (soma), weshalb der Planet bisweilen saumya heißt, ein Patronymikum vom Sans: kritworte Mond. Die ſprachliche Wurzel von budha, dem Planetennamen, und buddha, dem Heiligen, iſt budh, wiſſen. Daß Wuotan (Wotan, Odin) im Zuſammenhang mit Budha ſtehe, iſt mir unwahrſcheinlich. Die Vermutung gründet ſich wohl hauptſächlich auf die äußerſte Formähnlichkeit und auf die Uebereinſtimmung der Benennung des Wochentages, dies Mercurii, mit dem altſäckſiſchen Wödanes-dag und dem indi— ſchen Budha-vära, d. i. Budhas-Tag. Vara bedeutet urſprünglich Mal: z. B. in bahuvärän, vielmal; ſpäter kommt es am Ende eines Kompoſitums in der Bedeutung Tag vor. Den ger: maniſchen Wuotan leitet Jakob Grimm von dem Verbum watan, vuot (unſerem waten) ab, welches bedeutet: meare, transmeare, cum impetu ferri, und buchſtäblich dem lateiniſchen vadere entſpreche. Wuotan, Odinn iſt nach Jakob Grimm das allmächtige, alldurchdringende Weſen: qui omnia permeat, wie Lucan vom Jupiter ſagt.“ Vergl. über den indiſchen Namen des Wochentages, über Budha und Buddha und die Wochentage überhaupt die Bemerkungen meines Bruders in ſeiner Schrift: Ueber die Verbindungen zwiſchen Java und Indien. 9 (S. 301.) Salmaſius ſah in dem älteſten Planetenzeichen des Jupiter den Anfangsbuchſtaben von Zeös, in dem des Mars eine Abkürzung des Beinamens 90 pros. Die Sonnenſcheibe wurde als Zeichen durch einen ſchief und triangulär ausſtrömenden Strahlen— bündel faſt unkenntlich gemacht. Da die Erde, das philolaiſch-pytha— goreiſche Syſtem etwa abgerechnet, nicht den Planeten beigezählt wurde, ſo hält Letronne das Planetenzeichen der Erde „für ſpäter als Kopernikus in Gebrauch gekommen“. — Die merkwürdige Stelle des Olympiodorus über die Weihung der Metalle an einzelne Pla— neten iſt dem Proclus entlehnt und von Böckh aufgefunden worden. Vergl. für Olympiodorus: Ariſtot. Meteorol. ed. Ideler T. II, p. 163. Auch das Scholion zum Pindar, in welchem die Metalle mit den Planeten verglichen werden, gehört der neuplatoniſchen Schule an. Planetenzeichen ſind nach derſelben Verwandtſchaft der Ideen nach und nach Metallzeichen, ja einzeln (wie Mer— curius für Queckſilber, argentum vivum und hydrargyrus des Plinius) Metallnamen geworden. In der koſtbaren griechiſchen Manuſkriptenſammlung der Pariſer Bibliothek befinden ſich über die kabbaliſtiſche ſogenannte heilige Kunſt zwei Handſchriften, deren eine, ohne Planetenzeichen, die den Planeten geweihten Metalle aufführt, die andere aber, der Schrift nach aus dem 15. Jahr— hundert (eine Art chemiſches Wörterbuch), Namen der Metalle mit — 336 — einer geringen Anzahl von Planetenzeichen verbindet. In der Pariſer Handſchrift Nr. 2250 wird das Queckſilber dem Merkur, das Silber dem Monde zugeſchrieben, wenn umgekehrt in Nr. 2329 dem Monde das Queckſilber und dem Jupiter das Zinn an— gehört. Letzteres Metall hat Olympiodorus dem Merkur beigelegt. So ſchwankend waren die myſtiſchen Beziehungen der Weltkörper zu den Metallkräften. Es iſt hier der Ort, auch der Planetenſtunden und der Planetentage in der kleinen ſiebentägigen Periode (Woche) zu erwähnen, über deren Alter und Verbreitung unter ferne Völker erſt in der neueſten Zeit richtigere Anſichten aufgeſtellt worden ſind. Die Aegypter haben urſprünglich, wie Lepſius erwieſen und Denk— mäler bezeugen, welche bis in die älteſten Zeiten der großen Pyra— midenbaue hinaufreichen, keine ſiebentägige, ſondern zehntägige, der Woche ähnliche, kleine Perioden gehabt. Drei ſolcher De— kaden bildeten einen der zwölf Monate des Sonnenjahres. Wenn wir bei Dio Caſſius leſen: „daß der Gebrauch, die Tage nach den ſieben Planeten zu benennen, zuerſt bei den Aegyptern auf— gekommen ſei, und ſich vor nicht gar langer Zeit von ihnen zu allen übrigen Völkern verbreitet habe, namentlich zu den Römern, bei denen er nun ſchon ganz einheimiſch ſei“, ſo muß man nicht vergeſſen, daß dieſer Schriftſteller in der ſpäten Zeit des Alexander Severus lebte, und es ſeit dem erſten Einbruche der orientaliſchen Aſtrologie unter den Cäſaren und bei dem frühen großen Verkehr ſo vieler Volksſtämme in Alexandrien die Sitte des Abendlandes wurde, alles Altſcheinende ägyptiſch zu nennen. Am urſprüng⸗ lichſten und verbreitetſten iſt ohne Zweifel die ſiebentägige Woche bei den ſemitiſchen Völkern geweſen, nicht bloß bei den Hebräern, ſondern ſelbſt unter den arabiſchen Nomaden lange vor Mohammed. Ich habe einem gelehrten Forſcher des ſemitiſchen Altertums, dem orientaliſchen Reiſenden Profeſſor Tiſchendorf zu Leipzig, die Fragen vorgelegt: ob in den Schriften des Alten Bundes ſich außer dem Sabbath Namen für die einzelnen Wochentage (andere als der zweite und dritte Tag des schebua) finden? ob nicht irgendwo im Neuen Teſtamente zu einer Zeit, wo fremde Bewohner von Paläſtina gewiß ſchon planetariſche Aſtrologie trieben, eine Planetenbenennung für einen Tag der ſiebentägigen Periode vorkommen? Die Antwort war: „Es fehlen nicht nur im Alten und Neuen Teſtamente alle Spuren für Wochentagsbenennung nach Planeten, ſie fehlen auch in Miſchna und Talmud. Man ſagte auch nicht: der zweite oder dritte Tag des schebua, und zählte gewöhnlich die Tage des Monats, nannte auch den Tag vor dem Sabbath den ſechſten Tag, ohne weiteren Zuſatz. Das Wort Sabbath wurde auch geradezu auf die Woche übertragen, daher auch im Talmud für die einzelnen Wochen: tage: erſter, zweiter, dritter des Sabbaths ſteht. Das Wort sßdoucs für schebua hat das Neue Teſtament nicht. Der Talmud, der freilich vom 2. bis in das 5. Jahrhundert ſeiner Redaktion nach reicht 1 hat beſchreibende hebräifhe Namen für einzelne Planeten, für die glänzende Venus und den roten Mars. Darunter iſt be— ſonders merkwürdig der Name Sabbatei (eigentlich Sabbathſtern) für Saturn, wie unter den pharaſäiſchen Sternnamen, welche Epiphanius aufzählt, für den Planeten Saturn der Name Hochab Sabbath gebraucht wird. Iſt dies nicht von Einfluß darauf geweſen, daß der Sabbathtag zum Saturntage wurde, Saturni sacra dies des Tibull? Eine andere Stelle des Tacitus erweitert den Kreis dieſer Beziehungen auf Saturn als Planet und als eine traditionell⸗hiſtoriſche Perſon.“ Die verſchiedenen Lichtgeſtalten des Mondes haben gewiß früher die Aufmerkſamkeit von Jäger- und Hirtenvölkern auf ſich gezogen als aſtrologiſche Phantaſieen. Es iſt daher wohl mit Ideler an— zunehmen, daß die Woche aus der Länge ſynodiſcher Monate ent— ſtanden iſt, deren vierter Teil im Mittel 7 Tage beträgt, daß dagegen Beziehungen auf die Planetenreihen (die Folge ihrer Ab— ſtände voneinander) ſamt den Planetenſtunden und ⸗tagen einer ganz anderen Periode fortgeſchrittener, theoretiſierender Kultur an— gehören. Ueber die Benennung der einzelnen Wochentage nach Pla— neten und über die Reihung und Folge der Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, nach dem älteſten und am meiſten verbreiteten Glauben zwiſchen der Fixſternſphäre und der feſtſtehenden Erde als Centralkörper, find drei Meinungen aufgeſtellt worden: eine entnommen aus muſi— kaliſchen Intervallen, eine andere aus der aſtrologiſchen Benennung der Planetenſtunden, eine dritte aus der Verteilung von je drei Dekanen, oder drei Planeten, welche die Herren (domini) dieſer Dekane ſind, unter die zwölf Zeichen des Tierkreiſes. Die beiden erſten Hypotheſen finden ſich in der merkwürdigen Stelle des Dio Caſſius, in welcher er erläutern will, warum die Juden den Tag des Saturn (unſeren Sonnabend) nach ihrem Geſetze feiern. „Wenn man,“ ſagt er, „das muſikaliſche Intervall, welches dea ressapwy, die Quarte, genannt wird, auf die ſieben Planeten nach ihren Umlaufszeiten anwendet, und dem Saturn, dem äußerſten von allen, die erſte Stelle anweiſt, ſo trifft man zunächſt auf den vierten (die Sonne), dann auf den ſiebenten (den Mond), und er— hält ſo die Planeten in der Ordnung, wie ſie als Namen der Wochentage aufeinander folgen.“ Die zweite Erklärung des Dio Caſſius iſt von der periodiſchen Reihe der Planetenſtunden her— A. v. Humboldt, Kosmos. III. 22 I Ba genommen. „Wenn man,“ jest er hinzu, „die Stunden des Tages und der Nacht von der erſten (Tagesſtunde) zu zählen beginnt, dieſe dem Saturn, die folgende dem Jupiter, die dritte dem Mars, die vierte der Sonne, die fünfte der Venus, die ſechſte dem Merkur, die ſiebente dem Monde beilegt, nach der Ordnung, welche die Aegypter den Planeten anweiſen, und immer wieder von vorn an— fängt, ſo wird man, wenn man alle 24 Stunden durchgegangen iſt, finden, daß die erſte des folgenden Tages auf die Sonne, die erſte des dritten auf den Mond, kurz die erſte eines jeden Tages auf den Planeten trifft, nach welchem der Tag benannt wird.“ Ebenſo nennt Paulus Alexandrinus, ein aſtronomiſcher Mathematiker des 4. Jahrhunderts, den Regenten jedes Wochentages denjenigen Pla: neten, deſſen Name auf die erſte Tagesſtunde fällt. Dieſe Erklärungsweiſe von den Benennungen der Wochentage iſt bisher ſehr allgemein für die richtigere angeſehen worden; aber Letronne, geſtützt auf den im Louvre aufbewahrten, lange vernach— läſſigten Tierkreis des Bianchini, auf welchen ich ſelbſt im Jahre 1812 die Archäologen wegen der merkwürdigen Verbindung eines griechiſchen und kirgiſiſch-tatariſchen Tierkreiſes wiederum aufmerkſam gemacht habe, hält eine dritte Erklärungsart, die Verteilung von je drei Planeten auf ein Zeichen des Tierkreiſes, für die entſprechendſte. Dieſe Planetenverteilung unter die 36 Dekane der Dodekatomerie iſt ganz die, welche Julius Firmicus Maternus als „Signorum decani eorumque domini“ beſchreibt. Wenn man in jedem Zeichen den Planeten ſondert, welcher der erſte der drei iſt, ſo erhält man die Folge der Planetentage in der Woche. (Jungfrau: Sonne, Venus, Merkur; Wage: Mond, Saturn, Jupiter; Skorpion: Mars, Sonne, Venus; Schütze: Merkur . ... können hier als Beiſpiel dienen für die vier erſten Wochentage; dies 89s, Lunae, Matis, Mercirii.) Da nach Diodor die Chaldäer urſprünglich nur fünf Planeten (die ſternartigen), nicht ſieben zählten, ſo ſcheinen alle hier aufgeführten Kombinationen, in denen mehr als fünf Planeten periodiſche Reihen bilden, wohl nicht eines alt— chaldäiſchen, ſondern vielmehr ſehr ſpäten aſtrologiſchen Urſprunges zu ſein. Ueber die Konkordanz der Reihung der Planeten als Wochen— tage mit ihrer Reihung und Verteilung unter die Dekane in dem Tierkreis von Bianchini wird es vielleicht einigen Leſern willkommen ſein, hier noch eine ganz kurze Erläuterung zu finden. Wenn man in der im Altertum geltenden Planetenordnung jedem Welt— körper einen Buchſtaben gibt (Saturn a, Jupiter b, Mars e, Sonne d, Venus e, Merkur t, Mond g) und aus dieſen ſieben Gliedern die periodiſche Reihe 3 Hie de r bildet, ſo erhält man 1) durch Ueberſpringung von zwei Gliedern, bei der Verteilung unter die Dekane, deren jeder drei Planeten — 339 — umfaßt (von welchen der erſte jeglichen Zeichens im Tierkreiſe dem Wochentage ſeinen Namen gibt), die neue periodiſche Reihe a dM ge e das iſt: Dies Saturni, Solis, Lunae, Martis u. ſ. f.; 2) dieſelbe neue Reihe S durch die von Dio Caſſius angegebene Methode der 24 Planeten— ſtunden, nach welcher die aufeinander folgenden Wochentage ihren Namen von dem Planeten entlehnen, welcher die erſte Tagesſtunde beherrſcht, ſo daß man alſo abwechſelnd ein Glied der periodiſchen, ſiebengliederigen Planetenreihe zu nehmen und 23 Glieder zu über— ſpringen hat. Nun iſt es bei einer periodiſchen Reihe gleichgültig, ob man eine gewiſſe Anzahl von Gliedern, oder dieſe Anzahl um irgend ein Multiplum der Gliederzahl der Periode (hier ſieben) ver— mehrt, überſpringt. Ein Ueberſpringen von 23 (8 3. 7 + 2) Gliedern in der zweiten Methode, der der Planetenſtunden, führt alſo zu demſelben Reſultate als die erſte Methode der Dekane, in welcher nur zwei Glieder überſprungen wurden. Es iſt ſchon oben auf die merkwürdige Aehnlichkeit zwiſchen dem vierten Wochentage, dies Mercurii. dem indiſchen Budha- väara und dem altſächſiſchen Wödanes-dag hingewieſen worden. Die von William Jones behauptete Identität des Religionsſtifters Buddha und des in nordiſchen Heldenſagen wie in der nordiſchen Kulturgeſchichte berühmten Geſchlechtes von Odin oder Wuotan und Wotan wird vielleicht noch mehr an Intereſſe gewinnen, wenn man ſich des Namens Wotan, einer halb mythiſchen, halb hiſtoriſchen Perſon, in einem Teil des neuen Kontinents erinnert, über die ich viele Notizen in meinem Werke über Monumente und Mythen der Eingeborenen von Amerika zuſammengetragen habe. Dieſer amerika— niſche Wodan iſt nach den Traditionen der Eingeborenen von Chiapas und Soconusco Enkel des Mannes, welcher bei der großen Ueber— ſchwemmung ſich in einem Nachen rettete und das Menſchengeſchlecht erneuerte; er ließ große Bauwerke aufführen, während welcher (wie bei der mexikaniſchen Pyramide von Cholula) Sprachenverwirrung, Kampf und Zerſtreuung der Volksſtämme erfolgten. Sein Name ging auch (wie der Odinsname im germaniſchen Norden) in das Kalenderweſen der Eingeborenen von Chiapas über. Nach ihm wurde eine der fünftägigen Perioden genannt, deren vier den Monat der Chiapaneken wie der Azteken bildeten. Während bei den Azteken die Namen und Zeichen der Tage von Tieren und Pflanzen her— genommen waren, bezeichneten die Eingeborenen von Chiapas leigent— lich Teochiapan) die Monatstage durch die Namen von 20 Anführern, welche, aus dem Norden kommend, ſie ſo weit ſüdlich geführt hatten. Die vier heldenmütigſten: Wotan oder Wodan, Lambat, Been und Chinax eröffneten die kleinen Perioden fünftägiger Wochen, wie bei den Azteken die Symbole der vier Elemente. Wotan - und die anderen Heerführer waren unjtreitig aus dem Stamme der im 7. Jahrhundert einbrechenden Tolteken. Irtlilxochitl (fein chriſtlicher Name war Fernando de Alva), der erſte Geſchichtſchreiber ſeines des aztekiſchen Volkes, ſagt beſtimmt in den Handſchriften, die er ſchon im Anfange des 16. Jahrhunderts anfertigte, daß die Provinz Teochiapan und ganz Guatemala von einer Küſte zur anderen von Tolteken bevölkert wurden; ja im Anfang der ſpani⸗ ſchen Eroberung lebte noch im Dorfe Teopixca eine Familie, welche ſich rühmte, von Wotan abzuſtammen. Der Biſchof von Chiapas, Francisco Nunez de la Vega, der in Guatemala einem Provinzial konzilium vorſtand, hat in ſeinem Preambulo de las Con- stituciones diocesanas viel über die amerikaniſche Wotans⸗ ſage geſammelt. Ob die Sage von dem erſten ſkandinaviſchen Odin (Odinn, Othinus) oder Wuotan, welcher von den Ufern des Don eingewandert ſein ſoll, eine hiſtoriſche Grundlage habe, iſt ebenfalls noch ſehr unentſchieden. Die Identität des amerikaniſchen und ſkandinaviſchen Wotan, freilich nicht auf bloße Klangähnlichkeit ge⸗ gründet, iſt noch ebenſo zweifelhaft als die Identität von Wuotan (Odinn) und Buddha oder die der Namen des indiſchen Religions: ſtifters und des Planeten Budha. Die Exiſtenz einer ſiebentägigen peruaniſchen Woche, welche ſo oft als eine ſemitiſche Aehnlichkeit der Zeiteinteilung in beiden Kontinenten angeführt wird, beruht, wie ſchon der Pater Acoſta, der bald nach der ſpaniſchen Eroberung Peru beſuchte, bewieſen hat, auf einem bloßen Irrtum, und der Inka Garcilafo de la Vega berichtigt ſelbſt ſeine frühere Angabe, indem er deutlich ſagt, daß in jedem der Monate, die nach dem Monde gerechnet wurden, drei Feſttage waren, und daß das Volk acht Tage arbeiten ſolle, um am neunten auszuruhen. Die ſogenannten peruaniſchen Wochen waren alſo von neun Tagen. (S. 304.) In der Geſchichte der Entdeckungen muß man die Epoche, in der eine Entdeckung gemacht wurde, von der erſten Veröffentlichung derſelben unterſcheiden. Durch Nichtachtung dieſes Unterſchiedes ſind verſchiedene und irrige Zahlen in aſtrono⸗ miſche Handbücher übergegangen. So z. B. hat Huygens den ſechſten Saturnstrabanten, Titan, am 25. März 1655 entdeckt und die Ent⸗ deckung erſt am 5. März 1656 veröffentlicht. Huygens, welcher ſeit dem Monat März 1655 ſich ununterbrochen mit dem Saturn beſchäftigte, genoß ſchon der vollen unzweifelhaften Anſicht des offenen Ringes am 17. Dezember 1657, publizierte aber ſeine wiſſen⸗ ſchaftliche Erklärung aller Erſcheinungen (Galilei hatte an jeder Seite des Planeten nur zwei abſtehende, kreisrunde Scheiben zu ſehen ge⸗ glaubt) erſt im Jahre 1659. (S. 311.) Die Planetenfolge, welche, wie wir eben ge ſehen (Anm. 9), zu der Benennung der Wochentage nach Planeten⸗ göttern Anlaß gegeben hat, die des Geminus, wird beſtimmt von Ptolemäus die älteſte genannt. Er tadelt die Motive, nach 341 Ae „die Neueren Venus und Merkur jenſeits der Sonne geſetzt haben“. 2 (S. 312.) Die Pythagoreer behaupten, um die Wirklichkeit der durch den Sphärenumſchwung hervorgebrachten Töne zu recht— fertigen, man höre nur da, wo ſich Abwechſelung von Laut und Schweigen finde. Auch durch Betäubung wurde das Nichthören der Sphärenmuſik entſchuldigt. Ariſtoteles ſelbſt nennt die pytha— goreiſche Tonmythe artig und geiſtreich (ronlüs zu! Hs aber unwahr. (S. 312.) Er ſchätzt die Planetenabſtände nach zwei ganz verſchiedenen Progreſſionen, einer durch Verdoppelung, der anderen durch Verdreifachung, woraus die Reihe 1. 2. 3. 4. 9. 8. 27 entſteht. Es iſt dieſelbe Reihe, welche man im Timäus findet, da, wo von der arithmetiſchen Teilung der Weltſeele (p. 35 Steph.), welche der Demiurgus vornimmt, gehandelt wird. Plato hat nämlich die beiden geometriſchen Progreſſionen 1. 2. 4. 8 und 1.3.9 27 zuſammen betrachtet, und ſo abwechſelnd jede nächſtfolgende Zahl aus einer der zwei Reihen genommen, woraus die oben angeführte r entſteht. 4 (S. 312.) S. die ſcharfſinnige Schrift des Prof. Ferdinand Piper: von der Harmonie der Sphären 1850, S. 12-18. Das vermeintliche Verhältnis von ſieben Vokalen der altägyp— tiſchen Sprache zu den ſieben Planeten, und Guſtav Seyffarths, ſchon durch Zoegas und Tölkens Unterſuchungen widerlegte Auf: faſſung von aſtrologiſchen vokalreichen Hymnen ägyptiſcher Prieſter, nach Stellen des Pſeudo-Demetrius Phalereus (vielleicht Demetrius aus Alexandrien), einem Epigramme des Euſebius und einem gnoſti— ſchen Manuffripte in Leiden, iſt von Ideler dem Sohne um: ſtändlich und mit kritiſcher Gelehrſamkeit behandelt worden. » (©. 313.) Tycho hat die kriſtallenen Sphären, in welche die Planeten eingeheftet ſind, vernichtet. Kepler lobt das Unter— nehmen, aber er beharrt doch bei der Vorſtellung, daß die Fixſtern— ſphäre eine feſte Kugelſchale von zwei deutſchen Meilen (14,2 km) Dicke ſei, an der zwölf Fixſterne erſter Große glänzen, die alle in gleicher Weite von uns ſtehen und eine eigene Beziehung zu den Ecken eines Ikoſaeders haben. Die Fixſterne lumina sua ab intus emittunt; auch die Planeten hielt er lange für ſelbſtleuchtend, bis ihn Galilei eines Beſſern belehrte! Wenn er auch, wie mehrere unter den Alten und Giordano Bruno, alle Fixſterne für Sonnen wie die unſerige hielt, ſo war er doch der Meinung, die er er— wogen, daß alle Fixſterne von Planeten umgeben ſeien, nicht ſo zugethan, als ich früher behauptet habe. 16 (S. 313.) Erſt im Jahre 1821 hat Delambre in feinen aſtronomiſch, aber nicht aſtrologiſch vollſtändigen Auszügen aus Keplers ſämtlichen Werken auf den Planeten aufmerkſam gemacht, den Kepler zwiſchen Merkur und Venus vermutete. „On n'a fait aucune attention à cette supposition de Kepler, quand on a — 342 — formé des projets de découvrir la planète qui (selon une autre de ses prédictions) devait circuler entre Mars et Jupiter.“ (S. 313.) Die merkwürdige Stelle über eine auszufüllende Kluft (hiatus) zwiſchen Mars und Jupiter findet ſich in Keplers Prodromus Dissertationum cosmographicarum, con- tinens Mysterium cosmographicum de admirabili proportione orbium coelestium, 1596, p. 7: „Cum igitur hac non succederet, alia via, mirum quam audaci, tentavi adıtum. Inter Jovem et Martem interposui novum Planetam, itemque alium inter Venerem et Mercurium, quos duos forte ob exilitatem non videamus, jisque sua tempora periodica ascripsi. Sic enim existimabam me aliquam aequalitatem pro- portionum effecturum, quae proportiones inter binos versus Solem ordine minuerentur, versus fixas augescerent: ut propior est Terra Veneri in quantitate orbis terrestris, quam Mars Terrae, in quantitate orbis Martis. Verum hoc pacto neque unius planetae interpositio sufficiebat ingenti hiatui Jovem inter et Martem; manebat enim Major Jovis ad illum novum proportio, quam est Saturni ad Jovem... Rursum alio modo exploravi...* Kepler war 25 Jahre alt, da er dies ſchrieb. Man ſieht, wie ſein beweglicher Geiſt Hypotheſen aufſtellte und ſchnell wieder verließ, um ſie mit anderen zu vertauſchen, Immer blieb ihm ein hoffnungsvolles Vertrauen, ſelbſt da Zahlengeſetze zu entdecken, wo unter den mannigfaltigſten Störungen der Attraftions- kräfte (Störungen, deren Kombination, wie ſo viel in der Natur Geſchehenes und Geſtaltetes, wegen Unbekanntſchaft mit den begleitenden Bedingungen inkalkulabel iſt) die Materie ſich in Pla— netenkugeln geballt hat, kreiſend: bald einzeln, in einfachen, unter— einander faſt parallelen, bald gruppenweiſe, in wunderbar ver— ſchlungenen Bahnen. (S. 314.) Newtoni Opuscula mathematica, phi- losophica et philologica 1744, T. II, Opusc. XVIII, p. 246: „Chordam musice divisam potius adhibui, non tantum quod cum phaenomenis (lucis) optime convenit, sed quod fortasse aliquid circa colorum harmonias (quarum pictores non penitus ignari sunt), sonorum concordantiis fortasse analogas, involvat. Quemadmodum verisimilius videbitur animadvertentiaffinitatem, quae est inter extimam Pupuram (Violarum colorem) ac Rube- dinem, Colorum extremitates, qualis inter octavae terminos (qui pro unisonis quodammodo haberi possunt) reperitur....* 19 (S. 314.) Seneca, Nat. Quaest. VII, 13: „non has tantum stellas quinque discurrere, sed solas observatas esse: ceterum innumerabiles ferri per occultum.“ 20 (S. 314) Da mich die Erklärungen, welche von dem Ur: ſprunge der im Altertum ſo weit verbreiteten aſtronomiſchen Mythe der Proſelenen Heyne gegeben hat, nicht befriedigen konnten, ſo war es mir eine große Freude, von meinem ſcharfſinnigen philo— — 343 — logischen Freunde, Profeſſor Johannes Franz, durch einfache Ideen— kombination eine neue und ſehr glückliche Löſung des vielbehandelten Problems zu erhalten. Es hängt dieſe Löſung weder mit den Ka: lendereinrichtungen der Arkader noch mit ihrem Mondkultus zu— ſammen. Ich beſchränke mich hier auf den Auszug einer unedierten, mehr umfaſſenden Arbeit. In einem Werke, in welchem ich mir zum Geſetz gemacht habe, recht oft die Geſamtheit unſeres jetzigen Wiſſens an das Wiſſen des Altertums, ja an wirkliche oder wenig— ſtens von vielen geglaubte Traditionen anzuknüpfen, wird dieſe Er— läuterung einem Teil meiner Leſer nicht unwillkommen ſein. „Wir beginnen mit einigen Hauptſtellen, die bei den Alten von den Proſelenen handeln. Stephanus von Byzanz (v. ’Aprac) nennt den Logographen Hippys aus Rhegium, einen Zeitgenoſſen von Darius und Kerxes, als den erſten, der die Arkader rposekrnvoug genannt habe. Die Scholiaſten ad Apollon. Rhod. IV, 264 und ad Aristoph. Nub. 397 ſagen übereinſtimmend: Das hohe Altertum der Arkader erhellet am meiſten daraus, daß fie rpossknvor hießen. Sie ſcheinen vor dem Monde dageweſen zu ſein, wie denn auch Eudoxus und Theodorus ſagen; letzterer fügt hinzu, es ſei kurz vor dem Kampfe des Herkules der Mond erſchienen. In der Staats— verfaſſung der Tegeaten meldet Ariſtoteles, die Barbaren, welche Arkadien bewohnten, ſeien von den ſpäteren Arkadern vertrieben worden, ehe der Mond erſchien; darum fie auch rposernvor genannt worden. Andere ſagen, Endymion habe die Umläufe des Mondes entdeckt; da er aber ein Arkader war, ſeien die Arkader nach ihm rposeinvor genannt worden. Tadelnd ſpricht ſich Lucian aus. Nach Rihm jagen aus Unverſtand und aus Thorheit die Arkader, ſie ſeien früher dageweſen als der Mond. In Schol. ad. Aeschyl. Prom. 436 wird bemerkt: mposeroöpevov gheiße ÖBprföpnevov. woher denn auch die Arkader οοννανeοε genannt werden, weil ſie übermütig find. Die Stellen des Ovidius über das vormondliche Daſein der Arkader ſind allgemein bekannt. — In neueſter Zeit iſt ſogar der Gedanke aufgetaucht, das ganze Altertum habe ſich von der Form rposeknvor täuſchen laſſen, das Wort leigentlich rpoEAımvo:) bedeute bloß vor— helleniſch, da allerdings Arkadien ein pelasgiſches Land ſei. „Wenn nun nachgewieſen werden kann,“ fährt Profeſſor Franz fort, „daß ein anderes Volk ſeine Abſtammung mit einem anderen Geſtirn in Verbindung brachte, ſo wird man der Mühe überhoben, zu täuſchenden Etymologieen ſeine Zuflucht zu nehmen. Dieſe Art des Nachweiſes iſt aber in beſter Form vorhanden. Der gelehrte Rhetor Menander (um das Jahr 270 nach Chr.) ſagt wörtlich in feiner Schrift De encomiis wie folgt: Als drittes Moment für das Loben des Gegenſtandes gilt die Zeit; dies iſt bei allem Aelteſten der Fall; wenn wir ausſagen von einer Stadt oder von einem Lande, ſie ſeien angebaut worden vor dem und dem Geſtirn, oder mit den Geſtirnen, vor der Ueberſchwemmung oder nach der Ueber— ſchwemmung; wie die Athener behaupten, ſie ſeien mit der Sonne — 344 — entſtanden, die Arkader vor dem Monde, die Delpher gleich nach der Ueberſchwemmung; denn dies ſind Abſätze und gleichſam An— fangspunkte in der Zeit. „Alſo Delphi, deſſen Zuſammenhang mit der Deukalioniſchen Flut auch ſonſt bezeugt iſt, wird von Arkadien, Arkadien wird von Athen übertroffen. Ganz übereinſtimmend hiermit drückt ſich der ältere Muſter nachahmende Apollonius Rhodius IV, 261 aus, wo er ſagt, Aegypten ſei vor allen anderen Ländern bewohnt ge— weſen: „Noch nicht kreiſten am Himmel die Geſtirne alle; noch waren die Danger nicht da, nicht das Deukalioniſche Geſchlecht; vorhanden waren nur die Arkader, die, von denen es heißt, daß ſie vor dem Monde lebten, Eicheln eſſend auf den Bergen.“ Ebenſo ſagt Nonnus XII von dem ſyriſchen Beros, es ſei vor der Sonne bewohnt geweſen. „Eine ſolche Gewohnheit, aus Momenten der Weltkonſtruktion Zeitbeſtimmungen zu entnehmen, iſt ein Kind der Anſchauungs— periode, in welcher alle Gebilde noch mehr Lebendigkeit haben, und gehört zunächſt der genealogiſchen Lokalpoeſie an. So iſt es ſelbſt nicht unwahrſcheinlich, daß die durch einen arkadiſchen Dichter be— ſungene Sage von dem Gigantenkopf in Arkadien, auf welche ſich die oben angeführten Worte des alten Theodorus beziehen (den einige für einen Samothraken halten und deſſen Werk ſehr umfang: reich geweſen ſein muß), Veranlaſſung zur Verbreitung des Epi— thetons rposeimvo: für die Arkader gegeben habe.“ Ueber den Doppelnamen: „Arkades Pelasgoi' und den Gegen: ſatz einer älteren und jüngeren Bevölkerung Arkadiens vergl. die vortreffliche Schrift: „Der Peloponneſos“ von Ernſt Curtius, 1851, S. 160 und 180. Auch im neuen Kontinent finden wir, wie ich an einem anderen Orte gezeigt, auf der Hochebene von Bogota den Völkerſtamm der Muyscas oder Mozcas, welcher in ſeinen hiſtoriſchen Mythen ſich eines proſeleniſchen Alters rühmte. Die Entſtehung des Mondes hängt mit der Sage einer großen Flut zuſammen, welche ein Weib, das den Wundermann Botſchika begleitete, durch ihre Zauberkünſte veranlaßt hatte. Botſchika ver— jagte das Weib (Huythaca oder Schia genannt). Sie verließ die Erde und wurde der Mond, „welcher bis dahin den Muyscas noch nicht geleuchtet hatte“. Botſchika, des Menſchengeſchlechtes ſich er— barmend, öffnete mit ſtarker Hand eine ſteile Felswand bei Canoas, wo der Rio de Funzha ſich jetzt im berufenen Waſſerfall des Tequen— dama herabſtürzt. Das mit Waſſer gefüllte Thalbecken wurde da— durch trocken gelegt — ein geognoſtiſcher Roman, der ſich oft wieder— holt, z. B. im geſchloſſenen Alpenthal von Kaſchmir, wo der mächtige Entwäſſerer Kasyapa heißt. 21 (S. 316.) Da, nach Titius, den Abſtand von der Sonne zum Saturn, damals dem äußerſten Planeten, - 100 geſetzt, die einzelnen Abſtände ſein ſollen: — Merkur Venus Erde Mars Kl. Plan. Jupiter . Krebs Pe 100 100 100 100 100 100 nach der ſogenannten Progreſſion: 4, 4+ 3, 4-46, 4-+12, 4 + 24, 4 + 48, jo ergeben ſich, wenn man die Entfernung des Saturn von der Sonne zu 197,3 Millionen geographiſchen Meilen [fie ſchwankt wegen der Exzentrizität ſeiner Bahn zwiſchen 1330 und 1490 Mill. km. D. Herausg.] anſchlägt, in demſelben Meilenmaße von der Sonne: Abſtände nach Titius wirkliche Abſtände in geogr. Meilen in geogr. Meilen N 7,9 Millionen 8,0 Millionen 1388 75 15,0 77 9 Fr 20,7 17 eee, e ee + 31,5 ei SE er =) Be e n urn 197,3 % 197,3 75 i357 hr 396,7 75 eee e ee 1 621,2 2 22 (S. 316.) Mit der numeriſchen Korrektion von Wurm heißt die Reihe nach Entfernungen von der Sonne: Merkur 387 Teile Venus 387 + 293 680 Erde 387 - 2.293 973 Mars 387 - 4.293 = 1559 Kl. Plan. 387 + 8.293 = 2731 Jupiter 387 + 16.293 = 5075 Saturn 387 + 32.293 = 9763 Uranus 387 + 64.293 = 19139 Neptun 387 + 128. 293 = 37891 Damit man den Grad der Genauigkeit dieſer Reſultate prüfen könne, folgen in der nächſten Tafel noch einmal die wirklichen mittleren Abſtände der Planeten, wie man ſie jetzt anerkennt, mit Beifügung der Zahlen, welche Kepler nach den Tychoni— ſchen Beobachtungen vor drittehalbhundert Jahren für die wahren hielt. Ich entlehne letztere der Schrift Newtons, De Mundi Systemate. N — 346 — Wirkliche Reſultate . Abſtände von Kepler TTT 0, 38709 0,38806 TEC NE 0,72333 0,72400 - FCC 1,00000 1,00000 Mara.» es > We 1,52369 1,52350 SUUTTD se. a A DEE AL SE 2688 )) aper Le: 520277 5,19659 Schurne Dar 8 9,53885 9551000 UMram us 19,1823 9 Nepfluͥun n 430,0 38 28 28 (S. 318.) Die Sonne, welche Kepler, wahrſcheinlich aus Enthuſiasmus für die divina inventa ſeines mit Recht berühmten Zeitgenoſſen William Gilbert für magnetiſch hielt, und deren Ro— tation in derſelben Richtung wie die Planeten er behauptete, ehe noch die Sonnenflecken entdeckt waren; die Sonne erklärt Kepler für den „dichteſten aller Weltkörper, weil er die übrigen alle, die zu ſeinem Syſteme gehören, bewegt.“ 24 (S. 318.) Newton, De Mundi Systemate in Opus- culis T. II, p. 17: „Corpora Veneris et Mercurii majore Solis calore magis concocta et coagulata sunt. Planetae ul- teriores, defectu caloris, carent substantiis illis metallieis et mineris ponderosis quibus Terra referta est. Densiora corpora quae Soli propiora: ea ratione constabit optime pondera Planetarum omnium esse inter se ut vires.“ > (S. 323.) „L’etendue entiere de cette variation serait d’environ 12 degres, mais l’action du Soleil et de la Lune la reduit à peu pres à trois degres (centésimaux).“ Laplace, Exposition du Systeme du Monde p. 303. 26 (S. 323.) Ich habe an einem anderen Orte, durch Ver: gleichung mittlerer Jahrestemperaturen, gezeigt, daß in Europa vom Nordkap bis Palermo dem Unterſchied eines geographiſchen Breitengrades ſehr nahe 0,5“ des hundertteiligen Thermometers, in dem weſtlichen Temperaturſyſteme von Amerika aber (zwiſchen Boſton und Charlestown) 0,9“ entſprechen. 27 (S. 325.) Die Mexikaner hatten unter ihren 20 hiero— glyphiſchen Tageszeichen ein beſonders geehrtes, ollin-tonatiuh, das der vier Sonnenbewegungen, genannt, welches dem großen, alle 52 = 4 * 13 erneuerten Cyklus vorſtand und ſich auf den hieroglyphiſch durch Fußſtapfen ausgedrückten Weg der Sonne, die Solſtitien und Aequinoktien durchſchneidend, bezog. In dem ſchön gemalten aztekiſchen Manuſkripte, das vormals in der Villa des Kardinals Borgia zu Veletri aufbewahrt ward und aus dem — 347 — ich viel Wichtiges entlehnt, befindet ſich das merkwürdige aſtrolo— giſche Zeichen eines Kreuzes, deſſen beigeſchriebene Tageszeichen die Durchgänge der Sonne durch den Zenith der Stadt Mexiko (Tenochtitlan), den Aequator und die Solſtitialpunkte vollſtändig bezeichnen würden, wenn die den Tageszeichen wegen der periodiſchen Reihen beigefügten Punkte (runde Scheiben) in allen drei Durchgängen der Sonne gleich vollzählig wären. Der der Sternbeobachtung leidenſchaftlich ergebene König von Tezeuco, Neza— hualpilli (ein Faſtenkind genannt, weil der Vater lange vor der Geburt des erwünſchten Sohnes faſtete), hatte ein Gebäude er— richtet, das Torquemada etwas kühn eine Sternwarte nennt und deſſen Trümmer er noch ſah. In der Raccolta di Mendoza ſehen wir einen Prieſter dargeſtellt, welcher die Sterne beobachtet: was durch eine punktierte Linie ausgedrückt iſt, die vom beobachteten Stern zu ſeinem Auge geht. (S. 327.) „Il s’ensuit (du théorème du & Lambert) que la quantitè de chaleur envoyée par le Soleil à la Terre est la meme en allant de l'équinoxe du printems à l’equinoxe d'automne qu'en revenant de celui-ci au premier. Le temps plus long que le Soleil emploie dans le premier trajet, est exactement conıpense par son @loignement aussi plus grand; et les quantites de chaleur qu'il envoie à la Terre, sont les mömes pendant qu'il se trouve dans l'un ou l'autre hemi- sphere, boréal ou austral.“ Poiſſon, Sur la stabilite du systeme planétaire in der Connaissance des temps pour 1836. p. 54. 2 (S. 327.) „L'excentricité,“ jagt Poiſſon, ayant tou— jours été et devant toujours demeurer très petite, l’influence des variations seculaires de la quantité de chaleur solaire regue par la Terre sur la temperature moyenne parait aussi devoir &tre très limitée. — On ne saurait admettre que l’excen- trieite de la Terre, qui est actuellement environ un soixantieme, ait jamais été ou devienne jamais un quart, comme celle de Junon ou de Pallas.“ 30 (S. 330.) S. Mädlers Verſuch, den Durchmeſſer der Veſta (66 geographiſche Meilen?) bei 1000 maliger Vergrößerung zu be⸗ ſtimmen, in ſeiner Aſtronomie S. 218. 3 (S. 331.) In der früheren Ausgabe (Kosmos BD. 1, S. 70 war der Aequatorialhalbmeſſer des Saturn zum Grunde gelegt. 2 (S. 331.) Ich habe im Naturgemälde von der translato— riſchen Bewegung der Sonne umſtändlich gehandelt Kosmos Bd. J, S. 102 bis 104. Spezielle Aufzählung der Planeten und ihrer Monde, als Teile des Sonnengebiets. Es iſt, wie ich ſchon mehrmals erinnert, der beſondere Zweck einer phyſiſchen Weltbeſchreibung, alle wich— tigen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts genauer ergrün— deten numeriſchen Reſultate in dem ſideriſchen wie in dem telluriſchen Gebiete der Erſcheinungen zuſammenzuſtellen. Das Geſtaltete und Bewegte wird hier als ein Geſchaffenes, Daſeiendes, Gemeſſenes geſchildert. Die Gründe, auf welchen die erlangten numeriſchen Reſultate beruhen, die kos— mogoniſchen Vermutungen, welche ſeit Jahrtauſenden nach den wechſelnden Zuſtänden des mechaniſchen und phyſikaliſchen Wiſſens über das Werden entſtanden ſind, gehören im ſtren— geren Sinne des Wortes nicht in den Bereich dieſer empiriſchen Unterſuchungen. Sonne. Was ſowohl die Dimenſionen als die dermaligen An— ſichten über die phyſiſche Beſchaffenheit des Centralkörpers betrifft, iſt ſchon oben (Kosmos Bd. III, S. 267 bis 268 an— gegeben worden. Es bleibt hier nur übrig, nach den neueſten Beobachtungen noch einiges über die roten Geſtalten und roten Wolkenmaſſen hinzuzufügen, deren S. 275 beſondere Erwähnung geſchah. Die wichtigen Erſcheinungen, welche die totale Sonnenfinſternis vom 28. Juli 1851 im öſtlichen Europa dargeboten, haben die ſchon von Arago 1842 an: geregte Meinung, daß die roten berg- oder wolkenartigen Hervorragungen am Rande der verfinſterten Sonne zu der gasartigen äußerſten Umhüllung des Centralkörpers ge— hören, noch mehr bekräftigt. Es ſind dieſe Hervorragungen von dem weſtlichen Mondrande aufgedeckt worden, je nachdem in ſeiner Bewegung der Mond gegen Oſten fortgerückt iſt (Annuaire du Bureau des Longitudes 1842, p. 457); — 349 — dagegen ſind ſie wieder verſchwunden, wenn ſie an der entgegen— ſtehenden Seite durch den öſtlichen Mondrand verdeckt wurden. Die Intenſität des Lichtes jener Randerhebungen iſt abermals ſo beträchtlich geweſen, daß man ſie durch dünne Wolken verſchleiert in Fernröhren, ja ſelbſt mit bloßen Augen innerhalb der Corona hat erkennen können. Die Geſtalt der meiſt rubin- oder pfirſichroten Erhebungen hat ſich (bei einigen derſelben) während der Totalfinſternis ſichtbar ſchnell verändert; eine dieſer Erhebungen iſt an ihrem Gipfel gekrümmt erſchienen und hat, wie eine oben umge— bogene Rauchſäule, vielen Beobachtern in der Nähe der Spitze ein frei ſchwebendes, abgeſondertes Gewölk! gezeigt. Die Höhe dieſer Hervorragungen wurde meiſt 1“ bis 2° geſchätzt, an einem Punkte ſoll ſie mehr betragen haben. Außer dieſen zapfenartigen Erhebungen, deren man drei bis fünf gezählt, wurden auch karminrote, langgeſtreckte, bandartige, wie auf ee anliegende, oft gezähnte, niedrige Streifen gejehen. ? Man hat wieder deutlichſt, beſonders beim Austritt, den Teil des Mondrandes erkennen können, welcher ſich nicht? auf die Sonnenſcheibe projizierte. Eine Gruppe von Sonnenflecken war ſichtbar, doch einige Minuten von dem Sonnenrande entfernt, da, wo die größte hakenförmige rote Gibboſität entſtand. Gegenüber, unweit der matten öſtlichen Hervorragung, war ebenfalls nahe am Rande ein Sonnenflecken. Dieſe trichterförmigen Vertiefungen können wegen des erwähnten Abſtandes wohl nicht das Ma— terial zur roten gasartigen Exhalation hergegeben haben; aber weil bei ſtarker Vergrößerung die ganze Oberfläche der Sonne ſichtbar Poren zeigt, ſo iſt doch wohl die Vermutung am wahr— ſcheinlichſten, daß dieſelbe Dampf- und Gasemanation, welche, von dem Sonnenkörper aufſteigend, die Trichter bildet, durch dieſe, welche uns als Sonnenflecken erſcheinen oder durch kleinere Poren ſich ergießt und, erleuchtet, unſerem Auge rote, vielgeſtaltete Dampfſäulen und Wolken in der dritten Sonnenumhüllung darbietet. Merkur. Wenn man ſich erinnert, wieviel ſeit den früheſten Zeiten die Aegypter ſich mit dem Merkur (Set — Horus) und die Inder mit ihrem Budha beſchäftigt haben, wie unter ir — 350 — dem heiteren Himmel von Weſtarabien der Sterndienſt in dem Stamme der Aſediten ausſchließlich auf den Merkur gerichtet war, ja wie Ptolemäus im 9. Buche des Almageſt 14 Beobachtungen dieſes Planeten benutzen konnte, die bis 261 Jahre vor unſerer Zeitrechnung hinaufreichen und teil— weiſe den Chaldäern gehören, ſo iſt man allerdings verwun— dert, daß Kopernikus, welcher das 70. Jahr erreicht hat, ſich auf ſeinem Sterbebette beklagte, ſo viel er ſich bemühet, den Merkur nie geſehen zu haben. Doch bezeichneten die Griechen mit Recht dieſen Planeten wegen ſeines bisweilen ſo inten— ſiven Lichtes mit dem Namen des ſtark funkelnden (rug). Er bietet Phaſen (wechſelnde Lichtgeſtalten) dar wie Venus, und erſcheint uns auch wie dieſe als Morgen- und Abendſtern. Merkur iſt in ſeiner mittleren Entfernung wenig über 8 Millionen geographiſcher Meilen (57400 000 Km) von der Sonne entfernt, genau 0,3870938 Teile des mittleren Ab— ſtandes der Erde von der Sonne. Wegen der ſtarken Ex— zentrizität ſeiner Bahn (0,2056163) wird die Entfernung des Merkur von der Sonne im Perihel 6 ¼ (45 Mill. km), im Aphel 10 Mill. Meilen (69 Mill. km). Er vollführt ſeinen Um— lauf um die Sonne in 87 mittleren Erdentagen und 23" 15746“. Durch die wenig ſichere Beobachtung der Geſtalt von dem ſüdlichen Horn der Sichel und durch Auffindung eines dunkeln Streifens, welcher gegen Oſten am ſchwärzeſten war, haben Schröter und Harting die Rotation zu 24" 5° geſchätzt. Nach Beſſels Beſtimmungen bei Gelegenheit des Merkur— durchganges vom 5. Mai 1832 beträgt der wahre Durchmeſſer 671 geogr. Meilen (4800 km), d. i. 0,391 Teile des Erd— durchmeſſers.“ Die Maſſe des Merkur war von Lagrange nach ſehr gewagten Vorausſetzungen über die Reciprozität des Verhält— niſſes der Dichtigkeit und Abſtände beſtimmt worden. Durch den Enckiſchen Kometen von kurzer Umlaufszeit wurde zuerſt ein Mittel gegeben, dieſes wichtige Element zu ver— beſſern. Dieſe Maſſe des Planeten wird von Encke als 7885751 der Sonnenmaſſe oder etwa 137 der Erdmaſſe geſetzt. Laplace gabs für die Maſſe des Merkur nach Lagrange 205810 an, aber die wahre Maſſe iſt nur etwa > von der La— grangeſchen.“ Es wird durch dieſe Verbeſſerung auch zugleich die vorige hypothetiſche Angabe von der ſchnellſten Zunahme der Dichtigkeit mit Annäherung eines Planeten an die Sonne — 351 — widerlegt. Wenn man mit Hanſen den körperlichen Inhalt des Merkur zu —, der Erde annimmt, jo folgt daraus die Dichtigkeit des Merkur nur als 1,22. „Dieſe Beſtimmun— gen,“ ſetzt mein Freund, der Urheber derſelben, hinzu, „ſind nur als erſte Verſuche zu betrachten, die ſich indeſſen der Wahrheit weit mehr nähern als die Laplaciſche Annahme.“ Die Dichtigkeit des Merkur wurde vor 10 Jahren noch fait dreimal größer als die Dichte der Erde angenommen: zu 2,56 oder 2,94, wenn die Erde = 1,00. Venus. Die mittlere Entfernung derſelben von der Sonne iſt 0,7233317 in Teilen der Entfernung der Erde von der Sonne, d. i. 15 Mill. geogr. Meilen (107200 000 km). Die ſide— riſche oder wahre Umlaufszeit der Venus iſt 224 Tage 16 49“ 7, Kein Hauptplanet kommt der Erde jo nahe als Venus, ſie kann fi uns bis 5 ½ Mill. Meilen (39 000 000 km) nähern, aber auch von uns auf 36 Mill Meilen (267000 000 km) entfernen; daher die große Veränderlichkeit des ſcheinbaren Durchmeſſers, welcher keineswegs allein die Stärke des Glanzes beſtimmt. Die Exzentrizität der Venusbahn iſt nur 0,00686182, wie immer, in Teilen der halben großen Achſe ausgedrückt. Der Durchmeſſer des Planeten beträgt 1694 geogr. Meilen - (12600 km), die Maſſe 7 der körperliche Inhalt 0,957 und die Dichtigkeit 0,94 in Vergleichung zur Erde.“ Von den durch Kepler nach ſeinen Rudolfiniſchen Tafeln zuerſt verkündigten Durchgängen der zwei unteren Planeten iſt der der Venus, wegen Beſtimmung der Sonnenparallaxe und daraus hergeleiteter Entfernung der Erde von der Sonne, von der größten Wichtigkeit für die Theorie des ganzen Pla⸗ netenſyſtemes. Nach Enckes erſchöpfender Unterſuchung des Venusdurchganges von 1769 iſt die Parallaxe der Sonne 8,57116“ (Berliner Jahrbuch für 1852, S. 323). Eine neue Arbeit über die Sonnenparallaxe iſt auf den Vorſchlag eines ausgezeichneten Mathematikers, des Prof. Gerling zu Marburg, auf Befehl der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika ſeit 1849 unternommen worden. Es ſoll die Parallaxe durch Beobachtungen der Venus in der Nähe des öſtlichen und weſtlichen Stillſtandes wie durch Mikrometer— meſſungen der Differenzen in Rektaſzenſion und Deklination von wohlbeſtimmten Fixſternen in bedeutenden Längen— — und Breitenunterſchieden erlangt werden (Schumachers Aſtronomiſche Nachrichten Nr. 599, S. 363 und Nr. 613, S. 193). Die aſtronomiſche Expedition unter Befehl des kenntnisvollen Lieutenants Gilliß hat ſich nach Santiago de Chile begeben. Die Rotation der Venus iſt lange vielen Zweifeln unterworfen geweſen. Dominik Caſſini 1669 und Jacques Caſſini 1732 fanden fie 23 20°, während Bianchini? in Rom 1726 die langſame Rotation von 24% Tagen annahm. Genauere Beobachtungen von de Vico in den Jahren 1840 bis 1842 geben durch eine große Anzahl von Venusflecken im Mittel 23 21“ 21,93“. Dieſe Flecken, an der Grenze der Scheidung zwiſchen Licht und Schatten in der ſichelförmigen Venus, erſcheinen ſelten, ſind ſchwach und meiſt veränderlich, ſo daß beide Her— ſchel, Vater und Sohn, glauben, daß ſie nicht der feſten Ober— fläche des Planeten, ſondern wahrſcheinlicher einer Venus— atmoſphäre!“ angehören. Die veränderliche Geſtalt der Hörner, beſonders des ſüdlichen, an der Sichel iſt von la Hire, Schröter und Mädler teils zur Schätzung der Höhe von Bergen, teils und vorzüglich zur Beſtimmung der Rotation benutzt worden. Die Erſcheinungen dieſer Veränderlichkeit ſind von der Art, daß ſie nicht Berggipfel zur Erklärung erfordern von 5 geogr. Meilen (37 km), wie ſie Schröter zu Lilienthal angab, ſon— dern nur Höhen, wie ſie unſer Planet in beiden Kontinenten darbietet.“! Bei dem wenigen, das wir von dem Oberflächen: anſehen und der phyſiſchen Beſchaffenheit der ſonnennahen Planeten, Merkur und Venus, wiſſen, bleibt auch die von Chriſtian Mayer, William Herſchel und Harding in dem dunklen Teile bisweilen beobachtete Erſcheinung eines aſch— farbenen Lichtes, ja eines eigentümlichen Lichtprozeſſes überaus rätſelhaft. Es iſt bei ſo großer Ferne nicht wahrſcheinlich, daß das reflektierte Erdlicht in der Venus, wie bei unſerem Monde, eine aſchfarbige Erleuchtung auf der Venus hervor— bringe. In den Scheiben beider unteren Planeten, Merkur und Venus, iſt bisher noch keine Abplattung bemerkt worden. Erde. Die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne iſt 12032mal größer als der Durchmeſſer der Erde, alſo 20682000 geogr. Meilen, ungewiß auf etwa 90000 Meilen — 353 — (auf 55). Der ſideriſche Umlauf der Erde um die Sonne iſt 365 Tage 6 9“ 10,7496“. Die Exzentrizität der Erd— bahn beträgt 0,01679226, die Maſſe 7881, die Dichtigkeit im Verhältnis zum Waſſer 5,44. Beſſels Unterſuchung von 10 Gradmeſſungen gab eine Erdabplattung von 75, die Länge einer geogr. Meile, deren 15 auf einen Grad des Aequators gehen, zu 3807,23 Toiſen und die Aequatorial— und Polardurchmeſſer zu 1718,9 und 1713,1 geogr. Meilen (Kosmos Bd. I, S. 291, Anm. 89).1s Wir beſchränken uns hier auf numeriſche Angaben von Geſtalt und Bewegungen; alles, was ſich auf die phyſiſche Beſchaffenheit der Erde be— zieht, bleibt dem letzten telluriſchen Teile des Kosmos vor— behalten. N Mond der Erde. Mittlere Entfernung des Mondes von der Erde 51800 geogr. Meilen (384 400 km), ſideriſche Umlaufszeit 27 Tage 7» 43“ 11,5“, Exzentrizität der Mondbahn 0,0548442, Durch: meſſer des Mondes 454 geogr. Meilen (3480 km), nahe A des Erddurchmeſſers, körperlicher Inhalt 5 des förper: lichen Inhaltes der Erde, Maſſe des Mondes nach Lindenau — (nach Peters und Schidloffsky ) der Maſſe der Erde, 87,73 Dichtigkeit 0,619 (alſo faſt 3) der Dichtigkeit der Erde. Der Mond hat keine wahrnehmbare Abplattung, aber eine äußerſt geringe, durch die Theorie beſtimmte, Verlängerung (Anſchwellung) gegen den Erdkörper hin. Die Rotation des Mondes um ſeine Achſe wird vollkommen genau (und das iſt wahrſcheinlich der Fall bei allen anderen Nebenplaneten) in derſelben Zeit vollbracht, in welcher er um die Erde läuft. Das von der Mondfläche reflektierte Sonnenlicht iſt unter allen Zonen ſchwächer als das Sonnenlicht, welches ein weißes Gewölk bei Tage zurückwirft. Wenn man zu geographiſchen Längenbeſtimmungen oft Abſtände des Mondes von der Sonne nehmen muß, iſt es nicht ſelten ſchwer, die Mondſcheibe zwiſchen den lichtintenſiveren Haufenwolken zu erkennen. Auf Berghöhen, die zwiſchen 12 und 16000 Fuß hoch liegen, da, wo bei heiterer Bergluft nur federartiger Cirrus am Himmelsgewölbe zu ſehen iſt, wurde mir das Auf— ſuchen der Mondſcheibe um vieles leichter, weil der Cirrus A. v. Humboldt, Kosmos. III. 23 — 354 — ſeiner lockeren Beſchaffenheit nach weniger Sonnenlicht reflek— tiert und das Mondlicht auf ſeinem Wege durch dünne Luft— ſchichten minder geſchwächt iſt. Das Verhältnis der Licht— ſtärke der Sonne zu der des Vollmondes verdient eine neue Unterſuchung, da Bouguers überall angenommene Beſtimmung (Jude) ſo auffallend von der, freilich unwahrſcheinlicheren, Wollaſtons (I) abweicht. Das gelbe Mondlicht erſcheint bei Tag weiß, weil die blauen Luftſchichten, durch welche wir es ſehen, die Komple⸗ mentarfarbe zum Gelb darbieten.“ Nach den vielfachen Beob— achtungen, die Arago mit ſeinem Polariſkop angeſtellt, iſt in dem Mondlichte polariſiertes Licht enthalten, am deutlichſten im erſten Viertel und in den grauen Mondflecken, z. B. in der großen, dunklen, bisweilen etwas grünlichen Wallebene des ſogenannten Mare Crisium. Solche Wallebenen find meiſt mit Bergadern durchzogen, deren polyedriſche Geſtalt diejenigen Inklinationswinkel der Flächen darbietet, welche zur Polariſation des reflektierten Sonnenlichtes erforderlich ſind. Der dunkle Farbenton der Umgegend ſcheint dazu durch Kontraſt die Erſcheinung noch bemerkbarer zu machen. Was den leuchtenden Centralberg der Gruppe Ariſtarch betrifft, an dem man mehrmals thätigen Vulkanismus zu bemerken wähnte, ſo hat derſelbe keine ſtärkere Polariſation des Lichtes gezeigt als andere Mondteile. In dem Vollmond wird keine Beimiſchung von polariſiertem Lichte bemerkt; aber während einer totalen Mondfinſternis (31. Mai 1848) hat Arago in der rot gewordenen Mondſcheibe (einem Phänomen, von dem wir weiter unten ſprechen werden), unzweifelhafte Zeichen der Polariſation wahrgenommen (Comptes rendus T. XVIII. p. 1119). Daß das Mondlicht wärmeerzeugend iſt, gehört, wie ſo viele andere meines berühmten Freundes Mellino, zu den wichtigſten und überraſchendſten Entdeckungen unſeres Jahr— hunderts. Nach vielen vergeblichen Verſuchen, von la Hire an bis zu denen des ſcharfſinnigen Forbes, iſt es Melloni geglückt, mittels einer Linſe (lentille à échelons) von 3 Fuß (Im) Durchmeſſer, die für das meteorologiſche Inſtitut am Veſupkegel beſtimmt war, bei verſchiedenen Wechſeln des Mondes die befriedigendſten Reſultate der Temperaturerhöhung zu beobachten. Moſotti-Lavagna und Belli, Profeſſoren der Univerſitäten Piſa und Pavia, waren Zeugen dieſer Verſuche, — 355 — die nach Maßgabe des Alters und der Höhe des Mondes verſchieden ausfielen. Wieviel die Quantität der Temperatur: erhöhung, welche Mellonis thermoſkopiſche Säule erzeugte, in Bruchteilen eines hundertteiligen Thermometergrades ausge— drückt, betrage, wurde damals (Sommer 1846) noch nicht ergründet.“ Das aſchgraue Licht, in welchem ein Teil der Mond— ſcheibe leuchtet, wenn einige Tage vor oder nach dem Neu— monde ſie nur eine ſchmale, von der Sonne erleuchtete Sichel darbietet, iſt Erdenlicht im Monde, „der Widerſchein eines Widerſcheines“. Je weniger der Mond für die Erde erleuchtet erſcheint, deſto mehr iſt erleuchtend die Erde für den Mond. Unſer Planet beſcheint aber den Mond 13% mal ſtärker, als der Mond ſeinerſeits ihn erleuchtet, und dieſer Schein iſt hell genug, um durch abermalige Reflexion von uns wahrgenommen zu werden. Das Fernrohr unterſcheidet in dem aſchgrauen Lichte die größeren Flecken und einzelne hellglänzende Punkte, Berggipfel in den Mondlandſchaften; ja ſelbſt dann noch einen grauen Schimmer, wenn die Scheibe ſchon etwas über die Hälfte erleuchtet iſt. Zwiſchen den Wendekreiſen und auf den hohen Bergebenen von Quito und Mexiko werden dieſe Erſcheinungen beſonders auffallend. Seit Lambert und Schröter iſt die Meinung herrſchend geworden, daß die ſo verſchiedene Intenſität des aſchgrauen Lichtes des Mondes von dem ſtärkeren oder ſchwächeren Reflex des Sonnen— lichtes herrührt, das auf die Erdkugel fällt, je nachdem das— ſelbe von zuſammenhängenden Kontinentalmaſſen voll Sand— wüſten, Grasſteppen, tropiſcher Waldung und öden Felsbodens, oder von ozeaniſchen Flächen zurückgeworfen wird. Lambert hat in einem lichtvollen Kometenſucher (14. Februar 1774) die merkwürdige Beobachtung einer Veränderung des aſch— farbenen Mondlichtes in eine olivengrüne, etwas ins Gelbe ſpielende Farbe gemacht. „Der Mond, der damals ſenkrecht über dem Atlantiſchen Meere ſtand, erhielt in ſeiner Nachtſeite das grüne Erdenlicht, welches ihm bei wolkenfreiem Himmel die Waldgegenden! von Südamerika zuſendeten.“ Der meteorologiſche Zuſtand unſerer Atmoſphäre modi— fiziert dieſe Intenſitäten des Erdlichtes, welches den zweifachen Weg von der Erde zum Monde und vom Monde zu unſerem Auge zurücklegen muß. „So werden wir,“ wie Aragon bemerkt, „wenn einſt beſſere photometriſche Inſtrumente an— zuwenden ſind, in dem Monde gleichſam den mittleren — 356 — Zuſtand der Diaphanität unſerer Atmoſphäre leſen können.“ Die erſte richtige Erklärung von der Natur des aſchfarbenen Lichtes des Mondes ſchreibt Kepler (Ad Vitellionem Para- lipomena, quibus Astron. pars optica traditur, 1604, p. 254) ſeinem von ihm hochverehrten Lehrer Mäſtlin zu, welcher dieſelbe 1596 in den zu Tübingen öffentlich ver— teidigten Theſen vorgetragen hatte. Galilei ſprach (Sidereus Nuneius p. 26) von dem reflektierten Erdlichte als von einer Sache, die er ſeit mehreren Jahren ſelbſt aufgefunden, aber hundert Jahre vor Kepler und Galilei war die Er— klärung des uns ſichtbaren Erdlichtes im Monde dem alles— umfaſſenden Genie des Leonardo da Vinci nicht entgangen. Seine lange vergeſſenen Manufkripte lieferten den Beweis davon. Bei den totalen Mondfinſterniſſen verſchwindet der Mond in überaus ſeltenen Fällen gänzlich; ſo verſchwand er nach Keplers früheſter Beobachtung am 9. Dezember 1601, und in neueſter Zeit, ohne ſelbſt durch Fernröhren aufgefunden zu werden, am 10. Juni 1816 zu London. Ein eigener, nicht genugſam ergründeter Diaphanitätszuſtand einzelner Schichten unſerer Atmoſphäre muß die Urſache dieſer ſo ſeltenen als ſonderbaren Erſcheinung ſein. Hevelius bemerkt ausdrücklich, daß in einer totalen Finſternis (am 25. April 1642) der Himmel bei völlig heiterer Luft mit funkelnden Sternen be— deckt war und doch in den verſchiedenſten Vergrößerungen, die er anwandte, die Mondſcheibe ſpurlos verſchwunden blieb. In anderen, ebenfalls ſehr ſeltenen Fällen werden nur einzelne Teile des Mondes ſchwach ſichtbar. Gewöhnlich ſieht man die Scheibe während einer totalen Verfinſterung rot, und zwar in allen Graden der Intenſität der Farbe; ja, wenn der Mond weit von der Erde entfernt iſt, bis in das Feuer— rote und Glühende übergehend. Während ich, vor einem halben Jahrhunderte (29. März 1801), vor Anker an der Inſel Baru unfern Cartagena de Indias lag und eine Total— finſternis beobachtete, war es mir überaus auffallend, wieviel leuchtender die rote Mondſcheibe unter dem Tropenhimmel erſcheint, als in meinem nördlichen Vaterlande.“ Das ganze Phänomen iſt bekanntlich eine Folge der Strahlenbrechung, da, wie Kepler ſich ſehr richtig ausdrückt (Paralip. Astron., pars optica p. 895), die Sonnenſtrahlen bei ihrem Durch: gange durch die Atmoſphäre der Erde inflektiert!“ und in den Schattenkegel geworfen werden. Die gerötete oder glühende — 357 — Scheibe iſt übrigens nie gleichförmig farbig. Einige Stellen zeigen ſich immer dunkler und dabei fortſchreitend farbe— ändernd. Die Griechen hatten ſich eine eigene wunderſame Theorie gebildet über die verſchiedenen Farben, welche der verfinſterte Mond zeigen ſoll, je nachdem die Finſternis zu anderen Stunden eintritt.“ In dem langen Streite über die Wahrſcheinlichkeit oder Unwahrſcheinlichkeit einer atmoſphäriſchen Umhüllung des Mondes haben genaue Okkultationsbeobachtungen erwieſen, daß keine Strahlenbrechung am Mondrande ſtatthat, und daß ſich demnach die Schröterſchen Annahmen einer Mond— atmoſphäre und Monddämmerung widerlegt finden. „Die Vergleichung der beiden Werte des Mondhalbmeſſers, welche man einerſeits aus direkter Meſſung, andererſeits aus der Dauer des Verweilens vor einem Fixſtern während der Be: deckung ableiten kann, lehrt, daß das Licht eines Fixſternes in dem Augenblick, in welchem letzterer den Mondrand be— rührt, nicht für uns merklich von ſeiner geradlinigen Be— wegung abgelenkt wird. Wäre eine Strahlenbrechung am Rande des Mondes vorhanden, ſo müßte die zweite Beſtim— mung den Halbmeſſer um das Doppelte derſelben kleiner ergeben als die erſte, wogegen aber bei mehrfachen Verſuchen beide Beſtimmungen ſo nahe übereinkommen, daß man keinen entſcheidenden Unterſchied je hat auffinden können.“?! Der Eintritt von Sternen, welcher ſich beſonders ſcharf am dunklen Rande beobachten läßt, erfolgt plötzlich und ohne allmähliche Verminderung des Sternglanzes; ebenſo der Austritt oder das Wiedererſcheinen. Bei den wenigen Ausnahmen, die angegeben werden, mag die Urſache in zufälligen Verände— rungen unſerer Atmoſphäre gelegen haben. Fehlt nun dem Erdmonde jede gasförmige Umhüllung, ſo ſteigen dort bei Mangel alles diffuſen Lichtes die Geſtirne an einem faſt ſchwarzen Taghimmel empor, keine Luft— welle kann dort tragen den Schall, den Geſang und die Rede. Es iſt der Mond für unſere Phantaſie, die ſo gern anmaßend in das nicht zu Ergründende überſchweift, eine lautloſe Einöde. Das bei Sternbedeckungen bisweilen bemerkte Phänomen des Verweilens (Klebens) des eintretenden Sternes an und in dem Rande des Mondes ?? kann wohl nicht als Folge der Irradiation betrachtet werden, welche bei der ſchmalen Mondſichel, wegen einer ſo verſchiedenen Intenſität des Lichtes Ze im afchfarbenen und in dem von der Sonne unmittelbar er: leuchteten Teile, dieſen allerdings als jenen umfaſſend dem Auge erſcheinen läßt. Arago hat bei einer totalen Mond— finſternis einen Stern an der wenig leuchtenden roten Mond— ſcheibe während der Konjunktion deutlichſt kleben ſehen. Ob überhaupt die hier berührte Erſcheinung in der Empfindung und in phyſiologiſchen Urſachen ? oder in der Aberration der Refrangibilität und Sphärizität des Auges?“ gegründet ſei, iſt ein Gegenſtand der Diskuſſion zwiſchen Arago und Plateau geblieben. Die Fälle, in denen behauptet wird, daß man ein Verſchwinden und Wiedererſcheinen und dann ein abermaliges Verſchwinden bei einer Okkultation geſehen habe, mögen wohl den Eintritt an einem zufällig durch Bergabfälle und tiefe Klüfte verunſtalteten Mondrand bezeichnen. Die großen Unterſchiede des Lichtreflexes in den einzelnen Regionen der erleuchteten Mondſcheibe, und beſonders der Mangel ſcharfer Abgrenzung in den Mondphaſen an dem inneren Rande gegen den aſchfarbenen Teil hin, erzeugten in der früheſten Zeit ſchon einige verſtändige Anſichten über die Unebenheiten der Oberfläche unſeres Satelliten. Plutarch in der kleinen, aber ſehr merkwürdigen Schrift Vom Geſicht im Monde ſagt ausdrücklich, daß man in den Flecken teils tiefe Klüfte und Thäler, teils Berggipfel ahnen könne, „welche lange Schatten wie der Athos werfen, der mit dem ſeinigen Lemnos erreicht“. ' Die Flecken bedecken ungefähr s der ganzen Scheibe. Mit bloßen Augen ſind unter günſtigen Verhältniſſen in der Stellung des Mondes bei der Heiterkeit unſerer Atmoſphäre erkennbar: der Rücken des Hochlandes der Apenninen, die dunkle Wallebene Grimaldi, das abge— ſchloſſene Mare Crisium, der von vielen Bergrücken und Kra— tern umdrängte Tycho.?“ Nicht ohne Wahrſcheinlichkeit it behauptet worden, daß es beſonders der Anblick der Apen— ninenkette geweſen ſei, welcher die Griechen veranlaßt habe, die Mondflecken für Berge zu halten, und dabei, wie eben bemerkt, des Schattens des Athos zu gedenken, welcher in den Solſtitien die eherne Kuh auf Lemnos erreichte. Eine andere, ſehr phantaſtiſche Meinung über die Mondflecken war die von Plutarch beſtrittene, des Ageſianax, nach welcher die Mondſcheibe, gleich einem Spiegel, die Geſtalt und Umriſſe unſerer Kontinente und des äußeren (Atlantiſchen) Meeres uns katoptriſch wiedergeben ſolle. Eine ganz ähnliche Meinung ſcheint in Vorderaſien ſich als Volksglaube noch erhalten zu haben.““ . ! — 359 — Durch die ſorgfältige Anwendung großer Fernröhren iſt es allmählich gelungen, eine auf wirkliche Beobachtungen ge— gründete Topographie des Mondes zu entwerfen, und da in der Oppoſition die halbe Seite des Erdſatelliten ſich ganz und auf einmal unſeren Forſchungen darſtellt, ſo wiſſen wir von dem allgemeinen und bloß figürlichen Zuſammenhange der Berggruppen im Monde mehr als von der Orographie einer ganzen, das Innere von Afrika und Aſien enthaltenden Erdhälfte. Der Regel nach ſind die dunkleren Teile der Scheibe die flächeren und niederen, die hellen, viel Sonnen— licht reflektierenden Teile die höheren und gebirgigen. Keplers alte Bezeichnung beider als Meer und Land iſt aber längſt aufgegeben, und es wurde ſchon von Hevel, trotz der ähnlichen durch ihn verbreiteten Nomenklatur, die Richtigkeit der Deu— tung und des Gegenſatzes bezweifelt. Als mit der An— weſenheit von Waſſerflächen ſtreitend wird hauptſächlich der Umſtand angeführt, daß in den ſogenannten Meeren des Mondes die kleinſten Teile ſich bei genauer Unterſuchung und ſehr verſchiedener Beleuchtung als völlig uneben, als polyedriſch und eben deshalb viel polariſiertes Licht gebend erweiſen. Arago hat gegen die Gründe, welche von den Un— ebenheiten hergenommen ſind, erinnert, daß einige dieſer Flächen trotz der Unebenheiten doch einem mit Waſſer be— deckten, nicht allzu tiefen Meeresboden zugehören könnten, da auf unſerem Planeten der unebene, klippen volle Boden des Ozeans, von einer großen Höhe herab geſehen (wegen des Uebergewichtes des aus der Tiefe aufſteigenden Lichtes über die Intenſität desjenigen, welches die Oberfläche des Meeres zurückſtrahlt) deutlich geſehen werde (Annuaire du Bureau des Longit. pour 1836, p. 339 bis 343). In den bald erſcheinenden Werken meines Freundes, jeiner Aſtro nomie und Photometrie, wird die wahrſcheinliche Abweſenheit des Waſſers auf unſerem Satelliten aus an: deren, hier nicht zu entwickelnden, optiſchen Gründen herge— leitet werden. Von den niederen Ebenen finden ſich die größeren Flächen in dem nördlichen und öſtlichen Teile. Die meiſte Ausdehnung (90000 geographiſche Quadratmeilen — 4955000 qkm) hat unter ihnen der nicht ſcharf begrenzte Oceanus Procellarum. Mit dem Mare Imbrium (16 000 Quadratmeilen — 881000 qkm), dem Mare Nubium und einigermaßen mit dem Mare Humorum in Verbindung ſtehend und inſelförmige Berglandſchaften (die Riphäen, Kepler, — 360 — Kopernikus und die Karpathen) umgebend, bildet dieſer öſtliche, dunklere Teil der Mondſcheibe den entſchiedenſten Gegenſatz zu der lichtſtrahlenderen ſüdweſtlichen Gegend, in welcher Berge an Berge gedrängt find. In der nordweſt⸗ lichen Region zeigen ſich zwei mehr geſchloſſene und iſolierte Becken, das Mare Crisium (3000 Quadratmeilen - 165000 km) und das Mare Tranquillitatis (5800 Quadratmeilen S 319000 qkm). Die Farbe dieſer ſogenannten Meere iſt nicht bei allen die graue. Das Mare Crisium hat ein Grau mit Dunkel⸗ grün vermiſcht, das Mare Serenitatis und Mare Humorum ſind ebenfalls grün. Nahe bei dem Hereyniſchen Gebirge zeigt dagegen die iſolierte Umwallung Lichtenberg eine blaßrötliche Farbe, ebenſo Palus Somnii. Ringflächen ohne Centralberge haben meiſt eine dunkel ſtahlgraue, ins Bläu⸗ liche ſpielende Farbe. Die Urſachen dieſer ſo verſchiedenen Farbentöne des felſigen Erdreiches oder anderer lockerer Stoffe, die es bedecken, find überaus rätſelhaft. So wie nördlich vom Alpengebirge eine große Wallebene, Plato (bei Hevel Lacus niger major genannt), und noch mehr Gri— maldi in der Aequatorialgegend und Endymion am nord— weſtlichen Rande, die drei dunkelſten Stellen der ganzen Mondſcheibe ſind, ſo iſt Ariſtarch mit ſeinen in der Nacht— ſeite bisweilen faſt ſternartig leuchtenden Punkten die hellſte und glänzendſte derſelben. Alle dieſe Abwechſelungen von Schatten und Licht affizieren eine jodierte Platte, und werden in Daguerreotypen unter ſtarker Vergrößerung mit wunderbarer Treue dargeſtellt. Ich beſitze ſelbſt ein ſolches Mondlichtbild von zwei Zoll Durchmeſſer, in welchem man die ſogenannten Meere und Ringgebirge deutlich erkennt; es iſt von einem ausgezeichneten Künſtler, Herrn Whipple zu Boſton, angefertigt. Wenn nun ſchon in einigen der Meere (Crisium, Sereni- tatis und Humorum) die Kreisform auffallend iſt, jo wieder— holt ſich dieſelbe noch mehr, ja faſt allgemein, in dem ge— birgigen Teile der Mondſcheibe, beſonders in der Geſtaltung der ungeheuren Gebirgsmaſſen, welche die ſüdliche Halbkugel (vom Pole bis gegen den Aequator hin, wo die Maſſe in eine Spitze ausläuft) erfüllen. Viele der ringförmigen Er- hebungen und Wallebenen (die größten haben nach Lohrmann über 1000 Quadratmeilen) bilden zuſammenhängende Reihen, und zwar in der Meridianrichtung, zwiſchen 5° und 40° — 9 — 361 — ſüdlicher Breite. Die nördliche Polargegend enthält ver⸗ gleichungsweiſe nur in ſehr geringem Maße dieſe zufammen: fedwüng ten Bergringe. Sie bilden dagegen in dem weit: lichen Rande der nördlichen Halbkugel zwiſchen 20° und 50° nördlicher Breite eine zuſammenhängende Gruppe. Dem Nordpol ſelbſt nahet ſich bis auf wenige Grade das Mare Frigoris, und es bietet derſelbe dadurch, wie der ganze ebene nordöstliche Raum, bloß einige iſolierte ringförmige Berge (Plato, Mairan, Ariſtarch, Kopernikus und Kepler) umſchließend, einen großen Kontraſt mit dem ganz gebirgigen Südpol. An dieſem glänzen hohe Gipfel im eigentlichſten Sinne des Wortes, ganze Lunationen hindurch in ewigem Lichte, es ſind wahre Lichtinſeln, die ſchon bei ſchwacher Vergrößerung erkannt werden. Als Ausnahmen von dieſem auf dem Monde ſo all— gemein herrſchenden Typus kreis- und ringförmiger Geital- tung treten wirkliche Gebirgsketten faſt in der Mitte der nördlichen Mondhälfte (Apenninen, Kaukaſus und Alpen) auf. Sie ziehen ſich von Süden gegen Norden, in einem flachen Bogen etwas weſtlich gekrümmt, durch fait 32 Breiten⸗ grade. Zahlloſe Bergrücken und zum Teil überaus ſpitze Gipfel drängen ſich hier zuſammen. Wenige Ringgebirge oder kraterartige Vertiefungen (Conon, Hadley, Calippus) ſind eingemengt, und das Ganze gleicht mehr der Geſtaltung unſerer Bergketten auf der Erde. Die Mondalpen, welche an Höhe dem Kaukaſus und den Apenninen des Mon⸗ des nachſtehen, bieten ein wunderbar breites Querthal, das die Kette von SO gegen NW durchſchneidet, dar. Es iſt von Gipfeln umgeben, welche die Höhe des Piks von Tenerifa übertreffen. Die relative Höhe der Erhebungen im Verhältnis zu den Durchmeſſern des Mondes und der Erde gibt das merkwür— dige Reſultat, daß, da bei den Amal kleineren Satelliten die höchſten Gipfel nur 600 Toiſen (1170 m) niedriger als die der Grde find, die Mondberge , die Berge auf der Erde aber 01 des planetariſchen Durchmeſſers betragen. °® Unter den 1095 bereits gemeſſenen Höhenpunkten auf dem Monde finde ich 39 höher als den Montblanc (2462 Toiſen = 4800 m) und 6 höher als 18000 Pariſer Fuß (5850 m). Die Meſſungen geſchehen entweder durch Lichttangenten (durch Be- ſtimmung des Abſtandes der in der Nachtſeite des Mondes — 362 — als Lichtpunkte erleuchteten Berggipfel von der Lichtarenze), oder durch Länge der Schatten. Der erſten Methode bediente ſich ſchon Galilei, wie aus ſeinem Briefe an den Pater Grien— berger über die Montuositä della Luna erhellt. Nach Mädlers ſorgfältigen Bergmeſſungen mittels der Länge der Schatten ſind die Kulminationspunkte des Mondes in abſteigender Folge am Südrande, dem Pole ſehr nahe, Dörfel und Leibniz, 3800 Toiſen (7400 m), das Ring⸗ gebirg Newton, wo ein Teil der tiefen Aushöhlung nie, weder von der Sonne noch von der Erdſcheibe, beſchienen wird, 3727 Toiſen (7264 m), Caſatus öſtlich von Newton 3569 Toiſen (6956 m), Calippus in der Kaukaſuskette 3190 Toiſen (6217 m), die Apenninen zwiſchen 2800 und 3000 Toiſen (5457 und 5847 m). Es muß hier bemerkt werden, daß bei dem gänzlichen Mangel einer allgemeinen Niveaulinie (der Ebene gleichen Abſtandes von dem Gen- trum eines Weltkörpers, wie uns auf unſerem Planeten die Meeresfläche darbietet) die abſoluten Höhen nicht ſtreng unter— einander zu vergleichen ſind, da die hier gegebenen 6 nume⸗ riſchen Reſultate eigentlich nur Unterſchiede der Gipfel von den nächſten ſie umgebenden Ebenen oder Tiefpunkten aus- drücken. Auffallend iſt es immer, daß Galilei die höchſten Mondgebirge ebenfalls ‚ineirca miglia quatro“, alſo un- gefähr 1 geographiſche Meile (8800 Toiſen), ſchätzte und ſie nach dem Maß ſeiner hypſometriſchen Kenntniſſe für höher hielt als alle Berge der Erde. Eine überaus merkwürdige und rätſelhafte Erſcheinung, welche die Sbeuläde unſeres Satelliten darbietet, und welche nur optiſch einen Lichtreflex, nicht hypſometriſch eine Höhen⸗ verſchiedenheit betrifft, ſind die ſchmalen VLichtſtreifen, die in ſchräger Beleuchtung verſchwinden, im Vollmonde aber, ganz im Gegenſatz mit den Mondflecken, als Strahlen— ſyſteme am ſichtbarſten werden. Sie ſind nicht Bergadern, werfen keinen Schatten, und laufen in gleicher Intenſität des Lichtes aus den as bis zu Höhen von mehr als 12000 Fuß (3900 m). Das ausgedehnteſte dieſer Strahlen: ſyſteme geht von Tycho aus, wo man mehr als hundert meiſtens einige Meilen breite Lichtſtreifen unterſcheiden kann. Aehnliche Syſteme, welche den Ariſtarch, Kepler, Koper⸗ nikus und die Karpathen umgeben, ſtehen faſt alle in Zuſammenhang untereinander. Es iſt ſchwer, durch Ana— logieen und Induktion geleitet, zu ahnen, welche ſpezielle — 363 — Veränderung des Bodens dieſe leuchtenden, von gewiſſen Ringgebirgen ausgehenden, bandartigen, lichtvollen Strahlen veranlaßt. Der mehrfach erwähnte, auf der Mondſcheibe faſt über— all herrſchende Typus kreisförmiger Geſtaltung (in den Wall— ebenen, die oft Centralberge umſchließen, in den großen Ringgebirgen und ihren Kratern, deren in Bayer 22, in Albategnius 33 aneinandergedrängt gezählt werden) mußte einen tiefen Denker wie Robert Hooke frühe ſchon ver— anlaſſen, eine ſolche Form der Reaktion des Inneren des Mondkörpers gegen das Aeußere, „der Wirkung unter— irdiſcher Feuer und elaſtiſcher durchbrechender Dämpfe, ja einer Ebullition in aufbrechenden Blaſen“ zuzuſchreiben. Ver— ſuche mit verdickten ſiedenden Kalkauflöſungen ſchienen ihm ſeine Anſicht zu beſtätigen, und die Umwallungen mit ihren Centralbergen wurden damals ſchon mit „den Formen des Aetna, des Piks von Tenerifa, des Hekla und der von Gage beſchriebenen Vulkane von Mexiko“ verglichen.!“ Den Galilei hatte, wie er ſelbſt erzählt, eine ringförmige Wallebene des Mondes, wahrſcheinlich ihrer Größe wegen, an die Geſtaltung ganzer mit Bergen umgebener Länder erinnert. Ich habe eine Stelle aufgefunden, in der er jene ringförmigen Wallebenen des Mondes mit dem großen geſchloſſenen Becken von Böhmen vergleicht. Mehrere der Wallebenen ſind in der That nicht viel Aer, denn ſie haben einen Durchmeſſer von 25 bis 30 geographiſchen Meilen (185 bis 220 km).?“ Dagegen überſchreiten die eigentlichen Ringgebirge im Durchmeſſer kaum 2 bis Meilen (15 bis 22 km). Conon in den Apen— ninen hat deren 2, und ein Krater, welcher zu der leuchten— den Mondlandſchaft des Ariſtarch gehört, ſoll in der Breite gar nur 400 Toiſen (780 m) Durchmeſſer darbieten, genau die Hälfte des von mir trigonometriſch gemeſſenen Kraters von Rucu-Pichincha im Hochlande von Quito. Indem wir hier bei Vergleichungen mit uns wohl— bekannten irdiſchen Naturerſcheinungen und Größenverhält— niſſen verweilen, iſt es nötig zu bemerken, daß der größere Teil der Wallebenen und Ringgebirge des Mondes zunächſt als Erhebungskrater ohne fortdauernde Eruptionserſcheinungen im Sinne der Annahme von Leopold von Buch zu betrachten find. °' Was wir nach europäiſchem Maßſtabe groß auf der Erde nennen, die Erhebungskrater von Rocca Monfina, Palma, Tenerifa und Santorin, ver— u Se ſchwindet freilich gegen Ptolemäus, Hipparch und viele andere des Mondes. Palma gibt nur 3800 (7400 m), San⸗ torin nach Kapitän Graves neuer Meſſung 5200 (10 135 m), Tenerifa höchſtens 7600 Toiſen (14800 m) Durchmeſſer, alſo nur "s oder ½ der zwei eben genannten Erhebungs— krater des Mondes. Die kleinen Krater des Piks von Tene— rifa und Veſuvs (300 bis 400 Fuß, 95 bis 120 m im Durchmeſſer) würden kaum durch Fernröhren geſehen werden können. Die bei weitem größere Zahl der Ringgebirge hat keinen Centralberg, und wo er ſich findet, wird er als domförmig, oder flach (Hevelius, Macrobius), nicht als Eruptionskegel mit Oeffnung, beſchrieben.? Der brennenden Vulkane, die man in der Nachtſeite des Mondes geſehen haben will (4. Mai 1783), der Lichterſcheinungen im Plato, welche Bianchini (16. Auguſt 1725) und Short (22. April 1751) beobachteten, erwähnen wir hier nur in hiſtoriſchem Intereſſe, da die Quellen der Täuſchung längſt ergründet ſind, und in dem lebhafteren Reflex des Erden— lichtes liegen, welches gewiſſe Teile der Oberfläche unſeres Planeten auf die aſchfarbene Nachtſeite des Mondes werfen.!“ Man hat ſchon mehrmals und gewiß mit Recht darauf aufmerkſam gemacht, daß bei dem Mangel von Waſſer auf dem Monde (auch die Rillen, ſehr ſchmale, meiſt gerad— linige Vertiefungen,“ find keine Flüſſe) wir uns die Ober- fläche desſelben ungefähr ſo beſchaffen vorſtellen müſſen, wie es die Erde in ihrem primitiven, älteſten Zuſtande geweſen iſt, als dieſelbe noch unbedeckt war von muſchelreichen Flöz- ſchichten, wie von Gerölle und Schuttland, das durch die fortſchaffende Kraft der Ebbe und Flut, oder der Strömungen verbreitet worden iſt. Sonnen- und Erd— fluten fehlen natürlich da, wo das flüſſige Element mangelt, kaum ſchwache Ueberdeckungen von zerſtörten Reibungs— konglomeraten ſind denkbar. In unſeren, auf Spalt⸗ öffnungen gehobenen Bergketten fängt man allmählich auch an, partielle Gruppierungen von Höhen, gleichſam eiförmige Becken bildend, hier und da zu erkennen. Wie ganz anders würde uns die Erdoberfläche erſcheinen, wenn dieſelbe von den Flöz- und Tertiärformationen wie von dem Schuttlande entblößt wäre! Der Mond belebt und verherrlicht, mehr als alle an— deren Planeten, durch Verſchiedenheit ſeiner Phaſen und durch den ſchnelleren Wechſel ſeiner relativen Stellung am Sternen— himmel, unter jeglicher Zone den Anblick des Firmaments, er leuchtet erfreuend dem Menſchen und (vornehmlich in den Urwäldern der Tropenwelt) den Tieren des Waldes. Der Mond, durch die ee die er gemeinſchaftlich mit der Sonne ausübt, bewegt unſere Ozeane, das Flüſſige auf der Erde, verändert allmählich durch periodiſche An— ſchwellung der Oberfläche und die zerſtörenden Wirkungen der Flut den Umriß der Küſten, hindert oder begünſtigt die Arbeit des Menſchen, liefert den größten Teil des Materials, aus dem ſich Sandſteine und Konglomerate bilden, welche dann wiederum von den abgerundeten loſen Geſchieben des Schuttlandes bedeckt ſind. So fährt der Mond, als eine der Quellen der Bewegung, fort, auf die geognoſtiſchen Verhältniſſe unſeres Planeten zu wirken. Der unbeſtreitbare““ Einfluß des Satelliten auf Luftdruck, wäſſerige Nieder— ſchläge und Wolkenzerſtreuung wird in dem letzten, rein telluriſchen Teile des Kosmos behandelt werden. Mars. Durchmeſſer des Planeten nur 0,519 Teile des Erd— durchmeſſers (trotz ſeines ſchon beträchtlicheren Abſtandes von der Sonne) oder 892 geographiſche Meilen (6720 km). Er: zentrizität der Bahn 0,0932168, unter den alten Planeten nächſt dem Merkur die ſtärkſte, und auch deshalb, wie durch Nähe zur Erde die geeignetſte zu Keplers großer Entdeckung der planetariſchen elliptiſchen Bahnen. Notation’ nach Mädler und Wilhelm Beer 24h 37 23“. Sideriſche Um— laufszeit um die Sonne 1 Jahr 321 Tage 17" 30,41“. Die Neigung der Marsbahn gegen den Erdäquator iſt 209 44, 24“, die Maſſe za, die Dichtigkeit in Ver— gleich mit der der Erde 0,958.5“ Wie die große Annähe— rung des Enckeſchen Kometen dazu benutzt worden iſt, die Maſſe des Merkur zu ergründen, ſo wird auch die Maſſe des Mars einſt durch die Störungen berichtigt werden, welche der Komet von de Vico durch ihn erleiden kann. Die Abplattung des Mars, die (ſonderbar genug) der große Königsberger Aſtronom dauernd bezweifelte, iſt zuerſt von William Herſchel (1784) anerkannt worden. Ueber die Quantität dieſer Abplattung aber hat lange Ungewißheit geherrſcht. Sie wurde angegeben von William Herſchel zu i, — 358 — nach Aragos genauerer Meſſung?“ mit einem prismatiſchen Fernrohr von 189 : 194, d. i. 888, in ſpäterer Meſſung (1847) zu 3; doch iſt Arago geneigt, die Abplattung noch für etwas größer zu halten. *° Wenn das Studium der Mondoberfläche an viele geo— gnoſtiſche Verhältniſſe der Oberfläche unſeres Planeten er— innert, ſo ſind dagegen die Analogieen, welche Mars mit der Erde darbietet, ganz meteorologiſcher Art. Außer den dunklen Flecken, von denen einige ſchwärzlich, andere, aber in ſehr geringer Zahl, gelbrot, und von der grünlichen Kontraſtfarbe ſogenannter Seen umgeben ſind, erſcheinen auf der Marsſcheibe noch, ſei es an den Polen, welche die Rotationsachſe beſtimmt, ſei es nahe dabei an den Kälte— polen, abwechſelnd zwei weiße, ſchneeglänzende Flecken. Es ſind dieſelben ſchon 1716 von Philipp Maraldi wahr: genommen, doch ihr Zuſammenhang mit klimatiſchen Verände— rungen auf dem Planeten iſt erſt von Herſchel dem Vater in dem 74. Bande der Philosophical Transactions, für 1784, beſchrieben worden. Die weißen Flecken werden wechſelsweiſe größer oder kleiner, je nachdem ein Pol ſich ſeinem Winter oder ſeinem Sommer nähert. Arago hat in ſeinem Polariſkop die Intenſität des Lichtes dieſer Schnee— zone des Mars gemeſſen, und dieſelbe zweimal größer als die Lichtſtärke der übrigen Scheibe gefunden. In den phyſi— kaliſch-aſtronomiſchen Beiträgen von Mädler und Beer ſind vortreffliche graphiſche Darſtellungen der Nord— und Südhalbkugel des Mars enthalten, und dieſe merkwür— dige, im ganzen Planetenſyſtem einzige Erſcheinung iſt darin nach allen Veränderungen der Jahreszeiten und der kräftigen Wirkung des Polarſommers auf den wegſchmelzenden Schnee durch Meſſungen ergründet worden. Sorgfältige zehnjährige Beobachtungen haben auch gelehrt, daß die dunklen Mars— flecken auf dem Planeten ſelbſt ihre Geſtalt und relative Lage konſtant beibehalten. Die periodiſche Erzeugung von Schneeflecken, als meteoriſchen, von Temperaturwechſeln abhängigen Niederſchlägen, und einige optiſche Phäno— mene, welche die dunklen Flecken darbieten, ſobald ſie durch die Rotation des Planeten an den Rand der Scheibe ge— langen, machen die Exiſtenz einer Marsatmoſphäre mehr als wahrſcheinlich.!! Die kleinen Planeten. Unter dem Namen einer mittleren Gruppe, welche gewiſſermaßen zwiſchen Mars und Jupiter eine ſcheidende Zone für die 4 inneren (Merkur, Venus, Erde, Mars) und die 4 äußeren Hauptplaneten (Jupiter, Saturn, Ura: nus, Neptun) unſeres Sonnengebietes bildet, haben wir ſchon in den allgemeinen Betrachtungen *? über planetariſche Kör— per die Gruppe der kleinen Planeten (Aſteroiden, Planetoiden, Koplaneten, teleſkopiſchen oder Ultra⸗Zodiakalplaneten) bezeichnet. Es hat dieſelbe den abweichendſten Charakter durch ihre ineinander ver— ſchlungenen, ſtark geneigten und übermäßig exzentriſchen Bahnen, durch ihre außerordentliche Kleinheit, da der Durchmeſſer der Veſta ſelbſt nicht den 4. Teil des Durchmeſſers des Merkur zu erreichen ſcheint. Als der erſte Band des Kosmos 1845 erſchien, waren nur 4 der kleinen Planeten, Ceres, Pallas, Juno und Veſta, entdeckt von Piazzi, Olbers und Harding (1. Januar 1801 bis 29. März 1807), bekannt, jetzt (im Juli 1851) iſt die Zahl der kleinen Planeten ſchon auf 14 angewachſen [ſ. Zuſätze am Schluß dieſes Bandes], fie ſind der Zahl nach der dritte Teil aller gleichzeitig be— kannten 43 planetariſchen Körper, d. i. aller Haupt- und Nebenplaneten. Wenn lange im Sonnengebiete die Aufmerkſamkeit der Aſtronomen auf Vermehrung der Glieder partieller Sy— ſteme (der Monde, welche um Hauptplaneten kreiſen), und auf die jenſeits des Saturn und Uranus in den fernſten Re— gionen zu entdeckenden Planeten gerichtet war, ſo bietet jetzt ſeit dem zufälligen Auffinden der Ceres durch Piazzi und beſonders ſeit dem beabſichtigten Auffinden der Aſträa durch Hencke, wie ſeit der großen Vervollkommnung von Stern— karten (die der Berliner Akademie enthalten alle Sterne bis zur 9. und teilweiſe bis zur 10. Größe) ein uns näherer Weltraum das reichſte, vielleicht unerſchöpfliche Feld für aſtro— nomiſche Arbeitſamkeit dar. Es iſt ein beſonderes Verdienſt des aſtronomiſchen Jahrbuches, das in meiner Vater— ſtadt von Encke, dem Direktor der Berliner Sternwarte, unter Mitwirkung des Dr. Wolfers herausgegeben wird, daß darin die Ephemeriden der anwachſenden Schar von kleinen Pla— neten mit ganz beſonderer Vollſtändigkeit behandelt werden, — 368 — Bisher erſcheint die der Marsbahn nähere Region allerdings am meiſten gefüllt, aber ſchon die Breite dieſer gemeſſenen Zone iſt, „wenn man den Unterſchied der Radienvektoren in der nächſten Sonnennähe (Viktoria) und der weiteſten Sonnen— ferne (Hygiea) ins Auge faßt, beträchtlicher als der Sonnen⸗ abſtand des Mars“. 8 Die Exzentrizitäten der Bahnen, von denen Ceres, Egeria und Veſta die kleinſte, Juno, Pallas und Iris die größte haben, ſind, wie die Neigung gegen die Ekliptik, welche von Pallas (34° 37.) und Egeria (16° 33‘) bis Hygiea (347) abnimmt, bereits oben berührt worden. Es folgt hier (S. 369) eingeſchaltet die tabellariſche Ueber— ſicht der Elemente der kleinen Planeten, die ich meinem Freunde, Herrn Dr. Galle, verdanke. Das gegenſeitige Verhalten der Aſteroidenbahnen und die Aufzählung der einzelnen Bahnpaare iſt der Gegenſtand ſcharfſinniger Unterſuchungen zuerſt (1848) von Gould, ganz neuerlich von d'Arreſt geworden. „Es ſcheint,“ ſagt der letztere, „am meiſten für die innige Verbindung der ganzen Gruppe kleiner Planeten zu zeugen, daß, wenn man ſich die Bahnen in ihren natürlichen Verhältniſſen körperlich wie Reifen dar— geſtellt denkt, ſie alle dergeſtalt ineinander hängen, daß man vermittelſt einer beliebigen die ganze Gruppe herausheben könnte. Wäre Iris, welche Hind im Auguſt 1847 auffand, uns zufällig noch unbekannt, wie gewiß noch viele andere Weltkörper in jener Region es ſind, ſo beſtünde die Gruppe aus zwei geſonderten Teilen — ein Ergebnis, das um ſo unerwarteter erſcheinen muß, als die Zone weit iſt, welche dieſe Bahnen im Sonnenſyſteme erfüllen.“ Wir können dieſen wunderſamen Planetenſchwarm nicht verlaſſen, ohne in dieſer fragmentariſchen Aufzählung der einzelnen Glieder des Sonnengebietes der kühnen Anſicht eines vielbegabten, tiefforſchenden Aſtronomen über den Urſprung der Aſteroiden und ihrer einander durchſchneidenden Bahnen zu erwähnen. Ein aus den Rechnungen von Gauß gezogenes Ergebnis, daß Ceres bei ihrem aufſteigenden Durchgang durch die Ebene der Pallasbahn dieſem letzteren Planeten überaus nahe kommt, leitete Olbers auf die Vermutung: „es könnten beide Planeten, Ceres und Pallas, Fragmente eines einzigen, durch irgend eine Naturkraft zerſtörten, vormals die weite Lücke zwiſchen Mars und Jupiter ausfüllenden großen Haupt— planeten ſein, und man habe in derſelben Region einen pod aaa wmgoumbarg spa inv cpi uagartag uahung ei — '"uaßog un atginvy un oPhagıl ag n mntauatig ag © “allg ed agog ag w “Bundoaag aphagıl opydny aaomu a1q ri dine ara uaßad Hundiagg eig T “susgouy uaquoßisglinn seg hung a % ’sjoguaark seg obupg od x ug aaa u dung arm aq "T ME aauaag aaaıypuu ur adupg aaa 209 aPodg aıq MT :Famaqag SQ 38708 | TLSOT | TIS9T Legt SBIST ole | STIST | T668T | T6LET Lore Torge 39GET Toer sort 8600170 986880 279 20˙0 | agacz‘o | 9829T’0 | 2898070 9188170 682600 | 98108'6 | 6835T’0 68888˙0 | T6880°0 36 l 180 | 6L9CT’O Frets GAL gigs 1899 6789 gs rie SS 6e 89866 9888 | 2196'8 67888 | 8108'% „Ts pgg „So „oh „88 7918 „Ll’8S8 „9s ves „0g“ 28 „88986 „99'669 | „84'296 | „80'896 | „06726 „19/66 „509801 27 9 28 ie 07 |e or o 6 88 91 er d 10 %% ir rs eee een 8 eg se 18897 67 08 ee orig 98 |st er 88 kr 69 Per te 881 65 89 bf 69686 go 88 988 fs 01T 8 sau 85 es let os vg or ébt zr sırler ger 2116 zT sr | m us V 8 098 1e 108 19 86 = ‚ET 0958 98 1,88 00ST |,0 0928 er 078% |,6% 0@9T | 28 oL6T |,IG 02T |,68 0TTE |,8% 098 T ,98 08T |,88 099% |,8T 0876 „ll . g e Ole bes rung ot ung fo er esse ach oss Ser ung 8 as T HS |6 hung | 0 NG bs kap 5 2 1881 1881 lest Test 5981 1881 1981 1981 Lest Les! 1981 0881 8981 & Er z vorbach sono; | Sead | ung | aua | vındg | von 1 ag Suez suß va voin 8 | B 1881 sags 890 3 opa un uauoıyılodda@aaagı varıag og an (uezeupjſh uur Jg PI a% ound — 370 — Zuwachs von ähnlichen Trümmern, die eine elliptiſche Bahn um die Sonne beſchreiben, zu erwarten“. Die Möglichkeit, die Epoche einer ſolchen Weltbegeben— heit, welche zugleich die Epoche der Entſtehung der kleinen Planeten ſein ſoll, durch Rechnung zu beſtimmen, bleibt bei der Verwickelung, welche die jetzt ſchon bekannte große Zahl der „Trümmer“, die Säkularverrückungen der Apſiden und die Bewegung der Anotenlinien erzeugen, auch annäherungsweiſe mehr als zweifelhaft. Olbers bezeichnete die Gegend der Knotenlinie der Ceres- und Pallasbahn als entſprechend dem nördlichen Flügel der Jungfrau und dem Geſtirne des Walfiſches. In letzterem wurde allerdings von Harding die Juno, kaum zwei Jahre nach der Entdeckung der Pallas, aber zufällig, bei Konſtruktion eines Sternkatalogs gefunden ; in erſterem nach langem, fünfjährigem, durch die Hypotheſe geleiteten Suchen, von Olbers ſelbſt die Weſta. Ob dieſe einzelnen Erfolge hinlänglich ſind, die Hypotheſe zu begründen, iſt hier nicht der Ort zu entſcheiden. Die Kometennebel, in die man anfangs die kleinen Planeten gehüllt wähnte, ſind bei Unterſuchungen durch vollkommenere Inſtrumente ver⸗ ſchwunden. Bedeutende Lichtveränderungen, denen die kleinen Planeten ausgeſetzt ſein ſollten, ſchrieb Olbers ihrer unregel- mäßigen Figur als „Bruchſtücke eines einzigen zerſtörten Pla⸗ neten“ *3 zu. Jupiter. Die mittlere Entfernung von der Sonne beträgt 5,202767 in Teilen des Erdabſtandes vom Centralkörper. Der wahre mittlere Durchmeſſer dieſes größten aller Planeten iſt 19294 geogr. Meilen (143 170 km), alſo gleich 11,255 Erd⸗ durchmeſſern, ungefähr um , länger als der Durchmeſſer des fernen Saturn. Sideriſcher Umlauf um die Sonne 113 314% 20h 2“ 7%. 45 Die Abplattung des Jupiter iſt nach den prismatiſchen Mikrometermeſſungen von Arago, welche 1824 in die Ex- position du Systeme du Monde (p. 38) übergegangen find, wie 167: 177, alſo 57; was ſehr nahe mit der jpäteren Arbeit (1839) von Beer und Mädler“ übereinſtimmt, welche die Abplattung zwiſchen 18 und s fanden. Hanſen und Sir John Herſchel ziehen - vor. Die allerfrüheſte Beobachtung der Abplattung von Dominik Caſſini iſt älter als das Jahr — 371 — 1666, wie ich ſchon an einem anderen Orte in Erinnerung gebracht. Dieſer Umſtand hat eine beſondere hiſtoriſche Wich— tigkeit wegen des Einfluſſes, welchen nach Sir David Brewſters ſcharfſinniger Bemerkung die von Caſſini erkannte Abplattung auf Newtons Ideen über die Figur der Erde ausgeübt hat. Die Principia Philosophiae Naturalis zeugen dafür, aber die Zeitepochen, in denen dieſe Principia und Caſſinis Beobachtung über den Aequatorial- und Polardurchmeſſer des Jupiter erſchienen, konnten chronologiſche Zweifel erregen. *? Da die Jupitersmaſſe nach der Sonnenmaſſe das wichtigſte Element für das ganze Planetenſyſtem iſt, ſo muß ihre genauere Beſtimmung in neuerer Zeit durch Störungen der Juno und Veſta, wie durch Elongation der Jupiters— trabanten, beſonders des vierten nach Airy (1834), als eine der folgereichſten Vervollkommnungen der rechnenden Aſtro— nomie betrachtet werden. Die Maſſe des Jupiter iſt vergrößert gegen früher, die des Merkur dagegen vermindert worden. Es iſt die erſtere ſamt der Maſſe der vier Jupiterstrabanten 1 1047,879 — 1 während ſie Laplace noch zu 805 angab. Die Rotation des Jupiter iſt nach Airy 9 55° 21,3“ mittlerer Sonnenzeit. Dominik Caſſini hatte dieſelbe zuerſt 1655 durch einen Flecken, welcher viele Jahre, ja bis 1691 immer von gleicher Farbe und in gleichem Umriß ſichtbar war, zwiſchen I" 55, und 93 56, gefunden. Die meiſten dieſer Flecken ſind von größerer Schwärze als die Streifen des Ju— piter. Sie ſcheinen aber nicht der Oberfläche des Planeten ſelbſt anzugehören, da ſie bisweilen, beſonders die den Polen näher— liegenden, eine andere Rotationszeit als die der Aequatorial— gegend gegeben haben. Nach einem ſehr erfahrenen Beobachter, Heinrich Schwabe in Deſſau, ſind die dunklen, ſchärfer be— grenzten Flecken mehrere Jahre hintereinander von den beiden den Aequator begrenzenden grauen Gürteln (Streifen) bald dem ſüdlichen, bald dem nördlichen ausſchließend eigentümlich geweſen. Der Prozeß der Fleckenbildung iſt alſo räumlich wechſelnd. Bisweilen (ebenfalls nach Schwabes Beobachtungen im November 1834) find die Jupitersflecken bei einer 2805 maligen Vergrößerung in einem Fraunhoferſchen Fernrohr kleinen mit einem Hofe umgebenen Kernflecken der Sonne ähnlich. Ihre Schwärze iſt aber dann doch geringer als die der Trabantenſchatten. Der Kern iſt wahrſcheinlich ein Teil des Jupiterkörpers ſelbſt, und wenn die atmoſphäriſche Oeff— — 372 — nung über demſelben Punkte ſtehen bleibt, ſo gibt die Be— wegung des Fleckens die wahre Rotation. Sie teilen ſich auch bisweilen wie Sonnenflecken, was ſchon Dominik Caſſini im Jahre 1665 erkannte. In der Aequatorialzone des Jupiter liegen zwei breite Hauptſtreifen oder Gürtel von grauer oder graubrauner Farbe, welche gegen die Ränder bläſſer werden und endlich ganz verſchwinden. Ihre Begrenzungen ſind ſehr ungleich und veränderlich; beide werden durch einen mittleren ganz hellen Aequatorialſtreifen geſchieden. Auch gegen die beiden Pole hin iſt die ganze Oberfläche mit vielen ſchmäleren, bläſſeren, öfter unterbrochenen, ſelbſt fein verzweigten, immer dem Ae— quator parallelen Streifen bedeckt. „Dieſe Erſcheinungen,“ ſagt Arago, „erklären ſich am leichteſten, wenn man eine durch Wolkenſchichten teilweiſe verdichtete Atmoſphäre annimmt, in welcher jedoch die über dem Aequator ruhende Region, wahr: ſcheinlich als Folge der Paſſatwinde, dunſtleer und diaphan iſt. Weil (wie ſchon William Herſchel in einer Abhandlung annahm, welche im Jahre 1793 in dem 83. Bande der Phi- losophieal Transactions erſchien) die Wolkenoberfläche ein intenſiveres Licht reflektiert als die Oberfläche des Planeten, ſo muß der Teil des Bodens, welchen wir durch die heitere Luft ſehen, minderes Licht haben (dunkler erſcheinen) als die vieles Licht zurückſtrahlenden Wolkenſchichten. Deshalb wechſeln graue (dunkle) und helle Streifen miteinander; die erſteren erſcheinen, wenn unter kleinen Winkeln der Viſionsradius des Beobachters ſchief gegen den Rand des Jupiter gerichtet iſt, durch eine größere, dickere Maſſe und mehr Licht reflektierende Luftſchichten geſehen, um ſo weniger dunkel gefärbt, als ſie ſich vom Centrum des Planeten entfernen.“ ““ Satelliten des Jupiter. Schon zu Galileis glänzender Zeit iſt die richtige Anficht entſtanden, daß das untergeordnete Planetenſyſtem des Jupiter, vielen Verhältniſſen des Raumes und der Zeit nach, ein Bild des Sonnenſyſtems im kleinen darbiete. Dieſe da— mals ſchnell verbreitete Anſicht, wie die bald darauf entdeckten Phaſen der Venus (Februar 1610) haben viel dazu beige— tragen, dem kopernikaniſchen Syſteme allgemeineren Eingang zu verſchaffen. Die Vierzahl der Trabanten des Jupiter iſt die einzige Trabantenzahl der äußeren Hauptplaneten, welche — 373 — (ſeit der Epoche der erſten Entdeckung durch Simon Marius, am 29. Dezember 1609) in faſt drittehalbhundert Jahren keine neuere Entdeckung vermehrt hat. Die folgende Tabelle enthält nach Hanſen die ſideriſchen Umlaufszeiten der Satelliten des Jupiter, ihre mittleren Entfernungen im Halbmeſſer des Hauptplaneten ausge— drückt, ihre Durchmeſſer in geographiſchen Meilen und ihre Maſſen als Teile der Jupitersmaſſe: Satelliten | Entfernung Durchmeſſer vom in geograph. Jupiter Meilen Umlaufszeit Maſſe 0,0000173281 6,623 475 0,0000232355 | 15,350 776 0,0000884972 | 26,998 0,0000426591 Wenn 5; die Maſſe des Jupiter und der Trabanten aus— drückt, ſo iſt die Maſſe des Hauptplaneten ohne die Trabanten, Tau nur um etwa „I, kleiner. Die Vergleichungen der Größen, Abſtände und Er- zentrizität mit anderen Satellitenſyſtemen ſind bereits oben (Kosmos Bd. III, S. 328330) gegeben worden. Die Lichtintenſität der Jupiterstrabanten iſt verſchiedenartig und nicht ihrem Volum proportional, da der Regel nach der dritte und der erſte, deren Größenverhältnis nach den Durchmeſſern wie 8:5 iſt, am hellſten erſcheinen. Der kleinſte und dichteſte von allen, der zweite, iſt gewöhnlich heller als der größere, vierte, welchen man den lichtſchwächſten zu nennen pflegt. Zufällige (temporäre) Schwankungen der Lichtintenſität, die auch bemerkt werden, ſind bald Veränderungen der Oberfläche, bald Verdunkelungen in der Atmoſphäre der Jupitersmonde zugeſchrieben worden. Sie ſcheinen übrigens wohl alle ein intenſiveres Licht als der Hauptplanet zu reflektieren. Wenn die Erde zwiſchen Jupiter und der Sonne ſteht und die Sa— telliten alſo, ſich von Oſten nach Weſten bewegend, ſcheinbar in den öſtlichen Rand des Jupiter eintreten, ſo verdecken ſie — ed uns in ihrer Bewegung nach und nach einzelne Teile der Scheibe des Hauptplaneten und werden ſchon bei nicht ſtarker Vergrößerung erkannt, indem ſie ſich leuchtend abheben von jener Scheibe. Die Sichtbarkeit des Satelliten wird um ſo ſchwieriger, je mehr er ſich dem Centrum des Jupiter nähert. Aus dieſer früh bemerkten Erſcheinung hat ſchon Pound, Newtons und Bradleys Freund, geſchloſſen, daß gegen den Rand hin die Jupitersſcheibe weniger Licht habe als das Centrum. Arago glaubt, daß dieſe von Meſſier wiederholte Behauptung Schwierigkeiten darbietet, welche erſt durch neue und feinere Beobachtungen gelöſt werden können. Jupiter iſt ohne alle Satelliten geſehen worden von Molineux im No— vember 1681, von Sir William Herſchel am 23. Mai 1802, und zuletzt von Griesbach am 27. September 1843. Eine ſolche Nichtſichtbarkeit der Satelliten bezieht ſich aber nur auf den Raum außerhalb der Jupitersſcheibe und ſteht nicht dem Theorem entgegen, daß alle vier Satelliten nie gleichzeitig verfinſtert werden können. Saturn. * Die ſideriſche oder wahre Umlaufszeit des Saturn iſt 29 Jahre 166 Tage 23 St. 16 Min. 32 Sek. Sein mittlerer Durchmeſſer iſt 15507 geogr. Meilen, gleich 9022 Erd⸗ durchmeſſern. Die Rotation, aus den Beobachtungen einiger dunkler Flecken (knotenartiger Verdichtungen der Streifen) auf der Oberfläche geſchloſſen, » iſt 10 29° 17°. Einer jo großen Geſchwindigkeit der Umdrehung um die Achſe entſpricht die ſtarke Abplattung. William Herſchel beſtimmte ſie ſchon 1776 zu = Beſſel fand nach dreijährigen und mehr unter- einander übereinſtimmenden Beobachtungen in der mittleren Entfernung den Polardurchmeſſer zu 15,381“, den Nequatortal- durchmeſſer zu 17,053“, alſo eine Abplattung von 102 Der Körper des Planeten hat ebenfalls bandartige Streifen, die aber weniger ſichtbar, wenngleich etwas breiter als die des Jupiter ſind. Der konſtanteſte derſelben iſt ein grauer Aequa— torialſtreifen. Auf dieſen folgen mehrere andere, aber mit wechſelnden Formen, was auf einen atmoſphäriſchen Ur⸗ ſprung deutet. William Herſchel hat ſie nicht immer dem Saturnsringe parallel gefunden; ſie reichen auch nicht bis zu den Polen hin. Die Gegend um die Pole zeigt, was ſehr — 375 — merkwürdig, einen Wechſel in der Lichtreflexion, welcher von den Jahreszeiten auf dem Saturn abhängig iſt. Die Polar— region wird nämlich im Winter heller leuchtend, eine Erſchei— nung, welche an die wechſelnde Schneeregion des Mars er— innert und ſchon dem Scharfblick von William Herſchel nicht entgangen war. Sei nun eine ſolche Zunahme der Lichtintenſität der temporären Entſtehung von Eis und Schnee, oder einer außerordentlichen Anhäufung von Wolken zuzuſchreiben, immer deutet ſie auf Wirkungen von Temperaturveränderungen, auf eine Atmoſphäre. Die Maſſe des Saturn haben wir bereits oben zu 507; angegeben; ſie läßt bei dem ungeheuren Volum des Planeten (ſein Durchmeſſer iſt 6 des Durchmeſſers des Jupiter) auf eine ſehr geringe und gegen die Oberfläche abnehmende Dichtigkeit ſchließen. Bei einer ganz homogenen Dich— tigkeit ( von der des Waſſers) würde die Abplattung noch ſtärker fein. In der Ebene ſeines Aequators umgeben den Planeten wenigſtens zwei frei ſchwebende, in einer und derſelben Ebene liegende überaus dünne Ringe. Sie haben eine größere Sn: tenſität des Lichtes als Saturn ſelbſt, und der äußere Ring iſt noch heller als der innere. ? Die Teilung des von Huygens 1655 als eines einzigen erkannten ' Ringes wurde wohl ſchon von Dominik Caſſini 1675 geſehen, aber zuerſt von William Herſchel (1789 bis 1792) genau beſchrieben. Den äußeren Ring hat man ſeit Short mehrfach durch feinere Streifen abgeteilt gefunden, aber dieſe Linien oder Streifen ſind nie ſehr konſtant geweſen. Ganz neuerlich, in den letzten Monaten des Jahres 1850, haben Bond in Cambridge (Ver. St. von Amerika) durch den großen Refraktor von Merz (mit 14zölligem Objektive) am 11. November, Dawes bei Maidſtone in England am 25. No— vember, alſo nahe gleichzeitig, zwiſchen dem zweiten bisher ſogenannten inneren Ringe und dem Hauptplaneten einen dritten, ſehr matten und lichtſchwachen, dunkleren Ring entdeckt. Er iſt durch eine ſchwarze Linie von dem zweiten getrennt und füllt den dritten Teil des Raumes aus, welchen man zwiſchen dem zweiten Ringe und dem Körper des Pla⸗ neten bisher als leer angab und durch welchen Derham kleine Sterne will geſehen haben. Die Dimenſionen des geteilten Saturnsringes ſind von Beſſel und Struve beſtimmt worden. Nach dem letzteren — 376 — erſcheint uns der äußere Durchmeſſer des äußerſten Ringes in der mittleren Entfernung des Saturn unter einem Winkel von 40,09“, gleich 38300 geogr. Meilen (284200 km), der innere Durchmeſſer desſelben Ringes unter einem Winkel von 35,29“, gleich 23700 geogr. Meilen (249770 km). Für den äußeren Durchmeſſer des inneren (zweiten) Ringes erhält man 34,47“, für den inneren Durchmeſſer desſelben Ringes 26,67“. Den Zwiſchenraum, welcher den letztgenannten Ring von der Oberfläche des Planeten trennt, ſetzt Struve zu 4,34“. Die ganze Breite des erſten und zweiten Ringes iſt 3700 Meilen (27500 km), die Entfernung des Ringes von der Oberfläche des Saturn ungefähr 5000 Meilen (37100 km), die Kluft, welche den erſten Ring von dem zweiten trennt und welche der von Dominik Caſſini geſehene ſchwarze Teilungsſtrich be— zeichnet, nur 390 Meilen (2900 km). Von der Dicke dieſer Ringe glaubt man, daß ſie nicht 20 Meilen (148 km) über⸗ ſteige. Die Maſſe der Ringe iſt nach Beſſel —; der Saturns⸗ maſſe. Sie bieten einzelne Erhöhungen °* und Ungleichheiten dar, durch welche man annäherungsweiſe ihre Umdrehungszeit (der des Planeten vollkommen gleich) hat beobachten können. Die Unregelmäßigkeiten der Form offenbaren ſich bei dem Verſchwinden des Ringes, wo gewöhnlich der eine Henkel früher als der andere unſichtbar wird.““ Eine ſehr merkwürdige Erſcheinung iſt die von Schwabe zu Deſſau im September 1827 entdeckte exzentriſche Lage des Saturn. Der Saturnsring iſt nicht konzentriſch mit der Kugel ſelbſt, ſondern Saturn liegt im Ringe etwas weſtlich. Dieſe Beobachtung iſt von Harding, Struve, John Herſchel und South (teilweiſe durch mikrometriſche Meſſungen) beſtätigt worden. Kleine, periodiſch ſcheinende Verſchiedenheiten in der Quantität der Exzentrizität, die ſich aus Reihen korreſpon— dierender Beobachtungen von Schwabe, Harding und de Vico in Rom ergaben, ſind vielleicht in Oszillationen des Schwer— punktes des Ringes um den Mittelpunkt des Saturn gegründet. Auffallend iſt, daß ſchon am Ende des 17. Jahrhunderts ein Geiſtlicher, Gallet zu Avignon, ohne Erfolg verſucht hatte, die Aſtronomen ſeiner Zeit auf die exzentriſche Lage des Saturn aufmerkſam zu machen. °° Bei der fo überaus geringen und nach der Oberfläche abnehmenden Dichtigkeit des Saturn (vielleicht kaum / der Dichtigkeit des Waſſers) iſt es ſchwer, ſich eine Vorſtellung von dem Molekularzuſtande oder — 377 — der materiellen Beſchaffenheit des Planetenkörpers zu machen, oder gar zu entſcheiden, ob dieſe Beſchaffenheit wirk— liche Flüſſigkeit, d. h. Verſchiebbarkeit der kleinſten Teile, oder Starrheit (nach der ſo oft angeführten Analogie von Tannenholz, Bimsſtein, Kork oder eines erſtarrten Flüſ— ſigen, des Eiſes) vorausſetze. Der Aſtronom der Kruſen— ſternſchen Expedition, Horner, nennt den Saturnsring einen Wolkenzug; er will, daß die Berge des Saturn aus Dampf— maſſen und Dunſtbläschen beſtehen. Die Konjekturalaſtronomie treibt hier ein freies und erlaubtes Spiel. Ganz anderer Art ſind die ernſten, auf Beobachtung und analytiſchen Kalkül gegründeten Spekulationen über die Möglichkeit der Stabi— lität des Saturnsringes von zwei ausgezeichneten amerika— niſchen Aſtronomen, Bond und Peirce. Beide ſtimmen für das Reſultat der Flüſſigkeit, wie für fortdauernde Veränder— lichkeit in der Geſtalt und Teilbarkeit des äußeren Ringes. Die Erhaltung des Ganzen iſt von Peirce als von der Ein— wirkung und Stellung der Satelliten abhängig betrachtet worden, weil ohne dieſe Abhängigkeit, auch bei Ungleich— heiten im Ringe, ſich das Gleichgewicht nicht würde er— halten können. Satelliten des Saturn. Die fünf älteſten Saturnstrabanten wurden entdeckt zwiſchen den Jahren 1655 und 1684 (Titan, der ſechſte im Abſtande, von Huygens, und vier von Caſſini, nämlich: Japetus, der äußerſte aller, Rhea, Tethys und Dione). Auf die fünf älteſten Satelliten folgte 1789 die Entdeckung von zweien, dem Hauptplaneten am nächſten ſtehenden, Mimas und Enceladus, durch William Herſchel. Der ſiebente Sa— tellit, Hyperion endlich, der vorletzte im Abſtande, wurde von Bond zu Cambridge (Ver. St. von Am.) und von Laſſell zu Liverpool im September 1848 faſt gleichzeitig aufgefunden. Ueber die relative Größe und Verhältniſſe der Abſtände in dieſem Partialſyſteme iſt ſchon früher verhandelt (Gos mos Bd. I, S. 70 und Bd. III, S. 329). Die Umlaufszeiten und mittleren Entfernungen, letztere in Teilen des Aequatorial— halbmeſſers des Saturn ausgedrückt, ſind nach den Beob— achtungen, die Sir John Herſchel am Vorgebirge der guten Hoffnung zwiſchen 1835 und 1837 angeſtellt, folgende: Satelliten Satelliten nach Zeit der vac Umlaufszeit e Entvedung | Abſtänden Entfernung 15 1. Mimas 0% 22h 37“ 22,9“ 3,3607 E 5 : 2. Enceldus| 1 8 53 67 4,3125 e 3. Tethys 1 21 18 25,7 5,3396 a I “ 75 Dione 5 2 nA, 6,8398 5 5. Rhea 4 12 25 10,8 9,5528 a 6. Titan N 15 22 41 25,2 22,1450 | 5 h 7. Hyperion 22 12 ? 28,0000 ? b 8. Japetus 79 7 53 40,4 64,3590 Zwiſchen den erſten vier, dem Saturn nächſten Satelliten zeigt ſich ein merkwürdiges Verhältnis der Kommenſura— bilität der Umlaufszeiten. Die Periode des 3. Sa— telliten (Tethys) iſt das Doppelte von der des 1. (Mimas), der 4. Satellit (Dione) hat die doppelte Umlaufszeit des 2. (Enceladus). Die Genauigkeit geht bis auf 800 der längeren Periode. Dieſes nicht beachtete Reſultat iſt mir bereits im November 1845 in Briefen von Sir John Herſchel mitgeteilt worden. Die vier Trabanten des Jupiter zeigen eine gewiſſe Regelmäßigkeit in den Abſtänden, ſie bieten ziemlich nahe die Reihe 3.6.12 dar. Der 2. iſt vom 1. in Halbmeſſern des Jupiter entfernt 3,6, der 3. vom 2. 5,7, der 4. vom 3. 11,6. Das ſogenannte Geſetz von Titius haben dazu Fries und Challis in allen Satellitenſyſtemen, ſelbſt in dem des Uranus, nachzuweiſen verſucht. Uranus. Die anerkannte Exiſtenz dieſes Weltkörpers, die große Entdeckung von William Herſchel, hat nicht bloß die Zahl der ſeit Jahrtauſenden allein bekannten ſechs Hauptplaneten zuerſt vermehrt und den Durchmeſſer des planetariſchen Sonnen— — 379 — gebietes mehr als verdoppelt, ſie hat auch durch die Stö— rungen, welche Uranus aus lange unbekannter Ferne erlitt, nach 65 Jahren zu der Entdeckung des Neptun geleitet. Uranus wurde zufällig (13. März 1781) bei der Unterſuchung einer kleinen Sterngruppe in den Zwillingen durch ſeine kleine Scheibe erkannt, welche unter Vergrößerungen von 460 und 932mal weit mehr zunahm, als es der Fall war bei anderen daneben ſtehenden Sternen. Auch bemerkte der ſcharfſinnige, mit allen optiſchen Erſcheinungen ſo vertraute Entdecker, daß die Licht— intenſität bei ſtarker Vergrößerung in dem neuen Weltkörper beträchtlich abnahm, während ſie bei den Fixſternen gleicher (6. bis 7. Größe) dieſelbe blieb. Herſchel nannte den Uranus, als er ſeine Exiſtenz anfangs verkündete, einen Kometen, und erjt die vereinten Arbeiten von Saron, Lexell, Laplace und Mechain, welche durch des verdienſtvollen Bodes Auffindung (1784) älterer Beobachtungen des Geſtirnes von Tobias Mayer (1756) und Flamſteed (1690) ungemein erleichtert wurden, haben die elliptiſche Bahn des Uranus und ſeine ganz planetariſchen Elemente bewunderns— würdig ſchnell feſtgeſtellt. Die mittlere Entfernung des Uranus von der Sonne iſt nach Hanſen 19,18239 oder 396 ½ Millionen geogr. Meilen (2942 Millionen km), feine ſideriſche Umlaufszeit 843 5% 19 4136“, ſeine Neigung gegen die Ekliptik 0° 46“ 28“, der ſcheinbare Durchmeſſer in der mittleren Entfernung von der Erde 9,9“. Seine Maſſe, welche die erſten Trabantenbeobachtungen zu 5s beſtimmt 17918 hat, ergibt ſich nach Lamonts Beobachtung nur zu 888; danach fiele ſeine Dichtigkeit zwiſchen die des Jupiter und des Saturn. Eine Abplattung des Uranus wurde ſchon von Herſchel, als derſelbe Vergrößerungen von 800 bis 2400 mal anwandte, vermutet. Nach Mädlers Meſſungen in den Jahren 1842 und 1843 würde fie zwiſchen —; und Ji zu fallen ſcheinen. Daß die anfangs vermuteten zwei Ringe des Uranus eine optiſche Täuſchung waren, iſt von dem immer ſo vorſichtig und aus— dauernd prüfenden Entdecker ſelbſt erkannt worden. Satelliten des Uranus.“ „Uranus,“ ſagt Herſchel der Sohn, „iſt von 4, wahr⸗ ſcheinlich von 5 oder 6 Satelliten umgeben.“ Es bieten die- ſelben eine große, bisher noch nirgends im Sonnenſyſteme — 380 — aufgefundene Eigentümlichkeit dar, die nämlich, daß, wenn alle Satelliten (der Erde, des Jupiter, des Saturn), wie auch alle Hauptplaneten ſich von Weſt nach Oſt bewegen und, einige Aſteroiden abgerechnet, nicht viel gegen die Ekliptik ge- neigt ſind, die faſt ganz kreisförmige Bab hn der Uranus⸗ trabanten unter einem Winkel von 78“ 587, alſo nahe ſenk— recht auf der Ekliptik ſteht, und die Trabanten ſelbſt ſich von Dit nach Weſt bewegen. Bei den Satelliten des Uranus, wie bei denen des Saturn, ſind wohl zu unterſcheiden die Reihung und Nomenklatur der Zählung nach Maßgabe der Abſtände vom Hauptplaneten, und die Reihung nach Maß⸗ gabe der Epochen der Entdeckung. (S. Zuſätze am Schluß dieſes Bandes.] Von den Uranusſatelliten wurden zuerſt durch William Herſchel aufgefunden (1787) der 2. und 4., dann (1790) der 2. und 5., zuletzt (1794) der 6. und 3. In den 56 Jahren, welche ſeit der letzten Entdeckung eines Uranus⸗ ſatelliten (des 3.) verfloſſen ſind, iſt oft und mit Ungerechtig⸗ keit an der Exiſtenz von 6 Uranustrabanten gezweifelt worden; Beobachtungen der letzten 20 Jahre haben allmählich erwieſen, wie zuverläſſig der große Entdecker von Slough auch in dieſem Teile der planetariſchen Aſtronomie geweſen iſt. Es ſind bisher wiedergeſehen worden der 1., 2., 4. und 6. Satellit des Uranus. Vielleicht darf man auch den 3. hinzuſetzen, nach der Beobachtung Laſſells vom 6. November 1848. Wegen der großen Oeffnung ſeines Spiegelteleſkops und der dadurch erlangten Lichtfülle hielt Herſchel der Vater, bei der Schärfe ſeines Geſichtes, unter günſtigen Luftverhältniſſen ſchon eine Vergrößerung von 157mal für hinlänglich; der Sohn ſchreibt für dieſe ſo überaus kleinen Lichtſcheiben (Lichtpunkte) im all⸗ gemeinen eine 300 malige Vergrößerung vor. Der 2. und 4. Satellit ſind am früheſten, ſicherſten und häufigſten wieder⸗ geſehen worden von Sir John Herſchel in den Jahren 1828 bis 1834 in Europa und am Borgebtege der guten Hoffnung, ſpäter von Lamont in München und Laſſell in Liverpool. Der 1. Satellit des Uranus wurde von Laſſell (14. September bis 9. November 1847) und von Otto Struve (8. Oktober bis 10. Dezember 1847), der äußerſte (6.) von Lamont (1. Oktober 1837) aufgefunden. Noch gar nicht wiedergeſehen ſcheint 5 5., nicht befriedigend genug der 3. Satellit. Die hier zuſammengeſtellten Einzelheiten ſind auch deshalb nicht ohne Wichtigkeit, weil ſie von neuem zu der Vorſicht anregen, ſogenannten negativen Beweiſen nicht zuviel zu trauen. 1 — 381 — Neptun.“ Das Verdienſt, eine umgekehrte Störungsaufgabe (die: „aus den gegebenen Störungen eines bekannten Planeten die Elemente des unbekannten ſtörenden herzuleiten“) erfolgreich bearbeitet und veröffentlicht, ja durch eine kühne Vorher— verkündigung die große Entdeckung des Neptun von Galle am 23. September 1846 veranlaßt zu haben, gehört der ſcharf— ſinnigen Kombinationsgabe, der ausdauernden Arbeitſamkeit von le Verrier. Es iſt, wie Encke ſich ausdrückt, die glänzendſte unter allen Planetenentdeckungen, weil rein theo— retiſche Unterſuchungen die Exiſtenz und den Ort des neuen Planeten haben vorausſagen laſſen. Die ſo ſchnelle Auf— findung ſelbſt iſt durch die vortreffliche akademiſche Berliner Sternkarte von Bremiker begünſtigt worden. Wenn unter den Abſtänden der äußeren Planeten von der Sonne der Abſtand des Saturn (9,53) faſt doppelt ſo groß als der des Jupiter (5,20), der Abſtand des Uranus (19,18) aber mehr als das Doppelte von dem des Saturn iſt, ſo fehlen dagegen dem Neptun (30,04) zur abermaligen (dritten) Verdoppelung der Abſtände noch volle 10 Erdweiten, d. i. ein ganzes Drittel von ſeinem Sonnenabſtande. Die planetariſche Grenze iſt dermalen 621 Mill. geogr. Meilen (4600 Mill. km) von dem Centralkörper entfernt; durch die Entdeckung des Neptun iſt der Markſtein unſeres planetariſchen Wiſſens um mehr als 223 Mill. Meilen — 1640 Mill. km (über 10,8 Abſtände der Sonne von der Erde) weiter gerückt. Je nachdem man die Störungen er⸗ kennt, welche der jedesmalige letzte Planet erleidet, werden ſo allmählich andere und andere Planeten entdeckt werden, bis dieſe wegen ihrer Entfernung aufhören, unſeren Fernröhren ſichtbar zu ſein. Nach den neueſten Beſtimmungen iſt die Umlaufszeit des Neptun 60 126,7 Tage oder 164 Jahre und 226 Tage, und ſeine halbe große Achſe 30,03628. Die Erzentri- zität ſeiner Bahn, nächſt der der Venus die kleinſte, iſt 0,0871946, ſeine Maſſe s ſein ſcheinbarer Durch— meſſer nach Encke und Galle 2,70“, nach Challis ſogar 3,07“, was die Dichtigkeit im Verhältnis zu der der Erde zu 0,230, alſo größer als die des Uranus (0,178), gibt.““ — 382 — Dem Neptun wurde, bald nach der erſten Entdeckung durch Galle, von Laſſell und Challis ein Ring zugeſchrieben. Der erſtere hatte eine Vergrößerung von 567mal angewandt, und verſucht, die große Neigung des Ringes gegen die Ekliptik zu beſtimmen, aber ſpätere Unterſuchungen haben bei Neptun, wie lange vorher bei Uranus, den Glauben an einen Ring vernichtet. Ich berühre aus Vorſicht kaum in dieſem Werke die allerdings früheren, aber unveröffentlichten und durch einen anerkannten Erfolg nicht gekrönten Arbeiten des ſo ausge— zeichneten und ſcharfſinnigen engliſchen Geometers, Herrn J. C. Adams von St. Johns College zu Cambridge. Die hiſtoriſchen Thatſachen, welche ſich auf dieſe Arbeiten und auf le Verriers und Galles glückliche Entdeckung des neuen Pla: neten beziehen, ſind in zwei Schriften, von dem Astronomer royal Airy und von Bernhard von Lindenau, umſtändlich, parteilos und nach ſicheren Quellen entwickelt worden.““ Geiſtige Beſtrebungen, faſt gleichzeitig auf dasſelbe wichtige Ziel gerichtet, bieten in rühmlichem Wettkampfe ein um ſo lebhafteres Intereſſe dar, als ſie durch die Wahl der ange— wandten Hilfsmittel den dermaligen glänzenden Zuſtand des höheren mathematiſchen Wiſſens bezeugen. Satelliten des Neptun. Wenn in den äußeren Planeten die Exiſtenz eines Ringes bis jetzt ſich nur ein einziges Mal darbietet, und ſeine Seltenheit vermuten läßt, daß die Entſtehung und Bil— dung einer materiellen loſen Umgürtung von dem Zuſammen— treffen eigener, ſchwer zu erfüllender, Bedingniſſe abhängt, ſo iſt dagegen die Exiſtenz von Satelliten, welche die äußeren Hauptplaneten (Jupiter, Saturn, Uranus) begleiten, eine um ſo allgemeinere Erſcheinung. Laſſell erkannte ſchon anfang Auguſt 1847 mit Sicherheit“? den erſten Neptunstrabanten in ſeinem großen 20füßigen Reflektor mit 24zölliger Oeffnung. Otto Struve °? zu Pulkowa (11. September bis 20. Dezember 1847) und Bond, der Direktor der Sternwarte zu Cambridge in den Vereinigten Staaten von Nordamerika (16. September 1847) beſtätigen Laſſells Entdeckung. Die Pulkowaer Beob— achtungen gaben die Umlaufszeit des Neptunstrabanten zu — 383 — 5 2 217“, die Neigung der Bahn gegen die Ekliptik zu 34° 7°, die Entfernung vom Mittelpunkt des Hauptplaneten zu 54000 geogr. Meilen, die Maſſe zu 11. Drei Jahre ſpäter (14. Auguſt 1850) entdeckte Laſſell einen zweiten Neptunstrabanten, auf welchen er 628 malige Vergrößerungen anwandte. Dieſe 1 5 Entdeckung iſt, glaube ich, bisher noch nicht von anderen Beobachtern beſtätigt worden. Anmerkungen. (S. 349.) Vergl. die Beobachtungen des ſchwediſchen Mathe: matikers Bigerus Vaſſenius zu Gotenburg während der totalen Sonnenfinſternis des 2. Mai 1733, und den Kommentar dazu von Arago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1846, p. 441 und 462. Dr. Galle, welcher am 28. Juli 1851 zu Frauenburg beobachtete, ſah das „frei ſchwebende Wölkchen durch drei oder noch mehr Faſern mit der hakenförmigen (gekrümmten) Gibboſität verbunden.“ ? (S. 349.) Vergl., was ein ſehr geübter Beobachter, der Schiffskapitän Bérard, am 8. Juli 1842 in Toulon beobachtete. „Il vit une bande rouge très mince, dentelee irrégulièrement“; a. a. O. p. 416. (S. 349.) Dieſer Umriß des Mondes, während der totalen Sonnenfinſternis am 8. Juli 1842 von vier Beobachtern genau erkannt, war vorher bei ähnlichen Sonnenfinſterniſſen noch nie be- ſchrieben worden. Die Möglichkeit des Sehens von einem äußeren Mondumriſſe ſcheint abhängig von dem Lichte, welches die dritte, äußerſte Umhüllung der Sonne und der Lichtring (die Strahlen⸗ krone) geben. „La lune se projette en partie sur l’atmosphere du Soleil. Dans la portion de la lunette oü image de la lune se forme, il n'y a que la lumiere provenant de l’atmo- sphere terrestre. La lune ne fournit rien de sensible et, sem- blable a un écran, elle arrete tout ce qui provient de plus loin et lui correspond. En dehors de cette image, et preeise- ment à partir de son bord, le champ est Eclaire à la fois par la lumiere de l’atmosph£re terrestre et par la /umidre de l’atmosphere solaire. Supposons que ces deux lumieres r&unies forment un total plus fort de = que la lumiere atmosphe- rique terrestre, et, des ce moment, le bord de la lune sera visible. Ce genre de vision peut prendre le nom de vision negative; c'est en effet par une moindre intensite de la portion du champ de la lunette oü existe l'image de la lune, que le contour de cette image est aperęu. Si image était plus intense que le reste du champ, la vision serait positive.“ Arago a. a. O. p. 384. u eee e ZI (S. 350.) Bei dem Merkurdurchgange vom 4. Mai 1832 fanden Mädler und Wilhelm Beer den Durchmeſſer des Merkur 583 Meilen (4326 km); aber in der Ausgabe der Aſtronomie v. 1849 hat Mädler das Beſſelſche Reſultat vorgezogen. [Neuere Meſſungen geben dem Monde einen Aequatorialdurchm. von bloß 3480 km. — D. Herausg.] 5 (©. 350.) Der berühmte Verfaſſer geſteht aber ſelbſt, daß zur Beſtimmung der Merkurmaſſe er ſich gegründet habe auf die „hypothese très pr&caire qui suppose les densites de Mercure et de la Terre reciproque à leur moyenne distance du Soleil.“ — Ich habe weder der 58000 Fuß (18840 m) hohen Bergzüge auf der Merkurſcheibe, die Schröter gemeſſen haben will und die ſchon Kaiſer bezweifelt, noch der von Lemonnier und Meſſier behaupteten Sichtbarkeit einer Merkuratmoſphäre, während der Durchgänge vor der Sonne, noch der vorübergehenden Wolkenzüge und Oberflächen— verdunkelung auf dem Planeten erwähnen mögen. Bei dem Durch— gange, den ich in Peru am 8. November 1802 beobachtete, bin ich ſehr auf die Schärfe des Umriſſes des Planeten während des Austrittes aufmerkſam geweſen, habe aber nichts von einer Umhüllung bemerkt. s (©. 350.) Le Verrier hat die Maſſe des Merkur aus der anziehenden Kraft berechnet, die der Planet auf die Nachbarplane⸗ ten Venus und Erde ausübt, und in dem erſteren Falle, ab— weichend von den im dumboldtſchen Texte angegebenen Zahlen, gleich m in letzterem gleich = der Sonnenmaſſe gefunden. Beide Beſtimmungen find aber wegen der Kleinheit der ausgeübten Wir— kungen erheblich unſicher. Dagegen ergab ſich aus den Bewegungen des viel günſtigere Bedingungen bietenden Enckeſchen Kometen nach den neueren Berechnungen von Aſtens ein beträchtlich kleinerer Wert, nämlich 78887 8510 der Sonnenmaſſe, oder etwa —; der Maſſe der Erde. Die mittlere Dichtigkeit des Merkur iſt hiernach 0,8 im Vergleich zur Erde, oder etwa 4½ mal größer als die Dichtig⸗ keit des Waſſers bei 4° C. — [D. Herausg.] (S. 351.) „Der Ort der Venusbahn, in welchem der Planet uns in dem hellſten Lichte erſcheinen kann, ſo daß er ſelbſt mit unbewaffnetem Auge am Mittag zu ſehen iſt, liegt zwiſchen der unteren Konjunktion und der größten Digreſſion, nahe bei der letzten, nahe dem Abſtande von 40“ von der Sonne, oder von dem Orte der unteren Konjunktion. Im Mittel erſcheint Venus in ihrem ſchönſten Lichte, 40° öſtlich und weſtlich von der Sonne entfernt, wenn ihr ſcheinbarer Durchmeſſer, welcher in der unteren Kon— junktion bis auf 66“ anwachſen kann, nur etwa 40“ hat, und wenn die größte Breite ihrer beleuchteten Phaſe kaum 10“ mißt. Die Erdnähe gibt dann der ſchmalen Lichtſichel ein ſo intenſives Licht, daß ſie in der Abweſenheit der Sonne Schatten wirft. Ob Kopernikus die Notwendigkeit einer künftigen Entdeckung von Benus: phaſen vorherverkündigt hat, wie in Smiths Optics, Sect. 1050, und in vielen anderen Schriften wiederholt behauptet A. v. Humboldt, Kosmos. III. 25 — 386 — wird, iſt neuerlichſt durch Profeſſor de Morgans genauere Unter— ſuchung von dem Werke De Revolutionibus, wie es auf uns gekommen, überaus zweifelhaft geworden. (S. 351.) Le Verrier fand die Maſſe der Venus aus feiner Unterſuchung der Erdbewegung zu nn, aus der Marstheorie zu ir der Sonnenmaſſe, mithin nahe gleich s der Erdmaſſe. Die mittlere Dichtigkeit der Venus iſt daher ein wenig ('/s) geringer als die der Erde. — [D. Herausg.] 9 (S. 352.) Das Reſultat von Bianchini iſt verteidigt wor: den von Huſſey und Flaugergues; auch Hanſen, deſſen Autorität mit Recht ſo groß iſt, hielt es bis 1836 für das wahrſcheinlichere. (©. 352.) Arago über die Lilienthaler merkwürdige Beobachtung des 12. Auguſt 1790 im Annuaire pour 1842, p. 539. („Ce qui favorise aussi la probabilité de l’existence d'une atmosphere qui enveloppe Venus, c'est le résultat op- tique obtenu par l’emploi d'une lunette prismatique. L’inten- site de la lumiere de l’interieur du croissant est sensiblement plus faible que celle des points situes dans la partie cir- culaire du disque de la planète.“ Arago, Handſchriften von 1847.) 1 (S. 352.) Der ſogenannte Venusmond, den Fontana, Dominikus Caſſini und Short wollen erkannt haben, für den Yamz bert Tafeln berechnete, und der in Crefeld volle drei Stunden nach dem Austritt der Venus in dem Mittelpunkt der Sonnen⸗ ſcheibe ſoll geſehen worden ſein, gehört zu den aſtronomiſchen Mythen einer unkritiſchen Zeit. 1 (S. 353.) Der von Humboldt angegebene Wert hat lange als ſehr genau gegolten, bis in den letzten Dezennien aus anderen aſtronomiſchen Erſcheinungen, ſowie aus der Theorie der Planeten: bewegung mit ſteigender Sicherheit auf eine geringere Entfernung der Erde von der Sonne geſchloſſen werden mußte. Man nimmt fie gegenwärtig im Mittel zu 148 ½ Mill. km an, gegenüber den faſt 149 Mill. km, welche die frühere Ziffer darſtellt. — [D. Herausg. ] (S. 353.) Nach den neueſten Berechnungen von Clarke im Juni 1878 beträgt der Aequatorialhalbmeſſer der Erde 63 781,9 km, ihr Polarhalbmeſſer 63 564,55 km. — [D. Herausg.] 1 (S. 354.) „La lumiere de la lune est jaune, tandis que celle de Venus est blanche. Pendant le jour la lune parait blanche, parce qu'à la lumiere du disque lunaire se meéle la lumiere bleue de cette partie de l’atmosphere que la lumière jaune de la lune traverse.“ Arago in Handſchr. von 1847. Die am meiſten brechbaren Farben im Spektrum, von Blau bis Violett ergänzen ſich, Weiß zu bilden, mit den weniger brechbaren, von Rot bis Grün. 1 (S. 355.) Merkwürdig genug hat es mir immer geſchienen, — 387 — daß von den früheſten Zeiten her, wo Wärme nur durch das Ge— fühl beſtimmt wurde, der Mond zuerſt die Idee erregt hat, daß Licht und Wärme getrennt gefunden werden könnten. Bei den Indern heißt im Sanskrit der Mond als König der Sterne der kalte (sitala, hima), auch der kaltſtrahlende (himän’su), während die Sonne mit ihren Strahlenhänden ein Schöpfer der Wärme (nidäghakara) heißt. Die Flecken des Mondes, in denen weſtliche Völker ein Geſicht zu erkennen glauben, ſtellen nach indiſcher Anſicht ein Reh oder einen Haſen vor, daher die Sanskritnamen des Mondes Rehträger (mrigadhara, oder Haſenträger (ssa'sabhrit). Bei den Griechen wird geklagt, „daß das Sonnenlicht, von dem Monde reflektiert, alle Wärme verliere, ſo daß uns nur ſchwache Reſte davon überkommen“. In Macrobius heißt es: „Luna speculi instar lumen quo illu— stratur .. . . rursus emittit, nullum tamen ad nos perferentem sensum caloris: quia lucis radius, cum ad nos de origine sua, id est de Sole, pervenit, naturam secum ignis de quo nascitur devehit; cum vero in lunae corpus infunditur et inde re- splendet, solam refundit claritatem, non calorem.“ 16 (S. 355.) S. Lambert, Sur la lumière cendrée de la Lune in den Mem. de l'Acad. de Berlin, Année 1773, p. 46: „La Terre, vue des planètes, pourra paroitre d'une lumiere verdätre, & peu pres comme Mars nous paroit d'une couleur rougeätre.“ Wir wollen darum nicht mit dem ſcharfſinnigen Manne die Vermutung aufſtellen, daß der Planet Mars mit einer roten Vegetation, wie mit roſenroten Gebüſchen der Bougainvillaea bedeckt ſei. — „Wenn in Mitteleuropa der Mond kurz vor dem Neumonde in den Morgenſtunden am Oſthimmel ſteht, ſo erhält er das Erdlicht hauptſächlich von den großen Plateauflächen Aſiens und Afrikas. Steht der Mond aber nach dem Neumonde abends in Weſten, ſo kann er nur den Reflex von dem ſchmäleren amerikaniſchen Kontinent und haupt⸗ ſächlich von dem weiten Ozean in geringerer Menge empfangen.“ Wilhelm Beer und Mädler, Der Mond nach ſeinen kos— miſchen Verhältniſſen § 106, S. 152. 7 (S. 355.) Seance de l' Academie des Sciences le 5 aoüt 1833: „Mr. Arago signale la comparaison de Lin- tensité lumineuse de la portion de la lune que les rayons solaires éclairent directement, avec celle de la partie du m&me astre qui recoit seulement les rayons réfléchis par la terre. Il eroit d’apres les expériences qu'il a deja tentées à cet égard, qu'on pourra, avec des instruments perfectionnés, saisir dans la lumiere cendree les differences de l’eclat plus ou moins nuageux de l’atmosphere de notre globe. Il n'est donc pas impossible, malgré tout ce qu'un pareil résultat exciterait de surprise au premier coup d'oeil, qu'un jour les météorologistes aillent puiser dans l'aspect de la lune des notions precieuses — 388 — sur l’etat moyen de diaphanite de l’atmosphere terrestre, dans les hemispheres qui successivement concourent à la produc- tion de la lumière cendrée.“ 13 (S. 356.) „On congoit que la vivacite de la lumiere rouge ne depend pas uniquement de l'état de l’atmosphe£re, qui réfracte, plus ou moins affaiblis, les rayons solaires, en les infléchissant dans le cöne d’ombre; mais qu'elle est modi- fi6ee surtout par la transparence variable de la partie de l’atmosphere à travers laquelle nous apercevons la lune cclipsee. Sous les Tropiques, une grande serenite du ciel, une dissémination uniforme des vapeurs diminuent l’extinetion de la lumière que le disque lunaire nous renvoie.“ Humboldt, Voyage aux Régions éEduinoxiales T. III, p. 544 und Recueil d'Observ. astronomiques Vol. II, p. 145. (Arago bemerkt: „Les rayons solaires arrivent à notre satellite par l’effet d'une réfraction et à la suite d'une absorption dans les couches les plus basses de l’atmosphere terrestre; pour- raient-ils avoir une autre teinte que le rouge?“ Annuaire pour 1842, p. 528.) 19 (S. 356.) Babinet erklärt die Rötung für eine Folge der Diffraktion in einer Notiz über den verſchiedenen Anteil des weißen, blauen und roten Lichtes, welches ſich bei der „ine flexion erzeugt: „La lumière diffractee qui penetre dans l’ombre de la terre, predomine toujours et möme a été seille sensible. Elle est d'autant plus rouge ou orangee qu'elle se trouve plus pres du centre de l’ombre geometrique; car ce sont les rayons les moins réfrangibles qui se propagent le plus abondamment par diffraction, & mesure qu'on s’eloigne de la propagation en ligne droite.“ Die Phänomene der Diffraktion finden, nach den ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Magnus (bei Gelegenheit einer Diskuſſion zwiſchen Airy und Faraday), auch im luftleeren Raume ſtatt. 20 (S. 357.) Plutarch, Moral. ed. Wyttenb. T. IV, p. 780—783: „Die feurige, kohlenartig glimmende (Avdgazosıöng) Farbe des verfinſterten Mondes (um die Mitternachtsſtunde) iſt, wie die Mathematiker behaupten, ſchon des Wechſels wegen von Schwarz in Rot und Bläulich, keinesweges als eine der erdigen Oberfläche des Planeten eigentümliche Beſchaffenheit zu betrachten.“ Auch Dio Caſſius, der ſich ausführlich mit den Mondfinſter⸗ niſſen überhaupt, und mit merkwürdigen Edikten des Kaiſers Clau— dius, welche die Dimenſion des verfinſterten Teiles vorher— verkündigten, viel beſchäftigt, macht auf die ſo verſchiedene Färbung des Mondes während der Konjunktion aufmerkſam. „Groß,“ ſagt er, „ward die Verwirrung im Lager des Vitellius bei der in derſelben Nacht eintretenden Finſternis. Doch nicht ſowohl die Finſternis an ſich, obgleich ſie bei mangelnder Geiſtesruhe unglück⸗ bedeutend erſcheinen kann, als vielmehr der Umſtand, daß der Mond — 389 — in blutroter, ſchwarzer und anderen traurigen Farben ſpielte, er— füllte die Seele mit bangen Beſorgniſſen.“ 21 (S. 357.) Die jo oft angeführte, von dem beſſeren oder ſchlechteren Erkennen kleiner Oberflächengeſtaltungen hergenommene Beweis der Wirklichkeit einer Mondluft, und „der in den Thälern umherziehenden Mondnebel“ iſt der unhaltbarſte von allen, wegen der ſtets wechſelnden Beſchaffenheit (Verdunkelung und Erhellung) der oberen Schichten unſerer eigenen Atmoſphäre. Be— trachtungen über die Geſtalt des einen Mondhornes bei der Sonnenfinſternis am 5. September 1793 hatten William Herſchel auch ſchon gegen die Annahme einer Mondatmoſphäre entſcheiden laſſen. 8 22 (S. 357.) Sir John Herſchel macht aufmerkſam auf den Eintritt von ſolchen Doppelſternen, die wegen zu großer Nähe der Individuen, aus denen ſie beſtehen, nicht im Fernrohr getrennt werden können. 23 (S. 358.) „Der wahrſcheinliche Urſache der Irradiation iſt ein durch das Licht erregter Reiz, welcher ſich auf der Netzhaut ein wenig über den Umriß des Bildes fortpflanzt.“ 21 (S. 358.) Arago in den Comptes rendus T. VIII, 1839, p. 713 und 883: „Les phenomenes d'irradiation signalés par Mr. Plateau sont regardes par Mr. Arago comme les effets des aberrations de réfrangibilité et de sphericite de l’oeil, combines avec l'indistinction de la vision, consöquence de circonstances dans lesquelles les observateurs se sont places. Des mesures exactes prises sur des disques noirs à fond blanc et des disques blancs & fond noir, qui etaient places au Pa- lais du Luxembourg, visibles & l’Observatoire, n'ont pas in- dique les effets de l’irradiation.* 25 (S. 358.) Der Schatten des Athos, welchen auch der Reiſende Pierre Belon geſehen, traf die eherne Kuh auf dem Marktplatze der Stadt Myrine auf Lemnos. 26 (S. 358.) Es bedarf kaum einer Erinnerung, daß alles, was die Topographie der Mondfläche betrifft, aus dem vortreff— lichen Werke meiner beiden Freunde entlehnt iſt, von denen der erſte, Wilhelm Beer, uns nur zu früh entriſſen wurde. Zur leichteren Orientierung iſt das ſchöne Ueberſichtsblatt zu empfehlen, welches Mädler 1837, alſo drei Jahre nach der großen, aus vier Blättern beſtehenden Mondkarte herausgegeben hat. 27 (S. 358.) Plut., De facie in orbe Lunae p. 726 bis 729, Wyttenb. Dieſe Stelle iſt zugleich nicht ohne Intereſſe für die alte Geographie. (Nach einer ſehr merkwürdigen Stelle des Plutarch in dem Leben des Nicias Kap. 42 hat Anaragoras ſelbſt, der „den bergreichen Mond eine andere Erde“ nennt, eine Zeichnung der Mondſcheibe entworfen. — Ich war einſt ſehr verwun⸗ dert, einen ſehr gebildeten Perſer aus Iſpahan, welcher gewiß nie ein griechiſches Buch geleſen hatte, als ich ihm in Paris die Mond— — 390 — flecken in einem großen Fernrohr zeigte, die im Text erwähnte Hypotheſe des Ageſianax von Spiegelung als eine in ſeinem Vater: lande viel verbreitete anführen zu hören. „Was wir dort im Monde ſehen,“ ſagte der Perſer, „ſind wir ſelbſt; es iſt die Karte unſerer Erde.“ Einer der Interlokutoren des Plutarchiſchen Mond: geſpräches würde ſich nicht anders ausgedrückt haben. — Wenn auf dem luft- und waſſerleeren Monde Menſchen als Bewohner gedacht werden könnten, ſo würde ſich ihnen an dem faſt ſchwarzen Tageshimmel in I4mal größerer Fläche, als die iſt, welche uns der Vollmond zuwendet, die rotierende Erde mit ihren Flecken gleich einer Weltkarte und zwar immer an derſelben Stelle dar— bieten. Die ſtets wechſelnden Verdeckungen und Trübungen unſerer Atmoſphäre würden aber dem geographiſchen Studium etwas hinder— lich ſein und die Umriſſe der Kontinente verwiſchen. 28 (S. 361.) Höchſter Gipfel des Himalaya und (bisher!) der ganzen Erde, Kinchin-junga, nach Waughs neuerer Meſſung (8587 m) 4406 Toiſen oder 28 178 engliſche Fuß (1,16 einer geogr. Meile); höchſter Gipfel der Mondberge nach Mädler 3800 Toiſen = 7401 m (genau eine geogr. Meile); Durchmeſſer des Mondes 454, der der Erde 1718 geogr. Meilen, woraus folgt für den Mond = für die Erde 118 29 (S. 363.) Robert Hooke, Micrographia 1667, Obs. LX, p. 242 246: „These seem to me to have been the effects of some motions within the body of the Moon, analogous to our Earthquakes, by the eruption of which, as it has thrown up a brim or ridge round about, higher than the ambient surface of the Moon, so has it left a hole or depression in the middle, proportionably lower.“ Hooke jagt von feinem Ber: juche mit boyling alabaster, daß „presently ceasing to boyl, the whole surface will appear all over covered with small pits, exactly shap'd like these of the Moon. — The earthy part of the Moon has been undermin’d or heav'd up by eruptions of vapours, and thrown into the same kind ot figured holes as the powder of Alabaster. It is not improb- able also, that there may be generated, within the body of the Moon, divers such kind of internal fires and heats, as may produce exhalations.“ 0 (S. 363.) Ptolemäus hat 24 (178 km), Alfons und Hipparch haben 19 Meilen (141 km) Durchmeſſer. 1 (S. 363.) Im Einklang mit dem Ergebnis neuerer experi— menteller Forſchungen kann man die eigentümlichen Oberflächen: bildungen des Mondes, wie ſie uns in den ſogenannten Kratern entgegentreten, als Blaſenbildungen bezeichnen, die durch das Ent— weichen innerer Gaſe verurſacht wurden. Die Natur der wenigſten dieſer Gebilde hat etwas mit derjenigen unſerer Krater gemein. — [D. Herausg.] — 391 — * (S. 364.) Eine Ausnahme ſollen machen Arzachel und Herkules; der erſte mit einem Krater im Gipfel, der zweite mit einem Seitenkrater. Dieſe geognoſtiſch-wichtigen Punkte verdienen neue Unterſuchung mit vollkommneren Inſtrumenten. Von Lava— ſtrömen, die ſich in tiefen Punkten anhäufen, iſt bisher nie etwas erkannt worden. Die Strahlen, welche vom Ariſtoteles nach drei Richtungen ausgehen, ſind Hügelketten. 3 (S. 364.) Einer ähnlichen Täuſchung wie die vermeint⸗ lichen und ſichtbaren vulkaniſchen Ausbrüche im Monde gehören an, nach neueren, gründlicheren Unterſuchungen, die beobachteten temporären Veränderungen auf der Oberfläche des Mondes (Ent— ſtehung neuer Centralberge und Krater im Mare Crisium, in Hevelius und Cleomedes). — Die Frage, welches die kleinſten Gegenſtände ſeien, deren Höhe oder Ausdehnung bei dem jetzigen Zuſtande der angewandten Inſtrumente noch gemeſſen werden können, iſt im allgemeinen ſchwer zu beantworten. Nach dem Be— richte des Dr. Robinſon über das herrliche Spiegelteleſkop von Lord Roſſe erkennt man darin mit großer Klarheit Ausdehnungen von 220 Fuß (80 bis 90 Yard = 73 bis 82 m). Mädler rechnet, daß in ſeinen Beobachtungen noch Schatten von drei Sekunden meßbar waren, was, unter gewiſſen Vorausſetzungen über die Lage eines Berges und die Höhe des Sonnenſtandes, einer Berghöhe von 120 Fuß (39 m) zugehören würde. Er macht aber zugleich darauf aufmerkſam, daß der Schatten eine gehörige Breite haben müſſe, um ſichtbar und meßbar zu ſein. Der Schatten der großen Pyra— mide des Cheops würde, nach den bekannten Dimenſionen (Flächen— . ausdehnungen) dieſes Monumentes, ſelbſt im Anfangspunkte kaum % Sekunde breit und alſo unſichtbar ſein. Arago erinnert, daß mit einer Vergrößerung von 6000 mal, die ohnedies nicht mit ver: hältnismäßigem Erfolge auf den Mond anzuwenden wäre, die Mondberge uns ungefähr ebenſo erſcheinen würden, als mit bloßem Auge der Montblane vom Genfer See aus. (S. 364.) Die Rillen ſind nicht häufig, höchſtens 30 Meilen (220 km) lang; bisweilen gegabelt (Gaſſendi), jelten aderartig (Triesnecker), immer leuchtend, nicht quer über Ge— birge hinlaufend, nur den ebeneren Landſchaften eigen; an den End— punkten durch nichts ausgezeichnet, ohne breiter oder ſchmäler zu werden. [Gegenwärtig kennt man 400 —500 folder Rillen; über das eigentliche Weſen derſelben iſt man noch nicht recht im klaren, wenn man ſie ſich nicht etwa als gewaltige Riſſe im Boden be— trachten darf. — D. Herausg.] 35 (S. 365.) Laplaces Betrachtungen (ich möchte fie nicht Bor: ſchläge nennen) zu einem perpetuierlichen Mondſcheine haben von Liouville eine Widerlegung gefunden. „Quelques partisans des causes finales,“ jagt Laplace, „ont imagine que la lune a été donnee à la terre pour l’eclairer pendant les nuits; dans ce cas, la nature n'aurait point atteint le but qu'elle se serait — 392 — proposé, puisque nous sommes souvent privés à la fois de la lumiere du soleil et de celle de la lune. Pour y parvenir, il eüt suffi de mettre a l’origine la lune en opposition avec le soleil dans le plan meme de l'écliptique, à une distance égale à la centième partie de la distance de la terre au soleil, et de donner à la lune et à la terre des vitesses paralleles et proportionnelles à leurs distances à cet astre. Alors la lune, sans cesse en opposition au soleil, eüt decrit autour de lui une ellipse semblable à celle de la terre; ces deux astres se seraient succédé l'un à l’autre sur I horizon; et comme & cette distance la lune n’eüt point été éclipsée, sa lumiere aurait certainement remplace celle du soleil.“ Liouville findet dagegen: „Que, si la lune avait occupé à origine la position particuliere que l’illustre auteur de la Mecanique celeste lui assigne, elle n'aurait pu sy maintenir que pendant un temps tres court.“ 3 (S. 365.) Sir John Herſchel hält es „für ſehr wahr: ſcheinlich, daß auf dem Monde eine ſehr hohe Temperatur herrſche (weit über dem Siedepunkt des Waſſers), da die Oberfläche 14 Tage lang ununterbrochen und ungemildert der Sonnenwirkung ausgeſetzt ſei. Der Mond müſſe daher in der Oppoſition oder wenige Tage nachher in einem kleinen Maße (in some small degree) eine Wärmequelle für die Erde werden; aber dieſe Wärme, von einem Körper ausſtrömend, der weit unter der Temperatur eines brennenden Körpers ſei (below the temperature of ignition), könne nicht die Erdfläche erreichen, indem ſie in den oberen Schichten unſeres Luftkreiſes abſorbiert und verbraucht werde, wo ſie ſicht⸗ bares Gewölk in durchſichtigen Dampf verwandele.“ Die Erſcheinung der ſchnellen Wolkenzerſtreuung durch den Vollmond bei nicht über: mäßiger Wolkenbedeckung wird von Sir John Herſchel „als eine meteorologiſche Thatſache“ betrachtet, „die (ſetzt er hinzu) von Humboldts eigener Erfahrung und dem ſehr allgemeinen Glauben ſpaniſcher Seefahrer in den amerikaniſchen Tropenmeeren bekräf— tigt ſei“. >” (S. 365.) Die erſte und beträchtliche Verbeſſerung der Rotationszeit, welche Dominik Caſſini 24h 40“ gefunden, war die Folge mühevoller Beobachtungen von William Herſchel (zwiſchen 1777 und 1781), welche 24 h 39“ 21,7“ gaben. Kunowsky fand 1821 24h 36° 40°, ſehr nahe dem Mädlerſchen Reſultate. Caſſinis älteſte Beobachtung der Rotation eines Marsfleckens ſcheint bald nach dem Jahre 1670 geweſen zu ſein; aber in der ſehr ſeltenen Abhandlung: Kern, Diss. de seintillatione stellarum, Wittemb. 1686, $ 8, finde ich als die eigentlichen Entdecker der Mars- und Jupitersrotationen angeführt: „Salvator Serra und den Pater Aegidius Franciscus de Cottiguez, Aſtronomen des Collegio Romano.“ as (S. 365.) Der aus der Bewegung der beiden Marsſatelliten — 39. — abgeleitete Wert beträgt nach Hall 353805 der Sonnenmaſſe oder etwa i der Maſſe der Erde, und hiernach die Dichtigkeit des Maxs 10 bloß 0,71 jener Erde. [D. Herausg.] » (S. 366.) Schröters ſehr unvollkommene Meſſungen der Durchmeſſer der Planeten gaben dem Mars eine Abplattung von nur 20 #0 (S. 366.) Aus den Meſſungen von Main folgt der Betrag der Marsabplattung zu 405 Hartwig fand - 75, Kaiſer nur , und die Beobachtungen Beſſels ergaben gar keinen Unterſchied zwiſchen den in verſchiedenen Richtungen gemeſſenen Durchmeſſern. Jeden— falls liegt der wahre Wert der Abplattung hart an der Grenze des mit unſeren gegenwärtigen Mitteln Meßbarem, auch hat man auf * Wege ſie nur zu — gefunden. (D. Herausg.] (S. 366.) Die Marsatmoſphäre iſt heute faſt zur Ge: wißheit erhoben. Bemerkt ſei auch noch, daß im Auguſt 1877 die wiſſenſchaftliche Welt durch die Nachricht überraſcht wurde, wonach Aſaph Hall mit dem mächtigen Teleſkope der Waſhing— toner Sternwarte zwei Satelliten des bis dahin für mondlos ge— haltenen Mars entdeckt habe. Hinſichtlich ihres Volumens gehören dieſe Marsmonde wohl zu den kleinſten Körpern unſeres Sonnen: ſyſtems, denn ihre Durchmeſſer ergeben ſich zu noch nicht 10 km. [D. Herausg. #2 (©. 367.) Der bittere Tadel, welchen man gegen einen hochgeachteten Philoſophen ausgeſprochen, „weil er zu einer Zeit, in der er Piazzis Entdeckung allerdings ſeit fünf Monaten hätte kennen können, ſie aber nicht kannte, nicht ſowohl die Wahrſcheinlich— keit als vielmehr nur die Notwendigkeit leugnete, daß ein Planet zwiſchen Mars und Jupiter liege“, ſcheint mir wenig gerecht. Hegel in ſeiner im Frühjahr und Sommer 1801 ausgearbeiteten Disser— tatio de Orbitis Planetarum behandelt die Ideen der Alten von dem Abſtande der Planeten; und indem er die Reihung an- führt, N der Plato im Timäus (pag. 35 Steph.) ſpricht: 2 4.9. 8 . 27 . . ., leugnet er die Notwendigkeit einer Kluft. Er ſagt bloß: „‚Quae series si verior naturae ordo sit quam arithmetica progressio, inter quartum et quintum locum magnum esse spatium, neque ibi planetam desiderari apparet.“ — Kant in feiner geiftreihen Naturgeſchichte des Himmels, 1755, äußert bloß, daß bei der Bildung der Planeten Jupiter durch ſeine ungeheure Anziehungskraft an der Kleinheit des Mars ſchuld ſei. Er erwähnt nur einmal und auf eine ſehr unbeſtimmte Weiſe „der Glieder des Sonnenſyſtems, die weit von— einander abſtehen und zwiſchen denen man bie Zwiſchenteile noch nicht e hat“. (S. 370.) Herr Daniel Kirkwood (von der Pottsville he hat geglaubt, das Unternehmen wagen zu dürfen, den — 394 — geplatzten Urplaneten nach Art der urweltlichen Tiere aus fragmen— taziſchen Ueberreſten wieder herzuſtellen. Er findet demſelben einen Durchmeſſer größer als Mars (von mehr als 1080 geographiſchen Meilen = 8000 km), und die langſamſte aller Rotationen eines Hauptplaneten, eine Tageslänge von 57 Stunden. (S. 370.) Nach Kaiſer iſt der äquatoriale Durchmeſſer des Jupiter bloß 140 700 km, der polare 132 400 km. [D. Herausg.] #5 (S. 370.) Der Umlauf um die Sonne erfolgt nach neueren Berechnungen in 11 Jahren 317 Tagen 14 Stunden. [D. Herausg.] 4 (S. 371.) Aeltere und unſichere Beobachtungen gaben ſo— gar —. Laplace findet theoretiſch bei zunehmender Dichte der 24 Schichten zwiſchen e und —;. | (S. 370.) Newtons unſterbliches Werk Philosophiae Naturalis Principia mathematica erſchien ſchon im Mai 1687, und die Schriften der Pariſer Akademie enthalten die An— zeige von Caſſinis Beſtimmung der Abplattung (z) erſt im Jahre 1691, ſo daß Newton, der allerdings die Pendelverſuche zu Cayenne von Richer aus der 1679 gedruckten Reiſe kennen konnte, die Ge—⸗ ſtalt des Jupiter durch mündlichen Verkehr und die damals jo reg— ſame briefliche Korreſpondenz muß erfahren haben. #3 (S. 372.) „On sait qu'il existe au-dessus et au-dessous de l’&quateur de Jupiter deux bandes moins brillantes que la surface generale. Si on les examine avec une lunette, elles paraissent moins distinctes & mesure qu'elles s’eloignent du centre, et m&me elles deviennent tout-a-fait invisibles pres des bords de la planète. Toutes ces apparences sexpliquent en admettant l’existence d’une atmosphere de nuages interrompue aux environs de l’equateur par une zone diaphane, produite peut-etre par les vents alises. L’atmosphere de nuages re- tlechissant plus de lumiere que le corps solide de Jupiter, les parties de ce corps que Fon verra à travers la zone diaphane, auront moins d'éclat que le reste et formeront les bandes obscures. A mesure qu'on s’eloignera du centre, le rayon visuel de l’observateur traversera des épäisseurs de plus en plus grandes de la zone diaphane, en sorte qu’a la lumiere reflechie par le corps solide de la planète s’ajoutera la lu- miere reflöchie par cette zone plus epaisse. Les bandes seront par cette raison moins obscures en s’eloignant du centre. Enfin aux bords m&mes la lumière reflechie par la zone vue dans la plus grande épaisseur pourra faire disparaitre la difference d'intensité qui existe entre les quantites de lumiere réfléchie par la planète et par l’atmosphere de nuages; on cessera alors d’apercevoir les bandes qui n’existent qu'en vertu de cette difference. — On observe dans les pays de montagnes quelque chose d’analogue: quand on se trouve pres d'une for&t de sapin, elle parait noire; mais à mesure qu'on Sen = ü VE eloigne, les couches d'atmosphère interposces devieunent de plus en plus epaisses et réfléchissent de la lumiere. La diffe- rence de teinte entre la forét et les objets voisins diminue de plus en plus, elle finit par se confondre avec eux, si 'on s’en éloigne d'une distance convenable.“ (Aus Aragos Vor— trägen über Aſtronomie 1841.) * (S. 374.) Die neueren Unterſuchungen über Saturn haben zu folgenden Ergebniſſen geführt: Seine Entfernung von der Sonne ſchwankt wegen der Exzentrizität ſeiner Bahn (½s) zwiſchen 1330 und 1490 Mill. km. Seine Bahn iſt gegen die Ekliptik 2° 307 geneigt. Einen ganzen Umlauf um die Sonne vollendet Saturn erſt in 29 Jahren 174 Tagen. Seine Abplattung beträgt 7527 ſein wahrer Durchmeſſer am Aequator 118300, der polare 105 500 km. Die Materie des Saturn iſt ungemein locker, ihre Dichte nur 0,13 der mittleren Dichte der Erde. Die Rotation fand Aſaph Hall (1876) zu 10h 18° 23,8“. [D. Herausg.] 50 (S. 374.) Die früheſten, ſorgfältigſten Beobachtungen von William Herſchel im November 1793 gaben für die Rotation des Saturn 10 16° 44“. Mit Unrecht iſt dem großen Weltweiſen Immanuel Kant zugeſchrieben worden, er habe in ſeiner geiſt— reichen Allgemeinen Naturgeſchichte des Himmels 40 Jahre vor Herſchel nach theoretiſchen Betrachtungen die Rotationszeit des Saturn erraten. Die Zahl, die er angibt, iſt 6b 23° 53“. Er nennt ſeine Beſtimmung „die mathematiſche Berechnung einer un— bekannten Bewegung eines Himmelskörpers, welche vielleicht die ein— zige Vorherverkündigung ihrer Art in der eigentlichen Natur— lehre iſt und von den Beobachtungen künftiger Zeiten die Be— ſtätigung erwartet“. Dieſe Beſtätigung des Geahneten iſt gar nicht eingetroffen; Beobachtungen haben einen Irrtum von ½ des Ganzen, d. i. von vier Stunden, offenbart. Von dem Ringe des Saturn wird in derſelben Schrift geſagt, daß „in der Anhäufung von Teilchen, welche ihn bilden, die des inwendigen Randes ihren Lauf in zehn Stunden, die des auswendigen Randes ihn in fünf— zehn Stunden verrichten“. Die erſte dieſer Ringzahlen ſteht allein der beobachteten Rotationszeit des Planeten (10h 297 1) zufällig nahe. 51 (S. 374.) Laplace ſchätzt die Abplattung I- Die ſonder⸗ bare Abweichung des Saturn von der ſphäroidalen Figur, nach welcher William Herſchel durch eine Reihe mühevoller, und noch dazu mit ſehr verſchiedenen Fernröhren angeſtellter Beobachtungen die größte Achſe des Planeten nicht im Aequator ſelbſt, ſondern in einem den Aequatorialdurchmeſſer unter einem Winkel von un⸗ gefähr 45“ ſchneidenden Durchmeſſer fand, iſt durch Beſſel nicht beſtätigt, ſondern irrig befunden worden. (S. 375.) Auch dieſer Unterſchied der Lichtintenſität des äußeren und inneren Ringes iſt bereits von Dominikus Caſſini angegeben worden. — 396 — (S. 375.) Die Veröffentlichung der Entdeckung oder vielmehr der vollſtändigen Erklärung aller Erſcheinungen, welche Saturn und ſein Ring darbieten, geſchah erſt vier Jahre ſpäter, im Jahre 1659, im Systema Saturnium. 4 (S. 376.) Solche bergartige Unebenheiten hat neuerlichſt wieder Laſſell in Liverpool in einem ſelbſtfabrizierten 20füßigen Spiegelteleſkop erkannt. > (S. 376.) Nach unſerem heutigen Wiſſen von den Saturn— ringen ſteht es feſt, daß ſie nicht ſelbſtleuchtend ſind, ſondern ihr Licht von der Sonne empfangen. Die ſchmale Kante des Ring— ſyſtems iſt kaum mehr als 200 km breit. Tiſſerands neue, auf die Bewegung des innerſten Saturnmondes Mimas gegründete Berechnung der Maſſe der Ringe hat zu dem erheblich kleineren Werte von Rn geführt, wonach die mittlere Dicke der Ringe nicht viel mehr als 40 km betrüge. Nach Cl. Maxwells auf theoretiſchem Wege begründeter Anſicht iſt weder ein feſter noch ein flüſſiger Zuſtand der Ringe aus mechaniſchen Motiven zuläſſig, vielmehr iſt die wahrſcheinlichſte Annahme die, daß der Ring aus einer Un— menge getrennter feſter oder flüſſiger Teilchen beſtehe, die regellos zerſtreut oder auch in einzelnen Ringen zuſammengeſchart, mit einer ihrer Entfernung vom Planeten entſprechenden Geſchwindigkeit ihn umkreiſen. [D. Herausg.] 56 (©. 376.) Man lieſt in den Actis Eruditorum pro anno 1684, p. 424 als Auszug aus dem Systema phaenome- norum Saturni autore Galletio, proposito ecel. Avenio- nensis: „Nonnunquam corpus Saturni non exacte annuli medium obtinere visum fuit. Hine evenit, ut, quum planeta orientalis est, centrum ejus extremitati orientali annuli propius videatur, et major pars ab oceidentali latere sit cum ampliore obscuri- tate.“ (S. 378.) Die neueſten Angaben über Uranus lauten: Um: laufszeit 84 Jahre 28 Tage, Exzentrizität ſeiner Bahn 0,045, Ent⸗ fernung von der Sonne im Aphel 2980, im Perihel 2716 Mill. Km. Wahrer Durchmeſſer 50000 km. Maſſe —— der Sonne, Dichte 22600 0,24 der Erde. Ueber die Rotationsdauer herrſcht völlige Un— gewißheit. Abplattung nach Mädler ungefähr g, was aber an: gezweifelt wird. [D. Herausg.] „(S. 379.) Nach unſerer heutigen Kenntnis reduziert ſich die Zahl der Uranustrabanten auf nur vier. [D. Herausg.] . (©. 381.) Die Entfernung Neptuns von der Sonne ſchwankt zwiſchen 4413 und 4493 Mill. Km. Umlaufszeit 164 Jahre 321 Tage, Exzentrizität 0,009, Maſſe nach Neweomb 18 der Sonnenmaſſe. Ueber Neptuns phyſiſche Beſchaffenheit, Rotation u. ſ. w. wiſſen wir abſolut nichts. Er hat einen Trabanten. [D. Herausg.] — % (S. 381.) Das ſehr wichtige Element der Maſſe des — 397 — 1 Neptun iſt allmählich gewachſen von 5357 nach Adams, on nach Peirce, t nach Bond und id nach John Herſchel, nach Laſſell, 15480 auf — nach Otto und Auguſt Struve. Das letzte Pulkowaer 14449 Reſultat ift in den Text aufgenommen worden. 61 (S. 382.) Le Verrier, von Arago dazu aufgefordert, fing im Sommer 1845 an, die Uranustheorie zu bearbeiten. Die Er— gebniſſe ſeiner Unterſuchung legte er dem Inſtitut am 10. November 1845, am 1. Juni, 31. Auguſt und 5. Oktober 1846 vor, und veröffentlichte zugleich dieſelben; die größte und wichtigſte Ar— beit le Verriers, welche die Auflöſung des ganzen Problems ent— hält, erſchien aber in der Connaissance des temps pour l’an 1849. Adams legte, ohne etwas dem Druck zu übergeben, die erſten Reſultate, die er für den ſtörenden Planeten erhalten hatte, im September des Jahres 1845 dem Profeſſor Challis, und mit einiger Abänderung im Oktober desſelben Jahres dem Astronomer royal vor. Der letztere empfing mit neuen Korrektionen, welche ſich auf eine Verminderung des Abſtandes bezogen, die letzten Reſul— tate von Adams im Anfange des Septembers 1846. Der junge Geometer von Cambridge drückt ſich über die chronologiſche Folge von Arbeiten, welche auf einen und denſelben großen Zweck ge— richtet waren, mit ſo viel edler Beſcheidenheit als Selbſtverleug— nung aus: „J mention these earlier dates merely to show, that my results were arrived at independently and previously to the publication of M. le Verrier, and not with the intention of interfering with his just claims to the honors of the dis- covery; for there is no doubt that his researches were first published to the world, and led to the actual discovery of the planet by Dr. Galle: so that the facts stated above cannot detract, in the slightest degree, from the credit due to M. le Verrier.“ Da in der Geſchichte der Entdeckung des Neptun oft von einem Anteil geredet worden iſt, welchen der große Königsberger Aſtronom früh an der ſchon von Alexis Bouvard (dem Verfaſſer der Uranus— tafeln) im Jahre 1834 geäußerten Hoffnung „von der Störung des Uranus durch einen uns noch unbekannten Planeten“ genommen habe, ſo iſt es vielleicht vielen Leſern des Kosmos angenehm, wenn ich hier einen Teil des Briefes veröffentliche, welchen Beſſel mir unter dem 8. Mai 1840 (alſo zwei Jahre vor ſeinem Geſpräche mit Sir John Herſchel bei dem Beſuche zu Collingwood) geſchrieben hat: „Sie verlangen Nachricht von dem Planeten jenſeits des Uranus. Ich könnte wohl auf Freunde in Königsberg verweiſen, die aus Mißverſtändnis mehr davon zu wiſſen glauben als ich ſelbſt. Ich hatte die Entwickelung des Zuſammenhanges zwiſchen den aſtro— nomiſchen Beobachtungen und der Aſtronomie zum Gegen— ſtande einer (am 28. Februar 1840 gehaltenen) öffentlichen Vorleſung gewählt. Das Publikum weiß keinen Unterſchied zwiſchen beiden; ſeine Anſicht war alſo zu berichtigen. Die Nachweiſung der Ent— wickelung der aſtronomiſchen Kenntniſſe aus den Beobachtungen führte natürlich auf die Bemerkung, daß wir noch keineswegs be— haupten können, unſere Theorie erkläre alle Bewegungen der Pla— neten. Die Beweiſe davon gab der Uranus, deſſen alte Beob— achtungen gar nicht in Elemente paſſen, welche ſich an die ſpäteren von 1783 bis 1820 anſchließen. Ich glaube Ihnen ſchon einmal geſagt zu haben, daß ich viel hierüber gearbeitet habe, allein da— durch nicht weiter gekommen bin, als zu der Sicherheit, daß die vorhandene Theorie, oder vielmehr ihre Anwendung auf das in unſerer Kenntnis vorhandene Sonnenſyſtem, nicht hinreicht, das Rätſel des Uranus zu löſen. Indeſſen darf man es deshalb, meiner Meinung nach, nicht als unauflösbar betrachten. Zuerſt müſſen wir genau und vollſtändig wiſſen, was von dem Uranus beobachtet iſt. Ich habe durch einen meiner jungen Zuhörer, Flem— ming, alle Beobachtungen reduzieren und vergleichen laſſen; und damit liegen mir nun die vorhandenen Thatſachen vollſtändig vor. So wie die alten Beobachtungen nicht in die Theorie paſſen, ſo paſſen die neueren noch weniger hinein; denn jetzt iſt der Fehler ſchon wieder eine ganze Minute, und wächſt jährlich um?“ bis 8“, ſo daß er bald viel größer ſein wird. Ich meinte daher, daß eine Zeit kommen werde, wo man die Auflöſung des Rätſels vielleicht in einem neuen Planeten finden werde, deſſen Elemente aus ihren Wirkungen auf den Uranus erkannt und durch die auf den Saturn beſtätigt werden könnten. Daß dieſe Zeit ſchon vorhanden ſei, bin ich weit entfernt geweſen zu ſagen, allein verſuchen werde ich jetzt, wie weit die vorhandenen Thatſachen führen können. Es iſt dieſes eine Arbeit, die mich ſeit ſo vielen Jahren begleitet und derentwegen ich ſo viele verſchiedene Anſichten verfolgt habe, daß ihr Ende mich vorzüglich reizt und daher ſo bald als irgend möglich herbeigeführt werden wird. Ich habe großes Zutrauen zu Flemming, der in Danzig, wohin er berufen iſt, dieſelbe Reduktion der Beob— achtungen, welche er jetzt für Uranus gemacht hat, für Saturn und Jupiter fortſetzen wird. Glücklich iſt es, meiner Anſicht nach, daß er (für jetzt) kein Mittel der Beobachtung hat und zu keinen Vor— leſungen verpflichtet iſt. Es wird auch ihm wohl eine Zeit kommen, wo er Beobachtungen eines beſtimmten Zweckes wegen an— ſtellen muß; dann ſoll es ihm nicht mehr an den Mitteln dazu fehlen, ſo wenig ihm jetzt ſchon die Geſchicklichkeit fehlt.“ 6? (S. 382.) Der erſte Brief, in welchem Laſſell die Entdeckung ankündigte, war vom 6. Auguſt 1847. (S. 382.) Aus den Beobachtungen von Pulkowa berechnete Auguſt Struve in Dorpat die Bahn des erſten Neptunstrabanten. Pr . eK ee ee ee ee III. Die Kometen. Die Kometen, welche Xenokrates und Theon der Alexan— driner Lichtgewölke nennen, die nach überkommenem altem chaldäiſchen Glauben Apollonius der Myndier „aus großer Ferne auf langer (geregelter) Bahn periodiſch aufſteigen“ läßt, bilden im Sonnengebiet, der Anziehungskraft des Central— körpers unterworfen, doch eine eigene, abgeſonderte Gruppe von Weltkörpern. Sie unterſcheiden ſich von den eigentlichen Planeten nicht bloß durch ihre Exzentrizität und, was noch weſentlicher iſt, durch das Durchſchneiden der Planetenkreiſe, ſie bieten auch eine Veränderlichkeit der Geſtaltung, eine Wandelbarkeit der Umriſſe dar, welche bei einigen Individuen 3. B. an dem von Heinſius fo genau beſchriebenen Klinken— bergiſchen Kometen von 1744 und am Halleyſchen Kometen in der letzten Erſcheinung vom Jahre 1835) ſchon in wenigen Stunden bemerkbar geworden iſt. Als noch nicht durch Encke unſer Sonnenſyſtem mit inneren von den Planetenbahnen eingeſchloſſenen, Kometen kurzer Umlaufszeit bereichert worden war, leiteten dogmatiſche, auf falſche Analogieen ge— gründete Träume über die mit dem Abſtande von der Sonne geſetzlich zunehmende Exzentrizität, Größe und Undichtig— keit der Planeten auf die Anſicht, daß man jenſeits des Saturn erzentriſche planetariſche Weltkörper von ungeheurem Volum entdecken werde, „welche Mittelſtufen von Planeten und Kometen bilden, ja daß der letzte, äußerſte Planet ſchon ein Komet genannt zu werden verdiene, weil er vielleicht die Bahn des ihm nächſten, vorletzten Planeten, des Saturn, durchſchneide“.! Eine ſolche Anſicht der Verkettung der Ge— ſtalten im Weltbau, analog der oft gemißbrauchten Lehre von dem Uebergange in den organiſchen Weſen, teilte Immanuel Kant, einer der größten Geiſter des 18. Jahrhunderts. Zu . 00 zwei Epochen, 26 und 91 Jahre nachdem die Naturge— ſchichte des Himmels von dem Königsberger Philoſophen dem großen Friedrich zugeeignet ward, ſind Uranus und Neptun von William Herſchel und Galle aufgefunden worden, aber beide Planeten haben eine geringere Exzentrizität als Saturn, ja wenn die des letzteren 0,056 iſt, ſo beſitzt dagegen der äußerſte aller uns jetzt bekannten Planeten, Neptun, die Erzentrizität 0,008, faſt der der ſonnennahen Venus (0,006) gleich. Uranus und Neptun zeigen dazu nichts von den ver— kündigten kometiſchen Eigenſchaften. Als in der uns näheren Zeit allmählich (ſeit 1819) fünf innere Kometen dem von Encke folgten, und gleichſam eine eigene Gruppe bildeten, deren halbe große Achſe der von den kleinen Planeten der Mehrzahl nach ähnlich iſt, wurde die Frage aufgeworfen, ob die Gruppe der inneren Kometen nicht urſprünglich ebenſo einen einzigen Weltkörper bildete wie nach der Hypotheſe von Olbers die kleinen Planeten, ob der große Komet ſich nicht durch Einwirkung des Mars in mehrere geteilt habe, wie eine ſolche Teilung als Bipartition gleichſam unter den Augen der Beobachter im Jahre 1846 bei der letzten Wiederkehr des inneren Kometen von Biela vor— gegangen iſt. Gewiſſe Aehnlichkeiten der Elemente haben den Profeſſor Stephen Alexander (von dem College of New Jersey) zu Unterſuchungen veranlaßt? über die Möglichkeit eines ge— meinſamen Urſprunges der Aſteroiden zwiſchen Mars und Jupiter mit einigen oder gar allen Kometen. Auf die Gründe der Analogie, welche von den Nebelhüllen der Aſteroiden her— genommen ſind, muß nach allen genaueren neueren Beob— achtungen Verzicht geleiſtet werden. Die Bahnen der kleinen Planeten ſind zwar auch einander nicht parallel, ſie bieten in der Pallas allerdings die Erſcheinung einer übergroßen Nei— gung der Bahn dar; aber bei allem Mangel des Parallelismus unter ihren eigenen Bahnen durchſchneiden ſie doch nicht kometenartig irgend eine der Bahnen der großen alten, d. h. früher entdeckten Planeten. Dieſer, bei jeglicher Annahme einer primitiven Wurfrichtung und Wurfgeſchwindigkeit überaus weſentliche Umſtand ſcheint außer der Verſchiedenheit in der phyſiſchen Konſtitution der inneren Kometen und der ganz dunſtloſen kleinen Planeten die Gleichheit der Entſtehung beider Arten von Weltkörpern ſehr unwahrſcheinlich zu machen. Auch hat Laplace in ſeiner Theorie planetariſcher Geneſis aus um die Sonne kreiſenden Dunſtringen, in welchen ſich } * — 41 — die Materie um Kerne ballt, die Kometen ganz von Pla— neten trennen zu müſſen geglaubt: „Dans l’hypothese de zones de vapeurs et d'un noyau s’accroissant par la con- densation de l’atmosphere qui l’environne, les comötes sont etrangeres au systeme planetaire.“ Wir haben bereits in dem Naturgemälde darauf auf: merkſam gemacht, wie die Kometen bei der kleinſten Maſſe den größten Raum im Sonnengebiete ausfüllen, auch nach der Zahl der Individuen (die Wahrſcheinlichkeitsrechnung, ge— gründet auf gleichmäßige Verteilung der Bahnen, Grenzen, der Sonnennähe und der Möglichkeit des Unſichtbar— bleibens, führt auf die Exiſtenz vieler Tauſende von ihnen) übertreffen ſie alle anderen planetariſchen Weltkörper. Wir nehmen vorſichtig die Aerolithen oder Meteoraſteroiden aus, da ihre Natur noch in großes Dunkel gehüllt bleibt. Man muß unter den Kometen die unterſcheiden, deren Bahn von den Aſtronomen berechnet worden iſt, und ſolche, von denen teils nur unvollſtändige Beobachtungen, teils bloße An— deutungen in den Chroniken vorhanden ſind. Da nach Galles letzter genauer Aufzählung 178 bis zum Jahre 1847 berechnet wurden, ſo kann man mit den bloß angedeuteten wohl wieder als Totalzahl bei der Annahme von ſechs- bis ſiebenhundert geſehenen Kometen beharren.“ Als der von Halley ver: kündigte Komet von 1682 im Jahre 1759 wieder erſchien, hielt man es für etwas ſehr Auffallendes, daß in demſelben Jahre drei Kometen ſichtbar wurden. Jetzt iſt die Lebhaftig— keit der Erforſchung des Himmelsgewölbes gleichzeitig an vielen Punkten der Erde ſo groß, daß 1819, 1825 und 1840 in jedem Jahre vier, 1825 fünf, ja 1846 acht erſchienen und berechnet wurden. . An mit unbewaffnetem Auge gejehenen Kometen iſt die letzte Zeit wiederum reicher als das Ende des vorigen Jahr— hunderts geweſen, aber unter ihnen bleiben die von großem Glanze im Kopf und Schweif auch ihrer Seltenheit wegen immer eine merkwürdige Naturerſcheinung. Es iſt nicht ohne Intereſſe, aufzuzählen, wieviel dem bloßen Auge ſichtbare Kometen in Europa während der letzten Jahrhunderte? ſich gezeigt haben. Die reichſte Epoche war das 16. Jahrhundert mit 23 ſolchen Kometen. Das 17. zählte 12, und zwar nur zwei in ſeiner erſten Hälfte. Im 18. Jahrhundert erſchienen bloß 8, aber 9 allein in den erſten 50 Jahren des 19. Jahr: hunderts. Unter dieſen waren die ſchönſten die von 1807, A. v. Humboldt, Kosmos. III. 26 — 402 — 1811, 1819, 1835 und 1843. In früheren Zeiten ſind mehrmals 30 bis 40 Jahre verfloſſen, ohne daß man ein ein- ziges Mal ſolches Schauſpiel genießen konnte. Die ſcheinbar kometenarmen Jahre mögen indeſſen doch reich an großen Ko— meten ſein, deren Perihel jenſeits der Bahnen des Jupiter und Saturn liegt. Der teleſkopiſchen Kometen werden jetzt im Durchſchnitt in jedem Jahre wenigſtens 2 bis 3 entdeckt. In drei aufeinander folgenden Monaten hat (1840) Galle 3 neue Kometen, von 1764 bis 1798 Meſſier 12, von 1801 bis 1827 Pons 27 gefunden. So ſcheint ſich Keplers Aus— ſpruch über die Menge der Kometen im Weltraum (ut pisces in Oceano) zu bewähren. Von nicht geringer Wichtigkeit iſt die ſo ſorgfältig auf— gezeichnete Liſte der in China erſchienenen Kometen, welche Eduard Biot aus der Sammlung von Ma:tuan-lin bekannt gemacht hat. Sie reicht bis über die Gründung der ioniſchen Schule des Thales und des lydiſchen Alyattes hinaus, und begreift in zwei Abſchnitten den Ort der Kometen von 613 Jahren vor unſerer Zeitrechnung bis 1222 nach derſelben, und dann von 1222 bis 1644, die Periode, in welcher die Dynaſtie der Ming herrſchte. Ich wiederhole hier (. Kos— mos Bd. I, S. 268, Anm. 12), daß, während man Kometen von der Mitte des 3. bis Ende des 14. Jahrhunderts nach ausschließlich chineſiſchen Beobachtungen hat berechnen müſſen, die Berechnung des Halleyſchen Kometen bei ſeinem Erſcheinen im Jahre 1456 die erſte Kometenberechnung war nach den ausſchließlich europäiſchen Beobachtungen, und zwar nach denen des Regiomontanus. Dieſen letzteren folgten abermals bei einem Wiedererſcheinen des Halleyſchen Kometen die ſehr ge— nauen des Apianus zu Ingolſtadt im Auguſt des Jahres 1531. In die Zwiſchenzeit fällt (Mai 1500) ein durch afri— kaniſche und braſiliſche Entdeckungsreiſen berühmt gewordener, prachtvoll glänzender Komet,“ der in Italien Signor astone, die große Aſta, genannt wurde. In den chineſiſchen Be— obachtungen hat, durch Gleichheit der Elemente, Laugier eine ſiebente Erſcheinung des Halleyſchen Kometen (die von 1378) erkannt, ſowie auch der von Galle am 6. März entdeckte dritte Komet von 1840 mit dem von 1097 identiſch zu ſein ſcheint. Auch die Mexikaner knüpften in ihren Jahrbüchern Begebenheiten an Kometen und andere Himmelsbeobachtungen. Ich habe den Kometen von 1490, welchen ich in der mexi— kaniſchen Handſchrift von le Tellier aufgefunden und in meinen — 403 — Monuments des peuples indigenes de l’Amerique habe abbilden laſſen, ſonderbar genug, nur in dem chineſiſchen Kometenregiſter als im Dezember desſelben Jahres beobachtet erkannt. Die Mexikaner hatten ihn in ihre Regiſter einge— tragen 28 Jahre früher als Cortes an den Küſten von Vera— cruz (Chalchiuhcuecan) zum erſtenmal erſchien. Von der Geſtaltung, der Form-, Licht- und Farbenände⸗ rung der Kometen, den Ausſtrömungen am Kopfe, welche zurückgebeugt' den Schweif bilden, habe ich nach den Beob— achtungen von Heinſius (1744), Beſſel, Struve und Sir John Herſchel umſtändlich im Naturgemälde (Kosmos Bd. J, S. 73 bis 77) gehandelt. Außer dem prachtvollen Kometen von 1843, der in Chihuahua (Nordweſtamerika) von Bowring von 9 Uhr morgens bis Sonnenuntergang wie ein kleines weißes Gewölk, in Parma von Amici am vollen Mittag 1“ 23“ öſtlich von der Sonne? geſehen werden konnte, iſt auch in der neueſten Zeit der von Hind in der Gegend von Capella entdeckte erſte Komet des Jahres 1847 am Tage des Perihels zu London nahe bei der Sonne ſichtbar geweſen. Zur Erläuterung deſſen, was oben von der Bemerkung chineſiſcher Aſtronomen bei Gelegenheit ihrer Beobachtung des Kometen vom Monat März 837, zur Zeit der Dynaſtie Thang, gejagt worden iſt, ſchalte ich hier, aus dem Ma⸗tuan⸗lin über⸗ ſetzt, die wörtliche Angabe des Richtungsgeſetzes des Schweifes ein. Es heißt dasſelbe: „Im allgemeinen ift bei einem Ko— meten, welcher öſtlich von der Sonne ſteht, der Schweif, von dem Kern an gerechnet, gegen Oſten gerichtet; erſcheint aber der Komet im Weſten der Sonne, ſo dreht ſich der Schweif gegen Weſten.“ Fracaſtoro und Apianus ſagten beſtimmter und noch richtiger: „Daß eine Linie in der Richtung der Achſe des Schweifes, durch den Kopf des Kometen verlängert, das Centrum der Sonne trifft.“ Die Worte des Seneca (Nat. Quaest. VII, 20): „Die Kometenſchweife fliehen vor den Sonnenſtrahlen“ ſind auch bezeichnend. Während unter den bis jetzt bekannten Planeten und Kometen ſich in den, von der halben großen Achſe abhängenden Umlaufszeiten die kürzeſten zu den längſten bei den Planeten wie 1: 683 verhalten, ergibt ſich bei den Kometen das Verhältnis wie 1: 2670. Es iſt Merkur (87,97) mit Neptun (60 126,7), und der Komet von Ende (3,3 Jahre) mit dem von Gott— fried Kirch zu Koburg, Newton und Halley beobachteten Ko— meten von 1680 (8814 Jahre) verglichen. Die Entfernung — 404 — des unſerem Sonnenſyſteme nächſten Fixſternes (z Centauri) von dem, in einer vortrefflichen Abhandlung von Encke be— ſtimmten Aphel (Punkt der Sonnenferne) des zuletzt genannten Kometen, die geringe Geſchwindigkeit ſeines Laufes (10 Fuß — 3,25 m in der Sekunde) in dieſem äußerſten Teile ſeiner Bahn, die größte Nähe, in welche der Lexell-Burckhardtſche Komet von 1770 der Erde (auf 6 Mondfernen), der Komet von 1680 (und noch mehr der von 1843) der Sonne ge— kommen ſind, habe ich im Kosmos (Bd. I, S. 80 bis 81 und Bd. III, S. 260 bis 261) bereits abgehandelt. Der zweite Komet des Jahres 1819, welcher in beträchtlicher Größe plötzlich in Europa aus den Sonnenſtrahlen heraustrat, iſt ſeinen Elementen zufolge am 26. Juni (leider ungeſehen!) vor der Sonnenſcheibe vorübergegangen.!“ Eben dies muß der Fall geweſen ſein mit dem Kometen von 1823, welcher außer dem gewöhnlichen, von der Sonne abgekehrten, auch einen anderen, der Sonne gerade zugewandten Schweif zeigte. Haben die Schweife beider Kometen eine beträchtliche Länge gehabt, ſo müſſen dunſtartige Teile derſelben, wie gewiß öfters geſchehen, ſich mit unſerer Atmoſphäre gemiſcht haben. Es iſt die Frage aufgeworfen worden, ob die wunder— ſamen Nebel von 1783 und 1831, welche einen großen Teil unſeres Kontinents bedeckten, Folge einer ſolchen Vermiſchung geweſen ſind? Während die Quantität der ſtrahlenden Wärme, welche die Kometen von 1680 und 1843 in ſo großer Sonnennähe empfingen, mit der Fokaltemperatur eines 32zölligen Brenn— ſpiegels verglichen wird, will ein mir lange befreundeter, hoch— verdienter Aſtronom, daß „alle Kometen ohne feſten Kern (wegen ihrer übermäßig geringen Dichtigkeit) keine Sonnen— wärme, ſondern nur die Temperatur des Weltraumes haben“. Erwägt man die vielen und auffallenden Analogieen der Er— ſcheinungen, welche nach Meloni und Forbes leuchtende und dunkle e darbieten, ſo ſcheint es ſchwer, bei dem dermaligen Zuſtande unſerer phyſikaliſchen Gedankenverbindun— gen nicht in der Sonne ſelbſt Prozeſſe anzunehmen, welche gleichzeitig durch Aetherſchwingungen (Wellen verſchiedener Länge) ſtrahlendes Licht und ſtrahlende Wärme erzeugen. Der angeblichen Verfinſterung des Mondes durch einen Kometen im Jahre 1454, welche der erſte Ueberſetzer des byzantiniſchen Schriftſtellers Georg Phranza, der Jeſuit Pontanus, in einer Münchener Handſchrift glaubte aufgefunden zu haben, iſt lange — 405 — in vielen aſtronomiſchen Schriften gedacht worden. Dieſer Durchgang eines Kometen zwiſchen Erde und Mond im Jahre 1454 iſt ebenſo irrig als der von Lichtenberg behauptete des Kometen von 1770. Das Chronikon des Phranza iſt vollſtändig zum erſtenmal zu Wien 1796 erſchienen, und es heißt ausdrücklich darin, daß im Weltjahre 6962, während daß ſich eine Mondfinfternis ereignete, ganz auf die ge wöhnliche Weiſe nach der Ordnung und der Kreis⸗ bahn der himmliſchen Lichter ein Komet, einem Nebel ähnlich, erſchien und dem Monde nahe kam. Das Weltjahr (= 1450) iſt irrig, da Phranza beſtimmt ſagt, die Mond⸗ finſternis und der Komet ſeien nach der Einnahme von Konſtantinopel (19. Mai 1453) geſehen worden, und eine Mondfinſternis wirklich am 12. Mai 1454 eintraf. (S. Jacobs in Zachs monatl. Korreſp. Bd. XXIII, 1811, S. 196 bis 202.) Das Verhältnis des Lexellſchen Kometen zu den Jupiters⸗ monden, die Störungen, die er durch ſie 18 un auf ihre Umlaufszeiten einzuwirken (Kosmos Bd. I, S. 81), ſind von le Verrier genauer unterſucht worden. Messer entdeckte dieſen merkwürdigen Kometen als einen ſchwachen Nebelfleck im Schützen am 14. Juni 1770, aber 8 Tage ſpäter leuchtete ſein Kern ſchon als ein Stern zweiter Größe. Vor dem Perihel war kein Schweif ſichtbar, nach demſelben entwickelte ſich derſelbe durch geringe Ausſtrömungen kaum bis 1° Länge. Lexell fand ſeinem Kometen eine elliptiſche Bahn und die Um: laufszeit von 5,585 Jahren, was Burckhardt in ſeiner vor— trefflichen Preisſchrife von 1806 beſtätigte. Nach Clauſen hat er ſich (den 1. Juli 1770) bis auf 363 Erdhalbmeſſer (311000 geogr. Meilen = 2307 756 km oder 6 Mondfernen) der Erde genähert. Daß der Komet nicht früher (März 1776) und nicht ſpäter (Oktober 1781) geſehen wurde, iſt, nach Lexells früherer Vermutung, von Laplace in dem 4. Bande des Mécanique celeste durch Störung von ſeiten des Jupiterſyſtems bei den Annäherungen in den beiden Jahren 1767 und 1779 analytiſch dargethan worden. Le Verrier findet, daß nach einer Hypotheſe über die Bahn des Kometen derſelbe 1779 durch die Kreiſe der Satelliten durchgegangen ſei, nach einer anderen von dem 4. Satelliten nach außen weit entfernt blieb. Der Molekularzuſtand des ſo ſelten begrenzten Kopfes oder Kernes wie der des Schweifes der Kometen iſt um ſo — 406 — rätſelhafter, als derſelbe keine Strahlenbrechung veranlaßt, und als durch Aragos wichtige Entdeckung (Kosmos Bd. I, ©. 77 und 270, Anm. 27—30) in dem Kometenlichte ein An— teil von polariſiertem, alſo von reflektiertem Sonnenlichte erwieſen wird. Wenn die kleinſten Sterne durch die dunit: artigen Ausſtrömungen des Schweifes, ja faſt durch das Centrum des Kernes ſelbſt, oder wenigſtens in größter Nähe des Centrums, in ungeſchwächtem Glanze geſehen werden („per Cometem non aliter quam per nubem ulteriora cernuntur“, Seneca, Nat. Quaest. VII, 18), fo zeigt da- gegen die Analyſe des Kometenlichtes in Aragos Verſuchen, denen ich beigewohnt, daß die Dunſthüllen trotz ihrer Zartheit fremdes Licht zurückzuwerfen fähig ſind,!! daß dieſe Welt— körper eine unvollkommene Durchſichtigkeit haben, da das Licht nicht ungehindert durch ſie durchgeht. In einer ſo lockeren Nebelgruppe erregen die einzelnen Beiſpiele großer Lichtintenſität, wie in dem Kometen von 1843, oder des ftern- artigen Leuchtens eines Kernes um ſo mehr Verwunderung, als man eine alleinige Zurückwerfung des Sonnenlichtes an— nimmt. Sollte aber in den Kometen nicht daneben auch ein eigener lichterzeugender Prozeß vorgehen? Die ausſtrömenden, verdunſtenden Teile aus Millionen Meilen langen, beſenartigen, gefächerten Schweifen verbreiten ſich in den Weltraum und bilden vielleicht entweder ſelbſt das widerſtand leiſtende, hemmende Fluidum, welches die Bahn des Enckeſchen Kometen allmählich verengt, oder ſie miſchen ſich mit dem alten Weltenſtoffe, der ſich nicht zu Himmels— körpern geballt, oder zu der Bildung des Ringes verdichtet hat, welcher uns als Tierkreislicht leuchtet. Wir ſehen gleich— ſam vor unſeren Augen materielle Teile verſchwinden, und ahnen kaum, wo ſie ſich wiederum ſammeln. So wahr— ſcheinlich nun auch die Verdichtung einer den Weltraum füllenden gasartigen Flüſſigkeit in der Nähe des Central— körpers unſeres Syſtemes iſt, ſo kann bei den Kometen, deren Kern nach Valz ſich in der Sonnennähe verkleinert, dieſe da verdichtete Flüſſigkeit doch wohl nicht als auf eine blaſen— artige Dunſthülle drückend gedacht werden.? Wenn bei den Ausſtrömungen der Kometen die Umriſſe der lichtreflektierenden Dunſtteile gewöhnlich ſehr unbeſtimmt ſind, ſo iſt es um ſo auffallender und für den Molekularzuſtand des Geſtirnes um jo lehrreicher, daß bei einzelnen Individuen (z. B. bei dem Halleyſchen Kometen Ende Januar 1836 am Kap der guten — 407 — Hoffnung) eine Schärfe der Umriſſe in dem paraboliſchen vorderen Teile des Körpers beobachtet worden iſt, welche kaum eine unſerer Haufenwolken uns je darbietet. Der be— rühmte Beobachter am Kap verglich den ungewohnten, von der Stärke gegenſeitiger Anziehung der Teilchen zeugenden Anblick mit einem Alabaſtergefäß, das von innen ſtark er— leuchtet iſt. Seit dem Erſcheinen des aſtronomiſchen Teiles meines Naturgemäldes hat die Kometenwelt ein Ereignis dar— geboten, deſſen bloße Möglichkeit man wohl vorher kaum ge— ahnt hatte. Der Bielaſche Komet, ein innerer, von kurzer, 6°; jähriger Umlaufszeit, hat ſich in zwei Kometen von ähn⸗ licher Geſtalt, doch ungleicher Dimenſion, beide mit Kopf und Schweif, geteilt. Sie haben ſich, ſolange man ſie beobachten konnte, nicht wieder vereinigt, und ſind geſondert faſt parallel miteinander fortgeſchritten. Am 19. Dezember 1845 hatte Hind in dem ungeteilten Kometen ſchon eine Art Protuberanz gegen Norden bemerkt, aber am 21. war noch (nach Enckes Beobachtung in Berlin) von einer Trennung nichts zu ſehen. Die ſchon erfolgte Trennung wurde in Nordamerika zuerſt am 29. Dezember 1845, in Europa erſt um die Mitte und das Ende Januar 1846 erkannt. Der neue, kleinere Komet ging nördlich voran. Der Abſtand beider war anfangs 3, ſpäter (20. Februar) nach Otto Struves intereſſanter Zeichnung, 6 Minuten.! Die Lichtſtärke wechſelte, jo daß der allmäh- lich wachſende Nebenkomet eine Zeitlang den Hauptkometen an Lichtſtärke übertraf. Die Nebelhüllen, welche jeden der Kerne umgaben, hatten keine beſtimmten Umriſſe, die des größeren Kometen zeigte ſogar gegen SSW eine lichtſchwache Anſchwellung, aber der Himmelsraum zwiſchen den beiden Kometen wurde in Pulkowa ganz nebelfrei geſehen.!“ Einige Tage ſpäter hat Lieutenant Maury in ä in einem 9zölligen Münchener Refraktor Strahlen bemerkt, welche der größere, ältere Komet dem kleineren, neueren zuſandte, ſo daß wie eine brückenartige Verbindung eine Zeitlang entſtand. Am 24. März war der kleinere Komet wegen zunehmender Lichtſchwäche kaum noch zu erkennen. Man ſah nur noch den größeren bis zum 16. bis 20. April, wo dann auch dieſer verſchwand. Ich habe dieſe wunderſame Erſcheinung in ihren Einzelheiten beſchrieben, ſoweit dieſelben haben beobachtet werden können. Leider iſt der eigentliche Akt der Trennung und der kurz vorhergehende Zuſtand des älteren Kometen der — 408 — Beobachtung entgangen. Iſt der abgetrennte Komet uns nur unſichtbar geworden wegen Entfernung und 9 Licht⸗ ſchwäche, oder hat er ſich aufgelöſt? Wird er als Begleiter wieder erkannt werden und wird der Bielaſche Komet bei anderen Wiedererſcheinungen ähnliche Anomalieen darbieten? Die Entſtehung eines neuen planetariſchen Weltkörpers durch Teilung regt natürlich die Frage an, ob in der Un— zahl um die Sonne kreiſender Kometen nicht mehrere durch einen ähnlichen Prozeß entſtanden ſind oder noch täglich ent— ſtehen? Ob ſie durch Retardation, d. h. ungleiche Geſchwindig⸗ keit im Umlauf und ungleiche Wirkung der Störungen nicht auf verſchiedene Bahnen geraten können? In einer ſchon früher berührten Abhandlung von Stephen Alexander iſt ver— ſucht worden, die Geneſis der genannten inneren Ko— meten durch die Annahme einer ſolchen, wohl nicht genugſam begründeten Hypotheſe zu erklären. Auch im Altertum ſcheinen ähnliche Vorgänge beobachtet, aber nicht hinlänglich beſchrieben worden zu ſein. Seneca führt nach einem, wie er freilich ſelbſt ſagt, unzuverläſſigen Zeugen an, daß der Komet, welcher des Unterganges der Städte Helice und Bura beſchuldigt ward, ſich in zwei Teile ſchied. Er ſetzt ſpöttiſch hinzu: Warum hat niemand zwei Kometen ſich zu einem vereinigen ſehen?!“ Die chineſiſchen Aſtronomen reden von „drei gekuppelten Ko— meten“, die im Jahre 896 erſchienen und zuſammen ihre Bahn durchliefen. Unter der großen Zahl berechneter Kometen ſind bisher acht bekannt, deren Umlaufszeit eine geringere Dauer als die Umlaufszeit des Neptun hat. Von dieſen acht ſind ſechs innere Kometen, d. h. ſolche, deren Sonnenferne kleiner als ein Punkt in der Bahn des Neptun iſt, nämlich die Kometen von Encke (Aphel 4,09), de Vico 6,02), Brorſen (5,64), Faye (5,93), Biela (6, 19) und d'Arreſt (6,44). Den Abſtand der Erde von der Sonne —1 geſetzt, haben die Bahnen aller dieſer ſechs inneren Kometen Aphele die zwiſchen Hygiea (3,15) und einer Grenze liegen, welche faſt um 1¼ Abſtände der Erde von der Sonne jenſeits Jupiter (5,20) liegt. Die zwei anderen Kometen, ebenfalls von geringerer Umlaufszeit als Neptun, ſind der 74jährige Komet von Olbers und der 76jährige Komet von Halley. Dieſe beiden letzten waren bis zum Jahre 1819, in welchem Encke zuerſt die Exiſtenz eines inneren Kometen erkannte, unter den damals berechneten Kometen die von der — 409 — kürzeſten Umlaufszeit. Der Olbersſche Komet von 1815 und der Halleyſche liegen nach der Entdeckung des Neptun in ihrer Sonnenferne nur 4 und 57 Abſtände der Erde von der Sonne jenſeits der Grenze, die ſie als innere Kometen würde betrachten laſſen. Wenn auch die Benennung innerer Komet mit der Entdeckung transneptuniſcher Planeten Aenderungen erleiden kann, da die Grenze, die einen Welt— körper zu einem inneren Kometen macht, veränderlich iſt, ſo hat ſie doch vor der Benennung Kometen kurzer Dauer den Vorzug, in jeder Epoche unſeres Wiſſens von etwas Be— ſtimmtem abhängig zu ſein. Die jetzt ſicher berechneten ſechs inneren Kometen variieren allerdings in der Umlaufszeit nur von 3,3 bis 7,4 Jahre; aber wenn die 16jährige Wiederkehr des von Peters am 26. Juni 1846 zu Neapel entdeckten Ko- meten (des 6. Kometen des Jahres 1846, mit einer halben großen Achſe von 6,32) ſich beſtätigte,!“ fo iſt vorherzuſehen, daß ſich allmählich in Hinſicht auf die Dauer der Umlaufs— zeit Zwiſchenglieder zwiſchen den Kometen von Faye und Olbers finden werden. Dann wird es in der Zukunft ſchwer fein, eine Grenze für die Kürze der Dauer zu be- ſtimmen. Hier folgt die Tabelle (ſ. S. 410), in welcher Dr. Galle die Elemente der ſechs inneren Kometen zu— ſammengeſtellt hat. Es folgt aus der hier gegebenen Ueberſicht, daß ſeit der Erkennung des Enckeſchen!? Kometen als eines inneren im Jahre 1819 bis zur Entdeckung des inneren d'Arreſtſchen Kometen kaum 32 Jahre verfloſſen ſind. Elliptiſche Elemente für den letztgenannten hat auch Yvon Villarceau in Schu: machers Aſtron. Nachr. Nr. 773 gegeben und zugleich mit Valz einige Vermutungen über Identität mit dem von la Hire beobachteten und von Douwes berechneten Kometen von 1678 aufgeſtellt. Zwei andere Kometen, ſcheinbar auch von fünf— bis jehsjährigem Umlauf, find der 3. von 1819, von Pons entdeckt und von Encke berechnet, und der 4. von 1819, von Blanpain aufgefunden und nach Clauſen identiſch mit dem 1. von 1743. Beide können aber noch nicht neben denen aufgeführt werden, welche durch längere Dauer und Genauig— keit der Beobachtungen eine größere Sicherheit und Vollſtän— digkeit der Elemente darbieten. Die Neigung der inneren Kometenbahnen gegen die Ekliptik iſt im ganzen klein, zwiſchen 3° und 13°, nur die des Brorſenſchen Kometen iſt ſehr beträchtlich und erreicht 31“. se N Elemente der inneren Kometen, welche genauer berechnet ſind. Durchgangszeit durch das Perihel .. u mittlexer Pariſer Zeit Länge des Perihels .. Länge des aufſteigenden Knotens. .. Neigung gegen die Ekliptik Halbe große Achſe .. Perihel⸗-Diſtanz .. AphelsDiftanz . Exzentrizitlve Umlaufszeit in Tagen . Umlaufszeit in Jahren berechnet von Ende 1848 Nov. 26 2h 55˙% 56“ 157 0 47° 8% 334 22 12 13 8 36 2,214814 0,3387032 4,09 2595 0,847828 1204 3,30 Ende, Aſtr. Nachr. XXVII, S. 113. de Vico 1844 Sept. 2 11h 33° 57% 342 0 30“ 55" 63 49 17 2 54 50 3,102800 1,186401 5,019198 0,617635 1996 5,47 Brünnow, Gekrönte Preisſchrift, Amſt. 1849. Brorſen d' Arreſt Biela | Faye 1816 Febr. 25 | 1851 Juli 8 | 1846 Febr. 10 1843 Okt. 17 e e al! 116 0 28° 15" 102 40 58 30 55 53 3,146494 0,650103 5,642884 0,793388 2039 5,58 Brünnow, Aſtr. Nachr. XXIX, S. 377. 16h 57“ 23" 3220 59° 46" 118 27 20 13 56 12 3,461846 1,1739 76 5, 749717 0,660881 2353 6,44 d'Arreſt, Aſtr. Nachr. XXXIII, S. 125. 23h 51 36“ 3h 42° 16° 1090 2,20“ 49 0 34, 19“ 245 54 39 209 39 19 12 34 58 11 22 831 3,5215222 3,811790 0, 856448 1,692579 6,192596 | 5,931001 0,757003 2417 6,62 Plantamour, le Verrier, Aſtr. Nachr. Aſtr. Nachr. ORT, XXIII, S. 117. S. 196. — 41 — Alle bisher entdeckten inneren Kometen haben, wie die Haupt⸗ und Nebenplaneten des geſamten Sonnenſyſtems, eine direkte oder rechtläufige Bewegung (von Weſt nach Oſt in ihren Bahnen fortſchreitend). Sir John Herſchel hat auf die größere Seltenheit rückläufiger Bewegung bei Kometen von geringerer Neigung gegen die Ekliptik aufmerk— ſam gemacht. Dieſe entgegengeſetzte Richtung der Bewegung, welche nur bei einer gewiſſen Klaſſe planetariſcher Körper vorkommt, iſt in Hinſicht auf die ſehr allgemein herrſchende Meinung über die Entſtehung der zu einem Syſteme gehörenden Weltkörper und über primitive Stoß- und Wurfkraft von großer Wichtigkeit. Sie zeigt uns die Kometenwelt, wenn: gleich auch in der weiteſten Ferne, der Anziehung des Central— körpers unterworfen, doch in größerer Individualität und Unabhängigkeit. Eine ſolche Betrachtung hat zu der Idee verleitet, die Kometen für älter! als alle Planeten, gleichſam für Urformen der ſich locker ballenden Materie im Weltraume, zu halten. Es fragt ſich dabei unter dieſer Vorausſetzung, ob nicht trotz der ungeheuren Entfernung des nächſten Fix— ſternes, deſſen Parallaxe wir kennen, vom Aphel des Kometen von 1680 einige der Kometen, welche am Himmelsgewölbe erſcheinen, nur Durchwanderer unſeres Sonnenſyſtemes ſind, von einer Sonne zur anderen ſich bewegend? Ich laſſe auf die Gruppe der Kometen, als mit vieler Wahrſcheinlichkeit zum Sonnengebiete gehörig, den Ring des Tierkreislichtes folgen, und auf dieſen die Schwärme der Meteoraſteroiden, die bisweilen auf unſere Erde herab— fallen und über deren Exiſtenz als Körper im Weltraume noch keinesweges eine einſtimmige Meinung herrſcht. Da ich nach dem Vorgange von Chladni, Olbers, Laplace, Arago, John Herſchel und Beſſel die Aerolithen beſtimmt für außer— irdiſchen, kosmiſchen Urſprungs halte, ſo darf ich wohl am Schluß des Abſchnittes über die Wandelſterne die zuverſicht— liche Erwartung ausſprechen, daß durch fortgeſetzte Genauig— keit in der Beobachtung der Aerolithen, Feuerkugeln und Sternſchnuppen die entgegengeſetzte Meinung ebenſo ver— ſchwinden werde, als die bis zu dem 16. Jahrhundert all— gemein verbreitete über den meteoriſchen Urſprung der Kometen es längſt iſt. Während dieſe Geſtirne ſchon von der aſtrologiſchen Korporation der „Chaldäer in Babylon“, von einem großen Teile der pythagoreiſchen Schule und von Apollonius dem Myndier für zu beſtimmten Zeiten in langen — 42 — planetariſchen Bahnen wiederkehrende Weltkörper gehalten wurden, erklärten die mächtige antipythagoreiſche Schule des Ariſtoteles und der von Seneca beſtrittene Epigenes die Ko— meten für Erzeugniſſe meteoriſcher Prozeſſe in unſerem Luft— kreiſe.“ Analoge Schwankungen zwiſchen kosmiſchen und telluriſchen Hypotheſen, zwiſchen dem Weltraume und der Atmoſphäre führen endlich doch zu einer richtigen Anſicht der Naturerſcheinungen zurück. 6—— . ee Anmerkungen. (S. 399.) „Vermittelſt einer Reihe von Zwiſchengliedern,“ ſagt Immanuel Kant, „werden jenſeits Saturn ſich die letzten Planeten nach und nach in Kometen verwandeln, und ſo die letztere Gattung mit der erſteren zuſammenhängen. Das Geſetz, nach welchem die Exzentrizität der Planetenkreiſe ſich im Verhältnis ihres Abſtandes von der Sonne verhält, unterſtützt dieſe Vermutung. Die Exzentrizität nimmt mit dem Abſtande zu, und die entfernteren Planeten kommen dadurch der Beſtimmung der Kometen näher. Der letzte Planet und erſte Komet könnte derjenige genannt wer— den, welcher in ſeiner Sonnennähe den Kreis des ihm nächſten Planeten, vielleicht alſo des Saturn, durchſchnitte. — Auch durch die Größe der planetariſchen Maſſen, die mit der Entfernung (von der Sonne) zunehmen, wird unſere Theorie von der mechaniſchen Bildung der Himmelskörper klärlich erwieſen.“ Kant, Na: turgeſchichte des Himmels (1755) in den ſämtlichen Werken T. IV, S. 88 und 195. Im Anfang des fünften Haupt⸗ ſtückes wird (S. 131) von der früheren kometenähnlichen Natur geſprochen, welche Saturn abgelegt habe. > (S. 400.) Stephen Alexander unterſcheidet mit Hind „the comets of short period, whose semi-axes are all nearly the same with those of the small planets between Mars and Jupiter; and the other class, including the comets whose mean distance or semi-axes is somewhat less than that of Uranus.“ Er ſchließt die erſte Abhandlung mit dem Reſultate: „Different facts and coincidences agree in indicating a near appulse if not an actual collision of Mars with a large comet in 1315 or 1316, that the comet was thereby broken into three parts, whose orbits (it may be presumed) received even then their present form; viz., that still presented by the comets of 1812, 1815 and 1846, which are fragments of the dissevered comet.“ (S. 401.) Seit Chriſti Geburt jind in runder Summe 500 Kometen mit bloßem Auge geſehen worden; zu dieſen kommen nun noch ſeit Erfindung des Fernrohres etwa 200 teleſkopiſche, deren große Mehrzahl, cirka 160, auf das gegenwärtige Jahrhundert entfällt. Wenn wir nun von der Zahl der beobachteten Kometen — 414 — auf die Zahl der vorhandenen ſchließen wollen, ſo gelangen wir je nach der der Schätzung zu Grunde gelegten Hypotheſe zu ver— ſchiedenen Werten, in jedem Fall aber zu einer außerordentlich großen Zahl. — [D. Herausg.| (S. 401.) In ſieben halben Jahrhunderten, von 1500 bis 1850 ſind zuſammen 52, einzeln in der Reihenfolge von ſieben gleichen Perioden: 13, 10, 2, 10, 4, 4 und 9, dem bloßen Aug aſichtbare Kometen in Europa erſchienen. Hier folgen die einzelnen Jahre: 1500 bis 1550 1550 bis 1560 13 Kom. 10 Kom. 1600 bis 1650 1650 bis 1700 1607 1652 1618 1664 2 Kom. 1665 1668 1672 1680 1682 1686 1689 1696 10 Kom. 1750 bis 1800 1700 bis 1750 1759 1702 1766 1744 1769 1748 (2) 1789 4 Kom. 4 Kom. 1800 bis 1850 1807 1811 1819 1823 1830 1835 1843 1845 1847 9 Kom. Als 23 im 16. Jahrhundert (dem Zeitalter von Apianus, Girolamo Fracaſtoro, dem Landgrafen Wilhelm IV. von Heſſen, Mäſtlin und Tycho) erſchienene, dem unbewaffneten Auge ſichtbare Kometen ſind hier aufgezählt worden: 10 von Pingrs beſchriebene, nämlich: 1500, 1505, 1506, 1512, 1514, 1516, 1518, 1521, 1522 und 1530; ferner die Kometen von 1531, 1532, 1533, 1556, 1558, 1569, 1577, 1580, 1582, 1585, 1590, 1593 und 1596. 5 (S. 402.) Weiter ſehr glänzende Kometenerſcheinungen waren der Donatiſche Komet von 1858, der Komet von 1861, jener von 1880, welcher für identiſch mit dem von 1843 gehalten wird; endlich der von 1882, der wohl der glänzendſte Komet aller Zeiten ge— weſen fein mag. — [D. Herausg.] 6 (S. 402.) Es iſt der „bösartige“ Komet, welchem in Sturm und Schiffbruch der Tod des berühmten portugieſiſchen Entdeckers Bartholomäus Diaz, als er mit Cabral von Braſilien nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung ſegelte, zugeſchrieben ward. (S. 403.) Die Mexikaner hatten auch eine ſehr richtige Anſicht von der Urſache der Sonnenfinſternis. Dieſelbe merifa- niſche Handſchrift, wenigſtens ein Vierteljahrhundert vor der Ankunft der Spanier angefertigt, bildet die Sonne ab, wie ſie faſt ganz von der Mondſcheibe verdeckt wird und wie Sterne dabei ſichtbar werden. s (S. 403.) Dieſe Entſtehung des Schweifes am vorderen Teile des Kometenkopfes, welche Beſſel ſo viel beſchäftigt hat, war ſchon Newtons und Winthrops Anſicht. Der Schweif, meint Newton, entwickele ſich der Sonne nahe am ſtärkſten und längſten, weil die Himmelsluft (was wir mit Encke das widerſtehende Mittel nennen) dort am dichteſten ſei, und die particulae caudae. ſtark erwärmt, von der dichteren Himmelsluft getragen, leichter aufſteigen. Winthrop glaubt, daß der Haupteffekt erſt etwas nach dem Perihel eintrete, weil nach dem von Newton feſtgeſtellten Geſetze überall (bei periodiſcher Wärmeveränderung, wie bei der Meeresflut) die Maxima ſich verſpäten. (S. 403.) Wegen phyſiognomiſcher Aehnlichkeiten, deren Un: ſicherheit aber ſchon Seneca entwickelt hat, wurde der Komet von 1843 anfänglich für identiſch mit dem Kometen von 1668 und 1689 gehalten. Boguslawski glaubt dagegen, daß feine früheren Erſcheinungen bei einem Umlauf von 147 Jahren die von 1695, 1548 und 1401 waren; ja er nennt ihn den Kometen des Ariſtoteles, „weil er ihn bis in das Jahr 371 vor unſerer Zeit⸗ rechnung zurückführt, und ihn mit dem talentvollen Helleniſten Thierſch in München für einen Kometen hält, deſſen in den Mete o- rologieis des Ariſtoteles Buch I, Kap. 6 Erwähnung ge ſchieht“. Ich erinnere aber, daß der Name Komet des Ariſto— teles vieldeutig und unbeſtimmt iſt. Wird der gemeint, welchen Ariſtoteles im Orion verſchwinden läßt und mit dem Erdbeben in Achaja in Verbindung ſetzt, ſo muß man nicht vergeſſen, daß dieſer Komet von Kalliſthenes vor, von Diodor nach, und von Ariſtoteles zur Zeit des Erdbebens angegeben wird. Das ſechſte und achte Kapitel der Meteorologie handeln von vier Kometen, deren Epochen der Erſcheinung durch Archonten zu Athen und durch unheilbringende Begebenheiten bezeichnet werden. Es iſt daſelbſt der Reihe nach gedacht: des weſtlichen Kometen, welcher bei dem großen, mit Ueberſchwemmungen verbundenen Erdbeben von Achaja erſchien; dann des Kometen unter dem Archonten — 416 — Eukles, Sohn des Molon; ſpäter kommt der Stagirite wieder auf den weſtlichen Kometen, den des großen Erdbebens, zurück, und nennt dabei den Archonten Aſteus, ein Name, den unrichtige Les— arten in Ariſtäus verwandelt haben, und den Pingrs deshalb in der Cométographie mit Ariſthenes oder Alkiſthenes fälſchlich für eine Perſon hält. Der Glanz dieſes Kometen des Aſteus verbreitete ſich über den dritten Teil des Himmelsgewölbes; der Schweif, welchen man den Weg (57s) nannte, war alſo 60° lang. Er reichte bis in die Gegend des Orion, wo er ſich auflöſte. In Kap. 7, 9 wird des Kometen gedacht, welcher gleichzeitig mit dem berühmten Aerolithenfall bei Aegos Potamoi erſchien, und wohl nicht eine Verwechſelung mit der von Damachos beſchriebenen, 70 Tage lang leuchtenden und Sternſchnuppen ſprühenden Aero— lithenwolke ſein kann. Endlich nennt Ariſtoteles noch Kap. 7, 10 einen Kometen unter dem Archonten Nikomachus, welchem ein Sturm bei Korinth zugeſchrieben ward. Dieſe vier Kometenerſchei— nungen fallen in die lange Periode von 32 Olympiaden, nämlich der Aerolithenfall nach der Pariſchen Chronik Ol. 78, 1 (468 ante Chr.), unter den Archonten Theagenides; der große Komet des Aſteus, welcher zur Zeit des Erdbebens von Achaja erſchien und im Sternbild des Orion verſchwand, in Ol. 101, 4 (373 a. Chr.); Eukles, Sohn des Molon, von Diodor fälſchlich Euklides genannt, in Ol. 88, 2 (427 a. Chr.), wie auch der Kom: mentar des Johannes Philoponos beſtätigt; der Komet des Niko⸗ machus in Ol. 109, 4 (341 a. Chr.). Bei Plinius II, 25 wird für die jubae effigies mutata in hastam Ol. 108 angegeben. Mit dem unmittelbaren Anknüpfen des Kometen des Aſteus (Ol. 101, 4) an das Erdbeben in Achaja ſtimmt auch Seneca über: ein, indem derſelbe des Unterganges von Bura und Helike, welche Städte Ariſtoteles nicht ausdrücklich nennt, folgendermaßen er— wähnt: „Effigiem ignis longi fuisse, Callisthenes tradit, ante- quam Burin et Helicen marc absconderet. Aristoteles ait, non trabem illam, sed Cometam fuisse.“ (Seneca, Nat. Quaest. VII, 5). Strabo ſetzt den Untergang der zwei oft ge: nannten Städte zwei Jahre vor der Schlacht von Leuktra, woraus ſich wieder Ol. 101, 4 ergibt. Nachdem endlich Diodor von Sizi— lien dieſelbe Begebenheit als unter dem Archonten Aſteus vor— gefallen umſtändlicher beſchrieben hat, ſetzt er den glänzenden, ſchattenwerfenden Kometen unter den Archonten Alkiſthenes, ein Jahr ſpäter, Ol. 102, 1 (372 a. Chr.), und als Vorboten des Unterganges der Herrſchaft der Lakedämonier; aber der ſpätere Diodor hat die Gewohnheit, eine Begebenheit aus einem Jahre in das andere zu verſchieben, und für die Epoche des Aſteus, vor dem Alkiſthenes, ſprechen die älteſten und ſicherſten Zeugen, Ariſtoteles und die Pariſche Chronik. Da nun für den herrlichen Kometen von 1843 die Annahme eines Umlaufes von 147 ¾ Jahren Boguslawski durch 1695, 1548, 1401 und 1106 auf das Jahr 371 — 417 — vor unſerer Zeitrechnung führt, ſo ſtimmt damit der Komet des Erdbebens von Achaja nach Ariſtoteles bis auf zwei, nach Dio⸗ dor bis auf ein Jahr überein, was, wenn man von der Aehnlich⸗ keit der Bahn etwas wiſſen könnte, bei wahrſcheinlichen Störungen in einer Periode von 1214 Jahren freilich ein ſehr geringer Fehler iſt. Wenn Pingré in der Cométographie ſich auf Diodor und den Archonten Alkiſthenes ſtatt Aſteus ſtützend, den in Frage ſtehenden Kometen im Orion in Ol. 102. und doch in den Anfang Juli 371 vor Chriſtus ſtatt 372 ſetzt, ſo liegt der Grund wohl darin, daß er wie einige Aſtronomen das erſte Jahr vor der chriſt⸗ lichen Zeitrechnung mit Anno 0 bezeichnet. Es iſt ſchließlich zu bemerken, daß Sir John Herſchel für den bei hellem Tage nahe an der Sonne geſehenen Kometen von 1843 eine ganz andere Umlaufszeit und zwar von 175 Jahren annimmt, was auf die Jahre 1668, 1493 und 1318 führt. Andere Kombinationen von Peirce und Clauſen leiten gar auf Umlaufszeiten von 217% oder 715 Jahren. — Beweis genug, wie gewagt es iſt, den Kometen von 1843 auf den Archonten Aſteus zurückzuführen. Die Erwäh⸗ nung eines Kometen unter dem Archonten Nikomachus in den Meteorol,, lib. I, cap. 7, 10 gewährt wenigſtens den Vorteil, uns zu lehren, daß dieſes Werk geſchrieben wurde, als Ariſtoteles wenigſtens 44 Jahre alt war. Auffallend hat es mir immer ge⸗ ſchienen, daß der große Mann, da er zur Zeit des Erdbebens von Achaja und der Erſcheinung des großen Kometen im Orion, mit einem Schweif von 60“ Länge, ſchon 14 Jahre alt war, mit jo wenig Lebendigkeit von einem ſo glänzenden Gegenſtande ſpricht, und ſich begnügt, ihn unter die Kometen zu zählen, „die zu ſeiner Zeit geſehen wurden“. Die Verwunderung ſteigt, wenn man in demſelben Kapitel erwähnt findet, er habe etwas Neblichtes, ja eine ſchwache Mähne (zöum), um einen Firftern in dem Hüftbein des Hundes (vielleicht Prokyon im kleinen Hunde) mit eigenen Augen geſehen. Auch ſpricht Ariſtoteles von ſeiner Beobachtung der Bedeckung eines Sternes in den Zwillingen durch die Scheibe des Jupiter. Was die dunſtige Mähne oder Nebelumhüllung des Prokyon (2) betrifft, jo erinnert ſie mich an eine Erſcheinung, von der mehrmals in den altmexikaniſchen Reichsannalen nach dem Codex Tellerianus die Rede iſt. „Dieſes Jahr,“ heißt es darin, „dampfte (rauchte) wieder Citlalcholoa,“ der Planet Venus, auch Tlazoteotl im Aztekiſchen genannt, wahrſcheinlich am griechiſchen wie am mexikaniſchen Himmel ein Phänomen atmoſphäriſcher Strahlenbrechung, die Erſcheinung kleiner Sternhöfe (halones). 10 (S. 404.) Die kurz vorher im Text angeführte Abhand⸗ lung, die wahren Elemente des Kometen von 1680 enthaltend, vernichtet Halleys phantaſtiſche Idee, nach welcher derſelbe bei einem vorausgeſetzten Umlaufe von 575 Jahren zu allen großen Epochen der Menſchengeſchichte, zur Zeit der Sintflut nach hebräiſchen Sagen, im Zeitalter des Ogyges nach griechiſchen Sagen, im troja⸗ A. v. Humboldt, Kosmos. III. 27 — 418 — niſchen Kriege, bei der Zerſtörung von Ninive, bei dem Tode von Julius Cäſar u. ſ. w. erſchienen ſei. Die Umlaufszeit ergibt ſich aus Endes Berechnung zu 8814 Jahren. Seine geringſte Ent: fernung von der Oberfläche der Sonne war am 17. Dezember 1680 nur 32 000 geographiſche Meilen, alſo 20000 weniger als die Ent⸗ fernung der Erde vom Monde. Das Aphel iſt 853,3 Entfernungen der Erde von der Sonne, und das Verhältnis der kleinſten zur größten Entfernung von der Sonne iſt wie 1: 140 000. 1 (S. 406.) Newton nahm für die glänzendſten Kometen nur von der Sonne reflektiertes Licht an. Splendent Cometae, ſagt er, luce Solis a se reflexa. 1 (S. 406.) Der fo ſorgfältig und immer unbefangen be— obachtende Hevelius war ſchon auf die Vergrößerung der Kometen— kerne mit Zunahme der Entfernung von der Sonne aufmerkſam geweſen. Die Beſtimmungen der Durchmeſſer des Kometen von Encke in der Sonnennähe ſind, wenn man Genauigkeit haben will, ſehr ſchwierig. Der Komet iſt eine neblige Maſſe, in welcher die Mitte oder eine Stelle derſelben, die hellſte, ſelbſt hervorſtechend hell, iſt. Von dieſer Stelle aus, die aber nichts von einer Scheibe zeigt und nicht ein Kometenkopf genannt werden kann, nimmt ringsum das Licht ſchnell ab; dabei verlängert ſich der Nebel nach einer Seite hin, ſo daß dieſe Verlängerung als Schweif erſcheint. Die Meſſungen beziehen ſich alſo auf dieſen Nebel, deſſen Um— fang, ohne eine recht beſtimmte Grenze zu haben, im Perihel ab— nimmt. 13 (S. 407.) Wenn man noch ſpäter (5. März) den Abſtand beider Kometen bis 9° 19° wachſen ſah, jo war dieſe Zunahme, wie Plantamour gezeigt hat, nur ſcheinbar und von der Annähe⸗ rung zur Erde abhängig. Vom Februar bis März blieben beide Teile des Doppelkometen in gleicher Entfernung voneinander. 14 (S. 407.) „Le 10 février 1846 on apercoit le fond noir du ciel qui separe les deux cometes;* O. Struve im Bulletin physico-mathematique de l'Acad. des Sciences de St. Pétersbourg T. VI, Nr. 4. 15 (S. 408.) „Ephorus non religiosissimae fidei, saepe deeipitur, saepe decipit. Sicut hie Cometem, qui omnium mortalium oculis custoditus est, quia ingentis rei traxit even- tus, cum Helicen et Burin ortu suo merserit, ait illum dis- cessisse in duas stellas: quod praeter illum nemo tradidit. Quis enim posset observare illud momentum, quo Cometes solutus et in duas partes redactus est? Quomodo autem, si est qui viderit Cometem in duas dirimi, nemo vidit fieri ex duabus?“ Seneca, Nat. Quaest. lib. VII, cap. 16. 16 (S. 409.) Elliptiſche Bahnen mit verhältnismäßig nicht ſehr langer Dauer der Umlaufszeiten (ich erinnere an die 3065 und 8800 Jahre der Kometen von 1811 und 1680) bieten dar die Kometen von Colla und Bremiker aus den Jahren 1845 »,ͤ — E ad — und 1840. Sie ſcheinen Umlaufszeiten von nur 249 und 344 Jahren zu haben. f (S. 409.) Die kurze Umlaufszeit von 1204 Tagen wurde von Encke bei dem Wiedererſcheinen ſeines Kometen im Jahre 1819 erkannt. Siehe die zuerſt berechneten elliptiſchen Bahnen im Berliner aſtronomiſchen Jahrbuch für 1822, S. 193, und für die zur Erklärung der beſchleunigten Umläufe angenommene Konſtante des widerſtehenden Mittels Enckes vierte Abhandlung in den Schriften der Berliner Akademie aus dem Jahre 1844. Zur Geſchichte des Kometen von Encke iſt noch hier zu erinnern, daß derſelbe, ſoweit die Kunde der Be— obachtungen reicht, zuerſt von Méchain den 17. Januar 1786 an zwei Tagen geſehen wurde; dann von Miß Carolina Herſchel den 7. bis 27. November 1795; darauf von Bouvard, Pons und Huth, den 20. Oktober bis 19. November 1805; endlich, als zehnte Wiederkehr ſeit Mechains Entdeckung im Jahre 1786, vom 26. No: vember 1818 bis 12. Januar 1819 von Pons. Die erſte von Encke vorausberechnete Wiederkehr wurde von Rümker zu Paramatta beobachtet. — Der Bielaſche, oder, wie man auch ſagt, der Gambart⸗-Bielaſche innere Komet iſt zuerſt am 8. März 1772 von Montaigne, dann von Pons am 10. November 1805, danach am 27. Februar 1826 zu Joſephſtadt in Böhmen von Herrn von Biela und am 9. März zu Marſeille von Gambart ge— ſehen. Der frühere Wiederentdecker des Kometen von 1772 iſt zweifelsohne Biela und nicht Gambart; dagegen aber hat der letztere, früher als Biela, und faſt zugleich mit Clauſen, die elli— ptiſchen Elemente beſtimmt. Die erſte vorausberechnete Wiederkehr des Bielaſchen Kometen ward im Oktober und Dezember 1832 von Henderſon am Vorgebirge der guten Hoffnung beobachtet. Die ſchon erwähnte wunderſame Verdoppelung des Bielaſchen Kometen durch Teilung erfolgte bei ſeiner elften Wiederkehr ſeit 1772, am Ende des Jahres 1845. 1s (S. 411.) Der Laplaciſchen ſpeziellen Anſicht von den Kometen als „wandernden Nebelflecken (petites nebuleuses erran- tes de systéèmes en systèmes solaires)“ ſtehen die Fortſchritte, welche ſeit dem Tode des großen Mannes in der Auflöslichkeit ſo vieler Nebelflecke in gedrängte Sternhaufen gemacht worden ſind, mannigfach entgegen; auch der Umſtand, daß die Kometen einen Anteil von zurückgeworfenem, polariſiertem Lichte haben, welcher den ſelbſtleuchtenden Weltkörpern mangelt. 1 (S. 412.) Zu Babylon in der gelehrten chaldäiſchen Schule der Aſtrologen, wie bei den Pythagoreern, und eigentlich bei allen alten Schulen, gab es Spaltung der Meinungen. Seneca führt die einander entgegengeſetzten Zeugniſſe des Apollonius Myndius und des Epigenes an. Der letztere gehört zu den ſelten Ge— nannten; doch bezeichnet ihn Plinius als „gravis auctor in primis“, wie auch ohne Lob Cenſorinus glaubt, daß die all- — 420 — gemeine und herrſchende Anſicht bei den babyloniſchen Aſtrologen (den Chaldäern) die war, daß die Kometen zu feſtbeſtimmten Zeiten in ihren ſicheren Bahnen wiederkehren. Der Zwieſpalt, welcher unter den Pythagoreern über die planetariſche Natur der Kometen herrſchte, und welchen Ariſtoteles und Pſeudo-Plutarch andeuten, dehnte ſich nach dem erſteren auch auf die Natur der Milchſtraße, den verlaſſenen Weg der Sonne oder des geſtürzten Phaethon, aus. Von einigen der Pythagoreer wird die Meinung bei Ariſtoteles angeführt, „daß die Kometen zur Zahl ſolcher Pla— neten gehören, die erſt nach langer Zeit, wie Merkur, ſichtbar wer— den können, über den Horizont in ihrem Laufe aufſteigend“. Bei dem ſo fragmentariſchen Pſeudo-Plutarch heißt es, daß ſie „zu feſt beſtimmten Zeiten nach vellbrachtem Umlaufe aufgehen“. Vieles in abgeſonderten Schriften über die Natur der Kometen Enthaltene iſt uns verloren gegangen: von Arrian, den Stobäus benutzen konnte, von Charü ander, deſſen bloßer Name ſich nur bei Seneca und Pappus erhalten hat. Stobäus führt als Meinung der Chal— däer an, daß die Kometen eben deshalb ſo ſelten uns ſichtbar bleiben, weil ſie in ihrem langen Laufe ſich fern von uns in die Tiefen des Aethers (des Weltraumes) verbergen, wie die Fiſche in den Tiefen des Ozeans. Das Anmutigſte und, trotz der rheto— riſchen Färbung, das Gründlichſte und mit den jetzigen Meinungen Uebereinſtimmendſte gehört im Altertum dem Seneca zu. Wir leſen Nat. Quest. lib. VII, cap. 22, 25 und 31: „Non enim existimo Cometem subitaneum ignem, sed inter aeterna opera naturae. — Quid enim miramur, cometas, tam rarum mundi spectaculum, nondum tenere legibus certis? nee initia illorum finesque patescere, quorum ex ingentibus intervallis recursus est? Nondum sunt anni quingenti, ex quo Graecia..... stellis numeros et nomina fecit. Multaeque hodie sunt gentes, quae tantum facie noverint caelum; quae nondum sciant, cur luna deficiat, quare obumbretur. Hoc apud nos quoque nuper ratio ad certum perduxit. Veniet tempus, quo ista quae nunc latent, in lucem dies extrahat et longioris aevi diligentia. — Veniet tempus, quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur. — Eleusis servat, quod ostendat revi- sentibus. Rerum natura sacra sua non simul tradit. Initiatos nos credimus; in vestibulo ejus haeremus. Illa arcana non promiscue nec omnibus patent, reducta et in interiore sacrario clausa sunt. Ex quibus aliud haec aetas, aliud quae post nos subibit, dispiciet. Tarde magna proveniunt...... x IV. Ring des Cierkreislichtes. In unſerem formenreichen Sonnenſyſteme ſind Exiſtenz, Ort und Geſtaltung vieler einzelner Glieder ſeit kaum drittehalb— hundert Jahren und in langen Zwiſchenräumen der Zeit all— mählich erkannt worden; zuerſt die untergeordneten oder Par— tikularſyſteme, in denen, dem Hauptſyſteme der Sonne analog, geballte kleinere Weltkörper einen größeren umkreiſen; dann konzentriſche Ringe um einen, und zwar den ſatelliten— reichſten, den undichteren und äußeren Hauptplaneten; dann das Daſein und die wahrſcheinliche materielle Urſache des milden, pyramidal geſtalteten, dem unbewaffneten Auge ſehr ſichtbaren Tierkreislichtes; dann die ſich gegenſeitig ſchneiden— den, zwiſchen den Gebieten zweier Hauptplaneten eingeſchloſ— ſenen, außerhalb der Zodiakalzone liegenden Bahnen der ſo— genannten kleinen Planeten oder Aſteroiden; endlich die merkwürdige Gruppe von inneren Kometen, deren Aphele kleiner als die Aphele des Saturn, des Uranus oder des Neptun ſind. In einer kosmiſchen Darſtellung des Welt— raumes iſt es nötig, an eine Verſchiedenartigkeit der Glieder des Sonnenſyſtemes zu erinnern, welche keineswegs Gleichartigkeit des Urſprunges und dauernde Abhängigkeit der bewegenden Kräfte ausſchließt. So groß auch noch das Dunkel iſt, welches die materielle Urſache des Tierkreislichtes umhüllt, ſo ſcheint doch, bei der mathematiſchen Gewißheit, daß die Sonnenatmoſphäre nicht weiter als bis zu 0 des Merkurabſtandes reichen könne, die von Laplace, Schubert, Arago, Poiſſon und Biot verteidigte Meinung, nach der das Zodiakallicht aus einem dunſtartigen, abgeplatteten, frei im Weltraum zwiſchen der Venus: und Marsbahn kreiſenden Ringe ausſtrahle, in dem gegenwärtigen ſehr mangelhaften Zuſtande der Beobachtungen — 422 — die befriedigendſte zu ſein. Die äußerſte Grenze der Atmo— ſphäre hat ſich bei der Sonne wie im Saturn (einem unter: geordneten Syſteme) nur bis dahin ausdehnen können, wo die Attraktion des allgemeinen oder partiellen Centrallörpers der Schwungkraft genau das Gleichgewicht hält; jenſeits mußte die Atmoſphäre nach der Tangente entweichen und geballt als kugelförmige Planeten und Trabanten oder nicht geballt zu Kugeln als feſte und dunſtförmige Ringe den Umlauf fortſetzen. Nach dieſer Betrachtung tritt der Ring des Zodiakallichtes in die Kategorie planetariſcher Formen, welche den allgemeinen Bildungsgeſetzen unterworfen ſind. Bei den ſo geringen Fortſchritten, welche auf dem Wege der Beobachtung dieſer vernachläſſigte Teil unſerer aſtronomi— ſchen Kenntniſſe macht, habe ich wenig zu dem zuzuſetzen, was, fremder und eigener Erfahrung entnommen, ich früher in dem Naturgemälde (B. I, S. 98-102 und 233— 286, Anm. 65— 72, Bd. III, S. 229) entwickelt habe. Wenn 22 Jahre vor Do— minik Caſſini, dem man gemeinhin die erſte Wahrnehmung des Zodiakallichtes zuſchreibt, ſchon Childrey (Kaplan des Lords Henry Somerſet) in ſeiner 1661 erſchienenen Britannia Baconica dasſelbe als eine vorher unbeſchriebene und von ihm mehrere Jahre lang im Februar und Anfang März ge: ſehene Erſcheinung der Aufmerkſamkeit der Aſtronomen em: pfiehlt, ſo muß ich (nach einer Bemerkung von Olbers) auch eines Briefes von Rothmann an Tycho erwähnen, aus welchem hervorgeht, daß Tycho ſchon am Ende des 16. Jahrhunderts den Zodiakalſchein ſah und für eine abnorme Frühjahrsabend— dämmerung hielt. Die auffallend ſtärkere Lichtintenſität der Erſcheinung in Spanien, an der Küſte von Valencia und in den Ebenen Neukaſtiliens, hat mich zuerſt, ehe ich Europa verließ, zu anhaltender Beobachtung angeregt. Die Stärke des Lichtes, man darf ſagen der Erleuchtung, nahm über— raſchend zu, je mehr ich mich in Südamerika und in der Südſee dem Aequator näherte. In der ewig trockenen hei— teren Luft von Cumana, in den Grasſteppen (Llanos) von Caracas, auf den Hochebenen von Quito und der mexikaniſchen Seen, beſonders in Höhen von 8 bis 12000 Fuß (2600 bis 3900 m), in denen ich länger verweilen konnte, übertraf der Glanz bisweilen den der ſchönſten Stellen der Milchſtraße zwiſchen dem Vorderteile des Schiffes und dem Schützen oder, um Teile unſerer Hemiſphäre zu nennen, zwiſchen dem Adler und Schwan. — 423 — Im ganzen aber hat mir der Glanz des Zodiakallicht es keineswegs merklich mit der Höhe des Standortes zu wachſen, ſondern vielmehr hauptſächlich von der inneren Veränderlich— keit des Phänomens ſelbſt, von der größeren oder geringeren Intenſität des Lichtprozeſſes abzuhängen geſchienen, wie meine Beobachtungen in der Südſee zeigen, in welchen ſogar ein Gegenſchein gleich dem bei dem Untergang der Sonne bemerkt ward. Ich ſage hauptſächlich, denn ich verneine nicht die Möglichkeit eines gleichzeitigen Einfluſſes der Luftbeſchaffenheit (größeren und geringeren Diaphanität) der höchſten Schichten der Atmoſphäre, während meine Inſtrumente in den unteren Schichten gar keine oder vielmehr günſtige Hygrometerver— änderungen andeuteten. Fortſchritte in unſerer Kenntnis des Tierkreislichtes ſind vorzüglich aus der Tropengegend zu er— warten, wo die meteorologiſchen Prozeſſe die höchſte Stufe der Gleichförmigkeit oder Regelmäßigkeit in der Periodizität der Veränderungen erreichen. Das Phänomen iſt dort per⸗ petuierlich und eine ſorgfältige Vergleichung der Beobachtungen an Punkten verſchiedener Höhe und unter verſchiedenen Lokal verhältniſſen würde mit Anwendung der Wahrſcheinlichkeits⸗ rechnung entſcheiden, was man kosmiſchen Lichtprozeſſen, was bloßen meteorologiſchen Einflüſſen zuſchreiben ſoll. Es iſt mehrfach behauptet worden, daß in Europa in mehreren aufeinander folgenden Jahren faſt gar kein Tier— kreislicht oder doch nur eine ſchwache Spur desſelben geſehen worden ſei. Sollte in ſolchen Jahren das Licht auch in der Aequinoktialzone verhältnismäßig geſchwächt erſcheinen? Die Unterſuchung müßte ſich aber nicht auf die Geſtaltung nach Angabe der Abſtände von bekannten Sternen oder nach un: mittelbaren Meſſungen beſchränken. Die Intenſität des Lichtes, ſeine Gleichartigkeit oder ſeine etwaige Intermittenz (Zucken und Flammen), ſeine Analyſe durch das Polariſkop wären vorzugsweiſe zu erforſchen. Bereits Arago (Annuaire pour 1836, p. 298) hat darauf hingedeutet, daß vergleichende Beob— achtungen von Dominik Caſſini vielleicht klar erweiſen würden: „que la supposition des intermittences de la diaphanite atmospherique ne saurait suffire à l’explication des varia- tions signalees par cet Astronome“. Gleich nach den erſten Pariſer Beobachtungen dieſes großen Beobachters und ſeines Freundes Fatio de Duillier zeigte ſich Liebe zu ähnlicher Arbeit bei indiſchen Reiſenden (Pater Noel, de Beze und Duhalde), aber vereinzelte Be— — 424 — richte (meiſt nur ſchildernd die Freude über den ungewohnten Anblick) ſind zur gründlichen Diskuſſion der Urſachen der Ver⸗ änderlichkeit unbrauchbar. Nicht die ſchnellen Reiſen auf den ſogenannten Weltumſeglungen, wie noch in neuerer Zeit die Bemühungen des thätigen Horner zeigen (Zach, Monatl. Korreſp. Bd. X, S. 337 bis 340), können ernſt zum Zwecke führen. Nur ein mehrjähriger permanenter Aufenthalt in eini— gen der Tropenländer kann die Probleme veränderter Geſtaltung und Lichtintenſität löſen. Daher iſt am meiſten für den Gegen— ſtand, welcher uns hier beſchäftigt, wie für die geſamte Meteoro— logie von der endlichen Verbreitung wiſſenſchaftlicher Kultur über die Aequinoktialwelt des ehemaligen ſpaniſchen Amerika zu erwarten, da, wo große volkreiche Städte, Cuzco, la Paz, Potoſi, zwiſchen 10 700 und 12500 Fuß (3475 und 3735 m) über dem Meere liegen. Die numeriſchen Reſultate, zu denen Houzeau, auf eine freilich nur geringe Zahl vorhandener ge— nauer Beobachtungen geſtützt, hat gelangen können, machen es wahrſcheinlich, daß die große Achſe des Zodiakalſcheinringes ebenſowenig mit der Ebene des Sonnenäquators zuſammen— fällt, als die Dunſtmaſſe des Ringes, deren Molekularzuſtand uns ganz unbekannt iſt, die Erdbahn überſchreitet. (Schu— machers Aſtron. Nachr. Nr. 492.) V. Sternſchnuppen, Feuerkugeln und Meteorſteine. Seit dem Frühjahr 1845, in dem ich das Natur— gemälde oder die allgemeine Ueberſicht kosmiſcher Erſchei— nungen herausgegeben, ſind die früheren Reſultate der Beobachtung von Aerolithenfällen und periodiſchen Stern— ſchnuppenſtrömen mannigfaltig erweitert und berichtigt worden. Vieles wurde einer ſtrengeren und ſorgfältigeren Kritik unter— worfen, beſonders die für das Ganze des rätſelhaften Phäno— mens ſo wichtige Erörterung der Radiation, d. h. der Lage der Ausgangspunkte in den wiederkehrenden Epochen der Sternſchnuppenſchwärme. Auch iſt die Zahl ſolcher Epochen, von welchen lange die Auguſt- und die Novemberperiode allein die Aufmerkſamkeit auf ſich zogen, durch neuere Beob— achtungen vermehrt worden, deren Reſultate einen hohen Grad der Wahrſcheinlichkeit darbieten. Man iſt durch die verdienſt— vollen Bemühungen, zuerſt von Brandes, Benzenberg, Olbers und Beſſel, ſpäter von Erman, Boguslawski, Quetelet, Feld, Saigey, Eduard Heis und Julius Schmidt zu genaueren korreſpondierenden Meſſungen übergegangen und ein mehr verbreiteter mathematiſcher Sinn hat es ſchwieriger gemacht, durch Selbſttäuſchung einem vorgefaßten Theorem unſichere Beobachtungen anzupaſſen. Die Fortſchritte in dem Studium der Feuermeteore werden um ſo ſchneller ſein, als man unparteiiſch Thatſachen von Meinungen trennt, die Einzelheiten prüft; aber nicht als ungewiß und ſchlecht beobachtet, alles verwirft, was man jetzt noch nicht zu erklären weiß. Am wichtigſten ſcheint mir Ab— ſonderung der phyſiſchen Verhältniſſe von den im ganzen ſicherer zu ergründenden geometriſchen und Zahlenverhält— niſſen. Zu der letzteren Klaſſe gehören Höhe, Geſchwindig— — 426 — keit, Einheit oder Mehrfachheit der Ausgangspunkte bei erkannter Radiation, mittlere Zahl der Feuermeteore in ſporadiſchen oder periodiſchen Erſcheinungen, nach Fre— quenz auf dasſelbe Zeitmaß reduziert, Größe und Geſtaltung, im Zuſammenhang mit den Jahreszeiten oder mit den Ab— ſtänden von der Mitte der Nacht betrachtet. Die Ergründung beider Arten von Verhältniſſen, der phyſiſchen und geo— metriſchen, wird allmählich zu einem und demſelben Ziele, zu genetiſchen Betrachtungen über die innere Natur der Erſcheinung, führen. Ich habe ſchon früher darauf hingewieſen, daß wir im ganzen mit den Welträumen und dem, was ſie erfüllt, nur in Verkehr ſtehen durch licht- und wärmeerregende Schwingungen, wie durch die geheimnisvollen Anziehungs— kräfte, welche ferne Maſſen (Weltkörper) nach der Quantität ihrer Körperteilchen auf unſeren Erdball, deſſen Ozeane und Luftumhüllung ausüben. Die Lichtſchwingung, welche von dem kleinſten teleſkopiſchen Fixſterne aus einem auflöslichen Nebelflecke ausgeht und für die unſer Auge empfänglich iſt, bringt uns (wie es die ſichere Kenntnis von der Geſchwin— digkeit und Aberration des Lichtes mathematiſch darthut) ein Zeugnis von dem älteſten Daſein der Materie.! Ein Lichteindruck aus den Tiefen der ſterngefüllten Him— melsräume führt uns mittels einer einfachen Gedanken— verbindung über eine Myriade von Jahrhunderten in die Tiefen der Vorzeit zurück. Wenn auch die Lichteindrücke, welche Sternſchnuppenſtröme, aerolithenſchleudernde Feuer: kugeln oder ähnliche Feuermeteore geben, ganz verſchiedener Natur ſein mögen, wenn ſie ſich auch erſt entzünden, indem ſie in die Erdatmoſphäre gelangen, ſo bietet doch der fall ende Aerolith das einzige Schauſpiel einer materiellen Berührung von etwas dar, das unſerem Planeten fremd iſt. Wir erſtaunen, „metalliſche und erdige Maſſen, welche der Außen— welt, den himmliſchen Räumen, angehören, betaſten, wiegen, chemiſch zerſetzen zu können“, in ihnen heimiſche Mineralien zu finden, die es wahrſcheinlich machen, wie dies ſchon Newton vermutete, daß Stoffe, welche zu einer Gruppe von Welt— körpern, zu einem Planetenſyſteme gehören, großenteils die— ſelben ſind. Die Kenntnis von den älteſten, chronologiſch ſicher be— ſtimmten Aerolithfällen verdanken wir dem Fleiß der alles regiſtrierenden Chineſen. Solche Nachrichten ſteigen bis in — . N v — 427 — das Jahr 644 vor unſerer Zeitrechnung hinauf, alſo bis zu den Zeiten des Tyrtäus und des zweiten meſſeniſchen Krieges der Spartaner, 176 vor dem Falle der ungeheuren Meteor— maſſe bei Aegos Potamoi. Eduard Biot hat in Mastuan:lin, welcher Auszüge aus der aſtronomiſchen Sektion der älteſten Reichsannalen enthält, für die Epoche von der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. bis 333 Jahre n. Chr. 16 Aero⸗ lithenfälle aufgefunden, während daß griechiſche und römiſche Schriftſteller für denſelben Zeitraum nur 4 ſolche Erſchei— nungen anführen. Merkwürdig iſt es, daß die ioniſche Schule früh ſchon, übereinſtimmend mit unſeren jetzigen Meinungen, den kos— miſchen Urſprung der Meteorſteine annahm. Der Eindruck, welchen eine ſo großartige Erſcheinung als die bei Aegos Potamoi (an einem Punkte, welcher 62 Jahre ſpäter durch den den peloponneſiſchen Krieg beendigenden Sieg des Ly— ſander über die Athener noch berühmter ward) auf alle hel— leniſchen Völkerſchaften machte, mußte auf die Richtung und Entwickelung der ioniſchen Phyſiologie einen entſcheidenden und nicht genug beachteten Einfluß ausüben. Anaxagoras von Klazomenä war in dem reifen Alter von 32 Jahren, als jene Naturbegebenheit vorfiel. Nach ihm ſind die Geſtirne von der Erde durch die Gewalt des Umſchwunges abge— riſſene Maſſen, (Plut. De plac. Philos. III, 13). Der ganze Himmel, meint er, ſei aus Steinen zuſammengeſetzt (Plato, De legibus XII, p. 967). Die ſteinartigen feſten Körper werden durch den feurigen Aether in Glut geſetzt, ſo daß ſie das vom Aether ihnen mitgeteilte Licht zurückſtrahlen. Tiefer als der Mond, und noch zwiſchen ihm und der Erde, bewegen ſich, ſagt Anaxagoras nach dem Theophraſt (Stob., Eclog. phys. lib. I, p. 560), noch andere dunkle Körper, die auch Mondverfinſterungen hervorbringen können (Diog. Laert. II, 12; Origines, Philosophum. cap. 8). Noch deutlicher und gleichſam bewegter von dem Eindruck des großen Aerolithenfalles drückt ſich Diogenes von Apollonia, der, wenn er auch nicht ein Schüler des Anaximenes iſt, doch wahrſcheinlich einer Zeitepoche zwiſchen Anaragoras und Demo— kritus angehört, über den Weltbau aus. Nach ihm „bewegen ſich,“ wie ich ſchon an einem Orte ausgeführt, „mit den ſicht— baren Sternen auch unſichtbare (dunkle) Steinmaſſen, die deshalb unbenannt bleiben. Letztere fallen bisweilen auf die Erde herab und verlöſchen, wie es geſchehen iſt mit dem — 428 — ſteinernen Stern, welcher bei Aegos Potamoi gefallen iſt.“ (Stob., Eclog. p. 508.) 2 Die „Meinung einiger Phyſiker“ über Feuermeteore (Stern: ſchnuppen und Aerolithen), welche Plutarch im Leben des Lyſander (Kap. 12) umſtändlich entwickelt, iſt ganz die des kretenſiſchen Diogenes. „Sternſchnuppen,“ heißt es dort, „ſind nicht Auswürfe und Abflüſſe des ätheriſchen Feuers, welche, wenn ſie in unſeren Luftkreis kommen, nach der Ent— zündung erlöſchen; ſie ſind vielmehr Wurf und Fall himm— liſcher Körper, dergeſtalt, daß ſie durch ein Nachlaſſen des Schwunges herabgeſchleudert werden.““ Von dieſer Anſicht des Weltbaues, von der Annahme dunkler Weltkörper, die auf unſere Erde herabfallen, finden wir nichts in den Lehren der alten ioniſchen Schule, von Thales und Hippo bis zum Empedokles.“ Der Eindruck der Naturbegebenheit in der 78. Olympiade ſcheint die Idee des Falles dunkler Maſſen mächtig hervorgerufen zu haben. In dem ſpäten Pſeudo— Plutarch (Plac. II, 13) leſen wir bloß, daß der Mileſier Thales „die Geſtirne alle für irdiſche und feurige Körper (eben ar ¹ααονανπe)“ hielt. Die Beſtrebungen der früheren ioniſchen Phyſiologie waren gerichtet auf das Erſpähen des Urgrundes der Dinge, des Entſtehens durch Miſchung, ſtufen— weiſe Veränderung und Uebergänge der Stoffe ineinander, auf die Prozeſſe des Werdens durch Erſtarrung oder Ver— dünnung. Des Umſchwunges der Hemiſphäre, „welcher die Erde im Mittelpunkt feſthält“, gedenkt allerdings ſchon Empedokles als einer wirkſam bewegenden kosmiſchen Kraft. Da in dieſen erſten Anklängen phyſikaliſcher Theorieen der Aether, die Feuerluft, ja das Feuer ſelbſt die Expanſiv— kraft der Wärme darſtellt, ſo knüpfte ſich an die hohe Region des Aethers die Idee des treibenden, von der Erde Fels— ſtücke wegreißenden Umſchwunges. Daher nennt Ariſtoteles (Meteorol. I, 399, Bekker) den Aether „den ewig im Lauf begriffenen Körper“, gleichſam das nächſte Subſtratum der Bewegung und ſucht etymologiſche Gründe für dieſe Behaup- tung. Deshalb finden wir in der Biographie des Lyſander, „daß das Nachlaſſen der Schwungkraft den Fall ee Korper verurſacht“, wie auch an einem anderen Orte, wo Plutarch offenbar wieder auf Meinungen des Anaxagoras oder des Diogenes von Apollonia hindeutet (De facie in orbe Lunae p. 925), er die Behauptung aufſtellt, „daß der Mond, wenn ſeine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen nn c — 429 — würde wie der Stein in der Schleuder.““ So ſehen wir in dieſem Gleichnis nach der Annahme eines centrifugalen Umſchwunges, welchen Empedokles in der (ſcheinbaren) Um— drehung der Himmelskugel erkannte, allmählich als idealen Gegenſatz eine Centripetalkraft auftreten. Dieſe Kraft wird eigens und deutlicher bezeichnet von dem ſcharfſinnigſten aller Erklärer des Ariſtoteles, Simplicius (p. 491, Bekker). Er will das Nichtherabfallen der Weltkörper dadurch er⸗ klären, „daß der Umſchwung die Oberhand hat über die eigene Fallkraft, den Zug nach unten.“ Dies ſind die erſten Ahnungen über wirkende Centralkräfte, und gleichſam auch die Trägheit der Materie anerkennend, ſchreibt zuerſt der Alexandriner Johannes Philopponus, Schüler des Am— monius Hermeä, wahrſcheinlich auch aus dem 6. Jahrhundert, „die Bewegung der kreiſenden Planeten einem primitiven Stoße“ zu, „ er ſinnig De creatione mundi lib. I, cap. 12) mit der Idee des „Falles, eines Strebens aller ſchweren und leichten Stoffe gegen die Erde“, verbindet. So haben wir verſucht, zu zeigen, wie eine große Natur⸗ erſcheinung und die früheſte, rein kosmiſche Erklärung eines Aerolithenfalles weſentlich dazu beigetragen hat, im griechiſchen Altertume ſtufenweiſe, aber freilich nicht durch mathematiſche Gedankenverbindung die Keime von dem zu entwickeln, was, durch die Geiſtesarbeit der folgenden Jahr— hunderte gefördert, zu den von Huygens entdeckten Geſetzen der Kreisbewegung führte. Von den geometriſchen Verhältniſſen der periodiſchen (nicht ſporadiſchen) Sternſchnuppen beginnend, richten wir unſere Aufmerkſamkeit vorzugsweiſe auf das, was neuere Beob— achtungen über die Radiation oder die Ausgangspunkte der Meteore und über ihre ganz planetariſche Geſchwin— digkeit offenbart haben. Beides, Radiation und Geſchwindig— keit, charakteriſiert ſie mit einem hohen Grade der Wahrſchein— lichkeit als leuchtende Körper, die ſich als unabhängig von der Rotation der Erde zeigen und von außen, aus dem Weltraume, in unſere Atmoſphäre gelangen. Die nordameri— kaniſchen Beobachtungen der Novemberperiode bei den Sternſchnuppenfällen von 1833, 1834 und 1837 hatten als Ausgangspunkt den Stern 7 Leonis bezeichnen laſſen, die Beobachtungen des Au gu pan em ens im Jahre 1839 Algol im Perſeus, oder einem Punkt zwiſchen Perſeus und dem Stier. Es waren dieſe Radiationscentra ungefähr die — 430 — Sternbilder, gegen welche hin ſich etwa in derſelben Epoche die Erde bewegte. Saigey, der die amerikaniſchen Beob— achtungen von 1833 einer ſehr genauen Unterſuchung unter— worfen hat, bemerkt, daß die fixe Radiation aus dem Stern- bild des Löwen eigentlich nur nach Mitternacht, in den letzten 3 bis 4 Stunden vor Anbruch des Tages, bemerkt worden iſt, daß von 18 Beobachtern zwiſchen der Stadt Mexiko und dem Huronenſee nur 10 denſelben allgemeinen Ausgangs— punkt der Meteore erkannten, welchen Deniſon Olmſtedt, eher der Mathematik in New Haven (Maſſachuſſets) angab. Die vortreffliche Schrift des Oberlehrers Eduard Heis zu Aachen, welche zehn Jahre lang von ihm daſelbſt an— geſtellte, ſehr genaue Beobachtungen über periodiſche Stern— ſchnuppen in gedrängter Kürze darbietet, enthält Reſultate der Radiationserſcheinungen, die um ſo wichtiger ſind, als der Beobachter ſie mit mathematiſcher Strenge diskutiert hat. Nach ihm? „iſt es eigentümlich für die Sternſchnuppen der Novemberperiode, daß die Bahnen mehr zerſtreut ſind, als die der Auguſtperiode. In jeder der beiden Perioden ſind die Ausgangspunkte gleichzeitig mehrfach ge— weſen, keineswegs immer von demſelben Sternbilde ausgehend, wie man ſeit dem Jahre 1833 voreilig anzunehmen geneigt war.“ Heis findet in den Auguſtperioden der Jahre 1839, 1841, 1842, 1843, 1844, 1847 und 1848 neben dem Hauptausgangspunkte des Algol im Perſeus noch zwei andere: im Drachen und im Nord— pol.“ „Um genaue Reſultate über die Ausgangspunkte der Sternſchnuppenbahnen in der Novemberperiode für die Jahre 1839, 1841, 1846 und 1847 zu ziehen, wurden für einen jeden der vier Punkte (Perſeus, Löwe, Kaſſiopeia und Drachenkopf) einzeln die zu demſelben gehörigen Mittelbahnen auf eine 30zöllige Himmelskugel aufgezeichnet und jedesmal die Lage des Punktes ermittelt, von welchem die meiſten Bahnen ausgingen. Die Unterſuchung ergab, daß von 407 der Bahn nach verzeichneten Sternſchnuppen 171 aus dem Perſeus nahe beim Sterne ) im Meduſenhaupte, 83 aus dem Löwen, 35 aus der Kaſſiopeia in der Nähe des ver— änderlichen Sternes , 40 aus dem Drachenkopfe, volle 78 aber aus unbeſtimmten Punkten kamen. Die Zahl der aus dem Perſeus ausſtrahlenden Sternſchnuppen betrug alſo faſt doppelt jo viel als die des Löwen.“? e A — 431 — Die Radiation aus dem Perſeus hat ſich demnach in beiden Perioden als ein ſehr merkwürdiges Reſultat erwieſen. Ein ſcharfſinniger, acht bis zehn Jahre mit den Meteorphäno⸗ menen beſchäftigter Beobachter, Julius Schmidt, Adjunkt an der Sternwarte zu Bonn, äußert ſich über dieſen Gegenſtand mit großer Beſtimmtheit in einem Briefe an mich (Juli 1851); „Abſtrahiere ich von den reichen Sternſchnuppenfällen im November 1833 und 1834, ſowie von einigen ſpäteren der Art, wo der Punkt im Löwen ganze Scharen von Meteoren ausſandte, ſo bin ich gegenwärtig geneigt, den Perſeus— punkt als denjenigen Konvergenzpunkt zu betrachten, welcher nicht bloß im Auguſt, ſondern das ganze Jahr hindurch die meiſten Meteore liefert. Dieſer Punkt liegt, wenn ich die aus 478 Beobachtungen von Heis ermittelten Werte zu Grunde lege, in Rektaſzenſion 50,3“ und Deklination 51,5“ (gültig für 1844/46). Im November 1849 (7. bis 14.) ſah ich ein paar hundert Sternſchnuppen mehr, als ich ſeit 1841 je im November be— merkt hatte. Von dieſen kamen im ganzen nur wenige aus dem Löwen, bei weitem die meiſten gehörten dem Sternbild des Perſeus an. Daraus folgt, wie mir ſcheint, daß das große Novemberphänomen von 1799 und 1833 damals (1841) nicht erſchienen iſt. Auch glaubte Olbers an eine Periode von 34 Jahren für das Maximum der November: erſcheinung (Kosmos Bd. I, S. 91). Wenn man die Rich— tungen der Meteorbahnen in ihrer ganzen Komplikation und periodiſchen Wiederkehr betrachtet, jo findet man, daß es ge— wiſſe Radiationspunkte gibt, die immer vertreten ſind, andere, die nur ſporadiſch und wechſelnd erſcheinen.“ Ob übrigens die verſchiedenen Ausgangspunkte mit den Jahren ſich ändern, was, wenn man geſchloſſene Ringe annimmt, eine Veränderung in der Lage der Ringe andeuten würde, in welchen die Meteore ſich bewegen, läßt ſich bis jetzt nicht mit Sicherheit aus den Beobachtungen beſtimmen. Eine ſchöne Reihe ſolcher Beobachtungen von Houzeau (aus den Jahren 1839 bis 1842) ſcheint gegen eine progreſſive Veränderung zu zeugen. Daß man im griechiſchen und rö— miſchen Altertum ſchon auf eine gewiſſe temporäre Gleich— förmigkeit in der Richtung der am Himmelsgewölbe hin— ſchießenden Sternſchnuppen aufmerkſam geweſen iſt, hat ſehr richtig Eduard Heis“ bemerkt. Jene Richtung wurde damals als Folge eines in den höheren Luftregionen bereits wehenden Windes betrachtet, und verkündigte den Schiffenden einen bald — 432 — aus derſelben Weltgegend eintretenden und herabſteigenden Luftſtrom in der niedrigeren Region. Wenn die periodiſchen Sternſchnuppenſtröme ſich von den ſporadiſchen ſchon durch häufigen Parallelismus der Bahnen, ſtrahlend aus einem oder mehreren Ausgangspunkten, unterſcheiden, jo iſt ein zweites Kriterium derſelben das nume— riſche, die Menge der einzelnen Meteore, auf ein beſtimmtes Zeitmaß zurückgeführt. Wir kommen hier auf die vielbeſtrittene Aufgabe der Unterſcheidung eines außerordentlichen Stern— ſchnuppenfalles von einem gewöhnlichen. Als Mittelzahl der Meteore, welche in dem Geſichtskreis einer Perſon an nicht außerordentlichen Tagen ſtündlich zu rechnen ſind, gab von zwei vortrefflichen Beobachtern, Olbers und Quetelet, der eine 5 bis 6, der andere 8 Meteore an. Zur Erörterung dieſer Frage, welche ſo wichtig als die Beſtimmung der Bewegungs— geſetze der Sternſchnuppen in Hinſicht auf ihre Richtung iſt, wird die Diskuſſion einer ſehr großen Anzahl von Beob⸗ achtungen erfordert. Ich habe mich deshalb mit Vertrauen an den ſchon oben genannten Beobachter, Herrn Julius Schmidt zu Bonn, gewandt, der, lange an aſtronomiſche Genauigkeit gewöhnt, mit der ihm eigenen Lebendigkeit das Ganze des Meteorphänomens umfaßt, von welchem die Bildung der Aerolithen und ihr Herabſtürzen zur Erde ihm nur eine ein— zelne, die ſeltenſte, und darum nicht die wichtigſte Phaſe zu ſein ſcheint. Folgendes ſind die Hauptreſultate der erbetenen Mitteilungen.!“ „Als Mittelzahl von vielen Jahren der Beobachtung (zwiſchen 3 und 8 Jahren) iſt für die Erſcheinung ſpo— radiſcher Sternſchnuppen ein Fall von 4 bis 5 in der Stunde gefunden worden. Das iſt der gewöhnliche Zu— ſtand, wenn nichts Periodiſches eintritt. Die Mittelzahlen in den einzelnen Monaten geben ſporadiſch für die Stunde: Januar 3,4, Februar —, März 4,9, April 2,4, Mai 3,9, Juni 5,3, Juli 4,5, Auguſt 5,3, September 4,7, Oktober 4,5, November 5,3, Dezember 4,0. n Bei den periodiſchen Meteorfällen kann man im Mittel in jeder Stunde über 13 oder 15 erwarten. Für eine einzelne Periode, die des Auguſt, den Strom des heil. Lau: rentius, ergaben ſich vom Sporadiſchen zum Periodiſchen fol— gende allmähliche Zunahmen im Mittel von 3 bis 8 Jahren der Beobachtung: — 433 — Zeit: Zahl der Meteore Zahl 1 in 1 Stunde: der Jahre: 6. Auguſt . 6 1 EDEN ef 3 8 „ 15 4 . 29 8 er 81 6 n 1 5 12. 7 3 Das letzte Jahr, 1851, alſo ein einzelnes, gab für die Stunde, trotz des hellen Mondſcheines: am 7. Auguſt . . 3 Meteore „ . is 0 " | " " 9. " 5 - 16 " „ 10. I 7 18 " " TE 57 3 7 „12. 1 (Nach Heis wurden beobachtet am 10. Auguft: 1839 in 1 Stunde 160 Meteore 1 43 757 7 8 50 In 10 Minuten fielen 1842 im Auguſtmeteorſtrome zur Zeit des Maximums 34 Sternſchnuppen.) Alle dieſe Zahlen be— ziehen ſich auf den Geſichtskreis eines Beobachters. Seit dem Jahre 1838 ſind die Novemberfälle weniger glänzend. (Am 12. November 1839 zählte jedoch Heis noch ſtündlich 22 bis 35 Meteore, ebenſo am 13. November 1846 im Mittel 27 bis 33.) So verſchieden iſt der Reichtum in den perio— diſchen Strömen der einzelnen Jahre, aber immer bleibt die Zahl der fallenden Meteore beträchtlich größer, als in den gewöhnlichen Nächten, welche in der Stunde nur 4 bis 5 ſporadiſche Fälle zeigen. Im Januar (vom 4. an zu rechnen), im Februar und im März ſcheinen die Meteore überhaupt am ſeltenſten zu fein.” '' „Obgleich die Auguſt- und die Novemberperiode mit Recht die berufenſten ſind, ſo hat man doch, ſeitdem die Sternſchnuppen der Zahl und der parallelen Richtung nach mit größerer Genauigkeit beobachtet werden, noch fünf andere Perioden erkannt: Januar: in den erſten Tagen, zwiſchen dem 1. und 3. wohl etwas zweifelhaft. A. v. Humboldt, Kosmos. III. ö 28 — 434 — April: 18. oder 20.? ſchon von Arago vermutet. (Große Ströme: 25. April 1095, 22. April 1800, 20. April 1803; Kosmos Bd. I, S. 279, Annuaire pour 1836, p. 267.) Mai: 26.2 g Juli: 26. bis 30.; Quetelet. Maximum eigentlich zwiſchen 27. und 29. Juli. Die älteſten chineſiſchen Beobachtungen gaben dem leider! früh hingeſchiedenen Eduard Biot ein allgemeines Maximum zwiſchen 18. und 27. Juli. Auguſt, aber vor dem Laurentiusſtrome, beſonders zwiſchen dem 2. und 5. des Monats. Man bemerkt vom 26. Juli bis 10. Auguſt meiſt keine regelmäßige Zunahme. Auguſt: Laurentiusſtrom ſelbſt; Musſchenbroek und Brandes (Kosmos Bd. I, S. 89— 90 und 279). Entſchiedenes Maximum am 10. Auguſt, ſeit vielen Jahren beobachtet. (Einer alten Tradition gemäß, welche in Theſ— ſalien in den Gebirgsgegenden um den Pelion verbreitet iſt, öffnet ſich während der Nacht des Feſtes der Trans— figuration, am 6. Auguſt, der Himmel und die Lichter, ue, erſcheinen mitten in der Oeffnung; Herrick in Sillimans Amer. Journal Vol. 37, 1839, p. 337 und Quetelet in den Nouv. Mém. de l’Acad. de Bruxelles T. XV, p. 9.) Oktober: der 19. und die Tage um den 26.; Due- telet, Boguslawski in den „Arbeiten der ſchleſ. Geſell— ſchaft für vaterländ. Kultur“ 1843, S. 178 und Heis S. 33. Letzterer ſtellt Beobachtungen vom 21. Oktober 1766, 18. Oktober 1838, 17. Oktober 1841, 24. Oktober 1845, 11. bis 12. Oktober 1847 und 20. bis 26. Oktober 1848 zuſammen. (S. über drei Oktoberphänomene in den Jahren 902, 1202 und 1366, Kosmos Bd. I, S. 92 und 275.) Die Vermutung von Boguslawski, daß die chineſiſchen Meteorſchwärme vom 18. bis 27. Juli und der Sternſchnuppenfall vom 21. Oktober (a. St.) 1366 die jetzt vorgerückten Auguſt- und Novemberperioden ſeien, verliert nach den vielen neueren Erfahrungen von 1838 bis 1848 viel von ihrem Gewicht.!“ November: 12. bis 14., ſehr ſelten der 8. oder 10. (Der große Meteorfall von 1799 in Cumana vom 11. bis 12. November, welchen Bonpland und ich beſchrieben 2 r ar haben, gab inſofern Veranlaſſung, an zu beſtimmten Tagen periodiſch wiederkehrende Erſcheinungen zu glauben, als man bei dem ähnlichen großen Meteor: fall von 1833 (November 12. bis 13.) ſich der Erſchei— nung vom Jahre 1799 erinnerte.)!“ Dezember: 9. bis 12., aber 1798 nach Brandes' Beobachtung Dezember 6. bis 7., Herrick in New Haven 1838 Dezember 7. bis 8., Heis 1847 Dezember 8. bis 10. Acht bis neun Epochen periodiſcher Meteorſtröme, von denen die letzteren fünf die ſicherer beſtimmten ſind, werden hier dem Fleiß der Beobachter empfohlen. Die Ströme verſchie— dener Monate ſind nicht allein untereinander verſchieden, auch in verſchiedenen Jahren wechſeln auffallend die Reichhaltigkeit und der Glanz desſelben Stromes.“ „Die obere Grenze der Höhe der Sternſchnuppen iſt mit Genauigkeit nicht zu ermitteln, und Olbers hielt ſchon alle Höhen über 30 Meilen (220 km) für wenig ſicher be— ſtimmt. Die untere Grenze, welche man vormals (Kosmos Bd. I, S. 87) gewöhnlich auf 4 Meilen (über 91000 Fuß —= 30 km) ſetzte, iſt ſehr zu verringern. Einzelne ſteigen nach Meſſun en faſt bis zu den Gipfeln des Chimborazo und Aconcagua, bis zu einer geographiſchen Meile über der Meeres— fläche, —. 15 Dagegen bemerkt Heis, daß eine am 10. Juli 1837 gleichzeitig in Berlin und Breslau geſehene Sternſchnuppe nach genauer Berechnung beim Aufleuchten 62 Meilen (460 km) und beim Verſchwinden 42 Meilen (360 km) Höhe hatte, andere verſchwanden in derſelben Nacht in einer Höhe von 14 Meilen (104 km). Aus der älteren Arbeit von Brandes (1823) folgt, daß von 100 an zwei Standpunkten wohl: gemeſſenen Sternschnuppen 4 eine Höhe hatten von nur 1 bis 3 Meilen (7 bis 22 km), 15 zwiſchen 3 und 6 M. (22 bis 44 km) 22 von 6 bis 10 M. (44 bis 74 km), 35 (faſt ) von 10 bis 15 M. (74 bis 110 km), 13 von 10 bis 20 M. (74 bis 148 km) und nur 11 (alſo kaum /) über 20 M. (148 km) und zwar zwiſchen 45 und 60 M. (330 bis 445 km). Aus 4000 in 9 Jahren geſammelten Beob: achtungen iſt in Hinſicht auf die Farbe der Sternſchnuppen geſchloſſen worden, daß / weiß, ½ gelb, ½ gelbrot und nur "sr grün find. 2 Olbers meldet, daß während des Meteorfalles in der Nacht vom 12. zum 13. November im Jahre 1838 in Bremen ſich ein ſchönes Nordlicht zeigte, welches große Strecken am — 436 — Himmel mit lebhaftem blutroten Lichte färbte. Die durch dieſe Region hinſchießenden Sternſchnuppen bewahrten unge— trübt ihre weiße Farbe, woraus man ſchließen kann, daß die Nordlichtſtrahlen weiter von der Oberfläche der Erde entfernt waren als die Sternſchnuppen da, wo ſie im Fallen unſicht— bar wurden. (Schum. Aſtron. Nachr. Nr. 372, S. 178.) Die relative Geſchwindigkeit der Sternſchnuppen iſt bisher zu 4%½ bis 9 geogr. Meilen in der Sekunde geſchätzt worden, während die Erde nur eine Translationsgeſchwindigkeit von 4,1 Meilen hat (Kosmos Bd. I, S. 87 und 276). Kor: reſpondierende Beobachtungen von Julius Schmidt in Bonn und Heis in Aachen (1849) gaben in der That als Minimum für eine Sternſchnuppe, welche 12 Meilen (88 km) ſenkrecht über St. Goar ſtand und über den Laacher See hinwegſchoß, nur 3½ Meilen (25 km). Nach anderen Vergleichungen derſelben Beobachter und Houzeaus in Mons wurde die Geſchwindig— keit von 4 Sternſchnuppen zwiſchen 11½ und 23% Meilen (85 bis 175 km) in der Sekunde, alſo 2 bis 5mal fo groß als die planetariſche der Erde, gefunden. Dieſes Reſultat beweiſt wohl am kräftigſten den kosmiſchen Urſprung neben der Stetigkeit des einfachen oder mehrfachen Radiationspunktes, d. h. neben dem Umſtand, daß periodiſche Sternſchnuppen, unabhängig von der Rotation der Erde, in der Dauer meh— rerer Stunden von demſelben Sterne ausgehen, wenn auch dieſer Stern nicht der iſt, gegen welchen die Erde zu derſelben Zeit ſich bewegt. Im ganzen ſcheinen ſich nach den vorhan— denen Meſſungen Feuerkugeln langſamer als Sternſchnuppen zu bewegen, aber immer bleibt es auffallend, daß, wenn die erſteren Meteorſteine fallen laſſen, dieſe ſich ſo wenig tief in den Erdboden einſenken. Die 276 Pfund (138 kg) wiegende Maſſe von Enſisheim im Elſaß war (7. November 1492) nur Fuß (1m), ebenſo tief der Aerolith von Braunau (14. Juli 1847) eingedrungen. Ich kenne nur 2 Meteorſteine, welche bis 6 und 18 Fuß (2 und 6m) den lockeren Boden aufge— wühlt haben; ſo der Aerolith von Caſtrovillari in den Abruzzen (9. Februar 1583) und der von Hradſchina im Agramer Ko- mitat (26. Mai 1751). Ob je etwas aus den Sternſchnuppen zur Erde gefallen, iſt vielfach in entgegengeſetztem Sinne erörtert worden. Die Strohdächer der Gemeinde Belmont (Departement de Min, Arrondiſſement Belley), welche in der Nacht vom 13. November 1835, alſo zu der Epoche des bekannten Novemberphänomens, — 437 — durch ein Meteor angezündet wurden, erhielten das Feuer, wie es ſcheint, nicht aus einer fallenden Sternſchnuppe, ſon— dern aus einer zerſpringenden Feuerkugel, welche (problematiſch gebliebene) Aerolithen ſoll haben fallen laſſen, nach den Be— richten von Millet d'Aubenton. Ein ähnlicher Brand, durch eine Feuerkugel veranlaßt, entſtand den 22. März 1846 um 3 Uhr nachmittags in der Kommune de St. Paul bei Bagnere de Luchon. Nur der Steinfall in Angers (am 9. Juni 1822) wurde einer bei Poitiers geſehenen ſchönen Sternſchnuppe beigemeſſen. Das nicht vollſtändig genug beſchriebene Phä— nomen verdient die größte Beachtung. Die Sternſchnuppe glich ganz den ſogenannten römiſchen Lichtern in der Feuer— werkerei. Sie ließ einen geradlinigen Strich zurück, nach oben ſehr ſchmal, nach unten ſehr breit, und von großem Glanze, der 10 bis 12 Minuten dauerte. Siebzehn Meilen (126 km) nördlich von Poitiers fiel unter heftigen Detonationen ein Aerolith. Verbrennt immer alles, was die Sternſchnuppen ent— halten, in den äußerſten Schichten der Atmoſphäre, deren ſtrahlenbrechende Kraft die Dämmerungserſcheinungen darthun? Die oben erwähnten, ſo verſchiedenen Farben während des Verbrennungsprozeſſes laſſen auf chemiſche, ſtoffartige Verſchie— denheit ſchließen. Dazu ſind die Formen jener Feuermeteore überaus wechſelnd; einige bilden nur phosphoriſche Linien von ſolcher Feinheit und Menge, daß Forſter im Winter 1832 die Himmelsdecke dadurch wie von einem ſchwachen Schimmer erleuchtet ſah. Viele Sternſchnuppen bewegen ſich bloß als leuchtende Punkte und laſſen gar keinen Schweif zurück. Das Abbrennen bei ſchnellem oder langſamerem Verſchwinden der Schweife, die gewöhnlich viele Meilen lang ſind, iſt um ſo merkwürdiger, als der brennende Schweif bisweilen ſich krümmt, und ſich wenig fortbewegt. Das ſtundenlange Leuchten des Schweifes einer längſt verſchwundenen Feuerkugel, welches Admiral Kruſenſtern und ſeine Begleiter auf ihrer Weltum— ſeglung beobachteten, erinnert lebhaft an das lange Leuchten der Wolke, aus welcher der große Aerolith von Aegos Po— tamoi ſoll herabgefallen ſein, nach der freilich wohl nicht ganz glaubwürdigen Erzählung des Damachos (Kosmos Bd. I, S. 272 und 282). Es gibt Sternſchnuppen von ſehr verſchiedener Größe, bis zum ſcheinbaren Durchmeſſer des Jupiter oder der Venus anwachſend; auch hat man in dem Sternſchnuppenfalle von — 438 — Toulouſe (10. April 1812) und bei einer am 23. Auguſt des⸗ ſelben Jahres beobachteten Feuerkugel dieſe wie aus einem leuchtenden Punkte ſich bilden, ſternartig aufſchießen und dann erſt zu einer mondgroßen Sphäre ſich ausdehnen ge— ſehen. Bei ſehr reichen Meteorfällen, wie bei denen von 1799 und 1833, find unbezweifelt viele Feuerkugeln mit Tau: jenden von ( Sternſchnuppen gemengt geweſen; aber die Iden— tität beider Arten von Feuermeteoren iſt doch bisher keines— falls erwieſen. Verwandtſchaft iſt nicht Identität. Es bleibt noch vieles zu erforſchen über die phyſiſchen Verhältniſſe beider, über die vom Admiral Wrangel an den Küſten des Eismeeres bezeichnete Einwirkung der Sternſchnuppen auf Entwickelung des Polarlichtes, und auf ſo viele unbeſtimmt beſchriebene, aber darum nicht voreilig zu negierende Lichtprozeſſe, welche der Entſtehung einiger Feuerkugeln vorhergegangen ſind. Der größere Teil der Feuerkugeln erſcheint unbegleitet von Stern⸗ ſchnuppen und zeigt keine Periodizität der Erſcheinung. Was wir von den Sternſchnuppen wiſſen in Hinſicht auf die Radiation aus beſtimmten Punkten, iſt für jetzt nur mit Vor⸗ ſicht auf Feuerkugeln anzuwenden. Meteorſteine fallen, doch am ſeltenſten, bei ganz klarem Himmel, ohne daß ſich vorher eine ſchwarze Meteorwolke er— zeugt, ohne irgend ein geſehenes Lichtphänomen, aber mit furchtbarem Krachen, wie am 16. September 1813 bei Klein: Wenden unweit Mühlhauſen, oder ſie fallen, und dies häufiger, geſchleudert aus einem plötzlich ſich bildenden dunkeln Gewölk, von Schallphänomenen begleitet, doch ohne Licht; endlich, und jo wohl am häufigſten, zeigt ſich der Meteorſteinfall in nahem Zuſammenhange mit glänzenden Feuerkugeln. Von dieſem Zuſammenhange liefern wohlbeſchriebene und unzubezweifelnde Beiſpiele die Steinfälle von Barbotan (Dep. des Landes) den 24. Juli 1790, mit gleichzeitigem Erſcheinen einer roten Feuerkugel und eines weißen Meteorwölkchens, aus dem die Aerolithen fielen; der Steinfall von Benares in Hindoſtan (13. Dezember 1798), der von Aigle (Dep. de l'Orne) am 26. April 1803. Die letzte der hier genannten Erſcheinungen — unter allen diejenige, welche am ſorgfältigſten (durch Biot) unterſucht und beſchrieben iſt — hat endlich, 237 Jahrhunderte nach dem großen thrakiſchen Steinfall, und 300 Jahre nach⸗ dem ein Frate zu Crema durch einen Aerolithen erſchlagen wurde,!“ der endemiſchen Zweifelſucht der Akademieen ein Ziel geſetzt. Eine große Feuerkugel, die ſich von SO nach „ - ẽůmu;—mm— —¾Ün·» Ä a en 5 Hi — — 439 — NW bewegte, wurde um 1 Uhr nachmittags in Alengon, Falaiſe und Caen bei ganz reinem Himmel geſehen. Einige Augenblicke darauf hörte man bei Aigle (Dep. de l'Orne) in einem kleinen, dunklen, faſt unbewegten Wölkchen eine 5 bis 6 Minuten dauernde Exploſion, welcher 3 bis 4 Kanonen: ſchüſſe und ein Getöſe wie von kleinem Gewehrfeuer und vielen Trommeln folgten. Bei jeder Exploſion entfernten ſich einige von den Dämpfen, aus denen das Wölkchen beſtand. Keine Lichterſcheinung war hier bemerkbar. Es fielen zugleich auf einer elliptiſchen Bodenfläche, deren große Achſe von SO nach NW 1,2 Meile (9 km) Länge hatte, viele Meteorſteine, von welchen der größte nur 17% Pfund (8,75 kg) wog. Sie waren heiß, aber nicht rotglühend,““ dampften ſichtbar, und, was ſehr auffallend iſt, ſie waren in den erſten Tagen nach dem Falle leichter zerſprengbar als nachher. Ich habe abſichtlich bei dieſer Er g länger verweilt, um ſie mit einer vom 13. September 1768 vergleichen zu können. Um 4% Uhr nachmittags wurde an dem eben genannten Tage bei dem Dorfe Luce (Dep. d' Eure et Loire), eine Meile weſtlich von Chartres, ein dunkles Gewölk geſehen, in dem man wie einen Kanonenſchuß hörte, wobei zugleich ein Ziſchen in der Luft vernommen wurde, verurſacht durch den Fall eines ſich in einer Kurve bewegenden ſchwarzen Steines. Der gefallene, halb in das Erdreich eingedrungene Stein wog 7% Pfund (3,75 kg), und war jo heiß, daß man ihn nicht berühren konnte. Er wurde von Lavoiſier, Fougeroux und Cadet ſehr unvollkommen analyſiert. Eine Lichterſcheinung ward bei dem ganzen Ereignis nicht wahrgenommen. Sobald man anfing, periodiſche Sternſchnuppenfälle zu beobachten und alſo in beſtimmten Nächten auf ihre Erſchei— nung zu harren, wurde bemerkt, daß die Häufigkeit der Meteore mit dem Abſtande von Mitternacht zunahm, daß die meiſten zwiſchen 2 und 5 Uhr morgens fielen. Schon bei dem großen Meteorfalle zu Cumana in der Nacht vom 11. zum 12. No: vember 1799 hatte mein Reiſebegleiter den größten Schwarm von Sternſchnuppen zwiſchen 2% und 4 Uhr geſehen. Ein ſehr verdienſtvoller Beobachter der Meteorphänomene, Coul— vier⸗Gravier, hat im Mai 1845 dem Inſtitut zu Paris eine wichtige Abhandlung Sur la variation horaire des étoiles filantes übergeben. Es iſt ſchwer, die Urſache einer ſolchen ſtündlichen Variation, einen Einfluß des Abſtandes von dem Mitternachtspunkte zu erraten. Wenn — 440 — unter verſchiedenen Meridianen die Sternſchnuppen erſt in einer beſtimmten Frühſtunde vorzugsweiſe ſichtbar werden, ſo müßte man bei einem kosmiſchen Urſprunge annehmen, was doch wenig wahrſcheinlich iſt, daß dieſe Nacht- oder viel— mehr Frühmorgenſtunden vorzüglich zur Entzündung der Sternſchnuppen geeignet ſeien, während in anderen Nacht: ſtunden mehr Sternſchnuppen vor Mitternacht unſichtbar vor— überziehen. Wir müſſen noch lange mit Ausdauer Beob— achtungen ſammeln. Die Hauptcharaktere der feſten Maſſen, welche aus der Luft herabfallen, glaube ich nach ihrem chemiſchen Verhalten und dem in ihnen beſonders von Guſtav Roſe erforſchten körnigen Gewebe im Kosmos (Bd. I, S. 92 bis 94) nach dem Standpunkte unſeres Wiſſens im Jahre 1845 ziemlich vollſtändig abgehandelt zu haben. Die aufeinander folgenden Arbeiten von Howard, Klaproth, Thénard, Vauquelin, Prouſt, Berzelius, Stromeyer, Laugier, Dufresnoy, Guſtav und Hein— rich Roſe, Bouſſingault, Rammelsberg und Shepard haben ein reichhaltiges!“ Material geliefert, und doch entgehen un— ſerem Blicke % der gefallenen Steine, welche auf dem Meeres- boden liegen. Wenn es auch augenfällig iſt, wie unter allen Zonen, an den voneinander entfernteſten Punkten, die Aero— lithen eine gewiſſe phyſiognomiſche Aehnlichkeit haben: in Grönland, Mexiko und Südamerika, in Europa, Sibirien und Hindoſtan, ſo bieten dieſelben doch bei näherer Unter— ſuchung eine ſehr große Verſchiedenheit dar. Viele enthalten 00 Eiſen, andere (Siena) kaum oo; faſt alle haben einen dünnen ſchwarzen, glänzenden und dabei geäderten Ueberzug, bei einem (Chantonnay) fehlte die Rinde gänzlich. Das ſpezifiſche Gewicht einiger Meteorſteine ſteigt bis 4,28, wenn der kohlen— artige, aus zerreiblichen Lamellen beſtehende Stein von Alais nur 1,94 zeigte. Einige (Juvenas) bilden ein doleritartiges Gewebe, in welchem kriſtalliſierter Olivin, Augit und Anorthit einzeln zu erkennen ſind, andere (die Maſſe von Pallas) zeigen bloß nickelhaltiges Eiſen und Olivin, noch andere (nach den Stoffverhältniſſen der Miſchung zu urteilen) Aggregate von Hornblende und Albit (Chateau-Renard) oder von Horn: blende und Labrador (Blansko und Chantonnay). Nach der allgemeinen Ueberſicht der Reſultate, welche ein ſcharfſinniger Chemiker, Profeſſor Rammelsberg, der ſich in der neueren Zeit ununterbrochen, ſo thätig als glück— lich, mit der Analyſe der Aerolithen und ihrer Zuſammenſetzung — 441 aus einfachen Mineralien beſchäftigt hat, aufſtellt, „iſt die Trennung der aus der Atmoſphäre herabgefallenen Maſſen in Meteoreiſen und Metcorſteine nicht in abſoluter Schärfe zu nehmen. Man findet, obgleich ſelten, Meteor— eiſen mit eingemengten Silikaten (die von Heß wieder gewogene ſibiriſche Maſſe, zu 1270 ruſſiſchen Pfunden, mit Olivinkörnern), wie andererſeits viele Meteorſteine metal— liſches Eiſen enthalten.“ „A. Das Meteoreiſen, deſſen Fall nur wenige Male von Augenzeugen hat beobachtet werden können (Hradſchina bei Agram 26. Mai 1751, Braunau 14. Juli 1847), während die meiſten analogen Maſſen ſchon ſeit langer Zeit auf der Oberfläche der Erde ruhen, beſitzt im allgemeinen ſehr gleich— artige phyſiſche und chemiſche Eigenſchaften. Faſt immer ent- hält es in feineren oder gröberen Teilen Schwefeleiſen eingemengt, welches jedoch weder Eiſenkies noch Magnetkies, ſondern ein Eiſenſulfuret zu ſein ſcheint. Die Hauptmaſſe eines ſolchen Meteoreiſens iſt auch kein reines metalliſches Eiſen, ſondern wird durch eine Legierung von Eiſen und Nickel gebildet, ſo daß mit Recht dieſer konſtante Nickel— gehalt (im Durchſchnitt zu 10 Prozent, bald etwas mehr, bald etwas weniger) als ein vorzügliches Kriterium für die meteo— riſche Beſchaffenheit der ganzen Maſſe gilt. Es iſt nur eine Legierung zweier iſomorpher Metalle, wohl keine Verbindung in beſtimmten Verhältniſſen. In geringer Menge finden ſich beigemiſcht: Kobalt, Mangan, Magneſium, Zinn, Kupfer und Kohlenſtoff. Der letztgenannte Stoff iſt teil— weiſe mechaniſch beigemengt, als ſchwer verbrennlicher Graphit, teilweiſe chemiſch verbunden mit Eiſen, demnach analog vielem Stabeiſen. Die Hauptmaſſe des Meteoreiſens enthält auch ſtets eine eigentümliche Verbindung von Phosphor mit Eiſen und Nickel, welche beim Auflöſen des Eiſens in Chlorwaſſerſtoffſäure als ſilberweiße mikroſkopiſche Kriſtall— nadeln und Blättchen zurückbleiben.“ „B. Die eigentlichen Meteorſteine pflegt man, durch ihr äußeres Anſehen geleitet, in zwei Klaſſen zu teilen. Die einen nämlich zeigen in einer ſcheinbar gleichartigen Grundmaſſe Körner und Flitter von Meteoreiſen, welches dem Magnet folgt und ganz die Natur des für ſich in größeren Maſſen aufgefundenen beſitzt. Hierher gehören z. B. die Steine von Blansko, Liſſa, Aigle, Enſisheim, Chantonnay, Klein⸗Wenden bei Nordhauſen, Erxleben, Chateau-Renard und — 442 — Utrecht. Die andere Klaſſe iſt frei von metalliſchen Bei— mengungen und ſtellt ſich mehr als ein kriſtalliniſches Gemenge verſchiedener Mineralſubſtanzen dar, wie z. B. die Steine von Juvenas, Lontalax und Stannern.“ „Seitdem Howard, Klaproth und Vauquelin die erſten chemiſchen Unterſuchungen von Meteorſteinen angeſtellt haben, nahm man lange Zeit keine Rückſicht darauf, daß ſie Ge— menge einzelner Verbindungen ſein könnten, ſondern erforſchte ihre Beſtandteile nur im ganzen, indem man ſich begnügte, den etwaigen Gehalt an metalliſchem Eiſen mittels des Magnetes auszuziehen. Nachdem Mohs auf die Analogie einiger Aero— lithen mit gewiſſen telluriſchen Geſteinen aufmerkſam gemacht hatte, verſuchte Nordenſkjöld zu beweiſen, daß Olivin, Leucit und Magneteiſen die Gemengteile des Aeroliths von Lontalax in Finnland ſeien; doch erſt die ſchönen Beobachtungen von Guſtav Roſe haben es außer Zweifel geſetzt, daß der Stein von Juvenas aus Magnetkies, Augit und einem dem Labrador ſehr ähnlichen Feldſpat beſtehe. Hierdurch geleitet, ſuchte Berzelius in einer größeren Arbeit (Kong. Vetenskaps- Academiens Handlingar för 1834) auch durch chemiſche Methoden die mineralogiſche Natur der einzelnen Verbin— dungen in den Aerolithen von Blansko, Chantonnay und Alais auszumitteln. Der mit Glück von ihm vorgezeichnete Weg iſt ſpäter vielfach befolgt worden.“ „a. Die erſte und zahlreichere Klaſſe von Meteorſteinen, die mit metalliſchem Eiſen, enthält dasſelbe bald fein ein— geſprengt, bald in größeren Maſſen, die ſich bisweilen als ein zuſammenhängendes Eiſenſkelett geſtalten, und fo den Ueber: gang zu jenen Meteoreiſenmaſſen bilden, in welchen, wie in der ſibiriſchen Maſſe von Pallas, die übrigen Stoffe zurück— treten. Wegen ihres beſtändigen Olivingehaltes ſind ſie reich an Talkerde. Der Olivin iſt derjenige Gemengteil dieſer Meteorſteine, welcher bei ihrer Behandlung mit Säuren zer— legt wird. Gleich dem telluriſchen iſt er ein Silikat von Talkerde und Eiſenoxydul. Derjenige Teil, welcher durch Säuren nicht angegriffen wird, iſt ein Gemenge von Feld— ſpat- und Augitſubſtanz, deren Natur ſich einzig und allein durch Rechnung aus ihrer Geſamtmiſchung (als Labrador, Hornblende, Augit oder Oligoklas) beſtimmen läßt.“ „3. Die zweite, viel ſeltenere Klaſſe von Meteorſteinen iſt weniger unterſucht. Sie enthalten teils Magneteiſen, Oli— vin und etwas Feldſpat- und Augitſubſtanz, teils beſtehen ſie G — 443 — bloß aus den beiden letzten einfachen Mineralien, und das Feld— ſpatgeſchlecht iſt dann durch Anorthit repräſentiert. Chrom— eiſen (Chromoxydeiſenoxydul) findet ſich in geringer Menge faſt in allen Meteorſteinen; Phosphorſäure und Titan— ſäure, welche Rammelsberg in dem ſo merkwürdigen Steine von Juvenas entdeckte, deuten vielleicht auf Apatit und Titanit.“ „Von den einfachen Stoffen ſind im allgemeinen bis— her in den Meteorſteinen nachgewieſen worden: Sauerſtoff, Schwefel, Phosphor, Kohlenſtoff, Kieſel, Alu— minium, Magneſium, Calcium, Kalium, Natrium, Eiſen, Nickel, Kobalt, Chrom, Mangan, Kupfer, Zinn und Titan, alſo 18 Stoffe. Die näheren Beſtandteile ſind: a) metalliſche: Nickeleiſen, eine Verbindung von Phos— phor mit Eiſen und Nickel, Eiſenſulfuret und Magnetkies; b) oxydierte: Magneteiſen und Chromeiſen; c) Silikate: Olivin, Anorthit, Labrador und Augit.“ Es würde mir noch übrig Serben, um hier die größt: mögliche Menge wichtiger Thatſachen, abgeſondert von hypo— thetiſchen Ahnungen, zu konzentrieren, die mannigfaltigen Analogieen zu entwickeln, welche einige Meteorgeſteine als Ge— birgsarten mit älteren ſogenannten Truppgeſteinen (Dole— riten, Dioriten und Melaphyren), mit Baſalten und neueren Laven darbieten. Dieſe Analogieen ſind um ſo auffallender, als „die metalliſche Legierung von Nickel und Eiſen, welche in gewiſſen meteoriſchen Maſſen konſtant enthalten iſt“, bis- her noch nicht in telluriſchen Mineralien entdeckt wurde. Der— ſelbe ausgezeichnete Chemiker, deſſen freundliche Mitteilungen ich in dieſen letzten Blättern benutzt habe, verbreitet ſich über dieſen Gegenſtand in einer eigenen Abhandlung, '” deren Re: ſultate geeigneter in dem geologiſchen Teile des Kosmos erörtert werden. Anmerkungen. (S. 426.) Der Anblick des geſtirnten Himmels bietet uns Ungleichzeitiges dar. Vieles iſt längſt verſchwunden, ehe es uns erreicht, vieles anders geordnet. (S. 428.) Wenn Stobäus in derſelben Stelle (Eclog. phys. p. 508) dem Apolloniaten zuſchreibt, er habe die Sterne bimsſteinartige Körper (alſo poröſe Steine) genannt, ſo mag die Veranlaſſung zu dieſer Benennung wohl die im Altertum ſo verbreitete Idee ſein, daß alle Weltkörper durch feuchte Aus: dünſtungen genährt werden. Die Sonne gibt das Eingeſogene wieder zurück. Die bimsſteinartigen Weltkörper haben ihre eigenen Exhalationen. „Dieſe, welche nicht geſehen werden können, ſolange ſie in den himmliſchen Räumen umherirren, ſind Steine, ent— zünden ſich und verlöſchen, wenn ſie zur Erde herabfallen.“ Den Fall von Meteorſteinen hält Plinius für häufig, „decidere tamen crebro, non erit dubium“; er weiß auch, daß der Fall in heiterer Luft ein Getöſe hervorbringt. Die analog ſcheinende Stelle des Seneca, in welcher er den Anaximenes nennt (Natur. Quaest. lib. II, 17) bezieht ſich wohl auf den Donner in einer Gewitter— wolke. 3 (S. 428.) Die merkwürdige Stelle (Plut., Lys. cap. 12) lautet wörtlich überſetzt alſo: „Wahrſcheinlich iſt die Meinung einiger, die geſagt haben, die Sternſchnuppen ſeien nicht Abflüſſe noch Ver— breitungen des ätheriſchen Feuers, welches in der Luft verlöſche gleich bei ſeiner Entzündung, noch auch Entflammung und Ent— brennung von Luft, die ſich in Menge abgelöſt habe nach der oberen Region, ſondern Wurf und Fall himmliſcher Körper, welche wie durch einen Nachlaß des Schwunges und eine ungeregelte Bewegung, durch einen Abſprung, nicht bloß auf den bewohnten Raum der Erde geſchleudert werden, ſondern meiſtenteils außerhalb in das große Meer fallen, weshalb ſie auch verborgen bleiben.“ (S. 428.) Ueber abſolut dunkle Weltkörper oder ſolche, in denen der Lichtprozeß (periodiſch?) aufhört, über die Meinungen der Neueren (Laplace und Beſſel) und über die von Peters in Königs— berg beſtätigte Beſſelſche Beobachtung einer Veränderlichkeit in der eigenen Bewegung des Prokyon, ſ Kosmos Bd. III, S. 190 bis 191. — ccc — 45 — 5 (S. 429.) Die im Text bezeichnete denkwürdige Stelle des Plutarch (De facie in Orbe Lunae, p. 923) heißt wörtlich überſetzt: „Iſt doch dem Mond eine Hilfe gegen das Fallen ſeine Bewegung ſelbſt und das Heftige des Kreisumlaufes, ſo wie die in Schleudern gelegten Dinge an dem Umſchwung im Kreiſe ein Hindernis des Herabfallens haben.“ (S 430.) „Die periodiſchen Sternſchnuppen und die Reſultate der Erſcheinungen, abgeleitet aus den während der letzten zehn Jahre zu Aachen angeſtellten Beobachtungen, von Eduard Heis“ (1849), S. 7 und 26 bis 30. (S. 430.) Die Angabe des Nordpols als Centrum der Radiation in der Auguſtperiode gründet ſich nur auf die Beob- achtungen des einzigen Jahres 1833 (10. Auguſt). Ein Reiſender im Orient, Dr. Aſahel Grant, meldet aus Mardin in Meſopotamien, „daß um Mitternacht der Himmel von Sternſchnuppen, welche alle von der Gegend des Polarſternes ausgingen, wie gefurcht war.“ (S. 430.) Es hatte aber dieſes Uebergewicht des Ausgangs- punktes des Perſeus über den des Löwen noch keineswegs ſtatt bei den Bremer Beobachtungen der Nacht vom 13. zum 14. November 1838. Ein ſehr geübter Beobachter, Roswinkel, ſah bei einem reichen Sternſchnuppenfall faſt ſämtliche Bahnen aus dem Löwen und dem ſüdlichen Teile des großen Bären ausgehen, während in der Nacht vom 12. zum 13. November bei einem nur wenig ärmeren Sternſchnuppenfall bloß vier Bahnen von dem Löwen ausgingen. Olbers ſetzt ſehr bedeutſam hinzu: „Die Bahnen dieſer Nacht zeigten unter ſich nichts Paralleles, keine Beziehung auf den Löwen, und (wegen des Mangels an Parallelismus) ſchienen fie zu den ſporadiſchen und nicht zu den periodiſchen zu gehören. Das eigent⸗ liche Novemberphänomen war aber freilich nicht an Glanz mit denen der Jahre 1799, 1832 und 1833 zu vergleichen.“ (S. 431.) (Vergl. Ariſtot., Problem. XXVI, 23, Seneca, Nat. Quaest. lib. I, 14: „ventum significat stellarum dis- currentium lapsus, et quidem ab ea parte qua erumpit.“) Ich ſelbſt habe lange, beſonders während meines Aufenthaltes in Mar: ſeille zur Zeit der ägyptiſchen Expedition, an den Einfluß der Winde auf die Richtung der Sternſchnuppen geglaubt. 10 (S. 432.) Alles, was von hier an im Texte durch An⸗ führungszeichen unterſchieden iſt, verdanke ich der freundlichen Mit⸗ teilung des Herrn Julius Schmidt, Adjunkten an der Sternwarte zu Bonn. 11 (S. 433.) Ich habe jedoch ſelbſt am 16. März 1803 einen beträchtlichen Sternſchnuppenfall in der Südſee (Br. 13/2! N.) be- obachtet. Auch 687 Jahre vor unſerer chriſtlichen Zeitrechnung wurden in China zwei Meteorſtröme im Monat März geſehen. 12 (S. 434.) Ein ganz ähnlicher Sternſchnuppenfall, als Bogus⸗ lawski der Sohn für 1366, Oktober 21. (a. St.) in Beneſſe de Horovie, Chronicon Ecelesiae Pragensis aufgefunden, e iſt weitläufig in dem berühmten hiſtoriſchen Werke von Duarte Nunez do Lido (Chronicas dos Reis de Portugal re— formadas Parte I, Lisb. 1600, fol. 187) beſchrieben, aber auf die Nacht vom 22. zum 23. Oktober (a. St.) verlegt. Sind es zwei Ströme, in Böhmen und am Tajo geſehen, oder hat einer der Chronikenſchreiber ſich um einen Tag geirrt? Folgendes ſind die Worte des portugieſiſchen Hiſtorikers: „Vindo o anno de 1366, sendo andados XXII. dias do mes de Octubro, tres meses antes do fallecimento del Rei D. Pedro (de Portugal), se fez no ceo hum movimento de estrellas, qual os homes nab virdö, nem ouviräo. H foi que desda mea noite por diante correrao to- dalas strellas do Levante para o ponente, e acabado de serem juntas comegarao a correr humas para huma parte, e outras para outra. E despois desceräö do ceo tantas e tam spessas, que tanto que fardo baxas no ar, parecidö grandes fogueiras, e que o ceo eo ar ardiaö, e que & mesma terra queria arder. O ceo parecia partido em muitas partes, alli onde strellas nab stavao. E isto dorou per muito spago. Os que isto viao, houveraö tam grande medo e pavor, que stavao como atto- nitos, e cuidavao todos de ser mortos, e que era vinda a fim do mundo.“ (S. 435.) Es hätten der Zeit nach nähere Vergleichungs— epochen angeführt werden können, wenn man ſie damals gekannt hätte, z. B. die von Klöden 1823, November 12. bis 13., in Potsdam, die von Bérard 1831, November 12. bis 13., an der ſpaniſchen Küſte und die von Graf Suchteln zu Orenburg 1832, November 12. bis 13., beobachteten Meteorſtröme. Das große Phänomen vom 11. und 12. November 1799, welches wir, Bonpland und ich, beſchrieben haben, dauerte von 2 bis 4 Uhr morgens. Auf der ganzen Reiſe, welche wir durch die Waldregion des Orinoko ſüdlich bis zum Rio negro machten, fanden wir, daß der ungeheure Meteorfall von den Miſſionären geſehen und zum Teil in Kirchenbüchern aufgezeichnet ward. In Labrador und Grönland hatte er die Eskimo bis Lichtenau und Neu-Herrnhut (Br. 64“ 14) in Erſtaunen verſetzt. Zu Itterſtedt bei Weimar ſah der Prediger Zeiſing das, was zu— gleich unter dem Aequator und nahe am nördlichen Polarkreis in Amerika ſichtbar war. Da die Periodizität des St. Laurentius— ſtromes (10. Auguſt) erſt weit ſpäter die allgemeine Aufmerkſam— keit auf ſich gezogen hat als das Novemberphänomen, ſo habe ich mit Sorgfalt alle mir bekannten, genau beobachteten und beträcht— lichen Sternſchnuppenfälle vom 12. zum 13. November bis 1846 zu— ſammengeſtellt. Es ſind deren fünfzehn: 1799, 1818, 1822, 1823, 1831 bis 1839 alle Jahre, 1841 und 1846. Ich ſchließe die Meteor— fälle aus, welche um mehr als einen oder zwei Tage abweichen, wie 10. November 1787, 8. November 1813. Eine ſolche, feſt an einzelne Tage gefeſſelte Periodizität iſt um ſo wunderſamer, als Körper von ſo wenig Maſſe ſo leicht Störungen ausgeſetzt ſind 6 3200 77, ee und die Breite des Ringes, in welchem man ſich die Meteore ein- geſchloſſen vorſtellt, in der Erdbahn mehrere Tage umfaſſen kann. Die glänzendſten Novemberſtröme find geweſen 1799, 1831, 1833, 1834. (Wo in meiner Beſchreibung der Meteore von 1799 den größten Boliden oder Feuerkugeln ein Durchmeſſer von 1° und 1½“ zugeſchrieben wird, hätte es 1 und 1½ Monddurchmeſſer heißen ſollen.) Es iſt hier auch der Ort, der Feuerkugel zu erwähnen, welche die beſondere Aufmerkſamkeit des Direktors der Sternwarte von Toulouſe, Herrn Petit, auf ſich gezogen und deren Umlauf um die Erde er berechnet hat. (S. 438.) Der große Aerolithenfall von Crema und den Ufern der Adda iſt mit beſonderer Lebendigkeit, aber leider! rhe— toriſch und unklar, von dem berühmten Petrus Martyr von Anghiera beſchrieben. Was dem Steinfall ſelbſt vorherging, war eine faſt totale Verfinſterung am 4. September 1511 in der Mittags- ſtunde. „Fama est, Pavonem immensum in aérea Cremensi plaga fuisse visum. Pavo visus in pyramidem converti, adeoque celeri ab oceidente in orientem raptari cursu, ut in horae momento magnam hemisphaerii partem, doctorum inspectan- tium sententia, pervolasse credatur. Ex nubium illico den- sitate tenebras verunt surrexisse, quales viventium nullus un- quam se cognovisse fateatur. Per eam noctis faciem, cum formidolosis fulguribus, inaudita tonitrua regionem eircum- sepserunt.“ Die Erleuchtungen waren jo intenſiv, daß die Be— wohner um Bergamo die ganze Ebene von Crema während der Verfinſterung ſehen konnten. „Ex horrendo illo fragore quid irata natura in eam regionem pepererit, percunctaberis. Saxa demisit in Cremensi planitie (ubi nullus unquam aequans ovum lapis visus fuit) immensae magnitudinis, ponderis egregii. Decem fuisse reperta centilibralia saxa ferunt.“ Vögel, Schafe, ja Fiſche wurden getötet. Unter allen dieſen Uebertreibungen iſt doch zu erſehen, daß das Meteor gewölk, aus welchem die Steine herabfielen, von ungewöhnlicher Schwärze und Dicke geweſen ſein muß. Der Pavo war ohne Zweifel eine lang und breit geſchweifte Feuerkugel. Das furchtbare Geräuſch in dem Meteorgewölk wird hier als der die Blitze (?) begleitende Donner geſchildert. Anghiera erhielt ſelbſt in Spanien ein fauſtgroßes Fragment (ex frustis disruptorum saxorum), und zeigte es dem König Ferdinand dem Katholiſchen in Gegenwart des berühmten Kriegers Gonzalo de Cordova. Sein Brief endigt mit den Worten: „mira super hisce prodigiis conscripta fanatice, physice, theologice ad nos missa sunt ex Italia. Quid portendant, quomodoque gignantur, tibi utraque servo, si aliquando ad nos veneris.“ (Geſchrieben aus Burgos an Fagiardus.) — Noch genauer behauptet Cardanus, es ſeien 1200 Aerolithen gefallen, unter ihnen einer von 120 Pfund, eiſenſchwarz und von großer Dichte. Das Geräuſch habe zwei Stunden gedauert: „ut mirum sit, tantam molem in aöre sustineri — 448 — potuisse.“ Er hält die geſchweifte Feuerkugel für einen Kometen, und irrt in der Erſcheinung um ein Jahr: „Vidimus anno 1510...“ Cardanus war zu der Zeit neun bis zehn Jahre alt. (S. 439.) Neuerdings bei dem Aerolithenfall von Braunau (14. Juli 1847) waren die gefallenen Steinmaſſen nach ſechs Stunden noch ſo heiß, daß man ſie nicht, ohne ſich zu verbrennen, berühren konnte. Von der Analogie, welche die ſkythiſche Mythe vom heiligen Golde mit einem Meteorfalle darbietet, habe ich bereits (Asie centrale T. I, p. 408) gehandelt. „Targitao filios fuisse tres, Leipoxain et Arpoxain, minimumque natu Colaxain. His regnantibus de coelo delapsa aurea instrumenta, aratrum et jugum et bipennem et phialam, decidisse in Scythicam terram. Et illorum natu maximum, qui primus conspexisset, propius accedentem capere ista voluisse; sed, eo accedente, aurum arsisse. Quo digresso, accessisse alterum, et itidem arsisse aurum. Hos igitur ardens aurum repudiasse; accedente vero natu minimo, fuisse extinctum, huncque illud domum suam contulisse: qua re intellecta, fratres majores ultro universum regnum minimo natu tradidisse.“ (Herodot IV, 5 und 7 nach der Ueberſetzung von Schweighäuſer.) Iſt aber vielleicht die Mythe vom heiligen Golde nur eine ethnographiſche Mythe, eine Anſpielung auf drei Königsſöhne, Stammväter von drei Stämmen der Skythen, eine Anſpielung auf den Vorrang, welchen der Stamm des jüngſten Sohnes, der der Paralaten, erlangte? (S. 440.) Von Metallen wurden in den Meteorſteinen entdeckt: Nickel von Howard, Kobalt durch Stromeyer, Kupfer und Chrom durch Laugier, Zinn durch Berzelius. 7 (S. 443.) Alles, was im Texte von S. 441 bis S. 443 durch Anführungszeichen unterſchieden iſt, wurde aus Handſchriften des Profeſſor Rammelsberg (Mai 1851) entlehnt. Schlußworle. Den uranologiſchen. Teil der phyſiſchen Weltbe⸗ ſchreibung beſchließend, glaube ich, im Rückblick auf das Er— ſtrebte (ich ſage nicht das Geleiſtete), nach der Ausführung eines ſo ſchwierigen Unternehmens von neuem daran erinnern zu müſſen, daß dieſe Ausführung nur unter den Bedingungen hat geſchehen können, welche in der Einleitung zum dritten Bande des Kosmos bezeichnet worden ſind. Der Verſuch einer ſolchen kosmiſchen Bearbeitung beſchränkt ſich auf die Darſtellung der Himmelsräume und deſſen, was ſie von ge— ballter oder ungeballter Materie erfüllt. Er unterſcheidet ſich daher, nach der Natur des unternommenen Werkes, weſentlich von den mehr umfaſſenden, ausgezeichneten Lehrbüchern der Aſtronomie, welche die verſchiedenen Litteraturen zur jetzigen Zeit aufzuweiſen haben. Aſtronomie, als Wiſſen— ſchaft der Triumph mathematiſcher Gedankenverbindung, auf das ſichere Fundament der Gravitationslehre und die Ver— vollkommnung der höheren Analyſis (eines geiſtigen Werk— zeuges der Forſchung) gegründet, behandelt Bewegungs— erſcheinungen, gemeſſen nach Raum und Zeit, Oertlichkeit (Poſition) der Weltkörper in ihrem gegenſeitigen, ſich ſtets den Verhältnis zu einander, Formenwechſel, wie bei den geſchweiften Kometen, Lichtwechſel, ja Auflodern und gänzliches Erlöſchen des Lichtes bei fernen Sonnen. Die Menge des im Weltall vorhandenen Stoffes bleibt immer dieſelbe; aber nach dem, was in der telluriſchen Sphäre von phyſiſchen Naturgeſetzen bereits erforſcht worden iſt, ſehen wir walten im ewigen Kreislauf der Stoffe den ewig unbe- friedigten, in zahlloſen und unnennbaren Kombinationen auftretenden Wechſel derſelben. Solche Kraftäußerung der A. v. Humboldt, Kosmos. III. 29 Materie wird durch ihre, wenigſtens ſcheinbar elementariſche Heterogeneität hervorgerufen. Bewegung in unmeß— baren Raumteilen erregend, kompliziert die Hetero— geneität der Stoffe alle Probleme des irdiſchen Natur— prozeſſes. Die aſtronomiſchen Prozeſſe ſind einfacherer Natur. Von den eben genannten Komplikationen und ihrer Beziehung bis jetzt befreit, auf Betrachtung der Quantität der pon— derablen Materie (Maſſen) auf Licht und Wärme erre— gende Schwingungen gerichtet, iſt die Himmelsmechanik, gerade wegen dieſer Einfachheit, in welcher alles auf Be— wegung zurückgeführt wird, der mathematiſchen Bearbeitung in allen ihren Teilen zugänglich geblieben. Dieſer Vorzug gibt den Lehrbüchern der theoretiſchen Aſtronomie einen großen und ganz eigentümlichen Reiz. Es reflektiert ſich in ihnen, was die Geiſtesarbeit der letzten Jahrhunderte auf analytiſchen Wegen errungen hat, wie Geſtaltung und Bahnen beſtimmt, wie in den Bewegungserſcheinungen der Planeten nur kleine Schwankungen um einen mittleren Zuſtand des Gleichgewichtes ſtattfinden, wie das Planetenſyſtem durch ſeine innere Einrichtung, durch Ausgleichung der Störungen ſich Schutz und Dauer bereitet. Die Unterſuchung der Mittel zum Erfaſſen des Welt— ganzen, die Erklärung der verwickelten Himmelserſcheinungen gehören nicht in den Plan dieſes Werkes. Die phyſiſche Welt— beſchreibung erzählt, was den Weltraum füllt und organiſch belebt, in den beiden Sphären der uranologiſchen und telluri— ſchen Verhältniſſe. Sie weilt bei den aufgefundenen Natur— geſetzen und behandelt ſie wie errungene Thatſachen, als un— mittelbare Folgen empiriſcher Induktion. Das Werk vom Kosmos, um in geeigneten Grenzen und in nicht über— mäßiger Ausdehnung ausführbar zu werden, durfte nicht ver— ſuchen, den Zuſammenhang der Erſcheinungen theoretiſch zu begründen. In dieſer Beſchränkung des vorgeſetzten Planes habe ich in dem aſtronomiſchen Bande des Kosmos deſto mehr Fleiß auf die einzelnen Thatsachen und auf ihre An— ordnung gewandt. Von der Betrachtung des Weltraumes, ſeiner Temperatur, dem Maße ſeiner Durchſichtigkeit und dem widerſtehenden (hemmenden) Medium, welches ihn füllt, bin ich auf das natürliche und teleſkopiſche Sehen, die Grenzen der Sichtbarkeit, die Geſchwindigkeit des Lichtes nach Verſchie— denheit ſeiner Quellen, die unvollkommene Meſſung der Licht— — 451 — intenſität, die neuen optiſchen Mittel, direktes und reflek— tierendes Licht voneinander zu unterſcheiden, übergegangen. Dann folgen: der Fixſternhimmel, die numeriſche Angabe der an ihm ſelbſtleuchtenden Sonnen, ſoweit ihre Poſition be— ſtimmt iſt, ihre wahrſcheinliche Verteilung, die veränderlichen Sterne, welche in wohlgemeſſenen Perioden wiederkehren, die eigene Bewegung der Fixſterne, die Annahme dunkler Welt— körper und ihr Einfluß auf Bewegung in Doppelſternen, die Nebelflecke, inſofern dieſe nicht ferne und ſehr dichte Stern— ſchwärme ſind. Der Uebergang von dem ſideriſchen Teile der Urano— logie, von dem Fixſternhimmel zu unſerem Sonnenſyſteme iſt nur der Uebergang vom Univerſellen zum Beſonderen. In der Klaſſe der Doppelſterne bewegen ſich ſelbſtleuchtende Weltkörper um einen gemeinſamen Schwerpunkt; in unſerem Sonnenſyſteme, das aus ſehr heterogenen Elementen zu— ſammengeſetzt iſt, kreiſen dunkle Weltkörper um einen ſelbſt— leuchtenden, oder vielmehr wieder um einen gemeinſamen Schwerpunkt, der zu verſchiedenen Zeiten in und außer— halb des Centralkörpers liegt. Die einzelnen Glieder des Sonnengebietes ſind ungleicher Natur, verſchiedenartiger, als man jahrhundertelang zu glauben berechtigt war. Es ſind: Haupt: und Nebenplaneten; unter den Hauptplaneten eine Gruppe, deren Bahnen einander durchſchneiden, eine un— gezählte Schar von Kometen, der Ring des Tierkreislichtes und mit vieler Wahrſcheinlichkeit die periodiſchen Meteor— aſteroiden. Es bleibt noch übrig, als thatſächliche Beziehungen die drei großen von Kepler entdeckten Geſetze der planetariſchen Bewegung hier ausdrücklich anzuführen. Erſtes Geſetz: Jede Bahn eines planetariſchen Körpers iſt eine Ellipſe, in deren einem Brennpunkte ſich die Sonne befindet. Zweites Geſetz: In gleichen Zeiten beſchreibt jeder planetariſche Körper gleiche Sektoren um die Sonne. Drittes Geſetz: Die Quadratzahlen der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten ſich wie die Kubi der mittleren Entfernung. Das zweite Geſetz wird bisweilen das erſte genannt, weil es früher auf— gefunden ward. (Kepler, Astronomia nova, seu Phy- sica coelestis, tradit a commentariis de motibus stellae Martis, ex observ. Tychonis Brahi elabo- rata, 1609; vergl. cap. XL mit cap. LIX.) Die beiden erſten Geſetze würden Anwendung finden, wenn es auch nur — 452 — einen einzigen planetariſchen Körper gäbe, das dritte und wichtigſte, welches neun Jahre ſpäter entdeckt ward, feſſelt die Bewegung zweier Planeten an ein Geſetz. (Das Manu⸗ ſkript der Harmonice Mundi, welche 1619 erſchien, war bereits vollendet am 27. Mai 1618.) n Wenn im Anfang des 17. Jahrhunderts die Geſetze der Planetenbewegung empiriſch aufgefunden wurden, wenn Newton erſt die Kraft enthüllte, von deren Wirkung Keplers Ge— ſetze als notwendige Folgen zu betrachten ſind, ſo hat das Ende des 18. Jahrhunderts durch die neuen Wege, welche die vervollkommnete Infiniteſimalrechnung zur Erforſchung aſtronomiſcher Wahrheiten eröffnete, das Verdienſt gehabt, die Stabilität des Planetenſyſtemes darzuthun. Die Hauptelemente dieſer Stabilität ſind: die Unveränderlichkeit der großen Achſen der Planetenbahnen, von Laplace (1773 und 1784), Lagrange und Poiſſon erwieſen, die lange perio— diſche, in enge Grenzen eingeſchloſſene Aenderung der Exzen— trizität zweier mächtiger ſonnenfernen Planeten, Jupiters und Saturns, die Verteilung der Maſſen, da die des Jupiter ſelbſt nur /oas der Maſſe des alles beherrſchenden Central— körpers iſt, endlich die Einrichtung, daß nach dem ewigen Schöpfungsplane und der Natur ihrer Entſtehung alle Pla— neten des Sonnenſyſtemes ſich in einer Richtung translatoriſch und rotierend bewegen, daß es in Bahnen geſchieht von ge— ringer und ſich wenig ändernder Ellipſität, in Ebenen von mäßigen Unterſchieden der Inklination, daß die Umlaufszeiten der Planeten untereinander kein gemeinſchaftliches Maß haben. Solche Elemente der Stabilität, gleichſam der Erhaltung und Lebensdauer der Planeten ſind an die Bedingung gegen— ſeitiger Wirkung in einem inneren, abgeſchloſſenen Kreiſe ge— knüpft. Wird durch den Zutritt eines von außen kom— menden, bisher zu dem Planetenſyſtem nicht gehörigen Welt— körpers jene Bedingung aufgehoben (Laplace, Exposit. du Syst. du Monde p. 309 und 391), jo kann allerdings dieſe Störung, als Folge neuer Anziehungskräfte oder eines Stoßes, dem Beſtehenden verderblich werden, bis endlich nach langem Konflikte ſich ein anderes Gleichgewicht erzeuge. Die Ankunft eines Kometen auf hyperboliſcher Bahn aus großer Ferne kann, wenngleich Mangel an Maſſe durch eine un— geheure Geſchwindigkeit erſetzt wird, doch mit Beſorgnis nur eine Phantaſie erfüllen, welche für die ernſten Tröſtungen der Wahrſcheinlichkeitsrechnung nicht empfänglich iſt. Es ſind die reiſenden Gewölke der inneren Kometen unſerem Sonnen: ſyſteme nicht gefahrbringender als die großen Bahnneigungen einiger der kleinen Planeten zwiſchen Mars und Jupiter. Was als bloße Möglichkeit bezeichnet werden muß, liegt außer— halb des Gebietes einer phyſiſchen Weltbeſchreibung. Die Wiſſenſchaft ſoll nicht überſchweifen in das Nebelland kos— mologiſcher Träume. Berichtigungen und Zuſätze. S. 32 3. 21. Seitdem dieſe Stelle des Kosmos, in welcher „ein mit Sicher— heit ſich offenbarender Einfluß der Sonnenſtellung auf den Erd— magnetismus“ bezweifelt wird, gedruckt worden iſt, haben die neuen und trefflichen Arbeiten von Faraday einen ſolchen Einfluß er— wieſen. Lange Reihen magnetiſcher Beobachtungen in entgegen— geſetzten Hemiſphären (3. B. Toronto in Kanada und Hobarttomn auf Vandiemensland) zeigen, daß der Erdmagnetismus einer jährlichen Variation unterliegt, welche von der relativen Stellung der Sonne und Erde abhängt. S. 51 8. 21. Die ſonderbare Erſcheinung des Sternſchwankens iſt ganz neuerlich (20. Januar 1851) abends zwiſchen 7 und 8 Uhr am Sirius, der nahe am Horizont ſtand, auch in Trier von ſehr glaub— würdigen Zeugen beobachtet worden. S. den Brief des Oberlehrers der Mathematik Herrn Fleſch in Jahns Unterhaltungen für Freunde der Aſtronomie. S. 119 Z. 3 v. u. und S. 144 Anm. 25. Der Wunſch, welchen ich lebhaft geäußert, der hiſtoriſchen Epoche, in welche das Verſchwinden der Röte des Sirius fällt, mit mehr Sicherheit auf die Spur zu kommen, iſt teilweiſe durch den rühmlichen Fleiß eines jungen Gelehrten, der eine treff— liche Kenntnis orientaliſcher Sprachen mit ausgezeichnetem mathe— matiſchen Wiſſen verbindet, Dr. Wöpke, erfüllt worden. Der Ueberſetzer und Kommentator der wichtigen Algebra des Omar Alkhayyami ſchreibt mir (aus Paris, im Auguſt 1851): „Ich habe in Bezug auf Ihre im aſtronomiſchen Bande des Kosmos ent— haltene Aufforderung die vier hier befindlichen Manuffripte der Uranographie des Abdurrahman Al-Sufi nachgeſehen, und gefunden, daß darin Bootis, Tauri, 4 Scorpii und = Orionis ſämtlich ausdrücklich rot genannt werden, Sirius dagegen nicht. Viel— — 455 — mehr lautet die auf dieſen bezügliche Stelle in allen vier Manu— ſkripten übereinſtimmend ſo: „Der erſte unter den Sternen desſelben (des großen Hundes) iſt der große, glänzende an ſeinem Munde, welcher auf dem Aſtrolabium verzeichnet iſt und Al-je-maanijah genannt wird.“ — Wird aus dieſer Unterſuchung und aus dem, was ich aus Alfragani angeführt, nicht wahrſcheinlich, daß der Farbenwechſel zwiſchen Ptolemäus und die Araber fällt? S. 197 3. 19. In der gedrängten Darlegung der Methode, durch die Ge— ſchwindigkeit des Lichtes die Parallaxe von Doppelſternen zu finden, ſollte es heißen: Die Zeit, welche zwiſchen den Zeitpunkten verfließt, wo der planetariſche Nebenſtern der Erde am nächſten iſt und wo er ihr am fernſten ſteht, iſt immer länger, wenn er von der größten Nähe zur größten Entfernung übergeht, als die umgekehrte, wenn er aus der größten Entfernung zur größten Nähe zurückkehrt. S. 216. In der franzöſiſchen Ueberſetzung des aſtronomiſchen Bandes des Kosmos, welche zu meiner Freude wieder Herr H. Faye über— nommen, hat dieſer gelehrte Aſtronom die Abteilung von den Doppelſternen ſehr bereichert. Ich hatte mit Unrecht die wichtigen Arbeiten des Herrn Mvon Villarceau, welche ſchon im Laufe des Jahres 1849 in dem Inſtitute verleſen waren, zu benutzen ver— ſäumt (ſ. Con naissance des temps pour l'an 1852, p. 3 bis 128. Ich entlehne hier aus einer Tabelle der Bahnelemente von acht Doppelſternen des Herrn Faye die vier erſten Sterne, welche er für die am ſicherſten berechneten hält: Bahnelemente von Doppelſternen. Name und | halbe Erzen⸗ Umlaufs⸗ Größe der große trizität zeit Namen der Berechner Doppelſterne | Achſe | in Jahren 58,262 | Savary 1850 60,720 | J. Herſchel 1849 61,300 Mädler 1847 61,576 | D. Villarceau 1848 73,862 | Ende 1832 1 92,338 P. Villarceau 1849 92,... Mädler 1849 p Ophiuchi | (4. und 6. Gr.) — 456 — — Name und | halbe aufs Größe der große e zeit Namen der Berechner Doppelſterne Achſe i | in Jahren Mädler 1847 & Herculis 1,208“ 0,4320] 30,22 i Y. Villarceau 1847 (3. u. 6., 5. Gr. 1,254 0,4482 36,357 Mädler 1847 Y. Villarceau 1847 derſelbe, 2. Löſung 0,902/¼ 0,2891] 42,50 1,012 0,4744 42,501 1,111 0,4695 66,257 Corona = 5. u. 6. Gr.) Das Problem der Umlaufszeit von + Coronae gibt zwei Solutionen, von 42,5 und 66,3 Jahren; aber die neueſten Beobachtungen von Otto Struve geben dem zweiten Reſultat den Vorzug. Herr von Villarceau findet für die halbe große Achſe, Exzentrizität und Umlaufszeit in Jahren: x Virginis 3,446“ 0,8699 153,787 Cancri 0,934“ 0,3662 59,590 a Centauri 12,128“ 0, 7187 78,486 Die Bedeckung eines Fixſternes durch einen anderen, welche £ Hereulis dargeboten hat, habe ich (S. 214) ſcheinbar genannt. Herr Faye zeigt, daß ſie eine Folge der fakticen Durchmeſſer der Sterne (Kosmos Bd. III, S. 47 und 117) in unſeren Fernröhren iſt. — Die Parallaxe von 1830 Groombridge, welche ich S. 196 dieſes Bandes 0,226“ angegeben, iſt gefunden von Schlüter und Wichmann zu 0,182“, von Otto Struve zu 0,034“. S. 367 3. 19. Als der Druck des Abſchnittes von den kleinen Planeten ſchon geendigt war, iſt uns erſt im nördlichen Deutſchland die Kunde von der Entdeckung eines fünfzehnten kleinen Planeten (Cuno- mia) gekommen. Er iſt wiederum von Herrn de Gasparis und zwar am 19. Juli 1851 entdeckt worden. Die Elemente der Eunomia, berechnet von G. Rümker, ſind: Epoche der mittl. Länge 1851 Okt. 1,0 m. Greenw. Zeit mittl. Länge 321° 25“ 29“ Länge des Perihels 27 35 38 Länge des aufſt. Knotens 293 52 55 Neigung 11 43 43 Exzentrizität 0,188402 halbe große Achſe 2,64758 mittl. tägliche Bewegung 823,630 Umlaufszeit 1574 Tage. ©. 380 2. 12. Nach einer freundlichen Mitteilung von Sir John Herſchel (8. November 1851) hat Herr Laſſell am 23., 28., 30. Oktober und 2. November des vorgenannten Jahres zwei Uranusjatelliten, deutlich beobachtet, die dem Hauptplaneten noch näher zu liegen ſcheinen als der erſte Satellit von Sir William Herſchel, welchem dieſer eine Umlaufszeit von ungefähr 5 Tagen und 21 Stunden zuſchreibt, welcher aber nicht erkannt wurde. Die Umlaufszeiten der beiden jetzt von Laſſell geſehenen Uranustrabanten waren nahe an 4 und 2½ Tage. Inhalts Aeberſicht des III. Bandes des Kosmos. Spezielle Ergebniſſe der Beobachtung in dem Ge— biete kosmiſcher Erſcheinungen — Einleitung S. 3—18 und Anm. S. 19— 24. Rückblick auf das Geleiſtete. Die Natur unter einem zweifachen Geſichtspunkte betrachtet, in der reinen Objektivität der äußeren Erſcheinung und im Reflex auf das Innere des Menſchen. — Eine bedeutſame Anreihung der Erſcheinungen führt von ſelbſt auf deren urſachlichen Zuſammenhang. — Vollſtän digkeit bei Aufzäh⸗ lung der Einzelheiten wird nicht beabſichtigt, am wenigſten in der Schilderung des reflektierten Naturbildes unter dem Einfluß ſchöpfe— riſcher Einbildungskraft. Es entſteht neben der wirklichen oder äußeren Welt eine ideale und innere Welt, voll phyſiſch ſymbo— liſcher Mythen, verſchieden nach Volksſtämmen und Klimaten, jahr: hundertelang auf ſpätere Generationen vererbt, und eine klare Naturanſicht trübend. — Urſprüngliche Unvollendbarkeit der Erkenntnis kosmiſcher Erſcheinungen. Das Auffinden empiriſcher Geſetze, das Erſpähen des Kauſalzuſammenhanges der Erſcheinungen; Weltbeſchreibung und Welterklärung. Wie durch das Seiende ſich ein kleiner Teil des Werdens offen— bart. — Verſchiedene Phaſen der Welterklärung, Verſuche des Ver— ſtehens der Naturordnung. — Aelteſte Grundanſchauung des helleniſchen Volksgeiſtes, phyſiologiſche Phantaſieen der ioniſchen Schule; Keime wiſſenſchaftlicher Naturbetrachtung. Zwei Richtungen der Erklärung durch Annahme ſtoffartiger Prinzipien (Elemente) und durch Prozeſſe der Verdünnung und Verdichtung. Centrifugaler Umſchwung. Wirbeltheorieen. — Pythagoreer; Philoſophie des Maßes und der Harmonie, Anfang einer mathematiſchen Behandlung phyſiſcher Erſcheinungen. — Weltordnung und Weltregie— rung nach den phyſiſchen Vorträgen des Ariſtoteles. Mit⸗ — 459 — teilung der Bewegung als Grund aller Erſcheinungen be: trachtet; minder iſt der Sinn der ariſtoteliſchen Schule auf Stoff— verſchiedenheit gerichtet. — Dieſe Art der Naturphiloſophie, in Grundideen und Form, wird auf das Mittelalter vererbt. Roger Bacon, der Naturſpiegel des Vincenz von Beau— vais, Liber cosmographicus von Albert dem Großen, Imago Mundi des Kardinals Pierre d' Ailly. — Fortſchritt durch Giordano Bruno und Teleſio. — Klarheit in der Vorſtellung von der Gravitation als Maſſenanziehung bei Kopernikus. — Erſte Verſuche einer mathematiſchen An: wendung der Gravitationslehre bei Kepler. — Die Schrift vom Kosmos des Descartes (Traité du Monde) groß— artig unternommen, aber lange nach ſeinem Tode nur fragmen— tariſch erſchienen; der Kosmotheoros von Huygens des großen Namens unwürdig. — Newton und fein Werk Philosophiae Naturalis Principia mathematica. — Streben nach der Erkenntnis eines Weltganzen. Iſt die Aufgabe lösbar, die ge— ſamte Naturlehre von den Geſetzen der Schwere an bis zu den ge— ſtaltenden Thätigkeiten in den organiſchen und belebten Körpern auf ein Prinzip zurückzuführen? Das Wahrgenommene erſchöpft bei weitem nicht das Wahrnehmbare. Die Unvollendbarkeit der Empirie macht die Aufgabe, das Veränderliche der Materie aus den Kräften der Materie zu erklären, zu einer unbeſtimmten. A, Uranologiſcher Teil der phyſiſchen Weltbeſchreibung S. 25 — 453. Zwei Abteilungen, von welchen die eine den Fixſtern⸗ himmel, die andere unſer Sonnenſyſtem umfaßt, S. 25. . Aſtrognoſie (Fixſternhimmel) S. 26—27 (S. 26 — 250). J. Weltraum und Vermutungen über das, was den Welt— raum zu erfüllen ſcheint. S. 27—37 und Anm. S. 38—41. II. Natürliches und teleſkopiſches Sehen. Funkeln der Geſtirne. Geſchwindigkeit des Lichtes. Ergebniſſe der Photometrie. S. 42—73 und Anm. S. 74 — 95. — Reihung der Fiyſterne nach Lichtintenſität S. 96— 100. III. Zahl, Verteilung und Farbe der Firfterne, Stern: haufen (Sternſchwärme). Milchſtraße, mit wenigen Nebel: flecken gemengt. S. 101—133 und Anm. S. 134—149. IV. Neu erſchienene und verſchwundene Sterne. Ber: änderliche Sterne in gemeſſenen, wiederkehrenden Perioden. Intenſitäts veränderungen des Lichtes in Geſtirnen, bei denen die Periodizität noch unerforſcht iſt. S. 150—181 und Anm. S. 182 186. V. Eigene Bewegung der Fixſterne. Problematiſche Exi⸗ ſtenz dunkler Weltkörper. Parallaxe. Gemeſſene Ent⸗ — 460 — fernung einiger Firſterne. Zweifel über die Annahme eines Centralkörpers für den ganzen Fixſternhimmel. S. 187— 201 und Anm. S. 202 — 204. VI. Die vielfachen oder Doppelſterne. Ihre Zahl und ihr gegenſeitiger Abſtand. Umlaufszeit von zwei Sonnen um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt. S. 205—216 und Anm. S. 217 219. VII. Die Nebelflecke. Ob alle nur ferne und ſehr dichte Sternhaufen ſind? Die beiden Magelhaensſchen Wolken, in denen ſich Nebelfecke mit vielen Sternſchwärmen zu: ſammengedrängt finden. Die ſogenannten ſchwarzen Flecken oder Kohlenſäcke am ſüdlichen Himmelsgewölbe. S. 220 — 250 und Anm. S. 251 — 260. 3. Sonnengebiet S. 261— 266. J. Die Sonne, als Centralkörper S. 267-286 und Anm. S. 287—298. II. Die Planeten S. 299—331 und 348 - 383, Anm. S. 332 —347 und 384398. A. Allgemeine Betrachtung der Planetenwelt S. 299 bis 331 und Anm. S. 332 — 347: a) Hauptplaneten ©. 300—328 b) Nebenplaneten S. 328—331. B. Spezielle Aufzählung der Planeten und ihrer Monde, als Teile des Sonnengebiets S. 348—383 und Anm. S. 384 bis 398: Sonne S. 348-349. Merkur S. 349 —351. Venus S. 351-352. Erde S. 352. Mond der Erde S. 353—365 und Anm. S. 386— 392. Mars ©. 365—366. Die kleinen Planeten S. 367370: Flora, Bil: toria, Veſta, Iris, Metis, Hebe, Parthenope, Aſträa, Egeria, Irene, Eunomia, Juno, Ceres, Pallas, Hygiea; Jupiter S. 370—972. Satelliten des Jupiter S. 372— 374. Saturn S. 374-377. Satelliten des Saturn S. 377-378. Uranus S. 378-379. Satelliten des Uranus S. 379—380. Neptun S. 381-382. Satelliten des Neptun S. 382 — 383. Ill. Die SEEN S. 399—412 118 Anm. S. 413 420. IV. Ring des Tierkreislichtes S. 421-424. r ˙aꝑ — e —˙!—ſ¾—ũͥ—,ꝰ— Ka Zus A Kir — 461 — V. Sternſchnuppen, Feuerkugeln, Meteorſteine. S. 425 —443 und Anm. S. 444 — 448. Schlußworte ©. 449 - 453. Berichtigungen und Zuſätze S. 454—457. Inhaltsüberſicht S. 458466. Nähere Zergliederung der einzelnen Abteilungen des aſtronomiſchen Teiles des Kosmos. 4. Aſtrognoſie. l. Weltraum. — Nur einzelne Teile find meßbar S. 29. — Widerſtehendes (hemmendes) Mittel, Himmelsluft, Weltäther S. 30 und 40 (Anm. 4— 7). Wärmeſtrahlung der Sterne S. 32 und 40 (Anm. 10). — Temperatur des Weltraumes S. 32—35 und 40 (Anm. 11— 13). — Beſchränkte Durchſichtigkeit? S. 35. — Regel⸗ mäßig verkürzte Umlaufszeit des Kometen von Encke S. 36 und 41 (Anm. 15). — Begrenzung der Atmoſphäre? S. 37. II. Natürliches und teleſkopiſches Sehen. — Sehr verſchiedene Lichtquellen zeigen gleiche Brechungsverhältniſſe S. 44. — Verſchiedenheit der Geſchwindigkeit des Lichtes glühender feſter Körper und des Lichtes der Reibungselektrizität S. 44, 64—67 und 91 (Anm. 33 — 36). — Lage der Wollaſtonſchen Linien S. 44. — Wirkung der Röhren S. 43 und 74 (Anm. 3). — Optiſche Mittel, direktes und reflektiertes Licht zu unterſcheiden, und Wich— tigkeit dieſer Mittel für die phyſiſche Aſtronomie S. 45 und 75—76 (Anm. 5—6). — Grenzen der gewöhnlichen Sehkraft S. 45. — Unvollkommenheit des Sehorgans; falſche (faktice) Durchmeſſer der Sterne S. 47, 77 und 79 (Anm. 8 und 10). — Einfluß der Form eines Gegenſtandes auf den kleinſten Sehwinkel bei Ver— ſuchen über die Sichtbarkeit, Notwendigkeit des Lichtunterſchieds von ½o der Lichtſtärke, Sehen ferner Gegenſtände auf poſitive und negative Weiſe S. 46 — 29. — Ueber das Sehen der Sterne bei Tage mit unbewaffnetem Auge aus Brunnen oder auf hohen Bergen S. 49—51 und 80 (Anm. 12). — Ein ſchwächeres Licht neben einem ſtärkeren S. 77 (Anm. 8). — Ueberdeckende Strahlen und Schwänze S. 47 und 116—118. — Ueber die Sichtbarkeit des Jupiterstrabanten mit bloßem Auge S. 46 und 78—79 (Anm. 9). — Schwanken der Sterne S. 46 und 81 (Anm. 14). — Anfang des teleſkopiſchen Sehens, Anwendung zur Meſſung S. 52—54 und 57. — Refraktoren von großer Länge S. 54 und 81 (Anm. 15 bis 17), Reflektoren S. 54—57 und 28 (Anm 18— 20). — Tages⸗ beobachtungen; wie ſtarke Vergrößerungen das Auffinden der Sterne bei Tage erleichtern können S. 58, 59 und 82 (Anm. 21). — — 462 — Erklärung des Funkelns und der Sceintillation der Geſtirne S. 59—63 und 85—88 (Anm 23— 25). — Geſchwindigkeit des Lichtes S. 63—67 und 88—92 (Anm. 26—37). — Größenord⸗ nung der Sterne; photometriſche Verhältniſſe und Methoden der Meſſung S. 68-73 und 92—95 (Anm. 38-45). — Cyanometer S. 94. — F Reihung der Fixſterne S. 96— 100. III. Zahl, Verteilung und Farbe der Fixſterne; Sternhaufen und Milchſtraße. — Zuſtände der Himmels⸗ decke, welche das Erkennen der Sterne begünſtigen oder hindern S. 101-102. — Zahl der Sterne; wie viele mit unbewaffnetem Auge erkannt werden können S. 102 - 103. — Wie viele mit Orts⸗ beſtimmungen und auf Sternkarten eingetragen ſind S. 104—110 und 134— 138 (Anm. 1—10). — Gewagte Schätzung der Zahl von Sternen, welche mit den jetzigen raumdurchdringenden Fernröhren am ganzen Himmel ſichtbor ein könnten S. 110. — Beſchauende Aſtrognoſte roher Völker S. 111—113. — Griechiſche Sphäre 113-116 und 138—141 (Anm. 11—16). — Kriſtallhimmel 115—117 und 141—142 (Anm. 17-19). — Falſche Durch⸗ meſſer der Fixſterne in Fernröhren S. 116—118. — Kleinſte Gegenſtände des Himmels, die noch teleſkopiſch geſehen werden S. 118 und 143 (Anm. 23). — Farbenverſchiedenheit der Sterne, und Veränderungen, welche ſeit dem Altertum in den Farben vor⸗ gegangen S. 118—121 und 143 146 (Anm. 20 — 28). — Sirius Sothis S. 120 und 144—146 (Anm. 28). — Die vier könig⸗ lichen Sterne S. 121122. — Allmähliche Bekanntſchaft mit dem ſüdlichen Himmel S. 122—123 und 146 (Anm. 30). — Verteilung der Firfterne, Geſetze relativer Verdichtung, Eichungen S. 123 bis 124. — Sternhaufen und Sternſchwärme S. 124127. — Milchſtraße S. 127— 133 und 147—149 (Anm. 33 — 45). IV. Neu erſchienene und verſchwundene Sterne, veränderliche Sterne, und Intenſitätsveränderungen des Lichtes in Geſtirnen, in engen die Periodizität noch nicht er⸗ forſcht iſt. — Neue Sterne in den letzten zweitauſend Jahren S. 150 bis 162 und 182—184 (Anm. 1— 6). — Periodiſch veränderliche Sterne; Hiſtoriſches S. 163-165, Farbe S. 165, Zahl S. 165; Ge⸗ ſetzliches in ſcheinbarer Unregelmäßigkeit, große Unterſchiede der Helligkeit, Perioden in den Perioden S. 166—169. — Argelanders Tabelle der veränderlichen Sterne, mit Kommentar S. 170— 176 und 184— 85 Anm. 7-10). — Veränderliche Sterne in unbeſtimm⸗ ten Perioden („ Argüs, Capella, Sterne des großen und kleinen Bären) S. 176-180. — Rückblick auf mögliche Veränderungen in der Temperatur der Erdoberfläche S. 180— 181. V. Eigene Bewegung der Firſterne, dunkle Welt⸗ körper, Parallaxe; Zweifel über die Annahme eines Centralkörpers für den ganzen Fixſternhimmel. — Veränderung des phyſiognomiſchen Charakters der Himmelsdecke S. 187—189. — Quantität der eigenen Bewegung S. 189. — 0% — 463 — Beweiſe für die wahrſcheinliche Exiſtenz nicht leuchtender Körper S. 190— 192. — Parallaxe und Meſſung des Abſtandes einiger Firfterne von unſerem Sonnenſyſtem S. 192— 196 und 202— 203 (Anm. 7—9). — Die Aberration des Lichtes kann bei Doppel: ſternen zur Beſtimmung der Parallaxe benutzt werden S. 197. — Die Entdeckung der eigenen Bewegung der Fixſterne hat auf die Kennt— nis der Bewegung unſeres eigenen Sonnenſyſtemes, ja zur Kennt— nis der Richtung dieſer Bewegung geführt S. 189 und 197— 198. — Problem der Lage des Schwerpunktes des ganzen Fixſternhimmels. Gentralfonne? S. 199 — 201 und 203 — 204 (Anm. 16 und 17). 5 VI. Dopelſterne, Umlaufszeit von zwei Sonnen um einen gemeinſchaftlichen Schwerpunkt. — Optische und phyſiſche Doppelſterne S. 205; Zahl S. 206-211. — Ein: en und verſchiedenartige Farben; letztere nicht Folge opti— ſcher Täuſchung, des Kontraſtes der Komplementarfarben S. 211 bis 213 und 218—219 (Anm. 7 10). — Wechſel der Helligkeit S. 213. — Mehrfache (3 bis 6fache) Verbindungen S. 214. — Berechnete Bahnelemente, halbe große Achſen und Umlaufszeit in Jahren S. 214— 216. VII. Nebelflecke, Magelhaensſche Wolken und Kohlen— ſäcke. — Auflöslichkeit der Nebelflecke; ob ſie alle ferne und dichte Sternhaufen ſind? S. 220 und 253 (Anm. 13 und 14). — Hiſtoriſches S. 221—229 und 254 (Anm. 20). — Zahl der Nebelflecke, deren Poſition beſtimmt iſt S. 229—231 und 254 (Anm. 16 und 17). — Verteilung der Nebel und Sternhaufen in der nördlichen und ſüdlichen Himmelsſphäre S. 231; nebelärmere Räume und Maxima der Gedrängtheit S. 232—233 und 254 (Anm. 18). — Geſtaltung der Nebelflecke: kugelförmige, Ringnebel, ſpiralförmige Doppelnebel, planetariſche Nebelſterne S. 233 — 237. — Nebelfleck (Sternhaufen) der Andromeda S. 126— 127, 222 bis 255 und 256 (Anm. 20); Nebel im Schwerte des Orion S. 224 bis 225, 237—239, 251-253, 257 und 258 (Anm. 5, 15, 29, 30, 32 und 33); großer Nebelfleck um n Argus S. 239, Nebelflect im Schützen S 240, Nebelflecke im Schwan und im Fuchſe; Spiralnebel— fleck im nördlichen Jagdhunde S. 240 — 241. — Die beiden Magel: haensſchen Wolken S. 242— 247 und 259 (Anm. 42). — Schwarze Flecken oder Kohlenſäcke S. 247 — 250 und 260 (Anm. 44 und 45). 8. Sonnengebiet: Planeten und ihre Monde, Ring des Tierkreislichtes und Schwärme der Meteoraſteroiden S. 261—265. J. Die Sonne als Centralkörper. — Numeriſche Angaben S. 267 269 und 287—288 (Anm. 2— 4). — Phyſiſche Beſchaffen⸗ heit der Oberfläche; Umhüllungen der dunkeln Sonnenkugel; Sonnen— flecken, Sonnenfackeln S. 269 - 277 und 288—292 (Anm. 4, 5, 6, 7, 10, 13 und 14). — Abnahmen des Tageslichtes, von welchen die — 464 — Annaliſten Kunde geben; problematiſche Verfinſterungen S. 277 und 292 295 (Anm. 15). — Intenſität des Lichtes im Centrum der Sonnenſcheibe und an den Rändern S. 278 —282 und 295 bis 298 (Anm. 18 und 19). — Verkehr zwiſchen Licht, Wärme, Elektrizität und Magnetismus; Seebeck, Ampere, Faraday S. 282. — Einfluß der Sonnenflecken auf die Temperatur unſeres Luft- kreiſes S. 283— 286. II. Die Planeten. A. Allgemeine vergleichende Betrachtungen. a. Hauptplaneten. 1) Zahl und Epochen der Entdeckung S. 300— 304; Namen, Planetentage (Woche) und Planetenſtunden S. 333 bis 340 (Anm. 8 und 9). 2) Verteilung der Planeten in zwei Gruppen S. 304 bis 307. 3) Abſolute und ſcheinbare Größe, Geſtaltung S. 307 bis 310. 4) Reihung der Planeten und ihre Abſtände von der Sonne, ſogenanntes Geſetz von Titius; alter Glaube, daß die Himmelskörper, welche wir jetzt ſehen, nicht alle von jeher ſichtbar waren, Proſelenen S. 310—316 und 340 —346 (Anm. 11— 23). 5) Maſſen der Planeten S. 317. 6) Dichtigkeit der Planeten S. 317—318. 7) Sideriſche Umlaufszeit und Achſendrehung S. 319 bis 320. 8) Neigung der Planetenbahnen und Rotationsachſen, Einfluß auf Klimate S. 320—325 und 346 (Anm. 27). 9) Exzentrizität der Planetenbahnen S. 325—327. b. Nebenplaneten S. 328 — 331. B. Spezielle Betrachtung, Aufzählung der einzelnen Planeten und ihr Verhältnis zur Sonne als Centralkörper: Sonne S. 348-349. Merkur S. 349— 351. Venus: Flecken S. 351-351. Erde: numeriſche Verhältniſſe S. 352— 353. Mond der Erde: licht- und wärmeerzeugend; aſch— graues Licht oder Erdenlicht im Monde; Flecken; Natur der Mondoberfläche, Gebirge und Ebenen, gemeſſene Höhen; herrſchender Typus kreisförmiger Geſtaltung, Erhebungskrater ohne fortdauernde Eruptionserſchei— nungen, alte Spuren der Reaktion des Inneren gegen das Aeußere (die Oberfläche); Mangel von Sonnen- und Erdfluten, wie von Strömungen als fortſchaffenden Kräf— ten, wegen Mangels eines flüſſigen Elementes; wahr— ſcheinliche geognoſtiſche Folgen dieſer Verhältniſſe S. 353 bis 365 und 386— 392. Anm. 15—36. —— . — — 465 — 4 Mars: Abplattung, Oberflächenanſehen, verändert durch den Wechſel der Jahreszeiten S. 365 —366. Die kleinen Planeten S. 367-370. Jupiter: Rotationszeit, Flecken und Streifen S. 370 bis 372; Satelliten des Jupiter S. 372—374. Saturn: Streifen, Ringe, exzentriſche Lage S. 374 bis 377; Satelliten des Saturn S. 377—378. Uranus S. 378-379; Satelliten des Uranus S. 379— 380. Neptun: Entdeckung und Elemente S. 381—382 und 397 (Anm. 61); Satelliten des Neptun S. 382— 383. III. Die Kometen. — Bei der kleinſten Maſſe ungeheure Räume ausfüllend; Geſtaltung, Perioden des Umlaufs, Teilung, Elemente der inneren Kometen S. 399—412 und 414-420 (Anm. 4, 8, 9, 10, 12, 13, 15, 17, 18 und 19). IV. Der Ring des Tierkreislichtes. — Hiſtoriſches. — Intermittenz zweifach: ſtündliche und jährliche? — Zu unterſchei— den, was dem kosmiſchen Lichtprozeſſe ſelbſt im Ringe des Tier— kreislichtes angehört, was der veränderlichen Durchſichtigkeit der Atmoſphäre. — Wichtigkeit einer langen Reihe korreſpondierender Beobachtungen unter den Tropen in verſchiedenen Höhen über dem Meere bis neun: und zwölftauſend Fuß. — Gegenſchein wie beim Untergang der Sonne. — Vergleich in derſelben Nacht mit be— ſtimmten Teilen der Milchſtraße. — Ob der Ring des Zodiakallichtes mit der Ebene des Sonnenäquators zuſammenfällt S 421424. V. Sternſchnuppen, Feuerkugeln, Meteorſteine: Aelteſte chronologiſch ſicher beſtimmte Aerolithenfälle, und Einfluß, welchen der Steinfall zu Aegos Potamoi und die kosmiſche Er— klärung desſelben auf die Weltanfichten des Anaxagoras und Dio— genes von Apollonia (aus der neueren ioniſchen Schule) ausgeübt haben; Umſchwung, welcher der Stärke des Falles entgegenwirkt (Centrifugalkraft und Gravitation); S. 425 —429 und 444 — 445 (Anm. 2— 5). — Geometriſche und phyſiſche Verhältniſſe der Meteore, bei ſporadiſchen und periodiſchen Meteor: fällen; Radiation der Sternſchnuppen, beſtimmte Ausgangs: punkte; Mittelzahl der ſporadiſchen und periodiſchen Stern— ſchnuppen in einer Stunde nach Verſchiedenheit der Monate; S. 429 bis 433 und 445 (Anm. 7-11). — Außer dem Strom des heil. Laurentius und dem jetzt ſchwächeren Novemberphänomen ſind noch 4 bis 5 andere periodiſch im Jahre wiederkehrende Stern— ſchnuppenfälle als ſehr wahrſcheinlich erkannt worden S. 433—435 und 445446 (Anm. 12 und 13). — Höhe und Geſchwindigkeit der Meteore S. 435. — Phyſiſche Verhältniſſe, Färbung und Schweife, Verbrennungsprozeß, Größe; Beiſpiele der Entzündung A. v. Humboldt, Kosmos. III. 30 — 46 — von Gebäuden; S. 435— 438. — Meteorſteine; Aerolithenfälle bei heiterem Himmel oder nach Entſtehung eines kleinen, dunklen Meteorgewölkes S. 438 — 440 und 447—448 (Anm. 14 und 15). — Problematiſche Häufigkeit der 1 zwiſchen Mitternacht und den frühen Morgenſtunden (ſtündliche Variation) S. 440. — Chemiſche Verhältniſſe der Aerolithen: Analogie mit den Ge⸗ mengteilen telluriſcher Gebirgsarten S. 440—443 und 448. Schlußworte. — Rückblick auf das Erſtrebte. — Beſchrän⸗ kung nach der Natur der Kompoſition einer phyſiſchen Weltbeſchrei- bung. — Darſtellung thatſächlicher Beziehungen der Weltkörper gegeneinander. — Keplers Geſetze planetariſcher Bewegung. — Einfachheit der uranologiſchen Probleme im Gegenſatz zu den tel— luriſchen, wegen Ausſchluſſes der Wirkungen, welche aus Stoff— verſchiedenheit und Stoffwechſel entſtehen. — Elemente der Stabi— lität des Planetenſyſtemes S. 449— 453. Berichtigungen und Zuſätze S. 454— 457. Inhaltsüberſicht S. 458— 466. — —— m — AC Humboldt, Alexander, Freiherr 35 von Gesammelte Werke PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY