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In einem vielumfaſſenden Werke, in dem Leichtigkeit des Verſtändniſſes und Klarheit des Totaleindrucks erſtrebt werden, ſind Kompoſition und Gliederung in der Anordnung des Ganzen faſt noch wichtiger als die Reichhaltigkeit des In— haltes. Dieſes Bedürfnis wird um ſo fühlbarer, als in dem Buche von der Natur (im Kosmos) die Verallgemeine— rung der Anſichten, ſowohl in der Objektivität der äußeren Erſcheinung als in dem Reflex der Natur auf das Innere des Menſchen (auf ſeine Einbildungskraft und ſeine Gefühle), von der Herzählung der einzelnen Reſultate ſorgſam getrennt werden muß. Jene Verallgemeinerung, in welcher die Welt— anſchauung als ein Naturganzes auftritt, zugleich aber auch nachgewieſen wird, wie unter den verſchiedenſten Zonen, in dem Lauf der Jahrhunderte, allmählich die Menſchheit das Zuſammenwirken der Kräfte zu erkennen geſucht hat, iſt in den erſten zwei Bänden des Kosmos enthalten. Wenn eine bedeutſame Anreihung von Erſcheinungen auch an ſich dazu geeignet iſt, den urſachlichen Zuſammenhang erkennen zu laſſen, ſo kann doch das allgemeine Naturgemälde nur dann einen lebensfriſchen Eindruck hervorbringen, wenn es, in enge Grenzen eingeſchloſſen, nicht durch allzugroße Anhäufung zu— ſammengedrängter Thatſachen an Ueberſichtlichkeit verliert. Wie man in Sammlungen graphiſcher Darſtellungen der Erdoberfläche oder der inneren Konſtruktion der Erdrinde gene— relle Ueberſichtskarten den ſpeziellen vorhergehen läßt, ſo hat — 1 es mir in der phyſiſchen Weltbeſchreibung am geeignetſten und dem Verſtändnis des Vortrages am entſprechendſten ge— ſchienen, auf die Betrachtung des Weltganzen aus allgemeinen und höheren Geſichtspunkten in den zwei letzten Bänden meiner Schrift ſolche ſpezielle Ergebniſſe der Beobachtung abgeſondert folgen zu laſſen, welche den gegenwärtigen Zuſtand unſeres Wiſſens vorzugsweiſe begründen. Es ſind daher dieſe beiden Bände, nach meiner ſchon früher gemachten Erinnerung (Bd. III, S. 3 bis 7), nur als eine Erweiterung und ſorgfältigere Ausführung des allgemeinen Naturgemäldes (Bd. I, S. 55 bis 265) zu betrachten, und wie von beiden Sphären des Kosmos die uranologiſche oder ſideriſche ausſchließ— lich in dem dritten Bande behandelt worden iſt, ſo bleibt die telluriſche Sphäre dem jetzt erſcheinenden letzten Bande be— ſtimmt. Auf dieſe Weiſe iſt die uralte, einfache und natür- liche Scheidung des Geſchaffenen in Himmel und Erde, wie ſie bei allen Völkern, in den früheſten Denkmälern des Bewußtſeins der Menſchheit auftritt, beibehalten worden. Wenn ſchon im Weltall der Uebergang von dem Fir: ſternhimmel, an welchem zahllofe Sonnen, ſei es iſoliert oder umeinander kreiſend, ſei es als ferne Nebel, leuchten, zu unſerem Planetenſyſteme ein Herabſteigen von dem Großen und Univerſellen zu dem relativ Kleinen und Beſonderen iſt, ſo wird der Schauplatz der Betrachtung noch um vieles ver— engt, wenn man von der Geſamtheit des geſtaltenreichen Sonnengebietes zu einem einzigen um die Sonne kreiſenden Planeten, zu dem Erdſphäroid, übergeht. Die Entfernung des nächſten Fixſternes, « Centauri, iſt noch 262 mal größer als der Durchmeſſer unſeres Sonnengebietes, bis zum Aphel des Kometen von 1680 gerechnet; und doch liegt dieſes Aphel ſchon 858mal weiter als unſere Erde von der Sonne (Kos— mos Bd. III, ©. 418). Dieſe Zahlen (die Parallaxe von a Cent. zu 0,9187“ gerechnet) beſtimmen annäherungsweiſe zugleich die Diſtanz einer uns nahen Region des Firftern- himmels von der vermuteten äußerſten Region des Sonnen— gebietes, wie die Entfernung dieſer Grenze von dem Ort der Erde. Die Uranologie, welche ſich mit dem beſchäftigt, was den fernen Weltraum erfüllt, bewahrt ihren alten Ruhm, den an- regendſten Eindruck des Erhabenen auf die Einbildungskraft hervorzubringen, durch die Unerfaßbarkeit der Raum- und Zahlenverhältniſſe, die fie darbietet, durch die erkannte Drd- 5 nung und Geſetzmäßigkeit in der Bewegung der Weltkörper, durch die Bewunderung, welche den errungenen Reſultaten der Beobachtung und einer geiſtigen Forſchung gezollt wird. Dieſes Gefühl der Regelmäßigkeit und Periodizität hat ſich ſo früh dem Menſchen aufgedrängt, daß es ſich oft in den Sprachformen reflektiert, welche auf den geordneten Lauf der Geſtirne hindeuten. Dazu ſind die erkannten Geſetze, die in der himmliſchen Sphäre walten, vielleicht am bewunderns— würdigſten durch ihre Einfachheit, da ſie ſich allein auf das Maß und die Verteilung der angehäuften ponderablen Materie und deren Anziehungsfräfte gründen. Der Eindruck des Er: habenen, wenn er aus dem Unermeßlichen und ſinnlich Großen entſpringt, geht, uns ſelbſt faſt unbewußt, durch das geheim— nisvolle Band, welches das Ueberſinnliche mit dem Sinnlichen verknüpft, in eine andere, höhere Sphäre der Ideen über. Es wohnt dem Bilde des Unermeßlichen, des Grenzenloſen, des Unendlichen eine Kraft bei, die zu ernſter, feierlicher Stimmung anregt und, wie in dem Eindruck alles geiſtig Großen und moraliſch Erhabenen, nicht ohne Rührung iſt. Die Wirkung, welche der Anblick außerordentlicher Him— melserſcheinungen ſo allgemein und gleichzeitig auf ganze Volksmaſſen ausübt, bezeugt den Einfluß einer ſolchen Aſſo— ciation der Gefühle. Was in erregbaren Gemütern ſchon der bloße Anblick der geſtirnten Himmelsdecke hervorbringen kann, wird durch tieferes Wiſſen und durch Anwendung von Werk— zeugen vermehrt, die der Menſch erfunden, um ſeine Sehkraft und mit ihr den Horizont ſeiner Beobachtung zu vergrößern. Dabei geſellt ſich zu dem uranologiſchen Eindruck des Un— erfaßlichen im Weltall, durch die Gedankenverbindung mit dem Geſetzlichen und der geregelten Ordnung auch der Eindruck des Friedlichen. Er benimmt der unergründlichen Tiefe des Raumes wie der Zeit, was bei aufgeregter Einbildungskraft ihnen Schauerliches zugeſchrieben wird. Unter allen Himmels— ſtrichen preiſt der Menſch, bei der einfach natürlichen Em— pfänglichkeit ſeines Gemütes, „die ſtille Ruhe einer ſternklaren Sommernacht“. Wenn nun Raum⸗ und Maſſengröße dem ſideriſchen Teile der Weltbeſchreibung vorzugsweiſe angehören, und das Auge in ihm das einzige Organ der Weltanſchauung iſt, ſo hat dagegen der telluriſche Teil den überwiegenden Vorzug, eine größere, wiſſenſchaftlich unterſcheidbare Mannigfaltigkeit in den vielfachen elementariſchen Stoffen darzubieten. Mittels . aller unſerer Sinne ſtehen wir mit der irdiſchen Natur in Kontakt, und ſo wie die Aſtronomie, als Kenntnis der be— wegten leuchtenden Weltkörper einer mathematiſchen Be— arbeitung am zugänglichſten, Veranlaſſung geworden iſt, den Glanz der höheren Analyſis und den Umfang des weiten Gebietes der Optik erſtaunenswürdig zu vermehren, ſo iſt die irdiſche Sphäre allein durch ihre Stoffverſchiedenheit und das komplizierte Spiel der Kraftäußerung dieſer Stoffe die Gründerin der Chemie und ſolcher phyſikaliſchen Dis— ziplinen geworden, welche Erſcheinungen behandeln, die bisher noch von den wärme- und lichterzeugenden Schwingungen ge— trennt werden. Jede Sphäre hat demnach durch die Natur der Probleme, welche ſie der Forſchung darbietet, einen ver— ſchiedenen Einfluß auf die Geiſtesarbeit und die Bereicherung des Wiſſens der Menſchheit ausgeübt. Alle Weltkörper, außer unſerem Planeten und den Aero— lithen, welche von dieſem angezogen werden, ſind für unſere Erkenntnis nur homogene gravitierende Materie, ohne ſpe— zifiſche, ſogenannte elementare Verſchiedenheit der Stoffe. Eine ſolche Einfachheit der Vorſtellung iſt aber keinesweges in der inneren Natur und Konſtitution jener fernen Weltkörper ſelbſt, ſie iſt allein in der Einfachheit der Bedingungen gegründet, deren Annahme hinreicht, die Bewegungen im Weltenraume zu erklären und vorherzubeſtimmen. Sie entſteht, wie wir ſchon mehrfach zu erinnern Gelegenheit gehabt haben (Kos— mos Bd. I, S. 39 bis 42 und 97, Bd. III, S. 4, 13, 15 bis 18, 426 und 449), durch die Ausſchließung von allem Wahrnehmbaren einer Stoffverſchiedenheit; ſie bietet dar die Löſung des großen Problemes einer Himmelsmechanik, welche alles Veränderliche in der uranologiſchen Sphäre der alleinigen Herrſchaft der Bewegungslehre unterwirft. Peri odiſche Wechſel von Lichterſcheinungen auf der Ober— fläche des Mars deuten freilich nach Verſchiedenheit der dor— tigen Jahres zeiten auf meteorologiſche Prozeſſe und durch Kälte erregte Polarniederſchläge in der Atmoſphäre jenes Pla- neten (Kosmos Bd. III, S. 366). Durch Analogieen und Ideenverbindungen geleitet, mögen wir hier auf Eis oder Schnee (Sauer- und Waſſerſtoff), wie in den Eruptivmaſſen des Mondes oder ſeinen flachen Ringebenen auf Verſchieden— heit der Gebirgsarten im Monde ſchließen; aber unmittel⸗ bare Beobachtung kann uns nicht darüber belehren. Auch er: laubte ſich Newton nur Vermutungen über die elementare re Konſtitution der Planeten, die zu demſelben Sonnengebiete gehören, wie wir in einem wichtigen zu Kenſington mit Con— duit gepflogenen Geſpräche vernehmen (Kosmos Bd. I. S. 94 und 282). Das einförmige Bild ſtoffgleicher, gravitierender Materie, zu Himmelskörpern geballt, beſchäftigt auf mannig⸗ faltige Weiſe die ahnende Phantaſie des Menſchen, ja die Mythe leiht der lautloſen Einöde des Weltraumes ſelbſt den Zauber der Töne (Kosmos Bd. III, S. 311 bis 313 und 341). In dem unendlichen Reichtum chemiſch verſchiedener Stoffe und dem Spiel ihrer Kraftäußerungen, in der geſtaltenden, formbildenden Thätigkeit der ganzen organiſchen Natur und vieler anorganiſchen Subſtanzen, in dem Stoffwechſel, der den ewig wandelnden Schein des Werdens und der Ver— nichtung darbietet, ſtrebt der ordnende Geiſt, bei Durchforſchung des irdiſchen Reiches, oft mißmutig nach einfachen Bewegungs— geſetzen. Schon in der Phyſik des Ariſtoteles heißt es: „Die Grundprinzipien aller Natur ſind das Veränderliche und die Bewegung, wer dieſe nicht anerkannt hat, erkennt auch die Natur nicht“ (Phys. auscult. III, 1, p. 200 Bekker), und: auf Stoffverſchiedenheit, „Unterſchied in der Weſenheit“, hindeutend, nennt er Bewegung in Bezug auf die Kategorie des Qualitativen: Umwandlung, isis, ſehr ver: ſchieden von der bloßen Miſchung, wi&s, und einer Durch: dringung, welche das Wiedertrennen nicht ausſchließt (De ge- nerat. et corrupt. I, 1, p. 327). . Das ungleiche Steigen der Flüſſigkeiten in Haarröhren; die in allen organiſchen Zellen ſo thätige Endosmoſe, welche wahrſcheinlich eine Folge der Kapillarität iſt; die Verdichtung von Gasarten in den poröſen Körpern (des Sauerſtoffgaſes im Platinmohr, mit einem Drucke, der einer Kraft von mehr als 700 Atmoſphären gleich iſt; der Kohlenſäure in Buchs— baumkohle, von der mehr als % an den Wänden der Zellen in tropfbarflüſſigem Zuſtande verdichtet wird); die chemiſche Wirkung der Kontaktſubſtanzen, welche durch ihre Gegen— wart (katalytiſch) Verbindungen veranlaſſen oder zerſtören, ohne ſelbſt einen Anteil daran zu nehmen, — alle dieſe Er: ſcheinungen lehren, daß die Stoffe in unendlich kleinen Ent— fernungen eine Anziehung gegeneinander ausüben, die von ihrer ſpezifiſchen Weſenheit abhängt. Solche Anziehungen können nicht ohne durch ſie erregte, aber unſerem Auge ent— ſchwindende Bewegungen gedacht werden. ö a In welchem Verhältniſſe die gegenſeitige Molekular— attraktion, als eine Urſache perpetuierlicher Bewegung auf der Oberfläche des Erdkörpers, und höchſt wahrſcheinlich in ſeinem Inneren, zu der Gravitationsattraktion ſteht, welche die Planeten ſowohl als ihre Centralkörper ebenſo perpetuierlich bewegt, iſt uns noch völlig unbekannt. Schon durch die teilweiſe Löſung eines ſolchen rein phyſiſchen Pro— blems würde das Höchſte und Ruhmvollſte erreicht werden, was auf dieſen Wegen Experiment und Gedankenverbindung erreichen können. Ich nenne in dem eben berührten Gegen— ſatze die Anziehung, welche in den Himmelsräumen in grenzen— loſen Entfernungen waltet und ſich umgekehrt wie das Quadrat der Entfernung verhält, nicht gern, wie man gewöhnlich thut, ausſchließlich die Newtonſche. Eine ſolche Naeh g ent⸗ hält faſt eine Ungerechtigkeit gegen das Andenken des großen Mannes, der ſchon beide Kraftäußerungen anerkannte, doch aber keineswegs ſo ſcharf voneinander trennte, daß er nicht, wie in glücklichem Vorgefühl künftiger Entdeckungen, es hätte verſuchen ſollen, in ſeinen Zuſätzen zur Optik, Kapillarität, und das Wenige, was damals von chemiſcher Affinität be— kannt war, der allgemeinen Gravitation zuzuſchreiben. (Laplace, Ex pos., du Syst. du Monde p. 384; Kosmos Bd. III, S. 16 und 22, Anm. 18.) Wie in der Sinnenwelt vorzugsweiſe an dem Meer— horizont Trugbilder aufdämmern, die dem erwartungsvollen Entdecker eine Zeitlang den Beſitz eines neuen Landes ver: heißen, ſo ſind am idealen Horizont in den fernſten Regionen der Gedankenwelt dem ernſten Forſcher auch manche Hoff— nungen vielverheißend aufgegangen und wieder verſchwunden. Allerdings ſind großartige Entdeckungen neuerer Zeit geeignet geweſen, die Spannung zu erhöhen, ſo die Kontaktelektrizität; der Rotationsmagnetismus, welcher ſelbſt durch tropfbare oder zu Eis erſtarrte Flüſſigkeiten erregt wird; der glückliche Ver⸗ ſuch, alle chemiſche Verwandtſchaft als Folge der elektriſchen Relationen von Atomen mit einer prädominierenden Polar⸗ kraft zu betrachten; die Theorie iſomorpher Subſtanzen in Anwendung auf Kriſtallbildung; manche Erſcheinungen des elektriſchen Zuſtandes der belebten Muskelfaſer; die errungene Kenntnis von dem Einfluß des Sonnenſtandes (der temperatur: erhöhenden Sonnenſtrahlen) auf die größere oder geringere magnetiſche Empfänglichkeit und Fortpflanzungskraft von einem Beſtandteil unſerer Atmoſphäre, dem Sauerſtoffe. Wenn un: Ban. erwartet in der Körperwelt etwas aus einer noch unbekannten Gruppe von Erſcheinungen aufglimmt, ſo kann man um ſo mehr ſich neuen Entdeckungen nahe glauben, als die Beziehungen zu dem ſchon Ergründeten unklar oder gar widerſprechend ſcheinen. Ich habe vorzugsweiſe ſolche Beiſpiele angeführt, in denen dynamiſche Wirkungen motoriſcher Anziehungskräfte die Wege zu eröffnen ſcheinen, auf welchen man hoffen möchte, der Löſung der Probleme von der urſprünglichen, unwandel baren und darum elementar genannten Heterogeneität der Stoffe (Oxygen, Hydrogen, Schwefel, Kali, Phosphor, Zinn) und von dem Maße ihres Verbindungsbeſtrebens (ihrer chemiſchen Affinität) näher zu treten. Unterſchiede der Form und Miſchung ſind aber, ich wiederhole es hier, die Elemente unſeres ganzen Wiſſens von der Materie, ſie ſind die Abſtraktionen, unter denen wir glauben, das allbewegte Weltganze zu erfaſſen, meſſend und zerſetzend zugleich. Das Detonieren knallſaurer Salze bei einem leiſen mecha niſchen Drucke, und die noch furchtbarere, von Feuer be— gleitete, Exploſion des Chlorſtickſtoffes kontraſtieren mit der detonierenden Verbindung von Chlorgas und Waſſerſtoffgas bei dem Einfall eines direkten (beſonders violetten) Sonnen— ſtrahles. Stoffwechſel, Feſſelung und Entfeſſelung bezeichnen den ewigen Kreislauf der Elemente in der anorganiſchen Natur wie in der belebten Zelle der Pflanzen und Tiere. „Die Menge des vorhandenen Stoffes bleibt aber dieſelbe, die Elemente wechſeln nur ihre relative Lage zu einander.“ Es bewährt ſich demnach der alte Ausſpruch des Anaxa— goras, daß das Seiende ſich weder mehre noch vermindere im Weltall, daß das, was die Hellenen das Vergehen der Dinge nennen, ein bloßes Entmiſchen ſei. Allerdings iſt die irdiſche Sphäre, als Sitz der unſerer Beobachtung zugäng— lichen organiſchen Körperwelt, ſcheinbar eine Werkſtatt des Todes und der Verweſung; aber der große Naturprozeß lang— ſamer Verbrennung, den wir Verweſung nennen, führt keine Vernichtung herbei. Die entfeſſelten Stoffe vereinigen ſich zu anderen Gebilden, und durch die treibenden Kräfte, e tem innewohnen, entfeimt neues Leben dem Schoße er Erde. B. Frgebniffe der Beobachtung aus dem telluriſch en ei 2 der phyſiſchen Weltbeſchreibung. Bei dem Streben, ein unermeßliches Material der mannig— faltigſten Objekte zu beherrſchen, d. h. die Erſcheinungen ſo aneinander zu reihen, daß die Einſicht in ihren Kauſalzuſammen— hang erleichtert werde, kann der Vortrag nur dann Ueberſicht und lichtvolle Klarheit gewähren, wenn das Spezielle, beſon— ders in dem errungenen, lange durchforſchten Felde der Beob— achtung, den höheren Geſichtspunkten kosmiſcher Einheit nicht entrückt wird. Die telluriſche Sphäre, der uranologi— ſchen entgegengeſetzt, zerfällt in zwei Abteilungen: in das anorganiſche und organiſche Gebiet. Das erſtere um— faßt: Größe, Geſtalt und Dichtigkeit des Erdkörpers; innere Wärme; elektromagnetiſche Thätigkeit; mineraliſche Konſtitution der Erdrinde; Reaktion des Inneren des Planeten gegen ſeine Oberfläche, dynamiſch wirkend durch Erſchütterung, chemiſch wirkend durch ſteinbildende und ſteinumändernde Prozeſſe; teilweiſe Bedeckung der feſten Oberfläche durch Tropfbar— flüſſiges, das Meer; Umriß und Gliederung der gehobenen Feſte (Kontinente und Inſeln); die allgemeine, äußerſte, gas— förmige Umhüllung (den Luftkreis). Das zweite oder orga— niſche Gebiet umfaßt nicht die einzelnen Lebensformen ſelbſt, wie in der Naturbeſchreibung, ſondern die räumlichen Beziehungen derſelben zu den feſten und flüſſigen Teilen der Erdoberfläche, die Geographie der Pflanzen und Tiere, die ab, Abſtufungen der ſpezifiſch einigen Menſchheit nach Raſſen und Stämmen. Auch dieſe Abteilung in zwei Gebiete gehört gewiſſer— maßen dem Altertume an. Es wurden ſchon damals ge— ſchieden die elementariſchen Prozeſſe, der Formenwechſel und Uebergang der Stoffe ineinander von dem Leben der Pflanzen und Tiere. Der Unterſchied beider Organismen war, bei faſt gänzlichem Mangel an Mitteln die Sehkraft zu erhöhen, nur auf ahnungsvolle Intuition und auf das Dogma von der Selbſternährung (Ariſtot., De anima II, 1, T. I, p. 412, a 14 Bekker) und dem inneren Anlaß zur Bewegung gegründet. Jene Art der geiſtigen Auffaſſung, welche ich Intuition nannte, und mehr noch die dem Stagıriten eigene Schärfe frucht— bringender Gedankenverbindung leiteten ihn ſogar auf die ſcheinbaren Uebergänge von dem Unbelebten zu dem Belebten, von dem Elementariſchen zu der Pflanze, ja zu der Anſicht, daß es bei den ſich immer höher geſtaltenden Bildungs— prozeſſen allmähliche Mittelſtufen gebe von den Pflanzen zu den niederen Tieren (Ariſtot., De part. Animal. IV, 5, p. 681, a 12 und Hist. Animal. VIII, 1, p. 588, a 4 Bekker). Die Geſchichte der Organismen (das Wort Ge— ſchichte in ſeinem urſprünglichen Sinne genommen, alſo in Beziehung auf frühere Zeitepochen, auf die der alten Floren und Faunen) iſt ſo innig mit der Geologie, mit der Reihen— folge übereinander gelagerter Erdſchichten, mit der Chrono— metrik der Länder- und Gebirgserhebung verwandt, daß es mir wegen Verkettung großer und weit verbreiteter Phänomene geeigneter ſchien, die an ſich ſehr natürliche Sonderung des organiſchen und anorganiſchen Erdenlebens in einem Werke über den Kosmos nicht als ein Hauptelement der Klaſſifikation aufzuſtellen. Es handelt ſich hier nicht um einen morphologiſchen Geſichtspunkt, ſondern vorzugsweiſe um eine nach Totalität ſtrebende Anſicht der Natur und ihrer wirkenden Kräfte. N Größe, Geſtaltung und Dichtigkeit der Erde. — Innere Wärme und Verteilung derſelben. — Magnetiſche Thätigkeit, ſich offenbarend in Veränderungen der Inklination, Deklination und Intenfität der Kraft unter dem Einfluß des lufterwärmenden und luftverdünnenden Sonnen. ſtandes. Magnetiſche Gewitter; Polarlicht. Was alle Sprachen, wenngleich etymologiſch unter ver— ſchiedenartig ſymboliſierenden Formen, mit dem Ausdruck Natur und, da zuerſt der Menſch alles auf ſeinen heimat— lichen Wohnſitz bezieht, mit dem Ausdruck irdiſche Natur bezeichnen, iſt das Reſultat von dem ſtillen Zuſammenwirken eines Syſtemes treibender Kräfte, deren Daſein wir nur durch das erkennen, was ſie bewegen, miſchen und entmiſchen, ja teilweiſe zu organiſchen, ſich gleichartig wieder— erzeugenden Geweben (lebendigen Organismen) ausbilden. Naturgefühl iſt für ein empfängliches Gemüt der dunkle, an— regende, erhebende Eindruck dieſes Waltens der Kräfte. Zuerſt feſſeln unſere Neugier die räumlichen Größenverhältniſſe unſeres Planeten: eines Häufchens geballter Materie im unermeßlichen Weltall. Ein Syſtem zuſammenwirkender, einigender oder (polariſch) trennender Thätigkeiten ſetzt die Abhängigkeit jedes Teiles des Naturganzen von dem anderen, in den elemen— taren Prozeſſen (der anorganiſchen Formbildung) wie in dem Hervorrufen und der Unterhaltung des Lebens voraus. Die Größe und Geſtalt des Erdkörpers, ſeine Maſſe (Quantität materieller Teile), welche, mit dem Volum verglichen, die Dichtigkeit und durch dieſe, unter gewiſſen Bedingungen, die Konſtitution des Inneren wie das Maß der Anziehung be: ſtimmt, ſtehen unter ſich in mehr erkennbarer und mehr mathe⸗ matiſch zu behandelnder Abhängigkeit, als es diejenige iſt, welche wir bisher in den eben genannten Lebensprozeſſen, in den Wärmeſtrömungen, den telluriſchen Zuſtänden des Cleftro: ER magnetismus oder den chemiſchen Stoffwechſeln wahrnehmen. Beziehungen, die man in komplizierten Erſcheinungen noch nicht quantitativ zu meſſen vermag, können deshalb doch vor— handen ſein und durch Induktionsgründe wahrſcheinlich ge— macht werden. Wenn auch die beiden Arten der Anziehung, die, welche in bemerkbaren Entfernungen wirkt (wie Schwer— kraft, Gravitation der Weltkörper gegeneinander), und die, welche in unmeßbaren kleinſten Entfernungen ſtattfindet (Molekular⸗ oder Kontaktattraktion), in dem gegenwärtigen Zuſtande unſeres Wiſſens nicht auf ein und dasſelbe Geſetz zu reduzieren ſind, ſo iſt es darum doch nicht minder glaub— lich, daß Kapillaranziehung und die für das Aufſteigen der Säfte und für Tier- und Pflanzenphyſiologie jo wichtige Endosmoſe von dem Maße der Schwere und ihrer lokalen Verteilung ebenſo affiziert werden, als die elektromagnetiſchen Prozeſſe und der chemiſche Stoffwechſel. Man darf annehmen, um an extreme Zuſtände zu erinnern, daß auf unſerem Pla— neten, wenn derſelbe nur die Maſſe des Mondes und alſo eine faſt ſechsmal geringere Intenſität der Schwere hätte, die meteorologiſchen Prozeſſe, das Klima, die hypſometriſchen Ver— hältniſſe der gehobenen Gebirgsketten, die Phyſiognomie (facies) der Vegetation ganz verſchieden ſein würden. Die abſolute Größe unſeres Erdkörpers, mit der wir uns hier beſchäftigen werden, erhält ihre Wichtigkeit für den geſamten Haushalt der Natur bloß durch das Verhältnis, in dem ſie zur Maſſe und zur Rotation ſteht; denn auch im Weltall würden, wenn die Dimenſionen der Planeten, ihre Stoffmengen, Ge— ſchwindigkeiten und Diſtanzen voneinander in einer und der— jelben Proportion zu: oder abnähmen, in dieſem idealen Makro— oder Mikrokosmos, alle von den Gravitationsverhältniſſen ab— hängige Erſcheinungen unverändert! bleiben. a. Größe, Figur (Abplattung) und Dichtigkeit der Erde. (Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I, S. 118—123 und 290 - 293, Anm. 86—93.) Der Erdförper iſt gemeſſen und gewogen worden: zur Ermittelung ſeiner Geſtalt, ſeiner Dichtigkeit und Maſſe. Die Genauigkeit nach welcher man unausgeſetzt in dieſen terreſtriſchen Beſtimmungen geſtrebt, hat nicht weniger als die Auflöſung der Probleme der Aſtronomie gleichzeitig zu — 11 der Vervollkommnung der Meßinſtrumente und der analyti— ſchen Methoden beigetragen. Ein entſcheidender Teil der Grad— meſſung iſt übrigens ſelbſt aſtronomiſch, Sternhöhen bedingen die Krümmung des Bogens, deſſen Länge durch Auflöſung eines trigonometriſchen Netzes gefunden iſt. Der höheren Mathe— matik iſt es geglückt, Wege zu eröffnen, um aus gegebenen numeriſchen Elementen die ſchwierigen Aufgaben der Geſtalt der Erde, der Figur des Gleichgewichtes einer flüſſigen homo— genen oder dichten, ſchalenähnlich ungleichartigen Maſſe zu löſen, welche ſich um eine feſte Achſe gleichförmig dreht. Seit Newton und Huygens ſind die berühmteſten Geometer des 18. Jahrhunderts mit der Löſung beſchäftigt geweſen. Es iſt erſprießlich, ſtets daran zu erinnern, daß alles, was Großes durch Intenſität geiſtiger Kraft und durch mathematiſche Ideen— kombination erlangt wird, ſeinen Wert nicht bloß von dem hat, was aufgefunden und der Wiſſenſchaft angeeignet worden iſt, ſondern vorzugsweiſe von dem, was dieſes Auffinden zur Ausbildung und Verſtärkung des analytiſchen Werkzeuges bei- getragen hat. „Die geometriſche Figur der Erde, der phyſiſchen entgegenſetzt, beſtimmt diejenige Oberfläche, welche die Ober— fläche des Waſſers in einem mit dem Ozean zuſammenhän— genden, die Erde überall bedeckenden und durchkreuzenden Netze von Kanälen annehmen würde. Die geometriſche Ober— fläche durchſchneidet die Richtung der Kräfte ſenkrecht, welche aus allen von den einzelnen Teilchen der Erde aus: gehenden Anziehungen, verbunden mit der ihrer Umdrehungs⸗ geſchwindigkeit entſprechenden Centrifugalkraft, zuſammengeſetzt ſind. Sie kann im ganzen nur als eine dem elliptiſchen Rotationsſphäroid ſehr nahe zugehörige betrachtet werden, denn Unregelmäßigkeiten der Maſſenverteilung im Inneren der Erde erzeugen bei lokal veränderter Dichtigkeit ebenfalls Unregelmäßigkeiten in der geometriſchen Oberfläche, welche das Produkt der Geſamtwirkung ungleich verteilter Elemente iſt. Die phyſiſche Oberfläche iſt unmittelbar durch die wirk— lich vorhandene des Feſten und Flüſſigen auf der äußeren Erdrinde gegeben.“ Wenn es ſchon aus geologiſchen Gründen nicht unwahrſcheinlich iſt, daß zufällige Veränderungen, welche in den geſchmolzenen, trotz des Druckes, den ſie erleiden, leicht beweglichen Teilen des Inneren durch Ortswechſel in den Maſſen vorgehen, ſelbſt die geometriſche Oberfläche in Krümmung der Meridiane und Parallele in kleinen Räumen — 3 >, nach ſehr kleinen Zeitabſchnitten modifizieren, jo iſt die phy— ſiſche Oberfläche in ihrer ozeaniſchen Region durch Ebbe und Flut (lokale Depreſſion und Anſchwellung des Flüſſigen) ſogar periodiſch einem Ortswechſel der Maſſen ausgeſetzt. Die Kleinheit des Gravitationseffektes in den kontinentalen Regionen kann einen ſehr allmählichen Wechſel der wirklichen Beobachtung entziehen, und nach Beſſels Berechnung muß, um die Polhöhe eines Ortes nur um 1“ zu vergrößern, in dem Inneren der Erde eine Ortsveränderung von einer Maſſe vorausgeſetzt werden, deren Gewicht, ihre Dichtigkeit der mitt: leren Dichtigkeit der Erde gleich geſetzt, das von 114 geo⸗ graphiſchen Kubikmeilen iſt. So auffallend groß auch dieſes Volum der ortsverändernden, bewegten Maſſe uns erſcheint, wenn wir es mit dem Volum des Montblanc, oder Chim⸗ borazo, oder Kintſchindſchinga vergleichen, ſo ſinkt doch bald das Erſtaunen über die Größe des Phänomens, wenn man ſich erinnert, daß das Erdſphäroid über 2650 Millionen ſolcher Kubikmeilen umfaßt. Das Problem der Figur der Erde, deſſen Zuſammen⸗ hang mit der geologiſchen Frage über früheren liquiden Zuſtand der planetariſchen Rotationskörper ſchon in der großen Zeit von Newton, Huygens und Hooke erkannt wurde, iſt mit ungleichem Erfolge auf drei Wegen zu löſen verſucht worden: durch geodätiſch⸗aſtronomiſche Gradmeſſung, durch Pendelverſuche und durch Ungleichheiten in der Länge und Breite des Mondes. Die erſte Methode zerfällt wieder in zwei Unterarten der Anwendung: Breitengradmeſſun— gen auf einem Meridianbogen und Längengradmeſſungen auf verſchiedenen Parallelkreiſen. Unerachtet bereits ſieben Jahre verfloſſen ſind, ſeitdem ich die Reſultate von Beſſels großer Arbeit über die Dimen— ſionen des Erdkörpers in das allgemeine Naturgemälde aufgenommen habe, ſo kann doch dieſe Arbeit bis jetzt noch nicht durch eine mehr umfaſſende, auf neuere Gradmeſſungen gegründete, erſetzt werden. Einen wichtigen Zuwachs und eine Vervollkommnung aber hat fie zu erwarten, wenn die bald vollendete ruſſiſche Gradmeſſung, welche ſich faſt vom Nordkap bis zum Schwarzen Meere erſtreckt, wird veröffent⸗ licht werden, und die indiſche, durch ſorgfältige Vergleichung des dabei gebrauchten Maßes, in ihren Ergebniſſen mehr ge⸗ ſichert iſt. Laut Beſſels im Jahre 1841 bekannt gemachten Beſtimmungen iſt der mittlere Wert der Dimenſionen unſeres — 1 Planeten nach der genauen Unterſuchung? von 10 Grad: meſſungen folgender: die halbe große Achſe des elliptiſchen Rotationsſphäroids, welchem ſich die unregelmäßige Figur der Erde am meiſten nähert, 327 077,14, die halbe kleine Achſe 3261 139,33 t, die Länge des Erdquadranten 5131 179,81t, die Länge eines mittleren Meridiangrades 57013,109t, die Länge des Parallelgrades bei 0“ Breite, alſo eines Aequatorgrades, 67 108,520t, die Länge eines Parallel: grades bei 45° Breite 40 449,371t, Abplattung ia die Länge einer geographiſchen Meile, deren 15 auf einen Grad des Aequators gehen, 3807,23 t. Die folgende Tafel (S. 17) zeigt die Zunahme der Länge der Meridian⸗ grade vom Aequator gegen die Pole hin, wie fie aus den Beob— achtungen gefunden iſt, alſo modifiziert durch lokale Störungen der Anziehung. Die Beſtimmung der Figur der Erde durch Meſſung von Längengraden auf verſchiedenen Parallel⸗ kreiſen erfordert eine große Genauigkeit in den Unter: ſchieden der Ortslängen. Schon Caſſini de Thury und Lacaille bedienten ſich 1740 der Pulverſignale, um einen Perpendikel auf dem Meridian von Paris zu meſſen. In neuerer Zeit ſind bei der großen trigonometriſchen Aufnahme von England mit weit beſſeren Hilfsmitteln und größerer Sicherheit Längen der Bogen auf Parallelkreiſen und Unterſchiede der Meridiane beſtimmt worden zwiſchen Beachy Head und Dunnoſe, wie zwiſchen Dover und Falmouth, freilich nur in Längenunter⸗ ſchieden von 1° 26“ und 6° 22°. Die glänzendſte dieſer Ope— rationen iſt aber wohl die zwiſchen den Meridianen von Marennes, an der Weſtküſte von Frankreich, und Fiume ge— weſen. Sie erſtreckt ſich über die weſtlichſte Alpenkette und die lombardiſchen Ebenen von Mailand und Padua in einer direkten Entfernung von 15° 32° 27“, und wurde ausgeführt von Brouſſeaud und Largeteau, Plana und Carlini, faſt ganz unter dem ſogenannten mittleren Parallel von 457. Die vielen Pendelverſuche, welche in der Nähe der Gebirgsketten gemacht worden ſind, haben hier den ſchon früher erkannten Einfluß von lokalen Anziehungen, die ſich aus der Vergleichung der aſtronomiſchen Breiten mit den Reſultaten der geodätiſchen Meſſungen ergeben,“ auf eine merkwürdige Weiſe beſtätigt. Nach den zwei Unterarten der unmittelbaren Gradmeſſung: a) auf Meridian- und b) auf Parallelbogen, iſt noch 155 IDG 1756 011 3 anwovg r aonbnogz 7785 “unuvauod) DX 7 TESOT uozquoz 1laraag) GCz9 011 ER uogguog | eg oll wong eee, @rsLoll obvaz ‘or 165 ue aue S6TL ET 5 ao oBdanız Gos Be 1 dnvg) 9. 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Laplace, der zuerſt die Urſache dieſer Ungleichheiten aufgefunden, hat auch deren Anwendung gelehrt und ſcharfſinnig gezeigt, wie die— ſelbe den großen Vorzug gewährt, welchen vereinzelte Grad— meſſungen und Pendelverſuche nicht darzubieten vermögen, den Vorzug, die mittlere Figur (die Geſtalt, welche dem ganzen Planeten zugehört) in einem einzigen einfachen Reſultate zu offenbaren. Man erinnert hier gern wieder? an den glücklichen Ausdruck des Erfinders der Methode, „daß ein Aſtronom, ohne ſeine Sternwarte zu verlaſſen, in der Bewegung eines Himmelskörpers die individuelle Geſtalt der Erde, ſeines Wohnſitzes, leſen könne“. Nach einer letzten Reviſion der beiden Ungleichheiten in der Länge und Breite unſeres Satelliten und durch die Benutzung von mehreren tauſend Beobachtungen von Bürg, Bouvard und Burckhard fand Laplace vermittelſt dieſer ſeiner Lunarmethode eine Ab— plattung, welche der der Breitengradmeſſungen (15) nahe genug kommt, nämlich ß. Ein drittes Mittel, die Geſtalt der Erde (d. i. das Ver⸗ hältnis der großen zur kleinen Achſe unter der Vorausſetzung einer elliptiſch ſphäroidiſchen Geſtalt) durch Ergründung des Geſetzes zu finden, nach welchem vom Aequator gegen die Rotationspole hin die Schwere zunimmt, bieten die Schwingungen der Pendel dar. Zur Zeitbeſtimmung hatten ſich dieſer Schwingungen zuerſt die arabiſchen Aſtro— nomen und namentlich Ebn-Junis, am Ende des 10. Jahr⸗ hunderts, in der Glanzperiode der Abbaſſidiſchen Kalifen,“ be— dient; auch, nach ſechshundertjähriger Vernachläſſigung, Galilei und der Pater Riccioli zu Bologna. Durch Verbindung mit Räderwerk zur Regulierung des Ganges der Uhren (an: gewandt zuerſt in den unvollkommenen Verſuchen von Sanc— torius zu Padua 1612, dann in der vollendeten Arbeit von Huygens 1656) hat das Pendel in Richers Vergleichung des Ganges derſelben aſtronomiſchen Uhr zu Paris und Cayenne (1672) den erſten materiellen Beweis von der verſchiedenen Intenſität der Schwere unter verſchiedenen Breiten gegeben. Picard war zwar mit der Ausrüſtung zu dieſer wichtigen Reiſe beſchäftigt, aber er ſchreibt ſich deshalb nicht das Verdienſt er tg des erſten Vorſchlages zu. Richer verließ Paris im Oktober 1671, und Picard, in der Beſchreibung ſeiner Breitengrad— meſſung, die ebenfalls im Jahre 1671 erſchien, erwähnt bloß! „einer Vermutung, welche in einer der Sitzungen der Akademie von einem Mitgliede geäußert worden ſei, und nach welcher wegen der Rotation der Erde die Gewichte eine ge— ringere Schwere unter dem Aequator als unter dem Pole haben möchten“. Er fügt zweifelnd hinzu, „daß allerdings nach einigen Beobachtungen, welche in London, Lyon und Bologna angeſtellt ſeien, es ſcheine, als müſſe das Sekunden— pendel verkürzt werden, je näher man dem Aequator komme; aber andererſeits ſei er auch nicht genug von der Genauigkeit der angegebenen Meſſungen überzeugt, weil im Haag die Pendellänge trotz der nördlicheren Lage ganz wie in Paris gefunden werde“. Wann Newton zuerſt die ihm ſo wichtige Kenntnis von den durch Richer 1672 erlangten, aber erſt 1679 durch den Druck veröffentlichten Pendelreſultaten, oder von Caſſinis ſchon vor 1666 gemachter Entdeckung der Ab— plattung des Jupiter erhalten hat, wiſſen wir leider nicht mit derſelben Genauigkeit, als uns ſeine ſehr verſpätete Kenntnis von Picards Gradmeſſung erwieſen iſt. In einem Zeitpunkte, wo in einem ſo glücklichen Wettkampfe theoretiſche Anſichten zu Anſtellung von Beobachtungen anregten und wiederum Ergebniſſe der Beobachtung auf die Theorie reagierten, iſt für die Geſchichte der mathematiſchen Begründung einer phy— ſiſchen Aſtronomie die genaue Aufzählung der einzelnen Epochen von großem Intereſſe. Wenn die unmittelbaren Meſſungen von Meridian— und Parallelgraden (die erſteren vorzugsweiſe in der fran: zöſiſchen Gradmeſſung zwiſchen Br. 44° 42° und 47 30°, die zweiten bei Vergleichung von Punkten, die öſtlich und weſtlich liegen von den Grajiſchen, Cottiſchen und Meeralpen), ſchon große Abweichungen von der mittleren ellipſoidiſchen Ge— ſtalt der Erde verraten, ſo ſind die Schwankungen in dem Maße der Abplattung, welche geographiſch verſchieden verteilte Pendellängen und ihre Gruppierungen geben, noch um vieles auffallender. Die Beſtimmung der Figur der Erde durch die zu⸗ oder abnehmende Schwere (Intenſität der ört⸗ lichen Attraktion) ſetzt voraus, daß die Schwere an der Ober: fläche des rotierenden Sphäroids dieſelbe blieb, welche ſie zu der Zeit der Erſtarrung aus dem flüſſigen Zuſtande war, und daß nicht ſpätere Veränderungen der Dichtigkeit daſelbſt Ra Te vorgingen. Trotz der großen Vervollkommnung der Inſtru⸗ mente und Methoden durch Borda, Kater und Beſſel ſind gegenwärtig in beiden Erdhälften: von den Malouinen, wo Freycinet, Duperrey und Sir James Roß nacheinander be— obachtet haben, bis Spitzbergen, alſo von 51° 35° ſüdl. bis 79° 50“ n. Br., doch nur 65 bis 70 unregelmäßig zerſtreute Punkte? anzugeben, in denen die Länge des einfachen Pendels mit derſelben Genauigkeit beſtimmt worden iſt als die Ortspoſition in Breite, Länge und Höhe über dem Meere. Sowohl durch die Pendelverſuche auf dem von den fran— zöſiſchen Aſtronomen gemeſſenen Teile eines Meridianbogens wie durch die Beobachtungen, welche Kapitän Kater bei der tri— gonometriſchen Aufnahme in Großbritannien gemacht, wurde anerkannt, daß die Reſultate ſich keineswegs einzeln durch eine Variation der Schwere im Verhältnis des Quadrats des Sinus der Breite darſtellen ließen. Es entſchloß ſich daher die engliſche Regierung (auf Anregung des Vizepräſidenten der Royal Society, Davies Gilbert) zur Ausrüſtung einer wiſſenſchaftlichen Expedition, welche meinem Freunde Eduard Sabine, der als Aſtronom den Kapitän Parry auf ſeiner erſten Nordpolunternehmung begleitet hatte, anvertraut wurde. Dieſelbe führte ihn in den Jahren 1822 und 1823 längs der weſtlichen afrikaniſchen Küſte von Sierra Leone bis zu der Inſel S. Thomas, nahe am Aequator, dann über Afcenfion nach der Küſte von Südamerika (von Bahia bis zum Ausfluß des Orinoko), nach Weſtindien und Neuengland, wie im hohen arktiſchen Norden bis Spitzbergen und zu einem von gefahr: drohenden Eiswällen verdeckten, noch unbeſuchten Teile des öſtlichen Grönlands (74° 32°). Dieſes glänzende und fo glücklich ausgeführte Unternehmen hatte den Vorzug, daß es ſeinem Hauptzwecke nach nur auf einen Gegenſtand gerichtet war und Punkte umfaßte, die 93 Breitegrade voneinander entfernt ſind. Der Aequinoktial- und arktiſchen Zone weniger genähert lag das Feld der franzöſiſchen Gradmeſſungen, aber es ge— währte dasſelbe den großen Vorteil einer linearen Gruppierung der Beobachtungsorte und der unmittelbaren Vergleichung mit der partiellen Bogenkrümmung, wie fie ſich aus den geodätiſch— aſtronomiſchen Operationen ergeben hatte. Biot hat die Reihe der Pendelmeſſungen von Formentera aus (38° 39° 56“), wo er früher mit Arago und Chaix beobachtete, im Jahre 1824 bis nach Unſt, der nördlichſten der Shetlandsinſeln (60 55,25%, — 11 fortgeſetzt, und ſie mit Mathieu aus den Parallelen von Bordeaux, Figeac und Padua bis Fiume erweitert. Dieſe Pendelreſultate, mit denen von Sabine verglichen, geben für den ganzen nördlichen Quadranten allerdings die Abplattung von Fu aber, in zwei Hälften getrennt, um jo abweichendere Reſultate: ' vom Aequator bis 45° gar Z, und von 45° bis zum Pol —. Der Einfluß der umgebenden dichteren Ge— birgsmaſſen (Baſalt, Grünſtein, Diorit, Melaphyr, im Gegen— ſatz von ſpezifiſch leichteren Flöz- und Tertiärformationen) hat ſich für beide Hemiſphären (wie der die Intenſität der Schwere vermehrende Einfluß der vulkaniſchen Eilande ) in den meiſten Fällen erkennbar gemacht; aber viele Anomalien, die ſich darbieten, laſſen ſich nicht aus der uns ſichtbaren geo— logiſchen Bodenbeſchaffenheit erklären. Für die ſüdliche Erdhälfte beſitzen wir eine kleine Reihe vortrefflicher, aber freilich auf großen Flächen weit zerſtreuter Beobachtungen von Freycinet, Duperrey, Fallows, Lütke, Brisbane und Rümker. Es beſtätigen dieſelben, was ſchon in der nördlichen Erdhälfte ſo auffallend iſt, daß die Intenſität der Schwere nicht an Oertern, welche gleiche Breite haben, dieſelbe iſt, ja daß die Zunahme der Schwere vom Aequator gegen die Pole unter verſchiedenen Meridianen ungleichen Geſetzen unterworfen zu ſein ſcheint. Wenn Lacailles Pendel— meſſungen am Vorgebirge der guten Hoffnung und die auf der ſpaniſchen Weltumſeglung von Malaspino den Glauben hatten verbreiten können, daß die ſüdliche Hemiſphäre im all— gemeinen beträchtlich mehr abgeplattet ſei als die nördliche, jo haben, wie ich ſchon an einem anderen Orte '? angeführt, die Malouineninſel und Neuholland, verglichen mit New York, Dünkirchen und Barcelona, in genaueren Reſultaten das Gegen— teil erwieſen. Aus dem bisher Entwickelten ergibt ſich, daß das Pendel (ein nicht unwichtiges geognoſtiſches Unterſuchungsmittel, eine Art Senkblei in tiefe ungeſehene Erdſchichten geworſen) uns doch mit geringerer Sicherheit über die Geſtalt unſeres Pla— neten aufklärt, als Gradmeſſungen und Mondbewegung. Die konzentriſchen, elliptiſchen, einzeln homogenen, aber von der Oberfläche gegen das Erdcentrum an Dichtigkeit (nach gewiſſen Funktionen des Abſtandes) zunehmenden Schichten können in einzelnen Teilen des Erdkörpers nach ihrer Beſchaffenheit, Lage und Dichtigkeitsfolge verſchieden, an der Oberfläche lokale Ab— weichungen in der Intenſität der Schwere erzeugen. Sind die Zuſtände, welche jene Abweichungen hervorbringen, um vieles neuer als die Erhärtung der äußeren Rinde, ſo kann man ſich die Figur der Oberfläche als örtlich nicht modifiziert durch die innere Bewegung der geſchmolzenen Maſſen denken. Die Verſchiedenheit der Reſultate der Pendelmeſſung iſt übrigens viel zu groß, als daß man ſie gegenwärtig noch Fehlern der Beobachtung zuſchreiben könnte. Wo auch durch mannigfach verſuchte Gruppierung und Kombination der Stationen Ueber: einſtimmung in den Reſultaten oder erkennbare Geſetzmäßigkeit gefunden wird, ergeben immer die Pendel eine größere Abplattung (ungefähr ſchwankend zwiſchen den Grenzen 2 und —) als die, welche aus den Gradmeſſungen hat ge- ſchloſſen werden können. Beharren wir bei dieſer, wie ſie nach Beſſels letzter Be— ſtimmung gegenwärtig am allgemeinſten angenommen wird, alſo bei einer Abplattung von Zus, ſo beträgt die An⸗ ſchwellung!s unter dem Aequator eine Höhe von 3272077. bis 3261139 10838 Toiſen oder 65628 Pariſer Fuß (21318 m), ungefähr 2% (genauer 2,873) geogr. Meilen. Da man ſeit früheſter Zeit gewohnt iſt, eine ſolche Anſchwellung oder konvexe Erhebung der Erdoberfläche mit wohlgemeſſenen Gebirgsmaſſen zu vergleichen, ſo wähle ich als Gegenſtände der Vergleichung den höchſten unter den jetzt bekannten Gipfeln des Himalaya, den vom Oberſt Waugh gemeſſenen Kintſchindſchinga von 4406 Toiſen (26435 Fuß = 8587 m), und den Teil der Hochebene Tibets, welcher den Heiligen Seen Rakas-Tal und Manaſſarovar am nächſten iſt, und nach Lieutenant Henry Strachey die mittlere Höhe von 2400 Toiſen (4627 m) er⸗ reicht. Unſer Planet iſt demnach nicht ganz dreimal ſo viel in der Aequatorialzone angeſchwollen, als die Erhebung des höchſten Erdberges über der Meeresfläche beträgt, faſt fünfmal ſo viel als das öſtliche Plateau von Tibet. Es iſt hier der Ort, zu bemerken, daß die durch bloße Gradmeſſungen oder durch Kombinationen von Grad» und Pendelmeſſungen ſich ergebenden Reſultate der Abplattung weit geringere Berfchiedenheiten '* in der Höhe der Aequi— noktialanſchwellung darbieten, als man auf den erſten Anblick der Bruchzahlen zu vermuten geneigt ſein könnte. Der Unterſchied der Polarabplattungen z und zz beträgt für die Unterſchiede der größten und kleinſten Erdachſe nach den — beiden äußerſten Grenzzahlen nur etwas über 6600 Fuß (2144 m), nicht das Doppelte der kleinen Berghöhen des Brockens und des Veſuvs, ungefähr nur um 10 abweichend von der Anſchwellung, welche die Abplattung — gibt. Sobald genauere unter ſehr verſchiedenen Breiten gemachte Gradmeſſungen gelehrt hatten, daß die Erde in ihrem Inneren nicht gleichförmig dicht ſein könne, weil die aufgefundenen Reſultate der Abplattung die letztere um vieles geringer dar— ſtellen als Newton (5), um vieles größer als Huygens (=), der ſich alle Anziehung im Centrum der Erde vereinigt dachte, an— nahmen, mußte der Zuſammenhang des Wertes der Abplattung mit dem Geſetze der Dichtigkeit im Inneren der Erd— kugel ein wichtiger Gegenſtand des analytiſchen Kalküls werden. Die theoretiſchen Spekulationen über die Schwere leiteten früh auf die Betrachtung der Anziehung großer Gebirgsmaſſen, welche frei, klippenartig ſich auf dem trockenen Boden des Luftmeeres erheben. Schon Newton unterſuchte in ſeinen Treatise of the System of the World in a popular way 1728, um wieviel ein Berg, der an 2500 Pariſer Fuß (822 m) Höhe und 5000 Fuß (1624 m) Durchmeſſer hätte, das Pendel von ſeiner lotrechten Richtung abziehen würde. In dieſer Betrachtung liegt wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu den wenig befriedigenden Verſuchen von Bouguer am Chimborazo, von Maskelyne und Hutton am Berg Shehallien in Berthſhire nahe bei Blair Athol, zu der Vergleichung von Pendellängen auf dem Gipfel einer 6000 Fuß (1950 m) erhabe⸗ nen Hochebene mit der Pendellänge am Meeresufer (Carlini bei dem Hoſpitium des Mont Cenis, und Biot und Mathieu bei Bordeaux), zu den feinen und allein entſcheidenden Experi— menten von Reich (1837) und Baily mit dem von John Mitchell erfundenen und durch Wollaſton zu Cavendiſh über⸗ gegangenen ſinnreichen Apparate der Drehwage. Es iſt von den drei Arten der Beſtimmung der Dichtigkeit unſeres Planeten (durch Bergnähe, Höhe einer Bergebene und Dreh— wage) in dem Naturgemälde (Kosmos Bd. I, S. 121—123 und 293 Anm. 94) ſo umſtändlich gehandelt worden, daß nur noch die in Reichs neuer Abhandlung!“ enthaltenen, in den Jahren 1847 und 1850 von dieſem unermüdlichen Forſcher an⸗ geſtellten Verſuche hier erwähnt werden müſſen. Das Ganze kann nach dem gegenwärtigen Stande unſeres Wiſſens fol- gendermaßen zuſammengeſtellt werden: — Barza Shehallien (nach dem Mittel des von Playfair ge: fundenen Max. 4,867 und Min. 4,559). . 4,713 Mont Cenis, Beob. von Carlini mit der Korrektion von Giulio 000 4,950 Drehwage: Cavendiſh nach e Wee s Reich 1838 8440 Baily 18e REDESEEEEEEEE N Reich 1847 1850 5,577 Das Mittel der beiden letzten Reſultate gibt für die Dichtigkeit der Erde 5,62 (die des Waſſers — 1 geſetzt) I}. Zu). am Schluß des Bandes], alſo viel mehr als die dich— teſten feinkörnigen Baſalte (nach Leonhards zahlreichen Ver— ſuchen 2,95— 3,67), mehr als Magneteiſenerz (4,9—5,2), um weniges geringer als gediegen Arſen von Marienberg oder Joachimsthal. Wir haben bereits oben (Kosmos Bd. , S. 122) bemerkt, daß bei der großen Verbreitung von Flöz⸗ Tertiärformakionen und aufgeſchwemmten Schichten, welche den uns ſichtbaren kontinentalen Teil der Erdoberfläche bilden (die plutoniſchen und vulkaniſchen Erhebungen erfüllen inſel— förmig überaus kleine Räume), die Feſte in der oberen Erd⸗ rinde kaum eine Dichtigkeit von 2,4 bis 2,6 erreicht. Wenn man nun mit Rigaud das Verhältnis der Feſte zur flüſſigen ozeaniſchen Fläche wie 10:27 annimmt und erwägt, da letztere nach Verſuchen mit dem Senkblei über 26000 Pariſer Fuß (8120 m) Waſſerdicke erreicht, jo iſt die ganze Dichtigkeit der oberen Schichten des Planeten unter der trockenen und ozeaniſchen Oberfläche kaum 1,5. Es iſt gewiß mit Unrecht, wie ein berühmter Geometer, Plana, bemerkt, daß der Verfaſſer der Mécanique céleste der oberen Erdſchicht die Dichtigkeit des Granits zuſchreibt und dieſe auch, etwas hoch, = 3 an: ſetzt!?, was ihm für das Centrum der Erde die Dichtigkeit von 10,047 gibt. Letztere wird nach Plana 16,27, wenn man die oberen Erdſchichten = 1,83 fett, was wenig von 1,5 oder 1,6 als totale Erdrindendichtigkeit abweicht. Das Pendel, das ſenkrechte wie das horizontale (die Drehwage), hat aller⸗ dings ein geognoſtiſches Inſtrument genannt werden können; aber die Geologie der unzugänglichen inneren Erdräume iſt, wie die Aſtrognoſie der dunklen Weltkörper, nur mit vieler Vorſicht zu behandeln. Ich muß ohnedies noch in dem vulkaniſchen Abſchnitt dieſes Werkes die ſchon von anderen angeregten Probleme der Strömungen in der allgemeinen 8 Flüſſigkeit des Inneren der Planeten, der wahrſcheinlichen oder unwahrſcheinlichen periodiſchen Ebbe- und Flutbewegung in einzelnen, nicht ganz gefüllten Becken, oder der Exiſtenz un— dichter Räume unter den gehobenen Gebirgsketten, berühren. Es iſt im Kosmos keine Betrachtung zu übergehen, auf welche wirkliche Beobachtungen oder nicht entfernte Analogieen zu leiten ſcheinen. b. Junere Wärme des Erdkörpers und Verteilung der— ſelben. (Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I, S. 123-126 und S. 294 - 295, Anm. 96 — 98.) Die Betrachtungen über die innere Wärme des Erdkörpers, deren Wichtigkeit durch ihren jetzt ſo allgemein anerkannten Zuſammenhang mit vulkaniſchen und Hebungserſchei— nungen erhöht worden iſt, ſind gegründet teils auf direkte und daher unbeſtreitbare Meſſungen der Temperatur in Quellen, Bohrlöchern und unterirdiſchen Grubenbauen, teils auf ana— lytiſche Kombinationen über die allmähliche Erkältung unſeres Planeten und den Einfluß, welchen die Wärmeabnahme auf die Rotationsgeſchwindigkeit und auf die Richtung der inneren Wärmeſtrömungen in der Urzeit mag ausgeübt haben. Die Geſtalt des abgeplatteten Erdſphäroids iſt ſelbſt wieder von dem Geſetze der zunehmenden Dichtigkeit abhängig in kon— zentriſchen, übereinander liegenden, nicht homogenen Schalen. Der erſte experimentale und darum ſichere Teil der Unter— ſuchung, auf den wir uns hier beſchränken, verbreitet aber nur Licht über die uns allein zugängliche, ihrer Dicke nach unbedeutende Erdrinde, während der zweite, mathematiſche Teil, der Natur ſeiner Anwendung nach, mehr negative als poſitive Reſultate liefert. Den Reiz ſcharfſinniger Gedanken— verbindungen darbietend, leitet dieſer zu Problemen, welche bei den Mutmaßungen über den Urſprung der vulkaniſchen Kräfte und die Reaktion des geſchmolzenen Inneren gegen die ſtarre äußere Schale nicht ganz unberührt bleiben können. Platons geognoſtiſche Mythe vom Pyriphlegethon, als Urſprung aller heißen Quellen wie der vulkaniſchen Feuerſtröme, war hervor— gegangen aus dem ſo früh und ſo allgemein gefühlten Be— dürfnis, für eine große und verwickelte Reihe von Erſchei— nungen eine gemeinſame Urſache aufzufinden. een Bei der Mannigfaltigkeit der Verhältniſſe, welche die Erdoberfläche darbietet in Hinſicht auf Inſolation (Sonnen⸗ einwirkung) und auf Fähigkeit, die Wärme auszuſtrahlen, bei der großen Verſchiedenheit der Wärmeleitung nach Maßgabe der in ihrer Zuſammenſetzung und Dichte heterogenen Gebirgsarten, iſt es nicht wenig zu bewundern, daß da, wo die Beobachtungen mit Sorgfalt und unter günſtigen Umſtänden angeſtrebt ſind, die Zunahme der Temperatur mit der Tiefe in ſehr ungleichen Lokalitäten meiſt jo übereinſtimmende Re— ſultate gegeben hat. Bohrlöcher, beſonders wenn ſie noch mit trüben, etwas durch Thon verdickten, den inneren Strömungen minder günſtigen Flüſſigkeiten gefüllt find und wenig Zuflüfje ſeitwärts in verſchiedenen Höhen durch Querklüfte erhalten, bieten bei ſehr großer Tiefe die meiſte Sicherheit dar. Wir beginnen daher, eben dieſer Tiefe wegen, mit zweien der merk— würdigſten arteſiſchen Brunnen: dem von Grenelle zu Paris und dem von Neuſalzwerk im Soolbade Deyn- hauſen bei Minden. Die genaueſten Beſtimmungen für beide ſind die, welche hier folgen: a Nach den Meſſungen von Walferdin, !° deſſen Scharfſinn man eine ganze Reihe feiner Apparate zur Beſtimmung der Temperatur in den Tiefen des Meeres oder der Brunnen verdankt, liegt die Bodenfläche des Abattoir du Puits de Grenelle 36,24 m über dem Meere. Der obere Ausfluß der aufſteigenden Quelle iſt noch 33,33 m höher. Dieſe Totalhöhe der ſteigenden Waſſer (69,57 m) iſt im Vergleich mit dem Ni- veau des Meeres ungefähr 60 m niedriger als das Ausgehen der Gründſandſchicht in den Hügeln bei Luſigny, ſüdöſtlich von Paris, deren Infiltrationen man das Aufſteigen der Waſſer im arteſiſchen Brunnen von Grenelle zuſchreibt. Die Waſſer ſind erbohrt in 547 m (1683 Pariſer Fuß) Tiefe unter dem Boden des Abattoirs, oder 510,76 m (1572 Fuß) unter dem Meeresſpiegel; alſo ſteigen ſie im ganzen 580,33 m (1786 Fuß). Die Temperatur der Quelle iſt 27,75“ Cent. (22,2 R.) Die Zunahme der Wärme iſt aljo 32,3 m (99 ½ Fuß) für 1° des hundertteiligen Thermometers. Das Bohrloch zu Neuſalzwerk bei Rehme liegt in ſeiner Mündung 217 Fuß (70,5 m) über der Meeresfläche (über dem Pegel bei Amſterdam). Es hat erreicht unter der Erdoberfläche: unter dem Punkte, wo die Arbeit begonnen iſt, die abſolute Tiefe von 2144 Fuß (696 m). Die Solgquelle, welche mit vieler Kohlenſäure geſchwängert ausbricht, iſt alſo Ep 1926 Fuß (625,5 m) unter der Meeresfläche gelegen, eine relative Tiefe, die vielleicht die größte iſt, welche die Menſchen je im Inneren der Erde erreicht haben.“ Die Solquelle von Neuſalzwerk (Bad Oeynhauſen) hat eine Temperatur von 32,89 (26,3 R.), und da die mittlere Jahres— temperatur der Luft in Neuſalzwerk etwas über 9,6“ (7,7 R.) beträgt, ſo darf man auf eine Zunahme der Temperatur von 1° Cent. für 92,4 Fuß oder 30 m ſchließen.?“ Das Bohrloch von Neuſalzwerk ? ift alſo, mit dem von Grenelle verglichen, 461 Fuß (149 m) abſolut tiefer: es ſenkt ſich 354 Fuß (115 m) mehr unter die Oberfläche des Meeres, und die Tem: peratur ſeiner Waſſer iſt 5,1 höher. Die Zunahme der Wärme iſt in Paris für jeden hundertteiligen Grad um 7,1 Fuß, alſo kaum um 1 ſchneller. Ich habe ſchon oben?? darauf auf— merkſam gemacht, wie ein von Auguſte de la Rive und Marcel zu Breany bei Genf unterſuchtes Bohrloch von nur 680 Fuß (220 m) Tiefe ein ganz gleiches Reſultat gegeben hat, obgleich dasſelbe in einer Höhe von mehr als 1500 Fuß (487 m) über dem Mittelländiſchen Meere liegt. Wenn man den drei eben genannten Quellen, welche zwiſchen 680 und 2144 Fuß (220 bis 696 m) abſoluter Tiefe erreichen, noch eine, die von Monk Wearmouth bei New⸗ caſtle (die Grubenwaſſer des Kohlenbergwerkes, in welchem nach Phillips 1404 Fuß [456 m] unter dem Meeresſpiegel gearbeitet wird), hinzufügt, ſo findet man das merkwürdige Reſultat, daß an vier voneinander ſo entfernten Orten die Wärmezunahme für 1° Cent. nur zwiſchen 91 und 99 Pariſer Fuß (29,5 bis 21,1 m) ſchwankt.? Dieſe Uebereinſtimmung kann aber nach der Natur der Mittel, welche man anwendet, um die innere Erdwärme in beſtimmten Tiefen zu ergründen, nicht überall erwartet werden. Wenn auch angenommen wird, daß die auf Höhen ſich infiltrierenden Meteorwaſſer durch hydroſtatiſchen Druck, wie in kommunizierenden Röhren, das Aufſteigen der Quellen an tieferen Punkten bewirken, und daß die unterirdiſchen Waſſer die Temperatur der Erdſchichten an— nehmen, mit welchen ſie in Kontakt gelangen, ſo können die erbohrten Waſſer in gewiſſen Fällen, mit ſenkrecht nieder: gehenden Waſſerklüften kommunizierend, doch noch einen an— deren Zuwachs von Wärme aus uns unbekannter Tiefe er— halten. Ein ſolcher Einfluß, welchen man ſehr von dem der verſchiedenen Leitungsfähigkeit des Geſteins unterſcheiden muß, kann an Punkten ſtattfinden, die dem Bohrloch ſehr fern liegen. ee Wahrſcheinlich bewegen ſich die Waſſer im Inneren der Erde bald in beſchränkten Räumen, auf Spalten gleichſam fluß— artig (daher oft von nahen Bohrverſuchen nur einige ge— lingen), bald ſcheinen dieſelben in horizontaler Richtung weit ausgedehnte Becken zu bilden, ſo daß dieſes Verhältnis überall die Arbeit begünſtigt und in ſehr ſeltenen Fällen die Anweſen⸗ heit von Aalen, Muſcheln und Pflanzenreſten einen Zuſammen— hang mit der Erdoberfläche verrät. Wie nun aus den oben bezeichneten Urſachen die aufſteigenden Quellen bisweilen wärmer ſind, als nach der geringen Tiefe des Bohrlochs zu er— warten wäre, ſo wirken im entgegengeſetzten Sinne kältere Waſſer, welche aus ſeitwärts zuführenden Querklüften hervorbrechen. Es iſt bereits bemerkt worden, daß Punkte, welche im Inneren der Erde bei geringer Tiefe in derſelben Vertikallinie liegen, zu ſehr verſchiedenen Zeiten das Maximum und Mi⸗ nimum der durch Sonnenſtand und Jahreszeiten veränderten Temperatur der Atmoſphäre empfangen. Nach den immer ſehr genauen Beobachtungen von Quetelet ſind die täglichen Variationen ſchon in der Tiefe von 3½ Fuß (1,21 m) nicht mehr bemerkbar, und zu Brüſſel trat die höchſte Temperatur in 24 Fuß (7,8 m) tief eingeſenkten Thermometern erſt am 10. Dezember, die niedrigſte am 15. Juni ein. Auch in den ſchönen Verſuchen, die Forbes in der Nähe von Edinburg über das Leitungsvermögen verſchiedener Gebirgsarten anſtellte, trat das Maximum der Wärme im baſaltartigen Trapp von Galton: Hill erſt am 28. Januar in 23 Fuß (7,47 m) Tiefe ein. Nach der vieljährigen Reihe von Beobachtungen Aragos im Garten der Pariſer Sternwarte ſind im Laufe eines ganzen Jahres noch ſehr kleine Temperaturunterſchiede bis 28 Fuß (9, m) unter der Oberfläche bemerkbar geweſen. Ebenſo fand ſie Bravais noch 1° in 26% Fuß (8,6 m) Tiefe im hohen Norden zu Boſekop in Finmark (Br. 69 » 580). Der Unterſchied zwiſchen den höchſten und niedrigſten Temperaturen des Jahres iſt um ſo kleiner, je tiefer man hinabſteigt. Nach Fourier nimmt dieſer Unterſchied in geometriſcher Reihe ab, wenn die Tiefe in arithmetiſcher wächſt. Die invariable Erdſchicht iſt in Hinſicht ihrer Tiefe (ihres Abſtandes von der Oberfläche) zugleich abhängig von der Polhöhe, von der Leitungsfähigkeit des umgebenden Geſteins und der Größe des Temperaturunterſchiedes zwiſchen der heißeſten und kälteſten Jahreszeit. In der Breite von Paris (48 50 werden herkömmlich die Tiefe und Temperatur N 4 4 12 5 N 1 * - x = 1 Er. der Caves de l’Observatoire (86 Fuß = 28 m und 11,834 °) für Tiefe und Temperatur der invariablen Erdſchicht gehalten. Seitdem (1783) Caſſini und Legentil ein ſehr genaues Queck— ſilberthermometer in jenen unterirdiſchen Räumen, welche Teile alter Steinbrüche ſind, aufgeſtellt haben, iſt der Stand des Queckſilbers in der Röhre um 0,22 geſtiegen.:“ Ob die Ur⸗ ſache dieſes Steigens einer zufälligen Veränderung der Ther⸗ mometerſkale, die jedoch von Arago 1817 mit der ihm eigenen Sorgfalt berichtigt worden iſt, oder wirklich einer Wärme⸗ —— zugeſchrieben werden müſſe, iſt noch unentſchieden. Die mittlere Temperatur der Luft in Paris iſt 10,822“. Bravais glaubt, daß das Thermometer in den Caves de l’Observatoire ſchon unter der Grenze der invariablen Erdſchicht ſtehe, wenngleich Caſſini noch Unterſchiede von zwei Hundertteilen eines Grades zwiſchen der Winter- und Sommertemperatur finden wollte, aber freilich die wärmere Temperatur im Winter. Wenn man das Mittel vieler Beob— achtungen der Bodenwärme zwiſchen den Parallelen von Zürich (47° 22°) und Upſala (5951 nimmt, jo erhält man für 1° Temperaturzunahme die Tiefe von 67 Fuß (22 m). Die Unterſchiede der Breite ſteigen nur auf 12 bis 15 Fuß (3,9 bis 4,87 m) Tiefe, und zwar ohne regelmäßige Veränderung von Süden nach Norden, weil der gewiß vorhandene Einfluß der Breite ſich in dieſen noch zu engen Grenzen der Ver: ſchiedenheit der Tiefen mit dem Einfluß der Leitungsfähigkeit des Bodens und der Fehler der Beobachtung vermiſcht. Da die Erdſchicht, in der man anfängt, keine Temperatur⸗ veränderung mehr den ganzen Jahrescyklus hindurch zu be— merken, nach der Theorie der Wärmeverteilung um ſo weniger von der Oberfläche entfernt liegt, als die Maxima und Minima der Jahrestemperatur weniger voneinander verſchieden ſind, ſo hat dieſe Betrachtung meinen Freund, Herrn Bouſſingault, auf die ſcharfſinnige und bequeme Methode geleitet, in der Tropengegend, beſonders 10 nördlich und ſüdlich vom Aequator, die mittlere Temperatur eines Ortes durch die Beobachtung eines Thermometers zu beſtimmen, das 8 bis 12 Zoll (24 bis 32 cm) in einem bedeckten Raume eingegraben iſt. Zu den verſchiedenſten Stunden, ja in verſchiedenen Monaten (wie die Verſuche vom Oberſt Hall nahe am Litorale des Choco, in Tumaco, die von Salaza in Quito, die von Bouſſingault in Ia Vega de Zupia, Marmato und Anserma Nuevo im Caucathale beweiſen), hat die Temperatur nicht um zwei Zehntel eines Grades variiert, und faſt in denſelben Grenzen iſt ſie identiſch mit der mittleren Temperatur der Luft an ſolchen Orten geweſen, wo letztere aus ſtündlichen Beobach— tungen hergeleitet worden iſt. Dazu blieb dieſe Identität, was überaus merkwürdig erſcheint, ſich vollkommen gleich, die thermometriſchen Sonden (von weniger als 1 Fuß = 32 em Tiefe) mochten am heißen Ufer der Südſee in Guayaquil und Payta, oder in einem Indianerdörfchen am Abhange des Vulkans von Puracé, das ich nach meinen Barometermeſſungen 1356 Toiſen (2643, m) hoch über dem Meere gefunden habe, angeſtellt werden. Die mittleren Temperaturen waren in dieſen Höhenabſtänden um volle 14° verjchieden. ?° Eine beſondere Aufmerkſamkeit verdienen, glaube ich, zwei Beobachtungen, die ich in den Gebirgen von Peru und Mexiko gemacht habe, in Bergwerken, welche höher liegen als der Gipfel des Pik von Tenerifa, höher als alle, in die man wohl bis dahin je ein Thermometer getragen hatte. Mehr als 12000 Fuß (3900 m) über dem Meeresſpiegel habe ich die unterirdiſche Luft 14° wärmer als die äußere gefunden. Das peruaniſche Städtchen Micuipampa liegt nämlich nach meinen aſtronomiſchen und hypſometriſchen Beobachtungen in der ſüdlichen Breite von 6“ 43“ und in der Höhe von 1857 Toiſen (3618 m), am Fuß des wegen ſeines Silber⸗ reichtums berühmten Cerro de Gualgayoc. Der Gipfel dieſes faſt iſolierten, ſich kaſtellartig und maleriſch erhebenden Berges iſt 240 Toiſen (467 m) höher als das Straßenpflaſter des Städtchens Micuipampa. Die äußere Luft war fern vom Stollenmundloch der Mina del Purgatorio 5,7“, aber in dem Inneren der Grubenbaue, ungefähr in 2057 Toiſen (4009 m) Höhe über dem Meere, ſah ich das Thermometer überall die Temperatur von 19,8“ anzeigen, Differenz 14,1“. Das Kalkgeſtein war vollkommen trocken und ſehr wenige Bergleute arbeiteten dort. In der Mina de Guadalupe, die in derſelben Höhe liegt, fand ich die innere Lufttemperatur 14,4%, alſo Differenz gegen die äußere Luft 8,7. Die Waſſer, welche hier aus der ſehr naſſen Grube hervorſtrömten, hatten 11,3 o. Die mittlere jährliche Lufttemperatur von Micuipampa iſt wahrſcheinlich nicht über 7% “. In Mexiko, in den reichen Silberbergwerken von Guanaxuato, fand ich in der Mina de Valenciana die äußere Lufttemperatur in der Nähe des Tiro Nuevo (7122 Fuß = 2336 m über dem Meere) 21,2“ und die Grubenluft im Tiefſten, in den Planes de San Bernardo — ee (1530 Fuß = 497 m unter der Oeffnung des Schachtes Tiro Nuevo), volle 27 °, ungefähr die Mitteltemperatur des Litorales am Mexikaniſchen Meerbuſen. In einer Strecke, welche 138 Fuß (44,7 m) höher als die Sohle der Planes de San Bernardo liegt, zeigt ſich, aus dem Quergeſtein ausbrechend, eine Quelle mit der Wärme von 29,3. Die von mir beſtimmte nördliche Breite der Bergſtadt Guanaxuato iſt 21° 0“ bei einer Mittel: temperatur, welche ungefähr zwiſchen 15,8“ und 16,2“ fällt. Es würde ungeeignet ſein, hier über die Urſachen vielleicht ganz lokaler Erhöhung der unterirdiſchen Temperatur in Ge— birgshöhen von 6000 bis 12000 Fuß (1950 bis 3900 m) ſchwer zu begründende Vermutungen aufzuſtellen. Einen merkwürdigen Kontraſt bieten die Verhältniſſe des Bodeneiſes in den Steppen des nördlichſten Aſiens dar. Trotz der früheſten Zeugniſſe von Gmelin und Pallas war ſelbſt die Exiſtenz desſelben in Zweifel gezogen worden. Ueber die Verbreitung und Dicke der Schicht des unterirdiſchen Eiſes hat man erſt in der neueſten Zeit durch die trefflichen Unter: ſuchungen von Erman, Baer und Middendorff richtige Anſichten gewonnen. Nach den Schilderungen von Grönland durch Cranz, von Spitzbergen durch Martens und Phipps, der Küſten des Kariſchen Meeres von Sujew, wurde durch unvorſichtige Ver: allgemeinerung der ganze nördlichſte Teil von Sibirien als vegetationsleer, an der Oberfläche ſtets gefroren und mit ewigem Schnee ſelbſt in der Ebene bedeckt beſchrieben. Die äußerſte Grenze hohen Baumwuchſes iſt im nördlichen Aſien nicht, wie man lange annahm und wie Seewinde und die Nähe des Obiſchen Meerbuſens es bei Obdorsk veranlaſſen, der Parallel von 67°; das Flußthal des großen Lenaſtromes hat hohe Bäume bis zur Breite von 71°. In der Einöde der Inſeln von Neuſibirien finden große Herden von Renntieren und zahlloſe Lemminge noch hinlängliche Nahrung. Die zwei ſibiriſchen Reiſen von Middendorff, welchen Beobachtungsgeiſt, Kühnheit im Unternehmen und Ausdauer in mühſeliger Arbeit auszeichnen, waren 1843 bis 1846 nördlich im Taymirlande bis zu 75% Breite und ſüdöſtlich bis an den oberen Amur und das Ochotskiſche Meer gerichtet. Die erſte ſo gefahrvoller Reiſen hatte den gelehrten Naturforſcher in eine bisher ganz unbeſuchte Region geführt. Sie bot um ſo mehr Wichtigkeit dar, als dieſe Region gleich weit von der Oſt⸗ und Weſtküſte des alten Kontinents entfernt iſt. Neben der Verbreitung der Organismen im höchſten Norden, als hauptſächlich von klimatiſchen Ber: — 32 — hältniſſen abhängig, war im Auftrage der Petersburger Aka⸗ demie der Wiſſenſchaften die genaue Beſtimmung der Boden⸗ temperatur und der Dicke des unterirdiſchen Bodeneiſes ein Hauptzweck der Expedition. Es wurden Unterſuchungen ange⸗ ſtellt in Bohrlöchern und Gruben von 20 bis 57 Fuß (6,5 bis 18,5 m) Tiefe an mehr denn 12 Punkten (bei Turuchansk, am Jeniſei und an der Lena), in relativen Entfernungen von 400 bis 500 geogr. Meilen. Der wichtigſte Gegenſtand ſolcher geothermiſchen Beob— achtungen blieb aber der Scherginſchacht?“ zu Jakutsk (Br. 6220. Hier war eine unterirdiſche Eisſchicht durchbrochen worden in der Dicke von mehr als 358 Pariſer Fuß (116 m). Längs den Seitenwänden des Schachtes wurden Thermometer an elf übereinander liegenden Punkten zwiſchen der Oberfläche und dem Tiefſten des Schachtes, den man 1837 erreichte, einge— ſenkt. In einem Eimer (Kübel) ſtehend, einen Arm beim Herab— laſſen an einem Seil befeſtigt, mußte der Beobachter die Ther: mometerſkalen ableſen. Die Reihe der Beobachtungen, deren mittleren Fehler man nur zu 0,25 anſchlägt, umfaßte den Zeitraum vom April 1844 bis Juni 1846. Die Abnahme der Kälte war im einzelnen zwar nicht den Tiefen propor⸗ tional, doch fand man folgende im ganzen zunehmende Mittel— temperaturen der übereinander liegenden Eisſchichten: 50 engl. Fuß (15,24 m) . 6,61 R. 100 n 7 (30,48 10 — 5,22 150 1 7 (45,7 ) NN, So 4,54 200 „ „ (60 9 % u 250 % „ re — 3,34 „ „ ee — 2,30 Nach einer ſehr gründlichen Diskuſſion aller Beobachtungen beſtimmt Middendorff die allgemeine Temperaturzunahme ?’ für 1° Reaumur zu 110 bis 117 engliſchen Fußen, alſo zu 75 bis 88 Pariſer Fuß auf 1° des 100teiligen Thermo: meters. Dieſes Reſultat bezeugt eine ſchnellere Wärmezu⸗ nahme im Scherginſchachte, als mehrere ſehr übereinſtimmende Bohrlöcher im mittleren Europa gegeben haben (ſ. oben S. 27). Der Unterſchied fällt zwiſchen J und 8. Die mittlere jähr⸗ liche Temperatur von Jakutsk wurde zu — 8,13 Reaumur ( 10,15“ Cent.) angenommen. Die Oscillation der Sommer: und Wintertemperatur iſt nach Newerows fünfzehnjährigen Beobachtungen (1829 bis 1844) von der Art, daß bisweilen im — 35 — Juli und Auguſt 14 Tage hintereinander die Luftwärme bis 20“ und 23,4“ Reaumur (25° und 29,3“ Cent.) ſteigt, wenn in 120 aufeinanderfolgenden Wintertagen (Novem— ber bis Februar) die Kälte zwiſchen 33“ und 44,8“ (41,29 und 55,9 Cent.) unter dem Gefrierpunkt ſchwankt. Nach Maßgabe der bei Durchſenkung des Bodeneiſes gefundenen Temperaturzunahme iſt die Tiefe unter der Erdoberfläche zu berechnen, in welcher die Eisſchichte der Temperatur 0“, alſo der unteren Grenze des gefrorenen Erdreiches, am nächſten iſt. Sie würde in dem Scherginſchacht nach Middendorffs Angabe, welche mit der viel früheren Ermans ganz überein— ſtimmt, erſt in 612 oder 642 Fuß (186,5 bis 195,6 m) Tiefe gefunden werden. Dagegen ſchiene nach der Temperatur: zunahme, welche in den freilich noch nicht 60 Fuß (18,3 m) tiefen und kaum 1 Meile von Irkutsk entfernten Mangan-, Schilow⸗ und Dawydowgruben, in der hügeligen Kette des linken Lenaufers, beobachtet wurde, die Normalſchicht von 0“ ſchon in 300 Fuß (91,4 m), ja in noch geringerer Tiefe zu liegen.. Sit dieſe Ungleichheit der Lage nur ſcheinbar, weil eine numeriſche Beſtimmung, auf ſo unbedeutende Schacht— tiefen gegründet, überaus unſicher iſt und die Temperatur: zunahme nicht immer demſelben Geſetze gehorcht? Iſt es ge— wiß, daß, wenn man aus dem Tiefſten des Scherginſchachtes eine horizontale (ſöhlige) Strecke viele hundert Lachter weit ins Feld triebe, man in jeder Richtung und Entfernung gefrore— nes Erdreich und dieſes gar mit einer Temperatur von 2,5“ unter dem Nullpunkt finden würde? Schrenk hat das Bodeneis in 67,5 Breite im Lande der Samojeden unterſucht. Um Puſtojenskoy Gorodok wird das Brunnengraben durch Anwendung des Feuers beſchleu— nigt. Mitten im Sommer fand man die Eisſchicht ſchon in 5 Fuß (1,5 m) Tiefe. Man konnte ſie in der Dicke von 63 Fuß (19,3 m) verfolgen, als plötzlich die Arbeit geſtört ward. Ueber den nahen Landſee von Uſtje konnte man 1813 den ganzen Sommer hindurch im Schlitten fahren. Auf meiner ſibiriſchen Expedition mit Ehrenberg und Guſtav Roſe ließen wir bei Bogoslowsk (Breite 59° 44°), an dem Wege nach den Turjinſchen Gruben, im Ural einen Schurf in einem torfigen Boden graben. In 5 Fuß (1,5 m) Tiefe traf man ſchon auf Eisſtücke, die breccienartig mit gefrorener Erde gemengt waren; dann begann dichtes Eis, das in 10 Fuß (3 m) Tiefe noch nicht durchſenkt wurde. A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 3 — ́ä—— — — 1 Die geographiſche Erſtreckung des Eisbodens, d. i. der Verlauf der Grenze, an der man im hohen Norden von der Skandinaviſchen Halbinſel an bis gegen die öſtlichen Küſten Aſiens im Auguſt und alſo das ganze Jahr hindurch in ge— wiſſer Tiefe Eis und gefrorenes Erdreich findet, iſt nach Middendorffs ſcharfſinniger Verallgemeinerung des Beobach— teten, wie alle geothermiſchen Verhältniſſe, noch mehr von ört— lichen Einflüſſen abhängig, als die Temperatur des Luftkreiſes. Der Einfluß der letzteren iſt im ganzen gewiß der entſchei— dendſte, aber die Iſogeothermen ſind, wie ſchon Kupffer be- merkt hat, in ihren konvexen und konkaven Krümmungen nicht den klimatiſchen Iſothermen, welche von den Tempera— turmitteln der Atmoſphäre beſtimmt werden, parallel. Das Eindringen der aus der Atmoſphäre tropfbar niedergeſchlagenen Dämpfe, das Aufſteigen warmer Quellwaſſer aus der Tiefe, und die ſo verſchiedene wärmeleitende Kraft des Bodens ſcheinen beſonders wirkſam zu ſein. „An der nördlichſten Spitze des europäiſchen Kontinents, in Finmarken, unter 70° und 71° Breite, iſt noch kein zuſammenhängender Eisboden vorhanden. Oſtwärts in das Flußthal des Obi eintretend, 50 ſüdlicher als das Nordkap, findet man Eisboden in Obdorsk und Bereſow. Gegen Oſt und Südoſt nimmt die Kälte des Bodens zu, mit Ausnahme von Tobolsk am Ir⸗ tyſch, wo die Temperatur des Bodens kälter iſt als bei dem 1° nördlicheren Witimsk im Lenathale. Turuchansk (65° 54°) am Jeniſei liegt noch auf ungefrorenem Boden, aber ganz nahe an der Grenze des Eisbodens. Amginsk, ſüdöſtlich von Jakutsk, hat einen ebenſo kalten Boden, als das 5“ nörd— lichere Obdorsk; ebenſo iſt Oleminsk am Jeniſei. Vom Obi bis zum Jeniſei ſcheint ſich die Kurve des anfangenden Bodeneiſes wieder um ein paar Breitengrade nordwärts zu erheben, um dann, in ihrem ſüdlich gewandten Verlaufe, das Lenathal faſt 8° ſüdlicher als den Jeniſei zu durchſchneiden. Weiterhin in Oſten ſteigt die Linie wiederum in nördlicher Richtung an.“?” Kupffer, der die Gruben von Nertſchinsk beſucht hat, deutet darauf hin, daß, abgeſehen von der zuſam⸗ menhängenden nördlichen Geſamtmaſſe des Eisbodens, es in ſüdlicheren Gegenden auch ein inſelförmiges Auf— treten des Phänomens gibt. Im allgemeinen iſt dasſelbe von den Vegetationsgrenzen und dem Vorkommen hohen Baumwuchſes vollkommen unabhängig. Es iſt ein bedeutender Fortſchritt unſeres Wiſſens, nach — und nach eine generelle, echt kosmiſche Ueberſicht der Tempe— raturverhältniſſe der Erdrinde im nördlichen Teile des alten Kontinents zu erlangen, und zu erkennen, daß unter ver— ſchiedenen Meridianen die Grenze des Bodeneiſes, wie die Grenzen der mittleren Jahrestemperatur und des Baum— wuchſes, in ſehr verſchiedenen Breiten liegt, wodurch perpe— tuierliche Wärmeſtrömungen im Inneren der Erde erzeugt werden müſſen. Im nordweſtlichen Teile von Amerika fand Franklin den Boden, Mitte Auguſt, ſchon in einer Tiefe von 16 Zoll (40 em) gefroren. Richardſon ſah an einem öſt— licheren Punkte der Küſte, 71“ 12“ Breite, die Eisſchicht im Juli aufgetaut bis 3 Fuß (90 em) unter der krautbe— deckten Oberfläche. Mögen wiſſenſchaftliche Reiſende uns bald allgemeiner über die geothermiſchen Verhältniſſe in dieſem Erdteile und in der ſüdlichen Hemiſphäre unterrichten! Ein— ſicht in die Verkettung der Phänomene leitet am ſicherſten auf die Urſachen verwickelt ſcheinender Anomalieen, auf das, was man voreilig Ungeſetzlichkeit nennt. c. Magnetiſche Thätigkeit des Erdkörpers in ihren drei Kraftäußerungen: der Intenſität, der Neigung und der Abweichung. — Punkte (magnetiſche Pole genannt), in denen die Neigung 90 ift. — Kurve, auf der keine Nei⸗ gung beobachtet wird (magnetiſcher Aequator). — Vier Punkte der größten, aber unter ſich verſchiedenen Inten⸗ ſität. — Kurve der ſchwächſten Intenſität. — Außerordent⸗ liche Störungen der Deklination (magnetiſche Gewitter). — Polarlicht. (Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I, S. 126—143 und 295 - 306, Anm. 99 - 123; Bd. II, S. 256 - 259 und 350, Anm. 214 und 215; Bd. III, S. 282 — 283.) Die magnetiſche Konſtitution unſeres Planeten kann nur aus den vielfachen Manifeſtationen der Erdkraft, inſofern ſie meßbare Verhältniſſe im Raume und in der Zeit darbieten, geſchloſſen werden. Dieſe Manifeſtationen haben das Eigentümliche, daß ſie ein ewig Veränderliches der Phänomene darbieten, und zwar in einem weit höheren Grade noch als Temperatur, Dampfmenge und elektriſche Tenſion der unteren Schichten des Luftkreiſes. Ein ſolcher ewiger Wechſel in den miteinander verwandten magnetiſchen — BE und elektriſchen Zuſtänden der Materie unterſcheidet auch weſentlich die Phänomene des Elektromagnetismus von denen, welche durch die primitive Grundkraft der Materie, ihre Molekular- und Maſſenanziehung bei unveränderten Abſtänden bedingt werden. Ergründung des Geſetzlichen in dem Veränderlichen iſt aber das nächſte Ziel aller Unterſuchung einer Kraft in der Natur. Wenn auch durch die Arbeiten von Coulomb und Arago erwieſen iſt, daß in den verſchiedenartigſten Stoffen der elektromagnetiſche Prozeß erweckt werden kann, ſo zeigt ſich in Faradays glänzender Entdeckung des Diamagnetismus in den Unterſchieden nordſüdlicher und oſtweſtlicher Achſenſtellung doch wieder der aller Maſſenanziehung fremde Einfluß der Heterogeneität der Stoffe. Sauerſtoffgas, in eine dünne Glasröhre ein: geſchloſſen, richtet ſich unter Einwirkung eines Magneten, paramagnetiſch, wie Eiſen, nordſüdlich; Stickſtoff-, Waſſer⸗ ſtoff; und kohlenſaures Gas bleiben unerregt, Phosphor, Leder und Holz richten ſich, diamagnetiſch, äquatorial von Oſten nach Weſten. In dem griechiſchen und römiſchen Altertume kannte man: Feſthalten des Eiſens am Magnetſtein, Anziehung und Abſtoßung, Fortpflanzung der anziehenden Wirkung durch eherne Gefäße wie auch durch Ringe,“ die einander fetten: förmig tragen, ſolange die Berührung eines Ringes am Magnetſtein dauert, Nichtanziehen des Holzes oder anderer Metalle als Eiſens. Von der polariſchen Richtkraft, welche der Magnetismus einem beweglichen, für ſeinen Ein— fluß empfänglichen Körper mitteilen könne, wußten die weſt⸗ lichen Völker (Phönizier, Tusker, Griechen und Römer) nichts. Die Kenntnis dieſer Richtkraft, welche einen ſo mächtigen Einfluß auf die Vervollkommnung und Ausdehnung der Schiff— fahrt ausgeübt, ja dieſer materiellen Wichtigkeit wegen ſo anhaltend zu der Erforſchung einer allverbreiteten und doch vorher wenig beachteten Naturkraft angereizt hat, finden wir bei jenen weſtlichen europäiſchen Völkern erſt ſeit dem 11. und 12. Jahrhundert. In der Geſchichte und Aufzäh⸗ lung der Hauptmomente phyſiſcher Weltanſchauung hat das, was wir hier ſummariſch unter einen Geſichtspunkt ſtellen, mit Angabe der einzelnen Quellen, in mehrere Abſchnitte verteilt werden müſſen. Bei den Chineſen ſehen wir Anwendung der magne— tiſchen Richtkraft, Benutzung der Süd- und Nordweiſung Aa, durch auf dem Waſſer ſchwimmende Magnetnadeln bis zu einer Epoche hinaufſteigen, welche vielleicht noch älter iſt, als die doriſche Wanderung und die Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes. Auffallend genug ſcheint es dazu, daß der Gebrauch der Südweiſung der Nadel im öſtlichen Aſien nicht in der Schiffahrt, ſondern bei Landreiſen ange— fangen hat. In dem Vorderteil der magnetiſchen Wagen bewegte eine frei ſchwimmende Nadel Arm und Hand einer kleinen Figur, welche nach dem Süden hinwies. Ein ſolcher Apparat, fse-nan (Andeuter des Südens) genannt, wurde unter der Dynaſtie der Tſcheu 1100 Jahre vor unſerer Zeit⸗ rechnung Geſandten von Tonkin und Cochinchina geſchenkt, um ihre Rückkehr durch große Ebenen zu ſichern. Der Mag- netwagen bediente man ſich noch bis in das 15. Jahr⸗ hundert nach Chriſtus. Mehrere derſelben wurden im kaiſer— lichen Palaſte aufbewahrt und bei Erbauung buddhiſtiſcher Klöfter zur Orientierung der Hauptſeiten der Gebäude benutzt. Die häufige Anwendung eines magnetiſchen Apparates leitete allmählich die Scharfſinnigeren unter dem Volke auf phyſika⸗ liſche Betrachtungen über die Natur der magnetiſchen Er⸗ ſcheinungen. Der chineſiſche Lobredner der Magnetnadel, Kuopho (ein Schriftſteller aus dem Zeitalter Konſtantins des Großen), vergleicht, wie ich ſchon an einem anderen Orte angeführt, die Anziehungskraft des Magnets mit der des eriebenen Bernſteins. Es iſt nach ihm „wie ein Windes— — der beide geheimnisvoll durchweht und pfeilſchnell ſich mitzuteilen vermag“. Der ſymboliſche Ausdruck Windes— hauch erinnert an den gleich ſymboliſchen der Beſeelung, welche im griechiſchen Altertume der Gründer der ioniſchen Schule, Thales, beiden attraktoriſchen Subſtanzen zuſchrieb.“? Seele heißt hier das innere Prinzip bewegender Thätigkeit. Da die zu große Beweglichkeit der chineſiſchen ſchwim— menden Nadeln die Beobachtung und das Ableſen erſchwerte, ſo wurden ſie ſchon im Anfang des 12. Jahrhunderts (nach Chriſtus) durch eine andere Vorrichtung erſetzt, in welcher die nun in der Luft frei ſchwingende Nadel an einem feinen baumwollenen oder ſeidenen Faden hing, ganz nach Art der Suspension à la Coulomb, welcher ſich im weſtlichen Europa zuerſt Gilbert bediente. Mit einem ſolchen vervollkommneten Apparate beſtimmten die Chineſen ebenfalls ſchon im Be— ginn des 12. Jahrhunderts die Quantität der weſtlichen Abweichung, die in dem Teile Aſiens nur ſehr kleine und langſame Veränderungen zu erleiden ſcheint. Von dem Land— gebrauche ging endlich der Kompaß zur Benutzung auf dem Meere über. Unter der Dynaſtie der Tſin im 4. Jahr- hundert unſerer Zeitrechnung beſuchen chineſiſche Schiffe, vom Kompaß geleitet, indiſche Häfen und die Oſtküſte von Afrika. Schon zwei Jahrhunderte früher, unter der Regierung des Marcus Aurelius Antonius (An-tun bei den Schrift: ſtellern der Dynaſtie der Han genannt), waren römiſche Ye: gaten zu Waſſer über Tonkin nach China gekommen. Aber nicht durch eine ſo vorübergehende Verbindung, ſondern erſt als ſich der Gebrauch der Magnetnadel in dem ganzen In— diſchen Meere an den perſiſchen und arabiſchen Küſten all— gemein verbreitet hatte, wurde derſelbe im zwölften Jahr— hundert (ſei es unmittelbar durch den Einfluß der Araber, ſei es durch die Kreuzfahrer, die ſeit 1096 mit Aegypten und dem eigentlichen Orient in Berührung kamen) in das euro: päiſche Seeweſen übertragen. Bei hiſtoriſchen Unterſuchungen derart iſt mit Gewißheit nur die Epoche feſtzuſetzen, welche man als die ſpäteſte Grenzzahl betrachten — In dem politiſch-ſatiriſchen Gedichte des Guyot von Provins wird (1199) von dem Seekompaß als von einem in der Chriſtenwelt längſt bekannten Werkzeuge geſprochen; eben dies iſt der Fall in der Beſchreibung von Paläſtina, die wir dem Biſchof von Ptolemais, Jakob von Vitry, verdanken, und deren Voll: endung zwiſchen 1204 und 1215 fällt. Von der Magnetnadel geleitet, ſchifften die Katalanen nach den nordſchottiſchen In— ſeln wie an die Weſtküſte des tropiſchen Afrika, die Basken auf den Walfiſchfang, die Normannen nach den Azoren, den Bracirinſeln des Picigano. Die ſpaniſchen Leyes de las Partidas (del sabio Rey Don Alonso el nono), aus der erſten Hälfte des 13. Jahrhunderts, rühmen die Nadel als „treue Vermittlerin (medianera) zwiſchen dem Magnetſteine (la piedra) und dem Nordſtern“. Auch Gilbert, in ſeinem be: rühmten Werke „De Magnete physiologia nova“ ſpricht vom Seekompaß als einer chineſiſchen Erfindung, ſetzt aber unvorſichtig hinzu, daß ſie Marco Polo, qui apud Chinas artem pyxidis didieit, zuerſt nach Italien brachte. Da Marco Polo ſeine Reifen erſt 1271 begann und 1295 zurück⸗ kehrte, ſo beweiſen die Zeugniſſe von Guyot de Provins und Jacques de Vitry, daß wenigſtens ſchon 60 bis 70 Jahre vor der Abreiſe des Marco Polo nach dem Kompaß in euro— päiſchen Meeren geſchifft wurde. Die Benennungen zohron und aphron, die Vincenz von Beauvais in jeinem Natur: ſpiegel dem ſüdlichen und nördlichen Ende der Magnet: nadel (1254) gab, deuten auch auf eine Vermittelung ara— biſcher Piloten, durch welche die Europäer die chineſiſche Buſſole erhielten. Sie deuten auf dasſelbe gelehrte und be— triebſame Volk der aſiatiſchen Halbinſel, deſſen Sprache auf unſeren Sternkarten nur zu oft verſtümmelt erſcheint. Nach dem, was ich hier in Erinnerung gebracht, kann es wohl keinem Zweifel unterworfen ſein, daß die allgemeine Anwendung der Magnetnadel auf der ozeaniſchen Schiffahrt der Europäer ſeit dem 12. Jahrhundert (und wohl noch früher in eingeſchränkterem Maße) von dem Becken des Mittel— meeres ausgegangen iſt. Den weſentlichſten Anteil daran haben die mauriſchen Piloten, die Genueſer, Venezianer, Majorkaner und Katalanen gehabt. Die letzten waren unter Anführung ihres berühmten Seemannes Don Jayme Ferrer 1346 bis an den Ausfluß des Rio de Ouro (n. Br. 23° 40°) an der Weſtküſte von Afrika gelangt; und nach dem Zeugnis von Raymundus Lullus (in ſeinem nautiſchen Werke „Fenix de las maravillas del orbe 1286‘) bedienten ſich ſchon lange vor Jayme Ferrer die Barceloneſer der Seekarten, Aſtrolabien und Seekompaſſe. Von der Quantität der gleichzeitig durch Uebertragung aus China den indiſchen, malaiiſchen und arabiſchen Seefahrern bekannten magnetiſchen Abweichung (Variation nannte man das Phänomen früh, ohne allen Beiſatz) hatte ſich die Kunde natürlich ebenfalls über das Becken des Mittelmeeres ver— breitet. Dieſes zur Korrektion der Schiffsrechnung fo un- entbehrliche Element wurde damals weniger durch Sonnenauf— und Untergang als durch den Polarſtern, und in beiden Fällen ſehr unſicher, beſtimmt, doch auch bereits auf Seekarten getragen, z. B. auf die ſeltene Karte von Andrea Bianco, die im Jahre 1436 entworfen iſt. Kolumbus, der ebenſowenig als Sebaſtian Cabot zuerſt die magnetiſche Abweichung er— kannte, hatte das große Verdienſt, am 13. September 1492 die Lage einer Linie ohne Abweichung 2,5“ öſtlich von der azoriſchen Inſel Corvo aſtronomiſch zu beſtimmen. Er ſah, indem er in dem weſtlichen Teile des Atlantiſchen Ozeans vordrang, die Variation allmählich von Nordoſt in Nordweſt übergehen. Dieſe Bemerkung leitete ihn ſchon auf den Gedanken, der in ſpäteren Jahrhunderten ſo viel die Seefahrer beſchäftigt hat, durch die Lage der Variations— ! - u | kurven, welche er noch dem Meridian parallel wähnte, die | Länge zu finden. Man erfährt aus ſeinen Schiffsjournalen, | daß er auf der zweiten Reiſe (1496), feiner Lage ungewiß, | ſich wirklich durch Deklinationsbeobachtungen zu orientieren h ſuchte. Die Einſicht in die Möglichkeit einer ſolchen Methode war gewiß auch „das untrügliche Geheimnis der Seelänge, welches durch beſondere göttliche Offenbarung zu beſitzen“ Sebaſtian Cabot auf ſeinem Sterbebette ſich rühmte. | An die atlantiſche Kurve ohne Deklination knüpften ö ſich in der leicht erregbaren Phantaſie des Kolumbus noch 4 andere, etwas träumeriſche Anſichten über Veränderung der Klimate, anomale Geſtaltung der Erdkugel und außerordent— | liche Bewegungen himmliſcher Körper, jo daß er darin Mo— | tive fand, eine phyſikaliſche Grenzlinie zu einer poli— tiſchen vorzuſchlagen. Die Raya, auf der die Agujas de marear direkt nach dem Polarſtern hinweiſen, wurde jo die Demarkationslinie für die Kronen von Portugal und Kaſtilien; und bei der Wichtigkeit, die geographiſche | Länge einer ſolchen Grenze in beiden Hemiſphären über die ganze Erdoberfläche aſtronomiſch genau zu beſtimmen, ward ein Dekret päpſtlichen Uebermuts, ohne es bezweckt zu haben, il wohlthätig und folgereich für die Erweiterung der ajtrono: miſchen Nautik und die Vervollkommnung magnetiſcher In— ſtrumente (Humboldt, „Examen crit, de la Geogr.“ T. III, p. 54). Felipe Guillen aus Sevilla (1525) und wahr⸗ ſcheinlich früher der Kosmograph Alonſo de Santa Cruz, Lehrer der Mathematik des jugendlichen Kaiſers Karls V., konſtruierten neue Variationskompaſſe, mit denen Sonnen⸗ höhen genommen werden konnten. Der Kosmograph zeichnete 1530, alſo anderthalb Jahrhunderte vor Halley, freilich auf ſehr unvollſtändige Materialien gegründet, die erſte allge⸗ meine Variationskarte. Wie lebhaft im 16. Jahrhundert ſeit dem Tode des Kolumbus und dem Streit über die De⸗ markationslinie die Thätigkeit in Ergründung des telluriſchen Magnetismus erwachte, beweiſt die Seereiſe des Juan Jayme, welcher 1585 mit Francisco Gali von den Philippinen nach Acapulco ſchiffte, bloß um ein von ihm erfundenes Dekli— nationsinſtrument auf dem langen Wege durch die Südſee zu prüfen. Bei dem ſich verbreitenden Hange zum Beobachten mußte auch der dieſen immer begleitende, ja ihm öfter noch vor⸗ eilende Hang zu theoretiſchen Spekulationen ſich offenbaren. u — Viele alte Schifferſagen der Inder und Araber reden von Felsinſeln, welche den Seefahrern Unheil bringen, weil ſie durch ihre magnetiſche Naturkraft alles Eiſen, das in den Schiffen das Holzgerippe verbindet, an ſich ziehen oder gar das ganze Schiff unbeweglich feſſeln. Unter Einwirkung ſolcher Phantaſieen knüpfte ſich fruͤh an den Begriff eines polaren Zuſammentreffens magnetiſcher Abweichungslinien das materielle Bild eines dem Erdpole nahen hohen Magnet— berges. Auf der merkwürdigen Karte des neuen Konti— nents, welche der römiſchen Ausgabe der Geographie des Ptolemäus vom Jahre 1508 beigefügt iſt, findet ſich nördlich von Grönland (Gruentlant), welches als dem öſtlichen Teil von Aſien zugehörig dargeſtellt wird, der nördliche Mag— netpol als ein Inſelberg abgebildet. Seine Lage wird allmählich ſüdlicher in dem „Breve Compendio de la Sphera“ von Martin Cortes 1545, wie in der „Geographia di Tolomeo“ des Livio Sanuto 1588. An Erreichung dieſes Punktes, den man el calamitico nannte, waren große Erwartungen geknüpft, da man aus einem erſt ſpät verſchwun— denen Vorurteil dort am Magnetpole alcun miraculoso stupendo effetto zu erleben gedachte. Bis gegen das Ende des 16. Jahrhunderts war man bloß mit dem Phänomen der Abweichung, welche auf die Schiffsrechnung und die nautiſche Ortsbeſtimmung den un— mittelbarſten Einfluß ausübt, beſchäftigt. Statt der einen von Kolumbus 1492 aufgefundenen Linie ohne Abwei— chung glaubte der gelehrte Jeſuit Acoſta, durch portugieſiſche Piloten (1589) belehrt, in ſeiner trefflichen „Historia natural de las Indias“ 4 Linien ohne Abweichung auf— führen zu können. Da die Schiffsrechnung neben der Genauigkeit der Richtung (des durch den korrigierten Kom— paß gemeſſenen Winkels) auch die Länge des durchlaufenen Weges erheiſcht, ſo bezeichnet die Einführung des Logs, ſo unvollkommen auch dieſe Art der Meſſung ſelbſt noch heute iſt, doch eine wichtige Epoche in der Geſchichte der Nautik. Ich glaube gegen die bisher herrſchende Meinung erwieſen zu haben, daß das erſte ſichere Zeugnis?“ der Anwendung des Logs (la cadena de la popa, la corredera) in den Schiffs— journalen der Magelhaensſchen Reiſe von Antonio Pigafetta zu finden iſt. Es bezieht ſich auf den Monat Januar 1521. Kolumbus, Juan de la Coſa, Sebaſtian Cabot und Vasco da Gama haben das Log und deſſen Anwendung nicht BR: > gekannt. Sie ſchätzten nach dem Augenmaße die Geſchwin— digkeit des Schiffes und fanden die Länge des Weges durch das Ablaufen des Sandes in den Ampolletas. Neben dem alleinigen und ſo früh benutzten Elemente der Magnetkraft, der horizontalen Abweichung vom Nordpole, wurde end— lich (1576) auch das zweite Element, die Neigung, ge meſſen. Robert Normann hat zuerſt an einem ſelbſterfundenen Inklinatorium die Neigung der Magnetnadel in London mit nicht geringer Genauigkeit beſtimmt. Es vergingen noch 200 Jahre, ehe man das dritte Element, die Intenſität der magnetiſchen Erdkraft, zu meſſen verſuchte. Ein von Galilei bewunderter Mann, deſſen Verdienſt Baco gänzlich verkannte, William Gilbert, hatte an dem Ende des 16. Jahrhunderts eine erſte großartige Anſicht von der magnetiſchen Erdkraft aufgeſtellt. Er unterſchied zuerſt deut⸗ lich in ihren Wirkungen Magnetismus von Elektrizität, hielt aber beide für Emanationen der einigen, aller Materie als ſolcher inwohnenden Grundkraft. Er hat, wie es der Genius vermag, nach ſchwachen Analogieen vieles glücklich geahnet, ja nach den klaren Begriffen, die er ſich von dem telluriſchen Magnetismus (de magno magnete tellure) machte, ſchrieb er ſchon die Entſtehung der Pole in den ſenkrechten Eiſen⸗ ſtangen am Kreuz alter Kirchtürme der Mitteilung der Erd: kraft zu. Er lehrte in Europa zuerſt durch Streichen mit dem Magnetſteine Eiſen magnetiſch machen, was freilich die Chineſen faſt 500 Jahre früher wußten.?? Dem Stahle gab ſchon damals Gilbert den Vorzug vor dem weichen Eiſen, weil jener die mitgeteilte Kraft dauerhafter ſich aneigne und für längere Zeit ein Träger des Magnetismus werden könne. In dem Laufe des 17. Jahrhunderts vermehrte die durch vervollkommnete Beſtimmung der Wegrichtung und Weg: länge ſo weit ausgedehnte Schiffahrt der Niederländer, Briten, Spanier und Franzoſen die Kenntnis der Abweichungs— linien, welche, wie eben bemerkt, der Pater Acoſta in ein Syſtem zu bringen verſucht hatte. Cornelius Schouten be— zeichnete 1616 mitten in der Südſee, ſüdöſtlich von den Mar- queſasinſeln, Punkte, in denen die Variation null iſt. Noch jetzt liegt in dieſer Region das ſonderbare geſchloſſene tjo- goniſche Syſtem, in welchem jede Gruppe der inneren kon⸗ zentriſchen Kurven eine geringere Abweichung zeigt. Der Eifer, Längenmethoden nicht bloß durch Variation, ſondern auch durch die Inklination zu finden (ſolchen Br Gebrauch der Inklination? bei bedecktem, ſternenleerem Him⸗ mel, aöre caliginoso, nannte Wright „vieles Goldes wert“), leitete auf Vervielfältigung der Konſtruktion magnetiſcher Apparate und belebte zugleich die Thätigkeit der Beobachter. Der Jeſuit Cabeus aus Ferrara, Ridley, Lieutaud (1668) und Henry Bond (1676) zeichneten ſich auf dieſem Wege aus. Der Streit zwiſchen dem letztgenannten und Beckborrow hat vielleicht, ſamt Acoſtas Anſicht von vier Linien ohne Abweichung, welche die ganze Erdoberfläche teilen ſollen, auf Halleys, ſchon 1683 entworfene Theorie von vier magne⸗ tiſchen Polen oder Konvergenzpunkten Einfluß gehabt. Halley bezeichnete eine wichtige Epoche in der Geſchichte des telluriſchen Magnetismus. In jeder Hemiſphäre nahm er einen ſtärkeren und einen ſchwächeren magnetiſchen Pol an, alſo vier Punkte mit 90° Inklination der Nadel, gerade wie man jetzt unter den vier Punkten der größten Intenſität in jeder Hemiſphäre eine analoge Ungleichheit in dem erreichten Maximum der Intenſität, d. h. der Ge⸗ ſchwindigkeit der Schwingungen der Nadel in der Richtung des magnetiſchen Meridians findet. Der ſtärkſte aller vier Halleyſchen Pole ſollte in 70° ſüdl. Breite, 120° öſtlich von Greenwich, alſo faſt im Meridian von König⸗Georgsſund in Neuholland (Nuyts Land) gelegen ſein. Halleys drei See: reiſen in den Jahren 1698, 1699 und 1702 folgten auf den Entwurf einer Theorie, die ſich nur auf ſeine ſieben Jahre frühere Reiſe nach St. Helena wie auf unvollkommene Varia⸗ tionsbeobachtungen von Baffin, Hudſon und Cornelius van Schouten gründen konnte. Es waren die erſten Expeditionen, welche eine Regierung zu einem großen wiſſenſchaftlichen Zwecke, zur Ergründung eines Elementes der Erdkraft, unternehmen ließ, von dem die Sicherheit der Schiffsführung vorzugsweiſe abhängig iſt. Da Halley bis zum 52. Grade jenſeits des Aequators vordrang, ſo konnte er die erſte umfangreiche Variationskarte konſtruieren. Sie gewährt für die theo⸗ retiſchen Arbeiten des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit, einen, der Zeit nach freilich nicht ſehr fernen Vergleichungspunkt für die fortſchreitende Bewegung der Abweichungskurven darzubieten. Es iſt ein glückliches Unternehmen Halleys geweſen, die Punkte gleicher Abweichung durch Linien“ miteinander graphiſch verbunden zu haben. Dadurch iſt zuerſt Ueberſicht und Klarheit in die Einſicht von dem Zuſammenhange der — aufgehäuften Reſultate gebracht worden. Meine, von den Phyſikern früh begünſtigten Iſothermen, d. h. Linien gleicher Wärme (mittlerer Jahres-, Sommer- und Wintertemperatur), ſind ganz nach Analogie von Halleys iſogoniſchen Kurven geformt. Sie haben den Zweck, beſonders nach der Aus— dehnung und großen Vervollkommnung, welche Dove den— ſelben gegeben, Klarheit über die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper und die hauptſächliche Abhängigkeit dieſer Ver⸗ teilung von der Geſtaltung des Feſten und Flüſſigen, von der gegenſeitigen Lage der Kontinentalmaſſen und der Meere zu verbreiten. Halleys rein wiſſenſchaftliche Expeditionen ſtehen um ſo iſolierter da, als ſie nicht, wie ſo viele folgende Ex— peditionen, auf Koſten des Staates unternommene, geogra— phiſche Entdeckungsreiſen waren. Sie haben dazu, neben den Ergebniſſen über den telluriſchen Magnetismus, auch als Frucht des früheren Aufenthaltes auf St. Helena in den Jahren 1677 und 1678, einen wichtigen Katalog ſüdlicher Sterne geliefert, ja den erſten, welcher überhaupt unter— nommen worden iſt, ſeitdem nach Morins und Gascoignes Vorgange Fernröhren mit meſſenden Inſtrumenten verbunden wurden.““ So wie das 17. Jahrhundert ſich durch Fortſchritte aus— zeichnete in der gründlicheren Kenntnis der Lage der Ab— weichungslinien und den erſten theoretiſchen Verſuch, ihre Konvergenzpunkte als Magnetpole zu beſtimmen, ſo lieferte das 18. Jahrhundert die Entdeckung der ſtündlichen perio— diſchen Veränderung der Abweichung. Graham in London hat das unbeſtrittene Verdienſt (1722), dieſe ſtündlichen Varia⸗ tionen zuerſt genau und ausdauernd beobachtet zu haben. In ſchriftlichem Verkehr mit ihm erweiterten? Celſius und Hiörter in Upſala die Kenntnis dieſer Erſcheinung. Erſt Brugmans und, mit mehr mathematiſchem Sinne begabt, Coulomb (1784 bis 1788) drangen tief in das Weſen des telluriſchen Mag⸗ netismus ein. Ihre ſcharfſinnigen phyſikaliſchen Verſuche um: faßten die magnetiſche Anziehung aller Materie, die räum⸗ liche Verteilung der Kraft in einem Magnetſtabe von ge: gebener Form und das Geſetz der Wirkung in der Ferne. Um genaue Reſultate zu erlangen, wurden bald Schwingungen einer an einem Faden aufgehängten horizontalen Nadel, bald Ablenkung durch die Drehwage, balance de torsion, an- gewandt. Die Einſicht der Intenſitätsverſchiedenheit der mag— netiſchen Erdkraft an verſchiedenen Punkten der Erde, durch die Schwingungen einer ſenkrechten Nadel im magnetiſchen Meridian gemeſſen, verdankt die Wiſſenſchaft allein dem Scharf— ſinn des Chevalier Borda, nicht durch eigene geglückte Ver⸗ ſuche, ſondern durch Gedankenverbindung und beharrlichen Einfluß auf Reiſende, die ſich zu fernen Expeditionen rüſteten. Seine lang gehegten Vermutungen wurden zuerſt durch La⸗ manon, den Begleiter von la Peérouſe, mittels Beobachtungen aus den Jahren 1785 bis 1787 beſtätigt. Es blieben die⸗ ſelben, obgleich ſchon ſeit dem Sommer des letztgenannten Jahres in ihrem Reſultate dem Sekretär der Académie des Sciences, Condorcet, bekannt, unbeachtet und unveröffentlicht. Die erſte und darum freilich unvollſtändige Erkennung des wichtigen Geſetzes der mit der magnetiſchen Breite veränder⸗ lichen Intenſität gehört *° unbeſtritten der unglücklichen, wiſſen⸗ ſchaftlich ſo wohl ausgerüſteten Expedition von la Perouſe; aber das Geſetz ſelbſt hat, wie ich glaube mir ſchmeicheln zu dürfen, erſt in der Wiſſenſchaft Leben gewonnen durch die Veröffentlichung meiner Beobachtungen von 1798 bis 1804 im ſüdlichen Frankreich, in Spanien, auf den Kanariſchen Inſeln, in dem Inneren des tropiſchen Amerikas (nördlich und ſüdlich vom Aequator), in dem Atlantiſchen Ozean und der Südſee. Die gelehrten Reiſen von le Gentil, Feuillee und Lacaille, der erſte Verſuch einer Neigungskarte von Wilke (1768), die denkwürdigen Weltumſeglungen von Bougainville, Cook und Vancouver haben, wenngleich mit Inſtrumenten von ſehr ungleicher Genauigkeit, das vorher ſehr vernachläſſigte und zur Begründung der Theorie des Erdmagnetismus ſo wichtige Element der Inklination an vielen Punkten, freilich ſehr ungleichzeitig und mehr an den Küſten oder auf dem Meere als im Inneren der Kontinente, ergründet. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurde durch die, mit vollkommeneren Inſtrumenten angeſtellten, ſtationären Deklinationsbeobachtun⸗ gen von Caſſini, Gilpin und Beaufoy (1784 bis 1790) ein periodiſcher Einfluß der Stunden wie der Jahreszeiten be⸗ ſtimmter erwieſen und ſo die Thätigkeit in magnetiſchen Unter⸗ ſuchungen allgemeiner belebt. Dieſe Belebung nahm in dem 19. Jahrhundert, von welchem nur erſt eine Hälfte verfloſſen iſt, einen, von allem unterſchiedenen, eigentümlichen Charakter an. Es beſteht der⸗ ſelbe in einem faſt gleichzeitigen Fortſchreiten in ſämtlichen Teilen der Lehre vom telluriſchen Magnetismus, umfaſſend hr } — RT — — . . 0 rr — 16 die numeriſche Beſtimmung der Intenſität der Kraft, der Inklination und der Abweichung, in phyſikaliſchen Entdeckungen über die Erregung und das Maß der Verteilung des Mag— netismus, in der erſten und glänzenden Entwerfung einer Theorie des telluriſchen Magnetismus von Friedrich Gauß, auf ſtrenge mathematiſche Gedankenverbindung ge: gründet. Die Mittel, welche zu dieſen Ergebniſſen führten, waren Vervollkommung der Inſtrumente und der Methoden, wiſſenſchaftliche Expeditionen zur See in Zahl und Größe, wie ſie kein anderes Jahrhundert geſehen, ſorgfältig ausge— rüſtet auf Koſten der Regierungen, begünſtigt durch glückliche Auswahl der Führer und der ſie begleitenden Beobachter; einige Landreiſen, welche, tief in das Innere der Kontinente eingedrungen, die Phänomene des telluriſchen Magnetismus aufklären konnten; eine große Zahl fixer Stationen, teil: weiſe in beiden Hemiſphären, nach korreſpondierenden Orts— breiten und oft in faſt antipodiſchen Längen gegründet. Dieſe magnetiſchen und zugleich meteorologiſchen Obſervatorien bilden gleichſam ein Netz über die Erdfläche. Durch ſcharfſinnige Kombination der auf Staatskoſten in Rußland und England veröffentlichten Beobachtungen ſind wichtige und unerwartete Reſultate geliefert worden. Die Geſetzlichkeit der Kraft— äußerung — der nächſte, nicht der letzte Zweck aller For— ſchungen — iſt bereits in vielen einzelnen Phaſen der Er: ſcheinung befriedigend ergründet worden. Was auf dem Wege des phyſikaliſchen Experimentierens von den Beziehungen des Erdmagnetismus zur bewegten Elektrizität, zur ſtrahlenden Wärme und zum Lichte, was von den ſpät erſt verallge— meinerten Erſcheinungen des Diamagnetismus und von der ſpezifiſchen Eigenſchaft des atmoſphäriſchen Sauerſtoffes, Polarität anzunehmen, entdeckt wurde, eröffnet wenigſtens die frohe Ausſicht, der Natur der Magnetkraft ſelbſt näher zu treten.“ Um das Lob zu rechtfertigen, das wir im allgemeinen über die magnetiſchen Arbeiten der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts ausgeſprochen, nenne ich hier aphoriſtiſch, wie es das Weſen und die Form dieſer Schrift mit ſich bringen, die Hauptmomente der einzelnen Beſtrebungen. Es haben dieſelben einander wechſelſeitig hervorgerufen, daher ich ſie bald chronologiſch aneinander reihe, bald gruppenweiſe ver— einige. ei 1803— 1806 Kruſenſterns Reife um die Welt (1812); der magnetiſche und aſtronomiſche Teil iſt von Horner (Bd. III, S. 317). 1804 Erforſchung des Geſetzes der von dem magnetiſchen Aequator gegen Norden und Süden hin zunehmenden Intenſität der telluriſchen Magnetkraft, gegründet auf Beobachtungen von 1799—1804. (Humboldt, Voyage aux Regions équincxiales du Nouveau Continent T. III, p. 615 623; Lametherie, Journal de Physique T. LXIX, 1804, p. 433, mit dem erſten Entwurf einer Intenſitätskarte; Kosmos Bd. J, S. 298 Anm. 110.) Spätere Beobachtungen haben gezeigt, daß das Minimum der Intenſität nicht dem magnetiſchen Aequator entſpricht, und daß die Vermehrung der Intenſität ſich in beiden Hemiſphären nicht bis zum Magnetpol erſtreckt. 1805-1806 Gay-Luſſae und Humboldt, Intenſitäts— beobachtungen im ſüdlichen Frankreich, in Italien, der Schweiz und Deutſchland; Memoires de la Société d’Arcueil T. I, p. 1—22. Vergl. die Beobachtungen von Quetelet 1830 und 1839 mit einer Carte de l’intensite magnetique horizontale entre Paris et Naples in den Mem. de l’Acad. de Bruxelles T. XIV; die Be— obachtungen von Forbes in Deutſchland, Flandern und Italien 1832 und 1837 (Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XV, p. 27); die überaus genauen Beobachtungen von Dr. Bache Director of the Coast Survey of the United States) 1837 und 1840 in 21 Stationen, zugleich für Inklination und Intenſität. 1806 1807 Eine lange Reihe von Beobachtungen zu Berlin über die ſtündlichen Variationen der Abweichung und über die Wiederkehr magnetiſcher Ungewitter (Perturbationen) von Humboldt und Oltmanns angeſtellt: hauptſächlich in den Sol— ſtitien und Aequinoktien; 5 bis 6, ja bisweilen 9 Tage und ebenſo viele Nächte hintereinander; mittels eines Pronyſchen magnetiſchen Fernrohrs, das Bogen von 7 bis 8 Sekunden unterſcheiden ließ. 1812 Morichini zu Rom behauptet, daß unmagnetiſche Stahl— nadeln durch Kontakt des (violetten) Lichts magnetiſch werden. Ueber den langen Streit, den dieſe Behauptung und die ſcharf— ſinnigen Verſuche von Mary Sommerville bis zu den ganz negativen Reſultaten von Rieß und Moſer erregt haben, ſ. Sir David Brewſter treatise of Magnetism 1837, p. 48. er Die zwei Welt l Otto von Kotze— 18231826 zwei Weltumſeglungen von v oße- bue: die erſte auf dem Rurik; die zweite, um fünf Jahre ſpäter, auf dem Predprijatie. 1817-1848 Die Reihe großer wiſſenſchaftlicher, für die Kennt— nis des telluriſchen Magnetismus ſo erfolgreicher Expeditionen zur See auf Veranſtaltung der franzöſiſchen Regierung, an⸗ hebend mit Freyeinet auf der Korvette Uranie 1817-1820, dem folgten: Duperrey auf der Fregatte la Coquille 1822— 1825, Bougainville auf der Fregatte Thetis 1824 — 1826; Dumont EN d' Urville auf dem Aſtrolabe 1826 —1829, und nach dem Südpol auf der Zélée 1837-1840; Jules de Bloſſeville in Indien 1828 (Herbert, Asiat. Researches Vol. XVIII, p. 4, Humboldt, Asie centr. T. III, p. 468) und in Island 1833 (Lottin, Voy. de la Recherche 1836, p. 376—409), du Petit Thouars (mit Teſſan) auf der Venus 1837—1839, le Vaillant auf der Bonite 1836 - 1837; die Reiſe der Commission scientifique du Nord (Lottin, Bravais, Martins, Siljeſtröm) nach Skandinavien, Lapland, den Färöern und Spitzbergen auf der Korvette la Recherche 1835 — 1840; Bérard nach dem mexikaniſchen Meerbuſen und Nordamerika 1838, nach dem Kap der guten Hoff— nung und St. Helena 1842 und 1846 (Sabine in den Philos. Trans- act. for 1849, P. II, p. 175); Francis de Caſtelnau, Voyage dans les parties centrales de l’Amerique du sud 1847 1850. 1818-1851 Die Reihe wichtiger und kühner Expeditionen in den arktiſchen Polarmeeren auf Veranſtaltung der bri— tiſchen Regierung, zuerſt angeregt durch den lobenswerten Eifer von John Barrow; Eduard Sabines magnetiſche und aſtronomiſche Beobachtungen auf der Reiſe von John Roß, nach der Davisſtraße, Baffinsbai und dem Lancaſterſund 1818: wie auf der Reiſe mit Parry auf (Hecla und Griper) durch die Barrowſtraße nach Melvilles Inſel 1819 — 1820; John Franklin, Dr. Richardſon und Back 1819-1822; dieſelben 1825 — 1827; Back allein 1833—1835 (Nahrung, faſt die einzige, wochenlang, eine Flechte: Gyrophora pustulata, Tripe de Roche der Canadian hunters; chemiſch unterſucht von John Stenhouſe in den Philos. Transact. for 1849, P. II, p. 393); Parrys zweite Expedition, mit Lyon auf Fury und Hecla 182118233 Parrys dritte Reiſe, mit James Clark Roß 1824-1825; Parrys vierte Reiſe, ein Ver⸗ ſuch mit Lieutenant Foſter und Crozier nördlich von Spitzbergen auf dem Eiſe vorzudringen, 1827: man gelangte bis Br. 8245“; John Roß ſamt ſeinem gelehrten Neffen James Clark Roß, in der durch ihre Länge um ſo gefahrvolleren zweiten Reiſe, auf Koſten von Felix Booth 1829 — 1839; Deaſe und Simpſon (von der Hudſonsbaicompagnie) 1838—1839; neuerlichſt, zur Aufſuchung von Sir Jon Franklin, die Reiſen von Kap. Ommanney, Auſtin, Penny, Sir John Roß und Phillips 1850 und 1851. Die Ex⸗ pedition von Kap. Penny iſt im Viktoria-Channel, in welchen Wel⸗ lingtons Channel mündet, am weiteſten nördlich (Br. 77 69 gelangt. 1819—1821 Bellinghauſens Reife in das ſüdliche Eismeer. 1819 Das Erſcheinen des großen Werkes von Hanſteen über den Magnetismus der Erde, das aber ſchon 1813 vollendet war. Es hat einen nicht zu verkennenden Einfluß auf die Belebung und beſſere Richtung der geomagnetiſchen Studien ausgeübt. Dieſer trefflichen Arbeit folgten Hanſteens allgemeine Karten der Kurven gleicher Inklination und gleicher Intenſität für einen beträchtlichen Teil der Erdoberfläche. 7 * 1819 Beobachtungen des Admirals Rouſſin und Givrys an der braſilianiſchen Küſte zwiſchen den Mündungen des Maraßon und Plataſtromes. 1819—1820 Oerſted macht die große Entdeckung der That: ſache, daß ein Leiter, der von einem elektriſchen, in ſich ſelbſt wiederkehrenden Strome durchdrungen wird, während der ganzen Dauer des Stromes eine beſtimmte Einwirkung auf die Richtung der Magnetnadel nach Maßgabe ihrer relativen Lage ausübt. Die früheſte Erweiterung dieſer Entdeckung (mit denen der Dar— ſtellung von Metallen aus den Alkalien und der zweifachen Art von Polariſation des Lichtes wohl der glänzendſten des Jahrhunderts) war Aragos Beobachtung, daß ein eleftriih durchſtrömter Schließungsdraht, auch wenn er von Kupfer oder Platin iſt, Eifen- teile anzieht und dieſelben wie ein Magnet feſthält; auch daß Nadeln, in das Innere eines ſchraubenförmig gewundenen galva— niſchen Leitungsdrahtes gelegt, abwechſelnd heterogene Magnetpole erhalten, je nachdem den Windungen eine entgegengeſetzte Richtung gegeben wird (Annales de Chimie et de Physique T. XV, p. 93). Dem Auffinden dieſer unter mannigfaltigen Abänderungen hervor— gerufenen Erſcheinungen folgten Ampéres geiſtreiche theoretiſche Kombinationen über die elektromagnetiſchen Wechſelwirkungen der Moleküle ponderabler Körper. Dieſe Kombinationen wurden durch eine Reihe neuer und ſcharfſinniger Apparate unterſtützt und führten zur Kenntnis von Geſetzen in vielen bis dahin oft wider— ſprechend ſcheinenden Phänomenen des Magnetismus. 1820-1824 Ferdinand von Wrangel und Anjou, Reiſe nach den Nordküſten von Sibirien und auf dem Eismeere. (Mid): tige Erſcheinungen des Polarlichts ſ. T. II, S. 259.) 1820 Scoresby, Account of the arctic regions (Intenſitäts⸗ verſuche Vol. II, p. 537 — 554). 1821 Seebecks Entdeckung des Thermo- Magnetismus und der Thermo⸗ Elektrizität. Berührung zweier ungleich erwärmter Metalle (zuerſt Wismut und Kupfer) oder Temperatur: differenzen in den einzelnen Teilen eines gleichartigen metalliſchen Ringes werden als Quellen der Erregung magnetoelektriſcher Strö— mungen erkannt. 1821—1823 Weddell, Reiſe in das ſüdliche Polarmeer bis Br. 74° 15° ſüdl. 1822 — 1823 Sabines zwei wichtige Expeditionen zur genauen Beſtimmung der magnetiſchen Intenſität und der Länge des Pen: dels unter verſchiedenen Breiten (Oſtküſte von Afrika bis zum Aequator, Braſilien, Havana, Grönland bis Br. 7423“, Norwegen und Spitzbergen unter Br. 79° 50). Es erſchien über dieſe viel⸗ umfaſſende Arbeit erſt 1824: Account of experiments to deter- mine the Figure of the Earth p. 460 — 509. 1824 Erikſon, Magnetiſche Beobachtungen längs den Ufern der Oſtſee. A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 4 — 50 1825 Arago entdeckt den Rotationsmagnetis mus. Die erſte Veranlaſſung zu dieſer unerwarteten Entdeckung gab ihm, am Abhange des Greenwicher Hügels, ſeine Wahrnehmung der ab— nehmenden Oszillationsdauer einer Inklinationsnadel durch Ein— wirkung naher unmagnetiſcher Stoffe. In Aragos Rotations⸗ verſuchen wirken auf die Schwingungen der Nadel Waſſer, Eis, Glas, Kohle und Queckſilber. 1825— 1827 Magnetiſche Beobachtungen von Bouſſingault in verſchiedenen Teilen von Südamerika (Marmato, Quito). 1826 — 1827 Intenſitätsbeobachtungen von Keilhau in 20 Stationen (in Finmarken, auf Spitzbergen und der Bäreninſel); von Keilhau und Boeck in Süddeutſchland und Italien (Schum. Aſtron. Nachr. Nr. 146). 1826 — 1829 Admiral Lütke, Reiſe um die Welt. Der magne— tiſche Teil iſt mit großer Sorgfalt bearbeitet 1834 von Lenz. (S. Partie nautique du Voyage 1836.) 1826-1830 Kap. Philipp Parker King, Beobachtungen in den ſüdlichen Teilen der Oſt- und Weſtküſte von Südamerika (Braſilien, Montevideo, der Magelhaensſtraße, Chiloe und Valparaiſo). 18271839 Quetelet, Etat du Magnetisme terrestre (Bruxelles) pendant douze années. Sehr genaue Beobachtungen. 1827 Sabine über die Ergründung der relativen In⸗ tenſität der magnetiſchen Erdkraft in Paris und London. Eine analoge Vergleichung von Paris und Chriſtiania (1825 und 1828) geſchah von Hanſteen. 7th meeting of the British Association at Liverpool 1837, p. 19— 23. Die vielen von franzöſiſchen, eng: liſchen und nordiſchen Reiſenden gelieferten Reſultate der Intenſität haben zuerſt mit unter ſich verglichenen, an den genannten 3 Orten oszillierenden Nadeln in numeriſchen Zuſammenhang gebracht und als Verhältniswerte aufgeſtellt werden können. Die Zahlen ſind: für Paris 1,348, von mir, für London 1,372, von Sabine, für Chriſtiania 1,423, von Hanſteen gefunden. Alle beziehen ſich auf die Intenſität der Magnetkraft in einem Punkte des magnetiſchen Aequators (der Kurve ohne Inklination), der die peruaniſchen Kordilleren zwiſchen Micuipampa und Caxamarca durchſchneidet, unter ſüdlicher Br. 72“ und weſtlicher Länge 81° 8°, wo die Intenſität von mir S 1,000 geſetzt wurde. Die Beziehung auf dieſen Punkt (Humboldt, Recueil d’Observ. astron. Vol. II, p. 382 — 385 und Voyage aux Régions equinox. T. III, p. 622) hat vierzig Jahre lang den Reduktionen in allen Intenſitätstabellen zu Grunde gelegen (Gay-Luſſac in den Mem. de la Société d’Arcueil T. I, 1807, p. 21, Hanſteen über den Magnetismus der Erde, 1819, S. 71, Sabine im Report of the British Association at Liver- pool p. 43—58). Sie ift aber in neuerer Zeit mit Recht als nicht allgemein maßgebend getadelt worden, weil die Linie ohne Inkli⸗ nation!“ gar nicht die Punkte der ſchwächſten Intenſität miteinander verbindet (Sabine in den Philos. Transact. for 1846, P. III, — ° p. 254 und im Manual of Scientific Enquiry for the use of the British Navy 1849, p. 17). 1828—1829 Reife von Hanſteen, und Due, Magnetiſche Beobachtungen im europäiſchen Rußland und dem öſtlichen Sibirien bis Irkutsk. 1828—1830 Adolf Erman, Reife um die Erde durch Nord: aſien und die beiden Ozeane, auf der ruſſiſchen Fregatte Krotkoi. Identität der angewandten Inſtrumente, Gleichheit der Methode und Genauigkeit der aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen ſichern dieſem auf Privatkoſten von einem gründlich unterrichteten und geübten Beobachter ausgeführten Unternehmen einen dauernden Ruhm. Vergl. die auf Ermans Beobachtungen gegründete allgemeine Dekli— nationskarte im Report of the Committee relative to the arctic Expedition, 1840, Pl. III. 18281829 Humboldts Fortſetzung der 1800 und 1807 in Solſtitien und Aequinoktien begonnenen Beobachtungen über ſtünd— liche Deklination und die Epochen außerordentlicher Perturbationen, in einem eigens dazu erbauten magnetiſchen Hauſe zu Berlin mittels einer Buſſole von Gambey. Korreſpondierende Meſſungen zu Peters⸗ burg, Nikolajew und in den Gruben zu Freiberg (vom Prof. Reich) 216 Fuß (66 m) unter der Erdoberfläche. Dove und Rieß haben die Arbeit bis November 1830 über Abweichung und Intenſität der horizontalen Magnetkraft fortgeſetzt (Poggend. Annalen Bd. XV, S. 318-336, Bd. XIX, ©. 375—391 mit 16 Tabellen, Bd. XX, S. 545 — 555). 1829 1834 Der Botaniker David Douglas, der ſeinen Tod auf Owaihi in einer Fallgrube fand, in welche vor ihm ein wilder Stier herabgeſtürzt war, machte eine ſchöne Reihe von Deklinations— und Intenſitätsbeobachtungen an der Nordweſtküſte von Amerika und auf den Sandwich⸗Inſeln bis am Rande des Kraters von Kilauea. (Sabine, Meeting at Liverpool p. 27 —32.) 1829 Kupffer, Voyage au Mont Elbrouz dans le Caucase (p. 68 und 115). 1829 Humboldt magnetiſche Beobachtungen über den tellu: riſchen Magnetismus mit gleichzeitigen aſtronomiſchen Ortsbeſtim— mungen, geſammelt auf einer Reiſe im nördlichen Aſien auf Befehl des Kaiſers Nikolaus zwiſchen den Längen von 11° 3’ bis 80° 12° öftlih von Paris, nahe am Dſaiſangſee; wie zwiſchen den Breiten von 45“ 43, (Inſel Birutſchicaſſa im Kaſpiſchen Meere) bis 58° 52° im nördlichen Ural bei Werchoturie. (Asie centrale T. III, p. 440— 478.) 1829 Die kaiſerliche Akademie der Wiſſenſchaften zu St. Peters— burg genehmigt Humboldts Antrag auf Errichtung magne— tiſcher und meteorologiſcher Stationen in den ver⸗ ſchiedenſten klimatiſchen Zonen des europäiſchen und aſiatiſchen Rußlands, wie auf die Erbauung eines phyſikaliſchen Central⸗ Obſervatoriums in der Hauptſtadt des Reichs unter der, — 52 immer gleich thätigen, wiſſenſchaftlichen Leitung des Profeſſor Kupffer. (Vgl. Kosmos Bd. I, S. 302 304, Anm. 116; Kupffer, Rapport adresse à l' Acad. de St. Petersbourg relatif & l’Obser- vatoire physique central, fondé aupres du Corps des Mines, in Schum. Aſtron. Nachr. Nr. 726; derſelbe, Annales magnetiques P. XI.) Durch das ausdauernde Wohlwollen, welches der Finanz: miniſter Graf von Cancrin jedem großartigen ſcientifiſchen Unter: nehmen ſchenkte, konnte ein Teil der gleichzeitigen korreſpondierenden!“ Beobachtungen zwiſchen dem Weißen Meer und der Krim, zwiſchen dem Finniſchen Meerbuſen und den Küſten der Südſee im ruſſiſchen Amerika ſchon im Jahr 1832 beginnen. Eine permanente magne⸗ tiſche Station wurde zu Peking in dem alten Kloſterhauſe, das ſeit Peter dem Großen periodiſch von griechiſchen Mönchen bewohnt wird, geſtiftet. Der gelehrte Aſtronom Fuß, welcher den Haupt⸗ anteil an den Meſſungen zur Beſtimmung des Höhenunterſchiedes zwiſchen dem Kaſpiſchen und Schwarzen Meere genommen, wurde auserwählt, um in China die erſten magnetiſchen Einrichtungen zu treffen. Später hat Kupffer auf einer Rundreiſe alle in den magnetiſchen und meteorologiſchen Stationen aufgeſtellten Inſtru— mente öſtlich bis Nertſchinsk (in 117“ 16“ Länge) untereinander und mit den Fundamentalmaßen verglichen. Die gewiß recht vor— züglichen magnetiſchen Beobachtungen von Fedorow in Sibirien bleiben noch unpubliziert. 1830-1845 Oberſt Graham (von den topographiſchen In- gineers der Vereinigten Staaten), Intenſitätsbeobachtungen an der ſüdlichen Grenze von Kanada, Phil. Transact. for 1846, P. III, P. 242. 8 1830 Fuß, Magnetiſche, aſtronomiſche und hypſometriſche Beob- achtungen (Report of the seventh meeting of the Brit. Assoc., 1837, p. 497 499) auf der Reiſe vom Baikalſee durch Ergi Oude, Durma und die nur 2400 Fuß (780 m) hohen Gobi nach Peking, um dort das magnetiſche und meteorologiſche Obſervatorium zu gründen, auf welchem Kovanko 10 Jahre lang beobachtet hat (Humboldt, Asie centr. T. I, p. 8, T. II, p. 141, T. III, p. 468 und 477). 1831-1836 Kap. Fitzroy in feiner Reife um die Welt auf dem Beagle, wie in der Aufnahme der Küſten des ſüdlichſten Teils von Amerika, ausgerüſtet mit einem Gambeyſchen Inklinatorium und mit von Hanſteen gelieferten Oszillationsnadeln. 1831 Dunlop, Direktor der Sternwarte von Paramatta, Beobachtungen auf einer Reiſe nach Auſtralien (Philos. Transact. for 1840, P. I, p. 133-140). 1831 Faradays Induktionsſtröme, deren Theorie Nobili und Antinori erweitert haben; große Entdeckung der Licht- entwickelung durch Magnete. 1833 und 1339 ſind die zwei wichtigen Epochen der erſten Bekanntmachung theoretiſcher Anſichten von Gauß: 1) Intensitas — 8 en vis magneticae terrestris ad mensuram absolutam revocata 1833 (P. 3: „elementum tertium, intensitas, usque ad tempora re- centiora penitus neglectum mansit“); 2) das unſterbliche Werk: Allgemeine Theorie des Erdmagnetismus (ſ. Reſultate aus den Beobachtungen des magnetiſchen Vereins im Jahr 1838, heraus- gegeben von Gauß und Weber 1839, S. 1— 57). 1833 Arbeiten von Barlow über die Anziehung des Schiffs— eiſens und die Mittel, deſſen ablenkende Wirkung auf die Buſſole zu beſtimmen; Unterſuchung von elektromagnetiſchen Strömen in Terrellen. Iſogoniſche Weltkarten. (Vergl. Barlow, Essay on magnetic attraction 1833, p. 89 mit Poiſſon, Sur les deviations de la boussole produite par le fer des vaisseaux in den Mém. de l’Institut T. XVI, p. 481—555; Airy in den Philos. Trans- act. for 1839, P. I, p. 167 und for 1843, P. II, p. 146; Sir James Roß in den Philos. Transact. for 1849, P. II, p. 177 to 195.) 1833 Moſer, Methode die Lage und Kraft der veränderlichen magnetiſchen Pole kennen zu lernen (Poggendorffs Annalen Bd. 28, S. 49— 296). 1833 Chriſtie, On the arctic observations of Cap. Back, Philos. Transact. for 1836, P. II, p. 377. (Vergl. auch deſſen frühere wichtige Abhandlung in den Philos. Transact. for 1825, .) 1834 Parrots Reiſe nach dem Ararat (Magnetismus Bd. II, S. 53 — 64). 1836 Major Etscourt in der Expedition von Oberſt Chesney auf dem Euphrat. Ein Teil der Intenſitätsbeobach— tungen iſt bei dem Untergunge des Dampfboots Tigris verloren gegangen, was um ſo mehr zu bedauern iſt, als es in dieſem Teile des Innern von Vorderaſien und ſüdlich vom Kaſpiſchen Meere ſo ganz an genauen Beobachtungen fehlt. 1836 Lettre de Mr. A. de Humboldt à S. A. R. le Duc de Sussex, President de la Soc. Roy. de Londres, sur les moyens propres à perfectionner la connaissance du magnetisme terrestre par l’etablissement de stations magnetiques et d’obser- vations correspondantes (Avril 1836). Ueber die glücklichen Folgen diefer Aufforderung und ihren Einfluß auf die große ant- arktiſche Expedition von Sir James Roß ſ. Kosmos Bd. I, ©. 303; Sir James Roß, Voy. to the Southern and Antarctic Regions, 1847, Vol. I, p. X1l. 1837 Sabine, On the variations of the magnetic Intensity of the Earth in dem Seventh meeting of the British Association at Liverpool p. 1—85; die vollſtändigſte Arbeit dieſer Art. 18371838 Errichtung eines magnetiſchen Obſervatoriums zu Dublin von Prof. Humphrey Lloyd. Ueber die von 1840 bis 1846 daſelbſt angeſtellten Beobachtungen ſ. Transact. of the Royal Irish Academy Vol. XXII, P. J. p. 74 96. — 1837 Sir David Brewſter, A treatisse on Magnetism p. 185 to 263. 1837—1842 Sir Edward Belcher, Reifen nach Singapur, dem Chineſiſchen Meere und der Weſtküſte von Amerika; Philos. Transact. for 1843, P. II, p. 113, 140 142. Dieſe Beobachtungen der Inklination, wenn man ſie mit den meinigen, älteren, zufammen: hält, deuten auf ſehr ungleiches Fortſchreiten der Kurven. Ich fand z. B. 1803 die Neigungen in Acapulco, Guayaquil und Callao de Lima -+ 3848“, + 10°42°, — 954; Sir Edward Belcher + 3757, + 901, — 954“. Wirken die häufigen Erdbeben an der peruaniſchen Küſte lokal auf die Erſcheinungen, welche von der magnetiſchen Erdkraft abhangen? 1838— 1842 Charles Wilkes, Narrative of the United States Exploring Expedition (Vol. I, p. XXI). 1838 Lieut. James Sulivan, Reiſe von Falmouth nach den Faltlands-Inſeln, Philos. Transact. for 1840, P. I, p. 129, 140 und 143. 1838 und 1839 Errichtung der magnetiſchen Stationen, unter der vortrefflichen Direktion des Oberſt Sabine, in beiden Erdhälften, auf Koſten der großbritanniſchen Regierung. Die Inſtrumente wurden 1839 abgeſandt, die Beobachtungen begannen in Toronto (Kanada) und auf Vandiemensland 1840, am Vorgebirge der guten Hoffnung 1841. (Vergl. Sir John Herſchel im Quarterly Review Vol. 66, 1840, p. 297, Becquerel, Traite d'Electricité et de Magnetisme T. VI, p. 173.) — Durch die mühevolle und gründliche Bearbeitung dieſes reichen Schatzes von Beobachtungen, welche alle Elemente oder Variationen der magnetiſchen Thätigkeit des Erdkörpers umfaſſen, hat Oberſt Sabine als Superintendent of the Colonial Observatories früher unerkannte Geſetze entdeckt und der Wiſſenſchaft neue An— ſichten eröffnet. Die Reſultate ſolcher Forſchungen ſind von ihm in einer langen Reihe einzelner Abhandlungen (contributions to terrestrial Magnetism) in den Philosophical Transactions der königl. Londoner Societät und in eigenen Schriften veröffentlicht worden, welche dieſem Teile des Kosmos zu Grunde liegen. Wir nennen hier von dieſen nur einige der vorzüglichſten: 1) Ueber ungewöhnliche magnetiſche Störungen (Ungewitter), beobachtet in den Jahren 1840 und 1841; ſ. Observations on days of unusual magnetic disturbances p. 1—107, und, als Fortſetzung dieſer Arbeit, die Magnetic storms von 1843—1845 in den Philos. Transact. for 1851, P. I, p. 123 139; 2) Observations made at the Magnetical Observatory at Toronto 1840, 1841 und 1842 (lat. 4339“ bor., long. 81/41 Vol. I, p. XIV—XXVILU; 3) den ſehr abweichenden Richtungsgang der magnetiſchen Dekli— nation in der einen Hälfte des Jahres zu St. Helena, in Long⸗ wood-Houſe (lat. 15/55“ austr., Ig. occ. 8930, Phil. Transact. for 1847, P. I. p. 54; 4) Observat. made at the magn. and 14 en meteor. Observatory at the Cape of Good Hope 1841—1846; 5) Observ. made at the magn. and meteor. Observatory at Hobarton (lat. 42° 52“ austr., Ig. 1457“ or.) in Van Diemen Island, and the antarctic Expedition Vol. I and II (18411848); über Scheidung der öſtlichen und weſtlichen Strömungen (distur- bances) ſ. Vol. II. p. IX—XXXVI; 6) Magnetiſche Erſcheinungen innerhalb des antarktiſchen Polarkreiſes, in Kerguelen und Van— diemen, Phil. Transact for 1843, P. II, p. 145—231; 7) Ueber die Isoclinal und Isodynamic Lines im Atlantiſchen Ozean, Zu: ſtand von 1837 (Phil. Transact for 1840, P. I, p. 129—155); 8) Fundamente einer Karte des Atlantiſchen Ozeans, welche die magnetiſchen Abweichungslinien zwiſchen 60“ nördl. und 609 ſüdl. Breite darſtellt für das Jahr 1840 (Phil. Transact. for 1849, P. II. p. 173—233; 9) Mittel, die magnetiſche Totalkraft der Erde, ihre ſekulare Veränderung und jährliche Variation (absolute values, secular change and annual variation of the magnetic force) zu meſſen (Phil. Transact. for 1850, P. I, p. 201—219; Ueber⸗ einſtimmung der Epoche der größten Nähe der Sonne mit der der größten Intenſität der Kraft in beiden Hemiſphären und der Zu— nahme der Inklination p. 216); 10) Ueber das Maß magnetiſcher Intenſität im hohen Norden des Neuen Kontinents und über den von Kap. Lefroy aufgefundenen Punkt (Br. 52° 19%) der größten Erdkraft, Philos. Transact. for 1846, P. III, p. 237 bis 336; 11) Die periodiſchen Veränderungen der drei Elemente des Erd— magnetismus (Abweichung, Inklination und totaler Kraft) zu To— ronto in Kanada und zu Hobarton auf Vandiemen, und über den Zuſammenhang der zehnjährigen Periode magnetiſcher Ver— änderungen mit der von Schwabe zu Deſſau entdeckten, ebenfalls zehnjährigen Periode der Frequenz von Sonnenflecken, Phil. Trans- act for 1852, P. I, p. 121—124. (Die Variationsbeobachtungen von 1846 und 1851 ſind als Fortſetzung der in Nr. 1 bezeichneten von 1840 bis 1845 zu betrachten.) 1839 Darſtellung der Linien gleicher Neigung und gleicher Intenſität der Erdkraft in den britiſchen Inſeln (magnetic isoclinal and isodynamic Lines, from observations of Humphrey Lloyd, John Phillips, Robert Were Fox, James Ross and Edward Sabine). Schon 1833 hatte die British Association in Cambridge beſchloſſen, daß in mehreren Teilen des Reichs Neigung und In— tenſität beſtimmt werden ſollten; ſchon im Sommer 1834 wurde dieſer Wunſch von Prof. Lloyd und Oberſt Sabine in Erfüllung gebracht und die Arbeit 1835 und 1836 auf Wales und Schott— land ausgedehnt (Stu Report of the British Assoc. in the meet- ing at Newcastle 1838, p. 49— 196; mit einer iſokliniſchen und . Karte der britiſchen Inſeln, die Intenſität in London —1 geſetzt). 1838 — 1843 Die große Entdeckungsreiſe von Sir James Clark Roß nach dem Südpol, gleich bewundernswürdig durch den Gewinn ee für die Kenntnis der Exiſtenz viel bezweifelter Polarländer, als durch das neue Licht, welches die Reiſe über den magnetiſchen Zuſtand großer Erdräume verbreitet hat. Sie umfaßt, alle drei Elemente des telluriſchen Magnetismus numeriſch beſtimmend, faſt 7 ͤ der Area der ganzen hohen Breiten der ſüdlichen Halbkugel. 1839 — 1851 Kreils über zwölf Jahre lang fortgeſetzte Beob- achtungen der Variation ſämtlicher Elemente der Erdkraft und der vermuteten ſoli-lunaren Einflüſſe auf der kaiſ. Sternwarte zu Prag. 1840 Stündliche magnetiſche Beobachtungen mit einer Gambey⸗ ſchen Deklinationsbuſſole während eines zehnjährigen Aufenthalts in Chile von Claudio Gay; ſ. deſſen Historia fisica y politica de Chile, 1847. 1840-1851 Lamont, Direktor der Sternwarte zu München, Reſultate ſeiner magnetiſchen Beobachtungen, verglichen mit denen von Göttingen, die ſelbſt bis 1835 aufſteigen. Erforſchung des wichtigen Geſetzes einer zehnjährigen Periode |j. Zuſatz am Schluß dieſes Bandes] der Deklinationsveränderungen. (Vergl. Lamont in Poggend. Ann. der Phyſ. Bd. 84, 1851, S. 572 282, und Reslhuber Bd. 85, 1852, S. 179— 184.) Der ſchon oben be- rührte mutmaßliche Zuſammenhang zwiſchen der periodiſchen Zu— und Abnahme der Jahresmittel der täglichen Deklinationsvariation der Magnetnadel und der periodiſchen Frequenz der Sonnen- flecken iſt zuerſt von Oberſt Sabine in den Phil. Transact. for 1852, und, ohne daß er Kenntnis von dieſer Arbeit hatte, 4 bis 5 Monate ſpäter von dem gelehrten Direktor der Sternwarte zu Bern, Rudolf Wolf, in den Schriften der ſchweizeriſchen Natur: forſcher verkündigt worden.“ Lamonts Handbuch des Erd— magnetismus (1848) enthält die Angabe der neueſten Mittel der Beobachtung wie die Entwickelung der Methoden. 1840-1845 Bache, Director of the Coast Survey of the United States, Observations made at the magn. and meteorol. Observatory at Girard’s College (Philadelphia), publ. 1847. 1840—1842 Lieut. Gilliß (U. St.) Magnetical and meteoro- logical observations made at Washington, publish. 1847 (p. 2 to 319; magnetic storms p. 336). 1841—1843 Sir Robert Shomburgf, Deklinationsbeobach— tungen in der Waldgegend der Guyana zwiſchen dem Berg Roraima und dem Dörfchen Pirara, zwiſchen den Parallelen von 457“ und 3039“ (Phil. Transact. for 1849, P. II, p. 217). 1841-1845 Magn. and meteorol. observations made at Madras. 1843 — 1844 Magnetiſche Beobachtungen auf der Sternwarte von Sir Thomas Brisbane zu Makerstoun (Roxburghſhire, Schottland), Br. 5534“; ſ. Transact. of the Royal Soc. of Edinb. Vol. XVII, P. 2, p. 188 und Vol. XVIII, p. 46. 1843-1849 Kreil über den Einfluß der Alpen auf Aeußerung der magnetiſchen Erdkraft. (Vergl. Schum. Aſtr. Nachr. Nr. 602.) 1844— 1845 Expedition der Pagoda in hohen antarktiſchen Breiten bis — 64° und — 67°, und Länge 4° bis 117° öſtl., alle drei Elemente des telluriſchen Magnetismus umfaſſend: unter dem Kom— mando des Schiffslieut. Moore, der ſchon in der Nordpolexpedition auf dem Terror geweſen war, und des Artillerielieut. Clerk, früher Direktors des magnetiſchen Obſervatoriums am Vorgebirge der guten Hoffnung; — eine würdige Vervollſtändigung der Ar— beiten von Sir James Clark Roß am Südpol. 1845 Proceedings of the magn. and meteorol, conference held at Cambridge. 1845 Observations made at the magn. and meteorol. Observatory at Bombay under the superintendency of Arthur Bedford Orlebar. Das Obſervatorium iſt auf der kleinen Inſel Colaba erbaut worden. 1845—1850 Sechs Bände Results of the magn. and meteorol. observations made at the royal Observatory at Greenwich. Das magnetiſche Haus wurde 1838 gebaut. 1845 Simonoff, Prof. de Kazan, Recherches sur l'action magnetique de la Terre. 1846—1849 Kap. Elliot (Madras Engineers) Magnetic survey of the Eastern Archipelago; 16 Stationen, jede von mehreren Monaten: auf Borneo, Celebes, Sumatra, den Nico- baren und Keeling⸗Inſeln; mit Madras verglichen, zwiſchen nördl. Breite 16° und ſüdl. Breite 12“, Länge 78° und 123° öſtl. (Phil. Transact for 1851, P. I, p. 287—331 und p. I-CLVI). Bei⸗ gefügt find Karten gleicher Inklination und Deklination, wie hori— zontaler und totaler Kraft. Dieſe Arbeit, welche zugleich die Lage des magnetiſchen Aequators und der Linie ohne Abweichung darſtellt, gehört zu den ausgezeichnetſten und vielumfaſſendſten neuerer Zeit. 1845—1850 Faradays glänzende phyſikaliſche Entdeckungen J) über die axiale (paramagnetiſche) oder äquatoriale (diamagnetiſche) *° Stellung (Richtung), welche frei ſchwingende Körper unter äußerem magnetiſchen Einfluſſe annehmen (Phil. Transact. for 1846, $ 2420 und Phil. Transact. for 1851, P. I, $ 2718 2796); 2) über Be⸗ ziehung des Elektromagnetismns zu einem polariſierten Lichtſtrahle und Drehung des letzteren unter Vermittelung (Dazwiſchenkunft ) des veränderten Molekularzuſtandes derjenigen Materie, durch welche zugleich der polariſierte Lichtſtrahl und der magnetiſche Strom ge— leitet werden (Phil. Transact. for 1846, P. I, $ 2195 und 2215 bis 2221); 3) über die merkwürdige Eigenſchaft des Sauerſtoffgaſes, als des einzigen paramagnetiſchen unter allen Gasarten, einen ſolchen Einfluß auf die Elemente des Erdmagnetismus auszuüben, daß es, weichem Eiſen gleich, nur außerordentlich viel ſchwächer, durch die verteilende Wirkung des Erdkörpers, eines permanent egenwärtigen Magnets, Polarität“ annimmt (Phil. Transact. or 1851, P. I, $ 2297 — 2967). — 33 1849 Emory, Magn. observations made at the Isthmus of Panama. 1849 Prof. William Thomſon in Glasgow, A mathematical Theory of Magnetism, in den Phil. Transact. for 1851, P. I, p. 243 — 285. (Ueber das Problem der Verteilung der magnetiſchen Kraft vgl. § 42 und 56 mit Poiſſon in den Memoires de I'Institut 1811, P. I. p. I. P. H, p. 16 1850 Airy, On the present state and prospects of the science of terrestrial Magnetism, Fragment einer vielverſprechenden Abhandlung. 1852 Kreil, Einfluß des Mondes auf die magnetische Dekli- nation zu Prag in den Jahren 1839 bis 1849. Ueber die früheren Arbeiten dieſes genauen Beobachters, von 1836 bis 1838, ſ. Osser- vazioni sull' intensità e sulla direzione della forza magnetica istituite negli anni 1836-1838 all' I. R. Osservatorio di Milano p. 171, wie auch magnetiſche und meteorologiſche Beobachtungen zu Prag, Bd. I, S. 59. 1852 Faraday, On Lines of magnetic Force and their definite character. 1852 Sabines neue Beweiſe aus Beobachtungen von Toronto, Hobarton, St. Helena und dem Vorgebirge der guten Hoffnung (1841-1851), daß überall in der Morgenſtunde von 7—8 Uhr die Magnetdeklination eine Jahresperiode darbietet, in welcher das nördliche Solſtitium die größte öſtliche Elongation, das ſüdliche Solſtitium die größte weſtliche Elongation offenbaren, ohne daß in dieſen Solſtitialepochen (turning periods) die Temperatur der Atmoſphäre oder der Erdrinde ein Maximum oder ein Minimum erleiden. Vergl. den, noch nicht erſchienenen, zweiten Band der observations made at Toronto p. XVII mit den ſchon oben an⸗ geführten zwei Abhandlungen von Sabine über Einfluß der Sonnen⸗ nähe (Philos. Transact. for 1850, P. I, p. 121). Die chronologiſche Aufzählung der Fortſchritte unſerer Kenntnis von dem Erdmagnetismus in der Hälfte eines Jahrhunderts, in dem ich dieſem Gegenſtande ununterbrochen das wärmſte Intereſſe gewidmet habe, zeigt ein glückliches Streben nach einem zwiefachen Zwecke. Der größere Teil der Arbeiten iſt der Beobachtung der magnetiſchen Thätig- keit des Erdkörpers, der Meſſung nach Raumverhältniſſen und Zeitepochen gewidmet geweſen; der kleinere Teil gehört dem Experimente, dem Hervorrufen von Erſcheinungen, welche auf Ergründung des Weſens jener Thätigkeit ſelbſt, der in⸗ neren Natur der Magnetkraft, zu leiten verheißen. Beide ge N £ > i 5 Be, Wege, meſſende Beobachtung der Aeußerungen des telluri- ſchen Magnetismus (in Richtung und Stärke) und phyſi⸗ kaliſches Experiment über Magnetkraft im allgemeinen, haben gegenſeitig den Fortſchritt unſeres Naturwiſſens belebt. Die Beobachtung allein, unabhängig von jeglicher Hypotheſe über den Kauſalzuſammenhang der Erſcheinungen oder über die bis jetzt unmeßbare, uns unerreichbare Wechſelwirkung der Moleküle im Inneren der Subſtanzen, hat zu wichtigen numerischen Geſetzen geführt. Dem bewundernswürdigen Scharf— ſinn experimentierender Phyſiker iſt es gelungen, Polariſations⸗ eigenſchaften ſtarrer und gasförmiger Körper zu entdecken, von denen man vorher keine Ahnung hatte, und die in eigenem Verkehr mit Temperatur und Luftdruck ſtehen. So wichtig und unbezweifelt auch jene Entdeckungen ſind, können ſie in dem gegenwärtigen Zuſtand unſeres Wiſſens doch noch nicht als befriedigende Erklärungsgründe jener Geſetze betrachtet werden, welche bereits in der Bewegung der Magnetnadel erkannt worden ſind. Das ſicherſte Mittel, zur Erſchöpfung des veränderlich Meßbaren im Raume wie zu der Ermeite- rung und Vollendung der, von Gauß ſo großartig entworfenen, mathematiſchen Theorie des Erdmagnetismus zu gelangen, iſt das Mittel der gleichzeitig an vielen gut ausgewählten Punkten der Erde fortgeſetzten Beobachtung aller drei Ele⸗ mente der magnetiſchen Thätigkeit. Was ich ſelbſt aber Ruhm⸗ volles von der Verbindung des Experimentes und der mathe— matiſchen Gedankenverbindung erwarte, habe ich bereits an einem anderen Orte ausgeſprochen und durch Beiſpiele er⸗ läutert. Alles was auf unſerem Planeten vorgeht, kann nicht ohne kosmiſchen Zuſammenhang gedacht werden. Das Wort Planet führt uns an ſich ſchon auf Abhängigkeit von einem Centralkörper, auf die Verbindung mit einer Gruppe von Himmelskörpern ſehr verſchiedener Größe, die wahrſcheinlich einen gleichen Urſprung haben. Sehr früh wurde der Einfluß des Sonnenſtandes auf die Aeußerung der Magnetkraft der Erde anerkannt, deutlichſt bei Entdeckung der ſtündlichen Ab- weichung, dunkler, wie Kepler ein Jahrhundert vorher ahnte, daß alle Achſen der Planeten nach einer Weltgegend mag: netiſch gerichtet ſeien. Kepler ſagt ausdrücklich, „daß die Sonne ein magnetiſcher Körper ſei, und daß deshalb in der Sonne die Kraft liege, welche die Planeten bewege“. Maſſen⸗ anziehung und Gravitation erſchienen damals unter dem Symbol — 606 magnetiſcher Attraktion. Horrebow, ** der Gravitation nicht mit Magnetismus verwechſelte, hat wohl zuerſt den Lichtprozeß „ein perpetuierlich im Sonnendunſtkreiſe durch mag— netiſche Kräfte vorgehendes Nordlicht“ genannt. Unſeren Zeiten näher (und dieſer Unterſchied der Meinungen iſt ſehr bemerkenswert) ſind die Anſichten über die Art der Ein— wirkung der Sonne entſchieden geteilt aufgetreten. Man hat ſich entweder vorgeſtellt, daß die Sonne, ohne ſelbſt magnetiſch zu ſein, auf den Erdmagnetismus nur tem- peraturverändernd wirke (Canton, Ampere, Chriſtie, Lloyd, Airy), oder man glaubt, wie Coulomb, die Sonne von einer magnetiſchen Atmoſphäre umhüllt, welche ihre Wirkung auf den Magnetismus der Erde durch Verteilung ausübe. Wenn— gleich durch Faradays ſchöne Entdeckung von der paramag— netiſchen Eigenſchaft des Sauerſtoffgaſes die große Schwierig: keit gehoben wird, ſich, nach Canton, die Temperatur der feſten Erdrinde und der Meere als unmittelbare Folge des Durchganges der Sonne durch den Ortsmeridian ſchnell und beträchtlich erhöht vorſtellen zu müſſen, ſo hat doch die voll— ſtändige Zuſammenſtellung und ſcharfſinnige Diskuſſion alles meßbar Beobachteten durch den Oberſt Sabine als Reſultat ergeben, daß die bisher beobachteten periodiſchen Variationen der magnetiſchen Thätigkeit des Erdkörpers nicht ihre Urſache in den periodischen Temperaturveränderungen des uns zugäng⸗ lichen Luftkreiſes haben. Weder die Hauptepochen der täg- lichen oder jährlichen Veränderungen der Deklination zu verſchiedenen Stunden des Tages und der Nacht (und die jährlichen hat Sabine zum erſtenmal, nach einer übergroßen Zahl von Beobachtungen, genau darſtellen können), noch die Perioden der mittleren Intenſität der Erdkraft ftimmen *° mit den Perioden der Maxima und Minima der Temperatur der Atmoſphäre oder der oberen Erdrinde überein. Die Wendepunkte in den wichtigſten magnetiſchen Erſcheinungen ſind die Solſtitien und Aequinoktien. Die Epoche, in welcher die Intenſität der Erdkraft am größten iſt und in beiden Hemiſphären die Inklinationsnadel dem vertikalen Stande ſich am nächſten zeigt, iſt die der größten Sonnennähe,““ wenn zugleich die Erde die größte Translationsgeſchwindigkeit in ihrer Bahn hat. Nun aber ſind ſich in der Zeit der Sonnennähe (Dezember, Januar und Februar) wie in der Sonnenferne (Mai, Juni und Juli) die Temperaturverhält⸗ niſſe der Zonen diesſeits und jenſeits des Aequators geradezu 8 entgegengeſetzt, die Wendepunkte der ab- und zunehmenden Intenſität, Deklination und Inklination können alſo nicht der Sonne als wärmendem Prinzip zugeſchrieben werden. Jahresmittel aus den Beobachtungen von München und Göttingen haben dem thätigen Direktor der königl. bayriſchen Sternwarte, Prof. Lamont, das merkwürdige Geſetz einer Periode von 10 ½ Jahren in den Veränderungen der Dekli— nation offenbart. In der Periode von 1841 bis 1850 er⸗ reichten die Mittel der monatlichen Deklinationsveränderungen ſehr regelmäßig ihr Minimum 1843 ½, ihr Maximum 1848 ½. Ohne dieſe europäiſchen Reſultate zu kennen, hatte die Ber: gleichung der monatlichen Mittel derſelben Jahre 1843 bis 1848, aus Beobachtungen von Orten gezogen, welche faſt um die Größe der ganzen Erdachſe voneinander entfernt liegen (Toronto in Kanada und Hobarton auf Vandiemensinſel), den Oberſt Sabine auf die Exiſtenz einer periodiſch wirkenden Störungsurſache geleitet. Dieſe iſt von ihm als eine rein kosmiſche in den ebenfalls zehnjährigen periodiſchen Ver— änderungen der Sonnenatmoſphäre gefunden worden. Der fleißigſte Beobachter der Sonnenflecken unter den jetzt lebenden Aſtronomen, Schwabe, hat (wie ich ſchon an einem anderen Orte entwickelt) in einer langen Reihe von Jahren (1826 bis 1850) eine periodiſch wechſelnde Frequenz der Sonnenflecken aufgefunden, dergeſtalt, daß ihr Maximum in die Jahre 1828, 1837 und 1848, ihr Minimum in die Jahre 1833 und 1843 gefallen iſt. „Ich habe,“ ſetzt er hinzu, „nicht Gelegenheit gehabt, eine fortlaufende Reihe älterer Beobachtungen zu unterſuchen, ſtimme aber gern der Meinung bei, daß dieſe Periode ſelbſt wieder veränderlich ſein könne.“ Etwas einer ſolchen Veränderlichkeit Analoges, Perioden in den Perio— den, bieten uns allerdings auch Lichtprozeſſſe in anderen ſelbſtleuchtenden Sonnen dar. Ich erinnere an die von Goodricke und Argelander ergründeten, ſo komplizierten Intenſitätsver⸗ änderungen von 8 Lyrae und Mira Ceti. Wenn, nach Sabine, der Magnetismus des Sonnen— körpers ſich durch die in der Sonnennähe vermehrte Erdkraft offenbart, ſo iſt es um ſo auffallender, daß nach Kreils gründlichen Unterſuchungen über den magnetiſchen Mond— einfluß dieſer ſich bisher weder in der Verſchiedenheit der Mondphaſen noch in der Verſchiedenheit der Entfernung des Mondes von der Erde bemerkbar gemacht hat. Die Nähe des Mondes ſcheint im Vergleich mit der Sonne nicht — 0.8 die Kleinheit der Maſſe zu kompenſieren. (S. Zuſatz am Schluß dieſes Bandes.) Das Hauptergebnis der Unterſuchung über den magnetiſchen Einfluß der Erdſatelliten, welcher nach Melloni nur eine Spur von Wärmeerregung zeigt, iſt, daß die magnetiſche Deklination auf unſerer Erde im Verlauf eines Mondtages eine regelmäßige Aenderung erleidet, indem dieſelbe zu einem zweifachen Maximum und zu einem zwei— fachen Minimum gelangt. „Wenn der Mond,“ ſagt Kreil ſehr richtig, „keine (für die gewöhnlichen Wärmemeſſer) er⸗ kennbare Temperaturveränderung auf der Erdoberfläche hervor— bringt, ſo kann er auch in der Magnetkraft der Erde keine Aenderung auf dieſem Wege erzeugen; wird nun dem: ungeachtet eine ſolche bemerkt, ſo muß man daraus ſchließen, daß ſie auf einem anderen Wege als durch Erwärmung hervor— gebracht werde.“ Alles, was nicht als das Produkt einer einzigen Kraft auftritt, kann, wie beim Monde, erſt durch Ausſcheidung vieler fremdartigen Störungselemente als für ſich beſtehend erkannt werden. Werden nun auch bis jetzt die entſchiedenſten und größten Variationen in den Aeußerungen des telluriſchen Magnetismus nicht durch Maxima und Minima des Temperaturwechſels befriedigend erklärt, ſo iſt doch wohl nicht zu bezweifeln, daß die große Entdeckung der polariſchen Eigenſchaft des Sauer— ſtoffes in der gasförmigen Erdumhüllung, bei tieferer und vollſtändigerer Einſicht in den Prozeß magnetiſcher Thätig— keit, in naher Zukunft zum Verſtehen der Geneſis dieſes Prozeſſes ein Element darbieten wird. Es iſt bei dem har⸗ moniſchen Zuſammenwirken aller Kräfte undenkbar, daß die eben bezeichnete Eigenſchaft des Sauerſtoffes und ihre Modi— fikation durch Temperaturerhöhung keinen Anteil an dem Hervorrufen magnetiſcher Erſcheinungen haben ſollte. Iſt es, nach Newtons Ausſpruch, ſehr wahrſcheinlich, daß die Stoffe, welche zu einer Gruppe von Weltkörpern (zu einem und demſelben Planetenſyſtem) gehören, großen: teils dieſelben ſind, ſo ſteht durch induktive Schlußart zu vermuten, daß nicht auf unſerem Erdball allein der gravi⸗ tierenden Materie eine elektromagnetiſche Thätigkeit verliehen ſei. Die entgegengeſetzte Annahme würde kosmiſche Anſichten mit dogmatiſcher Willkür einengen. Coulumbs Hypotheſe über den Einfluß der magnetiſchen Sonne auf die magnetiſche Erde widerſpricht keiner Analogie des Erforſchten. Wenn wir nun zu der rein objektiven Darſtellung der — — 63 — magnetiſchen Erſcheinungen übergehen, wie ſie unſer Planet in den verſchiedenen Teilen ſeiner Oberfläche und in ſeinen ver: ſchiedenen Stellungen zum Centralkörper darbietet, ſo müſſen wir in den numeriſchen Reſultaten der Meſſung genau die Veränderungen unterſcheiden, welche in kurze oder ſehr lange Perioden eingeſchloſſen ſind. Alle ſind voneinander abhängig, und in dieſer Abhängigkeit ſich gegenſeitig verſtärkend oder teilweiſe aufhebend und ſtörend, wie in bewegten Flüſſigkeiten Wellenkreiſe, die ſich durchſchneiden. Zwölf Objekte bieten ſich der Betrachtung vorzugsweiſe dar: zwei Magnetpole, ungleich von den Rotationspolen der Erde entfernt, in jeder Hemiſphäre einer; es ſind Punkte des Erdſphäroids, in denen die magnetiſche In⸗ klination — 90° iſt und in denen alſo die horizontale Kraft verſchwindet; der magnetiſche Aequator, die Kurve, auf welcher die Inklination der Nadel = 0 iſt; die Linien gleicher Deklination und die, auf welchen die Deklination — 0 iſt (iſogoniſche Linien und Linien ohne Abweichung); die Linien gleicher Inklination liſokliniſche Linien); die vier Punkte größter Intenſität der magnetiſchen Erdkraft, zwei von ungleicher Stärke in jeder Hemiſphäre; die Linien gleicher Erdkraft (iſodynamiſche Linien); die Wellenlinie, welche auf jedem Meridian die Erdpunkte ſchwächſter Intenſität der Kraft mitein⸗ ander verbindet und auch bisweilen ein dynamiſcher Aequator genannt“ worden iſt; es fällt dieſe Wellen- linie weder mit dem geographiſchen noch mit dem mag— netiſchen Aequator zuſammen; die Begrenzung der Zone meiſt ſehr ſchwacher Intenſität, in der die ſtündlichen Veränderungen der Magnetnadel, nach Verſchiedenheit der Jahreszeiten, abwechſelnd ver⸗ mittelnd?? an den Erſcheinungen beider Halb: kugeln teilnehmen. Ich habe in dieſer Auffaſſung das Wort Pol allein für die zwei Erdpunkte, in denen die horizontale Kraft ver⸗ ſchwindet, beibehalten, weil oft, wie ſchon bemerkt worden if in neuerer Zeit dieſe Punkte (die wahren Magnetpole), denen die Intenſitätsmaxima keineswegs liegen, mit den 155 Erdpunkten größter Intenſität verwechſelt worden find.>® Auch hat Gauß gezeigt, daß es ſchädlich ſei, die Chorde, welche die beiden Punkte verbindet, in denen auf der Erd— oberfläche die Neigung der Nadel — 90° iſt, durch die Be: nennung magnetiſche Achſe der Erde auszeichnen zu wollen. Der innige Zuſammenhang, welcher zwiſchen den hier aufgezählten Gegenſtänden herrſcht, macht es glücklicher— weiſe möglich, die verwickelten Erſcheinungen des Erdmag— netismus nach drei Aeußerungen der einigen, thätigen Kraft (Intenſität, Inklination und Deklination) unter drei Geſichtspunkte zu konzentrieren. Intenſität. Die Kenntnis des wichtigſten Elementes des telluriſchen Magnetismus, die unmittelbare Meſſung der Stärke der totalen Erdkraft iſt ſpät erſt der Kenntnis von den Verhält⸗ niſſen der Richtung dieſer Erdkraft in horizontaler und ver⸗ tikaler Ebene (Deklination und Inklination) gefolgt. Die Schwingungen, aus deren Dauer die Intenſität geſchloſſen wird, ſind erſt am Schluß des 18. Jahrhunderts ein Gegen— ſtand des Experimentes, in der erſten Hälfte des 19. ein Gegenſtand ernſter und fortgeſetzter Unterſuchung geworden. Graham (1723) maß die Schwingungen ſeiner Inklinations⸗ nadel, in der Abſicht, zu verſuchen, ob ſie konſtant wären, und um das Verhältnis der ſie dirigierenden Kraft zur Schwere zu finden. Der erſte Verſuch, die Intenſität des Magnetismus an voneinander weit entfernten Punkten der Erde durch die Zahl der Oszillationen in gleichen Zeiten zu prüfen, geſchah durch Mallet (1769). Er fand mit ſehr unvollkommenen Appa⸗ raten die Zahl der Oszillationen zu Petersburg (Br. 59° 56‘) und zu Ponoi (67° 4 völlig gleich, woraus die, bis auf Cavendiſh fortgepflanzte irrtümliche Meinung entſtand, daß die Intenſität der Erdkraft unter allen Zonen dieſelbe ſei. Borda hatte zwar nie, wie er mir oft erzählt, aus theoreti: ſchen Gründen dieſen Irrtum geteilt, ebenſowenig als vor ihm le Monnier; aber auch Borda hinderte die Unvollkommenheit ſeiner Neigungsnadel (die Friktion, welche dieſelbe auf den Zapfen erlitt), Unterſchiede der Magnetkraft während ſeiner Expedition nach den Kanariſchen Inſeln (1776) zwiſchen Paris, Toulon, Sta. Cruz de Tenerifa und Goree in Senegambien, in einem Raume von 35 Breitengraden zu entdecken (Voyage 1 a de la Pérouse, T. I, p. 162). Mit verbeſſerten Inſtru— menten wurden zum erſtenmal dieſe Unterſchiede auf der un— glücklichen Expedition von La Pérouſe in den Jahren 1785 und 1787 von Lamanon aufgefunden und von Macao aus dem Sekretär der Pariſer Akademie mitgeteilt. Sie blieben, wie ich ſchon früher (Bd. IV, S. 45) erinnert, unbeachtet und, wie ſo vieles andere, in den akademiſchen Archiven ver— graben. Die erſten öffentlichen Intenſitätsbeobachtungen, eben— falls auf Bordas Aufforderungen angeſtellt, ſind die meiner Reiſe nach den Tropenländern des neuen Kontinentes von den Jahren 1798 bis 1804. Frühere von meinem Freunde de Roſſel (1791 und 1794) in den indiſchen Meeren einge— ſammelte Reſultate über die magnetiſche Erdkraft ſind erſt vier Jahre nach meiner Rückkunft aus Mexiko im Druck er— ſchienen. Im Jahre 1829 wurde mir der Vorzug, die Arbeit über Intenſität und Inklination von der Südſee aus noch volle 188 Längengrade gegen Oſten bis in die chineſiſche Dſungarei fortſetzen zu können, und zwar 2s dieſer Erd— hälfte durch das Innere der Kontinente. Die Unterſchiede der Breite ſind 72“ (von 60° nördlicher bis 12° ſüdlicher Breite) geweſen. Wenn man die Richtung der einander umſchließenden iſodynamiſchen Linien (Kurven gleicher Intenſität) ſorg— fältig verfolgt und von den äußeren, ſchwächeren, zu den inneren, allmählich ſtärkeren, übergeht, ſo werden bei der Be— trachtung der telluriſchen Kraftverteilung des Magnetis— mus für jede Hemiſphäre in ſehr ungleichen Abſtänden von den Rotations⸗ wie von den Magnetpolen der Erde, zwei Punkte (foci) der Maxima der Intenſität, ein ſtärkerer und ein ſchwächerer, erkannt. Von dieſen 4 Erdpunkten liegt in der nördlichen Hemiſphäre?“ der ſtärkere (amerikaniſche) in Br. + 52° 19“ und Länge 9420“ W., der ſchwächere (oft der ſibiriſche genannt) in Br. + 70 , Länge 117° 40“ O., vielleicht einige Grade minder öſtlich. Auf der Reiſe von Parſchinsk nach Jakutsk fand Erman (1829) die Kurve der größten Intenſität (1,742) bei Bereſowski Oſtrow in Länge 115° 31° O., Br. + 50% 44° (Erman, Magnet. Beob. S. 172 und 540; Sabine in den Phil. Transact. for 1850, P. I, p. 218). Von beiden Beſtimmungen iſt die des amerikaniſchen Fokus beſonders der Breite nach ſichrere, „der Länge nach wahrſcheinlich etwas zu weſtlich“. Das Oval, A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 5 — welches den ſtärkeren nördlichen Fokus einſchließt, liegt dem— nach im Meridian des Weſtendes des Lake Superior, zwi— ſchen der ſüdlichen Extremität der Hudſonsbai und der des kanadiſchen Sees Winipeg. Man verdankt dieſe Beſtimmung der wichtigen Landexpedition des ehemaligen Direktors der magnetiſchen Station von St. Helena, des Artilleriehaupt— manns Lefroy, im Jahre 1843. „Das Mittel der Lemnis— cate, welche den ſtärkeren und ſchwächeren Fokus verbindet, ſcheint nordöſtlich von der Beringsſtraße, näher dem aſiatiſchen Fokus als dem amerikaniſchen, zu liegen.“ Als ich in der peruaniſchen Andeskette der ſüdlichen Hemiſphäre, in Br. — 7° 2“ und Länge 818“ W., den magnetischen Aequator, die Linie, auf der die Neigung — 0 iſt, zwiſchen Micuipampa und Caxamarca (1802) durchſchnitt und von dieſem merkwürdigen Punkte an die Intenſität gegen Norden und Süden hin wachſen ſah, ſo entſtand in mir, da es damals und noch lange nachher an allen Vergleichungs— punkten fehlte, durch eine irrige Verallgemeinerung des Beob— achteten, die Meinung, daß vom magnetiſchen Aequator an die Magnetkraft der Erde bis nach beiden Magnetpolen un⸗ unterbrochen wachſe, und daß wahrſcheinlich in dieſen (da, wo die Neigung — 90° wäre) das Maximum der Erdkraft liege. Wenn man zum erſtenmal einem großen Naturgeſetz auf die Spur kommt, jo bedürfen die früh aufgefaßten An- ſichten meiſt einer ſpäteren Berichtigung. Sabine hat durch eigene Beobachtungen (1818 bis 1822), die er in ſehr ver⸗ ſchiedenen Zonen anſtellte, wie durch ſcharfſinnige Zuſammen— ſtellung vieler fremder (da die Schwingungsverſuche von ver— tikalen und horizontalen Nadeln nach und nach allgemeiner wurden) erwieſen, daß Intenſität und Neigung ſehr verſchieden— artig modifiziert werden, daß das Minimum der Erdkraft in vielen Punkten fern von dem magnetiſchen Aequator liege, ja, daß in den nördlichſten Teilen von Kanada und des ark— tiſchen Hudſonlandes von Breite 52 bis zum Magnetpole (Br. 70°) unter dem Meridian von ungefähr 94“ bis 95° weſtl. Länge, die Intenſität, ſtatt zu wachſen, abnimmt. In dem von Lefroy aufgefundenen kanadiſchen Fokus der größten Intenſität in der nördlichen Hemiſphäre war 1855 die Neigung der Nadel erſt 73° 7°, und in beiden Hemiſphären findet man die Maxima der Erdkraft neben vergleichungsweiſe ge- ringer Neigung. So vortrefflich und reichhaltig auch die Fülle der Inten- EINE ſitätsbeobachtungen iſt, die wir den Expeditionen von Sir James Roß, von Moore und Clerk in den antarktiſchen Polar— meeren verdanken, ſo bleibt doch noch über die Lage des ſtär— keren und ſchwächeren Fokus in der ſüdlichen Halbkugel viel Zweifel übrig. Der erſte der eben genannten Seefahrer hat die iſodynamiſchen Kurven vom höchſten Wert der Inten— ſität mehrfach durchſchnitten, und nach einer genauen Dis- kuſſion ſeiner Beobachtungen ſetzt Sabine den einen Fokus in Br. — 64° und Länge 135 10, Oſt. Roß ſelbſt, in dem Bericht jeiner großen Reiſe, vermutete den Fokus in der Nähe der von d' Urville entdeckten Terre d’Adelie, alſo un- gefähr in Br. — 60°, Länge 137° 40° Oſt. Dem anderen Fokus meinte er ſich zu nahen in — 60° Br. und 127° 20“ weſtlicher Länge, war aber doch geneigt, denſelben viel ſüd— licher, unweit des Magnetpoles, alſo in einen öſtlicheren Meridian, zu ſetzen.““ Nach Feſtſetzung der Lage der 4 Maxima der Intenſität muß das Verhältnis der Kräfte ſelbſt angegeben werden. Dieſe Angaben geſchehen entweder nach dem mehrfach be— rührten älteren Herkommen, d. i. in Vergleich mit der In⸗ tenſität, welche ich in einem Punkte des Aequators gefunden, den die peruaniſche Andeskette in Br. — 70° 2° und Länge 818“ W. durchſchneidet, oder nach den früheſten Vorſchlägen von Poiſſon und Gauß in abſoluter Meſſung. Nach der relativen Skale, wenn die Intenſität auf dem eben bezeich— neten Erdpunkte im magnetiſchen Aequator — 1,000 geſetzt wird, ſind, da man das Intenſitätsverhältnis von Paris im Jahre 1827 (Bd. IV, S. 50) zu dem von London ermittelt hat, die Intenſitäten in dieſen zwei Städten 1,348 und 1,372. Ueberſetzt man dieſe Zahlen in die abſolute Skale, jo würden ſie ungefähr 10,20 und 10,38 heißen und die Inten— fität, welche für Peru = 1,000 geſetzt worden iſt, würde nach Sabine in abſoluter Skale = 7,57 ſein, alſo ſogar noch größer, als die Intenſität in St. Helena, die in derſelben abſoluten Skale =6,4 iſt. Alle dieſe Zahlen werden noch wegen Ver— ſchiedenheit der Jahre, in denen die Vergleichungen geſchahen, neue Veränderungen erleiden. Sie ſind in beiden Skalen, der relativen (arbitrary scale) und der, vorzuziehenden, ab- ſoluten, nur als proviſoriſch zu betrachten, aber auch bei dem jetzigen unvollkommeneren Grade ihrer Genauigkeit werfen ſie ein helles Licht auf die Verteilung der Erdkraft, ein Element, über das man noch vor einem halben Jahrhunderte in der — tiefſten Unwiſſenheit war. Sie gewähren, was kosmiſch am wichtigſten iſt, hiſtoriſche Ausgangspunkte für die Kraft⸗ veränderungen, welche künftige Jahrhunderte offenbaren werden, vielleicht durch Abhängigkeit der Erde von der auf ſie einwir— kenden Magnetkraft der Sonne. In der nördlichen Hemiſpäre iſt am befriedigendſten durch Lefroy die Intenſität des ſtärkeren kanadiſchen Fokus (unter Br. 52 19“, Länge 94 20“ W.) beſtimmt. Es wird die⸗ ſelbe in der relativen Skale durch 1,878 ausgedrückt, wenn die Intenſität von London 1,372 iſt, in der abſoluten Skale durch 14,21. Schon in New York (Br. + 40 42“ hatte Sa⸗ bine die Magnetkraft nicht viel ſchwächer (1,803) gefunden. Für den ſchwächeren ſibiriſchen, nördlichen Fokus (Br.? + 70% Lg. 117° 40“ O.) wird fie von Erman in relativer Skale 1,74, von Hanſteen 1,76, d. i. in abſoluter Skale zu 13,3 angegeben. Die antarktiſche Expedition von Sir James Roß hat gelehrt, daß der Unterſchied der beiden Foci in der ſüdlichen Hemiſphäre wahrſcheinlich ſchwächer als in der nörd— lichen iſt, aber daß jeder der beiden ſüdlichen Foci die beiden nördlichen an Kraft überwiegt. Die Intenſität iſt in dem ſtärkeren ſüdlichen Fokus (Br. — 64°, Lg. 135° 10“ O.) in der relativen Sfale?® wenigſtens 2,06, in abſoluter Skale 15,60, in dem ſchwächeren ſüdlichen Fokus (Br. — 60°, Lg. 127° 20° W. 2), ebenfalls nach Sir James Roß, in relativer Skale 1,96, in abſoluter Skale 14,90. Der größere oder geringere Abſtand der beiden Foei derſelben Hemiſphäre von⸗ einander iſt als ein wichtiges Element ihrer individuellen Stärke von der ganzen Verteilung des Magnetismus erkannt worden. „Wenn auch die Foci der ſüdlichen Halbkugel eine auffallend ſtärkere Intenſität (in abſolutem Maß 15,60 und 14,90) darbieten, als die Foci der nördlichen Halbkugel (14,21 und 13,30), ſo wird doch im ganzen die Magnetkraft der einen Halbkugel für nicht größer als die der anderen erachtet. Ganz anders iſt es aber, wenn man das Erdſphäroid in einen öſtlichen und weſtlichen Teil nach den Meridianen von 100° und 280° (Greenwicher Länge von Weit nach Oſt ge- rechnet) dergeſtalt ſchneidet, daß die öſtliche Hemiſphäre (die mehr kontinentale) Südamerika, den Atlantiſchen Ozean, Eu⸗ ropa, Afrika und Aſien faſt bis zum Baikal, die weſtliche (die mehr ozeaniſche und inſulare) faſt ganz Nordamerika, die weite Südſee, Neuholland und einen Teil von Oſtaſien ein⸗ ſchließt.“ Die bezeichneten Meridiane liegen, der eine un⸗ rn * gefähr 4° weſtlich von Singapur, der andere 13° weſtlich vom Kap Horn, im Meridian ſelbſt von Guayaquil. Alle 4 Foci des Maximums der Magnetkraft, ja die zwei Magnet— pole gehören der weſtlichen Hemiſphäre an.““ Adolf Ermans wichtiger Beobachtung der kleinſten Inten— ſitat im Atlantiſchen Ozean öſtlich von der braſilianiſchen Pro— vinz Espiritu Santo (Br. — 20°, Lg. 37° 24° W.) ward bereits im Naturgemälde gedacht. Er fand in relativer Skale 0,7062 (in abſoluter 3,35). Dieſe Region der ſchwächſten Intenſität iſt auch auf der antarktiſchen Expedition von Sir James Roß zweimal durchſchnitten worden, zwiſchen Br. — 19° und — 21°, ebenſo von Lieutenant Sulivan und Dunlop auf ihrer Fahrt nach den Falklandsinſeln.!“ Auf der iſo— dynamiſchen Karte des ganzen Atlantiſchen Ozeans hat Sabine die Kurve der kleinſten Intenſität, welche Roß den Equator of less intensity nennt, von Küſte zu Küſte dargeſtellt. Sie ſchneidet das weſtafrikaniſche Litorale von Benguela bei der portugieſiſchen Kolonie Moſſamedes (Br. — 15°), hat in der Mitte des Ozeans ihren konkaven Scheitel in Lg. 20° 20 W. und erhebt ſich zur braſilianiſchen Küſte bis — 20° Breite. Ob nicht nördlich vom Aequator (Br. + 10° bis 12°), etwa 20 Grade öſtlich von den Philippinen, eine andere Zone ziemlich ſchwacher Intenſität (0,97 relative Skale) liegt, werden fünf- tige Unterſuchungen in ein klareres Licht ſetzen. An dem früher von mir gegebenen Verhältnis der ſchwächſten Erdkraft zur ſtärkſten, die bisher aufgefunden iſt, glaube ich nach den jetzt vorhandenen Materialien wenig ändern zu müſſen. Das Verhältnis fällt zwiſchen 1:2 und faſt 1:3, der letzteren Zahl näher; die Verſchiedenheit der Angaben“ entſteht daraus, daß man bald Minima allein, bald Minima und Maxima zugleich etwas willkürlich verän— dert. Sabine hat das große Verdienſt, zuerſt auf die Wich—⸗ tigkeit des dynamiſchen Aequators (Kurve der ſchwäch— ſten Intenſität) aufmerkſam gemacht zu haben. „Dieſe Kurve verbindet die Punkte jedes geographiſchen Meridians, in denen die Erdkraft am geringſten iſt. Sie läuft in vielfachen Un⸗ dulationen um den Erdkreis, zu beiden Seiten derſelben nimmt die Erdkraft gegen die höheren Breiten jeglicher Hemiſphäre zu. Sie bezeichnet dergeſtalt die Grenze zwiſchen den beiden magnetiſchen Halbkugeln auf eine noch entſchiedenere Weiſe als der magnetiſche Aequator, auf welchem die Richtung der Magnetkraft ſenkrecht auf der Richtung der Schwerkraft ſteht. — 8 Für die Theorie des Magnetismus iſt alles, was ſich un: mittelbar auf die Kraft bezieht, von noch größerer Wichtigkeit, als was ſich auf die Richtung der Nadel, auf ihre horizon— tale oder ſenkrechte Stellung, bezieht. Die Krümmungen des dynamiſchen Aequators ſind mannigfach, da ſie von Kräften abhängen, welche vier Punkte (Foci) der größten Erdkraft, un— ſymmetriſch und unter ſich wieder an Stärke verſchieden, her— vorbringen. Merkwürdig in dieſen Inflexionen iſt beſonders die große Konvexität gegen den Südpol im Atlantiſchen Ozean, zwiſchen den Küſten von Braſilien und dem Vorgebirge der guten Hoffnung.“ Nimmt die Intenſität der Erdkraft in uns erreichbaren Höhen bemerkbar ab? im Inneren der Erde bemerkbar zu? Das Problem, welches dieſe Fragen zur Löſung vorlegt, iſt für Beobachtungen, die in oder auf der Erde gemacht werden, überaus kompliziert, weil, um die Wirkung beträchtlicher Höhen auf Gebirgsreiſen miteinander zu vergleichen, wegen der großen Maſſe der Berge die oberen und unteren Stationen ſelten einander nahe genug liegen, weil die Natur des Geſteins und die gangartig einbrechenden, nicht ſichtbaren Mineralien, ja die nicht genugſam bekannten ſtündlichen und zufälligen Ber: änderungen der Intenſität bei nicht ganz gleichzeitigen Beob— achtungen die Reſultate modifizieren. Es wird ſo oft der Höhe (oder Tiefe) allein zugeſchrieben, was beiden keineswegs angehört. Zahlreiche Bergwerke, welche ich in Europa, in Peru, Mexiko und Sibirien zu ſehr beträchtlichen Tiefen be— ſucht, haben mir nie Lokalitäten geboten, die irgend ein Ver: trauen“? einflößen konnten. Dazu ſollte man bei Angabe der Tiefen die perpendikularen Unterſchiede + und —, vom Meer: horizonte an gerechnet (der eigentlichen mittleren Oberfläche des Erdſphäroids), nicht außer acht laſſen. Die Grubenbaue zu Joachimsthal in Böhmen haben faſt 2000 Fuß (650 m) abſoluter Tiefe erreicht und gelangen doch nur zu einer Ge— ſteinſchicht, die drittehalbhundert Fuß (81m) über dem Meeresſpiegel liegt. Ganz andere und günſtigere Verhältniſſe bieten die Luftfahrten dar. Gay-Luſſac hat ſich bis zu 21600 Fuß (7016 m) Höhe über Paris erhoben, alſo iſt die größte relative Tiefe, welche man in Europa mit Bohr⸗ löchern erreicht hat, kaum r jener Höhe. Meine eigenen Gebirgsbeobachtungen zwiſchen den Jahren 1799 und 1806 haben mir die Abnahme der Erdkraft mit der Höhe im ganzen wahrſcheinlich gemacht, wenngleich (aus den oben an— EN geführten Störungsurſachen) mehrere Reſultate dieſer vermuteten Abnahme widerſprechen. Ich habe Einzelheiten aus meinen 125 Intenſitätsmeſſungen in der Andeskette, den Schweizer Alpen, Italien und Deutſchland ausgewählt und in einer Note‘? zuſammengeſtellt. Die Beobachtungen gehen von der Meeresfläche bis zu einer Höhe von 14960 Fuß (4860 m), bis zur Grenze des ewigen Schnees, aber die größten Höhen haben mir nicht die ſicherſten Reſultate gegeben. Am be— friedigendſten ſind geweſen der ſteile Abfall der Silla de Caracas, 8105 Fuß (2632 m), nach der ganz nahen Küſte von la Guayra, das gleichſam über der Stadt Bogota ſchwe— bende Santuario de Ntr2 St de Guadalupe, auf einem Ab- ſatz gegründet an ſteiler Felswand von Kalkſtein, mit einem Höhenunterſchied von faſt 2000 Fuß (650 m), der Vulkan von Puracé, 8200 Fuß (2663 m) hoch über der Plaza mayor der Stadt Popayan. Kupffer im Kaukaſus,““ Forbes in vielen Teilen von Europa, Laugier und Mauvais auf dem Canigou, Bravais und Martins auf dem Faulhorn und bei ihrem kühnen Aufenthalte ganz nahe dem Gipfel des Mont— blanc haben allerdings die mit der Höhe abnehmende Inten— ſität des Magnetismus bemerkt, ja die Abnahme ſchien nach der allgemeinen Diskuſſion von Bravais ſogar ſchneller in den Pyrenäen als in der Alpenkette.““ Quetelets ganz entgegengeſetzte Reſultate auf einer Reiſe von Genf nach dem Col de Balme und dem Großen Bern— hard machen, zu einer endlichen und entſcheidenden Beant— wortung einer ſo wichtigen Frage, es doppelt wünſchenswert, daß man ſich von der Erdoberfläche gänzlich entferne, und von dem einzigen ſicheren, ſchon im Jahre 1804 von Gay— Luſſac erſt gemeinſchaftlich mit Biot (24. Auguſt) und dann allein (16. September) angewandten Mittel des Aeroſtats, in einer Reihe aufeinander folgender Verſuche, Gebrauch mache. Oszillationen, in Höhen von mehr als 18 000 Fuß (5850 m) gemeſſen, können uns jedoch über die in der freien Atmoſphäre fortgepflanzte Erdkraft nur dann mit Sicherheit belehren, wenn vor und nach der Luftfahrt die Temperaturkorrektion in den angewandten Nadeln auf das genaueſte ermittelt wird. Die Vernachläſſigung einer ſolchen Korrektion hatte aus den Verſuchen Gay⸗Luſſacs das irrige Reſultat ziehen laſſen, daß die Erdkraft bis 21600 Fuß (7016 m) Höhe dieſelbe bliebe, während umgekehrt der Verſuch eine Abnahme der Kraft er— wies, wegen Verkürzung der oszillierenden Nadel in der oberen — E falten Region. Auch iſt Faradays glänzende Entdeckung der paramagnetiſchen Kraft des Oxygens bei dem Gegenſtande, welcher uns hier beſchäftigt, keineswegs außer acht zu laſſen. Der große Phyſiker macht ſelbſt darauf aufmerkſam, daß in den hohen Schichten der Atmoſphäre die Abnahme der Sn: tenſität gar nicht bloß in der Entfernung von der Urquelle der Kraft (dem feſten Erdkörper) zu ſuchen ſei, ſondern daß ſie ebenſo gut von dem ſo überaus verdünnten Zuſtande der Luft herrühren könne, da die Quantität des Oxygens in einem Kubikfuß atmoſphäriſcher Luft oben und unten verſchieden ſei. Mir ſcheint es indes, daß man zu nicht mehr berechtigt ſei als zu der Annahme, daß die mit der Höhe und Luftverdün— nung abnehmende paramagnetiſche Eigenſchaft des ſauerſtoff— haltigen Teils der Atmoſpäre für eine mitwirkend modi— fizierende Urſache angeſehen werden müſſe. Veränderungen der Temperatur und der Dichtigkeit durch aufſteigende Luft: ſtröme verändern dann wiederum ſelbſt das Maß dieſer Mit: wirkung. Solche Störungen nehmen einen variablen und recht eigentlich lokalen Charakter an, wirken im Luftkreiſe wie die Gebirgsarten auf der Oberfläche der Erde. Mit jedem Fort: ſchritt, deſſen wir uns in der Analyſe der gasartigen Um⸗ hüllung unſeres Planeten und ihrer phyſiſchen Eigenſchaften zu erfreuen haben, lernen wir gleichzeitig neue Gefahren in dem wechſelnden Zuſammenwirken der Kräfte kennen, Gefahren, die zu größerer Vorſicht in den Schlußfolgen mahnen. Die Intenſität der Erdkraft, an beſtimmten Punkten der Oberfläche unſeres Planeten gemeſſen, hat, wie alle Erſchei— nungen des telluriſchen Magnetismus, ihre ſtündlichen und auch ihre ſekularen Variationen. Die erſteren wurden auf Parrys dritter Reiſe von dieſem verdienſtvollen Seefahrer und vom Lieutenant Foſter (1825) in Port Bowen deutlich er: kannt. Die Zunahme der Intenſität vom Morgen zum Abend iſt in den mittleren Breiten ein Gegenſtand der ſorgfältigſten Unterſuchungen geweſen von Chriſtie, Arago, Hanſteen, Gauß und Kupffer. Da horizontale Schwingungen trotz der jetzigen großen Vollkommenheit der Neigungsnadeln den Schwingungen dieſer vorzuziehen ſind, ſo iſt die ſtündliche Variation der totalen Intenſität nicht ohne die genaueſte Kenntnis von der ſtündlichen Variation der Neigung zu erhalten. Die Errich⸗ tung von magnetiſchen Stationen in der nördlichen und ſüd⸗ lichen Hemiſphäre hat den großen Vorteil gewährt, die aller: I zahlreichſten und zugleich auch die allerſicherſten Reſultate zu liefern. Es genügt hier, zwei Erdpunkte auszuwählen, die, beide außerhalb der Tropen, diesſeits und jenſeits des Aequa— tors faſt in gleicher Breite liegen: Toronto in Kanada + 43° 39“, Hobarton auf Vandiemen — 4253“, bei einem Längen: unterſchiede von ungefähr 15 Stunden. Die gleichzeitigen ſtündlichen Beobachtungen des Magnetismus gehören in einer Station den Wintermonaten an, wenn ſie in der anderen in die Sommermonate fallen. Was in der einen am Tage ge— meſſen wird, gehört in der anderen meiſt der Nacht zu. Die Abweichung iſt in Toronto weſtlich 1° 33°, in Hobarton öſtlich 9° 57°; Inklination und Intenſität ſind einander ähnlich, erſtere in Toronto gegen Norden (75° 15, in Ho: barton gegen Süden (70° 34°) geneigt, letztere (die ganze Erd: kraft) iſt in Toronto in abſoluter Skale 13,90, in Hobarton 13,56. Unter dieſen zwei ſo wohl ausgewählten Stationen zeigt, nach Sabines Unterſuchung, die in Kanada für die Intenſität vier, die auf Vandiemen zwei Wendepunkte. In Toronto hat nämlich die Variation der Intenſität ein Hauptmaximum um 6 Uhr und ein Hauptminimum um 14 Uhr, ein ſchwächeres ſekundäres Maximum um 20 Uhr, ein ſchwächeres ſekundäres Minimum um 22 Uhr. Dagegen befolgt der Gang der Intenſität in Hobarton die einfache Progreſſion von einem Maximum zwiſchen 5 und 6 Uhr zu einem Minimum zwiſchen 20 und 21 Uhr, wenn⸗ gleich die Inklination dort wie in Toronto ebenfalls vier Wendepunkte hat.“ Durch die Vergleichung der Inklinations— variationen mit denen der horizontalen Kraft iſt ergründet worden, daß in Kanada in den Wintermonaten, wenn die Sonne in den ſüdlichen Zeichen ſteht, die ganze Erdkraft ſtärker iſt als in den Sommermonaten derſelben Hemiſphäre; ebenſo iſt auf Vandiemensland die Intenſität (d. h. die ganze Erdkraft) ſtärker als der mittlere Jahreswert vom Ok— tober bis Februar im Sommer der ſüͤdlichen Hemiſphäre, ſchwächer vom April zum Auguſt. Nicht Unterſchiede der Temperatur, ſondern der geringere Abſtand des magne— tiſchen Sonnenkörpers von der Erde bewirken nach Sabine“ dieſe Verſtärkung des telluriſchen Magnetismus. In Hobarton iſt die Intenſität im dortigen Sommer in ab— ſoluter Skale 13,574, im dortigen Winter 13,543. Die ſäkulare Veränderung der Intenſität iſt bis jetzt nur auf eine kleine Zahl von Beobachtungen gegründet. In Toronto — ae ſcheint fie von 1845 bis 1849 einige Abnahme erlitten zu haben. Die Vergleichung meiner Beobachtungen mit denen von Rudberg in den Jahren 1806 und 1832 gibt für Berlin dasſelbe Reſultat. Inklination. Die Kenntnis der iſokliniſchen Kurven (Linien gleicher Inklination), wie die der ſie beſtimmenden ſchnelleren oder langſameren Zunahme der Inklination von dem magnetiſchen Aequator an, wo die Inklination S 0 iſt, bis zu dem nördlichen und ſüdlichen Magnetpole, wo die horizontale Kraft verſchwindet, hat beſonders in der neueren Zeit an Wichtigkeit noch dadurch gewonnen, daß das Element der totalen magnetiſchen Erdkraft aus der mit überwiegender Schärfe zu meſſenden horizontalen Intenſität nicht ohne eine genaue Kunde der Inklination abgeleitet werden kann. Die Kunde von der geographiſchen Lage des einen und des anderen Magnetpoles verdankt man den Beobachtungen und der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit eines und desſelben kühnen Seefahrers, Sir James Roß: im Norden während der zweiten Expedition ſeines Onkels Sir John Roß (1829 bis 1833), im Süden während der von ihm ſelbſt befehligten antarktiſchen Expedition (1839 bis 1843). Der nördliche Magnetpol (Br. + 70° 5°, Lg. 99° 5° W.) iſt fünf Breiten: grade entfernter von dem Rotationspol der Erde als der ſüdliche (Br. — 755“, Lg. 151° 48° O.); auch hat der ſüdliche Magnetpol 190° mehr weſtliche Länge vom Meridian von Paris als der nördliche Magnetpol. Letzterer gehört der großen, dem amerikaniſchen Kontinent ſehr genäherten Inſel Boothia Felix, einem Teile des vom Kapitän Parry früher North Somerſet genannten Landes, an. Es liegt wenig ab von der weſtlichen Küſte von Bootbia Felix, unfern des Bor: gebirges Adelaide, das in King Williams Sea und Victoria Street vortritt.“ Den ſüdlichen Magnetpol hat man nicht unmittelbar, wie den nördlichen, erreichen können. Am 17. Februar 1841 war der Erebus bis Br. — 76° 12° und Lg. 161° 40° O. gelangt; die Inklination war aber erſt 88° 40°, man glaubte ſich alſo noch an 160 engliſche Seemeilen von dem ſüdlichen Magnetpole entfernt.“? Viele und genaue Deklinationsbeobachtungen (die Interſektion der magnetiſchen Meridiane beſtimmend) machen es ſehr wahrſcheinlich, daß der N Südmagnetpol im Inneren des großen antarktiſchen Polar— landes South Victoria Land gelegen iſt, weſtlich von den Prince Albert Mountains, die ſich dem Südpol nähern und an den über 11600 Fuß (3768 m) hohen, brennenden Vulkan Erebus anſchließen. Der Lage und Geſtaltveränderung des magnetiſchen Aequators, der Linie, auf welcher die Neigung Null iſt, wurde ſchon im Naturgemälde (Kosmos Bd. I, S. 131 bis 132 und 298) ausführlich gedacht. Die früheſte Beſtim— mung des afrikaniſchen Knotens (der Durchkreuzung des geographiſchen und magnetiſchen Aequators) geſchah von Sa— bine in dem Anfang ſeiner Pendelexpedition 1822; ſpäter (1840) hat derſelbe Gelehrte, die Beobachtungen von Du— perrey, Allen, Dunlop und Sulivan zuſammenſtellend, eine Karte des magnetiſchen Aequators, von der afrikaniſchen Weſt— küſte zu Biafra an (Br. + 4, Lg. 7° 10“ O.), durch das Atlantiſche Meer und Braſilien (Br. — 16°, zwiſchen Porto Seguro und Rio Grande) bis zu dem Punkte entworfen, wo ich, der Südſee nahe, auf den Kordilleren die nördliche Nei— gung habe in eine ſüdliche übergehen ſehen. Der afrikaniſche Knoten, als Durchſchnittspunkt beider Aequatoren, lag 1837 in 0° 40“ öſtlicher Länge, 1825 war er gelegen in 4° 35“ O. Die ſäkulare Bewegung des Knotens, ſich entfernend von der 7000 Fuß (2273 m) hohen baſaltiſchen Inſel St. Thomas, war alſo etwas weniger als ein halber Grad im Jahre gegen Weſten, wodurch dann an der afrikaniſchen Küſte die Linie ohne Neigung ſich gegen Norden wendete, während ſie an der braſilianiſchen Küſte gegen Süden herabſank. Der konvexe Scheitel der magnetiſchen Aequatorialkurve bleibt gegen den Südpol gerichtet und entfernt ſich im Atlantiſchen Ozean im Maximum 16“ vom geographiſchen Aequator. Im Inneren von Südamerika, in der Terra incognita von Matto Groſſo, zwiſchen den großen Flüſſen Kingu, Madera und Ucayale, fehlen alle Inklinationsbeobachtungen bis zu der Andeskette. Auf dieſer, 17 geographiſche Meilen (126 km) öſtlich von der Küſte der Südſee, zwiſchen Montan, Micuipampa und Cara: marca, habe ich die Lage des gegen NW anfteigenden magne— tiſchen Aequators aſtronomiſch beſtimmt““ (Br. 70° 2°, Lg. 8108“ W.). Die vollſtändigſte Arbeit, welche wir über die Lage des magnetiſchen Aequators beſitzen, iſt die von meinem vieljäh— rigen Freunde Duperrey für die Jahre 1823 bis 1825. Er — hat auf ſeinen Weltumſeglungen ſechsmal den Aequator durch— ſchnitten und faſt in einer Länge von 220 °denfelben nach eigenen?! Beobachtungen darſtellen können. Die zwei Knoten liegen nach Duperreys Karte des magnetiſchen Aequators der eine in Lg. 3½ O. (in dem Atlantiſchen Ozean), der andere in Lg. 175° O. (in der Südſee, zwiſchen den Meridianen der Viti⸗ und Gilbertinſeln). Wenn der magnetiſche Aequator, wahrſcheinlich zwiſchen Punta de la Aguja und Payta, die Weſtküſte des ſüdamerikaniſchen Kontinents verlaſſen hat, ſo nähert er ſich im Weſten immer mehr dem geographiſchen Aequator, ſo daß er im Meridian der Inſelgruppe von Mendana nur noch 2“ von dieſem entfernt’? iſt. Auch um 10° weſtlicher, in dem Meridian, welcher durch den weſtlichſten Teil der Paumotuinſeln (Low Archipelago) geht, in Lg. 151½ , fand Kapitän Wilkes 1840 die Breitenentfernung vom geographiſchen Aequator ebenfalls noch zwei volle Grade. Die Interſektion (der Knoten in der Südſee) liegt nicht um 180° von dem atlantiſchen Knoten entfernt, nicht in 176 ½“ weſtlicher Länge, ſondern erſt in dem Meridian der Vitigruppe, ungefähr in Lg. 175° O., d. i. 185» W. Wenn man alſo von der Weſtküſte Afrikas durch Südamerika gegen Weſten fortſchreitet, ſo findet man in dieſer Richtung die Entfernung der Knoten voneinander um 8“ zu groß — ein Beweis, daß die Kurve, mit der wir uns hier beſchäftigen, kein größter Kreis iſt. Nach den vortrefflichen und vielumfaſſenden Beſtimmungen des Kapitän Elliot (1846 bis 1849), welche zwiſchen den Meridianen von Batavia und Ceylon mit denen von Jules de Bloſſeville (Kosmos Bd. IV, S. 48) merkwürdig über⸗ einſtimmen, geht der magnetiſche Aequator durch die Nordſpitze von Borneo und faſt genau von Oſten nach Weſten in die Nordſpitze von Ceylon (Br. 9/0. Die Kurve vom Minimum der Totalkraft läuft dieſem Teile des magnetiſchen Aequators faſt parallel. Letzterer tritt in den oſtafrikaniſchen Kontinent ſüdlich vom Vorgebirge Guardafui ein. Dieſer wichtige Punkt des Eintretens iſt durch Rochet d'Héricourt auf ſeiner zweiten abeſſiniſchen Expedition (1842 bis 1845) und durch die ſcharfſinnige Diskuſſion der magnetiſchen Beob- achtungen dieſes Reiſenden mit beſonderer Genauigkeit be— ſtimmt worden. Er liegt ſüdlich von Gaubade, zwiſchen Ango- lola und Ankobar, der Hauptſtadt des Königreichs Schoa, in Br. + 10“ und Lg. 38° 51° O. Der Verlauf des magne⸗ N I tiſchen Aequators im Inneren von Afrika, von Ankobar bis zum Buſen von Biafra, iſt ebenſo unerforſcht als der im Inneren von Südamerika öſtlich von der Andeskette und ſüdlich von dem geographiſchen Aequator. Beide Kontinentalräume find ſich von O nach W ungefähr an Größe gleich, zu— ſammen von 80 Längengraden, jo daß faſt ½ des Erdkreiſes aller magnetiſchen Beobachtung bis jetzt entzogen iſt. Meine eigenen Inklinations- und Intenſitätsbeobachtungen im ganzen Inneren von Südamerika (von Cumana bis zum Rio Negro, wie von Cartagena de Indias bis Quito) haben nur die tro— piſche Zone nördlich vom geographiſchen Aequator, und von Quito an bis Lima in der ſüdlichen Hemiſphäre nur die dem weſtlichen Litorale nahe Gegend umfaßt. Die Translation des afrikaniſchen Knotens gegen Weſten von 1825 bis 1837, die wir ſchon oben bezeichnet haben, wird bekräftigt an der Oſtküſte von Afrika durch Vergleichung der Inklinationsbeobachtungen von Panton im Jahr 1776 mit denen von Rochet d'Héricourt. Dieſer fand den magnetiſchen Aequator viel näher der Meerenge von Bab-el-Mandeb, nämlich 1° ſüdlich von der Inſel Socotora, in 840“ nördl. Breite. Es war alſo in der Breite allein eine Verän— derung von 1° 27° für 49 Jahre; dagegen war die Ver— änderung in der Länge von Arago und Duperrey in der— ſelben Zeit als Bewegung der Knoten von Oſten gegen Weſten auf 10“ angeſchlagen worden. Die Säkularvariation der Knoten des magnetiſchen Aequators iſt an der öſtlichen Küſte von Afrika gegen das Indiſche Meer hin der Richtung nach ganz wie an der weſtlichen geweſen. Die Quantität der Bewegung erheiſcht noch genauere Reſultate. Die Periodizität der Veränderungen in der magne— tiſchen Inklination, deren Exiſtenz ſchon früher bemerkt worden war, iſt mit Beſtimmtheit und in ihrem ganzen Um— fange erſt ſeit ungefähr zwölf Jahren, ſeit Errichtung der britiſchen magnetiſchen Stationen in beiden Hemiſphären, feſt— geſtellt worden. Arago, dem die Lehre vom Magnetismus ſo viel verdankt, hatte allerdings ſchon im Herbſte 1827 er— kannt, „daß die Neigung größer iſt morgens um 9 Uhr als den Abend um 6 Uhr, während die Intenſität der Magnetkraft, gemeſſen durch die Schwingungen einer ho ri— zontalen Nadel, ihr Minimum in der erſten und ihr Maximum in der zweiten Epoche erreicht.“? In den briti— ſchen magnetiſchen Stationen ſind dieſer Gegenſatz und der — periodiſche Gang der ſtündlichen Neigungsveränderung durch mehrere tauſend regelmäßig fortgeführte Beobachtungen und ihre mühevolle Diskuſſion ſeit 1840 feſt begründet worden. Es iſt hier der Ort, die erhaltenen Thatſachen, Fundamente einer allgemeinen Theorie des Erdmagnetismus, nebeneinander zu ſtellen. Vorher muß aber bemerkt werden, daß, wenn man die räumlich zu erkennenden periodiſchen Schwankungen der drei Elemente des telluriſchen Magnetismus im ganzen be— trachtet, man mit Sabine in den Wendeſtunden, in denen die Maxima oder Minima eintreten (turning hours), zu unter- ſcheiden hat zwiſchen zwei größeren und darum wichtigen Extremen und anderen, gleichſam dazwiſchen eingeſchalteten, meiſtenteils nicht minder regelmäßigen, kleinen Schwan— kungen. Die wiederkehrenden Bewegungen der Inklinations— und Deklinationsnadel, wie die Veränderung in der Intenſität der Totalkraft bieten daher dar: Haupt- und ſekundäre Maxima oder Minima, meiſt beide Arten zugleich, alſo eine doppelte Progreſſion mit 4 Wendeſtunden (der ge— wöhnliche Fall), und eine einfache Progreſſion mit 2 Wende- ſtunden, d. h. mit einem einzigen Maximum und einem ein⸗ zigen Minimum. Letzteres z. B. iſt der Gang der Intenſität (total force) in Vandiemensland, neben einer doppelten Progreſſion der Inklination, während an einem Orte der nördlichen Hemiſphäre, welcher der Lage von Hobarton genau entſpricht, zu Toronto in Kanada, beide Elemente, Intenſität und Inklination, eine doppelte Progreſſion befolgen. Auch am Vorgebirge der guten Hoffnung gibt es nur ein Maxi⸗ mum und ein Minimum der Inklination. Die ſtündlichen periodiſchen Variationen der magnetiſchen Neigung ſind: J. Nördliche Hemiſphäre. Greenwich: Max. 21 u, Min. Zu (Airy, Observ. in 1845 p. 21, in 1846 p. 113, in 1847 p. 247); Inkl. im zuletzt genannten Jahre um 21 u im Mittel 68“ 59,3“, um 3 aber 68° 58,6‘. In der monatlichen Variation fällt das Maximum in April bis Juni, das Minimum in Oktober bis Dezember. Paris: Max. 21 u, Min. 6u. Die Einfachheit der Progreſſion von Paris und Greenwich wiederholt ſich am Vorgebirge der guten Hoffnung. Petersburg: Max. 20 u, Min. 10 u; Variation der Inkli⸗ nation wie in Paris, Greenwich und Peking; in kalten Monaten geringer; Maximum feſter an die Stunde gebunden als Minimum. ng 6 — Toronto (Kanada): Hauptmax. 22 u, Hauptmin. 4 u; ſekund. Max. 10 u, ſekund. Min. 18 s (Sabine, Tor. 1841 — 1842, Vol. I. p. LXI). II. Südliche Hemiſphäre. Hobarton (Inſel Vandiemen): Hauptmin. 18 u, Haupt⸗ max. 23½ u; ſekund. Min. 5u, ſekund. Max. 10 (Sabine, Hob. Vol. I. p. LXVIl). Die Inklination iſt größer im Sommer, wenn die Sonne in den ſüdlichen Zeichen ſteht: 70° 36,74“; kleiner im Winter, wenn die Sonne in den nördlichen Zeichen verweilt: 7034,66“; ſechsjähriges Mittel des ganzen Jahres: 70°36,01 (Sabine, Hob. Vol. II, p. XLIV). Ebenſo iſt zu Hobarton die Intenſität der Totalkraft größer von Oktober zu Februar, als von April zu Auguſt (p. XLVI). Vorgebirge der guten Hoffnung: einfache Progreſſion Min. Ou 34“, (Mar. 8 u 34“; mit überaus kleiner Zwiſchenſchwankung zwiſchen 194 und 21 u (Sabine, Cape obs. 1841 — 1850, p. LIII). Die hier angegebenen Erſcheinungen der Wechſelſtunden des Maximums der Inklinationen, in der Zeit des Ortes ausgedrückt, ſtimmen unter ſich in der nördlichen Hemiſphäre zu Toronto, Paris, Greenwich und Petersburg merkwürdig zwiſchen 20 und 22 Uhr (morgens) überein; auch die Minima der Wechſelſtunden fallen, wenngleich minder genähert (4, 6 und 10 Uhr) doch alle auf den Nachmittag oder Abend. Um ſo auffallender iſt es, daß in den 5 Jahren ſehr genauer Beobachtungen von Greenwich ein Jahr (1845) die Epochen der Maxima und Minima entgegengeſetzt eintraten. Das Jahresmittel der Neigung war um 21": 68° 56,8“ und um 3u: 68° 58,1, Wenn man die der geographiſchen Lage nach diesſeits und jenſeits des Aequators ſich entſprechenden Stationen Toronto und Hobarton vergleicht, ſo bemerkt man für Hobarton große Verſchiedenheit in der Wendeſtunde des Hauptminimums der Inklination (4 Uhr nachmittags und 6 Uhr morgens), aber keineswegs in der Wendeſtunde des Hauptmaximums (22% und 23½ u). Auch die Stunde (18 ˙) des Hauptmini⸗ mums von Hobarton findet ſich wieder in der Stunde des ſekundären Minimums von Toronto. Die Maxima bleiben an beiden Orten an dieſelben Stunden (22% bis 23 und 10%) in Haupt⸗ und ſekundären Maxima gebunden. Die vier Wendeſtunden der Inklination finden ſich demnach faſt genau wieder (4 oder 5, 10, 18 und 22 oder 23 ¼) in Toronto — wie in Hobarton, nur in anderer Bedeutung. Die fompli- zierte Wirkung innerer telluriſcher Kräfte iſt ſehr beachtens⸗ wert. Vergleicht man dagegen Hobarton und Toronto in Hinſicht auf die Folge der Wendeſtunden der Intenſitäts— und Inklinations veränderungen, fo ergibt ſich, daß an erſterem Orte, in der ſüdlichen Hemiſphäre, das Minimum der Totalintenſität dem Hauptminimum der Inklination nur um 2 Stunden nachfolgt, während die Verſpätung im Mari: mum 6 Stunden beträgt, daß aber in der nördlichen Hemi— ſphäre, zu Toronto, das Minimum der Intenſität dem Haupt: maximum der Inklination um 8 Stunden vorausgeht, wäh— rend das Maximum der Intenſität nur um 2 Stunden von dem Minimum der Inklination verſchieden iſt.““ Die Periodizität der Inklination am Vorgebirge der guten Hoffnung ſtimmt weder mit Hobarton, das in derſelben Hemi— ſphäre liegt, noch mit einem Punkte der nördlichen Hemiſphäre überein. Das Minimum der Inklination tritt ſogar zu einer Stunde ein, in welcher die Nadel in Hobarton faſt das Maximum erreicht. Zur Beſtimmung der ſäkularen Variation der In⸗ klination gehört eine ſich gleichbleibende Genauigkeit der Beobachtung in einer langen Zwiſchenzeit. Bis zu Cooks Weltumſeglung iſt z. B. nicht mit Gewißheit hinaufzuſteigen, da, wenngleich auf der dritten Reiſe die Pole immer umge— kehrt wurden, zwiſchen dem großen Seefahrer und Bayley in der Südſee oft Unterſchiede von 40 bis 54 Minuten bemerkt werden, was wahrſcheinlich der damals ſo unvollkommenen Konſtruktion der Nadel und dem Mangel ihrer freien Bewe— gung zuzuſchreiben iſt. Für London geht man ungern über Sabines Beobachtung vom Auguſt 1821 hinaus, die, ver- glichen mit der vortrefflichen Beſtimmung von James Roß, Sabine und For im Mai 1838, eine jährliche Abnahme von 2,73“ ergab, während Lloyd mit ebenſo genauen Inſtrumenten, aber in kürzerer Zwiſchenzeit ſehr übereinſtimmend 2,38“ in Dublin gefunden hatte. In Paris, wo ebenfalls die jährliche Verminderung der Inklination ſich im Abnehmen befindet, iſt die Verminderung größer als in London. Die von Coulomb angegebenen, ſehr ſcharfſinnigen Methoden, die Neigung zu beſtimmen, hatten dort freilich den Erfinder zu irrigen Reſul⸗ taten geführt. Die erſte Beobachtung, welche mit einem voll⸗ kommenen Inſtrumente von le Noir auf dem Obſervatorium zu Paris angeſtellt wurde, iſt von 1798. Ich fand damals 9 8 nach mehrmaliger Wiederholung gemeinſchaftlich mit dem Che— valier Borda 69 51,0“, im Jahr 1810 mit Arago 68° 50,2“, im Jahre 1826 mit Mathieu 67° 56,7“. Im Jahre 1841 fand Arago 67° 9,0%, im Jahre 1851 fanden Laugier und Mauvais 60° 35“, immer nach gleicher Methode mit den gleichen Inſtrumenten. Die ganze Periode, größer als ein halbes Jahrhundert (1798 bis 1851), gibt eine mittlere jährliche Verminderung der Inklination zu Paris von 3,69“. Die Zwiſchenepochen ſind geweſen: von 1798 bis 1810 zu 5,087 1826 „ 337 1826 „ 1841 „ 3,137 1851 „ 3,40 Die Abnahme hat ſich zwiſchen 1810 und 1826 auffallend verlangſamt, doch nur allmählich, denn eine Beobachtung von Gay⸗Luſſac, die er 1806 bei ſeiner Rückreiſe von Berlin, 1 75 er mich nach unſerer italieniſchen Reiſe begleitet hatte, mit vieler Genauigkeit anſtellte (69° 12°), gab noch ſeit 1798 eine jährliche Verminderung von 4,87“. Je näher der Knoten des magnetiſchen Aequators in ſeiner ſäkularen Bewegung von O nach Widem Meridian von Paris kommt, deſto mehr ſcheint ſich die Abnahme zu verlangſamen: in einem halben Jahrhundert von 5,08“ bis 3,40“. Ich habe kurz vor meiner ſibiriſchen Expedition (April 1829) in einer der Berliner Akademie vorgelegten Abhandlung vergleichend die Punkte » zufammengeftellt, an denen ich ſelbſt, wie ich glauben darf, immer mit gleicher Sorgfalt, beobachtet habe. Sabine hat volle 25 Jahre nach mir Inklination und Intenſität in der Havana gemeſſen, was für dieſe Tropengegend ſchon eine be— trächtliche Zwiſchenzeit darbietet und die Variation von zwei wichtigen Elementen beſtimmt. In einer ausgezeichneten, mehr umfaſſenden Arbeit als die meinige hat Hanſteen (1831) die jährliche Variation der Neigung in beiden Hemiſphären““ unterſucht. N Während die Beobachtungen von Sir Edward Belcher im Jahr 1838, mit den meinigen vom Jahr 1803 verglichen (ſ. oben S. 54), längs der Weſtküſte von Amerika zwiſchen Lima, Guayaquil und Acapulco beträchtliche Veränderungen der Inklination andeuten (je länger die Zwiſchenzeit iſt, deſto größeren Wert haben die Reſultate), iſt an anderen Punkten der Südſee die ſäkulare Veränderung der Neigung von der A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 6 — 88 auffallendſten Langſamkeit geweſen. In Tahiti fand 1773 Bayley 29° 43“, Fitzroy 1835 noch 30° 14°, Kap. Belcher 1840 wieder 30° 17°; alſo war in 67 Jahren die mittlere jährliche Veränderung kaum 0,51“. Auch im nördlichen Aſien hat ein ſehr ſorgfältiger Beobachter, Herr Saweliew (22 Jahre nach meinem Aufenthalte in jenen Gegenden) auf einer Reiſe, die er von Kaſan nach den Ufern des Kaſpiſchen Meeres machte, die Inklination, nördlich und ſüdlich vom Parallel von 50%, ſehr ungleich verändert gefunden: Humboldt Saweliew 1829 1851 Kaſan 6 Ü! EZERrE Be: Saratoww 64 40,9 64 48,7 Sarepfta 62 6 era Aſtrachuann 39 88% ² e Für das Vorgebirge der guten Hoffnung beſitzt man jetzt eine lange und, wenn man nicht weiter als von Sir James Roß und du Petit Thouars (1840) bis Vancouver (1791) auf: ſteigt, eine ſehr befriedigende, faſt 50jährige Reihe von In— klinationsbeobachtungen.““ Die Löſung der Frage, ob die Erhöhung des Bodens als ſolche einen mit Sicherheit bemerkbaren Einfluß auf magnetiſche Neigung und Intenſität ausübt, iſt während meiner Gebirgsreiſen in der Andeskette, im Ural und Altai für mich ein Gegenſtand ſorgfältiger Prüfung geweſen. Ich habe ſchon in dem Abſchnitt von der Intenſität bemerkt, wie leider nur ſo wenige Lokalitäten über dieſe Frage einige Ge— wißheit verbreiten können, weil die Entfernung der zu ver: gleichenden Punkte voneinander gering genug ſein muß, um den Verdacht zu entfernen, der gefundene Unterſchied der Inkli— nation ſei nicht Folge der Bodenerhebung, ſondern Folge der Krümmung in den iſodynamiſchen und iſokliniſchen Kurven, oder einer großen Heterogeneität der Gebirgsart. Ich werde mich auf die Angabe von 4 Hauptreſultaten beſchränken, von denen ich bereits an Ort und Stelle glaubte, daß ſie mit mehr Entſchiedenheit, als die Intenſitätsbeobachtungen dar— bieten, den vermindernden Einfluß der Höhe des Standorts auf die Neigung der Nadel kenntlich machen: Die Silla de Caracas, welche ſich über die Meeresküſte von la Guayra 8100 Fuß (2631 m) faſt ſenkrecht erhebt, in großer Nähe ſüdlich von der Küſte, nördlich von der Stadt Caracas: Inkl. 41,90% la Guayra: Höhe 10 Fuß (3,25 m), Inkl. 42,20“; Stadt Caracas: Höhe am Ufer des Rio Guayre 2484 Fuß (807 m), Inkl. 42,95“. (Humboldt, Voy. aux Reg. Equinox. T. I, p. 612.) Santa Fé de Bogota: Höhe 8196 Fuß (2662 m), Inkl. 27,15 Kapelle de Nuestra Senora de Guadalupe, über der Stadt, an einer Felswand hangend: Höhe 10128 Fuß (3290 m), Inkl. 26,800. Popayan: Höhe 5466 Fuß (1775 m), Inkl. 23,25“; Ge: birgsdorf Puracé am Abhange des Vulkans: Höhe 8136 Fuß (2643 m), Inkl. 21,80; Gipfel des Vulkans von Puracc: Höhe 13650 Fuß (4434 m), Inkl. 20,30. Quito: Höhe 8952 Fuß (2908 m), Inkl. 14,85%, San Antonio de Lulumbamba, wo der geographiſche Aequator das heiße Thal durchſchneidet: Höhe des Thalbodens 7650 Fuß (2485 m), Inkl. 16,02%. — Alle vorgenannten Inklinationen ſind in Centeſimalgraden angegeben. Ich möchte aus meinen Beobachtungen nicht auch das Gotthardhoſpiz (6650 Fuß — 2160 m), Inklination 66° 12°, verglichen mit Airolo (3502 Fuß — 1138 m), Inklination 66° 54°, und Altdorf, Inklination 66° 55“, anführen; nicht die ſcheinbar widerſprechenden, Lans le Bourg, Inklination 66° 9°, das Hoſpiz des Mont Cenis (6358 Fuß S 2065 m), Inklination 66“ 22“, und Turin (707 Fuß = 230 m), ns klination 66° 3°, oder Neapel, Portici und den Kraterrand des Veſuvs, oder in Böhmen den Gipfel des Großen Mili— ſchauer (Phonolith!), Inklination 67° 53“ 5“, Teplitz, Inkli— nation 67° 19,5“, und Prag, Inklination 66° 47,6°, wegen der Größe der relativen Entfernungen und des Einfluſſes der nahen Gebirgsarten.“ Gleichzeitig mit der Reihe vortreff— licher und im größten Detail publizierter Beobachtungen der horizontalen Intenſität, welche 1844 Bravais in Be: gleitung von Martins und Lepileur vergleichend auf 35 Statio— nen, unter denen die Gipfel des Montblanc (14809 Fuß = 4810 m), des Großen Bernhard (7848 Fuß = 2550 m) und des Faulhorns (8175 Fuß —= 2655 m) waren, angeſtellt hat, machten dieſelben Phyſiker auch auf dem Grand Plateau des Montblanc (12097 Fuß = 3830 m) und in Chamounir (3201 Fuß = 1040 m) Inklinationsverſuche. Wenn die Ver: gleichung dieſer Reſultate einen vermindernden Einfluß der Erhebung des Bodens auf die magnetiſche Neigung anzeigte, ſo gaben Beobachtungen vom Faulhorn und von Brienz (1754 Fuß = 570 m) dagegen eine mit der Höhe (zu: — 8141 — nehmende Inklination. Beide Klaſſen der Unterſuchung, für horizontale Intenſität und Inklination, führten zu keiner be⸗ friedigenden Löſung der Probleme. (Bravais, Sur lünten- site du Magnetisme terrestre en France, en Suisse et en Savoie in den Annales de Chimie et de Physique, 32e Serie, IT. 18, 1846, p. 225.) In einem Manuffript von Borda über ſeine Expedition nach den Kana⸗ riſchen Inſeln im Jahr 1776, welches in Paris im Depöt de la Marine aufbewahrt wird und deſſen Mitteilung ich dem Admiral Roſily verdankte, habe ich den Beweis auf: gefunden, daß Borda den erſten Verſuch gemacht hat, den Einfluß einer großen Höhe auf die Inklination zu unter⸗ ſuchen. Er hat auf dem Gipfel des Piks von Tenerifa die Inklination um 1° 15° größer als im Hafen von Santa Cruz gefunden: gewiß eine Folge lokaler Attraktionen der Laven, wie ich fie oft am Veſuv und an amerikaniſchen Vul⸗ kanen beobachtet habe. (Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales T. I, p. 116, 277 und 288). Um zu prüfen, ob wohl, wie die Höhen, ſo auch die tiefen, inneren Räume des Erdkörpers auf die Inklination wirken, habe ich bei einem Aufenthalte in Freiberg im Juli 1828 mit aller Sorgfalt, deren ich fähig bin, und mit jedesmaliger Umkehrung der Pole einen Verſuch in einem Bergwerke angeſtellt, in welchem nach genauer Prüfung das Geſtein, der Gneis, keine Wirkung auf die Magnetnadel äußerte. Die Seigerteufe unter der Oberfläche war 802 Fuß, und der Unterſchied zwiſchen der unterirdiſchen Inklination und der an einem Punkte, welcher genau „am Tage“ darüber lag, freilich nur 2,06“; aber bei der Umſicht, mit der ich ver⸗ fuhr, laſſen mich die in der Note’? angeführten Reſultate jeder einzelnen Nadel doch glauben, daß in der Grube (dem Kurprinz) die Inklination größer iſt, als auf der Oberfläche des Gebirges. Möchte ſich doch Gelegenheit finden, da, wo man die Ueberzeugung erhalten kann, daß das Quergeſtein örtlich unwirkſam tft, meinen Verſuch mit Sorgfalt in Berg: werken zu wiederholen, welche, wie die Valenciana bei Guana⸗ ruato (Mexiko) 1582 Fuß (= 514 m), wie engliſche Kohlen⸗ gruben über 180° Fuß und der jetzt verſchüttete Eſelsſchacht bei Kuttenberg in Böhmen 3545 Fuß (= 1152 m) ſenkrechte Tiefe haben! Nach einem ſtarken Erdbeben in Cumana am 4. No⸗ vember 1799 fand ich die Inklination um 90 Centeſimal⸗ ash. — minuten (faſt einen vollen Grad) verringert. Die Umſtände, unter denen ich dieſes Reſultat erhielt und die ich an einem anderen Orte genau entwickelt habe, bieten keinen befriedigen— den Grund zu der Annahme eines Irrtums dar. Kurz nach meiner Landung in Cumana hatte ich die Inklination 43,53“ (Centeſimal) gefunden. Der Zufall, wenige Tage vor dem Erdbeben in einem ſonſt ſchätzbaren ſpaniſchen Werke, Mendozas Tratado de Navegacion T. II, p. 72, die irrige Meinung ausgeſprochen zu finden, daß die ſtündlichen und monatlichen Veränderungen der Inklination ſtärker als die der Abweichung wären, hatte mich veranlaßt, eine lange Reihe ſorgfältiger Beobachtungen im Hafen von Cumana anzuſtellen. Die Inklination fand ſich am 1. bis 2. No⸗ vember in großer Stetigkeit im Mittel 43,65». Das In⸗ ſtrument blieb unberührt und gehörig nivelliert an demſelben Orte ſtehen. Am 7. November, alſo drei Tage nach den ſtarken Erdſtößen, nachdem das Inſtrument von neuem nivel— liert war, gab es 42,750. Die Intenſität der Kraft, durch ſenkrechte Schwingungen gemeſſen, war nicht verändert. Ich hoffte, daß die Inklination vielleicht allmählich wieder zu ihrem vorigen Stande zurückkehren würde; ſie blieb aber die— ſelbe. Im September 1800, nach einer Fluß- und Landreiſe am Orinoko und Rio Negro von mehr als 500 geographiſchen Meilen (= 3700 km), gab dasſelbe Inſtrument von Borda, welches mich überall begleitet hatte, 42,80, alſo dieſelbe Neigung als vor der Reiſe. Da mechaniſche Erſchütterungen und elektriſche Schläge in weichem Eiſen durch Veränderung des Molekularzuſtandes Pole erregen, ſo könnte man einen Zuſammenhang ahnen zwiſchen den Einflüſſen der Richtung magnetiſcher Strömungen und der Richtung der Erdſtöße; aber, ſehr aufmerkſam auf eine Erſcheinung, an deren ob— jektiver Wirklichkeit ich 1799 keinen Grund hatte zu zweifeln, habe ich dennoch bei der übergroßen Zahl von Erdſtößen, die ich ſpäter in Südamerika drei Jahre lang empfunden, nie wieder eine plötzliche Veränderung der Inklination wahr: genommen, welche ich dieſen Erdſtößen hätte zuſchreiben können, ſo verſchieden auch die Richtungen waren, nach denen die Wellenbewegung der Erdſchichten ſich fortpflanzte. Ein ſehr genauer und erfahrener Beobachter, Erman, fand nach einem Erdbeben am Baikalſee (8. März 1828) ebenfalls keine Störung in der Abweichung und dem Gange ihrer periodiſchen Variation. — 86 Deklination. Die geſchichtlichen Thatſachen des allerfrüheſten Erkennens von Erſcheinungen, welche ſich auf das dritte Element des telluriſchen Magnetismus, auf die Deklination, beziehen, ſind bereits oben berührt worden. Die Chineſen kannten im 12. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung nicht bloß die Ab— weichung einer, an einem Baumwollenfaden hängenden, horizon— talen Magnetnadel vom geographiſchen Meridian; ſie wußten auch die Quantität dieſer Abweichung zu beſtimmen. Seit⸗ dem durch den Verkehr der Chineſen mit den Malaien und Indern, und dieſer mit den Arabern und mauriſchen Piloten der Gebrauch des Seekompaſſes unter den Genueſern, Major: kanern und Katalanen in dem Becken des Mittelmeeres, an der Weſtküſte von Afrika und im hohen Norden gemein ge— worden war, erſchienen ſchon 1436 auf Seekarten Angaben der Variation für verſchiedene Teile der Meere.?“ Die geo— graphiſche Lage einer Linie ohne Abweichung, auf der die Nadel nach dem wahren Norden, nach dem Rotations— pole gerichtet war, beſtimmte Kolumbus am 13. September 1492; ja es entging ihm nicht, daß die Kenntnis der De— klination zur Beſtimmung der geographiſchen Länge dienen könne. Ich habe an einem anderen Orte aus dem Schiffs: journal des Admirals erwieſen, wie derſelbe auf der zweiten Reiſe (April 1496), als er ſeiner Schiffsrechnung ungewiß war, ſich durch Deklinationsbeobachtungen zu orientieren ſuchte.““ Die ſtündlichen Veränderungen der Abweichungen wurden bloß als ſichere Thatſache von Hellibrand und Pater Tachard zu Louvo in Siam, umſtändlich und faſt befriedigend von Graham 1722 beobachtet. Celſius benutzte ſie zuerſt zu verab— re deten, gemeinſchaftlichen Meſſungen an zwei weit von: einander entfernten Punkten.“! Zu den Erſcheinungen ſelbſt übergehend, welche die Ab— weichung der Magnetnadel darbietet, wollen wir dieſelbe betrachten: zuerſt in ihren Veränderungen nach Tages- und Nachtſtunden, Jahreszeiten und mittleren Jahresſtänden; dann nach dem Einfluß, welchen die außerordentlichen und doch periodiſchen Störungen und die Ortslagen nördlich oder ſüd— lich vom magnetiſchen Aequator auf jene Veränderungen aus— üben; endlich nach den linearen Beziehungen, in denen zu einander die Erdpunkte ſtehen, welche eine gleiche oder gar keine Abweichung zeigen. Dieſe linearen Beziehungen ſind — 87 —ꝑ allerdings in unmittelbarer praktiſcher Anwendung der ge— wonnenen Reſultate für die Schiffsrechnung und das geſamte Seeweſen am wichtigſten; aber alle kosmiſchen Erſcheinungen des Magnetismus, unter denen die außerordentlichen, in ſo weiter Ferne oft gleichzeitig wirkenden Störungen (die magnetiſchen Ungewitter) zu den geheimnisvollſten gehören, hangen ſo innig miteinander zuſammen, daß, um allmählich die mathe— matiſche Theorie des Erdmagnetismus zu vervoll— ſtändigen, keine derſelben vernachläſſigt werden darf. Auf der ganzen nördlichen magnetiſchen Halbkugel in den mittleren Breiten, die Teilung des Erdſphäroids durch den magnetiſchen Aequator gedacht, ſteht das Nordende der Magnetnadel, d. h. das Ende, welches gegen den Nordpol hinweiſt, da wo die Abweichung weſtlich iſt, um 8 / morgens (20 n) dieſem Pole in der Richtung am nächſten. Die Nadel bewegt ſich von 8 ¼ m morgens bis 1°.“ nachmittags von Oſten nach Weſten, um dort ihren weſtlichſten Stand zu erreichen. Dieſe Bewegung nach Weſten iſt allgemein, ſie tritt in derſelben Richtung ein an allen Orten der nörd— lichen Halbkugel, ſie mögen weſtliche Abweichung haben, wie das ganze Europa, Peking, Nertſchinsk und Toronto in Kanada; oder öſtliche Abweichung, wie Kaſan, Sitka (im ruſſiſchen Amerika), Waſhington, Marmato (Neugranada) und Payta an der peruaniſchen Küſte.? Von dem eben bezeich— neten weſtlichen Stande um 1¾ u bewegt ſich die Magnet— nadel den Nachmittag und einen Teil der Nacht bis 12 oder 13 Uhr wieder zurück nach Oſten, indem ſie oft einen kleinen Stillſtand gegen 6% macht. In der Nacht iſt wieder eine kleine Bewegung gegen Weſten, bis das Minimum, d. h. der öſtliche Stand von 20 ½ u, erreicht wird. Dieſe nächt— liche Periode, welche ehemals ganz überſehen wurde (da ein allmählicher und ununterbrochener Rückgang gegen Oſten von 1% bis zur Morgenſtunde von 20 ½ u behauptet wurde), hat mich ſchon zu Rom bei einer Arbeit mit Gay-Lufjac über die ſtündlichen Veränderungen der Abweichung mittels des Pronyſchen magnetiſchen Fernrohrs lebhaft beſchäftigt. Da die Nadel überhaupt unruhiger iſt, ſolange die Sonne unter dem Horizont ſteht, ſo iſt die kleine nächtliche Be— wegung gegen Weſten ſeltener und minder deutlich hervor— tretend. Wenn ſie deutlich erſcheint, ſo habe ich ſie von keiner unruhigen Schwankung der Nadel begleitet geſehen. Gänz— lich verſchieden von dem, was ich Ungewitter genannt habe, VER eht in der kleinen weſtlichen Periode die Nadel ruhig von eilſtrich zu Teilſtrich, ganz wie in der jo ſicheren Tages- periode von 20 ¼ bis 1. Recht bemerkenswert iſt, daß wenn die Nadel ihre kontinuierliche weſtliche Bewegung in eine öſtliche oder umgekehrt verwandelt, ſie nicht eine Zeitlang unverändert ſtehen bleibt, ſondern (vorzüglich bei Tage um 20 / mund 1¾ 0) ſich gleichſam plötzlich umwendet. Gewöhn⸗ lich findet die kleine Bewegung gegen Weſten erſt zwiſchen Mitternacht und dem frühen Morgen ſtatt. Dagegen iſt ſie auch in Berlin und in den Freiberger unterirdiſchen Beob— achtungen, wie in Greenwich, Makerstoun in Schottland, Waſhington und Toronto ſchon nach 10 oder 11 Uhr abends bemerkt worden. Die vier Bewegungen der Nadel, die ich 1805 erkannt habe,“ jind in der ſchönen Sammlung der Beobachtungen von Greenwich in den Jahren 1845, 1846 und 1847 als Reſultate vieler tauſend ſtündlicher Beobachtungen in folgen— den 4 Wendepunkten °* dargeſtellt: erſtes Minimum 20, erſtes Maximum 2%; zweites Minimum 12 oder 14", zweites Maxi⸗ mum 14 oder 16%. Ich muß mich begnügen, hier nur die Mittelzuſtände anzugeben, und auf den Umſtand aufmerk— ſam zu machen, daß das morgendliche Hauptminimum (20°) in unſerer nördlichen Zone gar nicht durch den früheren oder ſpäteren Aufgang der Sonne verändert wird. Ich habe in 2 Solſtitien und 3 Aequinoktien, in denen ich, gemeinſchaft⸗ lich mit Oltmanns, jedesmals 5 bis 6 Tage und ebenſoviele Nächte, die ſtündliche Variation verfolgte, den öſtlichſten Wendepunkt im Sommer und in Wintermonaten unverrückt zwiſchen 19% u und 20 ½ gefunden, und nur ſehr unbeträcht⸗ lich'' durch den früheren Sonnenaufgang verfrüht. In den hohen nördlichen Breiten nahe dem Polarkreiſe, und zwiſchen dieſem und dem Rotationspole iſt die Regel⸗ mäßigkeit der ſtündlichen Deklination noch wenig erkannt worden, ob es gleich nicht an einer Zahl kleiner Beobachtungen mangelt. Die lokale Einwirkung der Gebirgsarten und die Frequenz in der Nähe oder in der Ferne ſtörender Polarlichter machen Herrn Lottin in der franzöſiſchen wiſſenſchaftlichen Expedition der Lilloiſe (1836) faſt ſchüchtern, aus ſeiner eigenen großen und mühevollen Arbeit, wie aus der älteren (1786) des ver⸗ dienſtvollen Löwenörn beſtimmte Reſultate über die Wende⸗ ſtunden zu ziehen. Im ganzen war zu Reikjavik (Island, Br. 64° 8°), wie zu Godthaab an der grönländiſchen Küſte, . ung =. nach Beobachtungen des Miſſionärs Genge, das Minimum der weſtlichen Abweichung faſt wie in mittleren Breiten um 21% oder 22%; aber das Maximum ſchien erſt auf 9 bis = Uhr abends zu fallen. Nördlicher, in Hammerfeſt (Fin— Br. 70° 40), fand Sabine den Gang der Nadel 2 regelmäßig wie im ſüdlichen Norwegen und Deutſch— land: weſtliches Minimum 21, weſtliches Maximum DE 2 deſto verſchiedener fand er ihn auf Spitzbergen (Br. 790 5 0%), wo die eben genannten Wendeſtunden 18% und 7% waren. Für die arktiſche Polarinſelwelt, in Port Bowen an der öſt— lichen Küſte von Prince Regents inlet (Br. 73° 14°), haben wir aus der dritten Reiſe von Kap. Parry (1825) eine ſchöne Reihe fünfmonatlicher zuſammenhängender Beobachtungen von Lieutenant Foſter und James Roß; aber wenn auch die Nadel innerhalb 24 Stunden zweimal durch den Meridian ging, den man für den mittleren magnetiſchen des Orts hielt, und in vollen zwei Monaten, April und Mai, gar kein Nordlicht ſichtbar war, ſo ſchwankten doch die Zeiten der Haupt⸗ Elongationen um 4 bis 6 Stunden, ja vom Januar bis Mai waren im Mittel die Maxima und Minima der weſtlichen Abweichung nur um eine Stunde verſchieden! Die Quantität der Deklination ſtieg an einzelnen Tagen von 1 ¼ “ bis 6 und 7 Grad, während ſie unter den Wendekreiſen kaum ſo viele Minuten erreicht. Wie jenſeits des Polarkreiſes, ſo iſt auch dem 2 genähert ſchon in Hindoſtan, z. B. in Bombay (Br. 18° 56‘), eine große Komplikation in den ſtündlichen Perioden der magnetiſchen Abweichung. Es zerfallen dieſelben dort in zwei Hauptklaſſen, welche, vom April bis Oktober und vom Oktober bis Dezember, ſehr verſchieden ſind, ja wieder jede in zwei Subperioden zerfallen, die noch ſehr der Beſtimmtheit ermangeln. °° Von der Richtung der Magnetnadel in der jüdlichen Halbkugel konnte den Europäern durch eigene Erfahrung erſt ſeit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, durch die kühnen Seefahrten von Diego Cam mit Martin Behaim, von Bartholomäus Diaz und Vasco da Gama, eine ſchwache Kunde zukommen; aber die Wichtigkeit, welche die Chineſen, die ſchon ſeit dem dritten Jahrhundert unſerer Zeitrechnung, wie die Einwohner von Korea und der japaniſchen Inſeln, auch zur See durch den Kompaß geleitet wurden, nach den Berichten ihrer früheſten Schriftſteller auf den Südpol legen, war wohl hauptſächlich auf den Umſtand gegründet, daß ihre Schiff⸗ — 9 fahrt ſich gegen Süden und Südweſten richtete. Auf dieſen ſüdlichen Fahrten war ihnen die Bemerkung nicht entgangen, daß die Spitze der Magnetnadel, nach deren Weiſung ſie ſteuerten, nicht genau nach dem Südpol gerichtet war. Wir kennen ſogar der Quantität““ nach eine ihrer Beſtimmungen der Variation gegen Südoſt aus dem 12. Jahrhundert. Die Anwendung und weitere Verbreitung ſolcher nautiſchen Hilfsmittel hat die ſehr alte Verbindung von China °° und Indien mit Java, und in noch größerem Maßſtabe die Schiff: fahrt und Anſiedelung malayiſcher Stämme auf Madagaskar begünſtigt. Wenn es auch, nach der jetzigen ſehr nördlichen Lage des magnetiſchen Aequators zu urteilen, wahrſcheinlich iſt, daß die Stadt Louvo in Siam, als der Miſſionär Guy Tachard daſelbſt 1682 die ſtündlichen Veränderungen der Abweichung zuerſt bemerkte, dem Ausgang der nördlichen magnetiſchen Halbkugel ſehr genähert war, ſo muß man doch erkennen, daß genaue ſtündliche Deklinationsbeobachtungen in der ſüd— lichen magnetiſchen Halbkugel erſt ein volles Jahrhundert ſpäter angeſtellt wurden. John Macdonald verfolgte den Gang der Nadel in den Jahren 1794 und 1795 im Fort Marl- borough auf der ſüdweſtlichen Küſte von Sumatra wie auf St. Helena. Die Phyſiker wurden durch die damals er: haltenen Reſultate auf die große Abnahme der Quantität täglicher Variationsveränderung in den niederen Breiten auf— merkſam gemacht. Die Elongation betrug kaum 3 bis 4 Minuten. Eine mehr umfaſſende und tiefere Kenntnis des Phänomens wurde durch die wiſſenſchaftlichen Expeditionen von Freyeinet und Duperrey erlangt; aber erſt die Errichtung magnetiſcher Stationen an 3 wichtigen Punkten der ſüdlichen magnetiſchen Hemiſphäre, zu Hobarton auf Vandiemensland, zu St. Helena und am Vorgebirge der guten Hoffnung (wo nun ſchon 10 Jahre lang von Stunde zu Stunde Beobachtungen über die Ver⸗ änderung der 3 Elemente des telluriſchen Magnetismus nach gleichmäßiger Methode angeſtellt werden), hat allgemeine er⸗ ſchöpfende Data geliefert. In den mittleren Breiten der ſüdlichen magnetiſchen Halbkugel hat die Nadel einen ganz entgegengeſetzten Gang als in der nördlichen, denn da in jener die Spitze der Nadel, welche gegen Süden gerichtet iſt, vom Morgen bis Mittag aus Oſt nach Weſt geht, ſo macht dadurch die nach Norden weiſende Spitze eine Bewegung von Weſt nach Oſt. — 9 rn Sabine, dem wir die ſcharfſinnige Diskuſſion aller dieſer Variationen verdanken, hat fünfjährige ſtündliche Beobachtungen von Hobarton (Br. 42° 53° Süd, Abw. 9“ 67“ Oſt) und Toronto (Br. 43 39“ Nord, Abm. 1“ 33“ Weſt) jo zu— ſammengeſtellt, daß man die Perioden von Oktober bis Fe— bruar und von April bis Auguſt unterſcheiden kann, da die fehlenden Zwiſchenmonate März und September gleichſam Uebergangsphänomene darbieten. In Hobarton zeigt das gegen Norden gekehrte Ende der Nadel zwei öſtliche und zwei weſt— liche Maxima der Elongationen, jo daß ſie in dem Jahres- abſchnitt von Oktober bis Februar von 20% oder 21% bis 2u gegen Oſt geht, dann von 2 bis 11 u ein wenig nach Weſt, von 11" bis 15% wieder nach Oſt, von 15% bis 20% zurück nach Weſt. In der Jahresabteilung vom April bis Auguſt find die öſtlichen Wendeſtunden bis zu 3u und 16% verſpätet, die weſtlichen Wendeſtunden zu 224 und 11 verfrüht. In der nördlichen magnetiſchen Halbkugel iſt die Bewegung der Nadel von 20% bis 1. gegen Weſten größer im dortigen Sommer als im Winter; in der ſüdlichen mag: netiſchen Halbkugel, wo zwiſchen den genannten Wendeſtunden die Richtung der Bewegung eine entgegengeſetzte iſt, wird die Qantität der Elongation größer gefunden, wenn die Sonne in den ſüdlichen, als wenn ſie in den nördlichen Zeichen ſteht. Die Frage, die ich vor ſieben Jahren in dem Natur: gemälde berührt habe: ob es eine Region der Erde, vielleicht zwiſchen dem geographiſchen und magnetiſchen Aequator, gebe, in welcher (ehe der Uebergang des Nordendes der Nadel in denſelben Stunden zu einer entgegengeſetzten Richtung der Abweichung eintritt) gar keine ſtündliche Abweichung ſtatt— findet, ſcheint nach neueren Erfahrungen, beſonders nach Sa— bines ſcharfſinnigen Diskuſſionen der Beobachtungen in Singa— pur (Br. 1° 17“ N.), auf St. Helena (Br. 15° 56“ S.) und am Vorgebirge der guten Hoffnung (Br. 33° 56“ S.), ver⸗ neint werden zu müſſen. Es iſt bisher noch kein Punkt auf— gefunden worden, in welchem die Nadel ohne ſtündliche Be— wegung wäre, und durch die Gründung der magnetiſchen Stationen iſt die wichtige und ſehr unerwartete Thatſache er⸗ kannt worden, daß es in der ſüdlichen magnetiſchen Halbkugel Orte gibt, in denen die ſtündlichen Schwankungen der De— klinationsnadel an den Erſcheinungen (dem Typus) beider Halbkugeln abwechſelnd teilnehmen. Die Inſel St. Helena liegt der Linie der ſchwächſten Intenſität der Erdkraft ſehr | — nahe, in einer Weltgegend, wo dieſe Linie ſich weit von dem geographiſchen Aequator und von der Linie ohne Inklination entfernt. Auf St. Helena iſt der Gang des Endes der Nadel, das gegen den Nordpol weiſt, ganz entgegengeſetzt in den Monaten vom Mai bis September von dem Gange, den das— ſelbe Ende in den analogen Stunden von Oktober bis Fe— bruar befolgt. Nach fünfjährigen ſtündlichen Beobachtungen iſt in dem erſtgenannten Teile des Jahres, im Winter der ſüdlichen Halbkugel, während die Sonne in den nördlichen Zeichen ſteht, das Nordende der Nadel um 19" am weiteſten öſtlich; ſie bewegt ſich von dieſer Stunde an, wie in den mittleren Breiten von Europa und Nordamerika, gegen Weſten (bis 22%, und erhält ſich faſt in dieſer Richtung bis 2u. Dagegen findet in anderen Teilen des Jahres, vom Oktober bis Februar, in dem dortigen Sommer, wenn die Sonne in den ſüdlichen Zeichen weilt und der Erde am nächſten iſt, um 20% (Sa morgens) eine größte weſtliche Elongation der Nadel ſtatt, und bis zur Mittagsſtunde eine Bewegung von Weſten gegen Oſten, ganz nach dem Typus von Hobarton (Br. 42° 54“ S.) und anderer Gegenden der mitt— leren ſüdlichen Halbkugel. Zur Zeit der Aequinoktien oder bald nachher, im März und April wie im September und Oktober, bezeichnet der Gang der Nadel ſchwankend, an ein— zelnen Tagen, Uebergangsperioden von einem Typus zum anderen, von dem der nördlichen zu dem der ſüdlichen Halbkugel.““ Singapur liegt ein wenig nördlich von dem geographi— ſchen Aequator, zwiſchen dieſem und dem magnetiſchen Aequator, der nach Elliot faſt mit der Kurve der ſchwächſten Intenſität zuſammenfällt. Nach den Beobachtungen, welche von 2 zu 2 Stunden in den Jahren 1841 und 1842 zu Singapur angeſtellt worden ſind, findet Sabine die für St. Helena be— zeichneten entgegengeſetzten Typen im Gange der Nadel von Mai bis Auguſt und von November bis Februar wieder eben— jo am Vorgebirge der guten Hoffnung, das doch 34° vom geographiſchen, und gewiß noch weit mehr von dem mag: netiſchen Aequator entfernt iſt, eine Inklination von — 583° hat und die Sonne nie im Zenith ſieht.“! Wir beſitzen ſchon veröffentlicht ſechsjahrige ſtündliche Beobachtungen vom Kap, nach denen, faſt ganz wie auf St. Helena, vom Mai bis September die Nadel von ihrem äußerſten öſtlichen Stande (19% ß) weſtlich geht bis 23% u, vom Oktober bis März aber Ra gegen Oſten von 10% bis 1½ und 2% Bei der Ent: deckung dieſer ſo wohl konſtatierten, aber noch genetiſch in ſo tiefes Dunkel gehüllten Erſcheinung hat ſich die Wichtigkeit der jahrelang unterbrochenen, von Stunde zu Stunde fort— geſetzten Beobachtungen vorzüglich bewährt. Störungen, die (wie wir gleich entwickeln werden) anhaltend bald nach Oſt, bald nach Weſt die Nadel ablenken, würden iſolierte Beob— achtungen der Reiſenden unſicher machen. Durch erweiterte Schiffahrt und Anwendung des Kom— paſſes bei geodätiſchen Aufnahmen iſt ſehr früh zu gewiſſen Zeiten eine außerordentliche Störung der Richtung, oft verbunden mit einem Schwanken, Beben und Zittern der an— gewandten Magnetnadel, bemerkt worden. Man gewöhnte ſich dieſe Erſcheinung einem gewiſſen Zuſtande der Nadel ſelbſt zuzuſchreiben, man nannte ſie in der franzöſiſchen Seeſprache ſehr charakteriſtiſch ein Vernarrtſein der Nadel, Paffole- ment de l’aiguille, und ſchrieb vor, eine aiguille affolèe von neuem und ſtärker zu magnetiſieren. Halley iſt allerdings der erſte geweſen, der das Polarlicht für eine magnetiſche Er— ſcheinung erklärte,“? da er von der königl. Societät zu London aufgefordert wurde, das, in ganz England geſehene, große Meteor vom 6. März 1716 zu erklären. Er ſagt, „das Meteor ſei dem analog, welches Gaſſendi zuerſt 1621 mit dem Namen Aurora borealis belegt hätte“. Ob er gleich auf ſeinen Seefahrten zur Beſtimmung der Abweichungslinie bis zum 52. Grad ſüdlicher Breite vorgedrungen war, ſo lernt man doch aus ſeinem eigenen Geſtändnis, daß er bis 1716 nie ein Nord: oder Südpolarlicht geſehen, da doch die letzteren, wie ich beſtimmt weiß, bis in die Mitte der perua— niſchen Tropenzone ſichtbar werden. Halley ſcheint alſo aus eigener Erfahrung nichts von der Beunruhigung der Nadel, den außerordentlichen Störungen und Schwankungen derſelben bei geſehenen oder ungeſehenen Nord- und Süd— lichtern beobachtet zu haben. Olav Hiorter und Celſius zu Upſala ſind die erſten, die, im Jahre 1741, noch vor Halleys Tode, den von ihm nur vermuteten Zuſammenhang zwiſchen einem geſehenen Nordlichte und dem geſtörten normalen Gange der Nadel durch eine lange Reihe meſſender Beſtimmungen bekräftigten. Dieſes verdienſtliche Unternehmen veranlaßte ſie, die erſten verabredeten gleichzeitigen Beobachtungen mit Graham in London anzuſtellen, und die außerordent lichen Störungen der Abweichung bei Erſcheinung des Nord— — 91 lichtes wurden durch Wargentin, Canton und Wilke ſpezieller erforſcht. Beobachtungen, die ich Gelegenheit hatte in Gemeinſchaft mit Gay-Luſſac (1805) in Rom auf dem Monte Pincio zu machen, beſonders aber eine lange, durch jene Beobachtungen veranlaßte Arbeit in den Aequinoktien und Solſtitien der Jahre 1806 und 1807 in einem großen einſamen Garten zu Berlin (mittels des magnetiſchen Fernrohrs von 3 und eines fernen, durch Lampenlicht wohl zu erleuchtenden Tafel— ſignals) in Gemeinſchaft mit Oltmanns, lehrten mich bald, daß dieſer, zu gewiſſen Epochen mächtig und nicht bloß lokal wirkende Teil telluriſcher Thätigkeit, den man unter dem all: gemeinen Namen außerordentlicher Störungen begreift, ſeiner Komplikation wegen, eine anhaltende Beachtung ver— diene. Die Vorrichtung des Signals und des Fadenkreuzes in dem an einem, bald ſeidenen, bald metallenen Faden hängenden Fernrohr, welches ein weiter Glaskaſten umſchloß, erlaubte das Ableſen von 8 Sekunden im Bogen. Da bei Nacht zu dieſer Beobachtungsmethode das Zimmer, in welchem ſich das, von einem Magnetſtabe geleitete Fernrohr befand, finſter bleiben konnte, ſo fiel der Verdacht der Luftſtrömung weg, welchen bei den, übrigens vortrefflichen, mit Mikroſkopen verſehenen Deklinatorien die Erleuchtung der Skale veranlaſſen kann. In der ſchon damals von mir ausgeſprochenen Mei: nung, „daß eine fortlaufende, ununterbrochene, ſtündliche und halbſtündliche Beobachtung (observatio perpetua) von mehreren Tagen und Nächten den vereinzelten Beobachtungen vieler Monate vorzuziehen ſei“, beobachteten wir in den Aequinoktial⸗ und Solſtitialepochen, deren große Wichtigkeit alle neueren Arbeiten bewährt haben, 5, 7 bis 11 Tage und ebenſoviele Nächte? hindurch. Wir erkannten bald, daß, um den eigent⸗ lichen phyſiſchen Charakter dieſer anomalen Störungen zu ſtudieren, es nicht genüge, das Maß (die Quantität) der ver⸗ änderten Abweichung zu beſtimmen, ſondern daß jeder Beob— achtung auch numeriſch der Grad der Unruhe der Nadel, durch die gemeſſene Elongation der Schwingungen, bei- gefügt werden müſſe. Bei dem gewöhnlichen ſtündlichen Gang der Nadel fanden wir dieſe jo ruhig, daß unter 1500 Re— ſultaten, aus 6000 Beobachtungen (Mitte Mai 1806 bis Ende Juni 1807) gezogen, die Oszillation meiſt nur von einem halben Teilſtrich zum anderen ging, alſo nur 1“ 2“ betrug; in einzelnen Fällen, und oft bei ſehr ſtürmiſchem Regenwetter, — 95 — ſchien die Nadel entweder ganz feſtſtehend oder ſie ſchwankte nur um 0,2 oder um 0,3 Teile, d. i. 24“ oder 28“. Wenn aber das magnetiſche Ungewitter, deſſen ſtärkſter und ſpäterer Ausbruch das Polarlicht iſt, eintrat, ſo waren die Schwankungen bald nur 14, bald 38 Minuten im Bogen, jede in 1½ bis 3 Zeitſekunden vollbracht. Oftmals war wegen der Größe und Ungleichheit der Oszillationen, welche die Teilſtriche des Signals nach einer Seite oder nach beiden weit überſchritten, gar keine Beobachtung möglich.““ Dies war z. B. der Fall in der Nacht vom 24. September 1806 in langer, ununterbrochener Dauer, erſt von 14% 40“ bis 15" 327 und dann von 15% 57“ bis 17˙ 4, Gewöhnlich war bei heftigen magnetiſchen Ungewittern (unusual or larger Magnetic disturbances, Magnetic Storms) das Mittel der Schwingungsbogen nach einer Seite hin (gegen O oder W) im Fortſchreiten, wenn auch mit un— gleichmäßiger Geſchwindigkeit; aber in ſeltenen Fällen wurden auch außerordentliche Schwankungen bemerkt, ohne daß die Abweichung unregelmäßig zu⸗ oder abnahm, ohne daß das Mittel der Schwankungen ſich von dem Teilſtriche entfernte, welcher zu dem normalen Gange der Nadel in gegebener Stunde gehörte. Wir ſahen nach langer relativer Ruhe plötz⸗ lich Bewegungen von ſehr ungleicher Stärke eintreten (Bogen beſchreibend von 6 bis 15 Minuten, alternierend oder regellos untereinander gemiſcht), und dann plötzlich wieder die Nadel ſich beruhigen. Bei Nacht war ein ſolches Gemiſch von totaler Ruhe und heftiger Schwankung, ohne Fortſchreiten nach einer Seite, beſonders auffallend. Eine eigene Modi: fikation der Bewegung, die ich noch glaube erwähnen zu müſſen, iſt eine ſehr ſelten eintretende vertikale, eine Art Kippen, eine Veränderung der Inklination des Nordendes der Nadel 15 bis 20 Zeitminuten lang, bei ſehr mäßigen horizontalen Schwankungen oder völliger Abweſenheit derſelben. Bei der ſo fleißigen Aufzeichnung aller Nebenverhältniſſe in den engliſchen Stationsregiſtern finde ich dieſes bloß verti— kalen Zitterns (constant vertical motion, the needle oscil- —— vertically) nur dreimal auf Vandiemensinſel ange— eben. . - Die Epoche des Eintretens der größeren magnetiſchen Ungewitter hat mir im Mittel in Berlin die dritte Stunde nach Mitternacht geſchienen, aufhörend auch im Mittel um 5 Uhr des Morgens. Kleine Gewitter beobachteten wir bei — 9 Tage in den Nachmittagsſtunden zwiſchen 5 und 7 Uhr oft an denſelben Septembertagen, wo nach Mitternacht ſo ſtarke storms folgten, daß wegen der Größe und Schnelligkeit der Oszillationen jedes Ableſen und jede Schätzung des Mittels der Elongation unmöglich waren. Ich wurde gleich anfangs ſo überzeugt von den gruppenweiſe mehrere Nächte hinter— einander eintretenden magnetiſchen Ungewittern, daß ich die Eigentümlichkeiten dieſer außerordentlichen Störungen der Ber⸗ liner Akademie ankündigte, und Freunde, meiſt nicht vergebens, einlud, zu vorbeſtimmten Stunden mich zu beſuchen und ſich der Erſcheinung zu erfreuen.?“ Auch Kupffer während feiner Reiſe im Kaukaſus 1829, und ſpäter Kreil bei ſeinen ſo ſchätzbaren Prager Beobachtungen haben das Wiedereintreten der magnetiſchen Ungewitter zu denſelben Stunden bekräftigt. Was ich im Jahre 1806 in meinen Aequinoktial- und Solſtitialbeobachtungen nur im allgemeinen über die außer⸗ ordentlichen Störungen der Abweichung erkannte, iſt ſeit der Errichtung der magnetiſchen Stationen in den großbritanni⸗ ſchen Beſitzungen (1838 bis 1840) durch Anhäufung eines reichen Materials und durch die talentvolle Bearbeitung des Oberſt Sabine eine der wichtigſten Errungenſchaften in der Lehre vom telluriſchen Magnetismus geworden. In den Re⸗ ſultaten beider Hemiſphären hat dieſer ſcharfſinnige Gelehrte die Störungen nach Tages- und Nachtſtunden, nach Jahres⸗ zeiten, nach Deviationen, gegen Oſten oder Weſten gerichtet, geſondert. In Toronto und Hobarton waren die Störungen zweifach häufiger und ſtärker bei Nacht als bei Tage, ebenſo in den älteſten Beobachtungen zu Berlin, ganz im Gegenſatz von 2600 bis 3000 Störungen am Kap der guten Hoffnung, und beſonders auf der Inſel St. Helena, nach der gründlichen Unterſuchung des Kapitäns Younghusband. In Toronto traten im Mittel die Hauptſtörungen in der Epoche von Mitter⸗ nacht bis 3 Uhr morgens ein; bisweilen nur wurden ſie früher, zwiſchen 10 Uhr abends und Mitternacht, beobachtet, alſo in Toronto wie in Hobarton prädominierend bei Nacht. Nach einer ſehr mühevollen und ſcharfſinnigen Prüfung, welche Sabine mit 3940 Torontoer und 3470 Hobartoner Stö⸗ rungen aus dem ſechsjährigen Cyklus von 1843 bis 1848 angeſtellt (die geſtörten Abweichungen machten den neunten und zehnten Teil der ganzen Maſſe aus), hat er die Folge⸗ rung? ziehen können, „daß die Störungen zu einer eigenen Art periodiſch wiederkehrender Variationen gehören, 112 um . 6 welche erkennbaren Geſetzen folgen, von der Stellung der Sonne in der Ekliptik und der täglichen Rotation der Erde um ihre Achſe abhängen, ja ferner nicht mehr unregel— mäßige Bewegungen genannt werden ſollten; man unter⸗ ſcheide darin, neben einem eigentümlichen lokalen Typus, all- gemeine, den ganzen Erdkörper affizierende Prozeſſe“. In denſelben Jahren, in denen die Störungen häufiger in To— ronto waren, wurden ſie es auch und faſt in gleichem Maße auf der ſüdlichen Halbkugel in Hobarton. Im ganzen traten ſie am erſteren Orte im Sommer (vom April bis September) in doppelter Menge als in den Wintermonaten (von Oktober bis März) ein. Die größte Zahl der Störungen gehörte dem Monat September an, ganz wie um die Zeit des Herbſt— äquinoktiums in meinen Berliner Beobachtungen von 1806. Sie ſind ſeltener in den Wintermonaten jeden Ortes, ſeltener vom November bis Februar in Toronto und vom Mai bis Auguſt in Hobarton. Auch auf St. Helena und am Kap der guten Hoffnung ſind nach Younghusband die Durchgänge der Sonne durch den Aequator durch Häufigkeit der Störungen in hohem Grade bemerkbar. Das Wichtigſte, auch erſt von Sabine aufgefundene, in dieſer Erſcheinung iſt die Regelmäßigkeit, mit der in beiden Halbkugeln die Störungen eine vermehrte öſtliche oder weſtliche Abweichung verurſachen. In Toronto, wo die Deklination ſchwach gegen Weiten iſt (1° 33°), war der Zahl nach das Fortſchreiten gegen Oſten im Sommer (Juni bis September) dem Fortſchreiten gegen Weiten im Winter (De: zember bis April) überwiegend, und zwar im Verhältnis von 411: 290. Ebenſo iſt es auf Vandiemensinſel nach lokaler Jahreszeit; auch in den dortigen Wintermonaten (Mai bis Auguſt) ſind die magnetiſchen Ungewitter auffallend ſeltener. Die Zergliederung von 6 Jahren der Beobachtung in 2 entgegengeſetzten Stationen, von Toronto und Hobarton, hatte Sabine zu dem merkwürdigen Ergebniſſe geführt, daß von 1843 bis 1848 in beiden Hemiſphären nicht bloß die Zahl der Störungen, ſondern auch (wenn man, um das jähr⸗ liche Mittel der täglichen Abweichung in ſeinem normalen Werte zu erlangen, 3469 storms nicht mit in Rechnung bringt) das Maß der totalen Abweichung von dieſem Mittel in den genannten 5 Jahren allmählich von 7,65“ bis 10,58“ im Zu: nehmen geweſen iſt, ja daß dieſe Zunahme gleichzeitig, wie in der amplitudo der Deklination, ſo in der Inklination und A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 7 — totalen Erdkraft bemerkbar war. Dieſes Ergebnis gewann eine erhöhte Wichtigkeit, als er eine Bekräftigung und Ver— allgemeinerung desſelben in Lamonts ausführlicher Arbeit (vom September 1851) „über eine zehnjährige Periode, welche ſich in der täglichen Bewegung der Magnetnadel darſtellt“, erkannte. Nach Beobachtungen von Göttingen, München und Kremsmünfter °° hatte die Mittelgröße der täglichen Dekli— nation ihr Minimum erreicht von 1843 zu 1844, ihr Maxi⸗ mum von 1848 zu 1849. Nachdem die Deklination ſo 5 Jahre zugenommen, nimmt ſie ebenſo viele Jahre wiederum ab, wie eine Reihe genauer ſtündlicher Beobachtungen erweiſt, die bis zu einem Maximum von 1786 hinaufführen. Um eine allgemeine Urſache einer ſolchen Periodizität in allen 3 Ele: menten des telluriſchen Magnetismus aufzufinden, wird man geneigt, zu einem kosmiſchen Zuſammenhange ſeine Zuflucht zu nehmen. Ein ſolcher iſt nach Sabines Vermutung in den Veränderungen zu finden, welche in der Photoſphäre der Sonne, d. h. in den leuchtenden gasförmigen Umhüllungen des dunklen Sonnenkörpers, vorgehen. Nach Schwabes lang: jährigen Unterſuchungen kommt nämlich die Periode der größten und kleinſten Frequenz der Sonnenflecken ganz mit der überein, welche man in den magnetiſchen Variationen entdeckt hat. Auf dieſe Uebereinſtimmung hat Sabine zuerſt in ſeiner der königl. Sozietät zu London im März 1852 vorgelegten Abhandlung aufmerkſam gemacht. „Es iſt wohl keinem Zweifel unterworfen,“ ſagt Schwabe in einem Aufſatze, mit dem er den aſtronomiſchen Teil meines Kosmos bereichert hat, „daß wenigſtens vom Jahre 1826 bis 1850 in der Erſcheinung der Sonnenflecken eine Periode von ungefähr 10 Jahren der⸗ maßen ſtattgefunden hat, daß ihr Maximum in die Jahre 1828, 1837 und 1848, ihr Minimum in die Jahre 1833 und 1843 gefallen iſt.“ Den mächtigen Einfluß des Sonnen⸗ körpers als Maſſe auf den Erdmagnetismus bekräftigt auch Sabine durch die ſcharfſinnige Bemerkung, daß der Zeitpunkt, in welchem in beiden Hemiſphären die Intenſität der Magnet⸗ kraft am ſtärkſten iſt und die Richtung der Nadel ſich am meiſten der vertikalen nähert, in die Monate Oktober bis Februar fällt, gerade wenn die Erde der Sonne am nächſten iſt und ſie ſich in ihrer Bahn am ſchnellſten fortbewegt. Von der Gleichzeitigkeit vieler magnetiſcher Ungewitter, wie ſich dieſelben auf viele tauſend Meilen fortgepflanzt haben, ja faſt um den ganzen Erdball gehen (ſo am 25. September * 1848 von Kanada und von Böhmen bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung, Vandiemensland und Monaco), habe ich ſchon in dem Naturgemälde““ gehandelt, auch Beiſpiele von den Fällen angegeben, wo die Perturbationen mehr lokal waren, ſich von Sizilien nach Upſala, aber nicht von Upſala weiter nördlich nach Alten und Lappland verbreiteten. Bei den gleichzeitigen Deklinationsbeobachtungen, die wir, Arago und ich, 1829 in Berlin, Paris, Freiberg, St. Petersburg, Kaſan und Nikolajew mit denſelben Gambeyſchen Inſtrumenten angeſtellt, hatten ſich einzelne ſtarke Perturbationen von Berlin nicht bis Paris, ja nicht einmal bis in eine Freiberger Grube, wo Reich ſeine unterirdiſchen Magnetbeobachtungen machte, fortgepflanzt. Große Abweichungen und Schwankungen der Nadel bei Nordlichtern in Toronto riefen wohl in Kerguelen- inſel, aber nicht in Hobarton magnetiſche Ungewitter hervor. Bei dem Charakter der Alldurchdringlichkeit, welchen die Magnetkraft wie die Gravitationskraft aller Materie zeigt, iſt es allerdings ſchwer, ſich einen klaren Begriff von den Hinder- niſſen der Fortpflanzung im Inneren des Erdkörpers zu machen, von Hinderniſſen, denen analog, welche ſich den Schall— wellen oder den Erſchütterungswellen des Erdbebens, in denen gewiſſe einander nahe gelegene Orte nie zuſammen beben, ent⸗ gegenſetzen. Sollten gewiſſe magnetiſche kreuzende Linien durch ihre Dazwiſchenkunft der Fortpflanzung entgegenwirken? Wir haben die regelmäßigen und die ſcheinbar unregel- mäßigen Bewegungen, welche horizontal aufgehangene Nadeln darbieten, geſchildert. Hat man in Erforſchung des nor- malen, in ſich wiederkehrenden Ganges der Nadeln durch Mittelzahlen aus den Extremen der ſtündlichen Veränderungen die Richtung des magnetiſchen Meridians ergründen können, in der von einem Solſtitium zu dem anderen die Nadel zu beiden Seiten gleich geſchwankt hat, ſo führt die Vergleichung der Winkel, welche auf verſchiedenen Parallelkreiſen die mag- netiſchen Meridiane mit dem geographiſchen Meridian machen, zuerſt zur Kenntnis von Variationslinien auf— fallend heterogenen Wertes (Andrea Bianco 1436 und der Kosmograph Kaiſer Karls V., Alonſo de Santa Cruz, ver— ſuchten es ſchon, dieſe auf Karten zu tragen), ſpäter zu der glücklichen Verallgemeinerung iſogoniſcher Kurven, Linien gleicher Abweichung, welche der dankbare Sinn engliſcher Seefahrer lange durch den hiſtoriſchen Namen Halleyan lines bezeichnet hat. Unter den mannigfach gekrümmten, gruppen- — 100 — weiſe bisweilen faſt parallelen, ſelten ganz in ſich ſelbſt re— kurrierenden und dann eiförmig geſchloſſene Syſteme bildenden, iſogoniſchen Kurven verdienen in phyſikaliſcher Hinſicht die größte Aufmerkſamkeit diejenigen, auf welchen die Abweichung null wird, und zu deren beiden Seiten Abweichungen ent— gegengeſetzter Benennung, mit der Entfernung ungleich zu— nehmend, gefunden werden. Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, wie des Kolumbus erſte Entdeckung einer Linie ohne Abweichung im Atlantiſchen Ozean am 12. September 1492 dem Studium des telluriſchen Magnetismus die An⸗ regung gegeben hat, welches drittehalb Jahrhunderte hindurch freilich nur auf Verbeſſerung der Schiffsrechnung gerichtet war. So ſehr auch in der neueſten Zeit durch die höhere wiſſenſchaftliche Bildung der Seefahrer, durch die Vervoll— kommnung der Inſtrumente und der Methoden die Kenntnis einzelner Teile der Linien ohne Variation im nördlichen Aſien, im Indiſchen Archipelagus und im Atlantiſchen Ozean erweitert worden iſt, ſo darf doch wohl in dieſer Sphäre unſeres Wiſſens, da, wo das Bedürfnis einer kosmiſchen Ueberſicht gefühlt wird, über Langſamkeit des Fortſchrittes und über Mangel von erlangter Allgemeinheit geklagt werden. Es iſt mir nicht unbewußt, daß eine Unzahl von Beob⸗ achtungen bei zufälliger Durchſchneidung der Linien ohne Abweichung in Schiffsjournalen aufgezeichnet worden ſind, aber es fehlt an der Vergleichung und Zuſammenſtellung des Materials, das für dieſen Gegenſtand, wie für die dermalige Lage des magnetiſchen Aequators erſt an Wichtigkeit gewinnen würde, wenn in den verſchiedenen Meeren einzelne Schiffe allein damit beauftragt wären, in ihrem Kurſe jenen Linien ununterbrochen zu folgen. Ohne Gleichzeitig— keit der gewonnenen Beobachtung hat der telluriſche Mag— netismus für uns keine Geſchichte. Ich wiederhole 10s eine Klage, die ich frei ſchon mehrfach geäußert. Nach dem, was wir bis jetzt im allgemeinen von der Lage der Linien ohne Abweichung wiſſen, gibt es ſtatt der vier meridianartigen, an die man von Pol zu Pol am Ende des 16. Jahrhunderts 11 glaubte, wahrſcheinlich drei ſehr verſchiedenartig geſtaltete Syſteme, wenn man mit dem Namen Syſtem ſolche Gruppen von Abweichungslinien be: zeichnet, deren Nulllinie mit keiner anderen Nulllinie in di- rekter Verbindung ſteht, nicht für die Fortſetzung einer anderen (nach unſerer jetzigen Kenntnis) gelten kann. Von dieſen drei ie — 101 — Syſtemen, die wir bald einzeln beſchreiben werden, iſt das mittlere, atlantiſche, auf eine einfache, von SSO nach NNW gerichtete, zwiſchen dem 65. Grade ſüdlicher bis zu dem 67. Grade nördlicher Breite erkannte Linie ohne Abweichung beſchränkt. Das zweite, wenn man aus beiden die Durch— ſchnittspunkte der Nulllinie mit dem geographiſchen Aequator allein ins Auge faßt, volle 150 Grade öſtlicher gelegene Syſtem, ganz Aſien und Auſtralien füllend, iſt das brei— teſte und komplizierteſte von allen. Es iſt wunderſam auf und ab ſteigend, mit einem gegen Süden und einem gegen Norden gerichteten Scheitel, ja an ſeinem nordöſtlichen Ende dermaßen gekrümmt, daß die Nulllinie elliptiſch in ſich re— kurrierende, von außen nach innen in der Abweichung ſchnell zunehmende Linien umgibt. Der weſtlichſte und der öſtlichſte Teil dieſer aſiatiſchen Kurve ohne Abweichung ſind gleich der atlantiſchen Nulllinie von Süden nach Norden, und in dem Raume vom kaſpiſchen Becken bis Lappland ſogar von SSO nach NNW gerichtet. Das dritte Syſtem, das der Südſee, am wenigſten erforſcht, iſt das kleinſte von allen und bildet, faſt gänzlich im Süden vom geographiſchen Aequator gelegen, ein geſchloſſenes Oval von konzentriſchen Linien, deren Ab: weichung, entgegengeſetzt dem, was wir bei dem nordöſtlichen Teile des aſiatiſchen Syſtems bemerkt, von außen nach innen abnimmt. Wir kennen, wenn wir unſer Urteil auf die Magnetdeklination an den Küſten gründen, in dem afrikani⸗ ſchen Kontinent “: nur Linien, die eine weſtliche Abweichung von 6° bis 29° offenbaren; denn die atlantiſche Linie ohne Abweichung hat (nach Purchas) ſchon im Jahre 1605 die Südſpitze von Afrika (das Vorgebirge der guten Hoffnung) verlaſſen, um ſich weiter von Oſten nach Weſten zu begeben. Die Möglichkeit, daß in Centralafrika eine eiförmige Gruppe kon⸗ zentriſcher Abweichungslinien, bis 0° abnehmend, ſich irgendwo finden könne, der der Südſee ähnlich, iſt aus Gründen ebenſo— wenig zu bevorworten als zu leugnen. . Der atlantiſche Teil der amerikaniſchen Kurve ohne Abweichung iſt durch eine vortreffliche Arbeit des Oberſt Sa— bine in beiden Hemiſphären für das Jahr 1840, mit Be— nutzung von 1480 Beobachtungen und Beachtung der ſäkularen Veränderung genau beſtimmt worden. Sie läuft (unter 70° ſüdl. Breite ohngefähr in 21° weſtl. Länge aufgefunden “““ gegen NNW, gelangt bis 3° öſtlich von Cooks Sandwichlande und bis 9½ “ öſtlich von Süd-Georgien, nähert ſich der braſilianiſchen Küſte, in die fie eintritt bei Kap Frio, 2° öſtlich von Rio Janeiro, durchſtreicht den ſüdlichen neuen Kontinent nur bis Br. — 0° 36“, wo fie denſelben etwas öſtlich vom Gran Para bei dem Kap Tigioca am Nebenausfluß des Amazonenſtroms (Rio do Para) wieder verläßt, um erſt den geographiſchen Aequator in weſtl. Lg. 50° 6“ zu ſchneiden, dann bis zu 5° nördlicher Breite in 22 geogr. Meilen Ent⸗ fernung der Küſte von Guyana, ſpäter dem Bogen der kleinen Antillen bis zum Parallel von 18“ folgend, in Br. 34° 50“, Lg. 76“ 20“ nahe bei Kap Lookout (ſüdweſtlich von Kap Hatteras) das Litorale von Nordkarolina zu berühren. Im Inneren von Nordamerika ſetzt die Kurve ihre nordweſtliche Richtung bis Br. 41½ “, Lg. 80 gegen Pittsburgh, Mead⸗ ville und den See Erie fort. Es iſt zu vermuten, daß ſie ſeit 1840 ſchon nahe um einen halben Grad weiter gegen Weſten vorgerückt iſt. Die auſtralo-aſiatiſche Kurve ohne Abwei⸗ chung kann, wenn man mit Erman den Teil derſelben, welcher ſich plötzlich von Kaſan nach Archangel und dem ruſſiſchen Lapplande hinaufzieht, für identiſch mit dem Teile des Mo— lukkiſchen und Japanischen Meeres hält, kaum in der ſüd⸗ lichen Halbkugel bis zum 62. Grade verfolgt werden. Dieſer Anfang liegt weſtlicher von Vandiemensland, als man ihn bisher vermutet hatte, und die drei Punkte, in denen Sir James Roß auf ſeiner antarktiſchen Entdeckungsreiſe 1840 und 1841 die Kurve ohne Abweichung durchſchnitten hat, befinden ſich alle in den Parallelen von 62°, 54 ½ “ und 46 0, zwiſchen 131“ und 133° 20° öſtlicher Länge, alſo meiſt ſüd⸗ nördlich, meridianartig gerichtet. In ihrem weiteren Laufe durchſtreicht die Kurve das weſtliche Auſtralien von der ſüd— lichen Küſte von Nuytsland an (etwa 10 Längengraden im Weſten von Adelaide) bis zu der nördlichen Küfte nahe bei Van Sittart River und Mount Cockburn, um von da in das Meer des Indiſchen Archipelagus zu treten, in eine Weltgegend, in der genauer als irgend wo anders von Kapitän Elliot in den Jahren 1846 bis 1848 zugleich Inklination, Deklination, Totalintenſität, wie Maximum und Minimum der horizontalen Intenſität erforſcht worden find. Hier geht die Linie ſüdlich von Flores und durch das Innere der kleinen Sandalwood— infel '°* von 115° bis 91“ weſtlicher Länge in eine genau oſtweſtliche Richtung über, wie dies Barlow ſehr wahr ſchon 16 Jahre früher verzeichnet hatte. Von dem zuletzt ange— gebenen Meridiane an fteigt fie, nach der Lage zu urteilen, in welcher Elliot der Kurve von 1° öſtlicher Abweichung bis Madras gefolgt iſt, in 9“ ſüdlicher Breite gegen Nordweſten auf. Ob ſie, den Aequator ungefähr im Meridian von Ceylon ſchneidend, in den Kontinent von Aſien zwiſchen Cambay Gulf und Gudſcherat, oder weſtlicher im Meerbuſen von Maskat eintritt es und jo identisch ijt '°% mit der Kurve ohne Ab- weichung, die aus dem Becken des Kaſpiſchen Meeres gegen Süden fortzulaufen ſcheint, ob ſie vielmehr (wie Erman will) ſchon vorher öſtlich gekrümmt, zwiſchen Borneo und Malakka aufſteigend, in!“ das Japaniſche Meer gelangt und durch den Ochotzkiſchen Meerbuſen in Oſtaſien eindringt, darüber kann hier keine ſichere Auskunft gegeben werden. Es iſt lebhaft zu bedauern, daß bei der großen Frequenz der Navigation nach Indien, Auſtralien, den Philippinen und der Nordoſtküſte von Aſien eine Unzahl von Materialien in Schiffsjournalen ver⸗ borgen und unbenutzt geblieben ſind, ohne, zu allgemeinen Anſichten führend, Südaſien mit dem mehrdurchforſchten Nord— aſien zu verbinden und Fragen zu löſen, die ſchon 1840 an⸗ geregt worden. Um daher nicht das Gewiſſe mit dem Unge⸗ wiſſen zu vermengen, beſchränke ich mich auf den ſibiriſchen Teil des aſiatiſchen Kontinentes, ſoweit wir ihn gegen Süden bis zum Parallel von 45° durch Erman, Hanſteen, Due, Kupffer, Fuß und meine eigenen Beobachtungen kennen. In keinem anderen Teile der Erde hat man auf der Feſte Magnet⸗ linien in ſolcher Ausdehnung verfolgen können, und die Wich— tigkeit, welche in dieſer Hinſicht das europäiſche und aſiatiſche Rußland darbietet, war ſchon vor Leibniz 1“ ſcharfſinnig ge— ahnet worden. um von Welten gegen Oſten, von Europa aus, der ge— wöhnlichen Richtung ſibiriſcher Expeditionen zu folgen, beginnen wir mit dem nördlichen Teile des Kaſpiſchen Meeres, und finden in der kleinen Inſel Birutſchikaſſa, in Aſtrachan, am Eltonſee, in der Kirgiſenſteppe und in Uralsk am Jail, zwiſchen Br. 45° 43“ und 51° 12“, Lg. 44° 15° und 49 2° die Abweichung von 0° 10“ Dit zu 0° 37“ Weit ſchwanken. Weiter nördlich neigt ſich dieſe Kurve ohne Abweichung etwas mehr gegen Nordweſt, durchgehend in der Nähe von Niſhnij Nowgorod (im Jahre 1828 zwiſchen Oſablikowo und Doskino, im Parallel von 56° und Lg. 40° 40%). Sie verlängert ſich gegen das ruſſiſche Lappland zwiſchen Archangel und Kola, genauer nach Hanſteen (1830) zwiſchen Umba und Ponodi. — 104 — Erſt wenn man faſt 2% der größten Breite des nördlichen Aſiens gegen Oſten durchwandert iſt, unter dem Parallel von 50° bis 60° (einen Raum, in dem jetzt ganz öſtliche Ab— weichung herrſcht), gelangt man an die Linie ohne Ab⸗ weichung, welche bei dem nordöſtlichen Teile des Baikalſees weſtlich von Wiluisk nach einem Punkte aufſteigt, der im Meridian von Jakutsk (127¼ 0) die Breite von 689 erreicht, um ſich dort, die äußere Hülle der mehrerwähnten öſtlichen Gruppe eiförmiger konzentriſcher Variationslinien bildend, gegen Ochotzk (Lg. 140° 50°) herabzuſenken, den Bogen der Kuriliſchen Inſeln zu durchſchneiden und ſüdlich in das Japaniſche Meer zu dringen. Die Kurven von 5° bis 15 öftlicher Abweichung, welche den Raum zwiſchen der weſt- und oſtaſiatiſchen Linie ohne Abweichung füllen, haben alle einen konkaven Scheitel gegen Norden gekehrt. Das Maximum ihrer Krümmung fällt nach Erman in Lg. 77° 40“, faſt in einen Meridian zwiſchen Omsk und Tomsk, alſo nicht ſehr verſchieden von dem Meri— dian der Südſpitze der hindoſtaniſchen Halbinſel. Die ge— ſchloſſene eiförmige Gruppe erſtreckt ſich in ihrer Längenachſe 28 Breitengrade bis gen Korea. Eine ähnliche Geſtaltung, aber in noch größeren Dimen— ſionen zeigt ſich in der Südſee. Die geſchloſſenen Kurven bilden dort ein Oval zwiſchen 30 nördlicher und 42° ſüd— licher Breite. Die Hauptachſe liegt in Lg. 132“ 20°. Was dieſe ſeltſame Gruppe, welche dem großen Teil nach der ſüdlichen Hemiſphäre und bloß dem Meere angehört, von der kontinen— talen Oſtaſiens vorzüglich unterſcheidet, iſt, wie ſchon oben bemerkt, die relative Folge im Wert der Variationskurven. In der erſteren nimmt die (öſtliche) Abweichung ab, in der zweiten nimmt die (weſtliche) Abweichung zu, je tiefer man in das Innere des Ovals eindringt. Man kennt aber dieſes Innere der geſchloſſenen Gruppe in der ſüdlichen Halbkugel nur von 8° bis 5° Abweichung. Sollte darin ein Ring ſüd⸗ licher Abweichung und noch mehr nach innen jenſeits der geſchloſſenen Nulllinie wieder weſtliche Abweichung gefunden werden? Die Kurven ohne Abweichung, wie alle magnetiſchen Linien, haben ihre Geſchichte. Es ſteigt dieſelbe leider noch nicht zwei Jahrhunderte aufwärts. Einzelne Angaben finden ſich allerdings früher bis in das 14. und 15. Jahrhundert. Hanſteen hat auch hier wieder das große Verdienſt gehabt, zu ſammeln und ſcharfſinnig zu vergleichen. Es ſcheint, als — 105 — bewege ſich der nördliche Magnetpol von Weſt nach Oſt, der ſüdliche von Oſt nach Weſt, aber genaue Beobachtungen lehren, daß die verſchiedenen Teile der iſogoniſchen Kurven ſehr un— gleichmäßig fortſchreiten und da, wo ſie parallel waren, den Parallelismus verlieren, daß die Gebiete der Deklination einer Benennung in nahen Erdteilen ſich nach ſehr verſchiedenen Richtungen erweitern und verengen. Die Linien ohne Ab— weichung in Weſtaſien und im Atlantiſchen Ozean ſchreiten von Oſten nach Weſten vor; die erſtere derſelben durchſchnitt gegen 1716 Tobolsk, 1761, zu Chappes Zeit, Jekaterinburg, ſpäter Kaſan; 1729 war fie zwiſchen Oſablikowo und Doskino (unfern Niſhnij Nowgorod), alſo in 113 Jahren war ſie 24°, im Weſten fortgerückt. Iſt die Azorenlinie, die Chriſtoph Kolumbus am 13. September 1492 beſtimmte, dieſelbe, welche nach den Beobachtungen von Davis und Keeling 1607 durch das Vorgebirge der guten Hoffnung gegangen iſt, dieſelbe, die wir jetzt als weſtatlantiſche von der Mündung des Ama: zonenfluſſes nach dem Litorale von Nordkarolina gerichtet ſehen, ſo fragt man, was aus der Linie ohne Abweichung geworden ſei, welche 1600 durch Königsberg, 1620 (2) durch Kopenhagen, 1657 bis 1662 durch London, und doch erſt 1666 nach Picard durch das öſtlicher gelegene Paris, ſowie etwas vor 1668 durch Liſſabon !“? ging? Auffallend find diejenigen Punkte der Erde, in welchen lange Perioden hindurch kein ſäkulares Fortſchreiten bemerkt worden iſt. Sir John Herſchel hat ſchon auf einen ſolchen langen Stillſtand in Jamaika aufmerkſam gemacht, wie Euler und Barlow ne auf einen ähnlichen im ſüdlichen Auſtralien. Polarlicht. Wir haben die drei Elemente des telluriſchen Magnetismus, d. i. die drei Hauptarten ſeiner Manifeſtation: Intenſität, Inklination und Deklination, in ihren von den geogra— phiſchen Ortsverhältniſſen abhängigen, nach Tages- und Jahres— zeiten veränderlichen Bewegungen ausführlich behandelt. Die außerordentlichen Störungen, welche zuerſt an der Deklination beobachtet wurden, ſind, wie Halley geahnt, wie Dufay und Hiorter erkannt haben, teils Vorboten, teils Be— gleiter des magnetiſchen Polarlichtes. Ueber die Eigen— tümlichkeiten dieſes oft durch Farbenpracht ſo ausgezeichneten Lichtprozeſſes der Erde habe ich mit ziemlicher Voll— — 106 — ſtändigkeit in dem Naturgemälde gehandelt, und neuere Beobachtungen ſind im allgemeinen den dort geäußerten An— ſichten günſtig geweſen. „Das Nordlicht iſt nicht ſowohl als eine äußere Urſache der Störung in dem Gleichgewicht der Verteilung des Erdmagnetismus geſchildert worden, ſondern vielmehr als eine bis zum leuchtenden Phänomen geſteigerte telluriſche Thätigkeit, deren eine Seite die unruhige Schwingung der Nadel und deren andere das polare Leuchten des Himmels— gewölbes iſt.“ Das Polarlicht erſcheint nach dieſer Anſicht als eine Art ſtiller Entladung, als das Ende eines magne— tiſchen Ungewitters; in dem elektriſchen erneuert ſich ebenfalls durch eine Lichtentwickelung, durch Blitze, von krachen— dem Donner begleitet, das geſtörte Gleichgewicht der Elek— trizität. Die wiederholte Aufſtellung einer beſtimmten Hypotheſe gewährt in einer ſo verwickelten und geheimnisvollen Erſcheinung wenigſtens den Vorteil, daß die Beſtrebungen, dieſelbe zu widerlegen, zu einer anhaltenderen und ſorgfälti— geren Beobachtung der einzelnen Vorgänge anreizen. Bei der rein objektiven Beſchreibung dieſer Vorgänge verweilend und hauptſächlich die ſchöne und einzige Reihe ununterbrochener achtmonatlicher Forſchungen benutzend, die wir dem Aufenthalte ausgezeichneter Phyſiker 1 im äußer— ſten Norden von Skandinavien (1838 bis 1839) verdanken, richten wir zuerſt unſere Aufmerkſamkeit auf die allmählich am Horizont aufſteigende dunkle Nebelwand, das ſogenannte ſchwarze Segment des Nordlichtes. Die Schwärze iſt, wie Argelander bemerkt, nicht eine Folge des Kontraſtes, denn ſie iſt bisweilen früher ſichtbar, als der hellleuchtende Bogen ſie zu begrenzen anfängt. Es iſt ein Prozeß, der in einem Teile des Luftkreiſes vorgeht, denn nichts beweiſt bisher eine materielle Beimiſchung, welche die Verdunkelung erregte. Die kleinſten Sterne erkennt das Fernrohr in dem ſchwarzen Segment, wie in den farbigen, lichten Teilen des ſchon völlig entwickelten Nordlichtes. In den höheren Breiten ſcheint das ſchwarze Segment weit ſeltener zu ſein als in den mittleren. Bei ſehr reinem Himmel im Februar und März, wo das Polarlicht häufig war, fehlte es dort ganz, und Keilhau hat einen vollen Winter lang es in Lappland (zu Talwig) gar nicht geſehen. Durch genaue Beſtimmungen von Sternhöhen zeigte Argelander, daß kein Teil des Polarlichtes auf dieſe Höhen Einfluß ausübt. Auch außerhalb der Segmente er— ſcheinen, doch ſelten, ſchwarze Strahlen, die Hanſteen “!? — 107 — und ich mehrfach haben aufſteigen ſehen; mit ihnen erſcheinen rundliche ſchwarze Flecken, welche von Lichträumen ein— geſchloſſen ſind und mit denen Siljeſtröm ſich beſonders be— ſchäftigt hat. Auch in der ſo ſeltenen Nordlichtskrone, welche durch Wirkung von linear-perſpektiviſchen Projektionen in ihrem Höhenpunkte der Magnetinklination des Ortes ent— ſpricht, iſt die Mitte meiſt von ſehr dunkler Schwärze. Bravais hält dieſe und die ſchwarzen Strahlen für optiſche Kontraſt— täuſchungen. Von den Lichtbogen erſcheinen oft mehrere zu— gleich, in ſeltenen Fällen 7 bis 9, parallel gegen den Zenith fortſchreitend; bisweilen fehlen ſie ganz. Die Strahlenbündel und Lichtſäulen nehmen die vielfältigſten Geſtalten an: ge— krümmt, guirlandenartig ausgezackt, hakenförmig, kurzgeflammt, oder wallenden Segeltüchern ähnlich. In den hohen Breiten „iſt die gewöhnlich herrſchende Farbe des Polarlichtes die weiße, ja die milchicht weiße, wenn die Intenſität ſchwach iſt. So wie der Farbenton leb— hafter wird, geht er ins Gelbe über; die Mitte des breiten Strahles wird hochgelb und an beiden Rändern entſteht ab— geſondert Rot und Grün. Geht die Strahlung in ſchmaler Länge vor, ſo liegt das Rot oben und das Grün unten. Geht die Bewegung ſeitwärts von der Linken zur Rechten oder umgekehrt, ſo entſteht immer das Rot nach der Seite hin, wohin ſich der Strahl bewegt, und das Grün bleibt zurück.“ Sehr ſelten hat man von den grünen oder roten Strahlen eine der Komplementarfarben allein geſehen. Blau ſieht man gar nicht, und ein dunkles Rot, wie der Reflex einer Feuersbrunſt, iſt im Norden ſo ſelten, daß Siljeſtröm es nur ein einziges Mal wahrgenommen hat. Die erleuchtende Stärke des Nordlichtes erreicht ſelbſt in Finmark nie ganz die des Vollmondes. Der ſchon ſo lange von mir behauptete wahrſcheinliche Zuſammenhang des Polarlichtes mit der Bildung „der kleinſten und feinſten Cirruswölkchen (von den Landleuten Schäfchen genannt), deren parallele Reihen in gleichen Ab— ſtänden voneinander meiſt der Richtung des magnetiſchen Me— ridians folgen“, hat in den neueſten Zeiten allerdings viele Verteidiger gefunden; ob aber, wie der nordiſche Reiſende Thienemann und Admiral Wrangel wollen, die gereihten Schäfchen das Subſtrat des Polarlichtes oder nicht viel— mehr, wie Kapitän Franklin, Dr. Richardſon und ich ver— muten, die Wirkung eines das magnetiſche Ungewitter begleiten— — 108 — den, von demſelben erzeugten meteorologiſchen Prozeſſes ſeien, bleibt noch unentſchieden.! !“ Neben der mit der Magnet: deklination zu vergleichenden Richtung regelmäßig geordneter feinſter Cirrushäufchen (bandes polaires) hat mich auf dem mexikaniſchen Hochlande (1803) und in dem nördlichen Aſien (1829) das Umdrehen der Konvergenzpunkte lebhaft be⸗ ſchäftigt. Wenn das Phänomen recht vollſtändig iſt, ſo bleiben die beiden ſcheinbaren Konvergenzpunkte nicht feſt, der eine in Nordoſt, der andere in Südweſt (in der Richtung der Linie, welche die höchſten Punkte der bei Nacht leuchtenden Bogen des Polarlichtes miteinander verbindet), ſondern fie bewegen!!“ ſich allmählich gegen Oſt und Weſt. Eine ganz ähnliche Drehung oder Translation der Linie, welche im wirklichen Nordlicht die Gipfel der Lichtbogen verbindet, indem die Füße der Lichtbogen (Stützpunkte auf dem Horizont) ſich im Azimut verändern und von O bis W gegen N bis S wandern, iſt mit vieler Genauigkeit einigemal in Finmark * beobachtet worden. Die Schäfchen, zu Polarſtreifen gereiht, ent: ſprechen nach den hier entwickelten Anſichten der Lage nach den Lichtſäulen oder Strahlenbündeln, welche im Nordlicht aus den meiſt oſtweſtlich gerichteten Bogen gegen den Zenith aufſteigen, ſind alſo nicht mit dieſen Bogen ſelbſt zu verwechſeln, von denen Parry einen nach einer Nordlicht— nacht bei hellem Tage erkennbar ſtehen bleiben ſah. Dieſelbe Erſcheinung hat ſich am 3. September 1827 in England wieder: holt. Man erkannte bei Tage ſogar aus dem Lichtbogen auf: ſchießende Lichtſäulen.!!“ Es iſt mehrmals behauptet worden, daß um den nörd— lichen Magnetpol ein perpetuierlicher Lichtprozeß am Himmelsgewölbe herrſche. Bravais, welcher 200 Nächte un⸗ unterbrochen beobachtet hat, in denen 152 Nordlichter genau beſchrieben werden konnten, verſichert allerdings, daß Nächte ohne Nordſchein ſehr exzeptionell ſeien; aber er hat bei ſehr heiterer Luft und ganz freier Ausſicht auf den Horizont bis⸗ weilen nächtlich gar keine Spur des Polarlichtes bemerkt, oder das magnetiſche Ungewitter erſt ſehr ſpät beginnen ſehen. Die größte abſolute Zahl der Nordlichter gehört dem Ausgang des Monats September an, und da der März eine relative Mehrheit im Vergleich mit Februar und April zu zeigen ſcheint, ſo kann man auch hier, wie bei anderen magnetiſchen Erſcheinungen, einen Zuſammenhang mit den Aequinoktien vermuten. Zu den Beiſpielen von den Nordlichtern, die in —— Br — 109 — Peru, von den Südlichtern, die in Schottland geſehen wurden, muß ein farbiges Nordlicht gezählt werden, welches der Kapitän Lafond auf der Candide am 14. Januar 1831 ſüdlich von Neuholland in 45° Breite volle zwei Stunden lang beob— achtete. Das Geräuſch wird von den franzöſiſchen Phyſikern und von Siljeſtröm in Boſſekop mit eben der Beſtimmtheit ge— leugnet, als von Thienemann, Parry, Franklin, Richardſon, Wrangel und Anjou. Die Höhe des Phänomens hat Bravais auf wenigſtens 100000 m (51307 Toiſen, über 13 geogr. Meilen) geſchätzt, wenn ein ſonſt ſehr verdienſtvoller Beob— achter, Herr Farquharſon, ſie kaum zu 4000 Fuß (1300 m) anſchlug. Die Fundamente aller dieſer Beſtimmungen ſind ſehr unſicher und durch optiſche Täuſchungen wie durch Voraus— ſetzungen über die reelle Identität des gleichzeitig an zwei entfernten Orten geſehenen Lichtbogens verunſtaltet. Unbezweifelt dagegen iſt der Einfluß des Nordlichtes auf Deklination, In— klination, horizontale und totale Intenſität, alſo auf alle Elemente des Erdmagnetismus; doch in verſchiedenen Stadien der großen Erſcheinungen und bei einzelnen jener Elemente ſehr ungleichartig. Die ausführlichſten Unterſuchungen darüber ſind die lappländiſchen von zwei verdienſtvollen Beobachtern, Siljeſtröm und Bravais (1838 bis 1839), wie die kanadiſchen von Toronto (1840 bis 1841), welche Sabine ſo ſcharfſinnig diskutiert hat. Bei unſeren verabredeten gleichzeitigen Beob— achtungen, die in Berlin (im Mendelsſohn-Bartholdyſchen Garten), in Freiburg unter der Erde, in Petersburg, Kaſan und Nikolajew angeſtellt wurden, wirkte das zu Alford in Aberdeenſhire (Br. 57 15°) geſehene Nordlicht vom 19. und 20. Dezember an allen dieſen Orten auf die Abweichung; an einigen, in denen auch andere Elemente des telluriſchen Mag— netismus unterſucht werden konnten, auf Abweichung, Inten⸗ ſität und Inklination zugleich. ““ Während des ſchönen Nord- lichtes, das Profeſſor Forbes in Edinburg am 21. März 1833 beobachtete, wurde in dem Bergwerk zu Freiberg die Inklination auffallend klein und die Abweichung ſo geſtört, daß man kaum den Winkel ableſen konnte. Ein Phänomen, das einer beſonderen Aufmerkſamkeit wert ſcheint, iſt eine Abnahme der totalen Intenſität während der zunehmenden Thätigkeit des Nordlichtprozeſſes. Die Meſſungen, welche ich mit Oltmanns in Berlin während eines ſchönen Nordlichtes am 20. Dezember 1806 gemacht “ und welche ſich in Hanſteens „Unterſuchungen ii über den Magnetismus der Erde“ abgedruckt finden, wurden von Sabine und den franzöſiſchen Phyſikern in Lappland 1838 beſtätigt. ''? Wenn in dieſer ſorgfältigen Entwickelung des dermaligen Zuſtandes unſerer poſitiven Kenntniſſe von den Erſcheinungen des Erdmagnetismus ich mich auf eine bloß objektive Dar— ſtellung da habe beſchränken müſſen, wo ſelbſt eine nur auf Induktion und Analogieen gegründete theoretiſche Gedanken— verbindung noch nicht befriedigend dargeboten werden kann, ſo habe ich in meiner Arbeit ebenſo abſichtlich die geognoſtiſchen Wagniſſe vermieden, in denen man die Richtung großer Ge— birgszüge und geſchichteter Gebirgsmaſſen in ihrer Abhängigkeit von der Richtung magnetiſcher Linien, beſonders der iſokliniſchen und iſodynamiſchen betrachtet. Ich bin weit davon entfernt, den Einfluß aller kosmiſchen Urkräfte, der dynamiſchen und chemiſchen, wie magnetiſcher und elektriſcher Strömungen auf die Bildung kriſtalliniſcher Gebirasarten und Ausfüllung von Gangſpalten zu leugnen, aber bei der fortſchreitenden Bewe— gung aller magnetiſchen Linien und ihrer Geſtaltveränderung im Fortſchreiten kann ihre dermalige Lage uns wohl nicht über die Richtungsverhältniſſe der in der Urzeit zu ſehr ver— ſchiedenen Epochen gehobenen Gebirgsketten, über die Faltung der ſich erhärtenden, Wärme ausſtrömenden Erdrinde belehren. Anderer Art, nicht den Erdmagnetismus im allgemeinen, ſondern nur ſehr partielle, örtliche Verhältniſſe berührend, ſind diejenigen geognoſtiſchen Erſcheinungen, welche man mit dem Namen des Gebirgsmagnetismus bezeichnen kann. Sie haben mich auf das lebhafteſte vor meiner amerikaniſchen Reiſe bei Unterſuchungen über den polariſchen Serpentinſtein des Haidberges in Franken (1796) beſchäftigt, und ſind da⸗ mals in Deutſchland Veranlaſſung zu vielem, freilich harmloſen litterariſchen Streite geworden. Sie bieten eine Reihe ſehr zugänglicher, aber in neuerer Zeit vernachläſſigter, durch Be: obachtung und Experiment überaus unvollkommen gelöſter Probleme dar. Die Stärke des Geſteinmagnetismus kann in einzelnen abgeſchlagenen Fragmenten von Hornblende- und Chloritſchiefer, Serpentin, Syenit, Dolerit, Baſalt, Melaphyr und Trachyt durch Abweichung der Nadel und durch Schwingungs⸗ verſuche zur Beſtimmung der Intenſitätszunahme geprüft werden. Man kann auf dieſem Wege durch Vergleichung des ſpezifiſchen Gewichtes, durch Schlemmung der fein gepulverten Maſſe und Anwendung des Mikroſkops entſcheiden, ob die Stärke der ee — 111 — Polarität nicht mehrfach ſtatt von der Quantität der ein— gemengten Körner Magneteiſens und Eiſenoxyduls, von der relativen Stellung dieſer Körner herrühre. Wichtiger aber in kosmiſcher Hinſicht iſt die von mir längſt wegen des Haidberges angeregte Frage, ob es ganze Gebirgsrücken gibt, in denen nach entgegengeſetzten Abfällen eine entgegengeſetzte Polarität“? gefunden wird? Eine genaue aſtronomiſche Orien⸗ tierung der Lage ſolcher Magnetachſen eines Berges wäre dann von großem Intereſſe, wenn nach beträchtlichen Zeit— perioden entweder eine Veränderung der Achſenrichtung oder eine wenigſtens ſcheinbare Unabhängigkeit eines ſolchen kleinen Syſtems magnetiſcher Kräfte von den drei variablen Elementen des totalen Erdmagnetismus erkannt würde. Anmerkungen. (S. 13.) „La loi de l’attraction réciproque au carré de la distance est celle des emanations qui partent d'un centre. alle parait @tre la loi de toutes les forces dont l’action se fait apercevoir d des distances sensibles, comme on l’a reconnu dans les forces @lectriques et magnetiques. Une des proprietes remarquables de cette loi est que, si les dimensions de tous les corps de l’univers, leurs distances mutuelles et leurs vitesses venaient à croitre ou & diminuer proportionnellement, ils de- criraient des courbes entièrement semblables à celles qu'ils deerivent: en sorte que l’univers, réduit ainsi successivement jusqu'au plus petit espace imaginable, offrirait toujours les mémes apparences aux observateurs. Ces apparences sont par conséquent independantes des dimensions de l’univers, comme, en vertu de la loi de la proportionalite de la force à la vitesse, elles sont independantes du mouvement absolu qu'il peut y avoir dans l'espace.“ Laplace, Exposition du Syst. du Monde (Oeme Ed.), p. 385. 2 (S. 15.) Auf die theoretiſchen Arbeiten jener Zeit find ge— folgt die von Maclaurin, Clairaut und d'Alembert, von Legendre und Laplace. Der letzteren Epoche iſt beizuzählen das (1834) von Jacobi aufgeſtellte Theorem, daß Ellipſoide mit drei ungleichen Achſen ebenſogut unter gewiſſen Bedingungen Figuren des Gleichgewichtes ſein können als die beiden früher angegebenen Umdrehungsellipſoide. (S. 16.) Die erſte genaue Vergleichung einer großen Zahl von Gradmeſſungen (der vom Hochlande von Quito, zweier ojt- indiſcher, der franzöſiſchen, engliſchen und neuen lappländiſchen) wurde im 19. Jahrhundert mit vielem Glücke von Walbeck in Abo 1819 unternommen. Er fand den mittleren Wert für die Abplattung 505 751 für den Meridiangrad 57009,758 t. Leider! iſt ſeine Arbeit (die Abhandlung De forma et magnitudine telluris) nicht vollſtändig erſchienen. Durch eine ehrenvolle Aufforderung von = angeregt, hat dieſelbe Eduard Schmidt in ſeinem ausgezeich— neten Lehrbuche der mathematiſchen Geographie wiederholt und — 113 — verbeſſert, indem er ſowohl die höheren Potenzen der Abplattung als die in Zwiſchenpunkten beobachteten Polhöhen berückſichtigte, auch die hannöverſche Gradmeſſung, wie die von Biot und Arago bis Formentera verlängerte hinzufügte. Die Reſultate erſchienen, allmählich vervollkommnet, in drei Formen: in Gauß, Be⸗ ſtimmung der Breitenunterſchiede von Göttingen und Altona 1828, S. 82; in Eduard Schmidts Lehrbuch der mathem. und phyſ. Geographie 1829, Tl. 1, S. 183 und 194—199, und endlich in der Vorrede zu dieſem Buche, S. V. Das letzte Reſultat iſt: Meridiangrad 57008,655t; Abplattung —— Der erſten Beſſelſchen Arbeit ging (1830) unmittelbar vor: aus die wichtige Schrift Air ys: Figure of the Earth, in der Encyclopaedia metropolitana, Edit. von 1829, p. 220 und 239. (Halde Polarachſe 20853 810 feet = 3 261 163,7 Toiſen, halbe Aequatorialachſe 20923713 feet = 3272095,2 Toiſen, Meridian: quadrant 32811980 feet = 5131208,0 Toifen, Abplattung 8883) Unſer großer Königsberger Aſtronom hat ſich ununterbrochen in den Jahren 1836 bis 1842 mit Berechnungen über die Figur der Erde beſchäftigt; und da ſeine frühere Arbeit von ihm durch ſpätere verbeſſert wurde, ſo iſt die Vermengung der Reſultate von Unter— ſuchungen aus verſchiedenen Zeitepochen in vielen Schriften eine Quelle der Verwirrung geworden. Bei Zahlen, die ihrer Natur nach abhängig voneinander ſind, iſt eine ſolche Vermengung, über: dies noch verſchlimmert durch fehlerhafte Reduktionen der Maße (Toiſen, Meter, engl. Fuße, Meilen von 60 und 69 auf den Aequatorialgrad), um ſo bedauernswürdiger, als dadurch Arbeiten, welche einen großen Aufwand von Anſtrengung und Zeit gekoſtet haben, in dem unvorteilhafteſten Lichte erſcheinen. Im Sommer 1837 gab Beſſel zwei Abhandlungen heraus: die eine über den Einfluß der Unregelmäßigkeit der Erdgeſtalt auf geodätiſche Arbeiten und ihre Vergleichung mit den aſtronomiſchen Beſtimmungen, die andere über die den vorhandenen Meſſungen von Meridianbogen am meiſten entſprechenden Achſen des elliptiſchen Rotations— ſphäroides. Reſultate der Berechnung waren: halbe große Achſe 3271 953,854t; halbe kleine Achſe 3 261072,900t; Länge eines mittleren Meridiangrades, d. h. des neunzigſten Teiles des Erd: quadranten (in der auf dem Aegquator ſenkrechten Richtung), 57011,453t. Ein von Puiſſant aufgefundener Fehler von 68 Toiſen in der Berechnungsart, welche im Jahre 1808 von einer Kommiſſion des Nationalinſtitutes angewandt war, um die Entfernung der Parallele von Montjouy bei Barcelona und Mola auf Formentera zu beſtimmen, veranlaßte Beſſel im Jahre 1841, ſeine frühere Ar: beit über die Dimenſionen des Erdkörpers einer neuen Reviſion zu unterwerfen. Es ergab dieſelbe für die Länge des Erd— quadranten 5131 179,81 (ſtatt daß bei der erſten Beſtimmung des Meters 5130740 Toiſen angenommen worden waren), und für A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 8 — 114 — die mittlere Länge eines Meridiangrades 57013,109* (um 0,611t mehr als der Meridiangrad unter 45° Breite). Die im Texte angeführten Zahlen ſind die Reſultate dieſer letzten Beſſelſchen Unterſuchung. Die 5131180 Toiſen Länge des Meridianquadranten (mit einem mittleren Fehler von 255,63) find = 10000856 m; der ganze Erdumkreis iſt alſo gleich 40003423 m (oder 5390,98 geographiſchen Meilen). Der Unterſchied von der urſprünglichen Annahme der Commission des poids et mesures, nach welcher das Meter der vierzigmillionſte Teil des Erdumfanges ſein ſollte, beträgt alſo für den Erdenumkreis 3423 m oder 1756,27, faſt eine halbe geograph. Meile (genau 9/90). Nach der früheſten Beſtimmung war die Länge des Meters feſtgeſetzt zu 0,5 130740 t; nach Beſſels letzter Beſtimmung ſoll dasſelbe gleich 0,5 131 180t fein. Der Unterſchied für die Länge des Meters iſt alſo 0,038 Pariſer Linien. Das Meter hätte nach Beſſel, ſtatt zu 443,296 Pariſer Linien, was ſeine dermalige legale Geltung iſt, zu 443,334 feſt⸗ geſetzt werden ſollen. (S. 16.) Eine ſehr genaue und um ſo wichtigere Parallel⸗ gradmeſſung, als ſie zur Vergleichung des Niveaus des Mittel— ländiſchen und Atlantiſchen Meeres geführt hat, iſt auf den Parallelkreiſen der Pyrenäenkette von Coraboeuf, Del⸗ cros und Peytier ausgeführt worden. (S. 18.) „Il est tres remarquable qu'un Astronome, sans sortir de son observatoire, en comparant seulement ses obser- vations à l'analyse, eüt pu determiner exactement la grandeur et l’aplatissement de la terre, et sa distance au soleil et à la lune, el&mens dont la connaissance a été le fruit de longs et penibles voyages dans les deux hemispheres. Ainsi la lune, par l’observation de ses mouvements, rend sensible ä l’Astro- nomie perfectionnee l’elliptieitE de la terre, dont elle fit con- naitre la ode aux premiers Astronomes par ses éclipses.“ (Laplace, Expos. du Syst. du Monde p. 230.) Wir haben bereits oben (Kosmos Bd. III, S. 355) eines faſt analogen optiſchen Vorſchlags von Arago erwähnt, gegründet auf die Be⸗ merkung, daß die Intenſität des aſchfarbenen Lichtes, d. h. des Erdenlichtes, im Monde uns über den mittleren Zuſtand der Diaphanität unſerer ganzen Atmoſphäre belehren könne. Vergl. auch Airy in der Encyel. metrop. p. 189 und 236 über Beſtimmung der Erdabplattung durch die Bewegungen des Mondes, wie p. 231—235 über Rückſchlüſſe auf die Geſtalt der Erde aus Präzeſſion und Nutation. Nach Biots Unterſuchungen würde die letztere Beſtimmung für die Abplattung nur Grenzzahlen geben können (1 und =) die ſehr weit von⸗ einander entfernt liegen. (S. 18.) Am früheſten iſt wohl die Anwendung des Iſo⸗ chronismus der Pendelſchwingungen in den aſtronomiſchen Schriften der Araber von Eduard Bernard in England erkannt worden. r RF »⁰ůͥuꝛz tz ee nn 5 4 1 — 15 — S. 19.) Es iſt kaum wahrſcheinlich, daß die in der Pariſer Akademie ſchon vor 1671 geäußerte Vermutung über eine nach Breitengraden ſich verändernde Intenſität der Schwerkraft dem großen Huygens angehöre, der allerdings ſchon 1669 der Akademie ſeinen Discours sur la cause de la gravite vorgelegt hatte. Nicht in dieſer Abhandlung, ſondern in den Additamentis, von denen eines nach dem Erſcheinen von Newtons Prinzipien, deren Huygens erwähnt (aljo nach 1687), muß vollendet worden ſein, ſpricht dieſer von der Verkürzung des Sekundenpendels, die Richer in Cayenne vornehmen mußte. Er ſagt ſelbſt: „Maxima pars hujus libelli scripta est, cum Lutetiae degerem (bis 1681), ad eum usque locum, ubi de alteratione, quae pendulis acceidit e motu Terrae.“ Vergl. die Erläuterung, welche ich gegeben im Kosmos Bd. II, S. 352, Anm. 226. Die von Richer in Cayenne angeſtellten Beobachtungen wurden, wie ich im Texte erwähnt habe, erſt 1679, alſo volle 6 Jahre nach ſeiner Rückkunft, veröffentlicht; und, was am auffallendſten iſt, in den Regiſtern der Académie des Inscriptions geſchieht während dieſer langen Zeit von Richers wichtiger zweifacher Beobachtung der Pendeluhr und eines einfachen Sekundenpendels keine Erwähnung. Wir wiſſen nicht, wann Newton, deſſen früheſte theoretiſche Spekulationen über die Figur der Erde höher als 1665 hinaufreichen, zuerſt Kenntnis von Richers Reſultaten erhalten hat. Von Picards Gradmeſſung, die ſchon 1671 veröffentlicht erſchien, ſoll Newton erſt ſehr ſpät, 1682, und zwar „zufällig durch Geſpräche in einer Sitzung der Royal Society, der er beiwohnte“, Kenntnis erlangt haben, eine Kenntnis, welche, wie Sir David Brewſter gezeigt, einen überaus wichtigen Einfluß auf ſeine Beſtimmung des Erddurchmeſſers und des Verhältniſſes des Falles der Körper auf unſerem Planeten zu der Kraft, welche den Mond in ſeinem Laufe lenkte, ausgeübt hat. Ein ähnlicher Einfluß auf Newtons Ideen läßt ſich von der Kenntnis der elliptiſchen Geſtalt des Jupiter vorausſetzen, welche Caſſini ſchon vor 1666 erkannte, aber erſt 1691 beſchrieb. Sollte von einer viel früheren Publikation, von welcher Lalande einige Bogen in den Händen Maraldis ſah, Newton etwas erfahren haben? Bei den gleich— zeitigen Arbeiten von Newton, Huygens, Picard und Caſſini tft es, wegen der damals gewöhnlichen Zögerung in der Publikation und oft durch Zufall verſpäteten Mitteilung, ſchwer, auf ſichere Spuren des wiſſenſchaftlichen Ideenverkehrs zu gelangen. (S. 20.) Vgl. Biot, Astronomie physique T. II, (1844), p. 464 mit Kosmos Bd. I, S. 293, Ende der Anmerkung 95 und Bd. III, S. 308, wo ich die Schwierigkeiten berühre, welche die Vergleichung der Rotationszeit der Planeten mit ihrer beobachteten Abplattung darbietet. Auch Schubert hat ſchon auf dieſe Schwierigkeit aufmerkſam gemacht. Beſſel in ſeiner Abhandlung über Maß und Gewicht ſagt ausdrücklich, „daß die Voraus⸗ ſetzung des Gleichbleibens der Schwere an einem Meſſungsorte — 116 — durch neuere Erfahrungen über die langſame Erhebung großer Teile der Erdoberfläche einigermaßen unſicher geworden iſt“. (S. 20.) Airy zählte im Jahre 1830 an fünfzig verſchiedene Stationen mit ſicheren Reſultaten, und vierzehn andere (von Bouguer, Legentil, Lacaille, Maupertuis, la Eroyere), die mit den vorigen an Genauigkeit nicht verglichen werden können. 10 (S. 21.) Sabine findet aus allen 13 Stationen ſeiner Pendelexpedition, trotz ihrer jo großen Zerſtreutheit in der nörd⸗ lichen Erdhälfte, 883; aus dieſen, vermehrt mit allen Pendel: ftationen des British Survey und der franzöſiſchen Gradmeſſung (von Formentera bis Dünkirchen), im ganzen alſo durch Ber: gleichung von 25 Beobachtungspunkten, wiederum 85 Auffallender iſt es, wie ſchon der Admiral Lütke bemerkt, daß, von der atlan⸗ tiſchen Region weit weſtlich entfernt, in den Meridianen von Petro⸗ pawlowsk und Nowo Archangelsk die Pendellängen eine noch viel ſtärkere Abplattung, die von 27 geben. Wie die früher allgemein angewandte Theorie des Einfluſſes von der das Pendel um: gebenden Luft zu einem Rechnungsfehler führe und eine, ſchon 1786 vom Chevalier de Buat etwas undeutlich angegebene Korrektion notwendig mache (wegen Verſchiedenheit des Gewichtsverluſtes feſter Körper, wenn ſie in einer Flüſſigkeit in Ruhe oder ſchwingender Bewegung ſind), hat Beſſel mit der ihm eigenen Klarheit analytiſch entwickelt in den Unterſuchungen über die Länge des einfachen Sekundenpendels, ©. 32, 63 und 126—129. „Bewegt ſich ein Körper in einer Flüſſigkeit (Luft), ſo gehört auch dieſe mit zum bewegenden Syſteme; und die bewegende Kraft muß nicht bloß auf die Maſſenteile des feſten bewegten Körpers, ſondern auch auf alle bewegten Maſſenteile der Flüſſigkeit verteilt werden.“ Ueber die Verſuche von Sabine und Baily, zu welchen Beſſels praktiſch wichtige Pendelkorrektion (Reduktion auf den leeren Raum) Anlaß gegeben hatte, ſ. John Herſchel im Memoir of Francis Bail y 1845, p. 17—21. 1 (S. 21.) Vergl. für die Inſelphänomene Sabine, Pend. Exper. 1825, p. 237 und Lütke, Observ. du Pendule in- variable, exécutées de 1826 - 1829, p. 241. Dasſelbe Werk enthält eine merkwürdige Tabelle über die Natur der Gebirgs: arten in 16 Pendelſtationen (p. 239) von Melville-Inſel (Breite 79050“ N.) bis Valparaiſo (Breite 33° 2° S.). 12 (S. 21.) Eduard Schmidt hat unter den vielen Pendel: beobachtungen, welche auf den Korvetten Descubierta und Atre⸗ vida unter Malaſpinas Oberbefehl angeſtellt wurden, die 13 Sta⸗ tionen abgeſondert, welche der ſüdlichen Halbkugel angehören, und im Mittel eine Abplattung von — 81 gefunden. Mathieu folgerte auch aus Lacailles Beobachtungen am Vorgebirge der guten Hoffnung und auf Ile de France, mit Paris verglichen, P rn — — 117 — Fe aber die Meßapparate damaliger Zeit boten nicht die Sicher- heit dar, welche die Vorrichtungen von Borda und Kater und die neueren Beobachtungsmethoden gewähren. — Es iſt hier der Ort, des ſchönen, den Scharfſinn des Erfinders ſo überaus ehrenden Experimentes von Foucault zu erwähnen, welches den ſinnlichen Beweis von der Achſendrehung der Erde mittels des Pendels liefert, indem die Schwingungsebene desſelben ſich langſam von Oſten nach Weiten dreht Abweichungen gegen Oſten in den Fall- verſuchen von Benzenberg und Reich auf Kirchtürmen und in Schachten erfordern eine ſehr beträchtliche Fallhöhe, während Fou— caults Apparat ſchon bei ſechs Fuß Pendellänge die Wirkung der Erdrotation bemerkbar macht. Erſcheinungen, welche aus der Rotation erklärt werden (wie Richers Uhrgang in Cayenne, täg- liche Aberration, Ablenkung der Projektile, Paſſatwinde), ſind wohl nicht mit dem zu verwechſeln, was zu jeder Zeit durch Foucaults Apparat hervorgerufen wird, und wovon, ohne es weiter zu ver— folgen, die Mitglieder der Academia del Cimento ſcheinen etwas erkannt zu haben. (S. 22.) Im griechiſchen Altertum wurden zwei Gegenden der Erde bezeichnet, in denen auf merkwürdige Anſchwellungen der Oberfläche nach den damals herrſchenden Meinungen geſchloſſen wurde: der hohe Norden von Aſien und das Land unter dem Aequator. „Die hohen und nackten ſkythiſchen Ebenen,“ jagt Hippokrates, „ohne von Bergen gekrönt zu ſein, ver: längern und erheben ſich bis unter den Bären.“ Derſelbe Glaube wurde ſchon früher dem Empedokles zugeſchrieben. Ariſtoteles ſagt, daß die älteren Meteorologen, welche die Sonne „nicht unter der Erde, ſondern um dieſelbe herumführten“, die gegen den Norden hin angeſchwollene Erde als eine Urſache betrachteten von dem Ver⸗ ſchwinden der Sonne oder des Nachtwerdens. Auch in der Kom— pilation der Probleme wird die Kälte des Nordwindes der Höhe des Bodens in dieſer Weltgegend zugeſchrieben. In allen dieſen Stellen iſt nicht von Gebirgen, ſondern von Anſchwellung des Bodens in Hochebenen die Rede. Ich habe bereits an einem anderen Orte gezeigt, daß Strabo, welcher allein ſich des jo charakteriſtiſchen Wortes dgorsda bedient, für Armenien, für das von wilden Ejeln bewohnte Lykaonien und für Oberindien, im Goldlande der Darden, die Verſchiedenheit der Klimate durch geographiſche Breite überall von der unterſcheidet, welche der Höhe über dem Meere zu- geſchrieben werden muß. „Selbſt in ſüdlichen Erdſtrichen,“ ſagt der Geograph von Amaſia, „iſt jeder hohe Boden, wenn er auch eine Ebene iſt, kalt.“ — Für die ſehr gemäßigte Temperatur unter dem Aequator führen Eratoſthenes und Polybius nicht allein den ſchnelleren Durchgang der Sonne, ſondern vorzugsweiſe die An— ſchwellung des Bodens an. Beide behaupten nach dem Zeugnis des Strabo, „daß der dem Gleicher unterliegende Erdſtrich der höchſte ſei, weshalb er auch beregnet werde, da bei dem Eintreten — 118 — der nach den Jahreszeiten wechſelnden Winde ſehr viel nördliches Gewölk an der Höhe anhinge“. Von dieſen beiden Meinungen über die Erhöhung des Bodens im nördlichen Aſien (dem ſky— thiſchen Europa des Herodot) und in der Aequatorialzone hat die erſte, mit der dem Irrtum eigentümlichen Kraft, faſt zwei— tauſend Jahre ſich erhalten, und zu der geologiſchen Mythe von dem ununterbrochenen tatariſchen Hochlande nördlich vom Hima- laya Anlaß gegeben, während daß die andere Meinung nur gerecht— fertigt werden konnte für eine in Aſien außerhalb der Tropenzone belegene Gegend, für die koloſſale „Hoch- oder Gebirgsebene Meru“, welche in den älteſten und edelſten Denkmälern indiſcher Poeſie gefeiert wird. Ich habe geglaubt, in dieſe umſtändliche Ent— wickelung eingehen zu müſſen, um die Hypotheſe des geiſtreichen Fréret zu widerlegen, der, ohne Stellen griechiſcher Schriftſteller anzuführen, und nur auf eine einzige vom Tropenregen anſpielend, jene Meinungen von lokalen Anſchwellungen des Bodens auf Abplattung oder Verlängerung der Pole deutet. „Pour ex- pliquer les pluyes,“ jagt Fréret (M&m. de l' Acad. des In- seriptions T. XVIII, 1753, p. 112), „dans les regions équino— xiales que les conquetes d' Alexandre firent connoitre, on imagina des courans qui poussoient les nuages des pöles vers l’equateur, ou, au defaut des montagnes qui les arr&toient, les nuages l'étaient par la hauteur generale de la Terre, dont la surface sous l’&quateur se trouvoit plus éloignée du centre que sous les pöles. Quelques physiciens donnerent au globe la figure d'un spheroide rentl& sous l’&quateur et aplati vers les pöles. Au contraire dans l’opinion de ceux des anciens qui croyoient la terre alongee aux pöles, le pays voisin des pöles se trouvoit plus eloigne du centre que sous l’Equateur.“ Ich kann kein Zeugnis des Altertums auffinden, welches dieſe Be— hauptungen rechtfertigte. Im dritten Abſchnitt des erſten Buches des Strabo heißt es ausdrücklich: „Nachdem Eratoſthenes geſagt hat, daß die ganze Erde kugelförmig ſei, doch nicht wie von der Drehbank (ein Ausdruck, dem Herodot entlehnt), und manche Ab— weichungen habe, führt er viele Umgeſtaltungen an, welche durch Waſſer und Feuer, durch Erdbeben, unterirdiſche Windſtöße lelaſtiſche Dämpfe?) und andere dergleichen Urſachen erfolgen, aber auch hier die Ordnung nicht beachtend. Denn die Kugelrundung um die ganze Erde erfolgt aus der Anordnung des Ganzen, und ſolche Umgeſtaltungen verändern das Ganze der Erde gar nicht; das Kleine verſchwindet im Großen.“ Später heißt es, immer nach Groskurds ſehr gelungener Ueberſetzung, „daß die Erde mit der See kugelförmig ſei, und eine und dieſelbe Oberfläche bilde mit den Meeren. Das Hervorragende des Landes, welches unbedeutend iſt und unbemerkt bleiben kann, verliert ſich in ſolcher Größe, ſo daß wir die Kugelgeſtalt in ſolchen Fällen nicht ſo beſtimmen wie nach der Drehbank, auch nicht wie der Meßkünſtler nach dem Begriffe, — 119 — ſondern nach ſinnlicher und zwar gröberer Wahrnehmung“. „Die Welt iſt zugleich ein Werk der Natur und der Vorſehung; Werk der Natur, indem alles gegen einen Punkt, die Mitte des Ganzen, ſich zuſammenneigt, und ſich um denſelben rundet, das weniger Dichte (das Waſſer) das Dichtere enthaltend.“ Wo bei den Griechen von der Figur der Erde gehandelt wird, heißt es bloß, daß man ſie mit einer flachen oder in der Mitte vertieften Scheibe, mit einem Cylinder (Anarimander), mit einem Kubus, einer Pyramide ver: glichen; und endlich allgemein, trotz des langen Streites der Epi— kureer, welche die Anziehung nach dem Centrum leugneten, für eine Kugel gehalten habe. Die Idee der Abplattung hat ſich der Phantaſie nicht dargeboten. Die längliche Erde des Demokritus war nur die in einer Dimenſion verlängerte Scheibe des Thales. Der Paukenform, 7 , touravosdts, welche vorzugsweiſe dem Leucippus zugeſchrieben wird, liegt ſchon zum Grunde die Vorſtellung einer Halbkugel mit ebener Baſis, welche vielleicht den Gleicher be— zeichnet, während die Krümmung als die olxov.zvn gedacht wurde. Eine Stelle des Plinius über die Perlen erläutert dieſe Ge— ſtaltung, wogegen Ariſtoteles nur eine Vergleichung von Kugelſegmenten mit dem Tympan darbietet, wie auch aus dem Kommentar des Olympiodor erhellt. Ich habe abſichtlich in dieſer Ueberſicht nicht zweier mir wohlbekannten Stellen des Agathemer und des Euſebius gedacht, weil ſie beweiſen, mit welcher Ungenauigkeit oft ſpätere Schriftſteller den Alten Meinungen zuſchreiben, die denſelben ganz fremd waren. „Eudoxus ſoll nach dieſen Angaben der Erd ſcheibe eine Länge und Breite im Ver— hältnis der Dimenſionen wie 1 zu 2 gegeben haben; ebenſo Dikäarch, der Schüler des Ariſtoteles, welcher doch eigene Beweiſe für die Kugelgeſtalt der Erde vortrug. Hipparch habe die Erde für zpurs- Coerde und Thales für eine Kugel gehalten!“ 1 (S. 22.) „Mir ſcheint es oft, als nenne man bisweilen die Abplattung der Erde faſt nur deshalb etwas zweifelhaft, weil man zu große Genauigkeit erreichen will. Nimmt man die Abplattungen zu 310 Ar Er 2805 ſo erhält man den Unterſchied beider Halb— meſſer gleich 10554, 10905, 11281 und 11684 Toiſen. Das Schwanken von 30 Einheiten im Nenner erzeugt nur ein Schwanken von 1130 Toiſen in dem Polarhalbmeſſer, eine Größe, die ver— gleichungsweiſe mit den ſichtbaren Ungleichheiten der Oberfläche der Erde ſo wenig weſentlich erſcheint, daß ich wirklich oft erſtaune, wie die Experimente noch innerhalb ſolcher Grenzen zuſammen— ſtimmen. Zerſtreute Beobachtungen, auf weiten Flächen vereinzelt, werden uns allerdings wenig mehr lehren, als wir ſchon wiſſen; aber wichtig wäre es, wenn man alle Meſſungen über die ganze Oberfläche von Europa miteinander verbände und alle aſtronomiſch beſtimmten Punkte in dieſe Operation hineinzöge.“ (Beſſel in einem Briefe an mich vom Dezember 1828.) Nach — 120 — dieſem Vorſchlage würde man aber doch nur die Erdgeſtaltung von dem kennen lernen, was man als die gegen Weſten vortretende Peninſulargliederung des großen aſiatiſchen Kontinentes in kaum 66 Längengeraden betrachten kann. — Die Steppen des nördlichen Aſiens, ſelbſt die mittlere Kirgiſenſteppe, von der ich einen be- trächtlichen Teil geſehen, find oft hügelig und in Hinſicht der Raum: verhältniſſe ununterbrochener Söhligkeit im großen keines⸗ wegs mit den Pampas von Buenos Ayres und den Llanos von Venezuela zu vergleichen. Dieſe letzteren, weit von Gebirgs⸗ ketten entfernt, und in der nächſten Erdrinde mit Flözformationen und Tertiärſchichten von ſehr gleicher und geringer Dichtigkeit be- deckt, würden durch Anomalieen in den Ergebniſſen der Pendel- ſchwingungen ſehr reine und ſehr entſcheidende Reſultate über die örtliche Konſtitution der tiefen inneren Erdſchichten liefern können. 1 (S. 23.) Bouguer, welcher La Condamine zu dem Ex— perimente über die Ablenkung der Lotlinie durch den Chimborazo aufforderte, erwähnt allerdings des Vorſchlages von Newton nicht. Leider! beobachtete der unterrichtetſte der beiden Reiſenden nicht an entgegengeſetzten Seiten des koloſſalen Berges, in Oſten und Weſten, ſondern (Dez. 1738) in zwei Stationen an einer und der— ſelben Seite, einmal in der Richtung Süd 61“ Weſt (Ent: fernung vom Centrum der Gebirgsmaſſe 4572 Toiſen = 8911 m), und dann in Süd 16“ Weſt (Entfernung 1753 Toiſen = 3386 m). Die erſte Station lag in einer mir wohlbekannten Gegend, wahr— ſcheinlich unter der Höhe, wo der kleine Alpenſee Yana-Cocha ſich befindet; die andere in der Bimsſteinebene des Arenal. Die Ab: lenkung, welche die Sternhöhen angaben, war gegen alle Er— wartung nur 7,5“: was von den Beobachtern ſelbſt der Schwierig⸗ keit der Beobachtung (der ewigen Schneegrenze ſo nahe), der Ungenauigkeit der Inſtrumente, und vor allem den vermuteten großen Höhlungen des koloſſalen Trachytberges zugeſchrieben wurde. Gegen dieſe Annahme ſehr großer Höhlungen und die deshalb ver— mutete ſehr geringe Maſſe des Trachytdomes des Chimborazo habe ich aus geologiſchen Gründen manchen Zweifel geäußert. Süd⸗ſüd⸗öſtlich vom Chimborazo, nahe bei dem indiſchen Dorfe Calpi, liegt der Eruptionskegel Yana-Urcu, welchen ich mit Bonpland genau unterſucht und welcher gewiß neueren Urſprungs als die Er⸗ hebung des großen glockenförmigen Trachytberges iſt. An dem letzteren iſt von mir und Bouſſingault nichts Kraterartiges auf⸗ gefunden worden. 16 (S. 23.) Die neueſten Verſuche meines vortrefflichen Freundes, des Prof. Reich, nähern ſich etwas mehr der ſchönen Arbeit von Baily. Ich habe das Mittel (5,5772) gezogen aus den Verſuchsreihen: a) mit der Zinnkugel und dem längeren, dickeren Kupferdrahte, 5,5712, bei wahrſcheinlichem Fehler von 0,0113; b) mit der Zinnkugel und dem kürzeren, dünneren Kupferdraht, wie . — . TE — Gr 9 mit der Zinnkugel und dem bifilaren Eiſendraht, 5,5832, bei wahr: ſcheinlichem Fehler von 0,0149. Mit Berückſichtigung dieſer Fehler in a und b iſt das Mittel 5,5756. Das Reſultat von Baily (5,660), freilich durch zahlreichere Verſuche erhalten, könnte doch wohl eine etwas zu große Dichtigkeit geben, da es ſcheinbar um ſo mehr anwuchs, als die angewandten Kugeln (Glas oder Elfen— bein) leichter waren. — Die Bewegung des Torſionsbalkens wurde von Baily nach dem Vorgange von Reich mittels des Bildes beob— achtet, welches, wie bei den magnetiſchen Beobachtungen von Gauß, ein an der Mitte des Balkens befeſtigter Spiegel von einer Skale reflektierte. Der ſo überaus wichtige, die Genauigkeit des Ab— leſens vermehrende Gebrauch eines ſolchen Spiegels iſt von Poggendorff ſchon im Jahre 1826 vorgeſchlagen worden. 17 (S. 24.) Das mittlere ſpezifiſche Gewicht des Granites iſt höchſtens auf 2,7 anzuſchlagen, da der zweiachſige weiße Kaliglimmer und der grüne einachſige Magneſiaglimmer 2,85 bis 3,1 und die übrigen Beſtandteile der Gebirgsart, Quarz und Feldſpat, 2,56 und 2,65 ſind. Selbſt Oligoklas hat nur 2,68. Wenn auch Horn— blende bis 3,17 ſteigt, ſo bleibt der Syenit, in welchem Feldſpat ſtets vorwaltet, doch tief unter 2,8. Da Thonſchiefer 2,69 bis 2,78, unter den Kalkſteinen nur reiner Dolomit 2,88 erreicht, Kreide 2,72, Gips und Steinſalz 2,3, ſo halte ich die Dichtigkeit der uns erkenn— baren Kontinentalrinde der Erde für näher an 2,6 als an 2,4. Laplace hat, in der Vorausſetzung, daß die Dichtigkeit von der Oberfläche nach dem Mittelpunkte in arithmetiſcher Progreſſion zu— nehme, und unter der, gewiß irrigen Annahme, daß die Dichtigkeit der oberen Schicht — 3 ift, für die mittlere Dichtigkeit der ganzen Erde 4,7647 gefunden, welches bedeutend von den Reſultaten von Reich 5,577 und Baily 5,660 abweicht, weit mehr, als die wahr— ſcheinlichen Fehler der Beobachtung geſtatten. Durch eine neue Diskuſſion der Hypotheſe von Laplace in einer intereſſanten Ab— handlung, welche bald in Schumachers Aſtronom. Nachrichten erſcheinen wird, iſt Plana zu dem Reſultate gelangt, daß durch eine veränderte Behandlung dieſer Hypotheſe ſowohl die Reichſche mittlere Dichtigkeit der Erde als die von mir auf 1,6 geſchätzte Dichtigkeit der trockenen und ozeaniſchen Oberflächenſchicht, ſowie die Elliptizität, innerhalb der für die letztere Größe wahrſcheinlichen Grenzen, ſehr angenähert dargeſtellt werden können. „Si la com- pressibilite des substances dont la Terre est formée (jagt der Turiner Geometer), a été la cause qui a donné à ses couches des formes regulieres, à peu pres elliptiques, avec une densité croissante depuis la surface jusqu'au centre; il est permis de penser que ces couches, en se consolidant, ont subi des modi- fications, ä la vérité fort petites, mais assez grandes pour nous empecher de pouvoir deriver, avec toute l’exactitude que l'on pourrait souhaiter, l'état de la Terre solide de son état anterieur de fluidite. Cette reflexion m'a fait apprécier davan- — 12 — tage la premiere hypothese, proposée par l’auteur de la Mecanique celeste, et je me suis décidé à la soumettre ä une nouvelle discussion.“ (S. 26.) Die von Walferdin mitgeteilten Beobachtungen ſind von dem Herbſt 1847. Sie ſind ſehr wenig abweichend von den Reſultaten, welche ebenfalls mit dem Walferdinſchen Apparate Arago 1840 erhielt in 505 m Tiefe, als der Bohrer eben die Kreide verlafjen hatte und in den Gault einzudringen anfing. (S. 27.) Jetzt iſt der tiefſte Schacht das Bohrloch auf Salz zu Sperenberg in Preußen; es erreicht eine Tiefe von 1272 m, und da ſich der Aufſchlagpunkt in einer Seehöhe von nur 72 m befindet, von 1200 m unter dem Niveau des Meeresſpiegels. [D. Herausg.] (S. 27.) Nach Julius Hanns neueren Ermittelungen er: folgt die Wärmezunahme im Verhältnis von 1“ C. für je 33,7 m, oder die Wärmezunahme pro 100 m iſt 2,97“, alſo ganz nahe gleich 3» C. [D. Herausg. | (S. 27.) In abſoluter Tiefe kommt das Bohrloch zu Mon⸗ dorf im Großherzogtum Luxemburg (2066 Fuß = 671 m) dem von Neu-Salzwerk am nächſten. 2 (S. 27.) Die Vergleichung einer großen Zahl arteſiſcher Brunnen in der Nähe von Lille mit denen von Saint-Ouen und Genf könnte auf einen beträchtlicheren Einfluß der Leitungs⸗ fähigkeit der Erd- und Geſteinſchichten ſchließen laſſen, wenn die Genauigkeit der numeriſchen Angaben gleich ſicher wäre. 25 (S. 27.) In einer Tabelle von 14 Bohrlöchern, die über 100 m Tiefe haben, aus den verſchiedenſten Teilen von Frankreich, führt Bravais neun auf, in welchen die einem Grad zugehörige Temperaturzunahme zwiſchen 27 und 39 m fällt, von dem im Texte gegebenen Mittel von 32 m zu beiden Seiten um 5 bis 6 m ab- weichend. Im ganzen ſcheint die Temperaturzunahme ſchneller in arteſiſchen Brunnen von ſehr geringer Tiefe; doch machen die ſehr tiefen Brunnen von Monte Maſſi in Toscana und Neuffen am nordweſtlichen Teil der ſchwäbiſchen Alp davon ſonderbare Ausnahmen. 24 (S. 29.) Alle Zahlen die Temperatur der Caves de l’Obser- vatoire betreffend find aus Poiſſon, Theorie mathematique de la Chaleur, p.415 und 462 entlehnt. Dagegen enthält das Annuaire me&teorologique de la France von Martins und Haeghens 1849, p. 88 abweichende Korrektionen des Lavoi⸗ ſierſchen unterirdiſchen Thermometers durch Gay-Luſſac. Im Mittel aus 3 Ableſungen (Juni bis Auguſt) gab jenes Thermometer 12,1930, wenn Gay-Luſſac die Temperatur zu 11,843“ fand, alſo Differenz 0,350. > (S. 30.) Bouſſingault, „Sur la profondeur à laquelle on trouve dans la zone torride la couche de temperature in- variable“, in den Annales de Chimie et de Physique nm — 123 — T. LIII. 1833, p. 225 — 247. Einwendungen gegen die in dieſer Abhandlung empfohlene und in Südamerika durch ſo viele genaue Verſuche bewährte Methode ſind von John Caldecott, dem Aſtro— nomen des Radſchah von Travancore, und vom Kapitän Newbold in Indien gemacht worden. Der erſtere fand zu Trevandrum die Bodentemperatur in 3 Fuß (97 cm) Tiefe und darunter (aljo tiefer, als Bouſſingault vorſchreibt) 85“ und 86“ Fahr., wenn die mittlere Lufttemperatur zu 80,02» Fahr. angegeben wird. Newbolds Ber: ſuche zu Bellary (Br. 15° 5°) gaben für 1 Fuß (32 cm) Tiefe von Sonnenaufgang bis 2 Uhr nach der Kulmination noch eine Tempe— raturvermehrung von 4, aber zu Caſſargode (Br. 12297 bei be⸗ wölktem Himmel von 1% Fahrenheitſchen Graden. Sollten die Thermometer wohl gehörig bedeckt, vor der Inſolation geſchützt geweſen ſein? Oberſt Acoſta, der verdiente Geſchichtſchreiber von Neugranada, hat ſeit einem Jahre zu Guaduas am ſüdweſtlichen Abfall des Hochlandes von Bogota, wo die mittlere Temperatur des Jahres 23,8“ iſt, in 1 Fuß Tiefe, und zwar in einem bedeckten Raume, eine lange Reihe von Beobachtungen gemacht, welche Bouſſingaults Behauptung vollkommen bekräftigen. Letzterer meldet: „Les Observations du Colonel Acosta, dont Vous connaissez la grande precision en tout ce qui interesse la Meteorologie, prouvent que, dans les conditions d’abri, la Temperature reste eonstante entre les tropiques à une très petite profondeur.“ 26 (S. 32.) Der Kaufmann Feodor Schergin, Verwalter vom Kontor der ruſſiſch-amerikaniſchen Handlungsgeſellſchaft, fing im Jahre 1828 an, in dem Hofe eines dieſer Geſellſchaft gehörigen Hauſes einen Brunnen zu graben. Da er bis zu der Tiefe von 90 Fuß (29,9 m), die er 1830 erreichte, nur gefrorenes Erdreich und kein Waſſer fand, ſo gab er die Arbeit auf, bis der Admiral Wrangel, der auf ſeinem Wege nach Sitka im ruſſiſchen Amerika Jakutsk berührte und einſah, welches große wiſſenſchaftliche Inter— eſſe an die Durchſenkung der unterirdiſchen Eisſchicht geknüpft ſei, Herrn Schergin aufforderte, das Vertiefen des Schachtes fortzu— ſetzen. So erreichte derſelbe bis 1837 volle 382 engliſche Fuß (= 116 m) unter der Oberfläche, immer im Eiſe bleibend. 27 (S. 32.) „Schließen wir,“ jagt Middendorff, „diejenigen Tiefen aus, welche noch nicht ganz 100 Fuß erreichen, weil ſie nach den bisherigen Erfahrungen in Sibirien in den Bereich der jähr— lichen Temperaturveränderungen gehören, ſo bleiben doch noch ſolche Anomalieen in der partiellen Wärmezunahme, daß dieſelben für 1 R. von 150 zu 200 Fuß nur 66, von 250 bis 300 Fuß da— gegen 217 engl. Fuß betragen. Wir müſſen uns alſo bewogen fühlen, auszuſprechen, daß die bisherigen Ergebniſſe der Beobachtung im Scherginſchachte keineswegs genügen, um mit Sicherheit das Maß der Temperaturzunahme zu beſtimmen, daß jedoch (trotz der großen Abweichungen, die in der verſchiedenen Leitungsfähigkeit der Erdſchichten, in dem ſtrömenden Einfluſſe der äußeren herab ſinkenden — 14 — Luft oder der Tagewaſſer gegründet ſein können) die Temperatur: zunahme auf 1“ R. nicht mehr als 100 bis 117 engliſche Fuß be⸗ trage.“ Das Reſultat 117 engl. Fuß (= 35,6 m) iſt das Mittel aus den 6 partiellen Temperaturzunahmen (von 50 zu 50 Fuß) zwiſchen 100 und 382 Fuß Schachttiefe. Vergleiche ich die Luft: temperatur des Jahres zu Jakutsk (— 8,13“ R.) mit der durch Beob— achtung gegebenen mittleren Temperatur des Eiſes (— 2,40 R.) in der größten Tiefe (382 engl. Fuß), jo finde ich 66 ⅝ engl. Fuß (20,27 m) für 1“ R. Hundert Fuß gibt die Vergleichung des Tiefſten mit der Temperatur, welche in 100 Fuß Schachttiefe herrſcht. Aus den ſcharfſinnigen numeriſchen Unterſuchungen von Midden— dorff und Peters über die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der atmo— ſphäriſchen Temperaturveränderungen, über Kälte- und Wärme: gipfel folgt, daß in den verſchiedenen Bohrlöchern, in den geringen oberen Tiefen von 7 bis 20 Fuß (2,1 bis 6,1 m), „ein Steigen der Temperatur vom März bis Oktober, und ein Sinken der Tempe— ratur vom November bis April ſtattfindet, weil Frühjahr und Herbſt die Jahreszeiten ſind, in welchen die Veränderungen der Luft— temperatur am bedeutendſten ſind“. Selbſt ſorgfältig verdeckte Gruben kühlen ſich in Nordſibirien allmählich aus durch vieljährige Berührung der Luft mit den Schachtwänden. Im Scherginſchachte hat jedoch in 18 Jahren dieſe Berührung kaum ½ Grad Tempe— raturerniedrigung hervorgebracht. Eine merkwürdige und bisher unerklärte Erſcheinung, die ſich auch in dem Scherginſchachte dar— geboten hat, iſt die Erwärmung, welche man im Winter bisweilen in den tieferen Schichten allein bemerkt hat, „ohne nachweisbaren Einfluß von außen“. Noch auffallender erſcheint es mir, daß im Bohrloch zu Wedensk an der Päſina bei einer Lufttemperatur von — 28 R. in der fo geringen Tiefe von 5 bis 8 Fuß nur — 2,5“ gefunden wurden! Die Iſogeothermen, auf deren Richtung Kupffers ſcharfſinnige Unterſuchungen zuerſt geleitet haben, werden noch lange Zeit ungelöſte Probleme darbieten. Die Löſung iſt beſonders ſchwierig da, wo das vollſtändige Durchſinken der Bodeneisſchicht eine langdauernde Arbeit iſt. Als ein bloßes Lokalphänomen, nach des Oberhüttenverwalters Slobins Anſicht durch die aus Gewäſſern niedergeſchlagenen Erdſchichten entſtanden, darf jetzt das Bodeneis bei Jakutsk nicht mehr betrachtet werden. 28 (S. 33.) In dieſen numerischen Angaben und Vermutungen über die Dicke des Eisbodens wird eine Zunahme der Temperatur nach arithmetiſcher Progreſſion der Tiefen vorausgeſetzt. Ob in größeren Tiefen eine Verlangſamung der Wärmezunahme eintrete, iſt theoretiſch ungewiß, und daher von ſpielenden Berechnungen über die Temperatur des Erdeentrums in Strömung erregenden geſchmolzenen heterogenen Gebirgsmaſſen abzuraten. 29 (S. 34.) Middendorff Bd. J, S. 166 verglichen mit S. 179. „Die Kurve des anfangenden Eisbodens ſcheint in Nord— aſien zwei gegen Süden konvexe Scheitel: einen ſchwach gekrümmten — 125 — am Ob und einen ſehr bedeutenden an der Lena, zu haben. Die Grenze des Eisbodens läuft von Bereſow am Ob gegen Turuchansk am Jeniſei; dann zieht fie ſich zwiſchen Witimsk und Olekminsk auf das rechte Ufer der Lena, und, zum Norden hinan— ſteigend, oſtwärts.“ 30 (S. 36.) Die Hauptſtelle von der magnetiſchen Kette von Ringen iſt im Platoniſchen Jon, p. 533 D, E ed. Steph. Später erwaͤhnen dieſer Fortpflanzung der anziehenden Wirkung außer Plinius und Luerez auch Auguſtinus und Philo. 31 (S. 37.) Eduard Biot, der die Klaprothſchen Unter— ſuchungen über das Alter des Gebrauchs der Magnetnadel in China durch mühſame bibliographiſche Studien, teils allein, teils mit Bei— hilfe meines gelehrten Freundes Stanislas Julien, bekräftigt und erweitert hat, führt eine ältere Tradition an, die ſich aber erſt bei Schriftſtellern aus den erſten chriſtlichen Jahrhunderten findet, nach welcher Magnetwagen ſchon unter dem Kaiſer Hoong=ti gebraucht wurden. Dieſer berühmte Monarch ſoll 2600 Jahre vor unſerer Zeitrechnung (d. i. tauſend Jahre vor der Vertreibung der Hykſos aus Aegypten) regiert haben. 32 (S. 37.) Ariſtoteles ſelbſt ſpricht nur von der Beſeelung des Magnetſteins als einer Meinung des Thales. Diogenes Laertius dehnt aber die Meinung beſtimmt auf den Bernſtein aus, indem er ſagt: „Ariſtoteles und Hippias behaupten von der Lehre des Thales . . . .“ Der Sophiſt Hippias aus Elis, der alles zu wiſſen wähnte, beſchäftigte ſich mit Naturkunde, und ſo auch mit den älteſten Traditionen aus der phyſiologiſchen Schule. Der „an— ziehende Windeshauch“, welcher, nach dem chineſiſchen Phyſiker Kuopho, „den Magnet und den Bernſtein durchweht“, erinnert, nach Buſchmanns mexikaniſchen Sprachunterſuchungen, an den aztekiſchen Namen für den Magnet: tlaihioanani tetl, bedeutend: „der durch den Hauch an ſich ziehende Stein“ (von ihiotl Hauch, Atem, und ana ziehen). 3 (S. 37.) Was Klaproth über dieſen merkwürdigen Apparat dem Penthſaoyan entnommen, iſt umſtändlicher in dem Mung- khi-pi-than aufgefunden worden. Warum wird wohl in dieſer letzteren Schrift, wie auch in einem chineſiſchen Kräuterbuche geſagt: die Cypreſſe weiſt nach dem Weſten, und allgemeiner: die Magnet— nadel weiſt nach dem Süden? Iſt hier eine üppigere Entwickelung der Zweige nach Sonnenſtand oder vorherrſchender Windrichtung gemeint? 34 (S. 41.) Zu der Zeit König Eduards III. von England, als, wie Sir Nicholas Harris Nicolas erwieſen hat, immer nach dem Kompaß, damals sailstone dial, sailing needle oder ada- mante genannt, geſchifft wurde, ſieht man zur Ausrüſtung des „King's ship the George“ im Jahre 1345 in dem Ausgaberegiſter aufgeführt ſechzehn in Flandern gekaufte horologes (hour- glasses): aber dieſe Angabe iſt keineswegs ein Beweis für den Gebrauch des — 126 — Logs. Die Stundengläſer (ampolletas der Spanier) waren, wie aus den Angaben von Enceiſo in Cespedes ſich deutlichſt ergibt, lange vor Anwendung des Logs: echando punto por fantasia in der corredera de los perezosos, d. h. ohne ein Log auszuwerfen, notwendig. (S. 42.) Daß Magnetismus dem Eiſen langdauernd mit: geteilt werden kann, ſagt im allgemeinen, doch ohne des Strei— chens zu erwähnen, ſchon Plinius. Merkwürdig iſt Gilberts Be⸗ ſpottung der: „vulgaris opinio de montibus magnetieis aut rupe aliqua magnetica, de polo phantastico a polo mundi distante“. Die Veränderlichkeit und das Fortſchreiten der magnetiſchen Linien waren ihm noch ganz unbekannt: „varietas uniuscujusque loci constans est“. 6 (S. 43.) Ich habe durch Anführung eigener, ſehr ſorg— fältiger Inklinationsbeobachtungen, die ich in der Südſee angeſtellt, erwieſen, unter welchen Bedingungen die Inklination von wichtigem praktiſchen Nutzen zu Breitenbeſtimmungen zur Zeit der an der peruaniſchen Küſte herrſchenden, Sonne und Sterne verdunkelnden garua fein kann. Der Jeſuit Cabens, Verfaſſer der Philo- sophia magnetic (in qua nova quaedam pyxis explicatur, quae poli elevationem ubique demonstrat), hat auch ſchon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Aufmerkſamkeit auf dieſen Gegenſtand geleitet. 7 (S. 43.) Solche Linien, von ihm tractus chalyboeliticos genannt, hatte auch der Pater Chriſtoph Burrus in Liſſabon auf eine Karte getragen, die er dem König von Spanien zur Auf: findung und Beſtimmung der Seelänge für einen übergroßen Preis anbot, wie Kircher in feinem Magnes ed. 2, p. 443 erzählt. Der allererſten Variationskarte von 1530 iſt bereits oben (S. 40) Erwähnung geſchehen. (S. 44.) Noch 20 Jahre ſpäter als Halley auf St. Helena ſeinen Katalog ſüdlicher Sterne (leider! keinen unter der 6. Größe) anfertigte, rühmte ſich Hevelius im Fir mamentum Sobes- cianum, kein Fernrohr anzuwenden und durch Spaltöffnungen zu beobachten. Halley wohnte 1679, als er Danzig beſuchte, dieſen Beobachtungen, deren Genauigkeit er übrigens übermäßig an⸗ rühmte, bei. 39 (S. 44.) Spuren der täglichen und ſtündlichen Veränderlich- keit der magnetiſchen Abweichung hatten bereits in London Helli⸗ brand (1634) und in Siam der Pater Tachard (1682) erkannt. 4 (S. 45.) Die vortreffliche Konſtruktion der nach Bordas Angabe zuerſt von Lenoir angefertigten Boussole d'Inclinaison, die Möglichkeit freier und langer Schwingungen der Nadel, die ſo ſehr verminderte Reibung der Zapfen, und die richtige Aufſtellung des mit Libellen verſehenen Inſtrumentes haben die genaue Meſſung der Erdkraft unter verſchiedenen Zonen zuerſt möglich gemacht. (S. 46.) Dieſe Hoffnung hat ſich bis jetzt nicht erfüllt. — 127 — Noch wiſſen wir nichts Näheres über die Natur der Magnetkraft. Nur ſind in jüngſter Zeit immer mehr Erſcheinungen aufgedeckt worden, welche zu dem Schluſſe nötigen, daß die magnetiſchen Phänomene der Erde gewiſſe noch unermittelte direkte Beziehungen zu den Stellungen (und Veränderungen) anderer Himmelskörper, namentlich von Sonne und Mond, haben müſſen. D. Herausg.] 2 (S. 46.) Die Zahlen, mit welchen die folgende Tafel an: hebt (3. B. 1803 - 1806), deuten auf die Epoche der Beobachtung; die in Klammern dem Titel der Schriften beigefügten Zahlen aber auf die, oft ſehr verſpätete Veröffentlichung der Beobachtungen. (S. 50.) „Before the practice was adopted of deter- mining absolute values, the most generally used scale (and which still continues to be very frequently referred to) was founded on the time of vibration observed by Mr. de Hum- boldt about the commencement of the present century at a station in the Andes of South America, where the direction of the dipping-needle was horizontal, a condition which was for some time erroneously supposed to be an indication of the minimum of magnetic force at the Earth's surface. From a comparison of the times of vibration of Mr. de Humboldt’s needle in South America and in Paris, the ratio of the magnetic force at Paris to what was supposed to be its minimum, was inferred (1,348); and from the results so ob- tained, combined with a similar comparison made by myself between Paris and London in 1827 with several magnets, the ratio of the force in London to that of Mr. de Humboldt's original station in South America has been inferred to be 1,372 to 1,000. This is the origin of the number 1,372, which has been generally employed by British observers. By abso- lute measurements we are not only enabled to compare numerically with one another the results of experiments made in the most distant parts of the globe, with apparatus not previously compared, but we also furnish the means of com- paring hereafter the intensity which exists at the present epoch, with that which may be found at future periods.“ Sabine im Manuel for the use ofthe British Navy, 1849, p. 17. (S. 52.) Das erſte Bedürfnis verabredeter gleich— zeitiger magnetiſcher Beobachtung iſt von Celſius gefühlt worden. Ohne noch des eigentlich von ſeinem Gehilfen Olav Hiorter (März 1741) entdeckten und gemeſſenen Einfluſſes des Polarlichtes auf die Abweichung zu erwähnen, forderte er Graham (Sommer 1741) auf, mit ihm gemeinſchaftlich zu unterſuchen, ob gewiſſe außerordentliche Perturbationen, welche der ſtündliche Gang der Nadel von Zeit zu Zeit in Upſala erlitt, auch in derſelben Zeit von ihm in London beobachtet würden. Gleichzeitigkeit der Pertur— bationen, ſagt er, liefere den Beweis, daß die Urſache der Pertur— — 128 — bation ſich auf große Erdräume erſtrecke und nicht in zufälligen lokalen Einwirkungen gegründet ſei. Als Arago erkannt hatte, daß die durch Polarlicht bewirkten magnetiſchen Perturbationen ſich über Erdſtrecken verbreiten, wo die Lichterſcheinung des magnetiſchen Un— gewitters nicht geſehen wird, verabredete er gleichzeitig ſtündliche Beobachtungen 1823 mit unſerem gemeinſchaftlichen Freunde Kupffer in Kaſan, faſt 47“ öſtlich von Paris. Aehnliche gleichzeitige Dekli— nationsbeobachtungen ſind (1828) von mir mit Arago und Reich in Paris, Freiberg und Berlin angeſtellt worden. 5 (S. 56.) Die im Texte genannte Abhandlung von Rudolf Wolf enthält eigene tägliche Beobachtungen von Sonnenflecken (1. Januar bis 30. Juni 1852), und eine Zuſammenſtellung der Lamontſchen periodiſchen Deklinationsvariationen mit den Reſultaten von Schwabe über die Frequenz der Sonnenflecken (1835— 1850). Es wurde dieſelbe in einer Sitzung der naturforſchenden Geſellſchaft zu Bern den 31. Juli 1852 vorgetragen, während die ausführlichere Abhandlung vom Oberſt Sabine der königl. Societät zu London ſchon Anfang März übergeben und Anfang Mai 1852 verleſen wurde. Nach den neueſten Unterſuchungen der Beobachtungen der Sonnenflecken findet Wolf die Periode im Mittel von 1600 bis 1852 zu 11,11 Jahren. 46 (S. 57.) Diamagnetiſche Abſtoßung und äquatoriale, d. i. oſtweſtliche Stellung in der Nähe eines ſtarken Magnetes zeigen Wismut, Antimon, Silber, Phosphor, Steinſalz, Elfenbein, Holz, Apfelſcheiben und Leder. Sauerſtoffgas (rein oder mit anderen Gasarten gemiſcht, oder in den Zwiſchenräumen der Kohle ver— dickt) iſt paramagnetiſch. Vergl. über kriſtalliſierte Körper, was nach der Lage gewiſſer Achſen der ſcharfſinnige Plücker aufgefunden hat. Die Abſtoßung durch Wismut war zuerſt von Brugmans (1778) erkannt, dann von le Baillif (1827) und Seebeck (1828) gründlicher geprüft. Faraday ſelbſt, Reich, und der ſchon ſeit dem Jahre 1836 für die Fortſchritte des telluriſchen Magnetismus ſo ununterbrochen thätige Wilhelm Weber haben den Zuſammenhang der diamagnetiſchen Erſcheinungen mit denen der Induktion dargethan. Weber hat ſich nachzuweiſen beſtrebt, daß der Dia— magnetismus ſeine Quelle in den Amperefhen Molekular⸗ ſtrömen habe. (S. 57.) Zur Hervorbringung dieſer Polarität werden durch die actio in distans des Erdkörpers die magnetiſchen Flüſſig⸗ keiten in jedem Sauerſtoffteilchen in beſtimmter Richtung und mit beſtimmter Kraft um eine gewiſſe Größe getrennt. Jedes Sauerftoff- teilchen repräſentiert dadurch einen kleinen Magnet; und alle dieſe kleinen Magnete reagieren aufeinander, wie auf den Erdkörper, und zuletzt, in Verbindung mit dieſem, auf eine irgendwo in oder außerhalb des Luftkreiſes befindlich gedachte Nadel. Die Sauer: ſtoffhülle des Erdkreiſes iſt zu vergleichen einer Armatur von weichem Eiſen an einem natürlichen oder Stahlmagnet, der Magnet — 129 — kugelförmig gedacht gleich der Erde, und die Armatur als Hohl— kugel gleich der atmoſphäriſchen Sauerſtoffhülle. Die Stärke, bis zu der ein jedes Sauerſtoffteilchen durch die konſtante Kraft der Erde magnetiſiert werden kann (magnetic power), ſinkt mit der Temperatur und Verdünnung des Sauerſtoffgaſes. Indem eine ſtete Veränderung der Temperatur und Ausdehnung der Sonne von Oſt nach Weſt um dem Erdkörper folgt, muß ſie demnach auch die Reſultate der Kräfte der Erde und der Sauerſtoffhülle ver— ändern, und dies iſt nach Faradays Meinung die Quelle eines Teiles der Variationen in den Elementen des Erdmagnetismus. Plücker findet, daß, da die Kraft, mit welcher der Magnet auf das Sauerſtoffgas wirkt, der Dichtigkeit des Gaſes proportional iſt, der Magnet ein einfaches eudiometriſches Mittel darbietet, die Gegenwart des freien Sauerſtoffgaſes in einem Gasgemiſche bis auf 1 oder 2 Hundertteilchen zu erkennen. (S. 60.) Die Stelle ($ 226), in welcher der Lichtprozeß der Sonne ein perpetuierliches Nordlicht genannt wird, iſt übrigens nicht in der erſten Ausgabe der Cla vis Astronomiae von Horrebow (Hayn. 1730) zu ſuchen, ſondern ſie ſteht allein in der, durch einen zweiten Teil vermehrten neuen Ausgabe derſelben, in Horrebows Operum mathematico-physicorum, T. I, Havn. 1740, p. 317, indem ſie dieſem hinzugekommenen zweiten Teile der Clavis angehört. 4 (S. 60.) „So far as these four stations (Toronto, Ho- barton, St. Helena and the Cape), so widely separated from each otber and so diversely situated justify a generalisation, we may arrive to the conclusion, that at the hour of 7 to 8 A. M. the magnetic declination is everywhere subject to a variation of which the period is a year, and which is every- where similar in character and amount: consisting of a move- ment of the north end of the magnet from east to west between the northern and the southern solstice, and a return from west to east between the southern and the northern solstice, the amplitude being about 5 minutes of are. The turning periods of the year are not, as many might be dis- posed to anticipate, those months, in which the temperature at ihe surface of our planet, or of the subsoil, or of the atmosphere (as far as we possess the means of judging of the tempera- ture of the atmosphere) attains its maximum and minimum. Stations so diversely situated would indeed present in these respects thermie conditions of great variety: whereas uniformity in the epoch of the turning periods is a not less conspieuous feature in the annual variation than similarity of character and numerical value. At all the stations the solstices are the turning periods of the annual variation at the hour of which we are treating. — The only periods of the year in which the diurnal or horary variation at that hour does actually A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 9 — 130 — disappear, are at the eguinoxes: when the sun is passing from the one hemisphere to the other, and when the magnetic direction in the course of its annual variation from east to west, or vice versa, coincides with the direction which is the mean declination of all the months and of all the hours. — The annual variation is obviously connected with, and dependent on, the earth’s position im its orbit relatively to the sun, around which it revolves; as the diurnal variation is connected with and dependent on the rotation of the earth on its axis, by which each meridian successively passes trouglı every angle of inclination to the sun in the round of 24 hours.“ Sabine, On the annual and diurnal variations, in dem noch nicht erſchienenen 2. Bande der Observations made at the magn. and meteorol. Observatory at Toronto, p. XVII—XX. (S. 60.) Auch in Sabines Eröffnungsrede der Verſammlung zu Belfaſt heißt es: „It is a remarkable fact, which has been established, that the magnetic force is greater in both the northern and southern hemispheres in the months of December, January and February, when the Sun is nearest to the earth: than is those of May, June and July, when he is most distant from it: whereas, if the effects where due to temperature, the two hemispheres should be oppositely instead of similary affected in each of the two periods referred to.“ °1 (S. 63.) Vergl. Mary Somerville, in ihrer kurzen, aber lichtvollen, auf Sabines Arbeiten gegründeten Darſtellung des Erd— magnetismus, Physical Geography Vol. II, p. 102. Sir John Roß, der dieſe Kurve ſchwächſter Intenſität auf ſeiner großen antarktiſchen Expedition im Dezember 1839 durchſchnitt (lat. 19“ ſüdl. und long. 31357 weſtl.), und das große Verdienſt hat, ihre Lage in der ſüdlichen Hemiſphäre zuerſt beſtimmt zu haben, nennt ſie den Equator of less intensity. Siehe deſſen Voyage in the Southern and Antarctic Regions Vol. I, p. 22. >? (S. 69.) „Stations of an intermediate character situated between the northern and southern magnetic hemispheres, partaking, although in opposite seasons, of those contrary features which separately prevail (in the two hemispheres) throughout the year.“ Sabine in den Philosophyical Transactions for 1847, P. J, p. 53 und 57. 53 (S. 64.) Der Pole of Intensity iſt nicht der Pole of Verticity. (S. 65.) Es iſt zu erinnern, daß bei den aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen das Zeichen — vor der Zahl die nördliche, das Zeichen — vor derſelben die ſüdliche Breite ausdrückt; wie O. und W. nach den Längengraden ſtets den öſtlichen oder weſtlichen Ab⸗ ſtand vom Meridian von Paris, nicht von Greenwich (wenn in einigen Fällen es nicht ausdrücklich bemerkt iſt), andeuten. Wo — 131 — einzelne Abhandlungen des Oberſten Sabine nicht namentlich in den Anmerkungen des Kosmos zitiert ſind, iſt in dem Abſchnitt vom telluriſchen Magnetismus durch Anführungszeichen kenntlich gemacht, was den handſchriftlichen Mitteilungen jenes mir befreun— deten Gelehrten entnommen wurde. (S. 67.) Man weiß heute, daß die beiden Punkte größter Intenſität auf der ſüdlichen Hemiſphäre ſehr nahe beiſammen liegen: in 65“ S. und 140% O. der ſtärkere, und in 50° S. und 120° 0. der ſchwächere. [D. Herausg.) 0 (S. 67.) Sir James Roß, der große Seefahrer, durchſchnitt zweimal zwiſchen Kerguelen und Vandiemen die Kurve größter In— tenſität; zuerſt in Br. — 4644“, Länge 126° 6’ Oſt, wo die In⸗ tenſität bis 2,034 anwuchs, um öſtlich gegen Hobarton hin bis 1,824 abzunehmen, dann ein Jahr ſpäter, vom 1. Januar bis 3. April 1841, wo nach dem Schiffsjournal des Erebus von Br. — 77947“ (Lg. 173° 21° O.) bis Br. — 5116“ (Lg. 13430“ O.) die Inten ſitäten ununterbrochen über 2,00, ſelbſt 2,07 waren. Sabines Re— jultat für den einen Fokus der ſüdlichen Halbkugel (Br. — 64°, Lg. 135° 10“ O.), das ich in dem Texte gegeben, iſt aus den Beob— achtungen von Sir James Roß vom 19. bis 27. März 1841 genommen (crossing the southern isodynamic ellipse of 2,00 about midway between the extremities of its principal axis) zwiſchen Breite — 58° und — 64° 26‘, Länge 126“ 20° und 146° 0° Dit. 7 (S. 67.) Nach den Reiſeinſtruktionen wurden die beiden ſüdlichen Foci des Maximums der Intenſität vermutet in Breite — 47°, Lg. 140° O. und Br. — 60°, Lg. 235 O. (Meridian von Greenwich). * (S. 68.) Ich folge für 15,60 der Angabe Sabines. Aus dem magnetiſchen Journal des Erebus erſieht man, daß auf dem Eiſe am 8. Februar 1841 (in Br. — 77“ und Lg. 1752“ W.) vereinzelte Beobachtungen ſelbſt 2,124 gaben. Der Wert der Sn: tenſität 15,60 in abſoluter Skale ſetzt die Intenſität in Hobarton proviſoriſch zu 13,51 voraus. Es iſt aber dieſelbe neuerdings um etwas vergrößert worden, zu 13,56. In dem Admiralty Manual p. 17 finde ich den ſüdlichen ſtärkeren Fokus in 15,8 verwandelt. (S. 69.) S. die intereſſante Darſtellung: Map of the World, divided into Hemispheres by a plane, coinciding with the Meridians of 100 and 280 E. of Greenwich, exhibiting the unequal distribution of the Magnetic Intensity in the two Hemispheges, Plate V; in den Proceedings of the Brit. Assoc. at Liverpool 1837, p, 72—74. Die Teilung iſt, nach dem Pariſer Meridian gerechnet, Länge 9740“ O. und 8220“ W. Faſt ununterbrochen fand Erman die Intenſität der Erdkraft unter 0,76 (alſo ſehr ſchwach) in der ſüdlichen Zone von Br. — 24° 25° bis Br. — 13° 18°, zwiſchen 37° 10° und 35° 4° weſtlicher Länge. — — 132 — „ (S. 69.) ©. das Schiffsjournal von Sulivan und Dunlop. Sie fan als Minimum aber nur 0,800. (S. 69.) Man erhält 1: 2,44, wenn man in abjoluter Skale St. Helena 6,4 mit dem ſtärkeren Fokus am Südpol 15,60 ver⸗ gleicht; 1:2,47 durch Vergleichung von St. Helena mit dem zu 15,8 vergrößerten ſüdlichen Maximum; 1: 2,91 durch Vergleichung in relativer Skale von Ermans Beobachtung im Atlantiſchen Ozean (0,706) mit dem ſüdlichen Fokus (2,06); ja ſelbſt 1:2,95, wenn man in abſoluter Skale die ſchwächſte Angabe desſelben ausgezeich⸗ neten Reiſenden (5,35) mit der ſtärkſten Angabe für den ſüdlichen Fokus (15,8) zuſammenſtellt. Eine Mittelzahl wäre 1: 2,69. Vergl. für die Intenſität von St. Helena (6,4 in abſoluter oder 0,845 in relativer Skale) die früheſten Beobachtungen von Fitz-Roy (0,836). 62 (S. 70.) Welche Art der Täuſchung kann in den Kohlen: bergwerken von Flenn zu dem Reſultat geführt haben, daß im Inneren der Erde in 83 Fuß Tiefe die Horizontalintenſität ſchon um 0,001 wachſe? Journalde l'Institut 1845, avril, p. 146. In einem engliſchen tiefen Bergwerke, 950 Fuß unter dem Meeres- ſpiegel, fand Henwood gar keine Zunahme der Kraft (Brewſter, Treatisse on Magnetisme p. 275.) (S. 71.) Eine Verminderung der Magnetintenſität mit der Höhe folgt in meinen Beobachtungen aus den Vergleichungen der Silla de Caracas (8105 Fuß = 2632 m über dem Meere, Kraft 1,188) mit dem Hafen La Guayra (Höhe O m, Kraft 1,262) und der Stadt Caracas (Höhe 2484 Fuß = 807 m, Kraft 1,209); aus der Vergleichung der Stadt Santa Fé de Bogota (Höhe 8190 Fuß — 2660 m, Kraft 1,147) mit der Kapelle von Nueſtra Senora de Guadalupe (Höhe 10128 Fuß = 3290 m, Kraft 1,127), die in größter Nähe unmittelbar an einer ſteilen Felswand wie ein Schwalbenneſt über der Stadt hängt; aus der Vergleichung des Vulkans von Puracé (Höhe 8136 Fuß = 2643 m, Kraft 1,087) mit der nahen Stadt Popayan (Höhe 5466 Fuß = 1775 m, Kraft 1,117); aus der Vergleichung der Stadt Quito (Höhe 8952 Fuß = 2908 m, Kraft 1,067) mit dem Dorfe San Antonio de Lulumbaba (Höhe 7650 Fuß = 2485 m, Kraft 1,087), in einer nahen Felſenkluft liegend, unmittelbar unter dem geographiſchen Aequator. Wider— ſprechend waren die höchſten Oszillationsverſuche, die ich je gemacht, in einer Höhe von 14960 Fuß (4560 m), an dem Abhange des längſt erloſchenen Vulkans Antiſana, gegenüber dem Chuſulongo. Die Beobachtung mußte in einer weiten Höhle angeſtellt werden, und die ſo große Vermehrung der Intenſität war gewiß Folge einer magnetiſchen Lokalattraktion der Gebirgsart, des Trachyts, wie Verſuche bezeugen, die ich mit Gay-Luſſac im Krater ſelbſt des Veſuvs und an den Kraterrändern gemacht. Die Intenſität fand ich in der Höhle am Antiſana bis 1,188 erhöht, wenn ſie umher in niederen Hochebenen kaum 1,068 war. Die Intenſität im Hoſpiz des St. Gotthard (1,313) war größer als die von Airolo (1,309), aber kleiner als die von Altorf (1,322); Airolo dagegen übertraf die Intenſität des Urſernloches (1,307). Ebenſo fanden wir, Gay— Luſſac und ich, im Hoſpiz des Mont Cenis die Intenſität 1,344, wenn dieſelbe in Lans le Bourg am Fuß des Mont Cenis 1,323, in Turin 1,336 war. Die größten Widerſprüche bot uns natürlich, wie ſchon oben bemerkt, der noch brennende Bejun dar. Wenn 1805 die Erdkraft in Neapel 1,274 und in Portici 1,288 war, ſo ſtieg ſie in der Einſiedelei von San Salvador zu 1,302, um im Krater des Veſuvs tiefer als in der ganzen Umgegend, zu 1,193 herabzu— ſinken. Eiſengehalt der Laven, Nähe magnetiſcher Pole einzelner Stücke und die im ganzen wohl ſchwächend wirkende Erhitzung des Bodens bringen die entgegengeſetzteſten Lokalſtörungen hervor. (S. 71.) Kupffers Beobachtungen beziehen ſich nicht auf den Gipfel des Elbrus, ſondern auf den Höhenunterſchied (4500 Fuß — 1461 m) von 2 Stationen: Brücke von Malya und Berg: abhang von Kharbis, die leider in Länge und Breite beträchtlich verſchieden ſind. 6 (S. 71.) Um ſo auffallender ift es, daß ein ſehr genauer Beobachter, Quetelet, im Jahre 1830 die Horizontalintenſität von Genf (1,080) zum Col de Balme (1,091), ja zum Hoſpiz des heil. Bernhard (1,096) mit der Höhe hat zunehmen ſehen. % (S. 73.) Sabine in Magn. and meteor. obser- vations at Hobarton Vol. I, p. LXVIII. „There is also a correspondence in the range and turning hours of the diurnal variation of the total force at Hobarton and at Toronto, al- though the progression is a double one at Toronto and a single one at Hobarton.“ Die Zeit des Maximums der Intenſität ift in Hobarton zwiſchen 8 und 9 Uhr morgens, und ebenſo um 10 Uhr morgens das ſekundäre oder ſchwächere Minimum in Toronto; alſo folgt nach der Zeit des Ortes das Zunehmen und Abnehmen der Intenſität denſelben Stunden, nicht den entgegengeſetzten, wie bei der Inklination und der Deklination. 67 (S. 73.) Die Intenſität (totale Kraft) zeigt am Vorgebirge der guten Hoffnung in entgegengeſetzten Jahreszeiten weniger Unter— ſchied als die Inklination. 68 (S. 74.) Im ſibiriſchen Kontinent iſt bisher keine ſtärkere Inklination als 82° 16° beobachtet worden, und zwar von Midden— dorff am Fluſſe Taimyr unter Br. + 74° 17° und Länge 93° 27“ öſtlich von Paris. 6 (S. 74.) Sir James Roß, Voyage in the Ant- aretie Regions Vol. I, p. 246. „I had so long cherished the ambitious hope,“ ſagt dieſer Seefahrer, „to plant the flag of my country on both the magnetic poles of our globe; but the obstacles, which presented themselves, being of so in- surmountable a character was some degree of consolation, as it left us no grounds for self-reproach.“ (p. 247.) (S. 75.) Ich gebe hier, wie es immer meine Gewohnheit — 134 — iſt, die Elemente dieſer nicht unwichtigen Beſtimmung: Micui⸗ pampa, ein peruaniſches Bergſtädtchen am Fuß des durch ſeinen Silberreichtum berühmten Cerro de Gualgayoe: Br. — 604425, Lg. 805373“, Höhe über der Südſee 11140 Fuß (3618 m); magnetiſche Inklination 0,42“ gegen Norden (Centeſimalteilung des Kreiſes). — Caxamarca, Stadt in einer 8784 Fuß (2853 m) hohen Ebene: Br. — 7838“, Lg. 523742“; Inklination 0,15 gegen Süden. — Montan, ein Meierhof (hacienda), von Lama— herden umgeben, mitten im Gebirge: Br. — 613379 Lg. 526151“; Höhe 8042 Fuß (2612 m); Inklin. 0,70 N. — Tomependa, an der Mündung des Chinchipe in den Amazonenfluß, in der Provinz Jaen de Bracamoros: Br. — 5% 3128“, Lg. 8057,30“; Höhe 1242 Fuß (403 m); Inklin. 3,55“ N. — Truxillo, peruaniſche Stadt an der Südſeeküſte: Br. — 8° 5° 40“, Lg. 81“ 23“ 37“; Inklin. 2,15“ S. Das Reſultat meiner Inklinationsbeobachtungen von 1802 (Br. — 72“, Lg. 818, W.) ſtimmt, ſonderbar zufällig, trotz der ſäkularen Veränderung, nicht ſchlecht mit le Monniers auf theoretiſche Rechnung gegründeter Vermutung. Er jagt: „Nördlich von Lima muß 1776 der magnetiſche Aequator in 7 ¼“, höchſtens in 6 ½“ ſüdlicher Breite gefunden werden!“ a (S. 76.) Saigey, Mém. sur l’eEequateur magne- tique d’apres les observ. du Capitaine Duperrey, in den Annales maritimes et coloniales De. 1833, T. IV, p. 5. Daſelbſt wird ſchon bemerkt, daß der magnetiſche Aequator nicht eine Kurve gleicher Intenſität iſt, ſondern daß die Intenſität in verſchiedenen Teilen dieſes Aequators von 1 zu 0,867 variiert. 2 (S. 76.) Dieſe Poſition des magnetiſchen Aequators iſt durch Erman für 1830 beſtätigt worden. Auf der Rückreiſe von Kamtſchatka nach Europa fand derſelbe die Neigung faſt null: in Br. — 1 30%, Lg. 13457“ W.; in Br. — 1552“, Lg. 18730“ W.; in Br. — 10 54“, Lg. 1365“ W.; in Br. — 201‘, Lg. 141728“ W. (S. 77.) Brief von Arago an mich aus Metz vom 13. Dez. 1827: „Jai parfaitement constaté, pendant les aurores boreales qui se sont montrées dernierement à Paris, que l’apparition de ce phenomene est toujours accompagnee d'une variation dans la position des aiguilles horizontales et d’inclinaison comme dans l'intensité. Les changements d’imelinaison ont été 7 à 8. Par cela seul l’aiguille horizontale, abstraction faite de tout changement d’intensite, devait osciller plus ou moins vite suivant 7; epoque où se faisait I observation; mais em corri- geant les résultats par le calcul des effets immediats de L'in- clinaison, il m’est encore resté une variation sensible d’inten- site. En reprenant, par une nouvelle methode, les observations diurnes d'inclinaison dont tu m'avais vu oecupé pendant ton dernier sejour à Paris, j'ai trouvé, non par des moyennes, mais chaque jour, une variation röguliere: l'inclinaison est plus grande le matin a 9h que le soir à 6h. Tu sais que 6 Ki — 135 — l’intensite, mesurde avec une aiguille horizontale, est au con- traire à son minimum à la premiere epoque, et qu'elle atteint son maximum entre 6h et 7h du soir. La variation totale étant fort petite, on pouvait supposer qu'elle n’etait düe qu'au seul changement d'inclinaison; et en effect la plus grande portion de la variation apparente d'intensité depend de l'alté- ration diurne de la composante horizontale; mais, toute cor- rection faite, il reste cependant une petite quantite comme indice d'une rariation reelle d’intensite.“ — Aus einem anderen Briefe von Arago, Paris 20. März 1829, kurz vor meiner ſibi— riſchen Reiſe: „Je ne suis pas etonne que tu reconnais avec peine la variation diurne d'inclinaison dont je t'ai parle, dans les mois d'hiver, c'est dans les mois chauds seulement que cette variation est assez sensible pour &tre observée avec une loupe. Je persiste toujours à soutenir que les changements d'inclinaison ne suffisent pas pour expliquer le changement d’intensite deduit de l’observation d'une aiguille horizontale. Une augmentation de temperature, toutes les autres circon- stances restant les m&mes, ralentit les oscillations des aiguilles. Le soir, la temperature de mon aiguille horizontale est tou- jours superieure à la temperature du matin; donc l’aiguille devrait, par cette cause, faire le soir, en un temps donné, moins Loscillations que le matin; or elle en fait plus que le changement d'inclinaison ne le comporte: done du matin au soir, il ya une augmentation reelle d’intensite dans le magnetisme ter- restre.“ — Spätere und viel zahlreichere Beobachtungen in Greenwich, Berlin, Petersburg, Toronto (Kanada) und Hobarton (Vandiemen) haben Aragos Behauptung (1827) der größeren Horizontal: intenſität am Abend gegen den Morgen beſtätigt. In Green— wich iſt das Hauptmaximum der horizontalen Kraft um 6u, das Hauptminimum um 22 u oder Ou; in Schulzendorf bei Berlin max. 8 u, min. 21 u; in Petersburg max. Su, min. 23 u 20°; in Toronto max. 4u, min. 23 u, immer in der Zeit jeden Ortes. Sonderbar abweichend, faſt entgegengeſetzt, ſind die Wechſelſtunden am Vor— gebirge der guten Hoffnung und auf St. Helena, wo am Abend die Horizontalkraft am ſchwächſten iſt. So iſt es aber nicht in der ganzen ſüdlichen Hemiſphäre weiter in Oſten. „The prin— eipal feature in the diurnal change of the horizontal-force at Hobarton is the decrease of force in the forenoon and its subsequent increase in the afternoon.“ Sabine, Magn. obs. at Hobarton Vol. I. p. LIV, Vol. II. p. XLIIL) "+ (S. 80.) Totalintenſitat in Hobarton: max, 5½ u, min. 20% u; in Toronto: Hauptmax. 6 u, Hauptmin. 14 u, ſekund. Max. 20 u, ſekund. Min. 22 u. > (S. 81.) Da man durch die Fülle der Stationsbeob— achtungen jetzt ein faſt ungemeſſenes Feld der ſpeziellſten Unter— ſuchung beſitzt, ſo bemerkt man neue und neue Komplikationen bei — 136 — dem Aufſuchen des Geſetzlichen. In aufeinander folgenden Jahren ſieht man z. B. die Neigung in einer Wendeſtunde, der des Maximums, vom Abnehmen in ein Zunehmen übergehen, während in der Wendeſtunde des Minimums ſie im progreſſiven jährlichen Abnehmen blieb. In Greenwich z. B. nahm die magnetiſche Neigung in der Marimalftunde (21%) ab in den Jahren 1844 und 1845, fie nahm zu in derſelben Stunde in 1845 —1846, fuhr aber fort in der Wendeſtunde des Minimums (35) von 1844 1846 abzu⸗ nehmen. (S. 82.) Darf man den Beobachtungen aus dem Jahre 1751 von La Caille trauen, der zwar jedesmal die Pole umkehrte, aber eine nicht frei genug ſich bewegende Nadel hatte, ſo ergibt ſich für das Kap eine Vermehrung der Inklination von 3,08“ in 89 Jahren! (S. 83.) Ich wiederhole noch, daß alle europäiſchen Inkli— nationsbeobachtungen, welche auf dieſer Seite angeführt werden, in 360teiliger Einteilung des Kreiſes ſind, und daß nur die von mir vor dem Monat Juni 1804 beobachteten Inklinationen im neuen Kontinent ſich auf eine Centeſimaleinteilung des Bogens beziehen. (S. 84.) Grube Kurprinz bei Freiberg im ſächſiſchen Erzgebirge. Der unterirdiſche Punkt war auf der 7. Gezeugſtrecke, auf dem Ludwiger Spatgange: 80 Lachter öſtlich vom Treib- ſchachte, 40 Lachter weſtlich vom Kunſtſchachte, in 133 ½ Lachter Seigerteufe; beobachtet mit Freiesleben und Reich um 2½ Uhr nachmittags (Temperatur der Grube 15,6“ Cent.). Inklinations⸗ nadel A 6737,47; Nadel B 6732,77; Mittel beider Nadeln in der Grube 6735,05“. In freier Luft (über Tage), auf einem Punkte der Oberfläche, welcher nach dem Markſcheider-Riſſe genau ſenkrecht über dem Punkte der unterirdiſchen Beobachtung liegt, um 11 Uhr vormittags: Nadel A 6733,87“; Nadel B 6732,12“; Mittel beider Nadeln in der oberen Station 6732,99“ (Lufttemperatur 15,8“ Cent.). Unterſchied des oberen und unteren Reſultates + 2,06“. Die Nadel A, welche als ſtärkere mir immer am meiſten Vertrauen einflößte, gab jogar + 3,53“, wenn der Einfluß der Tiefe bei alleinigem Gebrauch der Nadel B faſt unmerklich geblieben wäre. Die gleichförmige Methode, die ich ſtets angewandt im Ableſen am Azimutalkreiſe, um den magnetiſchen Meridian durch korreſpondierende Inklinationen oder durch den perpendikulären Stand der Nadel zu finden, wie die Neigung ſelbſt am Vertikalkreiſe, durch Umdrehung der Nadel in den Pfannen, und durch Ableſen an beiden Spitzen vor und nach dem Umdrehen der Pole, habe ich weitläufig beſchrieben und durch Beiſpiele erklärt in der Asie centrale T. III, p. 465 bis 467. Der Stand der zwei Nadeln iſt für jede derſelben 16mal abgeleſen worden, um ein mittleres Reſultat zu gewinnen. Wo von Wahrſcheinlichkeit in Beſtimmung ſo kleiner Größen die Rede iſt, muß man in das Einzelnſte der Beobachtung eingehen. (S. 86.) Petrus Peregrini meldet einem Freunde, daß er ſchon 1269 die Variation in Italien 5“ öſtlich gefunden habe. 50 (S. 86.) Wenn Herrera jagt, Kolumbus habe bemerkt, die Magnetvariation ſei nicht dieſelbe bei Tage und bei Nacht, ſo be— rechtigt dieſe Behauptung gar nicht, dem großen Entdecker eine Kenntnis der ſtündlichen Veränderung zuzuſchreiben. Das von Navarrete herausgegebene echte Reiſejournal des Admirals, vom 17. und 30. September 1492 lehrt, daß Kolumbus ſelbſt alles auf eine ſogenannte „ungleiche Bewegung“ des Polarſternes und der Wächter (Guardas) reduzierte. (S. 86.) Die ältejten gedruckten Londoner Beobachtungen find die von Graham in den Philos. Transact. for 1724, 1725, Vol. XXXIII, p. 96—107. Die Veränderung der Deklination gründet ſich: „neither upon heat, nor cold, dry or moist air. The Variation is greatest between 12 and 4 in the afternoon, and the least at 6 or 7 in the evening.“ Es ſind freilich nicht die wahren Wendeſtunden. 2 (S. 87.) Beweiſe geben zahlreiche Beobachtungen von Georg Fuß und Kowanko für das griechiſche Kloſterobſervatorium in Peking, von Anikin für Nertſchinsk, von Buchanan Riddell für Toronto in Kanada (alle an Orten weſtlicher Abweichung); von Kupffer und Simonow in Kaſan, von Wrangel, trotz der vielen Nordlichtſtörungen, für Sitka (Nordweſtküſte von Amerika), von Gilliß in Waſhington, von Bouſſingault für Marmato (Südamerika), von Duperrey für Payta an der peruaniſchen Südſeeküſte (alle an Orten öſtlicher Abweichung). Ich erinnere, daß die mittlere Deklination war: in Peking (Dez. 1831) 21542“ weſtlich, in Nertſchinsk (Sept. 1832) 47,44“ weſtlich, in Toronto (Nov. 1847) 133% weſtlich; in Kaſan (Aug. 1828) 221 öſtlich, Sitka (Nov. 1829) 28° 16° öſtlich, Marmato (Aug. 1828) 6° 33“ öſtlich, Payta (Aug. 1823) 856“ öſtlich. In Tiflis iſt der weſtliche Gang von 19u bis 2 u. 83 (S. 88.) S. Auszüge aus einem Briefe von mir an Karſten (Rom, 22. Juni 1805) „über vier Bewegungen der Magnetnadel, gleichſam vier magnetiſche Ebben und Fluten, analog den Barometer— perioden“; abgedruckt in Hanſteen, Magnetismus der Erde, 1819, S. 459. Ueber die ſo lange vernachläſſigten nächt— lichen Deklinationsvariationen vergleiche Faraday, On the night Episode $ 3012-3024. 5 (S. 88.) Wie ſehr die früheſten Angaben der Wendeſtunden bei Tage und bei Nacht mit denen übereinſtimmen, welche vier Jahre ſpäter in den ſo reichlich ausgeſtatteten Magnethäuſern von Greenwich und Kanada ermittelt wurden, erhellt aus der Unter— ſuchung von korreſpondierenden Breslauer und Berliner Beob— achtungen meines vieljährigen Freundes Encke, des verdienſtvollen Direktors unſerer Berliner Sternwarte. Er ſchrieb am 11. Oktober 1836: „In Bezug auf das nächtliche Maximum oder die Inflexion der ſtündlichen Abweichungskurve glaube ich nicht, daß im allgemeinen ein Zweifel obwalten kann, wie es auch Dove aus Freiberger Beob— — 138 — achtungen 1830 geſchloſſen hat. Graphiſche Darſtellungen ſind zur richtigen Ueberſicht des Phänomens weit vorteilhafter als die Zahlen— tabellen. Bei den erſten fallen große Unregelmäßigkeiten ſogleich in das Auge und geitatten die Ziehung einer Mittellinie, während daß bei den letzteren das Auge häufig ſich täuſcht und eine einzelne ſehr auffallende Unregelmäßigkeit als ein wirkliches Maximum oder Minimum nehmen kann. Die Perioden zeigen ſich durch folgende Wendeſtunden beſtimmt: größte öſtliche Deklination . .. 20 Uhr, I. Mar. Oſt größte weſtliche Deklination .. I Uhr, 1. Min. Oſt zweites öſtliches kleines Maximum . 10 Uhr, II. Max. Oſt zweites weſtliches kleines Minimum . 16 Uhr, II. Min. Dit Das zweite kleine Minimum (die nächtliche Elongation gegen Weſten) fällt eigentlich zwiſchen 15 und 17 Uhr, bald der einen, bald der anderen Stunde näher.“ Es iſt kaum nötig, zu erinnern, daß, was Encke und ich die Minima gegen Oſten, ein großes und ein kleines 16% nennen, in den 1840 gegründeten engliſchen und amerikaniſchen Stationen als Maxima gegen Weſten aufgeführt wird, und daß demnach auch unſere Maxima gegen Oſten (20 u und 104) ſich in Minima gegen Weiten umwandeln. Um alſo den ſtündlichen Gang der Nadel in ſeiner Allgemeinheit und großen Analogie in der nördlichen Halbkugel darzuſtellen, wähle ich die von Sabine befolgten Benennungen, die Reihung von der Epoche größter Elongation gegen Weſten anfangend, in der mittleren Zeit jedes Ortes: Freiberg Breslau Greenwich Makerstoun Toronto Waſhington 1829 1836 1846—47 1842—43 1845—47 1840—42 Maximum 14 1 u Bau Ou 40’ 13 2 u Minimum 13 10 12 10 10 10 Maximum 16 16 16 14 ½ 14 14 Minimum 20 20 20 19 ½ 20 20 In den einzelnen Jahreszeiten hat Greenwich eine merkwürdige Verſchiedenheit gezeigt. Im Jahre 1847 war im Winter nur ein Maximum (2 u) und ein Minimum (12 c); im Sommer eine doppelte Progreſſion, aber das zweite Minimum um 14 u ſtatt um 16“ (p. 236). Die größte weſtliche Elongation (erjtes Max.) blieb im Winter wie im Sommer an 24 geheftet, aber die kleinſte (das zweite Min.) war 1846 (p. 94) im Sommer wie gewöhnlich um 20 u und im Winter um 12 u. Die mittlere winterliche Zunahme gegen Weſten ging ohne Unterbrechung in dem genannten Jahre von Mitternacht bis Zu fort. Vergl. auch 1845 (p. 5). Makers⸗ toun (Roxburgſhire in Schottland) iſt die Sternwarte, welche man dem edlen wiſſenſchaftlichen Eifer von Sir Thomas Brisbane ver⸗ dankt. Ueber ſtündliche Tages- und Nachtbeobachtungen von Peters⸗ burg j. Kupffer, Compte rendu météor. et mag n. à. Mr. de Brock en 1851, p. 17. Sabine, in ſeiner ſchönen, ſehr — 139 — ſcharfſinnig kombinierten graphiſchen Darſtellung der ſtündlichen Deklinationskurve von Toronto deutet an, wie vor der kleinen nächtlichen Weſtbewegung, welche um 11 u beginnt und bis 15 u dauert, eine jonderbare zweiſtündige Ruhe (von 9 bis 11 Uhr) ein⸗ tritt. „We find,“ jagt Sabine, „alternate progression and retro- gression at Toronto twice in the 24 hours. In 2 of the 8 quarters (1841 and 1842) the inferior degree of regularity during the night occassions the occurence of «a triple max. and min.; in the remaining quarters the turning hours are the same as those of the mean of the 2 years.“ Für die ſehr vollſtändigen Beobachtungen von Waſhington ſ. Gilliß, Magn. and meteor. observations made at Washington p. 325 (general law). Vergl. damit Bache, Observ. at the magn. and meteor. Observatory, at the Girard College, Philadelphia, made in the years 1840 to 1845 (3 Bände, enthaltend 3212 Seiten Querfolio), Vol. I, p. 709, Vol. II, p. 1285, Vol. III, p. 2167 und 2702. Trotz der Nähe beider Orte (Phila— delphia iſt nur 14 nördlicher und OU 7‘ 3“ öſtlicher als Waſhington) finde ich Verſchiedenheit in den kleinen Perioden des weſtlichen ſekundären Maximums und ſekundären Minimums. Erſteres iſt in Philadelphia um 1½ u, letzteres um 2¼ u verfrühet. (S. 88.) Beiſpiele ſolcher kleinen Verfrühungen finde ich angegeben vom Lieut. Gilliß in ſeinem Magnet. observ. of Washington p. 328. Auch im nördlichen Schottland, in Makers— toun (lat. 5535, gibt es Schwankungen in dem zweiten Minimum, das in den erſten 3 und 4 letzten Monaten des Jahres um 21 u, in den übrigen 5 Monaten (April bis Auguſt) um 19 u eintritt; alſo im Gegenſatz mit Berlin und Greenwich. Gegen den Anteil der Wärme an den regelmäßigen Aenderungen der ſtündlichen Deklination, deren Minimum am Morgen nahe um die Zeit des Minimums der Temperatur, wie das Maximum nahe mit dem Maximum der Wärme eintritt, ſprechen deutlichſt die Bewegungen der Nadel in der Nachtperiode, das zweite Minimum und das zweite Maximum. „Es gibt 2 Maxima und 2 Minima der Deklination in 24 Stunden, und doch nur ein Minimum und ein Maximum der Temperatur.“ Ueber den normalen Gang der Magnetnadel im nördlichen Deutſchland ſ. das Naturgetreueſte in einer Abhandlung von Dove (Poggend. Ann. Bd. XIX, S. 364 — 374). 5 (S. 89.) Profeſſor Orlebar in Orford, einſt Superintendent des auf Koſten der oſtindiſchen Compagnie auf der Inſel Colaba erbauten magnetiſchen Obſervatoriums, hat die verwickelten Geſetze der Deklinationsveränderungen in den Subperioden zu erörtern geſucht. Merkwürdig ſcheint mir der mit dem des mittleren Europas ſo übereinſtimmende Gang der Nadel in der erſten Periode von April bis Oktober (weſtl. Min. 19½ u, Max. 0% u; Min. 5½ u, Max. 7%). Der Monat Oktober ſelbſt iſt eine Uebergangsperiode; denn im November und Dezember erreicht die Quantität der täg— — 140 — lichen Deklination kaum zwei Minuten. Trotz der noch 8° be: tragenden Entfernung vom magnetiſchen Aequator iſt doch ſchon die Regelmäßigkeit von Wendeſtunden ſchwer zu erkennen. Ueberall in der Natur, wo verſchiedenartige Störungsurſachen in wieder— kehrenden, aber uns der Dauer nach unerkannten Perioden auf ein Phänomen der Bewegung wirken, bleibt, da die Störungen oft in ihrer Anhäufung entgegengeſetzt agieren oder ſich ungleich verſtärken, das Geſetzliche lange verdeckt. 7 (S. 90.) Die älteſte Angabe der Abweichung, von Keut— ſungchy, einem Schriftſteller aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts, war Oſt / Süd. „(S. 90.) Ueber den alten Verkehr der Chineſen mit Java nach Berichten von Fahian im Fo-kue-ki ſ. Wilhelm von Hum— boldt, Ueber die Kawiſprache Bd. ], S. 16. 39 (S. 90.) Das Reſultat, welches Macdonald aus feinen Beobachtungen in Fort Marlborough (gelegen über der Stadt Ben— foelen, Br. 3 47 Süd, in Sumatra) ſelbſt zieht, und nach welchem die öſtliche Elongation von 104 bis 5u im Zunehmen begriffen jein ſoll, ſcheint mir nicht ganz gerechtfertigt. Seit der Mittagsſtunde iſt regelmäßig erſt um 3, 4 oder 5 Uhr beobachtet worden, und einzelne, außer den Normalſtunden geſammelte, zerſtreute Beob— achtungen machen es wahrſcheinlich, daß auf Sumatra die Wende— ſtunde der öſtlichen Elongation zur weſtlichen ſchon um 2u eintrat, ganz wie in Hobarton. Wir beſitzen durch Macdonald Deklinations— beobachtungen aus 23 Monaten (vom Juni 1794 bis Juni 1796), und an dieſen ſehe ich in allen Jahreszeiten die öſtliche Abweichung von 19½ u bis Mittag durch fortgeſetzte Bewegung der Nadel von MW nach O zunehmen. Von dem Typus der nördlichen Halbkugel (Toronto), welcher zu Singapur von Mai bis September herrſchte, iſt hier keine Spur; und doch liegt Fort Marlborough unter faſt gleichem Meridian, aber im Süden des geographiſchen Aequators, nur 54“ von Singapur entfernt. 9 (S. 92.) Die Regelmäßigkeit des Gegenſatzes in den beiden Jahresabteilungen Mai bis September (Typus der mittleren Breiten in der nördlichen Halbkugel) und Oktober bis Februar (Typus der mittleren Breiten der ſüdlichen Halbkugel) ſtellt ſich in ihrer auf— fallenden Beſtimmtheit graphiſch dar, wenn man die Form und Inflexionen der Kurve ſtündlicher Abweichung einzeln in den Tages— abſchnitten von 14 bis 22", von 21 u bis Lu und von Au bis 14% miteinander vergleicht. Jeder Beugung über die Linie, welche die mittlere Deklination bezeichnet, entſpricht eine faſt gleiche unter der— ſelben. Selbſt in der nächtlichen Periode iſt der Gegenſatz bemerkbar, und was noch denkwürdiger erſcheint, iſt die Bemerkung, daß, indem der Typus von St. Helena und des Vorgebirges der guten Hoffnung der der nördlichen Halbkugel iſt, ſogar auch in denſelben Monaten an dieſen ſo ſüdlich gelegenen Orten dieſelbe Verfrühung der Wechſelſtunden als in Kanada (Toronto) eintritt. — 141 — 91 (S. 92.) An den ſüdlichen Küſten des Roten Meeres ſoll ein ſehr fleißiger Beobachter, Herr d'Abbadie, den ſeltſamen, nach den Jahreszeiten wechſelnden Typus der Magnetdeklination vom Vorgebirge der guten Hoffnung, von St. Helena und Singapur beobachtet haben. „Es ſcheint,“ bemerkt Sabine, „eine Folge von der jetzigen Lage der 4 toci der ſtärkſten Intenſität der Erdkraft zu ſein, daß die wichtige Kurve der relativ (nicht abſolut) ſchwächſten Intenſität in dem Südatlantiſchen Ozean ſich aus der Nähe von St Helena gegen die Südſpitze von Afrika hinzieht. Die aſtro— nomiſch⸗geographiſche Lage dieſer Südſpitze, wo die Sonne das ganze Jahr hindurch nördlich vom Zenith ſteht, gibt einen Haupt— grund gegen de la Rives thermale Erklärung des hier berührten, auf den erſten Blick abnorm ſcheinenden und doch ſehr geſetzlichen, an anderen Punkten ſich wiederholenden Phänomens von St. Helena.“ 92 (S. 93.) Halleys Erklärung des Nordlichtes hängt leider mit der 25 Jahre früher von ihm entwickelten phantaſtiſchen Hypotheſe zuſammen, nach welcher in der hohlen Erdkugel zwiſchen der äußeren Schale, auf der wir wohnen, und dem inneren, auch von Menſchen bewohnten dichten Kerne (zur Erleichterung der Ge— ſchäfte in dieſem unterirdiſchen Leben) ſich ein leuchtendes Fluidum befindet. „In order to make that inner Globe capable of being inhabited, there might not improbably be contained some luminous Medium between the balls, so as to make a per- petual Day below.“ Da nun in der Gegend der Rotationspole die äußere Schale unſerer Erdrinde (wegen der entſtandenen Ab— plattung) weit dünner ſein müſſe als unter dem Aequator, ſo ſuche ſich zu gewiſſen Zeiten, beſonders in den Aequinoktien, das innere leuchtende Fluidum, d. i. das magnetiſche, in der dünnen Polar— gegend einen Weg durch die Spalten des Geſteins. Das Aus— ſtrömen dieſes Fluidums iſt nach Halley die Erſcheinung des Nord— lichtes. Verſuche mit Eiſenfeilen, auf einen ſphäroidiſchen Magnet (eine Terrelle) geſtreut, dienen dazu, die Richtung der leuchtenden farbigen Strahlen des Nordlichtes zu erklären. „Sowie jeder ſeinen eigenen Regenbogen ſieht, ſo ſteht auch für jeden Beobachter die Corona an einem anderen Punkte.“ Ueber den geognoſtiſchen Traum eines geiſtreichen und in allen ſeinen magnetiſchen und aſtro— nomiſchen Arbeiten jo gründlichen Forſchers vgl. Kosmos Bd. 1, S. 123 und 293, Anm. 94. s (S. 94.) Bei großer Ermüdung in vielen aufeinander folgenden Nächten wurden Prof. Oltmanns und ich bisweilen unter— ſtützt von ſehr zuverläſſigen Beobachtern, dem Herrn Baukondukteur Mämpel, dem Geographen Hrn. Frieſen, dem ſehr unterrichteten Mechanikus Nathan Mendelsſohn und unſerem großen Geo— gnoſten Leopold von Buch. Ich nenne immer gern in dieſem Buche, wie in allen meinen früheren Schriften, die, welche meine Arbeiten freundlichſt geteilt haben. (S. 95.) Der Monat September 1806 war auffallend reich — 12 — an großen magnetiſchen Ungewittern. Ich führe aus meinem Journale beiſpielsweiſe folgende an: 21.22. Sept. 1806 von 16u 36“ bis 17 u 430 2223 m „ von 16u 40“ bis 19u 2“ 23.24. „ „ von 15u 33“ bis 18 u 27° 1 „ von 15 4“ bis 18u 2“ 29/20. „ von 14u 22“ bis 16 u 30° 26%, „ von 14u 12“ bis 16u 30 27 „ von 13 u 55“ bis 17 u 277 28./29. von 13u 3° bis 13 u 22“ ein kleines Ungewitter, dann die ganze Nacht bis Mittag größte Ruhe; 29/30. Sept. 1806 von 10 u 20 bis 11 u 32“ ein kleines Ungewitter, dann große Ruhe bis 17 u 67 30. Sept. /. Okt. 1806 um 14 u 46“ ein großes, aber kurzes Ungewitter, dann vollkommene Ruhe, und um 16 u 30° wieder ebenſo großes Ungewitter. Dem großen storm vom 25.26. Sept. war ſchon von 7u 8“ bis 9a 11“ ein noch ſtärkerer vorhergegangen. In den folgenden Winter: monaten war die Zahl der Störungen ſehr gering, und nie mit den Herbſtäquinoktialſtörungen zu vergleichen. Ich nenne großes Ungewitter einen Zuſtand, in welchem die Nadel Oszillationen von 20 bis 38 Minuten macht, oder alle Teilſtriche des Segmentes überſchreitet, oder wenn gar die Beobachtung unmöglich wird. Im kleinen Ungewitter ſind die Schwankungen unregelmäßig von 5 bis 8 Minuten. > (S. 95.) Schwingungen ohne Veränderung in der Abweichung ſind zu Paris von Arago in zehnjährigen fleißigen Beobachtungen bis 1829 nicht wahrgenommen worden. „Pai communique à l' Académie,“ ſchreibt er in jenem Jahre, ” les résultats de nos observations simultandes. Jai ete surpris des oscillations qu'éprouve parfois l’aiguille de declinaison à Berlin dans les observations de 1806, 1807, et de 1828 et 1829, lors m&me que la declinaison moyenne n’est pas alteree. Ici (à Paris) nous ne trouvons jamais rien de semblable. Si l'aiguille eprouve de fortes oscillations, s'est seulement en temps d’aurore boreale et lorsque sa direction absolue a été notablement derangee; et encore le plus souvent les derange- ments dans la direction. ne sont-ils pas accompagnés du mouvement oscillatoire.“ Ganz entgegengeſetzt den hier geſchilderten Erſcheinungen ſind aber die in Toronto aus den Jahren 1840 und 1841 in der nördlichen Breite von 43° 39° Sie ſtimmen genau mit denen von Berlin überein. Die Beobachter in Toronto waren ſo aufmerkſam auf die Art der Bewegung, daß ſie strong and slight vibrations, shocks und alle Grade der disturbances nach beſtimmten Unterabteilungen der Skale angeben, und eine ſolche Nomenklatur beſtimmt und einförmig befolgen. Aus den genannten — 143 — zwei Jahren werden aus Kanada 6 Gruppen aufeinander folgender Tage (zuſammen 146 an der Zahl) aufgeführt, in denen die Oszil⸗ lationen oft ſehr ſtark waren (with strong shocks), ohne merk⸗ liche Veränderung in der ſtündlichen Deklination. Solche Gruppen ſind bezeichnet durch die Ueberſchrift: „Times of observations at Toronto, at which the Magnetometers were disturbed, but the mean readings were not materially changed.“ Auch die Ver⸗ änderungen der Abweichung während der häufigen Nordlichter waren zu Toronto faſt immer von ſtarken Oszillationen begleitet, oft ſogar von ſolchen, die alles Ableſen unmöglich machten. Wir erfahren alſo durch dieſe der weiteren Prüfung nicht genug zu empfehlenden Erſcheinungen, daß, wenn auch oft momentane, die Nadel beun- ruhigende Abweichungsveränderungen große und definitive Ber- änderungen in der Variation zur Folge haben, doch im ganzen die Größe der Schwingungsbogen keineswegs der Größe des Maßes der Deklinationsveränderung entſpricht; daß bei ſehr unmerk⸗ lichen Deklinationsveränderungen die Schwingungen ſehr groß, wie ohne alle Schwingung der Fortſchritt der Nadel in der weſt— lichen oder öſtlichen Abweichung ſchnell und beträchtlich ſein kann; auch daß dieſe Prozeſſe magnetiſcher Thätigkeit an verſchiedenen Orten einen eigenen und verſchiedenen Charakter an nehmen. 6 (S. 96.) Dies war Ende September 1806. Veröffentlicht wurde die Thatſache in Poggendorffs Annalen der Phyſik Bd. XV (April 1829), S. 330. Es heißt dort: „Meine älteren, mit Oltmanns angeſtellten ſtündlichen Beobachtungen hatten den Vorzug, daß damals (1806 und 1807) feine ähnlichen, weder in Frankreich noch in England angeſtellt wurden. Sie gaben die nächtlichen Maxima und Minima, ſie lehrten die merkwürdigen magnetiſchen Gewitter kennen, welche durch die Stärke der Oszillationen oft alle Beobachtung unmöglich machen, mehrere Nächte hintereinander zu derſelben Zeit eintreten, ohne daß irgend eine Einwirkung meteorologiſcher Verhältniſſe dabei bisher erkannt werden können.“ Es iſt alſo nicht erſt im Jahre 1839, daß eine gewiſſe Periodizität der außerordentlichen Störungen erkannt worden iſt. 7 (S. 96.) Sabine in den Phil. Tr. for 1851, P. I. p. 125 — 127: „The diurnal variation observed is in fact con- stituted by two variations superposed upon each other, having different laws and bearing different proportions to each other in different parts of the globe. At tropical stations the in- fluence of what have been hitherto called the irregular disturbances (magnetic storms), is comparatively feeble; but it is otherwise at stations situated as are Toronto (Canada) and Hobarton (Van Diemen-Island), where their influence is both really and proportionally greater, and amounts to a elearly recognizable part of the whole diurnal variation.“ Es findet — 14 — hier in der zuſammengeſetzten Wirkung gleichzeitiger, aber verſchie— dener Bewegungsurſachen dasſelbe ſtatt, was von Poiſſon ſo ſchön in der Theorie der Wellen entwickelt ift: „Plusieurs sortes d'ondes peuvent se croiser dans l'eau comme dans l'air; les petits mouvements se superposent.“ Vergl. Lamonts Ber: mutungen über die zuſammengeſetzte Wirkung einer Polar- und einer Aequatorialwelle in Poggend. Annalen Bd. 84, S. 583. (S. 98.) Nach Lamont und Reslhuber ift die magnetiſche Periode 10 Jahre, jo daß die Größe des Mittels der täglichen Bewegung der Nadel 5 Jahre hindurch zu- und 5 Jahre hindurch abnimmt, wobei die winterliche Bewegung (amplitudo der Ab- weichung) immerfort faſt doppelt ſo ſchwach als die der Sommer— monate iſt. Der Direktor der Berner Sternwarte, Herr Rudolf Wolf, findet durch eine vielumfaſſendere Arbeit, daß die zuſammen— treffende Periode der Magnetdeklination und der Frequenz der Sonnenflecken auf 11,1 Jahr zu ſetzen ſei. 99 (S. 99.) Sabine, Unusual Disturb. Vol. I,. P. 1, P. XIV— XVIII, wo Tafeln von gleichzeitigen storms in Toronto, Prag und auf Vandiemen zu finden ſind. An Tagen, wo in Kanada die magnetiſchen Ungewitter am ſtärkſten waren (22. März, 10. Mai, 6. Auguſt und 25. September 1841), zeigten ſich dieſelben Erſcheinungen in der ſüdlichen Hemiſphäre, in Auſtralien. % (S. 100.) Zu ſehr verſchiedenen Zeitepochen, einmal (1809) in meinem Recueil d'Observ. astron. Vol. I. p. 368; das andere Mal (1839) in einem Briefe an den Grafen Minto, damaligen erſten Lord der Admiralität, wenige Tage nach der Abreiſe von Sir James Roß zu der Südpolexpedition, habe ich die Wichtigkeit meines im Texte berührten Vorſchlages näher entwickelt. „Suivre les traces de l’equateur magnetique ou celles des lignes sans déclinaison c'est gouverner (diriger la route du vaisseau) de maniere à couper les lignes zero dans les intervalles les plus petits, en changeant de rumb chaque fois que les observations d'inclinaison ou de declinaison prouvent qu'on a devie. Je n'ignore pas que d’apres de grandes vues sur les veritables fondements d'une Theorie generale du Magnetisme terrestre, dues a Mr. Gauss, la connaissance approfondie de l’intensite horizontale, le choix des points où les 3 éléments de deeli- naison, d'inclinaison et d’intensite totale ont été mesures - a 5 V simultandment, suffisent pour trouver la valeur de R (Gauss § 4 et 27), et que ce sont là les points vitaux des recherches futures; mais la somme des petites attractions locales, les besoins du pilotage, les corrections habituelles du rumb et la sécurité des routes continuent à donner une importance spéciale à la connaissance de la position et des mouvements de translation periodique des lignes sans deelinaison. Je plaide ici leur cause, qui est lièe aux intéréts de la Geographie physique.“ J LU A -m ß — 145 — Es werden noch viele Jahre vergehen, ehe Variationskarten, nach der Theorie des Erdmagnetismus konſtruiert, den Seefahrer leiten können, und die ganz objektive, auf wirkliche Beobachtung gerichtete Anſicht, welche ich hier verteidige, würde, wenn ſie zu periodiſch wiederkehrenden Beſtimmungen, alſo zu gleichzeitig angeſtellten See⸗ und Landexpeditionen, nach einem vorgeſetzten Zweck, führte, beide Vorteile zugleich gewähren, den einer unmittelbaren praktiſchen An⸗ wendung wie einer genauen Kenntnis von der mit den Jahren fortſchreitenden Bewegung der Linien, und den Vorteil, der von Gauß gegründeten Theorie viele neue, der Rechnung unterzulegende Data (Gauß § 25) zu liefern. Uebrigens wäre es, um die genaue Beſtimmung der Bewegung der 2 Linien ohne Neigung und ohne Abweichung zu erleichtern, beſonders wichtig, Land⸗ marken da zu veranſtalten, wo die Linien in die Kontinente treten oder fie verlaſſen, für die Jahre 1850, 1875, 1900 . ... Auf ſolchen Expeditionen, den alten Halleyſchen ähnlich, würden überdies, um zu den Nulllinien der Deklination und Inklination zu gelangen, viele andere iſokliniſche und iſogoniſche Linien durch— ſchnitten, und es könnte an den Küſten horizontale und totale Intenſität gemeſſen werden, ſo daß mehrere Zwecke zugleich erreicht würden. Den hier geäußerten Wunſch finde ich unterſtützt durch eine große nautiſche Autorität, auf welche ich immer jo gern hin: weiſe, durch die Autorität von Sir James Roß. 101 (S. 100.) Ich habe ſchon früher die Frage berührt, ob nicht die Meinung holländiſcher Seeleute von 4 Linien ohne Abweichung durch die Streitigkeiten von Bond mit Beckborrow auf die Halleyſche Theorie von 4 Magnetpolen Einfluß gehabt habe? (Kosmos Bd. II, S. 327.) 102 (S. 101.) In dem Inneren von Afrika verdient die ifo: goniſche Linie von 22¼ “ W. als Vermittelungslinie ſehr verſchie— dener Syſteme und als fortlaufend (nach der theoretiſchen Kon— ſtruktion von Gauß) aus dem öſtlichen Indiſchen Ozean quer durch Afrika bis Neufundland eine beſondere kosmiſche Beachtung. Die rühmliche Ausdehnung, welche die großbritanniſche Regierung in dieſem Jahre der afrikaniſchen Expedition von Richardſon, Barth und Overweg gegeben hat, wird vielleicht zu der Löſung ſolcher magnetiſcher Probleme führen. 10 (S. 101.) Sir James Roß durchſchnitt die Kurve ohne Abweichung in ſüdl. Breite 61½ “ und Pariſer weſtlicher Länge 24° 50°. In Breite — 700 43“ und weſtlicher Länge 1987 fand Kapitän Crozier März 1843 die Abweichung 1°38° er war alſo der Nulllinie ſehr nahe. 1% (S. 102.) Die längliche kleine Inſel, auf der das Sandel⸗ holz (malaiiſch und javaniſch tschendana, ſanskr. tschandana, arab. fsandel) geſammelt wird. 105 (S. 108.) So nach Barlow und nach der Karte im Report of the Committee for the Antaretic Exped. 1840. Nach A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 10 — 146 — Barlow tritt die von Auſtralien kommende Linie ohne Abweichung in den aſiatiſchen Kontinent bei dem Cambaygolf ein, wendet ſich aber gleich wieder nordöſtlich über Tibet und China bei Thaiwan (Formoſa) hin in das Japaniſche Meer. Nach Gauß ſteigt die auſtraliſche Linie einfach durch Perſien über Niſchnij Nowgorod nach Lappland auf. Dieſer große Geometer hält die Nulllinie des Japa⸗ niſchen und Philippiniſchen Meeres, wie der geſchloſſenen eiförmigen Gruppe im öſtlichen Aſien für ganz zuſammenhängend mit der von Auſtralien, dem Indiſchen Meere, dem weſtlichen Aſien und Lappland. 106° (S. 103.) Ich habe von dieſer Identität, welche meine eigenen Deklinationsbeobachtungen im Kaſpiſchen Meere, in Uralsk am Jaik und in der Steppe am Eltonſee begründen, an einem anderen Orte (Asie centrale T. III. p. 458—461) gehandelt. 107 (S. 103.) Daß die auſtraliſche Kurve ohne Abweichung aber nicht Java durchſchneidet, lehrt beſtimmt Elliots Karte; es läuft dieſelbe dem ſüdlichen Litorale parallel in einer Entfernung von 1½ Breitengraden. Da nach Erman (nicht nach Gauß) die auſtraliſche Nulllinie zwiſchen Malakka und Borneo durch das Japaniſche Meer zu der geſchloſſenen eiförmigen Gruppe von Oſt⸗ aſien an der nördlichen Küſte des Ochotskiſchen Meerbuſens (Breite 59 ½“) in den Kontinent eintritt, und doch wieder durch Malakka herabſteigt, ſo würde dort die aufſteigende von der abſteigenden nur 11“ getrennt ſein, und nach dieſer graphiſchen Darſtellung wäre die Linie ohne Abweichung des weſtlichen Aſiens (vom Kaſpiſchen Meere bis zum ruſſiſchen Lappland) eine unmittelbare und nächſte Fortſetzung des von Norden nach Süden herabkommenden Teiles. 108 (S. 103.) Ich habe ſchon aus Dokumenten, die ſich in den Archiven von Moskau und Hannover befinden, im Jahre 1843 dar⸗ auf aufmerkſam gemacht, wie Leibniz, der den erſten Plan zu einer franzöſiſchen Expedition nach Aegypten eingereicht hatte, auch am früheſten ſich bemühte, die mit dem Zar Peter dem Großen 1712 in Deutſchland angeknüpften Verhältniſſe dahin zu benutzen, in dem ruſſiſchen Reiche, deſſen Flächeninhalt den der von uns geſehenen Mondfläche übertrifft, „die Lage der Abweichungs- und Inklinations⸗ linien beſtimmen zu laſſen und anzuordnen, daß dieſe Beſtimmungen zu gewiſſen Epochen wiederholt würden“. In einem von Pertz aufgefundenen, an den Zar gerichteten Briefe erwähnt Leibniz eines kleinen Handglobus (terrella), der noch in Hannover aufbewahrt wird und auf welchem er die Kurve, in der die Abweichung null iſt (feine linen magnetica primaria), dargeſtellt hatte. Er be⸗ hauptet, daß es nur eine einzige Linie ohne Abweichung gebe; fie teile die Erdkugel in zwei faſt gleiche Teile, habe 4 puncta flexus contrarii, Sinuoſitäten, in denen fie von konvexen in kon⸗ kave Scheitel übergeht; vom grünen Vorgebirge bewege ſie ſich nach den öſtlichen Küſten von Nordamerika unter 36“ Breite, dann richte ſie ſich durch die Südſee nach Oſtaſien und Neuholland. Dieſe Linie ſei in ſich ſelbſt geſchloſſen, und bei den Polen vorüber: e — 147 — gehend, bleibe ſie dem Südpole näher als dem Nordpole; unter letzterem müſſe die Deklination 25° weſtlich, unter erſterem nur 5° ſein. Die Bewegung dieſer wichtigen Kurve ſei im Anfange des 18. Jahrhunderts gegen den Nordpol gerichtet. Oeſtliche Ab- weichung von 0° bis 15° herrſche in einem Teile des Atlantiſchen Ozeans, in der ganzen Südſee, in Japan, einem Teile von China und Neuholland. Da der Leibarzt Donelli geſtorben ſei, ſo ſolle er durch einen anderen erſetzt werden, der recht wenig Medikamente, aber vielen wiſſenſchaftlichen Rat über die magnetiſchen Deklinations⸗ und Inklinationsbeſtimmungen geben könne ....“ Spezielle theo⸗ retiſche Anſichten leuchten freilich nicht aus dieſen bisher ganz un- beachteten Dokumenten von Leibniz hervor. 10 (S. 105.) Bei der Beurteilung ſo naher Epochen des Durch— ganges der Linie ohne Abweichung und der Priorität dieſes Durd)- ganges darf nicht vergeſſen werden, wie leicht bei den damals ange: wandten Inſtrumenten und Methoden ein Irrtum von 1“ vorfallen konnte. 110 (S. 105.) Ueber die älteren Magnetbeobachtungen in St. Petersburg aus der erſten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrſcht große Unſicherheit. Die Abweichung ſoll von 1726 bis 1772 immer 3015“ oder 330“ geweſen jein! 111 (S. 106.) Die verdienſtvolle Arbeit von Lottin, Bravais, Lilliehöök und Siljeſtröm, welche vom 19. Sept. 1838 bis 8. April 1839 in Finmark zu Boſſekop (Br. 69° 58%) und zu Jupvig (Br. 70° 6°) die Erſcheinungen des Nordlichtes beobachteten, iſt er: ſchienen in der 4. Abteilung der Voyages en Scandinavie, en Laponie, au Spitzberg et aux Feroé, sur la Cor- vette La Recherche (Aurores boréales). Es find dieſen Beobachtungen beigefügt: die 1837 bis 1840 von engliſchen Bergbeamten in den Kupfergruben zu Kalfiord (Br. 69567) er: langten wichtigen Reſultate, p. 401 bis 435. 12 (S. 106.) Das dunkle Segment und das unbeſtreitbare Aufſteigen ſchwarzer Strahlen oder Streifen, in denen (durch Interferenz?) der Lichtprozeß vernichtet iſt, erinnern an Quets Recherches sur l’Eleetrochimie dans le vide, und an Ruhmkorffs feine Verſuche, bei denen im luftverdünnten Raume die poſitive Metallkugel von rotem, die negative von violettem Lichte ſtrahlte, aber die ſtark leuchtenden parallelen Strahlenſchichten regelmäßig durch ganz dunkle Schichten getrennt waren. „La lumiere répandue entre les boules terminales des deux con- ducteurs électriques se partage en tranches nombreuses et paralleles, separees par des couches obscures alternantes, et regulierement distinctes.“ 113 (S. 108.) Die älteften Vermutungen über den Verkehr des Nordlichtes und der Wolkenbildung ſind wohl die von Frobeſius. 114 (S. 108.) Ich entlehne ein einziges Beiſpiel aus meinem handſchriftlichen Tagebuche der ſibiriſchen Reiſe: „Die ganze Nacht — 11898 vom 5. bis 6. Auguſt (1829), von meinen Reiſebegleitern getrennt, in freier Luft zugebracht, in dem Koſakenvorpoſten Krasnaja-Jarki, dem öſtlichſten am Irtyſch, längs der Grenze der chineſiſchen Dſun— garei, und deshalb von einiger Wichtigkeit für die aſtronomiſche Ortsbeſtimmung. Nacht von großer Heiterkeit. Am öſtlichen Himmelsgewölbe bildeten ſich plötzlich vor Mitternacht Polarcirrus⸗ ſtreifen (de petits moutons également espaces, distribues en bandes paralleles et polaires). Größte Höhe 35°. Der nördliche Konvergenzpunkt bewegt ſich langſam gegen Oſten. Sie verſchwinden, ohne den Zenith zu erreichen und es bilden ſich wenige Minuten darauf ganz ähnliche Polarcirrusbanden am nordöſtlichen Himmels: gewölbe. Dieſe bewegen ſich während eines Teiles der Nacht faſt bis zum Aufgang der Sonne wieder ſehr regelmäßig bis N 70“ O. In der Nacht ungewöhnlich viele Sternſchnuppen und farbige Ringe um den Mond. Keine Spur von eigentlichem Nordlichte. Etwas Regen bei gefiedertem Gewölk; dann am 6. Auguſt vormittags heiterer Himmel mit den aufs neue gebildeten Polarbanden von NNO in SSW unbeweglich und das Azimut nicht verändernd, wie ich in Quito und Mexiko jo oft geſehen.“ (Die Magnet: abweichung im Altai iſt öſtlich.) 115 (S. 108) Bravais, der, gegen meine Erfahrungen, die Cirrushäufchen in Boſſekop faſt immer wie Nordlichtbogen recht— winkelig gegen den magnetiſchen Meridian gerichtet fand, beſchreibt mit gewohnter Genauigkeit die Drehungen der wahren Nordlicht— bogen. Auch in der ſüdlichen Hemiſphäre hat Sir James Roß ſolche progreſſive Veränderungen der Nordlichtbogen (Fortſchreiten von WNW OSd in NNO - SSW) in Süpdlichtern beobachtet. Farben: loſigkeit ſcheint den Südlichtern oft eigen zu ſein. 116 (S. 108.) Die am hellen Tage geſehenen Nordlichtbogen erinnern an die Lichtſtärke der Kerne und Schweife der Kometen von 1843 und 1847, welche in Nordamerika, in Parma und London nahe bei der Sonne erkannt wurden. 17 (S. 109.) Die ungleiche Wirkung, welche ein Nordlicht auf die Deklinationsnadel an Erdpunkten ausübt, die unter ſehr ver— ſchiedenen Meridianen liegen, kann in vielen Fällen auf die Orts⸗ beſtimmungen der wirkenden Urſache führen, da der Ausbruch des leuchtenden magnetiſchen Ungewitters keineswegs immer in dem Magnetpol ſelbſt zu ſuchen iſt und, wie ſchon Argelander behauptet und Bravais bekräftigt hat, der Gipfel des Lichtbogens bisweilen mehr als 11“ vom magnetiſchen Meridian abweicht. 115 (S. 109.) „Am 20. Dezember 1806: Himmel azurblau, ohne Spur von Gewölk. Gegen 10u erſchien in NNW der rötlich gelbe Lichtbogen, durch den ich im Nachtfernrohr Sterne 7. Größe unterſcheiden konnte. Durch Wega, die faſt unter dem höchſten Punkte des Bogens ſtand, fand ich dieſes Punktes Azimut. Es war dasſelbe etwas weſtlicher als die Vertikalebene, durch die magnetiſche Abweichung gelegt. Das Nordlicht, welches in Nord: — 149 — Nord⸗Weſten ſtand, ſtieß den Nordpol der Nadel ab; denn ſtatt nach Weſten, wie das Azimut des Bogens, fortzuſchreiten, ging die Nadel nach Oſten zurück. Die Veränderungen in der Magnet⸗ deklination, welche in dieſem Monate nachts gewöhnlich 2° 27 bis 3“ betragen, ſtiegen während des Nordlichtes progreſſiv und ohne große Oszillationen auf 26128“. Die Abweichung war am kleinſten, als das Nordlicht um 9u 12“ am ſtärkſten war. Die horizontale Kraft fanden wir während des Nordlichtes 1137,73“ für 21 Schwin⸗ gungen; um 2150“, alſo lange nach dem Nordlichte, das um 14 107 geendigt hatte, 1737,17“ bei derſelben Zahl der Schwingungen. Temperatur des Zimmers, wo die Schwingungen der kleinen Nadel gemeſſen wurden, im erſten Falle 3,2“; im zweiten 2,8%. Die In⸗ tenſität war alſo während des Nordlichtes um ein weniges ver— mindert. Mond ohne alle farbigen Ringe.“ (Aus meinem magne— tiſchen Tagebuche.) 119 (S. 110.) Sabine, On days of unusual magn. Disturbances P. I, p. XVIII. „Mr. Bravais conclut des observations de Laponie que l’intensite horizontale diminue pendant la periode la plus active du phenomene de l’aurore boreale* (Martins p. 461.) 12° (S. 111.) Als ich im Jahre 1796 am fränkiſchen Fichtel⸗ gebirge, wo ich die Stelle eines Oberbergmeiſters bekleidete, den ſo merkwürdigen polariſchen Serpentinberg (Haidberg) bei Gefreß auffand, welcher in einzelnen Punkten bis in 22 Fuß (7,15 m) Entfernung auf die Abweichung der Nadel wirkt, wurde dieſe Frage beſonders angeregt. Ich hatte zu finden geglaubt, daß die Magnet- achſen des Berges gegen die Erdpole gänzlich invertiert liegen; aber nach Unterſuchungen von Biſchoff und Goldfuß ſind für 1816 zwar auch magnetiſche Achſen, welche den Haidberg durchſetzen und an entgegengeſetzten Abhängen entgegengeſetzte Pole darbieten, er— kannt worden, doch war die Orientierung der Achſen verſchieden von der, welche ich angegeben. Der Haidberg ſelbſt beſteht aus lauchgrünem Serpentinſtein, der teilweiſe in Chlorit- und Hornblend—⸗ ſchiefer übergeht. Bei dem Dorfe Voyſaco in der Andeskette von Paſto haben wir Geſchiebe von Thonporphyr, bei der Beſteigung des Chimborazo Gruppen ſäulenförmigen Trachyts gefunden, welche die Nadel in 3 Fuß (97 em) Entfernung beunruhigten. Auffallend war es mir, daß ich den ſchwarzen und roten Obſidianen des Quinche, nördlich von Quito, wie in den grauen des Cerro de las Navajas von Mexiko große Fragmente mit beſtimmten Polen ge— funden habe. Sämtliche große Magnetberge des Uralgebirges, wie der Blagodat bei Kuſchwa, die Wyßokaja Gora bei Niſchne-Tagilsk, der Katſchkanar bei Niſchne-Turinsk, ſind aus Augit- oder vielmehr aus Uralitporphyr hervorgebrochen. In dem großen Magnetberge Blagodat, welchen ich mit Guſtav Roſe auf der ſibiriſchen Expe⸗ dition 1829 unterſuchte, ſcheint die Geſamtwirkung der ein⸗ zelnen polariſierenden Teile ſchlechterdings keine beſtimmte, erkenn⸗ — 10 — bare Magnetachſen hervorgebracht zu haben. Nahe nebeneinander liegen, unregelmäßig vermengt, entgegengeſetzte Pole. So hatte es auch vor uns ſchon Erman gefunden. Ueber den Intenſitätsgrad der polariſchen Stärke im Serpentin, Baſalt und Trachytgeſtein, verglichen mit der Quantität der dieſen Geſteinen eingemengten Teile von Magneteiſen und Eiſenoxydul, wie über den ſchon von Gmelin und Gibbs behaupteten Einfluß der Luftberührung auf Entwickelung der Polarität j. die zahlreichen und ſehr beachtens— werten Verſuche von Zaddach in deſſen Beobachtungen über die magnetiſche Polarität des Baſaltes und der trachytiſchen Geſteine 1851, S. 56, 65— 78 und 95. Aus Vergleichung vieler Baſaltſteinbrüche in Hinſicht auf die Polarität der lange ſchon einzeln ſtehenden Säulen, oder ſolcher Säulen— wände, die jetzt erſt in Berührung mit der Atmoſphäre kommen, aus Entblößung von Erde einzelner Maſſen gegen die Tiefe hin, glaubt Dr. Zaddach folgern zu können, daß die polariſche Eigen— ſchaft, welche bei freiem Zutritt der Atmoſphäre und in einem von offenen Spalten durchſetzten Geſtein immer am intenfivften erſcheint, „ſich von außen nach innen und gewöhnlich von oben nach unten zu verbreitet“. Gmelin jagt von dem großen Magnetberg Ulu— utaſſe-Tau, im Lande der Baſchkiren, nahe am Jaik: „Die Seiten, welche dem Tage ausgeſetzt ſind, haben die ſtärkſte magnetiſche Kraft; diejenigen aber, welche in der Erde liegen, ſind viel ſchwächer.“ Auch mein großer Lehrer Werner äußerte die Meinung, „von dem Einfluß der Luftberührung, welche nicht auf dem Wege einer ver: mehrten Oxydation die Polarität und die Anziehung verſtärkt haben könnte“, wenn er in ſeinen Vorträgen vom ſchwediſchen Magnet: eiſen ſprach. Von der Magneteiſengrube bei Succaſſuny in New Jerſey behauptet Oberſt Gibbs: „The ore raised from the bottom of the mine has no magnetism at first, but acquires it after it has been some time exposed to the influence of the atmo- sphere.“ Eine ſolche Behauptung ſollte wohl zu genauen Ver⸗ ſuchen anregen! — Wenn ich oben in dem Texte (S. 110) darauf aufmerkſam gemacht habe, daß nicht die Quantität der einer Gebirgsart eingemengten kleinen Eiſenteile allein, ſondern zugleich ihre relative Verteilung (ihre Stellung) auf die Intenſität der Polarkraft als Reſultante wirkt, ſo habe ich die kleinen Teile als ebenſo viele kleine Magnete betrachtet. Vergleiche neue Anſichten über dieſen Gegenſtand in einer Abhandlung von Melloni, die dieſer große Phyſiker im Januar 1853 in der königl. Akademie zu Neapel verleſen hat. — Des beſonders im Mittelländiſchen Meere ſo alt verbreiteten Vorurteils, daß das Reiben eines Magnetſtabes mit Zwiebeln, ja ſchon die Ausdünſtung der Zwiebeleſſer die Richtkraft vermindere und den Kompaß im Steuern verwirre, findet man er⸗ wähnt in Procli Diadochi Paraphrasis Ptolem. libri IV de siderum affeetionibus 1635, p. 20. Es iſt ſchwer, die Veranlaſſung eines ſo ſonderbaren Volksglaubens zu erraten. Bu 5 II. Reaktion des Inneren der Erde gegen die Oberfläche; ſich offenbarend: a) bloß dynamiſch, durch Erſchütterungswellen (Erdbeben); — b) durch die den Quellwaſſern mitgeteilte erhöhte Temperatur, wie durch die Stoffverſchiedenheit der beigemiſchten Salze und Gasarten (Thermal- quellen); — c) durch den Ausbruch elaſtiſcher Flüſſigkeiten, zuzeiten von Erſcheinungen der Selbstentzündung begleitet (Gas- und Schlamm vulkane, Uaphthafeuer, Salfen); — d) durch die großartigen und mächtigen Wirkungen eigentlicher Vulkane, welche (bei permanenter Ver- bindung durch Spalten und Krater mit dem Luftkreife) aus dem tiefſten Inneren geſchmolzene Erden, teils nur als glühende Schlacken aus. fioßen; teils gleichzeitig, wechſelnden Prozeſſen kriſtalliniſcher Geftein- bildung unterworfen, in langen, ſchmalen Strömen ergießen. Um, nach dem Grundplan dieſer Schrift, die Verkettung der telluriſchen Erſcheinungen, das Zuſammenwirken eines einigen Syſtems treibender Kräfte in der beſchreibenden Dar: ſtellung feſtzuhalten, müſſen wir hier daran erinnern, wie wir, beginnend von den allgemeinen Eigenſchaften der Materie und den drei Hauptrichtungen ihrer Thätigkeit (Anziehung, licht⸗ und wärmeerzeugenden Schwingungen, elektromagnetiſchen Prozeſſen), in der erſten Abtei⸗ lung die Größe, Formbildung und Dichte unſeres Planeten, ſeine innere Wärmeverteilung und mag⸗ netiſche Ladung in ihren nach beſtimmten Geſetzen wech— ſelnden Wirkungen der Intenſität, Neigung und Abweichung betrachtet haben. Jene eben genannten Thätigkeitsrich— tungen der Materie ſind nahe verwandte Aeußerungen einer und derſelben Urkraft. Am unabhängigſten von aller Stoffverſchiedenheit treten dieſelben in der Gravi— tation und Molekularanziehung auf. Wir haben unſeren Planeten dabei in ſeiner kosmiſchen Beziehung zu — 152 — dem Centralkörper ſeines Syſtems dargeſtellt, weil die innere primitive Wärme, wahrſcheinlich durch die Kondenſation eines rotierenden Nebelringes erzeugt, durch Sonneneinwir⸗ kung (Inſolation) modifiziert wird. In gleicher Hinſicht iſt der periodiſchen Einwirkung der Sonnenflecken, d. h. der Frequenz oder Seltenheit der Oeffnungen in den Sonnen⸗ umhüllungen, auf den Erdmagnetismus, nach Maßgabe der neueſten Hypotheſen, gedacht worden. Die zweite Abteilung dieſes Bandes iſt dem Komplex derjenigen telluriſchen Erſcheinungen gewidmet, welche der noch fortwährend wirkſamen Reaktion des Inneren der Erde gegen ihre Oberfläche zuzuſchreiben ſind. Ich bezeichne dieſen Komplex mit dem allgemeinen Namen des Vulkanismus oder der Vulkanizität und halte es für einen Gewinn, nicht zu trennen, was einen urſachlichen Zu: ſammenhang hat, nur der Stärke der Kraftäußerung und der Komplikation der phyſiſchen Vorgänge nach verſchieden iſt. In dieſer Allgemeinheit der Anſicht erhalten kleine, unbedeu⸗ tend ſcheinende Phänomene eine größere Bedeutung. Wer als ein wiſſenſchaftlich unvorbereiteter Beobachter zum erſten⸗ mal an das Becken tritt, welches eine heiße Quelle füllt, und lichtverlöſchende Gasarten darin aufſteigen ſieht, wer zwiſchen Reihen veränderlicher Kegel von Schlammvul— kanen wandelt, die kaum ſeine eigene Höhe überragen, ahnet nicht, daß in den friedlichen Räumen, welche die letzteren aus⸗ füllen, mehrmals viele tauſend Fuß hohe Feuerausbrüche ſtattgefunden haben, daß einerlei innere Kraft koloſſale Er⸗ hebungskrater, ja die mächtigen verheerenden, lava⸗ ergießenden Vulkane des Aetna und Piks von Teyde, die ſchlackenauswerfenden des Cotopaxi und Tunguragua erzeugt. Unter den mannigfach ſich ſteigernden Phänomenen der Reaktion des Inneren gegen die äußere Erdrinde ſondere ich zuerſt diejenigen ab, deren weſentlicher Charakter ein bloß dynamiſcher, der der Bewegung oder der Erſchütterungs⸗ wellen in den feſten Erdſchichten iſt: eine vulkaniſche Thätig⸗ keit ohne notwendige Begleitung von chemiſcher Stoffver⸗ änderung, von etwas Stoffartigem, Ausgeſtoßenem oder Neu⸗ erzeugtem. Bei den anderen Reaktionsphänomenen des Inneren gegen das Aeußere, bei Gas- und Schlammvulkanen, Naphthafeuern und Salſen, bei den großen, am frühe⸗ ſten und lange allein Vulkane genannten Feuerbergen fehlen nie Produktion von etwas Stoffartigem (Elaſtiſch⸗ — 13 — Flüſſigem oder Feſtem), Prozeſſe der Zerſetzung und Gasentbin— dung, wie der Geſteinbildung aus kriſtalliniſch geordneten Teilchen. Das ſind in der größten Verallgemeinerung die unterſcheidenden Kennzeichen der vulkaniſchen Lebens— thätigkeit unſeres Planeten. Inſofern dieſe Thätigkeit im größeren Maße der hohen Temperatur der innerſten Erd— ſchichten zuzuſchreiben iſt, wird es wahrſcheinlich, daß alle Weltkörper, welche mit Begleitung von ungeheurer Wärme— entbindung ſich geballt haben und aus einem dunſtförmigen Zuſtande in einen feſten übergegangen ſind, analoge Erſchei— nungen darbieten müſſen. Das Wenige, das wir von der Oberflächengeſtaltung des Mondes wiſſen, ſcheint darauf hin— zudeuten. Hebung und geſtaltende Thätigkeit in kriſtalli— niſcher Geſteinbildung aus einer geſchmolzenen Maſſe ſind auch in einem Weltkörper denkbar, den man für luft- und waſſerlos hält. Auf einem genetiſchen Zuſammenhang der hier bezeich— neten Klaſſen vulkaniſcher Erſcheinungen deuten die vielfachen Spuren der Gleichzeitigkeit und begleitender Ueber: gänge der einfacheren und ſchwächeren Wirkungen in ſtärkere und zuſammengeſetztere hin. Die Reihung der Materien in der von mir gewählten Darſtellung wird durch eine ſolche Betrachtung gerechtfertigt. Die geſteigerte magnetiſche Thätigkeit unſeres Planeten, deren Sitz wohl aber nicht in dem geſchmolzenen Inneren zu ſuchen iſt, wenn gleich (nach Lenz und Rieß) Eiſen in geſchmolzenem Zuſtande einen elek— triſchen oder galvaniſchen Strom zu leiten vermag, erzeugt Lichtentwickelung in den Magnetpolen der Erde oder wenigſtens meiſt in der Nähe derſelben. Wir beſchloſſen die erſte Abteilung des telluriſchen Bandes mit dem Leuchten der Erde. Auf dies Phänomen einer lichterzeugenden Schwingung des Aethers durch magnetiſche Kräfte laſſen wir nun zuerſt diejenige Klaſſe der vulkaniſchen Thätigkeit folgen, welche, ihrem eigentlichen Weſen nach, ganz wie die magnetiſche, nur dynamiſch wirkt: Bewegung, Schwingungen in der Feſte erregend, nichts Stoffartiges erzeugend oder ver— ändernd. Sekundäre, nicht weſentliche Erſcheinungen (auf— ſteigende Flammen während des Erdbebens, Waſſerausbrüche und Gasentwickelungen ihm folgend) erinnern an die Wirkung der Thermalquellen und Salſen. Flammenausbrüche, viele Meilen weit ſichtbar, und Felsblöcke, der Tiefe entriſſen und umhergeſchleudert, zeigen die Salſen, und bereiten — 154 — gleichſam vor zu den großartigen Erſcheinungen der eigent— lichen Vulkane, die wiederum zwiſchen weit voneinander entfernten Eruptionsepochen ſalſenartig nur Waſſerdampf und Gasarten auf Spalten aushauchen. So auffallend und lehr: reich ſind die Analogieen, welche in verſchiedenen Stadien die Abſtufungen des Vulkanismus darbieten. a. Erdbeben. (Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. IJ, S. 144 bis 154.) Seitdem in dem erſten Bande dieſes Werkes (1845) die allgemeine Darſtellung der Erdbebenphänomene erſchienen iſt, hat ſich das Dunkel, in welches der Sitz und die Urſachen derſelben gehüllt ſind, wenig vermindert; aber durch die vor— trefflichen Arbeiten! von Mallet (1846) und Hopkins (1847) iſt über die Natur der Erſchütterung, den Zuſammenhang ſcheinbar verſchiedenartiger Wirkungen und über die Tren— nung begleitender oder gleichzeitig eintretender phyſikaliſcher und chemiſcher Prozeſſe einiges Licht verbreitet worden. Mathematiſche Gedankenentwickelung kann, nach Poiſſons Vorgange, hier, wie überall, wohlthätig wirken. Die Ana— logieen zwiſchen den Schwingungen feſter Körper und den Schallwellen der Luft, auf welche Thomas Young ſchon auf: merkſam gemacht hat, ſind in den theoretiſchen Betrachtungen über die Dynamik der Erdbeben beſonders geeignet, zu ein: facheren und befriedigenderen Anſichten zu führen. Räumliche Veränderung, Erſchütterung, Hebung und Spaltenerzeugung bezeichnen den weſentlichen Cha— rakter des Phänomens. Es ſind zu unterſcheiden die wirkende Kraft, welche als Impuls die Vibration erregt, und die Beſchaffenheit, Fortpflanzung, Verſtärkung oder Verminderung der Erſchütterungswelle. Ich habe in dem Naturgemälde beſchrieben, was ſich zunächſt den Sinnen offenbart, was ich Gelegenheit gehabt, ſo viele Jahre lang ſelbſt zu beobachten auf dem Meere, auf dem Seeboden der Ebenen (Llanos), auf Höhen von 8000 bis 15000 Fuß (2600 bis 4870 m), am Kraterrande entzündeter Vulkane und in Regionen von Granit⸗ und Glimmerſchiefer, 300 geographiſche Meilen (2220 km) von allen Feuerausbrüchen entfernt, in Gegenden, wo die Einwohner zu gewiſſen Epochen die Zahl der Erdſtöße nicht mehr als wir in Europa die Zahl der Regenſchauer zählen, — 155 — wo Bonpland und ich wegen Unruhe der Maultiere abſteigen mußten, weil in einem Walde der Boden 15 bis 18 Minuten lang ununterbrochen erbebte. Bei einer ſo langen Gewohnheit, die ſpäter Bouſſingault in einem noch höheren Grade geteilt hat, iſt man zu ruhiger und ſorgfältiger Beobachtung ge: ſtimmt, wohl auch geeignet, mit kritiſcher Sorgfalt abwei⸗ chende Zeugniſſe an Ort und Stelle zu ſammeln, ja zu prüfen, unter welchen Verhältniſſen die mächtigen Verände⸗ rungen der Erdoberfläche erfolgt ſind, deren friſche Spuren man erkennt. Wenngleich ſchon 5 Jahre ſeit dem ſchauder— vollen Erdbeben von Riobamba, welches am 4. Februar 1797 über 30000 Menſchen in wenigen Minuten das Leben koſtete, vergangen waren, ſo ſahen wir doch noch die einſt fortſchreitenden, aus der Erde aufgeſtiegenen Kegel der Moya und die Anwendung dieſer brennbaren Subſtanz zum Kochen in den Hütten der Indianer. Ergebniſſe von Bodenverände— rungen konnte ich aus jener Kataſtrophe beſchreiben, die in einem größeren Maßſtabe ganz denen analog geweſen ſind, welche das berühmte Erdbeben von Kalabrien (Februar 1783) darbot, und die man lange für ungenau und abenteuerlich dargeſtellt ausgegeben hat, weil ſie nicht nach Theorieen zu erklären waren, welche man ſich voreilig gebildet. Indem man, wie wir bereits oben angedeutet haben, die Betrachtungen über das, was den Impuls zur Erſchütterung gibt, ſorgfältig von denen über das Weſen und die Fort— pflanzung der Erſchütterungswellen trennt, ſo unterſcheidet man dadurch 2 Klaſſen der Probleme von ſehr ungleicher Zugänglichkeit. Die erſtere kann nach dem jetzigen Zuſtande unſeres Wiſſens zu keinen allgemein befriedigenden Reſultaten führen, wie bei ſo vielen, indem wir bis zu den letzten Urſachen aufſteigen wollen. Dennoch iſt es von großem kos— miſchen Intereſſe, während wir uns beſtreben, in dem der wirklichen Beobachtung Unterworfenen das Geſetzliche zu er— forſchen, die verſchiedenen, bisher als wahrſcheinlich aufge— ſtellten genetiſchen Erklärungsarten fortdauernd im Auge zu behalten. Der größere Teil derſelben bezieht ſich, wie bei aller Vulkanizität, unter mancherlei Modifikationen auf die hohe Temperatur und chemiſche Beſchaffenheit des gejchmol- zenen Inneren der Erde; eine einzige und zwar die neueſte Erklärungsart des Erdbebens in trachytiſchen Regionen iſt das Ergebnis geognoſtiſcher Vermutungen über den Nicht— zuſammenhang vulkaniſch gehobener Felsmaſſen. Fol— — 156 — gende Zuſammenſtellung bezeichnet näher und in gedrängter Kürze die Verſchiedenheit der Anſichten über die Natur des erſten Impulſes zur Erſchütterung: Der Kern der Erde wird als in feurig flüſſigem Zu— ſtande gedacht: als Folge alles planetariſchen Bildungs: prozeſſes aus einer gasförmigen Materie, durch Entbin— dung der Wärme bei dem Uebergange des Flüſſigen zum Dichten. Die äußeren Schichten haben ſich durch Strah— lung zuerſt abgekühlt und am früheſten erhärtet. Ein un⸗ gleichartiges Aufſteigen elaſtiſcher Dämpfe, gebildet (an der Grenze zwiſchen dem Flüſſigen und Feſten) entweder allein aus der geſchmolzenen Erdmaſſe oder aus eindringen— dem Meereswaſſer, ſich plötzlich öffnende Spalten und das plötzliche Aufſteigen tiefer entſtandener, und darum heißerer und geſpannterer Dämpfe in höhere Felsſchichten, der Erd— oberfläche näher, verurſachen die Erſchütterung. Als Neben— wirkung einer nicht telluriſchen Urſache wird auch wohl die Attraktion des Mondes und der Sonne? auf die flüſſige, geſchmolzene Oberfläche des Erdkerns betrachtet, wodurch ein vermehrter Druck entſtehen muß, entweder unmittelbar gegen ein feſtes aufliegendes Felsgewölbe, oder mittelbar, wo in unterirdiſchen Becken die feſte Maſſe durch elaſtiſche Dämpfe von der geſchmolzenen, flüſſigen Maſſe getrennt iſt. Der Kern unſeres Planeten wird als aus unorydierten Maſſen, aus den Metalloiden der Alkalien und Erden be— ſtehend gedacht. Durch Zutritt von Waſſer und Luft ſoll die vulkaniſche Thätigkeit in dem Kerne erregt werden. Die Vulkane ergießen allerdings eine große Menge Waſſer— dampf in die Atmoſphäre, aber die Annahme des Eindringens des Waſſers in den vulkaniſchen Herd hat viele Schwierig— keit in Betrachtung des gegenſeitigen Druckes! der äußeren Waſſerſäule und inneren Lava, und der Mangel oder wenigſtens die große Seltenheit von brennendem Wafjer: ſtoffgas während der Eruption, welchen die Bildungen von Chlorwaſſerſtoffſäure,, Ammoniak und geſchwefeltem Wajjer- ſtoff wohl nicht hinlänglich erſetzen, hat den berühmten Urheber der Hypotheſe fie ſelbſt freimütig! aufzugeben vermocht. Nach einer dritten Anſicht, der des ſo viel begab— ten ſüdamerikaniſchen Reiſenden Bouſſingault, wird ein Mangel an Kohärenz in den trachyt- und doleritartigen Maſſen, welche die erhobenen Vulkane der Andeskette Dr bilden, als eine Haupturſache vieler und ſehr weit wirken: der Erderſchütterungen betrachtet. Die koloſſalen Kegel und domförmigen Gipfel der Kordilleren ſind nach dieſer An— ſicht keineswegs in einem Zuſtande der Weichheit und halben Flüſſigkeit, ſondern vollkommen erhärtet, als ungeheure Icharffantige Fragmente, emporgehoben und aufgetürmt worden. Bei einem ſolchen Emporſchieben und Auftürmen ſind notwendig große Zwiſchenräume und Höhlungen ent— ſtanden, ſo daß durch ruckweiſe Senkung und durch das Herabſtürzen zu ſchwach unterſtützter feſter Maſſen Er— ſchütterungen erfolgen. ? Mitmehr Klarheit, als die Betrachtungen überdie Natur des erſten Impulſes gewähren, den man ſich freilich als ver: ſchiedenartig denken kann, find die Wirkungen des Im⸗ puljes, die Erſchütterungswellen, auf einfache mecha— niſche Theorien zurückzuführen. Dieſer Teil unſeres Natur- wiſſens hat, wie wir ſchon oben bemerkt, in der neueſten Zeit weſentlich gewonnen. Man hat die Erdwellen in ihren Fortſchritten, ihrer Verbreitung durch Gebirgsarten von ver— ſchiedener Dichtigkeit und Elaftizität ° geſchildert, die Urſachen der Fortpflanzungsgeſchwindigkeit, ihre Abnahme durch Bre— chung, Reflex und Interferenz der Schwingungen mathe— matiſch erforſcht. Die ſcheinbar kreiſenden (rotatoriſchen) Erſchütterungen, von denen die Obelisken vor dem Kloſter San Bruno in der kleinen Stadt Stephano del Bosco (Kalabrien 1783) ein ſo viel beſprochenes Beiſpiel dargeboten hatten, hat man verſucht auf geradlinige zu reduzieren. Luft⸗, Waſſer⸗ und Erdwellen folgen allerdings räumlich den— ſelben Geſetzen, welche die Bewegungslehre anerkennt, aber die Erdwellen find in ihrer verheerenden Wirkung von Phä— nomenen begleitet, die ihrer Natur nach dunkler bleiben und in die Klaſſe phyſiſcher Prozeſſe gehören. Als ſolche ſind aufzuzählen: Ausſtrömungen von geſpannten Dämpfen, von Gasarten, oder, wie in den kleinen bewegten Moyakegeln von Pelileo, grusartiger Gemenge von Pyroxenkriſtallen, Kohle und Infuſionstierchen mit Kieſelpanzern. Dieſe wan: dernden Kegel haben eine große Zahl von Hütten der In— dianer umgejtürzt. ? In dem allgemeinen Naturgemälde find viele über die große Kataſtrophe von Riobamba (4. Februar 1797) aus dem Munde der Ueberlebenden an Ort und Stelle mit dem ernſten Beſtreben nach hiſtoriſcher Wahrheit geſammelte That— — 158 — ſachen erzählt. Einige ſind den Ereigniſſen bei dem großen Erdbeben von Kalabrien aus dem Jahre 1783 analog, andere ſind neu und durch die minenartige Kraftäußerung von unten nach oben beſonders charakteriſiert. Das Erdbeben ſelbſt war von keinem unterirdiſchen Getöſe begleitet, durch keines verkündigt. Ein ungeheures Getöſe, noch jetzt durch den ein— fachen Namen el gran ruido bezeichnet, wurde erſt 18 bis 20 Minuten ſpäter und bloß unter den beiden Städten Quito und Ibarra, fern von Tacunga, Hambato und dem Haupt— ſchauplatz der Verheerung, vernommen. Es gibt kein anderes Ereignis in den trüben Verhängniſſen des Menſchengeſchlechts, durch welches in wenigen Minuten, und dazu in ſparſam be— völferten Gebirgsländern, jo viele Tauſende auf einmal den Tod finden, als durch die Erzeugung und den Vorübergang weniger Erdwellen, von Spaltungsphänomenen be— gleitet! 5 Bei dem Erdbeben von Riobamba, über welches der be— rühmte valenzianiſche Botaniker, Don Joſé Cavanilles, die früheſten Nachrichten mitgeteilt hat, verdienen noch folgende Erſcheinungen eine beſondere Aufmerkſamkeit: Klüfte, die ſich abwechſelnd öffneten und wiederum ſchloſſen, ſo daß Menſchen ſich dadurch retteten, daß ſie beide Arme ausſtreckten, um nicht zu verſinken; das Verſchwinden ganzer Züge von Reitern oder beladener Maultiere (recuas), deren einige durch ſich plötzlich aufthuende Querklüfte verſchwanden, während andere, zurück— fliehend, der Gefahr entgingen; fo heftige Schwankungen (un: gleichzeitige Erhebung und Senkung) naher Teile des Bodens, daß Perſonen, welche auf einem mehr als 12 Fuß (4 m) hohen Chor in einer Kirche ſtanden, ohne Sturz auf das Straßenpflaſter gelangten; die Verſenkung von maſſiven Häu— ſern, “e in denen die Bewohner innere Thüren öffnen konnten, und 2 Tage lang, ehe ſie durch Ausgrabung entkamen, unverſehrt von einem Zimmer in das andere gingen, ſich Licht anzündeten, von zufällig entdeckten Vorräten ſich nähr⸗ ten und über den Grad der Wahrſcheinlichkeit ihrer Rettung miteinander haderten; das Verſchwinden ſo großer Maſſen von Steinen und Baumaterial. Alt-Riobamba hatte Kirchen und Klöſter zwiſchen Häuſern von mehreren Stockwerken, und doch habe ich, als ich den Plan der zerſtörten Stadt aufnahm, in den Ruinen nur Steinhaufen von 8 bis 10 Fuß (2,6 bis 3,25 m) Höhe gefunden. In dem ſüdweſtlichen Teil von Alt⸗Riobamba (in dem vormaligen Bario di Sigchuguaicu) — 159 — war deutlich eine minenartige Exploſion, die Wirkung einer Kraft von unten nach oben, zu erkennen. Auf dem einige hundert Fuß hohen Hügel Cerro de la Culca, welcher ſich über dem ihm nördlich liegenden Cerro de Cumbicarca erhebt, liegt Steinſchutt, mit Menſchengerippen vermengt. Translatoriſche Bewegungen in horizontaler Richtung, durch welche Baumalleen, ohne entwurzelt zu werden, ſich verſchieben, oder Kulturſtücke ſehr verſchiedener Art ſich gegen— ſeitig verdrängen, haben ſich in Quito wie in Kalabrien mehrfach gezeigt. Eine noch auffallendere und kompliziertere Erſcheinung iſt das Auffinden von Gerätſchaften eines Hauſes in den Ruinen anderer, weit entfernter, ein Auffinden, das zu Prozeſſen Anlaß gegeben hat. Sit es, wie die Landein— wohner glauben, ein Verſinken, dem ein Auswurf folgt? oder, trotz der Entfernung, ein bloßes Ueberſchütten? Da in der Natur unter wieder eintretenden ähnlichen Bedingungen ſich alles wiederholt, ſo muß man durch Nichtverſchweigen auch des noch unvollſtändig Beobachteten die Aufmerkſamkeit künf— tiger Beobachter auf ſpezielle Phänomene leiten. Es iſt nach meinen Erfahrungen nicht zu vergeſſen, daß bei den meiſten Spaltenerzeugungen, neben der Erſchütte— rung feſter Teile als Erdwelle, auch ganz andere, und zwar phyſiſche Kräfte, Gas- und Dampfemanationen, mitwirken. Wenn in der Wellenbewegung die äußerſte Grenze der Elaſtizität der bewegten Materie (nach Verſchiedenheit der Gebirgsarten oder der loſen Erdſchichten) überſchritten wird und Trennung entſteht, ſo können durch die Spalten geſpannte elaſtiſche Flüſſigkeiten ausbrechen, welche verſchiedenartige Stoffe aus dem Inneren auf die Oberfläche führen und deren Aus— bruch wiederum Urſache von translatoriſchen Bewegungen wird. Zu dieſen, die primitive Erſchütterung (das Erdbeben) nur begleitenden Erſcheinungen gehört das Emporheben der unbeſtritten wandernden Moyakegel, wahrſcheinlich auch der Transport von Gegenſtänden auf der Oberfläche der Erde.!“ Wenn in der Bildung mächtiger Spalten ſich dieſelben nur in den oberen Teilen ſchließen, ſo kann die Entſtehung blei— bender unterirdiſcher Höhlungen nicht bloß Urſache zu neuen Erdbeben werden, indem nach Bouſſingaults Vermutung ſich mit der Zeit ſchlecht unterſtützte Maſſen ablöſen und, Er— ſchütterung erregend, ſenken, ſondern man kann ſich auch die Möglichkeit denken, daß die Erſchütterungskreiſe dadurch erweitert werden, daß auf den bei den früheren Erdbeben — 160 — geöffneten Spalten in dem neuen Erdbeben elaſtiſche Flüſſig⸗ keiten da wirken, wohin ſie vorher nicht gelangen konnten. Es iſt alſo ein begleitendes Phänomen, nicht die Stärke der Erſchütterungswelle, welche die feſten Teile der Erde einmal durchlaufen iſt, was die allmähliche, ſehr wichtige und zu wenig beachtete Erweiterung des Erſchütterungskreiſes ver— anlaßt. Vulkaniſche Thätigkeiten, zu deren niederen Stufen das Erdbeben gehört, umfaſſen faſt immer gleichzeitig Phänomene der Bewegung und phyſiſcher ſtoffartiger Produktion. Wir haben ſchon mehrfach im Naturgemälde erinnert, wie aus Spalten, fern von allen Vulkanen, emporſteigen: Waſſer und heiße Dämpfe, kohlenſaures Gas und andere Mofetten, ſchwarzer Rauch (wie viele Tage lang im Felſen von Alvidras beim Erdbeben von Liſſabon vom 1. November 1755), Feuer: flammen, Sand, Schlamm und mit Kohle gemengte Moya. Der ſcharfſinnige Geognoſt Abich hat den Zuſammenhang nachgewieſen, der im perſiſchen Ghilan zwiſchen den Thermal: quellen von Sarein (5051 Fuß = 1641 m), auf dem Wege von Ardebil nach Täbriz und den Erdbeben ſtattfindet, welche das Hochland oft von zwei zu zwei Jahren heimſuchen. Im Ok— tober 1848 nötigte eine undulatoriſche Bewegung des Bodens, welche eine ganze Stunde dauerte, die Einwohner von Ardebil, die Stadt zu verlaſſen, und ſogleich ſtieg die Temperatur der Quellen, die zwiſchen 44 und 46° Gent. fällt, einen ganzen Monat lang bis zum ſchmerzlichſten Verbrühen.!? Nirgends vielleicht auf der Erde iſt, nach Abichs Ausſpruch, der „innige Zuſammenhang ſpaltenerregender Erdbeben mit den Phäno⸗ menen der Schlammvulkane, der Salſen, der den durchlöcherten Boden durchdringenden brennbaren Gaſe, der Petroleumquellen beſtimmter angedeutet und klarer zu erkennen, als in dem ſüdöſtlichen Ende des Kaukaſus zwiſchen Schemacha, Baku und Sallian. Es iſt der Teil der großen aralo⸗-kaſpiſchen De: preſſion, in welchem der Boden am häufigſten erſchüttert wird.“ 1 Mir ſelbſt iſt es im nördlichen Aſien auffallend geweſen, daß der Erſchütterungskreis, deſſen Mittelpunkt die Gegend des Baikalſees zu ſein ſcheint, ſich weſtlich nur bis zur öſtlichſten Grenze des ruſſiſchen Altai, bis zu den Silber⸗ gruben von Riddersk, dem trachytartigen Geſtein der Kruglaja Sopka und den heißen Quellen von Rachmanowka und Arachan, nicht aber bis zur Uralkette erſtreckt. Weiter nach Süden hin, jenſeits des Parallelkreiſes von 45°, erſcheint in der — 161 — Kette des Tian⸗ſchan (Himmelsgebirges) eine von Oſten nach Weſten gerichtete Zone von vulkaniſcher Thätig— keit jeglicher Art der Manifeſtation. Sie erſtreckt ſich nicht bloß vom Feuerdiſtrikt (Ho-tſcheu) in Turfan durch die kleine Asferahkette bis Baku und von da über den Ararat bis nach Kleinaſien, ſondern zwiſchen den Breiten von 33° und 40° oszillierend, glaubt man fie durch das vulkaniſche Becken des Mittelmeeres bis nach Liſſabon und den Azoren verfolgen zu können. Ich habe an einem anderen Orte!“ dieſen wichtigen Gegenſtand der vulkaniſchen Geographie ausführlich behandelt. Ebenſo ſcheint in Griechenland, das mehr als irgend ein anderer Teil von Europa durch Erdbeben gelitten hat (Curtius, Peloponneſos Bd. I, S. 42 bis 46), eine Unzahl von Thermalquellen, noch fließende oder ſchon verſchwundene, unter Erdſtößen ausgebrochen zu ſein. Ein ſolcher thermiſcher Zuſammenhang iſt in dem merkwürdigen Buche des Johannes Lydus über die Erdbeben De Osten— tis cap. LIV, p. 189 Haſe) ſchon angedeutet. Die große Naturbegebenheit des Unterganges von Helice und Bura in Achaja (373 v. Chr., Kosmos Bd. III, S. 416) gab be: ſonders Veranlaſſung zu Hypotheſen über den Kauſalzuſammen— hang vulkaniſcher Thätigkeit. Es entſtand bei Ariſtoteles die ſonderbare Theorie von der Gewalt der in den Schluchten der Erdtiefe ſich einfangenden Winde (Meteor. II, p. 368). Die unglückliche Frequenz der Erderſchütterungen in Hellas und in Unteritalien hat durch den Anteil, den ſie an der früheren Zerſtörung der Monumente aus der Blütezeit der Künſte gehabt, den verderblichſten Einfluß auf alle Studien ausgeübt, welche auf die Entwickelung griechiſcher und römi— ſcher Kultur nach verſchiedenen Zeitepochen gerichtet ſind. Auch ägyptiſche Monumente, z. B. der eine Memnonskoloß (27 Jahre vor unſerer Zeitrechnung), haben von Erdſtößen gelitten, die, wie Letronne erwieſen, im Nilthale gar nicht ſo ſelten geweſen ſind, als man geglaubt (Les Statues vocales de Memnon 1833, p. 23 bis 27 und 255). Nach den hier angeführten phyſiſchen Veränderungen, welche die Erdbeben durch Erzeugung von Spalten veranlaſſen, iſt es um ſo auffallender, wie ſo viele warme Heilquellen jahrhundertelang ihren Stoffgehalt und ihre Temperatur unverändert erhalten und alſo aus Spalten hervorquellen müſſen, die weder der Tiefe nach, noch gegen die Seiten hin Veränderungen erlitten zu haben ſcheinen. Eingetretene Kom— A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 11 — 162 — munikationen mit höheren Erdſchichten würden Verminderung, mit tieferen Vermehrung der Wärme hervorgebracht haben. Als der Vulkan von Conſeguina (im Staate Nicaragua) am 23. Januar 1835 ſeinen großen Ausbruch machte, wurde das unterirdiſche Getöſe (los ruidos subterraneos) zugleich gehört auf der Inſel Jamaika und auf dem Hochlande von Bogota, 8200 Fuß (2663 m) über dem Meere, entfernter als von Algier nach London. Auch habe ich ſchon an einem anderen Orte bemerkt, daß bei den Ausbrüchen des Vulkans auf der Inſel St. Vincent am 30. April 1812, um 2 Uhr morgens, das dem Kanonendonner gleiche Getöſe ohne alle fühlbare Erd— erſchütterung auf einem Raume von 10000 geogr. Quadrat: meilen (550000 qkm) gehört wurde.!“ Sehr merkwürdig iſt es, daß, wenn Erdbeben mit Getöſe verbunden ſind, was keineswegs immer der Fall iſt, die Stärke des letzteren gar nicht mit der des erſteren wächſt. Das ſeltenſte und rätſel⸗ hafteſte Phänomen unterirdiſcher Schallbildung bleibt immer das der bramidos de Guanaxuato vom 9. Januar bis zur Mitte des Februar 1784, über das ich die erſten ſicheren Nachrichten aus dem Munde noch lebender Zeugen und aus archivariſchen Urkunden habe ſammeln können. (Kosmos Bd. I, S. 148 und 307.) Die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit des Erdbebens auf der Oberfläche der Erde muß ihrer Natur nach durch die ſo verſchiedenen Dichtigkeiten der feſten Gebirgsſchichten (Granit und Gneis, Baſalt und Trachytporphyr, Jurakalk und Gips) wie des Schuttlandes, welche die Erſchütterungswelle durch— läuft, mannigfach modifiziert werden. Es wäre aber doch wün⸗ ſchenswert, daß man endlich einmal mit Sicherheit die äußerſten Grenzen kennen lernte, zwiſchen denen die Geſchwindigkeiten ſchwanken. Es iſt wahrſcheinlich, daß den heftigeren Erſchütte— rungen keineswegs immer die größte Geſchwindigkeit zukommt. Die Meſſungen beziehen ſich ohnedies nicht immer auf die— ſelben Wege, welche die Erſchütterungswellen genommen haben. An genauen mathematiſchen Beſtimmungen fehlt es ſehr, und nur ganz neuerlich iſt über das rheiniſche Erdbeben vom 29. Juli 1846 mit großer Genauigkeit und Umſicht ein Reſultat von Julius Schmidt, Gehilfen an der Sternwarte zu Bonn, erlangt worden. Die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit war in dem eben genannten Erdbeben 3,739 geogr. Meilen (27,745 km) in der Minute, d. i. 1376 Pariſer Fuß (447 m) in der Sekunde. Dieſe Schnelligkeit übertrifft allerdings die ie — 163 — der Schallwelle in der Luft; wenn dagegen die Fortpflanzung des Schalles im Waſſer nach Colladon und Sturm 4706 Fuß (1529 m), in gegoſſenen eiſernen Röhren nach Biot 10 690 Fuß (3472 m) beträgt, ſo erſcheint das für das Erdbeben gefun— dene Reſultat ſehr ſchwach. Für das Erdbeben von Liſſabon am 1. November 1755 fand Schmidt (nach weniger genauen Angaben) zwiſchen den portugieſiſchen und holſteiniſchen Küſten eine mehr denn fünfmal größere Geſchwindigkeit als am Rhein den 29. Juli 1846. Es ergaben ſich nämlich für Liſſabon und Glückſtadt (Entfernung 295 geogr. Meilen = 2190 km) 19,6 Meilen (149 km) in der Minute oder 7464 Pariſer Fuß (2424 m) in 1 Sekunde, immer noch 3226 Fuß (1048 m) weniger Geſchwindigkeit als im Gußeiſen.!“ Erderſchütterungen und plötzliche Feuerausbrüche lang ruhender Vulkane, ſei es, daß dieſe bloß Schlacken oder, intermittierenden Waſſerquellen gleich, flüſſige geſchmol— zene Erde in Lavaſtrömen ergießen, haben allerdings einen gemeinſchaftlichen alleinigen Kauſalzuſammenhang in der hohen Temperatur des Inneren unſeres Planeten, aber eine dieſer Erſcheinungen zeigt ſich meiſt ganz unabhängig von der an— deren. Heftige Erdbeben erſchüttern z. B. in der Andeskette in ihrer Linearverbreitung Gegenden, in denen ſich nicht er— loſchene, ja noch oftmals thätige Vulkane erheben, ohne daß dieſe letzteren dadurch auf irgend eine bemerkbare Weiſe an: geregt werden. Bei der großen Kataſtrophe von Riobamba haben ſich der nahe Vulkan Tunguragua und der etwas fernere Vulkan Cotopaxi ganz ruhig verhalten. Umge— kehrt haben Vulkane mächtige, langdauernde Ausbrüche dar— geboten, ohne daß weder vorher noch gleichzeitig in der Umgegend Erdbeben gefühlt wurden. Es ſind gerade die ver— heerendſten Erderſchütterungen, von denen die Geſchichte Kunde gibt und die viele tauſend Quadratmeilen durchlaufen haben, welche, nach dem an der Oberfläche Bemerkbaren zu urteilen, in keinem Zuſammenhange mit der Thätigkeit von Vulkanen ſtehen. Dieſe hat man neuerdings plutoniſche Erdbeben im Gegenſatz der eigentlichen vulkaniſchen genannt, die meiſt auf kleinere Lokalitäten eingeſchränkt ſind. In Hinſicht auf allgemeinere Anſichten über Vulkanizität iſt dieſe Nomen: klatur nicht zu billigen. Die bei weitem größere Zahl der Erdbeben auf unſerem Planeten müßten plutoniſche heißen. Was Erdſtöße erregen kann, iſt überall unter unſeren Füßen, und die Betrachtung, daß faſt / der Erdoberfläche, — 164 — von dem Meere bedeckt leinige ſporadiſche Inſeln abgerechnet), ohne alle bleibende Kommunikation des Inneren mit der Atmoſphäre, d. h. ohne thätige Vulkane ſind, widerſpricht dem irrigen, aber verbreiteten Glauben, daß alle Erdbeben der Eruption eines fernen Vulkanes zuzuſchreiben ſeien. Er— ſchütterungen der Kontinente pflanzen ſich allerdings auf dem Meeresboden von den Küſten aus fort und erregen die furcht— baren Meereswellen, von welchen die Erdbeben von Liſſabon, Callao de Lima und Chile ſo denkwürdige Beiſpiele gegeben haben. Wenn dagegen die Erdbeben von dem Meeresboden ſelbſt ausgehen, aus dem Reiche des Erderſchütterers Poſeidon (Sera ον, zumstydoy), und nicht von einer inſelerzeugenden Hebung (wie bei der ephemeren Exiſtenz der Inſel Sabrina oder Julia) begleitet ſind, ſo kann an Punkten, wo der See— fahrer keine Stöße fühlen würde, doch ein ungewöhnliches Rollen und Anſchwellen der Wogen bemerkt werden. Auf ein ſolches Phänomen haben mich die Bewohner des öden peruaniſchen Küſtenlandes oftmals aufmerkſam gemacht. Ich ſah ſelbſt in dem Hafen von Callao und bei der gegenüber liegenden Inſel San Lorenzo in ganz windſtillen Nächten, in dieſem ſonſt ſo überaus friedlichen Teile der Südſee, ſich plötzlich auf wenige Stunden Welle auf Welle zu mehr als 10 bis 14 Fuß (3 bis 4,5 m) Höhe türmen. Daß ein ſolches Phänomen Folge eines Sturmes geweſen ſei, welcher in großer Ferne auf offenem Meere gewütet hätte, war in dieſen Breiten keineswegs anzunehmen. Um von denjenigen Erſchütterungen zu beginnen, welche auf den kleinſten Raum eingeſchränkt ſind und offenbar der Thätigkeit eines Vulkans ihren Urſprung verdanken, ſo er⸗ innere ich hier zuerſt daran, wie, nächtlich im Krater des Veſuvs am Fuße eines kleinen Auswurfkegels ſitzend, den Chronometer in der Hand (es war nach dem großen Erdbeben von Neapel am 26. Juli 1805 und nach dem Lavaausbruch, der 17 Tage darauf erfolgte), ich ſehr regelmäßig alle 20 oder 25 Sekunden unmittelbar vor jedem Auswurf glühender Schlacken eine Er: ſchütterung des Kraterbodens fühlte. Die Schlacken, 50 bis 60 Fuß (16 bis 20 m) emporgeſchleudert, fielen teils in die Eruptionsöffnung zurück, teils bedeckten ſie die Seitenwände des Kegels. Die Regelmäßigkeit eines ſolchen Phänomens macht die Beobachtung gefahrlos. Das ſich wiederholende kleine Erdbeben war keineswegs bemerkbar außerhalb des Kraters, nicht im Atrio del Cavallo, nicht in der Einſiedelei 1 1 * a — n 8 we = del Salvatore. Die Periodizität der Erſchütterung bezeugt, daß ſie abhängig war von einem beſtimmten Spannungs— grade, welchen die Dämpfe erreichen müſſen, um in dem Inneren des Schlackenkegels die geſchmolzene Maſſe zu durch— brechen. Ebenſo, als man in dem eben beſchriebenen Falle keine Erſchütterungen am Abfall des Aſchenkegels des Veſuvs fühlte, wurde auch bei einem ganz analogen, aber viel groß— artigeren Phänomen, am Aſchenkegel des Vulkans Sangai, der ſüdöſtlich von der Stadt Quito ſich bis zu 15984 Fuß (5182 m) erhebt, von einem ſehr ausgezeichneten Beobachter, Herrn Wiſſe, als er ſich (im Dezember 1849) dem Gipfel und Krater bis auf 1000 Fuß (320 m) näherte, kein Er: zittern des Bodens n' bemerkt; dennoch waren in der Stunde bis 267 Exploſionen (Schlackenauswürfe) gezählt worden. Eine zweite, unendlich wichtigere Gattung von Erd— beben iſt die ſehr häufige, welche große Ausbrüche von Vul— kanen zu begleiten oder ihnen voranzugehen pflegt, ſei es, daß die Vulkane, wie unſere europäiſchen, Lavaſtröme ergießen oder, wie Cotopaxi, Pichincha und Tunguragua der Andeskette nur verſchlackte Maſſen, Aſche und Dämpfe ausſtoßen. Für dieſe Gattung ſind vorzugsweiſe die Vulkane als Sicherheits— ventile zu betrachten, ſchon nach dem Ausſpruche Strabos über die Lava ergießende Spalte bei Lelante auf Euböa. Die Erdbeben hören auf, wenn der große Ausbruch erfolgt iſt. Am meiteiten '° verbreitet ſind aber die Verheerungen von Erſchütterungswellen, welche teils ganz untrachytiſche, unvulkaniſche Länder, teils trachytiſche, vulkaniſche, wie die Kordilleren von Südamerika und Mexiko, durchziehen, ohne irgend einen Einfluß auf die nahen Vulkane auszuüben. Das iſt eine dritte Gruppe von Erſcheinungen, und die, welche am überzeugendſten an die Exiſtenz einer allgemeinen Urſache, welche in der thermiſchen Beſchaffenheit des Inneren unſeres Planeten liegt, erinnert. Zu dieſer dritten Gruppe gehört auch der doch ſeltene Fall, daß in unvulkaniſchen und durch Erdbeben wenig erſchreckten Ländern auf dem einge— ſchränkteſten Raume der Boden monatelang ununterbrochen zittert, ſo daß man eine Hebung, die Bildung eines thätigen Vulkans, zu beſorgen anfängt. So war dies in den pie— monteſiſchen Thälern von Pelis und Cluſſon, wie bei Pignerol im April und Mai 1808, ſo im Frühjahr 1829 in Murcia, zwiſchen Orihuela und der Meeresküſte, auf einem Raume von kaum einer Quadratmeile. Als im Inneren von Mexiko, am — 16 — weſtlichen Abfall des Hochlandes von Michoacan, die kulti— vierte Fläche von Jorullo 90 Tage lang ununterbrochen er— bebte, ſtieg der Vulkan mit vielen Tauſenden ihn umgebender, 5 bis 7 Fuß hoher Kegel (los hornitos) empor und ergoß einen kurzen, aber mächtigen Lavaſtrom. In Piemont und in Spanien dagegen hörten die Erderſchütterungen allmählich auf, ohne daß irgend eine Naturbegebenheit erfolgte. Ich hielt es für nützlich, die ganz verſchiedenen Arten der Manifeſtation derſelben vulkaniſchen Thätigkeit (der Re⸗ aktion des Inneren der Erde gegen die Oberfläche) aufzu⸗ zählen, um den Beobachter zu leiten und ein Material zu ſchaffen, das zu fruchtbaren Reſultaten über den Kauſal⸗ zuſammenhang der Erſcheinungen führen kann. Bisweilen umfaßt die vulkaniſche Thätigkeit auf einmal oder in nahen Perioden einen ſo großen Teil des Erdkörpers, daß die er— regten Erſchütterungen des Bodens dann mehreren, miteinander verwandten Urſachen gleichzeitig zugeſchrieben werden können. Die Jahre 1796 und 1811 bieten beſonders denkwürdige Bei- jpiele '° von ſolcher Gruppierung der Erſcheinungen dar. b. Thermalquellen. (Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I, S. 155-159.) Als eine Folge der Lebensthätigkeit des Inneren unſeres Erdkörpers, die in unregelmäßig wiederholten, oft furchtbar zerſtörenden Erſcheinungen ſich offenbart, haben wir das Erd— beben geſchildert. Es waltet in demſelben eine vulkaniſche Macht, freilich ihrem inneren Weſen nach nur bewegend, er— ſchütternd, dynamiſch wirkend; wenn ſie aber zugleich an einzelnen Punkten durch Erfüllung von Nebenbedingungen begünſtigt wird, iſt ſie fähig, einiges Stoffartige, zwar nicht, gleich den eigentlichen Vulkanen, zu produzieren, aber an die Oberfläche zu leiten. Wie bei dem Erdbeben bis- weilen auf kurze Dauer durch plötzlich eröffnete Spalten Waſſer, Dämpfe, Erdöl, Gemiſche von Gasarten oder brei- artige Maſſen (Schlamm und Moya) ausgeſtoßen werden, ſo entquellen durch das allverbreitete Gewebe von kommuni— zierenden Spalten tropfbare und luftartige Flüſſigkeiten per⸗ manent dem Schoße der Erde. Den kurzen und ungeſtümen Auswurfsphänomenen ſtellen wir hier zur Seite das große, friedliche Quellenſyſtem der Erdrinde, wohlthätig das — 167 — organiſche Leben anregend und enthaltend. Es gibt jahr⸗ tauſendelang dem Organismus zurück, was dem Luftkreiſe durch den niederfallenden Regen an Feuchtigkeit entzogen worden iſt. Analoge Erſcheinungen erläutern ſich gegenſeitig in dem ewigen Haushalte der Natur, und wo nach Ber: allgemeinerung der Begriffe geſtrebt wird, darf die enge Ver⸗ kettung des als verwandt Erkannten nicht unbeachtet bleiben. Die im Sprachgebrauch ſo natürlich ſcheinende, weit ver⸗ breitete Einteilung der Quellen in kalte und warme hat, wenn man ſie auf numeriſche Temperaturangaben reduzieren will, nur ſehr unbeſtimmte Fundamente. Soll man die Wärme der Quellen vergleichen mit der inneren Wärme des Menſchen (zu 36,7“ bis 37° nach Brechet und Becquerel, mit thermo⸗ elektriſchen Apparaten gefunden), ſo iſt der Thermometergrad, bei dem eine Flüſſigkeit kalt, warm oder heiß in Berührung mit Teilen des menſchlichen Körpers genannt wird, nach in— dividuellem Gefühle ſehr verſchieden. Es kann nicht ein ab: ſoluter Temperaturgrad feſtgeſetzt werden, über den hinaus eine Quelle warm genannt werden ſoll. Der Vorſchlag, in jeder klimatiſchen Zone eine Quelle kalt zu nennen, wenn ihre mittlere Jahrestemperatur die mittlere Jahrestemperatur der Luft in derſelben Zone nicht überſteigt, bietet wenigſtens eine wiſſenſchaftliche Genauigkeit, die Vergleichung beſtimmter Zahlen, dar. Sie gewährt den Vorteil, auf Betrachtungen über den verſchiedenen Urſprung der Quellen zu leiten, da die ergründete Uebereinſtimmung ihrer Temperatur mit der Jahrestemperatur der Luft in un veränderlichen Quellen unmittelbar, in veränderlichen, wie Wahlenberg und Erman der Vater gezeigt haben, in den Mitteln der Sommer⸗ und der Wintermonate erkannt wird. Aber nach dem hier bezeichneten Kriterium müßte in einer Zone eine Quelle warm genannt werden, die kaum den ſiebenten oder achten Teil der Temperatur erreicht, welche in einer anderen, dem Aequator nahen Zone eine kalte genannt wird. Ich erinnere an die Abſtände der mittleren Temperaturen von Petersburg (3,40%) und der Ufer des Orinoko. Die reinſten Quellwaſſer, welche ich in der Gegend der Katarakten von Atures und May— pures (27,30) oder in der Waldung des Atabapo getrunken, hatten eine Temperatur von mehr als 26“, ja die Tempe— ratur der großen Flüſſe im tropiſchen Südamerika entſpricht den hohen Wärmegraden ſolcher kalten?“ Quellen! Das durch mannigfaltige Urſachen des Druckes und durch — 168 — den Zuſammenhang waſſerhaltiger Spalten bewirkte Ausbrechen von Quellen iſt ein jo allgemeines Phänomen der Erdober⸗ fläche, daß Waſſer an einigen Punkten den am höchſten ge: hobenen Gebirgsſchichten, in anderen dem Meeresboden ent: ſtrömen. In dem erſten Viertel dieſes Jahrhunderts wurden durch Leopold von Buch, Wahlenberg und mich zahlreiche Reſultate über die Temperatur der Quellen und die Ver⸗ teilung der Wärme im Inneren der Erde in beiden Hemi— ſphären, und zwar vom 12. Grade ſüdlicher bis zum 71. Grade nördlicher Breite geſammelt. Es wurden die Quellen, welche eine unveränderliche Temperatur haben, ſorgfältig von den mit den Jahreszeiten veränderlichen geſchieden, und Leopold von Buch erkannte den mächtigen Einfluß der Regen— verteilung im Laufe des Jahres, d. i. den Einfluß des Verhältniſſes zwiſchen der relativen Häufigkeit der Winter— und Sommerregen auf die Temperatur der veränderlichen Quellen, welche, der Zahl nach, die allverbreitetſten ſind. Sehr ſcharfſinnige Zuſammenſtellungen von de Gasparin, Schouw und Thurmann haben in neuerer Zeit?! dieſen Einfluß in geographiſcher und hypſometriſcher Hinſicht, nach Breite und Höhe, in ein helleres Licht geſetzt. Wahlenberg behauptete, daß in ſehr hohen Breiten die mittlere Temperatur der veränderlichen Quellen etwas höher als die mittlere Tem— peratur der Atmoſphäre ſei; er ſuchte die Urſache davon nicht in der Trockenheit einer ſehr kalten Luft und in dem dadurch bewirkten minder häufigen Winterregen, ſondern in der ſchützen— den, die Wärmeſtrahlung des Bodens vermindernden Schnee— decke. In denjenigen Teilen des nordaſiatiſchen Flachlandes, in welchen eine ewige Eisſchicht oder wenigſtens ein mit Eisſtücken gemengtes gefrorenes Schuttland ſchon in einer Tiefe von wenigen Fußen gefunden wird, kann die Quellentempe— ratur nur mit großer Vorſicht zu der Erörterung von Kupffers wichtiger Theorie der Iſogeothermen benutzt werden. Dort entſteht in der oberen Erdſchicht eine zweifache Wärme: ſtrahlung, eine nach oben gegen den Luftkreis und eine andere nach unten gegen die Eisſchicht hin. Eine lange Reihe ſchätzbarer Beobachtungen, welche mein Freund und Begleiter, Guſtav Roſe, auf der ſibiriſchen Expedition in heißem Sommer (oft in noch mit Eis umgebenen Brunnen) zwiſchen dem Irtyſch, Ob und dem Kaſpiſchen Meere angeſtellt hat, offenbarten eine große Komplikation lokaler Störungen. Die— jenigen, welche ſich aus ganz anderen Urſachen in der Tropen— . a — 169 — zone da zeigen, wo Gebirgsquellen auf mächtigen Hochebenen S bis 10000 Fuß (2600 bis 3240 m) über dem Meere (Micui— pampa, Quito, Bogota) oder in ſchmalen, iſolierten Berg: gipfeln noch viele tauſend Fuß höher hervorbrechen, umfaſſen nicht bloß einen weit größeren Teil der Erdoberfläche, ſondern leiten auch auf die Betrachtung analoger thermiſcher Verhält— niſſe in den Gebirgsländern der gemäßigten Zone. Vor allem iſt es bei dieſem wichtigen Gegenſtande notwendig, den Cyklus wirklicher Beobachtungen von den theoretiſchen Schlüſſen zu trennen, welche man darauf ge: gründet. Was wir ſuchen, iſt, in ſeiner größten Allgemeinheit ausgeſprochen, dreierlei: die Verteilung der Wärme in der uns zugänglichen Erdrinde, in der Waſſerbedeckung (dem Ozean) und der Atmoſphäre. In den beiden Umhüllungen des Erd— körpers, der tropfbaren und gasförmigen, herrſcht entgegen⸗ geſetzte Veränderung der Temperatur (Abnahme und Zunahme derſelben in den aufeinander gelagerten Schichten) in der Richtung der Vertikale. In den feſten Teilen des Erdkörpers wächſt die Temperatur mit der Tiefe, die Veränderung iſt in demſelben Sinne, wenngleich in ſehr verſchiedenem Ver— hältnis, wie imLuftmeere, deſſen Untiefen und Klippen die Hochebenen und vielgeſtalteten Berggipfel bilden. Durch direkte Verſuche kennen wir am genaueſten die Verteilung der Wärme im Luftkreiſe, geographiſch nach Ortsbeſtimmung in Breite und Länge wie nach hypſometriſchen Verhältniſſen nach Maßgabe der vertikalen Höhe über der Meeresfläche, beides doch faſt nur in nahem Kontakt mit dem feſten und tropfbar flüſſigen Teile der Oberfläche unſeres Planeten. Wiſſen— ſchaftliche und ſyſtematiſch angeordnete Unterſuchungen durch geroſtatiſche Reiſen im freien Luftmeere, außerhalb der zu nahen Einwirkung der Erde, ſind bisher noch zu ſelten und daher wenig geeignet geweſen, die ſo notwendigen numeriſchen Angaben mittlerer Zuſtände darzubieten. Für die Ab— nahme der Wärme in den Tiefen des Ozeans fehlt es nicht an Beobachtungen, aber Strömungen, welche Waſſer verſchie— dener Breiten, Tiefen und Dichtigkeiten herbeiführen, erſchweren faſt noch mehr als Strömungen in der Atmoſphäre die Er— langung allgemeiner Reſultate. Wir haben die thermiſchen Zuſtände der beiden Umhüllungen unſeres Planeten, welche weiter unten einzeln behandelt werden, hier nur vorläufig deshalb berührt, um den Einfluß der vertikalen Wärmever— teilung in der feſten Erdrinde, das Syſtem der Geo-Iſother— | | \ — 170 — men, nicht allzu iſoliert, ſondern als einen Teil der alles durchdringenden Wärmebewe gung, einer echt kosmiſchen Thätigkeit, zu betrachten. So vielfach belehrend auch die Beobachtungen über die ungleiche Temperaturabnahme der nicht mit den Jahreszeiten veränderlichen Quellen bei zunehmender Höhe des Punktes ihres Ausbruches iſt, jo kann das lokale Geſetz ſolcher ab: nehmenden Temperatur der Quellen doch nicht, wie oft ge— ſchieht, unbedingt als ein allgemeines geo thermif ches Geſetz betrachtet werden. Wenn man gewiß wäre, daß Waſſer auf einer horizontalen Schicht in großer Erſtreckung ungemiſcht fortliefen, ſo würde man allerdings glauben können, daß ſie allmählich die Temperatur des Feſten angenommen haben; aber in dem großen Spaltengewebe der gehobenen Maſſen kann dieſer Fall nur ſelten vorkommen. Kältere, höhere Waſſer vermiſchen ſich mit den unteren. Unſer Berg bau, ſo geringe Räume er auch der Tiefe nach umfaßt, iſt 155 belehrend in dieſer Hinſicht, aber unmittelbar würde man nur dann zur Kennt: nis der Geo⸗Iſothermen gelangen, wenn nach Bouſſingaults Methode unterhalb der Tiefe, in welcher ſich noch die Einflüſſe der Temperaturveränderungen des nahen Luftkreiſes äußern, Thermometer in ſehr verſchiedenen Höhen über dem Meere eingegraben würden. Vom 45. Grade der Breite bis zu den dem Aequator nahen Teilen der Tropengegend nimmt die Tiefe, in der die invariable Erdſchicht beginnt, von 60 bis 17 oder 2 Fuß (20 m bis 48 oder 64 em) ab. Das Eingraben der Geothermometer in geringen Tiefen, um zur Kenntnis der mittleren Erdtemperatur zu gelangen, iſt dem⸗ nach nur zwiſchen den Wendekreiſen oder in der ſubtropiſchen Zone leicht ausführbar. Das vortreffliche Hilfsmittel der arte⸗ ſiſchen Brunnen, die eine Wärmezunahme von 1° des hundert: teiligen Thermometers für jede 91 bis 99 Fuß (29,5 bis 32,1 m) in abſoluten Tiefen von 700 bis 2200 Fuß (227 bis 714 m) angezeigt haben, iſt bisher dem Phyſiker nur in Gegenden von nicht viel mehr als 1500 Fuß (487 m) Höhe über dem Meeresſpiegel dargeboten worden. Grubenbaue der Menſchen auf Silbererz habe ich in der Andeskette 6° 45° ſüdlich vom Aequator in faſt 12400 Fuß (4028 m) Höhe beſucht, und die Temperatur der dort aus den Geſteinklüften des Kalkſteines andringenden Bergwaſſer zu 11,3“ gefunden. Die Waſſer, welche in den Bädern des Inka Tupak Yupanqui gewärmt wurden, auf dem Rücken der Andes (Paso del — 171 — Assuay), kommen wahrſcheinlich aus Quellen der Ladera de Cadlud, wo ich den Weg, neben welchem auch die alte perua— niſche Kunſtſtraße fortlief, barometriſch zu 14568 Fuß (4732 m) Höhe (faſt zu der des Montblanc) gefunden habe. Das ſind die höchſten Punkte, an denen ich in Südamerika Quellwaſſer beobachten konnte. In Europa haben in den öſtlichen Alpen die Gebrüder Schlagintweit auf 8860 Fuß (2878 m) Höhe Stollenwaſſer in der Goldzeche und kleine Quellen nahe bei dem Stollenmundloche von nur 0,8“ Wärme gemeſſen ?? fern von allem Schnee und allem Gletſchereiſe. Die letzten Höhen— grenzen der Quellen ſind ſehr verſchieden nach Maßgabe der geographiſchen Breiten, der Höhe der Schneelinie und des Verhältniſſes der höchſten Gipfel zu den Gebirgskämmen und Hochebenen. Nähme der Halbmeſſer des Planeten um die Höhe des Himalaya im Kintſchindſchinga, alſo gleichmäßig in der ganzen Oberfläche, um 26436 Fuß (1,16 geogr. Meilen — 8,5 km) zu, jo würde bei dieſer geringen Vermehrung von nur 800 des Erdhalbmeſſers (nach Fouriers analytiſcher Theorie) die Wärme in der durch Strahlung erkalteten Oberfläche, in der oberen Erdrinde faſt ganz die ſein, welche ſie jetzt iſt. Er— heben ſich aber einzelne Teile der Oberfläche in Bergketten und ſchmalen Gipfeln wie Klippen auf dem Boden des Luft: meeres, ſo entſteht in dem Inneren der gehobenen Erdſchichten von unten nach oben eine Wärmeabnahme, die modifiziert wird durch den Kontakt mit Luftſchichten verſchiedener Tempe— ratur, durch die Wärmekapazität und das Wärmeleitungs— vermögen heterogener Gebirgsarten, durch die Inſolation (Beſonnung) der mit Wald bedeckten Gipfel und Gehänge, durch die größere und geringere Wärmeſtrahlung der Berge nach Maßgabe ihrer Geſtaltung (Reliefform), ihrer Mächtig— keit (in großen Maſſen) oder ihrer koniſchen und pyramidalen Schmalheit. Die ſpezielle Höhe der Wolkenregion, die Schnee— und Eisdecken bei verſchiedener Höhe der Schneegrenze, die Frequenz der nach den Tageszeiten längs den ſteilen Abhängen herabkommenden erkaltenden Luftſtrömungen verändern den Effekt der Erdſtrahlung. Je nachdem ſich die gleich Zapfen emporſtrebenden Gipfel erkälten, entſteht im Inneren eine nach Gleichgewicht ſtrebende, aber dasſelbe nie erreichende ſchwache Wärmeſtrömung von unten nach oben. Die Erken— nung ſo vieler auf die vertikale Wärmeverteilung wirkender Faktoren leitet zu wohlbegründeten Vermutungen über den — 12 — Zuſammenhang verwidelter lokaler Erſcheinungen, aber fie leitet nicht zu unmittelbaren numerischen Beftimmungen. Bei den Gebirgsquellen (und die höheren, für die Gemsjäger wichtig, werden ſorgſam aufgeſucht) bleibt ſo oft der Zweifel, daß ſie mit Waſſern gemiſcht ſind, welche niederſinkend die kältere Temperatur oberer, oder gehoben, aufſteigend, die wärmere Temperatur tieferer Schichten hinzuführen. Aus 19 Quellen, die Wahlenberg beobachtete, zieht Kämtz den Schluß, daß man ſich in den Alpen 900 bis 960 Fuß (292 bis 312 m) erheben müſſe, um die Quellentemperatur um 1° ſinken zu ſehen. Eine größere Zahl mit mehr Vorſicht aus: gewählter Beobachtungen von Hermann und Adolf Schlag: intweit in den öſtlichen Kärntner und weſtlichen Schweizer Alpen am Monte Roſa geben nur 720 Fuß (234 m). Nach der großen Arbeit dieſer vortrefflichen Beobachter iſt „die Ab— nahme der Quellentemperatur jedenfalls etwas langſamer als jene der mittleren Jahrestemperatur der Luft, welche in den Alpen 540 Fuß für 1° beträgt. Die Quellen find dort im allgemeinen in gleichem Niveau wärmer als die mittlere Luft⸗ temperatur, und der Unterſchied zwiſchen Luft- und Quellen⸗ wärme wächſt mit der Höhe. Die Temperatur des Bodens iſt bei gleicher Höhe nicht dieſelbe in dem ganzen Alpenzuge, da die iſothermen Flächen, welche die Punkte gleicher mitt— lerer Quellenwärme verbinden, ſich um ſo mehr über das Niveau des Meeres erheben, abgeſehen von dem Einfluß der geographiſchen Breite, je bedeutender die mittlere Anſchwellung des umgebenden Bodens iſt, alles nach den Ge— ſetzen der Verteilung der Wärme in einem feſten Körper von wechſelnder Dicke, mit welchem man das Relief (die Maſſen⸗ erhebung) der Alpen vergleichen kann.“ In der Andeskette, und gerade in dem vulkaniſchen Teile derſelben, welcher die größten Erhebungen darbietet, kann in einzelnen Fällen das Eingraben von Thermometern durch den Einfluß lokaler Verhältniſſe zu täuſchenden Reſul⸗ taten führen. Nach der früher von mir gefaßten Meinung, daß weitgeſehene ſchwarze Felsgrate, welche die Schneeregion durchſetzen, nicht immer bloß der Konfiguration und Steilheit ihrer Seitenwände, ſondern anderen Urſachen ihren gänzlichen Mangel von Schnee verdanken, grub ich am Chimborazo in einer Höhe von 17160 Fuß (5574 m), alſo 3350 Fuß (1088 m) über der Gipfelhöhe des Montblane, eine Thermo— meterkugel nur 3 Zoll (Sem) in den Sand, der die Luft in 8 F einem Grate füllte. Das Thermometer zeigte anhaltend 5,8°, während die Luft nur 2,7 über dem Gefrierpunkte war. Das Reſultat dieſer Beobachtung hat einige Wichtigkeit, denn be— reits 2400 Fuß (780 m) tiefer, an der unteren Grenze des ewigen Schnees der Vulkane von Quito, iſt nach vielen von Bouſſingault und mir geſammelten Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmoſphäre nicht höher als 1,6. Die Erd— temperatur von 5,8“ muß daher der unterirdiſchen Wärme des Doleritgebirges, ich ſage nicht der ganzen Maſſe, ſondern den in derſelben aus der Tiefe aufſteigenden Luftſtrömen zu: geſchrieben werden. Am Fuße des Chimborazo, in 8900 Fuß (2890 m) Höhe, gegen das Dörfchen Calpi hin, liegt ohnedies in kleiner Ausbruchkrater, Wana-Urcu, der, wie auch fein ſchwarzes, ſchlackenartiges Geſtein (Augitporphyr) bezeugt, in der Mitte des 15. Jahrhunderts ſcheint thätig geweſen zu ſein. Die Dürre der Ebene, aus welcher der Chimborazo aufſteigt, und der unterirdiſche Bach, den man unter dem eben genannten vulkaniſchen Hügel Yana-Urcu rauſchen hört, haben zu ſehr verſchiedenen Zeiten Bouſſingault und mich zu der Betrachtung geführt, daß die Waſſer, welche die ungeheuren an ihrer unteren Grenze ſchmelzenden Schneemaſſen täglich erzeugen, auf den Klüften und Weitungen der gehobenen Vulkane in die Tiefe verſinken. Dieſe Waſſer bringen perpetuierlich eine Erkaltung in den Schichten hervor, durch die ſie herabſtürzen. Ohne ſie würden die ganzen Dolerit- und Trachytberge auch in Zeiten, die keinen nahen Ausbruch verkünden, in ihrem Inneren eine noch höhere Temperatur aus dem ewig wirken— den, vielleicht aber nicht unter allen Breitengraden in gleicher Tiefe liegenden vulkaniſchen Urquell annehmen. So iſt im Wechſelkampfe der Erwärmungs- und Erkältungsurſachen ein ſtetes Fluten der Wärme auf- und abwärts, vorzugsweiſe da 1 wo zapfenartig feſte Teile in den Luftkreis auf— teigen. Gebirge und hohe Gipfel ſind aber dem Areal nach, das fie umfaſſen, ein ſehr kleines Phänomen in der Reliefgeſtal— tung der Kontinente, und dazu ſind faſt 's der ganzen Erd— oberfläche (nach dem jetzigen Zuſtande geographiſcher Ent— deckungen in den Polargegenden beider Hemiſphären kann man das Verhältnis von Meer und Land wohl wie 83 annehmen) Meeresgrund. Dieſer iſt unmittelbar mit Waſſer— ſchichten in Kontakt, die, ſchwach geſalzen und nach dem Maxi— mum ihrer Dichtigkeiten (bei 3,94%) ſich lagernd, eine eiſige Sulz en eG m mn U u a — Kälte haben. Genaue Beobachtungen von Lenz und du Petit Thouars haben gezeigt, daß mitten in den Tropen, wo die Oberfläche des Ozeans 26 bis 27° Wärme hat, aus 7 bis 800 Faden (1360 bis 1560 m) Tiefe Waſſer von 2½ “ Tempe: ratur haben heraufgezogen werden können — Erſcheinungen, welche die Exiſtenz von unteren Strömungen aus den Polar⸗ gegenden offenbaren. Die Folgen dieſer ſubozeaniſchen kon⸗ ſtanten Erkaltung des bei weitem größeren Teiles der Erd⸗ rinde verdienen eine Aufmerkſamkeit, die ihnen bisher nicht genugſam geſchenkt worden iſt. Felsklippen und Inſeln von geringem Umfange, welche wie Zapfen aus dem Meeresgrunde über die Oberfläche des Waſſers hervortreten, ſchmale Land— engen, wie Panama und Darien, von großen Weltmeeren be— ſpült, müſſen eine andere Wärmeverteilung in ihren Geftein- ſchichten darbieten, als Teile von gleichem Umfange und gleicher Maſſe im Inneren der Kontinente. In einer ſehr hohen Ge— birgsinſel iſt, der Vertikale nach, der unterſeeiſche Teil mit einer Flüſſigkeit in Kontakt, welche von unten nach oben eine wachſende Temperatur hat. Wie aber die Erdſchichten in die Atmoſphäre, vom Meere unbenetzt, treten, berühren ſie unter dem Einfluſſe der Beſonnung und freier Ausſtrahlung dunkler Wärme eine gasförmige Flüſſigkeit, in welcher die Temperatur mit der Höhe abnimmt. Aehnliche thermiſche Verhältniſſe von entgegengeſetzter Ab- und Zunahme der Temperatur in der Vertikale wiederholen ſich zwiſchen zwei großen Binnenmeeren, dem Kaſpiſchen und dem Aralſee, in dem ſchmalen Uſt⸗Urt, welcher beide voneinander ſcheidet. Um ſo verwickelte Phä— nomene einſt aufzuklären, dürfen aber nur ſolche Mittel an: gewandt werden, welche, wie Bohrlöcher von großer Tiefe, unmittelbar auf die Kenntnis der inneren Erdwärme leiten, nicht etwa bloß Quellenbeobachtungen oder die Lufttemperatur in Höhlen, welche ebenſo unſichere Reſultate geben, als die Luft in den Stollen und Weitungen der Bergwerke. Das Geſetz der zunehmenden und abnehmenden Wärme, wenn man ein niedriges Flachland mit einem prallig viele tauſend Fuß aufſteigenden Gebirgsrücken oder Gebirgsplateau vergleicht, hängt nicht einfach von dem vertikalen Höhenver— hältnis zweier Punkte der Erdoberfläche (in dem Flachlande und auf dem Gebirgsgipfel) ab. Wenn man nach der Bor: ausſetzung eines beſtimmten Maßes der Temperaturverände— rung in einer gewiſſen Zahl von Fußen von der Ebene auf: wärts zum Gipfel oder vom Gipfel abwärts zu der Erdſchicht — 175 — im Inneren der Bergmaſſe rechnen wollte, welche mit der Oberfläche der Ebene in demſelben Niveau liegt, ſo würde man in dem einen Falle den Gipfel zu kalt, in dem anderen die in dem Inneren des Berges bezeichnete Schicht viel zu heiß finden. Die Verteilung der Wärme in einem aufſtei— genden Gebirge (in einer Undulation der Erdoberfläche) iſt abhängig, wie ſchon oben bemerkt, von Form, Maſſe und Leitungsfähigkeit, von Inſolation und Ausſtrahlung der Wärme gegen reine oder mit Wolken erfüllte Luftſchichten, von dem Kon⸗ takt und Spiel der auf und nieder ſteigenden Luftſtrömungen. Nach ſolchen Vorausſetzungen müßten bei ſehr mäßigen Höhen— verſchiedenheiten von 4 bis 5000 Fuß (1300 bis 1620 m) Gebirgsquellen ſehr häufig ſein, deren Temperatur die mittlere Temperatur des Ortes um 40 bis 50° überſtiege; wie würde es vollends ſein am Fuße von Gebirgen unter den Tropen, die bei 14000 Fuß (4550 m) Erhebung noch frei von ewigem Schnee ſind und oft keine vulkaniſche Gebirgsart, ſondern nur Gneis und Glimmerſchiefer zeigen!?® Der große Mathe: matiker Fourier, angeregt durch die Topographie des Aus— bruches vom Jorullo, in einer Ebene, wo viele hundert Qua— dratmeilen umher keine ungewöhnliche Erdwärme zu ſpüren war, hat auf meine Bitte ſich noch in dem Jahre vor ſeinem Tode mit theoretiſchen Unterſuchungen über die Frage be— ſchäftigt, wie bei Bergerhebungen und veränderter Oberfläche der Erde die iſothermen Flächen ſich mit der neuen Form des Bodens in Gleichgewicht ſetzen. Die Seitenſtrahlung von Schichten, welche in gleichem Niveau, aber ungleich bedeckt liegen, ſpielt dabei eine wichtigere Rolle als da, wo Schichtung bemerkbar iſt, die Aufrichtung (Inklination) der Abſonderungs— flächen des Geſteines. Wie die heißen Quellen in der Umgegend des alten Karthago, wahrſcheinlich die Thermalquellen von Pertuſa (aquae calidae von Hammam el-Enf), den Biſchof Patricius, den Märtyrer, auf die richtige Anſicht über die Urſache der höheren oder niedrigeren Temperatur der aufſprudelnden Waſſer leite— ten, habe ich ſchon an einem anderen Orte ?* erwähnt. Als nämlich der Prokonſul Julius den angeklagten Biſchof ſpöt— tiſch durch die Frage verwirren wollte: „Quo auctore fervens haec aqua tantum ebulliat?“ entwickelte Patricius feine Theorie der Centralwärme, „welche die Feuerausbrüche des Aetna und des Veſuvs veranlaßt und den Quellen um jo mehr Wärme mitteilt, als ſie einen tieferen Urſprung haben“. — 176 — Platons Pyriphlegethon war dem eruditen Biſchof die Hölle der Sündigen, und, als wollte er dabei auch an eine der kalten Hollen der Buddhiſten erinnern, wird noch, etwas unphyſikaliſch, für das nunquam finiendum supplicium impiorum, trotz der Tiefe, eine aqua gelidissima con- crescens in glaciem angenommen. Unter den heißen Quellen ſind die, welche, der Siedhitze des Waſſers nahe, eine Temperatur bis 90° erreichen, viel ſeltener, als man nach ungenauen Beſtimmungen gewöhnlich annimmt; am wenigſten finden ſie ſich in der Umgebung noch thätiger Vulkane. Mir iſt es geglückt, auf meiner ameri⸗ kaniſchen Reiſe zwei der wichtigſten dieſer Quellen zu unter: ſuchen, beide zwiſchen den Wendekreiſen. In Mexiko, unfern der reichen Silberbergwerke von Guanaxuato, in 21° nördl. Br., auf einer Höhe von mehr als 6000 Fuß (1950 m) über der Meeresfläche, bei Chichimequillo, entquellen die aguas de Co- mangillas einem Baſalt- und Baſaltbrecciengebirge. Ich fand ſie im September 1803 zu 96,4%. Dieſe Baſaltmaſſe hat einen ſäulenförmigen Porphyr gangartig durchbrochen, der ſelbſt wieder auf einem weißen, quarzreichen Syenit ruht. Höher, aber nicht fern von dieſer faſt ſiedenden Quelle bei los Joares, nördlich von Santa Roſa de la Sierra, fällt Schnee vom Dezember bis April ſchon in 8160 Fuß 2651 m) Höhe; auch bereiten dort die Eingeborenen das ganze Jahr hindurch Eis durch Ausſtrahlung in künſtlichen Baſſins. Auf dem Wege von Nueva Valencia, in den Valles de Aragua, nach dem Hafen von Portocabello (ungefähr in 10 ¼ » Br.), am nördlichen Abfall der Küſtenkette von Venezuela ſah ich einem geſchichteten Granit, welcher gar nicht in Gneis über⸗ geht, die aguas calientes de las Trincheras entquellen. Ich fand ?° die Quelle im Februar 1800 zu 90,3°, während die dem Gneis angehörigen Banos de Mariara in den Valles de Aragua 59,3“ zeigten. Dreiundzwanzig Jahre ſpäter, wieder im Monat Februar, fanden Bouſſingault und Rivero ſehr genau in Mariara 64,0“, in las Trincheras de N cabello, bei geringer Höhe über dem Antilliſchen Meere, einem Baſſin 92,2%, in dem anderen 90,0. Die Würme jener heißen X Quellen war alſo in der kurzen Ace zen beider Reiſen ungleich geſtiegen: in Mariara um 4,7, las Trincheras um 6,7“. Bouſſingault hat mit Recht ouf aufmerkſam gemacht, daß eben in der bezeichneten Zwiſchenzeit das furchtbare Erdbeben ſtattfand, welches die Stadt Caracas — 177 — am 26. März 1812 umſtürzte. Die Erſchütterung an der Oberfläche war zwar weniger ſtark in der Gegend des Sees von Tacarigua (Nueva Valencia); aber kann im Inneren der Erde, wo elaſtiſche Dämpfe und Spalten wirken, eine ſich ſo weit und gewaltſam fortpflanzende Bewegung nicht leicht das Spaltengewebe ändern und tiefere Zuführungskanäle öffnen? Die aus einer Granitformation aufſteigenden heißen Waſſer de las Trincheras find fajt rein, da fie nur Spuren von Kieſelſäure, etwas Schwefelwaſſerſtoffſäure und Stickſtoff enthalten; ſie bilden nach vielen ſehr maleriſchen Kaskaden, von einer üppigen Vegetation umgeben, einen Fluß, Rio de Aguas calientes, welcher gegen die Küſte hin voll großer Krokodile iſt, denen die abwärts ſchon bedeutend verminderte Wärme ſehr behagt. Im nördlichſten Indien entſpringt eben⸗ falls aus Granit (Br. 30° 52°) die ſehr heiße Quelle von Jumnotri, die 90° (194° T Fahr.) erreicht und, da ſie dieſe hohe Temperatur in einer Erhebung von 10 180 Fuß (3308 m) offenbart, faſt den Siedepunkt erreicht, welcher dieſem Luft— druck angehört. Unter den intermittierenden heißen Quellen haben die isländiſchen Kochbrunnen, und unter dieſen beſonders der große Geiſir und Strokkr, mit Recht die größte Berühmtheit erlangt. Nach den vortrefflichen neueſten Unter: ſuchungen von Bunſen, Sartorius von Waltershauſen und Descloiſeaux nimmt in den Waſſerſtrahlen beider die Tem— peratur von unten nach oben auf eine merkwürdige Weiſe ab. Der Geiſir beſitzt einen von horizontalen Schichten Kiejel- ſinters gebildeten abgeſtumpften Kegel von 25 bis 30 Fuß (8 bis 10 m) Höhe. In dieſen Kegel verſenkt ſich ein flaches Becken von 52 Fuß (17 m) Durchmeſſer, in deſſen Mitte das Rohr des Kochbrunnens, mit einem dreimal kleineren Durch— meſſer, von ſenkrechten Wänden umgeben, 70 Fuß (23 m) in die Tiefe hinabgeht. Die Temperatur des Waſſers, welches ununterbrochen das Becken füllt, iſt 82°. In ſehr regel- mäßigen Zwiſchenräumen von 1 Stunde und 20 bis 30 Minuten verkündigt der Donner in der Tiefe den Anfang der Eruption. Die Waſſerſtrahlen von 9 Fuß (3 m) Dicke, deren etwa drei große einander folgen, erreichen 100, ja bisweilen 140 Fuß (32 bis 45 m) Höhe. Die Temperatur des in der Röhre aufſteigenden Waſſers hat man in 68 Fuß (22 m) Tiefe, kurz vor dem Ausbruch zu 127°, während desſelben zu 124,2, gleich nachher zu 122° gefunden; an der Oberfläche des Beckens A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 12 — 178 — nur zu 84“ bis 85“. Der Strokkr, welcher ebenfalls am Fuße des Bjarnafell liegt, hat eine geringere Waſſermaſſe als der Geiſir. Der Sinterrand ſeines Beckens iſt nur wenige Zoll hoch und breit. Die Eruptionen ſind häufiger als beim Geiſir, kündigen ſich aber nicht durch unterirdiſchen Donner an. Im Strokkr iſt beim Ausbruch die Temperatur in 40 Fuß (13 m) Tiefe 113° bis 115°, an der Oberfläche faſt 100°. Die Eruptionen der intermittierenden Kochquellen und die kleinen Veränderungen in dem Typus der Erſcheinungen ſind von den Eruptionen des Hekla ganz unabhängig, und keines⸗ wegs durch dieſe in den Jahren 1845 und 1846 geſtört worden.?“ Bunſen hat mit dem ihm eigenen Scharfſinn in Beobachtung und Diskuſſion die früheren Hypotheſen über die Periodizität der Geiſireruptionen (unterirdiſche Höhlen, welche als Dampfkeſſel ſich bald mit Dämpfen, bald mit Waſſer erfüllen) widerlegt. Die Ausbrüche entſtehen nach ihm dadurch, daß ein Teil einer Waſſerſäule, die an einem tieferen Punkte unter großem Druck angehäufter Dämpfe einen hohen Grad der Temperatur angenommen hat, aufwärts ge— drängt wird, und dadurch unter einen Druck gelangt, welcher ſeiner Temperatur nicht entſpricht. So ſind „die Geiſir natür⸗ liche Kollektoren der Dampfkraft“. Von den heißen Quellen ſind einige wenige der abſoluten Reinheit nahe, andere enthalten zugleich Löſungen von 8 bis 12 feſten oder gasartigen Stoffen. Zu den erſteren gehören die Heilquellen von Luxueil, Pfeffers und Gaſtein, deren Art der Wirkſamkeit wegen ihrer Reinheit?“ ſo rätſelhaft ſcheinen kann. Da alle Quellen hauptſächlich durch Meteor⸗ waſſer geſpeiſt werden, jo enthalten ſie Stickſtoff, wie Bouſ⸗ ſingault in der, dem Granit entſtrömenden, ſehr reinen ?® Quelle in las Trincheras de Portocabello, und Bunſen in der Corneliusquelle zu Aachen und in dem isländiſchen Geiſir erwieſen haben. Auch die in mehreren Quellen aufgelöſte organiſche Materie iſt ſtickſtoffhaltig, ja bisweilen bituminös. Solange man noch nicht durch Gay-Lufjacs und meine Ver: ſuche wußte, daß Regen- und Schneewaſſer (das erſtere 10, das zweite wenigſtens 8 Prozent) mehr Sauerſtoff als die Atmoſphäre enthalten, wurde es ſehr auffallend gefunden, aus den Quellen von Nocera in den Apenninen ein ſauer⸗ ſtoffreiches Gasgemiſch entwickeln zu können. Die Analyſen, welche Gay-Luſſac während unſeres Aufenthaltes an dieſer Gebirgsquelle gemacht, haben gezeigt, daß ſie nur ſo viel 9 Sauerſtoff enthält, als ihr die Hydrometeore ?” haben geben können. Wenn die Kieſelablagerungen als Baumaterial in Ver— wunderung ſetzen, aus denen die Natur die wie aus Kunſt geſchaffenen Geiſirapparate zuſammenſetzt, ſo iſt dabei in Erinnerung zu bringen, daß Kieſelſäure auch in vielen kalten Quellen, welche einen ſehr geringen Anteil von Kohlenſäure enthalten, verbreitet iſt. Säuerlinge und Ausſtrömungen von kohlenſaurem Gas, die man lange Ablagerungen von Steinkohlen und Ligniten zuſchrieb, ſcheinen vielmehr ganz den Prozeſſen tiefer vul— kaniſcher Thätigkeit anzugehören, einer Thätigkeit, welche all— verbreitet iſt, und ſich daher nicht bloß da äußert, wo vulkaniſche Gebirgsarten das Daſein alter lokaler Feuerausbrüche bezeugen. Kohlenſäureausſtrömungen überdauern allerdings in erloſchenen Vulkanen die plutoniſchen Kataſtrophen am längſten, ſie folgen dem Stadium der Solfatarenthätigkeit, während aber auch überreiche, mit Kohlenſäure geſchwängerte Waſſer von der verſchiedenſten Temperatur aus Granit, Gneis, alten und neuen Flözgebirgen ausbrechen. Säuerlinge ſchwängern ſich mit kohlenſauren Alkalien, beſonders mit kohlenſaurem Natron, überall, wo mit Kohlenſäure geſchwängerte Waſſer auf Gebirgsarten wirken, welche alkaliſche Silikate enthalten. Im nördlichen Deutſchland iſt bei vielen der kohlenſauren Waſſer⸗ und Gasquellen noch die Dislokation der Schichten, und das Ausbrechen in meiſt geſchloſſenen Ringthälern (Pyrmont, Driburg) beſonders auffallend. Friedrich Hoffmann und Buckland haben ſolche Vertiefungen faſt zugleich ſehr charakteriſtiſch Erhebungsthäler (valleys of elevation) genannt. In den Quellen, die man mit dem Namen der Schwefel— waſſer belegt, tritt der Schwefel keinesweges immer in den— ſelben Verbindungen auf. In vielen, die kein kohlenſaures Natron enthalten, iſt wahrſcheinlich Schwefelwaſſerſtoff auf— gelöſt, in anderen, z. B. in den Schwefelwaſſern von Aachen (Kaiſer⸗, Cornelius⸗, Roſen⸗ und Quirinusquelle), iſt in den Gaſen, welche man durch Auskochen bei Luftabſchluß erhält, nach den genauen Verſuchen von Bunſen und Liebig gar kein Schwefelwaſſerſtoff enthalten, ja in den aus den Quellen von ſelbſt aufſteigenden Gasblaſen enthält allein die Kaiſerquelle in 100 Maß 0,31 Schwefelwaſſerſtoff.?“ Eine Therme, die einen ganzen Fluß ſchwefelgeſäuerten Waſſers, den Eſſigfluß (Rio Vinagre), von den Ein— — 180 — geborenen Puſambio genannt, erzeugt, iſt eine merkwürdige Erſcheinung, die ich zuerſt bekannt gemacht habe. Der Rio Vinagre entſpringt ungefähr in 10000 Fuß (3250 m) Höhe am nordweſtlichen Abfall des Vulkans von Puracé, an deſſen Fuße die Stadt Popayan liegt. Er bildet drei maleriſche Kaskaden, von denen ich die eine, welche an einer ſteilen Trachytwand ſenkrecht wohl 300 Fuß (100 m) herabſtürzt, abgebildet habe. Von dem Punkte an, wo der kleine Fluß in den Cauca einmündet, nährt dieſer große Strom 2 bis 3 Meilen (15 bis 22 km) abwärts bis zu den Einmündungen des Pindamon und Palacs keine Fiſche, ein großes Uebel für die ſtreng faſtenden Einwohner von Popayan! Die Waſſer des Puſambio enthalten nach Bouſſingaults ſpäterer Analyſe eine große Menge Schwefelwaſſerſtoff und Kohlenſäure, auch etwas ſchwefelſaures Natron. Nahe an der Quelle fand Bouſ— fingault 72,8 Wärme. Der obere Teil des Puſambio iſt unterirdiſch. Im Paramo de Ruiz, am Abhange des Vul— kanes desſelben Namens, an den Quellen des Rio Guali, in 11400 Fuß (3703 m) Höhe, hat Degenhardt (aus Klausthal im Harze), der der Geognoſie durch einen frühen Tod ent— riſſen wurde, eine heiße Quelle 1846 entdeckt, in deren Waſſer Bouſſingault dreimal ſo viel Schwefelſäure als im Rio Vignare fand. Das Gleichbleiben der Temperatur und der chemiſchen Beſchaffenheit der Quellen, ſoweit man durch ſichere Beob— achtungen hinaufreichen kann, iſt noch um vieles merkwürdiger als die Veränderlichkeit, die man hier und da ergründet hat. Die heißen Quellwaſſer, welche auf ihrem langen und ver— wickelten Laufe aus den Gebirgsarten, die ſie berühren, ſo vielerlei Beſtandteile aufnehmen, und dieſe oft dahin führen, wo ſie den Erdſchichten mangeln, aus denen ſie ausbrechen, haben auch noch eine ganz andere Wirkſamkeit. Sie üben eine umändernde und zugleich eine ſchaffende Thätigkeit aus. In dieſer Hinſicht ſind ſie von großer geognoſtiſcher Wichtigkeit. Senarmont hat mit bewundernswürdigem Scharfſinn gezeigt, wie höchſt wahrſcheinlich viele Gang— ſpalten (alte Wege der Thermalwaſſer) durch Ablagerung der aufgelöſten Elemente von unten aus nach oben ausgefüllt worden ſind. Durch Druck- und Temperaturveränderungen, innere elektrochemiſche Prozeſſe und ſpezifiſche Anziehung der Seitenwände (des Quergeſteines) ſind in Spalten und Blaſen⸗ räumen bald lamellare Abſonderungen, bald Konkretions— — 131 — bildungen entſtanden. Gangdruſen und poröſe Mandelſteine ſcheinen ſich ſo teilweiſe gebildet zu haben. Wo die Ab— lagerung der Gangmaſſe in parallelen Zonen vorangegangen iſt, entſprechen ſich dieſe Zonen ihrer Beſchaffenheit nach meiſt ſymmetriſch, von beiden Salbändern im Hängenden und Liegenden an gerechnet. Senarmonts chemiſcher Erfindungs— gabe iſt es gelungen, eine beträchtliche Zahl von Mineralien auf ganz analogen, ſynthetiſchen Wegen künſtlich darzuſtellen.!“? Ein mir nahe befreundeter, wiſſenſchaftlich begabter Beob— achter wird, wie ich hoffe, in kurzem eine neue, wichtige Arbeit über die Temperaturverhältniſſe der Quellen erſcheinen laſſen, und in derſelben, durch Induktion aus einer langen Reihe neuer Beobachtungen, das verwickelte Phänomen der Störungen in großer Allgemeinheit mit Scharfſinn behandeln. Eduard Hallmann unterſcheidet in den Temperaturmeſſungen, welche er während der Jahre 1845 bis 1853 in Deutſchland (am Rhein) und in Italien (in der Umgegend von Rom, im Albaner— gebirge und in den Apenninen) angeſtellt hat: 1) rein meteorologiſche Quellen, deren mittlere Wärme nicht durch die innere Erdwärme erhöht iſt; 2) meteorologiſch— geologiſche, die unabhängig von der Regenverteilung und wärmer als die Luft nur ſolche Temperaturveränderungen erleiden, welche ihnen der Boden mitteilt, durch den ſie aus— fließen; 3) abnorm kalte Quellen, welche ihre Kälte aus großen Höhen herabbringen. °? Je mehr man in neuerer Zeit durch glückliche Anwendung der Chemie in die geognoſtiſche Einſicht von Bildung und metamorphiſcher Umwandlung der Gebirgsarten eingedrungen iſt, eine deſto größere Wichtigkeit hat die Betrachtung der mit Gas- und Salzarten geſchwänger— ten Quellwaſſer erlangt, die im Inneren der Erde zirkulieren und, wo ſie an der Oberfläche als Thermen ausbrechen, ſchon den größten Teil ihrer ſchaffenden, verändernden oder zer— ſtörenden Thätigkeit vollbracht haben. c. Dampf- und Gasquellen, Salſen, Schwammvulkane, Naphthafeuer. Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I, S. 159 - 161, S. 310 Anm. 140 und S. 312 Anm. 146.) Ich habe in dem allgemeinen Naturgemälde durch nicht genug beachtete, aber wohl ergründete Beiſpiele gezeigt, wie die Salſen in den verſchiedenen Stadien, die ſie durchlaufen, — 182 — von den erſten, mit Flammen begleiteten Eruptionen bis zu den ſpäteren Zuſtänden friedlicher Schlammauswürfe, gleich⸗ ſam ein Mittelglied bilden zwiſchen den heißen Quellen und den eigentlichen Vulkanen, welche geſchmolzene Erden, als unzuſammenhängende Schlacken, oder als neugebildete, oft mehrfach übereinander gelagerte Gebirgsarten, aus— ſtoßen. Wie alle Uebergänge und Zwiſchenglieder in der un— organiſchen und organiſchen Natur, verdienen die Salſen und Schlammvulkane eine ernſtere Betrachtung, als die älteren Geognoſten, aus Mangel einer ſpeziellen Kenntnis der Al Thatſachen, auf ſie gerichtet haben. 0 Die Salſen und Naphthabrunnen ſtehen teils vereinzelt N in engen Gruppen, wie die Macalubi in Sizilien bei Girgenti, deren ſchon Solinus erwähnt, oder die bei Pietra mala, n Barigazzo und am Monte Zibio unfern Saſſuolo im nörd— | lichen Italien, oder die bei Turbaco in Südamerika, teils er— ü ſcheinen ſie, und dies ſind die lehrreicheren und wichtigeren, wie in ſchmalen Zügen aneinander gereiht. Längſt kannte?“ man als äußerſte Glieder des Kaukaſus in Nordweſt die Schlammvulkane von Taman, in Südoſt der großen Berg— kette die Naphthaquellen und Naphthafeuer von Baku und der kaſpiſchen Halbinſel Apſcheron. Die Größe und den Zu— ſammenhang dieſes Phänomens hat aber erſt der tiefe Kenner dieſes Teiles von Vorderaſien, Abich, erforſcht Nach ihm ſind die Schlammvulkane und Naphthafeuer des Kaukaſus auf eine beſtimmt zu erkennende Weiſe an gewiſſe Linien geknüpft, welche mit den Erhebungsachſen und Dis— lokationsrichtungen der Geſteinſchichten in unverkennbarem Verkehr ſtehen. Den größten Raum, von faſt 240 Quadrat⸗ meilen (13 200 qkm), füllen die in genetiſchem Zuſammen— hange ſtehenden Schlammvulkane, Naphthaemanationen und Salzbrunnen im ſüdöſtlichen Teile des Kaukaſus aus, in einem gleichſchenkligen Dreieck, deſſen Baſis das Litorale des | Kaſpiſchen Meeres bei Balachani (nördlich von Baku), und eine der Mündungen des Kur (Araxes) nahe bei den heißen Quellen von Sallian iſt. Die Spitze eines ſolchen Dreieckes 0 liegt bei dem Schagdagh im Hochthal von Kinalughi. Dort brechen an der Grenze einer Dolomit- und Schieferformation in 7834 Fuß (2545) m) Höhe über dem Kaſpiſchen Meere, j unfern des Dorfes Kinalughi ſelbſt, die ewigen Feuer des Schagdagh aus, welche niemals durch meteorologiſche Ereigniſſe erſtickt worden ſind. Die mittlere Achſe dieſes — 183 — Dreieckes entſpricht derjenigen Richtung, welche die in Scha— macha an dem Ufer des Pyrſagat ſo oft erlittenen Erdbeben konſtant zu befolgen ſcheinen. Wenn man die eben bezeich— nete nordweſtliche Richtung weiter verfolgt, ſo trifft ſie die heißen Schwefelquellen von Akti, und wird dann die Streichungs— linie des Hauptkammes des Kaukaſus, wo er zum Kasbek aufſteigt und das weſtliche Dagheſtan begrenzt. Die Salſen der niederen Gegend, oft regelmäßig aneinander gereiht, werden allmählich häufiger gegen das kaſpiſche Litorale hin zwiſchen Sallian, der Mündung des Pyrſagat (nahe bei der Inſel Swinoi) und der Halbinſel Apſcheron. Sie zeigen Spuren früherer wiederholter Schlammeruptionen, und tragen auf ihrem Gipfel kleine, den hornitos von Jorullo in Mexiko der Geſtalt nach völlig ähnliche Kegel, aus denen entzünd— liches und oft auch von ſelbſt entzündetes Gas ausſtrömt. Beträchtliche FTlammenausbrüche ſind beſonders häufig ge: weſen zwiſchen 1844 und 1849 am Oudplidagh, Nahalath und Turandagh. Dicht bei der Mündung des Pyrſagat am Schlammvulkan Toprochali findet man (als Beweiſe einer ausnahmsweiſe ſehr zugenommenen Intenſität der unter— irdiſchen Wärme) „ſchwarze Mergelſtücke, die man mit dichtem Baſalte und überaus feinkörnigem Doleritgeſteine auf den erſten Anblick verwechſeln könnte“. An anderen Punkten auf der Halbinſel Apſcheron hat Lenz ſchlackenartige Stücke als Auswürflinge gefunden, und bei dem großen Flammenaus— bruch von Baklichli (7. Februar 1839) wurden durch die Winde kleine hohle Kugeln, gleich der ſogenannten Aſche der eigentlichen Vulkane, weit fortgeführt. °° In dem nordweſtlichſten Ende gegen den kimmeriſchen Bos— porus hin liegen die Schlammvulkane der Halbinſel Taman, welche mit denen von Aklaniſowka und Jenikale bei Kertſch eine Gruppe bilden. Eine der Salſen von Taman hat am 27. Februar 1793 einen Schlamm- und Gasausbruch gehabt, in dem nach vielem unterirdiſchem Getöſe eine in ſchwarzen Rauch (dichten Waſſerdampf?) halb gehüllte Feuerſäule von mehreren hundert Fußen Höhe aufſtieg. Merkwürdig und für die Natur der Volcancitos de Turbaco lehrreich iſt die Erſcheinung, daß das von Friedrich Parrot und Engelhardt 1811 geprüfte Gas von Taman nicht entzündlich war, während das an demſelben Orte 23 Jahre ſpäter von Göbel aufge— fangene Gas aus der Mündung einer Glasröhre mit einer bläulichen Flamme wie alle Ausſtrömungen der Salſen im | y N i — 14 — ſüdöſtlichen Kaukaſus brannte, aber auch, genau analyjiert, in 100 Teilen 92,8 Kohlenwaſſerſtoff und 5 Teile Kohlen: oxydgas enthielt. Eine ſtoffartig verſchiedene, aber ihrer Entſtehung nach gewiß verwandte Erſcheinung find in der toscaniſchen Ma- remma die heißen, borſauren Dampferuptionen, bekannt unter dem Namen der lagoni, fummarole, soffioni, auch volcani, bei Poſſara, Caſtel novo und Monte Cerboli. Die Dämpfe haben im Mittel eine Temperatur von 96° bis 100°, nach Pella an einigen Punkten bis 175%. Sie ſteigen teils unmittelbar aus Geſteinſpalten, teils aus Pfützen auf, in denen ſie aus flüſſigem Thon kleine Kegel aufwerfen. Man ſieht ſie in weißlichen Wirbeln ſich in der Luft verteilen. Die Borſäure, welche die Waſſerdämpfe aus dem Schoße der Erde heraufbringen, kann man nicht erhalten, wenn man in ſehr weiten und langen Röhren die Dämpfe der sokfioni ver: dichtet; es zerſtreut ſich dieſelbe wegen ihrer Flüchtigkeit in der Atmoſphäre. Die Säure wird nur gewonnen in den ſchönen techniſchen Anſtalten des Grafen Larderel, wenn die Mündungen der soffioni unmittelbar von der Flüſſigkeit der Baſſins bedeckt werden. Nach Payens vortrefflicher Analyſe enthalten die gasförmigen Ausſtrömungen 0,57 Kohlenſäure, 0,35 Stickſtoff, nur 0,07 Sauerſtoff und 0,001 Schwefelſäure. Wo die borſauren Dämpfe die Spalten des Geſteines durch— dringen, ſetzen ſie Schwefel ab. Nach Sir Roderick Murchi— ſons Unterſuchungen iſt das Geſtein teils kreideartig, teils eine nummulithaltige Eocänformation, ein macigno, welchen der in der Umgegend (bei Monte Rotondo) ſichtbare und ge— hobene Serpentin ?“ durchbricht. Sollten, fragt Biſchof, hier und im Krater von Vulcano nicht in großer Tiefe heiße Waſſerdämpfe auf borſaure Mineralien, auf datolith-, arinit- oder turmalinreiche Gebirgsarten zerſetzend wirken? Das Sofſionenſyſtem von Island übertrifft an Viel: und Großartigkeit der Erſcheinungen alles, was wir auf dem Kontinente kennen. Wirkliche Schlammquellen brechen in dem Fumarolenfelde von Kriſuvek und Reykjalidh aus einem blau— grauen Thone, aus kleinen Becken mit kraterförmigen Rändern hervor. Die Quellenſpalten laſſen ſich auch hier nach be— ſtimmten Richtungen verfolgen. Ueber keinen Teil der Erde, wo heiße Quellen, Salſen und Gaseruptionen ſich finden, beſitzen wir jetzt ſo vortreffliche und ausführliche chemiſche Unterſuchungen als über Island durch den Scharfſinn und — 185 — die ausdauernden Bemühungen von Bunſen. Nirgends wohl iſt in einer großen Länderſtrecke, und der Oberfläche wahr— ſcheinlich ſehr nahe, ein ſolches verſchiedenartiges Spiel chemiſcher „ Umwandlungen und neuer Bildungen zu be— lauſchen. Von Island auf den nahen amerikaniſchen Kontinent übergehend, finden wir im Staate New York in der Um⸗ gegend von Fredonia, unfern des Erieſees, in einem Becken von devoniſchen Sandſteinſchichten, eine Unzahl von Brenngas— quellen (Quellen von gekohltem Waſſerſtoffgas), auf Erdſpalten ausbrechend und zum Teil zur Erleuchtung benutzt; andere Brenngasquellen, bei Ruſhville, nehmen die Form von Schlamm— kegeln an; noch andere, im Ohiothale, in Virginien und am Kentucky⸗River, enthalten zugleich Kochſalz und hängen dann mit ſchwachen Naphthaquellen zuſammen. Jenſeits des An— tilliſchen Meerbuſens aber, an der Nordküſte von Südamerika, 2 ½ Meilen (18,5 km) in Süd⸗Süd⸗Oſt von dem Hafen Cartagena de Indias, bietet bei dem anmutigen Dorfe Turbaco eine merkwürdige Gruppe von Salſen oder Schlammvulkanen Erſcheinungen dar, die ich zuerſt habe beſchreiben können. In der Umgegend von Turbaco, wo man eine herrliche An— ſicht der koloſſalen Schneegebirge (Sierras Nevadas) von Santa Marta genießt, erheben ſich an einem öden Platze mitten im Urwalde die Volcancitos, 18 bis 20 an der Zahl. Die größten der Kegel, von ſchwarzgrauem Letten, haben 18 bis 22 Fuß (5,8 bis 7,1 m) Höhe, und wohl 80 Fuß (26 m) Durchmeſſer an der Baſis. Auf der Spitze jedes Kegels iſt eine zirkelrunde Oeffnung von 20 bis 28 Zoll (52 bis 74 cm) Durchmeſſer, von einer kleinen Schlammmauer umgeben. Das Gas ſteigt empor mit großer Heftigkeit, wie bei Taman, in Blaſen, deren jede, nach meiner Meſſung in graduierten Ge— fäßen, 10 bis 12 Kubikzoll enthält. Der obere Teil des Trichters iſt mit Waſſer gefüllt, das auf einer dichten Schlamm— decke ruht. Benachbarte Kegel haben nicht gleichzeitige Aus— würfe, aber in jedem einzelnen war eine gewiſſe Regelmäßig— keit in den Epochen der Auswürfe zu bemerken. Wir zählten, Bonpland und ich, an den äußerſten Teilen der Gruppe ſtehend, ziemlich regelmäßig 5 Ausbrüche in je 2 Minuten. Wenn man ſich über die kleine Krateröffnung hinbeugt, ſo vernimmt man meiſt 20 Sekunden vor jedem Ausbruche ein dumpfes Getöſe im Inneren der Erde, tief unter der Grundfläche des Kegels. In dem aufgeſtiegenen, zweimal mit vieler Vorſicht — n geſammelten Gaſe verloſch augenblicklich eine brennende, ſehr dünne Wachskerze, ebenſo ein glimmender Holzſpan von Bom- pax Ceiba. Das Gas war nicht zu entzünden. Kaltwaſſer wurde durch dasſelbe nicht getrübt, es fand keine Abſorption ſtatt. Durch nitröſes Gas auf Sauerſtoff geprüft zeigte dieſes Gas in einem Verſuch keine Spur des letzteren; in einem anderen Verſuche, wo das Gas der Volcancitos viele Stunden in eine kleine Glasglocke mit Waſſer geſperrt worden war, zeigte es etwas über ein Hundertteil Sauerſtoff, das ſich wahr— ſcheinlich, aus dem Waſſer entwickelt, zufällig beigemiſcht hatte. Nach dieſen Ergebniſſen der Analyſe erklärte ich damals, und wohl nicht ganz mit Unrecht, das Gas der Volcancitos von Turbaco für Stickſtoffgas, das mit einer kleinen Menge von Waſſerſtoffgas gemiſcht ſein könnte. Ich drückte zugleich in meinem Tagebuche das Bedauern aus, daß man bei dem damaligen Zuſtande der Chemie (im April 1801) kein Mittel kenne, in einem Gemenge von Stickſtoff- und Waſſerſtoffgas das Verhältnis der Miſchung numeriſch zu beſtimmen. Dieſes Mittel, bei deſſen Anwendung drei Tauſendteile Waſſerſtoffs in einem Luftgemiſch erkannt werden können, wurde von Gay— Luſſac und mir erſt 4 Jahre ſpäter aufgefunden. In dem halben Jahrhundert, das ſeit meinem Aufenthalte in Turbaco und meiner aſtronomiſchen Aufnahme des Magdalenenſtromes verfloſſen iſt, hat kein Reiſender ſich wiſſenſchaftlich mit den eben beſchriebenen kleinen Schlammvulkanen beſchäftigt, bis am Ende des Dezembers 1850 mein der neueren Geognoſie und Chemie kundiger Freund, Joaquin Acoſta “, die merk— würdige Beobachtung machte, daß gegenwärtig (wovon zu meiner Zeit keine Spur vorhanden war) „die Kegel einen bituminöſen Geruch verbreiten, daß etwas Erdöl auf der Waſſerfläche der kleinen Oeffnungen ſchwimmt, und daß man auf jedem der Schlammhügel von Turbaco das ausſtrömende Gas entzünden kann.“ Deutet dies, fragt Acoſta, auf eine durch innere Prozeſſe hervorgebrachte Veränderung des Phäno— mens, oder ganz einfach auf einen Irrtum in den früheren Verſuchen? Ich würde dieſen frei eingeſtehen, wenn ich nicht das Blatt des Tagebuches aufbewahrt hätte, auf welchem die Verſuche an demſelben Morgen, an dem ſie angeſtellt wurden, umſtändlich °° aufgezeichnet worden find. Ich finde nichts darin, was mich heute zweifelhaft machen könnte, und die ſchon oben berührte Erfahrung, daß (nach Parrots Berichte) „das Gas der Schlammvulkane der Halbinſel Taman 1811 — 187 — die Eigenſchaft hatte, das Brennen zu verhindern, indem ein glimmender Span in dem Gaſe erloſch, ja die aufſteigenden, einen Fuß dicken Blaſen im Platzen nicht entzündet werden konnten“, während 1834 Göbel an demſelben Orte das leicht anzuzündende Gas mit heller bläulicher Flamme brennen ſah, läßt mich glauben, daß in verſchiedenen Stadien die Ausſtrömungen chemiſche Veränderungen erleiden. Mitſcher— lich hat ganz neuerlich auf meine Bitte die Grenze der Ent— zündbarkeit künſtlich bereiteter Miſchungen von Stick- und Waſſerſtoffgas beſtimmt. Es ergab ſich, daß Gemenge von 1 Teil Waſſerſtoffgas und drei Teilen Stickſtoffgas ſich nicht bloß durch ein Licht entzündeten, ſondern auch fortfuhren zu brennen. Vermehrte man das Stickſtoffgas, ſo daß das Ge— menge aus 1 Teil Waſſerſtoffgas und 3% Teilen Stickſtoff— gas beſtand, ſo erfolgte zwar noch Entzündung, aber das Gemenge fuhr nicht fort zu brennen. Nur bei einem Ge— menge von 1 Teil Waſſerſtoffgas und 4 Teilen Stickſtoff gas fand gar keine Entzündung mehr ſtatt. Die Gasausſtrömungen, welche man ihrer leichten Entzündbar— keit und ihrer Lichtfarbe wegen Ausſtrömungen von reinem und gekohltem Waſſerſtoff zu nennen pflegt, brauchen alſo quantitativ nur dem dritten Teile nach aus einer der zuletzt genannten Gasarten zu beſtehen. Bei den ſeltener vorkom— menden Gemengen von Kohlenſäure und Waſſerſtoff würde, wegen der Wärmekapazität der erſteren, die Grenze der Ent— zündbarkeit noch anders ausfallen. Acoſta wirft mit Recht die Frage auf: „ob eine unter den Eingeborenen von Turbaco, Abkömmlingen der Indios de Taruaco, fortgepflanzte Tradition, nach der die Volcancitos einſt alle brannten, und durch Be— ſprechung und Beſprengen mit Weihwaſſer von einem frommen Mönche“ aus Volcanes de fuego in Volcanes de agua um- gewandelt wären, ſich nicht auf einen Zuſtand beziehe, der jetzt wiedergekehrt iſt“. Einmalige große Flammeneruptionen von vor⸗ und nachher ſehr friedlichen Schlammvulkanen (Taman 1793; am Kaſpiſchen Meere bei Jokmali 1827 und bei Baklichli 1839, bei Kuſchtſchy 1846, ebenfalls im Kaukaſus) bieten analoge Beiſpiele dar. Das ſo kleinlich ſcheinende Phänomen der Salſen von Turbaco hat an geologiſchem Intereſſe gewonnen durch den mächtigen Flammenausbruch und die Erdumwälzung, welche 1839 über 8 geographiſche Meilen (60 km) in NNO von Cartagena de Indias ſich zwiſchen dieſem Hafen und dem he cc ————— — 2-- Says m — 0 | — 188 — von Sabamilla, unfern der Mündung des großen Magdalenen— ſtromes, zugetragen haben. Der eigentliche Centralpunkt des Phänomens war das 1% bis 2 Meilen (11 bis 15 km) lange in das Meer als ſchmale Halbinſel hervortretende Kap Galera Zamba. Auch die Kenntnis dieſes Ereigniſſes verdankt man dem Artillerieoberſt Acoſta, der leider durch einen frühen Tod den Wiſſenſchaften entriſſen wurde. In der Mitte der Land— zunge ſtand ein koniſcher Hügel, aus deſſen Krateröffnung bis— weilen Rauch (Dämpfe) und Gasarten mit ſolcher Heftigkeit ausſtrömten, daß Bretter und große Holzſtücke, die man hinein— warf, weit weggeſchleudert wurden. Im Jahre 1839 ver⸗ ſchwand der Kegel bei einem beträchtlichen Feuerausbruch, und die ganze Halbinſel Galera Zamba ward zur Inſel, durch einen Kanal von 30 Fuß (9,75 m) Tiefe vom Kontinent getrennt. In dieſem friedlichen Zuſtande blieb die Meeres— fläche, bis an der Stelle des früheren Durchbruches am 7. Oktober 1848, ohne alle in der Umgegend fühlbare Erd— erſchütterung, ein zweiter furchtbarer Flammenausbruch er: ſchien, der mehrere Tage dauerte und in 10 bis 12 Meilen (74 bis 90 km) Entfernung ſichtbar war. Nur Gasarten, nicht materielle Teile, warf die Salſe aus. Als die Flammen verſchwunden waren, fand man den Meeresboden zu einer kleinen Sandinſel gehoben, die aber nach kurzer Zeit wiederum verſchwand. Mehr als 50 Voleaneitos (Kegel, denen von Turbaco ähnlich) umgeben jetzt bis in eine Entfernung von 4 bis 5 Meilen (29 bis 37 km) den unterſeeiſchen Gas— vulkan der Galera Zamba. Man darf ihn in geologiſcher Hinſicht wohl als den Hauptſitz der vulkaniſchen Thätigkeit betrachten, welche ſich in der ganzen Niederung von Turbaco bis über das Delta des Rio grande de la Magdalena hin mit der Atmoſphäre in Kontakt zu ſetzen ſtrebt. Die Gleichheit der Erſcheinungen, welche in den ver— ſchiedenen Stadien ihrer Wirkſamkeit die Salſen, Schlamm— vulkane und Gasquellen auf der italieniſchen Halbinſel, im Kaukaſus und in Südamerika darbieten, offenbart ſich in un— geheuren Länderſtrecken im chineſiſchen Reiche. Die Kunſt des Menſchen hat ſeit den älteſten Zeiten dort dieſen Schatz zu benutzen gewußt, ja zu der ſinnreichen, den Europäern ſpät erſt bekannt gewordenen Erfindung des chineſiſchen Seil— bohrens geleitet. Mehrere tauſend Fuß tiefe Bohrlöcher werden durch die einfachſte Anwendung der Menſchenkraft oder vielmehr des Gewichtes des Menſchen niedergebracht. Ich on habe an einem anderen Orte!“ von dieſer Erfindung um: ſtändlich gehandelt, wie von den Feuerbrunnen Hi-tsing, und feurigen Bergen, Ho-shan, des öſtlichen Aſiens. Man bohrt zugleich auf Waſſer, auf Salzſole und Brenn— gas, von den ſüdweſtlichen Provinzen Mün-nan, Kuang-fi und Sz'⸗tſchuan an der Grenze von Tibet an bis zur nördlichen Pro— vinz Schan⸗ſi. Das Brenngas verbreitet bei rötlicher Flamme oft einen bituminöſen Geruch; es wird teils in tragbaren, teils in liegenden Bambusröhren in entfernte Orte, zum Salzſieden, zur Erwärmung der Häuſer oder zur Straßenerleuchtung, ge— leitet. In ſeltenen Fällen iſt der Zufluß von gekohltem Waſſerſtoffgas plötzlich erſchöpft oder durch Erdbeben gehemmt worden. So weiß man, daß ein berühmter Ho-tſing ſüdweſt— lich von der Stadt Khiung⸗tſcheu (Br. 50° 27, Länge 101° 6‘ Oſt), welcher ein mit Geräuſch brennender Salzbrunnen war, im 13. Jahrhundert erloſchen iſt, nachdem er ſeit dem 2. Jahr- hundert unſerer Zeitrechnung die Umgegend erleuchtet hatte. In der an Steinkohlen ſehr reichen Provinz Schan-ſi finden ſich einige entzündete Steinkohlenfloze. Die feurigen Berge (Ho-schan) ſind über einen großen Teil von China verbreitet. Die Flammen ſteigen oft, z. B. in der Felsmaſſe des Vy-Fia- ſchan, am Fuße eines mit ewigem Schnee bedeckten Gebirges (Br. 31° 40°), in großen Höhen aus langen, offenen, unzu— gänglichen Spalten auf, ein Phänomen, welches an die ewigen Feuer des Schagdaghgebirges im Kaukaſus erinnert. Auf der Inſel Java gibt es in der Provinz Samarang etwa drei Meilen (22 km) von der nördlichen Küſte entfernt, Salſen, welche denen von Turbaco und Galera Zamba ähn— lich ſind. Sehr veränderliche Hügel von 25 bis 30 Fuß (8 bis 10 m) Höhe werfen Schlamm, Salzwaſſer und ein ſeltenes Gemiſch von Waſſerſtoffgas und Kohlenſäure aus, *' eine Erſcheinung, die nicht mit den großen und verheerenden Schlammſtrömen zu verwechſeln iſt, welche bei den ſeltenen Eruptionen der koloſſalen wirklichen Vulkane Javas (Gunung Kelut und Gunung Idjen) ſich ergießen. Sehr berühmt ſind noch auf Java, beſonders durch Uebertreibungeu in der Dar— ſtellung einiger Reiſenden, wie durch die, ſchon von Sykes und London gerügte Anknüpfung an die Mythe vom Gift— baum Upas, einige Stickgrotten oder Quellen von kohlen— ſaurem Gas. Die merkwürdigſte der 6 von Junghuhn wiſſen— ſchaftlich beſchriebenen iſt das ſogenannte Totenthal der Inſel (Pakaraman), im Gebirge Dieng, nahe bei Batur.““ 8 — —— — Je Es iſt ein trichterförmiger Einſturz an einem Berggehänge, eine Vertiefung, in welcher die Schicht der ausſtrömenden Kohlenſäure zu verſchiedenen Jahreszeiten eine ſehr verſchiedene Höhe erreicht. Man findet darin oft Skelette von wilden Schweinen, Tigern und Vögeln.!“ Der Giftbaum, pohon (beſſer pühn) üpas der Malaien (Antaris toxicaria des Reiſenden Leſchenault de la Tour), iſt mit ſeinen unſchäd— lichen Ausdünſtungen jenen tödlichen Wirkungen ganz fremd. Ich ſchließe dieſen Abſchnitt von den Salſen, Dampf: und Gasquellen mit der Beſchreibung eines Ausbruches von heißen Schwefeldämpfen, die wegen der Gebirgsart, aus welcher ſie ſich entwickeln, das Intereſſe der Geognoſten auf ſich ziehen können. Bei dem genußreichen, aber etwas an— ſtrengenden Uebergange über die Centralkordillere von Quindiu (ich brauchte 14 bis 15 Tage, zu Fuß, und ununterbrochen in freier Luft ſchlafend, um über den Gebirgskamm von 10 788 Fuß (3375 m) aus dem Thale des Rio Magdalena in das Caucathal zu gelangen) beſuchte ich in der Höhe von 6390 Fuß (2075 m) den Azufral weſtlich von der Station el Moral. In einem etwas dunkel gefärbten Glimmerſchiefer, der auf einen granathaltenden Gneis aufgeſetzt, ſamt dieſem die hohe Granitkuppe von la Ceja und la Garita del Paramo umlagert, ſah ich in dem engen Thale (Quebrada del Azu- fral) warme Schwefeldämpfe aus den Geſteinklüften aus— ſtrömen. Da ſie mit Schwefelwaſſerſtoffgas und vieler Kohlen: ſäure gemiſcht ſind, ſo fühlt man einen betäubenden Schwindel, wenn man ſich niederbeugt, um die Temperatur zu meſſen, und länger in ihrer Nähe verweilt. Die Temperatur der Schwefeldämpfe war 47,6“, die der Luft 20,6“, die des Schwefelbächleins, das vielleicht im oberen Laufe durch die Schneewaſſer des Vulkans von Tolima erkaltet iſt, 29,20. Der Glimmerſchiefer, welcher etwas Schwefelkies enthält, iſt von vielen Schwefeltrümmern durchſetzt. Der zum Verkauf zubereitete Schwefel wird großenteils aus einem mit natür: lichem Schwefel und verwittertem Glimmerſchiefer gemengten, ockergelben Letten gewonnen. Die Arbeiter (Meſtizen) leiden dabei an Augenübeln und an Muskellähmung. Als 30 Jahre nach mir (1831) Bouſſingault den Azufral de Quindiu be- ſuchte, hatte die Temperatur der Dämpfe, die er chemiſch analyſierte, ſo abgenommen, daß ſie unter die der freien Luft (22°), nämlich auf 19° bis 20° fiel. Derſelbe vor- treffliche Beobachter ſah in der Quebrada de aguas calientes 8 — 191 — das Trachytgeſtein des nahen Vulkanes von Tolima den Glimmerſchiefer durchbrechen, wie = jehr deutlich, ebenſo eruptiv, den ſchwarzen Trachyt des Vulkanes Tunguragua bei der Seilbrüde von Penipe einen granathaltenden grünlichen Glimmerſchiefer habe bedecken ſehen. Da man bis— her in Europa Schwefel nicht in den ehemals ſogenannten primitiven Gebirgsarten, ſondern nur in Tertiärkalk, in Gips, in Konglomeraten und echt vulkaniſchem Geſtein gefunden hat, jo iſt das Vorkommen im Azutral de Quindiu (nördl. Br. 4½ 0 um ſo merkwürdiger, als es ſich ſüdlich vom Aequator zwiſchen Quito und Cuenca, am nördlichen Abfall des Paramo del Assuay wiederholt. In dem Azufral des Cerro Cuello (ſüdl. Br. 2° 13“) habe ich, wiederum im Glimmer⸗ ſchiefer, in 7488 Fuß (2433 m) Höhe ein mächtiges Quarz— lager angetroffen, in welchem der Schwefel neſterweiſe reich— lich eingeſprengt iſt. Zur Zeit meiner Reiſe waren die Schwefel— ſtücke nur von 6 bis 8 Zoll (16 bis 22 em) Größe, früher fand man ſie zu 3 bis 4 Fuß (1 bis 1,4 m) Durchmeſſer. Selbſt eine Naphthaquelle entſpringt fichtbar aus Glim— merſchiefer in dem Meeresboden im Golf von Cariaco bei Cumana. Die Naphtha färbt dort einen Teil der Oberfläche des Meeres auf mehr als tauſend Fuß (320 m) Länge gelb, und ihren Geruch fand ich verbreitet bis in das Innere der Halbinſel Araya. ** Wenn wir nun einen letzten Blick auf die Art vulkaniſcher Thätigkeit werfen, welche ſich durch Hervordringen von Dämpfen und Gasarten, bald mit bald ohne Feuererſcheinungen, offen— bart, ſo finden wir darin bald große Verwandtſchaft, bald große Verſchiedenheit der aus den Erdſpalten ausbrechenden Stoffe, je nachdem die hohe Temperatur des Inneren, das Spiel der Affinitäten modifizierend auf gleichartige oder ſehr zuſammengeſetzte Materien gewirkt hat. Die Stoffe, welche bei dieſem geringeren Grade vulkaniſcher Thätigkeit an die Oberfläche getrieben werden, ſind: Waſſerdampf in großem Maße, Chlornatrium, Schwefel, gekohlter und geſchwefelter Waſſerſtoff, Kohlenſaure und Stickſtoff, Naphtha (farblos, gelb— lich oder als braunes Erdöl), Borſäure und Thonerde der Schlammvulkane. Die große Verſchiedenheit dieſer Stoffe, von denen jedoch einige (Kochſalz, Schwefelwaſſerſtoffgas und Erdöl) ſich faſt immer begleiten, bezeugt das Unpaſſende der Benennung Salſen, welche aus Italien ſtammt, wo Spal: llanzani das große Verdienſt gehabt hat, zuerſt die Aufmerk— vr. — ſamkeit der Geognoſten auf das lange für ſo unwichtig ge— haltene Phänomen im Modeneſiſchen zu leiten. Der Name Dampf- und Gasquellen drückt mehr das Gemeinſame aus. Wenn viele derſelben als Fumarolen zweifelsohne in Beziehung zu erloſchenen Vulkanen ſtehen, ja beſonders als Quellen von kohlenſaurem Gas ein letztes Stadium ſolcher Vulkane charakteriſieren, ſo ſcheinen dagegen andere, die Naphthaquellen, ganz unabhängig von den wirklichen, geſchmolzene Erden ausſtoßenden Feuerbergen zu ſein. Sie folgen dann, wie ſchon Abich am Kaukaſus gezeigt hat, in weiten Strecken beſtimmten Richtungen, ausbrechend auf Gebirgsſpalten, ſowohl in der Ebene, ſelbſt im tiefen Becken des Kaſpiſchen Meeres, als in Gebirgsgegenden von faſt 8000 Fuß (2600 m). Gleich den eigentlichen Vulkanen ver: mehren ſie bisweilen plötzlich ihre ſcheinbar ſchlummernde Thätigkeit durch Ausbruch von Feuerſäulen, die weit umher Schrecken verbreiten. In beiden Kontinenten, in weit von— einander entfernten Weltgegenden, zeigen ſie dieſelben auf— einander folgenden Zuſtände, aber keine Erfahrung hat uns bisher berechtigt zu glauben, daß fie Vorboten der Ent: ſtehung wirklicher, 8 und Schlacken auswerfender Vul— kane ſind. Ihre Thätigkeit iſt anderer Art, vielleicht in minderer Tiefe wurzelnd und durch andere chemiſche Prozeſſe bedingt. d. Vulkane, nach der Verſchiedeüheit ihrer Geſtaltung und Thätigkeit. — Wirkung durch Spalten und Maare. — Um⸗ wallungen der Erhebungskrater. — Vulkauiſche Kegel- und Glockenberge, mit geöffnetem oder ungeöffnetem Gipfel. — Verſchiedenheit der Gebirgsarten, durch welche die Vulkaue wirken. (Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I, S. 161— 177.) Unter den mannigfaltigen Arten der Kraftäußerung in der Reaktion des Inneren unſeres Planeten gegen ſeine oberſten Schichten iſt die mächtigſte die, welche die eigentlichen Vulkane darbieten, d. i. ſolche Oeffnungen, durch die neben den Gasarten auch feſte, ſtoffartig' verſchiedene Maſſen in feuerflüſſigem Zuſtande, als Lavaſtröme oder als Schlacken, oder als Produkte der feinſten Zerreibung (Aſche), aus un— gemeſſener Tiefe an die Oberfläche gedrängt werden. Hält — 193 — man nach einem alten Sprachgebrauche die Wörter Vulkan und Feuerberg für ſynonym, ſo knüpft man dadurch, nach einer vorgefaßten, ſehr allgemein verbreiteten Meinung, den Begriff von vulkaniſchen Erſcheinungen an das Bild von einem iſoliert ſtehenden Kegelberge mit kreisrunder oder ovaler Oeffnung auf dem Gipfel. Solche Anſichten verlieren aber von ihrer Allgemeinheit, wenn ſich dem Beobachter Ge— legenheit darbietet, zuſammenhängende vulkaniſche Gebiete von mehreren tauſend geographiſchen Quadratmeilen Flächeninhalt, z. B. den ganzen mittleren Teil des mexikaniſchen Hochlandes zwiſchen dem Pik von Orizaba, dem Jorullo und den Küſten der Südſee, oder Centralamerika, oder die Kordilleren von Neugranada und Quito zwiſchen dem Vulkan von Purace bei Popayan, dem von Paſto und dem Chimborazo, oder das Iſthmusgebirge des Kaukaſus zwiſchen dem Kasbek, Elbrus und Ararat, zu durchwandern. In dem unteren Italien, zwiſchen den Phlegräiſchen Feldern des campiſchen Feſtlandes, Sizilien, den Liparen und Ponzainſeln, iſt, wie in den griechi— ſchen Inſeln, das verbindende Zwiſchenland teils nicht mit gehoben, teils vom Meere verſchlungen worden. Es zeigen ſich in den vorgenannten großen Gebieten von Amerika und vom Kaukaſus Eruptionsmaſſen (wirkliche Tra— chyte, nicht Trachytkonglomerate Obſidianſtröme, ſteinbruch— artig geronnene Bimsſteinblöcke, nicht durch Waſſer verbrei— tetes und abgeſetztes Bimsſteingerölle), welche von den ſich erſt in beträchtlicher Ferne erhebenden Bergen ganz unab— hängig zu ſein ſcheinen. Warum ſollte bei der fortſchreitenden Abkühlung der wärmeſtrahlenden oberen Erdſchichten, ehe noch iſolierte Berge oder ganze Bergketten ſich erhoben, die Ober— fläche nicht vielfach geſpalten worden ſein? Warum ſollten dieſe Spalten nicht feuerflüſſige, zu Gebirgsarten und Eruptionsgeſtein erhärtete Maſſen (Trachyte, Dolerite, Melaphyre, Perlſtein, Obſidian und Bimsſtein) ausgeſtoßen haben? Ein Teil dieſer urſprünglich horizontal gelagerten, in zähflüſſigem Zuſtande wie aus Erdequellen hervor— brechenden Trachyt⸗ oder Doleritſchichten iſt bei der ſpäteren Erhebung vulkaniſcher Kegel- und Glockenberge in eine ge— ſtürzte Lage geraten, in eine ſolche, welche den neueren, aus Feuerbergen entſpringenden Laven keineswegs ange— hört. So iſt, um zuerſt an ein europäiſches, ſehr bekanntes Beiſpiel zu erinnern, in dem Val del Bove am Aetna (einer Aushöhlung, die tief in das Innere des Berges einſchneidet) A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 13 — 194 — das Fallen der mit Geröllmaſſen ſehr regelmäßig alter— nierenden Lavaſchichten 25° bis 30“, während daß nach Elie de Beaumonts genauen Beſtimmungen die Lavaſtröme, welche die Oberfläche des Aetna bedecken, und ihm erſt ſeit ſeiner Erhebung als Berg entfloſſen ſind, in der Mittelzahl von 30 Strömen nur ein Gefälle von 3° bis 5° zeigen. Dieſe Verhältniſſe deuten hin auf das Daſein ſehr alter vulkaniſcher Formationen, auf Spalten ausgebrochen, vor der Bildung des Vulkanes als eines Feuerberges. Eine merkwürdige Er— ſcheinung derart bietet uns auch das Altertum dar, eine Erſcheinung, die ſich in einer weiten Ebene, in einem Gebiete zeigte, das von allen thätigen oder erloſchenen Vulkanen ent— fernt liegt, auf Euböa, dem jetzigen Negropont. „Die hef— tigen Erdſtöße, welche die Inſel teilweiſe erſchütterten, hörten nicht eher auf, bis ein in der Ebene von Lelantus geöff— neter Erdſchlund einen Strom glühenden Schlammes (Lava) ausſtieß.““ Sind, wie ich längſt zu vermuten geneigt bin, einer erſten Spaltung der tief erſchütterten Erdrinde, die älteſten, zum Teil auch gangausfüllenden Formationen des Eruptivp— geſteines (nach ſeiner mineraliſchen Zuſammenſetzung den neueren Laven oft vollkommen ähnlich) zuzuſchreiben, ſo müſſen ſowohl dieſe Spalten, wie die ſpäter entſtandenen, ſchon minder einfachen Erhebungskrater doch nur als vulka— niſche Ausbruchsöffnungen, nicht als Vulkane ſelbſt, betrachtet werden. Der Hauptcharakter von dieſen letzteren beſteht in einer permanenten oder wenigſtens von Zeit zu Zeit erneuerten Verbindung des tiefen Herdes mit der Atmo— ſphäre. Der Vulkan bedarf dazu eines eigenen Gerüſtes,““ denn, wie Seneca ſehr treffend in einem Briefe an den Luci— lius ſagt: „ignis in ipso monte non alimentum habet, sed viam.“ Die vulkaniſche Thätigkeit wirkt dann formgebend, geſtaltend durch Erhebung des Bodens; nicht, wie man ehemals allgemein und ausſchließend glaubte, aufbauend durch Anhäufung von Schlacken und ſich überlagernde neue Lavaſchichten. Der Widerſtand, welchen die in allzu großer Menge gegen die Oberfläche gedrängten feuerflüſſigen Maſſen in dem Ausbruchkanal finden, veranlaßt die Vermehrung der hebenden Kraft. Es entſteht eine „blaſenförmige Auf— treibung des Bodens“, wie dies durch die regelmäßige, nach außen gekehrte Abfallrichtung der gehobenen Boden— ſchichten bezeichnet wird. Eine minenartige Exploſion, die — 195 — Sprengung des mittleren und höchſten Teiles der konvexen Auftreibung des Bodens, erzeugt bald allein das, was Leo— pold von Buch einen Erhebungskrater!' genannt hat, d. h. eine kraterförmige, runde oder ovale Einſenkung, von einem Erhebungszirkus, einer ringförmigen, meiſt ſtellen— weiſe eingeriſſenen Umwallung, begrenzt, bald (wenn die Reliefſtruktur eines permanenten Vulkanes vervollſtändigt werden ſoll) in der Mitte des Erhebungskraters zugleich einen dom⸗ oder kegelförmigen Berg. Der letztere iſt dann meiſt an ſeinem Gipfel geöffnet und auf dem Boden dieſer Oeff— nung (des Kraters des permanenten Vulkans) erheben ſich vergängliche Auswurfs- und Schlackenhügel, kleine und große Eruptionskegel, welche beim Veſuv bisweilen die Kraterränder des Erhebungskegels weit überragen. Nicht immer haben ſich aber die Zeugen des erſten Ausbruches, die alten Gerüſte, wie ſie hier geſchildert werden, erhalten. Die hohe Felsmauer, welche die peripheriſche Umwallung (den Erhebungskrater) umgibt, iſt an vielen der mächtigſten und thätigſten Vulkane nicht einmal in einzelnen Trümmern zu erkennen. Es iſt ein großes Verdienſt der neueren Zeit, nicht bloß durch ſorgfältige Vergleichung weit voneinander entfernter Vulkane die einzelnen Verhältniſſe ihrer Geſtaltung genauer erforſcht, ſondern auch in die Sprachen beſtimmtere Ausdrücke eingeführt zu haben, wodurch das Ungleichartige in den Reliefteilen, wie in den Aeußerungen vulkaniſcher Thätig— keit getrennt wird. Iſt man nicht entſchieden allen Klaſſifi— kationen abhold, weil dieſelben in dem Beſtreben nach Ver— allgemeinerung noch immer nur auf unvollſtändigen Induktionen beruhen, ſo kann man ſich das Hervorbrechen von feuerflüſſigen Maſſen und feſten Stoffen, von Dämpfen und Gasarten be— gleitet, auf viererlei Weiſe vorſtellen. Von den einfachen zu den zuſammengeſetzten Erſcheinungen übergehend, nennen wir zuerſt Eruptionen auf Spalten, nicht einzelne Kegelreihen bildend, ſondern in gefloſſenem und zähem Zuſtande über— einander gelagerte vulkaniſche Gebirgsmaſſen erzeugend; zwei— | tens Ausbrüche durch Aufſchüttungskegel ohne Um— | wallung und doch Lavaſtröme ergießend, wie fünf Jahre lang bei der Verwüſtung der Inſel Lancerote in der erſten Hälfte des verfloſſenen Jahrhunderts; drittens Erhebungskrater mit gehobenen Schichten, ohne Centralkegel, Lavaſtröme nur an der äußeren Seite der Umwallung, nie aus dem Inneren, — das früh ſich durch Einſturz verſchließt, ausſendend; viertens geſchloſſene Glockenberge oder an der Spitze geöffnete Er- hebungskegel, entweder mit einem wenigſtens teilweiſe. erhaltenen Zirkus umgeben, wie am Pik von Tenerifa, in Fogo und Rocca Monfina, oder ganz ohne Umwallung und ohne Erhebungskrater, wie in Island, in den Kordilleren von Quito und dem mittleren Teile von Mexiko. Die offenen Erhebungskegel dieſer vierten Klaſſe bewahren eine per- manente, in unbeſtimmten Zeiträumen mehr oder weniger thätige Verbindung zwiſchen dem feurig-heißen Erdinneren und dem Luftkreiſe. Der an dem Gipfel verſchloſſen geblie— benen dom- und glockenförmigen Trachyt- und Doleritberge ſcheint es nach meinen Beobachtungen mehr als der offenen, noch thätigen oder erloſchenen Kegel, weit mehr als der eigent— lichen Vulkane zu geben. Dom und glockenartige Bergformen, wie der Chimborazo, Puy de Dome, Sarcouy, Rocca Mon- fina und Vultur, verleihen der Landſchaft einen eigenen Cha— rakter, durch welchen ſie mit den Schieferhörnern oder den zadigen Formen des Kalkgeſteines anmutig kontraſtieren. In der uns bei Ovid „in anſchaulicher Darſtellung“ auf— bewahrten Tradition über das große vulkaniſche Naturereignis auf der Halbinſel Methone iſt die Entſtehung einer ſolchen Glockenform, die eines uneröffneten Berges, mit metho- diſcher Deutlichkeit bezeichnet. „Die Gewalt der in finſteren Erdhöhlen eingekerkerten Winde treibt, eine Oeffnung ver— gebens ſuchend, den geſpannken Erdboden auf (extentam tumefecit 5 wie wenn man eine Blaſe oder einen Schlauch mit Luft anfüllt. Die hohe Anſchwellung hat ſich durch langſame Erhärtung in der Geſtalt eines Hügels erhalten.“ Ich habe ſchon an einem anderen Orte daran er⸗ innert, wie ganz verſchieden dieſe römiſche Darſtellung von der Ariſtoteliſchen Erzählung des vulkaniſchen Ereigniſſes auf Hiera, einer neu entſtandenen äoliſchen (lipariſchen) Inſel, iſt, in welchem „der unterirdiſche, mächtig treibende Hauch zwar ebenfalls einen Hügel erhebt, ihn aber ſpäter zum Erguß eines feurigen Aſchenregens aufbricht“. Die Erhebung wird hier beſtimmt als dem ae: vorhergehend ge— ſchildert (Kosmos Bd. 1, S. 313). Nach Strabo hatte der aufgeſtiegene domförmige Huge von Methona ſich ebenfalls in feuriger Eruption geöffnet, bei deren Ende ſich nächtlich ein Wohlgeruch verbreitete. Letzterer war, was ſehr auf: fallend iſt, unter ganz ähnlichen Verhältniſſen bei dem vul⸗ — 197 — kaniſchen Ausbruche von Santorin im Herbſte 1650 bemerkt, und in der bald darauf von einem Mönche gehaltenen und aufgeſchriebenen Bußpredigt „ein tröſtendes Zeichen“ genannt worden, „daß Gott ſeine Herde noch nicht verderben wolle“. ““ Sollte dieſer Wohlgeruch nicht auf Naphtha deuten? Es wird desſelben ebenfalls von Kotzebue in ſeiner ruſſiſchen Ent— deckungsreiſe gedacht, bei Gelegenheit eines Feuerausbruches (1804) des aus dem Meere aufgeſtiegenen neuen Inſelvulkanes Umnack im Aleutiſchen Archipel. Bei dem großen Ausbruche des Veſuvs am 12. Auguſt 1805, den ich mit Gay-Luſſac beobachtete, fand letzterer einen bituminöſen Geruch im ent— zündeten Krater zuzeiten vorherrſchend. Ich ſtelle dieſe wenig beachteten Thatſachen zuſammen, weil ſie beitragen, die enge Verkettung aller Aeußerung vulkaniſcher Thätigkeit, die Verkettung der ſchwachen Salſen und Naphthaquellen mit den wirklichen Vulkanen zu bewähren. Ummallungen, denen der Erhebungskrater analog, zeigen ſich auch in Gebirgsarten, die von Trachyt, Baſalt und Porphyrſchiefer ſehr verſchieden ſind, z. B. nach Elie de Beau— monts ſcharfſinniger Auffaſſung im Granit der franzöſiſchen Alpenkette. Die Bergmaſſe von Oiſons, zu welcher der höchite‘? Gipfel von Frankreich, der Mont Pelvoux bei Briancon (12 109 Fuß = 3933 m) gehört, bildet einen Zirkus von acht geogr. Meilen (60 km) Umfang, in deſſen Mitte das kleine Dorf de la Berarde liegt. Die ſteilen Wände des Zirkus ſteigen über 9000 Fuß (2920 m) hoch an. Die Umwal— lung ſelbſt iſt Gneis, alles Innere iſt Granit. In den Schweizer und Savoyer Alpen zeigt ſich in kleinen Dimen— ſionen mehrfach dieſelbe Geſtaltung. Das Grand-Plateau des Montblanc, in welchem Bravais und Martins mehrere Tage kampiert haben, iſt ein geſchloſſener Zirkus mit faſt ebenem Boden mit 12020 Fuß (3905 m) Höhe, ein Zirkus, aus dem ſich die koloſſale Gipfelpyramide erhebt. Dieſelben hebenden Kräfte bringen, doch durch die Zuſammenſetzung der Gebirgs— arten modifiziert, ähnliche Formen hervor. Auch die von Hoffmann, Buckland, Murchiſon und Thurmann beſchriebenen Ring: und Keſſelthäler (valleys of elevation) im Se: dimentgeſtein des nördlichen Deutſchlands, in Herefordſhire und dem Juragebirge von Porrentruy hängen mit den hier be— ſchriebenen Erſcheinungen zuſammen, wie, doch in geringerem Maße der Analogie, einige von allen Seiten durch Berg— maſſen eingeſchloſſene Hochebenen der Kordilleren, — 198 — in denen die Städte Caxamarca (8784 Fuß = 2853 m), Bogota (8190 Fuß —= 2660 m) und Mexiko (7008 Fuß — 2276 m) liegen, wie im Himalaya das Keſſelthal von Kaſchmir (5460 Fuß = 1774 m). Minder mit den Erhebungskratern verwandt als mit der oben geſchilderten einfachſten Form vulkaniſcher Thä— tigkeit (der Wirkung aus bloßen Spalten) ſind unter den er— loſchenen Vulkanen der Eifel die zahlreichen Maare, keſſelförmige Einſenkungen in nicht vulkaniſchem Geſtein (de— voniſchem Schiefer) und von wenig erhabenen Rändern um⸗ geben, die ſie ſelbſt gebildet. „Es ſind gleichſam Minen— trichter, Zeugen minenartiger Ausbrüche,“ welche an das von mir beſchriebene ſonderbare Phänomen der bei dem Erd— beben von Riobamba (4. Februar 1797) auf den Hügel de la Culcas“ geſchleuderten menſchlichen Gebeine erinnern. Wenn einzelne nicht ſehr hoch liegende Maare, in der Eifel, in der Auvergne, oder auf Java, mit Waſſer gefüllt ſind, ſo mögen in dieſem Zuſtande ſolche ehemalige Exploſions— krater mit dem Namen crateres-lacs belegt werden, aber als eine ſynonyme Benennung für Maar ſollte das Wort, glaube ich, nicht im allgemeinen genommen werden, da auf den Gipfeln der höchſten Vulkane, auf wahren Erhebungs— kegeln, in erloſchenen Kratern, z. B. auf dem mexikaniſchen Vulkan von Toluca in 11490 Fuß (3732 m) und auf dem kaukaſiſchen Elbrus in 18 500 Fuß (6010 m) Höhe, kleine Seen von mir und Abich gefunden worden ſind. Man muß bei den Eifeler Vulkanen zwei Arten der vulkaniſchen Thätigkeit, ſehr ungleichen Alters, ſorgfältig voneinander unter— ſcheiden: die Lavaſtröme entſendenden eigentlichen Vul— kane und die ſchwächeren Ausbruchsphänomene der Maare. Zu den erſteren gehören: der baſaltiſche, olivinreiche, in auf— recht ſtehende Säulen geſpaltene Lavaſtrom im Uesbachthale bei Bertrich, der Vulkan von Gerolſtein, welcher in einem Dolomit enthaltenden, den devoniſchen Grauwackenſchiefern muldenförmig eingelagerten Kalkſtein ſeinen Sitz hat, und der lange Rücken des Moſenberges (1645 Fuß = 532 m über dem Meere) unweit Bettenfeld, weſtlich von Manderſcheid. Der letztgenannte Vulkan hat drei Krater, deren erſter und zweiter, die nördlichſten, vollkommen rund und auf dem Boden mit Torfmooren bedeckt find, während aus dem dritten, ſüdlichſten Krater ein mächtiger, rötlichbrauner, tiefer gegen das Thal der kleinen Kyll hin ſäulenförmig abgeſonderter Lavaſtrom — 199 — herabfließt. Eine merkwürdige, lavagebenden Vulkanen im allgemeinen fremdartige Erſcheinung iſt es, daß weder am Moſenberge, noch am Gerolſtein, noch in anderen eigentlichen Vulkanen der Eifel die Lavaausbrüche an ihrem Urſprunge von einer trachytiſchen Gebirgsart ſichtbar umgeben ſind, ſon— dern, ſoweit ſie der Beobachtung zugänglich werden, unmittel— bar aus den devoniſchen Schichten hervorkommen. Die Ober— fläche des Moſenberges bezeugt gar nicht, was in der Tiefe verborgen iſt. Die augithaltigen Schlacken, welche zuſammen— hängend in Baſaltſtröme übergehen, enthalten kleine, gebrannte Schieferſtücke, aber keine Spur von eingeſchloſſenem Trachyt. Die letzteren Einſchlüſſe ſind auch nicht zu finden am Krater des Rodderberges, der doch der größten Trachytmaſſe der Rheingegend, dem Siebengebirge, ſo nahe iſt. „Die Maare ſcheinen,“ wie der Berghauptmann von Dechen ſcharfſinnig bemerkt, „in ihrer Bildung ziemlich derſelben Epoche anzugehören, als die Ausbrüche der Lavaſtröme, der eigent— lichen Vulkane. Beide liegen in der Nähe tiefeingeſchnittener Thäler. Die lavagebenden Vulkane waren entſchieden zu einer Zeit thätig, als die Thäler bereits ſehr nahe ihre heutige Form erhalten hatten, auch ſieht man die älteſten Lavaſtröme dieſes Gebietes in die Thäler herabſtürzen.“ Die Maare ſind von Fragmenten devoniſcher Schiefer und von aufgeſchüttetem grauem Sande und Tuffrändern umgeben. Der Laacher See, man mag ihn nun als ein großes Maar oder, wie mein viel— jähriger Freund C. von Oeynhauſen (gleich dem Becken von Wehr) als Teil eines großen Keſſelthales im Thonſchiefer be— trachten, zeigt an dem ihn umgebenden Kranze einige vulkaniſche Schlackenausbrüche, ſo am Krufter Ofen, am Veitskopf und Laacher Kopf. Es iſt aber nicht bloß der gänzliche Mangel von Lavaſtrömen, wie ſie an dem äußeren Rande wirklicher Erhebungskrater oder ganz in ihrer Nähe auf den Kana— riſchen Inſeln zu beobachten ſind, es iſt nicht die unbedeutende Höhe des Kranzes, der die Maare umgibt, welche dieſelben von den Erhebungskratern unterſcheiden, es fehlt den Rändern der Maare eine regelmäßige, als Folge der Hebung ſtets nach außen abfallende Geſteinsſchichtung. Die in den devoniſchen Schiefer eingeſenkten Maare erſcheinen, wie ſchon oben bemerkt, als Minentrichter, in welche nach der gewalt— ſamen Exploſion von heißen Gasarten und Dämpfen die aus— geſtoßenen lockeren Maſſen (Rapilli) größtenteils zurückgefallen ſind. Ich nenne hier beiſpielsweiſe nur das Immerather, das 5 ͤ — — — — — — 200 — Pulver- und Meerfelder Maar. In der Mitte des erſteren, deſſen trockener Boden in 200 Fuß (65 m) Tiefe kultiviert wird, liegen die beiden Dörfer Ober- und Unter⸗Immerath. Hier finden ſich in dem vulkaniſchen Tuff der Umgebung, ganz wie am Laacher See, Gemenge von Feldſpat und Augit als Kugeln, in welche Teilchen von ſchwarzem und grünem Glaſe eingeſprengt ſind. Aehnliche Kugeln von Glimmer, Hornblende und Augit, voll von Verglaſungen, enthalten auch die Tuffkränze des Pulvermaares bei Gillenfeld, das aber gänzlich in einen tiefen See umgewandelt iſt. Das regel: mäßig runde, teils mit Waſſer, teils mit Torf bedeckte Meer: felder Maar zeichnet ſich ſo geognoſtiſch durch die Nähe der drei Krater des großen Moſenberges aus, deren ſüdlichſter einen Lavaſtrom gegeben hat. Das Maar liegt jedoch 600 Fuß (195 m) tiefer, als der lange Rücken des Vulkanes und an ſeinem nördlichen Ende, auch nicht in der Achſe der Krater: reihe, mehr in Nordweſten. Die mittlere Höhe der Eifeler Maare über der Meeresfläche fällt zwiſchen 865 Fuß — 281 m (Laacher See?) und 1490 Fuß = 584 m (Moos- brucher Maar). Da hier beſonders der Ort iſt, darauf aufmerkſam zu machen, wie gleichmäßig und übereinſtimmend in der jtoff: artig produzierenden Wirkſamkeit die vulkaniſche Thätigkeit ſich bei den verſchiedenſten Formen des äußerſten Gerüſtes (als Maaren, als umwallten Erhebungskratern, oder am Gipfel geöffneten Kegeln) zeigt, ſo erwähne ich der auffallen— den Reichhaltigkeit von kriſtalliſirten Mineralien, welche die Maare bei ihrer erſten Exploſion ausgeſtoßen haben und die jetzt zum Teil in den Tuffen vergraben liegen. In der Umgegend des Laacher Sees iſt dieſe Reichhaltigkeit allerdings am größten; aber auch andere Maare, z. B. das Immerather und das an Olivinkugeln reiche Meerfelder enthalten aus: gezeichnete kriſtalliniſche Maſſen. Wir nennen hier: Zirkon, Hauyn, Leuzit,’! Apatit, Roſean, Olivin, Augit, Rhyakolith, gemeinen Feldſpat (Orthoklas), glaſigen Feldſpat (Sanidin), Glimmer, Sodalit, Granat und Titaneiſen. Wenn die Zahl der ſchönen kriſtalliſirten Mineralien am Veſuv jo vielmal größer iſt (Scacchi zählt deren 43 Arten), ſo darf man nicht vergeſſen, daß ſehr wenige derſelben vom Veſuv ausgeſtoßen werden, und daß die größere Zahl dem Teile der ſogenannten Auswürflinge des Veſuvs angehört, die nach Leopold von Buchs Meinung’? „dem Veſuv gänzlich fremd, einer — 201 — weit über Capua hinaus verbreiteten Tuffbedeckung beizuzählen find, welche von dem aufſteigenden Kegel des Veſuvs mit emporgehoben wurde und wahrſcheinlich das Erzeugnis einer ſubmarinen, tief im Inneren verborgenen, vulkaniſchen Wir— kung geweſen iſt“. Gewiſſe beſtimmte Richtungen der verſchiedenartigen Er— ſcheinungen vulkaniſcher Thätigkeit ſind auch in der Eifel nicht zu verkennen. „Die Lavaſtröme erzeugenden Ausbrüche der hohen Eifel liegen auf einer Spalte, faſt 7 Meilen (52 km) lang, von Bertrich bis zum Goldberg bei Ormond, von Südoſt nach Nordweſt gerichtet; dagegen folgen die Maare von dem Meerfelder an bis Mosbruch und zum Laacher See hin einer Richtungslinie von Südweſt gegen Nordoſt. Die beiden angegebenen Hauptrichtungen ſchneiden ſich in den drei Maaren von Daun. In der Umgegend des Laacher Sees iſt nirgends Trachyt an der Oberfläche ſichtbar. Auf das Vorkommen dieſer Gebirgsart in der Tiefe weiſen nur hin die eigentümliche Natur des ganz feldſpatartigen Laacher Bimsſteines, wie die ausgeworfenen Bomben von Augit und Feldſpat. Sichtbar ſind aber Eifeler Trachyte, aus Feldſpat und großen Hornblendekriſtallen zuſammen— geſetzt, nur zwiſchen Baſaltberge verteilt, ſo im Sellberg (1776 Fuß = 577 m) bei Quiddelbach, in der Anhöhe von Struth bei Kelberg und in dem wallartigen Bergzuge von Reimerath bei Boos.“ Nächſt den lipariſchen und Ponzainſeln haben wohl wenige Teile von Europa eine größere Maſſe von Bimsſtein hervor— gebracht, als dieſe Gegend Deutſchlands, welche bei verhältnis— mäßig geringer Erhebung ſo verſchiedene Formen vulkaniſcher Thätigkeit in Maaren (crateres d’explosion), Baſaltbergen und Lava ausſtoßenden Vulkanen darbietet. Die Hauptmaſſe des Bimsſteines liegt zwiſchen Nieder-Mendig und Sorge, Andernach und Rübenach; die Hauptmaſſe des Duckſteines oder Traß (eines durch Waſſer abgeſetzten, ſehr neuen Konglo— merates) liegt im Brohlthale, von ſeiner Mündung in den Rhein aufwärts bis Burgbrohl, bei Plaidt und Kruft. Die Traßformation des Brohlthales enthält, neben Fragmenten von Grauwackenſchiefer und Holzſtücken, Bimsſteinbrocken, die ſich durch nichts von dem Bimsſtein unterſcheiden, welcher die oberflächliche Bedeckung der Gegend, ja auch die des Duck— ſteines ſelbſt ausmacht. Ich habe immer, trotz einiger Ana— logieen, welche die Kordilleren darzubieten ſcheinen daran gezweifelt, daß man den Traß Schlammausbrüchen aus Lava gebenden Eifeler Vulkanen zuſchreiben könne. Ich ver⸗ mute vielmehr mit H. von Dechen, daß der Bimsſtein trocken ausgeworfen wurde, und daß der Traß ſich nach Art anderer Konglomerate bildete. „Der Bimsſtein iſt dem Sieben— gebirge fremd, und der große Bimsſteinausbruch der Eifel, deſſen Hauptmaſſe noch über dem Löß liegt und in einzelnen Teilen mit demſelben abwechſelt, mag, nach der Vermutung, zu welcher die Lokalverhältniſſe führen, im Rheinthale ober— halb Neuwied, in dem großen Neuwieder Becken, vielleicht nahe bei Urmits auf der linken Seite des Rheins ſtattgefunden haben. Bei der Zerreiblichkeit des Stoffes mag die Aus— bruchſtelle durch die ſpätere Einwirkung des Rheinſtromes ſpurlos verſchwunden ſein. In dem ganzen Striche der Eifeler Maare wie in dem der Eifeler Vulkane von Bertrich bis Ormond wird kein Bimsſtein gefunden. Der des Laacher Sees iſt auf deſſen Randgebirge beſchränkt, und an den übrigen Maaren gehen die kleinen Stücke von Feldſpat— geſtein, die im vulkaniſchen Sande und Tuff liegen, nicht in Bimsſtein über.“ Wir haben bereits oben die Altersverhältniſſe der Maare und der von ihnen ſo verſchiedenen Ausbrüche der Lavaſtröme zu der Thalbildung berührt. „Der Trachyt des Sieben— gebirges ſcheint viel älter als die Thalbildung, ſogar älter als die rheiniſche Braunkohle. Sein Hervortreten iſt der Aufreißung des Rheinthales fremd geweſen, ſelbſt wenn man dieſes Thal einer Spaltenbildung zuſchreiben wollte. Die Thalbildung iſt weſentlich jünger als die rheiniſche Braun: kohle, jünger als der meiſte rheiniſche Baſalt, dagegen älter als die vulkaniſchen Ausbrüche mit Lavaſtrömen, älter als der große Bimsſteinausbruch und der Traß. Baſaltbildungen reichen beſtimmt bis in eine jüngere Zeit hinein als die Trachytbildung, und die Hauptmaſſe des Baſaltes iſt daher für jünger als der Trachyt anzuſehen. An den jetzigen Ge— hängen des Rheinthales wurden viele Baſaltgruppen (Unkeler Steinbruch, Rolandseck, Godesberg) erſt durch die Thaleröff— nung bloßgelegt, da ſie wahrſcheinlich bis dahin im devoniſchen Grauwackengebirge eingeſchloſſen waren.“ Die Infuſorien, deren durch Ehrenberg erwieſene, ſo allgemeine Verbreitung auf den Kontinenten, in den größten Tiefen des Meeres wie in den hohen Schichten des Luft— kreiſes zu den glänzendſten Entdeckungen unſeres Zeitalters 8 — 203 — gehört, haben in der vulkaniſchen Eifel ihren Hauptſitz in den Rapillen, Traßſchichten und Bimsſteinkonglomeraten. Kieſel— ſchalige Organismen füllen das Brohlthal und die Auswürf— linge von Hochſimmern; bisweilen ſind ſie im Traß mit un— verkohlten Zweigen von Koniferen vermengt. Dies ganze kleine Leben it nach Ehrenberg ein Süßwaſſergebilde, und nur ausnahmsweiſe zeigen ſich in der oberſten Ablagerung von dem zerreiblichen, gelblichen Löß am Fuße und an den Abhängen des Siebengebirges (auf die brakiſche vormalige Küſtennatur hindeutend) Polythalamien des Meeres.“ Iſt das Phänomen der Maare auf das weſtliche Deutſch— land beſchränkt? Graf Montloſier, der die Eifel durch eigene Beobachtungen von 1819 kannte und den Moſenberg für einen der ſchönſten Vulkane erkennt, den er je geſehen, zählt (wie Rozet) zu den Maaren oder Exploſionskratern den Gouffre de Tazenat, den Lac Pavir und Lac de la Godivel in der Auvergne. Sie ſind in ſehr verſchiedenartigen Gebirgsarten, in Granit, Baſalt und Domit (Trachytgeſtein), eingeſchnitten, an den Rändern mit Schlacken und Rapilli umgeben.“ Die Gerüſte, welche eine mächtigere Ausbruchthätigkeit der Vulkane durch Hebung des Bodens und Lavaerguß auf: baut, erſcheinen wenigſtens in ſechsfacher Geſtalt, und kehren in der Verſchiedenheit dieſer Geſtaltung in den entfernteſten Zonen der Erde wieder. Wer in vulkaniſchen Gegenden zwi— ſchen Baſalt⸗ und Trachytbergen geboren iſt, fühlt ſich oft heimiſch da, wo dieſelben Geſtalten ihn anlächeln. Berg— formen gehören zu den wichtigſten beſtimmenden Elementen der Phyſiognomik der Natur; fie geben der Gegend, je nachdem ſie ſich mit Vegetation geſchmückt oder in öder Nackt— heit erheben, einen fröhlichen oder einen ernſten, großartigen Charakter. Ich habe ganz neuerlich verſucht, in einem be— ſonderen Atlas eine Zahl von Umriſſen der Kordilleren von Quito und Mexiko, nach eigenen Zeichnungen entworfen, nebeneinander zu ſtellen. Wie der Baſalt bald in kegel— förmigen, am Gipfel etwas abgerundeten Kuppen, bald als nahe aneinander gereihte Zwillingsberge von ungleicher Höhe, bald als ein langer horizontaler Rücken, von einer höheren Kuppe an jeglichem Ende begrenzt, auftritt, ſo unterſcheidet man vorzugsweiſe im Trachyt die majeſtätiſche Domform (Chimborazo, 20 100 Fuß S 6529 m, neueren Meſſungen nach aber nur 6310 m), welche nicht mit der Form ebenfalls ungeöffneter, aber ſchlankerer Glockenberge zu verwechſeln — 204 — iſt. Die Kegelgeſtalt iſt am vollkommenſten im Cotopaxi (17712 Fuß = 5943 m) ausgeprägt, nächſtdem im Popo⸗ catepetl ' (16632 Fuß — 5420 m), wie er am ſchönen Ufer des Sees von Tezcuco oder von der Höhe der altmexikaniſchen Treppenpyramide von Cholula geſehen wird, und im Vulkan von Orizaba (16302 Fuß, nach Ferrer 16776 Fuß = 5450 m). Eine ſtark abgeſtumpfte Kegelform zeigt der Nevado de Cayambe-Urca (18170 Fuß S 5902 m), den der Aequator durchſchneidet, wie der Vulkan von Tolima (17010 Fuß S 5584 m) am Fuße des Paramo de Quindiu, bei dem Städtchen Ibague, über dem Urwalde ſichtbar. Einen langgeſtreckten Rücken bildet zum Erſtaunen des Geognoſten der Vulkan von Pichincha (14910 Fuß —= 4787 m), an deſſen einem wenig höheren Ende der weite, noch entzündete Krater liegt. Durch große Naturbegebenheiten veranlaßte Einſtürze von Kraterwänden oder Zerreißung derſelben durch minenartige Exploſion aus dem tiefen Inneren bringen in Kegelbergen ſonderbare und kontraſtierende Formen hervor: ſo die Spaltung in Doppelpyramiden von mehr oder minder regelmäßiger Art bei dem Carguairazo (14700 Fuß S 4774 m), plötzlich eingeſtürzt in der Nacht vom 19. Juli 1698, und bei den ſchönen Pyramiden von Iliniſſa (16362 Fuß = 5300 m); ſo eine Krenelierung der oberen Kraterwände, bei welcher zwei ſehr gleichartige, gegeneinander anſtrebende Hörner die primitive, vormalige Form ahnen laſſen (Capac-Urcu, Cerro del Altar, jetzt nur von 16380 Fuß = 5320 m) Höhe. Es hat ſich unter den Eingeborenen des Hochlandes von Quito, zwiſchen Chambo und Lican, zwiſchen den Gebirgen von Con— doraſto und Cuvillan, allgemein die Sage erhalten, daß der Gipfel des hier zuletzt genannten Vulkans 14 Jahre vor dem Einfall von Huayna Capac, dem Sohne des Inca Tupac Jupanqui, nach Ausbrüchen, die ununterbrochen 7 bis 8 Jahre dauerten, eingeſtürzt ſei und das ganze Plateau, in welchem Neu-Riobamba liegt, mit Bimsſtein und vulkaniſcher Aſche be: deckt habe. Der Vulkan, urſprünglich höher als der Chim: borazo, wurde in der Inca- oder Quichuaſprache capac, der König oder Fürſt der Berge (urcu) genannt, weil die Ein: geborenen feinen Gipfel ſich mehr über die untere Schnee: grenze erheben ſahen als bei irgend einem anderen Berge der Umgegend.“ Der große Ararat, deſſen Gipfel (16026 Fuß — 5206 m) Friedrich Parrot im Jahre 1829, Abich und Chodzko in den Jahren 1845 und 1850 erreicht haben, bildet, — 205 — wie der Chimborazo einen ungeöffneten Dom. Seine mächtigen Lavaſtröme ſind tief unterhalb der Schneegrenze ausgebrochen. Ein wichtiger Charakter in der Geſtaltung des Ararat iſt ein Seitenſchlund, der tiefe Ausſchnitt des Jakobs— thales, das man mit dem Val del Bove des Aetna ver: gleichen kann. In demſelben wird, nach Abichs Beobachtung, erſt recht eigentlich die innere Struktur von dem Kerne des trachytiſchen Glockenberges ſichtbar, da dieſer Kern und die Erhebung des ganzen Ararats um vieles älter ſind als die Lavaſtröme. Der Kasbek und Tſchegem, welche auf dem— ſelben kaukaſiſchen Hauptbergrücken (OSO bis WNW) aus: gebrochen ſind als der Elbrus (18 500 Fuß = 6009 m), ſind ebenfalls Kegel ohne Gipfelkrater, während der koloſſale El— brus auf ſeinem Gipfel einen Kraterſee trägt. Da Kegel⸗ und Domformen in allen Weltgegenden bei weitem die häufigſten ſind, ſo iſt, wie vereinzelt in der Gruppe der Vulkane von Quito, um deſto merkwürdiger der lange Rücken des Vulkanes von Pichincha. Ich habe mich mit ſeiner Geſtaltung lange und ſorgfältig beſchäftigt, und neben ſeiner auf viele Winkelmeſſungen gegründeten Profil— anſicht auch eine topographiſche Skizze ſeiner Querthäler ver- öffentlicht. Pichincha bildet eine über 2 geographiſche Meilen (15 km) lange Mauer von ſchwarzem Trachytgeſtein (zu- ſammengeſetzt aus Augit und Oligoklas), auf einer Spalte in der weſtlichſten, der Südſee nahen Kordillere gehoben, ohne daß die Achſe des hohen Bergrückens mit der der Kordillere der Richtung nach zuſammentrifft. Auf dem Rücken der Mauer folgen, kaſtellartig aufgeſetzt, von SW gen NO die drei Kuppen: Cuntur⸗guachana, Guagua⸗-Pichincha (das Kind des alten Vulkanes) und el Picacho de los Ladrillos. Der eigentliche Feuerberg (Vulkan) wird der Vater oder Alte, Rucu⸗Pichincha, genannt. Er iſt der einzige Teil des langen Bergrückens, welcher in die ewige Schneeregion reicht, alſo ſich zu einer Höhe erhebt, welche die Kuppe von Guagua— ichincha, dem Kinde, etwa um 180 Fuß (58,5 m) überſteigt. Drei turmartige Felſen umgeben den ovalen Krater, der etwas ſüdweſtlicher, alſo außerhalb der Achſenrichtung einer im Mittel 14706 Fuß (4787 m) hohen Mauer liegt. Ich bin auf den öſtlichſten Felsturm im Frühjahre 1802 allein mit dem In⸗ dianer Felipe Aldas gelangt. Wir ſtanden dort am äußerſten Kraterrande, ungefähr 2300 Fuß (747 m) hoch über dem Boden des entzündeten Schlundes. Sebaſtian Wiſſe, welchem während feines langen Aufenthaltes in Quito die phyfifali- ſchen Wiſſenſchaften ſo viele intereſſante Beobachtungen ver— danken, hat die Kühnheit gehabt, im Jahre 1845 mehrere Nächte in einem Teile des Kraters von Ruer⸗-Pichincha zu- zubringen, wo das Thermometer gegen Sonnenaufgang 2“ unter den Nullpunkt fiel. Der Krater iſt durch einen mit verglaſten Schlacken bedeckten Felskamm in zwei Teile geteilt. Der öſtliche liegt über tauſend Fuß tiefer als der weſtliche, und iſt jetzt der eigentliche Sitz vulkaniſcher Thätigkeit. Dort erhebt ſich ein Auswurfskegel von 250 Fuß (81 m) Höhe. Er wird von mehr als 70 entzündeten, Schwefeldampf aus— ſtoßenden Fumarolen umgeben. Aus dieſem kreisrunden, öſt— lichen Krater, der jetzt an den minder warmen Stellen mit Stauden ſchilfartiger Gräſer und einer bromelienblättrigen Pourretia bedeckt iſt, ſind wahrſcheinlich die feurigen Schladen-, Bimsſtein- und Aſchenauswürfe des Rucu-Pichincha von 1539, 1560, 1566, 1577, 1580 und 1660 erfolgt. Die Stadt Quito war damals oft tagelang durch die fallenden ſtaubartigen Rapilli in tiefe Finſternis gehüllt. Zu der ſelteneren Geſtaltungsklaſſe der Vulkane, welche langgeſtreckte Rücken bilden, gehören in der Alten Welt: der Galungung, mit einem großen Krater, im weſtlichen Teile von Java, die Doleritmaſſe des Schiwelutſch auf Kamt— ſchatka, eines Kettengebirges, auf deſſen Kamme ſich einzelne Kuppen bis zu der Höhe von 9540 Fuß (3096 m) erheben, der Hekla, von der Nordweſtſeite, in normaler Richtung auf die Haupt- und Längenſpalte geſehen, über der er hervor— gebrochen iſt, als ein breiter, mit verſchiedenen kleinen Hörnern verſehener Gebirgszug. Seit den letzten Eruptionen von 1845 und 1846, die einen Lavaſtrom von 2 geogr. Meilen (15 km) Länge und an einigen Stellen von ½ Meile (3,7 km) Breite, dem Aetnaſtrome von 1669 vergleichbar, gegeben haben, liegen auf dem Rücken des Hekla in einer Reihe fünf keſſelförmige Krater. Da die Hauptſpalte Nord 65“ Oſt gerichtet iſt, ſo erſcheint der Vulkan, von Selſundsfjäll, d. h. von der Süd⸗ weſtſeite, alſo im Querſchnitt geſehen, als ein ſpitziger Kegelberg. Wie die Geſtalten der Feuerberge ſo auffallend verſchieden ſind (Cotopaxi und Pichincha), ohne daß die ausgeſtoßenen Stoffe und die chemiſchen Prozeſſe des tiefen Inneren ſich ändern, ſo iſt die relative Stellung der Erhebungskegel bis— weilen noch ſonderbarer. Auf Luzon, in der Inſelgruppe der — 207 — Philippinen, erhebt ſich der noch thätige Vulkan von Taal, deſſen zerſtörendſter Ausbruch der vom Jahre 1754 war, mitten in einem von Krokodilen bewohnten großen See (Laguna de Bombon genannt). Der Kegel, der auf der Kotze— bueſchen Entdeckungsreiſe erſtiegen ward, hat einen Kraterſee, aus welchem wiederum ein Ausbruchkegel mit einem zweiten Krater aufſteigt. Dieſe Beſchreibung erinnert unwillkürlich an Hannos Reiſejournal, in dem einer Inſel gedacht wird, einen kleinen See einſchließend, aus deſſen Mitte ſich eine zweite Inſel erhebt. Das Phänomen ſoll zweimal vorkommen, einmal im Golf des weſtlichen Hornes, und dann in der Bai der Gorillasaffen, an der weſtafrikaniſchen Küſte. So individuelle Schilderungen möchte man auf wirkliche Natur: beobachtung gegründet glauben! Die kleinſte und größte Höhe der Punkte, in denen die vulkaniſche Thätigkeit des Inneren der Erde ſich an der Ober- fläche permanent wirkſam zeigt, iſt eine hypſometriſche Be⸗ trachtung, die für die phyſiſche Erdbeſchreibung das Intereſſe gewährt, welches allen ſich auf die Reaktion des flüſſigen Inneren der Planeten gegen ihre Oberfläche beziehenden That— ſachen eigen iſt. Das Maß der hebenden Kraft offenbart ſich allerdings in der Höhe vulkaniſcher Kegelberge, aber über den Einfluß der Höhenverhältniſſe auf Frequenz und Stärke der Ausbrüche iſt nur mit vieler Vorſicht ein Ur- teil zu fällen. Einzelne Kontraſte gleichartiger Wirkungen in Frequenz und Stärke bei ſehr hohen oder ſehr niedrigen Vul— kanen können hier nicht entſcheiden, und von den mehreren Hunderten thätiger Vulkane, welche man auf den Kontinenten und den Inſeln vorausſetzt, iſt die Kenntnis noch ſo überaus unvollſtändig, daß die einzig entſcheidende Methode, die der Mittelzahlen, noch nicht angewendet werden kann. Auch würden ſolche Mittelzahlen, wenn ſie das beſtimmte Reſultat geben ſollten, in welcher Höhenklaſſe der Erhebungskegel ſich eine ſchnellere Wiederkehr der Eruptionen offenbare, noch immer Raum zu dem Zweifel übrig laſſen, daß neben der Höhe, d. h. der Entfernung von dem vulkaniſchen Herde, die unberechenbaren Zufälligkeiten in dem ſich ſchwerer oder leichter verſtopfenden Spaltennetze wirken. Das Phänomen iſt alſo in Hinſicht auf den Kauſalzuſammenhang ein unbe— ſtimmtes. Vorſichtig bei dem Thatſächlichen verweilend, da wo die Komplikation der Naturerſcheinungen und der Mangel der hiſtoriſchen Nachrichten über die Zahl der Ausbrüche im Laufe der Jahrhunderte das Auffinden des Geſetzlichen noch nicht erlaubt haben, begnüge ich mich, für die vergleichende Hypſo— metrie der Vulkane fünf Gruppen aufzuſtellen, in denen die Höhenklaſſen durch eine kleine aber ſichere Zahl von Beiſpielen charakteriſiert ſind. Ich habe in dieſen 5 Gruppen nur iſoliert ſich erhebende, mit noch entzündeten Gipfel— kratern verſehene Kegelberge aufgeführt, alſo eigentliche, jetzt noch thätige Vulkane, nicht ungeöffnete Glockenberge, wie der Chimborazo. Alle Eruptionskegel, die von einem nahen Vulkan abhängig ſind oder, fern von demſelben, wie auf der Inſel Lancerote und im Arſo am Epomeo auf Ischia keinen permanenten Zuſammenhang des Inneren mit dem Luftkreiſe bewahrt haben, bleiben hier ausgeſchloſſen. Nach dem Zeugnis des eifrigſten Forſchers über die Vulkanizität des Aetna, Sar— torius von Waltershauſen, wird dieſer Vulkan von faſt 700 größeren und kleineren Ausbruchkegeln umgeben. Da die gemeſſenen Höhen der Gipfel ſich auf das Niveau des Meeres, der jetzigen flüſſigen Oberfläche des Planeten, beziehen, ſo iſt es wichtig, hier daran zu erinnern, daß Inſelvulkane, von denen einige nicht 1000 Fuß (320 m) (wie der von Horner und Tileſius beſchriebene japaniſche Vulkan Koſima 's am Eingange der Tſugarſtraße), andere, wie der Pik von Tene- rifa,“ mehr als 11500 Fuß (3726 m) über den Meeres- ſpiegel hervorragen, ſich durch vulkaniſche Kräfte über einen Meeresgrund erhoben haben, der oft 20000 Fuß (6500 m), ja einmal über 43000 Fuß (14 km) Tiefe unter der jetzigen Meeresoberfläche gefunden worden iſt. Um eine Täuſchung in numeriſchen Verhältniſſen zu vermeiden, iſt auch dieſer Er— innerung hinzuzufügen, daß, wenn für die Vulkane auf den Kontinenten Unterſchiede der erſten und vierten Klaſſe, alſo in Vulkanen von 1000 und 18000 Fuß (320 und 5850 m), ſehr beträchtlich ſcheinen, das Verhältnis dieſer Zahlen ganz verändert wird, wenn man (nach Mitſcherlichs Verſuchen über den Schmelzgrad des Granites und nach der nicht ganz wahr— ſcheinlichen Hypotheſe über die mit der Tiefe in arithmetiſcher Progreſſion gleichmäßig zunehmenden Wärme) die obere Grenze des geſchmolzenen Inneren der Erde etwa zu 114000 Fuß (35 km) unter dem jetzigen Meeresſpiegel annimmt. Bei der durch Verſtopfung vulkaniſcher Spalten ſich ſo mächtig ver— mehrenden Spannung elaſtiſcher Dämpfe ſind die Höhenunter- ſchiede der bisher gemeſſenen Vulkane wohl nicht beträchtlich — 209 — genug, um als ein Hindernis angeſehen zu werden für das Gelangen der Lava und anderer dichter Maſſen zur Kraterhöhe. Hypſometrie der Vulkane. Erfie Gruppe, von 700 bis 4000 Par. Fuß (230 bis 1300 m) Höhe. Der Vulkan der japaniſchen Inſel Koſima, ſüdlich von Jeſſo: 700 Fuß (227 m) nach Horner. Der Vulkan der lipariſchen Inſel Volcano: 1224 Fuß (397 m) nach Fr. Hoffmann.““ Gunung Api (bedeutend Feuerberg in der malaiiſchen Sprache), der Vulkan der Inſel Banda: 1828 Fuß (594 m). Der, erſt im Jahre 1770 aufgeſtiegene, faſt ununterbrochen ſpeiende Vulkan von Izalco im Staate San Salvador (Central— Amerika): 2000 Fuß (650 m) nach Squier. Gunung Ringgit, der niedrigſte Vulkan von Java: 2200 (714 m) nach Junghuhn.“! Stromboli: 2775 Fuß (901 m) nach Fr. Hoffmann. Bejuv, die Rocca del Palo, am höchſten nördlichen Krater: rande; das Mittel meiner beiden Barometermeſſungen“? von 1805 und 1822 gibt 3750 Fuß (1218 m). Der in der mexikaniſchen Hochebene am 29. September 1759 ausgebrochene Vulkan von Jorullo: 4002 Fuß (1300 m). Fuß Zweite Gruppe, von 4000 bis 8000 Par. Fuß (1300 bis 2600 m) Höhe. Mont Pelé de la Martinique: 4416 Fuß (1434 m) nach Dupuget. Soufriere de la Guadeloupe: 4567 Fuß (1482 m) nach Charles Deville. Gunung Lamongan im öſtlichſten Teile von Java: 5010 Fuß (1627 m) nach Junghuhn. Gunung Tengger, von allen Vulkanen Javas der, welcher den größten Krater hat: Höhe am Eruptionskegel Bromo 7080 Fuß (2300 m) nach Junghuhn. Vulkan von Oſorno (Chile): 7083 Fuß (2301 m) nach Fitzroy. Vulkan der Inſel Pico“ (Azoren): 7143 Fuß (2320 m) nach Kapitän Vidal. Der Vulkan von der Inſel Bourbon: 7507 Fuß (2438 m) nach Berth. Dritte Gruppe, von 8000 bis 12 000 Par. Fuß (2600 bis 3900 m) Höhe. Der Vulkan von Awatſcha (Halbinſel Kamtſchatka): nicht zu verwechjeln °* mit der etwas nördlicheren Strjeloſchnaja Sopka, welche die engliſchen Seefahrer gewöhnlich den Vulkan von Awatſcha nennen; 8360 Fuß (2716 m) nach Erman. A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 14 ae nn ne = re Vulkan von Antuco oder Antoio (Chile): 8368 Fuß (2719 m) nad) Domeyfo. Vulkan der kapverdiſchen Inſel?'? Fogo: 8587 Fuß (2790 m) nach Charles Deville. Vulkan Schiwelutſch (Kamtſchatka): der nordöſtlichſte Gipfel 9898 Fuß (3096 m) nach Erman . Aetna‘’: nach Smyth 10200 Fuß (3313 m). Pik von Tenerifa: 11408 Fuß (3716 m) nach Charles Deville.““ Vulkan Gunung Semeru, der höchſte aller Berge auf der Inſel Java: 11480 Fuß“ (3729 m) nach Junghuhns barometriſcher Meſſung. Vulkan Erebus, Br. 77° 32“, der nächſte am Südpol: nach Sir James Roß 11603 Fuß (3769 m). Vulkan Argäus’ in Kappadokien, jetzt Erdſchiſch⸗Dagh, ſüd⸗ ſüd⸗öſtlich von Kaiſarieh: nach Peter von Tſchichatſchew 11823 Fuß (3840 m). vierte Gruppe, von 12 000 bis 16000 Par. Fuß (3900 bis 5200 m) Höhe Vulkan von Tuqueres,“ in dem Hochlande der Provincia de los Pastos: nach Bouſſingault 12 030 Fuß (3908 m). Vulkan von Paſto'?: nach Bouſſingault 12 620 Fuß (4200 m). Vulkan Mauna⸗ roa“: nach Wilkes 12 909 Fuß (4194 m). Vulkan von Cumbal “ in der Prov. de los Pastos: 14 654 Fuß (4760 m) nach Bouſſingault. Vulkan Kljutſchewsk“ (Kamtſchatka): nach Erman 14790 Fuß (4804 m). f Vulkan Rucu-Pichincha: nach barometriſchen Meſſungen von Humboldt 14940 Fuß (4853 m). Vulkan Tunguragua: nach einer trigonometriſchen Meſſung““ von Humboldt 15473 Fuß (5030 m). Vulkan von Puracé“ bei Popayan: 15957 Fuß (5184 m) nach Joſé Caldas. Fünfte Gruppe, von 16 000 bis mehr als 20000 Par. Fuß (5200 bis 6500 m) Höhe. Vulkan Sangay, ſüd-ſüd-öſtlich von Quito: 16068 Fuß (5219 m) nach Bouguer und La Condamine.“ Vulkan Popocatepetl “': nach einer trigonometriſchen Meſſung von Humboldt 16632 Fuß (5420 m). Vulkan von Orizabas“: nach Ferrer 16776 Fuß (5450 m). Eliasbergs! (Weſtküſte Nordamerikas): nach den Meſſungen von Quadra und Galiano 16750 Fuß (5441 m). Vulkan von Tolimas?: nach einer trigonometriſchen Meſſung von Humboldt 17010 Fuß (5584 m). 2 2 1 * * DDr — 211 — Vulkan von Arequipa“: nach einer trigonometriſchen Meſſung von Dolley 17714 Fuß? (5755 m). Vulkan Cotopaxi !: 17 712 Fuß (5943 m) nach Bouguer. Vulkan Sahama (Bolivia)??: nach Pentland 20970 Fuß (6812 m). Der Vulkan, mit welchem die fünfte Gruppe endigt, iſt mehr denn zweimal jo hoch als der Aetna, fünfundein⸗ halbmal ſo hoch als der Veſuv. Die Stufenleiter der Vulkane, die ich aufgeſtellt, von den niedrigen Maaren an⸗ hebend (Minentrichtern ohne Gerüſte, die Olivinbomben, von halbgeſchmolze nen Schieferſtücken umgeben, ausgeworfen haben) und bis zu dem noch entzündeten, 21000 Fuß (6800 m) hohen Sahama aufſteigend, hat uns gelehrt, daß es keinen notwendigen Zuſammenhang zwiſchen dem Maximum der Er: hebung, dem geringeren Maße der vulkaniſchen Thätigkeit und der Natur der ſichtbaren Gebirgsart gibt. Beobachtungen, die auf einzelne Länder beſchränkt bleiben, können hier leicht zu irrigen Annahmen verleiten. In dem Teile von Mexiko 3. B., welcher in der heißen Zone liegt, ſind alle mit ewigem Schnee bedeckten Berge, d. h. die Kulminationspunkte des ganzen Landes, allerdings Vulkane, ebenſo iſt es meiſt in den Kordilleren von Quito, wenn man die glockenförmigen, im Gipfel nicht geöffneten Trachytberge (den Chimborazo und Corazon) den Vulkanen beigeſellen will, dagegen ſind in der öſtlichen Andeskette von Bolivia die Maxima der Gebirgs— höhen völlig unvulkaniſch. Die Nevados von Sorata (19974 Fuß — 6523 m) und Illimani (19 843 Fuß — 6445 m) beſtehen aus Grauwackenſchiefern, die von Porphyr⸗ maſſen “? durchbrochen ſind, und in denen ſich (als Zeugen dieſes Durchbruches) Fragmente von Schiefer eingeſchloſſen finden. Auch in der öſtlichen Kordillere von Quito, ſüdlich vom Parallel von 1° 35°, ſind die den Trachyten gegenüber liegenden, ebenfalls in die Region des ewigen Schnees ein— tretenden, hohen Gipfel (Condoraſto, Cuvillan und die Col— lanes) Glimmerſchiefer und Geſtellſtein. Nach dem, was wir bis jetzt durch die verdienſtvollen Arbeiten von Brian, H. Hodg— ſon, Jaquemont, Joſeph Dalton, Hooker, Thomſon und Henry Strachey von der mineralogiſchen Beſchaffenheit der größten Höhen des Himalaya wiſſen, ſcheinen ebenfalls in dieſen die ehemals ſogenannten uranfänglichen Gebirgsarten, Granit, Gneis und Glimmerſchiefer, aber keine Trachytformationen, — — — — — = — — — — = — 212 — ſichtbar zu werden. Pentland hat in Bolivia Muſchelverſteine⸗ rungen in den ſiluriſchen Schiefern am Nevado de Antacaua, 16400 Fuß (5327 m) über dem Meere, zwiſchen la Paz und Potoſi, gefunden. Die ungeheure Höhe, zu welcher nach dem Zeugnis der von Abich aus dem Dagheſtan, von mir aus den peruaniſchen Kordilleren (zwiſchen Guambos und Montan) geſammelten Petrefakten die Kreideformation gehoben iſt, er⸗ innert recht lebhaft daran, daß unvulkaniſche Sedimentſchichten, voll organiſcher Reſte, nicht zu verwechſeln mit vulkaniſchen Tuffſchichten, ſich da zeigen, wo weit umher Melaphyre, Trachyte, Dolerite und anderes Pyroxengeſtein, denen man die hebenden, treibenden Kräfte zuſchreibt, in der Tiefe ver: ſteckt bleiben. In wie unermeßlichen Strecken der Kordilleren und ihrer öſtlichen Umgebung tft keine Spur der ganzen Granit: formation ſichtbar! Da, wie ich ſchon mehrmals bemerkt, die Frequenz der Ausbrüche eines Vulkanes von mehrfachen und ſehr verwickelten Urſachen abzuhängen ſcheint, ſo iſt über das Verhältnis der abſoluten Höhe zu der Häufigkeit und dem Maße der erneuerten Entflammung mit Sicherheit kein allgemeines Geſetz aufzu⸗ ſtellen. Wenn in einer kleinen Gruppe die Vergleichung von Stromboli, dem Veſuv und dem Aetna verleiten kann zu glauben, daß die Anzahl der Eruptionen der Höhe der Vul— kane umgekehrt proportional ſei, ſo ſtehen andere Thatſachen mit dieſem Satze in geradem Widerſpruche. Sartorius von Waltershauſen, der ſich um die Kenntnis des Aetna ſo ver⸗ dient gemacht hat, bemerkt, daß bei dieſem im mittleren Durch— ſchnitt, welchen die letzten Jahrhunderte geben, von ſechs zu ſechs Jahren ein Ausbruch zu erwarten iſt, während daß auf Island, wo eigentlich kein Teil der Inſel gegen Zerſtörung durch unterſeeiſche Glut geſichert iſt, an dem 5400 Fuß = 1750 m niedrigeren Hekla die Eruptionen nur alle 70 bis 80 Jahre beobachtet werden. Die Gruppe der Vulkane von Quito bietet einen noch viel auffallenderen Kontraſt dar. Der 16000 Fuß (5200 m) hohe Vulkan von Sangay iſt um vieles thätiger als der kleine Kegelberg Stromboli (2775 Fuß = 901 m); er iſt unter allen bekannten Vulkanen der, welcher in jeder Viertelſtunde die meiſten feurigen, weitleuchtenden Schlacken— auswürfe zeigt. Statt uns in Hypotheſen über Kauſalverhält⸗ niſſe unzugänglicher Erſcheinungen zu verirren, wollen wir lieber hier bei ſechs Punkten der Erdfläche verweilen, welche in der Geſchichte der vulkaniſchen Thätigkeit vorzugsweiſe — 213 — wichtig und lehrreich ſind, bei Stromboli, bei der Chimära in Lykien, dem alten Vulkan von Maſaya, dem ſehr neuen von Izalco, dem Vulkan Fogo auf den Kapverdiſchen Inſeln und dem koloſſalen Sangay. Die Chimära in Lykien und Stromboli, das alte Strongyle, ſind die zwei feurigen Erſcheinungen vulkaniſcher Thätigkeit, deren Permanenz, hiſtoriſch erwieſen, auch am weiteſten hinaufreicht. Der koniſche Hügel von Stromboli, ein Doleritgeſtein, iſt zweimal höher als der Feuerberg auf Volcano (Hiera, Thermeſſa), deſſen letzter großer Ausbruch ſich im Jahre 1775 ereignete. Die ununterbrochene Thätig— keit des Stromboli wird von Strabo und Plinius mit der der Inſel Lipari, der alten Meligunis, verglichen; „ſeiner Flamme“ aber, d. i. ſeinen ausgeſtoßenen Schlacken, „bei weniger Hitze eine größere Reinheit und Leuchtkraft“ zuge— ſchrieben. Die Zahl und Geſtalt der kleinen Feuerſchlünde iſt ſehr wechſelnd. Spallanzanis lange für übertrieben ge— haltene Darſtellung des Kraterbodens iſt von einem erfahre— neren Geognoſten, Friedrich Hoffmann, wie auch noch neuer— lichſt von einem ſcharfſinnigen Phyſiker, A. de Quatrefages, vollkommen beſtätigt worden. Einer der rotglühenden Feuer— ſchlünde hat eine Oeffnung von nur 20 Fuß (6,5 m) Durch— meſſer; es gleicht dieſelbe dem Schachte eines hohen Ofens, und man ſieht in ihr zu jeder Stunde, oben an dem Krater: rande gelagert, das Aufſteigen und Ueberwallen der flüſſigen Lava. Die uralten, permanenten Ausbrüche des Stromboli dienen noch jetzt bisweilen zur Orientierung der Schiffenden, und durch Beobachtung der Richtung der Flamme und der aufſteigenden Dampfſäule, wie bei den Griechen und Römern, zu unſicherer Wetterprophezeiung. An die Mythe von des Aeolus früheſtem Aufenthalte auf Strongyle, und mehr noch an Beobachtungen über das damals heftige Feuer auf Volcano (der „heiligen Inſel des Hephäſtos“), knüpft Polybius, der eine ſonderbar genaue Kenntnis von dem Zuſtand des Kraters verrät, die mannigfaltigen Kennzeichen einer nahen Wind— veränderung. Die Frequenz der Feuererſcheinung hat in der neueſten Zeit einige Unregelmäßigkeit gezeigt. Die Thätigkeit des Stromboli iſt, wie die des Aetna nach Sartorius von Waltershauſen, am größten im November und in den Winter— monaten. Sie wird bisweilen durch einzelne Ruhepunkte unterbrochen, letztere ſind aber, wie eine Erfahrung von vielen Jahrhunderten lehrt, von ſehr kurzer Dauer. — 214 — Die Chimära in Lykien, welche der Admiral Beaufort ſo trefflich beſchrieben und deren ich ſchon zweimal erwähnt habe, °° iſt kein Vulkan, ſondern ein perpetuierlicher euer: an eine durch die vulkani ſche Thätigkeit des Erdinneren immerfort entzündete Gase. Dieſelbe hat vor wenigen Monaten ein talentvoller Künſtler Albert Berg beſucht, um dieſe in dem hohen Altertume (ſeit den Zeiten des Kteſias und Scylax aus Caryanda) ſchon berühmte Oertlichkeit male⸗ riſch aufzunehmen, und die Gebirgsarten zu ſammeln, aus denen die Chimära ausbricht. Die Beſchreibungen von Beau— fort, Profeſſor Edward Forbes und Lieutenant Spratt in den Travels in Lycia finden ſich vollkommen beſtätigt. Eine Eruptivmaſſe von Serpentingeſtein durchſetzt den dichten Kalk⸗ ſtein in einer Schlucht, die von Südoſt in Nordweſt anſteigt. An dem nordweſtlichen Ende dieſer Schlucht iſt der Serpentin⸗ ſtein durch einen in einen Bogen gekrümmten Kamm von Kalkfelſen abgeſchnitten oder vielleicht bloß verdeckt. Die mit: gebrachten Stücke ſind teils grün und friſch, teils braun und im Zuſtande der Verwitterung. In beiden Serpentinen iſt Diallag deutlich erkennbar. Der Vulkan von Maſaya,““ deſſen Ruf unter dem Namen der Hölle, el Infierno de Masaya, ſchon im Anfang des 16. Jahrhunderts weit verbreitet war und zu Berichten an Kaiſer Karl V. Anlaß gab, liegt zwiſchen den beiden Seen Nicaragua und Managua, ſüdweſtlich von dem reizenden Indianerdorfe Nindiri. Er bot jahrhundertelang dasſelbe ſeltene Phänomen dar, das wir am Vulkan von Stromboli beſchrieben haben. Man ſah vom Kraterrande aus, in dem rotglühenden Schlunde, die von Dämpfen bewegten, auf und nieder ſchlagenden Wellen flüſſiger Lava. Der ſpaniſche Ge— ſchichtſchreiber Gonzalez Fernando de Oviedo beſtieg den Maſaya zuerſt im Juli 1529, und ſtellte Vergleichungen an mit dem Veſuv, welchen er früher (1501) in Begleitung der Königin von Neapel als ihr xefe de guardaropa bejucht hatte. Der Name Maſaya gehört der Chorotegaſprache von Nicaragua an und bedeutet brennender Berg. Der Vulkan, von einem weiten Lavafelde (mal pays) umgeben, das er wahrſcheinlich ſelbſt erzeugt hat, wurde damals zu der Berg: gruppe der „neun brennenden Maribios“ gezählt. In dem gewöhnlichen Zuſtande, ſagt Oviedo, ſteht die Oberfläche der va, auf welcher ſchwarze Schlacken ſchwimmen, mehrere ndert Fuß unter dem Kraterrande; bisweilen aber iſt die — —ͤ—d Aufwallung plötzlich ſo groß, daß die Lava faſt den oberen Rand erreicht. Das perpetuierliche Lichtphänomen wird, wie Oviedo ſich beſtimmt und ſcharfſinnig ausdrückt, nicht durch eine eigentliche Flamme,“ ſondern durch von unten erleuchteten Dampf verurſacht. Es ſoll von ſolcher Intenſität geweſen ſein, daß auf dem Wege vom Vulkan nach Granada, in mehr als drei leguas (20 km) Entfernung, die Erleuchtung der Gegend faſt der des Vollmondes glich. Acht Jahre nach Oviedo erſtieg den Vulkan der Domini— kanermönch Fray Blas del Caſtillo, welcher die alberne Mei— nung hegte, daß die flüſſige Lava im Krater flüſſiges Gold ſei, und ſich mit einem ebenſo habſüchtigen Franziskanermönche aus Flandern, Fray Juan de Gandavo, verband. Beide, die Leichtgläubigkeit der ſpaniſchen Ankömmlinge benutzend, ſtifteten eine Aktiengeſellſchaft, um auf gemeinſchaftliche Koſten das Metall zu erbeuten. Sie ſelbſt, ſetzt Oviedo ſatiriſch hinzu, erklären ſich als Geiſtliche von allem pekuniären Zu— ſchuſſe befreit. Der Bericht, welcher über die Ausführung dieſes kühnen Unternehmens Fray Blas' del Caſtillo (dieſelbe Perſon, die in den Schriften von Gomara, Benzoni und Herrera Fray Blas de Ineſta genannt wird) an den Biſchof von Caſtilla del Oro, Thomas de Verlenga, erſtattete, iſt erſt (1840) durch das Auffinden van Oviedos Schrift über Nicaragua bekannt geworden. Fray Blas, der früher als Matroſe auf einem Schiffe gedient hatte, wollte die Methode nachahmen, mittels welcher, an Seilen über dem Meere hängend, die Einwohner der Kanariſchen Inſeln den Färbeſtoff der Or— ſeille (Lichen Roccella) an ſchroffen Felſen ſammeln. Es wurden monatelang oft geänderte Vorrichtungen getroffen, um vermittelſt eines Drehhaſpels und Krans einen mehr als 30 Fuß (10 m) langen Balken über dem tiefen Abgrunde her— vortreten zu laſſen. Der Dominikanermönch, das Haupt mit einem eiſernen Helm bedeckt und ein Kruzifix in der Hand, wurde mit drei anderen Mitgliedern der Aſſociation herab— gelaſſen; ſie blieben eine ganze Nacht in dieſem Teile des feſten Kraterbodens, von dem aus ſie mit irdenen Gefäſſen, die in einem eiſernen Keſſel ſtanden, vergebliche Verſuche zum Schöpfen des vermeinten flüſſigen Goldes machten. Um die Aktionäre nicht abzuſchrecken, kamen fie überein, zu jagen ““, wenn ſie herausgezogen würden, ſie hätten große Reichtümer gefunden, und die Hölle (el Infierno) von Maſaya verdiente künftig el Paraiso de Masaya genannt zu werden. Die ET EP Er SH — Operation wurde ſpäter mehrmals wiederholt, bis der Go— vernador der nahen Stadt Granada Verdacht des Betruges oder gar einer Defraudation des Fiskus ſchöpfte und „ferner ſich an Seilen in den Krater hinabzulaſſen“ verbot. Dies geſchah im Sommer 1538; aber 1551 erhielt dennoch wieder der Dekan des Kapitels von Leon, Juan Alvarez, die naive Erlaubnis von Madrid, „den Vulkan zu öffnen und das Gold zu gewinnen, welches er enthalte“. So feſt ſtand der Volks⸗ glaube im 16. Jahrhundert! Mußten doch noch im Jahre 1822 in Neapel Monticelli und Covelli durch chemiſche Ver⸗ ſuche erweiſen, daß die am 28. Oktober ausgeworfene Aſche des Veſuvs kein Gold enthalte! Der Vulkan von Izalco, welcher an der Weſtküſte Centralamerikas, 8 Meilen (60 km) nördlich von San Sal: vador und öſtlich von dem Hafen von Sonſonate, liegt, iſt 11 Jahre ſpäter ausgebrochen als der Vulkan von Jorullo tief im Inneren des mexikaniſchen Landes. Beide Ausbrüche geſchahen in einer kultivierten Ebene und nach mehrmonat— lichen Erdbeben und unterirdiſchem Brüllen (bramidos). Es erhob ſich im Llano de Izalco ein koniſcher Hügel, und mit ſeiner Erhebung begann aus deſſen Gipfel ein Lavaerguß am 23. Februar 1770. Was bei ſchnell zunehmender Höhe der Erhebung des Bodens, was der Anhäufung von aus— geworfenen Schlacken, Aſche und Tuffmaſſe zuzuſchreiben ſei, bleibt bis jetzt unentſchieden; nur ſo viel iſt gewiß, daß ſeit dem erſten Ausbruch der neue Vulkan, ſtatt, wie der Jorullo, bald zu erlöſchen, in ununterbrochener Thätigkeit geblieben iſt und oft den Schiffern bei der Landung in der Bai von Acayutla als Leuchtturm dient. Man zählt in der Stunde vier feurige Eruptionen, und die große Regelmäßigkeit des Phänomens hat die wenigen genauen Beobachter desſelben in Erſtaunen geſetzt. Die Stärke der Ausbrüche war wechſelnd, nicht aber die Zeit ihres jedesmaligen Eintretens. Die Höhe, welche der Vulkan von Izalco jetzt nach der letzten Eruption von 1825 erlangt hat, wird zu ohngefähr 1500 Fuß (487 m) geſchätzt, faſt gleich der Höhe, die der Vulkan von Jorullo über der urſprünglichen kultivierten Ebene erreicht; aber faſt viermal höher als der Erhebungskrater (Monte Nuovo) in den Phlegräiſchen Feldern, welchem Scacchi“? nach genauer Meſſung 405 Fuß (131 m) gibt. Die permanente Thätig- keit des Vulkanes von Izalco, welchen man lange als ein Sicherheitsventil für die Umgegend von San Salvador — 217 — betrachtete, hat die Stadt doch nicht vor der völligen Zerſtörung in der Oſternacht dieſes Jahres (1854) bewahrt. Die Kapverdiſche Inſel, welche ſich zwiſchen Santiago und Brava erhebt, hat früh von den Portugieſen den Namen Ilha do Fogo erhalten, weil ſie, wie Stromboli von 1680 bis 1713 ununterbrochen Feuer gab. Nach langer Ruhe ent— zündete ſich der Vulkan dieſer Inſel von neuem im Sommer des Jahres 1798, kurz nach dem letzten Seitenausbruch des Piks von Tenerifa im Krater von Chahorra, der irrig, als wäre er ein eigener Berg, der Vulkan von Chahorra ge— nannt wird. Der thätigſte von allen Vulkanen Südamerikas, ja von allen, die ich hier einzeln aufgeführt habe, iſt der Sangay, der auch Volcan de Macas genannt wird, weil die Reſte dieſer alten, in der erſten Zeit der Conquiſta volkreichen Stadt am Rio Upano nur 7 geogr. Meilen (52 km) ſüdlicher liegen. Der koloſſale Berg von 16068 Fuß (5219 m) Höhe, hat ſich am öſtlichen Abhange der öſtlicheren Kordillere er— hoben, zwiſchen zwei Syſtemen von Zuflüſſen des Amazonen— ſtromes, denen des Paſtaza und des Upano. Das große, un— vergleichbare Feuerphänomen, das er jetzt darbietet, ſcheint erſt im Jahre 1728 begonnen zu haben. Bei der aſtronomiſchen Gradmeſſung von Bouguer und La Condamine (1738 bis 1740) diente der Sangay als ein perpetuierliches Feuerſignal. Ich ſelbſt hörte monatelang im Jahre 1802, beſonders am frühen Morgen, ſeinen Donner in Chillo, dem anmutigen Landſitze des Marques de Selvalegre nahe bei Quito, wie ein halbes Jahrhundert früher Don Jorge Juan die ronquidos del Sangay etwas weiter nordöſtlich, bei Pintac, am Fuße des Antiſana, ““ vernommen hatte. In den Jahren 1842 und 1843, wo die Eruptionen mit dem meiſten Getöſe ver— bunden waren, hörte man dasſelbe deutlichſt nicht bloß im Hafen von Guayaquil, ſondern auch weiter ſüdlich längs der Südſeeküſte bis Payta und San Buenaventura, in einem Abſtande wie Berlin von Baſel, die Pyrenäen von Fontaine— bleau, oder London von Aberdeen. Wenn ſeit dem Anfange des jetzigen Jahrhunderts die Vulkane von Mexiko, Neu— granada, Quito, Bolivia und Chile von einigen Geognoſten eſucht worden ſind, iſt leider! der Sangay, der den Tun— guragua an Höhe übertrifft, wegen ſeiner einſamen, von allen Kommunikationswegen entfernten Lage völlig vernachläſſigt geblieben. Erſt im Dezember 1849 hat ihn ein kühner und — 213 — kenntnisvoller Reiſender, Sebaſtian Wiſſe, nach einem fünf: jährigen Aufenthalte in der Andeskette, beſtiegen, und iſt faſt bis zum äußerſten Gipfel des mit Schnee bedeckten, ſteilen Kegels gelangt. Er hat ſowohl die ſo wunderbare Frequenz der Auswürfe genau chronometriſch beſtimmt, als auch die Beſchaffenheit des auf einen ſo engen Raum eingeſchränkten, den Gneis durchbrechenden Trachytes unterſucht. Es wurden, wie ſchon oben bemerkt, 267 Eruptionen in 1 Stunde gezählt, jede dauernd im Mittel 13,4“ und, was ſehr auffallend iſt, von keiner am Aſchenkegel bemerkbaren Erſchütterung begleitet. Das Ausgeworfene, in vielen Rauch von bald grauer, bald orangegelber Farbe gehüllt, iſt der größeren Maſſe nach ein Gemenge von ſchwarzer Aſche und Rapilli, aber teilweiſe ſind es auch Schlacken, die ſenkrecht aufſteigen, in kugeliger Form und von einem Durchmeſſer von 15 bis 16 Zoll (40 bis 43 cm). In einem der ſtärkeren Auswürfe zählte Wiſſe als gleichzeitig ausgeworfen doch nur 50 bis 60 glühende Steine. Sie fallen meiſt wieder in den Krater zurück, bisweilen be: decken ſie deſſen oberen Rand, oder gleiten bei Nacht fern leuchtend, an einem Teile des Konus herab, was wahrſcheinlich in großer Ferne bei La Condamine zu der irrigen Meinung von „einem Erguß brennenden Schwefels und Erdpeches“ Ver— anlaſſung gab. Die Steine ſteigen einzeln nacheinander auf, ſo daß die einen im Herabfallen begriffen ſind, während an— dere erſt den Krater verlaſſen. Durch genaue Zeitbeſtimmung wurde der ſichtbare Fallraum (alſo bis zum Kraterrande ge— rechnet) im Mittel nur 737 Fuß (240 m) beſtimmt. Am Aetna gelangen die ausgeworfenen Steine, zufolge der Meſ— ſungen von Sartorius von Waltershauſen und dem Aſtro— nomen Dr. Chriſtian Peters, bis zu 2500 Fuß (812 m) Höhe über den Kraterwänden. Gemellaros Schätzungen während der Aetnaeruption von 1832 gaben ſogar eine dreifach größere Höhe! Die ſchwarze ausgeworfene Aſche bildet am Abhange des Sangay und 3 Meilen (22 km) im Umkreiſe 3 bis 400 Fuß (100 bis 134 m) dicke Schichten. Die Farbe der Aſche und der Rapilli gibt dem oberen Teile des Kegels einen furchtbar ernſten Charakter. Es iſt hier noch einmal auf die koloſſale Größe dieſes Vulkanes, welche die des Stromboli ſechsmal übertrifft, die Aufmerkſamkeit zu richten, da dieſe Betrachtung dem abſoluten Glauben, daß die niederen Feuer: berge immer die häufigſten Ausbrüche haben, kräftig ent— gegentritt. N — 219 — Mehr noch als die Geſtalt und Höhe der Vulkane iſt ihre Gruppierung wichtig, weil fie auf das große geologiſche Phänomen der Erhebung auf Spalten führt. Dieſe Gruppen, ſie mögen nach Leopold von Buch in Reihen oder um einen Centralvulkan vereinigt aufgeſtiegen ſein, bezeichnen die Teile der Erdrinde, wo der Ausbruch des geſchmolzenen In— neren, ſei es durch die mindere Dicke der Geſteinſchichten, ſei es durch ihre Naturbeſchaffenheit oder urſprüngliche Zerklüftung, minderen Widerſtand gefunden hat. Drei Breitengrade umfaßt der Raum, in dem die vulkaniſche Thätigkeit ſich furchtbar äußert im Aetna, in den Aeoliſchen Inſeln, im Veſuv und dem Brandlande (den Phlegräiſchen Feldern) von Puteoli (Dikäarchia) an bis Cumä und bis zum feuerſpeienden Epomeus auf Ischia, der tyrrheniſchen Affeninſel Aenaria. Ein ſolcher Zuſammenhang analoger Erſcheinungen konnte den Griechen nicht entgehen. Strabo ſagt: „Das ganze von Cumä begin— nende Meer bis Sizilien iſt mit Feuer durchzogen und hat in der Tiefe gewiſſe, untereinander und mit dem Feſt— lande ſich in eins verbindende Hohlgänge.““ Es zeigen ſich in ſolcher (entzündlicher) Natur, wie ihn alle beſchreiben, nicht nur der Aetna, ſondern auch die Gegenden um Dikäarchia und Neapolis, um Bajä und Pithecuſä;“ daraus entſtand die Fabel, daß Typhon unter Sizilien lagere und daß, wenn er ſich kehre, Flammen und Gewäſſer hervorbrechen, ja zuweilen auch kleine Eilande mit ſiedendem Waſſer. „Oftmals ſind zwiſchen Strongyle und Lipara (in dieſem weiten Bezirke) auf die Oberfläche des Meeres hervorbrechende Flammen geſehen worden, indem das Feuer aus den Höhlungen in der Tiefe ſich einen Durchgang öffnete und mit Gewalt nach außen hervordrang.“ Im Pindar“s iſt der Körper des Typhon von ſolcher Ausdehnung, daß „Sizilien und die meerumgrenzten Höhen über Cumä (Phlegra, das Brandfeld genannt) auf der zottigen Bruſt des Untieres liegen.“ So war Typhon (der tobende Enkelados) in der griechi— ſchen Volksphantaſie die mythiſche Bezeichnung der un— bekannten, tief im Inneren der Erde liegenden Urſache vulkaniſcher Erſcheinungen. Durch ſeine Lage und Raumaus— füllung wurden angedeutet: die Begrenzung und das Zuſammen— wirken einzelner vulkaniſcher Syſteme. In dem phantaſie— reichen geologiſchen Bilde des Erdinneren, in der großen Weltanſchauung, welche Plato im Phädon aufſtellt (pag. 112 bis 114), wird dies Zuſammenwirken noch kühner auf alle — — ... ̃ ———. ——— — — 220 — vulkaniſche Syſteme ausgedehnt. Die Lavaſtröme ſchöpfen ihr Material aus dem Pyriphlegethon, der, „nachdem er ſich oftmals unter der Erde umhergewälzt“, in den Tartarus ſich ergießt. Plato ſagt ausdrücklich, „daß von dem Pyriphlegethon die feuerſpeienden Berge, wo ſich deren auf der Erde finden, kleine Teilchen heraufblaſen (odros destiv b &rovon.slovar Ilopipkeritovrn, od . 0: poaxes ανοονναενα avayvswary, dr) Av röywar N ng). Dieſer Ausdruck (pag. 113) des Herausſtoßens mit Heftigkeit deutet gewiſſermaßen auf die bewegende Kraft des vorher eingeſchloſſenen, dann plötzlich durchbrechenden Windes, auf welche ſpäter der Stagirite in der Meteorologie ſeine ganze Theorie der Vulkanizität ge— gründet hat. Nach dieſen ſo uralten Anſichten ſind bei der Betrachtung des ganzen Erdkörpers die Reihenvulkane noch beſtimmter charakteriſiert als die Gruppierungen um einen Central⸗ vulkan. Am auffallendſten iſt die Reihung da, wo ſie von der Lage und Ausdehnung von Spalten abhängt, welche, meiſt untereinander parallel, große Landesſtrecken linear (kordil— lerenartig) durchſetzen. Wir finden ſo im neuen Kontinent, um bloß die wichtigſten Reihen ſehr nahe aneinander gedrängter Vulkane zu nennen, die von Centralamerika ſamt ihrem Anſchluſſe an Mexiko, von Neugranada und Quito, von Peru, Bolivia und Chile; im alten Kontinent die Sundainſeln (den Südindiſchen Archipel, beſonders Java), die Halbinſel Kamtſchatka und ihre Fortſetzung in den Kurilen, die Aleuten, welche das feſtgeſchloſſene Beringsmeer ſüdlich begrenzen. Wir werden bei einigen der Hauptgruppen verweilen. Einzelheiten leiten durch ihre Zu— ſammenſtellung auf die Gründe der Erſcheinungen. Die Reihenvulkane von Centralamerika, nach älteren Benennungen die Vulkane von Coſtarica, Nicaragua, San Salvador und Guatemala, erſtrecken ſich von dem Vulkan Turrialva bei Cartago bis zum Vulkan von Soconusco durch ſechs Breitengrade, zwiſchen 10° 9° und 16° 2° in einer Linie, im ganzen von SO nach NW gerichtet, und mit den wenigen Krümmungen, die ſie erleidet, eine Länge von 135 geogr. Meilen (1744 km) einnehmend. Dieſe Länge iſt ungefähr gleich der Entfernung vom Veſuv bis Prag. Am meiſten zuſammengedrängt, wie auf einer und derſelben nur 16 Meilen (118 km) langen Spalte ausgebrochen, ſind die acht Vulkane, welche zwiſchen der Laguna de Managua und der Bai von — 21 — Fonſeca liegen, zwiſchen dem Vulkan von Momotombo und dem von Conſeguina, deſſen unterirdiſches Getöſe in Jamaika und auf dem Hochlande von Bogota im Jahre 1835 wie Geſchützfeuer gehört wurde. In Centralamerika und in dem ganzen ſüdlichen Teile des neuen Kontinentes, ja im allgemeinen von dem Archipel de los Chonos in Chile bis zu den nörd— lichſten Vulkanen Edgecombe auf der kleinen Inſel bei Sitfa °° und dem Eliasberg am Prinz Williamsſund, in einer Länge von 1600 geogr. Meilen (11872 km) ſind die vulkaniſchen Spalten überall in dem weſtlichen, dem Litorale der Südſee näheren Teile ausgebrochen. Wo die Reihe der Vulkane von Centralamerika unter der geographiſchen Breite von 13 ½“ (nördlich vom Golf de Fonſeca) bei dem Vulkan von Conchagua in den Staat von San Salvador eintritt, ändert ſich auf einmal mit der Richtung der Weſtküſte auch die der Vulkane. Die Reihe der letzteren ſtreicht dann OSO WNW; ja wo die Feuerberge wieder ſo aneinander gedrängt ſind, daß fünf noch mehr oder minder thätige in der geringen Länge von 30 Meilen (220 km) gezählt werden, iſt die Richtung faſt ganz O— W. Dieſer Abweichung entſpricht eine große An: ſchwellung des Kontinentes gegen Oſten in der Halbinſel Honduras, wo die Küſte ebenfalls plötzlich vom Kap Gracias a Dios bis zum Golf von Amatique 75 Meilen (556 km) lang genau von Oſt gegen Weſt ſtreicht, nachdem ſie vorher in derſelben Länge von Norden gegen Süden gerichtet war. In der Gruppe der hohen Vulkane von Guatemala (Br. 14° 10°) nimmt die Reihung wieder ihr altes Streichen N45 W an, und ſetzt dasſelbe fort bis an die mexikaniſche Grenze gegen Chiapas und den Iſthmus von Huaſacualco. Nord— weſtlich vom Vulkan von Soconusco bis zu dem von Tuxtla iſt nicht einmal ein ausgebrannter Trachytkegel aufgefunden wor— den; es herrſchen dort quarzreichſter Granit und Glimmerſchiefer. Die Vulkane von Centralamerika krönen nicht die nahen Gebirgsketten, ſie erheben ſich längs dem Fuße derſelben meiſt ganz voneinander getrennt. An den beiden äußerſten Enden der Reihe liegen die größten Höhen. Gegen Süden, in Coſta— rica, ſind von dem Gipfel des Iraſu (des Vulkans von Cartago) beide Meere ſichtbar, wozu außer der Höhe (10395 Fuß) auch die mehr centrale Lage beiträgt. Im Südoſt von Cartago ſtehen Berge von 10000 bis 11000 Fuß: der Chiriqui (10567 Fuß = 3375 m) und der Pico blanco (11013 Fuß 3578 m). Man weiß nichts von ihrer Geſteinbeſchaffenheit, wahrſcheinlich ſind es ungeöffnete Trachytkegel. Weiter nach SO hin verflachen ſich die Höhen in Veragua bis zu 6000 und 5000 Fuß (1950 bis 1620 m). Dies ſcheint auch die mittlere Höhe der Vulkane von Nicaragua und San Salvador zu ſein, aber gegen das nordweſtliche Extrem der ganzen Reihe, unfern der neuen Stadt Guatemala erheben ſich wiederum zwei Vulkane bis über 12000 Fuß (3900 m). Die Maxima fallen alſo nach meinem obigen Verſuche hypſometriſcher Klaſ— ſifikation der Vulkane, in die dritte Gruppe, gleichkommend dem Aetna und Pik von Tenerifa, während die größere Zahl der Höhen, die zwiſchen beiden Extremen liegen, den Veſuv kaum um 2000 Fuß (650 m) übertreffen. Die Vulkane von Mexiko, Neugranada und Quito gehören zur fünften Gruppe und erreichen meiſt über 16000 Fuß (5200 m). Wenn auch der Kontinent von Centralamerika vom Iſthmus von Panama an durch Veragua, Coſtarica und Nicaragua bis zum Parallelkreiſe von 10½ » an Breite beträchtlich zu: nimmt, ſo veranlaßt doch gerade in dieſer Gegend das große Areal des Sees von Nicaragua und die geringe Höhe ſeines Spiegels (kaum 120 Pariſer Fuß = 39 m über beiden Meeren) eine ſolche Landeserniedrigung, daß aus derſelben eine oft den Seefahrern im ſogenannten Stillen Meere ge— fahrbringende Luftüberſtrömung vom Antilliſchen Meere in die Südſee verurſacht wird. Die ſo erregten Nordoſtſtürme werden mit dem Namen der Papagayos belegt und wüten bisweilen ununterbrochen 4 bis 5 Tage. Sie haben die große Merk- würdigkeit, daß gewöhnlich der Himmel dabei ganz wolkenlos bleibt. Der Name iſt dem Teile der Weſtküſte von Nicaragua zwiſchen Brito oder Cabo Desolado und Punta de S. Elena (von 11° 22° bis 10° 50°) entlehnt, welcher Golfo del Pa- pagayo heißt und ſüdlich vom Puerto de San Juan del Sur die kleinen Baien von Salinas und S. Elena einſchließt. Ich habe auf der Schiffahrt von Guayaquil nach Acapulco über zwei volle Tage (9. bis 11. März 1803) die Papagayos in ihrer ganzen Stärke und Eigentümlichkeit, aber ſchon etwas ſüdlicher, in weniger als 9° 13° Breite, beobachten können. Die Wellen gingen höher, als ich ſie je geſehen, und die be— ſtändige Sichtbarkeit der Sonnenſcheibe am heiterſten blauen Himmelsgewölbe machte es mir möglich, die Höhe der Wellen durch Sonnenhöhen, auf dem Rücken der Wellen und in der Tiefe genommen, nach einer damals noch nicht verſuchten Me⸗ thode zu meſſen. Alle ſpaniſchen, engliſchen“s und amerikaniſchen ıd 2 2 N \. Seefahrer ſchreiben dem atlantiſchen Nordoſtpaſſate die hier beſchriebenen Stürme der Südſee zu. In einer neuen Arbeit,“ die ich mit vielem Fleiße, teils nach den bis jetzt veröffentlichten Materialien, teils nach hand— ſchriftlichen Notizen, über die Reihenvulkane von Centralamerika unternommen habe, find 29 Vulkane aufgezählt, deren vor: malige oder jetzige Thätigkeit in verſchiedenen Graden mit Sicherheit angegeben werden kann. Die Eingeborenen führen eine um mehr als 1 größere Zahl auf und bringen dabei eine Menge von alten Ausbruchbecken in Anſchlag, welche vielleicht nur Seiteneruptionen am Abhange eines und des— ſelben Vulkanes waren. Unter den iſolierten Kegel- und Glocken— bergen, die man dort Vulkane nennt, mögen allerdings viele aus Trachyt oder Dolerit beſtehen, aber von jeher ungeöffnet, ſeit ihrer Hebung nie eine feurige Thätigkeit gezeigt haben. Als entzündet ſind jetzt zu betrachten achtzehn, von denen Flammen, Schlacken und Lavaſtröme ausſtießen in dieſem Jahrhundert (1825, 1835, 1848 und 1850) ſieben, und aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts (1775 und 1799) zwei. % Der Mangel von Lavaſtrömen in den mächtigen Vulkanen der Kordilleren von Quito hat in neuerer Zeit mehrmals zu der Behauptung Anlaß gegeben, als ſei dieſer Mangel ebenſo allgemein in den Vulkanen von Centralamerika. Allerdings ſind der Mehrzahl nach Schlacken- und Aſchen— ausbrüche von keinem Erguß von Lava begleitet geweſen, wie z. B. jetzt in dem Vulkane von Izalco; aber die Beſchreibungen, welche Augenzeugen von den lavaergießenden Ausbrüchen der vier Vulkane Nindiri, el Nuovo, Conſeguina und San Miguel de Boſotlan gegeben haben, ſprechen dagegen. Ich habe abſichtlich bei den Einzelheiten der Lage und der dichten Zuſammendrängung der Reihenvulkane von Central— amerika lange verweilt, in der Hoffnung, daß endlich einmal ein Geognoſt, der vorher europäiſche thätige Vulkane und die ausgebrannten der Auvergne oder des Vivarais oder der Eifel gründlich beachtet hat, auch (was von der größten Wichtigkeit iſt) die petrographiſche Zuſammenſetzung der Gebirgsarten nach den Erforderniſſen des jetzigen Zuſtandes unſerer mine— ralogiſchen Kenntniſſe zu beſchreiben weiß, ſich angeregt fühlen möchte, dieſe jo nahe und zugängliche Gegend zu beſuchen. Vieles iſt hier noch zu thun übrig, wenn der Reiſende ſich ausſchließlich geognoſtiſchen Unterſuchungen widmet, beſon— ders der oryktognoſtiſchen Beſtimmung der trachytiſchen, dole— — 224 — ritiſchen und melaphyriſchen Gebirgsarten, der Sonderung des urſprünglich Gehobenen und des Teiles der gehobenen Maſſe, welcher durch ſpätere Ausbrüche überſchüttet worden iſt, der Aufſuchung und Erkennung von wirklichen, ſchmalen ununter⸗ brochenen Lavaſtrömen, die nur zu oft mit Anhäufungen aus⸗ geworfener Schlacken verwechſelt werden. Nie geöffnete Kegel— berge, in Dom- und Glockenform aufſteigend, wie der Chim— borazo, ſind dann von vormals oder jetzt noch thätigen, Schlacken und Lavaſtröme, wie Veſuv und Aetna, oder Schlacken und Aſche allein, wie Pichincha und Cotopaxi, ausſtoßenden Vul⸗ kanen ſcharf zu trennen. Ich wüßte nicht, was unſerer Kenntnis vulkaniſcher Thätigkeit, der es ſo ſehr noch an Mannigfaltigkeit des Beobachteten auf großen und zuſammenhängenden Konti— nentalräumen gebricht, einen glänzenderen Fortſchritt verheißen könnte. Würden dann, als materielle Früchte ſolch einer großen Arbeit, Gebirgsſammlungen von vielen iſolierten wirklichen Vulkanen und ungeöffneten Trachytkegeln ſamt den unvulkani⸗ ſchen Maſſen, welche von beiden durchbrochen worden ſind, heimgebracht, ſo wäre der nachfolgenden chemiſchen Analyſe und den chemiſch-geologiſchen Folgerungen, welche die Analyſe veranlaßt, ein ebenſo weites als fruchtbares Feld geöffnet. Centralamerika und Java haben vor Mexiko, Quito und Chile den unverkennbaren Vorzug, in einem größeren Raume die vielgeſtaltetſten und am meiſten zuſammengedrängten Gerüſte vulkaniſcher Thätigkeit aufzuweiſen. Da, wo mit dem Vulkan von Soconusco (Br. 16° 2“ an der Grenze von Chiapas die ſo charakteriſtiſche Reihe der Vulkane von Centralamerika endet, fängt ein ganz verſchie— denes Syſtem von Vulkanen, das mexikaniſche, an. Die für den Handel mit der Südſeeküſte ſo wichtige Landenge von Huaſacualco und Tehuantepec iſt, wie der nordöſtlicher ge— legene Staat von Oaxaca, ganz ohne Vulkane, vielleicht auch ohne ungeöffnete Trachytkegel. Erſt in 40 Meilen Entfernung vom Vulkan von Soconusco erhebt ſich nahe an der Küſte von Alvarado der kleine Vulkan von Turtla (Br. 18 28%). Am öſtlichen Abfalle der Sierra de San Martin gelegen, hat er einen großen Flammen- und Aſchenausbruch am 2. März 1793 gehabt. Eine genaue aſtronomiſche Ortsbeſtimmung der koloſ⸗ ſalen Schneeberge und Vulkane im Inneren von Mexiko (dem alten Anahuac) hat mich erſt nach meiner Rückkehr nach Europa, beim Eintragen der Maxima der Höhen in meine große Karte von Neuſpanien zu dem überaus merkwürdigen Reſultate — — 225 — geführt, daß es dort von Meer zu Meer einen Parallel der Vulkane und größten Höhen gibt, der um wenige Minuten um den Parallel von 19° oszilliert. Die at Vulkane und zugleich die einzigen mit ewigem Schnee be: deckten Berge des Landes, alſo Höhen, welche 11000 bis 12000 Fuß (3570 bis 3980 m) überfteigen, die Vulkane von Orizaba, Popocatepetl, Toluca und Colima, liegen zwiſchen den Breitengraden von 18° 59“ und 19° 20% und bezeichnen gleichſam die Richtung einer Spalte vulfani- ſcher Thätigkeit von 90 Meilen (670 km) Länge. 10 In derſelben Richtung (Breite 19° 9) zwiſchen den Vulkanen von Toluca und Colima, von beiden 29 und 32 geogr. Meilen (215 und 237 km) entfernt, hat ſich in einer weiten Hoch— ebene von 2424 Fuß (787 m) am 14. September 1759 der neue Vulkan von Jorullo (4002 Fuß = 1300 m) erhoben. Die Oertlichkeit dieſer Erſcheinung im Verhältnis zu der Lage der anderen mexikaniſchen Vulkane und der Umſtand, daß die oſtweſtliche Spalte, welche ich hier bezeichne, faſt rechtwinkelig die Richtung der großen von Süd⸗ Süd⸗ Dit nach Nord⸗Nord⸗Weſt ſtreichenden Gebirgskette durchſchneidet, ſind geologiſche Erſcheinungen von ebenſo wichtiger Art, als es ſind die Entfernung des Ausbruches des Jorullo von den Meeren, die Zeugniſſe ſeiner Hebung, welche ich umſtändlich graphiſch dargeſtellt, die zahlloſen dampfenden hornitos, die den Vulkan umgeben, die Granitſtücke, welche in einer weit umher granitleeren Umgebung ich dem Lavaerguß des Haupt: vulkanes von Jorullo eingebaden gefunden habe. Folgende Tabelle enthält die ſpeziellen Ortsbeſtimmungen und Höhen der Vulkanreihen von Anahuac auf einer Spalte, welche von Meer zu Meer die Erhebungsſpalte des großen Gebirgszuges durchſchneidet: Höhen Folge von O W.᷑ ende über dem Meere | in Toifen und m | Vulkan von Orizaba IF 17 2796t (5450 m) Nevado Iztaccihuatl Perle 9" 2456t (4784 m) Vulkan Popocatepetl 18° 59“ 47“ 2772t (5420 m) Vulkan von Toluca 133 2372t (4623 m) Vulkan von Jorullo 192 97, 9" 667t (1300 m) Vulkan von Colima 292.207 0" 1877t 8657 =. A. v. Humboldt, Kosmos. IV. j 15 — 226 — Die Verlängerung des Parallels vulkaniſcher Thätigkeit in der Tropenzone von Mexiko führt in 110 Meilen (816 km) weſtlicher Entfernung von den Südſeeküſten nach der Inſel— gruppe Revillagigedo, in deren Nähe Collnet hat Bims— ſtein ſchwimmen ſehen; vielleicht noch weiter hin, in 840 Meilen (6230 km) Entfernung, zu dem großen Vulkan Mauna Roa (19° 28°), ohne dazwiſchen irgend eine Erhebung von Inſeln veranlaßt zu haben! Die Gruppen der Reihenvulkane von Quito und Neu— granada begreift eine vulkaniſche Zone, welche ſich von 2° ſüdlicher bis faſt 5“ nördlicher Breite erſtreckt. Die äußerſten Grenzen des Areals, in welchem jetzt ſich die Reaktion des Erdinneren gegen die Oberfläche offenbart, ſind der ununter— brochen thätige Sangay und der Paramo und Volcan de Ruiz, deſſen neueſte Wiederentzündung vom Jahre 1829 war, und den Karl Degenhardt 1831 von der Mina de Santana in der Provinz Mariquita und 1833 von Marmato aus hat rauchen ſehen. Die merkwürdigſten Spuren großer Ausbruch— phänomene zeigen von Norden gegen Süden nächſt dem Ruiz: der abgeſtumpfte Kegel des Vulkanes von Tolima (17010 Fuß — 5584 m), berühmt durch das Andenken an die verheerende Eruption vom 12. März 1595, die Vulkane von Pu racé (15957 Fuß = 5184 m) und Sotara bei Popayan, von Paſto (12620 Fuß = 4200 m) bei der Stadt gleichen Namens, vom Monte de Azufre (12030 Fuß = 3908 m) bei Tuquerres, von Cumbal (14654 Fuß = 4760 m) und von Chiles in der Provincia de los Pastos; dann folgen die hiſtoriſch berühmteren Vulkane des eigentlichen Hochlandes von Quito, ſüdlich vom Aequator, deren vier, Pichincha, Cotopaxi, Tungurahua und Sangay, mit Sicherheit als nicht erloſchene Vulkane betrachtet werden können. Wenn nördlich von dem Bergknoten der Robles, bei Popayan, wie wir bald näher entwickeln werden, in der Dreiteilung der . mächtigen Andeskette nur die mittlere Kordillere und nicht die der Seeküſte nähere weſtliche eine vulkaniſche Thätigkeit zeigt, ſo ſind dagegen ſüdlich von jenem Bergknoten, wo die Andes nur zwei, von Bouguer und La Condamine in ihren Schriften ſo oft erwähnte parallele Ketten bilden, Feuerberge ſo gleichmäßig verteilt, daß die vier Vulkane der Paſtos, wie Cotocachi, Pichincha, Iliniza, Carguairazo und Yana-Urcu, am Fuße des Chimborazo, auf der weſtlichen, dem Meere näheren, und Imbaburu, Cayambe, Antiſana, Cotopaxi, — 227 — Tungurahua (dem Chimborazo öſtlich gegenüber, doch der Mitte der ſchmalen Hochebene näher gerückt), der Altar de los Collanes (Capac-Urcu) und Sangay auf der öſtlichen Kordillere ausgebrochen ſind. Wenn man die nördlichſte Gruppe der Reihenvulkane von Südamerika in einem Blicke zuſammen— faßt, ſo gewinnt allerdings die in Quito oft ausgeſprochene und durch hiſtoriſche Nachrichten einigermaßen begründete Meinung von der Wanderung der vulkaniſchen Thätigkeit und Intenſitätszunahme von Norden nach Süden einen gewiſſen Grad der Wahrſcheinlichkeit. Freilich finden wir im Süden, und zwar neben dem wie Stromboli wirkenden Koloſſe Sangay die Trümmer des „Fürſten der Berge“, Capac-Urcu, welcher den Chimborazo an Höhe übertroffen haben ſoll, aber in den letzten Dezennien des 15. Jahrhunderts (14 Jahre vor der Eroberung von Quito durch den Sohn des Inca Tupac Yupanqui) einſtürzte, verloſch und ſeitdem nicht wieder ent: brannte. Der Raum der Andeskette, welchen die Gruppen der Vulkane nicht bedecken, iſt weit größer, als man gewöhnlich glaubt. In dem nördlichen Teile von Südamerika findet ſich von dem Volcan de Ruiz und dem Kegelberge Tolima, den beiden nördlichſten Vulkanen der Vulkanreihe von Neu— granada und Quito, an bis über den Iſthmus von Panama gegen Coſta Rica hin, wo die Vulkanreihe von Central— amerika beginnt, ein von Erdſtößen oft und mächtig erſchüt— tertes Land, in welchem flammengebende Salſen, aber keine echt vulkaniſchen Eruptionen bekannt ſind. Die Länge dieſes Landes beträgt 157 geogr. Meilen (1165 km). Faſt zweifach ſo lang (242 Meilen = 1795 km einnehmend) iſt eine vulkan— leere Strecke vom Sangay, dem ſüdlichen Endpunkte der Gruppe von Neugranada und Quito, bis zum Chacani bei Arequipa, dem Anfang der Vulkanreihe von Peru und Bolivia. So verwickelt und verſchiedenartig muß in derſelben Gebirgs— kette das Zuſammentreffen der Verhältniſſe geweſen ſein, von welchen die Bildung permanent offenbleibender Spalten und der ungehinderte Verkehr des geſchmolzenen Erdinneren mit dem Luftkreiſe abhängen. Zwiſchen den Gruppen von trachyt— und doleritartigem Geſtein, durch welche die vulkaniſchen Kräfte thätig werden, liegen etwas kürzere Strecken, in denen herrſchen: Granit, Syenit, Glimmerſchiefer, Thonſchiefer, Quarzporphyre, kieſelartige Konglomerate und ſolche Kalkſteine, von denen ein beträchtlicher Teil (nach Leopold von Buchs ſcharfſinniger Unterſuchung der von mir und Degenhardt heimgebrachten organiſchen Reſte) zur Kreideformation gehört. Das allmähliche Häufigerwerden von labradoriſchen, pyroxen- und oligoklas— reichen Gebirgsarten verkündigt dem aufmerkſamen Reiſenden, wie ich ſchon an einem anderen Orte gezeigt habe, den Ueber⸗ gang einer bis dahin in ſich abgeſchloſſenen unvulkaniſchen und in quarzloſen Porphyren voll glaſigen Feldſpates, oft ſehr ſilberreichen Zone in die noch frei mit dem Inneren des Erdkörpers kommunizierenden vulkaniſchen Regionen. Die genauere Kenntnis von der Lage und den Grenzen der fünf Gruppen von Vulkanen (den Gruppen von Anahuac oder des tropiſchen Mexikos, von Centralamerika, von Neugranada und Quito, von Peru und Bolivia und von Chile), zu der wir in der neueſten Zeit gelangt ſind, lehrt uns, daß in dem Teile der Kordilleren, welcher ſich von 19¼“ nördlicher bis 46° ſüdlicher Breite erſtreckt, alſo, die durch eine veränderte Achſenrichtung verurſachten Krümmungen mit eingerechnet, in einer Länge von faſt 1300 geogr. Meilen (9650 km), unbedeutend mehr 12 als die Hälfte (die Rech— nung gibt 635 gegen 607 Meilen — 4712 bis 4504 km) mit Vulkanen bedeckt iſt. Betrachtet man die Verteilung des vulkanleeren Raumes zwiſchen die fünf Vulkangruppen, ſo findet man das Maximum des Abſtandes zweier Gruppen voneinander bei den Vulkanreihen von Quito und Peru. Es iſt derſelbe volle 240 Meilen (1780 km), während die am meiſten einander genäherten Gruppen, die erſte und zweite, die von Mexiko und Centralamerika find. Die vier Zwiſchen⸗ räume zwiſchen den fünf Gruppen entſprechen den Meilen⸗ zahlen 75, 157, 240, 135 (556, 1171, 1780, 1001 km). Der große Abſtand, welchen der ſüdlichſte Vulkan Quitos von dem nördlichſten Perus darbietet, iſt auf den erſten Anblick um ſo auffallender, als man nach altem Gebrauch die Grad— meſſung auf dem Hochlande von Quito die peruaniſche zu nennen pflegte. Nur der kleinere ſüdliche Teil der Andes⸗ kette von Peru iſt vulkaniſch. Die Zahl der Vulkane iſt zufolge der Liſten, welche ich nach ſorgfältiger Diskuſſion der neueſten Materialien angefertigt habe, in allgemeiner Ueber: ſicht folgende: — 229 — Namen der fünf Gruppen Zahl | Zahl der von Reihenvulkanen der Vulkane, Vulkane, welche des neuen Kontinents welche noch als ent⸗ von 19° 25° nördlicher jede Gruppe zündet zu be— bis 46° 8° ſüdlicher Breite umfaßt trachten ſind Gruppe von Mexiko 18 Gruppe von Centralamerika 104. Gruppe von Neugranada und Quito 1% n Gruppe von Peru und Bolivia !%% Gruppe von Chile 1% Nach dieſen Angaben iſt die Summe der Vulkane in den fünf amerikaniſchen Gruppen 91, von denen 56 dem Kontinent von Südamerika angehören. Ich zähle als Vulkane auf, außer denen, welche noch gegenwärtig entzündet und thätig ſind, auch diejenigen vulkaniſchen Gerüſte, deren alte Ausbrüche einer hiſtoriſchen Zeit angehören, oder deren Bau und Eruptions— maſſen (Erhebungs- und Auswurfskrater, Laven, Schlacken, Bimsſteine und Obſidiane) ſie jenſeits aller Tradition als längſt erloſchene Feuerberge charakteriſieren. Ungeöffnete Trachyt— kegel und Dome oder ungeöffnete lange Trachytrücken wie der Chimborazo und Iztaccihuatl find ausgeſchloſſen. Dieſen Sinn haben auch Leopold von Buch, Charles Darwin und Friedrich Naumann dem Worte Vulkan in ihren geographiſchen Auf— zählungen gegeben. Noch entzündete Vulkane nenne ich ſolche, welche in großer Nähe geſehen noch Zeichen ihrer Thätigkeit in hohem oder geringem Grade darbieten, teilweiſe auch in neuerer Zeit große, hiſtoriſch bekannte Ausbrüche gezeigt haben. Der Beiſatz „in großer Nähe geſehen“ iſt ſehr wichtig, da vielen Vulkanen die noch beſtehende Thätigkeit abgeſprochen wird, weil, aus der Ebene beobachtet, die dünnen Dämpfe, welche in bedeutender Höhe aus dem Krater aufſteigen, dem Auge unſichtbar bleiben. Wurde nicht zur Zeit meiner ame— rikaniſchen Reiſe geleugnet, daß Pichincha und der große Vulkan von Mexiko (Popocatepetl) entzündet ſeien! da doch ein unter: nehmender Reiſender, Sebaſtian Wiſſe, im Krater des Pichincha um den großen thätigen Auswurfskegel noch 70 entzündete Mün dungen (Fumarolen) zählte, und ich am Fuße des Popocatepetl - — 230 — in dem Malpais del Llano de Tetimpa, in welchem ich eine Grundlinie zu meſſen hatte, Zeuge des eines höchſt deutlichen Aſchenauswurfes des Vulkanes wurde. In der Reihenfolge der Vulkane von Neugranada und Quito, welche in 18 Vulkanen noch 10 entzündete umfaßt und ungefähr die doppelte Länge der Pyrenäen hat, kann man von Norden nach Süden als vier kleinere Gruppen oder Unterabteilungen bezeichnen: den Paramo de Ruiz und den nahen Vulkan von Tolima (Br. nach Acoſta 4° 55“ N.), Puracé und Sotars bei Popayan (Br. 2 ½ ), die Volcanes de Pasto, Tuquerres und Cumbal (Br. 2° 20° bis 0° 50), die Reihe der Vulkane von Pichincha bei Quito bis zu dem ununterbrochen thätigen Sangay (Aequator bis 2“ ſüdlicher Breite). Dieſe letzte Unterabteilung der ganzen Gruppe iſt unter den Vulkanen der Neuen Welt weder beſonders auf— fallend durch ihre große Länge, noch durch die Gedrängtheit ihrer Reihung. Man weiß jetzt, daß ſie auch nicht die höchſten Gipfel einſchließt; denn der Aconcagua in Chile (Br. 32° 3%) von 21584 Fuß (7011 m) nach Kellet, von 22434 Fuß (7287 m) nach Fitzroy und Pentland, wie die Nevados von Sahama (20 950 Fuß = 6812 m), Parinacota (20670 Fuß — 6713 m), Gualateiri (20604 Fuß = 6692 m) und Pomarape (20360 Fuß = 6643 m), alle vier zwiſchen 1897 und 18° 25° ſüdlicher Breite, werden für höher ge: halten als der Chimborazo (20 100 Fuß = 6529 m). Dennoch genießen die Vulkane von Quito unter allen Vulkanen des neuen Kontinentes den am weiteſten verbreiteten Ruf, denn an jene Berge der Andeskette, an jenes Hochland von Quito iſt das Andenken mühevoller, nach wichtigen Zwecken ſtrebender aſtronomiſcher, geodätiſcher, optiſcher, barometriſcher Arbeiten geknüpft, das Andenken an zwei glänzende Namen, Bouguer und La Condamine! Wo geiſtige Beziehungen walten, wo eine Fülle von Ideen angeregt wird, welche gleichzeitig zur Erweiterung mehrerer Wiſſenſchaften geführt haben, bleibt gleichſam örtlich der Ruhm auf lange gefeſſelt. So iſt er auch vorzugsweiſe in den Schweizer Alpen dem Montblanc geblieben; nicht wegen ſeiner Höhe, welche die des Monte Roſa nur um 523 Fuß (170 m) übertrifft, nicht wegen der überwundenen Gefahr ſeiner Erſteigung, ſondern wegen des Wertes und der Mannigfaltigkeit phyſikaliſcher und geologiſcher Anſichten, welche Sauſſures Namen und das Feld ſeiner raſtloſen Arbeitſamkeit verherrlichen. Die Natur erſcheint da * — 231 — am größten, wo neben dem ſinnlichen Eindruck ſie ſich auch in der Tiefe des Gedankens reflektiert. Die Vulkanreihe von Peru und Bolivia, noch anz der Aequinoktialzone angehörig und nach Pentland erſt bei 15900 Fuß (5164 m) Höhe mit ewigem Schnee bedeckt (Darwin, Journal 1845, p. 244), erreicht ungefähr in der Mitte ihrer Länge, in der Sahamagruppe, das Minimum ihrer Erhebung (20970 Fuß —= 6812 m), zwiſchen 18. und 18° 25° ſüdlicher Breite. Dort erſcheint bei Arica eine ſonderbare buſenförmige Einbiegung des Geſtades, welcher eine plötzliche Veränderung in der Achſenrichtung der Andeskette und der ihr weſtlich vorliegenden Vulkanreihe ent— ſpricht. Von da gegen Süden ſtreicht das Litorale und zugleich die vulkaniſche Spalte nicht mehr von Südoſt in Nordweſt, ſondern in der Richtung des Meridians, einer Richtung, die ſich bis nahe dem weſtlichen Eingange der Magelhaensſchen Meerenge, auf einer Länge von mehr als 500 geogr. Meilen (3700 km) erhält. Ein Blick auf die von mir im Jahre 1831 herausgegebene Karte der Verzweigungen und Bergknoten der Andeskette bietet noch viele andere ähnliche Uebereinſtimmungen zwiſchen dem Umriß des neuen Kontinentes und den nahen oder fernen Kordilleren dar. So richten ſich zwiſchen den Vorgebirgen Aguja und San Lorenzo (5½ » bis 1° ſüdlicher Breite) beide das Li— torale der Südſee und die Kordilleren von Süd nach Nord, nachdem ſie ſo lange zwiſchen den Parallelen von Arica und Caxamarca von Südoſt nach Nordweſt gerichtet waren; ſo laufen Litorale und Kordilleren vom Bergknoten des Imbaburu bei Quito bis zu dem de los Robles 1% bei Popayan gar von Südweſt in Nordoſt. Ueber den geologi— ſchen Kauſalzuſammenhang dieſer ſich fo vielfach offen— barenden Uebereinſtimmung der Konturformen der Konti: nente mit der Richtung naher Gebirgsketten (Südamerika, Alleghanys, Norwegen, Apenninen) ſcheint es ſchwer zu ent— ſcheiden. Wenn auch gegenwärtig in den Vulkanreihen von Bolivia und Chile der der Südſee nähere weſtliche Zweig der Andeskette die meiſten Spuren noch dauernder vulkaniſcher Thätigkeit aufweiſt, ſo hat ein ſehr erfahrener Beobachter, Pentland, doch auch am Fuße der öſtlichen, von der Meeres— küſte über 45 geogr. Meilen (334 km) entfernten Kette einen völlig erhaltenen, aber ausgebrannten Krater mit unverkenn— — 232 — baren Lavaſtrömen aufgefunden. Es liegt derſelbe auf dem Gipfel eines Kegelberges bei San Pedro de Cacha im Thale von Yucay, in faſt 11300 Fuß (3670 m) Höhe (Br. 14° 8, Länge 73° 40, ſüdlich von Cuzco, wo die öſtliche Schneekette von Apolobamba, Carabaya und Vilcanoto ſich von SO nach NW hinzieht. Dieſer merkwürdige Punkt 11 iſt durch die Ruinen eines berühmten Tempels des Inca Viracocha be— zeichnet. Die Meeresferne des alten lavagebenden Vulkanes it weit größer als die des Sangay, der ebenfalls einer öjt: lichen Kordillere zugehört, größer als die des Orizaba und Jorullo. Eine vulkanleere Strecke von 135 Meilen (1000 km) Länge ſcheidet die Vulkanreihe Perus und Bolivias von der von Chile. Das iſt der Abſtand des Ausbruches in der Wüſte von Atacama von dem Vulkan von Coquimbo. Schon 2% 34° ſüdlicher erreicht, wie früher bemerkt, im Vulkan Aconcagua (21584 Fuß = 7011 m) die Gruppe der Vulkane von Chile das Maximum ihrer Höhe, welches nach unſeren jetzigen Kenntniſſen zugleich auch das Maximum aller Gipfel des neuen Kontinentes tft. Die mittlere Höhe der Sahama— gruppe iſt 20650 Fuß (6812 m), alſo 550 Fuß (178 m) höher als der Chimborazo. Dann folgen in ſchnell ab— nehmender Höhe: Cotopaxi, Arequipa (?) und Tolima zwi: ſchen 17712 und 17010 Fuß (5755 und 5584 m) Höhe. Ich gebe ſcheinbar in ſehr genauen Zahlen, unverändert, Reſul⸗ tate von Meſſungen an, welche ihrer Natur nach leider aus trigonometriſchen und barometriſchen Beſtimmungen zu— ſammengeſetzt ſind, weil auf dieſe Weiſe am meiſten zur Wiederholung der Meſſungen und Korrektion der Reſultate angeregt wird. In der Reihe der Vulkane Chiles, deren ich 24 aufgeführt habe, ſind leider ſehr wenige und meiſt nur die ſüdlichen, niedrigeren zwiſchen den Parallelen von 37° 20“) bis 439 40“, von Antuco bis Nantales, hypſometriſch beſtimmt. Es haben dieſelben die unbeträchtlichen Höhen von 6000 bis 8000 Fuß (1950 bis 2600 m). Auch in der Tierra del Fuego ſelbſt erhebt ſich der mit ewigem Schnee bedeckte Gipfel des Sarmiento nach Fitzroy nur bis 6400 Fuß (2080 m). Vom Vulkan von Coquimbo bis zu dem Vulkan San Clemente zählt man 242 Meilen (1800 km). Ueber die Thätigkeit der Vulkane von Chile haben wir die wichtigen Zeugniſſe von Charles Darwin, der den Oſorno, Corcovado und Aconcagua ſehr beſtimmt als entzündet auf— sl; — 233 — führt; die Zeugniſſe von Meyen, Pöppig und Gay, welche den Maipu, Antuco und Peteroa beſtiegen; die von Domeyko, dem Aſtronomen Gilliß und Major Philippi. Man möchte die Zahl der entzündeten Krater auf dreizehn ſetzen, nur fünf weniger als in der Gruppe von Centralamerika. Von den fünf Gruppen der Reihenvulkane des neuen Kontinentes, welche nach aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen und meiſt auch hypfometriſch in Lage und Höhe haben an- gegeben werden können, wenden wir uns nun zu dem alten Kontinent, in dem, ganz im Gegenſatz mit dem neuen, die größere Zahl zuſammengedrängter Vulkane nicht dem feſten Lande, ſondern den Inſeln angehört. Es liegen die meiſten europäif chen Vulkane im Mittelländiſchen Meere, und zwar (wenn man den großen, mehrfach thätigen Krater zwiſchen Thera, Theraſia und Aſproniſt mitrechnet) in dem tyrrheni⸗ ſchen und ägeiſchen Teile; es liegen in Aſien die mächtigſten Vulkane auf den großen und kleinen Sundainſeln, den Mo: lukken, den Philippinen, in den Archipelen von Japan, der Kurilen und der Aleuten im Süden und Oſten des Kon— tinentes. In keiner anderen Region der Erdoberfläche zeigen ſich ſo häufige und ſo friſche Spuren des regen Verkehres zwiſchen dem Inneren und dem Aeußeren unſeres Planeten, als auf dem engen Raume von kaum 800 geographiſchen Quadratmeilen (44 000 qkm) zwiſchen den Parallelen von 10° ſüdlicher ı und 14° nördlicher Breite, wie zwiſchen den Meridianen der Süd— ſpitze von Malakka und der Weſtſpitze der Papuahalbinſel von Neuguinea. Das Areal dieſer vulkaniſchen Inſelwelt erreicht kaum die Größe der Schweiz und wird beſpült von der Sunda-, Banda⸗, Sulu⸗ und Mindoroſee. Die einzige Inſel Java enthält noch jetzt eine größere Zahl entzündeter Vulkane, als die ganze ſüdliche Hälfte von Amerika, wenngleich dieſe Inſel nur 136 geographiſchiſche Meilen (1010 km) lang iſt, d i. nur '/ der Länge von Südamerika hat. Ein neues, langerwartetes Licht über die geognoſtiſche Beſchaffenheit von Java iſt (nach früheren, ſehr unvollſtändigen, aber verdienſtlichen Arbeiten von Horsfield, Sir Thomas Stamford, Raffles und Nein: wardt) durch einen kenntnisvollen, kühnen und unermüdet thätigen Naturforſcher, Franz Junghuhn, neuerdings ver: breitet worden. Nach einem mehr als zwölfjährigen Aufenthalte hat er in einem lehrreichen Werke: Java, ſeine Geſtalt und Pflanzendecke und innere Bauart, die ganze Naturgeſchichte des Landes umfaßt. Ueber 400 Höhen wurden barometriſch mit Sorgfalt gemeſſen, die vulkaniſchen Kegel— und Glockenberge, 45 an der Zahl, in Profilen dargeſtellt und bis auf 3 alle von Junghuhn erſtiegen. Ueber die Hälfte, wenigſtens 28, wurden als noch entzündet und thätig er: kannt, ihre merkwürdigen und ſo verſchiedenen Reliefformen mit ausgezeichneter Klarheit beſchrieben, ja in die erreichbare Geſchichte ihrer Ausbrüche eingedrungen. Nicht minder wichtig als die vulkaniſchen Erſcheinungen von Java ſind die dor— tigen Sedimentformationen tertiärer Bildung, die vor der eben genannten ausführlichen Arbeit uns vollkommen unbekannt waren und doch / des ganzen reales der Inſel, beſonders in dem ſüdlichen Teile, bedecken. In vielen Gegenden von Java finden ſich als Reſte ehemaliger weitverbreiteter Wälder 3 bis 7 Fuß (1 bis 2,25 m) lange Bruchſtücke von verkieſelten Baumſtämmen, die allein den Dikotyledonen angehören. Für ein Land, in welchem jetzt eine Fülle Palmen und Baum⸗ farnen wachſen, iſt dies um ſo merkwürdiger, als im miocänen Tertiärgebirge der Braunkohlenformation von Europa, da wo jetzt baumſtämmige Monokotyledonen nicht mehr gedeihen, nicht ſelten foſſile Palmen angetroffen werden.!!! Durch das fleißige Sammeln von Blattabdrücken und verſteinerten Höl— zern hat Junghuhn Gelegenheit dargeboten, daß die nach ſeiner Sammlung von Göppert ſcharfſinnig bearbeitete vor: weltliche Flora von Java als das erſte Beiſpiel der foſſilen Flora einer rein tropiſchen Gegend hat erſcheinen können. Die Vulkane von Java ſtehen in Anſehung der Höhe, welche ſie erreichen, denen der drei Gruppen von Chile, Bo— livia und Peru, ja ſelbſt der zwei Gruppen von Quito ſamt Neugranada und dem tropiſchen Mexiko, weit nach. Die Maxima, welche die genannten amerikaniſchen Gruppen er: reichen, ſind für Chile, Bolivia und Quito 20000 bis 21600 Fuß (6500 bis 7020 m), für Mexiko 17000 Fuß (5520 m). Das iſt faſt um 10000 Fuß (3250 m) (um die Höhe des Aetna) mehr als die größte Höhe der Vulkane von Sumatra und Java. Auf der letzteren Inſel iſt der höchſte und noch entzündete Koloß der Gunung Semeru, die kulminierende Spitze der ganzen javaniſchen Vulkanreihe. Junghuhn hat dieſelbe im September 1844 erſtiegen; das Mittel ſeiner Baro⸗ metermeſſungen gab 11480 Fuß (3753 m) über der Meeres⸗ fläche, alſo 1640 Fuß (532 m) mehr, als der Gipfel des Aetna. Bei Nacht ſank das hundertteilige Thermometer unter — 235 — 6,2“. Der ältere, Sanskritname des Gunung Semeru war Maha⸗Meru (der große Meru), eine Erinnerung an die Zeit, als die Malaien indiſche Kultur aufnahmen, eine Erinnerung an den Weltberg im Norden, welcher nach dem Mahab— harata der mythiſche Sitz iſt von Brahma, Wiſchnu und den ſieben Devarſchi.! !? Auffallend iſt es, daß, wie die Ein: geborenen der Hochebene von Quito ſchon vor jeglicher Meſſung erraten hatten, daß der Chimborazo alle anderen Schnee— berge des Landes überrage, ſo die Javanen auch wußten, daß der heilige Berg Maha⸗Meéru, welcher von dem Gunung Ardjuna (10350 Fuß —= 3362 m) wenig entfernt iſt, das Maximum der Höhe auf der Inſel erreiche, und doch konnte hier, in einem ſchneefreien Lande, der größere Abſtand des Gipfels von der Niveaulinie der ewigen unteren Schneegrenze ebenſowenig das Urteil leiten, als die Höhe eines temporären, zufälligen Schneefalles. Der Höhe des Gunung Semeru, welche 11000 Fuß überſteigt, kommen vier andere Vulkane am nächſten, die hypſo⸗ metriſch zu 10 000 und 11000 Fuß (3250 und 3370 m) ge: funden wurden. Es find Gunung!!s Slamat oder Berg von Tegal (10430 Fuß = 3388 m), Gunung Ardjuna (10350 — 3362 m), Gunung Sumbing (10 340 Fuß = 3361 m) und Gunung Lawu (10 065 Fuß = 3270 m). Zwiſchen 9000 und 10 000 Fuß (2920 und 3250 m) fallen noch 7 Vulkane von Java, ein Reſultat, das um ſo wichtiger iſt, als man früher keinem Gipfel auf der Inſel mehr als 6000 Fuß (1950 m) zuſchrieb. 11“ Unter den fünf Gruppen der nord- und ſüd⸗ amerikaniſchen Vulkane iſt die von Guatemala (Centralamerika) die einzige, welche in mittlerer Höhe von der Javagruppe übertroffen wird. Wenn auch bei Alt-Guatemala der Volcan de Fuego (nach der Berechnung und Reduktion von Poggen— dorff) 12300 Fuß (3995 m), alſo 820 Fuß (266 m) mehr Höhe als der Gunung Semeru erreicht, jo ſchwankt doch der übrige Teil der Vulkanreihe Centralamerikas nur zwiſchen 5000 und 7000 (1620 und 2270 m), nicht, wie auf Java, zwiſchen 7000 und 10 000 Fuß (2270 und 3250 m). Der höchſte Vulkan Aſiens iſt aber nicht in dem aſiatiſchen Inſel— reiche (dem Archipel der Sundainſeln), ſondern auf dem Kon: tinent zu ſuchen; denn auf der Halbinſel Kamtſchatka er⸗ hebt ſich der Vulkan Kljutſchewsk bis 14790 Fuß (4804 m), Br zur Höhe des Rucu-Pichincha in den Kordilleren von ulto. 5 — Die gedrängte Reihe der Vulkane von Java (über 45 an der Zahl) hat in ihrer Hauptachſe die Richtung WNW bis SO (genau W 12“ N), alſo meiſt der Vulkanreihe des öſtlichen Teiles von Sumatra, aber nicht der Längenachſe der Inſel Java parallel. Dieſe allgemeine Richtung der Vulkan⸗ kette ſchließt keineswegs die Erſcheinung aus, auf welche man neuerlichſt auch in der großen Himalayakette aufmerkſam ge- macht hat, daß einzeln 3 bis 4 hohe Gipfel ſo zuſammen— gereiht ſind, daß die kleinen Achſen dieſer Partialreihen mit der Hauptachſe der Kette einen ſchiefen Winkel machen. Dieſes Spaltenphänomen, welches Hodgſon, Joſeph Hooker und Strachey beobachtet und teilweiſe dargeſtellt haben, iſt von großem Intereſſe. Die kleinen Achſen der Nebenſpalten ſcharen ſich an die große an, bisweilen faſt unter einem rechten Winkel, und ſelbſt in vulkaniſchen Ketten liegen oft gerade die Maxima der Höhen etwas von der großen Achſe entfernt. Wie in den meiſten Reihenvulkanen, bemerkt man auch auf Java kein beſtimmtes Verhältnis zwiſchen der Höhe und der Größe des Gipfelkraters. Die beiden größten Krater gehören dem Gunung Tengger und dem Gunung Raon an. Der erſte von beiden iſt ein Berg dritter Klaſſe, von nur 8165 Fuß (2652 m) Höhe. Sein zirkelrunder Krater hat über 20000 Fuß (6500 m), alſo faſt eine geographiſche Meile, im Durch— meſſer. Der ebene Boden des Kraters iſt ein Sandmeer, deſſen Fläche 1750 Fuß (568 m) unter dem höchſten Punkte der Umwallung liegt, und in dem hier und da aus der Schicht zerriebener Rapilli ſchlackige Lavamaſſen hervorragen. Selbſt der ungeheure und dazu mit glühender Lava angefüllte Krater des Kilauea auf Hawai erreicht nach der ſo genauen trigono— metriſchen Aufnahme des Kapitän Wilkes und den vortrefflichen Beobachtungen Danas nicht die Kratergröße des Gunung Tengger. In der Mitte des Kraters von dem letzteren er— heben ſich vier kleine Auswurfkegel, eigentlich umwallte, trichter— förmige Schlünde, von denen jetzt nur einer, Bromo (der mythiſche Name Brahma, ein Wort, welchem in den Kawi— Wortverzeichniſſen die Bedeutung Feuer beigelegt wird, die das Sanskrit nicht zeigt), unentzündet iſt. Bromo bietet das merkwürdige Phänomen dar, daß in ſeinem Trichter ſich von 1838 bis 1842 ein See bildete, von welchem Junghuhn er— wieſen hat, daß er ſeinen Urſprung dem Zufluß atmoſphä— riſcher Waſſer verdankt, die durch gleichzeitiges Eindringen von Schwefeldämpfen erwärmt und geſäuert wurden. s Nach dem — 237 — Gunung Tengger hat der Gunung Raon den größten Krater, im Durchmeſſer jedoch um die Hälfte kleiner. Seine Tiefe ge— währt einen ſchauervollen Anblick. Sie ſcheint über 2250 Fuß (730 m) zu betragen; und doch iſt der merkwürdige, 9550 Fuß (3102 m) hohe Vulkan, welchen Junghuhn beſtiegen und ſo ſorgfältig beſchrieben hat, nicht einmal auf der ſo verdienſt— vollen Karte von Raffles genannt worden. Die Vulkane von Java bieten, wie meiſt alle Reihen- vulkane, die wichtige Erſcheinung dar, daß Gleichzeitigkeit großer Eruptionen viel ſeltener bei einander nahe liegenden als bei weit voneinander entfernten Kegeln beobachtet wird. Als in der Nacht vom 11. zum 12. Auguſt 1772 der Vulkan Gunung Pepandajan (6600 Fuß = 2144 m) den verheerend— ſten Feuerausbruch hatte, der in hiſtoriſchen Zeiten die Inſel betroffen hat, entflammten ſich in derſelben Nacht zwei andere Vulkane, der Gunung Tjerimai und der Gunung Slamat, welche in gerader Linie 46 und 88 geogr. Meilen (340 und 653 km) vom Pepandajan entfernt liegen.!“ Stehen auch die Vulkane einer Reihe alle über einem Herde, ſo iſt doch gewiß das Netz der Spalten, durch welche ſie kommunizieren, ſo zuſammengeſetzt, daß die Verſtopfung alter Dampfkanäle, oder im Laufe der Jahrhunderte die temporäre Eröffnung neuer den ſimultanen Ausbruch auf ſehr entfernten Punkten be— greiflich machen. Ich erinnere an das plötzliche Verſchwinden der Rauchſäule, die aus dem Vulkan von Paſto aufſtieg, als am Morgen des 4. Februar 1797 das furchtbare Erdbeben von Riobamba die Hochebene von Quito zwiſchen dem Tunguragua und Cotopaxi erſchütterte. Den Vulkanen der Inſel Java wird im allgemeinen ein Charakter gerippter Geſtaltung zugeſchrieben, von dem ich auf den Kanariſchen Inſeln, in Mexiko und in den Kordilleren von Quito nichts Aehnliches geſehen habe. Der neueſte Rei— ſende, welchem wir ſo treffliche Beobachtungen über den Bau der Vulkane, die Geographie der Pflanzen und die pſychro— metriſchen Feuchtigkeitsverhältniſſe verdanken, hat die Erſchei— nung, deren ich hier erwähne, mit ſo beſtimmter Klarheit be— ſchrieben, daß ich, um zu neuen Unterſuchungen Anlaß zu geben, nicht verſäumen darf, die Aufmerkſamkeit auf jene Regelmäßigkeit der Form zu richten. „Obgleich,“ ſagt Herr Junghuhn, „die Oberfläche eines 10300 Fuß (3345 m) hohen Vulkanes, des Gunung Sumbing, aus einiger Entfernung ge— ſehen, wie eine ununterbrochen ebene und geneigte Fläche des — 238 — Kegelberges erſcheint, ſo findet man doch bei näherer Betrach— tung, daß ſie aus lauter einzelnen ſchmalen Längenrücken oder Rippen beſteht, die nach unten zu ſich immer mehr ſpalten und breiter werden. Sie ziehen ſich vom Gipfel des Vulkanes oder noch häufiger von einer Höhe, die einige hun— dert Fuß unterhalb des Gipfels liegt, nach allen Seiten, wie die Strahlen eines Regenſchirmes divergierend, zum Fuße des Berges herab.“ Dieſe rippenförmigen Längerücken haben bis: weilen auf kurze Zeit einen geſchlängelten Lauf, werden aber alle durch nebeneinander liegende, gleich gerichtete und im Herabſteigen breiter werdende Zwiſchenklüfte von 300 bis 400 Fuß (100 bis 130 m) Tiefe gebildet. Es ſind Ausfurchungen der Oberfläche, „welche an den Seitengehängen aller Vulkane der Inſel Java ſich wiederfinden, aber in der mittleren Tiefe und dem Abſtande ihres oberen Anfanges vom Kraterrande und von einem uneröffneten Gipfel bei den verſchiedenen Kegelbergen bedeutend voneinander abweichen. Der Gunung Sumbing (10 348 Fuß = 3361 m) gehört zu der Anzahl der: jenigen Vulkane, welche die ſchönſten und regelmäßigſt gebil⸗ deten Rippen zeigen, da der Berg von Waldbäumen entblößt und mit Gras bedeckt iſt“. Nach den Meſſungen, welche Junghuhn bekannt gemacht, nimmt die Zahl der Rippen durch Verzweigung ebenſo zu, als der Neigungswinkel ab- nimmt. Oberhalb der Zone von 9000 Fuß (2920 m) ſind im Gunung Sumbing nur etwa 10 ſolche Rippen, in 8500 Fuß (2760 m) Höhe 32, in 5500 Fuß (1780 m) an 72, in 3000 Fuß (974 m) Höhe über 95. Der Neigungswinkel nimmt dabei ab von 37° zu 25° und 10 ½ Fajt ebenſo regelmäßig ſind die Rippen am Vulkan Gunung Tengger (8165 Fuß = 2652 m), während fie am Gunung Ringgit durch die verwüſtenden Ausbrüche, welche dem Jahre 1586 folgten, bedeckt und zerſtört worden ſind. „Die Entſtehung der ſo eigentümlichen Längenrippen und der dazwiſchen lie⸗ genden Bergklüfte, deren Zeichnungen gegeben ſind, wird der Auswaſchung durch Bäche zugeſchrieben.“ Allerdings iſt die Maſſe der Meteorwaſſer in dieſer Tropen⸗ gegend im Mittel wohl 3 bis àmal beträchtlicher, als in der temperierten Zone, ja, die Zuſtrömungen find oft wolkenbruch⸗ artig; denn wenn auch im ganzen die Feuchtigkeit mit der Höhe der Luftſchichten abnimmt, ſo üben dagegen die großen Kegelberge eine beſondere Anziehung auf das Gewölk aus, und die vulkaniſchen Ausbrüche ſind, wie ich ſchon an anderen Orten bemerkt habe, ihrer Natur nach Gewitter erregend. Die Kluft: und Thalbildungen (Barrancos), welche in den Vul— kanen der Kanariſchen Inſeln und in den Kordilleren von Südamerika nach den von Leopold von Buch und von mir vielfältig gegebenen Beſchreibungen dem Reiſenden wichtig werden, weil ſie ihm das Innere des Gebirges erſchließen und ihn ſelbſt bisweilen bis in die Nähe der höchſten Gipfel und an die Umwallung eines Erhebungskraters leiten, bieten analoge Erſcheinungen dar; aber wenn dieſelben auch zu— zeiten die ſich ſammelnden Meteorwaſſer fortführen, jo iſt dieſen doch wohl nicht die primitive Entſtehung der Bar— rancos!!? an dem Abfalle der Vulkane zuzuſchreiben. Spal— tungen als Folge der Faltung in der weich gehobenen und ſich erſt ſpäter erhärtenden trachytiſchen Maſſe ſind wahr— ſcheinlich allen Eroſionswirkungen und dem Stoße der Waſſer vorhergegangen. Wo aber tiefe Barrancos in den von mir beſuchten vulkaniſchen Gegenden ſich an dem Abfalle oder Ge— hänge von Glocken- oder Kegelbergen (en las faldas de los Cerros barrancosos) zeigten, war keine Spur von der Regel— mäßigkeit oder ſtrahlenförmigen Verzweigung zu entdecken, welche wir nach Junghuhns Werken in den ſonderbaren Relief— formen der Vulkane von Java kennen lernen. 11s Die meiſte Analogie mit der hier behandelten Reliefform gewährt das Phänomen, auf welches Leopold von Buch und der ſcharf— ſinnige Beobachter der Vulkane Poulet Scrope ſchon aufmerk— ſam gemacht haben, das Phänomen, daß große Spalten ſich faſt immer nach der Normalrichtung der Abhänge, ſtrahlen— förmig, doch unverzweigt, vom Centrum des Berges aus, nicht quer auf denſelben, in rechtem oder ſchiefem Winkel eröffnen. 0 Der Glaube an die völlige Abweſenheit von Lavaſtrömen auf der Inſel Java, e zu dem Leopold von Buch nach Er: fahrungen des verdienſtvollen Reinwardt ſich hinzuneigen ſchien, iſt durch die neueren Beobachtungen mehr als erſchüttert worden. Junghuhn bemerkt allerdings, „daß der mächtige Vulkan Gunung Merapi in der geſchichtlichen Periode ſeiner Ausbrüche nicht mehr zuſammenhängende, kompakte Lavaſtröme gebildet, und daß er nur Lavafragmente (Trümmer) oder un— zuſammenhängende Steinblöcke ausgeworfen habe, wenn man auch im Jahre 1837 neun Monate lang an dem Abhange des Auswurfskegels nächtlich feurige Streifen herabziehen ſah.“ '?° Aber derſelbe ſo aufmerkſame Reiſende hat umſtändlich und — 240 — deutlich drei baſaltartige, ſchwarze Lavaſtröme an drei Vul— kanen: Gunung Tengger, Gunung Idjen und Slamat!?! be: ſchrieben. An dem letzteren verlängert ſich der Lavaſtrom, nachdem er Veranlaſſung zu einem Waſſerfall gegeben, bis in das Tertiärgebirge. Junghuhn unterſcheidet von ſolchen wahren Lavaergüſſen, die zuſammenhängende Maſſen bilden, ſehr genau bei dem Ausbruch des Gunung Lamongan vom 6. Juli 1838, was er einen Steinſtrom nennt, aus gereiht ausgeſtoßenen, großenteils eckigen, glühenden Trümmern beſtehend. „Man hörte das Gekrach der aufſchlagenden Steine, die, feurigen Punkten gleich, in einer Linie oder ordnungslos herabrollten.“ Ich hefte ſehr abſichtlich die Aufmerkſamkeit auf die ſehr ver⸗ ſchiedene Art, in der feurige Maſſen an dem Abhange eines Vulkanes erſcheinen, weil in dem Streite über das Maximum des Fallwinkels der Lavaſtröme bisweilen glühende Steinſtröme (Schlackenmaſſen), in Reihen ſich folgend, mit kontinuierlichen Lavaſtrömen verwechſelt werden. Da gerade in neueſter Zeit das wichtige, die innere Kon— ſtitution der Vulkane betreffende und, ich darf hinzuſetzen, nicht ernſt genug behandelte Problem der Seltenheit oder des völligen Mangels an Lavaſtrömen in Beziehung auf Java ſo oft zur Sprache gekommen iſt, ſo ſcheint es hier der Ort, dasſelbe unter einen allgemeinen Geſichtspunkt zu ſtellen. Wenn auch ſehr wahrſcheinlich in einer Vulkangruppe oder Vulkanreihe alle Glieder in gewiſſen gemeinſamen Verhält— niſſen zu dem allgemeinen Herde, dem geſchmolzenen Erd— inneren, ſtehen, ſo bietet doch jedes Individuum eigentümliche phyſikaliſche und chemiſche Prozeſſe dar in Hinſicht auf Stärke und Frequenz der Thätigkeit, auf Grad und Form der Flui— dität und auf Stoffverſchiedenheit der Produkte, Eigentümlich— keiten, welche man nicht durch Vergleichung der Geſtaltung und der Höhe über der jetzigen Meeresfläche erklären kann. Der Bergkoloß Sangay iſt ebenſo ununterbrochen in Eruption als der niedrige Stromboli; von zwei einander nahen Vul⸗ kanen wirft der eine nur Bimsſtein ohne Obſidian, der an⸗ dere beide zugleich aus; der eine gibt nur loſe Schlacken, der andere in ſchmalen Strömen fließende Lava. Dieſe charakteri⸗ ſierenden Prozeſſe ſcheinen dazu bei vielen in verſchiedenen Epochen ihrer Thätigkeit nicht immer dieſelben geweſen zu ſein. Keinem der beiden Kontinente iſt vorzugsweiſe Selten⸗ heit oder gar Abweſenheit von Lavaſtrömen zuzuſchreiben. Auffallende Unterſchiede treten nur in ſolchen Gruppen hervor, — 241 — für welche man ſich auf uns nahe liegende, beſtimmte hiſto— riſche Perioden beſchränken muß. Das Nichterkennen von einzelnen Lavaſtrömen hängt von vielerlei Verhältniſſen gleich— zeitig ab. Zu dieſen gehören: die Bedeckung mächtiger Tuff, Rapilli⸗ und Bimsſteinſchichten, die gleich- oder ungleichzeitige Konfluenz mehrerer Ströme, welche ein weit ausgedehntes Lava⸗- oder Trümmerfeld bilden, der Umſtand, daß in einer weiten Ebene längſt zerſtört ſind die kleinen koniſchen Ausbruchkegel, gleichſam das vulkaniſche Gerüſte, welchem, wie auf Lancerote, die Lava ſtromweiſe entfloſſen war. In den urälteſten Zuſtänden unſeres ungleich erkaltenden Pla: neten, in den früheſten Faltungen ſeiner Oberfläche, ſcheint mir ſehr wahrſcheinlich ein häufiges zähes Entquellen von trachytiſchen und doleritiſchen Gebirgsarten, von Bims— ſteinmaſſen oder obſidianhaltigen Perliten aus einem zuſammen— geſetzten Spaltennetze, über dem nie ein Gerüſte ſich erhoben oder aufgebaut hat. Das Problem ſolcher einfachen Spaltenergüſſe verdient die Aufmerkſamkeit der Geologen. In der Reihe der mexikaniſchen Vulkane iſt das größte und ſeit meiner amerikaniſchen Reiſe berufenſte Phänomen die Erhebung und der Lavaerguß des neu erſchienenen Jorullo. Dieſer Vulkan, deſſen auf Meſſungen gegründete Topographie ich zuerſt bekannt gemacht habe, bietet durch ſeine Lage zwiſchen den beiden Vulkanen von Toluca und Colima, und durch ſeinen Ausbruch auf der großen Spalte vulkaniſcher Thätig— keit, welche ſich vom Atlantiſchen Meere bis an die Südſee erſtreckt, eine wichtige und deshalb um ſo mehr beſtrittene geognoſtiſche Erſcheinung dar. Dem mächtigen Lavaſtrome folgend, welchen der neue Vulkan ausgeſtoßen, iſt es mir ge— lungen, tief in das Innere des Kraters zu gelangen und in demſelben Inſtrumente aufzuſtellen. Dem Ausbruch in einer weiten, lange friedlichen Ebene der ehemaligen Provinz Michoacan in der Nacht vom 28. zum 29. September 1759, über 30 geographiſche Meilen (220 km) von jedem anderen Vul— kane entfernt, ging ſeit dem 29. Juni desſelben Jahres, alſo drei volle Monate lang, ein ununterbrochenes unterirdiſches Getöſe voraus. Es war dasſelbe dadurch ſchon von den wunderbaren bramidos von Guanaxuato, die ich an einem anderen Orte beſchrieben, verſchieden, daß es, wie es gewöhn— licher der Fall iſt, von Erdſtößen begleitet war, welche der ſilberreichen Bergſtadt im Januar 1784 gänzlich fehlten. Der Ausbruch des neuen Vulkanes um 3 Uhr morgens verkündigte A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 16 — 242 — ſich tags vorher durch eine Erſcheinung, welche bei anderen Eruptionen nicht den Anfang, ſondern das Ende zu bezeichnen pflegt. Da, wo gegenwärtig der große Vulkan ſteht, war ehe— mals ein dichtes Gebüſch von der ihrer wohlſchmeckenden Früchte wegen bei den Eingeborenen jo beliebten Guayava (Psidium pyriferum). Arbeiter aus den Zuckerrohrfeldern (caflaverales) der Hacienda de San Pedro Jorullo, welche dem reichen, damals in Mexiko wohnenden Don Andres Pi⸗ mentel gehörte, waren ausgegangen, um Guayavafrüchte zu ſammeln. Als ſie nach der Meierei (hacienda) zurückkehrten, bemerkte man mit Erſtaunen, daß ihre großen Strohhüte mit vulkaniſcher Aſche bedeckt waren. Es hatten ſich demnach ſchon in dem, was man jetzt das Malpais nennt, wahrſcheinlich am Fuße der hohen Baſaltkuppe el Cuiche, Spalten geöffnet, welche dieſe Aſche (Rapilli) ausſtießen, ehe noch in der Ebene ſich etwas zu verändern ſchien. Aus einem in den biſchöf— lichen Archiven von Valladolid aufgefundenen Briefe des Pater Joaquin de Anſogorri, welcher drei Wochen nach dem Tage des erſten Ausbruches geſchrieben iſt, ſcheint zu erhellen, daß der Pater Iſidro Molina, aus dem Jeſuitenkollegium des nahen Patzcuaro hingeſandt, „um den von dem unterirdiſchen Getöſe und den Erdbeben aufs äußerſte beunruhigten Bewoh⸗ nern der Playas de Jorullo geiſtlichen Troſt zu geben“, zu: erſt die zunehmende Gefahr erkannte und dadurch die Rettung der ganzen kleinen Bevölkerung veranlaßte. In den erſten Stunden der Nacht lag die ſchwarze Aſche ſchon einen Fuß (32 em) hoch; alles floh gegen die Anhöhen von Aguaſarco zu, einem Indianerdörfchen, das 2260 Fuß (734 m) höher, als die alte Ebene von Jorullo liegt. Von dieſen Höhen aus ſah man (ſo geht die Tradition) eine große Strecke Landes in furchtbarem Feuerausbruch, und „mitten zwiſchen den Flammen (wie ſich die ausdrückten, welche das Ber gaufſteigen erlebt) erſchien, gleich einem ſchwarzen Kaſtell (castillo negro), ein großer, unförmiger Klumpen (bulto grande)“. Bei der geringen Bevölkerung der Gegend (die Indigo- und Baumwollenkultur war damals nur ſehr ſchwach betrieben) hat ſelbſt die Stärke langdauernder Erd— beben kein Menſchenleben gekoſtet, obgleich durch dieſelben, wie ich aus handſchriftlichen Nachrichten !?? erſehen, bei den Kupfergruben von Inguaran, in dem Städtchen Patzcuaro, in Santiago de Ario, und viele Meilen weiter, doch nicht über S. Pedro Churumuco hinaus, Häuſer umgeſtürzt worden — . ie — 243 — waren. In der Hacienda de Jorullo hatte man bei der allgemeinen nächtlichen Flucht einen taubſtummen Negerſklaven mitzunehmen vergeſſen. Ein Meſtize hatte die Menſchlichkeit, umzukehren und ihn, als die Wohnung noch ſtand, zu retten. Man erzählt gern noch heute, daß man ihn knieend, eine ge⸗ weihte Kerze in der Hand, vor dem Bilde de Nuestra Sefora de Guadalupe gefunden habe. Nach der weit und übereinſtimmend unter den Einge— borenen verbreiteten Tradition ſoll in den erſten Tagen der Ausbruch von großen Felsmaſſen, Schlacken, Sand und Aſche immer auch mit einem Erguß von ſchlammigem Waſſer ver⸗ bunden geweſen ſein. In dem vorerwähnten denkwürdigen Berichte vom 19. Oktober 1759, der einen Mann zum Ver⸗ faſſer hat, welcher mit genauer Lokalkenntnis das eben erſt Vorgefallene ſchildert, heißt es ausdrücklich: que espele el dieho Volcan arena, ceniza y agua. Alle Augenzeugen erzählen (ich überſetze aus der Beſchreibung, welche der In—⸗ tendant Oberſt Riano und der deutſche Bergkommiſſär Franz Fiſcher, der in ſpaniſche Dienſte getreten war, über den Zu⸗ ſtand des Vulkanes von Jorullo am 10. März 1789 geliefert haben), „daß, ehe der furchtbare Berg erſchien (antes de re- ventar y aparecerse este terrible Cerro), die Erdſtöße und das unterirdiſche Getöſe ſich häuften, am Tage des Ausbruches ſelbſt aber der flache Boden ſich ſichtbar ſenkrecht erhob (se observö, que el plan de la tierra se levantaba perpendi- cularmente), und das Ganze ſich mehr oder weniger auf— blähte, jo daß Blaſen (vexigones) erſchienen, deren größte heute der Vulkan iſt (de los que el mayor es hoy el Cerro del Volcan). Dieſe aufgetriebenen Blaſen von ſehr verſchiedenem Umfang und zum Teil ziemlich regelmäßiger, koniſcher Geſtalt, platzten ſpäter (estas ampollas, gruesas vegigas 6 conos diferentimente regulares en sus figuras y tamanos, reventäron despues), und ſtießen aus ihren Mündungen kochend heißen Erdſchlamm (tierras hervidas y ealientes) wie verſchlackte Steinmaſſen (piedras cocidas? y fundidas) aus, die man, mit ſchwarzen Steinmaſſen bedeckt, noch bis in ungeheure Ferne auffindet“. Dieſe hiſtoriſchen Nachrichten, die man freilich ausführ— licher wünſchte, ſtimmen vollkommen mit dem überein, was ich aus dem Munde der Eingeborenen 14 Jahre nach der Beſteigung des Antonio de Riano vernahm. Auf die Fragen, ob man „das Bergkaſtell“ nach Monaten oder Jahren — 244 — ſich allmählich habe erhöhen ſehen, oder ob es gleich in den erſten Tagen ſchon als ein hoher Gipfel erſchienen ſei, war keine Antwort zu erhalten. Rianos Behauptung, daß Eruptionen noch in den erſten 16 bis 17 Jahren vorgefallen wären, alſo bis 1776, wurde als unwahr geleugnet. Die Erſcheinungen von kleinen Waſſer- und Schlammausbrüchen, die in den erſten Tagen gleichzeitig mit den glühenden Schlacken bemerkt wurden, werden nach der Sage dem Verſiegen zweier Bäche zugeſchrieben, welche an dem weſtlichen Abhange des Gebirges von Santa Ines, alſo öſtlich vom Cerro de Cuiche, entſpringend, die Zuckerrohrfelder der ehemaligen Hacienda de San Pedro de Jorullo reichlich bewäſſerten und weit im Weſten nach der Hacienda de la Presentacion fortſtrömten. Man zeigt noch nahe bei ihrem Urſprunge den Punkt, wo ſie in einer Kluft mit ihren einſt kalten Waſſern bei Erhe— bung des öſtlichen Randes des Malpais verſchwunden ſind. Unter den Hornitos weglaufend, erſcheinen ſie (das iſt die allgemeine Meinung der Landleute) erwärmt als zwei Ther: malquellen wieder. Da der gehobene Teil des Malpais dort faſt ſenkrecht abgeſtürzt iſt, ſo bilden ſie die zwei kleinen Waſſerfälle, die ich geſehen und in meine Zeichnung aufge— nommen habe. Jedem derſelben iſt der frühere Name, Rio de San Pedro und Rio de Cuitimba, erhalten worden. Ich habe an dieſem Punkte die Temperatur der dampfenden Waſſer 52,7 gefunden. Die Waſſer ſind auf ihrem langen Wege nur erwärmt, aber nicht geſäuert worden. Die Reaktivpapiere, welche ich die Gewohnheit hatte, mit mir zu führen, erlitten keine Veränderung, aber weiterhin, nahe bei der Hacienda de la Presentacion, gegen die Sierra de las Canoas zu, ſprudelt eine mit geſchwefeltem Waſſerſtoffgas geſchwängerte Quelle, die ein Becken von 20 Fuß (6,5 m) Breite bildet. Um ſich von der komplizierten Reliefform der Boden— fläche einen klaren Begriff zu machen, in welcher ſo merk— würdige Erhebungen vorgefallen ſind, muß man hypſometriſch und morphologiſch unterſcheiden: 1) die Lage des Vulkan: ſyſtems von Jorullo im Verhältnis zu dem mittleren Niveau der mexikaniſchen Hochebene; 2) die Konvexität des Malpais, das von Tauſenden von Hornitos bedeckt iſt; 3) die Spalte, auf welcher 6 große vulkaniſche Bergmaſſen aufgeſtiegen ſind. An dem weſtlichen Abfalle der von SSO nach NNW ſtreichenden Cordillera central de Mexico bildet die Ebene der Playas de Jorullo in nur 2400 Fuß (780 m) Höhe über dem Niveau der Südſee eine von den horizontalen Berg: ſtufen, welche überall in den Kordilleren die Neigungslinie des Abfalles unterbrechen und deshalb mehr oder minder die Abnahme der Wärme in den übereinander liegenden Luft— ſchichten verlangſamen. Wenn man von dem Centralplateau von Mexiko in 7000 Fuß (2270 m) mittlerer Höhe nach den Weizenfeldern von Valladolid de Michuacan, nach dem an— mutigen See von Patzcuaro mit dem bewohnten Inſelchen Janicho und in die Wieſen um Santiago de Ario, die wir (Bonpland und ich) mit den nachmals jo berühmt gewordenen Georginen (Dahlia, Cav.) geſchmückt fanden, herabſteigt, ſo iſt man noch nicht 900 bis 1000 Fuß (292 bis 324 m) tiefer gelangt. Um aber von Ario am ſteilen Abhange über Aguaſarco in das Niveau der alten Ebene von Jorullo zu treten, vermindert man in dieſer ſo kurzen Strecke die abſolute Höhe um 3600 bis 4000 Fuß (1170 bis 1300 m) 128. Der rundliche, konvexe Teil der gehobenen Ebene hat ungefähr 12000 Fuß (3900 m) im Durchmeſſer, alſo ein Areal von mehr als 1 einer geographiſchen Quadratmeile. Der eigent— liche Vulkan von Jorullo und die 5 anderen Berge, die ſich mit ihm zugleich und auf einer Spalte erhoben haben, liegen ſo, daß nur ein kleiner Teil des Malpais öſtlich von ihnen fällt. Gegen Weſten iſt die Zahl der Hornitos daher um vieles größer, und wenn ich am frühen Morgen aus dem Indianerhäuschen der Playas de Jorullo heraustrat oder einen Teil des Cerro del Mirador beſtieg, jo ſah ich den ſchwarzen Vulkan ſehr maleriſch über die Unzahl von weißen Rauchſäulen der „kleinen Oefen“ (Hornitos) hervorragen. Sowohl die Häuſer der Playas als der baſaltiſche Hügel Mirador liegen auf dem Niveau des alten unvulkaniſchen oder, vorſichtiger zu reden, nicht gehobenen Bodens. Die ſchöne Vegetation desſelben, auf dem ein Heer von Salvien unter dem Schatten einer neuen Art der Fächerpalme (Corypha pumos) und einer neuen Ellerart (Alnus Jorullensis) blühen, kontraſtiert mit dem öden, pflanzenleeren Anblick des Malpais. Die Vergleichung der Barometerſtände !?“ des Punktes, wo die Hebung in den Playas anfängt, mit dem Punkte unmittelbar am Fuße des Vulkanes gibt 444 Fuß (144 m) relativer ſenk— rechter Höhe. Das Haus, das wir bewohnten, ſtand ungefähr nur 500 Toiſen (974m) von dem Rande der Malpais ab. Es fand ſich dort ein kleiner ſenkrechter Abſturz von kaum 12 Fuß (4 m) Höhe, von welchem die heiß gewordenen Waſſer des Baches 246 — (Rio de San Pedro) herabfallen. Was ich dort am Abſturz von dem inneren Bau des Erdreiches unterſuchen konnte, zeigte ſchwarze, horizontale Lettenſchichten, mit Sand (Rapilli) gemengt. An anderen Punkten, die ich nicht geſehen, hat Burkart „an der ſenkrechten Bekränzung des erhobenen Bodens, wo dieſer ſchwer zu erſteigen iſt, einen lichtgrauen, wenig dichten (verwitterten) Baſalt mit vielen Körnern von Olivin“ beobachtet. Dieſer genaue und erfahrene Beobachter hat aber an Ort und Stelle, ganz wie ich, die Anſicht von einer durch elaſtiſche Dämpfe bewirkten, blaſenförmigen Hebung der Erd— oberfläche gefaßt, entgegengeſetzt der Meinung berühmter Geognoſten, “? welche die Konvexität, die ich durch unmittel— bare Meſſung gefunden, allein dem ſtärkeren Lavaerguß am Fuße des Vulkanes zuſchreiben. Die vielen Tauſende der kleinen Auswurfskegel (eigent- lich mehr rundlicher oder etwas verlängerter, backofenartiger Form), welche die gehobene Fläche ziemlich gleichmäßig be— decken, ſind im Mittel von 4 bis 9 Fuß (1,3 bis 3 m) Höhe. Sie ſind faſt allein auf der weſtlichen Seite des großen Vulkanes emporgeſtiegen, da ohnedies der öſtliche Teil gegen den Cerro de Cuiche hin kaum "as des Areales der ganzen blaſenförmigen Hebung der Playas ausmacht. Jeder der vielen Hornitos iſt aus verwitterten Baſaltkugeln zuſammen— geſetzt mit konzentriſch ſchalig abgeſonderten Stücken; ich konnte oft 24 bis 28 ſolcher Schalen zählen. Die Kugeln find et- was ſphäroidiſch abgeplattet, und haben meiſt 15 bis 18 Zoll (40 bis 47 cm) im Durchmeſſer, variieren aber auch von 1 bis 3 Fuß (0,3 bis 1 m). Die ſchwarze Baſaltmaſſe tft von heißen Dämpfen durchdrungen und erdig aufgelöſt; doch der Kern iſt dichter, während die Schalen, wenn man ſie ab- löſt, gelbe Flecken orydierten Eiſens zeigen. Auch die weiche Lettenmaſſe, welche die Kugeln verbindet, iſt, ſonderbar genug, in gekrümmte Lamellen geteilt, die ſich durch alle Zwiſchen— räume der Kugeln durchwinden. Ich habe mich bei dem erſten Anblick befragt, ob das Ganze ſtatt verwitterter, ſparſam oli— vinhaltiger Baſaltkugeln nicht vielleicht in der Ausbildung begriffene, aber geſtörte Maſſen darböte. Es ſpricht dagegen die Analogie der wirklichen, mit Thon: und Mergelſchichten gemengten Kugelbaſalthügel, welche oft von ſehr kleinen Dimen⸗ ſionen im böhmiſchen Mittelgebirge, teils iſoliert, teils lange Baſaltrücken an beiden Extremen krönend, gefunden werden. Einige der Hornitos ſind ſo aufgelöſt oder haben * BR = jo große innere Höhlungen, daß Maultiere, wenn man jie zwingt, die Vorderfüße auf die flächeren zu ſetzen, tief ein⸗ ſinken, wogegen bei ähnlichen Verſuchen, die ich machte, die Hügel, welche die Termiten aufbauen, widerſtanden. In der Baſaltmaſſe der Hornitos habe ich keine Schlacken oder Fragmente älterer durchbrochener Gebirgsarten, wie in den Laven des großen Jorullo, eingebacken gefunden. Was die Benennung Hornos oder Hornitos beſonders rechtfertigt, iſt der Umſtand, das in jedem derſelben (ich rede von der Epoche, wo ich die Playas de Jorullo durchwanderte und mein Journal niederſchrieb, 18. September 1803) die Rauch⸗ ſäulen nicht aus dem Gipfel, ſondern ſeitwärts ausbrechen. Im Jahre 1780 konnte man noch Cigarren anzünden, wenn man ſie, an einen Stab befeſtigt, 2 bis 3 Zoll (5 bis 8 cm) tief eingrub; in einigen Gegenden war damals durch die Nähe der Hornitos die Luft ſo erhitzt, daß man Umwege machen mußte, um das Ziel, das man ſich vorgeſetzt, zu erreichen. Ich fand trotz der Erkaltung, welche nach dem allgemeinen Zeugnis der Indianer die Gegend ſeit 20 Jahre erlitten hatte, in den Spalten der Hornitos meiſt 93“ und 95° Cent. 20 Fuß (6,5 m) von einigen Hügeln hatte die umgebende Luft, da, wo keine Dämpfe mich berührten, noch eine Tem— peratur von 42,5“ und 46,8“, wenn die eigentliche Luft— temperatur der Playas zu derſelben Stunde kaum 25° war. Die ſchwach ſchwefelſauren Dämpfe entfärbten reagierende Papierſtreifen, und erhoben ſich einige Stunden nach Sonnen- aufgang ſichtbar bis 60 Fuß Höhe. An einem frühen, kühlen Morgen iſt der Anblick der Rauchſäulen am merkwürdigſten. Gegen Mittag, ja ſchon nach 11 Uhr, find ſie ganz erniedrigt und nur in der Nähe ſichtbar. Im Inneren von mehreren der Hornitos hörten wir Geräuſch wie Sturz von Waſſer. Die kleinen baſaltiſchen Backöfen ſind, wie ſchon oben be— merkt worden iſt, leicht zerſtörbare Gebäude. Als Burkart, 24 Jahre nach mir, das Malpais beſuchte, fand er keinen der Hornitos mehr rauchend; ihre Temperatur war bei den meiſten die der umgebenden Luft, und viele hatten alle Regelmäßig— keit der Geſtalt durch Regengüſſe und meteoriſche Einflüſſe verloren. Dem Hauptvulkan nahe fand Burkart kleine Kegel, die aus einem braunroten Konglomerate von abgerundeten oder eckigen Lavaſtücken zuſammengeſetzt waren und nur locker zuſammenhingen. Mitten in dem erhabenen, von Hornitos bedeckten Areal ſieht man noch ein Ueberbleibſel der alten — 248 — Erhöhung, an welche die Gebäude der Meierei San Pedro angelehnt waren. Der Hügel, den ich auf meiner Karte an⸗ gedeutet, bildet einen Rücken, welcher von Oſten nach Weſten gerichtet iſt, und ſeine Erhaltung an dem Fuße des großen Vulkanes erregt Erſtaunen. Nur ein Teil iſt mit dichtem Sande (gebrannten Rapilli) bedeckt. Die hervorſtehende Bajalt- klippe, mit uralten Stämmen von Ficus indica und Psidium bewachſen, iſt gewiß, wie die des Cerro del Mirador und der hohen Gebirgsmaſſen, welche die Ebene im Oſten bogen— förmig begrenzen, als der Kataſtrophe präexiſtierend zu be— trachten. Es bleibt mir übrig, die mächtige Spalte zu beſchreiben, auf der in der allgemeinen Richtung von SCH nach NNO ſechs aneinander gereihte Vulkane ſich erhoben haben. Die partielle Richtung der erſten drei, mehr ſüdlichen und niedrigeren iſt SW bis NO; die der folgenden drei faſt S bis N. Die Gangſpalte iſt alſo gekrümmt geweſen, und hat ihr Streichen ein wenig verändert, in der Totallänge von 1700 Toiſen (3312 m). Die hier bezeichnete Richtung der gereihten, aber ſich nicht berührenden Berge iſt allerdings faſt rechtwinkelig mit der Linie, auf welcher nach meiner Bemerkung die mexikaniſchen Vulkane von Meer zu Meer aufeinander folgen. Dieſe Differenz nimmt aber weniger wunder, wenn man bedenkt, daß man ein großes geognoſtiſches Phänomen (die Beziehung der Hauptmaſſen gegeneinander quer durch einen Kontinent) nicht mit den Lokalverhältniſſen der Orien— tation im Inneren einer einzelnen Gruppe verwechſeln darf. Der lange Rücken des großen Vulkanes von Pichincha hat auch nicht die Richtung der Vulkanreihe von Quito; und in unvulkaniſchen Ketten, z. B. im Himalaya, liegen, worauf ich ſchon früher aufmerkſam gemacht habe, die Kulminations— punkte oft fern von der allgemeinen Erhebungslinie der Kette. Sie liegen auf partiellen Schneerücken, die ſelbſt faſt einen rechten Winkel mit jener allgemeinen Erhebungslinie bilden. Von den ſechs über der genannten Spalte aufgeſtiegenen vulkaniſchen Hügeln ſcheinen die erſteren drei, die ſüdlicheren, zwiſchen denen der Weg nach den Kupfergruben von Inguaran durchgeht, in ihrem jetzigen Zuſtande die unwichtigſten. Sie ſind nicht mehr geöffnet, und ganz mit graulich weißem vul⸗ kaniſchen Sande bedeckt, der aber nicht aus Bimsſtein beſteht; denn von Bimsſtein und Obſidian habe ich in dieſer Gegend — 249 — nichts geſehen. Auch am Jorullo ſcheint, wie nach der Be— hauptung Leopolds von Buch und Monticellis am Veſuv, der letzte überdeckende Aſchenfall der weiße geweſen zu ſein. Der vierte, nördliche Berg iſt der große und eigentliche Vul— kan von Jorullo, deſſen Spitze ich, trotz ſeiner geringen Höhe (667 Toiſen - 1300 m über der Meeresfläche, 180 Toiſen — 350 m über dem Malpais am Fuße des Vulkans und 263 Toiſen = 513 m über dem alten Boden der Playas), nicht ohne Mühſeligkeit am 19. September 1803 mit Bon- pland und Carlos Montufar erreicht habe. Wir glaubten am ſicherſten in den damals noch mit heißen Schwefeldämpfen gefüllten Krater zu gelangen, wenn wir den ſchroffen Rücken des mächtigen Lavaſtromes erſtiegen, welcher aus dem Gipfel ſelbſt ausgebrochen iſt. Der Weg ging über eine krauſe, ſchlackige, koks- oder vielmehr blumenkohlartig angeſchwollene, hellklingende Lava. Einige Teile haben einen metalliſchen Glanz, andere ſind baſaltartig und voll kleiner Olivinkörner. Als wir uns ſo in 667 Fuß (217 m) ſenkrechter Höhe bis zur oberen Fläche des Lavaſtromes erhoben hatten, wendeten wir uns zum weißen Aſchenkegel, an dem wegen ſeiner großen Steilheit man fürchten mußte, bei dem häufigſten und be— ſchleunigten Herabrutſchen durch den Stoß an die zackige Lava ſchmerzhaft verwundet zu werden. Der obere Rand des Kraters, an deſſen ſüdweſtlichem Teile wir die Inſtrumente aufſtellten, bildet einen Ring von der Breite weniger Fuße. Wir trugen das Barometer von dem Rande in den ovalen Krater des abgeſtumpften Kegels. An einer offenen Kluft ſtrömt Luft aus von 93,7 Cent. Temperatur. Wir ſtanden nun 140 Fuß (45 m) ſenkrecht unter dem Kraterrande, und der tiefſte Punkt des Schlundes, welchen wir des dicken Schwefeldampfes wegen zu erreichen aufgeben mußten, ſchien auch nur noch einmal jo tief zu fein. Der geognoſtiſche Fund, welcher uns am meiſten intereſſierte, war die Entdeckung mehrerer in die ſchwarzbaſaltiſche Lava eingebackener, ſcharfbegrenzter weißer, feldſpatreicher Stücke einer Gebirgsart von 3 bis 4 Zoll (8 bis 10 em) Durchmeſſer. Ich hielt dieſelben zuerſt!?“ für Syenit; aber zufolge der genauen Unterſuchung eines von mir mitgebrachten Fragmentes durch Guſtav Roſe gehören ſie wohl eher zu der Granitformation, welche der Oberbergrat Burkart auch unter dem Syenit des Rio de las Balsas hat zu Tage kommen ſehen. „Der Einſchluß iſt ein Gemenge von Quarz und Feldſpat. Die ſchwarzgrünen Flecken ſcheinen — 250 — mit etwas Feldſpat zuſammengeſchmolzener Glimmer, nicht Hornblende, zu ſein. Das eingebackene weiße Bruchſtück iſt durch vulkaniſche Hitze geſpalten, und in dem Riſſe laufen weiße, zahnförmige, geſchmolzene Fäden von einem Rande zum anderen.“ Nördlicher als der große Vulkan von Jorullo und der ſchlackige Lavaberg, den er ausgeſpieen, in der Richtung der alten Baſalte des Cerro del Mortero, folgen die beiden letzten der oft genannten 6 Eruptionen. Auch dieſe Hügel waren anfangs ſehr wirkſam, denn das Volk nennt noch jetzt den äußerſten Aſchenberg el Volcancito. Eine nach Weſten geöffnete weite Spalte trägt hier die Spuren eines zerſtörten Kraters. Der große Vulkan ſcheint, wie der Epomeo auf Ischia, nur einmal einen mächtigen Lavaſtrom ergoſſen zu haben. Daß ſeine lavagergießende Thätigkeit über die Epoche des erſten Ausbruches hinaus gedauert habe, iſt nicht hiſtoriſch erwieſen, denn der ſeltene, glücklich aufgefundene Brief des Pater Joaquin de Anſogorri, kaum zwanzig Tage nach dem erſten Ausbruch geſchrieben, handelt faſt allein von den Mitteln, „Paſtoraleinrichtungen für die beſſere Seelſorge der vor der Kataſtrophe geflohenen und zerſtreuten Landleute“ zu treffen; für die folgenden 30 Jahre bleiben wir ohne alle Nachricht. Wenn die Sage ſehr allgemein von Feuern ſpricht, die eine ſo große Fläche bedeckten, ſo iſt allerdings zu vermuten, daß alle 6 Hügel auf der großen Spalte und ein Teil des Mal— pais ſelbſt, in welchem die Hornitos erſchienen find, gleich— zeitig entzündet waren. Die Wärmegrade der umgebenden Luft, die ich ſelbſt noch gemeſſen, laſſen auf die Hitze ſchließen, welche 43 Jahre früher dort geherrſcht hat; ſie mahnen an den urweltlichen Zuſtand unſeres Planeten, in dem die Tem- peratur ſeiner Lufthülle und mit dieſer die Verteilung des organiſchen Lebens, bei thermiſcher Einwirkung des Inneren mittels tiefer Klüfte (unter jeglicher Breite und in langen Zeitperioden) modifiziert werden konnte. Man hat, ſeitdem ich die Hornitos, welche den Vulkan von Jorullo umgeben, beſchrieben habe, manche analoge Ge— rüſte in verſchiedenen Weltgegenden mit dieſen backofenähn— lichen kleinen Hügeln verglichen. Mir ſcheinen die mexi⸗ kaniſchen, ihrer inneren Zuſammenſetzung nach, bisher noch ſehr kontraſtierend und iſoliert dazuſtehen. Will man Aus⸗ wurfskegel alle Erhebungen nennen, welche Dämpfe aus- ſtoßen, ſo verdienen die Hornitos allerdings die Benennung — 251 — von Fumarolen. Die Benennung Auswurfskegel würde aber zu der irrigen Meinung leiten, als ſeien Spuren vor: handen, daß die Hornitos je Schlacken ausgeworfen oder gar, wie viele Auswurfskegel, Lava ergoſſen haben. Ganz ver⸗ ſchieden z. B. ſind, um an ein größeres Phänomen zu erinnern, in Kleinaſien, auf der vormaligen Grenze von Myſien und Phrygien, in dem alten Brandlande (Katakekaumene), „in welchem es ſich (wegen der Erdbeben) gefahrvoll wohnt“, die drei Schlünde, die Strabo vösu:, Blaſebälge, nennt, und die der verdienſtvolle Reiſende William Hamilton wieder auf— gefunden hat.! Auswurfskegel, wie ſie die Inſel Lancerote bei Tinguaton, oder Unteritalien, oder (von kaum 20 Fuß = 6,5 Höhe) der Abhang des großen kamtſchadaliſchen Vul— kanes Awatſcha '?® zeigen, den mein Freund und ſibiriſcher Reiſegefährte, Ernſt Hofmann, im Juli 1824 erſtiegen, be— ſtehen aus Schlacken und Aſche, die einen kleinen Krater, welcher ſie ausgeſtoßen hat und von ihnen wieder verſchüttet worden iſt, umgeben. An den Hornitos iſt nichts Krater⸗ ähnliches zu ſehen, und ſie beſtehen, was ein wichtiger Charakter iſt, aus bloßen Baſaltkugeln mit ſchalig abgeſonderten Stücken, ohne Einmiſchung loſer, eckiger Schlacken. Am Fuße des Veſuvs, bei dem mächtigen Ausbruch von 1794 (wie auch in früheren Epochen), bildeten ſich, auf einer Längenſpalte ge— reiht, acht verſchiedene kleine Eruptionskrater, bocche nuove, die ſogenannten paraſitiſchen Ausbruchskegel, lavaergießend und ſchon dadurch den Jorullo-Hornitos gänzlich entfremdet. „Ihre Hornitos“, ſchrieb mir Leopold von Buch, „ſind nicht durch Auswürflinge aufgehäufte Kegel; ſie ſind unmittel— bar aus dem Erdinneren gehoben.“ Die Entſtehung des Vulkanes von Jorullo ſelbſt wurde von dieſem großen Geo— logen mit der des Monte nuovo in den phlegräiſchen Feldern verglichen. Dieſelbe Anſicht der Erhebung von 6 vulfantichen Bergen auf einer Längenſpalte hat ſich (ſ. oben S. 243) dem Oberſt Riaßo und dem Bergkommiſſär Fiſcher 1789, mir bei dem erſten Anblick 1803, Herrn Burkart 1827 als die wahrſcheinlichere aufgedrängt. Bei beiden neuen Bergen, entſtanden 1538 und 1759, wiederholen ſich dieſelben Fragen. Ueber den ſüditaliſchen find die Zeugniſſe von Falconi, Pietro Giacomo di Toledo, Francesco del Nero und Porzio umſtändlicher, der Zeit der Kataſtrophe nahe und von ge— bildeteren Beobachtern abgefaßt. Eines dieſer Zeugniſſe, das gelehrteſte des berühmten Porzio ſagt: „Magnus terrae — 252 — tractus, qui inter radices montis, quem Barbarum incolae appellant, et mare juxta Avernum jacet, sese erigere videbatur et montis subito nascentis figuram imitari. Iste terrae cumulus aperto veluti ore magnos ignes evomuit, pumicesque et lapides, cineresque.“ “ Von der hier vervollſtändigten geognoſtiſchen Beſchreibung des Vulkanes von Jorullo gehen wir zu den öſtlicheren Teilen von Mittelmexiko (Anahuac) über. Nicht zu verkennende Lavaſtröme, von meiſt baſaltartiger Grundmaſſe, hat der Pik von Orizaba nach den neueſten intereſſanten Forſchungen von Pieſchel (März 1854) und H. de Sauſſure ergoſſen. Die Gebirgsart des Pik von Orizaba, wie die des von mir er— ſtiegenen großen Vulkanes von Toluca, !?“ iſt aus Hornblende, Oligoklas und etwas Obſidian zuſammengeſetzt, während die Grundmaſſe des Popocatepetl ein Chimborazogeſtein iſt, zu— ſammengeſetzt aus ſehr kleinen Kriſtallen von Oligoklas und Augit. An dem Fuße des öſtlichen Abhanges des Popocatepetl, weſtlich von der Stadt la Puebla de los Angeles, habe ich in dem Llano de Tetimpa, wo ich die Baſe zu den Höhen— beſtimmungen der beiden großen, das Thal von Mexiko be— grenzenden Nevados (Popocatepetl und Iztaccihuatl) gemeſſen, 7000 Fuß (2270 m) über dem Meere ein weites und rätjel- haftes Lavafeld aufgefunden. Es heißt das Malpais (rauhe Trümmerfeld) von Atlachayacatl, einer niedrigen Trachytkuppe, an deren Abhange der Rio Atlaco entſpringt, und erſtreckt ſich, 60 bis 80 Fuß (20 bis 26 m) über die angrenzende Ebene prallig erhoben, von Oſten nach Weſten, alſo recht— winkelig den Vulkanen zulaufend. Von dem indianiſchen Dorfe San Nicolas de los Ranchos bis nach San Buena— ventura ſchätzte ich die Länge des Malpais über 18 000 (5850 m), ſeine Breite 6000 Fuß (1950 m). Es ſind ſchwarze, teil— weiſe aufgerichtete Lavaſchollen von grauſig wildem Anſehen, nur ſparſam hier und da mit Lichenen überzogen, kontraſtierend mit der gelblich weißen Bimsſteindecke, die weit umher alles überzieht. Letztere beſteht hier aus grobfaſerigen Fragmenten von 2 bis 3 Zoll (5 bis 8 em) Durchmeſſer, in denen bis— weilen Hornblendekriſtalle liegen. Dieſer gröbere Bimsſtein⸗ ſand iſt von dem ſehr feinkörnigen verſchieden, welcher an dem Vulkan Popocatepetl, nahe am Fels el Frayle und an der ewigen Schneegrenze, das Bergbeſteigen ſo gefährlich macht, weil, wenn er an ſteilen Abhängen ſich in Bewegung ſetzt, die herabrollende Sandmaſſe alles überſchüttend zu vergraben — 253 — droht. Ob dieſes Lavatrümmerfeld (im Spaniſchen Mal- pais, in Sizilien Sciarra viva, in Island Odhada-Hraun) alten, übereinander gelagerten Seitenausbrüchen des Popo— catepetl angehört oder dem etwas abgerundeten Kegelberge Tetliyolo (Cerro de Corazon de Piedra), kann ich nicht entſcheiden. Geognoſtiſch merkwürdig iſt noch, daß öſtlicher, auf dem Wege nach der kleinen Feſtung Perote, dem alt— aztekiſchen Pinahuizapan, ſich zwiſchen Ojo de Agua, Venta de Soto und el Portachuelo die vulkaniſche Formation von grobfaſerigem, weißem, zerbröckelndem Perlſtein!s! neben einem wahrſcheinlich tertiären Kalkſtein (Marmol de la Puebla) erhebt. Dieſer Perlſtein iſt dem der koniſchen Hügel von Zinapecuaro (zwiſchen Mexiko und Valladolid) ſehr ähnlich und enthält, außer Glimmerblättchen und Knollen von ein— gewachſenem Obſidian, auch eine glaſige, bläulich-graue, zu— weilen rote, jaſpisartige Streifung. Das weite Perlſtein— gebiet iſt hier mit feinkörnigem Sande verwitterten Perlſteines bedeckt, welchen man auf den erſten Anblick für Granitſand halten könnte und welcher, trotz ſeiner Entſtehungsverwandt— ſchaft, doch von dem eigentlichen, graulichweißen Bimsſtein— ſande leicht zu unterſcheiden iſt. Letzterer gehört mehr der näheren Umgegend von Perote an, dem 7000 Fuß (2270 m) hohen Plateau zwiſchen den zwei vulkaniſchen, Nord-Süd ſtreichenden Ketten des Popocatepetl und des Orizaba. Wenn man auf dem Wege von Mexiko nach Veracruz von den Höhen des quarzloſen, trachytartigen Porphyrs der Vigas gegen Canoas und Jalapa anfängt herabzuſteigen, überſchreitet man wieder zweimal Trümmerfelder von ſchlackiger Lava, das erſte Mal zwiſchen der Station Parage de Carros und Canoas oder Tochtlacuaya, das zweite Mal zwiſchen Canvas und der Station Casas de la Hoya. Der erſte Punkt wird wegen der vielen aufgerichteten, baſaltiſchen, olivinreichen Lavaſchollen Loma de Tablas, der zweite ſchlecht— hin el Malpais genannt. Ein kleiner Rücken desſelben trachyt— artigen Porphyrs, voll glaſigen Feldſpats, welcher bei la Cruz blanca und Rio frio (am weſtlichen Abfall der Höhe von las Vigas) dem Arenal (den Perlſteinſandfeldern) gegen Oſten eine Grenze ſetzt, trennt die eben genannten beiden Zweige des Trümmerfeldes, die Loma de Tablas und das um vieles breitere Malpais. Die der Gegend Kundigen unter dem Landvolke behaupten, daß der Schlackenſtreifen ſich gegen Süd⸗Süd⸗Weſt, alſo gegen den Cofre de Perote hin, ver: — 254 — längere. Da ich den Cofre ſelbſt beſtiegen und viele Mej: ſungen an ihm vorgenommen 1°? habe, jo bin ich wenig ge: neigt geweſen, aus einer allerdings ſehr wahrſcheinlichen Ver— längerung des Lavaſtromes (als ein ſolcher iſt er in meinen Profilen, Tab. 9 und 11, wie in dem Nivellement baro: métrique bezeichnet) zu folgern, daß derſelbe jenem fo ſonderbar geſtalteten Berge ſelbſt entfloſſen ſei. Der Cofre de Perote, zwar an 1300 Fuß (422 m) höher als der Pik von Tenerifa, aber unbedeutend im Vergleich mit den Koloſſen Popocatepetl und Orizaba, bildet wie Pichincha einen langen Felsrücken, auf deſſen ſüdlichem Ende der kleine Felskubus (la Pena) ſteht, deſſen Form zu der altaztekiſchen Benennung Nauhcampatepetl Anlaß gegeben hat. Der Berg hat mir bei der Beſteigung keine Spur von einem eingeſtürzten Krater oder von Ausbruchmündungen an ſeinen Abhängen, keine Schlackenmaſſen, keine ihm gehörige Obſidiane, Perl: ſtein oder Bimsſteine gezeigt. Das ſchwärzlich-graue Geſtein iſt ſehr einförmig aus vieler Hornblende und einer Feldſpat— art zuſammengeſetzt, welche nicht glaſiger Feldſpat (Sanidin), ſondern Oligoklas iſt, was dann die ganze Gebirgsart, welche nicht porös iſt, zu einem dioritartigen Trachyte ſtempeln würde. Ich ſchildere die Eindrücke, die ich empfangen. Iſt das grauſige, ſchwarze Trümmerfeld (Malpais), bei dem ich hier abſichtlich verweile, um der allzu einſeitigen Betrachtung vulkaniſcher Kraftäußerungen aus dem Inneren entgegen— zuarbeiten, auch nicht dem Cofre de Perote ſelbſt an einer Seitenöffnung entfloſſen, ſo kann doch die Erhebung dieſes iſolierten, 12714 Fuß (4130 m) hohen Berges die Veran: laſſung zu der Entſtehung der Loma de Tablas geweſen ſein. Es können bei einer ſolchen Erhebung weit umher durch Faltung des Bodens Längenſpalten und Spalten⸗ gewebe entſtanden ſein, aus denen unmittelbar geſchmolzene Maſſen ohne Bildung eigener Berggerüſte (geöffneter Kegel oder Erhebungskrater) ſich bald als dichte Maſſen, bald als ſchlackige Lava ergoſſen haben. Sucht man nicht vergebens in den großen Gebirgen von Baſalt und Porphyrſchiefer nach Centralpunkten (Kraterbergen) oder niedrigeren, umwallten kreisförmigen Schlünden, denen man ihre gemeinſame Er— ſcheinung zuſchreiben könnte? Die ſorgfältigſte Trennung deſſen, was in den Erſcheinungen genetiſch verſchieden iſt, formbildend in Kegelbergen mit offen gebliebenen Gipfelkratern und Seiten⸗ öffnungen, oder in umwallten Erhebungskratern und Maaren, — 255 — oder teils aufgeſtiegen als geſchloſſene Glockenberge oder ge— öffnete Kegel, teils ergoſſen aus zuſammenſcharenden Spalten, iſt ein Gewinn für die Wiſſenſchaft. Sie iſt es ſchon des— halb, weil die Mannigfaltigkeit der Anſichten, welche ein er— weiterter Horizont der Beobachtung notwendig hervorruft, die ſtreng kritiſche Vergleichung des Seienden mit dem, wovon man vorgibt, daß es die einzige Form der Entſtehung ſei, am kräftigſten zur Unterſuchung anregt. Iſt doch auf euro— päiſchem Boden ſelbſt, auf der an heißen Quellen reichen Inſel Euböa, zu hiſtoriſchen Zeiten in der großen Ebene von Lelanton (fern von allen Bergen) aus einer Spalte ein mächtiger Lavaſtrom ergoſſen worden. In der auf die mexikaniſche gegen Süden zunächſt fol— genden Vulkangruppe von Centralamerika, wo 18 Kegel— und Glockenberge als jetzt noch entzündet betrachtet werden können, ſind 4 (Nindiri, el Nuevo, Conſeguina und San Miguel de Bosotlan) als Lavaſtröme gebend erkannt worden. Die Berge der dritten Vulkangruppe, der von Popayan und Quito, ſtehen bereits ſeit mehr als einem Jahrhundert in dem Rufe, keine Lavaſtröme, ſondern nur unzuſammenhängende aus dem alleinigen Gipfelkrater ausgeſtoßene, oft reihenartig herabrollende, glühende Schlackenmaſſen zu geben. Dies war ſchon die Meinung 1 von La Condamine, als er im Früh: jahr 1743 das Hochland von Quito und Cuenca verließ. Er hatte 14 Jahre ſpäter, da er von einer Beſteigung des Veſuvs (4. Juni 1757) zurückkehrte, bei welcher er die Schweſter Friedrichs des Großen, die Markgräfin von Baireuth, be— gleitete, Gelegenheit, ſich in einer akademiſchen Sitzung über den Mangel von eigentlichen Lavaſtrömen (laves coulées par torrens de matieres liquefiées) aus den Vulkanen von Quito lebhaft zu äußern. Das in der Sitzung vom 20. April 1757 geleſene Journal d'un Voyage en Italie erſchien erſt 1762 in den Mémoires der Pariſer Akademie, und iſt für die Geſchichte der Erkennung alter ausgebrannter Vulkane in Frankreich auch darum geognoſtiſch von einiger Wichtigkeit, weil La Condamine in demſelben Tage— buche mit dem ihm eigenen Scharfſinn, ohne von Guettards, allerdings früheren Behauptungen etwas zu wiſſen, “““ ſich ſehr beſtimmt über die Exiſtenz alter Kraterſeen und aus— gebrannter Vulkane im mittleren und nördlichen Italien wie im ſüdlichen Frankreich ausſpricht. Eben dieſer auffallende Kontraſt zwiſchen den ſo früh — 256 — erkannten, ſchmalen und unbezweifelten Lavaſtrömen der Au: vergne und der oft nur allzu abſolut behaupteten Abweſen⸗ heit jedes Lavaerguſſes in den Kordilleren hat mich während der ganzen Dauer meiner Expedition ernſthaft beſchäftigt. Alle meine Tagebücher ſind voll von Betrachtungen über dieſes Problem, deſſen Löſung ich lange in der abſoluten Höhe der Gipfel und in der Mächtigkeit der Umwallung, d. i. der Ein⸗ ſenkung trachytiſcher Kegelberge in 8000 bis 9000 Fuß (2600 bis 2920 m) hohen Bergebenen von großer Breite geſucht habe. Wir wiſſen aber jetzt, daß ein 16000 Fuß (5200 m) hoher, Schlacken auswerfender Vulkan von Quito, der von Macas, ununterbrochen um vieles thätiger iſt als die niedrigen Vulkane Izalco und Stromboli; wir wiſſen, daß die öſtlichen Dom: und Kegelberge, Antifana und Sangay, gegen die Ebene des Napo und Paſtaza, die weſtlichen, Pichincha, Iliniza und Chimborazo, gegen die Zuflüſſe des Stillen Ozeans hin freie Abhänge haben. Auch unumwallt ragt bei vielen der obere Teil noch 8000 bis 9000 Fuß (2600 bis 2920 m) hoch über die Hochebene empor. Dazu ſind ja alle dieſe Höhen über der Meeresfläche, welche, wenngleich nicht ganz mit Recht, als die mittlere Höhe der Erdoberfläche betrachtet wird, unbe— deutend in Hinſicht auf die Tiefe, in welcher man den Sitz der vulkaniſchen Thätigkeit und die zur Schmelzung der Ge— ſteinmaſſen nötige Temperatur vermuten kann. Die einzigen ſchmäleren Lavaausbrüchen ähnlichen Er: ſcheinungen, die ich in den Cordilleras von Quito aufgefunden, ſind diejenigen, welche der Bergkoloß des Antiſana, deſſen Höhe ich durch eine trigonometriſche Meſſung auf 17952 Fuß (5833 m) beſtimmt habe, darbietet. Da die Geſtaltung hier die wichtigſten Kriterien an die Hand gibt, ſo werde ich die ſyſtematiſche und den Begriff der Entſtehung zu eng be— ſchränkende Benennung Lava gleich anfangs vermeiden und mich nur ganz objektiv der Bezeichnungen von „Felstrüm⸗ mern“ oder „Schuttwällen“ (trainées de masses volca- niques) bedienen. Das mächtige Gebirge des Antiſana bildet in 12625 Fuß (4104 m) Höhe eine faſt ovalförmige, in langem Durchmeſſer über 12500 Toiſen (24,3 km) weite Ebene, aus welcher inſelförmig der mit ewigem Schnee be— deckte Teil des Vulkanes aufſteigt. Der höchſte Gipfel iſt ab⸗ gerundet und domförmig. Der Dom iſt durch einen kurzen zackigen Rücken mit einem gegen Norden vorliegenden, abge: ſtumpften Kegel verbunden. In der, teils öden und ſandigen, teils mit Gras bedeckten Hochebene (dem Aufenthalt einer ſehr mutigen Stierraſſe, welche wegen des geringen Luft— druckes leicht Blut aus Mund und Naſenlöchern ausſtoßen, wenn ſie zu großer Muskelanſtrengung angeregt werden) liegt eine kleine Meierei (Hacienda), ein einzelnes Haus, in welchem wir bei einer Temperatur von 3,7“ bis 9° Cent. vier Tage zubrachten. Die große Ebene, keineswegs um— wallt, wie in Erhebungskratern, trägt die Spuren eines alten Seebodens. Als Reſt der alten Waſſerbedeckung iſt weſtlich von den Altos de la Moya die Laguna Mica zu be— trachten. Am Rande der ewigen Schneegrenze entſpringt der Rio Tinajillas, welcher ſpäter unter dem Namen Rio de Quixos ein Zufluß des Maspa, des Napo und des Ama— zonenfluſſes wird. Zwei Steinwälle, ſchmale mauerförmige Erhöhungen, welche ich auf dem von mir aufgenommenen Situationsplane vom Antiſana als coulées de laves be: zeichnet habe, und welche die Eingeborenen Volcan de la Hacienda und Tana Volcan (yana bedeutet ſchwarz oder braun in der Quechhuaſprache) nennen, gehen bandförmig aus von dem Fuße des Vulkanes am unteren Rande der ewigen Schneegrenze, vom ſüdweſtlichen und nördlichen Abhange, und erſtrecken ſich, wie es ſcheint, mit ſehr mäßigem Gefälle, in der Richtung von NO bis SW über 2000 Toiſen (3900 m) weit in die Ebene hinein. Sie haben bei ſehr geringer Breite wohl eine Höhe von 180 bis 200 Fuß (58 bis 65 m) über dem Boden der Llanos de la Hacienda, de Santa Lucia und del Cuvillan. Ihre Abhänge ſind überall ſehr ſchroff und ſteil, ſelbſt an den Endpunkten. Sie beſtehen in ihrem jetzigen Zuſtande aus ſchaligen, meiſt ſcharfkantigen Felstrümmern eines ſchwarzen baſaltiſchen Geſteins, ohne Olivin und Horn— blende, aber ſparſam kleine weiße Feldſpatkriſtalle enthaltend. Die Grundmaſſe hat oft einen pechſteinartigen Glanz und enthielt Obſidian eingemengt, welcher beſonders in ſehr großer Menge und noch deutlicher in der ſogenannten Cueva de Anti— sana zu erkennen war, deren Höhe wir zu 14958 Fuß (4861 m) fanden. Es iſt keine eigentliche Höhle, ſondern ein Schutz, welchen den bergbeſteigenden Viehhirten und alſo auch uns gegeneinander gefallene und ſich wechſelſeitig unterſtützende Felsblöcke bei einem furchtbaren Hagelſchauer gewährten. Die Cueva liegt etwas nördlich von dem Volcan de la Hacienda. In den beiden ſchmalen Steinwällen, die das Anſehen er— kalteter Lavaſtröme haben, zeigen ſich die Tafeln und Blöcke A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 17 teils an den Rändern ſchlackig, ja ſchwammartig aufgetrieben, teils verwittert und mit erdigem Schutt gemengt. Analoge, aber mehr zuſammengeſetzte Erſcheinungen bietet ein anderes, ebenfalls bandartiges Steingerölle dar. Es liegen nämlich an dem öſtlichen Abfalle des Antiſana, wohl um 1200 Fuß (390 m) ſenkrecht tiefer als die Ebene der Hacienda, in der Richtung nach Pinantura und Pintac hin, zwei kleine runde Seen, von denen der nördlichere Anſango, der ſüdlichere Lecheyacu heißt. Der erſte hat einen Inſelfels und wird, was ſehr entſcheidend iſt, von Bimsſteingerölle um— geben. Jeder dieſer Seen bezeichnet den Anfang eines Thales; beide Thäler vereinigen ſich, und ihre erweiterte Fortſetzung führt den Namen Volcan de Ansango, weil von dem Rande beider Seen ſchmale Felstrümmerzüge, ganz den zwei Stein— wällen der Hochebene, die wir oben beſchrieben haben, ähnlich, nicht etwa die Thäler ausfüllen, ſondern ſich in der Mitte derſelben dammartig bis zu 200 und 250 Fuß (65 bis 81 m) Höhe erheben. Ein Blick, auf den Situationsplan geworfen, den ich in dem Atlas geographique et physique meiner amerikaniſchen Reiſe (Pl. 26) veröffentlicht, wird dieſe Verhältniſſe verdeutlichen. Die Blöcke ſind wieder teils ſcharf— kantig, teils an den Rändern verſchlackt, ja koksartig gebrannt. Es iſt eine baſaltartige, ſchwarze Grundmaſſe mit ſparſam eingeſprengtem glaſigen Feldſpat; einzelne Fragmente ſind ſchwarzbraun und von mattem Pechſteinglanze. So baſalt— artig auch die Grundmaſſe erſcheint, fehlt doch ganz in der: ſelben der Olivin, welcher ſo häufig am Rio Pisque und bei Guallabamba ſich findet, wo ich 68 Fuß (22 m) hohe und 3 Fuß (1 m) dicke Baſaltſäulen ſah, die gleichzeitig Olivin und Hornblende eingeſprengt enthalten. In dem Steinwalle von Anſango deuten viele Tafeln, durch Verwitterung geſpalten, auf Porphyrſchiefer. Alle Blöcke haben eine gelbbraune Ver— witterungskruſte. Da man den Trümmerzug (los derrum- bamientos, la reventazon nennen es die ſpaniſch redenden Eingeborenen) vom Rio del Molino unfern der Meierei von Pintac aufwärts bis zu den von Bimsſtein umgebenen kleinen Kraterſeen (mit Waſſer gefüllten Schlünden) verfolgen kann, ſo iſt natürlich die Meinung wie von ſelbſt entſtanden, daß die Seen die Oeffnungen ſind, aus welchen die Steinblöcke an die Oberfläche kamen. Wenige Jahre vor meiner Ankunft in dieſer Gegend hatte ohne bemerkbare vorhergegangene Erd: erſchütterung der Trümmerzug ſich auf der geneigten Fläche 9 wochenlang in Bewegung geſetzt, und durch den Drang und Stoß der Steinblöcke waren einige Häuſer bei Pintac umge— ſtürzt worden. Der Trümmerzug von Anſango iſt noch ohne alle Spur von Vegetation, die man ſchon, wenngleich ſehr ſparſam, auf den zwei, gewiß älteren, mehr verwitterten Aus— brüchen der Hochebene von Antiſana findet. Wie ſoll dieſe Art der Aeußerung vulkaniſcher Thätig— keit benannt !3° werden, deren Wirkung ich ſchildere? Haben wir hier zu thun mit Lavaſtrömen? Oder nur mit halb ver— ſchlackten und glühenden Maſſen, die unzuſammenhängend, aber in Zügen, dicht aneinander gedrängt (wie in uns ſehr nahen Zeiten am Cotopaxi) ausgeſtoßen werden? Sind die Steinwälle vom Nanavulfan und Anſango vielleicht gar feſte fragmentariſche Maſſen geweſen, welche ohne erneuerte Erhöhung der Temperatur aus dem Inneren eines vulkani— ſchen Kegelberges, in dem ſie loſe angehäuft und alſo ſchlecht unterſtützt lagen, von Erdbeben erſchüttert und keine lokalen Erdbeben erregend, durch Stoß oder Fall getrieben, aus— brachen? Iſt keine der drei angedeuteten, ſo verſchiedenartigen Aeußerungen der vulkaniſchen Thätigkeit hier anwendbar, und ſind die linearen Anhäufungen von Felstrümmern auf Spalten an den Orten, wo ſie jetzt liegen (am Fuße und in der Nähe eines Vulkans), erhoben worden? Die beiden Trümmer— wälle in der ſo wenig geneigten Hochebene, Volcan de la Hacienda und Lana Volcan genannt, die ich einſt, doch nur mutmaßlich, als erkaltete Lavaſtröme angeſprochen, ſcheinen mir heute noch, in ſo alter Erinnerung, wenig die letztere Anſicht Unterſtützendes darzubieten. Bei dem Volcan de Ansango, deſſen Trümmerreihe man wie ein Strombette bis zu den Bimsſteinrändern von zwei kleinen Seen ohne Unter: brechung verfolgen kann, widerſpricht allerdings das Gefälle, der Niveauunterſchied von Pinantura (1482 Toiſen — 2888 m) und Lecheyacu (1900 Toiſen — 3702 m) in einem Abſtande von etwa 7700 Toiſen (15 km) keineswegs dem, was wir jetzt von den im Mittelwerte ſo geringen Neigungswinkeln der Lavaſtröme zu wiſſen glauben. Aus dem Niveauunter— ſchiede von 418 Toiſen (814 m) folgt eine Neigung von 3960. Ein partielles Aufſteigen des Bodens in der Mitte der Thal— ſohle würde nicht einmal ein Hindernis ſcheinen, weil Rück— ſtauungen flüffiger, thalaufwärts getriebener Maſſen z. B. bei der Eruption des Skaptar Jökul auf Island im Jahre 1783 be— obachtet worden ſind (Naumann, Geognoſie Bd. I, S. 160). — 260 — Das Wort Lava bezeichnet keine beſondere mineraliſche Zuſammenſetzung des Geſteines, und wenn Leopold von Buch jagt, daß alles Lava iſt, was im Vulkan fließt und durch ſeine Flüſſigkeit neue Lagerſtätten annimmt, ſo füge ich hinzu, daß auch nicht von neuem Flüſſiggewordenes, aber in dem Inneren eines vulkaniſchen Kegels Enthaltenes, ſeine Lagerſtätte verändern kann. Schon in der erſten Be— ſchreibung meines Verſuches, den Gipfel des Chimborazo zu erſteigen (veröffentlicht erſt 1837 in Schumachers Aſtronomi— ſchem Jahrbuch) habe ich dieſe Vermutung geäußert, indem ich von den merkwürdigen „Stücken von Augitporphyr ſprach, welche ich am 23. Juni 1802 in 18000 Fuß (5850 m) Höhe auf dem ſchmalen zum Gipfel führenden Felskamm in loſen Stücken von 12 bis 14 Zoll (32 bis 37 em) Durch⸗ meſſer ſammelte. Sie waren kleinzellig, mit glänzenden Zellen, porös und von roter Farbe. Die ſchwärzeſten unter ihnen ſind bisweilen bimsſteinartig leicht und wie friſch durch Feuer verändert. Sie ſind indes nie in Strömen lavaartig gefloſſen, ſondern wahrſcheinlich auf Spalten an dem Abhange des früher emporgehobenen glockenförmigen Berges herausgeſchoben.“ Dieſe genetiſche Erklärungsweiſe könnte reichhaltige Unter⸗ ſtützung finden durch die Vermutungen Bouſſingaults, der die vulkaniſchen Kegel ſelbſt „als einen Haufen ohne alle Ord— nung übereinander getürmter, in ſtarrem Zuſtande gehobener, eckiger Trachyttrümmer betrachtet. Da nach der Anhäufung die zertrümmerten Felsmaſſen einen größeren Raum als vor der Zertrümmerung einnehmen, ſo bleiben zwiſchen ihnen große Höhlungen, indem durch Druck und Stoß (die Wirkung der vulkaniſchen Dampfkraft abgerechnet) Bewegung entſteht“. Ich bin weit entfernt, an dem partiellen Vorkommen ſolcher Bruchſtücke und Höhlungen, die ſich in den Nevados mit Waſſer füllen, zu zweifeln, wenn auch die ſchönen, regelmäßigen, meiſt ganz ſenkrechten Trachytſäulen vom Pico de los La- drillos und Tablahuma am Pichincha, und vor allem über dem kleinen Waſſerbecken Vana-Cocha am Chimborazo mir an Ort und Stelle gebildet ſcheinen. Mein teurer und viel⸗ jähriger Freund Bouſſingault, deſſen chemiſch-geognoſtiſche und meteorologiſche Anſichten ich immer gern teile, hält, was man den Vulkan von Anſango nennt und was mir jetzt eher als ein Trümmerausbruch aus zwei kleinen Seitenkratern (am weſtlichen Antiſana, unterhalb des Chuſulongo) erſcheint, für Hebung von Blöcken '?° auf lange Spalten. Er dringt, — 261 — da er 30 Jahre nach mir ſelbſt dieſe Gegend ſcharfſinnig durchforſcht hat, auf die Analogie, welche ihm die geognoſti— ſchen Verhältniſſe des Ausbruches von Anſango zum Antiſana und des Pana⸗-Urcu, von dem ich einen beſonderen Situations— plan aufgenommen, zum Chimborazo darzubieten ſcheinen. Zu dem Glauben an eine Erhebung auf Spalten unmittelbar unter der ganzen linearen Erſtreckung des Trümmerzuges von Anſango war ich weniger geneigt, da dieſer Trümmerzug, wie ich ſchon mehrmals erinnert, an ſeiner oberen Extremität auf die zwei, jetzt mit Waſſer bedeckten Schlünde hinweiſt. Un— fragmentariſche mauerartige Erhebungen von großer Länge und gleichmäßiger Richtung ſind mir übrigens gar nicht fremd, da ich ſie in unſerer Hemiſphäre, in der chineſiſchen Mongolei, 1 0 gelagerten Granitbänken geſehen und beſchrieben abe. 137 Der Antiſana hat einen Feuerausbruch im Jahre 1590 und einen anderen im Anfange des vorigen Jahrhunderts, wahrſcheinlich 1728, gehabt. Nahe dem Gipfel an der nord— nord⸗öſtlichen Seite bemerkt man eine ſchwarze Felsmaſſe, auf der ſelbſt friſchgefallener Schnee nicht haftet. An dieſem Punkte ſah man im Frühjahr 1801 mehrere Tage lang, zu einer Zeit, wo der Gipfel auf allen Seiten völlig frei von Gewölk war, eine ſchwarze Rauchſäule aufſteigen. Wir ge: langten, Bonpland, Carlos Montufar und ich, am 16. März 1802 auf einer Felsgräte, die mit Bimsſtein und ſchwarzen, baſaltartigen Schlacken bedeckt war, in der Region des ewigen Schnees bis 2837 Toiſen (5529 m), alſo 2213 Fuß (751 m) höher als der Montblanc. Der Schnee war, was unter den Tropen ſo ſelten iſt, feſt genug, um uns an mehreren Punkten neben der Felsgräte zu tragen (Lufttemperatur — 1,8“ bis + 1,4 Cent.). An dem mittägigen Abhange, welchen wir nicht beſtiegen, an der Piedra de azufre, wo ſich Geſtein— ſchalen bisweilen durch Verwitterung von ſelbſt ablöſen, findet man reine Schwefelmaſſen von 10 bis 12 Fuß (2 bis 4 m) Länge und 2 Fuß (60 cm) Dicke; Schwefelquellen fehlen in der Umgegend. Obgleich in der öſtlichen Kordillere der Vulkan Anti— ſana und beſonders ſein weſtlicher Abhang (von Anſango und Pinantura gegen das Dörfchen Pedregal hin) durch den aus— gebrannten Vulkan Paſuchoa !°° mit ſeinem weit erkennbaren Krater (la Peila), durch den Nevado Sinchulahua und den niedrigen Ruminaui vom Cotopaxi getrennt ſind, jo iſt doch — 252 eine gewiſſe Aehnlichkeit zwiſchen den Gebirgsarten beider Koloſſe. Vom Quinche an hat die ganze öſtliche Andeskette Obſidian hervorgebracht, und doch gehören el Quinche, Anti— ſana und Paſuchoa zu dem Baſſin, in welchem die Stadt Quito liegt, während Cotopaxi ein anderes Baſſin begrenzt, das von Lactacunga, Hambato und Riobamba. Der kleine Bergknoten der Altos von Chiſinche trennt nämlich, einem Damme gleich, die beiden Becken, und, was dieſer Kleinheit wegen auffallend genug iſt, die Waſſer des nördlichen Abfalles von Chiſinche gehen durch die Rios de San Pedro, de Pita und de Guallabamba in die Südſee, wenn die des ſüdlichen Abhanges durch den Rio Alaques und de San Felipe dem Amazonenſtrom und dem Atlantiſchen Ozean zufließen. Die Gliederung der Kordilleren durch Bergknoten und Bergdämme (bald niedrig, wie die eben genannten Altos, bald an Höhe gleich dem Montblanc, wie am Wege über den Paso del Asuay) ſcheint ein neueres und auch minder wichtiges Phä— nomen zu ſein als die Erhebung der geteilten parallelen Berg— züge ſelbſt. Wie der Cotopaxi, der mächtigſte aller Vulkane von Quito, viele Analogie in dem Trachytgeſtein mit dem Antiſana darbietet, ſo findet man auch an den Abhängen des Cotopaxi, und in größerer Zahl, die Reihen von Felsblöcken (Trümmerzüge) wieder, welche uns oben lange beſchäftigt haben. Es lag den Reiſenden beſonders daran, dieſe Reihen bis an ihren Urſprung oder vielmehr bis dahin zu verfolgen, wo ſie unter der ewigen Schneedecke verborgen liegen. Wir ſtiegen an dem ſüdweſtlichen Abhange des Vulkanes von Mulalo (Mulahalo) aus, längs dem Rio Alaques, der ſich aus dem Rio de los Banos und dem Rio Barrancas bildet, nach Panſache (11322 Fuß — 3677 m) aufwärts, wo wir die geräumige Casa del Paramo in der Grasebene (el Pajonal) bewohnten. Obgleich ſporadiſch bis dahin viel nächtlicher Schnee gefallen war, ſo gelangten wir doch öſtlich von dem vielberufenen Inkakopf (Cabeza del Inca) erſt in die Que- brada und Reventazon de la Minas, und ſpäter noch öft- licher über das Alto de Suniguaicu bis zur Schlucht des Löwenberges (Puma-Urcu), wo das Barometer doch nur erſt eine Höhe von 2263 Toiſen oder 13578 Fuß (4410 m) anzeigte. Ein anderer Trümmerzug, den wir aber bloß aus der Entfernung ſahen, hat ſich vom öſtlichen Teile des mit Schnee bedeckten Aſchenkegels gegen den Rio Negro (Zufluß des Amazonenſtromes) und gegen Valle vicioso hin bewegt. — 263 — Ob dieſe Blöcke als glühende, nur an den Rändern ge— ſchmolzene Schlackenmaſſen — bald eckig, bald rundlich, von 6 bis 8 Fuß (2 bis 2,6 m) Durchmeſſer, ſelten ſchalig, wie es die des Antiſana ſind — alle aus dem Gipfelkrater zu großen Höhen ausgeworfen, an den Abhang des Cotopaxi herabgefallen und durch den Sturz der geſchmolzenen Schnee— waſſer in ihrer Bewegung beſchleunigt worden ſind, oder ob ſie, ohne durch die Luft zu kommen, aus Seitenſpalten des Vulkanes ausgeſtoßen wurden, wie das Wort reventazon an: deuten würde, bleibt ungewiß. Von Suniguaicu und der Quebrado del Mestizo bald zurückkehrend, unterſuchten wir den langen und breiten Rücken, welcher, von NV in SO ſtreichend, den Cotopaxi mit dem Nevado de Quelendana verbindet. Hier fehlen die gereihten Blöcke, und das Ganze ſcheint eine dammartige Erhebung, auf deren Rücken der kleine Kegelberg el Morro und, dem hufeiſenförmigen Quelendana näher, mehrere Sümpfe, wie auch zwei kleine Seen (Lagunas de Yauricocha und de Verdecocha) liegen. Das Geſtein des Morro und der ' ganzen linearen vulkaniſchen Erhebung war grünlich:grauer Porphyrſchiefer, in achtzöllige Schichten abgeſondert, die ſehr regelmäßig mit 60“ nach Oſten fielen. Von eigentlichen Lavaſtrömen war nirgends eine Spur. !?“ Wenn auf der bimsſteinreichen Inſel Lipari, nördlich von Caneto, aus dem wohlerhaltenen, ausgebrannten Krater des Monte di Campo Bianco ein Lavaſtrom von Bimsſtein und Obſidian ſich gegen das Meer herabzieht, in welchem die Faſern der erſten Subſtanz merkwürdig genug der Richtung des Stromes parallel laufen, ſo bieten dagegen, nach meiner Unterſuchung der örtlichen Verhältniſſe, die ausgedehnten Bims— ſteinbrüche eine Meile von Lactuacunga eine Analogie mit jenem Vorkommen auf Lipari dar. Dieſe Brüche, in denen der Bimsſtein, in horizontale Bänke geteilt, ganz das An— ſehen von einem anſtehenden Geſteine hat, erregten ſchon (1737) das Erſtaunen von Bouguer. ““ „On ne trouve,“ ſagt er, „sur les montagnes volcaniques que de simples fragments de pierre-ponce d'une certaine grosseur; mais a 7 lieues au sud du Cotopaxi, dans un point qui repond a notre dixieme triangle, la pierre-ponce forme des rochers entiers; ce sont des bancs paralleles de 5 à 6 pieds d’epaisseur dans un espace de plus d'une lieue carree. On n'en connoit pas la profondeur. Qu’on s’imagine, quel feu il a fallu pour mettre en fusion cette masse — 264 — enorme, et dans l’endroit meme ou elle se trouve aujour- d’hui, car on reconnoit aisement qu'elle n'a pas été de- rangee et qu'elle s'est refroidie dans l’endroit oü elle a été liquifice. On a dans les environs profite du voisinage de cette immense carriere, car la petite ville de Lactua- cunga, avec de tres jolis édifices, est entierement bätie de pierre-ponce depuis le tremblement de terre qui la renversa en 1698.“ Die Bimsſteinbrüche liegen bei dem Indianerdorfe San Felipe in den Hügeln von Guapulo und Zumbalica, welche 480 Fuß (160 m) über der Hochebene und 9372 Fuß (3044 m) über der Meeresfläche erhoben find. Die oberſten Bimsſtein⸗ ſchichten ſind alſo 500 bis 600 Fuß (162 bis 194 m) unter dem Niveau von Mulalo, der einſt architektoniſch ſchönen, durch häufige Erdſtöße aber ganz zertrümmerten Villa des Marques de Maenza (am Fuße des Cotopaxi), ebenfalls von Bimsſteinblöcken erbaut. Die unterirdiſchen Brüche ſind von den beiden thätigen Vulkanen Tunguragua und Cotopaxi un: - gleich entfernt, von erſterem 8 geogr. Meilen (60 km), dem letzteren um die Hälfte näher. Man gelangt zu ihnen durch einen Stollen. Die Arbeiter verſichern, daß man aus den horizontalen, feſten Schichten, von denen einige wenige mit lettigem Bimsſteinſchutt umgeben ſind, vierkantige, durch keine ſeigere Querklüfte getrennte Blöcke von 20 Fuß (6,5 m) er: langen könnte. Der Bimsftein, teils weiß, teils bläulich-grau, iſt ſehr fein und langfaſerig, von ſeidenartigem Glanze. Die parallelen Faſern haben bisweilen ein knotiges Anſehen, und zeigen dann eine ſonderbare Struktur. Die Knoten werden durch 1 bis 1½ Linien (24 bis 36 mm) breite, rundliche Brocken von feinporigem Bimsſtein gebildet, um welche ſich lange Faſern zum Einſchluſſe krümmen. Bräunlich-ſchwarzer Glimmer in ſechsſeitigen kleinen Tafeln, weiße Oligoklas— kriſtalle und ſchwarze Hornblende ſind darin ſparſam zerſtreut; dagegen fehlt ganz der glaſige Feldſpat, welcher ſonſt wohl (Camaldoli bei Neapel) im Bimsſtein vorkommt. Der Bims⸗ ſtein des Cotopaxi iſt von dem der Zumbalicabrüche ſehr ver: ſchieden,““ er iſt kurzfaſerig, nicht parallel, ſondern verworren gekrümmt. Magneſiaglimmer iſt aber nicht bloß den Bims⸗ ſteinen eigen, ſondern auch der Grundmaſſe des Trachytes !“? vom Cotopaxi nicht fremd. Dem ſüdlicher gelegenen Vulkan Tunguragua ſcheint der Bimsſtein ganz zu fehlen. Von Ob⸗ ſidian iſt in der Nähe der Steinbrüche von Zumbalica keine — 265 — Spur, aber in ſehr großen Maſſen habe ich ſchwarzen Obſidian von muſcheligem Bruch in bläulich⸗grauen, verwitterten Perl- ſtein eingewachſen gefunden unter den vom Cotopaxi ausge— ſtoßenen und bei Mulalo liegenden Blöcken. Fragmente da— von werden in der königlichen Mineralienſammlung zu Berlin aufbewahrt. Die hier beſchriebenen Bimsſteinbrüche, 4 deutſche Meilen (30 km) vom Fuße des Cotopaxi entfernt, ſcheinen daher ihrer mineralogiſchen Beſchaffenheit nach jenem Kegel— berge ganz fremd zu ſein, und mit demſelben nur in dem Zu⸗ ſammenhange zu ſtehen, welchen alle Vulkane von Paſto und Quito mit dem viele hundert Quadratmeilen einnehmenden, vulkaniſchen Herde der Aequatorial-Kordilleren darbieten. Sind dieſe Bimsſteine das Centrum und Innere eines eigenen Er— hebungskraters geweſen, deſſen äußere Umwallung in den vielen Umwälzungen, welche die Oberfläche der Erde hier er— litten hat, zerſtört worden iſt, oder ſind ſie bei den älteſten Faltungen der Erdrinde hier auf Spalten horizontal in ſchein— barer Ruhe abgelagert worden? Denn die Annahme von wäſſerigen Sedimentanſchwemmungen, wie ſie ſich bei den vulkaniſchen, mit Pflanzenreſten und Muſcheln gemengten Tuff— maſſen oft zeigen, iſt mit noch größeren Schwierigkeiren ver: bunden. Dieſelben Fragen regt die große, von allem intumeſzierten vulkaniſchen Gerüſte entfernte Maſſe von Bimsſtein an, die ich in der Kordillere von Paſto zwiſchen Mamendoy und dem Cerro del Pulpito, 9 geogr. Meilen (67 km) nördlich vom thätigen Vulkan von Paſto, am Rio Mayo fand. Leopold von Buch hat auch auf einen ähnlichen, von Meyen be— ſchriebenen, ganz iſolierten Ausbruch von Bimsſtein, der als Gerölle einen 300 Fuß (100 m) hohen Hügel bildet, in Chile, öſtlich von Valparaiſo, bei dem Dorfe Tollo, aufmerkſam ge: macht. Der im Aufſteigen Juraſchichten erhebende Vulkan Maypo iſt noch zwei volle Tagereiſen von dieſem Bimsſtein— ausbruch entfernt. Auch der preußiſche Geſandte in Wa⸗ ſhington, Friedrich von Gerolt, dem wir die erſten geognoſtiſch kolorierten Karten von Mexiko verdanken, erwähnt „einer unterirdiſchen Gewinnung von Bimsſtein zu Bauten“ bei Huichapa, 8 geogr. Meilen En km) ſüdöſtlich von Queretaro, fern von allen Vulkanen. Der geologiſche Erforſcher des Kau— kaſus, Abich, iſt zufolge ſeiner eigenen Beobachtungen zu glauben geneigt, daß am nördlichen Abfalle der Centralkette des Elbrus die mächtige Eruption von Bimsſtein bei dem — 266 — Dorfe Tſchegem, in der kleinen Kabarda, als eine Spalten: wirkung viel älter ſei wie das Aufſteigen des ſehr fernen eben genannten Kegelberges. Wenn demnach die vulkaniſche Thätigkeit des Erdkörpers durch Ausſtrahlung der Wärme gegen den Weltraum bei Ver— minderung ſeiner urſprünglichen Temperatur und im Zu: ſammenziehen der oberen erkaltenden Schichten Spalten und Faltungen (kractures et rides), alſo gleichzeitig Senkung der oberen und Emportreibung der unteren Teile, . er: zeugt, ſo iſt natürlich als Maß und Zeugen dieſer Thätigkeit in den verſchiedenen Regionen der Erde die Zahl der er— kennbar gebliebenen, aus den Spalten aufgetriebenen, vul: kaniſchen Gerüſte (der geöffneten Kegel- und domförmigen Glockenberge) betrachtet worden. Man hat mehrfach und oft ſehr unvollkommen dieſe Zählung verſucht; Auswurfshügel und Solfataren, die zu einem und demſelben Syſteme gehören, wurden als beſondere Vulkane aufgeführt. Die Größe der Erdräume, welche bisher im Inneren der Kontinente allen wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen verſchloſſen bleiben, iſt für die Gründlichkeit dieſer Arbeit ein nicht ſo bedeutendes Hinder— nis geweſen, als man gewöhnlich glaubt, da Inſeln und den Küſten nahe Regionen im ganzen der Hauptſitz der Vulkane ſind. In einer numeriſchen Unterſuchung, welche nach dem jetzigen Zuſtande unſerer Kenntniſſe nicht zum völligen Ab— ſchluß gebracht werden kann, iſt ſchon viel gewonnen, wenn man zu einem Reſultat gelangt, das als eine untere Grenze zu betrachten iſt, wenn mit großer Wahrſcheinlichkeit beſtimmt werden kann, auf wie vielen Punkten das flüſſige Innere der Erde noch in hiſtoriſcher Zeit mit der Atmoſphäre in leb— haftem Verkehr geblieben iſt. Eine ſolche Lebhaftigkeit äußert ſich dann und meiſt gleichzeitig in Ausbrüchen aus vulkani— ſchen Gerüſten (Kegelbergen), in der zunehmenden Wärme und Entzündlichkeit der Thermal- und Naphthaquellen, in der vermehrten Ausdehnung der Erſchütterungskreiſe; Erſcheinungen, welche alle in innigem Zuſammenhange und in gegenſeitiger Abhängigkeit voneinander ſtehen.““ Leopold von Buch hat auch hier wieder das große Verdienſt, in den Nachträgen zu der „Phyſikaliſchen Beſchreibung der Kanariſchen Inſeln“, zum erſtenmal unternommen zu haben, die Vulkanſyſteme des ganzen Erdkörpers, nach gründlicher Unterſcheidung von Central- und Reihenvulkanen, unter einen kosmiſchen Geſichtspunkt zu faſſen. Meine eigene neueſte und ſchon — 267 — darum wohl vollitändigere Aufzählung, nach Grundſatzen unter: nommen, welche ich oben (S. 208 und 223) bezeichnet, alſo ungeöffnete Glockenberge, bloße Ausbruchkegel ausſchließend, gibt als wahrſcheinliche untere Grenzzahl (nombre limite inferieur) ein Reſultat, das von allen früheren beträchtlich ab— weicht. Sie ſtrebt die Vulkane zu bezeichnen, welche thätig in die hiſtoriſche Zeit eingetreten ſind. Es iſt mehrfach die Frage angeregt worden, ob in den Teilen der Erdoberfläche, in welchen die meiſten Vulkane zu⸗ ſammengedrängt ſind und wo die Reaktion des Erdinneren auf die ſtarre (feſte) Erdkruſte ſich am thätigſten zeigt, der geſchmolzene Teil vielleicht der Oberfläche näher liege? Welches auch der Weg iſt, den man einſchlägt, die mittlere Dicke der feſten Erdkruſte in ihrem Maximum zu beſtimmen, ſei es der rein mathematiſche, welchen die theoretiſche Aſtronomie eröffnen ſoll, oder der einfachere, welcher auf das Geſetz der mit der Tiefe zunehmenden Wärme in dem Schmelzungsgrade der Gebirgsarten gegründet iſt, “““ jo bietet die Löſung dieſes Problems doch noch eine große Zahl jetzt unbeſtimm— barer Größen dar. Als ſolche ſind zu nennen, der Einfluß eines ungeheuren Druckes auf die Schmelzbarkeit, die jo ver: ſchiedene Wärmeleitung heterogener Gebirgsarten, die ſonder— bare, von Eduard Forbes behandelte Schwächung der Zeitungs: fähigkeit bei großer Zunahme der Temperatur, die ungleiche Tiefe des ozeaniſchen Beckens, die lokalen Zufälligkeiten in dem Zuſammenhange und der Beſchaffenheit der Spalten, welche zu dem flüſſigen Inneren hinabführen! Soll die größere Nähe der oberen Grenzſchicht des flüſſigen Inneren in ein— zelnen Erdregionen die Häufigkeit der Vulkane und den mehr⸗ facheren Verkehr zwiſchen der Tiefe und dem Luftkreiſe er: klären, ſo kann allerdings dieſe Nähe wiederum abhängen, entweder von dem relativen mittleren Höhenunterſchiede des Meeresbodens und der Kontinente, oder von der un— gleichen ſenkrechten Tiefe, in welcher unter verſchiedenen geo— graphiſchen Längen und Breiten ſich die Oberfläche der ge— ſchmolzenen, flüſſigen Maſſe befindet. Wo aber fängt eine ſolche Oberfläche an, gibt es nicht Mittelgrade zwiſchen voll: kommener Starrheit und vollkommener Verſchiebbarkeit der Teile? Uebergänge, die bei den Streitigkeiten über den Zu— ſtand der Zähigkeit einiger plutoniſcher und vulkaniſcher Ge— birgsformationen, welche an die Oberfläche erhoben worden, ſowie bei der Bewegung der Gletſcher oft zur Sprache — 268 — gekommen ſind? Solche Mittelzuſtände entziehen ſich einer mathematiſchen Betrachtung ebenſoſehr wie der Zuſtand des ſogenannten flüſſigen Inneren unter einer ungeheuren Kompreſſion. Wenn es ſchon an ſich nicht ganz wahrſchein⸗ lich iſt, daß die Wärme überall fortfahre, mit der Tiefe in arithmetiſcher Progreſſion zu wachſen, ſo können auch lokale Zwiſchenſtörungen eintreten, z. B. durch unterirdiſche Becken (Höhlungen in der ſtarren Maſſe), welche von Zeit zu Zeit von unten teilweiſe mit flüſſiger Lava und darauf ruhenden Dämpfen angefüllt ſind.““ Dieſe Höhlungen läßt ſchon der unſterbliche Verfaſſer der Protogäa eine Rolle ſpielen in der Theorie der abnehmenden Centralwärme: „Postremo credi- bile est contrahentem se refrigeratione cerustam bullas reliquisse, ingentes pro rei magnitudine, id est sub vastis fornicibus eavitates.*“ Je unwahrſcheinlicher es ift, daß die Dicke der ſchon erſtarrten Erdkruſte in allen Gegenden die— ſelbe ſei, deſto wichtiger iſt die Betrachtung der Zahl und der geographiſchen Lage der noch in hiſtoriſchen Zeiten ge— öffnet geweſenen Vulkane. Eine ſolche Betrachtung der Geo— graphie der Vulkane kann nur durch oft erneuerte Ver— ſuche vervollkommnet werden. I. Europa. Aetna, Volcano in den Liparen, Stromboli, Ischia, Veſuv, Santorin, Lemnos, alle zum großen Becken des Mittelländiſchen Meeres, aber zu den europäiſchen Ufern desſelben, nicht zu den afrikaniſchen gehörig, alle ſieben Vulkane in bekannten hiſtoriſchen Zeiten noch thätig; der brennende Berg Moſychlos auf Lemnos, welchen Homer den Lieblingsſitz des Hephäſtos nennt, erſt nach den Zeiten des großen Makedoniers ſamt der Inſel Chryſe durch Erdſtöße zertrümmert und in den Meeresfluten verſunken * (Kosmos Bd. I, S. 176 und 316, Anm. 156, Ukert, Geogr. der Griechen und Römer, T. II, Abt. 1, S. 198). Die große, ſeit faſt 1900 Jahren (186 v. Chr. bis 1712 unſerer Zeitrechnung) ſich mehrmals wiederholende Hebung der drei Kaimenen in der Mitte des Golfes von Santorin (teil: weiſe umſchloſſen von Thera, Theraſia und Aſproniſi) hat bei dem Entſtehen und Verſchwinden auffallende Aehnlichkeit gehabt mit dem, freilich ſehr kleinen Phänomen der tempo— rären Bildung der Inſel, welche man Graham, Julia und Ferdinandea nannte, zwiſchen Sciacca und Pantellaria. Auf der Halbinſel Methana, deren wir ſchon oft erwähnt (Kosmos Bd. I, S. 313, Bd. IV, S. 375, Anm. 48), ſind deutliche Spuren vulkaniſcher Ausbrüche im rotbraunen Trachyt, der aus dem Kalkſtein aufſteigt bei Kaimenochari und Kaimeno (Curtius, Peloponneſos Bd. II, S. 439). Vorhiſtoriſche Vulkane mit friſchen Spuren von Lava— erguß aus Kratern ſind, von Norden nach Süden aufgezählt: die der Eifel (Moſenberg, Geroldſtein) am nördlichſten; der große Erhebungskrater, in welchem Schemnitz liegt; Auvergne (Chaine des Puys oder der Monts Dömes, le Cone du Cantal, les Monts Dore); Vivarais, in welchem die alten Laven aus Gneis ausgebrochen ſind (Coupe d’Aysac und Kegel von Montpezat); Velay, Schlackenausbrüche, von denen keine Laven ausgehen; die Euganeen; das Albanergebirge, Rocca Monfina und Vultur bei Teano und Melfi; die ausgebrannten Vulkane um Olot und Kaſtell Follit in Katalonien; “ die Inſelgruppe las Columbretes nahe der Küſte von Valencia (die ſichelförmige größere Inſel Colubraria der Römer, auf der Montcolibre, nach Kapitän Smith Br. 39“ 54, voll Obſidians und zelligen Trachytes); die griechiſche Inſel Niſyros, eine der karpathiſchen Sporaden von ganz runder Geſtalt, in deren Mitte auf einer Höhe von 2130 Fuß (692 m) nach Roß ein umwallter tiefer Keſſel mit einer ſtark detonierenden Solfatare liegt, aus welcher einſt ſtrahlförmig, jetzt kleine Vorgebirge bildende Lavaſtröme ſich in das Meer ergoſſen, vulkaniſche Mühlſteine liefernd noch zu Strabos Zeit (Roß, Reiſen auf den Griech. Inſeln Bd. II, S. 69 und 72 bis 78). Für die Britiſchen Inſeln ſind hier wegen des Alters der Formationen noch zu erwähnen die merkwürdigen Einwirkungen unterſeeiſcher Vulkane auf die Schichten der Unterſilurformation (Llandeilobildung), indem vulkaniſche zellige Fragmente in dieſe Schichten eingebacken — 270 — ſind und nach Sir Roderick Murchiſons wichtiger Beobachtung ſelbſt eruptive Trappmaſſen in den Corndonbergen in unter⸗ ſiluriſche Schichten eindringen (Shropſhire und Montgomery: ſhire), die Gangphänomene der Inſel Arran und die anderen Punkte, in denen das Einſchreiten vulkaniſcher Thätigkeit Ve iſt, ohne daß Spuren eigener Gerüſte aufgefunden werden. II. Juſeln des Atlantiſchen Meeres. Vulkan Esk auf der Inſel Jan Mayen, von dem ver— dienſtvollen Scoresby erſtiegen und nach ſeinem Schiffe be— nannt; Höhe kaum 1500 Fuß (487 m). Ein offener, nicht entzündeter Gipfelkrater; pyroxenreicher Baſalt und Traß. Südweſtlich vom Esk, nahe bei dem Nordkap der Eier— inſel, ein anderer Vulkan, der im April 1818 von vier zu vier Monaten hohe Aſchenausbrüche zeigte. Der 6448 Fuß (2095 m) hohe Beerenberg, in dem breiten nordöſtlichen Teile von Jan Mayen (Br. 71° 4), iſt nicht als Vulkan bekannt. Vulkane von Island: Oeräfa, Hekla, Rauda-Kamba .. Vulkan der azoriſchen Inſel Pico: !“ großer Lava⸗ ausbruch vom 1. Mai bis 5. Juni 1880.— Pik von Tenerifa. Vulkan von Fogo, einer der Kapverdiſchen Inſeln. Vorhiſtoriſche vulkaniſche Thätigkeit: Es iſt dieſelbe auf Island weniger beſtimmt an gewiſſe Centra gebunden. Wenn man mit Sartorius von Waltershauſen die Vulkane der Inſel in zwei Klaſſen teilt, von denen die der einen nur einen Ausbruch gehabt haben, die der anderen auf derſelben Hauptſpalte wiederholt Lavaſtröme ergießen, ſo ſind zu der erſteren Rauda-Kamba, Skaptar, Ellidavatan, ſüdöſtlich von Reykjavik, . . . . zu der zweiten, welche eine dauernde Indivi⸗ dualität zeigt, die zwei höchſten Vulkane von Island, Oeräfa (über 6000 Fuß — 1950 m) und Snaefiall, Hekla .... zu rechnen. Der Snaefiall iſt ſeit Menſchengedenken nicht in Thätigkeit geweſen, während der Oeräfa durch die furchtbaren Ausbrüche von 1362 und 1727 bekannt iſt (Sart. von Waltershauſen, Phyſ.-geograph. Skizze von Island, S. 108 und 112). — Auf Madeira können die beiden höchſten Berge, der 5585 Fuß (1846 m) hohe kegelförmige Pico Ruivo und der wenig niedrigere Pico de Torres, mit ſchlackigen Laven an den ſteilen Abhängen bedeckt, nicht als die central wirkenden Punkte der vormaligen vulkaniſchen Thätigkeit auf der ganzen Inſel betrachtet werden, da in vielen Teilen derſelben, beſon— ders gegen die Küſten hin, Eruptionsöffnungen, ja ein großer Krater, der der Lagoa bei Machico, gefunden werden. Die Laven, durch Zuſammenfluß verdickt, ſind nicht als einzelne Ströme weit zu verfolgen. Reſte alter Dikotyledonen- und Farnvegetation, von Charles Bunbury genau unterſucht, finden ſich vergraben in gehobenen vulkaniſchen Tuff- und Letten— ſchichten, bisweilen von neuerem Baſalte bedeckt. — Fernando de Noronha, lat. 3° 50“ S. und 2° 27 öſtlich von Per⸗ nambuco, eine Gruppe ſehr kleiner Inſeln; hornblendehaltige Phonolithfelſen, kein Krater, aber Gangklüfte, gefüllt mit Trachyt und baſaltartigem Mandelſtein, weiße Tufflagen durch⸗ ſetzend. — Inſel Ascenſion, im höchſten Gipfel 2690 Fuß (874 m), Baſaltlaven mit mehr eingeſprengtem glaſigem Feld— ſpat als Olivin und wohlbegrenzten Strömen, bis zu dem Ausbruchkegel von Trachyt zu verfolgen. Die letztere Gebirgs— art von lichten Farben, oft tuffartig aufgelöſt, herrſcht im Inneren und im Südoſten der Inſel. Die von Green Mountain ausgeworfenen Schlackenmaſſen enthalten eingebacken jyenit- und granithaltige eckige Fragmente, welche an die der Laven von Jorullo erinnern. Weſtlich von Green Mountain findet ſich ein großer offener Krater. Vulkaniſche Bomben, teilweiſe hohl, bis 10 Zoll (26 em) im Durchmeſſer, liegen in zahlloſer Menge zerſtreut umher, auch große Maſſen von Obſidian. — St. Helena, die ganze Inſel vulkaniſch, im Inneren mehr feldſpatartige Lavaſchichten, gegen die Küſten hin Baſalt— geſtein, von zahlloſen Gängen (dikes) durchſetzt, wie am Flagstaff-Hill. Zwiſchen Diana Peak und Nest-Lodge, in der Centralbergreihe der halbmondartig gekrümmte ſeigere Ab— ſturz und Reſt eines weiten zerſtörten Kraters, voll Schlacken und zelliger Lava („the mere wreck o of one great crater is left“). Die Lavenſchichten nicht begrenzt und daher nicht als eigentliche Ströme von geringer Breite zu verfolgen. — Triſtan da Cunha (Br. 37 3“ ſüdl., Lg. 1348“ weſtl.) ſchon 1506 von den Portugieſen entdeckt, eine zirkelrunde kleine Inſel von 1½ geogr. Meilen (11 kw) im Durchmeſſer, in deren Centrum ein Kegelberg liegt, den Kapitän Denham als von ungefähr 7800 Pariſer Fuß (2533 m) Höhe und von vulkaniſchem Geſtein zuſammengeſetzt beſchreibt (Dr. Peter— — 272 — manns geogr. Mitteilungen 1855, Nr. III, S. 84). Süd⸗ öſtlich, aber im 53“ ſüdlicher Breite liegt die ebenfalls vulka⸗ niſche Thomſonsinſel; zwiſchen beiden in gleicher Richtung Goughinſel, auch Diego Alvarez genannt. Deceptioninſel, ein ſchmaler, eng geöffneter Ring (ſüdl. Br. 6255, und Bridgmansinſel, zu der South Shetlandsgruppe gehörig, beide vulkaniſch; Schichten von Eis, Bimsſtein, ſchwarzer Aſche und Obſidian; perpetuierlicher Ausbruch heißer Dämpfe (Kendal im Journal of the Geogr. Soc. Vol. I, 1831, p. 62). Im Februar 1842 ſah man die Deceptioninſel gleich— zeitig an 13 Punkten im Ringe Flammen geben (Dana in der U. St. Explor. Exped. Vol. X, p. 548). Auffallend iſt es, daß, da ſo viele andere Inſeln im Atlantiſchen Meere vulkaniſch find, weder das flache Inſelchen St. Paul (Penedo de S. Pedro), einen Grad nördlich vom Aequator (ein wenig blättriger Grünſteinſchiefer, in Serpentin übergehend), noch die Malouinen (mit ihren quarzigen Thonſchiefern), Süd— georgien oder das Sandwichland vulkaniſches Geſtein darzubieten ſcheinen. Dagegen wird eine Region des Atlantiſchen Meeres, ungefähr 0 20° ſüdlich vom Aequator, Lg. 22° weſtl. für den Sitz eines unterſeeiſchen Vulkanes gehalten. Kruſen⸗— ſtern hat in dieſer Nähe ſchwarze Rauchſäulen aus dem Meere aufſteigen ſehen (19. Mai 1806), und der aſiatiſchen Societät zu Kalkutta iſt 1836 zweimal an demſelben Punkte (ſüdöſtlich von dem obengenannten Felſen von St. Paul) geſammelte vulkaniſche Aſche vorgezeigt worden. Nach ſehr genauen Unter: ſuchungen von Dauſſy ſind von 1747 bis zu Kruſenſterns Weltumſeglung ſchon fünfmal und von 1806 bis 1836 ſieben⸗ mal in dieſer Volcanic Region, wie fie auf der neueſten ſchönen Karte des Lieutenant Samuel Lee (Track of the surveying Brig Dolphin 1854) genannt wird, ſeltſame Schiffsſtöße und Aufwallungen des Meeres bemerkt worden, welche man dem durch Erdbeben erſchütterten Meeresboden zuſchrieb. Doch iſt neuerlichſt auf der Expedition der Brigg Delphin (Januar 1852), welche „wegen Kruſenſterns Volcano“ die Inſtruktion hatte, zwiſchen dem Aequator und 7° ſüdl. Breite bei Lg. 18° bis 27 auch durch das Senkblei Nachforſchungen zu machen, wie vorher (1838) bei Wilkes Exploring Expedition nichts Auf- fallendes bemerkt worden. A * f 12 a | o | III. Afrika. Der Vulkan Mongo ma Leba ! im Kamerungebirge (nördl. Br. 4° 12“), weſtlich von der Mündung des Fluſſes gleichen Namens in die Bucht von Biafra, öſtlich von dem Delta des Kowara (Niger) gab nach Kapitän Allan einen Lavaausbruch im Jahre 1838. Die lineare Reihenfolge der vier vulkaniſchen hohen Inſeln Anabom, St. Thomas, Prinzeninſel und San Fernando Po, auf einer Spalte SSW bis NNO, weiſt auf den Kamerun hin, welcher nach den Meſſungen von Kapitän Owen und Lieutenant Boteler die große Höhe von ungefähr 12200 Fuß erreicht. Ein Vulkan? etwas weſtlich von dem Schneeberge Kigne ase im öſtlichen Afrika, ungefähr 1“ 20° ſüdl. Br., aufgefunden 1849 von dem Miſſionär Krapf nahe den Quellen des Danafluſſes, etwa 80 geogr. Meilen (590 km) in Nord: weit von dem Litorale von Mombas. In einem fait 2° ſüd— licheren Parallel als der Kignea liegt ein anderer Schneeberg, der Kilimandſcharo, welchen 1847 der Miſſionär Rebmann entdeckt hat, vielleicht kaum 50 geogr. Meilen (370 km) von dem eben genannten Litorale. Etwas weſtlicher liegt ein dritter Schneeberg, der vom Kapitän Short geſehene Doengo Engai. Die Kenntnis von der Exiſtenz dieſer Berge iſt die Frucht mutiger und gefahrvoller Unternehmungen. Beweiſe vorhiſtoriſcher vulkaniſcher Thätigkeit in dem großen, aber zwiſchen dem ſiebenten nördlichen und zwölften ſüdlichen Parallelkreiſe (denen von Adamaua und des waſſer— ſcheidenden Gebirges Lubalo) im Inneren noch ſo unerforſchten Kontinente liefern die Umgegend des Tzanaſees im Königreich Gondar nach Rüppell, wie die Baſaltlaven, Trachyte und Obſidianſchichten von Schoa nach Rochet d'Héricourt, deſſen mitgebrachte Gebirgsarten, denen des Cantal und Mont-Dore ganz analog, von Dufrenoy haben unterſucht werden können (Comptes rendus T. XXII, 1846, p. 806 bis 810. Wenn auch in Kordofan der Kegelberg Koldghi ſich nicht als jetzt entzündet und rauchend zeigt, ſo ſoll ſich doch das Vor⸗ kommen ſchwarzen, poröſen, verglaſten Geſteines daſelbſt be— ſtätigt haben. In Adamaua, ſüdlich vom großen Benuefluſſe, ſteigen die iſolierten Bergmaſſen Bagele und Alantika auf, welche den Dr. Barth auf ſeiner Reiſe von Kuka nach Jola durch A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 18 — 274 — ihre kegel- und domförmige Geſtaltung an Trachytberge mahnten. Der ſo früh den Naturwiſſenſchaften entzogene Overweg fand in der von ihm durchforſchten Gegend von Gudſcheba, weſtlich vom Tſadſee, nach Petermanns Notizen aus den Tagebüchern olivenreiche, ſäulenförmig abgeteilte Baſaltkegel, welche bald die Schichten des roten thonartigen Sandſteines, bald quarzigen Granit durchbrochen haben. Der große Mangel jetzt entzündeter Vulkane in dem un⸗ gegliederten Kontinente, deſſen Küſtenländer genugſam bekannt ſind, bietet eine ſonderbare Erſcheinung dar. Sollte es in dem unbekannten Centralafrika, beſonders ſüdlich vom Aequator, große Waſſerbecken geben, analog dem See Uniameſi (früher von Dr. Cooley N'yaſſi genannt), an deren Ufern ſich Vulkane wie der Demavend nahe dem Kaſpiſchen Meere erheben?!“ Bisher hat kein Bericht der vielreiſenden Eingeborenen uns davon irgend eine Kunde gebracht! IV. Aſien. ) Der weſtliche und centrale Teil. Vulkan von Demavend,!“ entzündet, aber nach den Berichten von Olivier, Morier und Taylor Thomſon (1837) nur mäßig und nicht ununterbrochen rauchend; Vulkan von Medina (Lavaausbruch 1276); Vulkan Djebel el Tir (Tair oder Tehr), ein Inſel⸗ berg von 840 Fuß (273 m) zwiſchen Loheia und Maſſaua im Roten Meere; Vulkan Pe⸗ſchan,““s nördlich von Kutſche in der großen Bergkette des Tian-ſchan oder Himmelsgebirges in Inner⸗ aſien; Lavaausbrüche in echt hiſtoriſcher Zeit vom Jahre 89 bis in den Anfang des ſiebenten Jahrhunderts unſerer Zeit: rechnung; Vulkan Ho⸗tſcheu, auch bisweilen in der jo umſtänd⸗ lichen chineſiſchen Länderbeſchreibung Vulkan von Turfan genannt, 30 geogr. Meilen (220 km) von der großen Solfa⸗ tara von Urumtſi, nahe dem öſtlichen Ende des Tian-ſchan gegen das ſchöne Obſtland von Hami hin. Der Vulkan Demavend, welcher ſich bis zu 0 als 18000 Fuß (5850 m) Höhe erhebt, liegt faſt 9 geogr. Meilen (67 km) von dem ſüdlichen Litorale des Kaſpiſchen Meeres in Mazenderan, fat in gleicher Entfernung von Reſcht und Aſterabad, auf der gegen Herat und Meſchhed im Weſten ſchnell abfallenden Kette des Hindu⸗Khu. Ich habe an einem anderen Orte (Asie centrale T. I, p. 124 bis 129, T. III, p. 433 bis 435) wahrſcheinlich gemacht, daß der Hindu-Khu von Tſchitral und Kafiriſtan eine weſtliche Fortſetzung des mächtigen, Tibet gegen Norden begrenzenden, das Meridiangebirge Bolor im Tſungling durchſetzenden Kuen⸗lün iſt. Der Demavend gehört zum perſiſchen oder kaſpiſchen Elburs, Name eines Bergſyſtemes, welchen man nicht mit dem gleich⸗ lautenden kaukaſiſchen, 71,0 nördlicher und 10° weſtlicher ge- legenen (jetzt Elbrus genannten) Gipfel verwechſeln muß. Das Wort Elburs iſt eine Verunſtaltung von Albordj, dem Weltberge, welcher mit der uralten Kosmogonie des Zend— volkes zuſammenhängt. Wenn bei Verallgemeinerung geognoſtiſcher Anſichten über die Richtung der Gebirgsſyſteme von Inneraſien der Vulkan Demavend die große Kuen⸗lün⸗Kette nahe an ihrem weſtlichen Ende begrenzt, ſo verdient eine andere Feuererſcheinung an dem öſtlichen Ende, deren Exiſtenz ich zuerſt bekannt gemacht habe (Asie centrale, T. II, p. 427 und 483), eine beſondere Aufmerkſamkeit. In den wichtigen Unterſuchungen, zu denen ich meinen verehrten Freund und Kollegen im Inſtitute, Sta⸗ e Julien, aufgefordert, um aus den reichen geographiſchen Quellen der alten chineſiſchen Litteratur zu ſchöpfen über den Ars den Kuen⸗lün und das Sternenmeer, fand der ſcharfſinnige Forſcher in dem großen vom Kaiſer Hongtſchine g im Anfang des 18. Jahrhunderts edierten Wörterbuche die Beſchreibung der „ewigen Flamme“, welche am Abhange des öſtlichen Kuen⸗lün aus einer Höhle in dem Hügel Schinfhieu ausbricht. Die weitleuchtende Erſcheinung, ſo tief ſie auch gegründet ſein mag, kann wohl nicht ein Vulkan genannt werden. Sie ſcheint mir vielmehr Analogie mit der ſo früh den Hellenen bekannten Chimära in Lykien, bei Delikatſch und Panartaſch darzubieten. Es iſt dieſe ein Feuerbrunnen, eine durch vulkaniſche Thätigkeit des Erdinneren immerfort 1 Gasquelle (Kosmos Bd. IV, S. 213, und dazu nm Arabiſche Schriftſteller lehren, meiſt ohne beſtimmte Jahre anzugeben, daß im Mittelalter im ſüdweſtlichen Litorale Ara- biens, in der Inſelkette der Zobayr, in der Meerenge Bab- el⸗Mandeb und Aden (Wellſted, Travels in Arabia — 276 — Vol. II, p. 466 bis 468), in Hadhramaut, in der Straße von Ormuz und im weſtlichen Teile des Perſiſchen Golfes noch an einzelnen Punkten Lavaausbrüche ſtattgefunden haben, immer auf einem Boden, der ſchon ſeit vorhiſtoriſcher Zeit der Sitz vulkaniſcher Thätigkeit geweſen war. Die Epoche des Ausbruches eines Vulkanes um Medina ſelbſt, 12 ½ “ nördlich von der Meerenge Bab-el-Mandeb, hat Burkhardt in Sam: hudys Chronik der berühmten Stadt dieſes Namens in Hedſchas gefunden. Sie ward geſetzt auf den 2. November 1276. Daß aber dort eine Feuereruption bereits 1254, alſo 22 Jahre früher, geweſen war, lehrt nach Seetzen Abul-Mahaſen (vgl. Kosmos Bd. I, S. 176). — Der Inſelvulkan Djebel Tair, in welchem ſchon Vincent die „ausgebrannte Inſel“ des Peri- plus Maris Erythraei erkannte, iſt noch thätig und Rauch ausſtoßend nach Botta und nach den Nachrichten, die Ehren: berg und Rußegger (meiſen in Europa, Aſien und Afrika, Bd. II, T. 1, 1843, S. 54) geſammelt. Ueber die ganze Umgegend der Meerenge Bab-el-Mandeb mit der Baſalt⸗ inſel Perim, die kraterartige Umwallung, in welcher die Stadt Aden liegt, die Inſel Seerah mit Obſidianſtrömen, die mit Bimsſtein bedeckt ſind, über die Inſelgruppen der Zobayr und der Farſan (die Vulkanizität der letzteren hat Ehrenberg 1825 entdeckt) ſ. die ſchönen Unterſuchungen von Ritter in der Erd— kunde von Aſien Bd. VIII, Abt. 1, S. 664 bis 707, 889 bis 891 und 1021 bis 1034. Der vulkaniſche Gebirgszug des Tian-ſchan (Asie centrale T. I, p. 201 bis 203, T. II, p. 7 bis 61), ein Berg⸗ ſyſtem, welches zwiſchen dem Altai und Kuen-lün von Oſten nach Weſten Inneraſien durchzieht, iſt zu einer Zeit der be— ſondere Gegenſtand meiner Unterſuchungen geweſen, da ich zu dem Wenigen, was Abel-Rémuſat aus der japanischen Ency⸗ klopädie geſchöpft hatte, wichtigere, von Klaproth, Neumann und Stanislas Julien aufgefundene Bruchſtücke habe hinzu: fügen können (Asie cent r. T. II, p. 39 bis 50 und 335 bis 3 64). Die Länge des Tian-ſchan übertrifft achtmal die Länge der Pyrenäen, wenn man jenſeits der durchſetzten Meridian⸗ kette des Kusyurt-Bolor den Asferah hinzurechnet, der ſich im Weſten bis in den Meridian von Samarkand erſtreckt und in den Ibn Haukal und Ibn al-Verdi Feuerbrunnen und Salmiak ausſtoßende, leuchtende (?) Spalten, wie im Tian-ſchan, be: ſchreiben (ſ. über den Berg Botom a. a. O. p. 16 bis 20). In der Geſchichte der Dynaſtie der Thang wird ausdrücklich — 277 — geſagt, daß an einem der Abhänge des Peſchan, welcher immer— fort Feuer und Rauch ausſtößt, die Steine brennen, ſchmelzen und mehrere Li weit fließen, als wäre es ein „flüſſiges Fett. Die weiche Maſſe erhärtet, ſowie ſie erkaltet“. Charak— teriſtiſcher kann wohl nicht ein Lavaſtrom bezeichnet werden. Ja in dem 49. Buche der großen Geographie des chineſiſchen Reiches, welche in Peking ſelbſt von 1789 bis 1804 auf Staatskoſten gedruckt worden iſt, werden die Feuerberge des Tian⸗ſchan als „noch thätig“ beſchrieben. Ihre Lage iſt ſo central, daß ſie ungefähr gleich weit (380 geogr. Meilen S 2820 km) vom nächſten Litorale des Eismeeres und von dem Ausfluß des Indus und Ganges, 255 Meilen (1892 km) vom Aralſee, 43 (320 km) und 52 Meilen (385 km) von den Salz: ſeen Iſſik⸗Kul und Balkaſch entfernt ſind. Von den Flammen, welche aus dem Berge von Turfan (Hostſcheu) aufſteigen, gaben auch Kunde die Pilgrime von Mekka, die man in Bombay im Jahre 1835 offiziell befragte Journal of the Asiatie. Soc. of Bengal Vol. IV, 1835, p. 657 bis 664). Wann werden endlich einmal von dem ſo leicht erreichbaren Kuldſcha am Ili aus die Vulkane von Peſchan und Turfan, Barkul und Hami durch einen wiſſenſchaftlich gebildeten Reiſenden beſucht werden?!“ Die jetzt ſchon mehr aufgeklärte Lage der vulkaniſchen Gebirgskette des Tian⸗ſchan hat ſehr natürlich auf die Frage geleitet, ob das Fabelland Gog und Magog, wo auf dem Grunde des Fluſſes el-Macher „ewige Feuer brennen“ ſollen, nicht mit den Ausbrüchen des Peſchan oder Vulkanes von Turfan zuſammenhänge. Dieſe orientaliſche Mythe, welche urſprünglich dem Weſten des Kaſpiſchen Meeres ven Pylis Albaniae bei Der: bend angehörte, iſt, wie faſt alle Mythen, gewandert und zwar weit nach Oſten. Edriſi läßt den Salam el⸗Tjerdjeman, e e eines Abbaſſidenkalifen, in der erſten Hälfte des 9. Jahrhunderts nach dem Lande der Finſternis von Bagdad aus 7 7 Er gelangt durch die Steppe der Baſchkiren nach dem Schneegebirge Cocaia, welches die große Mauer von Magog (Madjoudj) umgibt. Amedee Jaubert, dem wir wich— tige Ergänzungen des nubiſchen Geographen verdanken, hat erwieſen, daß die Feuer, welche am Abhange des Cocaia brennen, nichts Vulkaniſches haben (Asie centr. T. II, p. 99). Weiter im Süden ſetzt Edriſi den See Tehama. Ich glaube wahrſcheinlich gemacht zu haben, daß Tehama der große See Balkaſch iſt, in welchen der Ili mündet, der nur 45 Meilen u (335 km) ſüdlicher liegt. Anderthalb Jahrhunderte nach Edriſi verſetzte Marco Polo die Mauer Magog gar in das Gebirge In⸗-ſchan, öſtlich von der Hochebene Gobi, gegen den Fluß Hoang⸗ho und die chineſiſche Mauer hin, von der (ſonderbar genug) der berühmte venezianiſche Reiſende ebenſowenig ſpricht, als vom Gebrauche des Thees. Der In-ſchan, die Grenze des Gebietes des Prieſters Johann, kann als die öſt— liche Verlängerung des Tian-ſchan angeſehen werden (Asie centrale T. II, p. 92 bis 104). Mit Unrecht hat man lange Zeit die zwei einſt Lava ergießenden Kegelberge, den Vulkan Peſchan und den Ho— tſcheu von Turfan (fie find ungefähr in einer Länge von 105 geogr. Meilen = 780 km durch den mächtigen, mit ewigem Schnee und Eis bedeckten Gebirgsſtock Bogdo-Oola von— einander getrennt) für eine iſolierte vulkaniſche Gruppe ge— halten. Ich glaube gezeigt zu haben, daß die vulkaniſche Thätigkeit nördlich und ſüdlich von der langen Kette des Tian⸗ſchan mit den Grenzen der Erſchütterungskreiſe, den heißen Quellen, den Solfataren, Salmiakſpalten und Stein⸗ ſalzlagern, hier wie im Kaukaſus, in enger geognoſtiſcher Ver: bindung ſteht. Da nach meiner ſchon oft geäußerten Anſicht, der jetzt auch der gründlichſte Kenner des kaukaſiſchen Gebirgsſyſtems, Abich, beigetreten iſt, der Kaukaſus ſelbſt nur die Fortſetzungs— ſpalte des vulkaniſchen Tian-ſchan und Asferah jenſeits der großen aralokaſpiſchen Erdſenkung iſt, ſo ſind hier neben den Erſcheinungen des Tian-ſchan als vorhiſtoriſchen Zeiten angehörig anzuführen die vier erloſchenen Vulkane: Elbrus von 17352 Pariſer Fuß (5636 m), Ararat von 16056 Fuß (5206 m), Kasbek von 15512 Fuß (5039 m) und Savalan von 14787 Fuß (4803 m) Höhe.! Ihrer Höhe nach fallen dieſe Vulkane zwiſchen den Cotopaxi und Montblane. Der große Ararat (Agri-dagh), zuerſt am 27. September 1829 von Friedrich von Parrot, mehrmals 1844 und 1845 von Abich, zuletzt 1850 von Oberſt Chodzko erſtiegen, hat eine Domform wie der Chimborazo, mit zwei überaus kleinen Erhebungen am Rande des Gipfels, doch aber keinen Gipfelkrater. Die größten und wahrſcheinlich neueſten vorhiſtoriſchen Lavaeruptionen des Ararat find alle unterhalb der Schneegrenze ausgebrochen. Die Natur dieſer Eruptionen iſt zweierlei Art: es ſind dieſelben teils trachytartig mit glaſigem Feldſpat und eingemengtem, leicht verwittertem — 279 — Schwefelkieſe, teils doleritartig, meiſt beſtehend aus La: brador und Augit, wie die Laven des Aetna. Die dolerit— artigen hält Abich am Ararat für neuer als die trachytartigen. Die Ausbruchſtellen der Lavaſtröme, alle unterhalb der Grenze des ewigen Schnees, ſind oftmals (z. B. in der großen Gras— ebene Kip⸗Ghioll am nordweſtlichen Abhange) durch Aus— wurfskegel und von Schlacken umringte kleine Krater be— zeichnet. Wenn auch das tiefe Thal des heiligen Jakob (eine Schlucht, welche bis an den Gipfel des Ararat anſteigt und ſeiner Geſtaltung, ſelbſt in weiter Ferne geſehen, einen eigenen Charakter gibt) viel Aehnlichkeit mit dem Thale del Bove am Aetna darbietet und die innerſte Struktur des emporgeſtiegenen Domes ſichtbar macht, ſo iſt die Verſchieden— heit doch dadurch ſehr auffallend, daß in der Jakobsſchlucht nur maſſenhaftes Trachytgeſtein und nicht Lavaſtröme, Schlackenſchichten und Rapilli aufgefunden worden ſind. Der große und der kleine Ararat, von denen der erſtere nach den vortrefflichen geodätiſchen Arbeiten von Waſſili Fedorow 3“ 4“ nördlicher und 6“ 42“ weſtlicher als der zweite liegt, erheben ſich an dem ſüdlichen Rande der großen Ebene, welche der Araxes in einem weiten Bogen durchſtrömt. Sie ſtehen beide auf einem elliptiſchen vulkaniſchen Plateau, deſſen große Achſe von Südoſt nach Nordweſt gerichtet iſt. Auch der Kasbek und der Tſchegem haben keine Gipfelkrater, wenngleich der erſtere mächtige Ausbrüche gegen Norden (nach Wladi— kawkas zu) gerichtet hat. Der größte aller dieſer erloſchenen Vulkane, der Trachytkegel des Elbrus, welcher aus dem granitreichen Talk⸗ und Dioritſchiefergebirge des Backſanfluß— thales aufgeſtiegen iſt, hat einen Kraterſee. Aehnliche Krater— ſeen finden ſich in dem rauhen Hochlande Kely, aus welchem zwiſchen Eruptionskegeln ſich Lavaſtröme ergießen. Uebrigens ſind hier wie in den Kordilleren von Quito die Baſalte weit von dem Trachytſyſteme abgeſondert; ſie beginnen erſt 6 bis 8 Meilen (44 bis 60 kin) ſüdlich von der Kette des Elbrus und von dem Tſchegem am oberen Phaſis- oder Rion-Thale. 6) Der nordöſtliche Teil (Halbinſel Kamtſchatkah. Die Halbinſel Kamtſchatka, von dem Kap Lovatka, nach Kruſenſtern lat. 51° 3°, bis nördlich zum Kap Ukinsk, gehört mit der Inſel Java, mit Chile und Centralamerika zu — 280 — den Regionen, wo auf dem kleinſten Raume die meiſten, und zwar die meiſten noch entzündeten Vulkane zuſammengedrängt ſind. Man zählt deren in Kamtſchatka 14 in einer Länge von 105 geogr. Meilen (780 km). Für Central amerika finde ich vom Vulkan von Soconusco bis Turrialva in Coſta⸗ Rica 29 Vulkane, deren 18 brennen, auf 170 Meilen (1220 km), für Peru und Bolivia vom Vulkan Chacani bis zum Volcan de San Pedro de Atacama 14 Vulkane, von welchen nur 3 gegenwärtig thätig find, auf 105 Meilen (780 km), für Chile vom Volcan de Coquimbo bis zum Volcan de San Clemente 24 Vulkane auf 240 Meilen (1780 km). Von dieſen 24 ſind 13 aus hiſtoriſchen Zeiten als thätig bekannt. Die Kenntnis der kamtſchadaliſchen Vulkane in Hinſicht auf Form, auf aſtronomiſche Ortsbeſtimmung und Höhe iſt in neuerer Zeit durch Kruſenſtern, Horner, Hofmann, Lenz, Lütke, Poſtels, Kapitän Beechey und vor allen durch Adolf Erman rühmlichſt erweitert worden. Die Halbinſel wird ihrer Länge nach von zwei Parallelketten durchſchnitten, in deren öſtlicher die Vulkane angehäuft ſind. Die höchſten der⸗ ſelben erreichen 10 500 bis 14800 Fuß (3310 bis 5130 m). Es folgen von Süden nach Norden: Der Opalinskiſche Vulkan (Pik Koſchelew vom Ad: miral Kruſenſtern), lat. 51° 21, nach Kapitän Chwoſtow faſt die Höhe des Piks von Tenerifa erreichend und am Ende des 18. Jahrhunderts überaus thätig. Die Hodutka Sopfa (51° 35°). Zwiſchen dieſer Sopka und der vorigen liegt ein unbenannter vulkaniſcher Kegel (51° 32°), der aber, wie die Hodutka, nach Poſtels erloſchen ſcheint. Poworotnaja Sopka (52° 22°), nach Kapitän Beechey 7442 Fuß (2417 m) hoch (Ermans Reiſe, Bd. III, S. 253; Leop. von Buch, Iles Can. p. 447). Aſſatſchinskaja Sopka (502), große Aſchenaus⸗ würfe, beſonders im Jahre 1828. Wiljutſchins ker Vulkan (Br. 52° 52), nach Kapitän Beechey 6918 Fuß (2247 m), nach Admiral Lütke 6330 Fuß (2056 m), nur 5 geogr. Meilen (37 km) vom Petropauls⸗ hafen, jenſeits der Bai von Torinsk entfernt. Awatſchinskaja oder Gorelaja Sopka (Br. 53° 17%), Höhe nach Erman 8360 Fuß (2716 m), zuerſt beſtiegen auf der Expedition von La Pérouſe 1787 durch Mongez und Bernizet, ſpäter durch meinen teuren Freund und ſibiriſchen — 281 — Reiſebegleiter Ernſt Hofmann (Juli 1824, bei der Kotzebueſchen Weltumſeglung), durch Poſtels und Lenz auf der Expedition des Admirals Lütke 1828, durch Erman im September 1829. Dieſer machte die wichtige geognoſtiſche Beobachtung, daß der Trachyt bei ſeiner Erhebung Schiefer und Grauwacke lein ſiluriſches Gebirge) durchbrochen habe. Der immer rauchende Vulkan hat einen furchtbaren Ausbruch im Oktober 1837, früher einen ſchwachen im April 1828 gehabt. Poſtels in Lütke, Voyage T. III, p. 67 bis 84; Erman, Reiſe, hiſt. Bericht Bd. III, S. 494 und 534 bis 540. Ganz nahe bei dem Awatſchavulkan (Kosmos Bd. IV, S. 209, Anm. 63) liegt die Koriatskaja oder Strje— loſchnaja Sopka (Br. 535 19“), Höhe 10515 Fuß (3416 m), nach Lütke T. III, p. 84; reich an Obſidian, deſſen die Kamtſchadalen ſich noch im vorigen Jahrhundert, wie die Mexi⸗ kaner und im hohen Altertume die Hellenen, zu Pfeilſpitzen bedienten. Jupanowa Sopka, Br. nach Ermans Beſtimmung (Reiſe Bd. III, S. 469) 53° 32°. Der Gipfel iſt ziemlich abgeplattet und der eben genannte Reiſende ſagt ausdrücklich, „daß dieſe Sopka wegen des Rauches, den ſie ausſtößt, und wegen des unterirdiſchen Getöſes, welches man vernimmt, von jeher mit dem mächtigen Schiwelutſch verglichen und den unzweifelhaften Feuerbergen beigezählt wird.“ Seine Höhe iſt, vom Meere aus durch Lütke gemeſſen, 8496 Fuß (2760 m). Kronotskaja Sopka, 9954 Fuß (3234 m), an dem See gleichen Namens. Br. 54° 8“, ein rauchender Krater auf dem Gipfel des ſehr zugeſpitzten Kegelberges (Lütke, Voyage T. III, p. 85). Vulkan Schiwelutſch, 5 Meilen (37 km) ſüdöſtlich von Jelowka, über den wir eine beträchtliche und ſehr ver: dienſtliche Arbeit von Erman (Reiſe Bd. III, S. 261 bis 317 und Phyſ. Beob. Bd. I, S. 400 bis 403) beſitzen, vor deſſen Reiſe der Berg faſt unbekannt war. Nördliche Spitze: Br. 5640“, Höhe 9894 Fuß (3214 m), ſüdliche Spitze: Br. 56° 39“, Höhe 8250 Fuß (2680 m). Als Erman im Sep⸗ tember 1829 den Schiwelutſch beſtieg, fand er ihn ſtark rau⸗ chend. Große Eruptionen waren 1739 und zwiſchen 1790 und 1810, letztere nicht von fließend ergoſſener Lava, ſondern als Auswürfe von loſem vulkaniſchen Geſteine. Nach C. von Dittmar ſtürzte der nördlichſte Gipfel in der Nacht vom 17. zum — 282 — 18. Februar 1854 ein, worauf eine von wirklichen Lavaſtrömen begleitete, noch dauernde Eruption erfolgte. Tolbatſchinskaja Sopka, heftig rauchend, aber in früherer Zeit die Eruptionsöffnungen ihrer Achſenauswürfe oft verändernd, nach Erman Br. 55° 51° und Höhe 7800 Fuß (2533 m). Uſchinskaja Sopka, nahe verbunden mit dem Kljut⸗ ſchewsker Vulkan; Br. 56° 0‘, Höhe an 11000 Fuß (3570 m) (Buch, Can., p. 452; Landgrebe, Vulkane Bd. I, ©. 375). Kljutſchewskaja Sopka (56° 4) der höchſte und thätigſte aller Vulkane der Halbinſel Kamtſchatka, von Erman gründlich geologiſch und hypſometriſch erforſcht. Der Kljut— ſchewsk hat nach dem Berichte von Kraſchenikow große Feuer: ausbrüche von 1727 bis 1731 wie auch 1767 und 1795 ge— habt. Im Jahre 1829 war Erman bei der gefahrvollen Beſteigung des Vulkanes am 11. September Augenzeuge von dem Ausſtoßen glühender Steine, Aſche und Dämpfe aus dem Gipfel, während tief unterhalb desſelben ein mächtiger Lava— ſtrom ſich am Weſtabhange aus einer Spalte ergoß. Auch hier iſt die Lava reich an Obſidian. Nach Erman (Beob. Bd. I, S. 400 bis 403 und 419) iſt die geogr. Breite des Vulkanes 56° 4° und feine Höhe war im September 1829 ſehr genau 14790 Fuß (4603 m). Im Auguſt 1828 hatte dagegen Admiral Lütke durch Höhenwinkel, die zur See in einer Entfernung von 40 Seemeilen genommen waren, den Gipfel des Kljutſchewskaja 15480 Fuß (4898 m) hoch ge: funden (Voyage T. III, p. 86; Landgrebe, Vulkane Bd. I, S. 375 bis 386). Dieſe Meſſung und die Ver⸗ gleichung der vortrefflichen Umrißzeichnungen des Baron von Kittlitz, der die Lütkeſche Expedition auf dem „Seniawin“ begleitete, mit dem, was Erman ſelbſt im September 1829 beobachtete, führten dieſen zu dem Reſultate, daß in der engen Epoche dieſer 13 Monate große Veränderungen in der Form und Höhe des Gipfels ſich zugetragen haben. „Ich denke,“ ſagt Erman (Reiſe Bd. III, S. 359), „daß man kaum merklich irren kann, wenn man für Auguſt 1828 die Höhe der Oberfläche des Gipfels um 250 Fuß (81 m) größer, als im September 1829 während meines Aufenthaltes in der Gegend von Kljutſchi, und mithin für die frühere Epoche zu 15040 Fuß (4885 m) annimmt.“ Am Veſuvp habe ich, die Sauſſureſche Barometermeſſung der Rocca del Palo, des höchſten nördlichen Kraterrandes, vom Jahre 1773 zu Grunde — 283 — legend, durch eigene Meſſung gefunden, daß bis 1805, alſo in 32 Jahren, dieſer nördliche Kraterrand ſich um 36 Fuß (12 m) geſenkt hatte, daß er aber von 1773 bis 1822, alſo in 49 Jahren, um 96 Fuß (32 m) (ſcheinbar?) geſtiegen ſei (Anſichten der Natur 1849, Bd. II, S. 290). Im Jahre 1822 fanden Monticelli und Covelli für die Rocca del Palo 624 Toiſen (1214 m), ich 629 Toiſen (1223 m). Für das damalige wahrſcheinlichſte Endreſultat gab ich 625 Toiſen (1216 m). Im Frühjahr 1855, alſo 33 Jahre ſpäter, gaben die ſchönen Barometermeffungen des Olmützer Aſtronomen Julius Schmidt wieder 624 Toiſen (1214 m) (Neue Beſtimm. am Veſuv 1856, S. 1, 16 und 33. Was mag davon der Unvollkommenheit der Meſſung und der Barometerformel zu— gehören? Unterſuchungen derart könnten in größerem Maß— ſtabe und mit größerer Sicherheit vervielfältigt werden, wenn man ſtatt oft erneuerter vollſtändiger trigonometriſcher Ope— rationen oder für zugängliche Gipfel mehr anwendbarer, aber minder befriedigender Barometermeſſungen, ſich darauf be— ſchränkte, für die zu vergleichenden Perioden von 25 oder 50 Jahren den einzigen Höhenwinkel des Gipfelrandes aus demſelben und zwar aus einem ſicher wiederzufindenden Stand— punkte bis auf Fraktionen von Sekunden zu beſtimmen. Des Einfluſſes der terreſtriſchen Refraktion wegen würde ich raten, in jeder der Normalepochen das Mittel aus vielſtündlichen Beobachtungen von 3 Tagen zu ſuchen. Um nicht bloß das allgemeine Reſultat der Vermehrung oder Verminderung des einzigen Höhenwinkels, ſondern auch in Fußen die abſolute Quantität der Veränderung zu erhalten, wäre nur eine ein— mal vorgenommene Beſtimmung des Abſtandes erforderlich. Welche reiche Quelle der Erfahrungen würden uns nicht für die vulkaniſchen Koloſſe der Kordilleren von Quito, die vor mehr als einem Jahrhundert beſtimmten Höhenwinkel der hin⸗ länglich genauen Arbeiten von Bouguer und La Condamine gewähren, wenn dieſe vortrefflichen Männer für gewiſſe aus— erleſene Punkte hätten die Stationen bleibend bezeichnen können, in denen die Höhenwinkel der Gipfel von ihnen ge— meſſen wurden! Nach C. von Dittmar hat nach dem Aus— bruch von 1841 der Kljutſchewsk ganz geruht, bis er lava— gebend 1853 wieder erwachte. Der Gipfeleinſturz des Schi— welutſch unterbrach aber die neue Thätigkeit. (Bulletin de la classe physico-mathem. de l'Acad. des Se. de St. Pétersbourg T. XIV, 1856, p. 246.) — 284 — Noch vier andere, teils vom Admiral Lütke und teils von Poſtels genannte Vulkane: den noch rauchenden Apalsk ſüdöſtlich vom Dorfe Bolſcheretski, die Schiſchapinskaja Sopka (Br. 55° 11), die Kegel Kreſtowsk (Br. 56° 4), nahe an der Gruppe Kljutſchewsk, und Uſchkowsk, habe ich in der obigen Reihe nicht aufgeführt wegen Mangels ge: nauerer Beſtimmung. Das kamtſchadaliſche Mittelgebirge, beſonders in der Baidarenebene, Br. 57° 20“, öſtlich von Sedanka, bietet (als wäre ſie „der Boden eines uralten Kraters von etwa vier Werſt, d. i. ebenſoviele Kilometer, im Durchmeſſer“) das geologiſch merkwürdige Phänomen von Lava- und Schlackenergüſſen dar aus einem blaſigen, oft ziegel⸗ roten, vulkaniſchen Geſtein, das ſelbſt wieder aus Erdſpalten ausgebrochen iſt, in größter Ferne von allem Gerüſte auf: geſtiegener Kegelberge (Erman, Reiſe Bd. III, S. 221, 228 und 273; Buch, Iles Canaries p. 454). Auffallend iſt hier die Analogie mit dem, was ich oben über den Malpais, die problematiſchen Trümmerfelder der mexikaniſchen Hochebene, umſtändlich entwickelt habe (Kosmos Bd. IV, S. 252). V. Oſtaſiatiſche Juſeln. Von der Torresſtraße, die unter 10° ſüdlicher Breite Neuguinea von Auſtralien trennt, und von den rauchenden Vulkanen von Flores bis zu den nordöſtlichſten Aleuten (Br. 55°) erſtreckt ſich eine größtenteils vulkaniſche Inſelwelt, welche, unter einem allgemeinen geologiſchen Geſichtspunkte betrachtet, wegen ihres genetiſchen Zuſammenhanges faſt ſchwer in ein⸗ zelne Gruppen zu ſondern iſt, und gegen Süden beträchtlich an Umfang zunimmt. Um von Norden zu beginnen, ſehen wir zuerſt die von der amerikaniſchen Halbinſel Alaska aus⸗ gehende, bogenförmig gekrümmte Reihe der Aleuten durch die der Kupfer- und der Beringsinſel nahe Inſel Attu den alten und neuen Kontinent miteinander verbinden, wie im Süden das Meer von Bering ſchließen. Von der Spitze der Halbinſel Kamtſchatka (dem Vorgebirge Lopatka) folgen in der Richtung Nord gegen Süd, das Sachaliniſche oder Ochotskiſche, durch la Pérouſe berühmt gewordene Meer in Oſten begrenzend, der Archipel der Kurilen, dann Jeſſo, vielleicht vormals mit der Südſpitze der Inſel Krafto!““ (Sachalin oder Tſchoka) zuſammenhängend; endlich jenſeits der engen Tſugarſtraße das japanische Dreiinſelreich (Nip— pon, Sikok und Kiuſiu, nach der trefflichen Karte von Siebold zwiſchen 41° 32° und 30° 18%). Von dem Vulkan Kljutſchewsk, dem nördlichſten an der öſtlichen Küſte der Halb— inſel Kamtſchatka, bis zum ſüdlichſten japaniſchen Inſelvulkan Iwoga⸗Sima, in der von Kruſenſtern durchforſchten Meer— enge Vandiemen, iſt die Richtung der ſich in der vielfach geſpaltenen Erdrinde äußernden feurigen Thätigkeit genau Nordoſt in Südweſt. Es erhält ſich dieſelbe in fortgeſetzter Reihung durch die Inſel Jakuno-Sima, auf der ein Kegel— berg ſich zu der Höhe von 5478 Fuß (1780 m) erhebt, und welche die beiden Straßen Vandiemen und Colnet von⸗ einander trennt, durch den Sieboldſchen Linſchotenarchipel, durch die Schwefelinſel des Kapitäns Baſil Hall (Lung— Huang⸗Schan), durch die kleinen Gruppen der Lieu-Kieu und Madjiko⸗Sima, welche letztere ſich dem Oſtrande der großen chineſiſchen Küſteninſel Formoſa (Thay-wan) bis auf 23 geogr. Meilen (170 km) nähert. Hier bei Formoſa (nördl. Br. 25° bis 26°) iſt der wich— tigſte Punkt, wo ſtatt der Erhebungslinien NO — SW die der nord ſüdlichen Richtung beginnen und faſt bis zum Parallel von 5° oder 6° ſüdlicher Breite herrſchend werden. Sie ſind zu erkennen in Formoſa und in den Philippinen (Luzon und Mindanao) volle 20 Breitengrade hindurch, bald an einer, bald an beiden Seiten die Küſten in der Meridianrichtung abſchneidend; ſo in der Oſtküſte der großen Inſel Borneo, welche durch den Suluarchipel mit Mindanao und durch die lange, ſchmale Inſel Palawan mit Mindoro zuſammenhängt, ſo die weſtlichen Teile der vielgeſtalteten Ce— lebes und Dſchilolo, ſo (was beſonders merkwürdig iſt) die Me— ridianſpalte, auf welcher, 350 geogr. Meilen (2520 m) öſtlich von der Gruppe der Philippinen und in gleicher Breite, ſich die vulkaniſche und Koralleninſelreihe der Marianen oder La— 199 75 erhoben hat. Ihre allgemeine Richtung!“ iſt in N 0 O. Wie wir in dem Parallel der ſteinkohlenreichen Inſel Formoſa den Wendepunkt bezeichnet haben, an welchem auf die kuriliſche Richtung NO — SW die Richtung N— S folgt, ſo beginnt ein neues Spaltenſyſtem ſüdlich von Celebes und der ſchon oſt⸗weſtlich abgeſchnittenen Südküſte von Borneo. Die großen und kleinen Sundainſeln von Timor-Laut bis Weſt⸗Bali folgen in 18 Längengraden meiſt dem mittleren — 286 — Parallel von 8° ſüdlicher Breite. Im weſtlichen Java wendet ſich die mittlere Achſe ſchon etwas mehr gegen Norden, faſt DSD in WNW, von der Sundaſtraße bis zu der ſüdlichſten der Nikobaren aber iſt die Richtung SO — NW. Die ganze vulkaniſche Erhebungsſpalte (O— W und SO — NW) hat demnach ungefähr eine Erſtreckung von 675 geogr. Meilen (elfmal die Länge der Pyrenäen); von dieſen gehören, wenn man die geringe Abweichung Javas gegen Norden nicht achtet, 405 auf die oſt-weſtliche und 270 auf die ſüdoſt⸗nord⸗weſtliche Achſenrichtung. Allgemeine geologiſche Betrachtungen über Form und Reihungsgeſetze führen ſo ununterbrochen in der Inſelwelt an den Oſtküſten Aſiens (in dem ungeheuren Raume von 68 Breitengraden) von den Aleuten und dem nördlichen Beringsmeere zu den Molukken und zu den großen und kleinen Sundainſeln. In der Parallelzone von 5° nördlicher und 10° ſüdlicher Breite hat ſich beſonders der größte Reichtum von Länderformen entwickelt. Auf eine merkwürdige Weiſe wiederholen ſich meiſt die Ausbruchs richtungen der größeren Teile in einem benachbarten kleineren. So liegt nahe der Süd— küſte von Sumatra und ihr parallel eine lange Inſelreihe. Dasſelbe bemerken wir in dem kleinen Phänomene der Erz⸗ gänge, wie in dem größeren der Gebirgszüge ganzer Konti— nente. Gleichſtreichende Nebentrümmer des Haupt— ganges, begleitende Nebenketten (chaines accompagnan- tes) liegen oft in beträchtlichen Abſtänden voneinander; ſie deuten auf gleiche Urſachen und gleiche Richtungen der form— gebenden Thätigkeit in der ſich faltenden Erdrinde. Der Konflikt der Kräfte bei gleichzeitiger Oeffnung von Spalten entgegengeſetzter Richtungen ſcheint bisweilen wunderbare Ge: ſtaltungen nebeneinander zu erzeugen, ſo in den Molukken Celebes und Dſchilolo. Nachdem wir den inneren geologiſchen Zuſammenhang des oſt- und ſüdaſiatiſchen Inſelſyſtemes entwickelt haben, ſetzen wir, um von den alteingeführten, etwas willkürlichen, geographiſchen Abteilungen und Nomenklaturen nicht abzu⸗ gehen, die ſüdliche Grenze der oſtaſiatiſchen Inſelreihe (den Wendepunkt) bei Formoſa, wo die Richtung ND— SW in die N— S übergeht, unter den 24. Grad nördl. Breite. Die Aufzählung geſchieht wieder von Norden nach Süden, von den öſtlichſten, mehr amerikaniſchen Aleuten beginnend. Die vulkanreichen aleutiſchen Inſeln begreifen von * Oſten nach Weiten die Fuchs inſeln, unter denen ſich die größten aller: Unimak, Unalaſchka und Umnak, befinden; die Andrejanowskiſchen, unter denen Atcha mit drei rauchenden Vulkanen und der mächtige, von Sauer ſchon abgebildete Vulkan von Tanaga die berufenſten ſind, die Ratteninſeln und die etwas getrennten Inſeln Blynie, unter denen, wie ſchon oben gejagt, Attu den Uebergang zu der Aſien nahen Kommandeurgruppe (Kupfer- und Beringsinſel) macht. Die mehrfach wiederholte Behauptung, als fange auf der Halbinſel Kamtſchatka die von NNO nach SSW gerichtete Reihe der Kontinentalvulkane erſt da an, wo die vulkaniſche Erhebungsſpalte der Aleuten unterſeeiſch die Halbinſel ſchneidet, als biete dieſe Aleutenſpalte wie eine Zuleitung dar, ſcheint wenig begründet zu ſein. Nach des Admirals Lütke Karte des Beringsmeeres liegen die Inſel Attu, das weſtliche Extrem der Aleutenreihe, Br. 52° 46“, die unvulkaniſche Kupfer- und Beringsinſel Br. 54° 30“ bis 55° 20“, und die Vulkanreihe von Kamtſchatka beginnt ſchon unter dem Parallel von 56° 40“ mit dem großen Vulkan Schiwelutſch, weſtlich vom Kap Stol— bowoy. Die Richtung der Eruptivjpalten iſt auch ſehr verſchieden, faſt entgegengeſetzt. Auf Unimak iſt der höchſte der aleutiſchen Vulkane nach Lüͤtke 7578 Fuß (2462 m). Nahe an der Nordſpitze von Umnak hat ſich im Monat Mai 1796 unter ſehr merkwürdigen, in Otto von Kotzebues Entdeckungs— reiſe (Bd. II, S. 106) vortrefflich geſchilderten Umſtänden die faſt acht Jahre entzündet gebliebene Inſel Agaſchagokh (oder Sanctus Johannes Theologus) aus dem Meere erhoben. Nach einem von Kruſenſtern bekannt gemachten Berichte hatte fie im Jahre 1819 faſt 4 geographiſche Meilen (30 km) im Umfang und noch 2100 Fuß (682 m) Höhe. Auf der Inſel Unalaſchka würden beſonders die von dem ſcharfſinnigen Cha— miſſo angegebenen Verhältniſſe der hornblendereichen Trachyte des Vulkanes Matuſchkin (5136 Fuß — 1668 m) zu dem ſchwarzen Porphyr (2) und dem nahen Granite verdienen, von einem mit dem Zuſtande der neueren Geologie vertrauten, die Zuſammen— ſetzung der Gebirgsarten oryktognoſtiſch und ſicher unterſuchenden Beobachter erforſcht zu werden. Von den zwei ſich nahen Inſeln der Pribylowgruppe, welche vereinzelt in dem Beringsmeer liegen, iſt St. Paul ganz vulkaniſch, reich an Lava und Bims— ſtein, wenn dagegen die St. Georgsinſel nur Granit und Gneis enthält. Nach der vollſtändigſten Aufzählung, die wir bisher be— — 288 — ſitzen, ſcheint die 240 geogr. Meilen (1780 km) lange Reihe der Aleuten über 34 meiſt in neuen, hiſtoriſchen Zeiten thätige Vulkane zu enthalten. So ſehen wir hier (unter 54° und 60° Br. und 162° bis 198° weſtl. Länge) einen Streifen des ganzen Meeresgrundes zwiſchen zwei großen Kontinenten in ſteter, ſchaffender und zerſtörender Wechſelwirkung. Viele Inſeln mögen in der Folge von Jahrtauſenden wie in der Gruppe der Azoren, dem Erſcheinen über der Meeresfläche nahe, viele lange erſchienene ganz oder teilweiſe unbeachtet verſunken ſein! Zur Völkermiſchung, zum Uebergange von Volksſtämmen bietet die aleutiſche Inſelreihe einen Weg dar, welcher 13° bis 14° ſüdlicher als der der Beringsſtraße iſt, auf welchem die Tſchuk— tſchen ſcheinen von Amerika nach Aſien, und zwar bis jen— ſeits des Anadyrfluſſes, übergegangen zu ſein. Die kuriliſche Inſelreihe, von der Endſpitze von Kamtſchatka bis zum Kap Broughton (dem nordöſtlichſten Vorgebirge von Jeſſo), in einer Länge von 180 geogr. Meilen (1335 km), erſcheint mit 8 bis 10 meiſt noch entzündeten Vul— kanen. Der nördlichſte derſelben, auf der Inſel Alaid, be— kannt durch große Ausbrüche in den Jahren 1770 und 1793, verdiente wohl endlich genau gemeſſen zu werden, da man ſeine Höhe bis zu 12000 und 14000 Fuß (3900 bis 4550 m) ſchätzt. Der weit niedrigere Pik Sarytſchew (4227 Fuß 8 1373m nach Horner) auf Mataua und die ſübdlichſten japaniſchen Kurilen: Urup, Jetorop und Kungſiri, haben ſich auch als ſehr thätige Vulkane gezeigt. Nun folgen in der Vulkanreihe Jeſſo und die drei großen japaniſchen Inſeln, über welche der berühmte Reiſende, Herr von Siebold, zur Benutzung für den Kosmos mir eine große und wichtige Arbeit wohlwollend mitgeteilt hat. Sie wird das Unvollſtändige berichtigen, was ich in meinen Fragments de Geologie et de Climatologie asi a- tiques (T. I, 217 bis 234) und in der Asie centrale (T. II, p. 540 bis 552) der großen japaniſchen Encyklopädie. entlehnte. Die große, in ihrem nördlichen Teile ſehr quadratiſche Inſel Jeſſo (Br. 41½ “ bis 45 ½ 0), durch die Sangar: oder Tſugarſtraße von Nippon, durch die Straße la Pérouſe von der Inſel Krafto (Kara-fu⸗to) getrennt, begrenzt durch ihr nordöſtliches Kap den Archipel der Kurilen, aber unfern des nordweſtlichen Kaps Romanzow auf Jeſſo, das ſich 1½“ mehr nach Norden an die Straße la Perouſe vorſtreckt, liegt *** u — 9 unter Br. 45° 11° der vulkaniſche Pic de Langle (5020 Fuß — 1630 m) auf der kleinen Inſel Riſiri. Auch Jeſſo ſelbſt ſcheint von Brougthons ir Vulkanbai an bis gegen das Nord— kap hin von einer Vulkanreihe durchſchnitten zu ſein, was um ſo merkwürdiger iſt, als auf dem ſchmalen Krafto, das faſt eine Fortſetzung vom Jeſſo iſt, die Naturforſcher der Laperouſiſchen Expedition in der Baie de Castries rote poröſe Laven- und Schlackenfelder gefunden haben. Auf Jeſſo ſelbſt zählt Siebold 17 Kegelberge, von denen der größere Teil erloſchene Vulkane zu fein ſcheint. Der Kiaka, von den Japanern Uſuga⸗Take, d. i. Mörſerberg, genannt, wegen eines tief eingeſunkenen Kraters und der Kajo-hori ſollen beide noch entzündet fein. (Kommodore Perry ſah zwei Vulkane bei dem Hafen Endermo, lat. 42° 17°, von der Vulkanbai aus.) Der hohe Manye (Kruſenſterns Kegelberg Pallas) liegt mitten auf der Inſel Jeſſo, ungefähr in Br. 44°, etwas oſt⸗nordöſtlich von der Bai Strogonow. „Die Geſchichtsbücher von Japan erwähnen vor und ſeit unſerer Zeitrechnung nur 6 thätige Vulkane, nämlich 2 auf der Inſel Nippon und 4 auf der Inſel Kiuſiu. Die Vulkane von Kiuſiu, der Halbinſel Korea am nächſten, ſind, in ihrer geographiſchen Lage von Süden nach Norden gerechnet: 1) der Vulkan Mitake auf dem Inſelchen Sayura-Sima, in der nach Süden geöffneten Bai von Kagoſima (Provinz Satſuma, eg. 1289 21°; 2) der Vulkan Kiriſima im Diſtrikt Nala (Br. 31° 45%, Provinz Fiuga; 3) der Vulkan Aſo jama im Diſtrikt Aſo (Br. 32° 45°) Provinz Figo; 4) der Vulkan Wunzen auf der Halbinſel Simabara (Br. 32° 44), im Diſtrikt Takaku. Seine Höhe beträgt nach einer barometriſchen Meſſung nur 1253 m oder 3856 Pariſer Fuß, er iſt alſo kaum 100 Fuß (32 m) höher als der Veſuv (Rocca del Palo). Die geſchichtlich heftigſte Eruption des Vulkanes Wunzen war die vom Februar 1793. Wunzen und Aſo jama liegen beide oſt⸗ſüdöſtlich von Nagaſaki. „Die Vulkane der großen Inſel Nippon ſind, wieder von Süden nach Norden gezählt: 1) Vulkan Fuſi jama, kaum 4 geogr. Meilen (30 km) von der ſüdlichen Küſte entfernt, im Diſtrikt Fuſi (Provinz Suruga, Br. 35° 8°, Lg. 136° 15%). Seine Höhe, gemeſſen wie der vorgenannte Vulkan Wunzen auf Kiuſiu, von jungen, durch Siebold aus— gebildeten Japanern, erreicht 3793 m oder 11675 Par. Fuß; er iſt alſo faſt 300 Fuß (100 m) höher als der Pik von A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 19 — 290 — Tenerifa, mit dem ihn ſchon Kämpfer vergleicht (Wilhelm Heine, Reiſe nach Japan 1856, Bd. II, S. 4). Die Erhebung dieſes Kegelberges wird im 5. Regierungsjahre des VI. Mikado (286 Jahre vor unſerer Zeitrechnung) mit dieſen (geognoſtiſch merkwürdigen) Worten beſchrieben: „In der Land⸗ ſchaft Omi verſinkt eine bedeutende Strecke Landes, ein Binnenſee bildet ſich und der Vulkan Fuſi kommt zum Vorſchein.“ Die geſchichtlich bekannteſten heftigſten Eruptionen aus den chriſt— lichen Jahrhunderten ſind geweſen die von 799, 800, 863, 937, 1032, 1083 und 1707; ſeitdem ruht der Berg. 2) Vulkan Aſama jama, der eentralſte der thätigen Vulkane im In⸗ neren des Landes, 20 geogr. Meilen (148 km) von der jüd- ſüd⸗öſtlichen und 13 Meilen (96 km) von der nord-nord-weſt⸗ lichen Küſte entfernt, im Diſtrikt Saku (Provinz Sinano), Br. 36° 32“, Lg. 136° 18°, alſo zwiſchen den Meridianen der beiden Hauptſtädte Mijako und Jedo. Bereits im Jahre 864 hatte, gleichzeitig mit dem Vulkan Fuſi jama, der Aſama jama einen Ausbruch. Beſonders verheerend und heftig war der vom Monat Juli 1783. Seitdem bleibt der Aſama jama in fortdauernder Thätigkeit. 5 „Außer dieſen Vulkanen wurden von europäiſchen See— fahrern noch zwei kleine Inſeln mit rauchenden Kratern beob— achtet, nämlich: 3) das Inſelchen Iwogaſima oder Iwöſima (sima bedeutet Inſel und iwö Schwefel, ga iſt bloß ein Affixum des Nominativs), ile du Volcan nach Kruſenſtern, im Süden von Kiuſiu, in der Straße Vandiemen, unter 30° 43“, nördl. Br. und 127° 58° öſtl. Länge; nur 54 eng⸗ liſche Meilen (87 km) vom oben genannten Vulkan Mitake entfernt; Höhe des Vulkanes 2220 Fuß (715 m). Dieſes Inſelchen erwähnt bereits Linſchoten im Jahre 1596 mit den Worten: „Solches Eiland hat einen Vulkan, der ein Schwefel: oder feuriger Berg iſt.“ Auch findet es ſich auf den älteſten holländiſchen Seekarten unter dem Namen Vulcanus (Fr. von Siebold, Atlas vom Japaniſchen Reiche Tab. XI). Kruſenſtein hat die Vulkaninſel rauchen geſehen (1804); ebenſo Kapitän Blake 1838, wie Gusrin und de la Roche Boncie 1846. Höhe des Kegels nach dem letzteren Seefahrer 2218 Fuß (715 m). Das felſige Inſelchen, deſſen Landgrebe in der Naturgeſchichte der Vulkane (Bd. I, S. 355) nach Kämpfer unweit Firato (Firando) als Vulkans erwähnt, iſt unſtreitig Iwoſima; denn die Gruppe, zu welcher Iwoſima gehört, heißt Kiusiu ku sima, d. i. die 9 Inſeln von Kiuſiu, und nicht die 99 Inſeln. — 291 — Eine ſolche Gruppe gibt es bei Firato, nördlich von Nagaſaki, und überhaupt in Japan nicht. 4) Die Inſel Ohoſima (Barnevelds Eiland, ile de Vries nach Kruſenſtern); ſie wird zur Provinz Idſu auf Nippon gerechnet und liegt vor der Bucht von Wodawara unter 34° 42“ nördl. Br. und 137° 4. öſtl. Lg. Broughton ſah (1797) Rauch dem Krater entſteigen; vor kurzem hatte ein heftiger Ausbruch des Vulkanes ſtatt. Von dieſer Inſel zieht ſich eine Reihe kleiner vulkaniſcher Eilande in ſüdlicher Richtung bis Fatſi ſjö (33° 6° nördl. Br.) hin und ſetzt ſich bis nach den Bonininſeln (26° 30“ nördl. Br. und 139° 45° öſtl. Lg.) fort, welche nach A. Poſtels (Lutké, Voyage autour du monde dans les années 1826 à 1829, T. III, p. 117) auch vulkaniſch und ſehr heftigen Erd— beben unterworfen ſind. „Dies ſind alſo die acht geſchichtlich thätigen Vulkane im eigentlichen Japan, in und nahe den Inſeln Kiuſiu und Nippon. Außer dieſen geſchichtlich bekannten acht Vulkanen iſt aber noch eine Reihe von Kegelbergen aufzuführen, von denen einige, durch ſehr deutliche, oft tief eingeſchnittene Krater aus— gezeichnet, als längſt erloſchene Vulkane erſcheinen, ſo der Kegelberg Kaimon, Kruſenſterns Pik Horner, im ſüd— lichſten Teile der Inſel Kiuſiu, an der Küſte der Straße Vandiemen, in der Provinz Satſum (Br. 31° 9), kaum 6 geogr. Meilen (45 m) entfernt in SSW von dem thätigen Vulkan Mitake; ſo auf Sikok der Kofuſi oder kleine Fuſi; auf dem Inſelchen Kutſunaſima (Provinz Ijo), Br. 33° 45“, an der öſtlichen Küſte der großen Straße Suwo Nada oder van der Capellen, welcher die drei großen Teile des japa— niſchen Reiches, Kiuſiu, Sikok und Nippon, trennt. Auf dem letzten, der Hauptinſel, werden von Südweſt nach Nordweſt neun ſolcher, wahrſcheinlich trachytiſcher, Kegelberge gezählt, unter welchen die merkwürdigſten ſind: der Sira jama (weiße Berg) in der Provinz Kaga, Br. 36° 5“, welcher, wie der Tſjo kaiſan in der Provinz Dewa (Br. 39° 10%), für höher als der ſüdliche, über 11600 Fuß (3768 m) hohe Vulkan Fuſi jama geſchätzt wird. Zwiſchen beiden liegt in der Provinz Jetſigo der Jaki jama (Flammenberg, in Br. 36° 53%). Die zwei nördlichſten Kegelberge an der Tſugar— ſtraße, im Angeſicht der großen Inſel Jeſſo, ſind: 1) der Iwaki jama, welchen Kruſenſtern, der ſich ein unſterbliches Verdienſt um die Geographie von Japan erworben hat, den Pik Tileſius nennt (Br. 40° 42%), und 2) der Jake jama — 292 — (brennende Berg, Br. 41° 20°), in Nambu, auf der nord⸗ öſtlichſten Endſpitze von Nippon, mit Feuerausbrüchen ſeit älteſter Zeit.“ In dem kontinentalen Teile der nahen Halbinſel Korea oder Korai (fie verbindet ſich unter den Parallelen von 34“ und 34½“ faſt mit Kiuſiu durch die Eilande Tſu ſima und Iki) ſind, trotz ihrer Geſtaltsähnlichkeit mit der Halbinſel Kamtſchatka bisher keine Vulkane bekannt geworden. Die vulkaniſche Thätigkeit ſcheint auf die nahegelegenen Inſeln eingeſchränkt zu ſein. So ſtieg im Jahre 1007 der Inſel— vulkan Tſinmura, den die Chineſen Tanlo nennen, aus dem Meere hervor. Ein Gelehrter, Tien-kong⸗-tſchi, wurde ausgeſandt, um das Phänomen zu beſchreiben und ein Bild davon anzufertigen. Es iſt beſonders die Inſel Se⸗he⸗ſure (Quelpaerts der Holländer), auf welcher die Berge überall eine vulkaniſche Kegelform zeigen. Der Centralberg erreicht nach la Pérouſe und Broughton 6000 Fuß (1950 m) Höhe. Wie viel Vulkaniſches mag nicht noch in dem weſtlichen Archipel zu entdecken ſein, wo der König der Koreer in ſeinem Titel ſich König von 10000 Inſeln nennt! Von dem Pik Horner (Kaiman ga take), an der weſt⸗ lichen Südſpitze von Kiuſiu, im japaniſchen Dreiinſelreiche, zieht ſich in einem Bogen, der gegen Weſten geöffnet iſt, eine kleine vulkaniſche Inſelreihe hin und begreift zwiſchen den Straßen Vandiemen und Colnett Jakuno ſima und Tanega ſima; dann ſüdlich von der Straße Colnett in der Linſchotengruppe von Siebold (Archipel Cecille des Kapitän Guerin), welche ſich bis zum Parallel von 29° erſtreckt, die Inſel Suwaſe ſima, die Vulkaninſel des Kapitän Belcher (Br. 29° 39° und Lg. 127° 21), in Höhe von 2630 Fuß (855 m) nach de la Roche Poncié; dann Baſil Halls Schwefel: inſel (Sulphur Island), die Tori ſima oder Vogelinſel der Japaner, Lung-hoan-ſchan des Pater Gaubil, Br. 27° 517 Lg. 125° 54“, nach der Beſtimmung des Kapitän de la Roche Poncié von 1848. Da fie auch Iws ſima genannt wird, ſo iſt ſie nicht mit der homonymen nördlicheren Inſel in der Straße Vandiemen zu verwechſeln. Die erſtere iſt von Baſil Hall vortrefflich beſchrieben worden. Zwiſchen 26° und 27 Breite folgen die Gruppe der Lieu-Kieu: oder Lew⸗Chewinſeln (von den Bewohnern Lu Tſchu genannt), von denen Klaproth bereits 1824 eine Spezialkarte geliefert hat, und ſüdweſtlicher der kleine Archipel von Madſchiko ſima, welcher ſich an die große Inſel Formoſa anſchließt und von mir als das Ende der oſtaſiatiſchen Inſeln betrachtet wird. Nahe bei der öſtlichen Küſte von Formoſa (lat. 24°) iſt vom Lieutenant Boyle im Oktober 1853 ein großer Vulkanausbruch im Meere beob- achtet worden (Kommodore Perry, Exped. to Japan Vol. I, p. 500). In den Bonininſeln (Buna ſima der Japaner, lat. 26° 27/4, Ig. 139° 550 hat Peels Inſel mehrere ſchwefel⸗ und ſchlackenreiche, wie es ſcheint, vor nicht langer Zeit ausgebrannte Krater (Perry I, p. 200 und 209). VI. Südaſiatiſche Inſeln. Wir begreifen unter dieſe Abteilung Formoſa (Thay— wan), die Philippinen, die Sundainſeln und die Mo: lukken. Die Vulkane von Formoſa hat uns zuerſt Klaproth nach chineſiſchen, immer ſo ausführlich naturbeſchreibenden Quellen kennen gelehrt.!“ Es find ihrer vier, unter denen der Tſchy⸗kang (Rotberg), mit einem heißen Kraterſee, große Feuerausbrüche gehabt hat. Die kleinen Baſchiinſeln und die Babuyanen, welche noch 1831 nach Meyens Zeugnis einen heftigen Feuerausbruch erlitten, verbinden Formoſa mit den Philippinen, von denen die zerſtückelten und kleineren Inſeln die vulkanreichſten ſind. Leopold von Buch zählt auf ihnen 19 hohe iſolierte Kegelberge, im Lande Volcanes ge: nannt, aber wahrſcheinlich teilweiſe geſchloſſene trachytiſche Dome. Dana glaubt, daß es im ſüdlichen Luzon jetzt nur zwei entzündete Vulkane gibt: den Vulkan Taal, der ſich in der Laguna de Bongbong erhebt, mit einem Zirkus, welcher wiederum eine Lagune einſchließt (Kosmos Bd. IV, S. 207), und in dem ſüdlichen Teile der Halbinſel Cama— rines den Vulkan Albay oder Mayon, welchen die Einge— borenen Iſaroe nennen. Letzterer (3000 Fuß = 974 m hoch) hatte große Eruptionen in den Jahren 1800 und 1814.“ In dem nördlichen Teile von Luzon ſind Granit und Glimmer⸗ 8 ja ſelbſt Sedimentformationen mit Steinkohlen ver— reitet. Die langgedehnte Gruppe der Sulu⸗(Solo-) Inſeln (wohl 100 an der Zahl), verbindend Mindanao und Borneo, iſt teils vulkaniſch, teils von Korallenriffen durchzogen. Iſo— lierte ungeöffnete, trachytiſche, kegelförmige Piks werden freilich von den Spaniern oft Volcanes genannt. — 294 — Wenn man alles, was im Süden vom fünften nördlichen Breitengrade (kim Süden von den Philippinen) zwiſchen den Meridianen der Nikobaren und des Nordweſtens von Neu— quinea liegt, alſo die großen und kleinen Sundainſeln und die Molukken, ſtreng durchmuſtert, ſo findet man als Reſultat der großen Arbeit des Dr. Junghuhn „in einem Kranz von Inſeln, welche das faſt kontinentale Borneo umgeben, 109 hohe feuerſpeiende Berge und 10 Schlammvulkane“. Dies iſt nicht eine ungefähre Schätzung, ſondern eine wirkliche Auf— zählung. 2 Borneo, die Giava maggiore des Marco Polo, “? bietet bis jetzt noch keine ſichere Kunde von einem thätigen Vulkane dar; aber freilich ſind auch nur ſchmale Streifen des Litorales (an der Nordweſtſeite bis zur kleinen Küſteninſel Labuan) und bis zum Kap Balambangan, an der Weſtküſte am Ausfluß des Pontianak, an der ſüdöſtlichen Spitze im Diſtrikt Bandſchermas-Sing wegen der Gold-, Diamant- und Platinawäſchen bekannt. Man glaubt auch nicht, daß der höchſte Berg der ganzen Inſel, vielleicht der ganzen ſüd— aſiatiſchen Inſelwelt, der zweigipfelige Kina Bailu an der Nordſpitze, nur 8 geogr. Meilen (60 km) von der Piraten⸗ küſte entfernt, ein Vulkan ſei. Kapitän Belcher findet ihn 12850 Par. Fuß (4174 m) hoch, alſo faſt noch 4000 Fuß (1300 m) höher als den Gunung Paſaman (Ophir) von Sumatra.“ Dagegen nennt Radſcha Brooke in der Provinz Sarawak einen viel niedrigeren Berg, deſſen Name Gunung Api (Feuerberg im Malaiiſchen) wie ſeine umherliegenden Schlacken auf eine ehemalige vulkaniſche Thätigkeit ſchließen laſſen. Große Niederlagen von Goldſand zwiſchen quarzigen Gangſtücken, das viele Waſchzinn der Flüſſe an entgegen: geſetzten Ufern, der feldſpatreiche Porphyr von den Sarambo- bergen deuten auf eine große Verbreitung ſogenannter Ur⸗ und Uebergangsgebirge. Nach den einzigen ſicheren Be— ſtimmungen, welche wir von einem Geologen beſitzen (von dem Dr. Ludwig Horner, Sohn des verdienſtvollen Züricher Aſtronomen und Weltumſeglers), werden im ſüdöſtlichen Teile von Borneo in mehreren ſchwunghaft bearbeiteten Wäſchen vereint, ganz wie am ſibiriſchen Ural: Gold, Diamanten, Platina, Osmium und Iridium (doch bisher nicht Palladium) gefunden. Formationen und Serpentin, Gabbro und Syenit gehören in großer Nähe einer 3200 Fuß (1040 m) hohen Gebirgskette, der der Ratuhsberge, an. — — 295 — Von den übrigen drei großen Sundainſeln werden nach Junghuhn der noch jetzt thätigen Vulkane auf Sumatra 6 bis 7, auf Java 20 bis 23, auf Celebes 11, auf Flores 6 gezählt. Von den Vulkanen der Inſel Java haben wir ſchon oben (Kosmos Bd. IV, S. 233 bis 240) umſtändlich ge: handelt. In dem noch nicht ganz durchforſchten Sumatra ſind unter 19 Kegelbergen von vulkaniſchem Anſehen 6 thätig. Als ſolche ſind erkannt: der Gunung Indrapura, ungefähr 11500 Fuß (3735 m) hoch, nach zur See gemeſſenen Höhen⸗ winkeln, und vielleicht von gleicher Höhe als der genauer gemeſſene Semeru oder Maha-Meru auf Java: der vom Dr. L. Horner erſtiegene Gunung Paſaman, auch Ophir ge— nannt (9010 Fuß = 2927 m), mit einem faſt erloſchenen Krater; der ſchwefelreiche Gunung Salaſi, mit Schlackenauswürfen in den Jahren 1833 und 1845; Gunung Merapi (8980 Fuß — 2917 m), ebenfalls von Dr. L. Horner, in Begleitung des Dr. Korthals, im Jahre 1834 erſtiegen, der thätigſte aller Vulkane Sumatras, und nicht mit den zwei gleichnamigen von Java zu verwechſeln; Gunung Ipu, ein abgeſtumpfter rauchender Kegel; Gunung Dempo im Binnenlande von Benkulen, zu 10000 Fuß (3250 m) Höhe geſchätzt. So wie vier Inſelchen als Trachytkegel, unter denen der Pik Rekata und Panahitam (die Prinzeninſeln) die höchſten ſind, in der Sundaſtraße aufſteigen und die Vulkanreihe von Sumatra mit der gedrängten Reihe von Java verbinden, ſo ſchließt ſich das öſtliche Ende Javas mit ſeinem Vulkan Idjen durch die thätigen Vulkane Gunung Batur und Gunung Agung auf der nahen Inſel Bali an die lange Kette der kleinen Sundainſeln an. In dieſer folgen öſtlich von Bali der rauchende, nach der trigonometriſchen Meſſung des Herrn Mel— ville de Carnbee 11600 Fuß (3768 m) hohe Vulkan Rindſchani auf der Inſel Lombok, der Temboro (5500 Fuß S 1786 m) auf Sumbawa oder Sambawa, deſſen die Luft verfinſternder Aſchen⸗ und Bimsſteinausbruch (April 1815) zu den größten gehört, deren Andenken die Geſchichte aufbewahrt hat, ſechs zum Teil noch rauchende Kegelberge auf Flores .. Die große, vielarmige Inſel Celebes enthält ſechs Vul— kane, die noch nicht alle erloſchen ſind; ſie liegen vereinigt auf der nordöſtlichen ſchmalen Halbinſel Menado. Neben ihnen ſprudeln ſiedend heiße Schwefelquellen, in deren eine, nahe dem Wege von Sonder nach Lamovang, ein vielge— wanderter und frei beobachtender Reiſender, mein piemon— — 296 — teſiſcher Freund, der Graf Carlo Vidua, einſank und an Brandwunden, welche der Schlamm erzeugte, den Tod fand. Wie in den Molukken die kleine Inſel Banda aus dem von 1586 bis 1824 thätigen, kaum 1700 Fuß (552 m) Höhe er⸗ reichenden Vulkan Gunung Api, ſo beſteht die größere Inſel Ternate auch nur aus einem einzigen, an 5400 Fuß (1754 m) hohen Kegelberge, Gunung Gama Lama, deſſen heftige Aus— brüche von 1838 bis 1849 (nach mehr als anderthalbhundert— jähriger gänzlicher Ruhe) zu zehn verſchiedenen Epochen be⸗ ſchrieben worden ſind. Nach Junghuhn ergoß ſich bei der Eruption vom 3. Februar 1840 aus einer Spalte nahe bei dem Fort Toluka ein Lavaſtrom, der bis zum Geſtade herab: floß, „ſei es, daß die Lava eine zuſammenhängende, ganz ge: ſchmolzene Maſſe bildete, oder ſich in glühenden Bruchſtücken ergoß, welche herabrollten und durch den Druck der darauf folgenden Maſſen über die Ebene hingeſchoben wurden“. Wenn zu den hier einzeln genannten wichtigeren vulkaniſchen Kegel⸗ bergen die vielen ſehr kleinen Inſelvulkane zugefügt werden, deren hier nicht Erwähnung geſchehen konnte, ſo ſteigt, wie ſchon oben erinnert worden iſt, die Schätzung aller ſüdlich von dem Parallel des Kaps Serangani auf Mindanao, einer der Philippinen, und zwiſchen den Meridianen des Nordweſtkaps von Neuguinea im Oſten und der Nikobaren- und Andaman⸗ gruppe in Weſten gelegenen Feuerberge auf die große Zahl von 109. Dieſe Schätzung iſt in dem Sinne gemacht, als „auf Java 45, meiſt kegelförmige und mit Kratern verſehene Vulkane aufgezählt werden.“ Von dieſen ſind aber nur 21, von der ganzen Summe der 109 etwa 42 bis 45, als jetzt oder in hiſtoriſchen Zeiten thätige erkannt. Der mächtige Pik von Timor diente einſt den Seefahrern zum Leuchtturme, wie Stromboli. Auf der kleinen Inſel Pulu Batu (auch P. Komba genannt), etwas nördlich von Flores, ſah man 1850 einen Vulkan glühende Lava bis an den Meeresſtrand ergießen, ebenſo früher (1812) und ganz neuerlich, im Früh⸗ jahre 1856, den Pik auf der größeren Sangirinſel zwiſchen Magindanao und Celebes. Ob auf Amboina der berufene Kegelberg Wawani oder Ateti mehr als heißen Schlamm 1674 ergoſſen habe, bezweifelt Junghuhn und ſchreibt gegen: wärtig die Inſel nur den Solfataren zu. Die große Gruppe der ſüdaſiatiſchen Inſeln hängt durch die Abteilung der weſtlichen Sundainſeln mit den Nikobaren und Anda— manen des Indiſchen Ozeans, durch die Abteilung der 7 N — 297 — Molukken und Philippinen mit den Papua, Pelewinſeln und Karolinen der Südſee zuſammen. Wir laſſen aber hier zuerſt die minder zahlreichen und zerſtreuteren Gruppen des Indiſchen Ozeans folgen. VII. Der Indiſche Ozean. Er begreift den Raum zwiſchen der Weſtküſte der Halb— inſel Malakka oder der Birmanen bis zur Oſtküſte von Afrika, alſo in ſeinem nördlichen Teile den Bengaliſchen Meerbuſen und das Arabiſche und Aethiopiſche Meer einſchließend. Wir folgen der vulkaniſchen Thätigkeit des Indiſchen Ozeans in der Richtung von Nordoſt nach Südweſt. Barren Island (die wüſte Inſel) in dem Bengaliſchen Meerbuſen, etwas öſtlich von der größen Andamansinſel (Br. 12° 15°), wird mit Recht ein thätiger Ausbruchkegel genannt, der aus einem Erhebungskrater hervorragt. Das Meer dringt durch eine ſchmale Oeffnung ein und füllt ein inneres Becken. Die Erſcheinung dieſer, von Horsburgh 1791 aufgefundenen Inſel iſt überaus lehrreich für die Bildungstheorie vulkaniſcher Gerüſte. Man ſieht hier vollendet und permanent, was in Santorin und an anderen Punkten der Erde die Natur nur vorübergehend darbietet. Die Ausbrüche im November 1803 waren, wie die des Sangay in den Kordilleren von Quito, ſehr beſtimmt periodiſch, mit Intervallen von 10 Minuten. Leopold von Buch in den Abhandl. der Berl. Akademie aus den Jahren 1818 bis 1819, S. 62. Die Inſel Narcondam (Br. 13° 24°), nördlich von Barren Island, hat auch in früheren Zeiten vulkaniſche Thätig— keit gezeigt, ebenſo wie noch nördlicher und der Küſte von Arrakan nahe (10° 52°), der Kegelberg der Inſel Cheduba (Sillimans American Journal Vol. 38, p. 385. Der thätigſte Vulkan, nach der Häufigkeit des Lava- erguſſes gerechnet, nicht bloß in dem Indiſchen Ozean, ſondern faſt in der ganzen Südhemiſphäre zwiſchen den Meridianen der Weſtküſte von Neuholland und der Oſtküſte von Amerika, iſt der Vulkan der Inſel Bourbon in der Gruppe der Mas— karenen. Der größere, beſonders der weſtliche und innere Teil der Inſel iſt baſaltiſch. Neuere olivinarme Baſaltgänge durchſetzen das ältere olivinreiche Geſtein, auch Schichten von Ligniten ſind in Baſalt eingeſchloſſen. Die Kulminations— punkte der Gebirgsinſel ſind le Gros Morne und les trois B ̃˙ ͤͤ EEE — 298 — Salazes, deren Höhe la Caille zu 10000 Fuß (3250 m) über: ſchätzte. Die vulkaniſche Thätigkeit iſt jetzt auf den ſüdöſt⸗ lichen Teil, le Grand Pays brüle, eingeſchränkt. Der Gipfel des Vulkanes von Bourbon, welcher faſt jedes Jahr nach Hubert zwei, oft das Meer erreichende Lavaſtröme gibt, hat nach der Meſſung von Berth 7507 Fuß (2439 m) Höhe. Er zeigt viele Ausbruchkegel, denen man beſondere Namen ge— geben hat und die abwechſelnd ſpeien. Die Ausbrüche am Gipfel ſind ſelten. Die Laven enthalten glaſigen Feldſpat, und ſind daher mehr trachytiſch als baſaltiſch. Der Aſchen— regen enthält oft Olivin in langen und feinen Fäden, ein Phänomen, das ſich am Vulkan von Owaihi wiederholt. Ein ſtarker, die ganze Inſel Bourbon bedeckender Ausbruch ſolcher Glasfäden ereignete ſich im Jahre 1821. Von der nahen und großen Terra incognita, Mada: gaskar, find nur bekannt die weite Verbreitung des Bims⸗ ſteins bei Tintingue, der franzöſiſchen Inſel Sainte Marie gegenüber, und das Vorkommen des Baſaltes ſüdlich von der Bai von Diego Suarez, nahe bei dem nördlichjten Kap d' Ambre, umgeben von Granit und Gneis. Der ſüdliche Centralrücken der Ambohiſtmeneberge wird (wohl ſehr ungewiß) auf 10000 Fuß (3250 m) geſchätzt.!““ Weſtlich von Mada⸗ gaskar, im nördlichen Ausgange des Kanals von Moſambik, hat die größte der Komoroinſeln einen brennenden Vulkan (Darwin, Coral Reefs p. 122). Die kleine vulkaniſche Inſel St. Paul (38° 38°), ſüdlich von Amſterdam, wird vulkaniſch genannt nicht bloß wegen ihrer Geſtaltung, welche an die von Santorin, Barren Island und Deception Island in der Gruppe der New Shetland— inſeln lebhaft erinnert, ſondern auch wegen der mehrfach be— obachteten Feuer- und Dampferuptionen in der neueren Zeit. Die ſehr charakteriſtiſche Abbildung, welche Valentyn in ſeinem Werke über die Bandainſeln bei Gelegenheit der Expedition des Willem de Vlaming (November 1696) gibt, ſtimmt voll⸗ kommen, wie die Breitenangabe, mit den Abbildungen im Atlas der Expedition von Macartney und der Aufnahme von Kapitän Blackwood (1842) überein. Die kraterförmige, faſt eine engliſche Meile (1,6 km) weite, runde Bai iſt von nach innen ſenkrecht abgeſtürzten Felſen überall umgeben, mit Ausnahme einer ſchmalen Oeffnung, durch welche das Meer bei Flutzeit eintritt. Die die Kraterränder bildenden Felſen fallen nach außen ſanft und niedrig ab. F Die 50 Minuten nördlicher gelegene Inſel Amſterdam (37° 480 beſteht nach Valentyns Abbildung aus einem ein: zigen, waldreichen, etwas abgerundeten Berge, auf deſſen höchſtem Rücken ſich ein kleiner kubiſcher Fels, faſt wie auf dem Cofre de Perote im mexikaniſchen Hochlande, erhebt. Während der Expedition von d'Entrecaſteaur (März 1792) wurde die Inſel zwei Tage lang ganz in Flammen und Rauch gehüllt geſehen. Der Geruch des Rauches ſchien auf einen Wald⸗ und Erdbrand zu deuten, man glaubte freilich hier und da auch Dampfſäulen aus dem Boden nahe dem Ufer aufſteigen zu ſehen, doch waren die Naturforſcher, welche die Expedition begleiteten, ſchließlich der Meinung, daß das rätſel— hafte Phänomen wenigſtens nicht dem Ausbruche “' des hohen Berges, als eines Vulkans, zuzuſchreiben ſei. Als ſicherere Zeugen älterer und echt vulkaniſcher Thätigkeit auf der Inſel Amſterdam dürfte man wohl eher die Schichten von Bims— ſtein (uitgebranden puimsteen) anführen, deren ſchon Va— lentyn nach Vlamings Schiffsjournal von 1696 erwähnt. In Südoſt der Endſpitze von Afrika liegen Marions— oder Prinz Eduardsinſel (47° 2°) und Possession Is- land (46° 28“ Br. und 49 36“ Lg.), zur Crozetgruppe ge: hörig. Beide zeigen Spuren ehemaliger vulkaniſcher Thätig⸗ keit, kleine koniſche Hügel, mit Ausbruchöffnungen von ſäulenförmigem Baſalt umgeben. Oeſtlich, faſt in derſelben Breite, folgt Kerguelens— inſel (Cooks Island of Desolation), deren erſte geologiſche Beſchreibung wir ebenfalls der folgereichen, glücklichen Ex— pedition von Sir James Roß verdanken. Bei dem von Cook benannten Christmas Harbour (Br. 48° 41‘, Lg. 66° 42°) umwickeln Baſaltlaven mehrere Fuß dicke, foſſile Holzſtämme; dort bewundert man auch den maleriſchen Arched Rock, eine natürliche Durchfahrtsöffnung in einer ſchmalen vortretenden Baſaltmauer. In der Nähe befinden ſich Kegelberge, deren höchſte zu 2500 Fuß (812 m) anſteigen, mit ausgebrannten Kratern, Grünſtein⸗ und Porphyrmaſſen, von Baſaltgängen durchſetzt, Mandelſtein mit Quarzdruſen bei Cumberland Bay. Am merkwürdigſten ſind die vielen Kohlenſchichten, von Trappfels (Dolerit wie am heſſiſchen Meißner?) bedeckt, im Ausgehenden von der Dicke weniger Zolle bis 4 Fuß (1,3 m) Mächtigkeit. Wenn man einen allgemeinen Blick auf das Gebiet des Indiſchen Ozeans wirft, ſo ſieht man die in Sumatra nord— — 300 — weſtlich gekrümmte Extremität der Sundareihe ſich verlängern durch die Nikobaren, die großen und kleinen Anda— manen, und die Vulkane von Barren Island, Narcondam und Cheduba faſt parallel der Küſte von Malakka und Tenaſſerim in den öſtlichen Teil des Meerbuſens von Ben— galen eintreten. Längs den Küſten von Oriſſa und Koro— mandel iſt der weſtliche Teil des Buſens inſelfrei, denn das große Ceylon hat, wie Madagaskar, einen mehr kontinentalen Charakter. Dem jenſeitigen Litorale der vorderindiſchen Halb— inſel (der Hochebene von Nil-Gerri, und den Küſten von Ka— nara und Malabar) gegenüber ſchließt von 14° nördlicher bis 8 ſüdlicher Breite eine nordſüdlich gerichtete Reihe von drei Archipelen (der Lakediven, Maldiven und Chagos) ſich durch die Bänke von Sahia de Malha und Cargados Carajos an die vulkaniſche Gruppe der Maskarenen und an Mada— gaskar an, alles, ſoweit es ſichtbar, Gebäude von Korallen— polypen, wahre Atolls oder Lagunenriffe, nach Darwins geiſt— reichen Vermutungen, daß hier ein weiter Raum des Meergrundes nicht eine Erhebungs-, ſondern eine Senkungsfläche (area of subsidence) bildet. VIII. Die Südſee. Wenn man den Teil der Erdoberfläche, welcher gegen— wärtig von Waſſer bedeckt iſt, mit dem Areal des Feſten vergleicht (ungefähr im Verhältnis von 2,7 zu 1), ſo er— ſtaunt man in geologiſcher Hinſicht über die Seltenheit der heute noch thätig gebliebenen Vulkane in der ozeaniſchen Region. Die Südſee, deren Oberfläche beinahe um ½ größer iſt als die Oberfläche aller Feſten unſeres Planeten, die Südſee, welche in der Aequinoktialregion von dem Archipel des Gala— pagos bis zu den Pelewinſeln eine Breite von nahe an ½ des ganzen Erdumkreiſes hat, zeigt weniger rauchende Vulkane, weniger Oeffnungen, durch welche das Innere des Planeten noch mit ſeiner Luftumhüllung in thätigem Verkehr ſteht, als die einzige Inſel Java. Der Geologe der großen amerikani— ſchen Exploring Expedition (1838 bis 1842) unter dem Be— fehle von Charles Wilkes, der geiſtreiche James Dana, hat das unverkennbare Verdienſt, ſich auf ſeine eigenen Er— forſchungen und die fleißige Zuſammenſtellung aller ſicheren anderen Beobachtungen gründend, zuerſt durch Verallgemeine— — 301 — rung der Anſichten über Geſtaltung, Verteilung und Achſen— richtung der Inſelgruppen, über Charakter der Gebirgsarten, Perioden der Senkung und Erhebung großer Strecken des Meeresbodens ein neues Licht über die Inſelwelt der Südſee verbreitet zu haben. Wenn ich aus ſeinem Werke und aus den vortrefflichen Arbeiten von Charles Darwin, dem Geologen der Expedition des Kapitän Fitzroy (1832 bis 1836) ſchöpfe, ohne ſie jedesmal einzeln zu nennen, ſo kann bei der hohen Achtung, welche ich ihnen ſeit ſo vielen Jahren zolle, dies hier nicht gemißdeutet werden. Ich vermeide gern die ſo willkürlichen und nach ganz verſchiedenen Grundſätzen der Vielheit und Größe, oder der Hautfarbe und Abſtammung der Bewohner geſchaffenen Ab— teilungen: Polynesie, Micronésie, Melanésie und Malaisie, ““ und beginne die Aufzählung der noch thätigen Vulkane der Südſee mit denen, welche nördlich vom Aequator liegen. Ich gehe ſpäter in der Richtung von Oſten nach Weſten zu den zwiſchen dem Aequator und dem Parallel von 30° ſüdl. Breite liegenden Inſeln über. Die vielen Baſalt- und Trachyt⸗ inſelchen, mit ihren zahlloſen, zu ungleicher Zeit einſt erup— tiven Kratern, dürfen allerdings nicht ordnungslos zer— ſtreut !“? genannt werden. Man erkennt bei der größeren Zahl, daß ihre Erhebung auf weit ausgedehnten Spalten und unterſeeiſchen Gebirgszügen geſchah, die regions- und gruppen— weiſe beſtimmten Richtungen folgen und, ganz wie wir bei den kontinentalen Gebirgszügen von Inneraſien und vom Kaukaſus erkennen, zu verſchiedenen Syſtemen gehören, aber die Raumverhältniſſe der Oeffnungen, welche zu einer be— ſtimmten Epoche ſich noch gleichzeitig thätig zeigen, hängen bei ihrer ſo überaus geringen Zahl wahrſcheinlich von den ſehr lokalen Störungen ab, welche die zuführenden Spalten er: leiden. Linien, die man verſuchen könnte durch drei, jetzt gleichzeitig thätige Vulkane zu legen, deren gegenſeitige Ent: fernung zwiſchen 600 und 750 geogr. Meilen (4450 bis 5560 km) beträgt, ohne eruptive Zwiſchenglieder (ich bezeichne drei gegenwärtig zugleich entzündete Vulkane: Mauna Loa mit Kilauea an ſeinem öſtlichen Abhange, den Kegelberg von Tanna in den Neuen Hebriden, und Aſſumption in den nördlichen Ladronen), würden uns über nichts belehren können, was im allgemeinen mit der Geneſis der Vulkane im Becken der Südſee zuſammenhängt. Anders iſt es, wenn man ſich auf einzelne Inſelgruppen beſchränkt und ſich in die vielleicht — 302 — vorhiſtoriſchen Epochen verſetzt, wo die vielen, jetzt erloſchenen, aneinander gereihten Krater der Ladronen (Marianen), der Neuen Hebriden und der Salomonsinſel thätig waren, aber dann gewiß nicht in einer Richtung von Südoſt nach Nord: weſt oder von Norden nach Süden allmählich erloſchen. Ich nenne hier vulkaniſche Inſelreihen des hohen Meeres, denen aber auch analog ſind die Aleuten und andere wahre Küſten⸗ inſeln. Allgemeine Schlüſſe über die Richtung eines Erkaltungs— prozeſſes ſind täuſchend, weil die freie oder geſtörte Zuleitung temporär darauf einwirkt. Mauna Loa“ (nach engliſcher Schreibart Mouna Loa), durch die genaue Meſſung der amerikaniſchen Exploring Ex- pedition von Kapitän Wilkes 12 909 Fuß — 4186 m hoch be⸗ funden, alſo 1500 Fuß (487 m) höher als der Pik von Tenerifa, iſt der mächtigſte Vulkan der Südſeeinſeln und der einzige jetzt noch recht thätige in dem ganz vulkaniſchen Archi— pelagus der Hawai- oder Sandwichinſeln. Die Gipfelkrater, von denen der größere über 12000 Fuß (3900 m) Durchmeſſer hat, zeigen im gewöhnlichen Zuſtande einen feſten, von er— kalteter Lava und Schlacken gebildeten Boden, aus welchem kleine dampfende Auswurfskegel aufſteigen. Die Gipfel- öffnungen ſind im ganzen wenig thätig, doch haben ſie im Juni 1832 und im Januar 1843 viele Wochen lang dauernde Eruptionen gegeben, ja Lavaſtröme von 5 bis 7 geogr. Meilen (37 bis 52 km) Länge, den Fuß des Mauna Kea erreichend. Das Gefälle (die Inklination) des ganz zuſammenhängenden, fließenden Stroms war meiſt 6“, oft 10° bis 15°, ja ſelbſt 25° Sehr merkwürdig iſt die Geſtaltung des Mauna Loa dadurch, daß der Vulkan keinen Aſchenkegel hat, wie der Pik von Tenerifa, wie Cotopaxi und ſo viele andere Vul— kane, auch daß Bimsſtein faſt ganz fehlt, '°° unerachtet die ſchwärzlich grauen, mehr trachytartigen als baſaltiſchen Laven des Gipfels feldſpatreich ſind. Für die außerordentliche Flüſſigkeit der Laven des Mauna Loa, ſie mögen aus dem Gipfelkrater (Mokua-weo-weo) oder aus dem Lavaſee (am öſtlichen Abfall des Vulkanes, in nur 3724 Fuß —= 1210 m Höhe über dem Meere) aufſteigen, zeugen die bald glatten, bald gekräuſelten Glasfäden, welche der Wind über die ganze Inſel verbreitet. Dieſes Haarglas, das auch der Vulkan von Bourbon ausſtößt, wird auf Hawai (Owaihi) nach der Schutzgöttin des Landes Peles Haar genannt. Dana hat ſcharfſinnig gezeigt, daß Mauna Loa kein — 303 — Centralvulkan für die Sandwichinſeln und der Lavaſee Ki— lauea keine Solfatare ift. '°° Das Becken des Kilauea hat im langen Durchmeſſer 15000 Fuß (fait 2 einer geogr. Meile = 4870 m), im kleinen Durchmeſſer 7000 Fuß (2270 m). Die dampfend aufkochende und aufſprühende Flüſſigkeit, der eigentliche Lavapfuhl, füllt aber im gewöhnlichen Zuſtande nicht dieſe ganze Höhlung, ſondern nur einen Raum, der im Längendurchmeſſer 13000 (4220 m), im Breitendurchmeſſer 4800 Fuß (1560 m) hat. Man ſteigt an den Kraterrändern ſtufenweiſe herab. Das große Phänomen läßt einen wunder⸗ baren Eindruck von Stille und feierlicher Ruhe. Die Nähe eines Ausbruches verkündigt ſich hier nicht durch Erdbeben oder unterirdiſches Geräuſch, ſondern bloß durch plötzliches Steigen und Fallen der Oberfläche der Lava, bisweilen mit einem Unterſchiede von 300 und 400 Fuß (100 bis 130 m) bis zur Erfüllung des ganzen Beckens. Wenn man geneigt wäre, nicht achtend die ungeheuren Unterſchiede der Di— menſionen, das Rieſenbecken von Kilauea mit den kleinen, durch Spallanzani zuerſt berühmt gewordenen Seitenkratern am Abhange des Stromboli in ½ Höhe des am Gipfel unge— öffneten Berges zu vergleichen, alſo mit Becken aufkochender Lava von nur 30 bis 200 Fuß (10 bis 65 m) Durchmeſſer, ſo müßte man vergeſſen, daß die Feuerſchlünde am Abhange des Stromboli Schlacken bis zu großer Höhe ausſtoßen, ja ſelbſt Laven ergießen. Wenn der große Lavaſee von Kilauea (der untere und ſekundäre Krater des thätigen Vulkanes Mauna Loa) auch bisweilen ſeine Ränder zu überſtrömen droht, ſo erzeugt er doch nie durch wirklich erreichte Ueberſtrömung einen eigentlichen Lavaſtrom. Dieſe entſtehen durch Abzug nach unten, durch unterirdiſche Kanäle, durch Bildung neuer Ausbruchsöffnungen in der Entfernung von 4 bis 5 geogr. Meilen (30 bis 37 km), alſo in noch weit tiefer liegenden Punkten. Nach ſolchen Ausbrüchen, welche der Druck der ungeheuren Lavamaſſe im Becken von Kilauea veranlaßt, ſinkt die flüſſige Oberfläche in dieſem Becken. 70 Von den zwei anderen hohen Bergen Hawais, Mauna Kea und Mauna Hualalai, iſt der erſtere nach Kapitän Wilkes 180 Fuß (58 m) höher als Mauna Loa, ein Kegelberg, auf deſſen Gipfel jetzt nicht mehr ein Terminalkrater, ſondern nur längſt erloſchene Schlackenhügel zu finden ſind. Mauna Hualalai* hat ungefähr 9400 Fuß (3050 m) Höhe, und iſt noch gegenwärtig entzündet. Im Jahre 1801 war eine — 304 — Eruption, bei welcher die Lava weſtwärts das Meer erreichte. Den drei Bergkoloſſen Loa, Kea und Hualalai, die aus dem Meeresboden aufſtiegen, verdankt die ganze Inſel Hawai ihre Entſtehung. In der Beſchreibung der vielen Beſteigungen des Mauna Loa, unter denen die der Expedition von Kapitän Wilkes ſich auf 28 Tage lange Forſchungen gründete, wird von Schneefall bei einer Kälte von 5 bis 8 Centeſimalgraden unter dem Gefrierpunkt, auch von einzelnen Schneeflecken ge⸗ redet, welche man ſchon in der Ferne durch Teleſkope am Gipfel des Vulkanes unterſcheiden konnte, nie aber von per— petuierlichem Schnee. '”! Ich habe ſchon früher erinnert, daß nach den Höhenmeſſungen, die man gegenwärtig für die ge— naueſten halten kann, der Mauna Loa (12 909 Fuß = 4186 m) und Mauna Kea (13089 Fuß = 4252 m) noch um 950 und 770 Fuß (308 und 250 m) niedriger ſind, als ich die untere Grenze des ewigen Schnees in dem Kontinentalgebirge von Mexiko unter 19“ Breite gefunden habe. Auf einer kleinen Inſel ſollte wegen geringerer Temperatur der unteren Luftſchichten in der heißeſten Jahreszeit der Tropenzone und wegen des größeren Waſſergehaltes der oberen Atmoſphäre die ewige Schneelinie wohl etwas tiefer liegen. Die Vulkane von Tafoa* und Amargura* in der Tongagruppe ſind beide thätig, und der letztere hat einen be— trächtlichen Lavaausfluß am 9. Juli 1847 gehabt. Ueberaus merkwürdig und mit den Erfahrungen übereinſtimmend, daß die Korallentiere die Küſten jetzt oder vor nicht langer Zeit entzündeter Vulkane ſcheuen, iſt der Umſtand, daß die an Korallenriffen reichen Tongainſeln Tafoa und der Kegel von Kao davon ganz entblößt ſind. Es folgen die Vulkane von Tanna* und Ambrym*, letzterer weſtlich von Mallicollo in dem Archipel der Neuen Hebriden. Der Vulkan von Tanna, zuerſt von Reinhold Forſter beſchrieben, wurde ſchon bei Cooks Entdeckung der Inſel 1774 in vollem Ausbruch gefunden. Er iſt ſeitdem immer thätig geblieben. Da ſeine Höhe kaum 430 Fuß (140 m) beträgt, ſo iſt er mit dem bald zu nennenden Vulkan von Mendana und dem japaniſchen Vulkan von Koſima einer der niedrigſten feuer⸗ ſpeienden Kegelberge. Auf Mallicollo findet ſich viel Bimsſtein. Mathew's Rock“, eine ſehr kleine rauchende Felsinfel von kaum 1110 Fuß (358 m) Höhe, deren Ausbruch d'Urville im Januar 1828 beobachtet hat. Sie liegt im Oſten von der Südſpitze Neukaledoniens. 5 Be — 305 — Vulkan von Tinaforo* in der Vanikoro- oder Santa Cruzgruppe. In demſelben Archipel von Santa Cruz, wohl gegen 20 geogr. Meilen (148 km) in NNW von Tinaforo, erhebt ſich aus dem Meere, mit kaum 200 Fuß (65 m) Höhe, der ſchon von Mendana 1595 geſehene Vulkan“ (Br. 10° 23° ſüdl.). Seine Feuerausbrüche ſind bisweilen periodiſch von 10 zu 10 Minuten geweſen, bisweilen, wie zur Zeit der Expedition von d'Entrecaſteaux, war der Krater ſelbſt die Dampfſäule. In der Salomonsgruppe iſt entzündet der Vulkan der Inſel Sefarga*. Nahe dabei, alſo auch noch am ſüdöſtlichen Ende der langen Inſelreihe gegen die Vanikoro- oder Santa Cruzgruppe hin wurde ſchon an der Küſte von Guadalcanar vulkaniſche Ausbruchthätigkeit bemerkt. In den Ladronen oder Marianen, im nördlichen Teile der Inſelreihe, die auf einer Meridianſpalte ausgebrochen ſcheint, ſollen noch thätig ſein Guguan *, Pagon“ und der Volcan grande von Aſuncion“. Die Küſtenrichtung des kleinen Kontinentes von Neu— holland, beſonders die Veränderung derſelben, welche die Oſt— küſte unter 25° ſüdlicher Breite (zwiſchen Kap Hervey und der Moretonbai) erleidet, ſcheint ſich in der Zone nahe ge— legener öſtlicher Inſeln zu reflektieren. Die große ſüdliche Inſel von Neuſeeland und die Kermadec- und Tongagruppe ſtreichen von Südweſt nach Nordoſt, wie dagegen der nördliche Teil der Nordinſel von Neuſeeland, von der Bay of Plenty bis Kap Oton, Neukaledonien und Neuguinea, die Neuen Hebriden, die Salomonsinſeln, Neuirland und Neubritannien von Südoſt in Nordweſt, meiſt N 48“ W ftreichen. Leopold von Buch hat zuerſt ſehr ſcharfſinnig auf dieſes Verhältnis zwiſchen Kontinentalmaſſen und nahen Inſeln im Griechiſchen Archipel und dem auſtraliſchen Korallenmeere aufmerkſam ge— macht. Auch auf den Inſeln des letzten Meeres fehlen nicht, wie ſchon beide Forſter (Cooks Begleiter) und la Billardiere gelehrt, Granit und Glimmerſchiefer, die quarzreichen, einſt ſo— genannten uranfänglichen Gebirgsarten. Dana hat ſie eben— falls auf der Nordinſel von Neuſeeland, weſtlich von Tipung in der Bay of Islands geſammelt. Neuholland zeigt nur in ſeiner Südſpitze (Australia Felix), am Fuße und ſüdlich von dem Grampiangebirge friſche Spuren alter Entzündung, denn nordweſtlich von Port Phillip A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 20 findet man nach Dana eine Zahl vulkaniſcher Kegel und Lava⸗ ſchichten, wie ebenfalls gegen den Murrayfluß hin (Dana, S. 453). Auf Neubritannia* liegen an der Oſt- und Weſtküſte wenigſtens drei Kegel, die in hiſtoriſchen Zeiten von Tasman, Dampier, Carderet und la Billardiere als entzündet und lava- gebend beobachtet wurden. | Zwei thätige Vulkane find auf Neuguinea“, an der nordöſtlichen Küſte, den obſidianreichen Admiralitätsinſeln und Neubritannien gegenüber. Auf Neuſeeland, von dem wenigſtens die Geologie der Nordinſel durch das wichtige Werk von Ernſt Dieffenbach und die ſchönen Forſchungen Danas aufgeklärt worden iſt, durchbricht an mehreren Punkten baſaltiſches und trachytiſches Geſtein die allgemeiner verbreiteten plutoniſchen und ſedimen— tären Gebirgsarten, ſo in einem überaus kleinen Areal, nahe bei der Bay of Islands (lat. 35° 2“), wo ſich die mit er: loſchenen Kratern gekrönten Aſchenkegel Turoto und Poerua erheben; jo ſüdlicher (zwiſchen 37 "2° und 38 ½“ Breite), wo der vulkaniſche Boden die ganze Mitte der Nordinſel durch— zieht von Nordoſt nach Südweſt in mehr denn 40 geogr. Meilen (300 km) Länge, von der öſtlichen Bay of Plenty bis zum weſtlichen Kap Egmont. Dieſe Zone vulkaniſcher Thätigkeit durchſchneidet hier, wie wir ſchon in einem weit größeren Maßſtabe in dem mexikaniſchen Feſtlande geſehen haben, als Querſpalte von Meer zu Meer, von NO in SW das innere nordſüdliche Längengebirge, welches der ganzen Inſel ihre Form zu geben ſcheint. Auf ſeinem Rücken ſtehen, wie an Durchſchnittspunkten die hohen Kegel Tongariro“ (5816 Fuß —= 1890 m), an deſſen Krater auf der Höhe des Aſchenkegels Bidwill gelangt iſt, und etwas ſüdlicher Ruapahu (8450 Fuß —= 2713 m). Das Nordoſtende der Zone bildet in der Bay of Plenty (lat. 38 ½ “), eine ſtets rauchende Solfatare, der Inſelvulkan Puhia-i⸗wakati“n e (White Island); es folgen im Südweſten am Litorale ſelbſt: der aus: gebrannte Vulkan Putawaki (Mount Edgecombe), 9036 Fuß (2935 m) hoch, alſo wahrſcheinlich der höchſte Schneeberg auf Neuſeeland, “ im Inneren zwiſchen dem Edgecombe und dem noch entzündeten Tongariro“, welcher einige Lavaſtröme ergoſſen hat, eine lange Kette von Seen, zum Teil ſiedend heißen Waſſers. Der See Taupo, von ſchön glänzendem Leucit⸗ und Sanidinſande wie von Bimsſteinhügeln umgeben, hat — 307 — nahe an 6 geogr. Meilen (45 km) Länge und liegt mitten auf der Nordinſel von Neuſeeland, nach Dieffenbach 1255 Fuß (407 m) über dem Meeresſpiegel erhoben. Umher ſind zwei engliſche Quadratmeilen (59 qkm) ganz mit Solfataren, Dampf: höhlen und Thermalquellen bedeckt, deren letztere, wie am Geiſir auf Island, mannigfaltige Silikatniederſchläge bilden. — Im Weiten von Tongariro“, dem Hauptſitze der vulfa- niſchen Thätigkeit, deſſen Krater noch jetzt Dämpfe und Bims— ſteinaſche ausſtößt, nur 4 Meilen (30 km) vom weſtlichen Litorale entfernt, erhebt ſich der Vulkan Taranaki (Mount Egmont) 8293 Fuß (2703 m) hoch, welchen Dr. Ernſt Dieffen— bach zuerſt im November 1840 erſtiegen und gemeſſen hat. Der Gipfel des Kegels, welcher dem Umriß nach mehr dem Tolima als dem Cotopaxi gleicht, endet mit einer Hochebene, aus der ein ſehr ſteiler Aſchenkegel ſich erhebt. Spuren jetziger Thätigkeit, wie bei dem Vulkan der Weißen Inſel“ und bei dem Tongariro“ wurden nicht beobachtet, auch keine zuſammen— hängenden Lavaſtröme. Die klingenden, ſehr dünnſchaligen Maſſen, welche gratenartig unter Schlacken, wie an einer Seite des Piks von Tenerifa aus dem Aſchenkegel ſelbſt hervor— ragten, ſind dem Porphyrſchiefer (Phonolith) ähnlich. Eine ſchmale, langgedehnte, ununterbrochene Anhäufung von Inſelgruppen auf nordweſtlichen Spalten, wie Neukaledonien und Neuguinea, die Neuen Hebriden und Sa— lomonsinſeln, Pitcairn, Tahiti und die Paumotuinſeln, aus: gebrochen, durchſchneidet in einer Länge von 1350 geogr. Meilen (10000 km) in der ſüdlichen Hemiſphäre den Großen Ozean zwiſchen den Breitenparallelen von 12° und 27°, vom Meridian der Oſtküſte Auſtraliens bis zur Oſterinſel und zu dem Felſen Salay⸗Gomez in weſtöſtlicher Richtung. Die weſtlicheren Teile dieſer Inſelanhäufung (Neubritannien*, die Neuen Hebriden“, Vanikoro“* in dem Archipel von Santa Cruz und die Ton ga gruppe“) zeigen zur gegenwärtigen Zeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Entzündung und feurige Thätigkeit. Neukaledonien, von baſaltiſchen und anderen vulkaniſchen Inſeln umgeben, hat aber bloß plutoniſches Geſtein, wie in den Azoren nach Leopold von Buch Santa Maria,“ und nach Graf Bedemar Flores und Gracioſa. Dieſer Anweſen— heit vulkaniſcher Thätigkeit in Neukaledonien, wo neuerlichſt Sedimentformationen mit Steinkohlenflözen entdeckt worden ſind, wird die dortige große Entwickelung belebter Korallen— riffe zugeſchrieben. Der Archipel der Viti- oder Fidſchiinſeln — 308 — iſt baſaltiſch und trachytiſch zugleich, doch bloß durch heiße Quellen in der Savubai auf Vanua Lebu ausgezeichnet. Die Samoa gruppe (Navigators Islands), nordöſtlich von dem Viti⸗ und faſt ganz nördlich von dem noch entzündeten Tonga— archipel, iſt ebenfalls baſaltiſch, und dabei charakteriſiert durch eine Unzahl von linear geordneten Ausbruchkratern, die von Tuffſchichten mit eingebackenen Korallenſtücken umgeben ſind. Geognoſtiſch am merkwürdigſten iſt der Pik Tafua auf der zu der Samoagruppe gehörigen Inſel Upolu, nicht zu ver⸗ wechſeln mit dem noch entzündeten Pik Tafoa ſüdlich von Amargura in dem Tongaarchipel. Der Pik Tafua (2006 Fuß — 652 m), welchen Dana zuerſt beſtiegen und gemeſſen, hat einen großen, ganz mit dicker Waldung erfüllten Krater, der einen regelmäßig abgerandeten Aſchenkegel krönt. Von Lava: ſtrömen iſt hier keine Spur, dagegen fanden ſich ſchlackige Lavafelder (Malpais der Spanier) mit krauſer, oft ſtrickförmig gewundener Oberfläche am Kegelberge von Apia (2417 Fuß — 797 m), ebenfalls auf Upolu, wie am Pik Fao, der 3000 Fuß (970 m) erreicht. Die Lavafelder von Apia ent⸗ halten ſchmale unterirdiſche Höhlen. Tahiti, in der Mitte der Societätsinſeln, weit mehr trachytiſch als baſaltiſch, zeigt recht eigentlich nur noch die Trümmer ſeines ehemaligen vulkaniſchen Gerüſtes, und aus dieſen mächtigen, wall- und zackenartig geſtalteten Trümmern, mit ſenkrechten, mehrere tauſend Fuß tiefen Abſtürzen, iſt es ſchwer die alte, urſprüngliche Form der Vulkane zu entziffern. Von den beiden größten Gipfeln, Aorai und Orohena, iſt jener zuerſt von Dana erſtiegen und von dieſem gründlichen Geognoſten unterſucht worden. Der Trachytberg, der Oro— hena, ſoll die Höhe des Aetna erreichen. Tahiti hat alſo, nächſt der thätigen Gruppe der Sandwichinſeln, das höchſte Eruptionsgeſtein des ganzen ozeaniſchen Gebietes zwiſchen den Kontinenten von Amerika und Aſien. Ein feldſpatartiges Geſtein von den Tahiti nahen, kleinen Inſeln Borabora und Maurua, von neueren Reiſenden mit dem Namen Syenit, von Ellis in den Polynesian Researches mit dem Namen eines granitartigen Aggregates von Felojpat und Quarz be⸗ zeichnet, verdient, da poröſer, ſchlackiger Baſalt ganz in der Nähe ausbricht, eine viel genauere oryktognoſtiſche Unter⸗ ſuchung. Ausgebrannte Krater und Lavaſtröme ſind auf den Societätsinſeln jetzt nicht zu finden. Man fragt ſich, ſind die Krater auf den Berggipfeln zerſtört, oder blieben die — re pr — 309 — hohen, alten, jetzt geſpaltenen und umgewandelten Gerüſte oben domförmig geſchloſſen, und ſind hier, wie wahrſcheinlich an vielen anderen Punkten des gehobenen Meeresbodens, Baſalt und Trachytſchichten unmittelbar aus Erdſpalten er⸗ goſſen worden? Extreme großer Zähigkeit (Viſcoſität) oder großer Flüſſigkeit des Ergoſſenen, ſowie die verſchiedene Enge und Weite der Spalten, durch welche der Erguß geſchieht, modifizieren die Geſtaltung der ſich bildenden vulkaniſchen Ge⸗ birgsſchichten und veranlaſſen da, wo Reibung die ſogenannte Aſche und fragmentariſche Zerſtückelung hervorbringt, die Ent⸗ ſtehung kleiner, meiſt vergänglicher Aus wurfskegel, welche mit den großen Terminalaſchenkegeln der permanenten Ge— rüſte nicht zu verwechſeln ſind. Ganz nahe öſtlich folgen auf die Societätsinſeln die Niedrigen Inſeln oder Paumotu. Sie find bloß Korallen- inſeln, mit der merkwürdigen Ausnahme der baſaltiſchen, kleinen Gambier⸗ und Pitcairn gruppe. Der letzteren ähnlich findet ſich vulkaniſches Geſtein auch in demſelben Parallele (zwiſchen 25° und 27° ſüdlicher Breite) 315 geogr. Meilen (3320 km) öſtlicher in der Oſterinſel (Watihu), und wahrſcheinlich noch 60 Meilen (445 km) weiter in den Klip pen Sala y Gomez. Auf Waihu, wo die höchſten kegel— förmigen Gipfel kaum 1000 Fuß hoch ſind, bemerkte Kapitän Beechey eine Reihe von Kratern, von denen aber keiner ent- zündet ſchien. Im äußerſten Oſten gegen den neuen Kontinent hin endet das Gebiet der Südſeeinſeln mit einer der entzündetſten aller Inſelgruppen, mit dem aus fünf größeren Inſeln be— ſtehenden Archipel der Galapagos. Faſt nirgends ſind auf einem kleinen Raume von kaum 30 bis 35 geogr. Meilen (220 bis 260 km) Durchmeſſer ſolch eine Unzahl von Kegel— bergen und erloſchenen Kratern (Spuren alter Kommunikation des Inneren der Erde mit dem Luftkreiſe) ſichtbar geblieben. Darwin ſchlägt die Zahl der Krater faſt auf zweitauſend an. Als dieſer geiſtreiche Forſcher auf der Expedition des Beagle unter Kapitän Fitzroy die Galapagos beſuchte, waren zwei Krater zugleich in feuriger Eruption. Auf allen Inſeln ſind Ströme von ſehr flüſſiger Lava zu ſehen, die ſich teilen und ſich oft bis an das Meer ergoſſen haben. Faſt alle ſind reich an Augit und Olivin, einige mehr trachytartige ſollen Albit 's in großen Kriſtallen enthalten. Es wären wohl bei der jetzigen Vervollkommnung des oryktognoſtiſchen Wiſſens — 310 — Unterſuchungen anzuſtellen, ob in dieſen porphyrartigen Tra— chyten nicht Oligoklas, wie auf Tenerifa, im Popocatepetl und Chimborazo, oder Labrador, wie im Aetna und Strom— boli, enthalten ſeien. Bimsſtein fehlt ganz auf den Gala- pagos, wie am Veſuv, als von ihm produziert, auch wird der Hornblende nirgends Erwähnung gethan; alſo herrſcht dort nicht die Trachytformation von Toluca, Orizaba und einiger Vulkane Javas, aus denen Dr. Junghuhn mir wohl aus— gewählte feſte Lavaſtücke zur Unterſuchung für Guſtav Roſe eingeſchickt hat. Auf der größten und weſtlichſten Inſel der Galapagosgruppe, auf Albemarle, ſind die Kegelberge linear, alſo auf Spalten gereiht. Ihre größte Höhe erreicht doch nur 4350 Fuß (1412 m). Der weſtliche Buſen, in welchem der 1825 heftig entzündete Pik Narborough ſich inſelförmig er— hebt, wird von Leopold von Buch als ein Erhebungskrater beſchrieben und mit Santorin verglichen. Viele Kraterränder auf den Galapagos ſind von Tuffſchichten gebildet, die nach allen Seiten abfallen. Denkwürdig und auf die gleichzeitige Wirkung einer großen Kataſtrophe hindeutend iſt es, daß alle Kraterränder gegen Süden ausgebrochen oder gänzlich zerſtört ſind. Ein Teil von dem, was man in den älteren Beſchrei— bungen Tuff nennt, ſind Palagonitſchichten, ganz denen von Island und Italien gleich, wie ſchon Bunſen von den Tuffen der Inſel Chatham durch genaue Analyſe ergründet hat. Dieſe, die öſtlichſte Inſel der ganzen Gruppe und von Beechey aſtronomiſch genau beſtimmt, iſt nach meiner Längenbeſtim— mung der Stadt Quito (814, 38“) und nach Acoſtas Mapa de la Nueva Granada von 1849 von der Punta de S. Fran— cisco noch 134 geogr. Meilen (940 km) entfernt. IX. Mexiko. Die ſechs mexikaniſchen Vulkane: Tuxtla*, Orizaba, Popocatepetl*, Toluca, Sorullo* und Colima“*, von denen vier in hiſtoriſchen Zeiten entzündet geweſen ſind, wurden ſchon früher aufgezählt und in ihrer geognoſtiſch merk— würdigen gegenſeitigen Stellung beſchrieben. Nach neueren Unterſuchungen von Guſtav Roſſe iſt in dem Geſtein des Popocatepetl oder des großen Vulkanes von Mexiko die Formation des Chimborazo wiederholt. Es beſteht dies Ge— ſtein ebenfalls aus Oligoklas und Augit. Selbſt in den pech— — 311 — fteinartigen, fait ſchwarzen Trachytſchichten iſt noch der Oli— goklas in ſehr kleinen, ſchiefwinkeligen Kriſtallen zu erkennen. Zu eben dieſer Chimborazo- und Tenerifaformation gehört der Vulkan von Colima, weit in Weſten ſtehend, nahe dem Litorale der Südſee. Ich habe dieſen Vulkan nicht geſehen, aber wir verdanken Herrn Pieſchel !“ (ſeit dem Frühjahr 1855) die ſehr belehrende Anſicht der von ihm ge⸗ ſammelten Gebirgsarten, wie auch intereſſante geologiſche No— tizen über alle Vulkane des ganzen mexikaniſchen Hochlandes, die er ſämtlich ſelbſt beſucht hat. Der Vulkan von Toluca, deſſen ſchmale und ſchwer zu erreichende höchſte Kuppe (den Pico del Frayle) ich am 29. September 1803 erſtiegen und barometriſch 14 232 Fuß hoch gefunden habe, hat eine ganz andere mineralogiſche Zuſammenſetzung als der noch thätige Popocatepetl und der Feuerberg von Colima, welchen man nicht mit einem anderen, höheren Gipfel, dem ſogenannten Schneeberg, verwechſeln muß. Der Vulkan von Toluca beſteht, wie der Pik von Orizaba, Puy de Chaumont in der Au— vergne und Aegina, aus einer Aſſociation von Oligoklas und Hornblende. Nach dieſer kurzen Angabe ſind, was ſehr zu beachten iſt, in der langen Reihe der Vulkane, welche ſich von Meer zu Meer erſtrecken, nicht zwei zunächſt aufeinander folgende Glieder von gleicher mineralogiſcher Zuſammenſetzung. X. Das nordweſtliche Amerika (nördlich vom Parallel des Rio Gila). In dem Abſchnitte, welcher von der vulkaniſchen Thätig— keit auf den oſtaſiatiſchen Inſeln handelt, iſt mit beſonderer Wichtigkeit der bogenartig gekrümmten Richtung der Er— hebungsſpalte gedacht worden, aus der die Aleuten empor- geſtiegen ſind und die einen unmittelbaren Zuſammenhang zwiſchen dem aſiatiſchen und amerikaniſchen Kontinent, zwiſchen den zwei vulkaniſchen Halbinſeln Kamtſchatka und Aliaska, offenbart. Es iſt hier der Ausgang oder vielmehr die nördliche Grenze eines mächtigen Buſens des Stillen Meeres, welches von den 150 Längengraden, die es unter dem Aequator von Oſten nach Weſten einnimmt, zwiſchen den Endſpitzen der eben genannten zwei Halbinſeln ſich auf 37 Längengrade verengt. Auf dem amerikaniſchen Feſtlande, dem Litorale nahe, iſt eine Zahl mehr oder weniger thätiger — 312 — Vulkane den Seefahrern erſt ſeit 70 bis 80 Jahren bekannt ge— worden; aber dieſe Gruppe lag bisher wie iſoliert, unzuſammen⸗ hängend mit der Vulkanreihe der mexikaniſchen Tropengegend oder den Vulkanen, welche man auf der Halbinſel von Kali⸗ fornien vermutete. Die Einſicht in dieſe wichtige geognoſtiſche Verkettung iſt jetzt, wenn man eine Reihe ausgebrannter Trachytkegel als Mittelglieder aufzählt, für eine Lücke von mehr als 28 Breitengraden zwiſchen Durango und dem neuen Washington territory, nördlich von Weſtoregon, aufgefunden, und die phyſiſche Erdbeſchreibung verdankt dieſen wichtigen Fortſchritt den auch wiſſenſchaftlich ſo wohl geordneten Ex— peditionen, welche die Regierung der Vereinigten Staaten zu Aufſuchung der geeignetſten Wege von den Miſſiſſippiebenen nach den Küſten der Südſee ausgerüſtet hat. Alle Teile der Naturgeſchichte haben zugleich dabei Vorteil gezogen. Große Landesſtrecken ſind in der nun durchforſchten terra incognita dieſes Zwiſchenraumes ſehr nahe den Rocky Mountains an ihrem öſtlichen Abfall, bis in weite Entfernung vom weſt— lichen Abfall, mit Erzeugniſſen ausgebrannter oder noch thätiger Vulkane (wie in dem Kaskadengebirge) bedeckt gefunden worden. So ſehen wir alſo, von Neuſeeland ausgehend, auf einem langen Wege erſt in Nordweſten durch Neuguinea, die Sundainſeln, die Philippinen und Oſtaſien, bis zu den Aleuten aufſteigend, dann hinabſteigend gegen Süden in das nordweſtliche, mexikaniſche, mittel- und ſüdamerikaniſche Gebiet bis zur Endſpitze von Chile, den geſamten Umkreis des Meerbeckens des Stillen Ozeans, in einer Erſtreckung von 6600 geogr. Meilen (49000 km), mit einer Reihe er: kennbarer Denkmäler vulkaniſcher Thätigkeit umgeben. Ohne in das Einzelne genauer geographiſcher Orientierung und der vervollkommneten Nomenklatur einzugehen, war eine ſolche kosmiſche Anſicht nicht zu begründen. Es bleibt uns von dem hier bezeichneten Umkreiſe des großen Meerbeckens (man ſollte jagen, '' da es nur eine, überall kommunizierende Waſſermaſſe auf der Erde gibt, des größten unter den Teilen der einigen Maſſe, welche zwiſchen Kontinente eindringen) noch die Länderſtrecke zu beſchreiben übrig, welche von dem Rio Gila bis zu Nortons und Kotzebues Sunden reicht. Analogieen, die man herge— nommen aus Europa von den Pyrenäen oder der Alpenkette, aus Südamerika von den Kordilleren der Andes von Süd- chile bis zum fünften Grade nördlicher Breite in Neu— — 313 — granada, haben, durch phantaſtiſche Kartenzeichnungen unter— ſtützt, die irrige Meinung verbreitet, als könne das mexikaniſche Hochgebirge oder ſein höchſter Rücken mauerartig unter dem amen einer Sierra Madre von Südoſt nach Nordweſt verfolgt werden. Der gebirgige Teil von Mexiko aber iſt eine breite, mächtige Anſchwellung, welche ſich allerdings in der eben angegebenen Richtung zwiſchen zwei Meeren in 5000 bis 7000 Fuß (1620 bis 2270 m) Höhe zuſammen— hängend darbietet, auf der ſich aber, wie am Kaukaſus und in Inneraſien, nach partiellen, ſehr verſchiedenartigen Richtungen, höhere vulkaniſche Bergſyſteme bis über 14000 und 16700 Fuß (4550 und 5530 m) erheben. Die Reihung dieſer partiellen Gruppen, auf nicht unter ſich parallelen Spalten ausgebrochen, iſt in ihrer Orientierung meiſt unab— hängig von der idealen Achſe, welche man durch die ganze Anſchwellung des wellenförmig verflachten Rückens legen kann. Dieſe ſo merkwürdigen Verhältniſſe der Bodengeſtalt veran— laſſen eine Täuſchung, welche den maleriſchen Eindruck des ſchönen Landes erhöht. Die mit ewigem Schnee bedeckten Bergkoloſſe ſcheinen wie aus einer Ebene emporzuſteigen. Man verwechſelt räumlich den Rücken der ſanften Anſchwellung, die Hochebene, mit den Ebenen des Tieflandes, und nur das Klima, die Abnahme der Temperatur, erinnert unter demſelben Breitengrade an das, was man geſtiegen iſt. Die oft erwähnte Erhebungsſpalte der Vulkane von Anahuac (in der oſtweſtlichen Richtung zwiſchen 19° und 19“ Breite) ſchneidet faſt rechtwinkelig die allgemeine Anſchwellungsachſe. Die hier bezeichnete Geſtaltung eines beträchtlichen Teiles der Erdoberfläche, den man durch ſorgfältige Meſſungen erſt ſeit dem Jahre 1803 zu ergründen begonnen, iſt nicht zu ver— wechſeln mit ſolchen Anſchwellungen, welche man von zwei mauerartig begrenzenden Gebirgsketten, wie in Bolivia um den See Titicaca und in Inneraſien zwiſchen dem Himalaya und Kuen⸗lün, umſchloſſen findet. Die erſtgenannte, ſüd— amerikaniſche Anſchwellung, welche gleichſam den Boden (die Sohle) eines Thales bildet, hat nach Pentland im Mittel 12054 Fuß (3916 m), die zweite, tibetiſche, nach Kapitän Henry Strachey, Joſeph Hooker und Thomas Thomſon über 14070 Fuß (4570 m) Höhe über dem Meere. Der Wunſch, den ich vor einem halben Jahrhundert in meiner ſehr umſtändlichen Analyse de l' Atlas géographique et physique du royaume de la Nouvelle-Espagne — 314 — ($ XIV) geäußert habe, daß mein Profil der Hochebene zwi— ſchen Mexiko und Guanaxuato durch Meſſungen über Durango und Chihuahua bis Santa Fé del Nuevo Mexico fortgeſetzt werden möge, iſt jetzt vollſtändig erfüllt. Die Länge des Weges beträgt, nur ½ auf die Krümmung gerechnet, weit über 300 geogr. Meilen (2230 km), und das Charakteriſtiſche dieſer jo lange unbeachteten Erdgeſtaltung (das Sanft— wellige der Anſchwellung und die Breite derſelben im Querdurchſchnitt, bisweilen 60 bis 70 geogr. Meilen — 445 bis 520 km erreichend) offenbart ſich durch den Umſtand, daß hier ein Parallelenunterſchied von vollen 16° 20° (von Mexiko nach Santa Fé), ungefähr gleich dem von Stockholm und Florenz, auf dem Rücken des Tafellandes, ohne Vorrichtung von Kunſtſtraßen, auf vierräderigen Wagen überſchritten wird. Die Möglichkeit eines ſolchen Verkehres war den Spaniern ſchon am Ende des 16. Jahrhunderts bekannt, als der Vize— könig, Conde de Monterey, !’® von Zacatecas aus die erſten Anſiedelungen anordnete. Zur Bekräftigung deſſen, was über die Höhenverhältniſſe zwiſchen der Hauptſtadt Mexiko und Santa Fé del Nuevo Mexico im allgemeinen gejagt worden iſt, ſchalte ich hier die Hauptelemente der barometriſchen Nivellierungen ein, die von 1803 bis 1847 vollbracht worden ſind. Ich laſſe die Punkte in der Richtung von Norden nach Süden folgen, damit die nördlichſten, in der Reihung obenan geſtellt, der Orientierung unſerer Karten leichter entſprechen: “““ Santa Fe del Nuevo Mexico (lat. 34° 41 Höhe 6611 Par. Fuß (2147 m), Ws. Albuquerque se (lat. 35° 8) Höhe 4550 Fuß (1478 m), Ws. Paſo del Norte am Rio Grande del Norte (lat. 29° 480 Höhe 3557 Fuß (1155 m), Ws. Chihuahua (lat. 28“ 32) 4352 Fuß (1414 m), Ws. Coſiquiriachi 5886 Fuß (1912 m), Ws. Mapimi im Bolson de Map. (lat. 25° 540 4488 Fuß (1457 m), Ws. Parras (lat. 25° 32) 4678 Fuß (1422 m), Ws. Saltillo (lat. 25° 10 4917 Fuß (1597 m), Ws. Durango (lat. 24° 25 6426 Fuß (2087 m), nach Oteiza. Fresnillo (lat. 23° 10%) 6797 Fuß (2532 m), Bt. Zacatecas (lat. 22° 50) 8456 Fuß (2749 m), Bt. — 315 — San Luis Potoſi (lat. 2280) 5714 Fuß (1856 m), Bt. Aguas calientes (lat. 21° 53‘) 5875 Fuß (1900 m), Bt. Lagos (lat. 21° 20‘) 5983 Fuß (1943 m), Bt. Villa de Leon (lat. 21° 7°) 5755 Fuß (1870 m), Bt. Silao 5546 Fuß (1802 m), Bt. Guanaxuato (lat. 21° 0‘ 15") 6414 Fuß (2084 m), Ht. Salamanca (lat. 20° 40 5406 Fuß (1756 m), Ht. Celaya (lat. 20° 38°) 5646 Fuß (1834 m), Ht. Queretaro (lat. 20° 36° 39") 5970 Fuß (1940 m), Ht. San Juan del Rio im Staate Queretaro (lat. 20° 30°) 6090 Fuß (1970 m), Ht. Tula (lat. 19° 57°) 6318 Fuß (2049 m), Ht. Pachuca 7638 Fuß (2480 m), Ht. Moran bei Real del Monte 7986 Fuß (2591 m), Ht. Huehuetoca, nördliches Ende der großen Ebene von Mexiko (lat. 19° 48) 7068 Fuß (2196 m), Ht. Mexiko (lat. 19° 25“ 45“) 7008 Fuß (2276 m), Ht Toluca (lat. 19° 16‘) 8280 Fuß (2690 m), Ht. Venta de Chalco, ſüdoſtliches Ende der Ebene von Mexiko Gat. 19° 16‘) 7236 Fuß (2350 m), Ht. San Francisco Ocotlan, weſtliches Ende der großen Ebene von Puebla 7206 Fuß (2340 m), Ht. Cholula, am Fuße der alten Treppenpyramide (lat. 19° 2) 6480 Fuß (2107 m), Ht. La Puebla de los Angeles (lat. 19° 0‘ 15”) 6756 (2195 m), Ht. (Das Dorf las Vigas bezeichnet das öſtliche Ende der Hochebene von Anahuac, lat. 1937“; die Höhe des D Dorfes iſt 7332 Fuß — 2382 m, It.) Während vor dem Anfange des 19. Jahrhunderts kein einziger Höhenpunkt in ganz Neuſpanien barometriſch gemeſſen war, iſt es jetzt möglich geweſen, hier in der Richtung von Norden nach Süden, in einer Zone von faſt 16 Breiten: graden, zwiſchen den Städten Santa Fe und der Hauptſtadt Mexiko 32 hypſometriſch und meiſt auch aſtronomiſch be— ſtimmte Orte aufzuſtellen. Wir ſehen die Bodenfläche der breiten mexikaniſchen Hochebene im Mittel zwiſchen 5500 und 7000 Fuß (1620 bis 2270 m) Höhe wellenförmig ſchwanken. Der niedrigſte Teil des Weges von Parras bis Albuquerque iſt noch 1000 Fuß (320 m) höher als der höchſte Teil des Veſuvs. — 316 — Von der großen, aber ſanften Anſchwellung des Bodens, deren kulminierenden Teil wir eben betrachtet haben und welche von Süden nach Norden, von dem tropiſchen Teile bis zu den Parallelen von 42“ und 44°, in oſtweſtlicher Aus- dehnung dermaßen zunimmt, daß das Great Basin, weſtlich vom großen Salzſee der Mormonen, im Durchmeſſer über 85 geogr. Meilen (630 km) bei 4000 Fuß (1300 m) mitt⸗ lerer Höhe hat, find die mauerartig darauf ſtehenden Ge— birgsketten ſehr verſchieden. Die Kenntnis dieſer Geſtaltung iſt eine der Hauptfrüchte von Frémonts großen hypſometri— ſchen Unterſuchungen in den Jahren 1842 und 1844. Die Anſchwellung iſt von einer anderen Epoche als das ſpäte Auf— ſteigen deſſen, was man Gebirgszüge und Syſteme ver— ſchiedener Richtung nennt. Wo ungefähr unter dem 32. Breiten⸗ grade nach den jetzigen Grenzbeſtimmungen die Gebirgsmaſſe von Chihuahua in das weſtliche Gebiet der Vereinigten Staaten (in die von Mexiko abgeriſſenen Provinzen) eintritt, führt dieſelbe ſchon den etwas unbeſtimmten Namen der Sierra Madre. Eine beſtimmte Bifurfation !“! zeigt ſich aber erſt in der Gegend von Albuquerque. Bei dieſer Bifurkation be— hält die weſtliche Kette die allgemeine Benennung der Sierra Madre, die öſtliche erhält von lat. 36° 10° an (etwas nordöſtlich von Santa Fé) bei amerikaniſchen und engliſchen Reiſenden den eben nicht glücklich gewählten, aber jetzt überall eingeführten Namen des Felsgebirges, der Rocky Moun- tains. Beide Ketten bilden ein Längenthal, in dem Albu⸗ querque, Santa Fé und Taos liegen und welches der Rio Grande del Norte durchſtrömt. In lat. 38 ½ “ wird das Thal durch eine nordweſtliche, 22 geogr. Meilen (163 km) lange Kette geſchloſſen. Ungeteilt ſetzen die Rocky Moun- tains in einer Meridianrichtung fort bis lat. 41“. In dieſem Zwiſchenraume erheben ſich etwas öſtlich die Spanish Peaks, Pikes Peak (5440 Fuß (1763 m), den Frémont ſchön abae- bildet hat, James Peak (10728 Fuß (3484 m) und die 3 Park Mountains, welche drei hohe Keſſelthäler ein— ſchließen, deren Seitenwände mit dem öſtlichen Longs Peak oder Big Horn bis 8500 und 10 500 Fuß (2760 und 3410 m) emporſteigen. 1°? An der öſtlichen Grenze zwiſchen dem Middle und North Park verändert die Gebirgskette auf einmal ihre Richtung und wendet ſich von lat. 40 ½ “ bis 44° in einer Erſtreckung von ungefähr 65 geogr. Meilen (480 km) von Südoſt nach Nordweſt. In dieſem Zwiſchenraume liegen der = — 317 — South Pass (7028 Fuß — 2283 m) und die berühmten, fo wunderbar ſpitz gezackten Wind River Mountains, mit Fre- monts Peak (lat. 43° 8°), welcher die Höhe von 12 730 Fuß (4135 m) erreicht. Im Parallel von 44°, nahe bei den Three Tetons, wo die nordweſtliche Richtung aufhört, beginnt wieder die Meridianrichtung der Rocky Mountains. Sie erhält ſich bis gegen Lewis and Clarkes Pass, der in lat. 47 P 2“, Ig. 114½ liegt. Dort hat die Kette des Fels⸗ gebirges noch eine anſehnliche Höhe (5608 Fuß — 1822 m 95 aber wegen der vielen tiefen Flußbetten gegen Flathead River (Clarkes Fork) hin nimmt ſie bald an regelmäßiger Einfach⸗ heit ab. Clarkes Fork und Lewis oder Snake River bilden den großen Kolumbiafluß, der einſt einen wichtigen Weg für den Handel bezeichnen wird. (Explorations for a Rail- road from the Mississippi river to the Pacific Ocean, made in 1853-1854, Vol. I. p. 107.) Wie in Bolivia die öſtliche, von dem Meere entferntere Andeskette, die des Sorata (19974 Fuß — 6523 m) und Illimani (19843 Fuß — 6445 m), keine jetzt noch entzündeten Vulkane darbietet, ſo iſt auch gegenwärtig in den weſtlichſten Teilen der Vereinigten Staaten die vulkaniſche Thätigkeit auf die Küſtenkette von Kalifornien und Oregon beſchränkt. Die lange Kette der Rocky Mountains, verſchiedentlich 120 und 200 geogr. Meilen (890 und 1480 km) vom Litorale der Südſee entfernt, ohne alle Spur noch ausdauernder Ent- zündung, zeigt dennoch, gleich der öſtlichen Kette von Bolivia im Thale von Yucay, an beiden Abfällen vulkaniſches Ge: ſtein, ausgebrannte Krater, ja Obſidian einſchließende Zaven- und Schlackenfelder. In der hier nach den vortrefflichen Unter: ſuchungen von Fremont, Emory, Abbot, Wislicenus, Dana und Jules Marcou geographiſch beſchriebenen Gebirgskette der Rocky Mountains zählt der letztgenannte, ein ausgezeich— neter Geologe, drei Gruppen altvulkaniſchen Geſteins an beiden Abfällen auf. Die früheſten Beweiſe von dem Vul— kanismus in dieſer Gegend verdanken wir auch hier dem Beob- achtungsgeiſte von Frémont ſeit 1842 und 1843 (Report of the Exploring Expedition to the Rocky Moun- tains in 1842, and to Oregon and North Cali- fornia in 1843—1844, p. 164, 184—187 und 193). Am öſtlichen Abfalle der Rocky Mountains, auf dem ſüdweſtlichen Wege von Bents Fort am Arkanſasfluſſe nach Santa Fe del Nuevo Mexico, liegen zwei ausgebrannte Vulkane, — 318 — die Raton Mountains !ss mit Fishers Peak und (zwiſchen Galiſteo und Pena blanca) der Hügel el Cerrito. Die Laven der erſteren überdecken die ganze Gegend zwiſchen dem oberen Arkanſas und dem Canadian River. Der Peperino und die vulkaniſchen Schlacken, welche man ſchon in den Prairies zu finden anfängt, je nachdem man ſich, von Oſten kommend, den Rocky Mountains mehr nähert, gehören vielleicht alten Ausbrüchen des Cerrito oder gar der mächtigen Spanish Peaks (37 32“) an. Dieſes öſtliche vulkaniſche Gebiet der iſolierten Raton Mountains bildet eine Area von 20 geogr. Meilen (148 km) Durchmeſſer, ſein Centrum liegt ungefähr in lat. 37 500%, Am weſtlichen Abfall nehmen die ſprechendſten Zeugen alter vulkaniſcher Thätigkeit einen weit größeren Raum ein, welchen die wichtige Expedition des Lieutenant Whipple in ſeiner ganzen Breite von Oſten nach Weſten durchzogen hat. Dieſes vielgeſtaltete Gebiet, doch nördlich von der Sierra de Mogoyon volle 30 geogr. Meilen (220 km) lang unter⸗ brochen, iſt enthalten (immer nach Marcous geologiſcher Karte) zwiſchen lat. 33° 48° und 35° 40“; es ſind alſo ſüdlichere Ausbrüche als die der Raton Mountains. Ihr Mittel fällt faſt in den Parallel von Albuquerque. Das hier bezeichnete Areal zerfällt in zwei Abteilungen: die dem Kamm der Rocky Mountains nähere des Mount Taylor, welche bei der Sierra de Zuni!st endet, und die weſtlichere Abteilung, Sierra de San Francisco genannt. Der 11500 Fuß (3738 m) hohe Kegelberg Mount Taylor tft ſtrahlförmig umgeben von Lavaſtrömen die, als Malpais noch jetzt von aller Vege⸗ tation entblößt, mit Schlacken und Bimsſtein bedeckt, ſich mehrere Meilen weit hinſchlängeln, ganz wie in der Um⸗ gebung des Hekla. — Ungefähr 18 geogr. Meilen (133 km) in Weſten von dem jetzigen Pueblo de Zuni erhebt ſich das hohe vulkaniſche Gebirge von San Francisco ſelbſt. Es zieht ſich, mit einem Gipfel, den man auf mehr als 15 000 Fuß (4870 m) Höhe geſchätzt hat, ſüdlich vom Rio Colorado chi- quito hin, wo weiter nach Weſten Bill William Mountain, der Aztec Pass (5892 Fuß = 1914 m) und Aquarius Moun- tains (8000 Fuß — 2600 m) folgen. Das vulkaniſche Ge⸗ ſtein endet nicht beim Zuſammenfluß des Bill William Fork mit dem großen Colorado, nahe bei dem Dorfe der Mohave⸗ Indianer (lat. 34, long. 116° 20°), denn noch jenſeits des Rio Colorado, bei dem Sodaſee, ſind mehrere ausgebrannte, — 319 — noch offene Eruptivkrater zu erkennen. So ſehen wir alſo hier in dem jetzigen Neu⸗Mexiko in der vulkaniſchen Gruppe von der Sierra de San Francisco bis etwas weſtlich vom Rio Colorado grande oder del occidente (in den der Gila fällt), in einer Strecke von 45 geogr. Meilen (330 km), das altvulkaniſche Gebiet der Auvergne und des Vivarais ſich wiederholen und der geologiſchen Forſchung ein neues und weites Feld eröffnen. Ebenfalls am weſtlichen Abfall, aber 135 geogr. Meilen (1740 km) nördlicher, liegt die dritte altvulkaniſche Gruppe der Rocky Mountains, die des Frémonts Peaks und der gedoppelten Dreiberge, welche in Kegelgeſtalt und Sinn der Benennung Trois Tetons und Three Buttes!“s ſich ſehr ähnlich ſind. Die erſteren liegen weſtlicher als die letzteren, daher der Gebirgskette ferner. Sie zeigen weit verbreitete, vielfach zerriſſene, ſchwarze Lavabänke mit verſchlackter Ober— fläche. Der Kette der Rocky Mountains parallel und in dem nördlichen Teile ſeit lat. 46° 12° noch jetzt der Sitz vulka⸗ niſcher Thätigkeit, laufen teils einfach, teils gedoppelt meh— rere Küſtenketten hin: zuerſt von San Diego bis Monterey (32¼ e bis 36°4°) die ſpeziell jo genannte Coast Range, eine Fortſetzung des Landrückens der Halbinſel Alt- oder Unter— Kalifornien; dann, meiſt 20 geogr. Meilen (148 km) von dem Litorale der Südſee entfernt, die Sierra Nevada (de Alta California) 36° bis 40 ¾ “; dann, von den hohen Shasty Mountains im Parallel der Trinidadbai (lat. 40° 10°) begin⸗ nend, die Kaskadenbergkette (Cascade Range), welche die höchſten noch entzündeten Gipfel enthält und in 26 Meilen (193 km) Entfernung von der Küſte von Süden nach Norden bis weit hinaus über den Parallel der Fucaſtraße ſtreicht. Dieſer letzteren Kette gleichlaufend (lat. 43° bis 46°), aber 70 Meilen (520 km) vom Litorale entfernt, erheben ſich, im Mittel 7000 bis 8000 Fuß (2270 bis 2600 m) hoch, die Blue Mountains. — Im mittleren Teile von Alt-Kali— fornien, etwas mehr nach Norden, nahe der öſtlichen Küſte oder dem Meerbuſen, in der Gegend der ehemaligen Miſſion de San Ignacio, etwa in 28“ nördl. Br., liegen der erloſchene Vulkan oder „die Vulkane“ de las Virgenes, die ich auf meiner Karte von Mexiko angegeben habe. Dieſer Vulkan hatte 1746 ſeinen letzten Ausbruch; über ihn und die ganze Gegend fehlt es an ſicheren Nachrichten. (S. Venegas, — 320 — Noticia de la California 1757, T. I, p. 27 und Duflot de Mofras, Exploration de l'Orégon et de la Cali— fornie 1844, T. I, p. 218 und 239.) Schon in der Coast Range nahe bei dem Hafen von San Francisco, an dem von Dr. Traſk unterſuchten Monte del Diablo (3446 Fuß 1120 m) und in dem goldreichen Längen— thale des Rio del Sacramento, in einem eingeſtürzten Trachyt— krater, der Sacramento Butt genannt wird und den Dana abgebildet, iſt altvulkaniſches Geſtein aufgefunden worden. Weiter nördlich enthalten die Shasty oder Tshashtl Moun- tains Baſaltlaven, Obſidian, deſſen die Eingeborenen ſich zu Pfeilſpitzen bedienen, und die talkartigen Serpentine, welche an vielen Punkten der Erde, als den vulkaniſchen Formationen nahe verwandt, auftreten. Aber der eigentliche Sitz noch jetzt beſtehender Entzündung iſt das Kaskaden gebirge, in welchem, mit ewigem Schnee bedeckt, mehrere Piks ſich bis 15000 Fuß (4870 m) erheben.!“ Ich laſſe dieſe hier von Süden nach Norden folgen; die gegenwärtig entzündeten, mehr oder we— niger thätigen Vulkane ſind, wie bisher geſchehen, mit einem Sternchen bezeichnet. Die unbezeichneten hohen Kegelberge ſind wahrſcheinlich teils ausgebrannte Vulkane, teils ungeöff— nete trachytiſche Glockenberge: Mount Pitt oder Laughlin, lat. 42% 30“, etwas weſtlich vom See Tlamath; Höhe 8960 Fuß (2910 m); Mount Jefferſon oder Vancouver (lat. 44° 55°), ein Kegelberg; Mount Hood (lat. 45° 10%), mit Gewißheit ein aus: gebrannter Vulkan, von zelliger Lava bedeckt; nach Dana mit dem nördlicher in der Vulkanreihe gelegenen Mount Saint Helen's zwiſchen 14000 und 15000 Fuß (4550 und 4870 m) hoch, doch etwas niedriger!“ als dieſer; Mount Hood iſt erſtiegen worden im Auguſt 1853 von Lake, Travaillot und Heller; Mount Swalalahos oder Saddle Hill, in Süd⸗Süd⸗ Oſt von Aſtoria, mit einem eingeſtürzten, ausgebrannten Krater; Mount Saint Helen's“*, nördlich vom Columbia: ſtrome (lat. 46° 12“), nach Dana nicht unter 14100 Fuß (4580 m) hoch, noch entzündet, immer rauchend aus dem Gipfelkrater; ein mit ewigem Schnee bedeckter Vulkan von ſehr ſchöner, regelmäßiger, koniſcher Geſtalt; am 23. November 1842 war ein großer Ausbruch, der nach | — 321 — Frémont alles weit umher mit Aſche und Bimsſtein bedeckte; Mount Adams (lat. 46° 18°), faſt ganz in Oſten von dem Vulkan St. Helen's, über 28 geogr. Meilen (208 km) von der Küſte entfernt, wenn der eben genannte, noch ent— zündete Berg nur 19 dieſer Meilen (140 km) abſteht; Mount Reignier“, auch Mount Rainier geſchrieben, lat. 46° 48°, oſt⸗ſüd⸗öſtlich vom Fort Nisqually, am Pugetsſund, der mit der Fucaſtraße zuſammenhängt, ein brennender Vulkan, nach Edwin Johnſons Wegkarte von 1854 12330 engliſche oder 11567 Pariſer Fuß (3760 m) hoch; er hatte heftige Eruptionen 1841 und 1843; Mount Olympus (lat. 4750), nur 6 geogr. Meilen (45 km) ſüdlich von der in der Geſchichte der Südſeeent— deckungen lange ſo berühmten Straße San Juan de Fuca; Mount Baker“, ein mächtiger, im Gebiete von Waſhington (lat. 48“ 480) aufſteigender, noch jetzt thä— tiger Vulkan, von großer (ungemeſſener?) Höhe!ss und rein koniſcher Form; Mount Brown (15 000 Fuß? — 4870 m) und etwas öſtlicher Mount Hooker (15 700 Fuß? = 5100 m) werden als hohe, altvulkaniſche Trachytberge in Neukaledonien, unter lat. 52½ und long. 120° und 122°, von Johnſon angegeben, alſo wegen eines Abſtandes von mehr als 75 geogr. Meilen (550 km) von der Küſte merkwürdig; Mount Edgecombe*, auf der kleinen Lazarusinſel, nahe bei Sitka (lat. 57° 3°), deſſen heftigen, feurigen Ausbruch von 1796 ich zu einer früheren Stelle (Kosmos Bd. IV, S. 221) unten (S. 389, Anm. 96) erwähnt habe. Kapitän Liſiansky, welcher ihn in den erſten Jahren des jetzigen Jahrhunderts erſtieg, fand den Vulkan damals unentzündet; die Höhe beträgt nach Ernſt Hof— mann 2852 Fuß (927 m), nach Liſiansky 2628 (854 m); nahe dabei ſind heiße Quellen, die aus Granit aus— brechen, wie auf dem Wege von den Valles de Aragua nach Portocabello; Mount Fairweather, cerro de Buen Tiempo, nach Malaſpina 4489 m oder 13 802 Fuß hoch, in lat. 58° 45°, mit Bimsſtein bedeckt; wahrſcheinlich noch vor kurzem entzündet, wie der Eliasberg; Vulkan von Cooks Inlet (lat. 60° 8, nach Admiral Wrangel 11320 Fuß (3677 m) hoch, von dieſem ge— A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 21 — lehrten Seefahrer, wie von Bancouver, für einen thä— tigen Vulkan gehalten.“““ Eliasberg, lat. 60° 17, long. 138° 30°, nach den Handſchriften Malaſpinas, die ich in den Archiven von Mexiko fand, 5441 m oder 16 749 Pariſer Fuß hoch, nach der Karte von Kapitän Denham 1853 bis 1856 iſt die Höhe nur 14044 Pariſer Fuß (4572 m). Was in der nordweſtlichen Durchfahrtsreiſe von M'Clure (lat. 69° 57, long. 129° 200 öſtlich vom Ausfluß des Mackenziefluſſes die Vulkane der Franklinsbucht genannt wird, ſcheint ein Phänomen ſogenannter Erdfeuer oder heißer, ſchwefelausſtoßender Salſen zu ſein. Ein Augenzeuge, der Miſſionär Miertſching, Dolmetſcher auf dem Schiffe Investi- gation, fand 30 bis 40 Rauchſäulen, welche aus Erdſpalten, oder kleinen, kegelförmigen Erhebungen von vielfarbigem Letten aufſtiegen. Der Schwefelgeruch war ſo ſtark, daß man ſich den Rauchſäulen kaum auf 12 Schritte nahen konnte. Anſtehendes Geſtein oder feſte Maſſen waren nicht zu finden. Lichterſcheinungen waren nachts vom Schiffe aus geſehen worden; keine Schlammauswürfe, aber große Hitze des Meeres— bodens wurden bemerkt, auch kleine Becken ſchwefelſauren Waſſers. Die Gegend verdient eine genaue Unterſuchung, und das Phänomen ſteht als der vulkaniſchen Thätigkeit in dem kaliforniſchen Kaskadengebirge des Cerro de Buen Tiempo oder des Eliasberges ganz fremd da. (M'Clure, Disco- very of the N. W. Passage, p. 99, Papers relative to the Arctic Expedition 1854, p. 34; Miertſchings Reiſetagebuch, Gnadau 1855, S. 46.) Ich habe bisher in ihrem innigen Zuſammenhange ge— ſchildert die vulkaniſchen Lebensthätigkeiten unſeres Pla— neten, gleichſam die Steigerung des großen und geheimnis— vollen Phänomens einer Reaktion des geſchmolzenen Inneren gegen die mit Pflanzen und Tierorganismen bedeckte Ober— fläche. Auf die faſt bloß dynamiſchen Wirkungen des Erd— bebens (der Erſchütterungswellen) habe ich die Ther— malquellen und Salſen, d. i. Erſcheinungen folgen laſſen, welche, mit oder ohne Selbſtentzündung, durch die den Duell- waſſern und Gasausſtrömungen mitgeteilte, bleibende Tem: peraturerhöhung wie durch chemiſche Miſchungsver— ſchiedenheit erzeugt werden. Der höchſte und in ſeinen — 323 Aeußerungen komplizierteſte Grad der Steigerung wird in den Vulkanen dargeboten, da dieſe die großen und ſo ver— ſchiedenartigen Prozeſſe kriſtalliniſcher Geſteinbildung auf trockenem Wege hervorrufen und deshalb nicht bloß auflöſen und zerſtören, ſondern auch ſchaffend auftreten und die Stoffe zu neuen Verbindungen umgeſtalten. Ein beträchtlicher Teil ſehr neuer, wo nicht der neueſten Gebirgsſchichten iſt das Werk vulkaniſcher Thätigkeit, ſei es, wenn noch jetzt an vielen Punkten der Erde aus eigenen, kegel- oder domförmigen Ge— rüſten geſchmolzene Maſſen ſich ergießen, oder daß in dem Jugendalter unſeres Planeten, ohne Gerüſte aus einem Netze offener Spalten neben den Sedimentſchichten baſaltiſches und trachytiſches Geſtein unmittelbar eutquoll. Die Oertlichkeit der Punkte, in welchen ein Verkehr zwiſchen dem flüſſigen Erdinneren und der Atmoſphäre ſich lange offen erhalten hat, habe ich ſorgfältigſt in den vor— ſtehenden Blättern zu beſtimmen geſtrebt. Es bleibt jetzt übrig, die Zahl dieſer Punkte zu ſummieren, aus der reichen Fülle der in ſehr fernen hiſtoriſchen Zeiten thätigen Vulkane die jetzt noch entzündeten auszuſcheiden und ſie nach ihrer Verteilung in kontinentale und Inſelvulkane zu be— trachten. Wenn alle, die ich in der Summierung als untere Grenzzahl (nombre limite, limite inferieure) glaube anneh— men zu dürfen, gleichzeitig in Thätigkeit wären, ſo würde ihr Einfluß auf die Beſchaffenheit des Luftkreiſes und ſeine klimatiſchen, beſonders elektriſchen Verhältniſſe gewiß überaus bemerkbar ſein; aber die Ungleichzeitigkeit der Eruptionen vermindert den Effekt und ſetzt demſelben ſehr enge und meiſt nur lokale Schranken. Es entſtehen bei großen Eruptionen um den Krater, als Folge der Verdampfung, vulkaniſche Gewitter, welche, von Blitz und heftigen Regengüſſen be— leitet, oft verheerend wirken; aber ein ſolches atmoſphäriſches Phanomen hat keine allgemeinen Folgen. Denn daß die denk— würdige Verfinſterung (der ſogenannte Höherauch), welcher viele Monate lang, vom Mai bis Auguſt, 1783 einen bedeu— tenden Teil von Europa und Aſien, wie Nordafrika in Er: ſtaunen ſetzte (wogegen auf hohen Schweizer Gebirgen der Himmel rein und ungetrübt geſehen wurde), von großer Thätig⸗ keit des isländiſchen Vulkanismus und der Erdbeben von Kalabrien verurſacht worden ſei, wie man bisweilen noch jetzt behauptet, iſt mir wegen der Größe der Erſcheinung ſehr un: wahrſcheinlich, wenngleich ein gewiſſer Einfluß der Erdbeben, — 324 — wo ſie viel Raum umfaſſen, auf den ungewöhnlichen Eintritt der Regenzeit, wie im Hochlande von Quito und Riobamba (Februar 1797) oder im ſüdlichen Europa und Kleinaſien (Herbſt 1856), eher anzunehmen ſein möchte, als der iſolierte Einfluß einer vulkaniſchen Eruption. In der hier folgenden Tabelle zeigt die erſte Ziffer die Anzahl der in den vorigen Blättern aufgeführten Vulkane an; die zweite, in Parentheſen eingeſchloſſene Zahl deutet auf den Teil derſelben, welcher noch ſeit der neueren Zeit Beweiſe der Entzündung gegeben hat. Zahl der Vulkane auf dem GErdkürper. I. Europa Kosmos Bd. IV, S. 268— 270 7 (4) II. Inſeln des Atlanti— ſchen Meeres . .S. 270-272 14 (8) III. Afrikan S. 273-2744 3 (1) IV. Aſien, das kontinentale UU. 25 (15) a) weſtlicher Teil und das Innere. .S. 274-279 . 11 (6) b) Halbinſel Ka mt⸗ ſchat ka S. 279— 284. 14 (9 V. Oſtaſiatiſche Inſeln S. 284 — 293 69 (54) VI. Südaſiatiſche Inſeln S. „ 293120 (56) is 297 VII. Indiſcher Ocean . .S. 297300, Anm. 9 (5) 165 S. 425 — 426 VIII. Südfee . . . . .S. 300310, Anm. 40 (26) 166-167 S. 426 bis 427 IX. Amerika, das kontinen⸗ tale: . „i a) Südamerika . 8 (26) ) Chile. . . .S. 229, 232—233,| 24 (13) Anm. 107 S. 399 bis 402 8) Peru u. Bolivia S. 229 — 232, Anm. 14 (3) 106 S. 397— 399 y) Duito und Neu- granada. . .S. 229, 230—231, 18 (10) Anm. 105 S. 397 9 b) Centralamerika S. 214— 216, 220 29 (18) bis 224,255, Anm. 89—91,99—100, S. 368,389 395 c) Mexiko, ſüdlich vom Bio Gila 8 90 224-226, 229, 6 (4) 241 255 u. Anm. 122 127, S. 408 bis 412, S.311bis 315, Anm. 176 bis 180,S.429— 431 d) Nordweſtamerika nördlich vom Gila .S. 315-322 24 (5) Antillen!” S. 434—436 5 (3) In Summa. 407 (225) Das Reſultat dieſer mühevollen Arbeit, welche mich lange beſchäftigt hat, da ich überall zu den Quellen (den geognoſti— ſchen und geographiſchen Reiſeberichten) aufgeſtiegen bin, iſt geweſen, daß von 407 aufgeführten Vulkanen noch in der neueren Zeit ſich 225 als entzündet gezeigt haben. Die früheren Angaben der Zählung!“ thätiger Vulkane find bald um 30, bald um 50 geringer ausgefallen, ſchon darum, weil ſie nach anderen Grundſätzen angefertigt wurden. Ich habe mich für dieſe Abteilung auf diejenigen Vulkane be— ſchränkt, welche noch Dämpfe ausſtoßen, oder hiſtoriſch ge— wiſſe Eruptionen gehabt haben im 19. oder in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es gibt allerdings Unter⸗ brechungen von Ausbrüchen, die über vier Jahrhunderte und mehr hinausgehen, aber ſolche Erſcheinungen gehören zu den ſeltenſten. Man kennt die langſame Folge der Ausbrüche des Veſuvs in den Jahren 79, 203, 512, 652, 983, 1138 und 1500. Bor der großen Eruption des Epomeo auf Ischia vom Jahre 1302 kennt man allein die aus den Jahren 36 und 45 vor unſerer Zeitrechnung, alſo 55 Jahre vor dem Aus— bruch des Veſuvs. Strabo, der 90 Jahre alt, unter Tiberius (99 Jahre nach der Beſetzung des Veſuvs durch Spartacus) ſtarb und auf den keine hiſtoriſche Kenntnis eines älteren Ausbruches gekommen war, erklärt doch den Veſuv für einen alten, längſt ausgebrannten Vulkan. „Ueber den Orten,“ (Herkulanum — 326 — und Pompeji) ſagt er, „liegt der Berg Veſuios, von den ſchönſten Feldgütern umwohnt, außer dem Gipfel. Dieſer iſt zwar großenteils eben, aber unfruchtbar insgeſamt, der Anſicht nach aſchenartig. Er zeigt ſpaltige Höhlen von rußfarbigem Geſtein, wie wenn es vom Feuer zerfreſſen wäre, ſo daß man vermuten darf, dieſe Stelle habe ehemals gebrannt und Schlund— becher des Feuers gehabt, ſei aber erloſchen, als der Brenn— ſtoff verzehrt war.“ (Strabo lib. V, p. 247 Caſaub.) Dieſe Beſchreibung der primitiven Geſtaltung des Veſuvs deutet weder auf einen Aſchenkegel noch auf eine kraterähn— liche Vertiefung“? des alten Gipfels, welche, umwallt, dem Spartacus'?? und ſeinen Gladiatoren zur Schutzwehr dienen konnte. Auch Diodor von Sizilien (ib. IV, cap. 21, 5), der unter Cäſar und Auguſtus lebte, bezeichnet bei den Zügen des Herkules und deſſen Kampfe mit den Giganten in den phle— gräiſchen Feldern „den jetzt ſo genannten Veſuvius als einen pos, welcher, dem Aetna in Sizilien vergleichbar, einſt viel Feuer ausſtieß und (noch) Spuren der alten Entzündung auf— weiſt“. Er nennt den ganzen Raum zwiſchen Cumä und Neapolis die Phlegräiſchen Felder, wie Polybius (lib. II, cap. 17) den noch größeren Raum zwiſchen Capua und Nola, während Strabo (lib. V, pag 246) die Gegend bei Puteoli (Dicäarcha), wo die große Solfatare liegt, mit ſo vieler lokaler Wahrheit beſchreibt und "Houtstov Ayopa nennt. In ſpäterer Zeit iſt gemeinhin auf dieſe Gegend der Name da yreypaia redta beſchränkt, wie noch jetzt die Geognoſten die mineralo— giſche Zuſammenſetzung der Laven der Phlegräiſchen Felder der aus der Umgegend des Veſuvs entgegenſtellen. Dieſelbe Meinung, daß es in alten Zeiten unter dem Veſuv gebrannt und daß dieſer Berg alte Ausbrüche gehabt habe, finden wir in dem Lehrbuch der Architektur des Vitruvius (lüb. II, cap. 6) auf das beſtimmteſte ausgedrückt in einer Stelle, die bisher nicht genug beachtet worden iſt: „Non minus etiam memo- ratur, antiquitus crevisse ardores et abundavisse sub Vesuvio monte, et inde evomuisse circa agros flammam. Ideoque nunc qui spongia sive pumex Pompejanus voca- tur, excoctus ex alio genere lapidis, in hane redactus esse videtur generis qualitatem. Id autem genus spongiae, quod inde eximitur, non in omnibus locis nascitur, nisi eircum Aetnam et collibus Mysiae, qui a Graecis u- »zron.&vor nominantur.“ Da nach den Forſchungen von Böckh — 327 — und Hirt kein Zweifel mehr darüber herrſchen kann, daß Vitruv unter Auguſt gelebt hat,!“ alſo ein volles Jahrhundert vor der Eruption des Veſuvs, bei welcher der ältere Plinius den Tod fand, jo bietet die angeführte Stelle und der Ausdruck pumex Pompejanus (die Verbindung von Bimsſtein und Pom— peji) noch ein beſonderes geognoſtiſches Intereſſe in Hinſicht auf die Streitfrage dar, ob nach der ſcharfſinnigen Vermutung Leopolds von Buch Pompeji nur bedeckt worden ſei durch die bei der erſten Bildung der Somma gehobenen, bimsſtein— haltigen Tuffſchichten, welche, von ſubmariner Bildung, die ganze Fläche zwiſchen dem apenniniſchen Gebirge und der weſtlichen Küſte von Capua bis Sorrent, von Nola bis über Neapel hinaus, in ſöhlichen Schichten bedecken, oder ob der Veſuv, ganz gegen ſeine jetzige Gewohnheit, aus feinem Inneren den Bimsſtein ſelbſt ausgeſtoßen habe? Carmine Lippi ſowohl, der (1816) die Tuffbedeckung von Pompeji einer Waſſerbedeckung zuſchreibt, als ſein ſcharf— ſinniger Gegner, Archangelo Scacchi, in dem Briefe, welcher an den Cavaliere Francesco Avellino (1843) gerichtet iſt, haben auf die merkwürdige Erſcheinung aufmerkſam gemacht, daß ein Teil der Bimsſteine von Pompeji und der Somma kleine Kalkſtücke einſchließen, die ihre Kohlenſäure nicht ver— loren haben; was, wenn dieſelben einem großen Drucke in feuriger Bildung ausgeſetzt geweſen ſind, nicht viel Wunder erregen kann. Ich habe ſelbſt Gelegenheit gehabt, Proben dieſer Bimsſteine in den intereſſanten geognoſtiſchen Samm— lungen meines gelehrten Freundes und akademiſchen Kollegen, des Dr. Ewald, zu ſehen. Die Gleichheit der mineralogiſchen Beſchaffenheit an zwei entgegengeſetzten Punkten mußte die Frage veranlaſſen, ob, was Pompeji bedeckt, wie Leopold von Buch will, bei dem Ausbruch des Jahres 79 von den Ab— hängen der Somma herabgeſtürzt iſt, oder ob der neu ge— öffnete Krater des Veſuvs, wie Scacchi behauptet, Bimsſtein gleichzeitig nach Pompeji und an die Somma geworfen habe? !°° Was zu den Zeiten des Vitruvius, unter Auguſtus, als pumex Pompejanus bekannt war, leitet auf vorplinianiſche Ausbrüche, und nach den Erfahrungen, welche wir über die Veränderlichkeit der Bildungen in verſchiedenem Alter und bei verſchiedenen Zuſtänden vulkaniſcher Thätigkeit haben, iſt man wohl ebenſowenig berechtigt, abſolut zu leugnen, der Bejuv habe von ſeiner Entſtehung an nie Bimsſtein hervor— bringen können, als abſolut anzunehmen, Bimsſtein, d. h. — 328 — der faſerige oder poröſe Zuſtand eines pyrogenen Minerales, könne ſich nur bilden, wo Obſidian oder Trachyt mit glaſigem Feldſpat (Sanidin) vorhanden ſei. Wenn auch nach den angeführten Beiſpielen von der Länge der „ in denen die Wiederbelebung eines ſchlummernden? Vulkanes erfolgen kann, viel Ungewißheit übrig bleibt, ſo iſt es doch von großer Wichtigkeit, die geographiſche Verteilung der entzündeten Vulkane für eine beſtimmte Zeit zu konſtatieren. Von den 225 Schlünden, durch welche in der Mitte des 19. Jahrhunderts das geſchmolzene Innere der Erde mit dem Luftkreiſe in vulkaniſchem Verkehr ſteht, liegen 70, alſo ein Drittel, auf den Kontinenten, und 155, oder zwei Drittel, auf der Inſelwelt. Von den 70 Kon: tin entalvulkanen gehören 53 oder drei Viertel zu Amerika, 15 zu Aſien, I zu Europa, und 1 oder 2 zu der uns bisher bekannt gewordenen Feſte von Afrika. In den ſüdaſiatiſchen Inſeln (Sundainſeln und Molukken) wie in den Aleuten und Kurilen, welche zu den oſtaſiatiſchen Inſeln gehören, liegt auf dem engſten Raume die größte Menge der Inſel— vulkane. In den Aleuten ſind vielleicht mehr in neuen hiſtoriſchen Zeiten thätige Vulkane enthalten als in dem ganzen Kontinent von Südamerika. Auf dem geſamten Erd⸗ körper iſt der Streifen, welcher ſich zwiſchen 75“ weſtlicher und 125° öſtlicher Länge von Paris, wie von 47° ſüdlicher und 66“ nördlicher Breite von Südoſt nach Nordweſt in dem mehr weſtlichen Teile der Südſee hinzieht, der vulkanreichſte. Will man den großen Meeresgolf, welchen wir die Südſee zu nennen pflegen, ſich kosmiſch von dem Parallel der Beringsſtraße und dem von Neuſeeland, der zugleich auch der Parallel von Südchile und Nordpatagonien iſt, begrenzt vorſtellen, ſo finden wir — und dieſes Reſultat iſt ſehr merk⸗ würdig — im Inneren des Beckens und um dasſelbe her (in feiner kontinentalen aſiatiſchen und amerikaniſchen Begren— zung) von den 225 entzündeten Vulkanen der ganzen Erde 198 oder nahe an ſieben Achtel. Die den Polen nächſten Vul⸗ kane ſind nach unſerer jetzigen geographiſchen Kenntnis: in der nördlichen Hemiſphäre der Vulkan Esk auf der kleinen Inſel Jan Mayen, lat. 71° 1, und long. 9° 51“ weſtlich von Paris; in der ſüdlichen Hemiſphäre der rötliche, ſelbſt bei Tage ſichtbare Flammen ausſtoßende Mount Erebus, welchen im Jahre 1841 Sir James Roß auf ſeiner großen ſüdlichen Entdeckungsreiſe 11633 Pariſer Fuß (3748 m) hoch fand, — 329 — ungefähr 225 Fuß (106 m) höher als der Pik von Tenerifa; in lat. 77 33“ und long. 164° 38“ öſtlich von Paris. Die große Frequenz der Vulkane auf den Inſeln und in dem Litorale der Kontinente hat früh die Geognoſten auf die Unterſuchung der Urſachen dieſer Erſcheinung leiten müſſen. Ich habe ſchon an einem anderen Orte (Kosmos Bd. I, S. 314) der verwickelten Theorie des Trogus Pompejus unter Auguſt gedacht, nach welcher das Meerwaſſer das vul— kaniſche Feuer anſchürt. Chemiſche und mechaniſche Urſachen von der Wirkſamkeit der Meeresnähe ſind angeführt worden bis zu den neueſten Zeiten. Die alte Hypotheſe von dem Eindringen des Meerwaſſers in den vulkaniſchen Herd ſchien in der Epoche der Entdeckung der Erdmetalle durch Davy eine feſtere Begründung zu erhalten; aber der große Ent— decker gab die Hypotheſe, zu welcher ſelbſt Gay-Luſſac, trotz der Seltenheit oder des gänzlichen Mangels des Hydrogen— gaſes, ſich hinneigte, bald ſelbſt auf. Mechaniſche oder viel— mehr dynamiſche Urſachen, ſeien ſie geſucht in der Faltung der oberen Erdrinde und der Erhebung der Kontinente, oder in der lokal minderen Dicke des ſtarren Teiles der Erd- kruſte, möchten meiner Anſicht nach mehr Wahrjcheinlichkeit gewähren. Man kann ſich vorſtellen, daß an den Rändern der aufſteigenden Kontinente, welche jetzt die über der Meeres— fläche ſichtbaren Litorale mit mehr oder minder ſchroffen Abhängen bilden, durch die gleichzeitig veranlaßten Senkungen des nahen Meeresgrundes Spalten verurſacht worden ſind, durch welche die Kommunikation mit dem geſchmolzenen In— neren befördert wird. Auf dem Rücken der Erhebungen, fern von jenen Senkungsarealen des ozeaniſchen Beckens, iſt nicht dieſelbe Veranlaſſung zum Entſtehen ſolcher Zertrüm⸗ merung geweſen. Vulkane folgen dem jetzigen Meeresufer in einfachen, bisweilen doppelten, wohl auch dreifachen, parallelen Reihen. Kurze Querjöcher verbinden ſie, auf Querſpalten gehoben und Bergknoten bildend. Häufig (keineswegs immer) iſt die dem Ufer nähere Reihe die thätigſte, während die fernere, mehr innere, erloſchen oder dem Erlöſchen nahe erſcheint. Bisweilen wähnt man nach beſtimmter Richtung in einer und derſelben Reihe von Vulkanen eine Zu- oder Abnahme der Eruptionshäufigkeit zu erkennen, aber die Phä— nomene der nach langen Perioden wieder erwachenden Thätig⸗ keit machen dies Erkennen ſehr unſicher. Da aus Mangel oder Unbeachtung ſicherer Ortsbeſtim— — 330 — mungen ſowohl der Vulkane als der ihnen nächſten Küſten⸗ punkte viele ungenaue Angaben der Meeresferne vul kaniſcher Thätigkeit verbreitet ſind, ſo gebe ich hier folgende Zahlen von geographiſchen Meilen (jede zu 3807 Toiſen = 7,42 km, alſo 15 = 1°) an. In den Kor: dilleren von Quito liegt der ununterbrochen ſpeiende Sangay am öſtlichſten; ſeine Meeresnähe iſt aber doch noch 28 Meilen (208 km). Sehr gebildete Mönche aus den Miſſionen der Indios Andaquies am Alto Putumayo haben mir verſichert, daß ſie am oberen Rio de la Fragua, einem Zufluß des Caqueta, öſtlich von der Ceja, einen nicht ſehr hohen Kegel— berg haben rauchen jehen ; !?° der Küſtenabſtand würde 40 Meilen (300 km) betragen. Der mexikaniſche, im September 1759 aufgeſtiegene Vulkan von Jorullo hat 21 Meilen (155 km) nächſten Küſtenabſtandes (Kosmos Bd. IV, S. 244 bis 250), der Vulkan Popocatepetl 33 Meilen (245 km), ein aus⸗ gebrannter Vulkan in der öſtlichen Kordillere von Bolivia, bei S. Pedro de Cacha, im Thale von Yucay (Kosmos, Bd. IV, S. 232), über 45 Meilen (334 km), die Vulkane des Sieben: gebirges bei Bonn und der Eifel (Kosmos Bd. IV, S. 198 bis 203) 33 bis 38 Meilen (245 bis 282 km), die der Auvergne, des Velay und Vivarais !”? nach Abteilung in 3 abgeſonderte Gruppen (Gruppe des Puy de Dome bei Clermont mit den Monts-Dores, Gruppe des Cantal, Gruppe von le Puy und Mezenc) 37, 29 und 21 Meilen (275, 141 und 155 km). Die ausgebrannten Vulkane von Olot, ſüdlich von den Pyre— näen, weſtlich von Gerona, mit ihren deutlichen, bisweilen geteilten Lavaſtrömen, liegen nur 7 Meilen (52 km) von den kataloniſchen Küſten des Mittelmeeres entfernt, dagegen die unbezweifelten und allem Anſcheine nach ſehr friſch aus— gebrannten Vulkane in der langen Kette der Rocky Moun- tains im nordweſtlichen Amerika 150 bis 170 Meilen (1113 und 1260 km) Entfernung von dem Litorale der Südſee zählen. Ein ſehr abnormes Phänomen in der geographiſchen Ver— teilung der Vulkane iſt die Exiſtenz in hiſtoriſcher Zeit thätiger, vielleicht noch teilweiſe brennender Vulkane in der Gebirgs— kette des Tian-ſchan (des Himmelsgebirges), zwiſchen den zwei Parallelketten des Altai und des Kuen-lün, deren Ext: ſtenz Abel Rémuſat und Klaproth zuerſt bekannt gemacht und welche ich in meinem Werke über Inneraſien, auf die ſcharfſinnigen und mühevollen ſinologiſchen Forſchungen von Stanislas Julien geſtützt, vollſtändiger habe behandeln — 31 — fönnen. '°° Der Abſtand des Vulkanes Pe-ſchan (Montblanc) mit ſeinen Lavaſtrömen und des noch brennenden Feuerberges (Ho⸗tſcheu) von Turfan iſt vom Litorale des Eismeeres und des Indiſchen Meeres faſt gleich groß, etwa 370 und 380 Meilen (2745 und 2820 km). Dagegen iſt die Entfernung, in welcher der Pe⸗ſchan, deſſen Lavaausbrüche vom Jahre 89 unſerer Zeit— rechnung bis zum Anfang des 7. Jahrhunderts in chineſiſchen Werken einzeln aufgezeichnet find, ſich von dem großen Alpen: ſee Iſſik⸗Kul am Abfall des Temurtutagh (eines weſtlichen Teiles des Tian⸗ſchan) befindet, nur 43 Meilen (320 km), von dem nördlicher gelegenen, 37 Meilen (275 km) langen See Balkaſch beträgt ſie 52 Meilen (385 km). Der große Dſaiſangſee, in deſſen Nähe ich ſelbſt, in der chineſiſchen Dſungarei, mich 1829 befand, iſt 90 Meilen (667 km) von den Vulkanen des Tian⸗ſchan entfernt. Binnenwaſſer fehlen alſo nicht, aber freilich doch nicht in ſolcher Nähe, als dem jetzt noch thätigen Vulkane, dem Demavend im perſiſchen Mazenderan, das Kaſpiſche Meer iſt. Wenn aber Waſſerbecken, ozeaniſche oder Binnenwaſſer, auch gar nicht zur Unterhaltung der vulkaniſchen Thätigkeit erforderlich ſind, wenn Inſeln und Küſten, wie ich zu glauben geneigt bin, nur reicher an Vulkanen ſind, weil das Empor— ſteigen der letzteren, durch innere elaſtiſche Kräfte bewirkt, von einer nahen Depreſſion im Meeresbecken begleitet iſt, ſo daß ein Erhebungsgebiet an ein Senkungsgebiet grenzt und an dieſer Grenze mächtige, tief eindringende Spaltungen und Klüfte veranlaßt werden, ſo darf man vermuten, daß in der inneraſiatiſchen Zone zwiſchen den Parallelen von 41° und 48° die große aralo⸗kaſpiſche Depreſſionsmulde, wie die bedeutende Zahl gereihter und ungereihter Seen zwiſchen dem Tian⸗ſchan und dem Altai-Kurtſchum zu Küſten— phänomenen hat Anlaß geben können. Man weiß aus Tradi— tion, daß viele perlartig aneinander gereihte Becken (lacs à chapelet) einsmals ein einziges großes Becken bildeten. Größere Seen ſieht man noch durch Mißverhältnis zwiſchen dem Niederſchlag und der Verdunſtung ſich teilen. Ein der Kirgiſenſteppe ſehr kundiger Beobachter, General Genz in Orenburg, vermutete, daß eine hydrauliſche Verbindung zwiſchen dem Aralſee, dem Akſakal, dem Sary-Kupa und Tſchagli vor: mals exiſtierte. Man erkennt eine große Furche, von Süd— weſt nach Nordoſt gerichtet, die man verfolgen kann über Omsk zwiſchen dem Irtyſch und Ob durch die ſeereiche Barabinskiſche — Steppe gegen die Moorebenen der Samojeden, gegen Bereſow und das Litorale des Eismeeres. Mit dieſer Furche hängt vielleicht zuſammen die alte, weitverbreitete Sage von einem Bitteren Meere (auch Getrocknetes Meer, Han-hai, ge⸗ nannt), das ſich öſtlich und ſüdlich von Hami' erſtreckte und in welchem ſich ein Teil der Gobi, deren ſalz- und ſchilf— reiche Mitte der Dr. von Bunge durch genaue Barometer: meſſung nur 2400 Fuß (780 m) über der Oberfläche des Ozeans erhoben fand, inſelförmig emporhob.!'? Seehunde, ganz denen ähnlich, welche in Scharen das Kaſpiſche Meer und den Baikal bewohnen, finden ſich (und dieſe geologiſche Thatſache iſt bisher nicht genug beachtet worden) über 100 geographiſche Meilen (740 km) öſtlich vom Baikal in dem kleinen Süßwaſſerſee Oron von wenigen Meilen Umfanges. Der See hängt zuſammen mit dem Witim, einem Zufluß der Lena, in der keine Seehunde leben. Die jetzige Iſoliert— heit dieſer Tiere, ihre Entfernung von dem Ausfluß der Wolga (volle 900 geographiſche Meilen — 6680 km) iſt eine merkwürdige, auf einen alten und großen Waſſerzuſammenhang hindeutende, geologiſche Erſcheinung. Sollten die vielfältigen Senkungen, denen in großer Erſtreckung dieſer mittlere Teil von Aſien ausgeſetzt geweſen iſt, auf die Konvexität der Kon— tinentalanſchwellung ausnahmsweiſe ähnliche Verhältniſſe, als an den Litoralen, an den Rändern der Erhebungsſpalte her— vorgerufen haben? Weithin in Oſten, in der nordweſtlichen Mandſchurei, in der Umgegend von Mergen (wahrſcheinlich in lat. 48 ½ “ und long. 120° öſtlich von Paris), hat man aus ſicheren, an den Kaiſer Kanghi abgeſtatteten Berichten Kenntnis von einem ausgebrannten Vulkane erhalten. Der ſchlacken- und lava— gebende Ausbruch des Berges Bo-ſchan oder Ujun⸗Hol⸗ don gi (die neun Hügel), etwa 3 bis 4 Meilen (22 bis 30 km) in ſüdweſtlicher Richtung von Mergen, fand ſtatt im Januar 1721. Die aufgeworfenen Schlackenhügel hatten nach Ausſage der vom Kaiſer Kanghi zur Erforſchung ausgeſandten Perſonen 6 geographiſche Meilen (45 km) im Umfange; es wurde auch gemeldet, daß ein Lavaſtrom, die Waſſer des Fluſſes Udelin ſtauend, einen See gebildet habe. Im 7. Jahrhundert un⸗ ſerer Zeitrechnung ſoll, nach weniger umſtändlichen chineſiſchen Berichten, der Bo⸗ſchan einen früheren feurigen Ausbruch gehabt haben. Die Entfernung vom Meere iſt ungefähr 105 geographiſche Meilen (780 km), alſo mehr denn drei— — 333 — mal größer als die Meeresnähe des Vulkanes von Jorullo; ähnlich der des Himalaya 2”. Wir verdanken dieſe merk— würdigen geognoſtiſchen Nachrichten aus der Mandſchurei dem Fleiße des Herrn W. P. Waßiljew (Geographiſcher Bote 1855, Heft 5, S. 31) und einem Aufſatze des Herrn Semenow des gelehrten Ueberſetzers von Karl Ritters großer Erdkunde) im 17. Bande der Schriften der kaiſerlich ruſſiſchen geographiſchen Geſellſchaft. Bei den Unterſuchungen über die geographiſche Verteilung der Vulkane und ihre größere Häufigkeit auf Inſeln und Lito— ralen, d. i. Erhebungsrändern der Kontinente, iſt auch die zu vermutende große Ungleichheit der ſchon erlangten Dicke der Erdkruſte vielfach in Betrachtung gezogen worden. Man iſt geneigt, anzunehmen, daß die Oberfläche der inneren geſchmolzenen Maſſe des Erdkörpers den Punkten näher liege, wo die Vulkane ausgebrochen ſind. Da aber viele mittlere Grade der Zähigkeit in der erſtarrenden Maſſe gedacht werden können, ſo iſt der Begriff einer ſolchen Oberfläche des Geſchmolzenen ſchwer mit Klarheit zu faſſen, wenn als Haupt⸗ urſache aller Verwerfungen, Spaltungen, Erhebungen und muldenförmigen Senkungen eine räumliche Kapazitäts— veränderung der äußeren feſten, ſchon erſtarrten Schale gedacht werden ſoll. Wenn es erlaubt wäre, nach den in den arteſiſchen Brunnen geſammelten Erfahrungen wie nach den Schmelzgraden des Granites in arithmetiſcher Reihe, alſo bei Annahme gleicher geothermiſcher Tiefenſtufen, die ſogenannte Dicke der Erdkruſte zu beſtimmen, jo fände man fie zu 521 geographiſchen Meilen (jede zu 3807 Toiſen oder 7,42 km) oder 28 des Polardurchmeſſers;?» aber Einwirkungen des Druckes und der Wärmeleitung verſchiedener Gebirgs— arten laſſen vorausſetzen, daß die geothermiſchen Tiefenſtufen mit zunehmender Tiefe ſelbſt einen größeren Wert haben. Trotz der ſehr geringen Zahl von Punkten, an denen gegenwärtig das geſchmolzene Innere unſeres Planeten mit dem Luftkreiſe in thätiger Verbindung ſteht, iſt doch die Frage nicht ohne Wichtigkeit, in welcher Art und in welchem Maße die vulkaniſchen Gasexhalationen auf die chemiſche Zu— ſammenſetzung der Atmoſphäre und durch ſie auf das, ſich auf der Oberfläche entwickelnde, organiſche Leben einwirken? uerſt muß man in Betrachtung ziehen, daß es weniger die Gipfelkrater ſelbſt als die kleinen Auswurfskegel und die große Räume ausfüllenden, ſo viele Vulkane umgebenden — 334 — 3 umarolen find, welche Gasarten aushauchen; ja, daß ganze Landſtrecken auf Island, im Kaukaſus, in dem Hochlande von Armenien, auf Java, den Galapagos, Sandwichinſeln und Neuſeeland durch Solfataren, Naphthaquellen und Salſe ſich ununterbrochen wirkſam zeigen. Vulkaniſche Gegenden, welche man gegenwärtig unter die ausgebrannten zählt, ſind eben— falls als Gasquellen zu betrachten, und das ſtille Treiben der unterirdiſchen, zerſetzenden und bildenden Kräfte in ihnen iſt der Quantität nach wahrſcheinlich produktiver als die großen, ſelteneren und geräuſchvollen Ausbrüche der Vulkane, wenn— gleich deren Lavafelder noch jahrelang fortfahren, ſichtbar und unſichtbar zu dampfen. Glaubt man die Wirkungen dieſer kleinen chemiſchen Prozeſſe darum vernachläſſigen zu dürfen, weil das ungeheure Volum des durch Strömungen ewig bewegten Luftkreiſes um ſo geringe Bruchteile durch ein— zeln unwichtig. ſcheinende?“? Zugaben in ſeiner primitiven Miſchung wenig verändert werden könne, ſo erinnere man ſich an den mächtigen Einfluß, welchen nach den ſchönen Unter⸗ ſuchungen von Percival, Sauſſure, Bouſſingault und Liebig drei oder vier Zehntauſendteile von Kohlenſäure unſeres Luft: kreiſes auf die Exiſtenz des vegetabiliſchen Organismus haben. Nach Bunſens ſchöner Arbeit über die vulkaniſchen Gasarten geben unter den Fumarolen in verſchiedenen Stadien der Thätigkeit und der Lokalverhältniſſe einige 6 B. am großen Hekla) 0,81 bis 0,83 Stickſtoff und in den Lavaſtrömen des Berges 0, 78, bei nur Spuren (0,01 bis 0,02) von Kohlen⸗ ſäure; andere auf Island bei Kriſuvik geben dagegen 0,86 bis 0,87 Kohlenſäure mit kaum 0,01 Stickſtoff. Ebenſo bietet die wichtige Arbeit über die Gasemanationen im ſüd⸗ lichen Italien und auf Sizilien von Charles Sainte-Claire Deville und Bornemann große Anhäufungen von Stick⸗ gas (0,98) in den Exhalationen einer Spalte tief im Krater von Vulcano, aber ſchwefelſaure Dämpfe mit einem Gemiſch von 74,7 Stickgas und 18,5 Sauerſtoff dar, alſo der Be— ſchaffenheit der atmoſphäriſchen Luft ziemlich nahe. Das Gas, welches bei Catania in dem Brunnen Acqua Santa?“ auf⸗ ſteigt, iſt dagegen reines Stickgas, wie es zur Zeit meiner amerikaniſchen Reiſe das Gas der Volcancitos de Tur- baco war. Sollte die große Quantität Stickſtoffes, welche durch die vulkaniſche Thätigkeit verbreitet wird, allein die ſein, die den Vulkanen durch Meteorwaſſer sugeühet wird, oder gibt es — 335 — innere, in der Tiefe liegende Quellen des Stickſtoffes? Es iſt auch zu erinnern, daß die in dem Regenwaſſer enthaltene Luft nicht, wie unſere, 0,79, ſondern, nach meinen eigenen Verſuchen, nur 0,69 Stickſtoffes enthält. Der letztere iſt für die Ammoniakal bildung, durch die in der Tropengegend faſt täglichen elektriſchen Exploſionen, eine Quelle erhöhter Fruchtbarkeit.“ Der Einfluß des Stickſtoffes auf die Vege- 1 15 iſt gleich dem des Subſtrates der atmoſphäriſchen Kohlen— äure. Bouſſingault hat in den Analyſen der Gasarten der Vulkane, welche dem Aequator nahe liegen (Tolima, PBurace, Paſto, Tuqueres und Cumbal), mit vielem Waſſerdampf, Kohlenſäure und geſchwefeltes Waſſerſtoffgas, aber keine Salz— ſäure, keinen Stickſtoff und kein freies Hydrogen gefunden. Der Einfluß, den das Innere unſeres Planeten noch gegen— wärtig auf die chemiſche Zuſammenſetzung der Atmoſphäre ausübt, indem er dieſer Stoffe entzieht, um ſie unter anderen Formen wiederzugeben, iſt gewiß nur ein unbedeutender Teil von den chemiſchen Revolutionen, welche der Luftkreis in der Urzeit bei dem Hervorbrechen großer Gebirgsmaſſen auf offenen Spalten muß erlitten haben. Die Vermutung über den wahr— ſcheinlich ſehr großen Anteil von Kohlenſäure in der alten Luftumhüllung wird verſtärkt durch die Vergleichung der Dicke der Kohlenlager mit der ſo dünnen Schicht von Kohle (7 Linien = 15 mm Dicke), welche nach Chevandiers Be— rechnung in der gemäßigten Zone unſere dichteſten Waldungen dem Boden in 100 Jahren geben würden. In der Kindheit der Geognoſie, vor Dolomieus ſcharf— ſinnigen Vermutungen, wurde die Quelle vulkaniſcher Thätig— keit nicht unter den älteſten Gebirgsformationen, für die man damals allgemein den Granit und Gneis hielt, geſetzt. Auf einige ſchwache Analogieen der Entzündbarkeit fußend, glaubte man lange, daß die Quelle vulkaniſcher Ausbrüche und der Gasemanationen, welche dieſelben für viele Jahrhunderte ver— anlaſſen, in den neueren, überſiluriſchen Brennſtoff ent- haltenden Flözſchichten zu ſuchen ſei. Allgemeinere Kenntnis der Erdoberfläche, tiefere und richtiger geleitete geognoſtiſche Forſchungen, und der wohlthätige Einfluß, welchen die großen Fortſchritte der neueren Chemie auf die Geologie ausgeübt, haben gelehrt, daß die drei großen Gruppen vulkaniſchen oder eruptiven Geſteines (Trachyt, Phonolith und Baſalt) unter ſich, wenn man ſie als große Maſſen betrachtet, im Alter — 3 verſchieden und meiſt ſehr voneinander abgeſondert auftreten, alle drei aber ſpäter als die plutoniſchen Granite, Diorite und Quarzporphyre, als alle ſiluriſchen, ſekundären, tertiären und quartären (pleiſtocänen) Bildungen an die Oberfläche getreten ſind, ja oft die lockeren Schichten der Diluvialgebilde und Knochenbreccien durchſetzen. Eine auffallende Mannigfaltig— keit?“ dieſer Durchſetzungen, auf einem kleinen Raum zu: ſammengedrängt, findet ſich, nach Rozets wichtiger Bemerkung, in der Auvergne; denn wenngleich die großen trachytiſchen Gebirgsmaſſen des Cantal, Mont-Dore und Puy de Dome den Granit ſelbſt durchbrechen, auch teilweiſe (z. B. zwiſchen Vic und Aurillac und am Giou de Mamon) große Frag: mente von Gneis 2“ und Kalkſtein einſchließen, jo ſieht man doch auch Trachyt und Baſalte den Gneis, das Steinkohlen— gebirge der Tertiär- und Diluvialſchichten gangartig durd)- ſchneiden. Baſalte und Phonolithe, nahe miteinander ver— wandt, wie das böhmiſche Mittelgebirge und die Auvergne beweiſen, ſind beide neuerer Formation als die Trachyte, welche oft von Baſalten in Gängen durchſetzt werden.!“ Die Phonolithe ſind aber wiederum älter als die Baſalte; ſie bilden wahrſcheinlich nie Gänge in dieſen, dahingegen dikes von Baſalt oft den Porphyrſchiefer (Phonolith) durchſchneiden. In der Andeskette von Quito habe ich die Baſaltformation räumlich weit von den herrſchenden Trachyten getrennt ge⸗ funden, faſt allein am Rio Pisque und im Thale von Guailla- bamba. “s Da in der vulkaniſchen Hochebene von Quito alles mit Trachyt, Trachytkonglomeraten und Tuffen bedeckt iſt, ſo war es mein eifrigſtes Beſtreben, irgend einen Punkt zu entdecken, an dem man deutlich erkennen könne, auf welcher älteren Gebirgsart die mächtigen Kegel- und Glockenberge aufgeſetzt ſind, oder, um beſtimmter zu reden, welche ſie durchbrochen haben. Einen ſolchen Punkt bin ich ſo glücklich geweſen, aufzufinden, als ich im Monat Juni 1802 von Riobamba nuevo aus (8898 Fuß — 2890 m über dem Spiegel der Südſee) eine Erſteigung des Tunguragua auf der Seite der Cuchilla de Guandisava verſuchte. Ich begab mich von dem anmutigen Dorfe Penipe über N ſchwankende Seil: brücke (puente de maroma) des Rio Puela nach der iſo— lierten hacienda de Guansce (7440 Fuß = 2417 m), wo im Südoſt, dem Einfluß des Rio Blanco in den Rio Chambo gegenüber, ſich eine prachtvolle Kolonnade von ſchwarzem, — — 337 — pechſteinartigem Trachyt erhebt. Man glaubt von weitem den Baſaltſteinbruch bei Unkel zu ſehen. Am Chimborazo, etwas über dem Waſſerbecken von Yana⸗-Cocha, ſah ich eine ähnliche, höhere, doch minder regelmäßige Säulengruppe von Trachyt. Die Säulen ſüdöſtlich von Penipe ſind meiſt fünf— ſeitig, von nur 14 Zoll (37 em) Durchmeſſer, oft gekrümmt und divergierend. Am Fuße dieſer ſchwarzen, pechſteinartigen Trachyte von Penipe) unfern der Mündung des Rio Blanco) ſieht man in dieſem Teile der Kordillere eine ſehr unerwartete Erſcheinung, grünlich weißen Glimmerſchiefer mit eingeſpreng— ten Granaten, und weiterhin, jenſeits des ſeichten Flüßchens Bascaguan, bei der Hacienda von Guanſce, nahe dem Ufer des Rio Puela, den Glimmerſchiefer wahrſcheinlich unter— teufend, Granit von mittlerem Korn, mit lichtem, rötlichem Feldſpat, wenig ſchwärzlich-grünem Glimmer und vielem gräulich⸗weißem Quarz. Hornblende fehlt. Es iſt kein Syenit. Die Trachyte des Vulkans von Tunguragua, ihrer minera— logiſchen Beſchaffenheit nach denen des Chimborazo gleich, d. i. aus einem Gemenge von Oligoklas und Augit beſtehend, haben alſo hier Granit und Glimmerſchiefer durchbrochen. Weiter gegen Süden, etwas öſtlich von dem Wege von Rio— bambo nuevo nach Guamote und Ticſan, kommen in der vom Meeresufer abgewandten Kordillere die ehemals ſo ge— nannten uranfänglichen Gebirgsarten: Glimmerſchiefer und Gneis, gegen den Fuß der Koloſſe des Altar de los Col- lanes, des Cuvillan und des Paramo del Hatillo überall zu Tage. Vor der Ankunft der Spanier, ja ſelbſt ehe die Herr— ſchaft der Inkas ſich ſo weit nach Norden erſtreckte, ſollen die Eingeborenen hier metallführende Lagerſtätten in der Nähe der Vulkane bearbeitet haben. Etwas ſüdlich von San Luis beobachtet man häufig Quarzgänge, die einen grünlichen Thon— ſchiefer durchſetzen. Bet Guamote, an dem Eingange der Gras— ebene von Tiocaxa, fanden wir große Maſſen von Geſtellſtein, ſehr glimmerarme Quarzite von ausgezeichneter linearer Parallel— ſtruktur, regelmäßig mit 70° gegen Norden einſchließend. Weiter ſüdlich bei Tieſan unweit auf bietet der Cerro Cuello de Ticsan große Schwefelmaſſen bebaut in einem Quarzlager, dem nahen Glimmerſchiefer untergeordnet, dar. Eine ſolche Verbreitung des Quarzes in der Nähe von Trachytvulkanen hat auf den erſten Anblick etwas Befremdendes. Aber meine Beobachtungen von der Auflagerung oder vielmehr dem Aus— brechen des Trachytes aus Glimmerſchiefer und Granit am A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 22 — 338 — Fuße des Tunguragua (ein Phänomen, welches in den Kor: dilleren ſo ſelten als in der Auvergne häufig iſt), haben 47 Jahre ſpäter die vortrefflichen Arbeiten des franzöſiſchen Geognoſten Herrn Sebaſtian Wiſſe am San gay beſtatigt. Dieſer koloſſale Vulkan, 1260 Fuß (410 m) höher als der Montblanc, ohne alle Lavaſtröme, die auch Charles Deville dem ebenſo thätigen Stromboli abſpricht, aber wenigſtens ſeit dem Jahre 1728 in ununterbrochener Thätigkeit ſchwarzer, oft glühend leuchtender Steinauswürfe, bildet eine Trachyt⸗ inſel von kaum 2 geogr. Meilen (45 km) Durchmeſſer ?°° mitten in Granit-⸗ und Gneisſchichten. Ganz entgegengeſetzte Lagerungsverhältniſſe zeigt die vulkaniſche Eifel, wie ich ſchon oben bemerkt habe, ſowohl bei der Thätigkeit, welche ſich einſt in den in devoniſche Schiefer eingeſenkten Maaren (oder Minentrichtern), als der, welche ſich in den Lavaſtrom gebenden Gerüſten offenbart, wie am langen Rücken des Moſenberges und. Geroliteines. Die Oberfläche bezeugt hier nicht, was im Inneren verborgen iſt. Die Trachytloſigkeit vor Jahrtauſenden ſo thätiger Vulkane iſt eine noch auffallen⸗ dere Erſcheinung. Die augithaltigen Schlacken des Moſen⸗ berges, welche den baſaltartigen Lavaſtrom teilweiſe begleiten, enthalten kleine gebrannte Schieferſtücke, nicht Fragmente von Trachyt, in der Umgebung fehlen die Trachyte. Dieſe Gebirgsart wird in der Eifel nur ganz iſoliert ſichtbar, fern von Maaren und lavagebenden Vulkanen, wie im Selber, bei Quiddelbach und in dem Bergzuge von Reimerath. Die Ver⸗ ſchiedenheit der Formationen, welche die Vulkane durchbrechen, um in der oberen Erdrinde mächtig zu wirken, iſt geognoſtiſch ebenſo wichtig als das Stoffhaltige, das ſie hervorbringen. Die Geſtaltungsverhältniſſe der Felsgerüſte, durch welche die vulkaniſche Thätigkeit ſich äußert oder zu äußern geſtrebt hat, ſind endlich in neueren Zeiten in ihrer oft ſehr komplizierten Verſchiedenartigkeit in den fernſten Erdzonen weit genauer erforſcht und dargeſtellt worden, als im vorigen Jahrhundert, wo die ganze Morphologie der Vulkane ſich auf Kegel- und Glockenberge beſchränkte. Man kennt jetzt von vielen Vulkanen den Bau, die Hypſometrie und die Reibung (das, was der ſcharfſinnige Karl Friedrich Nau— mann die Geotektonik 'ne nennt) auf das befriedigendſte oft da, wo man noch in der größten Unwiſſenheit über die Zu⸗ ſammenſetzung ihrer Gebirgsart, über die Aſſociation der Mineralſpezies geblieben iſt, welche ihre Trachyte charakteri— fieren und von der Grundmaſſe abgeſondert erkennbar werden. Beide Arten der Kenntnis, die morphologiſche der Fels— gerüſte und die oryktognoſtiſche der Zuſammenſetzung, find aber zur vollſtändigen Beurteilung der vulkaniſchen Thätig⸗ keit gleich notwendig; ja die letztere, auf Kriſtalliſation und chemiſche Analyſe gegründet, wegen des Zuſammenhanges mit plutoniſchen Gebirgsarten (Quarzporphyr, Grünſtein, Serpentin) von größerer geognoſtiſcher Wichtigkeit. Was wir von dem ſogenannten Vulkanismus des Mondes zu wiſſen glauben, bezieht ſich der Natur dieſer Kenntnis nach ebenfalls allein auf Geſtaltung.? Wenn, wie ich hoffe, das, was ich hier über die Klaſſi— fikation der vulkaniſchen Gebirgsarten, oder, um beſtimmter zu reden, über die Einteilung der Trachyte nach ihrer Zu— ſammenſetzung vortrage, ein beſonderes Intereſſe erregt, ſo gehört das Verdienſt dieſer Gruppierung ganz meinem vieljährigen Freunde und ſibiriſchen Reiſegefährten Guſtav Roſe. Eigene Beobachtung in der freien Natur und die glückliche Verbindung chemiſcher, kriſtallographiſch-mineralo— giſcher und geognoſtiſcher Kenntniſſe haben ihn beſonders ge— ſchickt gemacht, neue Anſichten zu verbreiten über den Kreis der Mineralien, deren verſchiedenartige, aber oft wiederkehrende Aſſociation das Produkt vulkaniſcher Thätigkeit iſt. Er hat, zum Teil auf meine Veranlaſſung, mit aufopfernder Güte, be— ſonders ſeit dem Jahre 1834 die Stücke, welche ich von dem Abhange der Vulkane von Neugranada, los Paſtos, Quito und dem Hochlande von Mexiko mitgebracht, wiederholentlich unterſucht und mit dem, was aus anderen Weltgegenden die reiche Mineralienſammlung des Berliner Kabinettes enthält, verglichen. Leopold von Buch hatte, als meine Sammlungen noch nicht von denen meines Begleiters Aimé Bonpland ge— trennt waren (in Paris 1810 bis 1811, zwiſchen ſeiner Rück— kunft aus Norwegen und ſeiner Reiſe nach Tenerifa), ſie mit anhaltendem Fleiße mikroſkopiſch unterſucht, auch ſchon früher, während des Aufenthaltes mit Gay-Luſſac in Rom (Som: mer 1805) wie ſpäter in Frankreich von dem Kenntnis ge— nommen, was ich in meinen Reiſejournalen an Ort und Stelle über einzelne Vulkane und im allgemeinen sur l’affinite entre les Volcans et certains porphyres depourvus de quarz im Monat Juli 1802 niedergeſchrieben hatte. !? Ich bewahre als ein mir überwertes Andenken einige Blätter mit Be— merkungen über die vulkaniſchen Produkte der Hochebenen von — 340 — Quito und Mexiko, welche der große Geognoſt mir vor jetzt mehr als 46 Jahren zu meiner Belehrung mitteilte. Da Reiſende, wie ich ſchon an einem anderen Orte umſtändlicher entwickelt, nur immer die Träger des unvollſtändigen Wiſſens ihrer Zeit ſind und ihren Beobachtungen viele der leitenden Ideen, d. h. der Unterſcheidungsmerkmale fehlen, welche die Früchte eines fortſchreitenden Wiſſens ſind, ſo bleibt dem materiell Geſammelten und geographiſch Geordneten faſt allein ein langdauernder Wert. Will man, wie mehrfach geſchehen, die Benennung Trachyt (wegen der früheſten Anwendung auf das Geſtein von Auvergne und des Siebengebirges bei Bonn) auf eine vulkaniſche Ge— birgsart beſchränken, welche Feldſpat, beſonders Werners gla— ſigen Feldſpat, Roſes und Abichs Sanidin enthalte, ſo wird dadurch die zu höheren geognoſtiſchen Anſichten führende innige Verkettung des vulkaniſchen Geſteines unfruchtbar zer: riſſen. Eine ſolche Beſchränkung konnte den Ausdruck recht: fertigen, „daß in dem labradorreichen Aetna kein Trachyt vor— komme“, ja meine eigenen Sammlungen beweiſen ſollen, „daß kein einziger der faſt zahlloſen Vulkane der Andes aus Trachyt beſtehe, daß ſogar die ſie bildende Maſſe Albit und deshalb, da man damals (1835) allen Oligoklas irrig für Albit hielt, alles vulkaniſche Geſtein mit dem allgemeinen Namen Andeſit (beſtehend aus Albit mit wenig Hornblende) zu belegen ſei“. Wie ich ſelbſt nach den Eindrücken, welche ich von meinen Reiſen über das, trotz einer mineralogiſchen Ver: ſchiedenheit innerer Zuſammenſetzung, allen Vulkanen Gemein: ſame zurückgebracht, ſo hat auch Guſtav Roſe nach dem, was er in dem ſchönen Aufſatz über die Feldſ patgruppe ?!“ ent: wickelt hat, in feiner Klaſſifikation der Trachyte Orthoklas, Sani⸗ din, den Anorthit der Somma, Albit, Labrador und Oligoklas verallgemeinernd als den feldſpatartigen Anteil der vulkani— ſchen Gebirgsarten betrachtet. Kurze Benennungen, welche Definitionen enthalten ſollen, führen in der Gebirgslehre wie in der Chemie zu mancherlei Unklarheiten. Ich war ſelbſt eine Zeitlang geneigt, mich der Ausdrücke Orthoklas- oder Labrador- oder Oligoklastrachyte zu bedienen und ſo den glaſigen Feldſpat (Sanidin) wegen ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung unter der Gattung Orthoklas (gemeinen Feld— ſpat) zu begreifen. Die Namen waren allerdings wohlklin— gend und einfach, aber ihre Einfachheit ſelbſt mußte irre führen, denn wenngleich Labradortrachyt zum Aetna und zu - HM — Stromboli führt, fo würde der Oligoklastrachyt in feiner wich— tigen zweifachen Verbindung mit Augit und Hornblende die weitverbreiteten, ſehr verſchiedenartigen Formationen des Chim— borazo und des Vulkanes von Toluca fälſchlich miteinander verbinden. Es iſt die Aſſociation eines feldſpatartigen Ele— mentes mit einem oder zwei anderen, welche hier, wie bei gewiſſen Gangausfüllungen (Gangformationen), charakteriſie— rend auftritt. a Folgendes iſt die Ueberſicht der Abteilungen, welche ſeit dem Winter 1852 Guſtav Roſe in den Trachyten nach den darin eingeſchloſſenen, abgeſondert erkennbaren Kriſtallen unterſcheidet. Die Hauptreſultate dieſer Arbeit, in der keine Verwechſelung des Oligoklaſes mit dem Albit ſtattfindet, wurde zehn Jahre früher erlangt, als mein Freund bei ſeinen geognoſtiſchen Unterſuchungen im Rieſengebirge fand, daß der Oligoklas dort ein weſentlicher Gemengteil des Granites ſei, und ſo auf die Wichtigkeit des Oligoklas als weſentlichen Gemengteiles der Gebirgsarten aufmerkſam gemacht, ihn auch in anderen Gebirgsarten aufſuchte.?! Dieſe Arbeit führte zu dem wichtigen Reſultate (Poggend. Ann. Bd. LXVI, 1845, S. 109), daß der Albit nie der Gemengteil einer Gebirgsart ſei. Erſte Abteilung. „Die Grundmaſſe enthält nur Kriſtalle von glaſigem Feldſpat, welche tafelartig und in der Regel groß ſind. Hornblende und Glimmer treten darin entweder gar nicht oder doch nur äußerſt ſparſam und als ganz unweſentliche Gemengteile hinzu. Hierher gehört der Trachyt der Phlegräiſchen Felder (Monte Olibano bei Pozzuoli), der von Ischia und von la Tolfa, auch ein Teil des Mont— Dore (grande Cascade). Augit zeigt ſich in kleinen Kriſtallen in Trachyten des Mont⸗Dore, doch ſehr ſelten; in den Phle— gräiſchen Feldern neben Hornblende gar nicht, ebenſowenig als Leucit, von welchem letzteren aber doch Hoffmann über dem Lago Averno (an der Straße nach Cumä) und ich am Abhange des Monte nuovo ?'? (im Herbſt 1822) einige Stücke geſammelt haben; Leucitophyr in loſen Stücken iſt häufiger in der Inſel Procida und dem daneben liegenden Scoglio di Martino.“ Zweite Abteilung. „Die Grundmaſſe enthält einzelne glaſige Feldſpatkriſtalle und eine Menge kleiner ſchnee— weißer Oligoklaskriſtalle. Die letzteren ſind oft regelmäßig mit dem glaſigen Feldſpat verwachſen und bilden eine Hülle um den Feldſpat, wie dies bei G. Roſes Granit (der — Hauptmaſſe des Rieſen- und Iſergebirges, Granite mit rotem Feldſpat, beſonders reich an Oligoklas und an Magneſia— glimmer, aber ohne allen weißen Kaliglimmer) jo häufig tft. Hornblende und Glimmer und in einigen Abänderungen Augit treten zuweilen in geringer Menge hinzu. Hierher gehören die Trachyte vom Drachenfels und von der Perlenhardt im Siebengebirge *!° bei Bonn, viele Abändernngen des Mont: Dore und Cantal, auch Trachyte von Kleinaſien (welche wir der Thätigkeit des Reiſenden Peter von Tſchichatſchew ver— danken), von Afiun Karahiſſar (wegen Mohnkultur berühmt) und Mehammedkjöe in Phrygien, von Kajadſchyk und Donanlar in Myſien, in denen glaſiger Feldſpat mit vielem Oligoklas, etwas Hornblende und braunem Glimmer gemengt ſind.“ Dritte Abteilung. „Die Grundmaſſe dieſer diorit— artigen Trachyte enthält viele kleine Oligoklas kriſtalle mit ſchwarzer Hornblende und braunem Magneſiaglimmer. Hierher gehören die Trachyte von Aegina, ?!? dem Kozelniker Thale bei Schemnitz, von Nagyag in Siebenbürgen, von Montabaur im Herzogtum Naſſau, vom Stenzelberg und von der Wolkenburg im Siebengebirge bei Bonn, vom Puy de Chaumont bei Clermont in der Auvergne und von Liorant im Cantal, der Kasbek im Kaukaſus, die mexikaniſchen Vulkane von Toluca und Orizaba, der Vulkan von Puracé und, als Trachyte, aber ſehr ungewiß, die prächtigen Säulen von Piſoje ?! bei Popayan. Auch die Domite Leopolds von Buch gehören zu dieſer dritten Abteilung. In der weißen, fein— körnigen Grundmaſſe der Trachyte des Puy de Dome liegen glaſige Kriſtalle, die man ſtets für Feldſpat gehalten hat, die aber auf der deutlichſten Spaltungsfläche immer geſtreift und Oligoklas ſind, Hornblende und etwas Glimmer finden ſich daneben. Nach den vulkaniſchen Geſteinen, welche die königliche Sammlung Herrn Möllhauſen, dem Zeichner und Topographen der Exploring Expedition des Lieutenant Whipple verdankt, gehören auch zu der dritten Abteilung, zu den diorit— artigen Tolucatrachyten, die des Mount Taylor zwiſchen Santa Pe del Nuevo Mexico und Albuquerque, wie die von Ciene— guilla am weſtlichen Abfalle der Rocky Mountains, wo nach den ſchönen Beobachtungen von Jules Marcou ſchwarze Lava— ſtröme ſich über die Juraformation ergießen.“ Dieſelben Ge— menge von Oligoklas und Hornblende, die ich im aztekiſchen Hochlande, im eigentlichen Anahuac, aber nicht in den Kor— dilleren von Südamerika geſehen, finden ſich auch weit — 343 — weſtlich von den Rocky Mountains und von Zußi, beim Mohave River, einem Zufluß des Rio Colorado. (S. Marcou, Resume of a geological recon naissance from the Arkansas to California, July 1854, p. 46 bis 48, wie auch in zwei wichtigen franzöſiſchen Abhandlungen: Resume explicatif d'une carte geologique des Etats-Unis 1855, p. 113 bis 116 und Esquisse d’une Classification des Chaines de montagnes de l'Amérique du Nord 1855: Sierra de S. Francisco et Mount-Taylor p. 23.) Unter den Trachyten von Java, welche ich der Freundſchaft des Dr. Junghuhn verdanke, haben wir ebenfalls die der dritten Abteilung erkannt in drei vulkaniſchen Gegenden: denen von Burung-agung, Tjimas und Gunung Parang (Diſtrikt Batugangi). Vierte Abteilung. „Die Grundmaſſe enthält Augit mit Oligoklas: der Pik von Tenerifa, e! die mexikaniſchen Vulkane Bopocatepetl ??° und Colima, die ſüdamerikaniſchen Vulkane Tolima (mit dem Paramo de Ruiz), Puracé bei Popayan, Paſto und Cumbal (nach von Bouſſingault geſam— melten Fragmenten), Rucu-Pichincha, Antiſana, Cotopaxi, Chimborazo, 21 Tunguragua, und Trachytfelſen, welche von den Ruinen von Alt⸗Riobamba bedeckt find. In dem Tunguragua kommen neben den Augiten auch vereinzelt ſchwärzlich-grüne Uralitkriſtalle von ½ bis 5 Linien (1 bis 10 mm) Länge vor mit vollkommener Augitform und Spaltungsflächen der Horn— blende (ſ. Roſe, Reiſe nach dem Ural Bd. II, S. 353).“ Ich habe von dem Abhange des Tunguragua in der Höhe von 12480 Fuß (3914 m) ein ſolches Stück mit deutlichen Uralitkriſtallen mitgebracht. Nach Guſtav Roſes Meinung tft es auffallend verſchieden von den ſieben Trachytfragmenten desſelben Vulkanes, die in meiner Sammlung liegen, und erinnert an die Formation des grünen Schiefers (ſchieferiger Augitporphyre), welche wir ſo verbreitet am aſiatiſchen Abfall des Urals gefunden haben (a. a. O. S. 544). Fünfte Abteilung. „Ein Gemenge von Labrador??? und Augit, ??? ein doleritartiger Trachyt: Aetna, Stromboli, und nach den vortrefflichen Arbeiten über die Trachyte der Antillen von Charles Sainte-Claire Deville: die Soufriere de la Guadeloupe, wie auf Bourbon die drei großen Cirques, welche den Pie de Salazu umgeben.“ Sechſte Abteilung. „Eine oft graue Grundmaſſe, in der Kriſtalle von Leueit und Augit mit ſehr wenig — 344 — Olivin liegen: Veſuv und Somma, auch die ausgebrannten Vulkane Vultur, Rocca Monfina, das Albaner Gebirge und Borghetto. In der älteren Maſſe (z. B. in dem Gemäuer und den Pflaſterſteinen von Pompeji) ſind die Leucitkriſtalle von beträchtlicher Größe und häufiger als der Augit. Dagegen ſind in den jetzigen Laven die Augite vorherrſchend und im ganzen Leucite ſehr ſelten. Der Lavaſtrom vom 22. April 1845 hat fie jedoch in Menge dargeboten. ??* Fragmente von Trachyten der erſten Abteilung, glaſigen Feldſpat ent⸗ haltend (Leopolds von Buch eigentliche Trachyte), finden ſich eingebacken in den Tuffen des Monte Somma, auch ein⸗ zeln unter der Bimsſteinſchicht, welche Pompeji bedeckt. Die Leucitophyrtrachyte der ſechſten Abteilung ſind ſorgfältig von den Trachyten der erſten Abteilung zu trennen, obgleich auch in dem weſtlichen Teile der Phlegräiſchen Felder und auf der Inſel Procida Leucite vorkommen, wie ſchon früher erwähnt worden iſt.“ Der ſcharfſinnige Urheber der hier eingeſchalteten Klaſſi— fikation der Vulkane nach Aſſociation der einfachen Mineralien, welche ſie uns zeigen, vermeint keineswegs die Gruppierung deſſen erſchöpft zu haben, was die in wiſſenſchaftlich geologi— ſchem und chemiſchem Sinne im ganzen noch ſo überaus un⸗ vollkommen durchforſchte Erdfläche darbieten kann. Verände⸗ rungen in der Benennung der aſſociierten Mineralien, wie Vermehrung der Trachytformationen ſelbſt ſind zu er— warten auf zwei Wegen: durch fortſchreitende Ausbildung der Mineralogie ſelbſt (in genauerer ſpezifiſcher Unterſcheidung gleichzeitig nach Form und chemiſcher Zuſammenſetzung), wie durch Vermehrung des meiſt noch ſo unvollſtändig und ſo unzweckmäßig Geſammelten. Hier wie überall, wo das Geſetz— liche in kosmiſchen Betrachtungen nur durch vielumfaſſenden Vergleich des Einzelnen erkannt werden kann, muß man von dem Grundſatz ausgehen, daß alles, was wir nach dem jetzigen Zuſtande der Wiſſenſchaften zu wiſſen glauben, ein ärmlicher Teil von dem iſt, was das nächſtfolgende Jahr⸗ hundert bringen wird. Die Mittel, dieſen Gewinn früh zu erlangen, liegen vervielfältigt da, es fehlt aber noch ſehr in der bisherigen Erforſchung des trachytiſchen Teiles der gehobe— nen, geſenkten, oder durch Spaltung geöffneten überſeeiſchen Erdfläche an der Anwendung gründlich erſchöpfender Methoden. Aehnlich in Form, in Konſtruktion der Gerüſte und geo— tektoniſchen Verhältniſſen haben oft ſehr nahe ſtehende — 345 — Vulkane nach der Zuſammenſetzung und Aſſociation ihrer Mineralienaggregate einen ſehr verſchiedenen individuellen Cha— rakter. Auf der großen Querſpalte, welche von Meer zu Meer faſt ganz von Oſt nach Weſt eine von Südoſt nach Nordweſt gerichtete Gebirgskette, oder beſſer geſagt ununterbrochene Ge— birgsanſchwellung durchſchneidet, folgen ſich die Vulkane alſo: Colima (11262 Pariſer Fuß), Jorullo (4002 Fuß), Toluca (14232 Fuß), Popocatepetl (16632 Fuß) und Orizaba (16776 Fuß). Die einander am nächſten ſtehenden ſind un gleich in der charakteriſierenden Zuſammenſetzung, Gleichartig— keit der Trachyte zeigt ſich alternierend. Colima und Popocatepetl beſtehen aus Oligoklas mit Augit und haben alſo Chimborazo⸗ oder Tenerifatrachyt; Toluca und Orizaba beſtehen aus Oligoklas mit Hornblende und haben alſo Aegina— und Kozelnikgeſtein. Der neu entſtandene Vulkan von Jorullo, faſt nur ein großer Ausbruchhügel, beſteht beinahe allein aus baſalt⸗ und pechſteinartigen meiſt ſchlackigen Laven und ſcheint dem Tolucatrachyt näher als dem Trachyt des Colima. In dieſen Betrachtungen über die individuelle Verſchieden— heit der mineralogiſchen Konſtitution nahe gelegener Vulkane liegt zugleich der Tadel des unheilbringenden Verſuches aus— geſprochen, einen Namen für eine Trachytart einzuführen, welcher von einer über 1800 geographiſche Meilen (13350 km) langen, großenteils vulkaniſchen Gebirgskette hergenommen iſt. Der Name Jurakalkſtein, den ich zuerſt eingeführt habe,?“ iſt ohne Nachteil, da er von einer einfachen ungemengten Gebirgsart entlehnt iſt, von einer Gebirgskette, deren Alter durch Auflagerung organiſcher Einflüſſe charakteriſiert iſt; es würde auch unſchädlich ſein, Trachytformationen nach einzelnen Bergen zu benennen, ſich der Ausdrücke Tenerifa- oder Aetnatrachyte für beſtimmte Oligoklas- oder Labrador— formationen zu bedienen. Solange man geneigt war, unter den ſehr verſchiedenen Feldſpatarten, welche den Trachyten der Andeskette eigen ſind, überall Albit zu erkennen, wurde jedes Geſtein, in dem man Albit vermutete, Andeſit ge— nannt. Ich finde den Namen der Gebirgsart mit der feſten Beſtimmung: „Andeſit werde durch vorwaltenden Albit und wenig Hornblende gebildet,“ zuerſt in der wichtigen Abhandlung meines Freundes Leopold von Buch vom Anfang des Jahres 1835 über Erhebungskrater und Vulkane. “ Dieſe Neigung, überall Albit zu ſehen, hat ſich fünf bis ſechs Jahre erhalten, bis man bei unparteiiſch erneuerten und — 346 — gründlicheren Unterſuchungen die trachytiſchen Albite als Oligo— klaſe erkannte.??“ Guſtav Roſe iſt zu dem Reſultate gelangt, überhaupt zu bezweifeln, daß Albit in den Gebirgsarten als ein wirklicher, weſentlicher Gemengteil vorkomme; danach würde zufolge der älteren Anſicht vom Andeſit dieſer in der Andeskette ſelbſt fehlen. Die mineralogiſche Beſchaffenheit der Trachyte wird auf unvollkommenere Weiſe erkannt, wenn die porphyrartig ein: gewachſenen Kriſtalle aus der Grundmaſſe nicht abgeſondert, nicht einzeln unterſucht und gemeſſen werden können und man zu den numeriſchen Verhältniſſen der Erdarten, Alkalien und Metalloxyde, welche das Reſultat der Analyſe ergibt, wie zu dem ſpezifiſchen Gewichte der zu analyſierenden, ſcheinbar amorphen Maſſe ſeine Zuflucht nehmen muß. Auf eine über⸗ zeugendere und mehr ſichere Weiſe ergibt ſich das Reſultat, wenn die Grundmaſſe ſowohl als die Hauptelemente des Ge— menges 1 e und chemiſch unterſucht werden können. Letzteres iſt z der Fall bei den Trachyten des Piks von Tenerifa 10 1 5 des Aetna. Die Vorausſetzung, daß die Grundmaſſe aus denſelben kleinen ununterſcheidbaren Beſtandteilen beſtehe, welche wir in den großen Kriſtallen er⸗ kennen, ſcheint keineswegs feſt begründet zu ſein, weil, wie wir ſchon oben geſehen, in Charles Devilles Iharfinniger Arbeit die amorph ſcheinende Grundmaſſe meiſt mehr Kieſel⸗ ſäure darbietet, als man nach der Gattung des Feldſpates und der anderen ſichtbaren Gemengteile erwarten ſollte. Bei den Leucitophyren zeigt ſich, wie Guſtav Roſe bemerkt, ſelbſt in dem ſpezifiſchen Unterſchiede der vorwaltenden Alkalien (der eingewobenen kalihaltigen Leueite) und der faſt nur natron⸗ haltigen Grundmaſſe ein auffallender Kontraſt. Aber neben dieſen Aſſociationen von Augit mit Oligoklas, Augit mit Labrador, Hornblende mit Oligoklas, welche in der von uns angenommenen Klaſſifikation der Trachyte aufgeführt worden ſind und dieſe beſonders charakteriſieren, finden ſich in jedem Vulkane noch andere leicht erkennbare unweſent⸗ liche Gemengteile, deren Frequenz oder ſtete Abweſenheit in verſchiedenen oft ſehr nahen Vulkanen auffallend iſt. Ein häufiges oder durch lange Zeitepochen getrenntes Auftreten hängt in einer und derſelben Werkſtatt wahrſcheinlich von mannigfaltigen Bedingungen der Tiefe des Urſprunges der Stoffe, der Temperatur, des Druckes, der Leicht- und Dünn⸗ flüſſigkeit, des ſchnelleren oder langſameren Erkaltens ab. 4 — 347 — Die ſpezifiſche Aſſociation oder der Mangel gewiſſer Gemeng— teile ſteht gewiſſen Theorieen, z. B. über die Entſtehung des Bimsſteines aus glaſigem Feldſpat oder aus Obſidian, ent: gegen. Dieſe Betrachtungen, welche gar nicht der neueren Zeit allein angehören, ſondern ſchon am Ende des 18. Jahr⸗ hunderts durch Vergleichung der Trachyte von Ungarn und von Tenerifa angeregt waren, haben mich, wie meine Tage— bücher bezeugen, in Mexiko und den Kordilleren der Andes mehrere Jahre lang lebhaft beſchäftigt. Bei den neueren un— verkennbaren Fortſchritten der Lithologie haben die unvoll- kommeneren Beſtimmungen der Mineralſpezies, die ich während der Reiſe machte durch Guſtav Roſes jahrelang fortgeſetzte oryktognoſtiſche Bearbeitung meiner Sammlungen verbeſſert und gründlich geſichert werden können. Glimmer. Sehr häufig iſt ſchwarzer oder dunkelgrüner Magneſia⸗ glimmer in den Trachyten des Cotopari, in der Höhe von 2263 Toiſen (4410 m) zwiſchen Suniguaicu und Quelendaña, wie auch in den unterirdiſchen Bimsſteinlagern von Guapulo a und Zumbalica am Fuße des Cotopaxi, doch vier deutſche Meilen (30 km) von demſelben entfernt. Auch die Trachyte des Vulkanes von Toluca ſind reich an Magneſiaglimmer, der am Chimborazo fehlt.. In unſerem Kontinent haben ſich Glimmer häufig gezeigt: am Veſur (3. B. in den Ausbrüchen von 1821 bis 1823 nach Monticelli und Covelli) in der Eifel in den altvulkaniſchen Bomben des Laacher Sees, im Baſalt von Meronitz, des mergelreichen Kauſawer Berges, und vorzüglich der Gamayer Kuppe??? des böhmiſchen Mittel: gebirges, ſeltener im Phonolith wie im Dolerit des Kaiſer— ſtuhles bei Freiburg. Merkwürdig iſt, daß nicht bloß in den Trachyten und Laven beider Kontinente kein weißer (meiſt zweiachſiger) Kaliglimmer, ſondern nur dunkel gefärbter (meiſt einachſiger) Magneſiaglimmer erzeugt wird, und daß dieſes ausſchließliche Vorkommen des Magneſiaglimmers ſich auf viele andere Eruptions⸗ und plutoniſche Geſteine: Baſalt, Phonolithe, Syenit, Syenitſchiefer, ja ſelbſt auf Granitite erſtreckt, während der eigentliche Granit gleichzeitig weißen Kaliglimmer und ſchwarzen oder braunen Magneſiaglimmer enthält. — 348 — Glaſiger Feldſpat. Dieſe Feldſpatgattung, welche eine ſo wichtige Rolle in der Thätigkeit europäischer Vulkane ſpielt, in den Trachyten erſter und zweiter Abteilung (3. B. auf Ischia, in den Phle— gräiſchen Feldern, oder dem Siebengebirge bei Bonn), fehlt in dem neuen Kontinent in den Trachyten thätiger Vulkane wahrſcheinlich ganz, was um ſo auffallender iſt, als Sanidin (glaſiger Feldſpat) weſentlich den ſilberreichen, quarzloſen mexikaniſchen Porphyren von Moran, Pachuca, Villalpando und Acaguiſotla angehört, von denen die erſteren mit den Obſidianen vom Jacal zuſammenhängen. ““ Hornblende und Augit. Bei der Charakteriſtik von ſechs verſchiedenen Abteilungen der Trachyte iſt ſchon bemerkt worden, wie dieſelben Mineral— ſpezies, welche (z. B. Hornblende in der dritten Abteilung oder dem Tolucageſtein) als weſentliche Gemengteile auftreten, in anderen Abteilungen (z. B. in der vierten und fünften Ab— teilung, im Pichincha- und Aetnageſtein) vereinzelt oder ſpo— radiſch erſcheinen. Hornblende habe ich, wenn auch nicht häufig, in den Trachyten der Vulkane von Cotopaxi, Rucu-Pichincha, Tunguragua und Antiſana neben Augit und Oligoklas, aber faſt gar nicht neben den beiden eben genannten Mineralien am Abhange des Chimborazo bis über 18000 Fuß (5540 m) Höhe gefunden. Unter den vielen vom Chimborazo mitge— brachten Stücken iſt Hornblende nur in zweien und in geringer Menge erkannt. Bei den Ausbrüchen des Veſuvs in den Jahren 1822 und 1850 haben ſich Augite und Hornblend— kriſtalle (dieſe bis zu einer Länge von faſt 9 Pariſer Linien — 19 mm) durch Dampfexhalationen auf Spalten gleich: zeitig gebildet. Am Aetna gehört, wie Sartorius von Waltershauſen bemerkt, die Hornblende vorzugsweiſe den älteren Laven zu. Da das merkwürdige, im weſtlichen Aſien und an mehreren Punkten von Europa weitverbreitete Material, welches Guſtav Roſe Uralit genannt hat, durch Struktur und Kriſtall— form mit der Hornblende und dem Augit nahe verwandt iſt, ſo mache ich gern hier von neuem auf das erſte Vorkommen von Uralitkriſtallen im neuen Kontinent aufmerkſam; es wurden dieſelben von Roſe in einem Trachytſtück erkannt, das ich am Abhange des Tunguragua 3000 Pariſer Fuß (970 m) unter dem Gipfel abgeſchlagen habe. — 349 — Leucit. Leucite, welche in Europa dem Veſuv, der Rocca-Monfina, dem Albaner Gebirge bei Rom, dem Kaiſerſtuhl im Breisgau, der Eifel (in der weſtlichen Umgebung des Laacher Sees in. Blöcken, nicht im anſtehenden Geſtein wie am Burgberge bei Rieden) ausſchließlich angehörten, ſind bisher noch nirgends in vulkaniſchen Gebirgen des neuen und dem aſiatiſchen Teile des alten Kontinentes aufgefunden worden. Daß ſie ſich oft um einen Augitkriſtall bilden, hat ſchon Leopold von Buch im Jahre 1798 aufgefunden und in einer vortrefflichen Ab— handlung beſchrieben. Der Augitkriſtall, um welchen nach der Bemerkung dieſes großen Geologen der Leucit ſich bildet, fehlt ſelten, ſcheint mir aber bisweilen durch einen kleinen Kern oder Brocken von Trachyt erſetzt zu ſein. Die ungleichen Grade der Schmelzbarkeit zwiſchen den Kernen und der umgebenden Leucitmaſſe ſetzen der Erklärung der Bildungsweiſe in der Umhüllung einige chemiſche Schwierigkeiten entgegen. Leucite waren teils loſe nach Scacchi, teils mit Lava gemengt in neuen Ausbrüchen des Veſuvs von 1822, 1828, 1832, 1845 und 1847 überaus häufig. Olivin. Da Olivin in den alten Laven des Veſuvs * (beſonders in den Leucitophyren der Somma), in dem Arſo von Ischia, dem Ausbruch von 1301, gemengt mit glaſigem Feldſpat, braunem Glimmer, grünem Augit und Magneteiſen, in den Lavaſtröme entſendenden Vulkanen der Eifel (z. B. im Moſen⸗ berge weſtlich von Manderſcheid) und im ſüdöſtlichen Teile von Tenerifa in dem Lavaanbruch von Guimar im Jahre 1704 ſehr häufig iſt, ſo habe ich in den Trachyten der Vulkane von Mexiko, Neugranada und Quito ſehr eifrig aber ver— gebens danach geſucht. Unſere Berliner Sammlungen enthalten allein von den vier Vulkanen Tunguragua, Antiſana, Chim— borazo und Pichincha 68 Trachytſtücke, deren 48 von mir und 20 von Bouſſingault mitgebracht ſind. ??? In den Baſalt⸗ formationen der Neuen Welt iſt Olivin neben Augit ebenſo häufig als in Europa; aber die ſchwarzen, baſaltartigen Trachyte vom Pana⸗Urcu bei Calpi am Fuße des Chimborazo, ſowie die rätſelhaften, welche man la reventazon del volcan de Ansango nennt, * keinen Olivin. Nur in dem großen braunſchwarzen Lavaſtrom mit krauſer, ſchlackiger, blumenkohlartig aufgeſchwollener Oberfläche, dem folgend wir in den Krater des Vulkans von Jorullo gelangten, fanden wir kleine Olivinkörper eingewachſen.??« Die jo allgemeine Seltenheit des Olivins in den neueren Laven und dem größten Teile der Trachyte erſcheint minder auffallend, wenn man ſich erinnert, daß, ſo weſentlich auch Olivin für die Baſaltmaſſe zu ſein ſcheint, doch (nach Krug von Nidda und Sartorius von Waltershauſen) in Island und im deutſchen Rhöngebirge der olivinfreie Baſalt nicht von dem olivin— reichen zu unterſcheiden iſt. Den erſteren iſt man gewohnt von alter Zeit her Trapp und Wade, ſeit neuerer Zeit Ane⸗ maſit zu nennen. Olivine, bisweilen kopfgroß i in den Baſalten von Nentieres in der Auvergne, erlangen auch in den Unkler Steinbrüchen, welche der Gegenſtand meiner erſten Jugend— arbeiten geweſen ſind, bis 6 Zoll (16 cm) Durchmeſſer. Der ſchöne, oft verſchliffene Hyperſthenfels von Elfdalen in Schweden, ein körniges Gemenge von Hyperſthen und Labrador, das Berzelius als Syenit beſchrieben hat, enthält auch Olivin wie (noch ſeltener) im Cantal der Phonolith des Pie de Griou. ?““ Wenn nach Stromeyer Nickel ein ſehr konſtanter Begleiter des Olivins iſt, ſo hat Rumler darin Arſenik entdeckt, ein Metall, das in der neueſten Zeit weit verbreitet in ſo vielen Mineralquellen und ſelbſt im Meerwaſſer gefunden worden iſt. Des Vorkommens der Olivine in Meteorſteinen und künſtlichen, von Sefſtröm unterſuchten Schlacken, habe ich ſchon früher gedacht. Obſidian. Schon als ich mich im Frühjahr und Sommer 1799 in Spanien zu der Reiſe nach den Kanariſchen Inſeln rüſtete, herrſchte bei den Mineralogen in Madrid, Hergen, Don Joſé Clavijo und anderen, allgemein die Meinung von der alleinigen Bildung des Bimsſteins aus Obſidian. Das Studium herr— licher geognoſtiſcher Sammlungen von dem Pik von Tenerifa wie die Vergleichung mit den Erſcheinungen, welche Ungarn darbietet, hatten dieſe Meinung begründet, obgleich die letzteren damals meiſt nach den neptuniſtiſchen Anſichten aus der Frei— berger Schule gedeutet vorgetragen worden waren. Die Zweifel über die große Einſeitigkeit dieſer Bildungstheorie, welche ſehr früh meine eigenen Beobachtungen auf den Kanariſchen Inſeln, in den Kordilleren von Quito und in der Reihe mexikaniſcher Vulkane in mir erregten, trieben mich an, meine ernſteſte Auf— — 351 — merkſamkeit auf zwei Gruppen von Thatſachen zu richten: auf die Verſchiedenheit der Einſchlüſſe der Obſidiane und Bimsſteine im allgemeinen, und auf die Häufigkeit der Aſſo— ciation oder gänzliche Trennung derſelben in wohlunterſuchten, thätigen Vulkangerüſten. Meine Tagebücher find mit An- gaben über dieſen Gegenſtand angefüllt, und die ſpezifiſche Beſtimmung der eingewachſenen Mineralien iſt durch die viel— fachſten und neueſten Unterſuchungen meines immer bereit— willigen und wohlwollenden Freundes (Guſtav Roſe) geſichert worden. In Obſidian wie in Bimsſtein kommen ſowohl glaſiger Feldſpat als Oligoklas, oft beide zugleich vor. Als Bei⸗ ſpiele ſind anzuführen die mexikaniſchen Obſidiane, von dem Cerro de las Navajas am öſtlichen Abfall des Jacal von mir geſammelt, die von Chico mit vielen Glimmerkriſtallen, die von Zimapan in SSW eder Hauptſtadt Mexiko, mit deut: lichen kleinen Quarzkriſtallen gemengt, die Bimsſteine vom Rio Mayo (auf dem Gebirgswege von Popayan nach Paſto), wie vom ausgebrannten Vulkan von Sorata bei Popayan. Die unterirdiſchen Bimsſteinbrüche unfern Llactacunga ent: halten vielen Glimmer, Oligoklas und, was in Bimsſtein und Obſidian ſehr ſelten iſt, auch Hornblende, doch iſt die letzte auch im Bimsſtein des Vulkans von Arequipa geſehen worden. Gemeiner Feldſpat (Orthoklas) kommt im Bimsſtein nie neben dem Sanidin vor, ebenſo fehlen darin die Augite. Die Somma, nicht der Kegel des Veſuvs ſelbſt, enthält Bimsſtein, welcher erdige Maſſen kohlenſauren Kalkes einſchließt. Von derſelben merkwürdigen Abänderung eines kalkartigen Bims⸗ ſteins iſt Pompeji überſchüttet. » Obſidiane in wirklichen lavaartigen Strömen ſind ſelten; ſie gehören faſt allein dem Pik von Tenerifa, Lipari und Volcano an. Gehen wir nun zu der Aſſociation von Obſidian und Bimsſtein in einem und demſelben Vulkan über, ſo ergeben ſich folgende Thatſachen: Pichincha hat große Bimsſteinfelder und keinen Obſidian. Der Chimborazo zeigt, wie der Aetna, deſſen Trachyte doch eine ganz andere Zuſammenſetzung haben (ſie enthalten Labrador ſtatt Oligoklas), weder Obſidian noch Bimsſtein; eben dieſen Mangel habe ich bei der Beſteigung des Tunguragua bemerkt. Der Vulkan Puracc bei Popayan hat viel Obſidian in ſeinen Trachyten eingemengt und nie Bimsſtein hervorgebracht. Ungeheure Flächen, aus denen der Iliniza, Carguairazo und Altar aufſteigen, find mit Bims— — 352 — ſtein bedeckt. Die unterirdiſchen Bimsſteinbrüche bei Llacta: cunga wie die von Huichapa ſüdöſtlich von Queretaro, wie die Bimsſteinanhäufungen am Rio Mayo, die bei Tſchegem im Kaukaſus und bei Zollo?°° in Chile, fern von thätigen Vulkangerüſten, ſcheinen mir zu den Ausbruchphänomenen in der vielfach geſpaltenen ebenen Erdfläche zu gehören. Auch ein anderer chileniſcher Vulkan, der von Antuco, von welchem Pöppig eine ſo wiſſenſchaftlich wichtige als ſprachlich anmutige Beſchreibung gegeben hat, bringt wohl, wie der Veſuv, Aſche, klein geriebene Rapilli (Sand) hervor, aber keinen Bimsſtein, kein verglaſtes oder obſidianartiges Geſtein. Wir ſehen ohne Anweſenheit von Obſidian oder glaſigem Feldſpat bei ſehr verſchiedenartiger Zuſammenſetzung der Trachyte Bimsſtein entſtehen und nicht entſtehen. Bimsſtein, wie der geiſtreiche Darwin bemerkt, fehlt dazu ganz im Archipel des Galapagos. Wir haben ſchon an einem anderen Orte bemerkt, daß dem mächtigen Vulkan Mauna Loa in den Sandwichinſeln, wie den einſt Lavaſtröme ergießenden Vulkanen der Eifel die Aſchenkegel fehlen. Obgleich die Inſel Java eine Reihe von mehr als 40 Vulkanen zählt, von denen an 23 jetzt thätig ſind, ſo hat Junghuhn doch nur zwei Punkte in dem Vulkan Gunung Guntur, unfern Bandong und dem großen Tengger— gebirge auffinden können, wo Obſidianmaſſen ſich gebildet haben. Es ſcheinen dieſelben nicht Veranlaſſung zur Bims⸗ ſteinbildung geworden zu ſein. Die Sandmeere (Daſar), welche auf 6500 Fuß (2110 m) mittlerer Meereshöhe liegen, find nicht mit Bimsſtein, ſondern mit einer Rapilliſchicht be⸗ deckt, die als obſidianartige, halb verglaſte Baſaltſtücke be⸗ ſchrieben werden. Der nie Bimsſtein ausſtoßende Veſupkegel hat am 24. bis 28. Oktober 1822 eine 18 Zoll (48 em) dicke Schicht ſandartiger Aſchen, zerriebener Trachytrapilli gegeben, welche nie mit Bimsſtein verwechſelt worden iſt. Die Höhlungen und Blaſenräume des Obſidians, in denen, wahrſcheinlich aus Dämpfen niedergeſchlagen, ſich, z. B. am mexikaniſchen Cerro del Jacal, Olivinkriſtalle gebildet haben, enthalten an beiden Hemiſphären bisweilen eine andere Art von Einſchlüſſen, welche auf die Weiſe ihres Urſprunges und ihrer Bildung zu führen ſcheinen. Es liegen in den breiteren Thälern dieſer langgedehnten, meiſt ſehr regelmäßig parallelen Höhlungen Brocken halbzerſetzten, erdigen Trachytes. Verengt ſich die Leere ſchweifartig fort, als hätte ſich durch vulkaniſche Wärme eine gasartige elaſtiſche Flüſſigkeit in der noch weichen | — 353 — Maſſe entwickelt. Dieſe Erſcheinung hatte beſonders im Jahre 1805, als Leopold von Buch, Gay Luſſac und ich die Thom— ſonſche Mineralienſammlung in Neapel beſuchten, des erſten Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen. Das Aufblähen der Obſi— diane durch Feuer, welches ſchon im griechiſchen Altertume der Beobachtung nicht entgangen war,?°? hat gewiß eine ähn⸗ liche Gasentwickelung zur Urſache. Obſidiane gehen nach Abich um ſo leichter durch Schmelzen in zellige, nicht parallelfaſerige Bimsſteine über, je ärmer ſie an Kieſelſäure und je reicher ſie an Alkalien ſind. Ob aber das Anſchwellen allein der Verflüchtigung von Kali oder Chlorwaſſerſtoffſäure zuzuſchreiben ſei, bleibt nach Rammelsbergs Arbeiten ſehr ungewiß. Scheinbar ähnliche Phänomene des Aufblähens mögen in obſidian- und ſanidinreichen Trachyten, in poröſen Baſalten und Mandel— ſteinen, im Pechſtein, Turmalin und dem ſich entfärbenden dunkelbraunen Feuerſtein ſtoffartig ſehr verſchiedene Urſachen haben, und eine auf eigene, genaue Verſuche gegründete, ſo lange und vergebens erwartete Forſchung ausſchließlich über die entweichenden gasartigen Flüſſigkeiten würde zu einer un⸗ ſchätzbaren Erweiterung der chemiſchen Geologie der Vulkane führen, wenn zugleich auf die Einwirkung des Meerwaſſers in unterſeeiſchen Bildungen und auf die Menge des gekohlten Waſſerſtoffes der beigemengten organiſchen Subſtanzen Rück— ſicht genommen würde. g Die Thatſachen, welche ich am Ende dieſes Abſchnittes zuſammengeſtellt habe, die Aufzählung der Vulkane, welche Bimsſteine ohne Obſidian, und bei vielem Obſidian keinen Bimsſtein hervorbringen, die merkwürdige, nicht konſtante, aber ſehr verſchiedenartige Aſſociation des Obſidians und Bims— ſteins mit gewiſſen anderen Mineralien haben mich früh ſchon, während des Aufenthaltes in den Kordilleren von Quito, zu der Ueberzeugung geführt, daß die Bimsſteinbildung Folge eines chemiſchen Prozeſſes iſt, der in Trachyten ſehr heterogener Zuſammenſetzung, ohne notwendig vorhergehende Vermittelung des Obſidians (d. h. ohne Präexiſtenz desſelben in großen Maſſen), verwirklicht werden kann. Die Bedingungen, unter welchen ein ſolcher Prozeß großartig gelingt, find (ich wieder: hole es hier!) vielleicht minder in der Stoffverſchiedenheit des Materiales als in der Graduation der Wärme, des durch die Tiefe beſtimmten Druckes, der Dünnflüſſigkeit und der Dauer der Erſtarrung gegründet. Die denkwürdigen, wenngleich ſel— tenen Erſcheinungen, welche die Iſoliertheit rieſenhaft großer A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 23 — 354 — unterirdiſcher Bimsſteinbrüche, fern von allen vulkaniſchen Gerüſten (Kegel- und Glockenbergen), darbietet, leiten mich zugleich zu der Vermutung, daß ein nicht unbeträchtlicher, ja vielleicht dem Volum nach der größere Teil der vulkaniſchen Gebirgsarten nicht aus aufgeſtiegenen vulkaniſchen Gerüſten, ſondern aus Spaltennetzen der Erdoberfläche ausgebrochen iſt und oft viele Quadratmeilen ſchichtenweiſe bedeckt hat. Zu dieſen gehören wohl auch die alten Trappmaſſen der unterſiluriſchen For— mation des ſüdweſtlichen Englands, durch deren genaue chrono— metriſche Beſtimmung mein edler Freund, Sir Roderick Mur: chiſon, unſere Kenntnis von der geologiſchen Konſtruktion des Erdkörpers auf eine ſo umfaſſende Weiſe erweitert und er— höht hat. Anmerkungen. (S. 154.) Die ſtrenge Kritik, welcher Herr Mallet meine frühere Arbeit in ſeinen ſehr ſchätzbaren Abhandlungen unterworfen hat, iſt von mir mehrfach benutzt worden. (S. 155.) Ich folge der ſtatiſtiſchen Angabe, die mir der Corregidor von Tacunga 1802 mitteilte. Sie erhob ſich zu einem Verluſt von 30 000 zu 34000 Menſchen, aber einige 20 Jahre ſpäter wurde die Zahl der unmittelbar getöteten um 8 vermindert. (S. 156.) Zweifel über die Wirkung auf das geſchmolzene „subjacent fluid confined into internal lakes* hat Hopkins geäußert in Meeting of the British Asso c. in 1847, p. 57: wie über the subterraneous lava tidal wave, moving the solid crust above it, Mallet im Meeting in 1850, p. 20. Auch Poiſſon, mit dem ich mehrmals über die Hypotheſe der unterirdiſchen Ebbe und Flut durch Mond und Sonne geſprochen, hielt den me puls, den er nicht leugnete, für unbedeutend: „da im freien Meere die Wirkung kaum 14 Zoll betrage“. Dagegen ſagte Ampere: Ceux qui admettent la liquidite du noyau intérieur de la terre, paraissent ne pas avoir songé assez à l'action qu'exer-— cerait la lune sur cette enorme masse liquide: action d’oü resulteraient des marées analogues & celles de nos mers, mais bien autrement terribles, tant par leur étendue que par la densite du liquide. Il est difficile de concevoir, comment l’enveloppe de la terre pourrait résister, étant incessamment battue par une espece de belier hydraulique (2) de 1400 lieues de longueur. Iſt das Erdinnere flüſſig, wie im allgemeinen nicht zu bezweifeln iſt, da trotz des ungeheuren Druckes die Teilchen doch verſchiebbar bleiben, ſo ſind in dem Erdinneren dieſelben Be— dingungen enthalten, welche an der Erdoberfläche die Flut des Weltmeeres erzeugen, und es wird die fluterregende Kraft in größerer Nähe beim Mittelpunkt immer ſchwächer werden, da der Unterſchied der Entfernungen von je zwei entgegengeſetzt liegenden Punkten, in ihrer Relation zu den anziehenden Geſtirnen betrachtet, in größerer Tiefe unter der Oberfläche immer kleiner wird, die Kraft aber allein von dem Unterſchiede der Entfernungen abhängt. Wenn die feſte Erdrinde dieſem Beſtreben einen Widerſtand entgegenſetzt, fo wird das Erdinnere an dieſen Stellen nur einen Druck gegen die Erdrinde ausüben; es wird (wie mein aſtronomiſcher Freund Dr. Brünnow ſich ausdrückt) ſo wenig Flut entſtehen, als wenn das Weltmeer eine unzerſprengbare Eisdecke hätte. Die Dicke der feſten, ungeſchmolzenen Erdrinde wird berechnet nach dem Schmelzpunkt der Gebirgsarten und dem Geſetze der Wärmezunahme von der Oberfläche der Erde in die Tiefe. Ich habe bereits oben die Ver— mutung gerechtfertigt, daß etwas über fünf geogr. Meilen (5¼ o) unter der Oberfläche eine Granit ſchmelzende Glühhitze herrſche. Faſt die— ſelbe Zahl (45000 m = 6 geogr. Meilen, zu 7419 m) nannte Elie de Beaumont für die Dicke der ſtarren Erdrinde. Auch nach den ſinnreichen, für die Fortſchritte der Geologie ſo wichtigen Schmelzverſuchen verſchiedener Mineralien von Biſchof fällt die Dicke der ungeſchmolzenen Erdſchichten zwiſchen 115000 und 128000 Fuß, im Mittel zu 5 geogr. Meilen (39,5 km). Um ſo auffallender iſt es mir, zu finden, daß bei der Annahme einer beſtimmten Grenze zwiſchen dem Feſten und Geſchmolzenen, nicht eines allmählichen Ueberganges, Herr Hopkins, nach Grundſätzen ſeiner ſpekulativen Geologie, das Reſultat aufſtellt: the thickness of the solid shell cannot be less than about one fourth or one fifth (?) of the radius of its external surface (Meeting of the British Assoc. held at Oxford in 1847, p. 51). Cordiers früheſte Annahme war doch nur 14 geogr. Meilen (104 km) ohne Korrektion, welche von dem mit der großen Tiefe zunehmenden Druck der Schichten und der hypſometriſchen Geſtalt der Oberfläche abhängig iſt. Die Dicke des ſtarren Teiles der Erdrinde iſt wahrſcheinlich ſehr ungleich. (S. 156.) Gay-Luſſac, welcher mit Leopold von Buch und mir den großen Lavaausbruch des Veſuvs im September 1805 beobachtete, hat das Verdienſt gehabt, die chemiſchen Hypotheſen einer ſtrengen Kritik zu unterwerfen. Er ſucht die Urſache der vulkaniſchen Erſcheinungen in einer affınite tres énergique et non encore satisfaite entre les substances, à laquelle un contact fortuit leur permettait d'obéir; er begünſtigt im ganzen die aufgegebene Davyſche und Ampereſche Hypotheſe: en supposant que les radi- caux de la silice, de l'alumine, de la chaux et du fer soient unis au chlore dans l'intérieur de la terre; auch das Eindringen des Meerwaſſers iſt ihm nicht unwahrſcheinlich unter gewiſſen Be— dingungen. Vergl. über die Schwierigkeit einer Theorie, die ſich auf das Eindringen des Waſſers gründet, Hopkins im Meeting of 1847, p. 38. >’ (©. 156.) In den ſüdamerikaniſchen Vulkanen fehlt unter den ausgeſtoßenen Dämpfen, nach den ſchönen Analyſen von Bouſſingault an 5 Kraterrändern (Tolima, Puracé, Paſto, Tuquerres und Cumbal), Chlorwaſſerſtoffſäure gänzlich, nicht aber an den italieniſchen Vulkanen. (S. 156.) Indem Davy auf das beſtimmteſte die Meinung aufgab, daß die vulkaniſchen Ausbrüche eine Folge der Berührung der metalloidiſchen Baſen durch Luft und Waſſer ſeien, erklärt er doch, es könne das Daſein von orydierbaren Metalloiden im Inneren der Erde eine mitwirkende Urſache in den ſchon begonnenen a Prozeſſen jein. ©. 157.) „Jattribue,“ jagt Bouſſingault, „la plupart des tremblements de terre dans la Cordillere des Andes & des eboulements qui ont lieu dans l’interieur de ces montagnes par le tassement qui s’opere et qui est une consequence de leur soulevement. Le massif qui constitue ces cimes gigantesques, n'a pas été souleve à l'état päteux; le soulevement n'a eu lieu qu'après la solidification des roches. J'admets par consequent que le relief des Andes se compose de fragments de toutes dimensions, entasses les uns sur les autres. La consolidation des fragments n'a pu £tre tellement stable des le principe qu'il n'y ait des mouvements interieurs dans les masses fragmen- taires.* In der Beſchreibung ſeiner denkwürdigen Beſteigung des Chimborazo heißt es wieder: „Comme le Cotopaxi, l’Antisana, le Tunguragua et en general les volcans qui herissent les plateaux des Andes, la masse du Chimborazo est formée par l'accu— mulation de debris trachitiques, amonceles sans aucun ordre. Ces fragments, d'un volume souvent enorme, ont été souleves a l'état solide par des fluides élastiques qui se sont fait jour sur les points de moindre resistance; leurs angles sont toujours tranchants.“ Die hier bezeichnete Urſache der Erdbeben iſt die, welche Hopkins in ſeiner „analytiſchen Theorie der vulkaniſchen Er— ſcheinungen“ a shock produced by the falling of the roof of a subterranean cavity nennt. [Ueber die erſten Urſachen der Erd— beben herrſcht auch heute noch keine Einigkeit unter den Geologen. Jedenfalls ſind verſchiedene Arten von Erdbeben zu unter— ſcheiden. Je nach der Urſache nimmt die neuere Wiſſenſchaft mit Rudolf Hörnes drei Arten von Erdbeben an: 1) Einſturzerd⸗ beben; ſie entſtehen durch Einbruch unterirdiſcher Hohlräume, welche durch Auswaſchung und Löſung, namentlich in Steinſalz und Gips führenden Schichten ſowie in Kalkterrains gebildet werden. 2) Vulkaniſche Erdbeben dagegen ſind durch hochgeſpannte Dämpfe in der Nähe von Feuerbergen verurſacht und erreichen mit dem Ausſchleudern der Kraterverſtopfung (alter erſtarrter Lava) ihr Ende. Das Centrum iſt der Krater ſelbſt, von welchem die Stoffe radienförmig ausgehen. Beide Arten von Erdbeben ſind lokaler Natur. Tektoniſche oder Dislokationserdbeben, ſo ge— nannt, weil ſie durch Dislokationen in der feſten Erdrinde oder durch Aenderungen in den tektoniſchen Verhältniſſen der Gebirge bedingt erſcheinen, die mit den vulkaniſchen Erſcheinungen im engeren Sinne nichts gemeinſchaftlich haben. Zu dieſer Kategorie aber ge— hören gerade die häufigſten, furchtbarſten und verheerendſten Erd— beben. Ihnen ſind mehr oder weniger alle Gebirgsgegenden, — namentlich aber die Kettengebirge, und dieſe wieder hauptſächlich an ihren gegen das Meer oder gegen beckenförmige Einſenkungen gerichteten Abdachungen unterworfen. Man nennt ſolche Gebiete der Erdrinde, wo dieſe Erdbeben häufig ſind, Erſchütterungsbezirke oder kurz Schüttergebiete. — D. Herausg.] (S. 157.) Alles, was wir von den Erſchütterungswellen und Schwingungen in feſten Körpern wiſſen, zeigt das Unhaltbare älterer Theorieen über die durch eine Reihung von Höhlen erleichterte Fortpflanzung der Bewegung. Höhlen können nur auf ſekundäre Weiſe bei dem Erdbeben wirken, als Räume für Anhäufung von Dämpfen und verdichteten Gasarten. „La terre, vieille de tant de siècle,“ jagt Gay-Luſſac ſehr ſchön, „conserve encore une force intestine, qui eleve des montagnes (dans la croüte oxydee), renverse des cites et agite la masse entiere. La plupart des montagnes, en sortant du sein de la terre, ont dü y laisser de vastes cavites, qui sont restees vides, à moins qu'elles n’aient été remplies par l'eau (et des fluides gazeux). C'est bien & tort que Deluc et beaucoup de Geologues se servent de ces vides, qu'ils s'imaginent se prolonger en longues galeries, pour propager au loin les tremblements de terre. Ces phenomenes si grands et si terribles sont de très fortes ondes sonores, excitees dans la masse solide de Ia terre par une commotion quelconque, qui s’y propage avec la m&me vitesse que le son sy propagerait. Le mouvement d'une voiture sur le pave ebranle les plus vastes édifices, et se communique à travers des masses considerables, comme dans les carrieres profondes au-dessous de Paris.“ (S. 157.) Die Moyakegel find 19 Jahre nach mir noch von Bouſſingault geſehen worden. „Des éruptions boueuses, suite du tremblement de terre, comme les éruptions de la Moya de Pelileo, qui ont enseveli des villages entiers.“ „ (S. 158.) Als ein merkwürdiges Beiſpiel von der Schließung einer Spalte iſt anzuführen, daß bei dem berühmten Erdbeben (Sommer 1851) in der neapolitaniſchen Provinz Baſilicata in Barile bei Melfi eine Henne mit beiden Füßen im Straßenpflaſter ein geklemmt gefunden wurde, nach dem Berichte von Scacchi. (S. 159.) Daß die durch Erdbeben entſtehenden Spalten ſehr lehrreich für die Gangbildung und das Phänomen des Verwerfens ſind, indem der neuere Gang den älterer Formation verſchiebt, hat Hopkins ſehr richtig theoretiſch entwickelt. Lange aber vor dem verdienſtvollen Phillips hat Werner die Altersver— hältniſſe des verwerfenden, durchſetzenden Ganges zu dem ver— worfenen, durchſetzten, in ſeiner Theorie der Gänge (1791) gezeigt. (S. 160.) Auch in einem Bohrloche bei Saſſendorf in Weſt— falen (Regierungsbezirk Arnsberg) nahm, infolge des ſich weit er— ſtreckenden Erdbebens vom 29. Juli 1846, deſſen Erſchütterungs— centrum man nach St. Goar am Rhein verlegt, die Salzſole, ſehr genau geprüft, um 1½ Prozent an Gehalt zu: wahrſcheinlich, weil ſich andere Zuleitungsklüfte geöffnet hatten. Bei dem Schweizer Erdbeben vom 25. Auguſt 1851 ſtieg nach Charpentiers Bemerkung die Temperatur der Schwefelquelle von Lavey (oberhalb St. Maurice am Rhoneufer) von 31“ auf 36,3“. (S. 160.) Zu Schemacha (Höhe 2245 Fuß = 696 km), einer der vielen meteorologiſchen Stationen, die unter Abichs Leitung der Fürſt Woronzow im Kaukaſus hat gründen laſſen, wurden 1848 allein 18 Erdbeben von dem Beobachter in dem Journale verzeichnet. 14 (S. 161.) S. Asie centrale T. I, p. 324—329 und T. II. p. 108—120; und beſonders meine Carte des Montagnes et Volcans de l’Asie, verglichen mit den geognoſtiſchen Karten des Kaukaſus und Hochlandes von Armenien von Abich, wie mit der Karte von Kleinaſien (Argäus) von Peter Tſchichatſchew, 1853. „Du Tourfan, situé sur la pente meridionale du Thian- chan, jusqu’& l’Archipel des Azores (heißt es in der Asie centrale) il ya 120° de longitude. C'est vraisemblablement la bande de reac- tions volcaniques la plus longue et la plus régulière, oscillant faiblement entre 38° et 40° de latitude, qui existe sur la terre; elle surpasse de beaucoup en etendue la bande volcanique de la Cordillere des Andes dans l’Amerique meéridionale. J'insiste d'autant plus sur ce singulier alignement d’arätes, de soulevements, de crevasses et de propagations de commotions, qui comprend un tiers de la circonference d'un parallele d V’equateur, que de petits accidents de la surface, l’inegale hauteur et la largeur des rides ou soulèvements lin&aires, comme l’inter- ruption causee par les bassins des mers (concavité Aralo- Caspienne, Méditerranée et Atlantique) tendent à masquer les grands traits de la constitution geologique du globe. (Cet apercu hazarde d'une ligne de commotion régulièrement pro- longee n'exclut aucunement d'autres lignes selon lesquelles les mouvements peuvent se propager également.)“ Da die Stadt Khotan und die Gegend ſüdlich vom Tiansfchan die berühmteſten und älteſten Sitze des Buddhismus geweſen ſind, ſo hat ſich die buddhiſtiſche Litteratur auch ſchon früh und ernſt mit den Ur— ſachen der Erdbeben beſchäftigt. Es werden von den Anhängern des Säfhyamuni 8 dieſer Urſachen angegeben, unter welchen ein gedrehtes ſtählernes, mit Reliquien, (sarira, im Sanskrit Leib bedeutend) behangenes Rad eine Hauptrolle ſpielt; — die mechaniſche Erklärung einer dynamiſchen Erſcheinung, kaum alberner als manche unſerer ſpät veralteten geologiſchen und magnetiſchen Mythen! Geiſtliche, beſonders Bettelmönche (Bhikchous), haben nach einem Zuſatze von Klaproth auch die Macht, die Erde erzittern zu machen und das unterirdiſche Rad in Bewegung zu ſetzen. Die Reiſen des Fa⸗Hian, des Verfaſſers des Foe-koue-ki, ſind aus dem An— fang des 5. Jahrhunderts. — » (S. 162.) Scharfſinnige theoretiſche Betrachtungen von Mallet über Schallwellen durch die Erde und Schall⸗ wellen durch die Luft finden ſich im Meeting of the British Asso c. in 1850, p. 41—46 und im Admiralty Manual 1849, p. 201 und 217. Die Tiere, welche in der Tropengegend nach meiner Erfahrung früher als der Menſch von den leiſeſten Erd— erſchütterungen beunruhigt werden, ſind: Hühner, Schweine, Hunde, Eſel und Krokodile (Caymanes), welche letztere plötzlich den Boden der Flüſſe verlaſſen. 16 (S. 163.) Mit der Geſchwindigkeit des Liſſaboner Erd— bebens, wie ſie im Text angegeben iſt, würde der Aequatorialumfang der Erde in ungefähr 45 Stunden umgangen werden. Michell fand für dasſelbe Erdbeben vom 1. November 1755 nur 50 engliſche miles (80,4 km) in der Minute: d. i. ſtatt 7464 (2424 m) nur 4170 Pariſer Fuß (1354 m) in der Sekunde. Ungenauigkeit der älteren Beobachtungen und Verſchiedenheit der Fortpflanzungswege mögen hier zugleich wirken. — Ueber den Zuſammenhang des Neptun mit dem Erdbeben, auf welchen ich im Texte angeſpielt habe, wirft eine Stelle des Proklus im Kommentar zu Platos Cratylus ein merkwürdiges Licht. „Der mittlere unter den drei Göttern, Poſeidon, iſt für alles, ſelbſt für das Unbewegliche, Urſache der Bewegung. Als Urheber der Bewegung heißt er ’Evvostyaros; und ihm iſt unter denen, welche um das Kroniſche Reich geloſt, das mittlere Los, und zwar das leicht bewegliche Meer, zugefallen.“ Da die Atlantis des Solon und das ihr nach meiner Vermutung verwandte Lyktonien geologiſche Mythen find, jo werden beide durch Erdbeben zertrümmerte Länder als unter der Herrſchaft des Neptun ſtehend betrachtet und den Saturniſchen Kontinenten entgegengeſetzt. Neptun war nach Herodot eine libyſche Gottheit, und in Aegypten unbekannt. Ueber dieſe Verhältniſſe, das Ber: ſchwinden des libyſchen Tritonſees durch Erdbeben und die Meinung von der großen Seltenheit der Erderſchütterungen im Nilthal, vergl. mein Examen crit. de l'histoire de la Géographie PD. IL. P. I und g. 17 (S. 165.) Die Exploſionen des Sangay oder Volcan de Macas erfolgten im Mittel alle 13,4“. Als Beiſpiel von Erſchütte⸗ rungen, welche auf den kleinſten Raum eingeſchränkt ſind, hätte ich auch noch den Bericht des Grafen Larderel über die Lagoni in Toscana anführen können. Die Bor oder Borſäure enthaltenden Dämpfe verkündigen ihr Daſein und ihren nahen Ausbruch auf Spalten dadurch, daß ſie das Geſtein umher erſchüttern. 13 (S. 165.) Ich freue mich, zur Beſtätigung deſſen, was ich im Texte zu entwickeln verſucht habe, eine wichtige Autorität an: führen zu können. „Dans les Andes, l’oscillation du sol, due à une Eruption des Volcans, est pour ainsi dire locale, tandis qu'un tremblement de terre, qui en apparence du moins n'est lie à aucune éruption volcanique, se propage à des distances — 361 — neroyables. Dans ce cas on a rémarqué que les secousses suivaient de preference la direction des chaines de montagnes, et se sont principalement ressenties dans les terrains alpins. La frequence des mouvements dans le sol des Andes, et le peu de coincidence que l'on remarque entre ces mouvements et les eruptions volcaniques, doivent necessairement faire présumer qu'ils sont, dans le plus grand nombre de cas, occasionnes par une cause independante des volcans.“ (Bouſſingault.) 19 (S. 166.) Die Folge der großen Naturbegebenheiten 1796 bis 1797, 1811 und 1812 war dieſe: 27. September 1796. Ausbruch des Vulkanes der Inſel Guada— lupe in den kleinen Antillen, nach vieljähriger Ruhe. November 1796. Der Vulkan auf der Hochebene Paſto zwiſchen den kleinen Flüſſen Guaytara und Juanambu entzündet ſich und fängt an bleibend zu rauchen. 14. Dezember 1796. Erdbeben und Zerſtörung der Stadt Cumana. 4. Februar 1797. Erdbeben und Zerſtörung von Riobamba. An demſelben Morgen verſchwand plötzlich, ohne wieder zu er— ſcheinen, in wenigſtens 48 geogr. Meilen (350 km) Entfernung von Riobamba, die Rauchſäule des Vulkanes von Paſto, um welchen umher keine Erderſchütterung gefühlt wurde. 30. Januar 1811. Erſte Erſcheinung der Inſel Sabrina in der Gruppe der Azoren, bei der Inſel San Miguel. Die Hebung ging, wie bei der der kleinen Kameni (Santorin) und der des Vulkanes von Jorullo, dem Feuerausbruch voraus. Nach einer ſechstägigen Schlackeneruption ſtieg die Inſel bis zu 300 Fuß (97 m) über dem Spiegel des Meeres empor. Es war das dritte Er— ſcheinen und Wiederverſinken der Inſel nach Zwiſchenräumen von 91 und 92 Jahren, nahe an demſelben Punkte. Mai 1811. Ueber 200 Erdſtöße auf der Inſel S. Vincent bis April 1812. Dezember 1811. Zahlloſe Erdſtöße in den Flußthälern des Ohio, Miſſiſſippi und Arkanſas bis 1813. Zwiſchen Neumadrid, Little Prairie und la Saline nördlich von Cincinnati treten mehrere Monate lang die Erdbeben faſt zu jeder Stunde ein. Dezember 1811. Ein einzelner Erdſtoß in Caracas. 26. März 1812. Erdbeben und Zerſtörung der Stadt Caracas. Der Erſchütterungskreis erſtreckte ſich über Santa Marta, die Stadt Honda und das hohe Plateau von Bogota in 135 Meilen (950 km) Entfernung von Caracas. Die Bewegung dauerte fort bis zur Mitte des Jahres 1813. 30. April 1812. Ausbruch des Vulkanes von S. Vincent; und desſelben Tages um 2 Uhr morgens wurde ein furchtbares unter— irdiſches Geräuſch wie Kanonendonner in gleicher Stärke an — 362 — den Küſten von Caracas, in den Llanos von Calabozo und des Rio Apure, ohne von einer Erderſchütterung begleitet zu ſein, zugleich vernommen (ſ. oben S. 162). Das unterirdiſche Getöſe wurde auf auch der Inſel S. Vincent gehört, aber, was ſehr merkwürdig iſt, ſtärker in einiger Entfernung auf dem Meere. 2 (S. 167.) Um zwiſchen den Wendekreiſen die Temperatur der Quellen, wo ſie unmittelbar aus den Erdſchichten hervorbrechen, mit der Temperatur großer, in offenen Kanälen ſtrömender Flüſſe vergkeichen zu können, ſtelle ich hier aus meinen Tagebüchern folgende Mittelzahlen zuſammen: Rio Apure, Br. 7“; Temperatur 27,2; Orinoko zwiſchen 4“ und 8° Breite; 27,5“ bis 29,6%; Quellen im Walde bei dem Katarakt von Maypures, aus Granit ausbrechend; 27,8“; Caſſiquiare, der Arm des oberen Orinoko, welcher die Verbindung mit dem Amazonenſtrom bildet; nur 24,3%; Rio Negro oberhalb San Carlos (kaum 19 53° nördlich vom Aequator); nur 23,8; Rio Atabapo; 26,2“ (Br. 3° 50%; Orinoko nahe bei dem Eintritt des Atabapo; 27,8“; Rio grande de la Magdalena (Br. 512“ bis 9 56‘); Temperatur 26,6“ Amazonenfluß, ſüdl. Br. 5° 31‘, dem Pongo von Ren: tema gegenüber (Provincia de Jaen de Bracamoros), kaum 1200 Fuß (390 m) über der Südſee; nur 22,5 b. Die große Waſſermaſſe des Orinoko nähert ſich alſo der mittleren Lufttemperatur der Umgegend. Bei großen Ueberſchwemmungen der Savannen erwärmen ſich die gelbbraunen, nach Schwefelwaſſer— ſtoff riechenden Waſſer bis 33,8“; ſo habe ich die Temperatur in dem mit Krokodilen angefüllten Lagartero öſtlich von Guayaquil gefunden. Der Boden erhitzt ſich dort, wie in ſeichten Flüſſen, durch die in ihm von den einfallenden Sonnenſtrahlen erzeugte Wärme. Ueber die mannigfaltigen Urſachen der geringeren Tem— peratur des im Lichtrefler kaffeebraunen Waſſers des Rio Negro, wie der weißen Waſſer des Caſſiquiare (ſtets bedeckter Himmel, Regenmenge, Ausdünſtung der dichten Waldungen, Mangel heißer Sandſtrecken an den Ufern) ſ. meine Flußſchiffahrt in der Relat. hist. T. II, p. 463 und 509. Im Rio Guancabamba oder Chamaya, welcher nahe bei dem Pongo de Rentema in den Amazonenfluß fällt, habe ich die Temperatur gar nur 19,8“ ge- funden, da ſeine Waſſer mit ungeheurer Schnelligkeit aus dem hohen See Simicocha von der Kordillere herabkommen. Auf meiner 52 Tage langen Flußfahrt aufwärts den Magdalenenſtrom von Mahates bis Honda habe ich durch mehrfache Beobachtungen deutlichſt erkannt, daß ein Steigen des Waſſerſpiegels ſtundenlang durch eine Erniedrigung der Flußtemperatur ſich vorherverkündigt. Die Erkältung des Stromes tritt früher ein, als die kalten Berg— — 363 — waſſer aus den der Quelle nahen Paramos herabkommen. Wärme und Waſſer bewegen ſich, ſozuſagen, in entgegengeſetzter Rich— tung und mit ſehr ungleicher Geſchwindigkeit. Als bei Badillas die Waſſer plötzlich ſtiegen, ſank lange vorher die Temperatur von 27“ auf 23,5. Da bei Nacht, wenn man auf einer niedrigen Sand— inſel oder am Ufer mit allem Gepäck gelagert iſt, ein ſchnelles Wachſen des Fluſſes Gefahr bringen kann, ſo iſt das Auffinden eines Vorzeichens des nahen Flußſteigens (der avenida) von einiger Wichtigkeit. — Ich glaube in dieſem Abſchnitte von den Thermal— quellen aufs neue daran erinnern zu müſſen, daß in dieſem Werke vom Kosmos, wo nicht das Gegenteil beſtimmt ausgedrückt iſt, die Thermometergrade immer auf die hundertteilige Skale zu be— ziehen ſind. 21 (S. 168.) De Gasparin teilt Europa in Rückſicht auf die Frequenz der Sommer- und Herbſtregen in zwei ſehr kontraſtierende Regionen. Nach Dove fallen in Italien „an Orten, denen nörd— lich eine Gebirgskette liegt, die Maxima der Kurven der monat— lichen Regenmengen auf März und November; und da, wo das Gebirge ſüdlich liegt, auf April und Oktober.“ Die Geſamtheit der Regenverhältniſſe der gemäßigten Zone kann unter folgenden all— gemeinen Geſichtspunkt zuſammengefaßt werden: „Die Winterregen— zeit in den Grenzen der Tropen tritt, je weiter wir uns von dieſen entfernen, immer mehr in zwei, durch ſchwächere Niederſchläge verbundene Maxima auseinander, welche in Deutſchland in einem Sommermaximum wieder zuſammenfallen: wo alſo temporäre Regenloſigkeit vollkommen aufhört.“ 22 (S. 171.) Bergwerk auf der großen Fleuß im Mollthale der Tauern. 28 (S. 175.) Ich weiche hier von der Meinung eines mir ſehr befreundeten und um die telluriſche Wärmeverteilung höchſt ver— dienten Phyſikers, Biſchof, ab. 24 (S. 175.) „Est autem,“ jagt der heil. Patricius, „et supra. firmamentum caeli, et subter terram ignis atque aqua; et quae supra terram est aqua, coacta in unum, appellationem marium: quae vero infra, abyssorum suscepit; ex quibus ad generis humani usus in terram velut siphones quidam emittuntur et scaturiunt. Ex iisdem quoque et thermae exsistunt: quarum quae ab igne absunt longius, provida boni Dei erga nos mente, frigidiores; quae vero propius admodum, ferventes fluunt. In quibusdam etiam locis et tepidae aquae reperiuntur, prout majore ab igne intervallo sunt disjunctae.“ So lauten die Worte in der Sammlung: Acta primorum Martyrum, opera et studio Theodorici Ruinart, ed. 2, Amstelaedami 1713, fol., p. 555. Nach einem Berichte entwickelte der heil. Patri— eius vor dem Julius Conſularis ungefähr dieſelbe Theorie der Erdwärme; aber an dem Ende der Rede iſt die kalte Hölle deutlicher bezeichnet: „Nam quae longius ab igne subterruneo — 364 — absunt, Dei optimi providentia, frigidiores erumpunt. At quae propiores igni sunt, ab eo fervefactae, intolerabili calore prae- ditae promuntur foras. Sunt et alicubi tepidae, quippe non parum sed longiuscule ab eo igne remotae. Atqui ille infernus ignis impiarum est animarum carnifieina; non secus ac sub- terraneus frigidissimus gurges, in glaciei glebas concretus, qui Tartarus nuncupatur.“ — Der arabiſche Name hammam el-enf bedeutet: Naſenbäder und iſt, wie ſchon Temple bemerkt hat, von der Geſtalt eines benachbarten Vorgebirges hergenommen, nicht von einer günſtigen Einwirkung, welche dieſes Thermalwaſſer auf Krank: heiten der Naſe ausübte. Der arabiſche Name iſt von den Bericht— erſtattern mannigfach gewandelt worden: hammam l'Enf oder Lif, Emmamelif (Peyſſonel), la Mamelif (Desfontaines). > (S. 176.) Die heißen Quellen von Karlsbad verdanken ihren Urſprung auch dem Granit; ganz wie die von Joſeph Hooker beſuchten heißen Quellen von Momay in Tibet, die 15 000 Fuß (4870 m) hoch über dem Meere mit 46“ Wärme ausbrechen, nahe bei Changokhang. 26 (S. 178.) Schon Lottin und Robert hatten ergründet, daß die Temperatur des Waſſerſtrahles im Geiſir von unten nach oben abnehme. Unter den 40 kieſelhaltigen Sprudelquellen, welche dem großen Geiſir nahe liegen, führt eine den Namen des kleinen Geiſirs. Ihr Waſſerſtrahl erhebt ſich nur zu 20 bis 30 Fuß (6,5 bis 10m). Das Wort Kochbrunnen iſt dem Worte Geysir nach⸗ gebildet, das mit dem isländiſchen giosa (kochen) zuſammenhängen ſoll. Auch auf dem Hochlande von Tibet findet ſich nach dem Be— richt von Cſoma de Körös bei dem Alpenſee Mapham ein Geiſir, welcher 12 Fuß (4 m) hoch ſpeit. [Das großartigſte Geiſirgebiet der Erde, welches jedoch, weil erſt 1871 bis 1872 entdeckt, Humboldt ebenſo unbekannt geblieben iſt, wie jenes andere auf Neuſeeland, iſt der NYellowſtone Nationalpark im nordamerikaniſchen Territorium Montana. Er umfaßt ein Areal von 88,009 km und ſeine durch- ſchnittliche Erhebung über dem Meeresſpiegel beträgt 2130 m, während die Bergketten die ihn durchziehen und umkränzen, bis zu 3350 und 3960 m emporfteigen. Die wundervollſte Region iſt dort das Thal des oberen Madiſon-River, dem man den wohlver— dienten Namen Firehole, d. h. Feuerloch gegeben hat. Es beherbergt die großartigſten und höchſten Geiſir der Welt, gegen welche jene von Island und Neuſeeland in den Hintergrund treten müſſen. Der höchſte führt den Namen „Gianteß“. Auch der Shoſhone⸗ River mit feinen herrlichen Canons, Waſſerfällen und Stromſchnellen durchfließt eine Geiſirregion, deren bedeutendſter Geiſir der „Union“ iſt. — D. Herausg.] (S. 178.) In 1000 Teilen findet in den 9 von Gaſtein Trommsdorf nur 0,303, Löwig in Pfeffers 0,291, Long⸗ champ in Luxeuil nur 0,236 fixe Beſtandteile, wenn dagegen in 1000 Teilen des gemeinen Brunnenwaſſers in Bern 0,478, im G a — 365 — Karlsbader Sprudel 5,459, in Wiesbaden gar 7,454 gefunden werden. 28 (S. 178.) „Les eaux chaudes qui sourdent du granite de la Cordillere de littoral (de Venezuela), sont presque pures; elles ne renferment qu'une petite quantité de silice en dissolu- tion, et du gaz acide hydrosulfurique mélé d'un peu de gaz zote. Leur composition est identique avec celle qui résulterait de l’action de l'eau sur le sulfure de silicium.“ (Annales de Chimie et de Phys. T. LII, 1833, p. 189.) 25 (S. 179.) Der ausgezeichnete Chemiker Morechini zu Rom hatte den Sauerſtoff, welcher in der Quelle von Nocera (2100 Fuß — 682 m über dem Meere liegend) enthalten iſt, zu 0,40 angegeben; Gay⸗Luſſac fand die Sauerſtoffmenge (26. September 1805) genau nur 0,299. In den Meteorwaſſern (Regen) hatten wir früher 0,31 Sauerſtoff gefunden. — Vergl. über das den Säuerlingen von Neris und Bourbon l' Archambault beigemiſchte Stickſtoffgas die älteren Arbeiten von Anglade und Longchamp (1834), und über Kohlenſäure⸗Exhalationen im allgemeinen Biſchofs vortreffliche Unterſuchungen in jeiner Chem. Geologie Bd. J, S. 243350. 30 (S. 179.) In den chemiſchen Analyſen von Mineralquellen, die Schwefelnatrium enthalten, werden oft kohlenſaures Natron und Schwefelwaſſerſtoff aufgeführt, indem in denſelben Waſſern über⸗ ſchüſſige Kohlenſäure vorhanden iſt. 1 (S. 180.) Die Beiſpiele veränderter Temperatur in den Thermen von Mariara und las Trincheras leiten auf die Frage: ob das Styx ⸗Waſſer, deſſen jo ſchwer zugängliche Quelle in dem wilden aroaniſchen Alpengebirge Arkadiens bei Nonakris, im Stadt⸗ gebiete von Pheneos, liegt, durch Veränderung in den unterirdiſchen Zuleitungsſpalten ſeine ſchädliche Eigenſchaft eingebüßt hat? oder ob die Waſſer der Styx nur bisweilen dem Wanderer durch ihre eiſige Kälte ſchädlich geweſen ſind? Vielleicht verdanken ſie ihren noch auf die jetzigen Bewohner Arkadiens übergegangenen, böſen Ruf nur der ſchauerlichen Wildheit und Oede der Gegend, wie der Mythe des Urſprunges aus dem Tartarus. Einem jungen kenntnisvollen Philologen, Theodor Schwab, iſt vor wenigen Jahren gelungen, mit vieler Anſtrengung bis an die Felswand vorzudringen, wo die Quelle herabträufelt, ganz wie Homer, Heſiodus und Herodot ſie bezeichnen. Er hat von dem, überaus kalten und dem Geſchmack nach ſehr reinen, Gebirgswaſſer getrunken, ohne irgend eine nachteilige Wirkung zu verſpüren. Im Altertum wurde be⸗ hauptet, die Kälte der Styxwaſſer zerſprenge alle Gefäße, nur den Huf des Eſels nicht. Die Styrſagen ſind gewiß uralt, aber die Nachricht von der giftigen Eigenſchaft der Styrquelle ſcheint ſich erſt zu den Zeiten des Ariſtoteles recht verbreitet zu haben. Nach einem Zeugnis des Antigonus aus Caryſtus ſoll ſie beſonders umſtänd⸗ lich in einem für uns verloren gegangenen Buche des Theophraſtus enthalten geweſen ſein. Die verleumderiſche Fabel von der Ver⸗ — 366 — giftung Alexanders durch das Styrwaffer, welches Ariſtoteles dem Kaſſander durch Antipater habe zukommen laſſen, iſt von Plutarch und Arrian widerlegt, von Vitruvius, Juſtin und Quintus Curtius, doch ohne den Stagiriten zu nennen, verbreitet worden. Plinius jagt etwas zweideutig: magna Aristotelis infamia excogitatum. Eine Abbildung des Styrfalles, aus der Ferne gezeichnet, enthält Fiedlers Reiſe durch Griechenland T. J, S. 400. (S. 181.) „Des gites meétallifères tres importans, les plus IE peut’ etre, paraissent s'etre formés par voie de dissolution, et les filons coneretionnes n'étre autre chose que d’immenses canaux plus ou moins obstrués, parcourus autrefois par des eaux thermales incrustantes. La formation d'un grand nombre de mineraux qu'on rencontre dans ces gites, ne suppose pas toujours des conditions ou des agens très éloignés des causes dctuelles. Les deux élémens principaux des sources thermales les plus répandues, les sulfures et les carbonates alcalins, m'ont suffi pour reproduire artificiellement, par des moyens de synthöse très simples, 29 espèces minérales distinctes, presque toutes cristallisees, appartenant aux métaux natifs (argent, cuivre et arsenic natifs); au quartz, au fer oligiste, au fer, nickel, zinc et manganese carbonatés; au sulfate de baryte, ä la pyrite, malachite, pyrite cuivreuse: au cuivre sulfuré, à l’argent rouge, arsenical et antimonial.... On se rapproche le plus possible des procédés de la nature, si 'on arrive A reproduire les mineraux dans leurs conditions d’asso- ciation possible, au moyen des agens chimiques naturels les plus repandus, et en imitant les phenomenes que nous voyons encore se réaliser dans les foyers oü la creation minérale a concentré les restes de cette activité qu'elle deployait autre- fois avec une toute autre énergie.“ H. de Senarmont, Sur la formation des minéEraux par la voie humide, in den Annales de Chimie et de Physique; geme Série T. XXXII, 1851, p. 234. (S. 181.) „Um die Abweichungsgröße der mittleren Quellen⸗ temperatur von dem Luftmittel zu ergründen, hat Hr. Dr. Edward Hallmann an ſeinem früheren Wohnorte Marienberg bei Boppard am Rhein die Luftwärme, die Regenmengen und die Wärme von 7 Quellen 5 Jahre lang, vom 1. Dezember 1845 bis 30. November 1850, beobachtet, und auf dieſe Beobachtungen eine neue Bearbei- tung der Temperaturverhältniſſe der Quellen gegründet. In dieſer Unterſuchung ſind die Quellen von völlig beſtändiger Temperatur (die rein geologiſchen) ausgeſchloſſen. Gegenſtand der Unterſuchung ſind dagegen alle die Quellen geweſen, die eine Veränderung ihrer Temperatur in der Jahresperiode erleiden.“ „Die veränderlichen Quellen zerfallen in zwei natürliche Gruppen: 1) Rein meteorologiſche Quellen; d. h. ſolche, deren Mittel erweislich nicht durch die Erdwärme erhöht iſt. Bei dieſen Quellen — 367 — iſt die Abweichungsgröße des Mittels vom Luftmittel abhängig von der Verteilung der Jahresregenmenge auf die 12 Monate. Dieſe Quellen ſind im Mittel kälter als die Luft, wenn der Regenanteil der vier kalten Monate Dezember bis März mehr als 33% Prozent beträgt; ſie ſind im Mittel wärmer als die Luft, wenn der Regen— anteil der vier warmen Monate Juli bis Oktober mehr als 33 / Pro— zent beträgt. Die negative oder poſitive Abweichung des Quell: mittels vom Luftmittel iſt deſto größer, je größer der Regenüberſchuß des genannten kalten oder warmen Jahresdrittels iſt. Diejenigen Quellen, bei welchen die Abweichung des Mittels vom Luftmittel die geſetzliche, d. h. die größte, kraft der Regenverteilung des Jahres mögliche, iſt, werden rein meteorologiſche Quellen von unent- ſtelltem Mittel genannt; diejenigen aber, bei welchen die Ab— weichungsgröße des Mittels vom Luftmittel durch ſtörende Ein— wirkung der Luftwärme in den regenfreien Zeiten verkleinert iſt, heißen rein meteorologiſche Quellen von angenähertem Mittel. Die Annäherung des Mittels an das Luftmittel entſteht entweder infolge der Faſſung, beſonders einer Leitung, an deren unterem Ende die Wärme der Quelle beobachtet wurde; oder ſie iſt die Folge eines oberflächlichen Verlaufes und der Magerkeit der Quell— adern. In jedem der einzelnen Jahre iſt die Abweichungsgröße des Mittels vom Luftmittel bei allen rein meteorologiſchen Quellen gleichnamig; ſie iſt aber bei den angenäherten Quellen kleiner als bei den unentſtellten, und zwar deſto kleiner, je größer die ſtörende Einwirkung der Luftwärme iſt. Von den Marienberger Quellen gehören vier der Gruppe der rein meteorologiſchen an; von dieſen vier iſt eine in ihrem Mittel unentſtellt, die drei übrigen find in ver- ſchiedenen Graden angenähert. Im erſten Beobachtungsjahre herrſchte der Regenanteil des kalten Drittels vor, und alle vier Quellen waren in ihrem Mittel kälter als die Luft. In den folgenden vier Beobachtungsjahren herrſchte der Regenanteil des warmen Drittels vor, und in jedem derſelben waren alle vier Quellen in ihrem Mittel wärmer als die Luft; und zwar war die poſitive Abweichung des Quellmittels vom Luftmittel deſto größer, je größer in einem der vier Jahre der Regenüberſchuß des warmen Drittels war.“ „Die von Leopold von Buch im Jahre 1825 aufgeſtellte An— ſicht, daß die Abweichungsgröße des Quellmittels vom Luftmittel von der Regenverteilung in der Jahresperiode abhängen müſſe, iſt durch Hallmann wenigſtens für ſeinen Beobachtungsort Marienberg, im rheiniſchen Grauwackengebirge, als vollſtändig richtig erwieſen worden. Nur die rein meteorologiſchen Quellen von unentſtelltem Mittel haben Wert für die wiſſenſchaftliche Klimatologie; dieſe Quellen werden überall aufzuſuchen, und einerſeits von den rein meteoro— logiſchen mit angenähertem Mittel, andererſeits von den meteorologiſch— geologiſchen Quellen zu unterſcheiden ſein. 2) Meteorologiſch⸗geologiſche Quellen, d. h. ſolche, deren Mittel erweislich durch die Erdwärme erhöht iſt. Dieſe Quellen find jahraus jahrein, die Regenverteilung mag fein, wie fie wolle, in ihrem Mittel wärmer als die Luft (die Wärmeverände⸗ rungen, welche ſie im Laufe des Jahres zeigen, werden ihnen durch den Boden, durch den fie fließen, mitgeteilt). Die Größe, um welche das Mittel einer meteorologiſch-geologiſchen Quelle das Luftmittel übertrifft, hängt von der Tiefe ab, bis zu welcher die Meteorwaſſer in das beſtändig temperierte Erdinnere hinabgeſunken ſind, ehe ſie als Quelle wieder zum Vorſchein kommen; dieſe Größe hat folglich gar kein klimatologiſches Intereſſe. Der Klimatologe muß aber dieſe Quellen kennen, damit er ſie nicht fälſchlich für rein meoteoro⸗ logiſche nehme. Auch die meteorologiſch-geologiſchen Quellen können durch eine Faſſung oder Leitung dem Luftmittel angenähert ſein. — Die Quellen wurden an beſtimmten, feſten Tagen beobachtet, monat⸗ lich 4 bis 5mal. Die Meereshöhe, ſowohl des Beobachtungsortes der Luftwärme als die der einzelnen Quellen, iſt ſorgfältig berück⸗ ſichtigt worden.“ Dr. Hallmann hat nach Beendigung der Bearbeitung ſeiner Marienberger Beobachtungen den Winter von 1852 bis 1853 in Italien zugebracht, und in den Apenninen neben gewöhnlichen Quellen auch abnorm kalte gefunden. So nennt er „diejenigen Quellen, welche erweislich Kälte aus der Höhe herabbringen. Dieſe Quellen ſind für unterirdiſche Abflüſſe hoch gelegener offener Seen oder unterirdiſcher Waſſeranſammlungen zu halten, aus denen das Waſſer in Maſſe ſehr raſch in Spalten und Klüften herabſtürzt, um am Fuße des Berges oder Gebirgszuges als Quelle hervorzubrechen. Der Begriff der abnorm kalten Quellen iſt alſo dieſer: ſie ſind für die Höhe, in welcher ſie hervorkommen, zu kalt, oder, was das Sach⸗ verhältnis beſſer bezeichnet, ſie kommen für ihre niedrige Temperatur an einer zu tiefen Stelle des Gebirges hervor.“ Dieſe Anſichten, welche in dem 1. Bande von Hallmanns „Temperaturverhältniſſen der Quellen“ entwickelt ſind, hat der Verfaſſer im 2. Bande, S. 181 bis 183 modifiziert, weil in jeder meteorologiſchen Quelle, möge ſie auch noch ſo oberflächlich ſein, ein Anteil der Erdwärme ent⸗ halten iſt. 4 (S. 182.) Humboldt, Asie centr. T. II, p. 58. Ueber die Gründe, welche es mehr als wahrſcheinlich machen, daß der Kaukaſus, der zu ½ ſeiner Länge zwiſchen dem Kasbek und Elbrus OSO — WNW im mittleren Parallel von 42507 ſtreicht, die Fortſetzung der vulkaniſchen Spalte des Asferah (Aktagh) und Tian⸗ſchan ſei, ſ. a. a. O. p. 54— 61. Beide, Asferah und Tian⸗ ſchan, oszillieren zwiſchen den Parallelen von 40 /“ und 43%. Die große aralo-kaſpiſche Senkung, deren Flächeninhalt durch Struve nach genauen Meſſungen das Areal von ganz Frankreich um faſt 1680 geographiſche Quadratmeilen überſteigt, halte ich für älter als die Hebungen des Altai und Tian⸗ſchan. Die Hebungsſpalte der letztgenannten Gebirgskette hat ſich durch die große Niederung nicht fortgepflanzt. Erſt weſtlich von dem Kaſpiſchen 11 N — 369 — Meere findet man ſie wieder, mit einiger Abänderung in der Richtung, als Kaukaſuskette, aber mit allen trachytiſchen und vulkaniſchen Erſcheinungen. Dieſer geognoſtiſche Zuſammenhang iſt auch von Abich anerkannt und durch wichtige Beobachtungen be— ſtätigt worden. In einem Aufſatze über den Zuſammenhang des Tian⸗ſchan mit dem Kaukaſus, welchen ich von dieſem großen Geognoſten beſitze, heißt es ausdrücklich: „Die Häufigkeit und das entſcheidende Vorherrſchen eines über das ganze Gebiet (zwiſchen dem Pontus und Kaſpiſchen Meere) verbreiteten Syſtemes von parallelen Dislokations⸗ und Erhebungslinien (nahe von Oſt in Weſt) führt die mittlere Achſenrichtung der großen latitudinalen centralaſiatiſchen Maſſenerhebungen auf das beſtimmteſte weſtlich vom Kosyurt- und Bolorſyſteme zum kau— kaſiſchen Iſthmus hinüber. Die mittlere Streichungsrichtung des Kaukaſus SO —NW iſt in dem centralen Teile des Gebirges OSO — WNW, ja bisweilen völlig O— W wie der Tian-ſchan. Die Erhebungslinien, welche den Ararat mit den trachytiſchen Ge— birgen Dzerlydagh und Kargabaſſar bei Erzerum verbinden, und in deren ſüdlicher Parallele der Argäus, Sepandagh und Sabalan ſich aneinander reihen, ſind die entſchiedenſten Ausdrücke einer mittleren vulkaniſchen Achſenrichtung, d. h. des durch den Kau— kaſus weſtlich verlängerten Tian⸗ſchan. Viele andere Gebirgsrichtungen von Centralaſien kehren aber auch auf dieſem merkwürdigen Raume wieder, und ſtehen, wie überall, in Wechſel— wirkung zu einander, ſo daß ſie mächtige Bergknoten und Maxima der Berganſchwellung bilden.“ [Dieſe Anſicht, welche im Kaukaſus eine Fortſetzung des Tian⸗ſchan erblickt, darf man heute wohl als ziemlich zweifelhaft bezeichnen, zumal der Vulkanismus des Tian— ſchan den neueſten Forſchungen zufolge ſich gleichfalls als kaum vorhanden herausgeſtellt hat. D. Herausg.] — Plinius ſagt: Persae appellavere Caucasum montem Graucasim (var. Grau- casum, Groucasim, Grocasum), hoc est nive candidum; worin Bohlen die Sanskritwörter käs glänzen und gravan Fels zu er: kennen glaubte. Wenn etwa der Name Graucaſus in Kaukaſus verſtümmelt wurde, ſo konnte allerdings, wie Klauſen in ſeinen Unterſuchungen über die Wanderungen der Jo ſagt, ein Name, „in welchem jede ſeiner erſten Silben den Griechen den Gedanken des Brennens erregte, einen Brandberg bezeichnen, an den ſich die Geſchichte des Feuerbrenners (Feuerzünders, ruprusbg) leicht poetiſch wie von ſelbſt anknüpfte“. Es iſt nicht zu leugnen, daß Mythen bisweilen durch Namen veranlaßt werden; aber die Entſtehung eines jo großen und wichtigen Mythos, wie der typhoniſch— kaukaſiſche, kann doch wohl nicht aus der zufälligen Klangähnlichkeit in einem mißverſtandenen Gebirgsnamen herzuleiten ſein. Es gibt beſſere Argumente, deren auch Klauſen eines erwähnt. Aus der ſachlichen Zuſammenſtellung von Typhon und Kaukaſus, und durch das ausdrückliche Zeugnis des Pherekydes von Syros (zur A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 24 — 370 — Zeit der 58. Olympiade) erhellt, daß das öſtliche Weltende für ein vulkaniſches Gebirge galt. Nach einer der Scholien zum Apollonius ſagt Pherekydes in der Theogonie: „daß Typhon, verfolgt, zum Kaukaſus floh und daß von dort der Berg brannte (oder in Brand geriet); daß Typhon da nach Italien flüchtete, wo die Inſel Pithecuſa um ihn herumgeworfen (gleichſam herum⸗ gegoſſen) wurde“. Die Inſel Pithecuſa iſt aber die Inſel Aenaria (jetzt Ischia), auf welcher der Epomeus (Epopon) nach Julius Obſe— quens 95 Jahre vor unſerer Zeitrechnung, dann unter Titus, unter Diokletian und zuletzt, nach der genauen Nachricht des Tolomeo Fiadoni von Lucca, zu derſelben Zeit Priors von Santa Maria Novella, im Jahre 1302 Feuer und Laven auswarf. „Es iſt jelt: ſam,“ ſchreibt mir der tiefe Kenner des Altertums, Böckh, „daß Pherekydes den Typhon vom Kaukaſus fliehen läßt, weil er brannte, da er ſelbſt der Urheber der Erdbrände iſt; daß aber ſein Aufent- halt im Kaukaſus auf der Vorſtellung vulkaniſcher Eruptionen da— ſelbſt beruht, ſcheint auch mir unleugbar.“ Apollonius der Rhodier, wo er von der Geburt des kolchiſchen Drachen ſpricht, verſetzt eben— falls in den Kaukaſus den Fels des Typhon, an welchem dieſer von dem Blitze des Kroniden Zeus getroffen wurde. — Mögen immer die Lavaſtröme und Kraterjeen des Hochlandes Kely, die Eruptionen des Ararat und Elbrus, oder die Obſidian- und Bims— ſteinſtröme aus den alten Kratern des Riotandagh in eine vor— hiſtoriſche Zeit fallen, ſo können doch die vielen hundert Flammen, welche noch heute im Kaukaſus auf Bergen von 7000 bis 8000 Fuß (2270 bis 2600 m) Höhe wie auf weiten Ebenen in Erdſpalten aus: brechen, Grund genug geweſen ſein, um das ganze kaukaſiſche Ge— birgsland für einen typhoniſchen Sitz des Feuers zu halten. (S. 183.) Ich habe ſchon darauf aufmerkſam gemacht, daß Edriſi der Feuer von Baku nicht erwähnt, da ſie doch ſchon 200 Jahre früher, im 10. Jahrhundert, Maſudi Khotbeddin weitläufig als ein Nefalaland beſchreibt, d. h. reich an brennenden Naphthabrunnen. 6 (S. 184.) Targioni Tozzetti behauptet nach älteren, aber glaubwürdigen Traditionen, daß einige dieſer den Ausbruchsort immerdar verändernden Borſäurequellen einſt bei Nacht ſeien leuch— tend (entzündet) geſehen worden. Um das geognoſtiſche Intereſſe für die Betrachtungen von Murchiſon und Pareto über die vulka— niſchen Beziehungen der Serpentinformation in Italien zu er: höhen, erinnere ich hier daran, daß die ſeit mehreren tauſend Jahren brennende Flamme der kleinaſiatiſchen Chimära (bei der Stadt Deliktaſch, dem alten Phaſelis, in Lykien, an der Weſtküſte des Golfs von Adalia) ebenfalls aus einem Hügel am Abhange des Solimandagh aufſteigt, in welchem man anſtehenden Serpentin und Blöcke von Kalkſtein gefunden hat. Etwas ſüdlicher, auf der kleinen Inſel Grambuſa, ſieht man den Kalkſtein auf dunkelfarbigen Serpentin aufgelagert. S. die inhaltreiche Schrift des Admiral Beaufort, Survey of the coasts of Karamania 1818, Er 4 n P. 40 und 48, deren Angaben durch die ſoeben (Mai 1854) von einem ſehr begabten Künſtler, Albrecht Berg, heimgebrachten Ge— birgsarten vollkommen beſtätigt werden. (S. 186.) „C'est avec emotion que je viens de visiter un lieu que vous avez fait connaitre il „a cinquante ans. L’aspect des petits Volcans de Turbaco est tel que vous l’avez décrit: c'est le meme luxe de la vegetation, le meme nombre et la möme forme des cönes d’argile, la meme ejection de matiere liquide et boueuse; rien n'est change, si ce n’est la nature du gaz qui se degage. J’avais avec moi, d’apres les conseils de notre ami commun, Mr. Boussingault, tout ce qu'il fallait pour l’analyse chimique des emanations gazeuses, meme pour faire un mélange frigorifique dans le but de con. denser la vapeur d'eau, puisqu’on m'avait exprimé le doute, qu’avec cette vapeur on avait pu confondre l’azote, Mais cet appareil n'a été aucunement necessaire. Des mon arivee aux Folcancitos Lodeur prononcée de bitume m'a mis sur la voie, et j'ai commence par allumer le gaz sur Torifice m&me de chaque petit cratere. On apercoit m&me aujourd'hui à la surface du liquide qui s’eleve par intermittence, une mince pellicule de petrole. Le gaz recueilli rale tout entier, sans residu d’azote(?) et sans deposer du soufre (au contact de Tatmosphère). Ainsi la nature du phenomene a completement change depuis votre voyage, q moins d’admettre une erreur d’ob- servation, justifiée par l'état moins avancé de la chimie ex perimentale à cette &poque. Je ne doute plus maintenant que la grande éruption de Galera Zamba, qui a éclairé le pays dans un rayon de cent kilometres, ne soit un phenomene de Salses, developpe sur une grande échelle, puisqu'il y existe des centaines de petits cones, vomissant de l’argile salée, sur une surface de plus de 400 lieues carrées. — Je me propose d’examiner les produits gazeux des cönes de Tubarä, qui sont les Salses les plus éloignées de vos Volcaneitos de Turbaco. D’apres les manifestations si puissantes qui ont fait disparaitre une partie de la peninsule de Galera Zamba, devenue une ile, et apres l’apparition d'une nouvelle ile, soulevée du fond de la mer voisine en 1848 et disparue de nouveau, je suis port & croire que c’est près de Galera Zamba, ä l'ouest du Delta du Rio Magdalena, que ce trouve le principal foyer du pheno- mene des Salses de la Province de Carthagene.“ (Aus einem Briefe des Oberſten Acoſta an A. v. H., Turbaco d. 21. Dezem⸗ ber 1850.) — (S. 186) Ich habe auf meiner ganzen amerikaniſchen Ex— pedition ſtreng den Rat Vauquelins befolgt, unter dem ich einige Zeit vor meinen Reiſen gearbeitet, das Detail jedes Verſuches an demſelben Tage niederzuſchreiben und aufzubewahren. Aus meinen Tagebüchern vom 17. und 18. April 1801 ſchreibe ich hier folgendes — 372 — ab: „Da demnach das Gas nach Verſuchen mit Phosphor und nitröſem Gas kaum 0,01 Sauerſtoff, mit Kalkwaſſer nicht 0,02 Kohlen⸗ ſäure zeigte, ſo frage ich mich, was die übrigen 97 Hundertteile ſind. Ich vermutete zuerſt, Kohlen- und Schwefelwaſſerſtoff, aber im Kontakt mit der Atmoſphäre ſetzt ſich an die kleinen Krater⸗ ränder kein Schwefel ab, auch war kein Geruch von geſchwefeltem Waſſerſtoffgas zu ſpüren. Der problematiſche Teil könnte ſcheinen reiner Stickſtoff zu ſein, da, wie oben erwähnt, eine brennende Kerze nichts entzündete; aber ich weiß aus der Zeit meiner Analyſen der Grubenwetter, daß ein von aller Kohlenſäure freies, leichtes Waſſerſtoffgas, welches bloß an der Firſte eines Stollens ſtand, ſich auch nicht entzündete, ſondern das Grubenlicht verlöſchte, während letzteres an tiefen Punkten hell brannte, wo die Luft be⸗ trächtlich mit Stickgas gemengt war. Der Rückſtand von dem Gas der Volcancitos iſt alſo wohl Stickgas mit einem Anteil von Waſſerſtoffgas zu nennen, einem Anteil, den wir bis jetzt nicht quantitativ anzugeben wiſſen. Sollte unter den Volcancitos der: ſelbe Kohlenſchiefer liegen, den ich weſtlicher am Rio Sinu geſehen, oder Mergel und Alaunerde? Sollte atmoſphäriſche Luft in durch Waſſer gebildete Höhlungen auf engen Klüften eindringen und ſich im Kontakt mit ſchwarzgrauem Letten zerſetzen, wie in den Sink⸗ werken im Salzthon von Hallein und Berchtholdsgaden, wo die Weitungen ſich mit lichtverlöſchenden Gaſen füllen? oder verhindern die geſpannt, elaſtiſch ausſtrömenden Gasarten das Eindringen der atmoſphäriſchen Luft?“ Dieſe Fragen ſchrieb ich nieder in Turbaco vor 53 Jahren. Nach den neueſten Beobachtungen von Herrn Vauvert de Méan (1854) hat ſich die Entzündlichkeit der aus⸗ ſtrömenden Luftart vollkommen erhalten. Der Reiſende hat Proben des Waſſers mitgebracht, welches die kleine Krateröffnung der Vol- cancitos erfüllt. In demſelben hat Bouſſingault Kochſalz 6,59 g auf ein Liter, kohlenſaures Natron 0,31, ſchwefelſaures Natron 0,20; auch Spuren von borſaurem Natron und Jod gefunden. In dem niedergefallenen Schlamme erkannte Ehrenberg in genauer mikro— ſkopiſcher Unterſuchung keine Kalkteile, nichts Verſchlacktes; aber Quarzkörner, mit Glimmerblättchen gemengt, und viele kleine Kriſtall⸗ prismen ſchwarzen Augits, wie er oft in vulkaniſchem Tuff vor⸗ kommt, keine Spur von Spongiolithen oder polygaſtriſchen Infu— ſorien, nichts, was die Nähe des Meeres andeutete; dagegen aber viele Reſte von Dikotyledonen, von Gräſern und Sporangien der Lichenen, an die Beſtandteile der Moya von Pelileo erinnernd. Während Ch. Sainte-Claire Deville und Georg Bornemann in ihren ſchönen Analyſen der Macalube di Terrapilata in dem aus: geſtoßenen Gas 0,99 gekohltes Waſſerſtoffgas fanden, gab ihnen das Gas, welches in der Agua Santa di Limosina bei Catanea aufſteigt, wie einſt Turbaco, 0,98 Stickgas, ohne Spur von Sauerſtoff. 50 (S. 187.) Humboldt, Vues des Cordilleres et Monuments des peuples indigenes de l’Amerique ec cr n — 373 — Pl. XLI, p. 239. Die ſchöne Zeichnung der Volcancitos de Turbaco, nach welcher die Kupfertafel geſtochen wurde, iſt von der Hand meines damaligen jungen Re iſegefährten, Louis de Rieur. — 40 (S. 189.) Humboldt, Asie centrale T. II, p. 519 bis 540, meiſt nach Auszügen aus chineſiſchen Werken von Klaproth und Stanislas Julien. Das alte chineſiſche Seilbohren, welches in den Jahren 1830 bis 1842 mehrfach und bisweilen mit Vorteil in Steinkohlengruben in Belgien und Deutſchland angewandt worden iſt, war (wie Jobard aufgefunden) ſchon im 17. Jahrhundert in der Relation de l’Ambassadeur hollandais van Hoorn beſchrieben worden; aber die genaueſte Nachricht von dieſer Bohrmethode der Feuerbrunnen (Ho-tsing) hat der franzöſiſche Miſſionär Imbert gegeben, der jo viele Jahre in Kia⸗ting⸗fu reſidiert hat. 1 (S. 189.) Außer den Schlammvulkanen bei Damak und Surabaya gibt es auf anderen Inſeln des Indiſchen Archipels noch die Schlammvulkane von Pulu⸗Semao, Pulu-Kambing und Pulu-⸗Roti. 42 (S. 189.) Nach den Berichten des deutſchen Naturforſchers Dr. Otto Kuntze, welcher das Pakamaran im Auguſt 1875 beſuchte, iſt das Totenthal weiter nichts als eine Fabel. Er ſah dort keine Spur von Gerippen, noch bemerkte er eine Anſammlung von Kohlenſäure; der glimmende Zunder, den er vor ſich hielt, löſchte nicht aus. Selbſt von toten Inſekten und Kadavern kleiner Tiere war keine Spur zu ſehen. [D. Herausg.] #3 (S. 190.) Die ſchwächeren Hundsgrotten auf Java ſind Gua⸗Upas und Gua⸗Galan (das erſtere Wort iſt das Sanskritwort guhä Höhle). Da es wohl keinem Zweifel unterworfen fein kann, daß die Grotta del Cane in der Nähe des Lago di Agnano dieſelbe tft, welche Plinius vor faſt 18 Jahrhunderten „in agro Puteolano“ als „Charonea scrobis mortiferum spiritum exbalans“ beſchrieben hat, ſo muß man allerdings mit Scacchi verwundert ſein, daß in einem von dem Erdbeben ſo oft bewegten, lockeren Boden ein ſo kleinliches Phänomen (die Zuleitung einer geringen Menge von kohlenſaurem Gas) hat unverändert und ungeſtört bleiben können. (S. 191.) „L'existence d'une source de naphte, sortant au fond de la mer d'un micaschiste grenatifere, et repandant, selon l’expression d'un historien de la Conquista, Oviedo, une „liqueur resineuse, aromatique et medicinale*, est un fait ex- tremement remarquable. Toutes celles que l'on connait jusqu’ici, appartiennent aux montagnes secondaires; et ce mode de gisement semblait favoriser l’idee que tous les bitumes mineraux etaient dus à la destruction des matières vegetales et animales ou & l’embrasement des houilles. Le phénomène du Golfe de Cariaco acquiert une nouvelle importance, si on se rappelle que le meme terrain dit primitif renferme des feux souterrains, qu'au bord des cratères enflammès l’odeur de petrole se fait sentir de temps en temps (p. e. dans l’&ruption du Vésuve 1805, — 374 — lorsque le Volcan lancait des scories), et que la plupart des sources tres chaudes de l’Amerique du Sud sortent du granite (las Trincheras pres de Portocabello), du gneis et du schiste micace. — Plus ä l’est du meridien de Cumana, en descendant de la Sierra de Meapire, on rencontre d’abord le terrain creux (tierra hueca) qui, pendant les grands tremblements de terre de 1766 ajete de l'asphalte enveloppé dans du petrole visqueux; et puis au-delä de ce terrain une infinité de sources chaudes hydrosulfureuses.“ (Humboldt, Relat. hist. du Voyage aux Regions équin. T. I, p. 136, 344, 347 und 447.) (S. 194.) Das Beiwort Srarvpos beweiſt, daß hier nicht von Schlammvulkanen die Rede iſt. Wo auf dieſe Plato in ſeinen geognoſtiſchen Phantaſieen anſpielt, Mythiſches mit Beobachtetem ver— miſchend, ſagt er beſtimmt (im Gegenſatz der Erſcheinung, welche Strabo beſchreibt) brpod nnkod rotauot. Ueber die Benennungen mnkös und Pong als vulkaniſche Ergießungen habe ich ſchon bei einer früheren Gelegenheit gehandelt; und erinnere ne noch an eine andere Stelle des Strabo, in der ſich erhärtende Lava, ns bes genannt, auf das deutlichſte charakteriſiert iſt. In der Be⸗ ſchreibung des Aetna heißt es: „Der in Verhärtung übergehende Glühſtrom (55½¼8) verjteinert die Erdoberfläche auf eine beträcht— liche Tiefe, ſo daß, wer ſie aufdecken will, eine Steinbrucharbeit unternehmen muß. Denn da in den Kratern das Geſtein ge— ſchmolzen und ſodann emporgehoben wird, ſo iſt die dem Gipfel entſtrömende Flüſſigkeit eine ſchwarze, den Berg herabfließende Kot— maſſe (rrös), welche, nachher verhärtend, zum Mühlſtein wird, und dieſelbe Farbe behält, die ſie früher hatte.“ 6 (S. 194.) Wie ſchon im erſten Bande des Kosmos bemerkt, iſt gegenwärtig A. v. Humboldts Anſicht von Bau und Bildung der Vulkane völlig verlaſſen; die im Texte folgenden Ausführungen beſitzen daher, ſoweit fie ſich auf die Theorie des Vulkanismus be⸗ ziehen, bloß noch hiſtoriſchen Wert für die Entwickelungsgeſchichte der geologiſchen Wiſſenſchaft. [D. Herausg.] (S. 195.) Leop. von Buch, Ueber baſaltiſche Inſeln und Erhebungskrater in den Abhandl. der königl. Akademie der Wiſſ. zu Berlin auf das Jahr 1818 und 1819, ©. 51; des: ſelben Phyſikaliſche Beſchreibung der Kanariſchen Inſeln 1825, S. 213, 262, 284, 313, 323 und 341. Dieſe, für die gründliche Kenntnis vulkaniſcher Erſcheinungen Epoche machende Schrift iſt die Frucht der Reiſe nach Madeira und Tenerifa von Anfang April bis Ende Oktober 1815; aber Naumann erinnert mit vielem Rechte in ſeinem Lehrbuch der Geognoſie, daß ſchon in den von Leopold von Buch 1802 aus der Auvergne geſchriebenen Briefen bei Gelegenheit der Beſchreibung des Mont d'Or die Theorie der Erhebungskrater und ihr weſentlicher Unterſchied von den eigentlichen Vulkanen ausgeſprochen wurde Ein lehrreiches Gegenſtück zu den 3 Erhebungskratern der Kanariſchen Inſeln — 375 — (auf Gran Canaria, Tenerifa und Palma) liefern die Azoren. Die vortrefflichen Karten des Kapitän Vidal, deren Bekanntmachung wir der engliſchen Admiralität verdanken, erläutern die wunderſame geognoſtiſche Konſtruktion dieſer Inſeln. Auf S. Miguel liegt die ungeheuer große, im Jahre 1444 faſt unter Cabrals Augen gebildete Caldeira das sete Cidades, ein Erhebungskrater, welcher 2 Seen, die Lagoa grande und die Lagoa azul, in 812 Fuß (264 m) Höhe einſchließt. An Umfang iſt faſt gleich groß die Caldeira de Corvo, deren trockener Teil des Bodens 1200 Fuß (390 m) Höhe hat. Faſt dreimal höher liegen die Erhebungskrater von Fayal und Terceira. Zu derſelben Art der Ausbrucherſcheinungen gehören die zahlloſen, aber vergänglichen Gerüſte, welche 1691 in dem Meere um die Inſel S. Jorge und 1757 um die Inſel S. Miguel nur auf Tage ſichtbar wurden. Das periodiſche Anſchwellen des Meeresgrundes kaum eine geographiſche Meile weſtlich von der Caldeira das sete Cidades, eine größere und etwas länger dauernde Inſel (Sabrina) erzeugend, iſt bereits früher erwähnt. Ueber den Erhebungskrater der Aſtruni in den Phlegräiſchen Feldern und die in ſeinem Centrum emporgetriebene Trachytmaſſe als ungeöffneten glockenförmigen Hügel ſ. Leopold von Buch in Poggendorffs Annalen Bd. XXXVII, S. 171 und 182. Ein ſchöner Erhebungs⸗ krater iſt Rocca Monfina, gemeſſen und abgebildet in Abich, Geol. Beob. über die vulkan. Erſcheinungen in Unter: und Mittelitalien 1841, Bd. I, S. 113, Tafel II. #8 (S. 197.) Es iſt viel geſtritten worden, an welche beſtimmte Lokalität der Ebene von Trözen oder der Halbinſel Methana ſich die Beſchreibung des römiſchen Dichters anknüpfen laſſe. Mein Freund, der große, durch viele Reiſen begünſtigte, griechiſche Alter: tumsforſcher und Chorograph, Ludwig Roß, glaubt, daß die nächſte Umgegend von Trözen keine Oertlichkeit darbietet, die man auf den blaſenförmigen Hügel deuten könne, und daß, in poetiſcher Frei— heit, Ovid das mit Naturwahrheit geſchilderte Phänomen auf die Ebene verlegt habe. „Südwärts von der Halbinſel Methana und oſtwärts von der trözeniſchen Ebene,“ ſchreibt Roß, „liegt die Inſel Kalauria, bekannt als der Ort, wo Demoſthenes, von den Make— doniern gedrängt, im Tempel des Poſeidon das Gift nahm. Ein ſchmaler Meeresarm ſcheidet das Kalkgebirge Kalaurias von der Küſte, von welchem Meeresarm (Durchfahrt, röpns), Stadt und Inſel ihren heutigen Namen haben. In der Mitte des Sundes liegt, durch einen niedrigen, vielleicht urſprünglich künſtlichen Damm mit Kalauria verbunden, ein kleines koniſches Eiland, in ſeiner Geſtalt einem der Länge nach durchgeſchnittenen Ei zu vergleichen. Es iſt durchaus vulkaniſch und beſteht aus graugelbem und gelb— rötlichem Trachyt, mit Lavaausbrüchen und Schlacken gemengt, faſt ganz ohne Vegetation. Auf dieſem Eilande ſteht die heutige Stadt Poros, an der Stelle der alten Kalauria. Die Bildung des Ei— landes iſt der der jüngeren vulkaniſchen Inſeln im Buſen von — 376 — Thera (Santorin) ganz ähnlich. Ovidius iſt in ſeiner begeiſterten Schilderung wahrſcheinlich einem griechiſchen Vorbilde oder einer alten Sage gefolgt.“ (Ludw. Roß in einem Briefe an mich vom November 1845.) Virlet hatte als Mitglied der franzöſiſchen wiſſenſchaftlichen Expedition die Meinung aufgeſtellt, daß jene vulkaniſche Erhebung nur ein ſpäterer Zuwachs der Trachytmaſſe der Halbinſel Methana geweſen ſei. Dieſer Zuwachs finde ſich in dem Nordweſtende der Halbinſel, wo das ſchwarze verbrannte Ge— ſtein, Kammeni-petra genannt, den Kammeni bei Santorin ähn— lich, einen jüngeren Urſprung verrate. Pauſanias teilt die Sage der Einwohner von Methana mit, daß an der Nordküſte, ehe die noch jetzt berühmten Schwefelthermen ausbrachen, Feuer aus der Erde aufgeſtiegen ſei. Ueber den „unbeſchreiblichen Wohlgeruch“, welcher bei Santorin (Sept. 1650) auf den ſtinkenden Schwefel: geruch folgte, ſ. Roß, Reiſen auf den Griechiſchen Inſeln des Aegeiſchen Meeres Bd. J, S. 196. Ueber den Naphthageruch in den Dämpfen der Lava der 1796 erſchienenen aleutiſchen Inſel Umnack ſ. Kotzebues Entdeckungsreiſe Bd. II, S. 106 und Leop. de Buch, Description phys., des Iles Canaries P. 448. 4 (S. 197.) Der höchſte Gipfel der Pyrenäen, d. i. der Pik de Nethou (der öſtliche und höhere Gipfel der Maladetta- oder Malahitagruppe), iſt zweimal trigonometriſch gemeſſen worden und hat nach Reboul 10737 Fuß (3481 m), nach Coraboeuf 10 478 Fuß (3404 m). Er iſt alſo an 1600 Fuß niedriger als der Mont Pelvoux in den franzöſiſchen Alpen bei Briancon. Dem Pik de Nethou ſind in den Pyrenäen am nächſten an Höhe der Pik Poſets oder Eriſt, und aus der Gruppe des Marboré der Montperdu und der Cylindre. [Neuere Angaben geben dem Mont Pelvoux 4103 m Höhe, ſo daß der Pik de Nethou alſo um 699 m niedriger wäre. Ihm am nächſten folgen in den Pyrenäen der Mont Perdu mit 3352 und Vignemala mit 3290 m. D. Herausg.] 5 (S. 198.) Ich habe die Eifeler Vulkane zweimal, bei ſehr verſchiedenen Zuſtänden der Entwickelung der Geognoſie, im Herbſte 1794 und im Auguſt 1845, beſucht, das erſte Mal in der Um: gegend des Laacher Sees und der damals dort noch von Geiſt— lichen bewohnten Abtei; das zweite Mal in der Umgegend von Bertrich, dem Moſenberge und den nahen Maaren, immer nur auf wenige Tage. Da ich bei ber letzten Exkurſion das Glück ge— noß, meinen innigen Freund, den Berghauptmann von Dechen, be— gleiten zu können, ſo habe ich, durch einen vieljährigen Brief— wechſel und durch Mitteilung wichtiger handſchriftlicher Aufſätze, die Beobachtungen dieſes ſcharfſinnigen Geognoſten frei benutzen dürfen. Oft habe ich, wie es meine Art iſt, durch Anführungs⸗ zeichen das unterſchieden, was ich wörtlich dem Mitgeteilten entlehnte. (S. 200.) Der Leueit (gleichartig vom Veſuv, von Rocca min:! > di Papa im Albaner Gebirge, von Viterbo, von der Rocca Mon- fina, nach Billa bisweilen von mehr als 3 Zoll Durchmeſſer, und aus dem Dolerit des Kaiſerſtuhles im Breisgau) findet ſich auch „anſtehend als Leucitgeſtein in der Eifel am Burgberge bei Rieden. Der Tuff ſchließt in der Eifel große Blöcke von Leucit— ophyr ein bei Boll und Weibern“. — Ich kann der Verſuchung nicht widerſtehen, einem von Mitſcherlich vor wenigen Wochen in der Berliner Akademie gehaltenen chemiſch-geognoſtiſchen Vor⸗ trage folgende wichtige Bemerkung aus einer Handſchrift zu ent— nehmen: „Nur Waſſerdämpfe können die Auswürfe der Eifel bewirkt haben; ſie würden aber den Olivin und Augit zu den feinſten Tropfen zerteilt und zerſtäubt haben, wenn ſie dieſe noch flüſſig getroffen hätten. Der Grundmaſſe in den Auswürflingen ſind aufs innigſte, z. B. am Dreiſer Weiher, Bruchſtücke des zer⸗ trümmernden alten Gebirges eingemengt, welche häufig zuſammen⸗ geſintert ſind. Die großen Dlivin- und die Augitmaſſen finden ſich ſogar in der Regel mit einer dicken Kruſte dieſes Gemenges umgeben; nie kommt im Olivin oder Augit ein Bruchſtück des älteren Gebirges vor; beide waren alſo ſchon fertig gebildet, ehe ſie an die Stelle gelangten, wo die Zertrümmerung ſtattfand. Olivin und Augit hatten ſich alſo aus der flüſſigen Baſaltmaſſe ſchon ausgeſondert, ehe dieſe eine Waſſeranſammlung oder eine Quelle traf, die das Herauswerfen bewirkte.“ 2 (S. 200.) Nach Scacchi gehören die Auswürflinge zu dem erſten Ausbruch des Veſuv im Jahre 79. 53 (S. 203.) Der mit infuſorienhaltigen Bimsſteinbrocken ge: füllte Traß von Brohl bildet Hügel bis zu 800 Fuß (260 m) Höhe. 51 (S. 203.) Auch auf der Inſel Java, dieſer wunderbaren arten aus. 55 (S. 204.) Ueber die topographiſche Lage des Popocatepetl (rauchender Berg in aztekiſcher Sprache) neben der (liegenden) weißen Frau, Iztaccihuatl, und ſein geographiſches Verhältnis zu dem weſtlichen See von Tezeuco und der öſtlich gelegenen Pyra— mide von Cholula ſ. meinen Atlas géogr. et phys. de la Nouvelle-Espagne Pl. 3. 5° (S. 204.) Lange vor der Ankunft von Bouguer und La Condamine (1736) in der Hochebene von Quito, lange vor den Bergmeſſungen der Aſtronomen wußten dort die Eingeborenen, daß der Chimborazo höher als alle anderen Nevados (Schneeberge) der Gegend ſei. Sie hatten zwei, ſich faſt im ganzen Jahre überall gleich bleibende Niveaulinien erkannt: die der unteren Grenze des . ee ewigen Schnees und die Linie der Höhe, bis zu welcher ein ein: zelner, zufälliger Schneefall herabreicht. Da in der Nequatorial- gegend von Quito, wie ich durch Meſſungen an einem anderen Orte erwieſen habe, die Schneelinie nur um 180 Fuß (58,5 m) Höhe an dem Abhange von ſechs der höchſten Koloſſe variiert, und da dieſe Variation, wie noch kleinere, welche Lokalverhältniſſe er— zeugen, in einer großen Entfernung geſehen (die Höhe des Gipfels vom Montblanc iſt der Höhe der unteren Aequatorial-Schneegrenze gleich), dem bloßen Auge unbemerkbar wird, ſo entſteht durch dieſen Umſtand für die Tropenwelt eine ſcheinbar ununterbrochene Regel- mäßigkeit der Schneebedeckung, d. h. der Form der Schneelinie. Die landſchaftliche Darſtellung dieſer Horizontalität ſetzt die Phyſiker in Erſtaunen, welche nur an Unregelmäßigkeit der Schneebedeckung in der veränderlichen, ſogenannten gemäßigten Zone gewöhnt ſind. Die Gleichheit der Schneehöhe um Quito und die Kenntnis von dem Maximum ihrer Oszillation bietet ſenkrechte Baſen von 14800 Fuß (4807 m) über der Meeresfläche, von 6000 Fuß (1950 m) über der Hochebene dar, in welcher die Städte Quito, Hambato und Nuevo Riobamba liegen, Baſen, die, mit ſehr genauen Meſſungen von Höhenwinkeln verbunden, zu Diſtanzbeſtimmungen und mannig— faltigen topographiſchen, ſchnell auszuführenden Arbeiten benutzt werden können. Die zweite der hier bezeichneten Niveaulinien, die Horizontale, welche den unteren Teil eines einzelnen, zufälligen Schneefalles begrenzt, entſcheidet über die relative Höhe der Berg— kuppen, welche in die Region des ewigen Schnees nicht hinein— reichen. Von einer langen Kette ſolcher Bergkuppen, die man irrigerweiſe für gleich hoch gehalten hat, bleiben viele unterhalb der temporären Schneelinie, und der Schneefall entſcheidet ſo über das relative Höhenverhältnis. Solche Betrachtungen über perpetuierliche und zufällige Schneegrenzen habe ich in dem Hochgebirge von Quito, wo die Sierras nevadas oft einander genähert ſind ohne Zuſammenhang ihrer ewigen Schneedecken, aus dem Munde roher Landleute und Hirten vernommen. Eine großartige Natur ſchärft anregend die Empfänglichkeit bei einzelnen Individuen unter den farbigen Eingeborenen ſelbſt da, wo ſie auf der tiefſten Stufe der Kultur ſtehen. 57 (S. 207.) Der große Ausbruch im Dezember 1754 (ein früherer, heftiger, geſchah am 24. September 1716) zerſtörte das alte am ſüdweſtlichen Ufer des Sees gelegene Dorf Taal, welches ſpäter weiter vom Vulkan wieder erbaut wurde. Die kleine Inſel des Sees, auf welcher der Vulkan emporſteigt, heißt Isla del Volcan. Die abſolute Höhe des Vulkanes von Taal iſt kaum 840 Fuß (272 m). Er gehört alſo nebſt dem von Koſima zu den allerniedrigſten. Zur Zeit der amerikaniſchen Expedition des Kapitän Wilkes (1842) war er in voller Thätigkeit. 55 (S. 208.) Ueber die Lage dieſes Vulkans, deſſen Kleinheit nur von dem Vulkan von Tanna und dem des Mendafa übertroffen U — 379 — wird, ſ. die ſchöne Karte des Japaniſchen Reiches von Ph. Fr. von Siebold, 1840. 2 (S. 208.) Ich nenne hier neben dem Pik von Tenerifa unter den Inſelvulkanen nicht den Mauna-xoa, deſſen kegelförmige Geſtalt ſeinem Namen nicht entſpricht. In der Sandwichſprache bedeutet nämlich mauna Berg und roa zugleich lang und ſehr. Ich nenne auch nicht den Hawai, über deſſen Höhe ſo lange ge— ſtritten worden iſt und der lange als ein am Gipfel ungeöffneter trachytiſcher Dom beſchrieben wurde. Der berühmte Krater Kirauea (ein See geſchmolzener, aufwallender Lava) liegt öſtlich, nach Wilkes in 3724 Fuß (1210 m) Höhe, dem Fuße des Mauna:roa nahe. 6° (S. 209.) Volcano, nach der neueren Meſſung von Ch. Sainte⸗Claire Deville 1190 Fuß (386 m), hat ſtarke Eruptionen von Schlacken und Aſche gehabt in den Jahren 1444, am Ende des 16. Jahrhunderts, 1731, 1739 und 1771. Seine Fumarolen enthalten Ammoniak, boraxſaures Selen, geſchwefelten Arſenik, Phosphor und nach Bornemann Spuren von Jod. Die drei letzten Subſtanzen treten hier zum erſtenmal unter den vulka— niſchen Produkten auf. 61 (S. 209.) Der Ringgit iſt jetzt faſt erloſchen, nachdem ſeine furchtbaren Ausbrüche im Jahre 1586 vielen tauſend Menſchen das Leben gekoſtet haben. 6? (S. 209.) Der Gipfel des Veſuvs iſt alſo nur 242 Fuß (79 m) höher als der Brocken. [Neuere Meſſungen ergeben für den Veſuv 1268 m. D. Herausg. 6s (S. 209.) Vergl. meine Relation hist. T. I, p. 93 beſonders wegen der Entfernung, in welcher der Gipfel des Vulkanes der Inſel Pico bisweilen geſehen worden iſt. Die ältere Meſſung Ferrers gab 7428 Fuß (2413 m), alſo 285 Fuß (93 m) mehr als die gewiß ſorgfältigere Aufnahme des Kapitän Vidal von 1843. 6 (S. 209.) Erman in ſeiner intereſſanten geognoſtiſchen Beſchreibung der Vulkane der Halbinſel Kamtſchatka gibt der Awatſchinskaja oder Gorelaja Sopka 8360 Fuß (2716 m) und der Strjeloſchnaja Sopka, die auch Korjazkaja Sopka genannt wird, 11090 Fuß (3602 m). Die Ermanſche Meſſung des Vulkanes von Awatſcha ſtimmt am meiſten mit der früheren Meſſung von Mongez 1787 auf der Expedition von la Pérouſe (8197 Fuß = 2663 m) und mit der neueren des Kapitän Beechey (8497 Fuß = 2760 m) überein. Hofmann auf der Kotzebueſchen und Lenz auf der Lütke— ſchen Reiſe fanden nur 7664 und 7705 Fuß (2500 und 2513 m). Des Admirals Meſſung von der Strjeloſchnaja gab 10518 Fuß (3416 m). 65 (S. 210.) Sollte der Gipfel dieſes merkwürdigen Vulkans im Abnehmen der Höhe begriffen ſein? Eine barometriſche Meſſung von Balday, Vidal und Mudge im Jahre 1819 gab noch 2975 m oder 9156 Fuß, während ein ſehr genauer und geübter Beobachter, welcher der Geognoſie der Vulkane jo wichtige Dienſte geleiſtet hat, — 380 — Sainte-Claire Deville, im Jahre 1842 nur 2790 m oder 8587 Fuß fand. Kapitän King hatte kurz vorher die Höhe des Vulkanes von Fogo gar nur zu 2686 m oder 8267 Fuß beſtimmt. 66 (S. 210.) Der Vulkan Schiwelutſch hat, wie der Pichincha, die bei thätigen Vulkanen ſeltene Form eines langen Rückens (chrebet), auf dem ſich einzelne Kuppen und Kämme (grebni) er: heben. Glocken- und Kegelberge werden in dem vulkaniſchen Gebiete der Halbinſel immer durch den Namen sopki bezeichnet. (S. 210.) Die höchſte Höhe des Aetna beträgt nach Sartorius von Waltershauſen 3318 m, nach den Meſſungen des italieniſchen Generalſtabes 3313 m. [D. Herausg.] 6 (S. 210.) Die barometriſche Meſſung von Saint⸗Claire Deville im Jahre 1842 gab 3706 m oder 11408 Fuß, nahe überein⸗ ſtimmend mit dem Reſultate (11430 Fuß = 3716 m) der zweiten trigonometriſchen Meſſung Bordas vom Jahre 1776, welche ich aus dem Manuscript du Depöt de la Marine habe zuerſt ver— öffentlichen können. Bordas erſte, mit Pingré gemeinſchaftlich unternommene trigonometriſche Meſſung vom Jahre 1771 gab, ſtatt 11430 Fuß nur 10452 Fuß (3395 m). Die Urſache des Irrtums war die falſche Notierung eines Winkels (33° ſtatt 53), wie mir Borda, deſſen großem perſönlichen Wohlwollen ich vor meiner Orinokoreiſe ſo viele nützliche Ratſchläge verdanke, ſelbſt erzählte. 6 (S. 210.) Ich folge der Angabe von Pentland, 12367 engl. Fuß, um fo mehr, als Sir James Roß, Vo y. de discovery in the antarctic Regions Vol. I, p. 216, die Höhe des Vulkanes, deſſen Rauch- und Flammenausbrüche ſelbſt bei Tage ſichtbar waren, im allgemeinen zu 12400 engl. Fuß (11634 Par. Fuß oder 3779 m) angegeben wird. 0 (S. 210.) Ueber den Argäus, den Hamilton zuerſt beſtiegen und barometriſch gemeſſen (zu 11921 Par. Fuß oder 3905 m) ſiehe Peter von Tſchihatſchew, Asie mineure (1853), T. I, p. 441 bis 449 und 571. William Hamilton in ſeinem vortrefflichen Werke (Researches in Asia Minor) erhält als Mittel von einer Barometermeſſung und einigen Höhenwinkeln 13000 feet (12196 Par. Fuß = 3962 m); wenn aber nach Ainsworth die Höhe von Kaiſarieh 1000 feet (938 Par. Fuß = 305 m) niedriger iſt, als er ſie annimmt, nur 11258 Par. Fuß (3657 m). Vom Argäus (Erdſchiſch-Dagh) gegen Südoſt, in der großen Ebene von Eregli, erheben ſich ſüdlich von dem Dorfe Karabunar und von der Berg— gruppe Karadſcha-Dagh viele ſehr kleine Ausbruchkegel. Einer der— ſelben, mit einem Krater verſehen, hat eine wunderbare Schiffs— geſtalt, an dem Vorderteil wie in einen Schnabel auslaufend. Es liegt dieſer Krater in einem Salzſee, an dem Wege von Karabunar nach Eregli, eine ſtarke Meile von dem erſteren Orte entfernt. Der Hügel führt denſelben Namen. (S. 210.) Die angegebene Höhe iſt eigentlich die des gras— 1 — 381 — grünen Bergſees Laguna verde, an deſſen Rande ſich die von Bouſſingault unterſuchte Solfatare befindet. 7 (S. 210.) Bouſſingault iſt bis zum Krater gelangt und hat die Höhe barometriſch gemeſſen; ſie ſtimmt ſehr nahe mit der über- ein, die ich 23 Jahre früher, auf der Reiſe von Popayan nach Quito, ſchätzungsweiſe bekannt gemacht. (S. 210.) Die Höhe weniger Vulkane iſt jo überſchätzt worden als die Höhe des Koloſſes der Sandwichinſeln. Wir ſehen dieſelbe nach und nach von 17270 Fuß = 5610 m (einer An⸗ gabe aus der dritten Reiſe des Cook) zu 15465 Fuß (5023 m) in Kings, zu 15588 Fuß (5063 m) in Marchands Meſſung, zu 12909 Fuß (3994 m) durch Kapitän Wilkes und zu 12693 Fuß (4124 m) durch Horner auf der Reiſe von Kotzebue herabſinken. Die Grund— lagen des letztgenannten Reſultates hat Leopold von Buch zuerſt bekannt gemacht. Der öſtliche Kraterrand hat nur 12609 Fuß (3996 m). Die Annahme größerer Höhe bei der behaupteten Schnee— loſigkeit des Mauna-roa (Br. 19“ 28°) würde dazu dem Reſultate widerſprechen, daß nach meinen Meſſungen im mexikaniſchen Kon— tinent in derſelben Breite die Grenze des ewigen Schnees ſchon 13860 Fuß (4502 m) hoch gefunden worden iſt. (S. 210.) Der Vulkan erhebt ſich weſtlich von dem Dorfe Cumbal, das ſelbſt 9911 Fuß (3220 m) über dem Meere liegt. 7 (S. 210.) Ich gebe das Reſultat von Ermans mehrfachen Meſſungen im September 1829. Die Höhe der Kraterränder ſoll Veränderungen durch häufige Eruptionen ausgeſetzt ſein, denn es hatten im Auguſt 1828 Meſſungen, die dasſelbe Vertrauen ein— flößen konnten, eine Höhe von 15040 Fuß (4885 m) gegeben. (S. 210.) Bouguer und La Condamine geben in der In— ſchrift zu Quito für den Tunguragua vor dem großen Ausbruche von 1772 und vor dem Erdbeben von Riobamba (1797), welches große Bergſtürze veranlaßte, 15738 Fuß (5115 m). Ich fand trigonometriſch im Jahre 1802 für den Gipfel des Vulkanes nur 15473 Fuß (5030 m). 7 (S. 210.) Die barometriſche Meſſung des höchſten Gipfels vom Volcan de Puracé durch Francisco Joſé Caldas, der, wie mein teurer Freund und Reiſebegleiter, Carlos Montufar, als ein blutiges Opfer ſeiner Liebe für die Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes fiel, gibt Acoſta zu 5184 m (15957 Fuß) an. Die Höhe des kleinen, Schwefeldampf mit heftigem Geräuſch aus— ſtoßenden Kraters (Azufral del Boqueron) habe ich 13524 Fuß (4393 m) gefunden. s (S. 210.) Der Sangay iſt durch ſeine ununterbrochene Thätigkeit und ſeine Lage überaus merkwürdig; noch etwas öſtlich entfernt von der öſtlichen Kordillere von Quito, ſüdlich vom Rio Paſtaza, in 26 Meilen (193 km) Abſtandes von der nächſten Küſte der Südſee, eine Lage, welche (wie die Vulkane des Himmels— gebirges in Aſien) eben nicht die Theorie unterſtützt, nach der die — 382 — öſtlichen Kordilleren in Chile wegen Meeresferne frei von vulka⸗ niſchen Ausbrüchen ſein ſollen. Der geiſtreiche Darwin hat nicht verfehlt, dieſer alten und weit verbreiteten vulkaniſchen Litorale⸗ theorie in den Geological observations on South America 1846, p. 185 umſtändlich zu gedenken. * (S. 210.) Ich habe den Popocatepetl, welcher auch der Volean grande de Mexico genannt wird, in der Ebene von Tetimba bei dem Indianerdorfe San Nicolas de los Ranchos ge= meſſen. Es ſcheint mir noch immer ungewiß, welcher von beiden Vulkanen, der Popocatepetl oder der Pik von Orizaba, der höhere ſei. 8° (S. 210.) Der mit ewigem Schnee bedeckte Pik von Orizaba, deſſen geographiſche Ortsbeſtimmung vor meiner Reiſe überaus irrig auf allen Karten angegeben war, ſo wichtig auch dieſer Punkt für die Schiffahrt bei der Landung in Veracruz iſt, wurde zuerſt im Jahre 1796 vom Encero aus trigonometriſch durch Ferrer ge— meſſen. Die Meſſung gab 16776 Fuß (5450 m). Eine ähnliche Operation habe ich in einer kleinen Ebene bei Xalapa verſucht. Ich fand nur 16302 Fuß (5295 m), aber die Höhenwinkel waren ſehr klein und die Grundlinie ſchwierig zu nivellieren. 1 (S. 210.) Die Höhe iſt unſicher, vielleicht mehr als ½18 zu groß. * (S. 210.) Ich habe den abgeſtumpften Kegel des Vulkanes von Tolima, der am nördlichen Ende des Paramo de Quindiu liegt, im Valle del Carvajal bei dem Städtchen Ibagne gemeſſen im Jahre 1802. Man ſieht den Berg ebenfalls, in großer Ent⸗ fernung, auf der Hochebene von Bogota. In dieſer Ferne hat Caldas durch eine etwas verwickelte Kombination im Jahre 1806 ein ziemlich annäherndes Reſultat (17292 Fuß = 5617 m) ge⸗ funden. 3 (S. 211.) Die abſolute Höhe des Vulkanes von Arequipa iſt ſo verſchieden angegeben worden, daß es ſchwer wird, zwiſchen bloßen Schätzungen und wirklichen Meſſungen zu unterſcheiden. Der ausgezeichnete Botaniker der Malaſpinaſchen Weltumſeglung, Dr. Thaddäus Hänke, gebürtig aus Prag, erſtieg den Vulkan von Arequipa im Jahre 1796 und fand auf dem Gipfel ein Kreuz, welches bereits 12 Jahre früher aufgerichtet war. Durch eine trigonometriſche Operation ſoll Hänke den Vulkan 3180 Toiſen (19080 Fuß = 6198 m) über dem Meere gefunden haben. Dieſe viel zu große Höhenangabe entſtand wahrſcheinlich aus einer irrigen Annahme der abſoluten Höhe der Stadt Arequipa, in deren Um⸗ gebung die Operation vorgenommen wurde. Wäre damals Hänke mit einem Barometer verſehen geweſen, ſo würde wohl, nachdem er auf den Gipfel gelangt war, ein in trigonometriſchen Meſſungen ganz ungeübter Botaniker nicht zu einer ſolchen geſchritten ſein. Nach Hänke erſtieg den Vulkan zuerſt wieder Samuel Curzon aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Im Jahre 1830 ſchätzte Pentland die Höhe zu 5600 m (17240 Fuß) und dieſe Zahl u — 383 — habe ich für meine Carte hypsométrique de la Cordil- lere des Andes 1831 benutzt. Mit derſelben ſtimmt be— friedigend (bis faſt ½7) die trigonometriſche Meſſung eines fran— zöſiſchen Seeoffiziers, Herrn Dolley, überein, die ich 1826 der wohlwollenden Mitteilung des Kapitän Alphonſe de Moges in Paris verdankte. Dolley fand trigonometriſch den Gipfel des Vulkanes von Arequipa 10348 Fuß (3361 m), den Gipfel des Charcani 11126 Fuß (3614 m) über der Hochebene, in welcher die Stadt Arequipa liegt. Setzt man nun nach barometriſchen Meſſungen von Pentland und Rivero die Stadt Arequipa 7366 Fuß (2393 m), ſo gibt mir Dolleys trigonometriſche Operation für den Vulkan von Arequipa 17712 Fuß (2952 Toiſen = 5753 m), für den Vulkan Charcani 18492 Fuß (3082 Toiſen = 6006 m). Die oben citierte Höhentabelle von Pentland gibt aber für den Vulkan von Arequipa 20 320 engl. Fuß, 6190 m (19065 Par. Fuß), d. i. 1825 Par. Fuß (593 m) mehr als die Beſtimmung von 1830 und nur zu identiſch mit Hänkes trigonometriſcher Meſſung des Jahres 1796! Im Wider— ſpruch mit dieſem Reſultat wird in den Anales de la Uni. versidad de Chile 1852, p. 221 der Vulkan nur zu 5600 m oder 17240 Par. Fuß, alſo um 590 m niedriger angegeben! Ein trauriger Zuſtand der Hypſometrie! (S. 211.) Bouſſingault, begleitet von dem kenntnisvollen Oberſten Hall, hat faſt den Gipfel des Cotopaxi erreicht. Er ge— langte nach barometriſcher Meſſung bis zu der Höhe von 5746 m oder 17698 Fuß. Es fehlte nur ein kleiner Raum bis zum Rande des Kraters, aber die zu große Lockerheit des Schnees verhinderte das Weiterſteigen. Vielleicht iſt Bouguers Höhenangabe etwas zu klein, da ſeine komplizierte trigonometriſche Berechnung von der Hypotheſe über die Höhe der Stadt Quito abhängt. > (S. 211.) Der Sahama, welchen Pentland beſtimmt noch einen thätigen Vulkan nennt, liegt nach deſſen neuer Karte des Thales von Titicaca (1848) öſtlich von Arica in der weſtlichen Kordillere. Er iſt 871 Fuß (283 m) höher als der Chimborazo, und das Höhenverhältnis des niedrigſten japaniſchen Vulkanes Koſima zum Sahama iſt wie 1 zu 30. Ich habe angeſtanden, den chileniſchen Aconcagua, der, 1835 von Fitzroy zu 21767 Par. Fuß (7069 m) angegeben, nach Pentlands Korrektion 22431 Par. Fuß (7281 m), nach der neueſten Meſſung (1845) des Kapitän Kellet auf der Fregatte Herald 23004 feet oder 21584 Par. Fuß (7111 m) hoch iſt, in die fünfte Gruppe zu ſetzen, weil es nach den einander entgegengeſetzten Meinungen von Miers und Charles Darwin etwas zweifelhaft bleibt, ob dieſer koloſſale Berg ein noch entzündeter Vulkan iſt. Mary Somerville, Pentland und Gilliß leugnen auch die Entzündung. Darwin ſagt: „I was surprised at hearing that the Aconcagua was in action the same night (15. Januar 1835), because this mountain most rarely shows any sign of action.“ [Der Aconcagua, jetzt zu 6834 m Seehöhe ermittelt und — 384 — der höchſte Berg der Neuen Welt, iſt nach den neueren Forſchungen Dr. Paul Güßfeldts doch unzweifelhaft ein Vulkan, wenn auch ſeit Menſchengedenken nicht mehr thätig. D. Herausg.] ss (S. 211.) Dieſe durchbrechenden Porphyrmaſſen zeigen ſich beſonders in großer Mächtigkeit nahe am Illimani in Cenipampa (14962 Fuß = 4860 m) und Totorapampa (12860 Fuß = 4177 m); auch bildet ein glimmerhaltiger Quarzporphyr, Granaten und zugleich eckige Fragmente von Kieſelſchiefer einſchließend, die obere Kuppe des berühmten ſilberreichen Cerro de Potosi (Pentland in Handſchriften von 1832). Der Illimani, welchen Pentland erſt zu 7315 und nachher zu 6445 m angab, iſt ſeit dem Jahre 1847 auch der Gegenſtand einer ſorgfältigen Meſſung des Ingenieurs Piſſis geworden, der bei Gelegenheit ſeiner großen trigonometriſchen Aufnahme der Llanura de Bolivia den Illimani durch drei Tri— angel zwiſchen Calamarca und la Paz im Mittel 6509 m hoch fand, was von der letzten Pentlandſchen Beſtimmung nur um 64 m ab: weicht. [Neuere Meſſungen geben dem Illimani bloß 6350 m D. Herausg.] a 87 (S. 213.) Strabo lib. VI, p. 276 Cauſab.; Plin., Hist. Nat. III. 9: „Strongyle, quae a Lipara liquidiore flamma tan- tum differt; e cujus fumo quinam flaturi sint venti, in triduo praedicere in colae traduntur.“ Vgl. auch Urlichs, Vin di— ciae Plinianae 1853, Fasc. I, p. 39. Der einſt jo thätige Vulkan von Lipara (im Nordoſten der Inſel) ſcheint mir entweder der Monte Campo bianco oder Monte di Capo Castagno ge: weſen zu ſein. : „(S. 214.) Herr Albert Berg, der früher ein maleriſches Werk, Phyſiognomie der tropiſchen Vegetation von Südamerika, herausgegeben, hat 1853 von Rhodos und der Bucht von Myra (Andriace) aus die Chimära in Lykien bei Deliktaſch und Yanartaſch beſucht. (Das türkiſche Wort täsch be- deutet Stein, wie dagh und täsh Berg; Delliktaſch bedeutet: durchlöcherter Stein, vom türkiſchen delik, Loch.) Der Reiſende ſah das Serpentinſteingebirge zuerſt bei Adraſan, während Beaufort ſchon bei der Inſel Garabuſa (nicht Grambuſa), ſüdlich vom Kap Chelidonia, den dunkelfarbigen Serpentin auf Kalkſtein angelagert, vielleicht ihm eingelagert, fand. „Nahe bei den Ueberbleibſeln des alten Vulkantempels erheben ſich die Reſte einer chriſtlichen Kirche im ſpäteren byzantiniſchen Stile, Reſte des Hauptſchiffes und zweier Seitenkapellen. In einem gegen Oſten gelegenen Vorhofe bricht die Flamme in dem Serpentingeſtein aus einer etwa 2 Fuß (Um) breiten und 1 Fuß (60 cm) hohen, kaminartigen Oeffnung hervor. Sie ſchlägt 3 bis 4 Fuß (1 bis 1,3 m) in die Höhe und verbreitet (als Naphthaquelle?) einen Wohlgeruch, der ſich bis in die Entfernung von 40 Schritten bemerkbar macht. Neben dieſer großen Flamme und außerhalb der kaminartigen Oeffnung erſcheinen auch auf Nebenſpalten mehrere ſehr kleine, immer ent- — 385 — zündete, züngelnde Flammen. Das Geſtein, von der Flamme be— rührt, iſt ſtark geſchwärzt, und der abgeſetzte Ruß wird geſammelt zur Linderung der Schmerzen in den Augenlidern und beſonders zur Färbung der Augenbrauen. In drei Schritt Entfernung von der Chimäraflamme iſt die Wärme, die ſie verbreitet, ſchwer zu er⸗ tragen. Ein Stück dürres Holz entzündet ſich, wenn man es in die Oeffnung hält und der Flamme nähert, ohne ſie zu berühren. Da, wo das alte Gemäuer an den Felſen angelehnt iſt, dringt auch aus den Zwiſchenräumen der Steine des Gemäuers Gas aus, das, wahrſcheinlich von niederer Temperatur oder anders gemengt, ſich nicht von ſelbſt entzündet, wohl aber durch ein genähertes Licht. Acht Fuß (2,6 m) unter der großen Flamme, im Inneren der Ruine, findet ſich eine runde, 6 Fuß (2 m) tiefe, aber nur 3 Fuß (1m) weite Oeffnung, welche wahrſcheinlich einſt überwölbt war, weil ein Waſſerquell dort in der feuchten Jahreszeit ausbricht, neben einer Spalte, über der ein Flämmchen ſpielt.“ (Aus der Hand— ſchrift des Reiſenden.) — Auf einem Situationsplane zeigt Berg die geographiſchen Verhältniſſe der Alluvialſchichten, des (Tertiär⸗?) Kalkſteines und des Serpentingebirges. 8 (S. 214.) Die älteſte und wichtigſte Notiz über den Vulkan von Maſaya iſt in einem erſt vor 14 Jahren von dem verdienſt⸗ vollen hiſtoriſchen Sammler Ternaux⸗Compans edierten Manuffripte Oviedos: Historia de Nicaragua (cap. V—X) enthalten. So weit berufen war der unausgeſetzt ſpeiende Berg, daß ſich in der königlichen Bibliothek zu Madrid eine eigene Monographie von dem Vulkan Maſaya unter dem Titel vorfindet: Entrada y descubrimiento del Volcan de Masaya, que estä en la Prov. de Nicaragua, fecha por Juan Sanchez del Portero. Der Verfaſſer war einer von denen, welche ſich in den wunderbaren Expeditionen des Dominikanermönchs Fray Blas de Izeſta in den Krater hinabließen. 0 (S. 215.) In der von Ternaux⸗Compans gegebenen fran⸗ zöſiſchen Ueberſetzung heißt es p. 123 und 132: „On ne peut ce- pendant dire qu'il sorte precisement une flamme du cratère, mais bien une fumee aussi ardente que du feu; on ne la voit pas de loin pendant le jour, mais bien de nuit. Le Volcan claire autant que le fait la lune quelques jours avant d’etre dans son plein.“ Dieſe ſo alte Bemerkung über die problematiſche Art der Erleuchtung eines Kraters und der darüber ſtehenden Luftſchichten iſt nicht ohne Bedeutung, wegen der ſo oft in neueſter Zeit angeregten Zweifel über die Entbindung von Waſſerſtoff— gas aus den Kratern der Vulkane. Wenn auch in dem gewöhn⸗ lichen hier bezeichneten Zuſtande die Hölle von Maſaya nicht Schlacken oder Aſche auswarf (Gomara ſetzt hinzu: cosa que hazen otros volcanes), ſo hat ſie doch bisweilen wirkliche Lavaausbrüche gehabt und zwar wahrſcheinlich den letzten im Jahre 1670. Seit⸗ dem iſt der Vulkan ganz erloſchen, nachdem ein perpetuier⸗ A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 25 — 386 — liches Leuchten 140 Jahre lang beobachtet worden war. Stephens, der ihn 1840 beſtieg, fand keine bemerkbare Spur der Entzündung. Ueber die Chorotegaſprache, die Bedeutung des Wortes Maſaya und die Maribios ſ. Buſchmanns ſcharfſinnige ethno— graphiſche Unterſuchungen über die aztekiſchen Ortsnamen, S. 130, 140 und 171. 91 (S. 215.) „Les trois compagnons convinrent de dire qu'ils avaient trouve de grandes richesses; et Fray Blas, que j'ai connu comme un homme ambitieux, rapporte dans sa relation le serment que lui et les associés firent sur l’evangile, de persister à jamais dans leur opinion que le volcan contient de Por m&le d’argent en fusion!“ Dviedo, Descer deNica- ragua cap. X, p. 186 und 196. Der Chronista de las Indias ift übrigens ſehr darüber erzürnt (cap. V), daß Fray Blas erzählt habe, „Oviedo habe ſich die Hölle von Maſaya vom Kaiſer zum Wappen erbeten“. Gegen heraldiſche Gewohnheiten der Zeit wäre ſolche geognoſtiſche Erinnerung übrigens nicht geweſen, denn der tapfere Diego de Ordaz, der ſich rühmte, als Cortes zuerſt in das Thal von Mexiko eindrang, bis an den Krater des Popoca— tepetl gelangt zu ſein, erhielt dieſen Vulkan, wie Oviedo das Ge— ſtirn des ſüdlichen Kreuzes, und am früheſten Kolumbus ein Frag: ment von einer Landkarte der Antillen, als einen heraldiſchen Schmuck. 92 (S. 216.) Die Höhe des Vulkanes von Jorullo habe ich über der Ebene, in welcher er aufgeſtiegen, 1578 Fuß, über der Meeres: fläche 4002 Fuß (1300 m) gefunden. 93 (S. 217.) In dem Landhauſe des Marques de Selvalegre, des Vaters meines unglücklichen Begleiters und Freundes Don Carlos Montufar, war man oft geneigt, die bramidos, welche dem Abfeuern einer fernen Batterie ſchweren Geſchützes glichen und in ihrer Intenſität, bei gleichem Winde, gleicher Heiterkeit der Luft und gleicher Temperatur, ſo überaus ungleich waren, nicht dem Sangay, ſondern dem Guacamayo, einem 10 geographiſche Meilen (74 km) näheren Berge, zuzuſchreiben, an deſſen Fuße ein Weg von Quito über die Hacienda de Antisana nach den Ebenen von Archidona und des Rio Napo führt. Don Jorge Juan, welcher den Sangay in größerer Nähe als ich hat donnern hören, ſagt beſtimmt, daß die bramidos, die er ronquidos del Volcan nennt und in Bintac, wenige Meilen von der Hacienda de Chillo, vernahm, dem San⸗ gay oder Volcan de Macas zugehören, deſſen Stimme, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, ſehr charakteriſtiſch ſei. Dem ſpaniſchen Aſtronomen ſchien dieſe Stimme beſonders rauh, daher er fie lieber ein Schnarchen (un ronquido) als ein Gebrüll (bramido) nennt. Das ſehr unheimliche Geräuſch des Vulkanes Pichincha, das ich mehrmals ohne darauf erfolgende Erdſtöße bei Nacht, in der Stadt Quito, gehört, hat etwas Hellklirrendes, als würde mit Ketten geraſſelt und als ſtürzten glasartige Maſſen auf— — 387 — einander. Am Sangay beſchreibt Wiſſe das Geräuſch bald wie rollenden Donner, bald abgeſetzt und trocken, als befände man ſich in nahem Pelotonfeuer. Bis Payta und San Buenaventura (im Choco), wo die bramidos des Sangay, d. i. fein Krachen, gehört wurden, ſind vom Gipfel des Vulkanes in ſüdweſtlicher Richtung 63 und 87 geographiſche Meilen (467 und 645 km). So ſind in dieſer mächtigen Natur, den Tunguragua und den Quito näheren Cotopaxi, deſſen Krachen ich im Februar 1803 in der Südſee gehört habe, mit eingerechnet, an nahen Punkten die Stimmen von vier Vulkanen vernommen worden. Die Alten erwähnen auch „des Unterſchiedes des Getöſes“, welches auf den äoliſchen Inſeln zu verſchiedenen Zeiten derſelbe Feuerſchlund gebe. Bei dem großen Ausbruch (23. Januar 1835) des Vulkanes von Conſeguina, welcher an der Südſeeküſte am Eingange des Golfes von Fonſeca in Central— amerika liegt, war die unterirdiſche Fortpflanzung des Schalles ſo groß, daß man letzteren auf der Hochebene von Bogota deutlichſt vernahm, eine Entfernung, wie die vom Aetna bis Hamburg. 9 (S. 219.) Vergl. Strabo lib. V, p. 248 Caſaub.: 8er Noll tıvas; und lib. IV, p. 276. — Ueber eine zweifache Ent: ſtehungsart der Inſeln äußert ſich der Geograph von Amaſia mit vielem geologiſchen Scharfſinn. „Einige Inſeln,“ ſagt er (und er nennt ſie), „ſind Bruchſtücke des feſten Landes; andere ſind aus dem Meere, wie noch jetzt ſich zuträgt, hervorgegangen. Denn die Hochſeeinſeln (die weit hinaus im Meere liegenden) wurden wahrſcheinlich aus der Tiefe emporgehoben, hingegen die an Vor— gebirgen liegenden und durch eine Meerenge getrennten iſt es vernunftgemäßer als vom Feſtlande abgeriſſen zu betrachten.“ (Nach Verdeutſchung von Groskurd.) — Die kleine Gruppe der Pithecuſen beſtand aus Ischia, wohl urſprünglich Aenaria genannt, und Procida (Prochyta). Warum man ſich dieſe Gruppe als einen alten Affenſitz dachte, warum die Griechen und die italiſchen Tyrrhener, alſo Etrusker, ihn als ſolchen benannten (Affen heißen tyrrheniſch aptmor), bleibt ſehr dunkel, und hängt vielleicht mit dem Mythus zuſammen, nach welchem die alten Bewohner von Jupiter in Affen verwandelt wurden. Der Affenname Apeor erinnerte an Arima oder die Arimer des Homer und des Heſiodus. Die Worte eiv ’Apinors des Homer werden in einigen Kodd. in eines zuſammengezogen, und in dieſer Zuſammenziehung finden wir den Namen bei den römiſchen Schriftſtellern. Plinius ſagt ſogar beſtimmt: „Aenaria Homero Inarime dicta, Graecis Pithecusa....“ Das homeriſche Land der Arimer, Typhons Lagerftätte, hat man im Altertume ſelbſt geſucht in Cilicien, Myſien, Lydien, in den vulkaniſchen Pithecuſen, an dem Crater Puteolanus und in dem phrygiſchen Brandland, unter welchem Typhon einſt lag, ja in der Katakekaumene. Daß in hiſtoriſchen Zeiten Affen auf Ischia gelebt haben, jo fern von der afrikaniſchen Küſte, iſt um jo uns wahrſcheinlicher, als, wie ich ſchon an einem anderen Orte bemerkt, — 388 — ſelbſt am Felſen von Gibraltar das alte Daſein der Affen nicht erwieſen ſcheint, weil Edriſi (im 12. Jahrhundert) und andere, die Herkulesſtraße ſo umſtändlich beſchreibende, arabiſche Geographen ihrer nicht erwähnen. Plinius leugnet auch die Affen von Aenaria, leitet aber den Namen der Pithecuſen auf die unwahrſcheinlichſte Weiſe von ridos, dolium (a figlinis doliorum), her. „Die Haupt⸗ ſache in dieſer Unterſuchung ſcheint mir,“ ſagt Böckh, „daß Inarima ein durch gelehrte Deutung und Fiktion entſtandener Name der Pithecuſen iſt, wie Corcyra auf dieſe Weiſe zu Scheria wurde, und daß Aeneas mit den Pithecuſen (Aeneae insulae) wohl erſt durch die Römer in Verbindung geſetzt worden iſt, welche überall in dieſen Gegenden ihren Stammvater finden. Für den Zuſammen⸗ hang mit Aeneas ſoll auch Nävius zeugen im erſten Buche vom puniſchen Kriege.“ (S. 219.) Wir haben bereits oben bemerkt, daß Typhon vom Kaukaſus nach Unteritalien floh, als deute die Mythe an, daß die vul: kaniſchen Ausbrüche im letzteren Lande minder alt ſeien wie die auf dem kaukaſiſchen Iſthmus. Von der Geographie der Vulkane, wie von ihrer Geſchichte iſt die Betrachtung mythiſcher Anſichten im Volksglauben nicht zu trennen. Beide erläutern ſich oft gegen: ſeitig. Was auf der Oberfläche der Erde für die mächtigſte der bewegenden Kräfte gehalten wurde, der Wind, das eingeſchloſſene Pneuma, wurde als die allgemeine Urſache der Vulkanizität (der feuerſpeienden Berge und der Erdbeben) erkannt. Die Natur: betrachtung des Ariſtoteles war auf die Wechſelwirkung der äußeren und der inneren, unterirdiſchen Luft, auf eine Ausdünſtungstheorie, auf Unterſchiede von warm und kalt, von feucht und trocken, ge— gründet. Je größer die Maſſe des „in unterirdiſchen und unter— ſeeiſchen Hohlgängen“ eingeſchloſſenen Windes iſt, je mehr ſie gehindert ſind, in ihrer natürlichen, weſentlichen Eigenſchaft, ſich weithin und ſchnell zu bewegen, deſto heftiger werden die Ausbrüche. „Vis fera ventorum, caéecis inclusa cavernis“ (Ovid, Metam. XV, 299.) Zwiſchen dem Pneuma und dem Feuer iſt ein eigener Verkehr. (To röp dr her myvebuorog 7), ict pAdE nal peperor raytwc. Ariſtot., Meteor. II, 8. 3. — At Yap Tb rÖp oloy myedparög te Sögis. Theophraſt, De igne 5 30, P. 715.) Auch aus den Wolken ſendet das plötzlich frei gewordene Pneuma den zündenden und weitleuchtenden Wetter— ſtrahl (rprnsenp). „In dem Brandlande, der Katakekaumene von Lydien,“ ſagt Strabo, „werden noch drei, volle vierzig Stadien voneinander entfernte Schlünde gezeigt, welche die Blaſebälge heißen; darüber liegen rauhe Hügel, welche wahrſcheinlich von den emporgeblaſenen Glühmaſſen aufgeſchichtet wurden.“ Schon früher hatte der Amaſier angeführt, daß „zwiſchen den Kykladen (Thera und Theraſia) vier Tage lang Feuerflammen aus dem Meere hervorbrachen, ſo daß die ganze See ſiedete und brannte, und es wurde wie durch Hebel allmählich emporgehoben eine aus — 389 — Glühmaſſen zuſammengeſetzte Inſel.“ Alle dieſe ſo wohl beſchrie— benen Erſcheinungen werden dem zuſammengepreßten Winde bei— gemeſſen, der wie elaſtiſche Dämpfe wirken ſoll. Die alte Phyſik kümmert ſich wenig um die einzelnen Weſenheiten des Stoff— artigen, ſie iſt dynamiſch und hängt an dem Maße der bewegen— den Kraft. — Die Anſicht von der mit der Tiefe zunehmenden Wärme des Planeten als Urſache von Vulkanen und Erdbeben finden wir erſt gegen das Ende des 3. Jahrhunderts ganz vereinzelt unter Diokletian von einem chriſtlichen Biſchof in Afrika aus— geſprochen. Der Pyriphlegethon des Plato nährt als Feuerſtrom, der im Erdinneren kreiſt, alle lavagebenden Vulkane, wie wir ſchon oben (S. 175) im Texte erwähnt haben. In den früheſten Ahnungen der Menſchheit, in einem engen Ideenkreiſe liegen die Keime von dem, was wir jetzt unter der Form anderer Symbole erklären zu können glauben. 90 (S. 221.) Mount Edgecombe oder der St. Lazarusberg, auf der kleinen Inſel (Crooze's Island bei Liſiansky), welche weſt— lich neben der Nordhälfte der größeren Inſel Sitka oder Baranow im Norfolkſunde liegt, ſchon von Cook geſehen; ein Hügel, teils von olivinreichem Baſalt, teils aus Feldſpattrachyt zuſammengeſetzt, von nur 2600 Fuß (845 m) Höhe. Seine letzte große Eruption, viel Bimsſtein zu Tage fördernd, war vom Jahre 1796. Acht Jahre darauf gelangte Kapitän Liſiansky an den Gipfel, der einen Kraterſee enthält. Er fand damals an dem ganzen Berge keine Spuren der Thätigkeit. 97 (S. 222.) Schon unter der ſpaniſchen Oberherrſchaft hatte 1781 der ſpaniſche Ingenieur, Don Joje Galiſteo, eine nur 6 Fuß (2 m) größere Höhe des Spiegels der Laguna von Nicaragua ge: funden als Baily in feinen verſchiedenen Nivellements von 1838. (S. 222.) Ich befand mich im Papagayoſturm nach meiner chronometriſchen Länge 19° 11’ weſtlich vom Meridian von Guaya— quil, aljo 101° 29° weſtlich von Paris, 220 geogr. Meilen (1630 km) weſtlich von dem Litorale von Coſtarica. 99 (S. 223.) Meine früheſte Arbeit über 17 gereihete Vul— kane von Guatemala und Nicaragua iſt in der geographiſchen Zeit— ſchrift von Berghaus enthalten. Ich konnte damals außer dem alten Chronista Fuentes nur benutzen die wichtige Schrift von Domingo Juarros: Compendio de la Historia de la ciudad de Guatemala, wie die drei Karten von Galiſteo (auf Befehl des mexikaniſchen Vizekönigs Matias de Galvez auf— genommen), von Joſée Roſſiy Rubi (Alcalde mayor de Guate- mala, 1800) und von Joaquin Yſaſi und Antonio de la Cerda (Alcalde de Granada), die ich großenteils handſchriftlich beſaß. Leopold von Buch hat in der franzöſiſchen Ueberſetzung ſeines Werkes über die Kanariſchen Inſeln meinen erſten Entwurf meiſter— haft erweitert, aber die Ungewißheit der geographiſchen Synonymie und die dadurch veranlaßten Namensverwechſelungen haben viele — 390 — Zweifel erregt, welche durch die ſchöne Karte von Baily und Saunders, durch Molina, Bos quejo de la Republica de Costarica und durch das große, ſehr verdienſtvolle Werk von Squier (Nicaragua, its people and monu- ments, with tables of the comparative heights of the moun- tains in Central Amerika, 1852) großenteils gelöſt worden find. Das wichtige Reiſewerk, welches uns ſehr bald Dr. Oerſted unter dem Titel: Schilderung der Naturverhältniſſe von Nicaragua und Coſtarica zu geben verſpricht, wird neben ausgezeichneten botaniſchen und zoologiſchen Forſchungen, welche der Hauptzweck der Unternehmung waren, auch Licht auf die geognoſtiſche Beſchaffenheit von Centralamerika werfen. Herr Oerſted hat von 1846 bis 1848 dasſelbe mannigfach durchſtrichen und eine Sammlung von Gebirgsarten nach Kopenhagen zurück— gebracht. Seinen freundſchaftlichen Mitteilungen verdanke ich inter— eſſante Berichtigungen meiner fragmentariſchen Arbeit. Nach den mir bekannt gewordenen, mit vieler Sorgfalt verglichenen Materia- lien, denen auch die ſehr ſchätzbaren des preußiſchen Generalkonſuls in Centralamerika, Herrn Heſſe, beizuzählen ſind, ſtelle ich die Vulkane von Centralamerika, von Süden gegen Norden fortſchreitend, folgendermaßen zuſammen: Ueber die Central-Hochebene von Cartago (4360 Fuß = 1416 m), in der Republik Coſtarica (Br. 10% 9%) erheben ſich die drei Vul⸗ kane Turrialva, Iraſu und Reventado, von denen die erſten beiden noch entzündet ſind. Volcan de Turrialva* (Höhe ungefähr 10300 Fuß — 3345 m), iſt nach Oerſted vom Iraſu nur durch eine tiefe, ſchmale Kluft getrennt. Sein Gipfel, aus welchem Rauchſäulen aufſteigen, iſt noch unbeſtiegen. Vulkan Iraſu*, auch der Vulkan von Cartago genannt (10412 Fuß = 3382 m), in Nordoſt vom Vulkan Reventado, iſt die Haupteſſe der vulkaniſchen Thätigkeit auf Coſtarica, doch ſonderbar zugänglich und gegen Süden dergeſtalt in Terraſſen geteilt, daß man den hohen Gipfel, von welchem beide Meere, das der Antillen und die Südſee, geſehen werden, faſt ganz zu Pferde erreichen kann. Der etwa 1000 Fuß hohe Aſchen- und Rapillikegel ſteigt aus einer Umwallungsmauer (einem Erhebungskrater) auf. In dem flacheren nordöſtlichen Teile des Gipfels liegt der eigentliche Krater, von 7050 Fuß (2270 m) im Umfang, der nie Lava ausgeſendet hat. Seine Schlackenauswürfe ſind oft (1723, 1726, 1821, 1847) von ſtädtezerſtörenden Erdbeben begleitet geweſen; dieſe haben gewirkt von Nicaragua oder Rivas bis Panama. Bei einer neueſten Be— ſteigung des Iraſu durch Dr. Carl Hoffmann im Anfang Mai 1855 ſind der Gipfeikrater und ſeine Auswurfsöffnungen genauer erforſcht worden. Die Höhe des Vulkanes wird nach einer trigonometriſchen Meſſung von Galindo zu 12000 fpan. Fuß angegeben oder, die vara cast. = 0,43 Toiſen angeſetzt, zu 10320 Par. Fuß 8352 m). — 391 — El Reventado (8900 Fuß = 2890 m), mit einem tiefen Krater, deſſen ſüdlicher Rand eingeftürzt ift und der vormals mit Waſſer gefüllt war. Vulkan Barba (über 7900 Fuß = 2566 m), nördlich von San Joſé, der Hauptſtadt von Coſtarica, mit einem Krater, der mehrere kleine Seen einſchließt. Zwiſchen den Vulkanen Barba und Oro ſi folgt eine Reihe von Vulkanen, welche die in Coſtarica und Nicaragua SD = NW ſtreichende Hauptkette in faſt entgegengeſetzter Richtung, oſt-weſtlich, durchſchneidet. Auf einer ſolchen Spalte ſtehen: am öſtlichſten Miravalles und Tenorio (jeder dieſer Vulkane ungefähr 4400 Fuß = 1430 m); in der Mitte, ſüdöſtlich von Oraſi, der Vulkan Rincon, auch Rincon de la Vieja* genannt, welcher jedes Frühjahr beim Beginn der Regenzeit kleine Aſchenauswürfe zeigt; am weſtlichſten bei der kleinen Stadt Alajuela, der ſchwefel— reiche Vulkan Votos“ (7050 Fuß = 2290 m). Dr. Oerſted ver⸗ gleicht dieſes Phänomen der Richtung vulkaniſcher Thätigkeit auf einer Querſpalte mit der oſt⸗weſtlichen Richtung, die ich bei den mexikaniſchen Vulkanen von Meer zu Meer aufgefunden. Droji*, noch jetzt entzündet, im ſüdlichſten Teile des Staates von Nicaragua (4900 Fuß = 1590 m); wahrſcheinlich der Volcan del Papagayo auf der Seekarte des Deposito hydrografico. Die zwei Vulkane Mandeira und Dmetepec* (3900 und 4900 Fuß = 1266 und 1590 m), auf einer kleinen, von den az⸗ tekiſchen Bewohnern der Gegend nach dieſen zwei Bergen be— nannten Inſel (ome tepetl bedeutet zwei Berge), in dem weſtlichen Teile der Laguna de Nicaragua. Der Inſelvulkan Ometepec, fälſchlich von Juarros Ometep genannt, iſt noch thätig. Er findet ſich abgebildet bei Squier Vol. II. p. 235. Der ausgebrannte Krater der Inſel Zapatera, wenig er— haben über dem Seeſpiegel. Die Zeit der alten Ausbrüche iſt völlig unbekannt. Der Vulkan von Momobacho, am weſtlichen Ufer der Laguna de Nicaragua, etwas in Süden von der Stadt Granada. Da dieſe Stadt zwiſchen den Vulkanen von Momobacho (der Ort wird auch Mombacho genannt) und Maſaya liegt, ſo bezeichnen die Piloten bald den einen, bald den anderen dieſer Kegelberge mit dem unbeſtimmten Namen des Vulkans von Granada. Vulkan Maſſaya (Maſaya), von dem bereits oben umſtänd— licher gehandelt worden iſt, einſt ein Stromboli, aber ſeit dem großen Lavaausbruch von 1670 erloſchen. Nach den intereſſanten Berichten von Dr. Scherzer wurden im April 1853 aus einem neu eröffneten Krater wieder ſtarke Dampfwolken ausgeſtoßen. Der Vulkan von Maſaya liegt zwiſchen den beiden Seen von Nicaragua und Managua, im Weſten der Stadt Granada. Maſaya iſt nicht ſynonym mit dem Nindiri, ſondern Maſaya und Nindiri* bilden, wie Dr. Oerſted ſich ausdrückt, einen Zwillingsvulkan — 392 — mit zwei Gipfeln und zwei verſchiedenen Kratern, die beide Lava— ſtröme gegeben haben. Der Lavaſtrom des Nindiri von 1775 hat den See von Managua erreicht. Die gleiche Höhe beider ſo nahen Vulkane wird nur zu 2300 Fuß (747 m) angegeben. Volcan de Momotombo* (6600 Fuß = 2144 m), ent⸗ zündet, auch oft donnernd, ohne zu rauchen, in Br. 12% 28‘, an dem nördlichen Ende der Laguna de Managua, der kleinen, ſkulptur⸗ reichen Inſel Momotombito gegenüber. Die Laguna de Managua liegt 26 Fuß (8,5 m) höher als die mehr als doppelt größere Laguna de Nicaragua und hat keinen Inſelvulkan. Von hier an bis zu dem Golf von Fonjeca oder Conchagua zieht ſich, in 5 Meilen (37 km) Entfernung von der Südſeeküſte, von SO nach NW eine Reihe von 6 Vulkanen hin, welche dicht an⸗ einander gedrängt ſind und den gemeinſamen Namen los Maribios führen. 8 El Nuevo“, fälſchlich Volcan de las Pilas genannt, weil der Ausbruch vom 12. April 1850 am Fuße dieſes Berges ſtatt⸗ fand, ein ſtarker Lavaausbruch faſt in der Ebene ſelbſt! Volcan de Telica*, ſchon im 16. Jahrhundert (gegen 1529), während ſeiner Thätigkeit von Oviedo beſucht, öſtlich von Chinan⸗ dega, nahe bei Leon de Nicaragua, alſo etwas außerhalb der vorher angegebenen Richtung. Dieſer wichtige Vulkan, welcher viele Schwefeldämpfe aus einem 300 Fuß (97 m) tiefen Krater ausſtößt, iſt vor wenigen Jahren von dem mir befreundeten, naturwiſſen⸗ ſchaftlich ſehr unterrichteten Prof. Julius Fröbel beſtiegen worden. Er fand die Lava aus glaſigem Feldſpat und Augit zuſammen⸗ geſetzt. Auf dem Gipfel, in 3300 Fuß (1072 m) Höhe, liegt ein Krater, in welchem die Dämpfe große Maſſen Schwefels abſetzen. Am Fuße des Vulkanes iſt eine Schlammquelle (Salſe?). Vulkan el Viejo“, der nördlichſte der gedrängten Reihe von ſechs Vulkanen. Er iſt vom Kapitän Sir Edward Belcher im Jahre 1838 beſtiegen und gemeſſen worden. Das Reſultat der Meſſung war 5216 Fuß. Eine neuere Meſſung von Squier gab 5630 Fuß (1828 m). Dieſer ſchon zu Dampiers Zeiten ſehr thätige Vulkan iſt noch entzündet. Die feurigen Schlackenauswürfe werden häufig in der Stadt Leon geſehen. Vulkan Guanacaure, etwas nördlich außerhalb der Reihe von Il Nuevo zum Viejo, nur 3 Meilen (22 km) von der Küſte des Golfs von Fonſeca entfernt. Vulkan Conſeguina“, auf dem Vorgebirge, welches an dem ſüdlichen Ende des großen Golfs von Fonſeca vortritt (Br. 12500; berühmt durch den furchtbaren, durch Erdbeben verkündigten Aus⸗ bruch vom 23. Januar 1835. Die große Verfinſterung bei dem Aſchenfall, der ähnlich, welche bisweilen der Vulkan Pichincha ver- urſacht hat, dauerte 43 Stunden lang. In der Entfernung weniger Fuße waren Feuerbrände nicht zu erkennen. Die Reſpiration war gehindert, und unterirdiſches Getöſe, gleich dem Abfeuern ſchweren — Geſchützes, wurde nicht nur in Balize auf der Halbinſel Yucatan, ſondern auch auf dem Litorale von Jamaika und auf der Hochebene von Bogota, in letzterer auf mehr als 8000 Fuß (2600 m) Höhe über dem Meere, wie in faſt 140 geographiſchen Meilen (1040 km) Entfernung gehört. Darwin macht auf ein ſonderbares Zuſammen⸗ treffen von Erſcheinungen aufmerkſam; nach langem Schlummer brachen an einem Tage (zufällig?) Conſeguina in Centralamerika, Aconcagua und Corcovado (ſüdl. Breite 324“ und 43% % in Chile aus. Vulkan von Conchagua oder von Amalapa, an dem nörd- lichen Eingange des Golfs von Fonſeca, dem Vulkan Conſeguina gegenüber, bei dem ſchönen Puerto de la Union, dem Hafen der nahen Stadt San Miguel. Von dem Staate von Coſtarica an bis zu dem Vulkan Con⸗ chagua folgt demnach die gedrängte Reihe von 20 Vulkanen der Richtung SO — NW; bei Conchagua aber in den Staat von San Salvador eintretend, welcher in der geringen Länge von 40 geo- graph. Meilen (296 km) 5 jetzt mehr oder weniger thätige Vulkane zählt, wendet ſich die Reihung, wie die Südſeeküſte ſelbſt, mehr OSO — WNW, ja faſt O — W, während das Land gegen die öſtliche, antilliſche Küſte (gegen das Vorgebirge Gracias à Dios) hin in Honduras und los Mosquitos plötzlich auffallend ſchwillt (vergl. oben S. 221). Erſt von den hohen Vulkanen von Altguatemala an in Norden tritt, wie ſchon bemerkt wurde, gegen die Lagung von Atitlan hin, die ältere, allgemeine Richtung N 45“ W wiederum ein, bis endlich in Chiapas und auf dem Iſthmus von Tehuantepec ſich noch einmal, doch in unvulkaniſchen Gebirgsketten, die abnorme Richtung D—W offenbart. Der Vulkane des Staates San Salvador ſind außer dem von Conchagua noch folgende vier: Vulkan von San Miguel Bojotlan* (Br. 13035, bei der Stadt gleichen Namens, der ſchönſte und regelmäßigſte Trachytkegel nächſt dem Inſelvulkan Ometepec im See von Nicaragua. Die vulkaniſchen Kräfte ſind im Boſotlan ſehr thätig; derſelbe hatte einen großen Lavaerguß am 20. Juli 1844. Vulkan von San Vicente“, weſtlich vom Rio de Lempa, zwiſchen den Städten Sacatecoluca und Sacatelepe. Ein großer Aſchenauswurf geſchah nach Juarros 1643, und im Januar 1835 war bei vielem zerſtörenden Erdbeben eine lang dauernde Eruption. Vulkan von San Salvador (Br. 1347“), nahe bei der Stadt dieſes Namens. Der letzte Ausbruch iſt der von 1656 geweſen. Die ganze Umgegend iſt heftigen Erdſtößen ausgeſetzt; der vom 16. April 1854, dem kein Getöſe voranging, hat faſt alle Gebäude in San Salvador umgeſtürzt. Vulkan von Izalco“, bei dem Dorfe gleichen Namens, oft Ammoniak erzeugend. Der erſte hiſtoriſch bekannte Ausbruch geſchah am 23. Februar 1770; die letzten, weitleuchtenden Ausbrüche waren im April 1798, 1805 bis 1807 und 1825. — 394 — Volcan de Pacaya* (Br. 1423), ungefähr 3 Meilen (22 km) in Südoſten von der Stadt Neuguatemala, am kleinen Alpenſee Amatitlan; ein ſehr thätiger, oft flammender Vulkan, ein gedehnter Rücken mit drei Kuppen. Man kennt die großen Ausbrüche von 1565, 1651, 1671, 1677 und 1775; der letzte, viel Lava gebende, iſt von Juarros als Augenzeugen beſchrieben. Es folgen nun die beiden Vulkane von Altguatemala, mit den ſonderbaren Benennungen de Agua und de Fuego, in der Breite von 14° 12°, der Küſte nahe. | Volcan de Agua, ein Trachytfegel bei Gscuintla, höher als der Pik von Tenerifa, von Obſidianmaſſen (Zeugen alter Erup— tionen?) umgeben. Der Vulkan, welcher in die ewige Schneeregion reicht, hat ſeinen Namen davon erhalten, daß ihm im September 1541 eine (durch Erdbeben und Schneeſchmelzen veranlaßte?) große Ueberſchwemmung zugeſchrieben wurde, welche die am früheſten ge— gründete Stadt Guatemala zerſtörte und die Erbauung der zweiten, nord-nord-weſtlicher gelegenen und jetzt Antigua Guatemala ge: nannten Stadt veranlaßte. Volcan de Fuego*, bei Acatenango, fünf Meilen (37 km) in WNW vom ſogenannten Waſſervulkan. Ueber die gegenſeitige Lage ſ. die in Guatemala geſtochene und mir von da aus geſchenkte, ſeltene Karte des Alcalde major, Don Joſé Roſſi y Rubi, Bo s- quejo del espacio que media entre los estremos de la Provincia de Suchitepeques y la Capital de Guatemala, 1800. Der Volcan de Fuego ift immer ent⸗ zündet, doch jetzt viel weniger als ehemals. Die älteren großen Eruptionen waren von 1581, 1586, 1623, 1705, 1710, 1717, 1732, 1737 und 1799; aber nicht ſowohl dieſe Eruptionen, ſondern die zerſtörenden Erdbeben, welche ſie begleiteten, haben in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die ſpaniſche Regierung bewogen, den zweiten Sitz der Stadt (wo jetzt die Ruinen von la Antigua Guatemala ſtehen) zu verlaſſen und die Einwohner zu zwingen, ſich nördlicher, in der neuen Stadt Santiago de Guatemala, anzuſiedeln. Hier, wie bei der Verlegung von Riobamba und mehrerer anderer den Vulkanen der Andeskette naher Städte, iſt dogmatiſch und leidenſchaftlich ein Streit geführt worden über die problematiſche Auswahl einer Lokalität, „von der man nach den bisherigen Erfahrungen vermuten dürfte, daß ſie den Einwirkungen naher Vulkane (Lavaſtrömen, Schlackenauswürfen und Erdbeben!) wenig ausgeſetzt wäre“. Der Volcan de Fuego hat 1852 in einem großen Ausbruch einen Lavaſtrom gegen das Litorale der Südſee ergoſſen. Kapitän Baſil Hall maß unter Segel beide Vulkane von Altguatemala und fand für den Volcan de Fuego 13 760 Par. Fuß (4469 m), für den Volcan de Agua 13983 Par. Fuß (4542 m). Die Fundamente dieſer Meſſung hat Poggendorff geprüft. Er hat die mittlere Höhe beider Berge geringer gefunden und auf ungefähr 12300 Fuß (3996 m) reduziert. — 395 — Volcan de Quesaltenango* (Br. 15° 10%), entzündet ſeit 1821 und rauchend, neben der Stadt gleichen Namens; ebenjo ſollen entzündet ſein die drei Kegelberge, welche ſüdlich den Alpen— ſee Atitlan (im Gebirgsſtock Solola) begrenzen. Der von Juarros benannte Vulkan von Tajamulco kann wohl nicht mit dem Vulkan von Queſaltenango identiſch ſein, da dieſer von dem Dörfchen Tajamulco, ſüdlich von Tejutla, 10 geogr. Meilen (74 km) in NW entfernt iſt. Was ſind die zwei von Funel genannten Vulkane von Sacatepeques und Sapotitlan, oder Brués Volcan de Amilpas? Der große Vulkan von Soconusco, liegend an der Grenze von Chiapas, 7 Meilen (52 km) ſüdlich von Ciudad Real, in Breite 16° 2°. Ich glaube am Schluß dieſer langen Note abermals erinnern zu müſſen, daß die hier angegebenen barometriſchen Höhenbeſtim— mungen teils von Espinache herrühren, teils den Schriften und Karten von Baily, Squier und Molina entlehnt, und in Pariſer Fußen ausgedrückt ſind. 100 (S. 223.) Als gegenwärtig mehr oder weniger thätige Vulkane ſind mit Wahrſcheinlichkeit folgende 18 zu betrachten, alſo faſt die Hälfte aller von mir aufgeführten, in der Vor- und Jetzt— zeit thätigen Vulkane: Iraſu und Turrialva bei Cartago, el Rincon de la Vieja, Votos(?) und Oroſi, der Inſelvulkan Ometepec, Nindiri, Momotombo, el Nuevo am Fuße des Trachytgebirges las Pilas, Telica, el Viejo, Conſeguina, San Miguel Boſotlan, San Vicente, Izalco, Pacaya, Volcan de Fuego (de Guatemala) und Queſaltenango. Die neueſten Ausbrüche find geweſen: die von el Nuevo bei las Pilas 18. April 1850, San Miguel Boſotlan 1848, Conſeguina und San Vicente 1835, Jzalco 1825, Volcan de Fuego bei Neuguatemala 1799 und 1852, Pacaya 1775. 101 (S. 225.) Ueber die aſtronomiſche Ortsbeſtimmung des Vulkanes von Colima, nahe der Südſeeküſte, habe ich ſelbſt früh Zweifel erregt. Nach Höhenwinkeln, die Kapitän Baſil Hall unter Segel genommen, läge der Vulkan in Br. 19367, alſo einen halben Grad nördlicher, als ich ſeine Lage aus Itinerarien geſchloſſen; freilich ohne abſolute Beſtimmungen für Selagua und Petatlan, auf die ich mich ſtützte. Die Breite 19925‘, welche ich im Text angegeben habe, iſt, wie die Höhenbeſtimmung (11266 Fuß = 3360 m), vom Kapitän Beechey. Die neueſte Karte von Laurie (The Mexican and Central States of America 1853), gibt 19° 20° für die Breite an. Auch kann die Breite vom Jorullo um 2 bis 3 Minuten falſch ſein, da ich dort ganz mit geologiſchen und topographiſchen Arbeiten beſchäftigt war, und weder die Sonne noch Sterne zur Breiten— beſtimmung ſichtbar wurden. Nach den treuen, jo überaus male— riſchen Anſichten, welche Moritz Rugendas von dem Vulkan von Colima entworfen und die in dem Berliner Muſeum aufbewahrt — 396 — werden, unterſcheidet man zwei einander nahe Berge, den eigent— lichen, immer Rauch ausſtoßenden Vulkan, der ſich mit wenig Schnee bedeckt, und die höhere Nevada, welche tief in die Region des ewigen Schnees aufſteigt. 0 (S. 228.) Folgendes iſt das Reſultat der Längenbeſtimmung von den fünf Gruppen der Reihenvulkane in der Andeskette, wie auch die Angabe der Entfernung der Gruppen voneinander, eine Angabe, welche die Verhältniſſe des Areals erläutert, das vul⸗ kaniſch oder unvulkaniſch iſt: J. Gruppe der mexikaniſchen Vulkane. Die Spalte, auf der die Vulkane ausgebrochen ſind, iſt von Oſt nach Weſt gerichtet, vom Orizaba bis zum Colima, in einer Erſtreckung von 98 geogr. Meilen (725 km), zwiſchen Breite 19° und 19 200. Der Vulkan von Turtla liegt iſoliert 32 Meilen (237 km) öſt⸗ licher als Orizaba, der Küſte des Mexikaniſchen Golfes nahe, und in einem Parallelkreiſe (18° 28%), der einen halben Grad ſüdlicher iſt. II. Entfernung der mexikaniſchen Gruppe von der nächſt⸗ folgenden Gruppe Centralamerikas (Abſtand vom Vulkan von Orizaba zum Vulkan von Soconusco in der Richtung OSd nach WNW), 75 Meilen (556 km). III. Gruppe der Vulkane von Centralamerika, ihre Länge von NW nach SD, vom Vulkan von Soconusco bis Turrialva in Coſtarica über 170 Meilen (1260 km). IV. Entfernung der Gruppe Centralamerikas von der Vulkanreihe von Neugranada und Quito 157 Meilen (1171 km). V. Gruppe der Vulkane von Neugranada und Quito; ihre Länge vom Ausbruch in dem Paramo de Ruiz nördlich vom Volcan de Tolima bis zum Vulkan von Sangay, 118 Meilen (875 km). Der Teil der Andeskette zwiſchen dem Vulkan von Puracé bei Popayan und dem ſüdlichen Teile des vulkaniſchen Bergknotens von Paſto iſt NNO — SSW gerichtet. Weit öſtlich von den Vulkanen von Popayan, an den Quellen des Rio Fragua, liegt ein ſehr iſolierter Vulkan, welchen ich nach der mir von Miſſionären von Timana mitgeteilten Angabe auf meine Generalkarte der Bergknoten der ſüdamerikaniſchen Kordilleren eingetragen habe; Entfernung vom Meeresufer 38 Meilen (280 km). VI. Entfernung der Vulkangruppe Neugranadas und Quitos von der Gruppe von Peru und Bolivia, 240 Meilen (1780 km), die größte Länge einer vulkanfreien Kette. VII. Gruppe der Vulkanreihe von Peru und Bolivia, vom Volcan de Chacani und Arequipa bis zum Vulkan von Atacama (16 ¼“ bis 21¼“) 105 Meilen (780 km). VIII. Entfernung der Gruppe Perus und Bolivias von der Vulkangruppe Chiles 135 Meilen (1001 km). Von dem Teil der Wüſte von Atacama, an deſſen Rand ſich der Vulkan von San Pedro erhebt, bis weit über Copiapo hinaus, ja bis zum — 397 — Vulkan von Coquimbo (30° 5‘) in der langen Kordillere weſtlich von den beiden Provinzen Catamarca und Rioja, ſteht kein vulkaniſcher Kegel. IX. Gruppe von Chile, vom Vulkan von Coquimbo bis zum Vulkan San Clemente 242 Meilen (1800 km). Dieſe Schätzungen der Länge der Kordilleren mit der Krüm⸗ mung, welche aus der Veränderung der Achſenrichtung entſteht, von dem Parallel der mexikaniſchen Vulkane in 19 ¼“ nördlicher Breite bis zum Vulkan von San Clemente in Chile (46° 8° ſüdl. Breite, geben für einen Abſtand von 1242 Meilen (9216 km) einen Raum von 635 Meilen (4712 km), der mit fünf Gruppen gereihter Vulkane (Mexiko, Centralamerika, Neugranada mit Quito, Peru mit Bolivia, und Chile) bedeckt iſt, und einen wahrſcheinlich ganz vulfanfreien Raum von 607 Meilen (4500 km). Beide Räume ſind ſich ungefähr gleich. Ich habe ſehr beſtimmte numeriſche Verhältniſſe angegeben, weil ſie ſorgfältige Diskuſſion eigener und fremder Karten dargeboten, damit man mehr angeregt werde, dieſelben zu verbeſſern. Der längſte vulkanfreie Teil der Kordilleren iſt der zwiſchen den Gruppen Neugranada-Quito und Peru⸗Bolivia. Er iſt zufällig dem gleich, welchen die Vulkane von Chile bedecken. 03 (S. 229.) Die Gruppe der Vulkane von Mexiko umfaßt die Vulkane von Drizaba*, Popocatepetlé«, Toluca (oder Cerro de San Miguel de Tutueuitlapilco), Jorullo*, Colima* und Turtla* Die noch entzündeten Vulkane find hier, wie in ähnlichen Liſten, mit einem Sternchen bezeichnet. 104 (S. 229.) Die Vulkanreihe von Centralamerika iſt in den Anmerkungen 99 und 100 aufgezählt. 105 (S. 229.) Die Gruppe von Neugranada und Quito umfaßt den Paramo y Volcan de Ruiz“, die Vulkane von Tolima, Puracé und Sotarä bei Popayan, den Volcan del Rio Fragua, eines Zufluſſes des Caqueta, die Vulkane von Paſto, el Azufral*, GCumbal*, Tuquerres*, Chiles, Imbaburu, Cotocachi, Rucu-Pichincha, Antijanal?), Eotopari*, Tunguragua*, Capac⸗Urcu oder Altar de los Collanes (?), Sangay x. 106 (S. 229.) Die Gruppe des ſüdlichen Peru und Boli⸗ vias enthält von Norden nach Süden folgende 14 Vulkane: Vulkan von Chacani (nach Curzon und Meyen auch Charcani genannt), zur Gruppe von Arequipa gehörig und von der Stadt aus ſichtbar; er liegt am rechten Ufer des Rio Quilca, nach Pentland, dem genaueſten geologiſchen Forſcher dieſer Gegend, in Breite 16° 11’, 8 Meilen (60 km) ſüdlich von dem Nevado de Chuquibamba, der über 18000 Fuß (5850 m) Höhe geſchätzt wird. Handſchriftliche Nachrichten, die ich beſitze, geben dem Vulkan von Chacani 18391 Fuß (5974 m). Im ſüdöſtlichen Teile des Gipfels ſah Curzon einen großen Krater. — 398 — Vulkan von Arequipa“, Br. 16207; 3 Meilen (22 km) in NO von der Stadt. Thaddäus Hänke, der Botaniker der Expedition von Malaſpina (1796), Samuel Curzon aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika (1811) und Dr. Wedell (1847) haben den Gipfel erſtiegen. Meyen ſah im Auguſt 1831 große Rauchſäulen aufſteigen; ein Jahr früher hatte der Vulkan Schlacken, aber nie Lavaſtröme ausgeſtoßen. Volcan de Omato, Br. 1650“; er hatte einen heftigen Auswurf im Jahre 1667. Volcan de Uvillas oder Uvinas, ſüdlich von Apo; ſeine letzten Ausbrüche waren aus dem 16. Jahrhundert. Volcan de Pichu-Pichu, 4 Meilen (30 km) in Oſten von der Stadt Arequipa (Br. 16° 25°), unfern dem Paſſe von Cangallo, 9076 Fuß (2948 m) über dem Meere. Volcan Viejo, Br. 1655“; ein ungeheurer Krater mit Lavaſtrömen und viel Bimsſtein. Die eben genannten 6 Vulkane bilden die Gruppe von Arequipa. Volcan de Tacora oder Chipicani, nach Pentlands ſchöner Karte des Sees von Titicaca; Br. 1745“, Höhe 18520 Fuß (6016 m). Volcan de Sahama*, 20970 Fuß (6812 m) Höhe, Breite 18° 7°, ein abgeſtumpfter Kegel von der regelmäßigſten Form. Der Vulkan Sahama iſt (nach Pentland) 870 franz. Fuß (282 m) höher als der Chimborazo, aber 6240 Fuß (2027 m) niedriger als der Mount Everest des Himalaya, welcher jetzt für den höchſten Gipfel Aſiens gehalten wird. Nach dem letzten offiziellen Berichte des Colonel Waugh vom 1. März 1856 ſind die vier höchſten Berge der Himalayakette: der Mount Everest (Gauri— ſchanka) in NO von Katmandu 27210 Par. Fuß (8840 m), der Kindſchindſchinga nördlich von Dardſchiling 26417 Fuß (8582 m), der Dhaulagiri (Dhavalagiri) 25170 Fuß (8176 m) und Tſchumalari (Chamalari) 22468 Fuß (7298 m). Vulkan Pomarape, 20360 Fuß (6610 m), Breite 18% 8°; faſt ein Zwillingsberg mit dem zunächſt folgenden Vulkane. Vulkan Parinacota, 20670 Fuß (6714 m), Br. 18° 12°. Die Gruppe der vier Trachytkegel Sahama, Pomarape, Barina- cota und Gualatieri, welche zwiſchen den Parallelkreiſen von 13° 7° und 1825 liegt, iſt nach Pentlands trigonometriſcher Beſtimmung höher als der Chimborazo, höher als 20 100 Fuß (6594 m). Vulkan SG ualatieri*, 20604 Fuß (6693 m), Br. 18925, in der boliviſchen Provinz Carangas; nach Pentland ſehr ent— zündet. £ Unfern der Sahamagruppe, 1897“ bis 18025‘, ver: ändert plötzlich die Vulkanreihe und die ganze Andeskette, der ſie weſtlich vorliegt, ihr Streichen, und geht von der Richtung Südoſt gegen Nordweſt in die bis zur Magelhaensſchen Meerenge — 399 — allgemein werdende von Norden nach Süden plötzlich über. Von dieſem wichtigen Wendepunkte, dem Litorale-Einſchnitt bei Arica (1828), welche eine Analogie an der weſtafrikaniſchen Küſte im Golf von Biafra hat, habe ich gehandelt im Bd. I des Kosmos S. 212 und Anm. 206. Vulkan Isluga, Br. 19“ 20“, in der Provinz Tarapaca, weſtlich von Carangas. Volcan de San Pedro de Atacama, am nordöſtlichen Rande des Desierto gleichen Namens; nach der neuen Spezial— karte der waſſerleeren Sandwüſte (Desierto) von Atacama vom Dr. Philippi in Br. 22° 16‘, 4 geogr. Meilen (30 km) nordöſtlich von dem Städtchen San Pedro, unweit des großen Nevado de Chorolque. Es gibt keinen Vulkan von 21!]2° bis 30°, und nach einer jo langen Unterbrechung von mehr als 142 Meilen (1053 km) zeigt ſich zuerſt wieder die vulkaniſche Thätigkeit im Vulkan von Co- quimbo. Denn die Exiſtenz eines Vulkanes von Copiapo (Br. 27° 23’) wird von Meyen geleugnet, während ſie der des Landes ſehr kun— dige Philippi beſtätigt. 107 (S. 229.) Die geographiſche und geologiſche Kenntnis der Gruppe von Vulkanen, welche wir unter dem gemeinſamen Namen der gereihten Vulkane von Chile begreifen, verdankt den erſten Anſtoß zu ihrer Vervollkommnung, ja die Vervollkommnung ſelbſt, den ſcharfſinnigen Unterſuchungen des Kapitäns Fitzroy in der denkwürdigen Expedition der Schiffe Aventure und Beagle, wie den geiſtreichen und ausführlicheren Arbeiten von Charles Darwin. Der letztere hat mit dem ihm eigenen verallgemeinernden Blicke den Zuſammenhang der Erſcheinungen von Erdbeben und Ausbrüchen der Vulkane unter einen Geſichtspunkt zuſammengefaßt. Das große Naturphänomen, welches am 22. November 1822 die Stadt Copiapo zerſtörte, war von der Erhebung einer beträchtlichen Land— ſtrecke der Küſte begleitet, und während des ganz gleichen Phäno— mens vom 20. Februar 1835, das der Stadt Concepcion ſo ver— derblich wurde, brach nahe dem Litorale der Inſel Chiloe bei Bacalao⸗Head ein unterſeeiſcher Vulkan aus, welcher anderthalb Tage feurig wütete. Dies alles, von ähnlichen Bedingungen abhängig, iſt auch früher vorgekommen und bekräftigt den Glauben, daß die Reihe von Felsinſeln, welche ſüdlich von Valdivia und von dem Fuerte Maullin den Fjörden des Feſtlandes gegenüber liegt, und Chiloe, den Archipel der Chonos und Huaytecas, la Peninsula de Tres Montes und las Islas de la Campana, de la Madre de Dios, de Santa Lucia und los Lobos von 39° 53° bis zum Ein— gang der Magelhaensſchen Meerenge (52° 16) begreift, der zer— riſſene, über dem Meere hervorragende Kamm einer verſunkenen weſtlichen Kordillere ſei. Allerdings gehört kein geöffneter trachy— tiſcher Kegelberg, kein Vulkan dieſen fractis ex aequore terris an, aber einzelne unterſeeiſche Eruptionen, welche bisweilen den mäch— — 400 — tigen Erdſtößen gefolgt oder denſelben vorangegangen ſind, ſcheinen auf das Daſein dieſer weſtlichen Spalte zu deuten. Die Reihenfolge der 24 Vulkane, welche die Gruppe von Chile umfaßt, iſt folgende, von Norden nach Süden, von dem Parallel von Coquimbo bis zu 46° ſüdlicher Breite gerechnet: a) Zwiſchen den Parallelen von Coquimbo und Valparaiſo: Volcan de Coquimbo (Br. 30° 5°). Vulkan Limari. Vulkan Chuapri. Vulkan Aconcagua*, WNAW von Mendoza, Br. 32039, Höhe 21584 Fuß (7011 m) nach Kellet, aber nach der neueſten trigonometriſchen Meſſung des Ingenieurs Amado Piſſis (1854) nur 22301 engliſche oder 20924 Par. Fuß (6797 m), alſo etwas niedriger als der Sahama, den Pentland jetzt zu 22350 engl. oder 20970 Par. Fuß (6812 m) annimmt. Die geodätiſchen Fundamente ſeiner Meſſung des Aconcagua zu 6797 m hat Herr Piſſis, da fie acht Dreiecke erforderte, in den Anales de la Universidad de Chile 1852, p. 219 entwickelt. [Neuere Meſſungen geben ihm, wie ſchon bemerkt, 6834 m und erheben ihn hiermit zum höchſten Gipfel der Neuen Welt. D. Herausg.] Der Peak Tupungato wird von Gilliß zu 22450 feet oder 21063 Par. Fuß (6842 m) Höhe und in 3322“ Breite an⸗ gegeben, aber auf der Karte der Provinz Santiago von Piſſis (Gilliß p. 45) ſteht 22016 feet oder 20655 Par. Fuß. Die letztere Zahl iſt beibehalten (als 6710 m) von Piſſis. b) Zwiſchen den Parallelen von Valparaiſo und Concepeion: Vulkan Maypu“, nach Gilliß Br. 340 17° (aber auf feiner Generalkarte von Chile 3347, gewiß irrtümlich) und Höhe 16572 Par. Fuß (5383 m), von Meyen beſtiegen. Das Trachyt⸗ geſtein des Gipfels hat obere Juraſchichten durchbrochen, in denen Leopold von Buch Exogyra Couloni, Trigonia costata und Ammonites biplex aus Höhen von 9000 Fuß (2920 m) erkannt hat. Keine Lavaſtröme, aber Flammen- oder Schlackenauswürfe aus dem Krater. Vulkan Peteroa“, öſtlich von Talca, Br. 34 537; ein Vulkan, der oft entzündet iſt und am 3. Dezember 1762 nach Molinas Beſchreibung eine große Eruption gehabt hat; der viel: begabte Naturforſcher Gay hat ihn 1831 beſucht. Volcan de Chillan, Br. 362“ eine Gegend, welche der Miſſionär Haveſtadt aus Münſter beſchrieben 75 In ihrer Nähe liegt der Nevado Descabezado (35° 1‘), welchen Domeyfo beftiegen und Molina (irrtümlich) für den höchſten Berg von Chile erklärt hat. Von Gilliß iſt ſeine Höhe 13100 engl. oder 12290 Par. Fuß (4840 m) geſchätzt worden. — 401 — Vulkan Tucapel, weſtlich von der Stadt Concepeion, auch Silla veluda genannt; vielleicht ein ungeöffneter Trachytberg, der mit dem entzündeten Vulkan von Antuco zuſammenhängt. c) Zwiſchen den Parallelen von Concepcion und Valdivia: Vulkan Antuco*, Br. 37° 7°; von Pöppig umſtändlich geognoſtiſch beſchrieben: ein baſaltiſcher Erhebungskrater, aus deſſen Innerem der Trachytkegel aufſteigt; Lavaſtröme, die an dem Fuß des Kegels, ſeltener aus dem Gipfelkrater, ausbrechen. Einer dieſer Ströme floß noch im Jahre 1828. Der fleißige Domeyko fand 1845 den Vulkan in voller Thätigkeit und ſeine Höhe nur 8368 Fuß (2718 m). Gilliß gibt für die Höhe 8672 Fuß (2827 m) an und erwähnt neuer Ausbrüche im Jahre 1853. Zwiſchen Antuco und dem Descabezado iſt nach einer Nachricht, die mir der ausgezeichnete amerikaniſche Aſtronom, Herr Gilliß, mitgeteilt, im Inneren der Kordillere am 25. No= vember 1847 ein neuer Vulkan aus der Tiefe erſtiegen, zu einem Hügel“ von 300 Fuß (100 m). Die ſchwefligen und feurigen Ausbrüche ſind von Domeyko über ein Jahr lang geſehen worden. Weit öſtlich vom Vulkan Antuco, in einer Parallelkette der Andes, gibt Pöppig auch noch zwei thätige Vulkane: Punhamuidda“* und Unalapquen*, an. Vulkan Callaqui. Volcan de Villarica*, Br. 39% 14°. Vulkan Chifal, Br. 39% 35°. Volcan de Panguipulli*, nach Major Philippi Br. 40°/4°. d) Zwiſchen den Parallelen von Valdivia und dem ſüdlichſten Kap der Inſel Chiloe: Vulkan Ranco. Vulkan Oſorno oder Llanquihue, Br. 41997, Höhe 6984 Fuß (2268 m). Volcan de Calbuco*, Br. 41° 127. Vulkan Guanahuca (Guanegue 2). Vulkan Minchinmadom, Br. 42° 48% Höhe 7500 Fuß (2436 m). Volcan del Corcovado*, Br. 43° 12°, Höhe 7046 Fuß (2288 m). Vulkan Yanteles (Yntales), Br. 43° 29°, Höhe 7534 Fuß (2447 m). Vulkan San Clemente, der nach Darwin aus Granit beſtehenden Peninsula de tres Montes gegenüber, Br. 46° 8“. Auf der großen Karte Südamerikas von la Cruz iſt ein ſüd— licherer Vulkan de los Gigantes, gegenüber dem Archipel de la Madre de Dios, in Br. 514“, angegeben. Seine Exiſtenz iſt ſehr zweifelhaft. Die Breiten in der vorſtehenden Tafel der Vulkane ſind A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 26 — 402 — meiſt der Karte von Piſſis, Allan Campbell und Claude Gay in dem vortrefflichen Werke von Gilliß (1845) entlehnt. 105 (S. 230.) Den 24. Januar 1804. 10 (S. 231.) Der Glimmerſchiefer-Bergknoten de los Robles (Br. 292 und des Paramo de las Papas (Br. 2“ 200 enthält die nicht 1½ Meilen (10 km) voneinander getrennten Alpenſeen, Laguna de S. lago und del Buey, aus deren erſterer die Cauca und zweiter der Magdalenenfluß entſpringt, um, bald durch eine Centralgebirgskette getrennt, ſich erſt in dem Parallel von 9° 27° in den Ebenen von Mompox und Tenerife miteinander zu ver⸗ binden. Für die geologiſche Frage: ob die vulkanreiche Andeskette von Chile, Peru, Bolivia, Quito und Neugranada mit der Gebirgs— kette des Iſthmus von Panama, und auf dieſe Weiſe mit der von Veragua und den Vulkanreihen von Coſtarica und ganz Central⸗ amerika, verzweigt ſei, iſt der genannte Bergknoten zwiſchen Popayan, Almaguer und Timana von großer Wichtigkeit. Auf meinen Karten von 1816, 1827 und 1831, deren Bergſyſteme durch Brué in Joaquin Acoſtas ſchöner Karte von Neugranada (1847) und anderen Karten verbreitet worden ſind, habe ich gezeigt, wie unter dem nördlichen Parallel von 2° 10° die Andeskette eine Dreiteilung erleidet; die weſtliche Kordillere läuft zwiſchen dem Thal des Rio Cauca und dem Rio Atrato, die mittlere zwiſchen dem Cauca und dem Rio Magdalena, die öſtliche zwiſchen dem Magdalenen⸗ thale und den Llanos (Ebenen), welche die Zuflüſſe des Maranon und Orinoko bewäſſern. Die ſpezielle Richtung dieſer drei Kordilleren habe ich nach einer großen Anzahl von Punkten bezeichnen können, welche in die Reihe der aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen fallen, von denen ich in Südamerika allein 152 durch Sternkulminationen erlangt habe. Die weſtliche Kordillere läuft öſtlich vom Rio Dagua, weit: lich von Cazeres, Roldanilla, Toro und Anſerma bei Cartago, von SSW in NNO, bis zum Salto de San Antonio im Rio Cauca (Br. 5914), welcher ſüdweſtlich von der Vega de Supia liegt. Von da und bis zu dem 9000 Fuß (2920 m) hohen Alto del Viento (Cordillera de Abibe oder Avidi, Br. 7“ 12) nimmt die Kette an Höhe und Umfang beträchtlich zu und verſchmelzt ſich in der Provinz Antioquia mit der mittleren oder Centralkordillere. Weiter in Norden, gegen die Quellen der Rios Lucio und Guacuba, verläuft ſich die Kette, in Hügelreihen verteilt. Die Cordillera occidental, welche bei der Mündung des Dagua in die Bahia de Buenaventura kaum 8 Meilen (60 km) von der Südſeeküſte entfernt iſt (Br. 3 50), hat die doppelte Entfernung im Parallel von Quibdo im Choco (Br. 548). Dieſe Bemerkung iſt deshalb von einiger Wichtigkeit, weil mit der weſtlichen Andeskette nicht das hochhügelige Land und die Hügelkette verwechſelt werden muß, welche in dieſer an Waſchgold reichen Provinz ſich von Novita und Tado an längs dem rechten Ufer des Rio San Juan und dem — 403 — linken Ufer des großen Rio Atrato von Süden nach Norden hin— zieht. Dieſe unbedeutende Hügelreihe iſt es, welche in der Que- brada de la Raspadura von dem zwei Flüſſe (den Rio San Juan oder Noanama und den Rio Quibdo, einen Zuſtrom des Atrato) und durch dieſe zwei Ozeane verbindenden Kanal des Mönches durchſchnitten wird; ſie iſt es auch, welche zwiſchen der von mir ſo lange vergeblich gerühmten Bahia de Cubira (Br. 6“ 42) und den Quellen des Napipi, der in den Atrato fällt, auf der lehrreichen Expedition des Kapitän Kellet geſehen worden iſt. Die mittlere Andeskette (Cordillera central), anhaltend die höchſte, bis in die ewige Schneegrenze reichend, und in ihrer ganzen Erſtreckung wie die weſtliche Kette faſt von Süden nach Norden gerichtet, beginnt 8 bis 9 Meilen (60 bis 67 km) in Nordoſt von Popayan mit den Paramos von Guanacos, Huila, Sraca und Chinche. Weiterhin erheben ſich von S gegen N zwiſchen Buga und Chaparral der langgeſtreckte Rücken des Nevado de Baraguan (Br. 4° 11‘), la Montana de Quindio, der ſchneebedeckte, ab⸗ geſtumpfte Kegel von Tolima, der Vulkan und Paramo de Ruiz und die Mesa de Herveo. Dieſe hohen und rauhen Bergeinöden, die man im Spaniſchen mit dem Namen Paramos belegt, ſind durch ihre Temperatur und einen eigentümlichen Vegetations— charakter bezeichnet und liegen in dem Teil der Tropengegend, welchen ich hier beſchreibe, nach dem Mittel vieler meiner Meſſungen von 9500 bis 11000 Fuß (3085 bis 3570 m) über dem Meeres- ſpiegel. In dem Parallel von Mariquita, des Herveo und des Salto de San Antonio des Cauca-Thals beginnt eine maſſenhafte Vereinigung der weſtlichen und der Centralkette, deren oben Er— wähnung geſchehen iſt. Dieſe Verſchmelzung wird am auffallendſten zwiſchen jenem Salto und der Angostura und Cascada de Cara- manta bei Supia. Dort liegt das Hochland der ſchwer zugäng— lichen Provinz Antioquia, welche nach Manuel Reſtrepo ſich von 5 ½¼“ bis 8934“ erſtreckt, und in welcher wir in der Richtung von Süden nach Norden nennen als Höhenpunkte: Arma, Sonſon; nördlich von den Quellen des Rio Samana: Marinilla, Rio Negro (6420 Fuß = 2118 m) und Medellin (4548 Fuß = 1477 m); das Plateau von Santa Roſa (7944 Fuß = 2580 m) und Valle de Osos. Weiterhin über Cazeras und Zaragoza hinaus, gegen den Zuſammenfluß des Cauca und Nechi, verſchwindet die eigentliche Gebirgskette, und der öſtliche Abfall der Cerros de San Lucar, welchen ich bei der Beſchiffung und Aufnahme des Magdalena— ſtromes von Badillas (Br. 81 und Paturia (Br. 736) aus geſehen, macht ſich nur bemerkbar wegen des Kontraſtes der weiten Flußebene. Die öſtliche Kordillere bietet das geologiſche Intereſſe dar, daß ſie nicht nur das ganze nördliche Bergſyſtem Neu-Granadas von dem Tieflande abſondert, aus welchem die Waſſer teils durch den Caguan und Caqueta dem Amazonenfluß, teils durch den — 404 — Guaviare, Meta und Apure dem Orinoko zufließen, ſondern auch deutlichſt mit der Küſtenkette von Caracas in Verbindung tritt. Es findet nämlich dort ſtatt, was man bei Gangſyſtemen ein An⸗ ſcharen nennt: eine Verbindung von Gebirgsjöchern, die auf zwei Spalten von ſehr verſchiedener Richtung und wahrſcheinlich auch zu ſehr verſchiedenen Zeiten ſich erhoben haben. Die öſtliche Kordillere entfernt ſich weit mehr als die beiden anderen von der Meridian: richtung, abweichend gegen Nordoſten, ſo daß ſie in den Schnee⸗ bergen von Merida (Br. 89 10°) ſchon 5 Längengrade öſtlicher liegt als bei ihrem Ausgang aus dem Bergknoten de los Robles unfern der Ceja und Timana. Nördlich von dem Paramo de la Suma Paz, öſtlich von der Purificacion, an dem weſtlichen Abhange des Paramo von Chingaza, in nur 8220 Fuß (2670 m) Höhe, erhebt ſich über einem Eichenwald die ſchöne, aber baumloſe und ernſte Hochebene von Bogota (Br. 4° 36). Sie hat ungefähr 18 geogr. Quadratmeilen (990 qkm) und ihre Lage bietet eine auffallende Aehnlichkeit mit der des Beckens von Kaſchmir, das aber am Wuller: fee, nach Victor Jacquemont, um 3200 Fuß (1040 m) minder hoch iſt und dem ſüdweſtlichen Abhange der Himalayakette angehört. Von dem Plateau von Bogota und dem Paramo de Chingaza ab folgen in der öſtlichen Kordillere der Andes gegen Nordoſt die Paramos von Guachaneque über Tunja, von Zoraca über Soga— moſo; von Chita (15000 Fuß? = 4870 m), nahe den Quellen des Rio Caſanare, eines Zufluſſes des Meta; vom Almorzadero (12060 Fuß = 3918 m) bei Socorro, von Cacota (10308 Fuß — 3348 m) bei Pamplona, von Laura und Porquera bei la Grita. Hier zwiſchen Pamplona, Salazar und Roſario (zwiſchen Br. 798° und 750) liegt der kleine Gebirgsknoten, von dem aus ſich ein Kamm von Süden nach Norden gegen Dcana und Valle de Upar weſtlich von der Laguna de Maracaibo vorſtreckt und mit den Vorbergen der Sierra Nevada de Santa Marta (18000 Fuß? — 5850 m) verbindet. Der höhere und mächtigere Kamm fährt in der urſprünglichen Richtung nach Nordoſten gegen Merida, Truxillo und Barquiſimeto fort, um ſich dort öſtlich von der Laguna de Maracaibo der Granitküſtenkette von Venezuela, in Weſten von Puerto Cabello, anzuſchließen. Von der Grita und dem Paramo de Porquera an erhebt ſich die öſtliche Kordillere auf einmal wieder zu einer außerordentlichen Höhe. Es folgen zwiſchen den Parallelen von 8°5’ und 9“ 7’ die Sierra Nevada de Merida (Mucuchies), von Bouſſingault unterſucht und von Codazzi trigonometriſch zu 14136 Fuß (4582 m) Höhe beſtimmt, und die vier Paramos de Timotes, Niquitao, Boconö und de las Rosas, voll der herrlichſten Alpenpflanzen. Vulkaniſche Thätigkeit fehlt der weſtlichen Kordillere ganz, der mittleren iſt ſie eigen bis zum Tolima und Paramo de Ruiz, die aber vom Vulkan von Puracs faſt um drei Breitengrade getrennt ſind. Die öſtliche Kordillere hat nahe an ihrem öſtlichen Abfall, nnen re — 405 — an dem Urſprung des Rio Fragua, nordöſtlich von Mocoa, ſüd⸗ öſtlich von Timana, einen rauchenden Hügel: entfernter vom Litorale der Südſee als irgend ein anderer noch thätiger Vulkan im neuen Kontinente. Eine genaue Kenntnis der örtlichen Verhältniſſe der Vulkane zu der Gliederung der Gebirgszüge iſt für die Vervoll⸗ kommnung der Geologie der Vulkane von höchſter Wichtigkeit. Alle älteren Karten, das einzige Hochland von Quito abgerechnet, konnten nur irre leiten. 110 (S. 232.) Der Pik von Vilcanoto (15970 Fuß = 5187 m), liegend in Br. 14° 28“, ein Teil des mächtigen Gebirgsſtockes dieſes Namens, oſtweſtlich gerichtet, ſchließt das Nordende der Hochebene, in welcher der 22 geogr. Meilen (162 km) lange See von Titicaca, ein kleines Binnenmeer, liegt. 111 (S. 234.) Die Abweſenheit der Monokotyledonen iſt aber nur eigentümlich den zerſtreut auf der Oberfläche und beſonders in den Bächen der Regentſchaft Bantam liegenden verkieſelten Baumſtämmen; in den unterirdiſchen Kohlenſchichten finden ſich dagegen Reſte von Palmenholz, die zwei Geſchlechtern (Flabellaria und Amesoneuron) angehören. 112 (S. 235.) Ueber die Bedeutung des Wortes Möru und die Vermutungen, welche mir Burnouf über ſeinen Zuſammenhang mit mira (einem Sanskritworte für Meer) mitgeteilt, ſ. meine Asie centrale T. I, p. 114—116 und Laſſens Indiſche Altertumskunde Bd. J, S. 847, der geneigt iſt, den Namen für nicht ſanskritiſchen Urſprunges zu halten. 113 (S. 235.) Gunung iſt das javaniſche Wort für Berg, im Malaiiſchen günung, das merkwürdigerweiſe nicht weiter über den ungeheuren Bereich des malaiiſchen Sprachſtammes verbreitet iſt. Da es die Gewohnheit iſt, dieſes Wort gunung den Namen der Berge auf Java vorzuſetzen, ſo iſt es im Texte durch ein ein⸗ faches G. angedeutet. 114 (S. 235.) Aber nicht bloß Java hat einen Koloß, den Semeru, von 11480 Fuß (3753 m), welcher alſo den Pik von Tenerifa um ein geringes an Höhe überſteigt; dem, ebenfalls noch thätigen, aber, wie es ſcheint, minder genau gemeſſenen Pik von Indrapura auf Sumatra werden auch 11500 Fuß (3756 m) zu⸗ geſchrieben. Dieſem ſtehen auf Sumatra am nächſten die Kuppe Telaman, welche einer der Gipfel des Ophir (nicht 12980 Fuß = 4216 m, ſondern nur 9010 Fuß - 2927 m hoch) iſt, und der Merapi (nach Dr. Horner 8980 Fuß = 2917 m), der thätigſte unter den 13 Vulkanen von Sumatra, der aber bei der Gleichheit des Namens nicht zu verwechſeln iſt mit zwei Vulkanen auf Java, dem berühmten Merapi bei Dſchokdſchokarta (S640 Fuß = 2807 m) und dem Merapi als öſtlichem Gipfelteil des Vulkans Idjen (8065 Fuß — 2520 m). Man glaubt in dem Merapi wieder den heiligen Namen Meru, mit dem malaiiſchen und javaniſchen Worte api, Feuer, verbunden, zu erkennen. f — 406 — 115 (S. 236.) Von 1829 bis 1848 hat der kleine Auswurfs⸗ krater des Bromo 8 feurige Eruptionen gehabt. Der Kraterſee, welcher 1842 verſchwunden war, hatte ſich 1848 wieder gebildet, aber nach den Beobachtungen von B. van Herwerden ſoll die An— weſenheit des Waſſers im Keſſelſchlunde gar nicht den Ausbruch glühender, weit geſchleuderter Schlacken gehindert haben. 116 (S. 237.) Der G. Pepandajan iſt 1819 von Reinwardt, 1837 von Junghuhn erſtiegen worden. Der letztere, welcher die Umgebung des Berges, ein mit vielen eckigen ausgeworfenen Lava— blöcken bedecktes Trümmerfeld, genau unterſucht und mit den früheſten Berichten verglichen hat, hält die durch ſo viele ſchätzbare Werke verbreitete Nachricht, daß ein Teil des eingeſtürzten Berges und ein Areal von mehreren Quadratmeilen während des Aus⸗ bruchs von 1772 verſunken ſei, für ſehr übertrieben. 117 (S. 239.) Barranco und barranca, beide gleichbedeutend und beide genugſam im ſpaniſchen Amerika gebraucht, bezeichnen allerdings eigentlich eine Waſſerfurche, einen Waſſerriß: la quiebra que hacen en la tierra las corrientes de las aguas; — „una torrente que hace barrancas“; weiter bezeichnen fie auch jegliche Schlucht. Daß aber das Wort barranca mit barro: Thon, weicher, feuchter Letten, auch Wegkot, zuſammenhänge, iſt zu bezweifeln. 118 (S. 239.) Die auffallendſte Analogie mit dem Phänomen regelmäßiger Geripptheit auf Java bietet die Oberfläche des Somma⸗ mantels am Veſuv dar, über deſſen 70 Faltungen ein ſcharf⸗ ſinniger und genau meſſender Beobachter, der Aſtronom Julius Schmidt, viel Licht verbreitet hat. Dieſe Thalfurchen ſind nach Leop. von Buch ihrem primitiven Urſprunge nach nicht Regenriſſe (fiumare), ſondern Folgen der Zerſprengtheit (Faltung, étoilement) bei erſter Erhebung der Vulkane. Auch die meiſt radiale Stellung der Seitenausbrüche gegen die Achſe der Vulkane ſcheint damit zuſammenzuhängen. 11 (S. 239.) „L’obsidienne et par conséquent les pierres- ponces sont aussi rares à Java que le trachyte lui-m&me. Un autre fait trös curieux c'est l’absence de toute coulee de lave dans cette ile volcanique. Mr. Reinwardt, qui lui meme a observé un grand nombre d’eruptions, dit expressement qu'on n'a jamais eu d’exemples que l’eruption la plus violente et la plus devastatrice ait été accompagnee de laves.“ Leop. de Buch, Description des Iles Canaries p. 419. In den vulkaniſchen Gebirgsarten von Java, welche das Mineralienfabinett zu Berlin dem Dr. Junghuhn verdankt, ſind Diorittrachyte, aus Oligoklas und Hornblende zuſammengeſetzt, deutlichſt zu erkennen zu Burung-agung S. 255 des Leidener Katalogs, zu Tjinas S. 232 und im Gunung Parang, der im Diſtrikt Batugangi liegt. Das iſt alſo identiſch die Formation von dioritiſchem Trachyte der Vul⸗ kane Orizaba und Toluca von Mexiko, der Inſel Panaria in den Liparen und Aegina im Aegeiſchen Meer! — ch — 407 — 120 (S. 239.) Die feurigen Streifen, welche man am Vulkan G. Merapi ſah, waren gebildet durch nahe zuſammengedrängte Schlackenſtröme (traindes de fragments), durch unzuſammen⸗ hängende Maſſen, die beim Ausbruch nach derſelben Seite hin herabrollen und bei ſehr verſchiedenem Gewicht am jähen Abfall aufeinanderſtoßen. Bei dem Ausbruch des G. Lamongan am 26. März 1847 hat ſich, einige hundert Fuß unterhalb des Ortes ihres Urſprungs, eine ſolche bewegte Schlackenreihe in zwei Arme geteilt. „Der feurige Streifen,“ heißt es ausdrücklich, „bes ſtand nicht aus wirklich geſchmolzener Lava, ſondern aus dicht hintereinander rollenden Lavatrümmern.“ Der G. Lamongan und der G. Semeru ſind gerade die beiden Vulkane der Inſel Java, welche durch ihre Thätigkeit in langen Perioden dem kaum 2800 Fuß (900 m) hohen Stromboli am ähnlichſten gefunden werden, da ſie, wenngleich in Höhe ſo auffallend verſchieden (der Lamongan 5010 [1627 m] und der Semeru 11480 Fuß [3753 m] hoch), der erſtere nach Pauſen von 15 bis 20 Minuten (Eruption vom Juli 1838 und März 1847), der andere von 1½ bis 3 Stunden (Eruption vom Auguſt 1836 und September 1844), Schlackenauswürfe zeigten. Auf Stromboli ſelbſt kommen neben vielen Schlackenauswürfen auch kleine, aber ſeltene Lavaergießungen vor, welche, durch Hinderniſſe aufgehalten, bisweilen am Abhange des Kegels erſtarren. Ich lege eine große Wichtigkeit auf die verſchiedenen Formen der Konti- nuität oder Sonderung, unter denen ganz oder halb geſchmolzene Materien ausgeſtoßen oder ergoſſen werden, ſei es aus denſelben oder aus verſchiedenen Vulkanen. Analoge Forſchungen, unter ver— ſchiedenen Zonen und nach leitenden Ideen unternommen, ſind ſehr zu wünſchen bei der Armut und großen Einſeitigkeit der An- ſichten, zu welcher die vier thätigen europäiſchen Vulkane führen. Die von mir 1802, von meinem Freunde Bouſſingault 1831 auf: geworfene Frage, ob in den Kordilleren von Quito der Antiſana Lavaſtröme gegeben habe, die wir weiter unten berühren, findet vielleicht in den Ideen der Sonderung des Flüſſigen ihre Löſung. Der weſentliche Charakter eines Lavaſtroms iſt der einer gleich— mäßigen, zuſammenhängenden Flüſſigkeit, eines bandartigen Stromes, aus welchem beim Erkalten und Verhärten ſich an der Oberfläche Schalen ablöſen. Dieſe Schalen, unter denen die faſt homogene Lava lange fortfließt, richten ſich teilweiſe durch Ungleichheit der inneren Bewegung und Entwickelung heißer Gasarten ſchief oder ſenkrecht auf; und wenn ſo mehrere Lavaſtröme zuſammenfließend einen Lavaſee, wie in Island, bilden, ſo entſteht nach der Erkaltung ein Trümmerfeld. Die Spanier, beſonders in Mexiko, nennen eine ſolche, zum Durchſtreifen ſehr unbequeme Gegend ein malpais. Es erinnern ſolche Lavafelder, die man oft in der Ebene am Fuß eines Vulkans findet, an die gefrorene Oberfläche eines Sees mit aufgetürmten kurzen Eisſchollen. 121 (S. 240.) Den Namen G. Idjen kann man nach Buſch— — 408 — mann durch das javaniſche Wort hidjen: einzeln, allein, beſonders, deuten; eine Ableitung von dem Subſtantiv hidji oder widji, Korn, Samenkorn, welches mit sa das Zahlwort eins ausdrückt. Ueber die Etymologie von G. Tengger ſiehe die inhaltreiche Schrift meines Bruders über die Verbindungen zwiſchen Java und Indien (Kawiſprache Bd. J, S. 188), wo auf die hiſtoriſche Wichtigkeit des Tenggergebirges hingewieſen wird, das von einem kleinen Volksſtamm bewohnt wird, welcher, feindlich gegen den jetzt allgemeinen Mohammedanismus auf der Inſel, ſeinen alten indiſch-javaniſchen Glauben bewahrt hat. Junghuhn, der ſehr fleißig Bergnamen aus der Kawiſprache erklärt, ſagt, tengger be⸗ deute im Kawi Hügel; eine ſolche Deutung erfährt das Wort auch in Gerickes javaniſchem Wörterbuch. Slamat, der Name des hohen Vulkans von Tegal, iſt das bekannte arabiſche Wort selamat, welches Wohlfahrt, Glück und Heil bedeutet. 22 (S. 242.) In meinem Essai politique sur la Nou— velle-Espagne habe ich in den zwei Auflagen von 1811 und 1827, wie es die Natur jenes Werkes erheiſchte, nur einen ge— drängten Auszug aus meinem Tagebuche gegeben, ohne den topo— graphiſchen Plan der Umgegend und die Höhenkarte liefern zu können. Bei der Wichtigkeit, welche man auf eine ſo große Er— ſcheinung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts gelegt hat, glaubte ich jenen Auszug hier vervollſtändigen zu müſſen. Einzel⸗ heiten über den neuen Vulkan von Jorullo verdanke ich einem erſt im Jahre 1830 durch einen ſehr wiſſenſchaftlich gebildeten mexika⸗ niſchen Geiſtlichen, Don Juan oje Paſtor Morales, aufgefundenen offiziellen Dokument, das drei Wochen nach dem Tage des erſten Ausbruchs verfaßt worden iſt; wie auch mündlichen Mitteilungen meines Begleiters, des Biscainers Don Roman Espelde, der noch lebende Augenzeugen des erſten Ausbruchs hatte vernehmen können. Morales hat in den Archiven des Biſchofs von Michoacan einen Bericht entdeckt, welchen Joaquin de Anſogorri, Prieſter in dem indiſchen Dorfe la Guacana, am 19. Oktober 1759 an feinen Biſchof richtete. Der Oberbergrat Burkart hat in ſeiner lehrreichen Schrift (Aufenthalt und Reiſen in Mexiko, 1836) ebenfalls ſchon einen kurzen Auszug daraus gegeben. Don Roman Espelde bewohnte zur Zeit meiner Reiſe die Ebene von Jorullo und hat das Verdienſt, zuerſt den Gipfel des Vulkans beſtiegen zu haben. Er ſchloß ſich einige Jahre nachher der Expedition an, welche der Intendente Corregidor Don Juan Antonio de Riaßo am 10. März 1789 machte. Zu derſelben Expedition gehörte ein wohl unter: richteter, in ſpaniſche Dienſte als Bergkommiſſar getretener Deutſcher, Franz Fiſcher. Durch den letzten iſt der Name des Jorullo zuerſt nach Deutſchland gekommen, da er desſelben in den Schriften der Geſellſchaft der Bergbaukunde Bd. II, S. 441 in einem Briefe erwähnte. Aber früher ſchon war in Italien des Ausbruchs des neuen Vulkans gedacht worden: in Clavigeros Storia re antica del Messico (Cesena 1780) und in dem poetischen Werke Rusticatio mexicana des Pater Raphael Landivar (ed. altera, Bologna 1782). Clavigero ſetzt in ſeinem ſchätzbaren Werke die Entſtehung des Vulkans, den er Juruyo ſchreibt, fälſchlich in das Jahr 1760 und erweitert die Beſchreibung des Ausbruchs durch Nachrichten über den ſich bis Queretaro erſtreckenden Aſchen— regen, welche ihm 1766 Don Juan Manuel de Buſtamante, Gou⸗ verneur der Provinz Valladolid de Michoacan, als Augenzeuge des Phänomens mitgeteilt hatte. Landivar, der unſerer Hebungs⸗ theorie enthuſiaſtiſch, wie Ovidius, zugethane Dichter, läßt in wohl⸗ klingenden Hexametern den Koloß bis zur vollen Höhe von 3 milliaria aufſteigen, und findet (nach Art der Alten) die Thermalquellen bei Tage kalt und bei Nacht warm. Ich ſah aber um Mittag das hundertteilige Thermometer im Waſſer des Rio de Cuitimba bis 52½“ ſteigen. Antonio de Alcedo gab in dem fünften Teile ſeines großen und nützlichen Diccionario geogräfico-histörico de las Indias oceidentales 6 America, 1789, alſo in demſelben Jahre als des Gouverneurs Riaßo und Bergkommiſſars Franz Fiſcher Bericht in der Gazeta de Mexico erſchien, in dem Artikel Kurullo die intereſſante Notiz, daß, als die Erdbeben in den Playas anfingen (29. Juni 1759), der im Ausbruch be— griffene weſtliche Vulkan von Colima ſich plötzlich beruhigte, ob er gleich „70 leguas“ (wie Alcedo ſagt; nach meiner Karte nur 28 geogr. Meilen!) von den Playas entfernt iſt. „Man meint,“ ſetzt er hinzu, „die Materie ſei in den Eingeweiden der Erde dort auf Hinderniſſe geſtoßen, um ihrem alten Laufe zu folgen; und da ſie geeignete Höhlungen (in Oſten) gefunden habe, ſei ſie im Jorullo ausgebrochen (para reventar en Xurullo).“ Genaue topographiſche Angaben über die Umgegend des Vulkans finden ſich auch in des Juan Joſé Martinez de Lejarza geographiſchem Abriß des alten Taraskerlandes. Das Zeugnis des zu Valladolid in der Nähe des Jorullo wohnenden Verfaſſers, daß ſeit meinem Aufenthalte in Mexiko keine Spur einer vermehrten vulkaniſchen Thätigkeit ſich an dem Berge gezeigt hat, hat am früheſten das Gerücht von einem neuen Ausbruche im Jahre 1819 widerlegt. Da die Poſition des Jorullo in der Breite nicht ohne Wichtigkeit iſt, ſo bin ich darauf auf⸗ merkſam geworden, daß Lejarza, der ſonſt immer meinen aſtro— nomiſchen Ortsbeſtimmungen folgt, auch die Länge des Jorullo ganz wie ich 2° 25° weſtlich vom Meridian von Mexiko (103° 50° weſtlich von Paris) nach Zeitübertragung angibt, in der Breite von mir abweicht. Sollte die von ihm dem Jorullo beigelegte Breite von 18° 53° 30“, welche der des Vulkans Popocatepetl (18° 59° 47°) am nächſten kommt, ſich auf neuere, mir unbekannte Beobachtungen gründen? Ich habe in meinem Recueil d'Observ. astrono- miques Vol. II, p. 521 ausdrücklich gejagt: latitude supposee 19° 8°, geſchloſſen aus guten Sternbeobachtungen zu Valladolid, — 40 — welche 199 52° 8“ gaben, und aus der Wegrichtung.“ Die Wichtig— keit der Breite von Jorullo habe ich erſt erkannt, als ich ſpäter die große Karte des Landes Mexiko in der Hauptſtadt zeichnete und die oſtweſtliche Vulkanreihe eintrug. Da ich in dieſen Betrachtungen über den Urſprung des Jorullo mehrfach der Sagen gedacht habe, welche noch heute in der Um— gegend herrſchen, ſo will ich am Schluß dieſer langen Anmerkung noch einer ſehr volkstümlichen Sage Erwähnung thun, welche ich ſchon in einem anderen Werke berührt habe: „Selon la credulite des indigenes, ces changements extraordinaires que nous venons de decrire, sont l’ouvrage des moines, le plus grand peut-etre qu’ils aient produit dans les deux hémisphères. Aux Playas de Jorullo, dans la chaumiere que nous habitions, notre höte indien nous raconta qu'en 1759 des Capucins en mission pre- cherent & l'habitation de San Pedro; mais que, n'ayant pas trouvé un accueil favorable, ils chargerent cette plaine, alors si belle et si fertile, des imprécations les plus horribles et les plus compliquees: ils prophetiserent que d’abord l’habitation serait engloutie par des flammes qui sortiraient de la terre, et que plus tard l'air ambiant se refroidirait & tel point que les montagnes voisines resteraient éternellement couvertes de neige et de glace. La premiere de ces malédictions ayant eu des suites si funestes, le bas peuple indien voit deja dans le refroidissement progressif du Volcan le présage d'un hiver perpétuel.“ Neben dem Dichter, Pater Landivar, iſt wohl die erſte ge— druckte Erwähnung der Kataſtrophe die ſchon vorhin genannte in der Gazeta de Mexico de 5 de Mayo 1789 geweſen; ſie führt die beſcheidene Ueberſchrift: „Superficial y nada facultativa Descripcion del estado en que se hallaba el Volcan de Jorullo la manana del dia 10 de Marzo de 1789,“ und wurde veran⸗ laßt durch die Expedition von Niano, Franz Fiſcher und Espelde. Später (1791) haben auf der nautiſch-aſtronomiſchen Expedition von Malaſpina die Botaniker Mozino und Don Martin Seſſe, eben⸗ falls von der Südſeeküſte aus, den Jorullo beſucht. 123 (S. 245.) Meine Barometermeſſungen geben für Mexiko 1168 Toiſen (2276 m), Valladolid 1002 Toiſen (1951 m), Pat: cuaro 1130 Toiſen (2202 m), Ario 994 Toiſen (1937 m), Agua⸗ ſarco 780 Toiſen (1520 m), für die alte Ebene der Playas de Jorullo 404 Toiſen (787 m). 124 (S. 245.) Ueber der Oberfläche des Meeres finde ich, wenn die alte Ebene der Playas 404 Toiſen (787 m) iſt, für das Maximum der Konvexität des Malpais 487 Toiſen (930 m), für den Rücken des großen Lavaſtromes 600 Toiſen (1170 m), für den höchſten Kraterrand 667 Toiſen (1300 m); für den tiefſten Punkt des Kraters, an welchem wir das Barometer aufſtellen konnten, 644 Toiſen (1255 m). Demnach ergaben ſich für die Höhe des — 41 — Gipfels vom Jorullo über der alten Ebene 263 oder 1578 Fuß 513 m). f = (S. 246.) Vgl. über den Jorullo Carl Pieſchels lehr— reiche Beſchreibung der Vulkane von Mexiko, mit Erläuterungen von Dr. Gumprecht, in der Zeitſchrift für Allg. Erdkunde der geogr. Geſellſchaft zu Berlin Bd. VI, 1856, S. 490—517; und die eben erſchienenen pittoresken Anſichten in Pieſchels Atlas der Vulkane der Republik Mexiko, 1856 Taf. 13, 14 und 15. Das königliche Muſeum zu Berlin beſitzt in der Ab— teilung der Kupferſtiche und Handzeichnungen eine herrliche und zahlreiche Sammlung von Abbildungen der mexikaniſchen Vulkane (mehr als 40 Blätter), nach der Natur dargeſtellt von Moritz Rugendas. Von dem weſtlichſten aller mexikaniſchen Vulkane, dem von Colima, hat dieſer große Meiſter allein 15 farbige Ab- bildungen geliefert. 125 (S. 249). „Nous avons été, Mr. Bonpland et moi, etonnes surtout de trouver enchässes dans les laves basal- tiques, lithoides et scorifiees du Volcan de Jorullo des frag- ments anguleux blancs ou blancs-verdätres de Syenite, composes de peu d’amphibole et de beaucoup de feldspat lamelleux. Lä oü ces masses ont été crevassees par la chaleur, le feld- spat est devenu filandreux, de sorte que les bords de la fente sont reunis dans quelques endroits par des fibres alon- gees de la masse. Dans les Cordilleres de l’Amerique du Sud, entre Popayan et Almaguer, au pied du Cerro Broncoso, qᷓ ai trouvé de veritables fragments de gneis enchässes dans un trachyte abondant en pyroxene. Ces phenomenes prouvent que les formations trachytiques sont sorties au-dessous de la eroüte granitique du globe. Des phenomenes analogues pre- sentent les trachytes du Siebengebirge sur les bords du Rhin et les couches inferieures du Phonolithe (Porphyrschiefer) du Biliner Stein en Boh&me.“ Humboldt, Essai geognostique sur le Gisement des Roches, 1323, p. 133 und 339. Aud) Burkart erkannte in der ſchwarzen, olivinreichen Lava des Jorullo umſchloſſen: „Blöcke eines umgeänderten Syenits. Hornblende iſt nur ſelten deutlich zu erkennen. Die Syenitblöcke dürften wohl den unumſtößlichen Beweis liefern, daß der Sitz des Feuerherdes des Vulkans von Jorullo ſich in oder unter dem Syenit befinde, welcher wenige Meilen (leguas) ſüdlicher auf dem linken Ufer des der Südſee zufließenden Rio de las Balsas ſich in bedeutender Ausdehnung zeigt.“ Auf Lipari bei Caneto haben Dolomieu und 1832 der vortreffliche Geognoſt Friedrich Hoffmann ſogar in derben Obſidianmaſſen eingeſchloſſene Fragmente von Granit gefunden, der aus blaßrotem Feldſpat, ſchwarzem Glimmer und wenig hell: grauem Quarz gebildet war. 127 (S. 251.) Der weſtlichſte der 3 Kegel, jetzt Kara Devlit genannt, iſt 500 Fuß (162 m) über der Ebene erhaben und hat — 412 — einen großen Lavaſtrom gegen Koula hin ergoſſen. Ueber 30 kleine Kegel zählte Hamilton in der Nähe. Die 3 Schlünde (Bödpo:r und bg des Strabo) ſind Krater, welche auf koniſchen, aus Schlacken und Laven zuſammengeſetzten Bergen liegen. 1 (S. 251.) Poſtels und Leopold von Buch erwähnen der Aehnlichkeit mit den Hornitos von Jorullo. Erman beſchreibt in einem mir gütigſt mitgeteilten Manuſkripte eine große Zahl ab— geſtumpfter Schlackenkegel in dem ungeheuren Lavafelde öſtlich von den Baidarenbergen auf der Halbinſel Kamtſchatka. (S. 252.) Sehr vollſtändig und mit lobenswerter Un— parteilichkeit ſind alle genetiſchen Fragen behandelt in der neunten Auflage von Sir Charles Lyells Principles of Geology, 1853, p. 369. Schon Bouguer war der Idee der Erhebung des Vulkans von Pichincha nicht abgeneigt: „il n'est pas impossible, que le rocher, qui est brüle et noir, ait été souleve par l’ac- tion du feu souterrain.“ 30 (S. 252.) Zu der ſicheren Beſtimmung der Mineralien, aus welchen die mexikaniſchen Vulkane zuſammengeſetzt ſind, haben ältere und neuere Sammlungen von mir und Pieſchel * werden können. * (S. 253.) Der ſchöne Marmor von la Puebla e aus den Brüchen von Tecali, Totomehuacan und Portachuelo, ſüdlich von dem hohen Trachytgebirge el Pizarro. Auch nahe bei der Treppenpyramide von Cholula, an dem Wege nach la Puebla, habe ich Kalkſtein zu Tage kommen ſehen. 2 (S. 254.) Der Cofre de Perote ſteht, im Südoſt des Fuerte oder Castillo de Perote, nahe dem öſtlichen Abfall der großen Hochebene von Mexiko, faſt iſoliert da; ſeiner großen Maſſe nach iſt er aber doch einem wichtigen Höhenzug angehörig, welcher ſich, den Rand des Abfalls bildend, ſchon von Cruz blanca und Rio frio gegen las Vigas (lat. 19 37“ 37), über den Cofre von Perote (lat. 19“ 28° 57“, long. 99° 28° 39), weſtlich von Kicochi— malco und Achilchotla, nach dem Pik von Orizaba (lat. 19° 2° 17, long. 99° 35° 15) in der Richtung von Norden nach Süden er— ſtreckt: parallel der Kette (Popocatepetl —Iztaceihuatl), welche das Keſſelthal der mexikaniſchen Seen von der Ebene von la Puebla trennt. Da der Cofre ſich in einem viele Meilen breiten Bimsſtein— felde ſchroff erhoben hat, ſo hat es mir bei der winterlichen Be— ſteigung (das Thermometer ſank auf dem Gipfel den 7. Februar 1804 bis 2° unter den Gefrierpunkt) überaus intereſſant geſchienen, daß die Bimsſteinbedeckung, deren Dicke und Höhe ich an mehreren Punkten barometriſch beim Hinauf- und Herabſteigen maß, ſich über 732 Fuß (238 m) erhebt. Die untere Grenze des Bimsſteins in der Ebene zwiſchen Perote und Rio Frio iſt 1187 Toiſen (2313 m) über dem Meeresſpiegel, die obere Grenze am nördlichen Abhange des Cofre 1309 Toiſen (2551 m); von da an durch den Pinahuaſt, das Alto de los Caxones (1954 Toiſen = 3607 m), wo ich die nn — 413 — Breite durch Kulmination der Sonne beſtimmen konnte, bis zum Gipfel ſelbſt war keine Spur von Bimsſtein zu ſehen. Bei Er⸗ hebung des Berges iſt ein Teil der Bimsſteindecke des großen Arenal, das vielleicht durch Waſſer ſchichtweiſe geebnet worden iſt, mit emporgeriſſen worden. Ich habe an Ort und Stelle in mein Journal (Februar 1804) eine Zeichnung dieſes Bimsſteingürtels ein⸗ getragen. Es iſt dieſelbe wichtige Erſcheinung, welche im Jahr 1834 am Veſuv von Leopold von Buch beſchrieben wurde, wo ſöhlige Bimsſteintuffſchichten durch das Aufſteigen des Vulkans, freilich zu größerer Höhe, 1800 — 1900 Fuß (5850 — 6170 m), gegen die Ein⸗ ſiedelei des Salvatore hin gelangten. Die Oberfläche des diorit⸗ artigen Trachytgeſteins am Cofre war da, wo ich den höchſten Bimsſtein fand, nicht durch Schnee der Beobachtung entzogen. Die Grenze des ewigen Schnees liegt in Mexiko unter der Breite von 19° und 18 ¼“ erſt in der mittleren Höhe von 2310 Toiſen (4500 m); und der Gipfel des Cofre erreicht bis zum Fuß des kleinen hausartigen Würfelfelſens, wo ich die Inſtrumente auf: ſtellte, 2098 Toiſen oder 12 588 Fuß (4089 m) über dem Meere. Nach Höhenwinkeln iſt der Würfelfels 21 Toiſen oder 126 Fuß (41 m) hoch; alſo iſt die Totalhöhe, zu der man wegen der jenf: rechten Felswand nicht gelangen kann, 12 714 Fuß (4130 m) über dem Meere. Ich fand nur einzelne Flecke ſporadiſch gefallenen Schnees, deren untere Grenze 11400 Fuß (3703 m) war: ungefähr 700—800 Fuß (225 - 260 m) früher als die obere Waldgrenze in ſchönen Tannenbäumen: Pinus occidentalis, gemengt mit Cupressus sabinoides und Arbutus Madrono. Die Eiche, Quercus xalapensis, hatte uns nur bis 9700 Fuß (3150 m) abſoluter Höhe begleitet. Der Name Nauhcampatepetl, welchen der Berg in der mexi⸗ kaniſchen Sprache führt, iſt von ſeiner eigentümlichen Geſtalt her: genommen, die auch die Spanier veranlaßte, ihm den Namen Cofre zu geben. Er bedeutet: viereckiger Berg; denn nauhcampa, von dem Zahlwort nahui 4 gebildet, heißt zwar als Adv. von vier Seiten, aber als Adj. (obgleich die Wörterbücher dies nicht an⸗ geben) wohl ohne Zweifel viereckig oder vierſeitig, wie dieſe Bedeutung der Verbindung nauhcampa ixquich beigelegt wird. Ein des Landes ſehr kundiger Beobachter, Herr Pieſchel, vermutet das Daſein einer alten Krateröffnung am öſtlichen Abhange des Koffers von Perote. Die Anſicht des Cofre, welche ich in meinen Vues des Cordilleres auf Pl. XXXIV gegeben, habe ich in der Nähe des Kaſtells San Carlos de Perote, in einer Entfernung von ungefähr zwei Meilen, entworfen. — Der altaztekiſche Name von Perote war Pinahuizapan und bedeutet (nach Bufhmann): an dem Waſſer der (für ein böſes Wahrzeichen gehaltenen und zu abergläubiſcher Zeichendeutung gebrauchten) Käferart pinahuiztli: ein Name, welcher von pinahua, ſich ſchämen, abgeleitet wird. Von demſelben Verbum ſtammt der obige Ortsname Pinahuaſt (pinahuaztli) aus dieſer Gegend; ſowie der Name einer Staude — 14 (Mimoſacee?) pinahuihuiztli, von Hernandez herba verecunda überſetzt, deren Blätter bei der Berührung herabfallen. 13 (S. 255.) „Je n'ai point connu,“ jagt La Condamine, „la matiere de la lave en Amerique, quoique nous ayons, Mr. Bouguer et moi, campe des semaines et des mois entiers sur les volcans, et nommement sur ceux de Pichincha, de Cotopaxi et de Chimborazo. Je n’ai vu sur ces montagnes que des vestiges de calcination sans liquéfaction. Cependant l’espece de cristal noirätre appele vulgairement au Perou Piedro de Gallinaco (Obsidienne), dont j'ai rapporte plusieurs morceaux et dont on voit une lentille polie de sept & huit pouces de diamètre au Cabinet du Jardin du Roi, n'est autre chose qu'un verre forme par les volcans. La matiere du torrent de feu qui découle continuellement de celui de Sangai dans la province de Macas, au sud-est de Quito, est sans doute une lave; mais nous n’avons vu cette montagne que de loin; et je n'étois plus à Quito dans le temps des dernieres eruptions du volcan de Cotopaxi, lorsque sur ses flancs il s’ouvrit des espèces de soupiraux, d'où l'on vit sortir ä-flots des matières enflammees et liquides qui devoient &tre d'une nature semblable à la lave de Vésuve.“ Beide Beijpiele, be⸗ ſonders das erjtere, find nicht glücklich gewählt. Der Sangay ift erſt im Dezember des Jahres 1849 von Sebaſtian Wiſſe wiſſen— ſchaftlich unterſucht worden; was La Condamine in einer Ent— fernung von 27 geographiſchen Meilen für herabfließende leuchtende Lava, ja für „einen Erguß brennenden Schwefels und Erdpechs“ hielt, ſind glühende Steine und Schlackenmaſſen, welche bisweilen, nahe aneinander gedrängt, an dem ſteilen Abhange des Aſchen— kegels herabgleiten. Am Cotopaxi habe ich nicht mehr als am Tunguragua, Chimborazo, Pichincha, oder an dem Purace und Sotara bei Popayan etwas geſehen, was für ſchmale Lavaſtröme, dieſen Bergkoloſſen entfloſſen, gelten könnte. Die unzuſammen— hängenden glühenden, oft obſidianhaltigen Maſſen von 5—6 Fuß (1,6—2 m) Durchmeſſer, welche bei ſeinen Ausbrüchen der Cotopaxi hervorgeſchleudert hat, ſind, von Fluten geſchmolzenen Schnees und Eiſes geſtoßen, bis weit in die Ebene gelangt und bilden dort teilweiſe ſtrahlenförmig divergierende Reihen. Auch ſagt La Con⸗ damine an einem anderen Orte ſehr wahr: „Ces éclats de rocher, gros comme une chaumiere d'Indien, forment des trainees de rayons qui partent du Volcan comme d'un centre commun.“ 134 (S. 255.) Guettards Abhandlung über die ausgebrannten Vulkane wurde 1752, alſo 3 Jahre vor La Condamines Reiſe nach Italien, in der Akademie verleſen; aber erſt 1756, alſo während der italieniſchen Reiſe des Aſtronomen, gedruckt. 135 (S. 259.) „ll y a peu de volcans dans la chaine des Andes (ſagt Leopold von Buch) qui aient offert des courants de laves, et jamais on n’en a vn antour des voleans de — 415 — Quito. L'Antisana, sur la chaine orientale des Andes, est le seul volcan de Quito, sur lequel Mr. de Humboldt ait vu pres du sommet quelque chose d’analogue à un courant de laves; cette coulée était tout à fait semblable à de l’Obsi- dienne.“ 136 (S. 260.) „Nous differons entièrement sur la pretendue coulee d’Antisana vers Pinantura. Je considere cette coulee comme un soulevement recent analogue à ceux de Calpi (Lana urcu), Pisque et Jorullo. Les fragments trachytiques ont pris une épaisseur plus considerable vers le milieu de la coulee. Leur couche est plus épaisse vers Pinantura que sur des points plus rapproches d’Antisana. L’etat fragmentaire est un effet du soulevement local, et souvent dans la Cordillere des Andes les tremblements de terre peuvent &tre produit par des tasse- ments.“ (Lettre de Mr. Boussingault, en aoüt 1834.) In der Beſchreibung feiner Beſteigung des Chimborazo (Dezember 1831) ſagt Bouſſingault: „Die Maſſe des Berges beſteht nach meiner Anſicht aus einem Haufwerk ganz ohne alle Ordnung übereinander getürmter Trachyttrümmer. Dieſe oft ungeheuren Trachytſtücke eines Vulkans ſind in ſtarrem Zuſtande gehoben; ihre Ränder ſind ſcharf; nichts deutet darauf, daß ſie in Schmelzung oder nur einmal im Zuſtand der Erweichung geweſen wären. Nirgends beobachtet man an irgend einem der Aequatorialvulkane etwas, was auf einen Lavaſtrom ſchließen laſſen könnte. Niemals iſt aus dieſen Kratern etwas anderes ausgeworfen worden als Schlammmaſſen, elaſtiſche Flüſſigkeiten und glühende, mehr oder weniger verſchlackte Trachytblöcke, welche oft in beträchtliche Entfernungen geſchleudert wurden.“ Ueber die erſte Entſtehung der Meinung von dem Ge— hobenſein ſtarrer Maſſen als aufgehäufter Blöcke ſ. Acoſta in den Viajes los Andes ecuatoriales por Mr. Boussingault, 1846, p. 222 und 223. Die durch Erdſtöße und andere Urſachen veranlaßte Bewegung der aufgehäuften Bruchſtücke und die allmähliche Ausfüllung der Zwiſchenräume ſoll nach des berühmten Reiſenden „ eine allmähliche Senkung vulkaniſcher Berggipfel hervor: ringen. 57 (S. 261.) Schmale, langgedehnte Granitmauern können bei den früheſten Faltungen der Erdrinde über Spalten aufgeſtiegen ſein, den merkwürdigen, noch offen gebliebenen, analog, welche man am Fuß des Vulkans von Pichincha findet: als Guaycos der Stadt Quito, von 30 —40 Fuß Breite. 138 (S. 261.) Paſuchoa, durch die Meierei el Tambillo vom Atacazo getrennt, erreicht ſo wenig als der letztere die Region des ewigen Schnees. Der hohe Rand des Kraters, la Peila, iſt gegen Weſten eingeſtürzt, tritt aber gegen Oſten amphitheatraliſch hervor. Die Sage geht, daß am Ende des 16. Jahrhunderts der vormals thätige Paſuchoa bei Gelegenheit einer Eruption des Pichincha für immer zu ſpeien aufgehört habe, was die Kommunikation zwiſchen — 416 — den Eſſen der einander gegenüberſtehenden öſtlichen und weit: lichen Kordilleren beſtätigt. Das eigentliche Baſſin von Quito, dammartig geſchloſſen: im Norden durch einen Bergknoten zwiſchen Cotocachi und Imbaburo, gegen Süden durch die Altos de Chi- sinche (zwiſchen 0° 20° N. und 0° 40“ S.), iſt großenteils der Länge nach geteilt durch den Bergrücken von Ichimbio und Poin— gaſi. Oeſtlich liegt das Thal von Puembo und Chillo, weſtlich die Ebene von Inaquito und Turubamba. In der öſtlichen Kordillere folgen von Norden gegen Süden Imbaburo, die Faldas de Gua- mani und Antiſana, Sinchulahua und die ſenkrechte, mit turm— artigen Zacken gekrönte, ſchwarze Mauer von Ruminaui (Stein: auge); in der weſtlichen Kordillere folgen Cotocachi, Caſitagua, Pichincha, Atacazo, Corazon, auf deſſen Abhang die prachtvolle Alpenpflanze, der rote Ranunculus Gusmani, blüht. Es ſchien mir hier der Ort, von einem für die vulkaniſche Geologie ſo wich— tigen, klaſſiſchen Boden mit wenigen Zügen eine, aus eigener Anficht geſchöpfte, morphologiſche Darſtellung der Reliefform zu geben. 19 (©. 263.) Beſonders auffallend iſt es, daß der mächtige Vulkan Cotopaxi, welcher, freilich meiſt nur nach langen Perioden, eine ungeheure Thätigkeit offenbart und beſonders durch die von ihm erzeugten Ueberſchwemmungen verheerend auf die Umgegend wirkt, zwiſchen den periodiſchen Ausbrüchen keine, ſei es in der Hochebene von Lactacunga, ſei es von dem Paramo de Pansache aus, ſichtbaren Dämpfe zeigt. Aus feiner Höhe von faft 18 000 Fuß (5850 m) und der dieſer Höhe entſprechenden großen Dünnigkeit von Luft- und Dampſſchichten iſt eine ſolche Erſcheinung, wegen mehrerer Vergleichungen mit anderen Vulkankoloſſen, wohl nicht zu erklären. Auch zeigt ſich kein anderer Nevado der Aequatorialkordilleren ſo oft wolkenfrei und in ſo großer Schönheit als der abgeſtumpfte Kegel des Cotopaxi, d. h. der Teil, welcher ſich über die Grenze des ewigen Schnees erhebt. Die ununterbrochene Regelmäßigkeit dieſes Aſchenkegels iſt um vieles größer als die des Aſchenkegels des Pils von Tenerifa, an dem eine ſchmale hervorſtehende Obſi— dianrippe mauerartig herabläuft. Nur der obere Teil des Tungu⸗ ragua ſoll ehemals durch Regelmäßigkeit der Geſtaltung ſich faſt, in gleichem Grade ausgezeichnet haben; aber das furchtbare Erd— beben vom 4. Februar 1797, die Kataſtrophe von Riobamba genannt, hat durch Spaltungen, Bergſtürze und Herabgleiten los- geriſſener bewaldeter Trümmerflächen, wie durch Anhäufung von Schutthalden den Kegelberg des Tunguragua verunſtaltet. Am Cotopaxi iſt, wie ſchon Bouguer bemerkt, der Schnee an einzelnen Punkten mit Bimsſteinbrocken gemengt, und bildet dann faſt eine feſte Maſſe. Eine kleine Unebenheit in dem Schneemantel wird gegen Nordweſten ſichtbar, wo zwei kluftartige Thäler herabgehen. Zum Gipfel aufſteigende ſchwarze Felsgrate ſieht man von weitem nirgends, obgleich bei der Eruption vom 24. Juni und 9. Dezember 1742 auf halber Höhe des mit Schnee bedeckten og — 417 — Aſchenkegels eine Seitenöffnung ſich zeigte. „II s’etoit ouvert,“ ſagt Bouguer, „une nouvelle bouche vers le milieu de la partie continuellement neigee, pendant que la flamme sortoit toujours par le haut du cöne tronque.* Bloß ganz oben, nahe dem Gipfel, erkennt man einige horizontale, einander parallele, aber unterbrochene, ſchwarze Streifen. Durch das Fernrohr bei ver— ſchiedener Beleuchtung betrachtet ſchienen ſie mir Felsgrate zu ſein. Dieſer ganze obere Teil iſt ſteiler und bildet faſt nahe an der Abſtumpfung des Kegels einen mauerartigen, doch nicht in großer Ferne mit bloßen Augen ſichtbaren Ring von ungleicher Höhe. Meine Beſchreibung dieſer faſt ſenkrechten, oberſten Umwallung hat ſchon lebhaft die Aufmerkſamkeit zweier ausgezeichneter Geologen, Darwin und Dana, auf ſich gezogen. Die Vulkane der Galapagos— inſeln, Diana Peak auf St. Helena, Tenerifa und Cotopaxi zeigen analoge Bildungen. Der höchſte Punkt, deſſen Höhenwinkel ich bei der trigonometriſchen Meſſung am Cotopaxi beſtimmte, lag in einer ſchwarzen Konvexität. Vielleicht iſt es die innere Wand des höheren, entfernteren Kraterrandes; oder wird die Schneeloſigkeit des hervor— tretenden Geſteins zugleich durch Steilheit und Kraterwärme ver— anlaßt? Im Herbſt des Jahres 1800 ſah man in einer Nacht den ganzen oberen Teil des Aſchenkegels leuchten, ohne daß eine Eruption oder auch nur ein Ausſtoßen von ſichtbaren Dämpfen darauf folgten. Dagegen hatte bei dem heftigen Ausbruch des Cotopaxi vom 4. Ja⸗ nuar 1803, wo während meines Aufenthaltes an der Südſeeküſte das Donnergetöſe des Vulkans die Fenſterſcheiben im Hafen von Guayaquil (in 37 geogr. Meilen S 275 km Entfernung) erſchütterte, der Aſchenkegel ganz ſeinen Schnee verloren und bot einen Unglück verheißenden Anblick dar. War ſolche Durchwärmung je vorher bemerkt worden? Auch in der neueſten Zeit, wie uns die vor— treffliche, kühne, erdumwandernde Frau Ida Pfeiffer lehrt, hat Anfang April 1854 der Cotopaxi einen heftigen Ausbruch von dicken Rauchſäulen gehabt, „durch die ſich das Feuer gleich blitzenden Flammen ſchlängelte“. Sollte das Lichtphänomen Folge des durch Verdampfung erregten vulkaniſchen Gewitters geweſen ſein? Die Ausbrüche ſind häufig ſeit 1851. Je regelmäßiger die Figur des ſchneebedeckten, abgeſtumpften Kegels ſelbſt iſt, deſto auffallender iſt an der unteren Grenze der ewigen Schneeregion, da, wo die Kegelform beginnt, im Südweſten des Gipfels, die Erſcheinung einer grotesk, zackigen, drei- bis vier ſpitzigen, kleinen Geſteinmaſſe. Der Schnee bleibt wahrſcheinlich wegen ihrer Steilheit nur fleckenweiſe auf derſelben liegen. Ein Blick auf meine Abbildung (Atlas pittoresque du Voyage Pl. 10) ſtellt das Verhältnis zum Aſchenkegel am deutlichſten dar Ich habe mich dieſer ſchwarzgrauen, wahrſcheinlich baſaltiſchen Ge— ſteinmaſſe am meiſten in der Quebrada und Reventazon de Minas genähert. Obgleich in der ganzen Provinz ſeit Jahrhunderten dieſer weit ſichtbare Hügel, ſehr fremdartigen Anblicks, allgemein la Cabeza A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 27 — 418 — del Inga genannt wird, ſo herrſchen doch über ſeinen Urſprung unter den farbigen Eingeborenen (Indios) zwei ſehr verſchiedene Hypotheſen: nach der einen wird bloß behauptet, ohne Angabe der Zeit, in der die Begebenheit vorgefallen ſei, daß der Fels der herabgeſtürzte Gipfel des einſt in eine Spitze endigenden Vulkans ſei; nach einer andern Hypotheſe wird die Begebenheit in das Jahr (1533) verlegt, in welchem der Inka Atahuallpa in Caxamarca erdroſſelt wurde, und ſo mit dem in demſelben Jahre erfolgten, von Herrera beſchriebenen, furchtbaren Feuerausbruche des Cotopaxi, wie auch mit der dunklen Prophezeiung von Atahuallpas Vater, Huayna Capac, über den nahen Untergang des peruaniſchen Reichs in Beziehung geſetzt. Sollte das, was beiden Hypotheſen gemeinſam iſt: die Anſicht, daß jenes Felſenſtück vormals die Endſpitze des Kegels bildete, der traditionelle Nachklang oder die dunkle Erinne— rung einer wirklichen Begebenheit ſein? Die Eingeborenen, ſagt man, würden bei ihrer Unkultur wohl Thatſachen auffaſſen und im Gedächtnis bewahren, aber ſich nicht zu geognoſtiſchen Kombinationen erheben können. Ich bezweifle die Richtigkeit dieſes Einwurfs. Die Idee, daß ein abgeſtumpfter Kegel „ſeine Spitze verloren“, fie un: zertrümmert weggeſchleudert habe, wie bei ſpäteren Ausbrüchen große Blöcke ausgeworfen wurden, kann ſich auch bei großer Unkultur darbieten. Die Treppenpyramide von Cholula, ein Bauwerk der Tolteken, iſt abgeſtumpft. Es war den Eingeborenen ein Bedürfnis, ſich die Pyramide als urſprünglich vollendet zu denken. Es wurde die Mythe erſonnen, ein Aerolith, vom Himmel gefallen, habe die Spitze zerſtört, ja Teile des Aeroliths wurden den ſpaniſchen Kon: quiſtadoren gezeigt. Wie kann man dazu den erſten Ausbruch des Vulkans Cotopaxi in eine Zeit verſetzen, wo der Aſchenkegel (Reſultat einer Reihe von Eruptionen) ſchon vorhanden geweſen ſein ſoll? Mir iſt es wahrſcheinlich, daß die Cabeza del Inga an der Stelle, welche ſie jetzt einnimmt, entſtanden iſt, daß ſie dort erhoben wurde, wie am Fuß des Chimborazo der Yana-Urcu, wie am Cotopaxi ſelbſt der Morro ſüdlich von Suniguaicu und nordweſtlich von der kleinen Lagune Purakcocha (im Quechhua: weißer See). Ueber den Namen des Cotopaxi habe ich im 1. Bande meiner kleineren Schriften (S. 463) geſagt, daß nur der erſte Teil derſelben ſich durch die Quechhuaſprache deuten laſſe, indem er das Wort ccotto, Haufe, ſei, daß aber pacsi unbekannt ſei. La Condamine deutet den ganzen Namen des Berges, indem er jagt: „Le nom signifie en langue des Incas masse brillante.“ Buſchmann bemerkt aber, daß dabei an die Stelle von pacsi das davon gewiß ganz verſchiedene Worte pacsa geſetzt worden ſei, welches Glanz, Schein, beſonders den ſanften des Mondes, be— deutet; um glänzende Maſſe auszudrücken, müßte dazu nach dem Geiſte der Quechhuaſprache die Stellung beider Wörter die umgekehrte ſein: pacsaccotto. 140 (S. 263.) Wie oft iſt ſeit dem Erdbeben vom 19. Juli * — 419 — 1698 das Städtchen Lactacunga zerſtört und von Bimsſteinquadern aus den unterirdiſchen Steinbrüchen von Zumbalica wieder auf: gebaut worden! Nach hiſtoriſchen Dokumenten, welche mir bei meiner Anweſenheit aus alten Abſchriften oder aus neueren, teilweiſe ge— retteten Dokumenten des Stadtarchives mitgeteilt wurden, traten die Zerſtörungen ein: in den Jahren 1703, 1736, 9. Dezember 1742, 30. November 1744, 22. Februar 1757, 10. Februar 1766 und 4. April 1768, alſo ſiebenmal in 65 Jahren! Im Jahr 1802 fand ich noch / der Stadt in Trümmern, infolge des großen Erd— bebens von Riobamba am 4. Februar 1797. 141 (S. 264.) Dieſe Verſchiedenheit iſt auch ſchon von dem ſcharfſinnigen Abich erkannt worden. 142 (S. 264.) Das Geſtein des Cotopaxi hat weſentlich die— ſelbe mineralogiſche Zuſammenſetzung als die ihm nächſten Vulkane, der Antiſana und Tunguragua. Es iſt ein Trachyt, aus Dligo= klas und Augit zuſammengeſetzt, alſo ein Chimborazogeſtein: ein Beweis der Identität derſelben vulkaniſchen Gebirgsart in Maſſen der einander gegenüberſtehenden Kordilleren. In den Stücken, welche ich 1802 und Bouſſingault 1831 geſammelt, iſt die Grund- maſſe teils licht oder grünlich grau, pechſteinartig glänzend, und an den Kanten durchſcheinend; teils ſchwarz, faſt baſaltartig, mit großen und kleinen Poren, welche glänzende Wandungen haben. Der eingeſchloſſene Oligoklas liegt darin ſcharf begrenzt, bald in ſtark glänzenden, ſehr deutlich auf den Spaltungsflächen geſtreiften Kriſtallen, bald iſt er klein und mühſam zu erkennen. Die wejent- lich eingemengten Augite ſind bräunlich und ſchwärzlich-grün, und von ſehr verſchiedener Größe. Selten und wohl nur zufällig ein— geſprengt ſind dunkle Glimmerblättchen und ſchwarze, metalliſch glänzende Körner von Magneteiſen. In den Poren einer oligoklas— reichen Maſſe lagert etwas gediegener Schwefel, wohl abgeſetzt von den alles durchdringenden Schwefeldämpfen. 143 (S. 265.) „Le Volcan de Maypo (lat. austr. 34° 150, qui n'a jamais rejeté de ponces, est encore éloigné de deux journees de la colline de Tollo, de 300 pieds de hauteur et toute composee de ponces qui renferment du feldspat vitreux, des cristaux bruns de mica et de petits fragments d’obsidienne. C'est done une éruption (independente) isolée tout au pied des Andes et pres de la plaine.“ Leop. de Buch, descrip- tion physique des Iles Canaries 1836, p. 470. 144 (S. 266.) Die Verſuche von Biſchof, Charles Deville und Deleſſe haben über die Faltung des Erdkörpers ein neues Licht verbreitet. Vergl. auch die älteren ſinnreichen Betrachtungen von Babbage bei Gelegenheit ſeiner thermiſchen Erklärung des Problems, welches der Serapistempel nördlich von Pozzuoli dar⸗ bietet, im Quarterly Journal of the Geological Soc. of London Vol. III, 1847, p. 186; Charles Deville, Sur la diminution de densité dans les roches en passant de Tétat — 420 — . cristallin à l'état vitreux, in den Comptes rendus de Acad. des Sciences T. XX, 1845, p. 1453; Deleſſe, Sur les effets de la fusion T. XXV, 1847, p. 545; Louis Frapolli, Sur le caractere géologique, im Bulletin de la Soc. geol. de France, 2eme Série, T. IV, 1847, p. 627; und vor allem Elie de Beaumont in ſeinem wichtigen Werke, Notice sur les systemes de Montagnes, 1852, T. III. Folgende drei Ab- ſchnitte verdienen eine beſondere Aufmerkſamkeit der Geologen: considération sur les soulèvements düs à une diminution lente et progressive du volume de la terre, p. 1330; sur l’derasement transversal, nommé refoulement par Saussure, comme une des causes de l’elevation des chaines de montagnes, p. 1317, 1333 und 1346; sur la contraction que les roches fondues Eprouvent en eristallisant, tendant des le commencement du refroidisse- ment du globe à rendre sa masse interne plus petite que la capacité de son enveloppe exterieure, p. 1235. 145 (S. 266.) „Les eaux chaudes de Saragan & la hauteur de 5260 pieds sont remarquables par le role que joue le gaz acide carbonique qui les traverse à l’epoque des tremblements de terre. Le gaz & cette epoque, comme Ihydrogène carboné de la presqu’ile d’Apcheron, augmente de volume et s’echauffe avant et pendant les tremblements de terre dans la plaine d’Ardebil. Dans la presqu'ile d’Apcheron la temperature s’eleve de 20° jusqu’& l'inflammation spontanee au moment et & l’endroit d'une eruption ignee, pronostiquee toujours par des tremblements de terre dans les provinces de Chemakhi et d’Apcheron.* Abich in den Mélanges physiques et chimiques T. II, 1855, p. 364 und 365. 8 146 (S. 267.) In der ſehr lehrreichen und angenehmen Schrift Souvenirs d'un Naturaliste par A. deQuatrefages, 1854, T. II, p. 464 wird die obere Grenze der flüſſigen geſchmolzenen Schichten bis auf die geringe Tiefe von 20 Kilometer herauf— gerückt: „puisque la plupart des Silicates fondent déjà à 666° cent.“ „Dieſe niedrige Angabe,“ bemerkt Guſtav Roſe, „beruht auf einem Irrtum. Die Temperatur von 1300 %, welche Mitſcher⸗ lich als Schmelzpunkt des Granits angegeben, iſt gewiß das Mini— mum, was man annehmen kann. Ich habe mehrmals Granit auf die heißeſten Stellen des Porzellanofens ſetzen laſſen, und immer ſchmolz derſelbe unvollſtändig. Nur der Glimmer ſchmilzt dann mit dem Feldſpat zu einem blaſigen Glaſe zuſammen; der Quarz wird undurchſichtig, ſchmilzt aber nicht. So iſt es mit allen Ge— birgsarten, die Quarz enthalten; und man kann ſogar dieſes Mittel anwenden, um Quarz in Gebirgsarten zu entdecken, wo ſeine Menge ſo gering iſt, daß man ihn mit bloßen Augen nicht erkennen kann: z. B. bei dem Syenit des Plauenſchen Grundes, und im Diorit, den wir gemeinſchaftlich 1829 von Alapajewsk im Ural gebracht haben. Alle Geſteine, welche keinen Quarz und überhaupt keine ſo r 3 kieſelſäurereichen Mineralien enthalten als der Granit, z. B. der Baſalt, ſchmelzen leichter als Granit im Porzellanfeuer zu einem vollkommenen Glaſe, aber nicht über der Spirituslampe mit doppeltem Luftzuge, die doch gewiß eine Temperatur von 666 hervorzubringen imſtande iſt.“ In Biſchofs merkwürdigen Verſuchen, bei dem Gießen einer Baſaltkugel, ſchien ſelbſt der Baſalt nach einigen hypothetiſchen Vorausſetzungen eine 165 R. höhere Temperatur als der Schmelz⸗ punkt des Kupfers zu erfordern. 147 (S. 268.) Kosmos Bd. IV, S. 156. Vergl. auch über die ungleiche Verbreitung des Eisbodens und die Tiefe, in der er beginnt, unabhängig von der geographiſchen Breite, die merk— würdigen Beobachtungen von Kap. Franklin, Erman, Kupffer und vorzüglich von Middendorff a. a. O. S. 42, 47 und 167. 148 (S. 269.) Ueber Vivarais und Velay ſ. die neueſten, ſehr genauen Unterſuchungen von Girard in ſeinen geologiſchen Wanderungen Bd. I (1856), S. 161, 173 und 214. Die alten Vulkane von Olot ſind aufgefunden von dem amerikaniſchen Geo— logen Maclure 1808, beſucht von Lyell 1830, und ſchön beſchrieben und abgebildet von demſelben in jeinem Manual of Geology, 1855, p. 535— 542. 149 (S. 270.) Die Ausbrüche von Fayal (1672) und S. Jorge (1580 und 1808) ſcheinen von dem Hauptvulkan, dem Pico, abzuhängen. 150 (S. 271.) Darwin über: „the great hollow space or valley southward of the central curved ridge, across which the half of the crater must once have extended. It is interest- ing to trace the steps, by which the structure of a volcanic district becomes obscured and finally obliterated.“ 151 (S. 273.) Der Mongo ma Lobah oder Götterberg, nicht Mongo ma Leba, wie im Texte ſteht, wurde zuerſt im Dezember 1861 und Januar 1862 von Kapitän Richard Ferdinand Burton und dem deutſchen Botaniker Mann, dann 1877 von Comber, 1879 von Robert Flegel und im Dezember 1884 von Stanislaus von Rogoszinski und Hugo Zöller erſtiegen. Der auch kurzweg Kamerun: Pik genannte Berg ſteigt in ſeinem ſüdlichſten Gipfel, dem Mongo ma Etindeh, zu 1933, im Mount Helen zu 2810, im Mongo ma Lobah aber zu 4190 m auf. Der letztere iſt ein mächtiger Berg: rieſe, an deſſen weitem Krater ſich zwei Kegel (Albert und Viktoria) erheben. Lavaeruptionen ſind ſeit Menſchengedenken nicht vor: gekommen, aber erkaltete Lavaſtröme verſchiedenen Alters ziehen ſich an den Seiten herab, und rauchende Solfataren in der Nähe der höchſten Gipfel zeigen an, daß die innere Glut noch nicht erloſchen iſt. [D. Herausg.] 152 (S. 273.) Unter dem Schneeberge Kignea des Textes iſt wohl der Kenia zu verſtehen, ein ungeheurer vulkaniſcher Kegel, deſſen Höhe annähernd auf 5400 —5500 geſchätzt wird. Dr. Krapf war der erſte Europäer, welcher 1849 ſeine beiden ſchneeigen Gipfel geſehen hat, aber erſt 1883 gelang es dem Engländer Joſeph — 422 — Thomſon, den Fuß des Berges ſelbſt zu erreichen, welchen die um: wohnende wilde Völkerſchaft der Maſai den Dongio Egari oder Dönje Engai nennen. Der Kenia trägt trotz ſeiner Nähe am Aequator ewigen Schnee und ebenſo der benachbarte Kilimandſcharo, welcher 1848 von den deutſchen Miſſionären Rebmann und Kropf entdeckt und von dem Baron von der Decken in Begleitung Otto Kerſtens bis zu 4236 m erftiegen wurde. Im Jahr 1871 erſtieg ihn bis zur Schneegrenze der engliſche Miſſionär Charles New und 1883 der oben erwähnte Thomſon, welcher den öſtlicheren Pik, den Kimawendſi zu 4944 m, den weſtlicheren, den die Eingeborenen Kibo nennen, aber zu 5746 m angibt. Auch er erreichte nicht den Gipfel, ebenſowenig H. H. Johnſton, welcher 1884 zweimal die Erſteigung verſuchte, aber nur bis 4973 m Höhe gelangte. Erſt Dr. Hans Meyer kam 1887 bis zum Kraterrande des Kibo. Der Kilimandſcharo iſt ein unzweifelhafter Vulkan und, ſoweit wir wiſſen, der höchſte Berg Afrikas. [D. Herausg.] 53 (S. 274.) Die Vermutung von dem Vorhandenſein großer Waſſerbecken in Afrika ſüdlich vom Aequator hat ſich bekanntlich im reichſten Maße beſtätigt, doch fanden ſich daſelbſt weiter keine Vulkane. [D. Herausg.] 154 (S. 274.) Die Höhe des Demavend über dem Meere wurde von Ainsworth zu 2298 Toiſen (4478 m) angegeben; aber nach Berichtigung einer wahrſcheinlich auf einem Schreibfehler beruhen— den Barometerhöhe beträgt ſie, zufolge der Tafeln von Oltmanns, volle 2914 Toiſen (5679 m). Eine noch etwas größere Höhe, 3141 Toiſen (6122 m), geben die gewiß ſehr ſicheren Höhenwinkel meines Freundes, des kaiſerlich ruſſiſchen Kapitäns Lemm, im Jahre 1839; aber die Entfernung iſt nicht trigonometriſch begründet, ſondern beruht auf der Vorausſetzung, daß der Vulkan Demavend 66 Werſte (1 Aequatorialgrad S 104% Werft) von Teheran ent: fernt ſei. Es ſcheint demnach, daß der perſiſche, dem ſüdlichen Ufer des Kaſpiſchen Meeres ſo nahe, aber von der kolchiſchen Küſte des Schwarzen Meeres an 150 geographiſche Meilen (1113 km) entfernte, mit ewigem Schnee bedeckte Vulkan Demavend den großen Ararat um 2800 Fuß (909 m), den kaukaſiſchen Elbrus um vielleicht 1500 Fuß (487 m) übertrifft. Ueber den Vulkan Demavend ſ. Ritter, Erdkunde von Aſien Bd. VI, Abt. 1, S. 551 bis 571; und über den Zuſammenhang des Namens Albordj aus der mythiſchen und darum ſo unbeſtimmten Geographie des Zendvolkes mit den modernen Namen Elburz (Kuh Alburz des Kazwini) und Elbrus S. 43 bis 49, 424, 552 und 555. [Neueren Angaben zufolge iſt der Demavend 5628 m hoch. — D. Herausg.] 5 (S. 274.) Der Pe⸗ſchan des Textes iſt wohl identiſch mit dem Bai-fhan, welcher ſich jedoch als ein brennendes Kohlenlager entpuppt hat. A. von Middendorff hat nachgewieſen, daß dasſelbe ſchon mindeſtens ein Jahrtauſend lang ſo fortbrennt, wie noch heut— zutage. [D. Herausg.] — 423 — 156 (S. 277.) Humboldts Wunſch iſt ſeither erfüllt worden. Oberſt Prſchewalski, Oberſtlieutenant Sosnowski, Profeſſor Muſchketow und andere ruſſiſche Forſcher haben den Turfan, Hami und den Bai⸗ſchan beſucht, die Lehre vom Vulkanismus des Tian⸗ſchan hat aber durch die Forſchungen des Oeſterreichers Dr. Ferdinand Stoliczka einige Unterſtützung gefunden, welcher in den Gebirgen öſtlich von Ferghana (im Koktau und Terek-Tagh der Alaikette) erloſchene Vulkane unfraglich nachgewieſen hat. [D. Herausg.] 157 (S. 278.) Elburuz, Kasbegk und Ararat nach Mitteilungen von Struve. [Neuere Meſſungen ergeben für die jetzt Elbrus und Kasbek geſchriebenen Berge 5660 und 5043 m, für den Ararat 5171 m. — D. Herausg.] — Die im Text angegebene Höhe von dem ausgebrannten Vulkan Savalan weſtlich von Ardebil (15760 engl. Fuß) iſt auf eine Meſſung von Chanykow gegründet. Um bei Anführung der Quellen, aus denen ich geſchöpft, eine ermüdende Wiederholung zu vermeiden, erkläre ich hier, daß alles, was im geologiſchen Abſchnitt des Kosmos ſich auf den wichtigen kaukaſiſchen Iſthmus bezieht, handſchriftlichen, mir auf die edelſte und freund: ſchaftlichſte Weiſe zu freier Benutzung mitgeteilten Aufſätzen von Abich aus den Jahren 1852 bis 1855 entlehnt iſt. 158 (S. 284.) Die Inſel Sachalin, Tſchoka oder Tarakai wird von den japaniſchen Seeleuten Krafto genannt (geſchrieben Karafuto). Sie liegt der Mündung des Amur (des Schwarzen Fluſſes, Sachalian Ula) gegenüber; iſt von gutmütigen, dunkel— farbigen, bisweilen etwas behaarten Aino bewohnt. Der Admiral Kruſenſtern glaubte, wie auch früher die Begleiter von la Pérouſe (1787) und Broughton (1797), daß Sachalin durch einen ſchmalen, ſandigen Iſthmus (Br. 52° 5%) mit dem aſiatiſchen Kontinent zu⸗ ſammenhänge; aber zufolge der wichtigen von Franz von Siebold mitgeteilten japaniſchen Nachrichten iſt nach einer von Mamia Rinſö, dem Chef einer kaiſerlich japaniſchen Kommiſſion, im Jahr 1808 aufgenommenen Karte Krafto keine Halbinſel, ſondern eine auf allen Seiten vom Meer umfloſſenes Land. Das Reſultat des ver— dienſtlichen Mamia Rinſs iſt neuerlichſt im Jahre 1855, als die ruſſiſche Flotte in der Baie de Castries (Br. 51° 29°) bei Alexandrowsk, alſo im Süden des vermeintlichen Iſthmus, vor Anker lag und ſich doch in die Amurmündung (Br. 5254“) zurückziehen konnte, voll: kommen, wie Siebold meldet, beſtätigt worden. In der Meerenge, in welcher man ehemals den Iſthmus vermutete, ſind bei der Durch— fahrt an einigen Stellen nur fünf Faden Tiefe gefunden. Die Inſel fängt an wegen der Nähe des großen Amur- oder Sachalin⸗ ſtromes politiſch wichtig zu werden. Ihr Name, ausgeſprochen Karafto oder Krafto, iſt die Zuſammenziehung von Kara-fu⸗to, d. i. nach Siebold „die an Kara grenzende Inſel“, da in japaniſch— chineſiſcher Mundart Kara das nördlichſte China (die Tatarei) be— zeichnet, und ſu nach dem zuletzt genannten ſcharfſinnigen Gelehrten hier „daneben liegend“ bedeutet. Tſchoka iſt eine Verſtümmelung a von Tſjokai, und Tarakai aus Mißverſtändnis von dem Namen eines einzelnen Dorfes Taraika hergenommen. Nach Klaproth iſt Taraikai oder Tarakai der heimiſche Ainoname der ganzen Inſel. 159 (S. 285.) In den Meridianſtreifen der ſüdoſtaſiatiſchen Inſelwelt ſind auch die Küſten von Cochinchina ſeit dem Meerbuſen von Tonkin, die von Malakka ſeit dem Meerbuſen von Siam, ja ſelbſt die von Neuholland ſüdlich vom 25. Parallelgrad meiſt nord- ſüdlich abgeſchnitten. 160 (S. 293.) Vergl. meine Fragments de Gèéologie et de Climatologie asiatiques T. I, p. 82, die gleich nach meiner Rückkehr von der ſibiriſchen Expedition erſchienen ſind, und die Asie centrale, in welcher ich die von Klaproth geäußerte Meinung, der ich früher ſelbſt anhing und die den Zuſammenhang der Schneeberge des Himalaya mit der chineſiſchen Provinz Yün:nan und als Nanling nordweſtlich von Kanton wahrſcheinlich machte, widerlegt habe. Die über 11000 Fuß (3750 m) hohen Gebirge von Formoſa gehören, wie der, Fu⸗kian weſtlich begrenzende Ta-ju:ling, zu dem Syſtem der Meridianſpalten am oberen Aſſam im Lande der Birmanen und in der Gruppe der Philippinen. 161 (S. 293.) Außer dem nur 213 m hohen Taal und dem Albay oder Mayon, deſſen Höhe aber nicht, wie im Texte angegeben, 974, ſondern 2436 m beträgt und der 1876 von dem öſterreichiſchen Geologen Dr. Richard Ritter von Draſche erſtiegen wurde, kennt man im ſüdlichen Luzon heute noch den noch nie beſtiegenen thätigen Vulkan Bulaſan, nebſt einer großen Anzahl gewaltiger erloſche— ner Feuerberge, deren Gipfel bis 2440 m über das Meer ragen. [D. Herausg.] 162 (S. 294.) Marco Polo unterſcheidet Gia va minore (Sumatra), wo er ſich 5 Monate aufhielt und den in Java fehlenden Elefanten beſchreibt, von der früher beſchriebenen Giava (maggiore): la quale, secondo dicono i marinai, che bene lo sanno, è I'isola piü grande che sia al mondo. Dieſe Behauptung iſt heute noch wahr. Nach den Umriſſen der Karte von Borneo und Celebes von James Brooke und Kap. Rodney Mundy finde ich das Areal von Borneo 12 920 geographiſche Quadratmeilen (711412 qkm), nahe gleich dem von der Inſel Neuguinea, aber nur ½0 des Kontinents von Neuholland. [In Wahrheit iſt Borneo nur 516300 qkm groß und ſomit die drittgrößte Inſel der Erde, denn ſie wird von Neuguinea mit 774350 und von Madagaskar mit 589 380 qkm übertroffen. D. Herausg.] — Marco Polos Nachricht von dem „vielen Golde und den großen Reichtümern, welche die mercanti di Zaiton e del Mangi“ von dort ausführen, beweiſt, daß er (wie auch noch Martin Behaim auf dem Nürnberger Globus von 1492 und Johann Ruyſch in der, für die Entdeckungsgeſchichte von Amerika ſo wichtigen, römiſchen Ausgabe des Ptolemäus von 1508 thun) unter Java major Borneo verſteht. 165 (S. 294.) Kap. Mundys Karte gibt gar 14000 engl. Fuß . ee er ah ni — 425 — (13 135 Par. Fuß = 4267 m) an. Zweifel gegen dieſe Angabe ſiehe in Junghuhns Java Bd. II, S. 850. Der Koloß Kina Bailu iſt kein Kegelberg; ſeiner Geſtalt nach gleicht er vielmehr den unter allen Breiten vorkommenden Baſaltbergen, die einen langen Rücken mit zwei Endkuppen bilden. 162 (S. 298.) Die höchſte Erhebung Madagaskars iſt der Tſiafajavona, d. h. „der Berg, zu dem die Wolken nicht hinan⸗ klimmen können“; er mißt aber bloß 2728 m. [D. Herausg.] 15 (S. 299.) „Nous n’avons pu former,“ jagt d'Entre— caſteaux, „aucune conjecture sur la cause de l'incendie de l’Ile d’Amsterdam. L'ile etoit embrasee dans toute son eten- due, et nous avons bien distinetement reconnu l’odeur de bois et de terrre brüles. Nous n’avons rien senti qui püt faire pre- sumer que l’embrasement füt l’effet d'un volcan.“ „Cependant,“ heißt es einmal früher, „on a remarque le long de la cöte que nous avons suivie, et d'où la flamme étoit assez éloignée, de petites bouffées de fumée qui sembloient sortir de la terre comme par jets; on n'a pu neanmoins distinguer la moindre trace de feu tout autour, quoique nous fussions très-près de la terre. Ces jets de fumée se montrant par intervalles ont paru a MM. les naturalistes &tre des indices presque assurés de feux souterrains.“ Soll man hier auf Erdbrände, auf Entzündung von Ligniten ſchließen, deren Schichten, von Baſalt und Tuff bedeckt, auf vulkaniſchen Inſeln (Bourbon, Kerguelenland und Island) ſo häufig vorkommen? Der Surtarbrand auf der letztgenannten Inſel hat feinen Namen nach ſkandinaviſchen Mythen von dem den Weltbrand verurſachenden Feuerrieſen Surtr. Aber die Erdbrände ſelbſt ver⸗ urſachen gewöhnlich keine Flammen. — Da in neuerer Zeit die Namen der Inſeln Amſterdam und St. Paul leider auf Karten oft verwechſelt worden ſind, ſo iſt, damit, bei ihrer ſehr verſchiedenen Geſtaltung, nicht der einen zugeſchrieben werde, was auf der anderen beobachtet wird, hier im allgemeinen zu bemerken, daß von den faſt unter einem und demſelben Meridian liegenden 2 Inſeln urſprüng⸗ lich (ſchon am Ende des 17. Jahrhunderts) die ſüdliche St. Paul, die nördliche Amſterdam benannt wurde. Der Entdecker Bla: ming gab der erſteren die Breite von 38° 40‘, der zweiten 37° 48, im Süden des Aequators. Dieſe Benennung und Ortsbeſtimmungen kommen merkwürdig mit dem überein, was ein Jahrhundert ſpäter d'Entrecaſteaux auf der Expedition zur Aufſuchung von la Peérouſe gefunden hat: nämlich für Amſterdam nach Beautemps-Beaupre 3747“ 46“ (long. 75° 51), für St. Paul 38% 38°. Eine jo große Uebereinſtimmung muß für Zufall gelten, da die Beobachtungsörter gewiß nicht ganz dieſelben waren. Dagegen hat Kap. Blackwood auf ſeiner Admiralitätskarte von 1842 für St. Paul 33° 44“ und long. 7517“. Auf den Karten, welche der Originalausgabe der Reiſen des unſterblichen Weltumſeglers Cook beigegeben worden ſind, z. B. der erſten und zweiten Expedition, wie der dritten und — 426 — letzten Reiſe, ja ſelbſt aller drei Expeditionen iſt die Inſel St. Paul ſehr richtig als die ſüdlichere angegeben, aber in dem Texte der Reiſe von d'Entrecaſteaux wird tadelnd erwähnt (ob mit Recht, bleibt mir bei vielem Nachſuchen der Ausgaben auf den Bibliotheken von Paris, Berlin und Göttingen mehr als zweifelhaft), „daß auf der Spezialkarte der letzten Cookſchen Expedition die Inſel Amſter⸗ dam ſüdlicher als St. Paul geſetzt ſei“. Wenn eine ebenſolche Um⸗ kehrung der Benennungen im erſten Drittel des jetzigen Jahr⸗ hunderts, z. B. auf den älteren verdienſtlichen Weltkarten von Arrowſmith und Purdy (1833), ganz gegen den urſprünglichen Willen des Entdeckers, Willem de Vlaming, häufig iſt, ſo haben wohl mehr noch als eine Spezialkarte von Cooks dritter Reiſe dazu gewirkt: 1) die Willkür auf den Karten von Cox und Mortimer; 2) der Umſtand, daß in dem Atlas der Reiſe von Lord Macartney nach China die ſchön und rauchend abgebildete vulkaniſche Inſel zwar ſehr richtig St. Paul, unter lat. 38“ 42°, genannt wird, aber mit dem böſen Beiſatz: „commonly called Amsterdam“; und daß, was noch ſchlimmer iſt, in der Reiſebeſchreibung ſelbſt Staunton und Dr. Gillan dies „Island still in a state of inflammation“ immerfort Amſterdam nennen, ja ſogar p. 226 hinzuſetzen (nachdem ſie p. 219 die wahre Breite gegeben), „that St. Paul is lying to the northward of Amsterdam“; 3) die gleiche Verwechſelung der Namen durch Barrow, der die Rauch und Flammen gebende ſüd⸗ lichere Inſel, welcher er ebenfalls die Breite von 38“ 42° beilegt, auch Amſterdam nennt. Malte-Brun beſchuldigt Barrow mit Recht, aber ſehr irrig Mr. de Roſſel und Beautemps-Beaupre. Die letzteren beiden geben der Inſel Amſterdam, die ſie allein abbilden, 3747“; der Inſel St. Paul, weil fie 50° ſüdlicher liegt, 38° 38° und zum Beweiſe, daß die Abbildung die wahre Inſel Amſterdam von Willem de Vlaming vorſtellt, fügt Beautemps-Beaupré in ſeinem Atlas die Kopie des viel bewaldeten Amſterdam aus Valentyn hinzu. Weil der berühmte Seefahrer Abel Tasman 1642 neben Middel⸗ burg, in der Tongagruppe, die Inſel Tonga Tabu Amſterdam genannt hat in lat. 21½“, fo iſt wieder aus Mißverſtändnis bis- weilen Tasman als Entdecker von Amſterdam und St. Paul im Indiſchen Ozean aufgeführt worden. 166 (S. 301.) D'Urville, Voy. de la Corvette l’Astro- labe 1826-1829, Atlas Pl. I: 1) Die Polynesie ſoll enthalten den öſtlichen Teil der Südſee (die Sandwichinſeln, Tahiti und den Tongaarchipel, aber auch Neuſeeland); 2) Micronésie und Melanésie bilden den weſtlichen Teil der Südſee; die erſtere erſtreckt ſich von Kauai, der weſtlichſten Inſel der Sandwichgruppe, bis nahe an Japan und die Philippinen, und reicht ſüdlich bis an den Aequator, begreifend die Marianen (Ladronen), Karolinen und Pelewinſeln; 3) Melanésie (wegen der dunkellockigen Menſchenraſſe), in Nordweſt an die Malaisie grenzend, umfaßt die kleinen Archipele von Viti oder Fidji, der Neuen Hebriden und Salomonsinſeln; ferner die — 427 — größeren Inſeln Neukaledonien, Neubritannien, Neuirland und Neu⸗ guinea. Die oft geographiſch jo widerſprechend angewandten Namen Oceanie und Polynesie ſind von Malte⸗Brun (1813) und von Leſſon (1828) eingeführt. 167 (S. 301.) „The epithet scattered as applied to the islands of the Ocean (in the arrangement of the groups) con- veys à very incorrect idea of their positions. There is a system in their arrangement as regular as in the mountain heights of a continent, and ranges of elevations are indicated, as grand and extensive, as any continent presents. Geology by J. Dana, or United States’ Exploring Exped. under the command of Charles Wilkes Vol. X (1849), p. 12. Dana zählt in der ganzen Südſee, kleine Klippeninſeln abgerechnet, auf 350 baſaltiſche oder trachytiſche und 290 Koralleninſeln. Er teilt ſie in 25 Gruppen, von denen 19 im Mittel die Achſenrichtung N 50 60 W und 6 die Achſenrichtung N 2030“ O haben. Ueberaus auffallend iſt, daß dieſe Zahl von Inſeln alle, wenige Ausnahmen (wie die Sandwichgruppe und Neuſeeland) abgerechnet, zwiſchen 2328“ nördlicher und ſüdlicher Breite liegen und daß ein ſo ungeheurer inſelleerer Raum öſtlich von der Sandwich- und der Nukahivagruppe bis zu den amerikaniſchen Küſten von Mexiko und Peru übrig bleibt. Dana fügt zugleich die Betrachtung hinzu, welche mit der ſo unbedeutend kleinen Zahl jetzt thätiger Vulkane kontra⸗ ſtiert, daß, wenn wahrſcheinlicherweiſe die Koralleneilande da, wo ſie zwiſchen ganz baſaltiſchen Inſeln liegen, ebenfalls ein baſaltiſches Fundament haben, die Zahl der unter- und überſeeiſchen Vulkan⸗ öſſnungen (ſubmariner und jubaerialer) auf mehr denn tauſend angeſchlagen werden kann (p. 17 und 24). 168 (S. 302.) Die Abweſenheit von Aſchenkegeln iſt auch ſehr merkwürdig in den Lavaſtröme ergießenden Vulkanen der Eifel. Daß es aber aus dem Gipfelkrater des Mauna Loa auch Aſchen⸗ ausbrüche geben kann, beweiſt die ſichere Nachricht, welche der Miſſionar Dibble aus dem Munde der Augenzeugen geſchöpft hat und nach welcher während des Krieges Kamehamehas gegen die Aufrührer im Jahre 1789 ein mit Erdbeben begleiteter Ausbruch heißer Aſche eine nächtliche Finſternis über die Umgegend verbreitete. Ueber die vulkaniſchen Glasfäden (Haar der Göttin Pele, die vor ihrer Ueberſiedelung nach Hawai den jetzt erloſchenen Vulkan Hale-a-Kala, das Sonnenhaus, der Inſel Maui bewohnte), ſ. Dana. Geol. p. 179. 169 (S. 303.) Dana p. 205: The term Solfatara is wholly mis-applied. A Solfatara is an area with steaming fissures and escaping sulphur vapours, and without proper lava ejections; while Kilauea is a vast crater with extensive lava ejections and no sulphur, except that of the sulphur banks, beyond what necessarily accompanies, as at Vesuvius, violent volcanie action.“ Das Gerüſte von Kilauea, die Maſſe des großen Lava: beckens, beſteht auch keinesweges aus Schichten von Aſche oder — 428 — fragmentariſchem Geſtein, ſondern aus horizontalen Lavaſchichten, gelagert wie Kalkſtein. % (S. 303.) Dieſes merkwürdige Sinken des Lavaſpiegels beſtätigen die Erfahrungen ſo vieler Reiſenden: von Ellis, Stewart und Douglas bis zu dem verdienſtvollen Grafen Strzelecki, der Expedition von Wilkes und dem ſo aufmerkſam beobachtenden Miſſionar Coan. Bei dem großen Ausbruch im Juni 1840 iſt der Zuſammenhang der Anſchwellung der Lava im Kilauea mit der plötzlichen Entzündung des ſo viel tiefer gelegenen Kraters Arare am entſcheidendſten geweſen. Das Verſchwinden des aus Arare er— goſſenen Lavaſtromes, ſein abermals unterirdiſcher Lauf und end— liches Wiedererſcheinen in größerer Mächtigkeit läßt nicht gleich ſicher auf Identität ſchließen, da ſich gleichzeitig am ganzen Abhange des Berges unterhalb des Horizonts des Bodens vom Kilaueabecken viele lavagebende Längenſpalten geöffnet haben. Sehr bemerfens- wert iſt es auch für die innere Konſtitution dieſes ſonderbaren Vulkans von Hawai, daß im Juni 1832 beide Krater, der des Gipfels und der von Kilauea, Lavaſtröme ergoſſen und veranlaßten, alſo gleichzeitig thätig waren. 1 1 (S. 304.) Wegen der ewigen Verwechſelung von r und 1 wird für Mauna Loa oft M. Roa und für Kilauea: Kirauea ges geſchrieben. 7 (S. 306.) Dieffenbach nennt White Island: a smoking solfatara, but still in volcanie activity, auf der Karte: in con- tinual ignition. 13 (S. 306.) Seit Ferdinand von Hochſtetters Durchforſchung Neuſeelands ſind wir über die Orographie der Inſelgruppe genauer unterrichtet. Es meſſen der Ruapahu 2988 m, der Tongariro 2111 m, der Putawaki oder Edgeumbe aber, weit entfernt der höchſte Berg der Inſel zu ſein, bloß 837 m. Dagegen erhebt ſich im Oſten der Mt. Egmont zu 2521 m Seehöhe. Der höchſte Punkt auf der Südinſel iſt der von mächtigen Gletſchermaſſen umlagerte Mt. Cook mit 4023 m. [D. Herausg.] 74 (S. 307.) Auf den hier genannten drei Inſeln finden ſich indes neben plutoniſchen und Sedimentſchichten auch Phonolithe und baſaltiſches Geſtein; aber dieſe Gebirgsarten können ſchon bei der erſten vulkaniſchen Erhebung der Inſeln aus dem Meeresboden über den Meeresſpiegel erſchienen ſein. Von Feuerausbrüchen in hiſtoriſchen Zeiten oder von ausgebrannten Kratern ſoll keine Spur gefunden werden. 15 (S. 309.) Wenn Darwin ſo beſtimmt ſagt, daß aller Trachyt auf den Galapagos fehle, ſo iſt es doch wohl nur, weil er die Benennung Trachyt auf den eigentlichen gemeinen Feldſpat, d. i. den Orthoklas, oder auf den Orthoklas und Sanidin (glaſigen Feldſpat) einſchränkt. Die rätſelhaften eingebackenen Stücke in der Lava des kleinen, ganz baſaltiſchen Kraters von James Island enthalten keinen Quarz, wenn ſie gleich auf einem plutoniſchen u — R r 8 — 429 — Gebirge zu ruhen ſcheinen. Mehrere der vulkaniſchen Kegelberge auf den Galapagosinſeln haben, an der Mündung, ganz wie ich am Cotopaxi geſehen, einen ſchmalen eylindriſchen, ringförmigen Aufſatz. „In some parts the ridge is surmounted by a wall or parapet perpendicular on both sides.“ Darwin, Volc. ISI. P. 83. 176 (S. 311.) S. Pieſchel über die Vulkane von Mexiko in der geitſchrift für Allg. Erdkunde Bd. VI, 1856, S. 86 und 489 bis 532. Die Behauptung, „daß nie ein Sterblicher die ſteile Spitze des Pico del Fraile“, d. h. den höchſten Gipfel des Vulkans von Toluca, „erſtiegen habe“, iſt durch meine auf dieſem, freilich kaum 10 Fuß (3 m) breiten Gipfel am 29. September 1803 gemachte und ſchon 1807 publizierte Barometermeſſung, und neuer⸗ lichſt durch Dr. Gumprecht in demſelben Bande der obigen Zeit⸗ ſchrift widerlegt worden. Der erregte Zweifel war um jo ſonder⸗ barer, da ich gerade von dieſer, allerdings nicht ohne Anſtrengung zu erreichenden, turmförmigen Spitze des Pico del Fraile, in einer Höhe, welche kaum 600 Fuß (200 m) geringer als die des Montblanc iſt, die Trachytmaſſen abgeſchlagen habe, die vom Blitz durchlöchert und im Inneren wie Blitzröhren verglaſt ſind. Ueber die von mir ſowohl in der Berliner als in mehreren Pariſer Sammlungen niedergelegten Stücke gab Gilbert ſchon 1819 einen Aufſatz im LXI. Bande ſeiner Annalen der Phyſik S. 261. Wo der Blitz förmliche cylindriſche Röhren zu 3 Zoll (8 cm) Länge fo durch⸗ geſchlagen hat, daß man die obere und untere Oeffnung erkennen kann, iſt ebenfalls das die Oeffnungen umgebende Geſtein verglaſt. Ich habe auch Trachytſtücke in meinen Sammlungen mitgebracht, an denen, wie am Kleinen Ararat oder am Montblanc, ohne röhren- förmige Durchbohrung die ganze Oberfläche verglaſt iſt. — Herr Pieſchel hat den zweigipfligen Vulkan von Colima im Oktober 1852 zuerſt erſtiegen und iſt bis zum Krater gelangt, aus dem er damals nur heiße Schwefelwaſſerſtoffdämpfe wolkenartig aufſteigen ſah. Aber Sonneſchmid, der im Februar 1796 die Erſteigung des Colima vergeblich verſuchte, gibt Nachricht von einem mächtigen Aſchen⸗ auswurf im Jahre 1770. Im Monat März 1795 wurden dagegen bei Nacht glühende Schlacken ſcheinbar in einer Feuerſäule aus⸗ geſtoßen. — „Im Nordweſten vom Vulkan von Colima zieht ſich längs der Südſeeküſte eine vulkaniſche Zweigſpalte hin. Aus⸗ gebrannte Krater und alte Lavaſtröme erkennt man in den ſoge— nannten Vulkanen von Ahuacatlan (auf dem Wege von Gua⸗ dalaxara nach San Blas) und von Tepic.“ 177 (S. 312.) Der von dem gelehrten und mir befreundeten Geographen, Kontreadmiral de Fleurieu, dem Verfaſſer der Intro— duection historique au Voyage de Marchand, einge⸗ führte Name Grand Ocean zur Bezeichnung des Beckens der Südſee vertauſcht das Ganze mit einem Teile und verleitet daher zur Verwechſelung. Ei 1 — 430 — 178 (S. 314.) Durch Juan de Onate 1594. Ueber den Ein⸗ fluß der Bodengeſtaltung (der wunderbaren Größe des Tafellandes) auf den inneren Handel und Verkehr der Tropenzone mit dem Norden, wenn einſt auch hier einmal bürgerliche Ordnung, geſetz⸗ liche Freiheit und Induſtrie erwachſen, vergl. Essai pol. T. IV, p. 38. 19 (S. 314.) In dieſer Ueberſicht der Höhen des Bodens zwiſchen Mexiko und Santa Fé del Nuevo Mexico, wie in der ähnlichen, aber unvollſtändigeren, welche ich in den Anſichten der Natur Bd. I, S. 349 gegeben, bedeuten die den Zahlen bei- gefügten Buchſtaben Ws, Bt und Ht die Namen der Beobachter: nämlich Ws den Dr. Wislizenus, Verfaſſer des ſehr lehrreichen, wiſſenſchaftlichen memoir of a tour to Northern Mexico, connected with Col. Doniphan’s Expedition, in 1846 and 1847 (Waſhington 1848); Bt den Oberbergrat Burkart und Ht meine eigenen Meſſungen. Als ich vom März 1803 bis zum Februar 1804 mit aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen in dem tropi- ſchen Teile von Neuſpanien beſchäftigt war und nach allen Materialien, die ich auffinden und diskutieren konnte, eine Generalkarte von Neuſpanien zu entwerfen wagte, von der mein hochverehrter Freund, Thomas Jefferſon, der damalige Präſident der Vereinigten Staaten, während meines Aufenthaltes in Waſhington eine, ſpäter oft gemiß⸗ brauchte Kopie anfertigen ließ, gab es im Inneren des Landes auf dem Wege nach Santa Fe noch keine Breitenbeſtimmung nördlich von Durango (lat. 24° 25%). Nach den zwei von mir in den Archiven in Mexiko aufgefundenen handſchriftlichen Reiſejournalen der Ingenieure Rivera Lafora und Mascarö aus den Jahren 1724 und 1765, welche Kompaßrichtungen und geſchätzte partielle Diſtanzen enthielten, ergab eine ſorgfältige Berechnung für die wichtige Station Santa Fe nach Don Pedro de Rivera lat. 36° 12“ und long. 108° 13°. Ich habe vorſichtig in der Analyſe meiner Karte dieſes Reſultat als ein ſehr ungewiſſes bekannt gemacht, da in den Schätzungen der Diſtanzen wie in der Kompaßrichtung ohne Korrektion der magnetiſchen Abweichung und bei dem Mangel an Objekten in baumloſen Ebenen ohne menſchliche Wohnungen auf eine Erſtreckung von mehr als 300 geogr. Meilen ſich nicht alle Fehler kompenſieren. Durch Zufall iſt das eben gegebene Reſultat, mit dem der neueſten aſtronomiſchen Beobachtungen verglichen, in der Breite weit fehlerhafter als in der Länge ausgefallen: in der erſteren um 31, in der zweiten kaum um 23 Bogenminuten. Ebenſo iſt es mir durch Kombinationen geglückt, annähernd richtig zu beſtimmen die geographiſche Lage des Sees Timpanogos, welchen man jetzt ge= wöhnlich den Great Salt Lake nennt, indem man nur noch den Fluß, welcher in den kleinen Utahſee, einen Süßwaſſerſee, fällt, als Timpanogos River bezeichnet. In der Sprache der anwohnenden Utah indianer heißt Fluß og wahbe, durch Verkürzung auch ogo allein, timpan heißt Fels, alſo bedeutet Timpan-ogo Felsfluß. Buſchmann erklärt das Wort timpa für entſtanden aus dem rn n 2 x — 431 — mexikaniſchen tetl Stein, indem er in pa eine einheimiſche Sub- ſtantivendung nordmexikaniſcher Sprachen aufgedeckt hat; ogo gibt er die allgemeine Bedeutung von Waſſer. Der Mormonen Great Salt Lake City liegt lat. 40° 46‘, long. 114° 26“. Meine Karte gibt Montagnes de Sel gemme etwas öſtlich von der Laguna de Timpanogos: lat. 407“ long. 114° 9“; alſo weicht meine erſte Vermutung ab in der Breite 39, in der Länge 17 Minuten. — Die neueſten mir bekannt gewordenen Ortsbeſtimmungen von Santa Fe, der Hauptſtadt Neumexikos, ſind a) nach vielen Sternhöhen beſtimmt von Lieut. Emory (1846), lat. 35“ 44“ 6“; b) nach Gregg und Dr. Wislizenus (1848), vielleicht in einer anderen Lokalität, 3541“ 6“. Die Länge iſt für Emory 7 4 18” in Zeit von Green⸗ wich, alſo im Bogen 103° 50° von Paris; für Wislizenus 108° 22“. Der Fehler der meiſten Karten iſt, in der Gegend von Santa Fe die Orte in der Breite zu nördlich zu ſetzen. Die Höhe der Stadt Sante Fe über dem Meere iſt nach Emory 6422 (2085 m), nach Wislizenus volle 6611 Par. Fuß (2147 m) (Mittel 6516 Fuß = 2116 m), alſo gleich den Splügen⸗ und Gotthardspäſſen der Schweizer Alpen. 150 (S. 314.) Die Breite von Albuquerque iſt genommen aus der ſchönen Spezialkarte: Map of the Territory of New Mexico by Kern 1851. Die Höhe iſt nach Emory 4457 Fuß, nach Wislizenus aber 4559 Fuß. 181 (S. 316.) Ueber dieſe Bifurfation und die richtige Be⸗ nennung der öſtlichen und weſtlichen Kette vergl. die große Spezial⸗ karte des Territory of New Mexico von Parke und Kern 1851, Edwin Johnſons Map of Railroads 1854, John Bartletts Map of the Boundary Commission 1854, Explo- rations and Surveys from the Mississippi to the Pacific in 1853 and 1854, Vol. I, p. 15; und vor allem die vielumfaſſende, vortreffliche Arbeit von Jules Marcou, Geologist of the southern Pacific R. R. Survey under the Command ot Lieut. Whipple: als résumé explicatif d'une Carte geologique des Etats Unis et d'un Profil géologiques allant de la vallee du Mississippi aux cötes de l’Ocean Paci- fique, p. 113—116; auch im Bulletin de la Société geo- logique de France, 2% Serie T. XII, p. 813. In dem von der Sierra Madre oder den Rocky Mountains eingeſchloſſenen Längenthale lat. 35“—38 ½ haben die einzelnen Gruppen, aus welchen die weſtliche Kette der Sierra Madre und die öſtliche Kette der Rocky Mountains (Sierra de Sandia) beſtehen, beſondere Namen. Zu der erſteren Kette gehören von Süden nach Norden: die Sierra de las Grullas, die S. de los Mimbres Wislizenus p. 22 und 54), Mount Taylor (lat. 35° 150%. Sierra de Jemez und S. de San Juan; in der öſtlichen Kette unterſcheidet man die Moro Piks, Sierra de la Sangre de Christo mit den öſtlichen Spanish Peaks (lat. 37° 32%) und die ſich nordweſtlich wendenden, das Längenthal von Taos und Santa Fe ſchließenden White Mountains. — 432 — Profeſſor Julius Fröbel, deſſen Unterſuchung der Vulkane von Centralamerika ich ſchon oben erwähnt habe, hat mit vielem Scharf: ſinn die Unbeſtimmtheit der geographiſchen Benennung Sierra Madre auf den älteren Karten entwickelt, aber zugleich in einer Abhandlung: Remarks contributing to the physical Geography of the North American Continent die Behauptung aufgeftellt, der ich nach Dis- kuſſion jo vieler jetzt vorhandener Materialien keineswegs beipflichten kann: daß die Rocky Mountains gar nicht als eine Fortſetzung des mexikaniſchen Hochgebirges in der Tropenzone von Anahuac zu betrachten ſeien. Ununterbrochene Gebirgsketten: wie in den Apen— ninen, dem Schweizer Jura, in den Pyrenäen und einem großen Teile unſerer Alpenkette, gibt es allerdings vom 19. bis zum 44. Breitengrade, vom Popocatepetl in Anahuac bis nördlich von Fre- mont's Peak in den Rocky Mountains, in der Richtung von Süd— Süd⸗Oſt gen Nord-Nord-Weſt nicht; aber die ungeheure, gegen Nord und Nordweſt in der Breite immer mehr zunehmende Anſchwellung des Bodens iſt vom tropiſchen Mexiko bis Oregon kontinuierlich; und auf dieſer Anſchwellung (Hochebene), welche das geognoſtiſche Hauptphänomen iſt, erheben ſich auf ſpät und zu ſehr ungleicher Zeit entſtandenen Spalten in oft abweichender Richtung einzelne Gebirgsgruppen. Dieſe aufgeſetzten Berggruppen in den Rocky Mountains aber zu der Ausdehnung von 8 Breitegraden faſt wall: artig zuſammenhängend und durch meiſt trachytiſche, 10—12000 Fuß (3250—3900 m) hohe Kegelberge weit ſichtbar gemacht, laſſen um ſo mehr einen tiefen ſinnlichen Eindruck, als dem Auge des Reiſenden das umgebende hohe Plateau ſich täuſchend wie eine Ebene des Flachlandes darſtellt. Wenn in den Kordilleren von Südamerika, von denen ich einen beträchtlichen Teil aus eigener Anſchauung kenne, ſeit La Condamines Zeiten von Zwei- und Dreireihung die Rede iſt (der ſpaniſche Ausdruck las Cordilleras de los Andes bezieht ſich ja auf ſolche Reihung und Teilung der Kette), ſo darf man nicht vergeſſen, daß auch hier die Richtungen der einzelnen gereihten Berggruppen, als lange Rücken oder gereihte Dome, keineswegs untereinander oder der Richtung der ganzen Anſchwellung parallel ſind. 132 (S. 316.) Frémont, Expl. Exped. p. 281-288. Pike’s Peak lat. 38° 59, abgebildet p. 114; Long's Peak 4015“ Erſteigung von Frémont's Peak (13570 feet = 4036 m) p. 70. Die Wind River Mountains haben ihren Namen von den Quellen eines Zufluſſes des Big Horn River, deſſen Waſſer ſich mit denen des Yellow Stone River vereinigen, welcher ſelbſt in den Ober— Miſſouri (Br. 47° 58°, Lg. 105“ 27) fällt. Ich habe überall die engliſchen Benennungen der nordamerikaniſchen Geographen bei— behalten, weil deren Ueberſetzung in eine rein deutſche Nomenklatur oft eine reiche Duelle der Verwirrung geworden iſt. Um in Rich: tung und Länge die nach meines Freundes und Reiſebegleiters, des Obriſten Ernſt Hofmann, mühevollen Erforſchungen am Nord: — 433 — ende öſtlich gekrümmte und vom truchmeniſchen Berge Airuck— Tagh (48 ¾6 bis zum Sabljagebirge (65°) volle 255 geogr. Meilen (1894 km) lange Meridiankette des Ural mit den Rocky Moun- tains vergleichen zu können, erinnere ich hier daran, daß die letztere Kette zwiſchen den Parallelen von Pike's Peak und Lewis und Clarkes Paß von 107½ „ in 114½ Länge übergeht. Der Ural, welcher in dem eben genannten Abſtande von 17 Breitengraden wenig von dem Pariſer Meridian von 56° 40° abweicht, verändert ebenfalls ſeine Richtung unter dem Parallel von 65“. und erlangt unter lat. 67 ⅛ den Meridian von 63/4“. 183 (S. 318.) Der Ratonpaß hat nach der Wegkarte von 1855, welche zu dem allgemeinen Berichte des Staatsſekretärs Jefferſon Davis gehört, noch eine Höhe von 6737 Fuß (2188 m) über dem Meere. 154 (S. 318.) Es ſind zu unterſcheiden von Oſten nach Weſten der Gebirgsrücken von Zuni, wo der Paso de Zuni noch 7454 Fuß (2421 m) erreicht; Zuni viejo: das alte zerſtörte Pueblo, von Möll- hauſen auf Whipples Expedition abgebildet; und das jetzt bewohnte Pueblo de Zuni. Zehn geographiſche Meilen (75 km) nördlich von letzterem, bei dem Fort Defiance, iſt auch noch ein ſehr kleines, iſoliertes, vulkaniſches Gebiet. Zwiſchen dem Dorfe Zuni und dem Abfall nach dem Rio Colorado chiquito (little Colorado) liegt unbedeckt der verſteinerte Wald, welchen Möllhauſen 1853 vortrefflich abgebildet und in einer an die geographiſche Ge— ſellſchaft zu Berlin eingeſandten Abhandlung beſchrieben hat. Unter die verkieſelten Koniferen ſind nach Marcou foſſile baumartige Farne gemengt. 185 (S. 319.) Die franzöſiſchen Benennungen, von kanadiſchen Pelzjägern eingeführt, ſind im Lande und auf engliſchen Karten allgemein gebräuchlich. Die relative Ortslage der ausgebrannten Vulkane iſt nach den neueſten Beſtimmungen folgende: Frémont's Peak Br. 430 5/, Lg. 112° 30“; Trois Tetons Br. 43038“, Länge 113° 10°; Three Buttes Br. 43° 20°, Lg. 115° 2“; Fort Hall Br. 430 0°, Lg. 114° 45°. 186 (S. 320.) Neuere Meſſungen laſſen die im Text angegebene Ziffer als zu hoch gegriffen erſcheinen. [D. Herausg.) 187 (S. 320.) Dana (p. 615 und 640) ſchätzte den Vulkan St. Helens 15000 Par. Fuß und Mount Hood alſo unter dieſer Höhe; dagegen ſoll nach anderen Mt. Hood die große Höhe von 18 316 feet = 17176 Pariſer Fuß, alſo 2270 Pariſer Fuß mehr als der Gipfel des Montblanc und 4438 Fuß mehr als Frémont's Peak in den Rocky Mountains, erreichen. Mt. Hood wäre nach dieſer Angabe (Landgrebe, Naturgeſchichte der Vulkane Bd. I, S. 497) nur 536 Fuß niedriger als der Vulkan Cotopaxi; dagegen überträfe nach Dana Mt. Hood den höchſten Gipfel des Felsgebirges höchſtens um 2300 Fuß. Ich mache immer gern auf— merkſam auf ſolche variantes lectiones. A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 28 — 434 — 188 (S. 321.) Mt. Baker mißt 3380 m. Die Höhen der übrigen Hauptſpitzen des Kaskadegebirges ſind, abweichend von den Angaben im Texte, Mt. Pitt 2730, Three Sisters 3350, Mt. Jeffer- son 3100, Mt. Hood 3600, Mt. Helens 2960, Mt. Adams 2900 und Mt. Rainier, der höchſte von allen, der immer mehr mit ſeinem indianiſchen Namen Tacoma bezeichnet wird, 4392 m. [D. Herausg.] 189 (S. 322.) Nach einem Manuffripte, das ich im Jahre 1803 in den Archiven von Mexiko habe benutzen dürfen, iſt in der Ex⸗ pedition von Juan Perez und Eſtevan Joſé Martinez im Jahre 1774 die ganze Küſte von Nutka bis zu dem ſpäter jo genannten Cook’s Inlet beſucht worden. 190 (S. 325.) In den Antilliſchen Inſeln iſt die vulkaniſche Thätigkeit auf die ſogenannten Kleinen Antillen eingeſchränkt, da drei oder vier noch thätige Vulkane auf einer etwas bogen: förmigen Spalte von Süden nach Norden, den Vulkanſpalten Centralamerikas ziemlich parallel, ausgebrochen ſind. Ich habe ſchon bei einer anderen Gelegenheit, bei den Betrachtungen, welche die Gleichzeitigkeit der Erdbeben in den Flußthälern des Ohio, Miſſiſſippi und Arkanſas mit denen des Orinoko und des Litorales von Venezuela anregt, das kleine Meer der Antillen in ſeinem Zuſammenhang mit dem Golf von Mexiko und der großen Ebene der Luiſiana zwiſchen den Alleghanys und Rocky Mountains, nach geognoſtiſchen Anſichten, als ein einiges altes Becken geſchildert. Dieſes Becken wird in ſeiner Mitte, zwiſchen 18° und 22“ Breite, durch eine plutoniſche Gebirgsreihe vom Kap Catoche der Halbinſel Yukatan an bis Tortola und Virgen gorda durchſchnitten. Cuba, Haiti und Portorico bilden eine weſt⸗öſtliche Reihe, welche der Granit- und Gneiskette von Caracas parallel läuft; dagegen verbinden die, meiſt vulkaniſchen, Kleinen Antillen die eben bezeichnete plutoniſche Kette (die der Großen Antillen) und die des Litorales von Venezuela miteinander; ſie ſchließen den ſüd⸗ lichen Teil des Beckens in Oſten. Die jetzt noch thätigen Vulkane der Kleinen Antillen liegen zwiſchen den Parallelen von 13° bis 16 ½“. Es folgen von Süden nach Norden: Der Vulkan der Inſel St. Vincent: bald zu 3000 (974 m), bald zu 4740 Fuß (1540 m) Höhe angegeben. Seit dem Ausbruch von 1718 herrſchte Ruhe, bis ein ungeheurer Lavaausbruch am 27. April 1812 erfolgte. Die erſten Erſchütterungen, dem Krater nahe, fingen bereits im Mai 1811 an: drei Monate nachdem die Inſel Sabrina in den Azoren aus dem Meere aufgeſtiegen war. In dem Bergthal von Caracas, 3280 Fuß (1066 m) über dem Meeresſpiegel, begannen ſie ſchwach ſchon im Dezember desſelben Jahres. Die völlige Zerſtörung der großen Stadt war am 26. März 1812. So wie mit Recht das Erdbeben, welches am 14. Dez. 1796 Cumana zerſtörte, der Eruption des Vulkans von Guadeloupe (Ende Septembers 1796) zugeſchrieben wurde, ſo ſcheint der Untergang von Caracas eine Wirkung der Reaktion eines ſüdlicheren Vulkans der Antillen, des von St. Vincent, geweſen zu fein. Das furcht⸗ bare, dem Kanonendonner gleiche, unterirdiſche Getöſe, welches eine heftige Eruption des zuletzt genannten Vulkans am 30. April 1812 erregte, wurde in den weiten Grasebenen (Llanos) von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, 48 geogr. Meilen (355 km) weſtlicher als ſeine Vereinigung mit dem Orinoko, vernommen. Der Vulkan von St. Vincent hatte keine Lava gegeben ſeit 1718; am 30. April ent⸗ floß ein Lavaſtrom dem Gipfelkrater und gelangte nach 4 Stunden bis an das Meeresufer. Sehr auffallend iſt es geweſen und mir von ſehr verſtändigen Küſtenfahrern beſtätigt worden, daß das Ge⸗ töſe auf offnem Meere fern von der Inſel weit ſtärker war als nahe am Litorale. Der Vulkan der Inſel S. Lucia, gewöhnlich nur eine Sol⸗ fatare genannt, iſt kaum 12— 18 00 Fuß (390—584 m) hoch. Im Krater liegen viele kleine, periodiſch mit ſiedendem Waſſer gefüllte Becken. Im Jahr 1766 ſoll ein Auswurf von Schlacken und Aſche beobachtet worden ſein, was freilich bei einer Solfatare ein ungewöhn⸗ liches Phänomen iſt; denn wenn auch (nach den gründlichen Unter⸗ ſuchungen von James Forbes und Poulett Scrope) an einer Erup- tion der Solfatare von Pozzuoli im Jahr 1198 wohl nicht zu zweifeln iſt, ſo könnte man doch geneigt ſein, dies Ereignis als eine Seitenwirkung des nahe gelegenen Hauptvulkans, des Veſuvs, zu betrachten. Lancerote, Hawai und die Sundainſeln bieten uns analoge Beiſpiele von Ausbrüchen dar, welche von den Gipfelkratern, dem eigentlichen Sitze der Thätigkeit, überaus fern liegen. Freilich hat ſich bei großen Veſuveruptionen in den Jahren 1794, 1822, 1850 und 1855 die Solfatara von Pozzuoli nicht geregt, wenn gleich Strabo lange vor dem Ausbruch des Veſuvs, in dem Brand- felde von Dikäarchia bei Kymäa und Phlegra auch von Feuer, freilich unbeſtimmt, ſpricht. (Dikäarchia erhielt zu Hannibals Zeit von den Römern, die es da koloniſierten, den Namen Puteoli. „Einige meinen,“ ſetzt Strabo hinzu, „daß wegen des üblen Ge— ruches des Waſſers die ganze dortige Gegend bis Bajä und Kymäa ſo genannt ſei, weil ſie voll Schwefels, Feuers und warmer Waſſer iſt. Einige glauben, daß deshalb Kymäa, Cumanus ager, auch Phlegra genannt werde . ...“; und danach erwähnt Strabo noch dort „Ergüſſe von Feuer und Waſſer, 9 c rupös zu! Da ich im Frühjahr 1854 eine neue Analyſe des Trachytes vom Chimborazo erwünſchte, jo hatte Prof. Rammelsberg die Freunde ſchaft, ſie mit der ihm eigenen Genauigkeit vorzunehmen. Ich laſſe hier die Reſultate dieſer Arbeit folgen, wie ſie mir von Guſtav Roſe in einem Briefe im Monat Juni 1854 mitgeteilt wurden: „Das Chimborazogeſtein, das der Prof. Rammelsberg einer ſorgfältigen Analyſe unterworfen hat, war aus einem Stück Ihrer Sammlung abgeſchlagen, das Sie von dem ſchmalen Felskamm auf der Höhe von 2986 Toiſen über dem Meere mitgebracht.“ Analyſe von Rammelsberg (Höhe 17916 Par. Fuß = 5819 m, ſpezif. Gewicht 2,806). Sauer ſt o ff Kieselerde ne 30,70 | 2,33 Thonerde ae 6,30 Elend uf 727 1561 1 Kalk erde 6,50 | 1,85 Talterper? E27 nm en 5, 1 2,13 270,95 Nasa. nn ee ee 3,46 0,89 Kalz EN N 2,64| 0,45 97,88 — 455 — Analyſe von Abich (Höhe 15180 Par. Fuß = 4931 m, ſpezif. Gewicht 2,685). Sauerſtoff 165,099 [3381] 2,68 115,58 727 — . . 1,16 Bel N... 2... 2 0,39 1 e me ee a 2 0,73, 1 di „ AO, 2. 1,58 hingen. Hase Ar, Po AG 2: 1,14 Kali e 99 0,33 Glühverluſt und Chlor 0,41 99,80 Zur Erklärung dieſer Zahlen iſt zu bemerken, daß die 1. Reihe die Beſtandteile in Prozenten angibt, die 2 und 3. den Sauerſtoffgehalt derſelben. Die 2. Spalte bezeichnet nur den Sauerſtoff der ſtärkeren Oxyde (die 1 Atom Sauerſtoff enthalten). In der 3. Reihe iſt derſelbe zuſammengefaßt, um ihn mit dem der Thonerde (die ein ſchwaches Oxyd iſt) und der Kieſelſäure vergleichen zu können. Die 4. Spalte gibt das Verhältnis des Sauerſtoffs der Kieſelſäure zum Sauerſtoff der ſämtlichen Baſen, dieſen = 1 geſetzt. Bei dem Trachyt des Chimborazo iſt dieſes Verhältnis = 3:1. ur ’ „Die Unterſchiede in den Analyſen von Rammelsberg und Abich find allerdings bedeutend. Beide analyſierten Geſteine des Chim— borazo aus 17 916 (5819 m) und 15 180 Pariſer Fuß (4931 m) Höhe; ſie ſind von Ihnen abgeſchlagen worden und ſtammen aus Ihrer geognoſtiſchen Sammlung im königlichen Mineralienkabinette zu Berlin her. Das Geſtein aus der geringeren Höhe (kaum 375 Fuß = 122 m höher als der Gipfel des Montblanc), welches Abich analyſiert hat, hat ein geringeres ſpezifiſches Gewicht, und in Uebereinſtimmung damit eine größere Menge Kieſelſäure als das Geſtein, welches Rammelsberg von einem 2736 Fuß (888 m) höheren Punkte zerlegt hat. Nimmt man an, daß die Thonerde allein dem feldſpatartigen Gemengteile angehört, ſo kann man in der Rammels— bergſchen Analyſe berechnen: Oligoklas. .. 58,66 Augilt 34,14 Kiejelfäure . . 4,08 Da alſo hier bei der Annahme von Oligoklas noch freie Kieſelſäure übrig bleibt, ſo wird es wahrſcheinlich, daß der feldſpatartige Ge— mengteil Oligoklas und nicht Labrador ſei. Dieſer kommt mit freier Kieſelſäure nicht vor, und bei der Annahme von Labrador in dem Geſtein würde ja noch mehr Kieſelſäure übrig bleiben.“ Eine ſorgfältige Vergleichung vieler Analyſen, welche ich der belehrenden Freundſchaft des Herrn Charles Sainte-Claire Deville — 456 — verdanke, dem die reichen geognoſtiſchen Sammlungen unſeres ge⸗ meinſchaftlichen Freundes Bouſſingault zur chemiſchen Benutzung offen ſtand, beweiſt, daß der Gehalt an Kieſelſäure in der Grund⸗ maſſe des trachytiſchen Geſteines meiſt größer iſt als in den Feld⸗ ſpaten, welche ſie enthalten. Die Tabelle, die mir mit großem Wohlwollen von dem Verfaſſer ſelbſt mitgeteilt worden iſt (im Monat Juni 1857), enthält allein fünf der großen Vulkane der Andeskette: : 3 Kieſel⸗ ee Struktur und Farbe Wee Me im der in der der Maſſe Feldſpat Vulkane ganzen Maſſe allein halb verglaſt, bräunlich -grau 65,09 Abich Chimborazo halb glaſig und ſchwarz. . 63,19 Dee 58,26 kriſtalliniſch dicht grau . . 62,66 Deville : grauſchwarzz ... . 64,26 Abich RR Antiſana } 0 b 63,23 Abich 5 58,26 öbglaſig und bräunlich. . . 69,28 Abich Cotopaxi eh ... 463,98 Abich 5 Pichincha ſchwarz, glafig. » ... 67,07 Abich Puracé faſt bouteillen grün . . 60,80 Deville 55,40 Guadeloupe grau, körnig und zellig . . 57,95 Deville | 54,25 Bourbon kriſtalliniſch grau, poröbs . 50,90 Deville 49,06 ——— — — — —— — ——— „Ces differences, quant à la richesse en silice entre la pate et le feldspat,“ jest Charles Deville hinzu, „paraitront plus frappantes encore, si l'on fait attention qu'en analysant une roche en masse, on analyse, avec la päte proprement dite, non seulement des fragments de feldspat semblables & ceux que l’on en a extraits, mais encore des mineraux qui, comme Vamphibole, la pyrox&ne et surtout le peridot, sont moins riches en silice que le feldspat. Cet exces de silice se mani- feste guelquefois par des grains isolés de quarz, comme Mr. Abich les a signalees dans les trachytes du Drachenfels (Sieben- gebirge de Bonn), et comme moi-möme j'ai eu l’occasion de les observer avec quelque étonnement dans le dolerite trachy- tique de la Guadeloupe.“ „Setzt man,“ jagt Guftav Roſe, „der merkwürdigen Tabelle des Kieſelſäuregehaltes des Chimborazo noch das Reſultat der neueſten Analyſe, der von Rammelsberg (Mai 1854), hinzu, ſo ſteht das Devilleſche Reſultat gerade in der Mitte zwiſchen denen von Abich und Rammelsberg. Wir erhalten — 457 — Chimborazogeſtein Kieſelſäure 65,09 Abich (ſpezif. Gewicht 2,685) 63,19 Deville 62,66 derſelbe 59,12 Rammelsberg (ſpezif. Gewicht 2,806).“ In der zu San Francisco in Kalifornien erſcheinenden Zeitung Echo du Pacifique vom 5. Januar 1857 wird von einem franzöſiſchen Reiſenden, Herrn Jules Remy, berichtet, daß es ihm in Begleitung des Engländers Herrn Brencklay geglückt ſei, am 3. November 1856 den Gipfel des Chimborazo zu erſteigen: „zwar in Nebel gehüllt und ohne es ſelbſt während der Erſteigung zu merken (sans nous en douter)“. Er beobachtete nämlich den Siede— punkt des Waſſers zu 77,5“ Cent. bei + 1,7“ Lufttemperatur; als er hieraus „nach einer auf wiederholten Reiſen im Hawaiarchipel erprobten hypſometriſchen Regel die von ihm erreichte Höhe be— rechnete, ward er von dem erhaltenen Reſultate überraſcht. Er fand nämlich, daß er 6543 m hoch geweſen war“, alſo in einer Höhe, die nur 40 Fuß (13 m) abweicht von der Höhe (6530 m, welche meine trigonometriſche Meſſung bei Riobamba nuevo in der Hochebene von Tapia im Juni 1803 für den Gipfel des Chimbo— razo ergeben hatte. Dieſe Uebereinſtimmung einer trigonometriſchen Meſſung des Gipfels mit einer auf den Siedepunkt gegründeten wäre um ſo wunderbarer, als meine trigonometriſche Meſſung, wie bei allen Bergmeſſungen in den Kordilleren, einen barometriſchen Teil involviert, und durch Mangel korreſpondierender Beobachtungen am Meeresufer der Südſee meine barometriſche Beſtimmung der Höhe des Llano de Tapia (2891 m oder 8899 Par. Fuß) nicht alle erwünſchte Genauigkeit haben kann. Profeſſor Poggendorff hat ſich freundſchaftlichſt der Mühe unterzogen, zu prüfen, welches Reſultat unter den wahrſcheinlichſten Vorausſetzungen eine rationellere Be— rechnungsweiſe geben würde. Er hat gefunden, daß, unter den beiden Hypotheſen berechnet: daß am Meere die Lufttemperatur 27,5 C. oder 26,5 C. geherrſcht habe und der Barometerſtand 760,0 mm auf den Gefrierpunkt reduziert geweſen ſei, man nach Regnaults Tafel folgendes Reſultat erhalte: der Siedepunkt 77,59 C. auf dem Gipfel entſpricht einem Barometerſtand von 320,20 mm bei 0° Temperatur, die Lufttemperatur war + 1,7 C., wofür hier 1,5° genommen ſein mag. Nach dieſen Daten geben Oltmanns Tafeln für die angeblich erſtiegene Höhe, in der erſten Hypotheſe (27,5 C) = 7328,2 m und in der zweiten (26,5 C.) = 7314,5 m, alſo im Mittel 777 m oder 2390 Pariſer Fuß (776 m) mehr als meine trigonometriſche Meſſung. Wenn mit dieſer der Verſuch des Siedepunktes hätte übereinſtimmen ſollen, ſo hätte man, wäre wirk— lich der Gipfel des Chimborazo erſtiegen worden, den Siedepunkt um 2,25 C. höher finden müſſen. 22 (S. 343.) Daß die Trachytgeſteine des Aetna Labrador enthalten, davon überzeugte ſich und ſeine Freunde ſchon Guſtav — 458 — Roſe im Jahre 1833, als er die reichen ſizilianiſchen Sammlungen von Friedrich Hoffmann im Berliner Mineralienkabinett aufſtellte. In der Abhandlung über die Gebirgsarten, welche mit dem Namen Grünſtein und Grünſteinporphyr bezeichnet werden, erwähnt Guſtav Roſe der Laven des Aetna, welche Augit und Labrador enthalten. Leopold von Buch nennt das Aetnageſtein dem Dolerit der Baſalt⸗ formation analog. 225 (S. 343.) Ein vieljähriger und fleißiger Erforſcher der Aetnatrachyte, Sartorius von Waltershauſen, macht die wichtige Bemerkung, „daß die Hornblende dort vorzugsweiſe den älteren Maſſen angehört, den Grünſteingängen im Val del Bove, wie den weißen und rötlichen Trachyten, welche das Fundament des Aetna in der Serra Giannicola bilden. Dort werden ſchwarze Hornblende und hell-lauchgrüne Augite nebeneinander gefunden. Die neueren Lavaſtröme ſchon von 1669 an (beſonders von 1787, 1809, 1811, 1819, 1832, 1838 und 1842) zeigen Augite, aber nicht Hornblende. Dieſe ſcheint unter einer langſameren Abkühlung zu entſtehen.“ In den augithaltigen Trachyten der vierten Abteilung in der Andeskette habe ich, neben den häufigen Augiten, teils gar keine, teils, wie am Cotopaxi (auf einer Höhe von 13 200 Fuß = 4287 m) und, am Rucu-Pichincha bei 14360 Fuß (4664 m), ſparſam, deutliche ſchwarze Hornblendekriſtalle gefunden. 224 (S. 344.) In den Leucitkriſtallen der Rocca Monfina hat Pilla die Oberfläche mit Wurmröhren (Serpuleae) bedeckt gefunden: was auf eine unterſeeiſche vulkaniſche Bildung deutet. Ueber das Leucitgeſtein der Eifel im Trachyt des Burgberges bei Rieden, das von Albano, Lago Bracciano und Borghetto nördlich von Rom ſ. Kosmos Bd. IV, S. 376, Anm. 51. Im Centrum großer Leucit⸗ kriſtalle hat Leopold von Buch meiſt das Bruchſtück eines Augit⸗ kriſtalls gefunden, um welches ſich die Leueitkriſtalliſation gebildet hat, „was, wie ſchon früher bemerkt, bei der leichten Schmelzbarkeit des Augits und der Unſchmelzbarkeit des Leueits ſonderbar genug iſt. Häufiger noch find Stücke der Grundmaſſe ſelbſt des Leueit⸗ Porphyrs als Kern eingeſchloſſen.“ Olivin findet ſich zugleich in Laven, wie in den Höhlungen der Obſidiane, deren ich aus Mexiko vom Cerro del Jacal mitgebracht habe; und doch zugleich auch im Hyperſthenfels von Elfdalen, den man lange für Syenit gehalten. Einen ähnlichen Kontraſt in der Natur der Fundörter bietet der Oligoklas dar, welcher in den Trachyten noch entzündeter Vulkane (Pik von Tenerifa und Cotopaxi), und doch zugleich auch im Granit und Granitit von Schreiberhau und Warmbrunn im ſchleſiſchen Rieſengebirge vorkommt; nicht jo der Leucit in plutoniſchem Ge⸗ ſteine, denn die Angabe, daß Leueit im Glimmerſchiefer und Gneis der Pyrenäen bei Gavarnie eingeſprengt gefunden werde (eine An⸗ gabe, die ſelbſt Hauy wiederholt hat), iſt durch mehrjährige lokale Unterſuchungen von Dufrénoy als irrig befunden worden. (S. 345.) Ich hatte mich auf einer geognoſtiſchen Reiſe, ä — 459 — die ich 1795 durch das ſüdliche Franken, die weſtliche Schweiz und Oberitalien machte, davon überzeugt, daß der Jurakalkſtein, welchen Werner zu ſeinem Muſchelkalk rechnete, eine eigene Formation bildete. In meiner Schrift über die unterirdiſchen Gasarten, welche mein Bruder Wilhelm von Humboldt 1799 während meines Auf— enthaltes in Südamerika herausgab, wird der Formation, die ich vorläufig mit dem Namen Jurakalkſtein bezeichnete, zuerſt (S. 39) gedacht. Dieſe Aufſtellung der neuen Formation ging ſogleich in des Oberbergrats Karſten damals vielgeleſene Mineralogiſche Tabellen über. Ich nannte keine von den Verſteinerungen, welche die Juraformation charakteriſieren und um die Leopold von Buch (1839) ſich unvergeßliche Verdienſte erworben hat, irrte auch in dem Alter, das ich der Juraformation zuſchrieb, da ich wegen der Nähe der Alpen, die man älter als Zechſtein glaubte, ſie für älter als Muſchelkalk hielt. In den früheſten Tabellen Bucklands über die Superposition of Strata in the British Islands wird Jura Limestone of Humboldt zu Upper Oolite gerechnet. 226 (S. 345.) Der Name Andeſit kommt zuerſt gedruckt vor in der am 26. März 1835 in der Berliner Akademie geleſenen Abhandlung Leopolds von Buch. Da dieſer große Geognoſt die Benennung Trachyt auf den Gehalt von glaſigem Feldſpat beſchränkt, ſo ſagt er in ſeiner im März 1835 geleſenen, aber erſt 1836 ge— druckten akademiſchen Abhandlung: „Die Entdeckungen von Guſtav Roſe über den Feldſpat haben über die Vulkane und die ganze Geognoſie ein neues Licht verbreitet, und die Gebirgsarten der Vulkane haben dadurch eine neue, ganz unerwartete Anſicht ge— wonnen. Nach vielen ſorgfältigen Unterſuchungen in der Gegend von Catanea und am Aetna haben wir, Elie de Beaumont und ich, uns überzeugt, daß Feldſpat durchaus gar nicht am Aetna vorkomme, ſowie auch gar kein Trachyt. Alle Lavaſtröme ſowie alle Schichten im Inneren des Berges beſtehen aus einem Gemenge von Augit und Labrador. Ein anderer wichtiger Unterſchied in der Gebirgsart der Vulkane offenbart ſich, wenn die Stelle des Feldſpats Albit vertritt; es entſteht dann eine neue Gebirgsart, welche nicht mehr Trachyt genannt werden darf. Nach G. Roſes (dermaligen) Unterſuchungen kann man ziemlich beſtimmt verſichern, daß kein einziger der faſt zahlloſen Vulkane der Andes aus Trachyt beſteht, ſondern daß alle in der ſie bildenden Maſſe Albit enthalten. Eine ſolche Behauptung ſcheint ſehr kühn, allein ſie verliert dieſen Schein, wenn wir bedenken, daß wir ſchon allein durch die Hum— bold tſche Reiſe faſt die Hälfte dieſer Vulkane und ihre Produkte in den beiden Hemiſphären kennen gelernt haben. Durch Meyen kennen wir dieſe albitreiche Gebirgsart in Bolivia und dem nördlichen Chile, durch Pöppig bis zu der ſüdlichſten Grenze des— ſelben Landes, durch Erman in den Vulkanen von Kamtſchatka. Ein ſo weit verbreitetes und ſo ausgezeichnetes Vorkommen ſcheint hinreichend den Namen des Andeſits zu rechtfertigen, — 460 — unter welchem dieſe, aus vorwaltendem Albit und wenig Hornblende gemengte Gebirgsart ſchon einige⸗ mal aufgeführt worden iſt.“ Faſt zu derſelben Zeit, in den Zu⸗ ſätzen, mit denen er 1836 die franzöſiſche Ausgabe ſeines Werkes über die Kanariſchen Inſeln ſo anſehnlich bereicherte, geht Leopold von Buch noch mehr in das Einzelne ein. Die Vulkane Pichincha, Cotopaxi, Tunguragua, Chimborazo ſollen alle aus Andeſit be⸗ ſtehen, dagegen die mexikaniſchen Vulkane wahre (ſanidinhaltige) Trachyte genannt werden! Die oben gegebene lithologiſche Klaſſi⸗ fikation der mexikaniſchen und Andesvulkane zeigt, daß von einer ſolchen Gleichmäßigkeit mineralogiſcher Konſtitution und der Mög— lichkeit einer allgemeinen, von einem großen Erdſtrich hergenommenen Benennung wiſſenſchaftlich keine Rede ſein kann. Ein Jahr ſpäter, als Leopold von Buch zuerſt in Poggendorffs Annalen des viel Ver⸗ wirrung erregenden Namens Andeſit Erwähnung that, habe auch ich das Unrecht begangen, mich desſelben zweimal zu bedienen: ein⸗ mal 1836 in der Beſchreibung meines Verſuches, den Chimborazo zu beſteigen, in Schumachers Jahrbuch für 1837, S. 204 und 205, das zweite Mal 1837 in der Abhandlung über das Hochland von Quito. „Die neueſte Zeit hat gelehrt,“ ſagte ich, indem ich mich ſchon damals der Behauptung meines vieljahrigen Freundes von einer gleichartigen Konftitution aller Andes vulkane ſtreng widerſetzte, „daß die verſchiedenen Zonen nicht immer dieſelbe (mineralogiſche) Zuſammenſetzung, dieſelben Gemengteile darbieten. Es ſind bald eigentliche Trachyte, welche der glaſige Feldſpat charakteriſiert, wie am Pik von Tenerifa und im Siebengebirge bei Bonn, wo ſich etwas Albit dem Feldſpat beigeſellt, Feldſpat⸗ trachyte, die als thätige Vulkane häufig Obſidian und Bimsſtein erzeugen; bald ſind es Melaphyre und doleritartige Gemenge von Labrador und Augit, der Baſaltformation näher ſtehend, wie am Aetna, Stromboli und Chimborazo; bald iſt Albit mit Hornblende vorherrſchend, wie in den neuerlich ſo genannten Andeſiten von Chile und den prächtigen, als Dioritporphyr beſchriebenen Säulen von Piſoje bei Popayan, am Fuße des Vulkanes von Puracé oder im mexikaniſchen Vulkan von Jorullo; bald find es endlich Leucito— phyre, Gemenge von Leucit und Augit, wie in der Somma, der alten Wand des Erhebungskraters des Veſuvs.“ Durch eine zu⸗ fällige Mißdeutung dieſer Stelle, welche viele Spuren von dem damaligen unvollkommenen Zuſtande des Wiſſens an ſich trägt (ſtatt Oligoklas wird dem Pik von Tenerifa noch Feldſpat, dem Chimborazo noch Labrador, dem Vulkan von Toluca noch Albit zugewieſen), hat der geiſtreiche Forſcher Abich, Chemiker und Geognoſt zugleich, irrigerweiſe mir ſelbſt die Erfindung des Namens Andeſit als einer trachytiſchen, weitverbreiteten, albitreichen Ge⸗ birgsart zugeſchrieben; und eine von ihm zuerſt analyſierte, noch etwas rätſelhafte, neue Feldſpatart hat er, „mit Berückſichtigung der Gebirgsart (von Marmato bei Popayan), in der ſie zuerſt er⸗ a ca er — 41 — kannt wurde,“ Andeſin genannt. Der Andeſin (Pſeudoalbit aus dem Andeſit) ſoll zwiſchen Labrador und Oligoklas in der Mitte ſtehen; bei 15“ R. Temperatur iſt ſein jpezififches Gewicht 2,733; das des Andeſits, in welchem der Andeſin vorkam, iſt 3,593. Guſtav Roſe bezweifelt, wie ſpäter Charles Deville, die Selbſtändig⸗ keit des Andeſins, da ſie nur auf einer einmaligen Analyſe Abichs beruht, und weil die von Francis in dem Laboratorium von Heinrich Roſe ausgeführte Analyſe des feldſpatartigen Gemengteiles in dem von mir aus Südamerika mitgebrachten ſchönen Dioritporphyr von Piſoje bei Popayan mit dem von Abich analyſierten Andeſin von Marmato zwar große Aehnlichkeit andeutet, aber doch anders zu— ſammengeſetzt iſt. Noch viel unſicherer iſt der ſogenannte Andeſin aus dem Syenit der Vogeſen (von dem Ballon de Servance und von Coravillers, den Deleſſe zerlegt hat). Es iſt nicht unwichtig, hier darauf aufmerkſam zu machen, daß der Name Andeſin, von Abich als der eines einfachen Minerales aufgeführt, zuerſt in deſſen reichhaltiger Abhandlung, Beitrag zur Kenntnis des Feld⸗ ſpats erſcheint, alſo im Jahre 1840, wenigſtens fünf Jahre nach der Benennung der Gebirgsart Andeſit; und keineswegs um— gekehrt älter iſt als der der Gebirgsart, wie bisweilen irrig be— hauptet wird. In den Formationen von Chile, welche Darwin jo oft albitreichen andesitic granite und andesitic porphyre nennt, mögen auch wohl Oliogoklaſe enthalten ſein. Guſtav Roſe, deſſen Abhandlung Ueber die Nomenklatur der mit dem Grün⸗ ſteine und Grünſteinporphyr verwandten Gebirgs— arten in demſelben Jahre 1835 erſchien, in welchem Leopold von Buch den Namen Andeſit gebrauchte, hat ſich weder in der eben genannten Abhandlung noch je ſpäter dieſes Namens bedient, deſſen Definition nach der jetzt erkannten Natur der Gemengteile nicht Albit mit Hornblende, ſondern in den Kordilleren von Süd— amerika Oligoklas mit Augit heißen müßte. Die nun ſchon veraltete Mythe des Andeſits, welche ich hier nur zu um: ſtändlich behandelt habe, lehrt aufs neue, wie viele andere Beiſpiele aus der Entwicklungsgeſchichte unſeres phyſikaliſchen Wiſſens, daß irrige oder nicht genugſam begründete Behauptungen (3. B. der Hang, Varietäten als Arten aufzuzählen) den beſchreibenden Wiſſen— ſchaften oft dadurch förderlich werden, daß ſie zu genaueren Beob— achtungen anregen. 227 (S. 346.) Schon 1840 beſchrieb Abich Oligoklastrachyte aus dem Gipfelgeſtein des Kasbek und einem Teile des Ararats; auch 1835 äußerte Guſtav Roſe mit Vorſicht, „daß er bis dahin bei ſeinen Beſtimmungen nicht auf den Oligoklas und Periklin Rückſicht genommen habe, die doch wahrſcheinlich ebenfalls als Gemengteil vorkommen“. Der ehemals viel verbreitete Glaube, daß ein beſtimmtes Vorherrſchen des Augits oder der Hornblende auch auf eine beſtimmte Spezies aus der Feldſpatreihe, auf glaſigen Orthoklas (Sanidin), auf Labrador oder Oligoklas, ſchließen laſſe, — 462 — ſcheint ſehr erſchüttert durch Vergleichung der des Chimborazo- und Tolucageſteines, von Trachyten der 4. und 3. Abteilung. In der Baſaltformation kommen oft Hornblende und Augit gleich häufig vor; das iſt keineswegs der Fall bei den Trachyten, aber ſehr ver— einzelt habe ich Augitkriſtalle in Tolucageſtein, einige Hornblende— kriſtalle in Teilen des Chimborazo-, Pichincha-, Puracé- und Tenerifa⸗ geſteines gefunden. Olivine, die ſo überſelten in den Baſalten fehlen, ſind in Trachyten eben ſo eine große Seltenheit, als ſie es in den Phonolithen find, und doch ſehen wir bisweilen in einzelnen Lava⸗ ſtrömen ſich Olivine neben Augiten in Menge bilden. Glimmer iſt im ganzen ſehr ungewöhnlich im Baſalt, und doch enthalten ein: zelne Baſaltkuppen des, von Reuß, Freiesleben und mir zuerſt be- ſchriebenen, böhmiſchen Mittelgebirges ihn in Menge. Die ungewöhn— liche Vereinzelung gewiſſer Mineralkörper und die Gründe ihrer geſetzlichen ſpezifiſchen Geſelligkeit hängen wahrſcheinlich von vielen noch nicht ergründeten Urſachen des Druckes, der Temperatur, der Dünnflüſſigkeit, der Schnelligkeit der Erkaltung zugleich ab. Die ſpezifiſchen Unterſchiede der Aſſociation ſind aber in den gemengten Gebirgsarten wie in den Gangmaſſen von großer Wichtigkeit, und in geognoſtiſchen Beſchreibungen, welche in der freien Natur, im Angeſicht des Gegenſtandes haben entworfen werden können, muß man nicht verwechſeln, was ein vorherrſchendes oder wenigſtens ein ſehr ſelten fehlendes, was ein ſich nur ſparſam, wie zufällig zeigendes Glied der Aſſociation iſt. Die Verſchiedenheit, die in den Elementen eines Gemenges, z. B. in den Trachyten, herrſcht, wiederholt ſich, wie ich bereits oben erinnert habe, auch in den Gebirgsarten ſelbſt. Es gibt in beiden Kontinenten große Länder, in denen Trachyt- und Baſaltformationen ſich gleichſam abſtoßen, wie Baſalte und Phonolithe, andere Länder, in welchen Trachyte und Baſalte in beträchtlicher Nähe miteinander abwechſeln. 228 (S. 347.) Es iſt die Erinnerung wohl faſt überflüſſig, daß der Ausdruck fehlen nur andeutet, daß bei der Durchforſchung eines freilich nicht unbeträchtlichen Teiles von Vulkanen großen Umfanges eine Mineralſpezies vergeblich geſucht worden iſt. Ich unterſcheide zwiſchen fehlen (nicht gefunden ſein), ſehr ſeltener Ein⸗ mengung, und häufiger, aber doch nicht normal charakteriſierender. 229 (S. 347.) Glimmerreicher Baſalt, wie an der Gamayer Kuppe im böhmiſchen Mittelgebirge, iſt eine Seltenheit. Ich habe dieſen Teil des böhmiſchen Mittelgebirges im Sommer 1792 ge⸗ meinſchaſtlich mit Karl Freiesleben, meinem nachmaligen Schweizer Reiſebegleiter, der einen ſo weſentlichen Einfluß auf meine geogno— ſtiſche und bergmänniſche Ausbildung gehabt hat, beſucht. Biſchof bezweifelt jede Entſtehung des Glimmers auf pyrogenem Wege, und hält ihn für ein Umwandlungsprodukt auf naſſem Wege. 2% (S. 348.) Die Porphyre von Moran, Real del Monte und Regla (letztere berühmt durch den ungeheuren Silberreichtum der Veta Biscayna, und die Nähe der Obſidiane und Perlſteine des — 463 — Cerro del Jacal und Meſſerberges, Cerro de las Navajas) ſind, wie faſt alle metallreichen Porphyre von Amerika, ganz quarzfrei; aber die Porphyre von Acaguiſotla, auf dem Wege von Acapulco nach Chilpanzingo, wie die von Villalpando nördlich von Guanaxuato, welche von goldführenden Gängen durchſetzt werden, enthalten neben dem Sanidin auch Körner von bräunlichem Quarze. — Da am Cerro de las Navajas und in dem baſalt⸗ und perlſteinreichen Valle de Santiago, das man durchſtreicht, um von Valladolid nach dem Vulkan von Jorullo zu gelangen, die kleinen Einſchlüſſe von Obſidiankörnern und glaſigem Feldſpat in den vulkaniſchen Gebirgsarten im ganzen ſelten ſind, jo war ich um jo mehr ver- wundert, als ich zwiſchen Capula und Patzeuaro, vorzüglich bei Yurifapundaro, alle Ameiſenhaufen mit ſchön glänzenden Körnern von Obſidian und Sanidin erfüllt fand. Es war im Monat Sep⸗ tember 1803. Ich war verwundert, wie ſo kleine Inſekten ſolche Mineralſpezies aus weiter Ferne forttragen konnten. Mit lebhafter Freude habe ich geſehen, daß ein raſtloſer Forſcher, Herr Jules Marcou, etwas ganz Aehnliches aufgefunden hat. „Il existe,“ ſagt dieſer, „sur les hauts plateanx des Montagnes Rocheuses, sur- tout aux environs du fort Defiance (& l’ouest du Mont Taylor), une espece de fourmis qui, au lieu de se servir de fragments de bois et de debris de vegetaux pour élever son édifice, n’emploie que de petites pierres de la grosseur d'un grain de mais. Son instinct la porte & choisir les fragments de pierres les plus brillants; aussi la fourmiliere est-elle souvent remplie de grenats transparents magnifiques et de grains de quarz tres limpides.“ In den jetzigen Veſuvlaven iſt glafiger Feldſpat ſehr ſelten; nicht ſo in den alten Laven, z. B. in denen des Ausbruches von 1631, neben Leucitkriſtallen. Sehr häufig iſt auch Sanidin zu finden im Arſoſtrom von Cremate auf Ischia vom Jahre 1301, ohne allen Leucit, nicht mit dem älteren, von Strabo beſchriebenen (bei Montagnone und Rotaro) zu verwechſeln. So wenig glaſiger Feld— ſpat in den Trachyten des Cotopaxi oder anderer Vulkane der Kordilleren überhaupt zu finden iſt, ebenſowenig erſcheint er in den unterirdiſchen Bimsſteinbrüchen am Fuße des Cotopaxi. Was man darin ehemals als Sanidin beſchrieben hat, ſind Kriſtalle von Oligoklas. 231 (S. 349.) Die neueren Veſuvlaven enthalten keinen Olivin, ebenſowenig glaſigen Feldſpat. Der Lavaſtrom des Piks von Tene— rifa von 1704, den Viera und Glas beſchrieben haben, iſt nach Leopold von Buch der einzige, welcher Olivin enthält. Die Be— hauptung aber, als ſei der Ausbruch von 1704 der erſte, welcher ſeit der Zeit der Eroberung (Conquista) der Kanariſchen Inſeln am Ende des 15. Jahrhunderts ſtattgefunden habe, iſt von mir an einem anderen Orte als irrig erwieſen worden. Kolumbus ſah auf ſeiner erſten Entdeckungsreiſe in den Nächten vom 21. bis 25 Auguſt, — 464 — als er Dona Beatriz de Bobadilla auf der Gran Canaria aufſuchen wollte, den Feuerausbruch auf Tenerifa. Es heißt im Tagebuche des Admirals unter der Rubrik Jueves 9 de Agosto, welche Nach— richten bis 2. September enthält: Vieron salir gran fuego de la Sierra de la Isla de Tenerife, que es muy alta en gran manera;“ Navarrete, colecc. de los Viages de los Espanoles T. I, p. 5. Die eben genannte Dame iſt nicht zu verwechſeln mit Dona Beatriz Henriquez aus Cordova, der unehelichen Mutter des gelehrten Don Fernando Colon, des Geſchichtſchreibers des Vaters, deren Schwangerſchaft im Jahr 1488 jo wejentlich dazu beitrug, den Kolumbus in Spanien zurückzuhalten, und zu veranlaſſen, daß die Neue Welt für Kaſtilien und Leon (und nicht für Portugal, Frank⸗ reich oder England) entdeckt wurde. 282 (S. 349.) Ein wichtiger Teil der während meiner ameri⸗ kaniſchen Expedition geſammelten Gebirgsarten iſt an das ſpaniſche Mineralienkabinett, an den König von Hetrurien, nach England und Frankreich geſandt worden. Ich erwähne nicht der geologiſchen und botaniſchen Sammlungen, die mein edler Freund und Mitarbeiter Bonpland beſitzt, mit dem zweifach geheiligten Rechte des Selhit- ſammelns und Selbſtentdeckens. Eine ſo weite Verbreitung des Geſammelten, welche durch ſehr genaue Angabe der Geburtsörter das Zuſammenhalten der Gruppen in geographiſcher Beziehung nicht ausſchließt, gewährt den Vorteil, daß ſie die vielſeitigſte und ſtrenge Beſtimmung der Mineralſpezies erleichtert, deren weſentliche und habituelle Aſſociation die Gebirgsarten charakteriſiert. 233 (S. 350.) Auch im Tezontle (zelliger Lava oder baſaltiſchem Mandelſtein? — mexikaniſch tetzontli, d. h. Steinhaar, von tet! Stein und tzontli Haar) des cerro des Axusco in Mexiko habe ich viel Olivin gefunden. 234 (S. 350.) Auch in den Kalkblöcken der Somma kommt nach Scacchi Olivin neben Glimmer und Augit vor. Ich nenne dieſe merkwürdigen Maſſen ausgeſtoßene Blöcke, nicht Laven, welche letztere die Somma wohl nie ſelbſt ergoſſen hat. 235 (S. 351.) Scacchi, Össervazionicritiche sulla maniera come fu seppellita l’antiea Pompei 1843, p. 10, gegen die von Carmine Lippi aufgeſtellte, ſpäter von Tondi, Tenore, Pilla und Dufrénoy verteidigte Anſicht, daß Pompeji und Herculanum nicht durch die direkt von der Somma ausgeworfenen Rapilli und Aſchen, ſondern durch Waſſerſtrömungen verdeckt wor— den ſeien. 236 (S. 352.) Ueber den Bimsſteinhügel von Tollo, der noch zwei Tagereiſen vom thätigen Vulkan Maypu entfernt iſt, welcher ſelbſt nie einen Brocken ſolchen Bimsſteins ausgeworfen hat, ſiehe Meyen, Reife um die Erde T. J, S. 338 und 358. 237 (S. 353.) Theophraſtus ſagt dies vom „lipariſchen Stein (Arrupaiog)“. Berichtigungen und Juſätze. S. 24 3. 12. Ein noch weit größeres Reſultat für die Dichte der Erde, als Baily (1842) und Reich (1847 — 1850) erhalten haben, ergeben Airys mit ſo muſterhafter Vorſicht in den Bergwerken von Harton angeſtellte Pendelverſuche im Jahre 1854. Nach dieſen Pendelver— ſuchen iſt die Dichte 6,566, mit dem wahrſcheinlichen Fehler 0,182 (Airy in den Philos. Transat. for 1856, p. 342). Eine kleine Modifikation dieſes numeriſchen Wertes, vom Prof. Stockes hinzugefügt wegen des Effektes der Rotation und Elliptizität der Erde, verändert die Dichtigkeit für Harton, das in 54° 487 nörd— licher Breite liegt, in 6,565; für den Aequator in 6,489. S. 56 Z. 16. Arago hat einen Schatz magnetiſcher Beobachtungen (über 52600 an Zahl) aus den Jahren 1818 bis 1835 hinterlaſſen, welche nach der mühevollen Redaktion von Herrn Fedor Thoman publiziert worden find in den Oeuvres completes de Francois Ara go (Tome IV, p. 498). In dieſen Beobachtungen hat General Sabine (Meteorological Essays, London 1855, P. 350) für die Jahresfolge von 1821 bis 1830 die vollſtändigſte Beſtätigung der zehnjährigen magnetiſchen Deklinationsperiode und ihres Zuſammenhanges mit der gleichen Periode in der Häufigkeit und Seltenheit der Sonnenflecken entdeckt. Schon in demſelben Jahre 1850, als Schwabe in Deſſau ſeine Periode der Sonnen: flecken veröffentlichte (Kosmos Bd. III, S. 284), ja zwei Jahre früher als Sabine zuerſt (im März 1852: Phil. Tr. for 1852, P. I, p. 116-121, Kosmos Bd. IV, S. 128) die zehnjährige magnetiſche Deklinationsperiode für von den Sonnenflecken abhängig erklärte, hatte letzterer ſelbſt ſchon das wichtige Reſultat aufgefunden, daß die Sonne durch die ihrer Maſſe eigene magnetiſche Kraft auf den Erdmagnetismus wirkt. Er hatte entdeckt (Phil. Tr. for 1850, P. I, p. 216, Kosmos Bd. IV, S. 98), daß die magnetiſche Intenſität am größten iſt und daß die Nadel ſich am meiſten der vertikalen Richtung nähert, wenn die Erde der Sonne am nächſten ſteht. Die Kenntnis von einer ſolchen magnetiſchen Einwirkung des Centralkörpers unſeres Planetenſyſtemes, nicht als Wärme erzeugend, ſondern durch ſeine eigene magnetiſche Kraft, wie durch A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 30 — 466 — Veränderungen in der Photoſphäre (Größe und Frequenz trichter⸗ förmiger Oeffnungen), gibt dem Studium des Erdmagnetismus und dem Netze magnetiſcher Warten, mit denen (Kosmos Bd. 1, S. 302, Bd. IV, S. 54) Rußland und Nordaſien ſeit den Be⸗ ſchlüſſen von 1819, die großbritanniſchen Kolonieen ſeit 1840 bis 1850 bedeckt ſind, ein höheres kosmiſches Intereſſe. S. 62 3. 1. Wenn auch die Nähe des Mondes im Vergleich mit der Sonne die Kleinheit ſeiner Maſſe nicht zu kompenſieren ſcheint, ſo regt doch die ſchon als ſicher ergründete Veränderung der magne⸗ tiſchen Deklination im Verlauf eines Mondtages, lunar-diurnal magnetic variation (Sabine im Report to the Brit. As- sociation at Liverpool 1854, p. 11 und für Hobarton in den Phil. Tr. for 1857, Art. I, p. 6), dazu an, die magnetiſchen Ein⸗ flüſſe des Erdſatelliten anhaltend zu erſpähen. Kreil hat das große Verdienſt gehabt, dieſe Beſchäftigung von 1839 bis 1852 mit vieler Sorgfalt fortzuſetzen. Da ſeine mehrjährigen, zu Mailand und Prag angeſtellten Beobachtungen die Behauptung unterſtützten, daß beide, der Mond wie die Sonnenflecken, eine zehnjährige Dekli⸗ nationsperiode verurſachen, ſo veranlaßte dieſe wichtige Behauptung den General Sabine zu einer großen Arbeit. Er fand, daß der ſchon für Toronto in Kanada bei Anwendung einer eigentümlichen, ſehr genauen Rechnungsform ergründete alleinige Einfluß der Sonne auf eine zehnjährige Periode ſich in allen drei Elementen des Erdmagnetismus durch den Reichtum von achtjährigen ſtündlichen Beobachtungen, zu Hobarton vom Januar 1841 bis Dezember 1848 angeſtellt, wiedererkennen laſſe. Beide Hemiſphären gaben ſo dasſelbe Reſultat für die Wirkung der Sonne, ſowie zu⸗ gleich aber auch die Gewißheit: „that the Iunar-diurnal variation corresponding to different years shows no conformity to the inequality manifested in those of the solar-diurnal variation. The earth’s inductive action, reflected from the moon, must be of a very little amount.“ (Sabine in den Phil. Tr. for 1857, Art. I, p. 7 und in den Proceedings of the Royal Soc., Vol. VIII. Nr. 20, p. 404.) Da der magnetijche Teil dieſes Bandes vor faſt drei Jahren gedruckt worden iſt, ſo ſchien es für dieſen, mir ſo lange befreundeten Gegenſtand beſonders notwendig, ihn durch einige Nachträge zu ergänzen. Fragmente. Aus dem fünften Bande der Oktavausgabe. Fortſetzung der ſpeziellen Ergebniſſe der Beobachtung in dem Gebiete telluriſcher Erſcheinungen. Einleitung. Der fünfte und letzte Band des Kosmos, für welchen ich dieſe Einleitung beſtimme, beſchließt die Darſtellung der telluriſchen Erſcheinungen in ihrer reinſten Objektivität. Er bildet ſamt dem vierten Bande, als deſſen Fortſetzung er zu betrachten iſt, nach dem urſprünglichen Plan meines Werkes gewiſſermaßen ein abgerundetes Ganzes, das, was man ge— wöhnlich die phyſiſche Erdbeſchreibung zu nennen pflegt. Es war lange mein Wunſch, dieſen fünften Band als eine zweite Abteilung des vierten und mit der erſten Abteilung zugleich erſcheinen zu laſſen, als Gegenſtück des alleinigen dritten, uranologiſchen Bandes, aber die durch die Erfüllung dieſes Wunſches verurſachte noch unerfreu— lichere Verzögerung der Publikation mußte als ein Hindernis auftreten. Wenn in dem aſtronomiſchen Bande die ſich gegen— ſeitig ſtörenden und wieder ausgleichenden Bewegungen der Weltkörper und (den Kontakt der in unſerem Planetenſyſteme kreiſenden Meteoraſteroiden abgerechnet) für unſere Wahr— nehmung nur die Thätigkeit gleichartiger Materien zu ſchildern iſt, ſo offenbart dagegen der irdiſche Teil des Kosmos, neben den dynamiſchen Wirkungen bewegender Kräfte, — 470 — den mächtigen und wunderſam zuſammengeſetzten Einfluß ſpe— zifiſcher Stoffverſchiedenheit. In dem hier berührten Unterſchiede von Komplikation und relativer Fülle des zu behandelnden Materiales liegt zum Teil die Urſache (ich wage nicht zu ſagen, die Rechtfertigung) des ſo überaus großen Zwiſchenraumes in der Zeit des Erſcheinens der einzelnen Bände. Der Hauptgrund wachſender Zögerung liegt 5 in der Abnahme der Lebenskräfte eines faſt neunzigjährigen Greiſes, wenn bei gleichbleibender nächtlicher Arbeitſamkeit weniger und mit minder heiterer Zuverſicht gefördert werden kann. So ſind ſeit der Zeit, welche ich in der Vorrede zum erſten Bande des Kosmos „den ſpäten Abend eines vielbewegten Lebens“ nannte, bereits mehr als zwölf Jahre verfloſſen. Als Descartes an feinem Kosmos, Le Traite du Monde, arbeitete, welche die „ganze Welt der Erſcheinungen (die himmliſche Sphäre, wie alles, was er von der belebten und unbelebten Natur wußte)“ umfaſſen ſollte, brach er häufig in den Briefen an ſeinen Freund, den Pater Merſenne, die Baillet 1691 bekannt gemacht hat, in bittere Klagen aus über das langſame Fortſchreiten ſeiner Arbeit und die große Schwie— rigkeit, ſo viele Gegenſtände aneinander zu reihen (Oeuvres de Descartes, publiees par Victor Cousin 1824, T. J, p. 101). Wie viel bitterer würden die Klagen des ſo viel— ſeitig, ſelbſt anatomiſch, unterrichteten Philoſophen geweſen ſein, wenn er die Mitte des 19. Jahrhunderts, den faſt ent⸗ mutigenden Anblick der erweiterten Sphären reich erfüllter Himmels- und Erdräume hätte erleben können! Noch vor zehn Jahren lebte ich, wie mein Kosmos am Ende des zweiten Bandes es bezeugt, in der täuſchenden Hoffnung, die Hauptergebniſſe ſpezieller Beobachtung, welche jetzt drei Bände füllen werden, in einen einzigen letzten Band vereinigen zu können. Es gelingt leichter, wenn man einige Anmut der Form bewahren will, ein allgemeines Weltgemälde innerhalb vorerkannter Grenzen zu entwerfen, als, in verſchiedenartige Gruppen verteilt, die einzelnen Elemente zu beleuchten, auf welche man vorzugsweiſe zu einer beſtimmten Zeitepoche unſerer wiſſenſchaftlichen Erkenntnis die Reſultate gegründet glaubt. Bei der Vollendung einer wenigſtens mit andauerndem Fleiße durchgeführten Arbeit iſt es dem Verfaſſer wohl er⸗ laubt, noch einmal die Frage zu berühren, ob ſein Buch vom Kosmos dem urſprünglich vorgeſchriebenen Plane, ich möchte ſagen der Beſchränktheit treu geblieben iſt, welche ihm — 471 — nach feiner individuellen Anſicht, nach feiner Kenntnis von dem bisherigen Zuſtande des errungenen Wiſſens ratſam ſchien. Ich habe in dem Buche erſtrebt: eine denkende Betrachtung der durch die Empirie! gegebenen Erſcheinungen, die Zu: ſammenſtellung des Entwickelungsfähigen zu einem Natur: ganzen. Die Verallgemeinerung der Anſichten von den Uebergängen der realen, ununterbrochen thätigen Natur— prozeſſe ineinander (eines der herrlichſten Ergebniſſe unſeres Zeitalters!) führt zur Erforſchung von Geſetzen, da, wo ſie zu erkennen oder wenigſtens zu erahnen ſind. Klarheit und Lebendigkeit der Sprache, in der objektiven Darſtellung der Erſcheinungen wie in dem Reflex der äußeren Natur auf das geiſtige Leben im Kosmos, auf die Gedanken- und die Gefühlswelt gehören zu den notwendigen Bedingniſſen einer ſolchen, ich darf wohl ſagen noch nie ausgeführten Kompoſition Die Aufzählung meiner Beſtrebungen gibt ihrem Weſen nach unvermeidlich Veranlaſſung, an die Beziehungen zu mahnen, in welchen das von mir Verſuchte zu den Wagniſſen einer metaphyſiſchen Naturwiſſenſchaft, zu dem ſteht, was tiefe Denker Naturphiloſophie im Gegenſatz der Philoſophie des Geiſtes nennen. Ich habe ſchon früher freimütig und in Widerſpruch mit mehreren von mir hoch— geachteten vaterländiſchen Freunden erklärt, daß, trotz meiner großen Neigung zu Verallgemeinerungen, mir die Aufſtellung einer rationellen Wiſſenſchaft der Natur (eine der⸗ geſtalt ausgebildete Naturphiloſophie, daß ſie ihrem Verſprechen gemäß ein vernunftmäßiges Begreifen der Erſcheinungen des Weltalls ſei) ein bisher unerreichbares Unternehmen ſcheine. Wie vieles von der ſinnlichen Wahrnehmung Erkanntes bleibt noch einer mathematiſchen Gedankenentwickelung fremd! Die ſcheinbar allen Geſetzen entzogene Reihung in der Größe, der Dichtigkeit, Achſenſtellung und Bahnexzentrizität der Planeten und Satelliten, die Geſtaltung der Kontinente in Küſtenform und Bodenerhöhung ſind wahrſcheinlich Reſultate ſehr ſpät eingetretener kosmiſcher Begebenheiten, wie das in un— ſeren Tagen (Dezember 1845) erfolgte Ereignis der per— manenten Teilung des Bielaſchen Kometen. Dazu kennen wir bei weitem nicht alle Stoffe und alle Kräfte (Thätigkeiten) der Natur, und die Unbegrenztheit der Beobachtungsſphäre, welche durch neuerfundene Mittel (Werkzeuge) der Beobachtung täglich erweitert wird, ja die Unvollendbarfeit des Er- kennens für jeden einzelnen Zeitpunkt der Spekulation machen — 472 — gewiſſermaßen die Aufgabe einer theoretiſchen Natur⸗ philoſophie zu einer unbeſtimmten. Naturbeſchreibung führt jetzt nur in einzelnen Gruppen der Erſcheinungen zu einer Naturerklärung.? Das em⸗ ſigſte Beſtreben der Forſchung (ich wiederhole es hier) muß auf die Bedingungen gerichtet ſein, unter denen die realen Prozeſſe in dem großen und verwickelten Gemeinweſen, welches wir Natur und Welt nennen, erfolgen, auf die Geſetze, die man in einzelnen Gruppen mit Gewißheit erkannt. Von den Geſetzen gelingt es aber nicht immer zu den Urſachen ſelbſt aufzuſteigen. Das Erforſchen eines partiellen Kauſal⸗ zuſammenhanges und die allmähliche Zunahme der Ver— allgemeinerungen in unſerer phyſiſchen Erkenntnis ſind für jetzt die höchſten Zwecke der kosmiſchen Arbeiten. Schon in der helleniſchen Ideenwelt boten dem Scharf: ſinn des mächtigen Heraklits von Epheſus, des Empe⸗ dofles* und des Klazomeniers ſpezifiſche Stoffver⸗ ſchiedenheit und Stoffwechſel (Uebergang der Elemente ineinander) unbezwingbare Probleme dar, wie zu unſerer Zeit die Stoffverſchiedenheit der zahlreichen ſogenannten einfachen Körper der Chemiker und die Allotropien der Kohle (mit Diamant und Graphit), des Phosphors und des Schwefels. Wenn ich die Unbeſtimmtheit und Schwierigkeit der Aufgabe einer theoretiſchen Naturphiloſophie lebhaft geſchildert habe, ſo bin ich doch weit entfernt, von dem Verſuche des einſt⸗ maligen Gelingens in dieſem edlen und wichtigen Teile der Gedankenwelt abzuraten. Die metaphyſiſchen Anfangs⸗ gründe der Naturwiſſenſchaft des unſterblichen Bhilo- ſophen von Königsberg gehören allerdings zu den merkwür⸗ digſten Erzeugniſſen dieſes großen Geiſtes. Er ſchien ſeinen Plan ſelbſt beſchränken zu wollen, als er in einem Vor⸗ worte äußerte, „daß metaphyſiſche Naturwiſſenſchaft nicht weiter lange, als wo Mathematik mit metaphyſiſchen Sätzen verbunden werden könne.“ Ein mir lange befreun⸗ deter, den Kantſchen Anſichten leidenſchaftlich zugethaner Denker, Jakob Friedrich Fries, glaubt am Schluß ſeiner Geſchichte der Philoſophie erklären zu müſſen: „daß von den bewun⸗ dernswürdigen Fortſchritten, welche die Naturlehre bis zum Jahre 1840 gemacht, alles der Beobachtung und der Kunſt der Geometrie, der Kunſt mathematiſcher Analyſis angehöre; die Naturphiloſophie habe bei dieſen Entdeckungen gar nichts gefördert.“ Möge ein Zeugnis bisheriger Unfruchtbarkeit 1 — 473 — nicht alle Hoffnung auf die Zukunft vernichten! denn es ge— ziemt nicht dem freien Geiſte unſerer Zeit, jeden zugleich auf Induktion und Analogieen gegründeten philoſophiſchen Verſuch, tiefer in die Verkettung der Naturerſcheinungen einzudringen, als bodenloſe Hypotheſe zu verwerfen, und unter den edlen Anlagen, mit welchen die Natur den Menſchen ausgeſtattet at, bald die nach dem Kauſalzuſammenhang grübelnde ernunft, bald die regſame, zu allem Entdecken und Schaffen notwendige und anregende Einbildungskraft zu ver⸗ dammen.“ Ich meinesteils glaube geleiſtet zu haben, was ich nach der Natur meiner Neigungen und nach dem Maß meiner Kräfte zu unternehmen mir vorſetzen konnte. Ich wünſchte ein Werk zu liefern nach dem großen Vorbilde der Expo— sition du Systeme du Monde von Laplace, in deſſen anregender Nähe ich in Arcueil und im Bureau des Longi- tudes auf der Pariſer Sternwarte, mit Gay⸗Luſſac und Arago, über zwanzig Jahre das Glück hatte zu verleben. Wenn wir ſchon in der Mechanik des Himmels, trotz der Ein- fachheit der wirkenden Kräfte, in vielen Zuſtänden des Seins der Weltkörper nicht auch ihr Gewordenſein erkennen, wenn ſelbſt in den numeriſchen Verhältniſſen der Planetenabſtände untereinander, ihrer Maſſen⸗ und Größenfolge, in der Neigung ihrer Achſen, wie in der Form der Sternhaufen und Nebel— flecken ſich faſt alles bisher der mathematiſchen Gedankenent⸗ wickelung entzieht (vielleicht weil, wie ich bereits erinnert, dieſe Verhältniſſe Folgen ſehr verſchiedenartiger, partieller Himmelsbegebenheiten ſind), jo konnte in der terreſtri— ſchen Zone, wo die Stoffverſchiedenheit thätig auf- tritt und die Probleme verwickelt, wohl nicht die Hoffnung entſtehen, daß die Weltbeſchreibung zugleich eine Welt⸗ erklärung ſein würde. Selbſt Platons geiſtige, verall⸗ gemeinernde Macht würde da nicht hinreichen,” wo in jedem Zeitpunkt dem Verſuche einer Löſung, bei jeder erhöhten Stufe des Wiſſens, noch die Ueberzeugung mangelt, die Bedingungen alle zu kennen, unter denen die Erſcheinungen ſich zeigen, die Stoffe alle, deren thätige Kräfte ſich ſo geheimnisvoll äußern. Ich habe nicht unterlaſſen wollen, den wichtigſten aller Vor⸗ würfe, welche gegen die wiſſenſchaftliche und litterariſche Kom— poſition meines Kosmos gerichtet worden ſind, frei ſelbſt zu berühren. Eine ſolche erneuerte Rechtfertigung war mir ge— boten durch meine Verpflichtung gegen das Publikum, welches — 474 — nun ſchon ſeit mehr als einem halben Jahrhundert meinen Arbeiten eine anregende Aufmerkſamkeit geſchenkt hat. Mein Zweck war, in einzelnen großen Gruppen der realen Naturprozeſſe Geſetze und unverkennbare Beweiſe eines Kau⸗ ſalzuſammenhanges aufzuſuchen. Die Zahl und die Wichtigkeit dieſer einzelnen Gruppen hat ſich ſeit einem halben Jahrhundert mit wachſender Schnelligkeit auf das glücklichſte vermehrt. Beiſpiele aus weit voneinander getrennten Ge— bieten ſind hier mit wenigen Zügen zu bezeichnen. Seit der erſten Einſicht, welche Huygens und Newton, Grimaldi und Robert Hooke von dem Kauſach e der Doppel⸗ brechung und Interferenz erlangt hatten, waren, ohne nam⸗ hafte Erweiterung der theoretiſchen Optik, hundert und dreißig Jahre vergangen, bis Thomas Poung, Malus, Arago und Fresnel die glänzendſten Entdeckungen über die wahre Natur der Interferenz bei Kreuzung von Lichtſtrahlen und Ber: ſchiedenheit der von ihnen durchlaufenen Wege ſowohl bei gewöhnlichem als bei polariſiertem Licht, über die Polariſation durch Reflexion, Refraktion und Doppelbrechung, ſowie über chromatiſche und kreisförmige Polariſation bekannt machten. (Oeuvres de Fr. Arago T. VII, p. 307, 344 bis 369, 375 bis 392.) Dieſe Entdeckungen und die ſchönen durch Arago veranlaßten Arbeiten von Fizeau und Foucault (1849 und 1850) haben den Ungrund der Vorſtellung von der Ma: terialität des Lichtes erwieſen, und durch die Annahme ſich fortpflanzender Aetherſchwingungen find die verwickeltſten op: tiſchen Erſcheinungen den mathematiſchen Gedankenverbindun⸗ gen (der höheren Analyſe) in fruchtbarem, auch die Meteoro: logie und einige Teile der phyſiſchen Sternkunde aufklärenden Zuſammenhange zugänglich geworden. (Arago in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. VII, 1838, p. 956.) In der Phyſik wie in der theoretiſchen Chemie ſind gruppenweiſe wichtige Verallgemeinerungen dargeboten worden durch Auffindung des Geſetzes, welches die ſpezifiſche Wärme der einfachen und zuſammengeſetzten Körper mit ihrem Atomgewichte in dem Sinne der bequemen und weit verbreiteten Bilderſprache der Atomiſtik verknüpft; durch die Einſicht in die kriſtallographiſchen Verhältniſſe des Iſomor⸗ phismus und die ſtöchiometriſche Lehre von den chemiſchen Aequivalenten, derzufolge ſich die wägbaren Stoffe nach beſtimmten Verhältniszahlen vereinigen. Die von Prout — 475 — aufgeworfene Frage, ob die Atomgewichte aller Elementar— ſtoffe (Chlor und vielleicht Kupfer ausgenommen) teilbar durch das Atomgewicht eines einzigen (des Hydrogens?) ſind, iſt mit großem Scharfſinn erneuert worden. Die katalytiſche Kraft, nach der gewiſſe Körper in Berührung mit anderen eine geheimnisvolle chemiſche Wirkſamkeit ausüben, ohne daß die veranlaſſenden Körper irgend eine Veränderung erleiden, iſt eine erkannte, aber in Dunkel gehüllte, noch unerklärte Kraft, welche nach Berzelius ſich auch in den verwickelten Prozeſſen des organiſchen Lebens mannigfach äußert. In dem neu eroberten Gebiete des Elektromagnetismus ſind vorzugsweiſe zu nennen, als den Horizont erweiternd und Wichtigeres noch als das ſchon Geleiſtete verheißend: die wahre Einſicht in die Vorgänge der Induktion, der ſo ſpezifiſch verſchiedene Einfluß heterogener Stoffe auf die Rich: tung der Magnetnadel, der ſie genähert werden, paramagne— tiſch wirkend, wie Eiſen, Kobalt, Nickel und Sauerſtoff, letz— terer gasförmig und ſogar im ſehr verdünnten Zuſtande, während daß Stickgas ſelbſt nach Plücker weder paramagne— tiſch noch diamagnetiſch, ſondern indifferent iſt, die ſchöne Entdeckung, nach welcher die Kriſtalle durch die Pole eines Magnetes in gewiſſen Richtungen abgeſtoßen oder angezogen werden, endlich die erlangte Gewißheit, daß nicht bloß die Periodizität der Sonnenflecken (Größe und Frequenz der trichterförmigen Oeffnungen in der Photoſphäre, welche der Aequatorial⸗ und Polargegend fehlen), ſondern auch die Nähe der Sonne durch die ihrer Maſſe inwohnende magnetiſche Kraft auf den Erdmagnetismus wirke. Die Intenſität iſt größer und die Nadel nähert ſich am meiſten der vertikalen Richtung, wenn im Winter die nördliche Hemiſphäre der Erde der Sonne am nächſten ſteht. Dieſe erſt in den letzten Jahren aufgefundene Thatſache eines unzweifelhaften Zuſammenhanges des Magnetismus unſeres Planeten mit der mächtigen Magnet— kraft des fernen Centralkörpers unſeres Syſtemes gibt einer wichtigen Gruppe irdiſcher Erſcheinungen im weiteſten Wort— ſinne einen kosmiſchen Charakter. Wenn wir ſoeben einen elektrochemiſchen Prozeß berührt haben, der wie ein perpetuierliches Gewitter in dem Sonnenkörper Licht und Wärme erregend, vorzugehen ſcheint, ſo müſſen wir auch der neuen wichtigen Anſicht gedenken, welche eine allverbreitete Thätigkeit der Materie, die Wärme, betrifft, möge dieſelbe von außen mitgeteilt, oder — 476 — durch Stoß, Reibung, Volumveränderung und chemiſche Ein: wirkungen hervorgerufen werden. Ich meine die vielartig und mit großem Aufwand von Scharfſinn entwickelte mechaniſche Wärmetheorie, das ſo lebendig gewordene Beſtreben, alle Wirkungen der Wärme und der Elektrizität auf den Begriff der Bewegung zurückzuführen. Jede Erwärmung eines Körpers entſpricht der Erzeugung einer mechanischen Kraft, ° einer ge: wiſſen meßbaren Arbeit. Jede Wärmemenge hat ihr Arbeits: äquivalent, ſo daß es im allgemeinen wenigem Zweifel zu unterliegen ſchiene, daß Wärme ſich in Arbeit, d. h. in eine mechaniſche Wirkung, umwandeln, und umgekehrt, daß mecha— niſche Arbeit als Wärme auftreten kann, aber im einzelnen bleibt bisweilen das Zurückführen aller Temperaturerſchei— nungen (der Wärmemitteilung, der latenten und der ſpezifi⸗ ſchen Wärme) vielen etwas willkürlichen Annahmen ausgeſetzt, ſelbſt wenn wir auch, ohne das Carnotſche Prinzip von der Erhaltung der lebendigen Kraft zu umgehen, um das in Frage ſtehende Problem einer mathematiſchen Gedankenver⸗ bindung unterwerfen zu können, uns mit allen Mythen der Atomiſtik verſöhnen, und für wahr halten, daß alle Körper neben der ponderablen Materie noch ſchwingenden, alles durch— dringenden, alles erfüllenden Aether von äußerſt geringer Dichtigkeit enthalten. Wir bezeichnen hier bloß die Klippen, denn es iſt nicht alles zu verneinen, was man noch nicht zu erklären vermag. Wenn wir in dieſem Werke vom Kosmos, trotz der Ausſichten, die ſich in jedem Jahrhundert in vielen Regionen des Naturwiſſens fortſchreitend eröffnet haben, oft von der Nichterfüllung naher Hoffnungen, von dem Nichtgelingen einer generellen Zurückführung der phyſikaliſchen Erkenntnis auf eng verkettete Prinzipien der theoretiſchen Naturphiloſophie reden, ſo befürchten wir darum keinesweges, daß durch unſere Schuld die Lebendigkeit des Forſchens nach Geſetzen, das Streben nach Kauſalität, welches ein tiefes und unwiderſtehliches Bedürfnis des menſchlichen Geiſtes iſt, ſich mindern werde. Es iſt geglückt, durch Kombination des Beobachteten in der Auflagerung und Durchbrechung der Gebirgsſchichten der feſten Erdrinde, in der Reihenfolge untergegangener Organismen, welche dieſe Schichten erkennbar einſchließen, chronometriſche Denkmäler von dem Alter der Entſtehung und Hebung auf— zufinden. Die dynamiſchen Wirkungen der Erdbeben, die Thermalquellen, mit ſo mannigfaltigen Stoffen geſchwängert, 9 die Schlammausbrüche der Salſen und die Vulkane ſelbſt ver— ſchiedener Zeitepochen, durch Erdſpalten oder durch eigene Ge— rüſte wirkend, haben in ihrem inneren Zuſammenhange als eine Reaktion des Inneren unſeres Planeten gegen ſeine Oberfläche geſchildert werden können. Wir geraten dadurch in Verſuchung, zu glauben, es ſeien uns aus alten Geſchichtsbüchern über die Bildung des Erdkörpers einige Seiten lesbar geworden, und fahren, ſolange dem freien Gedanken ſeine Berechtigung wird, um ſo froheren Mutes fort in dem Beſtreben, die Veränderungen der Materie, ſo⸗ weit ſie von der denkenden, geiſtigen Natur der menſchlichen Seele ganz zu trennen ſind, aus natürlichen Urſachen, d. h. aus der Thätigkeit der Materie ſelbſt, zu erklären. Da ich es gewagt habe, dem Titel meines Werkes das Wort Kosmos, im Sinne der pythagoreiſchen Schule für Weltordnung genommen, vorzuſetzen, ſo habe ich auch in dem erſten Bande alles zuſammengetragen, was in den Kreiſen des helleniſchen Sprachzuſammenhanges ſich an die Etymologie zu verſchiedenen Zeiten knüpfte. Derſelbe Ge— genſtand iſt (am Schluß des Jahres 1856) von Dr. Leo Meyer, Privatdozenten in Göttingen, mit Scharfſinn und in erwünſchter Allgemeinheit behandelt worden. „Laut- lich,“ jagt der Verfaſſer der Abhandlung über die Wort— bedeutung von Kosmos in den älteſten (Homeriſchen) Denkmalen der griechiſchen Sprache, „lautlich würde die Zu— ſammenſtellung mit 'sudh, rein fein, purificari, ſich aller— dings rechtfertigen laſſen, und dadurch würde ſich als Grund— bedeutung für das Wort ergeben „Reinheit, Glanz‘, und das unmittelbar daraus hergeleitete sus würde zuerſt reinigen, glänzend machen“, danach „ſchmücken“, ſpäter erſt auch ord— nen“ bedeuten. Dieſen Bedeutungsübergängen aber wider— ſpricht die Geſchichte des Wortes durchaus, es leitet dieſelbe auf eine völlig verſchiedene Grundbedeutung hin. Dieſe Grundbedeutung iſt teilen, einteilen, und eine einzige Stelle (Ilias XII, 86), wo es von den Troern heißt, daß ſie fünffach eingeteilt, in fünf Abteilungen ſtanden, könnte faſt ſchon genügen, die Unmöglichkeit des Begriffes „glänzend machen für vognso darzulegen. Unter allen zahlreichen Home: riſchen Stellen, die man aufzählen kann, findet ſich nicht eine einzige, in der die Bedeutung ‚Glanz‘ möglich wäre, und nur an zweien hat Kosmos ſcheinbar die Bedeutung Schmuck' oder nähert ſich derſelben. Als gemeinſame Grundform! für — 478 — zesbos und für ve läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit nad anſetzen, mit der Bedeutung ‚teilen‘, urſprünglich wohl ‚Ipalten‘, mit dem altindiſchen chid (tschid), dem griechiſchen Je und dem lateiniſchen seindo zuſammenhängend.“ Den Reſultaten dieſer gründlichen Unterſuchung von Dr. Leo Meyer gibt mein berühmter Freund und Lehrer Böckh vollen Beifall. „Der Begriff des Ordnens beruht“ auch nach ihm „weſentlich auf dem des Scheidens, letzterer iſt augenſcheinlich der urſprüngliche, und um den Beweis nicht auf den Homer zu beſchränken, iſt daran zu erinnern, daß in Kreta die i n Behörde, die Ordner und Archonten des Staates, xögpor (auch shit) hießen, ein Name, der ge- wiß aus ſehr früher Zeit ſtammt. Ebenſo finden wir bei den epizephyriſchen Lokrern als Obrigkeit den xospörok:c. Belehrend it ebenfalls der Anaxagoriſche Gebrauch des Wortes als Scheidung in der merkwürdigen Stelle: d ypnpara My dot, elta vob S? adra dre nba (Schaubach in Fragm. Anaxag. p. 128, 111), und daß Demokrit das Wort draxospnos da gebraucht hat, wo es nur ein Ge— ordnetes bedeuten kann. Auch daß Leo Meyer das ver⸗ lorene zoo mit zöchos zuſammenbringt, iſt unſtreitig richtig, und Sie haben ſelbſt ſchon in Ihrem Werke erinnert, wie Welcker damit Käduos in Verbindung geſetzt hat.“ Das Alter, das ich während der Vollendung der phyſi⸗ ſchen Weltbeſchreibung erreicht habe, und das Gefühl ab— nehmender Kräfte könnten mich anregen, bei der großen und unerwarteten Nachſicht, mit welcher das Werk bis zu ſeinem verſpäteten Ende in weiten Kreiſen aufgenommen worden iſt, den Wunſch um Erhaltung oder gar um Zunahme dieſer Nachſicht auszuſprechen; aber ich bin ſeit früher Jugend von dem wiſſenſchaftlichen Ehrgeize, der meine ganze Geiſtesthätig— keit belebt hat, ſo durchdrungen, daß im Widerſpruch mit jenem Wunſche ich das Bedürfnis fühle, meine Arbeit mit größerer Strenge als bisher behandelt zu ſehen. Die Ver⸗ breitung der fünf Bände des Kosmos iſt um ſo größer, als dieſelben in wenigſtens neun verſchiedene Sprachen überſetzt erſcheinen. In der Maſſe von Thatſachen, beſonders nume⸗ riſchen Angaben, welche in den Texten und in drittehalbtauſend Noten von ſo verſchiedener Länge angehäuft ſind, muß oft Irriges durch meine Schuld und durch die Schuld meiner Ueberſetzer ſich eingeſchlichen haben. Ich nenne hier Irriges nicht, was dem ſpäter Entdeckten, ſondern was dem wider⸗ — 479 — ſpricht, das zu der Zeit, als ein Band des Werkes gedruckt wurde, nach dem damaligen Zuſtande des Wiſſens ſchon nicht mehr begründet war. Ungenau beobachtete Thatſachen aber oder Meinungen, die in dem Gewande von Thatſachen verbreitet werden, ſind, wie ich ſchon früher bemerkt habe, widerſpenſtiger und ſchwerer zu verbannen als verwickelte Hypotheſen über reale Naturprozeſſe. Ich würde beſorgen, eine mir teure Pflicht vernachläſſigt u haben, wenn ich am Schluß einer Einleitung zu dem letzten ande des Kosmos den mir ſo wichtigen Beistand nicht öffentlich anerkennte, welchen ich dabei, nun ſchon über drei⸗ zehn Jahre lang, einem werten Freunde verdanke und deſſen ſich auch mein Bruder Wilhelm von Humboldt bei der Herausgabe ſeiner philoſophiſchen Unterſuchungen über die Kawiſprache auf Java, wie über die Verſchiedenheit des menſch— lichen Sprachbaues erfreut hatte. Kein Blatt des Kosmos iſt erſchienen, das nicht in der Handſchrift und gedruckt dem ſcharf eindringenden Blicke des Profeſſors Eduard Buſch— mann, Bibliothekars an der königlichen Bibliothek zu Berlin und Mitglieds der Akademie der Wiſſenſchaften, unterworfen worden wäre. Er iſt auch der Vermittler meiner Handſchrift geweſen, und viel länger ſchon hatte er mir eine liebevolle Anhänglichkeit gewidmet. Seiner unermüdlichen Thätigkeit und linguiſtiſchen Kenntnis des ſüdöſtlichen Aſiens verdanken wir auch die Fortſetzung des großen Werkes meines Bruders und deſſen Erweiterung durch ferne Zweige des malaiiſchen Sprachſtammes. Sein Beſtreben, in den noch ſo wenig ab— geſonderten amerikaniſchen Sprachfamilien, in denen er tief eindringende Arbeiten mit meinem Bruder gepflogen, Ge— ſchichtsdenkmale früher Völkerwanderungen und des Entwicke— lungsganges der Menſchheit im neuen Kontinent zu enthüllen, bet Fi eine Zahl merkwürdiger Reſultate an das Licht gebracht. Bei dem regen Wunſche, den Reichtum des verſchieden— artigſten Materiales in dem Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung zu konzentrieren, mußte ich um ſo ernſter einige Korrektheit in der Form erſtreben. In den verſchie— denen Sprachen, in welchen ich durch ein vielbewegtes Leben zu ſchreiben veranlaßt wurde, habe ich immer Freunden, denen ich mein Vertrauen zu ſchenken berechtigt war, das zu Druckende vorgelegt, weil die Färbung des Ausdrucks in ſeiner erhöhten Lebendigkeit keineswegs dieſelbe ſein darf in der einfachen, in — 480 — reiner Objektivität aufgefaßten Naturbeſchreibung, und in dem Reflex der äußeren Natur auf das Gefühl und die innere Natur des Menſchen. In jeder Litteratur aber ſind dieſe Grenzen nach dem Weſen der Sprache und dem Volksgeiſte anders gezogen, um dem Urteil einer dichteriſchen Proſa zu entgehen. Nur heimiſch, in der angeborenen, vaterländiſchen Sprache kann durch Selbſtgefühl das richtige Maß der Fär⸗ bung wie bewußtlos beſtimmt werden. Die Anerkennung dieſes Könnens liegt fern von dem anmaßenden Glauben an das Gelingen. Sie ſoll hier nur das ſorgſame Erſtreben bezeichnen, durch Vervollkommnung der Form an die innige Verwandtſchaft zwiſchen einzelnen Teilen wiſſenſchaftlicher und rein litterariſcher Werke zu erinnern, an eine Verwandtſchaft 5 Behandlungsweiſe, die den erſteren keineswegs Gefahr ringt. (Geſchrieben im Juli 1858.) Anmerkungen. 1 (S. 471.) „Ariſtoteles,“ jagt Brandis in ſeiner Ge⸗ ſchichte der griechiſch-römiſchen Philoſophie, „iſt der entſchiedenſte Vertreter der Rechte der Erfahrung; er iſt zugleich Lord Bacons Vorgänger und ſein an Tiefe und Umfang des Geiſtes ihm überlegener Gegner. Das Ausgehen vom Empiriſchen war ihm ein Bedürfnis, weil er überzeugt war, daß der menſch⸗ liche Geiſt die Welt des Wirklichen nicht aus dem Begriffe, ſondern nur vermittelſt des Begriffes zu erkennen vermöge, und zwar in dem Maße, in welchem der letztere in ſeiner Wechſelbeziehung mit den Thatſachen der Erfahrung entwickelt werde.“ Auch Hegel nennt den Stagiriten als Naturphiloſophen einen völligen, zu⸗ gleich aber auch einen denkenden Empiriker. Ueber den langen Kampf zwiſchen Realismus und Idealismus, die geſchichtlichen Phaſen der Erfahrungsphiloſophie, wie über die Entwickelungsſtufen des Empirismus im allgemeinen jiehe den geiit- reichen Kuno Fiſcher in jeinem „Franz Baco von Verulam und das Zeitalter der Realphiloſophie“ (1856) S. 383—388, vorzüglich S. 468 — 472. 2 (S. 472.) Im ſtrengeren Sinne der Worte und in größerer Verallgemeinerung der Begriffe iſt „Weltbeſchreibung die Geſchichte der Natur und der Menſchheit. Die Welterklärung iſt die Wiſſenſchaft, welche erkennt, was die Geſchichte be⸗ richtet.“ (Franz Baco von Verulam a. a. O. S. 165). 5 (S. 472.) In den Heraklitiſchen Naturprozeſſen beſtand das Werden in einem beſtändigen Umſchlagen in das ſtrikte Gegenteil; „des Feuers Tod iſt der Luft Geburt“, denn Untergang iſt nur die Umwandelung der untergehenden Dinge in das Gegenteil eines jeden. Wie im organiſchen Körper, ſo herrſcht ein beſtändiger Umwandelungsprozeß im Weltall. Leben und Sterben waren dem Epheſer identiſche Naturprozeſſe, ja das Leben ein Prozeß des immerwährenden Sterbens — ein Ausſpruch, der mich an den des Dante im Purgatorio mahnt: Del viver, ch'è un correre alla morte. Der phyſiſche Lebensprozeß des Individuums beſteht in dem Ueber⸗ gange vom Sein zum Nichtſein; in einer Bewegung wie ein Strom, A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 31 — 482 — ein Fließen. Auch die Sonne iſt immer neu, begriffen im ſtetigen Prozeß des Verlöſchens und Sichentzündens. Jede Flamme hat wie die Sonnenflamme in ihrem Werden ihr Sein. Siehe die Philoſophie Heraklitos des Dunkeln von Epheſos dargeſtellt von Ferd. Laſſalle (1858) Bd. I, S. 157-163, Bd. II, S. 104-110. In dieſem Buche zeigt der Darſteller auch den merkwürdigen Einfluß von Heraklit dem Dunklen auf Hippokrates de diaeta; ſ. Laſſalle Bd. J, S. 165—171. Hegel ſagt: „Es iſt ein großer Gedanke von Heraklit, vom Sein zum Werden überzugehen.“ Auch Ariſtoteles erkennt, daß alles Werden und Vergehen, alle Veränderung gegenſätzlich ſich entwickelt durch das Mittel der ſogenannten Beraubung. Schon nach den uralten Sprüchen (Gäthäs) des baktriſchen Zarathuſtra „iſt der Geſamtinhalt des Erdenlebens der Gegenſatz von Sein und Nichtſein“. (S. 472.) Empedokles wird von Ariſtoteles nach einer Stelle im erſten Buche der Metaphyſik als der eigentliche Urheber der beſtimmten Vierzahl von Elementen (Wurzeln der Dinge) bezeichnet — einer Vierzahl, die in ſolcher numeriſchen Beſtimmtheit den Mileſiern Anaximander und Anaximenes fremd war. . (S. 472.) Um im Werden die qualitativen Verände⸗ rungen oder die Uebergänge der Beſchaffenheit zu erklären, nahm Anaxagoras, von Ariſtoteles getadelt, ſtatt der Vierzahl von Ur⸗ ſtoffen „eine unermeßliche Mannigfaltigkeit einfacher, qualitativ beſtimmter, voneinander verſchiedener Urſtoffe (Samen der Dinge) an, ſo daß Entgegengeſetztes ſich aus dem Entgegen— geſetzten entwickeln könne“. Nach Angabe des Simplieius tadelt der Klazomenier die Hellenen wegen der gemeinen Anſicht von Werden und Vergehen, denn kein Ding werde und vergehe, ſondern ſeiende Dinge werden gemiſcht und geſondert, und man könne mit Recht das Werden ein Gemiſchtwerden, das Vergehen ein Geſondertwerden nennen. Die Allheit der Dinge bleibt ſich gleich. Das Anaxagoriſche Alles in Allem (navın Ev mäsıy oder dy mat navrds poipa Evestı) bezieht ſich auf die Erſchei⸗ nungen des Stoffwechſels. Wenn nach des Sextus Empir. Angabe Anaxagoras daraus, daß das Waſſer, aus welchem der Schnee ſich bildet, ſchwarz ſei, die Folgerung gezogen haben ſoll, der Schnee ſei ſchwarz; Cicero dagegen ihn aus demſelben Grunde nur folgern läßt, der Schnee ſei nicht weiß, und auch Galen ihm nur die letztere Behauptung beilegt, ſo bleibt es ſehr zweifelhaft, ob der Klazomenier ſelbſt den Schnee ſo entſchieden ſchwarz genannt habe, wie die Späteren annahmen. Anaxagoras lehrte wohl nur, daß jedes Gewordene Teile von anderem (oder von allem) in ſich halte. \ 6 (S. 473.) Der Philoſoph, welcher die Möglichkeit einer Naturphiloſophie oder ſpekulativen Phyſik glaubte erwieſen zu haben (Schelling), geſteht ſelbſt, „daß die Kraft, die — 483 — in der ganzen Natur waltet und durch welche die Natur in ihrer Identität erhalten wird, bisher noch nicht aufgefunden (abgeleitet) worden iſt. Wir ſehen uns aber zu derſelben hin⸗ getrieben; doch bleibt dieſe eine Kraft immer nur eine Hypotheſe, und ſie kann unendlich vieler Modifikationen fähig und ſo ver— ſchieden ſein als die Bedingungen, unter denen ſie wirkt“. Materien, mit unveränderlichen Kräften (unvertilgbaren Qualitäten nach unſeren jetzigen Mitteln) ausgerüſtet, werden in unſerer wiſſen— ſchaftlichen Sprache chemiſche Elemente genannt. (S. 473.) „It has been repeatedly urged by continental erities,* ſagt ein mir perſönlich unbekannter, aber ſehr wohl: wollender Beurteiler des Kosmos, „that Bu Humboldt has not entirely solved his cosmographical axiom; still, Kosmos is a gorgeous accumulation of facts, the result of immense ex- perience, study, and research, combined with some equally grand apergus, points de vue, and theories. It is an improved Pliny of the present time, just such a work as a savant and a traveller of his rank could produce. Whether such acquire- ments could be combined with the high generalising genius of Plato, and the still older Greek sages, we have no means of judging, as no such constellation has yet appeared amongst the ranks of man.“ s (S. 476.) Schon Franz Baco jagt: „Calor est motus ex- pansivus.“ (S. 477.) Leo Meyer in Adalb. Kuhns Zeitſchrift für vergleichende Sprachforſchung (1857), Bd. VI, ©. 161, 164, 171, 172, 174 und 175. „Wie in xöoog der Begriff des Teilens und Scheidens in den der Ordnung überging, ſo konnte auf der anderen Seite auch der des Unterſcheidens, des Auszeichnens ſich leicht daraus entwickeln.“ Schluß des zweiten Abſchnittes telluriſcher Erſchein ungen, wie ſie ſich offenbaren in der Reaktion des Inneren der Erde gegen ihre Oberfläche mittels der Thätigkeit der Vulkane. Die vulkaniſche Thätigkeit wirkt nicht bloß umwandelnd und zerſtörend, ſie iſt auch bildend dadurch, daß ſie feſtes Geſtein hervorbringt. Wir haben ihre Bildungsprozeſſe in dieſem Bande (S. 151 bis 354) zu beſchreiben verſucht und die meiſt kriſtalliniſchen, durch Erſtarrung flüſſiger Erden er⸗ zeugten Gebirgsarten, nach ihrer Zuſammenſetzung (nach der Aſſociation ihrer Beſtandteile) in beſtimmte Mineral⸗ gruppen verteilt, geſchildert. Dieſe vulkaniſchen Bildungen des Feſten, an dem Abhange hoher Kegelberge in ſchmalen Lavaſtrömen oder ohne alle bleibende Gerüſte in früherer Zeit als weitverbreitete Geſteinsſchichten aus dem Spaltennetze der Ebene hervorbrechend, ſind bisweilen durch Waſſerergüſſe unterbrochen. Solche Waſſerergüſſe verdienen um ſo mehr eine beſondere Aufmerkſamkeit, als die Verſchiedenartigkeit ihrer Urſachen lange verkannt worden iſt, und ſie teilweiſe, wie ich ſchon früher erinnert habe, rein meteorologiſchen Phänomenen (dem vulkaniſchen Gewitter) beizuzählen ſind. Der heiße Waſſerdampf, welcher während einer Eruption aus dem Krater aufſteigt und ſich in den Luftkreis ergießt, bildet beim Er⸗ kalten ein Gewölk, aus dem Blitze, von Donner begleitet, herabfahren. Auf Island wurden nach Olaſſens' Bericht am Abhange des Vulkans Katlagia im Oktober 1755 zwei — 485 — Menſchen und elf Pferde vom Blitz getötet; ja am Veſuv erregte, als am 22. Oktober 1822 der 400 Fuß (130 m) hohe Schlackenkegel bereits eingeſtürzt war, die Kondenſation der Dämpfe ein vulkaniſches Gewitter, deſſen rollenden Donner man deutlich von dem Krachen in dem Inneren des Berges unterſcheiden konnte.! Dieſelbe meteorologiſche Erſcheinung beſchreibt Seneca beim Aetna.: Die Dämpfe ſind meiſt mit fein zerteilten feſten Maſſen, mit Rapilli, Aſche und Sand, gemengt. Faradays ſchöne Verſuche haben Licht verbreitet über die Urſache der heftigen elektriſchen Schläge, welche im Oktober 1840 zu Seghell bei Neweaſtle ein Arbeiter an dem Cylinder einer re erlitt; nach Analogie dieſer Ver: ſuche iſt über dem Krater der Vulkane die Reibung der Waſſerteile gegen die feſten beigemengten Körper der Erreger der Elektrizität, welche (wie Gay⸗Luſſac gelehrt hat) bei jeder Wolkenbildung ſich auf der äußeren Umhüllung (Oberfläche) kondenſiert. Ganz verſchieden von dieſen minder verheerenden, nur durch vulkaniſche Gewitter verurſachten Waſſerſtrömen ſind die Waſſer⸗ und Schlammausbrüche, welche dem Inneren der Vulkane zugeſchrieben werden. Schon Strabo (lib. V, p. 248 Caſaub.) erwähnt der althelleniſchen Sage, nach welcher Ty— phon (in der Volksphantaſie eine mythiſche Bezeichnung der unbekannten, tief im Erdinneren liegenden Urſache aller Vulkanität) vom Kaukaſus nach Unteritalien floh und, unter Sizilien, Ischia (der tyrrheniſchen Affeninſel Aenaria) wie unter dem Brandlande bei Puteoli (Dikäarchia) liegend, „Flammen und Gewäſſer ausſtößt, wenn er ſich wendet“. Wären die Vermutungen von Carmine Lippi in ſeiner Schrift über die Frage: fu il fuoco o l’acqua che sotterrö Pompei ed Ercolano? nicht 1843 (alſo 27 Jahre ſpäter) von Scacchi vielfach geſchwächt worden, ſo könnte die Tuffbedeckung von Pompeji einer gleichzeitigen Waſſerbedeckung vulkaniſchen Ur— ſprunges zugeſchrieben werden. Es iſt aber nach der Natur der dortigen Bimsſteine, von denen unzweifelhaft ein Teil (des Vitruvius pumex Pompejanus) vorplinianiſch iſt, wahr— ſcheinlicher, daß der Aſchenregen ein trockener war und daß nur dasjenige, was die Keller in den Ruinen von Pom— peji erfüllt hat, durch langdauernde und heftige Regengüſſe ſpäter zugeführt worden iſt. Die ſehr neue Konglomerat— formation des Traß im Brohlthale gibt auch keinen Beweis dafür, daß Bimsſtein und Tuff, welche der Traß enthält, — 486 — Schlammauswürfen lavagebender Eifeler Vulkane ihren Urſprung verdanken. Der nicht Lavaſtröme ergießende, aber Bimsſtein, Aſche und fein zermalmte Lavafragmente ausſtoßende Vulkan von Guadeloupe, in feinem jetzigen Zuſtande la Soukriere genannt, hat auf Spalten, die ſich am 12. Februar 1836 faſt am Fuß des Berges öffneten, eine große Menge ſchlammigen Waſſers ergoſſen. Mineralien, die in dieſer Eruption boueuse ent⸗ halten waren, find von Dufrenoy genau unterſucht worden. Dieſe Erſcheinung erinnerte nicht bloß an die Anſchwellung und ſchlammartige Trübung aller Bäche während der zunächſt vorhergehenden Eruption der Soufriere am 27. September 1797, welcher nach 78 Tagen das große Erdbeben und die Zerſtörung der Stadt Cumana folgte, ſondern in dem Briefe von Mercier an Biot sur une eruption boueuse du Vol- can de la Guadeloupe wurde auch umſtändlich einer Beob- achtung des Kolumbus gedacht, der in den erſten Tagen des Novembers 1493 auf ſeiner zweiten Reiſe einen mächtigen Waſſerſtrom, breit wie ein Ochſe (golpe de agua tan gordo como un buey), an dem höchſten Pik der Inſel „hoch wie vom Himmel“ herabſtürzen ſah. In dem Berichte des Schiffs⸗ arztes Dr. Chanca an die Munizipalität von Sevilla ge: richtet, in welchem uns die Worte des Admirals wiedergegeben werden, iſt aber nicht geſagt, was in dem Briefe von Mercier irrig ? behauptet wird: que Christophe Colomb reconnut le Volcan à l’epaisse fumée qui s’elevoit de la cime. Der Admiral beſchreibt bloß einen Waſſerfall, und gibt nicht zu erkennen, daß er den Pik, an welchem er herabſtürzt, für einen feuerſpeienden Berg hielt. Es bleibt alſo mit Recht viel Zweifel, ob er Zeuge eines Schlammausbruchs war, oder ob er einen durch Regengüſſe verſtärkten Waſſerfall, analog dem 500 Fuß (156 m) hohen Sault du Carbet, zu Geſicht bekam. Auf dem Feſtlande des neuen Kontinents, dem wir nun von Norden nach Süden folgen werden, ſind im altmexikani⸗ ſchen Gebiete, obgleich der Orizaba und der Popocatepetl ihre Gipfel hoch über die ewige Schneegrenze erheben und zu vielen Infiltrationen Gelegenheit geben konnten, Waſſer- und Schlammausbrüche in hiſtoriſchen Zeiten nicht beobachtet worden. Die Phänomene, welche bei der Erhebung des neuen Vulkans von Jorullo am 27. September 1759 das Verſinken der beiden Bäche de San Pedro und de Cuitimba veranlaßten, ſind nicht mit den größeren Erſcheinungen zu verwechſeln, — 487 — welche die alten Vulkane von Guatemala, Quito und Chile dargeboten haben. In dem nördlichen Teile der Vulkanreihe von Centralamerika liegt der abgeſtumpfte Trachytkegel von Escuintla, der den Pik von Tenerifa und den 5 Meilen (36 km) in Weſt⸗Nord⸗Weſt liegenden Volcan de Fuego bei Acatenango an Höhe übertrifft und dem ausſchließlich der Name eines Waſſervulkans (Volcan de Agua) geblieben iſt. Dieſem Berge wurde am 11. September 1541 eine furchtbare Ueberſchwemmung zugeſchrieben, als durch Erdbeben und plötz⸗ liche Eröffnung von mit Regen- und Schneewaſſer gefüllten Höhlungen veranlaßt. Die große Stadt La Antigua Guate- mala ward von Grund aus zerſtört, und die Einwohner von der ſpaniſchen Regierung gezwungen, die neue Stadt Santiago de Guatemala gegen ihren Willen zu gründen. Leider fehlt es wegen der Barbarei, die vor der Mitte des 16. Jahr— hunderts, in den erſten Zeiten der Konquiſta, wie in ſo großer Entfernung von der Stadt Mexiko herrſchte, an aller auf Sage gegründeter umſtändlicher Beſchreibung dieſer Be— gebenheit.* Lavaausbrüche kennt man aus hiſtoriſcher Zeit gar nicht vom Volcan de Agua unfern Escuintla, während daß von dem Volcan de Fuego ſeit 1581 neun Yavaeruptionen bekannt ſind. In der letzten von 1852 erreichte ein Lava— ſtrom das Litorale der Südſee. In Südamerika hat der nördlichſte der Vulkane aus der Gruppe von Neugranada, der Vulkan und Paramo de Ruiz, einen mächtigen Schlammſtrom ausgeſtoßen, welcher von heftigen Erdſtößen am 19. Februar 1845 begleitet war. Der Paramo de Ruiz gehört zu der mittleren oder Centralkette von Neugranada, zu der Kette des Quindiu; er liegt zwiſchen der Mesa de Herveo und dem Nevado de Tolima,° und ſchien ſich nach der Anſicht, die ich lange von ihm hatte, aus der Hochebene von Bogota, nicht viel über die ewige Schnee— grenze zu erheben. Der Schlammſtrom, in zwei Arme ge— teilt, folgte den Thälern der Rios de la Lagunilla und de Santo Domingo, zerſtörte alle Anſiedelungen und führte Eis— blöcke, Schlackenmaſſen, Baumſtämme und Schutt in den Magdalenenſtrom oberhalb des durch ſeine ſchöne Tabakskultur berühmten Städtchens Ambalema. Es war das erſte Mal, daß die Anwohner des großen, von Palmen umgebenen Fluſſes, deſſen Waſſertemperatur nicht unter 26° bis 28“ iſt, Eis: maſſen ſchwimmen ſahen, eine Erſcheinung, welche die Schnellig— keit eines ſolchen Schlammſturzes bezeugt.“ — 488 — Wenn auch die ewige Schneelinie in der Aequatorial⸗ zone der vulkanreichen Kordilleren von Quito faſt 6000 Fuß (1624 m) höher liegt als in der Breite des Aetna, ſo nimmt auch dabei in jenen Kordilleren die Höhe der noch entzündeten Vulkane dermaßen zu, daß, während der 10 200 Fuß (3313 m) hohe Aetna noch nicht volle 1300 Fuß (422 m) ſenkrecht in die ewige Schneegrenze reicht, der mit Schnee bedeckte Teil der 16 000 und 17000 Fuß (5200 bis 5520 m) hohen Vul⸗ kane Cotopaxi, Sangay und Altar de los Collanes noch 2250 Fuß (730 m) in ſenkrechter Höhe mit ewigem Schnee, ja 5500 Fuß ſporadiſch mit Schnee bedeckt ſind. Von dem Parallel von Sizilien nach dem Parallel von Quito nimmt die Höhe der Vulkane um vieles ſchneller als die der ewigen Schneelinie zu; auch haben die höchſten Gebirge Eu⸗ ropas ſogenanntes plutoniſches, unvulkaniſches, Granit⸗ oder Gneisgeſtein. Am Montblanc hat der perpetuierliche Schnee⸗ mantel faſt 6500 Fuß (2111 m) perpendikularer Höhe, d. i. dreimal mehr als der Cotopaxi, deſſen Schneemantel ich nur 2862 Fuß (930 m), La Condamine 64 Jahre früher 3000 Fuß (975 m) vom Gipfel bis zur unteren Schneegrenze fand. Dieſe numeriſchen Betrachtungen ſind von großer Wichtigkeit, da die Waſſerergüſſe der entzündeten Nevados, mit Tuff, Bimsſtein und Schlamm gemengt, ſeit Bouguer und La Con⸗ damine den mit Schnee- und Regenwaſſer gefüllten inneren Höhlungen zugeſchrieben werden. Unter den drei Vulkanen der Gruppe von Quito, welche durch Spaltung der Gipfel oder Zertrümmerung der Krater⸗ ränder große geologiſche Kataſtrophen bezeugen: dem Car⸗ guairazo (jetzt nur noch 14700 Fuß = 4774 m hoch), den beiden ſchönen Pyramiden von Iliniſſa (16362 Fuß = 5315 m) und dem Capac⸗Urcu oder Cerro del Altar (jetzt nur noch 16380 Fuß — 5321 m), welcher einſt den Chim⸗ borazo überragt haben ſoll, hat ſich nur vom Einſturz des Gipfels des Carguairazo durch die Sage und die noch ſicht⸗ barſten Spuren das lebhafteſte Andenken erhalten. Das Wort „Kotfelder“ (lodazales, campos lodosos, von lodo, lutum), mit dem man jetzt noch eine Strecke von faſt 2 Quadrat⸗ meilen am Fuß des Carguairazo bezeichnet, deutet auf die Näſſe und Flüſſigkeit des Aſchenſchlammes, welcher ſich bei dem Kratereinſturz in der Nacht vom 19. Juli 1698 ergoß. Auch durch die Luft wurden wie Erdhagel? kleine kugel⸗ förmige Maſſen mit konzentriſchen, übereinander gelegten — 489 — Schalen geſchleudert bis in die Hochebene von Hambato, wo ich ſie ſammelte und wo man ſie dem Carguairazo zuſchrieb, während die Stadt Hambato in derſelben Nacht 1698 durch Erdſtöße ganz zerſtört wurde. Als Pedro de Alvarado, einer der Helden in der Expedition von Hernan Cortes, im März 1534 mit einem wohlgerüſteten kleinen Heere von der Küſte der Südſee aufwärts nach Quito über Riobamba (River⸗ pampa) durch die Puertos nevados (wie es ſcheint, längs dem ſüdweſtlichen Abhange des Chimborazo) vordrang, verlor er einen Ben Teil feiner Mannſchaft und Roſſe, nicht bloß durch Kälte, ſondern weil, wie Oviedo ſagt, Erde vom Himmel fiel, ſo daß die Reſpiration gehemmt war und alles erblindete. Dieſer Aſchenregen wird mit mehr Gewißheit, als mir begründet ſcheint, einem Ausbruch des Cotopaxi zugeſchrieben. Er war vielleicht aus dem damals noch unver⸗ ſehrten, thätigen Krater des Carguairazo ſelbſt ausgeſtoßen. Bruſtbeklemmungen ſind bei ſolchen Erſcheinungen ebenfalls von den Einwohnern der Stadt Quito gefühlt worden, wenn Aſchenregen vom Rucu⸗Pichincha den Tag daſelbſt in finſtere Nacht verwandelten. Einen merkwürdigen Kontraſt mit den Kotfeldern (loda- zales’ éjections boueuses) des Carguairazo bilden die Aus— würfe des Capac⸗Urcu (Altar de los Collanes), welche, faſt zwei Dezennien vor der Eroberung der Stadt Quito durch den Sohn des Inca Tupac Nupanqui (laut den Tra⸗ ditionen der Eingeborenen von Lican) 7 bis 8 Jahre hinter⸗ einander dauerten und die große Ebene von Tapia im Oſten vom Rio Champa, im Süden vom Rio de Lican mit feinem Bimsſteinſande bedeckt haben. Dieſe Bimsſteinbedeckung iſt um ſo auffallender, als der Capac⸗Urcu dem Vulkan Tun⸗ guragua nahe iſt, auf welchem ich bei dem Verſuch einer Be⸗ ſteigung gar keinen Bimsſtein gefunden habe. Die Natur der ſogenannten Aſche und des vulkaniſchen Sandes kann bei ungründlicher Unterſuchung zu vielen Täuſchungen Anlaß geben. Zwiſchen Venta de Soto und Perote beſtand das Trümmerfeld, dem Granitſand ſehr ähnlich, wie ich ſehr beſtimmt ergründet habe, aus kleinen Körnern von Perlſtein. Die berühmten Waſſerausbrüche des Cotopaxi vom 24. Juni und 9. Dezember 1742, teilweiſe fortgeſetzt bis 1750, find, freilich nur ſehr unvollſtändig und leider nicht als Augen: zeugen, von Bouguer und La Condamine! beſchrieben worden; es bleibt aber doch gewiß, daß der Sturz unzuſammenhängen⸗ — 490 — der Reihen von Blöcken, die kaum an den Kanten und an der Oberfläche geſchmolzen waren, durch den Stoß von halb geſchmolzenen Schneemaſſen getrieben, in ihrer Bewegung mit einer fabelhaft ſcheinenden Geſchwindigkeit beſchleunigt wurde. Ein völliges Schneeſchmelzen am Kegel des Cotopaxi ging auch, während meines Aufenthaltes in Guayaquil, dem Aus⸗ bruch des Vulkans am 4. Januar 1803 vorher, ſo daß der 5 plötzlich einen furchtbares Unglück verheißenden Anblick arbot. Das Füllen der inneren Höhlungen mit geſchmolzenem Schnee iſt aber als ein Prozeß zu betrachten, welcher un— unterbrochen, wenngleich allmählich und in langen Perioden, vorgeht, in denen der Berg faſt kein äußeres Zeichen der Thätigkeit darbietet. Die allgemeine Dürre des von Waldung ganz entblößten Bodens auf der weiten Hochebene von Quito und der Mangel waſſerreicher Flüſſe am Fuß der Schneekette ſind deutliche Beweiſe von dem Verſinken alles Flüſſigen in das Erdinnere. Auch überall, wo Berge einſtürzen (en. 108 derrumbos) und während der ſo häufigen Erdbeben ſich Spalten öffnen, ſprudelt Waſſer aus der Tiefe und erregt oft furchtbare Ueberſchwemmungen. Mein Freund Bouſ⸗ ſingault hat ſchon in feinen Schriften über die Eigentümlich⸗ keiten des Ackerbaues in den vulkaniſchen Hochebenen auf die Urſachen des Kontraſtes zwiſchen der Dürre der Ober: fläche und der Waſſerfülle der Erdſchichten in geringen Tiefen aufmerkſam gemacht. f Mit dieſer Frequenz unterirdiſcher Waſſeranhäufung in einer Zone, wo der gehobene Teil der Erdrinde meiſt mit poröſem, permeablem Geſtein bedeckt iſt, hängt das jonder: bare Phänomen der kleinen, von einigen Bergen um Quito zu Tauſenden mit ſchlammigen Waſſern ausgeworfenen Fiſche zuſammen, von dem ich vielleicht zuerſt die Nachricht nach Europa gebracht habe.!“ Dieſes Fiſchchen, gewöhnlich vier, bisweilen nur zwei Zoll lang, von olivengrüner Farbe, ſchwarz punktiert, hat die ganze Geſtaltung (den habitus) der Silu⸗ roiden der Meeresküſte, ob es gleich in den Bächen der Hoch— ebene von Quito in Höhen von 9000 bis 9800 Fuß (2920 bis 3180 m) lebt. Es gehört zu derjenigen Abzweigung der Siluroiden, welche Lacepede Pimeloden genannt hat. Die älteſte Nachricht vom Auswurf dieſer Pimeloden, die mir ein aufmerkſamer und wiſſenſchaftlich unterrichteter Beobachter, Juan de Larea, mitgeteilt hat, ſteigt bis 1691 im Vulkan — 491 — Imbaburu hinauf. Die der Villa de Ibarra nahen Felder wurden mit toten Fiſchen gefüllt, und man ſchrieb bösartige Fieber, welche zu der Zeit ausbrachen, der faulenden, mit Geſtank die Luft verpeſtenden organiſchen Maſſe zu. Noch wenige Jahre vor meiner Ankunft hatte Imbaburu dieſelben Schlammausbrüche, reich an Fiſchen, geliefert. Aehnliche Er— ſcheinungen kennt man vom Carguairazo, als ſein Gipfel 1698 einſtürzte, vom Tunguragua und Cotopaxi. Die Fiſche, welche der letztgenannte Vulkan auswarf, verpeſteten die Luft auf den Beſitzungen des Marques de Selvalegre, des Vaters meines unglücklichen, teuren Reiſegefährten, Carlos Mon- tufar. Der Pimelodus Cyclopum — das iſt der etwas mythiſche Name, unter dem ich auf Cuviers Geheiß die kleine Prenadilla bekannt gemacht habe — iſt gar nicht häufig in den Bächen der Kordilleren und wird doch zu vielen Taufen: den ausgeworfen. Das Fiſchchen, ſagt man, ſei lichtſcheu, weil da, wo man, wie am Imbaburu, eine bleibende Kom: munikation zwiſchen den inneren Berghöhlen und den Ge— birgsbächen vermutet, z. B. am Desague de Peguchi zwiſchen Otavalo und San Pablo, die Pimeloden nur in ſehr dunklen Nächten gefiſcht werden können. Sie kommen ſogar, ſagt man, nicht aus dem Berge heraus, ſolange der Vollmond über dem Horizont ſteht. Ueber alle dieſe Verhältniſſe, be— ſonders über die Höhe der Spalten, aus denen der Fiſch— auswurf geſchieht, und über die Urſachen, welche die Tierchen zu einer ſolchen Höhe erheben, fehlt es noch ganz an Beob— achtungen. Ich war nur wenige Stunden lang in der Nähe von Imbaburu und Cotocachi, als ich aus der Provinz de los Pastos über die Villa de Ibarra nach Quito kam, und wußte damals noch nichts von einem Phänomen, das in Europa lange Unglauben gefunden hat, wie der Fall der Meteor— ſteine, wie die Fußeindrücke in Felsſchichten und die Exiſtenz des Guacharo, der von mir abgebildeten Steatornis caripensis. Ich entlehne meinen Tagebüchern hauptſächlich auch das, was ich durch eigene Anſicht habe weder bekräftigen noch widerlegen können. Erneuerte Veröffentlichung einer be— zweifelten wichtigen Erſcheinung iſt ein ſicheres Mittel, zu ernſter Unterſuchung anzuregen, zu unterſcheiden, ob durch vulkaniſche Thätigkeit eine Kommunikation zwiſchen inneren, mit Waſſer gefüllten Höhlungen und den äußeren Bächen eröffnet wird, oder ob zu der plötzlichen Tötung der dieſen Bächen urſprünglich eigenen Brentadillen die Beimiſchung — 492 — heißen oder ſchwefelſauren Schlammes Veranlaſſung gegeben habe. Eine ſolche Unterſuchung kann aber nur von Gewicht ſein, wenn ſie zur Zeit des hier beſprochenen Vorfalles ſelbſt oder unmittelbar nach demſelben ſtattfindet. Unterirdiſches tieriſches Leben iſt ja auch unvulkaniſchen Alpengegenden Europas nicht ganz fremd, da, wo fließende Waſſer in lang⸗ gedehnten Höhlen ihren Urſprung haben. Eine andere, ebenfalls ſehr merkwürdige Erſcheinung, die Ausbrüche der Moya, in ſich bewegenden, alles umſtürzen— den kleinen Kegeln, verdient hier noch eine beſondere Er— wähnung, wenn ſie auch nur teilweiſe mit den Vulkanen zu⸗ ſammenhängt. Der berühmte, mir in Spanien eng befreundete Botaniker Cavanilles hat wohl am früheſten der Moya oder Muya und des furchtbaren, verheerenden Erdbebens von Riobamba am 4. Februar 1797 gedacht. !? Fünf Jahre nach dem großen Ereignis konnte ich den Schauplatz dieſer Ver⸗ heerungen ſelbſt unterſuchen. Die Moya, welche man nicht mit dem bei allen Vulkanen ſo häufigen vulkaniſchen Tuff verwechſeln muß, iſt eine ſchwärzlich-braune, teilweiſe graue, erdige und zerreibliche Maſſe, in der ſich erbſengroße, gelb: liche und weiße, feinporige Einmengungen finden. Man er⸗ kennt darin, doch nicht häufig, kleine Körner unvollkommen ausgebildeter, ſchwärzlich-grüner Kriſtalle von Augit. Letztere ſind am leichteſten zu ſammeln, wenn man die Moya ſchlemmt; auch werden dabei einige Kriſtallbruchſtücke abgeſondert, die entweder glaſiger Feldſpat oder Labrador ſind. Die charakteriſtiſche Streifung des letzteren iſt nicht deutlich zu er⸗ kennen. Da in meinen Tagebüchern damals die nahen an⸗ ſtehenden Felsmaſſen als Trappporphyre (alſo als Trachyte), beſtehend aus einer graulich-grünen, thonartigen Grundmaſſe mit vielem glaſigen Feldſpat und etwas Hornblende, ohne allen Quarz, beſchrieben wurden, ſo fand ich mich bei Erkennung der Feldſpat⸗ und Augit⸗ bruchſtücke, welche ich für Hornblende hielt, veranlaßt, die aus⸗ geworfene bewegliche Maſſe in einem Bericht an das National⸗ inſtitut einen verwitterten Trappporphyr zu nennen. Die Beimengung brennbarer Stoffe konnte nicht überſehen werden, da wir die Indianerweiber in Pelileo, ohne allen Zuſatz eines anderen Brennmaterials, mit der Moya ihre Speiſen kochen ſahen. Ich erinnerte damals Klaproth daran, daß Vauquelin in feſten anſtehenden vulkaniſchen Gebirgs⸗ arten der Auvergne Chlorammonium gefunden habe. — 493 — Die Moya, welche ich wie den Guano zuerſt nach Europa gebracht habe, iſt auf einer ebenen, etwas feuchten, grünbewachſenen, grasreichen Flur weſtlich von dem Städt⸗ chen Pelileo, in 1318 Toiſen (2570 m) Höhe über dem Meere, ausgebrochen; be um vieles höher noch und auf trockenem Boden ſtiegen bei dem alten Riobamba kegelförmige Hügel aus Spalten hervor, die ſich fortbewegten, Häuſer umſtürzten und alles überdeckten. Dieſes unbeſtrittene Wandern der Moyakegel, über das wir Gelegenheit gehabt haben, ſo viele Augenzeugen auszufragen, iſt den translatoriſchen Be: wegungen in horizontaler Richtung analog, von welchen die Erdbeben in Kalabrien und Riobamba ſo viele Beiſpiele gegeben haben teils im Verſchieben nicht entwurzelter Baumalleen, teils in dem gegenſeitigen Umtauſch oder Sich⸗ verdrängen ſehr verſchiedenartiger Kulturſtücke. Wir ſehen die Erſcheinungen ſich wiederholen, aber die dynamiſchen Ur⸗ ſachen ſolcher Bewegungen in einzelnen Teilen der Boden⸗ fläche ſind noch in Dunkel gehüllt. Die Maſſe der friſch aus⸗ geworfenen Moya war flüſſig, wie uns einige der in Pelileo geretteten Eingeborenen erzählten; ſie nannten es „einen ſich fortwälzenden Brei, der bald erhärtete“. Viele Stücke der Moya färben die Hände ſchwarz. Die Moya brennt wie ſchlechter Torf oder wie Lohkuchen ohne Flamme, gibt aber dabei eine ſehr intenſive Wärme. Die erſten Unterſuchungen der Moya wurden von Vauquelin und mir, ſpäter von Klap⸗ — gemacht. Die chemiſche Analyſe des letzteren gab ſiebenmal mehr Hydrogengas als kohlenſaures Gas, dazu brandiges Oel, Natron und mit Ammonium angeſchwängertes Waſſer. Den chemiſchen Analyſen folgte die mikroſkopiſche. Durch Ehrenbergs glänzende Entdeckungen war beſonders ſeit dem Jahre 1837 der Einfluß des kleinſten Lebens auf Miſchung von Erden und Bildung der Gebirgsarten immer mehr her: vorgetreten und hatte die vulkaniſchen Aſchen, welche Luft— ſtröme in große Ferne fortführen, zu einem wichtigen Gegenſtand organiſcher Unterſuchung gemacht. Da nun die Klaprothſche n und mit ihr die von mir ere Moya von Pelileo in das königliche Mineralien⸗ abinett zu Berlin überging, ſo wurde letztere 1846 von meinem ſibiriſchen Reiſegefährten, Profeſſor Ehrenberg, voll: ſtändig mikroſkopiſch unterſucht. Es fanden ſich darin 64 namhafte organiſche Geſtalten (14 kieſel- und weichſchalige Polygaſtern, 5 Teile Fichtenpollen und 45 kieſelerdige Phyto— — 494 — litharien), meiſt Gramineen, welche wohl die Hauptmaſſe der Kohle darbieten und durch lange Spaltöffnungen der wellen— förmig gezahnten Epidermis ſich kenntlich machen. Nichts gehört dem Meeresleben zu, und die organiſche Miſchung der Moya beträgt mehr als die Hälfte des Volumens. Die Pflanzengewebe ſind verkohlt, nicht verrottet. Neben dem ſehr vereinzelten Augit und Feldſpat zeigen ſich hier und da kurz⸗ zellige Bimsſteinteile. Das Ganze ſchien dem mikroſkopiſchen Analytiker ein „aus verbrannten Vegetabilien und Waſſer gemiſchter Erdbrei der Oberfläche zu ſein, welcher, nachdem er ins Innere eingeſchlürft geweſen (durch vulkaniſche Kräfte), wieder herausgetrieben wurde“. Die beiden Ausbruchsorte der Moya bei Alt-Riobamba und bei Penipe ſind vier geographiſche Meilen (28,5 km) voneinander entfernt, Penipe aber iſt dem noch thätigen Vul⸗ kan Tunguragua um 1½ Meilen (11 km) näher als Rio⸗ bamba. Ich habe einen Plan der Umgegend von Penipe auf: genommen. Die ſich bewegenden, fortſchreitenden Moyakegel ſind weſtlich von den Ruinen von Penipe in einer feuchten Grasebene aufgeſtiegen, welche die Oeffnung eines hufeiſen⸗ förmig gekrümmten Gebirgsrückens ausfüllt. Die Oeffnung wird im Norden vom Cerro de Chumaqui, im Süden vom Cerro de Pucara gebildet, beide auf meinem Plane Trapp⸗ phorphyr (Trachyt) genannt. Auch der alte erloſchene Vulkan von Imbaburu, ſüdlich von der Villa de Ibarra, über 29 geographiſche Meilen (215 km) im Norden von Penipe, hat im Jahre 1844 eine rötlich aſchgraue Moya ausgeworfen, von der mir einige Proben geſchickt worden ſind. Nach Ehren— bergs Unterſuchung enthielten dieſe 13 Polygaſtern und den zehnten Teil des ganzen Volums ausmachende Phytolitharien. In einem Exemplar der Eunotia amphioxys waren noch die grünen eingetrockneten Eierſchläuche, einzeln von Glühhitze geſchwärzt, zu erkennen. Auch in der Andeskette des ſüdlichen Chile, in der Breite von 37° 7° ſüdl., faſt dem Hafen von Talcabuano gegenüber, bietet der Vulkan von Antuco, welchen zuerſt Eduard Pöppig und Domeyko geologiſch unterſucht haben und deſſen feurige Ausbrüche und wirkliche Lavaſtröme vom September 1852 nach der Angabe von Gilliß der engliſche Reiſende E. R. Smith als Augenzeuge beſchreibt, das merkwürdige Phänomen von Waſſerergießungen dar. „Dieſer Vulkan,“ ſagt der geiſtreiche Pöppig, „iſt einer von denjenigen, in denen die größeren Eruptionen mit der Ergießung einer Waſſermaſſe von kalter Temperatur endigen. Jeder der Einwohner des Thales — einfache Landleute, deren Bericht zu trauen iſt — bezeugen die Waſſerausbrüche. Der letzte, ſehr heftige war vom Jahre 1820. Ein Waſſerſtrom, welcher aus einer Spalte des Kegels floß, hatte den Boden tief aufgeriſſen und die Lavabetten klafterhoch mit übelriechendem, rotgelbem Schlamme bedeckt. Ich fand ſelbſt noch acht Jahre ſpäter eine tiefe Furche, die bis auf die Hälfte des Vulkans von Antuco reichte und weiter oben mochte verſchüttet ſein. Am Krater ſelbſt ſieht man keine Spur; allein daß aus ihm der Waſſer— ſtrom hervorgebrochen ſei, behaupten alle Antucaner. Ob jene Waſſer⸗ und Schlammergießungen Folgen der Infiltration der Gletſcher ſind, oder durch Verbindungen entſtehen, welche der vulkaniſche Herd mit dem nahen 1½ geographiſchen Meilen (11 km) langen Antucoſee hat, wird kein ſpäterer Forſcher leicht entſcheiden.“ Die untere Schneegrenze liegt nach Gilliß in dieſer Breite 6200 Fuß (2014 m) hoch, alſo 2470 Fuß (802 m) unter dem Gipfelkrater. Ich übergehe das merk— würdige Gemenge von Bimsſtein, Obſidiankörnern, kieſel— ſchaligen Polygaſtern und Pflanzenteilen von dem durch Meyen unterſuchten Hügel von Tollo, zwei volle Tagereiſen entfernt von dem Vulkan Maypu (34° 17“ ſüdl. Br.), der ſelbſt nie Bimsſtein ausgeſpieen hat. Dieſes Phänomen erinnert an die iſolierte Poſition der Bimsſteinſchichten von Guapulo, vom Rio Mayo und von Huichapa, öſtlich von Queretaro (Kosmos Bd. IV, S. 265), und an das analoge von Acangallo bei Arequipa in Peru, die Ehrenberg ebenfalls mikroſkopiſch zergliedert hat.!“ Von dem neuen Kontinent auf den alten übergehend, müſſen wir zuerſt in Europa an die Waſſerausbrüche des Aetnas und des Veſuvs erinnern. Dieſe ſeltſamen Erſchei— nungen ſind mit Recht ſchon vor einem Jahrhundert (von Magliocco, Braceini und Paragallo) teils Anſammlungen von geſchmolzenem Schnee- und Regenwaſſer in inneren Höhlungen, teils ien Gewittern in den den Krater umgebenden Luftſchichten zugeſchrieben worden. Die großen Epochen der Ueberſchwemmungen waren für den Veſuv der 17. De: zember 1631, für den Aetna der 9. März 1755. Die Waſſer— maſſe, welche an dem ebengenannten Tage vom Kegel des Veſuvs herabkam, war jo groß, daß, bei Nola, an einigen Stellen die Ueberſchwemmung 12 Fuß (3,9 m) Höhe hatte. — 496 — Am 18. und 31. Dezember erneuerte ſich das furchtbare Phä⸗ nomen gegen Reſina und Ottajano hin. Da der Krater in Wolken gehüllt blieb, ſo kann man nicht mit Gewißheit ent⸗ ſcheiden, was aus ihm überſtrömte oder dem entſtandenen Ungewitter zugehörte. Die ausgeworfenen Seemuſcheln, Algen und kleinen Fiſche bleiben ſehr ungewiß. Auch 1779 und 1794 werden Schlammſtröme (mit Rapilli und Sand gemiſchte Waſſer), die lave d'acqua e lave di fango, von Scacchi in ſeiner Chronologie der Eruptionen aufgeführt.!“ Am Aetna brachen am 9. März 1755 die heißen Waſſer nicht aus dem Krater, ſondern am Fuß des Kegels aus Spalten hervor und wurden ebenfalls von Mecatti dem ge— ſchmolzenen Schnee zugeſchrieben. Da ich einen Monat nach der großen Eruption des Veſuvs vom 22. Oktober 1822 den Vulkan mehrmals beſucht hatte, ſo kann ich ein merkwürdiges Beiſpiel von den Täuſchungen anführen, zu welchen die Flüchtigkeit der Beobachtung Anlaß gibt. Am 26. Oktober verbreitete ſich in der Umgegend des Veſuvs das Gerücht, ein Strom ſiedenden Waſſers ſtürze den Aſchenkegel herab. Monticelli erkannte bald, daß eine optiſche Täuſchung dieſes irrige Gerücht verurſacht habe. Der vorgebliche Strom war eine große Menge trockener Aſche, die aus einer Kluft in dem oberſten Rande des Kraters wie Triebſand hervor⸗ ſchoß. Nach einer die Felder verödenden Dürre, welche dem von Lord Minto beſchriebenen Ausbruch des Veſuvs vorher⸗ gegangen war, erregte gegen das Ende desſelben das vul- kaniſche Gewitter einen wolkenbruchartigen, aber lange iN Regen, der gefahrbringende Ueberflutungen be⸗ wirkte. In dem vulkaniſchen Teil der Eifel iſt die Traßbildung wohl nicht Schlammausbrüchen zuzuſchreiben. Die Bims⸗ ſteine ſcheinen trocken ausgeworfen zu ſein, und die Haupt⸗ maſſe des Duckſteins iſt nach H. v. Dechen ein durch Waſſer abgeſetztes, ſehr neues Konglomerat. Nach Ehren⸗ bergs raſtloſen und ſcharfſinnigen Unterſuchungen der vul⸗ kaniſchen Tuffe am Hochſimmer, im Brohlthale, am Backofen⸗ ſtein bei Bell, oder am Laacher See ſind überall dort Bims⸗ ſteine mit Phytolitharien und kieſelſchaligen Polygaſtern ſo innig gemengt, daß an dem uralten geologiſchen Zaſcunek hange ſolcher gefritteter Organismen mit der vulkaniſchen Thätigkeit wohl kaum zu zweifeln iſt. Der von Ehrenberg eingeführte Name der Pirobiolithbildung (wvulkaniſcher * — 497 — Infuſorientuff) drückt eine Thätigkeit aus, deren urſachliche Verhältniſſe noch in Dunkelheit gehüllt ſind, aber durch dieſen Umſtand ſelbſt die Nähe künftiger Entdeckungen verkündigen. Der Charakter von Süßwaſſerbildungen iſt der herrſchende in dieſem Gebiete; doch ſollen nach Ehrenbergs mikroſkopiſcher Unterſuchung die in Patagonien von Darwin geſammelten Erdſchichten ausnahmsweiſe „einen vulkaniſch verarbeiteten Meeresboden“ erkennen laſſen. Zu der, dem weſtlichen Amerika gegenüberſtehenden, öſt— lichen Küſte Aſiens übergehend, gedenken wir zuerſt in der Vulkanreihe der Halbinſel Kamtſchatka der heißen Waſſer⸗ ausbrüche zweier noch entzündeter Vulkane, des Awatſcha und Kliutſchewsk. Adolf Erman und Poſtels ſchreiben dieſe Schlammſtröme ebenfalls nur dem während der Lava— ergießungen geſchmolzenen Eiſe und mit Aſche (Rapilli) ge- mengten Schnee zu. In dem Dreiinſelreiche Japan finden ſich auf der nördlichen Inſel Kiuſiu, weſtlich vom Hafen Simabara, Kotvulkane, die ſchwarzen Schlamm aus⸗ ſpeien, ähnlich denen von Taman auf der Halbinſel Apſcheron; aber das wichtigſte, recht eigentlich hierher gehörige Phänomen iſt die Erhebung des großen Kegelberges Fuſijama auf Nipon, welcher aus dem durch eine Bodenverſenkung eines großen Landſtriches in der Provinz Umi⸗ſiu neu gebildeten großen See Mitſu⸗Umi ſich auf einmal erhoben haben ſoll, 286 Jahre vor unſerer Zeitrechnung. Leider bleiben die näheren Umſtände dieſer Seeentſtehung wie der Bergerhebung in hiſtoriſches Dunkel gehüllt. Ernſthafte Unterſuchungen der Oertlichkeit, von einem wiſſenſchaftlichen Reiſenden, würden ſelbſt in der Jetztzeit noch einiges Licht über dieſe Erhebung wie über die des Vulkanes von Taal auf Luzon verbreiten können. Unter den 48 Vulkanen der Inſel Java, von denen die Hälfte gegenwärtig entzündet iſt, haben zwei durch ihre Schlammausbrüche ſelbſt in dieſem Jahrhundert ſich eine große Berühmtheit erworben, der Idjen und der Gelunggung. Der erſtere hat am Kraterſee Kawah Idjen 7265 (2300 m), im öſtlichſten Teile, als Merapi Idjen, 8065 Fuß (2620 m); der Gelunggung wird zu ungefähr 6000 Fuß (1950 m) Höhe geſchätzt. Der Idjen, welchen Leſchenault de la Tour ſchon 1805 beſucht hatte, gab am 6. Januar bis 11. Februar ver⸗ heerende Schlammſtröme (Meteorwaſſer mit vieler aus— geworfener Aſche vermengt). Am Gelunggung hat der A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 32 — Schlammſtrom vom 8. Oktober 1822 allerdings nur 5 Stunden gedauert, und dennoch haben ſeine Verwüſtungen nach offi⸗ ziellen Berichten gegen 4000 Dorfbewohnern das Leben ge— koſtet. Von feurigen Ausbrüchen aus dem Krater war nichts geſehen worden; aber Blitze durchkreuzten das dunkle Gewölk, welches den Gipfel umgab, ſichere Anzeigen deſſen, was ich vulkaniſches Gewitter nenne. Die dickeren Teile des Schlammes wurden durch die Luft geſchleudert vom Gipfel des Gelunggung bis jenſeits Tji-Tandui, in einer gerad- linigen Entfernung von 48000 Fuß, alſo mehr als 2 geo- graphiſche Meilen (15 km). Einige dem Vulkan nahe liegende Dörfer litten weniger, weil der heiße Schlamm über ſie weg— flog. Um in dieſen Erſcheinungen den Urſprung des Waſſers und des Schlammes zu erklären, erinnert Junghuhn mit vielem Scharfſinn, daß da, wo ſolche Ausbrüche erfolgen, ſich Kraterſeen befinden; und daß, wo dieſe fehlen, man nur trockene oder feurige Stoffe von den vulkaniſchen Kegeln als wirkliche Lavaſtröme, oder als unzuſammenhängende, glühende Schlackenmaſſen, oder als bloße, nicht erwärmte Trümmerzüge (vereinzelte Felsblöcke) herabkommen ſieht. Von den 18 Kraterſeen, welche die Inſel Java beſitzt, ent— halten 7 ſüßes, helles, trinkbares Waſſer, weil ſie in ganz ausgebrannten Vulkanen liegen; in 11 anderen iſt das Waſſer mit freier Schwefelſäure oder mit aufgelöſter ſchwefelſaurer Kalithonerde gemiſcht. Alle dieſe Waſſer haben einen atmo⸗ ſphäriſchen Urſprung und die Säuerung geſchieht durch vul- kaniſche Dämpfe. Von geſchmolzenem Schnee und Eis, die in den Kordilleren, ſelbſt dem Aequator nahe, eine ſo wichtige Rolle ſpielen, kann hier keine Rede ſein, da auf Sumatra und Java die höchſten Gipfel, der Indrapura und der Semeru, nur 11500 und 11480 Fuß (3735 und 3750 m) Höhe erreichen und alſo 3000 Fuß (975 m) unter der Grenze liegen, welche man in dieſer Breite dem ewigen Schnee zu⸗ zuſchreiben berechtigt iſt. „Bei allen dieſen Erſcheinungen,“ ſagt Junghuhn wohl mit Recht, „iſt kein Waſſer in tropf⸗ barem Zuſtande aus dem Herde der Vulkane ausgeworfen worden; der Krater hat nur Dämpfe und Aſche geliefert, während das flüſſige Waſſer, welches das umliegende flache Land überſtrömte, erſt durch die Verdichtung der Dämpfe in den kälteren Luftſchichten gebildet wird und ſich zu dem ge⸗ ſellt, welches die Kraterſeen hergeben. Die Schlammſtröme des Gelunggung, welche ſowohl ſcharfeckige, ſelten poröſe — 499 — oder ſchlackige Blöcke, als auch trachytiſche Felstrümmer von 4 bis 7 Fuß (1,2 bis 2,2 m) Durchmeſſer mit ſich führen, haben durch ihren Abſatz eine Geſtaltung der Boden— fläche veranlaßt, welche in hohem Grade die Aufmerk— ſamkeit des Hydraulikers und des Geognoſten auf ſich zu ziehen verdient.“ Dies Phänomen, ſehr genau beſchrieben und durch eine Zeichnung erläutert, iſt 1822 am Gelung⸗ ung durch einen Schlammſtrom bewirkt, der von einem ulfan aus 3590 Fuß (1166 m) Kraterhöhe herabſtürzte. Die entſtandenen Trümmerhügel ſind keineswegs ſelbſt vulkaniſchen Urſprungs oder durch unterirdiſche Thätig— keit hervorgebracht, wie die zahlloſen geöffneten oder unge— öffneten kleinen koniſchen Hügel, welche ſo viele Vulkane um⸗ geben und nur zu allgemein Ausbruchkegel genannt werden. Auf der ganzen Inſel Java ſelbſt findet man nur etwas Ana⸗ loges am Vulkan Gunung Guntur, der iſolierte Hügel von 20 bis 30 Fuß (6,5 bis 10 m) Höhe und flachhemiſphäriſcher Form, aus Steintrümmern und Sand zuſammengeſetzt, doch weniger regelmäßig gereiht, darbietet. Die Schlammſtröme der Vulkane Kelut und Tangkuban laſſen ſichtbare Spuren ihrer Verheerung, aber keine koniſchen Hügel. Außerhalb der Inſel Java iſt wohl nirgends das von Junghuhn beſchriebene Phänomen wiederholt. Nach einer mäßigen Schätzung ſteigt am Gelunggung die Zahl der gereihten Hügel, von 40 Fuß (13 m) Höhe und 200 Fuß (65 m) mittleren Durchmeſſers an der Grundfläche, wenigſtens auf 15000. Der größere Teil davon, etwa , iſt gereiht, faſt einerlei Richtung auf einer Länge von 24000 Fuß (8,1 km) bewahrend. Dieſe Länge iſt aber kaum ½ der Erſtreckung von 3 ½ geogr. Meilen (23,5 km), welche die Reihen aus älteren Ausbrüchen, reichlich mit Vegetation be— deckt, erreichten. Die Erklärung, welche gebildete Javaneſen als Augenzeugen von dieſer Aneinanderreihung ſo einförmiger koniſcher Hügelgeſtaltungen geben, iſt wohl nicht ganz befrie— digend. Sie behaupten, daß, wie auf einer Ebene von nur 2° Neigung in Flüſſen trüben Waſſers ſich ein horizontaler Niederſchlag da bildet, wo die Geſchwindigkeit der Strömung dieſelbe bleibt, ſo durch eine Stauung bei Hinderniſſen und durch eine plötzliche Abnahme der früheren Geſchwindigkeit große Blöcke (Felstrümmer) niederfallen müßten, die den Kern jener 1 oder glockenartigen Hügel (Steinberge) ilden. Die Regelmäßigkeit ihrer Geſtalt werde durch die — 500 — zugleich oder ſpäter niederfallende Erde, welche auf allen Seiten abrollt, beſtimmt. Niederſchläge aus dem Schlammſtrome wären alſo die Veranlaſſung der ganzen Erſcheinung. Ich muß bemerken, daß wellenartige Dünenreihen, bisweilen durch Querthäler in rundliche Hügel geteilt, wie ſie Forch— hammer im Norden von Europa ſo vortrefflich beſchrieben hat, und wie ich ſie in der jetzt waſſerloſen kaſpiſchen Sen— kung zwiſchen Sarepta und Aſtrachan geſehen, nichts mit der hier beſchriebenen Erſcheinung gemein haben; mehr erinnert ſie durch das Abſetzen der fortgeſchleppten Trümmer an den dicken, roten Schlammſtrom des Bergſturzes (Bergſchlipfen) bei Wäggis am Rigi, entſtanden am 15. Juli 1795, oder an die Trümmerflut vom 16. Juni 1818 aus dem Bagne— thale in der Schweiz. Merkwürdige Schlammauswürfe, wie behauptet wird, mit wirklichen Fragmenten von Schwefelkies gemengt, geben auch die kleinen Vulkane der Inſeln Ramri und Cheduba (letzterer in lat. 18 52°) an der Küſte von Arrakan, im öſtlichen Teile des Bengaliſchen Meerbuſens. Der Schlamm, welchen die geologiſche Geſellſchaft von Kalkutta an Ehren— berg 1846 zur Unterſuchung ſandte, hatte die Konſiſtenz eines ſilbergrauen, fetten, plaſtiſchen Thones und enthielt Poly— thalamien, Phytholitharien und vorherrſchend (wie in den patagoniſchen Litoralegebirgslagern) kalkſchalige Meerwaſſer— organismen, alſo wieder andeutend einen Verkehr zwiſchen vulkaniſcher Thätigkeit und einſt lebenden Gebilden der Fora— miniferen. So zweifelhaft und unaufgeklärt, als lange die verſchiede— nen Urſachen der ſogenannten vulkaniſchen Waſſerergießun— gen geweſen ſind, ebenſo problematiſch iſt auch geblieben die Exiſtenz von wirklichen FTlammenerſcheinungen wäh— rend der Ausbrüche, ſei es aus den Gipfelkratern, oder aus Spalten am Abhang der Vulkane, oder aus kleinen Aus- wurfskegeln. In dem allgemeinen Naturgemälde habe ich, was man bei Schlacken- und Rapilliauswürfen als Flammen beſchreibt, wie den Lichtglanz roter Glutwolken, nicht bren— nendem Waſſerſtoffgas zugeſchrieben, ſondern als Lichtreflexe gedeutet, die teils von hochgeſchleuderten geſchmolzenen Maſſen ausgehen, teils auch Widerſcheine ſind, von denen aus der Tiefe aufſteigende Dämpfe erleuchtet werden. Dieſes Leugnen wirklicher Flammen gründete ſich auf die Meinungen viel- erfahrener und ſcharfſichtiger Beobachter: von Spallanzani, — 501 — Monticelli, de la Beche, Dana! und Poulett Scrope. Solchen negativen Erſcheinungen ſtehen aber wichtige Zeugniſſe ent- gegen: die von Pilla, in einer eigenen, wichtigen Abhandlung aufgeſtellt, von Leopold von Buch, Humphry Davy, Abich, Elie de Beaumont am Aetna, Bory de St. Vincent an dem Vulkan der Inſel Bourbon, Poſtels am Vulkan Awatſcha auf der Halbinſel Kamtſchatka. Ein großes Licht iſt über dieſen Streitpunkt erſt, wie ich ſchon früher angedeutet habe, durch Bunſens vortreffliche Abhandlung „Von den Prozeſſen der vulkaniſchen Geſteinsbildung in Island“ verbreitet worden. Dieſer ſcharfſinnige Chemiker findet in den Dämpfen, welche den kochendheißen Schlammboden durchwühlen, neben Schwefel— waſſerſtoff auch Waſſerſtoff, ja von letzterem in der Solfatara von Reykjalidh bis 25 Prozent. „Man ſieht aus dieſen Gas— analyſen,“ ſetzt der große Chemiker hinzu, „wie wenig man Grund hatte, Davys ältere Vulkantheorie wegen totaler Ab— weſenheit brennbarer Gaſe in den Exhalationen der Vulkane zu leugnen. Der einfachſte Verſuch zeigt, daß, wo Schwefel mit erhitztem Pyroxengeſtein (z. B. Baſalt oder pyroxenreichen Trachyten) zuſammentrifft, ale Bedingungen zur Bildung jener Solfatarengaſe erfüllt ind. Es tritt eine partielle Zer— ſetzung des in dem Geſtein enthaltenen Eiſenoxydes ein, indem der Schwefel ſich in deſſen Beſtandteile teilt. Der Sauer- ſtoff des Oxydes bleibt als Schwefeleiſen im Geſtein zurück. Leitet man darauf Waſſerdämpfe in der angehenden Glüh— hitze über die auf die angegebene Weiſe mit Schwefeldampf behandelte Gebirgsart, ſo entweicht unter Bildung von Eiſen— oxyduloxyd eine reichliche Menge Schwefelwaſſerſtoff. Ueber— ſteigt aber die Temperatur auch nur um weniges die angehende Gluͤhhitze, jo zerfällt ein Teil dieſes Schwefelwaſſerſtoffes in ſeine Elemente und man findet neben dem Schwefel— waſſerſtoff eine erhebliche Menge freien Waſſer— ſtoffes nebſt Schwefeldampf. Die Erſcheinungen, welche aller Solfatarenthätigkeit zu Grunde liegen, ſind nach dieſen Verſuchen leicht verſtändlich, da faſt alle vulkaniſchen Eruptionen von Schwefelſublimationen begleitet ſind. Wo nun ſolche Schwefelmaſſen den glühenden Pyroxengeſteinen in Dampfgeſtalt begegnen, entſteht die Thätigkeit, der die ſchweflige Säure ihren Urſprung verdankt; ſinkt darauf eine ſolche vulkaniſche Thätigkeit zu niederen Temperaturen herab, ſo tritt alles in eine neue Phaſe. Die erzeugten Schwefel— verbindungen des Eiſens beginnen ihre Wirkung auf den — 502 — Waſſerdampf und als Reſultat dieſer Wechſelwirkung entſtehen Schwefelwaſſerſtoff und deſſen Zerſetzungsprodukte, freier Waſſerſtoff und Schwefeldampf. So ſieht man beide Pro⸗ zeſſe ſich ineinander verlaufen und ſich an nahen Orten be— gegnen.“ Hier iſt der Vorgang in den Solfataren geſchildert; aber bei wirklichen, Lava hervorbringenden Vulkaneruptionen hat durch Verſuche (Gasanalyſen) noch keine Entwickelung von freiem Waſſerſtoff konſtatiert werden können. Die bläulichen beweg— lichen Lichter, welche ich in 2300 Fuß (747 m) Tiefe im entzündeten weſtlichen Krater des Pichincha erblickte, als ich am 26. Mai 1802 allein mit dem Indianer Felipe Aldas an den jähen Rand des Vulkanes gelangte, habe ich gleich damals nicht für Hydrogen, ſondern für Flämmchen bren— nenden Schwefels gehalten. Sie ſind, wie man mir durch Briefe meldete, in den nächſten Jahren nach meiner Abreiſe aus Quito von mehreren Einwohnern, welche dieſelbe Stein— platte (14946 Fuß = 5054 m über dem Meeresſpiegel) aus bloßer Neugierde beſuchten, ebenfalls geſehen worden. Auch der ſehr gründlich phyſikaliſch und geologiſch unterrichtete Rei— ſende, Herr Sebaſtian Wiſſe, welcher kühn im Anfang Auguſt 1845 mehrere Nächte in dem Krater von Pichincha zubrachte, ſagt ausdrücklich: „Nach meiner Vermutung brechen bisweilen die Dämpfe der thätigen Fumarolen ſo erhitzt aus, daß ab— geſetzte Schwefelkriſtalle ſich wirklich entzünden.“ 1? Am ſchwie— rigſten ſind die Flammen zu erklären, die man bei Erſcheinung neuer Inſeln aus dem Meere will haben aufſteigen ſehen, 10 noch der gehobene vulkaniſche Meeresboden der Oberfläche nahe war. Anmerkungen. (S. 485.) Solch eine Erſcheinung wie der wolkenbruchartige Regen charakteriſirt faſt unter allen Erdſtrichen das Ende einer Eruption. Da während derſelben der Aſchenkegel gewöhnlich in Wolken gehüllt iſt und da in ſeiner Nähe die elektriſchen Regen— güſſe am ſtärkſten ſind, ſo ſieht man Schlammſtröme, die aus meteorologiſchen Urſachen entſtehen, von allen Seiten herabfließen. 2 (S. 485.) Seneca, Quaest. Nat. lib. II, cap. 30: „Aetna aliquando multo igne abundavit: ingentem vim arenae urentis effudit. Involutus est dies pulvere populosque subita nox terruit. Illo tempore ajunt plurima fuisse tonitrua et fulmina, quae concursu aridorum corporum facta sunt, non nubium. — Aliquando Cambyses ad Ammonem misit exereitum: quem arena, Austro mota et more nivis incidens, texit, deinde obruit. Tun quoque verisimile est fuisse tonitrua fulminaque attritu arenae sese affricantis.“ Dies find Meinungen des Asklepiodotus, in denen die Wirkungen der Reibungselektrizität deutlichſt ausgedrückt ſind. (S. 486.) Dr. Chanca läßt den Kolumbus bloß jagen: Llegamos ä la isla häcia la parte de una gran montana que parecia que queria subir al cielo, en medio de la cual mon- tana estaba un pico mas alto que toda la otra montana, del cual se vertian à diversas partes muchas aguas. Mas a cerca vidose lo cierto, y era la mas hermosa cosa del mundo de ver de cuan alto se despenaba é de tan poco logar nacia tan gran golpe de agua. Navarrete, Coleccion de los Viages y Descubrimientos de los Espaüoles T. I, p. 201. (S. 487.) Der lebendige Zeuge der Konquiſta, Gonzalo Fernandez de Oviedo, deſſen großes Werk der Historia general y natural de las Indias wir endlich nach drei Jahrhunderten durch den rühmlichen Eifer der ſpaniſchen Akademie vollſtändig vor uns ſehen, hat allerdings eine umſtändliche Schilde— rung der großen Waſſerflut gegeben, welche in der Nacht vom 10. zum 11. September 1541 die Stadt Guatemala zerſtörte; ſie ver— weilt aber mehr bei perſönlichen und örtlichen Szenen, als daß ſie den Urſprung des ſchrecklichen Phänomens (tormenta de agun, — 504 — tormenta, huracan, tempestad genannt) genau erkennen ließe. — Da es noch ganz an unmittelbaren Meſſungen der ewigen Schnee— höhe in Centralamerika fehlt, und die beiden Vulkane (de Agua und de Fuego) nach Poggendorffs Berechnung der vom Kapitän Baſil Hall genommenen Höhenwinkel ſich 2050 Toiſen (3995 m) über das Meer erheben, auch die Stadt Guatemala nur 4“ füd- licher als die großen Vulkane von Mexiko liegt, jo iſt hier zu er- innern, daß nach meinen Unterſuchungen unter dem Parallel von 19° die mittlere Grenze des ewigen Schnees allerdings in 2313 Toiſen (4506 m) Höhe liegt, daß aber ſporadiſch Schnee bis 1200 Toiſen (2340 m) fällt. Unter dem Aequator, in den vulkaniſchen Kordilleren von Quito, wo die Höhe des ewigen Schnees 2475 Toiſen (4824 m) iſt, fällt ſporadiſch Schnee nur bis 1875 Toiſen (3654 m). Dies ſind Mittelzahlen von vielen meiner Meſſungen, und deshalb muß den Reſultaten die Angabe von einzelnen Toiſen verbleiben. (S. 487.) Der Vulkan von Tolima, ein abgeſtumpfter Kegel, ſcheint mir der höchſte Berg in der nördlichen Hemiſphäre zu ſein, nach meiner trigonometriſchen Meſſung bei Ibague hat derſelbe 17010 Par. Fuß (5584 m). Dem Tolima kommen am nächſten die mexikaniſchen Gipfel Popocatepetl (nach mir 16632 Fuß = 5420 m) und Orizaba (nach Ferrer 16776 Fuß — 5450 m). Nach der genauen Arbeit des Aſtronomen Julius Schmidt zu Olmütz, welche einer vortrefflichen Abhandlung von Carl Heller angehängt iſt, ergibt das Mittel aus 6 Meſſungen für den Popocatepetl 2775 Toiſen oder 16650 Fuß = 5408 m (Differenz von meiner früheſten Meſſung 4 Toiſen = 7,8 m), für den Vulkan von Orizaba, den Herr Heller noch hat rauchen ſehen, 2767 Toiſen oder 16602 Fuß (5393 m), alſo 30 und 50 Fuß (9,7 und 16,7 m) Differenz von Ferrers und meiner trigono— metriſchen Meſſung aus großer Entfernung. — So iſt der Zuſtand der Hypſometrie im tropiſchen Amerika geblieben ſeit mehr als einem halben Jahrhundert, ſeit meinen und Ferrers Arbeiten! 6 (S. 487.) Relation de l'éèruption boueuse du Volcan de Ruiz par le Colonel Joaquin Acosta in den Comptes rendus de l' Acad. des Sc. T. XXII, 1846, p. 709: „Toute la population de la vallee de Lagunilla perit. D’enormes blocs de glace &taient descendus de la Cordillere en telle abondance qu'ils n'étaient pas encore entierement fondus malgré la temperature élevée de 26° a 28° de ces lieux. Cette masse de glace venait d’une hauteur de plus de 4800 mètres, car telle doit &tre la limite inferieure des neiges perpétuelles sous cette latitude. C'est la premiere fois de mémoire d’hommes que les habitans des bords embrases de la Madeleine avaient vu de pres de l'eau solidifi6ee par le froid. Ce fut un spectacle surprenant de voir les eaux tiedes de la Madeleine charrier de la glace.“ — 505 — (S. 488.) „Par le mélange de la pluie et des cendres voleaniques il se forme dans l'air des espèces de pisolites & eouches concentriques que j'ai trouvées sur le plateau d’Ham- bato parmi les anciennes éjections du Carguairazo, analogues à ce que les habitans de Quito appellent naivement grelons de terre et que Monticelli et Covelli (Storia del Vesuvio degli anni 1821 à 1823, p. 94—98) ont décrit avec beaucoup de sagacite. La ville d’Hambato, depuis la Catastrophe du 19 Juillet 1698 jusqu'à celle de Riobamba du 4 Février 1797, a été detruite 8 fois et toujours reconstruite dans le meme site.“ Humboldt in den Annales de Chimie et de Physique T. XXVII, 1824, p. 125. (S. 489.) Weder Oviedo noch Garcilaſo, noch Cieza de Leon, der ſchon im 13. Jahre (alſo 1531) nach Amerika kam, noch der merkwürdige Brief, welchen Pedro de Alvarado ſelbſt den 15. Januar 1535 an ſeinen Kaiſer über die Expedition nach Quito ſchrieb und von welchem der vortreffliche Prescott eine Abſchriſt hat benutzen können, nennen einen beſtimmten Vulkan. (S. 489.) Reſte liegen gebliebener, durch Hinderniſſe auf— gehaltener Trümmerzüge habe ich ſelbſt am Cotopaxi bei dem Löwenberge (Pumu⸗-Urcu) gefunden. 10 (S. 490.) Dr. Karſten, in ſeiner intereſſanten Abhandlung über die geognoſtiſchen Verhältniſſe Neugranadas, 1856, S. 92, ſieht als Urſache der ſogenannten Fiſchauswürfe des Imbaburu die Ueberſchwemmung des nahen Sees an, welche durch eine vom Vulkan in den See herabſtürzende Felsmaſſe veranlaßt wurde. Die dem See eigenen Prenadillen blieben faulend liegen, als die Waſſer ſich zurückgezogen hatten. 11 (S. 490.) Alſo 2800 Fuß (910 m) höher als nach einer Arbeit, die der ſcharfſinnige Phyſiker und Geologe Ramond für mich unternommen hatte, über das Maximum der Höhe, auf welcher die Seen in der Kette der Pyrenäen von Fiſchen belebt find. „Le Salmo fario (la truite commune) et le Salmo alpinus (la truite noire) vont jusqu'a 1770 toises de hauteur, jusqu’an lac d’Escoubous: au-dessus de ce lac, p. e. au lac d'Oncet, au pied du Pic de Midi ä 1187 toises d’elevation, il n'y a plus de poisson par les 42'/° ö 43° de latitude. Le poisson manque la où, comme dans les lacs superieurs de Neouvielle, lex eaux ne degelent que durant un mois ou deux. Les poissons ne peuvent vivre dans des lieux oü les eaux sont privees de Vin— tluence de l’aire atmospherique.* 12 (S. 492.) „Miranda in hac catastrophe evenerunt feno- mena,“ jagt der Abad Cavanilles in jeinem Prachtwerke (leones Plantarum, quae aut sponte in Hispania eresceunt, aut in hortis hospitantur Vol. V. 1799, Praef. p. I). „Prope Pelileo urbem mons erat mirae magni- tudinis Za Moya nuncupatus, qui oculi ietu ruit, eodemque — 506 — temporis momento flumen ingens vomit conspurcatae ac feti- dissimae aquae quod urbis vestigia penitus delevit, super- stitesque cives volutavit arripuit sepelivit.“ Es gab keinen Berg dort, der Moya oder Cerro de la Moya hieß. Im Texte habe ich die indiſchen Namen der Gegend, welche ich mit der Buſſole aufnahm und zeichnete, mitgeteilt. Nach Cavanilles waren die drei größten Erdſtöße, welche die Provinz verheerten, am 4. Februar 7¾ und 10 Uhr morgens, wie an demſelben Tage nach großem unterirdiſchem Geräuſch (ruido) um 4 Uhr nachmittags. Den ganzen Februar und März gab es ſchwache Erſchütterungen, bis am 5. April um 2 Uhr morgens die Erde wieder furchtbar erbebte. Nach vielen Nachrichten, welche ich auf dem Wege von der Villa de Ibarra nach Riobamba und Pelileo ſorgfältig von Augen- und Ohrenzeugen (von Januar bis Juli 1802) eingeſammelt und in meine wohlerhaltenen Reiſetagebücher eingetragen habe, iſt der oben genannte berühmte ruido am 4. Februar 1797 gar nicht im Sitze der Hauptzerſtörung ſelbſt, im alten Rio— bamba, auch nicht in Llactacunga oder Hambato, ſondern nur nördlicher in den Städten Quito und Villa de Ibarra ver⸗ nommen worden, und zwar 15 bis 20 Minuten nach dem großen Erdſtoß, welcher in den beiden letztgenannten Städten von gar feinem Getöſe (ruido oder bramido) begleitet war. Dieſer wichtige Umſtand ſcheint meine alte Behauptung zu bekräftigen, daß das ganze Hochland um Quito gleichſam als ein einziger vulka— niſcher Herd zu betrachten iſt, deſſen einzelne Oeffnungen wir mit eigenen Namen (Pichincha, Cotopaxi, Tunguragua 2c.) zu bezeichnen gewohnt ſind. 13 (S. 495.) Die Breiten der Vulkane von Antuco und Maypu find dem Werke von Gilliß entlehnt, aber die von dem amerika— niſchen Aſtronomen im Texte gegebenen Breiten weichen ſehr von denen der angehängten Karten von Piſſis und Allan Campbell ab. Nach dieſen liegt der Vulkan Maypu in lat. 33046‘, alſo einen halben Grad nördlicher. (S. 496.) Zur Erinnerung an den Ausbruch des Veſuvs am 17. Dezember 1631 ließ der Vizekönig Fonſeca y Zuniga, Graf von Monterey, eine Inſchrift in Portici aufftellen, in der die Worte vorkamen: jam, jam erumpit, mixtum igne lacum evomit. Auch der isländiſche Vulkan Oeräfa, deſſen öſtliche Kuppe Knappr⸗ fellsjökull heißt, iſt wegen ſeiner Waſſerausbrüche bekannt, die aber nach Sartorius von Waltershauſen nur dem plötzlichen Schmelzen von Eis und Schnee zuzuſchreiben ſind. (S. 497.) Ich erinnere, daß es drei Vulkane mit Namen Merapi (in deſſen hinterem Teile man das malaiiſche Wort api Feuer vermuten ſollte) gibt, deren einer auf Sumatra (8980 Par. Fuß = 2917 m) und zwei auf Java liegen: der Merapi bei Dſchokdſchokarta (8640 Fuß = 2807 m) und am öſtlichſten Ende der Inſel der Merapi-Idjen, ein kraterloſer höchſter Gipfel (8065 Fuß — 507 — — 2620 m) des großen Vulkanes Idjen. (Im Profil II iſt Merapi⸗ Idjen zu 8500 Fuß = 2760 m angegeben.) Die Schlammvulkane von Java, unter welchen der von Purunwadadi, nahe bei den jod⸗ und bromhaltigen Waſſern von Kuwu, durch die von Ehren— berg aufgefundenen Polygaſtern und Phytolitharien berühmt ge— worden iſt, haben nach dem Zeugnis des eben genannten großen Naturforſchers ſehr wahrſcheinlich jene wunderbaren, teilweiſe ge— ſtielten und geſchwänzten, hohlen Kügelchen und Eiſenblaſen hervor gebracht, die am 12. November 1856 auf dem Schiff Joſika Bates 60 geogr. Meilen (445 km) ſüdöſtlich von der Inſel Java in der Südſee als Meteorſtaub aufgeſammelt wurden. Ganz ähnliche hohle Kügelchen ſind auf der Halbinſel Apſcheron (Baku) nach Lenz bei dem großen Flammenausbruch der Salſe von Baklichli am 7. Februar 1839 als vulkaniſche Aſche ausgeſtoßen worden. (Eich— wald in Humboldts Asie centrale T. II, p. 513: il fut lancee dans l'air une prodigieuse quantité de petites spheres creuses, semblables a la menue dragee avec laquelle on tue les petits oiseaux.“ 16 (S. 501.) Dana leugnet, ſich auf Augenzeugen berufend, alle Erſcheinungen von Flammen bei den großen Eruptionen des Lavapfuhls von Kilauea: „Flames as actually seen were called in to give vividness to the description.“ 7 (S. 502.) Was iſt ein bisweilen nächtlich geſehenes Leuchten der Gipfel von Bergen, welche aus ganz unvulkaniſchem Granit- oder Kalkflözgeſtein beſtehen und auf denen das Gras nicht an— gezündet iſt, nach den Ausſagen der anwohnenden Indianer? Es wird behauptet vom Cuchivano bei Cumanacoa, und am oberen Orinoko am Duida und Guaraco. Ir Reihung der Gebirgsarten, durch welche die vulkaniſche Thätigkeit zer- ſtörend, bildend und umwandelnd gewirkt hat und noch zu wirken fort- fährt, unterſeeiſch und in der jetzigen Feſte. Innere Geſtaltung oder räumliche Individnalifierung (Gewebe) und mineralogifhe Zuſammen— ſehung. (Konftante Affociation gewiſſer einfacher Mincralſpezies.) — Altersfolge: aus der Auflagerung, dem Durchbruch, oder aus dem Inhalte verſteinerter Organismen (Foſſilien) aus dem Tier- und Pflanzen- reiche geſchloſſen. — Formationen: periodiſch alternierende Wiederkehr derſelben Schichten. — Geognoſtiſcher Horizont, — Vier Entfichungs- formen der Gebirgsarten: à) endogenes oder Eruptionsgeſtein, pluto- niſches und in engerem Sinne vulkaniſches genannt; b) exogenes oder Sedimentgeſtein, e) metamorphofiertes, d) Konglomerate und Trümmergeſtein. Die älteſten geognoſtiſchen Betrachtungen, zu denen wir, die religiöſen Traditionen der Völker ausſchließend, aufſteigen können, laſſen ſich in dem dauernden Reflex wiedererkennen, den ſie auf die Benennungen ausgeübt haben, welche man in der Wiſſenſchaft bis zu der neueſten Zeit großen Abteilungen der Gebirgsmaſſen gegeben hat. Die bleibenden Spuren der Umwandelungen, welche im Laufe der Jahrtauſende die trockene, dem Menſchen bewohnbare Feſte erlitten hat, die Anſicht von Verſteinerungen von Meerkorallen (ſogenannten Foſſilien) in den Steinbrüchen von Syrakus, ja von Fiſchen im Marmor von Paros, leiteten bei den Hellenen Xenophanes von Kolo⸗ phon (Ol. 60) und die eleatiſche Schule auf die Verallgemei⸗ nerung der Anſicht, daß die ganze Erdrinde früh vom Ozean bedeckt war. Strabo, aufmerkſam auf die oft veränderten Grenzen zwiſchen Meer und Land, dachte ſich nicht bloß viele kleine und große Inſeln, ſondern auch ganze Kontinente aus dem Meere durch Anſchwellung und Erhebung ſeines Bodens emporgeſtiegen. Apulejus von Madaura ſchrieb die Muſchel— — 509 — verſteinerungen, die er in Nordafrika in den gätuliſchen Ge— birgen ſammelte, der Deukalioniſchen Flut zu, welche er dem— nach ebenſo allgemein glaubte, als die Hebräer die Noachidiſche und die Mexikaner im Aztekenlande (Anahuac) die Flut des Coxcox.! Entgegengeſetzt dieſen alten Zeugniſſen neptuniſcher Sedimentbildungen hatten ſich gleichzeitig und vielleicht noch früher der typhoniſche Kaukaſusmythos und die Idee des Pyriphlegethon als der gemeinſamen Quelle der vul- kaniſchen Thätigkeit wie der Entſtehung aller Brandländer verbreitet. Die Laven (51 nes) und vulkaniſchen Schlacken, alle Feuerſtröme, „wo auf der Erde ſie ſich finden mögen“, ſind Teile des Pyriphlegethon. Typhon, der tobende Ence— ladus, iſt in griechiſcher Volksphantaſie eine Bezeichnung des Centralfeuers, einer unbekannten, im Inneren der Erde liegenden Urſache vulkaniſcher Erſcheinungen. Man erkannte den räumlichen Zuſammenhang einzelner vulkaniſcher Syſteme, von der pithekuſiſchen Inſel Aenaria (Ischia) bis Cuma (Phlegra) und Sizilien, die Abhängigkeit einer gewiſſen Klaſſe der Erdbeben in Griechenland von den Lavaausbrüchen des Aetna, welche das innere Pneuma (die Kraft der Dämpfe, die man mit der des unterirdiſchen Windes verwechſelt) ver⸗ anlaßt. Der Glaube an das Centralfeuer wird auch im 3. Jahrhundert von dem heiligen Patricius, Biſchof von Per⸗ tuſa, in ſeiner Erklärung der heißen Quellen bei Karthago deutlich ausgeſprochen, indem er ſagt: die Waſſer, welche von dem unterirdiſchen Feuer entfernter ſind, zeigen ſich kälter als die, welche nahe demſelben entquellen. So finden wir im Altertum bei Betrachtung der Erd— ſchichten herausgehoben den Kontraſt zwiſchen Waſſer- und Feuerbildung, ganz als Vorklang unſerer frühejten Einteilung in neptuniſches und vulkaniſches Geſtein, aus dem Waſſer niedergeſchlagenes, organiſche Meerprodukte enthal— tendes Sediment⸗ und eruptives Geſtein, ſo exogene und endogene Gebilde meiner alten ſpaniſchen Paſigraphie vom Jahre 1803 entſprechend. Das endogene oder Eruptivgeitein, welches Sir Charles Lyell ſpäter (1833) ſehr charakteriſtiſch hypogene oder nether formed rocks nennt, umfaßt zwei Klaſſen: die eigentlichen vulkaniſchen (oder trady- tiſchen, baſaltiſchen und Phonolith-) Gebirgsarten, und die plutoniſchen Gebilde (d. i. Granit und Gneis, Hyperſthenit, Melaphyre und quarzfreie Porphyre). Da es in dem latei— niſchen Mittelalter Sitte geworden war, feuerſpeiende Berge — 5 nicht Sitze des Typhon oder des Pluton zu nennen, ſondern allgemein Sitze des Hephäſtos, des Vulkan der Römer, ſo blieb der neuen Geologie für die zuletzt genannte zweite Klaſſe eruptiver Formationen nur der Ausdruck plutoniſch übrig. Das unterirdiſche Reich des Pluton ward im früheſten Altertum als Reichtum? und Segen bringend (miovrodornp und rkovrodseng) bezeichnet, und inſofern nur in beiden Kon: tinenten großer Gold- und Silberreichtum den Lagerſtätten inwohnt, die dem Gneis und quarzfreien Porphyr an— gehören, findet ſich die Wahl der Benennung plutoniſcher Gebilde gleichſam mythiſch gerechtfertigt. Die Beziehungen der Thätigkeit feuerſpeiender Berge auf die unbekannte Ur- ſache der Thätigkeit ſelbſt konnten faſt mit gleichem Rechte auf die Ausdrücke plutoniſch, vulkaniſch und typho— niſch führen. Der älteſte Name des Pluton war Hades (Ads): Sohn des Saturn und der Rhea, Bruder des Zeus; ja Pluton wurde ſelbſt ein unterirdiſcher Zeus (Zeds yYayıos) genannt, nach dem Unterſchiede, der laut Pherekydes aus Skyros orphiſch zwiſchen Chthon und Gäa herrſcht. In dem alttheologiſchen Begriff des Hades ſind gleichzeitig zwei Prinzipien verbunden: ein wohlthätiges, fruchtbringendes, Reichtum an Cerealien und metalliſchen Schätzen aus ſeinem tiefen Schoße dem erſten Menſchengeſchlechte darbietend, und ein furchtbares Prinzip, richtend und rächend in dem düſteren Tartarus. Die Benennung IIVobro ſcheint erſt ſpät dem Herrn der Unterwelt beigelegt worden zu ſein. „Ich kenne,“ ſagt ein tiefer und philoſophiſcher- Kenner des Alter: tums, Böckh, „kein Beiſpiel dieſer Benennung, welches höher hinaufginge, als in die Zeit der Tragiker; Sophokles, Euri⸗ pides, Platon ſind die älteſten Zeugen, die ich kenne, denn eine Stelle im Prometheus des Aeſchylus kann nicht mit Sicherheit dahin gezogen werden.“ Eine minder abſtrakte, man könnte ſagen ſinnlich ein- fachere Vorſtellung als die des Pluton bot das Wort Feuer, analog dem ſelbſt Metalle ſchmelzenden Schmiedefeuer, dar, und leitete ſo auf Hephäſtus oder Vulcanus, den Gott des Feuers. In Stellen der griechiſchen Dichter wird nicht ſelten das Feuer ſelbſt oder die Flamme Hephäſtus ge— nannt. Das Wort wird ſynonym für zop gebraucht. Ebenſo gilt bei den Römern, vorzüglich den Dichtern, das Wort Vulcanus für Feuer, im Plautus ſogar für das Feuer — 511 — (Licht), welches in einer Laterne getragen wird. Die feuer— ſpeienden Berge ſelbſt wurden aber nicht Hephaestoi, nicht Vulkane, ſondern Werkſtätte des Hephäſtus oder des Vulkan genannt. Der Uebergang von dem Ramen des Werk— meiſters in allen Künſten, welche der Hilfe des Feuers be— dürfen, auf das Lokal der Werkſtätte, auf den Berg ſelbſt geſchah, wie wir bald zeigen werden, erſt in der letzten la— teiniſchen oder vielmehr romaniſchen Periode des Mittel— alters. Zugleich iſt auch hier noch zu bemerken, daß der Name des Gottes des Reichtums, Plutos (More), Sohnes des Jaſius oder Is und der Demeter, älter iſt als die Benennung des Pluton (Moörwy) für Hades, den Herrſcher der Unterwelt.“ Es iſt eine glückliche Folge des wiſſenſchaftlichen Forſchungs— geiſtes geweſen, der ſeit dem Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahrhunderts, in den Zeiten der erſten Entdeckungen von Amerika, in Italien, dem bauluſtigen, gewerbthätigen und verſteinerungsreichen Lande, ausbrach, daß dort die früheſten geologiſchen Betrachtungen der Lagerungsfolge von Sedimentſchichten zugewendet wurden, und im allgemeinen damals ſchon zu Reſultaten führten, die mit denen unſerer jetzigen Geologie merkwürdig übereinſtimmen. Umgebung und lokale Verhältniſſe üben oft einen erkennbaren und dauernden Einfluß auf die Richtung und Entwickelung einzelner Wiſſen— ſchaften aus. Ich habe ſchon in den wenigen Blättern, welche ich der Geſchichte der Weltanſchauung widmen konnte, der ſcharfſinnigen Naturbeobachtungen erwähnt, die ſich dem alles umfaſſenden Genius von Leonardo da Vinci darboten bei Eröffnung von neuen Steinbrüchen und bei Anlegung von Kanälen, die das lombardiſche Schuttland und die Tertiär— ſchichten durchſchnitten, dem Girolamo Fracaſtoro beim An— blick der Steinbrüche um Verona unfern der Citadelle von S. Felice, und der an foſſilen Fiſchen ſo reichen Geſtein— ſchichten des Monte Bolca, der vereinten Kräfte des engliſchen Arztes Martin Liſter und des berühmten däniſchen Anatomen Nikolaus Steno (Stenſon) am großherzoglichen Hofe von Toscana. Liſter ſprach ſchon aus, daß jede Geſteinſchicht durch eigene Foſſilien charakteriſiert werde, daß aber trotz großer Formähnlichkeiten doch die Produkte der jetzigen Meere bei genauer Vergleichung ſich ganz verſchieden von den foſſilen, die er aufgefunden, zeigten. Es iſt zu beklagen, daß dieſe richtigen Naturanſichten bei dem geiſtreichen Manne, der auch — 512 — das unbeſtrittene Verdienſt hat, ſchon im Jahre 1681 den erſten Vorſchlag gemacht zu haben, geognoſtiſche Karten von England entwerfen zu laſſen, durch wunderliche, ganz natur⸗ widrige Hypotheſen über den Prozeß der Verſteinerung und die plaſtiſchen Naturkräfte verunſtaltet wurden. In den wich: tigen posthumous Works von Robert Hooke iſt dagegen das Unphiloſophiſche einer ſolchen Annahme von Natur- ſpielen und der ſogenannten Naturverjude, * organijche Gebilde im Reiche der Foſſilien nachzuahmen, ſiegreich ent⸗ wickelt, auch zum erſtenmal die, damals den Theologen ſehr verhaßt e Lehre von untergegangenen Tiergeſchlechtern aufgeſtellt. Steno,“ in feinem merkwürdigen ſtratigraphiſchen Werke: De solido intra solidum naturaliter con- tento 1669, unterſchied 10 erſtenmal die Gebirgsarten, welche keine Spuren eingeſchloſſener organiſcher Reſte dar⸗ bieten und die er deshalb für die älteſten Formationen hielt, von den jüngeren Schichten, deren jede einzelne er aus einer darüber ſtehenden Flüſſigkeit abgeſetzt (niedergeſchlagen) nennt („turbidi maris sedimenta sibi invicem imposita“ ſind Stenos Worte). Dieſe Sedimente waren nach ihm urſprünglich alle horizontal, und erſt in der Folge ſenkrecht aufgerichtet, oder unter verſchiedenen Fallwinkeln geneigt durch den Einfluß ausbrechender Dämpfe, welche die Centralwärme (ignis in medio terrae) erregt, oder durch Nachgeben zu ſchwach unterſtützender unterer Schichten. Leibniz dagegen, in feiner vulkaniſchen Protogaea, erklärt die Neigung der horizontal abgeſetzten Schichten gegen den Horizont durch die Exiſtenz unterirdiſcher Höhlen und den Abfall in dieſelben. Der ſcharfſinnige Botaniker Fabius Colonna zu Neapel und Steno zu Florenz waren die erſten, die unter den foſſilen Schaltieren unterſchieden, welche urſprünglich dem Meere, welche dem Waſſer angehört haben. Es iſt eine hiſtoriſche Frage wohl nicht zu übergehen, die ich kaum je berührt, ja noch weniger mit Sicherheit gelöſt finde. Zu welcher Zeit iſt in dem Latein des Mittel⸗ alters oder in den romaniſchen Sprachen das Wort Vulkan zuerſt für feuerſpeiende Berge gebraucht worden? Bei denen auf Lemnos und Hiera, auf Sizilien und in Unteritalien wird im Altertum allerdings immer an Hephäſtus (Vulkan), nicht an Pluto, gedacht. Plinius (lib. III no. 92 Sillig) ſagt im algee von den Aeoli⸗ ſchen Inſeln: „Hephaestiades a Graecis, a nostris volcaniae dictae.“ Hephaestii montes finden wir ebenfalls in Lykien, Vulcani domus nennt Virgil die Inſel Lipara; dagegen ſind, wie wir ſchon oben berührt haben, die Plutonien heiße Dampfhöhlen, Eingänge zum Hades, oft mit Charonien verbunden. (Strabo lib. V, p. 244, XII, p. 579, XIII, p. 629, XIV, p. 636 und 649.) Ortsnamen, dem Pluto heilig, ſind ſehr ſelten. Doch wird in einem Scholion des Proclus bei der Mythe der Atlantis eine der Inſeln des Aeußeren Meeres dem Pluto geheiligt genannt. Wenn nun aber auch im Altertum unbeſtreitbar der Be— griff feuerſpeiender Berg an den des Vulkan geknüpft war, ſo wurde eine ſolche Verknüpfung ſprachlich (ſ. oben S. 510 bis 511) doch immer nur als Werkſtätte des Feuergottes als ein ihm geweihter Ort bezeichnet. Der Uebergang des Namens des Feuergottes zu allen entzündeten Bergen gehört dem ſpäteren romaniſchen Mittelalter. In dem 7. Bande des 1819 bis 1826 zu Bologna herausgegebenen großen Dizio- nario della lingua italiana wird (p. 406) zu der Bedeutung von vulcano als feuerſpeiender Berg unter den Belegen auch die Stelle von Giovanni Bottari angegeben: Montagne gettanti fuoco, che prima da’ Naviganti Por- toghesi e poi cumunemente da tutti Vulcani le appel- larono. Allerdings waren die kühnen katalaniſchen Seefahrer unter Anführung von Don Jayme Ferrer ſchon 1316 an den Rio de Ouro (Br. 18° 40°), weit ſüdlich vom Cabo de Non, wie 1365 nach dem Berichte von Villaut, Sieur de Bellefonds, franzöſiſche Seefahrer von Dieppe bis nach Sierra Leone (Br. 8° 30°) und der afrikaniſchen Goldküſte gelangt, aber dieſe Expeditionen im 14. Jahrhundert, auf welchen die Vulkane der kanariſchen und Kapverdiſchen Inſeln geſehen wurden, ſtehen vereinzelt da; erſt im 15. Jahrhunderte, als Jean de Bethancourt 1403 einen Teil der Kanarien eroberte, als durch die lange andauernden Bemühungen des Infanten Dom Heinrich, Herzogs von Viſeo, die berühmte Navigations- akademie zu Terça naval (Villa do Infante in Algarbien) 1418 geſtiftet, der vulkanreiche Archipel der Azoren 1432 ent- deckt und eine lange Reihe von Seefahrten längs der Weſt— küſte von Afrika eröffnet wurde, in welcher die von Alviſe Ca da Moſto 1454 nach der Mündung des Senegal und Diego Cam (Cao) mit Martin Behaim 1484 bis 1486 die wichtigſten waren, wurde die Kenntnis der vulkaniſchen Thätig— keit und ihrer ſo verſchiedenartigen Erſcheinungen weit ver— A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 33 — 514 — breitet und populär. Man fand ein Bedürfnis, ſich eines kurzen Ausdruckes für die Berge zu bedienen, in denen Vulkan hauſte. Der Gebrauch des Wortes Vulkan, welches A. W. von Schlegel von dem ſanskritiſchen ulka, Feuerbrand, Flamme, vorzüglich feuriges Meteor, abgeleitet hat (vgl. Pott, Ety— mologiſche Forſchungen T. I, 1833, S. 265 und Bopps Glossarium sanscritum 1847, p. 53), für den Berg ſelbſt ſteigt vielleicht nicht höher als 80 bis 90 Jahre vor der Entdeckung von Amerika auf. In allen Schriftſtellern der portugieſiſchen und ſpaniſchen Konquiſta wird das Wort durchgängig gebraucht als eine alte ganz gewöhnliche Be— nennung. Sahagun, Bernal Diaz, Gomara, Antonio de Herrera und viele andere nennen die feuerſpeienden Berge Volcanes de Mexico, de Quito, de Popayan. Auffallend iſt es, daß Bembo im Aetna dialogus, vielleicht aus ſtrenger Reinheit der Sprache, das Wort vulcanus nicht an— wendet. Wenn ich es vergebens geſucht habe bei Roger Baco, dem Kardinal d'Ailly (Petrus Alliacus), Gerſon, Vincentius Bellovacenſis und Dante, jo war es mir um ſo auffallender, im Albertus Magnus (der um 1190 geboren wurde) folgende Stelle (über den Bimsſtein) zu finden: „Inveniuntur lapides quidam tantae porositatis, ut natent super aquam, sicut lapides quos ejieit vulcanus“ (Liber de Mineralibus cap. VI, Tract. primi libri, ed. Venet. 1494). Hier iſt das mythiſche Weſen faſt mit dem Berge bildlich verwechſelt. Um die Gliederung und den inneren hiſtoriſchen Zu— ſammenhang unſerer geologiſchen Erkenntniſſe ſchärfer zu er— gründen, muß hier in Erinnerung gebracht werden, daß das Auffinden foſſiler organiſcher Meerprodukte, in den Geſtein⸗ ſchichten eingeſchloſſen, früh und faſt überall dieſelben Fragen hervorrief, deren voreilige Beantwortung noch ſichtbare Spuren in unſeren jetzigen ſyſtematiſchen Einteilungen und der wiſſen⸗ ſchaftlichen Nomenklatur gelaſſen hat. Es handelte ſich, wie bei Apulejus, um die Allgemeinheit der Deukalioniſchen Flut und ihre Wiederkehr, um das frühere Trockenlegen der höheren Erdteile und auf dieſen um die Entſtehung der älteſten Pflanzen: und Tiergattungen wie bei Trogus Pompejus,“ um die Wahr⸗ ſcheinlichkeit der Annahme einer keim- und mutterloſen Zeugung (generatio aequivoca, spontanea, primaria), welche ſelbſt in chriſtlichen Zeiten den großen Auguſtinus, Biſchof von Hippo,” beunruhigte, um die ſtrenge Scheidung von foſſilien— reichen ſekundären Geſteinsbildungen und den uranfänglichen ſtets foſſilienleeren, weil dieſelben ſchon zu einer Zeit erhärtet ſind, wo Erde und Meer noch ohne Pflanzen und Tiere waren. Von dieſen Fragen rief eine die andere hervor, und der ſcharf— ſinnige Forſcher, der die Verſchiedenheit der Foſſilien in auf— einander folgenden Schichten am lebhafteſten angeregt hatte, Nikolaus Steno, war auch der, welcher unter den ſechs von ihm angenommenen Epochen der Bodenbildung in Toskana die älteſte Bildung aus einem Urmeere ohne Organismen vor deren Entſtehung ſich niederſchlagen ließ, und hat ſo mit den ſpäteren Targioni Tozzetti und Lazaro Moro am meiſten zu der ſich zwei Jahrhunderte lang erhaltenden Nomenklatur uranfänglicher und darum notwendig verſteinerungsloſer Gebirgsarten beigetragen. In der Chronometrik der Erd— ſchichten, welche Hookes großer Geiſt ſchon geahnt hat, in der wir kühn neue Schöpfungen nennen die hiſtoriſchen Phänomene des Wechſels in den Organismen, habe ich, immer mehr und mehr den Eruptivcharafter des Granites und anderer endogener Gebirgsarten“ anerkennend, ungefähr ſeit dem Jahre 1825 und 1826, gegen die Zeit, als ich in Paris und Berlin mit Vorleſungen über den Kosmos beſchäftigt war, aufgehört, mich des Wortes uranfänglich zu bedienen. Die Zahl der Granite, Gneiſe, Glimmerſchiefer und Syenite, welche durch Auflagerung den entgegengeſetzten Charakter dar— bieten, hat ſich anſehnlich vermehrt (Kosmos Bd. I, S. 179). Wir finden nach Charpentier und Lardy am Nuffener Paſſe (Studer, Geologie der Schweiz I, S. 96) zwiſchen dem oberen Wallis und Kanton Teſſin granathaltige Glimmer— ſchiefer, eigentlich Kalkglimmerſchiefer mit Belemniten, wahr: ſcheinlich einen unkriſtalliſierten Liasſchiefer, wie nach Eſcher ein ganz ähnliches Vorkommen an der Furka und nach Studer am Berge Lukmanier (Studer I, S. 241 und 376), nach Dufrénoy in den Pyrenäen im Thal Viedeſſos Granit jünger als die Liasformation, ja ſelbſt bei St. Martin de le Gly jünger als Kreide, nach Guſtav Roſe, Ehrenberg und Humboldt im nördlichen Aſien, am oberen Irtyſch ſiluriſchen Schiefer bedeckend; denſelben nach Macculloch, Dechen und Murchiſon auf Arran auf foſſilreichen Sedimentſchichten ruhend, ohne den nahen Konglomeraten Granitgeſchiebe mitzuteilen; auf Sky am Ben⸗na⸗Charn Syenit auf Lias aufgelagert; nach Marzari Pencati das Kontaktphänomen eines ſyenitartigen Granites, der den Kalkſtein der Juraformation bei Predazzo bei der Kaskade von Canzacoli in ſaliniſchen Marmor verwandelt. — 516 — Die Auflagerung des Syenites und Granites bei Weinböhla und Hohnſtein auf Pläner und Quaderſandſtein in Sachſen iſt nach Naumann und Cotta jedenfalls durch eine Ueber⸗ ſchiebung des ſtarren Granites über die Schichten der Kreideformation entſtanden, und dürfte daher nicht ſowohl für eine neue Bildung des Granites, als vielmehr für das Er- eignis einer großartigen Dislokation nach der Kreide zeugen. Dagegen ſprechen die Erſcheinungen im Voigtlande und bei Strehla entſchieden für eine jüngere Bildung der dortigen Granite im Vergleich zu den angrenzenden Schiefern, gerade wie in Schottland, am Harze und am Irtyſch. Die ſchein⸗ baren Einflüſſe von Pläner im Granit von Zſcheila bei Meißen ſind von Gumprecht für ſpäte Ausfüllungen von Klüften und Höhlungen des weit älteren Granites erkannt worden. Die Abweſenheit foſſiler organiſcher Einſchlüſſe in erup- tiven endogenen Gebirgsmaſſen (plutoniſchen wie vulkani⸗ ſchen) berechtigt keineswegs zu dem Schluſſe, daß ihre Aus- brüche, d. h. ihre Erſcheinung an der Erdoberfläche, einer Zeit angehören müſſen, in welcher das organiſche Leben der Meer— und Landpflanzen, der Waſſer- und Lufttiere!? noch nicht erwacht war. Die Abweſenheit ſolcher Einſchlüſſe iſt Folge der endogenen Bildung in den heißen Tiefen der Erde, ſei der Ausbruch, die Erhebung auch neuer als alle Kreidetiere. „Allerdings muß, “wie ein geiſtreicher, vielumfaſſender Geo- loge ſagt, „mit Recht die ganze Reihe der ſedimentären Formationen doch zuletzt von etwas getragen werden; die älteſten aller eruptiven Bildungen müſſen eine Unterlage ge⸗ funden haben, über die ſie ſich ausbreiten konnten.“ Dieſe Unterlage kann freilich auch eine Granitſchicht ſein; aber kann man mit Gewißheit darthun, daß es eine von denen ſei, die ſich unſerer Beobachtung darbieten? Wir gelangen hier an die Frage, welche die indiſche Urmythe berührt, an die Frage: worauf, wenn ein Elefant die Erde trägt und er ſelbſt von einer Rieſenſchildkröte getragen wird, die Schildkröte ruht? Es iſt wahrſcheinlich, daß überall dieſelbe plutoniſche Gebirgs— art (Granit, Gneis, Glimmerſchiefer, Porphyr) die Unter⸗ lage, nicht die Aſſociation derſelben Mineralſpezies ſei. Foſſilfreie Schichten ſind nicht notwendig prozoiſch, vor dem Erwachen des organiſchen Lebens in azoiſchen Zeiten gebildet. Die älteſten der unterſiluriſchen Schichten, die von Bray Head und Wicklow in Irland, welche man ehemals würde kambriſch genannt haben, umwickeln einen Zoophyten 0 ae Oldhamia, nach feinem Entdecker, Profeſſor Oldham, benannt,“? von faſt gleich hohem Alter, aber, wenngleich minder all⸗ gemein, ſelbſt in die obere ſiluriſche Formation übergehend, ſind ſie Graptholithen.! Naumann äußert ſich alſo in einem Briefe an mich mit dem ihm eigenen Scharfſinn und mit lobenswerter Vorſicht über das, was man primitive Formation nennen kann: „Ob eine ſolche,“ jagt er, „gegen— wärtig irgendwo ſichtbar zu Tage austritt, aus welchen Geſteinen ſie beſteht und wie ſie gebildet werden? ſind ſchwer zu löſende Fragen. Es iſt möglich, daß ein Teil der ge— ſchichteten kriſtalliniſchen Silikatgeſteine (Gneis, Glimmer- und Hornblendeſchiefer) wirklich für primitiv zu halten ſind; es iſt aber gewiß, daß ganz ähnliche Geſteine von weit neuerer Bildung vorhanden ſind. Weil dieſe letzteren teilweiſe me: tamorphoſiert ſind, ſo hat man auch die erſteren dafür erklären wollen. Es gehört nun einmal zu den Wagniſſen der Geognoſie, überall ſogleich die Geneſis der Dinge erklären zu wollen.“ Die vormals uranfänglich genannten Gebirgsarten, Granit, Gneis und Glimmerſchiefer, nach meinen Erfahrungen vorzugs— weiſe die erſtere, bewahren in der bei weitem größeren Zahl der Fälle ihres Hervortretens, ſelbſt da, wo ſie ſehr neue Sedimentſchichten durchbrechen, ihren weſentlich plutoniſchen Eruptivcharakter. Am vollkommenſten iſt dieſer von Leopold von Buch, Hausmann, Murchiſon und Kjerulf im ſüdlichen Norwegen unbezweifelt beobachtet worden; aber es gibt auch, wenngleich ſparſam, in beiden Kontinenten Oertlichkeiten, in denen Glimmerſchiefer und Syenit als umgewandelte (meta— morphoſierte) ſiluriſche, devoniſche und ſogar ſpätere Sedi— mentſchichten erkannt werden. Selbſt in dieſer Schrift, in welcher Anhäufung von unter ſich analogen Einzelheiten vermieden werden muß, iſt mehrmals von einem ſolchen zwei— artigen Auftreten der plutoniſchen Formation die Rede geweſen. Hier genügt es, an die Zeugniſſe geübter Beobachter, Char: pentier, Eſcher und Brochant für die Schweiz, von Deleſſe und Elie de Beaumont für die Vogeſen, von Friedrich Hoff— mann für das Fichtelgebirge zu erinnern. In dem nördlichen Aſien, in dem Teile des Altai, welcher ſich vom ſchönen See von Kolywan durch die Platowsker Steppe über Buchtarminsk und Narym nach dem chineſiſchen Wachtpoſten Baty hin er- ſtreckt, ſieht man überall die Granite ganz unbegleitet von Gneis oder Glimmerſchiefer auftreten. Unter welchem Drucke, — 518, — bei welcher Höhe der Temperatur von mit Säuren geſchwängerten Dämpfen, oder ob in trockenem Erglühen dieſe Umwandlungen Hatigefunden haben? wie oft ohne Aufnahme neuer Stoffe, bloß durch Veränderung der Aſſociation der vorher ſchon vor— handenen Beſtandteile die Metamorphoſe vorgeht? leitet auf Fragen, zu deren allmählicher Löſung durch Anführung analoger Prozeſſe der wichtige und wohlthätige Einfluß der Chemie auf die Geognoſie nahe Hoffnung gibt. Was man unter allen Zonen im ſiluriſchen und devoniſchen Sediment Thonſchiefer— geſtein vorgehen ſieht, bietet nie erkennbare Vorſtufen ſolcher Erscheinungen dar, beſonders wenn der Thonſchiefer (von ein— geſchloſenen Lagern iſt hier keine Rede) in feinem inneren Gewebe mit Kalkteilen gemengt wird, viel Glimmer und durch Imprägnation mit Feldſpat (Fournets Feldſpatiſation) eee Chiaſtolith, Quarz, mehr oder weniger kohlen— haltigen Lydit!“ (Kieſelſchiefer) und Quarzmaſſen aufnimmt, in der Nähe eruptiver Porphyre ſelbſt porphyrartig wird, ſich (durch Verwitterung?) in zelligen Mandelſtein verwandelt, ja durch eingewachſene Uralitkriſtalle, die oft einen Kern von Augit haben, minder blätterig in grünen Schiefer übergeht. Ein großes Licht hat auf dieſe Metamorphoſen geworfen die glückliche künſtliche Hervorbringung einzelner Mineralkörper, der Zinn und Titanoxyde, des Apatits und der Topaſe von Daubree, des Rubins von Gaudin, des Korund und Berylls durch den ſcharfſinnigen Ebelmen, der kleinen Quarzkriſtalle und des Korund wie 28 anderer Stoffe, die auf Gängen vor— kommen, von H. de Senarmont auf naſſem Wege, der früheren trefflichen Arbeiten von Mitſcherlich, Berthier, Guſtav Roſe, Haidinger und Blum!“ nicht zu gedenken. Ehe wir zu der ſpeziellen Angabe der Gebirgsarten über: gehen nach ihren vier Entſtehungs- und Bildungsformen, als endogenen, vulkaniſchen oder plutoniſchen Eruptivgeſteins, als Sedimentſchichten, als umgewandelten oder metamor— phoſierten und klaſtiſchen Konglomeratgeſteins, wollen wir noch einige Allgemeinheiten vorausſchicken, Anſichten der ver⸗ gleichenden Geologie,“ welche der Anblick ſehr verſchieden— artiger Teile der Erdfläche in dem Beobachter hervorruft. Es ſind zuvörderſt zu unterſcheiden in den nicht einfachen Gebirgs— arten die beſtimmten, immer wien Aſſociationen ge— wiſſer Mineralſpezies von den Lagerungsverhältniſſen (Ver⸗ hältniſſen der Reihung), in denen die zuſammengeſetzten Gebirgs— arten untereinander oder zu einfachen Gebirgsarten auftreten. — 519 — Die Identität der Aſſociation in der Gebirgsart iſt nicht mit der Identität der Reihung ſelbſt zu verwechſeln. Die letztere beſtimmt einen der Hauptcharaktere von Formationstypen; ich ſage gefliſſentlich einen der Hauptcharaktere, denn ein ebenſo wichtiges Kennzeichen iſt bei petrographiſcher Aehnlichkeit ein— zelner ſiluriſcher, devoniſcher oder ſpäterer Sedimentſchichten die Identität eingeſchloſſener organiſcher Gebilde. Eine ſolche Identität führt auf den Begriff der Gleichzeitigkeit der Entſtehung. Weſentliche Verſchiedenheit der Foſſilien trennt Formationen, welche petrographiſch ſehr gleich ſind. Merk— würdig iſt es, daß, um faſt anderthalb Jahrhunderte von— einander getrennt, Steno einerſeits und William Smith, Lamarck und Brogniart auf der anderen Seite die Formationstypen vorzugsweiſe nach den organiſchen Einſchlüſſen, dagegen Leh— mann (1756), Füchſel (1762) und Werner (1774) dieſe Typen ſcharf aber unvollſtändig nach Lagerungsverhältniſſen beſtimmten. In den mittleren Sedimentſchichten zwiſchen der Kohlenformation und dem Muſchelkalk, von welchem die Jura— formation 1795 bis 1799 noch nicht (Kosmos Bd. IV, S. 458) getrennt wurde, führten beide Einteilungsgründe (der wiederholt beobachteten regelmäßigen Auflagerung, ſelbſt da, wo einzelne Glieder nicht ausgebildet waren, und der organiſchen Einſchlüſſe) ungefähr zu denſelben Reſultaten; ein Zeichen, daß zu denſelben Zeitepochen ſehr ähnliche Bedingungen des Druckes, der Temperatur, der lokalen chemiſchen Beſchaffenheit einer abſetzenden Flüſſigkeit eine gewiſſe Uebereinſtimmung petrographiſcher Struktur veranlaßten. Lehmann unterſchied zuerſt Flöz⸗ und Ganggebirge, unter dem letzteren unbeſtimmten Namen plutoniſche Eruptivgebirge verſtehend. Füchſel und vorzüglich mein großer, aber doch in ſeinem Geſichtskreis be— ſchränkter Lehrer (Werner) haben ſich das glänzende Verdienſt erworben, den Begriff einer Formation in die Wiſſenſchaft recht eigentlich eingeführt zu haben. Leider hielt Werner, was er Geologie nannte, für den träumeriſchen Teil ſeiner Geognoſie. Wie in den einzelnen Gebirgsarten, welche Teile des feſten Erdkörpers ſind, nach der Natur ihrer Beſtandteile oder nach der Aſſociation derſelben Mineralſpezies unter den verſchieden— ſten Breiten⸗ und Längengraden ſich vollkommen gleich bleiben (Stücke granathaltigen Glimmerſchiefers, körnigen Labradors, Hyperſthenfelſes oder Phonolithes von der Andeskette ſind nicht von denen Mitteleuropas und Nordaſiens zu unterſcheiden), — 520 — ſo bleiben ſich auch gleich die Uebergänge ineinander und die Lagerungsverhältniſſe ganzer Gebirgsſchichten, der Aggregat⸗ zuſtand identiſcher, ſehr zuſammengeſetzter Formationen in dem ſiluriſchen Syſteme, der Trias, der kretaciſchen und Neokom⸗ bildung. Eine ſolche Beſtändigkeit in der Ueberein— ſtimmung (association constante) gewährt z. B. in der Beobachtung allmählicher Uebergänge der Gebirgsarten durch innere Entwickelung! auf weiten Reiſen oft den überraſchendſten Eindruck. Fremde Geſtalten des Pflanzen- und Tierlebens bedecken einen Boden, der durch ſeine petrographiſche Beſchaffenheit das Andenken an das Heimiſche freudig zurück— ruft. Eine ſolche Allverbreitung und Identität der Zuſammen⸗ ſetzung und Gliederung mahnt an eine Entſtehungszeit, in welcher der geſpaltene und ſich erhärtende Planet ſich ſeine Klimate ſelbſt gab, faſt unabhängig von der Stellung einzelner Erdzonen gegen die Sonne als Centralkörper. In zuſammengeſetzten Formationen ſind die einzelnen Glieder, aus denen ſie beſtehen, entweder identiſch oder parallel, d. i. erſetzen, da wo einzelne weſentliche Schichten unterdrückt oder ausgefallen ſind. Zu unter⸗ ſcheiden iſt bei dem petrographiſchen Wechſel aufeinander ge: lagerter heterogener Schichten der allmähliche Uebergang (man könnte ſagen das Präludieren einer großen Veränderung), oder der Wechſel, die Alternanz, periodiſche Wieder⸗ kehr petrographiſch abſolut getrennter Schichten. Das Prälu⸗ dieren großer Veränderung, der Nähe einer verſchiedenartigen Schicht beſteht nicht immer in innerer Veränderung der Be- ſtandteile, ſondern in der Frequenz, eingeſchalteter Lager, die ſich im unveränderten Geſtein ſo oft wiederholen, bis ſie das Lagergeſtein, die ganze aufliegende Gebirgsart ſelbſt bilden. Wo Gneisgebirg ohne eingeſchloſſene Granitlager auf Granit folgt, wird dieſe Folge oft durch große Frequenz von Gneis— lagern im Granit verfündigt. '° Das merkwürdigſte Beiſpiel der periodiſchen Wiederkehr, des Abwechſelns ganz hetero— gener Schichten hat mich in der mexikaniſchen Hochebene, nordweſtlich von Guanaxuato auf dem Wege nach Ovejeras in Erſtaunen geſetzt, wo mehrere tauſend Schichten ſchwärz— lichen Grünſteins mit ebenfalls nur 14 bis 16 Zoll mächtigen, weißlichen und ſehr quarzreichen Syenitlagen abwechſeln. In dem Syenit ſetzen Gänge von Grünſtein, im Grünſtein oft Gänge von Syenit auf.!“ In einer verwickelten Reihenfolge von exogenen Formationen iſt zur ſicheren Beſtimmung des 5 relativen Alters und der Independenz einer Formation don großer Wichtigkeit das Auffinden einer Schicht, die weit verbreitet iſt und zum geognoſtiſchen Horizonte dienen kann. Eine ſolche Schicht, deren Identität am ſicherſten durch organiſche Einſchlüſſe (Leitmuſcheln) feſtzuſtellen iſt, entſcheidet vorzugsweiſe da, wo in verſteinerungsleeren Schichten ver⸗ ſchiedenen Alters große petrographiſche Aehnlichkeit herrſcht.?“ Formationstypeu. Wir fahren fort nach denſelben Grundſätzen die endogen— eruptiven Formationen, und zwar ſowohl die plutoniſchen (Diorit, Syenit, Granit, Porphyr, Hyperſthen) als die echt vulkaniſchen Gebilde (Baſalt, Phonolithe, Mandelſteine und Trachyte, letztere aus Gipfelkratern wie in der Ebene aus alten Erdſpalten ergoſſen), aufzuführen. Dieſen eruptiven Formationstypen laſſen wir zunächſt folgen die metamorpho⸗ ſierten Gebilde, nämlich die kriſtalliniſch ſiluriſchen und de— voniſchen Schiefer, welche zuerſt zu Talk und Glimmerſchiefern, und aus letzteren zu Gneis umgewandelt ſind, dann Sedi— ment⸗ und Flözformationen, wie alle, hier nur ganz objektiv betrachtet nach der petrographiſchen Aſſociation ihrer Beſtandteile, nicht nach ihrer Alters- und Entſtehungs— folge, weil dieſelbe Aſſociation beſonders bei endogenen For: mationen trotz des ſehr verſchiedenen Alters der Durchbrüche mineralogiſch doch identiſch iſt, während daß der Freund, dem ich ſo oft und gern folge, Guſtav Roſe, in dem Eingange ſeiner geologiſchen Vorleſungen von 1854 die geſamten endo— genen Gebirgsarten in vier Gruppen teilte, in die Granit⸗-, Grünſtein⸗, Trachyt⸗ und Baſaltgruppe, erkennbar einſchließend Kriſtalle von Feldſpat, Oligoklas, Kali⸗ und Magneſiaglimmer, Hornblende, Augit, Labrador, Leucit, Nephelin u. ſ. w. Die Metamorphoſe, welche die kriſtalliniſchen Schiefer, beſonders die Gneisbildung, hervorbringt, bietet große Schwierig— keiten dar; jo wie Eindrücke, welche die leichtflüſſigeren Feld: ſpatkriſtalle in dem ſtrengflüſſigeren Quarz hinterlaſſen,? und wo Granit neben dem Gneis hervorbricht, ſieht man wohl auch den Granit faſerig werden und ſcheinbar in Gneis über— el Da plutoniſche Gebirgsarten (Granite, Syenite und Quarzporphyre) von ganz gleichen Beſtandteilen ein ſehr ver: ſchiedenes relatives Alter haben, ſo veranlaßt das Hervortreten (Ausbrechen) endogener Gebilde eine große Komplikation in "90 — 2 — dem Verſuch einer Anreihung nach Altersfolge, der der ver— ſteinerungsvollen Flözſchichten ähnlich. Auffallend iſt es, daß die älteren und neueren endogenen (plutoniſchen und nicht⸗ vulkaniſchen) Gebirgsarten dieſelben Mineralien als die vulfa- niſchen einſchließen. Die Granitgruppe z. B. enthält Feldſpat, Oligoklas, Glimmer und Hornblende, wie jo viele Trachyt⸗ formationen, die Grünſteingruppe Labrador und Augit; denn der Hyperſthen iſt ja doch nur eine Abänderung des Augites. Die Oligoklaſe der älteren Geſteine ſind gefärbt und nur an den Kanten durchſcheinend, während die neueren ungefärbt, glaſig und kalkhaltiger als der Oligoklas des Granites ſind, weshalb (ſetzt Guſtav Roſe ſehr richtig hinzu) nur eine geo- gnoſtiſche Einteilung der Gebirgsarten, nicht eine chemiſche, wohl begründet iſt. Albit iſt in keiner Gebirgsart als Gemeng⸗ teil enthalten; wo man ihn alſo aufführt, hat man ihn mit Oligoklas verwechſelt. Granit und eine Abänderung desſelben, als Granitit aufgeführt. Die meiſten Granitablagerungen, ſagt Karl Friedrich Naumann in ſeinem klaſſiſchen Lehrbuch der Geognoſie, ſind offenbar von neuerer Entſtehung als die ſiluriſche und die devoniſche Formation. Einige wenige derſelben finden ſich in Cornwall und auf der Inſel Arran, ja am Harze, wo Murchiſon den Granit Kalkſteinfragmente mit organiſchen Ueberreſten hat einſchließen ſehen. Granit hat Roſe vom Granitit abgeſondert. Es be— ſteht der Granit aus Feldſpat, gewöhnlich ſchwarzem oder gelblich-weißem, graulich-weißem Quarze, ſchwärzlich-braunem Glimmer und weißem Kaliglimmer, und dem Feldſpat an Größe nachſtehenden Oligoklaskriſtallen. Im Granitit fehlt der weiße Kaliglimmer, und der Feldſpat iſt gewöhnlich von roter Farbe. Unweſentliche Gemengteile des Granites ſind Granat, Zirkon, Cordierit, Nephelin, Bucklandit, Titanit, Eiſen⸗ und Molybdänglanz. Hornblende iſt, wenngleich unweſentlich, doch häufiger im Granitit als Granit. Der Granitit, leichter in ein porphyrartiges Gebirge übergehend, bildet die Haupt⸗ maſſe des Rieſen- und Iſergebirges von Kupferberg bis Reichenberg. Wo er an den Granit grenzt, iſt er ſcharf von ihm geſchieden und nie in ihn übergehend. Der Granit mit beiden Glimmerarten iſt im Rieſengebirge ſehr untergeordnet, — 523 — nur an der Sudweſtfeite des Granitit vom Schwarzbrunner Berge im Oſten von Gablonz bis nach Reichenberg, auch im Harz den Brocken bildend, während am Ramberg und Ziegen— rücken Granit mit Kaliglimmer anſteht. Am Lago Maggiore in der Lombardei bricht die ſchöne Abänderung des Granitites mit fleiſchrotem Feldſpat, ſchneeweißem Oligoklas und ſchwärz— lich-grünem Glimmer. Der Granitit von Conquet, den ich im Meerbecken von Breſt geſehen, iſt der ſchönen Abänderung von Warmbrunn in Schleſien ſehr ähnlich. Wir haben hier geſchildert den eigentlichen Granit. Das merkwürdige Granititgeſtein, welches mauerartig den maleriſchen Kolywanſchen See umgibt, iſt auch durch ſeine rötlich-weißen, 1 bis 2½ Zoll großen Feldſpatkriſtalle, wie durch lauchgrünen und ſchwarzen Glimmer charakteriſiert, mit etwas Hornblende und Titankriſtallen. Es wird nördlich gegen Barnaul hin durch Hornſteinporphyr, in Süden gegen Schlangenberg zu durch Porphyrkonglomerat begrenzt. Der Granitit iſt dort mauerartig in faſt horizontalen Bänken von wenigen Zollen bis 3 Fuß (1 m) Mächtigkeit abgeteilt. Dieſe unverkennliche Abteilung eines gar nicht gneisartigen Granitites rief mir die Beobachtungen zurück, welche ich faſt 30 Jahre früher in Südamerika in den Küſtenſchichten von Venezuela (Caracas) über geſchichteten Granit gemacht. Da auch andere merkwürdige phyſikaliſche Erſcheinungen, wie die heißen Granit— quellen, damit zuſammenhängen, ſo will ich hier folgendes meinem Tagebuche entlehnen: „Um aus dem reizenden Valles de Aragua von den Ufern des Sees Tacarigua (Laguna de Nueva Valencia) an die Seeküſten des Antilliſchen Meeres, zu den Aguas calientes de las Trincheras zu gelangen, ſteigt man gegen den Hafen von Portocabello ununterbrochen herab. Der ſenkrechte Niveau— unterſchied, barometriſch gemeſſen, beträgt aber nur 222 Toiſen (423 m). Der Bach de la Trinchera hat ſeine Benennung von den Spuren der alten Befeſtigungen, welche die franzöſi— ſchen Flibuſtier 1677 aufführten, als ſie die Stadt Nueva Valencia plünderten. Der Bach iſt in der Zeit der größten Trocknis noch 2 Fuß (60 em) tief und 18 Fuß (6 m) breit. Die Temperatur des Waſſers war 90,3“ des hundertteiligen Thermometers, nach Bouſſingault aber im Jahre 1823 97°, und hier iſt die höhere Temperatur die ſichere Beſtimmung. Nach den Quellen von Urijino in Japan (von 80“ Reaumur) iſt dieſe Granitquelle de las Trincheras de Portocabello wohl die heißeſte. Die Waſſer find ſtark (2) mit geſchwefeltem Waſſerſtoffgas gemiſcht, und entſpringen auf einem Hügel, der ſich etwa 150 Fuß (48 m) über den Boden der Schlucht erhebt. Sie laufen gegen Nordweſt. Man muß vermuten, daß ſie früher mit Kalkſtein in Berührung waren, denn wo ſie verdampfen, hinterlaſſen ſie kalkartige (2) Inkruſtationen. Vielleicht ſind ſie mit den körnigen Kalkſteinlagern (2) in Kontakt geweſen, die den Glimmerſchiefern ſo eigentümlich ſind. Wir waren erſtaunt über die Anmut und den Luxus einer Vegetation von Arum, Fikus- und Cluſiagarten, deren Wurzeln von Waſſer zu 85° bis 79° Temperatur benetzt wurden, während daß dieſelben Spezies kaum 40 Fuß (13 m) entfernt in einem feuchten Boden zu kaum 18“ Temperatur vegetierten. Ganz nahe bei dieſen 90° heißen Quellen ent: ſpringen andere, ganz kalte. Die Eingeborenen, welche dieſe Quellen als Heilmittel benutzen, konſtruieren ſich mit rankenden Lianen eine Art Gitterwerk, auf das ſie ſich nackt einige Fuß über der Oberfläche des Waſſers lagern. Die Aguas cali- entes, mehrmals geſtauet, bilden nahe an den Küſten bei ihrem Ausfluß ein von Cecropien und der niedrigen Cocos aculeata Jag. umgebenes krokodilreiches Baſſin. Der Granit der Trincheras ſtreicht N. 52° Oſt und fällt mit 30° bis 40° gegen Nordweſt. Er hat zolllange Kriſtalle von rötlichem Feldſpat und ſchwarzem Glimmer. Er iſt in parallele Bänke von 2 bis 3 Fuß (0,6 bis Im) Dicke geteilt und von groß: körnigem Gefüge, am ſichtbarſten bei der Venta de Cambury, auch Casa de Islenga genannt. In der Nähe ſtand ein ſchöner blühender Stamm Parkinsonia aculeata, wahrjchein: lich Reſt einer alten indiſchen Pflanzung (Conuco); denn Plumaria und Parkinsonia haben wir nie in dieſem Teile von Südamerika in wildem Zuſtande geſehen. Bald darauf gelangten wir in die Küſtenvegetation von Avicennia und Rhizophora Mangle. Beim Herbariſieren fanden wir an einem blütenreichen Orte den Leichnam eines nur 9 Fuß (3 m) langen Krokodiles. Der ſcheußliche Moſchusgeruch, welchen der Leichnam verbreitete, hinderte uns, den Rachen und die Zähne genau zu unterſuchen. Nahe am Litorale er— ſchien der, in Schichten geteilte, körnige Granitit am Flußufer noch einmal.“ Wenn Bouſſingaults Thermometerbeobachtung 1823 faſt 7° höhere Temperatur gab als die meinige von 1800, jo tit die Urſache davon bloß in dem lokalen, zufälligen Zuſtrömen — 525 — von kälterem Waſſer zu ſuchen. Eine merifanifche heiße Quelle nördlich von Guanaxuato, bei Chichimequillo, wo ſäulen— förmiger Porphyr auf Syenit aufgeſetzt iſt, im Baſaltkon— glomerat ausbrechend, die Aguas calientes de Comangillas, habe ich zu 36,3“ gefunden, alſo bis auf 0,7“ Cent. der An— gabe von Bouſſingault für las Trincheras gleich. Die lange, faſt wunderſame Erfahrung, welche man in Europa von der Unveränderlichkeit der Temperatur und der chemiſchen Zuſammenſetzung der Thermalquellen hat, und neue ſehr befriedigende Erläuterungen, ?? die ich meinem berühmten Freunde über die lokalen Verhältniſſe der Aguas calientes de las Trincheras verdanke, machen es mir jetzt ſehr wahrſchein— lich, daß in 23 Jahren, von 1800 bis 1823, nicht durch Vor— gänge im Tiefſten der Erde die Waſſer ſich um 7° Gent. mehr erhitzt haben, ſondern daß die Temperatur von 90,3“ Cent., die ich angab, ſtatt der 97°, welche Bouſſingault ſpäter fand, durch einen Zufluß kälteren Waſſers veranlaßt wurde, aus ſehr oberflächlichen Nebenklüften, welche in der den Erderſchütte— rungen ſo oft ausgeſetzten Gegend ſich öffnen und ſchließen. Die Eingeborenen haben mich ſelbſt darauf aufmerkſam ge— macht, daß ſie ſich ihre Bäder durch Zuführung kalter Quell— waſſer aus der Nähe in Temperatur nach Willkür vermindern können. Auch erſehe ich aus dem neueſten Briefe von Bouſſin— gault, daß, da 1823 die Temperatur des erſten Beckens um volle 4,8“ Cent. niedriger war, die des zweiten Beckens doch 2,9“ höher als die Temperatur war, welche ich irrig für die der ganzen Quelle ausgab. Als wir uns auf unſerer ſibiriſchen Expedition von Tobolsk und Kainsk nach dem Altai begaben, gelangten wir an den Kolywanſchen See. Von dieſem, mit horizontalen Granitmauern umgebenen See bis zur chineſiſchen Dſungarei, ja bis zum Dſaiſangſee gegen Südoſt, in 150 geogr. Meilen (1100 km) Entfernung, erſtreckt ſich die Granitbedeckung mit der Geſtaltung eines Eruptivcharakters, wie ich dieſelbe nur in dieſem Teile von Centralaſien geſehen habe. Es erheben ſich weit über die Platowſche Steppenebene hinaus in Oſten, oft gereiht und alſo wohl auf Erdſpalten ausgebrochen, teils kleine koniſche Hügel von mehreren hundert Fußen, beſonders gegen die Senaja Sopka hin, teils zerſtreute, ſehr kleine, viel— geſtaltete Felsmaſſen, kaum 10 bis 12 Fuß (3,25 bis 3,9 m) hoch (Roſe, Uralreiſe Bd. I, S. 524), in Form von Al— tären, burgartigen Ruinen und aufgerichteten Geſchieben. En — Solche niedrige Felsgruppen, zwiſchen denen Maſſengruppen ſtehen, bilden die Landſchaft auf vielen chineſiſchen Tapeten von ſehr geringem Werte. Die Felſen ſind oft nicht zweimal höher als die muſikmachenden und theetrinkenden Menſchen— gruppen, die Rinder kleiner als die Felſen. Die Maler, welche die Zeichnungen zu ſolchen Tapeten anfertigten, mögen durch den Anblick ähnlicher Felsgegenden inſpiriert worden ſein. Bisweilen erſcheinen die Ebenen wie ein vulkaniſches Trümmer: land, in dem die Lavaſchichten aufgerichtet waren, alles, was wir unterſuchen konnten, war anſtehender Fels, mit unterem Geſtein zuſammenhängend. Der merkwürdigſte Granitkegelberg, den ich je geſehen habe und der mir einen tiefen Eindruck gelaſſen hat (meine Zeichnung iſt für Roſes Reiſe Bd. J, S. 584 geſtochen worden), endigt auf zwei Seiten mit zwei flachen, aber ſenkrecht an den Enden abgeſchnittenen Ver— längerungen, als wären es Seitenergießungen. Dieſer Kegel— berg, gewöhnlich Mochnataja Sopka, kirgiſiſch Biritau genannt, etwa 1400 Fuß (450 m) hoch über der Steppe, liegt im Norden von Buchtarminsk. Ich habe ihn erſtiegen und im oberen Teile in der Länge ausgedehnt gefunden von SW nach NO. Der Biritau iſt, wie alle anderen Granitkuppen dieſer Gegend, in horizontale Bänke abgeſondert, ebenſo die Granit— wände des Feſtungsgrabens in Buchtarminsk, aus denen Gänge in den Thonſchiefer auslaufen, welche das Quergeſtein glimmerreich machen, als Kontakteinwirkung. Als wir von dem chineſiſchen Wachtpoſten Baty (mandſchuriſch Chonim ai— lachu) zurückkehrten, ſchifften wir uns in Buchtarminsk ein auf gekuppelten und darum ſchwer landenden Booten. Auf der Schiffahrt zwiſchen Buchtarminsk und Uſt-Kamenogorsk iſt das Flußbette des großen Irtyſchſtromes ſo tief eingeſchnitten, daß in dem deutlichſten Profile am rechten Ufer die Auf— lagerung der Granitbänke auf dem Thonſchiefer ſichtbar wird. Ich habe zwei meiner Zeichnungen dieſer Profile ſtechen laſſen (Roſe, Ural und Altai, S. 611 bis 613). Renovantz und Hermann haben dieſelbe geologiſche Erſcheinung vor uns ge— ſehen, der letztere aber ſcheint, wahrſcheinlich aus Ehrerbietung vor der Uranfänglichkeit des Granites, faſt an dem zu zweifeln, was er geſehen. Stundenlang iſt bei der Flußſchiffahrt die Ueberlagerung des in Bänke abgeteilten Granites über den faſt ſenkrecht einſchießenden Thonſchiefer deutlich ſichtbar. Mein Reiſebegleiter Guſtav Roſe ſagt ſehr wahr in ſeinem Tage— buche: „Der Thonſchiefer hat unter dem faſt horizontalen — 527 — Granite eine wellige Oberfläche, erhebt ſich bisweilen wohl 50 Fuß über den Waſſerſpiegel des Irtyſch, bald ſenkt er ſich bis auf einige Fuß zum Waſſer herab, und die ganze Auf— lagerung würde bei einem etwas höheren Stande des Waſſer— ſpiegels gar nicht zu ſehen ſein. Alle dieſe wichtigen geo— logiſchen Erſcheinungen ſind nur ſichtbar in dem rechten Irtyſchufer, das linke Ufer, gleich ſteil und hoch, beſtand nur aus Thonſchiefer, ohne weder Ueberlagerungen noch Granit— gänge im Thonſchiefer zu zeigen. Wäre der Fluß nicht da, um das Bette einzuſchneiden an der Grenze der beiden Ge— birgsarten, ſo wäre hier das ganze Phänomen unbekannt ge— blieben.“ Nach der Mitte des Weges von Buchtarminsk nach Uſt⸗Kamenogorsk hören die Granitfelſen und Kuppen ganz auf, ſichtbar zu werden. Der Thonſchiefer, welcher nach Geblers gründlichen Unterſuchungen in Chlorit und Talkſchiefer um— gewandelt wird zwiſchen den Flüſſen Aigert, Topolowka und Akem, nimmt ſowohl in Norden als in Süden der ätnahohen Gipfel von Katunja und Belucha ein Areal von 160 geogr. Quadratmeilen (8800 qkm), alſo einen 2½ mal größeren Flächenraum als das ganze Harzgebirge, ein. Zu derſelben metamorphoſierten Formation von kriſtalliniſchen Schiefern ge— hören die Schneealpen des Kholſum, von denen man an einem Punkte des ſchönen Thales der Bereſowka 17 ſchneebedeckte Hörner auf einmal erblickt. Auch die große Seltenheit des Gneiſes neben dem ſo häufigen Granit des Kolywaner Sees und in der chineſiſchen Dſungarei, wo man an dem rechten Ufer des Narym, von einer Unzahl kleiner Granitkegel be— gleitet, ſchmale lavaartige Granitmauern in die Ebene hervor- treten ſieht,? iſt ein auffallendes geognoſtiſches Phänomen. Die Granitmauern ſetzen allein fort und nehmen an Höhe ab, ja wo wir ſie unterſuchen konnten in abgerundeten Formen, fanden wir ſie in einen feinkörnigen Diorit übergehend, ganz dem Diorit ähnlich, welchen wir am oberen Irtyſch zwiſchen Sewernoi und Tekliſtowsk wahrgenommen hatten. Schon vor Uſt⸗Kamenogorsk hörten alle anſtehenden Felſen an den flachen Irtyſchufern auf. Die geſchilderten Verhältniſſe und ihre Analogie mit den Harzverhältniſſen, welche auf den Zuſammenhang devoniſcher Schiefer mit dem Brockengranit führen, erinnern faſt unwill— kürlich an die problematiſche Natur des Thonſchiefers im öſt— lichen Teile des Altai. Wenn man berechtigt wäre, auch ohne ſchon erlangte — 528 — Kenntnis der eingeſchloſſenen Organismen, jeden Ueber⸗ gangsthonſchiefer, der in Grauwacke, Talk und Chlorit: ſchiefer übergeht, ſiluriſch zu nennen, ſo würde ich nach Ana⸗ logie des Harzes den Thonſchiefer des öſtlichen Altai für devoniſch halten, mannigfaltig von Granit⸗ und Quarzporphyr⸗ gängen durchſetzt, und die Einwirkung des Kontaktes hat hier durch gefärbte Streifung zur Steinſchleiferei Anlaß gegeben, welche herrlichen Granit und weiße Marmortafeln verarbeitet, den geſtreiften, jaſpisartigen Augitporphyr von Tſcharyſch, den grünen Porphyr der Rewennaja Sopka, den Aventurin von Bjelorezkaja, den roten und variolithiſchen Porphyr vom Korgon, dem antiken roten Porphyr und dem Elfdaler Porphyr ver⸗ gleichbar und die Paläſte in Petersburg ſchmückend. [Der Tod des großen Autors hat den Faden dieſes Werkes abgeſchnitten. S. die weiteren Worte am Ende der Anmerkungen S. 537. E. B.] unn Anmerkungen. (S. 509.) Apuleji Opera omnia rec. ©. F. Hilde⸗ brand (1842) T. II, p. 534: „Eo in tempore, quo me non nega- bunt in Gaetuliae mediterraneis montibus fuisse, ubi pisces per Deucalionis diluvia reperientur.“ (De Ma gia liber cap. 41.) (S. 510.) Pluto, nach dem orphiſchen religiöſen Ideenkreiſe auch Hades genannt, hatte die Schlüſſel der Erde in ſeiner Gewalt, um als Urheber der Fruchtbarkeit das Jahr mit Früchten zu ſegnen. Er iſt Vorſteher alles im Erdinnern verborgenen Reichtums, ſo daß auch das Getreide, als Gabe des Hades, aus der Unterwelt dem erſten Menſchengeſchlechte heraufgeſendet wurde. (S. 511.) „Soweit meine Nachforſchungen reichen,“ ſagt Böckh, kann man keineswegs beweiſen, daß die Benennung ILobto für Hades älter ift als die Annahme des Gottes III od ros; vielmehr ſcheint es wirklich umgekehrt. Plutos, der Sohn der Demeter und des Jaſios, erſcheint ſchon in Heſiods Theogonie Vers 969 auf dreimal umackertem Felde im fruchtbaren Kreta ſalſo deutlich in Beziehung auf den Ackerbau, der den Reichtum gibt). Auch im Homeriſchen Hymnus auf Demeter kommt Plutos als Gottheit vor. (S. 512.) Die fälſchlich ſo genannten Naturſpiele (Adleraugen, Brillen⸗, Nieren, Knollen⸗ und Zungenſteine) ſind unter dem Namen von Morpholithenbildungen ein Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Unterſuchungen meines ſcharfſichtigen Freundes Ehrenberg geweſen. Nach ihm ſind dieſe Bildungen, zu denen auch die Abſonderung des Baſalts in gegliederte Säulen: gruppen gehört, amorphe, unorganiſche, den Kriſtallen völlig un- ähnliche, aber ebenſo wie dieſe geſetzmäßige Formen mit Bildungs: achſen und krummen Flächen, und daher mit den organiſchen ſich nähernden Formen. Die von Ehrenberg 1839 mit dem Namen Morpholith belegten Bildungen ſind oft irrig mit Mollusken und Polythalamien verwechſelt worden. (S. 512.) Der berühmte Däne Niklas Stenſon, geboren 1638, war erſt Leibarzt des Großherzogs von Toskana, dann Pro⸗ feſſor der Anatomie in Kopenhagen, und als er zum katholiſchen Glauben überging, wurde er, nach Florenz zurückkehrend, als apo⸗ ſtoliſcher Vicarius mit dem Titel eines Biſchofs von Tityopolis, Erzieher eines Sohnes von Cosmo III. 5 (S. 514. Wenn ich in der Anmerkung 244 (Kosmos Bd. I, S. 3860 der periodiihen Terraſſenphantaſie des A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 34 — 530 — großen Linné bei Gelegenheit der Behauptung des Trogus Pom⸗ pejus gedacht habe, nach welcher die Hochebene von Aſien, als zuerſt in der Urwelt abgetrocknet, durch generatio primaria auch die erſten lebendigen Organismen erzeugt haben ſoll, ſo iſt es in Bezug geweſen auf die kleine Abhandlung De tellure habitabili in Linnaei Amoenitates academicae (ed. Schreber 1787), Vol. II, p. 444, no. 45: „Sequitur vero jam Modus ostendendus, quo potuerint omnia Vegetabilia, in exiguo terrae tractu, invenire solum sibi conveniens, et Animalia quaeque clima quod desiderant.“ no. 46: „Si concipiatur Paradisus situs sub ipso Aequatore, simul quomodo hoc fieri possit hujus rei ratio concipitur; modo ponatur excelsum montem campos ejus laetissimos ornasse.“ Die pflanzen: geographiſchen Beobachtungen Tourneforts am Ararat, an deſſen Abhange wie bei allen ſehr hohen Bergen die Klimate wie die Floren verſchiedener Erdzonen übereinander gelagert ſind, haben Linné auf eine Anſicht geführt, die wohl ein Zuſammenleben von Tropen: und lappländiſchen Formen an einem Punkte, aber nicht die Verbreitung vom Aequator gegen die Pole erklären könnte. Der Einfluß der Hochebene auf Pflanzenkultur und Kälte des Klimas war übrigens den Alten ſehr bekannt. „Auch in ſüdlichen Erdſtrichen,“ ſagt Strabo, „ſind die Berge kalt und überhaupt jeder Boden, wenn es auch eine Ebene iſt.“ Ueber den ſeltenen Ausdruck dpors di ſ. meine Asie centrale T. I, p. 58—60. (S. 514.) Auguſtinus de Civitate Dei lib. XVI, cap. 7: „si per generationem spontaneam e terra exortae sunt bestiae,“ fo war es ja unnütz, ſie alle in einer Arche zu ver: ſammeln. . (S. 515.) Das kriſtallographiſche und geognoſtiſche Werk des Steno, auf das Elie de Beaumont und ich erſt in neuerer Zeit, kaum feit drei Jahrzehnten, die Aufmerkſamkeit wieder ge- richtet haben, iſt nur der troſtlos wortkarge lateiniſche Prodromus zu einem größeren, nie erſchienenen Werke, welches nach dem Wunſche des Großherzogs von Toskana, Ferdinands II., Vaters von Cosmus III., italieniſch ausgearbeitet werden ſollte (De Solido P. 6.) Die älteſte, unterſte, ganz foſſilienleere, uranfängliche Schicht wird alſo geſchildert: „De prima terrae facie in eo quo Seriptura et natura consentiunt, quod aquis omnia tecta fuerint, Natura silet, Scriptura loquitur! Quod autem fluidum aqueum fuerit, quo tempore nec dum animalia et plantae reperiebantur, et quod fluidum illud omnia texerit, montium altiorum strata omni heterogeneo corpore destituta evincunt. Quod si vero supra primi fluidi strata quibusdam in locis alia strata reperirentur diversis corporibus (animalium et plantarum) referta, aliud inde non sequeretur quam supra strata primi fluidi ab alio quido nova strata deposita fuisse.“ (De Solido p. 69.) Ueber die Art des Wachstums, der Zunahme der Kriftalle — 531 — nach Verſchiedenheit der Lage ihrer Achſen ſ. p. 37—52 und die geo⸗ metriſchen Figuren 7, 13, 14 und 17. Ein vollſtändiger Auszug aus Stenos Prodromus findet ſich in dem ſehr zu empfehlenden Lehrbuch der Geologie, teilweiſe nach Elie de Beaumont, von C. Vogt, 1847, Bd. II, S. 384 — 392. (S. 515.) Die Ausdrücke endogen und erogen (im Erd⸗ inneren oder an der Erdoberfläche als Sedimente erzeugt) ſind vom Jahre 1803, in Anwendung von geognoſtiſchen Profilen für die Hochebene von Mexiko (das eigentliche Anahuac) entitanden; ſ. Kosmos Bd. I, S. 316. Wenngleich dieſer Band erſt 16 Jahre nach meiner ſibiriſchen Expedition, 1845, erſchien, ſo wurden doch die Vorleſungen über die phyſiſche Weltbeſchreibung, aus denen das Werk vom Kosmos entſtanden iſt, in der Berliner Univerſität ſchon im November 1827 gehalten; ja ſchon 1825 wurden, in dem Tableau des formations de l’Amerique meridionale, im dritten Bande des Voyage aux Regions equinoxiales p. 251, Granit, Gneis und Glimmerſchiefer aufgeführt als terrains vul- gairement appeles primitifs, mit dem Beiſatz: „se vanter d'une stabilité d’opinion en Geologie, dest se vanter d'une extrème paresse d’esprit, c'est vouloir rester stationnaire au milieu de ceux qui avancent.“ 10 (S. 516.) Ich erinnere durch dieſen phyſiologiſchen Aus⸗ druck an die ſchöne Stelle des Strabo, in der es heißt: „Die Vorſehung, der lebendigen Weſen Erzeugerin, bereitete, da der Menſch kein Waſſertier, ſondern ein Land- und Lufttier iſt, auch vieles Lichtes bedarf, auf der (abgetrockneten) Erde viele Höhen und Tiefen.“ 11 (S. 516.) Leopold von Buch, als er kurz vor mir die Canzacoli bei Predazzo beſucht und den Grafen Marzari Pencati, gegen deſſen Verdienſte er wenig gerecht war, ſorgfältig vermieden hatte, ſchrieb mir am 14. November 1822 nach Verona, daß „wir die alte Annahme eines feſten primitiven Bodens vor aller orga⸗ niſchen Schöpfung ganz aufgeben ſollten. Die Erdmetalloide müßten ſich ja zu feſten Maſſen verbunden haben, um den alten Meeresgrund zu bilden und die Flüſſigkeit aufzunehmen, welche ſpäter Fiſche und Konchylien beleben ſollten. Durch die Erſcheinung (den Ausbruch) des roten Porphyrs entſteht die ganze Flözformation: zuerſt das rote Totliegende, welches zerriebener Porphyr iſt; dann das Kohlengebirge und die Kalkbildungen, die ich mir als Muſchel⸗ bänke im Meere denke. Die Erſcheinung der Baſalte veranlaßte den Duaderjandftein..... Demnach können ſich die älteren Ortho⸗ ceratiten und Trilobiten auf einem ſchon früh gebildeten Gneis⸗ boden bewegt haben. Wenn bei Predazzo Wärme den dichten Kalkſtein in körnigen umgewandelt hat, ſo gehört dieſe Wärme wohl dem Augitporphyr an, der die Hebung des Granits verurſacht hat. Man muß unterſcheiden die Epoche des Hervorbrechens von der früheren Bildung und früheren Exiſtenz in der Tiefe.“ (S. 517.) Oldhamia antiqua und O. radiata, Forbes. „The reader,“ jagt Sir Roderick Murchiſon (Siluria 1854, b. 32 und 165), „may look with reverence on this zoophyte of Ireland, for notwithstanding the most assiduous researches it is the only animal relic yet known in this very low stage of unequivocal sedimentary matter.“ (S. 517.) Sehr alt in den Llandeiloflags unter dem Caradocſandſtein find auch Ampyx (vormals Trinucleus) nudus wie Trinucleus caractaci, Murchiſon. 14 (S. 518.) Galvaniſche Verſuche bezeugen die Anweſenheit des Kohlenſtoffs im lydiſchen Stein oder Kieſelſchiefer. (S. 518.) H. de Senarmont, Experiences sur la formation des mineraux par la voie humide dans les gites metalliferes coneretionnes in den Annales de Chimie et de Physique 3me Serie, T. XXXII, 1851, p. 14. „La geo- logie mineralogique, * jagt ſehr wahr dieſer talentvolle Mineraloge, „n'a pas jusqu'ici d'autre guide experimental que la chimie, mais l’analyse chimique n claire qu'un seul cöte de la question. On connait tres imparfaitement une espece minerale par ce qu’on a determine sa composition €lementaire, ou meme les lois atomiques qui regissent leurs combinaisons; il reste encore a decouvrir, dans quelles conditions necessaires chacune d’elles peut se produire. L'analyse est évidemment muette sur ce point, et c'est à la synthese a completer son @uvre inachevee. On se rapprochera le plus possible des procedes de la nature, si l'on arrive à reproduire les minéraux dans leurs conditions d'association possible au moyen des agents chimiques naturels les plus repandus et en imitant les phenomenes que nous voyons encore se réaliser dans les foyers oü la creation mine- rale parait avoir concentré les restes d'une activite qu'elle déployait autrefois avec une toute autre énergie, mais qui produit m&me aujourd'hui des éjections ignees, gazeuses ou liquides. L’etat cristallin des produits formes artificiellement est quelquefois imparfait et toujours microscopique. Ce n’est pas d’ailleurs le volume des cristaux, c'est le fait m&me de leur création qui resout de pareils probl&mes; là est le point essentiel, et pour obtenir d’avantage il ne faudrait suivant l’expression de Daubenton que ‚le temps, l'espace et le repos‘: puissants moyens qui n’appartiennent qu'à la nature.“ (S. 518.) Humboldt, Essai geognostique sur le Gisement des Roches dans les deux hemi- sphe&res 1823, p. VI: „Dans cet ouvrage comme dans mes Recherches sur les lignes isothermes, sur la Geographie des Plantes et sur les lois que l'on observe dans la distribution numérique des formes vegetales, j'ai tache, tout en exposant le detail des phenomenes sous differentes zones, de generaliser les idees, et d’aborder quelques-unes des grandes questions — 533 — de la philosophie naturelle. J'ai insisté principalement (dans la Geologie comparée) sur les phenomenes d’elternance, d'osecil- lation et de suppression locale, sur ceux que presentent les passages des formations les unes aux autres par l’effet d'un developpement interieur. Ces questions, je pense, ne sont pas de vagues speculations theoriques: loin d’&tre infructueuses, elles conduisent à la connaissance des lois de la nature. C'est rabaisser les sciences que de faire dependre uniquement leur progres de l’aceumulation et de l’etude des phénomeènes par- ticuliers.“ 7 (S. 520.) „L'examen mineralogique le plus minutieux ne peut &tre indifferent au geognoste qui examine l’äge des formations dans les differentes zones de la surface du globe. C'est par cet examen qu'on parvient à ce former une juste idee de la manière progressive dont par dereloppement interieur, c'est & dire par un changement tres lent dans les proportions de la masse, se fait le passage d'une roche à une roche voi- sine. Les schistes de transition, dont la structure parait d'abord si differente de la structure des porphyres ou des granites, offrent à l’observateur attentif des exemples frappans de pas- sages insensibles; & des roches grenus, porphyroides ou grani- toides. Ces schistes deviennent d’abord verdätres, plus durs et plus silieeux. A mesure que la päte amorphe recoit de l’amphibole, elle passe à ces amphibolites trapeennes qu'on confondait jadis souvent avec les basaltes. Ailleurs, le mica, d’abord cache dans la pate amorphe, se developpe et se separe en paillettes distinctes et nettement cristallisees; en meme temps le feldspat et le quartz deviennent visibles, la masse parait grenue & grains tres allonges; c’est un vrai gneis de transition. Peu à peu les grains perdent leur direction com- mune, les eristaux se groupent autour de plusieurs centres; la roche devient un granite ou, si l’amphibole abonde, une syenite.*“ Humboldt, Essai sur le Gisement des Roches 1823, p. VI und 10. (S. 520.) „Tous les terrains offrent l’exemple de forma- tions independantes qui preludent comme couches subordonnees.“ Humboldt, Essai sur le Gisement des Roches P. 368. (S. 520.) Bei Chichimequillo bricht ſäulenförmiger Porphyr aus dem Syenit aus; auch Baſalt, aus deſſen Breccien eine der heißeſten Thermalquellen (von 96,3“ der hundertteiligen Einteilung) hervorſprudelt. 20 (S. 521.) Humboldt sur le Gisement des Roches p. 16: „Il n'est pas facile de fixer l’anciennete rela- tive du muschelkalk et du quadersandstein là où manquent ces roches généralement répandues, servant, selon l’expres- sion heureuse de Mr. de Gruner, mon savant con— — 534 — disciple a l'ècole de Freiberg, d’horizon geognostique. Lorsque des roches ne sont pas en contact immediat, on ne peut juger de leur parallelisme que par leur rapport d’äge avec d'autres formations qui les unissent.“ 21 (S. 521.) Dieſe Verhältniſſe haben meinen vieljährigen Freund, Profeſſor Guſtav Biſchof zu Bonn, in feinem Lehr⸗ buche der chemiſchen und phyſikaliſchen Geologie (in der zweiten Abteilung des zweiten Bandes S. 924) zu einem ſinnigen, aber ſehr lebhaften Ausſpruch veranlaßt. „Deleſſe, ein trefflicher Naturforſcher,“ ſagt Biſchof, „bemerkt ſelbſt, daß die Bildungsfolge der Mineralien des Syenits nicht die ihrer Schmelz— barkeit ſei. Im äußerſt ſtrengflüſſigen Quarz die viel leichter ſchmelzbaren Feldſpat- und Hornblendekriſtalle abgeformt zu finden und ihn für eine Bildung auf feuerflüſſigem Wege auszugeben, heißt ſo viel, als wenn man glauben zu machen verſuchte, eine gotiſche Kirche mit allen ihren Spitzbögen und Ornamenten auf einer Gußeiſentafel ſei in einer bleiernen Form ab- gegoſſen worden. Man würde eine ſolche Zumutung für eine In— vektive der geſunden Vernunft halten, und doch muten ihr die Ultra— plutoniſten ganz dasſelbe zu. Die Abſurdität war eines der erſten Motive, das mich zum Abfall von den ultraplutoniſtiſchen Phanta— ſien bewog.“ — Ueber dieſe Aeußerungen hat mein ſibiriſcher Reiſe— gefährte, Guſtav Roſe, mir ſeine Anſichten in einem eben em— pfangenen Brief mitgeteilt. „Indem Sie,“ ſchreibt er, „mich um meine Meinung über jene merkwürdige Stelle befragen, und der Umſtand, daß in dem Granit und Syenit der Quarz häufig die Eindrücke des Feldſpats annehme, Biſchof ganz beſonders bewogen haben ſoll, die Annahme einer feuerflüſſigen Bildung des Granits aufzugeben, ſo habe ich zuerſt nur zu bemerken, daß der Vergleich der Schmelzbarkeit des Quarzes und des Feldſpats mit der des Gußeiſens und des Bleies eine große Uebertreibung iſt. Denn wenn der Feldſpat auch vor dem Lötrohr ſchmelzbar und der Quarz unſchmelzbar iſt, jo iſt der Feldſpat doch nur äußerſt ſchwer und bloß in dünnen Splittern an den Rändern ſchmelzbar, und ſelbſt im Feuer des Porzellanofens nicht zu einem klaren, ſondern nur zu einem ganz blaſigen Glaſe ſchmelzbar; und dann iſt es wohl nötig, zu unterſuchen, ob denn der Quarz in dem Granit ſtets die Eindrücke des Feldſpats annehme? Dies iſt aber keineswegs immer der Fall, im Gegenteil ſind die Granite mancher Gegenden dadurch ausgezeichnet, daß der Quarz vorzugsweiſe in dem Feldſpat kriſtalliſiert iſt, wie z. B. der Granit des Brockens und des ganzen Harzes, der Granit des Prudelberges bei Warmbrunn, der Granit- berge bei Liebwerda u. ſ. w. Es kommt alſo das eine wie das andere vor, und wenn man die Bruchfläche eines derben Granits unterſucht, ſo ſieht man ſogar, daß es die Regel iſt, daß der Quarz nicht die Eindrücke des Feldſpats annimmt. — Wenn man die Annahme der Entſtehung des Granits aus einer geſchmolzenen nr — 535 — Maſſe verwirft, ſo weiß ich nicht, was man dafür an die Stelle ſetzen will; denn ich kenne kein Gemenge ſo verſchiedener Sub: ſtanzen wie der Granit, von dem es entſchieden wäre, daß es auf naſſem Wege gebildet ſei, dagegen man ähnliche Bildungen auf trockenem Wege ſehr gut kennt. Die Laven, welche in Strömen in geſchichtlicher Zeit gefloſſen ſind, ſtellen oft ganz ähnliche Gemenge dar wie der Granit, und wenn ſie auch aus anderen Gemengteilen beſtehen und ſich in der Größe des Kerns oft ſehr von dem Granit unterſcheiden, ſo ſind dies Unterſchiede, welche die Form und Natur der Gemengteile betreffen, die Art des Gemenges iſt bei beiden dieſelbe. Schleift man eine dünne Platte von der Veſuvlava von 1631, welche die Ströme von Granatello und della Scala bildet, ſo erſcheint ſie unter dem Mikroſkop als ein Gemenge von größeren und kleineren, aber von lauter Kriſtallen. Darunter ſind auch einige, die, wie der Leucit, für ſich allein ganz unſchmelzbar ſind, und in den größeren Leuciten der Somma kommen auch, nicht häufig, doch beſtimmt, Kriſtalle von dem viel leichter ſchmelzbaren Augit eingeſchloſſen vor, die ganz deutlich kriſtalliſiert ſind. Dies ſind lauter Analogien, welche für die Entſtehung des Granits aus einer geſchmolzenen Maſſe ſprechen. Die Maſſe des Granits iſt im ganzen leichter ſchmelzbar als der Quarz, und ſchwerer ſchmelzbar als der Feldſpat und Glimmer. Bei der Erſtarrung tritt die Sonderung der Gemengteile ein, vielleicht von einer Seite zur anderen fort— ſchreitend, und da kann wohl auch ebenſogut der Quarz die Eindrücke des Feldſpats annehmen wie umgekehrt. — So, denke ich mir, laſſen ſich die Widerſprüche erklären, welche man in der Annahme einer feuerflüſſigen Bildung des Granits zu finden geglaubt hat.“ 22 (S. 525.) „Je vous donne,“ ſchreibt Bouſſingault, „la copie de mon Journal de Caracas: Excursion à (as Aguas calientes del Valle de Onoto, formé par deux chaines de mon- tagnes perpendiculaires à la Cordillere du littoral. Les agıras calientes tombent dans las quebradas des Corasos. Dans un ravin sortent les eaux chaudes de la roche du gneis, ayant 44,5° Cent. de temperature, l’air etant de 25° Reaumur. Des bulles de gaz azote sortent du fond du bassin. Le 3 février: Nous arrivons à l’hacienda de S. Buenaventura, où sont los banos de Mariara; temperature dans le premier bassin 44° Cent. — 4 février: Nous visitons le bassin, où l'eau est la plus chaude; elle se m&le immediatement & un ruisseau d’eau froide, pour former les aguas tibias, qui ont encore 56° Cent. dans quelques endroits et une odeur legerement sulfureuse, pendant que l’on observa l’eau la plus chaude, hors le courant d’eau tiède, de 64° Cent. — 1 mars 1823: Nous arrivons à las Trincheras. Les eaux sourdent, de bas en haut, du granite granite-gneis). En sortant du bassin, elles forment un ruisseau de 2 pieds de large et de quelques pouces de pro- fondeur. Plus loin ces eaux, en sw m&lant à des eaux froides, forment le rio de las aguas calientes. Il y a à las Trincheras deux petits bassins, places à peu de distance l'un de l’autre. La temperature de l’eau du bassin le plus eleve etait de 198 de- gres de Fahrenheit. Dans l'eau de l'autre bassin le thermo- metre s'est maintenu entre 206 et 207 degrés Fahr. Ces eaux ont une tres legere odeur d’hydrogene sulfureux: mais, re- froidies, elles n’ont aucune odeur, aucune saveur. La tempe- rature de l'air était de 85,5° Fahr. J'ai done trouvé l'eau du premier bassin de 92,2“ Cent. et l'eau du second bassin de 97,0 Cent.“ — Lettre de Mr. Boussingault à Mr. de Humboldt, en date de Paris 3 mars 1859. 23 (S. 527.) In dem Tagebuche von G. Roſe heißt es: „Wir ſetzten auf der Exkurſion nach dem chineſiſchen Poſten Baty über den Narym, einen in den Irtyſch fallenden Fluß, welcher hier die Grenze zwiſchen dem chineſiſchen Reiche (der Provinz Ili) und dem ruſſiſchen Sibirien bildet. Weiter aufwärts bildet die obere Buchtarma die Grenze, welche faſt in der Verlängerung des Narym liegt. Eine hohe, nackte Felſenkette, die den Namen der Narymſchen Berge führt, zog ſich bisher auf der rechten Seite des aberen (dſungariſchen) Irtyſch entlang. Hinter dem Narymſtrome rückten fie uns aber bei unſerem zweiten Pferdewechſel ſehr nahe. Der , Granit iſt hier wieder, wie am Kolywanſchen See, in horizontale Lagen abgeſondert und hat dieſelben wunderſamen Formen als dort. Das Geſtein bildete ſchmale Mauern in demſelben Streichen SW = NO wie an dem domförmigen Biritau. Wo dieſe Granitmauern eine bedeutende Lücke ließen, gleichſam ein Thor, ſahen wir im Hinter— grunde alles mit kleinen Piks angefüllt; man glaubte einen mäch— tigen Lavaſtrom auf ſich zufließen zu ſehen.“ (G. Roſes Tage— buch der Reiſe nach dem Ural, dem Altai und Kaſpiſchen Meere Bd. I, S. 599.) Vergl. meine Asie centrale T. I, p. 300 — 301: „D’autres formes se presentent entre Narym et le poste chinois de Baty. Ce sont ou des cloches et des hémi- spheres aplatis, ou des cönes accumules au milieu de la plaine du Haut-Irtyche, cönes termines le plus souvent par des epanchements lateraux en forme de murs tres bas et tres allongés. On dirait d'une coulee, effet de la fluidité de la matiere sortie d'une crevasse. La montagne du Biritau res- semble à la pyramide de Cajus Cestius. Je l’ai dessinée du cöte du midi. Les coulees en forme de queues qui, des deux cötes, sont adossees A la base du cöne, se dirigent hor. 4,3. lei comme dans la steppe pres de Sauchkina, on croit voir non des buttes granitiques, mais des cönes de basalte ou de trachyte.* — — — — — —— Zu, — — — — — — — nn Der Tod hat den großen Autor feinem Werke vor deſſen Vollendung entriſſen. Das letzte Stück ſeiner Arbeit, den Anfang der ſpeziellen Ausführung der Gebirgs— formationen enthaltend, von S. 521 Z. 8 bis S. 528 des Textes und von S. 534 Anm. 21 bis S. 536 Anm. 23 der Anmerkungen, lieferte er am 2. März 1859 in der Handſchrift, am 28. März deren Abſchrift durch Zuſätze! vermehrt; die von ihm am 13. April definitiv nach ſeiner Durchſicht der Zuſätze ausgegebene ganze Abſchrift ging am 19. April nach Stuttgart ab. Die Korrekturſendung dieſes Stückes langte am 10. Mai in der Stunde in Berlin an, wo der Sarg Alexanders von Humboldt auf Befehl des Prinz-Regenten von Preußen im feierlichen Gepränge nach dem Dom geführt wurde. Was dem Werke des Kosmos zu ſeinem Schluſſe fehle? das iſt aus verſchiedenen Stellen desſelben zu erſehen: Es ergibt ſich ſchon aus dem im 1. Bande verfolgten Plane, da die ſpäteren Bände des Kosmos, vom 3. an, nur eine weitere, mit beſonderen Rückſichten unternommene Aus— führung des Naturgemäldes des 1. Bandes find. Der Fort: gang des in dieſem Bande angefangenen III. Abſchnittes über die Gebirgsarten iſt ſchon aus deſſen Ueberſchrift S. 508 zu erſehen, die Dispoſition iſt ferner gegeben S. 521 Z. 11 bis 32. Darauf würden die Gegenſtände gefolgt ſein, welche im 1. Bande von S. 206 bis 265 behandelt werden, d. h. zunächſt die Geſtalt der Kontinente; die beiden Umhüllungen des Erdkörpers, das Meer und die Luft; dann (zufolge S. IX Z. 2 bis 6 des 1. Bandes) die geographiſche Ver— teilung der Organismen oder die Geographie der Pflanzen und der Tiere, und zuletzt die Menſchenraſſen (vgl. nach S. IX Z. 15 v. o.). Dieſe Folge der Gegenſtände wird Namentlich S. 525 3. 2 v. o.: „bei Chichimequillo . . . .“ bis „ausgab“ Z. 27, S. 533 Anm. 19 bis Z. 6 v. u., S. 535 Anm. 22. — 538 — in einer Stelle des 1. Bandes S. 117 Z. 18 bis 24 v. u. wörtlich fo angegeben: „. . . . .. die Verhältniſſe der Erd— oberfläche in horizontaler Ausdehnung und Höhe, der geo— gnoſtiſche Typus der Formationen, das Gebiet der Meere (des Tropfbar-Flüſſigen) und des Luftkreiſes mit ſeinen meteorologiſchen Prozeſſen, die geographiſche Verbreitung der Pflanzen und Tiere, endlich die phyſiſchen Abſtufungen des einigen, überall geiſtiger Kultur fähigen Menſchengeſchlech— tes 502% „„ Eine andere Aufzählung ohne dieſes letzte Glied, den Menſchen, kann ich aus einem Briefe Alexanders von Humboldt an den geheimen Bergrat und Profeſſor Nöggerath zu Bonn vom 23. September 1857 angeben. Er ſagt darin, daß die zweite Abteilung des 4. Bandes enthalten ſolle: „die Einteilung der Gebirgsarten und Altersfolge nach Vermutungen über ihren verſchiedenen Entſtehungsprozeß; Geſtaltung der Oberfläche, in horizontaler Ausdehnung nach Gliederungs— verhältniſſen und in ſenkrechter Erhebung nach hypſometriſchen Anſichten; flüſſige und luftförmige Umhüllung der ſtarren Erd— rinde: das Meer und feine Strömungen, den Luftkreis: klima⸗ tiſche Betrachtungen nach Richtungsbeſtimmungen der Iſo— thermen; organiſches Leben, Geographie der Pflanzen und Tiere.“ — Wenn dies allgemeine Bezeichnungen von Gegen— ſtänden des Inhaltes ſind, wie ſie ſich aus der Reihenfolge des 1. Bandes (des Naturgemäldes) ergeben, ſo iſt damit nicht geſagt, daß Alexander von Humboldt ſie alle in der Ausführ⸗ lichkeit, in welcher ſich ihm (gegen ſeinen Willen) die früheren Abſchnitte ausgedehnt haben, behandeln wollte. Wie weit er ferner dies auch früher beabſichtigt haben möchte, ſo mahnten ihn feine Lebenszeit und fein Gefühl zuletzt an die Not: In einer anderen Stelle, im vierten Bande werden die Gegenſtände jo beſtimmt: „. . . .. Reaktion des Inneren des Pla: Kneten gegen feine Oberfläche (dynamiſch wirkend durch Erſchütte⸗ rung), chemiſch wirkend durch ſteinbildende und ſteinumändernde Prozeſſe; teilweiſe Bedeckung der feſten Oberfläche durch Tropfbar— Flüſſiges (das Meer); Umriß und Gliederung der gehobenen Feſte (Kontinente und Inſeln); die allgemeinſte, äußerſte, gasförmige Umhüllung (den Luftkreis). Das zweite oder organiſche Gebiet umfaßt nicht die einzelnen Lebensformen ſelbſt, wie in der Natur— beſchreibung, ſondern die räumlichen Beziehungen derſelben zu den feſten und flüſſigen Teilen der Erdoberfläche, die Geographie der Pflanzen und Tiere, die Abſtufungen der ſpezifiſch einigen Menſch⸗ heit nach Raſſen und Stämmen.“ r W Khrıa — 539 — wendigkeit des ſchnellen Abſchluſſes. In dem Briefe an Nöggerath jagt er ſchon: „Möge . . . . es dem Leſer erinner— lich bleiben, daß nach der Form meines Werkes nur einzelne Teile des in dem 1. Bande dargeſtellten allgemeinen Natur— gemäldes, des uranologiſchen und telluriſchen, haben einer ſpeziellen Ausführung unterworfen werden ſollen!“ Ich kann verſichern und es können es andere beſtätigen, daß der Verfaſſer in dem letzten Jahre ſeines Lebens immer behauptete, nur noch wenige Druckbogen vor ſich zu haben, und daß er die fehlenden Gegenſtände in einer großen Kürze abmachen wollte, viel kürzer als der von ihm in einem Brief an mich vom 8. Dezember 1856 in meine Hände gelegte Plan ſie an— gibt, in welchem er ſie ſo veranſchlagt: „Form der Kontinente 2 Bogen, Meer 3, Luft 4, Pflanzen 4, Tiere und Menſch 5 bis 6; in Summa 10 bis 19.“ Wenn wir abſehen von der Ausführlichkeit, in der er den Verhältniſſen des Anfangs nach vielleicht die ihm nach ſeinem frühen Lebensberuf ſo nahe befreundeten Gebirgsformationen noch behandelt haben würde, ſo dürfen wir uns tröſten, die folgenden, dem Bande noch zu— gedachten Abſchnitte von ihm in einer ſehr ſorgfältigen und hinreichend umfaſſenden Ausführung aus der ſchönen Zeit ſeines Lebens im 1. Bande zu beſitzen: die Geſtalt der Kon— tinente ©. 206 bis 219 und Anm. S. 324 bis 327 (1½ Bogen); das Meer S. 319 bis 326 und Anm. S. 327 bis 329 (1 Bogen), die Luft und Meteorologie S. 226 bis 251 und Anm. S. 329 bis 333 (2½ Bogen), die Geographie der Pflanzen und Tiere S. 251 bis 259 und Anm. S. 334 bis 336 (1 Bogen), erſtere von ihm in ſeinen früheren Schriften ſo genau behandelt und an vielen anderen Stellen des Kos— mos zerſtreut; über das Menſchengeſchlecht und die Menſchen— S. eine Dispoſition über den Inhalt des Abſchnittes von der Luft S. 228, 229 bis 230; über die Luftelektrizität, ſechſtes und letztes Kapitel der Luft, S. 248 Z. 5 bis 13; noch eine Andeutung über den Einfluß des Mondes im 3. Bande S. 365 Z. 14 bis 17, Gegenſtände bezeichnend, welche ſchon in der großen Anm. 36 zu dieſer Stelle, S. 392 erörtert werden. — Eine andere Dispoſition findet ſich im 4. Bande S. 169 3.3 v. u. bis S. 170 Z. 2 v. o.: „die thermiſchen Zuſtände der beiden Umhüllungen unſeres Planeten, welche weiter unten einzeln behandelt werden . . . den Einfluß der vertikalen Wärme in der feſten Erdrinde, das Syſtem der Geo— iſothermen, . . . als einen Teil der alles durchdringenden Wärme: bewegung .. .“ — 310 — raſſen, bis zur Berührung mit der geiſtigen Sphäre des Men: ſchen, S. 251 bis 265 und Anm. S. 336 bis 338 (/ Bogen); in Summa 7 Druckbogen. Im Nachlaß Alexanders von Humboldt hat ſich unter ſeinen reichen Sammlungen über alle Gegenſtände, welche der Kosmos berühren ſollte, kein Blatt irgend ſo weit ausgearbeitet gefunden, daß es dem Werke hätte angereiht werden können; wer weiß, wie der Kosmos in kleinen Stücken, immer in freier, neueſter Ausarbeitung, allmählich entſtand, ohne ſich auf anderes als große geſtaltloſe Sammlungen eines arbeitsreichen Lebens zu gründen, konnte dies vorausſagen. Alexander von Humboldt hat ſelbſt bekannt (Vorrede Bd. I, S. VII, Z. 10 bis 3 v. u.), daß er von ſeinen in Paris und Berlin gehaltenen Vorleſungen über die phyſiſche Weltbeſchreibung, „bei freier Rede, nichts ſchriftlich aufgezeichnet“ habe, und „alles“ von ihm hier (im Kosmos) „zum erſtenmal niedergeſchrieben“ iſt. Die nahen und anhänglichen Freunde des Verewigten, in ihrer Zahl der Freiherr Georg von Cotta, haben einmütig geurteilt, daß kein Fremder die Hand anlegen ſolle, das Fehlende am Werke zu ergänzen. Daß niemand es in der Weiſe des großen Autors thun könne, haben die Männer, auf deren hohe Wiſſenſchaft man hierbei die Blicke hätte wenden können, ſelbſt erklärt. Die Freunde vertrauen, daß das un— erreichbare Werk, auch ſo unvollendet, der Mit- und Nachwelt, in Bewunderung und Ehrfurcht, ein Denkmal ſein werde. Die treue, wenn auch ſehr untergeordnete Hilfe, welche ich dem großen Verfaſſer, auf ſeine Berufung, bei dem ganzen Werke des Kosmos und über dasſelbe hinaus geleiſtet habe, ver— ſchafft mir den Vorzug, das Werk, von dem ſeine Hand ruht, äußerlich abzuſchließen, wie ich es vor zwanzig Jahren ſeinem Bruder gethan. Ich laſſe auf den vorſtehenden Schluß des Werkes, nach dem mir oft in dem letzten Lebensjahre bis kurz vor ſeinem Ende wiederholten Auftrag Alexanders von Humboldt, zwei kleine Nachträge zu dem aſtronomiſchen (3.) Bande: eine neue Tafel der Elemente der kleinen Planeten und der inneren Kometen, folgen, welche der Verewigte und ich (in neuer Arbeit, da die frühere, in des Verfaſſers Hände gelegte ſich mir im Nachlaß verloren hatte) der Güte des Herrn Pro— feſſors Dr. C. Bruhns, ſeit dem 1. April d. J. Aſtronomen der königlichen Sternwarte in Leipzig und Profeſſors an der dortigen Univerſität, bisher Adjunkten bei der hieſigen Stern— — 541 — warte, verdanken. Ich habe auch mit Dank vom Herrn Pro— feſſor Bruhns noch eine von ſeiner Güte mir angebotene neue Tafel der Bahnelemente der Doppelſterne aufge— nommen, im Angedenken der Sorgfalt, welche der Verewigte dieſem Gegenſtande, dem er auch am Ende des 3. Bandes eine Zuſatztafel widmete, zugewandt hat. Zuletzt habe ich eine veränderte kleine Stelle (2 Seite) des 4. Bandes, die Variationen der magnetiſchen Nei— gung betreffend, nach den von dem Verewigten dem General Sabine in Briefen erteilten Zuſagen, in Ueberſetzung aus des letzteren engliſcher Uebertragung des Kosmos gegeben. Nach dieſen kleinen Zuſätzen habe ich, gemäß einem von langen Jahren her datierten und bis in die letzten Lebenstage mir wiederholten Vermächtnis und Auftrage des teuren Ent— ſchlafenen, den 5. Band mit dem von mir zu arbeitenden großartigen Regiſter über den Kosmos, das nach ſeiner letzten Beſtimmung ſeinen Hauptbeſtandteil ausmachen ſollte, und damit das Werk des Kosmos zum Abſchluß zu bringen. Dieſes Vermächtnis, das meinem Leben ein neues, ſchweres Opfer auferlegt, habe ich mit der dem Entſchlafenen von mir von jeher geweihten Liebe und Aufopferung erfüllt. Berlin, 11. April 1860. Profeſſor Dr. Eduard Buſchmaun. Inhalts-Meberficht des IV. Bandes des Kosmos. Einleitung zu den ſpeziellen Ergebniſſen der Be— obachtung in dem Gebiete telluriſcher Erſcheinungen Ss I Erſter Abſchnitt S. 12-111 (Anm. 112—150). Größe, Geſtalt und Dichte der Erde S. 12— 25 (Anm. S. 112-122). Innere Wärme der Erde S. 25 —35 (Anm. S. 122 — 124). Magnetiſche Thätigkeit der Erde S. 35—111 (Anm. S. 125— 150). ’ Hiſtoriſcher Teil S. 35—64 (Anm. S. 125—130). Intenſität S. 64—74 (Anm. S. 130 — 133). Inklination ©. 74—85 (Anm. S. 133 136). Deklination S. 86—105 (Anm. S. 137-147). Polarlicht S. 105 — 111 (Anm. S. 147 150). Zweiter Abſchnitt S. 151—354 (Anm. S. 355—464). Reaktion des Inneren der Erde gegen die Ober: fläche: Erdbeben, dynamiſche Wirkung, Erſchütterungswellen S. 154 bis 166 (Anm. S. 355 — 361). Thermalquellen S. 166-181 (Anm. S. 362 - 368). Gasquellen: Salſen, Schlammvulkane, Naphtha— quellen S. 181-192 (Anm. S. 368 — 374). Vulkane mit und ohne Gerüſte (Kegel- und Glockenberge) S. 192—354 (Anm. S. 374—464). — 543 — Nähere Zergliederung.! B. Spezielle Ergebniſſe der Beobachtung in dem Gebiete telluriſcher Erſchein ungen oder aus dem telluriſchen Teile der phyſiſchen Weltbeſchreibung. Einleitung S. 3—9: Ueber die Art der Arbeit des Kosmos (Verallgemeinerung), Inhalt und Verhältnis der 2 erſten und der 2 letzten Bände S. 4; ſtufenweiſes Herabſteigen vom Allgemeinen zum Beſonderen, jetzt vom Fixſternhimmel zur Erde; Verhältnis der Entfernungen, die Uranologie macht den Eindruck des Erhabenen und Friedlichen S. 4—5; der telluriſche Teil bietet mehr Mannig⸗ faltigkeit durch die Stoffe dar, verſchiedener Einfluß jeder dieſer zwei Sphären S. 6; die anderen Weltkörper betrachten wir nur als homogene gravitierende Materie, ohne Rückſicht auf Stoffver— ſchiedenheit; das einförmige Bild des Weltraums S. 6. Forſchen nach einfachen Bewegungsgeſetzen S. 6— 7; Anziehung der Stoffe gegeneinander (Molekular- und Gravitationsattraktion) S. 8; Ent: deckungen neuerer Zeit und Beiſpiele, in welchen die Wirkung von Anziehungskräften verheißt, dem Problem der Heterogeneität der Stoffe und ihres Verbindungsbeſtrebens näher zu treten S. 8; Unterſchiede der Form und Miſchung ſind die Elemente unſeres ganzen Wiſſens von der Materie; Stoffwechſel, Feſſelung und Ent— feſſelung der Stoffe bezeichnen den ewigen Kreislauf der Elemente S. 9; die irdiſche Sphäre iſt allerdings eine Werkſtatt des Todes und der Verweſung, aber die Verweſung führt keine Vernichtung herbei, die entfeſſelten Stoffe vereinigen ſich zu anderen Ge— bilden S. 9. Beſondere Einleitung zu dieſem telluriſchen Teil S. 10— 11: Das unermeßliche Material muß ſo bearbeitet werden, daß das Spezielle der Einheit nicht entrückt wird; die telluriſche Sphäre zerfällt in zwei Abteilungen, in das anorganiſche und organiſche Gebiet S. 10; der einzelne Inhalt beider S. 10; beide Gebiete ſind ſchon im Altertum getrennt, aber von Ariſtoteles aufeinander bezogen worden S. 11; es iſt nicht geeignet, die an ſich ſehr natürliche Sonderung des organiſchen und anorganiſchen Erden— lebens im Kosmos als ein Hauptelement der Klaſſifikation aufzu— ſtellen S. 11. 1 Nach dem genauen Verlaufe des Inhalts ausgearbeitet vom Profeſſor Dr. Eduard Buſchmann (aber dem Autor des Kosmos in den Mund gelegt). — 544 — Erſter Abſchnitt: Eingang S. 12— 13 und Anm. 1 S. 112: Natur oder vielmehr irdiſche Natur iſt das Reſultat eines Syſtems treibender Kräfte, Naturgefühl iſt der Eindruck des Waltens dieſer Kräfte; zuerſt feſſeln unſere Neugier die räumlichen Größenverhält- niſſe unſeres Planeten S. 12. Jeder Teil des Naturganzen iſt von dem anderen abhängig S. 12; die Größe, Geſtalt und Maſſe des Erdkörpers ſtehen unter ſich in mehr erkennbarer Abhängig: keit als andere Gegenſtände. Die beiden Arten der Anziehung (Gravitation und Molekularattraktion) werden von der Schwere affiziert S. 13; die Schwere unſeres Planeten übt auf verſchiedene Gegenſtände Einfluß S. 13; die abſolute Größe unſeres Erdkörpers, mit der wir uns hier beſchäftigen werden, enthält ihre Wichtigkeit durch ihr Verhältnis zur Maſſe und Rotation; Unveränderlichkeit der Gravitationsverhältniſſe im Weltall bei anderweiten Verände⸗ rungen S. 13 (Anm. 1 S. 112 Laplace über das Geſetz der An⸗ ziehung). a. Größe, Geſtalt (Abplattung) und Dichtigkeit der Erde S. 12— 24 und Anm. 2— 17 S. 112—122: Der Erdkörper iſt gemeſſen und gewogen worden S. 13; dieſe Ermittelungen üben Einfluß auf Aſtronomie und Mathematik, wie ſie mit ihrer Hilfe geſchehen S. 14. Die geometriſche Figur und Oberfläche der Erde der phyſiſchen entgegengeſetzt S. 14; Veränderung in beiden Oberflächen durch Veränderungen im Inneren und Aeuße⸗ ren der Erde S. 14— 15. Drei Methoden, die Figur der Erde (eines elliptiſchen Rotationsſphäroids) zu beſtimmen, die der Grad: meſſung zweifach S. 15. Größe der Erde S. 15; Beſſels große Arbeit über die Dimenſionen des Erdkörpers im 1. Band des Kosmos iſt noch nicht durch eine neue erſetzt worden, ſeine Angaben des mittleren Wertes dieſer Dimenſionen von 1841 nach zehn Grad: meſſungen S. 15—16 [Anm. 3 S. 112—114: Angaben für die Abplattung und deren Elemente (Erdachſe, mittlere Länge eines Meridiangrades); Walbecks Vergleichung vieler Gradmeſſungen, die: ſelben wiederholt und verbeſſert von Ed. Schmidt S. 112; Airys Beſtimmung S. 113; Beſſels Arbeiten und Berechnungen über die Figur der Erde und ihre verſchiedenen Reſultate S. 113; Länge des Meters nach den verſchiedenen Beſtimmungen S. 114]. Tafel der Zunahme der Länge der Meridiangrade vom Aequator gegen die Pole hin S. 17; Beſtimmung der Figur der Erde durch Meſſung von Längegraden S. 16 (Anm. 4, S. 114); aſtronomiſche Beſtimmung durch die Ungleichheiten in der Länge und Breite des Mondes, von Laplace erfunden S. 18 (Anm. 10 S. 114). Beſtimmung durch Pendelſchwingungen vermittelſt der Zunahme der Schwere vom Aequator gegen die Pole hin: allgemein S. 18; hiſtoriſche Data: erſte Anwendung durch Richer und darüber Picard S. 19 und Anm. 6— 7 S. 114—115 [Anm. 7: ſpäte Veröffent⸗ lichung von Arbeiten: die von Richers Pendelverſuchen in Cayenne (ob die Vermutung über eine nach Breitengraden ſich verändernde 3 — 545 — Intenſität der Schwerkraft Huygens angehöre? S. 115; Richer S. 115), Newtons Kenntnis von Picards Gradmeſſung und von Caſſinis elliptiſcher Geſtalt des Jupiter und deren bedeutender Einfluß auf ſeine Arbeiten], darüber Newton S. 19 (vergl. Anm. 7); (Meſſungen von Meridian⸗ und Parallelgraden S. 19). Beſtim⸗ mung der Geſtalt durch Pendellängen: Prinzip und bisher be- ſtimmte Punkte S. 19 (Anm. 8, 9 S. 115—116), engliſche Expe⸗ dition unter Sabine (franzöſiſche Gradmeſſungen) S. 20, abweichende Reſultate von Biots Pendelmeſſungen in der nördlichen Hemiſphäre S. 21 und Anm. 10—11 S. 116 [Anm. 10: Data für die Ab⸗ plattung nach den verſchiedenen Expeditionen und Meſſungen der Pendellängen S. 116, Pendelkorrektion wegen des Einfluſſes der umgebenden Luft auf das Pendel S. 116], Reſultate für die Schwere aus den Pendelbeobachtungen in der ſüdlichen Halbkugel S. 21 [Anm. 12 S. 116— 117: Beſtimmung der Abplattung dar: aus S. 110, Foucaults ſinnreiches Experiment für die Achſendrehung der Erde S. 117J. Es folgt hieraus, daß das Pendel uns mit geringerer Sicherheit über die Geſtalt unſeres Planeten aufklärt als Gradmeſſungen und Mondbewegung; Urſachen davon S. 21. Beſtimmung der Abplattung der Erde nach Beſſel und der An— ſchwellung unter dem Aequator S. 22 (Anm. 13 S. 117—119: zwei Anſchwellungen der Oberfläche der Erde nach der Meinung des griechiſchen Altertums: im nördlichen Aſien S. 117 und unter dem Aequator, deren Fortdauer und Deutung S. 118; Frérets falſche Deutung einer griechiſchen Stelle vom Tropenregen S. 118; des Eratoſthenes Anſicht von der wenig veränderten Kugelgeſtalt der Erde S. 118; verſchiedene andere Geſtalten der Erde nach den Vorſtellungen der Griechen S. 119], die zwei Methoden geben keinen ſo großen Unterſchied in der Aequinoktialanſchwellung S. 22— 23 [Anm. 14 S. 119 — 120: Beſſels Bemerkungen über die Reſultate für die Abplattung und Vorſchläge zu zahlreichen Meſſungen!. Zuſammenhang des Wertes der Abplattung mit dem Geſetze der Dichtigkeit im Inneren der Erdkugel, Anziehung großer Gebirgs— maſſen und Ablenkung des Pendels durch fie S. 23 und Anm. 15, S. 120 [Ablenkung der Lotlinie durch den Chimborazo nach la Con- damine und Bouguer, Maße des Berges, Yana⸗Urcu]. Unter den drei Arten der Beſtimmung der Dichtigkeit der Erde im erſten Bande des Kosmos iſt hier nur noch die durch die Drehwage von Reich zu erwähnen S. 23 [Anm. 16 S. 120 — 121 neue Verſuche von Reich mit ihren Reſultaten, und die von Baily], Zuſammen⸗ ſtellung verſchiedener Reſultate für die Dichtigkeit der Erde S. 24 und Zuſatz am Ende S. 465. Allgemeine Beſtimmung der Dich: tigkeit in verſchiedenen Rückſichten (in den oberen oder tiefen Erd⸗ ſchichten, totaler) S. 24 (Anm. 17 S. 121 — 122), Schwierigkeit der Beſtimmungen für die inneren Erdräume S. 24). b. Innere Wärme des Erdkörpers und Verteilung der⸗ ſelben S. 25—35 und Anm. 18—29 S. 122—125: Worauf die A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 35 — 546 — Betrachtungen über die innere Wärme des Erdkörpers gegründet ſind S. 25; über den experimentalen, hier behandelten ſicheren Teil der Unterſuchung, und dagegen den mathematiſchen, beſonders mit Rückſicht auf die vulkaniſchen Kräfte im Inneren S. 25. Zu⸗ nahme der Wärme mit der Tiefe, auffallende Uebereinſtimmung der Reſultate in tiefen Bohrlöchern S. 26: Beſtimmungen (be— ſonders der Zunahme der Wärme durch die Temperatur der Waſſer) für den arteſiſchen Brunnen von Grenelle S. 26 (Anm. 18 S. 122), für das Bohrloch von Neuſalzwerk bei Rehme (Bad Oeyn⸗ haufen) S. 26—27 (Anm. 19— 21 ©. 122), zwei andere Bohr: löcher S. 27 (Anm. 23 S. 122); die hier ſich zeigende Ueberein⸗ ſtimmung der Zunahme kann nicht überall bei der Temperatur der unterirdiſchen Waſſer erwartet werden S. 27. Die Wirkung der veränderlichen äußeren Temperatur wird nur auf geringe Tiefen und langſam bemerkbar S. 28; die invariable Erdſchicht und wovon ihre Tiefe und Temperatur abhängig iſt S. 28 — 29 (in den Caves de l'Observatoire S. 29, Tiefe für 1° der Temperaturzunahme S. 29— 30) (Anm. 24 S. 122), Bouſſingaults Beſtimmung der mittleren Temperatur eines Orts in der Aequatorgegend durch ein einige Zolle tief eingegrabenes Thermometer S. 29 [Anm. 25 S. 122— 123 verſchiedene Beobachtungen und Reſultate der Zunahme der Temperatur in der Tiefe in Südamerika und Oſtindien]; meine Beobachtungen in ſehr hoch gelegenen Bergwerken von Peru und Mexiko, auffallende, bedeutend größere Wärme der unterirdiſchen Luft als der äußeren S. 30—31. Unterirdiſches Eis oder Boden⸗ eis im nördlichſten Aſien von Sibirien S. 31— 32; Grenze des Baumwuchſes in Sibirien S. 31; Middendorffs zwei ſibiriſche Reiſen und ſeine Beobachtungen der Bodentemperatur und der Dicke des unterirdiſchen Bodeneiſes S. 31; ſeine Beobachtungen im Scherginſchacht zu Jakutsk S. 32: große Dicke der Eisſchicht, Zu⸗ nahme der Temperatur der einzelnen Eisſchichten und allgemeine Temperaturzunahme S. 32 (Anm. 26— 27 S. 123 - 124), mittlere Temperatur von Jakutsk S. 32, Tiefe der Temperatur von 0° im Schacht S. 33, Verſchiedenheit dieſes Reſultats und des ganz naher Gruben S. 33 (Anm. 28 S. 124). Beobachtungen über Tiefe und Dicke der Eisſchicht an anderen Orten S. 33. Die geographiſche Erſtreckung des Eisbodens, von Middendorff beſtimmt, iſt mehr von örtlichen Einflüſſen abhängig als die Temperatur des Luft⸗ kreiſes S. 34 (Anm. 29 S. 124); inſelförmiges Auftreten des Phänomens ſüdlicher; allgemeine Betrachtungen über die Erſchei— nung im alten Kontinent, einzelne Beobachtungen im nördlichſten Amerika, Wichtigkeit der Beobachtung in anderen Erdteilen S. 34 bis 35. c. Magnetiſche Thätigkeit des Erdkörpers S. 35—111 und Anm. 30—57 S. 125—131: Die Manifeſtationen der Erdkraft bieten ein ewig Veränderliches der Phänomene dar; ein ſolcher ewiger Wechſel unterſcheidet die Phänomene des Elektromagne⸗ — 547 — tismus von denen der zweifachen Anziehung S. 35—36; Er: ſcheinung des Diamagnetismus S. 36. Hiſtoriſcher Teil S. 35—64 und Anm. 30— 50 S. 125—130: Magnetiſche Kenntnis im Altertum bei den weſtlichen Völkern S. 36 und Anm. 30 S. 125 (die Richtkraft bleibt ihnen unbekannt S. 36) Kenntnis und Gebrauch der Richtkraft bei den Chineſen S. 37 und Anm. 32 S. 125 (Landgebrauch: magnetiſche Wagen mit ſchwimmen⸗ den Nadeln S. 37 und Anm. 31 S. 125, hängende Nadeln S. 37 und Anm. 33 S. 125, Gebrauch als Kompaß auf dem Meere S. 38); der Gebrauch der Magnetnadel in der Schiffahrt (des Seekompaſſes) aus dem Indiſchen Meere im 12. Jahrhundert in Europa eingeführt S. 38. Frühe Kenntnis der magnetiſchen Ab— weichung (Variation); des Kolumbus Linie ohne Abweichung S. 39, ſein Gedanke, durch die Variation die Länge zu beſtimmen, er macht dieſe atlantiſche Kurve ohne Deklination zur politiſchen De⸗ markationslinie S. 40; nächſtfolgende Ausbildung der Variation S. 40; fabelhafte Vorſtellungen, nördlicher Magnetberg S. 41; fortgeſetzte Wichtigkeit der magnetiſchen Abweichung, 4 Linien ohne Abweichung bei Acoſta S. 41 [Einführung des Logs und frühere Weiſe, die Geſchwindigkeit des Schiffes zu beſtimmen S. 41 (Anm. 34 S. 125) ]. Spätere Entdeckung der magnetiſchen Neigung S. 42, ſpäte Auffindung der Intenſität S. 42; Gilberts richtige Kenntnis vom Erdmagnetismus neben der Elektrizität S. 42. Kenntnis der Abweichungslinien im 17. Jahrhundert S. 42—43 (Anm. 35, S. 126), magnetiſche Apparate für die Länge S. 42 (Anm. 35 S. 126). Halley begründet eine wichtige Epoche S. 43: 4 magne⸗ tiſche Pole S. 43, ſeine 4 Seereiſen (3 für Magnetismus) und ſeine Variationskarte S. 43, ſeine iſogoniſchen Kurven S. 44 (meine Iſothermen ihnen ähnlich S. 44), ſeine rein wiſſenſchaftlichen Ex— peditionen S. 44 (ſein Katalog ſüdlicher Sterne S. 44). Die ſtündliche periodiſche Veränderung der Abweichung im 18. Jahr: hundert erkannt und weiterer allgemeiner Fortſchritt desſelben in der Kenntnis des Magnetismus S. 44 (Anm. 38, 39 S. 126); die Intenſitätsverſchiedenheit der magnetiſchen Erdkraft durch Schwin— gungen einer ſenkrechten Nadel von Borda entdeckt (la Pérouſes Reiſe, verſpätete Bekanntmachung der Reſultate) S. 45 das Geſetz hat aber erſt durch die Veröffentlichung meiner Beobachtungen in der Wiſſenſchaft Leben gewonnen; weitere Beobachtung der In— klination S. 45, periodiſche Variation der Deklination S. 45. Fort⸗ ſchreiten des halben 19. Jahrhunderts in allen Teilen des telluriſchen Magnetismus, und Mittel, durch welche dies erreicht wurde (Stationen, magnetiſche und meteorologiſche Obſervatorien) S. 45 — 46; ſpezielle Verzeichnung der Hauptmomente der einzelnen Beſtrebungen und der magnetiſchen Arbeiten in dieſen 50 Jahren, gruppenweiſe nach der Folge der Jahre S. 47—58 und Anm. 42—47 S. 127—128 leinen Zuſatz zu S. 56, betreffend die 10jährige Epoche der mag— netiſchen Deklination, ſ. am Ende S. 465) (Anm. 43 S. 127 — 548 — Stelle Sabines über die beiden Skalen, Anm. 44 S. 127 Geſchichte der verabredeten gleichzeitigen magnetiſchen Beobachtungen, Anm. 46 S. 128 über den Diamagnetismus, Anm. 47 S. 128 über Polarität des Sauerftoffgajes]; allgemeine Betrachtungen über die Richtung und die Erfolge der Beſtrebungen dieſer Epoche, ſowohl von ſeiten der Beobachtung als des Experiments S. 58—59. Nähere Ent: wickelung der Gegenſtände, auf welche in dem halben 19. Jahr: hundert das Augenmerk gerichtet geweſen iſt und noch iſt, beſon— ders kosmiſcher Zuſammenhang des Magnetismus: Zuſammenhang mit der Sonne, ihr Einfluß auf den Magnetismus S. 59—61 (Anm. 48 S. 129 und Anm. 50 S. 130) (die Variationen des Magnetismus nicht von den Temperaturveränderungen der Erdrinde oder des Luftkreiſes abhängig S. 60 [Anm. 49 S. 129: Sabines allgemeine Reſultate der jährlichen Variation und ihre Unabhängig⸗ keit wie die der täglichen von dem Temperaturwechſel]); 10jährige Periode in der Veränderung der Deklination, von Sabine in Ver: bindung gebracht mit der 10jährigen Periode der Veränderungen der Sonnenatmoſphäre und der Sonnenflecken S. 61. Einfluß des Mondes auf den Erdmagnetismus nach Kreil, d. h. auf die magne⸗ tiſche Deklination während eines Mondtages S. 61—62 und ein Zuſatz zu ihr am Ende S. 466; andere Einwirkung auf die Erd— kraft als durch Temperaturveränderung (polariſche Eigenſchaft des Sauerſtoffs S. 62), Wahrſcheinlichkeit elektromagnetiſcher Thätigkeit auch in anderen Weltkörpern S. 62. Objektive Darſtellung der magnetiſchen Erſcheinungen S. 52— 111 und Anm. 51— 120 S. 130—150: Perioden der Ver⸗ änderungen und ihre Abhängigkeit voneinander S. 63, Aufzählung der zwölf Objekte S. 63 (Anm. 51, 52 S. 130); Bemerkungen dazu, beſonders über die Magnetpole S. 63. Die drei Aeußerungen der magnetiſchen Erdkraft S. 64; Behandlung dieſer drei nach ein⸗ ander: . Intenfität S. 64— 74 und Anm. 54—67 S. 130—133: Späte Erkenntnis dieſes Elements durch Beobachtung der Zahl der Schwingungen der Neigungsnadel S. 64—65 (Borda, la Peroufe S. 64, meine Intenſitätsbeobachtungen während meiner amerika⸗ niſchen und aſiatiſchen Reiſe S. 65). Die vier Punkte (foci) der Maxima oder größter, aber unter ſich verſchiedener Intenſität, ein ſtärkerer und ein ſchwächerer in jeder Hemiſphäre (beſonders die zwei der nördlichen Halbkugel) S. 65—66 (Anm. 54 ©. 130); ungleiche Zunahme der magnetiſchen Intenſität vom magnetiſchen Aequator ab gegen die zwei Magnetpole hin, ja das Minimum der Erdkraft liegt in vielen Punkten fern dem magnetiſchen Aequator S. 66; unſichere Lage der zwei foci der ſüdlichen Halbkugel ©. 67 (Anm. 56 S. 131). Verhältnis der Kräfte nach verſchiedenen Me⸗ thoden beſtimmt, relative Skala (auf den magnetiſchen Aequator bezogen) und abſolute S. 67—68 (Verteilung der Erdkraft und Veränderungen der Intenſität im Lauf der Jahrhunderte S. 67); — 549 — Beſtimmung der Intenſität der vier foci und ihr Verhältnis zu einander S. 68 (Anm. 58 S. 131); alle vier koci und die zwei Magnetpole gehören einer weſtlichen Hemiſphäre an nach einer gewiſſen Abteilung nach zwei Meridianen S. 68 (Anm. 59 S. 131). Zonen und Kurve der kleinſten oder ſchwächſten Intenſität S. 69 (Anm. 60 S. 132); Verhältnis der ſchwächſten Erdkraft zur ſtärkſten S. 69 (Anm. 61 S. 132); dynamiſcher Aequator oder Kurve der kleinſten Intenſität oder ſchwächſten Erdkraft, eine Wellenlinie von vielen Krümmungen S. 69. Schwierigkeit der Beſtimmung, ob die Intenſität in Höhen bemerkbar ab⸗ und im Inneren der Erde zu: nimmt S. 70 (Anm. 62 S. 132); Abnahme in der Höhe S. 70 bis 72 und Anm. 63—65 S. 132— 133 [Anm. 63: Abnahme nach meinen Beobachtungen in Südamerika S. 132, widerſprechende Reſultate in unſeren Beobachtungen in Europa S. 133]; Aeroſtat und Abnahme in der freien Atmoſphäre S. 71. Stündliche Varia— tionen der Intenſität im allgemeinen S. 72— 73; Beobachtung derſelben in Toronto und Hobarton und ihre Reſultate S. 73— 74 (Anm. 66, 67 S. 133) (ſtärkere Intenſität in den Monaten unſeres Winters wegen der Sonnennähe ©. 73); die ſäkulare Verände⸗ ung der Intenſität gründet ſich nur erſt auf wenige Beobachtungen 73. Inklination oder Reigung S. 74—85 und Anm. 68—79 S. 133—136: Iſokliniſche Kurven oder Linien gleicher Neigung und die Linien der Zunahme der Inklination vom magnetiſchen Aequator bis zu den zwei Magnetpolen S. 74; Lage der zwei Magnet: pole durch James Roß beſtimmt S. 74 (Anm. 68 — 69 S. 133), Lage des magnetiſchen Aequators (der Kurve, auf der keine Neigung beobachtet wird) (beſonders gegen den geographiſchen Aequator) und ſeine Knoten nach verſchiedenen Reiſenden S. 75— 77 und Anm. 70 bis 72 S. 133—134 [Anm. 70: Elemente meiner Beſtimmung desſelben in der Andeskette von Südamerika, Beſtimmung der In— klination an verſchiedenen Orten von Peru! (afrikaniſcher Knoten und ſeine ſäkulare Bewegung S. 75, der atlantiſche Knoten und der in der Südſee S. 75— 76); die ſäkulare Veränderung der Knoten des magnetiſchen Aequators S. 77. Periodizität in den Verän⸗ derungen der magnetiſchen Inklination: ſtündliche Veränderungen S. 7778 [Anm. 73 S. 134— 135: Arago über die von ihm beobachtete ſtündliche Veränderung in der Inklination im Ber: gleich mit der Veränderung der Intenſität, in zwei Briefen S. 134; fernere Beſtätigung ſeiner Beobachtung einer größeren Horizontal— intenſität am Abend gegen den Morgen, verſchiedenartiges Ver— hältnis derſelben in der ſüdlichen Hemiſphäre S. 135]; von den Reſultaten der Beobachtungen Sabines über alle drei Elemente des telluriſchen Magnetismus (Wendeſtunden und kleine Schwankungen, Haupt⸗ und ſekundäre Maxima und Minima, und dagegen ein Maximum und Minimum) S. 78; ſpezielle Angabe der ſtündlichen periodiſchen Variationen der magnetiſchen Neigung nach Sabine in verschiedenen Stationen der nördlichen und ſüdlichen Hemiſphäre S. 78—79; Vergleichung dieſer Reſultate untereinander in den Wendeſtunden, den Maximis und Minimis: allgemein S. 79— 80, zwiſchen Toronto und Hobarton S. 80 (Anm. 74 S. 135), am Vorgebirge der guten Hoffnung S. 80. Die ſäkulare Variation der Inklination nach den Beobachtungen in verſchiedenen Teilen der Erde S. 80 —82 (Anm. 75 S. 135) (Beobachtungen zu Paris S. 81). Ob die Erhebung des Bodens oder die Höhen einen Einfluß auf die magnetiſche Neigung ausüben: allgemein S. 82, meine eigenen Reſultate S. 82 —83, die von Bravais ©. 83, der erſte Verſuch von Borda gemacht S. 84; ob die Tiefe in der Erde einen Ein— fluß ausübt S. 84 und Anm. 78 S. 136 (meine Beobachtungen und Elemente meiner unterirdiſchen Meſſungen in Freiberg S. 84 und Anm. 78 S. 136); ob das Erdbeben eine Einwirkung habe S. 85 (Einwirkung des von Cumana ©. 86). Deklination oder Abweichung S. 86—105 und Anm. 79—110 S. 137-147: Erſte Kenntnis und deren Verbreitung S. 86 (Anm. 79—81 S. 137). Erſcheinungen: Dispoſition des In⸗ halts S. 86—87; Veränderungen der Abweichung nach Tages- und Nachtſtunden oder ſtündliche Variation; vierfache Bewegung durch die Tages- und Nachtſtunden in der nördlichen magnetiſchen Halbkugel bei weſtlicher Abweichung: in den mittleren Breiten S. 87 bis 88 und Anm. 82—85 S. 137—139 [Anm. 82 S. 137: Belege für die Bewegung der Nadel (Deklination nach Weſten); Anm. 84 S. 137—139: Reſultate früherer Beobachtungen der Wende⸗ ſtunden (der vier Bewegungen der Nadel) durch Encke S. 137, Re⸗ ſultate des ſtündlichen Ganges der Nadel in ſeiner Allgemeinheit und großen Analogie in der nördlichen Halbkugel S. 138, jpe: zielle Bemerkungen über die Beobachtungen und Angabe der Be— ſonderheiten des allgemeinen Verlaufes der Veränderung in den einzelnen Stationen S. 139; Anm. 85 S. 139: Schwankungen in den Wendeſtunden, an den regelmäßigen Aenderungen der ſtündlichen Deklination hat die Temperatur keinen Anteil], dieſe Bewegung in den hohen nördlichen Breiten (wo ſehr wenig Regel— mäßigkeit zu beobachten iſt) S. 88—89; gegen den Aequator hin große Komplikation S. 89 [Anm. 86 S. 139: Reſultate der Beob- achtungen in Bombay]. Die ſtündliche Variation in der ſüdlichen Halbkugel: geſchichtliche Momente der beobachteten Abweichung S. 89 bis 90 (Anm. 87 S. 140), der ſtündlichen Beobachtungen S. 90 (Anm. 88, 89 S. 140); Hefulikte S. 90, Vergleichung derer von Hobarton mit Toronto S. 91; es iſt bisher noch kein Punkt auf der Erde aufgefunden worden, in welchem die Nadel ohne ſtünd— liche Bewegung wäre S. 91; Fortſetzung der Reſultate in der ſüd⸗ lichen Halbkugel: von St. Helena (teilnehmend an den Erſcheinungen beider Halbkugeln) S. 92 (Anm. 90 S. 140), Singapore S. 92, dem Vorgebirge der guten Hoffnung S. 92 [Anm. 91 S. 141: das Phänomen von St. Helena an anderen Stellen wiederholt]; — 551 — allgemein über ſtündliche Beobachtungen S. 92. Den regel⸗ mäßigen ſtehen ſcheinbar unregelmäßige Bewegungen entgegen, welche horizontal aufgehangene Nadeln darbieten: außerordentliche Störungen der Abweichung, magnetiſche Ungewitter: Geſchicht⸗ liches, beſonders von der Erkenntnis des Zuſammenhangs der Störung mit dem Nord: oder Polarlicht S. 93 [Anm. 92 S. 141: Halleys phantaſtiſche Erklärung des Nordlichtes durch das innere Erdlicht]; meine eigenen Beobachtungen, beſonders zu Berlin; deren Einrichtung und Reſultate, wie die verſchiedenartigen Erſcheinungen bei kleineren und bei größeren und außerordentlichen Störungen oder magnetiſchen Ungewittern S. 94—95 (Regelmäßigkeit des Ein⸗ trittes von kleinen und größeren Ungewittern S. 95—96 und Anm. 96 S. 143) und Anm. 93— 96 S. 141 — 143 [Anm. 94 S. 141: Verzeichnis der großen magnetiſchen Ungewitter am Ende des September 1806 S. 142, Verſchiedenes S. 142, Anm. 95 S. 142 — 143: Schwingungen ohne Veränderung in der Abweichung ſind in Paris von Arago nicht wahrgenommen worden S. 142, wohl aber in Toronto S. 143; allgemeiner Schluß über das unbeſtimmte Verhältnis der Schwingungen zur Veränderung der Deklination S. 143]; großartige Ausdehnung der von mir ange: fangenen Beobachtungen und Reſultate durch die magnetiſchen Stationen S. 96—97. Die Störungen find nach Sabine eine regelmäßige periodiſche Variation, ihr allgemeiner Verlauf S. 97 (Anm. 97 S. 143); ſie verurſachen auch regelmäßig eine vermehrte öſtliche oder weſtliche Abweichung S. 97. Säkulare Veränderung aller drei Elemente des Erdmagnetismus nach einer 10jährigen Periode S. 97—98 (Anm. 98 S. 144); kosmiſche Urſache einer ſolchen Periodizität in der Photoſphäre der Sonne und ihre Ueber- einſtimmung mit der 10jährigen Periode der Sonnenflecken S. 98. Verbreitete und lokal beſchränkte magnetiſche Ungewitter S. 98—99 (Anm. 99 S. 144); die Hinderniſſe der Fortpflanzung ſind ſchwer zu erſinnen S. 99. Beſtimmung des magnetiſchen Meridians S. 99; Auffindung der Variationslinien, ſpäter verallgemeinert zu den iſogoniſchen Kurven oder Linien gleicher Abweichung, S. 99 bis 100. Unter ihnen verdienen die größte Aufmerkſamkeit die Linien ohne Abweichung S. 100 (Anm. 99 S. 144); Not⸗ wendigkeit fortgeſetzter Beobachtung und weiterer Beſtimmung dieſer erſt teilweiſe bekannten Linien S. 100 [Anm. 100 S. 144 — 145: mein Vorſchlag von mir zweimal empfohlen, beſonders 1839 S. 144; weitere Bemerkungen über die Notwendigkeit dieſer Er— forſchungen und die Art der Ausführung S. 144— 145]. Drei Syſteme der Linien ohne Abweichung oder Variation, ihre all— gemeine Beſtimmung S. 100 — 101 (Anm. 101 S. 155); über die Verhältniſſe der Abweichung in Afrika S. 101 und Anm. 102 S. 145; ſpezielle Beſtimmung des Laufes der einzelnen Kurven: der atlantiſche Teil der amerikaniſchen Kurve S. 101—102 (Anm. 103 S. 145), die auſtralo⸗aſiatiſche Kurve S. 102—103 und Anm. 104 / — 552 — bis 108 S. 145 — 146 (ihr ſüdlicher Teil S. 103 und Anm. 104 S. 145, Unbekanntheit der mittleren Verbindung S. 102 und Anm. 105 - 107 S. 145 — 146, der fo genau bekannte Teil vom ſüdlichen Rußland bis Sibirien S. 102—104 und Anm. 108 S. 146—147 [Anm. 108 S. 146-147: Rat Leibnizens an Peter den Großen, die Beſtimmung magnetiſcher Linien im ruſſiſchen Reiche vornehmen zu laſſen, ſeine Anſichten über die magnetiſche Abweichung und die Linie ohne Abweichung, in einem Briefe an den Zar entwickelt!); Syſtem der Südſee (Ovale, welche die geſchloſſenen Kurven der Abweichung in beiden letzten Syſtemen bilden) S. 104. Geſchichte der Kurven ohne Abweichung, d. h. ihre Veränderung und ihr Vorrücken im Laufe der Zeit (ſäkulare Ver⸗ änderung) S. 104—105 (Anm. 109 und 110 S. 147). Polarlicht oder Nordlicht S. 105—111 und Anm. 111 bis 119 S. 147-149: Die außerordentlichen Störungen in der Deklination ſind teils Vorboten, teils Begleiter des magnetiſchen Polarlichts S. 106; Weſen des Nordlichts: dasſelbe bezeichnet als eine telluriſche Thätigkeit, eine Entladung, Ende eines magnetiſchen Ungewitters S. 106. Objektive Beſchreibung der Vorgänge beim Nord- oder Polarlicht S. 106—110 und Anm. 111—116: das ſoge⸗ nannte ſchwarze Segment S. 106, ſchwarze Strahlen und Flecken S. 107 (Anm. 112 S. 147), die (ſeltene) Nordlichtskrone S. 107, Geſtalten der Strahlen S. 107; Farbe des Polarlichts S. 107, ſein Zuſammenhang mit der Bildung der Cirruswölkchen S. 107 (Anm. 113 S. 147), das Umdrehen der Konvergenzpunkte S. 108 und Anm. 114, 115 S. 147 148 [Anm. 114 S. 147: ein Beiſpiel der Polarcirrusſtreifen und der Bewegung der Konvergenzpunkte aus meinem Tagebuch der ſibiriſchen Reife], Lichtſäulen oder Strahlen⸗ bündel und Lichtbogen S. 108 (Anm. 116 S. 148). Häufigkeit der Nordlichter, beſonders um den nördlichen Magnetpol S. 108; Nord— lichter in der ſüdlichen und Südlichter in der nördlichen Halbkugel S. 108. Kein Geräuſch S. 109; Höhe des Phänomens S. 109; Einfluß des Nordlichts auf alle Elemente des Erdmagnetismus S. 109 (Anm. 117—118 S. 148 149). Schlußbetrachtung S. 110—111 und Anm. 119, 120 S. 149—150: Die vorſtehende Entwickelung des dermaligen Zus ſtands unſerer poſitiven Kenntniſſe von den Erſcheinungen des Erd⸗ magnetismus hat ſich meiſt auf eine objektive Darſtellung beſchränken müſſen S. 110; es ſind vorſichtig ſein geognoſtiſcher Zuſammenhang und ſeine Beziehungen zu der Richtung der Gebirgszüge und der Bildung der Gebirgsarten vermieden worden S. 110; anderer Art, nur partielle Verhältniſſe des Erdmagnetismus berührend, find die⸗ jenigen geognoſtiſchen Erſcheinungen, welche man Gebirgsmagnetismus nennen kann S. 110 (Prüfung der Stärke des Geſteinmagnetismus, über entgegengeſetzte Polarität S. 110 [dazu Anm. 120 S. 149 — 150: meine und ſpätere Beobachtungen über die magnetiſche Eigenſchaft und Erſcheinungen des Haidberges S. 149; andere einzelne Belege — 553 — der magnetiſchen oder polariſchen Eigenſchaft (Polarität) von Bergen, von Magnetbergen, von Geſteinen S. 149; ob die äußere Luft Ein⸗ fluß auf den Magnetismus des Geſteins oder der Gebirgsarten habe S. 150; allgemeine Bemerkungen über denſelben, angebliche Verminderung des Magnetismus durch die Zwiebel S. 150). Zweiter Abſchnitt. Reaktion des Inneren der Erde gegen die Oberfläche S. 151—354 und Anm. S. 355 — 464: Rückblick auf die behandelten Gegenſtände von den Eigen: ſchaften der Erde (der Materie) S. 151—152 und von der Beziehung der Erde zu ihrem Centralkörper, der Sonne S. 152. Der zweite Teil dieſes Bandes iſt der Reaktion des Inneren der Erde gegen ihre Oberfläche gewidmet, die ich auch mit dem allgemeinen Namen des Vulkanismus oder der Vulkanität belege S. 152. Ueber die Einheit dieſer allgemeinen Eigenſchaft und ihre verſchiedenen Wirkungen S. 152 — 153, Einteilung und Stufenfolge der Klaſſen vulkaniſcher Erſcheinungen S. 152— 153 les iſt wahrſcheinlich, daß dieſe vulkaniſche Lebensthätigkeit allen Weltkörpern eigen ſei S. 153). Anknüpfung dieſes zweiten großen Teils an den Schluß des erſten Teils, an den Erdmagnetismus und die Lichtentwickelung durch denſelben S. 153; es folgt zunächſt diejenige Klaſſe der vul— kaniſchen Thätigkeit, welche, ganz wie die magnetiſche, nur dynamiſch wirkt: Bewegung, Schwingungen in der Feſte erregend; nachfolgende geſteigerte Erſcheinungen oder weitere Abſtufungen des Vulkanismus S. 154. Erdbeben ©. 154—166 und Anm. 1— 19 S. 355—361: Unter den mannigfach ſich ſteigernden Phänomenen der Reaktion des Inneren gegen die äußere Erdrinde ſind zuerſt diejenigen abzu— ſondern, deren weſentlicher Charakter ein bloß dynamiſcher, der der Bewegung oder der Erſchütterungswellen in den feſten Erd— ſchichten, iſt: eine vulkaniſche Thätigkeit ohne notwendige Begleitung von chemiſcher Stoffveränderung, von etwas Stoffartigem, aus: geſtoßenen oder neu erzeugten. Fortſchritte der Erkenntnis vom Erdbeben ſeit dem Erſcheinen des erſten Bandes S. 154 (Anm. 1 S. 355). Weſentlicher Charakter des Phänomens, es iſt zu unter— ſcheiden zwiſchen dem Impuls zur Erſchütterung und der Beſchaffen— heit und Fortpflanzung der Erſchütterungswellen S. 154; meine eigene Erfahrung und Beobachtung von Erdbeben und deren Folgen in den verſchiedenſten Gegenden und von der verſchiedenſten Art S. 154—155 (Anm. 2 S. 355). Nach jenen zwei Momenten unterſcheidet man zwei Klaſſen der Probleme von ſehr ungleicher Zugänglichkeit: die erſtere, die der wirkenden Kraft, welche als Impuls die Vibration erregt, kann nach dem jetzigen Zuſtande unſeres Wiſſens zu keinen allgemein befriedigenden Reſultaten führen; Allgemeines über die Erklärungsarten S. 155; kurze Zu— ſammenſtellung der verſchiedenen Anſichten über die Natur des erſten Impulſes (der Urſachen) zur Erſchütterung S. 156 und Anm. 3 bis 7 S. 355— 357 [Anm. 3 S. 355-356: über die Idee einer — 554 — Attraktion des Mondes und der Sonne auf die geſchmolzene Ober⸗ fläche des Erdkerns als Urſache (Impuls zu) der Erſchütterung (unterirdiſche Ebbe und Flut) S. 355; über die Dicke des feſten oder ſtarren Teils der Erdrinde und die Tiefe, in welcher der geſchmolzene Zuſtand des Erdinneren beginnt S. 356J. Mit mehr Klarheit ſind die Wirkungen des Impulſes, die Erſchüt⸗ terungswellen, auf einfache mechaniſche Theorieen zurückgeführt S. 157; über die Erdwellen und Erſchütterungen (Fortſchritte und Geſchwindigkeit der Erdwellen, rotatoriſche und geradlinige Er— ſchütterungen) S. 157 und Anm. 8 S. 358 [Anm. 8 S. 358: über die Idee von der Erleichterung der Verbreitung der Erd— oder Erſchütterungswellen durch die inneren Höhlungen der Erde]; die ſie begleitenden Phänomene von Ausſtrömungen S. 158 (wan⸗ dernde Moyakegel; Anm. 9 S. 358) (Wirkung und verſchiedenartige Erſcheinungen bei dem Erdbeben von Riobamba S. 158 und Anm. 10 S. 358); Erzeugung von Spalten und Erguß von Flüſſigkeiten durch ſie als begleitende Erſcheinung S. 159 (Anm. 20 S. 358); Er⸗ weiterung des Erſchütterungskreiſes S. 159. Phyſiſche Verände⸗ rungen, welche die Erdbeben durch Erzeugung von Spalten veran⸗ laſſen: ſtoffartige Produktionen, d. h. Stoffe aus Spalten empor⸗ ſteigend, fern von allen Vulkanen S. 160; Zuſammenhang der 8 mit den warmen Quellen S. 160— 161 und Anm. 12 S. 358 (Zonen vulkaniſcher Thätigkeit S. 161 und Anm. 13, 14 S. 358—359); Anſichten über den Kauſalzuſammenhang der Erd: beben und 0 Einfluß der letzteren im Altertum; auf⸗ fallende Unveränderlichkeit vieler warmer Quellen S. 161. Getöſe beim Erdbeben S. 162 (Anm. 15, S. 360), Fort⸗ pflanzungsgeſchwindigkeit des Erdbebens S. 162—163 [Anm. 16 S. 300: die des Erdbebens von Liſſabon; Poſeidon und Neptun als Urheber der Erdbeben und in Verbindung mit ihnen (d. h. Erd⸗ erſchütterungen vom Meeresboden ausgehend) ]. Erderſchütterungen und plötzliche Feuerausbrüche lange ruhender Vulkane haben aller⸗ dings einen gemeinſchaftlichen Kauſalzuſammenhang in der hohen Temperatur unſeres Planeten, aber eine dieſer Erſcheinungen zeigt ſich meiſt ganz unabhängig von der anderen S. 163: Erdbeben ohne Vulkanausbruch und umgekehrt S. 163, Erſchütterungen ſich auf dem Meeresboden fortpflanzend oder von ihm ausgehend und große Wellen erregend S. 164. Erſchütterungen, welche auf den kleinſten Raum eingeſchränkt ſind und offenbar der Thätigkeit eines Vulkans ihren Urſprung verdanken: am Vulkan ſelbſt (doch Mangel der Er: ſchütterung am Aſchenkegel) S. 164 (Anm. 17 S. 360); eine zweite, unendlich wichtigere Gattung von Erdbeben iſt die ſehr häufige, welche große Ausbrüche von Vulkanen zu begleiten oder ihnen vor- anzugehen pflegt S. 165; am weiteſten verbreitet ſind aber drittens die Erſchütterungswellen, welche unvulkaniſche oder vulkaniſche Län⸗ der durchziehen, ohne irgend einen Einfluß auf die nahen Vulkane auszuüben S. 165 (Anm. 17 S. 360) (dahin gehört auch der — 555 — ſeltene Fall, daß in unvulkaniſchen Ländern der Boden auf engem Raume monatelang erbebt S. 165). Dieſe verſchiedenen Arten der Manifeſtation vulkaniſcher Thätigkeit führen zu Reſultaten über den Kauſalzuſammenhang der Erſcheinungen S. 166; bisweilen umfaßt die vulkaniſche Thätigkeit einen jo großen Teil des Erd: körpers, daß die Erſchütterungen des Bodens mehreren miteinander verwandten Urſachen gleichzeitig zugeſchrieben werden können S. 166 [Anm. 19 S. 361—362: Folge der einzelnen Erſcheinungen der langen, zuſammenhängenden und weitverbreiteten vulkaniſchen Re⸗ gungen, Vulkanausbrüche und Erdbeben, wie ihrer Zerſtörungen im neuen Kontinent in den Jahren 1796 bis 1797 S. 361, 1811 bis 1812 S. 361]. b. Thermalquellen S. 166—181 und Anm. 20—33 S. 362 — 368, d. h. die Reaktion des Inneren der Erde ſich offen⸗ barend durch die den Quellwaſſern mitgeteilte erhöhte Temperatur, wie durch Stoffverſchiedenheit der beigemiſchten Salze und Gas⸗ arten. — Die vulkaniſche Macht, welche, dynamiſch wirkend, Erd⸗ beben erzeugt, iſt auch fähig, unter Umſtänden Stoffartiges zu produzieren und an die Oberfläche zu leiten; dem kurzen und un⸗ geſtümen Auswurfsphänomen ſteht zur Seite das große, friedliche Quellenſyſtem der Erdrinde S. 166. Unbeſtimmtheit und Schwierig⸗ keit der Einteilung der Quellen in kalte und warme S. 167 und Anm. 20 S. 362 — 363 [Anm. 20 S. 362— 363: mittlere Tem: peratur der Waſſer großer Flüſſe im tropiſchen Amerika, aus meinen Tagebüchern zuſammengeſtellt, um mit ihr die Temperatur der unmittelbar aus den Erdſchichten hervorbrechenden Quellen vergleichen zu können, und einige Betrachtungen über die Tempe⸗ ratur der Waſſer dieſer Flüſſeſ. Das Ausbrechen von Quellen aus Spalten iſt ein ſo allgemeines Phänomen der Erdoberfläche, daß Quellen an einigen Punkten den am höchſten gehobenen Ge— birgsſchichten, in anderen dem Meeresboden entſtrömen S. 168; Beobachtung der Temperatur der Quellen und ihre Trennung in ſolche, welche unveränderliche Temperatur haben, und in die mit den Jahreszeiten veränderlichen S. 168; wovon die Temperatur der veränderlichen Quellen abhängig iſt S. 168 (Anm. 21 S. 363); Quellentemperatur in denjenigen Teilen des nördlichen Aſiens, in welchen eine ewige Eisſchicht oder Eisſtücke in einer Tiefe von wenigen Fußen gefunden werden S. 168, und in den Hochebenen oder auf hohen Bergen der Tropenzone S. 169. Wirkliche Beob⸗ achtungen ſind von den darauf gegründeten Schlüſſen zu trennen S. 169; dreierlei Elemente der Wärme: thermiſche Zuſtände der Erdrinde, des Ozeans und der Atmoſphäre, und der Gang und die Verhältniſſe der Temperaturveränderung in ihnen S. 169 — 170. Temperatur der (nicht veränderlichen) auf bedeutenden Höhen aus⸗ brechenden oder befindlichen Quellen S. 170— 171 (Anm. 22 S. 363); vielfache Einwirkungen auf die Temperatur durch die Verhältniſſe in der Höhe und Tiefe, in der Luft, dem Inneren der Erde und dem — 556 — Meere: im allgemeinen (die vielen, auf die vertikale Wärmevertei⸗ lung wirkenden Faktoren) S. 171; dieſe Einwirkungen und andere auf die Gebirgsquellen, Verhältniſſe der Abnahme der Tempe⸗ ratur in der Höhe S. 172 (Alpen S. 172, Andes S. 172; Wir⸗ kungen des Meeres auf die Temperatur S. 173; verſchiedene Tem⸗ peraturverhältniſſe in der Erhebung über dem Meere und Schluß davon auf die Temperatur der Gebirgsquellen S. 174 — 175 (Anm. 23 S. 363). Des heiligen Patricius Erklärung der heißen Quellen durch die hohe Temperatur der Tiefe S. 175 (Anm. 24 S. 363 bis 364); heiße Quellen von hoher Temperatur: im allgemeinen S. 176, im neuen Kontinent S. 176 (die von Comangillas S. 176, von las Trincheras S. 176 und Anm. 25 S. 364), in Indien S. 177, auf'Island isländiſche Kochbrunnen oder Kochquellen S. 177 (Anm. 26 S. 364) (beſonders der Geiſir S. 177 und Strokkr S. 178). Rein⸗ heit und verſchiedene Zuſammenſetzung und Beſtandteile der heißen Quellen S. 178 (Anm. 27—29 S. 364365), Säuerlinge ©. 179, Schwefelquellen oder Schwefelwaſſer S. 179 und Anm. 30 S. 365 (der rio Vinagre S. 179—180; das Gleichbleiben der Temperatur und der chemiſchen Beſchaffenheit der Quellen iſt noch um vieles merkwürdiger als die gelegentliche Veränderlichkeit S. 180 [Anm. 31 S. 365— 366: über die Styrquelle und die Schädlichkeit der Waſſer der Styx, Styxſagen des Altertums]; geognoſtiſche Wichtigkeit der heißen Quellen als umändernd und ſchaffend S. 180 (Anm. 32 S. 366). Ed. Hallmanns Arbeit über die Temperaturverhältniſſe der Quellen, ſeine Meſſungen und ſeine dreifache Einteilung der Quellen S. 181 [Anm. 33 S. 366— 368: über Hallmanns neue, auf ſeine 5jährige Beobachtung von ſieben Quellen zu Marienberg bei Boppard gegründete Arbeit über die Temperaturverhältniſſe der Quellen im Vergleich zu der Temperatur der Luft und der Regen⸗ menge (Abweichung des Quellmittels vom Luftmittel), nur die ver: änderlichen Quellen betreffend (mit Ausſchluß der beſtändigen oder rein geologiſchen) S. 366; Mitteilungen daraus: erſte Ab: teilung: die rein meteorologiſchen Quellen S. 181; zweite Abteilung: die meteorologiſch-geologiſchen S. 367; ſeine abnorm kalten Quellen, aus ſeiner ſpäteren Reiſe nach Italien; Modifikation ſeiner Anſichten im zweiten Bande feiner Arbeit S. 368]. c. Dampf- und Gas quellen, Salſen, Schlamm⸗ vulkane, Naphthafener S. 181—182 und Anm. 33—44 S. 368—374, d. h. die Reaktion des Inneren der Erde, ſich offen⸗ barend durch den Ausbruch elaſtiſcher Flüſſigkeiten, zuzeiten von Erſcheinungen der Selbſtentzündung begleitet. — Die Salſen ein Mittelglied zwiſchen den heißen Quellen und den eigentlichen Bul- kanen; die Salſen und Naphthabrunnen ſtehen teils vereinzelt in engen Gruppen, teils in ſchmalen Zügen aneinander gereiht S. 182; die Schlammvulkane und Naphthafeuer des Kaukaſus S. 182—183 und Anm. 34, 35 S. 368 — 370 [Anm. 34 S. 368 — 370: meine Anſicht über den Zuſammenhang der aſiatiſchen Gebirgsketten — 557 — (nach ihrer Streichungsrichtung und ihren Erhebungslinien), be⸗ ſonders über den Kaukaſus als eine Fortſetzung des Tian⸗ſchan S. 368, beſtätigt durch Abichs Beobachtungen S. 369, über den Namen Kaukaſus S. 369 und die an ihn geknüpften Mythen, beſonders die des Typhon und über den Kaukaſus als ſeinen Sitz, gegründet auf die Anſicht vom Kaukaſus als einem vulka⸗ niſchen Gebirge S. 369; dieſe Anſicht noch jetzt gerechtfertigt S. 370]; die Schlammvulkane der Halbinſel Taman S. 183. Eine ſtoffartig verſchiedene, aber ihrer Entſtehung nach gewiß ver⸗ wandte Erſcheinung ſind in der toskaniſchen Maremma die heißen, borſauren Dampferuptionen: Fumarolen, soffioni S. 184 (Anm. 36 S. 370); das Soffionenſyſtem von Island S. 184, Brenngasquellen in Nordamerika S. 185, Gruppe von Salſen oder Schlammvul⸗ kanen (volcanitos) bei Turbaco in Südamerika S. 185 und Anm. 37 S. 371 [Anm. 37 S. 371: Joaquin Acoſtas neuer Bericht über ſeinen Beſuch der Schlammvulkane von Turbaco, beſonders die veränderte Natur des ausſtrömenden Gaſes S. 371; über das große Ausbruchphänomen von Galera Zamba und andere Salſen der Provinz Cartagena S. 371; Anm. 38 S. 371—372: Recht⸗ fertigung meiner Beobachtungen und Analyſe des Gaſes dieſer Schlammvulkane durch die Stelle meines Tagebuchs S. 372; neueſte Beobachtungen derſelben durch Vauvert de Mean und Analyſen der von ihm mitgebrachten Waſſerproben; Beſtandteile in Italien ausgeſtoßener Gaſe S. 372] (Grenze der Entzündbarkeit von Gas S. 187); mächtiger Flammenausbruch und Erdumwälzung bei Carta- gena de Indias durch den Gasvulkan der Galera Zamba S. 187. Die Gleichheit der Erſcheinungen, welche in den verſchie⸗ denen Stadien ihrer Wirkſamkeit die Salſen, Schlammvulkane und Gasquellen anderwärts darbieten, offenbart ſich in ungeheuren Länderſtrecken im chineſiſchen Reiche: Feuerbrunnen oder ho-tsing der Chineſen S. 188 — 189 (Anm. 40 S. 373); Salſen und Stick⸗ grotten auf der Inſel Java S. 189 (Anm. 41— 43 S. 373); Beſchreibung eines Ausbruchs von heißen Schwefeldämpfen in dem azufral de Quindio S. 190, der azufral des cerro Cuellu und Naphthaquelle aus Glimmerſchiefer im Golf von Cariaco S. 191 (Anm. 44 S. 373). Allgemeine Betrachtung über die Art vul⸗ kaniſcher Thätigkeit, welche ſich durch Hervordringen von Dämpfen und Gasarten, bald mit, bald ohne Feuererſcheinungen, offenbart; d. h. verſchiedene hervorgetriebene Stoffe und die verſchiedenen Benennungen für die Gattungen S. 192, Weſen und Unterſchiede der verſchiedenen Gattungen S. 192. d. Vulkane mit und ohne Gerüſte (Kegel- und Glocken⸗ berge) S. 192—354 und Anm. S. 374 — 464, d. h. die Reaktion des Inneren der Erde gegen die Oberfläche ſich offenbarend, in ihrem höchſten und in ſeinen Aeußerungen komplizierteſten Grade der Steigerung, durch die großartigen und mächtigen Wirkungen eigent⸗ licher Vulkane, welche (bei permanenter Verbindung durch Spalten — 558 — und Krater mit dem Luftkreiſe) aus dem tiefſten Inneren ge⸗ ſchmolzene Erden teils nur als glühende Schlacken ausſtoßen, teils gleichzeitig, wechſelnden Prozeſſen kriſtalliniſcher Geſteinbildung unterworfen, in langen, ſchmalen Strömen ergießen, welche die großen und jo verſchiedenartigen Prozeſſe kriſtalliniſcher Geſtein⸗ bildung auf trockenem Wege hervorrufen und deshalb nicht bloß auflöſen und zerſtören, ſondern auch ſchaffend auftreten und die Stoffe zu neuen Verbindungen umgeſtalten. — Unter den mannig— faltigen Arten der Kraftäußerung in der Reaktion des Inneren unſeres Planeten gegen ſeine oberſten Schichten iſt die mächtigſte die, welche die eigentlichen Vulkane darbieten, d. i. ſolche Oeff⸗ nungen, durch die neben den Gasarten auch feſte, ſtoffartig ver— ſchiedene Maſſen an die Oberfläche gedrängt werden S. 193. Ein⸗ zeln ſtehende Kegelberge und zuſammenhängende vulkaniſche Ge— biete von großem Umfange S. 193; Eruptionsmaſſen in ſolchen Gebieten, welche von den Bergen ganz unabhängig zu ſein ſcheinen, früher aus Spalten hervorgedrungen, oder ſehr alte vulkaniſche Formationen, auf Spalten ausgebrochen vor der Bildung eines Vulkans S. 193 (Lavaausbruch auf Eubba S. 194 [ Anm. 45 S. 374 griechiſche Benennungen für vulkaniſche Erſcheinungen: Lava u. a.]); dieſe Spalten und die ſpäter entſtandenen Erhebungskrater ſind nur als vulkaniſche Ausbruchöffnungen, nicht als Vulkan ſelbſt zu be- trachten S. 194. Hauptcharakter des Vulkans: er bedarf eines Gerüſtes, He⸗ bung und Auftreibung des Bodens S. 194 (Anm. 46 S. 374); die Sprengung dieſer Auftreibung des Bodens erzeugt bald allein einen Erhebungskrater, bald in deſſen Mitte einen dom- oder fegel: förmigen Berg; der letztere iſt dann meiſt an ſeinem Gipfel ge⸗ öffnet, und auf dem Boden dieſer Oeffnung (des Kraters des permanenten Vulkans) erheben ſich vergängliche Auswurfs⸗ und Schlackenhügel, kleine und große Eruptionskegel S. 195 und Anm. 47 S. 374 — 375 [in allgemeinerer Faſſung: Hergang der Bildung eines Vulkans, ſeiner verſchiedenen Arten und Teile oder Gerüſte: Hebung, Auftreibung des Bodens, Erhebungskrater, dom- oder kegelförmiger Berg, Krater, Eruptionskegel S. 195] [Anm. 47 S. 374-375: über Erhebungskrater nach Leopold von Buch und in verſchiedenen Gegenden der Erde]; gelegentliche Zertrümmerung der alten Gerüſte S. 195. Die neuere Zeit hat das Verdienſt, eine genauere Beſtimmung der Verhältniſſe der Vulkane in ihrer Ge— ſtaltung bewirkt und beſtimmtere Ausdrücke eingeführt zu haben S. 195. Das Hervorbrechen von feuerflüſſigen Maſſen und feſten Stoffen kann man ſich auf viererlei Weiſe vorſtellen; die Er— ſcheinungen ſind, wenn man von den einfachen zu den zu— ſammengeſetzten vorſchreitet: 1) Eruptionen auf Spalten, 2) Aus: brüche durch Aufſchüttungskegel, 3) Erhebungskrater, 4) geſchloſſene Glockenberge oder an der Spitze geöffnete Erhebungskegel, entweder mit einem wenigſtens teilweiſe erhaltenen Circus umgeben oder — 559 — ganz ohne Umwallung und ohne Erhebungskrater S. 195— 196; in der vierten Klaſſe: die offenen Erhebungskegel und dagegen die an dem Gipfel verſchloſſen gebliebenen dom- und glockenartigen Berge S. 196; Entſtehung eines ſolchen Berges mit Glockenform bei Methone von den Alten beſchrieben S. 196, Naphthageruch bei vulkaniſchen Ausbrüchen S. 196 [Anm. 48 S. 375-376: Anſichten über die Oertlichkeit, in welche der Ausbruch des blaſen- oder glockenförmigen Hügels von Methana zu verlegen iſt S. 375; über Naphthageruch bei vulkaniſchen Ausbrüchen S. 376]; Umwallungen oder Zirkus zeigen ſich auch in anderen als vulkaniſchen Gebirgs— arten S. 197— 198 (Anm. 49 S. 376); Ring: und Keſſelthäler Bl: Minder mit den Erhebungskratern verwandt als mit der ein— fachſten Form vulkaniſcher Thätigkeit, der auf Spalten, ſind die Maare, Minentrichter oder Exploſionskrater S. 198; allgemeine Betrachtungen über die Maare S. 198 (Anm. 50 S. 376); zwei Arten der vulkaniſchen Thätigkeit in der Eifel: die eigentlichen Vulkane S. 198 — 199, die Maare der Eifel S. 199; Reichhaltigkeit von kriſtalliſierten Mineralien, welche die Maare bei ihrer erſten Exploſion ausgeſtoßen haben und die jetzt zum Teil in den Tuffen vergraben liegen S. 200 und Anm. 51 S. 376—377 (die vielen kriſtalliſierten Mineralien am Veſur S. 200 und Anm. 52 ©. 377); Richtungen der verſchiedenartigen Erſcheinungen vulkaniſcher Thä— tigkeit in der Eifel S. 201, Vorkommen von Trachyt in ihr S. 201, Bimsſteinmaſſen und Traß hier und weiter in dieſer Gegend Deutſchlands S. 201; Altersverhältniſſe der Maare und der Lavaausbrüche der Eifel und überhaupt dieſer Gegend zu der Thalbildung S. 202, das kleine Leben der Eifel S. 203 (Anm. 53 S. 377); Maare in der Auvergne S. 203 (Anm. 54 S. 377). Die Vulkangerüſte erſcheinen wenigſtens in 6facher Geſtalt und kehren in dieſer Verſchiedenartigkeit in den entfernteſten Zonen der Erde wieder S. 203; Wiederkehr und phyſiognomiſcher Einfluß der Bergformen S. 203. Geſtalten des Baſalts S. 203; im Trachyt unterſcheiden wir die Domform, nicht zu verwechſeln mit dem Glockenberg; Kegelgeſtalt, abgeſtumpfte Kegelform, langer Rücken S. 203 (Anm. 55 S. 377); große Naturbegebenheiten bringen in Kegelbergen ſonderbare Formen hervor, jo die Spaltung in Doppel⸗ pyramiden, eine Krenelierung der oberen Kraterwände Capac-Urcu oder Altar und Einſturz ſeines Gipfels) S. 204 und Anm. 56 S. 377378 [Anm. 56 S. 377—378: über die Schneelinie in den nevados von Quito: die obere des ewigen Schnees und die tiefere eines zufälligen Schneefalls, und die große Regelmäßigkeit der erſteren!; der große Ararat, ein ungeöffneter Dom, und ähnliche Kegel S. 205. Da Kegel⸗ und Domformen bei weitem die häu— figiten ſind, jo iſt der langgeſtreckte Rücken des Vulkans Pichincha merkwürdig; Beſchreibung des Berges S. 205 — 206; andere Vulkane von ſolcher Geſtalt S. 206. Wie die Geſtalten der Feuerberge ſo — 560 — auffallend verſchieden find, jo iſt die relative Stellung der Erhebungs⸗ kegel bisweilen noch ſonderbarer S. 206 —207 (Anm. 57 S. 378). Die kleinſte und größte Höhe, in denen die vulkaniſche Thätig- keit des Inneren der Erde ſich an der Oberfläche permanent wirkſam zeigt, iſt für die phyſiſche Erdbeſchreibung von Intereſſe; das Maß der hebenden Kraft offenbart ſich allerdings in der Höhe vulkaniſcher Kegelberge, aber über den Einfluß der Höhenverhältniſſe auf Frequenz und Stärke der Ausbrüche iſt nur mit vieler Vorſicht ein Urteil zu fällen S. 207. Ich begnüge mich vorſichtig für die vergleichende Hypſometrie der Vulkane fünf Gruppen aufzuſtellen, mit Zuſatz von Beiſpielen; nähere Erläuterungen über dieſe Zuſammenſtellung S. 208 (Anm. 58, 59 S. 378 — 379); die fünf Gruppen der Vul⸗ kane, abgeteilt und geordnet nach ihrer Höhe, von der geringſten beginnend S. 209 — 211 [dazu die Anm. 60 —85 S. 379 — 384, jede einem einzelnen Berge gewidmet, enthaltend ſpezielle Nachrichten, Mitteilungen und Bemerkungen über die einzelnen, in der Stufen: leiter genannten Vulkane]. Betrachtungen und Folgerungen aus dieſer Stufenleiter der Vulkane: es gibt keinen notwendigen Zu: ſammenhang zwiſchen dem Maximum der Erhebung, dem geringen Maße der vulkaniſchen Thätigkeit und der Natur der ſichtbären Gebirgsart S. 211; Beiſpiele, daß viele hohe Berge nicht Vulkane find, in Amerika und Aſien S. 211 — 212 (Anm. 86 S. 384); auch über das Verhältnis der abſoluten Höhe zu der Häufigkeit und dem Maß der Entflammung iſt kein ſicheres Geſetz aufzuſtellen S. 212; Beiſpiel, daß nicht die Anzahl der Eruptionen der Höhe der Vulkane umgekehrt proportional ſei; Kontraſte S. 212. Spezielle Beſchreibung und Geſchichte von fünf Vulkanen und einer vul⸗ kaniſchen Erſcheinung: allgemein S. 213; der Stromboli S. 213 (Anm. 87 S. 384), die Chimära S. 214 (Anm. 88 S. 384); der Vulkan von Maſaya S. 214—216 (Anm. 89—91 S. 385-386), von Izalco S. 216 (Anm. 92 S. 386), von Fogo S. 217; der Sangay S. 217— 218 und Anm. 93 S. 386—387 [Anm. 93 S. 386— 387: über das in weiter Ferne gehörte Krachen dieſes Berges (S. 386) und das Getöſe anderer Vulkane S. 387)]. Mehr noch als die Geſtalt und Höhe der Vulkane iſt ihre Gruppierung wichtig S. 219. Vulkaniſche Gebiete und Syſteme S. 219, beſonders das Brandland in Italien S. 219 (Anm. 94 S. 387: Strabo über zwei Entſtehungsarten der Inſeln S. 387; über die Pithecuſen oder Affeninſeln, ihre Namen und ihre rätſel-⸗ hafte Beziehung auf Affen S. 387], Typhon und Pyriphlegethon S. 219—220 [Anm. 95 S. 388: über Typhon ©. 388, der im In⸗ neren der Erde zuſammengepreßte Wind (rveöpa) von den Alten als die Urſache der Vulkanizität betrachtet S. 388; dieſe Urſache in der mit der Tiefe zunehmenden Wärme gefunden, der Pyri⸗ phlegethon S. 389]. — Die Reihenvulkane (im Gegenſatz zu den Gruppierungen um einen Centralvulkan): allgemein und Auf⸗ zählung von Reihen auf der Erde S. 220. Spezielle Betrachtung der rn — 561 — einzelnen Gruppen der Reihenvulkane, zunächſt im neuen Kontinent: die Reihenvulkane von Centralamerika S. 220 — 224: Erſtreckung und Häufung S. 220 (Lage der vulkaniſchen Spalten im ganzen neuen Kontinent S. 221 und Anm. 96 S. 389), Linien und ihre Richtung S. 221, Höhe der Vulkane S. 221 — 222 (die Er: niedrigung des Landes in der Gegend des Sees Nicaragua bewirkt in der Südſee die Papagayos, Nordoſtſtürme S. 222 und Anm. 97, 98 S. 389). Ueber die von mir vorgelegte neue Arbeit über die Reihenvulkane von Centralamerika S. 223 [große Anm. 99 S. 389 bis 395, aufzählend und behandelnd die Vulkane Centralamerikas: von meiner früheren Arbeit über 17 gereihte Vulkane S. 389, aus⸗ gedehnt durch ſpätere Arbeiten anderer S. 390; Verzeichnis der Vulkane von Süden gegen Norden, von mir aus allen Materialien zuſammengeſtellt, mit ſpezieller Beſtimmung, Nachrichten und Be— merkungen über die einzelnen; ihre Reihung, Richtung und Gruppen S. 390 — 395]; Zahl der Vulkane und beſonders der noch ent⸗ zündeten S. 223 [Anm. 100 S. 395: Aufzählung der gegenwärtig noch thätigen Vulkane, ihre neueſten Ausbrüche], über den häufigen Mangel von Lavaſtrömen in ihnen S. 223; Wunſch, daß ein mit den Vulkanen bekannter Reiſender, beſonders zu geognoſtiſchen, orykto— gnoſtiſchen und geologiſchen Beſtimmungen und Beobachtungen, dieſe Gegend beſuchen möge S. 223; nördlichſter Vulkan S. 224. — Mexikaniſche Vulkane, beſonders ihr Ausbruch auf einer von Oſten nach Weſten gerichteten Spalte um den Parallelkreis von 19° S. 224 — 225 [Anm. 101 S. 395— 396: Nachweiſung der Fun— damente dieſer Ortsbeſtimmungen der mexikaniſchen Vulkane S. 395; Ortsbeſtimmung des Vulkans von Colima S. 395, dieſer Vulkan nach Rugendas S. 395] (der Jorullo S. 225); weſtliche Verlänge— rung dieſes Parallels vulkaniſcher Thätigkeit S. 226. — Reihenvul⸗ kane von Neugranada und Quito S. 226— 227, beſonders die zwei oder drei Kordilleren S. 227, Wanderung und Zunahme der vulkaniſchen Thätigkeit nach Süden S. 227. — [Große vulkan⸗ leere Strecken der Andeskette von Südamerika und kürzere, zwiſchen den vulkaniſchen liegende S. 227. In dem Teil der Kordilleren von 46° ſüdl. bis 19 ½¼ nördl. Breite, die fünf Gruppen von der Vulkangruppe von Chile bis zu der von Mexiko (die drei ſchon behandelten, dazu die Gruppe von Peru und Bolivia und die von Chile) begreifend, iſt unbedeutend mehr als die Hälfte mit Vul— kanen bedeckt S. 228 [Anm. 102 S. 396— 397: Elemente dieſes Reſultats: Längenbeſtimmung dieſer 5 Gruppen der Reihenvulkane in der Andeskette (von N nad S) und (zwiſchen ihnen) die Ent- fernung der Gruppen voneinander (der vulkanfreie Raum zwiſchen ihnen) S. 396; allgemeines Reſultat über die Länge und das Verhältnis des Areals, das vulkaniſch und unvulkaniſch iſt S. 397]; Verteilung des vulkanleeren Raumes zwiſchen die fünf Vulkangruppen, Abſtände S. 228. Zahl der Vulkane in dieſen fünf Gruppen: überhaupt und die der noch entzündeten S. 229 A. v. Humboldt, Kosmos. IV. 36 — [Anm. 103— 107 ©. 397402: Aufzählung der Vulkane der ein- zelnen Gruppen: Anm. 103 S. 397 kurze Aufzählung der Vulkane von Mexiko; Anm. 104 S. 397 desgl. der von Neu⸗ granada und Quito; Anm. 106 S. 397: ausführliche Aufzählung der Vulkanreihe des ſüdlichen Perus und Bolivias von N nach S mit genauen Beſtimmungen und Erläuterungen über jeden einzelnen Vulkan (die 4 höchſten Berge der Himalaya: kette nach Waugh S. 398), großer vulkanleerer Raum bis zur Gruppe von Chile S. 399; Anm. 107 S. 399—402: allge: meine Betrachtungen und Bemerkungen über die gereihten Vulkane und die vulkaniſche Natur von Chile: Aufklärung durch Fitzroy und Darwin S. 399, die Reihe von Felsinſeln längs der Küſte bis zur Magelhaensſtraße eine verſunkene weſtliche Kordillere S. 399; die einzelnen Vulkane der Vul⸗ fangruppe von Chile von N gen S aufgezählt, in vier Ab— teilungen: mit ſpeziellen Beſtimmungen, Nachrichten und Er— läuterungen S. 400 — 402]; Erklärung über die Grundſätze, nach denen dieſe Zählung gemacht iſt: was ich Vulkane nenne und als Vulkane rechne S. 229, was noch entzündete S. 229]. Fortſetzung der Vulkanreihe von Neugranada und Quito S. 230 bis 231: Aufſtellung von vier kleineren Gruppen S. 230; die Vulkane von Quito und ihr großer Ruf S. 230, aus ähnlichen Gründen wie beim Montblanc S. 230. — Die Vulkanreihe von Peru und Bolivia im allgemeinen S. 231 (die ausführliche Aufzählung und Behandlung der einzelnen Vulkane ſ. ſchon S. 562 Z. 4—8 v. o.) Verändertes Streichen der Andeskette, der Vulkanreihe oder vulkaniſchen Spalte und des Litorales von Südamerika von Arica an bis zur Magelhaensſtraße S. 231, andere Uebereinſtimmungen zwiſchen dem Umriß des neuen Kontinents und den Kordilleren S. 231 [Anm. 109 S. 402— 405: genaue Schilderung der drei Reihen des Kordillerengebirges von Südamerika von dem Berg— knoten de los Robles gen Norden: in ihren Richtungen, Ber: bindungen und Verzweigungen, Höhen u. ſ. w., und zwar: der Bergknoten de los Robles S. 402, von da an Dreiteilung der Andeskette S. 402; die weſtliche Kordillere S. 402 (davon iſt zu unterſcheiden eine unbedeutende Hügelkette, welche bei der Frage der Verbindung beider Ozeane in Betracht kommt S. 402), die mittlere Andeskette oder Centralkordillere S. 403, die öſtliche Kordillere S. 403; über die vulkaniſche Thätigkeit in den drei Ketten S. 404]]. Die vulkaniſche Thätigkeit findet ſich zwar in Bolivia und Peru meiſt nur in dem der Südſee näheren weſtlichen Zweig der Andeskette, doch iſt auch ein Krater in der öſtlichen Kette, in der Meeresferne, aufgefunden S. 231 bis 232 (Anm. 110 S. 405). — Vulkanreihe von Chile (durch eine vulkanleere Strecke von der vorigen geſchieden S. 232) S. 232 (die genaue und ausführliche Betrachtung dieſer Vulkanreihe und Behandlung der einzelnen Berge ſ. oben S. 562 Z. 9— 17 von — 563 — oben) (mittlere größte Höhe der ſüdamerikaniſchen Vulkanreihen S. 232). Reihenvulkane des alten Kontinents. In ihm gehören, im Gegenſatz mit dem neuen, die größere Zahl zuſammengedrängter Vulkane nicht dem feſten Lande, ſondern den Inſeln an: europäiſche Vulkane, Vulkane von Aſien S. 223; lebhafte vulkaniſche Thätigkeit auf einem kleinen Raum der aſiatiſchen Inſelwelt S. 233. — Vulkane von Java S. 233—240 und Anm. 111— 121 S. 405 —408: Menge ſeiner Vulkane, aufgeklärt durch Junghuhn S. 233; die wich— tigen Sedimentformationen tertiärer Bildung von Java, foſſile Flora S. 234 (Anm. 111 S. 405); Höhe der Vulkane von Java im Vergleich mit den ſüdamerikaniſchen S. 235; höchſter Berg der Inſel, Semeru S. 235 (Anm. 112, S. 405), andere hohe Berge S. 235 (Anm. 113, 114 S. 405); die mittlere Höhe der Vulkane Javas mit der der Vulkane Centralamerikas verglichen, der höchſte Vulkan Aſiens S. 235. Allgemeine und partielle Richtung der Vul— kankette von Java und Betrachtung über dieſes Spaltenphänomen S. 236); auch auf Java bemerkt man kein beſtimmtes Verhältnis zwiſchen der Höhe und der Größe des Gipfelkraters, die Krater der Vulkane S. 236 (Anm. 115, S. 406); auch in den Vulkanen von Java wird Gleichzeitigkeit großer Eruptionen viel ſeltener bei ein— ander nahe liegenden als bei weit voneinander entfernten Kegeln beobachtet S. 237 (Anm. 116 S. 406). Gerippte Geſtaltung der Vulkane von Java, rippenförmige Längerücken, Rippen S. 237 bis 238); ihre Entſtehung wird der Auswaſchung durch Bäche (Meteorwaſſer) zugeſchrieben S. 238, die barrancos der Kanariſchen Inſeln und Südamerikas ſind etwas Aehnliches S. 239 (Anm. 117 bis 118 S. 406); Lavaſtröme auf Java nicht mangelnd, Stein— ſtröme S. 239 und Anm. 119—121, und S. 406—408 [Anm. 120 S. 407: ſchlacken- und lavaartige Auswürfe des Merapi und an— derer Vulkane auf Java S. 407; die verſchiedenen Formen der Kontinuität oder der Sonderung der vulkaniſchen Maſſen S. 407; Charakter eines Lavaſtroms, Lavafelder S. 407]. Ueber die Seltenheit oder den Mangel von Lavaſtrömen im allgemeinen, alte Spaltenergüſſe S. 240— 241 (ſ. weiter nachher zu S. 252, 254 u. flg.). [[In der Reihe der mexikaniſchen Vulkane iſt das größte und ſeit meiner amerikaniſchen Reiſe berufenſte Phänomen die Erhebung und der Lavaerguß des Jorullo S. 241; ſpezielle Geſchichtserzählung S. 241— 244 und Anm. 122, S. 408—410 (Ausbrüche, beſonders von ſchlammigem Waſſer S. 243; meine an Ort und Stelle erhaltenen Nachrichten S. 243; Erklärung der Waſſer⸗ und Schlammausbrüche durch das Ver— ſchwinden zweier Bäche, welche jetzt warmes Waſſer haben S. 244) [Anm. 122 S. 408 — 410: mein früherer Bericht von dem Aus: bruch und der Erhebung des Jorullo und meine Angaben über den Berg durch ſpezielle Zuſätze, ſowie durch neue oder neu auf— gefundene Berichte und Nachrichten vervollſtändigt]; Schilderung — 564 — des Terrains des Berges, ſeiner Hornitos, geognoſtiſche Beſchrei⸗ bung des Berges ſelbſt S. 244 — 248 und Anm. 123—125, S. 410 —411 (Terrain oder Bodenfläche und Lage des Vul⸗ kanſyſtems von Jorullo, Konvexität oder Hebung des Malpais S. 244— 246 und Anm. 123—125, S. 410—411; die kleinen Auswurfskegel oder Hornitos S. 246, ein Hügel als Weber: bleibſel der alten Erhöhung S. 248). Spalte, auf welcher hier in der Richtung von SSW e nach NNO ſechs aneinander gereihte Vul⸗ kane oder vulkaniſche Hügel ſich erhoben haben, faſt rechtwinklig mit der allgemeinen Spalte der mexikaniſchen Vulkane (allgemeine Betrachtung dieſes Phänomens S. 248): die drei ſüdlichen Hügel S. 248; Fortſetzung der geognoſtiſchen Beſchreibung des Jorullo als des vierten Vulkans und unſer Beſuch des Berges, be— ſonders Beſchreibung des Kraters S. 248—249 (Anm. 126, S. 411); die zwei nördlichen vulkaniſchen Hügel S. 250; ein⸗ maliger Lavaerguß des großen Vulkans (Jorullo) und vulkaniſche Thätigkeit aller ſechs Hügel S. 250; Vergleichung der Hornitos mit ähnlichen Gerüſten, namentlich Auswurfskegeln, und ihre genauere Beſtimmung S. 250 — 251 (Anm. 127, 128 S. 411-412); Vergleichung der Erhebung der ſechs vulkaniſchen Berge mit der des Monte nuovo in den Phlegräiſchen Feldern S. 250 — 251 (Anm. 127, 128 ©.411—412).]] — Lavaſtröme und Lavafelder in den öſtlicheren Teilen des mittleren Mexikos S. 252: Lava⸗ ſtröme des Orizaba S. 252 (Anm. 130 S. 412); Lavatrümmerfeld (Malpais) des Popocatepetl S. 252, Perlſtein S. 253 (Anm. 131 S. 412); Lavatrümmerfelder gegen Jalapa hin S. 253; Verlängerung dieſes Lavaſtroms gegen den Coffer von Perote hin, wohl nicht ihm entfloſſen, und über dieſen Berg S. 254 [Anm. 132 ©. 412—414 Schilderung des Coffers von Perote, beſonders nach meiner Be— ſteigung: ſeine Lage S. 412, Bimsſteinfeld an ſeinem Fuß und um den Berg S. 412, Schnee und Höhe des Berges, Bäume S. 413, Name S. 413, Krater und meine Anſicht des Berges; alter Name von Perote S. 413]. Baſalte, Phonolithe, wie einige Perlſtein⸗ und Binsſteinſchichten ſcheinen nicht Gipfelkratern, ſondern Spalten: wirkungen ihre Erſcheinung zu verdanken S. 254; gegen eine ein⸗ ſeitige Beurteilung ſolcher vulkaniſchen Kraftäußerungen iſt zu be- trachten die verſchiedene Art, auf welche aus dem Inneren der Erde feſte Maſſen an die Oberfläche gelangen können, ohne Erhebung oder Aufbau von kegel- oder domförmigen Gerüſten, aus Spalten⸗ netzen in dem ſich faltenden Boden; Mannigfaltigkeit der vulkaniſchen Erſcheinungen, aufzufaſſen in einem erweiterten Horizonte der Beobachtung S. 254; Lavaerguß aus einer Spalte auf Euböa S. 255. — Seltenheit oder Aufhören von Lavaſtrömen in den thätigen Vulkanen Centralamerikas S. 255, in den Bergen der Vulkangruppe von Popayan und Quito S. 255 [Anm. 133 S. 414: La Condamine über den Mangel von Lavaſtrömen aus den Vulkanen von Quito S. 414: doch Vermutung von Lava — 565 — bei zwei Bergen S. 414, beide widerlegt S. 414] (La Con⸗ damine über ausgebrannte Vulkane in Frankreich und Italien S. 255 und Anm. 134 S. 414). Meine frühen Unterſuchungen über den auffallenden Kontraſt zwiſchen den ſo früh erkannten, ſchmalen, unbezweifelten Lavaſtrömen der Auvergne und der oft nur allzu⸗ ſehr abſolut behaupteten Abweſenheit jedes Lavaerguſſes in den Kordilleren S. 256. Vulkane von Quito in dieſer Beziehung; die einzigen Spuren von Lavaausbrüchen ſind am Antiſana S. 256; geognoſtiſche Beſchreibung des Antiſana, ſeines Gebietes und ſeiner Felstrümmer oder Schuttwälle S. 256— 259; Unterſuchung über die Natur der letzteren, ob ſie für Lavaſtröme zu halten ſeien S. 259 (Anm. 135 S. 414). Ueber Natur und Verhältniſſe der Lava S. 260 (ſelbſt vulkaniſchen Gipfeln entfloſſen, beſtehen bei einigen Gerüſten Lavaſtröme nicht aus einer zuſammenhängenden Flüſſigkeit, ſondern aus unzuſammenhängenden Schlacken, ja aus Reihen ausgeſtoßener Blöcke und Trümmer) (Erſcheinung am Chim⸗ borazo S. 260; Bouſſingaults Anſicht über vulkaniſche Kegel und über das Trümmerfeld des Antiſana gegen meine eigene S. 260 bis 261 (Anm. 136, 137 S. 415); Fortſetzung der Beſchreibung des Antijana S. 261—262; Vergleichung der Gebirgsarten des Antiſana und Cotopaxi, und Topographie beider Becken S. 262 [Anm. 138 S. 415—416: der Vulkan Paſſuchoa; Reliefform des Baſſins von Quito, d. h. Schilderung desſelben und Angabe der Vulkane in der öſt— lichen und weſtlichen Kordillere]; Reihen von Felsblöcken oder Trüm⸗ merzüge am Cotopaxi, und unſere Wanderung am Vulkan S. 262 bis 263 [Anm. 139 S. 416 — 418: Beſchreibung des Cotopaxi: feine periodiſchen Ausbrüche und Mangel der Dämpfe dazwiſchen S. 416; Regelmäßigkeit ſeines Aſchenkegels (und des anderer Berge), Schnee und ſchwarze Felsgrate S. 417, der obere Teil des Kegels (Umwallung) S. 417, derſelbe ohne Schnee, Ausbrüche S. 417; die zackige Geſteinmaſſe (Fels) beim Kegel (cabeza del Inga) und ihr Urſprung S. 418; Name des Berges S. 418]. Unterirdiſche Bimsſteinbrüche 30 km vom Cotopari, bei Zumbalica (ähnlich dem Bimsſtein von Lipari) S. 263, und Fragen über ihre Entſtehung S. 263 — 265 und Anm. 140 — 142 S. 419 [Anm. 142 S. 419 mineralogiſche Zuſammenſetzung des Geſteins des Cotopari]; andere Bimsſteinmaſſen fern von Vulkanen: in den Kordilleren Süd⸗ amerikas, in Mexiko und im Kaukaſus S. 265 (Anm. 143 S. 419). Als Maß und Zeugen der vulkaniſchen Thätigkeit, welche gleichzeitig, Spalten und Faltungen der oberſten Schichten be⸗ wirkend, Senkung der oberen und Emportreibung der unteren Teile erzeugt, muß die Zahl der erkennbar gebliebenen, aus den Spalten aufgetriebenen, vulkaniſchen Gerüſte (der geöffneten Kegel⸗ und domförmigen Glockenberge) betrachtet werden S. 266 (Anm. 144 S. 419 — 420). Unvollkommenheit der verſuchten Zäh⸗ lung und Geſichtspunkte, nach denen ſie vorzunehmen iſt; mein Verfahren und Reſultat S. 266—267 [Anm. 145 S. 420: die heißen — 566 — Waſſer von Saragyn]; Schwierigkeit der Frage, ob in den Teilen der Erdoberfläche, in welchen die meiſten Vulkane zuſammengedrängt ſind, der geſchmolzene Teil vielleicht der Oberfläche näher liege, und Schwierigkeit, die Dicke der feſten Erdkruſte zu beſtimmen S. 267 (Anm. 146—147 S. 420—421); je unwahrſcheinlicher es iſt, daß die Dicke der ſchon erſtarrten Erdkruſte in allen Gegenden dieſelbe ſei, deſto wichtiger iſt die Betrachtung der Zahl und der geographiſchen Lage der noch in hiſtoriſchen Zeiten geöffnet geweſenen Vulkane S. 267 — 268. Ueberſicht und Aufzählung der Vulkane nach den verſchiedenen Erdteilen, derer aus hiſtoriſcher und derer aus vorhiſtoriſcher Zeit: J. Vulkane von Europa: aus hiſtoriſcher Zeit S. 268 — 269, vorhiſtoriſche S. 269—270 (Anm. 148 S. 421); II. der Inſeln des Atlantiſchen Ozeans: hiſtoriſche S. 270 (Anm. 149 S. 421), vorhiſtoriſche S. 270—272 (Anm. 150 S. 421): Island, Madera, Fernando de Noronha, Aſcenſion, St. Helena, Triſtan da Cunha . .. Deception island S. 270 272; vulkaniſche Gegend nahe beim Aequator S. 272; III. Afrikas: hiſtoriſche S. 273 (Anm. 151—152 S. 421 bis 422), vorhiſtoriſche S. 273 — 274); IV. des Feſtlandes von Aſien: im weſtlichen und cen- tralen Teil S. 274— 279 und Anm. 154—157 S. 422 423: Auf: zählung der hiſtoriſchen S. 274 (Anm. 154 S. 422); Bemerkungen über einzelne: Demavend S. 274, Flamme im Schinkhieu und die Chimära S. 275; vulkaniſche Thätigkeit in Arabien, Vulkan von Me⸗ dina S. 276, Djebel Tir und die Umgegend der Straße Bab-el-Mandeb S. 276; vulkaniſche Thätigkeit im Tian-ſchan, mit dem Pe-ſchan und Ho-tiheu von Turfan S. 276— 277; ob das Fabelland Gog und Magog nicht mit den zwei letzteren zuſammenhänge, und Wanderung dieſer Sage nach Oſten S. 277— 278; näher über den Pe⸗ſchan und Ho⸗-tſcheu S. 278; vorhiſtoriſche Vulkane im Kaukaſus: im allgemeinen S. 278, der Ararat S. 278, einige andere S. 279; 3) im nordöſtlichen Teil (auf der Halbinſel Kamtſchatka) S. 279 bis 284: bedeutende Zahl der thätigen Vulkane auf Kamtſchatka, ver- glichen mit der Mittel- und Südamerikas S. 280; allgemeine Betrach- - tungen über fie S. 280; ihre Aufzählung von Süden nach Norden, mit den Nachrichten und Beſtimmungen über jeden einzelnen, S. 280— 283 (Abnahme der Höhe des Kljutſchewsk S. 282, Ver⸗ änderung des Veſuvs S. 282; Rat für öftere Meſſungen von Berghöhen in Zeitperioden S. 283); vulkaniſche Spuren des kam— tſchadaliſchen Mittelgebirges S. 284; V. der oſtaſiatiſchen Inſeln S. 284—293 und Anm. 158 bis 159 S. 423—424: Allgemeines; Folge der Gruppen von Norden nach Süden, mit verſchiedenen Richtungen der vulkaniſchen Thätig— keit, oder: der innere geologiſche Zuſammenhang des oſt- und ſüd— aſiatiſchen Inſelſyſtems S. 284286 und Anm 158—159 S. 423 — 567 — bis 424 [Anm. 158 S. 423: die Inſel Saghalin, Krafto oder Ta⸗ raka]; allgemeine Betrachtungen über Form und Reihungsgeſetze in dieſem Gebiete S. 286, ſüdliche Grenze der oſtaſiatiſchen Inſelreihe S. 286. Spezielle Behandlung der einzelnen Gebiete von Norden nach Süden, mit Angabe der Vulkane wie der vulkaniſchen Spuren und Erſcheinungen S. 286 — 293: die der Aleutiſchen Inſeln mit den anliegenden Gruppen S. 287— 288, der Kurilen S. 288, Japans (meiſt nach Mitteilungen des Herrn von Siebold) S. 288— 292 [die Inſeln Jeſſo S. 288—289, Kiuſiu S. 289, Nippon S. 289 bis 291; Vulkane auf kleinen Inſeln S. 290: dieſe ergeben acht ge- ſchichtlich thätige Vulkane im eigentlichen Japan S. 291; außer dieſen iſt aber noch eine Reihe von Kegelbergen als längſt erloſchene Vul⸗ kane aufzuführen, beſonders auf Nippon S. 291], von Korea (keine Vulkane) und auf den nahen Inſeln S. 291, von weiteren Inſel⸗ gruppen und Inſeln S. 291; VI. der ſüdaſiatiſchen Inſeln S. 293-297 und Anm. 160 bis 164 S. 424 425; darunter: Formoſa S. 293 (Anm. 160 S. 424), die Philippinen S. 293, Suluinſeln; große Menge von Vulkanen in dem Kranz von Inſeln um Borneo S. 293 — 294; die großen Sundainſeln: Borneo (wenig bekannt) S. 204 (Anm. 162—164 S. 424), Vulkane der übrigen Inſeln im allgemeinen: Java S. 295, Sumatra S. 295; den großen anliegende Inſeln und Inſelreihen, beſonders die kleinen Sundainſeln S. 295, Celebes S. 295; Mo⸗ lukken, beſonders Ternate S. 296 (Zahl der Vulkane in dieſer ganzen Strecke S. 296); weitere Inſeln S. 296 — 297; VII. des Indiſchen Ozeans, in der Richtung von NO nach SR S. 297300 und Anm. 165 S. 425 — 426; darunter: Barren island S. 297, die Vulkane der Inſel Bourbon S. 297— 298, Madagaskar S. 298, die Inſeln St. Paul S. 298 und Amſterdam S. 299 [Anm. 165 S. 425 — 426: d'Entrecaſteaux über die Ent- flammung der Inſel Amſterdam S. 269; Nachrichten über die In— ſeln Amſterdam und St. Paul, ihre Lage und öftere Verwechſelung bei den Seefahrern und auf Karten S. 299], Inſeln bei der Süd⸗ ſpitze Afrikas S. 299, Kerguelensinſel oder Island of Desolation S. 299; allgemeiner Blick auf das Gebiet des Indiſchen Ozeans, beſonders in Bezug auf die Reihung und Richtung der Inſeln und Vulkane S. 300; VIII. der Südſee S. 300 - 310 und Anm. 166 — 175, S. 426—428: ihre Größe und Seltenheit der heute noch thätig gebliebenen Vulkane in der ozeaniſchen Region, Aufklärung durch Dana und Darwin S. 300 —301; Gang der ſpeziellen Betrachtung und der Aufzählung der noch thätigen Vulkane der Südſee S. 301 (Anm. 166 S. 426); allgemeine Betrachtung über dieſes ganze vulkaniſche Gebiet, beſonders über die Richtungen und die Geneſis der Vulkane S. 301—302 (Anm. 167 S. 427). Aufzählung der Vulkane und Betrachtung der einzelnen Inſelgruppen und Inſeln: die Sandwichinſeln oder Hawai S. 302—304 und Anm. 168 bis 171 ©. 427—428 [auf Hawai: der Mauna Loa ©. 302 (Anm. 168 S. 427) mit dem Lavaſee Kilauea S. 303 (Anm. 169, 170 ©. 427 bis 428), der Mauna Kea und Hualalai S. 303; Schnee und Schnee⸗ linie am Mauna Loa und Kea S. 304 (Anm. 171 S. 428) ], einzelne Inſelgruppen und Vulkane (Tonga, die Neuen Hebriden, Salomons- inſeln, Marianen u. a. S. 304-305; Streichen und Gebirgsarten anderer Inſeln und Gruppen S. 305, ihre Vulkane und vulkaniſche Spuren: Neuholland, Neubritannien, Neuguinea S. 305 — 306, Neuſeeland S. 306—307 (Anm. 172 ©. 428); andere Inſelgruppen auf nordweſtlichen Spalten (Neukaledonien, Fidſchiinſeln, Samoa u. a.) S. 307 — 308 (Anm. 173 174 S. 428), Tahiti S. 308-309), weitere Inſeln nach Oſten bis Salo y Gomez S. 309; die Galapagos S. 309—310 (Anm. 175 ©. 428); IX. Mexikos (hauptſächlich ſchon früher behandelt, ſ. oben S. 561; die Vulkane Mittel- und Südamerikas ſ. ſchon oben S. 561 bis 562, die der Weſtindiſchen Inſeln nachher S. 569, S. 310 und Anm. 176 S. 429 [Anm. 176 S. 429: Pieſchels Unkunde davon, daß der Pico del Fraile, der Gipfel des Vulkans von Toluca, von mir erſtiegen iſt S. 429; ſeine Beſteigung und Nachrichten vom Vulkan von Colima ©. 429]; X. Vulkane im nordweſtlichen Amerika nördlich vom Parallel des Rio Gila S. 311 —322 und Anm. 177—189 S. 429 — 434: allgemeine Betrachtung, beſonders allgemeiner Zuſammenhang mit den vulkaniſchen Gebieten des Stillen Ozeans, Anſchluß an die mexikaniſche Vulkanreihe S. 311— 312; die Sierra Madre und das allgemeine Hochland von Mexiko, die ſüdamerikaniſche Anſchwellung S. 312—313 (Anm. 179 S. 429); die nordamerikaniſche An⸗ ſchwellung, die mexikaniſche fortſetzend, d. h. mein Profil der Hoch— ebene zwiſchen Mexiko und Guanaxuato durch neue Meſſungen über Durango und Chihuahua bis Santa Fé del Nuevo Mexico fort: geſetzt S. 313 (Anm. 178 S. 430); Höhen der Hauptpunkte auf dieſer Linie in der Folge von Norden nach Süden nach den barometriſchen Nivellierungen vom Jahre 1803 1847 S. 314—315 und Anm. 179 bis 180 S. 430-431 [Anm. 178 S. 430 — 431: Erläuterungen zu dieſer Ueberſicht der Höhen zwiſchen Mexiko und Santa Fé; große Unbekanntſchaft geographiſcher Beſtimmungen in dieſem Teile Neu— ſpaniens zur Zeit meiner Reiſe S. 430; geographiſche Beſtimmung von Santa Fé S. 430; meine Beſtimmung des Sees Timpa⸗ nogos und Etymologie des Namens, die neueſten Beſtimmungen von Santa Fe S. 431]. Von dieſer großen, aber ſanften An: ſchwellung des Bodens von dem tropiſchen Teile bis zu den Paral— lelen von 42° und 47“ find die mauerartigen, darauf ſtehenden Gebirgsketten ſehr verſchieden S. 316; Bifurkation der Sierra Madre in eine weſtliche Kette (Sierra Madre) und eine öſtliche oder die Rocky Mountains S. 316-317 [Anm. 181 S. 431-432: über — 569 — dieſe Bifurkation des Kordillerengebirges und die beiden Ketten; Bezeichnung der einzelnen Gruppen und Bergzüge der weſtlichen und öſtlichen Kette zwiſchen 355 und 38 ½ “ S. 431; daß die Rocky Mountains allerdings als eine Fortſetzung des mexikaniſchen Hoch— gebirges (der Sierra Madre) zu betrachten ſeien, und über die konti— nuierliche große Anſchwellung vom tropiſchen Mexiko bis Oregon, auf welcher die Berggruppen aufgeſetzt find S. 432; die Zwei— und Dreireihung der Andes in Südamerika S. 432]; weiter die ungeteilten Rocky Mountains und einzelne Bergzüge neben ihnen S. 317 [Anm. 182 S. 432: zu dieſen Bergzügen S. 432— 433; Vergleichung der Rocky Mountains mit dem Ural in Beziehung auf die Veränderung ihrer Richtung S. 433]; Vulkane, vulkaniſche Bergzüge und vulkaniſche Thätigkeit in den Rocky Mountains, an ihren beiden Abfällen und neben ihnen S. 317—318 (Anm. 183 bis 185 S. 433); Küſtenketten, den Rocky Mountains parallel laufend S. 319; Aufzählung der Vulkane des Kaskadengebirges und weiter bis zum nördlichſten Punkte Amerikas S. 320—322 (Anm. 187 bis 189 S. 433 434). Rückblick auf den allgemeinen Gang des Inhalts in dem ganzen Abſchnitt von der Reaktion des Inneren der Erde gegen die Oberfläche S. 322 — 323. Nachdem die Oertlichkeit der Punkte, in welchen ein Verkehr zwiſchen dem flüſſigen Erdinneren und der Atmoſphäre ſich lange offen erhalten hat, beſtimmt iſt, bleibt jetzt übrig die Zahl (vergl. oben S. 561 und da die weiteren Nach— weiſungen) dieſer Punkte zu ſummieren, aus der reichen Fülle der in ſehr fernen hiſtoriſchen Zeiten thätigen Vulkane die noch ent— zündeten auszuſcheiden und ſie nach ihrer Verteilung in kontinentale und Inſelvulkane zu betrachten S. 323; Effekt der vulkaniſchen Ausbrüche: ihre Ungleichzeitigkeit vermindert ihn; vulkaniſche Ge— witter, Höherauch des Jahres 1783 S. 323. Vermutliche Zahl der Vulkane auf dem Erdkörper und ihre Verteilung auf der Feſte und auf den Inſeln S. 324—329 und Anm. 190— 194 S. 434439; Tabelle über die Zahl der Vulkane nach der vorhergehenden ſpeziellen Erörterung der einzelnen Gebiete S. 324—325 [Anm. 190 S. 434 bis 438: die Vulkane der kleinen Antillen (eigentlich oben nach S. 569 gehörig) S. 434 — 436, und zwar: allgemeine Be— merkungen über dieſes vulkaniſche Gebiet und über das geogno— ſtiſche Verhältnis des Meeres der Antillen überhaupt als Teil eines großen alten Beckens S. 434; Aufzählung der Vulkane der kleinen Antillen von S nach N, mit Beſtimmungen und Nad)- richten über ſie S. 434 — 436 (Dikäarchia S. 435). An die ſo⸗ genannte Soufriere de la Guadeloupe ſich knüpfende Betrach— tungen: was man Solfatare oder Fumarole zu nennen pflegt, bezeichnet eigentlich nur gewiſſe Zuſtände vulkaniſcher Thätig- keit S. 436 — 437; verſchiedene Zuſtände der ausgeworfenen Maſſen, Halbvulkane S. 486; Schwefel, Salzſäure, Waſſerſtoff und andere Beſtandteile der vulkaniſchen Maſſen oder der — 570 — Kratergaſe (Emanationen der Solfataren); ihre verſchiedenen Zuſtände, Verbindungen und ihre Wirkungen auf die Maſſen; die Fumarolen im allgemeinen und ihre Arten, Schwefel- und Salzſäurefumarolen S. 437—438 (beſonders Schwefelwaſſer⸗ ſtoff S. 437)]; Betrachtung des Reſultates dieſer allgemeinen Zählung der Vulkane und das Prinzip, nach welchem ich ſie vor— genommen habe S. 325 (Anm. 191 S. 438) [lange Unterbrechung von Ausbrüchen S. 438; der Veſuv in alter Zeit und nach alten Zeug— niſſen, die Phlegräiſchen Felder S. 325 —326 und Anm. 192, 193 S. 438 — 439 (Anm. 192 S. 438 über die Gipfelform des Veſuvs nach den Nachrichten der Alten und den neueſten Unterſuchungen); die Bimsſteine des Veſuvs und die Bedeckung von Pompeji S. 326— 328 und Anm. 193 S. 539]; ferner allgemeine Re⸗ ſultate der Zählung: nach den Gebieten und der geographiſchen Verteilung der Vulkane in ihnen nach dem Zuſtande neueſter Zeit S. 328. Ueber die vielfach unterſuchten Urſachen der großen Frequenz der Vulkane auf den Inſeln und in dem Litorale der Kontinente (Einwirkung des Meeres und Meerwaſſers, Erhebung und Senkung des Landes) S. 329; genaue Zahlen der Meeresferne vulkaniſcher Thätigkeit (Entfernung der Vulkane von der Meeresküſte) S. 330 (Anm. 196, S. 440); große Ferne der Vulkane des Tian— ſchan, aber Nähe zu Binnenſeen S. 330 —331 und Anm. 198, S. 440 — 442 [Anm. 198 S. 440— 442: über die Bergketten Inner⸗ aſiens, beſonders nach der Vorſtellung der Griechen: alte Kunde vom Tian-ſchan (Mouſart) S. 440; der Kuen-lün und der Tian⸗ſchan ſind, neben dem Himalaya, der allgemeine Berg: gürtel oder die einzige Aſien durchſtreifende Parallelkette der Alten (genannt der verlängerte Taurus, Imaon u. ſ. w.; der Imaus — Bolor) S. 441; dieſe den Weltteil nach der Anficht der Griechen durchſchneidende Linie des Taurus ift das Dia— phragma des Dikäarchos, aufgenommen von den griechiſchen Geographen S. 441; Strabos Ausdruck: Atlantiſches Meer; meine Anſicht von dem Zuſammenhang der Richtungslinie des Kuen— lün mit der Senkung im Becken des Mittelmeers S. 441]. Senkungsgebiete: das große in Aſien und ſein altes Syſtem von Seen, mit ihren Wirkungen S. 331 (Anm. 199 S. 442); der Vulkan Boſchan in der Mandſchurei S. 332 [Anm. 200 S. 442 bis 443: über die Bergketten Inneraſiens, beſonders ihre Rich⸗ tungen und ihren Zuſammenhang, und zwar: Entfernungen des Himalaya und Tian-ſchan vom Meere und die vulkaniſche Thätigkeit des letzteren; der Kuen-lün beſitzt im Schin-khieu einen Feuerbrunnen, eine ununterbrochen Flammen ausſtoßende Höhle S. 442; Zuſammenhang des Kuen-lün mit dem Hindu-Khu und Himalaya S. 442; der Kuen-lün von den Brüdern Schlag⸗ intweit überſchritten und ihre weiteren Beobachtungen dieſer und der Karakorumkette S. 443]. Bei den Unterſuchungen über die geographiſche Verteilung der Vulkane und ihre größere Häufigkeit — 571 — auf Inſeln und Litoralen iſt auch die zu vermutende große Un— gleichheit der ſchon erlangten Dicke der Erdkruſte (j. oben S. 566 in Betracht gezogen worden S. 333 (Anm. 201 S. 443). Be⸗ antwortung der Frage, in welcher Art und in welchem Maße die vulkaniſchen Gas exhalationen auf die chemiſche Zuſammenſetzung der Atmoſphäre und durch ſie auf das ſich auf der Oberfläche entwickelnde organiſche Leben einwirken S. 333 334 und Anm. 202 - 204 S. 443, und zwar: allgemein S. 333 (Anm. 202 S. 443); Gasarten der Vulkane nach ihrer Zuſammenſetzung und beſonders ihr Stickſtofſgehalt S. 334 und Anm. 203, 204 S. 443 [Anm. 204 S. 443—444: Bouſſingault über die Häufigkeit der elektriſchen Exploſionen in der Tropengegend und die wohlthätige Mitteilung des Stickſtoffs der Luft durch den Regen an die organiſchen Weſen S. 444; auch Salmiak wird wie Kochſalz als Produkt der Vulkane gefunden S. 444]; der alte Luftkreis und die Einwirkungen auf ihn S. 335. Sitz der Quelle vulkaniſcher Thätigkeit, nach dem Alter der Gebirgsformationen und der Art des Geſteins in den verſchiedenen Epochen der Geognoſie verſchieden beſtimmt S. 335 — 336 (Anm. 205 bis 208 ©. 444— 445). Verſchiedenheit der Formationen, welche die Vulkane durchbrechen S. 336—338, und zwar beſonders: meine Bemühungen in der vulkaniſchen Hochebene von Quito zu beſtimmen, auf welcher älteren Gebirgsart die mächtigen Kegel- und Glocken— berge aufgeſetzt ſind, oder beſtimmter: welche ſie durchbrochen haben, und meine Entdeckung eines ſolchen Punktes bei Penipe am Fuß des Tunguragua, Ausbrechen des Trachyts aus Glimmerſchiefer und Granit S. 336—337; ein anderes Beiſpiel am Sangay und dagegen die Trachytloſigkeit der alten Vulkane der Eifel S. 338 und Anm. 209 S. 445 [Anm. 209 S. 445: über die vom Sangay ausgeworfenen Trachytſtücke und die merkwürdige Er— ſcheinung der mit ihnen ausgeſtoßenen kleinen Stücke reinen Quarzes S. 445; Antagonismus von Quarz und Trachyt und Ur— ſprung der Mühlſteintrachyte S. 445]. — Die Geſtaltungs— verhältniſſe der Felsgerüſte, durch welche die vulkaniſche Thätigkeit ſich äußert oder zu äußern geſtrebt hat, ſind endlich in neueren Zeiten in ihrer oft ſehr komplizierten Verſchiedenartigkeit erforſcht worden, da im vorigen Jahrhundert die ganze Morphologie der Vulkane ſich auf Kegel- und Glockenberge beſchränkte; beide Arten der Kenntnis, die morphologiſche der Felsgerüſte und die orykto— gnoſtiſche der Zuſammenſetzung, ſind zur vollſtändigen Beurteilung der vulkaniſchen Thätigkeit gleich notwendig: S. 338 (Anm. 210 S. 445) [was wir von dem ſogenannten Vulkanismus des Mondes wiſſen, bezieht ſich der Natur dieſer Kenntnis nach ebenfalls allein auf Geſtaltung S. 339 (Anm. 211 S. 445 — 447: der Glaube an die großen Analogien zwiſchen den vulkaniſchen Ge— rüſten der Erde und des Mondes iſt mit der Zeit eher vermindert als vermehrt worden S. 445; über die Ringgebirge und Central— — 572 — berge des Mondes: ihren Bau, ihre Verhältniſſe und ihre Be⸗ ziehungen zu einander S. 446 —447)]. Klaſſifikation der vulkaniſchen Gebirgsarten oder minera- logiſche Zuſammenſetzung des vulkaniſchen Geſteins, beſonders Ver⸗ allgemeinerung der Benennung Trachyt, oder Einteilung der Trachyte nach ihrer Zuſammenſetzung, nach der Gruppierung von Guſtav Roſe: Allgemeines und über G. Roſe S. 339— 340; Unter⸗ ſuchungen der von mir mitgebrachten Mineralien durch Leop. von Buch S. 339 und Anm. 212 S. 447 — 448 [Anm. 212 S. 447 bis 448: Geſchichte der Entſtehung und des Gebrauchs der Namen Trachyt und Domit S. 447; über mein Profil der Kordilleren vom Jahre 1802, und daß Leop. von Buch mit Unrecht mir die erſte Anerkenntnis zuſchreibt, daß die Vulkane der Andeskette in einem Porphyr ihren Sitz haben, der Porphyr zu den vulkaniſchen Forma- tionen gehört S. 448, da Roſe zuerſt das vulkaniſche Geſtein des Siebengebirges eine Porphyrart genannt hat ©. 448]; gegen eine Beſchränkung des Begriffes des Trachyts S. 340; über Klafji- fikation und Benennung der Trachyte S. 340 — 341. Klaſſifikation der Trachyte nach den darin eingeſchloſſenen Kriſtallen und der Aſſociation ihrer weſentlichen Gemengteile in 6 Gruppen oder. Ab- teilungen nach den Beſtimmungen von Guſtav Roſe (und meiſt in ſeinen Worten gegeben): ihre Beſtandteile und Kriſtalle, und Be— zeichnung der Gegenden und Stellen, wo die einzelnen Trachytarten vorkommen, und der Vulkane, welche aus dieſen Maſſen gebildet ſind: zunächſt über die Arbeit von G. Roſe S. 341 (Anm. 214 S. 448); erſte Abteilung S. 341, zweite Abteilung S. 341— 342 [Anm. 216 S. 449 — 450: geognoſtiſche und mineralogiſche Verhältniſſe des Siebengebirges nach H. von Dechen, beſonders ſeine Trachyte, Trachyt- und Baſaltbildung; Quarzkriſtalle in den Trachyten!], dritte Abteilung S 342—343 (Anm. 217—213 ©. 450), vierte Abteilung S. 343 und Anm. 219 — 221 S. 450 454 [Anm. 219 S. 450: De⸗ ville über den (oligoflashaltigen) Feldſpat in den Trachyten von Tenerifa. — Anm. 220 ©. 451-457: Höhenbeſtimmungen des Popocatepetl nach meiner und ſpäteren Meſſungen S. 451, die damit kontraſtierende Barometermeſſung der Herren Truqui und Craveri S. 451; die 453 von mir in den Tropengegenden Amerikas gemachten Höhenbeſtimmungen wurden ohne Ausnahme mit Ramsdenſchen Gefäßbarometern, nicht mit Apparaten gemacht, in welche man nacheinander mehrere friſch gefüllte Torricelliſche Röhren einſetzen kann S. 452; meine Empfehlung dieſer Röhren, wo ſie gebraucht werden können, zur Prüfung der Sicherheit der Barometermeſſung S. 452; über die Erforderniſſe und das zu Beachtende bei Höhenmeſſungen durch das Barometer S. 453; das Reſultat von Truquis Meſſung des Popocatepetl mit zwei anderen verglichen S. 453. — Anm. 221 S. 454— 457: über die Analyſe des Chimborazogeſteins oder des Trachyts vom Chimbo- razo S. 454; dieſe Analyſe, gemacht von Rammelsberg und — 573 — Abich, mir mitgeteilt von G. Roſe S. 454 — 455; Roſe über die bedeutenden Unterſchiede beider Analyſen; eine ſorgfältige Ver— gleichung vieler Analyſen Devilles beweiſt, daß der Gehalt an Kieſelſäure in der Grundmaſſe des trachytiſchen Geſteins meiſt größer iſt als in den Feldſpaten, welche ſie enthalten S. 455; Devilles Tafel darüber von fünf großen Vulkanen der Andes— kette S. 456, und ſeine Erläuterungen über dieſen Unterſchied des Kieſelſäuregehalts; das Reſultat des Kieſelſäuregehalts im Chimborazogeſtein nach den drei Analyſen verglichen S. 457. Ueber die angebliche Erſteigung des Gipfels des Chimborazo (3. November 1856) durch Herrn Jules Remy und die von ihm nach dem Siedepunkte angegebene Höhe des Berges S. 457], fünfte Abteilung S. 343 [Anm. 222, 223 S. 458: die Trachytgeſteine des Aetna in ihren Beſtandteilen: Labrador (Anm. 222) und Augit (Anm. 323) ], ſechſte Abteilung S. 343 — 344 (Anm. 224 S. 458: über das Leucitgeſtein und den Leucit in vulkaniſchem (nicht plutoniſchem) Geſtein]; dieſe Klaſſifikation iſt noch nicht als abgeſchloſſen zu er— achten, es ſind mit der Zeit Veränderungen in der Benennung der aſſociierten Mineralien und Vermehrung der Trachytformationen zu erwarten S. 344. — Einander ſehr nahe ſtehende Vulkane, ähnlich in Form und Bau, haben oft einen ſehr verſchiedenen Charakter nach der Zuſammenſetzung und Aſſociation ihrer Mine— ralien, oder: Verſchiedenheit ihrer mineralogiſchen Konſtitution S. 345. Ueber einige Namen von Trachytarten oder -formationen S. 345 (über den von mir eingeführten Namen Jurakalkſtein S. 345 und Anm. 225 S. 459); über die unheilbringende Benennung Andeſit S. 345—346 und Anm. 226 S. 459—461 [Anm. 226 S. 459—461: der Name Andeſit mit der Beſtimmung, er werde durch vorwaltenden Albit und wenig Hornblende gebildet, zuerſt von Leopold von Buch 1835 in feiner Abhandlung über Erhebungs- krater und Vulkane gebraucht; Stelle dieſer Abhandlung, die neuen Anſichten über die Gebirgsarten der Vulkane ausſprechend, S. 460; Fortſetzung ſeiner Anſicht über die gleichartige Bildung der Vulkane der Andes (Andeſit und Trachyt) in ſeinem fran— zöſiſchen Werke über die Kanariſchen Inſeln 1836 S. 460; der Name Andeſit darauf von mir zweimal gebraucht, beſonders eine Stelle über die mannigfaltige mineralogiſche Zuſammen— ſetzung der Vulkane S. 460, welche Abich veranlaßt hat, mir irrigerweiſe die Erfindung des Namens zuzuſchreiben S. 460; fein Name Andeſin für eine von ihm zuerſt analyſierte Feld: ſpatart und über dieſes Mineral S. 461; Schluß über den Andeſit S. 461. — Anm. 227 S. 461—462: die trachytiſchen Albite bei gründlicher Unterſuchung als Oligoklaſe erkannt; der ehemals viel verbreitete Glaube, daß ein beſtimmtes Vorherrſchen des Augits oder der Hornblende auch auf eine beſtimmte Spezies aus der Feldſpatreihe ſchließen laſſe, ſcheint ſehr erſchüttert zu ſein S. 462; die ungewöhnliche Vereinzelung gewiſſer Mineral: — 574 — körper und die Gründe ihrer ſpezifiſchen Geſelligkeit hängen wahrſcheinlich von vielen noch nicht ergründeten Urſachen zugleich ab; die ſpezifiſchen Unterſchiede der Aſſociation ſind aber in den gemengten Gebirgsarten wie in den Gangmaſſen von großer Wichtigkeit, und man muß nicht verwechſeln, was ein vor— herrſchendes oder ſelten fehlendes, was ein nur ſparſam ſich zeigendes Glied der Aſſociation iſt S. 462]; über die richtige und ſichere Art der Erkennung der mineralogiſchen Beſchaffen— heit der Trachyte S. 346. Neben den charakteriſtiſchen Gemengteilen und den Aſſociationen, welche in der von uns angenommenen Klaſſifikation der Trachyte aufgeführt ſind und dieſe beſonders charakteriſieren, finden ſich in jedem Vulkane auch andere, unweſentliche Gemengteile, deren Frequenz oder ſtete Abweſenheit in oft ſich ſehr nahen Vulkanen große Aufmerkſamkeit verdient S. 346; ſpezielle Behandlung der einzelnen, ſo als unweſentliche Gemengteile in Trachyten vor— kommenden oder fehlenden Mineralſpezies, mit Nachweiſung ihres Vorkommens: Glimmer S. 347 (Anm. 223—229 ©. 462), glaſiger Feldſpat S. 348 [Anm. 230 S. 462: quarzfreie und dagegen Sanidin enthaltende Porphyre in mexikaniſchen Erzrevieren; Ameiſen⸗ haufen bei Patzeuaro mit glänzenden Körnern von Obſidian und Sanidin erfüllt S. 463; ähnliche Beobachtung Marcous in den Rocky Mountains S. 463; Vorkommen und Mangel von glaſigem Feldſpat und Sanidin S. 463], Hornblende und Augit S. 348 (Uralit S. 348, Leucit S. 349, Olivin S. 349 - 340 und Anm. 231 bis 232 S. 463—464 [Anm. 231 ©. 464: Olivin fehlend in neuen Veſuvlaven, aber vorhanden in dem Lapaſtrom des Pik von Tenerifa vom Jahre 1704 S. 464; Feuerausbruch dieſes Berges von Kolumbus auf ſeiner erſten Entdeckungsreiſe geſehen S. 464; zwei Donas Beatriz S. 464]; Obſidian, d. h. über die Bimsſtein⸗ bildung aus Obſidian S. 350 —354 und Anm. 235—237 S. 464, be⸗ ſonders in der doppelten Richtung: der Verſchiedenartigkeit der Ein— ſchlüſſe der Obſidiane und Bimsſteine S. 350—351 (Anm. 235 S. 446) und der Häufigkeit der Aſſociation oder gänzlichen Trennung derſelben (Vorkommen oder Mangel beider oder eines) in Vulkanen S. 351—352 (Anm. 236 S. 464); wieder Einſchlüſſe und Bildung des Obſidians S. 352 — 353 (Aufblähen der Obſidiane und anderer Ge— birgsarten durch Feuer und anderes S. 353); meine Anſicht über die Bimsſteinbildung S. 353 — 354. — Verſchiedenheit der Bedingungen, unter welchen die chemiſchen Prozeſſe der Vulkanizität bei Bildung der einfachen Mineralien und ihrer Aſſociation zu Trachyten vor— gehen S. 353—354; die denkwürdigen Erſcheinungen der iſolierten Bimsſteinbrüche fern von allen vulkaniſchen Gerüſten leiten mich zu der Vermutung, daß ein nicht unbeträchtlicher, ja vielleicht der größere Teil der vulkaniſchen Gebirgsarten nicht aus aufgeſtiegenen vulfani- ſchen Gerüſten, ſondern aus Spaltennetzen der Erdoberfläche ausge: brochen ift und oft viele Quadratmeilen ſchichtenweiſe bedeckt hat S. 354. — 575 — Berichtigungen und Zuſätze S. 465—466; zu S. 24: über die Dichte der Erde S. 465; zu S. 56: die zehnjährige Epoche der magnetiſchen Deklination und ihr Zuſammenhang mit Perioden der Häufigkeit und Seltenheit der Sonnenflecken beſtätigt durch Aragos Schatz magnetiſcher Beobachtungen S. 465 — 466; zu S. 62: die ſicher ergründete Veränderung der magnetiſchen De— klination im Verlauf eines Mondtages regt dazu an, die magne— tiſchen Einflüſſe des Mondes anhaltend zu erſpähen; verdienſtvolle Arbeiten Kreils hierüber S. 466. Fragmente aus dem fünften Bande der Oktav-Ausgabe. S. 469 — 436. Juhalts-Ueberſicht S. 542 —575. Geſammelte Werke Alexander von Humboldt. Fünfter Band. Stuttgart. Verlag der I. G. Cokta'ſchen Buchhandlung Nachfolger. Alexander von Humboldts Reiſe in die Aequinoktial⸗Gegenden des neuen Kontinents. In deutſcher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfaſſers. Einzige von A. von Humboldt anerkannte Ausgabe in deutſcher Sprache. Erſter Band. Stuttgart. Perlag der I. G. Cofta'ſchen Buchhandlung Nachfolger. 1 * 4 nn Druck von Gebrüder Kröner in Dorwort, Einem wiſſenſchaftlichen Reiſenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn er eine vollſtändige Ueberſetzung ſeiner Arbeiten jeder auch noch ſo geſchmackvollen Abkürzung der— ſelben vorzieht. Bouguers und La Condamines mehr als hundertjährige Quartbände werden noch heute mit großer Teilnahme geleſen; und da jeder Reiſende gewiſſermaßen den Zuſtand der Wiſſenſchaften ſeiner Zeit, oder vielmehr die Geſichtspunkte darſtellt, welche von dem Zuſtande des Wiſſens ſeiner Zeit abhängen, ſo iſt das wiſſenſchaftliche Intereſſe um ſo lebendiger, als die Epoche der Darſtellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige Darſtellung des Ge— ſchehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmiſche Reſultate begründet werden, in beſonderen einzelnen Zugaben über ſtündliche Barometer— veränderungen, Neigung der Magnetnadel und Intenſität der magnetiſchen Erdkraft zuſammengedrängt. Die Abſonderung ſolcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen Nachteil, zu Abkürzungen in der Ueberſetzung des Original— textes der Reiſe Anlaß geben können. Dieſe Betrachtung war auch geeignet, mich bald mit dem Unternehmen zu verſöhnen, einem größeren Kreiſe gebildeter Leſer, die bisher mehr mit der Natur als mit ſcientifiſchem Wiſſen befreundet waren, einen etwas abgekürzten Text der Reiſe in die Tropen: gegenden des neuen Kontinents darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich ſetze gern hinzu ange— erbter Freundſchaft meinen Arbeiten eine ſo lange und ſorg— fältige Pflege geſchenkt hat, hat mich aufgefordert, dieſe neue Ausgabe, welche einem vielſeitig unterrichteten Gelehrten, — u: Herrn Bibliothekar Profeſſor Dr. Hauff anvertraut iſt, nicht bloß, ſo viel mein Uralter und meine geſunkenen Kräfte es erlauben, zu revidieren, ſondern auch mit Zuſätzen und Be: richtigungen zu bereichern. Es iſt mir eine Freude, dieſer Aufforderung zu entſprechen. Die Naturwiſſenſchaft iſt, wie die Natur ſelbſt, in ewigem Werden und Wechſel begriffen. Seit der Herausgabe des erſten Bandes der Reiſe ſind jetzt fünfundvierzig Jahre verfloſſen. Die Berichtigungen müßten alſo zahlreich fein: in geognoſtiſcher Hinſicht wegen Bezeich: nung der Gebirgsformationen und der metamorphoſierten Ge: birge, des wohlthätigen Einfluſſes der Chemie auf die Geo— gnoſie, wie in allem, was anbetrifft die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper und die Urſache der verſchiedenen Krümmung monatlicher Iſothermen (nach Doves meiſterhaften Arbeiten). Die durch die neue Ausgabe veranlaßte Erweiterung des Kreiſes wiſſenſchaftlicher Anregung kann ich nur freudig begrüßen; denn in dem Entwickelungsgange phyſiſcher Forſchungen wie in dem der politiſchen Inſtitutionen iſt Stillſtand durch un— vermeidliches Verhängnis an den Anfang eines verderblichen Rückſchrittes geknüpft. Es würde mir dazu eine innige Freude ſein, noch zu er— leben, wie die Unternehmer es hoffen, daß meine in den Jahren freudig aufſtrebender Jugend ausgeführte Reiſe, deren einer Genoſſe, mein teurer Freund, Aimé Bonpland, be— reits, im hohen Alter, dahingegangen iſt, in unſerer eigenen ſchönen Sprache von demſelben deutſchen Volke mit einigem Vergnügen geleſen werde, welches mehr denn zwei Menſchen— alter hindurch mich in meinen wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen und meiner Laufbahn durch ein eifriges Wohlwollen beglückt und ſelbſt meinen ſpäteſten Arbeiten durch ſeine parteiiſche Teilnahme eine Rechtfertigung gewährt hat. Berlin, 26. März 1859. Alexander von Humboldt. Vorrede des Herausgebers. Die in den Jahren 1799 bis 1804 in Geſellſchaft von Bonpland unternommene Reiſe in das tropiſche Amerika hat Humboldts Ruhm frühe begründet. Mit den überſchwenglich reichen Ergebniſſen derſelben beginnt für zahlreiche Zweige der Naturforſchung recht eigentlich eine neue Epoche. Das Reiſe— werk, in dem er ſeine in der Neuen Welt geſammelten Beob— achtungen niederzulegen gedachte, war aber in ſo großartigem Maßſtab angelegt, daß es nur unter den glücklichſten äußeren Umſtänden vollendet werden konnte. Dieſe Gunſt der Ver— hältniſſe hat demſelben gefehlt, und mehrere Abteilungen des großen Werkes konnten nicht zu Ende geführt werden. Das erſtaunliche aſtronomiſche, hydrographiſche, geographiſche, me— teorologiſche, geologiſche, ethnographiſche, zoologiſche, botaniſche Material, das im Werk ſelbſt nicht mehr hatte an die Reihe kommen können, iſt nun allerdings auf anderen Wegen in die Wiſſenſchaft übergegangen, und ſo beſteht der Hauptverluſt, der mehr die gebildete Welt im allgemeinen als die Wiſſen— ſchaft ſelbſt betrifft, darin, daß auch derjenige Teil, der die eigentliche Reiſebeſchreibung geben follte, die Relation histo- rique, Bruchſtück geblieben iſt. Dieſe Reiſebeſchreibung erſchien vom Jahre 1814 an in drei Quartbänden in franzöſiſcher Sprache. Die Umſtände, unter denen Humboldt dieſelbe in Paris ausarbeitete, machen es begreiflich, daß er dazu die Sprache wählte, welche in neuerer Zeit als Organ des wiſſenſchaftlichen wie des diplo— matiſchen Verkehrs in gewiſſem Grade an die Stelle der latei— niſchen getreten iſt. Dieſes vortreffliche Buch kann mit Recht eines der ſchönſten Denkmale des deutſchen Geiſtes heißen, ni und jeder Deutſche, der dasſelbe kennt und zu ſchätzen weiß, muß ſich wundern, daß es nicht längſt in einer ſeiner würdigen Weiſe der deutſchen Litteratur einverleibt worden iſt, der es trotz ſeines fremden Gewandes ſeinem innerſten Grunde nach angehört. Dieſer auffallende Umſtand erklärt ſich aber aus dem widrigen Schickſal, welches das Buch erfahren. In den Jahren 1815 bis 1829 erſchien, ohne Humboldts Dazuthun, eine vollſtändige deutſche Ueberſetzung jener drei Bände der Relation historique in ſechs Bänden. Dieſelbe iſt aber in ſprachlicher und materieller Beziehung in einem Grade mangelhaft, wie er ſelbſt in dem um die Form leider allzuwenig bekümmerten Deutſchland ſelten vorkommt, und ſomit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte ſich dadurch in hohem Grade abgeſtoßen; er mochte, wie er ſelbſt ſchreibt, dieſes Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutſchen Geſtalt ſeines ſchönen Werkes auszuſöhnen, daß ſeitdem verſchiedene deutſche Auszüge und Bearbeitungen der Reiſebeſchreibung er— ſchienen find, die bequemerweiſe nur jene Ueberſetzung zu Grunde legten, und aus ihr zahlloſe Sprachſünden, Mißver⸗ ſtändniſſe und Irrtümer herübernahmen. So ſehen wir denn hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des Originals häßlich verunſtaltet, aber wenigſtens äußerlich voll: ſtändig iſt, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den Hauptwert und den vornehmſten Reiz rauben, indem ſie die Form ganz zerſtören, und eben damit auch die wahrhaft künſt⸗ leriſche Anordnung desſelben kaum noch in Spuren erkennen laſſen. Humboldts Reiſebeſchreibung und ein poetiſches Werk, nicht zu übertragen, ſondern auszuziehen und umzuarbeiten, iſt ungefähr gleich verſtändig. Das Buch iſt ein der höheren Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunſtwerk. Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Hum⸗ boldt über die Art der deutſchen Bearbeitung des Werkes zu verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an dieſen unter anderem folgendes: „Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der Naturwiſſenſchaft wird Ihre Reiſebeſchreibung für jeden Ge: ſchichtſchreiber eines dieſer Zweige eine wichtige Quelle bleiben, daneben aber die geſundeſte Nahrung, das trefflichſte An— regungsmittel für die zum Studium irgend einer Erfahrungs: wiſſenſchaft beſtimmte Jugend. Wenn ich mir vergegen— wärtige, was ich ſelbſt als Jüngling dieſem Werke ſchuldig geworden bin, ſo erkenne ich ſeinen Wert aufs lebhafteſte; aber auf dem Standpunkt meiner gegenwärtigen litterariſchen Erfahrung erkenne ich auch, in welchem Verhältnis es zu der immer wachſenden Menge derjenigen ſteht, welche ſich dilet— tantiſch mit der Wiſſenſchaft beſchäftigen, welche ſich gern bilden mögen, wenn noch ein anderer Genuß dabei iſt, als der ernſte, welcher aus dem Gefühl innerer Veredelung ent— ſpringt. Werden dieſe vom großen Namen des Verfaſſers noch ſo ſehr angezogen, ſo ſehen ſie ſich durch das bedeutende Volumen des Werkes an der Schwelle abgewieſen, und wagen ſie ſich dennoch hinein, ſo werden ſie bald gewahr, daß ſie nur über Maſſen ſtrenger Wiſſenſchaft hinweg den Schritten des Reiſenden durch die großartigſte Natur folgen könnten. Und doch iſt nach meiner Ueberzeugung in dieſem Werke ein allgemein zugängliches Buch enthalten, dem in unſerer Zeit, die auf Diffuſion des Naturwiſſens durch den Körper der Geſellſchaft ausgeht, an bildender Kraft kaum etwas gleich käme. Die Zeiten ſind vorbei, wo ganze bisher unbekannte Stücke Natur dem Seefahrer in die Hände fielen, wo ganze Idyllen, wie Tahiti, entdeckt wurden, wo der Reiſende nur zu erzählen brauchte, was er geſehen, um die Wißbegierde zu vergnügen und die Einbildungskraft zu entzünden. Von der Breite der Natur hat ſich der Geiſt der Tiefe zugewendet, und da die unwiſſenſchaftliche Neugier der immer mehr ins Detail dringenden Forſchung nicht folgen kann, ſo begreift ſich, daß heutige Reiſebeſchreibungen nicht den Reiz haben und den Einfluß üben können wie früher, wenn es der Reiſe— beſchreiber nicht verſteht, durch das zu wirken, was in den jetzigen Geiſtern an die Stelle der brennenden Neugier nach neuen Naturprodukten, nach neuen Ländern und Völkern ge— treten iſt. Seit es keine Naturwunder im früheren Sinne mehr gibt, ſind es vor allem die Gedanken der Natur in ihren Bildungen, die Geſetze in ihren Bewegungen, was die produktiven und die rezeptiven Kräfte, die Forſcher und die — Dilettanten, die das Wort Suchenden und die an das Wort Glaubenden beſchäftigt. Alexander v. Humboldt iſt einer der erſten, nach Rang und Zeit, welche die Naturwiſſenſchaft in die ſo fruchtbare Laufbahn gewieſen haben, die ſie ſeit einigen Menſchenaltern verfolgt. Und neben ſo Vielem und Großem hat er auch ein Reiſewerk geſchaffen, wie es recht eigentlich dem Weſen und Bedürfnis der heutigen Kultur entſpricht. Es gewährt einerſeits wahren Kunſtgenuß durch die trefflichen Schilderungen einer gewaltigen Natur und der Menſchheit in einem ihrer merkwürdigſten Bruchſtücke; andererſeits feſſelt und befreit es zugleich den Geiſt durch Ideen. Während der Leſer auch im gemeinen Sinne Neues in Menge erfährt, während es keineswegs an den kleinen und großen Vorfällen fehlt, welche die Einbildungskraft beſchäftigen und die Neugier reizen, ſieht er faſt bei jedem Schritt einen jener umfaſſenden Gedanken, von welchen die heutige Wiſſenſchaft beherrſcht wird, entſtehen oder ſich beſtätigen, und er lernt an hundert leben-, digen Beiſpielen, wie die wahre Naturwiſſenſchaft zuſtande kommt. Ich wüßte nichts, was anregender und bildender wäre. Für den „general reader“ iſt das Buch, wie es vor⸗ liegt, nicht beſtimmt; es ließe ſich ihm aber ſehr leicht zugäng— lich machen, und müßte dann als treffliches Bildungsmittel in den weiteſten Kreiſen wirken.“ ö Schon vor Jahren beſchäftigte A. v. Humboldt der Ge— danke, dieſes ſein Buch, auf das er, neben dem Essai sur l’etat politique de la Nouvelle Espagne, ſelbſt ſehr viel hielt, endlich in einer deutſchen Ausgabe aus dem hier ange— deuteten Geſichtspunkt unter ſeinen Auſpizien erſcheinen zu laſſen. Als aber die Sache ernſtlich zur Sprache kam, hatte er, faſt ein Achtziger, bereits das große Unternehmen des Kosmos begonnen, und ſo verſtand es ſich von ſelbſt, daß er die Uebertragung fremden Händen überlaſſen mußte. Der Plan der neuen Ausgabe wurde in den letzten Jahren zwiſchen ihm und dem Herausgeber im allgemeinen und einzelnen feſt— geſtellt; er konnte ſich noch ſelbſt von der Art der formellen und materiellen Behandlung überzeugen, auch alle wünſchens— werten Anordnungen treffen, indem ihm ein Teil des Manu— ſkriptes gedruckt vorgelegt wurde, und er ſchrieb ſofort die ARE I: Vorrede, die eine ſeiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war, ſo daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die erſten ſchönen Zeiten ſeiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben ſchied. Das Buch iſt reich an allem, was die Einbildungskraft feſſeln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen tropiſcher Landſchaften wie einzelner Gewächſe dieſer wunder— vollen Länder, an den belebteſten Auftritten aus dem Tier— leben, an den ſcharfſinnigſten Beobachtungen über die geiſtigen und geſelligen Verhältniſſe der Raſſen, welche in Südamerika neben⸗ und durcheinander wohnen. Erſt durch Humboldt iſt das eigentliche Weſen des eingeborenen Amerikaners nach Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die Beſchreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden und ihrer Laſter iſt in die ganze Reiſebeſchreibung mit großer Kunſt eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu einer ſo eigentümlichen und außerordentlichen Erſcheinung, daß ſich in ihm mit der Schärfe und Unbeſtechlichkeit der Urteilskraft eine ſo bedeutende künſtleriſche Begabung paart. Durch dieſelbe Kunſt der Darſtellung, wodurch er uns mit dem Antlitz und der Gebärdung der tropiſchen Natur ſo ver— traut macht, werden auch ſeine wiſſenſchaftlichen Erörterungen ſo klar und anſchaulich, daß ſie ſelbſt wie organiſche Natur— bildungen erſcheinen, was ſie ja auch im Grunde ſind. Zu allen Vorzügen des Buches kommt für den ernſten Leſer noch der unſchätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Ge— danken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der ſie unſeren Sonden zugänglich iſt, und daß er ſo, wie ſchon oben ausgeſprochen worden, überall unmittelbar zuſieht, wie die wahre Wiſſenſchaft zuſtande kommt. Nach meiner Er— fahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem all— gemein Unterrichteten das eigentliche Weſen, die Geneſis, die Entwickelung und die Grenzen des Naturwiſſens klarer machte, als die Art und Weiſe, wie Humboldt in ſeiner Reiſe— beſchreibung ſo viele große und kleine, aber für das in einen höheren Geſichtspunkt gerückte Auge gleich wichtige Erſchei— nungen beſpricht, wie die Meeresſtrömungen, die Verteilung — XII — der Gewächſe nach der Meereshöhe, die Erdbeben, die Theorie des tropiſchen Regens, die Urſachen der Kontraſte zwiſchen den Klimaten benachbarter Orte, die hydrographiſchen Ver⸗ hältniſſe des Landſtriches zwiſchen Orinoko und Rio Negro, die Milch des Kuhbaumes und die Milch der Gewächſe, welche das Kautſchuk geben, die ſchwarzen und die weißen Waſſer in Guyana, die Plage der Moskiten, das Pfeilgift der Indianer, die Wintervorräte erdeeſſender Otomaken, die Fabel vom „ver⸗ goldeten Mann“ (el dorado), und hundert andere Gegen⸗ ſtände, an denen der junge Forſcher ſeinen ungemeinen Scharf: ſinn geübt, und die jetzt längſt in den Schatz der Wiſſenſchaft aufgenommen ſind und vertraute Elemente unſerer Natur⸗ anſchauung bilden. Sollte nun aber das zunächſt ohne Rückſicht auf das größere Publikum geſchriebene Werk in den hier berührten Beziehungen gemeinnützlich werden, jo war es den Bedürf— niſſen derer anzupaſſen, welche ſich im Sinne unſerer Zeit über die Geſchichte des Kampfes zwiſchen Geiſt und Natur im allgemeinen unterrichten möchten. So kamen denn der Verfaſſer und der jetzige Herausgeber überein, das Buch als litterariſches Produkt möglichſt unverſehrt zu erhalten, nirgends auszugsweiſe zu verfahren, ſondern im ganzen überall dem Texte treu zu bleiben und nur die kürzeren und längeren ſtreng wiſſenſchaftlichen Exkurſe und Abhandlungen, die ins einzelne gehenden mineralogiſchen und geologiſchen, chemiſchen, phyſiologiſchen, pharmazeutiſchen, mediziniſchen, ſtatiſtiſchen, nationalökonomiſchen u. ſ. w. Erörterungen abzulöſen und von den Anmerkungen nur die beizubehalten, welche dem erwähnten Zwecke förderlich ſein konnten. Der Herausgeber. heife in die Aequinoktial⸗Gegenden. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 1 Erſtes Kapitel. Vorbereitungen. — Abreiſe von Spanien. — Aufenthalt auf den Kanariſchen Inſeln. Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Welt⸗ meer anordnet, durch welche die Kenntnis des Erdballes erweitert und die phyſiſchen Wiſſenſchaften gefördert werden, ſo ſtellt ſich ihrem Vorhaben keinerlei Hindernis entgegen. Der Zeit- punkt der Abfahrt und der Plan der Reiſe können feſtgeſtellt werden, ſobald die Schiffe ausgerüſtet und die Aſtronomen und Naturforſcher, welche unbekannte Meere befahren ſollen, gewählt ſind. Die Inſeln und Küſten, deren Produkte die Seefahrer kennen lernen ſollen, liegen außerhalb des Bereiches der ſtaatlichen Bewegungen Europas. Wenn längere Kriege die Freiheit zur See beſchränken, ſo ſtellen die kriegführenden Mächte gegenſeitig Päſſe aus; der Haß zwiſchen Volk und Volk tritt zurück, wenn es ſich von der Förderung des Wiſſens handelt, das die gemeine Sache aller Völker iſt. Anders, wenn nur ein Privatmann auf ſeine Koſten eine Reiſe in das Innere eines Feſtlandes unternimmt, das Europa in ſein Syſtem von Kolonieen gezogen hat. Wohl mag ſich der Reiſende einen Plan entwerfen, wie er ihm für ſeine wiſſenſchaftlichen Zwecke und bei den ſtaatlichen Verhältniſſen der zu bereiſenden Länder der angemeſſenſte ſcheint; er mag ſich die Mittel verſchaffen, die ihm fern vom Heimatland auf Jahre die Unabhängigkeit jihern; aber gar oft widerſetzen ſich unvorhergeſehene Hinderniſſe ſeinem Vorhaben, wenn er eben meint es ausführen zu können. Nicht leicht hat aber ein Reiſender mit ſo vielen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt als ich vor meiner Abreiſe nach dem ſpaniſchen Amerika. Gern wäre ich darüber weggegangen und hätte meine Reiſebeſchrei— bung mit der Beſteigung des Piks von Tenerifa begonnen, r . Be it: wenn nicht das Fehlichlagen meiner erſten Pläne auf die Rich⸗ tung meiner Reiſe nach der Rückkehr vom Orinoko bedeuten⸗ den Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige Schilderung dieſer Vorgänge, die für die Wiſſenſchaft von keinem Belang ſind, von denen ich aber wünſchen muß, daß ſie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des Publikums ſich häufig mehr an die Perſon des Reiſenden als an ſeine Werke heftet, ſo ſind auch die Umſtände, unter denen ich meine erſten Reiſepläne entworfen, ganz ſchief aufgefaßt worden.! Von früher Jugend auf lebte in mir der ſehnliche Wunſch, ferne, von Europäern wenig beſuchte Länder bereiſen zu dürfen. Dieſer Drang iſt bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben, wo dieſes vor uns liegt wie ein ſchrankenloſer Horizont, wo uns nichts ſo ſehr anzieht als ſtarke Gemütsbewegungen und Bilder phyſiſcher Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachſen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in beiden Indien ſteht, ſpäter in einem fern von der Meeresküſte gelegenen, durch ſtarken Bergbau berühmten Gebirge lebend, fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den leben— digen Schilderungen der Reiſenden kennen, haben ganz beſonderen Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umriſſene be— ſticht unſere Einbildungskraft; Genüſſe, die uns nicht erreichbar ſind, ſcheinen uns weit lockender, als was ſich uns im engen Kreiſe des bürgerlichen Lebens bietet. Die Luſt am Botani⸗ ſieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Geſellſchaft eines berühmten Mannes, Georg Forſters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook auf ſeiner zweiten Reiſe um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den Reiſeplänen, die ich ſchon mit achtzehn Jahren Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in ſechs Bänden, das unter dem ſeltſamen Titel: „Reiſe um die Welt und in Südamerika, von A. v. Humboldt, erſchienen bei Vollmer in Hamburg,“ niemals Kenntnis genommen habe. Dieſe in meinem Namen verfaßte Reiſebeſchreibung ſcheint nach in den Tageblättern gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in der erſten Klaſſe des franzöſiſchen Inſtitutes geleſen, zuſammen⸗ geſchrieben zu ſein. Um das Publikum aufmerkſam zu machen, hielt es der Kompilator für angemeſſen, einer Reiſe in einige Länder des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer „Reiſe um die Welt“ zu geben. nr 5 gehegt, Geſtalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer in die ſchönen Länder des heißen Erdgürtels zog, ſo war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wander: leben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannig⸗ faltigen Naturprodukten reiche Natur zu ſehen, die Ausſicht, Erfahrungen zu ſammeln, welche die Wiſſenſchaften förderten. Meine Verhältniſſe geſtatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich ſo lebhaft beſchäftigten, und ich hatte ſechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzuſtellen gedachte, vorzubereiten, mehrere Länder Europas zu bereiſen und die Kette der Hochalpen zu unterſuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verſchie— denen Zeiten mit Inſtrumenten von verſchiedener Konſtruktion arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die genaueſten und dabei auf dem Transport dauerhafteſten er⸗ ſchienen; ich fand Gelegenheit, Meſſungen, die nach den ſtrengſten Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte ſo ſelbſtändig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich gefaßt ſein mußte. Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereiſt, aber die vulkaniſchen Striche in Neapel und Sizilien ahn beſuchen können. Ungern hätte ich Europa verlaſſen, ohne Veſuv, Stromboli und Aetna geſehen zu haben; ich ſah ein, um zahlreiche geologiſche Erſcheinungen, namentlich in der Trappformation, richtig aufzufaſſen, mußte ich mich mit den Erſcheinungen, wie noch thätige Vulkane ſie bieten, näher bekannt gemacht haben. Ich entſchloß mich daher im Novem⸗ ber 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die Freundlichkeit Jacquins und Joſephs van der Schott mich in meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durch— zog mit Leopold von Buch, von dem ſeitdem ein treffliches Werk über Lappland erſchienen iſt, mehrere Teile des Salz— burger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen und den Landſchaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, ſah ich mich durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den Plan der Reiſe nach Neapel aufzugeben. Kurz zuvor hatte ein leidenſchaftlicher Kunſtfreund, der bereits die Küſten Illyriens und Griechenlands als Altertums— forſcher beſucht hatte, mir den Vorſchlag gemacht, ihn auf . einer Reiſe nach Oberägypten zu begleiten. Der Ausflug ſollte nur acht Monate dauern; geſchickte Zeichner und aſtronomiſche Werkzeuge ſollten uns begleiten, und ſo wollten wir den Nil bis Aſſuan hinaufgehen und den zwiſchen Tentyris und den Katarakten gelegenen Teil des Said genau unterſuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen Plänen nie ein außertropiſches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehen, Länder zu beſuchen, die in der Geſchichte der Kultur eine ſo bedeutende Rolle ſpielen. Ich nahm den Vor— ſchlag an, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich bei der Rückkehr nach Alexandrien allein durch Syrien und Paläſtina weiterreiſen dürfte. Sofort richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir ſpäter zu gute kam, als es ſich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexikaner mit denen der Völker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe Ausſicht, mich nach Aegypten einzuſchiffen, da nötigten mich die eingetretenen politiſchen Verhältniſſe, eine Reiſe aufzugeben, die mir ſo großen Genuß verſprach. Im Orient ſtanden die Dinge ſo, daß ein einzelner Reiſender gar keine Ausſicht hatte, dort Studien machen zu können, welche ſelbſt in den ruhigſten Zeiten von den Regierungen ‚mit mißtrauiſchem Auge angeſehen werden. Zur ſelben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreiſe in die Südſee unter dem Befehl des Kapitäns Baudin im Werk. Der urſprüngliche Plan war großartig, kühn, und hätte verdient, unter umſichtigerer Leitung ausgeführt zu werden. Man wollte die ſpaniſchen Beſitzungen in Südamerika von der Mündung des Rio de la Plata bis zum Königreich Quito und der Landenge von Panama beſuchen. Die zwei Korvetten ſollten ſofort über die Inſelwelt des Stillen Meeres nach Neu— holland gelangen, die Küſten desſelben von Vandiemensland bis Nuytsland unterſuchen, bei Madagaskar anlegen und über das Kap der guten Hoffnung zurückkehren. Ich war nach Paris gekommen, als man ſich eben zu dieſer Reiſe zu rüſten begann. Der Charakter des Kapitäns Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzuflößen; der Mann hatte meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Braſilien gebracht, und der Wiener Hof war dabei mit ihm ſchlecht zufrieden geweſen; da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine ſo weite Reiſe unternehmen und ein ſo ſchönes Stück der Welt hätte kennen lernen können, ſo entſchloß ich mich, auf gutes Glück die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubnis, —1 mich mit meinen Inſtrumenten auf einer der Korvetten, die nach der Südſee gehen ſollten, einzuſchiffen, und machte nur zur Bedingung, daß ich mich von Kapitän Baudin trennen dürfte, wo und wann es mir beliebte. Michaur, der bereits Perſien und einen Teil von Nordamerika beſucht hatte, und Bonpland, dem ich mich anſchloß, und der mir ſeitdem aufs innigſte befreundet geblieben, ſollten die Reiſe als Naturforſcher mitmachen. Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer ſo großen und ehrenvollen Unternehmung teilnehmen zu dürfen, da brach der Krieg in Deutſchland und in Italien von neuem aus, ſo daß die franzöſiſche Regierung die Geld— mittel, die ſie zu der Entdeckungsreiſe angewieſen, zurückzog und dieſelbe auf unbeſtimmte Zeit verſchob. Mit Kummer ſah ich alle meine Ausſichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich für mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beſchloß ich nur ſo bald als möglich, wie es auch ſei, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu unter— nehmen, das meinen Unmut zerſtreuen könnte. Ich wurde mit einem ſchwediſchen Konſul, Skiöldebrand, bekannt, der dem Dei von Algier Geſchenke von ſeiten ſeines Hofes zu überbringen hatte und durch Paris kam, um ſich in Marſeille einzuſchiffen. Dieſer achtungswerte Mann war lange auf der afrikaniſchen Küſte angeſtellt geweſen, und da er bei der algeriſchen Regierung gut angeſchrieben war, konnte er für mich auswirken, daß ich den Teil der Atlaskette bereiſen durfte, auf den ſich die bedeutenden Unterſuchungen von Des— fontaines nicht erſtreckt hatten. Er ſchickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka gingen, und er verſprach mir, mich auf dieſem Wege nach Aegypten zu befördern. Ich beſann mich keinen Augenblick, eine ſo gute Gelegenheit zu benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reiſe nach Frankreich entworfen, ſofort ausführen zu können. Bis jetzt hatte kein Mineralog die hohe Bergkette unterſucht, die in Marokko bis zur Grenze des ewigen Schnees aufſteigt. Ich konnte darauf rechnen, daß ich, nachdem ich in den Alpenſtrichen der Berberei einiges für die Wiſſenſchaft gethan, in Aegypten bei den bedeutenden Gelehrten, die ſeit einigen Monaten zum Inſtitut von Kairo zuſammengetreten waren, dasſelbe Entgegenkommen fand, das mir in Paris in ſo reichem Maße zu teil geworden. Ich ergänzte raſch meine Sammlung von Inſtrumenten und ver— „ ſchaffte mir die Werke über die zu bereiſenden Länder. Ich nahm Abſchied von meinem Bruder, der durch Rat und Bei— ſpiel meine Geiſtesrichtung hatte beſtimmen helfen. Er billigte die Beweggründe meines Entſchluſſes, Europa zu verlaſſen; eine geheime Stimme ſagte uns, daß wir uns wiederſehen würden. Dieſe Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und ſie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ Paris mit dem Entſchluß, mich nach Algier und Aegypten einzuſchiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Men: ſchenleben regiert, ich ſah bei der Rückkehr vom Amazonenſtrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Feſtland von Afrika betreten zu haben. Die ſchwediſche Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen ſollte, wurde zu Marſeille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um dieſe Zeit dahin, und eilten um ſo mehr, da wir während der Reiſe immer beſorgten, zu ſpät zu kommen und das Schiff zu ver⸗ ſäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns zunächſt bevorſtanden. Skiöldebrand war ſo ungeduldig als wir, ſeinen Beſtim⸗ mungsort zu erreichen. Wir beſtiegen mehrmals i im Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont ſichtbar wurde, ſetzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, erſahen wir aus den Zeitungen, daß die ſchwediſche Fregatte, die uns überführen ſollte, in einem Sturm an den Küſten von Portugal ſtark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen müſſen, um ausgebeſſert zu werden. Privatbriefe beſtätigten 155 Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas — ſo hieß die Fregatte — vor dem Frühjahr nicht nach Marſeille kommen konnte. Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwährend an unſere zertrümmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyeres und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuſe, die Bougainville auf ſeiner Ir um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüſtete, die Expedition des Kapitäns Baudin mitzumachen, des beſondern Wohlwollens des berühmten See— fahrers zu erfreuen gehabt. Nur ſchwer vermöchte ich zu EA Aa ſchildern, was ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerſon auf die Inſeln der Südſee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen ſich ein Schmerzgefühl in alle unſere Empfindungen miſcht. Wir hielten immer noch am Gedanken feſt, uns an die afrikaniſche Küſte zu begeben, und dieſer zähe Entſchluß wäre uns beinahe verderblich geworden. Im Hafen von Marſeille lag zur Zeit ein kleines raguſaniſches Fahrzeug, bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies ſchien uns eine günſtige Gelegenheit; wir kamen ja auf dieſe Weiſe in die Nähe von Aegypten und Syrien. Wir wurden mit dem Kapitän wegen des Ueberfahrtspreiſes einig; am folgenden Tage ſollten wir unter Segel gehen, aber die Abreiſe verzögerte ſich glücklicher— weiſe durch einen an ſich ganz unbedeutenden Umſtand. Das Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen ſollte, war in der großen Kajütte untergebracht. Wir verlangten, daß zur Bequemlichkeit der Reiſenden und zur ſicheren Unter— bringung unſerer Inſtrumente das Notwendigſte vorgekehrt werde. Allermittelſt erfuhr man in Marſeille, daß die tune- ſiſche Regierung die in der Berberei niedergelaſſenen Franzoſen verfolge, und daß alle aus franzöſiſchen Häfen ankommenden Perſonen ins Gefängnis geworfen würden. Durch dieſe Kunde entgingen wir einer großen Gefahr; wir mußten die Aus— führung unſerer Pläne verſchieben und entſchloſſen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns im nächſten Frühjahr, wenn anders die politiſchen Zuſtände im Orient es geſtatteten, in Cartagena oder in Cadiz einſchiffen zu können. Wir reiſten durch Katalonien und das Königreich Valencia nach Madrid. Wir beſuchten auf dem Wege die Trümmer Tarragonas und des alten Sagunt, machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montſerrat, deſſen hochaufragende Gipfel von Einſiedlern bewohnt ſind, und der durch die Kon— traſte eines kräftigen Pflanzenwuchſes und nackter, öder Fels— maſſen ein eigentümliches Landſchaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch aſtronomiſche Rechnung die Lage mehrerer für die Geographie Spaniens wichtiger Punkte zu beſtimmen; ich maß mittels des Barometers die Höhe des Centralplateaus und ſtellte einige Beobachtungen über die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Die Ergebniſſe dieſer Beobachtungen ſind für ſich erſchienen, und ich verbreite mich hier nicht weiter über die Natur— Se beſchaffenheit eines Landes, in dem ich mich nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von jo vielen unter: richteten Männern bereiſt worden iſt. Zu Madrid angelangt, fand ich bald Urſache mir Glück dazu zu wünſchen, daß wir uns entſchloſſen, die Halbinſel zu beſuchen. Der Baron Forell, ſächſiſcher Geſandter am ſpaniſchen Hofe, kam mir auf eine Weiſe entgegen, die meinen Zwecken ſehr förderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten mine— ralogiſchen Kenntniſſen das regſte Intereſſe für Unterneh: mungen zur Förderung der Wiſſenſchaft. Er bedeutete mir, daß ich unter der Verwaltung eines aufgeklärten Miniſters, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo, Ausſicht habe, auf meine Koſten im Inneren des ſpaniſchen Amerikas reiſen zu dürfen. Nach all den Widerwärtigkeiten, die ich erfahren, beſann ich mich keinen Augenblick, dieſen Gedanken zu ergreifen. Im März 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vor— geſtellt. Der König nahm mich äußerſt wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gründe, die mich bewogen, eine Reiſe in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu unternehmen, und reichte dem Staatsſekretär eine darauf bezügliche Denk— ſchrift ein. Der Ritter d'Urquijo unterſtützte mein Geſuch und räumte alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Miniſter handelte hierbei deſto großmütiger, da ich in gar keiner per— ſönlichen Beziehung zu ihm ſtand. Der Eifer, mit dem er fortwährend meine Abſichten unterſtützte, hatte keinen anderen Beweggrund als ſeine Liebe zu den Wiſſenſchaften. Es wird mir zur angenehmen Pflicht, in dieſem Werke der Dienſte, die er mir erwieſen, dankbar zu gedenken. Ich erhielt zwei Päſſe, den einen vom erſten Staats⸗ ſekretär, den anderen vom Rat von Indien. Nie war einem Reiſenden mit der Erlaubnis, die man ihm erteilte, mehr zugeſtanden worden, nie hatte die ſpaniſche Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewieſen. Um alle Bedenken zu beſeitigen, welche die Vizekönige oder Generalkapitäne, als Vertreter der königlichen Gewalt in Amerika, hinſichtlich des Zweckes und Weſens meiner Beſchäftigungen erheben könnten, hieß es im Paß der primera secretaria de estado: „ich jet ermächtigt, mich meiner phyſikaliſchen und geodätiſchen Inſtru— mente mit voller Freiheit zu bedienen; ich dürfe in allen ſpaniſchen Beſitzungen aſtronomiſche Beobachtungen anſtellen, die Höhen der Berge meſſen, die Erzeugniſſe des Bodens ſammeln und alle Operationen ausführen, die ich zur Förde— a rung der Wiſſenſchaft vorzunehmen gut finde“. Dieſe Befehle von ſeiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereigniſſe Don d'Urquijo vom Miniſterium hatte abtreten müſſen. Ich meinerſeits war bemüht, dieſe ſich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich übergab während meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abſchriften des von mir geſammelten Materials über die Geographie und Statiſtik der Kolonieen, das dem Mutterlande von einigem Wert ſein konnte. Dem von mir vor meiner Abreiſe gegebenen Verſprechen gemäß übermachte ich dem naturhiſtoriſchen Kabinett zu Madrid mehrere geologiſche Samm— lungen. Da der Zweck unſerer Reiſe ein rein wiſſenſchaftlicher war, ſo hatten Bonpland und ich das Glück, uns das Wohl— wollen der Koloniſten wie der mit der Verwaltung dieſer weiten Landſtriche betrauten Europäer zu erwerben. In den fünf Jahren, während deren wir den neuen Kontinent durch— zogen, ſind wir niemals einer Spur von Mißtrauen begegnet. Mit Freude ſpreche ich es hier aus: unter den härteſten Ent— behrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur haben wir uns nie über menſchliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt. Verſchiedene Gründe hätten uns eigentlich bewegen ſollen, noch länger in Spanien zu verweilen. Abbe Cavanilles, ein Mann gleich geiſtreich wie mannigfaltig unterrichtet, Nee, der mit Hänke die Expedition Malaſpinas als Botaniker mit— gemacht und allein eine der größten Kräuterſammlungen, die man je in Europa geſehen, zuſammengebracht hat, Don Caſimir Ortega, Abbs Pourret und die gelehrten Verfaſſer der Flora von Peru, Ruiz und Papon, ſtellten uns ihre reichen Samm: lungen zur unbeſchränkten Verfügung. Wir unterſuchten zum Teil die mexikaniſchen Pflanzen, die von Seſſe, Mocino und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das naturhiſtoriſche Muſeum zu Madrid gelangt waren. In dieſer großen Anſtalt, die unter der Leitung Clavijos ſtand, des Herausgebers einer gefälligen Ueberſetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologiſchen Suiten aus den Kordilleren; aber Prouſt, der ſich durch die große Ge— nauigkeit ſeiner chemiſchen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns intereſſante Nachweiſungen über verſchiedene mineraliſche Subſtanzen Ameri— kas. Mit bedeutendem Nutzen hätten wir uns wohl noch länger mit den Naturprodukten der Länder beſchäftigt, die das Ziel unſerer Forſchungen waren, aber es drängte uns zu ſehr, von der Vergünſtigung, die der Hof uns gewährt, Ge: brauch zu machen, als daß wir unſere Abreiſe hätten verſchieben können. Seit einem Jahre war ich ſo vielen Hinderniſſen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein fehn: lichſter Wunſch endlich in Erfüllung gehen ſollte. Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reiſten durch einen Teil von Altkaſtilien, durch das Königreich Leon und Galicien nach Coruna, wo wir uns nach der Inſel Cuba einſchiffen ſollten. Der Winter war ſtreng und lang geweſen, und jetzt genoſſen wir auf der Reiſe der milden Frühlingstemperatur, die ſchon ſo weit gegen Süd gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen iſt. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den tiefen Thälern Galiciens, welche an die maleriſchen Land— ſchaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felſen mit Ciſtus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut über: zogen. Man iſt froh, wenn man die kaſtiliſche Hochebene hinter ſich hat, welche faſt ganz von Pflanzenwuchs entblößt, und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß iſt. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich ſelbſt anſtellen konnte, beſteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit ſekun— dären Gebirgsbildungen, Sandſtein, Gips, Steinſalz, Jurakalk bedeckt iſt; das Klima von Kaſtilien iſt weit kälter als das von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht kaum 15° der hundertteiligen Skale. Man wundert ſich, daß unter der Breite von Kalabrien, Theſſalien und Kleinaſien die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes iſt umgeben von einer tiefgelegenen, ſchmalen Zone, wo an mehreren Punkten Cha: märops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinſame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfroſt zu leiden. Unter dem 36. bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieſer Zone 17 bis 20%, und durch den Verein von Verhältniſſen, die hier nicht aufgezählt werden können, iſt dieſer glückliche Landſtrich der vornehmſte Sitz des Gewerbfleißes und der Geiſtesbildung geworden. Kommt man im Königreich Valencia von der Küſte des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kaſtilien herauf, ſo meint man, tief im Lande, in weithin geſtreckten ſchroffen Abhängen die alte Küſte der Halbinſel vor ſich zu — 1 haben. Dieſes merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der Samothraker und andere geſchichtliche Zeugniſſe, welche darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß durch den Ausbruch der Waſſer aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der ſüdliche Teil Europas zerriſſen und vom Mittelmeer verſchlungen worden iſt. Nimmt man an, dieſe Sagen ſeien keine geologiſchen Träume, ſondern beruhen wirk— lich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, ſo hätte die ſpaniſche Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen Fluten widerſtanden, bis die Waſſer durch die zwiſchen den Säulen des Herkules ſich bildende Meerenge abfloſſen, ſo daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählich ſank und einerſeits Niederägypten, andererſeits die fruchtbaren Ebenen von Tarra⸗ gona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieſes Meeres zuſammenhängt, deſſen Daſein von ſo bedeutendem Einfluß auf die früheſten Kulturbewegungen der Menſchheit war, iſt von ganz beſonderem Intereſſe. Man könnte denken, Spanien, das ſich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darſtellt, verdanke ſeine Erhaltung ſeinem hochge— legenen Boden; ehe man aber auf ſolche theoretiſche Vor⸗ ſtellungen Gewicht legt, müßte man erſt die Bedenken beſeitigen, die ſich gegen die Durchbrechung ſo vieler Dämme erheben, müßte man wahrſcheinlich zu machen ſuchen, daß das Mittel— meer einſt in mehrere abgeſchloſſene Becken geteilt geweſen, deren alte Grenzen durch Sizilien und die Inſel Kandia an- gedeutet ſcheinen. Die Löſung dieſe Probleme ſoll uns hier nicht beſchäftigen, wir beſchränken uns darauf, auf den auf: fallenden Kontraſt in der Geſtaltung des Landes am öſtlichen und am weſtlichen Ende Europas aufmerkſam zu machen. Zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meer erhebt ſich das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn ſie zwiſchen den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, ſich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darſtellen würde. Es iſt höchſt anziehend, auf die Urſachen zurückzugehen, durch welche die Oberfläche unſeres Planeten umgeſtaltet worden ſein mag; ſicherer iſt es aber, ſich an diejenigen Seiten der Erſcheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Meſſung des Forſchers zugänglich ſind. Zwiſchen Aſtorga und Coruna, beſonders von Lugo an, werden die Berge allmählich höher. Die ſekundären Gebirgs— bildungen verſchwinden mehr und mehr, und die Uebergangs— — BERN gebirgsarten, die ſie ablöſen, verkünden die Nähe des Urgebirges. Wir ſahen anſehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandſtein, den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und Grauwackenſchiefer aufführen. Ich weiß nicht, ob dieſe Formation, die im ſüdlichen Europa nicht häufig vorkommt, auch in anderen Strichen Spaniens aufgefunden worden iſt. Eckige Bruchſtücke von lydiſchem Stein, die in den Thälern am Boden liegen, ſchienen uns darauf zu deuten, daß die Grauwacke dem Uebergangsſchiefer aufgelagert iſt. Bei Coruna ſelbſt erheben ſich Granitgipfel, die bis zum Kap Drtegal fortſtreichen. Dieſe Granite, welche einſt mit denen in Bre— tagne und Wales in Zuſammenhang geſtanden haben mögen, ſind vielleicht die Trümmer einer von den Fluten zertrümmerten und verſchlungenen Bergkette. Schöne große Feldſpatkriſtalle find für dieſes Geſtein charakteriſtiſch, Zinnſtein iſt darin ein- geſprengt, und von den Galiciern wird darauf ein mühſamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben. In Coruna angelangt, fanden wir den Hafen von zwei engliſchen Fregatten und einem Linienſchiff blockiert. Dieſe Fahrzeuge ſollten den Verkehr zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen in Amerika unterbrechen; denn von Coruna, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot (Correo maritimo) nach der Havana aus, und alle zwei Monate ein anderes nach Buenos Ayres oder der Mündung des La Plata. Ich werde ſpäter den Zuſtand der Poſten auf dem neuen Kontinent genau beſchreiben; hier nur ſo viel, daß ſeit dem Miniſterium des Grafen Florida Blanca der Dienſt der „Landkuriere“ ſo gut eingerichtet iſt, daß einer in Paraguay oder in der Provinz Jaen de Bracamoros nur durch ſie ziemlich regelmäßig mit einem in Neumexiko oder an der Küſte von Neukalifornien korreſpondiern kann, alſo ſo weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Kap der guten Hoffnung iſt. Ebenſo gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in Aragonien zur Poſt gibt, nach Chile oder in die Miſſionen am Orinoko, wenn nur der Name des Corregimiento oder Bezirkes, in dem das betreffende india⸗ niſche Dorf liegt, genau angegeben iſt. Mit Vergnügen verweilt der Gedanke bei Einrichtungen, die für eine der größten Wohlthaten der Kultur der neueren Zeit gelten können. Die Einrichtung der Kuriere zur See und im inneren Lande hat das Band zwiſchen den Kolonieen unter ſich und mit dem Mutterlande enger geknüpft. Der Gedankenaustauſch wurde a dadurch beſchleunigt, die Beſchwerden der Koloniſten drangen leichter nach Europa und die Staatsgewalt konnte hin und wieder Bedrückungen ein Ende machen, die ſonſt aus ſo weiter Ferne nie zu ihrer Kenntnis gelangt wären. Der Miniſter hatte uns ganz beſonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo empfohlen, der ſeit kurzem die Ober: aufſicht über die Seepoſten hatte. Dieſer Offizier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Coruna mit der Ein— richtung neuer Werfte beſchäftigt. Er bot alles auf, um uns den Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der Korvette! Pizarro einzuſchiffen, die nach der Havana und Mexiko ging. Dieſes Fahrzeug, das die Poſt für Juni an Bord hatte, ſollte mit der Alcudia ſegeln, dem Paketboot für den Mai, das wegen der Blockade ſeit drei Wochen nicht hatte auslaufen können. Der Pizarro galt für keinen guten Segler, aber durch einen glücklichen Zufall war er vor kurzem auf ſeiner langen Fahrt vom Rio de la Plata nach Coruna den kreuzenden engliſchen Fahrzeugen entgangen. Clavijo ließ an Bord der Korvette Einrichtungen treffen, daß wir unſere Inſtrumente aufſtellen und während der Ueberfahrt unſere chemiſchen Verſuche über die atmojphä- riſche Luft vornehmen konnten. Der Kapitän des Pizarro erhielt Befehl, bei Tenerifa ſo lange anzulegen, daß wir den Hafen von Orotava beſuchen und den Gipfel des Piks beſteigen könnten. Die Einſchiffung verzögerte ſich nur zehn Tage, dennoch kam uns der Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen einzulegen, die wir in den ſchönen, noch von keinem Naturforſcher betretenen Thälern Galiciens geſammelt; wir unterſuchten die Tange und Weichtiere, welche die Flut von Nordweſt her in Menge an den Fuß des ſteilen Felſens wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules ſteht. Dieſer Turm, auch „der eiſerne Turm“ genannt, wurde im Jahre 1788 reſtauriert. Er iſt 30 m hoch, ſeine Mauern find 1,46 m dick, und nach ſeiner Bauart iſt er unzweifelhaft ein Werk der Römer. Eine in der Nähe der Fundamente gefundene Inſchrift, von der ich durch Herrn de Labordes' Gefälligkeit eine Abſchrift beſitze, beſagt, der Turm ſei von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt Aqua Flavia (Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heißt der Nach dem ſpaniſchen Sprachgebrauch war der Pizarro eine leichte Fregatte (Fregata lijera). — eiſerne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechiſchen oder phöniziſchen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das Land der Galläci, ſei von griechiſchen Kolonieen bevölkert ge— weſen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in ſeiner Geographie von Spanien hätten ſich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules in dieſen Landſtrichen nie— dergelaſſen.! Die Höhen von Ferrol und Coruna find an derſelben Bai gelegen, ſo daß ein Schiff, das bei ſchlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein ſolcher Vorteil iſt unſchätzbar in Strichen, wo die See faſt beſtändig hoch geht, wie zwiſchen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Arta— brum der alten Geographen. Ein enger, von ſteilen Granit— felſen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet ſich kein zweiter Ankerplatz, der ſo merkwürdig weit ins Land hineinſchnitte. Dieſer enge, ge— ſchlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, ſieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingeriſſen. In der Neuen Welt, an der Küſte von Neuandaluſien, hat die Laguna del Opisco, der „Biſchofsſee“, genau dieſelbe Geſtalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendſten geologiſchen Erſchei— nungen wiederholen ſich auf den Feſtländern an weit entlegenen Punkten, und der Forſcher, der Gelegenheit gehabt, verſchiedene Weltteile zu ſehen, erſtaunt über die durchgehende Gleich— förmigkeit im Ausſchnitt der Küſten, im krummen Zug der Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das zufällige Zuſammentreffen derſelben Urſachen mußte allerorten dieſelben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Man⸗ nigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten Stoffe, wie in der Organiſation der Pflanzen und Tiere eine gewiſſe Uebereinſtimmung in Bau und Geſtaltung entgegen. Auf der Ueberfahrt von Coruna nach Ferrol machten wir über eine Untiefe beim „weißen Signal“, in der Bai, die nach d'Anville der portus magnus der Alten war, mittels Die Phönizier und die Griechen beſuchten die Küſten von Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das ſie von hier wie von den Kaſſiteridiſchen Inſeln bezogen. = a 3 einer Thermometerſonde mit Ventilen einige Beobachtungen über die Temperatur der See und über die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Waſſerſchichten. Ueber der Bank zeigte das Inſtrument an der Meeresfläche 12,5 bis 13,3 der hundertteiligen Skale, während ringsumher, wo das Meer ſehr tief war, der Thermometer bei 12,8“ Luft: temperatur auf 15 bis 15,3“ ſtand. Der berühmte Franklin und Jonathan Williams, der Verfaſſer des zu Philadelphia erſchienenen Werkes „Thermometrie Navigation“, haben zu: erſt die Phyſiker darauf aufmerkſam gemacht, wie abweichend ſich die Temperaturverhältniſſe der See über Untiefen geſtalten, ſowie in der Zone warmer Waſſerſtröme, die aus dem Meer— buſen von Mexiko zur Bank von Neufundland und hinüber an die Nordküſten von Europa ſich erſtreckt. Die Beobachtung, daß ſich die Nähe einer Sandbank durch ein raſches Sinken der Temperatur an der Meeresfläche verkündet, iſt nicht nur für die Phyſik von Wichtigkeit, fie kann auch für die Sicher: heit der Schiffahrt von großer Bedeutung werden. Allerdings wird man über dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen: aber Beobachtungen, wie ich fie im Verlauf dieſer Reiſebeſchreibung anführen werde, thun zur Genüge dar, daß ein Temperaturwechſel, den die unvollkommenſten Inſtrumente anzeigen, die Gefahr verkündet, lange bevor das Schiff über die Untiefe gelangt. In ſolchen Fällen mag die Abnahme der Meerestemperatur den Schiffer veranlaſſen, zum Senkblei zu greifen in Strichen, wo er ſich vollkommen ſicher dünkte. Auf die phyſiſchen Urſachen dieſer verwickelten Erſcheinungen kommen wir anderswo zurück. Hier ſei nur erwähnt, daß die niedrigere Temperatur des Waſſers über den Untiefen großenteils daher rührt, daß es ſich mit tieferen Waſſerſchichten miſcht, welche längs der Abhänge der Bank zur Meeresfläche aufſteigen. Eine Aufregung des Meeres von Nordweſt her unter— brach unſere Verſuche über die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen ſo hoch, weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in deſſen Folge die eng— liſchen Schiffe ſich hatten von der Küſte entfernen müſſen. Man wollte die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man ſchiffte alsbald unſere Inſtrumente, unſere Bücher, unſer ganzes Gepäck ein; aber der Weſtwind wurde immer ſtärker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten den Auf— ſchub, um an unſere Freunde in Deutſchland und Frankreich A. v. Humboldt, Reiſe. I. 2 — 18 zu ſchreiben. Der Augenblick, wo man zum erſtenmal von Europa ſcheidet, hat etwas Ergreifendes. Wenn man ſich noch ſo beſtimmt vergegenwärtigt, wie ſtark der Verkehr zwiſchen beiden Welten iſt, wie leicht man bei den großen Fortſchritten der Schiffahrt über den Atlantiſchen Ozean gelangt, der, der Südſee gegenüber, ein nicht ſehr breiter Meeresarm iſt, das Gefühl, mit dem man zum erſtenmal eine weite Seereiſe an— tritt, hat immer etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von früher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Weſen, an denen unſer Herz hängt, im Begriff, gleichſam den Schritt in ein neues Leben zu thun, ziehen wir uns unwillkürlich in uns ſelbſt zuſammen und über uns kommt ein Gefühl des Alleinſeins, wie wir es nie empfunden. Unter den Briefen, die ich kurz vor unſerer Einſchiffung ſchrieb, befand ſich einer, der für die Richtung unſerer Reiſe und den Verlauf unſerer ſpäteren Forſchungen ſehr folgereich wurde. Als ich Paris verließ, um die Küſte von Afrika zu beſuchen, ſchien die Entdeckungsreiſe in die Südſee auf mehrere Jahre verſchoben. Ich hatte mit Kapitän Baudin die Ber: abredung getroffen, daß ich, wenn er wider Vermuten die Reiſe früher antreten könnte und ich davon Kenntnis bekäme, von Algier aus in einen franzöſiſchen oder ſpaniſchen Hafen eilen wolle, um die Expedition mitzumachen. Im Begriff in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt dieſes Ver— ſprechen. Ich ſchrieb Kapitän Baudin, wenn die Regierung ihn auch jetzt noch den Weg um Kap Horn nehmen laſſen wolle, ſo werde ich mich bemühen, mit ihm zuſammenzutreffen, in Montevideo, in Chile, in Lima, wo immer er in den ſpaniſchen Kolonieen anlegen möchte. Treu dieſer Zuſage, änderte ich meinen Reiſeplan, ſobald die amerikaniſchen Blätter im Jahre 1801 die Nachricht brachten, die franzöſiſche Expe— dition ſei von Havre abgegangen, um von Oſt nach Weſt die Welt zu umſegeln. Ich mietete ein kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Inſel Cuba nach Portobelo und von da über die Landenge an die Küſte der Südſee. Infolge einer falſchen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich über 3600 km in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereiſen wollen. Erſt in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des beſtändigen Sekretärs der erſten Klaſſe des Inſtitutes, daß Kapitän Baudin um das Kap der guten Hoffnung gegangen und die Weſt- und Oſtküſte Amerikas gar — 18 — nicht berührt habe. Nicht ohne ein Gefühl von Wehmut ge— denke ich einer Expedition, die mehrfach in mein Leben ein— greift, und die kürzlich von einem Gelehrten! beſchrieben worden iſt, den die Menge der Entdeckungen, welche die Wiſſenſchaft ihm dankt, und der aufopfernde Mut, den er auf ſeiner Laufbahn unter den härteſten Entbehrungen und Leiden bewieſen, gleich hoch ſtellen. Ich hatte auf die Reiſe nach Spanien nicht meine ganze Sammlung phyſikaliſcher, geodätiſcher und aſtronomiſcher Werk— zeuge mitnehmen können; ich hatte die Dubletten in Mar— ſeille in Verwahrung gegeben und wollte ſie, ſobald ich Gelegenheit gefunden hätte, an die Küſte der Berberei zu gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen laſſen. In ruhigen Zeiten iſt Reiſenden ſehr zu raten, daß ſie ſich nicht mit allen ihren Inſtrumenten beladen; man läßt ſie beſſer nachkommen, um nach einigen Jahren diejenigen zu erſetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport gelitten haben. Dieſe Vorſicht erſcheint beſonders dann geboten, wenn man zahlreiche Punkte durch rein chronometriſche Mittel zu beſtimmen hat. Aber während eines Seekrieges thut man klug, ſeine Inſtrumente, Handſchriften und Sammlungen fortwäh— rend bei ſich zu haben. Wie wichtig dies iſt, haben traurige Erfahrungen mir bewieſen. Unſer Aufenthalt zu Madrid und Coruna war zu kurz, als daß ich den meteorologiſchen Apparat, den ich in Marſeille gelaſſen, hätte von dort kommen laſſen können. Nach unſerer Rückkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denſelben nach der Havana zu ſchicken, aber ohne Erfolg; weder dieſer Apparat, noch die achromatiſchen Fernröhren und der Thermometer von Arnold, die ich in London beſtellt, ſind mir in Amerika zugekommen. Getrennt von unſeren Inſtrumenten, die ſich am Bord der Korvette befanden, brachten wir noch zwei Tage in Coruna zu. Ein dichter Nebel, der den Horizont bedeckte, verkündete endlich die ſehnlich erwartete Aenderung des Wetters. Am 4. Juni abends drehte ſich der Wind nach Nordoſt, welche Windrichtung an der Küſte von Galicien in der ſchönen Jahres— zeit für ſehr beſtändig gilt. Am fünften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine engliſche Eskadre ſei vom Wacht— Peron, der nach langen ſchmerzlichen Leiden im 35. Jahre der Wiſſenſchaft entriſſen wurde. 1 poſten Siſarga ſignaliſiert worden und ſcheine nach der Mün⸗ dung des Tajo zu ſegeln. Die Leute, welche unſere Korvette die Anker lichten ſahen, äußerten laut, ehe drei Tage ver— gehen, ſeien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, deſſen Los wir teilen müßten, auf dem Wege nach Liſſabon. Dieſe Prophe⸗ zeiung beunruhigte uns um ſo mehr, als wir in Madrid Mexikaner kennen gelernt hatten, die ſich dreimal in Cadiz nach Veracruz eingeſchifft hatten, jedesmal aber faſt unmittel: bar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal nach Spanien zurückgekehrt waren. Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Coruna fährt, iſt lang und ſchmal; da er ſich gegen, Nord öffnet und der Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge machen, von denen drei ſo gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer äußerſt langſam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, ſchwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung ſehr nahe an die Klippen trieb, an denen ſich das Meer mit Ungeſtüm bricht. Unſere Blicke hingen am Schloß St. Antonio, wo damals der unglückliche Malaſpina als Staatsgefangener ſaß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder zu beſuchen, welche dieſer bedeutende Forſcher mit ſo vielem Erfolg bereiſt hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei einem minder traurigen Gegenſtande verweilt. Um ſechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules vorüber, von dem oben die Rede war, der Coruna als Leucht— turm dient, und auf dem man ſeit den älteſten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieſes Feuers ſteht in ſchlechtem Verhältnis mit dem ſchönen, ſtattlichen Bauwerk; es iſt ſo ſchwach, daß die Schiffe es erſt gewahr werden, wenn ſie bereits Gefahr laufen zu ſtranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See ſehr unruhig und der Wind bedeu— tend friſcher. Wir ſteuerten gegen Nordweſt, um nicht den engliſchen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in dieſen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr ſahen wir das Licht in einer Fiſcherhütte von Siſarga, das letzte, was uns von der Küſte von Europa zu Geſicht kam. Mit der zu⸗ nehmenden Entfernung verſchmolz der ſchwache Schimmer mit dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und un: willkürlich blieben unfere, Blicke daran hängen. Dergleichen Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Em: pfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft beſitzt, eine weite — 21 — Seereiſe angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn ſo ein leuchtender Punkt in finſterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küſte des Heimatlandes bezeichnet! Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir ſegelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum Schnellſegeln gebaut war. Um ſechs Uhr morgens wurde das Schlingern ſo heftig, daß die kleine Bramſtenge brach. Der Unfall hatte indeſſen keine ſchlimmen Folgen. Wir brauchten zur Ueberfahrt von Coruna nach den Kanarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in ſo ſtark befahrenen Strichen wie die Küſten von Portugal der Gefahr auszuſetzen, auf engliſche Schiffe zu ſtoßen. Die erſten drei Tage zeigte ſich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unſere Mannſchaft, die ſich auf kein Gefecht einlaſſen konnte. Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelſen, die dieſes Vor— gebirge, wie das Vorgebirge Toriaßes und den Berg Corcu— bion bilden, heißt Sierra de Torinona. Das Kap Finisterre iſt niedriger als das Land umher, aber die Torinona iſt auf hoher See 76,5 km weit ſichtbar, woraus folgt, daß die höchſten Gipfel derſelben nicht unter 582 m hoch fein können. Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Maſten ein engliſches Konvoi ſignaliſiert, das gegen Südoſt an der Küſte hinſteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unſerem Kurs. Damit durften wir in der großen Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Dieſe Vorſicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeſchrieben iſt, brachte uns tödliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwaſſers zu beobachten oder an der Teilung der aſtronomiſchen In— ſtrumente die Zahlen abzuleſen. In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, iſt man unter dieſen Umſtänden ſchon um ſechs Uhr abends außer Thätig— keit geſetzt. Dies war für mich um ſo verdrießlicher, als ich vermöge meiner Konſtitution nie ſeekrank wurde, und ſo oft ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte. Eine Fahrt von der ſpaniſchen Küſte nach den Kanarien Bon und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes, zumal in der guten Jahreszeit. Es iſt weniger Gefahr dabei als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen. Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebniſſe meiner magnetiſchen und meteorologiſchen Verſuche in dieſem Meeres— ſtriche mit. Am 9. Juni, unter 39° 50“ der Breite und 16° 7100 weſtlicher Länge vom Meridian der Pariſer Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen Strömung zu ſpüren, welche von den Azoriſchen Inſeln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den Kanariſchen Inſeln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudſchen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinſten Aenderungen in der Richtung und Geſchwindigkeit der Strö— mungen bemerken. Zwiſchen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km nach Oſt getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes Oſt ½ Südoſt, aber in der Nähe der Meerenge wurde ſie genau Oſt. Kapitän Macintoſh und einer der gebildetſten Seefahrer unſerer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Ver⸗ änderungen beobachtet, welche in dieſer Bewegung des Waſſers zu verſchiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht ſelten vor, daß Schiffer, welche die Kanariſchen Inſeln beſuchen, ſich an der Küſte von Lancerota befinden, während ſie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville befand ſich auf ſeiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach den Kanarien im Angeſicht der Inſel Ferro um 4“ weiter nach Oſt, als ſeine Rechnung ihm ergab. Gemeinhin erklärt man die Strömung, die ſich zwiſchen den Azoriſchen Inſeln, der Südküſte von Portugal und den Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Waſſer des Atlan- tiſchen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Oſten erhalte. De Fleurieu behauptet ſogar in den An— merkungen zur Reiſe des Kapitän Marchand, der Umſtand, daß das Mittelmeer durch die Verdunſtung mehr Waſſer verliere, als die Flüſſe einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge ſei 2700 km weit auf offener See zu ſpüren. Bei aller Hoch— achtung, die ich einem Seefahrer ſchuldig bin, deſſen mit Recht ſehr geſchätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir geſtattet ſein, dieſen wichtigen Gegenſtand aus einem weit allgemeineren Geſichtspunkte zu betrachten. a Wirft man einen Blick auf das Atlantiſche Meer, oder das tiefe Thal, das die Weſtküſten von Europa und Afrika von den Oſtküſten des neuen Kontinents trennt, ſo bemerkt man in der Bewegung der Waſſer entgegengeſetzte Richtungen. Zwiſchen den Wendekreiſen, namentlich zwiſchen der afrifant- ſchen Küſte am Senegal und dem Meere der Antillen geht die allgemeine, den Seefahrern am längſten bekannte Strö— mung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieſelbe wird mit dem Namen Aequinoktialſtrom bezeichnet. Die mittlere Geſchwindigkeit derſelben unter verſchiedenen Breiten iſt ſich im Atlantiſchen Ozean und in der Südſee ungefähr gleich. Man kann ſie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, ſomit auf 0,18 bis 0,21 m in der Sekunde ſchätzen. Die Geſchwindig— keit, mit der die Waſſer in dieſen Strichen nach Weſten ſtrömen, iſt etwa ein Vierteil von der der meiſten großen europäiſchen Flüſſe. Dieſe der Umdrehung des Erdballes ent— gegengeſetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phä— nomen wahrſcheinlich nur inſofern zuſammen, als durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren Luftſchichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zuführen, in Paſſatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoktialſtrom iſt die Folge der allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresfläche durch die Paſſatwinde verſetzt wird, und lokale Schwankungen im Zuſtande der Luft bleiben ohne merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geſchwindigkeit der Strömung. Im Kanal, den der Atlantiſche Ozean zwiſchen Guyana und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die Paſſatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd— Weſt unterbrochen werden, iſt die Richtung des Aequinoktial— ſtromes weniger konſtant. Der afrikaniſchen Küſte zu werden die Schiffe nach Südoſt fortgetrieben, während der Aller: heiligenbai und dem Vorgebirge St. Auguſtin zu, denen die Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemiſphären anzuſtellen Gelegenheit gehabt, mit denen zuſammengeſtellt, die in den Werken von Cook, Lapérouſe, d'Entrecaſteaux, Vancouver, Ma— cartney, Kruſenſtern und Marchand gegeben ſind, und danach ſchwankt die Geſchwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den Tropen zwiſchen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, ſomit zwiſchen 0,096 und 0,384 m in der Sekunde. Mae 1M > Schiffe, die nach der Mündung des La Plata ſteuern, nicht gern nahe kommen, der allgemeine Zug der Waſſer durch eine beſondere Strömung maskiert iſt. Letztere Strömung iſt vom Kap St. Roch bis zur Inſel Trinidad fühlbar, ſie iſt gegen Nordweſt gerichtet mit einer Geſchwindigkeit von 32 bis 48 cm in der Sekunde. Der Aequinoktialſtrom iſt, wenn auch ſchwach, ſogar jen— ſeits des Wendekreiſes des Krebſes unter 26 und 28“ der Breite fühlbar. Im weiten Becken des Atlantiſchen Ozeans, 3150 bis 3600 km von der afrikaniſchen Küſte, beſchleunigt ſich der Lauf der europäischen Schiffe, welche nach den An— tillen gehen, ehe ſie in die heiße Zone gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 18. bis 35. Grad, zwiſchen den Pa— rallelkreiſen von Tenerifa und Ceuta, unter 46 und 48° der Länge, bemerkt man keine konſtante Bewegung; denn eine 655 km breite Zone trennt den Aequinoktialſtrom, der nach Weſt geht, von der großen Waſſermaſſe, die nach Oſt ſtrömt und ſich durch auffallend hohe Temperatur auszeichnet. Auf dieſe Waſſermaſſe, bekannt unter dem Namen Golfſtrom (Gult-stream), ſind die Phyſiker ſeit 1776 durch Franklins und Sir Charles Blagdens ſchöne Beobachtungen aufmerkſam geworden. Da in neuerer Zeit amerikaniſche und engliſche Seefahrer eifrig bemüht ſind, die Richtung desſelben zu er— mitteln, ſo müſſen wir weiter ausholen, um einen allgemeinen Geſichtspunkt für das Phänomen zu gewinnen. Der Aequinoktialſtrom treibt die Waſſer des Atlantiſchen Ozeans an die Küſten der Moskitoindianer und von Hon— duras. Der von Süd nach Nord geſtreckte neue Kontinent hält dieſe Strömung auf wie ein Damm. Die Gewäſſer er— halten zuerſt die Richtung nach Nordweſt, gelangen durch die Meerenge zwiſchen Kap Catoche und Kap St. Antonio in den Meerbuſen von Mexiko, und folgen den Krümmungen der mexikaniſchen Küſte von Veracruz zur Mündung des Rio del Norte, und von da zur Mündung des Miſſiſſippi und den Untiefen weſtwärts von der Oſtſpitze von Florida. Nach dieſer großen Drehung nach Weſt, Nord, Oſt und Süd nimmt die Strömung wieder die Richtung nach Nord und drängt ſich mit Ungeſtüm in den Kanal von Bahama. Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27° der Breite, eine Ge⸗ ſchwindigkeit von 360 km in 24 Stunden, alſo von 1,60 m in der Sekunde beobachtet, obgleich gerade ein ſehr ſtarker Nordwind wehte. Beim Ausgang des Kanals von Bahama, — 25 — unter dem Parallel von Kap Canaveral, kehrt ſich der Golf— ſtrom oder Strom von Florida nach Nordoſt. Er gleicht hier einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geſchwindig— keit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann, ſobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, um was er ſich in ſeiner Schätzung ge— irrt, und wie weit er noch nach New Pork, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Waſſers, ſein ſtarker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die ſchwimmen— den Maſſen Tang, endlich die im Winter ſehr merkbare Er— höhung der Lufttemperatur geben den Golfſtrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt ſeine Geſchwindigkeit ab, während ſeine Breite zunimmt und die Gewäſſer ſich abkühlen. Zwiſchen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama iſt er nur 67,5 km, unter 28 ½“ Breite ſchon 76,5, und unter dem Parallel von Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit. Wo die Strömung am ſchmälſten iſt, erreicht ſie eine Ge— ſchwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach Norden zu beträgt dieſelbe nur noch 4,5 km. Die Gewäſſer des mexikaniſchen Meerbuſens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordoſt ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41° der Breite noch 22,5“ beobachtete, während außerhalb des Stromes das Waſſer an der Oberfläche kaum 17,5 warm war. Unter der Breite von New York und Oporto zeigt ſomit der Golfſtrom dieſelbe Temperatur wie die tropiſchen Meere unter 18° Breite, alſo unter der Breite von Portorico und der Inſeln des grünen Vorgebirges. Vom Hafen von Boſton an und unter dem Meridian von Halifax, unter 41° 25° der Breite und 67° der Länge, erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er ſich auf einmal nach Oſt, ſo daß ſein weſtlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Waſſer wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland wegſtreicht, die Volney ſinnreich die Barre an der Mündung dieſes ungeheuren Meerſtromes nennt. Höchſt auffallend iſt der Abſtand zwiſchen der Temperatur des kalten Waſſers über dieſer Bank und der Wärme der Gewäſſer der heißen Zone, die durch den Golfſtrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, dieſe 21 bis 22,50. In dieſen Strichen iſt die Wärme im Meere höchſt ſonderbar verteilt, die Gewäſſer der Bank find um 9,4 kälter als das benachbarte Meer, und dieſes iſt um 3° kälter als — der Strom. Dieſe Zonen können ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene Wärmequelle oder einen Grund der Wärmeerniedrigung hat, und beide Momente be— ſtändig fortwirken.! Von der Bank von Neufundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den Azoren bleibt der Golfſtrom nach Oſt oder Oſt-Süd-Oſt gerichtet. Noch immer wirkt hier in den Gewäſſern der Stoß nach, den ſie 4500 km von da in der Meerenge von Florida, zwiſchen der Inſel Cuba und den Un— tiefen der Schildkröteninſeln, erhalten haben. Dieſe Ent— fernung iſt das Doppelte von der Länge des Laufes des Amazonenſtromes von Jaen oder dem Paß von Manſeriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inſeln Corvo und Flores, der weſtlichſten der Gruppe der Azoren, nimmt die Strömung eine Meeresſtrecke von 720 km in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rückreiſe aus Südamerika nach Europa dieſe beiden Inſeln aufſuchen, um ihre Länge zu berichtigen, jo gewahren fie immer deutlich den Zug des Waſſers nach Südoſt. Unter 33° der Breite rückt der tropische Aequinoktial— ſtrom dem Golfſtrom ſehr nahe. In dieſem Striche des Welt— meeres kann man an einem Tage aus den Gewäſſern, die nach Weit laufen, in diejenigen gelangen, die nach Südoſt oder Oſt-Süd⸗Oſt ſtrömen. Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida ſeine Richtung gegen die Meerenge von Gibraltar, die Inſel Ma: deira und die Gruppe der Kanarien. Die Pforte bei den Säulen des Herkules beſchleunigt ohne Zweifel den Zug des Waſſers gegen Oſt. Und in dieſem Sinne mag man mit Recht behaupten, die Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlan— tiſcher Ozean zuſammenhängen, äußere ihren Einfluß auf weite Ferne; ſehr wahrſcheinlich würden aber, auch wenn die Meer— enge nicht beſtünde, Fahrzeuge, die nach Tenerifa ſegeln, den— Wenn es ſich von der Meerestemperatur handelt, hat man jorgfältig vier ganz geſonderte Erſcheinungen zu unterſcheiden: 1) die Temperatur des Waſſers an der Oberfläche unter verſchiedenen Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Waſſerſchichten; 3) den Einfluß der Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Tem⸗ peratur der Strömungen, die mit konſtanter Geſchwindigkeit die Gewäſſer der einen Zone durch die ruhenden Gewäſſer der anderen hindurchführten. noch nach Südoſt getrieben, und zwar infolge eines An— ſtoßes, deſſen Urſprung man an den Küſten der Neuen Welt zu ſuchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen ſich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man ſich Rechenſchaft von dem Wechſel in ihrer Geſchwindigkeit, warum fie bald abnimmt, wie zwiſchen dem Kanal von Ba- hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächſt, wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den Kanariſchen Inſeln, ſo kann man nicht darüber im Zweifel ſein, daß dieſelbe Urſache, welche die Gewäſſer im Meerbuſen von Mexiko herumdreht, ſie auch bei der Inſel Madeira in Bewegung ſetzt. Südlich von letztgenannter Inſel läßt ſich die Strömung in ihrer Richtung nach Südoſt und Süd⸗Süd⸗Oſt gegen die Küſte von Afrika zwiſchen Kap Cantin und Kap Bojador ver: folgen. In dieſen Strichen ſieht ſich ein Schiff bei ſtillem Wetter nahe an der Küſte, wenn es ſich nach der nicht be— richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Iſt die Oeffnung bei Gibraltar die Urſache der Bewegung des Waſſers, warum hat denn die Strömung ſüdlich von der Meerenge nicht die entgegengeſetzte Richtung? Im Gegenteil aber geht ſie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erſt gerade nach Süd und dann nach Südweſt. Kap Blanc, nach Kap Verd das am weiteſten ſich hinausſtreckende Vorgebirge, ſcheint Einfluß auf dieſe Richtung zu äußern, und unter der Breite desſelben miſchen ſich die Waſſer, deren Bewegung wir von der Küſte von Honduras bis zur afrikaniſchen verfolgt haben, mit dem großen tropiſchen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer weſtwärts von den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewäſſer ſchon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber im Meridian der Inſel Ferro kommen die Schiffe ſüdwärts bis zum Wendekreiſe des Krebſes, ehe ſie ſich nach der Schätzung oſtwärts von ihrer wahren Länge befinden. Wie nun aber die nördliche Grenze des tropiſchen Stromes und der Paſſatwinde nach den Jahreszeiten ſich verſchiebt, ſo zeigt ſich auch der Golfſtrom nach Stellung und Richtung veränderlich. Dieſe Schwankungen ſind beſonders auffallend vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland, — 28 ebenſo zwiſchen dem 48. Grad weſtlicher Länge von Paris und dem Meridian der Azoren. Die wechſelnden Winde in der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eiſes am Nord— pol, von wo in den Monaten Juli und Auguſt eine bedeutende Maſſe ſüßen Waſſers nach Süden abfließt, erſcheinen als die vornehmſten Urſachen, aus welchen ſich in dieſen hohen Breiten Stärke und Richtung des Golfſtromes verändern. Wir haben geſehen, daß zwiſchen dem 11. und 43. Grad der Breite die Gewäſſer des Atlantiſchen Ozeans mittels Strömungen fortwährend im Kreiſe umhergeführt worden. Angenommen, ein Waſſerteilchen gelange zu derſelben Stelle zurück, von der es ausgegangen, ſo läßt ſich nach dem, was wir bis jetzt von der Geſchwindigkeit der Strömungen wiſſen, berechnen, daß es zu ſeinem 17100 km langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes abſähe, gelangte in drei— zehn Monaten von den Kanariſchen Inſeln an die Küſte von Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbuſen von Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schild— kröteninſeln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen, aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge von Florida bis Neufundland. Die Geſchwindigkeit der rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küſte von Afrika iſt ſchwer zu ſchätzen; nimmt man ſie im Mittel auf 31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, ſo ergeben ſich für dieſe letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches ſind die Wirkungen des langſamen, aber regelmäßigen Zuges, der die Gewäſſer des Ozeans herumführt. Das Waſſer des Ama⸗ zonenſtromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para etwa 45 Tage. Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela odorata, noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieſer ameri- kaniſche Baum wächſt nur unter den Tropen oder in den zu— nächſt angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der Küſte von Terra Firma oder Honduras abgeriſſen worden. Die Beſchaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde zeigte augenſcheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem der unterſeeiſchen Wälder herrührte, welche durch alte Erd— umwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet worden ſind. Wäre der Cedrelaſtamm, ſtatt bei Tenerifa ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt, fo wäre er wahrſcheinlich rings um den ganzen Atlantiſchen Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropiſchen Stromes wieder in ſein Heimatland gelangt. Dieſe Ver— mutung wird durch einen älteren Fall unterſtützt, deſſen Abbe Viera in ſeiner allgemeinen Geſchichte der Kanarien erwähnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Inſel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa gehen ſollte, auf die hohe See getrieben, als ſich niemand von der Mannſchaft an Bord befand. Der Zug der Gewäſſer von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an der Küſte von Guyana bei Caracas ſtrandete. a Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunſt noch wenig ent— wickelt war, bot der Golfſtrom dem Geiſte eines Chriſtoph Kolumbus ſichere Anzeichen vom Daſein weſtwärts gelegener Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem unbekannten Menſchenſtamme angehörten, wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei den Azoriſchen Inſeln ans Land geworfen. Ungefähr um dieſelbe Zeit fand Kolumbus' Schwa— ger, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande dieſer Inſel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strö— mung und den Weſtwinden angeſchwemmt worden waren. Dieſe Leichname und dieſe Rohre machten den genueſiſchen Seemann aufmerkſam; er erriet, daß beide von einem gegen Weſt gelegenen Feſtlande herrühren mußten. Wir wiſſen jetzt, daß in der heißen Zone die Paſſatwinde und der tropiſche Strom ſich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Um— drehung der Erde widerſetzen. Erzeugniſſe der Neuen Welt können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden Früchte verſchiedener Bäume der Antillen an den Küſten der Inſeln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Kanarier, dieſe Früchte kommen von der bezauberten Inſel St. Borondon, die nach den See— mannsmärchen und nach gewiſſen Sagen weſtwärts in einem Striche des Ozeans liegen ſollte, der beſtändig in Nebel ge— hüllt ſei. Mit dieſer Ueberſicht der Strömungen im Atlantiſchen Meere wollte ich hauptſächlich darthun, daß der Zug der Ge-. wäſſer gegen Südoſt, von Kap St. Vincent zu den Kanari- ſchen Inſeln eine Wirkung der allgemeinen Bewegung iſt, in der ſich die Oberfläche des Ozeans an ſeinem Weſtende be— findet. Wir erwähnen daher nur kurz des Armes des Golf— — 30 ſtromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südweſt nach Nordoſt gegen die Küſten von Europa gerichtet iſt. Dieſe Abteilung des Stromes wird ſehr reißend, wenn der Wind lange aus Weſt geblaſen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vor: überſtreicht, wirft er alle Jahre an die Weſtküſten von Sr: land und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen Erdſtrich Amerikas eigentümlich ſind. Am Strande der He— briden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos urens, Guilandina bonduc, und verſchiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Feſtlande. Die Strömung treibt nicht ſelten wohl erhaltene Fäſſer mit fran— zöſiſchem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben dieſen Beiſpielen von den weiten Wanderungen der Gewächſe ſtehen andere, welche die Ein— bildungskraft beſchäftigen. Die Trümmer des engliſchen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der ſchottiſchen Küſte gefunden. In denſelben Strichen kommen zuweilen verſchiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Weſtwind lange angehalten, ſo entſteht in den hohen Breiten eine Strömung, die von den Küſten von Grönland und Labrador bis nord— wärts von Schottland gerade nach Oſt-Süd-Oſt gerichtet iſt. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1684, amerikaniſche Wilde vom Stamme der Es— kimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die hohe See verſchlagen, mittels der Strömung zu den orkadi⸗ ſchen Inſeln. Dieſer letztere Fall verdient um ſo mehr Auf— merkſamkeit, als man daraus zugleich erſieht, wie zu einer Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Be— wegung der Gewäſſer des Ozeans ein Mittel werden konnte, 975 die verſchiedenen Menſchenſtämme über die Erde zu ver— reiten. Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfſtromes, ſowie über die Fortſetzung desſelben gegen die Küſten von Europa und Afrika wiſſen, iſt die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter Männer, welche in verſchiedenen Richtungen über das Atlan— tiſche Meer gefahren ſind. Da die Kenntnis der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten weſentlich beitragen kann, ſo wäre es von ſo großem Belang für die praktiſche Seemanns— kunſt, als wiſſenſchaftlich von Intereſſe, wenn Schiffe mit a ae vorzuglichen Chronometern im Meerbuſen von Mexiko und im nördlichen Ozean zwiſchen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz eigens zum Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abſtande ſich der Golfſtrom in den verſchiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluß der verſchiedenen Winde ſüdlich von der Mündung des Miſſiſſippi und oſtwärts von den Vorgebirgen Hatteras und Codd hält. Dieſelben könnten zu unterſuchen haben, ob der große Strom von Florida be— ſtändig am öſtlichen Ende der Bank von Neufundland hin— ſtreicht, und unter welchem Parallel zwiſchen dem 32. und 40. Grad weſtlicher Länge die Gewäſſer, die von Oſt nach Weſt jtrömen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am nächſten gerückt ſind. Die Löſung der letzteren Frage iſt deſto wichtiger, als die meiſten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückkehren, die bezeichneten Striche befahren. Neben der Richtung und Geſchwindigkeit der Strömungen könnte ſich eine ſolche Expedition mit Beobachtungen über die Meeres— temperatur, über die Linien ohne Abweichung, die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der magnetiſchen Kraft beſchäftigen. Beobachtungen dieſer Art erhalten einen hohen Wert, wenn der Punkt, wo ſie angeſtellt werden, aſtronomiſch beſtimmt iſt. Auch in den von Europäern am ſtärkſten be— ſuchten Meeren, weit von jeder Küſte, kann ein unterrichteter Seemann der Wiſſenſchaft wichtige Dienſte leiſten. Die Ent— deckung einer unbewohnten Inſelgruppe iſt von geringerem Intereſſe, als die Kenntnis der Geſetze, welche um eine Menge vereinzelter Thatſachen das einigende Band ſchlingen. Denkt man den Urſachen der Strömungen nach, ſo er— kennt man, daß ſie viel häufiger vorkommen müſſen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewäſſer des Meeres können durch gar mancherlei in Bewegung geſetzt werden, durch einen äußeren Anſtoß, durch Verſchiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch das zeitweiſe Schmelzen des Polareiſes, end— lich durch das ungleiche Maß der Verdunſtung unter ver— ſchiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieſer Urſachen zum ſelben Effekt zuſammen, bald bringen ſie entgegengeſetzte Effekte hervor. Schwache, aber beſtändig in einem ganzen Erdgürtel wehende Winde, wie die Paſſatwinde, bedingen eine Bewegung vorwärts, wie wir ſie ſelbſt bei den ſtärkſten Stürmen nicht beobachten, weil dieſe auf ein kleines Gebiet beſchränkt ſind. Wenn in einer großen Waſſermaſſe die Waſſer— — 39 teilchen an der Oberfläche ſpezifiſch verſchieden ſchwer werden, ſo bildet ſich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo das Waſſer am kälteſten iſt, oder am meiſten ſalzſaures Natron, ſchwefelſauren Kalk und ſchwefelſaure oder ſalzſaure Bittererde enthält. In den Meeren unter den Wendekreiſen zeigt der Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis 8° der hundertteiligen Skale. Dies ergibt ſich aus zahlreichen Be— obachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in dieſen Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20° ſinkt, jo kann das Waſſer einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Waſſers ſo nahe gerückten Kältegrad nicht an der Oberfläche angenommen haben. Die Exiſtenz ſolcher kalten Waſſerſchichten in niederen Breiten weiſt ſomit auf einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; ſie weiſt ferner darauf hin, daß die Salze, welche das ſpezifiſche Gewicht des Waſſers verändern, im Ozean ſo verteilt ſind, daß ſie die von der Verſchiedenheit im Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben. Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die Waſſerteilchen je nach der Breite eine verſchiedene Geſchwindig— keit haben, ſo ſollte man vorausſetzen, daß jede von Sud nach Nord gehende Strömung zugleich nach Oſt, die Gewäſſer dagegen, die vom Pol zum Aequator ſtrömen, nach Weſt ab: lenken müßten. Man ſollte ferner glauben, daß dieſe Neigung den tropiſchen Strom bis zu einem gewiſſen Grade einerſeits verlangſamen, andererſeits dem Polarſtrome, der ſich im Juli und Auguſt, wenn das Eis ſchmilzt, unter der Breite der Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig ein— ſtellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautiſche Beobachtungen, die ich zu beſtätigen Gelegenheit hatte, indem ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung des Schiffers verglich, widerſprechen dieſen theoretiſchen An— nahmen. In beiden Hemiſphären weichen die Polarſtröme, wenn ſie merkbar ſind, ein wenig nach Oſt ab, und nach unſerer Anſicht iſt der Grund dieſer Erſcheinung in der Be⸗ ſtändigkeit der in hohen Breiten herrſchenden Weſtwinde zu ſuchen. Ueberdies bewegen ſich die Waſſerteilchen nicht mit derſelben Geſchwindigkeit wie die Luftteilchen, und die n Meeresſtrömungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m in der Sekunde zurück; es iſt demnach höchſt wahrſcheinlich, daß das Waſſer, indem es durch verſchiedene Breiten geht, die denſelben entſprechende Geſchwindigkeit annimmt, und daß m die Umdrehung der Erde ohne Einfluß auf die Richtung der Strömungen bleibt. Der verſchiedene Druck, dem die Meeresfläche infolge der wechſelnden Schwere der Luft unterliegt, erſcheint als eine weitere Urſache der Bewegung, die beſonders ins Auge zu faſſen iſt. Es iſt bekannt, daß die Schwankungen des Baro⸗ meters im allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei auseinander liegenden, im ſelben Niveau befindlichen Punkten eintreten. Wenn am einen dieſer Punkte der Barometer einige Linien tiefer ſteht als am anderen, ſo wird ſich dort das Waſſer in— folge des geringeren Luftdruckes erheben, und dieſe örtliche Anſchwellung wird andauern, bis durch den Wind das Gleich— gewicht der Luft wiederhergeſtellt iſt. Nach Vauchers Anſicht rühren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die ſogenannten „Seiches“, eben davon her. In der heißen Zone können die ſtündlichen Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresfläche Heraoibeingen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdruckes ent- ſpricht, zwiſchen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das Queckſilber am höchſten ſteht; aber dieſe Schwingungen, wenn ſie überhaupt merkbar N können feine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge haben. Ueberall wo eine ſolche durch die Ungleichheit im ſpezi— ſiſchen Gewicht der Waſſerteile entſteht, bildet ſich ein doppelter Strom, ein oberer und ein unterer, die entgegengeſetzte Rich— tungen haben. Daher iſt in den meiſten Meerengen wie in den tropiſchen Meeren, welche die kalten Gewäſſer der Polar⸗ regionen aufnehmen, die ganze Waſſermaſſe bis zu bedeutender Tiefe in Bewegung. Wir wiſſen nicht, ob es ſich ebenſo ver hält, wenn die Vorwärtsbewegung, die man nicht mit dem Wellenſchlage verwechſeln darf, Folge eines äußeren Anſtoßes iſt. De Fleurieu führt in ſeinem Bericht über die Expedition der Iſis mehrere Thatſachen an, die darauf hinweiſen, daß das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig iſt, als die Phy— ſiker gewöhnlich annehmen. Ohne hier auf eine Unterſuchung einzugehen, mit der wir uns in der Folge zu beſchäftigen haben werden, bemerken wir nur, daß, wenn der äußere An— ſtoß ein andauernder iſt, wie bei den Paſſatwinden, durch die gegenſeitige Reibung der Waſſerteilchen die Bewegung not- wendig von der Meeresfläche ſich auf die tieferen Waſſer⸗ ſchichten fortpflanzen muß. Eine ſolche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer beim Golfſtrom ſchon lange an; auf die A. v. Humboldt, Reiſe. I. 3 — 34 — Wirkungen derſelben ſcheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten, welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht, ſogar mitten in den Sandbänken an den Nordküſten der Vereinigten Staaten. Dieſer ungeheure Strom warmen Waſſers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis 45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der be— deutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis 4° von feiner urſprünglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Größe der Maſſe und der Umſtand, daß das Waſſer ein ſchlechter Wärmeleiter iſt, machen, daß die Ab— kühlung nicht raſcher erfolgt. Wenn ſich ſomit der Golfſtrom auf dem Boden des Atlantiſchen Ozeans ein Bett gegraben hat, und wenn ſeine Gewäſſer bis in beträchtliche Tiefen in Bewegung ſind, ſo müſſen ſie auch in ihren unteren Schichten eine höhere Temperatur behalten, als unter derſelben Breite Meeresſtriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Dieſe Fragen ſind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels des Senkbleies mit Thermometer zu löſen. Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den Kanariſchen Inſeln gerate man in die Strö— mung und dieſelbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe nach Südoſt. Auf unſerer Fahrt von Coruna nach Süd— amerika machte ſich der Einfluß dieſes Zuges der Waſſer noch weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung ſehr ungleich; ſie betrug täglich im Mittel 54 km, das heißt unſere Korvette wurde in ſechs Tagen um 133 km gegen Oſt abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar ſchnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, daß in dieſen Strichen das Maximum der Geſchwindigkeit nicht der Oeffnung der Meer⸗ enge ſelbſt entſpricht, ſondern einem nördlicher gelegenen Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die Meerenge und Kap Vincent zieht. Dieſe Linie läuft von der Gruppe der Azoriſchen Inſeln bis zum Kap Cantin parallel mit der Richtung der Gewäſſer Es iſt ferner zu bemerken, und der Umſtand iſt für die Phyſiker, die ſich mit der Be: wegung der Flüſſigkeiten beſchäftigen, nicht ohne Intereſſe, daß in dieſem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite von 540 bis 655 km, nicht die ganze Waſſermaſſe dieſelbe Geſchwindigkeit, noch dieſelbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger See zeigen ſich an der Oberfläche ſchmale Streifen, kleinen Bächen gleich, in denen das Waſſer mit einem für das Ohr — — des geübten Schiffers wohl hörbaren Geräuſch hinſtrömt. Am 13. Juni, unter 34° 36° nördlicher Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge ſolcher Strombetten. Wir konnten die Richtung derſelben mit dem Kompaß aufnehmen, die einen liefen nach Nordoſt, andere nach Oſt-Nord-Oſt, trotzdem, daß der allgemeine Zug der See, wie die Vergleichung der Schätzung mit der chronometriſchen Länge angab, fortwährend nach Südoſt ging. Sehr häufig ſieht man eine ſtehende Waſſer⸗ maſſe von Waſſerfäden durchzogen, die nach verſchiedenen Rich— tungen ſtrömen; ſolches kann man täglich an der Oberfläche unſerer Landſeen beobachten, aber ſeltener bemerkt man ſolch partielle Bewegungen kleiner Waſſerteile infolge lokaler Ur: ſachen mitten in einem Meeresſtrome, der ſich über ungeheure Räume erſtreckt und ſich immer in derſelben Richtung, wenn auch nicht mit bedeutender Geſchwindigkeit fortbewegt. Die ſich kreuzenden Strömungen beſchäftigen unſere Einbildungs— kraft, wie der Wellenſchlag, weil dieſe Bewegungen, die den ne in beſtändiger Unruhe erhalten, ſich zu durchdringen einen. Wir fuhren am Kap Vincent, das aus Baſalt beſteht, auf mehr als 360 km Entfernung vorüber. Auf 67,5 km erkennt man es nicht mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Nähe des Kaps, ſoll, wie die Steuerleute behaupten, auf 117 km in See ſichtbar ſein. Verhält es ſich wirklich jo, jo iſt die Foya 1363 m hoch, alſo 225 m höher als der Veſuv. Es iſt auffallend, daß die portugieſiſche Regierung kein Feuer auf einem Punkte unter⸗ hält, nach dem ſich alle vom Kap der guten Hoffnung und vom Kap Horn kommenden Schiffe richten müſſen; nach keinem anderen Punkte wird mit ſo viel Ungeduld ausgeſchaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm des Herkules und am Kap Spichel ſind ſo ſchwach und ſo wenig weit ſicht— bar, daß man ſie gar nicht rechnen kann. Dazu wäre das Kapuzinerkloſter, das auf Kap Vincent ſteht, ganz der ge— eignete Platz zu einem Leuchtturm mit ſich drehendem Feuer, wie zu Cadiz und an der Garonnemündung. Seit unſerer Abfahrt von Coruna und bis zum 36. Breiten⸗ grad hatten wir außer Meerſchwalben und einigen Delphinen faſt kein lebendes Weſen geſehen. Umſonſt ſahen wir uns nach Tangen und Weichtieren um. Am 11. Juni aber hatten wir ein Schauſpiel, das uns höchlich überraſchte, das wir aber ſpäter in der Südſee häufig genoſſen. Wir gelangten in einen — 36 Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Meduſen bedeckt war. Das Schiff ſtand beinahe ſtill, aber die Weich— tiere zogen gegen Südoſt, viermal raſcher als die Strömung. Ihr Vorüberzug währte beinahe drei Viertelſtunden, und dann ſahen wir nur noch einzelne Individuen dem großen Haufen, wie wandermüde, nachziehen. Kommen dieſe Tiere vom Grunde des Meeres, das in dieſen Strichen wohl mehrere tauſend Meter tief iſt? oder machen ſie in Schwärmen weite Züge? Wie man weiß, lieben dieſe Weichtiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem Waſſerſpiegel, welche Kapitän Vobonne im Jahre 1832 nordwärts von der Inſel Porto Santo geſehen haben will, wirklich vorhanden ſind, ſo läßt ſich annehmen, daß dieſe ungeheure Maſſe von Meduſen dorther kam, denn wir befanden uns nur 126 km von jenen Klippen. Wir erkannten neben der Medusa aurita von Baſter und der M. pelagica von Bose mit acht Ten- taleln (Pelagia denticulata, Peron) eine dritte Art, die ſich der M. hysocella nähert, die Vandelli an der Mündung des Tajo gefunden hat. Sie iſt ausgezeichnet durch die braun- gelbe Farbe und dadurch, daß die Tentakeln länger ſind als der Körper. Manche dieſer Meerneſſeln hatten 10 cm im Durchmeſſer; ihr faſt metalliſcher Glanz, ihre violett und purpurn ſchillernde Färbung hob ſich vom Blau der See äußerſt angenehm ab. Unter den Meduſen fand Bonpland Bündel der Dagysa notata, eines Weichtieres von ſonderbarem Bau, das Sir Joſeph Banks zuerſt kennen gelehrt hat. Es ſind kleine gallertartige Säcke, durchſichtig, walzenförmig, zuweilen viel— eckig, 3 mm lang, 0,5 bis 0,7 mm im Durchmeſſer. Dieſe Säcke ſind an beiden Enden offen. An der einen Oeffnung zeigt ſich eine durchſichtige Blaſe mit einem gelben Fleck. Dieſe Cylinder ſind der Länge nach aneinander geklebt wie Bienen⸗ zellen und bilden 16 bis 21 em lange Schnüre. Umſonſt verſuchte ich die galvaniſche Elektrizität an dieſen Weichtieren; ſie brachte keine Zuſammenziehung hervor. Die Gattung Dagysa, die zur Zeit von Cooks erſter Reiſe zuerſt aufgeſtellt wurde, ſcheint zu den Salpen zu gehören. Auch die Salpen wandern in Schwärmen, wobei fie ſich zu Schnüren anein- ander hängen, wie wir bei der Dagysa geſehen. Am 13. Juni morgens unter 34° 33“ Breite ſahen wir wieder bei vollkommen ruhiger See große Haufen des letzt⸗ erwähnten Tieres vorbeitreiben. Bei Nacht machten wir die — m Beobachtung, daß alle drei Meduſenarten, die wir gefangen, nur leuchteten, wenn man ſie ganz leicht anſtieß. Dieſe Eigenſchaft kommt alſo nicht der von Forskael in ſeiner Fauna Aegyptiaca beſchriebenen Medusa noctiluca allein zu, die Gmelin mit der Medusa pelagica Löflings vereinigt, obgleich ſie rote Tentakeln und braune Körperwarzen hat. Legt man eine ſehr reizbare Meduſe auf einen Zinnteller und ſchlägt mit irgend einem Metall an den Teller, ſo wird das Tier ſchon durch die leichte Schwingung des Zinnes leuchtend. Gal— vaniſiert man Meduſen, ſo zeigt ſich zuweilen der phosphoriſche Schein im Moment, wo man die Kette ſchließt, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht unmittelbar be— rühren. Die Finger, mit denen man es berührt, bleiben ein paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehäuſe der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Körper einer Meduſe und leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, ſo erſcheint der Schimmer wieder, wenn man mit der trockenen Hand über das Holz fährt. Iſt derſelbe wieder verſchwunden, ſo läßt er ſich nicht noch einmal hervorrufen, wenn auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig iſt. Wie wirkt in dieſem Falle die Reibung oder der Stoß? Die Frage iſt ſchwer zu beantworten. Ruft etwa eine kleine Temperaturerhöhung den Schein hervor, oder kommt er wieder, weil man die Oberfläche erneuert und ſo die Teile des Tieres, welche den Phosphorwaſſerſtoff entbinden, mit dem Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft in Berührung bringt? Ich habe durch Verſuche, die im Jahre 1797 veröffentlicht worden, dar— gethan, daß Scheinholz in reinem Waſſerſtoff und Stickſtoff nicht mehr leuchtet, und daß der Schein wiederkehrt, ſobald man die kleinſte Blaſe Sauerſtoff in das Gas treten läßt. Dieſe Thatſachen, deren wir in der Folge noch mehrere an— führen werden, bahnen uns den Weg zur Erklärung des Meerleuchtens und des beſonderen Umſtandes, daß das Er: ſcheinen des Lichtſchimmers mit dem Wellenſchlag in Zuſammen— hang ſteht. Zwiſchen Madeira und der afrikaniſchen Küſte hatten wir gelinde Winde oder Windſtille, wodurch ich mich bei den magnetiſchen Verſuchen, mit denen ich mich bei der Ueberfahrt beſchäftigte, ſehr gefördert ſah. Wir wurden nicht ſatt, die Pracht der Nächte zu bewundern; nichts geht über die Klar— heit und Heiterkeit des afrikaniſchen Himmels. Wir wunderten uns über die ungeheure Menge Sternſchnuppen, die jeden — 38 Augenblick niedergingen. Je weiter wir nach Süden kamen, deſto häufiger wurden ſie, beſonders bei den Kanariſchen Inſeln. Ich glaube auf meinen Reiſen die Beobachtung gemacht zu haben, daß dieſe Feuermeteore überhaupt in manchen Land— ſtrichen häufiger vorkommen und glänzender ſind als in an— deren. Nie ſah ich ihrer ſo viele als in der Nähe der Vulkane der Provinz Quito und in der Südſee an der vulkaniſchen Küſte von Guatemala. Der Einfluß, den Oertlichkeit, Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternſchnuppen zu haben ſcheinen, trennt dieſe Klaſſe von Meteoren von den Aerolithen, die wahrſcheinlich dem Weltraume außerhalb unſeres Luft— kreiſes angehören. Nach den übereinſtimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erſcheinen in Europa viele Sternſchnuppen nicht mehr als 58 470 m über der Erde. Man hat ſogar eine gemeſſen, die nur 27280 m hoch war. Es wäre zu wünſchen, daß dergleichen Meſſungen, die nur annähernde Reſultate ergeben können, öfters wiederholt würden. In den heißen Landſtrichen, beſonders unter den Tropen, zeigen die Sternſchnuppen einen Schweif, der noch 12 bis 15 Sekunden fortleuchtet; ein andermal iſt es, als platzten ſie und zerſtieben in mehrere Lichtfunken, und im allgemeinen ſind ſie viel weiter unten in der Luft als im nördlichen Eu— ropa. Man ſieht ſie nur bei heiterem, blauem Himmel, und unter einer Wolke iſt wohl noch nie eine beobachtet worden. Häufig haben die Sternſchnuppen ein paar Stunden lang eine und dieſelbe Richtung, und dies iſt dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Luſſac und ich Lichterſcheinungen beobachtet, die denen, welche mich bei meinem langen Aufenthalt in Mexiko und Quito be— ſchäftigten, ſehr ähnlich waren. Das Weſen dieſer Meteore hängt vielleicht ab von der Beſchaffenheit von Boden und Luft, gleich gewiſſen Erſcheinungen von Luftſpiegelung und Strahlenbrechung an der Erdoberfläche, wie ſie an den Küſten von Kalabrien und Sizilien vorkommen. Wir bekamen auf unſerer Fahrt weder die Inſeln De— ſiertas noch Madeira zu Geſicht. Gerne hätte ich die Länge dieſer Inſeln berichtigt und von den vulkaniſchen Bergen nord— wärts von Funchal Höhenwinkel genommen. De Borda be: richtet, man ſehe dieſe Berge auf 90 km, was nur auf eine Höhe von 806 m hinwieſe; wir wiſſen aber, daß nach neueren Meſſungen der höchſte Gipfel von Madeira 1573 m hoch iſt. Die kleinen Inſeln Deſiertas und Salvages, auf denen man 8 Orſeille und Mesembryanthemum erystallinum ſammelt, haben nicht 390 m ſenkrechter Höhe. Es ſcheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Beſtimmungen hinzu— weiſen, weil ſich mittels einer Methode, deren in dieſer Reiſe— beſchreibung öfter Erwähnung geſchieht und deren ſich Borda, Lord Mulgrave, de Roſſel und Don Cosme Churruca auf ihren Reiſen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit guten Reflexionsinſtrumenten nimmt, mit hin: länglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit ſich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Inſel befindet. Als wir 180 km oſtwärts von Madeira waren, ſetzte ſich eine Schwalbe auf die Marsſtange. Sie war ſo müde, daß fie ſich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchſchwalbe (Hi- rundo rustica, Lin.). Was mag einen Vogel veranlaſſen, in dieſer Jahreszeit und bei ſtiller Luft ſo weit zu fliegen? Bei d'Entrecaſteaux' Expedition ſah man gleichfalls eine Rauch— ſchwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber Ende Oktobers, und Labillardiere war der Meinung, ſie komme eben aus Europa. Wir befuhren dieſe Striche im Juni, und ſeit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer auf— gerührt. Ich betone den letzteren Umſtand, weil kleine Vögel, ſogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die hohe See verſchlagen werden, wie wir es in der Südſee, weſtwärts von der Küſte von Mexiko, beobachten konnten. Der Pizarro hatte Befehl, bei der Inſel Lanzarote, einer der ſieben großen Kanarien, anzulegen, um ſich zu erkundigen, ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einſchlagen ſollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich faſt immer zweimal des Tages beſtimmte, indem ich zum Uebertrag der Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir ſchon unter 29° 26“ der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs und ſteuerte gegen Oſt. Da zeigte ſich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont er— ſchien. Um 5 Uhr, bei niedriger ſtehender Sonne, lag die Inſel Lanzarote ſo deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel eines Kegelberges meſſen konnte, der majeſtätiſch die anderen Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten, 1 der in der Nacht vom 1. September 1730 ſo große Ver⸗ heerungen angerichtet hat. Die Strömung trieb uns ſchneller gegen die Küfte, als wir wünſchten. Im Hinfahren ſahen wir zuerſt die Inſel Fuerteventura, bekannt durch die vielen Kamele,! die darau leben, und bald darauf die kleine Inſel Lobos im Kanal zwiſchen Fuerteventura und Lanzarote. Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der Mond beſchien die vulkaniſchen Gipfel von Lanzarote, deren mit Aſche bedeckte Abhänge wie Silber ſchimmerten. Antares glänzte nahe der Mondſcheibe, die nur wenige Grad über dem Horizont ſtand. Die Nacht war wunderbar heiter und friſch. Obgleich wir nicht weit von der afrikaniſchen Küſte und der Grenze der heißen Zone waren, zeigte der hundertteilige Thermometer nicht mehr als 18°. Es war, als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmaſſe vermehrte. Zum erſtenmal konnte ich an einem zweizölligen Sextanten von Troughton mit ſehr feiner Teilung den Nonius ableſen, ohne mit einer Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unſerer Reiſegefährten waren Kanarier; gleich allen Einwohnern der Inſel prieſen ſie enthuſiaſtiſch die Schönheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan ſchwere Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das ſchöne Sternbild des Skorpion. Wir ſahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren wahrſcheinlich Fiſcher, die ſich zur Fahrt rüſteten. Wir hatten auf der Reiſe fortwährend in den alten ſpaniſchen Reiſebeſchreibungen geleſen, und dieſe ſich hin und her be⸗ wegenden Lichter erinnerten uns an die, welche Pedro Gutierez, ein Page der Königin Iſabella, in der denkwürdigen Nacht, da die Neue Welt entdeckt wurde, auf der Inſel Guanahani ſah. Am 17. morgens war der Horizont neblig und der Hünmel leicht umzogen. Deſto ſchärfer traten die Berge von Lanzarote in ihren Umriſſen hervor. Die Feuchtigkeit erhöht 1 Dieſe Kamele, die zum Feldbau dienen und deren Fleiſch man im Lande zuweilen eingeſalzen ißt, lebten hier nicht vor der Eroberung der Inſeln durch die Béthencourts. Im 16. Jahrhundert hatten ſich die Eſel auf Fuerteventura dergeſtalt vermehrt, daß ſie verwildert waren und man Jagd auf ſie machen mußte. Man ſchoß ihrer mehrere tauſend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde auf Fuerteventura find von berberiſcher Raſſe und aus gezeichnet ſchön. BE die Durchſichtigkeit der Luft und rückt zugleich ſcheinbar die Gegenſtände näher. Dieſe Erſcheinung iſt jedem bekannt, der Gelegenheit gehabt hat, an Orten, wo man die Ketten der Hochalpen oder der Anden ſieht, hygrometriſche Beobachtungen anzuſtellen. Wir liefen, mit dem Senkblei in der Hand, durch den Kanal zwiſchen den Inſeln Alegranza und Montana Clara. Wir unterſuchten den Archipel kleiner Eilande nörd— lich von Lanzarote, die ſowohl auf der ſonſt ſehr genauen Karte von de Fleurieu, als auf der Karte, die zur Reiſe der Fregatte Flora gehört, ſo ſchlecht gezeichnet ſind. Die auf Be— fehl des Herrn de Caſtries im Jahre 1786 veröffentlichte Karte des Atlantiſchen Ozeans hat dieſelben irrigen Angaben. Da die Strömungen in dieſen Strichen ausnehmend raſch ſind, ſo mag die für die Sicherheit der Schiffahrt nicht unwichtige Bemerkung hier ſtehen, daß die Lage der fünf kleinen Inſeln Alegranza, Clara, Gracioſa, Roca del Eſte und Infierno nur auf der Karte der Kanariſchen Inſeln von Borda und im Atlas von Tofino genau angegeben iſt, welcher letztere ſich dabei an die Beobachtungen von Don Joſe Varela hielt, die mit denen der Fregatte Bouſſole ziemlich übereinſtimmen. Inmitten dieſes Archipels, den Schiffe, die nach Tenerifa gehen, ſelten befahren, machte die Geſtaltung der Küſten den eigentümlichſten Eindruck auf uns. Wir glaubten uns in die Euganeiſchen Berge im Vicentiniſchen oder an die Ufer des Rheins bei Bonn verſetzt (Siebengebirge). Die Geſtal— tung der organischen Weſen wechſelt nach den Klimaten, und dieſe erſtaunliche Mannigfaltigkeit gibt dem Studium der Ver— teilung der Pflanzen und Tiere ſeinen Hauptreiz; aber die Gebirgsarten, die vielleicht früher gebildet worden, als die Urſachen, von welchen die Abſtufung der Klimate abhängt, in Wirkſamkeit getreten, ſind in beiden Hemiſphären die näm— lichen. Die Porphyre, welche glaſigen Feldſpat oder Horn— blende einſchließen, die Phonolithe (Werners Porphyrſchiefer), Grünſteine, Mandelſteine und Baſalte zeigen faſt ſo konſtante Formen wie die einfachen kriſtalliniſchen Körper. Auf den Kanarien wie in der Auvergne, im böhmiſchen Mittelgebirge wie in Mexiko und an den Ufern des Ganges erkennt man die Trappformation am ſymmetriſchen Bau der Berge, an den geſtutzten, bald einzeln ſtehenden, bald zu Gruppen vereinigten Kegeln, an den Plateaus, die an beiden Enden mit einer runden niedrigen Kuppe gekrönt ſind. Der ganze weſtliche Teil von Lanzarote, den wir in der —B 2 Nähe ſahen, hat ganz das Anſehen eines in neueſter Zeit von vulkaniſchem Feuer verwüſteten Landes. Alles iſt ſchwarz, dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit dem Fern⸗ rohr Baſalt in ziemlich dünnen, ſtark fallenden Schichten. Mehrere Hügel gleichen dem Monte Nuovo bei Neapel, oder den Schlacken- und Aſchenhügeln, welche am Fuße des Vul— kanes Jorullo in Mexiko in einer Nacht aus dem berſtenden Boden emporgeſtiegen ſind. Nach Abbe Viera wurde auch im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Inſel völlig um— gewandelt. Der „Große Vulkan“, deſſen wir oben erwähnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan von Temanfaya heißt, verheerte das fruchtbarſte und beſtangebaute Gebiet; neun Dörfer wurden durch die Lavaſtröme völlig zerſtört. Ein heftiges Erdbeben war der Kataſtrophe vorangegangen, und gleich ſtarke Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher ge— ſpürt. Letztere Erſcheinung iſt um ſo auffallender, je ſeltener ſie nach einem Ausbruche iſt, wenn einmal nach dem Ausfluß der geſchmolzenen Stoffe die elaſtiſchen Dämpfe durch den Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen Vulkanes iſt ein runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach den Höhenwinkeln, die ich in verſchiedenen Abſtänden genom— men, ſcheint ſeine abſolute Höhe nicht viel über 580 m zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inſeln Alegranza une Clara ſind kaum 95 bis 134 me hoch. Man wundert ſich, daß Gipfel, die ſich auf hoher See ſo impoſant darſtellen, nicht höher ſein ſollen. Aber nichts iſt ſo unſicher als unſer Urteil über die Größe der Winkel, unter denen uns Gegenſtände ganz nahe am Horizont erſcheinen. Einer Täu— ſchung derart iſt es zuzuſchreiben, wenn vor den Meſſungen de Churrucas und Galeanos am Kap Pilar die Berge an der Magelhaensſchen Meerenge und des Feuerlandes bei den See— fahrern für ungemein hoch galten. Die Inſel Lanzarote hieß früher Titeroigotra. Bei der Ankunft der Spanier zeichneten ſich die Bewohner vor den anderen Kanariern durch Merkmale höherer Kultur aus. Sie hatten Häuſer aus behauenen Steinen, während die Guanchen auf Tenerifa, als wahre Troglodyten, in Höhlen wohnten. Auf Lanzarote herrſchte zu jener Zeit ein ſeltſamer Gebrauch, der nur noch bei den Tibetanern vorkommt.! Eine In Tibet iſt übrigens die Vielmännerei nicht ſo häufig, als man glaubt, und von der Prieſterſchaft mißbilligt. — 2 — Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der Rechte des Familienhauptes wechſelten. Der eine Ehemann ward als ſolcher nur während eines Mondumlaufs anerkannt, ſofort übernahm ein anderer das Amt und jener trat in das Hausgeſinde zurück. Es iſt zu bedauern, daß wir von den Geiſtlichen im Gefolge Johanns von Bethencourt, welche die Geſchichte der Eroberung der Kanarien geſchrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem jo ſonderbare Bräuche herrſchten. Im 15. Jahrhundert be— ſtanden auf der Inſel Lanzarote zwei kleine voneinander unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geſchieden waren, dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmäler, die den Nationalhaß überleben. Wegen des Windes mußten wir zwiſchen den Inſeln Alegranza und Montana Clara durchfahren. Da niemand am Bord der Korvette je in dieſem Kanal geweſen war, ſo mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund bei 45 und 60 m. Mit dem Senkblei wurde eine organiſche Subſtanz von ſo ſonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange nicht wußten, ob wir ſie für einen Zoophyten oder für eine Tangart halten ſollten. Auf einem bräunlichen, S cm langen Stiel ſitzen runde lappige Blätter mit gezahntem Rande. Sie ſind hellgrün, lederartig und geſtreift wie die Blätter der Adianten und des Ginkgo biloba. Ihre Fläche iſt mit ſteifen, weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwickelung ſind ſie konkav und ineinander geſchachtelt. Wir konnten keine Spur von willkührlicher Bewegung, von Irritabilität daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem Galvanismus verſuchten. Der Stiel iſt nicht holzig, ſondern beſteht aus einem hornartigen Stoff, gleich der Achſe der Gorgonen. Da Stickſtoff und Phosphor in Menge in verſchiedenen kryptogamiſchen Gewächſen nachgewieſen ſind, ſo wäre nichts dabei herausgekommen, wenn wir auf chemiſchem Wege hätten ermitteln wollen, ob dieſer organiſche Körper dem Pflanzen- oder dem Tierreiche angehöre. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern ſehr nahe kommt, ſo ſtellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und nannten ihn Fucus vitifolius. Die Haare, mit denen das Gewächs bedeckt iſt, kommen bei vielen anderen Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es friſch aus der See unter dem Mikroskop unterſucht wurde, nicht die drüſigen Körper in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gat— tungen Ulva und Fucus die Fruktifikationen enthalten; aber „ 1 wie oft findet man Tange, die vermöge ihrer Entwickelungs⸗ ſtufe in ihrem durchſichtigen Parenchym noch keine Spur von Körnern zeigen. Ich hätte dieſe Einzelheiten, die in die beſchreibende Na— turgeſchichte gehören, hier übergangen, wenn ſich nicht am Fukus mit weinblattähnlichen Blättern eine phyſiologiſche Erſcheinung von allgemeinerem Intereſſe beobachten ließe. Unſer Seetang hatte, an Madreporen befeſtigt, 68 m tief im Meeresboden vegetiert, und doch waren ſeine Blätter ſo grün wie unſere Gräſer. Nach de Bouguers Verſuchen! wird das Licht, das durch 58,5 m Waſſer hindurchgeht, im Verhältnis von 1 zu 1477,8 geſchwächt. Der Tang von Alegranza iſt alſo ein neuer Beweis für den Satz, daß Gewächſe im Dunkeln vege— tieren können, ohne farblos zu werden. Die noch in den Zwiebeln eingeſchloſſenen Keime mancher Liliengewächſe, der Embryo der Malven, der Rhamnoiden, der Piſtazie, der Miſtel und des Zitronenbaums, die Zweige mancher unterirdiſcher Pflanzen, endlich die Gewächſe, die man in Erzgruben bringt, wo die. umgebende Luft Waſſerſtoff oder viel Stickſtoff enthält, ſind grün ohne Lichtgenuß. Dieſe Thatſachen berechtigen zu der Annahme, daß der Kohlenwaſſerſtoff, der das Parenchym dunkler oder heller grün färbt, je nachdem der Kohlenſtoff in der Verbindung vorherrſcht, ſich nicht bloß unter dem Einfluß der Sonnenſtrahlen im Gewebe der Gewächſe bildet. Turner, der ſo viel für die Familie der Tange geleiſtet hat, und viele andere bedeutende Botaniker ſind der Anſicht, die Tange, die man an der Meeresfläche findet, und die unter dem 23. und 25. Grad der Breite und dem 35. der Länge ſich dem Seefahrer als eine weite überſchwemmte Wieſe dar— ſtellen, wachſen urſprünglich auf dem Meeresgrunde und ſchwim— men an der Oberfläche nur im ausgebildeten Zuſtande, nachdem ſie von den Wellen losgeriſſen worden. Iſt dem wirklich ſo, ſo iſt nicht zu leugnen, daß die Familie der Seealgen große Schwierigkeiten macht, wenn man am Glauben feſthält, daß Farbloſigkeit die notwendige Folge des Mangels an Licht iſt; In 60 m Tiefe kann der Fukus nur von einem Lichte be⸗ leuchtet geweſen ſein, das 203mal ſtärker iſt als das Mondlicht, alſo gleich der Hälfte des Lichtes, das eine Talgkerze auf 32 cm Entfernung verbreitet. Nach meinen direkten Verſuchen wird aber das Lepidium saticum beim glänzenden Lichte zweier Argandſchen Lampen kaum merkbar grün. — — denn wie ſollte man vorausſetzen können, daß ſo viele Arten von Ulvaceen und die Diktyoteen mit grünen Stengeln und Blättern auf Geſtein unmittelbar unter der Meeresfläche ge— wachſen ſind? Nach den Angaben eines alten portugieſiſchen Wegweiſers meinte der Kapitän des Pizarro ſich einem kleinen Fort nördlich von Teguiſe, dem Hauptort von Lanzarote, gegenüber zu befinden. Man hielt einen Baſaltfelſen für ein Kaſtell, man ſalutierte es durch Aufhiſſen der ſpaniſchen Flagge und warf das Boot aus, um ſich durch einen Offizier beim Komman- danten des vermeintlichen Forts erkundigen zu laſſen, ob die Engländer in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, daß das Land, das wir für einen Teil der Küſte von Lanzarote gehalten, die kleine Inſel Gracioſa ſei und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde keinen bewohnten Ort gebe Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlußpunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeſchreiblich iſt das Gefühl des Naturforſchers, der zum erſtenmal einen außereuropäiſchen Boden betritt. Die Aufmerkſamkeit wird von ſo vielen Gegenſtänden in Anſpruch genommen, daß man ſich von ſeinen Empfindungen kaum Rechenſchaft zu geben vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Natur⸗ körper vor ſich zu haben, und in der Aufregung erkennt man häufig Dinge nicht wieder, die in unſeren botaniſchen Gärten und naturgeſchichtlichen Sammlungen zu den gemeinſten ge⸗ hören. An 200 m vom Ufer ſahen wir einen Mann mit der Angelrute fiſchen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die Flucht und verſteckte ſich hinter einem Felſen. Die Matroſen hatten Mühe, ſeiner habhaft zu werden. Der Anblick der Korvette, der Kanonendonner am einſamen, jedoch zuweilen von Kapern beſuchten Orte, das Landen des Bootes, alles hatte dem armen Fiſcher Angſt eingejagt. Wir erfuhren von ihm, die kleine Inſel Gracioſa, an der wir gelandet, ſei von Lanzarote durch einen engen Kanal, el Rio genannt, ge⸗ trennt. Er erbot ſich, uns in den Hafen los Colorados zu führen, wo wir uns hinſichtlich der Blockade von Tenerifa erkundigen könnten; da er aber zugleich verſicherte, ſeit mehre— ren Wochen kein Fahrzeug auf offener See gefehen zu haben, jo beſchloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu ſteuern. Das kleine Stück der Inſel Gracioſa, das wir kennen gelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei BR Neapel zwiſchen Portici und Torre del Greco. Die Felſen ſind nackt, ohne Bäume und Gebüſche, meiſt ohne Spur von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceo— larien, kamen hin und wieder auf dem Baſalt vor. Laven, die nicht mit vulkaniſcher Aſche bedeckt find, bleiben Sahr: hunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrika⸗ niſchen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trocken— heit die Entwickelung der kryptogamiſchen Gewächſe. Mit Sonnenuntergang ſchifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel, aber der Wind war zu ſchwach, als daß wir unſeren Weg nach Tenerifa hätten fortſetzen können. Die See war ruhig; ein rötlicher Dunſt umzog den Horizont und ließ alle Gegenſtände größer erſcheinen. In ſolcher Einſam— keit, ringsum ſo viele unbewohnte Eilande, ſchwelgten wir lange im Anblicke einer wilden, großartigen Natur. Die ſchwarzen Berge von Gracioſa zeigten 160 bis 200 m hohe ſenkrechte Wände. Ihre Schatten, die auf die Meeresfläche fielen, gaben der Landſchaft einen ſchwermütigen Charakter. Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes ſtiegen Baſaltfelſen aus dem Waſſer auf. Ihr Daſein mahnte uns an die weit entlegene Zeit, wo unterſeeiſche Vulkane neue Inſeln emporhoben oder die Feſtländer zertrümmerten. Alles umher verkündete Verwüſtung und Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des Bildes die Küſte von Lanzarote. In einer engen Schlucht, zwiſchen zwei mit zerſtreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog ſich ein kleiner bebauter Landſtrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchten das zur Ernte reife Korn. Selbſt die Wüſte belebt ſich, ſobald man den Spuren der arbeitſamen Menſchen—⸗ hand begegnet. Wir verſuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Kanal zwiſchen Alegranza und Montana Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um an der Nordſpitze von Gracioſa ans Land zu gehen. Da der Wind ſehr flau wurde, ſo trieb uns die Strömung nahe zu einem Riff, an dem ſich die See ungeſtüm brach, und das die alten Karten als „Infierno“ bezeichnen. Als wir das Riff auf zwei Kabellängen vom Vorderteil der Korvette vor uns hatten, ſahen wir, daß es eine 5,8 bis 7,8 m hohe Lavakuppe iſt, voll Höhlungen und bedeckt mit Schlacken, die den Koks oder der ſchwammigen Maſſe der entſchwefel— ten Steinkohle ähnlich ſind. Wahrſcheinlich iſt die Klippe In⸗ we fierno, welche die neueren Karten Roca del Oeste (weſtlicher Fels) nennen, durch das vulkaniſche Feuer emporgehoben. Sie kann ſogar früher weit höher geweſen ſein; denn die „neue Inſel“ der Azoren, die zu wiederholten Malen aus dem Meere geſtiegen, in den Jahren 1638 und 1719, war 115 m hoch? geworden, als ſie im Jahre 1728 ſo gänzlich verſchwand, daß man da, wo ſie geſtanden, das Meer 146 m tief fand. Meine Anſicht vom Urſprung der Baſaltkuppe Infierno wird durch ein Ereignis beſtätigt, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derſelben Gegend beobachtet wurde. Beim Ausbruch des Vulkanes Temanfaya erhoben ſich vom Meeres— boden zwei pyramidale Hügel von ſteiniger Lava, und ver— ſchmolzen nach und nach mit der Inſel Lanzarote. Da der ſchwache Wind und die Strömung uns aus dem Kanal von Alegranza nicht herauskommen ließen, beſchloß man, während der Nacht zwiſchen der Inſel Clara und der Roca del Oeste zu kreuzen. Dies hätte beinahe ſehr ſchlimme Folgen für uns gehabt. Es iſt gefährlich, ſich bei Windſtille in der Nähe dieſes Riffes aufzuhalten, gegen das die Strö— mung ausnehmend ſtark hinzieht. Um Mitternacht fingen wir an, die Wirkung der Strömung gewahr zu werden. Die nahe vor uns ſenkrecht aus dem Waſſer aufſteigenden Fels— maſſen benahmen uns den wenigen Wind, der wehte; die Korvette gehorchte dem Steuer faſt nicht mehr und jeden Augenblick fürchtete man zu ſtranden. Es iſt ſchwer begreiflich, wie eine einzelne Baſaltkuppe mitten im weiten Weltmeer das Waſſer in ſolche Aufregung verſetzen kann. Dieſe Er— ſcheinungen, welche die volle Aufmerkſamkeit der Phyſiker verdienen, ſind übrigens den Seefahrern wohl bekannt; ſie treten in der Südſee, namentlich im kleinen Archipel der Galapagosinſeln, in furchtbarem Maßſtabe auf. Der Tem— peraturunterſchied zwiſchen der Flüſſigkeit und der Felsmaſſe vermag den Zug der Strömung zu ihnen hin nicht zu er- 1 Ich bemerke hier, daß dieſe Klippe ſchon auf der berühmten venezianiſchen Karte des Andrea Bianco angegeben iſt, daß aber mit dem Namen Infierno, wie auch auf der älteſten Karte des Pici— gano, Tenerifa bezeichnet iſt, wahrſcheinlich weil die Guanchen den Pik als den Eingang der Hölle anſahen. 2 Im Jahre 1720 war die Inſel auf 31 bis 36 km ſichtbar. 85 denſelben Strichen iſt im Jahre 1811 wieder eine Inſel er⸗ ienen. = 1 klären, und wie follte man es glaublich finden, daß ſich das Waſſer am Fuße der Klippen in die Tiefe ſtürzt, und daß bei dieſem fortwährenden Zug nach unten die Waſſerteilchen den entſtehenden leeren Raum auszufüllen ſuchen?! Am 18. morgens wurde der Wind etwas friſcher, und ſo gelang es uns, aus dem Kanal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal ſehr nahe, und jetzt bemerkten wir im Geſtein große Spalten, durch welche wahrſcheinlich die Gaſe entwichen, als die Baſaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren die Heinen Inſeln Alegranza, Montana Clara und Gracioſa aus dem Geſicht. Sie chene nie von Guanchen bewohnt geweſen zu ſein und man beſucht ſie jetzt nur, um Orſeille dort zu ſammeln; dieſe Pflanze iſt übrigens weniger geſüchk, ſeit ſo viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen Europa koſtbare Farbſtoffe liefern. Montaita Clara iſt be⸗ rühmt wegen der ſchönen Kanarienvögel, die dort vorkommen. Der Geſang dieſer Vögel wechſelt nach Schwärmen, wie ja auch bei uns der Geſang der Finken in zwei benachbarten Landſtrichen häufig ein anderer iſt. Auf Montana Clara gibt es auch Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren nicht jo öde iſt als die Küſte, die wir geſehen. Der Name Alegranza kommt her von „La Joyeuſe“, wie die erſten Er— oberer der Kanarien, zwei normänniſche Barone, Jean de Bethencourt und Gadifer de Salle, die Inſel benannten. Es war der erſte Punkt, wo ſie gelandet. Nach einem Aufent⸗ halt von einigen Tagen auf der Inſel Gracioſa, von der wir ein kleines Stück geſehen, beſchloſſen ſie ſich der benachbarten Inſel Lanzarote zu bemächtigen, und wurden von Guadarfia, dem Häuptling der Guanchen, ſo gaſtfreundlich empfangen, wie Cortez im Palaſt Montezumas. Der Hirtenkönig, der keine anderen Schätze hatte als ſeine Ziegen, wurde ſo ſchmäh⸗ lich verraten, wie der mexikaniſche Sultan. Wir fuhren an den Küſten von Lanzarote, Lobos und Fuerteventura hin. Die zweite ſcheint früher mit den anderen zuſammengehangen zu haben. Dieſe geologiſche Hypotheſe Mit Verwunderung lieſt man in einem ſonſt ganz nützlichen, unter den Seeleuten ſehr verbreiteten Buche, in der neunten Aus⸗ gabe des Practical Navigator von Hamilton Moore, S. 200, in: folge der Maſſenattraktion oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug ſchwer von der Küſte weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von dieſer ſelbſt angezogen. Le. 1 re wurde ſchon im 17. Jahrhundert von einem Franziskaner, Juan Galindo, aufgeſtellt. Er war ſogar der Anſicht, König Juba habe nur ſechs Kanariſche Inſeln genannt, weil zu ſeiner Zeit drei derſelben nur eine gebildet. Ohne auf dieſe unwahrſcheinliche Hypotheſe einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Kanarien für die beiden Inſeln Junonia, die Inſeln Nivaria, Ombrios, Canaria und Capraria der Alten erklärt. Da der Horizont dunſtig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von Lanzarote nach Tenerifa des Gipfels des Pik de Teyde nicht anſichtig werden. Iſt der Vulkan wirklich 3712 m hoch, wie Bordas letzte trigonometriſche Meſſung an⸗ gibt, jo muß fein Gipfel auf 80 Km zu ſehen fein, das Auge am Meeresſpiegel angenommen und die Refraktion gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der Pik im Kanal zwiſchen Lanzarote und Fuerteventura, der nach Varelas Karte 2° 20° oder gegen 225 km davon entfernt tft, je geſehen worden ſei. Der Punkt ſcheint indeſſen durch einige Offiziere der königlich ſpaniſchen Marine entſchieden worden zu ſein; ich habe an Bord der Korvette Pizarro ein Schiffs⸗ tagebuch in Händen gehabt, in dem ſtand, der Pik von Tene: rifa ſei in 250 km Entfernung beim ſüdlichen Vorgebirge von Lanzarote, genannt Pichiguera, geſehen worden, und zwar er— ſchien der Gipfel unter einem ſo großen Winkel, daß der Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte noch 40,5 km weiter weg geſehen werden können. Das war im September, gegen Abend, bei ſehr feuchtem Wetter. Rechnet man 4,87 m als Erhöhung des Auges über der See, ſo finde ich, daß man, um die Erſcheinung zu erklären, eine Refraktion gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was für die ge— mäßigte Zone nicht außerordentlich viel iſt. Nach den Beob⸗ achtungen des Generals Roy ſchwanken in England die Re— fraftionen zwiſchen ½ und ½, und wenn es wahr iſt, daß ſie an der Küſte von Afrika dieſe äußerſten Grenzen erreichen, woran ich ſehr zweifle, ſo könnte unter gewiſſen Umſtänden der Pik vom Verdeck eines Schiffes auf 113 km geſehen werden. Seeleute, die häufig dieſe Striche befahren und über die Urſachen der Naturerſcheinungen nachdenken, wundern ſich, daß der Pik de Teyde und der der Azoren! zuweilen in ſehr Die Höhe dieſes Piks beträgt nach de Fleurieu 2144 m, nach Ferrer 2413, nach Tofino 2457, aber dieſe Maße find nur A. v. Humboldt, Reiſe. I. 4 — 50 großer Entfernung zum Vorſchein kommen, ein andermal in weit größerer Nähe nicht ſichtbar ſind, obgleich der Himmel klar erſcheint und der Horizont nicht dunſtig iſt. Dieſe Um⸗ ſtände verdienen die Aufmerkſamkeit des Phyſikers um ſo mehr, als viele Fahrzeuge auf der Rückreiſe nach Europa mit Un— geduld des Erſcheinens dieſer Berge harren, um ihre Länge danach zu berichtigen, und ſie ſich weiter davon entfernt glauben, als ſie in Wahrheit ſind, wenn ſie ſie bei hellem Wetter in Entfernungen, wo die Sehwinkel ſchon ſehr bedeutend ſein müßten, nicht ſehen können. Der Zuſtand der Atmoſphäre hat den bedeutendſten Einfluß auf die Sichtbarkeit ferner (Gegenſtände. Im allgemeinen läßt ſich annehmen, daß der Pik von Tenerifa im Juli und Auguſt, bei ſehr warmem, trockenem Wetter, ziemlich ſelten ſehr weit geſehen wird, daß er dagegen im Januar und Februar, bei leicht bedecktem Himmel und unmittelbar nach oder einige Stunden vor einem ſtarken Regen in außerordentlich großer Entfernung zu Geſicht kommt. Die Durchſichtigkeit der Luft ſcheint, wie ſchon dben bemerkt, in erſtaunlichem Maße erhöht zu werden, wenn eine gewiſſe Menge Waſſer gleichförmig in derſelben verbreitet iſt. Zudem darf man ſich nicht wundern, wenn man den Pik de Teyde ſeltener ſehr weit ſieht als die Gipfel der Anden, die ich jo lange Zeit habe beobachten können. Der Pik iſt nicht ſo hoch als der Teil des Atlas, an deſſen Abhang die Stadt Marokko liegt, und nicht wie dieſer mit ewigem Schnee be— deckt. Der Piton oder Zuckerhut, der die oberſte Spitze des Piks bildet, wirft allerdings vieles Licht zurück, weil der aus dem Krater' ausgeworfene Bimsſtein von weißlicher Farbe iſt; aber dieſer kleine abgeſtutzte Kegel mißt nur ein Zwanzigteil der ganzen Höhe. Die Wände des Vulkanes ſind entweder mit ſchwarzen, verſchlackten Lavablöcken oder mit einem kräf— tigen Pflanzenwuchs bedeckt, deſſen Maſſe um ſo weniger Licht annähernde Schätzungen. Der Kapitän des Pizarro, Don Manuel Cagigal, hat mir aus ſeinem Tagebuch bewieſen, daß er den Pik der Azoren auf 166 km Entfernung geſehen hat, zu einer Zeit, wo er ſeiner Länge wenigſtens bis auf 2 Minuten gewiß war. Der Vulkan wurde in Süd 4“ Oſt geſehen, ſo daß der Irrtum in der Länge auf die Schätzung der Entfernung nur ganz unbedeutenden Einfluß haben konnte. Indeſſen war der Winkel, unter dem der Pik der Azoren erſchien, ſo groß, daß Cagigal der Meinung iſt, der Vulkan müſſe auf mehr als 180 oder 190 km zu ſehen ſein. Der Abſtand von 166 km ſetzt eine Höhe von 2789 m voraus. zurückwirft, als die Baumblätter voneinander durch Schatten getrennt ſind, die einen größeren Umfang haben als die be— leuchteten Teile. Daraus geht hervor, daß der Pik von Tenerifa, abge— ſehen vom Piton, zu den 9 5 gehört, die man, wie Bouguer ſich ausdrückt, auf weite Entfernung nur negativ ſieht, weil 0 das Licht auffangen, das von der äußerſten Grenze des Luftkreiſes zu uns gelangt, und wir ihr Daſein nur gewahr werden, weil das cl in der ſie umgebenden Luft und das, welches die Luftteilchen zwiſchen dem Berge und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verſchiedener Intenſität find." Entfernt man ſich von der Inſel Tenerifa, 3 bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange poſitiv ſichtbar, weil er weißes Licht reflektiert und ſich vom Himmel hell abhebt; da aber dieſer Kegel nur 156 m hoch und an der Spitze 78 m breit iſt, jo hat man neuerdings die Frage auf: geworfen, ob er bei ſo unbedeutender Maſſe auf weiter als 180 km ſichtbar ſein kann, und ob es nicht wahrſcheinlicher iſt, daß man in See den Pik erſt dann als ein Wölkchen über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Baſis des Piton heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu 200 m an, jo findet man, daß der kleine Kegel in 180 km Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als drei Minuten erſcheint. Dieſer Winkel iſt groß genug, um einen Gegenſtand ſichtbar zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als an der Baſis breit, ſo dürfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner ſein, und der Gegenſtand machte doch noch einen Eindruck auf unſere Organe; aus mikrometriſchen Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur dann die Grenze der Sichtbarkeit iſt, wenn die Gegenſtände nach allen Richtungen von gleichem Durchmeſſer ſind. Man erkennt in einer weiten Ebene einzelne Baumſtämme mit bloßem Auge, obgleich der Sehwinkel nicht 25 Sekunden beträgt. Da die Sichtbarkeit eines Gegenſtandes, der ſich dunkel— farbig abhebt, von der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien zum Auge gelangt, deren eine am Berge endet, während die Aus den Verſuchen desſelben Beobachters geht hervor, daß, wenn dieſer Unterſchied für unſere Organe merkbar werden und der Berg ſich deutlich vom Himmel abheben ſoll, das eine Licht wenig— ſtens um ein Sechzigteil ſtärker ſein muß als das andere. — andere bis zur Grenze des Luftmeeres fortläuft, ſo folgt daraus, daß, je weiter man vom Gegenſtande wegrückt, deſto kleiner der Unterſchied wird zwiſchen dem Lichte der umgebenden Luft und dem Lichte der vor dem Berge befindlichen Luftſchichten. Daher kommt es, daß nicht ſehr hohe Berggipfel, wenn ſie ſich über dem Horizont zu zeigen anfangen, anfangs dunkler erſcheinen als Gipfel, die man auf ſehr große Entfernung ſieht. Ebenſo hängt die Sichtbarkeit von Bergen, die man nur negativ gewahr wird, nicht allein vom Zuſtande der unteren Luftſchichten ab, auf die unſere meteorologiſchen Beobachtungen beſchränkt ſind, ſondern auch von der Durchſichtigkeit und der phyſiſchen Beſchaffenheit der höheren Regionen; denn das Bild hebt ſich deſto beſſer ab, je ſtärker das Licht in der Luft, das von den Grenzen der Atmoſphäre herkommt, urſprünglich iſt, oder je weniger Verluſt es auf ſeinem Durchgange erlitten hat. Dieſer Umſtand macht es bis zu einem gewiſſen Grade er⸗ klärlich, warum bei gleich heiterem Himmel, bei ganz gleichem Thermometer: und Hygrometerſtand nahe an der Erdoberfläche, der Pik auf Schiffen, die gleich weit davon entfernt ſind, das eine Mal ſichtbar iſt, das andere Mal nicht. Wahrſcheinlich würde man ſogar den Vulkan nicht häufiger ſehen können, wenn die Höhe des Aſchenkegels, an deſſen Spitze ſich die Krateröffnung befindet, ein Vierteil der ganzen Berghöhe wäre, wie es beim Veſuv der Fall iſt. Die Aſche, zu Pulver zerriebener Bimsſtein, wirft das Licht nicht jo ſtark zurück als der Schnee der Anden. Sie macht, daß der Berg bei ſehr großem Abſtand ſich nicht hell, ſondern weit ſchwächer dunkelfarbig abhebt. Sie trägt ſo zu ſagen dazu bei, die An— teile des in der Luft verbreiteten Lichtes, deren veränderliche Unterſchiede einen Gegenſtand mehr oder weniger deutlich ſicht— bar machen, auszugleichen. Kahle Kalkgebirge, mit Granit⸗ ſand bedeckte Berggipfel, die hohen Savannen der Kordilleren, die goldgelb ſind, treten allerdings in geringer Entfernung deutlicher hervor als Gegenſtände, die man negativ ſieht; aber nach der Theorie beſteht eine gewiſſe Grenze, jenſeits welcher dieſe letzteren ſich beſtimmter vom Blau des Himmels abheben. Bei den koloſſalen Berggipfeln von Quito und Peru, die über die Grenze des ewigen Schnees hinausragen, wirken alle Los Pajonales, von paja, Gras. So heißt die Zone der grasartigen Gewächſe, welche unter der Region des ewigen Schnees liegt. ee N günſtigen Umſtände zuſammen, um ſie unter ſehr kleinen Winkeln ſichtbar zu machen. Wir haben oben geſehen, daß der abgeſtumpfte Gipfel des Piks von Tenerifa nur gegen 580 m Durchmeſſer hat. Nach den Meſſungen, die ich im Jahre 1803 zu Riobamba angeſtellt, iſt die Kuppe des Chim— borazo 298 m unter der Spitze, alſo an einer Stelle, die 2533 m höher liegt als der Pik, noch 1312 m breit. Ferner nimmt die Zone des ewigen Schnees ein Vierteil der ganzen Berghöhe ein, und die Baſis dieſer Zone iſt, von der Südſee geſehen, 6700 m breit. Obgleich aber der Chimborazo um zwei Drittel höher iſt als der Pik, ſieht man ihn doch wegen der Krümmung der Erde nur 172,5 km weiter. Wenn er im Hafen von Guayaquil am Ende der Regenzeit am Horizont auftaucht, glänzt ſein Schnee ſo ſtark, daß man glauben ſollte, er müßte ſehr weit in der Südſee ſichtbar ſein. Glaubwürdige Schiffer haben mich verſichert, ſie haben ihn bei der Klippe Muerto, ſüdweſtlich von der Inſel Puna, auf 211,5 km ge: ſehen. So oft er noch weiter geſehen worden, ſind die An— gaben unzuverläſſig, weil die Beobachter ihrer Länge nicht ge— wiß waren. Das in der Luft verbreitete Licht erhöht, indem es auf die Berge fällt, die Sichtbarkeit derer, die poſitiv ſichtbar find; die Stärke desſelben vermindert im Gegenteil die Sicht: barkeit von Gegenſtänden, die, wie der Pik von Tenerifa und der der Azoren, ſich dunkelfarbig abheben. Bouguer hat auf theoretiſchem Wege gefunden, daß nach der Beſchaffenheit unſerer Atmoſphäre Berge negativ nicht weiter als auf 157 km geſehen werden können. Die Erfahrung — und dieſe Bemerkung iſt wichtig — widerſpricht dieſer Rechnung. Der Pik von Tenerifa iſt häufig auf 162, 171, ſogar auf 180 km geſehen worden. Noch mehr, auf der Fahrt nach den Sandwichinſeln hat man den Gipfel des Mauna-Roa ! 1 Der Mauna⸗Roa auf den Sandwichinſeln iſt nach Marchand über 5063 m hoch, nach King 5022 m, aber dieſe Meſſungen ſind, trotz ihrer zufälligen Uebereinſtimmung, keineswegs auf zuverläſſigem Wege erzielt. Es iſt eine ziemlich auffallende Erſcheinung, daß ein Berggipfel unter 19“ Breite, der wahrſcheinlich über 4870 m hoch iſt, von Schnee ganz entblößt wird. Die ſtarke Abplattung des Mauna⸗Roa, der Meſa der alten ſpaniſchen Karten, ſeine vereinzelte Lage im Weltmeer und die Häufigkeit gewiſſer Winde, die, durch den aufſteigenden Strom abgelenkt, in ſchiefer Richtung wehen, = 1 und zwar zu einer Zeit, wo kein Schnee darauf lag, dicht am Horizont auf 238 km geſehen. Dies iſt bis jetzt das auf— fallendſte bekannte Beiſpiel von der Sichtbarkeit eines Berges, und was noch merkwürdiger iſt, es handelt ſich dabei von einem Gegenſtand, der nur negativ ſichtbar iſt. Ich glaubte dieſe Bemerkungen am Ende dieſes Kapitels zuſammenſtellen zu ſollen, weil ſie ſich auf eines der wichtig— ſten Probleme der Optik beziehen, auf die Schwächung der Lichtſtrahlen bei ihrem Durchgang durch die Schichten der Luft, und zugleich nicht ohne praktiſchen Nutzen ſind. Die Vulkane Tenerifas und der Azoren, die Sierra Nevada von St. Martha, der Pik von Orizaba, die Silla bei Caracas, Mauna-Roa und der St. Eliasberg liegen vereinzelt in weiten Meeresſtrecken oder auf den Küſten der Kontinente, und dienen ſo dem Seefahrer, der die Mittel nicht hat, um den Ort des Schiffes durch Sternbeobachtungen zu beſtimmen, gleichſam als Bojen im Fahrwaſſer. Alles, was mit der Erkennbarkeit dieſer natürlichen Bojen zuſammenhängt, iſt für die Sicherheit der Schiffahrt von Belang. mögen die vornehmſten Urſachen ſein. Es läßt ſich nicht wohl an— nehmen, daß ſich Kapitän Marchand in der Schätzung des Abſtandes, in dem er am 10. Oktober 1791 den Gipfel des Mauna-Roa ſah, bedeutend geirrt habe. Er hatte die Inſel Owaihi erſt am 7. abends verlaſſen, und nach der Bewegung der Gewäſſer und den Mondbeobachtungen am 19. betrug die Entfernung wahrſcheinlich ſogar mehr als 238 km. Ueberdies berichtet ein erfahrener See— mann, de Fleurieu, daß der Pik von Tenerifa ſelbſt bei nicht ganz klarem Wetter auf 157 bis 162 km zu ſehen ſei. Zweites Kapitel. Aufenthalt auf Tenerifa. — Reiſe von Santa Cruz nach Orotava. — Beſteigung des Piks. Von unſerer Abreiſe von Gracioſa an war der Horizont fortwährend ſo dunſtig, daß trotz der anſehnlichen Höhe der Berge Canarias (Isla de la gran Canaria) die Inſel erſt am 19. abends in Sicht kam. Sie iſt die Kornkammer des Ar— chipels der „glückſeligen Inſeln“, und man behauptet, was für ein Land außerhalb der Tropen ſehr auffallend iſt, in einigen Strichen erhalte man zwei Getreideernten im Jahre, eine im Februar, die andere im Juni. Canaria iſt noch nie von einem unterrichteten Mineralogen befücht worden; ſie ver- diente es aber um ſo mehr, als mir ihre in parallelen Ketten ſtreichenden Berge von ganz anderem Charakter ſchienen als die Gipfel von Lanzarote und Tenerifa. Nichts iſt für den Geologen anziehender als die Beobachtung, wie ſich an einem beſtimmten Punkte die vulkaniſchen Bildungen zu den Ur— gebirgen und den ſekundären Gebirgen verhalten. Sind ein— mal die Kanariſchen Inſeln in allen ihren Gebirgsgliedern er— forſcht, ſo wird ſich zeigen, daß man zu voreilig die Bildung der ganzen Gruppe einer Hebung durch unterſeeiſche Feuer— ausbrüche zugeſchrieben hat. Am 19. morgens ſahen wir den Berggipfel Naga (Punta de Naga, Anaga oder Nago), aber der Pik von Tenerifa blieb fortwährend unſichtbar. Das Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwiſchte alle Umriſſe. Als wir uns der Reede von Santa Cruz näherten, bemerkten wir, daß der Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war ſehr unruhig, wie faſt immer in dieſen Strichen. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war ſo dicht, daß man kaum auf ein paar Kabellängen ſah. Aber eben da man anfing den Platz zu ſalutieren, zerſtreute ſich der Nebel völlig, und da erſchien der Pik de Teyde in einem freien Stück Himmel über den Wolken, und die erſten Strahlen der Sonne, die für uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des Vulkanes. Wir eilten eben aufs Vorderteil der Korvette, um dieſes herrlichen Schauſpieles zu genießen, da ſignaliſierte man vier engliſche Schiffe, die ganz nahe an unſerem Hinterteile auf der Seite lagen. Wir waren an ihnen vorbeigeſegelt, ohne daß ſie uns bemerkt hatten, und derſelbe Nebel, der uns den Anblick des Piks entzogen, hatte uns der Gefahr entrückt, nach Europa zurückgebracht zu werden. Wohl wäre es für Naturforſcher ein großer Schmerz geweſen, die Küſte von Tenerifa von weitem geſehen zu haben, und einen von Vulkanen zerrütteten Boden nicht betreten zu dürfen. Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro näherte ſich ſo viel möglich dem Fort, um unter den Schutz desſelben zu kommen. Hier auf dieſer Reede, als zwei Jahre vor unſerer Ankunft die Engländer zu landen verſuchten, riß eine „ Admiral Nelſon den Arm ab (im Juli 1797). Der Generalſtatthalter der Kanariſchen Inſeln! ſchickte an den Kapitän der Korvette den Befehl, alsbald die Staatsdepeſchen für die Statthalter der Kolonieen, das Geld an Bord und die Poſt ans Land ſchaffen zu laſſen. Die engliſchen Schiffe ent- fernten ſich von der Reede; ſie hatten tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd gemacht, das wenige Tage vor uns von Coruna abgegangen war. Es hatte in den Hafen von Palmas auf Canaria einlaufen müſſen, und mehrere Paſſagiere, die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Tenerifa m waren gefangen worden. Die Lage dieſer Stadt hat große Aehnlichkeit mit der von Guayra, dem beſuchteſten Hafen der Provinz Caracas. An beiden Orten iſt die Hitze aus denſelben Urſachen ſehr groß; aber von außen erſcheint Santa Cruz trübſeliger. Auf einem öden, ſandigen Strande ſtehen blendend weiße Häuſer mit platten Dächern und Fenſtern ohne Glas vor einer 1 ſenkrechten Felsmauer ohne allen Pflanzenwuchs. Ein hübſcher Hafendamm aus gehauenen Steinen und der öffentliche, mit Pappeln beſetzte Spaziergang bringen die ein⸗ zige Abwechſelung in das eintönige Bild. Von Santa Cruz aus nimmt in der Pik weit weniger maleriſch aus als im 1 Don Andres de Perlasca. a Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegenſatz zwiſchen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Phy⸗ ſiognomie des Vulkanes. Von den Palmen: und Bananen: gruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lor⸗ beeren und Pinien iſt das vulkaniſche Geſtein mit kräftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie ſogar Völker, welche unter dem ſchönen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im öſtlichen Teil von Tenerifa eine der glückſeligen Inſeln gefunden zu haben meinten. Die Oſtküſte dagegen, an der Santa Cruz liegt, trägt überall den Stempel der Un- fruchtbarkeit. Der Gipfel des Piks iſt nicht öder als das Vorgebirge aus baſaltiſcher Lava, das der Punta de Naga zuläuft, und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Geſteines eben erſt den Grund zu einſtiger Dammerde legen. Im Hafen von Orotava erſcheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von mehr als 16°, während auf dem Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4% 36“ beträgt.! Trotz dieſem Unterſchied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum ſo weit über den Horizont aufſteigt als der Veſuv, vom Molo von Neapel aus geſehen, jo iſt dennoch der Anblick des Piks, wenn man ihn vor Anker auf der Reede zum erſtenmal ſieht, äußerſt großartig. Wir ſahen nur den Zuckerhut; ſein Kegel hob ſich vom reinſten Himmelsblau ab, während ſchwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf 3500 m Höhe einhüllten. Der Bimsſtein, von den erſten Sonnenſtrahlen beleuchtet, warf ein rötliches Licht zurück, dem ähnlich, das häufig die Gipfel der Hochalpen färbt. Allmäh— lich ging dieſer Schimmer in das blendendſte Weiß über, und es ging uns wie den meiſten Reiſenden, wir meinten, der Pik ſei noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit großer Mühe an den Rand des Kraters gelangen können. Wir haben in der Kordillere der Anden die Beobachtung gemacht, daß Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungu— ragua, ſich öfter unbewölkt zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten beſetzt iſt, wie der Antiſana und der Pichincha; aber der Pic von Tenerifa iſt, trotz ſeiner Kegelgeſtalt, einen großen Teil des Jahres in Dunſt gehüllt, und zuweilen ſieht man ihn auf der Reede von Santa Cruz mehrere Wochen lang nicht ein einziges Mal. Die Erſchei— 1 Die Spitze des Vulkanes ift von Orotava etwa 16,5 km, von Santa Cruz 44 km entfernt. nung erklärt ſich ohne Zweifel daraus, daß er weſtwärts von einem großen Feſtlande und ganz iſoliert im Meere liegt. Die Schiffer wiſſen recht gut, daß ſelbſt die kleinſten, niedrigſten Eilande die Wolken anziehen und feſthalten. Ueberdies er- folgt die Wärmeabnahme über den Ebenen Afrikas und über der Meeresfläche in verſchiedenem Verhältnis, und die Luft— ſchichten, welche die Paſſatwinde herführen, kühlen ſich immer mehr ab, je weiter ſie gegen Weſt gelangen. Die Luft, die über dem heißen Wüſtenſande ausnehmend trocken war, ſchwängert ſich raſch, ſobald ſie mit der Meeresfläche oder mit der Luft, die auf dieſer Fläche ruht, in Berührung kommt. Man ſieht alſo leicht, warum die Dünſte in Luftſchichten ſicht— bar werden, die, vom Feſtland weggeführt, nicht mehr die Temperatur haben, bei der ſie ſich mit Waſſer geſättigt hatten. Zudem hält die bedeutende Maſſe eines frei aus dem Atlanti— ſchen Meere aufſteigenden Berges die Wolken auf, welche der Wind der hohen See zutreibt. Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaub⸗ nis von ſeiten des Statthalters, ans Land gehen zu dürfen. Ich nutzte die Zeit, um die Länge des Hafendammes von Santa Cruz zu beſtimmen und die Inklination der Magnet— nadel zu beobachten. Der Chronometer von Louis Berthoud gab jene zu 18“ 33° 10“ an. Dieſe Beſtimmung weicht um 3 bis 4 Bogenminuten von derjenigen ab, die ſich aus den alten Beobachtungen von Fleurieu, Pingrä, Borda, Vancouver und La Peyrouſe ergibt. Guenot hatte übrigens gleichfalls 15° 33° 36“ gefunden und der unglückliche Kapitän Blight 18° 34° 30“. Die Genauigkeit meines Ergebniſſes wurde drei Jahre darauf bei der Expedition des Ritters Kruſenſtern beſtätigt; man fand für Santa Cruz 16“ 12“ 45“ weſtlich von Greenwich, folglich 18“ 33° 0“ weſtlich von Paris. Dieſe Angaben zeigen, daß die Längen, welche Kapitän Cook für Tenerifa und das Kap der guten Hoffnung annahm, viel zu weit weſtlich ſind. Derſelbe Seefahrer hatte im Jahre 1799 die magnetiſche Inklination gleich 61° 52° gefunden. Bon⸗ pland und ich fanden 62° 24“, was mit dem Reſultat über: einſtimmt, das de Roſſel bei d'Entrecaſteaux' Expedition im Jahre 1791 erhielt. Die Deklination der Nadel ſchwankt um mehrere Grade, je nachdem man ſie auf dem Hafendamm oder an verſchiedenen Punkten nordwärts längs des Geſtades beob— achtet. Dieſe Schwankungen können an einem von vulkani— ſchem Geſtein umgebenen Orte nicht befremden. Ich habe mit eg Gay⸗Luſſac die Beobachtung gemacht, daß am Abhange des Veſuvs und im Inneren des Kraters die Intenſität der magne— tiſchen Kraft durch die Nähe der Laven modifiziert wird. Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um ſich nach politiſchen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, ſtiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde ſogleich zur Korvette zurückgeſchickt, weil die auf der Reede ſehr gefährliche Brandung es leicht hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erſte, was uns zu Geſicht kam, war ein hochgewachſenes, ſehr gebräuntes, ſchlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anſtändigerem Auf— zug; ſie beſtürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde. In dieſem von Europäern ſo ſtark beſuchten Hafen iſt die Ausſchweifung diszipliniert. Die Capitana iſt von ihresgleichen als Anführerin gewählt, und ſie hat große Gewalt über ſie. Sie läßt nichts geſchehen, was ſich mit dem Dienſt auf den Schiffen nicht verträgt, ſie fordert die Matroſen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden ſich an ſie, wenn man fürchtet, daß ſich einer von der Mann— ſchaft verſteckt habe, um auszureißen. Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Erſticken heiß vor, und doch ſtand der Thermometer nur auf 25“. Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt man ſich unbehaglich, ſo oft man ans Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerſtoff enthält als die Luft am Lande, wie man irrtümlich behauptet hat, ſondern weil ſie weniger mit den Gasgemiſchen geſchwängert iſt, welche die tieriſchen und Pflanzenſtoffe und die Dammerde, die ſich aus ihrer Zerſetzung bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche ſich der chemiſchen Analyſe entziehen, wirken gewaltig auf unſere Organe, zumal wenn ſie nicht ſchon ſeit längerer Zeit denſelben Reizen ausgeſetzt geweſen ſind. ane me Tenerifa, das Angza der Guanchen, iſt eine Ziemlich hübſche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir iſt die Menge von Mönchen und Weltgeiſtlichen, welche die Reiſenden in allen Ländern unter ſpaniſchem Zepter ſehen zu müſſen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beſchreiben, die Bibliothek der Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die Einwohnerſchaft abends zuſammenkommt, — 8 um der Kühle zu genießen, und das berühmte 10 m hohe Denkmal aus karrariſchem Marmor, geweiht unſerer lieben Frau von Candelaria, zum Gedächtnis ihrer wunderbaren Er— ſcheinung zu Chimiſay bei Guimar im Jahre 1392. Der Hafen von Santa Cruz tft eigentlich ein großes Karawanſerai auf dem Wege nach Amerika und Indien. Faſt alle Reiſe— beſchreibungen beginnen mit einer Beſchreibung von Madeira und Tenerifa, und wenn die Naturgeſchichte dieſer Inſeln der Forſchung noch ein ungeheures Feld bietet, ſo läßt dagegen die Topographie der kleinen Städte Funchal, Santa Cruz, Laguna und Orotava faſt nichts zu wünſchen übrig. Die Empfehlungen des Madrider Hofes verſchafften uns auf den Kanarien, wie in allen anderen ſpaniſchen Beſitzungen, die befriedigendſte Aufnahme. Vor allem erteilte uns der Generalkapitän die Erlaubnis, die Inſel zu bereiſen. Der Oberſt Armiaga, Befehlshaber eines Infanterieregiments, nahm uns in ſeinem Hauſe auf und überhäufte uns mit Höflichkeit. Wir wurden nicht müde, in ſeinem Garten im Freien ge— zogene Gewächſe zu bewundern, die wir bis jetzt nur in Treib— häuſern geſehen hatten, den Bananenbaum, den Melonenbaum, die Poinciana pulcherrima und andere. Das Klima der Kanarien iſt indeſſen nicht warm genug, um den echten Platano arton mit dreieckiger, 186 bis 212 mm langer Frucht, der eine mittlere Temperatur von etwa 24“ verlangt und ſelbſt nicht im Thale von Caracas fortkommt, reif werden zu laſſen. Die Bananen auf Tenerifa ſind die, welche die ſpa— niſchen Koloniſten Camburis oder Guineos und Domi— nicos nennen. Der Camburi, der am wenigſten vom Froſt leidet, wird ſogar in Malaga mit Erfolg gebaut;! aber die Früchte, die man zuweilen zu Cadiz ſieht, kommen von den Kanarien auf Schiffen, welche die Ueberfahrt in drei, vier Tagen machen. Die Muſa, die allen Völkern der heißen Zone bekannt iſt, und die man bis jetzt nirgends wild ge— funden hat, variiert meiſt in ihren Früchten, wie unſere Apfel— und Birnenbäume. Dieſe Varietäten, welche die meisten Bo- taniker verwechſeln, obgleich ſie ſehr verſchiedene Klimate verlangen, ſind durch lange Kultur konſtant geworden. Am Abend machten wir eine botaniſche Exkurſion nach dem Fort Paſo Alto längs der Baſaltfelſen, welche das Vor— gebirge Naga bilden. Wir waren mit unſerer Ausbeute ſehr Die mittlere Temperatur dieſer Stadt beträgt nur 18. Eat ſchlecht zufrieden, denn die Trockenheit und der Staub hatten die Vegetation jo ziemlich vernichtet. Cacalia Kleinia, Eu- phorbia canariensis und verſchiedene andere Fettpflanzen, welche ihre Nahrung vielmehr aus der Luft als aus dem Boden ziehen, auf dem ſie wachſen, mahnten uns durch ihren Habitus daran, daß dieſe Inſeln Afrika angehören, und zwar dem dürrſten Striche dieſes Feſtlandes. Der Kapitän der Korvette hatte zwar Befehl, ſo lange zu verweilen, daß wir die Spitze des Piks beſteigen könnten, wenn anders der Schnee es geſtattete; man gab uns aber zu erkennen, wegen der Blockade der engliſchen Schiffe dürften wir nur auf einen Aufenthalt von vier, fünf Tagen rechnen. Wir ei emnad, in dent v von Orotava zu kommen, der am Weſtabhang des Vulkanes liegt, und wo wir Führer finden ſollten. In Santa Cruz konnte ich niemand auf— finden, der den Pik beſtiegen gehabt hätte, und ich wunderte mich nicht darüber. Die merkwürdigſten Dinge haben deſto weniger Reiz für uns, je näher ſie uns ſind, und ich kannte Schaffhauſer, welche den Rheinfall niemals in der Nähe ge— ſehen hatten. Am 20. Juni vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg nach Villa de la Laguna, die 682 m über dem Hafen von Santa Cruz liegt. Wir konnten dieſe Höhen— angabe nicht verifizieren, denn wegen der Brandung hatten wir in der Nacht nicht an Bord gehen können, um Barometer und Inklinationskompaß zu holen. Da wir vorausſahen, daß wir bei unſerer Beſteigung des Piks ſehr würden eilen müſſen, ſo war es uns ganz lieb, daß wir Inſtrumente, die uns in unbekannteren Ländern dienen ſollten, hier keiner Gefahr aus— ſetzen konnten. Der Weg nach Laguna hinauf läuft an der rechten Seite eines Baches oder Barranco hin, der in der Regenzeit ſchöne Fälle bildet; er iſt ſchmal und vielfach ge— wunden. Nach meiner Rückkehr habe ich gehört, Herr von Perlasca habe hier eine neue Straße anlegen laſſen, auf der Wagen fahren können. Bei der Stadt begegneten uns weiße Kamele, die ſehr leicht beladen ſchienen. Dieſe Tiere werden vörzügsweiſe dazu gebraucht, die Waren von der Douane in die Magazine der Kaufleute zu ſchaffen. Man ladet ihnen gewöhnlich zwei Kiſten mit Havanazucker auf, die zuſammen 450 kg wiegen, man kann aber die Ladung bis auf 13 Zentner oder 52 kaſtiliſche Arrobas ſteigern. Auf Tenerifa ſind die Kamele nicht ſehr häufig, während ihrer auf Lanzarote und J’ (dr * Fuerteventura viele Tauſende find. Dieſe Inſeln liegen Afrika näher und kommen daher auch in Klima und Vegetation mehr mit dieſem Kontinent überein. Es iſt ſehr auffallend, daß dieſes nützliche Tier, das ſich in Südamerika fortpflanzt, dies auf Tenerifa faſt nie thut. Nur im fruchtbaren Diſtrikt pon Adexe, wo die bedeutendſten Zuckerrohrpflanzungen ſind int man die Kamele zuweilen Junge werfen ſehen. Dieſe Laſttiere, wie die Pferde, ſind im 15. Jahrhundert durch die normänniſchen Eroberer auf den Kanarien eingeführt worden. Die Guanchen kannten ſie nicht, und dies erklärt ſich wohl leicht daraus, daß ein ſo gewaltiges Tier ſchwer auf ſchwachen Fahrzeugen zu transportieren iſt, ohne daß man die Guanchen als die Ueberreſte der Bevölkerung der Atlantis zu betrachten und zu glauben braucht, ſie gehören einer anderen Raſſe an als die Weſtafrikaner. Der Hügel, auf dem die Stadt San Chriſtobal de la Laguna liegt, gehört dem Syſtem von Baſaltgebirgen an, die, unabhängig vom Syſtem neuerer vulkaniſcher Gebirgsarten, einen weiten Gürtel um den Pik von Tenerifa bilden. Der Baſalt von Laguna iſt nicht ſäulenförmig, ſondern zeigt nicht ſehr dicke Schichten, die nach Oſt unter einem Winkel von 30 bis 40° fallen. Nirgends hat er das Anſehen eines Lava— ſtromes, der an den Abhängen der Piks ausgebrochen wäre. Hat der gegenwärtige Vulkan dieſe Baſalte hervorgebracht, ſo muß man annehmen, wie bei den Geſteinen, aus denen die Somma neben dem Veſurp beſteht, daß fie infolge eines unter: ſeeiſchen Ausbruches gebildet ſind, wobei die weiche Maſſe wirk— lich geſchichtet wurde. Außer einigen baumartigen Euphorbien, Cacalia Kleinia und Fackeldiſteln (Kaktus), welche auf den Kanarien, wie im ſüdlichen Europa und auf dem afrikaniſchen Feſtlande verwildert ſind, wächſt nichts auf dieſem dürren Ge— ſtein. Unſere Maultiere glitten jeden Augenblick auf ſtark ge: neigten Steinlagern aus. Indeſſen ſahen wir die Ueberreſte eines alten Pflaſters. Bei jedem Schritt ſtößt man in den Kolonieen auf Spuren der Thatkraft, welche die ſpaniſche Nation im 16. Jahrhundert entwickelt hat. Je näher wir Laguna kamen, deſto kühler wurde die Luft, und dies thut um fo wohler, da es in Santa Cruz zum Er— ſticken heiß iſt. Da widrige Eindrücke unſere Organe ſtärker angreifen, ſo iſt der Temperaturwechſel auf dem Rückweg von Laguna zum Hafen noch auffallender; man meint, man nähere ſich der Mündung eines Schmelzofens. Man hat dieſelbe Empfindung, wenn man an der Küſte von Caracas vom Berge Avila zum Hafen von Guayra niederſteigt. Nach dem Geſetz der Wärmeabnahme machen in dieſer Breite 682 m Höhe nur 3 bis 4° Temperaturunterſchied. Die Hitze, welche dem Reiſenden ſo läſtig wird, wenn er Santa Cruz de Tenerifa oder Guayra betritt, iſt daher wohl dem Rückprallen der Wärme von den Felſen zuzuſchreiben, an welche beide Städte ſich lehnen. Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrſcht, macht die Stadt für die Kanarier zu einem köſtlichen Aufenthalts— orte. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gärten, am Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbäume krönen, iſt die Hauptſtadt von Tenerifa wirklich ungemein freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meh— reren Reiſeberichten glauben ſollte, an einem See. Das Regen— waſſer bildet hier periodiſch einen weiten Sumpf, und der Geolog, der überall in der Natur vielmehr einen früheren Zuſtand der Dinge als den gegenwärtigen im Auge hat, zweifelt nicht daran, daß die ganze Ebene ein großes aus— getrocknetes Becken iſt. Laguna iſt in ſeinem Wohlſtand herab— gekommen, ſeit die Seitenausbrüche des Vulkanes den Hafen von Garachico zerſtört haben und Santa Cruz der Haupt— handelsplatz der Inſeln geworden iſt; es zählt nur noch 2000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in ſechs Klöſtern. Manche Reiſende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung be— ſtehe aus Kuttenträgern. Die Stadt iſt mit zahlreichen Wind— mühlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in dieſem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Das Korn hieß auf Tenerifa tano, auf Lanzarote tritfa; die Gerſte hieß auf Kanaria aramotanoque, auf Lanzarote ta— mosen. Geröſtetes Gerſtenmehl (gofio) und Ziegenmilch waren die vornehmſten Nahrungsmittel dieſes Volkes, über deſſen Ur— ſprung ſo viele ſyſtematiſche Träumereien ausgeheckt worden ſind. Dieſe Nahrung weiſt beſtimmt darauf hin, daß die Guanchen zu den Völkern der Alten Welt gehörten, wohl ſelbſt zur kaukaſiſchen Raſſe, und nicht, wie die anderen Atlanten,! zu Ich laſſe mich hier auf keine Verhandlung über die Exiſtenz der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil ſie von der übrigen Menſchheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde. — den Volksſtämmen der Neuen Welt; die letzteren kannten vor der Ankunft der Europäer weder Getreide, noch Milch, noch Käſe. Eine Menge Kapellen, von den Spaniern ermitas ge⸗ nannt, liegen um die Stadt Laguna. Umgeben von immer: grünen Bäumen auf kleinen Anhöhen, erhöhen dieſe Kapellen, wie überall, den malerischen Reiz der Landſchaft. Das Innere der Stadt entſpricht dem Aeußeren durchaus nicht. Die Häuſer ſind ſolid gebaut, aber ſehr alt, und die Straßen öde. Der Botaniker hat übrigens nicht zu bedauern, daß die Häuſer ſo alt ſind. Dächer und Mauern ſind bedeckt mit Semper- vivum canariense und dem zierlichen Trichomanes, deſſen alle Reiſende gedenken; die häufigen Nebel geben dieſen Ge— wächſen Unterhalt. Anderſon, der Naturforſcher bei Kapitän Cooks dritter Reiſe, gibt den europäiſchen Aerzten den Rat, ihre Kranken nach Tenerifa zu ſchicken, Kein aus der Rückſicht, welche manche Heilkünſtler die entlegenſten Bäder wählen läßt, ſondern wegen der ungemeinen Milde und Gleichmäßigkeit des Klimas der Kanarien. Der Boden der Inſeln ſteigt amphi— theatraliſch auf und zeigt, gleich Peru und Mexiko, wenn auch in kleinerem Maßſtab, alle Klimate, von afrikaniſcher Hitze bis zum Froſte der Hochalpen. Santa Cruz, der Hafen von Orotava, die Stadt desſelben Namens und Laguna ſind vier Orte, deren mittlere Temperaturen eine abnehmende Reihe dar: jtellen. Das ſüdliche Europa bietet nicht dieſelben Vorteile, weil der Wechſel der Jahreszeiten ſich noch zu ſtark fühlbar macht. Tenerifa dagegen, gleichſam an der Pforte der Tropen und doch nur wenige Tagereiſen von Spanien, hat ſchon ein gut Teil der Herrlichkeit aufzuweiſen, mit der die Natur die Länder zwiſchen den Wendekreiſen ausgeſtattet. Im Pflanzen— reich treten bereits mehrere der ſchönſten und großartigſten 91 auf, die Bananen und die Palmen. Wer Sinn für Naturſchönheit hat, findet auf dieſer köſtlichen Inſel noch kräf⸗ tigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der Welt ſcheint mir geeigneter, die Schwermut zu bannen und einem ſchmerz⸗ lich ergriffenen Gemüte den Frieden wiederzugeben, als Tenerifa und Madeira. Und ſolches wirkt nicht allein die herrliche Lage und die reine Luft, ſondern vor allem das Nichtvorhandenſein der Sklaverei, deren Anblick einen in beiden Indien jo tief empört, wie überall, wohin europäiſche Koloniſten ihre ſogenannte Aufklärung und ihre Induſtrie ge— tragen haben. Im Winter ift das Klima von Laguna ſehr neblig und die Einwohner beklagen ſich häufig über Froſt. Man hat in: deſſen nie ſchneien ſehen, woraus man ſchließen ſollte, daß die mittlere Temperatur der Stadt über 18,7 (15% R.) beträgt, das heißt mehr als in Neapel. Für ſtreng kann dieſer Schluß nicht gelten; denn im Winter hängt die Erkältung der Wolken weniger von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab als vielmehr von der augenblicklichen Erniedrigung der Wärme, der ein Ort vermöge ſeiner beſonderen Lage ausgeſetzt iſt. Die mittlere Temperatur der Hauptſtadt von Mexiko iſt z. B. nur 16,8“ (13,5 R.), und doch hat man in hundert Jahren nur ein einziges Mal ſchneien ſehen, während es im ſüdlichen Europa und in Afrika noch an Orten ſchneit, die über 19° mittlere Temperatur haben. Wegen der Nähe des Meeres iſt das Klima von Laguna im Winter milder, als es nach der Meereshöhe ſein ſollte. Herr Brouſſonet hat ſogar, wie ich mit Verwunderung hörte, mitten in der Stadt, im Garten des Marquis von Nava, Brotfruchtbäume (Artocarpus incisa) und Zimtbäume (Laurus cinnamomum) angepflanzt. Dieſe köſtlichen Ge— wüchſe der Südſee und Oſtindiens wurden hier einheimiſch, wie auch in Orotava. Sollte dieſer Verſuch nicht beweiſen, daß der Brotfruchtbaum in Kalabrien, auf Sizilien und in Granada fortkäme? Der Anbau des Kaffeebaumes iſt in La⸗ guna nicht in gleichem Maße gelungen, wenn auch die Früchte bei Tegueſte und zwiſchen dem Hafen von Orotava und dem Dorfe San Juan de la Rambla reif werden. Wahrſcheinlich ſind örtliche Verhältniſſe, vielleicht die Beſchaffenheit des Bodens und die Winde, die in der Blütezeit wehen, daran ſchuld. In anderen Ländern, z. B. bei Neapel, trägt der Kaffeebaum ziemlich reichlich Früchte, obgleich die mittlere Tem— peratur kaum über 18° der hundertteiligen Skale beträgt. Auf Tenerifa iſt die mittlere Höhe, in der jährlich Schnee fällt, noch niemals beſtimmt worden. Solches iſt mittels barometriſcher Meſſung leicht auszuführen, es iſt aber bis jetzt faſt in allen Erdſtrichen verſäumt worden; und doch iſt dieſe Beſtimmung von großem Belang für den Ackerbau in den Kolonieen und für die Meteorologie, und ganz ſo wichtig als das Höhenmaß der unteren Grenze des ewigen Schnees. Ich ſtelle die Ergebniſſe meiner betreffenden Beobachtungen in folgender Ueberſicht zuſammen. A. v. Humboldt, Reife I. 5 N — Nörd- | Geringſte Untere Grenze Unterſchied Mittlere 5 3 a der beiden liche [Höhe, in der | des ewigen vorſtehenden Temperatur Breite | Schnee fällt Schnees Kolumnen m m m 100teilige Stale 0° 3976 4794 818 27 20° 3020 4598 1578 24,50 40° 0 3001 3001 1 Dieſe Tafel gibt nur das Durchſchnittsverhältnis, das heißt die Erſcheinungen, wie ſie ſich im ganzen Jahre zeigen. Beſondere Lokalitäten können Ausnahmen herbeiführen. So ſchneit es zuweilen, wenn auch ſehr ſelten, in Neapel, Liſſa— bon, ſogar in Malaga, alſo noch unter dem 37. Grad der Breite, und wie ſchon bemerkt, hat man Schnee in der Stadt Mexiko fallen ſehen, die 2286 m über dem Meere liegt. Dies war ſeit mehreren Jahrhunderten nicht vorgekommen, und das Ereignis trat gerade am Tage ein, da die Jeſuiten vertrieben wurden, und wurde daher vom Volke natürlich dieſer Gewalt— maßregel zugeſchrieben. Noch ein auffallenderes Beiſpiel bietet das Klima von Valladolid, der Hauptſtadt der Provinz Michoacan. Nach meinen Meſſungen liegt dieſe Stadt unter 19° 42° der Breite nur 1950 m hoch; dennoch waren daſelbſt wenige Jahre vor unſerer Ankunft in Neuſpanien die Straßen mehrere Stunden lang mit Schnee bedeckt. Auch auf Tenerifa hat man an einem Orte über Ejperanza de la Laguna, dicht bei der Stadt dieſes Namens, in deren Gärten Brotbäume wachſen, ſchneien ſehen. Dieſer außer— ordentliche Fall wurde Brouſſonet von ſehr alten Leuten er— zählt. Die Erica arborea, die Mirica Faya und Arbutus callycarpa litten nicht durch den Schnee; aber alle Schweine, die im Freien waren, kamen dadurch um. Dieſe Beobachtung iſt für die Pflanzenphyſiologie von Wichtigkeit. In heißen Ländern ſind die Gewächſe ſo kräftig, daß ihnen der Froſt weniger ſchadet, wenn er nur nicht lange anhält. Ich habe auf der Inſel Cuba den Bananenbaum an Orten angebaut geſehen, wo der hundertteilige Thermometer auf 7“, ja zu— weilen faſt auf den Gefrierpunkt fällt. In Italien und re; Spanien gehen Drangen: und Dattelbäume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat. Sm allge: meinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung, daß Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und ſo— mit auch für ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich ſind, als ſolche, die in einem Erdreich wachſen, das ihnen nur wenig Nahrungsſäfte bietet. ! Zwiſchen der Stadt Laguna und dem Hafen von Oro— tava und der Weſtküſte von Tenerifa kommt man zuerſt durch ein hügeliges Land mit ſchwarzer thoniger Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkriſtalle findet. Wahrſchein— lich reißt das Waſſer dieſe Kriſtalle vom anſtehenden Geſtein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eiſenhaltige Flözſ chichten den Boden der geologiſchen Unterſuchung. Nur in einigen Schluchten kommen ſäulenförmige, etwas gebogene Baſalte zu Tag, und darüber. ehr neue, den vulkaniſchen Tuffen ähnliche Mengſteine. In denſelben ſind Bruchſtücke des unterliegenden Baſaltes eingeſchloſſen, und wie verſichert wird, finden ſich Verſteinerungen von Seetieren darin; ganz dasſelbe kommt im Vicentiniſchen bei Montechio maggiore vor. Wenn man ins Thal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reiſenden aller Nationen mit Begeiſterung ſprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel Landſchaften geſehen, wo die Natur großartiger iſt, reicher in der Entwickelung organiſcher Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Kordilleren von Peru und die ſchönen Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich geſtehen, nirgends ein ſo mannigfaltiges, ſo anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmaſſen ſo harmoniſches Gemälde vor mir gehabt zu haben. Das Meeresufer ſchmücken Dattelpalmen und Kokosnuß⸗ bäume; weiter oben ſtechen Bananengebüſche von Drachen— bäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlan⸗ genleib vergleicht. Die Abhänge ſind mit Reben bepflanzt, Die Schwäche der Lebenskraft zeigt ſich auch an den Maul— beerbäumen, die auf magerem ſandigen Boden in der Nähe des Baltiſchen Meeres gezogen werden. Die Spätfröſte thun ihnen weit weher als den Maulbeerbäumen in Piemont. In Italien bringt ein Froſt von 5° unter dem Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume nicht um. Dieſe Bäume, die weniger empfindlich ſind als Zitronen, erfrieren nach Galeſio erſt bei — 16“ der hundertteiligen Skale. — die ſich um ſehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte Orangenbäume, Myrten und Cypreſſen umgeben Kapellen, welche die Andacht auf freiſtehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall ſind die Grundſtücke durch Hecken von Agave und Kaktus eingefriedigt. Unzählige kryptogamiſche Gewächſe, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Waſſer— quellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt iſt, genießt man in dieſem Landſtrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag ſich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Be- völkerung der Küſte iſt hier ſehr ſtark; ſie erſcheint noch größer, weil Häuſer und Gärten zerſtreut liegen, was den Reiz der Landſchaft noch erhöht. Leider ſteht der Wohlſtand der Be— wohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur im Verhältnis. Die das Land bauen, ſind meiſt nicht Eigen— tümer desſelben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehnsſyſtem, das ſo lange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner Blüte gelangen. Von Tegueſte und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, berühmt durch ſeinen trefflichen Malvaſier, iſt die Küſte wie ein Garten angebaut. Ich möchte ſie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur iſt die Weſtſeite von Tenerifa unendlich ſchöner wegen der Nähe des Piks, der bei jedem Schritt wieder eine andere Anſicht bietet. Der Anblick dieſes Berges iſt nicht allein wegen ſeiner impo⸗ ſanten Maſſe anziehend; er beſchäftigt lebhaft den Geiſt und läßt uns den geheimnisvollen Quellen der vulkaniſchen Kräfte nachdenken. Seit Tauſenden von Jahren iſt kein Lichtſchimmer auf der Spitze des Piton geſehen worden, aber ungeheure Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweiſen die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöſchenden Feuers. Der Anblick eines Feuerſchlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat indeſſen etwas Niederſchlagen⸗ des. Die Geſchichte des Erdballes lehrt uns, daß die Vulkane wieder zerſtören, was ſie in einer langen Reihe von Jahr⸗ hunderten aufgebaut. Inſeln, welche die unterirdiſchen Feuer über die Fluten emporgehoben, ſchmücken ſich allmählich mit reichem, lachendem Grün; aber gar oft werden dieſe neuen Länder durch dieſelben Kräfte zerſtört, durch die ſie vom Boden des Ozeans über ſeine Fläche gelangt ſind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts ſind als Schlacken- und Aſchenhaufen, 3 einſt ſo fruchtbar als die Gelände von Tacoronte und Sauzal. Wohl den Ländern, wo der Menſch dem Boden, auf dem er wohnt, nicht mißtrauen darf! Auf unſerem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die hübſchen Dörfer Matanza und Victoria. Dieſe beiden Namen findet man in allen ſpaniſchen Kolonieen neben— einander; ſie machen einen widrigen Eindruck in einem Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. Matanza bedeutet Schlachtbank, Blutbad, und ſchon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft worden. In der Neuen Welt weiſt er gewöhnlich auf eine Niederlage der Eingeborenen hin; auf Tenerifa bezeichnet das Wort Matanza den Ort, wo die Spanier von denſelben Guanchen geſchlagen wurden, die man bald darauf auf den ſpaniſchen Märkten als Sklaven verkaufte. Ehe wir nach Orotava kamen, beſuchten wir den bota— niſchen Garten nicht weit vom Hafen. Wir trafen da den franzöſiſchen Vizekonſul Legros, der oft auf der Spitze des Piks geweſen war und an dem wir einen vortrefflichen Führer fanden. Er hatte mit Kapitän Baudin eine Fahrt nach den Antillen gemacht, durch die der Pariſer Pflanzengarten an— ſehnlich bereichert worden iſt. Ein furchbarer Sturm, den Ledru in ſeiner Reiſe nach Puertorico beſchreibt, zwang das Fahrzeug, bei Tenerifa anzulegen, und das herrliche Klima der Inſel brachte Legros zum Entſchluß, ſich hier niederzulaſſen. Ihm verdankt die gelehrte Welt Europas die erſten genauen Nachrichten über den großen Seitenausbruch des Piks, den man ſehr uneigentlich den Ausbruch des Vulkanes von Cha— horra nennt. ! Die Anlage eines botaniſchen Gartens auf Tenerifa ift ein ſehr glücklicher Gedanke, da derſelbe ſowohl für die wiſſen— ſchaftliche Botanik als für die Einführung nützlicher Gewächſe in Europa ſehr förderlich werden kann. Die erſte Idee eines ſolchen verdankt man dem Marquis von Nava (Marquis von Villanueva del Prado), einem Manne, der Poivre an die Seite geſtellt zu werden verdient und im Triebe, das Gute zu för— dern, von ſeinem Vermögen den edelſten Gebrauch gemacht hat. Mit ungeheuren Koſten ließ er den Hügel von Durasno, der amphitheatraliſch aufſteigt, abheben, und im Jahre 1795 machte man mit den Anpflanzungen den Anfang. Nava war der Anſicht, daß die Kanarien, vermöge des milden Klimas Am 8. Juni 1798. — 10 und der geographiſchen Lage, der geeignetſte Punkt ſeien, um die Naturprodukte beider Indien zu akklimatiſieren, um die Gewächſe aufzunehmen, die ſich allmählich an die niedrigere Temperatur des ſüdlichen Europas gewöhnen ſollen. Aſiatiſche, afrikaniſche, ſüdamerikaniſche Pflanzen gelangen leicht in den Garten bei Orotava, und um den Chinabaum in Sizilien, Portugal oder Granada einzuführen, müßte man ihn zuerſt in Durasno oder Laguna anbauen und dann erſt die Schößlinge der kanariſchen China nach Europa verpflanzen. In beſſeren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Feſſeln ſchlägt, kann der Garten von Tenerifa auch für die ſtarken Pflanzen⸗ ſendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Dieſe Gewächſe gehen häufig, ehe ſie unſere Küſten erreichen, zu Grunde, weil ſie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salz— waſſer geſchwängerte Luft atmen müſſen. Im Garten von Orotava fänden ſie eine Pflege und ein Klima, wobei ſie ſich erholen könnten. Da die Unterhaltung des botaniſchen Gartens von Jahr zu Jahr koſtſpieliger wurde, trat der Marquis den⸗ ſelben der Regierung ab. Wir fanden daſelbſt einen geſchickten Gärtner, einen Schüler Aitons, des Vorſtehers des königlichen Gartens zu Kew. Der Boden ſteigt in Terraſſen auf und wird von einer natürlichen Quelle bewäſſert. Man hat die Ausſicht auf die Inſel Palma, die wie ein Kaſtell aus dem Meere emporſteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier; man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgeſteckt, mit Namen, die aufs Geratewohl aus Linnés Systema vegeta- bilium genommen ſchienen. Dieſe Anordnung der Gewächſe nach den Klaſſen des Sexualſyſtems, die man leider auch in manchen europäiſchen Gärten findet, iſt dem Anbau ſehr hin: derlich. In Durasno wachſen Proteen, der Gujavabaum, der Jambuſenbaum, die Chirimoya aus Peru,? Mimoſen und Helikonien im Freien. Wir pflückten reife Samen von meh— reren ſchönen Glyeinearten aus Neuholland, welche der Gou— verneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Königreich Neugranada auf dem Rücken der Kordilleren, zwiſchen 1950 und 2925 m Meereshöhe an Orten wachſen, wo der Thermometer bei Tag zwiſchen 9 und 10°, bei Nacht zwiſchen 3 und 4° ſteht. Die orangegelbe Quinquina (Cinchona lancifolia) iſt weit weniger em— pfindlich als die rote (C. oblongifolia). 2 Annona Cherimolia, Lamarck. 1 und die ſeitdem auf den ſüdamerikaniſchen Küſten wild ge: worden ſind. Wir kamen ſehr ſpät in den Hafen von Orotava, wenn man anders dieſen Namen einer Reede geben kann, auf der die Fahrzeuge unter Segel gehen müſſen, wenn der Wind ſtark aus Nordweſt bläſt. Man kann nicht von Orotava ſprechen, ohne die Freunde der Wiſſenſchaft an Cologan zu erinnern, deſſen Haus von jeher den Reiſenden aller Nationen offen ſtand. Mehrere Glieder dieſer achtungswerten Familie ſind in London und Paris erzogen worden. Don Bernardo Cologan iſt bei gründlichen, mannigfaltigen Kenntniſſen der feurigſte Patriot. Man iſt freudig überraſcht, auf einer Inſel— gruppe an der Küſte von Afrika der liebenswürdigen Geſellig— keit, der edlen Wißbegierde, dem Kunſtſinn zu begegnen, die man ausſchließlich in einem kleinen Teile von Europa zu Hauſe glaubt. e Gern hätten wir einige Zeit in Cologans Hauſe ver⸗ weilt und mit ihm in der Umgegend von Orotava die herr: lichen Punkte San Juan de la Rambla und Rialexo de Abaro beſücht. Aber auf einer Reife wie die, welche ich angetreten, kömmt man ſelten dazu, der Gegenwart zu genießen. Die quälende Beſorgnis, nicht ausführen zu können, was man den anderen Tag vorhat, erhält einen in beſtändiger Unruhe. Lei— denſchaftliche Natur- und Kunſtfreunde ſind auf der Reife durch die Schweiz oder Italien in ganz ähnlicher Gemütsverfaſſung; da ſie die Gegenſtände, die Intereſſe für ſie haben, immer nur zum kleinſten Teil ſehen können, ſo wird ihnen der Ge— nuß durch die Opfer verbittert, die ſie auf jedem Schritt zu bringen haben. Bereits am 21. morgens waren wir auf dem Wege nach dem Gipfel des Vulkanes. Legros, deſſen zuvorkommende Ge— fälligkeit wir nicht genug loben können, der Sekretär des franzöſiſchen Konſulats zu Santa Cruz und der engliſche Gärtner von Durasno teilten mit uns die Beſchwerden der Reiſe. Der Tag war nicht ſehr ſchön, und der Gipfel des Piks, den man in Orotava faſt immer ſieht, von Sonnenauf: gang bis zehn Uhr in dicke Wolken gehüllt. Ein einziger Weg führt auf den Vulkan durch Villa de Orotava, die Ginſter⸗ ebene und das Malpays, derſelbe, den Pater Feullse, Borda, . 1 Puerto de la Cruz. Der einzige ſchöne Hafen der Kanarien iſt der von San Sebaſtiano auf der Inſel Gomera. Labillardiere, Barrow eingeſchlagen, und überhaupt alle Rei: ſenden, die ſich nur kurze Zeit in Tenerifa aufhalten konnten. Wenn man den Pik beſteigt, iſt es gerade, wie wenn man das Chamounithal oder den Aetna beſucht: man muß ſeinen Führern nachgehen und man bekommt nur zu ſehen, was ſchon andere Reiſende geſehen und beſchrieben haben. Der Kontraſt zwiſchen der Vegetation in dieſem Striche von Tenerifa und der in der Umgegend von Santa Cruz überraſchte uns angenehm. Beim kühlen, feuchten Klima war der Boden mit ſchönem Grün bedeckt, während auf dem Wege von Santa Cruz nach Laguna die Pflanzen nichts als Hülſen hatten, aus denen bereits der Samen gefallen war. Beim Hafen von Orotava wird der kräftige Pflanzenwuchs den geologiſchen Beobachtungen hinderlich. Wir kamen an zwei kleinen glockenförmigen Hügeln vorüber. Beobachtungen am Veſuv und in der Auvergne weiſen darauf hin, daß dergleichen runde Erhöhungen von Seitenausbrüchen des großen Vulkanes herrühren. Der Hügel Montanita de la Villa ſcheint wirk— lich einmal Lava ausgeworfen zu haben; nach den Ueber— lieferungen der Guanchen fand dieſer Ausbruch im Jahre 1430 ſtatt. Der Oberſt Franqui verſicherte Borda, man ſehe noch deutlich, wo die geſchmolzenen Stoffe hervorgequollen, und die Aſche, die den Boden ringsum bedecke, ſei noch nicht fruchtbar.! Ueberall, wo das Geſtein zu Tage ausgeht, fan— den wir baſaltartigen Mandelſtein (Werner) und Bimsftein: konglomerat, in dem Rapilli oder Bruchſtücke von Bimsſtein eingeſchloſſen ſind, Letztere Formation hat Aehnlichkeit mit dem Tuff von Päuſilipp und mit den Puzzolanſchichten, die ich im Thale von Quito, am Fuße des Vulkanes Pichincha, gefunden habe. Der Mandelſtein hat langgezogene Poren, wie die oberen Lavaſchichten des Veſuv. Es ſcheint dies darauf, Ich entnehme dieſe Notiz einer intereſſanten Handſchrift, die jetzt in Paris im Depöt des cartes de la Marine aufbewahrt wird. Sie führt den Titel: Résumé des operations de la campagne de la Boussole (1776), pour determiner les positions geogra- phiques des cötes d’Espagne et de Portugal sur l’Ocean, d'une partie des cötes occidentales de l’Afrique et des iles Canaries, par le chevalier de Borda. Es iſt dies die Handſchrift, von der de Fleurieu in feinen Noten zu Marchands Reiſe ſpricht und die mir Borda zum Teil ſchon vor meiner Abreiſe mitgeteilt hatte. Ich habe wichtige, noch nicht veröffentlichte Beobachtungen daraus aus— gezogen. N hinzudeuten, daß eine elaſtiſche Flüſſigkeit durch die geſchmol— zene Materie durchgegangen iſt. Trotz dieſen Uebereinſtim— mungen muß ich noch einmal bemerken, daß ich in der ganzen unteren Region des Piks von Tenerifa auf der Seite gegen Orotava keinen Lavaſtrom, überhaupt keinen vulkaniſchen Aus— bruch geſehen habe, der ſcharf begrenzt geweſen wäre. Regen— güſſe und Ueberſchwemmungen wandeln die Erdoberfläche um, und wenn zahlreiche Lavaſtröme ſich vereinigen und über eine Ebene ergießen, wie ich es am Veſuv im Atrio dei Cavalli geſehen, ſo verſchmelzen ſie ineinander und nehmen das An— ſehen wirklich geſchichteter Bildungen an. Villa de Orotava macht ſchon von weitem einen guten Eindruck durch die Fülle der Gewäſſer, die auf den Ort zu— eilen und durch die Hauptſtraßen fließen. Die Quelle Aqua mansa, in zwei großen Becken gefaßt, treibt mehrere Mühlen und wird dann in die Weingärten des anliegenden Geländes geleitet. Das Klima in der Villa iſt noch kühler als am Hafen, da dort von morgens zehn Uhr an ein ſtarker Wind weht. Das Waſſer, das ſich bei höherer Temperatur in der Luft aufgelöſt hat, ſchlägt ſich häufig nieder, und dadurch wird das Klima ſehr neblig. Die Villa liegt etwa 312 m über dem Meere, alſo 390 m niedriger als Laguna; man bemerkt auch, daß dieſelben Pflanzen an letzterem Orte einen Monat ſpäter blühen. Orotava, das alte Taoro der Guanchen, liegt am ſteilen Abhang eines Hügels; die Straßen ſchienen uns öde, die Häuſer, ſolid gebaut, aber trübſelig anzuſehen, gehören faſt durchaus einem Adel, der für ſehr ſtolz gilt und ſich ſelbſt anſpruchsvoll als dozo casas bezeichnet. Wir kamen an einer ſehr hohen, mit einer Menge ſchöner Farne bewachſenen Waſſer— leitung vorüber. Wir beſuchten mehrere Gärten, in denen die Obſtbäume des nördlichen Europas neben Orangen, Granat⸗ bäumen und Dattelpalmen ſtehen. Man verſicherte uns, letztere tragen hier ſo wenig Früchte als in Terra Firma an der Küſte von Cumana. Obgleich wir den Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiſeberichten kannten, ſo ſetzte uns ſeine ungeheure Dicke dennoch in Erſtaunen. Man be⸗ hauptet, der Stamm dieſes Baumes, der in mehreren ſehr alten Urkunden erwähnt wird, weil er als Grenzmarke eines Feldes diente, ſei ſchon im 15. Jahrhundert jo ungeheuer dick geweſen wie jetzt. Seine Höhe ſchätzten wir auf 16 bis 19,5 m; ſein Umfang nahe über den Wurzeln beträgt 14,6 m. Weiter — oben konnten wir nicht meſſen, aber Sir Georg Staunton hat gefunden, daß 3,25 m über dem Boden der Stamm noch 3,66 m im Durchmeſſer hat, was gut mit Bordas Angabe übereinſtimmt, der den mittleren Umfang zu 10,93 m angibt. Der Stamm teilt ſich in viele Aeſte, die kronleuchterartig auf— wärts ragen und an den Spitzen Blätterbüſchel tragen, ähnlich der Yucca im Thale von Mexiko. Durch dieſe Teilung in Aeſte unterſcheidet ſich ſein Habitus weſentlich von dem der Palmen. Unter den organiſchen Bildungen iſt dieſer Baum, neben der Adanſonia oder dem Baobab am Senegal, ohne Zweifel einer der älteſten Bewohner unſeres Erdballs. Die Baobab werden indeſſen noch dicker als der Drachenbaum von Villa d'Orotava. Man kennt welche, die an der Wurzel 11 m Durch— meſſer haben, wobei ſie nicht höher ſind als 16 bis 20 m.! Man muß aber bedenken, daß die Adanſonia, wie die Ochroma und alle Gewächſe aus der Familie der Bombaceen, viel ſchneller wächſt? als der Drachenbaum, der ſehr langſam zu— nimmt. Der in Herrn Franquis Garten trägt noch jedes Jahr Blüten und Früchte. Sein Anblick mahnt lebhaft an Adanſon wundert ſich, daß die Baobab nicht von anderen Reiſenden beſchrieben worden ſeien. Ich finde in der Sammlung des Grynäus, daß ſchon Aloyſio Cadomoſto vom hohen Alter dieſer ungeheuren Bäume ſpricht, die er im Jahre 1504 geſehen, und von denen er ganz richtig ſagt: „eminentia altitudinis non quadrat magnitudini.“ Cadam. navig. c. 42. Am Senegal und bei Praya auf den Kapverdiſchen Inſeln haben Adanſon und Staunton Adan— ſonien geſehen, deren Stamm 18,2 bis 19,5 m im Umfang hatte. Den Baobab mit Ilm Durchmeſſer hat Golberry im Thale der zwei Gagnack geſehen. 2 Ebenſo verhält es ſich mit den Platanen (Platanus occi— dentalis), die Michaux zu Marietta am Ufer des Ohio gemeſſen hat und die 6,5 m über dem Boden noch 5, m im Durchmeſſer hatten. Die Taxus, die Kaſtanien, die Eichen, die Platanen, die kahlen Cypreſſen, die Bombax, die Mimoſen, die Cäſalpinien, die Hymenäen und die Drachenbäume ſind, wir mir ſcheint, die Ge— wächſe, bei denen in verſchiedenen Klimaten Fälle von ſo außer— ordentlichem Wachstum vorkommen. Eine Eiche, die zugleich mit galliſchen Helmen im Jahre 1809 in den Torfgruben im Departe— ment der Somme beim Dorfe Yſeux, 31,5 km von Abbeville, ge— funden wurde, gibt dem Drachenbaum von Orovata in der Dicke nichts nach. Nach der Angabe von Traullee hatte der Stamm der Eiche 4,5 m Durchmeſſer. — 7 — „die ewige Jugend der Natur“, die eine unerſchöpfliche Quelle von Bewegung und Leben iſt. Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Kanarien, auf Madeira und Porto Santo vorkommt, iſt eine merkwürdige Erſcheinung in Beziehung auf die Wande⸗ rung der Gewächſe. Auf dem Kontinent von Afrika? iſt er nirgends wild gefunden worden, und X Oſtindien iſt ſein eigent- liches Vaterland. Auf welchem Wege iſt der Baum nach Tenerifa verpflanzt worden, wo er gar nicht häufig vorkommt? Iſt ſein Daſein ein Beweis dafür, daß in ſehr entlegener Zeit die Guanchen mit anderen, mit aſiatiſchen Völkern in Verkehr geftanben nn Von Villa de Orotava gelangten wir auf einem ſchmalen ſteinigen Pfade durch einen ſchönen Kaſtanienwald (el Monte de Castanos) in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachſen iſt. Der Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüten, mit denen der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt iſt, ſtechen angenehm ab von den Blüten des Hypericum canariense, das in dieſer Höhe ſehr häufig vorkommt. Wir machten unter einer ſchönen Tanne Halt, um uns mit Waſſer zu verſehen. Dieſer Platz iſt im Lande unter dem Namen Pino del Dor- najito bekannt; ſeine Meereshöhe beträgt nach Bordas baro— metriſcher Meſſung 1017 m. Man hat da eine prachtvolle Ausſicht auf das Meer und die ganze Weſtſeite der Inſel. Beim Pino del Dornajito, etwas rechts vom Wege, ſprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer Aristoteles de longit. vitae. cap. 6. Schousboe (Flora von Marokko) erwähnt ſeiner nicht einmal unter den kultivierten Pflanzen, während er doch vom Kaktus, von der Agave und der Pukka ſpricht. Die Geſtalt des Drachenbaumes kommt verſchiedenen Arten der Gattung Dracäna am Kap der guten Hoffnung, in China und auf Neuſeeland zu; aber in der Neuen Welt vertritt die Yukka die Stelle derſelben; denn die Dracaena borealis d'Aitons iſt eine Convallaria, deren Habitus ſie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut be— kannte adſtringierende Saft kommt nach unſeren Unterſuchungen an Ort und Stelle von verſchiedenen amerikaniſchen Pflanzen, die nicht derſelben Gattung angehören, unter denen ſich einige Lianen be— finden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöſtern Zahnſtocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt ſind, und die man uns ſehr anpries, weil ſie das Zahnfleiſch konſervieren ſollten. — F hinein, es fiel auf 15,4%. An 200 m davon tft eine andere ebenſo klare Quelle. Nimmt man an, daß dieſe Gewäſſer ungefähr die mittlere Wärme des Ortes, wo ſie zu Tage kommen, anzeigen, ſo findet man als abſolute Höhe des Platzes 1013 m, die mittlere Temperatur der Küſte zu 21“ und unter dieſer Zone eine Abnahme der Wärme um einen Grad auf 181 m angenommen. Man dürfte ſich nicht wundern, wenn dieſe Quelle etwas unter der mittleren Lufttemperatur bliebe, weil ſie ſich wahrſcheinlich weiter oben am Pik bildet, und vielleicht ſogar mit den kleinen unterirdiſchen Gletſchern zu— ſammenhängt, von denen weiterhin die Rede ſein wird. Die oben erwähnte Uebereinſtimmung der barometriſchen und der thermometriſchen Meſſung iſt deſto auffallender, als im all— gemeinen, wie ich anderwärts ausgeführt,“ in Gebirgsländern mit ſteilen Hängen die Quellen eine zu raſche Wärmeabnahme anzeigen, weil ſie kleine Waſſeradern aufnehmen, die in ver— ſchiedenen Höhen in den Boden gelangen, und ſomit ihre Temperatur das Mittel aus den Temperaturen dieſer Adern iſt. Die Quellen des Dornajito ſind im Lande berühmt; als ich dort war, kannte man auf dem Wege zum Gipfel des Vulkanes keine andere. Quellenbildung ſetzt eine gewiſſe Regel— mäßigkeit im Streichen und Fallen der Schichten voraus. Auf vulkaniſchem Boden verſchluckt das löcherige, zerklüftete Geſtein das Regenwaſſer und läßt es in große Tiefen ver— ſinken. Deshalb ſind die Kanarien größtenteils ſo dürr, trotzdem daß ihre Berge ſo anſehnlich ſind und der Schiffer fortwährend gewaltige Wolkenmaſſen über dem Archipel ge— lagert ſieht. Vom Pino del Dornajito bis zum Krater zieht ſich der Weg bergan, aber durch kein einziges Thal mehr; denn die kleinen Schluchten (Barrancos) verdienen dieſen Namen nicht.“ Geologiſch betrachtet, iſt die ganze Inſel Tenerifa nichts als ein Berg, deſſen faſt eiförmige Grundfläche ſich gegen Nordoſt verlängert, und der mehrere Syſteme vulkaniſcher, zu ver— ſchiedenen Zeiten gebildeter Gebirgsarten aufzuweiſen hat. Was man im Lande für beſondere Vulkane anſieht, wie der Chahorra oder Montana Colorada und die Urca, das ſind nur Hügel, die ſich an den Pik lehnen und ſeine So hat Hunter in den Blauen Bergen auf Jamaika die Quellen immer kälter gefunden, als ſie nach der Höhe, in der ſie zu Tage kommen, ſein ſollten. nns. / Be -- Pyramide maskieren. Der große Vulkan, deſſen Seitenaus⸗ brüche mächtige Vorgebirge gebildet haben, liegt indeſſen nicht genau in der Mitte der Inſel, und dieſe Eigentümlichkeit im Bau erſcheint weniger auffallend, wenn man ſich erinnert, daß nach der Anſicht eines ausgezeichneten Mineralogen (Cordier) vielleicht nicht der kleine Krater im Piton die Hauptrolle bei den Umwälzungen der Inſel Tenerifa geſpielt hat. Auf die Region der baumartigen Heiden, Monte Verde genannt, folgt die der Farne. Nirgends in der gemäßigten Zone habe ich Pteris, Blechnum und Asplenium in ſolcher Menge geſehen; indeſſen hat keines dieſer Gewächſe den Wuchs der Baumfarne, die in Südamerika, in 975 bis 1170 m Höhe, ein Hauptſchmuck der Wälder find. Die Wurzel der Pteris aquilina dient den Bewohnern von Palma und Gomera zur Nahrung; ſie zerreiben ſie zu Pulver und miſchen ein wenig Gerſtenmehl darunter. Dieſes Gemiſch wird geröſtet und heißt Gofio; ein ſo rohes Nahrungsmittel iſt ein Beweis dafür, wie elend das niedere Volk auf den Kanarien lebt. Der Monte Verde wird von mehreren kleinen, ſehr dürren Schluchten (canadas) durchzogen. Ueber der Region der Farne kommt man durch ein Gehölz von Wacholderbäumen (cedro) und Tannen, das durch die Stürme ſehr gelitten hat. An dieſem Ort, den einige Reiſende la Caravela nennen, will Edens kleine Flammen geſehen haben, die er nach den phyſi— kaliſchen Begriffen ſeiner Zeit ſchwefligen Ausdünſtungen zuſchreibt, die ſich von ſelbſt entzünden. Es ging immer aufwärts bis zum Felſen Gayta oder Portillo; hinter dieſem Engpaß, zwiſchen zwei Baſalthügeln, betritt man die große Ebene des Ginſters (los Llanos del Retama). Bei Lapérouſes Expedition hatte Manneron den Pik bis zu dieſer etwa 2730 m über dem Meere gelegenen Ebene gemeſſen, er hatte aber wegen Waſſermangels und des üblen Willens der Führer die Meſſung nicht bis zum Gipfel des Vulkanes fortſetzen können. Das Ergebnis dieſer zu zwei Dritteilen vollendeten Operation iſt leider nicht nach Europa gelangt, und ſo iſt das Geſchäft von der Küſte an noch einmal vorzunehmen. Wir brauchten gegen zwei und eine halbe Stunde, um Die Reiſe wurde im Auguſt 1715 gemacht. Carabela heißt ein Fahrzeug mit lateiniſchen Segeln. Die Tannen vom Pik dienten früher als Maſtholz und die königliche Marine ließ im Monte Verde ſchlagen. über die Ebene des Ginſters zu kommen, die nichts iſt als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier der hundertteilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13,86, das heißt 3,7“ mehr als mitten am Tage auf dem Monte Verde. Dieſer höhere Wärmegrad kann nur von der Strah: lung des Bodens und von der weiten Ausdehnung der Hoch— ebene herrühren. Wir litten ſehr vom erſtickenden Bimsſtein— ſtaub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten in der Ebene ſtehen Büſche von Retama, dem Spartium nubi— genum d'Aitons. Dieſer ſchöne Strauch, den de Martiniere! in Languedoc, wo Feuermaterial ſelten iſt, einzuführen rät, wird 3 m hoch, er iſt mit wohlriechenden Blüten bedeckt, und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs begegneten, hatten ihre Strohhüte damit geſchmückt. Die dunkelbraunen Ziegen des Piks gelten für Leckerbiſſen; ſie nähren ſich von den Blättern des Spartium und ſind in dieſen Einöden ſeit unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat ſie ſogar nach Madeira verpflanzt, wo ſie geſchätzter ſind, als die Ziegen aus Europa. Bis zum Felſen Gayta, das heißt bis zum Anfang der großen Ebene des Ginſters iſt der Pik von Tenerifa mit ſchönem Pflanzenwuchs überzogen, und nichts weiſt auf Ver— wüſtungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan zu beſteigen, deſſen Feuer ſo lange erloſchen iſt, wie das des Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsſtein bedeckte Ebene betreten, ſo nimmt die Landſchaft einen ganz anderen Charakter an; bei jedem Schritt ſtößt man auf un: geheure Obſidianblöcke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles ringsum iſt öd und ſtill; ein paar Ziegen und Kaninchen ſind die einzigen Bewohner dieſer Hochebene. Das unfrucht— bare Stück des Pils mißt über 200 qkm, und da die unteren Regionen, von ferne geſehen, in Verkürzung erſcheinen, ſo ſtellt ſich die ganze Inſel als ein ungeheurer Haufen ver: brannten Geſteins dar, um den ſich die Vegetation nur wie ein ſchmaler Gürtel zieht. Ueber der Region des Spartium nubigenum kamen wir durch enge Schründe und kleine, ſehr alte, vom Regenwaſſer ausgeſpülte Schluchten zuerſt auf ein höheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen ſollten. Dieſer Platz, der mehr als 2982 m über der Küſte liegt, heißt Einer der Botaniker, die auf Lapérouſes Seereiſe umkamen. 8 Estancia de los Ingleses, ohne Zweifel, weil früher die Engländer den Pik am häufigſten beſuchten. Zwei über— hängende Felſen bilden eine Art Höhle, die Schutz gegen den Wind bietet. Bis zu dieſem Orte, der bereits höher liegt als der Gipfel des Canigou, kann man auf, Maultieren ge— langen; viele Neugierige, die beim Abgang von Orotava den Kraterrand erreichen zu können glaubten, bleiben daher hier liegen. Obgleich es Sommer war und der ſchöne afrikaniſche Himmel über uns, hatten wir doch in der Nacht von der Kälte zu leiden. Der Thermometer fiel auf 5“. Unſere Führer machten ein großes Feuer von dürren Zweigen der Retama an. Ohne Zelt und Mäntel lagerten wir uns auf Haufen verbrannten Geſteins, und die Flammen und der Rauch, die der Wind beſtändig gegen uns hertrieb, wurden uns ſehr läſtig. Wir hatten noch nie eine Nacht in ſo be— deutender Höhe zugebracht, und ich ahnte damals nicht, daß wir einſt in Städten wohnen würden, die höher liegen als die Spitze des Vulkanes, den wir morgen vollends beſteigen ſollten. Je tiefer die Temperatur ſank, deſto mehr bedeckte ſich der Pik mit dicken Wolken. Bei Nacht ſtockt der Zug des Stromes, der den Tag über von den Ebenen in die hohen Luftregionen aufſteigt, und im Maße, als ſich die Luft ab— kühlt, nimmt auch ihre das Waſſer auflöſende Kraft ab. Ein ſehr ſtarker Nordwind jagte die Wolken; von Zeit zu Zeit brach der Mond durch das Gewölk und ſeine Scheibe glänzte auf tief dunkelblauem Grunde; im Angeſicht des Vulkanes hatte dieſe nächtliche Szene etwas wahrhaft Großartiges. Der Pik verſchwand bald gänzlich im Nebel, bald erſchien er un— heimlich nahe gerückt und warf wie eine ungeheure Pyramide ſeinen Schatten auf die Wolken unter uns. Gegen drei Uhr morgens brachen wir beim trüben Schein einiger Kienfackeln nach der Spitze des Piton auf. Man beginnt die Beſteigung an der Nordoſtſeite, wo der Abhang Dieſe Benennung war ſchon zu Anfang des vorigen Jahr— hunderts im Brauch. Edens, der alle ſpaniſchen Wörter verdreht, wie noch heute die meiſten Reiſenden, nennt ſie Stancha; es iſt Bordas Station des rochers, wie aus den daſelbſt beobachteten Barometerhöhen hervorgeht. Dieſe Höhen waren nach Cordier im Jahre 1803 527 mm, und nach Borda und Varela im Jahre 1776 528 mm, während der Barometer zu Orotava bis auf 2,22 mm ebenſo hoch ſtand. — = ee ungemein ſteil ift, und wir gelangten nach zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das feiner iſolierten Lage wegen Alta Vista heißt. Hier halten fi auch die Neveros auf, das heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee ſuchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt ſind als die, welche man den Reiſenden gibt, gehen bis zur Alta Viſta und die Neveros müſſen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen. Ueber dieſem Punkte beginnt das Malpays, wie man in Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entblößten und mit Lavabruchſtücken bedeckten Landſtrich nennt. Wir bogen rechts vom Wege ab, um die Eishöhle zu beſehen, die in 3367 m Höhe liegt, alſo unter der Grenze des ewigen Schnees in dieſer Breite. Wahrſcheinlich rührt die Kälte, die in dieſer Höhle herrſcht, von denſelben Urſachen her, aus denen ſich das Eis in den Gebirgsſpalten des Jura und der Pyrenäen erhält, und über welche die Anſichten der Phyſiker noch ziemlich auseinander gehen.! Die natürliche Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene ſenkrechten Oeff— nungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis ſcheint ſich hier durch ſeine ſtarke Anhäufung zu halten, und weil der Prozeß des Schmelzens durch die bei raſcher Verdunſtung erzeugte Kälte verlangſamt wird. Dieſer kleine unterirdiſche Gletſcher liegt an einem Orte, deſſen mittlere Temperatur ſchwerlich unter 3° beträgt, und er wird nicht, wie die eigent⸗ lichen Gletſcher der Alpen, vom Schneewaſſer geſpeiſt, das von den Berggipfeln herabfommt. Während des Winters füllt ſich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnen⸗ ſtrahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, fo iſt die Sonnenwärme nicht imſtande, den Behälter zu leeren. Die Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt alſo nicht ſowohl ab von der abſoluten Höhe der Felsſpalte und der mittleren In den meiſten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George, zwiſchen Niort und Rolle, bildet ſich an den Kalkſteinwänden ſelbſt im Sommer eine dünne Schicht durchſichtigen Eiſes. Pictet hat die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der Luft der Höhle nicht unter 2 bis 3° fteht, jo daß man das Frieren des Waſſers einer örtlichen, ſehr raſchen Verdunſtung zuzu— ſchreiben hat. er Na Temperatur der Luftſchicht, in der ſie ſich befindet, als von der Maſſe des Schnees, der hineinkommt, und von der ge— ringen Wirkung der warmen Winde im Sommer. Die im Inneren eines Berges eingeſchloſſene Luft iſt ſchwer von der Stelle zu bringen, wie man am Monte Teſtaccio in Rom ſieht, deſſen Temperatur von der der umgebenden Luft ſo bedeutend abweicht. Wir werden in der Folge ſehen, daß am Chimborazo ungeheure Eismaſſen unter dem Sande liegen, und zwar, wie auf dem Pik von Tenerifa, weit unter der Grenze des ewigen Schnees. Bei der Eishöhle (Cueva del Hielo) ſtellten bei Lapé⸗ rouſes Seereiſe Lamanon und Monges ihren Verſuch über die Temperatur des ſiedenden Waſſers an. Sie fanden dieſelbe 88,7, während der Barometer auf 508 mm ſtand. Im Königreich Neugranada, bei der Kapelle Guadeloupe in der Nähe von Santa Fe de Bogota, ſah ich das Waſſer bei 89,9 unter einem Luftdruck von 510 mm ſieden. Zu Tam⸗ bores, in der Provinz Popayan, fand Caldas 89,5“ für die Temperatur des ſiedenden Waſſers bei einem Barometerſtand von 505,6 mm. Nach dieſen Ergebniſſen könnte man ver— muten, daß bei Lamanons Verſuch das Waſſer das Maximum ſeiner Temperatur nicht ganz erreicht hatte. Der Tag brach an, als wir die Eishöhle verließen. Da beobachteten wir in der Dämmerung eine Erſcheinung, die auf hohen Bergen häufig iſt, die aber bei der Lage des Vul— kanes, auf dem wir uns befanden, beſonders auffallend her— vortrat. Eine weiße, flockige Wolkenſchicht entzog das Meer und die niedrigen Regionen der Inſel unſeren Blicken. Die Schicht ſchien nicht über 1560 m hoch; die Wolken waren ſo gleichmäßig verbreitet und lagen ſo genau in einer Fläche, daß ſie ſich ganz wie eine ungeheure mit Schnee bedeckte Ebene darſtellen. Die koloſſale Pyramide des Piks, die vul— kaniſchen Gipfel von Lanzarote, Fuerteventura und Palma ragten wie Klippen aus dem weiten Dunſtmeere empor. Ihre dunkle Färbung ſtach grell vom Weiß der Wolken ab. Während wir auf den zertrümmerten Laven des Malpays emporklommen, wobei wir oft die Hände zu Hilfe nehmen mußten, beobachteten wir eine merkwürdige optiſche Erſcheinung. Wir glaubten gegen Oſt kleine Raketen in die Luft ſteigen zu ſehen. Leuchtende Punkte, 7 bis 8° über dem Horizont, ſchienen ſich zuerſt ſenkrecht aufwärts zu bewegen, aber all— mählich ging die Bewegung in eine wagerechte Oszillation A. v. Humboldt, Reiſe. I. 6 88 über, die acht Minuten anhielt. Unſere Reiſegefährten, ſogar die Führer äußerten ihre Verwunderung über die Erſcheinung, ohne daß wir ſie darauf aufmerkſam zu machen brauchten. Auf den erſten Blick glaubten wir, dieſe ſich hin und her bewegenden Lichtpunkte ſeien die Vorläufer eines neuen Ausbruchs des großen Vulkanes von Lanzarote. Wir erinnerten uns, daß Bouguer und La Condamine bei der Beſteigung des Vulkanes Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angeſehen hatten; aber die Täuſchung dauerte nicht lange, und wir ſahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünſte vergrößerten Bilder verſchiedener Sterne waren. Die Bilder ſtanden perio- diſch ſtill, dann ſchienen ſie ſenkrecht aufzuſteigen, ſich zur Seite abwärts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Dieſe Bewegung dauerte eine bis zwei Sekun⸗ den. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der ſeitlichen Verrückung genau zu meſſen, aber den Lauf des Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erſchien nicht doppelt durch Luftſpiegelung und ließ keine leuchtende Spur hinter ſich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Trough— tonſchen Sextanten die Sterne mit einem hohen Berggipfel auf Lanzarote in Kontakt brachte, konnte ich ſehen, daß die Oszillation beſtändig gegen denſelben Punkt hinging, nämlich gegen das Stück des Horizontes, wo die Sonnenſcheibe er— ſcheinen ſollte, und daß, abgeſehen von der Deklinations⸗ bewegung des Sternes, das Bild immer an denſelben Fleck zurückkehrte. Dieſe ſcheinbaren ſeitlichen Refraktionen hörten auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich ver: ſchwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in der Dämmerung beobachteten, verſuche aber keine Erklärung der auffallenden Erſcheinung, die ich ſchon vor zwölf Jahren in Zachs aſtronomiſchem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung der Dunſtbläschen infolge des Sonnenaufgangs, die Miſchung verſchiedener, in Temperatur und Dichtigkeit ſehr von einander abweichenden Luftſchichten haben ohne Zweifel zu der Verrückung der Geſtirne in horizontaler Rich: tung das Ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches ſind wohl die ſtarken Schwankungen der Sonnenſcheibe, wenn ſie eben den Horizont berührt; aber dieſe Schwankungen betragen ſelten mehr als zwanzig Sekunden, während die ſeitliche Bewegung der Sterne, wie wir ſie auf dem Pik in mehr als 3507 m Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken und auffallender war als alle Erſcheinungen, die man bis — 83 jetzt als Wirkungen der Brechung des Sternlichtes angeſehen hat. Ich war bei Sonnenaufgang und die ganze Nacht in 4092 m Höhe auf dem Rücken der Anden, in Antiſana, konnte aber nichts gewahr werden, was mit jenem Phänomen übereingefommen wäre. Ich wünſchte in ſo bedeutender Höhe wie die, welche wir am Pik von Tenerifa erreicht hatten, den Moment des Sonnen— aufganges genau zu beobachten. Kein mit Inſtrumenten ver— ſehener Reiſender hatte noch eine ſolche Beobachtung angeſtellt. Ich hatte ein Fernrohr und ein Chronometer, deſſen Gang mir ſehr genau bekannt war. Der Himmelsſtrich, wo die Sonnenſcheibe erſcheinen ſollte, war dunſtfrei. Wir ſahen den oberſten Rand um 4 Uhr 48, 55“ wahrer Zeit, und, was ziemlich auffallend iſt, der erſte Lichtpunkt der Scheibe berührte unmittelbar die Grenze des Horizontes; wir ſahen ſpäter als auf dem Pik hätte anfangen ſollen aufzugehen. Der beobachtete Unterſchied betrug 12 Minuten 55 Sekunden, und dies kommt ohne Zweifel von der Ungewißheit hinſichtlich der Refraktionsverhältniſſe für einen Abſtand vom Zenith, wofür keine Beobachtungen vorliegen.! Wir wunderten uns, wie ungemein langſam der untere Rand der Sonne ſich vom Horizont zu löſen ſchien. Dieſer Rand wurde erſt um 4 Uhr 56 Minuten 56 Sekunden ſichtbar. Die ſtark abgeplattete Sonnenſcheibe war ſcharf begrenzt; es zeigte ſich während des Aufganges weder ein doppeltes Bild noch eine Verlängerung des unteren Randes. Der Sonnen— aufgang dauerte dreimal länger, als wir in dieſer Breite In der Rechnung wurden für 91“ 54° ſcheinbaren Abſtandes vom Zenith 57° 7“ Refraktion angenommen. Die Sonne erſcheint bei ihrem Aufgang auf dem Pik von Tenerifa um ſo viel früher, als ſie braucht, um einen Bogen von 0° 54° zurückzulegen. Für den Gipfel des Chimborazo nimmt dieſer Bogen nur um 41“ zu. Die Alten hatten ſo übertriebene Vorſtellungen von der Beſchleuni⸗ gung des Sonnenaufganges auf dem Gipfel hoher Berge, daß ſie behaupteten, die Sonne ſei auf dem Berg Athos 3 Stunden früher ſichtbar, als am Ufer des Aegeiſchen Meeres. (Strabo, Buch VII.) Und doch iſt der Athos nach Delambre nur 1390 m hoch. — 1 X. {. hätten erwarten ſollen, und fo iſt anzunehmen, daß eine ſehr gleichförmig verbreitete Dunſtſchicht den wahren Horizont ver⸗ deckte und der aufſteigenden Sonne nachrückte. Trotz des Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Oſten beobachtet, kann man die Langſamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl einer ungewöhnlich ſtarken Brechung der vom Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuſchreiben; denn, wie Le Gentil es täglich in Pondichéry und ich öfters in Cumana beobachtet haben, erniedrigt ſich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur der Luftſchicht unmittelbar auf der Meeresfläche ſich erhöht. Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mußten, iſt äußerſt ermüdend. Der Abhang iſt ſteil und die Lavablöcke wichen unter unſeren Füßen. Ich kann dieſes Stück des Weges nur mit den Moränen der Alpen ver⸗ gleichen, jenen Haufen von Rollſteinen, welche am unteren Ende der Gletſcher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik haben aber ſcharfe Kanten und laſſen oft Lücken, in die man Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug die Faulheit und der üble Wille unſerer Führer viel dazu bei, uns das Aufſteigen ſauer zu machen; ſie glichen weder den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage geht, daß ſie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unſere kanariſchen Führer waren träg zum Verzweifeln; ſie hatten tags zuvor uns be⸗ reden wollen, nicht über die Station bei den Felſen hinauf: zugehen; ſie ſetzten ſich alle zehn Minuten nieder, um aus— zuruhen; ſie warfen hinter uns die Handſtücke Obſidian und Bimsſtein, die wir ſorgfältig geſammelt hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes geweſen war. Nach dreiſtündigem Marſch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer kleinen Ebene, la Rambleta genannt; aus ihrem Mittelpunkte ſteigt der Piton öder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren erſteres viermal höher iſt als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe des Pils zu 3710 m an, ſo liegt die Rambleta 3546 m über dem Meere. Hier befinden ſich die Luftlöcher, welche bei den Eingeborenen Naſenlöcher des Piks (Narices del Pico) heißen. Aus mehreren Spalten im Geſtein dringen * * hier in Abſätzen warme Waſſerdünſte; wir ſahen den Ther: mometer darin auf 43,2“ ſteigen; Labillardiere hatte acht Jahre vor uns dieſe Dämpfe 53,7“ heiß gefunden, ein Unter: ſchied, der vielleicht nicht ſowohl auf eine Abnahme der vul— kaniſchen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechſel in der Erhitzung der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe ſind ge— ruchlos und ſcheinen reines Waſſer. Kurz vor dem großen Ausbruch des Veſuvs im Jahre 1806 beobachteten Gay⸗Luſſac und ich, daß das Waſſer, das in Dampfform aus dem Inneren des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht rötete. Ich kann übrigens der kühnen Hypotheſe mehrerer Phyſiker nicht bei⸗ ſtimmen, wonach die Naslöcher des Piks als die Mün⸗ dungen eines ungeheuren Deſtillierapparates, deſſen Boden unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten ſein ſollen. Seit man die Vulkane ſorgfältiger beobachtet und der Hang zum Wunder— baren ſich in geologiſchen Büchern weniger bemerkbar macht, fängt man an, den unmittelbaren beſtändigen Zuſammenhang zwiſchen dem Meere und den Herden des vulkaniſchen Feuers mit Recht ſtark in Zweifel zu ziehen.! Dieſe durchaus nicht auffallende Erſcheinung erklärt ſich wohl ſehr einfach. Der Pik iſt einen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir ſelbſt fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonnell und Armſtrong haben im Jahre 1806 im Malpays eine ſehr ſtarke Quelle entdeckt, und zwar 195 m über der Eishöhle, die vielleicht zum Teil von dieſer Quelle geſpeiſt wird. Alles weiſt alſo darauf hin, daß der Pik von Tenerifa, gleich den Vulkanen der Anden und der Inſel Luzon, im gefüllt ſind, das einfach durchgeſickert iſt. Die Waſſerdämpfe welche die Naslöcher und die Spalten im Krater ausſtoßen, ſind nichts als dieſes ſelbe Waſſer, das durch die Wände, über die es fließt, erhitzt wird. Dieſe Frage iſt mit großem Scharfſinn von Breislack in ſeiner Introduzzione alla Geologia erörtert. Der Cotopaxi und der Popocatepetl, die ich im Jahre 1804 Rauch und Aſche aus— werfen ſah, liegen weiter vom Großen Ozean und dem Meere der Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orléans vom Atlanti— ſchen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen bloßen Zufall anſehen, daß man keinen thätigen Vulkan entdeckt hat, der über 74 km von der Meeresküſte läge; aber die Hypotheſe, nach der das Meerwaſſer von den Vulkanen aufgeſogen, deſtilliert und zerſetzt würde, ſcheint mir ſehr zweifelhaft. — ı- Wir hatten jetzt noch den fteilften Teil des Berges, der die Spitze bildet, den Piton, zu erſteigen. Der Abhang dieſes kleinen, mit vulkaniſcher Aſche und Bimsſteinſtücken bedeckten Kegels iſt ſo ſchroff, daß es faſt unmöglich wäre, auf den Gipfel zu gelangen, wenn man nicht einem alten Lavaſtrom nachginge, der aus dem Krater gefloſſen ſcheint und deſſen Trümmer dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Dieſe Trümmer bilden eine verſchlackte Felswand, die ſich mitten durch die loſe Aſche hinzieht. Wir erſtiegen den Piton, indem wir uns an dieſen Schlacken anklammerten, die ſcharfe Kanten haben und, halb verwittert, wie ſie ſind, uns nicht ſelten in der Hand blieben. Wir brauchten gegen eine halbe Stunde, um einen Hügel zu erſteigen, deſſen ſenkrechte Höhe kaum 175 m beträgt. Der Veſuv, der dreimal niedriger iſt als der Vulkan von Tenerifa, läuft in einen faſt dreimal höheren Aſchenkegel aus, der aber nicht ſo ſteil und zugänglicher iſt. Unter allen Vulkanen, die ich beſucht, iſt nur der Jorullo in Mexiko noch ſchwerer zu beſteigen, weil der ganze Berg mit loſer Aſche bedeckt iſt. Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt iſt, wie bei Ein⸗ tritt des Winters, ſo kann die Steilheit des Abhanges den Reiſenden in die größte Gefahr bringen. Legros zeigte uns die Stelle, wo apiiän Baudin auf jeiner Reiſe nach Tene- rifa b Jeinahe ums Leben gekommen wäre. Mutig hatte er gegen Ende Dezembers 1797 mit den Naturforſchern Advenier, Mauger und Riedlé die Beſteigung des Gipfels des Vul— kanes unternommen. In der halben Höhe des Kegels fiel er und rollte bis zur kleinen Ebene Rambleta hinunter; zum Glück machte ein mit Schnee bedeckter Lavahaufen, daß er nicht noch weiter mit beſchleunigter Geſchwindigkeit hinabflog. Wie man mir verſichert, iſt ein Reiſender, der den mit feſtem Raſen bedeckten Abhang des Col de Balme hinabgerollt war, erſtickt gefunden worden. Auf der Spitze des Piton angelangt, wunderten wir uns nicht wenig, daß wir kaum Platz fanden, bequem niederzuſitzen. Wir ſtanden vor einer kleinen kreisförmigen Mauer aus por⸗ phyrartiger Lava mit Pechſteinbaſis; dieſe Mauer hinderte uns in den Krater hinabzuſehen.! Der Wind blies ſo heftig aus Weſt, daß wir uns kaum auf den Beinen halten konnten. La Caldera oder der Keſſel des Piks. Der Name erinnert an die Oules der Pyrenäen. ze Es war acht Uhr morgens und wir waren ſtarr vor Kälte, obgleich der Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt ſtand. Seit lange waren wir an eine ſehr hohe Temperatur ge— wöhnt, und der trockene Wind ſteigerte das Froſtgefühl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche ſich durch die Hautausdünſtung um uns her bildete, fortwährend wegführte. Der Krater des Piks hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meiſten anderen Vulkane, die ich beſucht, 3. B. mit dem des Veſuvs, des Jorullo und Pichincha, keine Aehnlichkeit. Bei dieſen behält der Piton ſeine Kegelgeſtalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang iſt im ſelben Winkel ge⸗ neigt und gleichförmig mit einer Schicht ſehr fein zerteilten Bimsſteines bedeckt; hat man die Spitze dieſer drei Vulkane erreicht, ſo blickt man frei bis auf den Boden des Schlundes. Der Pik von Tenerifa und der Cotopaxi dagegen ſind ganz anders gebaut; auf ihrer Spitze läuft kreisförmig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne ſtellt ſich dieſe Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgeſtutzten Kegel dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieſes eigentümliche Bau: werk über 3900 m weit mit bloßem Auge, weshalb auch noch kein Menſch bis zum Krater dieſes Vulkanes gekommen iſt. Beim Pik von Tenerifa iſt der Kamm, der wie eine Bruſt⸗ wehr um den Krater läuft, ſo hoch, daß er gar nicht zur Caldera gelangen ließe, wenn ſich nicht gegen Oſt eine Lücke darin befände, die von einem ſehr alten Lavaerguß herzu— rühren ſcheint. Durch dieſe Lücke ſtiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptiſch iſt; die große Achſe läuft von Nordweſt nach Südoſt, etwa Nord 35° Dit. Die größte Breite der Oeffnung ſchätzten wir auf 97 m, die kleinſte auf 65 m. Dieſe Angaben ſtimmen ziemlich mit den Meſſungen von Verguin, Verela und Borda; nach dieſen Reiſenden meſſen die zwei Achſen 78 und 58 m.! Man ſieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht allein von der Höhe und der Maſſe des Berges abhängt, deſſen Hauptöffnung er bildet. Seine Weite ſteht ſogar ſelten im Verhältnis mit der Intenſität des vulkaniſchen Feuers oder der Thätigkeit des Vulkanes. Beim Veſuv, der gegen CCordier, der den Gipfel des Pils 4 Jahre nach mir beſucht hat, ſchätzt die große Achſe auf 127 m. Lamanon gibt dafür 97 m an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Varas (460 m) Umfang. — den Pik von Tenerifa nur ein Hügel iſt, hat der Krater einen fünfmal größeren Durchmeſſer. Bedenkt man, daß ſehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenſpalten, ſo könnte man verſucht ſein anzunehmen, daß, je niedriger die Vulkane ſind, ihre Krater, bei gleicher Kraft und Thätigkeit, deſto größer ſein müßten. Allerdings gibt es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur ſehr kleine Deff- nungen haben, und man könnte es als ein geologiſches Geſetz hinſtellen, daß die koloſſalſten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben, wenn ſich nicht in den Kordilleren mehrere Beiſpiele! des gegenteiligen Verhaltens fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatſachen anzuführen, welche einſt auf das, was man den äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen könnten. Dieſer Bau iſt ſo mannigfaltig als die vulkaniſchen Erſcheinungen ſelbſt, und will man ſich zu geologiſchen Vor— ſtellungen erheben, die der Größe der Natur würdig ſind, ſo muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muſter des Veſuv, des Stromboli und des Aetna gebaut wären. r Die äußeren Ränder der Caldera ſind beinahe ſenkrecht; ſie ſtellen ſich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus geſehen. Wir ſtiegen auf den Boden des Kraters auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen Spalten zu ſpüren, aus denen Waſſerdampf mit einem eigen⸗ tümlichen Sumſen ſtrömte. Einige dieſer Luftlöcher oder Spalten befinden ſich außerhalb des Kraterumfanges, am äußeren Rand der Brüſtung, welche den Krater umgibt. Ein in dieſelben gebrachter Thermometer ſtieg raſch auf 68 und 75“. Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber wir konnten das Inſtrument erſt anſehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze der des ſiedenden Waſſers gleich war. Man könnte glauben, dieſe Dämpfe, die ſtoßweiſe hervorkommen, enthalten Salz: ſäure oder Schwefelſäure; läßt man ſie aber an einem kalten Körper ſich verdichten, zeigen ſie keinen beſonderen Geſchmack, Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach 1 Meſſungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und 365 m. * ö und die Verſuche mehrerer Phyſiker mit Reagentien beweiſen, daß die Fumarolen des Piks nur reines Waſſer aushauchen; dieſe Erſcheinung, die mit meinen Beobachtungen im Krater des Jorullo übereinſtimmt, verdient deſto mehr Aufmerkſam— keit, als Salzſäure in den meiſten Vulkanen in großer Menge vorkommt und Vauquelin ſogar in den porphyrähnlichen Laven von Sarcouy in der Auvergne Salzſäure gefunden hat. Ich habe an Ort und Stelle die Anſicht des inneren Kraterrandes gezeichnet, wie er ſich darſtellt, wenn man durch die gegen Oſt gelegene Lücke hinabſteigt. Nichts merkwürdiger als dieſe Aufeinanderlagerung von Lavaſchichten, die Krüm— mungen zeigen, wie der Alpenkalkſtein. Dieſe ungeheuren Bänke ſind bald wagerecht, bald geneigt und wellenförmig ge— wunden, und alles weiſt darauf hin, daß einſt die ganze Maſſe flüſſig war, und daß mehrere ſtörende Urſachen zu— ſammenwirkten, um jedem Strom ſeine beſtimmte Richtung zu geben. An der oben umlaufenden Mauer ſieht man das ſeltſame Aſtwerk, wie man es an der entſchwefelten Stein— kohle beobachtet. Der nördliche Rand iſt der höchſte; gegen Südweſt erniedrigt ſich die Mauer bedeutend und am äußerſten Rand iſt eine ungeheure verſchlackte Lavamaſſe angebacken. Gegen Weſt iſt das Geſtein durchbrochen, und durch eine weite Spalte ſieht man den Meereshorizont. Vielleicht hat die Ge— walt der elaſtiſchen Dämpfe im Moment, wo die im Krater aufgeſtiegene Lava überquoll, hier durchgeriſſen. Das Innere des Trichters weiſt darauf hin, daß der Vulkan ſeit Jahrtauſenden nur noch aus ſeinen Seiten Feuer geſpieen hat. Dieſe Behauptung gründet ſich nicht darauf, weil ſich am Boden der Caldera keine großen Oeffnungen zeigen, wie man erwarten könnte. Die Phyſiker, die die Natur ſelbſt beobachtet haben, wiſſen, daß viele Vulkane in der Zwiſchenzeit zweier Ausbrüche ausgefüllt und faſt erloſchen ſcheinen, daß ſich dann aber im vulkaniſchen Schlund Schichten ſehr rauher, klingender und glänzender Schlacken finden. Man bemerkt kleine Erhöhungen, Auftreibungen durch die elaſtiſchen Dämpfe, kleine Schlacken⸗ und Aſchenkegel, unter denen die Oeffnungen liegen. Der Krater des Piks von Tenerifa zeigt feines dieſer Merkmale; ſein Boden iſt nicht im Zuſtand ge- blieben, wie ein Ausbruch ihn zurückläßt. Durch den Zahn der Zeit und den Einfluß der Dämpfe ſind die Wände ab— gebröckelt und haben das Becken mit großen Blöcken ſteiniger Lava bedeckt. — Man gelangt gefahrlos auf den Boden des Kraters. Bei einem Vulkan, deſſen Hauptthätigkeit dem Gipfel zu geht, wie beim Veſuv, wechſelt die Tiefe des Kraters vor und nach jedem Ausbruch; auf dem Pik von Tenerifa dagegen ſcheint die Tiefe ſeit langer Zeit ſich gleich geblieben zu ſein. Edens ſchätzte ſie im Jahre 1715 auf 37 m, Cordier im Jahre 1803 auf 35,5. Nach dem Augenmaß hätte ich geglaubt, daß der Trichter nicht einmal ſo tief wäre. In ſeinem jetzigen Zu— ſtand iſt er eigentlich eine Solfatara; er iſt ein weites Feld für intereſſante Beobachtungen, aber impoſant iſt ſein Anblick nicht. Großartig wird der Punkt nur durch die Höhe über dem Meeresſpiegel, durch die tiefe Stille in dieſer hohen Region, durch den unermeßlichen Erdraum, den das Auge auf der Spitze des Berges überblickt. Die Beſteigung des Vulkanes von Tenerifa iſt nicht nur dadurch anziehend, daß ſie uns ſo reichen Stoff für wiſſen— ſchaftliche Forſchung liefert; ſie iſt es noch weit mehr dadurch, daß ſie dem, der Sinn hat für die Größe der Natur, eine Fülle maleriſcher Reize bietet. Solche Empfindungen zu ſchildern, iſt eine ſchwere Aufgabe; ſie regen uns deſto tiefer auf, da fie etwas Unbeſtimmtes haben, wie es die Unermeß⸗ lichkeit des Raumes und die Größe, Neuheit und Mannig: faltigkeit der uns umgebenden Gegenſtände mit ſich bringen. Wenn ein Reiſender die hohen Berggipfel unſeres Erdballes, die Katarakten der großen Ströme, die gewundenen Thäler der Anden zu beſchreiben hat, ſo läuft er Gefahr, den Leſer durch den eintönigen Ausdruck ſeiner Bewunderung zu er⸗ müden. Es ſcheint mir den Zwecken, die ich bei dieſer Reiſe— beſchreibung im Auge habe, angemeſſener, den eigentümlichen Charakter zu ſchildern, der jeden Landſtrich auszeichnet. Man lehrt die e einer Landſchaft deſto beſſer kennen, je genauer man die einzelnen Züge auffaßt, ſie unterein- ander vergleicht und ſo auf dem Wege der Analyſis den Quellen der Genüſſe nachgeht, die uns das große Natur— gemälde bietet. Die Reiſenden wiſſen aus Erfahrung, daß man auf der Spitze ſehr hoher Berge ſelten eine ſo ſchöne Ausſicht hat und ſo mannigfaltige maleriſche Effekte beobachtet als auf Gipfeln von der Höhe des Veſuvs, des Rigi, des Puy de Dome. Koloſſale Berge wie der Chimborazo, der Antiſana oder der Montblanc haben eine ſo große Maſſe, daß man die mit reichem Pflanzenwuchs bedeckten Ebenen nur in großer a; Entfernung ſieht und ein bläulicher Duft gleichförmig auf der ganzen Landſchaft biegt Durch ſeine ſchlanke Geſtalt und ſeine eigentümliche Lage vereinigt nun der Pik von Tenerifa die Vorteile niedrigerer Gipfel mit denen, wie ſehr bedeutende Höhen ſie bieten. Man erblickt auf ſeiner Spitze nicht allein einen ungeheuren Meereshorizont, der über die höchſten Berge der benachbarten Inſeln hinaufreicht, man ſieht auch die Wälder von Tenerifa und die bewohnten Küſtenſtriche ſo nahe, daß noch Umriſſe und Farben in den ſchönſten Kontraſten hervortreten. Es iſt, als ob der Vulkan die kleine Inſel, die ihm zur Grundlage dient, erdrückte; er ſteigt aus dem ı Schoße des Meeres dreimal höher guf, als die Wolken im Sommer ziehen. Wenn ſein ſeit Jahrhunderten halb erloſchener Krater Feuergarben auswürfe wie der Stromboli der äoliſchen Inſeln, ſo würde der Pik von Tenerifa dem Schiffer in einem Um⸗ kreis von mehr als 1170 km als Leuchtturm dienen. Wir lagerten uns am äußeren Rande des Kraters und blickten zuerſt nach Nordweſt, wo die Küſten mit Dörfern und Weilern geſchmückt ſind. Vom Winde fortwährend hin und her getriebene Dunſtmaſſen zu unſeren Füßen boten uns das mannigfaltigſte Schauſpiel. Eine ebene Wolkenſchicht zwiſchen uns und den tiefen Regionen der Inſel, dieſelbe, von der oben die Rede war, war da und dort durch die kleinen Luftſtröme durchbrochen, welche nachgerade die von der Sonne erwärmte Erdoberfläche zu uns heraufſandte. Der Hafen von Orotava, die darin ankernden Schiffe, die Gärten und Wein⸗ berge um die Stadt wurden durch eine Oeffnung ſichtbar, welche jeden Augenblick größer zu werden ſchien. Aus dieſen einſamen Regionen blickten wir nieder in eine bewohnte Welt; wir ergötzten uns am lebhaften Kontraſt zwiſchen den dürren Flanken des Piks, ſeinen mit Schlacken bedeckten ſteilen Ab— hängen, ſeinen pflanzenloſen Plateaus, und dem lachenden Anblick des bebauten Landes; wir ſahen, wie ſich die Ge⸗ wächſe nach der mit der Höhe abnehmenden Temperatur in Zonen verteilten. Unter dem Piton beginnen Flechten die verſchlackten, glänzenden Laven zu überziehen; ein Veilchen, das der Viola decumbens nahe ſteht, geht am Abhang des Vulkanes bis zu 3390 m Höhe, höher nicht allein als die anderen krautartigen Gewächſe, ſondern ſogar höher als die Griſer, welche in den Alpen und auf dem Rücken der Kor⸗ Viola cheiranthifolia. 2 - AO dilleren unmittelbar an die Gewächſe aus der Familie der Kryptogamen ſtoßen. Mit Blüten bedeckte Retamabüſche ſchmücken die kleinen, von den Regenſtrömen eingeriſſenen und durch die Seitenausbrüche verſtopften Thäler; unter der Re— tama folgt die Region der Farne und auf dieſe die der baum— artigen Heiden. Wälder von Lorbeeren, Rhamnus und Erd— beerbäumen liegen zwiſchen den Heidekräutern und den mit Reben und Obſtbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher grüner Teppich breitet ſich von der Ebene der Ginſter und der Zone der Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattel— palmen und Muſen, deren Fuß das Weltmeer zu beſpülen ſcheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieſer Pflanzen— karte an; im folgenden gebe ich einiges Nähere über die Pflanzengeographie der Inſel Tenerifa. Daß auf der Spitze des Piks die Dörfchen, Weinberge und Gärten an der Küſte einem ſo nahe gerückt ſcheinen, dazu trägt die erſtaunliche Durchſichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur die Häuſer, die Baumſtämme, das Takelwerk der Schiffe, wir ſahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den leb— hafteſten Farben glänzen. Dieſe Erſcheinung iſt nicht allein dem hohen Standpunkt zuzuſchreiben, fie deutet auf eine eigen- tümliche Beſchaffenheit der Luft in heißen Ländern. Unter allen Zonen erſcheint ein Gegenſtand, der ſich auf dem Meeres— ſpiegel befindet und von dem die Lichtſtrahlen in wagerechter Richtung ausgehen, weniger lichtſtark, als wenn man ihn vom Gipfel eines Berges ſieht, wohin die Waſſerdämpfe durch Luftſchichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende Unterſchiede werden vom Einfluß der Klimate be— dingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Fluſſes glänzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom Gipfel der Kordilleren von Peru oder Mexiko ſieht. Je reiner und heiterer die Luft iſt, deſto vollſtändiger löſen ſich die Waſſerdämpfe auf und deſto weniger wird das Licht bei ſeinem Durchgang geſchwächt. Wenn man von der Südſee her auf die Hochebene von Quito oder Antiſana kommt, ſo wundert man ſich in den erſten Tagen, wie nahe gerückt Gegenſtände erſcheinen, die 31 bis 36 km entfernt ſind. Der Pik von Teyde genießt nun zwar nicht des Vorteils, unter den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftſäulen, welche fi über den benachbarten afrikaniſchen Ebenen U aufſteigen und die die Weſtwinde raſch herbeiführen, verleiht der Luft der Kanariſchen Inſeln eine Durchſichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, ſondern viel— leicht ſogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückſtehen. Auf dieſer Durchſichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landſchaften unter den Tropen; ſie hebt den Glanz der Farben der Gewächſe und ſteigert die magiſche Wirkung ihrer Har— monieen und ihrer Kontraſte. Wenn eine große, um die Gegen— ſtände verbreitete Lichtmaſſe in gewiſſen Stunden des Tages die äußeren Sinne ermüdet, jo wird der Bewohner ſüdlicher Klimate durch moraliſche Genüſſe dafür entſchädigt. Schwung und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entſprechen der Durchſichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhält dieſe Eindrücke, ohne die Grenze von Europa zu überſchreiten; ich berufe mich auf die Reiſenden, welche jene durch die Wunder des Gedankens und der Kunſt verherrlichten Länder geſehen haben, die glücklichen Himmelsſtriche Griechenlands und Italiens. Umſonſt verlängerten wir unſeren Aufenthalt auf dem Gipfel des Piks, des Momentes harrend, wo wir den ganzen Archipel der glückſeligen Inſeln würden überſehen können. Wir ſahen zu unſeren Füßen Palma, Gomera und die große Canaria. Die Berge von Lanzarote, die bei Sonnenaufgang dunſtfrei geweſen waren, hüllten ſich bald wieder in dichte Wolken. Nur die gewöhnliche Refraktion vorausgeſetzt, über— ſieht das Auge bei hellem Wetter vom Gipfel des Vulkanes ein Stück Erdoberfläche von 115000 qkm, alſo fo viel als ein Vierteil der Oberfläche Spaniens. Oft iſt die Frage auf— geworfen worden, ob man von dieſer ungeheuren Pyramide die afrikaniſche Küſte ſehen könne. Aber die nächſten Striche dieſer Küſte ſind 2° 49° im Bogen, oder 252 km entfernt; da nun der Geſichtshalbmeſſer des Horizontes des Piks 1° 47, beträgt, ſo kann Kap Bojador nur ſichtbar werden, wenn man ihm 390 m Meereshöhe gibt. Wir wiſſen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei Kap Bojador ſind, ſowie der Pik ſüdlich von dieſem Vorgebirge, den die Seefahrer Penon grande nennen. Wäre der Gipfel des Vulkanes von Tenerifa zu— Von allen kleinen Kanariſchen Inſeln iſt nur die Roca del Eſte vom Pik auch bei hellem Wetter nicht zu ſehen. - Sie liegt 3,5 ab, Salvage dagegen nur 2° 1‘. Die Inſel Madeira, die 4° 29“ entfernt iſt, wäre nur dann zu ſehen, wenn ihre Berge über 5850 m hoch wären. N gänglicher, ſo ließen ſich dort ohne Zweifel bei gewiſſen Wind: richtungen die Wirkungen ungewöhnlicher Refraktion beob— achten. Lieſt man die Berichte ſpaniſcher und portugieſiſcher Schriftſteller über die Exiſtenz der fabelhaften Inſel San Borondon oder Antilia, ſo ſieht man, daß in dieſen Strichen vorzüglich der feuchte Weſt⸗ Süd⸗ Weſtwind Luftſpiegelungen zur Folge hat; indeſſen wollen wir nicht mit Viera glauben, „daß durch das Spiel der irdiſchen Refraktion die Inſeln des grünen Vorgebirges, ja ſogar die Appalachen in Amerika den Bewohnern der Kanarien ſichtbar werden können“. Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Piks empfanden, war für die Jahreszeit ſehr bedeutend. Der hundertteilige Thermometer? zeigte entfernt vom Boden und von den Fu: marolen, die heiße Dämpfe ausſtoßen, im Schatten 2,7“. Der Wind war Weſt, alſo dem entgegengejeßt, der einen großen Teil des Jahres Tenerifa die heiße Luft zuführt, die über den glühenden Wüſten Afrikas aufſteigt. Da die Tem- peratur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beob— achtung, 22,8“ war, ſo nahm die Wärme auf 183 m Höhe um einen Grad ab. Dieſes Ergebnis ſtimmt vollkommen mit dem überein, was Lamanon und Sauſſure auf den Spitzen des Piks und des Aetna, obwohl in ſehr verſchiedenen Jahres⸗ zeiten, beobachtet haben. »Die ſchlanke Geſtalt dieſer Berge bietet den Vorteil, daß man die Temperatur zweier Luft⸗ ſchichten fü ſenkrecht übereinander beobachten kann, und in „La refraction de para todo.“ Wir haben ſchon oben bemerkt, daß die amerikaniſchen Früchte, welche das Meer häufig an die Küſten von Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächſe der Inſel San Borondon gehalten wurden. Dieſes Land, das nach der Volksſage von einem Erzbiſchof und ſechs Biſchöfen regiert wurde, und das, nach Pater Feijoos Anſicht, das auf einer Nebel: ſchicht projizierte Bild der Inſel Ferro iſt, wurde im 16. Jahr⸗ hundert vom König von Portugal Ludwig Perdigon geſchenkt, als dieſer, ſich zur Eroberung desſelben rüſtete. Nach Odonnell und Armſtrong ſtand auf dem Gipfel des Piks am 2. Auguſt 1806 um 8 Uhr morgens der Thermometer im Schatten auf 13,8, in der Sonne auf 20,5“; Unterſchied oder Wirkung der Sonne: 6,7“. Lamanons Beobachtung ergibt einen Grad auf 193 m, ob⸗ gleich die Temperatur des Piks um 9“ von der von uns beob— achteten abwich. Am Aetna fand Sauſſure die Abnahme gleich 175 m. 95 — dieſer Beziehung gleichen die Beobachtungen, die man bei der Beſteigung des Vulkanes von Tenerifa macht, denen, die man bei einer Auffahrt im Luftballon machen kann. Es it in: deſſen zu bemerken, daß die See wegen ihrer Durchſichtigkeit und wegen der Verdunſtung weniger Wärme den hohen Luft— regionen zuſendet als die Ebenen; daher iſt es auf vom Meere umgebenen Berggipfeln im Sommer kälter als auf Bergen mitten im Lande; dieſes Moment hat aber nur geringen Ein— fluß auf die Abnahme der Luftwärme, da die Temperatur der tiefen Regionen in der Nähe des Meeres gleichfalls eine niedrigere iſt. 5 Anders verhält es ſich mit dem Einfluſſe der Wind— richtung und der Geſchwindigkeit des aufſteigenden Stromes; letzterer erhöht nicht ſelten die Temperatur der höchſten Berge in erſtaunlichem Grade. Am Abhang des Antiſana im König— reich Quito ſah ich in 5530 m Höhe den Thermometer auf 19° ſtehen; Labillardiere beobachtete am Kraterrand des Pik von Tenerifa 18,7“, wobei er alle erdenkliche Vorſicht ge: braucht hatte, um den Einfluß zufälliger Urſachen auszu— ſchließen. Da die Temperatur der Reede von Santa Cruz zur ſelben Zeit 28 war, jo betrug der Unterſchied zwiſchen der Luft an der Küſte und der auf dem Pik 9,39 ſtatt 20°, die einer Wärmeabnahme von einem Grad auf 183 m ent- ſprechen. Ich finde im Schiffstagebuch von d'Entrecaſteaux' Expedition, daß damals in Santa Cruz der Wind Süd-Süd— Oſt war. Vielleicht wehte derſelbe Wind ſtärker in den hohen Luftregionen; vielleicht trieb er in ſchiefer Richtung die warme Luft vom nahen Feſtlande der Spitze des Piton zu. Labil— lardieres Beſteigung fand zudem am 17. Oktober 1791 ſtatt, und in den Schweizer Alpen hat man die Beobachtung ge— macht, daß der Temperaturunterſchied zwiſchen Berg und Tief— land im Herbſt geringer iſt als im Sommer. Alle dieſe Schwankungen im Maß der Temperaturabnahme haben auf die Meſſungen mittels des Barometers nur inſofern Einfluß, als die Abnahme in den dazwiſchenliegenden Schichten nicht gleichförmig iſt, und von der arithmetiſchen gleichmäßigen 1 wie die angewandten Formeln ſie annehmen, ab— weicht. Wir wurden auf dem Gipfel des Piks nicht müde, die Farbe des blauen Himmelsgewölbes zu bewundern. Ihre Intenſität im Zenith ſchien uns gleich 41° des Cyanometers. Man weiß nach Sauſſures Verſuchen, daß dieſe Intenſität — 8 mit der Verdünnung der Luft zunimmt, und daß dasſelbe Inſtrument zur ſelben Zeit bei der Priorei von Chamouni 39° und auf der Spitze des Montblanc 40° zeigte. Dieſer Berg iſt um 1052 m höher als der Vulkan von Tenerifa, und wenn trotz dieſem Unterſchied auf erſterem das Himmels⸗ blau nicht jo dunkel iſt, jo rührt dies wohl von der Trocken heit der afrikaniſchen Luft und der Nähe der heißen Zone her. Wir fingen am Kraterrand Luft auf, um ſie auf der Fahrt nach Amerika chemiſch zu zerlegen. Die Flaſche war ſo gut verſchloſſen, daß, als wir ſie nach zehn Tagen öffneten, das Waſſer mit Gewalt hineindrang. Nach mehreren Ver⸗ ſuchen mit Salpetergas in der engen Röhre des Fontanaſchen Eudiometers enthielt die Luft im Krater neun Hundertteile weniger Sauerſtoff als die Seeluft; ich gebe aber wenig auf dieſes Reſultat, da die Methode jetzt für ziemlich unzuver⸗ läſſig gilt. Der Krater des Piks hat ſo wenig Tiefe und die Luft darin erneuert ſich ſo leicht, daß ſchwerlich mehr Stickſtoff darin iſt als an der Küſte. Wir wiſſen überdem aus Gay-Luſſacs und Theodor Sauſſures Verſuchen, daß die Luft in den höchſten Luftregionen wie in den tiefſten 0,21 Sauerſtoff enthält.! Wir ſahen auf dem Gipfel des Piks keine Spur von Pſora, Lecidium oder anderen Kryptogamen, kein Inſekt flatterte in der Luft. Indeſſen findet man hier und da ein hautflüg⸗ liges Inſekt an den Schwefelmaſſen angeklebt, die von ſchwef— liger Säure feucht ſind und die Oeffnungen der Fumarolen auskleiden. Es ſind Bienen, die wahrſcheinlich die Blüten des Spartium nubigenum aufgeſucht hatten und vom Winde ſchief aufwärts in dieſe Höhe getrieben worden waren, wie die Schmetterlinge, welche Ramond auf dem Gipfel des Mont Perdu gefunden. Die letzteren gehen durch die Kälte zu Grunde, während die Bienen auf dem Pik geröſtet werden, wenn ſie unvorſichtig den Spalten, an denen ſie ſich wärmen wollten, zu nahe kommen. Trotz dieſer Wärme, die man am Rande des Kraters unter den Füßen ſpürt, iſt der Aſchenkegel im Winter mehrere Im März 1805 fingen Gay-Luſſac und ich beim Hoſpiz auf dem Mont Cenis in einer ſtark elektriſch geladenen Wolke Luft auf und zerlegten ſie im Voltaſchen Eudiometer. Sie enthielt keinen Waſſerſtoff und nicht um 0,002 weniger Sauerſtoff als die Pariſer Luft, die wir in hermetiſch verſchloſſenen Flaſchen bei uns hatten. Monate mit Schnee bedeckt. Wahrſcheinlich bilden fich unter der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich denen unter den Gletſchern in der Schweiz, die beſtändig eine niedrigere Tem⸗ peratur haben als der Boden, auf dem ſie ruhen. Der heftige kalte Wind, der ſeit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fuße des Piton Schutz zu ſuchen. Hände und Geſicht waren uns erſtarrt, während unſere Stiefeln auf dem Boden, auf den wir den Fuß ſetzten, verbrannten. In wenigen Minuten waren wir am Fuß des Zuckerhutes, den wir ſo mühſam er⸗ klommen, und dieſe Geſchwindigkeit war zum Teil unwillkür⸗ lich, da man häufig in der Aſche hinunterrutſcht. Ungern ſchieden wir von dem einſamen Orte, wo ſich die Natur in ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die Kanariſchen Inſeln noch einmal beſuchen zu können, aber aus dem Plane wurde nichts, wie aus ſo vielen, die wir damals entwarfen. Wir gingen langſam durch das Malpays; auf loſen Lava⸗ blöcken tritt man nicht ſicher auf. Der Station bei den Felſen zu wird der Weg abwärts äußerſt beſchwerlich; der dichte kurze Raſen iſt jo glatt, daß man ſich beſtändig nach hinten über: beugen muß, um nicht zu ſtürzen. Auf der ſandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22,5“, und dies ſchien uns nach dem Froſt, der uns auf dem Gipfel geſchüttelt, eine erſtickende Hitze. Wir hatten gar kein Waſſer; die Führer hatten nicht allein den kleinen Vorrat Malvaſier, den wir der freundlichen Vorſorge Cologans verdankten, heimlich ge— trunken, ſondern ſogar die Waſſergefäße zerbrochen. Zum Glück war die Flaſche mit der Kraterluft unverſehrt geblieben. In der ſchönen Region der Farne und der baumartigen Heiden genoſſen wir endlich einiger Kühlung. Eine dicke Wolkenſchicht hüllte uns ein; ſie hielt ſich in 1170 m Höhe über der Niederung. Während wir durch dieſe Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erſcheinung zu beobachten, die uns ſpäter am Abhang der Kordilleren öfters vorgekommen iſt. Kleine Luftſtröme trieben Wolkenſtreifen mit verſchiedener Geſchwindigkeit nach entgegengeſetzten Richtungen. Dies nahm ſich aus, als ob in einer großen ſtehenden Waſſermaſſe kleine Waſſerſtröme ſich raſch nach allen Seiten bewegten. Dieſe teilweiſe Bewegung der Wolken rührt wahrſcheinlich von ſehr verſchiedenen Urſachen her, und man kann ſich denken, daß der Anſtoß dazu ſehr weit herkommen mag. Man kann den Grund in kleinen Unebenheiten des Bodens ſuchen, die mehr A. v. Humboldt, Reiſe. I. 7 — 98 — oder weniger Wärme ſtrahlen, in einem auf irgend einem chemiſchen Prozeß beruhenden Temperaturunterſchied, oder end: lich in einer ſtarken elektriſchen Ladung der Dunſtbläschen. In der Nähe der Stadt Orotava trafen wir große Schwärme von Kanarienvögeln.! Dieſe in Europa fo wohl— bekannten Vögel waren ziemlich gleichförmig grün, einige auf dem Rücken gelblich; ihr Schlag glich dem der zahmen Ka— narienvögel, man bemerkt indeſſen, daß die, welche auf der Inſel Gran Canaria und auf dem kleinen Eiland Monte Clara bei Lanzarote gefangen werden, einen ſtärkeren und zugleich harmoniſcheren Schlag haben. In allen Himmelsſtrichen hat jeder Schwarm derſelben Vogelart ſeine eigene Sprache. Die gelben Kanarienvögel find eine Spielart, die in Europa ent: ſtanden iſt, und die, welche wir zu Orotava und Santa Cruz de Tenerifa in Käfigen ſahen, waren in Cadiz und anderen ſpaniſchen Häfen gekauft. Aber der Vogel der Kanariſchen Inſeln, der von allen den ſchönſten Geſang hat, iſt in Europa unbekannt, der Capirote, der ſo ſehr die Freiheit liebt, daß er ſich niemals zähmen ließ. Ich bewunderte ſeinen weichen, melodiſchen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe genug zu Geſicht bekommen, um zu beſtimmen, welcher Gattung er angehört. Was die Papageien betrifft, die man beim Aufenthalt des Kapitän Cook auf Tenerifa geſehen haben will, ſo exiſtieren ſie nur in Reiſeberichten, die einander abſchreiben. Es gibt auf den Kanarien weder Papageien noch Affen, und obgleich erſtere in der Neuen Welt bis Nordkarolina wandern, ſo glaube ich doch kaum, daß in der Alten über dem 28. Grad nördlicher Breite welche vorkommen. Wir kamen, als der Tag ſich neigte, im Hafen von Orotava an und erhielten daſelbſt die unerwartete Nachricht, daß der Pizarro erſt in der Nacht vom 24. zum 25. unter Segel gehen werde. Hätten wir auf dieſen Aufſchub rechnen können, ſo wären wir entweder länger auf dem Pik geblieben,? Fringilla Canaria. La Caille erzählt in feiner Reiſe⸗ beſchreibung nach dem Kap, auf der Inſel Salvage fänden ſich dieſe Vögel in jo ungeheurer Menge, daß man in einer gewiſſen Jahres- zeit nicht umhergehen könne, ohne Eier zu zertreten. ? Da viele Reiſende, welche bei Santa Cruz de Tenerifa an- legen, die Beſteigung des Piks unterlaſſen, weil ſie nicht wiſſen, wie viel Zeit man dazu braucht, ſo ſind die folgenden Angaben wohl nicht unwillkommen. Wenn man bis zum Haltpunkt der Eng⸗ oder hätten einen Ausflug nach dem Vulkan Chahorra gemacht. Den folgenden Tag durchſtreiften wir die Umgegend von Orotava und genoſſen des Umgangs mit Cologans liebens⸗ würdiger Familie. Da fühlten wir recht, daß der Aufenthalt auf Tenerifa nicht bloß für den Naturforſcher von Intereſſe iſt; man findet in Orotava Liebhaber von Litteratur und Muſik, welche den Reiz europäiſcher Geſellſchaft in dieſe fernen Himmelsſtriche verpflanzt haben. In dieſer Beziehung haben die Kanariſchen Inſeln mit den übrigen ſpaniſchen Kolonieen, Havana ausgenommen, wenig gemein. Am Vorabend des Johannistages wohnten wir einem ländlichen Feſte in Herrn Littles Garten bei. Dieſer Han: delsmann, der den Kanarien bei der letzten Getreideteurung bedeutende Dienſte erwieſen, hat einen mit vulkaniſchen Trüm— mern bedeckten Hügel angepflanzt und an dieſem köſtlichen Punkt einen engliſchen Garten angelegt, wo man eine herrliche Aus— ſicht auf die Pyramide des Piks, auf die Dörfer an der Küſte und die Inſel Palma hat, welche die weite Meeresfläche be— grenzt. Ich kann dieſe Ausſicht nur mit der in den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinſichtlich der Groß— artigkeit der Maſſen und der Fülle des Pflanzenwuchſes ſteht Orotava über beiden. Bei Einbruch der Nacht bot uns der Abhang des Vulkanes auf einmal ein eigentümliches Schauſpiel. Nach einem Brauch, den ohne Zweifel die Spanier eingeführt hatten, obgleich er an ſich uralt iſt, hatten die Hirten die Johannisfeuer angezündet. Die zerſtreuten Lichtmaſſen, die vom Winde gejagten Rauchſäulen hoben ſich an den Seiten des Piks vom Dunkelgrün der Wälder ab. Freudengeſchrei drang aus der Ferne zu uns herüber, und ſchien der einzige Laut, der die Stille der Natur an jenen einſamen Orten unterbrach. Die Familie Cologan beſitzt ein Landhaus näher an der länder ſich der Maultiere bedient, braucht man von Orotava aus zur Beſteigung des Piks und zur Rückkehr in den Hafen 21 Stunden; nämlich von Orotava zum Pino del Dornajito 3 Stunden, von da zur Felſenſtation 6, von da nach der Caldera 3 ½. Für die Rück⸗ kehr rechne ich 9 Stunden. Es handelt ſich dabei nur von der Zeit, die man unterwegs zubringt, keineswegs von der, die man auf die Unterſuchung der Produkte des Piks oder zum Ausruhen verwendet. In einem halben Tage gelangt man von Santa Cruz de Tenerifa nach Orotava. — 100 — Küſte als das eben beſchriebene. Der Name, den ihm der Eigentümer gegeben, bezeichnet den Eindruck, den dieſer Landſitz macht. Das Haus La Paz hatte zudem noch beſonderes In⸗ tereſſe für uns. Borda, deſſen Tod wir bedauerten, hatte hier bei ſeiner letzten Reiſe nach den Kanarien gewohnt. Auf einer kleinen Ebene in der Nähe hat er die Standlinie zur Meſſung der Höhe des Piks abgeſteckt. Bei dieſer trigono— metriſchen Meſſung diente der große Drachenbaum von Oro— tava als Signal. Wollte einmal ein unterrichteter Reiſender eine neue genauere Meſſung des Vulkanes mittels aſtrono⸗ miſcher Repetitionskreiſe vornehmen, jo müßte er die Stand: linie nicht bei Orotava, ſondern bei Los Silos, an einem Orte, Bante genannt, meſſen; nach Brouſſonet iſt keine Ebene in der Nähe des Piks ſo groß wie dieſe. Wir botaniſierten bei La Paz und fanden in Menge das Lichen roccella auf baſaltiſchem, von der See beſpülten Geſtein. Die Orſeille der Kanarien iſt ein ſehr alter Handelsartikel; man bezieht aber das Moos weniger von Tenerifa als von den unbe— wohnten Inſeln Salvage, Gracioſa, Alegranza, ſogar von Canaria und Hierro. Am 24. Juni morgens verließen wir den Hafen von Orotava; in Laguna ſpeiſten wir beim franzöſiſchen Konſul. Er hatte die Gefälligkeit, die Beſorgung der geologiſchen Sammlungen zu übernehmen, die wir dem Naturalienkabinett des Königs von Spanien übermachten. Als wir vor der Stadt auf die Reede hinausblickten, ſahen wir zu unſerem Schreck den Pizarro, unſere Korvette, unter Segel. Im Hafen angelangt, erfuhren wir, er laviere mit wenigen Segeln, uns erwartend. Die engliſchen bei Tenerifa ſtationierten Schiffe waren verſchwunden, und wir hatten keinen Augenblick zu verlieren, um aus dieſen Strichen wegzukommen. Wir ſchifften uns allein ein; unſere Reiſegefährten waren Kanarier geweſen, die nicht mit nach Amerika gingen. Ehe wir den Archipel der Kanarien verlaſſen, werfen wir einen Blick auf die Geſchichte des Landes. Vergeblich ſehen wir uns im Periplus des Hanno und dem des Scylax nach den erſten ſchriftlichen Urkunden über die Ausbrüche des Piks von Tenerifa um. Dieſe Seefahrer hielten ſich ängſtlich an die Küſten, ſie liefen jeden Abend in eine Bai und ankerten, und ſo konnten ſie nichts von einem Vulkan wiſſen, der 252 km vom Feſtland von Afrika liegt. Hanno berichtet indeſſen von leuchtenden Strömen, die ſich in — Den! = das Meer zu ergießen ſchienen; jede Nacht haben ſich auf der Küfte viele Feuer gezeigt, und der große Berg, der Götter: wagen genannt, habe Feuergarben ausgeworfen, die bis zu den Wolken aufgeſtiegen. Aber dieſer Berg, nordwärts von der Inſel der Gorilla,! bildete das Weſtende der Atlaskette, und es iſt zudem ſehr zweifelhaft, ob die von Hanno bemerkten Feuer wirklich von einem vulkaniſchen Ausbruch herrührten, oder von dem bei ſo vielen Völkern herrſchenden Brauch, die Wälder und das dürre Gras der Savannen anzuzünden. In neueſter Zeit waren ja auch die Naturforſcher, welche die Expedition unter Konteradmiral d'Entrecaſteaux mitmachten, ihrer Sache nicht gewiß, als ſie die Inſel Amſterdam mit dickem Rauch bedeckt ſahen. Auf der Küſte von Caracas ſah ich mehrere Nächte hintereinander rötliche Feuerſtreifen von brennendem Graſe, die ſich täuſchend wie Lavaſtröme aus— nahmen, die von den Bergen herabkamen und ſich in mehrere Arme teilten. Obgleich in den Reiſetagebüchern des Hanno und des Scylax, ſo weit ſie uns erhalten ſind, keine Stelle vorkommt, die ſich mit einigem Schein von Recht auf die Kanariſchen Inſeln beziehen ließe, iſt es doch ſehr wahrſcheinlich, daß die Karthager und auch die Phönizier den Pik von Tererifa ge— kannt haben.” Zu Platos und Ariſtoteles' Zeit waren dunkle Gerüchte davon zu den Griechen gedrungen, nach deren Vor— ſtellung die ganze Küſte von Afrika jenſeits der Säulen des Herkules von vulkaniſchem Feuer verheert war.? Die Inſeln der Auf dieſer Inſel ſah der karthagenienſiſche Feldherr zum erſten— mal eine große menſchenähnliche Affenart, die Gorilla. Er be— ſchreibt ſie als durchaus behaarte Weiber, und als höchſt bösartig, weil ſie ſich mit Nägeln und Zähnen wehrten. Er rühmt ſich, ihrer drei die Haut abgezogen zu haben, um ſie mitzunehmen. Goſſelin verlegt die Inſel der Gorilla an die Mündung des Fluſſes Nun, aber nach dieſer Annahme müßte der Sumpf, in dem Hanno eine Menge Elefanten weiden ſah, unter 35 ½“ Breite liegen, beinahe am Nordende von Afrika. 2 Einer der angeſehenſten deutſchen Gelehrten, Heeren, hält die glückſeligen Inſeln Diodors von Sizilien für Madeira und Porto Santo. Aristoteles, Mirab. Auscultat. Solinus jagt vom Atlas: vertex semper nivalis lucet nocturnis ignibus; aber dieſer Atlas iſt gleich dem Berge Meru der Hindu ein aus richtigen Begriffen und mythiſchen Fiktionen zuſammengeſetztes Ding, und lag nicht — 102 — Seligen, die man anfangs im Norden, jenſeits der Riphäiſchen Gebirge bei den Hyperboreern,! ſpäter ſüdwärts von Cyre— naica geſucht hatte, wurden nach Weſten verlegt, dahin, wo die den Alten bekannte Welt ein Ende hatte. Was man glückſelige Inſeln nannte, war lange ein ſchwankender Begriff, wie der Name Dorado bei den erſten Eroberern Amerikas. Man verſetzte das Glück an das Ende der Welt, wie man den lebhafteſten Geiſtesgenuß in einer idealen Welt jenſeits der Grenzen der Wirklichkeit ſucht. Es iſt nicht zu verwundern, daß vor Ariſtoteles die griechiſchen Geographen keine genaue Kenntnis von den Kana⸗ riſchen Inſeln und ihren Vulkanen hatten. Das einzige Volk, das weit nach Weſt und Nord die See befuhr, die Karthager, fanden ihren Vorteil dabei, wenn ſie dieſe entlegenen Landſtriche in den Schleier des Geheimniſſes hüllten. Der karthagiſche Senat duldete keine Auswanderung einzelner und erſah dieſe Inſeln als Zufluchtsort in Zeiten der Unruhe und politiſchen Unfälle; ſie ſollten für die Karthager ſein, was der freie Boden von Amerika für die Europäer bei ihren bürgerlichen und religiöſen Zwiſtigkeiten geworden iſt. Die Römer wurden erſt achtzig Jahre vor Octavians Regierung näher mit den Kanariſchen Inſeln bekannt. Ein bloßer Privatmann wollte den Gedanken verwirklichen, den der karthagiſche Senat in weiſer Vorſicht gefaßt. Nach ſeiner Niederlage durch Sylla ſucht Sertorius, müde des Waffen⸗ lärms, eine ſichere, ruhige Zufluchtsſtätte. Er wählt die glückſeligen Inſeln, von denen man ihm an den Küſten von Bätika eine reizende Schilderung entwirft. Er ſammelt ſorg— fältig, was ihm von Reiſenden an Nachrichten zukommt; aber in den wenigen Stücken dieſer Nachrichten, die auf uns ge⸗ kommen ſind, und in den umſtändlicheren Beſchreibungen des Seboſus und des Juba iſt niemals von Vulkanen und vul⸗ kaniſchen Ausbrüchen die Rede. Kaum erkennt man die Inſel auf einer der heſperiſchen Inſeln, wie Abbé Viera und nach ihm verſchiedene Reiſende annehmen, die den Pik von Tenerifa be— ſchreiben. Die folgenden Stellen laſſen keinen Zweifel hierüber: Herodot IV, 184; Strabo XVII; Mela III, 10; Plinius V, 1; Solinus J, 24, ſogar Diodor von Sizilien III. Die Vorſtellung vom Glück, der hohen Kultur und dem Reichtum der Bewohner des Nordens hatten die Griechen, die indi— ſchen Völker und die Mexikaner miteinander gemein. — 18 — Tenerifa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Piks bedeckt, am Namen Nivaria, der einer der glückſeligen Inſeln beigelegt wird. Man könnte danach annehmen, daß der Vul⸗ kan damals kein Feuer geſpieen habe, wenn ſich aus dem Stillſchweigen von Schriftſtellern etwas ſchließen ließe, von denen wir nichts beſitzen als Bruchſtücke und trockene Namen⸗ verzeichniſſe. Umſonſt ſucht der Phyſiker in der Geſchichte Urkunden über die älteſten Ausbrüche des Piks; er findet nirgends welche, außer in der Sprache der Guanchen, in der das Wort „Echeyde“ zugleich die Hölle und den Vulkan von Tenerifa bedeutete. Die älteſte ſchriftliche Nachricht von der Thätigkeit des Vulkanes, die ich habe auffinden können, kommt aus dem An⸗ fang des 16. Jahrhunderts. Sie findet ſich in der Reiſe— beſchreibung? des Aloyſio Cadamoſto, der im Jahre 1505 auf den Kanarien landete. Dieſer Reiſende war nicht ſelbſt Zeuge eines Ausbruches, er verſichert aber beſtimmt, der Berg brenne fortwährend gleich dem Aetna und das Feuer ſei von Chriſten geſehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Tenerifa lebten. Der Pik befand ſich alſo damals nicht im Zuſtand der Ruhe wie jetzt, denn es iſt ſicher, daß kein Reiſender und kein Einwohner von Tenerifa der Mündung des Piks von weitem ſichtbaren Rauch, geſchweige denn Flammen, hat ent— ſteigen ſehen. Es wäre vielleicht zu wünſchen, daß der Schlund Der Berg hieß auch Aya-dyrma, in welchem Wort Horn (De Orig. Americ. p. 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus Dyris war. Dieſe Ableitung iſt höchſt zweifelhaft; legt man auf die Vokale nicht mehr Wert, als ſie bei den orientaliſchen Völkern haben, ſo findet man Dyris faſt ganz in Daran, wie die arabiſchen Geographen den öſtlichen Teil des Atlasgebirges nennen. Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hi- spanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intue- antur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram ex- cedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti aliquando haec animadvertere. Al. Cadamusti, Navigatio ad terras incognitas c. 8. — 104 — der Caldera ſich wieder öffnete, die Seitenausbrüche würden damit weniger heftig und die ganze Inſelgruppe hätte weniger von Erdbeben zu leiden. Ich habe zu Orotava die Frage beſprechen hören, ob an⸗ zunehmen ſei, daß der Krater des Piks im Laufe der Jahr⸗ hunderte wieder in Thätigkeit treten werde. In einer ſo zweifelhaften Sache kann man ſich nur an die Analogie halten. Nun war nach Braccinis Bericht im Jahre 1611 der Krater des Veſuvs im Inneren mit Gebüſch bewachſen. Alles ver: kündete die tiefſte Ruhe, und dennoch warf derſelbe, der ſich in ein ſchattiges Thal verwandeln zu wollen ſchien, zwanzig Jahre ſpäter Feuerſäulen und ungeheure Maſſen Aſche aus. Der Veſuv wurde im Jahre 1631 wieder jo thätig, als er im Jahre 1500 geweſen war. So könnte möglicherweiſe auch der Krater des Piks ſich eines Tages wieder umwandeln. Er iſt jetzt eine Solfatare, ähnlich der friedlichen Solfatare von Pozzuoli; aber ſie iſt auf der Spitze eines noch thätigen Vulkanes gelegen. 8 Die Ausbrüche des Piks waren ſeit zweihundert Jahren ſehr ſelten, und ſolche lange Pauſen ſcheinen charakteriſtiſch für ſehr hohe Vulkane. Der kleinſte von allen, der Strom⸗ boli, iſt faſt in beſtändiger Thätigkeit. Beim Veſuv find die Ausbrüche ſchon ſeltener, indeſſen häufiger als beim Aetna und dem Pik von Tenerifa. Die koloſſalen Gipfel der Anden, der Cotopaxi und der Tunguragua ſpeien kaum ein⸗ mal im Jahrhundert Feuer. Bei thätigen Vulkanen ſcheint die Häufigkeit der Ausbrüche im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe und der Maſſe derſelben zu ſtehen. So ſchien auch der Pik nach zweiundneunzig Jahren erloſchen, als im Jahre 1792 der letzte Ausbruch durch eine Seitenöffnung im Berg Chahorra erfolgte. In dieſem Zeitraum hat der Veſuv ſech⸗ zehnmal Feuer geſpieen. Ich habe anderswo ausgeführt, daß der ganze gebirgige Teil des Königreichs Quito anzuſehen iſt, als ein ungeheurer Vulkan von 14175 qkm Oberfläche, der aus verſchiedenen Kegeln mit eigenen Namen, Cotopaxi, Tunguragua, Pichincha, Feuer ſpeit. Ebenſo ruht die ganze Gruppe der Kanarischen Inſeln gleichſam auf einem untermeeriſchen Vulkan. Das Feuer brach ſich bald durch dieſe, bald durch jene der Inſeln Bahn. Nur Tenerifa trägt in ſeiner Mitte eine ungeheure Pyramide mit einem Krater auf der Spitze, die in jahr: hundertlangen Perioden aus ihren Seiten Lavaſtröme ergießt. — 105 — Auf den anderen Inſeln haben die verſchiedenen Ausbrüche an verſchiedenen Stellen ſtattgefunden, und man findet dort keinen vereinzelten Berg, an den die vulkaniſche Thätigkeit gebunden wäre. Die von uralten Vulkanen gebildete Baſalt⸗ rinde ſcheint dort allerorten unterhöhlt, und die Lavaſtröme, die auf Lanzarote und Palma ausgebrochen ſind, kommen geologiſch durchaus mit dem Ausbruch überein, der im Jahre 1301 auf der Inſel Ischia durch die Tuffe des Epomeo erfolgte. Es folgt hier die Liſte der Ausbrüche, deren Andenken ſich bei den Geſchichtsſchreibern der Inſel ſeit der Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten hat. Jahr 1558. — Am 15. April. Zur ſelben Zeit wurde Tenerifa zum erſtenmal von der aus der Levante eingeſchleppten Peſt verheert. Ein Vulkan öffnet ſich auf der Inſel Palma, nahe einer Quelle im Partido de los Llanos. Ein Berg ſteigt aus dem Boden; auf der Spitze bildet ſich ein Krater, der einen 195 m breiten und über 4,8 km langen Lavaſtrom ergießt. Die Lava ſtürzt ſich ins Meer, und durch die Er: hitzung des Waſſers gehen die Fiſche in weitem Umkreiſe zu Grunde.“ Jahr 1646. — Am 13. November thut ſich ein Schlund auf der Inſel Palma bei Tigalate auf; zwei andere bilden ſich am Meeresufer. Die Laven, die ſich aus dieſen Spalten ergießen, machen die berühmte Quelle Foncaliente oder Fuente Santa verſiegen, deren Mineralwaſſer Kranke ſogar aus Europa herbeizog. Nach einer Volksſage wurde dem Aus: bruch durch ein ſeltſames Mittel Einhalt gethan. Das Bild unſerer lieben Frau zum Schnee wurde aus Santa Cruz an den Schlund des neuen Vulkanes gebracht, und alsbald fiel eine jo ungeheure Maſſe Schnee, daß das Feuer dadurch er: loſch. In den Anden von Quito wollen die Indianer die Bemerkung gemacht haben, daß die Thätigkeit der Vulkane durch vieles einſickerndes Schneewaſſer geſteigert wird. Jahr 1677. — Dritter Ausbruch auf der Inſel Palma. Der Berg Las Cabras wirft aus einer Menge kleiner Deff⸗ nungen, die ſich nacheinander bilden, Schlacken und Aſche aus. Jahr 1704. — Am 31. Dezember. Der Pik von Tenerifa Dieſelbe Erſcheinung wiederholte ſich 1811 bei den Azoren, als der Vulkan Sabrina auf dem Meeresboden ausbrach. Das kalcinierte Skelett eines Haifiſches wurde im erloſchenen, mit Waſſer gefüllten Krater gefunden. — 106 — macht einen Seitenausbruch in der Ebene Los Infantes, ober⸗ halb Score, im Bezirk Guimar. Furchtbare Erdbeben gingen dem Ausbruch voran. Am 5. Januar 1705 thut ſich ein zweiter Schlund in der Schlucht Almerchiga, 4,5 km von Icore auf. Die Lava iſt ſo ſtark, daß ſie das ganze Thal Fasnia oder Areza ausfüllt. Dieſer zweite Schlund hört am 13. Januar zu ſpeien auf. Ein dritter bildet ſich am 2. Februar in der Canada de Arafo. Die Lava in drei Strömen bedroht das Dorf Guimar, wird aber im Thal Meloſar durch einen Felsgrat aufgehalten, der einen unüber⸗ ſteiglichen Damm bildet. Während dieſer Ausbrüche ſpürt die Stadt Orotava, die nur ein ſchmaler Damm von den neuen Schlünden trennt, ſtarke Erdſtöße. Jahr 1706. — Am 5. Mai. Ein weiterer Seiten⸗ ausbruch des Piks von Tenerifa. Der Schlund bricht auf ſüdlich vom Hafen von Garachico, damals dem ſchönſten und beſuchteſten der Inſel. Die volkreiche, wohlhabende Stadt hatte eine maleriſche Lage am Saum eines Lorbeerwaldes. Zwei Lavaſtröme zerſtörten ſie in wenigen Stunden; kein Haus blieb ſtehen. Der Hafen, der ſchon im Jahre 1645 gelitten hatte, weil ein Hochwaſſer viel Erdreich hineingeführt, wurde ſo ausgefüllt, daß die ſich auftürmenden Laven in der Mitte feines Umfangs ein Vorgebirge bildeten. Ueberall, rings um Garachico, wurde das Erdreich völlig umgewandelt. Aus der Ebene ſtiegen Hügel auf, die Quellen blieben aus, und Felsmaſſen wurden durch die häufigen Erdſtöße der Dammerde und des Pflanzenwuchſes beraubt und blieben nackt ſtehen. Nur die Fiſcher ließen nicht vom heimatlichen Boden. Mutig, wie die Einwohner von Torre del Greco, erbauten ſie wieder ein Dörfchen auf Schlackenhaufen und dem verglaſten Geſtein. Jahr 1730. — Am 1. September. Eine der furcht⸗ barſten Kataſtrophen zerſtört den Landungsplatz der Inſel Lanzarote. Ein neuer Vulkan bildet ſich bei Temanfaya. Die Lavaſtröme und die Erdſtöße, welche den Ausbruch begleiten, zerſtören eine Menge Dörfer, worunter die alten Flecken der Guanchen Tingafa, Macintafe und Guatisca. Die Stöße dauern bis 1736 fort, und die Bewohner von Lanzarote flüchten ſich großenteils auf die Inſel Fuerteventura. Während dieſes Ausbruches, von dem ſchon im vorigen Kapitel die Rede war, ſieht man eine dicke Rauchſäule aus der See auf— ſteigen. Pyramidaliſche Felſen erheben ſich über der Meeres— — — 107 — fläche, die Klippen werden immer größer und verſchmelzen allmählich mit der Inſel ſelbſt. Jahr 1798. — Am 9. Juni. Seitenausbruch des Pils von Tenerifa, am Abhang des Berges Chahorra oder Venge, ! an einem völlig unbebauten Orte, ſüdlich von Jcod beim Dorfe Guia, dem alten Iſora. Dieſer Berg, der ſich an den Pik anlehnt, galt von jeher für einen erloſchenen Vulkan. Er beſteht zwar aus feſten Gebirgsarten, verhält ſich aber doch zum Pik wie der Monte Roſſo, der im Jahre 166! aufſtieg, oder die boche nueve, die im Jahre 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Veſuv. Der Ausbruch des Chahorra währte drei Monate und ſechs Tage. Die Lava und die Schlacken wurden aus vier Mündungen in einer Reihe ausgeworfen. Die 5,8 bis 7,8 m hoch aufgetürmte Lava legte 1 m in der Stunde zurück. Da dieſer Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Tenerifa erfolgt war, jo war der Eindruck des— ſelben bei den Einwohnern noch ſehr lebhaft. Ich ſah bei Herrn Legros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo Cologan hat dieſe Oeffnungen, acht Tage nachdem ſie aufgebrochen, beſucht und die Haupterſcheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufſatz beſchrieben, von dem er mir eine Abſchrift mitteilte, um ſie meiner Reiſebeſchreibung einzu— verleiben. Seitdem ſind dreizehn Jahre verfloſſen; Bory St. Vincent iſt mir mit der Veröffentlichung des Aufſatzes zuvorgekommen, und ſo verweiſe ich den Leſer auf ſein inter— eſſantes Werk: Essai sur les iles fortundes. Ich beſchränke mich hier darauf, einiges über die Höhe mitzuteilen, zu der ſehr anſehnliche Felsſtücke aus den Oeffnungen des Chahorra emporgeſchleudert wurden. Cologan zählte während des Falles der Steine 12 bis 15 Sekunden,? das heißt er fing im Mo: ment zu zählen an, wo ſie ihre höchſte Höhe erreicht hatten. Aus dieſer intereſſanten Beobachtung geht hervor, daß die Fels— ſtücke aus der Oeffnung über 975 m hoch geſchleudert wurden. Alle in dieſer chronologiſchen Ueberſicht verzeichneten Aus: brüche gehören den drei Inſeln Palma, Tenerifa und Lanzarote Der Abhang des Berges Venge, auf dem der Ausbruch ſtatt— fand, heißt Chazajane. 2 Cologan bemerkt, der Fall habe ſogar über 15 Sekunden ge: dauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte, bis er auffiel. — 108 — an. Wahrſcheinlich ſind vor dem 16. Jahrhundert die übrigen Inſeln auch von vulkaniſchem Feuer heimgeſucht worden. Nach mir mitgeteilten unbeſtimmten Notizen läge mitten auf der Inſel Ferro ein erloſchener Vulkan und ein anderer auf der großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig zu erfahren, ob ſich an der Kalkformation von Fuerteventura oder am Granit und Glimmerſchiefer von Gomera Spuren des unterirdiſchen Feuers zeigen. Die rein ſeitliche vulkaniſche Thätigkeit die Piks von Tenerifa iſt geologiſch um fo merkwürdiger, als ſie dazu bei: trägt, die Berge, die ſich an den Hauptvulkan anlehnen, iſoliert erſcheinen zu laſſen. Allerdings kommen beim Aetna und beim Veſuv die großen Lavaſtröme auch nicht aus dem Krater ſelbſt, und die Maſſe geſchmolzener Stoffe ſteht meiſt im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe, in der ſich die Spalte bildet, welche die Lava auswirft. Aber beim Veſuv und Aetna endet ein Seitenausbruch immer damit, daß der Krater, das heißt die eigentliche Spitze des Berges, Feuer und Aſche auswirft. Beim Pik von Tenerifa iſt ſolches ſeit Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahre 1798 blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat ſich nicht geſenkt, während nach Leopold von Buchs ſcharfſinniger Bemerkung beim Veſuv die größere oder geringere Tiefe des Kraters faſt ein untrügliches Zeichen iſt, ob ein neuer Aus: bruch bevorſteht oder nicht. Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie die einſt ge⸗ ſchmolzenen Felsmaſſen des Piks, wie die Baſalte und Mandel⸗ ſteine ſich allmählich mit einer Pflanzendecke überzogen haben, wie die Gewächſe an den ſteilen Abhängen des Vulkanes ver⸗ teilt ſind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der Kanariſchen Inſeln zukommt. Im nördlichen Teile des gemäßigten Erdſtrichs bedecken kryptogamiſche Gewächſe zuerſt die ſteinige Erdrinde. Auf die Flechten und Mooſe, deren Laub ſich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und andere phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heißen Erdſtrichs und zwiſchen den Tropen ſelbſt. Allerdings findet man dort, was auch manche Reiſende ſagen mögen, nicht allein auf den Bergen, ſondern auch an feuchten, ſchattigen Orten Funarien, Dicranum⸗ und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieſer Gat— tungen befinden ſich mehrere, die zugleich in Lappland, auf dem Pik von Tenerifa und in den Blauen Bergen auf Jamaika — 109 — vorkommen; im allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Ländern in der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und Mooſen. Auf den Kanarien, wie in Guinea und an den Felſenküſten von Peru ſind es die Saftpflanzen, die den Grund zur Dammerde legen, Gewächſe, deren mit unzähligen Oeffnungen und Hauptgefäßen verſehene Blätter der um⸗ gebenden Luft das darin aufgelöſte Waſſer entziehen. Sie wachſen in den Ritzen des vulkaniſchen Geſteins und bil⸗ den gleichſam die erſte vegetabiliſche Schicht, womit ſich die Lavaſtröme überziehen. Ueberall wo die Laven verſchlackt ſind oder eine glänzende Oberfläche haben, wie die Baſalt⸗ kuppen im Norden von Lanzarote, entwickelt ſich die Vege— tation ungemein langſam darauf, und es vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buſchwerk darauf wächſt. Nur wenn die Lava mit Tuff und Aſche bedeckt iſt, verliert ſich auf vul⸗ kaniſchen Eilanden die Kahlheit, die ſie in der erſten Zeit nach ihrer Bildung auszeichnet, und ſchmücken ſie ſich mit einer üppigen glänzenden Pflanzendecke. 5 In ſeinem gegenwärtigen Zuſtand zeigt die Inſel Tenerifa oder das Chinerfe! der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Gräſer. Dieſe Zonen liegen am ſteilen Abhang des Piks wie Stockwerke über— einander und haben 1462 m ſenkrechte Höhe, während 15° weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu 2530 bis 2725 m abſoluter Höhe erreicht. Wenn auf Tenerifa die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, ſo rührt dies nicht daher, weil ewiges Eis? und die Kälte Aus Chinerfe haben die Europäer durch Korruption Tſchineriffe, Tenerifa gemacht. 2 Obgleich der Pik von Tenerifa ſich nur in den Winter⸗ monaten mit Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die ſeiner Breite entſprechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz ſchneefrei iſt, ſo könnte dies nur von der freien Lage des Berges in der weiten See, von der Häufigkeit aufſteigender ſehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Aſche des Piton herrühren. Beim gegenwärtigen Stand unſerer Kenntniſſe laſſen ſich dieſe Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexikos bis zum Parallel der Pyrenäen und der Alpen, zwiſchen dem 20. und dem 45. Grad iſt die Kurve des ewigen Schnees durch keine direkte Meſſung beſtimmt worden, und da ſich durch die wenigen Punkte, welche uns unter 0°, 20°, 45°, 62° und 71° nörd— — 10 — der umgebenden Luft ihnen unüberſteigliche Grenzen ſetzen; vielmehr laſſen die verſchlackten Laven des Malpays und der licher Breite bekannt ſind, unendlich viele Kurven ziehen laſſen, ſo kann die Beobachtung nur ſehr mangelhaft durch Rechnung ergänzt werden. Ohne es beſtimmt zu behaupten, kann man als wahr: ſcheinlich annehmen, daß unter 28° 17“ die Schneegrenze über 3700 m liegt. Vom Aequator an, wo der Schnee mit 4794 m, alſo etwa in der Höhe des Montblanc beginnt, bis zum 20. Breite: grad, alſo bis zur Grenze des heißen Erdſtriches, rückt der Schnee nur 195 m herab; läßt ſich demnach annehmen, daß 8“ weiter und in einem Klima, das faſt noch durchaus als ein tropiſches er- ſcheint, der Schnee ſchon 780 m tiefer ſtehen ſollte? Selbſt voraus: geſetzt, der Schnee rückte vom 20. bis zum 45. Breitegrad in arith— metiſcher Progreſſion herab, was den Beobachtungen widerſpricht, ſo finge der ewige Schnee unter der Breite des Piks erſt bei 3995 m über der Meeresfläche an, ſomit 1072 m höher als in den Pyre— näen und in der Schweiz. Dieſes Ergebnis wird noch durch andere Betrachtungen unterſtützt. Die mittlere Temperatur der Luftſchicht, mit der der Schnee im Sommer in Berührung kommt, iſt in den Alpen ein paar Grad unter, unter dem Aequator ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Angenommen, unter 28 ½“ ſei die Tem⸗ peratur gleich Null, ſo ergibt ſich nach dem Geſetz der Wärme⸗ abnahme, auf 191 m einen Grad gerechnet, daß der Schnee in 4011 m über einer Ebene mit einer mittleren Temperatur von 21“, wie ſie der Küſte von Tenerifa zukommt, liegen bleiben muß. Dieſe Zahl ſtimmt faſt mit der, welche ſich bei der Annahme einer arith— metiſchen Progreſſion ergibt. Einer der Hochgipfel der Sierra de Nevada de Granada, der Pico de Veleta, deſſen abſolute Höhe 3470 m beträgt, iſt beſtändig mit Schnee bedeckt; da aber die untere Grenze des Schnees nicht gemeſſen worden iſt, ſo trägt dieſer Berg, der unter 37° 10° der Breite liegt, zur Löſung des vorliegenden Problemes nichts bei. Durch die Lage des Vulkanes von Tenerifa mitten auf einer nicht großen Inſel kann die Kurve des ewigen Schnees ſchwerlich hinaufgeſchoben werden. Wenn die Winter auf Inſeln weniger ſtreng ſind, ſo ſind dagegen auch die Sommer weniger heiß, und die Höhe des Schnees hängt nicht ſowohl von der ganzen mittleren Jahrestemperatur als vielmehr von der mitt: leren Wärme der Sommermonate ab. Auf dem Aetna beginnt der Schnee ſchon bei 2925 m oder ſelbſt etwas tiefer, was bei einem unter 37¼“ der Breite gelegenen Gipfel ziemlich auffallend er⸗ ſcheint. In der Nähe des Polarkreiſes, wo die Sommerhitze durch den fortwährend aus dem Meere aufſteigenden Nebel gemildert wird, zeigt ſich der Unterſchied zwiſchen Inſeln oder Küſten und dem inneren Lande höchſt auffallend. Auf Island z. B. iſt auf dem Oſterjöckull. unter 65° der Breite, die Grenze des ewigen Schnees — 11 — dürre, zerriebene Bimsſtein des Piton die Gewächſe nicht an den Kraterrand gelangen. Die erſte Zone, die der Reben, erſtreckt ſich vom Meeresufer bis in 390 bis 580 in Höhe; ſie iſt die am ſtärkſten bewohnte und die einzige, wo der Boden ſorgfältig bebaut iſt. In dieſer tiefen Lage, im Hafen von Orotava und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält ſich der hundertteilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag auf 15 bis 17°; im Sommer ſteigt die Hitze nicht über 25 oder 26°, iſt alſo um 5 bis 6° geringer als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und St. Petersburg eintritt. Dies ergibt ſich aus den Beobach- tungen Savagis in den Jahren 1795 bis 1799. Die mittlere Temperatur der Küſte von Tenerifa ſcheint wenigſtens 21° (16,8 R.) zu ſein, und ihr Klima ſteht in der Mitte zwiſchen dem von Neapel und dem des heißen Erdſtrichs. Auf der Inſel Madeira ſind die mittleren Temperaturen des Januar und des Auguſt, nach Heberden, 17,7“ und 28,8, in Rom dagegen 5,6“ und 26,1“. Aber jo ähnlich ſich die Klimate von Madeira und Tenerifa ſind, kommen doch die Gewächſe der erſteren Inſel im allgemeinen in Europa leichter fort als die von Tenerifa. Der Cheiranthus longifolius von Orotava z. B. erfriert in Marſeille, wie de Candolle beobachtet hat, während der Cheiranthus mutabilis von Madeira dort im Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madeira nicht ſo lange als auf Tenerifa. In der Region der Reben kommen vor acht Arten baum- artiger Euphorbien, Meſembryanthemumarten, die vom Kap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet find, die Cacalia Kleinia, der Drachenbaum, und andere Gewächſe, in 840, in Norwegen dagegen, unter 67°, fern von der Küſte in 1170 m Höhe, und doch ſind hier die Winter ungleich ſtrenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island. Nach dieſen Angaben erſcheint es als wahrſcheinlich, daß Bouguer - und Sauſſure im Irrtum ſind, wenn ſie annehmen, daß der Pik von Tenerifa die untere Grenze des ewigen Schnees erreiche. Unter 28° 17‘ der Breite ergeben ſich für dieſe Grenze wenigſtens 3800 m, ſelbſt wenn man ſie zwiſchen dem Aetna und den Bergen von Mexiko durch Interpolation berechnet. Dieſer Punkt wird voll⸗ ſtändig ins reine gebracht werden, wenn einmal der weſtliche Teil des Atlas gemeſſen ift, wo bei Marokko unter 31 ¼“ Breite ewiger Schnee liegt. — 112 — die mit ihrem nackten, gewundenen Stamm, mit den ſaftigen Blättern und der blaugrünen Färbung den Typus der Vege— tation Afrikas tragen. In dieſer Zone werden der Dattel⸗ baum, der Bananenbaum, das Zuckerrohr, der indische Feigen: baum, Arum colocasia, deſſen Wurzel dem gemeinen Volke ein nahrhaftes Mehl liefert, der Oelbaum, die europäiſchen Obſtarten, der Weinſtock und die Getreidearten gebaut. Das Korn wird von Ende März bis Anfang Mai geſchnitten, und man hat mit dem Anbau des Tahitiſchen Brotbaumes, des Zimtbaumes von den Molukken, des Kaffeebaumes aus Arabien und des Kakaobaumes aus Amerika gelungene Verſuche ge— macht. Auf mehreren Punkten der Küſte hat das Land ganz den Charakter einer tropiſchen Landſchaft. Chamärops und der Dattelbaum kommen auf der fruchtbaren Ebene von Murviedro, an der Küſte von Genua und in der Provence bei Antibes unter 39 bis 44° der Breite ganz gut fort; einige Dattelbäume wachſen ſogar innerhalb der Mauern von Rom und dauern in einer Temperatur von 2,5“ unter dem Ge⸗ frierpunkt aus. Wenn aber dem ſüdlichen Europa nur erſt ein geringer Teil von den Schätzen zugeteilt iſt, welche die Natur in der Region der Palmen ausſtreut, jo iſt die Inſel Tenerifa, die unter derſelben Breite liegt wie Aegypten, das ſüdliche Perſien und Florida, bereits mit denſelben Pflanzen— geſtalten geſchmückt, welche den Landſchaften in der Nähe des Aequators ihre Großartigkeit verleihen. Bei der Muſterung der Sippen einheimiſcher Gewächſe ver— mißt man ungern die Bäume mit zartgefiederten Blättern und die baumartigen Gräſer. Keine Art der zahlreichen Familie der Senſitiven iſt auf ihrer Wanderung zum Archipel der Kanarien gedrungen, während ſie auf beiden Kontinenten bis zum 38. und 40. Breitegrad vorkommen. In Amerika iſt die Schranckia uneinata Willdenows! bis hinauf in die Wälder von Virginien verbreitet; in Afrika wächſt die Acacia gummifera auf den Hügeln bei Mogador, in Aſien, weſtwärts vom Kaſpiſchen Meer, hat v. Biberſtein die Ebenen von Chyrvan mit Acacia stephaniana bedeckt geſehen. Wenn man die Pflanzen von Lanzarote und Fuerteventura, die der Küſte von Marokko am nächſten liegen, genauer unterſuchte, könnten ſich doch unter ſo vielen Gewächſen der afrikaniſchen Flora leicht ein paar Mimoſen finden. Mimosa horridula, Michaux. — 113 — Die zweite Zone, die der Lorbeeren, begreift den bewaldeten Strich von Tenerifa; es iſt dies auch die Region der Quellen, die aus dem immer friſchen, feuchten Raſen ſprudeln. Herrliche Wälder krönen die an den Vulkan ſich lehnenden Hügel. Hier wachſen vier Lorbeerarten, eine der Quercus Turneri aus den Bergen Tibets naheſtehende Eiche,? die Visnea Mocanera, die Myrica Faya der Azoren, ein einheimiſcher Olivenbaum (Olea excelsa), der größte Baum in dieſer Zone, zwei Arten Sideroxylon mit ausnehmend ſchönem Laub, Arbutus callycarpa und andere immergrüne Bäume aus der Familie der Myrten. Winden und ein vom europäiſchen ſehr verſchiedener Epheu (Hedera canariensis) überziehen die Lorbeerſtämme, und zu ihren Füßen wuchern zahlloſe Farne, von denen nur drei Arten? ſchon in der Region der Reben vorkommen. Auf dem mit Mooſen und zartem Gras überzogenen Boden prangen überall die Blüten der Campanula aurea, des Chrysanthemum pinnatifidum, der Mentha canariensis und mehrerer ſtrauchartiger Hypericumarten.“ Pflanzungen von wilden und geimpften Kaſtanien bilden einen weiten Gürtel um das Gebiet der Quellen, welches das grünſte und lieblichſte von allen iſt. Die dritte Zone beginnt in 1750 m abſoluter Höhe, da, wo die letzten Gebüſche von Erdbeerbäumen, Myrica Faya und des ſchönen Heidekrautes ſtehen, das bei den Eingeborenen Texo heißt. Dieſe 780 m breite Zone beſteht ganz aus einem mächtigen Fichtenwald, in dem auch Brouſſonets Juni— perus Cedro vorkommt. Die Fichten haben ſehr lange, ziem— lich ſteife Blätter, deren zuweilen zwei, meiſt aber drei in einer Scheide ſtecken. Da wir die Früchte nicht unterſuchen konnten, wiſſen wir nicht, ob dieſe Art, die im Wuchs der ſchottiſchen Fichte gleicht, ſich wirklich von den achtzehn Fich— tenarten unterſcheidet, die wir bereits in der Alten Welt 1 Laurus indica, L. foetens, L. nobilis und L. Til. Zwi⸗ ſchen dieſen Bäumen wachſen Ardisia excelsa, Rhamnus glandu- losus, Erica arborea, Erica Texo. 2 Quercus canariensis, Broussonet. ® Woodwardia radicans, Asplenium dalmatum, A. cana- riense, A. latifolium, Nothalaena subcordata, Trichomanes canariensis, T. speciosus und Davallia canariensis. Zwei Acrostichum und das Ophyoglossum lusitanicum, > Hypericum canariense. H. floribundum und H. glandu- losum. A. v. Humboldt, Reiſe. J. 8 — 114 — kennen. Nach der Anſicht eines berühmten Botanikers, deſſen Reiſen die Pflanzengeographie Europas ſehr gefördert haben, de Candolle, unterſcheidet ſich die Fichte von Tenerifa ſowohl von der Pinus atlantica in den Bergen bei Mogador, als von der Fichte von Aleppo,“ die dem Becken des Mittel— ländiſchen Meeres angehört und nicht über die Säulen des Herkules hinauszugehen ſcheint. Die letzten Fichten fanden wir am Pik etwa in 2340 m Höhe über dem Meer. In den Kordilleren von Neuſpanien, im heißen Erdſtrich, gehen die mexikaniſchen Fichten bis zu 3900 m Höhe. So ſehr auch die verſchiedenen Arten einer und derſelben Pflanzen: gattung im Bau übereinkommen, ſo verlangt doch jede zu ihrem Fortkommen einen beſtimmten Grad von Wärme und Verdünnung der umgebenden Luft. Wenn in den gemäßigten Landſtrichen und überall, wo Schnee fällt, die konſtante Boden⸗ wärme etwas höher iſt als die mittlere Lufttemperatur, ſo iſt anzunehmen, daß in der Höhe des Portillo die Wurzeln der Fichten ihre Nahrung aus dem Boden ziehen, in dem in einer gewiſſen Tiefe der Thermometer höchſtens auf 9 bis 10° ſteigt. Die vierte und fünfte Zone, die der Retama und der Gräſer, liegen ſo hoch wie die unzugänglichſten Gipfel der Pyrenäen. Es iſt dies der öde Landſtrich der Inſel, wo Haufen von Bimsſtein, Obſidian und zertrümmerter Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen laſſen. Schon oben war von den blühenden Büſchen des Alpenginſters (Spartium nubigenum) die Rede, welche Oaſen in einem weiten Aſchen⸗ meer bilden. Zwei krautartige Gewächſe, Serophularia gla- brata und Viola cheiranthifolia, gehen weiter hinauf bis ins Malpays. Ueber einem von der afrikaniſchen Sonne aus— gebrannten Raſen bedeckt die Cladonia paschalis dürre Strecken; die Hirten zünden ſie häufig an, wobei ſich dann das Feuer ſehr weit verbreitet. Dem Gipfel des Pik zu arbeiten Ur: ceolarien und andere Flechten an der Zerſetzung des ver— Pinus halepensis. Nach de Candolles Bemerkung hieße dieſe Fichte, die in Portugal fehlt und am Abhang von Frankreich und Spanien gegen das Mittelmeer, in Italien, in Kleinaſien und in der Berberei vorkommt, beſſer Pinus mediterranen. Sie iſt der herrſchende Baum in den Fichtenwäldern des ſüdöſtlichen Frank— reichs, wo ſie von Gouan und Gerard mit der Pinus sylvestris verwechſelt worden iſt. — 115 — ſchlackten Geſteines, und jo erweitert ſich auf von Vulkanen verheerten Eilanden Floras Reich durch die nie ſtockende Thätigkeit organiſcher Kräfte. Ueberblicken wir die Vegetationszonen von Tenerifa, ſo ſehen wir, daß die ganze Inſel als ein Wald von Lorbeeren, Erdbeerbäumen und Fichten erſcheint, der kaum an ſeinen Rändern von Menſchen urbar gemacht iſt, und in der Mitte ein nacktes ſteiniges Gebiet umſchließt, das weder zum Acker— bau noch zur Weide taugt. Nach Brouſſonets Bemerkung läßt ſich der Archipel der Kanarien in zwei Gruppen teilen. Die erſte begreift Lanzarote und Fuerteventura, die zweite Tenerifa, Canaria, Gomera, Ferro und Palma. Beide weichen im Habitus der Vegetation bedeutend voneinander ab. Die oſtwärts gelegenen Inſeln, Lanzarote und Fuerteventura, haben weite Ebenen und nur niedrige Berge; ſie ſind faſt quellen— los, und dieſe Eilande haben noch mehr als die anderen den Charakter vom Kontinent getrennter Länder. Die Winde wehen hier in derſelben Richtung und zu denſelben Zeiten; Euphorbia mauritanica, Atropa frutescens und Sonchus arborescens wuchern im loſen Sand und dienen wie in Afrika den Kamelen als Futter. Auf der weſtlichen Gruppe der Kanarien iſt das Land höher, ſtärker bewaldet, beſſer von Quellen bewäſſert. Auf dem ganzen Archipel finden ſich zwar mehrere Ge— wächſe, die auch in Portugal,“ in Spanien, auf den Azoren und im nordweſtlichen Afrika vorkommen, aber viele Arten und ſelbſt einige Gattungen ſind Tenerifa, Porto Santo und »Willdenow und ich haben unter den Pflanzen vom Pik von Tenerifa das ſchöne Satyrium diphyllum (Orchis cordata, Willd.) erkannt, die Link in Portugal gefunden. Die Kanarien haben nicht die Dicksonia Culcita, den einzigen Baumfarn, der unter 39“ der Breite vorkommt, wohl aber Asplenium palmatum und Myrica Faya mit der Flora der Azoren gemein. Letzterer Baum findet ſich in Portugal wild, Hofmannsegg hat ſehr alte Stämme geſehen, es bleibt aber zweifelhaft, ob er in dieſem Teil unſeres Kontinentes einheimiſch oder eingeführt iſt. Denkt man über die Wanderungen der Gewächſe nach und zieht man in Betracht, daß es geologiſch möglich iſt, daß Portugal, die Azoren, die Kanarien und die Atlas— kette einſt durch nunmehr im Meer verſunkene Länder zuſammen— gehangen haben, ſo erſcheint das Vorkommen der Myrica Faya im weſtlichen Europa zum mindeſten ebenſo auffallend, als wenn die Fichte von Aleppo auf den Azoren vorkäme. — 116 — Madeira eigentümlich, unter anderen Mocanera, Plocama, Bosen, Canarina, Drusa, Pittosporum. Ein Typus, der ſich als ein nördlicher anſprechen läßt, der der Kreuzblüten, r iſt auf den Kanarien ſchon weit ſeltener als in Spanien und Griechenland. Weiter nach Süden, im tropiſchen Landſtrich beider Kontinente, wo die mittlere Lufttemperatur über 22“ iſt, verſchwinden die Kreuzblüten faſt gänzlich. Eine Frage, die für die Geſchichte der fortſchreitenden Entwickelung des organiſchen Lebens auf dem Erdball von großer Bedeutung erſcheint, iſt in neuerer Zeit viel beſprochen worden, nämlich, ob polymorphe Gewächſe auf vulkaniſchen Inſeln häufiger ſind als anderswo? Die Vegetation von Tenerifa unterſtützt keineswegs die Annahme, daß die Natur auf neu: gebildetem Boden die Pflanzenformen weniger ſtreng feſthält. Brouſſonet, der ſich ſo lange auf den Kanarien aufgehalten, verſichert, veränderliche Gewächſe ſeien nicht häufiger als im ſüdlichen Europa. Wenn auf der Inſel Bourbon ſo viele polymorphe Arten vorkommen, ſollte dies nicht vielmehr von der Beſchaffenheit des Bodens und des Klimas herrühren, als davon, daß die Vegetation jung iſt? Wohl darf ich mir ſchmeicheln, mit dieſer Naturjfizze von Tenerifa einiges Licht über Gegenſtände verbreitet zu haben, die bereits von ſo vielen Reiſenden beſprochen worden ſind; indeſſen glaube ich, daß die Naturgeſchichte dieſes Archi— pels der Forſchung noch ein weites Feld darbietet. Die Leiter der wiſſenſchaftlichen Entdeckungsfahrten, wie ſie England, Frankreich, Spanien, Dänemark und Rußland zu ihrem Ruhme unternommen, haben meiſt zu ſehr geeilt, von den Kanarien wegzukommen. Sie dachten, da dieſe Inſeln ſo nahe bei Europa liegen, müßten ſie genau beſchrieben ſein; ſie haben vergeſſen, daß das Innere von Neuholland geologiſch nicht unbekannter iſt als die Gebirgsarten von Lanzarote und Go— mera, Porto Santo und Terceira. So viele Gelehrte bereiſen Jahr für Jahr ohne beſtimmten Zweck die beſuchteſten Länder Europas. Es wäre wünſchenswert, daß einer und der andere, den echte Liebe zur Wiſſenſchaft beſeelt und dem die Verhält⸗ niſſe eine mehrjährige Reiſe geſtatten, den Archipel der Azoren, Madeira, die Kanarien, die Inſeln des grünen Vorgebirges 2 Von den wenigen Crueiferen in der Flora von Tenerifa führen wir an: Cheiranthus longifolius, Ch. frutescens, Ch. scoparis, Erysimum bicorne, Crambe strigosa, C. laevigata. a 1 und die Nordweſtküſte von Afrika bereiſte. Nur wenn man die Atlantiſchen Inſeln und das benachbarte Feſtland nach denſelben Geſichtspunkten unterſucht und die Beobachtungen zuſammenſtellt, gelangt man zur genauen Kenntnis der geo— logiſchen Verhältniſſe und der Verbreitung der Tiere und Ge— wächſe 5 ich die Alte Welt verlaſſe und in die Neue über— ſetze, habe ich einen Gegenſtand zu berühren, der allgemeineres Intereſſe bietet, weil er ſich auf die Geſchichte der Menſchheit und die hiſtoriſchen Verhängniſſe bezieht, durch welche ganze Volksſtämme vom Erdboden verſchwunden ſind. Auf Cuba, St. Domingo, Jamaika fragt man ſich, wo die Ureinwohner dieſer Länder hingekommen ſind; auf Tenerifa fragt man ſich, was aus den Guanchen geworden iſt, deren in Höhlen ver— ſteckte, vertrocknete Mumien ganz allein der Vernichtung ent— gangen ſind. Im 15. Jahrhundert holten faſt alle Handels- völker, beſonders aber die Spanier und Portugieſen, Sklaven von den Kanarien, wie man ſie jetzt von der Küſte von Guinea holt.“ Die chriſtliche Religion, die in ihren An— fängen die menſchliche Freiheit ſo mächtig förderte, mußte der europäiſchen Habſucht als Vorwand dienen. Jedes Indi— viduum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man noch nicht zu beweiſen geſucht, daß der Neger ein Mittelding zwiſchen Menſch und Tier iſt; der gebräunte Guanche und der afrikaniſche Neger wurden auf dem Markte zu Sevilla miteinander verkauft, und man ſtritt nicht über die Frage, ob nur Menſchen mit . Haut und Wollhaar der Sklaverei verfallen ſollen. Auf dem Archipel der Kanarien beſtanden mehrere kleine, einander feindlich gegenüber ſtehende Staaten. Oft war die⸗ ſelbe Inſel zwei unabhängigen Fürſten unterworfen, wie in der Südſee und überall, wo die Kultur noch auf tiefer Stufe ſteht. Die Handelsvölker befolgten damals hier dieſelbe arg— liſtige Politik, wie jetzt auf den Küſten von Afrika: ſie leiſteten den Bürgerkriegen Vorſchub. So wurde ein Guanche Eigentum des anderen, und dieſer verkaufte jenen den Euro— päern; manche zogen den Tod der Sklaverei vor und töteten Die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber ſprechen von Fahrten, welche die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben ſollen, um Guanchenſklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da dieſe Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten. — 118 — ſich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der Kanarien durch den Sklavenhandel, durch die Menſchenräuberei der Pi⸗ raten, beſonders aber durch lange blutige Zwiſte bereits ſtarke Verluſte erlitten, als Alonſo de Lugo ſie vollends eroberte. Den Ueberreſt der Guanchen raffte im Jahre 1494 größten⸗ teils die berühmte Peſt, die ſogenannte Modorra hin, die man den vielen Leichen zuſchrieb, welche die Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen laſſen. Wenn ein halb wildes Volk, das man um ſein Eigentum gebracht, im ſelben Lande neben einer civiliſierten Nation leben muß, ſo ſucht es ſich in den Gebirgen und Wäldern zu iſolieren. Inſel⸗ bewohner haben keine andere Zuflucht, und ſo war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des 17. Jahrhunderts ſo gut wie ausgerottet; außer ein paar alten Männern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr. Es iſt ein tröſtlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht immer verſchmäht haben, ſich mit den Eingeborenen zu ver: miſchen; aber die heutigen Kanarier, die bei den Spaniern ſchlechtweg Islenos heißen, haben triftige Gründe, eine ſolche Miſchung in Abrede zu ziehen. In einer langen Gefchlechts- folge verwiſchen ſich die charakteriſtiſchen Merkmale der Raſſen, und da die Nachkommen der Andaluſier, die ſich auf Tenerifa niedergelaſſen, ſelbſt von ziemlich dunkler Geſichtsfarbe ſind, ſo kann die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der Raſſen nicht merkbar verändert worden ſein. Es iſt That⸗ ſache, daß gegenwärtig kein Eingeborener von reiner Raſſe mehr lebt, und ſonſt ganz wahrheitsliebende Reiſende ſind im Irrtum, wenn ſie glauben, bei der Beſteigung des Piks ſchlanke, ſchnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben. Allerdings wollen einige kanariſche Familien vom letzten Hirten⸗ könig von Guimar abſtammen, aber dieſe Anſprüche haben wenig Grund; ſie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn einer aus dem Volke, der brauner iſt als ſeine Landsleute, Luſt bekommt, ſich um eine Offiziersſtelle im Dienſte des Königs von Spanien umzuthun. Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel ſeines Ruhmes erſtiegen hatte, war es Brauch, die ſanfte Gemütsart der Guanchen zu rühmen, wie man in unſerer Zeit die Unſchuld der Bewohner von Tahiti geprieſen hat. Bei beiden Bildern iſt das Kolorit glänzender als wahr. Wenn die Völker, erſchöpft durch geiſtige Genüſſe, in der Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor ſich — 119 — ſehen, ſo finden ſie einen eigenen Reiz in der Vorſtellung, daß in weit entlegenen Ländern, beim Dämmerlicht der Kultur, in der Bildung begriffene Menſchenvereine eines reinen, un— geſtörten Glückes genießen. Dieſem Gefühl verdankt Tacitus zum Teil den Beifall, der ihm geworden, als er den Römern, den Unterthanen der Cäſaren, die Sitten der Germanen ſchilderte. Dasſelbe Gefühl gibt den Beſchreibungen der Reiſenden, die ſeit dem Ende des verfloſſenen Jahrhunderts die Inſeln des Stillen Ozeans beſucht haben, den unbeſchreib— lichen Reiz. Die Einwohner der zuletzt genannten Inſeln, die man wohl zu ſtark geprieſen hat und die einſt Menſchenfreſſer waren, haben in mehr als einer Beziehung Aehnlichkeit mit den Guanchen von Tenerifa. Beide ſehen wir unter dem Joche eines feudalen Regimentes ſeufzen, und bei den Guanchen war dieſe Staatsform, welche ſo leicht Kriege herbeiführt und ſie nicht enden läßt, durch die Religion geheiligt. Die Prieſter ſprachen zum Volk: „Achaman, der große Geiſt, hat zuerſt die Edlen, die Achimenceys, geſchaffen und ihnen alle Ziegen in der Welt zugeteilt. Nach den Edeln hat Achaman das gemeine Volk geſchaffen, die Achicaxnas; dieſes jüngere Ge— ſchlecht nahm ſich heraus, gleichfalls Ziegen zu verlangen; aber das höchſte Weſen erwiderte, das Volk ſei dazu da, den Edeln dienſtbar zu ſein, und habe kein Eigentum nötig.“ Eine ſolche Ueberlieferung mußte den reichen Vaſallen der Hirtenkönige ungemein behagen; auch ſtand dem Fayzan oder Oberprieſter das Recht zu, in den Adelſtand zu erheben, und ein Geſetz verordnete, daß jeder Achimencey, der ſich herbei— ließe, eine Ziege mit eigenen Händen zu melken, ſeines Adels verluſtig ſein ſollte. Ein ſolches Geſetz erinnert keineswegs an die Sitteneinfalt des homeriſchen Zeitalters. Es befremdet, wenn man ſchon bei den Anfängen der Kultur die nützliche Beſchäftigung mit Ackerbau und Viehzucht mit Verachtung gebrandmarkt ſieht. Die Guanchen waren berühmt durch ihren hohen Wuchs; ſie erſchienen als die Patagonen der Alten Welt und die Ge— ſchichtſchreiber übertrieben ihre Muskelkraft, wie man vor Bougainvilles und Cordobas Reiſen dem Volksſtamm am Südende von Amerika eine koloſſale Körpergröße zuſchrieb. Mumien von Guanchen habe ich nur in den europäiſchen Kabinetten geſehen; zur Zeit meiner Reife waren fie auf Tene- rifa ſehr ſelten; man müßte ſie aber in Menge finden, wenn — 120 — man die Grabhöhlen, die am öſtlichen Abhang des Piks zwi⸗ ſchen Arico und Guimar in den Fels gehauen ſind, berg: männiſch aufbrechen ließe. Dieſe Mumien ſind ſo ſtark ver— trocknet, daß ganze Körper mit der Haut oft nicht mehr als 3 bis 3,5 kg wiegen, das heißt ein Dritteil weniger, als das Skelett eines gleich großen Individuums, von dem man eben das Muskelfleiſch abgenommen hat. Die Schädelbildung ähnelt einigermaßen der der weißen Raſſe der alten Aegypter, und die Schneidezähne ſind auch bei den Guanchen ſtumpf, wie bei den Mumien vom Nil. Aber dieſe Zahnform iſt rein künſtlich und bei genauerer Unterſuchung der Kopfbildung der alten Guanchen haben geübte Anatomen! gefunden, daß ſie im Jochbein und im Unterkiefer von den ägyptiſchen Mumien bedeutend abweicht. Oeffnet man Mumien von Guanchen, ſo findet man Ueberbleibſel aromatiſcher Kräuter, unter denen immer das Chenopodium ambrosioides vorkommt; zuweilen ſind die Leichen mit Schnüren geſchmückt, an denen kleine Scheiben aus gebrannter Erde hängen, die als Zahlzeichen gedient zu haben ſcheinen und die mit den Quippos der Perua: ner, Mexikaner und Chineſen Aehnlichkeit haben. Da im allgemeinen die Bevölkerung von Inſeln den um— wandelnden Einflüſſen, wie ſie Folgen der Wanderungen ſind, weniger ausgeſetzt iſt, als die Bevölkerung der Feſtländer, ſo läßt ſich annehmen, daß der Archipel der Kanarien zur Zeit der Karthager und Griechen vom ſelben Menſchenſtamm be— wohnt war, den die normänniſchen und ſpaniſchen Eroberer vorfanden. Das einzige Denkmal, das einiges Licht auf die Herkunft der Guanchen werfen kann, iſt ihre Sprache; leider ſind uns aber davon nur etwa hundertfünfzig Worte aufbe— halten, die zum Teil dasſelbe in der Mundart der verſchiedenen Inſeln bedeuten. Außer dieſen Worten, die man ſorgfältig geſammelt, hat man in den Namen vieler Dörfer, Hügel und Thäler wichtige Sprachreſte vor ſich. Die Guanchen, wie Basken, Hindu, Peruaner und alle ſehr alten Völker, be— nannten die Oertlichkeiten nach der Beſchaffenheit des Bodens, den ſie bebauten, nach der Geſtalt der Felſen, deren Höhlen ihnen als Wohnſtätten dienten, nach den Baumarten, welche die Quellen beſchatteten. Blumenbach, Decas quinta collectionis craniorum diver- sarum gentium illustrium. re Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber ſeit die Sprachforſcher durch Hornemanns Reiſe und durch die ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Marsden und Ventura auf die Berbern aufmerkſam geworden find, die, gleich den ſlavi— ſchen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke ver— breitet ſind, hat man gefunden, daß in der Sprache der Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben. Wir führen folgende Beiſpiele an: Himmel, guanchiſch Es berberiſch Tigot. i [ „ 7 O, n Acho. Gerſte, 7 Temaſen 5 Tomzeen. Korb, 2 Carinas 5 Carian. Waſſer, 5 Aenum 85 Anan. Ich glaube nicht, daß dieſe Sprachähnlichkeit ein Beweis für gemeinſamen Urſprung iſt; aber ſie deutet darauf hin, daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr ſtanden mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler und Garamanten verſchmolzen ſind und das vom Oſtende des Atlas durch das Harudjé und Fezzan bis zur Oaſe von Siuah und Audſchila ſich ausbreitet. Die Eingeborenen der Kanarien nannten ſich Guanchen, von Guan, Menſch, wie die Tunguſen ſich Pye und Donky nennen, welche Worte dasſelbe bedeuten, wie Guan. Indeſſen ſind die Völker, welche die Berberſprache ſprechen, nicht alle desſelben Stammes, und wenn Scylax in ſeinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren be— ſchreibt, ſo erinnert dies an die körperlichen Eigenſchaften der kanariſchen Guanchen. Je genauer man die Sprachen aus philoſophiſchem Ge— ſichtspunkte unterſucht, deſto mehr zeigt ſich, daß keine ganz allein ſteht; dieſen Anſchein würde auch die Sprache der Guanchen! noch weniger haben, wenn man von ihrem Mecha— Nach Vaters Unterſuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander ge— legener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika aguienon, bei den Guanchen aguyan; Menſch bei den Peruanern cari, bei den Guanchen coran; König bei den Mandingo in Afrika monso, bei den Guanchen monsey. Der Name der Inſel Gomera kommt im Worte Gomer zum Vorſchein, das der Name — 122 — nismus und ihrem grammatiſchen Bau etwas wüßte, Elemente, welche von größerer Bedeutung ſind als Wortform und Gleich— laut. Es verhält ſich mit gewiſſen Mundarten wie mit den organiſchen Bildungen, die ſich in der Reihe der natürlichen Familien nirgends unterbringen laſſen. Sie ſtehen nur ſchein— bar ſo vereinzelt da; der Schein ſchwindet, ſobald man eine größere Maſſe von Bildungen überblickt, wo dann die ver— mittelnden Glieder hervortreten. Gelehrte, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt, Aegypten ſehen, ſind vielleicht der Anſicht, das Geſchlecht Typhons und die Guanchen ſtehen in Zu— ſammenhang mittels der Berbern, echter Atlanten, zu denen die Tibbu und Tuarik der Wüſte gehören.“ Es genügt hier aber an der Bemerkung, daß eine ſolche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwiſchen der Berberſprache und dem Kopti— ſchen, das mit Recht für ein Ueberbleibſel des alten Aegyptiſchen gilt, unterſtützt wird. & Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, ſtammt von Spaniern und zu einem ſehr kleinen Teil von Normannen ab. Obgleich dieſe beiden Volksſtämme drei Jahrhunderte lang demſelben Klima ausgeſetzt geweſen ſind, zeichnet ſich der letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der Nor— mannen wohnen im Thal Teganana zwiſchen Punta de Naga und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dam— pierre kommen in dieſem Bezirke noch ziemlich häufig vor. Die Kanarier ſind ein redliches, mäßiges und religiöſes Volk; zu Hauſe zeigen ſie aber weniger Betriebſamkeit als in fremden Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeiſt treibt dieſe Inſu— laner, wie die Biscayer und Katalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen und in Amerika überall hin, wo es ſpa— niſche Kolonieen gibt, von Chile und dem La Plata bis nach Neumexiko. Ihnen verdankt man großenteils die Fortſchritte des Ackerbaues in den Kolonieen. Der ganze Archipel hat kaum 160 000 Einwohner, und der Islefßsos ſind vielleicht in der Neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimat. eines Berberſtammes iſt. (Vater, Unterſuchungen über Amerika, S. 170.) Die guanchiſchen Worte alcorae, Gott, und al mo— garon, Tempel, ſcheinen arabiſchen Urſprunges, wenigſtens be— deutet in letzterer Sprache almoharram heilig. Hornemanns Reife von Kairo nach Murzuk. — 123 — “qkm Einwohner, auf den qkm Tenerifa hatte auf 266 i. J. 1790 70000, 263 Fuerteventura a ig „AN Die große Canaria „ „ 214 „ „ 50000, 233 Palma n „ 22600, 230 Lanzarote % 09H ie Gomera RER: 5 7400, 145 Ferro eee 5 5000, 200 An Wein werden auf Tenerifa geerntet 20000 bis 24000 Pipes, worunter 5000 Malvaſier; jährliche Ausfuhr von Wein 8000 bis 9000 Pipes; Geſamtgetreideernte des Archipels 54000 Fanegas zu 50 kg. In gemeinen Jahren reicht dieſe Ernte aus zum Unterhalt der Einwohner, die großenteils von Mais, Kartoffeln und Bohnen (Krijoies) leben. Der Anbau des Zuckerrohrs und der Baumwolle iſt von geringem Belang, und die vornehmſten Handelsartikel ſind Wein, Branntwein, Orſeille und Soda. Bruttoeinnahme der Regierung, die Tabakspacht eingerechnet, 240 000 Piaſter. Auf nationalökonomiſche Erörterungen über die Wichtig— keit der Kanariſchen Inſeln für die Handelsvölker Europas laſſe ich mich nicht ein. Ich beſchäftigte mich während meines Aufenthaltes zu Caracas und in der Havana lange mit ſtati— ſtiſchen Unterſuchungen über die ſpaniſchen Kolonieen, ich ſtand in genauer Verbindung mit Männern, die auf Tenerifa be— deutende Aemter bekleidet, und ſo hatte ich Gelegenheit, viele Angaben über den Handel von Santa Cruz und Orotava zu ſammeln. Da aber mehrere Gelehrte nach mir die Kanarien beſucht haben, ſtanden ihnen dieſelben Quellen zu Gebot, und ich entferne ohne Bedenken aus meinem Tagebuch, was in Werken, die vor dem meinigen erſchienen ſind, genau ver— zeichnet ſteht. Ich beſchränke mich hier auf einige Bemerkungen, mit denen die Schilderung, die ich vom Archipel der Kanarien entworfen, geſchloſſen ſein mag. Es ergeht dieſen Inſeln, wie Aegypten, der Krim und jo vielen Ländern, welche von Reiſenden, welche in Kontraſten Wirkung ſuchen, über das Maß geprieſen oder heruntergeſetzt worden ſind. Die einen ſchildern von Orotava aus, wo ſie ans Land geſtiegen, Tenerifa als einen Garten der Heſperiden; ſie können das milde Klima, den fruchtbaren Boden, den reichen Anbau nicht genug rühmen; andere, die ſich in Santa Cruz aufhalten mußten, ſahen in den glückſeligen Inſeln nichts als ein kahles, dürres, von einem elenden, geiſtesbeſchränkten — 14 — Volke bewohntes Land. Wir haben gefunden, daß die Natur auf dieſem Archipelagus, wie in den meiſten gebirgigen und vulkaniſchen Ländern, ihre Gaben ſehr ungleich verteilt hat. Die Kanariſchen Inſeln leiden im allgemeinen an Waſſermangel; aber wo ſich Quellen finden, wo künſtlich bewäſſert wird oder häufig Regen fällt, da iſt auch der Boden ausnehmend frucht— bar. Das niedere Volk iſt fleißig, aber es entwickelt ſeine Thätigkeit ungleich mehr in fernen Kolonieen als auf Tenerifa ſelbſt, wo dieſelbe auf Hinderniſſe ſtößt, die eine kluge Ver— waltung allmählich aus dem Wege räumen könnte. Die Aus: wanderung wird abnehmen, wenn man ſich entſchließt, das unangebaute Grundeigentum des Staates unter der Ein— wohnerſchaft zu verteilen, die Ländereien, welche zu den Majo— raten der großen Familien gehören, zu verkaufen und allmaͤh— lich die Feudalrechte abzuſchaffen. Die gegenwärtige Bevölkerung der Kanarien erſcheint allerdings unbedeutend, wenn man ſie mit der Bevölkerung mancher europäiſchen Völker vergleicht. Die Inſel Madeira, deren fleißige Bewohner einen faſt von Pflanzenerde ent— blößten Felſen bebauen, iſt ſiebenmal kleiner als Tenerifa, und doch doppelt ſo ſtark bevölkert; aber die Schriftſteller, die ſich darin gefallen, die Entvölkerung der ſpaniſchen Kolonieen mit ſo grellen Farben zu ſchildern und den Grund davon in der kirchlichen Hierarchie ſuchen, überſehen, daß überall ſeit der Regierung Philipps V. die Zahl der Einwohner in mehr oder minder raſcher Zunahme begriffen iſt. Bereits iſt auf den Kanarien die Bevölkerung relativ ſtärker als in beiden Kaſtilien, in Eſtremadura und in Schottland. Alle Inſeln zuſammengerückt ſtellen ein Gebirgsland dar, das um ein Siebenteil weniger Flächeninhalt hat als die Inſel Korſika und doch gleich viel Einwohner zählt. Obgleich die Inſeln Fuerteventura und Lanzarote, die am ſchlechteſten bevölkert find, Getreide ausführen, während Tene— rifa gewöhnlich nicht zwei Dritteile ſeines Bedarfes erzeugt, ſo darf man doch daraus nicht den Schluß ziehen, daß auf letzterer Inſel die Bevölkerung aus Mangel an Lebensmitteln nicht zunehmen könnte. Die Kanariſchen Inſeln ſind noch auf lange vor den Uebeln der Uebervölkerung bewahrt, deren Ur— ſachen Malthus ſo ſicher und ſcharfſinnig entwickelt hat. Das Elend des Volkes iſt um vieles gelindert worden, ſeit der Kartoffelbau eingeführt iſt und man angefangen hat, mehr Mais als Gerſte und Weizen zu bauen. ey; Die Bewohner der Kanarien find ihrem Charakter nach ein Gebirgsvolk und ein Inſelvolk zugleich. Will man ſie richtig beurteilen, muß man ſie nicht nur in ihrer Heimat ſehen, wo ihr Fleiß auf gewaltige Hemmniſſe ſtößt; man muß ſie beobachten in den Steppen der Provinz Caracas, auf dem Rücken der Anden, auf den glühenden Ebenen der Philip— pinen, überall wo ſie, einſam in unbewohnten Ländern, Ge— legenheit finden, die Kraft und die Thätigkeit zu entwickeln, welche der wahre Reichtum des Koloniſten ſind. Die Kanarier gefallen ſich darin, ihr Land als einen Teil des europäiſchen Spaniens zu betrachten, und ſie haben auch wirklich die kaſtilianiſche Litteratur bereichert. Die Namen Clavigo (Verfaſſer des Penſador), Viera, Priarte und Be— tancourt ſind in Wiſſenſchaft und Litteratur mit Ehren ge— nannt; das kanariſche Volk beſitzt die lebhafte Einbildungs— kraft, die den Bewohnern von Andaluſien und Granada eigen iſt, und es iſt zu hoffen, daß die glückſeligen Inſeln, wo der Menſch wie überall die Segnungen und die harte Hand der Natur empfindet, dereinſt einen eingeborenen Dichter finden, der ſie würdig beſingt. Drittes Kapitel. Ueberfahrt von Tenerifa an die Küſte von Südamerika. — Ankunft in Cumana. Am 25. Juni abends verließen wir die Rede von Santa Cruz und ſchlugen den Weg nach Südamerika ein. Es wehte ſtark aus Nordoſt und das Meer ſchlug infolge der Gegen— ſtrömungen kurze gedrängte Wellen. Die Kanariſchen Inſeln, auf deren hohen Bergen ein rötlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem Geſicht. Nur der Pik zeigte ſich von Zeit zu Zeit in Blinken, wahrſcheinlich weil der in der hohen Luft— region herrſchende Wind dann und wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erſtenmal empfanden wir, welchen leb— haften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des heißen Erdgürtels, wo die Natur ſo reich, ſo großartig und ſo wundervoll auftritt, auf unſer Gemüt macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Tenerifa verweilt, und doch ſchieden wir von der Inſel, als hätten wir lange dort gelebt. Unſere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem öſtlichſten Hafen von Terra Firma, war ſo ſchön als je eine. Wir ſchnitten den Wendekreis des Krebſes am 27., und ob— gleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir doch den 4050 km langen Weg von der Küſte von Afrika zur Küſte der Neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir fuhren auf 225 km weſtwärts am Vorgebirge Bojador, am weißen Vorgebirge und an den Inſeln des grünen Vorgebirges vorüber. Ein paar Landvögel, die der ſtarke Wind auf die hohe See verſchlagen, zogen uns einige Tage nach. Hätten wir nicht unſere Länge mittels der Seeuhren genau gekannt, ſo wären wir verſucht geweſen zu glauben, wir ſeien ganz nahe an der afrikaniſchen Küſte. Unſer Weg war derſelbe, den ſeit Kolumbus' erſter Reiſe alle Fahrzeuge nach den Antillen einſchlagen. Vom Parallel EN. et von Madeira bis zum Wendekreis nimmt dabei die Breite raſch ab, während man an Länge faſt nichts zulegt; hat man aber die Zone des beſtändigen Paſſatwindes erreicht, ſo fährt man von Oſt nach Weſt auf einer ruhigen, friedlichen See, die bei den ſpaniſchen Seefahrern el Golfo de las Damas heißt. Wie alle, welche dieſe Striche befahren, machten auch wir die Beobachtung, daß, je weiter man gegen Weſten rückt, der Paſſat, der anfangs Oſt-Nord⸗Oſt war, immer mehr Oſt— wind wird. Hadley! hat in einer berühmten Abhandlung die Theorie des Paſſats entwickelt, wie ſie gemeiniglich angenommen iſt, aber die Erſcheinung iſt eine weit verwickeltere, als die meiſten Phyſiker glauben. Im Atlantiſchen Ozean iſt die Länge wie die Abweichung der Sonne von Einfluß auf die Richtung und die Grenzen der Paſſatwinde. Dem neuen Kontinent zu gehen fie in beiden Halbkugeln 8 bis 9° über den Wendekreis hinauf, während in der Nähe von Afrika die veränderlichen Winde weit über den 28. oder 27. Grad hinunter herrſchen. Es iſt im Intereſſe der Meteorologie und der Schiffahrt zu bedauern, daß die Veränderungen, denen die Luftſtrömungen unter den Tropen im Stillen Ozean unterliegen, weit weniger bekannt ſind als das Verhalten derſelben Ströme in einem engeren Meeresbecken, wo die nicht weit auseinander liegenden Küſten von Guinea und Braſilien ihre Einflüſſe geltend machen. Die Schiffer wiſſen ſeit Jahrhunderten, daß im Atlantiſchen Ozean der Aequator nicht mit der Linie zuſammenfällt, welche die Paſſatwinde aus Nordoſt und die aus Südoſt ſcheidet. Dieſe Linie liegt, nach Hadleys richtiger Beobachtung, unter dem 3. bis 4. Grad nördlicher Breite, und wenn ihre Lage daher rührt, daß die Sonne in der nördlichen Halbkugel länger ver— weilt, ſo weiſt ſie darauf hin, daß die Temperaturen der Daß fortwährend ein oberer Luftſtrom vom Aequator zu den Polen und ein unterer von den Polen zum Aequator geht, dies it, wie Arago dargethan hat, ſchon von Hooke erkannt worden. Seine Ideen hierüber entwickelte der berühmte engliſche Phyſiker in einer Rede vom Jahre 1686. „Ich glaube,“ fügt er hinzu, „daß ſich mehrere Erſcheinungen in der Luft und auf dem Meere, namentlich die Winde, aus Polarſtrömen erklären laſſen.“ Hadley führt dieſe intereſſante Stelle nicht an; andererſeits nimmt Hooke, wo er auf die Paſſatwinde ſelbſt zu ſprechen kommt, Galileis un— richtige Theorie an, nach der ſich die Erde und die Luft mit ver— ſchiedener Geſchwindigkeit bewegen ſollen. — 128 — beiden Halbkugeln! ſich verhalten wie 11 zu 9. In der Folge, wenn von der Luft über der Südſee die Rede iſt, werden wir ſehen, daß weſtwärts von Amerika der Südoſtpaſſat nicht jo weit über den Aequator hinausreicht als im Atlantiſchen Ozean. Der Unterſchied in der Luftſtrömung dem Aequator zu vom einen und vom anderen Pol her kann ja nicht unter allen Längengraden derſelbe ſein, das heißt auf Punkten der Erdkugel, wo die Feſtländer ſehr verſchieden breit ſind und ſich mehr oder minder weit gegen die Pole erſtrecken. Es iſt bekannt, daß auf der Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, wie von Acapulco nach den Philippinen, die Matroſen faſt keine Hand an die Segel zu legen brauchen. Man fährt in dieſen Strichen, als ginge es auf einem Fluſſe hinunter, und es iſt zu glauben, daß es kein gewagtes Unter— nehmen wäre, die Fahrt mit einer Schaluppe ohne Verdeck zu machen. Weiter weſtwärts aber, an der Küſte von St. Marta und im Meerbuſen von Mexiko weht der Wind ſehr ſtark und macht die See ſehr unruhig. ? N Je weiter wir uns von der afrikaniſchen Küſte entfernten, deſto ſchwächer wurde der Wind; oft blieb er einige Stunden ganz aus, und dieſe Windſtillen wurden regelmäßig durch elektriſche Erſcheinungen unterbrochen. Schwarze, dichte, ſcharf umriſſene Wolken zogen ſich im Oſt zuſammen; man konnte meinen, es jet eine Bö im Anzug und man werde die Mars- ſegel einreffen müſſen, aber nicht lange, ſo erhob ſich der Wind wieder, es fielen einige ſchwere Regentropfen und das Ge— witter verzog ſich, ohne daß man hatte donnern hören. Es war intereſſant, währenddeſſen die Wirkung ſchwarzer Wolken zu beboachten, die einzeln und ſehr tief durch den Zenith liefen. Man ſpürte, wie der Wind allmählich ſtärker oder ſchwächer wurde, je nachdem die kleinen Haufen von Dunſt— bläschen ſich näherten oder entfernten, ohne daß die Elektro— meter mit langer Metallſtange und brennendem Docht in den unteren Luftſchichten eine Aenderung in der elektriſchen Span— Nimmt man mit Aepinus an, daß die ſüdliche Halbkugel nur um ½4 kälter iſt als die nördliche, jo ergibt die Rechnung für die nördliche Grenze des Oſt-Süd-Oſt-Paſſats 1° 28°. 2 Die ſpaniſchen Seeleute nennen die ſehr ſtarken Paſſatwinde in Cartagena los brisotes de la Santa Marta und im Meer⸗ buſen von Mexiko las brizas pardas. Bei letzteren Winden iſt der Himmel grau und umwölkt. | I — 129 — nung anzeigten. Mittels ſolcher kleinen, mit Windſtillen wechſelnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und Juli von den Kanariſchen Inſeln nach den Antillen oder an die Küſten von Südamerika. Im heißen Erdſtrich löſen ſich die meteorologiſchen Vorgänge äußerſt regelmäßig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der Schiffahrt lange denk— würdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadiz nach Cumana gingen, unter 14° der Länge und 48° der Breite umlegen mußten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord⸗Nord⸗Weſt blies. Welch bedeutende Störung im regelmäßigen Lauf der Luftſtrömungen muß man annehmen, um ſich von einem ſolchen Gegenwind Rechenſchaft zu geben, der ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Baro— meters in ſeiner ſtündlichen Schwankung geſtört haben wird! Einige ſpaniſche Seefahrer haben neuerlich einen anderen Weg nach den Antillen und zur Küſte von Terra Firma als den von Chriſtoph Kolumbus zuerſt eingeſchlagenen zur Sprache gebracht. Sie ſchlagen vor, man ſolle nicht gerade nach Süd ſteuern, um den Paſſat aufzuſuchen, ſondern auf einer Dia— gonale zwiſchen Kap St. Vincent und Amerika in Länge und Breite zugleich vorrücken. Dieſer Weg, der die Fahrt abkürzt, da man den Wendekreis etwa 20“ weſtwärts vom Punkte ſchneidet, wo ihn die Schiffe gewöhnlich ſchneiden, iſt von Admiral Gravina mehreremal mit Glück eingeſchlagen worden. Dieſer erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahre 1802 auf dieſem ſchiefen Wege mehrere Tage vor der franzöſiſchen Flotte nach St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider Hofes mit ſeinem Geſchwader im Hafen von Ferrol hatte ein— laufen und ſich dort eine Zeitlang aufhalten müſſen. Dieſes neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadiz nach Cumana etwa um ein Zwanzigteil ab; da man aber erſt unter dem 40. Grad der Länge die Tropen betritt, ſo läuft man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden zu thun zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südweſt blaſen. Beim alten Verfahren wird der Nachteil, daß man einen längeren Weg macht, dadurch ausgeglichen, daß man ſicher iſt, in den Paſſat zu gelangen und ihn auf einem größeren Stück der Ueberfahrt benutzen zu können. Während meines Aufenthaltes in den ſpaniſchen Kolonieen ſah ich mehrere Kauffahrer an— kommen, die aus Furcht vor Kapern den ſchiefen Weg ein— geſchlagen hatten und ausnehmend raſch herübergekommen A. v. Humboldt, Reiſe. I. 9 — 130 — waren; nur nach wiederholten Verſuchen wird man ſich beſtimmt über einen Punkt ausſprechen können, der zum mindeſten ſo wichtig iſt als die Wahl des Meridians, auf dem man bei der Fahrt nach Buenos Ayres oder Kap Horn den Aequator ſchneiden ſoll. Nichts geht über die Pracht und Milde des Klimas im tropiſchen Weltmeer. Während der Paſſatwind ſtark blies, ſtand der Thermometer bei Tage auf 23 bis 24°, bei Nacht zwiſchen 22 und 22,55. Um den Reiz dieſer glücklichen Erd— ſtriche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küſten von Chile nach Europa geſegelt haben. Welcher Abſtand zwiſchen den ſtürmiſchen Meeren in nördlichen Breiten und dieſen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrſcht! Wenn die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den ſpaniſchen Küſten ſo kurz und ſo angenehm wäre als die Reiſe aus der Alten in die Neue Welt, ſo wäre die Zahl der Europäer, die ſich in den Kolonieen niedergelaſſen, lange nicht ſo groß, als ſie jetzt iſt. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurückfährt, führt bei den Spaniern den ſelt— ſamen Namen Golfo de las Yeguas.! Koloniſten, die an die See nicht gewöhnt ſind, und lange einſam in den Wäldern von Guyana, in den Savannen von Caracas oder auf den Kordilleren von Peru gelebt haben, fürchten ſich vor dem See— ſtrich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von Lima vor der Fahrt um Kap Horn. Sie übertreiben in der Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenklich iſt. Sie verſchieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszuführen, das ihnen gewagt ſcheint, und meiſt überraſcht ſie der Tod, während ſie ſich zur Rückreiſe rüſten. Nördlich von den Inſeln des Grünen Vorgebirges ſtießen wir auf große Bündel ſchwimmenden Tangs. Es war die tropiſche Seetraube, Fucus natans, die nur bis zu 40° nörd⸗ licher und ſüdlicher Breite auf dem Geſtein unter dem Meeres— ſpiegel wächſt. Dieſe Algen ſchienen hier, wie ſüdweſtlich von der Bank von Neufundland, das Vorhandenſein der Strö— mungen anzuzeigen. Die Seeſtriche, wo viel einzelner Tang vorkommt, und die mit Seegewächſen bedeckten Strecken, welche Kolumbus mit großen Wieſen vergleicht und die der Mann- Der Meerbuſen der Stuten. — 131 — ſchaft der Santa Maria unter 42° der Länge Schrecken ein- jagten, ſind nicht miteinander zu verwechſeln. Durch die Vergleichung vieler Schiffstagebücher habe ich mich überzeugt, daß es im Becken des nördlichen Atlantiſchen Ozeans zwei ſolcher mit Algen bedeckten Strecken gibt, die nichts mitein— ander zu thun haben. Die größte derſelben! liegt etwas weſtlich vom Meridian von Fayal, einer der Azoriſchen Inſeln, zwiſchen 35 und 36° der Breite. Die Meerestemperatur be— trägt in dieſem Strich 16 bis 20“, und die Nordoſtwinde, die dort zuweilen ſehr ſtark ſind, treiben ſchwimmende Tang— inſeln in tiefe Breiten, bis zum 24., ja bis zum 20. Grad. Die Schiffe, die von Montevideo und vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückfahren, kommen über dieſe Fukus— bank, die nach den ſpaniſchen Schiffern von den Kleinen An- tillen und von den Kanariſchen Inſeln gleich weit entfernt iſt; die Ungeſchickteſten können danach ihre Länge berichtigen. Die zweite Fukusbank iſt wenig bekannt; ſie liegt unter 22 und 26° der Breite, 148 km weſtlich vom Meridian der Bahamainſeln, und iſt von weit geringerer Ausdehnung. Man ſtößt auf ſie auf der Fahrt von den Caycosinſeln nach den Bermuden. Allerdings kennt man Tangarten mit 260 m langen Stengeln,? und dieſe Kryptogamen der hohen See wachſen ſehr raſch; dennoch iſt kein Zweifel darüber, daß in den oben beſchriebenen Strichen die Tange keineswegs am Meeresboden haften, ſondern in einzelnen Bündeln auf dem Waſſer ſchwim— men. In dieſem Zuſtand können dieſe Gewächſe nicht viel länger fortvegetieren als ein vom Stamm abgeriſſener Baumaſt. Will man ſich Rechenſchaft davon geben, wie es kommt, daß 1 Phöniziſche Fahrzeuge ſcheinen „in 30 Tagen Schiffahrt und mit dem Oſtwind“ zum Grasmeer gekommen zu ſein, das bei Spaniern und Portugieſen Mar de Sargazo heißt. Ich habe anderswo dargethan, daß dieſe Stelle im Buche des Ariſtoteles „De Mirabilibus“ ſich nicht wohl, wie eine ähnliche Stelle im Periplus des Scylax, auf die Küſte von Afrika beziehen kann. Setzt man voraus, daß das mit Gras bedeckte Meer, das die phöniziſchen Schiffe in ihrem Laufe aufhielt, das Mar de Sargazo war, jo braucht man nicht anzunehmen, daß die Alten im Atlantiſchen Meer über den 30. Grad weſtlicher Länge vom Meridian von Paris hin- ausgekommen ſeien. 2 Fucus giganteus, Forster, oder Laminaria pyrifera, La- mouroux. — 132 — bewegliche Maſſen ſich ſeit Jahrhunderten an denſelben Stellen befinden, ſo muß man annehmen, daß ſie vom Geſtein 73 bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nach— wuchs fortwährend wieder erſetzt, was die tropiſche Strömung wegreißt. Dieſe Strömung führt die tropiſche Seetraube in hohe Breiten, an die Küſten von Norwegen und Frankreich, und die Algen werden ſüdwärts von den Azoren keineswegs vom Golfſtrom zuſammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es wäre zu wünſchen, daß die Schiffer in dieſen mit Pflanzen bedeckten Strichen häufiger das Senkblei aus— würfen; man verſichert, holländische Seeleute haben mittels Leinen aus Seidenfäden zwiſchen der Bank von Neufundland und der ſchottiſchen Küſte eine Reihe von Untiefen gefunden. Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt iſt, los— geriſſen werden, darüber iſt man noch nicht im klaren. Wir wiſſen nur nach den ſchönen Beobachtungen von Lamouroux, daß die Algen zwar vor der Entwickelung ihrer Fruktifikationen ausnehmend feſt am Geſtein hängen, dagegen nach dieſer Zeit oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation ſtockt, ſehr leicht abzureißen ſind. Fiſche und Weichtiere, welche die Stengel der Tange benagen, mögen wohl auch dazu beitragen, ſie von ihren Wurzeln zu löſen. Vom 22. Breitegrad an fanden wir die Meeresfläche mit fliegenden Fiſchen! bedeckt; ſie ſchnellten ſich 4,5, ja 6 m in die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich ſcheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenſtand zu berühren, von dem die Reiſenden ſo viel ſprechen, als von Delphinen und Haifiſchen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle dieſe Dinge bieten den Phyſikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn ſie ſich ganz beſonders damit beſchäftigen. Die Natur iſt eine unerſchöpfliche Quelle der Forſchung, und im Maß, als die Wiſſenſchaft vorſchreitet, bietet ſie dem, der ſie recht zu befragen weiß, immer wieder eine neue Seite, von der er fie bis jetzt nicht betrachtet hatte. Ich erwähnte der fliegenden Fiſche, um die Naturkundigen auf die ungeheure Größe ihrer Schwimmblaſe aufmerkſam zu machen, die bei einem 172 mm langen Fiſch 95 mm lang und 25 mm breit iſt und 3½ Kubikzoll Luft enthält. Die Blaſe nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Tieres 2 Exocoetus volitans. — 133 — ein, und trägt ſomit wahrſcheinlich dazu bei, daß es ſo leicht it. Man könnte jagen, dieſer Luftbehälter diene ihm viel⸗ mehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Verſuche, die Provenzal und ich angeſtellt, beweiſen, daß dieſes Organ ſelbſt bei den Arten, die damit verſehen ſind, zu der Bewegung an die Waſſerfläche herauf nicht durchaus notwendig iſt. Bei einem jungen 13 em langen Exocötus bot jede der Bruſt— floſſen, die als Flügel dienen, der Luft bereits eine Oberfläche von 26 dem dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nerven⸗ ſtränge, die zu den zwölf Strahlen dieſer Floſſen verlaufen, faſt dreimal dicker ſind als die Nerven der Bauchfloſſen. Wenn man die erſteren Nerven galvaniſch reizt, ſo gehen die Strahlen, welche die Haut der Bruſtfloſſen tragen, fünfmal kräftiger auseinander, als die der anderen Floſſen, wenn man ſie mit denſelben Metallen galvaniſiert. Der Fiſch kann ſich aber auch 6,5 m weit wagerecht fortſchnellen, ehe er mit der Spitze feiner Floſſen die Meeresfläche wieder berührt. Man hat dieſe Be— wegung und die eines flachen Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die Wellen hüpft, ganz richtig zuſammengeſtellt. So ausnehmend raſch die Bewegung iſt, kann man doch deutlich ſehen, daß das Tier während des Sprunges die Luft ſchlägt, das heißt, N. es die Bruſtfloſſen abwechſelnd ausbreitet und einzieht. Dieſelbe Bewegung beobachtet man am fliegenden Seeſkorpion auf den japaniſchen Flüſſen, der gleichfalls eine große Schwimmblaſe hat, während ſie den meiſten Seeſkorpionen, die nicht fliegen, fehlt.!“ Die Exocötus können, wie die meiſten Kiementiere, ziemlich lange und mittels derſelben Organe im Waſſer und in der Luft atmen, das heißt der Luft wie dem Waſſer den darin enthaltenen Sauerſtoff entziehen. Sie bringen einen großen Teil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlaſſen ſie das Meer, um den gefräßigen Goldbraſſen zu entgehen, ſo begegnen ſie in der Luft den Fregatten, Albatroſſen und anderen Vögeln, die ſie im Fluge erſchnappen. So werden an den Ufern des Orinoko Rudel von Cabiais,? wenn ſie vor den Krokodilen aus dem Waſſer flüchten, am Ufer die Beute der Jaguare. Ich bezweifle indeſſen, daß ſich die fliegenden Fiſche allein ! Scorpaena porcus, S. scrofa, S. dactyloptera, Delaroche. 2 Cavia Capybara L. um der Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, aus dem Waſſer ſchnellen. Gleich den Schwalben ſchießen ſie zu Tauſenden fort, gerade aus und immer gegen die Richtung der Wellen. In unſeren Himmelsſtrichen ſieht man häufig am Ufer eines klaren, von der Sonne beſchienenen Fluſſes einzeln ſtehende Fiſche, die ſomit nichts zu fürchten haben können, ſich über die Waſſerfläche ſchnellen, als machte es ihnen Vergnügen, Luft zu atmen. Warum ſollte dieſes Spiel nicht noch häufiger und länger bei den Exocötus vorkommen, die vermöge der Form ihrer Bruſtfloſſen und ihres geringen ſpezifiſchen Ge— wichtes ſich ſehr leicht in der Luft halten? Ich fordere die Forſcher auf, zu unterſuchen, ob andere fliegende Fiſche, z. B. Exocoetus exiliens, Trigla vocitans und T. hirundo auch ſo große Schwimmblaſen haben wie der tropiſche Exocötus. Dieſer geht mit dem warmen Waſſer des Golfſtromes nach Norden. Die Schiffsjungen ſchneiden ihm zum Spaß ein Stück der Bruſtfloſſen ab und behaupten, dieſe wachſen wieder, was mir mit den bei anderen Fiſchfamilien gemachten Beob⸗ achtungen nicht zu ſtimmen ſcheint. Zur Zeit, da ich von Paris abreiſte, hatten die Verſuche, welche Dr. Brodbelt in Jamaika mit der Luft in der Schwimm⸗ blaſe des Schwertfiſches angeſtellt, einige Phyſiker zur An— nahme veranlaßt, daß unter den Tropen dieſes Organ bei den Seefiſchen reines Sauerſtoffgas enthalte. Auch ich hatte dieſe Vorſtellung, und ſo war ich überraſcht, als ich in der Luftblaſe des Exocötus nur 0,04 Sauerſtoffgas auf 0,94 Stickſtoff und 0,02 Kohlenſäure fand. Der Anteil des letzteren Gaſes, der mittels der Abſorption durch Kalkwaſſer in gra— duierten Röhren gemeſſen wurde,! ſchien konſtanter als der des Sauerſtoffs, von dem einige Exemplare faſt noch einmal ſo viel zeigten. Nach Biots, Configliachis und Delaroches intereſſanten Beobachtungen muß man annehmen, daß der von Brodbelt ſezierte Schwertfiſch in großen Meerestiefen gelebt habe, wo manche Fiſche bis zu 94% Sauerſtoff in ihrer Schwimmblaſe zeigen. Am 1. Juli, unter 17° 42° der Breite und 34° 21“ der Länge ſtießen wir auf die Trümmer eines Wrackes. Wir konnten einen Maſtbaum ſehen, der mit ſchwimmendem Tang überzogen war. In einem Strich, wo die See beſtändig ruhig ft, konnte das Fahrzeug nicht Schiffbruch gelitten haben. I ae gekrümmte Röhren mit einer großen Kugel. — 135 — Vielleicht daß dieſe Trümmer aus den nördlichen ſtürmiſchen Meeren kamen, und infolge der merkwürdigen Drehung, welche die Waſſer des Atlantiſchen Meeres in der nördlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurückwanderten, wo das Schiff zu Grunde gegangen. Am 3. und 4. fuhren wir über den Teil des Ozeans, wo die Karten die Bank des Maalſtromes verzeichnen; mit Einbruch der Nacht änderte man den Kurs, um einer Ge— fahr auszuweichen, deren Vorhandenſein ſo zweifelhaft iſt, als das der Inſeln Fonſeco und Santa Anna.! Es wäre wohl klüger geweſen, den Kurs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von ſogenannten wachenden Klippen, die zum Teil allerdings vorhanden ſind, größtenteils aber ſich von optiſchen Täuſchungen herſchreiben, die auf der See häufiger ſind als im Binnenlande. Die Lage der wirklich gefährlichen Punkte iſt meiſt wie aufs Geratewohl angegeben; ſie waren von Schiffern geſehen worden, die ihre Länge nur auf ein paar Grade kannten, und meiſt kann man ſicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zuſteuert, wo ſie auf den Karten angegeben ſind. Als wir dem vor— geblichen Maalſtrom nahe waren, konnten wir am Waſſer keine andere Bewegung bemerken, als eine Strömung nach Nord— weſt, die uns nicht ſo viel in Länge zurücklegen ließ, als wir 1 Die Karten von Jefferys und van Keulen geben vier Inſeln an, die nichts als eingebildete Gefahren ſind: die Inſeln Garca und Santa Anna, weſtlich von den Azoren, die Grüne Inſel (unter 14° 52° Breite, 28° 30° Länge) und die Inſel Fonſeco (unter 13° 15° Breite, 57° 10° Länge). Wie kann man an die Exiſtenz von vier Inſeln in von Tauſenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von ſo vielen kleinen Riffen und Untiefen, die ſeit hundert Jahren von leichtgläubigen Schiffern angegeben worden ſind, ſich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die all— gemeine Frage betrifft, mit welchem Grade von Wahrſcheinlichkeit ſich annehmen läßt, daß zwiſchen Europa und Amerika eine auf 4 bis 5 km ſichtbare Inſel werde entdeckt werden, ſo könnte man ſie einer ſtrengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die ſeit dreihundert Jahren jährlich das Atlan— tiſche Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Verteilung der Fahrzeuge in verſchiedenen Strichen berückſichtigte. Befände ſich der Maalſtrom, nach van Keulens Angabe, unter 16° Breite fab 39° 30° Länge, jo wären wir am 4. Juli darüber wegge— ahren. — 136 — gewünſcht hätten. Die Stärke dieſer Strömung nimmt zu, je näher man dem neuen Kontinente kommt; ſie wird durch die Bildung der Küſten von Braſilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die Gewäſſer des Orinoko und des Amazonen⸗ ſtromes, wie manche Phyſiker behaupten. Seit unſerem Eintritt in die heiße Zone wurden wir nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des ſüdlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten, immer neue Sternbilder vor unſeren Blicken aufſtiegen. Ein ſonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Ueber— gang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabrücken und endlich verſchwinden ſieht. Nichts mahnt den Reiſenden ſo auffallend an die ungeheure Entfernung ſeiner Heimat, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppierung der großen Sterne, einige zerſtreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchſtraße wetteifern, Strecken, die ſich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben dem Südhimmel eine ganz eigen⸗ tümliche Phyſiognomie. Dieſes Schauſpiel regt ſelbſt die Einbildungskraft von Menſchen auf, die den phyſiſchen Willen: ſchaften ſehr fern ſtehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken, wie man eine ſchöne Landſchaft oder eine großartige Ausſicht bewundert. Man braucht kein Botaniker zu ſein, um ſchon am Anblick der Pflanzenwelt den heißen Erdſtrich zu erkennen, und wer auch keine aſtronomiſchen Kenntniſſe hat, wer von Flamſteads und Lacailles Himmelskarten nichts weiß, fühlt, daß er nicht in Europa iſt, wenn er das ungeheure Stern⸗ bild des Schiffes oder die leuchtenden Magelhaensſchen Wolken am Horizont aufſteigen ſieht. Erde und Himmel, allem in den Aequinoktialländern drückt ſich der Stempel des Fremd⸗ artigen auf. Die niedrigen Luftregionen waren ſeit einigen Tagen mit Dunſt erfüllt. Erſt in der Nacht vom 4. zum 5. Juli, unter 16“ Breite, ſahen wir das ſüdliche Kreuz zum erſten⸗ mal deutlich; es war ſtark geneigt und erſchien von Zeit zu Zeit zwiſchen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es einem Reiſenden geſtattet iſt, von ſeinen perſönlichen Empfindungen zu Sprechen, jo darf ich jagen, daß ich in dieſer Nacht einen der Träume meiner früheſten Jugend in Er— füllung gehen ſah. Wenn man anfängt geographiſche Karten zu betrachten und Schilderungen der Seefahrer zu leſen, ſo fühlt man für gewiſſe Länder und gewiſſe Klimate eine Art Vorliebe, von der man ſich in reiferem Alter keine Rechenſchaft zu geben vermag. Eindrücke derart äußern einen nicht unbedeutenden Einfluß auf unſere Entſchlüſſe, und wie inſtinktmäßig ſuchen wir Gegenſtänden, die ſchon ſo lange eine geheime Anziehungs— kraft für uns gehabt, wirklich nahe zu kommen. Als ich mich mit dem Himmel beſchäftigte, nicht um Aſtronomie zu treiben, ſondern nur um die Sterne kennen zu lernen, empfand ich eine bange Unruhe, die Menſchen, die ein ſitzendes Leben lieben, ganz fremd iſt. Der Hoffnung entſagen zu ſollen, jemals jene herrlichen Sternbilder am Südpol zu erblicken, das ſchien mir ſehr hart. Im ungeduldigen Drange, die Aequatorialländer kennen zu lernen, konnte ich nicht die Augen zum Sterngewölbe aufſchlagen, ohne an das ſüdliche Kreuz zu denken und mir die erhabenen Verſe Dantes vorzuſagen, welche ſich nach den berühmteſten Auslegern auf jenes Stern— bild beziehen: Jo mi volsi a man destra e posi mente All’ altro polo, e vidi quattro stelle, Non viste mai fuor ch’ alla prima gente. Goder parea lo ciel di lor fiammelle, O settentrional vedovo sito, Poi che privato se di mirar quelle! ! Unſere Freude beim Erſcheinen des ſüdlichen Kreuzes wurde lebhaft von denjenigen unter der Mannſchaft geteilt, die in den Kolonieen gelebt hatten. In der Meereseinſamkeit begrüßt man einen Stern wie einen Freund, von dem man lange Zeit getrennt geweſen. Bei den Portugieſen und Spaniern ſteigert ſich dieſe gemütliche Teilnahme noch durch Rechts an des andern Poles Firmament Boten ſich dar vier Sterne meinen Blicken, Die nur dem erſten Paar zu ſchaun vergönnt. Ihr Schimmer ſchien den Himmel zu entzücken: O mitternächt'ger Bogen, ſo verwaiſt, Weil du an ihnen nie dich kannſt erquicken! (Nach Kannegießers Ueberſetzung) — 138 — beſondere Gründe; religiöſes Gefühl zieht ſie zu einem Stern: bild hin, deſſen Geſtalt an das Wahrzeichen des Glaubens mahnt, das ihre Väter in den Einöden der Neuen Welt auf— gepflanzt. Da die zwei großen Sterne, welche Spitze und Fuß des Kreuzes bezeichnen, ungefähr dieſelbe Rektaſzenſion haben, ſo muß das Sternbild, wenn es durch den Meridian geht, faſt ſenkrecht ſtehen. Dieſer Umſtand iſt allen Völkern jenſeits des Wendekreiſes und in der ſüdlichen Halbkugel bekannt. Man hat ſich gemerkt, zu welcher Zeit bei Nacht in den ver— ſchiedenen Jahreszeiten das ſüdliche Kreuz aufrecht oder geneigt iſt. Es iſt eine Uhr, die ſehr regelmäßig etwa vier Minuten im Tage vorgeht, und an keiner anderen Sterngruppe läßt ſich die Zeit mit bloßem Auge ſo genau beobachten. Wie oft haben wir unſere Führer in den Savannen von Venezuela oder in der Wüſte zwiſchen Lima und Truxillo ſagen hören: „Mitternacht iſt vorüber, das Kreuz fängt an ſich zu neigen!“ Wie oft haben wir uns bei dieſen Worten an den rührenden Auftritt erinnert, wo Paul und Virginie an der Quelle des Fächerpalmenfluſſes zum letztenmal miteinander ſprechen und der Greis beim Anblick des ſüdlichen Kreuzes ſie mahnt, daß es Zeit ſei zu ſcheiden! Die letzten Tage unſerer Ueberfahrt waren nicht ſo günſtig, als das milde Klima und die ruhige See uns hoffen ließen. Nicht die Gefahren der See ſtörten uns in unſerem Genuſſe, aber der Keim eines bösartigen Fiebers entwickelte ſich unter uns, je näher wir den Antillen kamen. Im Zwiſchendeck war es furchtbar heiß und der Raum ſehr beſchränkt. Seit wir den Wendekreis überſchritten, ſtand der Thermometer auf 34 bis 36“. Zwei Matroſen, mehrere Paſſagiere und, was ziem— lich auffallend iſt, zwei Neger von der Küſte von Guinea und ein Mulattenkind wurden von einer Krankheit befallen, die epidemiſch zu werden drohte. Die Symptome waren nicht bei allen Kranken gleich bedenklich; mehrere aber, und gerade die kräftigſten, delirierten ſchon am zweiten Tage und die Kräfte lagen völlig danieder. Bei der Gleichgültigkeit, mit der an Bord der Paketboote alles behandelt wird, was mit der Füh— rung des Schiffes und der Schnelligkeit der Ueberfahrt nichts zu thun hat, dachte der Kapitän nicht daran, gegen die Ge— fahr, die uns bedrohte, die gemeinſten Mittel vorzukehren. Es wurde nicht geräuchert, und ein unwiſſender, phlegmatiſcher galiciſcher Wundarzt verordnete Aderläſſe, weil er das Fieber — 19 — der ſogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuſchrieb. Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und wir hatten vergeſſen, beim Einſchiffen uns ſelbſt damit zu verſehen; unſere Inſtrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unſere Ge— ſundheit, und wir hatten unbedachterweiſe vorausgeſetzt, daß es an Bord eines ſpaniſchen Schiffes nicht an peruaniſcher Fieberrinde fehlen könne. Am 8. Juli genas ein Matroſe, der ſchon in den letzten Zügen lag, durch einen Zufall, der der Erwähnung wohl wert iſt. Seine Hängematte war ſo befeſtigt, daß zwiſchen ſeinem Geſicht und dem Deck keine 26 cm Raum blieben. In dieſer Lage konnte man ihm unmöglich die Sakramente reichen; nach dem Brauch auf den ſpaniſchen Schiffen hätte das Allerheiligſte mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze Mannſchaft dabei ſein müſſen. Man ſchaffte daher den Kranken an einen luftigen Ort bei der Luke, wo man aus Segeln und Flaggen ein kleines viereckiges Gemach hergeſtellt hatte. Hier ſollte er liegen bis zu ſeinem Tode, den man nahe glaubte; aber kaum war er aus einer übermäßig heißen, ſtockenden, mit Miasmen erfüllten Luft in eine kühlere, reinere, fortwährend erneuerte gebracht, ſo kam er allmählich aus ſeiner Betäubung zu ſich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwiſchendeck fort— geſchafft worden, fing die Geneſung an, und wie denn in der Arzneikunde dieſelben Thatſachen zu Stützen der entgegen— geſetzteſten Syſteme werden, ſo wurde unſer Arzt durch dieſen Fall von Wiedergeneſung in ſeiner Anſicht von der Entzün— dung des Blutes und von der Notwendigkeit des Eingreifens durch Aderläſſe, abführende und aſtheniſche Mittel aller Art beſtärkt. Wir bekamen bald die verderblichen Folgen dieſer Behandlung zu ſehen und ſehnten uns mehr als je nach dem Augenblick, wo wir die Küſte Amerikas betreten könnten. Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute um 1° 12“ von der Länge abgewichen, die mir mein Chrono: meter angab. Dieſer Unterſchied rührte weniger von der all— gemeinen Strömung her, die ich den „Rotationsſtrom“ ge— nannt habe, als von dem eigentümlichen Zuge des Waſſers nach Nordweſt, von der Küſte von Braſilien gegen die Kleinen Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Inſel Guadeloupe abgekürzt wird.. Am 12. Juli glaubte ich an: 1 Im Atlantiſchen Meere iſt ein Strich, wo das Waſſer immer milchig erſcheint, obgleich die See dort ſehr tief iſt. Dieſe merk— — 140 — kündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht ſein werde. Wir befanden uns jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10° 46° der Breite und 60° 54“ weſtlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen be— ſtätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten beſſer, wo ſich die Korvette befand, als wo das Land lag, dem unſer Kurs zuging und das auf den franzöſiſchen, ſpani— ſchen und engliſchen Karten ſo verſchieden angegeben iſt. Die aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera ſich ergebenden Längen waren damals noch nicht be— kannt gemacht. Die Steuerleute verließen ſich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; ſie lächelten zu der Be— hauptung, daß bald Land in Sicht kommen müſſe, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen ſechs Uhr morgens hörte, man ſehe von den Maſten ein ſehr hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete ſehr ſtark und die See war ſehr un— ruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles deutete auf ungeſtümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro hatte beabſichtigt, durch den Kanal zwiſchen Tabago und Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß unſere Korvette ſehr langſam wendete, ſo fürchtete er, gegen Süden unter den Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir waren allerdings unſerer Länge ſicherer als der Breite, da ſeit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11° 6° 50“, ſomit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinokoſtrom ſeine Gewäſſer in den Ozean ergießt, mag in dieſen Strichen immerhin den Zug der Strömungen ſteigern; wenn man aber behauptet, bis auf 270 km von der Mündung des Orinoko habe das Meerwaſſer eine andere Farbe und ſei weniger ge— ſalzen, ſo iſt dies ein Märchen der Küſtenpiloten. Der Ein— fluß der mächtigſten Ströme Amerikas, des Amazonenſtromes, würdige Erſcheinung zeigt ſich unter der Breite der Inſel Dominica und etwa unter 57° der Länge. Sollte an dieſem Punkt, noch öſt— licher als Barbados, ein verſunkenes vulkaniſches Eiland unter dem Meeresſpiegel liegen? — 141 — des La Plata, des Orinoko, des Miſſiſſippi, des Magdalenen⸗ ſtromes, iſt in dieſer Beziehung in weit engere Grenzen ein⸗ geſchloſſen, als man gemeiniglich glaubt. Obgleich das Ergebnis der doppelten Sonnenhöhen hin: länglich bewies, daß das hohe Land, das am Horizont auf— ſtieg, nicht Trinidad war, ſondern Tabago, ſteuerte der Kapitän dennoch nach Nord⸗Nord⸗Weſt fort, um letztere Inſel aufzu— ſuchen, die ſogar auf Bordas ſchöner Karte des Atlantiſchen Ozeans 5 Minuten zu weit ſüdlich geſetzt iſt. Man ſollte kaum glauben, daß an Küſten, welche von allen Handels— völkern beſucht werden, ſo auffallende Irrtümer in der Breite ſich jahrhundertelang erhalten könnten. Ich habe dieſen Gegen— ſtand anderswo beſprochen, und ſo bemerke ich hier nur, daß ſogar auf der neueſten Karte von Weſtindien von Arrow— ſmith, die im Jahre 1803, alſo lange nach Churrucas Beob— achtungen erſchienen iſt, die Breiten der verſchiedenen Vor— gebirge von Tabago und Trinidad um 6 bis 11 Minuten falſch angegeben ſind. Durch die Beobachtung der Sonnenhöhe um Mittag wurde die Breite, wie ich ſie nach Douwes Verfahren er— halten, vollkommen beſtätigt. Es blieb kein Zweifel mehr über den Schiffsort den Inſeln gegenüber, und man beſchloß, um das nördliche Vorgebirge von Tabago zu laufen, zwiſchen dieſer Inſel und La Granada durchzugehen und auf einen Hafen der Inſel Margarita loszuſteuern. In dieſen Strichen liefen wir jeden Augenblick Gefahr, von Kapern aufgebracht zu werden, aber zu unſerem Glück war die See ſehr unruhig, und ein kleiner engliſcher Kutter überholte uns, ohne uns nur anzurufen. Bonpland und mir war vor einem ſolchen Unfall weniger bange, ſeit wir ſo nahe am amerikaniſchen Feſt— land ſicher waren, daß wir nicht nach Europa zurückgebracht wurden. Der Anblick der Inſel Tabago iſt höchſt maleriſch. Es iſt ein ſorgfältig bebauter Felsklumpen. Das blendende Weiß des Geſteines ſticht angenehm vom Grün zerſtreuter Baum— gruppen ab. Sehr hohe cylindriſche Fackeldiſteln krönen die Bergkämme und geben der tropiſchen Landſchaft einen ganz eigenen Charakter. Schon ihr Anblick ſagt dem Reiſenden, daß er eine amerikaniſche Küſte vor ſich hat, denn die Kaktus gehören ausſchließlich der Neuen Welt an, wie die Heidekräuter der Alten. Der nordöſtliche Teil der Inſel Tabago iſt der gebirgigſte, nach den Höhenwinleln, die ich mit dem Sextanten — 142 — genommen, ſcheinen indeſſen die höchſten Gipfel an der Küſte nicht über 270 bis 290 m hoch zu ſein. Am ſüdlichen Vor⸗ gebirge ſenkt ſich das Land und läuft in die „Sandſpitze“ aus, die nach meiner Rechnung unter 10° 20“ 13“ der Breite und 62° 47° 30“ der Länge liegt. Wir ſahen mehrere Felſen über dem Waſſerſpiegel, an denen ſich die See mit Ungeſtüm brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60“ nach Südoſt fallen. Es wäre zu wünſchen, daß ein geübter Mineralog die Großen und Kleinen Antillen von der Küſte von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiſte und die ehemalige, durch Strömungen, Erderſchütterungen und Vulkane auseinander geriſſene Bergkette unterſuchte. Wir waren eben um das Nordkap von Tabago und die kleine Inſel St. Giles gelaufen, als man vom Maſtkorb ein feindliches Geſchwader ſignaliſierte. Wir wendeten ſogleich und die Paſſagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines Vermögen in Waren geſteckt hatten, die ſie in den ſpaniſchen Kolonieen zu verwerten gedachten. Das Geſchwader ſchien ſich nicht zu rühren, und es zeigte ſich bald, daß man eine Menge einzelner Klippen für Segel angeſehen hatte. Wir fuhren über die Untiefe zwiſchen Tabago und La Granada. Die Farbe der See war nicht merkbar verändert, aber ein paar Zoll unter der Oberfläche zeigte der Thermo— meter nur 23°, während er oſtwärts auf hoher See unter derſelben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25,6“ ſtand. Trotz der Strömung zeigte die geringere Temperatur des Waſſers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten an⸗ gegeben iſt. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind ſchwächer, und je näher der Mond zum Zenith rückte, deſto mehr klärte ſich der Himmel auf. In dieſer und in den folgenden Nächten fielen ſehr viele Sternſchnuppen; gegen Nord zeigten ſie ſich nicht ſo häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren Küſte wir jetzt hinzufahren anfingen. Dieſe Verteilung weiſt darauf hin, daß dieſe Meteore, über deren Weſen wir noch ſo ſehr im unklaren ſind, zum Teil von örtlichen Urſachen ab— hängig ſein mögen. Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Boca de Dragon in Sicht. Wir konnten die Inſel Chacachacarreo ſehen, das weſtlichſte der Eilande zwiſchen dem Vorgebirge Paria und dem nordweſtlichen Vorgebirge von Trinidad. An 22 km von der Küſte, bei der Punta de la Baca, wurden wir gewahr, — 143 — daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb. Durch den Zug des Waſſers, das aus der Boca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entſteht eine Gegenſtrömung. Man warf das Senkblei aus und fand 66 bis 140 m Tiefe über einem Grunde von grünlichem, ſehr feinem Thon. Nach Dampiers Grundſätzen hätten wir in der Nähe einer von ſehr hohen, ſteil aufſteigenden Gebirgen ge— bildeten Küſte keine ſo geringe Meerestiefe erwartet. Wir loteten fort bis zum Cabo de tres puntas und fanden überall erhöhten Meeresgrund, deſſen Umriß das Streichen der ehemaligen Meeresküſte zu bezeichnen ſcheint. Die Tem— peratur des Meeres war hier 23 bis 24°, ſomit 1,5 bis 2° niedriger als auf hoher See, das heißt jenſeits der Ränder der Bank. Das Cabo de tres puntas, von Kolumbus ſelbſt ſo be— nannt,! liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4 5“ der Länge. Es erſchien uns um ſo höher, da ſeine gezackten Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Anſehen der Berge von Paria, ihre Farbe und beſonders ihre meiſt runden Umriſſe ließen uns vermuten, daß die Küſte aus Granit be— ſtehe; die Folge zeigte aber, wie ſehr man ſich, ſelbſt wenn man ſein Leben lang in Gebirgen gereiſt iſt, irren kann, wenn 85 die Beſchaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urteilt. Wir benutzten eine Windſtille, die ein paar Stunden an— hielt, um die Intenſität der magnetiſchen Kraft beim Cabo de tres puntas genau zu beſtimmen. Wir fanden ſie größer als auf hoher See oſtwärts von Tabago, im Verhältnis von 257 zu 229. Während der Windſtille trieb uns die Strö— mung raſch nach Weſt. Ihre Geſchwindigkeit betrug 13,5 km in der Stunde; ſie nahm zu, je näher wir dem Meridian der Teſtigos kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der weiten See aufſteigen. Als der Mond unterging, bedeckte ſich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder ſtärker und es ſtürzte ein Platzregen nieder, wie ſie dem heißen Erd— ſtrich eigen ſind und wir auf unſeren Zügen im Binnenlande ſie ſo oft durchgemacht haben. Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete ſich raſch aus, ſeit wir uns nahe an der Küſte von Terra Firma befanden; der Thermometer ſtand bei Nacht regelmäßig Im Auguſt 1598. — 144 — zwiſchen 22 und 23°, bei Tage zwiſchen 24 und 27°. Die Kongeſtionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir waren aber ſo ziemlich am Ziele unſerer Fahrt, und ſo hofften wir alle Kranke geneſen zu ſehen, wenn man ſie an der Inſel Margarita oder im Hafen von Cumana, die für ſehr geſund gelten, ans Land bringen könnte. Dieſe Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der jüngſte Paſſagier bekam das bösartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glück das einzige Opfer. Es war ein junger Aſturier von 19 Jahren, der einzige Sohn einer armen Witwe. Mehrere Umſtände machten den Tod des jungen Mannes, aus deſſen Geſicht viel Gefühl und große Gutmütig⸗ keit ſprachen, ergreifend für uns. Er war mit Widerftreben zu Schiffe gegangen; er hatte ſeine Mutter durch den Ertrag ſeiner Arbeit unterſtützen wollen, aber dieſe hatte ihre Liebe und den eigenen Vorteil dem Gedanken zum Opfer gebracht, daß 5 Sohn, wenn er in die Kolonieen ginge, bei einem reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, ſein Gluck machen könnte. Der ung lückliche junge Mann verfiel raſch in Be⸗ täubung, redete dazwiſchen irre und ſtarb am dritten Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder ſchwarze Erbrechen rafft in Veracruz nicht leicht die Kranken ſo furchtbar ſchnell dahin. Ein anderer, noch jüngerer Aſturier wich keinen Augen— blick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auf— fallend iſt, die Krankheit nicht. Er wollte mit ſeinem Lands— mann nach ur Jago de Cuba gehen und ſich dort von ihm im Hauſe des Verwandten einführen laſſen, auf den ſie ihre ganze Hoffnung geſetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie der, welcher den Freund überlebte, ſich ſeinem tiefen Schmerze überließ und die unſeligen Ratſchläge verwünſchte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlaſſen daſtand. Wir ſtanden beiſammen auf dem Verdeck in trüben Ge— danken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrſchte, hatte ſeit einigen Tagen einen bösartigen Charakter angenommen. Unſere Blicke hingen an einer ge⸗ birgigen, wüſten Küſte, auf die zuweilen ein Mondſtrahl durch die Wolken fiel. Die leiſe bewegte See leuchtete in ſchwachem phosphoriſchem Schein; man hörte nichts als das eintönige Geſchrei einiger großen Seevögel, die das Land zu ſuchen — 145 — ſchienen. Tiefe Ruhe herrſchte ringsum am einſamen Orte; aber dieſe Ruhe der Natur ſtand im Widerſpiel mit den ſchmerzlichen Gefühlen in unſerer Bruſt. Gegen 8 Uhr wurde langſam die Totenglocke geläutet; bei dieſem Trauerzeichen brachen die Matroſen ihre Arbeit ab und ließen ſich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die an die Zeiten mahnt, wo die erſten Chriſten ſich als Glieder einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Men— ſchen im Gefühl gemeinſamen Unglückes einander näher bringt. In der Nacht ſchaffte man die Leiche des Aſturiers auf das Verdeck, und auf die Vorſtellung des Prieſters wurde er erſt nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der römiſchen Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schickſal des jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen friſch und geſund geſehen hatten. Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich dieſes bösartige oder ataktiſche Fieber ſei, und wenn die langen Windſtillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana ver— zögerten, ſo mußte man beſorgen, daß es viele Opfer fordern könnte. An Bord eines Kriegsſchiffes oder eines Transport— ſchiffes machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Ein— druck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichen— zug begegnet. Anders an Bord eines Paketbootes mit kleiner Mannſchaft, wo zwiſchen Menſchen, die dasſelbe Reiſeziel haben, ſich nähere Beziehungen knüpfen. Die Paſſagiere auf dem Pizarro ſpürten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit, beſchloſſen aber doch, das Fahrzeug am nächſten Landungsplatz zu verlaſſen und die Ankunft eines anderen Poſtſchiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexiko fortzuſetzen. Sie betrachteten das Zwiſchendeck des Schiffes als einen Herd der Anſteckung, und obgleich es mir keines— wegs erwieſen ſchien, daß das Fieber durch Berührung an— ſtecke, hielt ich es doch durch die Vorſicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es ſchien mir wünſchenswert, Neuſpanien erſt nach einem längeren Aufenthalt an den Küſten von Vene— zuela und Paria zu beſuchen, wo der unglückliche Löffling nur ſehr wenige naturgeſchichtliche Beobachtungen hatte machen können. Wir brannten vor Verlangen, die herrlichen Ge— wächſe, die Boſe und Bredemeyer auf ihrer Reiſe in Terra Firma geſammelt und die eine Zierde der Gewächshäuſer zu Schönbrunn und Wien ſind, auf ihrem heimatlichen Boden A. v. Humboldt, Reiſe. I. 10 — 146 — zu ſehen. Es hätte uns ſehr wehe gethan, in Cumana oder Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Natur⸗ forſchern ſo wenig betretenen Landes zu betreten. Der Entſchluß, den wir in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den Verfolg unſerer Reiſen. Statt einige Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoko, an den Caſſiquiare und an die Grenze der portugieſiſchen Be— ſitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieſer unſerer Reiſerichtung, daß wir während eines b 5 Aufenthaltes in den Aequinoktialländern ſo geſund ieben Bekanntlich ſchweben die Europäer in den erſten Monaten, nachdem ſie unter den glühenden Himmel der Tropen verſetzt worden, in ſehr großer Gefahr. Sie betrachten ſich als akkli— matiſiert, wenn ſie die Regenzeit auf den Antillen, in Vera— cruz oder Cartagena überſtanden haben. Dieſe Meinung iſt nicht ungegründet, obgleich es nicht an Beiſpielen fehlt, daß Leute, die bei der erſten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Fähigkeit ſich zu akklimatiſieren ſcheint im umgekehrten Verhältnis zu ſtehen mit dem Unterſchied zwiſchen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der des Geburtslandes des Reiſenden oder Koloniſten, der das Klima wechſelt, weil die Lufttemperatur den mächtigſten Ein— fluß auf die Reizbarkeit und die Vitalität der Organe äußert. Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede ſind mehr gefährdet, wenn ſie auf die Inſeln oder nach Terra Firma kommen, als ein Spanier, ein Italiener und ſelbſt ein Bewohner des ſüdlichen Frankreichs. Für die nordiſchen Völker beträgt der Unter— ſchied in der mittleren Temperatur 19 bis 21°, für die ſüd— lichen nur 9 bis 10. Wir waren ſo glücklich, die Zeit, in der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft, im ausnehmend heißen, aber ſehr trockenen Klima von Cu⸗ mana zu verleben, einer Stadt, die für ſehr geſund gilt. Hätten wir unſeren Weg nach Veracruz fortgeſetzt, ſo hätten wir leicht das Los mehrerer Paſſagiere des Paketbootes Alcudia teilen können, das mit dem Pizarro in die Havana kam, als eben das ſchwarze Erbrechen auf Cuba und an der Oſtküſte von Mexiko ſchreckliche Verheerungen anrichtete. Am 15. morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge St. Joſeph, waren wir von einer Menge ſchwimmenden Tanges umgeben. Die Stengel desſelben hatten die ſonder⸗ baren, wie Blumenkelche und Federbüſche geſtalteten Anhänge, wie ſie Don Hypolito Ruiz auf ſeiner Rückkehr aus Chile beobachtet und in einer beſonderen Abhandlung als die Ge— ſchlechtsorgane des Fucus natans beſchrieben hat. Ein glück⸗ licher Zufall ſetzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu berichtigen, die ſich nur einmal der Naturforſchung darge⸗ boten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefiſcht hatte, waren durchaus identiſch mit den Exemplaren, die wir der Gefälligkeit der gelehrten Verfaſſer der peruaniſchen Flora verdankten. Als wir beide unter dem Mikroſkop unterſuchten, fanden wir, daß dieſe angeblichen Befruchtungswerkzeuge, dieſe Piſtille und Staubfäden eine neue Gattung Pflanzentiere aus der Familie der Ceratophyten ſeien. Die Kelche, welche Ruiz für Piſtille hielt, entſpringen aus hornartigen, abgeplatteten Stielen, die ſo feſt mit der Subſtanz des Fukus zuſammen⸗ hängen, daß man ſie gar wohl für bloße Rippen halten könnte; aber mit einem ſehr dünnen Meſſer gelingt es, ſie abzulöſen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten Stiele ſind anfangs ſchwarzbraun, werden aber, wenn ſie ver⸗ trocknen, weiß und zerreiblich. In dieſem Zuſtande brauſen ſie mit Säuren auf, wie die kalkige Subſtanz der Sertularia, deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fukus Aehnlichkeit haben. In der Südſee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropiſchen Seetraube dieſelben Anhängſel gefunden, und eine ſehr ſorg⸗ fältige Unterſuchung überzeugte uns, daß ſich hier ein Zoo⸗ phyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumſtamm umſchlingt. Die unter dem Namen weiblicher Blüten be— ſchriebenen Organe ſind über 4 mm lang, und ſchon dieſe Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Piſtille nicht auf— kommen laſſen ſollen. Die Küſte von Paria zieht ſich nach Weſt fort und bildet eine nicht ſehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenförmigen Umriſſen. Es dauerte lange, bis wir die hohe Küſte der Inſel Margarita zu ſehen bekamen, wo wir ein⸗ laufen ſollten, um hinſichtlich der engliſchen Kreuzer, und ob es gefährlich ſei, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzu⸗ ziehen. Sonnenhöhen, die wir unter ſehr günſtigen Umſtänden genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals ſelbſt die — 148 — geſuchteſten Seekarten waren. Am 15. morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66° 1 15“ der Länge befanden, waren wir noch nicht im Meridian der Inſel St. Margarita, während wir nach der verkleinerten Karte des Atlantiſchen Ozeans über das weſtliche ſehr hohe Vorgebirge der Inſel, das unter 66° 0“ der Länge geſetzt iſt, bereits hätten hinaus ſein ſollen. Die Küſten von Terra Firma wurden vor Fı: dalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufügen, vor meinen aſtronomiſchen Beobachtungen in Cumana, ſo un⸗ richtig gezeichnet, daß für die Schiffahrt daraus hätten Ge⸗ fahren erwachſen können, wenn nicht das Meer in dieſen Strichen beſtändig ruhig wäre. Ja die Fehler in der Breite waren noch größer als die in der Länge, denn die Küſte von Neuandaluſien läuft weſtwärts vom Cabo de tres puntas 67 bis 90 km weiter nach Norden, als auf den vor dem Jahre 1800 erſchienenen Karten angegeben iſt. Gegen 11 Uhr morgens kam uns ein ſehr niedriges Ei⸗ land zu Geſicht, auf dem ſich einige Sanddünen erhoben. Durch das Fernrohr ließ ſich keine Spur von Bewohnern oder von Anbau entdecken. Hin und wieder ſtanden cylind- riſche Kaktus wie Kandelaber. Der faſt pflanzenloſe Boden ſchien ſich wellenförmig zu bewegen infolge der ſtarken Brechung, welche die Sonnenſtrahlen erleiden, wenn ſie durch Luft⸗ ſchichten hindurchgehen, die auf einer ſtark erhitzten Fläche aufliegen. Die Luftſpiegelung macht, daß in allen Zonen Wüſten und ſandiger Strand ſich wie eine bewegte See aus— nehmen. Das flache Land, das wir vor uns hatten, ne ſchlecht zu der Vorſtellung, die wir uns von der Inſel Mar— garita gemacht. Während man beſchäftigt war, die Angaben der Karten zu vergleichen, ohne ſie in Uebereinſtimmung bringen zu können, ſignaliſierte man vom Maſt einige kleine Fiſcherboote. Der Kapitän des Pizarro rief ſie durch einen Kanonenſchuß herbei; aber ein ſolches Zeichen dient zu nichts in Ländern, wo der Sue wenn er dem Starken be: gegnet, glaubt ſich nur auf Vergewaltigungen gefaßt machen zu müſſen. Die Boote ergriffen die Flucht nach Weſten zu, und wir ſahen uns hier in derſelben Verlegenheit, wie bei unſerer Ankunft auf den Kanarien vor der kleinen Inſel Gracioſa. Niemand an Bord war je in der Gegend am Land geweſen. So ruhig die See war, ſo ſchien doch die Nähe eines kaum ein paar Fuß hohen Eilandes Vorſichtsmaßregeln — 149 — zu erheiſchen. Man ſteuerte nicht weiter dem Lande zu, und da das Senkblei nur 5,5 bis 7,3 m Waſſer anzeigte, warf man eilends den Anker aus. Küſten, aus der Ferne geſehen, verhalten ſich wie Wolken, in denen jeder Beobachter die Gegenſtände erblickt, die ſeine Einbildungskraft beſchäftigen. Da unſere Aufnahmen und die Angabe des Chronometers mit den Karten, die uns zur Hand waren, im Widerſpruch ſtanden, ſo verlor man ſich in eitlen Mutmaßungen. Die einen hielten Sandhaufen für Indianer— hütten und deuteten auf den Punkt, wo nach ihnen das Fort Pampatar liegen mußte; andere ſahen die Ziegenherden, welche im dürren Thale von San Juan ſo häufig ſind; ſie zeigten die hohen Berge von Macanao, die ihnen halb in Wolken gehüllt ſchienen. Der Kapitän beſchloß, einen Steuermann ans Land zu ſchicken; man legte Hand an, um die Schaluppe ins Waſſer zu laſſen, da das Boot auf der Reede von Santa Cruz durch die Brandung ſtark gelitten hatte. Da die Küſte ziemlich fern war, konnte die Rückfahrt zur Korvette ſchwierig werden, wenn der Wind abends ſtark wurde. Als wir uns eben anſchickten, ans Land zu gehen, ſah man zwei Piroguen an der Küſte hinfahren. Man rief ſie durch einen zweiten Kanonenſchuß an, und obgleich man die Flagge von Kaſtilien aufgezogen hatte, kamen ſie doch nur zögernd herbei. Dieſe Piroguen waren, wie alle der Eingeborenen, aus einem Baumſtamm, und in jeder befanden ſich achtzehn In— dianer von Stamme der Guaykari (Guayqueries), nackt bis zum Gürtel und von hohem Wuchs. Ihr Körperbau zeugte von großer Muskelkraft und ihre Hautfarbe war ein Mittel— ding zwiſchen braun und kupferrot. Von weitem, wie ſie unbeweglich daſaßen und ſich vom Horizont abhoben, konnte man ſie für Bronzeſtatuen halten. Dies war uns um ſo auf— fallender, da es ſo wenig dem Begriff entſprach, den wir uns nach manchen Reiſeberichten von der eigentümlichen Körper— bildung und der großen Körperſchwäche der Eingeborenen ge— macht hatten. Wir machten in der Folge die Erfahrung, und brauchten deshalb die Grenzen der Provinz Cumana nicht zu überſchreiten, wie auffallend die Guayqueries äußer— lich von den Chaymas und den Kariben verſchieden ſind. So nahe alle Völker Amerikas miteinander verwandt ſcheinen, da ſie ja derſelben Raſſe angehören, ſo unterſcheiden ſich doch die Stämme nicht ſelten bedeutend im Körperwuchs, in der mehr oder weniger dunkeln Hautfarbe, im Blick, — 150 — aus dem bei den einen Seelenruhe und Sanftmut, bei anderen ein unheimliches Mittelding von Trübſinn und Wild— heit ſpricht. Sobald die Piroguen ſo nahe waren, daß man die Indianer ſpaniſch anrufen konnte, verloren ſie ihr Mißtrauen und fuhren geradezu an Bord. Wir erfuhren von ihnen, das niedrige Eiland, bei dem wir geankert, ſei die Inſel Coche, die immer unbewohnt geweſen und an der die ſpaniſchen Schiffe, die aus Europa kommen, gewöhnlich weiter nördlich zwiſchen derſelben und der Inſel Margarita durchgehen, um im Hafen von Pampatar einen Lotſen einzunehmen. Unbe— kannt in der Gegend, waren wir in den Kanal ſüdlich von Coche geraten, und da die engliſchen Kreuzer ſich damals häufig in dieſen Strichen zeigten, hatten uns die Indianer für ein feindliches Fahrzeug angeſehen. Die ſüdliche Durch— fahrt hat allerdings bedeutende Vorteile für Schiffe, die von Cumana nach Barcelona gehen; ſie hat weniger Waſſertiefe als die nördliche, weit ſchmälere Durchfahrt, aber man läuft nicht Gefahr aufzufahren, wenn man ſich nahe an den Inſeln Lobos und Moros del Tunal hält. Der Kanal zwiſchen Coche und Margarita wird durch die Untiefen am nordweſtlichen Vorgebirge von Coche und durch die Bank an der Punta de Mangles eingeengt. Die Guaykari gehören zum Stamm ceiviliſierter In— dianer, welche auf den Küſten von Margarita und in den Vorſtädten von Cumana wohnen. Nach den Kariben des ſpaniſchen Guyana ſind ſie der ſchönſte Menſchenſchlag in Terra Firma. Sie genießen verſchiedener Vorrechte, da ſie ſeit der erſten Zeit der Eroberung ſich als treue Freunde der Kaſtilianer bewährt haben. Der König von Spanien nennt ſie daher auch in ſeinen Handſchreiben „ſeine lieben, edlen und getreuen Guaykari“. Die Indianer, auf die wir in den zwei Piroguen geſtoßen, hatten den Hafen von Cumana in der Nacht verlaſſen. Sie wollten Bauholz in den Cedro— wäldern! holen, die ſich vom Kap San Joſe bis über die Mündung des Rio Carupano hinaus erſtrecken. Sie gaben uns friſche Kokosnüſſe und einige Fiſche von der Gattung Choetodon, deren Farben wir nicht genug bewundern konnten. Welche Schätze enthielten in unſeren Augen die Kähne der ! Ceärela odorata, Linné. 3 — 151 — „armen Indianer! Ungeheure Vijaoblätter bedeckten Bananen: büſchel; der Schuppenpanzer eines Tatou,? die Frucht der Crescentia cujete, die den Eingeborenen als Trinkgefäße dienen, Naturkörper, die in den europäiſchen Kabinetten zu den gemeinſten gehören, hatten ungemeinen Reiz für uns, weil ſie uns lebhaft daran mahnten, daß wir uns im heißen Erdgürtel befanden und das längſterſehnte Ziel er— reicht hatten. Der Patron einer der Piroguen erbot ſich an Bord des Pizarro zu bleiben, um uns als Lotſe zu dienen. Der Mann empfahl ſich durch »jein ganzes Weſen; er war ein ſcharfſinniger Beobachter und hatte ſich in lebhafter Wißbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimiſchen Ge— wächſen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der erſte Indianer, dem wir bei unſerer Landung begegneten, der Mann war, deſſen Bekanntſchaft unſeren Reiſezwecken äußerſt förderlich wurde. Mit Vergnügen ſchreibe ich in dieſer Er— zählung den Namen Carlos del Pino nieder, ſo hieß der Mann, der uns 16 Monate lang auf unſeren Zügen längs der Küſten und im inneren Lande begleitet hat. Gegen Abend ließ der Kapitän der Korvette den Anker lichten. Bevor wir die Untiefe oder den Placer bei Coche verließen, beſtimmte ich die Länge des öſtlichen Vorgebirges der Inſel und fand ſie 66° 11° 53“. Weſtwärts ſteuernd hatten wir bald die kleine Inſel Cubagua vor uns, die jetzt ganz öde iſt, früher aber durch Perlenfiſcherei berühmt war. Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Kolumbus' und Ojedas Reiſen eine Stadt unter dem Namen Neucadiz gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden iſt. Zu An: fang des 16. Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und Toledo, wie auf den großen Meſſen in Augs— burg und Brügge bekannt. Da Neucadiz kein Waſſer hatte, ſo mußte man es an der benachbarten Küſte aus dem Man— zanaresfluſſe holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum, ne: daß es Augenentzündungen verurſache. Die Schriftsteller jener Zeit ſprechen alle vom Reichtum der erſten Anſiedler und vom Luxus, den ſie getrieben; jetzt erheben ſich Dünen von Flugſand auf der unbewohnten Küſte und der Name Cubagua iſt auf unſeren Karten kaum verzeichnet. ! Heliconia bihai. 2 Armadill, Dasypus, Cachicamo. — 152 — In dieſem Striche angelangt, ſahen wir die hohen Berge „ von Kap Macanao im Weſten der Inſel Margarita majeſtätiſch am Horizont aufſteigen. Nach den Höhenwinkeln, die wir in 81 km Entfernung nahmen, mögen dieſe Gipfel 970 bis 1170 m abjolute Höhe haben. Nach Louis Berthouds Chro— nometer liegt Kap Macanao unter 66° 47“ 5“ Länge. Ich nahm die Felſen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die ſehr niedrige Landzunge, die nach Weſt fortſtreicht und ſich in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für Macanao gefunden, und die, welche ich oben für die Oſtſpitze der Inſel Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitſekunden ab. g Der Wind war ſehr ſchwach; der Kapitän hielt es für ratſamer, bis zu Tagesanbruch zu lavieren. Er ſcheute ſich, bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen war, ſchien dieſe Vorſicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hinterteil anzu— ünden; man hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Kapitän des Poſtſchiffes wurde ein Bein weggeriſſen und er ſtarb wenige Tage darauf in Cumana. Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der indianiſche Lotſe unterhielt uns von den Tieren und Gewächſen ſeines Landes. Wir hörten zu unſerer großen Freude, wenige Meilen von der Küſte ſei ein gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landſtrich, wo empfindliche Kälte herrſche, und auf den Ebenen kommen zwei ſehr verſchiedene Krokodile! vor, ferner Boa, elektriſche Aale? und mehrere Tigerarten. Obgleich die Worte Bava, Cachicamo und Temblador uns ganz unbekannt waren, ließ uns die naive Beſchreibung der Geſtalt und der Sitten der Tiere doch alsbald die Arten erkennen, welche die Kreolen ſo benennen. Wir dachten nicht daran, daß dieſe Tiere über ungeheure Landſtriche zerſtreut find und hofften, fie gleich in den Wäldern bei Cumana beobachten zu können. Nichts reizt die Neugierde des Natur- kundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes, das er betreten ſoll. Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne, Crocodilus acutus und C. Bava. Gymnotus electricus, Temblador. — 13 — maleriſche Küſte vor uns. Die Berge von Neuandaluſien begrenzten, halb von Wolken verſchleiert, nach Süden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloß erſchien zwiſchen Gruppen von Kokosbäumen. Um neun Uhr morgens, 41 Tage nach unſerer Abfahrt von Coruna, gingen wir im Hafen vor Anker. Die Kranken ſchleppten ſich auf das Verdeck, um ſich am Anblick eines Landes zu laben, wo ihre Leiden ein Ende finden ſollten. Viertes Kapitel. Erſter Aufenthalt in Cumana. — Die Ufer des Manzanares. Wir waren am 16. Juli mit Tagesanbruch auf dem Ankerplatz, gegenüber der Mündung des Rio Manzanares, angelangt, konnten uns aber erſt ſpät am Morgen ausſchiffen, weil wir den Beſuch der Hafenbeamten abwarten mußten. Unſere Blicke hingen an den Gruppen von Kokosbäumen, die das Ufer ſäumten und deren über 20 m hohe Stämme die Landſchaft beherrſchten. Die Ebene war bedeckt mit Büſchen von Caſſien, Capparis und den baumartigen Mimoſen, die gleich den Pinien Italiens ihre Zweige ſchirmartig ausbreiten. Die gefiederten Blätter der Palmen hoben ſich von einem Himmelsblau ab, das keine Spur von Dunſt trübte. Die Sonne ſtieg raſch zum Zenith auf; ein blendendes Licht war in der Luft verbreitet und lag auf den weißlichen Hügeln mit zerſtreuten cylindriſchen Kaktus und auf dem ewig ruhigen Meere, deſſen Ufer von Alcatras,! Reihern und Flamingo bevölkert ſind. Das glänzende Tageslicht, die Kraft der Pflanzenfarben, die Geſtalten der Gewächſe, das bunte Ge: fieder der Vögel, alles trug den großartigen Stempel der tropiſchen Natur. Cumana, die Hauptſtadt von Neuandaluſien, liegt 4,5 km vom Landungsplatz oder der Batterie de la Boca, bei der wir ans Land geſtiegen, nachdem wir über die Barre des Manzanares gefahren. Wir hatten über eine weite Ebene? zu gehen, die zwiſchen der Vorſtadt der Guaykari und der Küſte liegt. Die ſtarke Hitze wurde durch die Strahlung des zum Teil pflanzenloſen Bodens noch geſteigert. Der hundert— Ein brauner Pelikan von der Größe des Schwanes. Peli- canus fuscus, Linné. ® El Salado. — 15 — teilige Thermometer, in den weißen Sand geſteckt, zeigte 37,7“. In kleinen Salzwaſſerlachen ſtand er auf 30,5, während im Hafen von Cumana die Temperatur des Meeres an der Oberfläche meiſt 25,2 bis 26,3“ beträgt. Die erſte Pflanze, die wir auf dem amerikaniſchen Feſtland pflückten, war die Avicennia tomentosa (Mangle prieto), die hier faum 60 em hoch wird. Dieſer Strauch, das Seſuvium, die gelbe Gom:. phrena und die Kaktus bedecken den mit ſalzſaurem Natron geſchwängerten Boden; ſie gehören zu den wenigen Pflanzen, die, wie die europäischen Heiden, geſellig leben, und dergleichen Rin der heißen Zone nur am Meeresufer und auf den hohen Plateaus der Anden vorkommen. Nicht weniger intereſſant it die cumaniſche Avicennia durch eine andere Eigentümlichkeit: dieſe Pflanze gehört dem Geſtade von Südamerika und der Küſte von Malabar gemeinſchaftlich an. Der indianiſche Lotſe führte uns durch ſeinen Garten, der viel mehr einem Gehölz als einem bebauten Lande glich. Er zeigte uns als Beweis der Fruchtbarkeit des Klimas einen Käſebaum (Bombax heptaphyllum), deſſen Stamm im vierten Jahre bereits gegen 75 em Durchmeſſer hatte. Wir haben an den Ufern des Orinoko und des Magdalenenfluſſes die Beobachtung gemacht, daß die Bombax, die Karolineen, die Ochromen und andere Bäume aus der Familie der Malven ausnehmend raſch wachſen. Ich glaube aber doch, daß die Angabe des Indianers über das Alter des Käſebaumes etwas übertrieben war; denn in der gemäßigten Zone, auf dem feuchten und warmen Boden Nordamerikas zwiſchen dem Miſſiſſippi und den Alleghanies werden die Bäume in zehn Jahren nicht über 32 em dick, und das Wachstum iſt dort im allgemeinen nur um ein Fünfteil raſcher als in Europa, ſelbſt wenn man zum Vergleich die Platane, den Tulpenbaum und Cupressus disticha wählt, die zwiſchen 3 und 4,5 m dick werden. Im Garten des Lotſen am Geſtade von Cumana ſahen wir auch zum erſtenmal einen Guama! voll Blüten, deren zahlreiche Staubfäden ſich durch ihre ungemeine Länge und . Silberglanz auszeichnen. Wir gingen durch die Inga spuria. Die weißen Staubfäden, 60 bis 70 an der Zahl, ſitzen an einer grünlichen Blumenkrone, haben Seidenglanz und an der Spitze einen gelben Staubbeutel. Die Blüte der Guama iſt 4 em lang. Diefer ſchöne Baum, der am liebſten an feuchten Orten wächſt, wird zwiſchen 15,5 und 19,5 m hoch. Vorſtadt der Indianer, deren Straßen geradlinig und mit kleinen, ganz neuen Häufern von ſehr freundlichem Anſehen beſetzt ſind. Dieſer Stadtteil war infolge des Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unſerer Ankunft zerſtört hatte, eben erſt neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hölzernen Brücke über den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vor— kommen, begegneten uns überall die Spuren dieſer ſchreck— lichen Kataſtrophe; neue Gebäude erhoben ſich auf den Trüm— mern der alten. Wir wurden vom Kapitän des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don Vicente Emparan, geführt, um ihm die Päſſe zu überreichen, die das Staatsſekretariat uns ausgeſtellt. Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die von jeher Züge des baskiſchen Volkscharakters waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde, hatte er ſich als Schiffskapitän in der königlichen Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der merkwürdigſten und traurigſten Vorfälle in der Geſchichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwiſchen Spanien und England ſchlugen ſich zwei Brüder des Statthalters Emparan bei Nacht vor dem Hafen von Cadiz mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff für ein feindliches hielt. Der Kampf war ſo furchtbar, daß beide Schiffe faſt zugleich ſanken. Nur ein ſehr kleiner Teil der beiderſeitigen Mannſchaft wurde ge⸗ rettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander kurz vor ihrem Tode zu erkennen. Der Statthalter von Cumana äußerte ſich ſehr zufrieden über unſeren Entſchluß, uns eine Zeitlang in Neuandaluſien aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in ſeinen Gebirgen und an den Ufern ſeiner zahlreichen Ströme der Naturforſchung das reichſte Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimiſchen Pflanzen gefärbte Baumwolle und ſchöne Möbel ganz aus einheimiſchen Hölzern; er intereſſierte ſich lebhaft für alle phyſiſchen Wiſſenſchaften und fragte uns zu unſerer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß die Luft unter dem ſchönen tropiſchen Himmel weniger Stick— ſtoff (azotico) enthalte als in Spanien, oder ob, wenn ſich das Eiſen hierzulande raſcher oxydiere, dies allein von der größeren Feuchtigkeit herrühre, die der Haarhygrometer an⸗ zeige. Dem Reiſenden kann der Name des Vaterlandes, = — 157 — wenn er ihn auf einer fernen Küſte ausſprechen hört, nicht lieblicher in den Ohren klingen, als uns hier die Worte Stickſtoff, Eiſenoryd, Hygrometer. Wir wußten, daß wir, trotz der Befehle des Hofes und der Empfehlung eines mäch— tigen Miniſters, bei unſerem Aufenthalt in den ſpaniſchen Kolonieen mit zahlloſen Unannehmlichkeiten zu kämpfen haben würden, wenn es uns nicht gelang, bei den Regenten dieſer ungeheuren Landſtrecken beſondere Teilnahme für uns zu wecken. Emparan war ein zu warmer Freund der Wiſſen⸗ ſchaft, um es ſeltſam zu finden, daß wir ſo weit hergekommen, um Pflanzen zu ſammeln und die Lage gewiſſer Oertlichkeiten aſtronomiſch zu beſtimmen. Er argwöhnte keine anderen Be: weggründe unſerer Reife als die in unſeren Päſſen angegebenen, und die öffentlichen Beweiſe von Achtung, die er uns während unſeres langen Aufenthaltes in ſeinem Regierungs- bezirke gegeben, haben Großes dazu beigetragen, uns überall in Südamerika eine freundliche Aufnahme zu verſchaffen. Am Abend ließen wir unſere Inſtrumente ausſchiffen und fanden zu unſerer großen Befriedigung keines beſchädigt. Wir mieteten ein geräumiges für die aſtronomiſchen Beobachtun— gen günſtig gelegenes Haus. Man genoß darin, wenn der Seewind wehte, einer angenehmen Kühle; die Fenſter waren ohne Scheiben, nicht einmal mit Papier bezogen, das in Cumana meiſt ſtatt des Glaſes dient. Sämtliche Paſſagiere des Pizarro verließen das Schiff, aber die vom bösartigen Fieber Befallenen genaſen ſehr langſam. Wir ſahen welche, die nach einem Monat, trotz der guten Pflege, die ihnen von ihren Landsleuten geworden, noch erſchrecklich blaß und mager waren. In den ſpaniſchen Kolonieen iſt die Gaſtfreundſchaft ſo groß, daß ein Europäer, käme er auch ohne Empfehlung und ohne Geldmittel an, io ziemlich ſicher auf Unterſtützung rechnen kann, wenn er krank in irgend einem Hafen ans Land geht. Die Katalonier, Galicier und Biscayer ſtehen im ſtärkſten Verkehr mit Amerika. Sie bilden dort gleichſam drei geſonderte Korporationen, die auf die Sitten, den Ge— werbfleiß und den Handel der Kolonieen bedeutenden Einfluß haben. Der ärmſte Einwohner von Siges oder Vigo iſt ſicher, im Haufe eines kataloniſchen oder galiciſchen Pulpero (Krämer) Aufnahme zu finden, ob er nun nach Chile oder nach Mexiko oder auf die Philippinen kommt. Ich habe die rührendſten Beiſpiele geſehen, wie für unbekannte Menſchen ganze Jahre lang underdroſſen geſorgt wird. Man kann — hören, Gaſtfreundſchaft ſei leicht zu üben in einem herrlichen Klima, wo es Nahrungsmittel im Ueberfluß gibt, wo die einheimiſchen Gewächſe wirkſame Heilmittel liefern, und der Kranke in ſeiner Hängematte unter einem Schuppen das nötige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlaſt, welche die Ankunft eines Fremden, deſſen Gemütsart man nicht kennt, einer Familie verurſacht, für nichts rechnen? und die Beweiſe gefühlvoller Teilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die während einer langen, ſchweren Wiedergeneſung nimmer ermüdet, ſoll man von dem allen abſehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, daß, vielleicht mit Ausnahme einiger ſehr volkreichen Städte, ſeit den erſten Niederlaſſungen ſpaniſcher Anſiedler in der Neuen Welt die Gaſtfreundſchaft nicht merkbar abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, daß dies allerdings anders werden muß, wenn einmal Bevölkerung und Induſtrie in den Kolo— nieen raſcher zunehmen, und wenn ſich auf der Stufe geſell— ſchaftlicher Entwickelung, die man als vorgeſchrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die kaſtilianiſche Offenheit allmählich verliert. Unter den Kranken, die in Cumana ans Land kamen, befand ſich ein Neger, der einige Tage nach unſerer Ankunft in Raſerei verfiel; er ſtarb in dieſem kläglichen Zuſtande, obgleich ſein Herr, ein faſt ſiebzigjähriger Mann, der Europa verlaſſen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfes von Kalifornien, eine neue Heimat zu ſuchen, ihm alle er— denkliche Pflege hatte zu teil werden laſſen. Ich erwähne dieſes Falles, um zu zeigen, daß zuweilen Menſchen, die im heißen Erdſtrich geboren ſind, aber in einem gemäßigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einflüſſen der tropiſchen Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Menſch von achtzehn Jahren, ſehr kräftig und auf der Küſte von Guinea geboren. Durch mehrjährigen Aufenthalt auf der Hochebene von Kaſtilien hatte aber feine Konſtitution den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heißen Zone für die Bewohner nördlicher Länder ſo gefährlich macht. Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehört einer geologiſch ſehr intereſſanten Bildung an. Da mir aber ſeit meiner Rückkehr nach Europa einige Reiſende mit der Beſchreibung von Küſtenſtrichen, die ſie nach mir beſucht, zuvorgekommen find, jo beſchränke ich mich hier auf Bemer⸗ kungen, die außerhalb des Kreiſes ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual ſtreicht 8 1 von Oſt nach Weſt vom Gipfel Impoſible bis zum Hafen von Mochima und nach Campanario. In einer ſehr fernen Zeit ſcheint das Meer dieſen Gebirgsdamm von der Felſen— küſte von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der weite Golf von Cariaco iſt durch einen Einbruch des Meeres entſtanden, und ohne Zweifel ſtand damals an der Südküſte das ganze mit ſalzſaurem Natron getränkte Land, durch das der Manzanares läuft, unter Waſſer. Ein Blick auf den Stadtplan von Cumana läßt dieſe Thatſache ſo unzweifelhaft erſcheinen, als daß die Becken von Paris, Oxford und Wien einſt Meerboden geweſen. Das Meer zog ſich langſam zurück und legte das weite Geſtade trocken, auf dem ſich eine Hügel— gruppe erhebt, die aus Gips und Kalkſtein von der neueſten Bildung beſteht. Die Stadt Cumana legt ſich an dieſe Hügel, die einſt ein Eiland im Golf von Cariaco waren. Das Stück der Ebene nordwärts von der Stadt heißt „der kleine Strand“ (Playa chica); ſie dehnt ſich gegen Oſt bis zur Punta Delgada aus, und hier bezeichnet ein enges mit Gomphrena flava bedecktes Thal den Punkt, wo einſt der Durchbruch der Ge— wäſſer ſtattfand. Dieſes Thal, deſſen Eingang durch kein Außenwerk verteidigt wird, erſcheint als der Punkt, von wo der Platz einem Angriff am meiſten ausgeſetzt iſt. Der Feind kann in voller Sicherheit zwiſchen der Punta Arenas del Barigon und der Mündung des Manzanares durchgehen, wo die See 73 bis 91 und weiter nach Südoſt ſogar 159 m tief iſt. Er kann an der Punta Delgada landen und das Fort San Antonio und die Stadt Cumana im Rücken angreifen, ohne daß er vom Feuer der weſtlichen Batterieen auf der Playa chica an der Mündung des Stromes und beim Cerro Colorado etwas zu fürchten hätte. Der Hügel aus Kalkſtein, den wir, wie oben bemerkt, als eine Inſel im ehemaligen Golf betrachten, iſt mit Fackel— diſteln bedeckt. Manche davon ſind 10 bis 13 m hoch und ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere Aeſte kronleuchterartig geteilter Stamm nimmt ſich höchſt ſeltſam aus. Bei Mani— quarez an der Punta Araya maßen wir einen Kaktus, deſſen Stamm über 1,54 m Umfang hatte. Ein Europäer, der nur die Fackeldiſteln unſerer Gewächshäuſer kennt, wundert ſich, daß das Holz dieſes Gewächſes mit dem Alter ſehr hart wird, daß es jahrhundertelang der Luft und Feuchtigkeit widerſteht, und daß es die Indianer von Cumana vorzugs— — 160 — - weile zu Rudern und Thürſchwellen verwenden. Nirgends in Südamerika kommen die Gewächſe aus der Familie der Nopaleen häufiger vor als in Cumana, Coro, Curacao und auf der Inſel Margarita. Nur dort könnte der Botaniker nach langem Aufenthalt eine Monographie der Kaktus ſchreiben, die nicht in Hinſicht auf Blüten und Früchte, aber nach der Form des gegliederten Stammes, nach der Zahl der Gräten und der Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietäten bilden. Wir werden in der Folge ſehen, wie dieſe Gewächſe, die für ein heißes, trockenes Klima, wie das Aegyptens und Kaliforniens, charakteriſtiſch ſind, immer mehr verſchwinden, wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt. Die Kaktusgebüſche ſpielen auf dürrem Boden in Süd— amerika dieſelbe Rolle wie in unſeren nördlichen Ländern die mit Binſen und Hydrocharideen bewachſenen Brüche. Ein Ort, wo ſtachlichte Kaktus von hohem Wuchs in Reihen ſtehen, gilt faſt für undurchdringlich. Solche Stellen, Tunales genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis zum Gürtel nackt iſt, ſie ſind ebenſoſehr von den Stämmen gefürchtet, die ganz bekleidet gehen. Auf unſeren einſamen Spaziergängen verſuchten wir es manchmal in den Tunal einzudringen, der die Spitze des Schloßberges krönt und durch den zum Teil ein Fußweg führt. Hier ließe ſich der Bau dieſes ſonderbaren Gewächſes an Tauſenden von Exemplaren beobachten. Zuweilen wurden wir von der Nacht überraſcht, denn in dieſem Klima gibt es faſt keine Dämmerung. Unſere Lage war dann deſto bedenklicher, da der Cascabel oder die Klapperſchlange, der Coral und andere Schlangen mit Giftzähnen zur Legezeit ſolche heiße trockene Orte aufſuchen, um ihre Eier in den Sand zu legen. Das Schloß San Antonio liegt auf der weſtlichen Spitze des Hügels, aber nicht auf dem höchſten Punkt; es wird gegen Oſten von einer nicht befeſtigten Höhe beherrſcht. Der Tunal gilt hier und überall in den ſpaniſchen Nieder: laſſungen für ein nicht unwichtiges militäriſches Verteidigungs— mittel. Wo man Erdwerke anlegt, ſuchen die Ingenieure recht viele ſtachlichte Fackeldiſteln darauf anzubringen und ihr Wachstum zu befördern, wie man auch die Krokodile in den Waſſergräben der feſten Plätze hegt. In einem Klima, wo die organiſche Natur eine ſo gewaltige Triebkraft hat, zieht der Menſch fleiſchfreſſende Reptilien und mit furchtbaren Stacheln bewehrte Gewächſe zu ſeiner Verteidigung herbei. EEE Das Schloß San Antonio, wo man an Feſttagen die Flagge von Kaſtilien aufzieht, liegt nur 58,5 m über dem Waſſerſpiegel des Meerbuſens von Cariaco. Auf ſeinem kahlen Kalkhügel beherrſcht es die Stadt und liegt, wenn man in den Hafen einfährt, höchſt maleriſch da. Es hebt ſich hell von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur Schneeregion aufſteigen und deren duftiges Blau mit dem Himmelsblau verſchmilzt. Geht man vom Fort San Antonio gegen Südweſt herab, ſo kommt man am Abhang desſelben Felſens zu den Trümmern des alten Schloſſes Santa Maria. Dies iſt ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang des kühlen Seewindes und der Ausſicht auf den Meerbuſen zu genießen. Die hohen Berggipfel der Inſel Margarita erſcheinen über der Felſenküſte der Landenge von Araya; gegen Weſten mahnen die kleinen Inſeln Caracas, Picuito und Boracha an die Kataſtrophe, durch welche die Küſte von Terra Firma zerriſſen worden iſt. Dieſe Eilande gleichen Feſtungs— werken, und da die Sonne die unteren Luftſchichten, die See und das Erdreich ungleich erwärmt, ſo erſcheinen ihre Spitzen infolge der Luftſpiegelung hinaufgezogen, wie die Enden der ee Vorgebirge der Küſte. Mit Vergnügen verfolgt man ei Tage dieſe wechſelnden Erſcheinungen; bei Einbruch der Nacht ſieht man dann, wie die in der Luft ſchwebenden Ge— ſteinmaſſen ſich wieder auf ihre Grundlage niederſenken, und das Geſtirn, das der organiſchen Natur Leben verleiht, ſcheint durch die veränderliche Beugung ſeiner Strahlen den ſtarren Fels vom Fleck zu rücken und dürre Sandebenen wellenförmig zu bewegen. Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwiſchen dem Schloſſe San Antonio und den kleinen Flüſſen Manzanares und Santa Catalina. Das durch die Arme des erſteren Fluſſes gebildete Delta iſt ein fruchtbares Land, bewachſen mit Mammea, Achra, Bananen und anderen Gewächſen, die in den Gärten oder Charas der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein ausgezeichnetes Gebäude aufzuweiſen, und bei der Häufigkeit der Erdbeben wird ſie ſchwerlich je welche haben. Starke Erdſtöße kommen zwar im ſelben Jahre in Cumana nicht ſo häufig vor als in Quito, wo doch prächtige, ſehr hohe Kirchen ſtehen; aber die Erdbeben in Quito ſind nur ſcheinbar ſo heftig, und infolge der eigentümlichen Beſchaffenheit des Bodens und der Art der Bewegung ſtürzt kein Gebäude ein. In Cumana, wie in Lima und mehreren anderen Städten, die A. v. Humboldt, Reiſe. I. 11 — 162 — weit von den Schlünden thätiger Vulkane liegen, wird die Reihe ſchwacher Erdſtöße nach Ablauf vieler Jahre leicht durch größere Kataſtrophen unterbrochen, die in ihren Wirkungen denen einer ſpringenden Mine ähnlich ſind. Wir werden öfters Gelegenheit haben, auf dieſe Erſcheinungen zurückzukommen, zu deren Erklärung ſo viele eitle Theorieen erſonnen worden ſind, und für die man eine Klaſſifikation gefunden zu haben glaubte, wenn man ſenkrechte und wagerechte Bewegungen, ſtoßende und wellenförmige Bewegungen annahm.! Die Vorſtädte von Cumana ſind faſt ſo ſtark bevölkert als die alte Stadt. Es ſind ihrer drei: Die der Serritos auf dem Wege nach der Playa chica, wo einige ſchöne Tama- rindenbäume ſtehen, die ſüdöſtlich gelegene, San Francisco genannt, und die große Vorſtadt der Guaykari oder der Guaygueries. Der Name dieſes Indianerſtammes war vor der Eroberung ganz unbekannt. Die Eingeborenen, die denſelben jetzt führen, gehörten früher zu der Nation der Guaraunos, die nur noch auf dem Sumpfboden zwiſchen den Armen des Orinoko lebt. Alte Männer verſicherten mich, die Sprache ihrer Vorfahren ſei eine Mundart der Guaraunoſprache ge— weſen, aber ſeit hundert Jahren gebe es in Cumana und auf Margarita keinen Eingeborenen vom Stamme mehr, der etwas anderes ſpreche als kaſtilianiſch. Das Wort Guaykari verdankt, gerade wie die Worte Peru und Peruaner, ſeinen Urſprung einem bloßen Miß— verſtändniſſe. Als die Begleiter des Kolumbus an der Inſel Margarita hinfuhren, auf deren Nordküſte noch jetzt der am höchſten ſtehende Teil dieſer Nation wohnt, ſtießen ſie auf einige Eingeborene, die Fiſche harpunierten, indem ſie einen mit einer ſehr feinen Spitze verſehenen, an einen Strick ge— bundenen Stock gegen ſie ſchleuderten. Sie fragten ſie in haytiſcher Sprache, wie ſie hießen; die Indianer aber meinten, die Fremden erkundigen ſich nach den Harpunen aus dem harten, ſchweren Holz der Macanapalme und antworteten: Dieſe Einteilung ſchreibt ſich ſchon aus der Zeit des Poſi⸗ donius her. Es iſt die succussio und die inclinatio des Seneca (Quaestiones naturales Lib. VI, c. 21). Aber ſchon der Scharf: ſinn der Alten machte die Bemerkung, daß die Art und Weiſe der Erdſtöße viel zu veränderlich iſt, als daß man ſie unter ſolche ver— meintliche Geſetze bringen könnte. (Plato bei Plutarch, De placit, Philos. L. III, e. 150 — 163 — Guaike, Guaike, das heißt: ſpitziger Stock. Die Guaykari, ein gewandtes, civiliſiertes Fiſchervolk, unterſcheiden ſich jetzt auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoko, die ihre Hütten an den Stämmen der Morichepalme aufhängen. Die Bevölkerung von Cumana iſt in der neueſten Zeit viel zu hoch angegeben worden. Im Jahre 1800 ſchätzten fie Anſiedler, die in nationalökonomiſchen Unterſuchungen wenig Beſcheid wiſſen, auf 20000 Seelen, wogegen königliche bei der Landesregierung angeſtellte Beamte meinten, die Stadt ſamt den Vorſtädten habe nicht 12000. Depons gibt in ſeinem ſchätzbaren Werke über die Provinz Caracas der Stadt im Jahre 1802 gegen 28000 Einwohner; andere geben im Jahre 1810 30000 an. Wenn man bedenkt, wie langſam die Bevölkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht auf dem Lande, ſondern in den Städten, ſo läßt ſich bezweifeln, daß Cumana bereits um ein Dritteil volkreicher ſein ſollte als Veracruz, der vornehmſte Hafen des großen Königreiches Neuſpanien. Es läßt ſich auch leicht darthun, daß im Jahre 1802 die Bevölkerung kaum über 18000 bis 19000 Seelen betrug. Es waren mir verſchiedene Notizen über die ſtatiſtiſchen Verhältniſſe des Landes zur Hand, welche die Regierung hatte zuſammenſtellen laſſen, als die Frage verhandelt wurde, ob die Einkünfte aus der Tabakspacht durch eine Perſonalſteuer erſetzt werden könnten, und ich darf mir ſchmeicheln, daß meine Schätzung auf ziemlich ſicheren Grundlagen ruht. Eine im Jahre 1792 vorgenommene Zählung ergab für die Stadt Cumana, ihre Vorſtädte und die einzelnen Häuſer auf 4—5 km in der Runde nur 10740 Einwohner. Ein Schatzbeamter, Don Manuel Navarrete, verſichert, daß man ſich bei dieſer Zählung höchſtens um ein Dritteil oder ein Vierteil geirrt haben könne. Vergleicht man die jährlichen Taufregiſter, ſo macht ſich von 1792 bis 1800 nur eine geringe Zunahme bemerklich. Die Weiber ſind allerdings ſehr frucht— bar, beſonders die eingeborenen, aber wenn auch die Pocken im Lande noch unbekannt ſind, ſo iſt doch die Sterblichkeit unter den kleinen Kindern furchtbar groß, weil ſie in völliger Verwahrloſung aufwachſen und die üble Gewohnheit haben, unreife, unverdauliche Früchte zu genießen. Die Zahl der Geburten beträgt im Durchſchnitt 520 bis 600, was auf eine Bevölkerung von höchſtens 16800 Seelen ſchließen läßt. Man kann verſichert ſein, daß ſämtliche Indianerkinder getauft und in das Taufregiſter der Pfarre eingetragen ſind, und nimmt — man an, die Bevölkerung ſei im Jahre 1800 26000 Seelen ſtark geweſen, jo käme auf 43 Köpfe nur eine Geburt, wäh: rend ſich die Geburten zur Geſamtbevölkerung in Frankreich wie 28 zu 100 und in den tropiſchen Strichen von Mexiko wie 17 zu 100 verhalten. Vermutlich wird ſich die indianiſche Vorſtadt allmählich bis zum Landungsplatz ausdehnen, da die Fläche, auf der noch keine Häuſer oder Hütten ſtehen, höchſtens 700 m lang iſt. Dem Strande zu iſt die Hitze etwas weniger drückend als in der Altſtadt, wo wegen des Zurückprallens der Sonnen— ſtrahlen vom Kalkboden und der Nähe des Berges San Antonio die Temperatur der Luft ungemein hoch ſteigt. In der Vor⸗ ſtadt der Guaykari haben die Seewinde freien Zutritt, der Boden iſt Thon und damit, wie man glaubt, den heftigen Stößen der Erdbeben weniger ausgeſetzt, als die Häuſer, die ſich an die Felſen und Hügel am rechten Ufer des Manza— nares lehnen. Bei der Mündung des kleinen Fluſſes Santa Catalina iſt der Saum des Ufers mit ſogenannten Wurzelträgern! be: ſetzt; aber dieſe Manglares ſind nicht groß genug, um der Salubrität der Luft in Cumana Eintrag zu thun. Im übrigen iſt die Ebene teils kahl, teils bedeckt mit Büſchen von Sesu- vium portulacastrum, Gomphrena flava, Gomphrena myrti- folia, Talinum cuspidatum, Talinum eumanense und Por- tulaca lanuginosa. Unter dieſen krautartigen Gewächſen erheben ſich da und dort die Avicennia tomentosa, die Scoparia duleis, eine ſtrauchartige Mimoſe mit ſehr reizbaren Blättern, beſonders aber Caſſien, deren in Südamerika ſo viele vorkommen, daß wir auf unſeren Reiſen mehr als dreißig neue Arten zuſammengebracht haben. Geht man zur indiſchen Vorſtadt hinaus und am Fluß gegen Süd hinauf, ſo kommt man zuerſt an ein Kaktusgebüſch und dann an einen wunderſchönen Platz, den Tamarindenbäume, Braſilienholzbäume, Bombax und andere durch ihr Laub und ihre Blüten ausgezeichnete Gewächſe beſchatten. Der Boden bietet hier gute Weide, und Melkereien, aus Rohr erbaut, liegen zerſtreut zwiſchen den Baumgruppen. Die Milch bleibt friſch, wenn man fie nicht in der Frucht des Flaſchenkürbis— baumes, die ein Gewebe aus ſehr dichten Holzfaſern iſt, ſondern in poröſen Thongefäßen von Maniquarez aufbewahrt. Infolge ! Rhizophora Mangle. — 15 — eines in nördlichen Ländern herrſchenden Vorurteiles hatte ich geglaubt, in der heißen Zone geben die Kühe keine ſehr fette Milch; aber der Aufenthalt in Cumana, beſonders aber die Reiſe über die weiten mit Gräſern und krautartigen Mimoſen bewachſenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt, daß ſich die Wiederkäuer Europas vollkommen an das heißeſte Klima gewöhnen, wenn ſie nur Waſſer und gutes Futter finden. Die Milchwirtſchaft iſt in den Provinzen Neuanda— luſien, Barcelona und Venezuela ausgezeichnet, und häufig iſt die Butter auf den Ebenen der heißen Zone beſſer als auf dem Rücken der Anden, wo für die Alppflanzen die Tem— peratur in keiner Jahreszeit hoch genug iſt und ſie daher weniger aromatiſch ſind als auf den Pyrenäen, auf den Bergen Eſtremaduras und Griechenlands. Den Einwohnern Cumanas iſt die Kühlung durch den Seewind lieber als der Blick ins Grüne, und ſo kennen ſie faſt keinen anderen Spaziergang als den großen Strand. Die Kaſtilianer, denen man nachſagt, ſie ſeien im allgemeinen keine Freunde von Bäumen und Vogelſang, haben ihre Sitten und ihre Vorurteile in die Kolonieen mitgenommen. In Terra Firma, Mexiko und Peru ſieht man ſelten einen Eingeborenen einen Baum pflanzen allein in der Abſicht, ſich Schatten zu ſchaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der großen Haupt— ſtädte weiß man in dieſen Ländern ſo gut wie nichts von Alleen. Die dürre Ebene von Cumana zeigt nach ſtarken Regengüſſen eine merkwürdige Erſcheinung. Der durchnäßte, von den Sonnenſtrahlen erhitzte Boden verbreitet jenen Biſam— geruch, der in der heißen Zone Tieren der verſchiedenſten Klaſſen gemein iſt, dem Jaguar, den kleinen Arten von Tiger— katzen, dem Cabiai, dem Galinazogeier,? dem Krokodil, den Vipern und Klapperſchlangen. Die Gaſe, die das Vehikel dieſes Aroms ſind, ſcheinen ſich nur in dem Maße zu ent— wickeln, als der Boden, der die Reſte zahllojer Reptilien, Würmer und Inſekten enthält, ſich mit Waſſer ſchwängert. Ich habe indianiſche Kinder vom Stamme der Chaymas 4 em lange und 15 mm breite Scolopender oder Tauſendfüße aus dem Boden ziehen und verzehren ſehen. Wo man den Boden aufgräbt, muß man ſtaunen über die Maſſen organiſcher Stoffe, die wechſelnd ſich entwickeln, ſich umwandeln oder zer— Cavia capybara, Linné. 2 Vultur aura, Linné. — 16 — ſetzen. Die Natur erſcheint in dieſen Himmelsſtrichen kraft⸗ voller, fruchtbarer, man möchte ſagen mit dem Leben ver— ſchwenderiſcher. Am Strande und bei den Melkereien, von denen eben die Rede war, hat man, beſonders bei Sonnenaufgang, eine ſehr ſchöne Ausſicht auf eine Gruppe hoher Kalkberge. Da dieſe Gruppe im Hauſe, wo wir wohnten, nur unter einem Winkel von 3“ erſcheint, diente fie mir lange dazu, die Ver: änderungen in der irdiſchen Refraktion mit den meteoro— logiſchen Erſcheinungen zu vergleichen. Die Gewitter bilden ſich mitten in dieſer Kordillere, und man ſieht von weitem, wie die dicken Wolken ſich in ſtarken Regen auflöſen, während in Cumana ſechs bis acht Monate lang kein Tropfen Regen fällt. Der höchſte Gipfel der Bergkette, der ſogenannte Bri— gantin, nimmt ſich hinter dem Brito und dem Tetaraqual höchſt maleriſch aus. Sein Name rührt her von der Geſtalt eines ſehr tiefen Thales an ſeinem nördlichen Abhang, das dem Inneren eines Schiffes gleicht. Der Gipfel des Berges iſt faſt ganz kahl und abgeplattet, wie der Gipfel des Mauna: Roa auf den Sandwichinſeln; es iſt eine ſenkrechte Wand, oder, um mich des bezeichnenderen Ausdruckes der ſpaniſchen Schiffer zu bedienen, ein Tiſch, eine Meſa. Dieſe eigentüm⸗ liche Bildung und die ſymmetriſche Lage einiger Kegel, die den Brigantin umgeben, brachten mich anfänglich auf die Vermutung, daß dieſe Berggruppe, die ganz aus Kalkſtein beſteht, Glieder der Baſalt- oder Trappformation enthalten möchte. a Statthalter von Cumana hatte im Jahre 1797 mutige Männer ausgeſchickt, die das völlig unbewohnte Land unter: ſuchen und einen geraden Weg nach Neubarcelona über den Gipfel der Meſa eröffnen ſollten. Man vermutete mit Recht, dieſer Weg werde kürzer und für die Geſundheit der Reiſen— den nicht ſo gefährlich ſein als der längs der Küſte, den die Kuriere von Caracas einſchlagen; aber alle Bemühungen, über die Bergkette zu kommen, waren fruchtlos. In dieſen Län: dern Amerikas, wie in Neuholland! im Weſten von Sydney, bietet nicht ſowohl die Höhe der Kordilleren als die Geſtal— Die Blauen Berge in Neuholland, die Berge von Carmarthen und Landsdown ſind bei hellem Wetter auf 67,5 km nicht mehr ſichtbar. Nimmt man den Höhenwinkel zu einem halben Grad an, ſo hätten dieſe Berge etwa 1200 m abſoluter Höhe. — st. - — 167 — tung des Geſteines ſchwer zu beſiegende Hinderniſſe. Durch das von den Gebirgen im Inneren und dem ſüdlichen Abhang des Cerro de San Antonio gebildete Längenthal fließt der Manzanares. In der ganzen Umgegend von Cumana iſt dies der einzige ganz bewaldete Landſtrich; er heißt die Ebene der Charas, wegen der vielen Pflanzungen, welche die Einwohner ſeit einigen Jahren den Fluß entlang verſucht haben. Ein ſchmaler Pfad führt vom Hügel von San Fran— cisco durch den Forſt zum Kapuzinerhoſpiz, einem höchſt an— genehmen Landhauſe, das die aragoneſiſchen Mönche für alte entkräftete Miſſionäre, die ihres Amtes nicht mehr walten können, gebaut haben. Gegen Oſt werden die Waldbäume immer kräftiger und man ſieht hier und da einen Affen,? die ſonſt in der Gegend von Cumana ſehr ſelten ſind. Zu den Füßen der Capparis, Bauhinien und des Zygophyllum mit goldgelben Blüten breitet ſich ein Teppich von Bromelien? aus, deren Geruch und deren kühles Laub die Klapperſchlangen hierher ziehen. Der Manzanares hat ſehr klares Waſſer und zum Glück nichts mit dem Madrider Manzanares gemein, der unter ſeiner prächtigen Brücke noch ſchmäler erſcheint. Er entſpringt, wie alle Flüſſe Neuandaluſiens, in einem Striche der Savannen (Llanos), der unter dem Namen der Plateaus von Jonoro, Amana und Guanipa bekannt iſt und beim indianiſchen Dorfe San Fernando die Gewäſſer des Rio Juanillo aufnimmt. Man hat der Regierung öfter, aber immer vergeblich, den Vorſchlag gemacht, beim erſten Ipure ein Wehr bauen zu laſſen, um die Ebene der Charas künſtlich zu bewäſſern, denn der Boden iſt trotz ſeiner ſcheinbaren Dürre ausnehmend frucht— bar, ſobald Feuchtigkeit zu der herrſchenden Hitze hinzukommt. Die Landleute, die im allgemeinen in Cumana nicht wohl- habend ſind, ſollten nach und nach die Auslagen für die Schleuſe erſetzen. Bis das Projekt in Ausführung kommt, hat man Schöpfräder, durch Maultiere getriebene Pumpen und andere ſehr unvollkommene Waſſerwerke angelegt. Die Ufer des Manzanares ſind ſehr freundlich, von Mimoſen, Erythrina, Ceiba und anderen Bäumen von rieſen— Chacra, verdorben Chara, heißt eine von einem Garten umgebene Hütte. Der gemeine Machi oder Heulaffe. Chihuchihue, aus der Familie der Ananas. — 18 — haftem Wuchs beſchattet. Ein Fluß, deſſen Temperatur zur Zeit des Hochwaſſers auf 22“ fällt, während der Thermo⸗ meter an der Luft auf 30 bis 33° ſteht, iſt eine unſchätzbare Wohlthat in einem Lande, wo das ganze Jahr eine furcht— bare Hitze herrſcht und man den Trieb hat, mehrere Male des Tags zu baden. Die Kinder bringen ſo zu ſagen einen Teil ihres Lebens im Waſſer zu; alle Einwohner, ſelbſt die weib— lichen Glieder der reichſten Familien, können ſchwimmen, und in einem Lande, wo der Menſch dem Naturſtande noch ſo nahe iſt, hat man ſich, wenn man morgens einander begegnet, nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der Fluß heute kühler ſei als geſtern. Man hat verſchiedene Bademethoden. So beſuchten wir jeden Abend einen Zirkel ſehr achtungswerter Perſonen in der Vorſtadt der Guaykari. Da ſtellte man bei ſchönem Mondſchein Stühle ins Waſſer; Männer und Frauen waren leicht gekleidet, wie in manchen Bädern des nördlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben ein paar Stunden im Fluſſe ſitzen, rauchten Cigarren dazu und unterhielten ſich nach Landesſitte von der ungemeinen Trockenheit der Jahreszeit, vom ſtarken Regenfall in den be— nachbarten Diſtrikten, beſonders aber vom Luxus, den die Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum Vorwurf machen. Durch die Bavas oder kleinen Krokodile, die jetzt ſehr ſelten ſind und den Menſchen nahe kommen, ohne anzugreifen, ließ ſich die Geſellſchaft durchaus nicht ſtören. Dieſe Tiere find 1 bis 1,5 m lang; wir haben nie eines im Manzanares geſehen, wohl aber Delphine, die zuweilen bei Nacht im Fluſſe heraufkommen und die Badenden erſchrecken, wenn ſie durch ihre Luftlöcher Waſſer ſpritzen. Der Hafen von Cumana iſt eine Reede, welche die Flotten von ganz Europa aufnehmen könnte. Der ganze Meerbuſen von Cariaco, der 67 km lang und 11 bis 15 km breit iſt, bietet vortrefflichen Ankergrund. Der Große Ozean an der Küſte von Peru kann nicht ſtiller und ruhiger ſein als das Meer der Antillen von Portocabello an, namentlich aber vom Vorge— birge Codera bis zur Landſpitze von Paria. Von den Stürmen bei den Antilliſchen Inſeln ſpürt man nie etwas in dieſem Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer be— fährt. Die einzige Gefahr im Hafen von Cumana iſt eine Untiefe, Baxo del Morro roxo, die von Weſt nach Oſt 1754 m lang iſt und ſo ſteil abfällt, daß man dicht dabei iſt, ehe man ſie gewahr wird. RR. Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be: ſchrieben, weil es mir wichtig ſchien, eine Gegend kennen zu lernen, die ſeit Jahrhunderten der Herd der furchtbarſten Erdbeben war. Ehe wir von dieſen außerordentlichen Er— ſcheinungen ſprechen, erſcheint es als zweckmäßig, die ver— ſchiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu— ſammenzufaſſen. Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird von einem Schloſſe beherrſcht. Kein Glockenturm, keine Kuppel fällt von weitem dem Reiſenden ins Auge, nur einige Tama: rinden⸗, Kokosnuß⸗ und Dattelſtämme erheben ſich über die Häuſer mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, beſonders dem Meere zu, iſt trübſelig, ſtaubig und dürr, wogegen ein friſcher, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geſchlängelten Lauf des Fluſſes bezeichnet, der die Stadt von den Vorſtädten, die Bevölkerung von europäiſcher und gemiſchter Abkunft von den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freiſtehende, kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine große Maſſe Licht und ſtrahlender Wärme zurück; er beſteht aus Breccien, deren Schichten verſteinerte Seetiere einſchließen. In weiter Ferne gegen Süden ſtreicht dunkel ein mächtiger Gebirgszug hin. Dies find die hohen Kalkalpen von Neu- andaluſien, wo dem Kalk Sandſteine und andere neuere Bil— dungen aufgelagert ſind. Majeſtätiſche Wälder bedecken dieſe Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes Thal mit dem nackten, thonigen und ſalzhaltigen Boden zuſammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu— tender Größe tragen zur eigentümlichen Phyſiognomie des Landes bei. Am Geſtade und am Meerbuſen ſieht man Scharen von Fiſchreihern und Alcatras, ſehr plumpen Vögeln, die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das Waſſer gleiten. Näher bei den Wohnſtätten der Menſchen ſind Tauſende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem Gefieder, raſtlos beſchäftigt, tote Tiere zu ſuchen. Ein Meer— buſen, auf deſſen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt die ſekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer— gebirge der Halbinſel Araya. Beide Küſten werden von einem ruhigen, blauen, beſtändig vom ſelben Winde leicht bewegten Meere beſpült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumloſen Halbinſel und der Ebene von Cumana, während man zwiſchen den Berggipfeln im Inneren Gewitter — 170 — ſich bilden, ſich zuſammenziehen und in fruchtbaren Regen— güſſen ſich entladen ſieht. So zeigen denn an dieſen Küſten, wie am Fuße der Anden, Himmel und Erde ſcharfe Gegen: ſätze von Heiterkeit und Bewölkung, von Trockenheit und gewaltigen Waſſergüſſen, von völliger Kahlheit und ewig neu ſproſſendem Grün. Auf dem neuen Kontinent unterſcheiden ſich die Niederungen an der See von den Gebirgsländern im Inneren ſo ſcharf wie die Ebenen Unterägyptens von den hochgelegenen Plateaus Abeſſiniens. Zu den Zügen, welche, wie oben angedeutet, der Küſten⸗ ſtrich von Neuandaluſien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, daß die Erdbeben dort wie hier gleich häufig ſind, und daß die Natur für dieſe Erſcheinungen beidemal dieſelben Grenzen einzuhalten In Wir ſelbſt haben in Cumana ſehr ſtarke Erdſtöße geſpürt, eben war man daran, die vor kurzem eingeſtürzten Gebäude wieder aufzurichten, und ſo hatten wir Gelegenheit, uns an Ort und Stelle über die Vorgänge bei der furchtbaren Kataſtrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Dieſe Angaben werden um ſo mehr Intereſſe haben, da die Erdbeben bisher weniger aus phyſiſchem und geologiſchem Geſichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer ſchrecklichen Folgen für die Bevölkerung und für das allgemeine Wohl ins Auge gefaßt worden ſind. Es iſt eine an der Küſte von Cumana und auf der Inſel Margarita ſehr verbreitete Meinung, daß der Meerbuſen von Cariaco ſich infolge einer Zertrümmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres gebildet habe. Die Erinnerung an dieſe gewaltige Umwälzung hatte ſich unter den Indianern bis zum Ende des 15. Jahrhunderts erhalten, und wie erzählt wird, ſprachen die Eingeborenen bei der dritten Reiſe des Chriſtophs Kolumbus davon, wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre 1530 wurden die Be⸗ wohner der Küſten von Paria und Cumana durch neue Erd— ſtöße erſchreckt. Das Meer ſtürzte über das Land her, und das kleine Fort, das Jakob Caſtellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gänzlich zerſtört. Zugleich bildete ſich eine un— geheure Spalte in den Bergen von Cariaco, am Ufer des Meerbuſens dieſes Namens, und eine gewaltige Maſſe Salz— waſſer, mit Asphalt vermiſcht, ſprang aus dem Glimmer: ſchiefer hervor. Am Ende des 16. Jahrhunderts waren die Erdbeben ſehr häufig, und nach den Ueberlieferungen, die ſich in Cumana erhalten haben, überſchwemmte das Meer öfter — 171 — den Strand und ſtieg 30 bis 39 m hoch an. Die Einwohner flüchteten ſich auf den Cerro de San Antonio und auf den Hügel, auf dem jetzt das kleine Kloſter San Francisco ſtceht. Man glaubt ſogar, infolge dieſer häufigen Ueberſchwemmungen habe man das an den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt, das zum Teil auf dem Abhang desſelben liegt. Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da ſich wegen der beſtändigen Verheerungen der Termiten oder weißen Ameiſen in den Archiven keine Urkunde befindet, die über 150 Jahre hinaufreicht, ſo weiß man nicht genau, wann dieſe früheren Erdbeben ſtattgefunden haben. Man weiß nur, daß näher unſerer Zeit das Jahr 1766 für die Anſiedler das ent— ſetzlichſte und zugleich für die Naturgeſchichte des Landes merk— würdigſte geweſen iſt. Seit 15 Monaten hatte eine Trocken— heit geherrſcht, wie ſie zuweilen auch auf den Inſeln des Grünen Vorgebirges beobachtet wird, als am 21. Oktober 1766 die Stadt Cumana von Grund aus zerſtört wurde. Das Gedächtnis dieſes Tages wird alljährlich mit einem Gottes— dienſt und einer feierlichen Prozeſſion begangen. In wenigen Minuten ſtürzten ſämtliche Häuſer zuſammen. An verſchie— denen Orten der Provinz that ſich die Erde auf und ſpie nach Schwefel riechendes Waſſer aus. Dieſe Ausbrüche waren beſonders häufig auf einer Ebene, die ſich gegen Caſanay, 9 km öſtlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen tierra hueca, hohler Boden, bekannt iſt, weil ſie überall von warmen Quellen unterhöhlt zu ſein ſcheint. Während der Jahre 1766 und 1767 lagerten die Einwohner von Cumana in den Straßen und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer Häuſer erſt, als ſich die Erdbeben nur noch alle Monate wiederholten. Hier auf der Küſte traten damals dieſelben Erſcheinungen ein, die man auch im Königreich Quito un— mittelbar nach der großen Kataſtrophe vom 4. Februar 1797 beobachtet hat. Während ſich der Boden beſtändig wellen— förmig bewegte, war es, als wollte ſich die Luft in Waſſer auflöſen. Durch ungeheure Regengüſſe ſchwollen die Flüſſe an; das Jahr war ausnehmend fruchtbar, und die Indianer, deren leichten Hütten die ſtärkſten Erdſtöße nichts anhaben, feierten nach einem uralten Aberglauben durch feſtlichen Tanz den Untergang der Welt und ihre bevorſtehende Wiedergeburt. Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766, wie bei einem anderen ſehr merkwürdigen im Jahre 1794, die Stöße bloße wagerechte, wellenförmige Bewegungen; erſt — am Unglückstage des 14. Dezember 1797 ſpürte man in Cu⸗ mana zum erſtenmal eine hebende Bewegung von unten nach oben. Ueber vier Fünfteile der Stadt wurden damals völlig zerſtört, und der Stoß, der von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe begleitet war, glich, wie in Riobamba, der Exploſion einer in großer Tiefe angelegten Mine. Zum Glück ging dem heftigen Stoß eine leichte wellenförmige Bewegung vor— aus, ſo daß die meiſten Einwohner ſich auf die Straßen flüchten konnten, und von denen, die eben in den Kirchen waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in Cu⸗ mana allgemein, die verheerendſten Erdbeben werden durch ganz ſchwache Schwingungen des Bodens und durch ein Sauſen angekündigt, und Leuten, die an ſolche Vorfälle ge— wöhnt find, entgeht ſolches nicht. In dieſem verhängnis— vollen Augenblicke hört man überall den Ruf: Misericordia! tembla, tembla!! und es kommt ſelten vor, daß ein blinder Lärm durch einen Eingeborenen veranlaßt wird. Die Aengſt— lichſten achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und Schweine. Die letzteren, die einen ausnehmend ſcharfen Ge— ruch haben und gewöhnt ſind im Boden zu wühlen, verkünden die Nähe der Gefahr durch Unruhe und Geſchrei. Wir laſſen es dahingeſtellt, ob ſie das unterirdiſche Getöſe zuerſt hören, weil ſie näher am Boden ſind, oder ob etwa Gaſe, die der Erde entſteigen, auf ihre Organe wirken. Daß letzteres mög— lich iſt, läßt ſich nicht leugnen. Als ich mich in Peru auf: hielt, wurde ein Fall beobachtet, der mit dieſen Erſcheinungen zuſammenhängt und der ſchon öfters vorgekommen war. Nach ſtarken Erdſtößen wurde das Gras auf den Savannen von Tucuman ungeſund; es brach eine Viehſeuche aus und viele Stücke ſcheinen durch die böſen Dünſte, die der Boden aus— ſtieß, betäubt oder erſtickt worden zu ſein. In Cumana ſpürte man eine halbe Stunde vor der großen Kataſtrophe am 14. Dezember 1797 am Kloſterberg von San Francisco einen ſtarken Schwefelgeruch. Am ſelben Orte war das unterirdiſche Getöſe, das von Südoſt nach Süd- weſt fortzurollen ſchien, am ſtärkſten. Hug ſah man am Ufer des Manzanares, beim Hoſpiz der Kapuziner und im Meerbuſen von Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem Boden ſchlagen. Wir werden in der Folge ſehen, daß letztere in nicht vulkaniſchen Ländern ſo auffallende Erſcheinung in Erbarmen! ſie (die Erde) bebt! ſie bebt! — 173 — den aus Alpenkalk beſtehenden Gebirgen bei Cumanacao, im Thale des Rio Bordones, auf der Inſel Margarita und mitten in den Savannen oder Llanos von Neuandaluſien ziemlich häufig iſt. In dieſen Savannen ſteigen Feuergarben zu bedeutender Höhe auf; man kann ſie ſtundenlang an den dürrſten Orten beobachten, und man verſichert, wenn man den Boden, dem der brennbare Stoff entſtrömt, unterſuche, ſei keinerlei Spalte darin zu bemerken. Dieſes Feuer, das an die Waſſerſtoffquellen oder Salſe in Modena und an die Irrlichter unſerer Sümpfe erinnert, zündet das Gras nicht an, wahrſcheinlich weil die Säule des ſich entbindenden Gaſes mit Stickſtoff und Kohlenſäure vermengt iſt und nicht bis zum Boden herab brennt. Das Volk, das übrigens hierzu— lande nicht ſo abergläubiſch iſt als in Spanien, nennt dieſe rötlichen Flammen ſeltſamerweiſe „die Seele des Tyrannen Aguirre“; Lopez d'Aguirre ſoll nämlich, von Gewiſſensbiſſen ne im Lande umgehen, das er mit ſeinen Verbrechen befleckt. Durch das große Erdbeben von 1797 iſt die Untiefe an der Mündung des Rio Bordones in ihrem Umriß verändert worden. Aehnliche Hebungen ſind bei der völligen Zerſtörung Cumanas im Jahre 1766 beobachtet worden. Die Punta Delgada an der Weſtküſte des Meerbuſens von Cariaco wurde damals bedeutend größer, und im Rio Guarapiche beim Dorfe Maturin entſtand eine Klippe, wobei ohne Zweifel der Boden des Fluſſes durch elaſtiſche Flüſſigkeiten zerriſſen und empor: gehoben wurde. Wir verfolgen die lokalen Veränderungen, welche die ver— ſchiedenen Erdbeben in Cumana hervorgebracht, nicht weiter. Dem Plane dieſes Werkes entſprechend, ſuchen wir vielmehr die Ideen unter allgemeine Geſichtspunkte zu bringen, und alles, was mit dieſen ſchrecklichen und zugleich ſo ſchwer zu erklärenden Vorgängen zuſammenhängt, in einen Rahmen zuſammenzufaſſen. Wenn Naturforſcher, welche die Schweizer Alpen oder die Küſten von Lappland beſuchen, unſere Kennt— nis von den Gletſchern und dem Nordlicht erweitern, ſo läßt Wenn das Volk in Cumana und auf der Inſel Margarita von el tirano ſpricht, ſo iſt immer der ſchändliche Lopez d'Aguirre gemeint, der im Jahre 1560 ſich am Aufſtand Fernandos de Guz— man gegen den Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de Urſua, beteiligte und ſich nachher ſelbſt traidor, Verräter, nannte. — 14 — ſich von einem, der das ſpaniſche Amerika bereiſt hat, erwarten, daß er fein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben ge— richtet haben werde. Jeder Strich des Erdballes liefert der Forſchung eigentümliche Stoffe, und wenn wir nicht hoffen dürfen, die Urſachen der Naturerſcheinungen zu ergründen, ſo müſſen wir wenigſtens verſuchen, die Geſetze derſelben kennen zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatſachen das Gemeinſame und immer Wiederkehrende vom Veränderlichen und Zufälligen zu unterſcheiden. Die großen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner Stöße eintreten, ſcheinen in Cumana nichts Periodiſches zu haben. Man hat ſie nach achtzig, nach hundert, und manch— mal nach nicht dreißig Jahren ſich wiederholen ſehen, während an der Küſte von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die jedesmal durch die gänzliche Zerſtörung der Stadt bezeichnet werden, unverkennbar mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit ein— treten. Daß die Einwohner ſelbſt an einen ſolchen Typus glauben, iſt auch vom beſten Einfluß auf die öffentliche Ruhe und die Erhaltung des Gewerbfleißes. Man nimmt allge— mein an, daß es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieſelben Urſachen wieder mit derſelben Gewalt wirken können; aber dieſer Schluß iſt nur dann richtig, wenn man die Erdſtöße als lokale Erſcheinungen auffaßt, wenn man unter jedem Punkt des Erdballes, der großen Erſchütterungen ausgeſetzt iſt, einen beſonderen Herd annimmt. Ueberall, wo ſich neue Gebäude auf den Trümmern der alten erhoben, hört man Leute, die nicht bauen wollen, äußern, auf die Zerſtörung Liſſabons am 1. November 1755 ſei bald eine zweite, gleich ſchreckliche gefolgt, am 31. März 1761. Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima ſehr verbreiteten Meinung! ſtehen die Erdbeben und der Zu— ſtand der Luft vor dem Eintreten derſelben ſichtbar in Zu: ſammenhang. An der Küſte von Neuandaluſien wird man ängſtlich, wenn bei großer Hitze und nach langer Trockenheit der Seewind auf einmal aufhört und der im Zenith reine, wolkenloſe Himmel ſich bis zu 6, 8° über dem Horizont mit einem rötlichen Duft überzieht. Dieſe Vorzeichen ſind in⸗ deſſen ſehr unſicher, und wenn man ſich nachher alle Vorgänge im Luftkreiſe zur Zeit der ſtärkſten Erderſchütterungen ver- Aristoteles, Meteorologica Lib. II. Seneca, Quaest. natur. Lib VI, e 12 — 175 — gegenwärtigt, ſo zeigt ſich, daß heftige Stöße ſo gut bei feuchtem als trockenem Wetter, ſo gut bei ſtarkem Winde als bei drückend ſchwüler ſtiller Luft eintreten können. Nach den vielen Erdbeben, die ich nördlich und ſüdlich vom Aequator, auf dem Feſtland und in Meeresbecken, an der Küſte und in 4870 m Höhe erlebt, will es mir ſcheinen, als ob die Schwingungen des Bodens und der vorhergehende Zuſtand der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu thun hätten. Dieſer Anſicht ſind auch viele gebildete Männer in den ſpa— niſchen Kolonieen, deren Erfahrung ſich, wo nicht auf ein größeres Stück der Erdoberfläche, ſo doch auf eine längere Reihe von Jahren erſtreckt. In europäiſchen Ländern da— gegen, wo Erdbeben im Verhältnis zu Amerika ſelten vor— kommen, ſind die Phyſiker geneigt, die Schwingungen des Bodens und irgend ein Meteor, das zufällig zur ſelben Zeit erſcheint, in nahe Beziehung zu bringen. So glaubt man in Italien an einen Zuſammenhang zwiſchen dem Sirocco u ven Erdbeben, und in London ſah man das häufige Vor- kommen von Sternſchnuppen und jene Südlichter, die ſeitdem von Dalton öfters beobachtet worden ſind, als die Vorläufer der Erdſtöße an, die man vom Jahre 1748 bis zum Jahre 1756 ſpürte. An den Tagen, wo die Erde durch ſtarke Stöße er⸗ ſchüttert wird, zeigt fich unter den Tropen feine Störung in der regelmäßigen ſtündlichen Schwankung des Barometers. Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hiervon über- zeugt; auf dieſen Umſtand ſind die Phyſiker um ſo mehr auf⸗ merkſam zu machen, als man auf San Domingo in der Stadt Kap Francais unmittelbar vor dem Erdbeben von 1770 den Waſſerbarometer um 66 mm will haben fallen jehen.! So erzählt man auch, bei der Zerſtörung von Oran habe ſich ein Apotheker mit ſeiner Familie gerettet, weil er wenige Minuten vor der Kataſtrophe zufällig auf ſeinen Barometer geſehen und bemerkt habe, daß das Queckſilber auffallend ſtark falle. Ich weiß nicht, ob dieſer Behauptung Glauben zu ſchenken iſt; da es faſt unmöglich iſt, während der Stöße ſelbſt die Schwankungen im Luftdruck zu beobachten, ſo muß man ſich begnügen, auf den Barometer vor und nach dem Vorfall zu ſehen. Im gemäßigten Erdſtrich äußern die Nordlichter nicht immer Einfluß auf die Deklination der Magnetnadel und die Dieſes Fallen entſpricht nur 4 mm Queckſilber. — Intenſität der magnetiſchen Kraft; ſo wirken vielleicht auch die Erdbeben nicht gleichmäßig auf die uns umgebende Luft. Es iſt ſchwerlich in Zweifel zu ziehen, daß in weiter Ferne von den Schlünden noch thätiger Vulkane der durch Erdſtöße geborſtene und erſchütterte Boden zuweilen Gaſe in die Luft ausſtrömen läßt. Wie ſchon oben angeführt, brachen in Cumana aus dem trockenſten Boden Flammen und mit ſchweflichter Säure vermiſchte Dämpfe hervor. An anderen Orten ſpie ebendaſelbſt der Boden Waſſer und Erdpech aus. In Riobamba bricht eine brennbare Schlammmaſſe, Moya genannt, aus Spalten, die ſich wieder ſchließen, und türmt ſich zu anſehnlichen Hügeln auf. 31 km von Liſſabon, bei Colares, ſah man während des furchtbaren Erdbebens vom 1. November 1755 Flammen und eine dicke Rauchſäule aus der Felswand bei Alvidras, und nach einigen Augenzeugen aus dem Meere ſelbſt hervorbrechen. Der Rauch dauerte mehrere Tage und wurde deſto ſtärker, je lauter das unter: irdiſche Getöſe war, das die Stöße begleitete. In die Atmosphäre en elaſtiſche Flüſſigkeiten können lokal auf den Barometer wirken, freilich nicht durch ihre Maſſe, die im Verhältnis zur ganzen Luftmaſſe ſehr un⸗ bedeutend iſt, ſondern weil ſich, ſobald ein großer Ausbruch erfolgt, wahrſcheinlich ein aufſteigender Strom bildet, der den Luftdruck vermindert. Ich bin geneigt, anzunehmen, daß bei den meiſten Erdbeben der erſchütterte Boden nichts von ſich gibt, und daß, wenn wirklich Gaſe und Dämpfe ausſtrömen, dies weit nicht ſo oft vor den Stößen als während derſelben und hernach ſtattfindet. Aus dieſem letzteren Umſtand erklärt ſich eine Erſcheinung, die ſchwerlich abzuleugnen iſt, ich meine den rätſelhaften Einfluß, den die Erdbeben im tropiſchen Amerika auf das Klima und den Eintritt der naſſen und der trockenen Jahreszeit äußern. Wenn die Erde erſt im Moment der Er⸗ ſchütterung ſelbſt eine Veränderung in der Luft hervorbringt, ſo ſieht RR ein, warum fo felten ein auffallender meteoro- logischer Vorgang als Vorbote dieſer großen Umwälzungen in der Natur erſcheint. Für die Annahme, daß bei den Erdbeben in Cumana elaſtiſche Flüſſigkeiten durch die Erdoberfläche zu entweichen ſuchen, ſcheint das furchtbare Getöſe zu ſprechen, das man während der Erdſtöße auf der Ebene der Charas am Rande der Brunnen vernimmt. Zuweilen werden Waſſer und Sand über 6,5 m hoch emporgeſchleudert. Aehnliche Erſcheinungen al — 177 — entgingen ſchon dem Scharfſinn der Alten nicht, die in den Ländern Griechenlands und Kleinaſiens wohnten, wo es ſehr viele Höhlen, Erdſpalten und unterirdiſche Ströme gibt. Das gleichförmige Walten der Natur erzeugt allerorten dieſelben Vorſtellungen über die Urſachen der Erdbeben und über die Mittel, durch welche der Menſch, der ſo leicht das Maß ſeiner Kräfte vergißt, die Wirkungen der Ausbrüche aus der Tiefe mildern zu können meint. Was ein großer römiſcher Natur: forſcher vom Nutzen der Brunnen und Höhlen ſagt,! wieder: holen in der Neuen Welt die unwiſſendſten Indianer in Quito, wenn ſie den Reiſenden die Guaicos oder Höhlen am Pi— chincha zeigen. Das unterirdiſche Getöſe, das bei Erdbeben ſo häufig vorkommt, iſt meiſt außer Verhältnis mit der Kraft der Erd— ſtöße. In Cumana geht es denſelben immer zuvor, während man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den An— tillen, nachdem die Stöße längſt aufgehört haben, einen Donner wie vom Feuer einer Batterie gehört hat. Eine dritte Klaſſe dieſer Erſcheinungen, und die merkwürdigſte von allen iſt das monatelang fortwährende unterirdiſche Donnerrollen, ohne daß dabei die geringſte Wellenbewegung des Bodens zu ſpüren wäre. In allen den Erdbeben ausgeſetzten Ländern ſieht man als die Veranlaſſung und den Herd der Erdſtöße den Punkt an, wo, wahrſcheinlich infolge einer eigentümlichen Anordnung der Geſteinſchichten, die Wirkungen am auflfallendſten ſind. So glaubt man in Cumana, der Schloßberg von San An— tonio, beſonders aber der Hügel, auf dem das Kloſter San Francisco liegt, enthalten eine ungeheure Maſſe Schwefel und andere brennbare Stoffe. Man vergißt, daß die Geſchwindig— keit, mit der ſich die Schwingungen auf große Entfernung, In puteis est remedium, quale et crebri specus praebent: conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur oppidis, quae minus quatiuntur, crebris ad eluviem cuniculis cavata (Plin. L. II, c. 82). Noch gegenwärtig glaubt man in der Hauptſtadt von St. Domingo, daß die Brunnen die Kraft der Erd— ſtöße ſchwächen. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß die Er— klärung, die Seneca von den Erdbeben gibt (Natur. quaest. Lib. VI, c. 4 bis 31), den Keim alles deſſen enthält, was in unſerer Zeit über die Wirkung elaſtiſcher, im Inneren des Erdballes einge— ſchloſſener Dämpfe geſagt worden iſt. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 12 — 178 — ſogar über das Becken des Ozeans fortpflanzen, deutlich dar— auf hinweiſt, daß der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberfläche ſehr weit entfernt iſt. Ohne Zweifel aus dem— ſelben Grunde ſind die Erdbeben nicht an gewiſſe Gebirgs⸗ arten gebunden, wie manche a behaupten, ſondern alle ſind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den Kreis meiner eigenen Erfahrung zu überſchreiten, nenne ich nur die Granite von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerſchiefer der Halbinſel Araya, den Urgebirgsſchiefer von Tepecuacuilco in Mexiko, die ſekundären Kalkſteine des Apennins, Spaniens und Neuandaluſiens, end— lich die Trappporphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen dieſen Orten wird der Boden häufig durch die heftigſten Stöße erſchüttert; aber zuweilen werden in der⸗ ſelben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten zu einem unüberwindlichen Hindernis für die Fortpflanzung der Bes wegung. So ſah man ſchon in den ſächſiſchen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen, die ſie empfunden, erſchrocken aus— fahren, während man an der Erdoberfläche nichts davon ge— ſpürt hatte. Wenn nun auch in den weitentlegenſten Ländern die Ur— gebirge, die ſekundären und die vulkaniſchen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen des Erdballes in gleichem Maße teilnehmen, ſo läßt ſich doch nicht in Abrede ziehen, daß in einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtrich gewiſſe Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stöße hemmen. In Cumana z. B. wurden vor der großen Kataſtrophe im Jahre 1797 die Erd— beben nur längs der aus Kalk beſtehenden Südküſte des Meerbuſens von Cariaco bis zur Stadt dieſes Namens ge⸗ ſpürt, während auf der Halbinſel Araya und im Dorfe Mani⸗ quarez der Boden an denſelben Bewegungen keinen Teil nahm. Die Bewohner dieſer Nordküſte, die aus Glimmerſchieſer be— ſteht, bauten ihre Hütten auf unerſchütterlichem Boden; ein 5,8 bis 7,8 km breiter Meerbuſen lag zwiſchen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Trümmern bedeckten und ver— wüſteten Ebene. Mit dieſer auf die Erfahrung von Jahr— hunderten gebauten Sicherheit iſt es vorbei; mit dem 14. De⸗ zember 1797 ſcheinen ſich im Inneren der Erde neue Verbindungswege geöffnet zu haben. Jetzt empfindet man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge aus Glimmer ſchiefer iſt ſeinerſeits zum Mittel: punkt von Bewegungen geworden. Bereits wird zuweilen — 179 — im Dorfe Maniquarez der Boden ſtark erſchüttert, während man an der Küſte von Cumana der tiefſten Ruhe genießt, und doch iſt der Meerbuſen von Cariaco nur 110 bis 150 m tief. Man will beobachtet haben, daß auf dem Feſtlande wie auf den Inſeln die Weſt⸗ und Südküſten den Stößen am meiſten ausgeſetzt ſeien. Dieſe Beobachtung ſteht im Zu— ſammenhang mit den Ideen hinſichtlich der Lage der großen Gebirgsketten und der Richtung ihrer ſteilſten Abhänge, wie ſie ſich ſchon lange in der Geologie geltend gemacht haben; das Vorhandenſein der Kordillere von Caracas und die Häufig— keit der Erdbeben an den Oſt- und Nordküſten von Terra Firma, im Meerbuſen von Paria, in Carupano, Cariaco und Cumana beweiſen, wie wenig begründet jene Anſicht iſt. In Neuandaluſien, wie in Chile und Peru, gehen die Erdſtöße den Küſten nach und nicht weit ins Innere des Landes hinein. Dieſer Umſtand weiſt, wie wir bald ſehen werden, darauf hin, daß die Urſachen der Erdbeben und der vulkaniſchen Ausbrüche in engem Verbande ſtehen. Würde der Boden an den Küſten deshalb ſtärker „ weil dieſe die am tiefſten gelegenen Punkte des Landes ſind, warum wären dann in den Savannen oder Prairieen, die kaum 16 oder 20 m über dem Meeresſpiegel liegen, die Stöße nicht ebenſo oft und ebenſo ſtark zu fühlen? Die Erdbeben in Cumana ſind mit denen auf den kleinen Antillen verkettet, und man hat ſogar vermutet, ſie könnten mit den vulkaniſchen Erſcheinungen in den Kordilleren der Anden in einigem Zuſammenhang ſtehen. Am 11. Februar 1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwälzung, durch die, trotz der ſehr ſchwachen Bevölkerung des Landes, gegen 40 000 Eingeborene unter den Trümmern ihrer Häufer begraben wurden, in Erdſpalten jtürzten oder in den plötzlich neu gebildeten Seen ertranken. Zur ſelben Zeit wurden die Bewohner der öſtlichen Antillen durch Erdſtöße erſchreckt, die erſt nach 8 Monaten aufhörten, als der Vulkan auf Guade— loupe Bimsſteine, Aſche und Wolken von Schwefeldämpfen ausſtieß. Auf dieſen Ausbruch vom 29. September, während— deſſen man lange anhaltendes unterirdiſches Brüllen hörte, folgte am 14. Dezember das große Erdbeben von Cumana. Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat ſeitdem ein neues Beiſpiel ſolcher auffallenden Wechſelbe⸗ ziehungen geliefert. Er hatte ſeit 1718 kein Feuer mehr ge: ſpieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf. Die gänz— — 180 — liche Zerſtörung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor dieſem Ausbruch und ſtarke Bodenſchwingungen wurden ſo— wohl auf den Inſeln als an den Küſten von Terra Firma geſpürt. g Man hat längſt die Bemerkung gemacht, daß die Wirkun— gen großer Erdbeben ſich ungleich weiter verbreiten als die Erſcheinungen der thätigen Vulkane. Beobachtet man in Italien die Umwälzungen des Erdbodens, betrachtet man die Reihe der Ausbrüche des Veſuv und des Aetna genau, ſo entdeckt man, ſo nahe auch dieſe Berge bei einander liegen, kaum Spuren gleichzeitiger Thätigkeit. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß bei den beiden letzten Erdbeben von Liſſabon! das Meer bis in die Neue Welt hinüber in Auf: Am 1. November 1755 und 31. März 1761. Beim erſteren Erdbeben überſchwemmte das Meer in Europa die Küſten von Schweden, England und Spanien, in Amerika die Inſeln Antigua, Barbados und Martinique. Auf Barbados, wo die Flut gewöhn: lich nur 640 bis 746 mm hoch fteigt, ſtieg das Waſſer in der Bucht von Carlisle 6,5 m hoch. Es wurde zugleich „tintenſchwarz“, ohne Zweifel, weil ſich der Asphalt, der im Meerbuſen von Cariaco, wie bei der Inſel Trinidad, auf dem Meeresboden häufig vor— kommt, mit dem Waſſer vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen wurde eine auffallende Bewegung des Waſſers 6 Stunden vor dem erſten Stoß, den man in Liſſabon ſpürte, beobachtet. In Cadiz ſah man auf 36 km weit aus der offenen See einen 20 m hohen Waſſerberg anrücken; er ſtürzte ſich auf die Küſte und zerſtörte eine Menge Gebäude, ähnlich wie die 56 m hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen von Callao überſchwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontarioſee ſeit Oktober 1755 eine ſtarke Aufregung des Waſſers beobachtet. Dieſe Erſcheinungen weiſen darauf hin, daß auf ungeheure Strecken hin unterirdiſche Verbindungen be— ſtehen. Bei der Zuſammenſtellung der meiſt weit auseinander liegenden Zeitpunkte, in denen Lima und Guatemala völlig zerſtört wurden, glaubte man hin und wieder die Bemerlung zu machen, als ob ſich eine Wirkung langſam den Kordilleren entlang geäußert hätte, bald von Nord nach Süd, bald von Süd nach Nord. Ich gebe hier vier dieſer auffallenden Zeitpunkte: Mexiko Peru (Breite 13“ 32“ Nord) (Breite 12° 6° Süd) 30. Nov. 1577, 17. Juni 1578, 4. März 1679, 17. Juni 1678, 12. Febr. 1689, 10. Okt. 1688, 27. Sept 1717, 8. Febr. 1716. — — 181 — ruhr geriet, z. B. bei der Inſel Barbados, die über 5400 km von der Käse von Portugal liegt. Verſchiedene Thatſachen weiſen darauf hin, daß die Erd— beben und die vulkaniſchen Ausbrüche in engem urſachlichen Zuſammenhang ſtehen. In Paſto hörten wir, die ſchwarze dicke Rauchſäule, die im Jahre 1797 ſeit mehreren Monaten dem Vulkan in der Nähe dieſer Stadt entſtiegen war, ſei zur ſelben Stunde verſchwunden, wo 270 km gegen Süd die Städte Riobamba, Hambato und Tacunga durch einen unge— heuren Stoß über den Haufen geworfen wurden. Setzt man ſich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Hügel, die ſich durch die Schlacken- und Aſchenauswürfe bilden, ſo fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805 auf dem Veſuv beobachtet, während der Berg glühende Schlacken auswarf; wir waren im Jahre 1802 Zeugen desſelben Vor— ganges geweſen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters des Pichincha ſtanden, aus dem übrigens eben nur ſchweflig ſaure Dämpfe aufſtiegen. Alles weiſt darauf hin, daß das eigentlich Wirkſame bei den Erdbeben darin beſteht, daß elaſtiſche Flüſſigkeiten einen Ausweg ſuchen, um ſich in der Luft zu verbreiten. An den Küſten der Südſee pflanzt ſich dieſe Wirkung oft faſt Ich geſtehe, wenn die Erdſtöße nicht gleichzeitig ſind, oder doch kurz nacheinander erfolgen, ſo erſcheint die angebliche Fortpflanzung der Bewegung ſehr zweifelhaft. Dieſer urſachliche Zuſammenhang, den ſchon die Alten er— kannten, beſchäftigte die Geiſter nach der Entdeckung von Amerika wieder ſehr lebhaft. Dieſe Entdeckung vergnügte nicht allein die Neugier der Menſchen durch neue Naturprodukte, ſie erweiterte auch ihre Vorſtellungen von der phyſiſchen Beſchaffenheit der Länder, von den Spielarten des Menſchengeſchlechtes und von den Wande— rungen der Völker. Man kann die Beſchreibungen der älteſten ſpaniſchen Reiſenden, namentlich die des Jeſuiten Acoſta, nicht leſen, ohne jeden Augenblick freudig zu ſtaunen, wie mächtig der Anblick eines großen Feſtlandes, die Betrachtung einer wunder— vollen Natur und die Berührung mit Menſchen von anderer Raſſe auf die Geiſtesentwickelung in Europa gewirkt haben. Der Keim ſehr vieler phyſikaliſcher Wahrheiten iſt in den Schriften des 16. Jahrhunderts niedergelegt, und dieſer Keim hätte Früchte ge— 1 wäre er nicht durch Fanatismus und Aberglauben erſtickt worden. augenblicklich 2700 km weit, von Chile bis zum Meerbuſen von Guayaquil, fort, und zwar ſcheinen, was ſehr merkwürdig iſt, die Erdſtöße deſto ſtärker zu ſein, je weiter ein Ort von den thätigen Vulkanen abliegt. Die mit Flözen von ſehr neuer Bildung bedeckten Granitberge Kalabriens, die aus Kalk beſtehende Kette des Apennins, die Grafſchaft Perigord, die Küſten von Spanien und Portugal, die von Peru und Terra Firma liefern deutliche Belege für dieſe Behauptung. Es iſt als würde die Erde deſto ſtärker erſchüttert, je weniger die Bodenfläche Oeffnungen hat, die mit den Höhlungen im Inneren in Verbindung ſtehen. In Neapel und Meſſina, am Fuß des Cotopaxi und des Tunguragua fürchtet man die Erdbeben nur, ſolange nicht Rauch und Feuer aus der Mün⸗ dung der Vulkane bricht. Ja, im Königreich Quito brachte die große Kataſtrophe von Riobamba, von der oben die Rede war, mehrere unterrichtete Männer auf den Gedanken, daß das unglückliche Land wohl nicht ſo oft verwüſtet würde, wenn das unterirdiſche Feuer den Porphyrdom des Chimbo— razo durchbrechen könnte und dieſer koloſſale Berg ſich wieder in einen thätigen Vulkan verwandelte. Zu allen Zeiten haben analoge Thatſachen zu denſelben Hypotheſen geführt. Die Griechen, die, wie wir, die Schwingungen des Bodens der Spannung elaſtiſcher Flüſſigkeiten zuſchrieben, führten zur Bekräftigung ihrer Anſicht an, daß die Erdbeben auf der Inſel Euböa gänzlich aufgehört haben, ſeit ſich auf der Ebene von Lelante eine Erdſpalte gebildet. Wir haben verſucht, am Schluß dieſes Kapitels die all— gemeinen Erſcheinungen zuſammenzuſtellen, welche die Erd— beben unter verſchiedenen Himmelsſtrichen begleiten. Wir haben gezeigt, daß die unterirdiſchen Meteore ſo feſten Ge— ſetzen unterliegen, wie die Miſchung der Gaſe, die unſeren Luftkreis bilden. Wir haben uns aller Betrachtungen über das Weſen der chemiſchen Agenzien enthalten, die als Urſachen der großen Umwälzungen erſcheinen, welche die Erdoberfläche von Zeit zu Zeit erleidet. Es ſei hier nur daran erinnert, daß dieſe Urſachen in ungeheuren Tiefen liegen, und daß man ſie in den Erdbildungen zu ſuchen hat, die wir Urgebirge nennen, wohl gar unter der erdigen, oxydierten Kruſte, in Tiefen, wo die halbmetalliſchen Grundlagen der Kieſelerde, der Kalkerde, der Soda und der Pottaſche gelagert ſind. Man hat in neueſter Zeit den Verſuch gemacht, die Er— ſcheinungen der Vulkane und Erdbeben als Wirkungen des 7 Galvanismus aufzufaſſen, der ſich bei eigentümlicher Anord— nung ungleichartiger Erdſchichten entwickeln ſoll. Es läßt ſich nicht leugnen, daß häufig, wenn im Verlauf einiger Stunden ſtarke Erdſtöße aufeinander folgen, die elektriſche Spannung der Luft im Augenblick, wo der Boden am ſtärkſten erſchüttert wird, merkbar zunimmt; um aber dieſe Erſcheinung zu erklären, braucht man ſeine Zuflucht nicht zu einer Hypotheſe zu nehmen, die in geradem Widerſpruch ſteht mit allem, was bis jetzt über den Bau unſeres Planeten und die Anordnung ſeiner Erdſchichten beobachtet worden iſt. Fünftes Kapitel. Die Halbinſel Araya. — Salzſümpfe. — Die Trümmer des Schloſſes Santiago. Die erſten Wochen unſeres Aufenthaltes in Cumana ver— wendeten wir dazu, unſere Inſtrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botaniſieren und die Spuren des Erdbebens vom 14. Dezember 1797 zu beobachten. Die Mannigfaltig⸗ keit der Gegenſtände, die uns zumal in Anſpruch nahmen, ließ uns nur ſchwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden. Wenn unſere ganze Umgebung den lebhafteſten Reiz für uns hatte, ſo machten dagegen unſere Inſtrumente die Neugier der Einwohnerſchaft rege. Wir wurden ſehr oft durch Beſuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht Leute vor den Kopf ſtoßen, die ſo ſeelen— vergnügt durch einen Dollond die Sonnenflecken betrachteten, oder zwei Gaſe in der Rohre des Eudiometers ſich verzehren, oder auf galvaniſche Berührung einen Froſch ſich bewegen ſahen, ſo mußte man ſich wohl herbeilaſſen, auf oft ver— worrene Fragen Auskunft zu geben und ſtundenlang die⸗ ſelben Verſuche zu wiederholen. So ging es uns fünf ganze Jahre, ſo oft wir uns an einem Orte aufhielten, wo man in Erfahrung gebracht hatte, daß wir Mikroſkope, Fernröhren oder elektromotoriſche Apparate beſitzen. Dergleichen Auftritte wurden meiſt deſto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, welche die Beſucher von Aſtronomie und Phyſik hatten, welche Wiſſenſchaften in den ſpaniſchen Kolonieen den ſonderbaren Titel: „neue Philoſophie“, nueva filosofia, führen. Die Halbgelehrten ſahen mit einer gewiſſen Geringſchätzung auf uns herab, wenn ſie hörten, daß ſich unter unſeren Büchern weder das Spectacle de la nature vom Abbe Pluche, noch der Cours de physique von Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de Bomare befanden. Dieſe drei Werke und der Traité d’economie politique von Baron Bielfeld ſind die bekannteſten und ge— achtetſten fremden Bücher im ſpaniſchen Amerika von Caracas und Chile bis Guatemala und Nordmexiko. Man gilt nur dann für gelehrt, wenn man die Ueberſetzungen derſelben recht oft citieren kann, und nur in den großen Haupt— ſtädten, in Lima, Santa Fe de Bogota und Mexiko, fangen die Namen Haller, Cavendiſh und Lavoiſier an jene zu ver— drängen, deren Ruf ſeit einem halben Jahrhundert populär geworden iſt. Die Neugierde, mit der die Menſchen ſich mit den Himmels— erſcheinungen und verſchiedenen naturwiſſenſchaftlichen Gegen— ſtänden abgeben, äußert ſich ganz anders bei altciviliſierten Völkern als da, wo die Geiſtesentwickelung noch geringe Fort— ſchritte gemacht hat. In beiden Fällen finden ſich in den höchſten Ständen viele Perſonen, die den Wiſſenſchaften ferne ſtehen; aber in den Kolonieen und bei jungen Völkern iſt die Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, ſondern entſpringt aus dem lebendigen Triebe, ſich zu belehren; ſie äußert ſich ſo arglos und naiv, wie ſie in Europa nur in früher Jugend auftritt. Erſt am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe aſtro— nomiſcher Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Länge, wie ſie Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande, wo der Himmel beſtändig rein und klar iſt, mehrere Nächte ſternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf und es wurde mir ſchwer, korreſpondierende Sonnenhöhen zu erhalten, obgleich ich in verſchiedenen Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge von Cumana differierte nur um 4 Sekunden Zeit von der, welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unſere Ueberfahrt 41 Tage gewährt und bei der Be— ſteigung des Piks von Tenerifa war der Chronometer ſtarken Temperaturwechſeln ausgeſetzt geweſen. Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt ſich als Geſamtreſultat, daß der große Platz von Cumana unter 10° 27“ 52“ der Breite und 66° 30° 2“ der Länge liegt. Die Beſtimmung der Länge gründet ſich auf den Uebertrag der Zeit, auf Monddiſtanzen, auf die Sonnen— — 16 — finſternis vom 28. Oktober 1799 und auf zehn Immerſionen der Jupitertrabanten, verglichen mit in Europa angeſtellten Beobachtungen. Sie weicht nur um ſehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch rein chronometriſche Mittel gefunden. Unſere älteſte Karte des neuen Kontinentes, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiſer Karls des Fünften, ſetzt Cumana unter 9° 30“ Breite, was um 58 Minuten von der wahren Breite abweicht und einen halben Grad von der, die Sefferys in feinem im Jahre 1794 herausgegebenen „Amerikaniſchen Steuermann“ angibt. Dreihundert Jahre lang zeichnete man die ganze Küſte von Paria zu weit ſüd— lich, weil in der Nähe der Inſel Trinidad die Strömungen nach Norden gegen und die Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Süd zu ſein glauben, als ſie wirklich ſind. Am 17. Auguſt machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den Einwohnern viel zu ſchaffen. Man betrachtete es als Vorboten eines ſtarken Erdſtoßes, denn nach der Volks— phyſik ſtehen alle ungewöhnlichen Erſcheinungen in unmittel— barem Zuſammenhang. Die farbigen Kreiſe um den Mond ſind in den nördlichen Ländern weit ſeltener als in der Pro— vence, in Italien und Spanien. Sie zeigen ſich, und dies iſt auffallend, beſonders bei reinem Himmel, wenn das gute Wetter ſehr beſtändig ſcheint. In der heißen Zone ſieht man faſt jede Nacht ſchöne prismatiſche Farben, ſelbſt bei der größten Trockenheit; oft verſchwinden ſie in wenigen Minuten mehreremal, ohne Zweifel, weil obere Luftſtrömungen den Zuſtand der feinen Dünſte, in denen das Licht ſich bricht, verändern. Zuweilen habe ich zwiſchen dem 15. Grad der Breite und dem Aequator ſogar um die Venus kleine Höfe geſehen; man konnte Purpur, Orange, und Violett unter— ſcheiden; aber um Sirius, Canopus und Achernar habe ich niemals Farben geſehen. Während der Mondhof in Cumana zu ſehen war, zeigte der Hygrometer große Feuchtigkeit an; die Waſſerdünſte ſchienen aber fo vollkommen aufgelöft, oder vielmehr ſo elaſtiſch und gleichförmig verbreitet, daß ſie der Durchſichtigkeit der Luft keinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem Gewitterregen hinter dem Schloſſe San Antonio auf. Wie er am Horizont erſchien, ſah man zwei Kreiſe, einen großen, weißlichen von 44° Durchmeſſer und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glänzte und 1“ 49° breit war. Der Himmelsraum zwiſchen beiden Kronen war — 187 — dunkelblau. Bei 40° Höhe verſchwanden fie, ohne daß die meteorologiſchen Inſtrumente die geringſte Veränderung in den niederen Luftregionen anzeigten. Die Erſcheinung hatte nichts Auffallendes außer der großen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umſtand, daß nach Meſſungen mit einem Ramsden— ſchen Sextanten die Mondſcheibe nicht ganz in der Mitte der Höfe ſtand. Ohne die Meſſung hätte man glauben können, dieſe Exzentrizität rühre von der Projektion der Kreiſe auf die ſcheinbare Konkavität des Himmels her. Die Form der Höfe und die Farben, welche in der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es, von den Phyſikern von neuem in den Kreis der Beobachtungen ge⸗ zogen zu werden. In Mexiko habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den Farben des Regen— bogens über das Himmelsgewölbe und gegen die Mondſcheibe hin zuſammenlaufen ſehen; dieſes merkwürdige Meteor er— innert an das von Cotes im Jahre 1716 beſchriebene. Wenn unſer Haus in Cumana für die Beobachtung des Himmels und der meteorologiſchen Vorgänge ſehr günſtig gelegen war, ſo mußten wir dagegen zuweilen bei Tage etwas anſehen, was uns empörte. Der große Platz iſt zum Teil mit Bogengängen umgeben, über denen eine lange hölzerne Galerie hinläuft, wie man ſie in allen heißen Län— dern ſieht. Hier wurden die Schwarzen verkauft, die von der afrikaniſchen Küſte herüberkommen. Unter allen euro— päiſchen Regierungen war die von Dänemark die erſte und lange die einzige, die den Sklavenhandel abgeſchafft hat, und dennoch waren die erſten Sklaven, die wir aufgeſtellt ſahen, auf einem däniſchen Sklavenſchiff e Der gemeine Eigennutz, der mit Menſchenpflicht, Nationalehre und den Geſetzen des Vaterlandes im Streite liegt, läßt ſich durch nichts in ſeinen Spekulationen ſtören. Die zum Verkauf ausgeſetzten Sklaven waren junge Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Kokosöl, um ſich den Körper damit einzureiben und die Haut glänzend ſchwarz zu machen. Jeden Augenblick erſchienen Käufer und ſchätzten nach der Beſchaffenheit der Zähne Alter und Geſundheitszuſtand der Sklaven; ſie riſſen ihnen den Mund auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geſchieht. Dieſer entwürdigende Brauch ſchreibt ſich aus Afrika her, wie die getreue Schilderung zeigt, die Cervantes nach langer Gefangenſchaft bei den Mauren in einem ſeiner — 188 — Theaterſtücke! vom Verkauf der Chriſtenſklaven in Algier entwirft. Es iſt ein empörender Gedanke, daß es noch heu— tigestags auf den Antillen ſpaniſche Anſiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem Glüheiſen zeichnen, um ſie wieder zu erkennen, wenn ſie entlaufen. So behandelt man Menſchen, die anderen Menſchen die Mühe des Säens, Ackerns und Erntens erſparen.? Je tieferen Eindruck der erſte Verkauf von Negern in Cumana auf uns gemacht hatte, deſto mehr wünſchten wir uns Glück, daß wir uns bei einem Volke und auf einem Kontinent befanden, wo ein ſolches Schauſpiel ſehr ſelten vorkommt und die Zahl der Sklaven im allgemeinen höchſt unbedeutend iſt. Dieſelbe betrug im Jahre 1800 in den Provinzen Cumana und Barcelona nicht über 6000, während man zur ſelben Zeit die Geſamtbevölkerung auf 110 000 ſchätzte. Der Handel mit afrikaniſchen Sklaven, den die ſpaniſchen Geſetze niemals begünſtigt haben, iſt jetzt völlig bedeutungslos auf Küſten, wo im 16. Jahrhun— dert der Handel mit amerikaniſchen Sklaven ſchauerlich lebhaft war. Macarapan, früher Amaracapana genannt, Cumana, Araya und beſonders Neucadiz, das auf dem Eiland Cubagua angelegt worden war, konnten damals für Kontore gelten, die zur Betreibung des Sklavenhandels errichtet waren. Girolamo Benzoni aus Mailand, der im Alter von 22 Jahren nach Terra Firma gekommen war, machte im Jahre 1542 an den Küſten von Bordones, Cariaco und Paria Raubzüge mit, bei denen unglückliche Eingeborene weggeſchleppt wurden. Er erzählt ſehr naiv und oft mit einem Gefühlsausdruck, wie er bei den Geſchichtſchreibern jener Zeit ſelten vorkommt, von den Grauſamkeiten, die er mit angeſehen. Er ſah die Sklaven nach Neucadiz bringen, wo ſie mit dem Glüheiſen auf Stirne und Armen gezeichnet und den Beamten der Krone der Quint entrichtet wurde. Aus dieſem Hafen wurden ſie nach Hayti oder San Domingo geſchickt, nachdem ſie mehrmals die Herren gewechſelt, nicht weil ſie verkauft wurden, ſondern weil die Soldaten mit Würfeln um ſie ſpielten. Unſer erſter Ausflug galt der Halbinſel Araya und jenen ehemals durch den Sklavenhandel und die Perlenfiſcherei viel— El trado de Argel. ® La Bruyere, Charactères cap. XI. W — 189 — berufenen Landſtrichen. Am 19. Auguſt gegen 2 Uhr nach Mitternacht ſchifften wir uns bei der indischen Vorſtadt auf dem Manzanares ein. Unſer Hauptzweck bei dieſer kleinen Reiſe war, die Trümmer des alten Schloſſes von Araya zu beſehen, die Salzwerke zu beſuchen und auf den Bergen, welche die ſchmale Halbinſel Maniquarez bilden, einige geo— logiſche Unterſuchungen anzuſtellen. Die Nacht war köſtlich fühl, Schwärme leuchtender Inſekten! glänzten in der Luft, auf dem mit Seſuvium bedeckten Boden und in den Mimoſen— büſchen am Fluß. Es tft bekannt, wie häufig die Leucht⸗ würmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa find; aber ihr maleriſcher Eindruck iſt gar nicht zu vergleichen mit den zahlloſen zerſtreuten, ſich hin und her bewegenden Licht⸗ punkten, welche im heißen Erdſtrich der Schmuck der Nächte ſind, wo einem iſt, als ob das Schauſpiel, welches das Himmelsgewölbe bictet, ſich auf der Erde, auf der ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte. Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder Charas kamen, ſahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten. Leichter, gekräuſelter Rauch ſtieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondſcheibe einen rötlichen Schein. Es war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauſchenden, eintönigen Muſik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter der afrikaniſchen Völker von ſchwarzer Raſſe iſt ein uner— ſchöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohſinn. Nachdem er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und muſiziert der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausſchläft. Hüten wir uns, über dieſe Sorgloſigkeit, dieſen Leichtſinn hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Ent— behrung und Schmerz verſüßt. Die Barke, in der wir über den Meerbuſen von Cariaco fuhren, war ſehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren unſere Organe ſo empfindlich für den kleinſten Temperatur⸗ wechſel, daß wir vor Froſt nicht ſchlafen konnten. Zu unſerer Verwunderung ſahen wir, daß der hundertteilige Thermo⸗ meter auf 21,8“ ſtand. Dieſer Umſtand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt iſt, verdient von den Phyſiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt, 1 Elater noctilucus, — 190 — auf dem Gipfel der Montagne Pelée auf Martinique! haben er und ſeine Begleiter vor Froſt gebebt, obgleich die Wärme noch 21½ “ betrug. In der anziehenden Reiſebeſchreibung des Kapitän Bligh, der infolge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty 5400 km in einer offenen Schaluppe zurück— legen mußte, lieſt man, daß er zwiſchen dem 10. und 12. Grad ſüdlicher Breite weit mehr vom Froſt als vom Hunger gelitten.” Im Januar 1803, bei unſerem Aufent— halt in Guayaquil, ſahen wir die Eingeborenen ſich über Kalte beklagen und ſich zudecken, wenn der Thermometer auf 3,8 fiel, während fie bei 30,5% die Hitze erſtickend fanden. Es brauchte nicht mehr als 7 bis 8 Grad, um die ent— gegengeſetzten Empfindungen von Froſt und Hitze zu erzeugen, weil an dieſen Küſten der Südſee die gewöhnliche Luft⸗ temperatur 28“ beträgt. Die Feuchtigkeit, mit der ſich die Leitungsfähigkeit der Luft für den Wärmeſtoff ändert, ſpielt bei dieſen Empfindungen eine große Rolle. Im Hafen von Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem Boden, kühlt ſich die Luft nur durch Gewitterregen ab, und ich habe beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23, 8⁰ fällt, der Delucjche Hygrometer auf 50 bis 52° ſtehen bleibt; dagegen jteht er auf 37 bei einer Temperatur von 30,5 In Cumana hört man bei ſtarken Regengüſſen in den er ſchreien: „Que hielo! estoy emparamado!“ und doch fällt Der Berg iſt nach verſchiedenen Angaben zwiſchen 1300 und 1435 m hoch. 2 Die Mannſchaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen durchnäßt; wir wiſſen aber, daß unter dieſer Breite die Temperatur des Meerwaſſers nicht unter 23° fein kann, und daß die durch Ver: dunſtung entſtehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperatur ſelten über 25° ſteigt, nur unbeträchtlich iſt. „Welche Eiskälte! Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken der Berge!“ Das provinzielle Wort emparamarse läßt ſich nur durch lange Umſchreibung wiedergeben. Paramo, peruaniſch Puna, iſt ein Name, den man auf allen Karten des ſpaniſchen Amerikas findet. Er bedeutet in den Kolonieen weder eine Wüſte noch eine „lande“, ſondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten Bäumen bewachſenen, den Winden ausgeſetzten Landſtrich, wo es beſtändig naßkalt iſt. In der heißen Zone liegen die Paramos ge— wöhnlich 3120 bis 3900 m hoch. Es fällt häufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte Pa- ra mo und Puna nicht, wie es den Geographen häufig begegnet, — 11 — der dem Regen ausgeſetzte Thermometer nur auf 21,5“. Aus allen dieſen Beobachtungen geht hervor, daß man zwiſchen den Wendekreiſen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei Tage faſt beſtändig über 27° iſt, bei Nacht das Bedürfnis fühlt, ſich zuzudecken, ſo oft bei feuchter Luft der Thermometer um 4 bis 5 fällt. Gegen 8 Uhr morgens ſtiegen wir an der Landſpitze von Araya bei der „Neuen Saline“ ans Land. Ein einzelnes Haus ſteht auf einer kahlen Ebene, neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die ſich ſeit der Zerſtörung des Forts St. Jakob die Verteidigung dieſer Küſte beſchränkt. Der Salineninſpektor bringt ſein Leben in einer Hängematte zu, in der er den Arbeitern ſeine Befehle erteilt, und eine Lancha del rey (königliche Barke) führt ihm jede Woche von Cumana ſeine Lebensmittel zu. Man wundert ſich, daß bei einem Salzwerk, das früher bei den Engländern, Holländern und anderen Seemächten Eiferſucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Land⸗ ſpitze von Araya ein paar armſelige indianiſche Fiſcherhütten. Man überſieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen Berggipfel von Margarita, die Trümmer des Schloſſes St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalk— gebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont be: grenzt. Wie reich die Halbinſel Araya an Kochſalz iſt, wurde ſchon Alonſo Nino bekannt, als er im Jahre 1499 in Kolumbus', Ojedas, und Amerigo Veſpuccis Fußſtapfen dieſe Länder be— ſuchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Völkern des Erdballes am wenigſten Salz verbrauchen, weil ſie faſt allein von Pflanzenkoſt leben, ſcheinen doch bereits die Guay— mit dem Worte Nevado, peruaniſch Ritticapa, verwechſeln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg be— deutet. Dieſe Begriffe ſind für die Geologie und die Pflanzen⸗ geographie ſehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein Berg— gipfel gemeſſen iſt, eine richtige Vorſtellung von der geringſten Höhe erhält, zu der ſich die Kordilleren erheben, wenn man die Worte Paramo und Nevado aufſucht. Da die Raramos faſt be⸗ ſtändig in kalten, dichten Nebel gehüllt ſind, ſo ſagt das Volk in Santa Fe und Mexiko: cae un paramito, wenn ein feiner Regen fällt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus Pa- ramo hat man emparamarse gemacht, d. h. frieren, als wäre man auf dem Rücken der Anden. — 192 — kari im Thon: und Salzboden der Punta Arenas ge graben zu haben. Selbſt die jetzt die neuen genannten Salzwerke, am Ende des Vorgebirges Araya, waren ſchon in der früheſten Zeit im Gange. Die Spanier, die ſich zuerſt auf Cubagua und bald nachher auf der Küſte von Cumana niedergelaſſen hatten, beuteten ſchon zu Anfang des 16. Jahr- hunderts die Salzſümpfe aus, die ſich als Lagunen nordweſt⸗ lich vom Cerro de la Vela hinziehen. Da das Vorgebirge Araya damals keine ſtändige Bevölkerung hatte, machten ſich die Holländer den natürlichen Reichtum des Bodens zu nutze, den ſie für ein Gemeingut aller Nationen anſahen. Heut: zutage hat jede Kolonie ihre eigenen Salzwerke, und die Schiffahrtskunſt iſt ſo weit fortgeſchritten, daß die Cadizer Handelsleute mit geringen Koſten ſpaniſches und portugie— ſiſches Salz 8500 km weit in die öſtliche Halbkugel ſenden können, um Montevideo und Buenos Ayres mit ihrem Be— darf für das Einſalzen zu verſorgen. Solche Vorteile waren zur Zeit der Eroberung unbekannt; die Induſtrie in den Kolonieen war damals noch ſo weit zurück, daß das Salz von Araya mit großen Koſten nach den Antillen, nach Cartagena und Portobelo verſchifft wurde. Im Jahre 1605 ſchickte der Madrider Hof bewaffnete Fahrzeuge nach Punta Araya, mit dem Befehl, daſelbſt auf Station zu liegen und die Holländer mit Gewalt zu vertreiben. Dieſe fuhren nichtsdeſtoweniger fort, heimlich Salz zu holen, bis man im Jahre 1622 bei den Salzwerken ein Fort errichtete, das unter dem Namen Castillo de Santiago oder Real Fuerza de Araya berühmt geworden iſt. Dieſe großen Salzſümpfe ſind auf den älteſten ſpaniſchen Karten bald als Bucht, bald als Lagune angegeben. Laet, der feinen Orbis novus im Jahre 1633 ſchrieb und ſehr gute Nachrichten von dieſen Küſten hatte, ſagt ſogar aus— drücklich, die Lagune ſei von der See durch eine über der Fluthöhe gelegene Landenge getrennt geweſen. Im Jahre 1726 zerſtörte ein außerordentliches Ereignis die Saline von Araya und machte das Fort, das über eine Million harter Piaſter gekoſtet hatte, unnütz. Man ſpürte einen heftigen Windſtoß, eine große Seltenheit in dieſen Strichen, wo die See meiſt nicht unruhiger iſt als das Waſſer unſerer Flüſſe; die Flut drang weit ins Land hinein und durch den Einbruch des Meeres wurde der Salzſee in einen mehrere Meilen langen Meerbuſen verwandelt. Seitdem hat man nördlich von der — 193 — Hügelkette, welche das Schloß von der Nordküſte der Halb— inſel trennt, künſtliche Behälter oder Kaſten angelegt. Der Salzverbrauch war in den Jahren 1799 und 1800 in den beiden Provinzen Cumana und Barcelona zwiſchen 9000 und 10000 Fanegas, jede zu 16 Arrobas oder 4 Zent⸗ nern. Dieſer Verbrauch iſt ſehr beträchtlich, und es ergeben ſich dabei, wenn man 50000 Indianer abrechnet, die nur ſehr wenig Salz verzehren, 30 kg auf den Kopf. In Frank⸗ reich rechnet man, nach Necker, nur 6 bis 7 kg, und der Unterſchied rührt daher, daß man ſo viel Salz zum Ein— ſalzen braucht. Das geſalzene Ochſenfleiſch, Taſajo genannt, iſt im Handel von Barcelona der vornehmſte Ausfuhrartikel. Von 9000 bis 10000 Fanegas Salz, welche die beiden Pro— vinzen zuſammen liefern, kommen nur 3000 vom Salzwerk von Araya; das übrige wird bei Morro de Barcelona, Pozuelos, Piritu und im Golfo triſte aus Meerwaſſer gewonnen. In Mexiko liefert der einzige Salzſee Benon Blanco jährlich über 250 000 Fanegas unreines Salz. Die Provinz Caracas hat ſchöne Salzwerke bei den Klippen los Roques; das früher auf der kleinen Inſel Tor— tuga gelegene iſt auf Befehl der ſpaniſchen Regierung zerſtört worden. Man grub einen Kanal, durch den das Meer zu den Salzſümpfen dringen konnte. Andere Nationen, die auf den Kleinen Antillen Kolonieen haben, beſuchen dieſe unbewohnte Inſel, und der Madrider Hof fürchtete in ſeiner argwöhniſchen Politik, das Salzwerk von Tortuga möchte Veranlaſſung zu einer feſten Niederlaſſung werden, wodurch dem Schleichhandel mit Terra Firma Vorſchub geleiſtet würde. Die Salzwerke von Araya werden erſt ſeit dem Jahre 1792 von der Regierung ſelbſt betrieben. Bis dahin waren ſie in den Händen indianiſcher Fiſcher, die nach Belieben Salz bereiteten und verkauften, wofür ſie der Regierung nur die mäßige Summe von 300 Piaſtern bezahlten. Der Preis der Fanega war damals 4 Realen; aber das Salz war ſehr unrein, grau, und enthielt ſehr viel ſalzſaure und ſchwefel— ſaure Bittererde. Da zudem die Ausbeutung von ſeiten der Arbeiter äußerſt unregelmäßig betrieben wurde, ſo fehlte 1 In dieſer Reiſebeſchreibung ſind alle Preiſe in harten Piaſtern und Silberrealen, reales de plata, ausgedrückt. Acht Realen gehen auf einen harten Piaſter oder 105 Sous franzöſiſchen Geldes. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 13 — 194 — es oft an Salz zum Einſalzen des Fleiſches und der Fiſche, das in dieſen Ländern für den Fortſchritt des Gewerbfleißes von großem Belang iſt, da das indianiſche niedere Volk und die Sklaven von Fiſchen und etwas Taſa jo leben. Seit die Provinz Cumana unter der Intendanz von Caracas ſteht, beſteht die Salzregie, und die Fanega, welche die Guaykari für einen halben Piaſter verkauften, koſtet anderthalb Piaſter. Für dieſe Preiserhöhung leiſtet nur geringen Erſatz, daß das Salz reiner iſt, und daß die Fiſcher und Koloniſten es das ganze Jahr im Ueberfluß beziehen können. Die Salinen— verwaltung von Araya brachte im Jahre 1799 dem Schatze 8000 Piaſter jährlich ein. Aus dieſen ſtatiſtiſchen Notizen geht hervor, daß die Salzbereitung in Araya, als Induſtrie— zweig betrachtet, von keinem großen Belang iſt. Der Thon, aus dem zu Araya das Salz gewonnen wird, kommt mit dem Salzthon überein, der in Berchtesgaden und in Südamerika in Zipaquira mit dem Steinſalz vor— kommt. Das ſalzſaure Natron iſt in dieſem Thon nicht in ſichtbaren Teilchen eingeſprengt, aber ſein Vorhandenſein läßt ſich leicht bemerklich machen. Wenn man die Maſſe mit Regenwaſſer netzt und der Sonne ausſetzt, ſchießt das Salz in großen Kriſtallen an. Die Lagune weſtlich vom Schloß Santiago zeigt alle Erſcheinungen, wie ſie von Lepechin, Gmelin und Pallas in den ſibiriſchen Salzſeen beobachtet worden ſind. Sie nimmt übrigens nur das Regenwaſſer auf, das durch die Thonſchichten durchſickert und ſich am tiefſten Punkte der Halbinſel ſammelt. Solange die Lagune den Spaniern und Holländern als Salzwerk diente, ſtand ſie mit der See in keiner Verbindung; neuerdings hat man nun dieſe Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer im Jahre 1726 eingebrochen war, einen Faſchinendamm anlegte. Nach großer Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune 3 bis 4 Kubikfuß große Klumpen kriſtalliſierten, ſehr reinen ſalzſauren Natrons herauf— gefördert. Das der brennenden Sonne ausgeſetzte Salzwaſſer des Sees verdunſtet an der Oberfläche; in der geſättigten Löſung bilden ſich Salzkruſten, ſinken zu Boden, und da Kriſtalle von derſelben Zuſammenſetzung und der gleichen Ge: ſtalt einander anziehen, ſo wachſen die kriſtalliniſchen Maſſen von Tag zu Tage an. Man beobachtet im allgemeinen, daß das Waſſer überall, wo ſich Lachen im Thonboden gebildet haben, ſalzhaltig iſt. Im neuen Salzwerk bei den Batterien von Araya leitet man allerdings das Meerwaſſer in die Kaſten, wie in den Salzſümpfen im mittäglichen Frankreich; aber auf der Inſel Margarita bei Pampadar wird das Salz nur dadurch bereitet, daß man ſüßes Waſſer den ſalzhaltigen Thon auslaugen läßt. Das Salz, das in Thonbildungen enthalten iſt, darf nicht verwechſelt werden mit dem Salz, das im Sande am Meeresufer vorkommt und das an den Küſten der Normandie ausgebeutet wird. Dieſe beiden Erſcheinungen haben, aus geologiſchem Geſichtspunkt betrachtet, ſo gut wie nichts mit— einander gemein. Ich habe ſalzhaltigen Thon am Meeres— ſpiegel, bei Punta Araya, und in 3900 m Höhe in den Kordilleren von Neugranada geſehen. Wenn derſelbe am erſtgenannten Orte unter einer Muſchelbreccie von ſehr neuer Bildung liegt, ſo tritt er dagegen bei Iſchl in Oeſterreich als mächtige Schicht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls jünger als die Exiſtenz organiſcher Weſen auf der Erde, doch ſehr alt iſt, wie die vielen Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert ſind. Wir wollen nicht in Zweifel ziehen, daß das reine! oder mit ſalzhaltigem Thon vermengte Steinſalz? der Niederſchlag eines alten Meeres ſein könne, alles weiſt aber darauf hin, daß es ſich unter Naturverhältniſſen gebildet hat, die ſehr bedeutend abweichen mußten von denen, unter welchen die jetzigen Meere infolge allmählicher Verdunſtung hier und da ein paar Körner ſalzſauren Natrons im Uferſande nieder— ſchlagen. Wie der Schwefel und die Steinkohle ſehr weit auseinander liegenden Formationen angehören, kommt auch das Steinſalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in einem mit ſehr neuem Muſchelſandſtein bedeckten Salzthon (Punta Araya), bald in einem Gips vor, der jünger iſt als die Kreide. Das neue Salzwerk von Araya beſteht aus fünf Be— hältern oder Kaſten, von denen die größten eine regelmäßige Form und 87,4 a Oberfläche haben. Die mittlere Tiefe be— trägt 21 cem. Man bedient ſich ſowohl des Regenwaſſers, das ſich durch Einſickerung am tiefſten Punkt der Ebene ſam— melt, als des Meerwaſſers, das durch Kanäle hereingeleitet wird, wenn der Wind die See an die Küſte treibt. Dieſes Salzwerk iſt nicht ſo günſtig gelegen wie die Lagune. Das Das von Wielicka und Peru. 2 Das von Hallein, Iſchl und Zipaquira. — 196 — Waſſer, das in die letztere fällt, kommt von ſtärker geneigten Abhängen und hat ein größeres Bodenſtück ausgelaugt. Die Indianer pumpen mit der Hand das Meerwaſſer aus einem Hauptbehälter in die Kaſten. Leicht ließe ſich indeſſen der Wind als Triebkraft benützen, da der Seewind fortwährend ſtark auf die Küſte bläſt. Man hat nie daran gedacht, weder die bereits ausgelaugte Erde wegzuſchaffen, noch Schachte im Salzthon niederzutreiben, um Schichten aufzuſuchen, die reicher an ſalzſaurem Natron ſind. Die Salzarbeiter klagen meiſt über Regenmangel, und beim neuen Salzwerk ſcheint es mir ſchwer auszumitteln, welches Quantum von Salz allein auf Rechnung des Seewaſſers kommt. Die Eingeborenen ſchätzen es auf ein Sechsteil des ganzen Ertrages. Die Verdunſtung iſt ſehr ſtark und wird durch den beſtändigen Luftzug ge— ſteigert; das Salz wird aber auch am 18. bis 20. Tage, nachdem man die Behälter gefüllt, ausgezogen. Wir fanden (am 19. Auguſt um 3 Uhr nachmittags) die Temperatur des Salzwaſſers in den Kaſten 32,5%, während die Luft im Schatten 27,2“ und der Sand an der Küſte in 16 cm Tiefe 42,5 zeigte. Wir tauchten den Thermometer in die See und ſahen ihn zu unſerer Ueberraſchung nur auf 23° ſteigen. Dieſe niedrige Temperatur rührt vielleicht von den Untiefen her, welche die Halbinſel Araya und die Inſel Mar: garita umgeben, und an deren Abfällen ſich tiefere Waſſer— ſchichten mit den oberflächlichen vermiſchen. Obgleich das ſalzſaure Natron auf der Halbinſel Araya nicht fo ſorgfältig bereitet wird als in den europäiſchen Salz: werken, iſt es dennoch reiner und enthält weniger ſalzſaure und ſchwefelſaure Erden. Wir wiſſen nicht, ob dieſe Reinheit dem Anteil von Salz, den das Meer liefert, zuzuſchreiben iſt; denn wenn auch die Menge der im Meerwaſſer gelöſten Salze höchſt wahrſcheinlich unter allen Himmelsſtrichen dieſelbe iſt,! ſo weiß man doch nicht, ob auch das Verhältnis zwiſchen dem ſalzſauren Natron, der ſalzſauren und ſchwefelſauren Bittererde und dem ſchwefelſauren und kohlenſauren Kalk ſich gleich bleibt. Mit Ausnahme der Binnenmeere und der Länder, wo ſich Polargletſcher bilden. Dieſes Sichgleichbleiben des Salzgehaltes des Meeres erinnert an die noch weit größere Gleichförmigkeit der Ver— teilung des Sauerſtoffes im Luftmeer. In beiden Elementen wird das Gleichgewicht in der Löſung oder im Gemenge durch Strö— mungen hergeſtellt und erhalten. — 197 — Nachdem wir die Salinen beſehen und unſere geodätiſchen Arbeiten beendigt hatten, brachen wir gegen Abend auf, um einige Meilen weiterhin in einer indianiſchen Hütte bei den Trümmern des Schloſſes von Araya die Nacht zuzubringen. Unſere Inſtrumente und unſeren Mundvorrat ſchickten wir voraus; denn wenn wir von der großen Hitze und der Re— verberation des Bodens erſchöpft waren, ſpürten wir in dieſen Ländern nur abends und in der Morgenkühle Eßluſt. Wir wandten uns nach Süd und gingen zuerſt über die kahle mit Salzthon bedeckte Ebene, und dann über zwei aus Sandſtein beſtehende Hügelketten, zwiſchen denen die Lagune liegt. Die Nacht überraſchte uns, während wir einen ſchmalen Pfad ver— folgten, der einerſeits vom Meer, andererſeits von ſenkrechten Felswänden begrenzt iſt. Die Flut war im raſchen Steigen und engte unſeren Weg mit jedem Schritt mehr ein. Am Fuße des alten Schloſſes von Araya angelangt, lag ein Natur— bild mit einem melancholiſchen, romantiſchen Anſtrich vor uns, und doch wurde weder durch die Kühle eines finſteren Forſtes, noch durch die Großartigkeit der Pflanzengeſtalten die Schön— heit der Trümmer gehoben. Sie liegen auf einem kahlen, dürren Berge, mit Agaven, Säulenkaktus und Mimoſen be— wachſen, und gleichen nicht ſowohl einem Werke von Menſchen— hand, als vielmehr Felsmaſſen, die in den älteſten Umwälzun— gen des Erdballes zertrümmert worden. Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schau— ſpieles zu genießen und den Untergang der Venus zu beob— achten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwiſchen dem Gemäuer des Schloſſes erſchien; aber der Mulatte, der uns als Führer diente, wollte verdurſten und drang lebhaft in uns, umzu— kehren. Er hatte längſt gemerkt, daß wir uns verirrt hatten, und da er hoffte, durch die Furcht auf uns zu wirken, ſprach er beſtändig von Tigern und Klapperſchlangen. Giftige Rep— tilien ſind allerdings beim Schloſſe Araya ſehr häufig, und erſt vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez zwei Jaguare erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen waren ſie nicht viel kleiner als die oſtindiſchen Tiger. Ver— geblich führten wir unſerem Führer zu Gemüt, daß dieſe Tiere an einer Küſte, wo die Ziegen ihnen reichliche Nahrung bieten, keinen Menſchen anfallen; wir mußten nachgeben und hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei Viertelſtunden über einen von der ſteigenden Flut bedeckten Strand gegangen, ſtieß der Neger zu uns, der unſeren Mund— — 198 — vorrat getragen hatte; da er uns nicht kommen ſah, war er unruhig geworden und uns entgegengegangen. Er führte uns Dürch ein Gebüſch von Fackeldiſteln zu der Hütte einer indianischen Familie. Wir wurden mit der herzlichen Gaſt⸗ freundſchaft aufgenommen, die man in dieſen Ländern bei Menſchen aller Kaſten findet. Von außen war die Hütte, in der wir unſere Hängematten befeſtigten, ſehr ſauber; wir fanden daſelbſt Fiſche, Bananen u. dgl., und, was im heißen Landſtrich über die ausgeſuchteſten Speiſen geht, vortreffliches Waſſer. Des anderen Tages bei Sonnenaufgang ſahen wir, daß die Hütte, in der wir die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleiner Wohnungen am Ufer des Salzſees gehörte. Es ſind dies die ſchwachen Ueberbleibſel eines anſehnlichen Dorfes, das ſich einſt um das Schloß gebildet. Die Trümmer einer Kirche waren halb im Sand begraben und mit Strauchwerk bewachſen. Nachdem im Jahre 1762 das Schloß von Araya, um die Unterhaltungskoſten der Beſatzung zu erſparen, gänz— lich zerſtört worden war, zogen ſich die in der Umgegend angeſiedelten Indianer und Farbigen allmählich nach Mani— quarez, Cariaco und in die indianiſche Vorſtadt von Cu— mana. Nur wenige blieben aus Anhänglichkeit an den Heimatsboden am wilden, öden Ort. Dieſe armen Leute leben vom Fiſchfang, der an den Küſten und auf den Untiefen in der Nähe äußerſt ergiebig iſt. Sie ſchienen mit ihrem Los zufrieden und fanden die Frage ſeltſam, warum ſie keine Gärten hätten und keine nutzbaren Gewächſe bauten. „Unſere Gärten,“ ſagten ſie, „ſind drüben über der Meerenge; wir bringen Fiſche nach Cumana und verſchaffen uns dafür Ba— nanen, Kokosnüſſe und Manioc.“ Dieſe Wirtſchaft, die der Trägheit zuſagt, iſt in Maniquarez und auf der ganzen Halb: inſel Araya Brauch. Der Hauptreichtum der Einwohner be— ſteht in Ziegen, die ſehr groß und ſchön ſind. Sie laufen frei umher, wie die Ziegen auf dem Pik von Tenerifa; ſie ſind völlig verwildert und man zeichnet ſie wie die Maul— tiere, weil ſie nach Ausſehen, Farbe und Zeichnung nicht zu unterſcheiden wären. Die wilden Ziegen ſind hellbraun und nicht verſchiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Koloniſt auf der Jagd eine Ziege ſchießt, die er nicht als ſein Eigen— tum erkennt, ſo bringt er ſie ſogleich dem Nachbar, dem ſie gehört. Zwei Tage lang hörten wir als von einer ſelten vorkommenden Niederträchtigkeit davon ſprechen, daß einem EEE = Einwohner von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und daß wahrſcheinlich eine Familie in der Nachbarſchaft ſich gütlich damit gethan habe. Dergleichen Züge, die für große Sittenreinheit beim gemeinen Volke ſprechen, kommen häufig auch in Neumexiko, in Kanada und in den Ländern weſtlich von den Alleghanies vor. Unter den Farbigen, deren Hütten um den Salzſee ſtehen, befand ſich ein Schuhmacher von kaſtilianiſchem Blute. Er nahm uns mit dem Ernſt und der Selbſtgefälligkeit auf, die unter dieſen Himmelsſtrichen faſt allen Leuten eigen ſind, die ſich für beſonders begabt halten. Er war eben daran, die Sehne ſeines Bogens zu ſpannen und Pfeile zu ſpitzen, um Vögel zu ſchießen. Sein Gewerbe als Schuſter konnte in einem Lande, wo die meiſten Leute barfuß gehen, nicht viel eintragen; er beſchwerte ſich auch, daß das europäiſche Pulver ſo teuer ſei und ein Mann wie er zu denſelben Waffen greifen müſſe wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des Dorfes; er wußte, wie ſich das Salz durch den Einfluß der Sonne und des Vollmondes bildet, er kannte die Vor— zeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo ſich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie alle Koloniſten von Chile bis Kalifornien, in heiße und kalte! einteilte. Er hatte die geſchichtlichen Ueberlieferungen des Landes geſammelt, und gab uns intereſſante Notizen über die Perlen von Cubagua, welchen Luxusartikel er höchſt weg— werfend behandelte. Um uns zu zeigen, wie bewandert er in der heiligen Schrift ſei, führte er wohlgefällig den Spruch Hiobs an, daß Weisheit höher zu wägen iſt, denn Perlen. Seine Philoſophie ging nicht über den engen Kreis der Lebens— bedürfniſſe hinaus. Ein derber Eſel, der eine tüchtige Ladung Bananen an den Landungsplatz tragen könnte, war das höchſte Ziel ſeiner Wünſche. Nach einer langen Rede über die Eitelkeit menſchlicher Herrlichkeit zog er aus einer Ledertaſche ſehr kleine und trübe Perlen und drang uns dieſelben auf. Zugleich hieß er uns, es in unſere Schreibtafel aufzuzeichnen, daß ein armer Schuſter von Araya, aber ein weißer Mann und von edlem kaſtiliſchem Blute, uns etwas habe ſchenken können, das drüben über dem Meer für eine große Koſtbarkeit gelte. Ich komme dem Ver: ! Neizende und ſchwächende, ſtheniſche oder aſtheniſche nach Browns Syſtem. — 200 — ſprechen, das ich dem braven Manne gab, etwas ſpät nach und freue mich, dabei bemerken zu können, daß ſeine Uneigen- nützigkeit ihm nicht geſtattete, irgend eine Vergütung anzu— nehmen. An der Perlenküſte ſieht es allerdings ſo armſelig aus, wie im „Gold- und Diamantenland“, in Choco und Braſilien; aber mit dem Elend paart ſich hier nicht die zügel— loſe Gewinnſucht, wie fie durch Schätze des Mineralreiches erzeugt wird. Die Perlenmuſchel iſt auf den Untiefen, die ſich vom Kap Paria zum Kap Vela erſtrecken, ſehr häufig. Die Inſel Margarita, Cubagua, Coche, Punta Araya und die Mündung des Rio la Hacha waren im 16. Jahrhundert berühmt, wie im Altertum der Perſiſche Meerbuſen und die Inſel Ta— probane.! Es iſt nicht richtig, was mehrere Geſchichtſchreiber behaupten, daß die Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben ſollen. Die Spanier, die zuerſt an Terra Firma landeten, ſahen bei den Wilden Hals— und Armbänder, und bei den civiliſierten Völkern in Mexiko und Peru waren Perlen von ſchöner Form ungemein geſucht. Ich habe die Baſaltbüſte einer mexikaniſchen Prieſterin bekannt gemacht,? deren Kopfputz, der auch ſonſt mit der Calantica der Iſisköpfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen beſetzt iſt. Las Caſas und Benzoni erzählen, und zwar nicht ohne Ueber— treibung, wie grauſam man mit den Indianern und Negern umging, die man zur Perlenfiſcherei brauchte. In der erſten Zeit der Eroberung lieferte die Inſel Coche allein 1500 Mark Perlen monatlich. Der Quint, den die königlichen Beamten vom Ertrag an Perlen erhoben, belief ſich auf 15000 Dukaten, nach dem damaligen Wert der Metalle und in Betracht des ſtarken Schmuggels eine ſehr bedeutende Summe. Bis zum Jahre 1530 ſcheint ſich der Wert der nach Europa geſendeten Perlen im Jahresdurchſchnitt auf mehr als 800 000 Piaſter belaufen zu haben. Um zu ermeſſen, von welcher Bedeutung dieſer Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua ſein mochte, muß man bedenken, daß zur ſelben Zeit alle Bergwerke Amerikas nicht zwei Millionen Piaſter lieferten ! Strabo Lib. XV. Plinius Lib. IX, c. 35, Lib. XII, c. 18. Solinus, Polyhistor. c. 68; beſonders Athenaeus, Deipnosoph. Lib. III, e. 45. J Humboldt, Atlas pittoresque Tafel 1 und 2. und daß die Flotte Ovandos für unermeßlich reich galt, weil ſie gegen 2600 Mark Silber führte. Die Perlen waren deſto geſuchter, da der aſiatiſche Luxus auf zwei gerade entgegengeſetzten Wegen nach Europa ge— drungen war, von Konſtantinopel her, wo die Paläologen reich mit Perlen geſtickte Kleider trugen, und von Granada her, wo die mauriſchen Könige ſaßen, an deren Hof der ganze aſiatiſche Prunk herrſchte. Die oſtindiſchen Perlen waren geſchätzter als die weſtindiſchen; indeſſen kamen doch die letzteren in der erſten Zeit nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in Spanien wurde die Inſel Cubagua das Ziel zahlreicher Handelsunternehmungen. Benzoni erzählt, was einem gewiſſen Ludwig Lampagnano begegnete, dem Karl der Fünfte das Privilegium erteilt hatte, mit fünf „Caravelen“ an die Küſte von Cumana zu gehen und Perlen zu fiſchen. Die Anſiedler ſchickten ihn mit der kecken Antwort heim, der Kaiſer gehe mit etwas, das nicht ſein gehöre, allzu freigebig um; es ſtehe ihm nicht das Recht zu, über Auſtern zu verfügen, die auf dem Meeresboden leben. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts nahm die Perlen— fiſcherei raſch ab, und nach Laets Angabe! hatte ſie im Jahre 1633 längſt aufgehört. Durch den Gewerbfleiß der Venediger, welche die echten Perlen bend nachmachten, und den ſtarken Gebrauch der geſchnittenen Diamanten ? wurden die Fiſchereien in Cubagua weniger einträglich. Zugleich wurden die Perlen⸗ muſcheln ſeltener, nicht, wie man nach der Volksſage glaubt, weil die Tiere vom Geräuſch der Ruder verſcheucht wurden, ſondern weil man im Unverſtand die Muſcheln zu Tauſenden abgeriſſen und ſo ihrer Fortpflanzung Einhalt gethan hatte. Die Perlenmuſchel iſt noch von zarterer Konſtitution als die meiſten anderen kopfloſen Weichtiere. Auf der Inſel Ceylon, wo in der Bucht von Condeatchy die Perlenfiſcherei ſechs— ! Insularum Cubaguae et Coches quondam magna fuit dignitas, quum unionum captura floreret, nunc, illa deficiente, obscura admodum fama. Laet. Nov. Orbis p. 669. Dieſer ſorgfältige Kompilator ſagt, wo er von der Punta Araya ſpricht, weiter, das Land ſei dergeſtalt in Vergeſſenheit geraten, „ut vix ulla alia Americae meridionalis pars hodie obscurior sit“. 2 Das Schneiden der Diamanten wurde im Jahre 1456 von Ludwig de Berquen erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erſt im folgenden Jahrhundert. — 202 — hundert Taucher beſchäftigt und der jährliche Ertrag über eine halbe Million ſteigt, hat man das Tier vergeblich auf andere Küſtenpunkte zu verpflanzen geſucht. Die Regierung geſtattet die Fiſcherei nur einen Monat lang, während man in Cubagua die Muſchelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um ſich eine Vorſtellung davon zu machen, in welchem Maße die Taucher unter dieſem Tiergeſchlecht aufräumen, muß man bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über 35000 Muſcheln aufnimmt. Das Tier lebt nur neun bis zehn Jahre und die Perlen fangen erſt im vierten Jahre an zum Vorſchein zu kommen. In 10 000 Muſcheln tt oft nicht eine wertvolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fiſcher auf der Bank bei der Inſel Margarita die Muſcheln Stück für Stück; auf Ceylon ſchüttet man die Tiere auf und läßt ſie faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen hängen, wäſcht man die Haufen tieriſchen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen den Sand auswäſcht, der Gold- oder Zinngeſchiebe oder Diamanten enthält. a Gegenwärtig bringt das ſpaniſche Amerika nur noch die Perlen in den Handel, die aus dem Meerbuſen von Panama und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ift die Fiſcherei aufgegeben, wie an der kaliforniſchen Küfte. Man glaubt in Cumana, die Perlenmuſchel habe ſich nach zwei— hundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt, ? und man fragt ſich, warum die Perlen, die man jetzt in Muſcheln findet, die an den Fiſchnetzen hängen bleiben, ® jo klein find und ſo wenig Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier ſehr ſchöne bei den Indianern fand, die doch ſchwerlich da— nach tauchten. Dieſe Frage iſt deſto ſchwerer zu beantworten, da wir nicht wiſſen, ob etwa Erdbeben die Beſchaffenheit des Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in Es wundert mich, auf unſeren Reiſen nirgends gehört zu haben, daß in Südamerika Perlen in Süßwaſſermuſcheln gefunden worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unio in den peruaniſchen Flüſſen in großer Menge vor. * 2 Im Jahre 1812 ſind bei Margarita einige Verſuche gemacht worden, die Perlenfiſcherei wieder aufzunehmen. 3 Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen ſolche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis iſt ein Piaſter für das Dutzend. — 203 — untermeeriſchen Strömen auf die Temperatur des Waſſers oder auf die Häufigkeit gewiſſer Weichtiere, von denen ſich die Muſcheln nähren, Einfluß geäußert haben. Am 20. morgens führte uns der Sohn unſeres Wirtes, ein ſehr kräftiger Indianer, über den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch das Rückprallen der Sonnenſtrahlen vom Sand ſtieg der Thermometer auf 31,3. Die Säulenfaftus, die am Wege ſtehen, geben der Landſchaft einen grünen Schein, ohne Kühle und Schatten zu bieten. Unſer Führer ſetzte ſich, ehe er 5 km weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten eines ſchönen Tamarindenbaumes bei den Caſas de la Vela wollte er ſich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht ab— zuwarten. Ich hebe dieſen Charakterzug hervor, da er einem überall entgegentritt, ſo oft man mit Indianern reiſt, und zu den irrigſten Vorſtellungen von der Körperverfaſſung der ver— ſchiedenen Menſchenraſſen Anlaß gegeben hat. Der kupfer— farbige Eingeborene, der beſſer als der reiſende Europäer an die glühende Hitze des Himmelsſtriches gewöhnt iſt, beklagt ſich nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld iſt keine Lockung für ihn, und hat er ſich je einmal durch Gewinnſucht verführen laſſen, ſo reut ihn ſein Entſchluß, ſo— bald er auf dem Wege iſt. Derſelbe Indianer aber, der ſich beklagt, wenn man ihm beim Botaniſieren eine Pflanzenbüchſe zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die raſcheſte Strömung und rudert ſo 14 bis 15 Stunden in einem fort, weil er ſich zu den Seinigen zurückſehnt. Will man die Muskelkraft der Völker richtig ſchätzen lernen, muß man ſie unter Umſtänden beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen Willen beſtimmt werden. Wir beſahen in der Nähe die Trümmer des Schloſſes Santiago, das durch ſeine ausnehmend feſte Bauart merk— würdig iſt. Die Mauern aus behauenen Steinen find 1,6 m dick; man mußte ſie mit Minen ſprengen; man ſieht noch Mauerſtücke von 70, 80 qm, die kaum einen Riß zeigen. Unſer Führer zeigte uns eine Ziſterne (el aljibe), die 10 m tief iſt und, obgleich ziemlich ſchadhaft, den Bewohnern der Halbinſel Araya Waſſer liefert. Dieſe Ziſterne wurde im Jahre 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demſelben, der in Cumana das kleine Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im Rundbogen geſchloſſen iſt, ſo bleibt das Waſſer darin friſch — 204 — und ſehr gut. Konferven, die den Kohlenwaſſerſtoff zerſetzen und zugleich Würmern und Inſekten zum Aufenthalt dienen, bilden ſich nicht darin. Jahrhundertelang hatte man geglaubt, die Halbinſel Araya habe gar keine Quellen ſüßen Waſſers, aber im Jahre 1797 haben die Einwohner von Maniquarez nach langem vergeblichen Suchen doch ſolches gefunden. Als wir über die kahlen Hügel am Vorgebirge Cirial gingen, ſpürten wir einen ſtarken Bergölgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die Bergölquellen liegen, deren ſchon die erſten Beſchreibungen dieſer Länder erwähnen. — Das Töpfergeſchirr von Maniquarez iſt ſeit unvordenklicher Zeit berühmt, und dieſer Induſtriezweig iſt ganz in den Händen der Indianerweiber. Es wird noch gerade ſo fabriziert wie vor der Eroberung. Dieſes Verfahren iſt einerſeits eine Probe vom Zuſtand der Künſte in ihrer Kindheit, und andererſeits von der Starrheit der Sitten, die allen eingeborenen Völkern Amerikas als ein Charakterzug eigen iſt. In 300 Jahren konnte die Töpferſcheibe keinen Eingang auf einer Küſte finden, die von Spanien nur 30 bis 40 Tagereiſen zur See entfernt iſt. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorſtellung davon, daß es ein ſolches Werkzeug gibt, und ſie würden ſich des— ſelben bedienen, wenn man ihnen das Muſter in die Hand gäbe. Die Thongruben find 2,75 km öftlic) von Maniquarez. Dieſer Thon iſt das Zerſetzungsprodukt eines durch Eiſenoxyd rot gefärbten Glimmerſchiefers. Die Indianerinnen nehmen vorzugsweiſe ſolchen, der viel Glimmer enthält. Sie formen mit großem Geſchick Gefäße von 60 cm bis 1m Durchmeſſer mit ſehr regelmäßiger Krümmung. Da ſie den Brennofen nicht kennen, ſo ſchichten ſie Strauchwerk von Desmanthus, Caſſia und baumartiger Capparis um die Töpfe und brennen ſie in freier Luft. Weiter weſtwärts von der Thongrube liegt die Schlucht der Mina (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung ſollen venezianiſche Goldſchürfer dort Gold aus dem Glimmerſchiefer gewonnen haben. Dieſes Metall ſcheint hier nicht auf Quarzgängen vorzukommen, ſondern im Geſtein eingeſprengt zu ſein, wie zuweilen im Granit und Gneis. Wir trafen in Maniquarez Kreolen, die von einer Jagd— partie auf Cubagua kamen. Die Hirſche von der kleinen Art ſind auf dieſem unbewohnten Eilande ſo häufig, daß man täglich drei und vier ſchießen kann. Ich weiß nicht, wie die Tiere hinübergekommen ſind; denn Laet und andere Chroniſten des Landes, die von der Gründung von Neucadiz berichten, ſprechen nur von der Menge Kaninchen auf der Inſel. Der Venado auf Cubagua gehört zu einer der vielen kleinen amerikaniſchen Hirſcharten, die von den Zoologen lange unter dem allgemeinen Namen Cervus Americanus zuſammenge— geworfen wurden. Er ſcheint mir nicht identiſch mit der Biche des Savanes von Guadeloupe oder dem Guazuti in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell iſt auf dem Rücken rotbraun, am Bauche weiß; es iſt gefleckt, wie beim Axis. In den Ebenen am Cari zeigte man uns, als eine große Seltenheit in dieſen heißen Ländern, eine weiße Spielart. Es war eine Hirſchkuh von der Größe des euro— päiſchen Rehes und von äußerſt zierlicher Geſtalt. Albinos kommen in der Neuen Welt ſogar unter den Tigern vor. Azara ſah einen Jaguar, auf deſſen ganz weißem Fell man nur hier und da gleichfam einen Schatten von den runden Flecken ſah. Für den merkwürdigſten, man kann jagen für den wun— derbarſten aller Naturkörper auf der Küſte von Araya gilt beim Volke der Augenſtein, Piedra de los ojos. Dieſes Gebilde aus Kalkerde iſt in aller Munde; nach der Volks— phyſik iſt es ein Stein und ein Tier zugleich. Man findet es im Sande, und da rührt es ſich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt es auf eine ebene Fläche, z. B. auf einen Zinn⸗ oder Fayence-Teller, ſo bewegt es ſich, ſobald man es durch Zitronenſaft reizt. Steckt man es ins Auge, ſo dreht ſich das angebliche Tier um ſich ſelbſt und ſchiebt jeden fremden Körper heraus, der zufällig ins Auge geraten iſt. Auf der neuen Saline und im Dorfe Maniquarez brachte man uns ſolche Augenſteine zu Hunderten und die Eingeborenen machten uns den Verſuch mit dem Zitronenſaft eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns ſelbſt von der Wirkſamkeit des Mittels überzeugten. Wir ſahen als: bald, daß dieſe Steine die dünnen, poröſen Deckel kleiner ein⸗ ſchaliger Muſcheln ſind. Sie haben 2 bis 8 mm Durchmeſſer; die eine Fläche iſt eben, die andere gewölbt. Dieſe Kalkdeckel brauſen mit Zitronenſaft auf und rücken von der Stelle, indem ſich die Kohlenſäure entwickelt. Infolge ähnlicher Reaktion bewegt ſich zuweilen das Brot im Backofen auf wagerechter Fläche, was in Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlaß gegeben hat. Die Piedras de los ojos wirken, wenn man ſie ins Auge ſchiebt, wie die kleinen Perlen und ver: ſchiedene runde Samen, deren ſich die Wilden in Amerika — 206 — bedienen, um den Thränenfluß zu ſteigern. Dieſe Erklärungen waren aber gar nicht nach dem Geſchmack der Einwohner von Araya. Die Natur erſcheint dem Menſchen deſto größer, je geheimnisvoller ſie iſt, und die Volksphyſik weiſt alles von ſich, was einfach iſt. Oſtwärts von Maniquarez an der Südküſte liegen nahe aneinander drei Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Brea und Punta Guaratarito. In dieſer Gegend be— ſteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerſchiefer, und aus dieſer Gebirgsart entſpringt bei Punta de la Brea, aber 26 m vom Ufer, eine Naphthaquelle, deren Geruch ſich weit in die Halbinſel hinein verbreitet. Man mußte bis zum halben Leibe ins Waſſer gehen, um die intereſſante Erſcheinung in der Nähe zu beobachten. Das Waſſer iſt mit Zostera bedeckt, und mitten in einer ſehr großen Bank dieſes Gewächſes ſieht man einen freien runden Fleck von Im Durchmeſſer, auf dem einzelne Maſſen von Ulva lactuca ſchwimmen. Hier kommen die Quellen zu Tage. Der Boden des Meerbuſens iſt mit Sand bedeckt, und das Bergöl, das, durchſichtig und von gelber Farbe, der eigentlichen Naphtha nahe kommt, ſprudelt ſtoß— weiſe unter Entwickelung von Luftblaſen hervor. Stampft man den Boden mit den Füßen feſt, ſo ſieht man die kleinen Quellen wegrücken. Die Naphtha bedeckt das Meer über 320 m weit. Nimmt man an, daß das Fallen der Schichten ſich gleich bleibt, ſo muß der Glimmerſchiefer wenige Meter unter dem Sande liegen. Der Salzthon von Araya enthält feſtes, zerreibliches Bergöl. Dieſes geologiſche Verhältnis zwiſchen ſalzſaurem Natron und Erdpech kommt in allen Steinſalzgruben und bei allen Salzquellen vor, aber als ein höchſt merkwürdiger Fall erſcheint das Vorkommen einer Naphthaquelle in einer Urge— birgsart. Alle bis jetzt bekannten gehören ſekundären Forma⸗ tionen an, und dieſer Umſtand ſchien für die Annahme zu ſprechen, daß alles mineraliſche Harz Produkt der Zerſetzung von Pflanzen und Tieren oder des Brandes der Steinkohlen ſei. Auf der Halbinſel Araya aber fließt die Naphtha aus dem Urgebirge ſelbſt, und dieſe Erſcheinung wird noch bedeu— tender, wenn man bedenkt, daß in dieſem Urgebirge der Herd des unterirdiſchen Feuers iſt, daß man am Rande brennender Krater e Naphthageruch bemerkt, und daß die meiſten heißen Quellen Amerikas aus Gneis und Glimmerſchiefer hervorbrechen. — 207 — Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez umgeſehen, beſtiegen wir ein Fiſcherboot, um nach Cumana zurückzukehren. Nichts zeigt ſo deutlich, wie ruhig die See in dieſen Strichen iſt, als die Kleinheit und der ſchlechte Zu— ſtand dieſer Kähne, die ein ſehr hohes Segel führen. Der Kahn, den wir ausgeſucht hatten, weil er noch am wenigſten beſchädigt war, zeigte ſich ſo leck, daß der Sohn des Steuer— mannes fortwährend mit einer Tutuma, der Frucht der Cres— centia eujete, das Waſſer ausſchöpfen mußte. Es kommt im Meerbuſen von Cariaco, beſonders nordwärts von der Halbinſel Araya, nicht ſelten vor, daß die mit Kokosnüſſen beladenen Piroguen umſchlagen, wenn ſie zu nahe am Winde gerade gegen den Wellenſchlag ſteuern. Vor ſolchen Unfällen fürchten ſich aber nur Reiſende, die nicht gut ſchwimmen können; denn wird die Pirogue von einem indianiſchen Fiſcher mit ſeinem Sohne geführt, ſo dreht der Vater den Kahn wieder um und macht ſich daran, das Waſſer hinauszuſchaffen, während der Sohn ſchwimmend die Kokosnüſſe zuſammenholt. In weniger als einer Viertelſtunde iſt die Pirogue wieder unter Segel, ohne daß der Indianer in ſeinem unerſchöpflichen Gleichmut eine Klage hätte hören laſſen. Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rückkehr vom Orinoko noch einmal beſuchten, haben nicht vergeſſen, daß ihre Halbinſel einer der Punkte iſt, wo ſich am früheſten Kaſtilianer niedergelaſſen. Sie ſprechen gern von der Perlenfiſcherei, von den Ruinen des Schloſſes Santiago, das, wie ſie hoffen, einſt wieder aufgebaut wird, überhaupt von dem, was ſie den ehe— maligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man erſt ſeit 2000 Jahren kennt, für neue Erfindung; in den europäiſchen Niederlaſſungen erſcheint ein Ereignis, das 300 Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinaufreicht, als ungemein alt. Dieſer Mangel an alter Ueber⸗ lieferung, der den jungen Völkern in den Vereinigten Staaten wie in den ſpaniſchen und portugieſiſchen Beſitzungen eigen iſt, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Pein— liches für den Reiſenden, der ſich dadurch um den höchſten Genuß der Einbildungskraft gebracht ſieht, er äußert auch ſeinen Einfluß auf die mehr oder minder ſtarken Bande, die den Koloniſten an den Boden feſſeln, auf dem er wohnt, an die Geſtalt der Felſen, die ſeine Hütte umgeben, an die Bäume, in deren Schatten ſeine Wiege geſtanden. Bei den Alten, z. B. bei Phöniziern und Griechen, — 208 — gingen Ueberlieferungen und geſchichtliches Bewußtſein des Volkes vom Mutterlande auf die Kolonieen über, erbten dort von Geſchlecht zu Geſchlecht fort und äußerten fortwährend den beſten Einfluß auf Geiſt, Sitten und Politik der An— ſiedler. Das Klima in jenen erſten Niederlaſſungen über dem Meere war vom Klima des Mutterlandes nicht ſehr verſchieden. Die Griechen in Kleinaſien und auf Sizilien entfremdeten ſich nicht den Einwohnern von Argos, Athen und Korinth, von denen abzuſtammen ihr Stolz war. Große Ueberein— ſtimmung in Sitte und Brauch that das Ihrige dazu, eine Verbindung zu befeſtigen, die ſich auf religiöſe und politiſche Intereſſen gründete. Häufig opferten die Kolonieen die Erſt— linge ihrer Ernten in den Tempeln der Mutterſtädte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall das heilige Feuer auf den Altären von Heſtia erloſchen war, ſo ſchickte man von hinten in Jonien nach Griechenland und ließ es aus den Prytaneen wieder holen. Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Mäotis, erhielten ſich die alten Ueberliefe— rungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die gleich mächtig zur Einbildungskraft ſprechen, hafteten an den Ko— lonieen ſelbſt. Sie hatten ihre heiligen Haine, ihre Schutz— gottheiten, ihren lokalen Mythenkreis; ſie hatten, was den Dichtungen der früheſten Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm ſelbſt über das Mutterland Glanz verbreitete. Dieſer und noch mancher andern Vorteile entbehren die heutigen Anſiedelungen. Die meiſten wurden in einem Land⸗ ſtrich gegründet, wo Klima, Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landſchaft ganz anders ſind als in Europa. Wenn auch der Anſiedler Bergen, Flüſſen, Thälern Namen beilegt, die an vaterländiſche Landſchaften erinnern, dieſe Namen verlieren bald ihren Reiz und ſagen den nachkommenden Ge— ſchlechtern nichts mehr. In fremdartiger Naturumgebung er⸗ wachſen aus neuen Bedürfniſſen andere Sitten; die geſchicht— lichen Erinnerungen verblaſſen allmählich, und die ſich erhalten, knüpfen ſich fortan gleich Phantaſiegebilden weder an einen beſtimmten Ort, noch an eine beſtimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagios und des Cid Campeador iſt bis in die Ge: birge und Wälder Amerikas gedrungen; dem Volke kommen je zuweilen dieſe glorreichen Namen auf die Zunge, aber ſie ſchweben ſeiner Seele vor wie Weſen aus einer idealen Welt, aus dem Dämmer der Fabelzeit. 5 — 209 — Der neue Himmel, das ganz veränderte Klima, die phy— ſiſche Beſchaffenheit des Landes wirken weit ſtärker auf die geſellſchaftlichen Zuſtände in den Kolonieen ein, als die gänz— liche Trennung vom Mutterlande. Die Schiffahrt hat in neuerer Zeit ſolche Fortſchritte gemacht, daß die Mündungen des Orinoko und Rio de la Plata näher bei Spanien zu liegen ſcheinen, als einſt der Phaſis und Tarteſſus von den griechiſchen und phöniziſchen Küſten. Man kann auch die Bemerkung machen, daß ſich in gleich weit von Europa ent— fernten Ländern Sitten und Ueberlieferungen desſelben im gemäßigten Erdſtrich und auf dem Rücken der Gebirge unter dem Aequator mehr erhalten haben als in den Tiefländern der heißen Zone. Die Aehnlichkeit der Naturumgebung trägt in gewiſſem Grade dazu bei, innigere Beziehungen zwiſchen den Koloniſten und dem Mutterlande aufrecht zu erhalten. Dieſer Einfluß phyſiſcher Urſachen auf die Zuſtände jugendlicher ge— ſellſchaftlicher Vereine tritt beſonders auffallend hervor, wenn es ſich von Gliedern desſelben Volksſtammes handelt, die ſich noch nicht lange getrennt haben. Durchreiſt man die Neue Welt, jo meint man überall da, wo das Klima den Anbau des Getreides geſtattet, mehr Ueberlieferungen, einem leben— digeren Andenken an das Mutterland zu begegnen. In dieſer Beziehung kommen Pennſylvanien, Neumexiko und Chile mit den hochgelegenen Plateaus von Quito und Neuſpanien über— ein, die mit Eichen und Fichten bewachſen ſind. Bei den Alten waren die Geſchichte, die religiöſen Vor— ſtellungen und die phyſiſche Beſchaffenheit des Landes durch unauflösliche Bande verknüpft. Um die Landſchaften und die alten bürgerlichen Stürme des Mutterlandes zu vergeſſen, hätte der Anſiedler auch dem von ſeinen Voreltern über— lieferten Götterglauben entſagen müſſen. Bei den neueren Völkern hat die Religion, jo zu ſagen, keine Lokalfarbe mehr. Das Chriſtentum hat den Kreis der Vorſtellungen erweitert, es hat alle Völker darauf hingewieſen, daß ſie Glieder einer Familie ſind, aber eben damit hat es das Nationalgefühl geſchwächt; es hat in beiden Welten die uralten Ueber— lieferungen des Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigentümlich angehören. Völker von ganz verſchiedener Herkunft und völlig abweichender Mundart haben damit ge— meinſchaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die Miſſionen in einem großen Teil des neuen Feſtlandes die Grundlagen der Kultur gelegt worden ſind, ſo haben eben A. v Humboldt, Reife. I. 14 — 210 — damit die chriſtlichen kosmogoniſchen und religiöſen Vorftel- lungen ein merkbares Uebergewicht über die rein nationalen Erinnerungen erhalten. Noch mehr: die amerikaniſchen Kolonieen ſind faſt durch— aus in Ländern angelegt, wo die dahingegangenen Geſchlechter kaum eine Spur ihres Daſeins hinterlaſſen haben. Nord: wärts vom Rio Gila, an den Ufern des Miſſouri, auf den Ebenen, die ſich im Oſten der Anden ausbreiten, gehen die Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatemala und in Mexiko ſind allerdings Trümmer von Gebäuden, hiſtoriſche Malereien und Bildwerke Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Peoeinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von der Geſchichte der Inka und der mexikaniſchen Fürſten haben. Der Eingeborene hat ſeine Sprache, ſeine Tracht und ſeinen Volkscharakter behalten; aber mit dem Aufhören des Gebrauches der Quippu und der ſymboliſchen Malereien, durch die Ein— führung des Chriſtentums und andere Umſtände, die ich anderswo auseinandergeſetzt, ſind die geſchichtlichen und reli— giöſen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Anderer: ſeits ſieht der Anſiedler von europäiſcher Abkunft verächtlich auf alles herab, was ſich auf die unterworfenen Völker be— zieht. Er ſieht ſich in die Mitte geſtellt zwiſchen die frühere Geſchichte des Mutterlandes und die ſeines Geburtslandes, und die eine iſt ihm ſo gleichgültig wie die andere; in einem Klima, wo bei dem geringen Unterſchied der Jahreszeiten der Ablauf der Jahre faſt unmerklich wird, überläßt er ſich ganz dem Genuſſe der Gegenwart und wirft ſelten einen Blick in vergangene Zeiten. Aber auch welch ein Abſtand zwiſchen der eintönigen Geſchichte neuerer Niederlaſſungen und dem lebensvollen Bilde, das Geſetzgebung, Sitten und politiſche Stürme der alten Kolonieen darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen. verſchieden gefärbte geiſtige Bildung machte nicht ſelten die Eiferſucht der Mutterländer rege. Durch dieſen glücklichen Wetteifer gelangten Kunſt und Litteratur in Jonien, Groß: griechenland und Sizilien zur herrlichſten Entwickelung. Heut— zutage dagegen haben die Kolonieen weder eine eigene Ge⸗ ſchichte noch eine eigene Litteratur. Die in der Neuen Welt haben faſt nie mächtige Nachbarn gehabt, und die geſellſchaft— lichen Zuſtände haben ſich immer nur allgemach umgewandelt. Des politiſchen Lebens bar, haben dieſe Handels- und Acker⸗ — 211 — bauſtaaten an den großen Welthändeln immer nur paſſiven Anteil genommen. . Die Geſchichte der neuen Kolonieen hat nur zwei merk— würdige Ereigniſſe aufzuweiſen, ihre Gründung und ihre Trennung vom Mutterlande. Das erſtere iſt reich an Er— innerungen, die ſich weſentlich an die von den Koloniſten bewohnten Länder knüpfen; aber ſtatt Bilder des friedlichen Fortſchrittes des Gewerbfleißes und der Entwickelung der Geſetzgebung in den Kolonieen vorzuführen, erzählt dieſe Ge— ſchichte nur von verübtem Unrecht und von Gewaltthaten. Welchen Reiz können jene außerordentlichen Zeiten haben, wo die Spanier unter Karls V. Regierung mehr Mut als ſittliche Kraft entwickelten, und die ritterliche Ehre, wie der kriegeriſche Ruhm durch Fanatismus und Golddurſt befleckt wurden? Die Koloniſten ſind von ſanfter Gemütsart, ſie ſind durch ihre Lage den Nationalvorurteilen enthoben, und ſo wiſſen ſie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werte zu ſchätzen. Die Männer, die ſich damals ausge— zeichnet, ſind Europäer, ſind Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Koloniſten ſind ſie Fremde, denn drei Jahr— hunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzulöfen. Unter den „Konquiſtadoren“ waren ſicher rechtſchaffene und edle Männer, aber ſie verſchwinden in der Maſſe und konnten der allgemeinen Verdammnis nicht entgehen. Ich glaube hiermit die hauptſächlichſten Urſachen ange— geben zu haben, aus denen in den heutigen Kolonieen die Nationalerinnerungen ſich verlieren, ohne daß andere, auf das nunmehr bewohnte Land ſich beziehende würdig an ihre Stelle träten. Dieſer Umſtand, wir können es nicht genug wiederholen, äußert einen bedeutenden Einfluß auf die ganze Lage der Anſiedler. In der ſtürmevollen Zeit einer ſtaat— lichen Wiedergeburt ſehen ſie ſich auf ſich ſelbſt geſtellt, und es ergeht ihnen wie einem Volke, das es verſchmähte, ſeine Geſchichtsbücher zu befragen und aus den Unfällen vergan— gener Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu ſchöpfen. Sechſtes Kapitel. Die Berge von Neuandaluſien. — Das Thal von Cumanacoa. — Der Gipfel des Cocollar. — Miſſionen der Chaymasindianer. Unſerem erſten Ausflug auf die Halbinſel Araya folgte bald ein zweiter längerer und lehrreicherer ins Innere des Gebirges zu den Miſſionen der Chaymasindianer. Gegen— ſtände von mannigfaltiger Anziehungskraft ſollten uns dort in Anſpruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Wäldern bedecktes Land; wir ſollten ein Kloſter beſuchen, das im Schatten von Palmen und Baumfarnen in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im heißen Erdſtrich, köſtlicher Kühle genießt. In den benachbarten Bergen gibt es dort Höhlen, welche von Tauſenden von Nachtvögeln bewohnt ſind, und was noch lebendiger zur Einbildungskraft ſpricht als alle Wunder der phyſiſchen Welt, jenſeits dieſer Berge lebt ein vor kurzem noch nomadiſches Volk, kaum aus dem Naturzuſtand getreten, wild, jedoch nicht barbariſch, geiſtesbeſchränkt, nicht weil es lange verſunken war, ſondern weil es eben nichts weiß. Zu dieſen ſo mächtig anziehenden Gegenſtänden kamen noch geſchichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria ſah Kolumbus zuerſt das Feſtland; hier laufen die Thäler aus, die bald von den kriegeriſchen, menſchenfreſſenden Kariben, bald von den civiliſierten Handelsvölkern Europas verwüſtet wurden. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts wurden die un⸗ glücklichen Einwohner auf den Küſten von Carupano, Maca- rapan und Caracas behandelt, wie zu unſerer Zeit die Ein— wohner der Küſte von Guinea. Bereits wurden die Antillen angebaut und man führte dort die Gewächſe der Alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keiner ordentlichen und planmäßigen Niederlaſſung. Die Spanier beſuchten die Küſte nur, um ſich mit Gewalt oder im Tauſchhandel Sklaven, — 213 — Perlen, Goldkörner und Farbholz zu verſchaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers meinte man dieſe unerſättliche Habſucht in eine höhere Sphäre zu heben. So hat jedes Jahrhundert feine eigene geiſtige und ſitt— liche Farbe. . Der Handel mit den kupferfarbigen Eingeborenen führte zu denſelben Unmenſchlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieſelben Folgen, Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die Kriege unter den Ein— geborenen häufiger; die Gefangenen wurden aus dem inneren Lande an die Küſte geſchleppt und an die Weißen verkauft, die ſie auf ihren Schiffen feſſelten. Und doch waren die Spanier damals und noch lange nachher eines der civiliſier— teſten Völker Europas. Ein Abglanz der Herrlichkeit in der in Italien Kunſt und Litteratur blühten, hatte ſich über alle Völker verbreitet, deren Sprache dieſelbe Quelle hat wie die Sprache Dantes und Petrarcas. Man ſollte glauben, in dieſer mächtigen geiſtigen Entwickelung, bei ſolch erhabenem Schwung der Einbildungskraft hätten ſich die Sitten ſänftigen müſſen. Aber jenſeits der Meere, überall, wo der Golddurſt zum Mißbrauch der Gewalt führt, haben die europäiſchen Völker in allen Abſchnitten der Geſchichte denſelben Charakter entwickelt. Das herrliche Jahrhundert Leos X. trat in der Neuen Welt mit einer Grauſamkeit auf, wie man ſie nur den finſterſten Jahrhunderten zutrauen ſollte. Man wundert ſich aber nicht ſo ſehr über das entſetzliche Bild der Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Seg— nungen, einer menſchlicheren Geſetzgebung noch jetzt auf den Weſtküſten von Afrika vorgeht. Der Sklavenhandel hatte dank den von Karl V. zur Geltung gebrachten Grundſätzen auf Terra Firma längſt auf— gehört; aber die Konquiſtadoren ſetzten ihre Streifzüge ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der die amerikaniſche Bevölkerung herabbrachte, dem Nationalhaß immer friſche Nahrung gab, auf lange Zeit die Keime der Kultur erſtickte. Endlich ließen Miſſionäre unter dem Schutze des weltlichen Armes Worte des Friedens hören. Es war Pflicht der Re— ligion, daß ſie der Menſchheit einigen Troſt brachte für die Greuel, die in ihrem Namen verübt worden; ſie führte für die Eingeborenen das Wort vor dem Richterſtuhle der Könige, ſie widerſetzte ſich den Gewaltthätigkeiten der Pfründenin— haber, ſie vereinigte umherziehende Stämme zu den kleinen — 214 — Gemeinden, die man Miſſionen nennt und die der Ent: W des Ackerbaues Vorſchub leiſten. So haben ſich all— mählich, aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwickelung jene großen mönchiſchen Niederlaſſungen gebildet, jenes merkwürdige Regiment, das immer darauf hinausgeht, ſich abzuſchließen, und Länder, die vier- und fünfmal größer ſind als Frankreich, den Mönchsorden unterwirft. Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutver— gießen Einhalt zu thun und den erſten Grund zur geſellſchaft— lichen Entwickelung zu legen, ſind in der Folge dem Fortſchritt derſelben hinderlich geworden. Die Abſchließung hatte zur Folge, daß die Indianer ſo ziemlich blieben, was ſie waren, als ihre zerſtreuten Hütten noch nicht um das Haus des Miſ— ſionärs beiſammen lagen. Ihre Zahl hat anſehnlich zuge— nommen, keineswegs aber ihr geiſtiger Geſichtskreis. Sie haben mehr und mehr von der Charakterſtärke und der natürlichen Lebendigkeit eingebüßt, die auf allen Stufen menſchlicher Entwickelung die edlen Früchte der Unabhängigkeit ſind. Man hat alles bei ihnen, ſogar die unbedeutendſten Verrichtungen des häuslichen Lebens, der unabänderlichen Regel unterworfen, und ſo hat man ſie gehorſam gemacht, zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt iſt meiſt ge— ſicherter, ihre Sitten ſind milder geworden; aber der Zwang und das trübſelige Einerlei des Miſſionsregimentes laſtet auf ihnen und ihr düſteres, verſchloſſenes Weſen verrät, wie un— gern ſie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Mönchszucht innerhalb der Kloſtermauern entzieht zwar dem Staate nützliche Bürger, indeſſen mag ſie immerhin hier und da Leidenſchaften zur Ruhe bringen, große Schmerzen lindern, der geiſtigen Vertiefung förderlich ſein; aber in die Wildniſſe der Neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des bürgerlichen Lebens angewendet, muß ſie deſto verderblicher wirken, je länger ſie andauert. Sie hält von Geſchlecht zu Geſchlecht die geiſtige Entwickelung nieder, ſie hemmt den Ver— kehr unter den Völkern, ſie weiſt alles ab, was die Seele erhebt und den Vorſtellungskreis erweitert. Aus allen dieſen Urſachen zuſammen verharren die Indianer in den Miſſionen in einem Zuſtande von Unkultur, der Stillſtand heißen müßte, wenn nicht auch die menſchlichen Vereine denſelben Geſetzen gehorchten, wie die Entwickelung des menſchlichen Geiſtes überhaupt, wenn ſie nicht Rückſchritte machten, eben weil ſie nicht fortſchreiten. — 215 — Am 4. September um 5 Uhr morgens brachen wir zu unſerem Ausflug zu den Chaymasindianern und in die hohe Gebirgsgruppe von Neuandaluſien auf. Man hatte uns geraten, wegen der ſehr beſchwerlichen Wege unſer Gepäck möglichſt zu beſchränken. Zwei Laſttiere reichten auch hin, unſeren Mundvorrat, unſere Inſtrumente und das nötige Papier zum Pflanzentrocknen zu tragen. In derſelben Kiſte waren ein Sextant, ein Inklinationskompaß, ein Apparat zur Er⸗ mittelung der magnetiſchen Deklination, Thermometer und ein Sauſſureſcher Hygrometer. Auf dieſe Inſtrumente be— ſchränkten wir uns bei kleineren Ausflügen immer. Mit dem Barometer mußte noch vorſichtiger umgegangen werden als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, daß kein In— ſtrument dem Reiſenden mehr Laſt und Sorge macht. Wir ließen ihn in den fünf Jahren von einem Führer tragen, der uns zu Fuß begleitete, aber ſelbſt dieſe ziemlich koſtſpielige Vorſicht ſchützte ihn nicht immer vor Beſchädigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Flut im Luftmeere genau beobachtet, das heißt die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen täglich regelmäßig ſteigt und fällt, ſahen wir ein, daß wir das Relief des Landes mittels des Baro— meters würden aufnehmen können, ohne korreſpondierende Beobachtungen in Cumana zu Hilfe zu nehmen. Die größten Schwankungen im Luftdruck betragen in dieſem Klima an der Küſte nur 2 bis 2,6 mm, und hat man ein einziges Mal, an welchem Orte und zu welcher Stunde es ſei, die Queck— ſilberhöhe beobachtet, ſo laſſen ſich mit ziemlicher Wahrſchein— keit die Abweichungen von dieſem Stande das ganze Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es ergibt ſich daraus, das im heißen Erdſtrich durch den Mangel an korreſpondierenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entſtehen können, die mehr als 24 bis 30 m ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es ſich von geologiſchen Aufnahmen, oder vom Einfluß der Höhe auf das Klima und die Verteilung der Gewächſe handelt. Der Morgen war köſtlich kühl. Der Weg oder vielmehr der Fußpfad nach Cumanacoa führt am rechten Ufer des Manzanares hin über das Kapuzinerhoſpiz, das in einem kleinen Gehölze von Gayacbäumen und baumartigen Capparis liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten wir auf dem Hügel von San Francisco in der kurzen Morgen— dämmerung eine weite Ausſicht über die See, über die mit — 216 — goldgelb blühender Bava! bedeckte Ebene und die Berge des Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Kordillere gerückt ſchien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel iſt dunkler, ihre Umriſſe erſcheinen ſchärfer, ihre Maſſen treten deutlicher hervor, ſolange nicht die Durchſichtigkeit der Luft durch die Dünſte beeinträchtigt wird, die nachts in den Thälern lagern und im Maße, als die Luft ſich zu erwärmen beginnt, in die Höhe ſteigen. Beim Hoſpiz Divina Paſtora wendet ſich der Weg nach Nordoſt und läuft 9 km über einen baumloſen Landſtrich, der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Kaktus, Büſche des eiſtusblätterigen Tribulus und die ſchöne purpur— farbige Euphorbie, die in Havana unter dem ſeltſamen Namen Dietamno real gezogen wird, ſondern auch Avicennia, Allionia, Peruvium, Thalinum und die meisten Portulaceen, die am Golf von Gariaco vorkommen. Dieje geographische Verteilung der Gewächſe weiſt, wie es ſcheint, auf den Umriß der alten Küſte hin und ſpricht dafür, daß, wie oben bemerkt worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einſt eine durch einen Meeresarm vom Feſtlande getrennte Inſel bildeten. Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Oſt nach Weſt ſtreicht. Hier be— ginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus des Pflanzenwuchſes. Alles erhält einen großartigeren, male: riſcheren Charakter. Der quellenreiche Boden iſt nach allen Richtungen von Waſſerfäden durchzogen. Bäume von rieſiger Höhe, mit Schlinggewächſen bedeckt, ſteigen aus den Schluchten empor; ihre ſchwarze, von der Sonnenglut und vom Sauer— ſtoff der Luft verbrannte Rinde ſticht ab vom friſchen Grün der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende Blätter nicht ſelten mehrere Fuß lang ſind. Es iſt nicht anders, als ob unter den Tropen die paraſitiſchen Mono: kotyledonen die Stelle des Mooſes und der Flechten unſerer nördlichen Landſtriche verträten. Je weiter wir kamen, deſto mehr erinnerten uns die Geſteinsmaſſen ſowohl nach Geſtalt als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landſchaften. In dieſen amerikaniſchen Alpen wachſen noch in bedeutenden Iygophyllum arboreum, Jacq. Höhen Helikonien, Coſtus, Maranta und andere Pflanzen aus der Familie der Cannaarten, die in der Nähe der Küſte nur niedrige, feuchte Orte aufſuchen. So kommt es, daß die heiße Erdzone und das nördliche Europa die intereſſante Eigentümlichkeit gemein haben, daß in einer beſtändig mit Waſſerdampf erfüllten Luft, wie auf einem vom ſchmelzenden Schnee durchfeuchteten Boden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt. Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwiſchen Cueſta de Caneyes und dem Rio Guriental an Hütten vorbei, die von Meſtizen bewohnt ſind. Jede Hütte liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbäume, Zuder- rohr und Mais einfriedigt. Man müßte ſich wundern, wie klein dieſe Flecke urbar gemachten Landes ſind, wenn man nicht bedächte, daß ein mit Piſang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsſtoff liefert, als die gleiche mit Getreide beſtellte Fläche. In Europa bedecken unſere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerſte, Roggen, weite Landſtrecken; überall, wo die Völker ſich von Cerealien nähren, ſtoßen die bebauten Grundſtücke notwendig aneinander. Anders in der heißen Zone, wo der Menſch ſich Gewächſe aneignen konnte, die ihm weit reichere und frühere Ernten liefern. In dieſen geſegneten Landſtrichen entſpricht die unermeßliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthitze und der Feuchtigkeit der Luft. Ein kleines Stück Boden, auf dem Bananenbäume, Manioc, Yams, und Mais ſtehen, ernährt reichlich eine zahl: reiche Bevölkerung. Daß die Hütten einſam im Walde zer— ſtreut liegen, wird für den Reiſenden ein Merkmal der Ueber— fülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes für den Bedarf mehrerer Familien hin. Dieſe Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Land— ſtrichen erinnern von ſelbſt daran, welch inniger Verband zwiſchen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem geſellſchaftlichen Fortſchritt beſteht. So groß die Fülle der Lebensmittel iſt, die dieſer Reichtum des Bodens, die ſtrotzende Kraft der organiſchen Natur hervorbringt, dennoch wird die Kulturentwickelung der Völker dadurch niedergehalten. In einem milden, gleichförmigen Klima kennt der Menſch kein anderes dringendes Bedürfnis als das der Nahrung. Nur wenn dieſes Beduͤrfnis ſich geltend macht, fühlt er ſich zur Arbeit getrieben, und man ſieht leicht ein, warum ſich im Schoße des Ueber— fluſſes, im Schatten von Bananen- und Brotfruchtbäumen, — 218 — die Geiſtesfähigkeiten nicht ſo raſch entwickeln als unter einem ſtrengen Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unſer Geſchlecht in ewigem Kampfe mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von ackerbautreibenden Völkern be— wohnten Länder, jo ſieht man, daß die bebauten Grundſtücke durch Wald - voneinander getrennt bleiben oder unmittelbar aneinander ſtoßen, und daß ſolches nicht nur von der Höhe der Bevölkerung, ſondern auch von der Wahl der Nahrungs— gewächſe bedingt wird. In Europa ſchätzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des urbaren Landes; unter den Tropen dagegen, im heißeſten und feuchteſten Striche von Südamerika, ſcheinen ſehr ſtark bevölkerte Provinzen beinahe wüſte zu liegen, weil der Menſch zu ſeinem Lebensunterhalt nur wenige Morgen bebaut. Dieſe en die alle Aufmerkſamkeit verdienen, geben ſowohl der phyſiſchen Geſtaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein eigenes Gepräge; beide erhalten dadurch in ihrem ganzen Weſen etwas Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur paßt, deren urſprüngliche Phyſiognomie durch die Kunſt noch nicht verwiſcht iſt. Ohne Nachbarn, faſt ohne allen Ver⸗ kehr mit Menſchen, erſcheint jede Anſiedlerfamilie wie ein vereinzelter Volksſtamm. Dieſe Vereinzelung hemmt den Fort— ſchritt der Kultur, die ſich nur in dem Maße entwickeln kann, als der Menſchenverein zahlreicher wird und die Bande zwiſchen den einzelnen ſich feſter knüpfen und vervielfältigen; die Ein— ſamkeit entwickelt aber auch und ſtärkt im Menſchen das Ge- fühl der Unabhängigkeit und Freiheit; ſie nährt jenen Stolz, der von jeher die Völker von kaſtilianiſchem Blute ausge— zeichnet hat. Dieſelben Urſachen, deren mächtiger Einfluß uns weiter— hin noch oft beſchäftigen wird, haben zur Folge, daß dem Boden, ſelbſt in den am ſtärkſten bevölkerten Ländern des tropiſchen Amerika, der Anſtrich von Wildheit erhalten bleibt, der in gemäßigten Klimaten ſich durch den Getreidebau ver— liert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Völker weniger Raum ein; die Herrſchaft des Menſchen reicht nicht ſo weit; er tritt nicht als unumſchränkter Gebieter auf, der die Bodenoberfläche nach Gefallen modelt, ſondern wie ein flüchtiger Gaſt, der in Ruhe des Segens der Natur genießt. In der Umgegend der volkreichſten Städte ſtarrt der Boden noch immer von Wäldern oder iſt mit einem dichten Pflanzen⸗ filz überzogen, den niemals eine Pflugſchar zerriſſen hat. Die — 219 — wildwachſenden Pflanzen beherrſchen noch durch ihre Maſſe die angebauten Gewächſe und beſtimmen allein den Charakter der Landſchaft. Allem Vermuten nach wird dieſer Zuſtand nur äußerſt langſam einem anderen Platz machen. Wenn in unſeren gemäßigten Landſtrichen es beſonders der Getreidebau iſt, der dem urbaren Lande einen ſo trübſelig eintönigen An— ſtrich gibt, ſo erhält ſich, aller Wahrſcheinlichkeit nach, in der heißen Zone ſelbſt bei zunehmender Bevölkerung die Groß— artigkeit der Pflanzengeſtalten, das Gepräge einer jungfräu— lichen, ungezähmten Natur, wodurch dieſe ſo unendlich an— ziehend und maleriſch wird. So werden denn, infolge einer merkwürdigen Verknüpfung phyſiſcher und moraliſcher Urſachen, durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewächſe drei wichtige Momente vorzugsweiſe beſtimmt: das geſellige Beiſammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raſchere oder lang— ſamere Fortſchritt der Kultur, und die Phyſiognomie der Landſchaft. Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, deſto mehr zeigte uns der Barometer, daß der Boden mehr und mehr anſtieg. Die Baumſtämme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick; eine Grasart mit quirlförmigen Zweigen klettert, gleich einer Liane, 2,6 bis 3,25 m hoch und bildet über dem Wege Ge— winde, die ſich im Luftzuge ſchaukeln. Gegen 3 Uhr nach— mittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, Quetepe genannt, die etwa 370 m über dem Meere liegt. Es ſtehen hier einige Hütten an einer Quelle, deren Waſſer bei den Eingeborenen als ſehr kühl und geſund berühmt iſt. Wir fanden das Waſſer wirklich ausgezeichnet; es zeigte 22,5“ der hundertteiligen Skale, während der Thermometer an der Luft auf 28,7 ſtand. Die Quellen, die von benachbarten höheren Bergen herabkommen, geben häufig eine zu raſche Abnahme der Luftwärme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des Waſſers an der Küſte von Cumana 26° an, jo folgt daraus, wenn nicht andere lokale Urſachen auf die Temperatur der Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe ſich erſt in mehr als 680 m abſoluter Höhe ſo bedeutend abkühlt. Da hier von Quellen die Rede iſt, die in der heißen Zone in der Ebene oder in unbedeutender Höhe zu Tage kommen, ſo ſei bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere Sommer— temperatur von der durchſchnittlichen des ganzen Jahres be— deutend abweicht, die Einwohner in der heißeſten Jahreszeit ſehr kaltes Quellwaſſer trinken können. Die Lappen bei Umeo und Sörſele, unter dem 65. Breitegrad, erfriſchen ſich an Quellen, deren Temperatur im Auguſt kaum 2 bis 30 über dem Frierpunkt ſteht, während bei Tage die Luftwärme im Schatten auf 26 oder 270 ſteigt. In unſeren gemäßigten Landſtrichen, in Frankreich und Deutſchland, iſt der Abſtand zwiſchen der X Luft! und den Quellen niemals über 16 bis 17° und unter den Tropen ſteigt er ſelten auf 6 bis 7°, Man gibt ſich leicht Rechenſchaft von dieſen Erſcheinungen, wenn man weiß, daß die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der unterirdiſchen Quellen faſt ganz übereinkommt mit der mittleren Jahrestemperatur der Luft, und daß dieſe von der mittleren Sommerwärme deſto mehr abweicht, je mehr man ſich vom Aequator entfernt. — Die magnetiſche Inklination war in Quetepe 40,7“ der hundertteiligen Skale, der Cyanometer gab das Blau des Himmels im Zenith nur zu 14° an, ohne Zweifel weil die Regenzeit ſeit mehreren Tagen begonnen und die Luft bereits Waſſerdunſt aufge— nommen hatte. Auf einem Sandſteinhügel über der Quelle hatten wir eine prachtvolle Ausſicht auf das Meer, das Vorgebirge Ma— canao und die Halbinſel Maniquarez. Ein ungeheurer Wald breitete ſich zu unſeren Füßen bis zum Ozean hinab; die Baumwipfel mit Lianen behangen, mit langen Blütenbüſcheln gekrönt, bildeten einen ungeheuren grünen Teppich, deſſen tiefdunkle Färbung das Licht in der Luft noch glänzender erſcheinen ließ. Dieſer Anblick ergriff uns um ſo mehr, da uns hier zum erſtenmal die Vegetation der Tropen in ihrer Maſſenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem Hügel von Quetepe, unter den Stämmen von Malpighia corolloboefolia mit ſtark lederartigen Blättern, in Gebüſchen von Polygala montana, brachen wir die erſten Melaſtomen, namentlich die ſchöne Art, die unter dem Namen Melastoma rufescens beſchrieben wor⸗ den. Dieſer Ausſichtspunkt wird uns lange im Gedächtnis bleiben; der Reiſende behält die Orte lieb, wo er zuerſt ein Pflanzengeſchlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild wachſend geſehen. Weiter gegen Südweſt wird der Boden dürr und ſandig; wir erſtiegen eine ziemlich hohe Berggruppe, welche die Küſte von den großen Ebenen oder Savannen an den Ufern des Orinoko trennt. Der Teil dieſer Berggruppe, durch den der Weg nach Cumanacoa läuft, iſt pflanzenlos und fällt gegen Nord und Süd ſteil ab. Er führt den Namen Impoſible, weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die Einwohner von Cumana auf dieſem Gebirgskamm eine Zu: fluchtsſtätte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stun— denwinkel aufnehmen, um mittels des Chronometers die Länge des Ortes zu beſtimmen. Die Ausſicht auf dem Impoſible iſt noch ſchöner und weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit bloßem Auge den abgeſtutzten Gipfel des Brigantin, deſſen geographiſche Lage genau zu kennen ſo wichtig wäre, den Landungsplatz und die Reede von Cumana ſehen. Die Felſen— küſte von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Be— ſonders fiel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf, den man Laguna grande oder Laguna del Obispo nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken ſteht durch einen ſchmalen Kanal, durch den nur ein Schiff fahren kann, mit dem Meerbuſen von Cariaco in Verbindung. In dieſem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat, könnten mehrere Geſchwader nebeneinander ankern. Es iſt ein völlig einſamer Ort, den nur einmal im Jahre die Fahr— zeuge beſuchen, welche Maultiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unſer Blick ver— folgte die Windungen des Meeresarmes, der ſich wie ein Fluß durch ſenkrechte kahle Felſen ſein Bett gegraben hat Dieſer merkwürdige Anblick erinnert an die phantaſtiſche Landſchaft, die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrunde ſeines berühmten Bildniſſes der Joconda! angebracht hat. Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beob— achten, in dem die Sonnenſcheibe den Meereshorizont berührte. Die erſte Berührung fand ſtatt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Sefun: den, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sek. mittlere Zeit. Dieſe Beobachtung, die für die Theorie der irdiſchen Strahlen— brechung nicht ohne Belang iſt, wurde auf dem Gipfel des Berges in 577 m abjoluter Höhe angeſtellt. Mit dem Unter: gang der Sonne trat eine ſehr raſche Abkühlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten ſcheinbaren Berührung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel der Thermometer plötz— lich von 25,2“ auf 21,30. Wurde dieſe auffallende Abkühlung etwa durch einen aufſteigenden Strom bewirkt? Die Luft war indeſſen ruhig und kein wagerechter Luftzug zu bemerken. 1 Mona Liſa, Gattin des Francesco del Giocondo. — 222 — Die Nacht brachten wir in einem Hauſe zu, wo ein Militärpoſten von acht Mann unter einem ſpaniſchen Unter⸗ offizier liegt. Es iſt ein Hoſpiz, das neben einem Pulver⸗ magazin liegt und wo der Reiſende alle Bequemlichkeit findet. Dasſelbe Kommando bleibt 5 bis 6 Monate lang auf dem Berge. Man nimmt dazu vorzugsweiſe Soldaten, die Chacras oder Pflanzungen in der Gegend haben. Als nach der Ein— nahme der Inſel Trinidad durch die Engländer im Jahre 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, flüchteten ſich viele Einwohner nach Cumanacoa und brachten ihre wertvollſte Habe in Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Impoſible aufgeſchlagen. Man war entſchloſſen, bei einem plötzlichen feindlichen Ueberfall nach kurzem Widerſtand das Schloß San Antonio aufzugeben und die ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zuſammenzuziehen, der als der Schlüſſel der Llanos anzuſehen iſt. Die kriegeriſchen Ereig— niſſe, deren Schauplatz nach der ſeitdem eingetretenen poli— tiſchen Umwälzung dieſe Gegend wurde, haben bewieſen, wie richtig jener erſte Plan berechnet war. Der Gipfel des Impoſible iſt, ſo weit meine Beobachtung reicht, mit einem quarzigen, verſteinerungsloſen Sandſtein bedeckt. Die Schichten desſelben ſtreichen hier wie auf dem Rücken der benachbarten Berge ziemlich regelmäßig von Nord— Nord⸗Oſt nach Süd-Süd-Weſt. Dieſe Richtung iſt auch im Urgebirge der Halbinſel Araya und längs der Küſte von Venezuela die häufigſte. Am nördlichen Abhang des Impo— ſible, bei Penas Negras, kommt aus dem Sandſtein, der mit Schieferthon wechſellagert, eine ſtarke Quelle zu Tage. Man ſieht an dieſem Punkte von Nordweſt nach Südoſt ſtreichende, zerbrochene, faſt ſenkrecht aufgerichtete Schichten. Die Llaneros, das heißt die Bewohner der Ebenen, ſchicken ihre Produkte, namentlich Mais, Leder und Vieh über den Impoſible in den Hafen von Cumana. Wir ſahen raſch hinter— einander Indianer oder Mulatten mit Maultieren ankommen. Der einſame Ort erinnerte mich lebhaft an die Nächte, die ich oben auf dem St. Gotthard zugebracht. Es brannte an mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die rötlichen, halb in ungeheure Rauchwolken gehüllten Flam⸗ men gewährten das großartigſte Schauſpiel. Die Einwohner zünden die Wälder an, um die Weiden zu verbeſſern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erſtickt, das hier— zulande ſchon ſelten genug iſt. Häufig entſtehen auch un— a geheure Waldbrände durch die Unvorſichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zugen die Feuer, an denen ſie gekocht haben, nicht auslöſchen. Durch dieſe Zufälle ſind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume ſeltener ge— worden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, daß an verſchiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zu⸗ genommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, ſondern auch weil er nicht mehr ſo ſtark bewaldet iſt als zur Zeit der Eroberung. Ich ſtand nachts auf, um die Breite des Ortes nach dem Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu beſtimmen. Es war Mitternacht; ich ſtarrte vor Kälte, wie unſer Führer, und doch ſtand der Thermometer noch auf 19,7% In Cu⸗ mana ſah ich ihn nie unter 21° fallen; aber das Haus auf dem Impoſible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 503 m über dem Meeresſpiegel. Bei der Caſa de la Polvora beobachtete ich die Inklination der Magnetnadel; ſie war gleich 40,5. Die Zahl der Schwingungen in 10 Minuten Zeit betrug 233; die Intenſität der magnetiſchen Kraft hatte ſomit zwiſchen der Küſte und dem Berge zugenommen, was vielleicht von eiſenſchüſſigem Geſtein herrührte, das die auf dem Alpenkalk gelagerten Sandſteinſchichten enthalten mochten. Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Impoſible auf. Der Weg abwärts iſt für die Laſttiere ſehr gefährlich; der Pfad iſt meiſt nur 40 em breit und läuft beiderſeits an Abgründen hin. Im Jahre 1797 hatte man ſehr zweckmäßig beſchloſſen, von San Fernando bis an den Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war ſogar zu einem Dritteil bereits fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuße des Impoſible begonnen, und das ſchwie— rigſte Stück des Weges wurde gar nicht in Angriff genommen. Die Arbeit geriet aus einer der Urſachen ins Stocken, aus denen aus allen Fortſchrittsprojekten in den ſpaniſchen Kolonieen nichts wird. Verſchiedene Civilbehörden nahmen das Recht in Anſpruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abſtellte. Wenn man vom Impoſible herabkommt, ſieht man den Alpenkalk unter dem Sandſtein wieder zum Vorſchein kommen. Da die Schichten meiſt nach Süd und Südoſt fallen, ſo kommen am Südabhang des Berges ſehr viele Quellen zu — 224 — Tage. In der Regenzeit werden dieſe Quellen zu reißenden Bergſtrömen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Gecropia mit ſilberglänzenden Blättern niederſtürzen. Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich häufig vorkommt, iſt ein den europäiſchen Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur als Bauholz und iſt ſeit dem Jahre 1797 unter dem Namen Cascarilla oder Quinquina von Neuandaluſien berühmt ge— worden. Sein Stamm wird kaum 5 bis 6,5 m hoch; feine wechſelſtändigen Blätter ſind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine ſehr dünne, blaßgelbe Rinde iſt ein ausgezeichnetes Fieber— mittel; dieſelbe hat ſogar mehr Bitterkeit als die Rinden der echten Cinchonen, aber dieſe Bitterkeit iſt nicht ſo unange— nehm. Die Cuspa wird mit ſehr gutem Erfolg als wein: geiſtiger Extrakt und als wäſſeriger Aufguß ſowohl in Wechſel— fiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadiz einen anſehnlichen Vorrat davon geſchickt, und nach den kürzlichen Mitteilungen Don Pedro Francos, Pharmazeuten am Militär— ſpital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa für faſt ebenſo wirkſam erklärt, als die Duinquina von Santa Fe. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe ſie vor letzterer den Vorzug, daß ſie bei Kranken mit geſchwächtem Unterleib den Magen weniger angreife. Als wir aus der Schlucht, die ſich am Impoſible hin— abzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Flüſſe laufen, die man leicht durch— watet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeſte und den ſchlanken Stamm an den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden Dürr oder ſumpfig iſt, mehr oder weniger ſilberfarbige Blätter treibt. Wir ſahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün war. Die Wurzeln dieſer Bäume waren unter Büſchen von Dorſtenia verſteckt, die nur feuchte, ſchattige Orte liebt. Mitten im Walde, an den Ufern des Rio Erdeno, findet man, wie am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangen- bäume mit großen ſüßen Früchten wild wachſend. Es ſind wahrſcheinlich Ueberbleibſel einiger Conucas oder indianiſchen Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in dieſen Landſtrichen nicht zu den urſprünglich hier heimiſchen Ge— wächſen gerechnet werden, ſo wenig als der Piſang, der Me— lonenbaum, der Mais, der Manioc und ſo viele andere nutz— bare Gewächſe, deren eigentliche Heimat wir nicht kennen, obgleich fie den Menſchen ſeit uralter Zeit auf feinen Wan: derungen begleitet haben. Wenn ein eben aus Europa angekommener Reiſender zum erſtenmal die Wälder Südamerikas betritt, ſo hat er ein ganz unerwartetes Naturbild vor ſich. Alles, was er ſieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche berühmte Schriftſteller an den Ufern des Miſſiſſippi, in Florida und in anderen gemäßigten Ländern der Neuen Welt entworfen haben. Bei jedem Schritte fühlt er, daß er ſich nicht an den Grenzen der heißen Zone befindet, ſondern mitten darin, nicht auf einer der Antilliſchen Inſeln, ſondern auf einem gewaltigen Kontinent, wo alles rieſenhaft iſt, Berge, Ströme und Pflanzen— maſſen. Hat er Sinn für landſchaftliche Schönheit, ſo weiß er ſich von ſeinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechen— ſchaft zu geben. Er weiß nicht zu ſagen, was mehr ſein Staunen erregt, die feierliche Stille der Einſamkeit, oder die Schönheit der einzelnen Geſtalten und ihre Kontraſte, oder die Kraft und Fülle des vegetabiliſchen Lebens. Es iſt als hätte der mit Gewächſen überladene Boden gar nicht Raum genug zu ihrer Entwickelung. Ueberall verſtecken ſich die Baum— ſtämme hinter einem grünen Teppich, und wollte man all die Orchideen, die Pfeffer- und Pothosarten, die auf einem einzigen Heuſchreckenbaum oder amerikaniſchen Feigenbaum! wachſen, ſorgſam verpflanzen, jo würde ein ganzes Stück Land damit bedeckt. Durch dieſe wunderliche Aufeinanderhäufung erweitern die Wälder, wie die Fels- und Gebirgswände, das Bereich der organiſchen Natur. — Dieſelben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor und ſchwingen ſich, mehr als 30 m hoch, vom einen zum anderen. So kommt es, daß, da die Schmarotzergewächſe ſich überall durcheinander wirren, der Botaniker Gefahr läuft, Blüten, Früchte und Laub, die verſchiedenen Arten angehören, zu verwechſeln. Wir wanderten einige Stunden im Schatten dieſer Wöl— bungen, durch die man kaum hin und wieder den blauen Himmel ſieht. Er ſchien mir um ſo tiefer indigoblau, da das Grün der tropiſchen Gewächſe meiſt einen ſehr kräftigen, ins Bräunliche ſpielenden Ton hat. Zerſtreute Felsmaſſen waren mit einem großen Baumfarn bewachſen, der ſich vom Poly— podium arboreum der Antillen weſentlich unterſcheidet. Hier Ficus gigantea. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 15 ſahen wir zum erſtenmal jene Neſter in Geſtalt von Flaſchen oder kleinen Taſchen, die an den Aeſten der niedrigſten Bäume aufgehängt ſind. Es ſind Werke des bewundernswürdigen Bautriebes der Droſſeln, deren Geſang ſich mit dem heiſeren Geſchrei der Papageien und Aras miſchte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt ſind, flogen nur paarweiſe, während die eigentlichen Papageien in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen. Man muß in dieſen Ländern, beſonders in den heißen Thälern der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß zuweilen das Geſchrei dieſer Vögel das Brauſen der Berg— ſtröme, die von Fels zu Fels ſtürzen, übertönt. Gute 5 km vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde heraus. Ein ſchmaler Fußpfad führt auf mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemäßigten Himmelsſtrich hätten unter ſolchen Umſtänden Gräſer und Riedgräſer einen weiten Wieſen— teppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Waſſerpflanzen mit pfeilförmigen Blättern, beſonders von Cannaarten, unter denen wir die prachtvollen Blüten der Coſtus, der Thalien und Helikonien erkannten. Dieſe ſaftigen Gewächſe werden 2½ bis 3% m hoch, und wo ſie dicht beiſammen ſtehen, könnten ſie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herr— liche Bild eines Wieſengrundes und eines mit Blumen durch— wirkten Raſens iſt den niederen Landſtrichen der heißen Zone faſt ganz fremd und findet ſich nur auf den Hochebenen der Anden wieder. Bei San Fernando war die Verdunſtung unter den Strahlen der Sonne ſo ſtark, daß wir, da wir ſehr leicht gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer Jagua oder Guadua nennen und das über 13 m hoch wird. Nichts kann zierlicher ſein als dieſe baumartige Grasart. Form und Stellung der Blätter geben ihr ein Anſehen von Leichtig— keit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontraſtiert. Der glatte, glänzende Stamm der Jagua iſt meiſt den Bachufern zugeneigt und ſchwankt beim leiſeſten Luftzuge hin und her. So hoch auch das Rohr“ im mittäglichen Europa wächſt, jo gibt es doch keinen Begriff vom Ausſehen der baumartigen Gräſer, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung ſprechen 1 Arundo Donax. u ae laſſen, ſo möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzenge— ſtalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Rei— ſenden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn. Die oſtindiſchen Bambu, die Calumets des hauts! der Inſel Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht ſogar die rieſenhaften Arundinarien an den Ufern des Miſſiſſippi, gehören derſelben Pflanzengruppe an. In Amerika ſind aber die Bambuarten nicht ſo häuſig, als man gewöhnlich glaubt. In den Sümpfen und auf den großen unter Waſſer ſtehen— den Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo fehlen ſie faſt ganz, wogegen ſie im Nordweſten, in Neu— granada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte Wälder bilden. Der weſtliche Abhang der Anden erſcheint als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend iſt, wir haben ſie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere ge— legenen Landſtrichen, ſondern auch in den hohen Thälern der Kordilleren bis in 1680 m Meereshöhe angetroffen. Der Weg mit dem Bambugebüſch zu beiden Seiten führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer ſchmalen, von ſehr ſteilen Kalkſteinwänden umgebenen Ebene liegt. Es war die erſte Miſſion; die wir in Amerika betraten. Die Häuſer oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer ſind weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben. Die breiten geraden Straßen ſchneiden ſich unter rechten Win- keln; die ſehr dünnen, unſoliden Wände beſtehen aus Letten und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernſte ſchweigſame Weſen der Einwohner, die ausnehmende Rein— lichkeit in den Häuſern, alles erinnert an die Gemeinden der mähriſchen Brüder. Jede indianiſche Familie baut draußen vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den Conuco de la communidad. In dieſem arbeiten die Erwachſenen beider Geſchlechter morgens und abends je eine Stunde. In Bambusa, oder vielmehr Nastus alpina. 2 In den ſpaniſchen Kolonieen heißt Mis ion oder Pueblo de Mision eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Miſſionär, der Ordensgeiſtlicher iſt, den Gottesdienſt verſieht. Die indianiſchen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern ſtehen, heißen Pueblos de Doctrina. Man unterſcheidet noch weiter den Cura doctrinero, den Pfarrer einer indianiſchen Ge— meinde, und den Cura rector, den Pfarrer eines von Weißen oder Farbigen bewohnten Dorfes. — 228 — den Miſſionen, die der Küſte zu liegen, iſt der Gemeinde— garten meiſt eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der Miſſionär vorſteht, und deren Ertrag, wenn das Geſetz ſtreng befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur An— ſchaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem großen Platze mitten im Dorfe ſtehen die Kirche, die Woh— nung des Miſſionärs und das beſcheidene Gebäude, das pomp— haft Casa del Rey, „königliches Haus“, betitelt wird. Es iſt ein förmliches Karawanſerai, wo die Reiſenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt iſt. Die Casas del Rey findet man in allen ſpaniſchen Kolonieen, und man könnte meinen, ſie ſeien eine Nachahmung der nach dem Geſetze Manco-Capaes errichteten Tambos in Peru. Wir waren an die Ordensleute, die den Miſſionen der Chaymasindianer vorſtehen, durch ihren Syndikus in Cumana empfohlen. Dieſe Empfehlung kam uns deſto mehr zu ſtatten, als die Miſſionäre, ſei es aus Beſorgnis für die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchiſche Zucht der zudring— lichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Ver— ordnung feſthalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes ſich länger als eine Nacht in einem indianiſchen Dorfe auf— halten darf. Will man in den ſpaniſchen Miſſionen ange— nehm reiſen, ſo darf man ſich meiſt nicht allein auf den Paß des Madrider Staatsſekretariates oder der Civilbehörden ver— laſſen, man muß ſich mit Empfehlungen geiſtlicher Behörden verſehen; am wirkſamſten ſind die der Guardiane der Klöſter und der in Rom reſidierenden Ordensgenerale, vor denen die Miſſionäre weit mehr Reſpekt haben als vor den Biſchöfen. Die Miſſionen bilden, ich ſage nicht nach ihren urſprünglichen kanoniſchen Satzungen, aber thatſächlich eine jo ziemlich un— abhängige Hierarchie für ſich, die in ihren Anſichten ſelten mit der Weltgeiſtlichkeit übereinſtimmt. Der Miſſionär von San Fernando war ein ſehr bejahrter, aber noch ſehr kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende Körperrundung, ſein guter Humor, ſein Intereſſe für Gefechte und Belagerungen ſtimmten ſchlecht zu der Vorſtellung, die man ſich im Norden vom ſchwärmeriſchen Trübſinn und dem beſchaulichen Leben der Miſſionäre macht. So viel ihm auch eine Kuh zu thun gab, die des anderen Tages geſchlachtet werden ſollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unſere Hänge⸗ matten in einem Gange ſeines Hauſes zu befeſtigen. Er ſaß den größten Teil des Tages über in einem großen Armſtuhle von rotem Holz und beklagte ſich bitter über die Trägheit und Unwiſſenheit ſeiner Landsleute. Er richtete tauſenderlei Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, die ihm ſehr gewagt und zum wenigſten ganz unnütz ſchien. Hier wie am Orinoko wurde es uns ſehr beſchwerlich, daß ſich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die Kriege und politiſchen Stürme der Alten Welt immer noch ſo lebhaft intereſſieren. Unſer Miſſionär ſchien übrigens mit ſeiner an vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, ſah die Auen gedeihen, er pries in begeiſterten Worten das Waſſer, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unſere Inſtrumente, unſere Bucher und getrockneten Pflanzen ſah, konnte er ſich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er geſtand mit der in dieſem Klima landesüblichen Naivetät, von allen Genüſſen dieſes Lebens, den Schlaf nicht ausge— nommen, ſei doch gutes Kuhfleiſch, carne de vaca, der köſt— lichſte; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an geiſtiger Beſchäftigung fehlt. Oft bat uns unſer Wirt, mit ihm die Kuh zu beſuchen, die er eben gekauft hatte, und am anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir Jie nach Landes— ſitte 8 ſehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Häckſe, ehe man ihr das breite Meſſer in die Halswirbel ſieß So widrig dieſes Geſchäft war, ſo lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als 20 Minuten = Tier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur Piaſter gekoſtet, und dies galt für ſehr viel. Am a Tage hatte der Miſ— ſionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre— ren vergeblichen Verſuchen endlich am Fuß die Ader ge— ſchlagen, 18 Piaſter bezahlt. Dieſer Fall, ſo unbedeutend er ſcheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber im Preiſe ſteht. Die Miſſion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr— hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüſſe Manzanares und Lucasperez ſich vereinigen. Eine Feuers— brunſt, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in Aſche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem ſchönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die — ae Zahl der Familien iſt auf hundet geſtiegen, und der Miſſionär machte gegen uns die Bemerkung, daß der Brauch, die jungen Leute im 13. oder 14. Jahre zu verheiraten, zu dieſer raſchen Zunahme der Bevölkerung viel beitrage. Er zog in Abrede, daß die Chaymasindianer ſo früh altern, als die Europäer gewöhnlich glauben. Das Regierungsweſen in dieſen india— niſchen Gemeinden iſt übrigens ſehr verwickelt; ſie haben ihren Gobernador, ihre Alguazils Majors und ihre Milizoffiziere, und dieſe Beamten ſind lauter kupferfarbige Eingeborene. Die Schützencompagnie hat ihre Fahnen und übt ſich mit Bogen und Pfeilen im Zielſchießen; es iſt die Bürgerwehr des Landes. Solch kriegeriſche Anſtalten unter einem rein mön— chiſchen Regiment kamen uns ſehr ſeltſam vor. In der Nacht vom 5. September und am anderen Morgen lag ein dicker Nebel, und doch waren wir nur 195 m über dem Meeresſpiegel. Bevor wir aufbrachen, maß ich geometriſch den großen Kalkberg, der 1560 m ſüdlich von San Fernando liegt und nach Norden ſteil abfällt. Sein Gipfel iſt nur 419 m höher als der große Dorfplatz, aber kahle Felsmaſſen, die ſich aus der dichten Pflanzendecke erheben, geben ihm etwas ſehr Großartiges. Der Weg von San Fernando nach Cumana führt über kleine Pflanzungen durch ein offenes feuchtes Thal. Wir wateten durch viele Bäche. Im Schatten ſtand der Thermo— meter nicht über 30°, wir waren aber unmittelbar den Sonnen: ſtrahlen ausgeſetzt, weil die Bambu am Wege nur wenig Schutz gewähren und wir hatten ſtark von der Hitze zu leiden. Wir kamen durch das Dorf Arenas, das von Indianern des— ſelben Stammes wie die von San Fernando bewohnt iſt; aber Arenas iſt keine Miſſion mehr; die Eingeborenen ſtehen unter einem Pfarrer und ſind nicht ſo nackt und kultivierter als jene. Ihre Kirche iſt im Lande wegen einiger rohen Malereien bekannt; auf einem ſchmalen Fries ſind Gürtel— tiere, Kaimane, Jaguare und andere Tiere der Neuen Welt abgebildet. In dieſem Dorfe wohnt ein Landmann Namens Francisco Lozano, der eine phyſiologiſche Merkwürdigkeit iſt, und der Fall macht Eindruck auf die Einbildungskraft, wenn er auch den bekannten Geſetzen der organiſchen Natur vollkommen entſpricht. Der Mann hat einen Sohn mit ſeiner eigenen Milch aufgezogen. Die Mutter war krank geworden, da nahm der Vater das Kind, um es zu beruhigen, zu ſich ins — 231 — Bett und drückte es an die Bruſt. Lozano, damals zweiund— dreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, daß er Milch gab, aber infolge der Reizung der Bruſtwarze, an der das Kind ſaugte, ſchoß die Milch ein. Dieſelbe war fett und ſehr ſüß. Der Vater war nicht wenig erſtaunt, als ſeine Bruſt ſchwoll, und ſäugte fortan das Kind fünf Monate lang zwei⸗, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerk— ſam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde aus- zubeuten, wie er wohl in Europa gethan hätte. Wir ſahen das Protokoll, das über den merkwürdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desſelben leben noch, und ſie verſicherten uns, der Knabe habe während des Stillens nichts bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hauſe, als wir die Miſſionen bereiſten, beſuchte uns aber in Cumana. Er kam mit ſeinem Sohne, der ſchon 13 bis 14 Jahre alt war. Bonpland unterſuchte die Bruſt des Vaters genau und fand ſie runzlig, wie bei Weibern, die geſäugt haben. Er bemerkte, daß beſonders die linke Bruſt ſehr ausgedehnt war, und Lozano erklärte dies aus dem Umſtande, daß niemals beide Brüſte gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausführliche Beſchreibung des Falles nach Cadiz geſchickt. N Es kommt bei Menſchen und Tieren nicht gar ſelten vor, daß die Bruſt männlicher Individuen Milch enthält, und das Klima ſcheint auf dieſe mehr oder weniger reichliche Abſon— derung keinen merkbaren Einfluß zu äußern. Die Alten er— zählen von der Milch der Böcke auf Lemnos und Corſica; noch in neueſter Zeit war in Hannover ein Bock, der jahre— lang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der ver— meintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die Reiſen— den auch auf, daß die Männer Milch in den Brüſten haben.! Es iſt indeſſen höchſt unwahrſcheinlich, daß ſolches bei einem ganzen Volksſtamm in irgend einem der heutigen Reiſenden unbekannten Landſtrich Amerikas beobachtet worden ſein ſollte, und ich kann verſichern, daß der Fall gegenwärtig in der Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in Arenas, deſſen Geſchichte wir ſoeben erzählt, ı Man hat ſogar alles Ernſtes behauptet, in einem Teile Bra: ſiliens werden die Kinder von den Männern, nicht von den Weibern geſäugt. — 232 — iſt nicht vom kupferfarbigen Stamm der Chaymas, er iſt ein Weißer von europäiſchem Blut. Ferner haben Petersburger Anatomen die Beobachtung gemacht, daß Milch in den Brüſten der Männer beim niederen ruſſiſchen Volke weit häufiger vor⸗ kommt, als bei ſüdlicheren Völkern, und die Ruſſen haben nie für ſchwächlich und weibiſch gegolten. Es gibt unter den mancherlei Spielarten unſeres Ge— ſchlechtes eine, bei der der Buſen zur Zeit der Mannbarkeit einen anſehnlichen Umfang erhält. Lozano gehörte nicht dazu, und er verſicherte uns wiederholt, erſt durch die Reizung der Bruſt infolge des Saugens ſei bei ihm die Milch gekommen. Dadurch wird beſtätigt, was die Alten beobachtet haben: „Männer, die etwas Milch haben, geben ihrer in Menge, ſobald man an den Brüſten ſaugt.“! Dieſe ſonderbare Wir: kung eines Nervenreizes war den griechiſchen Schäfern bekannt; die auf dem Berge Oeta rieben den Ziegen, die noch nicht geworfen hatten, die Euter mit Neſſeln, um die Milch her— beizulocken. b a Ueberblickt man die Lebenserſcheinungen in ihrer Ge— ſamtheit, ſo zeigt ſich, daß keine ganz für ſich allein ſteht. In allen Jahrhunderten werden Beiſpiele erzählt von jungen, nicht mannbaren Mädchen oder von bejahrten Weibern mit eingeſchrumpften Brüſten, welche Kinder ſäugten. Bei Männern kommt ſolches weit ſeltener vor, und nach vielem Suchen habe ich kaum zwei oder drei Fälle finden können. Einer wird vom veroneſiſchen Anatomen Alexander Benedictus an— geführt, der am Ende des 15. Jahrhunderts lebte. Er er: zählt, ein Syrier habe nach dem Tode der Mutter ſein Kind, um es zu beſchwichtigen, an die Bruſt gedrückt. Sofort ſchoß die Milch ſo ſtark ein, daß der Vater ſein Kind allein ſäugen konnte. Andere Beiſpiele werden von Santorellus, Feria und Robert, Biſchof von Cork, berichtet. Da die meiſten dieſer Fälle ziemlich entlegenen Zeiten angehören, iſt es von In— tereſſe für die Phyſiologie, daß die Erſcheinung zu unſerer Zeit beſtätigt werden konnte. Sie hängt übrigens genau mit dem Streit über die Endurſachen zuſammen. Daß auch der Mann Brüſte hat, iſt den Philoſophen lange ein Stein des Anſtoßes geweſen, und noch neuerdings hat man geradezu behauptet: „Die Natur habe die Fähigkeit zu ſäugen dem einen 2 Aristoteles, Historia animalium Lib. III, c. 20. — 233 — Geſchlecht verſagt, weil dieſe Fähigkeit gegen die Wurde des Mannes wäre.“ In der Nähe der Stadt Cumanacoa wird der Boden ebener und das Thal nach und nach weiter. Die kleine Stadt liegt auf einer kahlen, faſt kreisrunden, von hohen Bergen umgebenen Ebene und nimmt ſich von außen ſehr trübſelig aus. Die Bevölkerung iſt kaum 2300 Seelen ſtark; zur Zeit des Paters Caulin im Jahre 1753 betrug ſie nur 600. Die Häuſer ſind ſehr niedrig, unſolid und, drei oder vier ausge— nommen, ſämtlich aus Holz. Wir brachten indeſſen unſere Inſtrumente ziemlich gut beim Verwalter der Tabaksregie, Don Juan Sanchez, unter, einem liebenswürdigen, geiſtig ſehr regſamen Manne. Er hatte uns eine geräumige bequeme Wohnung einrichten laſſen; wir blieben vier Tage hier und er ließ ſich nicht abhalten, uns auf allen unſeren Ausflügen zu begleiten. Cumanacoa wurde im Jahre 1717 von Domingo Arias gegründet, als er von einem Kriegszuge zurückkam, den er an die Mündung des Guarapiche unternommen, um eine von franzöſiſchen Freibeutern begonnene Niederlaſſung zu zerſtören. Die Stadt hieß anfangs San Baltazar de las Arias, aber der indiſche Name verdrängte jenen, wie der Name Caracas den Namen Santiago de Leon, den man noch häufig auf unſeren Karten ſieht, in Vergeſſenheit gebracht hat. Als wir den Barometer öffneten, ſahen wir zu unſerer Ueberraſchung das Queckſilber kaum 15,6 mm tiefer ſtehen als an der Küſte und doch ſchien das Inſtrument in ganz gutem Stande. Die Ebene, oder vielmehr das Plateau, auf dem Cumanacoa ſteht, liegt nicht mehr als 204 m über dem Meeresſpiegel, und dies iſt drei- oder viermal weniger, als man in Cumana glaubt, weil man dort von der Kälte in Cumanacoa die übertriebenſten Vorſtellungen hat. Aber der klimatiſche Unterſchied zwiſchen zwei ſo nahen Orten rührt vielleicht weniger von der hohen Lage des letzteren her als von örtlichen Verhältniſſen, wozu wir rechnen, daß die Wälder ſehr nahe, die niedergehenden Luftſtröme, wie in allen ein— geſchloſſenen Thälern, häufig, die Regenniederſchläge und die Nebel ſehr ſtark ſind, wodurch einen großen Teil des Jahres hindurch die unmittelbare Wirkung der Sonnenſtrahlen ge— ſchwächt wird. Da die Wärmeabnahme unter den Tropen und Sommers in der gemäßigten Zone ungefähr gleich iſt, fo ſollte der geringe Höhenunterſchied von 195 m nur einen Unterschied in der mittleren Temperatur von 1 bis 1¼ verurſachen; wir werden aber bald ſehen, daß derſelbe über 4% beträgt. Dieſes kühle Klima fällt um ſo mehr auf, da es noch in der Stadt Cartago, in Tomependa am Ufer des Amazonenſtromes und in den Thälern von Aragua, weſtwärts von Caracas, ſehr heiß iſt, lauter Orte, die in 390 bis 935 m abſoluter Meereshöhe liegen. In der Ebene wie im Gebirge laufen die Linien gleicher Wärme (Iſothermen) nicht immer dem Aequator oder der Erdoberfläche parallel, und darin beſteht eben die große Aufgabe der Meteorologie, den Lauf dieſer Linien zu ermitteln und durch alle von örtlichen Ur— ſachen bedingte Abweichungen hierdurch die konſtanten Geſetze der Wärmeverteilung zu erfaſſen. | Der Hafen von Cumana liegt von Cumanacoa nur etwa 11,5 km. Am erſteren Orte regnet es faſt nie, während an letzterem die Regenzeit 6 bis 7 Monate dauert. Die trockene Jahreszeit währt in Cumanacoa von der Winter: bis zur Sommer-Tag- und Nachtgleiche. Strichregen ſind im April, Mai und Juni ziemlich häufig; ſpäter wird es wieder ſehr trocken, vom Sommerſolſtitium bis Ende Auguſt; nunmehr tritt die eigentliche Regenzeit ein, die bis zum November anhält und in der das Waſſer in Strömen vom Himmel gießt. Nach der Breite von Cumanacoa geht die Sonne das eine Mal am 16. April, das andere Mal am 27. Auguſt durch den Zenith, und aus dem eben Angeführten geht her— vor, daß dieſe beiden Durchgänge mit dem Eintreten der großen Regenniederſchläge und der ſtarken elektriſchen Ent— ladungen zuſammenfallen. Unſer erſter Aufenthalt in den Miſſionen fiel in die Regenzeit. Jede Nacht war der Himmel mit ſchweren Wolken wie mit einem dichten Schleier umzogen, und nur durch Ritzen im Gewölk konnte ich ein paar Sternbeobachtungen anſtellen. Der Thermometer ſtand auf 18,5 bis 20°, und dies iſt in der heißen Zone und für das Gefühl des Reiſenden, der von der Küſte herkommt, bedeutend kühl. In Cumana ſah ich die Temperatur bei Nacht niemals unter 21° ſinken. Der Delueſche Hygrometer zeigte in Cumanacoa 85°, und, was auffallend iſt, ſobald das Gewölk ſich zerſtreute und die Sterne in ihrer ganzen Pracht leuchteten, ging das Inſtru— ment auf 55° zurück. Gegen Morgen nahm die Temperatur wegen der ſtarken Verdunſtung nur langſam zu und noch um 10 Uhr war ſie nicht über 21%. Am heißeſten iſt es von — 235 — Mittag bis 3 Uhr, wo dann der Thermometer auf 26 bis 27° ſteht. Zur Zeit der größten Hitze, etwa zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian, zog faſt regelmäßig ein Gewitter auf, das auch zum Ausbruch kam. Dicke, ſchwarze, ſehr niedrig ziehende Wolken löſten ſich in Regen auf; dieſe Güſſe dauerten 2 bis 3 Stunden, und während derſelben fiel der Thermometer um 5 bis 6°. Gegen 5 Uhr hörte der Regen ganz auf, die Sonne kam aber bis zum Untergang nicht leicht zum Vorſchein und der Hygrometer ging dem Trockenpunkte zu; aber um 8 oder 9 Uhr abends waren wir ſchon wieder in eine dicke Wolfen: ſchicht gehüllt. Dieſer Witterungswechſel erfolgt, wie man uns verſicherte, durchaus geſetzmäßig monatelang einen Tag wie den anderen, und doch läßt ſich nicht der geringſte Luft— zug ſpüren. Nach vergleichenden Beobachtungen muß ich annehmen, daß es in Cumanacoa bei Nacht um 2 bis 3, bei Tage um 4 bis 5“ kühler iſt als in Cumana. Dieſe Unterſchiede ſind ſehr bedeutend, und wenn man ſtatt meteoro— logiſcher Inſtrumente nur ſein Gefühl befragte, ſo würde man ſie für noch bedeutender halten. Die Vegetation auf der Ebene um die = iſt ſehr einförmig, aber infolge der großen Feuchtigkeit der Luft un- gemein friſch. Ihre Haupteigentümlichkeiten find ein baum- artiges Solanum, das 13 m hoch wird, die . baccifera und eine neue Art der Gattung Guettarda. Der Boden iſt ſehr fruchtbar und er wäre auch leicht zu bewäſſern, wenn man von den vielen Bächen, deren Quellen das ganze Jahr nicht verſiegen, Kanäle zöge. Das wichtigſte Erzeugnis iſt der Tabak, und nur dieſem verdankt es die kleine, ſchlecht gebaute Stadt, wenn ſie einen gewiſſen Ruf hat. Seit der Einführung der Pacht (Estanco real de Tabaco) im Jahre 1779 iſt der Tabaksbau in der Provinz Cumana faſt ganz auf Cumanacoa beſchränkt, wie er in Mexiko nur in den zwei Diſtrikten Orizaba und Cordova geſtattet iſt. Das Pacht⸗ tem iſt ein beim Volke äußerſt verhaßtes Monopol. Die ganze Tabaksernte muß an die Regierung verkauft werden, und um dem Schmuggel zu ſteuern, oder vielmehr nur ihn einzuſchränken, ließ man geradezu nur an einem Punkte Tabak bauen. Aufſeher ſtreifen durch das Land; ſie zerſtören jede Anpflanzung, die ſie außerhalb der zum Bau angewieſenen Diſtrikte finden, und geben die Unglücklichen an, die es wagen, ſelbſtgemachte Cigarren zu rauchen. Dieſe Aufſeher ſind meiſt — 236 — Spanier und faſt ebenſo grob wie die Menſchen, die in Europa dieſes Handwerk treiben. Dieſe Grobheit hat nicht wenig dazu beigetragen, den Haß zwiſchen den Kolonieen und dem Mutterlande zu ſchüren. Nach dem Tabak von der Inſel Cuba und dem vom Rio Negro hat der von Cumana am meiſten Arom. Er über⸗ trifft allen aus Neuſpanien und der Provinz Varinas. Wir teilen einiges über den Bau desſelben mit, weil er ſich weſent— lich vom Tabaksbau in Virginien unterſcheidet. Schon der Umſtand, daß im Thale von Cumanacoa die Gewächſe aus der Familie der Solaneen ſo ausnehmend ſtark entwickelt ſind, beſonders die vielen Arten von Solanum arborescens, von Aquartia und Cestrum weiſen darauf hin, daß hier der Boden für den Tabaksbau ſehr geeignet ſein muß. Die Aus— ſaat wird im September vorgenommen; zuweilen wartet man damit bis zum Dezember, was aber für den Ausfall der Ernte nicht ſo gut iſt. Die Wurzelblätter zeigen ſich am achten Tage; man bedeckt die jungen Pflanzen mit großen Helikonien- und Bananenblättern, um ſie der unmittelbaren Einwirkung der Sonne zu entziehen, und reutet das Unkraut, das unter den Tropen furchtbar ſchnell aufſchießt, ſorgfältig aus. Der Tabak wird ſofort einen und einen halben Monat, nachdem der Samen aufgegangen, in einen fetten, gut ge— lockerten Boden verſetzt. Die Pflanzen werden in geraden Reihen 1 bis 1,3 m voneinander geſteckt; man jätet ſie fleißig und köpft den Hauptſtengel mehrmals, bis bläulich grüne Flecken auf den Blättern als Wahrzeichen der Reife ſich zeigen. Im vierten Monat fängt man an ſie abzunehmen, und dieſe erſte Ernte iſt in wenigen Tagen vorüber. Beſſer wäre es, die Blätter nacheinander abzunehmen, ſo wie ſie trocken werden. In guten Jahren ſchneiden die Pflanzer den Stock, wenn er 13 m hoch iſt, ab, und der Wurzelſchoß treibt jo raſch neue Blätter, daß ſie ſchon am 13. oder 14. Tage ge⸗ erntet werden können. Dieſe haben ſehr lockeres Zellgewebe; ſie enthalten mehr Waſſer, mehr Eiweiß und weniger von dem ſcharfen, flüchtigen, im Waſſer ſchwer löslichen Stoff, an den die eigentümlich reizende Wirkung des Tabaks gebunden ſcheint. Der Tabak wird in Cumanacoa nach dem Verfahren behandelt, das bei den Spaniern de cura seca heißt. Man hängt die Blätter an Cocuizafaſern! auf, löſt die Rippen Agave Americana. a ab und dreht fie zu Strängen. Der zubereitete Tabak ſollte im Juni in die königlichen Magazine geſchafft werden, aber aus Faulheit und weil ſie dem Bau des Mais und des Manioc mehr Aufmerkſamkeit ſchenken, machen die Leute den Tabak ſelten vor Auguſt fertig. Begreiflich verlieren die Blätter an Arom, wenn ſie zu lange der feuchten Luft aus⸗ geſetzt bleiben. Der Verwalter läßt den Tabak 60 Tage unberührt in den königlichen Magazinen liegen; dann ſchneidet man die Bündel auf, um die Qualität zu prüfen. Findet der Verwalter den Tabak gut zubereitet, ſo bezahlt er dem Pflanzer für die Aroba von 12,5 kg 3 Piaſter. Dasſelbe Gewicht wird auf Rechnung der Krone für 12½ Piaſter wieder verkauft. Der faule (potrido) Tabak, d. h. der noch einmal gegärt hat, wird öffentlich verbrannt, und der Pflanzer, der von der königlichen Pacht Vorſchüſſe erhalten hat, kommt unwiderruflich um die Früchte ſeiner langen Arbeit. Wir ſahen auf dem großen Platze Haufen von 500 Arobas vernichten, aus denen man in Europa ſicher Schnupf— tabak gemacht hätte. Der Boden von Cumanacoa eignet ſich für dieſen Kul— turzweig ſo ausgezeichnet, daß der Tabak überall, wo der Same Feuchtigkeit findet, wild wächſt. So kommt er beim Cerro del Cuchivano und bei der Höhle von Caripe vor. In Cumanacoa, wie in den benachbarten Diſtrikten von Aricagua und San Lorenzo, wird übrigens nur die Tabaksart mit großen ſitzenden Blättern, der ſogenannte virginiſche Tabak,! gebaut. Ganz unbekannt iſt der Tabak mit geſtielten Blat⸗ tern,? der eigentliche Netl der alten Merikaner, den man in Deutſchland ſonderbarerweiſe türkiſchen Tabak nennt. Wäre der Tabaksbau frei, ſo könnte die Provinz Cumana einen großen Teil von Europa damit verjehen; ja, andere Diſtrikte ſcheinen ſich für die Erzeugung dieſer Kolonialware ganz ſo gut zu eignen wie das Thal von Cumanacoa, wo der übermäßige Regen nicht ſelten dem Arom der Blätter Eintrag thut. Gegenwärtig, wo der Tabaksbau auf ein paar Quadratkilometer beſchränkt it, beträgt der ganze Ertrag der Ernte nur 6000 Arobas. Die beiden Provinzen Cumana und Barcelona verbrauchen aber 12000, und der Ausfall wird aus dem ſpaniſchen Guyana gedeckt. In der Gegend 1 Nicotiana Tabacum. 2 Nicotiana rustica, — 238 — von Cumanacoa geben ſich im Durchſchnitt nur 1500 Perſonen mit dem Tabaksbau ab, lauter Weiße; die Eingeborenen vom Stamme der Chaymas laſſen ſich durch Ausſicht auf Gewinn ſelten dazu verlocken, auch hält es die Pacht nicht für ge— raten, denſelben Vorſchüſſe zu machen. Beſchäftigt man ſich mit der Geſchichte unſerer Kultur— pflanzen, ſo ſieht man mit Ueberraſchung, daß vor der Er— oberung der Gebrauch des Tabaks über den größten Teil von Amerika verbreitet war, während man die Kartoffel weder in Mexiko, noch auf den Antillen kannte, wo ſie doch in gebirgigen Lagen ſehr gut fortkommt. Ferner wurde in Portugal ſchon im Jahre 1559 Tabak gebaut, während die Kartoffel erſt am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahr⸗ hunderts in den europäiſchen Ackerbau überging. Letzteres Gewächs, das für das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft ſo bedeutſam geworden iſt, hat ſich auf beiden Kontinenten weit langſamer verbreitet als ein Produkt, das nur für einen Luxusartikel gelten kann. j Das wichtigſte Produkt nach dem Tabak ift im Thale von Cumanacoa der Indigo. Die Pflanzungen in Cumanacoa, San Fernando und Arenas liefern eine Ware, die im Handel noch geſchätzter iſt als der Indigo von Caracas; er kommt an Glanz und Fülle der Farbe oft dem Indigo von Guate— mala nahe. Aus letzterer Provinz iſt der Samen von Indigo- fera Anil, die neben Indigofera tinctoria gebaut wird, zu: erſt auf die Küſte von Cumana gekommen. Da im Thale von Cumanacoa ſehr viel Regen fällt, jo gibt eine 1,5 m hohe Pflanze nicht mehr Farbſtoff als eine dreimal kleinere in den trockenen Thälern von Aragua, weſtlich von der Stadt Caracas. Alle Indigofabriken, die wir geſehen, ſind nach demſelben Plane eingerichtet. Zwei Weichkuͤpen, in denen das Kraut „faulen“ ſoll, ſtehen nebeneinander. Jede mißt 1,5 qm und iſt 75 em tief. Aus dieſen oberen Kufen läuft die Flüſſigkeit in die Stampfkaſten, zwiſchen denen die Waſſer⸗ mühle angebracht iſt. Der Baum des großen Rades läuft zwiſchen dieſen Kaſten durch, und an ihm ſitzen an langen Stielen die Löffel zum Stampfen. Aus einer weiten Ab- jeihefüpe kommt der farbhaltige Bodenſatz in die Trocken⸗ kaſten und wird daſelbſt auf Brettern aus Braſilholz aus⸗ gebreitet, die mittels kleiner Rollen unter Dach gebracht werden können, wenn unerwartet Regen eintritt. Dieſe — 239 — geneigten, ſehr niedrigen Dächer geben den Trockenkaſten von weitem das Anſehen von Treibhäuſern. Im Thale von Cumanacoa verläuft die Gärung des Krautes, das man „faulen“ läßt, ungemein raſch. Sie währt meiſt nicht länger als 4 bis 5 Stunden. Dies kann nur von der Feuchtigkeit des Klimas herrühren und daher, daß während der Entwicke— lung der Pflanze die Sonne nicht ſcheint. Ich glaube auf meinen Reiſen die Bemerkung gemacht zu haben, daß je trockener das Klima iſt, die Kufe um ſo langſamer arbeitet und die Stengel zugleich deſto mehr Indigo auf der niederſten Oxydationsſtufe enthalten. In der Provinz Caracas, wo 562 Kubikfuß locker aufgeſchichteten Krautes 18 bis 20 kg trockenen Indigo geben, kommt die Flüſſigkeit erſt nach 20, 30 oder 35 Stunden in die Stampfe. Wahrſcheinlich er— hielten die Einwohner von Cumanacoa mehr Farbſtoff aus dem Kraute, wenn ſie dasſelbe länger in der erſten Kufe weichen ließen. Ich habe während meines Aufenthaltes in Cumana den etwas ſchweren kupferfarbigen Indigo von Cumanacoa und den von Caracas zur Vergleichung in Schwefelſäure aufgelöſt, und die Auflöſung des erſteren ſchien mir weit ſatter blau. Trotz der ausgezeichneten Beſchaffenheit der Produkte und der Fruchtbarkeit des Bodens iſt der Landbau in Cu— manacoa noch völlig in der Kindheit. Arenas, San Fer— nando und Cumanacoa bringen in den Handel nur 1500 kg Indigo, der im Lande 4500 Piaſter wert iſt. Es fehlt an Menſchenhänden und die ſchwache Bevölkerung nimmt durch die Auswanderung in die Llanos täglich ab. Dieſe uner— meßlichen Savannen nähren den Menſchen reichlich, weil ſich das Vieh dort ſo leicht vermehrt, während der Indigo- und Tabaksbau viel Sorge und Mühe macht. Der Ertrag des letzteren iſt deſto unſicherer, da die Regenzeit bald länger, bald kürzer dauert. Die Pflanzer ſind von der königlichen Pacht, die ihnen Vorſchüſſe macht, völlig abhängig, und hier, wie in Georgien und Virginien, baut man lieber Nahrungs— gewächſe als Tabak. Man hatte neuerdings der Regierung den Vorſchlag gemacht, auf königliche Koſten 500 Neger an— zuſchaffen und ſie den Pflanzern abzugeben, die imſtande wären, in 2 oder 3 Jahren den Ankaufspreis abzutragen. Dadurch hoffte man die jährliche Tabaksernte auf 15000 Arobas zu bringen. Zu meiner Freude habe ich viele Grund— eigentümer ſich gegen dieſes Projekt ausſprechen hören. Es — 240 — ſtand nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewiſſen Reihe von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Frei: heit ſchenken würde; deſto bedenklicher ſchien es, zumal nach den entſetzlichen Vorgängen auf San Domingo, die Sklaven— bevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weiſe Politik hat nicht ſelten dieſelben Folgen, wie die edelſten und ſeltenſten Regungen der Gerechtigkeit und Menſchenliebe. i Die mit Höfen und Indigo- und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von Cumanacoa iſt von Bergen umgeben, die beſonders gegen Süd höher anſteigen und für den Phyſiker und den Geologen gleich intereſſant ſind. Alles weiſt darauf hin, daß das Thal ein alter Seeboden iſt; auch fallen die Berge, welche einſt das Ufer desſelben bildeten, dem See zu ſenkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einem Abfluß. Beim Graben von Hausfundamenten ſtieß man bei Cumanacoa auf Schichten von Geſchieben, mit kleinen zweiſchaligen Mu— ſcheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger Perſonen ſind ſogar vor mehr als 30 Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen ge— funden worden, die 1,3 m lang waren und über 15 kg wogen. Die Indianer hielten ſie, wie noch heute das Volk in Europa, für Rieſenknochen, während die Halbgelehrten im Lande, die das Privilegium haben, alles zu erklären, alles Ernſtes verſicherten, es ſeien Naturſpiele und keiner großen Beachtung wert. Dieſe Leute beriefen ſich bei ihrer Behaup— tung auf den Umſtand, daß menſchliche Gebeine im Boden von Cumanacoa ſehr raſch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am Allerſeelentag läßt man Schädel aus den Kirch— höfen an der Küſte kommen, wo der Boden mit Salzen ge— ſchwängert iſt. Die vermeintlichen Rieſenknochen wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich danach um— geſehen; aber nach den foſſilen Knochen, die ich aus anderen Strichen Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau unterſucht worden, gehörten die rieſigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrſcheinlich einer ausgeſtorbenen Elefantenart an. Es kann befremden, daß dieſelben in ſo geringer Höhe über dem gegenwärtigen Waſſerſpiegel gefunden worden; denn es iſt ſehr merkwürdig, daß die foſſilen Reſte von Maſtodonten und Elefanten, die ich aus den tropiſchen Ländern von Mexiko, Neugranada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in tiefgelegenen Strichen (wo in gemäßigten Zonen Megatherien — 241 — am Rio Luxan! und in Virginien, große Maſtodonten am Ohio und foſſile Elefanten am Susquehanna vorkommen), ſondern auf den in 195 bis 450 m Höhe gelegenen Hoch— ebenen erhoben wurden. Als wir dem ſüdlichen Rand des Beckens von Cumanacoa zugingen, ſahen wir den Turimiquiri vor uns liegen. Eine ungeheure Felswand, das Ueberbleibſel eines alten Küſten⸗ ſtrichs, ſteigt mitten im Walde empor. Weiter nach Weſt, beim Cerro del Cuchivano, erſcheint die Bergkette wie durch ein Erdbeben auseinander geriſſen. Die Spalte iſt über 290 m breit und von ſenkrechten Felſen umgeben. Tief beſchattet von den Bäumen, deren verſchlungene Zweige nicht Raum haben, ſich auszubreiten, nahm ſich die Spalte aus wie eine durch einen Erdfall entſtandene Grube. Ein Bach, der Rio Juagua, läuft durch die Spalte, die ungemein maleriſch iſt und Risco del Cuchivano heißt. Der kleine Fluß ent: ſpringt 32 km weit gegen Südweſt am Fuße des Brigantin und bildet ſchöne Fälle, ehe er in die Ebene von Cumanacoa ausläuft. Wir beſuchten öfters einen kleinen Hof, Conuco de Ber: mudez, dem Erdſpalt von Cuchivano gegenüber. Man baut hier auf feuchtem Boden Bananen, Tabak und mehrere Arten von Baumwollenbäumen, beſonders die, deren Wolle nanking⸗ gelb iſt, und die auf der Inſel Margarita ſo häufig vorkommt. Der Eigentümer ſagte uns, der Erdſpalt ſei von Jaguaren bewohnt. Dieſe Tiere bringen den Tag in Höhlen zu und ſchleichen bei Nacht um die Wohnungen. Da ſie reichliche Nahrung haben, werden fie bis 2 m lang. Ein ſolcher Tiger hatte im verfloſſenen Jahre ein zum Hof gehöriges Pferd ver⸗ zehrt. Er ſchleppte ſeine Beute bei hellem Mondſchein über die Savanne unter einen ungeheuer dicken Ceibabaum. Vom Winſeln des verendenden Pferdes erwachten die Sklaven im 1 Das virginiſche Megatherium iſt der Megalonyx Jefferſons. Alle dieſe ungeheuren Knochen, die man auf den Ebenen der Neuen Welt, nördlich oder ſüdlich vom Aequator gefunden, gehören nicht der heißen, ſondern der gemäßigten Zone an. Andererſeits macht Pallas die Bemerkung, daß in Sibirien, alſo auch nördlich vom Wendekreis, foſſile Knochen in den gebirgigen Landesteilen gar nicht vorkommen. Dieſe eng miteinander verknüpften That⸗ ſachen ſcheinen den Weg zur Auffindung eines wichtigen geologiſchen Geſetzes zu bahnen. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 16 — 242 — Hofe. Sie rückten mitten in der Nacht aus, bewaffnet mit Spießen und Machetes“. Der Tiger lag auf ſeiner Beute und ließ ſie ruhig herankommen; er erlag erſt nach langem hartnäckigem Widerſtand. Dieſer Fall und viele andere, von denen wir an Ort und Stelle Kunde erhielten, zeigt, daß der große Jaguar? von Terra Firma, wie der Jaguarete in Paraguay und der eigentliche aſiatiſche Tiger, vor dem Men⸗ ſchen nicht fliehen, wenn ihm dieſer zu Leibe geht und die Zahl der Angreifenden ihn nicht ſcheu macht. Die Zoologen wiſſen jetzt, daß Buffon die größte amerikaniſche Katzenart ganz falſch beurteilt hat. Was der berühmte Schriftſteller von der, eigheit der Tiger der Neuen Welt jagt, gilt nur von den kleinen Oceloten, oder Pantherkatzen, und wir werden bald ſehen, daß am Orinoko der echte amerikaniſche Jaguar ſich zuweilen ins Waſſer ſtürzt, um die Indianer in ihren Pirogen anzugreifen. Dem Hofe Bermudez gegenüber liegen die Oeffnungen zweier geräumigen Höhlen im Erdſpalt des Cuchivano; von Zeit zu Zeit ſchlagen Flammen daraus empor, die man bei Nacht ſehr weit ſieht. Die benachbarten Berge ſind dann davon beleuchtet, und nach der Höhe der Felſen, über welche dieſe brennenden Dünſte hinaufreichen, wäre man verſucht, zu glauben, daß ſie mehrere hundert Fuß hoch werden. Beim letzten großen Erdbeben in Cumana war dieſe Erſcheinung von einem unterirdiſchen dumpfen, anhaltenden Getöſe be— gleitet. Sie kommt vorzüglich in der Regenzeit vor, und die Beſitzer der dem Berge Cuchivano gegenüber liegenden Pflan⸗ zungen verſichern, die Flammen zeigen ſich ſeit dem Dezember 1797 häufiger. Auf einer botaniſchen Exkurſion nach Rinconada ver⸗ ſuchten wir vergeblich in die Spalte einzudringen. Wir hätten die Felſen, die in ihrem Schoße die Urſachen dieſes merk— Große Meſſer mit ſehr langen Klingen, ähnlich den Jagd—⸗ meſſern. In der heißen Zone geht man nicht ohne Machete in den Wald, ſowohl um die Lianen und Baumäſte abzuhauen, die einem den Weg ſperren, als um ſich gegen wilde Tiere zu ver: teidigen. 2 Felis Onca, Linné, die Buffon panthere oillee nennt und in Afrika zu Hauſe glaubt. Wir werden ſpäter Gelegenheit haben, auf dieſen für die Zoologie und Tiergeographie wichtigen Punkt zurückzukommen. a würdigen Feuers zu bergen ſchienen, gerne näher unterſucht; aber die üppige Vegetation, die ineinander geſchlungenen Lianen und Dornſträucher ließen uns nicht vorwärts kommen. Zum Glück nahmen die Bewohner des Thals lebhaften An— teil an unſeren Forſchungen, nicht ſowohl weil ſie ſich vor einem vulkaniſchen Ausbruch fürchteten, als weil ſie ſich in den Kopf geſetzt hatten, der Risco del Cuchivano enthalte eine Goldgrube. Es half nichts, daß wir ihnen auseinander: ſetzten, warum wir an Gold im Mufſchelkalk nicht glauben könnten; ſie wollten einmal wiſſen, „was der deutſche Berg— mann vom Reichtum des Erzgangs halte“. Seit Karls V. Zeit und ſeit die Welſer, die Alſinger und Sailer in Coro und Caracas als Statthalter geſeſſen, hat ſich in Terra Firma im Volk der Glaube an das beſondere bergmänniſche Ge— ſchick der Deutſchen erhalten. Wohin ich in Südamerika kam, überall, ſobald man erfuhr, wo ich her ſei, zeigte man mir Muſter von Erzen. In den Kolonien iſt jeder Franzoſe ein 5 u DON Arzt, jeder Deutſche ein Bergmann. ie Pflanzer bahnten mit ihren Sklaven einen Weg durch den Wald bis zum erſten Fall des Rio Juagua, und am 10. September machten wir unſeren Ausflug nach dem Risco del Cuchivano. Kaum hatten wir die Schlucht be— treten, ſo merkten wir, daß Tiger in der Nähe waren, ſowohl an einem friſch zerriſſenen Stachelſchwein, als am Geſtank ihres Kotes, der dem der europäiſchen Katze gleicht. Zur Vorſicht gingen die Indianer nach dem Hof zurück und brachten Hunde von ſehr kleiner Raſſe mit. Man behauptet, wenn man dem Jaguar auf ſchmalem Pfad begegne, ſpringe er zuerſt auf den Hund los, nicht auf den Menſchen. Wir ſtiegen nicht am Ufer des Baches, ſondern an der Felswand über dem Waſſer hinauf. Man geht an einem 65 bis 100 m tiefen Abgrund hin auf einem ganz ſchmalen Vorſprung, wie auf dem Wege von Grindelwald am Mettenberg hin zum großen Gletſcher. Wird der Vorſprung ſo ſchmal, daß man nicht mehr weiß, wohin man den Fuß ſetzen ſoll, ſo ſteigt man zum Bach hinunter, watet durch oder läßt ſich von einem Sklaven hinübertragen und klimmt an der anderen Bergwand weiter. Das Niederklettern iſt ziemlich mühſelig, und man darf ſich nicht auf die Lianen verlaſſen, die wie große Stricke von den Baumgipfeln niederhängen. Die Ranken- und Schmarotzergewächſe hängen nur locker an den Aeſten, die ſie umſchlingen; ihre Stengel haben zuſammen ein ganz anſehn— — 2 liches Gewicht, und wenn man auf abſchüſſigem Boden ſich mit dem Körper an Lianen hängt, läuft man Gefahr, eine ganze grüne Laube niederzureißen. Je weiter wir kamen, deſto dichter wurde die Vegetation. An mehreren Stellen hatten die Baumwurzeln, die in die Spalten zwiſchen den Schichten hineingewachſen waren, das Kalkgeſtein zerſprengt. Wir konnten kaum die Pflanzen fortbringen, die wir bei jedem Schritte aufnahmen. Die Canna, die Helikonen mit ſchönen purpurnen Blüten, die Coſtus und andere Gewächſe aus der Familie der Amomeen werden hier 2,6 bis 3,25 m hoch. Ihr helles, friſches Grün, ihr Seidenglanz und ihr ſtrotzendes Fleiſch ſtechen grell ab vom bräunlichen Ton des Baumfarns mit dem zartgefiederten Laub. Die Indianer hieben mit ihren großen Meſſern Kerben in die Baumſtämme und machten uns auf die Schönheit der roten und goldgelben Hölzer aufmerk— ſam, die einſt bei unſeren Möbelſchreinern und Drehern ſehr geſucht ſein werden. Sie zeigten uns ein Gewächs mit zu— ſammengeſetzter Blüte, das 6,5 m hoch iſt (Eupatorium laevigatum, Lamarck), die fogenannte Roſe von Belveria (Brownea racimosa) „F berühmt wegen ihrer herrlichen purpur⸗ roten Blüten, und das einheimiſche Drachenblut, eine noch nicht beſchriebene Art Kroton, deren roter, adſtringierender Saft zur Stärkung des Zahnfleiſches gebraucht wird. Sie unterſchieden die Arten von dem Geruch, beſonders aber durch Kauen der Holzfaſern. Zwei Eingeborene, denen man das⸗ ſelbe Holz zu kauen gibt, es. meiſt ohne ſich zu beſinnen, denſelben Namen aus. Wir konnten übrigens von den ſcharfen Sinnen unſerer Führer nicht viel Nutzen ziehen; denn wie ſoll man zu Blättern, Blüten oder Früchten gelangen, die auf Stämmen wachſen, deren erſten Aeſte 16,20 m über dem Boden ſind? Mit Ueberraſchung ſieht man in dieſer Schlucht die Baumrinde, ſogar den Boden mit Mooſen und Flechten überzogen. Dieſe Kryptogamen ſind hier ſo häufig wie im Norden. Die feuchte Luft und der Mangel an direktem Sonnenlicht begünſtigen ihre Entwickelung, und doch beträgt die Temperatur bei Tag 25, bei Nacht 19°. Die angebliche Goldgrube von Cuchivano, die wir unter: ſuchen ſollten, iſt nichts als ein Loch, das man in eine der ſchwarzen, an Schwefellies zeichen Mergelſchichten im Kalk zu graben angefangen. Das Loch liegt auf der rechten Seite des Rio Juagua, an einem Punkt, wohin man vorſichtig klettern muß, weil der Bach hier über 2,5 m tief iſt. Der 245 — Schwefelkies iſt hell goldgelb, und man ſieht ihm nicht an, daß er Kupfer enthält. Die Mergelſchicht, in der er vor— kommt, ſtreicht über den Bach hinüber. Das Waſſer ſpült die metalliſch glänzenden Körner aus, und deshalb glaubt das Volk, der Bach führe Gold. Man erzählt, nach dem großen Erdbeben im Jahre 1766 habe das Waſſer des Juagua ſo viel Gold geführt, daß Männer, „die weit hergekommen, und von denen man nicht gewußt, wo ſie zu Hauſe ſeien“, Gold— wäſchen angelegt hätten; ſie ſeien aber bei Nacht und Nebel verſchwunden, nachdem ſie eine Menge Gold geſammelt. Es braucht keines Beweiſes, daß dies ein Märchen iſt; die Kieſe in den Quarzgängen des Glimmerſchiefers ſind allerdings ſehr oft goldhaltig; aber nichts berechtigt bis jetzt zur Annahme, daß der Schwefelkies im Mergelſchiefer des Alpenkalks gleich— falls Gold enthalte. Einige direkte Verſuche auf naſſem Wege, die ich während meines Aufenthaltes in Caracas angeſtellt, thun dar, daß der Schwefelkies von Cuchivano durchaus nicht goldhaltig iſt. Unſeren Führern behagte mein Unglaube ſehr ſchlecht; ich hatte gut ſagen, aus dieſer angeblichen Goldgrube könnte man höchſtens Alaun und Eiſenvitriol gewinnen; ſie laſen nichtsdeſtoweniger heimlich jedes Stückchen Schwefelkies auf, das ſie im Waſſer glänzen ſahen. Je ärmer ein Land an Erzgruben iſt, deſto leichter wird es in der Einbildung der Einwohner, die Schätze aus dem Schoße der Erde zu holen. Wie viele Zeit haben wir auf unſerer fünfjährigen Reiſe verloren, um auf das dringende Verlangen unſerer Wirte Schluchten zu unterſuchen, in denen ſchwefelkieshaltige Schichten ſeit Jahrhunderten den ſtolzen Namen Minas de oro führen! Wie oft ſahen wir lächelnd zu, wenn Leute aller Stände, Beamte, Dorfgeiſtliche, ernſte Miſſionäre mit un— ermüdlicher Geduld Hornblende oder gelblichen Glimmer zer— ſtießen, um mittels Queckſilber das Gold auszuziehen! Die leidenſchaftliche Gier, mit der man nach Erzen ſucht, er— ſcheint doppelt auffallend in einem Lande, wo man den Boden kaum umzuwenden braucht, um ihm reiche Ernten zu entlocken. N Nachdem wir den Schwefelkies am Rio Juagua unter— ſucht, gingen wir weiter in der Schlucht hinauf, die ſich wie ein enger, von ſehr hohen Bäumen beſchatteter Kanal fort— zieht. Nach ſehr beſchwerlichem Marſche und ganz durch— näßt, weil wir ſo oft über den Bach gegangen waren, langten wir am Fuße der Höhlen des Cuchivano an, aus — 246 — denen man vor einigen Jahren die Flammen hatte brechen ſehen. 1560 m hoch ſteigt ſenkrecht eine Felswand auf. In einem Landſtrich, wo der üppige Pflanzenwuchs überall den Boden und das Geſtein bedeckt, kommt es ſelten vor, daß ein großer Berg in ſenkrechtem Durchſchnitte ſeine Schichten zeigt. Mitten in dieſem Durchſchnitte, leider dem Menſchen unzugänglich, liegen die Spalten, die zu zwei Höhlen führen. Sie ſollen von denſelben Nachtvögeln bewohnt ſein, die wir bald in der Cueva del Guacharo bei Caripe werden kennen lernen. Wir ruhten am Fuße der Höhlen aus. Hier ſah man die Flammen hervorkommen, welche in den letzten Jahren häufiger geworden ſind. Unſere Führer und der Pächter, ein verſtändiger, mit den Oertlichkeiten der Provinz wohlbekannter Mann, verhandelten nach der Weiſe der Kreolen über die Gefahr, der die Stadt Cumanacoa ausgeſetzt wäre, wenn der Cuchivano ein thätiger Vulkan würde, se veniesse a re- ventar. Es ſchien ihnen unzweifelhaft, daß ſeit dem größen Erdbeben von Quito und Cumana im Jahre 1797 Neu: Andaluſien vom unterirdiſchen Feuer immer mehr unterhöhlt werde. Sie brachten die Flammen zur Sprache, die man in Cumana hatte aus dem Boden ſchlagen ſehen, und die Stöße, die man jetzt an Orten empfindet, wo man früher nichts von Erdbeben wußte. Sie erinnerten daran, daß man in Maca- rapan ſeit einigen Monaten öfters Schwefelgeruch ſpüre. Auf dieſe und ähnliche Erſcheinungen, die uns damals in ihrem Munde auffielen, gründeten fie Prophezeiungen, die faſt ſämt⸗ lich in Erfüllung gegangen ſind. Entſetzliche Zerſtörungen haben im Jahre 1812 in Caracas ſtattgefunden, zum Beweis, welche gewaltige Unruhe im Nordoſten von Terra Firma in der Natur herrſcht. Was iſt wohl aber die Urſache der feurigen Erſcheinungen, die man am Cuchivano beobachtet? Ich weiß wohl, daß man zuweilen die Luftſäule, die über der Mündung brennender Vulkane aufſteigt, in hellem Lichte glänzen ſieht. Dieſer Lichtſchein, den man von brennendem Waſſerſtoffgas herleitet, wurde von Chillo aus auf dem Gipfel des Cotopaxi zu einer Zeit beobachtet, wo der Berg ziemlich ruhig ſchien. Ich weiß, daß die Alten erzählen, auf dem Mons Albanus bei Rom, dem heutigen Monte Cavo, ſei zuweilen bei Nacht Feuer ge— ſehen worden; aber der Mons Albanus iſt ein erſt in neuerer Zeit erloſchener Vulkan, der noch zu Catos Zeit Rapilli aus⸗ he u ie warf, während der Cuchivano ein Kalkberg iſt in einer Gegend, wo weit und breit keine Trappbildungen vorkommen. Kann man jene Flammen etwa daraus erklären, daß das Waſſer, wenn es mit den Kieſen im Mergelſchiefer in Be⸗ rührung kommt, zerſetzt wird? Iſt das Feuer, das aus den Höhlen des Cuchivano kommt, brennendes Waſſerſtoffgas? Das Waſſer, das durch den Kalkſtein ſickert und durch die Schwefelſchichten zerſetzt wird, und die Erdbeben von Cumana, die Lager gediegenen Schwefels bei Carupano und die ſchweflig ſauren Dämpfe, die man zuweilen in den Savannen ſpürt: zwiſchen all dem ließe ſich leicht ein Zuſammenhang denken; es iſt auch nicht zu bezweifeln, daß, wenn ſich bei der ſtarken Affinität zwiſchen dem Eiſenoryd und den Erden bei hoher Temperatur Waſſer über Schwefelkieſen zerſetzt, die Entbindung von Waſſerſtoffgas erfolgen kann, welche mehrere neuere Geo— logen eine ſo wichtige Rolle ſpielen laſſen. Aber bei vul⸗ kaniſchen Ausbrüchen tritt weit konſtanter ſchweflichte Säure auf als Waſſerſtoff, und der Geruch, den man zuweilen bei ſtarken Erdſtößen verſpürt, iſt vorzugsweiſe der Geruch von ſchweflichter Säure. Ueberblickt man die vulkaniſchen Er⸗ ſcheinungen und die Erdbeben im ganzen, bedenkt man, in welch ungeheuren Entfernungen ſich die Stöße unter dem Meeresboden fortpflanzen, ſo läßt man bald Erklärungen fallen, die von unbedeutenden Schichten von Schwefelkies und bituminöſem Mergel ausgehen. Nach meiner Anſicht können die Stöße, die man in der Provinz Cumana ſo häufig ſpürt, ſo wenig den zu Tag ausgehenden Gebirgsarten zugeſchrieben werden, als die Stöße, welche die Apenninen erſchüttern, As⸗ phaltadern oder brennenden Erdölquellen. Alle dieſe Er: ſcheinungen hängen von allgemeineren, faſt hätte ich geſagt, tiefer liegenden Urſachen her, und der Herd der vulkaniſchen Wirkungen iſt nicht in den ſekundären Gebirgsbildungen, aus denen die äußere Erdrinde beſteht, ſondern in ſehr bedeutender Tiefe unter der Oberfläche in den Urgebirgsarten zu ſuchen. Je weiter die Geologie fortſchreitet, deſto mehr ſieht man ein, wie wenig man mit den Theorieen ausrichtet, die ſich auf wenige, rein örtliche Beobachtungen gründen. Nach Meridianhöhen des ſüdlichen Fiſches, die ich in der Nacht vom 7. September beobachtet, liegt Cumanacoa unter 1 Albano monte biduum continenter lapidibus pluit. Li- vius XXV, 7. % — 248 — 10° 16° 11“ der Breite; die Angabe der geſchätzteſten Karten iſt alſo um ½ Grad unrichtig. Die Neigung der Magnet⸗ nadel fand ich gleich 42,60“ und die Intenſität der mag⸗ netiſchen Kraft gleich 228 Schwingungen in zehn Zeitminuten; die Intenſität war demnach um neun Schwingungen oder "a; geringer als in Ferrol. Am 12. ſetzten wir unſere Reiſe nach dem Kloſter Caripe, dem Hauptort der Chaymasmiſſionen, fort. Wir zogen der geraden Straße den Umweg über die Berge Cocollar und Turimiquiri vor, die nicht viel höher ſind als der Jura. Der Weg läuft zuerſt oſtwärts 13,5 km über die Hochebene von Cumanacoa, den alten Seeboden, und biegt dann nach Süd ab. Wir kamen durch das kleine indianiſche Dorf Aricagua, das, von bewaldeten Hügeln umgeben, ſehr freundlich daliegt. Von hier an ging es bergauf, und wir hatten über vier Stunden zu ſteigen. Dieſes Stück des Weges iſt ſehr angreifend; man ſetzt 22mal über den Pututucuar, ein reißendes Bergwaſſer voll Kalkſteinblöcken. Hat man auf der Cueſta del Cocollar 650 m Meereshöhe erreicht, ſo ſieht man zu ſeiner Ueber— raſchung faſt keine Wälder oder auch nur große Bäume mehr. Man geht über eine ungeheure, mit Gräſern bewachſene Hoch— ebene. Nur Mimoſen mit halbkugeliger Krone und 1 bis 1,3 m hohem Stamme unterbrechen die öde Einförmigkeit der Savannen. Ihre Aeſte ſind gegen den Boden geneigt oder breiten ſich ſchirmartig aus. Ueberall, wo Abhänge oder halb mit Erde bedeckte Geſteinmaſſen ſich zeigen, breitet die Cluſia oder der Cupey mit den großen Nymphäenblüten ſein herr: liches Grün aus. Die Wurzeln dieſes Baumes haben zu— weilen 24 em Durchmeſſer und gehen oft ſchon 5 m über dem Boden vom Stamme ab. Nachdem wir noch lange bergan geſtiegen waren, kamen wir auf einer kleinen Ebene zum Hato del Cocollar. Es iſt dies ein Hof, der 793 m hoch ganz allein auf dem Plateau liegt. In dieſer Einſamkeit blieben wir drei Tage, vortrefflich verpflegt von dem Eigentümer,“ der vom Hafen von Cumana an unſer Begleiter geweſen war. Wir fanden daſelbſt bei der reichen Weide Milch, vortreffliches Fleiſch und vor allem ein herrliches Klima. Bei Tag ſtieg der hundertteilige Thermo— meter nicht über 22 oder 23°, kurz vor Sonnenuntergang fiel er auf 19, und bei Nacht zeigte er kaum 14“. Bei Nacht war Don Matthias Yturburi, ein geborener Biscayer. — 249 — es daher um 7° kühler als an der Küſte, was, da die Hochebene des Cocollar nicht jo hoch liegt als die Stadt Caracas, wiederum auf eine ausnehmend raſche Wärmeabnahme hinweiſt. So weit das Auge reicht, ſieht man auf dem hohen Punkte nichts als kahle Savannen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der ſchein— baren Einförmigkeit der Vegetation findet man ausnehmend viele ſehr intereſſante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüten, die Brownea eoceinea, die über 30 m hoch wird, und vor allen den Pejoa, der im Lande berühmt iſt, weil ſeine Blätter, wenn man ſie zwiſchen den Fingern zerreibt, einen köſtlichen, aromatiſchen Geruch von ſich geben. Was uns aber am meiſten am ein— ſamen Orte entzückte, das war die Schönheit und Stille der Nächte. Der Eigentümer des Hofes blieb mit uns wach. Er ſchien ſich daran zu weiden, wie Europäer, die eben erſt unter die Tropen gekommen, ſich nicht genug wundern konnten über die friſche Frühlingsluft, deren man nach Sonnenunter: gang hier auf den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern. wo der Menſch die Gaben der Natur noch voll zu ſchätzen weiß, preiſt der Grundeigentümer das Waſſer ſeiner Quelle, den geſunden Wind, der um den Hügel weht, und daß es keine ſchädlichen Inſekten gibt, wie wir in Europa uns der Vorzüge unſeres Wohnhauſes oder des maleriſchen Effektes unſerer Pflanzungen rühmen. Unſer Wirt war mit einer Mannſchaft, die an der Küſte des Meerbuſens von Paria Holzſchläge für die ſpaniſche Marine einrichten ſollte, in die Neue Welt gekommen. In den großen Mahagoni⸗, Cedrela⸗ und Braſilholzwäldern, die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man, die größten Stämme aus- zuſuchen, fie im Groben jo zuzuhauen, wie man ſie zum Schiffs— bau braucht, und ſie jährlich auf die Werfte von Caraques bei Cadiz zu ſchicken. Aber weiße, nicht akklimatiſierte Männer mußten der anſtrengenden Arbeit, der Sonnenglut und der ungeſunden Luft der Wälder erliegen. Dieſelben Lüfte, welche mit den Wohlgerüchen der Blüten, Blätter und Hölzer ge— ſchwängert ſind, führen auch den Keim der Auflöſung in die Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der königlichen Marine die Aufſeher der neuen Anſtalt weg und die Bucht, der die erſten Spanier wegen des trübſeligen, wilden Ausſehens der Küſte den Namen „Golfo triste“ gegeben, wurde das Grab der europäischen Seeleute. Unſer Wirt hatte das ſeltene Glück, dieſen Gefahren zu entgehen; nachdem er den größten Teil der Seinigen hatte hinſterben ſehen, zog er weit weg von der Küſte auf die Berge des Cocollar. Ohne Nachbarſchaft, im ungeſtörten Beſitze eines Savannenſtriches von 22 km, genießt er hier der Unabhängig- keit, wie die Vereinzelung ſie gewährt, und der Heiterkeit des Gemüts, wie ſie ſchlichten Menſchen eigen iſt, die in reiner, ſtärkender Luft leben. Nichts iſt dem Eindruck majeſtätiſcher Ruhe zu vergleichen, den der Anblick des geſtirnten Himmels an dieſem einſamen Ort in einem hinterläßt. Blickten wir bei Einbruch der Nacht hinaus über die Prärieen, die bis zum Horizont fortſtreichen, über die grün bewachſene, ſanft gewellte Hochebene, ſo war es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoko, als ſähen wir weit weg das geſtirnte Himmelsgewölbe auf dem Ozean ruhen. Der Baum, unter dem wir ſaßen, die leuchtenden Inſekten, die in der Luft tanzten, die glänzenden Sternbilder im Süden, alles mahnte uns daran, wie weit wir von der Heimaterde waren. Und wenn nun, inmitten dieſer fremd- artigen Natur, aus einer Schlucht herauf das Schellengeläute einer Kuh oder das Brüllen des Stieres zu unſeren Ohren drang, dann ſprang mit einmal der Gedanke an die Heimat in uns auf. Es war, als hörten wir aus weiter, weiter Ferne Stimmen, die über das Weltmeer herüberriefen und uns mit Zauberkraft aus einer Hemiſphäre in die andere ver: ſetzten. So wunderbar beweglich iſt die Einbildungskraft des Menſchen, die ewige Quelle ſeiner Freuden und ſeiner Schmerzen. In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimi: quiri zu beſteigen. So heißt der Gipfel des Cocollar, der mit dem Brigantin nur einen Gebirgsſtock bildet, welcher bei den Eingeborenen früher Sierra de los Tageres hieß. Man macht einen Teil des Weges auf Pferden, die frei in den Savannen laufen, zum Teil aber an den Sattel gewöhnt ſind. So plump ihr Ausſehen iſt, klettern ſie doch ganz flink den ſchlüpfrigſten Raſen hinauf. Wir machten zuerſt bei einer Quelle Halt, die nicht aus dem Kalkſtein, ſondern noch aus einer Schichte quarzigen Sandſteines kommt. Ihre Temperatur war 21°, alſo um 1,5“ geringer als die der Quelle von Quetepe; der Höhenunterſchied beträgt aber auch gegen 428 m. Ueberall, wo der Sandſtein zu Tage kommt, iſt der Boden — 251 — eben und bildet gleichſam kleine Plateaus, die wie Stufen übereinander liegen. Bis zu 1365 m und ſogar darüber iſt der Berg, wie alle in der Nachbarſchaft, nur mit Gräſern bewachſen. In Cumana ſchreibt man den Umſtand, daß keine Bäume mehr vorkommen, der großen Hitze zu; vergegen- wärtigt man ſich aber die Verteilung der Gewächſe in den Kordilleren der heißen Zone, ſo ſieht man, daß die Berg— gipfel in Neu⸗Andaluſien lange nicht zu der oberen Baumgrenze hinaufreichen, die in dieſer Breite mindeſtens 3120 m hoch liegt. Ja, der kurze Raſen zeigt ſich auf dem Cocollar ſtellen— weiſe ſogar ſchon bei 680 m über dem Meer, und man kann auf demſelben bis zu 1950 m Höhe gehen; weiter hinauf, über dieſem mit Gräſern bedeckten Gürtel, befindet ſich auf dem Menſchen faſt unzugänglichen Gipfeln ein Wäldchen von Cedrela, Savillo ! und Mahagonibäumen. Nach dieſen lokalen Verhältniſſen muß man annehmen, daß die Bergſavannen des Cocollar und Turimiquiri ihre Entſtehung nur der verderb— lichen Sitte der Eingeborenen verdanken, die Wälder anzu: zünden, die ſie in Weideland verwandeln wollen. Jetzt, da Gräſer und Alppflanzen ſeit dreihundert Jahren den Boden mit einem dicken Filz überzogen haben, können die Baum- ſamen ſich nicht mehr im Boden befeſtigen und keimen, ob- gleich Wind und Vögel fie fortwährend von entlegenen Wäl— dern in die Savannen herübertragen. Das Klima auf dieſen Bergen iſt ſo mild, daß beim Hofe auf dem Cocollar der Baumwollenbaum, der Kaffeebaum, ſogar das Zuckerrohr gut fortkommen. Trotz aller Behaup⸗ tungen der Einwohner an der Küſte iſt unter dem 10. Grad der Breite auf Bergen, die kaum höher ſind als der Mont Dore und der Puy de Dome, niemals Reif geſehen worden. Die Weiden auf dem Turimiquiri nehmen an Güte ab, je höher ſie liegen. Ueberall, wo zerſtreute Felsmaſſen Schatten bieten, kommen Flechten und verſchiedene ( europäiſche) Mooſe Hura crepitans, aus der Familie der Euphorbien. Dieſer Baum wird ungeheuer dick; im Thal von Curiepe zwiſchen Kap Codera und Caracas maß Bonpland Kufen aus Javilloholz, die > m lang und 2,5 m breit waren. Dieſe Kufen aus einem Stück dienen zur Aufbewahrung des Guarapo oder Zuckerrohrſaftes und der Melaſſe. Die Samen des Javillo ſind ein ſtarkes Gift, und die Milch, die aus dem Blütenſtengel quillt, wenn man ihn abbricht, hat uns oft Augenſchmerz verurſacht, wenn zufällig auch nur ein ganz klein wenig davon zwiſchen die Augenlider kam. vor. Melastoma xanthostachis und ein Strauch (Palicourea rigida), deſſen große, lederartige Blätter im Wind wie Perga⸗ ment rauſchen, wachſen hier und da in der Savanne. Aber die Hauptzierde des Raſens iſt ein Liliengewächs mit gold⸗ gelber Blüte, die Marica martinicensis. Man findet ſie in den Provinzen Cumana und Caracas meiſt erſt in 780-970 m Höhe. Die Gebirgsarten des Turimiquiri find ein Alpen- kalk, ähnlich dem bei Cumanacoa, und ziemlich dünne Schich— ten Mergel und quarziger Sandſtein. Im Kalkſtein ſind Klumpen von braunem Eiſenoxyd und Spateiſen eingeſprengt. An mehreren Stellen habe ich ganz deutlich beobachtet, daß der Sandſtein dem Kalk nicht nur aufgelagert iſt, ſondern daß beide nicht ſelten in Wechſellagerung vorkommen. Man unterſcheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die ſpitzen Piks oder Cucuruchos, die dicht bewaldet ſind, und wo es viele Tiger gibt, auf die man wegen des großen und ſchönen Fells Jagd macht. Den run⸗ den begraſten Gipfel fanden wir 1378 m hoch. Von dieſem Gipfel läuft nun nach Weſt ein ſteiler Felskamm aus, der 1,8 km von jenem durch eine ungeheure Spalte unterbrochen iſt, die gegen den Meerbuſen von Cariaco hinunterläuft. An der Stelle, wo der Kamm hätte weiter laufen ſollen, erheben ſich zwei Bergſpitzen aus Kalkſtein, von denen die nördliche die höhere tft. Dies iſt der eigentliche Cucurucho de Tu- rimiquiri, der für höher gilt als der Brigantin, der den Schiffern, die der Küſte von Cumana zuſteuern, ſo wohl be— kannt iſt. Nach Höhenwinkeln und einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen Gipfel zogen, maßen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn 680 m höher als unſeren Standort, ſo daß ſeine abſolute Höhe über 2047 m beträgt. Man genießt auf dem Turimiquiri einer der weiteſten und maleriſchten Ausſichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem, die parallel von Oſt nach Weſt ſtreichen und Längenthäler zwiſchen ſich haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Bergwaſſern ausgeſpülter Thäler unter rechtem Winkel münden, ſo ſtellen ſich die Seiten— ketten als Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegel— förmiger Höhen dar. Bis zum Impoſible ſind die Berghänge meiſt ziemlich ſanft; weiterhin werden die Abfälle ſehr ſteil und ſtreichen hintereinander fort bis zum Ufer des Meer- buſens von Cariaco. Die Umriſſe dieſer Gebirgsmaſſen er- n 4 — 253 — innern an die Ketten des Jura, und die einzige Ebene, die ſich darin findet, iſt das Thal von Cumanacoa. Es iſt, als ſähe man in einen Trichter hinunter, auf deſſen Boden unter zerſtreuten Baumgruppen das indianiſche Dorf Aricagua er— ſcheint. Gegen Nord hob ſich eine ſchmale Landzunge, die Halbinſel Araya, braun vom Meere ab, das, von den erſten Sonnenſtrahlen beleuchtet, ein glänzendes Licht zurückwarf. Jenſeits der Halbinſel begrenzte den Horizont das Vorgebirge Macanao, deſſen ſchwarzes Geſtein gleich einem ungeheuren Bollwerk aus dem Waſſer aufſteigt. Der Hof auf dem Cocollar am Fuße des Turimiquiri liegt unter 10° 9° 32“ der Breite. Die Inklination der Magnetnadel fand ich gleich 42° 10°. Die Nadel ſchwang 220 mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden Braun⸗ eiſenſteinmaſſen mögen die Intenſität der magnetiſchen Kraft um ein weniges ſteigern. Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Miſſion San Antonio hinunter. Der Weg führt anfangs über Sa— vannen, die mit großen Kalkſteinblöcken überſät ſind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei ſehr ſteile Berggräte überſtiegen, hat man ein ſchönes Thal vor ſich, das, 22,5 km lang, faſt durchaus von Oſt nach Weſt ſtreicht. In dieſem Thale liegen die Miſſionen San Antonio und Guana— guana. Erſtere iſt berühmt wegen einer kleinen Kirche aus Backſteinen, in erträglichem Stil, mit zwei Türmen und doriſchen Säulen. Sie gilt in der Umgegend für ein Wunder. Der Guardian der Kapuziner wurde mit dieſem Kirchenbau in nicht ganz zwei Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus ſeinem Dorfe dabei verwendet hatte. Die Säulenkapitäle, die Geſimſe und ein mit Sonnen und Arabesken gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermiſchtem Thon model— liert. Wundert man ſich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinſten griechiſchen Stil! anzutreffen, ſo überraſchen einen dergleichen erſte Kunſtverſuche noch mehr in einem Erdſtrich, wo noch alles den Stempel menſchlicher Urzuſtände trägt und von den Europäern erſt ſeit etwa vierzig Jahren der Grund zukünftiger Kultur gelegt wurde. Der Statthalter der Provinz mißbilligte es, daß in Miſſionen mit ſolchem Luxus gebaut werde, und zum großen Leidweſen der Mönche wurde die Kirche nicht ausgebaut. Die Indianer von San Antonio ſind In Sfelefiar bei Torneo. S. Buch, Reiſe in Norwegen. weit entfernt, ſolches gleichfalls zu beklagen; fie ſind insgeheim mit dem Spruche des Statthalters vollkommen einverſtanden, weil er ihrer natürlichen Trägheit behagt. Sie machen ſich ebenſowenig aus architektoniſchen Ornamenten als einſt die Eingeborenen in den Jeſuitenmiſſionen in Paraguay. Ich hielt mich in der Miſſion San Antonio nur auf, um auf den Barometer zu ſehen und ein paar Sonnenhöhen zu nehmen. Der große Platz liegt 430 m über Cumana. Jenſeits des Dorfes durchwateten wir die Flüſſe Colorado und Guarapiche, die beide in den Bergen des Cocollar ent: ſpringen und weiter unten, oſtwärts, ſich vereinigen. Der Colorado hat eine ſehr ſtarke Strömung und wird bei ſeiner Mündung breiter als der Rhein; der Guarapiche iſt, nachdem er den Rio Areo aufgenommen, über 90 m tief. An ſeinen Ufern wächſt eine ausnehmend ſchöne Grasart, die ich zwei Jahre ſpäter, als ich den Magdalenenſtrom hinauffuhr, ge— zeichnet habe. Der Halm mit zweizeiligen Blättern wird 5 bis 6,5 m hoch. Unſere Maultiere konnten ſich durch den dicken Moraſt auf dem ſchmalen ebenen Weg kaum durch⸗ arbeiten. Es goß in Strömen vom Himmel; der ganze Wald erſchien infolge des ſtarken anhaltenden Regens wie ein Sumpf. Gegen Abend langten wir in der Miſſion Guanaguana an, die ſo ziemlich in derſelben Höhe liegt wie das Dorf San Antonio. Es that ſehr not, daß wir uns trockneten. Der Miſſionär nahm uns ſehr herzlich auf. Es war ein alter Mann, der, wie es ſchien, ſeine Indianer ſehr verſtändig be— handelte. Das Dorf ſteht erſt ſeit dreißig Jahren am jetzigen Fleck, früher lag es weiter nach Süden und lehnte ſich an einen Hügel. Man wundert ſich, mit welcher Leichtigkeit man die Wohnſitze der Indianer verlegt. Es gibt in Südamerika Dörfer, die in weniger als einem halben Jahrhundert dreimal , den Ort gewechſelt haben. Den Eingeborenen knüpfen ſo ſchwache Bande an den Boden, auf dem er wohnt, daß er den Befehl, ſein Haus abzureißen und es anderswo wieder aufzubauen, gleichmütig aufnimmt. Ein Dorf wechſelt ſeinen Platz wie ein Lager. Wo es nur Thon, Rohr, Palmblätter und Helikonenblätter gibt, iſt die Hütte in wenigen Tagen wieder fertig. Dieſen gewaltſamen Aenderungen liegt oft nichts zu Grunde als die Laune eines friſch aus Spanien angekommenen Miſſionärs, der meint, die Miſſion ſei dem Fieber ausgeſetzt oder liege nicht luftig genug. Es iſt vor⸗ gekommen, daß ganze Dörfer mehrere Stunden weit verlegt — 255 — wurden, bloß weil der Mönch die Ausſicht aus ſeinem Hauſe nicht ſchön oder weit genug fand. Guanaguana hat noch keine Kirche. Der alte Geiſtliche, der ſchon ſeit dreißig Jahren in den Wäldern Amerikas lebte, äußerte gegen uns, die Gemeindegelder, d. h. der Ertrag der Arbeit der Indianer, müßten zuerſt zum Bau des Miſſions— hauſes, dann zum Kirchenbau und endlich für die Kleidung der Indianer verwendet werden. Er verſicherte in wichtigem Ton, von dieſer Ordnung dürfe unter keinem Vorwand ab— gegangen werden. Nun, die Indianer, die lieber ganz nackt gehen als die leichteſten Kleider tragen, können gut warten, bis die Reihe an ſie kommt. Die geräumige Wohnung des Pädre war eben fertig geworden, und wir bemerkten zu unſerer Ueberraſchung, daß das Haus, das ein plattes Dach hatte, mit einer Menge Kaminen wie mit Türmchen geziert war. Sie ſollten, belehrte uns unſer Wirt, ihn an ſein ge— liebtes Heimatland, und in der tropiſchen Hitze an die ara— goneſiſchen Winter erinnern. Die Indianer in Guanaguana bauen Baumwolle für ſich, für die Kirche und für den Miſſionär. Der Ertrag gilt als Gemeindeeigentum, und mit den Gemeinde— geldern werden die Bedürfniſſe des Geiſtlichen und die Koſten des Gottesdienſtes beſtritten. Die Eingeborenen haben höchſt einfache Vorrichtungen, um den Samen von der Baumwolle zu trennen. Es ſind hölzerne Cylinder von ſehr kleinem Durchmeſſer, zwiſchen denen die Baumwolle durchläuft, und die man wie Spinnräder mit dem Fuße umtreibt. Dieſe höchſt mangelhaften Maſchinen leiſten indeſſen gute Dienſte, und man fängt in den anderen Miſſionen an, ſie nachzuahmen. Ich habe anderswo, in meinem Werke über Mexiko, ausein— andergeſetzt, wie ſehr die Sitte, die Baumwolle mit dem Samen zu verkaufen, den Transport in den ſpaniſchen Ko— lonien erſchwert, wo alle Waren auf Maultieren in die See— häfen kommen. Der Boden iſt in Guanaguana ebenſo frucht— bar wie im benachbarten Dorfe Aricagua, das gleichfalls ſeinen indianiſchen Namen behalten hat. Eine Almuda (7030 qm) trägt in guten Jahren 25—30 Fanegas Mais, die Fanega zu 50 kg. Aber hier wie überall, wo der Segen der Natur die Entwickelung der Induſtrie hemmt, macht man nur ganz wenige Morgen Landes urbar, und kein Menſch denkt daran, mit dem Anbau der Nahrungspflanzen zu wechſeln. Die In— dianer in Guanaguana erzählten mir als etwas Ungewöhn— liches, im verfloſſenen Jahre ſeien ſie, ihre Weiber und Kinder — 256 — drei Monate lang al monte geweſen, d. h. ſie ſeien in den benachbarten Wäldern umhergezogen, um ſich von ſaftigen Pflanzen, von Palmkohl, von Farnwurzeln und wilden Baum: früchten zu nähren. Sie ſprachen von dieſem Nomadenleben ae wie von einem Notſtand. Nur der Miſſionär hatte dabei zu leiden gehabt, weil das Dorf ganz verlaſſen ſand und die Gemeindegenoſſen, als ſie aus den Wäldern wieder heimkamen, weniger lenkſam waren als zuvor. Das ſchöne Thal von Guanaguana läuft gegen Oſt in die Ebenen von Punzere und Terecen aus. Gerne hätten wir dieſe Ebenen beſucht, um die Quellen von Bergöl zwiſchen den Flüſſen Guarapiche und Areo zu unterſuchen; aber die Regenzeit war förmlich eingetreten, und wir hatten täglich vollauf zu thun, um die geſammelten Pflanzen zu trocknen und aufzubewahren. Der Weg von Guanaguana nach dem Dorfe Punzere führt entweder über San Felix, oder über Caycara und Guayuta, wo ſich ein Hato (Hof für Viehzucht) der Miſſionäre befindet. An letzterem Orte findet man, nach dem Bericht der Indianer, große Schwefelmaſſen, nicht in Gips oder Kalkſtein, ſondern in geringer Tiefe unter der Fläche des Bodens in Thonſchichten. Dieſes auffallende Vor⸗ kommen ſcheint Amerika eigentümlich; wir werden demſelben im Königreich Quito und in Neu-Granada wieder begegnen. Vor Punzere ſieht man in den Savannen Säckchen von Seiden— gewebe an den niedrigſten Baumäſten hängen. Es iſt dies die seda silvestre oder einheimiſche wilde Seide, die einen ſchönen Glanz hat, aber ſich ſehr rauh anfühlt. Der Nacht⸗ ſchmetterling, der ſie ſpinnt, kommt vielleicht mit denen in den Provinzen Guanaxuato und Antioquia überein, die gleich— falls wilde Seide liefern. Im ſchönen Walde von Punzere kommen zwei Bäume vor, die unter den Namen Curucay und Canela bekannt ſind; erſterer liefert ein von den Piajes oder indianiſchen Zauberern ſehr geſuchtes Harz, der zweite hat Blätter, die nach echtem Ceylonzimt riechen. Von Punzere läuft der Weg über Terecen und Neu-Palencia, das eine neue Niederlaſſung von Kanariern iſt, nach dem Hafen San Juan, der am rechten Ufer des Rio Areo liegt, und man muß in einer Piroge über dieſen Fluß ſetzen, wenn man zu den berühmten Bergölquellen von Buen Paſtor gehen will. Man beſchrieb ſie uns als kleine Schachte oder Trichter die ſich von ſelbſt im ſumpfigen Boden gebildet haben. Dieſe Erſcheinung erinnert an den Asphaltſee oder Chapapote — 257 — auf der Inſel Trinidad, der in gerader Linie von Buen Paſtor nur 64 km entfernt iſt. Nachdem wir eine Weile mit dem Verlangen gekämpft, den Guarapiche hinunter in den Golfo triste zu fahren, wandten wir uns gerade den Bergen zu. Die Thäler von Guanaguana und Caripe ſind durch eine Art Damm oder Grat aus Kalkſtein, der unter dem Namen Cuchilla de Guanaguana weit und breit berühmt iſt, voneinander ge- trennt.! Wir fanden den Uebergang beſchwerlich, weil wir damals noch nicht in den Kordilleren gereiſt waren, aber ſo gefährlich, als man ihn in Cumana ſchildert, iſt er feines- wegs. Allerdings iſt der Weg an mehreren Stellen nur 38 oder 40 em breit; der Bergſattel, über den er wegläuft, iſt mit kurzem, ſehr glattem Raſen bedeckt, die Abhänge zu beiden Seiten ſind ziemlich jäh, und wenn der Reiſende fiele, könnte er auf dem Graſe 220 bis 260 m hinunterrollen. Indeſſen find die Bergſeiten vielmehr nur ſtarke Böſchungen als eigentliche Abgründe, und die Maultiere hierzulande haben einen ſo ſicheren Gang, daß man ſich ihnen ruhig anvertrauen kann. Ihr Benehmen iſt ganz wie das der Saumtiere in der Schweiz und in den Pyrenäen. Je wilder ein Land iſt, deſto fein- fühliger und ſchärfer witternd wird der Inſtinkt der Haus— tiere. Spüren die Maultiere eine Gefahr, ſo bleiben ſie ſtehen und wenden den Kopf hin und her, bewegen die Ohren auf und ab; man ſieht, ſie überlegen, was zu thun ſei. Sie kommen langſam zum Entſchluß, aber derſelbe fällt immer richtig aus, wenn er frei iſt, das heißt, wenn ihn der Reiſende nicht unvorſichtigerweiſe ſtört oder übereilt. Wenn man in den Anden ſechs, ſieben Monate auf entſetzlichen Wegen durch die von den Bergwaſſern zerriſſenen Gebirge zieht, da ent— wickelt ſich die Intelligenz der Reitpferde und Laſttiere auf wahrhaft erſtaunliche Weiſe. Man kann auch die Gebirgs— bewohner ſagen hören: „Ich gebe Ihnen nicht das Maultier, das den bequemſten Schritt hat, ſondern das vernünftigſte, la mas racional.“ Dieſes Wort aus dem Munde des Volks, die Frucht langer Erfahrung, widerlegt das Syſtem, das in den Tieren nur belebte Maſchinen ſieht, wohl beſſer als alle Beweisführung der ſpekulativen Philoſophie. Auf dem höchſten Punkt des Kammes oder der Cuchilla Im ganzen ſpaniſchen Amerika bedeutet euchilla, Meſſer⸗ klinge, einen Bergkamm mit ſehr ſteilen Abhängen. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 17 — 258 — von Guanaguana angelangt, hatten wir eine intereſſante Fern⸗ ſicht. Wir überſahen mit einem Blick die weiten Prärieen oder Savannen von Maturin und am Rio Tigre, den Spitz⸗ berg Turimiquiri und zahlloſe parallel ſtreichende Bergketten, die von weitem einer wogenden See gleichen. Gegen Nordoſt öffnet ſich das Thal, in dem das Kloſter Caripe liegt. Sein Anblick iſt um ſo einladender, als es bewaldet iſt und ſo von den kahlen, nur mit Gras bewachſenen Bergen umher freundlich abſticht. Wir fanden die abſolute Höhe der Cuchilla gleich 1068 m; fie liegt alſo 641 m über dem Miſſionshaus von Guanaguana. Steigt man auf ſehr krummem Pfade vom Bergkamme nieder, ſo betritt man bald ein ganz bewaldetes Land. Der Boden iſt mit Moos und einer neuen Art Droſera bedeckt, die im Wuchs der Droſera unſerer Alpen gleicht. Je näher man dem Kloſter Caripe kommt, deſto dichter wird der Wald, deſto üppiger die Vegetation. Alles bekommt einen andern Charakter, ſogar die Gebirgsart, in der wir von Punta Delgada an geweſen waren. Die Kalkſteinſchichten werden dünner; ſie bilden Mauern, Geſimſe und Türme wie in Peru, im Pappen⸗ heimſchen und bei Oicow in Galizien. Es iſt nicht mehr Alpenkalk, ſondern eine Formation, welche jenem übergelagert iſt, analog dem Jurakalk. Der Weg von der Cuchilla herab iſt bei weitem nicht ſo lang als der hinauf. Wir fanden, daß das Thal von Caripe 390 m höher liegt als das Thal von Guanaguana. Ein Bergzug von unbedeutender Breite trennt zwei Becken; das eine iſt köſtlich kühl, das andere als furchtbar heiß ver: rufen. Solchen Kontraſten begegnet man in Mexiko, in Neu⸗ Granada und Peru häufig, aber im Nordoſten von Süd⸗ amerika ſind ſie ſelten. Unter allen hochgelegenen Thälern in Neu:Andalufien iſt auch nur das von Caripe! ſehr ſtark bewohnt. In einer Provinz mit ſchwacher Bevölkerung, wo die Gebirge weder eine ſehr bedeutende Maſſe, noch ausge⸗ dehnte Hochebenen haben, findet der Menſch wenig Anlaß, aus den Ebenen wegzuziehen und ſich in gemäßigteren Ge: birgsſtrichen niederzulaſſen. Abſolute Höhe des Kloſters 803 m. — er A N — Siebentes Kapitel. Das Kloſter Caripe. — Die Höhle des Guacharo. — Nachtvögel. Eine Allee von Perſeabäumen führte uns zum Hoſpiz der aragoneſiſchen Kapuziner. Bei einem Kreuze aus Braſil⸗ holz mitten auf einem großen Platze machten wir Halt. Das Kreuz iſt von Bänken umgeben, wo die kranken und ſchwachen Mönche ihren Roſenkranz beten. Das Kloſter lehnt ſich an eine ungeheure, ſenkrechte, dicht bewachſene Felswand. Das blendend weiße Geſtein blickt nur hin und wieder hinter dem Laube vor. Man kann ſich kaum eine maleriſchere Lage denken; ſie erinnerte mich lebhaft an die Thäler der Graf⸗ ſchaft Derby und an die höhlenreichen Berge von Muggen⸗ dorf in Franken. An die Stelle der europäiſchen Buchen und Ahorne treten hier die großartigeren Geſtalten der Ceiba und der Praga⸗ und Iraſſepalmen. Unzählige Quellen brechen aus den Bergwänden, die das Becken von Caripe kreisförmig umgeben und deren gegen Süd ſteil abfallende Hänge 320 m hohe Profile bilden. Dieſe Quellen kommen meiſt aus Spalten oder engen Schluchten hervor. Die Feuchtigkeit, die fie ver⸗ breiten, befördert das Wachstum der großen Bäume, und die Eingeborenen, welche einſame Orte lieben, legen ihre Conucos längs dieſer Schluchten an. Bananen und Melonenbäume ſtehen hier um Gebüſche von Baumfarn. Dieſes Durch⸗ einander von kultivierten und wilden Gewächſen gibt dieſen Punkten einen eigentümlichen Reiz. An den nackten Berg⸗ ſeiten erkennt man die Stellen, wo Quellen zu Tage kommen, ſchon von weitem an den dichten Maſſen von Grün, die an⸗ fangs am Geſtein zu hängen ſcheinen und ſich dann den Windungen der Bäche nach ins Thal hinunterziehen. Wir wurden von den Mönchen im Hoſpiz mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen. Der Pater Guardian war nicht zu Hauſe; aber er war von unſerem Abgange von — 260 — Cumana in Kenntnis geſetzt und hatte alles aufgeboten, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hoſpiz hat einen inneren Hof mit einem Kreuzgange, wie die ſpaniſchen Klöſter. Dieſer geſchloſſene Raum war ſehr bequem für uns, um unſere ee unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen im Kloſter zahlreiche Geſellſchaft: junge, vor kurzem aus Europa angekommene Mönche ſollten eben in die Miſſionen verteilt werden, während alte, kränkliche Miſſionäre in der ſcharfen, geſunden Gebirgsluft von Caripe Geneſung ſuchten. Ich wohnte in der Zelle des Guardians, in der ſich eine ziemlich anſehnliche Bücherſammlung befand. Ich fand hier zu meiner Ueberraſchung neben Feijos Teatro eritico und den „Erbau— lichen Briefen“ auch Abbé Nollets „Traité de l'électricité“. Der Fortſchritt in der geiſtigen Entwickelung iſt, ſollte man da meinen, ſogar in den Wäldern Amerikas zu ſpüren. Der jüngſte Kapuziner von der letzten Miffion! hatte eine ſpaniſche Ueberſetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte dieſes Werk in der Einſamkeit zu ſtudieren, in der er fortan für ſeine übrige Lebenszeit ſich ſelbſt überlaſſen ſein ſollte. Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einſam am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wiſſenstrieb wach und rege bleibt; aber ſo viel iſt ſicher und gereicht dem Geiſte des Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unſerem Aufenthalte in den Klöſtern und Miſſionen Amerikas nie eine Spur von Unduldſamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe wußten wohl, daß ich im proteſtantiſchen Deutſchland zu Hauſe war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimnis daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen, irgend eine unbeſcheidene Frage, irgend ein Verſuch, eine Kontroverſe anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindrucke der Gaſtfreundſchaft, welche die Mönche mit ſo viel Herzlichkeit und Offenheit übten, auch nur den geringſten Eintrag. Wir werden weiterhin unterſuchen woher dieſe Duldſamkeit der Miſſionäre rührt und wie weit ſie geht. Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines Geiſtlichen ſtehen, nennt man in den ſpaniſchen Kolonieen Miſſion auch die jungen Mönche, die miteinander aus einem ſpaniſchen Hafen abgehen, um in der Neuen Welt oder auf den Philippinen die Niederlaſſungen der Ordensgeiſtlichen zu ergänzen. Daher der Ausdruck: „in Cadix eine neue Miſſion holen.“ 3 Das Kloſter liegt an einem Orte, der in alter Zeit Areocuar hieß. Seine Meereshöhe iſt ungefähr dieſelbe wie die der Stadt Caracas oder des bewohnten Striches in den Blauen Bergen von Jamaika. Auch iſt die mittlere Tem: peratur dieſer drei Punkte, die alle unter den Tropen liegen, ſo ziemlich dieſelbe. In Caripe fühlt man das Bedürfnis, ſich nachts zuzudecken, beſonders bei Sonnenaufgang. Wir ſahen den hundertteiligen Thermometer um Mitternacht zwiſchen 16 und 17 ſtehen, morgens zwiſchen 19 und 20°. Gegen ein Uhr nachmittags ſtand er nur auf 21 bis 22,5“. Es iſt dies eine Temperatur, bei der die Gewächſe der heißen Zone noch wohl gedeihen; gegenüber der übermäßigen Hitze auf den Ebenen bei Cumana könnte man ſie eine Frühlingstemperatur nennen. Das Waſſer, das man in poröſen Thongefäßen dem Luftzuge ausſetzt, kühlt ſich in Caripe während der Nacht auf 13° ab. Ich brauche nicht zu bemerken, daß ſolches Waſſer einem faſt eiskalt vorkommt, wenn man in einem Tage entweder von der Küſte oder von den glühenden Savannen von Terezen ins Kloſter kommt und daher gewöhnt iſt, Flußwaſſer zu trinken, das meiſt 25 bis 26° warm iſt. Die mittlere Temperatur des Thales von Caripe ſcheint, nach der des Monats September zu ſchließen, 18,5“ zu ſein. Nach den Beobachtungen, die man in Cumana gemacht, weicht unter dieſer Zone die Temperatur des Septembers von der des ganzen Jahres kaum um einen halben Grad ab. Die mittlere Temperatur von Caripe iſt gleich der des Monats Juni zu Paris, wo übrigens die größte Hitze 10“ mehr be— trägt als an den heißeſten Tagen in Caripe. Da das Kloſter nur 780 m über dem Meere liegt, jo fällt es auf, wie raſch die Wärme von der Küſte an abnimmt. Wegen der dichten Wälder können die Sonnenſtrahlen nicht vom Boden abprallen, und dieſer iſt feucht und mit einem dicken Gras- und Moos— filz bedeckt. Bei anhaltend nebelichter Witterung iſt von Sonnenwirkung ganze Tage lang nichts zu ſpüren und gegen Einbruch der Nacht wehen friſche Winde von der Sierra del Guacharo ins Thal herunter. Die Erfahrung hat ausgewieſen, daß das gemäßigte Klima und die leichte Luft des Ortes dem Anbau des Kaffee— baumes, der bekanntlich hohe Lagen liebt, ſehr förderlich ſind. Der Superior der Kapuziner, ein thätiger, aufgeklärter Mann, hat in ſeiner Provinz dieſen neuen Kulturzweig eingeführt. Man baute früher Indigo in Caripe, aber die Pflanze, die ſtarke Hitze verlangt, lieferte hier jo wenig Farbſtoff, daß man es aufgab. Wir fanden im Gemeindeconuco viele Küchen— kräuter, Mais, Zuckerrohr und fünftauſend Kaffeeſtämme, die eine reiche Ernte verſprachen. Die Mönche hofften in wenigen Jahren ihrer dreimal ſo viel zu haben. Man ſieht auch hier wieder, wie die geiſtliche Hierarchie überall, wo ſie es mit den Anfängen der Kultur zu thun hat, in derſelben Richtung ihre Thätigkeit entwickelt. Wo die Klöſter es noch nicht zum Reich⸗ tum gebracht haben, auf dem neuen Kontinente wie in Gallien, in Syrien wie im nördlichen Europa, überall wirken ſie höchſt vorteilhaft auf die Urbarmachung des Bodens und die Ein— führung fremdländiſcher Gewächſe. In Caripe ſtellt ſich der Gemeindeconuco als ein großer, ſchöner Garten dar. Die Eingeborenen ſind gehalten, jeden Morgen von ſechs bis zehn Uhr darin zu arbeiten. Die Alkaden und Alguazile von indianiſchem Blute führen dabei die Aufſicht. Es ſind das die hohen Staatsbeamten, die allein einen Stock tragen dürfen und vom Superior des Kloſters angeſtellt werden. Sie legen auf jenes Recht ſehr großes Gewicht. Ihr pedantiſcher, ſchweigſamer Ernſt, ihre kalte, geheimnisvolle Miene, der Eifer, mit dem ſie in der Kirche und bei den Gemeinde— verſammlungen repräſentieren, kommt den Europäern höchſt luſtig vor. Wir waren an dieſe Züge im Charakter des Indianers noch nicht gewöhnt, fanden ſie aber ſpäter gerade ſo am Orinoko, in Mexiko und Peru bei Völkern von ſehr verſchiedenen Sitten und Sprachen. Die Alkaden kamen alle Tage ins Kloſter, nicht ſowohl um mit den Mönchen über Angelegenheiten der Miſſion zu verhandeln, als unter dem Vorwande, ſich nach dem Befinden der kürzlich angekommenen Reiſenden zu erkundigen. Da wir ihnen Branntwein gaben, wurden die Beſuche häufiger, als die Geiſtlichen gerne ſahen. Solange wir uns in Caripe und in den anderen Miſ— ſionen der Chaymas aufhielten, ſahen wir die Indianer überall milde behandeln. Im allgemeinen ſchien uns in den Miſſionen der aragoneſiſchen Kapuziner grundſätzlich eine Ordnung und eine Zucht zu herrſchen, wie ſie leider in der Neuen Welt ſelten zu finden ſind. Mißbräuche, die mit dem allgemeinen Geiſte aller klöſterlichen Anſtalten zuſammenhängen, dürfen dem einzelnen Orden nicht zur Laſt gelegt werden. Der Guardian des Kloſters verkauft den Ertrag des Gemeinde— conuco, und da alle Indianer darin arbeiten, ſo haben auch alle gleichen Teil am Gewinn. Mais, Kleidungsſtücke, Acker⸗ — 263 — geräte, und, wie man verſichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen verteilt. Dieſe Mönchsanſtalten haben, wie ich ſchon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der Mähriſchen Brüder; ſie fördern die Entwickelung in der Bil— dung begriffener Menſchenvereine, und in den katholiſchen Ge— meinden, die man Miſſionen nennt, wird die Unabhängigkeit der Familien und die Selbſtändigkeit der Genoſſenſchaftsglieder mehr geachtet als in den proteſtantiſchen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel. Am berühmteſten iſt das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kühle des Klimas, durch die große Cueva oder Höhle des Guacharo. In einem Lande, wo man jo großen Hang zum Wunderbaren hat, iſt eine Höhle, aus der ein Strom entſpringt und in der Tauſende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett man in den Miſſionen kocht, natürlich ein unerſchöpflicher Gegenſtand der Unterhaltung und des Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß ans Land geſetzt, ſo hört er zum Ueberdruſſe vom Augenſtein von Araya, vom Landmanne in Arenas, der ſein Kind ge— ſäugt, und von der Höhle des Guacharo, die mehrere Kilo— meter lang ſein ſoll. Lebhafte Teilnahme an Naturmerk— würdigkeiten erhält ſich überall, wo in der Geſellſchaft kein Leben iſt, wo in trübſeliger Eintönigkeit die alltäglichen Vor: era ſich ablöſen, bei denen die Neugierde keine Nahrung indet. Die Höhle, welche die Einwohner eine „Fettgrube“ nennen, liegt nicht im Thal von Caripe ſelbſt, ſondern etwa 13 km vom Kloſter gegen Weſt⸗Süd⸗Weſt. Sie mündet in einem Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, be— gleitet von den indianiſchen Alkaden und den meiſten Ordens— männern des Kloſters. Ein ſchmaler Pfad führte zuerſt anderthalb Stunden lang ſüdwärts über eine lachende, ſchön beraſte Ebene, dann wandten wir uns weſtwärts an einem kleinen Fluſſe hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht drei Viertelſtunden lang aufwärts bald im Waſſer, das nicht tief iſt, bald zwiſchen dem Fluß und einer Felswand, auf ſehr ſchlüpfrigem, moraſtigem Boden. Zahlreiche Erd— fälle, umherliegende Baumſtämme, über welche die Maultiere nur ſchwer hinüber kommen, die Rankengewächſe am Boden machen dieſes Stück des Weges ſehr ermüdend. Wir waren überraſcht, hier, kaum 970 m über dem Meere, eine Kreuz: — 264 — blüte zu finden, den Raphanus pinnatus. Man weiß, wie ſelten Arten dieſer Familie unter den Tropen ſind; ſie haben gleichſam einen nordiſchen Typus, und auf dieſen waren wir hier auf dem Plateau von Caripe, in ſo geringer Meeres— höhe, nicht gefaßt. Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt iſt, ſieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Waſſer eingegraben, und man geht unter einem Felſenüberhang, ſo daß man den Himmel gar nicht ſieht. Der Weg ſchlängelt ſich mit dem Fluß und bei der letzten Biegung ſteht man auf einmal vor der ungeheuren Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges ſelbſt für Augen, die mit der maleriſchen Szenerie der Hochalpen ver— traut ſind. Ich hatte damals die Höhlen am Pik von Derby: ſhire geſehen, wo man, in einem Nachen ausgeſtreckt, unter einem 60 em hohen Gewölbe über einen unterirdiſchen Fluß ſetzt. Ich hatte die ſchöne Höhle von Treſhemienſhiz in den Karpaten befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Fran: ken, die große Grabſtätten ſind für die Gebeine von Tigern, Hyänen und Bären, die ſo groß waren, wie unſere Pferde. Die Natur gehorcht unter allen Zonen unabänderlichen Ge— ſetzen in der Verteilung der Gebirgsarten, in der äußeren Geſtaltung der Berge, ſelbſt in den gewaltſamen Verände— rungen, welche die äußere Rinde unſeres Planeten erlitten hat. Nach dieſer großen Einförmigkeit konnte ich glauben, die Höhle von Caripe werde im Ausſehen von dem, was ich derart auf meinen früheren Reiſen beobachtet, eben nicht ſehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwar⸗ tung weit. Wenn einerſeits alle Höhlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was die unorganiſche Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit mit— einander haben, ſo gibt andererſeits der großartige tropiſche Pflanzenwuchs der Mündung eines ſolchen Erdenlochs einen ganz eigenen Charakter. Die Cueva del Guacharo öffnet ſich im ſenkrechten Profil eines Felſens. Der Eingang iſt nach Süd gekehrt; es iſt eine Wölbung 26 m breit und 23 hoch, alſo bis auf ein Fünfteil ſo 9500 als die Kolonnade des Louvre. Auf dem Fels über der Grotte ſtehen rieſenhafte Bäume. Der Mamei und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern ſtrecken ihre Aeſte gerade gen Himmel, während die des Courbaril — 265 — und der Erythrina ſich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden. Pothos mit ſaftigen Stengeln, Oxalis und Orchideen von ſeltſamem Bau! wachſen in den dürrſten Fels— ſpalten, während vom Winde geſchaukelte Rankengewächſe ſich vor dem Eingange der Höhle zu Gewinden verſchlingen. Wir ſahen in dieſen Blumengewinden eine violette Bignonie, das purpurfarbige Dolichos und zum erſtenmal die prachtvolle Solandra, deren orangegelbe Blüte eine über 10 em lange fleiſchige Röhre hat. Es iſt mit dem Eingange der Höhlen, wie mit der Anſicht der Waſſerfälle; der Hauptreiz beſteht in der mehr oder weniger großartigen Umgebung, die den Charakter der Landſchaft beſtimmt. Welcher Kontraſt zwiſchen der Cueva de Caripe und den Höhlen im Norden, die von Eichen und düſteren Lärchen beſchattet ſind! Aber dieſe Pflanzenpracht ſchmückt nicht allein die Außen— ſeite des Gewölbes, ſie dringt ſogar in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erſtaunen ſahen wir, daß 6 m hohe prächtige Helikonien mit Piſangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumarten die Ufer des Baches bis unter die Erde ſäumten. Die Vegetation zieht ſich in die Höhle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsſpalten in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht herrſcht, und ſie hört erſt 30 bis 40 Schritte vom Eingange auf. Wir maßen den Weg mittels eines trickes und waren gegen 140 m weit gegangen, ehe wir nötig hatten die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt ſo weit ein, weil die Höhle nur einen Gang bildet, der ſich in derſelben Richtung von Südoſt nach Nordweſt hinein— zieht. Da wo das Licht zu verſchwinden anfängt, hört man das heiſere Geſchrei der Nachtvögel, die, wie die Ein— geborenen glauben, nur in dieſen unterirdiſchen Räumen zu Hauſe ſind. Der Guacharo hat die Größe unſerer Hühner, die Stimme der Ziegenmelker und Proknias, die Geſtalt der geierartigen Vögel mit Büſcheln ſteifer Seide um den krummen Schnabel. Streicht man nach Cuvier die Ordnung der Picae (Spechte), jo iſt dieſer merkwürdige Vogel unter die Passeres zu ſtellen, deren Gattungen faſt unmerklich ineinander übergehen. Ich habe ihn im zweiten Band meiner Observations de zoologie et d' anatomie comparée in einer eigenen Abhandlung unter 1 Ein Dendrobium mit goldgelber, ſchwarzgefleckter, 8 em langer Blüte. dem Namen Steatornis (Fettvogel) beſchrieben. Er bildet eine neue Gattung, die ſich von Caprimulgus durch den Um— fang der Stimme, durch den ausnehmend ſtarken, mit einem doppelten Zahn verſehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwiſchen den vorderen Zehengliedern weſentlich unter— ſcheidet. In der Lebensweiſe kommt er ſowohl den Ziegen— melkern als den Alpenkrähen! nahe. Sein Gefieder iſt dunkel graublau, mit kleinen ſchwarzen Streifen und Tupfen; Kopf, Flügel und Schwanz zeigen große weiße, herzförmige, ſchwarz geſäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tages: licht nicht ertragen, ſie ſind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Flügel haben 17 bis 18 Schwungfedern und ihre Spannung beträgt 1,13 m. Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, beſonders bei Mondſchein. Es iſt ſo ziemlich der einzige körnerfreſſende Nachtvogel, den wir bis jetzt kennen; ſchon der Bau feiner Füße zeigt, daß er nicht jagt, wie unſere Eulen. Er frißt ſehr harte Samen, wie der Nuß— häher (Corvus cariocatactes) und der Pyrrhocorax. Letzterer niſtet auch in Felsſpalten und heißt der „Nachtrabe“. Die Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Inſekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Käfern), noch Nachtſchmetter— lingen nach, von denen die Ziegenmelker ſich nähren. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers fen aue um zu ſehen, daß ihre Lebensweiſe ganz verſchieden ein muß. N N Schwer macht man ſich einen Begriff vom furchtbaren Lärm, den Tauſende dieſer Vögel im dunkeln Inneren der Höhle machen. Er läßt ſich nur mit dem Geſchrei unſerer Krähen vergleichen, die in den nordiſchen Tannenwäldern geſellig leben und auf Bäumen niſten, deren Gipfel einander berühren. Das gellende durchdringende Geſchrei des Guacharo hallt wider vom Felsgewölbe und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Neſter der Vögel, indem ſie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie ſtaken 20 bis 23 m hoch über unſeren Köpfen in trichter- förmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Kopalfackeln aufſcheucht, deſto ſtärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, ſo erſchallte von weither das Klagegeſchrei der Vögel, die in anderen Zweigen Corvus Pyrrhocorax. le A — 2 der Höhle niſteten. Die Banden löſten einander im Schreien ordentlich ab. Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerſtören die meiſten Neſter. Man ſchlägt jedesmal mehrere tauſend Vögel tot, wobei die Alten, als wollten fie ihre Brut verteidigen, mit furchtbarem Geſchrei den Indianern um die Köpfe fliegen. Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr Bauchfell iſt ſtark mit Fett durchwachſen, und eine Fettſchicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwiſchen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körner⸗ freſſende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgeſetzt ſind und ihre Muskeln wenig brauchen, ſo fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mäſten der Gänſe und des Viehs. Man weiß, wie ſehr dasſelbe durch Dunkelheit und Ruhe befördert wird. Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager, weil ſie nicht wie der Guacharo von Früchten, ſondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der „Fetternte“ (cosecha de la manteca), wie man es in Caripe nennt, bauen ſich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Ein⸗ gang und im Vorhof der Höhle. Wir ſahen noch Ueberbleibſel derſelben. Hier läßt man das Fett der jungen, friſch getöteten Vogel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieſes Fett iſt unter dem Namen Guacharoſchmalz oder -öl (manteca oder aceite) bekannt; es iſt halbflüſſig, hell und geruchlos. Es iſt ſo rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. In der Kloſterküche zu Caripe würde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speiſen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geſchmack davon bekämen. Die Menge des gewonnenen Oels ſteht mit dem Gemetzel, das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältnis. Man bekommt, ſcheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaſchen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Dieſer Induſtriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sam— meln des Taubenfetts! in Carolina, von dem früher mehrere tauſend Fäſſer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo— fettes iſt in Caripe uralt und die Miſſionäre haben nur die »Das Pigeon-oil kommt von der Wandertaube, Columba migratoria. — 268 — Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianiſchen Familie Namens Morocoymas behaupten von den erſten An: ſiedlern im Thale abzuſtammen und als ſolche rechtmäßige Eigentümer der Höhle zu ſein; ſie beanſpruchen das Monopol des Fetts, aber infolge der Kloſterzucht ſind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem Syſtem der Miſ— ſionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchen— licht zu liefern; das übrige, ſo behauptet man, wird ihnen abgekauft. Wir erlauben uns kein Urteil weder über die Rechts— anſprüche der Morocoymas, noch über den Urſprung der von den Mönchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es erſchiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte, die ſie anſtellen; aber in den Wäldern der Neuen Welt, wie im Schoße der europäiſchen Kultur, beſtimmt ſich das öffent— liche Recht danach, wie ſich das Verhältnis zwiſchen dem Starken und dem Schwachen, zwiſchen dem Eroberer und dem Unter— worfenen geſtaltet. Das Geſchlecht des Guacharo wäre längſt ausgerottet, wenn nicht mehrere Umſtände zur Erhaltung desſelben zu— ſammenwirkten. Aus Aberglauben wagen ſich die Indianer ſelten weit in die Höhle hinein. Auch ſcheint derſelbe Vogel in benachbarten, aber dem Menſchen unzugänglichen Höhlen zu niſten. Vielleicht bevölkert ſich die große Höhle immer wieder mit Kolonieen, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Miſſionäre verſicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; ſie lebten da mehrere Tage ohne zu freſſen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zuſagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufſchneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem ſelt— ſamen Namen „Guacharoſamen“ (semilla del Guacharo) ein vielberufenes Mittel gegen Wechſelfieber ſind. Die Alten bringen dieſe Samen den Jungen zu. Man ſammelt ſie ſorg— fältig und läßt ſie den Kranken in Cariaco und anderen tief gelegenen Fieberſtrichen zukommen. Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der daraus entſpringt. Derſelbe iſt 9 bis 10 m breit. Man ver: folgt das Ufer, ſolange die Hügel aus Kalkinkruſtationen dies geſtatten; oft, wenn ſich der Bach zwiſchen ſehr hohen Stalaktitenmaſſen durchſchlängelt, muß man in das Bett ſelbſt hinunter, das nur 60 em tief iſt. Wir hörten zu unſerer — 269 — Ueberraſchung, dieſe unterirdiſche Waſſerader ſei die Quelle des Rio Caripe, der wenige Meilen davon, nach ſeiner Ver— einigung mit dem kleinen Rio de Santa Maria, für Pirogen ſchiffbar wird. Am Ufer des unterirdiſchen Baches fanden wir eine Menge Palmholz; es find Ueberbleibſel der Stämme, auf denen die Indianer zu den Vogelneſtern an der Decke der Höhle hinaufſteigen. Die von den Narben der alten Blatt— ſtiele gebildeten Ringe dienen gleichſam als Sproſſen einer aufrecht ſtehenden Leiter. Die Höhle von Caripe behält, genau gemeſſen, auf 472 m dieſelbe Richtung, dieſelbe Breite und die anfängliche Höhe von 20 bis 23 m. Ich kenne auf beiden Kontinenten keine zweite Höhle von ſo gleichförmiger, regelmäßiger Geſtalt. Wir hatten viele Mühe, die Indianer zu bewegen, daß ſie über das vordere Stück hinausgingen, das ſie allein jährlich zum Fett— ſammeln beſuchen. Es brauchte das ganze Anſehen der Patres, um ſie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden raſch unter einem Winkel von 60° anſteigt und der Bach einen kleinen unterirdiſchen Fall bildet. Dieſe von Nachtvögeln be— wohnte Höhle iſt für die Indianer ein ſchauerlich geheimnis— voller Ort; ſie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Menſch, ſagen ſie, ſoll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beſchienen find. Zu den Guacharos gehen, heißt fo viel, als zu den Vätern verſammelt werden, ſterben. Daher nahmen auch die Zauberer, Piajes, und die Giftmiſcher, Imorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den oberſten der böſen Geiſter, Ivo rokiamo, zu beſchwören. So gleichen ſich unter allen Himmelsſtrichen die älteſten Mythen der Völker, vor allen ſolche, die ſich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Böſen beziehen. Die verſchiedenſten und darunter die roheſten Sprachen haben gewiſſe Bilder miteinander gemein, weil dieſe unmittelbar aus dem Weſen unſeres Denk- und Empfindungsvermögens fließen. Finſternis wird allerorten mit der Vorſtellung des Todes in Verbindung gebracht. Die Höhle von Caripe iſt der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die unter kläglichem Geſchrei über dem Waſſer flattern, mahnen an die ſtygiſchen Vögel. Da wo der Bach den unterirdiſchen Fall bildet, ſtellt ſich das dem Höhleneingang gegenüberliegende, grün bewachſene — 270 — Gelände ungemein maleriſch dar. Man ſieht vom Ende eines geraden, 467 m langen Ganges darauf hinaus. Die Stalak⸗ titen, die von der Decke herabhängen und in der Luft ſchweben⸗ den Säulen gleichen, heben ſich von einem grünen Hinter: grunde ab. Die Oeffnung der Höhle erſcheint um die Mitte des Tages auffallend enger als ſonſt, und wir ſahen ſie vor uns im glänzenden Lichte, das Himmel, Gewächſe und Geſtein zumal widerſtrahlen. Das ferne Tageslicht ſtach ſo grell ab von der Finſternis, die uns in dieſen unterirdiſchen Räumen umgab. Wir hatten unſere Gewehre faſt aufs Geratewohl ab— geſchoſſen, jo oft wir aus dem Geſchrei und dem Flügel: ſchlagen der Nachtvögel ſchließen konnten, daß irgendwo recht viele Neſter beiſammen ſeien. Nach mehreren fruchtloſen Ver: ſuchen gelang es Bonpland, zwei Guacharos zu ſchießen, die, vom Fackelſchein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz unbekannt geweſen war. Wir erkletterten nicht ohne Beſchwerde die Erhöhung, über die der unterirdiſche Bach herunterkommt. Wir ſahen da, daß die Höhle ſich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 13 m hoch iſt und nordoſtwärts in ihrer urſprünglichen Richtung, parallel mit dem großen Thale des Caripe, fortſtreicht. In dieſer Gegend der Höhle ſetzt der Bach eine ſchwärz— lichte Erde ab, die große Aehnlichkeit hat mit dem Stoffe, der in der Muggendorfer Höhle in Franken „Opfererde“ heißt. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob dieſe feine, ſchwam— mige Erde durch Spalten im Geſteine, die mit dem Erd: reiche außerhalb in Verbindung ſtehen, hereinfällt, oder ob ſie durch das Regenwaſſer, das in die Höhle dringt, herein— geflößt wird. Es war ein Gemiſch von Kieſelerde, Thonerde und vegetabiliſchem Detritus. Wir gingen in dickem Kote bis zu einer Stelle, wo uns zu unſerer Ueberraſchung eine unterirdiſche Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Vögel zum Futter für ihre Jungen in die Höhle bringen, keimen überall, wo ſie auf die Dammerde fallen, welche die Kalkinkruſtationen bedeckt. Vergeilte Stengel mit ein paar Blattrudimenten waren zum Teil 60 em hoch. Es war un⸗ möglich, Gewächſe, die ſich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe und ganzem Habitus völlig umgewandelt hatten, ſpezifiſch zu unterſcheiden. Dieſe Spuren von Organiſation im Schoße der Finſternis reizten gewaltig die Neugier der Eingeborenen, die ſonſt ſo ſtumpf und ſchwer anzuregen ſind. * — 271 — Sie betrachteten ſie mit ſtillem, nachdenklichem Ernſte, wie er ſich an einem Orte ziemte, der für ſie ſolche Schauer hat. Dieſe unterirdiſchen, bleichen, formloſen Gewächſe mochten ihnen wie Geſpenſter erſcheinen, die vom Erdboden hierher ge— bannt waren. Mich aber erinnerten ſie an eine der glück— lichſten Zeiten meiner frühen Jugend, an einen langen Auf— enthalt in den Freiberger Erzgruben, wo ich über das Vergeilen der Pflanzen Verſuche anſtellte, die ſehr verſchieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war oder viel Waſſerſtoff und Stick— ſtoff enthielt. Mit aller ihrer Autorität konnten die Miſſionäre die Indianer nicht vermögen, noch weiter in die Höhle hinein— zugehen. Je mehr die Decke ſich ſenkte, deſto gellender wurde das Geſchrei der Guacharos. Wir mußten uns der Feigheit unſerer Führer gefangen geben und umkehren. Man ſah auch überall ſo ziemlich das Nämliche. Ein Biſchof von St. Thomas in Guyana ſcheint weiter gekommen zu ſein als wir; er hatte vom Eingange bis zum Punkte, wo er Halt machte, 812 m gemeſſen, und die Höhle lief noch weiter fort. Die Erinnerung an dieſen Vorfall hat ſich im Kloſter Caripe erhalten, nur weiß man den Zeitpunkt nicht genau. Der Biſchof hatte ſich mit dicken Kerzen aus weißem ſpaniſchen Wachs verſehen; wir hatten nur Fackeln aus Baumrinde und einheimiſchem Harze. Der dicke Rauch ſolcher Fackeln in engem, unter— irdiſchem Raume thut den Augen weh und macht das Atmen beſchwerlich. Wir gingen dem Bache nach wieder zur Höhle hinaus. Ehe unſere Augen vom Tageslichte geblendet wurden, ſahen wir vor der Höhle draußen das Waſſer durch das Laub der Bäume glänzen. Es war, als ſtünde weit weg ein Gemälde vor uns und die Oeffnung der Höhle wäre der Rahmen dazu. Als wir endlich heraus waren, ſetzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der Anſtrengung aus. Wir waren froh, daß wir das heiſere Geſchrei der Vögel nicht mehr hörten und einen Ort hinter uns hatten, wo ſich mit der Dunkelheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und der Stille paart. Wir konnten es kaum glauben, daß der Name Höhle von Caripe bis jetzt in Europa völlig unbekannt geweſen ſein ſollte. Schon wegen der Guacharos hätte fie berühmt werden ſollen; denn außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man dieſe Nachtvögel bis jetzt nirgends angetroffen. — 272 — Die Miſſionäre hatten am Eingange der Höhle ein Mahl zurichten laſſen. Piſang- und Vijaoblätter, die ſeidenartig glänzen, dienten uns nach Landesſitte als Tiſchtuch. Wir wurden trefflich bewirtet, ſogar mit geſchichtlichen Erinnerungen, die ſo ſelten ſind in Ländern, wo die Geſchlechter einander ablöſten, ohne eine Spur ihres Daſeins zu hinterlaſſen. Wohlgefällig erzählten uns unſere Wirte, die erſten Ordens⸗ leute, die in dieſe Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria zu gründen, haben einen Monat lang in der Höhle hier gelebt und auf einem Steine bei Fackellicht das heilige Meßopfer gefeiert. Die Miſſionäre hatten am ein⸗ ſamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Häupt⸗ lings der Tuapocan, der am Ufer des Rio Caripe ſein Lager aufgeſchlagen. So viel wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco erkundigten, wir hörten nie, daß man in der Höhle des Guacharo je Knochen von Fleiſch— freſſern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfreſſern gefunden hätte, wie ſie in den Höhlen Deutſchlands und Ungarns oder in den Spalten des Kalkſteines bei Gibraltar vorkommen. Die foſſilen Knochen der Megatherien, Elefanten und Maſto— donten, welche Reiſende aus Südamerika mitgebracht, gehören ſämtlich dem aufgeſchwemmten Lande in den Thälern und auf hohen Plateaus an. Mit Ausnahme des Megalonyr,! eines Faultieres von der Größe eines Ochſen, das Jefferſon be: ſchrieben, kenne ich bis jetzt auch nicht einen Fall, daß in einer Höhle der Neuen Welt ein Tierſkelett gefunden worden wäre. Daß dieſe zoologiſche Erſcheinung hier ſo ausnehmend ſelten iſt, erſcheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, daß es in Frankreich, England und Italien auch eine Menge Höhlen gibt, in denen man nie eine Spur von foſſilen Knochen entdeckt hat. 8 Die intereſſanteſte Beobachtung, welche der Phyſiker in den Höhlen anſtellen kann, iſt die genaue Beſtimmung ihrer Temperatur. Die Höhle von Caripe liegt ungefähr unter 10° 10“ der Breite, alſo mitten im heißen Erdgürtel und 986 m über dem Spiegel des Waſſers im Meerbuſen von Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft ı Der Megalonyx wurde in den Höhlen von Green-Briar in Virginien gefunden, 6750 km vom Megatherium, dem er ſehr nahe ſteht und das ſo groß war wie ein Nashorn. — 273 — im Inneren durchaus zwiſchen 18,4 und 18,9“ der hundert: teiligen Skala. Die äußere Luft hatte 16,2. Beim Ein: gange der Höhle zeigte der Thermometer an der Luft 17,6“, aber im Waſſer des unterirdiſchen Baches bis hinten in der Höhle 16,8“. Dieſe Beobachtungen ſind von großer Be— deutung, wenn man ins Auge faßt, wie ſich zwiſchen Waſſer, Luft und Boden die Wärme ins Gleichgewicht zu ſetzen ſtrebt. Ehe ich Europa verließ, beklagten ſich die Phyſiker noch, daß man ſo wenig Anhaltspunkte habe, um zu beſtimmen, was man ein wenig hochtrabend die Temperatur des Erd— inneren heißt, und erſt in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolge an der Löſung dieſes großen Problemes der unter— irdiſchen Meteorologie gearbeitet. Nur die Steinſchichten, welche die Rinde unſeres Planeten bilden, ſind der unmittel— baren Forſchung zugänglich, und man weiß jetzt, daß die mittlere Temperatur dieſer Schichten ſich nicht nur nach der Breite und der Meereshöhe verändert, ſondern daß ſie auch je nach der Lage des Ortes im Verlaufe des Jahres regel— mäßige Schwingungen um die mittlere Temperatur der be— nachbarten Luft beſchreibt. Die Zeit iſt ſchon fern, wo man ſich wunderte, wenn man in anderen Himmelsſtrichen in Höhlen und Brunnen eine andere Temperatur beobachtete als in den Kellern der Pariſer Sternwarte. Dasſelbe Inſtrument, das in dieſen Kellern 12° zeigt, ſteigt in unterirdiſchen Räumen auf Madeira bei Funchal auf 16,2, im St. Joſephsbrunnen in Kairo auf 21,2“, in den Grotten der-Inſel Cuba auf 22 bis 23. Dieſe Zunahme iſt ungefähr proportional der Zu: nahme der mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis. Wir haben eben geſehen, daß in der Höhle des Guacharo das Waſſer des Baches gegen 2“ kühler iſt als die umgebende Luft im unterirdiſchen Raume. Das Waſſer, ob es nun durch das Geſtein ſickert oder über ein ſteiniges Bette fließt, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Geſteines oder des Bettes an. Die Luft in der Höhle dagegen ſteht nicht ſtill, ſie kommuniziert mit der Atmoſphäre draußen. Und wenn nun auch in der heißen Zone die Schwankungen in der äuße— ren Temperatur ſehr unbedeutend ſind, ſo bilden ſich den— noch Strömungen, durch welche die Luftwärme im Inneren periodiſche Veränderungen erleidet. Demnach könnte man die Temperatur des Waſſers, alſo 16,8“, als die Boden— temperatur in dieſen Bergen betrachten, wenn man ſicher wäre, A. v. Hum boldt, Reiſe. I. 18 — 7 daß das Waſſer nicht raſch von benachbarten höheren Bergen herabkommt. Aus dieſen Betrachtungen folgt, daß, wenn man auch keine ganz genauen Reſultate erhält, ſich doch in jeder Zone Grenzzahlen auffinden laſſen. In Caripe, unter den Tropen, iſt in 975 m Meereshöhe die mittlere Temperatur der Erde nicht unter 16,8“; dies geht aus der Meſſung der Temperatur des unterirdiſchen Waſſers hervor. So läßt ſich nun aber auch beweiſen, daß dieſe Temperatur des Bodens nicht höher ſein kann als 19“, weil die Luft in der Höhle im September 18,7“ zeigt. Da die mittlere Luftwärme im heißeſten Monat 19,5 nicht überſteigt, jo würde man ſehr wahrſcheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der Höhle über 19“ ſteigen ſehen. Dieſe Ergebniſſe, wie jo manche andere, die wir in dieſer Reiſebeſchreibung mitteilen, mögen für ſich betrachtet von geringem Belang ſcheinen; ver— gleicht man ſie aber mit den kürzlich von Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarzirkel angeſtellten Beob— achtungen, ſo verbreiten ſie Licht über den Haushalt der Natur im großen und über den beſtändigen Wärmeaustauſch zwiſchen Luft und Boden zu Herſtellung des Gleichgewichtes. Es iſt kein Zweifel mehr, daß in Lappland die feſte Erdrinde eine um 3 bis 4° höhere, mittlere Temperatur hat als die Luft. Bringt die Kälte, welche in den Tiefen des tropiſchen Meeres infolge der Polarſtröme fortwährend herrſcht, im heißen Erd— ſtriche eine merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Iſt dieſe Temperatur dort niedriger als die der Luft? Das wollen wir in der Folge unterſuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Kordilleren mehr Beobachtungen zuſammengebracht haben werden. Adıtes Kapitel. Abreiſe von Caripe. — Berg und Wald Santa Maria. — Die Miſſion Catuaro. — Hafen von Cariaco. Raſch verfloſſen uns die Tage, die wir im Kapuziner— kloſter in den Bergen von Caripe zubrachten, und doch war unſer Leben ſo einfach als einförmig. Von Sonnenaufgang bis Einbruch der Nacht ſtreiften wir durch die benachbarten Wälder und Berge, um Pflanzen zu ſammeln, deren wir nie genug beiſammen haben konnten. Konnten wir des ſtarken Regens wegen nicht weit hinaus, ſo beſuchten wir die Hütten der Indianer, den Gemeindeconuco oder die Verſammlungen, in denen die Alkaden jeden Abend die Arbeiten für den fol— genden Tag austeilen. Wir kehrten erſt ins Kloſter zurück, wenn uns die Glocke ins Refektorium an den Tiſch der Miſ— ſionäre rief. Zuweilen gingen wir mit ihnen frühmorgens in die Kirche, um der „Doctrina“ beizuwohnen, das heißt dem Religionsunterricht der Eingeborenen. Es ift ein zum wenigſten ſehr gewagtes Unternehmen, mit Neubekehrten über Dogmen zu verhandeln, zumal wenn ſie des Spaniſchen nur in geringem Grade mächtig ſind. Andererſeits verſtehen gegen— wärtig die Ordensleute von der Sprache der Chaymas ſo gut wie nichts, und die Aehnlichkeit gewiſſer Laute verwirrt den armen Indianern die Köpfe ſo ſehr, daß ſie ſich die wunder— lichſten Vorſtellungen machen. Ich gebe nur ein Beiſpiel. Wir ſahen eines Tages, wie ſich der Miſſionär große Mühe gab, darzuthun, daß infierno, die Hölle, und invierno, der Winter, nicht dasſelbe Ding ſeien, ſondern ſo verſchieden wie Hitze und Froſt. Die Chaymas kennen keinen anderen Winter als die Regenzeit, und unter der „Hölle der Weißen“ dachten ſie ſich einen Ort, wo die Böſen furchtbaren Regengüſſen aus— geſetzt ſeien. Der Miſſionär verlor die Geduld, aber es half alles nichts; der erſte Eindruck, den zwei ahnliche Konſonanten — 276 — hervorgebracht, war nicht mehr zu verwiſchen; im Kopfe der Neophyten waren die Vorſtellungen Regen und Hölle, invierno und infierno, nicht mehr auseinander zu bringen. Nachdem wir faſt den ganzen Tag im Freien zugebracht, ſchrieben wir abends im Kloſter unſere Beobachtungen und Be— merkungen nieder, trockneten unſere Pflanzen und zeichneten die, welche nach unſerer Anſicht neue Gattungen bildeten. Die Mönche ließen uns volle Freiheit und wir denken mit Vergnügen an einen Aufenthalt zurück, der ſo angenehm als für unſer Unternehmen förderlich war. Leider war der bedeckte Himmel in einem Thal, wo die Wälder ungeheure Waſſermaſſen an die Luft abgeben, aſtronomiſchen Beobach— tungen nicht günſtig. Ich blieb nachts oft lange auf, um den Augenblick zu benutzen, wo ſich ein Stern vor ſeinem Durchgang durch den Meridian zwiſchen den Wolken zeigen würde. Oft zitterte ich vor Froſt, obgleich der Thermometer nie unter 16° fiel. Es iſt dies in unſerem Klima die Tages— temperatur gegen Ende Septembers. Die Inſtrumente blieben mehrere Stunden im Kloſterhofe aufgeſtellt, und faſt immer harrte ich vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Foma— haults und Denebs im Schwan ergaben für Caripe 1010) 14“ Breite, wonach es auf der Karte von Caulin um 18‘, auf der von Arrowſmith um 14“ unrichtig eingezeichnet iſt. Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne entzog, war der einzige, den wir im Thale von Caripe erlebt. Wildheit und Friedlichkeit, Schwermut und Lieblichkeit, beides zuſammen iſt der Charakter der Landſchaft. Inmitten einer ſo gewaltigen Natur herrſcht in unſerem Inneren nur Friede und Ruhe. Ja noch mehr, in der Einſamkeit dieſer Berge wundert man ſich weniger über die neuen Eindrücke, die man bei jedem Schritte erhält, als darüber, daß die verſchiedenſten Klimate jo viele Züge miteinander gemein haben. Auf den Hügeln, an die das Kloſter ſich lehnt, ſtehen Palmen und Baumfarne; abends, wenn der Himmel auf Regen deutet, ſchallt das ein— tönige Geheul der roten Brüllaffen durch die Luft, das dem fernen Brauſen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz dieſer unbekannten Töne, dieſer fremdartigen Geſtalten der Gewächſe, alle dieſer Wunder einer Neuen Welt, läßt doch die Natur den Menſchen allerorten eine Stimme hören, die in vertrauten Lauten zu ihm ſpricht. Der Raſen am Boden, das alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln, der Bach, der über die geneigten Kalkſteinſchichten niederſtürzt, a das harmonische Farbenſpiel von Waſſer, Grün und Himmel, alles ruft dem Reiſenden wohlbekannte Empfindungen zurück. Die Naturſchönheiten dieſer Berge nahmen uns völlig in Anſpruch, und ſo wurden wir erſt am Ende gewahr, daß wir den guten gaſtfreundlichen Mönchen zur Laſt fielen. Ihr Vorrat von Wein und Weizenbrote war nur gering, und wenn auch der eine wie das andere dortzulande bei Tiſche nur als Luxusartikel gelten, ſo machte es uns doch ſehr verlegen, daß unſere Wirte ſie ſich ſelbſt verſagten. Bereits war unſere Brotration auf ein Vierteil herabgekommen. und doch nötigte uns der furchtbare Regen, unſere Abreiſe noch einige Tage zu verſchieben. Wie unendlich lang kam uns dieſer Aufſchub vor! Wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Re— fektorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reiſenden, die darüber zu klagen haben, daß man ihnen in den koptiſchen Klöſtern Oberägyptens ihren Mund— vorrat entwendet. Endlich am 22. September brachen wir auf mit Maul— tieren, die unſere Inſtrumente und Pflanzen trugen. Wir mußten den nordöſtlichen Abhang der Kalkalpen von Neu— Andaluſien, die wir als die große Kette des Brigantin und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieſer Kette beträgt nicht leicht über 1170 bis 1360 m, und ſie läßt ſich in dieſer wie in geologiſcher Hinſicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von Cumana nicht ſehr hoch ſind, ſo iſt der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch ſehr beſchwerlich, ja ſogar gefährlich. Beſonders berüchtigt iſt in dieſer Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Miſſionäre hinauf müſſen, wenn ſie ſich von Cumana in ihr Kloſter Caripe be— geben. Oft, wenn wir dieſe Berge, die Anden von Peru, die Pyrenäen und die Alpen, die wir nacheinander beſucht, verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der geringſten Meereshöhe nicht ſelten die unzugänglichſten ſind. Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerſt über eine Hügelkette, die nordoſtwärts vom Kloſter liegt. Der Weg führte immer bergan über eine weite Savanne auf die Hochebene Guardia de San Auguſtin. Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer trug; wir befanden uns in 1069 m abſoluter Höhe, etwas höher als der Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Sa— vannen oder natürlichen Wieſen, die den Kloſterkühen eine treffliche Weide bieten, find völlig ohne Baum und Buſch— werk. Es iſt dies das eigentliche Bereich der Monokotyledo— nen, denn aus dem Graſe erhebt ſich nur da und dort eine Agave (Maguey), deren Blütenſchaft über 8,5 m hoch wird. Auf der Hochebene von Guardia ſahen wir uns wie auf einen alten, vom langen Aufenthalt des Waſſers wagerecht geebneten Seeboden verſetzt. Man meint noch die Krümmungen des alten Ufers zu erkennen, die vorſpringenden Landzungen, die ſteilen Klippen, welche Eilande gebildet. Auf dieſen früheren Zuſtand ſcheint ſelbſt die Verteilung der Gewächſe hinzu— deuten. Der Boden des Beckens iſt eine Savanne, während die Ränder mit hochſtämmigen Bäumen bewachſen ſind. Es iſt wahrſcheinlich das höchſt gelegene Thal in den Provinzen Cumana und Venezuela. Man kann bedauern, daß ein Land— ſtrich, wo man eines gemäßigten Klimas genießt, und der ſich ohne Zweifel zum Getreidebau eignete, völlig unbewohnt iſt. Von dieſer Ebene geht es fortwährend abwärts bis zum indianiſchen Dorfe Santa Cruz. Man kommt zuerſt über einen jähen glatten Abhang, den die Miſſionäre ſeltſamerweiſe das Fegefeuer nennen. Er beſteht aus verwittertem, mit Thon bedecktem Schieferſandſtein und die Böſchung ſcheint furcht— bar ſteil; denn infolge einer ſehr gewöhnlichen optiſchen Täuſchung ſcheint der Weg, wenn man oben auf der Anhöhe hinunterſieht, unter einem Winkel von mehr als 60° geneigt. Beim Hinabſteigen nähern die Maultiere die Hinterbeine den Vorderbeinen, ſenken das Kreuz und rutſchen aufs Geratewohl hinab. Der Reiter hat nichts zu befahren, wenn er nur den Zügel fahren läßt und dem Tiere keinerlei Zwang anthut. An dieſem Punkte ſieht man zur Linken die große Pyramide des Guacharo. Dieſer Kalkſteinkegel nimmt ſich ſehr maleriſch aus, man verliert ihn aber bald wieder aus dem Geſicht, wenn man den dicken Wald betritt, der unter dem Namen Mon— tana de Santa Maria bekannt iſt. Es geht nun ſieben Stunden lang in einem fort abwärts, und kaum kann man ſich einen entſetzlicheren Weg denken; es iſt ein eigentlicher „chemin des echelles“, eine Art Schlucht, in der während der Regenzeit die wilden Waſſer von Fels zu Fels abwärts ſtürzen. Die Stufen find 0,6 bis Im hoch, und die armen Laſttiere meſſen erſt den Raum ab, der erforderlich iſt, um die Ladung zwiſchen den Baumſtämmen durchzubringen, und Agave americana. — 279 — ſpringen dann von einem Felsblock auf den anderen. Aus Beſorgnis, einen Fehltritt zu thun, bleiben ſie eine Weile ſtehen, als wollten ſie die Stelle unterſuchen, und ſchieben die vier Beine zuſammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Tier den nächſten Steinblock, ſo ſinkt es bis zum halben Leibe in den weichen ockerhaltigen Thon, der die Zwiſchenräume der Steine ausfüllt. Wo dieſe fehlen, finden Menſchen- und Tierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln. Dieſelben ſind oft 53 em dick und gehen nicht ſelten hoch über dem Boden vom Stamme ab. Die Kreolen vertrauen der Gewandtheit und dem glücklichen Inſtinkt der Maultiere ſo ſehr, daß ſie auf dem langen, gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben. Wir ſtiegen lieber ab, da wir Anſtrengung weniger ſcheuten als jene, und gewöhnt waren, langſam vorwärts zu kommen, weil wir immer Pflanzen ſammelten und die Gebirgsarten unterſuchten. Da unſer Chronometer ſo ſchonend behandelt werden mußte, blieb uns nicht einmal eine Wahl. Der Wald, der den ſteilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, iſt einer der dichteſten, die ich je ge— ſehen. Die Bäume ſind wirklich ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten dunkelgrünen Laube herrſcht beſtändig ein Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unſeren Tannen:, Eichen- und Buchenwäldern. Es iſt als könnte die Luft trotz der hohen Temperatur nicht all das Waſſer aufnehmen, das der Boden, das Laub der Bäume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und anderen Saftpflanzen bedeckten Stämme ausdünſten. Zu den aromatiſchen Ge— rüchen, welche Blüten, Früchte, ſogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbſt bei nebligem Wetter ſpürt. Wie in den Wäldern am Orinoko ſieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge faßt, häufig Dunſtſtreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenſtrahlen durch die dicke Luft dringen. Unter den majeſtätiſchen Bäumen, die 40 bis 42 m hoch werden, machten uns die Führer auf den Curucay von Terecen aufmerkſam, der ein weißliches, flüſſiges, ſtarkriechendes Harz gibt. Die indianiſchen Völkerſchaften der Cumanagotas und Tagires räucherten einſt damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber etwas zuſammenziehenden Ge— ſchmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 3 bis 3,25 m dicken Hymenäaſtämmen nahmen unſere Aufmerkſam— keit am meiſten in Anſpruch: das Drachenblut (Croton san— — 280 — guifluum), deſſen purpurbrauner Saft an der weißen Rinde herabfließt; der Farn Calahuala, der nicht derſelbe iſt wie der in Peru, aber faſt ebenſo heilkräftig, und die Iraſſe⸗, Macanilla-, Corozo- und Pragapalmen. Letztere gibt einen ſehr ſchmackhaften „Palmkohl“, den wir im Kloſter Caripe zuweilen gegeſſen. Von dieſen Palmen mit gefiederten, ſtach— ligen Blättern ſtachen die Baumfarne äußerſt angenehm ab. Einer derſelben, Cyathea speciosa, wird über 11,5 m hoch, eine ungeheure Größe für ein Gewächs aus dieſer Familie. Wir fanden hier und im Thale von Caripe fünf neue Arten Baumfarne; zu Linnés Zeit kannten die Botaniker ihrer nicht vier auf beiden Kontinenten. Man bemerkt, daß die Baumfarne im allgemeinen weit ſeltener ſind als die Palmen. Die Natur hat ihnen ge— mäßigte, feuchte, ſchattige Standorte angewieſen. Sie ſcheuen den unmittelbaren Sonnenſtrahl, und während der Pumos, die Corypha der Steppen und andere amerikaniſche Palmen— arten die kahlen, glühend heißen Ebenen aufſuchen, bleiben die Farne mit Baumſtämmen, die von weitem wie Palmen ausſehen, dem ganzen Weſen kryptogamer Gewächſe treu. Sie lieben verſteckte Plätze, das Dämmerlicht, eine feuchte, gemäßigte, ſtockende Luft. Wohl gehen ſie hie und da bis zur Küſte hinab, aber dann nur im Schutze dichten Schattens. Dem Fuße des Berges von Santa Maria zu wurden die Baumfarne immer ſeltener, die Palmen häufiger. Die ſchönen Schmetterlinge mit großen Flügeln, die Nymphalen, die ungeheuer hoch fliegen, mehrten ſich; alles deutete darauf, daß wir nicht mehr weit von der Küſte und einem Landſtrich waren, wo die mittlere Tagestemperatur 28 bis 30“ der hundertteiligen Skale beträgt. | Der Himmel war bedeckt und drohte mit einem der Güſſe, bei denen zuweilen 2 bis 2,6 mm Regen an einem Tage fällt. Die Sonne beſchien hin und wieder die Baum— wipfel, und obgleich wir vor ihrem Strahl geſchützt waren, erſtickten wir beinahe vor Hitze. Schon rollte der Donner in der Ferne, die Wolken hingen am Gipfel des hohen Guacharogebirges, und das klägliche Geheul der Araguatos, das wir in Caripe bei Sonnenuntergang ſo oft gehört hatten, verkündete den nahen Ausbruch des Gewitters. Wir hatten hier zum erſtenmal Gelegenheit, dieſe Heulaffen in der Nähe zu ſehen. Sie gehören zur Gattung Aluate (Stentor, Geoffroy), deren verſchiedene Arten von den Zoologen lange ** — 281 — verwechſelt worden ſind. Während die kleinen amerikaniſchen Sapaju, die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches dünnes Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den großen Affen, den Aluaten und Marimonda, auf einer großen Knochen— trommel. Ihr oberer Kehlkopf hat ſechs Taſchen, in denen ſich die Stimme fängt, und wovon zwei, taubenneſtförmige, große Aehnlichkeit mit dem unteren Kehlkopf der Vögel haben. Der den Araguaten eigene klägliche Ton entſteht, wenn die Luft gewaltſam in die knöcherne Trommel einſtrömt. Ich habe dieſe den Anatomen nur ſehr unvollſtändig bekannten Organe an Ort und Stelle gezeichnet und die Beſchreibung nach meiner Rückkehr nach Europa bekannt gemacht.“ Bedenkt man, wie groß bei den Aluatos die Knochenſchachtel iſt und wie viele Heulaffen in den Wäldern von Cumana und Guyana auf einem einzigen Baume beiſammen ſitzen, ſo wundert man ſich nicht mehr ſo ſehr über die Stärke und den Umfang ihrer vereinigten Stimmen. Der Araguato, bei den Tamanacasindianern Aravata, bei den Maypures Marave genannt, gleicht einem jungen Bären. Er iſt vom Scheitel des kleinen, ſtark zugeſpitzten Kopfes bis zum Anfang des Wickelſchwanzes 1 m lang; ſein Pelz iſt dicht und rotbraun von Farbe; auch Bruſt und Bauch find ſchön behaart, nicht nackt wie beim Mono colorado oder Buffons Alouate roux, den wir auf dem Wege von Cartagena nach Santa Fe de Bogota genau beobachtet haben. Das Ge: ſicht des Araguato iſt blauſchwarz, die Haut desſelben fein und gefaltet. Der Bart iſt ziemlich lang, und trotz ſeines kleinen Geſichtswinkels von nur 30° hat er in Blick und Geſichtsausdruck ſo viel Menſchenähnliches als die Marimonda (Simia Belzebuth) und der Kapuziner am Orinoko (S. chiro- potes). Bei den Tauſenden von Araguaten, die uns in den Provinzen Cumana, Caracas und Guyana zu Geſicht ge— kommen, haben wir nie, weder an einzelnen Exemplaren noch an ganzen Banden, einen Wechſel im Rotbraun des Pelzes an Rücken und Schultern wahrgenommen. Durch die Farbe unterſchiedene Spielarten ſchienen mir überhaupt bei den Affen nicht ſo häufig zu ſein, als die Zoologen annehmen, und bei den geſellig lebenden Arten ſind ſie vollends ſehr ſelten. Der Araguato bei Caripe iſt eine neue Art der Gattung Stentor, die ich unter dem Namen Simia ursina bekannt 1 Observations de zoologie. gemacht habe. Ich habe ihn lieber ſo benannt als nach der Farbe des Pelzes, und zwar deſto mehr, da die Griechen be— reits einen ſtark behaarten Affen unter dem Namen Arktopi— thekos kannten. Derſelbe unterſcheidet ſich ſowohl vom Uarino (Simia Guariba) als vom Alouate roux (S. Seni- culus). Blick, Stimme, Gang, alles an ihm iſt trübſelig. Ich habe ganz junge Araguaten geſehen, die in den Hütten der Indianer aufgezogen wurden; ſie ſpielen nie wie die kleinen Sagoine, und Lopez del Gomara ſchildert zu Anfang des 16. Jahrhunderts ihr ernſtes Weſen ſehr naiv, wenn er ſagt: „Der Aranata de los Cumaneſes hat ein Menſchen⸗ geſicht, einen Ziegenbart und eine gravitätiſche Haltung (honrado gesto).“ Ich habe anderswo die Bemerkung ge— macht, daß die Affen deſto trübſeliger find, je mehr Menfchen: ähnlichkeit ſie haben. Ihre Munterkeit und Beweglichkeit nimmt ab, je mehr ſich die Geiſteskräfte bei ihnen zu ent— wickeln ſcheinen. a Wir hatten Halt gemacht, um den Heulaffen zuzuſehen, wie ſie zu dreißig, vierzig in einer Reihe von Baum zu Baum auf den verſchlungenen wagerechten Aeſten über den Weg zogen. Während dieſes neue Schauſpiel uns ganz in Anſpruch nahm, kam uns ein Trupp Indianer entgegen, die den Bergen von Caripe zuzogen. Sie waren völlig nackt, wie meiſtens die Eingeborenen hierzulande. Die ziemlich ſchwer beladenen Weiber ſchloſſen den Zug; die Männer, ſogar die kleinſten Jungen, waren alle mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Sie zogen ſtill, die Augen am Boden, ihres Weges. Wir hätten gern von ihnen erfahren, ob es noch weit nach der Miſſion Santa Cruz ſei, wo wir übernachten wollten. Wir waren völlig erſchöpft und der Durſt quälte uns furchtbar. Die Hitze wurde drückender, je näher das Gewitter kam, und wir hatten auf unſerem Wege keine Quelle gefunden, um den Durſt zu löſchen. Da die Indianer uns immer si Padre, no Padre zur Antwort gaben, meinten wir, ſie verſtehen ein wenig Spaniſch. In den Augen der Eingeborenen iſt jeder Weiße ein Mönch, ein Pater; denn in den Miſſionen zeichnet ſich der Geiſtliche mehr durch die Hautfarbe als durch die Farbe des Gewandes aus. Wie wir auch den Indianern mit Fragen, wie weit es noch ſei, zuſetzten, ſie erwiderten offenbar aufs Geratewohl si oder no, und wir konnten aus ihren Antworten nicht klug werden. Dies war uns um ſo verdrießlicher, da ihr Lächeln und ihr Gebärdenſpiel verrieten, daß ſie uns gern — 283 — gefällig geweſen wären, und der Wald immer dichter zu werden ſchien. Wir mußten uns trennen; die indianiſchen Führer, welche die Chaymasſprache verſtanden, waren noch weit zurück, da die beladenen Maultiere bei jedem Schritt in den Schluchten ſtürzten. Nach mehreren Stunden beſtändig abwärts über zerſtreute Felsblöcke ſahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Gras— flur vor uns, die ſich in der Regenzeit friſch begrünt hatte. Links ſahen wir in ein enges Thal hinein, das ſich dem Guacharogebirge zu zieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt iſt. Der Blick ſtreifte über die Baumwipfel weg, die 260 m tief unter dem Wege ſich wie ein hingebreiteter, dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde glichen großen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Ge— ſtalt und den gefiederten Blättern Praga- und Iraſſepalmen erkannten. Vollends maleriſch wird die Landſchaft dadurch, daß die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr nörd— licher, dem Meerbuſen von Cariaco zugekehrter Abhang iſt ſteil und bildet eine Felsmauer, ein faſt ſenkrechtes Profil, über 970 m hoch. Dieſe Wand iſt ſo ſchwach bewachſen, daß man die Linien der Kalkſchichten mit dem Auge verfolgen kann. Der Gipfel der Sierra iſt abgeplattet und nur am Oſtende erhebt ſich, gleich einer geneigten Pyramide, der majeſtätiſche Pik Guacharo. Seine Geſtalt erinnert an die Aiguilles und Hörner der Schweizer Alpen (Schreckhörner, Finſteraarhorn). Da die meiſten Berge mit ſteilem Abhange höher ſcheinen, als ſie wirklich ſind, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß man in den Miſſionen der Meinung iſt, der Guacharo überrage den Turimiquiri und den Brigantin. Die Savanne, über die wir zum indianiſchen Dorfe Santa Cruz zogen, beſteht aus mehreren ſehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke übereinander liegen. Dieſe geologiſche Er— ſcheinung, die in allen Erdſtrichen vorkommt, ſcheint darauf hinzudeuten, daß hier lange Zeit Waſſerbecken übereinander lagen und ſich ineinander ergoſſen. Der Kalkſtein geht nicht mehr zu Tage aus; er iſt mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letzten— mal ſahen, fanden wir Neſter von Eiſenerz darin, und, wenn wir recht geſehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns aber nicht, es loszubrechen. Es maß 18 em im Durchmeſſer. Dieſe Beobachtung iſt um ſo intereſſanter, als wir ſonſt in — 284 — dieſem Teile von Südamerika nirgends einen Ammoniten ge- ſehen haben. Die Miſſion Santa Cruz liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daſelbſt an, halb verdurſtet, da wir faſt acht Stunden kein Waſſer gehabt hatten. Der Thermometer zeigte 26“; wir waren auch nur noch 370 m über dem Meere. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man „Häuſer des Königs“ nennt, und die, wie ſchon oben bemerkt, den Reiſenden als Tambo oder Karawanſerai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung zu denken, und wir ſetzten des anderen Tages, 23. September, unſeren Weg zum Meerbuſen von Cariaco hinunter fort. Jen— ſeits Santa Cruz fängt der dichte Wald von neuem an. Wir fanden daſelbſt unter Melaſtomenbüſchen einen ſchönen Farn mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der Polypodiaceen eine neue Gattung (Polybotria) bildet. Von der Miſſion Catuaro aus wollten wir oſtwärts über Santa Roſalia, Caſanay, San Joſef, Carupano, Rio Carives und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unſerem großen Verdruß, daß der ſtarke Regen die Wege bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unſere friſch geſammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Kakaopflanzer ſollte uns von Santa Roſalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu rechter Zeit gehört, daß er in Geſchäften nach Cumana müſſe. So beſchloſſen wir denn, uns in Cariaco einzuſchiffen und gerade über den Meerbuſen, ſtatt zwiſchen der Inſel Margarita und der Landenge Araya durch, nach Cumana zurückzufahren. Die Miſſion Catuaro liegt in ungemein wilder Um— gebung. Hochſtämmige Bäume ſtehen noch um die Kirche her und die Tiger freſſen bei Nacht den Indianern ihre Hühner und Schweine. Wir wohnten beim Geiſtlichen, einem Mönche von der Kongregation der Obſervanten, dem die Kapuziner die Miſſion übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, faſt übertrieben lebhafter Mann; er unter: hielt uns beſtändig von dem Prozeß, den er mit dem Guardian ſeines Kloſters führte, von der Feindſchaft ſeiner Ordensbrüder, von der Ungerechtigkeit der Alkaden, die ihn ohne Rückſicht auf ſeine Standesvorrechte ins Gefängnis geworfen. Trotz dieſer Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, ſich mit metaphyſiſchen Fragen, wie er es nannte, zu befaſſen. Er wollte meine Anſicht hören über den freien Willen, über die — 285 — Mittel, die Geiſter von ihren Körperbanden frei zu machen, be— ſonders aber über die Tierſeelen, lauter Dinge, über die er die ſeltſamſten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit ſich durch Wälder durchgearbeitet hat, iſt man zu Spekulationen derart wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Miſſion Catuaro alles ungewöhnlich, ſogar das Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit zwiſchen den weltlichen und geiſtlichen Behörden Anlaß ge— geben. Dem Guardian der Kapuziner ſchien es zu vornehm für einen Miſſionär und er hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureißen; der Statthalter hatte kräftige Einſprache gethan und auch ſeinen Willen gegen die Mönche durchgeſetzt. Ich erwähne dergleichen an ſich unbedeutende Vorfälle nur, weil ſie einen Blick in die innere Verwaltung der Miſſionen werfen laſſen, die keineswegs immer ſo friedlich iſt, als man in Europa glaubt. Wir trafen in der Miſſion Catuaro den Corregidor des Diſtriktes, einen liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen ſollten. In dieſem wenig betretenen Lande iſt die Vegetation in der Regenzeit ſo üppig, daß ein Mann zu Pferde auf den ſchmalen, mit Schling— pflanzen und verſchlungenen Baumäſten bedeckten Fußſteigen faſt nicht durchkommt. Zu unſerem großen Verdruß wollte der Miſſionär von Catuaro uns durchaus nach Cariaco be— gleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit ſeinen Faſeleien über die Tierſeelen und den menſchlichen freien Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz anderen, traurigeren Gegenſtande zu unterhalten. Den Unab— hängigkeitsbeſtrebungen, die im Jahre 1798 in Caracas bei— nahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine große Auf— regung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tode verurteilt worden, und unſer Wirt, der Seel— ſorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm ſeinen geiſtlichen Beiſtand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlaſſen mußten, „über die Notwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bös— artigkeit der Schwarzen, über die Segnungen, welche der Raſſe daraus erwachſen, daß ſie als Sklaven unter Chriſten leben!“ Gegenüber dem „Code noir“ der meiſten anderen Völker, welche Beſitzungen in beiden Indien haben, tft die ſpaniſche — 286 — Geſetzgebung unſtreitig ſehr mild. Aber vereinzelt, auf kaum urbar gemachtem Boden leben die Neger in Verhältniſſen, daß die Gerechtigkeit, weit entfernt ſie im Leben kräftig ſchützen zu können, nicht einmal imſtande tft, die Barbareien zu be⸗ ſtrafen, durch die ſie ums Leben kommen. Leitet man eine Unterſuchung ein, ſo ſchreibt man den Tod des Sklaven ſeiner Kränklichkeit zu, dem heißen, naſſen Klima, den Wunden, die man ihm allerdings beigebracht, die aber gar nicht tief und durchaus nicht gefährlich geweſen. Die bürgerliche Behörde iſt in allem, was die Hausſklaverei angeht, machtlos, und wenn man rühmt, wie günſtig die Geſetze wirken, nach denen die Peitſche die und die Form haben muß und nur ſo viel Streiche auf einmal gegeben werden dürfen, ſo iſt das reine Täuſchung. Leute, die nicht in den Kolonieen oder doch nur auf den Antillen gelebt haben, ſind meiſt der Meinung, da es im Intereſſe des Herrn liege, daß ſeine Sklaven ihm erhalten bleiben, müſſen ſie deſto beſſer behandelt werden, je weniger ihrer ſeien. Aber in Cariaco ſelbſt, wenige Wochen bevor ich in die Provinz kam, tötete ein Pflanzer, der nur acht Neger hatte, ihrer ſechs durch unmenſchliche Hiebe. Er zerſtörte mutwillig den größten Teil ſeines Vermögens. Zwei der Sklaven blieben auf der Stelle tot, mit den vier anderen, die kräftiger ſchienen, ſchiffte er ſich nach dem Hafen von Cumana ein, aber ſie ſtarben auf der Ueberfahrt. Vor dieſer abſcheulichen That war im ſelben Jahre eine ähnliche unter gleich empörenden Umſtänden begangen worden. Solche furchtbare Unthaten blieben ſo gut wie unbeſtraft; der Geiſt, der die Geſetze macht, und der, der ſie vollzieht, haben nichts miteinander gemein. Der Statt— halter von Cumana war ein gerechter, menſchenfreundlicher Mann; aber die Rechtsformen ſind ſtreng vorgeſchrieben und die Gewalt des Statthalters geht nicht ſo weit, um Miß— bräuche abzuſtellen, die nun einmal von jedem europäiſchen Koloniſationsſyſtem untrennbar ſind. Der Weg durch den Wald von Catuaro iſt nicht viel anders als der vom Berge Santa Maria herab; auch ſind die ſchlimmſten Stellen hier ebenſo ſonderbar getauft wie dort. Man geht wie in einer engen, durch die Bergwaſſer aus— geſpülten, mit feinem, zähem Thon gefüllten Furche dahin. Bei den jähſten Abhängen ſenken die Maultiere das Kreuz und rutſchen hinunter; das nennt man nun Saca-Manteca, weil der Kot ſo weich iſt wie Butter. Bei der großen Gewandtheit der einheimiſchen Maultiere iſt dieſes Hinabgleiten 9 — 287 — ohne alle Gefahr. Der Weg führt über die Felsſchichten herab, die am Ausgehenden Stufen von verſchiedener Höhe bilden, und jo iſt es auch hier ein wahrer „chemin des echelles‘“. Weiterhin, wenn man zum Walde heraus iſt, kommt man zum Berge Buenaviſta. Er verdient den Namen, denn von hier ſieht man die Stadt Cariaco in einer weiten, mit Pflanzungen, Hütten und Gruppen von Kokospalmen bedeckten Ebene. Weit: wärts von Cariaco breitet ſich der weite Meerbuſen aus, den eine Felsmauer vom Ozean trennt; gegen Oſt zeigen ſich, gleich blauen Wolken, die hohen Gebirge von Areo und Paria. Es iſt eine der weiteſten, prachtvollſten Ausſichten an der Küſte von Neu-Andalufien. Wir fanden in Cariaco einen großen Teil der Einwohner in ihren Hängematten krank am Wechſelfieber. Dieſe Fieber werden im Herbſt bösartig und gehen in Ruhren über. Be— denkt man, wie außerordentlich fruchtbar und feucht die Ebene iſt, und welch ungeheure Maſſe von Pflanzenſtoff hier zerſetzt wird, ſo ſieht man leicht, warum die Luft hier nicht ſo geſund ſein kann wie über dem dürren Boden von Cumana. Nicht leicht finden ſich in der heißen Zone große Fruchtbarkeit des Bodens, häufige, lange dauernde Waſſerniederſchläge, eine ungemein üppige Vegetation beiſammen, ohne daß dieſe Vor: teile durch ein Klima aufgewogen würden, das der Geſundheit der Weißen mehr oder weniger gefährlich wird. Aus denſelben Urſachen, welche den Boden ſo fruchtbar machen und die Ent— wickelung der Gewächſe beſchleunigen, entwickeln ſich auch Gaſe aus dem Boden, die ſich mit der Luft miſchen und ſie ungeſund machen. Wir werden oft Gelegenheit haben, auf die Ver— knüpfung dieſer Erſcheinungen zurückzukommen, wenn wir den Kakaobau und die Ufer des Orinoko beſchreiben, wo es Flecke gibt, an denen ſich ſogar die Eingeborenen nur ſchwer akkli— matiſieren. Im Thale von Cariaco hängt übrigens die Un— geſundheit der Luft nicht allein von den eben erwähnten all: gemeinen Urſachen ab; es machen ſich dabei auch lokale Ber: hältniſſe geltend. Es wird nicht ohne Intereſſe ſein, den Landſtrich, der die Meerbuſen von Cariaco und von Paria von— einander trennt, näher zu betrachten. Vom Kalkgebirge des Brigantin und Cocollar läuft ein ſtarker Aſt nach Nord und hängt mit dem Urgebirge an der Küſte zuſammen. Dieſer Aſt heißt Sierra de Meapire; der Stadt Cariaco zu führt er den Namen Cerro grande de Cariaco. Er ſchien mir im Durchſchnitt nicht über 290 bis — 288 — 390 m hoch; wo ich ihn unterſuchen konnte, beſteht er aus dem Kalkſtein des Uferſtriches. Mergel- und Kalkſchichten wechſeln mit anderen, welche Quarzkörner enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu ſeinem beſonderen Studium macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgs— kamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, ſüdliche, aus ſekundären Gebirgsbildungen beſteht, während die andere, nördliche, Urgebirge iſt. Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire ſieht man das Gebirge einerſeits nach dem Meer— buſen von Paria, andererſeits nach dem von Cariaco ſich abdachen. Oſtwärts und weſtwärts vom Kamme liegt ein niedriger, ſumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortſtreicht, und nimmt man an, daß die beiden Meerbuſen dadurch entſtanden ſind, daß der Boden durch Erdbeben zerriſſen worden iſt und ſich geſenkt hat, ſo muß man vorausſetzen, daß der Cerro de Meapire dieſen gewaltſamen Erſchütterungen widerſtanden hat, ſo daß der Meerbuſen von Paria und der von Cariaco nicht zu einem verſchmelzen konnten. Wäre dieſer Felsdamm nicht da, ſo beſtünde wahrſcheinlich auch die Landenge nicht. Vom Schloſſe Araya bis zum Kap Paria würde die ganze Gebirgs— maſſe an der Küſte eine ſchmale, Margarita parallel laufende, viermal längere Inſel bilden. Dieſe Anſichten gründen ſich nicht nur auf unmittelbare Unterſuchung des Bodens und die Schlüſſe aus der Reliefbildung desſelben; ſchon ein Blick auf die Umriſſe der Küſten und die geognoſtiſche Karte des Landes muß auf dieſelben Gedanken bringen. Die Inſel Margarita hat, wie es ſcheint, früher mit der Küſtenkette von Araya durch die Halbinſel Chacopata und die Karibiſchen Inſeln Lobo und Coche zuſammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgs— kamm Meapire zuſammenhängt. Im gegenwärtigen Zuſtande der Dinge ſieht man die feuchten Ebenen, die oſt- und weſtwärts vom Kamme ſtreichen und uneigentlich die Thäler von San Bonifacio und Cariaco heißen, ſich fortwährend in das Meer hinaus verlängern. Das Meer zieht ſich zurück, und dieſe Verrückung der Küſte iſt beſonders bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältniſſe des Bodens darauf hinweiſen, daß die Meerbuſen von Cariaco und Paria früher einen weit größeren Umfang hatten, ſo läßt ſich auch nicht in Zweifel ziehen, daß gegenwärtig das Land ſich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im Jahre 1791 eine Batterie, die ſogenannte Boca, dicht am Meere aa — 289 — gebaut, im Jahre 1799 ſahen wir ſie weit im Lande liegen. An der Mündung des Rio Nevari, beim Morro de Nueva Barcelona, zieht ſich das Meer noch raſcher zurück. Dieſe lokale Erſcheinung rührt wahrſcheinlich von Anſchwemmungen her, deren Zunahmeverhältniſſe noch nicht gehörig beobachtet ſind. Geht man von der Sierra de Meapire, welche die Landenge zwiſchen den Ebenen von San Bonifacio und von Cariaco bildet, herab, ſo kommt man gegen Oſt an den großen See Putacuao, der mit dem Rio Areo in Verbindung ſteht und 3 km breit iſt. Das Gebirgsland um dieſes Becken iſt nur den Eingeborenen bekannt. Hier kommen die großen Bog vor, welche die Chaymasindianer Guainas nennen, und denen ſie einen Stachel unter den Schwanze andichten. Geht man von der Sierra de Meapire nach Weſt hinunter, ſo betritt man zuerſt einen „hohlen Boden“ (tierra hueca), der bei dem großen Erdbeben des Jahres 1766 in zähes Erdöl gehüllten Asphalt auswarf; weiterhin ſieht man eine Unzahl warmer ſchwefelwaſſerſtoffhaltiger Quellen aus dem Boden brechen, und endlich kommt man zum See Campoma, deſſen Ausdünſtungen zum Teil die Ungeſundheit des Klimas von Cariaco veranlaſſen. Die Eingeborenen glauben, der Boden ſei deshalb hohl, weil die warmen Waſſer ſich hier aufgeſtaut haben, und nach dem Schall des Hufſchlags ſcheinen ſich die unterirdiſchen Höhlungen von Weſt nach Oſt bis Caſanay, 5,8 bis 7,9 km weit zu erſtrecken. Ein Flüßchen, der Rio Azul, läuft durch dieſe Ebenen. Sie ſind zerklüftet infolge von Erdbeben, die hier einen beſonderen Herd haben und ſich ſelten bis Cumana fortpflanzen. Das Waſſer des Rio Azul iſt kalt und hell; er entſpringt am weſtlichen Abhange des Meapire, und man glaubt, er ſei deshalb ſo ſtark, weil das Gewäſſer des Putacuaoſees auf der anderen Seite des Ge— birgszuges durchſickere. Das Flüßchen und die ſchwefelwaſſer— ſtoffhaltigen Quellen ergießen ſich zuſammen in die Laguna de Campona. So heißt ein weites Sumpfland, das in der trockenen Jahreszeit in drei Becken zerfällt, die nordweſtlich von der Stadt Cariaco am Ende des Meerbuſens liegen. Uebelriechende Dünſte ſteigen fortwährend vom ſtehenden Sumpf— waſſer auf. Sie riechen nach Schwefelwaſſerſtoff und zugleich nach faulen Fiſchen und zerſetzten Vegetabilien. Die Miasmen bilden ſich im Thale von Cariaco gerade wie in der römiſchen Campagna; aber durch die tropiſche Hitze wird ihre verderbliche Kraft geſteigert. Durch die Lage der A. v. Humboldt, Reiſe. I. 19 — 290 — Laguna von Campoma wird der Nordweſt, der ſehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt Cariaco höchſt gefährlich. Sein Einfluß unterliegt deſto weniger einem Zweifel, da die Wechſelfieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen Miasmen iſt, immer häufiger in Nerven— fieber übergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der Nordküſte des Meerbuſens von Cariaco kleine Pflanzungen beſitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit ſiech in ihren Hänge— matten. Dieſe Fieber nehmen den Charakter remittierender bösartiger Fieber an, wenn man ſich, erſchöpft von langer Arbeit und ſtarker Hautausdünſtung, dem feinen Regen aus- ſetzt, der gegen Abend häufig fällt. Die Farbigen, beſonders aber die Kreolenneger, widerſtehen den klimatiſchen Einflüſſen mehr als irgend ein anderer Menſchenſchlag. Man behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von Scoparia dulcis, ſelten mit Cuſpare, d. h. mit der Chinarinde von Angoſtura. . Im ganzen iſt bei den Epidemieen in Cariaco die Sterb— lichkeit geringer, als man erwarten ſollte. Wenn das Wechſel— fieber mehrere Jahre hintereinander einen Menſchen befällt, ſo greift es den Körper ſtark an und bringt ihn herunter; aber dieſer Schwächezuſtand, der in ungeſunden Gegenden ſo häufig vorkommt, führt nicht zum Tode. Auch iſt es merk— würdig, daß hier, wie in der römiſchen Campagna, der Glaube herrſcht, die Luft ſei in dem Maße ungeſünder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen, die dieſen Ebenen entſteigen, haben indeſſen nichts gemein mit jenen, die ſich bilden, wenn man einen Wald niederſchlägt und nun die Sonne eine dicke Schicht abgeſtorbenen Laubes erhitzt; bei Cariaco iſt das Land kahl und ſehr ſparſam be— waldet. Soll man glauben, daß friſch aufgewühlte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden be— deckt? Zu dieſen örtlichen Urſachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe Meeresufer iſt mit Manglebäumen, Avicennien und anderen Baumarten mit adſtringierender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner ſind mit den ſchädlichen Aus— dünſtungen dieſer Gewächſe bekannt, und man fürchtet ſie deſto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Waſſer ſtehen, ſondern abwechſelnd naß und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebäume erzeugen Miasmen, weil ſie, wie ich anderswo gezeigt habe, einen tieriſch-vegetabiliſchen, an — 291 — Gerbſtoff gebundenen Stoff enthalten. Man behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meere zuſammenhängt, ließe ſich leicht erweitern und ſo dem ſtehen— den Waſſer ein Abfluß verſchaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland häufig betreten, verſichern ſogar, der Durchſtich brauchte gar nicht tief zu ſein, da das kalte, klare Waſſer des Rio Azul ſich auf dem Boden des Sees befindet und man beim Nachgraben aus den unteren Schichten trinkbares, geruch— loſes Waſſer erhält. Die Stadt Cariaco iſt mehrere Male von den Kariben verheert worden. Die Bevölkerung hat raſch zugenommen, ſeit die Provinzialbehörden, den Verboten des Madrider Hofes zuwider, nicht ſelten dem Handel mit fremden Kolonieen Vor— ſchub geleiſtet haben. Sie hat ſich in zehn Jahren verdoppelt und betrug im Jahre 1800 über 6000 Seelen. Die Ein— wohner treiben ſehr fleißig Baumwollenbau; die Baumwolle iſt ſehr ſchön und es werden mehr als 10000 Zentner er— zeugt. Die leeren Hülſen der Baumwolle werden ſorgſam verbrannt; wirft man ſie in den Fluß, wo ſie faulen, ſo er— zeugen ſie Ausdünſtungen, die man für ſchädlich hält. Der Bau des Kakaobaumes hat in letzter Zeit ſehr abgenommen. Dieſer köſtliche Baum trägt erſt im achten bis zehnten Jahre. Die Frucht iſt ſchwer in Magazinen aufzubewahren, und nach Jahresfriſt „geht ſie an“, wenn ſie noch ſo ſorgfältig ge— trocknet worden iſt. Dieſer Nachteil iſt für den Koloniſten von großem Belang. Auf dieſen Küſten iſt je nach der Laune eines Miniſteriums und dem mehr oder minder kräftigen Widerſtande der Statthalter der Handel mit den Neutralen bald verboten, bald mit gewiſſen Beſchränkungen geſtattet. Die Nachfrage nach einer Ware und die Preiſe, die ſich nach der Nachfrage beſtimmen, unterliegen daher dem raſcheſten Wechſel. Der Koloniſt kann ſich dieſe Schwankungen nicht zu nutze machen, weil ſich der Kakao in den Magazinen nicht hält. Die alten Kakaoſtämme, die meiſt nur bis zum vierzigſten Jahre tragen, ſind daher nicht durch junge erſetzt worden. Im Jahre 1792 zählte man ihrer noch 254000 im Thale von Cariaco und am Ufer des Meerbuſens. Gegenwärtig zieht man andere Kulturzweige vor, welche gleich im erſten Jahre einen Ertrag liefern und deren Produkte nicht nur nicht ſo lange auf ſich warten laſſen, ſondern auch leichter auf— zubewahren ſind. Solche ſind Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbnis unterliegen wie der Kakao und ſich auf— — 292 — bewahren laſſen, ſo daß man ſie im günſtigſten Zeitpunkte losſchlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort— ſchreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten und Charakter der Küſtenbewohner erlitten, haben auch be— ſtimmend mitgewirkt, wenn fie jetzt dieſem und jenem Kultur: zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der ſinnlichen Be— gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe, welche die trübſelige Eintönigkeit des einſamen Lebens ertragen läßt, verſchwinden nach und nach aus dem Charakter der Hiſpano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtſinniger, beweglicher und werfen ſich mehr auf Unternehmungen, die einen raſchen Ertrag geben. Nur im Inneren der Provinz, oſtwärts von der Sierra de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbuſen von Paria entſtehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort deſto ein— träglicher, je mehr die Luft über dem friſch urbar gemachten, von Wäldern umgebenen Lande ſtockt, je mehr ſie mit Waſſer und mephitiſchen Dünſten geſchwängert iſt. Hier leben Fa— milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloniſten, ſich und ihren Kindern langſam, aber ſicher Wohlſtand erarbeiten. Sie behelfen ſich bei ihrer mühſamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; ſie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananenbäume, beſchneiden den erwachſenen Baum, vertilgen die Maſſen von Würmern und Inſekten, welche Rinde, Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und unterziehen ſich ſieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig— tauſend Stämme ſichern den Wohlſtand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaca beſchränkt worden iſt, ſo hat dagegen letzterer Zweig der Kolonialinduſtrie im Inneren der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Kakaopflanzungen ſich von Weſt nach Oſt mehr und mehr ausbreiten, iſt leicht einzuſehen. Die Provinz Caracas iſt die am früheſten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht iſt, deſto baumloſer wird es in der heißen Zone, deſto dürrer, deſto mehr den Winden ausgeſetzt. Dieſer Wechſel in der äußeren Natur iſt dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich, und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas — 293 — ein und häufen ſich dafür weſtwärts auf unberührtem, erſt kürzlich urbar gemachtem Boden. Die Provinz Neuandaluſien allein erzeugte im Jahre 1799 18 000 bis 20000 Fanegas Kakao (zu 40 Piaſtern die Fanega in Friedenszeiten), wovon 5000 nach der Inſel Trinidad geſchmuggelt wurden. Der Kakao von Cumana iſt ohne allen Vergleich beſſer als der von Guayaquil. Die in Cariaco herrſchenden Fieber nötigten uns zu unſerem Bedauern, unſeren Aufenthalt daſelbſt abzukürzen. Da wir noch nicht recht akklimatiſiert waren, ſo rieten uns ſelbſt die Koloniſten, an die wir empfohlen waren, uns auf den Weg zu machen. Wir lernten in der Stadt viele Leute kennen, die durch eine gewiſſe Leichtigkeit des Benehmens, durch umfaſſenderen Ideenkreis und, darf ich hinzuſetzen, durch entſchiedene Vorliebe für die Regierungsform der Vereinigten Staaten verrieten, daß ſie viel mit dem Auslande in Verkehr geſtanden. Hier hörten wir zum erſtenmal in dieſem Himmels— ſtriche die Namen Franklin und Waſhington mit Begeiſterung ausſprechen. Neben dem Ausdrucke dieſer Begeiſterung be— kamen wir Klagen zu hören über den gegenwärtigen Zuſtand von Neuandaluſien, Schilderungen, oft übertriebene, des natür— lichen Reichtumes des Landes, leidenſchaftliche, ungeduldige Wünſche für eine beſſere Zukunft. Dieſe Stimmung mußte einem Reiſenden auffallen, der unmittelbarer Zeuge der großen politiſchen Erſchütterungen in Europa geweſen war. Noch gab ſich darin nichts Feindſeliges, Gewaltſames, keine beſtimmte Richtung zu erkennen. Gedanken und Ausdruck hatten die Unſicherheit, die, bei den Völkern wie beim einzelnen, als ein Merkmal der halben Bildung, der voreilig ſich entwickelnden Kultur erſcheint. Seit die Inſel Trinidad eine engliſche Kolonie geworden iſt, hat das ganze öſtliche Ende der Provinz Cumana, zumal die Küſte von Paria und der Meerbuſen dieſes Namens ein ganz anderes Geſicht bekommen. Fremde haben ſich da niedergelaſſen und den Bau des Kaffeebaumes, des Baumwollenſtrauches, des tahitiſchen Zuckerrohres ein— geführt. In Carupano, im ſchönen Thale des Rio Caribe, in Guire und im neuen Flecken Punta de Pietro gegenüber dem Puerto d'Eſpana auf Trinidad hat die Bevölkerung ſehr ſtark zugenommen. Im Golfo triste iſt der Boden ſo frucht— bar, daß der Mais jährlich zwei Ernten und das 380. Korn gibt. Die Vereinzelung der Niederlafjungen hat dem Handel mit fremden Kolonieen Vorſchub geleiſtet, und ſeit dem Jahre — 294 — 1797 iſt eine geiſtige Umwälzung eingetreten, die in ihren Folgen dem Mutterlande noch lange nicht verderblich geworden wäre, hätte nicht das Miniſterium fort und fort alle Intereſſen gekränkt, alle Wünſche mißachtet. Es gibt in den Streitig— keiten der Kolonieen mit dem Mutterlande, wie faſt in allen Volksbewegungen, einen Moment, wo die Regierungen, wenn ſie nicht über den Gang der menſchlichen Dinge völlig ver— blendet ſind, durch kluge, fürſichtige Mäßigung das Gleich— gewicht herſtellen und den Sturm beſchwören können. Laſſen ſie dieſen Zeitpunkt vorübergehen, glauben ſie durch phyſiſche Gewalt eine moraliſche Bewegung niederſchlagen zu können, ſo gehen die Ereigniſſe unaufhaltſam ihren Gang und die Trennung der Kolonieen erfolgt mit deſto verderblicherer Ge— waltſamkeit, wenn das Mutterland während des Streites ſeine Monopole und ſeine frühere Gewalt wieder eine Zeitlang hatte aufrecht erhalten können. Wir ſchifften uns morgens ſehr früh ein, in der Hoff: nung, die Ueberfahrt über den Meerbuſen von Cariaco in einem Tage machen zu können. Das Meer iſt hier nicht unruhiger als unſere großen Landſeen, wenn ſie vom Winde ſanft bewegt werden. Es find vom Landungsplatze nach Cu⸗ mana nur 22,5 km. Als wir die kleine Stadt Cariaco im Rücken hatten, gingen wir weſtwärts am Fluſſe Carenicuar hin, der ſchnurgerade wie ein künſtlicher Kanal durch Gärten und Baumwollenpflanzungen läuft. Der ganze, etwas ſumpfige Boden iſt aufs ſorgſamſte angebaut. Während unſeres Auf: enthaltes in Peru wurde hier auf trockeneren Stellen der Kaffeebau eingeführt. Wir ſahen am Fluſſe indianiſche Weiber ihr Zeug mit der Frucht des Parapara (Sapindus saponaria) waſchen. Feine Wäſche ſoll dadurch ſehr mitgenommen werden. Die Schale der Frucht gibt einen ſtarken Schaum und die Frucht iſt ſo elaſtiſch, daß ſie, wenn man ſie auf einen Stein wirft, drei-, viermal 2 bis 3 m hoch aufſpringt. Da ſie kugelicht iſt, verfertigt man Roſenkränze daraus. Kaum waren wir zu Schiffe, ſo hatten wir mit widrigen Winden zu kämpfen. Es regnete in Strömen und ein Ge⸗ witter brach in der Nähe aus. Scharen von Flamingos, Reihern und Kormoranen zogen dem Ufer zu. Nur der Al⸗ katras, eine große Pelikanart, fiſchte ruhig mitten im Meer: buſen weiter. Wir waren unſer achtzehn Paſſagiere, und auf der engen, mit Rohrzucker, Piſangbüſcheln und Kokosnüſſen überladenen Piroge (Fancha) konnten wir unſere Inſtrumente — 295 — und Sammlungen kaum unterbringen. Der Rand des Fahr— zeuges ſtand kaum über Waſſer. Der Meerbuſen iſt faſt überall 82 bis 91 m tief, aber am öſtlichen Ende bei Cura— guaca findet das Senkblei 22,5 km weit nur 5,5 bis 7,3 m. Hier liegt der Baxo de la Cotua, eine Sandbank, die bei der Ebbe als Eiland über Waſſer kommt. Die Pirogen, die Lebensmittel nach Cumana bringen, ſtranden manchmal daran, aber immer ohne Gefahr, weil die See hier niemals hoch geht und ſcholkt. Wir fuhren über den Strich des Meerbuſens, wo auf dem Boden der See heiße Quellen entſpringen. Es war gerade Flut und daher der Temperaturwechſel weniger merkbar; auch fuhr unſere Piroge zu nahe an der Südküſte hin. Man ſieht leicht, daß man Waſſerſchichten von ver— ſchiedener Temperatur antreffen muß, je nachdem die See mehr oder minder tief iſt, oder je nachdem die Strömungen und der Wind die Miſchung des warmen Quellwaſſers und des Waſſers des Golfes befördern. Dieſe heißen Quellen, die, wie behauptet wird, auf 380 bis 460 a die Temperatur der See erhöhen, ſind eine ſehr merkmürdige Erſcheinung. Geht man vom Vorgebirge Paria weſtwärts über Irapa, Aguas calientes, den Meerbuſen von Cariaco, den Brigantin und die Thäler von Aragua bis zu den Schneegebirgen von Merida, ſo findet man auf einer Strecke von mehr als 675 km eine ununterbrochene Reihe von warmen Quellen. j Der widrige Wind und der Regen nötigten uns, bei Pericantral, einem kleinen Hofe auf der Südküſte des Meer— buſens, zu landen. Dieſe ganze ſchön bewachſene Küſte iſt faſt ganz unbebaut; man zählt kaum 700 Einwohner und außer dem Dorfe Mariguitar ſieht man nichts als Pflanzungen von Kokosbäumen, die die Oelbäume des Landes ſind. Dieſe Palme wächſt in beiden Kontinenten in einer Zone, wo die mittlere Jahrestemperatur nicht unter 20 o beträgt. Sie iſt wie der Chamärops im Becken des Mittelmeeres eine wahre „Küſtenpalme“. Sie zieht Salzwaſſer dem ſüßen Waſſer vor und kommt im Inneren des Landes, wo die Luft nicht mit Salzteilchen geſchwängert iſt, lange nicht ſo gut fort als auf den Küſten. Wenn man in Terra Firma oder in den Miſ— ſionen am Orinoko Kokosnußbäume weit von der See pflanzt, wirft man ein ſtarkes Quantum Salz, oft einen halben Scheffel, in das Loch, in das die Kokosnüſſe gelegt werden. Unter den Kulturgewächſen haben nur noch das Zuckerrohr, der Bananenbaum, der Mammei und der Avoaatier, gleich — 296 — dem Kokosnußbaum, die Eigenſchaft, daß ſie mit ſüßem oder mit Salzwaſſer begoſſen werden können. Dieſer Umſtand be⸗ günſtigt ihre Verpflanzung, und das Zuckerrohr von der Küſte gibt zwar einen etwas ſalzigen Saft, derſelbe eignet ſich aber, wie man glaubt, beſſer zur Branntweindeſtillation als der Saft aus dem Binnenlande. Im übrigen Amerika wird der Kokosnußbaum meiſt nur um die Höfe gepflanzt, und zwar um der eßbaren Frucht willen; am Meerbuſen von Cariaco dagegen ſieht man eigent- liche Pflanzungen davon. Man ſpricht in Cumana von einer Hacienda de coco, wie von einer Hacienda de cana oder cacao. Auf fruchtbarem, feuchtem Boden fängt der Kokos⸗ baum im vierten Jahre an reichlich Früchte zu tragen; auf dürrem Lande dagegen erhält man vor dem zehnten Jahre keine Ernte. Der Baum dauert nicht über 80 bis 100 Jahre aus, und er iſt dann im Durchſchnitt 21 bis 26 m hoch. Dieſes raſche Wachstum iſt deſto auffallender, da andere Palmen, z. B. der Moriche (Mauritia flexuosa) und die Palma de Sombrero (Coripha tectorum), die ſehr lange leben, im ſechzigſten Jahr oft erſt 4,5 bis 5,8 m hoch ſind. In den erſten dreißig bis vierzig Jahren trägt am Meerbuſen von Cariaco ein Kokosbaum jeden Monat einen Büſchel mit 10 bis 14 Früchten, von denen jedoch nicht alle reif werden. Man kann im Durchſchnitt jährlich auf den Baum 100 Nüſſe rechnen, die acht Flascos! Del geben. Der Flasco gilt zwei einen halben Silberreal oder 32 Sous. In der Provence gibt ein dreißigjähriger Oelbaum zwanzig Pfund oder ſieben Flascos Oel, alſo etwas weniger als der Kokosbaum. Es gibt im Meerbuſen von Cariaco Hacienden mit 8000 bis 9000 Kokosbäumen; ihr maleriſcher Anblick erinnert an die herr⸗ lichen Dattelpflanzungen bei Elche in Murcia, wo auf 20 qkm über 70000 Palmſtämme bei einander ſtehen. Der Kokosbaum trägt nur bis zum dreißigſten bis vierzigſten Jahre reichlich, dann nimmt der Ertrag ab und ein hundertjähriger Stamm iſt zwar nicht ganz unfruchtbar, bringt aber ſehr wenig mehr ein. In der Stadt Cumana wird ſehr viel Kokosnußöl ge⸗ ſchlagen; es iſt klar, geruchlos und ein gutes Brennmaterial. Der Handel damit iſt ſo lebhaft als auf der Weſtküſte von Afrika der Handel mit Palmöl, das von Elays guineensis kommt. Dieſes iſt ein Speiſeöl. In Cumana ſah ich mehr Der Flasco zu 70 bis 80 Pariſer Kubikzoll. . — 297 — als einmal Pirogen ankommen, die mit 3000 Kokosnüſſen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jähr⸗ liches Einkommen von 2½ Piaſtern (14 Franken 5 Sous), da aber auf den Haciendas de coco Stämme von verſchiede⸗ nem Alter durcheinander ſtehen, ſo wird bei Schätzungen durch Sachverſtändige das Kapital nur zu 4 Piaſtern angenommen. Wir verließen den Hof Pericantral erſt nach Sonnen⸗ untergang. Die Südküſte des Meerbuſens in ihrem reichen Pflanzenſchmuck bietet den lachendſten Anblick, die Nordküſte dagegen iſt felſig, nackt und dürr. Trotz des dürren Bodens und des ſeltenen Regens, der zuweilen 15 Monate ausbleibt, wachſen auf der Halbinſel Araya (wie in der Wüſte Canound in Indien) 15 bis 25 kg ſchwere Patillas oder Waſſer⸗ melonen. In der heißen Zone iſt die Luft etwa zu 10 mit Waſſerdunſt geſättigt und die Vegetation erhält ſich dadurch, daß die Blätter die wunderbare Eigenſchaft haben, das in der Luft aufgelöſte Waſſer einzuſaugen. Wir hatten auf der engen, überladenen Piroge eine recht ſchlechte Nacht und be- fanden uns um 3 Uhr morgens an der Mündung des Rio Manzanares. Wir waren ſeit mehreren Wochen an den An⸗ blick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finſtere Wälder ge: wöhnt, und ſo fielen uns jetzt die Naturverhältniſſe von Cu⸗ mana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Maſſe des überall zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf. Bei Sonnenaufgang ſahen wir Tamurosgeier (Vultur aura) zu vierzigen und fünfzigen auf den Kokosnußbäumen ſitzen. Dieſe Vögel hocken zum Schlafen in Reihen zuſammen wie die Hühner, und ſie ſind ſo träge, daß ſie, lange ehe die Sonne untergeht, aufſitzen und erſt wieder erwachen, wenn ihre Scheibe bereits über dem Horizont ſteht. Es iſt, als ob die Bäume mit gefiederten Blättern nicht minder träge wären. Die Mimoſen und Tamarinden ſchließen bei heiterem Himmel ihre Blätter 25 bis 30 Minuten vor Sonnenuntergang, und ſie öffnen ſie am Morgen erſt, wenn die Scheibe bereits eben⸗ ſo lange am Himmel ſteht. Da ich Sonnenauf- und Unter⸗ gang ange regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luft⸗ ſpiegelung und der irdiſchen Refraktion zu verfolgen, ſo konnte ich auch die Erſcheinungen des Pflanzenſchlafes fortwährend im Auge behalten. Ich fand ſie gerade ſo in den Steppen, wo der Blick auf den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens unterbrochen wird. Die ſogenannten Sinnpflanzen und andere Schotengewächſe mit feinen zarten Blättern empfinden, ſcheint — 298 — es, da ſie den Tag über an ein ſehr ſtarkes Licht gewöhnt ſind, abends die geringſte Abnahme in der Stärke der Licht⸗ ſtrahlen, ſo daß für dieſe Gewächſe, dort wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenſcheibe ganz verſchwunden iſt. Aber wie kommt es, daß in einem Erdſtriche, wo es faſt keine Dämmerung gibt, die erſten Sonnenſtrahlen die Blätter nicht um ſo ſtärker aufregen, da durch Abweſenheit des Lichtes ihre Reizbarkeit geſteigert worden ſein muß? Läßt ſich viel⸗ leicht annehmen, daß die Feuchtigkeit, die ſich durch die Er: kaltung der Blätter infolge der nächtlichen Strahlung auf dem Parenchym niederſchlägt, die Wirkung der erſten Sonnen⸗ ſtrahlen hindert? In unſeren Himmelsſtrichen erwachen die Schotengewächſe mit reizbaren Blättern ſchon ehe die Sonne ſich zeigt, in der Morgendämmerung. — —-— Geſammelte Werke Alexander von Humboldt. Sechſter Band. Reiſe II. Stuttgart. Perlag der J. G. Cokta'ſchen Buchhandlung Nachfolger. Alexander von Humbeldts Rliſe in die Arquinaktial⸗Gegenden des neuen Kontinents. In deutſcher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfaſſers. Einzige von A. von Humholdt anerkannte Ausgabe in deutſcher Sprache. — — Zweiter Band. Stuttgart. Derlag der I. G. Cokka'ſchen Buchhandlung Nachfolger. E 5 E Reiſe in die Argninoktial-Öegenden. A. v. Humboldt, Reije. II. 1 Ueuntes Kapitel. Körperbeſchaffenheit und Sitten der Chaymas. — Ihre Sprachen. Der Beſchreibung unſerer Reiſe nach den Miſſionen am Caripe wollte ich keine allgemeinen Betrachtungen über die Stämme der Eingeborenen, welche Neuandaluſien bewohnen, über ihre Sitten, ihre Sprache und ihren gemeinſamen Ur— ſprung einflechten. Jetzt, da wir wieder am Orte ſind, von dem wir ausgegangen, möchte ich alles dies, das für die Geſchichte des Menſchengeſchlechtes von ſo großer Bedeutung iſt, unter einem Geſichtspunkt zuſammenfaſſen. Je weiter wir von jetzt an ins Binnenland eindringen, deſto mehr wird uns das Intereſſe für dieſe Gegenſtände, den Erſcheinungen der phyſiſchen Natur gegenüber, in Anſpruch nehmen. Der nordöſtliche Teil des tropiſchen Amerikas, Terra Firma und die Ufer des Orinoko, gleichen hinſichtlich der Mannigfaltig— keit der Völkerſchaften, die ſie bewohnen, den Thälern des Kaukaſus, den Bergen des Hindu-khu, dem nördlichen Ende Aſiens, jenſeits der Tunguſen und Tataren, die an der Mün— dung des Lena hauſen. Die Barbarei, die in dieſen ver— ſchiedenen Landſtrichen herrſcht, iſt vielleicht nicht ſowohl der Ausdruck urſprünglicher völliger Kulturloſigkeit, als vielmehr die Folge langer Verſunkenheit. Die meiſten der Horden, die wir Wilde nennen, ſtammen wahrſcheinlich von Völkern, die einſt auf bedeutend höherer Kulturſtufe ſtanden, und wie ſoll man ein Stehenbleiben im Kindesalter der Menſchheit (wenn ein ſolches überhaupt vorkommt) vom Zuſtand ſittlichen Verfalles unterſcheiden, in dem Vereinzelung, die Not des Lebens, gezwungene Wanderungen, oder ein grauſames Klima jede Spur von Kultur ausgetilgt haben? Wenn alles, was ſich auf die urſprünglichen Zuſtände des Menſchen und auf die älteſte Bevölkerung eines Feſtlandes bezieht, an und für B 1 “ fih der Geſchichte angehörte, ſo würden wir uns auf die indiſchen Sagen berufen, auf die Anficht, die in den Geſetzen Manus und im Namayana jo oft ausgeſprochen wird, nach der die Wilden aus der bürgerlichen Geſellſchaft ausgeſtoßene, in die Wälder getriebene Stämme ſind. Das Wort Barbar, das wir von Griechen und Römern angenommen, iſt vielleicht nur der Name einer ſolchen verſunkenen Horde. Zu Anfang der Eroberung Amerikas beſtanden große geſellſchaftliche Vereine unter den Eingeborenen nur auf dem Rücken der Kordilleren und auf den Aſien gegenüber liegenden Küſten. Auf den mit Wald bedeckten, von Flüſſen durch: ſchnittenen Ebenen, auf den endloſen Savannen, die ſich oft- wärts ausbreiten und den Horizont begrenzen, traf man nur umherziehende Völkerſchaften, getrennt durch Verſchiedenheit der Sprache und der Sitten, zerſtreut gleich den Trümmern eines Schiffbruchs. Wir wollen verſuchen, ob uns in Er- mangelung aller anderen Denkmale die Verwandtſchaft der Sprachen und die Beobachtung der Körperbildung dazu dienen können, die verſchiedenen Stämme zu gruppieren, die Spuren ihrer weiten Wanderungen zu verfolgen und ein paar jener Familienzüge aufzufinden, durch die ſich die urſprüngliche Einheit unſeres Geſchlechtes verrät. Die Eingeborenen oder Ureinwohner bilden in den Län: dern, deren Gebirge wir vor kurzem durchwandert, in den beiden Provinzen Cumana und Nueva Barcelona, beinahe noch die Hälfte der ſchwachen Bevölkerung. Ihre Kopfzahl läßt ſich auf 60 000 ſchätzen, wovon 24000 auf Neuanda⸗ luſien kommen. Dieſe Zahl iſt bedeutend gegenüber der Stärke der Jägervölker in Nordamerika; ſie erſcheint klein, wenn man die Teile von Neuſpanien dagegen hält, wo ſeit mehr als acht Jahrhunderten der Ackerbau beſteht, z. B. die Intendanz Oaxaca, in der die Mixteca und Tzapoteca des alten mexikaniſchen Reiches liegen. Dieſe Intendanz iſt um ein Dritteil kleiner als die zwei Provinzen Cumana und Barcelona zuſammen, zählt aber über 400 000 Einwohner von der reinen kupferfarbigen Raſſe. Die Indianer in Cumana leben nicht alle in den Miſſionsdörfern; man findet ſie zer⸗ ſtreut in der Umgegend der Städte, auf den Küſten, wohin ſie des Fiſchfangs wegen ziehen, ſelbſt auf den kleinen Höfen in den Llanos oder Savannen. In den Miſſionen der ara⸗ goneſiſchen Kapuziner, die wir beſucht, leben allein 15 000 Indianer, die faſt ſämtlich dem Chaymasſtamm angehören. zu 5 — Indeſſen find die Dörfer dort nicht fo ſtark bevölkert, wie in der Provinz Barcelona. Die mittlere Seelenzahl iſt nur 500 bis 600, während man weiter nach Weſten in den Miſſionen der Franziskaner von Piritu indianiſche Dörfer mit 2000 bis 3000 Einwohnern trifft. Wenn ich die Zahl der Eingeborenen in den Provinzen Cumana und Barcelona auf 60 000 ſchätzte, jo meinte ich nur die in Terra Firma lebenden, nicht die Guaikeri auf der Inſel Margarita und die große Maſſe der Guaraunen, die auf den Inſeln im Delta des Orinoko ihre Unabhängigkeit behauptet haben. Dieſe ſchätzt man gemeiniglich auf 6000 bis 8000; dies ſcheint mir aber zu viel. Außer den Guaraunenfamilien, die ſich hie und da auf den ſumpfigen, mit Morichepalmen bewachſenen Landſtrichen (zwiſchen dem Caßo Manamo und dem Rio Guarapiche), alſo auf dem Feſtlande ſelbſt blicken laſſen, gibt es ſeit dreißig Jahren in Neuandaluſien keine wilden India⸗ ner mehr. Ungern brauche ich das Wort wild, weil es zwiſchen dem unterworfenen, in den Miſſionen lebenden, und dem freien oder unabhängigen Indianer einen Unterſchied in der Kultur vorausſetzt, dem die Erfahrung häufig widerſpricht. In den Wäldern Südamerikas gibt es Stämme Eingeborener, die unter Häuptlingen friedlich in Dörfern leben, auf ziemlich ausgedehntem Gebiete Piſang, Maniok und Baumwolle bauen und aus letzterer ihre Hängematten weben. Sie ſind um nichts barbariſcher als die nackten Indianer in den Miſſionen, die man das Kreuz hat ſchlagen lehren. Die irrige Meinung, als wären ſämtliche nicht unterworfene Eingeborene umher⸗ ziehende Jägervölker, iſt in Europa ziemlich verbreitet. In Terra Firma beſtand der Ackerbau lange vor Ankunft der Europäer; er beſteht noch jetzt zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrome in den Lichtungen der Wälder, wohin nie ein Miſſionär den Fuß geſetzt hat. Das verdankt man aller⸗ dings dem Regiment der Miſſionen, daß der Eingeborene a gem an Grund und Boden bekommt, ſich an feſten Wohnſitz gewöhnt und ein ruhigeres, friedlicheres Leben lieben lernt. Aber der Fortſchritt in dieſer Beziehung iſt langſam, oft unmerklich, weil man die Indianer völlig von allem Ver⸗ kehr abſchneidet, und man macht ſich ganz falſche Vorſtellungen vom gegenwärtigen Zuſtande der Völker in Südamerika, wenn man einerſeits chriſtlich, unterworfen und civiliſiert, andererſeits heidniſch, wild und unabhängig für gleich— le = bedeutend hält. Der unterworfene Indianer iſt häufig jo wenig ein Chriſt als der unabhängige Götzendiener; beide ſind völlig vom augenblicklichen Bedürfnis in Anſpruch ge— nommen, und bei beiden zeigt ſich in gleichem Maße voll— kommene Gleichgültigkeit gegen chriſtliche Vorſtellungen und der geheime Hang, die Natur und ihre Kräfte göttlich zu verehren. Ein ſolcher Gottesdienſt gehört dem Kindesalter der Völker an; er kennt noch keine Götzen und keine heiligen Orte außer Höhlen, Schluchten und Forſten. Wenn die unabhängigen Indianer nördlich vom Orinoko und Apure, d. h. von den Schneebergen von Merida bis zum Vorgebirge Paria, ſeit einem Jahrhundert faſt ganz ver— ſchwunden ſind, ſo darf man daraus nicht ſchließen daß es jetzt in dieſen Ländern weniger Eingeborene gibt, als zur Zeit des Biſchofs von Chiapa, Bartholomäus Las Caſas. In meinem Werke über Mexiko habe ich dargethan, wie ſehr man irrt, wenn man die Ausrottung der Indianer oder auch nur die Abnahme ihrer Volkszahl in den ſpaniſchen Kolonieen als eine allgemeine Thatſache hinſtellt. Die kupferfarbige Raſſe iſt auf beiden Feſtländern Amerikas noch über ſechs Millionen ſtark, und obgleich unzählige Stämme und Sprachen ausgeſtorben ſind oder ſich verſchmolzen haben, ſo unterliegt es doch keinem Zweifel, daß zwiſchen den Wendekreiſen, in dem Teile der Neuen Welt, in den die Kultur erſt ſeit Chriſtoph Kolumbus eingedrungen iſt, die Zahl der Eingeborenen be: deutend zugenommen hat. Zwei karibiſche Dörfer in den Miſſionen von Piritu oder am Carony zählen mehr Familien als vier oder fünf Völkerſchaften am Orinoko. Die geſell— ſchaftlichen Zuſtände der unabhängig gebliebenen Kariben an den Quellen des Eſſequibo und ſüdlich von den Bergen von Pacaraima thun zur Genüge dar, wie ſehr auch bei dieſem ſchönen Menſchenſchlage die Bevölkerung der Miſſionen die Maſſe der unabhängigen und verbündeten Kariben überſteigt. Uebrigens verhält es ſich mit den Wilden im heißen Erd— ſtrich ganz anders als mit denen am Miſſouri. Dieſe be- dürfen eines weiten Gebietes, weil ſie nur von der Jagd leben; die Indianer in ſpaniſch Guyana dagegen bauen Maniok und Bananen, und ein kleines Stück Land reicht zu ihrem Unterhalt hin. Sie ſcheuen nicht die Berührung mit den Weißen, wie die Wilden in den Vereinigten Staaten, die, nacheinander hinter die Alleghanies, hinter Ohio und Miſſiſſippi zurückgedrängt, ſich den Lebensunterhalt in dem 7 UT Be Maße abgeſchnitten ſehen, in dem man ihr Gebiet beſchränkt. In den gemäßigten Zonen, in den provincias internas von Mexiko ſo gut wie in Kentucky iſt die Berührung mit den europäiſchen Anſiedlern den Eingeborenen verderblich geworden, weil die Berührung dort eine unmittelbare iſt. Im größten Teil von Südamerika fallen dieſe Urſachen en Unter den Tropen bedarf der Ackerbau keiner weiten Landſtrecken, und die Weißen breiten ſich langſam aus. Die Mönchsorden haben ihre Niederlaſſungen zwiſchen den Be- ſitzungen der Koloniſten und dem Gebiete der freien Indianer gegründet. Die Miſſionen ſind als Zwiſchenſtaaten zu be— trachten; ſie haben allerdings die Freiheit der Eingeborenen beſchränkt, aber faſt allerorten iſt durch ſie eine Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden, wie ſie beim Nomaden— leben Der unabhängigen Indianer nicht möglich iſt. Im Maße als die Ordensgeiſtlichen gegen die Wälder vor— rücken und den Eingeborenen Land abgewinnen, ſuchen ihrer— ſeits die weißen Anſiedler von der anderen Seite her das Gebiet der Miſſionen in Beſitz zu bekommen. Dabei ſucht der weltliche Arm fortwährend die unterworfenen Indianer dem Mönchsregiment zu entziehen. Nach einem ungleichen Kampfe treten allmählich Pfarrer an die Stelle der Miſſionäre. Weiße und Miſchlinge laſſen ſich, begünſtigt von den Korregi— doren, unter den Indianern nieder. Die Miſſionen werden zu ſpaniſchen en und die Eingeborenen wiſſen bald gar nicht mehr, daß ſie eine Volksſprache gehabt haben. So rückt die Kultur von der Küſte ins Binnenland vor, lang: ſam, durch menſchliche Leidenſchaften aufgehalten, aber ſicheren, ie Schrittes. Die Provinzen Neuandaluſien und Barcelona, die man unter dem Namen Govierno de Cumana begreift, zählen in ihrer gegenwärtigen Bevölkerung mehr als vierzehn Völker⸗ ſchaften; es ſind in Neuandaluſien die Chaymas, Guaikeri, Pariagoten, Quaqua, Aruaken, Kariben und Guaraunen; in der Provinz Barcelona die Cumanagoten, Palenques, Kariben, Piritu, Tomuzen, Topocuaren, Chacopoten und Guariven. Neun oder zehn unter dieſen vierzehn Völker⸗ ſchaften glauben ſelbſt, daß ſie ganz verſchiedener Abſtammung ſind. Man weiß nicht genau, wie viele Guaraunen es gibt, die ihre Hütten an der Mündung des Orinoko auf Bäumen bauen; der Guaikeri in der Vorſtadt von Cumana und auf der Halbinſel Araya ſind es 2000 Köpfe. Unter den Be übrigen Völkerſchaften find die Chaymas in den Bergen von Caripe, die Kariben auf den ſüdlichen Savannen von Neu- barcelona und die Cumanagoten in den Miſſionen von Piritu die zahlreichſten. Einige Familien Guaraunen find auf dem linken Ufer des Orinoko, da wo das Delta beginnt, der Miſſionszucht unterworfen worden. Die Sprachen der Gua- raunen, Kariben, Cumanagoten und Chaymas ſind die ver- breitetſten. Wir werden bald ſehen, daß fie demſelben Sprach⸗ ſtamme anzugehören ſcheinen und in ihren grammatiſchen For- men ſo nahe verwandt ſind, wie, um bekanntere Sprachen zur Vergleichung herbeizuziehen, das Griechiſche, Deutſche, Perſiſche und Sanskrit. Trotz dieſer Verwandtſchaft ſind die Chaymas, Guarau— nen, Kariben, Quaqua, Aruaken und Cumanagoten als verſchiedene Völker zu betrachten. Von den Guaikeri, Paria⸗ goten, Piritu, Tomuzen und Chacopoten wage ich nicht das Gleiche zu behaupten. Die Guaikeri geben ſelbſt zu, daß ihre Sprache und die der Guaraunen einander nahe ſtehen. Beide ſind Küſtenvölker, wie die Malaien in der Alten Welt. Was die Stämme betrifft, die gegenwärtig die Mundarten der Cumanagoten, Kariben und Chaymas haben, ſo läßt ſich über ihre urſprüngliche Abſtammung und ihr Verhältnis zu anderen, ehemals mächtigeren Völkern ſchwer etwas ausſagen. Der Geſchichtſchreiber der Eroberung, wie die Geiſtlichen, welche die Entwickelung der Miſſionen be— ſchrieben haben, verwechſeln, nach der Weiſe der Alten, immer geographiſche Bezeichnungen mit Stammnamen. Sie ſprechen von Indianern von Cumana und von der Küſte von Paria, als ob die Nachbarſchaft der Wohnſitze gleiche Abſtammung bewieſe. Meiſt benennen ſie ſogar die Stämme nach ihren Häuptlingen, nach dem Berg oder dem Thale, die ſie bewohnen. Dadurch häuft ſich die Zahl der Völkerſchaften ins Unend⸗ liche und werden alle Angaben der Miſſionäre über die un⸗ gleichartigen Elemente in der Bevölkerung ihrer Miſſionen in hohem Grade ſchwankend. Wie will man jetzt ausmachen, ob der Tomuze und der Piritu verſchiedener Abſtammung ſind, da beide cumanagotiſch ſprechen, was im weſtlichen Teile des Govierno de Cumana die herrſchende Sprache iſt, wie die der Kariben und der Chaymas im ſüdlichen und öſtlichen? Durch die große Uebereinſtimmung in der Körperbildung werden Unterſuchungen derart ſehr ſchwierig. Die beiden Kontinente verhalten ſich in dieſer Beziehung völlig verſchie— u den; auf dem neuen findet man eine erſtaunliche Mannig— faltigkeit von Sprachen bei Völkern desſelben Urſprungs, die der Reiſende nach ihrer Körperlichkeit kaum zu unterſcheiden vermag; in der Alten Welt dagegen ſprechen körperlich un— gemein verſchiedene Völker, Lappen, Finnen und Eſthen, die germaniſchen Völker und die Hindu, die Perſer und die Kurden Sprachen, die im Bau und in den Wurzeln die größte Aehn— lichkeit miteinander haben. Die Indianer in den Miſſionen treiben ſämtlich Acker— bau, und mit Ausnahme derer, die in den hohen Gebirgen leben, bauen alle dieſelben Gewächſe; ihre Hütten ſtehen am einen Orte in Reihen wie am anderen; die Einteilung ihres Tagewerkes, ihre Arbeit im Gemeindeconuco, ihr Verhältnis zu den Miſſionären und den aus ihrer Mitte gewählten Be— amten, alles iſt nach Vorſchriften geordnet, die überall gelten. Und dennoch — und dies tft eine höchſt merkwürdige Beobach— tung in der Geſchichte der Völker — war dieſe große Gleich— förmigkeit der Lebensweiſe nicht imſtande die individuellen Züge, die Schattierungen, durch welche ſich die amerikaniſchen Völkerſchaften unterſcheiden, zu verwiſchen. Der Menſch mit kupferfarbiger Haut zeigt eine geiſtige Starrheit, ein zähes Feſthalten an den bei jedem Stamme wieder anders gefärbten Sitten und Gebräuchen, das der ganzen Raſſe recht eigentlich den Stempel aufdrückt. Dieſen Charakterzügen begegnet man unter allen Himmelsſtrichen vom Aequator bis zur Hudſons— bai und bis zur Magelhaensſchen Meerenge; ſie ſind bedingt durch die phyſiſche Organiſation der Eingeborenen, aber die mönchiſche Zucht leiſtet ihnen weſentlich Vorſchub. Es gibt in den Miſſionen nur wenige Dörfer, wo die Familien verſchiedenen Völkerſchaften angehören und nicht dieſelbe Sprache reden. Aus ſo verſchiedenartigen Elementen beſtehende Gemeinheiten ſind ſchwer zu regieren. Meiſt haben die Mönche ganze Nationen oder doch bedeutende Stücke derſelben Nation in nahe bei einander gelegenen Dörfern untergebracht. Die Eingeborenen ſehen nur Leute ihres eigenen Stammes; denn Hemmung des Verkehres, Vereinzelung, das iſt ein Hauptartikel in der Staatskunſt der Miſſionäre. Bei den unterworfenen Chaymas, Kariben, Tamanacas erhalten ſich die nationalen Eigentümlichkeiten um ſo mehr, da ſie auch noch ihre Sprachen beſitzen. Wenn ſich die Individualität des Menſchen in den Mundarten gleichſam abſpiegelt, ſo wirken dieſe wieder auf Gedanken und Empfindung zurück. — 10 — Durch dieſen innigen Verband zwiſchen Sprache, Volkscharakter und Körperbildung erhalten ſich die Völker einander gegenüber in ihrer Verſchiedenheit und Eigentümlichkeit, und dies iſt eine unerſchöpfliche Quelle von Bewegung und Leben in der geiſtigen Welt. Die Miſſionäre konnten den Indianern gewiſſe alte Ge— bräuche bei der Geburt eines Kindes, beim Mannbarwerden, bei der Beſtattung der Toten verbieten; ſie konnten es dahin bringen, daß ſie ſich nicht mehr die Haut bemalten oder in Kinn, Naſe und Wangen Einſchnitte machten; ſie konnten beim großen Haufen die abergläubiſchen Vorſtellungen aus— rotten, die in manchen Familien im geheimen ſich forterben; aber es war leichter, Gebräuche abzuſtellen und Erinnerungen zu verwiſchen, als die alten Vorſtellungen durch neue zu er⸗ ſetzen. In den Miſſionen iſt dem Indianer ſein Lebens— unterhalt geſicherter als zuvor. Er liegt nicht mehr in be⸗ ſtändigem Kampfe mit feindlichen Gewalten, mit Menſchen und Elementen, und führt ſo dem wilden, unabhängigen Indianer gegenüber ein einförmigeres, unthätigeres, der Ent— wickelung der Geiſtes- und Gemütskraft weniger günſtiges Leben. Wenn er gutmütig iſt, ſo kommt dies nur daher, weil er die Ruhe liebt, nicht weil er gefühlvoll iſt und ge— mütlich. Wo er außer Verkehr mit den Weißen auch all den Gegenſtänden fern geblieben iſt, welche die Kultur der Neuen Welt zugebracht, hat ſich der Kreis ſeiner Vorſtellungen nicht erweitert. Alle ſeine Handlungen ſcheinen nur durch das augenblickliche Bedürfnis beſtimmt zu werden. Er iſt ſchweigſam, verdroſſen, in ſich gekehrt, ſeine Miene iſt ernſt, geheimnisvoll. Wer nicht lange in den Miſſionen gelebt hat und an das Ausſehen der Eingeborenen nicht gewöhnt iſt, hält ihre Trägheit und geiſtige Starrheit leicht für den Aus— druck der Schwermut und des Tiefſinns. Ich habe die Charakterzüge des Indianers und die Ver— änderungen, die ſein Weſen unter der Zucht der Miſſionäre erleidet, ſo ſcharf hervorgehoben, um den einzelnen Beobach— tungen, die den Inhalt dieſes Abſchnittes bilden ſollen, mehr Intereſſe zu geben. Ich beginne mit der Nation der Chay- mas, deren über 15000 in den oben beſchriebenen Miſſionen leben. Dieſe nicht ſehr kriegeriſche Nation, welche Pater Francisco de Pamplona um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Zucht zu nehmen anfing, hat gegen Weſt die Cumana⸗ goten, gegen Oſt die Guaraunen, gegen Süd die Kariben zu — . —— Nachbarn. Sie wohnt entlang dem hohen Gebirge des Cocollar und Guacharo an den Ufern des Guarapiche, des Rio Colo— rado, des Areo und des Cano de Caripe. Nach der genauen ſtatiſtiſchen Aufnahme des Paters Präfekten zählte man im Jahre 1792 in den Miſſionen der aragoneſiſchen Kapuziner in Cumana neunzehn Miſſionsdörfer; das jüngſte iſt von 1728, und fie zählten 6433 Einwohner in 1465 Haushal— tungen; ſechzehn Dörfer de doctrina; das älteſte iſt von 1660, und ſie hatten 8170 Einwohner in 1766 Familien. Dieſe Miſſionen hatten in den Jahren 1681, 1697 und 1720 viel zu leiden; die damals noch unabhängigen Kariben machten Einfälle und brannten ganze Dörfer nieder. Zwiſchen den Jahren 1730 und 1736 ging die Bevölkerung zurück in— folge der Verheerungen durch die Blattern, die der kupfer— farbigen Raſſe immer verderblicher ſind als den Weißen. Viele Guaraunen, die bereits angeſiedelt waren, entliefen wieder in ihre Sümpfe. Vierzehn alte Miſſionen blieben wüſte liegen oder wurden nicht wieder aufgebaut. Die Chaymas ſind meiſt von kleinem Wuchſe; dies fällt namentlich auf, wenn man ſie nicht mit ihren Nachbarn, den Kariben, oder den Payaguas und Guayquilit in Paraguay, die ſich alle durch hohen Wuchs auszeichnen, ſondern nur mit den Eingeborenen Amerikas im Durchſchnitt vergleicht. Die Mittelgröße eines Chaymas beträgt 1m 57 em. Ihr Körper iſt gedrungen, unterſetzt, die Schultern ſind ſehr breit, die Bruſt flach, alle Glieder rund und fleiſchig. Ihre Hautfarbe iſt die der ganzen amerikaniſchen Raſſe von den kalten Hoch— ebenen Quitos und Neugranadas bis herab zu den heißen Tiefländern am Amazonenſtrom. Die klimatiſchen Unterſchiede äußern keinen Einfluß mehr auf dieſelbe; ſie iſt durch orga— niſche Verhältniſſe bedingt, die ſich ſeit Jahrhunderten unab— änderlich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortpflanzen. Gegen Nord wird die gleichförmige Hautfarbe röter, dem Kupfer ähnlicher; bei dem Chaymas dagegen iſt ſie dunkelbraun und nähert ſich dem Lohfarbigen. Der Ausdruck „kupferfarbige Menſchen“ zur Bezeichnung der Eingeborenen wäre im tropiſchen Amerika niemals aufgekommen. Der Geſichtsausdruck der Chaymas iſt nicht eben hart und wild, hat aber doch etwas Ernſtes, Finſteres. Die Stirn iſt klein, wenig gewölbt; daher heißt es auch in mehreren Sprachen dieſes Landſtriches von einem ſchönen Weibe, „ſie ſei fett und habe eine ſchmale Stirne“. Die Augen der — 1 Chaymas ſind ſchwarz, tiefliegend und ſtark in die Länge gezogen; ſie ſind weder ſo ſchief geſtellt noch ſo klein wie bei den Völkern mongoliſcher Raſſe, von denen Jornandes ſagt, ſie haben „vielmehr Punkte als Augen“, magis puncta quam lumina. Indeſſen iſt der Augenwinkel den Schläfen zu dennoch merklich in die Höhe gezogen; die Augenbrauen ſind ſchwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geſchweift; die Augen⸗ lider haben ſehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, ſie wie ſchläfrig niederzuſchlagen, gibt dem Blick der Weiber etwas Sanftes und läßt das verſchleierte Auge kleiner er— ſcheinen, als es wirklich iſt. Wenn die Chaymas, wie über⸗ haupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuſpaniens, durch die Form der Augen, die vorſpringenden Backenknochen, das ſtraffe, glatte Haar, den faſt gänzlich mangelnden Bart ſich der mongoliſchen Raſſe nähern, ſo unterſcheiden ſie ſich von derſelben auffallend durch die Form der Naſe, die ziemlich lang iſt, der ganzen Länge nach vorſpringt und bei den Naſenlöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet ſind wie bei den Völkern kaukaſiſcher Raſſe. Der große Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen gutmütigen Ausdruck. Zwiſchen Naſe und Mund laufen bei beiden Geſchlechtern zwei Furchen von den Naſenlöchern gegen die Mundwinkel. Das Kinn iſt ſehr kurz und rund; die Kinnladen ſind auffallend ſtark und breit. Die Zähne ſind bei den Chaymas ſchön und weiß wie bei allen Menſchen von einfacher Lebensweiſe, aber lange nicht ſo ſtark wie bei den Negern. Den erſten Reiſenden war der Brauch aufgefallen, mit gewiſſen Pflanzenſäften und Aetzkalk die Zähne ſchwarz zu färben; gegenwärtig weiß man nichts mehr davon. Die Völkerſtämme in dieſem Landſtrich ſind, namentlich ſeit den Einfällen der Spanier, welche Sklaven— handel trieben, fo hin und her geſchoben worden, daß die Ein- wohner von Paria, die Chriſtoph Kolumbus und Ojeda ge⸗ ſehen, ohne Zweifel nicht vom ſelben Stamme waren wie die Chaymas. Ich bezweifle ſehr, daß der Brauch des Schwärzens der Zähne, wie Gomara behauptet, mit ſeltſamen Schönheits⸗ begriffen! zuſammenhängt, oder daß es ein Mittel gegen Die Völker, welche die Spanier auf der Küſte von Paria antrafen, hatten wahrſcheinlich den Gebrauch, die Geſchmacksorgane mit Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Kakaoblätter oder Betel brauchen. Dieſe Sitte herrſcht noch jetzt auf derſelben Er Zahnſchmerzen fein ſollte. Von dieſem Uebel wiſſen die In— dianer jo gut wie nichts; auch die Weißen in den ſpaniſchen Kolonieen, wenigſtens in den heißen Landſtrichen, wo die Tem: peratur ſo gleichförmig iſt, leiden ſelten daran. Auf dem Rücken der Kordilleren, in Santa Fe und Popayan ſind fie demſelben mehr ausgeſetzt. Die Chaymas haben, wie faſt alle eingeborenen Völker, die ich geſehen, kleine, ſchmale Hände. Ihre Füße aber ſind groß, und die Zehen bleiben beweglicher als gewöhnlich. Alle Chaymas ſehen einander ähnlich wie nahe Verwandte, und dieſe gleichförmige Bildung, die von den Reiſenden ſo oft hervorgehoben worden iſt, wird deſto auffallender, als ſich bei ihnen zwiſchen dem zwanzigſten und fünfzigſten Jahre das Alter nicht durch Hautrunzeln, durch graues Haar oder Hinfälligkeit des Körpers verrät. Tritt man in eine Hütte, ſo kann man oft unter den Erwachſenen kaum den Vater vom Sohn, die eine Generation von der anderen unterſcheiden. Nach meiner Anſicht beruht dieſer Familienzug auf zwei ſehr verſchiedenen Momenten: auf den örtlichen Verhältniſſen der indianiſchen Völkerſchaften und auf der niedrigen Stufe ihrer geiſtigen Entwickelung. Die wilden Völker zerfallen in eine Unzahl von Stämmen, die ſich tödlich haſſen und niemals Ehen unter: einander ſchließen, ſelbſt wenn ihre Mundarten demſelben Sprachſtamme angehören und nur ein kleiner Flußarm oder eine Hügelkette ihre Wohnſitze trennt. Je weniger zahlreich die Stämme ſind, deſto mehr muß ſich, wenn ſich jahrhunderte— lang dieſelben Familien miteinander verbinden, eine gewiſſe gleichförmige Bildung, ein organiſcher, recht eigentlich natio— naler Typus feſtſetzen. Diejer Typus erhält ſich unter der Zucht der Miſſionen, die nur eine Völkerſchaft unter der Ob— hut haben. Die Vereinzelung iſt ſo ſtark wie früher; Ehen werden nur unter Angehörigen derſelben Dorfſchaft geſchloſſen. Für dieſe Blutsverwandtſchaft, welche ſo ziemlich um eine Küſte, nur weiter oſtwärts, bei den Goajiros an der Mündung des Rio la Hacha. Dieſe Indianer, die wild geblieben ſind, führen das Pulver von kleinen calcinierten Muſchelſchalen in einer Frucht, die als Kapſel dient, am Gürtel. Dieſes Pulver des Goajiros iſt ein Handelsartikel, wie früher, nach Gomara, das der Indianer in Paria. In Europa werden die Zähne vom übermäßigen Tabak⸗ rauchen gleichfalls gelb und ſchwarz. Wäre der Schluß richtig, man rauche bei uns, weil man gelbe Zähne ſchöner finde als weiße? S. Tacitus Germania. Kap. 4. — ganze Völkerſchaft ein Band ſchlingt, hat die Sprache der Indianer, die in den Miſſionen geboren ſind oder erſt nach ihrer Aufnahme aus den Wäldern ſpaniſch gelernt haben, einen naiven Ausdruck. Wenn ſie von Leuten ſprechen, die zum ſelben Stamme gehören, ſagen fie mis parientes, meine , Verwandten. Zu dieſen Urſachen, die ſich nur auf die Vereinzelung beziehen, deren Einfluß ſich ja auch bei den europäiſchen Juden, bei den indiſchen Kaſten und allen Gebirgsvölkern bemerklich macht, kommen nun noch andere, bisher weniger beachtete. Ich habe ſchon früher bemerkt, daß es vorzüglich die Geiſtes— bildung iſt, was Menſchengeſichter voneinander verſchieden macht. Barbariſche Nationen haben viel mehr eine Stamm— oder Hordenphyſiognomie, als eine, die dieſem oder jenem Individuum zukäme. Der wilde Menſch verhält ſich hierin dem gebildeten gegenüber wie die Tiere einer und derſelben Art, die zum Teil in der Wildnis leben, während die anderen in der Umgebung des Menſchen gleichſam an den Segnungen und den Uebeln der Kultur teilnehmen. Abweichungen in Körperbau und Farbe kommen nur bei den Haustieren häufig vor. Welcher Abſtand, was Beweglichkeit der Züge und mannig- faltigen phyſiognomiſchen Ausdruck betrifft, zwiſchen den Hun⸗ den, die in der Neuen Welt wieder verwildert find, und den Hunden in einem wohlhabenden Hauſe, deren geringſte Launen man befriedigt! Beim Menſchen und bei den Tieren ſpiegeln ſich die Regungen der Seele in den Zügen ab, und die Züge werden deſto beweglicher, je häufiger, mannigfaltiger und an- dauernder die Empfindungen ſind. Aber der Indianer in den Miſſionen, von aller Kultur abgeſchnitten, wird allein vom phyſiſchen Bedürfnis beſtimmt, und da er dieſes im herr⸗ lichen Klima faſt mühelos befriedigt, führt er ein träges, ein- förmiges Leben. Unter den Gemeindegliedern herrſcht die vollkommenſte Gleichheit, und dieſe Einförmigkeit, dieſe Starr— heit der Verhältniſſe drückt ſich auch in den Geſichtszügen der Indianer aus. Unter der Zucht der Mönche wandeln heftige Leiden— ſchaften, wie Groll und Zorn, den Eingeborenen ungleich ſeltener an, als wenn er in den Wäldern lebt. Wenn der wilde Menſch ſich raſchen, heftigen Gemütsbewegungen über⸗ läßt, ſo wird ſein bis dahin ruhiges, ſtarres Geſicht auf ein⸗ mal krampfhaft verzerrt; aber ſeine Aufregung geht um ſo raſcher vorüber, je ſtärker ſie iſt. Beim Indianer in den u nn 8 Miſſionen dagegen iſt, wie ich am Orinoko oft beobachten konnte, der Zorn nicht ſo heftig, nicht ſo offen, aber er hält länger an. Uebrigens iſt es auf allen Stufen menſchlicher Entwickelung nicht die Stärke oder die augenblickliche Ent— feſſelung der Leidenſchaften, was den Zügen den eigentlichen Ausdruck gibt, ſondern vielmehr jene Reizbarkeit der Seele, die uns in beſtändiger Berührung mit der Außenwelt erhält, Zahl und Maß unſerer Schmerzen und unſerer Freuden ſteigert und auf Phyſiognomie, Sitten und Sprache zugleich zurückwirkt. Wenn Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit der Züge das belebte Naturreich verſchönern, ſo iſt auch nicht zu leugnen, daß beide zwar nicht allein Produkte der Kultur find, wohl aber mit ihr ſich ſteigern. In der großen Völfer- familie kommen dieſe Vorzüge keiner Raſſe in höherem Maße zu als der kaukaſiſchen oder europäiſchen. Nur beim weißen Menſchen tritt das Blut plötzlich in das Gewebe der Haut und tritt damit jener leiſe Wechſel der Geſichtsfarbe ein, der den Ausdruck der Gemütsbewegungen ſo bedeutend verſtärkt. „Wie ſoll man Menſchen trauen, die nicht rot werden können?“ ſagt der Europäer in ſeinem eingewurzelten Haſſe gegen den Neger und den Indianer. Man muß übrigens zugeben, daß dieſe Starrheit der Züge nicht allen Raſſen mit ſehr dunkel gefärbter Haut zukommt; ſie iſt beim Afrikaner lange nicht ſo bedeutend wie bei den eingeborenen Amerikanern. Dieſer phyſiſchen Schilderung der Chaymas laſſen wir einige allgemeine Bemerkungen über ihre Lebensweiſe und ihre Sitten folgen. Da ich die Sprache des Volkes nicht verſtehe, kann ich keinen Anſpruch darauf machen, während meines nicht ſehr langen Aufenthaltes in den Miſſionen ihren Charakter durchgängig kennen gelernt zu haben. So oft im folgenden von den Indianern die Rede iſt, ſtelle ich das, was wir von den Miſſionären erfahren, neben das Wenige, was wir ſelbſt beobachten konnten. Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in ſehr heißen Ländern, eine entſchiedene Abneigung gegen Kleider.“ Von mittelalterlichen Schriftſtellern hören wir, daß im nörd— lichen Europa die Hemden und Beinkleider, welche die Miſ— ſionäre austeilten, nicht wenig zur Bekehrung der Heiden bei— getragen haben. In der heißen Zone dagegen ſchämen ſich die Eingeborenen, wie ſie ſagen, daß ſie Kleider tragen ſollen, und ſie laufen in die Wälder, wenn man fie zu frühe nötigt, ihr Nacktgehen aufzugeben. Bei den Chaymas bleiben, trotz U des Eiferns der Mönche, Männer und Weiber im Inneren der Häuſer nackt. Wenn ſie durch das Dorf gehen, tragen ſie eine Art Hemd aus Baumwollenzeug, das kaum bis zum Knie reicht. Bei den Männern hat dasſelbe Aermel, bei den Weibern und den Jungen bis zum zehnten, zwölften Jahre bleiben Arme, Schultern und der obere Teil der Bruſt frei. Das Hemd iſt ſo geſchnitten, daß Vorderſtück und Rückenſtück durch zwei ſchmale Bänder auf der Schulter zuſammenhängen. Es kam vor, daß wir Eingeborenen außerhalb der Miſſion begegneten, die, namentlich bei Regenwetter, ihr Hemd aus: gezogen hatten und es aufgerollt unter dem Arm trugen. Sie wollten ſich lieber auf den bloßen Leib regnen als ihre Kleider naß werden laſſen. Die älteſten Weiber verſteckten ſich dabei hinter die Bäume und ſchlugen ein lautes Gelächter auf, wenn wir an ihnen vorüber kamen. Die Miſ— ſionäre klagen meiſt, daß Scham und Gefühl für das An⸗ ſtändige bei den jungen Mädchen nicht viel entwickelter ſeien als bei den Männern. Schon Ferdinand Kolumbus erzählt, ſein Vater habe im Jahr 1498 auf der Inſel Trinidad völlig nackte Weiber angetroffen, während die Männer den Guayuco trugen, der viel mehr eine ſchmale Binde iſt als eine Schürze. Zur ſelben Zeit unterſchieden ſich auf der Küſte von Paria die Mädchen von den verheirateten Weibern dadurch, daß ſie, wie Kardinal Bembo behauptet, ganz nackt gingen, oder, nach Gomara, dadurch, daß fie einen anders gefärbten Guayuco trugen. Dieſe Binde, die wir noch bei den Chaymas und allen nackten Völkerſchaften am Orinoko angetroffen, iſt nur 5 bis 7 cm breit und wird mit beiden Enden an einer Schnur befeſtigt, die mitten um den Leib gebunden iſt. Die Mädchen heiraten häufig mit zwölf Jahren; bis zum neunten geſtatten ihnen die Miſſionäre, nackt, das heißt ohne Hemd, zur Kirche zu kommen. Ich brauche hier nicht daran zu erinnern, daß bei den Chaymas, wie in allen ſpaniſchen Miſſionen und india⸗ niſchen Dörfern, die ich beſucht, Beinkleider, Schuhe und Hut Luxusartikel ſind, von denen die Eingeborenen nichts wiſſen. Ein Diener, der uns auf der Reiſe nach Charipe und an den Orinoko begleitet, und den ich mit nach Frankreich gebracht, konnte ſich, nachdem wir ans Land geſtiegen, nicht genug ver— wundern, als er einen Bauern mit dem Hut auf dem Kopf ackern ſah, und er glaubte „in einem armſeligen Lande zu fein, wo ſogar die Edelleute (los mismos caballeros) hinter dem Pfluge gehen“. — . Die Weiber der Chaymas ſind nach unſeren Schönheits— begriffen nicht hübſch; indeſſen haben die jungen Mädchen etwas Sanftes und Wehmütiges im Blick, das von dem ein wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm abſticht. Die Haare tragen ſie in zwei lange Zöpfe geflochten. Die Haut bemalen ſie ſich nicht und kennen in ihrer Armut keinen anderen Schmuck als Hals- und Armbänder aus Muſcheln, Vögelknochen und Fruchtkernen. Männer und Weiber ſind ſehr muskulös, aber der Körper iſt fleiſchig mit runden Formen. Ich brauche kaum zu ſagen, daß mir nie ein Individuum mit einer natürlichen Mißbildung aufgeſtoßen iſt; dasſelbe gilt von den vielen tauſend Kariben, Muyscas, Mexikanern und Peruanern, die wir in fünf Jahren geſehen. Dergleichen Mißbildungen ſind bei gewiſſen Raſſen ungemein ſelten, beſonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe ſtark gefärbt iſt. Ich kann nicht glauben, daß ſie allein Folgen höherer Kultur, einer weichlicheren Lebensweiſe und der Sitten— verderbnis ſind. In Europa heiratet ein ſehr buckeliges oder ſehr häßliches Mädchen, wenn ſie Vermögen hat, und die Kinder erben häufig die Mißbildung der Mutter. Im wilden Zuſtand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrſcht, kann nichts einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder ſehr Kränkliche zum Weibe zu nehmen. Hat eine ſolche das ſeltene Glück, daß ſie das Alter der Reife erreicht, ſo ſtirbt ſie ſicher kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden ſeien alle ſo wohlgebildet und ſo kräftig, weil die ſchwächlichen Kinder aus Verwahrloſung frühe wegſterben und nur die kräftigen am Leben bleiben; aber dies kann nicht von den Indianern in den Miſſionen gelten, welche die Sitten unſerer Bauern haben, noch auch von den Mexikanern in Cholula und Tlascala, die in einem Wohlſtand leben, den ſie von civiliſierteren Vor— fahren ererbt. Wenn die kupferfarbige Raſſe auf allen Kultur— ſtufen dieſelbe Starrheit zeigt, dieſelbe Unfähigkeit, vom ur— ſprünglichen Typus abzuweichen, ſo müſſen wir darin doch wohl großenteils angeborene Anlage erblicken, das, worin eben der eigentümliche Raſſencharakter beſteht. Ich ſage abſichtlich: großenteils weil ich den Einfluß der Kultur nicht ganz aus— ſchließen möchte. Beim kupferfarbigen Menſchen, wie beim Weißen, wird der Körper durch Luxus und Weichlichkeit ge— ſchwächt, und aus dieſem Grunde waren früher Mißbildungen in Cuzco und Tenochtitlan häufiger; aber unter den heutigen Mexikanern, die alle Landbauern ſind und in der größten A. v. Humboldt, Reiſe. II. 2 ER Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge und Buckeligen aufgetrieben, die Bernal Diaz bei ſeiner Mahlzeit erſcheinen ſah. Die Sitte des frühzeitigen Heiratens iſt, wie die Ordens— geiſtlichen bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus nicht nachteilig. Dieſe frühe Mannbarkeit iſt Raſſencharakter und keineswegs Folge des heißen Klimas; ſie kommt ja auch auf der Nordweſtküſte von Amerika, bei den Eskimo vor, ſo— wie in Aſien bei den Kamtſchadalen und Korjäken, wo häufig zehnjährige Mädchen Mütter ſind. Man kann ſich nur wundern, daß die Tragezeit, die Dauer der Schwangerſchaft ſich im geſunden Zuſtande bei keiner Raſſe und in keinem Klima verändert. ö Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie die Tunguſen und andere Völker mongoliſcher Raſſe. Die wenigen Haare, die ſproſſen, reißen ſie aus; aber im all— gemeinen iſt es unrichtig, wenn man behauptet, ſie haben nur deshalb keinen Bart, weil ſie denſelben ausraufen. Auch ohne dieſen Brauch wären die Indianer größtenteils ziemlich bartlos. Ich ſage größtenteils, denn es gibt Völkerſchaften, die in dieſer Beziehung ganz vereinzelt neben den anderen ſtehen und deshalb um ſo mehr Aufmerkſamkeit verdienen. Hierher gehören in Nordamerika die Chipewyans, die Mackenzie beſucht hat, und die Pabipais bei den toltekiſchen Ruinen von Moqui, beide mit dichtem Bart, in Südamerika die Bata- gonen und Guarani. Unter letzteren ſieht man einzelne ſogar mit behaarter Bruſt. Wenn die Chaymas, ſtatt ſich den dünnen Kinnbart auszuraufen, ſich häufig raſieren, ſo wächſt der Bärt ſtärker. Solches ſah ich mit Erfolg junge Indianer thun, die als Meßdiener lebhaft wünſchten, den Vätern Kapu- zinern, ihren Miſſionären und Meiſtern zu gleichen. Beim Volk im ganzen aber iſt und bleibt der Bart in dem Maße verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren ſteht. Diefer Widerwille fließt aus derſelben Quelle wie die Vorliebe für abgeflachte Stirnen, die an den Bildniſſen aztekiſcher Gott⸗ heiten und Helden in ſo ſeltſamer Weiſe zu Tage kommt. Den Völkern gilt immer für ſchön, was ihre eigene Körper— bildung, ihre Nationalphyſiognomie beſonders auszeichnet.“ So übertrieben die Griechen bei ihren ſchönſten Statuen die Stirnbildung, indem ſie den Geſichtswinkel zu groß annahmen. — 19 — Da ihnen nun die Natur ſehr wenig Bart, eine ſchmale Stirn und eine rotbraune Haut gegeben hat, ſo hält ſich jeder für deſto ſchöner, je weniger ſein Körper behaart, je flacher ſein Kopf, je lebhafter ſeine Haut mit Roucou, Chica oder irgend einer kupferroten Farbe bemalt iſt. Die Lebensweiſe der Chaymas iſt höchſt einförmig. Sie legen ſich regelmäßig um ſieben Uhr abends nieder und ſtehen lange vor Tag, um halb fünf Uhr morgens, auf. Jeder Indianer hat ein Feuer bei ſeiner Hängematte. Die Weiber ſind ſo froſtig, daß ich ſie in der Kirche vor Kälte zittern ſah, wenn der hundertteilige Thermometer noch auf 18° ſtand. Im Inneren ſind die Hütten der Indianer äußerſt ſauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit Maniok oder gegorenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, alles befindet ſich in der ſchönſten Ordnung. Männer und Weiber baden täglich, und da ſie faſt immer nackt gehen, ſo kann bei ihnen die Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen Volk in kalten Ländern vorzugsweiſe von den Kleidern her— rührt. Außer dem Haus im Dorfe haben ſie meiſt auf ihren Conucos, an einer Quelle oder am Eingang einer recht einſamen Schlucht, eine mit Palm- und Bananenblättern ge: deckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich ſie auf dem Conuco weniger bequem leben, halten ſie ſich doch dort auf, ſo oft ſie nur können. Schon oben gedachten wir ihres un— widerſtehlichen Triebes, die Geſellſchaft zu fliehen und zum Leben in der Wildnis zurückzukehren. Die kleinſten Kinder entlaufen nicht ſelten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmkohl und Wurzeln ſich nährend. Wenn man in den Miſſionen reiſt, ſieht man häufig die Dörfer faſt ganz leer ſtehen, weil die Einwohner in ihren Gärten ſind oder auf der Jagd, al monte. Bei den civiliſierten Völkern fließt wohl die Jagdluſt zum Teil aus denſelben moraliſchen Quellen, aus dem Reiz der Einſamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen Eindruck, den die Natur überall auf den Menſchen macht, wo er ſich ihr allein gegenüberſieht. Entbehrung und Leiden ſind auch bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbariſchen Völkern, das Los der Weiber. Die ſchwerſte Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas abends aus ihrem Garten heimkommen ſahen, trug der Mann nichts als das Meſſer (Machete), mit dem er ſich einen Weg durch das Geſträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter — 20 — einer gewaltigen Laſt Bananen und trug ein Kind auf dem Arm, und zwei andere ſaßen nicht ſelten oben auf dem Bündel. Trotz dieſer geſellſchaftlichen Unterordnung ſchienen mir die Weiber der ſüdamerikaniſchen Indianer glücklicher als die der Wilden im Norden. Zwiſchen den Alleghanies und dem Miſſiſ— ſippi werden überall, wo die Eingeborenen nicht größten: teils von der Jagd leben, Mais, Bohnen und Kürbiſſe nur von den Weibern gebaut; der Mann gibt ſich mit dem Acker— bau gar nicht ab. In der heißen Zone gibt es nur ſehr wenige Jägervölker, und in den Miſſionen arbeiten die Män— ner im Felde ſo gut wie die Weiber. Man macht ſich keinen Begriff davon, wie ſchwer die Indianer Spaniſch lernen. Sie haben einen Abſcheu davor, ſolange ſie mit den Weißen nicht in Berührung kommen und ihnen der Ehrgeiz fremd bleibt, civiliſierte Indianer zu heißen, oder, wie man ſich in den Miſſionen ausdrückt, latiniſierte Indianer, Indios muy latinos. Was mir aber nicht allein bei den Chaymas, ſondern in allen ſehr entlegenen Miſſionen, die ich ſpäter beſucht, am meiſten auffiel, das iſt, daß es den Indianern ſo ungemein ſchwer wird, die einfachſten Ge— danken zuſammenzubringen und auf ſpaniſch auszudrücken, ſelbſt wenn ſie die Bedeutung der Worte und den Satzbau ganz gut kennen. Man ſollte ſie für noch einfältiger halten als Kinder, wenn ein Weißer ſie über Gegenſtände befragt, mit denen ſie von Kindesbeinen an vertraut find. Die Miſ— ſionäre verſichern, dieſes Stocken ſei nicht Folge der Schüchtern— heit; bei den Indianern, die täglich ins Haus des Miſſionärs kommen und bei der öffentlichen Arbeit die Aufſicht führen, ſei es keineswegs natürliche Beſchränktheit, ſondern nur Un— vermögen, den Mechanismus einer von ihren Landesſprachen abweichenden Sprache zu handhaben. Je unkultivierter der Menſch iſt, deſto mehr moraliſche Starrheit und Unbiegſam— keit kommt ihm zu. Es iſt alſo nicht zu verwundern, wenn der Indianer, der vereinſamt in den Miſſionen lebt, Hemm⸗ niſſen begegnet, von denen diejenigen nichts wiſſen, die mit Meſtizen, Mulatten und Weißen in der Nähe der Städte in Pfarrdörfern wohnen. Ich war oft erſtaunt, mit welcher Geläufigkeit in Caripe der Alkalde, der Governador, der Sargento mayor ſtundenlang zu den vor der Kirche verſammelten Indianern ſprachen; ſie verteilten die Arbeiten für die Woche, ſchalten die Trägen, drohten den Unanſtel— ligen. Dieſe Häuptlinge, die ſelbſt Chaymas ſind und die 9 Befehle des Miſſionärs der Gemeinde zur Kenntnis bringen, ſprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit ſtarker Betonung, faſt ohne Gebärdenſpiel. Ihre Züge bleiben dabei unbeweglich, ihr Blick iſt ernſt gebieteriſch. Dieſelben Menſchen, die ſo viel Geiſteslebendigkeit ver— rieten und ziemlich gut Spaniſch verſtanden, konnten ihre Ge— danken nicht mehr zuſammenbringen, wenn ſie uns auf unſeren Ausflügen in der Nähe des Kloſters begleiteten und wir durch die Mönche Fragen an ſie richten ließen. Man konnte ſie ja oder nein ſagen laſſen, je nachdem man die Frage ſtellte, und ihre Trägheit und nebenbei auch jene ſchlaue Höflichkeit, die auch dem roheſten Indianer nicht ganz fremd iſt, ließ ſie nicht ſelten ihren Antworten die Wendung geben, auf die unſere Fragen zu deuten ſchienen. Wenn ſich Reiſende auf die Ausſagen von Eingeborenen berufen wollen, können ſie vor dieſem gefälligen Jaſagen ſich nicht genug in acht nehmen. Ich wollte einmal einen indianiſchen Alkalden auf die Probe ſtellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe, der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der anderen Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte Oeffnung herein. Er ſchien ſich eine Weile zu beſinnen und ſagte dann zur Unterſtützung meiner Annahme: „Freilich, = wäre auch ſonſt vorn in der Höhle immer Waſſer im ett?“ Alle Zahlenverhältniſſe faſſen die Chaymas außerordent: lich ſchwer. Ich habe nicht einen geſehen, den man nicht ſagen laſſen konnte, er ſei achtzehn oder aber ſechzig Jahre alt. Marsden hat dieſelbe Beobachtung an den Malaien auf Sumatra gemacht, die doch ſeit mehr als fünfhundert Jahren civiliſiert ſind. Die Chaymasſprache hat Worte, die ziemlich große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wiſſen damit umzugehen, und da ſie im Verkehr mit den Miſſionären dazu genötigt ſind, ſo zählen die fähigſten ſpaniſch, aber ſo, daß man ihnen die geiſtige Anſtrengung anſieht, bis auf dreißig oder fünfzig. In der Chaymasſprache zählen dieſelben Men— ſchen nicht über fünf oder ſechs. Es iſt natürlich, daß ſie ſich vorzugsweiſe der Worte einer Sprache bedienen, in der ſie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt haben. Seit die europäiſchen Gelehrten es der Mühe wert halten, den Bau der amerikaniſchen Sprachen zu ſtudieren, wie man den Bau der ſemitiſchen Sprachen, des Griechiſchen und des Lateiniſchen ſtudiert, ſchreibt man nicht mehr der ro —— Mangelhaftigkeit der Sprachen zu, was nur auf Rechnung der Roheit der Völker kommt. Man erkennt an, daß faſt überall die Mundarten reicher ſind und feinere Wendungen aufzuweiſen haben, als man nach der Kulturloſigkeit der Völker, die ſie ſprechen, vermuten ſollte. Ich bin weit ent— fernt, die Sprachen der Neuen Welt den ſchönſten Sprachen Aſiens und Europas gleichſtellen zu wollen; aber keine von dieſen hat ein klareres, regelmäßigeres und einfacheres Zahl— ſyſtem als das Qquichua und das Aztekiſche, die in den großen Reichen Cuzeo und Anahuac geſprochen wurden. Dürfte man nun ſagen, in dieſen Sprachen zähle man nicht über vier, weil es in den Dörfern, wo ſich dieſelben unter den armen Bauern von peruaniſchem oder mexikaniſchem Stamm erhalten haben, Menſchen gibt, die nicht weiter zählen können? Die ſeltſame Anſicht, nach der ſo viele Völker Amerikas nur bis zu fünf, zehn oder zwanzig ſollen zählen können, iſt durch Reiſende aufgekommen, die nicht wußten, daß die Menſchen, je nach dem Geiſt der verſchiedenen Mund— arten, in allen Himmelsſtrichen nach fünf, zehn oder zwanzig Einheiten (das heißt nach den Fingern einer Hand, beider Hände, der Hände und Füße zuſammen) einen Abjchnitt machen, und daß ſechs, dreizehn oder zwanzig auf verſchiedene Weiſe durch fünf eins, zehn drei und „Fuß zehn“ ausgedrückt werden. Kann man ſagen, die Zahlen der Europäer gehen nicht über zehn, weil wir Halt machen, wenn eine Gruppe von zehn Einheiten beiſammen iſt? d Die amerikaniſchen Sprachen ſind ſo ganz anders gebaut, als die. Töchterſprachen des Lateiniſchen, daß die Jeſuiten, welche alles, was ihre Anſtalten fördern konnte, aufs ſorg— fältigſte in Betracht zogen, bei den Neubekehrten ſtatt des Spaniſchen einige indianiſche ſehr reiche, ſehr regelmäßige und weit verbreitete Sprachen, namentlich das Qquichua und das Guarani, einführten. Sie ſuchten durch dieſe Sprachen die ärmeren, plumperen, im Satzbau nicht fo regelmäßigen Mund— arten zu verdrängen. Und der Tauſch gelang ohne alle Schwierigkeit; die Indianer verſchiedener Stämme ließen ſich ganz gelehrig dazu herbei, und ſo wurden dieſe verallgemei— nerten amerikaniſchen Sprachen zu einem bequemen Verkehrs— mittel zwiſchen den Miſſionären und den Neubekehrten. Mit Unrecht würde man glauben, der Sprache der Inka ſei nur darum der Vorzug vor dem Spaniſchen gegeben worden, um die Miſſionen zu iſolieren und ſie dem Einfluß zweier auf— ER, ya einander eiferfüchtiger Gewalten, der Biſchöfe und der Statt⸗ halter, zu entziehen; abgeſehen von ihrer Politik hatten die Jeſuiten noch andere Gründe, wenn ſie gewiſſe indianiſche Sprachen zu verbreiten ſuchten. Dieſe Sprachen boten ihnen ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu ſchlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich geſinnt, durch die Sprachverſchiedenheit geſchieden waren; denn in unfultivierten Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren Jahrhunderten nicht ſelten die Form oder doch das Ausſehen von Urſprachen. Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutſch, ein Spanier leichter Italieniſch oder Lateiniſch als jede andere Sprache, ſo meint man zunächſt, dies rühre daher, daß alle germaniſchen Sprachen oder alle Sprachen des lateiniſchen Europas eine Menge Wurzeln miteinander gemein haben: man vergißt, daß es neben dieſer Aehnlichkeit der Laute eine andere gibt, die Völker von gemeinſamem Urſprung noch un⸗ gleich tiefer anregt. Die Sprache iſt keineswegs ein Ergebnis willkürlicher Uebereinkunft; der Mechanismus der Flexionen, die grammatiſchen Formen, die Möglichkeit der Inverſionen, alles iſt ein Ausfluß unſeres Inneren, unſerer eigentümlichen Organiſation. Im Menſchen lebt ein unbewußt thätiges und ordnendes Prinzip, das bei Völkern von verſchiedener Raſſe auch verſchieden angelegt iſt. Das mehr oder weniger rauhe Klima, der Aufenthalt im Hochgebirge oder am Meeresufer, die ganze Lebensweiſe mögen die Laute umwandeln, die Gemeinſamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer neue erzeugen; aber alle dieſe Urſachen laſſen den Bau und das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüſſe des Klimas und aller äußeren Verhältniſſe ſind ein verſchwin⸗ dendes Moment dem gegenüber, was der Raſſencharakter wirkt, die Geſamtheit der dem Menſchen eigentümlichen, ſich vererbenden Anlagen. In Amerika nun — und dieſes Ergebnis der neueſten Forſchungen iſt für die Geſchichte unſerer Gattung von der höchſten Bedeutung — in Amerika haben vom Lande der Eskimo bis zum Orinoko, und von den heißen Ufern dieſes Fluſſes bis zum Eiſe der Magelhaensſchen Meerenge den Wur⸗ zeln nach ganz verſchiedene Stammſprachen ſozuſagen die⸗ ſelbe Phyſiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie die der Inka, das Aymara, Guarani, Cora und das Meri: kaniſche, ſondern auch ſehr rohe Sprachen zeigen in ihrem 2 grammatiſchen Bau die überraſchendſten Aehnlichkeiten. Idiome, deren Wurzeln einander um nichts ähnlicher ſind als die Wurzeln des Slawiſchen und des Baskiſchen, gleichen einander im inneren Mechanismus wie Sanskrit, Perſiſch, Griechiſch und die germaniſchen Sprachen. So findet man faſt überall in der Neuen Welt, daß die Zeitwörter eine ganze Menge Formen und Tempora haben, ein künſtliches, ſehr verwickeltes Verfahren, um entweder durch Flexion der perſönlichen Für⸗ wörter, welche die Wortendungen bilden, oder durch Ein— ſchieben eines Suffixes zum voraus Weſen und Verhältniſſe des Subjektes zu bezeichnen, um anzugeben, ob dasſelbe lebendig iſt oder leblos, männlichen oder weiblichen Geſchlechtes, einfach oder in vielfacher Zahl. Eben wegen dieſer allgemeinen Aehn⸗ lichkeit im Bau, und weil amerikaniſche Sprachen, die auch nicht ein Wort miteinander gemein haben (3. B. das Mexi⸗ kaniſche und das Qquichua), in ihrer inneren Gliederung übereinkommen und von den Töchterſprachen des Lateiniſchen durchaus abweichen, lernt der Indianer in den Miſſionen viel leichter eine amerikaniſche Sprache als die des europäi⸗ ſchen Mutterlandes. In den Wäldern am Orinoko habe ich die roheſten Indianer zwei, drei Sprachen ſprechen hören. Häufig verkehren Wilde verſchiedener Nationen in einem anderen als ihrem eigenen Idiom miteinander. Hätte man das Syſtem der Jeſuiten befolgt, ſo wären bereits weit verbreitete Sprachen faſt allgemein geworden. Auf Terra Firma und am Orinoko ſpräche man jetzt nur karibiſch oder tamanakiſch, im Süden und Südweſten Qqui⸗ chua, Guarani, Omagua und araukaniſch. Die Miſſionäre könnten ſich dieſe Sprachen zu eigen machen, denen gramma⸗ tiſche Formen höchſt regelmäßig und faſt ſo feſt ſind wie im Griechiſchen und Sanskrit, und würden ſo den Eingeborenen, über die ſie herrſchen, weit näher kommen. Die zahlloſen Schwierigkeiten in der Verwaltung von Miſſionen, die aus einem Dutzend Völkerſchaften beſtehen, verſchwänden mit der Sprachverwirrung. Die wenig verbreiteten Mundarten würden tote Sprachen; aber der Indianer behielte mit einer ameri⸗ kaniſchen Sprache auch ſeine Individualität und ſeine natio⸗ nale Phyſiognomie. Man erreichte ſo auf friedlichem Wege, was die allzuſehr geprieſenen Inka, die den Fanatismus in die Neue Welt eingeführt, mit Waffengewalt durchzuführen begonnen. Wie mag man ſich auch wundern, daß die Chaymas, die en Ba Kariben, die Saliven oder Otomaken im Spaniſchen jo ge- ringe Fortſchritte | wenn man bedenkt, daß fünf-, ſechs⸗ hundert Indianern ein Weißer, ein Miſſionär gegenüberſteht, und daß dieſer alle Mühe hat, einen Governador, Alkaden oder Fiskal zum Dolmetſcher heranzubilden! Könnte man ſtatt der Zucht der Miſſionäre die Indianer auf anderem Wege civiliſieren oder vielmehr ihre Sitten ſänftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne deshalb gebildeter zu ſein), könnte man die Weißen, ſtatt ſie fern zu halten, in neugebildeten Gemeinden unter den Ein⸗ geborenen leben laſſen, ſo wären die amerikaniſchen Sprachen bald von den europäiſchen verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige Maſſe neuer Vor⸗ ſtellungen, welche die Früchte der Kultur ſind. Dann brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Inka oder das Guarani, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Miſſionen des ſüdlichen Amerikas ſo lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die Mißbräuche des Regimentes der Miſſionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Anſicht aus- ſprechen, daß dieſes Regiment nicht ſo leicht abzuſchaffen ſein wird, ein Syſtem, das ſich gar wohl bedeutend verbeſſern läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem unſeren Begriffen von bürgerlicher Freiheit entſprechenderen erſcheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in Gallien, in Bätika, in der Provinz Afrika mit ihrer Herr⸗ ſchaft ſchnell auch ihre Sprache eingeführt, aber die einge⸗ borenen Völker dieſer Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, ſie kannten den Gebrauch des Geldes, ſie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der Kultur vorausſetzen. Durch die Lockungen des Warentauſches und den langen Aufenthalt der Legionen waren ſie mit den Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen ſehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer überall faſt unüberwindliche Hinderniſſe entgegentreten, wo karthaginenſiſche, griechiſche oder römiſche Kolonieen auf wirk⸗ lich barbariſchen Küſten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und unter allen Himmelsſtrichen iſt Flucht der erſte Gedanke des Wilden dem civiliſierten Menſchen gegenüber. Die Sprache der Chaymas ſchien mir nicht ſo wohl⸗ klingend wie das Karibiſche, das Saliviſche und andere Orinoko— ſprachen. Namentlich hat ſie weniger in accentuierten Vo— kalen ausklingende Endungen. Silben wie guaz, ez, puic, „ a pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald ſehen, daß dieſe Endungen zum Teil Flexionen des Zeitwortes ſein ſind, oder aber Poſtpoſitionen, die nach dem Weſen der amerikaniſchen Sprachen den Worten ſelbſt einverleibt ſind. Mit Unrecht würde man dieſe Rauheit des Sprachtones dem Leben der Chaymas im Gebirge zuſchreiben, denn ſie ſind urſprünglich dieſem gemäßigten Klima fremd. Sie ſind erſt durch die Miſſionäre dorthin verſetzt worden, und bekanntlich war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landſtriche, die Kälte in Caripe, wie ſie es nennen, anfangs ſehr zu— wider. Während unſeres Aufenthaltes im Kapuzinerkloſter haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichnis von Chay— masworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die grammatiſchen Formen für die Sprachen weit bezeichnender ſind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß dieſe Analogie der Laute nicht ſelten in verſchiedenen Dia— lekten derſelben Sprache völlig unkenntlich wird; denn die Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für dieſelben Gegenſtände völlig verſchiedene Benennungen. So kommt es, daß man ſehr leicht irre geht, wenn man, die Flexionen außer Augen laſſend, nur nach den Wurzeln, z. B. nach den Worten für Mond, Himmel, Waſſer, Erde, zwei Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig verſchieden erklärt. Trotz dieſer Quelle des Irrtums thun, denke ich, die Reiſenden gut, wenn ſie immer alles Material ſammeln, das ihnen zugänglich iſt. Machen ſie auch nicht mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des Baues bekannt, ſo lehren ſie doch wichtige Teile desſelben für ſich kennen. Die Wörterverzeichniſſe ſind nicht zu ver— nachläſſigen; ſie geben ſogar über den weſentlichen Charakter einer Sprache einigen Aufſchluß, wenn der Reiſende Sätze ſammelt, aus denen man erſieht, wie das Zeitwort flektiert wird und, was in den verſchiedenen Sprachen in ſo abweichen— der Weiſe geſchieht, die perſönlichen und poſſeſſiven Fürwörter bezeichnet werden. Die drei verbreitetſten Sprachen in den Provinzen Cu— mana und Barcelona ſind gegenwärtig die der Chaymas, das Cumanagotiſche und das Karibiſche. Sie haben im Lande von jeher als verſchiedene Idiome gegolten; jede hat ihr Wörterbuch, zum Gebrauch der Miſſionen verfaßt von den Patres Tauſte, Ruiz-Blanco und Breton. Das Vocabulario y arte de la lengua de los Indios Chaymas iſt ſehr ſelten 3 geworden. Die wenigen Exemplare der meiſt im 17. Jahr- hundert gedruckten amerikaniſchen Sprachlehren ſind in die Miſſionen gekommen und in den Wäldern zu Grunde ge— gangen. Wegen der großen Feuchtigkeit und der Gefräßig— keit der Inſekten laſſen ſich in dieſen heißen Ländern Bücher faſt gar nicht aufbewahren. Trotz aller Vorſichtsmaßregeln ſind ſie in kurzer Zeit gänzlich verdorben. Nur mit großer Mühe konnte ich in den Miſſionen und Klöſtern die Gramma— tiken amerikaniſcher Sprachen zuſammenbringen, die ich gleich nach meiner Rückkehr nach Europa dem Profeſſor und Biblio— thekar Severin Vater zu Königsberg übermacht habe; ſie lieferten ihm gutes Material zu ſeinem ſchönen großen Werke über die Sprachen der Neuen Welt. Ich hatte damals ver— ſäumt, meine Notizen über die Chaymasſprache aus meinem Tagebuche abzuſchreiben und dieſem Gelehrten mitzuteilen. Da weder Pater Gili, noch der Abt Hervas dieſer Sprache erwäh— nen, gebe ich hier kurz das Ergebnis meiner Unterſuchungen. Auf dem rechten Ufer des Orinoko, ſüdöſtlich von der Miſſion Encaramada, über hundert Meilen von den Chaymas, wohnen die Tamanaken (Tamanacu), deren Sprache in mehrere Dialekte zerfällt. Dieſe einſt ſehr mächtige Nation iſt auf wenige Köpfe zuſammengeſchmolzen; ſie iſt von den Bergen von Caripe durch den Orinoko, durch die großen Steppen von Caracas und Cumana, und durch eine noch ſchwerer zu über— ſteigende Schranke, durch Völker von karibiſchem Stamme getrennt. Trotz dieſer Entfernung und der vielfachen ört— lichen Hinderniſſe erkennt man in der Sprache der Chaymas einen Zweig der Tamanakenſprache. Die älteſten Miſſionäre in Caripe wiſſen nichts von dieſer intereſſanten Beobachtung, weil die aragoneſiſchen Kapuziner faſt nie an das ſüdliche Ufer des Orinoko kommen und von der Exiſtenz der Tama— nafen jo gut wie nichts wiſſen. Die Verwandtſchaft zwiſchen der Sprache dieſes Volkes und der der Chaymas habe ich erſt lange nach meiner Rückkehr nach Europa aufgefunden, als ich meine geſammelten Notizen mit einer Grammatik ver— glich, die ein alter Miſſionär am Orinoko in Italien drucken laſſen. Ohne die Sprache der Chaymas zu kennen, hatte ſchon der Abt Gili vermutet, daß die Sprache der Ein— wohner von Paria mit dem Tamanacu verwandt ſein müſſe. Ich thue dieſe Verwandtſchaft auf dem doppelten Wege dar, auf dem man die Analogie der Sprachen erkennt, durch den grammatiſchen Bau und durch die Uebereinſtimmung der — 22 — Worte oder Wurzeln. — Hier ſind zuerſt die perſönlichen Fürwörter der Chaymas, die zugleich Poſſeſſiva ſind: u-re, ich, eu-re, du, teu-re, er. Im Tamanacu: us re, ich, amare oder anja, du, iteu-ja, er. Die Wurzel der erſten und der dritten Perſon iſt im Chaymas u und teu; Die: ſelben Wurzeln finden ſich im Tamanacu. Chaymas. Tamanacu. Ure, ich. Ure. Tuna, Waſſer. Tuna. Conopo, Regen. Canepo. Poturu, Wiſſen. Puturo. Apoto, Feuer. U-apto. Nunu, Mond, Monat. Nuna. Je, Baum. Jeje. Ata, Haus. Aute. Euya, Dir. Auya. Toya, ihm. Iteuya. Guane, Honig. Uane. Nacaramayre, er hat's gejagt. Nacaramai. Piache, Zauberer, Arzt. Psiache. Tibin, eins. Obin. Aco, zwei. Oco. Oroa, drei. Orua. Pun, Fleiſch. Punu. Pra, nicht. Pra. Sein heißt im Chaymas az; ſetzt man vor das Zeit⸗ wort das perſönliche Fürwort ich (u von u-re), jo läßt man des Wohlklangs wegen vor dem u ein g hören, alſo guaz, ich bin, eigentlich g-u-az. Wie die erſte Perſon durch ein u, jo wird die zweite durch ein m, die dritte durch ein i be- zeichnet: du biſt, maz: „muerepuec araquapemaz, warum biſt du traurig?“ wörtlich: „das für traurig du fein?” „pun- puec topuchemaz, du biſt fett von Körper“; wörtlich: „Fleiſch (pun) für (puec) fett (topuche) du fein (maz)“. Die zueignenden Fürwörter kommen vor das Hauptwort zu ſtehen: „upatay, in meinem Hauſe“; wörtlich: „ich Haus in“. Alle Präpoſitionen wie die Negation pra werden nach⸗ geſetzt, wie im Tamanacu. Man ſagt im Chaymas: „ipuec, mit ihm“; wörtlich: „er mit“; „euya, zu dir, oder dir zu“; „epuee charpe guaz, ich bin luſtig mit dir“; wörtlich: „du mit luſtig ich fein“; „ucarepra, nicht wie ich“; wörtlich: A „ich wie nicht“; „quenpotupra quoguaz, ich kenne ihn nicht“, wörtlich: „ihn kennend nicht ich bin“; „quenepra quoguaz, ich habe ihn nicht geſehen“, wörtlich: „ihn ſehend nicht ich bin“. Im Tamanacu ſagt man: „acurivane, ſchön“, und „aeurivanepra, häßlich, nicht ſchön“; „uotopra, es gibt keinen Fiſch“, wörtlich: „Fiſch nicht“; „uteripipra, ich will nicht gehen“, wörtlich: „ich gehen wollen nicht“; und dies iſt zu— ſammengeſetzt aus iteri, gehen, ipiri, wollen, und pra, nicht. Bei den Kariben, deren Sprache auch Aehnlichkeit mit dem Tamanacu hat, obgleich weit weniger als das Chaymas, wird die Verneinung durch ein m vor dem Zeitworte ausgedrückt: „amoyenlenganti, es ist ſehr kalt“; „mamoyenlenganti, es iſt nicht ſehr kalt“. In ähnlicher Weiſe gibt im Tamanacu die Partikel mna, dem Zeitworte nicht angehängt, ſondern eingeſchoben, demſelben einen verneinenden Sinn, z. B. taro, ſagen, taromnar, nicht ſagen. Das Hauptzeitwort ſein, das in allen Sprachen ſehr unregelmäßig iſt, lautet im Chaymas az oder ats, im Ta— manacu uochiri (in den Zuſammenſetzungen nac, uatscha). Es dient nicht bloß zur Bildung des Paſſivs, ſondern wird offenbar auch, wie durch Agglutination, in vielen Tempora der Wurzel der attributiven Zeitwörter angehängt. Dieſe Agglutinationen erinnern an den Gebrauch der Hilfszeitwörter as und bhu im Sanskrit, des fu oder fuo im Lateiniſchen,“ das izan, ucan und eguin im Baskiſchen. Es gibt gewiſſe Punkte, in denen die einander unähnlichſten Sprachen zu— ſammentreffen; das Gemeinſame in der geiſtigen Organiſation des Menſchen ſpiegelt ſich ab im allgemeinen Bau der Sprachen, und in jedem Idiom, auch dem ſcheinbar barbariſchſten, offen— bart ſich ein regelndes Prinzi zd, das es geſchaffen. Die Mehrzahl hat im Tamanacu ſiebenerlei Formen je nach der Endung des Subſtantiv, oder je nachdem es etwas Lebendes oder etwas Lebloſes bedeutet.? Im Chaymas wird die Mehrzahl, wie im Karibiſchen, durch on bezeichnet: „teure, er ſelbſt“; „teurecon, fie ſelbſt“; „taronocon, die hier“; Daher fu-ero, amay-issem, amav-eram, post-sum (pot-sum). 2 Tamanacu hat in der Mehrzahl Tamanakemi; Pongheme heißt ein Spanier, wörtlich ein bekleideter Menſch; Pongamo, die Spanier oder die Befleideten. Der Pluralis auf ene kommt leb— loſen Gegenſtänden zu; z. B. cene, Ding, cenecne, Dinge, jeje, Baum, jejecne, Bäume. =. ae „montaonocon, die dort“, wenn der Sprechende einen Ort meint, an dem er ſich ſelbſt befand; „myonocon, die dort“, wenn er von einem Orte ſpricht, an dem er nicht war. Die Chaymas haben auch die ſpaniſchen Adverbe aqui und ala (alla), deren Sinn ſich in den Sprachen von germaniſcher und lateiniſcher Abſtammung nur mittels Umſchreibung wieder— geben läßt. a Manche Indianer, die Spaniſch verſtanden, verſicherten uns, zis bedeute nicht nur Sonne, ſondern auch Gottheit. Dies ſchien mir um ſo auffallender, da man bei allen anderen amerikaniſchen Völkern beſondere Worte für Gott und für Sonne findet. Der Karibe wirft „tamoussicabo, den Alten des Himmels“, und „veyou, die Sonne“, nicht zuſammen. Sogar der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt ſich zur Vorſtellung eines Weſens, das den Lauf der Sterne lenkt. In der Sprache, der Inkas heißt die Sonne, faſt wie im Sanskrit, Inti, während Gott Vinay Huayna, der ewig Junge, genannt wird. Die Satzbildung iſt im Chaymas wie bei allen Sprachen beider Kontinente, die ſich eine gewiſſe Jugendlichkeit bewahrt haben. Das Regierte kommt vor das Zeitwort zu ſtehen, das Zeitwort vor das perſönliche Fürwort. Der Gegenſtand, auf den der Hauptnachdruck fällt, geht allem voran, was ſonſt ausgeſagt wird. Der Amerikaner würde ſagen: „Freiheit völlige lieben wir“ ſtatt: wir lieben völlige Freiheit; „dir mit glücklich bin ich“ ſtatt: mit dir bin ich glücklich. Dieſe Sätze haben eine gewiſſe Unmittelbarkeit, Beftimmtheit, Bündig⸗ keit, und ſie erſcheinen deſto naiver, da der Artikel fehlt. Ob wohl dieſe Völker, bei fortſchreitender Kultur und ſich ſelbſt überlaſſen, mit der Zeit von dieſer Satzbildung abgegangen wären? Man könnte es vermuten, wenn man bedenkt, wie ſtark die Syntax der Römer in ihren beſtimmten, klaren, aber etwas „ſchüchternen Töchterſprachen umgewandelt worden iſt. Im Chaymas wie im Tamanacu und den meiſten ameri— kaniſchen Sprachen fehlen gewiſſe Buchſtaben ganz, ſo nament⸗ lich das k, b und d. Kein Wort beginnt mit einem 1. Das⸗ In der Sprache der Inka heißt Sonne inti, Liebe munay, groß p l im Sanskrit: Sonne indre, Liebe manya, groß vipulo. Es ſind dies die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die man bis jetzt aufgefunden. Im grammatiſchen Bau ſind die beiden Sprachen völlig verſchieden. — 11 ſelbe gilt von der mexikaniſchen Sprache, in der doch die Silben tli, tla und itl als Endungen oder mitten in den Worten ſo häufig vorkommen. Der Chaymasindianer ſpricht r ſtatt I, weil er dieſes nicht ausſprechen kann, was ja in allen Himmelsſtrichen vorkommt. Auf dieſe Weiſe wurden aus den Kariben am Orinoko im franzöſiſchen Guayana Galibi; an die Stelle des r trat! und das k erweichte ſich. Aus dem ſpaniſchen Wort soldado hat das Tamanacu choraro (solalo) gemacht. Wenn f und b in fo vielen amerikaniſchen Mundarten fehlen, jo kommt dies vom innigen Verwandtſchaftsverhältnis zwiſchen gewiſſen Lauten, wie es ſich in allen Sprachen gleicher Abſtammung offenbart. Die Buchſtaben k und v, b und p werden verwechſelt; z. B. perſiſch: peder, pater, father, Vater; burader, frater, Bruder; behar, ver; griechiſch: phorton (forton), Bürde; pous, Fuß. Gerade jo wird bei den Amerikanern k und b zu p, und aus d wird t. Der Chaymasindianer ſpricht patre, Tios, Atani, aracapucha, ſtatt padre, Dios, Adan und arcabuz (Büchſe). . Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht, daß das Chaymas als ein Dialekt des Tamanacu zu be— trachten iſt, wie die drei Dialekte Maitano, Cuchivero und Crataima. Der Abweichungen ſind viele und weſentliche, und die beiden Sprachen ſcheinen mir höchſtens in dem Grade verwandt, wie das Deutſche, Schwediſche und Engliſche. Sie gehören derſelben Unterabteilung der großen Familie der tama- nakiſchen, karibiſchen und aruakiſchen Sprachen an. Da es für die Sprachverwandtſchaft kein abſolutes Maß gibt, ſo laſſen ſich dergleichen Verwandtſchaftsgrade nur durch von bekannten Sprachen hergenommene Beiſpiele bezeichnen. Wir rechnen zur ſelben Familie Sprachen, die einander ſo nahe ſtehen wie Griechiſch, Deutſch, Perſiſch und Sanskrit. Die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft glaubte gefunden zu haben, daß alle Sprachen in zwei große Klaſſen zerfallen, indem die einen, mit vollkommenerem Bau, freier, raſcher in der Bewegung, eine innere Entwickelung durch Flexion be— zeichnen, während die anderen, plumperen, weniger bildungs— fähigen, nur kleine Formen oder agglutinierte Partikeln roh nebeneinander ſtellen, die alle, wenn man ſie für ſich braucht, ihre eigentümliche Phyſiognomie beibehalten. Dieſe höchſt geiſtreiche Auffaſſung wäre unrichtig, wenn man annähme, es gäbe vielſilbige Sprachen ohne alle Flexion, oder aber „„ diejenigen, die ſich wie von innen heraus organiſch entwickeln, kennen gar keinen äußerlichen Zuwachs durch Suffixe und Affixe, welchen Zuwachs wir ſchon öfters als Agglutination oder Inkorporation bezeichnet haben. Viele Formen, die wir jetzt für Flexionen der Wurzel halten, waren vielleicht ur— ſprünglich Affixe, von denen nur ein oder zwei Konſonanten übrig geblieben ſind. Es iſt mit den Sprachen wie mit allem Organiſchen in der Natur; nichts ſteht ganz für ſich, nichts iſt dem anderen völlig unähnlich. Je weiter man in ihren inneren Bau eindringt, deſto mehr n, die Kontraſte, die auffallenden Eigentümlichkeiten. „Es iſt damit wie mit den on die nur von weitem ſcharf umriſſen ſcheinen.“! Laſſen wir aber auch für die Sprachen keinen durch— greifenden Einteilungsgrund gelten, ſo iſt doch vollkommen zuzugeben, daß im gegenwärtigen Zuſtande die einen mehr Neigung haben zur Flexion, die anderen zur äußerlichen Aggre— gation. Zu den erſteren gehören bekanntlich die Sprachen des indiſchen, pelasgiſchen und germaniſchen Sprachſtammes, zu den letzteren die amerikaniſchen Sprachen, das Koptiſche oder Altägyptiſche und in gewiſſem Grade die ſemitiſchen Sprachen und das Baskiſche. Schon das Wenige, das wir vom Idiom der Chaymas oben mitgeteilt, zeigt deutlich die durchgehende Neigung zur Inkorporation oder Aggregation gewiſſer Formen, die ſich RER laſſen, wobei aber ein ziemlich entwickeltes Gefühl für Wohllaut ein paar Buchſtaben wegwirft oder aber zuſetzt. Durch dieſe Affixe im Auslaut der Worte werden die mannigfaltigſten Zahl-, Zeit- und en: bezeichnet. Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikanischen Sprachen näher, ſo glaubt man zu erraten, woher die alte, in allen Miſſionen verbreitete Anſicht rührt, daß die ameri— kaniſchen Sprachen Aehnlichkeit mit dem Hebräiſchen und dem Baskiſchen haben. Ueberall, im Kloſter Caripe wie am Orinoko, in Peru wie in Mexiko, hörte ich dieſen Gedanken äußern, beſonders Geiſtliche, die vom Hebräiſchen und Baskiſchen einige oberflächliche Kenntnis hatten. Liegen etwa religiöſe Rück— ſichten einer ſo ſeltſamen Annahme zu Grunde? In Nord— amerika, bei den Chokta und Chikaſa, haben etwas leicht— gläubige Reiſende, das Hallelujah der Hebräer ſingen hören, ı Wilhelm v. Humboldt. — — wie, den Panditen zufolge, die drei heiligen Worte der eleu⸗ ſiniſchen Myſterien (konx om pax) noch heutzutage in Indjen ertönen. Ich will nicht glauben, daß die Völker des latei⸗ niſchen Europas alles hebräiſch oder baskiſch nennen, was ein fremdartiges Ausſehen hat, wie man lange alles, was nicht im griechiſchen oder römiſchen Stil gehalten war, ägyptiſche Denkmäler nannte. Ich glaube vielmehr, daß das gram— matiſche Syſtem der amerikaniſchen Sprachen die Miſſio⸗ näre des 16. Jahrhunderts in ihrer Annahme von der aſiatiſchen Herkunft der Völker der Neuen Welt beſtärkt hat. Einen Beweis hierfür liefert die langweilige Kompilation des Paters Garcia: „Tratad del origen de los Indios“. Daß die poſſeſſiven und perſönlichen Fürwörter hinter Subſtantiven und Zeitwörtern ſtehen, und daß letztere ſo viele Tempora haben, das ſind Eigentümlichkeiten des Hebräiſchen und der anderen ſemitiſchen Sprachen. Manche Miſſionäre fanden es nun ſehr merkwürdig, daß die amerikaniſchen Sprachen die— ſelben Formen aufzuweiſen haben. Sie wußten nicht, daß die Uebereinſtimmung in verſchiedenen einzelnen Zügen für die gemeinſame Abſtammung der Sprachen nichts beweiſt. Weniger zu verwundern iſt, wenn Leute, die nur zwei voneinander ſehr verſchiedene Sprachen, Spaniſch und Baskiſch, verſtehen, an letzterer eine Familienähnlichkeit mit den ameri— kaniſchen Sprachen fanden. Die Wortbildung, die Leichtigkeit, mit der ſich die einzelnen Elemente auffinden laſſen, die Formen des Zeitwortes und die mannigfaltigen Geſtalten, die es je nach dem Weſen des regierten Wortes annimmt, alles dies konnte die Täuſchung erzeugen und unterhalten. Aber, wir wiederholen es, mit der gleichen Neigung zur Aggregation und Inkorporation iſt noch keineswegs gleiche Abſtammung gegeben. Ich gebe einige Beiſpiele dieſer phyſiognomiſchen Ver— wandtſchaft zwiſchen den amerikaniſchen Sprachen und dem Bas: kiſchen, die in den Wurzeln durchgängig voneinander abweichen. Chaymas: quenpotupra quoguaz, ich kenne nicht, wörtlich: wiſſend nicht ich bin. Tamanacu: jarer-uacure, tragend bin ich, ich trage; anarepna aichi, er wird nicht tragen, wörtlich: tragend nicht wird fein; pateurbe, gut, patcutari, ſich gut machen; Tamanacu, ein Tamanake; Ta- manacutari, ſich zum Tamanaken machen; Pongheme, Spanier; ponghemtari, ſich hiſpaniſieren; tenectschi, ich werde ſehen; teneicre, ich werde wiederſehen; teescha, ich gehe; teeschare, ich kehre zurück; Maypur butke, ein kleiner Maypure-Indianer; A. v. Humboldt, Reiſe. II. 3 — 34 — aicabutke, ein kleines Weib; maypuritaje, ein böſer May⸗ pure⸗Indianer; aicataje, ein böſes Weib. Baskiſch: maitetutendot, ich liebe ihn, wörtlich: ich liebend ihn bin; beguia, Auge, und beguitsa, ſehen; aita- gana, zum Vater; durch den Zuſatz von tu entſteht das Wort aitaganatu, zum Vater gehen; ume-tasuna, ſanftes, kindlich offenes Benehmen; ume-queria, widriges kindiſches Benehmen. ° Dieſen Beiſpielen mögen einige beſchreibende Kompoſita folgen, die an die Kindheit des Menſchengeſchlechtes mahnen und in den amerikaniſchen Sprachen wie im Baskiſchen durch eine gewiſſe Naivität des Ausdruckes überraſchen. Tamanacu: Weſpe, uane-imu, wörtlich: Vater (im-de) des Honigs (uane); die Zehen, ptari-mucuru, wörtlich: die Söhne des Fußes; die Finger, amgna-mucuru, die Söhne der Hand; die Schwämme, jeje-panari, wörtlich: die Ohren des Baumes; die Adern der Hand, amgna-mitti, wörtlich: veräſtete Wurzeln; die Blätter, prutpe-jareri, wörtlich: die Rn des Baummipfels; puirene- veju, wörtlich: gerade oder ſenkrechte Sonne; Blitz, kinemeru- uaptori, wörtlich: das Feuer des Donners oder des Ge— witters. Baskiſch: becoquia, Stirne, wörtlich: was zum Auge gehört; odotsa, das Getöſe der Wolke, der Donner; arribicia, das Echo, wörtlich: der lebendige Stein. Im Chaymas und Tamanacu haben die Zeitwörter eine Unzahl Tempora, ein doppeltes Präſens, vier Präterita, drei Futura. Dieſe Häufung iſt ſelbſt den roheſten amerikaniſchen Sprachen eigen. In der Grammatik des Basliſchen zählt Aſtarloa gleichfalls zweihundertſechs Formen des Zeitwortes auf. Die Sprachen, welche vorherrſchende Neigung zur Flexion haben, reizen die gemeine Neugier weniger als ſolche, die durch bloße Nebeneinanderſtellung von Elementen gebildet erſcheinen. In den erſteren ſind die Elemente, aus denen die Worte zuſammengeſetzt ſind und die meiſt aus wenigen Buchſtaben beſtehen, nicht mehr kenntlich. Für ſich geben dieſe Beſtandteile keinen Sinn; alles iſt verſchlungen und ver- ſchmolzen. Die amerikaniſchen Sprachen dagegen gleichen einem verwickelten Mechanismus mit offen zu Tage liegendem Räder: — Das Diminutiv von Frau oder von Maypure-Indianer wird dadurch gebildet, daß man butke, das Ende des Wortes cujuputke, klein, beiſetzt. Taje entſpricht dem italieniſchen accio. »Die Endung tasuna bedeutet eine gute Eigenſchaft, queria eine ſchlimme und kommt her von eria, Krankheit. ART pi werk. Man erkennt die Künſtlichkeit, man kann ſagen den ausgearbeiteten Mechanismus des Baues. Es iſt, als bildeten ſie ſich erſt unter unſeren Augen, und man könnte ſie für ſehr neuen Urſprungs halten, wenn man nicht bedächte, daß der menſchliche Geiſt unverrückt einem einmal erhaltenen Anſtoße folgt, daß die Völker nach einem urſprünglich angelegten Plane den grammatiſchen Bau ihrer Sprachen erweitern, vervoll- kommnen oder ausbeſſern, und daß es Länder gibt, wo Sprache, Verfaſſung, Sitten und Künſte ſeit vielen Jahrhunderten wie feſtgebannt ſind. Die höchſte geiſtige Entwickelung hat bis jetzt bei den Völkern ſtattgefunden, welche dem indiſchen und pelasgiſchen Stamme angehören. Die hauptſächlich durch Aggregation ge⸗ bildeten Sprachen erſcheinen als ein natürliches Hindernis der Kulturentwickelung; es geht ihnen großenteils die raſche Be— wegung ab, das innerliche Leben, die die Flexion der Wurzeln mit ſich bringt und die den Werken der Einbildungskraft den Hauptreiz geben. Wir dürfen indeſſen nicht vergeſſen, daß ein ſchon im hohen Altertum hochberühmtes Volk, dem ſelbſt die Griechen einen Teil ihrer Bildung entlehnten, vielleicht eine Sprache hatte, die in ihrem Bau unwillkürlich an die amerikaniſchen Sprachen erinnert. Welche Maſſe ein- oder zweiſilbiger Partikeln werden im Koptiſchen dem Zeitwort oder Hauptwort angehängt! Das Chaymas und Tamanacu, halb barbariſche Sprachen, haben kurze abſtrakte Benennungen für Größe, Neid, Leichtſinn, cheictivate, uoite, uonde; aber im Koptiſchen iſt das Wort Bosheit, metrepherpeton, aus fünf leicht zu unterſcheidenden Elementen zuſammengeſetzt, und bedeutet: die Eigenſchaft (met) eines Subjektes (reph), das thut (er) das Ding (pet), (das iſt) böſe (on). Und dennoch hatte die koptiſche Sprache ihre Litteratur ſo gut wie die chineſiſche, in der die Wurzeln nicht einmal aggregiert, ſondern kaum aneinander gerückt ſind und ſich gar nicht unmittelbar berühren. So viel iſt gewiß, ſind einmal die Völker aus ihrem Schlummer aufgerüttelt und auf die Bahn der Kultur geworfen, ſo bietet ihnen die ſeltſamſte Sprache das Werkzeug, um Gedanken beſtimmt auszudrücken und Seelenregungen zu ſchildern. Ein achtungswerter Mann, der in der blutigen Revolution von Quito das Leben verloren, Don Juan de la Rea, hat ein paar Idyllen Theokrits in die Sprache der Inka einfach und zierlich übertragen, und man hat mich ver: ſichert, mit Ausnahme naturwiſſenſchaftlicher und philoſophiſcher — 363 Werke, laſſe ſich ſo ziemlich jedes neuere Litteraturprodukt ins Peruaniſche überſetzen. Der ſtarke Verkehr zwiſchen den Eingeborenen und den Spaniern ſeit der Eroberung hat zur natürlichen Folge ge⸗ habt, daß nicht wenige amekikaniſche Worte in die ſpaniſche Sprache übergegangen ſind. Manche dieſer Worte bezeichnen meiſt Dinge, die vor der Entdeckung der Neuen Welt unbe: kannt waren, und wir denken jetzt kaum mehr an ihren bar⸗ bariſchen Urſprung (3. B. Savanne, Kannibale). Faſt alle ge: hören der Sprache der Großen Antillen an, die früher die Sprache von Hayti, Quizqueja oder Itis hieß. Ich nenne nur die Worte Mais, Tabak, Kanoe, Batate, Kazike, Balſa, Conuco u. ſ. w. Als die Spanier mit dem Jahre 1498 an⸗ fingen Terra Firma zu beſuchen, hatten ſie bereits Worte für die nutzbarſten Gewächſe, die auf den Antillen, wie auf den Küſten von Cumana und Paria vorkommen. Sie be- hielten nicht nur dieſe von den Haytiern entlehnten Be: nennungen bei, durch ſie wurden dieſelben über ganz Amerika verbreitet, zu einer Zeit, wo die Sprache von Hayti bereits eine tote Sprache war, und bei Völkern, die von der Exiſtenz der Antillen gar nichts wußten. Manchen Worten, die in den ſpaniſchen Kolonieen in täglichem Gebrauche ſind, ſchreibt man indeſſen mit Unrecht haytiſchen Urſprung zu. Banana iſt aus der Chacoſprache, Arepa (Maniokbrot von Jatropha Manihot) und Guayuco (Schürze, perizoma) find karibiſch, Curiaca (ſehr langes Kanoe) iſt tamanakiſch, Chinchorro (Hängematte) und Tutuma (die Frucht der Crescentia Cujete, oder ein Gefäß für Flüſſigkeiten) ſind Chaymaswörter. Ich habe lange bei Betrachtungen über die amerikaniſchen Sprachen verweilt; ich glaubte, wenn ich ſie zum erſtenmal in dieſem Werke beſpräche, anſchaulich zu machen, von welcher Bedeutung Unterſuchungen derart ſind. Es verhält ſich da— mit wie mit der Bedeutung, die den Denkmälern halb bar⸗ bariſcher Völker zukommt. Man beſchäftigt ſich mit ihnen nicht, weil ſie für ſich auf den Rang von Kunſtwerken An⸗ ſpruch machen können, ſondern weil die Unterſuchung für die Geſchichte unſeres Geſchlechtes und den Entwickelungsgang unſerer Geiſteskräfte nicht ohne Belang iſt. Ehe Cortez nach der Landung an der Küſte von Mexiko ſeine Schiffe verbrannte, ehe er im Jahre 1521 in die Haupt⸗ ſtadt Montezumas einzog, war Europa auf die Länder, die wir bisher durchzogen, aufmerkſam geworden. Mit der Be: ey an ſchreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt zu ſchildern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge: ſchichtſchreiber der Eroberung lieſt, namentlich die Briefe Peter Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des Katholiſchen geſchrieben, die reich ſind an geiſtreichen Be— merkungen über Chriſtoph Kolumbus, Leo X. und Luther, und aus denen edle Begeiſterung für die großen Entdeckungen eines an außerordentlichen Ereigniſſen ſo reichen Jahrhunderts ſpricht. Eine nähere Beſchreibung der Sitten der Völker, die man lange unter der Geſamtbenennung Cumanier (Cu- maneses) zuſammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab— ſicht; dagegen ſcheint es mir von Belang, einen Punkt auf- —.— den ich im ſpaniſchen Amerika häufig habe beſprechen ören. Die heutigen Pariagoten oder Paria ſind rotbraun wie die Kariben, die Chaymas und faſt alle Eingeborenen der Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geſchicht— ſchreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die erſten Beſucher haben am Vorgebirge Paria weiße Menſchen mit blonden Haaren geſehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen des Orinoko geſehen? Aber dieſe Indianer hatten ſo ſchwarzes Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieſer Mißbildung ſind bei der kupferfarbigen Raſſe ungemein ſelten, und Anghiera wie auch Gomara ſprachen von den Einwohnern von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide beſchreiben ſie wie Völker germaniſchen Stammes, ſie ſeien weiß mit blonden Haaren. Ferner ſollen ſie ähnlich wie Türken gekleidet geweſen fein.” Gomara und Anghiera ſchreiben nach mündlichen Berichten, die ſie geſammelt. ! Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae albi, ca- pillis oblongis protensis flavis. Utriusque sexus indigenae albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver- santur. Gomara jagt von den Eingeborenen, die Kolumbus an der Mündung des Fluſſes Cumana geſehen: „Las donzellas eran amorosas, desundas y blancas (las de la casa); los Indios que van al campo, estan negros del sol.“ ? Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge— ſtreiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa dieſen Ser ; Dieſe Wunderdinge verſchwinden, wenn wir den Bericht, den Ferdinand Kolumbus den Papieren ſeines Vaters ent: nommen, näher anſehen. Da heißt es bloß, „der Admiral habe zu ſeiner Ueberraſchung die Einwohner von Paria und der Inſel Trinidad wohlgebildeter, kultivierter (de buena conversacion) und weißer gefunden als die Eingeborenen, die er bis dahin geſehen.“ Damit iſt doch wohl nicht geſagt, daß die Pariagoten weiß geweſen. In der helleren Haut der Eingeborenen und in den ſehr kühlen Morgen ſah der große Mann eine Beſtätigung ſeiner ſeltſamen Hypotheſe von der unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage der Ebenen in dieſem Erdſtrich infolge einer gewaltigen Anſchwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen. Amerigo Veſpucci (wenn man ſich auf ſeine angebliche erſte Reiſe berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer Reiſenden zuſammengetragen iſt) vergleicht die Eingeborenen mit den tatariſchen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe, ſondern wegen des breiten Geſichtes und wegen des ganzen Ausdruckes desſelben. Gab es aber zu Ende des 15. Jahrhunderts auf den Küſten von Cumana ſo wenig als jetzt Menſchen mit weiß— licher Haut, ſo darf man daraus deshalb nicht ſchließen, daß bei den Eingeborenen der Neuen Welt das Hautſyſtem durchgängig gleichförmig organiſiert ſei. Wenn man ſagt, ſie ſeien alle kupferfarbig, ſo iſt dies ſo unrichtig, als wenn man behauptet, ſie wären nicht ſo dunkel gefärbt, wenn ſie ſich nicht der Sonnenglut ausſetzten oder nicht von der Luft gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der Zahl nach ſehr ungleiche Gruppen teilen. Zur einen gehören die Eskimo in Grönland, in Labrador und auf der Nordküſte Kopfputz für einen Turban angeſehen? Daß ein Volk unter dieſem Himmelsſtrich den Kopf bedeckt haben ſollte, iſt auffallend; aber was noch weit merkwürdiger iſt, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein an die Küſte von Paria unternommen und die wir bei Peter Martyr d'Anghiera beſchrieben finden, bekleidete Eingeborene geſehen haben; „Incolas omnes, genu tenus mares, foeminas surarum tenus, gossampinis vestibus amictos simplicibus repererunt, sed viros, more Turcarum, insuto minutim gossipio ad belli usum, duplicibus.“ Was fol man aus dieſen Völkern machen, die civiliſierter geweſen und Mäntel getragen, wie man auf dem Rücken der Anden trägt, und auf einer Küſte gelebt, wo man vor und nach Pinzon nur nackte Menſchen geſehen. vs Bi HR der Hudſonsbai, die Bewohner der Beringsſtraße, der Halb⸗ inſel Alaska und des Prinz Williams⸗Sundes. Der öſtliche und der weſtliche Zweig dieſer Polarraſſe, die Eskimo und die Tſchugat, ſind trotz der ungeheuren Strecke von 1800 km, die zwiſchen ihnen liegt, durch ſehr nahe Sprachverwandtſchaft eng verbunden. Dieſe Verwandtſchaft erſtreckt ſich ſogar, wie in neuerer Zeit außer Zweifel geſetzt worden iſt, noch weiter, zu den Bewohnern des nordöſtlichen Aſiens; denn die Mundart der Tſchuktſchen an der Mündung des Anadyr hat dieſelben Wurzeln wie die Sprache der Eskimo auf der Europa gegen⸗ überliegenden Küſte von Amerika. Die Tſchuktſchen ſind die aſiatiſchen Eskimo. Gleich den Malaien wohnt die hyper⸗ boräiſche Raſſe nur am Meeresufer. Sie nähren ſich von Fiſchen, ſind faſt durchgängig von kleinerer Statur als die anderen Amerikaner, ſind lebhaft, beweglich, geſchwätzig. Ihre Haare ſind ſchlicht, glatt und ſchwarz; aber (und dies zeichnet die Raſſe, die ich die eskimo⸗tſchugaſiſche nennen will, ganz beſonders aus) ihre Haut iſt urſprünglich weißlich. Es iſt gewiß, daß die Kinder der Grönländer weiß zur Welt kommen; bei manchen erhält ſich dieſe Farbe, und auch bei den dunkelſten (den von der Luft am meiſten gebräunten) ſieht man nicht ſelten das Blut auf den Wangen rot durchſchimmern. Die zweite Gruppe der Eingeborenen Amerikas umfaßt alle Völker außer den Eskimo⸗Tſchugat, vom Cooksfluß bis zur Magelhaensſchen Meerenge, von den Ugaljachmiut und Kinai am St. Eliasberg bis zu den Puelchen und Tehuelhet in der ſüdlichen Halbkugel. Die Völker dieſes zweiten Zweiges ſind größer, ſtärker, kriegeriſcher und ſchweigſamer. Auch ſie weichen hinſichtlich der Hautfarbe auffallend voneinander ab. In Mexiko, in Peru, in Neugranada, in Quito, an den Ufern des Orinoko und des Amazonenſtromes, im ganzen Striche von Südamerika, den ich geſehen, im Tieflande wie auf den ſehr kalten Hochebenen, ſind die indianiſchen Kinder im Alter von zwei, drei Monaten ebenſo bronzefarbig als die Erwachſenen. Daß die Eingeborenen nur von Luft und Sonne gebräunte Weiße ſein möchten, iſt einem Spanier in Quito oder an den Ufern des Orinoko nie in den Sinn gekommen. Im nordweſtlichen Amerika dagegen gibt es Stämme, bei denen die Kinder weiß ſind und erſt mit der Mannbarkeit ſo 3 werden wie die Eingeborenen von Peru und Mexiko. Bei dem Häuptling der Miami Michikinakua waren die Arme und die der Sonne nicht ausgeſetzten Körperteile — 1 faſt weiß. Dieſer Unterſchied in der Farbe der bedeckten und nicht bedeckten Teile wird bei den Eingeborenen von Peru und Mexiko niemals beobachtet, ſelbſt nicht bei ſehr wohl⸗ habenden Familien, die ſich faſt beſtändig in ihren Häuſern aufhalten. Weſtwärts von den Miami, auf der gegenüber⸗ liegenden aſiatiſchen Küſte, bei den Koljuſchen und Tlinkit in der Norfolkbai, erſcheinen die erwachſenen Mädchen, wenn ſie angehalten werden, ſich zu waſchen, ſo weiß wie Europäer. Dieſe weiße Hautfarbe ſoll, nach einigen Reiſeberichten, auch den Gebirgsvölkern in Chile zukommen.! Dies ſind ſehr bemerkenswerte Thatſachen, die der nur zu ſehr verbreiteten Anſicht von der außerordentlichen Gleich: förmigkeit der Körperbildung bei den Eingeborenen Amerikas widerſprechen. Wenn wir dieſelben in Eskimo und Nicht— Eskimo teilen, ſo geben wir gerne zu, daß die Einteilung um nichts philoſophiſcher iſt, als wenn die Alten in der ganzen bewohnten Welt nur Kelten und Skythen, Griechen und Barbaren ſahen. Handelt es ſich indeſſen davon, zahlloſe Volksſtämme zu gruppieren, ſo gewinnt man immer doch etwas, wenn man ausſchließend zu Werke geht. Wir wollten hier darthun, daß, wenn man die Eskimo⸗Tſchugat ausſcheidet, mitten unter den kupferbraunen Amerikanern Stämme vor⸗ kommen, bei denen die Kinder weiß zur Welt kommen, ohne daß ſich, bis zur Zeit der Eroberung zurück, darthun ließe, daß ſie ſich mit Europäern vermiſcht hätten. Dieſer Umſtand verdient genauere Unterſuchung durch Reiſende, die bei phyſio— logiſchen Kenntniſſen Gelegenheit finden, die braunen Kinder der Mexikaner und die weißen der Miami im Alter von zwei Jahren zu beobachten, ſowie die Horden am Orinoko, die im: heißeſten Erdſtrich ihr Leben lang und bei voller Kraft die weißliche Hautfarbe der Meſtizen behalten. Der geringe Ver— kehr, der bis jetzt zwiſchen Nordamerika und den ſpaniſchen Kolonieen ſtattfindet, hat alle derartigen Unterſuchungen un- möglich gemacht. Beim Menſchen betreffen die Abweichungen vom ganzen gemeinſamen Raſſentypus mehr den Wuchs, den Geſichts⸗ ausdruck, den Körperbau, als die Farbe. Bei den Tieren iſt es anders; bei dieſen ſind Spielarten nach der Farbe häufiger Darf man an die blauen Augen der Borroa in Chile und der Guayana am Uruguay glauben, die wie Völker vom Stamme Odins geſchildert werden? (Azzara, Reiſe.) 1 als ſolche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugetiere, die Federn der Vögel, ſelbſt die Schuppen der Fiſche wechſeln die Farbe, je nach dem vorherrſchenden Einfluſſe von Licht oder von Dunkelheit, je nach den Hitze- und Kältegraden. Beim Menſchen ſcheint ſich der Farbſtoff im Hautſyſtem durch die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen guten Beobachtungen geht hervor, daß ſich die Hautfarbe wohl beim einzelnen infolge von Hautreizen, aber nicht erblich bei einer ganzen Raſſe ändert. Die Eskimo in Grönland und die Lappen ſind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Ver— änderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag, gegen welche alle geſchichtliche Ueberlieferung verſchwindet, darüber haben wir nichts zu ſagen. Bei Unterſuchungen der— art macht der forſchende Gedanke Halt, ſobald er Erfahrung und Analogie nicht mehr zu Führern hat. Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie mit weißen Menſchen; nach ihnen ſind die Neger und alle dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnenglut ge— ſchwärzt oder gebräunt worden. Dieſe Anſicht, die ſchon bei den Griechen herrſchte, wenn auch nicht ohne Widerſpruch, hat ſich bis auf unſere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in Proſa, was Theodektes zweitauſend Jahre früher poetiſch aus— geſprochen: „Die Nationen tragen die Livree der Erdſtriche, die ſie bewohnen.“ Wäre die Geſchichte von ſchwarzen Völkern geſchrieben worden, ſie hätten behauptet, was neuerdings ſogar von Europäern angenommen worden iſt, der Menſch ſei ur⸗ ſprünglich ſchwarz oder doch ſehr dunkelfarbig, und infolge der Civiliſation und fortſchreitenden Verweichlichung haben ſich manche Raſſen gebleicht, wie ja auch bei den Tieren im zahmen Zuſtande die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei Pflanzen und Tieren ſind Spielarten, die ſich durch Zufall unter unſeren Augen gebildet, beſtändig geworden und haben ſich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weiſt darauf hin, 1 Oneſicritus, bei Strabo, Lib. XV. Die Züge Alexanders ſcheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große Frage nach dem Einfluß des Klimas aufmerkſam zu machen. Sie hatten von Reiſenden vernommen, daß in Hinduſtan die Völker im Süden dunkelfarbiger ſeien als im Norden in der Nähe der Gebirge, und ſie ſetzten voraus, daß beide derſelben Raſſe an— gehören. — 42 daß, unter den gegenwärtigen Verhältniſſen der menſchlichen Organiſation, die verſchiedenen Menſchenraſſen, die ſchwarze, gelbe, fupferfarbige und weiße, folange fie fich unvermiſcht erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und anderer äußerer Umſtände vom urſprünglichen Typus bedeutend abweichen. Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſe allgemeinen Be— trachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen der Kordilleren beſteigen, die vier- und fünfmal höher liegen als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig nur auf das Zeugnis Ulloas.“ Dieſer Gelehrte ſah die Sn: dianer in Chile, auf den Anden von Peru, an den heißen Küſten von Panama, und wiederum in Louiſiana, im nörd- lichen gemäßigten Erdſtrich. Er hatte den Vorteil, daß er in einer Zeit lebte, wo der Anſichten noch nicht ſo vielerlei waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene unter der Linie im kalten Klima der Kordilleren ſo bronze— farbig, jo braun iſt als auf den Ebenen. Bemerkt man Ab- weichungen in der Farbe, ſo ſind es feſte Stammunterſchiede. Wir werden bald an den heißen Ufern des Orinoko Indianern weißlicher Haut begegnen: Est durans originis vis. . „Die Indianer find kupferrot, und dieſe Farbe wird durch den Einfluß von Sonne und Luft dunkler. Ich muß darauf auf⸗ merkſam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die Farbe merkbar verändern, jo daß man die Indianer auf den Kor— dilleren von Peru und die auf den heißeſten Ebenen leicht ver— wechſelt, und man diejenigen, die unter der Linie leben und die unter dem 40. nördlichen und ſüdlichen Breitengrade nicht unter— ſcheiden kann.“ Noticias americanas, cap. 17. — Kein alter Schriftſteller hat die beiden Anſchauungsweiſen, nach denen man ſich noch gegenwärtig von der Verſchiedenheit benachbarter Völker nach Farbe und Geſichtszügen Rechenſchaft gibt, klarer angedeutet, als Tacitus im Leben des Agricola. Er unterſcheidet zwiſchen der erblichen Anlage und dem Einfluß des Klima, und thut keinen Ausſpruch, als ein Philoſoph, der gewiß weiß, daß wir von den erſten Urſachen der Dinge nichts wiſſen. „Habitus corporum varii atque ex eo argumenta. Seu durante originis vi, seu procur- rentibus in diversa terris, positio coeli corporibus habitum dedit.“ Agricola, cap. 11. Jehntes Kapitel. Zweiter Aufenthalt in Cumana. — Erdbeben. — Ungewöhnliche Meteore. Wir blieben wieder einen Monat in Cumana. Die be⸗ ſchloſſene Fahrt auf dem Orinoko und Rio Negro erforderte Zurüſtungen aller Art. Wir mußten die Inſtrumente aus⸗ wählen, die ſich auf engen Kanoen am leichteſten fortbringen ließen; wir mußten uns für eine zehnmonatliche Reiſe im Binnenlande, das in keinem Verkehr mit den Küſten ſteht, mit Geldmitteln verſehen. Da aſtronomiſche Ortsbeſtimmung der Hauptzweck dieſer Reiſe war, ſo war es mir von großem Belang, daß mir die Beobachtung einer Sonnenfinſternis nicht entging, die Ende Oktobers eintreten ſollte. Ich blieb lieber bis dahin in Cumana, wo der Himmel meiſt ſchön und heiter iſt. An den Orinoko konnten wir nicht mehr kommen, und das hohe Thal von Caracas war für meinen Zweck minder günſtig wegen der Dünſte, welche die nahen Gebirge um— ziehen. Wenn ich die Länge von Cumana genau beſtimmte, ſo hatte ich einen Ausgangspunkt für die chronometriſchen Beſtimmungen, auf die ich allein rechnen konnte, wenn ich mich nicht lange genug aufhielt, um Mondsdiſtanzen zu nehmen oder die Jupiterstrabanten zu beobachten. Faft hätte ein Unfall mich genötigt, die Reiſe an den Orinoko aufzugeben oder doch lange hinauszuſchieben. Am 27. Oktober, dem Tag vor der Sonnenfinſternis, gingen wir wie gewöhnlich am Ufer des Meerbuſens, um der Kühle zu genießen und das Eintreten der Flut zu beobachten, die an dieſem Seeſtrich nicht mehr als 32 bis 35 em beträgt. Es war acht Uhr abends und der Seewind hatte ſich noch nicht aufgemacht. Der Himmel war bedeckt, und bei der Wind⸗ ſtille war es unerträglich heiß. Wir gingen über den Strand — u zwiſchen dem Landungsplatz und der Vorſtadt der Guaikeri. Ich hörte hinter mir gehen, und wie ich mich umwandte, ſah ich einen hochgewachſenen Mann von der Farbe der Zambos, nackt bis zum Gürtel. Er hielt faſt über meinem Kopf eine Macana, einen dicken, unten keulenförmig dicker werdenden Stock aus Palmholz. Ich wich dem Schlage aus, indem ich links zur Seite ſprang. Bonpland, der mir zur Rechten ging, war nicht ſo glücklich; er hatte den Zambo ſpäter bemerkt als ich, und erhielt über die Schläfe einen Schlag, der ihn zu Boden ſtreckte. Wir waren allein, unbe— waffnet, 2 Kilometer von jeder Wohnung auf einer weiten Ebene an der See. Der Zambo kümmerte ſich nicht mehr um mich, ſondern ging langſam davon und nahm Bonplands Hut auf, der die Gewalt des Schlages etwas gebrochen hatte und weit weggeflogen war. Aufs äußerſte erſchrocken, da ich meinen Reiſegefährten zu Boden ſtürzen und eine Weile bewußtlos daliegen ſah, dachte ich nur an ihn. Ich half ihm aufſtehen; der Schmerz und der Zorn gaben ihm doppelte Kraft. Wir ſtürzten auf den Zambo zu, der, ſei es aus Feigheit, die bei dieſem Menſchenſchlag gemein iſt, oder weil er von weitem Leute am Strande ſah, nicht auf uns wartete und dem Tunal zulief, einem kleinen Buſchwerk aus Fadel- diſteln und baumartigen Avicennien. Zufällig fiel er unter- wegs, Bonpland, der zunächſt an ihm war, rang mit ihm und ſetzte ſich dadurch der äußerſten Gefahr aus. Der Zambo zog ein langes Meſſer aus ſeinem Beinkleid, und im un: gleichen Kampfe wären wir ſicher verwundet worden, wären nicht biscayiſche Handelsleute, die auf dem Strande Kühlung ſuchten, uns zu Hilfe gekommen. Als der Zambo ſich um- ringt ſah, gab er die Gegenwehr auf; er entſprang wieder, und nachdem wir ihm lange durch die ſtachlichten Kaktus nad): gelaufen, ſchlüpfte er in einen Viehſtall, aus dem er ſich ruhig herausholen und ins Gefängnis führen ließ. Bonpland hatte in der Nacht Fieber; aber als ein kräftiger Mann, voll der Munterkeit, die eine der koſtbarſten Gaben iſt, welche die Natur einem Reiſenden verleihen kann, ging er ſchon des anderen Tages wieder ſeiner Arbeit nach. Der Schlag der Macana hatte bis zum Scheitel die Haut ge quetſcht, und er ſpürte die Nachwehen mehrere Monate während unſeres Aufenthaltes in Caracas. Beim Bücken, um Pflanzen aufzunehmen, wurde er mehrere Male von einem Schwindel befallen, der uns befürchten ließ, daß im Schädel etwas aus⸗ — 45 — getreten fein möchte. Zum Glück war dieſe Beſorgnis unge: gründet, und die Symptome, die uns anfangs beunruhigt, verſchwanden nach und nach. Die Einwohner von Cumana bewieſen uns die rührendſte Teilnahme. Wir hörten, der Zambo ſei aus einem der indianiſchen Dörfer gebürtig, die um den großen See Maracaybo liegen. Er hatte auf einem Kaperſchiff von San Domingo gedient und war infolge eines Streites mit dem Kapitän, als das Schiff aus dem Hafen von Cumana auslief, an der Küſte zurückgelaſſen worden. Er hatte das Signal bemerkt, das wir aufſtellen laſſen, um die Höhe der Flut zu beobachten, und hatte gelauert, um uns auf dem Strande anzufallen. Aber wie kam es, daß er, nachdem er einen von uns niedergeſchlagen, ſich mit dem Raub eines Hutes zu begnügen ſchien? Im Verhör waren ſeine Antworten ſo verworren und albern, daß wir nicht klug aus der Sache werden konnten; meiſt behauptete er, ſeine Abſicht ſei nicht geweſen, uns zu berauben; aber in der Erbitterung über die ſchlechte Behandlung am Bord des Kapers von San Domingo, habe er dem Drang, uns eines zu verſetzen, nicht widerſtehen können, ſobald er uns habe franzöſiſch ſprechen hören. Da der Rechtsgang hierzulande ſo langſam iſt, daß die Verhafteten, von denen die Gefängniſſe wimmeln, ſieben, acht Jahre auf ihr Urteil warten müſſen, ſo hörten wir wenige Tage nach unſerer Abreiſe von Cumana nicht ohne Befriedi— gung, der Zambo ſei aus dem Schloſſe San Antonio ent— ſprungen. Trotz des Unfalls, der Bonpland betroffen, war ich anderen Tags, am 28. Oktober um fünf Uhr morgens auf dem Dach unſeres Hauſes, um mich zur Beobachtung der Sonnenfinſternis zu rüſten. Der Himmel war klar und rein. Die Sichel der Venus und das Sternbild des Schiffes, das durch ſeine gewaltigen Nebelflecke nahe aneinander ſo ſtark hervortritt, verſchwanden in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich hatte mir zu einem ſo ſchönen Tag um ſo mehr Glück zu wünſchen, als ich ſeit mehreren Wochen wegen der Gewitter, die regelmäßig zwei, drei Stunden nach dem Durch— gang der Sonne durch den Meridian im Süden und Südoſten aufzogen, die Uhren nicht nach korreſpondierenden Höhen hatte richten können. Ein rötlicher Dunſt, der in den tiefen Luft— ſchichten auf den Hygrometer faſt gar nicht wirkt, verſchleierte bei Nacht die Sterne. Dieſe Erſcheinung war ſehr unge— wöhnlich, da man in anderen Jahren oft drei, vier Monate — 46 — lang keine Spur von Wolken und Nebel ſieht. Ich konnte den Verlauf und das Ende der Sonnenfinſternis vollſtändig beobachten. Das Ende der Finſternis war um 2 Uhr 14 Mi⸗ nuten 23,4 Sekunden mittlerer Zeit in Cumana. Das Er: gebnis meiner Beobachtung wurde nach den alten Tafeln von Ciccolini in Bologna und Triesnecker in Wien berechnet und in der Connaissance des temps (im neunten Jahrgang) ver⸗ öffentlicht. Dieſes Ergebnis wich um nicht weniger als um 1 Minute 9 Sekunden Zeit von der Länge ab, die der Chronometer mir ergeben; dasſelbe wurde aber von Oltmanns nach den neuen Mondtafeln von Burg und den Sonnentafeln von Delambre noch einmal berechnet, und jetzt ſtimmten Sonnenfinſternis und Chronometer bis auf 10 Sekunden überein. Ich führe dieſen merkwürdigen Fall, wo ein Fehler durch die neuen Tafeln auf ½ reduziert wurde, an, um die Reiſenden darauf aufmerkſam zu machen, wie ſehr es in ihrem Intereſſe liegt, die kleinſten Umſtände bei ihren einzelnen Beobachtungen aufzuzeichnen und bekannt zu machen. Die vollkommene Uebereinſtimmung zwiſchen den Jupiterstrabanten und den Angaben des Chronometers, von der ich mich an Ort und Stelle überzeugt, hatten mir großes Zutrauen zu Louis Berthouds Uhr gegeben, jo oft fie nicht auf den Maul— tieren ee Stößen ausgeſetzt war. Die Tage vor und nach der Sonnenfinſternis boten ſehr auffallende atmoſphäriſche Erſcheinungen. Wir waren im hieſigen ſogenannten Winter, d. h. in der Jahreszeit des bewölkten Himmels und der kurzen Gewitterregen. Vom 10. Oktober bis 3. November ſtieg mit Einbruch der Nacht ein rötlicher Nebel am Horizont auf und zog in wenigen Minuten einen mehr oder minder dichten Schleier über das blaue Himmelsgewölbe. Der Sauſſureſche Hygrometer zeigte keineswegs größere Feuchtigkeit an, ſondern ging vielmehr oft von 90° auf 83° zurück. Die Hitze bei Tage war 28 bis 32°, alſo für dieſen Strich der heißen Zone ſehr ſtark. Zuweilen verſchwand der Nebel mitten in der Nacht auf einmal, und im Augenblick, wo ich die Inſtrumente aufſtellte, bildeten ſich blendend weiße Wolken im Zenith und dehnten ſich bis zum Horizont aus. Am 18. Oktober waren dieſe Wolken jo auf: fallend durchſichtig, daß man noch Sterne der vierten Größe dadurch ſehen konnte. Die Mondflecken ſah ich fo deutlich, daß es war, als ſtünde die Scheibe vor den Wolken. Dieſe ſtanden ausnehmend hoch und bildeten Streifen, die, wie Be durch elektriſche Abſtoßung, in gleichen Abſtänden fortliefen. Es ſind dies dieſelben kleinen weißen Dunſtmaſſen, die ich auf den Gipfeln der höchſten Anden über mir geſehen, und die in mehreren Sprachen Schäfchen, moutons heißen. Wenn der rötliche Nebel den Himmel leicht überzog, ſo be— hielten die Sterne der erſten Größen, die in Cumana über 20 bis 25° hoch faſt nie flimmern, nicht einmal im Zenith ihr ruhiges, planetariſches Licht. Sie flimmerten in allen Höhen, wie nach einem ſtarken Gewitterregen. Dieſe Wirkung eines Nebels, der auf den Hygrometer an der Erdoberfläche nicht wirkte, erſchien mir auffallend. Ich blieb einen Teil der Nacht auf einem Balkon ſitzen, wo ich einen großen Teil des Horizontes überſah. Unter allen Himmelsſtrichen hat es viel Anziehendes für mich, bei heiterem Himmel ein großes Sternbild ins Auge zu faſſen und zu ſehen, wie Haufen von Dunſtbläschen ſich bilden, wie um einen Kern anſchießen, ver— ſchwinden und ſich von neuem bilden. Zwiſchen dem 28. Oktober und 3. November war der rötliche Nebel dicker als je bisher; bei Nacht war die Hitze erſtickend, obgleich der Thermometer nur auf 26“ ſtand. Der Seewind, der meiſt von 8 oder 9 Uhr abends die Luft abkühlt, ließ ſich gar nicht ſpüren. Die Luft war wie in Glut; der ſtaubige, ausgedörrte Boden bekam überall Riſſe. Am 4. November gegen 2 Uhr nachmittags hüllten dicke, ſehr ſchwarze Wolken die hohen Berge Brigantin und Tatara— qual ein. Sie rückten allmählich bis in das Zenith. Gegen 4 Uhr fing es an über uns zu donnern, aber ungemein hoch, ohne Rollen, trockene, oft kurz abgebrochene Schläge. Im Moment, wo die ſtärkſte elektriſche Entladung ſtattfand, um 4 Uhr 12 Minuten, erfolgten zwei Erdſtöße, 15 Sekun⸗ den hintereinander. Das Volk ſchrie laut auf der Straße. Bonpland, der über einen Tiſch gebeugt Pflanzen unterſuchte, wurde beinahe zu Boden geworfen. Ich ſelbſt ſpürte den Stoß ſehr ſtark, obgleich ich in einer Hängematte lag. Die Richtung des Stoßes war, was in Cumana ziemlich ſelten vorkommt, von Nord nach Süd. Sklaven, die aus einem 6 bis 6,5 m tiefen Brunnen am Manzanares Waſſer ſchöpften, hörten ein Getöſe wie einen ſtarken Kanonenſchuß. Das Ge— töſe ſchien aus dem Brunnen heraufzukommen, eine auf— fallende Erſcheinung, die übrigens in allen Ländern Amerikas, die den Erdbeben ausgeſetzt ſind, häufig vorkommt. Einige Minuten vor dem erſten Stoß trat ein heftiger — Sturm ein, dem ein elektriſcher Regen mit großen Tropfen folgte. Ich beobachtete ſogleich die Elektrizität der Luft mit dem Voltaſchen Elektrometer. Die Kügelchen wichen 8,88 mm auseinander; die Elektrizität wechſelte oft zwiſchen poſitiv und negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa zuweilen ſelbſt bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und auf den Sturm folgte eine Windſtille, welche die ganze Nacht anhielt. Der Sonnenuntergang bot ein Schauſpiel von ſeltener Pracht. Der dicke Wolkenſchleier zerriß dicht am Horizont wie zu Fetzen, und die Sonne erſchien 12° hoch auf indigo— blauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein ſtark in die Breite gezogen, verſchoben und am Rande ausgeſchweift. Die Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den ſchönſten Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels aus⸗ einander. Auf dem großen Platze war viel Volk verſammelt. Letztere Erſcheinung, das Erdbeben, der Donnerſchlag während desſelben, der rote Nebel ſeit ſo vielen Tagen, alles wurde der Sonnenfinſternis zugeſchrieben. Gegen 9 Uhr abends erfolgte ein dritter Erdſtoß, weit ſchwächer als die erſten, aber begleitet von einem deutlich vernehmbaren unterirdiſchen Geräuſch. Der Barometer ſtand ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber der Gang der ſtündlichen Schwankungen oder der kleinen atmoſphäriſchen Ebbe und Flut wurde durchaus nicht unterbrochen. Das Queckſilber ſtand im Moment, wo der Erdſtoß eintrat, eben auf dem Minimum der Höhe; es ſtieg wieder bis 11 Uhr abends und fiel dann wieder bis 4½ Uhr morgens, voll: kommen entſprechend dem Geſetze der barometriſchen Schwan— kungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der rötlichte Nebel ſo dick, daß ich den Ort, wo der Mond ſtand, nur an einem ſchönen Hofe von 12“ Durchmeſſer er⸗ kennen konnte. Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verfloſſen, ſeit die Stadt Cumana durch ein Erdbeben faſt gänzlich zerſtört worden. Das Volk ſieht die Nebel, welche den Horizont um⸗ ziehen, und das Ausbleiben des Seewindes bei Nacht für ſichere ſchlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Beſuche, die ſich erkundigten, ob unſere Inſtrumente neue Stöße für den anderen Tag anzeigten. Beſonders groß und allgemein wurde die Unruhe, als am 5. November, zur ſelben Stunde wie tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat, dem ein Donner⸗ ſchlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ ſich 3 achtung gemacht, daß ſcheinbar ganz zufällige atmoſphäriſche Veränderungen wochenlang mit erſtaunlicher Regelmäßigkeit nach einem gewiſſen Typus eintreten. Dieſelbe Erſcheinung kommt ſommers auch im gemäßigten Erdſtrich vor und iſt dem Scharfblick der Aſtronomen nicht entgangen. Häufig ſieht man nämlich bei heiterem Himmel drei, vier Tage hinterein— ander an derſelben Stelle des Himmels ſich Wolken bilden, nach derſelben Richtung fortziehen und ſich in derſelben Höhe wieder auflöſen, bald vor, bald nach dem Durchgang eines Sternes durch den Meridian, alſo bis auf wenige Minuten zur ſelben wahren Zeit. Das Erdbeben vom 4. November, das erſte, das ich erlebt, machte einen um ſo ſtärkeren Eindruck auf mich, da es, vielleicht zufällig, von jo auffallenden meteoriſchen Er- ſcheinungen begleitet war. Auch war es eine wirkliche Hebung von unten nach oben, kein wellenförmiger Stoß. Ich hätte damäls nicht geglaubt, daß ich nach langem Aufenthalt auf den Hochebenen von Quito und an den Küſten von Peru mich ſelbſt an ziemlich ſtarke Bewegungen des Bodens ſo ſehr gewöhnen würde, wie wir in Europa an das Donnern ge— wöhnt ſind. In der Stadt Quito dachten wir gar nicht mehr daran, bei Nacht aufzuſtehen, wenn ein unterirdiſches Gebrülle (bramidos), das immer vom Vulkan Pichincha herzukommen ſcheint (2 bis 3, zuweilen 7 bis 8 Minuten vorher) einen Stoß ankündigte, deſſen Stärke nur ſelten mit dem Grade des Getöſes im Verhältnis ſteht. Die Sorgloſigkeit der Ein⸗ wohner, die wiſſen, daß in dreihundert Jahren ihre Stadt nicht zerſtört worden iſt, teilt ſich bald ſelbſt dem ängſtlichſten Fremden mit. Ueberhaupt iſt es nicht ſowohl die Beſorgnis vor Gefahr, als die eigentümliche Empfindung, was einen ſo ſehr aufregt, wenn man zum erſtenmal auch nur einen ganz leichten Erdſtoß empfindet. Von Kindheit auf prägen ſich unſerer Vorſtellung gewiſſe Kontraſte ein; das Waſſer gilt uns für ein bewegliches Ele- ment, die Erde für eine unbewegliche träge Maſſe. Dieſe Begriffe ſind das Produkt der täglichen Erfahrung und hängen mit allen unſeren Sinneseindrücken zuſammen. Läßt ſich ein Erdſtoß ſpüren, wankt die Erde in ihren alten Grundfeſten, A. v. Humboldt, Reiſe. II. 4 ln die wir für unerſchütterlich gehalten, fo iſt eine langjährige Täuſchung in einem Augenblick zerſtört. Es iſt, als erwachte man, aber es iſt kein angenehmes Erwachen; man fühlt, die vorausgeſetzte Ruhe der Natur war nur eine ſcheinbare, man lauſcht hinfort auf das leiſeſte Geräuſch, man mißtraut zum erſtenmal einem Boden, auf den man ſo lange zuverſichtlich den Fuß geſetzt. Wiederholen ſich die Stöße, treten ſie mehrere Tage hintereinander häufig ein, ſo nimmt dieſes Zagen bald ein Ende. Im Jahre 1784 waren die Einwohner von Mexiko ſo ſehr daran gewöhnt, unter ihren Füßen donnern zu hören, wie wir an den Donner in der Luft. Der Menſch faßt ſehr ſchnell wieder Zutrauen, und an den Küſten von Peru ge— wöhnt man ſich am Ende an die Schwankungen des Bodens, wie der Schiffer an die Stöße, die das Fahrzeug von den Wellen erhält. Der rötlichte Dunſt, der kurz nach Sonnenuntergang den Horizont umzog, hatte ſeit dem 7. November aufgehört. Die Luft war wieder ſo rein wie ſonſt, und das Himmelsgewölbe zeigte im Zenith das Dunkelblau, das den Klimaten eigen iſt, wo die Wärme, das Licht und große Gleichförmigkeit der elektriſchen Spannung miteinander die vollſtändigſte Auflöſung des Waſſers in der Luft zu bewirken ſcheinen. In der Nacht vom 7. zum 8. beobachtete ich die Immerſion des zweiten Jupiterstrabanten. Die Streifen des Planeten waren deut⸗ licher, aͤls ich ſie je zuvor geſehen. Einen Teil der Nacht verwendete ich dazu, die Lichtſtärke der ſchönen Sterne am ſüdlichen Himmel zu vergleichen. Ich hatte ſchon zur See ſorgfältige Beobachtungen derart ange⸗ ſtellt und ſetzte ſie ſpäter bei meinem Aufenthalt in Lima, Guayaquil und Mexiko in beiden Hemiſphären fort. Es war über ein halbes Jahrhundert verfloſſen, ſeit Lacaille den Strich des Himmels, der in Europa unſichtbar iſt, unterſucht hatte. Die Sterne nahe am Südpol werden meiſt ſo oberflächlich und ſo wenig anhaltend beobachtet, daß in ihrer Lichtſtärke und in ihrer eigenen Bewegung die größten Veränderungen eintreten können, ohne daß die Aſtronomen das Geringſte davon erfahren. Ich glaube Veränderungen derart in den Sternbildern des Kranichs und des Schiffes wahrgenommen zu haben. Nach einem Mittel aus ſehr vielen Schätzungen habe ich die relative Lichtſtärke der großen Sterne in nach⸗ ſtehender Reihenfolge abnehmen ſehen: Sirius, Canopus, 4 des Centauren, Achernar, 8 des Centauren, Fomalhaut, rn Nigel, Procyon, Beteigeuze, s des großen Hundes, d des großen Hundes, des Kranichs, 4 des Pfauen. Dieſe Arbeit, deren numeriſche Eingriffe ich anderswo veröffentlicht habe, wird an Bedeutung gewinnen, wenn nach je fünfzig bis ſechzig Jahren Reiſende die Lichtſtärke der Sterne von neuem be— obachten und darin Wechſel wahrnehmen, die entweder von Vorgängen an der Oberfläche der Himmelskörper oder von ihrem veränderten Abſtande von unſerem Planetenſyſtem her— rühren. Hat man in unſeren nördlichen Himmelsſtrichen und in der heißen Zone lange mit denſelben Fernröhren beobachtet, ſo iſt man überraſcht, wie deutlich in letzterer, infolge der Durchſichtigkeit der Luft und der geringeren Schwächung des Lichtes, die Doppelſterne, die Trabanten des Jupiters und gewiſſe Nebelſterne erſcheinen. Bei gleich heiterem Himmel glaubt man beſſere Inſtrumente unter den Händen zu haben, ſo viel deutlicher, ſo viel ſchärfer begrenzt zeigen ſich dieſe Gegenſtände unter den Tropen. So viel iſt ſicher, wird einſt Südamerika der Mittelpunkt einer ausgebreiteten Kultur, ſo muß die phyſiſche Aſtronomie ungemeine Fortſchritte machen, ſobald man einmal anfängt im trockenen, heißen Klima von Cumana, Coro und der Inſel Margarita den Himmel mit vorzüglichen Werkzeugen zu beobachten. Des Rückens der Kordilleren erwähne ich dabei nicht, weil, einige ziemlich dürre Hochebenen in Mexiko und Peru ausgenommen, auf ſehr hohen Plateaus, auf ſolchen, wo der Luftdruck um 26 bis 29 em geringer iſt als an der Meeresfläche, die Luft neblig und die Witterung ſehr veränderlich iſt. Sehr reine Luft, wie ſie in den Niederungen in der trockenen Jahreszeit faſt beſtändig vorkommt, bietet vollen Erſatz für die hohe Lage und die verdünnte Luft auf den Plateaus. Die Nacht vom 11. zum 12. November war kühl und ausnehmend ſchön. Gegen Morgen, von 2½ Uhr an, ſah man gegen Oſt höchſt merkwürdige Feuermeteore. Bon: pland, der aufgeſtanden war, um auf der Galerie der Kühle zu genießen, bemerkte ſie zuerſt. Tauſende von Feuerkugeln und Sternſchnuppen fielen hintereinander, vier Stunden lang. Ihre Richtung war ſehr regelmäßig von Nord nach Süd; ſie füllten ein Stück des Himmels, das vom wahren Oſtpunkt 30° nach Nord und nach Süd reichte. Auf einer Strecke von 60° ſah man die Meteore in Oſt-Nord⸗Oſt und Oft über den Horizont aufſteigen, größere oder kleinere Bogen — 52 — beſchreiben und, nachdem ſie in der Richtung des Meridians fortgelaufen, gegen Süd niederfallen. Manche ſtiegen 40° hoch, alle höher als 25 bis 30». Der Wind war in der niederen Luftregion ſehr ſchwach und blies aus Oſt; von Wolken war keine Spur zu ſehen. Nach Bonplands Ausſage war gleich zu Anfang der Erſcheinung kein Stück am Himmel ſo groß als drei Monddurchmeſſer, das nicht jeden Augenblick von Feuerkugeln und Sternſchnuppen gewimmelt hätte. Der erſteren waren wenigere; da man ihrer aber von verſchiedenen Größen ſah, ſo war zwiſchen dieſen beiden Klaſſen von Er— ſcheinungen unmöglich, eine Grenze zu ziehen. Alle Meteore ließen 8 bis 10“ lange Lichtſtreifen hinter ſich zurück, was zwiſchen den Wendekreiſen häufig vorkommt. Die Phos- phoreszenz dieſer Lichtſtreifen hielt 7 bis 8 Sekunden an. Manche Sternſchnuppen hatten einen ſehr deutlichen Kern von der Größe der Jupiterſcheibe, von dem ſehr ſtark leuchtende Lichtfunken ausführen. Die Feuerkugeln ſchienen wie durch Exploſion zu platzen; aber die größten, von 1 bis 1° 13° Durch- meſſer, verſchwanden ohne Funkenwerfen und ließen leuchtende, 15 bis 20 Minuten breite Streifen (trabes) hinter ſich. Das Licht der Meteore war weiß, nicht rötlich, wahrſcheinlich weil die Luft ganz dunſtfrei und ſehr durchſichtig war. Aus dem— ſelben Grunde haben unter den Tropen die Sterne erſter Größe beim Aufgehen ein auffallend weißeres Licht als in Europa. Faſt alle Einwohner von Cumana ſahen die Erſcheinung mit an, weil fie vor 4 Uhr aus den Häuſern gehen, um die Frühmeſſe zu hören. Der Anblick der Feuerkugeln war ihnen keineswegs gleichgültig; die älteſten erinnerten ſich, daß dem großen Erdbeben des Jahres 1766 ein ganz ähnliches Phänomen vorausgegangen war. In der indianiſchen Vor⸗ ſtadt waren die Guaikeri auf den Beinen; ſie behaupteten, „das Feuerwerk habe um ein Uhr nachts begonnen, und als ſie vom Fiſchfang im Meerbuſen zurückgekommen, haben ſie ſchon Sternſchnuppen, aber ganz kleine, im Oſten aufſteigen ſehen“. Sie verſicherten zugleich, auf dieſer Küſte ſeien nach 2 Uhr morgens Feuermeteore ſehr ſelten. Von 4 Uhr an hörte die Erſcheinung allmählich auf; Feuerkugeln und Sternſchnuppen wurden ſeltener, indeſſen konnte man noch eine Viertelſtunde nach Sonnenaufgang mehrere an ihrem weißen Lichte und dem raſchen Hinfahren erkennen. Dies erſcheint nicht ſo auffallend, wenn ich daran Sr aa erinnere, daß im Jahre 1788 in der Stadt Popayan am hellen Tage das Innere der Häuſer durch einen ungeheuer großen Meteorſtein ſtark erleuchtet wurde; er ging um 1 Uhr nach— mittags bei hellem Sonnenſchein über die Stadt weg. Am 26. September 1800, während unſeres zweiten Aufenthalts in Cumana, gelang es Bonpland und mir, nachdem wir die Immerſion des erſten Jupiterstrabanten beobachtet, 18 Mi: nuten, nachdem ſich die Sonnenſcheibe über den Horizont er— hoben, den Planeten mit bloßem Auge deutlich zu ſehen. Gegen Oſt war ſehr leichtes Gewölk, aber Jupiter ſtand auf blauem Grunde. Dieſe Fälle beweiſen, wie rein und durch— ſichtig die Luft zwiſchen den Wendekreiſen iſt. Die Maſſe des zerſtreuten Lichtes iſt deſto kleiner, je vollſtändiger der Waſſerdunſt aufgelöſt iſt. Dieſelbe Urſache, welche der Zer- ſtreuung des Sonnenlichtes entgegenwirkt, vermindert auch die Schwächung des Lichtes, das von den Feuerkugeln, vom Ju— piter, vom Mond am zweiten Tag nach der Konjunktion ausgeht. Der 12. November war wieder ein ſehr heißer Tag und der Hygrometer zeigte eine für dieſes Klima ſehr ſtarke Trockenheit an. Auch zeigte ſich der rötliche, den Horizont umſchleiernde Dunſt wieder und ſtieg 14° hoch herauf. Es war das letzte Mal, daß man ihn in dieſem Jahre ſah. Ich bemerke hier, daß derſelbe unter dem ſchönen Himmel von Cumana im allgemeinen ſo ſelten iſt, als er in Acapulco auf der Weſtküſte von Mexiko häufig vorkommt. Da bei meinem Abgange von Europa die Phyſiker durch Chladnis Unterſuchungen auf Feuerkugeln und Sternſchnuppen beſonders aufmerkſam geworden waren, ſo verſäumten wir auf unſerer Reiſe von Caracas nach dem Rio Negro nicht, uns überall zu erkundigen, ob am 12. November die Meteore geſehen worden ſeien. In einem wilden Lande, wo die Ein— wohner größenteils im Freien ſchlafen, konnte eine ſo außer— ordentliche Erſcheinung nur da unbemerkt bleiben, wo ſie ſich durch bewölkten Himmel der Beobachtung entzog. Der Ka— puziner in der Miſſion San Fernando de Apure, die mitten in den Savannen der Provinz Varinas liegt, die Franziskaner an den Fällen des Orinoko und in Maroa am Rio Negro hatten zahlloſe Sternſchnuppen und Feuerkugeln das Himmels— gewölbe beleuchten ſehen. Maroa liegt 780 km ſüdweſtlich von Cumana. Alle dieſe Beobachter verglichen das Phänomen mit einem ſchönen Feuerwerk, das von 3 bis 6 Uhr a morgens gewährt. Einige Geiſtliche hatten dieſen Tag in ihrem Ritual angemerkt, andere bezeichneten denſelben nach den nächſten Kirchenfeſten, leider aber erinnerte ſich keiner der Richtung der Meteore oder ihrer ſcheinbaren Höhe. Nach der Lage der Berge und dichten Wälder, welche um die Miſſionen an den Katarakten und um das kleine Dorf Maroa liegen, mögen die Feuerkugeln noch 20“ über dem Horizont ſichtbar geweſen ſein. Am Südende von ſpaniſch Guyana, im kleinen Fort San Carlos, traf ich Portugieſen, die von der Miſſion San Joſe dos Maravitanos den Rio Negro herauf gefahren waren. Sie verſicherten mich, in dieſem Teile Braſiliens ſei die Erſcheinung zum wenigſten bis San Gabriel das Cachoeiras, alſo bis zum Aequator, ſichtbar geweſen.“ Ich wunderte mich ſehr über die ungeheure Höhe, in der die Feuerkugeln geſtanden haben mußten, um zu gleicher Zeit in Cumana und an der Grenze von Braſilien, auf einer Strecke von 1035 km geſehen zu werden. Wie ſtaunte ich aber, als ich bei meiner Rückkehr nach Europa erfuhr, dieſelbe Er: ſcheinung ſei auf einem 64 Breiten- und 91 Längengrade großen Stück des Erdballs, unter dem Aequator, in Südamerika, in Labrador und in Deutſchland geſehen worden! Auf der Ueber: fahrt von Philadelphia nach Bordeaux fand ich zufällig in den Verhandlungen der Pennſylvaniſchen Geſellſchaft die be— treffende Beobachtung des Aſtronomen der Vereinigten Staaten, Ellicot (unter 30° 42, und als ich von Neapel wieder nach Berlin ging, auf der Göttinger Bibliothek den Bericht der mähriſchen Miſſionäre bei den Eskimo. Bereits war damals von mehreren Phyſikern die Frage beſprochen worden, ob die Beobachtungen im Norden und die in Cumana, die Bonpland und ich ſchon im Jahre 1800 bekannt gemacht, denſelben Gegen: ſtand betreffen. Ich gebe im folgenden eine gedrängte Zuſammenſtellung der Beobachtungen: 1) Die Feuermeteore wurden gegen Oſt und Oſt⸗Nord⸗Oſt, bis zu 40“ über dem Horizont, von 2 bis 6 Uhr morgens geſehen in Cumana (Breite 10° 27' 52“, Länge 6630, in Porto Cabello (Breite 10° 6° 52“, Länge 67° 5‘) In Santa FE de Bogota, in Popayan und in der ſüdlichen Halbkugel in Quito und Peru habe ich niemand getroffen, der die Meteore geſehen hätte. Vielleicht war nur der Zuſtand der Atmo— ſphäre, der in dieſen weſtlichen Ländern ſehr veränderlich iſt, daran ſchuld. Tape und an der Grenze von Brafilien in der Nähe des Aequators unter 70° der Länge vom Pariſer Meridian. 2) In fran⸗ zöſiſch Guyana (Breite 4056“, Länge 54° 35, „ſah man den Himmel gegen Norden wie in Flammen ſtehen. Andert— halb Stunden lang ſchoſſen unzählige Sternſchnuppen durch den Himmel und verbreiteten ein ſo ſtarkes Licht, daß man die Meteore mit den ſprühenden Funkengarben bei einem Feuerwerk vergleichen konnte“. Für dieſe Thatſache liegt ein höchſt achtungswertes Zeugnis vor, das des Grafen Marbois, der damals als ein Opfer ſeines Rechtsſinns und ſeiner An— hänglichkeit an verfaſſungsmäßige Freiheit als Deportierter in Cayenne lebte. 3) Der Aſtronom der Vereinigten Staaten, Ellicot, befand ſich, nachdem er trigonometriſche Vermeſſungen zur Grenzberichtigung am Ohio vollendet hatte, am 12. No- vember im Kanal von Bahama unter 25° der Breite und 81° 50“ der Länge. Er ſah am ganzen Himmel „jo viel Meteore als Sterne; ſie fuhren nach allen Richtungen dahin; manche ſchienen ſenkrecht niederzufallen und man glaubte jeden Augenblick, ſie werden aufs Schiff herabkommen“. Dasſelbe wurde auf dem Feſtlande von Amerika bis zu 30° 43° der Breite beobachtet. 4) In Labrador zu Nain (Breite 56° 55‘) und Hoffenthal (Breite 58° 4), in Grönland zu Lichtenau (Breite 61° 5, und Neu⸗Herrnhut (Breite 64° 14“, Länge 52° 20°) erſchraken die Eskimo über die ungeheure Menge Feuerkugeln, die in der Dämmerung nach allen Himmels— gegenden niederfielen, „und von denen manche einen Schuh breit waren“. 5) In Deutſchland ſah der Pfarrer von Itterſtädt bei Weimar, Zeiſing (Breite 50° 59“, öſtliche Länge 9° 1), am 12. November zwiſchen 6 und 7 Uhr morgens (als es in Cumana 2½ Uhr war) einige Stern⸗ ſchnuppen mit ſehr weißem Licht. „Kurz darauf erſchienen gegen Süd und Südweſt 1,3 bis 2 m lange, rötliche Licht: ſtreifen, ähnlich denen einer Rakete. In der Morgendämmerung zwiſchen 7 und 8 Uhr ſah man von Zeit zu Zeit den Himmel durch weißliche, in Schlangenlinien am Horizont hinfahrende Blitze ſtark beleuchtet. In der Nacht war es kälter geworden und der Barometer war geſtiegen.“ Sehr wahrſcheinlich hätte das Meteor noch weiter oſtwärts in Polen und Rußland ge⸗ ſehen werden können. Ohne die umſtändliche Angabe, die Ritter den Papieren des Pfarrers von Itterſtädt entnommen, hätten wir auch geglaubt, die Feuerkugeln ſeien außerhalb der Grenzen der Neuen Welt nicht geſehen worden. — 86 Von Weimar an den Rio Negro ſind es 3340 km, vom Rio Negro nach Herrnhut in Grönland 5850 km. Sind an ſo weit auseinander gelegenen Punkten dieſelben Meteore ge⸗ ſehen worden, ſo ſetzt dies für dieſelben eine Höhe von 1850 km voraus. Bei Weimar zeigten ſich die Lichtſtreifen gegen Süd und Südweſt, in Cumana gegen Oſt und Oſt⸗ Nord⸗Oſt. Man könnte deshalb glauben, zahlloſe Aerolithen müßten zwiſchen Afrika und Südamerika weſtwärts von den Inſeln des Grünen Vorgebirges ins Meer gefallen ſein. Wie kommt es aber, daß die Feuerkugeln, die in Labrador und Cumana verſchiedene Richtungen hatten, am letzteren Orte nicht gegen Nord geſehen wurden, wie in Cayenne? Man kann nicht vorſichtig genug ſein mit einer Annahme, zu der es noch an guten, an weit auseinander gelegenen Orten an— geſtellten Beobachtungen fehlt. Ich möchte faſt glauben, daß die Chaymas in Cumana nicht dieſelben Feuerkugeln geſehen haben, wie die Portugieſen in Braſilien und die Miſſionäre in Labrador; immer aber bleibt es unzweifelhaft (und dieſe Thatſache ſcheint mir höchſt merkwürdig), daß in der Neuen Welt zwiſchen 46° und 82° der Länge, vom Aequator bis zu 64“ der Breite in denſelben Stunden eine ungeheure Menge Feuerkugeln und Sternſchnuppen geſehen worden iſt. Auf einem Flächenraume von 18 650 000 qkm erſchienen die Meteore überall gleich glänzend. Die Phyſiker (Benzenberg und Brandes), welche in neuerer Zeit über die Sternſchnuppen und ihre Parallaxen jo müh— ſame Unterſuchungen angeſtellt haben, betrachten ſie als Me— teore, die der äußerſten Grenze unſeres Luftkreiſes, dem Raume zwiſchen der Region des Nordlichtes und der der leichteſten Wolken! angehören. Es find welche beobachtet worden, die nur 27,3 km hoch waren, und die höchſten ſcheinen nicht über 164 km hoch zu ſein. Sie haben häufig über 32 m Durch⸗ meſſer und ihre Geſchwindigkeit iſt ſo bedeutend, daß ſie in wenigen Sekunden 9 km zurücklegen. Man hat welche ge: meſſen, die faſt ſenkrecht oder unter einem Winkel von 50° von unten nach oben liefen. Aus dieſem ſehr merkwürdigen Umſtande hat man geſchloſſen, daß die Sternſchnuppen keine Nach meinen Beobachtungen auf dem Rücken der Anden in mehr als 5260 m Meereshöhe über die Schäfchen oder kleinen weißen, gekräuſelten Wolken ſchätzte ich die Höhe derſelben zuweilen auf mehr als 11 700 m über der Küſte. He Meteorſteine ſind, die, nachdem ſie lange gleich Himmels: körpern durch den Raum gezogen, ſich entzünden, wenn ſie zufällig in unſere Atmoſphäre geraten und zur Erde fallen. Welchen Urſprung nun auch dieſe Feuermeteore haben mögen, ſo hält es ſchwer, ſich in einer Region, wo die Luft verdünnter iſt als im luftleeren Raume unſerer Luftpumpen, wo (in 49 km Höhe) das Queckſilber im Barometer nicht 0,024 mm hoch ſtünde, ſich eine plötzliche Entzündung zu denken. Allerdings kennen wir das bis auf Joos gleich— förmige Gemiſch der atmoſphäriſchen Luft nur bis zu 585 m Höhe, folglich nicht über die höchſte Schichte der flockigen Wolken hinauf. Man könnte annehmen, bei den früheſten Umwälzungen des Erdballes ſeien Gaſe, die uns bis jetzt ganz unbekannt geblieben, in die Luftregion aufgeſtiegen, in der ſich die Sternſchnuppen bewegen; aber aus genauen Verſuchen mit Gemiſchen von Gaſen von verſchiedenem ſpezifiſchem Ge— wichte geht hervor, daß eine oberſte, von den unteren Schichten ganz verſchiedene Luftſchicht undenkbar iſt. Die gasförmigen Körper miſchen ſich und durchdringen einander bei der geringſten Bewegung, und im Laufe der Jahrhunderte hätte ſich ein gleichförmiges Gemiſch herſtellen müſſen, wenn man nicht eine abſtoßende Kraft ins Spiel bringen will, von der an keinem der uns bekannten Körper etwas zu bemerken iſt. Nimmt man ferner in den uns unzugänglichen Regionen der Neuer: meteore, der Sternſchnuppen, der Feuerkugeln und des Nord- lichtes eigentümliche luftförmige Flüſſigkeiten an, wie will man es erklären, daß ſich nicht die ganze Schicht dieſer Flüſſig⸗ keiten zumal entzündet, daß vielmehr Gasausſtrömungen, gleich Wolken, einen begrenzten Raum einnehmen? Wie ſoll man ſich ohne die Bildung von Dünſten, die einer ungleichen Ladung fähig ſind, eine elektriſche Entladung denken, und das in einer Luft, deren mittlere Temperatur vielleicht 250 ° unter: Null beträgt, und die ſo verdünnt iſt, daß die Kompreſſion durch den elektriſchen Schlag jo gut wie keine Wärme mehr entbinden kann? Dieſe Schwierigkeiten würden großenteils beſeitigt, wenn man die Sternſchnuppen nach der Richtung, in der ſie ſich bewegen, als Körper mit feſtem Kern, als kosmiſche (dem Himmelsraume außerhalb unſeres Luftkreiſes angehörige), nicht als telluriſche (nur unſerem Planeten an⸗ gehörige) Erſcheinungen betrachten könnte. Hatten die Meteore in Cumana nur die Höhe, in der ſich die Sternſchnuppen gewöhnlich bewegen, ſo konnten die— — 58 — ſelben Meteore an Punkten, die 1400 km auseinander liegen, über dem Horizont geſehen werden. Wie außerordentlich muß nun an jenem 12. November in den hohen Luftregionen die Neigung zur Verbrennung geſteigert geweſen ſein, damit vier Stunden lang Milliarden von Feuerkugeln und Sternſchnuppen fallen konnten, die am Aequator, in Grönland und in Deutſch— land geſehen wurden! Benzenberg macht die ſcharfſinnige Bemerkung, daß dieſelbe Urſache, aus der das Phänomen häufiger eintritt, auch auf die Größe der Meteore und ihre Lichtſtärke Einfluß äußert. In Europa ſieht man in den Nächten, in denen am meiſten Sternſchnuppen fallen, immer auch ſehr ſtark leuchtende unter ganz kleinen. Durch das Periodiſche daran wird die Erſcheinung noch intereſſanter. In manchen Monaten zählte Brandes in unſerem gemäßigten Erdſtrich nur 60 bis 80 Sternſchnuppen in der Nacht, in anderen ſteigt die Zahl auf 2000. Sieht man eine vom Durchmeſſer des Sirius oder des Jupiter, ſo kann man ſicher darauf rechnen, daß hinter dieſem glänzenden Meteor viele kleinere kommen. Fallen in einer Nacht ſehr viele Stern— ſchnuppen, ſo iſt es höchſt wahrſcheinlich, daß dies mehrere Wochen anhält. In den hohen Luftregionen, an der äußerſten Grenze, wo Centrifugalkraft und Schwere ſich ausgleichen, ſcheint periodiſch eine beſondere Dispoſition zur Bildung von Feuerkugeln, Sternſchnuppen und Nordlichtern einzutreten. Hängt die Periodizität dieſer wichtigen Erſcheinung vom Zu: ſtande der Atmoſphäre ab, oder von etwas, das der Atmoſphäre von auswärts zukommt, während die Erde in der Ekliptik fortrückt? Von alledem wiſſen wir gerade ſo viel wie zur Zeit des Anaxagoras. Was die Sternſchnuppen für ſich betrifft, ſo ſcheinen ſie mir, nach meiner eigenen Erfahrung, unter den Wendekreiſen häufiger zu ſein als in gemäßigten Landſtrichen, über den Feſtländern und an gewiſſen Küſten häufiger als auf offener See. Ob wohl die ſtrahlende Oberfläche des Erdballs und die elektriſche Ladung der tiefen Luftregionen, die nach der Beſchaffenheit des Bodens und nach der Lage der Kontinente und Meere ſich ändert, ihre Einflüſſe noch in Höhen äußern, wo ewiger Winter herrſcht? Daß in gewiſſen Jahreszeiten und über manchen dürren, pflanzenloſen Ebenen der Himmel auch nicht die kleinſten Wolken zeigt, ſcheint darauf hinzu⸗ deuten, daß dieſer Einfluß ſich wenigſtens bis zur Höhe von 970 bis 1170 m geltend macht. In einem von Vulkanen 3 ſtarrenden Lande, auf der Hochebene der Anden iſt vor dreißig Jahren eine ähnliche Erſcheinung wie die am 12. November beobachtet worden. Man ſah in der Stadt Quito nur an einem Stück des Himmels, über dem Vulkan Cayambe, Stern: ſchnuppen in ſolcher Menge aufſteigen, daß man meinte, der ganze Berg ſtehe in Feuer. Dieſes außerordentliche Schau— ſpiel dauerte über eine Stunde; das Volk lief auf der Ebene von Exido zuſammen, wo man eine herrliche Ausſicht auf die höchſten Gipfel der Kordilleren hat. Schon war eine Pro— zeſſion im Begriffe, vom Kloſter San Francisco aufzubrechen, als man gewahr wurde, daß das Feuer am Horizont von Feuermeteoren herrührte, die bis zur Höhe von 12 bis 15° nach allen Richtungen durch den Himmel ſchofſen. Elftes Kapitel. Reiſe von Cumana nach Guayra. — Morro de Nueva Barcelona. — Das Vorgebirge Codera. — Weg von Guayra nach Caracas. Am 18. November um 8 Uhr abends waren wir unter Segel, um längs der Küſte von Cumana nach dem Hafen von Guayra zu fahren, aus dem die Einwohner von Vene— zuela den größten Teil ihrer Produkte ausführen. Es ſind nur 270 km und die Ueberfahrt währt meiſt nur 36 bis 40 Stunden. Den kleinen Küſtenfahrzeugen kommen Wind und Strömungen zumal zu gute; letztere ſtreichen mehr oder minder ſtark von Oſt nach Weſt längs den Küſten von Terra Firma hin, beſonders zwiſchen den Vorgebirgen Paria und Chichi— bacoa. Der Landweg von Cumana nach Neubarcelona und von da nach Caracas iſt ſo ziemlich im ſelben Zuſtande wie vor der Entdeckung von Amerika. Man hat mit allen Hin⸗ derniſſen eines moraſtigen Bodens, zerſtreuter Felsblöcke und einer wuchernden Vegetation zu kämpfen; man muß unter freiem Himmel ſchlafen, die Thäler des Unare, Tuy und Ca: paya durchziehen und über Ströme ſetzen, die wegen der Nähe des Gebirges raſch anſchwellen. Zu dieſen Hinderniſſen kommt die Gefahr, die der Reiſende läuft, weil das Land ſehr un: geſund iſt, beſonders die Niederungen zwiſchen der Küſtenkette und dem Meeresufer, von der Bucht von Mochima bis Coro. Letztere Stadt aber, die von einem ungeheuren Gehölz von Fackeldiſteln und ſtachlichten Kaktus umgeben iſt, verdankt, gleich Cumana, ihr geſundes Klima dem dürren Boden und dem Mangel an Regen. Man zieht zuweilen den Weg zu Lande dem zur See vor, wenn man von Caracas nach Cumana zurückgeht und nicht ae gegen die Strömung fährt. Der Kurier von Caracas raucht dazu neun Tage; wir ſahen häufig Leute, die ſich ae, ihm angeſchloſſen, in Cumana krank an Typhus und mias— matiſchen Fiebern ankommen. Der Baum, deſſen Rinde ein treffliches Heilmittel gegen dieſe Fieber iſt, wächſt in denſelben Thälern, am Saume derſelben Wälder, deren Ausdünſtungen ſo gefährlich ſind. Der kranke Reiſende macht Halt in einer Hütte, deren Bewohner nichts davon wiſſen, daß die Bäume, welche die Thalgründe umher beſchatten, das Fieber vertreiben. Als wir zur See von Cumana nach Guayra gingen, war unſer Plan der: wir wollten bis zum Ende der Regenzeit in Caracas bleiben, von dort über die großen Ebenen oder Llanos in die Miſſionen am Orinoko reiſen, dieſen ungeheuren Strom ſüdlich von den Kataxakten bis zum Rio Negro und zur Grenze von Braſilien hinauffahren und über die Hauptſtadt des jpa- niſchen Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage Angoſtura, d. h. Engpaß geheißen, nach Cumana zurückkehren. Wie lange wir zu dieſer Reiſe von 3150 km, wovon wir über zwei Dritt— teile im Kanoe zu machen hatten, brauchen würden, ließ ſich unmöglich beſtimmen. Auf den Küſten kennt man nur das Stück des Orinoko nahe an ſeiner Mündung; mit den Miſ— ſionen beſteht lediglich kein Handelsverkehr. Was jenſeits der Llanos liegt, iſt für die Einwohner von Cumana und Ca— racas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Raſen bedeckten Ebenen von Calabozo ziehen ſich 3600 km gegen Süden fort und ſtehen mit den Steppen oder Pampas von Buenos Ayres in Verbindung; andere halten wegen der großen Sterblichkeit unter den Truppen Iturriagas und Solanos auf ihrem Zuge an den Orinoko alles Land ſüdlich von den Kata- rakten von Atures für äußerſt ungeſund. In einem Lande, wo man ſo wenig reiſt, findet man Gefallen daran, den Fremden gegenüber die Gefahren, die vom Klima, von wilden Tieren und Menſchen drohen, zu übertreiben. Wir waren an dieſe Abſchreckungsmittel, welche die Koloniſten mit naiver und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht gewöhnt; trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Ent- ſchluſſe feſt. Wir konnten auf die Teilnahme und Unter- ſtützung des Statthalters der Provinz, Don Vicente Emparan, uns verlaſſen, ſowie auf die Empfehlungen der Franzisfaner- mönche, welche an den Ufern des Orinoko die eigentlichen Herren ſind. 1 Die Cortex Angosturae unjerer Pharmakopöen, die Rinde der Bonplandia trifoliata. „ Zum Glück für uns war einer dieſer Geiſtlichen, Juan Gonzales, eben in Cumana. Dieſer junge Mönch war nur ein Laienbruder, aber ſehr verſtändig, gebildet, voll Leben und Mut. Kurz nach ſeiner Ankunft auf der Küſte hatte er ſich bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Guardians der Miſ— ſionen von Pritu, wobei im Kloſter zu Nueva Barcelona immer große Aufregung herrſcht, das Mißfallen feiner Oberen - zugezogen. Die ſiegende Partei übte eine durchgreifende Re— aktion, welcher der Laienbruder nicht entgehen konnte. Er wurde nach Esmeralda geſchickt, in die letzte Miſſion am oberen Orinoko, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Inſekten, welche jahraus jahrein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war mit den Wäldern zwiſchen den Katarakten und den Quellen des Orinoko vollkommen bekannt. Eine andere Umwälzung im republikaniſchen Regiment der Mönche hatte ihn ſeit einigen Jahren wieder an die Küſte gebracht und er ſtand bei ſeinen Oberen in verdienter Achtung. Er beſtärkte uns in unſerem Verlangen, die vielbeſtrittene Gabelung des Orinoko zu unter: ſuchen; er erteilte uns guten Rat für die Erhaltung der Ge: ſundheit in einem Klima, in dem er ſelbſt ſo lange an Wechſel— fiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen, auf der Rückreiſe vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder anzutreffen. Da er ſich in der Havana nach Cadiz ein— ſchiffen wollte, übernahm er es gefällig, einen Teil unſerer Pflanzenſammlungen und unſerer Inſekten vom Orinoko nach Europa zu bringen, aber die Sammlungen gingen leider mit ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der uns ſehr zugethan war, und deſſen mutvoller Eifer den Miſ— ſionen ſeines Ordens große Dienſte hätte leiſten können, kam im Jahre 1801 in einem Sturme an der afrikaniſchen Küſte ums Leben. 5 Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra! fuhren, war eines von denen, die zum Handel an den Küſten und mit den Antillen gebraucht werden. Sie find 30 m lang und haben mehr als Im Bord über Waſſer; fie ſind ohne Verdeck und laden gewöhnlich 100 bis 125 kg. Obgleich die See vom Vorgebirge Codera bis Guayra ſehr unruhig iſt, hat man ſeit 30 Jahren kein Beiſpiel, daß eines dieſer Fahr⸗ zeuge auf der Ueberfahrt von Cumana an die Küſte von Man bezahlt 120 Piaſter für die Ueberfahrt, wenn man das ganze Boot zu Verfügung hat. . * 2 — 63 — Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge— wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört. Dieſe 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar⸗ ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der, wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar— ſtern nach der Linie zwiſchen K und 8 des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin— den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen, welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres Weges gewiß zu ſein. Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab. deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war, viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver: mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen des Schauspiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein: ander wimmeln. Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner früheſten Jugend geſehnt hatte. Der Eindruck der Natur im . indiſchen Klima iſt ſo mächtig und großartig, daß man ſchon nach wenigen Monaten Aufenthalt lange Jahre darin ver: bracht zu haben meint. In Europa hat der Nordländer und der Bewohner der Niederung ſelbſt nach kurzem Beſuch eine ähnliche Gpfindun wenn er vom Golf von Neapel, von der köſtlichen Landſchaft zwiſchen Tivoli und dem See von Nemi oder von der wilden, großartigen Szenerie der Hochalpen und Pyrenäen ſcheidet. Ueberall in der gemäßigten Zone zeigt die Phyſiognomie der Pflanzenwelt nur wenige Kontraſte. Die Fichten und Eichen auf den Gebirgen Schwedens haben Familienähnlichkeit mit denen, die unter dem ſchönen Himmel Griechenlands und Italiens wachſen. Unter den Tropen da⸗ gegen, in den Tiefländern beider Indien erſcheint alles neu und wunderbar in der Natur. Auf freiem Felde, im Waldes— dickicht faſt nirgends ein Bild, das an Europa mahnt; denn von der Vegetation hängt der Charakter einer Landſchaft ab; fie wirkt auf unſere Einbildungskraft durch ihre Maſſe, durch den Kontraſt zwiſchen ihren Gebilden und den Glanz ihrer Farben. Je neuer und mächtiger die Eindrücke find, deſto mehr löſchen ſie frühere Eindrücke aus, und durch die Stärke erhalten ſie den Anſchein der Zeitdauer. Ich berufe mich auf alle, die mit mehr Sinn für die Schönheiten der Natur als für die Reize des geſelligen Lebens lange in der heißen Zone gelebt haben. Das erſte Land, das ihr Fuß betreten, wie teuer und denkwürdig bleibt es ihnen ihr Leben lang! Oft, und bis ins höchſte Alter, regt ſich in ihnen ein dunkles Sehnſuchtsgefühl, es noch einmal zu ſehen. Cumana und ſein ſtaubiger Boden ſtehen noch jetzt weit öfter vor meinem inneren Auge als alle Wunder der Kordilleren. Unter dem ſchönen ſüdlichen Himmel wird ſelbſt ein Land faſt ohne Pflanzenwuchs reizend durch das Licht und die Magie der in der Luft ſpielenden Farben. Die Sonne beleuchtet nicht allein, ſie färbt die Gegenſtände, ſie umgibt ſie mit einem leichten Duft, der, ohne die Durchſichtigkeit der Luft zu mindern, die Farben harmoniſcher macht, die Lichteffekte mildert und über die Natur eine Ruhe ausgießt, die ſich in unſerer Seele wider— ſpiegelt. Um den gewaltigen Eindruck der Landſchaften beider Indien, ſelbſt kärglich bewaldeter Küſtenſtriche zu begreifen, be- denke man nur, daß von Neapel dem Aequator zu der Himmel in dem Verhältnis immer ſchöner wird, wie von der Provence nach Unteritalien. Wir liefen während der Flut über die Barre, welche der Be kleine Manzanares an feiner Mündung gebildet hat. Der abend» liche Seewind ſchwellte ſanft die Gewäſſer des Meerbuſens von Cariaco. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber der Teil der Milchſtraße zwiſchen den Füßen des Centauren und dem Sternbilde des Schützen ſchien einen Silberſchimmer auf die Meeresfläche zu werfen. Der weiße Fels, auf dem das alte Schloß San Antonio ſteht, tauchte zuweilen zwiſchen den hohen Wipfeln der Kokospalmen am Ufer auf. Nicht lange, ſo erkannten wir die Küſte nur noch an den zerſtreuten Lichtern fiſchender Guaikeri; da empfanden wir doppelt den Reiz des Landes und das ſchmerzliche Gefühl, ſcheiden zu müſſen. Vor fünf Monaten hatten wir dieſes Ufer betreten, wie ein neu entdecktes Land, Fremdlinge in der ganzen Um— gebung, in jeden Buſch, an jeden feuchten, ſchattigen Ort nur mit Zagen den Fuß ſetzend. Jetzt, da dieſe Kuͤſte unſeren Blicken entſchwand, lebten Erinnerungen daran in uns, die uns uralt dünkten. Boden, Gebirgsart, Gewächſe, Bewohner, mit allem waren wir vertraut geworden. Wir ſteuerten zuerſt nach Nord-Nord-Weſt, indem wir auf die Halbinſel Araya zuhielten; dann fuhren wir 135 km nach Weſt und Weſt⸗Süd⸗Weſt. In der Nähe der Bank, die das Vorgebirge Arenas umgibt und bis zu den Bergöl⸗ quellen von Maniquarez fortſtreicht, hatten wir ein belebtes Schauſpiel, dergleichen die ſtarke Phosphoreszenz der See in dieſem Klima ſo häufig bietet. Schwärme von Tummlern zogen unſerem Fahrzeuge nach. Ihrer 15 oder 16 ſchwammen in gleichem Abſtand voneinander. Wenn ſie nun bei der Wendung mit ihren breiten Floſſen auf die Waſſerfläche ſchicgee 10 gab es einen ſtarken Lichtſchimmer: es war, als bräche Feuer aus der Meerestiefe. Jeder Schwarm ließ beim Durchſchneiden der Wellen einen Lichtſtreif hinter ſich zurück. Dies fiel uns um ſo mehr auf, da außerdem die Wellen nicht leuchteten. Da der Schlag eines Ruders und der Stoß des Schiffes in dieſer Nacht nur ſchwache Funken gaben, ſo muß man wohl annehmen, daß der ſtarke Lichtſchein, der von den Tummlern ausging, nicht allein vom Schlage ihrer Floſſen herrührte, ſondern auch von der gallertartigen Materie, die ihren Körper überzieht und vom Stoße der Wellen abge⸗ rieben wird. Um Mitternacht befanden wir uns zwiſchen nackten Felſen⸗ inſeln, die wie Bollwerke aus dem Meere ſteigen; es iſt die Gruppe der Caracas: und Chimanaseilande. Der Mond war A. v. Humboldt, Reiſe. II. 5 k — 66 — aufgegangen und beſchien die zerklüfteten, kahlen, ſeltſam geſtal⸗ teten Felsmaſſen. Zwiſchen Cumana und Kap Codera bildet das Meer jetz eine Art Bucht, eine leichte Einbiegung in das Land. Die Cilande Picua, Picuita, Caracas und Boracha erſcheinen als Trümmer der alten Küfte, die von Bordones in der gleichen Richtung von Oſt nach Weſt lief. Hinter dieſen Inſeln liegen die Buſen Mochima und Santa Fe, die ſicher eines Tages ſtark beſuchte Häfen werden. Das zer— riſſene Land, die zerbrochenen, ſtark fallenden Schichten, alles deutet hier auf eine große Umwälzung hin, vielleicht dieſelbe, welche die Kette der Urgebirge geſprengt und die Glimmer— ſchiefer von Araya und der Inſel Margarita vom Gneis des Vorgebirges Codera losgeriſſen hat. Mehrere dieſer Inſeln ſieht man in Cumana von den flachen Dächern, und dort zeigen ſich an ihnen infolge der verſchiedenen Temperatur der übereinander gelagerten Luftſchichten die ſonderbarſten Ver— rückungen und Luftſpiegelungen. Dieſe Felſen ſind ſchwerlich über 290 in hoch, aber nachts bei Mondlicht ſcheinen ſie von ſehr bedeutender Höhe. Man mag ſich wundern, Inſeln, die Caracas heißen, ſo weit von der Stadt dieſes Namens, der Küſte der Cumana— goten gegenüber zu finden; aber Caracas bedeutete in der erſten Zeit nach der Eroberung keinen Ort, ſondern einen Indianer⸗ ſtamm. Die Gruppen der ſehr gebirgigen Eilande, an denen wir nahe hinfuhren, entzogen uns den Wind, und mit Sonnen— aufgang trieben uns ſchmale Waſſerfäden in der Strömung auf Boracha zu, das größte der Eilande. Da die Felſen faſt ſenkrecht aufſteigen, ſo fällt der Meeresgrund ſteil ab und auf einer anderen Fahrt habe ich Fregatten hier ſo nahe ankern ſehen, daß ſie beinahe ans Land ſtießen. Die Lufttemperatur war bedeutend geſtiegen, ſeit wir zwiſchen den Inſeln des kleinen Archipels hinfuhren. Das Geſtein erhitzt ſich am Tage und gibt bei Nacht die abſorbierte Wärme durch Strah: lung zum Teil wieder ab. Je mehr die Sonne über den Horizont ſtieg, deſto weiter warfen die zerriſſenen Berge ihre gewaltigen Schatten auf die Meeresfläche. Die Flamingo begannen ihren Fiſchfang allenthalben, wo nur in einer Bucht vor dem Kalkgeſtein ein ſchmaler Strand hinlief. Alle dieſe Eilande ſind jetzt ganz unbewohnt; aber auf einer der Caracas leben wilde, braune, ſehr große, ſchnellfüßige Ziegen mit — wie unſer Steuermann verſicherte — ſehr wohlſchmeckendem Fleiſche. Vor dreißig Jahren hatte ſich eine weiße Familie lv daſelbſt niedergelaſſen und Mais und Maniok gebaut: Der Vater überlebte allein alle ſeine Kinder. Da ſich ſein Wohl— ſtand gehoben hatte, kaufte er zwei ſchwarze Sklaven, und dies ward ſein Verderben: er wurde von ſeinen Sklaven er— ſchlagen. Die Ziegen verwilderten, nicht ſo die Kultur— gewächſe. Der Mais in Amerika, wie der Weizen in Europa, ſcheinen ſich nur durch die Pflege des Menſchen zu erhalten, an den ſie ſeit ſeinen früheſten Wanderungen gekettet ſind. Wohl wachſen dieſe nährenden Gräſer hin und wieder aus verſtreuten Samen auf; wenn ſie ſich aber ſelbſt überlaſſen bleiben, ſo gehen ſie ein, weil die Vögel die Samen aufzehren. Die beiden Sklaven von der Inſel Caracas entgingen lange dem Arm der Gerechtigkeit; für ein an jo einſamem Orte be— gangenes Verbrechen war es ſchwer, Beweiſe aufzubringen. Der eine dieſer Schwarzen iſt jetzt in Cumana der Henker. Er hatte ſeinen Genoſſen angegeben, und da es an einem Nachrichter fehlte, ſo begnadigte man nach dem barhariſchen Landesbrauch den Sklaven unter der Bedingung, daß er alle Verhafteten aufknüpfte, gegen die längſt das Todesurteil ge— fällt war. Man ſollte kaum glauben, daß es Menſchen gibt, die roh genug find, um ihr Leben um ſolchen Preis zu er— kaufen und mit ihren Händen diejenigen abzuthun, die jte tags zuvor verraten haben. Wir verließen den Ort, an den ſich ſo traurige Erinne— rungen knüpfen, und ankerten ein paar Stunden auf der Reede von Nueva Barcelona an der Mündung des Fluſſes Neveri, deſſen indianiſcher (cumanagotiſcher) Name Inipiricuar lautet. Der Fluß wimmelt von Krokodilen, die ſich zuweilen bis auf die hohe See hinauswagen, beſonders bei Windſtille. Sie gehören zu der Art, die im Orinoko ſo häufig vorkommt und dem ägyptiſchen Krokodil ſo ſehr gleicht, daß man ſie lange zuſammengeworfen hat. Man ſieht leicht ein, daß ein Tier, deſſen Körper in einer Art Panzer ſteckt, für die Schärfe des Salzwaſſers nicht ſehr empfindlich ſein kann. Schon Piga— fetta ſah, wie er in ſeinem kürzlich in Mailand erſchienenen Tagebuche erzählt, auf der Küſte der Inſel Borneo Krokodile, die ſo gut in der See wie am Lande leben. Dieſe Beob— achtungen werden für die Geologie von Bedeutung, ſeit man in dieſer Wiſſenſchaft die Süßwaſſerbildungen näher ins Auge faßt, ſowie das auffallende Durcheinanderliegen von verſtei— nerten See- und Süßwaſſertieren in manchen ſehr neuen Ab— lagerungen. = 68 — Der Hafen von Barcelona, der auf unſeren Karten kaum angegeben iſt, treibt ſeit 1795 einen ſehr lebhaften Handel. Aus dieſem Hafen werden größtenteils die Produkte der weiten Steppen ausgeführt, die ſich vom Südabhang der Küſtenkette bis zum Orinoko ausbreiten und ſehr reich ſind an Vieh aller Art, faſt ſo reich wie die Pampas von Buenos Ayres. Die Handelsinduſtrie dieſer Länder gründet ſich auf den Bedarf der Großen und Kleinen Antillen an geſalzenem Fleiſch, Rind— vieh, Maultieren und Pferden. Da die Küſten von Terra Firma der Inſel Cuba in einer Entfernung von 15 bis 18 Tagereiſen gegenüberliegen, ſo beziehen die Handelsleute in der Havana, zumal im Frieden, ihren Bedarf lieber aus dem Hafen von Barcelona, als daß ſie das Wagnis einer langen Seefahrt in die andere Halbkugel zur Mündung des Rio de la Plata übernähmen. Von der ſchwarzen Bevölkerung von 1300000 Köpfen, die der Archipel der Antillen ſchon jetzt zählt, kommen auf Cuba allein über 230000 Sklaven, deren Nahrung aus Gemüſen, geſalzenem Fleiſch und getrockneten Fiſchen beſteht. Jedes Fahrzeug, das geſalzenes Fleiſch oder Taſajo von Terra Firma führt, ladet 20000 bis 30 000 Arrobas, deren Handelswert über 45000 Piaſter beträgt. Barce: lona iſt beſonders für den Viehhandel gut gelegen. Die Tiere kommen in drei Tagen aus den Llanos in den Hafen, während ſie wegen der Gebirgskette des Brigantin und des Impoſible nach Cumana acht bis neun brauchen. Nach den Angaben, die ich mir verſchaffen konnte, wurden in den Jahren 1799 und 1800 in Barcelona 8000, in Porto Cabello 6000, in Carupano 3000 Maultiere nach den ſpaniſchen, eng len und franzöſi⸗ ſchen Inſeln eingeſchifft. Wie viele aus Burburata, Coro und aus den Mündungen des Guarapiche und Orinoko aus: geführt werden, weiß ich nicht genau; aber trotz der Einflüſſe, durch welche die Zahl der Tiere in den Llanos von Cumana, Barcelona und Caracas herabgebracht worden iſt, müſſen nach meiner Schätzung dieſe unermeßlichen Steppen damals nicht unter 30000 Maultieren jährlich in den Handel mit den An⸗ tillen gebracht haben. Jedes Maultier zu 26 Piaſter (Kauf⸗ preis) gerechnet, bringt alſo dieſer Handelszweig allein gegen 3700000 Franken ein, abgeſehen vom Gewinn durch die Schiffsfracht. De Pons, der ſonſt in ſeinen ſtatiſtiſchen An: gaben ſehr genau iſt, gibt kleinere Zahlen an. Da er nicht ſelbſt die Llanos beſuchen konnte, und da er als Agent der franzöſiſchen Regierung ſich fortwährend in der Stadt Caracas — 69 — aufhalten mußte, ſo mögen die Beſitzer der Hatos bei den Schätzungen, die ſie ihm mitteilten, zu niedrig gegriffen haben. Wir gingen am rechten Ufer des Neveri ans Land und beſtiegen ein kleines Fort, el Morro de Barcelona, das 115 bis 136 m über dem Meere liegt. Es iſt ein erſt ſeit kurzem befeſtigter Kalkfels. Er wird gegen Süd von einem weit höheren Berge beherrſcht, und Sachverſtändige behaupten, es könnte dem Feinde, nachdem er zwiſchen der Mündung des Fluſſes und dem Morro gelandet, nicht ſchwer werden, dieſen zu umgehen und auf den umliegenden Höhen Batterien zu errichten. Vergebens warteten wir auf Nachricht über die engliſchen Kreuzer, die längs der Küſten ſtationiert waren. Zwei er Reiſegefährten, Brüder des Marquis del Toro in Caracas, kamen aus Spanien, wo ſie in der königlichen Garde gedient hatten. Es waren ſehr gebildete Offiziere, und ſie kehrten jetzt nach langer Abweſenheit mit dem Brigade— general de Caxigal und dem Grafen Tovar in ihr Heimat— land zurück. Ihnen mußte noch mehr als uns davor bangen, aufgebracht und nach Jamaika geführt zu werden. Ich hatte keine Päſſe von der Admiralität; aber im Vertrauen auf den Schutz, den die großbritanniſche Regierung Reiſenden gewährt, die bloß wiſſenſchaftliche Zwecke verfolgen, hatte ich gleich nach meiner Ankunft in Cumana an den Gouverneur der Inſel Trinidad geſchrieben und ihm mitgeteilt, was ich in dieſen Ländern ſuchte. Die Antwort, die mir über den Meerbuſen von Paria zukam, war ſehr befriedigend. Kurz bevor wir am 19. November mittags unter Segel gingen, nahm ich Mondhöhen auf, um die Länge des Morro zu beſtimmen. Die Meridiane von Cumana und von Barce— lona, in welch letzterer Stadt ich im Jahre 1800 ſehr viele aſtronomiſche Beobachtungen anſtellte, liegen 34 Minuten 48 Sekunden auseinander. Ich habe mich über dieſe Ent— fernung, über die damals viele Zweifel herrſchten, anderswo ausgeſprochen. Die Inklination der Magnetnadel fand ich gleich 42,20; 224 Schwingungen gaben die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Vom Morro de Barcelona bis zum Vorgebirge Codera ſenkt ſich das Land und zieht ſich gegen Süden zurück; es ſtreicht mit gleicher Waſſertiefe 5,5 km weit in das Meer hinaus. Jenſeits dieſer Linie iſt das Waſſer 36—54 m tief. Die Temperatur des Meeres an der Oberfläche war 25,9, als wir aber durch den ſchmalen Kanal zwiſchen den beiden — ae Inſeln Piritu mit 5 m Tiefe liefen, zeigte der Thermometer nur noch 24,51%. Der Unterſchied zeigte ſich beſtändig; er wäre vielleicht bedenke er wenn die Strömung, die raſch nach Weſt zieht, tieferes Waſſer heraufbrächte, und wenn nicht in einer ſo engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung der Meerestemperatur mitwirkte. Die Inſeln Piritu gleichen den Bänken, die bei der Ebbe über Waſſer kommen. Sie erheben ſich nur 21 bis 23 em über den mittleren Waſſer⸗ ſtand. Ihre Oberfläche iſt völlig eben und mit Gras be— wachſen, und man meint eine unſerer nordiſchen Wieſen vor ſich zu haben. Die Scheibe der untergehenden Sonne ſchien wie ein Feuerball über der Grasflur zu hängen. Ihre letzten, die Erde ſtreifenden Strahlen beleuchteten die Grasſpitzen, die der Abendwind ſtark hin und her wiegte. Wenn aber auch in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräſer und Riedgräſer 1 wie eine Wieſe oder ein Raſen ausnehmen, ſo fehlt dem Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine die mancherlei Wieſenblumen, die nur eben über die Gräſer emporragen und ſich vom ebenen grünen Grunde abheben. Bei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation iſt unter den Tropen ein ſolcher Trieb in den Gewächſen, daß die kleinſten dikotyledoniſchen Pflanzen gleich zu Sträuchern wer⸗ den. Man könnte ſagen, die Liliengewächſe, die unter den Gräſern wachſen, vertreten unſere Wieſenblumen. Sie fallen allerdings durch ihre Bildung ſtark ins Auge, ſie nehmen ſich durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben ſehr gut aus, aber ſie wachſen zu hoch und laſſen ſo das har— moniſche Verhältnis nicht aufkommen, das zwiſchen den Ge⸗ wächſen beſteht, die bei uns den Raſen und die Wieſe bilden. Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der Landſchaft einen ihr eigentümlichen Reiz des Schönen. Man darf ſich nicht wundern, daß fruchtbare Inſeln ſo nahe der Küſte gegenwärtig unbewohnt ſind. Nur in der erſten Zeit der Eroberung, als die Kariben, die Chaymas und Cumanagoten noch Herren der Küſten waren, gründeten die Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlaſſungen. Sobald die Eingeborenen unterworfen oder ſüdwärts den Savannen zu gedrängt waren, ließ man ſich lieber auf dem Feſtlande nieder, wo man die Wahl hatte unter Ländereien und Indianern, die man wie Laſttiere behandeln konnte. Lägen die kleinen Ei⸗ lande Tortuga, Blanquilla und Orchilla mitten im Archipel der Antillen, fo wären ſie nicht unangebaut geblieben. 1 Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwiſchen Terra Firma und der ſüdlichſten der Pirituinſeln. Da dieſelben ſehr niedrig ſind, ſo iſt ihre Nordſpitze von den Schiffern, die in dieſen Strichen dem Lande zufahren, ſehr gefürchtet. Als wir uns weſtlich vom Morro von Barcelona und der Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das bisher ſehr ſtill geweſen, immer unruhiger, je näher wir Kap Codera kamen. Der Einfluß dieſes großen Vorgebirges iſt in dieſem Striche des Meeres der Antillen weithin fühlbar. Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera herumkommt. Jenſeits dieſes Kaps iſt die See beſtändig ſo unruhig, daß man nicht mehr an der Küſte zu ſein glaubt, wo man (von der Spitze von Paria bis zum Vorgebirge San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß der Wellen wurde auf unſerem Fahrzeuge ſchwer empfunden. Meine Reiſegefährten litten ſehr; ich aber ſchlief ganz ruhig, da ich, ein ziemlich ſeltenes Gluͤck, nie ſeekrank werde. Es windete ſtark die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am 20. November waren wir ſo weit, daß wir hoffen konnten, das Kap in wenigen Stunden zu umſchiffen, und wir ge— dachten noch am ſelben Tage nach Guayra zu kommen; aber unſer Schiffer bekam wieder Angſt vor den Kapern, die dort vor dem Hafen lagen. Es ſchien ihm geraten, ſich ans Land zu machen, im kleinen Hafen Higuerote, über den wir ſchon hinaus waren, vor Anker zu gehen und die Nacht abzuwarten, um die Ueberfahrt fortzuſetzen. Wenn man Leuten, die ſee— krank ſind, vom Landen ſpricht, ſo weiß man zum voraus, wofür ſie ſtimmen. Alle Vorſtellungen halfen nichts, man mußte nachgeben, und ſchon um 9 Uhr morgens am 20. No- vember lagen wir auf der Reede in der Bucht von Higuerote, weſtwärts von der Mündung des Rio Capaya. Wir fanden daſelbſt weder Dorf noch Hof, nur zwei oder drei von armen Fiſchern, Meſtizen, bewohnte Hütten. Ihre gelbe Geſichtsfarbe und die auffallende Magerkeit der Kinder mahnten daran, daß dieſe Gegend eine der ungeſün— deſten, den Fiebern am meiſten unterworfenen auf der ganzen Küſte iſt. Die See iſt hier ſo ſeicht, daß man in der kleinſten Barke nicht landen kann, ohne durch das Waſſer zu gehen. Die Wälder ziehen ſich bis zum Strande herunter, und dieſen überzieht ein dichtes Buſchwerk von ſogenannten Wurzel— trägern, Avicennien, Manſchenillbäumen und der neuen Art ee De der Gattung Suriana, die bei den Eingeborenen Romero de la mar heißt. Dieſem Buſchwerke, beſonders aber den Aus— dünſtungen der Wurzelträger oder Manglebäume, ſchreibt man es hier, wie überall in beiden Indien, zu, daß die Luft jo ungeſund iſt. Beim Landen kam uns auf 30 bis 40 m ein fader, ſüßlicher Geruch entgegen, ähnlich dem, den in ver: laſenen Bergwerksſtollen, wo die Lichter zu verlöſchen an⸗ fangen, das mit Schimmel überzogene Zimmerwerk verbreitet. Die Lufttemperatur ſtieg auf 34“ infolge der Reverberation des weißen Sandes, der ſich zwiſchen dem Buſchwerke und den hochgipfligen Waldbäumen hinzog. Da der Boden einen ganz unbedeutenden Fall hat, ſo werden, ſo ſchwach auch Ebbe und Flut hier ſind, dennoch die Wurzeln und ein Teil des Stammes der Manglebäume bald unter Waſſer geſetzt, bald trocken gelegt. Wenn nun die Sonne das naſſe Holz erhitzt und den ſchlammigen Boden, die abgefallenen, zer⸗ ſetzten Blätter und die im angeſchwemmten Seetang hängen: den Weichtiere gleichſam in Gärung verſetzt, da bilden fich wahrſcheinlich die ſchädlichen Gaſe, die ſich der chemiſchen Unterſuchung entziehen. Auf der ganzen Küſte zeigt das Seewaſſer da, wo es mit den Manglebäumen in Berührung kommt, eine braungelbe Färbung. Dieſer Umſtand fiel mir auf und ich ſammelte daher in Higuerote ein ziemliches Quantum Wurzeln und Zweige, um gleich nach der Ankunft in Caracas mit dem Aufguß des Bie einige Verſuche anzuſtellen. Der Aufguß mit heißem Waſſer war braun, hatte einen zuſammenziehenden Geſchmack und enthielt ein Gemiſch von Extraktivſtoff und a Die Rizophora, der Guy, der Kornelkirſchbaum, alle Pflanzen aus den natürlichen Familien der Lorantheen und e haben dieſelben Eigenſchaften. Der Auf: guß des Manglebaums wurde unter einer Glocke zwölf Tage lang mit atmoſphäriſcher Luft in Berührung gebracht; die Reinheit derſelben ward dadurch nicht merkbar vermindert. Es bildete ſich ein kleiner flockiger, ſchwärzlicher Bodenſatz, aber eine merkbare Abſorption von Sauerſtoff fand nicht ſtatt. Holz und Wurzeln des Manglebaums wurden unter Waſſer der Sonne ausgeſetzt; ich wollte dabei nachahmen, was in der Natur auf der Küſte bei ſteigender Flut täglich vorgeht. Es entwickelten ſich Luftblaſen, die nach Verlauf von zehn Tagen ein Volumen von 33 Kubikzoll bildeten. Es war ein Gemiſch von Stickſtoff und Kohlenſäure; Salpetergas zeigte 3 kaum eine Spur von Sauerſtoff an. Endlich ließ ich in einer Flaſche mit eingeriebenem Stöpſel eine beſtimmte Menge ſtark benetzter Manglewurzeln auf atmoſphäriſche Luft einwirken. Aller Sauerſtoff verſchwand, und derſelbe war keineswegs durch kohlenſaures Gas erſetzt, denn das Kalkwaſſer zeigte von dieſem nur 0,02 an. Ja, die Verminderung des Volu— mens war bedeutender, als dem abſorbirten Sauerſtoff ent— ſprach. Nach dieſer nur noch flüchtigen Unterſuchung war ich der Anſicht, daß die Luft in den Manglegebüſchen durch das naſſe Holz und die Rinde zerſetzt wird, nicht durch die ſtark gelb gefärbte Schichte Seewaſſer, die längs der Küſte einen deutlichen Streif bildet. In allen Graden der Zer— ſetzung der Holzfaſer habe ich nie, auch nur in Spuren, Schwefelwaſſerſtoff ſich entwickeln ſehen, dem manche Reiſende den eigentümlichen Geruch unter den Manglebäumen zu— ſchreiben. Durch die Zerſetzung der ſchwefelſauren Erden und Alkalien und ihren Uebergang in ſchwefligſaure Ver⸗ bindungen wird ohne Zweifel aus manchen Strand- und Seegewächſen, wie aus den Tangen, Schwefelwaſſerſtoff ent⸗ bunden; ich glaube aber vielmehr, daß Rhizophora, Avicennia und Conocarpus die Luft beſonders durch den tieriſchen Stoff verderben, den ſie neben dem Gerbſtoff enthalten. Dieſe Sträucher gehören zu den drei natürlichen Familien der Lo⸗ rantheen, Combrataceen und Pyrenaceen, die reich ſind an adſtringierendem Stoff, und ich habe ſchon oben bemerkt, daß dieſer Stoff ſelbſt in der Rinde unſerer Buchen, Erlen und Nußbäume mit Gallerte verbunden iſt. l Uebrigens würde dichtes Buſchwerk auf ſchlammigem Boden ſchädliche Ausdünſtungen verbreiten, wenn es auch aus Bäumen beſtünde, die an ſich keine der Geſundheit nach— teiligen Eigenſchaften haben. Ueberall wo Manglebäume am Meeresufer wachſen, ziehen ſich zahlloſe Weichtiere und In— ſekten an den Strand. Dieſe Tiere lieben Beſchattung und Zwielicht, und im dicken, verſchlungenen Wurzelwerk, das wie ein Gitter über dem Waſſer ſteht, finden ſie Schutz gegen den Wellenſchlag. Die Schaltiere heften ſich an das Gitter, die Krabben verkriechen ſich in die hohlen Stämme, der Tang, den Wind und Flut an die Küſten treiben, bleibt an den ſich zum Boden niederneigenden Zweigen hängen. Auf dieſe Weiſe, indem ſich der Schlamm zwiſchen den Wurzeln an: häuft, wird durch die Küſtenwälder das feſte Land allgemach vergrößert; aber während ſie ſo der See Boden abgewinnen, STE nimmt dennoch ihre Breite faſt nicht zu. Im Maß, als ſie vorrücken, gehen ſie auch zu Grunde. Die Manglebäume und die anderen Gewächſe, die immer neben ihnen vorkommen, gehen ein, ſobald der Boden trocken wird und ſie nicht mehr im Salzwaſſer ſtehen. Ihre alten, mit Schaltieren bedeckten, halb im Sande begrabenen Stämme bezeichnen nach Jahr— hunderten den Weg, den ſie bei ihrer Wanderung einge— ſchlagen, und die Grenze des Landſtriches, den ſie dem Meere abgewonnen. Die Bucht von Higuerote iſt ſehr günſtig gelegen, um das Vorgebirge Codera, das 11 km weit in ſeiner ganzen Breite vor einem daliegt, genau zu betrachten. Es imponiert mehr durch ſeine Maſſe als durch ſeine Höhe, die mir nach Höhenwinkeln, die ich am Strande gemeſſen, nicht über 390 m zu betragen ſchien. Nach Nord, Oſt und Weſt fällt es ſteil ab, und man meint an dieſen großen Profilen die fallenden Schichten zu unterſcheiden. Die Schichten zunächſt bei der Bucht ſtrichen Nord 60“ Weſt und fielen unter 80° nach Nordweſt. Am großen Berge Silla und öſtlich von Mani— quarez auf der Landenge von Araya ſind Streichung und Fall dieſelben, und daraus ſcheint hervorzugehen, daß die Urgebirgskette dieſer Landenge, die auf eine Strecke von 157 km (zwiſchen den Meridianen von Maniquarez und Higuerote) vom Meere zerriſſen oder verſchlungen worden, im Kap Codera wieder auftritt und gegen Weſt als Küſtenkette fortſtreicht. Meinen Reiſegefährten war bei der hochgehenden See vor dem Schlingern unſeres kleinen Schiffes ſo bange, daß ſie beſchloſſen, den Landweg von Higuerote nach Caracas einzuſchlagen; derſelbe führt durch ein wildes, feuchtes Land, durch die Montana de Capaya nördlich von Caugagua, durch das Thal des Rio Guatire und des Guarenas. Es war mir lieb, daß auch Bonpland dieſen Weg wählte, auf dem er trotz des beſtändigen Regens und der ausgetretenen Flüſſe viele neue Pflanzen zuſammenbrachte. Ich ſelbſt ging mit dem, indianiſchen Steuermann allein zur See weiter; es ſchien mir zu gewagt, die Inſtrumente, die uns an den Orinoko begleiten ſollten, aus den Augen zu laſſen. Wir gingen mit Einbruch der Nacht unter Segel. Der Wind war nicht ſehr günſtig und wir hatten viele Mühe, um Kap Codera herum zu kommen; die Wellen waren kurz und brachen ſich häufig ineinander; es gehörte die Erſchöpfung durch einen furchtbar heißen Tag dazu, um in einem kleinen, dicht am Wind ſegelnden Fahrzeuge ſchlafen zu können. Die See ging um ſo höher, als der Wind bis nach Mitternacht der Strömung entgegenblies. Der zwiſchen den Wendekreiſen überall bemerkliche Zug des Waſſers gegen Weſten iſt an dieſen Küſten nur während zwei Dritteilen des Jahres deutlich zu ſpüren; in den Monaten September, Oktober und No⸗ vember kommt es oft vor, daß die Strömung vierzehn Tage, drei Wochen lang nach Oſten geht. Schon öfter konnten Schiffe auf der Fahrt nach Guayra oder Porto Cabello die Strömung, die von Weſt nach Oſt ging, nicht bewältigen, obgleich ſie den Wind von hinten hatten. Die Urſache dieſer Unregelmäßigkeiten iſt bis jetzt nicht bekannt; die Schiffer ſchreiben ſie Stürmen aus Nordweſt im Golf von Mexiko zu, aber dieſe Stürme ſind im Frühjahr weit ſtärker als im Herbſt. Bemerkenswert iſt dabei auch, daß die Strömung nach Oſten geht, bevor der Seewind ſich ändert; ſie tritt bei Windſtille ein und erſt nach einigen Tagen geht auch der Wind der Strömung nach und bläſt beſtändig aus Weſt. Während dieſer Vorgänge bleiben die kleinen Schwankungen des Barometers auf und ab in ihrer Regelmäßigkeit durch⸗ aus ungeſtört. Mit Sonnenaufgang am 21. November befanden wir uns weſtwärts vom Kap Codera dem Curuao gegenüber. Der indianiſche Steuermann erſchrak nicht wenig, als ſich nord⸗ wärts in der Entfernung von kaum 2 km eine engliſche Fre- gatte blicken ließ. Sie hielt uns wahrſcheinlich für eines der Fahrzeuge, die mit den Antillen Schleichhandel trieben und — denn alles organiſiert ſich mit der Zeit — vom Gou⸗ verneur von Trinidad unterzeichnete Lizenzſcheine führten. Sie ließ uns durch das Boot, das auf uns zuzukommen ſchien, nicht einmal anrufen. Vom Kap Codera an iſt die Kuſte felſig und ſehr hoch, und die Anſichten, die fie bietet, m zugleich wild und maleriſch. Wir waren jo nahe am ande, daß wir die zerſtreuten, von Kokospalmen umgebenen Hütten unterſchieden und die Maſſen von Grün ſich vom braunen Grunde des Geſteines abheben ſahen. Ueberall fallen die Berge, 970 bis 1300 m hoch, ſteil ab; ihre Flanken werfen breite Schlagſchatten über das feuchte Land, das ſich bis zur See ausbreitet und geſchmückt mit friſchem Grün daliegt. Auf dieſem Uferſtriche wachſen großenteils die tropiſchen Früchte, die man auf den Märkten von Caracas in ſo großer nn Menge ſieht. Zwiſchen dem Camburi und Niguatar ziehen ſich mit Zuckerrohr und Mais beſtellte Felder in enge Thäler hinauf, die Felsſpalten gleichen. Die Strahlen der noch nicht hoch ſtehenden Sonne fielen hinein und bildeten die anziehend— ſten Kontraſte von Licht und Schatten. Der Niguatar und die Silla bei Caracas ſind die höchſten Gipfel dieſer Küſtenkette. Erſterer iſt faſt ſo hoch als der Canigou in den Pyrenäen; es iſt als ſtiegen die Pyrenäen oder die Alpen, von ihrem Schnee entblößt, gerade aus dem Waſſer empor, ſo gewaltig erſcheinen einem die Gebirgs— maſſen, wenn man ſie zum erſtenmal von der See aus er- blickt. Bei Caravalleda wird das bebaute Land breiter, Hügel mit ſanftem Abhang erſcheinen und die Vegetation reicht ſehr weit hinauf. Man baut hier viel Zuckerrohr und die barm⸗ herzigen Brüder haben daſelbſt eine Pflanzung und 200 Sklaven. Die Gegend war früher den Fiebern ſehr ausge— ſetzt, und man behauptet, die Luft ſei geſünder geworden, ſeit man um einen Teich, deſſen Ausdünſtungen man bejön- ders fürchtete, Bäume gepflanzt hat, jo daß das Waſſer weniger dem Sonnenſtrahl ausgeſetzt iſt. Weſtlich von Cara: valleda läuft wieder eine nackte Felsmauer bis an die See vor, ſie iſt aber von geringer Ausdehnung. Nachdem wir dieſelbe umſegelt, lag das hübjch gelegene Dorf Macuto vor uns, weiterhin die ſchwarzen Felſen von Guayra mit ihren Batterien in mehreren Stockwerken übereinander und in duftiger Ferne ein langes Vorgebirge mit kegelförmigen, blendend weißen Bergſpitzen, Cabo Blanco. Kokosnußbäume ſäumen das Ufer und geben ihm unter dem glühenden Himmel den Anſchein von Fruchtbarkeit. Nach der Landung im Hafen von Guayra traf ich noch am Abend Anſtalt, um meine Inſtrumente nach Caracas ſchaffen zu laſſen. Die Perſonen, denen ich empfohlen war, rieten mir, nicht in der Stadt zu ſchlafen, wo das gelbe Fieber erſt ſeit wenigen Wochen aufgehört hatte, ſondern über dem Dorfe Maiquetia in einem Haufe auf einer kleinen Anhöhe, das dem kühlen Luftzug mehr ausgeſetzt war als Guayra. Am 21. abends kam ich in Caracas an, vier Tage früher als meine Reiſegefährten, die auf dem Landwege zwiſchen Capaya und Curiepe durch die ſtarken Regengüſſe und die ausgetretenen Bergwaſſer viel auszuſtehen gehabt hatten. Um nicht öfters auf dieſelben Gegenſtände zurückzukommen, ſchließe ich der Beſchreibung der Stadt Guayra und des merkwürdigen Berg SE Weges, der von dieſem Hafen nach Caracas führt, alle Beobachtungen an, die Bonpland und ich auf einem Ausfluge nach Cabo Blanco zu Ende Januars 1800 gemacht. Da De— pons die Gegend nach mir beſucht hat, ſein lehrreiches Werk aber vor dem meinen erſchienen iſt, ſo laſſe ich mich auf eine nähere Beſchreibung der Gegenſtände, die er ausführlich be— handelt hat, nicht ein. Guayra iſt viel mehr eine Reede als ein Hafen; das Meer iſt immer unruhig und die Schiffe werden vom Winde, von den Sandbänken, vom ſchlechten Ankergrunde und den Bohrwürmern ! zumal gefährdet. Das Laden iſt mit großen Schwierigkeiten verbunden und wegen des ſtarken Wellen— ſchlages kann man hier nicht, wie in Nueva Barcelona und Porto Cabello, Maultiere einſchiffen. Die freien Neger und Mulatten, welche den Kakao an Bord der Schiffe bringen, ſind ein Menſchenſchlag von ungemeiner Muskelkraft. Sie waten bis zu halbem Leibe durch das Waſſer, und was ſehr merkwürdig iſt, ſie haben von den Haifiſchen, die in dieſem Hafen ſo häufig ſind, nichts zu fürchten. Dieſer Umſtand ſcheint auf denſelben Momenten zu beruhen wie die Be— obachtung, die ich unter den Tropen häufig an Tieren aus anderen Klaſſen, die in Rudeln leben, wie an Affen und Krokodilen, gemacht habe. In den Miſſionen am Orinoko und am Amazonenſtrome wiſſen die Indianer, die Affen zum Verkauf fangen, ganz gut, daß die von gewiſſen Inſeln leicht zu zähmen ſind, während Affen derſelben Art, die auf dem benachbarten Feſtlande gefangen werden, aus Zorn oder Angſt zu Grunde gehen, ſobald ſie ſich in der Gewalt des Menſchen ſehen. Die Krokodile aus der einen Lache in den Llanos ſind feig und ergreifen ſogar im Waſſer die Flucht, während die aus einer anderen Lache äußerſt unerſchrocken angreifen. Aus den äußeren Verhältniſſen der Oertlichkeiten wäre dieſe Verſchiedenheit in Gemütsart und Sitten nicht leicht zu er— klären. Mit den Haifiſchen im Hafen von Guayra ſcheint es ſich ähnlich zu verhalten. Bei den Inſeln gegenüber der Küfte von Caracas, bei Roques, Bonayre und Curacao, find ſie gefährlich und blutgierig, während ſie Badende in den Hafen von Guayra und Santa Marta nicht anfallen. Das Volk greift, um die Erklärung der Naturerfcheinungen zu 1 La broma; teredo navalis, Linné. 3 vereinfachen, überall zum Wunderbaren, und ſo glaubt es denn, an den genannten zwei Orten habe ein Biſchof den Haien den Segen erteilt. Guayra iſt ganz eigentümlich gelegen; es läßt ſich nur mit Santa Cruz auf Tenerifa vergleichen. Die Bergkette zwiſchen dem Hafen und dem hochgelegenen Thale von Caracas ſtürzt faſt unmittelbar in die See ab und die Häuſer der Stadt lehnen ſich an eine ſchroffe Felswand. Zwiſchen dieſer Wand und der See bleibt kaum ein 200 bis 270 m breiter ebener Raum. Die Stadt hat 6000 bis 8000 Einwohner und beſteht nur aus zwei Straßen, die nebeneinander von Oſt nach Weſt laufen. Sie wird von der Batterie auf dem Cerro Colorado beherrſcht und die Werke an der See find gut an— gelegt und wohl erhalten. Der Anblick des Ortes hat etwas Vereinſamtes, Trübſeliges; man meint nicht auf einem mit ungeheuren Wäldern bedeckten Feſtlande zu ſein, ſondern auf einer felſigen Inſel ohne Dammerde und Pflanzenwuchs. Außer Cabo Blanco und den Kokosnußbäumen von Maiquetia beſteht die ganze Landſchaft aus dem Meereshorizont und dem blauen Himmelsgewölbe. Bei Tage iſt die Hitze er— ſtickend, und meiſtens auch bei Nacht. Das Klima von Guayra gilt mit Recht für heißer als das von Cumana, Porto Cabello und Coro, weil der Seewind ſchwächer iſt und durch die Wärme, welche nach Sonnenuntergang von den ſenkrechten Felſen ausſtrahlt, die Luft erhitzt wird. Man machte ſich übrigens von der Luftbeſchaffenheit dieſes Ortes und des ganzen benachbarten Küſtenlandes eine unrichtige Vorſtellung, wenn man nur die Temperaturen, wie der Ther— mometer ſie angibt, vergleichen wollte. Eine ſtockende, in einer Bergſchlucht eingeſchloſſene, mit nackten Felsmaſſen in Berührung ſtehende Luft wirkt auf unſere Organe ganz anders als eine gleich warme Luft in offener Gegend. Ich bin weit entfernt, die phyſiſche Urſache dieſes Unterſchiedes nur in der verſchiedenen elektriſchen Ladung der Luft zu ſuchen, muß aber doch bemerken, daß ich etwas weſtlich von Guayra gegen Macuto zu, weit weg von den Häuſern und über 580 m von den Gneisfelſen, mehrere Tage lange kaum ſchwache Spuren von poſitiver Elektrizität bemerken konnte, während in Cumana in denſelben Nachmittagsſtunden und am ſelben mit rauchendem Docht verſehenen Voltaſchen Elektro— meter die Fliedermarkkügelchen 2 bis 4 mm auseinander ge: gangen waren. Ich verbreite mich weiter unten über die a Be regelmäßigen täglichen Schwankungen in der elektriſchen Span: nung der Luft unter den Tropen, ein Verhältnis, das mit den Schwankungen in der Temperatur und mit dem Sonnen: ſtande in auffallendem Zuſammenhange ſteht. Die von einem ausgezeichneten Arzte in Guayra neun Monate lang angeſtellten thermometriſchen Beobachtungen, von denen ich Einſicht bekam, ſetzten mich inſtand, das Klima dieſes Hafens mit dem von Cumana, Havana und Veracruz zu vergleichen. Dieſe Vergleichung erſcheint um To intereſſanter, als der Gegenſtand in den ſpaniſchen Kolo— nieen und unter den Seeleuten, die dieſe Länder beſuchen, ein unerſchöpflicher Stoff der Unterhaltung iſt. Da in dieſem Falle das Zeugnis der Sinne ungemein leicht täuſcht, ſo läßt ſich über die Verſchiedenheit von Klimaten nur nach Zahlen: verhältniſſen urteilen. Die vier eben genannten Orte gelten für die heißeſten auf dem Küſtenſtriche der Neuen Welt; ihre Vergleichung mag dazu dienen, die ſchon öfters von uns gemachte Bemerkung zu beſtätigen, daß im allgemeinen nur das lange Anhalten einer hohen Temperatur, nicht die übermäßige Hitze oder die abſolute Wärmemenge den Bewohnern der heißen Zone läſtig wird. Das Mittel aus den Beobachtungen um Mittag vom 27. Juni bis 16. November war in Guayra 31,6“ des hundertteiligen Thermometers, in Cumana 29,3“, in Vera⸗ cruz 28,7, in der Havana 29,5. — Die täglichen Abwei- chungen betrugen zur ſelben Stunde nicht leicht über 0,89 bis 1,4“. Während dieſer ganzen Zeit regnete es nur vier: mal und nur 7 bis 8 Minuten lang. Dies iſt der Zeit— punkt, wo das gelbe Fieber herrſcht, das in Guayra wie in Veracruz und auf der Inſel St. Vincent gemeiniglich auf— hört, ſobald die Tagestemperatur auf 24 bis 25° herab— geht. Die mittlere Temperatur des heißeſten Monats war in Guayra etwa 29,3, in Cumana 29,1“, in Veracruz 27,7“, in Kairo, nach Nouet, 29,9, in Rom 25,0. Vom 16. No: vember bis 19. Dezember war die mittlere Temperatur in Guayra um Mittag nur 24,3“, bei Nacht 21,6. Um dieſe Zeit leidet man immer am wenigſten von der Hitze. Ich glaube übrigens, daß man den Thermometer (kurz vor Sonnen— aufgang) nicht unter 21° fallen ſieht; in Cumana fällt er zuweilen auf 21,2, in Veracruz auf 16°, in der Havana (immer nur bei Nordwind) auf 8“ und ſelbſt darunter. Die — 85 mittlere Temperatur des kälteſten Monats iſt an dieſen vier Orten: 23,25, 26,8, 21°, 21,0; in Kairo 13,4. Das Mittel der ganzen Jahrestemperatur iſt, nach guten, ſorgfältig berechneten Beobachtungen, in Guayra ungefähr 28,1, in Cumana 27,7, in Veracruz 25,4%, in der Ha: vana 25 „6, in Rio Janeiro 23,5%, in Santa Cruz auf Tenerifa, unter 280 285 der Breite, aber wie Guayra an eine Felswand gelehnt, 21,9, in Kairo 22,4, in Rom 15,801 Aus dieſen Beobachtungen geht hervor, daß Guayra einer der heißeſten Orte der Erde iſt, daß die Summe der Wärme, welche derſelbe im Laufe eines Jahres erhält, etwas größer iſt als in Cumana, daß ſich aber in den Monaten November, Dezember und Januar (bei gleichem Abſtand von den zwei Durchgängen der Sonne durch den Zenith der Stadt) die Luft in Guayra ſtärker abkühlt. Sollte dieſe Abkühlung, die weit unbedeutender iſt als die faſt zur ſelben Zeit in Veracruz und in der Havana eintretende, nicht von der weſtlicheren Lage von Guayra herrühren? Das Luft⸗ meer, das für den oberflächlichen Blick nur eine Maſſe bildet, wird durch Strömungen bewegt, deren Grenzen durch unab— änderliche Geſetze beſtimmt ſind. Die Temperatur desſelben ändert ſich in mannigfacher Weiſe nach der Geſtalt der Länder und der Meere, auf denen es ruht. Man kann es in ver— ſchiedene Becken abteilen, die ſich ineinander ergießen, und wovon die unruhigſten (wie das über dem Golf von Mexiko oder zwiſchen der Sierra Santa Marta und dem Meerbuſen von Darien) merkbaren Einfluß auf Erkältung und Bewe⸗ gung der benachbarten Luftſäulen äußern. Die Nordwinde verurſachen zuweilen im ſüdweſtlichen Striche des Meeres der Antillen Stauungen und Gegenſtrömungen, die in gewiſſen Monaten die Temperatur bis zu Terra Firma hin herab— drücken. Während meines Aufenthaltes in Guayrg kannte man die Geißel des gelben Fiebers, der Calentura amarilla, erſt ſeit zwei Jahren; auch war die Sterblichkeit nicht bedeutend geweſen, da die Küſte von Caracas weit weniger von Frem— den beſucht war als die Havana und Veracruz. Man hatte In Paris iſt das Mittel des heißeſten Monats 19 bis 20°, 1 1 um 3 bis 4“ niedriger als die mittlere Temperatur des kälteſten Monats in Guayra. hie und da Leute, ſelbſt Kreolen und Farbige, plötzlich an gewiſſen unregelmäßig remittierenden Fiebern ſterben ſehen, die durch gallige Komplikation, durch Blutungen und andere gleich bedenkliche Symptome einige Aehnlichkeit mit dem gelben Fieber zu haben ſchienen. Es waren meiſt Menſchen, die das anſtrengende Geſchäft des Holzfällens trieben, zum Bei— ſpiel in den Wäldern bei dem kleinen Hafen von Capurano oder am Meerbuſen von Santa Fs, weſtlich von Cumana. Ihr Tod ſetzte häufig in Städten, die für ſehr geſund galten, nicht akklimatiſierte Europäer in Schrecken, aber die Keime der Krankheit, von denen ſie ſporadiſch befallen worden, pflanzten ſich nicht fort. Auf den Küſten von Terra Firma war der eigentliche amerikaniſche Typhus, Vomito prieto (ſchwarzes Erbrechen) und gelbes Fieber genannt, der als eine Krankheitsform sui generis zu betrachten iſt, nur in Porto Cabello, in Cartagena de las Indias und in Santa Marta bekannt, wo ihn Caſtelbondo ſchon im Jahre 1729 beobachtet und beſchrieben hat. Die kürzlich gelandeten Spanier und die Bewohner des Thales von Caracas ſcheuten damals den Aufenthalt in Guayra nicht; man beklagte ſich nur über die drückende Hitze, die einen großen Teil des Jahres herrſchte. Setzte man ſich unmittelbar der Sonne aus, ſo hatte man höchſtens die Haut⸗ und Augenentzündungen zu befürchten, die faſt überall in der heißen Zone vorkommen und die häufig von Fieberbewegungen und Kongeſtionen gegen den Kopf be— gleitet ſind. Viele zogen dem kühlen, aber äußerſt veränder— lichen Klima von Caracas das heiße, aber beſtändige von Guayra vor; von ungeſunder Luft in dieſem Hafen war faſt gar nicht die Rede. Seit dem Jahre 1797 iſt alles anders geworden. Der Hafen wurde auch anderen Handelsfahrzeugen als denen des Mutterlandes geöffnet. Matroſen aus kälteren Ländern als Spanien, und daher empfindlicher für die klimatiſchen Ein— flüſſe der heißen Zone, fingen an mit Guayra zu verkehren. Da brach das gelbe Fieber aus; vom Typhus befallene Nord— amerikaner wurden in den ſpaniſchen Spitälern aufgenommen: man war raſch bei der Hand mit der Behauptung, ſie haben die Seuche eingeſchleppt und ſie ſei an Bord einer aus Phila— delphia kommenden Brigantine ausgebrochen geweſen, ehe dieſe auf die Reede gekommen. Der Kapitän der Brigantine ſtellte ſolches in Abrede und behauptete, ſeine Matroſen haben die Krankheit keineswegs eingeſchleppt, ſondern erſt im Hafen A. v. Qumboi»i, eiſe. II. 6 — 82 bekommen. Nach den Vorgängen in Cadiz im Jahre 1800 weiß man, wie ſchwer es iſt, über Fälle ins reine zu kom⸗ men, die in ihrer Zweideutigkeit den entgegengeſetzteſten Theo— rieen das Wort zu ſprechen ſchienen. Die gebildetſten Ein⸗ wohner von Caracas und Guayra waren über das Weſen der Anſteckung beim gelben Fieber geteilter Meinung, ſo gut wie die Aerzte in Europa und in den Vereinigten Staaten, und beriefen ſich auf dasſelbe amerikaniſche Schiff, die einen, um zu beweiſen, daß der Typhus von außen gekommen, die anderen, daß er im Lande ſelbſt entſtanden. Die der letzteren Anſicht waren, nahmen an, daß das Austreten des Rio de la Guayra eine Veränderung der Luftbeſchaffenheit herbeige— führt habe. Dieſes Waſſer, das meiſt nicht 26 em tief iſt, ſchwoll nach ſechzigſtündigem Regen im Gebirge jo furchtbar an, daß es Baumſtämme und anſehnliche Felsblöcke mit ſich fortriß. Das Waſſer wurde 9 bis 13 m breit und 3 bis 4m tief. Man meinte, dasſelbe ſei aus einem unterirdiſchen Becken ausgebrochen, das ſich mittels Einſickerung des Waſſers durch loſes, neu urbar gemachtes Erdreich gebildet. Mehrere Häuſer wurden von der Flut weggeriſſen und die Ueber— ſchwemmung drohte den Magazinen um ſo mehr Gefahr, als das Stadtthor, durch welches das Waſſer allein abfließen konnte, ſich zufällig geſchloſſen hatte. Man mußte in die Mauer der See zu ein Loch ſchießen; mehr als dreißig Men⸗ ſchen kamen ums Leben und der Schaden wurde auf eine halbe Million Piaſter angeſchlagen. Das ſtehende Waſſer in den Magazinen, den Kellern und den Gewölben des Gefäng— niſſes mochte immerhin Miasmen in der Luft verbreiten, die als prädisponierende Urſachen den Ausbruch des gelben Fie- bers beſchleunigt haben können; indeſſen glaube ich, daß das Austreten des Rio de la Guayra ſo wenig die erſte Urſache desſelben war, als die Ueberſchwemmungen des Guadalguivir, des Xenil und des Gual-Medina in den Jahren 1800 und 1804 die furchtbaren Epidemieen in Sevilla, Ecija und Malaga herbeigeführt haben. Ich habe das Bett des Baches von Guayra genau unterſucht und nichts gefunden als dürren Boden und Blöcke von Glimmerſchiefer und Gneis mit ein⸗ geſprengtem Schwefelkies, die von der Sierra de Avila her— ie aber nichts, was die Luft hätte verunreinigen önnen. Seit den Jahren 1797 und 1798 (denſelben, in denen in Philadelphia, Santa Lucia und San Domingo die Sterb— — 83 — lichkeit ſo ungemein groß war) hat das gelbe Fieber feine Verheerungen in Guayra fortgeſetzt; es wütete nicht allein unter den friſch aus Spanien angekommenen Truppen, ſondern auch unter denen, die fern von der Küſte in den Llanos zwiſchen Calabozo und Uritucu ausgehoben worden, alſo in einem Lande, das faſt ſo heiß als Guayra, aber geſund iſt. Letzterer Umſtand würde uns noch mehr auffallen, wenn wir nicht wüßten, daß ſogar Eingeborene von Veracruz, die zu Hauſe den Typhus nicht bekommen, nicht ſelten in Epidemieen in der Havana oder in den Vereinigten Staaten Opfer des— ſelben werden. Wie das ſchwarze Erbrechen am Abhange der mexikaniſchen Gebirge auf dem Wege nach Kalapa beim Encero (in 928 m Meereshöhe), wo mit den Eichen ein kühles, köſtliches Klima beginnt, eine unüberſteigliche Grenze findet, ſo geht das gelbe Fieber nicht leicht über den Bergkamm zwiſchen Guayra und dem Thale von Caracas hinüber. Dieſes Thal iſt lange Zeit davon verſchont geblieben, denn man darf den Vomito, das gelbe Fieber, nicht mit den ataktiſchen und den Gallenfiebern verwechſeln. Der Cumbre und der Cerro de Avila ſind eine treffliche Schutzwehr für die Stadt Caracas, die etwas höher liegt als der Encero, die aber eine höhere mittlere Temperatur hat als Kalapa. Bonplands und meine Beobachtungen über die phyſiſchen Verhältniſſe der Städte, welche periodiſch von der Geißel des gelben Fiebers heimgeſucht werden, ſind anderswo niedergelegt, und es iſt hier nicht der Ort, neue Vermutungen über die Veränderungen in der pathogoniſchen Konſtitution mancher Städte zu äußern. Je mehr ich über dieſen Gegenſtand nach— denke, deſto rätſelhafter erſcheint mir alles, was auf die gas— förmigen Effluvien Bezug hat, die man mit einem ſo viel— ſagenden Wort „Keime der Anſteckung“ nennt, und die ſich in verdorbener Luft entwickeln, die durch die Kälte zerſtört werden, ſich durch Kleider verſchleppen und an den Wänden der Häuſer haften ſollen. Wie will man erklären, daß in den achtzehn Jahren vor 1794 in Veracruz nicht ein einziger Fall von „Vomito“ vorkam, obgleich der Verkehr mit nicht akklimatiſierten Europäern und Mexikanern aus dem Inneren ſehr ſtark war, die Matroſen ſich denſelben Ausſchweifungen überließen, über die man noch jetzt klagt, und die Stadt weniger reinlich war, als ſie ſeit dem Jahre 1800 iſt. Die Reihenfolge pathologiſcher Thatſachen, auf ihren einfachſten Ausdruck gebracht, iſt folgende. Wenn in einem — Hafen des heißen Erdſtriches, der bis jetzt bei den Seeleuten nicht als beſonders ungeſund verrufen war, viele in kälterem Klima geborene Menſchen zugleich ankommen, ſo tritt der amerikaniſche Typhus auf. Dieſe Menſchen wurden nicht auf der Ueberfahrt vom Typhus befallen, er bricht erſt an Ort und Stelle unter ihnen aus. Iſt hier eine Veränderung in der Luftkonſtitution eingetreten, oder hat ſich in Individuen mit ſehr geſteigerter Reizbarkeit eine neue Krankheitsform ent— wickelt? Nicht lange, ſo fordert der Typhus ſeine Opfer auch unter anderen, in ſüdlicheren Ländern geborenen Europäern. Teilt er ſich durch Anſteckung mit, ſo iſt es zu verwundern, daß er in den Städten des tropiſchen Feſtlandes keineswegs ſich an gewiſſe Straßen hält, und daß die unmittelbare Be— rührung der Kranken die Gefahr ſo wenig ſteigert, als Ab— ſperrung ſie vermindert. Kranke, welche weiter ins Land hinein, namentlich an kühlere, höhere Orte geſchafft werden, z. B. nach Kalapa, ſtecken die Bewohner dieſer Orte nicht an, ſei es nun, weil die Krankheit an ſich nicht anſteckend iſt, ſei es, weil die prädisponierenden Urſachen, die ſich an der Küſte geltend machen, hier wegfallen. Nimmt die Temperatur be⸗ deutend ab, ſo hört die Seuche am Orte, wo ſie ausgebrochen, gewöhnlich auf. Mit Eintritt der heißen Jahreszeit, zuweilen weit früher, fängt ſie wieder an, obgleich ſeit mehreren Monaten im Hafen kein Kranker geweſen und kein Schiff eingelaufen iſt. f Der amerikaniſche Typhus ſcheint auf den Küſtenſtrich beſchränkt, ſei es nun, weil die, welche ihn einſchleppen, hier ans Land kommen und weil hier die Waren aufgehäuft werden, an denen, wie man meint, giftige Miasmen haften, oder weil ſich am Meeresufer eigentümliche gasförmige Effluvien bilden. Das äußere Anſehen der Orte, wo der Typhus wütet, ſcheint oft die Annahme eines örtlichen oder endemiſchen Urſprunges völlig auszuſchließen. Man hat ihn auf den Kanarischen Inſeln, auf den Bermuden, auf den Kleinen Antillen herrſchen ſehen, auf trockenem Boden, in Ländern, deren Klima früher für ſehr geſund galt. Die Fälle von Verſchleppung des gelben Fiebers ins Binnenland ſind in der heißen Zone ſehr zwei— deutig; die Krankheit kann leicht mit den remittierenden Gallen- fiebern verwechſelt worden ſein. In der gemäßigten Zone dagegen, wo der amerikaniſche Typhus entſchiedener anſteckend auftritt, hat ſich die Seuche unzweifelhaft weit vom Uferlande ERS) weg, ſogar an ſehr hochgelegene, friſchen, trockenen Winden ausgeſetzte Orte verbreitet, ſo in Spanien nach Medina Si⸗ donia, nach Carlotta und in die Stadt Murcia. Dieſe Viel— geſtaltigkeit derſelben Seuche nach den verſchiedenen Klimaten, nach der Geſamtheit der prädisponierenden Urſachen, nach der längeren oder kürzeren Dauer, nach den Graden der Bösartig— keit muß uns ſehr vorſichtig machen, wenn es ſich davon handelt, den geheimen Urſachen des amerikaniſchen Typhus nachzugehen. Ein einſichtsvoller Beobachter, der in den ſchreck— lichen Epidemieen der Jahre 1802 und 1803 Oberarzt in der Kolonie San Domingo war und die Krankheit auf Cuba, in den Vereinigten Staaten und in Spanien kennen gelernt hat, iſt mit mir der Anſicht, daß der Typhus ſehr oft anſteckend iſt, aber nicht immer. Seit das gelbe Fieber in Guayra ſo furchtbare Ver— heerungen angerichtet, hat man nicht verfehlt, die Unreinlich— keit des kleinen Ortes zu übertreiben, wie man mit Vera: cruz und den Quais oder Warfs von Philadelphia gethan. An einem Orte, der auf ſehr trockenem Boden liegt, faſt keinen Pflanzenwuchs hat, und wo in 7 bis 8 Monaten kaum ein paar Tropfen Regen fallen, können der Urſachen der ſo— genannten ſchädlichen Miasmen nicht eben ſehr viele ſein. Die Straßen von Guayra ſchienen mir im allgemeinen ziem— lich reinlich, ausgenommen den Stadtteil, wo die Schlacht— bänke ſind. Auf der Reede iſt nirgends eine Strandſtrecke, wo ſich zerſetzte Tange und Weichtiere anhäufen, aber die benachbarte Kuͤſte nach Oſten, dem Kap Codera zu, alſo unter dem Winde von Guayra, iſt äußerſt ungeſund. Wechſelfieber, Faul⸗ und Gallenfieber kommen in Macuto und Caravalleda häufig vor, und wenn von Zeit zu Zeit der Seewind dem Weſtwinde Platz macht, ſo kommt aus der kleinen Bucht Catia, deren wir in der Folge oft zu gedenken haben werden, trotz der Schutzwehr des Cabo Blanco, eine mit faulen Dünſten geſchwängerte Luft auf die Küſte von Guayra. Da die Reizbarkeit der Organe bei den nördlichen Völkern ſo viel ſtärker iſt als bei den ſüdlichen, ſo iſt nicht zu be— zweifeln, daß bei größerer Handelsfreiheit und ſtärkerem und innigerem Verkehr zwiſchen Ländern mit verſchiedenen Kli— maten das gelbe Fieber ſich über die Neue Welt verbreiten wird. Da hier ſo viele erregende Urſachen zuſammenwirken und Individuen von ſo verſchiedener Organiſation denſelben ausgeſetzt werden, können möglicherweife ſogar neue Krank— = 86 heitsformen, neue Verſtimmungen der Lebenskräfte ſich aus: bilden. Es iſt dies eines der notwendigen Uebel im Gefolge fortſchreitender Kultur; wer darauf hinweiſt, wünſcht darum ee, die Barbarei zurück; ebenſowenig teilt er die An— ſicht der Leute, die dem Verkehr unter den Völkern gern ein Ende machten, nicht um die Häfen in den Kolonieen vom Seuchengift zu reinigen, ſondern um dem Eindringen der Aufklärung zu wehren und die Geiſtesentwickelung aufzuhalten. Die Nordwinde, welche die kalte Luft von Kanada her in den Mexikaniſchen Meerbuſen führen, machen periodiſch dem gelben Fieber und ſchwarzen Erbrechen in der Havana und in Veracruz ein Ende. Aber bei der großen Beſtändigkeit ar Temperatur, wie ſie in Porto Cabello, Guayra, Nueva Barcelona und Cumana herrſcht, iſt zu befürchten, der Typhus möchte dort einheimiſch werden, wenn er einmal infolge des ſtarken Fremdenverkehres ſehr bösartig aufgetreten iſt. Glück— licherweiſe hat ſich die Sterblichkeit vermindert, ſeit man ſich in der Behandlung nach dem Charakter der 1 in verſchiedenen Jahren richtet, und ſeit man die verſchiedenen Stadien der Krankheit, die Periode der entzündlichen Er— ſcheinungen, und die der Ataxie oder Schwäche, beſſer kennt und auseinander hält. Es wäre ſicher unrecht, in Abrede zu ziehen, daß die neuere Medizin gegen dieſes ſchreckliche Uebel ſchon Bedeutendes geleiſtet; aber der Glaube an dieſe Lei— ſtungen iſt in den Kolonieen gar nicht weit verbreitet. Man hört ziemlich allgemein die Aeußerung: „Die Aerzte wiſſen jetzt den Hergang der Krankheit befriedigender zu erklären als früher, ſie heilen ſie aber keineswegs beſſer; früher ſei man langſam hingeſtorben, ohne alle Arznei, außer einem Tama⸗ rindenaufguß; gegenwärtig führe ein eingreifenderes Heil— verfahren raſcher und unmittelbarer zum Tode.“ Wer ſo ſpricht, weiß nicht ganz, wie man früher auf den Antillen zu Werke ging. Aus der Reiſe des Paters Labat kann man erſehen, daß zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Aerzte auf den Antillen den Kranken nicht ſo ruhig ſterben ließen, als man meint. Man tötete damals nicht durch über- triebene und unzeitige Anwendung von Brechmitteln, von China und Opium, wohl aber durch wiederholte Aderläſſe und übermäßiges Purgieren. Die Aerzte ſchienen auch mit der Wirkung ihres Verfahrens ſo gut bekannt, daß ſie, ſehr treuherzig, „gleich beim erſten Beſuch mit Beichtvater und Notar am Krankenbett erſchienen“. Gegenwärtig bringt man er RD es in reinlichen, gut gehaltenen Spitälern dahin, daß von 100 Kranken nur 15 bis 20 und ſelbſt etwas weniger ſterben; aber überall, wo die Kranken zu ſehr aufeinander gehäuft ſind, ſteigt die Sterblichkeit auf die Hälfte, wohl gar (wie im Jahre 1802 bei der franzöſiſchen Armee auf San Domingo) auf drei Vierteile der Kranken. Ich fand die Breite von Guayra 10° 36° 19“, die Länge 69° 26° 13“. Die Inklination der Magnetnadel war am 24. Januar 1800 42,20, die Deklination nach Nordoſt 4° 30° 35“; die Intenſität der magnetiſchen Kraft = 237 Schwingungen. Geht man an der aus Granit gebauten Küſte von Guayra gegen Weſt, ſo kommt man zwiſchen dieſem Hafen, der nur eine ſchlecht geſchützte Reede iſt, und dem Hafen von Porto Cabello an mehrere Einbuchtungen des Landes, wo die Schiffe vortrefflich ankern können. Es ſind die kleinen Buchten Catia, Los Arecifes, Puerto la Cruz, Choroni, Sienega de Ocumare, Turiamo, Burburata und Patanebo. Alle dieſe Häfen, mit Ausnahme des von Burburata, aus dem man Maultiere nach Jamaika ausführt, werden gegenwärtig nur von kleinen Küſten— fahrzeugen beſucht, die Lebensmittel und Kakao von den be— nachbarten Pflanzungen laden. Die Einwohner von Caracas, wenigſtens die weiter blickenden, legen einen großen Wert auf den Ankerplatz Catia, weſtlich von Cabo Blanco. Dieſen Küſtenpunkt unterſuchten Bonpland und ich während unſeres zweiten Aufenthaltes in Guayra. Eine Schlucht, unter dem Namen Quebreda de Tipe bekannt, von der weiterhin die Rede ſein wird, zieht ſich von der Hochebene von Caracas gegen Catia herunter. Längſt geht man mit dem Plane um, durch dieſe Schlucht einen Fahrweg anzulegen und die alte Straße von Guayra, die beinahe dem Uebergang über den St. Gotthard gleicht, aufzugeben. Nach dieſem Plane könnte der Hafen von Catia, der ſo geräumig als ſicher iſt, an die Stelle des von Guayra treten. Leider iſt dieſer ganze Küſten— ſtrich unter dem Winde von Cabo Blanco mit Wurzelbäumen bewachſen und höchſt ungeſund. 5 Faſt nirgends auf der Küſte iſt es ſo heiß als in der Nähe von Cabo Blanco. Wir litten ſehr durch die Hitze, die durch die Reverberation des dürren, ſtaubigen Bodens noch geſteigert wurde; die übermäßige Einwirkung des Sonnen: lichtes hatte indeſſen keine nachteiligen Folgen für uns. In Guayra fürchtet man die Inſolation und ihren Einfluß auf — 88 die Gehirnfunktionen ungemein, beſonders zu einer Zeit, wo das gelbe Fieber ſich zu zeigen anfängt. Ich ſtand eines Tages auf dem Dache unſeres Hauſes, um den Mittagspunkt und den Unterſchied zwiſchen dem Thermometerſtande in der Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter mir ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen, den er fertig in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich von ſeinem Fenſter aus ſeit einer halben Stunde in bloßem Kopf hatte in der Sonne ſtehen ſehen. Er verſicherte mich, da ich ein hoher Nordländer ſei, müſſe ich nach der Unvor— ſichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch dieſen Abend einen Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein Präſervativ nehme. Dieſe Prophezeiung, ſo ernſtlich ſie ge— meint war, beunruhigte mich nicht, da ich mich längſt für akklimatiſiert hielt; wie konnte ich aber eine Zumutung ab— lehnen, die aus ſo herzlicher Teilnahme entſprang? Ich ver— ſchluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken geſchrieben haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben gerettet. Nachdem wir Lage und Luftbeſchaffenheit von Guayra beſchrieben, verlaſſen wir die Küſte des Antilliſchen Meeres, um ſie bis zu unſerer Rückkehr von den Miſſionen am Orinoko ſo gut wie nicht wieder zu ſehen. Der Weg aus dem Hafen nach Caracas, der Hauptſtadt einer Statthalterei von 900000 Einwohnern, gleicht, wie ſchon oben bemerkt, den Päſſen in den Alpen, dem Wege über den St. Gotthard oder den Großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft in der Pro: vinz Venezuela war derſelbe nie vermeſſen worden, und man hatte nicht einmal eine beſtimmte Vorſtellung davon, wie hoch das Thal von Caracas liegen möge. Man hatte längſt be⸗ merkt, daß es von der Cumbre und Las Vueltas, dem höchſten Punkte der Straße nach Paſtora am Eingange des Thales von Caracas nicht ſo weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra; da aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmaſſe iſt, ſo ſieht man die zu vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach dem Klima des Thales von Caracas kann man ſich von der Höhe desſelben unmöglich einen richtigen Begriff machen. Die Luft daſelbſt wird durch niedergehende Luftſtröme ab— gekühlt, ſowie einen großen Teil des Jahres hindurch durch die Nebel, welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich habe den Weg von Guayra nach Caracas mehreremal zu Fuße gemacht und nach zwölf Punkten, deren Höhe mit dem Pe Barometer beſtimmt wurde, ein Profil desſelben entworfen. Ich hätte gern geſehen, daß meine Vermeſſung durch einen unterrichteten Reiſenden, der nach mir dieſes maleriſche und für den Naturforſcher ſo intereſſante Land beſuchte, wiederholt und verbeſſert worden wäre; mein Wunſch iſt aber bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen. Wenn man zur Zeit der ſtärkſten Hitze die glühende Luft Guayras atmet und den Blick auf das Gebirge richtet, jo ſcheint es einem unbegreiflich, daß in gerader Entfernung von 9,75 bis 11,7 km in einem engen Thale eine Bevölkerung von 40000 Seelen einer Frühlingskühle genießen ſoll, einer Temperatur, die bei Nacht auf 12° heruntergeht. Daß auf dieſe Weiſe verſchiedene Klimate einander nahe gerückt ſind, kommt in den ganzen Kordilleren der Anden häufig vor; aber überall, in Mexiko, in Quito, in Peru, in Neugranada muß man weit ins Binnenland reiſen, entweder über die Ebenen oder auf Strömen hinauf, bis man in die Herde der Kultur, in die großen Städte, gelangt. Caracas liegt nur ein Dritt⸗ teil jo hoch als Meriko, Quito und Santa Fe de Bogota: aber von allen Hauptſtädten des ſpaniſchen Amerikas, die mitten in der heißen Zone ein köſtlich kühles Klima haben, liegt Caracas am nächſten an der Küſte. Nur 13,5 km in einen Seehafen zu haben und im Gebirge zu liegen, auf einer Hochebene, wo der Weizen gediehe, wenn man nicht lieber Kaffee baute, das ſind bedeutende Vorteile. Der Weg von Guayra in das Thal von Caracas iſt weit ſchöner als der von Honda nach Santa Fs und von Guayaquil nach Quito; er iſt ſogar beſſer unterhalten als die alte Straße, die aus dem Hafen von Veracruz am Süd— abhange der Gebirge von Neuſpanien nach Perote führt. Man braucht mit guten Maultieren nur drei Stunden aus dem Hafen von Guayra nach Caracas und zum Rückwege nur zwei, mit Laſttieren oder zu Fuß vier bis fünf Stunden. Man kommt zuerſt über einen ſehr ſteilen Felsabhang und über die Stationen Torre Quemada, Curucuti und Salto zu einem großen Wirtshauſe (La Venta), das 1170 m über dem Meere liegt. Der Name „verbrannter Turm“ bezieht ſich auf den ſtarken Eindruck, den man erhält, wenn man nach Guayra hinuntergeht. Die Hitze, welche die Felswände und vollends die dürre Ebene zu den Füßen ausſtrahlen, iſt drückend zum Erſticken. Auf dieſem Wege und überall, wo man auf ſtarken Abhängen in ein anderes Klima gelangt, BA N tige ſchien mir das Gefühl von geſteigerter Muskelkraft und von Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftſchichten über einen kommt, nicht fo ſtark als umgekehrt die läſtige Mattig- keit und Erſchlaffung, die einen befällt, wenn man in die heißen Küſtenebenen hinuntergeht. Der Menſch iſt einmal ſo geſchaffen, daß der Genuß, wenn uns irgendwie leichter wird, nicht ſo lebhaft iſt als der Eindruck eines neuen Un— gemaches, und in der moraliſchen Welt iſt es ja ebenſo. Von Curucuti zum Salto iſt der Weg etwas weniger jteil; durch die Windungen, die er macht, wird die Steigung geringer, wie auf der alten Straße über den Mont Cenis. Der Salto, „der Sprung“, iſt eine Spalte, über die eine Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Berges ſind förmliche Werke angelegt. Bei der Venta ſtand der Thermometer um Mittag auf 19,3“, in Guayra zur ſelben Zeit auf 26,2“. Da, ſeit die Neutralen von Zeit zu Zeit in den ſpaniſchen Häfen zugelaſſen wurden, Fremde häufiger nach Caracas gehen durften als nach Mexiko, ſo iſt die Venta in Europa und in den Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer ſchönen Lage berühmt. Und allerdings hat man hier bei unbewölktem Himmel eine prachtvolle Ausſicht über die See und die nahen Küſten. Man hat einen Horizont von mehr als 100 km Halbmeſſer vor ſich; man wird geblendet von der Maſſe Licht, die der weiße, dürre Strand zurückwirft; zu den Füßen liegen Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit ſeinen Kokospalmen, Guayra und die Schiffe, die in den Hafen einlaufen. Ich fand dieſen Anblick noch weit überraſchender, wenn der Himmel nicht ganz rein iſt und Wolkenſtreifen, die oben ſtark beleuchtet ſind, gleich ſchwimmenden Eilanden ſich von der unermeßlichen Meeresfläche abheben. Nebelſchichten in verſchiedenen Höhen bilden Mittelgründe zwiſchen dem Auge des Beobachters und den Niederungen, und durch eine leicht erklärliche Täuſchung wird dadurch die Szenerie großartiger, impoſanter. Von Zeit zu Zeit kommen in den Riſſen der vom Winde gejagten und ſich ballenden Wolken Bäume und Wohnungen zum Vorſchein, und die Gegenſtände ſcheinen dann ungleich tiefer unten zu liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchſichtiger Luft. Wenn man ſich am Abhange der mexikaniſchen Gebirge (zwiſchen Las Trancas und Kalapa) in derſelben Höhe befindet, iſt man noch 54 km von der See entfernt; man ſieht die Küſte nur undeutlich, während man auf dem Wege von Guayra nach Caracas das Tiefland (die Tierra caliente) wie auf einem erg © Turme beherrſcht. Man denke ſich, welchen Eindruck dieſer Anblick auf einen machen muß, der im Binnenlande zu Hauſe iſt und an dieſer Stelle zum erſtenmal das Meer und Schiffe ſieht. Ich habe durch unmittelbare Beobachtungen die Breite der Venta ermittelt, um die Entfernung derſelben von der Küſte genauer angeben zu können. Die Breite iſt 10° 33° 9“; die Länge des Ortes ſchien mir nach dem Chronometer etwa 247“ im Bogen weſtlich von der Stadt Caracas. Ich fand in dieſer Höhe die Inklination der Magnetnadel 41,75“, die Intenſität der magnetiſchen Kraft = 234 Schwingungen. Von der Venta, auch Venta grande genannt zum Unter— ſchied von drei oder vier anderen kleinen Wirtshäuſern am Wege,! geht es noch über 2% m hinauf zum Guayavo. Dies iſt beinahe der höchſte Punkt der Straße, ich ging aber mit dem Barometer noch weiter, etwas über die Cumbre (Gipfel) hinauf, in die Schanze Cuchilla. Da ich keinen Paß hatte (in fünf Jahren bedurfte ich desſelben nur bei der Landung), ſo wäre ich beinahe von einem Artilleriepoſten verhaftet worden. Um die alten Soldaten zu beſänftigen, überſetzte ich ihnen in ſpaniſche Varas, wieviel Toiſen der Poſten über dem Meere liegt. Daran ſchien ihnen ſehr wenig gelegen, und wenn ſie mich gehen ließen, ſo verdanke ich es einem Andaluſier, der gar freundlich wurde, als ich ihm ſagte, die Berge ſeines Heimatlandes, die Sierra Nevada de Granada ſeien viel höher als alle Berge in der Provinz Caracas. Die Schanze Cuchilla liegt ſo hoch wie der Gipfel des Puy de Dome und 290 m niedriger als die Poſt auf dem Mont Cenis. Da die Stadt Caracas, die Venta del Guayavo und der Hafen von Guayra ſo nahe bei einander liegen, hätten Bonpland und ich gern ein paar Tage hintereinander die kleinen Schwankungen des Barometers gleichzeitig in einem ſchmalen Thale, auf einer dem Winde ausgeſetzten Hochebene und an der Meeresküſte beobachtet; aber die Luft war wäh— rend unſeres Aufenthaltes an dieſen Orten nicht ruhig genug dazu. Ueberdem beſaß ich auch nicht den dreifachen meteoro— logiſchen Apparat, der zu dieſer Beobachtung erforderlich iſt, die ich Naturforſchern, die nach mir das Land beſuchen, em— pfehlen möchte. 1 Damals, jetzt ſind faſt alle zerſtört. — 9 Als ich zum erſtenmal über dieſe Hochebene nach der Hauptſtadt von Venezuela ging, traf ich vor dem kleinen Wirtshauſe auf dem Guayavo viele Reiſende, die ihre Maul: tiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von Caracas; ſie ſtritten über den Aufſtand zur Befreiung des Landes, der kurz zuvor ſtattgefunden. Joſeph Espana hatte auf dem Schafott geendet; ſein Weib ſchmachtete im Gefängnis, weil ſie ihren Mann auf der Flucht bei ſich aufgenommen und nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der Gemüter, die Bitterkeit, mit der man über Fragen ſtritt, über die Landsleute nie verſchiedener Meinung ſein ſollten, fielen mir ungemein auf. Während man ein langes und breites über den Haß der Mulatten gegen die freien Neger und die Weißen, über den Reichtum der Mönche und die Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten, verhandelte, hüllte uns ein kalter Wind, der vom hohen Gipfel der Silla herabzukommen ſchien, in einen dicken Nebel und machte der lebhaften Unterhaltung ein Ende; man ſuchte Schutz in der Venta. In der Wirtsſtube machte ein bejahrter Mann, der vorhin am ruhigſten geſprochen hatte, die anderen darauf aufmerkſam, wie unvorſichtig es ſei, zu einer Zeit, wo überall Angeber lauern, ſei es auf dem Berge oder in der Stadt, über politiſche Gegenſtände zu verhandeln. Dieſe in der Berg— einöde geſprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich ſollte denſelben auf unſeren Reiſen durch die Anden von Neugranada und Peru noch oft erhalten. In Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen ſchlichten, ſteigt man auf die Berge, um Einſamkeit und Freiheit zu ſuchen; in der Neuen Welt aber find die Kordilleren bis zu 3900 m Meereshöhe bewohnt. Die Menſchen tragen ihre bürgerlichen Zwiſte wie ihre kleinlichen, gehäſſigen Leiden— ſchaften mit hinauf. Auf dem Rücken der Anden, wo die Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Städten ge— führt hat, ſtehen Spielhäuſer, und in dieſen weiten Einöden, faſt über der Region der Wolken, in einer Naturumgebung, die dem Geiſte höheren Schwung geben ſollte, wird gar oft durch die Kunde, daß der Hof ein Ordenszeichen oder einen Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien geſtört. b man auf den weiten Meereshorizont hinausblickt oder nach Südoſt, nach dem gezackten Felskamm, der ſchein⸗ bar die Cumbre mit der Silla verbindet, während die Schlucht (Quebrada) Tocume dazwiſchen liegt, überall bewundert man IF zn den großartigen Charakter der Landſchaft. Von Guayavo an geht man eine halbe Stunde über ein ebenes, mit Alp— pflanzen bewachſenes Plateau. Dieſes Stück des Weges heißt der vielen Krümmungen wegen Las Vueltas. Etwas weiter oben liegen die Mehlmagazine, welche die Geſellſchaft von Guipuzcoa, während der Handel und die Verſorgung von Caracas mit Lebensmitteln ihr ausſchließliches Monopol war, an einem ſehr kühlen Orte hatte errichten laſſen. Auf dem Wege der Vueltas ſieht man zum erſtenmal die Hauptſtadt ne den einem mit Kaffeebäumen und europäiſchen bſtbäumen üppig bepflanzten Thale liegen. Die Reiſenden machen gewöhnlich Halt bei einer ſchönen Quelle, genannt Fuente de Sanchorquiz, die auf fallenden Gneisſchichten von der Sierra herabkommt. Ich fand die Temperatur derſelben 16,4, was für eine Höhe von 1415 m bedeutend kühl iſt. Dieſes klare Waſſer müßte denen, die davon trinken, noch kälter vorkommen, wenn die Quelle ſtatt zwiſchen der Cumbre und dem gemäßigten Thale von Caracas auf dem Abhange gegen Guayra hin entſpränge. Ich habe aber die Bemerkung gemacht, daß an dieſem, dem Nordabhange des Berges die Schichten (eine in dieſem Lande ſeltene Ausnahme) nicht nach Nordweſt, ſondern nach Südoſt fallen, was ſchuld daran ſein mag, daß die unterirdiſchen Gewäſſer dort keine Quellen bil— den können. Von der kleinen Schlucht Sanchorquiz an geht es beſtändig abwärts bis zum Kreuz von Guayra, das auf einem offenen Platze 1232 m über dem Meere ſteht, und von da an bei den Zollhäuſern vorbei und durch das Quartier Paſtora in die Stadt Caracas. Zwölftes Kapitel. Allgemeine Bemerkungen über die Provinzen von Venezuela. — Ihre verſchiedenen Intereſſen. — Die Stadt Caracas. — Ihr Klima. Die Wichtigkeit einer Hauptſtadt hängt nicht allein von ihrer Volkszahl, von ihrem Reichtum und ihrer Lage ab; um dieſelbe einigermaßen richtig zu beurteilen, muß man den Umfang des Gebietes, deſſen Mittelpunkt ſie iſt, die Menge einheimiſcher Erzeugniſſe, mit denen ſie Handel treibt, die Verhältniſſe, in denen ſie zu den ihrem politiſchen Einfluß unterworfenen Provinzen ſteht, in Rechnung ziehen. Dieſe verſchiedenen Umſtände modifizieren ſich durch die mehr oder weniger gelockerten Bande zwiſchen den Kolonieen und dem Mutterland; aber die Macht der Gewohnheit iſt ſo groß und die Handelsintereſſen ſind ſo zäh, daß ſich vorausſagen läßt, der Einfluß der Hauptſtädte auf das Land umher, auf die unter den Namen Reinos, Capitanias generales, Presidencias, Goviernos verſchmolzenen Gruppen von Provinzen werden auch die Kataſtrophe der Trennung der Provinzen vom Mutter⸗ lande überdauern. Man wird nur da Stücke losreißen und anders verbinden, wo man, mit Mißachtung natürlicher Grenzen, willkürlich Gebiete verbunden hatte, die nur ſchwer miteinander verkehren. Ueberall, wo die Kultur nicht ſchon vor der Eroberung in einem gewiſſen Grade beſtand (wie in Mexiko, Guatemala, Quito und Peru), verbreitete ſie ſich von den Küſten ins Binnenland, bald einem großen Flußthale, bald einer Gebirgskette mit gemäßigtem Klima nach. Sie ſetzte ſich zu gleicher Zeit in verſchiedenen Mittelpunkten feſt, von denen ſie ſofort gleichſam ausſtrahlte. Die Vereinigung zu Provinzen oder Königreichen erfolgte, ſobald ſich civiliſierte, oder doch einem feſten, geregelten Regiment unterworfene Gebiete unmittelbar berührten. Wüſt liegende oder von wil- den Menſchen bewohnte Landſtriche umgeben jetzt die von der . N NERENTFRNERE? europäiſchen Kultur eroberten Länder. Sie trennen dieſe Eroberungen voneinander, wie ſchwer zu überſetzende Meeres— arme, und meiſt hängen benachbarte Staaten nur durch urbar gemachte Landzungen zuſammen. Die Umriſſe der Seeküſten ſind leichter aufzufaſſen als der krauſe Lauf dieſes Binnen— geſtades, auf dem Barbarei und Civiliſation, undurchdring— liche Wälder und bebautes Land aneinander ſtoßen und ein— ander begrenzen. Weil ſie die Zuſtände der erſt in der Bildung begriffenen Staaten der Neuen Welt außer acht laſſen, liefern ſo viele Geographen ſo ſonderbar ungenaue Karten, indem ſie die verſchiedenen Teile der ſpaniſchen und portu— gieſiſchen Kolonieen ſo zeichnen, als ob ſie im Inneren durch— aus zuſammenhingen. Die Lokalkenntnis, die ich mir aus eigener Anſchauung von dieſen Grenzen verſchafft, ſetzt mich inſtand, den Umfang der großen Gebietsabſchnitte mit einiger Beſtimmtheit anzugeben, die wüſten und die bewohnten Striche miteinander zu vergleichen und den mehr oder minder bedeu— tenden politiſchen Einfluß, den fie als Regierungs- und Han— delsmittelpunkte äußern, zu ſchätzen. Caracas iſt die Hauptſtadt eines Landes, das faſt zwei— mal ſo groß iſt als das heutige Peru und an Flächengehalt dem Königreich Neugranada wenig nachſteht.! Dieſes Land, das im ſpaniſchen Regierungsſtil Capitania general de Caracas oder de las Provincias de Venezuela heißt, hat gegen eine Million Einwohner, worunter 60 000 Sklaven, Es umfaßt längs den Küſten Neuandaluſien oder die Pro— vinz Cumana (mit der Inſel Margarita), Barcelona, Vene— zuela oder Caracas, Coro oder Maracaybo; im Inneren die Provinzen Varinas und Guyana, erſtere längs den Flüſſen San Domingo und Apure, letztere längs dem Orinoko, Caſſi— quiare, Atabapo und Rio Negro. Ueberblickt man die ſieben vereinigten Provinzen von Terra Firma, jo ſieht man, daß ſie drei geſonderte Zonen bilden, die von Oſt nach Weſt laufen. Zuvorderſt liegt das bebaute Land am Meeresufer und bei der Kette der Küſtengebirge; dann kommen Savannen oder Weiden, und endlich jenſeits des Orinoko die dritte, die Wald— 1 Die Capitania general von Caracas hat 972 000 qkm Um: fang, Peru 607 000 qkm, Neugranada 1316000 qkm. Es iſt dies das Ergebnis von Oltmanns Berechnung, wobei die Veränderungen zu Grunde gelegt ſind, welche die Karten von Amerika durch meine aſtronomiſchen Beſtimmungen erlitten haben. zone, die nur mittels der Ströme, die hindurchlaufen, zu: gänglich iſt. Wenn die Eingeborenen in dieſen Wäldern ganz von der Jagd lebten wie die am Miſſouri, ſo könnte man ſagen, die drei Zonen, in welche wir das Gebiet von Vene— zuela zerfallen laſſen, ſeien ein Bild der drei Zuſtände und Stufen der menſchlichen Geſellſchaft: in den Wäldern am Orinoko das rohe Jägerleben, auf den Savannen oder Llanos das Hirtenleben, in den hohen Thälern und am Fuße der Küſtengebirge das Leben des Landbauers. Die Miſſionäre und eine Handvoll Soldaten beſetzen hier, wie in ganz Amerika, vorgeſchobene Poſten an der braſilianiſchen Grenze. In dieſer erſten Zone herrſcht das Recht des Stärkeren und der Mißbrauch der Gewalt, der eine notwendige Folge davon iſt. Die Einge— borenen liegen in beſtändigem blutigem Kriege miteinander und freſſen nicht ſelten einander auf. Die Mönche ſuchen ſich die Zwiſtigkeiten unter den Eingeborenen zu nutze zu machen und ihre kleinen Miſſionsdörfer zu vergrößern. Das Militär, das zum Schutz der Mönche daliegt, lebt im Zank mit ihnen. Ueberall ein trauriges Bild von Not und Elend. Wir werden bald Gelegenheit haben, dieſen Zuſtand, den die Städter als Naturzuſtand preiſen, näher kennen zu lernen. In der zwei— ten Region, auf den Ebenen und Weiden, iſt die Nahrung . einförmig, aber ſehr reichlich. Die Menſchen ſind ſchon civiliſierter, leben aber, abgeſehen von ein paar weit aus— einander liegenden Städten, immer noch vereinzelt. Sieht man ihre zum Teil mit Häuten und Leder gedeckten Häuſer, ſo meint man, ſie haben ſich auf den ungeheuren, bis zum Horizont fortſtreichenden Grasebenen keineswegs niedergelaſſen, ſondern kaum gelagert. Der Ackerbau, der allein die Grund— lagen der Geſellſchaft befeſtigt und die Bande zwiſchen Menſch und Menſch enger knüpft, herrſcht in der dritten Zone, im Küſtenſtriche, beſonders in den warmen und gemäßigten Thä— lern der Gebirge am Meere. Man könnte einwenden, auch in anderen Teilen des ſpaniſchen und portugieſiſchen Amerikas, überall, wo man die allmähliche Entwickelung der Kultur verfolgen kann, ſehe man jene drei Stufenalter der menſchlichen Geſellſchaft nebenein- ander; es iſt aber zu bemerken, und dies iſt für alle, welche die politiſchen Zuſtände der verſchiedenen Kolonieen genau kennen lernen wollen, von großem Belang, daß die drei Zonen, die Wälder, die Savannen und das bebaute Land, nicht überall im ſelben Verhältnis zu einander ſtehen, daß ſie aber nirgends —B — ſo regelmäßig verteilt ſind wie im Königreich Venezuela. Bevölkerung, Induſtrie und Geiſtesbildung nehmen keines⸗ wegs überall von der Küſte dem Inneren zu ab. In Mexiko, Peru und Quito findet man die ſtärkſte ackerbauende Be: völkerung, die meiſten Städte, die älteſten bürgerlichen Ein: richtungen auf den Hochebenen und in den Gebirgen des Binnenlandes. Ja, im Königreich Buenos Ayres liegt die Region der Weiden, der ſogenannten Pampas, zwiſchen dem vereinzelten Hafen von Buenos Ayres und der großen Maſſe ackerbauender Indianer, welche in den Kordilleren von Charras, La Paz und Potoſi wohnen. Dieſer Umſtand macht, daß ſich im ſelben Lande die gegenſeitigen Intereſſen der Bewohner fal Binnenlandes und der Küſten ſehr verſchiedenartig ge— talten. Will man eine richtige Vorſtellung von dieſen gewaltigen Provinzen erhalten, die ſeit Jahrhunderten faſt wie unab— hängige Staaten von Vizekönigen oder Generalkapitänen res giert wurden, ſo muß man mehrere Punkte zumal ins Auge faſſen. Man muß die Teile des ſpaniſchen Amerikas, die Aſien gegenüber liegen, von denen trennen, die der Atlantiſche Ozean beſpült; man muß, wie wir eben gethan, unterſuchen, wo ſich die Hauptmaſſe der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der Küſten, ob konzentriert im Inneren auf kalten und gemäßigten Hochebenen der Kordilleren; man muß die numeriſchen Ver— hältniſſe zwiſchen den Eingeborenen und den anderen Menſchen— ſtämmen ermitteln, ſich nach der Herkunft der europäiſchen Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksſtamme die Mehrzahl der Weißen in jedem Teile der Provinzen angehört. Die andaluſiſchen Kanarier in Venezuela, die „Montanejes” ' und Biscayer in Mexiko, die Katalonier in Buenos Ayres unterſcheiden ſich hinſichtlich des Geſchickes zum Ackerbau, zu mechaniſchen Fertigkeiten, zum Handel und zu geiſtigen Be— ſchäftigungen ſehr weſentlich voneinander. Alle dieſe Stämme haben in der Neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten, der ihnen in der Alten zukommt, die rauhe oder ſanfte Ge— mütsart, die Mäßigkeit oder die ungezügelte Habgier, die leutſelige Gaſtlichkeit oder den Hang zum einſamen Leben. In Ländern, deren Bevölkerung großenteils aus Indianern 1 So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von San- tander. A. v. Humboldt, Reiſe. II. 1. = gr von gemiſchtem Blute beſteht, kann der Unterſchied zwiſchen den Europäern und ihren Nachkommen allerdings nicht ſo auffallend ſchroff fein, wie einſt in den Kolonieen ioniſcher und doriſcher Abkunft. Spanier, in die heiße Zone verſetzt, unter einem neuen Himmelsſtrich der Erinnerung an das Mutterland faſt entfremdet, mußten ſich ganz anders um: wandeln, als die Griechen, welche ſich auf den Küſten von Kleinaſien oder Italien niederließen, wo das Klima nicht viel anders war als in Athen oder Korinth. Daß der Charakter des amerikaniſchen Spaniers durch die phyſiſche Beſchaffenheit des Landes, durch die einſame Lage der Hauptſtädte auf den Hochebenen oder in der Nähe der Küſten, durch die Beſchäfti— gung mit dem Landbau, durch den Bergbau, durch die Ge— wöhnung an das Spekulieren im Handelsverkehr, in manchen Beziehungen ſich verändert hat, iſt unleugbar; aber überall, in Caracas, in Santa Fe, in Quito und Buenos Ayres macht ſich dennoch etwas geltend, was auf die urſprüngliche Stammes— eigenheit zurückweiſt. Betrachtet man die Zuſtände der Kapitanerie von Caracas nach den oben angegebenen Geſichtspunkten, ſo zeigt es ſich, daß der Ackerbau, die Hauptmaſſe der Bevölkerung, die zahl: reichen Städte, kurz alles, was durch höhere Kultur bedingt iſt, ſich vorzugsweiſe in der Nähe der Küſte findet. Der Küſtenſtrich iſt über 900 km lang und wird vom kleinen Meer der Antillen beſpült, einer Art Mittelmeer, an deſſen Ufern faſt alle europäiſchen Nationen Niederlaſſungen ge— gründet haben, das an zahlreichen Stellen mit dem Atlan⸗ tiſchen Ozean in Verbindung ſteht und ſeit der Eroberung auf den Fortſchritt der Bildung im öſtlichen Teile des tropiſchen Amerikas ſehr bedeutenden Einfluß geäußert hat. Die König⸗ reiche Neugranada und Mexiko verkehren mit den fremden Kolonieen und mittels dieſer mit dem nicht ſpaniſchen Europa allein durch die Häfen von Cartagena und Santa Marta, Veracruz und Campeche. Dieſe ungeheuren Länder kommen, infolge der Beſchaffenheit ihrer Küſten und der Zuſammen⸗ drängung der Bevölkerung auf dem Rücken der Kordilleren, mit Fremden wenig in Berührung. Der Meerbuſen von Mexiko iſt auch einen Teil des Jahres wegen der gefährlichen Nordſtürme wenig beſucht. Die Küſten von Venezuela da- gegen ſind ſehr ausgedehnt, ſpringen weit gegen Oſten vor, haben eine Menge Häfen, man kann allenthalben in jeder Jahreszeit ſicher ans Land kommen, und ſo können ſie von — 9 — allen Vorteilen, die das innere Meer der Antillen bietet, Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen Inſeln und ſelbſt mit denen unter dem Winde ſtärker ſein als durch die Häfen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto— Cabello, Coro und Maracaybo, nirgends war der Schleich— handel mit dem Auslande ſchwerer im Zaume zu halten. Iſt es da zu verwundern, daß bei dieſem leichten Handelsverkehr mit den freien Amerikanern und mit den Völkern des politiſch aufgeregten Europas in den unter der Generalkapitanerie Venezuela vereinigten Provinzen Wohlſtand, Bildung und das unruhige Streben nach Selbſtregierung, in dem die Liebe zur Freiheit und zu republikaniſchen Einrichtungen zur Aeuße— rung kommt, gleichmäßig zugenommen haben? Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden nur da einen ſehr anſehnlichen Teil der ackerbauenden Be— völkerung, wo die Spanier bei der Eroberung ordentliche Regierungen, eine bürgerliche Geſellſchaft, alte, meiſt ſehr ver— wickelte Inſtitutionen vorgefunden, wie in Neuſpanien ſüdlich von Durango und in Peru von Cuzco bis Potoſi. In der Generalkapitanerie Caracas iſt die indianiſche Bevölkerung des bebauten Landſtrichs, wenigſtens außerhalb der Miſſionen, unbeträchtlich. Zur Zeit großer politiſcher Zerwürfniſſe flößen die Indianer den Weißen und Miſchlingen keine Beſorgniſſe ein. Als ich im Jahre 1800 die Geſamtbevölkerung der ſieben vereinigten Provinzen auf 900 000 Seelen ſchätzte, nahm ich die Indianer zu einem Neunteil an, während ſie in Mexiko faſt die Hälfte ausmachen. Unter den Raſſen, aus denen die Bevölkerung von Vene— zuela beſteht, iſt die ſchwarze, auf die man zugleich mit Teil— nahme wegen ihres Unglücks, und mit Furcht wegen einer möglichen gewaltſamen Auflehnung blickt, nicht der Kopfzahl nach, aber wegen der Zuſammendrängung auf einen kleinen Flächenraum, von Belang. Wir werden bald ſehen, daß in der ganzen Kapitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehnteil der ganzen Bevölkerung ausmachen; auf Cuba, wo unter allen Antillen die Neger den Weißen gegenüber am wenigſten zahlreich find, war im Jahre 1811 das Verhältnis wie 1 zu 3. Die ſieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben 60000 Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner iſt, hat 212000. Betrachtet man das Meer der Antillen, zu dem der Meer— buſen von Mexiko gehört, als ein Binnenmeer mit mehreren Ausgängen, ſo iſt es wichtig, die politiſchen Beziehungen ins — 100 — Auge zu faſſen, die infolge dieſer ſeltſamen Geſtaltung des neuen Kontinents zwiſchen Ländern entſtehen, die um das— ſelbe Becken gelegen find. Wie ſehr auch die meiſten Mutter— länder ihre Kolonieen abzuſperren ſuchen, ſie werden dennoch in die Aufregung hineingezogen. Die Elemente der Zerwürf— niſſe ſind die gleichen, und wie inſtinktmäßig bildet ſich ein Einverſtändnis zwiſchen Menſchen derſelben Farbe, auch wenn ſie verſchiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen Küſten wohnen. Dieſes amerikaniſche Mittelmeer, das durch die Küſten von Venezuela, Neugranada, Mexiko, die der Vereinigten Staaten und durch die Antillen gebildet wird, zählt an ſeinen Ufern gegen anderthalb Millionen Neger, Sklaven und Freie, und ſie ſind ſo ungleich verteilt, daß es im Süden ſehr wenige, im Weſten faſt keine gibt; in großen Maſſen finden ſie ſich nur auf den Nord- und Oſtküſten. Es iſt dies gleichſam das afrikaniſche Stück dieſes Binnenmeeres. Die Unruhen, die vom Jahre 1792 an auf San Domingo ausgebrochen, haben ſich naturgemäß auf die Küſten von Venezuela fortgepflanzt. Solange Spanien im ungeſtörten Beſitz dieſer ſchönen Kolonieen war, wurden die kleinen Sklaven- aufſtände leicht unterdrückt; aber ſobald ein Kampf anderer Art, der für die Unabhängigkeit, entbrannte, machten ſich die Schwarzen durch ihre drohende Haltung bald der einen, bald der anderen der einander gegenüberſtehenden Parteien furchtbar, und in verſchiedenen Ländern des ſpaniſchen Amerikas wurde die allmähliche oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt, nicht ſowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit oder Menſchlichkeit, als weil man ſich des Beiſtandes eines unerſchrockenen, an Ent: behrungen gewöhnten und für ſein eigenes Wohl kämpfenden Menſchenſchlages verſichern wollte. Ich bin in der Reiſebe— ſchreibung des Girolamo Benzoni auf eine merkwürdige Stelle geſtoßen, aus der hervorgeht, wie alt ſchon die Beſorgniſſe ſind, welche die Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung einflößt. Dieſe Beſorgniſſe werden nur da verſchwinden, wo die Regierungen die Umwandlung zum Beſſern, welche durch mildere Sitten, durch die öffentliche Meinung und durch religiöſe Anſichten in der Hausſklaverei nach und nach vor ſich geht, ihrerſeits durch die Geſetzgebung unterſtützen. „Die Neger,“ ſagt Ben⸗ zoni, „haben ſich auf San Domingo dergeſtalt vermehrt, daß ich im Jahre 1545, als ich auf Terra Firma (an der Küſte von Caracas) war, viele Spanier geſehen habe, die gar nicht zweifelten, daß jene Inſel binnen kurzem Eigentum der — 101 — Schwarzen fein werde.“ Unſer Jahrhundert ſollte dieſe Pro- phezeiung in Erfüllung gehen und eine europäiſche Kolonie in Amerika ſich in einen afrikaniſchen Staat verwandeln ſehen. Die 60 000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von Venezuela ſind ſo ungleich verteilt, daß auf die Provinz Ca— racas allein 40000 kommen, worunter ein Fünfteil Mulatten, auf Maracaybo 10 000 bis 12 000, auf Cumana und Barcelona kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger und die Farbigen auf die öffentliche Ruhe im allgemeinen äußern, iſt es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt, man muß auch ihre Zuſammendrängung an gewiſſen Punkten und ihre Lebensweiſe als Ackerbauer oder Stadtbewohner in Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela ſind die Sklaven faſt alle auf einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtriche bet: ſammen, innerhalb der Küſte und einer Linie, die (54 km von der Küſte) über Panaquire, Yare, Sabana de Ocumare, Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den weiten Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barqui— ſimeto zählt man nur 4000 bis 5000, die auf den Höfen zer— ſtreut und mit der Hut des Viehes beſchäftigt ſind. Die Zahl der Freigelaſſenen iſt ſehr beträchtlich, denn die ſpaniſche Ge— ſetzgebung und die Sitten leiſten der Freilaſſung Vorſchub. Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaſter bietet, die Freiheit nicht verſagen, hätte der Sklave auch wegen des beſonderen Geſchickes im Handwerk, das er treibt, doppelt ſo viel gekoſtet. Die Fälle, daß jemand im letzten Willen mehr oder weniger Sklaven die Freiheit ſchenkt, ſind in der Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor wir die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Va— lencia beſuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe La Victoria auf dem Totenbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven, dreißig an der Zahl, freizulaſſen. Mit Vergnügen ſpreche ich von Handlungen, die den Charakter von Menſchen, die Bonpland und mir ſo viel Zuneigung und Wohlwollen be— wieſen, in ſo ſchönem Lichte zeigen. Nach den Negern iſt es in den Kolonieen von beſonderem Belang, die Zahl der weißen Kreolen, die ich Hiſpano-Ameri⸗ faner! nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen. Nach dem Vorgang von Anglo- Amerikaner, welcher Aus⸗ druck in alle europäiſchen Sprachen übergegangen iſt. In den Es hält ſchwer, ſich über einen ſo kitzlichen Punkt genaue Auskunft zu verſchaffen. Wie in der Alten Welt iſt auch in der Neuen die Zählung dem Volke ein Greuel, weil es meint, es ſei dabei auf Erhöhung der Abgaben abgeſehen. Anderer— ſeits lieben die Verwaltungsbeamten, welche das Mutterland in die Kolonieen ſchickt, ſtatiſtiſche Aufnahmen ſo wenig als das Volk, und zwar aus Rückſichten einer argwöhniſchen Staatsklugheit. Dieſe mühſam herzuſtellenden Aufnahmen ſind ſchwer der Neugier der Koloniſten zu entziehen. Wenn auch die Miniſter in Madrid richtige Begriffe vom wahren Beſten des Landes hatten und von Zeit zu Zeit genaue Be— richte über den zunehmenden Wohlſtand der Kolonieen ver— langten, die Lokalbehörden haben dieſe guten Abſichten in den ſeltenſten Fällen unterſtützt. Nur auf den ausdrücklichen Befehl des ſpaniſchen Hofes wurden den Herausgebern des „Peruaniſchen Merkurs“ die vortrefflichen volkswirtſchaftlichen Notizen überlaſſen, die dieſes Blatt mitgeteilt hat. In Mexiko, nicht in Madrid habe ich den Vizekönig Grafen Revillagigedo tadeln hören, Et er ganz Neuſpanien kundgethan, daß die Hauptſtadt eines Landes von faſt ſechs Millionen Einwohnern im Jahre 1790 nur 2300 Europäer, dagegen über 50000 Hiſpano-Amerikaner zählte. Die Leute, die ſich darüber be— llagten, betrachteten auch die ſchöne Poſteinrichtung, welche Briefe von Buenos Ayres bis nach Neukalifornien befördert, als eine der gefährlichſten Neuerungen des Grafen Florida Blanca; ſie rieten (glücklicherweiſe ohne Erfolg), dem Handel mit dem Mutterlande zulieb, die Reben in Neumexiko und Chile auszureißen. Sonderbare Verblendung, zu meinen, durch Volkszählungen wecke man in den Koloniſten das Be⸗ wußtſein ihrer Stärke! Nur in Zeiten des Unfriedens und des Bürgerzwiſtes kann es ſcheinen, als ob man, indem man die relative Stärke der Menſchenklaſſen ermittelt, die ein ge— meinſames Intereſſe haben ſollten, zum voraus die Zahl der Streiter ſchätzte. Vergleicht man die ſieben vereinigten Provinzen von Venezuela mit dem Königreich Mexiko und der Inſel Cuba, ſo findet man annähernd die Zahl der weißen Kreolen, ſelbſt die der Europäer. Erſtere, die Hiſpano-Amerikaner, ſind in ſpaniſchen Kolonieen heißen die in Amerika geborenen Weißen Spanier, die wirklichen Spanier aus dem Mutterlande Euro- päer, Gachupinos oder Chapetones. — 103 — Mexiko ein Fünfteil, auf Cuba, nach der genauen Zählung von 1811, ein Dritteil der Geſamtbevölkerung. Bedenkt man, daß in Mexiko dritthalb Millionen Menſchen von der roten Raſſe wohnen, zieht man den Zuſtand der Küſten am Stillen Meere in Betracht, und wie wenige Weiße im Verhältnis zu den Eingeborenen in den Intendanzen Puebla und Oaxaca wohnen, ſo läßt ſich nicht zweifeln, daß, wenn nicht in der Capitania general, ſo doch in der Provinz Venezuela das Verhältnis ſtärker iſt als 1 zu 5. Die Inſel Cuba, auf der die Weißen ſogar zahlreicher ſind als in Chile, gibt uns für die Capitania general von Caracas eine „Grenzzahl“, das heißt das Maximum an die Hand. Ich glaube, man hat 200 000 bis 210 000 Hiſpano⸗Amerikaner auf eine Geſamt⸗ bevölkerung von 900 000 Seelen anzunehmen. Innerhalb der weißen Raſſe ſcheint die Zahl der Europäer (die Truppen aus dem Mutterlande nicht gerechnet) nicht über 12 000 bis 15000 zu betragen. In Mexiko ſind ihrer gewiß nicht über 60000, und nach mehreren Zuſammenſtellungen finde ich, daß, ſämtliche ſpaniſche Kolonieen zu 14 bis 15 Millionen Ein- wohnern angenommen, höchſtens 3 Millionen Kreolen und 200 000 Europäer darunter ſind. — Als der junge Tupac-Amaru, der in ſich den rechtmäßigen Erben des Reiches der Inka erblickte, an der Spitze von 40000 Indianern aus den Gebirgen mehrere Provinzen von Oberperu eroberte, ruhten die Befürchtungen aller Weißen auf demſelben Grunde. Die Hiſpano-Amerikaner fühlten jo gut wie die in Europa geborenen Spanier, daß der Kampf ein Raſſenkampf zwiſchen dem roten und weißen Manne, zwi— abhängigkeit wurde ein grauſamer Krieg zwiſchen den Raſſen; die Weißen blieben Sieger, es kam ihnen zum Bewußtſein, was ihr gemeinſames Intereſſe ſei, und von nun an faßten ſie das Zahlenverhältnis zwiſchen der weißen und der india— — 104 — und Freiheit trennt die nationale oder amerikaniſche Partei und die aus dem Mutterlande Herübergekommenen in zwei Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere eben der Gefahr entgangen, die fie in dem von Ejpaita angezettelten Aufſtande für ſich erblickt hatten. Dieſer kecke Anſchlag hatte deſto ſchlimmere Folgen, da man, ſtatt den Urſachen des herrſchenden Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die Sache des Mutterlandes nur durch ſtrenge Maßregeln zu retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer des Rio de la Plata bis Neumexiko auf einer Strecke von 6300 km ausgebrochen ſind, ſtehen Menſchen desſelben Stammes einander gegenüber. Man ſcheint ſich in Europa zu wundern, wie die Spanier aus dem Mutterlande, deren, wie wir geſehen, ſo wenige ſind, jahrhundertelang ſo ſtarken Widerſtand leiſten konnten, und man vergißt, daß in allen Kolonieen die europäiſche Partei notwendig durch eine große Menge Einheimiſcher verſtärkt wird. Familienrückſichten, die Liebe zur ungeſtörten Ruhe, die Scheu, ſich in ein Unternehmen einzulaſſen, das ſchlimm ablaufen kann, halten dieſe ab, ſich der Sache der Unab— hängigkeit anzuſchließen oder für die Einführung einer eigenen, wenn auch vom Mutterlande abhängigen Repräſentativregierung aufzutreten. Die einen ſcheuen alle gewaltſamen Mittel und leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Kolonial- regiment allgemach weniger drückend werden; Revolution iſt ihnen gleichbedeutend mit dem Verluſt ihrer Sklaven, mit der Beraubung des Klerus und der Einführung einer religiöſen Duldſamkeit, wobei, meinen ſie, der herrſchende Kultus ſich unmöglich in ſeiner Reinheit erhalten könne. Andere gehören den wenigen Familen an, die in jeder Gemeinde durch ererbten Wohlſtand oder durch ſehr alten Beſtand in den Kolonieen eine wahre Munizipalariſtokratie bilden. Sie wollen lieber gewiſſe Rechte gar nicht bekommen, als ſie mit allen teilen; ja eine Fremdherrſchaft wäre ihnen lieber als eine Regierung in den Händen von Amerikanern, die im Range unter ihnen ſtehen; fie verabſcheuen jede auf Gleichheit der Rechte ge⸗ gründete Verfaſſung; vor allem fürchten ſie den Verluſt der Ordenszeichen und Titel, die ſie ſich mit ſo ſaurer Mühe erworben, und die, wie wir oben angedeutet, einen Haupt⸗ beſtandteil ihres häuslichen Glückes ausmachen. Noch andere, und ihrer ſind ſehr viele, leben auf dem Lande vom Ertrage ihrer Grundſtücke und genießen der Freiheit, deren ſich ein — 105 — dünn bevölkertes Land unter dem Drucke der ſchlechteſten Re— gierung zu erfreuen hat. Sie ſelbſt machen keine Anſprüche auf Amt und Würden, und ſo fragen ſie nichts danach, wenn Leute damit bekleidet werden, die ſie kaum dem Namen nach kennen und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre ihnen eine nationale Regierung und volle Handelsfreiheit lieber als das alte Kolonialweſen, aber dieſe Wünſche ſind gegen— über der Liebe zur Ruhe und der Gewöhnung an ein träges Leben keineswegs ſo lebhaft, daß ſie ſich deshalb zu ſchweren, langwierigen Opfern entſchließen ſollten. Mit dieſer nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen entworfenen Skizze der verſchiedenen Färbung der politiſchen Anſichten in den Kolonieen habe ich auch die Urſachen der langen friedlichen Herrſchaft des Mutterlandes über Amerika angegeben. Wenn die Ruhe erhalten blieb, ſo war dies die Folge der Gewohnheit des großen Einfluſſes einer gewiſſen Zahl mächtiger Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das ſich zwiſchen feindlichen Gewalten herſtellt. Eine auf Ent— zweiung gegründete Sicherheit muß erſchüttert werden, ſobald eine bedeutende Menſchenmaſſe ihren Privathaß eine Weile ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinſamen Intereſſes ſich verbündet, ſobald dieſes Gefühl, einmal erwacht, am Wider— ſtand erſtarkt und durch fortſchreitende Geiſtesentwickelung und die Umwandlung der Sitten der Einfluß der Gewohnheit und der alten Vorſtellungen ſich mindert. Wir haben oben geſehen, daß die indianiſche Bevölkerung in den vereinigten Provinzen von Venezuela nicht ſtark und nicht altciviliſiert iſt; auch find alle Städte derſelben von den ſpaniſchen Eroberern gegründet. Dieſe konnten hier nicht, wie in Mexiko und Peru, in die Fußſtapfen der alten Kultur der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana und Coro iſt nichts indianiſch als die Namen. Von den Hauptſtädten des tropiſchen Amerika, die im Gebirge liegen und eines ſehr gemäßigten Klimas genießen, iſt Caracas die am tiefſten gelegene. Da die Hauptmaſſe der Bevölkerung von Venezuela den Küſten nahe gerückt iſt und der kultivier— teſte Landſtrich von Oſt nach Weſt denſelben parallel läuft, ſo iſt Caracas kein Mittelpunkt des Handels, wie Mexiko, Santa Fe de Bogata und Quito. Jede der ſieben in eine 1 Mexiko, Santa Fe de Bogota und Quito. — 106 — Capitania general vereinigten Provinzen hat ihren eigenen Hafen, durch den ihre Produkte abfließen. Man darf nur die Lage der Provinzen, ihren mehr oder minder ſtarken Ver— kehr mit den Inſeln unter dem Winde oder den Großen An— tillen, die Richtung der Gebirge und den Lauf der großen Flüſſe betrachten, um einzuſehen, daß Caracas auf die Länder, deren Hauptſtadt es iſt, niemals einen bedeutenden politiſchen Einfluß haben kann. Der Apure, der Meta, der Orinoko, die von Weſt nach Oſt laufen, nehmen alle Gewäſſer aus den Llanos oder der Region des Weidelandes auf. San Tomas in Guyana muß notwendig einmal ein wichtiger Handelsplatz werden, namentlich wenn einmal das Mehl aus Neugranada oberhalb der Vereinigung des Rio Negro und des Umadea eingeſchifft wird und auf dem Meta und dem Orinoko hinunter— kommt und man dasſelbe in Cumana und Caracas dem Mehle aus den Vereinigten Staaten vorzieht. Es iſt ein großer Vorzug der Provinzen von Venezuela, daß nicht ihr ganzer Bodenreichtum in einem Punkte zuſammenfließt, wie 'der von Mexiko und Neugranada nach Veraeruz und Cartagena, ſondern daß ſie eine Menge ziemlich gleich bevölkerter Städte haben, die eben ſo viele Mittelpunkte des Handels und der Kultur bilden. Caracas iſt der Sitz einer Audiencia (hoher Ge— richtshof) und eines der acht Erzbistümer, in welche das ganze ſpaniſche Amerika geteilt iſt. Die Bevölkerung war, nach meinen Erkundigungen über die Zahl der Geburten, im Jahre 1800 etwa 40000; die unterrichtetſten Einwohner gaben fie ſogar zu 45000 an, worunter 12000 Weiße und 27000 freie Farbige. Im Jahre 1778 hatte man bereits 30000 bis 32000 geſchätzt. Alle unmittelbaren Aufnahmen blieben ein Vierteil und mehr unter der wirklichen Zahl. Im Jahre 1766 hatte die Bevölkerung von Caracas und des ſchönen Thales, in dem es liegt, durch eine bösartige Pocken— epidemie ſehr ſtark gelitten. In der Stadt ſtarben 6000 bis 8000 Menſchen; ſeit dieſem denkwürdigen Zeitpunkte iſt die Kuhpockenimpfung allgemein geworden, und ich habe ſie ohne Arzt vornehmen ſehen. In der Provinz Cumana, die weniger Verkehr mit Europa hat, war zu meiner Zeit ſeit fünfzehn Jahren kein Pockenfall vorgekommen, während man in Caracas vor dieſer ſchrecklichen Krankheit beſtändig bange hatte, weil ſie immer an mehreren Punkten zugleich ſporadiſch auftrat; ich ſage ſporadiſch, denn im tropischen Amerika, wo der Wechſel — 107 — der atmoſphäriſchen Zuſtände und die Erſcheinungen des orga— niſchen Lebens an eine auffallende Periodizität gebunden ſcheinen, traten die Pocken (wenn man ſich auf einen weit— verbreiteten Glauben verlaſſen kann) vor der Einführung der ſegensreichen Kuhpockenimpfung nur alle 15 bis 18 Jahre ver: heerend auf. Seit meiner Rückkehr nach Europa hat die Be— völkerung von Caracas beſtändig zugenommen; ſie betrug 50000 Seelen, als das große Erdbeben am 26. März 1812 gegen 12000 Menſchen unter den Trümmern ihrer Häuſer begrub. Durch die politiſchen Ereigniſſe, die dieſer Kataſtrophe folgten, kam die Einwohnerzahl auf weniger als 20000 her— unter; aber dieſe Verluſte werden bald wieder eingebracht ſein, wenn das äußerſt fruchtbare und handelsthätige Land, deſſen Mittelpunkt Caracas iſt, nur einiger Jahre Ruhe genießt und verſtändig regiert wird. Die Stadt liegt am Eingang der Ebene von Chacao, die ſich 13 km nach Oſt gegen Caurimare und Cueſta d'Auyamas ausdehnt und 11,25 km breit wird und durch die der Rio Guayre fließt. Sie liegt 807 m über dem Meere. Der Boden, auf dem Caracas liegt, iſt uneben und fällt ſtark von Nord— Nord⸗Weſt nach Süd⸗Süd⸗Oſt ab. Um eine richtige Vor— ſtellung von der Lage der Stadt zu bekommen, muß man die Richtung der Küſtengebirge und der großen Längenthäles zwiſchen denſelben ins Auge faſſen. Der Guayrefluß ent— ſpringt im Urgebirge des Higuerote, das zwiſchen dem Thale von Caracas und dem von Aragua liegt. Er erhält bei Las Ayuntas nach der Vereinigung der Flüßchen San Pedro und Macarao ſeinen Namen und läuft zuerſt nach Oſt bis zur Cueſta d' Auyamas und dann nach Süd, um ſich oberhalb Hare mit dem Rio Tuy zu vereinigen. Letzterer iſt der einzige Fluß von Bedeutung im nördlichen, gebirgigen Teile der Pro— vinz. Er läuft 135 km lang, von denen über drei Vierteile ſchiffbar ſind, geradeaus von Weſt nach Oſt. Auf dieſem tromſtücke beträgt nach meinen barometriſchen Meſſungen der Fall des Tuy von der Pflanzung Manterola bis zur Mün— dung 575 m. Dieſer Fluß bildet in der Küſtenkette eine Art Längenthal, während die Gewäſſer der Llanos, das heißt von fünf Sechsteilen der Provinz Caracas, dem Abhang des Bodens gegen Süden nach, ſich in den Qrinoko ergießen. Nach dieſer hydrographiſchen Skizze erklärt ſich die natürliche Nei— gung der Bewohner derſelben Provinz, ihre Produkte auf verſchiedenen Wegen auszuführen. — 108 — Das Thal von Caracas iſt zwar nur ein Seitenzweig des Tuythals, dennoch laufen beide eine Strecke weit einander parallel. Sie ſind durch einen Bergzug getrennt, über den man auf dem Wege von Caracas nach den hohen Savannen von Ocumare über Le Valle und Salamanca kommt. Dieſe Savannen liegen ſchon jenſeits des Tuy, und da das Thal dieſes Fluſſes weit tiefer liegt als das von Caracas, ſo geht es von Nord nach Süd faſt beſtändig bergab. Wie das Vorgebirge Codera, die Silla, der Cerro de Avila zwiſchen Caracas und Guayra und die Berge von Mariara den nörd— lichſten und höchſten Zug der Küſtenkette, ſo bilden die Berge von Panaquire, Ocumare, Guiripa und Villa de Cura den ſüdlichſten Zug. Wir haben ſchon öfter bemerkt, daß die Schichten dieſes gewaltigen Küſtengebirges faſt durchgängig von Südoſt nach Südweſt ſtreichen und gewöhnlich nach Nord— weſt fallen. Es ergibt ſich daraus, daß die Richtung der Schichten des Urgebirges von der Richtung der ganzen Kette unabhängig iſt, und, was ſehr bemerkenswert iſt, verfolgt man die Kette von Porto Cabello bis Maniquare und zum Macanao auf der Inſel Margarita, ſo findet man von Weſt nach Oſt zuerſt Granit, dann Gneis, Glimmerſchiefer und Urſchiefer, endlich dichten Kalkſtein, Gips und Konglomerate mit Seemuſcheln. Es iſt zu bedauern, daß Caracas nicht weiter oſtwärts liegt, unterhalb der Einmündung des Anauco in den Guayre, da wo, Chacao zu, ſich das Thal breit, und wie durch ſtehendes Gewäſſer geebnet, ausdehnt. Als Diego de Loſada die Stadt gründete, hielt er ſich ohne Zweifel an die Spuren der erſten Niederlaſſung unter Faxardo. Der Ruf der Goldminen von Los Teques und Baruta hatte damals die Spanier her— gelockt, aber ſie waren noch nicht Herren des ganzen Thales und blieben lieber nahe am Wege zur Küſte. Die Stadt Quito liegt gleichfalls im engſten, unebenſten Teile eines Thales zwiſchen zwei ſchönen Ebenen (Turupamba und Rumi⸗ pamba), wo man ſich hätte anbauen können, wenn man die alten indianiſchen Bauten hätte wollen liegen laſſen. Vom Zollhauſe La Paſtora über den Platz Trinidad und die Plaza major nach Santa Roſalia und an den Rio Guayre geht es immer abwärts. Nach meinen barometriſchen Meſſungen 1567, ſpäter als Cumana, Coro, Nueva Barcelona und Car⸗ valleda. — 109 — liegt das Zollhaus 76 m über dem Platze Trinidad, wo ich meine aſtronomiſchen Beobachtungen gemacht habe, letzterer 15,6 m über dem Pflaſter vor der Hauptkirche auf dem großen Platze, und dieſer 62 m über dem Guayrefluſſe bei La Noria. Trotz des abſchüſſigen Bodens fahren Wagen in der Stadt, man bedient ſich ihrer aber ſelten. Drei Bäche, die vom Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und Caraguata, laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; ſie haben ſehr hohe Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgs— waſſern, welche darin auslaufen und das Terrain durchſchnei— den, erinnern ſie im kleinen an die berühmten Guaicos in Quito. Man trinkt in Caracas das Waſſer des Rio Catuche, aber die Wohlhabenden laſſen das Waſſer aus Valle, einem 4,5 km weit ſüdwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieſes Waſſer, ſowie das aus dem Gamboa gelten für ſehr geſund, weil fie über Saſſaparillwurzeln! laufen. Ich habe feine Spur von Arom oder Extraktivſtoff darin finden können; das Waſſer von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr Kohlenſäure als das Waſſer aus dem Anauco. Die neue Brücke über den letzteren Fluß iſt ſchön gebaut und belebt von den Spaziergängern, welche gegen Candelaria zu die Straße von Chacao und Petara aufſuchen. Man zählt in Caracas acht Kirchen, fünf Klöſter und ein Theater, das 1500 bis 1800 Zuſchauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre, in dem Männer und Frauen geſonderte Sitze haben, nicht bedeckt. Man ſah zugleich die Schauſpieler und die Sterne. Da das neblige Wetter mich um viele Trabantenbeobach— tungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus bemerken, ob Jupiter in der Nacht ſichtbar ſein werde. Die Straßen von Caracas ſind breit, gerade gezogen und ſchneiden ſich unter rechten Winkeln, wie in allen Städten, welche die Spanier in Amerika gegründet. Die Häuſer ſind geräumig und höher, als ſie in einem Lande, das Erdbeben ausgeſetzt iſt, ſein ſollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze Alta Gracia und San Francisco ſehr hübſch: ich ſage im Jahre 1800, denn die furchtbaren Erderſchütterungen am 26. März 1812 haben faſt die ganze Stadt zerſtört. Sie In ganz Amerika glaubt man, das Waſſer nehme die Eigen: ſchaften der Gewächſe an, in deren Schatten es fließt. So rühmt man an der Magelhaensſchen Meerenge das Waſſer, das mit den Wurzeln der Winterana Canella in Berührung kommt. — 10 — erſteht langſam aus ihren Trümmern; der Stadtteil La Trinidad, in dem ich wohnte, ward über den Haufen geworfen, als ob eine Mine darunter geſprungen wäre. Durch das enge Thal und die Nähe der hohen Berge Avila und Silla erhält die Gegend von Caracas einen ernſten, düſteren Anſtrich, beſonders in der kühlſten Jahreszeit, in den Monaten November und Dezember. Die Morgen ſind dann ausnehmend ſchön; bei reinem klarem Himmel hat man die beiden Dome oder abgerundeten Pyramiden der Silla und den gezackten Kamm des Cerro de Avila vor ſich. Aber gegen Abend trübt ſich die Luft; die Berge umziehen ſich, Wolkenſtreifen hängen an ihren immergrünen Seiten und teilen ſie gleichſam in übereinander liegende Zonen. Allmäh— lich verſchmelzen dieſe Zonen, die kalte Luft, die von der Silla herabkommt, ſtaut ſich im engen Thale und verdichtet die leichten Dünſte zu großen flockigen Wolken. Dieſe Wolken ſenken ſich oft bis über das Kreuz von Guayra herab und man ſieht ſie dicht am Boden gegen La Paſtora und das benachbarte Quartier Trinidad fortziehen. Beim Anblick dieſes Wolkenhimmels meinte ich nicht in einem gemäßigten Thale der heißen Zone, „ mitten in Deutſchland, auf den Br Fichten und Lärchen bewachſenen Bergen des Harzes u ſein. i Aber dieſer düſtere, ſchwermütige Charakter der Land— ſchaft, dieſer Kontraſt zwiſchen dem heiteren Morgen und dem bedeckten Himmel am Abend iſt mitten im Sommer ver⸗ ſchwunden. Im Juni und Juli ſind die Nächte hell und ausnehmend ſchön; die Luft behält faſt beſtändig die den Hochebenen und hochgelegenen Thälern eigentümliche Reinheit und Durchſichtigkeit, fsh ſie ruhig bleibt und der Wind nicht Schichten von verſchiedener Temperatur durcheinander: wirft. In dieſer Sommerzeit prangt die Landſchaft, die ich nur wenige Tage zu Ende Januars in ſchöner Beleuchtung geſehen, in ihrer vollen Pracht. Die beiden runden Gipfel der Silla erſcheinen in Caracas faſt unter demſelben Höhen⸗ winkel! wie der Pik von Tenerifa im Hafen von Orotava. Die untere Hälfte des Berges iſt mit kurzem Raſen bedeckt; dann kommt die Zone der immergrünen Sträucher, die zur Ich fand auf dem Platze Trinidad die ſcheinbare Höhe der Silla 11° 12° 49“. Ihr Abſtand beträgt etwa 8,7 km. — 11 — Blütezeit der Befaria, der Alpenroſe des tropischen Amerikas, purpurrot ſchimmert. Ueber dieſer Waldregion ſteigen zwei Felsmaſſen in Kuppelform empor. Sie ſind völlig kahl und dadurch erſcheint der Berg, der im gemäßigten Europa kaum die Schneegrenze erreichte, höher, als er wirklich iſt. Mit dieſem großartigen Proſpekt der Silla und der Bergizenerie im Norden der Stadt ſteht der angebaute Strich des Thales, die lachende Ebene von Chacao, Petare und La Vega im angenehmſten Kontraſt. Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen Frühling nennen, und dasſelbe findet ſich überall im tropiſchen Amerika auf der halben Höhe der Kordilleren, zwiſchen 780 und 1750 m über dem Meere, wenn nicht ſehr breite Thäler und Hochebenen und dürrer Boden die Intenſität der ſtrah— lenden Wärme übermäßig ſteigern. Was läßt ſich auch Köſt— licheres denken als eine Temperatur, die ſich bei Tage zwiſchen 20 und 26°, bei Nacht zwiſchen 16 und 18° hält, und in der der Bananenbaum, der Orangenbaum, der Kaffeebaum, der Apfelbaum, der Aprikoſenbaum und der Weizen neben— einander gedeihen! Ein einheimiſcher Schriftſteller vergleicht auch Caracas mit dem Paradieſe und findet im Anauco und den benachbarten Bächen die vier Flüſſe desſelben. Leider iſt in dieſem ſo gemäßigten Klima die Witterung ſehr unbeſtändig. Die Einwohner von Caracas klagen dar— über, daß ſie an einem Tage verſchiedene Jahreszeiten haben und die Uebergänge von einer Jahreszeit zur anderen ſehr ſchroff ſind. Häufig folgt z. B. im Januar auf eine Nacht mit einer mittleren Temperatur von 16° ein Tag, an dem der Thermometer im Schatten acht Stunden lang über 22° ſteht. Am ſelben Tage kommen aber Wärmegrade von 24 und von 18° vor. Dergleichen Schwankungen find in den gemäßigten Landſtrichen Europas ganz gewöhnlich, in der heißen Zone aber ſind ſelbſt die Europäer ſo ſehr an die Gleichförmigkeit der äußeren Reize gewöhnt, daß ein Tem— peraturwechſel von 6“ ihnen beſchwerlich wird. In Cumana und überall in der Niederung ändert ſich die Temperatur von 11 Uhr morgens bis 11 Uhr abends gewöhnlich nur um 2 bis 3°. Zudem äußern dieſe atmoſphäriſchen Schwan— kungen in Caracas auf den menſchlichen Organismus ſtärkeren Einfluß, als man nach dem bloßen Thermometerſtande glauben ſollte. Im engen Thale wird die Luft ſozuſagen im Gleich— gewicht gehalten von zwei Winden, deren einer von Weſt, — von der Seeſeite weht, während der andere von Oſt, aus dem Binnenlande kommt. Erſterer heißt der „Wind von Catia“, weil er von Catia, weſtwärts von Cabo Blanco, durch die Schlucht Tipe heraufkommt, deren wir oben bei Gelegenheit des Projektes einer neuen Straße und eines neuen Hafens, ſtatt der Straße und des Hafens von Guayra, er— wähnt haben. Der Wind von Catia iſt aber nur ſcheinbar ein Weſtwind, meiſt iſt es der Seewind aus Oſt und Nordoſt, der, wenn er ſtark bläſt, ſich in der Quebrada de Tipe fängt. Von den hohen Bergen Aguas Negras zurückgeworfen, kommt der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des Kapuziner⸗ kloſters und des Rio Caraguata. Er iſt ſehr feucht und das Waſſer ſchlägt ſich aus ihm nieder, im Maße als er ſich abkühlt; der Gipfel der Silla umzieht ſich daher auch mit Wolken, ſobald der Catia ins Thal dringt. Die Einwohner von Caracas fürchten ſich ſehr vor ihm; Perſonen mit reiz— barem Nervenſyſtem verurſacht er Kopfſchmerzen. Ich habe welche gekannt, die, um ſich dem Winde nicht auszuſetzen, nicht aus dem Hauſe gehen, wie man in Italien thut, wenn der Sirokko weht. Ich glaubte während meines Aufenthaltes in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia reiner (etwas reicher an Sauerſtoff) ſei als der Wind von Petare; ich meinte auch, feine reizende Wirkung möchte eben von dieſer Reinheit herrühren. Aber die Mittel, die ich an⸗ gewendet, ſind ſehr unzuverläſſig. Der Wind von Petare kommt von Oſt und Südoſt, vom öſtlichen Ende des Guayre⸗ thales herein und führt die trockenere Luft des Gebirges und des Binnenlandes herbei; er zerſtreut die Wolken und läßt den Gipfel der Silla in ſeiner ganzen Pracht hervortreten. Bekanntlich ſind die Veränderungen, welche die Miſchung der Luft an einem gegebenen Orte durch die Winde erleidet, auf eudiometriſchem Wege nicht zu ermitteln, da die genaueſten Methoden nur 0,003 Sauerſtoff angeben. Die Chemie kennt noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaſchen zu unter⸗ ſcheiden, von denen die eine während des Sirokko oder des Catia mit Luft gefüllt worden iſt, und die andere, bevor dieſe Winde wehten. Es iſt mir jetzt wahrſcheinlich, daß der auf: fallende Effekt des Catia und aller Luftſtrömungen, die im gemeinen Glauben verrufen ſind, vielmehr dem Wechſel in Feuchtigkeit und Temperatur als chemiſchen Miſchungsverän⸗ derungen zuzuſchreiben ſind. Man braucht keine Miasmen von der ungeſunden Seeküſte nach Caracas heraufkommen zu AH. laſſen; es ift ſehr begreiflich, daß Menſchen, die an die trodenere Gebirgsluft gewöhnt find, es ſehr unangenehm empfinden, wenn die ſehr feuchte Seeluft durch die Tipeſchlucht wie ein aufſteigender Strom in das hohe Thal von Caracas herauf— kommt, hier durch die Ausdehnung, die ſie erleidet, und durch die Berührung mit kälteren Schichten ſich abkühlt und einen bedeutenden Teil ihres Waſſers niederſchlägt. Dieſe Unbe: ſtändigkeit der Witterung, dieſe etwas ſchroffen Uebergänge von trockener, heller zu feuchter, nebliger Luft ſind Uebel— ſtände, die Caracas mit der ganzen gemäßigten Region unter den Tropen, mit allen Orten gemein hat, die in einer Meeres— höhe von 780 bis 1560 m entweder auf kleinen Hochebenen oder am Abhange der Kordilleren liegen, wie Xalapa in Mexiko und Guaduas in Neugranada. Beſtändig heiterer Himmel einen großen Teil des Jahres hindurch kommt nur in den Niederungen an der See vor, und wiederum in ſehr bedeu— tenden Höhen, auf den weiten Hochebenen, wo die gleich— förmige Strahlung des Bodens die Auflöſung der Dunſt⸗ bläschen zu befördern ſcheint. Die dazwiſchen liegende Zone beginnt mit den erſten Wolkenſchichten, die ſich über der Erd⸗ oberfläche lagern. Unbeſtändigkeit und viele Nebel bei ſehr milder Temperatur ſind der Witterungscharakter dieſer Region. Trotz der hohen Lage iſt der Himmel in Caracas ge: wöhnlich weniger blau als in Cumana. Der Waſſerdunſt iſt dort nicht ſo vollkommen aufgelöſt, und wie in unſerem Klima wird durch die ſtärkere Zerſtreuung des Lichtes die Farbe der Luft geſchwächt, indem ſich Weiß dem Blau beimiſcht. Die Intenſität des Himmelblau war auf dem Sauſſureſchen Kyano— meter vom November bis Januar im Durchſchnitt 18, nie über 20, an den Küſten dagegen 22 bis 25°. Ich habe im Thale von Caracas die Bemerkung gemacht, daß der Wind von Petare das Himmelsgewölbe zuweilen auffallend blaß färbt. Am 23. Januar war das Blau des Himmels um Mittag im Zenith heller, als ich es je in der heißen Zone geſehen. Es war gleich 12° des Kyanometers; die Luft war dabei vollkommen durchſichtig, wolkenlos und auffallend trocken. Sobald der ſtarke Wind von Petare nachließ, ſtieg das Blau im Zenith auf 16. Zur See habe ich häufig, wenn auch in geringerem Grade, einen ähnlichen Einfluß des Windes auf die Farbe der Luft beim heiterſten Himmel beobachtet. Welches iſt die mittlere Temperatur von Caracas? Wir kennen ſie nicht fo genau wie die von Santa Fe de Bogota A. v. Humboldt, Reiſe. II. 8 — 114 — und Mexiko. Ich glaube indeſſen darthun zu können, daß fie nicht viel über oder unter 21 bis 22° beträgt. Nach eigenen Beobachtungen fand ich für die drei ſehr kühlen Monate No⸗ vember, Dezember und Januar als Durchſchnitt des täglichen Maximums und Minimums der Temperatur 20,2% 20,1% 20,20. Nach dem aber, was wir jetzt über die Verteilung der Wärme in den verſchiedenen Jahreszeiten und in verſchiedenen Meeres— höhen wiſſen, läßt ſich annähernd aus der mittleren Tempe— ratur einiger Monate die mittlere Temperatur des ganzen Jahres berechnen, ungefähr wie man auf die Höhe des Ge— ſtirnes im Meridian aus Höhen, die außerhalb des Meridians gemeſſen werden, einen Schluß zieht. Das Ergebnis, das ich für richtig halte, iſt nun aber auf folgendem Wege gewonnen worden. In Santa Fe de Bogota weicht nach Caldas der Januar von der mittleren Jahrestemperatur nur um 0,2“ ab; in Mexiko, alſo der gemäßigten Zone ſchon ſehr nahe, beträgt der Unterſchied im Maximum 3“. In Guayra bei Caracas weicht der kälteſte Monat vom jährlichen Mittel um 4,9% ab; aber wenn auch im Winter zuweilen die Luft von Guayra (oder von Catia) durch die Quebrada de Tipe ins hohe Thal von Caracas heraufkommt, ſo erhält dasſelbe dagegen einen größeren Teil des Jahres hindurch die Oſt- und Südoſtwinde von Caurimare her und aus dem Binnenlande. Wir wiſſen nach unmittelbaren Beobachtungen, daß in Guayra und Ca— racas die Temperatur der kälteſten Monate 23,2 und 20,1“ beträgt. Dieſe Unterſchiede ſind der Ausdruck einer Tempe⸗ raturabnahme, die im Thale von Caracas zugleich von der hohen Lage (oder von der Ausdehnung der Luft im aufſtei— genden Strome) und vom Konflikt der Winde von Catia und von Petare herbeigeführt wird. Nach einer kleinen Reihe von Beobachtungen, die ich in drei Jahren teils in Caracas ſelbſt, teils in Chacao, ganz in der Nähe der Hauptſtadt, angeſtellt, hielt ſich der hundert— teilige Thermometer in der kalten Jahreszeit bei Tage meiſtens zwiſchen 21 und 22°, bei Nacht zwiſchen 16 und 175.1 In der heißen Jahreszeit, im Juli und Auguſt, ſteigt er bei Tage auf 25 bis 26°, bei Nacht auf 22 bis 23°. Dies iſt der gewöhnliche Zuſtand der Atmoſphäre, und dieſelben Beob⸗ achtungen, mit einem von mir berichtigten Inſtrument an⸗ ı Nah Reaumur bei Tage 16,8 bis 18°, bei Nacht 12,8 bis 13,6. — 15 — geſtellt, ergeben als mittlere Jahrestemperatur von Caracas etwas mehr als 21,5. Eine ſolche kommt aber im Syſtem der eisatlantiſchen Klimate auf Ebenen unter dem 36. bis 37. Breitengrade vor. Es iſt wohl überflüſſig zu bemerken, daß dieſer Vergleich ſich nur auf die Summe von Wärme bezieht, die ſich an jedem Punkte im Laufe des ganzen Jahres entwickelt, keineswegs aufs Klima, das heißt auf die Verteilung der Wärme unter die verſchiedenen Jahres— zeiten. Sehr ſelten ſieht man in Caracas im Sommer die Tem— peratur ein paar Stunden lang auf 29,2“ ſteigen; ſie ſoll im Winter unmittelbar nach Sonnenaufgang ſchon auf 11,3“ geſunken ſein. Solange ich mich in Caracas aufhielt, waren das Maximum und das Minimum nur 25 und 12,5. Die Kälte bei Nacht iſt um ſo empfindlicher, da dabei meiſt neb— lichtes Wetter iſt. Wochenlang konnte ich weder Sonnen— noch Sternhöhen meſſen. Der Uebergang von herrlich durch— ſichtiger Luft zur völligen Dunkelheit erfolgt ſo raſch, daß nicht ſelten, wenn ich ſchon, eine Minute vor dem Eintritt eines Trabanten, das Auge am Fernrohr hatte, mir der Planet und meine nächſte Umgebung miteinander im Nebel ver— ſchwanden. In Europa iſt in der gemäßigten Zone die Tem— peratur auf den Gebirgen etwas gleichförmiger als in den Niederungen. Beim Gotthardshoſpiz z. B. iſt der Unterſchied zwiſchen den mittleren Temperaturen der wärmſten und der kälteſten Monate 17,3, während derſelbe unter der nämlichen Breite beinahe am Meeresſpiegel 20 bis 21“ beträgt. Die Kälte nimmt auf unſeren Berge nicht ſo raſch zu, wie die Wärme abnimmt. Wenn wir den Kordilleren näher kommen, werden wir ſehen, daß in der heißen Zone das Klima in den Niederungen gleichförmiger iſt als auf den Hochebenen. In Cumana und Guayra (denn man darf keine Orte an— führen, wo die Nordwinde einige Monate lang das Gleich— gewicht der Atmoſphäre ſtören) ſteht der Thermometer das ganze Jahr zwiſchen 21 und 35°; in Santa Fe und Quito kommen Schwankungen zwiſchen 3 und 22° vor, wenn man nicht die kälteſten und heißeſten Tage, ſondern Stunden des Jahres vergleicht. In den Niederungen, wie in Cumana, iſt der Unterſchied zwiſchen Tag und Nacht meiſt nur 3 bis 4°; in Quito fand ich dieſen Unterſchied (ich zog dabei jeden Tag und jede Nacht das Mittel aus 4 bis 5 Beobachtungen) gleich 7“. In Caracas, das faſt dreimal weniger hoch und auf einer — 116 — unbedeutenden Hochebene liegt, ſind die Tage im November und Dezember noch um 5 bis 5,5 wärmer als die Nächte. Dieſe Erſcheinungen von nächtlicher Abkühlung mögen auf den erſten Anblick überraſchen; ſie modifizieren ſich durch die Erwärmung der Hochebenen und Gebirge den Tag über, durch das Spiel der niedergehenden Luftſtröme, beſonders aber durch die nächtliche Wärmeſtrahlung in der reinen, trockenen Luft der Kordilleren. b In den drei Monaten April, Mai und Juni regnet es in Caracas ſehr viel. Die Gewitter kommen immer aus Oſt und Südoſt, von Petare und Valle her. In den tief ge— legenen Landſtrichen hagelt es nicht unter den Tropen; in Caracas aber kommt es ſo ziemlich alle 4 bis 5 Jahre einmal vor. Man hat ſogar in noch tieferen Thälern hageln ſehen, und dieſe Erſcheinung macht dann einen ungemeinen Eindruck auf das Volk. Ein Meteorſteinfall iſt bei uns nicht ſo ſelten als im heißen Erdſtrich, trotz der häufigen Gewitter, Hagel unter 600 m Meereshöhe. Im kühlen, köſtlichen Klima, das wir eben geſchildert, gedeihen noch die tropiſchen Gewächſe. Das Zuckerrohr wird ſogar in noch höheren Landſtrichen als Caracas gebaut; man pflanzt aber im Thale wegen der trockenen Lage und des ſteinigen Bodens lieber den Kaffeebaum, der nicht viele, aber ausgezeichnet gute Früchte gibt. In der Blütezeit des Strauches gewährt die Ebene nach Chacao hin den lachendſten Anblick. Der Bananenbaum in den Pflanzungen um die Stadt iſt nicht der große Platano harton, ſondern die Varietäten Camburi und Dominico, die weniger Wärme nötig haben. Die großen Bananen auf dem Markte von Caracas kommen aus den Hacienden von Turiamo an der Küſte zwiſchen Bur⸗ burata und Porto Cabello. Die ſchmackhafteſten Ananas ſind die von Baruta, Empedrado und von den Höhen von Buena⸗ viſta auf dem Wege nach Victoria. Kommt ein Reiſender zum erſtenmal in das Thal von Caracas herauf, ſo iſt er angenehm überraſcht, neben dem Kaffeebaum und Bananen⸗ baum unſere Küchenkräuter, Erdbeeren, Weinreben und faſt alle Obſtbäume der gemäßigten Zone zu finden. Die ge⸗ ſuchteſten Pfirſiche und Aepfel kommen von Macarao, am weſtlichen Ausgange des Thales. Der Quittenbaum, deſſen Stamm nur 1,3 bis 1,7 m hoch wird, iſt dort fo gemein, daß er faſt verwildert iſt. Eingemachtes von Aepfeln und be- ſonders von Quitten iſt ſehr beliebt, da man hierzulande — 117 — meint, ehe man Waſſer trinkt, müſſe man durch Süßigkeiten den Durſt reizen. Je ſtärker man in der Umgebung der Stadt Kaffee baute und je mehr mit den Pflanzungen, die nicht älter ſind als 1793, die Zahl der Arbeitsneger ſtieg, deſto mehr hat der Mais- und Gemüſebau die zerſtreuten Apfel⸗ und Quittenbäume auf den Savannen verdrängt. Der Reisfelder, die man bewäſſert, waren früher in der Ebene von Chacao mehr als jetzt. Ich habe in dieſer Provinz, wie in Mexiko und in allen hochgelegenen Ländern der heißen Zone, die Bemerkung gemacht, daß da, wo der Apfelbaum vortrefflich gedeiht, der Birnbaum nur ſchwer fortzubringen iſt. Man hat mich verſichert, die ausgezeichnet guten Aepfel, die man auf dem Markte kauft, wachſen bei Caracas auf un- eimpften Stämmen. Kirſchbäume gibt es nicht; die Dliven- kaum, die ich im Hof des Kloſters San Felipe de Neri ge— ſehen, ſind groß und ſchön; aber eben wegen des üppigen Wachstums tragen ſie keine Früchte. Wenn die Luftbeſchaffenheit des Thals allen landwirt— ſchaftlichen Produkten, die in den Kolonieen gebaut werden, ungemein günſtig iſt, ſo läßt ſich von der Geſundheit der Einwohner und der in der Hauptſtadt von Venezuela lebenden Fremden nicht dasſelbe ſagen. Das äußerſt unbeſtändige Wetter und die häufige Unterdrückung der Hautausdünſtung erzeugen katarrhaliſche Beſchwerden, die in den mannigfachſten Formen auftreten. Hat ſich der Europäer einmal an die ſtarke Hitze gewöhnt, ſo bleibt er in Cumana, in den Thälern von Aragua, überall, wo die Niederung unter den Tropen nicht zugleich ſehr feucht iſt, geſünder als in Caracas und all den Gebirgsländern, wo der geprieſene beſtändige Frühling herrſchen ſoll. Als ich vom gelben Fieber in Guayra ſprach, gedachte ich der allgemein verbreiteten Meinung, daß dieſe ſchreckliche Krankheit faſt ebenſowenig von der Küſte von Venezuela nach der Hauptſtadt wandere, als von der Küſte von Mexiko nach Xalapa. Dieſe Meinung ſtützt ſich auf die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre. Von den Epidemieen, die im Hafen von Guayra herrſchten, wurde in Caracas faſt nichts be⸗ merkt. Es ſollte mir leid tyun, wenn ich durch eingebildete Beſorgniſſe die Bewohner der Hauptſtadt aus ihrer Sicher⸗ heit aufſchreckte; ich bin aber durchaus nicht überzeugt, daß der amerikaniſche Typhus, wenn er durch den ſtarken Verkehr im Hafen auf der Küſte einheimiſcher wird, nicht eines Tages, — 118 — wenn beſondere klimatiſche Verhältniſſe ihm Vorſchub leiſten, im Thale ſehr oft auftreten könnte. Denn die mittlere Tem⸗ peratur desſelben iſt immer noch ſo hoch, daß der Thermo— meter ſich in den heißeſten Monaten zwiſchen 22 und 26° ' hält. Wenn ſich nicht wohl bezweifeln läßt, daß dieſer Typhus in der gemäßigten Zone durch Berührung anſteckend iſt, wie ſollte man da ſicher ſein, daß er bei großer Bösartigkeit nicht auch in der heißen Zone in einer Gegend anſteckend wird, wo 18 km von der Küſte die Sommertemperatur die Dispo: ſition des Körpers noch ſteigert? Die Lage von Kalapa am Abhange der mexikaniſchen Gebirge bietet ungleich mehr Eicher⸗ heit, da die Stadt weniger volkreich und fünfmal weiter von der See entfernt iſt als Caracas, da ſie um 450 m höher liegt und ihre mittlere Temperatur 3“ weniger beträgt. Im Jahre 1696 weihte ein Biſchof von Venezuela, Diego de Banos, eine Kirche (ermita) der heiligen Roſalia von Pa— lermo, weil ſie die Hauptſtadt vom ſchwarzen Erbrechen, Vomito negro, erlöſt, nachdem es ſechzehn Monate gewütet. Ein Hochamt, das alle Jahre zu Anfang September in der Hauptkirche begangen wird, iſt zum Andenken an dieſe Seuche geſtiftet, wie denn in den ſpaniſchen Kolonieen auch die Tage, an denen große Erdbeben ſtattgefunden, durch Prozeſſionen im Gedächtnis erhalten werden. Das Jahr 1696 war wirk⸗ lich durch eine Gelbefieberepidemie ausgezeichnet, die auf allen Antillen herrſchte, wo die Krankheit ſich erſt ſeit dem Jahre 1688 eigentlich feſtzuſetzen begonnen hatte; wie ſoll man aber in Caracas an eine Epidemie des ſchwarzen Erbrechens glauben, die ganze ſechzehn Monate gedauert, und alſo die ſehr kühle Jahreszeit in der der Thermometer auf 12 oder 15° fällt, überdauert hätte? Sollte der Typhus im hohen Thale von Caracas älter ſein als in den beſuchteren Häfen von Terra Firma? In dieſen war er, nach Ulloa, vor dem Jahre 1729 nicht bekannt, und ſo bezweifle ich, daß die Epidemie von 1697 das gelbe Fieber oder der echte amerikaniſche Typhus war. Schwarze Ausleerungen kommen in remittierenden Gallen— ſiebern häufig vor und ſind an und für ſich ſo wenig als das Blutſpeien für die ſchreckliche Krankheit charakteriſtiſch, die man gegenwärtig in der Havana und in Veracruz unter dem Namen Vomito kennt. Wenn aber keine genaue Be— ſchreibung vorliegt, aus der hervorgeht, daß der amerikaniſche 7 bis 20 BE, — 119 — Typhus in Caracas ſchon zu Ende des 17. Jahrhunderts a habe, jo iſt es leider nur zu gewiß, daß dieſe Krankheit in dieſer Hauptſtadt im Jahre 1802 eine Menge junger europäiſcher Soldaten weggerafft hat. Der Gedanke iſt beunruhigend, daß mitten in der heißen Zone ein 870 m hoch, aber ſehr nahe an der See gelegenes Plateau die Ein— wohner keineswegs vor einer Seuche ſchützt, die, wie man meint, nur in den Niederungen an der Küfte zu Haufe ift. Dreizehntes Kapitel. Aufenthalt in Caracas. — Berge um die Stadt. — Beſteigung des Gipfels der Silla. Ich blieb zwei Monate in Caracas. Bonpland und ich wohnten in einem großen, faſt ganz frei ſtehenden Hauſe im. höchſten Teile der Stadt. Auf einer Galerie überſahen wir mit einem Blick den Gipfel der Silla, den gezackten Kamm des Galipano und das lachende Guayrethal, deſſen üppiger Anbau von den finjteren Bergwänden umher abſticht. Es war in der trockenen Jahreszeit. Um die Weide zu verbeſſern, zündete man die Savannen und den Raſen an, der die ſteil⸗ ſten Felſen bedeckt. Dieſe großen Brände bringen, von weitem geſehen, die überraſchendſten Lichteffekte hervor. Ueberall, wo die Savannen längs der aus- und einſpringenden Felsgehänge die von den Bergwaſſern eingeriſſenen Schluchten ausfüllen, nehmen ſich die brennenden Bodenſtreifen bei dunkler Nacht wie Lavaſtröme aus, die über dem Thale hängen. Ihr ſtarkes, aber ruhiges Licht färbt ſich rötlich, wenn der Wind, der von der Silla herunterkommt, Wolkenzüge ins Thal niedertreibt. Andere Male, und dann iſt der Anblick am groß⸗ artigſten, ſind die Lichtſtreifen in dickes Gewölk gehüllt und kommen nur da und dort durch Riſſe zum Vorſchein, und wenn dann die Wolken ſteigen, zeigen ſich ihre Ränder glänzend beleuchtet. Dieſe mannigfaltigen Erſcheinungen, wie ſie unter den Tropen häufig vorkommen, werden noch anziehender durch die Form der Berge, durch die Stellung der Abhänge und die Höhe der mit Alpenkräutern bewachſenen Savannen. Den Tag über jagt der Wind von Petare von Oſten her den 1 55 über die Stadt und macht die Luft weniger Durch: ſichtig. Hatten wir Urſache, mit der Lage unſerer Wohnung zu⸗ frieden zu ſein, ſo waren wir es noch viel mehr mit der Auf⸗ — 121 — nahme, die uns von den Einwohnern aller Stände zu teil wurde. Ich habe die Verpflichtung, der edlen Gaſtfreund— ſchaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalkapitän der Provinzen von Venezuela, Herrn von Guevara Vas— conzelos, genoſſen. Es ward mir das Glück zu teil, das nur wenige Spanier mit mir teilen, hintereinander Caracas, Havana, Santa Fé de Bogota, Quito, Lima und Mexiko zu beſuchen, und in dieſen ſechs Hauptſtädten des ſpaniſchen Amerika brachten mich meine Verhältniſſe mit Leuten aller Stände in Verbindung; dennoch erlaube ich mir nicht, mich über die verſchiedenen Stufen der Kultur auszuſprechen, welche die Geſellſchaft in jeder Kolonie bereits erſtiegen. Es iſt leichter, die Schattierungen der Nationalkultur und die vor— zugsweiſe Richtung der geiſtigen Entwickelung anzugeben, als zu vergleichen und zu klaſſifizieren, was ſich nicht unter einen Geſichtspunkt bringen läßt. In Mexiko und Santa Fe de Bogota ſchien mir die Neigung zu ernſten wiſſenſchaftlichen Studien vorherrſchend, in Quito und Lima fand ich mehr Sinn für ſchöne Litteratur und alles, was eine lebendige, feurige Einbildungskraft anſpricht, in der Havana und in Caracas größere Bildung hinſichtlich der allgemeinen politiſchen Verhältniſſe, umfaſſendere Anſichten über die Zuſtände der Kolonieen und der Mutterländer. Der ſtarke Handelsverkehr mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als ein Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beſchrieben, haben auf die geſellſchaftliche Entwickelung auf Cuba und in den ſchönen Provinzen von Venezuela gewaltigen Einfluß geäußert. Nirgends ſonſt im ſpaniſchen Amerika hat die Civiliſation eine ſo europäiſche Färbung angenommen. Die Menge ackerbau— treibender Indianer in Mexiko und im Inneren von Neu— granada gibt dieſen großen Ländern einen eigentümlichen, man könnte ſagen exotiſcheren Charakter. Trotz der Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung glaubt man ſich in der Havana und in Caracas näher bei Cadiz und den Vereinigten Staaten als in irgend einem Teile der Neuen Welt. Da Caracas auf dem Feſtlande liegt und die Bevölkerung nicht ſo beweglich iſt als auf den Inſeln, haben ſich die volks— tümlichen Gebräuche mehr erhalten als in der Havana. Sehr geräuſchvolle und ſehr mannigfaltige Zerſtreuungen bietet die Geſellſchaft nicht, aber im Kreiſe der Familien empfindet man das Behagen, das munteres Weſen und Herzlichkeit im Verein mit feiner Sitte in uns erzeugen. Es gibt in Caracas, wie — 122 — überall, wo eine große Umwälzung in den Vorſtellungen be: vorſteht, zwei Menſchenklaſſen, man könnte ſagen zwei ſtreng geſchiedene Generationen. Die eine, nicht mehr ſehr zahlreiche, hält feſt an den alten Bräuchen und hat die alte Sitteneinfalt und Mäßigung in Wünſchen und Begierden bewahrt. Sie lebt nur in der Vorzeit; in ihrer Vorſtellung iſt Amerika Eigentum ihrer Voreltern, die es erobert haben. Sie ver- abſcheut die ſogenannte Aufklärung des Jahrhunderts und hegt ſorgfältig, wie einen Teil ihres Erbgutes, die überlieferten Vorurteile. Die andere lebt weniger in der Gegenwart als in der Zukunft und hat eine nicht ſelten leichtfertige Vorliebe für neue Sitten und Ideen. Kommt zu dieſer Neigung der Trieb, ſich gründlich zu bilden, wird ſie von einem kräftigen, hellblickenden Geiſte gezügelt und gelenkt, ſo wird ſie in ihren Wirkungen der Geſellſchaft erſprießlich. Ich habe in Caracas mehrere durch wiſſenſchaftlichen Sinn, angenehme Sitten und großartige Geſinnung gleich ausgezeichnete Männer kennen gelernt, die dieſer zweiten Generation angehörten; aber auch andere, die auf alles Schöne und Achtungswürdige im ſpani— ſchen Charakter, in der Litteratur und Kunſt dieſes Volkes herabſahen und damit ihre eigene Nationalität einbüßten, ohne im Verkehr mit den Fremden richtige Begriffe über die wahren Grundlagen des öffentlichen Wohles und der geſell— ſchaftlichen Ordnung einzutauſchen. Da ſeit der Regierung Karls V. der Korporationsgeift und der Munizipalhaß aus dem Mutterlande in die Kolonieen übergegangen ſind, ſo findet man in Cumana und anderen Handelsſtätten von Terra Firma Gefallen daran, die Adels— anſprüche der vornehmſten Familien in Caracas, der ſogenannten Mantuanos, mit Uebertreibung zu ſchildern. Wie ſich dieſe Anſprüche früher geäußert, weiß ich nicht; es ſchien mir aber, als ob die fortſchreitende Bildung und die in den Sitten ſich vollziehende Umwandlung nach und nach und faſt durchgängig den geſellſchaftlichen Unterſchieden im Verkehr unter Weißen alles Verletzende benommen hätten. In allen Kolonien gibt es zweierlei Adel. Der eine beſteht aus Kreolen, deren Vor— fahren in jüngſter Zeit bedeutende Aemter in Amerika be— kleidet haben; er gründet ſeine Vorrechte zum Teil auf das Anſehen, in dem er im Mutterlande ſteht; er glaubt ſie auch über dem Meere feſthalten zu können, gleichviel zu welcher Zeit er ſich in den Kolonieen niedergelaſſen. Der andere Adel haftet mehr am amerikaniſchen Boden; ſeine Glieder ſind — 13 — Nachkommen der Konquiſtadoren, das heißt der Spanier, die bei der erſten Eroberung im Heere gedient. Mehrere dieſer Krieger, der Waffengenoſſen der Cortez, Loſada und Pizarro, gehörten den vornehmſten Familien der pyrenäiſchen Halbinſel an; andere aus den unteren Volksklaſſen haben ihren Namen durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender Zug des frühen 16. Jahrhunderts iſt, zu Ehren gebracht. Ich habe oben daran erinnert, daß in der Geſchichte dieſer Zeit der religiöſen und kriegeriſchen Begeiſterung im Gefolge der großen Anführer mehrere redliche, ſchlichte, großmütige Männer auftraten. Sie eiferten wider die Grauſamkeiten, welche die Ehre des ſpaniſchen Namens befleckten; aber ſie ver— ſchwanden in der Menge und konnten der allgemeinen Aechtung nicht entgehen. Der Name „Konquiſtadores“ iſt deſto verhaßter geblieben, als die wenigſten, nachdem ſie friedliche Völker mißhandelt und im Schoße des Ueberfluſſes geſchwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem ſchweren Umſchlag des Glückes gebüßt haben, der den Haß der Men: ſchen ſänftigt und nicht ſelten das harte Urteil der Geſchichte mildert. Aber nicht allein der Fortſchritt der Kultur und der Konflikt zwiſchen zwei Adelsklaſſen von verſchiedenem Urſprung nötigt die privilegierten Stände, ihre Anſprüche aufzugeben oder doch aus Klugheit nicht merken zu laſſen. Die Ariſto— kratie findet in den ſpaniſchen Kolonieen noch ein anderes Gegengewicht, das ſich von Tag zu Tage mehr geltend macht. Unter den Weißen hat ſich das Gefühl der Gleichheit aller Gemüter bemächtigt. Ueberall, wo die Farbigen entweder als Sklaven oder als Freigelaſſene angeſehen werden, iſt die an— geſtammte Freiheit, das Bewußtſein, daß man nur Freie zu Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Kolonieen iſt die Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen desſelben. In Mexiko wie in Peru, in Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage einen Menſchen, der barfuß geht, ſagen hören: „Will der reiche weiße Mann weißer ſein als ich?“ Da Europa ſo große Menſchenmengen an Amerika abgeben kann, ſo iſt be— greiflich, daß der Satz: Jeder Weiße iſt Ritter, todo blanco es caballero, den altadeligen europäiſchen Familien mit ihren Anſprüchen ſehr unbequem iſt. Noch mehr: dieſer ſelbe Satz iſt in Spanien bei einem wegen ſeiner Biederkeit, ſeines Fleißes und ſeines Nationalgeiſtes mit Recht geachteten Volksſtamm längſt anerkannt; jeder Biscayer nennt ſich adelig, und da — 14 — es in Amerika und auf den Philippinen mehr Biscayer gibt als zu Haufe auf der Halbinſel, jo haben die Weißen von dieſem Volksſtamme nicht wenig dazu beigetragen, den Grundſatz von der Gleichheit aller Menſchen, deren Blut nicht mit afri— kaniſchem Blut vermiſcht iſt, in den Kolonieen zur Geltung zu bringen. Zudem find die Länder, wo man, auch ohne Repräſen⸗ tativregierung und ohne Pairſchaft, auf Stammbäume und Geburtsvorzüge ſo ſehr viel hält, keineswegs immer die, wo die Familienariſtokratie am verletzendſten auftritt. Vergebens ſucht man bei den Völkern ſpaniſchen Urſprunges das kalte, anſpruchsvolle Weſen, das durch den Charakter der modernen Bildung im übrigen Europa nur noch allgemeiner zu werden ſcheint. In den Kolonieen wie im Mutterlande knüpfen Herz— lichkeit, Unbefangenheit und große Anſpruchsloſigkeit des Be— nehmens ein Band zwiſchen allen Ständen. Ja, man kann ſagen, Eitelkeit und Selbſtſucht verletzen um ſo weniger, da ſie ſich mit einer gewiſſen Offenheit und Naivität aus— ſprechen. Ich fand in Caracas in mehreren Familien Sinn für Bildung; man kennt die Hauptwerke der franzöſiſchen und italieniſchen Litteratur, man liebt die Muſik, man treibt ſie mit Erfolg, und ſie verknüpft, wie die Pflege aller ſchönen Kunſt, die verſchiedenen Stufen der Geſellſchaft. Für Natur: wiſſenſchaften und zeichnende Künſte beſtehen hier keine großen Anſtalten, wie Mexiko und Santa Fs ſie der Freigebigkeit der Regierung und dem patriotiſchen Eifer der ſpaniſchen Be— völkerung verdanken. In einer ſo wundervollen, überſchwenglich reichen Natur gab ſich kein Menſch an dieſer Küſte mit Bo: tanik oder Mineralogie ab. Nur in einem Franziskanerkloſter fand ich einen ehrwürdigen Alten, der für alle Provinzen von Venezuela den Kalender berechnete und vom gegenwärtigen Stande der Aſtronomie einige richtige Begriffe hatte. Unſere Inſtrumente waren ihm höchſt merkwürdig, und eines Morgens kamen uns ſämtliche Franziskaner ins Haus und verlangten zu unſerer großen Ueberraſchung einen Inklinationskompaß zu ſehen. In Ländern, die vom vulkaniſchen Feuer unter: höhlt ſind, und in einem Himmelsſtrich, wo die Natur ſo großartig und dabei ſo geheimnisvoll unruhig iſt, ſteigert ſich von ſelbſt die Aufmerkſamkeit auf phyſikaliſche Erſcheinungen, und damit die Neubegier. Wenn man daran denkt, daß in den Vereinigten Staaten — 125 — von Nordamerika in kleinen Städten von 3000 Einwohnern Zeitungen erſcheinen, ſo wundert man ſich, wenn man hört, daß Caracas mit einer Bevölkerung von 40000 bis 50000 Seelen bis zum Jahre 1806 keine Druckerei hatte; denn ſo kann man doch nicht wohl Preſſen nennen, auf denen man Jahr um Jahr einen Kalender von ein paar Seiten oder ein biſchöfliches Aus— ſchreiben zuſtande bringt. Der Perſonen, denen Leſen ein Bedürfnis iſt, ſind nicht ſehr viele, ſelbſt in denjenigen ſpa— niſchen Kolonieen, wo die Kultur am weiteſten fortgeſchritten iſt; es wäre aber unbillig, den Koloniſten zur Laſt zu legen, was das Werk einer argwöhniſchen Staatskunſt iſt. Ein Franzoſe, Delpeche, der durch Heirat einer der geachtetſten Familien des Landes angehört, hat ſich durch die Errichtung der erſten guten Druckerei in Caracas verdient gemacht. Es iſt in unſerer Zeit gewiß eine auffallende Erſcheinung, daß das kräftigſte Mittel des Gedankenaustauſches nicht vor einer politiſchen Umwälzung eingeführt wird, ſondern erſt nachher. In einem Lande mit ſo reizenden Fernſichten, zu einer Zeit, wo trotz der Aufſtandsverſuche die große Mehrzahl der Einwohner nur an materielle Intereſſen dachte, an die Frucht⸗ barkeit des Jahres, an die lange Dürre, an den Kampf zwi⸗ ſchen den Winden von Petare und Catia, glaubte ich viele Leute zu finden, welche mit den hohen Bergen in der Um⸗ gegend genau bekannt wären; wir konnten aber in Caracas nicht einen Menſchen auftreiben, der je auf dem Gipfel der Silla geweſen wäre. Die Jäger kommen in den Bergen nicht bis oben hinauf, und in dieſen Ländern geht kein Menſch hinaus, um Alpenpflanzen zu ſammeln, um Gebirgsarten zu unterſuchen und ein Barometer auf hohe Punkte zu bringen. Man iſt an ein einförmiges Leben zwiſchen ſeinen vier Wänden gewöhnt, man ſcheut die Anſtrengung und die raſchen Witte— rungswechſel, und es iſt, als lebe man nicht, um des Lebens zu genießen, ſondern eben nur, um fortzuleben. Wir kamen auf unſeren Spaziergängen häufig auf zwei Kaffeepflanzungen, deren Eigentümer angenehme Geſellſchafter waren. Die Pflanzungen liegen der Silla von Caracas gegen: über. Wir betrachteten mit dem Fernrohr die ſchroffen Ab— hänge des Berges und ſeine beiden Spitzen, und konnten ſo zum voraus ermeſſen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben würden, um auf den Gipfel zu gelangen. Nach den Höhenwinkeln, die ich auf unſerem Platze Trinidad — 126 — aufgenommen, ſchien mir dieſer Gipfel nicht ſo hoch über dem Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito. Dieſe Schätzung ſtimmte aber ſchlecht mit den Vorſtellungen der Bewohner des Thales. Die Berge, welche über großen Städten liegen, erhalten eben dadurch in beiden Kontinenten einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man ſie genau gemeſſen hat, ſchreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvor: urteil zu verſtoßen. Der Generalkapitän Guevara verſchaffte uns Führer durch den Teniente von Chacao. Es waren Schwarze, denen der Weg, der über den Bergkamm an der weſtlichen Spitze der Silla vorbei zur Küſte führt, etwas bekannt war. Dieſer Weg wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unſere Führer, noch die erfahrenſten Leute in der Miliz, welche die Schleichhändler in dieſen Wildniſſen verfolgen, waren je auf der öſtlichen Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla geweſen. Während des ganzen Dezembers war der Berg, deſſen Höhen: winkel mich das Spiel der irdiſchen Refraktion beobachten ließen, nur fünfmal unumwölkt geweſen. Da in dieſer Jahres⸗ zeit ſelten zwei heitere Tage aufeinander folgen, hatte man uns geraten, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, ſondern zu einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch ſtehen und man hoffen darf, über der erſten gleichförmig verbreiteten Dunſtſchicht in trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des 2. Januars in der Eſtancia de Gallegos zu, einer Kaffee⸗ pflanzung, bei der in einer ſchattigen Schlucht der Bach Cha- caito, der vom Gebirge herabkommt, ſchöne Fälle bildet. Die Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines beſchwerlichen Marſches gern einiger Ruhe genoſſen hätten, harrten wir, Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei Bedeckungen der Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte der Beobachtungen zum voraus beſtimmt und doch verfehlten wir alle, weil ſich in die Connaissance des temps Rechnungs⸗ fehler eingeſchlichen hatten. Ein böſer Stern waltete über den Angaben hinſichtlich der Bedeckung für Dezember und Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechſelt. Dieſes Mißgeſchick machte mir großen Verdruß, und nachdem ich vor Sonnenaufgang die Intenſität der magneti⸗ ſchen Kraft am Fuße des Berges beobachtet, brachen wir um 5 Uhr morgens mit den Sklaven, die unſere Inſtrumente trugen, auf. Wir waren unſer 18 Perſonen und gingen auf — 17 — ſchmalem Fußpfad in einer Reihe hintereinander. Dieſer Pfad läuft über einen ſteilen, mit Raſen bedeckten Abhang. Man ſucht zuerſt den Gipfel eines Hügels zu erreichen, der gegen Südweſt hin eine Art Vorgebirge der Silla bildet. Der⸗ ſelbe hängt mit der Maſſe des Berges ſelbſt durch einen ſchmalen Damm zuſammen, den die Hirten ſehr bezeichnend „die Pforte“, Puerta de la Silla, nennen. Wir erreichten ihn gegen 7 Uhr. Der Morgen war ſchön und kühl, und der Himmel ſchien bis jetzt unſer Vorhaben zu begünſtigen. Der Thermometer ſtand ein wenig unter 14°. Nach dem Barometer waren wir bereits 1335 m über dem Meere, das heißt gegen 156 m höher als die Venta, wo man die präch— tige Ausſicht auf die Küſte hat. Unſere Führer meinten, wir würden bis auf den Gipfel noch 6 Stunden brauchen. Wir gingen auf einem ſchmalen, mit Raſen bedeckten Felsdamm, und dieſer führte uns vom Vorgebirge der Puerta auf den Gipfel des großen Berges. Man blickt zu beiden Seiten in zwei Thäler nieder, die vielmehr dicht bewachſene Spalten ſind. Zur Rechten ſieht man die Schlucht, die zwi— ſchen beiden Gipfeln gegen den Hof Munoz herabläuft; links hat man unter ſich die Spalte des Chacaito, deren reiche Gewäſſer am Hofe Gallego vorbeifließen. Man hört die Waſſerfälle rauſchen, ohne den Bach zu ſehen, der im dichten Schatten der Erythrina, Cluſia und der indiſchen Feigen⸗ bäume! fließt. Nichts maleriſcher in einem Erdſtrich, wo ſo viele Gewächſe große, glänzende, lederartige Blätter haben, als tief unter ſich die Baumwipfel von den faſt ſenkrechten Sonnenſtrahlen beleuchtet zu ſehen. Von der Puerta an wird der Berg immer ſteiler. Man mußte ſich ſtark vornüber beugen, um vorwärts zu kommen. Der Winkel beträgt häufig 30 bis 32. Der Raſen iſt dicht und er war durch die lange Trockenheit ſehr glatt ge- worden. Gern hätten wir Fußeiſen und mit Eiſen beſchlagene Stöcke gehabt. Das kurze Gras bedeckt die Gneisfelſen und man kann ſich weder am Graſe halten, noch Stufen ein— ſchneiden wie auf weicherem Boden. Dieſes mehr mühſame als gefährliche Anſteigen wurde den Leuten aus der Stadt, die uns begleitet hatten und das Bergſteigen nicht gewöhnt waren, bald zu viel. Wir verloren viele Zeit, um auf ſie zu warten, und wir entſchloſſen uns erſt, unſeren Weg allein 1 Ficus nymphaeifolia, Erythrina mitis. = Be fortzuſetzen, als wir alle den Berg wieder hinabgehen, ftatt weiter heraufkommen ſahen. Der Himmel fing an ſich zu be— decken. Bereits ſtieg aus dem feuchten Buſchwalde, der über uns die Region der Alpenſavannen begrenzte, der Nebel wie Rauch in dünnen, geraden Streifen auf. Es war, als wäre an mehreren Punkten des Waldes zugleich Feuer ausgebrochen. Nach und nach ballten ſich dieſe Dunſtſtreifen zuſammen, löſten ſich vom Boden ab und ſtreiften, vom Morgenwinde gejagt, als leichtes Gewölk um den runden Gipfel des Gebirges. Dies war für Bonpland und mich ein untrügliches Zeichen, daß wir bald in dichten Nebel gehüllt ſein würden. Da wir beſorgten, unſere Führer möchten ſich dieſen Umſtand zu nutze machen, um uns im Stiche zu laſſen, ließen wir diejenigen, welche die unentbehrlichſten Inſtrumente trugen, vor uns her— gehen. Fortwährend ging es am Abhange, gegen die Spalte des Chacaito zu, aufwärts. Das vertrauliche Geſchwätz der ſchwarzen Kreolen ſtach merkwürdig ab vom ſchweigſamen Ernſt der Indianer, die in den Miſſionen von Charipe unſere be— ſtändigen Begleiter geweſen waren. Sie machten ſich über die Leute luſtig, die ein Unternehmen, zu dem ſie ſich ſo lange gerüſtet, ſo ſchnell aufgegeben hatten; am ſchlimmſten kam ein junger Kapuziner weg, ein Profeſſor der Mathematik, der immer wieder darauf kam, daß die europäiſchen Spanier aller Stände an Körperkraft und Mut den Hiſpano- Amerikanern denn doch weit überlegen ſeien. Er hatte ſich mit weißen Papierſtreifen verſehen, die in der Savanne zerſchnitten und ausgeworfen werden ſollten, um den Nachzüglern die einzu: ſchlagende Richtung anzugeben. Der Profeſſor hatte ſogar ſeinen Ordensbrüdern verſprochen, er wolle in der Nacht ein paar Raketen ſteigen laſſen, um ganz Caracas zu verkünden, daß ein Unternehmen glücklich zu Ende geführt worden, das ihm, und ich muß ſagen, nur ihm, vom höchſten Belang ſchien. Er hatte nicht bedacht, daß ſeine lange ſchwere Kleidung ihm beim Bergſteigen hinderlich werden müſſe. Er hatte lange vor den Kreolen den Mut verloren, und ſo blieb er den Tag vollends in einer nahen Pflanzung und ſah uns durch ein auf die Silla gerichtetes Fernrohr den Berg hinaufklettern. Zu unſerem Unſtern hatte der Ordensmann, dem es nicht an phyſikaliſchen Kenntniſſen fehlte, und der wenige Jahre darauf von den wilden Indianern am Apure ermordet wurde, die Beſorgung des bei einer Bergfahrt unentbehrlichen Waſſers und der Mundvorräte übernommen. Die Sklaven, die zu uns — 19 — ſtoßen ſollten, wurden von ihm jo lange aufgehalten, daß fie erſt ſehr jpät anlangten und wir zehn Stunden ohne Waſſer und Brot zubrachten. Von den zwei abgerundeten Spitzen, die den Gipfel des Berges bilden, iſt die öſtliche die höchſte, und auf dieſe ſollten wir mit unſeren Inſtrumenten hinaufkommen. Von der Ein⸗ ſenkung zwiſchen beiden Gipfeln hat der ganze Berg den ſpa— niſchen Namen Silla, Sattel. Eine Schlucht, deren wir bereits erwähnt, läuft von dieſer Einſenkung ins Thal von Caracas hinab; bei ihrem Anfang oder am oberen Ende nähert ſie ſich der weſtlichen Spitze. Man kann dem öſtlichen Gipfel nur fo bei- kommen, daß man zuerſt weſtlich von der Schlucht über das Vorgebirge der Puerta gerade auf den niedrigeren Gipfel zu— geht und ſich erſt nach Oſten wendet, wenn man den Kamm oder die Einſattelung zwiſchen beiden Gipfeln beinahe erreicht hat. Schon ein Blick auf den Berg zeigt dieſen Weg als den von ſelbſt gegebenen, denn die Felſen öſtlich von der Schlucht ſind ſo ſteil, daß es ſchwer halten dürfte, auf den Gipfel der Silla zu gelangen, wenn man jtatt über die Puerta gerade auf den öſtlichen Gipfel zuginge. Vom Fuße des Falles des Chacaito bis in 1950 m Höhe fanden wir nur Savannen. Nur zwei kleine Liliengewächſe mit gelben Blüten erheben ſich über den Gräſern, mit denen das Geſtein bewachſen iſt. Hie und da erinnerte ein Him⸗ beerbuſch! an die europäiſchen Pflanzenformen. Vergebens ſahen wir uns auf dieſen Bergen von Caracas, wie ſpäter auf dem Rücken der Anden, neben den Himbeerbüſchen nach einem Roſenſtrauche um. In ganz Südamerika haben wir keine einheimiſche Roſenart gefunden, ſo nahe ſich auch das Klima auf den hohen Bergen der heißen Zone und das un- ſeres gemäßigten Erdſtriches ſtehen. Ja, dieſer liebliche Strauch ſcheint der ganzen ſüdlichen Halbkugel diesſeits und jenſeits des Wendekreiſes zu fehlen. Erſt auf den Bergen von Mexiko waren wir ſo glücklich, unter dem 19. Grad der Breite einen amerikaniſchen Roſenſtrauch zu entdecken. Von Zeit zu Zeit wurden wir in Nebel gehüllt und fanden uns dann über die Richtung unſeres Weges nur ſchwer zurecht, denn in dieſer Höhe beſteht kein gebahnter Pfad mehr. Man hilft mit den Händen nach, wenn einen auf dem ſteilen glit— ſchigen Abhang die Beine im Stiche laſſen. Ein Im mäch⸗ ! Rubus jamaicensis. A. v. Humboldt, Reife II. 9 — 130 — tiger Gang mit Porzellanerde erregte unſere Aufmerkſamkeit. Die ſchneeweiße Erde iſt ohne Zweifel zerſetzter Feldſpat. Ich übergab dem Intendanten der Provinz anſehnliche Proben davon. In einem Lande, wo es nicht an Brennmaterial fehlt, läßt ſich durch Beimiſchung feuerbeſtändiger Erden das Töpfer— geſchirr, ſelbſt die Backſteine, verbeſſern. So oft die Wolken uns umgaben, fiel der Thermometer auf 12“, bei hellem Himmel ſtieg er auf 21°. Dieſe Beobachtungen wurden im Schatten gemacht; aber auf ſo ſteilem, mit vertrocknetem, gelbem, glattem Raſen bedeckten Abhange fällt es ſchwer, den Einfluß der ſtrahlenden Wärme auszuſchließen. Wir waren in 1830 m Höhe und dennoch ſahen wir in gleicher Höhe oſtwärts in einer Schlucht nicht ein paar einzelne Palmen, ſondern ein ganzes Palmenwäldchen. Es war die Palma real, vielleicht zur Gattung Oreodoxa gehörig. Dieſe Gruppe von Palmen in ſo bedeutender Höhe war eine ſeltſame Erſcheinung gegen— über den Weiden, die im gemäßigteren Thalgrunde von Ga: racas hin und wieder wachſen; ſo ſieht man hier Gewächſe mit europäiſchem Typus tiefer als ſolche der heißen Zone vorkommen. Nach vierſtündigem Marſch über die Savannen kamen wir in ein Buſchwerk aus Sträuchern und niedrigen Bäumen, el Pejual genannt, wahrſcheinlich wegen des vielen Pejoa (Gaultheria odorata), eines Gewächſes mit wohlriechenden Blättern. Der Abhang des Berges wurde ſanfter und mit unſäglicher Luſt unterſuchten wir die Gewächſe dieſer Region. Vielleicht nirgends findet man auf jo beſchränktem Raume fo ſchöne und für die Pflanzengeographie bedeutſame Pflanzen beiſammen. In 1950 m Meereshöhe ſtoßen die hohen Sa— vannen der Silla an eine Zone von Sträuchern, die durch den Habitus, die gekrümmten Aeſte, die harten Blätter, die großen ſchönen Purpurblüten an die Vegetation der Paramos oder Punas? erinnern, wie man in der Kordillere der Anden ſie nennt. Hier treten auf: die Familie der Alproſen, die Thibaudien, die Andromeden, die Vaccinien (Heidelbeer— arten) und die Befarien mit harzigen Blättern, die wir ſchon öfters mit dem Rhododendron der europäiſchen Alpen verglichen haben. ı Wildenows Salix Humboldtiana. »Dieſe Worte wurden ſchon im erſten Bande erklärt. — 131 — Wenn auch die Natur in ähnlichen Klimaten, ſei es nun in Niederungen auf iſothermen Parallelen (von gleicher Wärme), ſei es auf Hochebenen, deren Temperatur mit der Temperatur weiter gegen die Pole gelegener Länder übereinkommt, nicht dieſelben Pflanzenarten hervorbringt, ſo zeigt doch die Vege— tation noch ſo weit entlegener Landſtriche im ganzen Habitus die auffallendſte Aehnlichkeit. Dieſe Erſcheinung iſt eine der merkwürdigſten in der Geſchichte der organiſchen Bildungen; ich ſage in der Geſchichte, denn wenn auch die Vernunft dem Menſchen ſagt, wie eitel Hypotheſen über den Urſprung der Dinge ſind, das unlösbare Problem, wie ſich die Organismen über die Erde verbreitet, läßt uns dennoch keine Ruhe. Eine ſchweizeriſche Grasart! wächſt auf dem Granitfelſen der Magel— haensſchen Meerenge. Neuholland hat über vierzig europäiſche phanerogame Pflanzenarten aufzuweiſen, und die meiſten Ge— wächſe, die den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln gemein ſind, fehlen gänzlich in dem dazwiſchen liegenden Landſtriche, das heißt in der äquinoktialen Zone, ſowohl auf den Ebenen als auf dem Rücken der Gebirge. Eine Veilchenart mit be— haarten Blättern, mit der die Zone der Phanerogamen am Vulkan von Tenerifa gleichſam abſchließt, und von der man lange glaubte, ſie gehöre der Inſel eigentümlich an,? kommt 1350 km weiter nordwärts am beſchneiten Gipfel der Pyre— näen vor. Gräſer und Riedgräſer, die in Deutſchland, in Arabien und am Senegal wachſen, wurden unter den Pflanzen gefunden, die Bonpland und ich auf den kalten mexikaniſchen Hochebenen, an den heißen Ufern des Orinoko und in der ſüdlichen Halbkugel auf dem Rücken der Anden von Quito geſammelt. Wie will man begreiflich machen, daß Gewächſe über Striche mit ganz verſchiedenem Klima, und die gegen— wärtig vom Meere bedeckt ſind, gewandert ſein ſollen? Oder ! Phleum alpinum, von Brown unterſucht. Nach den Beob— achtungen dieſes großen Botanikers unterliegt es keinem Zweifel, daß mehrere Pflanzen beiden Kontinenten und den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln zugleich angehören. Potentilla anserina, Prunella vulgaris, Scirpus mucronatus und Panicum Crus Galli wachſen in Deutſchland, in Neuholland und in Pennſylvanien. 2 Viola chiranthifolia, die Bonpland und ich beſchrieben haben, iſt von Kunth und Leopold von Buch unter den Alpen- pflanzen gefunden worden, die Joſeph de Juſſieu aus den Pyrenäen mitgebracht hat. — 132 — wie kommt es, daß die Keime von Organismen, die ſich im Habitus und ſelbſt im inneren Bau gleichen, ſich in ungleichen Abſtänden von den Polen und von der Meeresfläche überall entwickeln, wo ſo weit entlegene Orte in der Temperatur einigermaßen übereinkommen? Trotz des Einfluſſes des Luft⸗ druckes und der ſtärkeren oder geringeren Schwächung des Lichtes auf die Lebensthätigkeit der Gewächſe iſt doch die un: gleiche Verteilung der Wärme und die verſchiedenen Jahres- zeiten als die Haupttriebkraft der Vegetation anzuſehen. Der Arten, welche auf beiden Kontinenten und in beiden Halbkugeln gleichmäßig vorkommen, ſind lange nicht ſo viele, als man nach den Angaben der älteſten Reiſenden geglaubt hatte. Auf den hohen Gebirgen des tropiſchen Amerikas kommen allerdings Wegeriche, Baldriane, Sandkräuter, Ranunkeln, Miſpeln, Eichen und Fichten vor, die man nach ihrer Phyſio— gnomie mit den europäiſchen verwechſeln könnte; ſie ſind aber alle ſpezifiſch von letzteren verſchieden. Bringt aber auch die Natur nicht dieſelben Arten hervor, ſo wiederholt ſie doch die Gattungen. Nahe verwandte Arten kommen oft in unge— heuren Entfernungen voneinander vor, in den Niederungen des gemäßigten Erdſtriches die einen, in den Alpenregionen unter dem Aequator die anderen. Andere Male (und die Silla von Caracas bietet ein auffallendes Beiſpiel hierfür) ſind nicht Arten europäiſcher Gattungen wie Koloniſten auf die Berge der heißen Zone herübergekommen, es treten vielmehr hier wie dort Gattungen derſelben Zunft auf, die nach dem Habitus nicht leicht zu unterſcheiden ſind und unter verſchie— denen Breiten einander erſetzen. Von den Bergen von Neugranada, welche die Hochebene von Bogota umgeben, bis zu den Bergen von Caracas ſind es über 900 km, und doch zeigt die Silla, der einzige hohe Gipfel einer ziemlich niedrigen Bergkette, dieſelbe merkwürdige Zuſammenſtellung von Befarien mit purpurroten Blüten, An⸗ dromeden, Gaultherien, Myrtillen, Uvas camaronas, Nertera und Aralien mit wolligen Blättern, wie ſie für die Vegetation der Paramos auf den hohen Kordilleren von Santa Fe charakteriſtiſch iſt. Wir fanden dieſelbe Thibaudia glandulosa am Eingang der Hochebene von Bogota und im Pejual auf der Silla. Die Küſtenkette von Caracas hängt unzweifelhaft (über den Torito, die Palomera, Tocuyo, die Paramos de las Roſas, Bocono und Niquitao) mit den hohen Kordilleren von Merida, Pamplona und Santa Fe zuſammen; aber von — 133 — der Silla bis zum Tocuyo, 315 km weit, find die Berge von Caracas ſo niedrig, daß für die oben erwähnten Sträucher aus der Familie der Ericineen das Klima nicht kühl genug iſt. Und wenn auch, wie wahrſcheinlich iſt, die Thibaudia und die Alpenroſe der Anden oder die Befaria im Paramo von Niquitao und in der mit ewigem Schnee bedeckten Sierra de Merida vorkommen, ſo iſt doch auf eine weite Strecke kein Felskamm, der hoch genug wäre, daß dieſe Gewächſe auf ihm nach der Silla von Caracas hätten wandern können. Je mehr man die Verteilung der organiſchen Bildungen auf der Erdoberfläche kennen lernt, deſto geneigter wird man, wenn auch nicht dieſe Vorſtellungen von einer Wanderung aufzugeben, doch darin keinen ausreichenden Erklärungsgrund mehr zu erblicken. Die Kette der Anden teilt der Länge nach ganz Südamerika in zwei ungleiche Stücke. Am Fuße dieſer Kette, oſtwärts und weſtwärts, fanden wir in großer Anzahl dieſelben Pflanzenarten. All' die verſchiedenen Uebergänge der Kordilleren ſind aber derart, daß nirgends Gewächſe der heißen Zone von den Küſten der Südſee an die Ufer des Amazonenſtromes gelangt ſein können. Wenn, ſei es nun im Tieflande oder in ganz niedrigen Bergen, ſei es inmitten eines Archipels von durch unterirdiſches Feuer emporgehobenen Inſeln, ein Berggipfel zu einer großen Höhe anſteigt, ſo iſt ſein Gipfel mit Alpenkräutern bewachſen, die zum Teil in ungeheuren Entfernungen auf anderen Bergen mit ähnlichem Klima gleichfalls vorkommen. In dieſer Weiſe zeigen ſich im allgemeinen die Gewächſe verteilt und man kann den Forſchern die genauere Ermittelung dieſer Verhältniſſe nicht dringend genug empfehlen. Wenn ich hier gegen voreilige Hypotheſen ſpreche, ſo nehme ich es keineswegs über mich, befriedigendere dafür aufzuſtellen. Ich halte vielmehr die Probleme, von denen es ſich hier handelt, für unlösbar, und nach meiner Anſchauung hat die Erfahrung geleiſtet, was ſie kann, wenn fie die Geſetze ermittelt, nach denen die Natur die Pflanzen: gebilde verteilt hat. Man ſagt, ein Berg ſei ſo hoch, daß er die Grenze des Rhododendron und der Befaria erreiche, wie man ſchon lange ſagt, ein Berg erreiche die Grenze des ewigen Schnees. Mit dieſem Ausdruck ſetzt man ſtillſchweigend voraus, daß unter dem Einfluſſe gewiſſer Wärmegrade ſich notwendig gewiſſe vegetabiliſche Formen entwickeln müſſen. Streng genommen iſt nun dieſe Vorausſetzung allerdings nicht richtig. Die — 134 — Fichten Mexikos fehlen auf den Kordilleren von Peru; auf der Silla von Caracas wachſen nicht die Eichen, die man in Neugranada in derſelben Höhe findet. Die Uebereinſtimmung in den Bildungen deutet auf analoges Klima; aber in ana⸗ logen Klimaten können die Arten bedeutend voneinander abweichen. Die herrliche Alpenroſe der Anden, die Befaria, wurde zuerſt von Mutis beſchrieben, der ſie bei Pamplona und Santa Fe de Bogota unter dem 4. bis 7. Grad nördlicher Breite gefunden. Sie war vor unſerer Beſteigung der Silla ſo wenig bekannt, daß ſie ſich faſt in keinem Herbarium in Europa fand. Wie die Alpenroſen Lapplands, des Kau⸗ kaſus und der Alpen! voneinander abweichen, ſo ſind auch die beiden Befariaarten, die wir von der Silla mitgebracht,? von denen bei Santa Fé de Bogota; ſpezifiſch verſchieden. In der Nähe des Aequators bedecken die Alpenroſen der Anden die Berge bis in die höchſten Paramos hinauf, in 3120 bis 3312 m Meereshöhe. Weiter gegen Norden, auf der Silla von Caracas, findet man ſie weit tiefer, in etwas über 1950 m Höhe; die kürzlich in Florida unter dem 30. Grade der Breite entdeckte Befaria wächſt ſogar auf niedrigen Hügeln. So rücken denn auf einer Strecke von 2700 km der Breite dieſe Sträucher immer weiter gegen das Tiefland herab, je weiter vom Aequator ſie vorkommen. Ebenſo wächſt die lapp⸗ ländiſche Alpenroſe 1560 bis 1750 m tiefer als die der Alpen oder Pyrenäen. Wir wunderten uns, daß wir in den Ge: birgen von Mexiko, zwiſchen den Alpenroſen von Santa Fe und Caracas einerſeits und denen von Florida andererſeits, keine Befariaart fanden. Im kleinen Buſchwalde auf der Silla iſt die Befaria ledifolia nur 1 bis 1,3 m hoch. Der Stamm teilt ſich gleich am Boden in viele zerbrechliche, faſt quirlförmig geſtellte Aeſte. Die Blätter ſind eiförmig, zugeſpitzt, an der Unterfläche grau⸗ grün und an den Rändern aufgerollt. Die ganze Pflanze iſt mit langen, klebrigen Haaren bedeckt und hat einen ſehr angenehmen Harzgeruch. Die Bienen beſuchen ihre ſchönen, purpurroten Blüten, die, wie bei allen Alpenpflanzen, un: ! Rhododendrum laponicum, R. caucasicum, R. ferrugi- neum, R. hirsutum. 2 Befaria glauca, B. ledifolia. 3 B. aestuans, B. resinosa. — 135 — gemein zahlreich und ganz entwickelt oft gegen einen Zoll breit ſind. Das Rhododendron der Schweiz wächſt, in 1560 bis 2140 m Meereshöhe, in einem Klima mit einer mittleren Temperatur von + 2“ und — 1, alſo ähnlich dem Klima der Ebenen Lapplands. In dieſer Zone haben die kälteſten Monate — 4° und — 10°, die wärmſten Monate + 12 und 7°, Nach thermometriſchen Beobachtungen in denſelben Höhen und unter denſelben Parallelen beträgt im Pejual auf der Silla die mittlere Temperatur der Luft ſehr wahrſcheinlich noch 17 bis 18° und ſteht der Thermometer in der kühlſten Jahreszeit bei Tage zwiſchen 15 und 20°, bei Nacht zwiſchen 10 und 12°. Beim St. Gotthardshoſpiz, nahe der oberen Grenze der hel— vetiſchen Alpenroſe, iſt die größte Wärme im Auguſt um Mittag (im Schatten) gewöhnlich 12 bis 13°; nachts kühlt ſich in derſelben Jahreszeit die Luft infolge der Wärme⸗ ſtrahlung des Bodens auf +1 oder — 1,5 ab. Unter dem: ſelben barometriſchen Druck, alſo in derſelben Meereshöhe, aber um 30 Breitengrade näher beim Aequator iſt die Befaria auf der Silla um Mittag häufig einer Temperatur von 23 bis 24° ausgeſetzt und bei Nacht fällt dieſelbe wahrſcheinlich niemals unter 8°. Wir haben hier genau die Klimate ver: glichen, unter denen zwei derſelben Familie angehörende Pflanzen⸗ gruppen unter verſchiedenen Breiten in gleicher Meereshöhe wachſen; das Ergebnis wäre ein ganz anderes, wenn wir Zonen verglichen hätten, die gleich weit vom ewigen Schnee oder von der iſothermen Linie liegen. Im Pejual wachſen neben der Befaria mit purpurroten Blüten eine Hedyotis mit Heidekrautblättern, die 2,6 m hoch wird, die Caparosa, ein großes baumartiges Johanniskraut, ein Lepidium, das mit dem virginiſchen identiſch ſcheint, endlich Bärlappenpflanzen und Mooſe, welche Felſen und Baumwurzeln überziehen. Am berühmteſten iſt aber dieſes Buſchwerk im Lande wegen eines 3 bis 5m hohen Strauches aus der Familie der Corymbiferen. Die Kreolen nennen denſelben Inciensoz, Weihrauch. Seine lederartigen, ge— kerbten Blätter und die Spitzen der Zweige ſind mit einer weißen Wolle bedeckt. Es iſt eine neue, ſehr harzreiche Trixisart; die Blüten riechen angenehm nach Borax, ganz anders als die der Trixis therebintinacea in den Bergen von Jamaika, die denen von Caracas gegenüberliegen. Man mengt zuweilen den „Weihrauch“ von der Silla mit den — 16 — Blüten der Pevetera, gleichfalls einer Pflanze mit zuſammen⸗ geſetzter Blüte, deren Geruch dem des peruaniſchen Heliotrops. ähnelt. Die Pevetera geht aber in den Bergen nicht bis zur Zone der Alpenroſen hinauf, ſie kommt im Thale von Chacao vor und die Damen von Caracas verfertigen ein ſehr angenehmes Riechwaſſer daraus. f Wir hielten uns im Pejual mit der Unterſuchung der ſchönen harzigen und wohlriechenden Pflanzen lange auf. Der Himmel wurde immer finſterer, der Thermometer ſank unter 11“. Es iſt dies eine Temperatur, bei der man in dieſem Himmelsſtrich zu frieren anfängt. Tritt man aus dem Gebüſch von Alpenſträuchern, ſo iſt man wieder in einer Savanne. Wir ſtiegen ein Stück am weſtlichen Gipfel hinauf, um darauf in die Einſattelung, in das Thal zwiſchen beiden Gipfeln der Silla hinabzugelangen. Hier war wegen des üppigen Pflanzenwuchſes ſchwer durchzukommen. Ein Botaniker riete nicht leicht darauf, daß das dichte Buſchwerk, das dieſen Grund bedeckt, von einem Gewächs aus der Familie der Mufaceen! gebildet wird. Es iſt wahrſcheinlich eine Macanta oder Heliconia; die Blätter ſind breit, glänzend; ſie wird 4,5 bis 5 m hoch und die ſaftigen Stengel ſtehen dicht bei- ſammen wie das Schilfrohr auf feuchten Gründen im öſtlichen Europa. Durch dieſen Wald von Muſaceen mußten wir uns einen Weg bahnen. Die Neger gingen mit ihren Meſſern oder Machetes vor uns her. Das Volk wirft dieſe Alpen⸗ banane und die baumartigen Gräſer unter dem Namen Carice zuſammen; wir ſahen weder Blüte noch Frucht des Gewächſes. Man iſt überraſcht, in 2140 m Höhe, weit über den Andro⸗ meden, Thibaudien und der Alpenroſe der Kordilleren, einer Monokotyledonenfamilie zu begegnen, von der man meint, ſie gehöre ausſchließlich den heißen Niederungen unter den Tropen an. In einer ebenſo hohen und noch nördlicheren Gebirgs kette, in den blauen Bergen auf Jamaika, wachſen die Bapa- geien-Helikonia und der Bichai auch vorzugsweiſe an alpiniſchen ſchattigen Orten. Wir arbeiteten uns durch das Dickicht von Muſaceen oder baumartigen Kräutern immer dem öſtlichen Gipfel zu, den wir erſteigen wollten. Von Zeit zu Zeit war er durch einen Wolkenriß zu ſehen; auf einmal aber waren wir in dicken Nebel gehüllt und wir konnten uns nur nach dem U . Scitamineen oder Bananengewächſe. — 137 — Kompaß richten; gingen wir aber weiter nordwärts, ſo liefen wir bei jedem Schritt Gefahr, an den Rand der ungeheuren Felswand zu gelangen, die faſt ſenkrecht 1950 m hoch zum Meere abfällt. Wir mußten Halt machen; und wie ſo die Wolken um uns her über den Boden wegzogen, fingen wir an zu zweifeln, ob wir vor Einbruch der Nacht auf die öſt⸗ liche Spitze gelangen könnten. Glücklicherweiſe waren in: zwiſchen die Neger, die das Waſſer und den Mundvorrat trugen, eingetroffen, und wir beſchloſſen, etwas zu uns zu nehmen; aber unſere Mahlzeit dauerte nicht lange. Sei es nun, daß der Pater Kapuziner nicht an unſere vielen Begleiter gedacht, oder daß die Sklaven ſich über den Vorrat hergemacht hatten, wir fanden nichts als Oliven und faſt kein Brot. Das Mahl, deſſen Lob Horaz in ſeinem Tibur ſingt, war nicht leichter und frugaler; an Oliven mochte ſich aber immer: hin ein ſtillſitzender, ſtudierender Poet ſättigen, für Berg— ſteiger waren ſie eine kärgliche Koſt. Wir hatten die ver⸗ gangene Nacht faſt ganz durchwacht, und waren jetzt ſeit neun Stunden auf den Beinen, ohne Waſſer angetroffen zu haben. Unſere Führer hatten den Mut verloren, ſie wollten durchaus umkehren, und Bonpland und ich hielten ſie nur mit Mühe zurück. Mitten im Nebel machte ich den Verſuch mit dem Volta: ſchen Elektrometer. Obgleich ich ganz nahe an den dicht ge— drängten Helikonien ſtand, erhielt ich deutliche Spuren von Luftelektrizität. Sie wechſelte oft zwiſchen negativ und poſitiv und ihre Intenſität war jeden Augenblick anders. Dieſe Schwankungen und mehrere kleine entgegengeſetzte Luftſtrö— mungen, die den Nebel zerteilten und zu ſcharf begrenzten Wolken ballten, ſchienen mir untrügliche Zeichen, daß das Wetter ſich ändern wollte. Es war erſt 2 Uhr Nachmittag. Wir hofften immer noch vor Sonnenuntergang auf die öſtliche Spitze der Silla gelangen und wieder in das Thal zwiſchen beiden Gipfeln herabkommen zu können. Hier wollten wir von den Negern aus den breiten dünnen Blättern der Heli— konia eine Hütte bauen laſſen, ein großes Feuer anzünden und die Nacht zubringen. Wir ſchickten die Hälfte unſerer Leute fort, mit der Weiſung, uns am anderen Morgen nicht mit Oliven, ſondern mit geſalzenem Fleiſche entgegen— zukommen. 1 Oden, Buch J, 31. — 138 — Kaum hatten wir ſolches angeordnet, ſo fing der Wind an ſtark von der See her zu blaſen und der Thermometer ſtieg auf 12,50. Es war ohne Zweifel ein aufſteigender Luft⸗ ſtrom, der die Temperatur erhöhte und damit die Dünſte auflöſte. Kaum zwei Minuten, ſo verſchwanden die Wolken und die beiden Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe vor uns. Wir öffneten den Barometer am tiefſten Punkte der Einſenkung zwiſchen den Gipfeln bei einer kleinen Lache ſchlammigen Waſſers. Hier wie auf den Antillen findet man ſumpfige Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das be⸗ waldete Gebirge die Wolken anzieht, ſondern weil durch die Abkühlung bei Nacht, infolge der Wärmeſtrahlung des Bodens und des Parenchyms der Gewächſe, der Waſſerdunſt verdichtet wird. Das Queckſilber ſtand auf 562 mm. Wir gingen jetzt gerade auf den öſtlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs hielt uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch Helikonien umhauen, aber dieſe baumartigen Kräuter waren jetzt nicht mehr hoch und ſtanden nicht mehr ſo dicht. Die Gipfel der Silla ſelbſt, wie ſchon öfter erwähnt, find nur mit Gras und kleinen Befariaſträuchern bewachſen. Aber nicht wegen ihrer Höhe ſind ſie ſo kahl; die Baumgrenze liegt in dieſer Zone noch um 800 m höher; denn nach anderen Gebirgen zu ſchließen, befände ſich dieſe Grenze hier erſt in 3200 m Höhe. Große Bäume ſcheinen auf den beiden Felsgipfeln der Silla nur deshalb zu fehlen, weil der Boden ſo dürr und der Seewind ſo heftig iſt, und die Oberfläche, wie auf allen Bergen unter den Tropen, ſo oft abbrennt. Um auf den höchſten, öſtlichen Gipfel zu kommen, muß man jo nahe als möglich an dem ungeheuren Abſturz Cara: valleda und der Küſte zu hingehen. Der Gneis hatte bisher ſein blätteriges Gefüge und ſeine urſprüngliche Streichung behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufſtiegen, ging er in Granit über. Wir brauchten drei Viertelſtunden bis auf die 9 der Pyramide. Dieſes Stück des Weges iſt keineswegs gefährlich, wenn man nur prüft, ob die Felsſtücke, auf die man den Fuß ſetzt, feſt liegen. Der dem Gneis aufgelagerte Granit iſt nicht regelmäßig geſchichtet, ſondern durch Spalten geteilt, die ſich oft unter rechten Winkeln ſcheiden. Pris⸗ matiſche, 30 em breite, 4 m lange Blöcke ragen ſchief aus dem Boden hervor, und am Rande des Abſturzes ſieht es aus, als ob ungeheure Balken über dem Abgrunde hingen. — 139 — Auf dem Gipfel hatten wir, freilich nur einige Minuten, ganz klaren Himmel. Wir genoſſen einer ungemein weiten Ausſicht; wir ſahen zugleich nach Norden über die See weg, nach Süden in das fruchtbare Thal von Caracas hinab. Der Barometer ſtand auf 550 mm, die Temperatur der Luft war 13,7. Wir waren in 2630 m Meereshöhe. Man überblickt eine Meeresſtrecke von 172 km Halbmeſſer. Wem beim Blick in große Tiefen ſchwindlig wird, muß mitten auf dem kleinen Plateau bleiben. Durch ſeine Höhe iſt der Berg eben nicht ausgezeichnet; iſt er doch gegen 195 m niedriger als der Canigou in den Pyrenäen; aber er unterſcheidet ſich von allen Bergen, die ich bereiſt, durch den ungeheuren Abſturz gegen die See zu. Die Küſte bildet nur einen ſchmalen Saum, und blickt man von der Spitze der Pyramide auf die Häuſer von Caravalleda hinab, ſo meint man infolge einer öfter er— wähnten optiſchen Täuſchung, die Felswand ſei beinahe ſenk— recht. Nach einer genauen Berechnung ſchien mir der Neigungs— winkel 53“ 28“; am Pik von Tenerifa beträgt die Neigung im Durchſchnitt kaum 12° 30“. Ein 1950 bis 2270 m hoher Abſturz wie an der Silla von Caracas iſt eine weit ſeltenere Erſcheinung, als man glaubt, wenn man in den Bergen reiſt, ohne ihre Höhen, ihre Maſſen und ihre Abhänge zu meſſen. Seit man ſich in mehreren Ländern Europas von neuem mit Verſuchen über den Fall der Körper und ihre Abweichung gegen Südoſt beſchäftigt, hat man in den Schweizer Alpen ſich überall vergeblich nach einer ſenkrechten, 490 m hohen Felswand umgeſehen. Der Neigungswinkel des Montblanc gegen die Allee blanche beträgt keine 45°, obgleich man in den meiſten geologiſchen Werken lieſt, der Montblanc falle gegen Süd ſenkrecht ab. Auf der Silla von Caracas iſt der ungeheure nördliche Abhang, trotz ſeiner großen Steilheit, zum Teil bewachſen. Befaria⸗ und Andromedabüſche hängen an der Felswand. Das kleine ſüdwärts gelegene Thal zwiſchen den Gipfeln zieht ſich der Meeresküſte zu fort: die Alpenpflanzen füllen dieſe Einſenkung aus, ragen über den Kamm des Berges empor und folgen den Krümmungen der Schlucht. Man meint, unter dieſen friſchen Schatten müſſe Waſſer fließen, und die Ver— teilung der Gewächſe, die Gruppierung ſo vieler unbeweglicher Gegenſtände bringt Leben und Bewegung in die Landſchaft. Es war jetzt ſieben Monate, daß wir auf dem Gipfel des Vulkans von Tenerifa geſtanden hatten, wo man eine — 140 — Erdfläche überblickt, ſo groß als ein Vierteil von Frankreich. Der ſcheinbare Meereshorizont liegt dort 27 km weiter ab als auf der Silla, und doch ſahen wir dort den Horizont, wenigſtens eine Zeitlang, ſehr deutlich. Er war ſcharf be— grenzt und verſchwamm nicht mit den anſtoßenden Luftſchichten. Auf der Silla, die um 1070 m niedriger iſt als der Pik von Tenerifa, konnten wir den näher gerückten Horizont gegen Nord und Nord-Nord-Oſt nicht ſehen. Blickten wir über die Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, ſo fiel uns auf, wie das reflektierte Licht in ſteigendem Verhältnis abnahm. Wo die Geſichtslinie die äußerſte Grenze der Fläche ſtreift, verſchwamm das Waſſer mit den darüber gelagerten Luft— ſchichten. Dieſer Anblick hat etwas ſehr Auffallendes. Man erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu ſehen, und ſtatt daß man in dieſer Höhe eine ſcharfe Grenze zwiſchen den beiden Elementen bemerkte, ſchienen die fernſten Waſſer⸗ ſchichten ſich in Dunſt aufzulöſen und mit dem Luftozean zu miſchen. Dasſelbe beobachtete ich, nicht an einem einzigen Stück des Horizontes, ſondern auf einer Strecke von mehr als 160°, am Ufer der Südſee, als ich zum erſtenmal auf dem ſpitzen Felſen über dem Krater der Pichincha ſtand, eines Vul⸗ kanes, der höher iſt als der Montblanc. Ob ein ſehr ferner Horizont ſichtbar iſt oder nicht, das hängt von zwei ver— ſchiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge, welche der Teil des Ozeans empfängt, auf den die Geſichtslinie zuläuft, und von der Schwächung, die das reflektierte Licht bei ſeinem Durchgange durch die dazwiſchen liegenden Luftſchichten erleidet. Trotz des heiteren Himmels und der durchſichtigen Luft kann die See in der Entfernung von 170 bis 180 km ſchwach beleuchtet ſein, oder die Luftſchichten zunächſt der Oberfläche können das Licht bedeutend ſchwächen, indem ſie die durch— gehenden Strahlen abſorbieren. Selbſt vorausgeſetzt, die Refraktion äußere gar keinen Einfluß, ſollte man auf dem Gipfel der Silla bei ſchönem Wetter die Inſeln Tortuga, Orchila, Roques und Aves ſehen, von denen die nächſten 112,5 km entfernt ſind. Wir ſahen keine derſelben, ſei es nun wegen des Zuſtandes der Luft, oder weil die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu ver: wenden konnten, die Inſeln zu ſuchen, nicht lang genug war. Ein unterrichteter Seemann, der den Berg mit uns hatte beſteigen wollen, Don Miguel Areche, verſicherte uns, die Silla bei den Salzklippen an der Roca de Fuera, unter — 141 — 12° 1’ der Breite geſehen zu haben.! Wenn die umgebenden Gipfel die Ausſicht nicht beſchränkten, müßte man von der Silla die Küſte oſtwärts bis zum Morro de Piritu, weſtwärts bis zur Punta del Soldado, 45 km unter dem Winde von Portobello, ſehen. Südwärts, dem inneren Lande zu, be— grenzt die Bergkette, welche Dare und die Savanne von Deu: mare vom Thale von Caracas trennt, den Horizont wie ein Wall, der in der Richtung eines Parallelkreiſes hinläuft. Hätte dieſer Wall eine Oeffnung, eine Lücke, dergleichen in den hohen Bergen des Salzburger Landes und der Schweiz häufig vorkommen, ſo genöſſe man hier des merkwürdigſten Schauſpieles. Man ſähe durch die Lücke die Llanos, die weiten Steppen von Calabozo, und da dieſe Steppen in gleiche Höhe mit dem Auge des Beobachters aufſtiegen, ſo überjähe man vom ſelben Punkte zwei gleichartige Horizonte, einen Waſſer⸗ und einen Landhorizont. Die weſtliche abgerundete Spitze der Silla entzog uns die Ausſicht auf die Stadt Caracas; deutlich aber ſahen wir die ihr zunächſtliegenden Häuſer, die Dörfer Chacao und Petare, die Kaffeepflanzungen und den Lauf des Guayre, einen ſilberglänzenden Waſſerfaden. Der ſchmale Streif be— bauten Landes ſtach angenehm ab vom düſteren, wilden Aus— ſehen der umliegenden Gebirge. Ueberſieht man fo mit einem Blick dieſe reiche Land: ſchaft, ſo bedauert man kaum, daß kein Bild vergangener Zeiten den Einöden der Neuen Welt höheren Reiz gibt. Ueberall wo in der heißen Zone der von Gebirgen ſtarrende, mit dichtem Pflanzenwuchs bedeckte Boden ſein urſprüngliches Gepräge behalten hat, erſcheint der Menſch nicht mehr als Mittelpunkt der Schöpfung. Weit entfernt, die Elemente zu bändigen, hat er vollauf zu thun, ſich ihrer Herrſchaft zu entziehen. Die Umwandlungen, welche die Erdoberfläche ſeit Jahrhunderten durch die Hand der Wilden erlitten, ver— ſchwinden zu nichts gegen das, was das unterirdiſche Feuer, die austretenden gewaltigen Ströme, die tobenden Stürme in wenigen Stunden leiſten. Der Kampf der Elemente unter ſich iſt das eigentlich Charakteriſtiſche der Naturſzenerie in der Neuen Welt. Ein unbewohntes Land kommt dem Reiſenden aus dem kultivierten Europa wie eine Stadt vor, aus der die Einwohnerſchaft ausgezogen. Hat man einmal in Amerika Die Silla liegt unter 10° 31“ 5“ der Breite. — 142 — ein paar Jahre in den Wäldern der Niederungen oder auf dem Rücken der Kordilleren gelebt, hat man in Ländern ſo groß wie Frankreich nur eine Handvoll zerſtreuter Hütten ſtehen ſehen, ſo hat eine weite Einöde nichts Schreckendes mehr für die Einbildungskraft. Man wird vertraut mit der Vorſtellung einer Welt, in der nur Pflanzen und Tiere leben, wo niemals der Menſch ſeinen Jubelſchrei oder die Klagelaute ſeines Schmerzes hören ließ. Wir konnten die günſtige Lage der Silla, die alle Gipfel umher überragt, nicht lange für unſere Zwecke nutzen. Während wir mit dem Fernrohr den Seeſtrich, wo der Horizont ſcharf begrenzt war, und die Bergkette von Ocumare betrachteten, hinter der die unbekannte Welt des Orinoko und des Ama⸗ zonenſtromes beginnt, zog ein dicker Nebel aus der Niederung, zu den Höhen herauf. Zuerſt füllte er den Thalgrund von Caracas. Der von oben beleuchtete Waſſerdunſt war gleich— förmig milchweiß gefärbt. Es ſah aus, als ſtünde das Thal unter Waſſer, als bildeten die Berge umher die ſchroffen Ufer eines Meeresarmes. Lange warteten wir vergeblich auf den Sklaven, der den großen Ramsdenſchen Sextanten trug; ich mußte den Zuſtand des Himmels benutzen und entſchloß mich, einige Sonnenhöhen mit einem Troughtonſchen Sextanten von 53 mm Halbmeſſer aufzunehmen. Die Sonnenſcheibe war von Nebel halb verſchleiert. Der Längenunterſchied zwiſchen dem Quartier Trinidad in Caracas und dem öſtlichen Gipfel der Silla ſcheint kaum größer als 0° 3“ 22%, Während ich, auf dem Geſtein ſitzend, die Inklination der Magnetnadel beobachtete, ſah ich, daß ſich eine Menge haariger Bienen, etwas kleiner als die Honigbiene des nörd⸗ lichen Europas, auf meine Hände geſetzt hatten. Dieſe Bienen niſten im Boden. Sie fliegen ſelten aus, und nach ihren trägen Bewegungen konnte man glauben, ſie ſeien auf dem Berge ſtarr vor Kälte. Man nennt ſie hierzulande Angelitos, Engelchen, weil fie nur ſehr ſelten ſtechen. Trotz der Be- hauptung mehrerer Reiſenden iſt es nicht wahr, daß dieſe dem neuen Kontinent eigentümlichen Bienen gar keine An— griffswaffe haben. Ihr Stachel iſt nur ſchwächer und ſie brauchen denſelben ſeltener. Solange man von der Harm⸗ loſigkeit dieſer Angelitos nicht vollkommen überzeugt iſt, kann man ſich einiger Beſorgnis nicht erwehren. Ich geſtehe, daß ich oft während aſtronomiſcher Beobachtungen beinahe die Inſtrumente hätte fallen laſſen, wenn ich ſpürte, daß mir — 4145 — Geſicht und Hände voll dieſer haarigen Bienen ſaßen. Unſere Führer verſicherten, ſie ſetzen ſich nur zur Wehr, wenn man ſie durch Anfaſſen der Füße reize. Ich fühlte mich nicht aufgelegt, den Verſuch an mir ſelbſt zu machen. Die Lufttemperatur auf der Silla ſchwankte zwiſchen 11 und 14°, je nachdem die Luft ſtill war oder der Wind blies. Bekanntlich iſt es ſehr ſchwer, auf Berggipfeln die Temperatur zu beſtimmen, nach der man die Barometerhöhe zu berechnen hat. Der Wind kam aus Oſt, und dies ſcheint zu beweiſen, daß der Seewind oder die Paſſatwinde in dieſer Breite weit über 2920 m hinaufreichen. Leopold von Buch hat die Beobachtung gemacht, daß auf dem Pik von Tenerifa, nahe an der nördlichen Grenze der Paſſatwinde, in 3700 m Meereshöhe, meiſt ein Gegenwind (vent de remou), der Weſtwind, herrſcht. Die Pariſer Akademie der Wiſſenſchaften hatte die Phyſiker, welche den unglücklichen La Peyrouſe be— gleiteten, aufgefordert, zur See unter den Tropen mittels kleiner Luftballons zu beobachten, wie weit die Paſſate hinauf: reichen. Dergleichen Unterſuchungen ſind ſehr ſchwierig, wenn der Beobachter an der Erdoberfläche bleibt. Die kleinen Ballons ſteigen meiſt nicht ſo hoch als die Silla, und das leichte Gewölk, das ſich zuweilen in 5850 bis 7800 m Höhe zeigt, wie z. B. die ſogenannten Schäfchen, ſtehen ſtill oder rücken ſo langſam fort, daß ſich ihre Richtung nicht beſtimmen läßt. Während der kurzen Zeit, wo der Himmel im Zenith klar war, fand ich das Blau der Luft um ein Bedeutendes dunkler als an der Küſte. Es war gleich 26,5“ des Sauſſure— ſchen Kyanometers. In Caracas zeigte dasſelbe Inſtrument bei hellem, trockenem Wetter meiſt nur 189. Wahrſcheinlich iſt in den Monaten Juli und Auguſt der Unterſchied in dieſer Beziehung zwiſchen der Küſte und dem Gipfel der Silla noch viel bedeutender. Was aber unter allen meteorologiſchen Er: ſcheinungen in der Stunde, die wir auf dem Berge zubrach— ten, Bonpland und mich am meiſten überraſchte, war die an— ſcheinende Trockenheit der Luft, die mit der Entwickelung des Nebels noch zuzunehmen ſchien. Als ich den (Delueſchen) Fiſchbeinhygrometer aus dem Kaſten nahm, um damit zu experimentieren, zeigte er 52° (87“ nach Sauſſure). Der Himmel war hell; aber Dunſtſtreifen mit deutlichen Umriſſen zogen von Zeit zu Zeit zwiſchen uns durch am Boden weg. Der Delucſche Hygrometer ging auf 49° (85° nach Sauſſure) zu⸗ rück. Eine halbe Stunde ſpäter hüllte eine dicke Wolke uns — 14 — ein; wir konnten die nächſten Gegenſtände nicht mehr er⸗ kennen und ſahen mit Erſtaunen, daß das Inſtrument fort: während dem Trockenpunkte zuging, bis 47° (84° Sauſſure). Die Lufttemperatur war del 12 bis 13°. Obgleich beim Fiſchbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht bei 100° iſt, ſondern bei 84,55 (99° S.), jo ſchien mir doch dieſer Einfluß einer Wolke auf den Gang des Inſtrumentes im höchſten Grade auffallend. Der Nebel dauerte lange ge— nug, daß der Fiſchbeinſtreifen durch Anziehung der Waſſer— teilchen ſich hätte verlängern können. Unſere Kleider wurden nicht feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Rei: ſender verſicherte mich kürzlich, er habe auf der Montagne pelée auf Martinique eine Wolke ähnlich auf den Haarhygro— meter wirken ſehen. Der Phyſiker hat die Verpflichtung, die Erſcheinungen zu berichten, wie die Natur ſie bietet, zu— mal wenn er nichts verſäumt hat, um Fehler in der Be— obachtung zu vermeiden. Sauſſure ſah während eines heftigen Regenguſſes, wobei ſein Hygrometer nicht naß wurde, den— ſelben (fat wie auf der Silla in der Wolke) auf 84,7“ (48,6 Deluc) ſtehen bleiben; man begreift aber leichter, daß die Luft zwiſchen den Regentropfen nicht vollſtändig geſättigt wird, als daß der Waſſerdunſt, der den hygroſkopiſchen Körper unmittelbar berührt, denſelben nicht dem Sättigungspunkte zutreibt. In welchem Zuſtande befindet ſich Waſſerdunſt, der nicht naß macht und doch ſichtbar iſt? Man muß, glaube ich, annehmen, daß ſich eine trockenere Luft mit der, in der ſich die Wolke gebildet, gemiſcht hat, und daß die Dunſtbläschen, die ein weit geringeres Volumen haben als die dazwiſchen befindliche Luft, die glatte Fläche des Fiſchbeinſtreifens nicht naß gemacht haben. Die durchſichtige Luft vor einer Wolke kann zuweilen feuchter ſein als der Luftſtrom, der mit der Wolke zu uns gelangt. Es wäre unvorſichtig geweſen, in dieſem dichten Nebel am Rande eines 2270 bis 2600 m hohen Abhanges länger zu verweilen. Wir gingen wieder vom Oſtgipfel der Silla herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht nur eine neue, ſehr intereſſante Gattung bildet, ſondern die wir auch, zu unſerer großen Ueberraſchung, ſpäter auf dem Gipfel des Vulkanes Pichincha in der ſüdlichen Halbkugel, 1800 km von der Silla, wieder fanden.“ Lichen floridus, der im Aegopogon cenchroides. 3 nördlichen Europa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der Befaria und der Gaultheria odorata, und hing bis zur Wurzel der Geſträuche nieder. Während ich die Mooſe unter⸗ ſuchte, welche den Gneis im Grunde zwiſchen beiden Gipfeln überziehen, fand ich zu meiner Ueberraſchung echte Geſchiebe, gerollte Quarzſtücke. Man ſieht leicht ein, daß das Thal von Caracas einmal ein Landſee ſein kann, ehe der Guayre— fluß gegen Oſt bei Caurimare, am Fuße des Hügels Auyamas durchbrach, und ehe die Tijeſchlucht ſich nach Weſt gegen Catia und Cabo Blanco zu geöffnet hatte; aber wie könnte das Waſſer je bis zum Fuße des Sillagipfels geſtiegen ſein, da die dieſem Gipfel gegenüberliegenden Berge von Ocumare ſo niedrig ſind, daß das Waſſer über ſie in die Llanos hätte abfließen müſſen? Die Geſchiebe können nicht von höheren Punkten hergeſchwemmt ſein, weil keine Höhe ringsum die Silla überragt. Soll man annehmen, daß ſie mit der ganzen Bergkette längs des Meeresufers emporgehoben worden ſind? Es war 4% Uhr abends, als wir mit unſeren Beob- achtungen fertig waren. In der Freude über den glücklichen Erfolg unſerer Reiſe dachten wir nicht daran, daß der Weg abwärts im Finſtern über ſteile, mit kurzem glatten Raſen bedeckte Abhänge gefährlich ſein könnte. Wegen des Nebels konnten wir nicht in das Thal hinunterſehen; wir ſahen aber deutlich den Doppelhügel der Puerta, und derſelbe erſchien, wie immer die Gegenſtände, die faſt ſenkrecht unter einem liegen, ganz auffallend nahe gerückt. Wir gaben den Ge: danken auf, zwiſchen den beiden Gipfeln der Silla zu über— nachten, und nachdem wir den Weg wieder gefunden, den wir uns im Heraufſteigen durch den dichten Helikonienbuſch ge— bahnt, kamen wir in den Pejual, in die Region der wohl— riechenden und harzigen Sträucher. Die herrlichen Befarien, ihre mit großen Purpurblüten bedeckten Zweige nahmen uns wieder ganz in Anſpruch. Wenn man in dieſen Erdſtrichen Pflanzen für Herbarien ſammelt, iſt man um ſo wähleriſcher, je üppiger die Vegetation iſt. Man wirft Zweige, die man eben abgeſchnitten, wieder weg, weil ſie einem nicht ſo ſchön vorkommen als Zweige, die man nicht erreichen konnte. Wen: det man endlich, mit Pflanzen beladen, dem Buſchwerk den Rücken, ſo will es einen faſt reuen, daß man nicht noch mehr mitgenommen. Wir hielten uns ſo lange im Pejual auf, daß die Nacht uns überraſchte, ehe wir in 1750 m Höhe die Savanne betraten. A. v. Humboldt, Reiſe. II. 10 — 146 — Da es zwiſchen den Wendekreiſen faſt keine Dämmerung gibt, ſieht man ſich auf einmal aus dem hellſten Tageslicht in Finſternis verſetzt. Der Mond ſtand über dem Horizont; ſeine Scheibe ward zuweilen durch dicke Wolken bedeckt, die ein heftiger kalter Wind über den Himmel jagte. Die ſteilen, mit gelbem trockenem Graſe bewachſenen Abhänge lagen bald im Schatten, bald wurden ſie auf einmal wieder beleuchtet und erſchienen dann als Abgründe, in deren Tiefe man nieder⸗ ſah. Wir gingen in einer Reihe hintereinander; man ſuchte ſich mit den Händen zu halten, um nicht zu fallen und den Berg hinabzurollen. Von den Führern, welche unſere In— ſtrumente trugen, fiel einer um den anderen ab, um auf dem Berge zu übernachten. Unter denen, die bei uns blieben, war ein Congoneger, deſſen Gewandtheit ich bewunderte; er trug einen großen Inklinationskompaß auf dem Kopf und hielt die Laſt trotz der ungemeinen Steilheit des Abhanges beſtändig im Gleichgewicht. Der Nebel im Thale war nach und nach verſchwunden. Die zerſtreuten Lichter, die wir tief unter uns ſahen, täuſchten uns in doppelter Beziehung; einmal ſchien der Abhang noch gefährlicher, als er wirklich war, und dann meinten wir in den ſechs Stunden, in denen wir beſtändig abwärts gingen, den Höfen am Fuße der Silla immer gleich nahe zu ſein. Wir hörten ganz deutlich Menſchenſtimmen und die ſchrillen Töne der Guitarren. Der Schall pflanzt ſich von unten nach oben meiſt ſo gut fort, daß man in einem Luftballon bisweilen in 5850 m Höhe die Hunde bellen hört.! Erſt um 10 Uhr abends kamen wir äußerſt ermüdet und durſtig im Thale an. Wir waren fünfzehn Stunden lang faſt beſtändig auf den Beinen geweſen; der rauhe Felsboden und die dürren harten Grasſtoppeln hatten uns die Fußſohlen zerriſſen, denn wir hatten die Stiefeln ausziehen müſſen, weil die Sohlen zu glatt geworden waren. An Abhängen, wo weder Sträucher, noch holzige Kräuter wachſen, an denen man ſich mit den Händen halten kann, kommt man barfuß ſicherer herab. Um Weg abzuſchneiden, führte man uns von der Puerta zum Hofe Gallegos über einen Fußpfad, der zu einem Waſſerſtück, El Tanque genannt, führt. Man verfehlte den Fußpfad, und auf dieſem letzten Wegſtück, wo es am aller: ſteilſten abwärts ging, kamen wir in die Nähe der Schlucht So Gay⸗Luſſac bei feiner Luftfahrt am 16. September 1803. — 147 — Chacaito. Durch den Donner der Waſſerfälle erhielt das nächtliche Bild einen wilden, großartigen Charak 55 Wir übernachteten am Fuße der Silla; unſere Freunde in Caracas hatten uns durch Fernrohre auf dem öſtlichen Berggipfel ſehen können. Mit Teilnahme hörte man unſere beſchwerliche Bergfahrt beſchreiben, aber mit einer Meſſung, nach der die Silla nicht einmal ſo hoch ſein ſollte als der höchſte Pyrenäengipfel,“ war man ſehr ſchlecht zufrieden. Wer möchte ſich über eine nationale Vorliebe aufhalten, die ſich in einem Lande, wo von Denkmälern der Kunſt keine Rede iſt, an Naturdenkmale hängt? Kann man ſich wundern, wenn die Einwohner von Quito und Riobamba, deren Stolz ſeit Jahrhunderten die Höhe ihres Chimborazo ift, von Meſſungen nichts wiſſen wollen, nach denen das Himalayagebirge in Indien alle Koloſſe der Kordilleren überragt? 1 Man glaubte früher, die Silla von Caracas ſei jo ziemlich ſo hoch als der Pik von Tenerifa. Vierzehntes Kapitel. Erdbeben von Caracas. — Zuſammenhang zwiſchen dieſer Erſchei— nung und den vulkaniſchen Ausbrüchen auf den Antillen. Wir verließen Caracas am 7. Februar in der Abend⸗ kühle, um unſere Reiſe an den Orinoko anzutreten. Die Er— innerung an dieſen Abſchied iſt uns heute ſchmerzlicher als vor einigen Jahren. Unſere Freunde haben in den blutigen Bürgerkriegen, die jenen fernen Ländern die Freiheit jetzt brachten, jetzt wieder entriſſen, das Leben verloren. Das Haus, in dem wir wohnten, iſt nur noch ein Schutthaufen. Furchtbare Erdbeben haben die Bodenfläche umgewandelt; die Stadt, die ich beſchrieben habe, iſt verſchwunden. An der: ſelben Stelle, auf dieſem zerklüfteten Boden, erhebt ſich all— mählich eine neue Stadt. Die Trümmerhaufen, die Gräber einer zahlreichen Bevölkerung, dienen bereits wieder Menſchen zur Wohnung. Die großen Ereigniſſe, von denen ich hier ſpreche, und welche die allgemeinſte Teilnahme erregt haben, fallen lange nach meiner Rückkehr nach Europa. Ueber die politiſchen Stürme, über die Veränderungen, welche in den geſellſchaft— lichen Zuſtänden eingetreten, gehe ich hier weg. Die neueren Völker ſind bedacht für ihren Ruf bei der Nachwelt und ver— zeichnen ſorgfältig die Geſchichte der menſchlichen Umwälzungen, und damit die Geſchichte ungezügelter Leidenſchaften und ein⸗ gewurzelten Haſſes. Mit den Umwälzungen in der äußeren Natur iſt es anders; man kümmert ſich wenig darum, ſie genau zu beſchreiben, vollends nicht, wenn ſie in die Zeiten bürgerlicher Zwiſte fallen. Die Erdbeben, die vulkaniſchen Ausbrüche wirken gewaltig auf die Einbildungskraft wegen des Unheils, das notwendig ihre Folge iſt. Die Ueberlieferung greift vorzugsweiſe nach allem Geſtaltloſen und Wunderbaren, und bei großen allgemeinen Unfällen, wie beim Unglück des — 149 — einzelnen, ſcheut der Menſch das Licht, das ihm die wahren Urſachen des Geſchehenen zeigte und die begleitenden Um— ſtände erkennen ließe. Ich glaubte, in dieſem Werke nieder⸗ legen zu ſollen, was ich an zuverläſſiger Kunde über die Erd— ſtöße zuſammengebracht, die am 26. März 1812 die Stadt Caracas zerſtört und in der Provinz Venezuela faſt in einem Augenblick über zwanzigtauſend Menſchen das Leben gekoſtet haben. Die Verbindungen, die ich fortwährend mit Leuten aller Stände unterhalten, ſetzten mich in den Stand, die Be- richte mehrerer Augenzeugen zu vergleichen und Fragen über Punkte an ſie zu richten, an deren Aufklärung der Wiſſen⸗ ſchaft vorzugsweiſe gelegen iſt. Als Geſchichtſchreiber der Natur hat der Reiſende die Zeit des Eintrittes großer Kata— ſtrophen feſtzuſtellen, ihren Zuſammenhang und ihre gegen— ſeitigen Verhältniſſe zu unterſuchen, und im raſchen Ablauf der Zeit, im ununterbrochenen Zuge ſich drängender Ver— wandlungen feſte Punkte zu bezeichnen, mit denen einſt andere Kataſtrophen verglichen werden mögen. In der unermeßlichen Zeit, welche die Geſchichte der Natur umfaßt, rücken alle Zeit: punkte des Geſchehenen nahe zuſammen; die verfloſſenen Jahre erſcheinen wie Augenblicke, und wenn die phyſiſche Beſchrei— bung eines Landes von keinem allgemeinen und überhaupt von keinem großen Intereſſe iſt, ſo hat ſie zum wenigſten den Vorteil, daß ſie nicht veraltet. Betrachtungen dieſer Art haben La Condamine bewogen, die denkwürdigen Ausbrüche des Vulkanes Cotopaxi, die lange nach ſeinem Abgange von Quito ſtattgefunden, in ſeiner „Reiſe zum Aequator“ zu beſchreiben. Ich glaube dem Beiſpiel des großen Gelehrten deſto unbe— ſorgter vor irgend welchem Vorwurf folgen zu dürfen, da die Ereigniſſe, die ich zu beſchreiben gedenke, für die Theorie von den vulkaniſchen Reaktionen ſprechen, das heißt für den Einfluß, den ein Syſtem von Vulkanen auf den weiten Landſtrich umher ausübt. Als Bonpland und ich in den Provinzen Neuandaluſien, Nueva Barcelona und Caracas uns aufhielten, war die Mei— nung allgemein verbreitet, daß die am weiteſten nach Oſten gelegenen Striche dieſer Küſten den verheerenden Wirkungen der Erdbeben am meiſten ausgeſetzt ſeien. Die Einwohner von Cumana ſcheuten das Thal von Caracas wegen des 1 Am 30. November 1744 und 3. September 1750. — 150 — feuchten, veränderlichen Klimas, wegen des umzogenen, trüb⸗ ſeligen Himmels. Die Bewohner dieſes kühlen Thales da: gegen ſprachen von Cumana als von einer Stadt, wo man jahraus, jahrein eine erſtickend heiße Luft atme und wo der Boden von heftigen Erdſtößen erſchüttert werde. Selbſt Ge— bildete dachten nicht an die Verwüſtung von Riobamba und anderen hochgelegenen Städten; ſie wußten nicht, daß die Erſchütterung des Kalkſteins an der Küſte von Cumana ſich in die aus Glimmerſchiefer beſtehende Halbinſel Araya fort— pflanzt, und ſo waren ſie der Meinung, daß Caracas ſo— wohl wegen des Baues ſeines Urgebirges als wegen der hohen Lage der Stadt nichts zu beſorgen habe. Feierliche Gottesdienſte, die in Guayra und in der Hauptſtadt ſelbſt bei nächtlicher Weile begangen wurden,! mahnten ſie aller⸗ dings daran, daß von Zeit zu Zeit die Provinz Venezuela von Erdbeben heimgeſucht worden war; aber Gefahren, die ſelten wiederkehren, machen einem wenig bange. Im Jahre 1811 ſollte eine gräßliche Erfahrung eine ſchmeichelnde Theorie und den Volksglauben über den Haufen werfen. Caracas, 3° weſtlich von Cumana und 5° weſtlich vom Meridian der vulkaniſchen Karibiſchen Inſeln, erlitt heftigere Stöße, 1 man je auf den Küſten von Paria und Neuandaluſien geſpürt. Gleich nach meiner Ankunft in Terra Firma war mir der Zuſammenhang zwiſchen zwei Naturereigniſſen, zwiſchen der Zerſtörung von Cumana am 14. Dezember 1797 und dem Ausbruch der Vulkane auf den Kleinen Antillen, aufgefallen. Etwas Aehnliches zeigte ſich nun auch bei der Verwüſtung von Caracas am 26. März 1812. Im Jahre 1797 ſchien der Vulkan der Inſel Guadeloupe auf die Küſte von Cumana reagiert zu haben; 15 Jahre ſpäter wirkte, wie es ſcheint, ein dem Feſtlande näher liegender Vulkan, der auf San Vin⸗ cent, in derſelben Weiſe bis nach Caracas und an den Apure hin. Wahrſcheinlich lag beidemal der Herd des Ausbruches in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erd— oberfläche, bis zu welchen die Bewegung ſich fortpflanzte. 3. B. die nächtliche Prozeſſion am 21. Oktober zum Anz denken an das große Erdbeben an dieſem Tage um 1 Uhr nach eitternacht im Jahre 1778. Andere ſehr ſtarke Erdſtöße kamen vor in den Jahren 1641, 1703 und 1802. — 11 — Von Anfang des Jahres 1811 bis 1813 wurde ein be⸗ trächtliches Stück der Erdfläche zwiſchen den Azoren und dem Thale des Ohio, den Kordilleren von Neugranada, den Küſten von Venezuela und den Vulkanen der Kleinen Antillen faſt zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erſchüttert, die man einem unterirdiſchen Feuerherde zuſchreiben kann. Ich zähle hier die Erſcheinungen auf, welche es wahrſcheinlich machen, daß auf ungeheure Diſtanzen Verbindungen beſtehen. Am 30. Ja⸗ nuar 1811 brach bei einer der Azoriſchen Inſeln, bei San Michael, ein unterſeeiſcher Vulkan aus. An einer Stelle, wo die See 110 m tief iſt, hob ſich ein Fels über den Waſſer⸗ ſpiegel. Die erweichte Erdkruste ſcheint emporgehoben worden zu ſein, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie dies auch bei den Vulkanen von Jorullo in Mexiko und bei der Bildung der Inſel Klein⸗Kameni bei Santorin beobachtet wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war anfangs nur eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein ſechstägiger Aus⸗ bruch, durch den die Klippe immer größer und nach und nach 97 m über dem Meeresſpiegel hoch wurde. Dieſes neue Land, das Kapitän Tillard alsbald im Namen der großbritanniſchen Regierung in Beſitz nahm und Sabrina nannte, hatte 1750 m Durchmeſſer. Das Meer ſcheint die Inſel wieder verſchlungen zu haben. Es iſt dies das dritte Mal, daß bei der Inſel San Michael unterſeeiſche Vulkane ſo außerordentliche Er: ſcheinungen hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieſer Vulkane an eine gewiſſe Periode gebunden, in der ſich jedes⸗ mal elaſtiſche Flüſſigkeiten bis zu einem beſtimmten Grade angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91 oder 92 Jahren wieder zum Vorſchein. Es iſt zu bedauern, daß trotz der Nähe keine europäiſche Regierung, keine gelehrte Geſellſchaft Phyſiker und Geologen nach den Azoren geſchickt hat, um eine Erſcheinung näher unterſuchen zu laſſen, durch welche für die Geſchichte der Vulkane und des Erdballes über⸗ haupt ſo viel gewonnen werden konnte. Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erſchien, wurden die Kleinen Antillen, 3600 km ſüdweſtwärts von den Azoren gelegen, häufig von Erdbeben heimgeſucht. Vom Mai 1811 bis April 1812 ſpürte man auf der Inſel San Vincent, einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über 200 Erd⸗ ſtöße. Die Bewegungen beſchränkten ſich aber nicht auf das Inſelgebiet von Südamerika. Vom 16. Dezember 1811 an debte die Erde in den Thälern des Miſſiſſippi, des Arkanſas — 12 — und Ohio faſt unaufhörlich. Im Oſten der Alleghanies waren die Schwingungen ſchwächer als im Weſten, in We und Kentucky. Sie waren von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe begleitet, das von Südweſt herkam. Auf einigen Punkten zwiſchen Neumadrid und Little Prairie, wie beim Salzwerk nördlich von Cincinnati unter 34° 45“ der Breite, ſpürte man mehrere Monate lang täglich, ja faſt ſtündlich Erdſtöße. Sie dauerten im ganzen vom 16. Dezember 1811 bis ins Jahr 1813. Die Stöße waren anfangs auf den Süden, auf das untere Miſſiſſippithal beſchränkt, ſchienen ſich aber allmählich gegen Norden fortzupflanzen. f Um dieſelbe Zeit nun, wo in den Staaten jenſeits der Alleghanies dieſe lange Reihe von Erderſchütterungen anhob, im Dezember 1811, ſpürte man in der Stadt Caracas den erſten Erdſtoß bei ſtiller, heiterer Luft. Dieſes Zuſammen⸗ treffen war ſchwerlich ein zufälliges, denn man muß bedenken, daß, ſo weit auch die betreffenden Länder auseinander liegen, die Niederungen von Louiſiana und die Küſten von Venezuela und Cumana demſelben Becken, dem Meere der Antillen, angehören. Dieſes Mittelmeer mit mehreren Aus— gängen iſt von Südoſt nach Nordweſt gerichtet, und es ſcheint ſich früher über die weiten, allmählich 58,95 und 156 m über das Meer anſteigenden, aus ſekundären Gebirgsarten beſtehenden, vom Ohio, Miſſouri, Arkanſas und Miſſiſſippi durchſtrömten Ebenen forterſtreckt zu haben. Aus geologiſchem Geſichtspunkte betrachtet, erſcheinen als Begrenzung des See⸗ beckens der Antillen und des Meerbuſens von Mexiko im Süden die Küſtenbergkette von Venezuela und die Kordilleren von Merida und Pamplona, im Oſten die Gebirge der An⸗ tillen und die Alleghanies, im Weſten die Anden von Mexiko und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden Höhenzüge zwiſchen den kanadiſchen Seen und den Neben: flüſſen des Miſſiſſippi. Ueber zwei Dritteile dieſes Beckens ſind mit Waſſer bedeckt. Zwei Reihen thätiger Vulkane faſſen es ein: oſtwärts auf den Kleinen Antillen, zwiſchen dem 13. und 16. Grad der Breite, weſtwärts in den Kordilleren von Nicaragua, Guatemala und Mexiko, zwiſchen dem 11. und 20. Grad. Bedenkt man, daß das große Erdbeben von Liſſabon. am 1. November 1755 faſt im ſelben Augenblick an der Küſte von Schweden, am Ontarioſee und auf Martinique geſpürt wurde, ſo kann die Annahme nicht zu keck erſcheinen, daß das ganze Becken der Antillen von Cumana und Caracas bis zu — 13 — den Ebenen von Louiſiana zuweilen gleichzeitig durch Stöße erſchüttert werden kann, die von einem gemeinſamen Herde ausgehen. Auf den Küſten von Terra Firma herrſcht allgemein der Glaube, die Erdbeben werden häufiger, wenn ein paar Jahre lang die elektriſchen Entladungen in der Luft auffallend ſelten geweſen ſind. Man wollte in Cumana und Caracas die Beob- achtung gemacht haben, daß ſeit dem Jahre 1792 die Regen⸗ güſſe nicht ſo oft als ſonſt von Blitz und Donner begleitet geweſen, und man war ſchnell bei der Hand, ſowohl die gänz— liche Zerſtörung von Cumana im Jahre 1799 als die Erd— ſtöße, die man 1800, 1801 und 1802 in Maracaybo, Porto Cabello und Caracas geſpürt, „einer Anhäufung der Elek— trizität im Inneren der Erde“ zuzuſchreiben. Wenn man lange in Neuandaluſien oder in den Niederungen von Peru gelebt hat, kann man nicht wohl in Abrede ziehen, daß zu Anfang der Regenzeit, alſo eben zur Zeit der Gewitter, das Auftreten von Erdbeben am meiſten zu beſorgen iſt. Die Luft und die Beſchaffenheit der Erdoberfläche ſcheinen auf eine uns noch ganz unbekannte Weiſe auf die Vorgänge in großen Tiefen Einfluß zu äußern, und wenn man einen Zuſammenhang zwiſchen der Seltenheit der Gewitter und der Häufigkeit der Erdbeben bemerkt haben will, ſo gründet ſich dies, meiner Meinung nach, keineswegs auf lange Erfahrung, ſondern iſt nur eine Hypotheſe der Halbgelehrten im Lande. Gewiſſe Erſcheinungen können zufällig zuſammentreffen. Den auf: fallend ſtarken Stößen, die man am Miſſiſſippi und Ohio zwei Jahre lang faſt beſtändig ſpürte, und die im Jahre 812 mit denen im Thale von Caracas zuſammentrafen, ging in Louiſiana ein faſt gewitterloſes Jahr voran, und dies fiel wieder allgemein auf. Es kann nicht wunder nehmen, wenn man im Vaterlande Franklins zur Erklärung von en gar gern die Lehre von der Elektrizität her— eizieht. f Der Stoß, den man im Dezember 1811 in Caracas ſpürte, war der einzige, der der ſchrecklichen Kataſtrophe am 26. März 1812 voranging. Man wußte in Terra Firma nichts davon, daß einerſeits der Vulkan auf San Vincent ſich rührte und andererſeits am 7. und 8. Februar 1812 im Becken des Mij- ſiſſippi die Erde Tag und Nacht fortbebte. Um dieſe Zeit herrſchte in der Provinz Venezuela große Trockenheit. In Caracas und 400 km in der Runde war in den fünf Monaten — 154 — vor dem Untergang der Hauptſtadt kein Tropfen Regen ge⸗ fallen. Der 26. März war ein ſehr heißer Tag; die Luft war ſtill, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und ein großer Teil der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts ver: kündete die Schrecken dieſes Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten abends ſpürte man den erſten Erdſtoß. „Er war ſo ſtark, daß die Kirchenglocken anſchlugen, und währte 5 bis 6 Se— kunden. Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10 bis 12 Se: kunden dauernder, währenddeſſen der Boden in beſtändiger Wellenbewegung war wie eine kochende Flüſſigkeit. Schon meinte man, die Gefahr ſei vorüber, als ſich unter dem Boden ein furchtbares Getöſe hören ließ. Es glich dem Rollen des Donners; es war aber ſtärker und dauerte länger als der Donner in der Gewitterzeit unter den Tropen. Dieſem Ge: töſe folgte eine ſenkrechte, etwa 3 bis 4 Sekunden anhaltende Bewegung und dieſer wiederum eine etwas längere wellen— förmige Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegegengeſetzter Richtung, von Nord nach Süd und von Oſt nach Weſt. Dieſer Bewegung von unten nach oben und dieſen ſich kreu— zenden Schwingungen konnte nichts widerſtehen. Die Stadt Caracas wurde völlig über den Haufen geworfen. Tauſende von Menſchen (zwiſchen 9000 und 10000) wurden unter den Trümmern der Kirchen und Häuſer begraben. Die Prozeſſion war noch nicht ausgezogen, aber der Zudrang zu den Kirchen war ſo groß, daß 3000 bis 4000 Menſchen von den ein⸗ ſtürzenden Gewölben erſchlagen wurden. Die Exploſion war am ſtärkſten auf der Nordſeite, im Stadtteil, der dem Berge Avila und der Silla am nächſten liegt. Die Kirchen della Trinidad und Alta Gracia, die über 50 m hoch waren und deren Schiff von 3 bis 4 m dicken Pfeilern getragen wurde, lagen als kaum 1,5 bis 2 m hohe Trümmerhaufen da. Der Schutt hat ſich ſo ſtark geſetzt, daß man jetzt faſt keine Spur mehr von Pfeilern und Säulen findet. Die Kaſerne El Quartel de San Carlos, die nördlich von der Kirche Della Trinidad auf dem Wege nach dem Zollhauſe Paſtora lag, verſchwand faſt völlig. Ein Regiment Linientruppen ſtand unter den Waffen, um ſich der Prozeſſion anzuſchließen; es wurde, wenige Mann ausgenommen, unter den Trümmern des großen Ge: bäudes begraben. Neun Zehnteile der ſchönen Stadt Caracas wurden völlig verwüſtet. Die Häuſer, die nicht zuſammen⸗ ſtürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzinerkloſter, erhielten ſo ſtarke Riſſe, daß man nicht wagen konnte, darin — 15 — zu bleiben. Im ſüdlichen und weſtlichen Teile der Stadt, zwiſchen dem großen Platz und der Schlucht des Caraguata waren die Wirkungen des Erdbebens etwas geringer. Hier 2 die Hauptkirche mit ihren ungeheuren Strebepfeilern tehen.“ ! Bei der Angabe von 9000 bis 10000 Toten in Caracas ſind die Unglücklichen nicht gerechnet, die, ſchwer verwundet, erſt nach Monaten aus Mangel an Nahrung und Pflege zu Grunde gingen. Die Nacht vom Donnerstag zum Karfreitag bot ein Bild unſäglichen Jammers und Elends. Die dicke Staubwolke, welche über den Trümmern ſchwebte und wie ein Nebel die Luft verfinſterte, hatte ſich zu Boden geſchlagen. Kein Erdſtoß war mehr zu ſpüren, es war die ſchönſte, ſtillſte Nacht. Der faſt volle Mond beleuchtete die runden Gipfel der Silla, und am Himmel ſah es ſo ganz anders aus als auf der mit Trümmern und Leichen bedeckten Erde. Man ſah Mütter mit den Leichen ihrer Kinder in den Armen, die ſie wieder zum Leben zu bringen hofften; Familien liefen jammernd durch die Stadt und ſuchten einen Bruder, einen Gatten, einen Freund, von denen man nichts wußte und die ſich in der Volksmenge verloren haben mochten. Man drängte ſich durch die Straßen, die nur noch an den Reihen von Schutthaufen kenntlich waren. Alle Schrecken der großen Kataſtrophen von Liſſabon, Meſſina, Lima und Riobamba wiederholten ſich am Unglücks tage des 26. März 1812. „Die unter den Trümmern be⸗ grabenen Verwundeten riefen die Vorübergehenden laut um Hilfe an, und es wurden auch über 2000 hervorgezogen. Nie hat ſich das Mitleid rührender, man kann ſagen ſinnreicher beſtätigt als hier, wo es galt, zu den Unglücklichen zu dringen, die man jammern hörte. Es fehlte völlig an Werkzeugen zum Graben und Wegräumen des Schuttes; man mußte die noch Lebenden mit den Händen ausgraben. Man brachte die Ver— wundeten und die Kranken, die ſich aus den Spitälern ge— rettet, am Ufer des Guayre unter, aber hier fanden ſie kein Obdach als das Laub der Bäume. Betten, Leinwand zum Verbinden der Wunden, chirurgiſche Inſtrumente, alles Un⸗ entbehrliche lag unter den Trümmern begraben. Es fehlte an allem, in den erſten Tagen ſogar an Lebensmitteln, und ! Delpeche, Sur le tremblement de terre de Venezuela, en 1812 (Manuſkript). — 156 — im Inneren der Stadt ging vollends das Waſſer aus. Das Erdbeben hatte die Leitungsröhren der Brunnen zertrümmert und Erdſtürze hatten die Quellen verſchüttet. Um Waſſer zu bekommen, mußte man zum Guayre hinunter, der bedeutend angeſchwollen war, und es fehlte an Gefäßen. „Den Toten die letzte Ehre zu erweiſen, war ſowohl ein Werk der Pietät, als bei der Beſorgnis vor Verpeſtung der Luft geboten. Da es geradezu unmöglich war, ſo viele tauſend halb unter den Trümmern ſteckende Leichen zu be— erdigen, ſo wurde eine Kommiſſion beauftragt, ſie zu ver⸗ brennen. Man errichtete zwiſchen den Trümmern Scheiter— haufen, und die Leichenfeier dauerte mehrere Tage. Im all- gemeinen Jammer flüchtete das Volk zur Andacht und zu Ceremonien, mit denen es den Zorn des Himmels zu be— ſchwichtigen hoffte. Die einen traten zu Bittgängen zu— ſammen und ſangen Trauerchöre; andere halb ſinnlos, beich— teten laut auf der Straße. Da geſchah auch hier, was in der Provinz Quito nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797 vorgekommen war: viele Perſonen, die ſeit langen Jahren nicht daran gedacht hatten, den Segen der Kirche für ihre Verbindung zu ſuchen, ſchloſſen den Bund der Ehe; Kinder fanden ihre Eltern, von denen ſie bis jetzt ver⸗ leugnet worden; Leute, die niemand eines Betruges beſchuldigt hatte, gelobten Erſatz zu leiſten; Familien, die lange in Yeind- ſchaft gelebt, verſöhnten ſich im Gefühl des gemeinſamen Un⸗ glücks.“ Wenn dieſes Gefühl auf die einen verſittlichend wirkte und das Herz für das Mitleid aufſchloß, wirkte es in anderen das Gegenteil: ſie wurden nur noch hartherziger und unmenſchlicher. In großen Unfällen geht in gemeinen Seelen leichter der Edelmut verloren als die Kraft; denn es geht im Unglück wie bei der wiſſenſchaftlichen Beſchäftigung mit der Natur: nür auf die wenigſten wirkt fie veredelnd, gibt dem Gefühl mehr Wärme, den Gedanken höheren Schwung, und der ganzen Geſinnung mehr Milde. „So heftige Stöße, welche in einer Minute! die Stadt Caracas über den Haufen warfen, konnten ſich nicht auf einen Die Dauer des Erdbebens, d. h. all der wellenförmigen und ſtoßenden Bewegungen (undulacion y trepidacion), welche die furchtbare Kataſtrophe vom 26. März 1812 herbeiführten, wurde von den einen auf 50 Sekunden, von anderen auf 1 Minute 12 Se⸗ kunden geſchätzt. — 157 — kleinen Erdſtrich des Feſtlandes beſchränken. Ihre verheeren— den Wirkungen verbreiteten ſich über die Provinzen Venezuela, Varinas und Maracaybo, der Küſte entlang, beſonders aber in die Gebirge im Inneren. Guayra, Mayquetia, Antimano, Baruta, La Vega, San Felipe und Merida wurden faſt gänz— lich zerſtört. In Guayra und in Villa de San Felipe bei den Kupferminen von Aroa kamen wenigſtens 4000 bis 5000 Menſchen ums Leben. Auf einer Linie, die von Guayra und Caracas von Oſt⸗Nord⸗Oſt nach Weſt⸗Süd⸗Weſt den hohen Gebirgen von Niquitao und Merida zuläuft, ſcheint das Erd— beben am ſtärkſten geweſen zu fein. Man ſpürte es im König: reich Neugranada von den Ausläufern der hohen Sierra de Santa Marta bis Santa Fe de Bogota und Honda am Magdalenenſtrom, 810 km von Caracas. Ueberall war es in den Kordilleren aus Gneis und Glimmerſchiefer oder un— mittelbar an ihrem Fuße ſtärker als in der Ebene. Dieſer Unterſchied war beſonders auffallend in den Savannen von Varinas und Caſanare. (In dem geologiſchen Syſtem, nach dem alle vulkaniſchen und nicht vulkaniſchen Gebirge auf Spalten emporgeſtiegen ſind, erklärt ſich dieſer Unterſchied leicht.) In den Thälern von Aragua zwiſchen Caracas und der Stadt San Felipe waren die Stöße ganz ſchwach. Vik⸗ toria, Maracay, Valencia, obgleich nahe bei der Hauptſtadt, litten ſehr wenig. In Valecillo, einige Meilen von Valencia, ſpie der geborſtene Boden ſolche Waſſermaſſen aus, daß ſich ein neuer Bach bildete; dasſelbe ereignete ſich in Porto Ca: bello. Dagegen nahm der See von Maracaybo merkwürdig ab. In Coro fühlte man keine Erſchütterung, und doch liegt die Stadt an der Küſte, zwiſchen Städten, die gelitten haben.“ — Fiſcher, die den 26. März auf der Inſel Orchila, 135 km öſtlich von Guayra, zugebracht hatten, ſpürten keine Stöße. Dieſe Abweichungen in der Richtung und Fortpflanzung des Stoßes rühren wahrſcheinlich von der eigentümlichen Lagerung der Geſteinsſchichten her. Wir haben im bisherigen die Wirkungen des Erdbebens weſtlich von Caracas bis zu den Schneegebirgen von Santa Marta und zu der Hochebene von Santa Fs de Bogota ver: folgt. Wir wenden uns jetzt zum Landſtriche oſtwärts von der Hauptſtadt. Jenſeits Caurimare, im Thale von Capaya, waren die Erſchütterungen ſehr ſtark und reichten bis zum Meridian vom Kap Codera; es iſt aber höchſt merkwürdig, daß ſie an den Küſten von Nueva Barcelona, Cumana und — 158 — Paria ſehr ſchwach waren, obgleich dieſe Küſten eine Fortſetzung des Litorales von Guayra und von alters her dafür bekannt ſind, daß ſie oft von unterirdiſchen Bebungen heimgeſucht werden. Ließe ſich annehmen, die gänzliche Zerſtörung der vier Städte Caracas, Guayra, San Felipe und Merida ſei von einem vulkaniſchen Herde unter der Inſel San Vincent oder in der Nähe ausgegangen, ſo würde begreiflich, wie die Bewegung ſich von Nordoſt nach Südweſt auf einer Linie, die über die Eilande Los Hermanos bei Blanquilla läuft, fort: pflanzen konnte, ohne die Küſten von Araya, Cumana und Nueva Barcelona zu berühren. Ja, der Stoß konnte ſich auf dieſe Weiſe fortpflanzen, ohne daß die dazwiſchen liegenden Punkte, z. B. die Eilande Hermanos, die geringſte Erſchütte⸗ rung empfanden. Dieſe Erſcheinung kommt in Peru und Mexiko häufig bei Erdbeben vor, die ſeit Jahrhunderten eine beſtimmte Richtung einhalten. Die Bewohner der Anden haben einen naiven Ausdruck für einen Landſtrich, der an der Bebung ringsum keinen Teil nimmt; ſie ſagen, „er macht eine Brücke“ (que hace puente), wie um anzudeuten, daß die Schwingungen ſich in ungeheurer Tiefe unter einer ruhig bleibenden Gebirgsart fortpflanzen. Fünfzehn bis achtzehn Stunden lang nach der großen Kataſtrophe blieb der Boden ruhig. Die Nacht war, wie ſchon oben geſagt, ſchön und ſtill, und erſt nach dem 27. fingen die Stöße wieder an, und zwar begleitet von einem ſehr ſtarken und ſehr anhaltenden unterirdiſchen Getöſe (bramido). Die Einwohner von Caracas zerſtreuten ſich in der Umgegend; da aber Dörfer und Höfe ſo ſtark gelitten hatten wie die Stadt, fanden ſie erſt jenſeits der Berge Los Teques, in den Thälern von Aragua und in den Llanos Obdach. Man ſpürte oft 15 Schwingungen an einem Tage. Am 5. April erfolgte ein Erdbeben, faſt ſo ſtark wie das, in dem die Hauptſtadt untergegangen. Der Boden bewegte ſich mehrere Stunden lang wellenförmig auf und ab. In den Gebirgen gab es große Erdfälle; ungeheure Felsmaſſen brachen von der Silla los. Man behauptete ſogar — und dieſe Meinung iſt noch jetzt im Lande weit verbreitet — die beiden Kuppeln der Silla ſeien um 95 bis 115 m niedriger geworden; aber dieſe Behauptung ſtützt ſich auf keine Meſſung. Wie ich gehört, bildet man ſich auch in der Provinz Quito nach allen großen Erſchütterungen ein, der Vulkan Tunguragua ſei niedriger geworden. — 159 — In mehreren aus Anlaß der Zerſtörung von Caracas veröffentlichten Nachrichten wird behauptet: „Die Silla ſei ein erloſchener Vulkan, man finde viele vulkaniſche Produkte auf dem Wege von Guayra nach Caracas, das Geſtein ſei dort nirgends regelmäßig geſchichtet und zeige überall Spuren des unterirdiſchen Feuers.“ Ja, es heißt weiter: „Zwölf Jahre vor der großen Kataſtrophe haben Bonpland und ich nach unſeren mineralogiſchen und phyſikaliſchen Unterſuchungen er— klärt, die Silla ſei ein ſehr gefährlicher Nachbar für die Stadt, weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße von Nordoſt herkommen müßten.“ Es kommt ſelten vor, daß Phyſiker ſich wegen einer eingetroffenen Prophezeiung zu rechtfertigen haben; ich halte es aber für Pflicht, den Vor— ſtellungen von lokalen Urſachen der Erdbeben, die nur zu leicht Eingang finden, entgegenzutreten. Ueberall, wo der Boden monatelang fortwährend er— ſchüttert worden, wie auf Jamaika im Jahre 1693, in Liſſa— bon 1755, in Cumana 1766, in Piemont 1808, iſt man darauf gefaßt, einen Vulkan ſich öffnen zu ſehen. Man ver— gißt, daß man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung weit unter der Erdoberfläche zu ſuchen hat; daß, nach zuver— läſſigen Ausſagen, die Schwingungen ſich faſt im ſelben Mo— ment 4500 km weit über die tiefſten Meere weg fortpflanzen; daß die größten Zerſtörungen nicht am Fuße thätiger Vulkane, ſondern in aus den verſchiedenſten Felsarten aufgebauten Ge— birgsketten vorgekommen find. Die Gneis-, Glimmerſchiefer— und Urkalkſchichten in der Umgegend von Caracas ſind keines— wegs ſtärker zerbrochen oder unregelmäßiger geneigt, als bei Freiberg in Sachſen und überall, wo Urgebirge raſch zu be— deutender Höhe anſteigen; ich habe daſelbſt weder Baſalt noch Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porphyre gefunden, kurz, keine Spur von erloſchenen Vulkanen. Es konnte mir nie einfallen, zu äußern, die Silla und der Cerro de Avila ſeien für die Hauptſtadt gefährliche Nachbarn, weil dieſe Berge in untergeordneten Schichten von Urkalk viele Schwefelkieſe enthalten; ich erinnere mich aber, während meines Aufent— haltes in Caracas geſagt zu haben, ſeit dem großen Erdbeben in Quito ſcheine am öſtlichen Ende von Terra Firma der Boden ſo unruhig zu ſein, daß man befürchten müſſe, mit der Zeit dürfte die Provinz Venezuela ſtarke Erderſchütterungen erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land lange von Erd— ſtößen heimgeſucht worden ſei, ſo ſcheinen ſich in der Tiefe — 160 — neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzuſtellen, und die in der Richtung der Silla nordöſtlich von der Stadt ge: legenen Vulkane der Antillen ſeien vielleicht Luftlöcher, durch welche bei einem Ausbruch die elaſtiſchen Flüſſigkeiten ent⸗ weichen, welche die Erdbeben auf den Küſten des Feſtlandes verurſachen. Zwiſchen ſolchen Betrachtungen, die ſich auf die Kenntnis der Oertlichkeiten und auf bloße Analogieen grün— den, und einer durch den Lauf der Naturereigniſſe beſtätigten Vorherſagung iſt ein großer Unterſchied. Während man im Thale des Miſſiſſippi, auf der Inſel San Vincent und in der Provinz Venezuela gleichzeitig ſtarke Erdſtöße ſpürte, wurde man am 30. April 1812 in Caracas, in Calabozo mitten in den Steppen, und an den Ufern des Rio Apure, auf einem Landſtrich von 81000 qkm, durch ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt, das wiederholten Salven aus Geſchützen vom größten Kaliber glich. Es fing um 2 Uhr morgens an; es war von keinen Stößen begleitet, und, was ſehr merkwürdig iſt, es war auf der Küſte und 360 km weit im Lande gleich ſtark. Ueberall meinte man, es komme durch die Luft her, und man war ſo weit entfernt, dabei an einen unterirdiſchen Donner zu denken, daß man in Caracas wie in Calabozo militäriſche Maßregeln ergriff, um den Platz in Verteidigungszuſtand zu ſetzen, da der Feind mit ſeinem groben Geſchütz anzurücken ſchien. Beim Uebergang über den Apure unterhalb Orivante, beim Einfluß des Rio Nula, hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die „Kanonenſchüſſe“ ebenſogut am weſtlichen Ende der Provinz Varinas als im Hafen von Guayra nördlich von der Küſten⸗ kette gehört. Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt wurden, erfolgte ein großer Ausbruch des Vulkans auf der Inſel San Vincent. Der Berg, der gegen 970 m hoch iſt, hatte ſeit dem Jahre 1718 keine Lava mehr ausgeworfen. Man ſah ihn kaum rauchen, als im Mai 1811 häufige Erdſtöße verkündeten, daß ſich das vulkaniſche Feuer entweder von neuem entzündet oder nach dieſem Strich der Antillen gezogen habe. Der erſte Ausbruch fand erſt am 27. April 1812 um Mittag ſtatt. Der Vulkan warf dabei nur Aſche aus, aber unter furchtbarem Krachen. Am 30. floß die Lava über den Kraterrand und erreichte nach vier Stunden die See. Das Getöſe beim Ausbruch glich „abwechſelnd Salven aus dem ſchwerſten Geſchütz und — 161 — Kleingewehrfeuer, und, was ſehr beachtenswert iſt, dasſelbe ſchien weit ſtärker auf offener See, weit weg von der Inſel, als im Angeſicht des Landes, ganz in der Nähe des brennenden Vulkanes.“ Vom Vulkan San Vincent bis zum Rio Apure beim Einfluß des Nula ſind es in gerader Linie 390 km; die Exploſionen wurden demnach in einer Entfernung gehört gleich der vom Veſuv nach Paris. Dieſes Phänomen, dem ſich viele Beobachtungen in der Kordillere der Anden anſchließen, beweiſt, wieviel größer die unterirdiſche Wirkungsſphäre eines Vulkanes iſt, als man nach den unbedeutenden Veränderungen, die er an der Erdoberfläche hervorbringt, glauben ſollte. Die Knalle, die man in der Neuen Welt tagelang 360, 450, ja 900 km von einem Krater hört, gelangen nicht mittels der Fortpflanzung des Schalles durch die Luft zu uns; der Ton wird vielmehr durch die Erde geleitet, vielleicht am Punkte ſelbſt, wo wir uns befinden. Wenn die Ausbrüche des Vul— kanes von San Vincent, des Cotopaxi oder Tunguragua von fo weit herſchallten wie eine ungeheuer große Kanone, jo müßte der Schall im umgekehrten Verhältnis der Entfernung ſtärker werden; aber die Beobachtung zeigt, daß dies nicht der Fall iſt. Noch mehr: in der Südſee, auf der Fahrt von Guayaquil an die Küſte von Mexiko, fuhren Bonpland und ich über Striche, wo alle Matroſen an Bord über ein dumpfes Geräuſch erſchraken, das aus der Tiefe des Meeres heraufkam und uns durch das Waſſer mitgeteilt wurde. Eben fand wieder ein Ausbruch des Cotopaxi ſtatt, und wir waren ſo weit von dieſem Vulkan entfernt, als der Aetna von der Stadt Neapel. Vom Vulkan Cotopaxi zur kleinen Stadt Honda am Ufer des Magdalenenſtromes find es nicht weniger als 650 km, und doch hörte man während der großen Ausbrüche jenes Vulkanes in Honda ein unterirdiſches Getöſe, das man für Geſchützſalven hielt. Die Franziskaner verbreiteten das Ge— rücht, Cartagena werde von den Engländern belagert und beſchoſſen, und alle Einwohner glaubten daran. Der Coto— paxi iſt nun aber ein Kegel, der 3500 m und mehr über dem Becken von Honda liegt; er ſteigt aus einer Hochebene empor, die ſelbſt noch 2920 m mehr Meereshöhe hat als das Thal des Magdalenenſtromes. All' die koloſſalen Berge von Quito, der Provinz De los Paſtos und von Popayan, zahlloſe Thäler und Erdſpalten liegen dazwiſchen. Unter dieſen Umſtänden läßt ſich nicht annehmen, daß der Ton durch die Luft oder A. v. Humboldt, Reiſe. II. 11 — 192 — durch die oberſten Erdſchichten fortgepflanzt worden und daß er von da ausgegangen ſei, wo der Kegel und der Krater des Cotopaxi liegen. Man muß es wahrſcheinlich finden, daß der hochgelegene Teil des Königreiches Quito und die benach— barten Kordilleren keineswegs eine Gruppe einzelner Vulkane ſind, ſondern eine einzige aufgetriebene Maſſe bilden, eine ungeheure von Süd nach Nord laufende vulkaniſche Mauer, deren Kamm über 12 150 qkm Oberfläche hat. Auf dieſem Gewölbe, auf dieſem aufgetriebenen Erdſtücke ſtehen nun der Cotopaxi, der Tunguragua, der Antiſana, der Pichincha. Man gibt jedem einen eigenen Namen, obgleich es im Grunde nur verſchiedene Gipfel desſelben vulkaniſchen Gebirgsklumpens ſind. Das Feuer bricht bald durch den einen, bald durch den anderen dieſer Gipfel aus. Die ausgefüllten Krater erſcheinen uns als erloſchene Vulkane; wenn aber auch der Cotopaxi und der Tunguragua in hundert Jahren nur ein oder zweimal auswerfen, ſo läßt ſich doch annehmen, daß das unterirdiſche Feuer unter der Stadt Quito, unter Pichincha und Imbäburu in beſtändiger Thätigkeit iſt. Nordwärts finden wir zwiſchen dem Vulkan Cotopaxi und der Stadt Honda zwei andere vulkaniſche Berg— ſyſteme, die Berge Los Paſtos und die von Popayan. Daß dieſe Syſteme unter ſich zuſammenhängen, geht unzweifelhaft aus einer Erſcheinung hervor, deren ich ſchon oben gedacht habe, als von der gänzlichen Zerſtörung der Stadt Caracas die Rede war. Vom November 1796 an ſtieß der Vulkan bei Paſto, der weſtlich von der Stadt dieſes Namens am Thale des Rio Guaytara liegt, eine dicke Rauchſäule aus. Die Mündungen des Vulkanes liegen an der Seite des Berges, auf ſeinem weſtlichen Abhange; dennoch ſtieg die Rauchſäule drei Monate lang ſo hoch über den Gebirgskamm empor, daß die Einwohner der Stadt Paſto ſie fortwährend ſahen. Alle verſicherten uns, zu ihrer großen Ueberraſchung ſei am 4. Februar 1797 der Rauch auf einmal verſchwunden, ohne daß man einen Erdſtoß ſpürte. Und im ſelben Augenblick wurde 300 km weiter gegen Süd zwiſchen dem Chimborazo, dem Tunguragua und dem Altar (Capac-Urcu) die Stadt Riobamba durch ein Erdbeben zerſtört, furchtbarer als alle, die im Andenken geblieben ſind. Die Gleichzeitigkeit dieſer Ereigniſſe läßt wohl keinen Zweifel darüber, daß die Dämpfe, welche der Vulkan von Paſto aus ſeinen kleinen Mündungen oder ventanillas ausſtieß, am Drucke elaſtiſcher Flüſſigkeiten 3 teilnahmen, welche den Boden des Königreiches Peru erſchütter— ten und in wenigen Augenblicken 30000 bis 40000 Menſchen das Leben koſteten. Um dieſe gewaltigen Wirkungen der vulkaniſchen Reaktionen zu erklären, um darzuthun, daß die Vulkan— gruppe oder das vulkaniſche Syſtem der Antillen von Zeit zu Zeit Terra Firma erſchüttern kann, mußte ich mich auf die Kordillere der Anden berufen. Nur auf die Analogie friſcher und ſomit vollkommen beglaubigter Thatſachen laſſen ſich geologiſche Schlüſſe bauen, und wo auf dem Erdball fände man großartigere und mannigfaltigere vulkaniſche Er: ſcheinungen als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel und jedes Thal die Fülle ihrer Wunder ausgegoſſen hat? Betrachtet man einen brennenden Krater als eine vereinzelte Erſcheinung, bleibt man dabei ſtehen, die Maſſe des Geſteines, das er ausgeworfen, abzuſchätzen, ſo ſtellt ſich die vulkaniſche Wirkſamkeit an der gegenwärtigen Erdoberfläche weder als ſehr gewaltig noch als ſehr ausgebreitet dar. Aber das Bild dieſer Wirkſamkeit erweitert ſich vor unſerem inneren Blick mehr und mehr, je näher wir den Zuſammenhang zwiſchen den Vulkanen derſelben Gruppe kennen lernen — und der: gleichen Gruppen ſind z. B. die Vulkane in Neapel und auf Sizilien, die der Kanariſchen Inſeln, die der Azoren, die der Kleinen Antillen, die in Mexiko, in Guatemala und auf der Hochebene von Quito —, je genauer wir ſowohl die Reaktionen dieſer verſchiedenen Vulkanſyſteme aufeinander als die Ent⸗ fernungen kennen lernen, in denen ſie vermöge ihres Zu: ſammenhanges in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit erſchüttern. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei ganz geſonderte Teile. Der eine, rein mineralogiſche, beſchäftigt ſich nur mit der Unterſuchung der durch das unterirdiſche Feuer gebildeten oder umgewandelten Geſteine, von der Trachyt⸗ und Trapp⸗Porphyrformation, von den Baſalten, Phonolithen und Doleriten herauf bis zu den neueſten Laven. Der andere, nicht ſo zugängliche und auch mehr vernachläſſigte Teil, hat es mit den gegenſeitigen phyſikaliſchen Verhältniſſen der Vul⸗ kane zu thun, mit dem Einfluß, den die Syſteme aufeinander ausüben, mit dem Zuſammenhang zwiſchen den Wirkungen der feuerſpeienden Berge und den Stößen, welche den Erd— boden auf weite Strecken und lange fort in derſelben Richtung erſchüttern. Dieſes Wiſſen kann nur dann fortſchreiten, wenn — 164 — man die verſchiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit genau verzeichnet, ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke der Erſchütterungen, ihr allmähliches Vorrücken in Landſtrichen, die ſie früher nicht erreicht hatten, das Zuſammentreffen eines fernen vulkaniſchen Ausbruches mit jenem unterirdiſchen Ge— töſe, das ſo ſtark iſt, daß die Bewohner der Anden es aus— drucksvoll unterirdiſches Gebrülle und unterirdiſchen Donner (bramidos y truenos subterraneos) nennen. Alle dieſe Angaben gehören dem Gebiete der Naturgeſchichte an, einer Wiſſenſchaft, der man nicht einmal ihren Namen gelaſſen hat, und die wie alle Geſchichte mit Zeiten beginnt, die uns fabelhaft erſcheinen, und mit Kataſtrophen, deren Großartigkeit und Gewaltſamkeit weit über das Maß unſerer Vorſtellungen hinausgeht. Man hat ſich lange darauf beſchränkt, die Geſchichte der Natur nach den alten, in den Eingeweiden der Erde be— grabenen Denkmälern zu ſtudieren; aber wenn auch im engen Kreiſe ſicherer Ueberlieferung nichts von ſo allgemeinen Um— wälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Kordilleren emporgehoben und Myriaden von Seetieren begraben worden, ſo gehen doch auch in der jetzigen Natur, unter unſeren Augen, wenn auch auf beſchränktem Raume, ſtürmiſche Auftritte genug vor ſich, die, wiſſenſchaftlich aufgefaßt, über die entlegenſten Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Inneren des Erdballes hauſen die geheimnisvollen Kräfte, deren Wir— kungen an der Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche von Dämpfen, glühenden Schlacken, neuen vulkaniſchen Ge— ſteinen und heißen Quellen, als Auftreibungen zu Inſeln und Bergen, als Erſchütterungen, die ſich ſo ſchnell wie der elek— triſche Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdiſcher Donner, den man monatelang, und ohne Erſchütterung des Bodens, in großen Entfernungen von thätigen Vulkanen hört. Je mehr im tropiſchen Amerika Kultur und Bevölkerung zunehmen werden, je fleißiger man die vulkaniſchen Syſteme von Popayan, Los Paſtos, Quito, auf den Kleinen Antillen, auf der Centralhochebene von Mexiko beobachten wird, deſto mehr muß der Zuſammenhang zwiſchen Ausbrüchen und Erd— beben, welche den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen, allgemeine Anſchauung werden. Die genannten Vulkane, be— ſonders aber die der Anden, welche die ungeheure Höhe von 4870 m und darüber erreichen, bieten dem Beobachter bedeu— tende Vorteile. Die Epochen ihrer Ausbrüche ſind merkwürdig — 165 — ſcharf bezeichnet. Dreißig, vierzig Jahre lang werfen ſie keine Schlacken, keine Aſche aus, rauchen nicht einmal. In einer ſolchen Periode habe ich keine Spur von Rauch auf dem Gipfel des Tunguragua und des Cotopaxi geſehen. Wenn dagegen dem Krater des Veſuvs eine Rauchwolke entſteigt, achten die Neapolitaner kaum darauf; ſie ſind an die Bewegungen dieſes kleinen Vulkanes gewöhnt, der oft in zwei, drei Jahren hinter— einander Schlacken auswirft. Da iſt freilich ſchwer zu be— urteilen, ob die Schlackenauswürfe im Moment, wo man im Apennin einen Erdſtoß verſpürt, ſtärker geweſen ſind. Auf dem Rücken der Kordilleren hat alles einen beſtimmteren Typus. Auf einen Aſchenauswurf von ein paar Minuten folgt oft zehnjährige Ruhe. Unter dieſen Umſtänden wird es leicht, Epochen zu verzeichnen und auszumitteln, ob die Erſcheinungen in der Zeit zuſammenfallen. Die Zerſtörung von Cumana im Jahre 1797 und von Caracas im Jahre 1812 weiſen darauf hin, daß die Vulkane auf den Kleinen Antillen mit den Erſchütterungen, welche die Küſten von Terra Firma erleiden, im Zuſammenhange ſtehen. Trotzdem kommt es häufig vor, daß die Stöße, welche man im vulkaniſchen Archipel ſpürt, ſich weder nach der Inſel Trinidad, noch nach den Küſten von Cumana und Caracas fortpflanzen. Dieſe Erſcheinung hat aber durchaus nichts Auffallendes. Auf den Kleinen Antillen ſelbſt beſchränken ſich die Erſchütterungen oft auf eine einzige Inſel. Der große Ausbruch des Vulkanes auf San Vincent im Jahre 1812 hatte in Martinique und Guadeloupe kein Erdbeben zur Folge. Man hörte, wie in Venezuela, ſtarke Schläge, aber der Boden blieb ruhig. Dieſe Donnerſchläge, die nicht mit dem rollenden Ge— räuſch zu verwechſeln ſind, das überall auch ganz ſchwachen Erdſtößen vorausgeht, hört man an den Ufern des Orinoko ziemlich oft, beſonders, wie man uns an Ort und Stelle ver— ſichert hat, zwiſchen dem Rio Arauca und dem Cuchivero. Pater Morello erzählt, in der Miſſion Cabruta habe das unterirdiſche Getöſe zuweilen ſo ganz geklungen wie Salven von Steinböllern (pedreros), daß es geweſen ſei, als würde in der Ferne ein Gefecht geliefert. Am 21. Oktober 1766, am Tage des ſchrecklichen Erdbebens, das die Provinz Neu— andaluſien verheerte, erzitterte der Boden zu gleicher Zeit in Cumana, in Caracas, in Maracaybo, an den Ufern des Ca— ſanare, des Meta, des Orinoko und des Ventuario. Pater — 166 — Gili hat dieſe Erderſchütterungen in einer ganz granitiſchen Gebirgsgegend, in der Miſſion Encaramada beſchrieben, wo ſie von heftigen Donnerſchlägen begleitet waren. Am Paurari erfolgten große Bergſtürze und beim Felſen Aravacoto ver— ſchwand eine Inſel im Orinoko. Die wellenförmigen Be— wegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war gleichſam das Zeichen gegeben zu den heftigen Erſchütterungen, welche die Küſten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate lang erlitten. Man ſollte meinen, Menſchen, die zerftreut” in Wäldern leben und kein anderes Obdach haben als Hütten aus Rohr und Palmblättern, fürchten ſich nicht vor den Erd⸗ beben. Die Indianer am Erevato und Caura entſetzen ſich aber darüber, da die Erſcheinung bei ihnen ſelten vorkommt, und ſelbſt die Tiere im Walde erſchrecken ja dabei, und die Krokodile eilen aus dem Waſſer ans Ufer. Näher bei der See, wo die Erdſtöße ſehr häufig ſind, fürchten ſich die Indianer nicht nur nicht davor, ſondern ſehen ſie gern als Vorboten eines feuchten, fruchtbaren Jahres. Alles weiſt darauf hin, daß im Inneren des Erdballes nie ſchlummernde Kräfte walten, die miteinander ringen, ſic das Gleichgewicht halten und ſich gegenſeitig ſtimmen. Je mehr die Urſachen jener Wellenbewegungen des Bodens, jener Entbindung von Hitze, jener Bildung elaſtiſcher Flüſſigkeiten jür uns in Dunkel gehüllt ſind, deſto größere Aufforderung hat der Phyſiker, den Zuſammenhang näher zu beobachten, der zwiſchen dieſen Erſcheinungen ſichtbar beſteht und auf weite Entfernungen und in jehr- gleichförmiger Weiſe zu Tage kommt. Nur wenn man die verſchiedenen Beziehungen und Verhält— niſſe aus einem allgemeinen Geſichtspunkte betrachtet, wenn man ſie über ein großes Stück der Erdoberfläche durch die verſchiedenſten Gebirgsarten verfolgt, kommt man dazu, den Gedanken aufzugeben, als ob die vulkaniſchen Erſcheinungen und die Erdbeben kleine lokale Urſachen haben könnten wie Schichten von Schwefelkieſen und brennende Steinkohlenflöze. Wir haben uns in dieſem Kapitel mit den gewaltigen Erſchütterungen beſchäftigt, welche die Steinkruſte des Erd— balles von Zeit zu Zeit erleidet, und die unermeßlichen Jammer über ein Land bringen, das die Natur mit ihren köſtlichſten Gaben ausgeſtattet hat. Ununterbrochene Ruhe herrſcht in der oberen Atmoſphäre, aber — um einen Ausdruck Franklins zu brauchen, der mehr witzig iſt als richtig — in der unter⸗ irdiſchen Atmoſphäre, in dieſem Ka elaſtiſcher Flüſſig— — 167 — keiten, deren gewaltſame Bewegungen wir an der Erdoberfläche empfinden, rollt häufig der Donner. Wir haben von der Zerſtörung ſo vieler volkreichen Städte erzählt und damit das höchſte Maß menſchlichen Elendes geſchildert. Ein für ſeine Unabhängigkeit kämpfendes Volk ſieht ſich auf einmal dem Mangel an Nahrung und allen Lebensbedürfniſſen preis— gegeben. Hungernd, obdachlos zerſtreut es ſich auf dem platten Lande. Viele, die nicht unter den Trümmern ihrer Häuſer begraben worden, werden von Seuchen weggerafft. Das Ge— fühl des Jammers, weit entfernt, das Vertrauen unter den Bürgern zu befeſtigen, untergräbt es vollends; die äußeren Uebel ſteigern noch die Zwietracht, und der Anblick eines mit Thränen und Blut getränkten Bodens beſchwichtigt nicht den Grimm der ſiegreichen Partei. Nachdem man bei ſolchen Greuelſzenen verweilt, läßt man die Einbildungskraft mit Behagen bei freundlichen Er— innerungen ausruhen. Als in den Vereinigten Staaten das große Unglück von Caracas bekannt wurde, beſchloß der zu Waſhington verſammelte Kongreß einſtimmig, fünf Schiffe mit Mehl zur Verteilung unter die Dürftigſten an die Küſte von Venezuela zu ſenden. Dieſe großmütige Unterſtützung ward mit dem lebhafteſten Danke aufgenommen, und dieſer feierliche Beſchluß eines freien Volkes, dieſer Beweis der Teilnahme von Volk zu Volk, wovon die ſich ſteigernde Kultur des alten Europas in jüngſter Zeit wenige Beiſpiele auf— zuweiſen hat, erſchien als ein koſtbares Unterpfand des gegen: ſeitigen Wohlwollens, das auf immer die Völker des ge— doppelten Amerikas verknüpfen ſoll. Füufzehntes Kapitel. Abreiſe von Cacacas. — Gebirge von San Pedro und Los Teques. — Victoria. — Thäler von Aragua. Der kürzeſte Weg von Caracas an die Ufer des Orinoko hätte uns über die ſüdliche Kette der Berge zwiſchen Baruta, Salamanca und den Savannen von Ocumare, und über die Steppen oder Llanos von Orituco geführt, worauf wir uns bei Cabruta, an der Einmündung des Rio Guarico, hätten einſchiffen müſſen; aber auf dieſem geraden Wege hätten wir unſere Abſicht nicht erreicht, die dahin ging, den ſchönſten und kultivierteſten Teil der Provinz, die Thäler von Aragua, zu beſuchen, einen intereſſanten Strich der Küſte mit dem Barometer zu vermeſſen und den Rio Apure bis zu ſeinem Einfluß in den Orinoko hinabzufahren. Ein Reiſender, der ſich mit der Geſtaltung und den natürlichen Schätzen des Bodens bekannt machen will, richtet ſich nicht nach den Ent— fernungen, ſondern nach dem Intereſſe, das die zu bereiſenden Länder bieten. Dieſe entſcheidende Rückſicht führte uns in die Berge Los Teques, zu den warmen Quellen von Mariarg, an die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia und über die ungeheuren Steppen von Calabozo nach San Fernando am Apure im öſtlichen Teile der Provinz Varinas. Auf dieſem Wege war unſere Richtung anfangs Weſt, dann Süd und am Ende Oſt⸗Süd⸗Oſt, um auf dem Apure, unter dem Parallel von 7° 36° 23“ in den Orinoko zu gelangen. Da auf einem Wege von 2700 bis 3150 km die Längen durch Uebertragung der Zeit in Caracas und Cumana zu be— ſtimmen waren, mußte notwendig die Lage beider Städte genau und durch abſolute Beobachtungen ermittelt werden. Oben iſt das Reſultat der am erſten Ausgangspunkte, in Cumana, angeſtellten Beobachtungen angegeben; der zweite Punkt, der nördliche Stadtteil von Caracas, liegt unter — 169 — 1030“ 50“ der Breite und 69° 25,0“ der Länge. Die mag⸗ netiſche Deklination fand ich am 22. Januar 1800 außerhalb der Stadt, am Thore bei der Paſtora, 4° 38“ 45“ gegen Nordoſt, und am 30. Januar im Inneren der Stadt bei der Univerſität 4“ 39° 15“, alſo um 26“ ſtärker als in Cumana. Die Inklination der Nadel war 42,900; die Zahl der Schwin— gungen, welche die Intenſität der magnetiſchen Kraft angaben, war in zehn Minuten Zeit in Caracas 232, in Cumana 229. Dieſe Beobachtungen konnten nicht ſehr oft wiederholt werden; ſie ſind das Ergebnis dreimonatlicher Arbeit. Am Tage, wo wir die Hauptſtadt von Venezuela ver: ließen, die ſeitdem durch ein furchtbares Erdbeben vernichtet worden iſt, übernachteten wir am Fuße der bewaldeten Berge, die das Thal gegen Südweſt ſchließen. Wir zogen am rechten Ufer des Guayre bis zum Dorfe Antimano auf einer ſehr ſchönen, zum Teil in den Fels gehauenen Straße. Man kommt durch La Vega und Carapa. Die Kirche von La Vega hebt ſich ſehr maleriſch von einem dicht bewachſenen Hügel— zuge ab. Zerſtreute Häuſer, von Dattelbäumen umgeben, deuten auf günſtige Verhältniſſe der Bewohner. Eine nicht ſehr hohe Bergkette trennt den kleinen Guayrefluß vom Thale De la Pascua,, das in der Geſchichte des Landes eine große Rolle ſpielt, und von den alten Goldbergwerken von Baruta und Oripoto. Auf dem Wege aufwärts nach Carapa hat man noch einmal die Ausſicht auf die Silla, die ſich als eine gewaltige, gegen das Meer jäh abſtürzende Kuppel darſtellt. Dieſer runde Gipfel und der wie eine Mauerzinne gezackte Kamm des Galipano ſind die einzigen Berggeſtalten in dieſem Becken von Gneis und Glimmerſchiefer, die der Landſchaft Charakter geben; die übrigen Höhen ſind ſehr einförmig und langweilig. Beim Dorfe Antimano waren alle Baumgärten voll blühender Pfirſichbäume. Aus dieſem Dorfe, aus Valle und von den Ufern des Macarao kommen eine Menge Pfirſiche, Quitten und anderes europäiſches Obſt auf den Markt in Caracas. Vom Antimano bis Las Ajuntas geht man ſieb— . Thal des Cortez oder Oſterthal, fo genannt, weil Diego de Loſada, nachdem er die Tequesindianer und ihren Kaziken Guay— caypuro in den Bergen von San Pedro geſchlagen, im Jahre 1567 die Oſtertage daſelbſt zubrachte, ehe er in das Thal San Francisco drang, wo er die Stadt Caracas gründete. — 170 — zehnmal über den Guayre. Der Weg iſt ſehr beſchwerlich; ſtatt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man vielleicht beſſer, dem Fluſſe ein anderes Bett anzuweiſen, der durch Einſickerung und Verdunſtung ſehr viel Waſſer verliert. Jede Krümmung bildet eine größere oder kleinere Lache. Dieſe Verluſte ſind nicht gleichgültig in einer Provinz, wo der ganze bebaute Boden, mit Ausnahme des Striches zwiſchen der See und der Küſtenbergkette von Mariara und Niguatar, ſehr trocken iſt. Es regnet weit ſeltener und weniger als im Inneren von Neuandaluſien, in Cumanacoa und an den Ufern des Guarapiche. Viele Berge der Provinz Caracas reichen in die Wolkenregion hinauf, aber die Schichten des Urgebirges ſind unter einem Winkel von 70 bis 80“ geneigt und fallen meiſt nach Nordweſt, ſo daß die Waſſer entweder im Gebirge verſinken oder nicht ſüdlich, ſondern nördlich an den Küſtengebirgen von Niguatar, Avila und Mariara in reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus, daß die Gneis— und Glimmerſchieferſchichten gegen Süd aufgerichtet ſind, ſcheint ſich mir größtenteils die große Dürre des Küjten- ſtriches zu erklären. Im Inneren der Provinz findet man Strecken von 40 bis 60 qkm ohne alle Quellen. Das Zucker⸗ rohr, der Indigo und der Kaffeebaum können nur da gedeihen, wo Waſſer fließt, mit dem man während der großen Dürre künſtlich bewäſſern kann. Die erſten Anſiedler haben unvor⸗ ſichtigerweiſe die Wälder niedergeſchlagen. Auf einem ſteinigen Boden, wo Felſen ringsum Wärme ſtrahlen, iſt die Ver⸗ dunſtung ungemein ſtark. Die Berge an der Küſte gleichen einer Mauer, die von Oſt nach Weſt vom Kap Codera gegen die Landſpitze Tucacas ſich hinzieht; ſie laſſen die feuchte Küſtenluft, die unteren Luftſchichten, die unmittelbar auf der See aufliegen und am meiſten Waſſer aufgelöſt haben, nicht ins innere Land kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige Schluchten, die wie die Schlucht von Catia oder Tipe! vom Meeresufer in die hochgelegenen Längenthäler hinaufführen. Da iſt kein großes Flußbett, kein Meerbuſen, durch die der Ozean in das Land einſchneidet und durch reichliche Ver— dunſtung Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 8. und 10. Breite⸗ grade werfen da, wo die Wolken nicht nahe am Boden hin- ziehen, die Bäume im Januar und Februar die Blätter ab, 1 S. Bd. II, Seite 112. Mr fiher nicht, wie in Europa, weil die Temperatur zu niedrig wird, ſondern weil in dieſen Monaten, die am weiteſten von der Regenzeit entfernt ſind, die Luft dem Maximum von Trockenheit ſich nähert. Nur die Gewächſe mit glänzenden, ſtark lederartigen Blättern halten die Dürre aus. Unter dem ſchönen tropiſchen Himmel befremdet den Reiſenden der faſt winterliche Charakter des Landes; aber das friſcheſte Grün. erſcheint wieder, ſobald man an die Ufer des Orinoko gelangt. Dort herrſcht ein anderes Klima und durch ihre Beſchattung unterhalten die großen Wälder im Boden einen gewiſſen Grad von Feuchtigkeit und ſchützen ihn vor der verzehrenden Sonnenglut. Jenſeits des kleinen Dorfes Antimano wird das Thal bedeutend enger. Das Flußufer iſt mit Lata bewachſen, der ſchönen Grasart mit zweizeiligen Blättern, die gegen 10 m hoch wird und die wir unter dem Namen Gynerium (sac- charoides) beſchrieben haben. Um jede Hütte ſtehen unge— heure Stämme von Perſea (Laurus Persea), an denen Ari— ſtolochien, Paullinien und eine Menge anderer Schlingpflanzen wachſen. Die benachbarten bewaldeten Berge ſcheinen dieſes weſtliche Ende des Thales von Caracas feucht zu erhalten. Die Nacht vor unſerer Ankunft in Las Ajuntas brachten wir auf einer Zuckerpflanzung zu. In einem viereckigen Hauſe lagen gegen 80 Neger auf Ochſenhäuten am Boden. In jedem Gemach waren vier Sklaven, und das Ganze ſah aus wie eine Kaſerne. Im Hofe brannten ein Dutzend Feuer, an denen gekocht wurde. Auch hier fiel uns die lärmende Luſtigkeit der Schwarzen auf und wir konnten kaum ſchlafen. Wegen des bewölkten Himmels konnte ich keine Sternbeobach— tungen machen; der Mond kam nur von Zeit zu Zeit zum Vorſchein, die Landſchaft war trübſelig einförmig, alle Hügel umher mit Maguey bewachſen. Man arbeitete an einem kleinen Kanale, der über 23 m hoch das Waſſer des Rio San Pedro in den Hof leiten ſollte. Nach einer barometriſchen Beobachtung liegt der Boden der Hacienda nur 97 m über dem Bett des Guayre bei Noria in der Nähe von Caracas. Der Boden dieſes Landſtriches erwies ſich zum Bau des Kaffeebaumes nicht ſehr geeignet; er gibt im allgemeinen im Thale von Caracas einen geringeren Ertrag, als man anfangs vermutet hatte, da man bei Chacao mit dem Anbau begann. Um ſich von der Wichtigkeit dieſes Handelszweiges im all— gemeinen einen Begriff zu machen, genügt die Angabe, daß — 12 — 5 die ganze Provinz Caracas zur Zeit ihrer höchſten Blüte vor den Revolutionskriegen bereits 50000 bis 60000 Zentner Kaffee erzeugte. Dieſer Ertrag, der den Ernten von Guade⸗ loupe und Martinique zuſammen faſt gleichkommt, muß deſto bedeutender erſcheinen, da erſt im Jahre 1784 ein achtbarer Bürger, Don Bartolomeo Blandin, die erſten Verſuche mit dem Kaffeebau auf der Küſte von Terra Firma gemacht hatte. Die ſchönſten Kaffeepflanzungen ſind jetzt in der Savanne von Ocumare bei Salamanca und in Rincon, ſowie im bergigen Lande los Mariches, San Antonio Hatillo und Los Budares. Der Kaffee von den drei letztgenannten, oſtwärts von Caracas gelegenen Orten iſt von vorzüglicher Güte; aber die Sträucher tragen dort weniger, was man der hohen Lage und dem kühlen Klima zuſchreibt. Die großen Pflanzungen in der Provinz Venezuela, wie Aguacates bei Valencia und El Rincon, geben in guten Jahren Ernten von 3000 Zentnern. Im Jahre 1786 betrug die Geſamtausfuhr der Provinz nicht mehr als 4800 Zentner, im Jahre 1804 10 000 Zentner; ſie hatte indeſſen ſchon im Jahre 1789 begonnen. Die Preiſe ſchwankten zwiſchen 6 und 18 Piaſtern der Zentner. In der Havana ſah man denſelben auf 3 Piaſter fallen; zu jener für die Koloniſten ſo unheilvollen Zeit, in den Jahren 1810 und 1812, lagen aber auch über zwei Millionen Zentner Kaffee (im Werte von zehn Millionen Pfund Sterling) in den eng- liſchen Magazinen. fie Die große Vorliebe, die man in dieſer Provinz für den Kaffeebau hat, rührt zum Teil daher, daß die Bohne ſich viele Jahre hält, während der Kakao, trotz aller Sorgfalt, nach zehn Monaten oder einem Jahre in den Magazinen ver⸗ dirbt. Während der langen Kriege zwiſchen den europäiſchen Mächten, wo das Mutterland zu ſchwach war, um den Handel ſeiner Kolonieen zu ſchützen, mußte ſich die Induſtrie vorzugs— weiſe auf ein Produkt werfen, das nicht ſchnell abgeſetzt werden muß und bei dem man alle politiſchen und Handels— konjunkturen abwarten kann. In den Kaffeepflanzungen von Caracas nimmt man, wie ich geſehen, zum Verſetzen nicht leicht die jungen Pflanzen, die zufällig unter den tragenden Bäumen aufwachſen; man läßt vielmehr die Bohnen, getrennt von der Beere, aber doch noch mit einem Teile des Fleiſches daran, in Haufen zwiſchen Bananenblättern fünf Tage lang keimen und ſteckt ſofort den gekeimten Samen. Die jo ge⸗ zogenen Pflanzen widerſtehen der Sonnenhitze beſſer als die, — 13 — welche in der Pflanzung ſelbſt im Schatten aufgewachſen ſind. Man ſetzt hierzulande gewöhnlich 5300 Bäume auf die Vanega, die gleich iſt 2,08 ha. Ein ſolches Grundſtlück koſtet, wenn es ſich bewäſſern läßt, im nördlichen Teile der Provinz 500 Piaſter. Der Kaffeebaum blüht erſt im zweiten Jahre und die Blüte währt nur 24 Stunden. In dieſer Zeit nimmt ſich der kleine Baum ſehr gut aus; von weitem meint man, er ſei beſchneit. Im dritten Jahre iſt die Ernte bereits ſehr fesch In gut gejäteten und bewäſſerten Pflanzungen auf iſch umgebrochenem Boden gibt es ausgewachſene Bäume, die 8, 9, ſogar 10 kg Kaffee tragen; indeſſen darf man nur 1% bis 2 Pfund auf den Stamm rechnen, und dieſer durch— ſchnittliche Ertrag iſt ſchon größer als auf den Antillen. Der Regen, wenn er in die Blütezeit fällt, der Mangel an Waſſer zum Ueberrieſeln und ein Schmarotzergewächs, eine neue Art Loranthus, das ſich an den Zweigen anſetzt, richten großen Schaden in den Kaffeepflanzungen an. Auf Pflanzungen von 8000 bis 10000 Stämmen gibt die fleiſchige Beere des Kaffee— baumes eine ungeheure Maſſe organiſchen Stoffes, und man muß ſich wundern, daß man nie verſucht hat, Alkohol daraus zu gewinnen. Wenn auch die Unruhen auf San Domingo, der augen— blickliche Aufſchlag der Kolonialwaren und die Auswanderung der franzöſiſchen Pflanzer den erſten Anlaß zum Bau des Kaffees auf dem Feſtlande von Amerika, auf Cuba und Ja— maika gaben, ſo hat doch, was ſie an Kaffee geliefert, keines— wegs bloß das Defizit gedeckt, das dadurch entſtanden war, daß die franzöſiſchen Antillen nichts mehr ausführten. Dieſer Ertrag ſteigerte ſich, je mehr die Bevölkerung und bei ver— änderter Lebensweiſe der Luxus bei den europäiſchen Völkern zunahmen. Zu Neckers Zeit im Jahre 1780 führte San Domingo gegen 38000 000 kg Kaffee aus. Im Jahre 1817 und den drei folgenden Jahren war die Ausfuhr, nach Colqu— houn, noch 18000000 kg. Der Kaffeebau ift nicht jo müh⸗ ſam und koſtſpielig als der Bau des Zuckerrohres und hat unter dem Regiment der Schwarzen nicht ſo ſehr gelitten als letzterer. Das ſich ergebende Defizit von 20000000 kg wird nun von Jamaika, Cuba, Surinam, Demerary, Barbice, Curaçao, Venezuela und der Inſel Java weit mehr als ge— deckt, indem alle zuſammen 37950000 kg erzeugen. Die Geſamteinfuhr von Kaffee aus Amerika nach Europa überſteigt jetzt 53000000 kg franzöſiſchen Markgewichtes. — 174 — Rechnet man dazu 2 bis 2,5 Millionen von Isle de France und der Inſel Bourbon, und 15 Millionen aus Arabien und Java, ſo ergibt ſich, daß der Geſamtverbrauch von Europa im Jahre 1819 auf etwa 70000000 kg geſtiegen ſein mag. Bei meinen Unterſuchungen über die Kolonialwaren im Jahre 1810 habe ich eine geringere Zahl angenommen. Bei dieſem ungeheuren Kaffeeverbrauche hat der Verbrauch von Thee keineswegs abgenommen, vielmehr iſt die Ausfuhr aus China in den letzten fünfzehn Jahren um mehr als ein Vier— teil ſtärker geworden. Im gebirgigen Teile der Provinzen Caracas und Cumana könnte Thee ſo gut gebaut werden als Kaffee. Man findet dort alle Klimate wie in Stockwerken übereinander, und dieſer neue Kulturzweig würde ebenſogut gedeihen, wie in der ſüdlichen Halbkugel, wo in Braſilien unter einer Regierung, die großſinnig die Induſtrie und die religiöſe Duldung in ihren Schutz nimmt, der Thee, die Chineſen und Fos Glaubensſätze zumal eingewandert ſind. Noch ſind es nicht hundert Jahre her, ſeit in Surinam und auf den Antillen die erſten Kaffeebäume gepflanzt wurden, und bereits hat der Ertrag der amerikaniſchen Ernte einen Wert von 15 Millionen Piaſtern, den Zentner Kaffee nur zu 14 Piaſtern gerechnet. Am 8. Februar bei Sonnenaufgang brachen wir auf, um über den Higuerote zu gehen, einen hohen Gebirgszug zwiſchen den beiden Längenthälern von Caracas und Aragua. Nach: dem wir bei Las Ajuntas, wo die kleinen Flüſſe San Pedro und Macarao ſich zum Guayre vereinigen, über das Waſſer gegangen waren, ging es an ſteilem Berghange hinauf zur Hochebene von Buenaviſta, wo ein paar einzelne Häuſer ſtehen. Man ſieht hier gegen Nordoſt bis zur Stadt Caracas, gegen Süd bis zum Dorfe Los Teques. Die Gegend iſt wild und waldreich. Die Pflanzen des Thales von Caracas waren nach und nach ausgeblieben. Wir befanden uns in 1627 m Meereshöhe, alſo faſt ſo hoch als Popayan, aber die mittlere Temperatur iſt ſchwerlich höher als 17 bis 18. Die Straße über dieſe Berge iſt ſehr belebt; jeden Augenblick be: gegnet man langen Zügen von Maultieren und Ochſen; es iſt die große Straße von der Hauptſtadt nach Victoria und S. Humboldt, Essay politique sur le Mexique. T. II, P. 435. — 15 — in die Thäler von Aragua. Der Weg ift in einen talfigen, zerſetzten Gneis gehauen. Ein mit Glimmerblättern gemengter Thon bedeckt 1 m hoch das Geſtein. Im Winter leidet man vom Staub und in der Regenzeit wird der Boden ein Moraſt. Abwärts von der Ebene von Buenaviſta, etwa 100 m gegen Südoſt, kommt man an eine ſtarke Quelle im Gneis, die mehrere Fälle bildet, welche die üppigſte Vegetation umgibt. Der Pfad zur Quelle hinunter iſt ſo ſteil, daß man die Wipfel der Baumfarne, deren Stamm 8 m hoch wird, mit der Hand berühren kann. Die Felſen ringsum ſind mit Jungermannia und Mooſen aus der Familie Hypnum be— kleidet. Der Bach ſchießt im Schatten von Helikonien hin und entblößt die Wurzeln der Plumeria, des Cupey, der Brownea und des Ficus gigantea. Dieſer feuchte, von Schlangen heimgeſuchte Ort gewährt dem Botaniker die reichſte Ausbeute. Die Brownea, von den Eingeborenen Rosa del monte oder Palo de Cruz genannt, trägt oft vier- bis fünf: hundert purpurrote Blüten in einem einzigen Strauße. Jede Blüte hat faſt immer 11 Staubfäden, und das prachtvolle Gewächs, deſſen Stamm 15 bis 20 m hoch wächſt, wird ſelten, weil ſein Holz eine ſehr geſuchte Kohle gibt. Den Boden bedecken Ananas, Hemimeris, Polygala und Melaſtomen. Eine kletternde Grasart ſchwebt in leichten Gewinden zwiſchen Bäumen, deren Hierſein bekundet, wie kühl das Klima in dieſen Bergen iſt. Dahin gehören die Aralia capitata, die Vismia caparosa, die Clethra fagifolia. Mitten unter dieſen, der ſchönen Region der Baumfarne (region de los helechos) eigentümlichen Gewächſen erheben ſich in den Lichtungen hie und da Palmbäume und Gruppen von Guarumo oder Cekropia mit ſilberfarbigen Blättern, deren dünner Stamm am Gipfel ſchwarz iſt, wie verbrannt vom Sauerſtoff der Luft. Es iſt auffallend, daß ein ſo ſchöner Baum vom Habitus der Theophraſta und der Palmen meiſt nur acht bis zehn Kronblätter hat. Die Ameiſen, die im Stamme des Guarumo hauſen und das Zellgewebe im Inneren zerſtören, ſcheinen das Wachstum des Baumes zu hemmen. Wir hatten in dieſen kühlen Bergen von Higuerote ſchon einmal botaniſiert, im Dezember, als wir den Generalkapitän Guevara auf dem Ausfluge begleiteten, den er mit dem Intendanten der Provinz in die Valles de Aragua machte. Damals entdeckte Bon— pland im dickſten Walde ein paar Stämme des Aguatire, deſſen wegen ſeiner ſchönen Farbe berühmtes Holz einmal ein — 176 — Ausfuhrartikel nach Europa werden kann. Es iſt die von Bredemayer und Willdenow beſchriebene Sickingia erythro- xylon. 1 Vom bewaldeten Berge Higuerote kommt man gegen Süd— weſt zum kleinen Dorfe San Pedro herunter (Höhe 1138 m), das in einem Becken liegt, wo mehrere kleine Thäler zu— ſammenſtoßen, und faſt 584 m tiefer als die Ebene von Bue— naviſta. Man baute hier nebeneinander Bananen, Kartoffeln und Kaffee. Das Dorf iſt ſehr klein und die Kirche noch nicht ausgebaut. Wir trafen in einer Schenke (pulperia) mehrere bei der Tabakspacht angeſtellte Hiſpano-Europäer. Ihre Stimmung war von der unſerigen ſehr verſchieden. Vom Marſche ermüdet, brachen ſie in Klagen und Verwünſchungen aus über das unſelige Land (estas tierras infelices), in dem ſie leben müßten. Wir dagegen konnten die wilde Schönheit der Gegend, die Fruchtbarkeit des Bodens, das angenehme Klima nicht genug rühmen. Das Thal von San Pedro mit dem Flüßchen dieſes Namens trennt zwei große Bergmaſſen, die des Higuerote und die von Las Cocuyzas. Es ging nun gegen Weſt wieder 6 über die kleinen Höfe Las Lagunetas und Garavatos. 5 ſind dies nur einzelne Häufer, die als Herbergen dienen; die Maultiertreiber finden hier ihr Lieblingsgetränk, Gua— rapo, gegorenen Zuckerrohrſaft. Beſonders die Indianer, die auf dieſer Straße hin und her ziehen, ſind dem Trunke ſehr ergeben. Bei Garavatos ſteht ein ſonderbar geſtalteter Glimmerſchieferfels, ein Kamm oder eine ſteile Wand, auf der oben ein Turm ſteht. Hanz oben auf dem Berge Las Cocunzas öffneten wir den Barometer und fanden, daß wir hier in derſelben Höhe waren wie auf Buenaviſta, kaum 20 m höher. Die Ausſicht auf Las Lagunetas iſt ſehr weit, aber ziemlich einförmig. Dieſer gebirgige, unbebaute Landstrich zwiſchen den Quellen des Guayre und des Tuy iſt über 500 qkm groß. Es gibt darin ein einziges elendes Dorf, Los Teques, ſüdöſtlich von San Pedro. Der Boden iſt wie durchfurcht von unzähligen kleinen Thälern, und die kleinſten, neben⸗ einander herlaufenden münden unter rechtem Winkel in die größeren aus. Die Berggipfel ſind ebenſo einförmig wie die Thalſchluchten; nirgends eine pyramidaliſche Bildung oder eine Auszackung, nirgends ein ſteiler Abhang. Nach meiner An: ſicht rührt das faſt durchgängig flache, wellenförmige Relief Era m dieſes Landſtriches nicht ſowohl von der Beſchaffenheit der Gebirgsart her, etwa von der Zerſetzung des Gneiſes, als vielmehr davon, daß das Waſſer lange darüber geſtanden und die Strömungen ihre Wirkungen geäußert haben. Die Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen die— ſelbe Bildung. Von Las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter. Dieſer weſtliche Abhang der Berggruppe Los Teques heißt Las Cocuyzas; er iſt mit zwei Pflanzen mit Agaveblättern, mit dem Maguey de Cocuyza und dem Maguey de Co— cuy bewachſen. Letzterer gehört zur Gattung Nukka (unſere Yucca acaulis); aus dem gegorenen, mit Zucker verſetzten Saft wird Branntwein gebrannt, auch habe ich die jungen Blätter eſſen ſehen. Aus den Faſern der ausgewachſenen Blätter werden ungemein feſte Stricke verfertigt.“ Hat man die Berge Higuerote und Los Teques hinter ſich, jo betritt man ein reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern, unter denen welche ſind, die in Europa Städte hießen. Von Oſt nach Weſt, auf einer Strecke von 54 km, kommt man durch Victoria, San Mateo, Turmero und Maracay, die zuſammen über 28 000 Einwohner haben. Die Ebenen am Tuy ſind als der öſtliche Ausläufer der Thäler von Aragua zu betrachten, die ſich von Guigue, am Ufer des Sees von Valencia, bis an den Fuß der Berge Las Cocuyzas erſtrecken. Durch barometriſche Meſſung fand ich das Tuythal beim Hofe Manterola 575 m und den Spiegel des Sees 432 m über dem Meere. Der Tuy, der in den Bergen Las Cocuyzas ent— ſpringt, läuft anfangs gegen Weſt, wendet ſich dann nach Süd und Oſt längs der hohen Savannen von Ocumare, nimmt die Gewäſſer des Thales von Caracas auf und fällt unter dem Winde des Kap Codera ins Meer. Wir waren ſchon lange an eine mäßige Temperatur ge— wöhnt, und ſo kamen uns die Ebenen am Tuy ſehr heiß vor, und doch ſtand der Thermometer bei Tag zwiſchen- 11 Uhr morgens und 5 Uhr abends nur auf 23 bis 24°, Die Nächte waren köſtlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17,5“ ſank. Je mehr die Hitze abnahm, deſto ſtärker ſchienen die Wohl— gerüche der Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus erkannten wir den köſtlichen Geruch des Lirio hermoso, einer An der Uhr in der Hauptkirche von Caracas trug ein Jem dicker Magueyſtrick ſeit 15 Jahren ein Gewicht von 175 kg. A. v. Humboldt, Reiſe. II. 12 BR neuen Art von Pancratium, deren Blüte 21 bis 23 em lang iſt und die am Ufer des Tuy wächſt. Wir verlebten zwei höchſt angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joſes de Man⸗ terola, der in der Jugend Mitglied der ſpaniſchen Geſandt— ſchaft in Rußland geweſen war. Als Zögling und Günſt⸗ ling Xavedras, eines der einſichtsvollſten Intendanten von Caracas, wollte er ſich, als der berühmte Staatsmann ins Miniſterium getreten war, nach Europa einſchiffen. Der Gou— verneur der Provinz fürchtete Manterolas Einfluß und ließ ihn im Hafen verhaften, und als der Befehl von Hof an— langte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der Miniſter bereits nicht mehr in Gunſt. Es hält ſchwer, auf 7300 km von der ſüdamerikaniſchen Küſte rechtzeitig einzu— treffen, um von der Macht eines hochgeſtellten Mannes Nutzen u ziehen. f Der wa auf dem wir wohnten, iſt eine hübſche Zucker⸗ plantage. Der Boden iſt eben wie der Grund eines aus: getrockneten Sees. Der Tuy ſchlängelt ſich durch Gründe, die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von Hura cre- pitans, Erythrina corallodendron und Feigenbäumen mit Nymphäenblättern bewachſen ſind. Das Flußbett beſteht aus QJuarzgeſchieben. und ich wüßte nicht, wo man angenehmer badete als im Tuy: das kriſtallhelle Waſſer behält ſelbſt bei Tage die Temperatur von 18,6“. Das iſt ſehr kühl für dieſes Klima und für eine Meereshöhe von 580 m, aber der Fluß entſpringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des Eigentümers liegt auf einem 30 bis 40 m hohen Hügel und ringsum ſtehen die Hütten der Neger. Die Verheirateten ſorgen ſelbſt für ihren Unterhalt. Wie überall in den Thä⸗ lern von Aragua weiſt man ihnen ein kleines Grundſtück an, das ſie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen freien Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten Hühner, zuweilen ſogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie gut ſie es haben, wie im nördlichen Europa die gnädigen Herren den Wohlſtand der leibeigenen Bauern rühmen. Am Tage unſerer Ankunft ſahen wir drei entſprungene Neger ein⸗ bringen, vor kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge einer der Prügelſzenen ſein zu müſſen, die einem überall, wo die Sklaverei herrſcht, das Landleben verbittern; glücklicher— weiſe wurden die Schwarzen menſchlich behandelt. Auf dieſer Pflanzung, wie überall in der Provinz Vene⸗ zuela, unterſcheidet man ſchon von weitem die drei Arten Zuckerrohr, die gebaut werden, das kreoliſche Rohr, das tahı- tiſche und das bataviſche. Die erſtere Art hat ein dunkleres Blatt, einen dünneren Stengel und die Knoten ſtehen näher bei einander; es iſt dies das Zuckerrohr, das aus Indien zuerſt auf Sizilien, auf den Kanarien und auf den Antillen eingeführt wurde. Die zweite Art zeichnet ſich durch ein helleres Grün aus; der Stengel iſt höher, dicker, ſaftreicher; die ganze Pflanzung verrät üppigeres Wachstum. Man ver⸗ dankt ſie den Reiſen Bougainvilles, Cooks und Blighs. Bou- gainville brachte ſie nach Cayenne, von wo ſie nach Martinique und vom Jahre 1792 an auf die anderen Antillen kam. Das tahitiſche Zuckerrohr, der To der Inſulaner, iſt eine der wichtigſten Bereicherungen, welche die Landwirtſchaft in den Kolonien ſeit einem Jahrhundert reiſenden Naturforſchern ver- dankt. Es gibt nicht nur auf demſelben Areal ein Dritteil mehr Vezou als das kreoliſche Zuckerrohr, ſein dicker Stengel und ſeine feſte Holzfaſer liefern auch ungleich mehr Brennſtoff. Letzteres iſt für die Antillen von großem Wert, da die Pflanzer dort wegen der Ausrodung der Wälder ſchon lange die Keſſel mit ausgepreßtem Rohr heizen müſſen. Ohne dieſes neue Gewächs, ohne die Fortſchritte des Ackerbaues auf dem Feſt⸗ lande des ſpaniſchen Amerika und die Einführung des indiſchen und Javazuckers hätten die Revolutionen auf San Domingo und die Zerſtörung der dortigen großen Zuckerpflanzungen einen noch weit bedeutenderen Einfluß auf die Preiſe der Kolonialwaren in Europa geäußert. Nach Caracas kam das tahitiſche Rohr von der Inſel Trinidad, von Caracas nach Cucuta und San Gil im Königreiche Neugranada. Gegen- wärtig, nach fünfundzwanzigjährigem Anbau, iſt die Beſorgnis verſchwunden, die man anfangs gehegt, das nach Amerika verpflanzte Rohr möchte allmählich ausarten und ſo dünn werden wie das kreoliſche. Wenn es eine Spielart iſt, ſo iſt es eine ſehr konſtante. Die dritte Art, das violette Zucker— rohr, Cana de Batavia oder de Guinea genannt, iſt beſtimmt auf Java zu Hauſe, wo man es vorzugsweiſe in den Diſtrikten Japara und Paſuruan baut. Es hat purpurfarbige, ſehr breite Blätter; in der Provinz Caracas verwendet man es vorzugsweiſe zum Rumbrennen. Zwiſchen den Tablones oder mit Zuckerrohr bepflanzten Grundſtücken laufen Hecken aus einer gewaltig großen Grasart, der Latta oder dem Gynerium mit zweizeiligen Blättern. Man war im Tuy 5 ein Wehr auszubauen, durch das ein Wäſſerungskanal — 180 — geſpeiſt werden ſollte. Der Eigentümer hatte für das Unter⸗ nehmen 7000 Piaſter an Baukoſten und 4000 für die Prozeſſe mit ſeinen Nachbarn ausgegeben. Während die Sachwalter ſich über einen Kanal ſtritten, der erſt zur Hälfte fertig war, fing Manterola an zu bezweifeln, ob die Sache überhaupt ausführbar ſei. Ich vermaß das Terrain mittels eines Pro— bierglaſes auf einem künſtlichen Horizont und fand, daß das Wehr 2,6 m zu tief angelegt war. Wieviel Geld habe ich in den ſpaniſchen Kolonien für Bauten hinauswerfen ſehen, die nach falſchen Meſſungen angelegt waren! Das Tuythal hat ſein „Goldbergwerk“, wie faſt jeder von Europäern bewohnte, im Urgebirge liegende Ort in Amerika. Man verſicherte, im Jahre 1780 habe man hier fremde Gold— wäſcher Goldkörner ſammeln ſehen, und die Leute haben ſofort in der Goldſchlucht eine Wäſcherei angelegt. Der Verwalter einer benachbarten Pflanzung hatte dieſe Spuren verfolgt, und ſiehe, man fand in ſeinem Nachlaß ein Wams mit goldenen Knöpfen, und nach der Volkslogik konnte dieſes Gold nur aus einem Erzgange kommen, wo die Schürfung durch einen Erdfall verſchüttet worden war. So beſtimmt ich auch erklärte, nach dem bloßen Ausſehen des Bodens, ohne einen tiefen Stollen in der Richtung des Ganges könne ich nicht wiſſen, ob hier einmal gebaut worden ſei — es half nichts, ich mußte den Bitten meiner Wirte nachgeben. Seit zwanzig Jahren war das Wams des Verwalters im ganzen Bezirk tagtäglich beſprochen worden. Das Gold, das man aus dem Schoße der Erde gräbt, hat in den Augen des Volkes einen ganz anderen Reiz, als das Gold, das der Fleiß des Landmannes auf einem fruchtbaren, mit einem milden Klima geſegneten Boden erntet. Nordweſtlich von der Hacienda del Tuy, im nördlichen Zuge der Küſtengebirgskette, befindet ſich eine tiefe Schlucht, Quebrada seca genannt, weil der Bach, dem fie ihre Ent— ſtehung verdankt, in den Felsſpalten verſickert, ehe er das Ende der Schlucht erreicht. Dieſes ganze Bergland iſt dicht bewachſen; hier, wie überall, wo die Höhen in die Wolken⸗ region reichen und die Waſſerdünſte auf ihrem Zuge von der See her freien Zutritt haben, fanden wir das herrliche friſche Grün, das uns in den Bergen von Buenaviſta und Lagunetas ſo wohl gethan hatte. In den Ebenen dagegen werfen, wie ſchon oben bemerkt, die Bäume im Winter ihre Blätter zum Teil ab, und ſobald man in das Thal des Tuy hinabkommt, — 131 — fällt einem das faſt winterliche Ausſehen der Landſchaft auf. Die Luft iſt jo trocken, daß der Delucſche Hygrometer Tag und Nacht auf 36 bis 40° ſteht. Weit ab vom Fluſſe ſieht man kaum hie und da eine Hura oder ein baumartiges Pfeffer— gewächs das entblätterte Buſchwerk beſchatten. Dieſe Erſchei— nung iſt wohl eine Folge der Trockenheit der Luft, die im Februar ihr Maximum erreicht; ſie rührt nicht, wie die Ko— loniſten meinen, daher, daß die „Jahreszeiten, wie ſie in Spanien ſind, bis in den heißen Erdſtrich herüber wirken“. Nur die aus einer Halbkugel in die andere verſetzten Gewächſe bleiben hinſichtlich ihrer Lebensverrichtungen, der Blätter- und Blütenentwickelung an einen fernen Himmelsſtrich gebunden und richten ſich, treu dem gewohnten Lebensgange, noch lange an die periodiſchen Witterungswechſel desſelben. In der Pro— vinz Venezuela fangen die kahlen Bäume faſt einen Monat vor der Regenzeit wieder an friſches Laub zu treiben. Wahr⸗ ſcheinlich iſt um dieſe Zeit das elektriſche Gleichgewicht in der Luft bereits aufgehoben und dieſelbe wird allmählich feuchter, wenn ſie auch noch wolkenlos iſt. Das Himmelsblau wird bläſſer und hoch oben in der Luft ſammeln ſich leichte, gleich— förmig verbreitete Dünſte. In dieſe Jahreszeit fällt hier eigentlich das Erwachen der Natur; es iſt ein Frühling, der, nach dem Sprachgebrauch in den ſpaniſchen Kolonieen, Winters Anfang verkündigt und auf die Sommerhitze folgt. In der Quebrada seca wurde früher Indigo gebaut; da aber der dichtbewachſene Boden nicht jo viel Wärme ab: geben kann, als die Niederungen oder der Thalgrund des Tuy empfangen und durch Strahlung wieder von ſich geben, ſo baut man jetzt ſtatt desſelben Kaffee. Je weiter man in der Schlucht hinaufkommt, deſto feuchter wird ſie. Beim Hato, am nördlichen Ende der Quebrada, kamen wir an einen Bach, der über die fallenden Gneisſchichten niederſtürzt; man arbeitete hier an einer Waſſerleitung, die das Waſſer in die Ebene führen ſollte; ohne Bewäſſerung iſt in dieſem Land— ſtriche kein Fortſchritt in der Landwirtſchaft möglich. Ein un: geheuer dicker Baum (Hura crepitans) am Bergabhange, über ı Winter heißt die Zeit im Jahre, wo es am meiſten regnet, daher in Terra Firma die mit der Winter-Tag- und Nachtgleiche beginnende Jahreszeit Sommer genannt wird und man alle Tage ſagen hört, im Gebirge ſei es Winter, während es in den benach— barten Niederungen Sommer iſt. — 182 — dem Hauſe des Hato, fiel uns auf. Da er, wenn der Boden im geringſten wich, hätte umfallen und das Haus, das in feinem Schatten lag, zertrümmern müſſen, jo hatte man ihn unten am Stamm abgebrannt und ſo gefällt, daß er zwiſchen ungeheure Feigenbäume zu liegen kam und nicht in die Schlucht hinunterrollen konnte. Wir maßen den gefällten Baum: der Wipfel war abgebrannt, und doch maß der Stamm noch 53 m; er hatte an der Wurzel 2,6 mn Durchmeſſer und am oberen Ende 1,35 m. Unſeren Führern war weit weniger als uns daran ge— legen, wie dick die Bäume ſind, und ſie trieben uns vorwärts, dem „Goldbergwerke“ zu. Wir wandten uns nach Weſt und ſtanden endlich in der Quebrada del Oro. Da war nun am Abhange eines Hügels kaum die Spur eines Quarzganges zu bemerken. Durch den Regen war der Boden herabgerutſcht, das Terrain war dadurch ganz verändert und von einer Unter— ſuchung konnte keine Rede ſein. Bereits wuchſen große Bäume auf dem Fleck, wo die Goldwäſcher vor zwanzig Jahren ge— arbeitet hatten. Es iſt allerdings wahrſcheinlich, daß ſich hier im Glimmerſchiefer, wie bei Goldkronach in Franken und im Salzburgiſchen, goldhaltige Gänge finden; aber wie will man wiſſen, ob die Lagerſtätte bauwürdig iſt, oder ob das Erz nur in Neſtern vorkommt, und zwar deſto ſeltener, je reicher es iſt? Um uns für unſere Anſtrengung zu entſchädigen, botaniſierten wir lange im dichten Walde über dem Hato, wo Cedrela, Brownea und Feigenbäume mit Nymphäenblättern in Menge wachſen. Die Stämme der letzteren ſind mit ſehr ſtark rie— chenden Vanillepflanzen bedeckt, die meiſt erſt im April blühen. Auch hier fielen uns wieder die Holzauswüchſe auf, die in der Geſtalt von Gräten oder Rippen den Stamm der ameri— kaniſchen Feigenbäume bis 6,5 m über dem Boden fo ungemein dick machen. Ich habe Bäume geſehen, die über der Wurzel 7,3 m Durchmeſſer hatten. Dieſe Holzgräten trennen ſich zu— weilen 2,6 m über dem Boden vom Stamm und verwandeln ſich in walzenförmige, 60 em dicke Wurzeln, und da ſieht es aus, als würde der Baum von Strebepfeilern geſtützt. Dieſes Gerüſtwerk dringt indeſſen nicht weit in den Boden ein. Die Seitenwurzeln ſchlängeln ſich am Boden hin, und wenn man 6, m vom Stamm fie mit einem Beil abhaut, ſieht man den Milchſaft des Feigenbaumes hervorquellen und ſofort, da er der Lebensthätigkeit der Organe entzogen iſt, ſich zerſetzen und gerinnen. Welch wundervolle Verflechtung von Zellen und — 13 — Gefäßen in dieſen vegetabiliſchen Maſſen, in dieſen Rieſen⸗ bäumen der heißen Zone, die vielleicht tauſend Jahre lang in einem fort Nahrungsſaft bereiten, der bis zu 58 m hoch aufſteigt und wieder zum Boden zurückfließt, und wo hinter einer rauhen, harten Rinde, unter dicken Schichten lebloſer Holzfaſern ſich alle Regungen organiſchen Lebens bergen! Ich benutzte die hellen Nächte, um auf der Pflanzung am Tuy zwei Austritte des erſten und dritten Jupitertra⸗ banten zu beobachten. Dieſe zwei Beobachtungen ergaben nach den Tafeln von Delambre 4 39° 14“ Länge; nach dem Chro— nometer fand ich 4 39“ 10“. Dies waren die letzten Be⸗ deckungen, die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoko beob— achtet; mittels derſelben wurde das öſtliche Ende der Thäler von Aragua und der Fuß der Berge Las Cocuyzas ziemlich genau beſtimmt. Nach Meridianhöhen von Canopus fand ich die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10° 16“ 55“, am 10. Februar 10° 16° 34“. Trotz der großen Trockenheit der Luft flimmerten die Sterne bis zu 80 Höhe, was unter dieſer Zone ſehr ſelten vorkommt und jetzt viel- leicht das Ende der ſchönen Jahreszeit verkündete. Die In— klination der Magnetnadel war 41° 60‘, und 228 Schwingungen in 10 Minuten Zeit gaben die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Die Abweichung der Nadel war 4 30° gegen Nordoſt. Während meines Aufenthaltes in den Thälern des Tuy und von Aragua zeigte ſich das Zodiakallicht faſt jede Nacht in ungemeinem Glanze. Ich hatte es unter den Tropen zum erſtenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr abends ge— ſehen. Die Spitze der Pyramide ſtand 53° hoch. Der Schein verſchwand faſt ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit), beinahe 3 Stunden 50 Minuten nach Sonnenuntergang, ohne daß der klare Himmel ſich getrübt hätte. Schon La Caille war auf ſeiner Reiſe nach Rio de Janeiro und dem Kap auf— gefallen, wie ſchön ſich das Zodiakallicht unter den Tropen ausnimmt, nicht ſowohl weil es weniger geneigt iſt, als wegen der großen Reinheit der Luft. Man müßte es auch auffallend finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominik Caſſini die Seefahrer, welche die Meere beider Indien beſuchten, die gelehrte Welt Europas auf dieſen Lichtſchimmer von ſo be— ſtimmter Form und Bewegung aufmerkſam gemacht haben, wenn man nicht wüßte, wie wenig ſie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ſich um alles kümmerten, was nicht un— — 14 — mittelbar auf den Lauf des Schiffes und auf die Steuerung Bezug hatte. So glänzend das Zodiakallicht im trockenen Tuythale war, ſo ſah ich es doch noch weit ſchöner auf dem Rücken der Kordilleren von Mexiko, am Ufer des Sees von Tezcuco, in 226 U m Meereshöhe. Auf dieſer Hochebene geht der De: lueſche Hygrometer auf 15“ zurück, und bei einem Luftdruck von 21 Zoll 8 Linien iſt die Schwächung des Lichtes "ıoosmal geringer als auf den Niederungen. Im Januar 1804 reichte die Helle zuweilen mehr als 60° über den Horizont herauf. Die Milchſtraße erſchien blaß neben dem Glanz des Zo— diakallichtes, und wenn bläuliche zerſtreute Wölkchen gegen Weſt am Himmel ſchwebten, meinte man, der Mond ſei am Aufgehen. Ich muß hier einer ſehr auffallenden Beobachtung ge: denken, die ſich in meinem an Ort und Stelle geführten Tage⸗ buche mehrmals verzeichnet findet. Am 18. Januar und am 15. Februar 1800 zeigte ſich das Zodiakallicht nach je zwei Minuten ſehr merkbar jetzt ſchwächer, jetzt wieder ſtärker. Bald war es ſehr ſchwach, bald heller als der Glanz der Milchſtraße im Schützen. Der Wechſel erfolgte in der ganzen Pyramide, beſonders aber im Inneren, weit von den Rändern. Wäh⸗ rend dieſer Schwankungen des Zodiakallichtes zeigte der Hygro— meter große Trockenheit an. Die Sterne vierter und fünfter Größe erſchienen dem bloßen Auge fortwährend in derſelben Lichtſtärke. Nirgends war ein Wolkenſtreif am Himmel zu ſehen, und nichts ſchien irgendwie die Reinheit der Luft zu beeinträchtigen. In anderen Jahren, in der ſüdlichen Halb⸗ kugel, ſah ich das Licht eine halbe Stunde, ehe es verſchwand, ſtärker werden. Nach Dominik Caſſini ſollte „das Zodiakal⸗ licht in manchen Jahren ſchwächer und dann wieder ſo ſtark werden wie anfangs“. Er glaubte, dieſer allmähliche Licht: wechſel „hänge mit denſelben Emanationen zuſammen, in deren Folge auf der Sonnenſcheibe periodiſch Flecken und Fackeln erſcheinen“, aber der ausgezeichnete Beobachter erwähnt nichts von einem ſolchen raſchen, innerhalb weniger Minuten erfol⸗ genden Wechſel in der Stärke des Zodiakallichtes, wie ich denſelben unter den Tropen öfters geſehen. Mairan behauptet, in Frankreich ſehe man in den Monaten Februar und März ziemlich oft mit dem Zodiakalſchein eine Art Nordlicht ſich miſchen, das er das unbeſtimmte nennt, und deſſen Licht— nebel ſich entweder um den ganzen Horizont verbreitet oder — 185 — gegen Weſten erſcheint. Ich bezweifle, daß in den von mir beobachteten Fällen dieſe beiderlei Lichtſcheine ſich gemengt haben. Der Wechſel in der Lichtſtärke erfolgte in bedeutenden Höhen, das Licht war weiß, nicht farbig, ruhig, nicht zitternd. Zudem ſind Nordlichter unter den Tropen ſo ſelten ſichtbar, daß ich in fünf Jahren, ſo oft ich auch im Freien lag und das Himmelsgewölbe anhaltend und ſehr aufmerkſam betrachtete, nie eine Spur davon bemerken konnte. Ueberblicke ich, was ich in Bezug auf die Zu- und Ab— nahme des Zodiakallichtes in meinen Notizen verzeichnet habe, ſo möchte ich glauben, daß dieſe Veränderungen doch nicht alle ſcheinbar ſind, noch von gewiſſen Vorgängen in der Atmoſphäre abhängen. Zuweilen, in ganz heiteren Nächten, ſuchte ich das Zodiakallicht vergebens, während es tags zuvor ſich im größten Glanze gezeigt hatte.! Soll man annehmen, daß Emanationen, die das weiße Licht reflektieren, und die mit dem Schweif der Kometen Aehnlichkeit zu haben ſcheinen, zu gewiſſen Zeiten ſchwächer ſind? Die Unterſuchungen über den Zodiakalſchein bekommen noch mehr Intereſſe, ſeit die Mathematiker uns bewieſen haben, daß uns die wahre Urſache der Erſcheinung unbekannt iſt. Der berühmte Verfaſſer der mecanique celeste hat dargethan, daß die Sonnenatmoſphäre nicht einmal bis zur Merkursbahn reichen kann, und daß ſie in keinem Fall in der Linſenform erſcheinen könnte, die das Zodiakallicht nach der Beobachtung haben muß. Es laſſen ſich zudem über das Weſen dieſes Lichtes dieſelben Zweifel erheben, wie über das der Kometenſchweife. Iſt es wirklich reflektiertes, oder iſt es direktes Licht? Hoffentlich werden reiſende Natur— forſcher, welche unter die Tropen kommen, ſich mit Polari— ſationsapparaten verſehen, um dieſen wichtigen Punkt zu erledigen. Am 11. Februar mit Sonnenaufgang brachen wir von der Pflanzung Manterola auf. Der Weg führt an den lachen— den Ufern des Tuy hin, der Morgen war kühl und feucht und die Luft durchwürzt vom köſtlichen Geruch des Pancra- tium undulatum und anderer großer Liliengewächſe. Man kommt durch das hübſche Dorf Mamon oder Conſejo, das in der Provinz wegen eines wunderthätigen Muttergottes bildes berühmt iſt. Kurz vor Mamon machten wir auf einem Hofe der Familie Monteras Halt. Eine über 100 Jahre alte Mairan iſt dieſelbe Erſcheinung in Europa aufgefallen. — 186 — Negerin ſaß vor einer kleinen Hütte aus Rohr und Erde. Man kannte ihr Alter, weil fie eine Kreolinſklavin war. Sie ſchien noch bei ganz guter Geſundheit. „Ich halte ſie an der Sonne (la tingo al sol),“ ſagte ihr Enkel; „die Wärme er: hält ſie am Leben.“ Das Mittel kam uns ſehr ſtark vor, denn die Sonnenſtrahlen fielen faſt ſenkrecht nieder. Die Völker mit dunkler Haut, die gut akklimatiſierten Schwarzen und die Indianer erreichen in der heißen Zone ein hohes, glückliches Alter. Ich habe anderswo von einem eingeborenen Peruaner erzählt, der im Alter von 143. Jahren ſtarb und 90 Jahre verheiratet geweſen war. Don Francisco Montera und ſein Bruder, ein junger, ſehr gebildeter Geiſtlicher, begleiteten uns, um uns in ihr Haus in Victoria zu bringen. Faſt alle Familien, mit denen wir in Caracas befreundet geweſen waren, die Uſtariz, die Tovars, die Toros, lebten beiſammen in den ſchönen Thälern von Aragua, wo ſie die reichſten Pflanzungen beſaßen, und ſie wetteiferten, uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Ehe wir in die Wälder am Orinoko drangen, erfreuten wir uns noch einmal an allem, was hohe Kultur Schönes und Gutes bietet. Der Weg von Mamon nach Victoria läuft von Süd nach Südweſt. Den Tuy, der am Fuße der hohen Berge von Guayraima eine Biegung nach Oſt macht, verloren wir bald aus dem Geſicht. Man meint im Haslithal im Berner Oberland zu ſein. Die Kalktuffhügel ſind nicht mehr als 270 m hoch, fallen aber ſenkrecht ab und ſpringen wie Vor: gebirge in die Ebene herein. Ihre Umriſſe deuten das alte Seegeſtade an. Das öſtliche Ende des Thales iſt dürr und nicht angebaut; man hat hier die waſſerreichen Schluchten der benachbarten Gebirge nicht benutzt, aber in der Nähe der Stadt betritt man ein gut bebautes Land. Ich ſage Stadt, obgleich zu meiner Zeit Victoria nur für ein Dorf (pueblo) galt. Einen Ort mit 7000 Einwohnern, ſchönen Gebäuden, einer Kirche mit doriſchen Säulen und dem ganzen Treiben der Handelsinduſtrie kann man ſich nicht leicht als Dorf denken. Längſt hatten die Einwohner von Victoria den ſpaniſchen Hof um den Titel Villa angegangen und um das Recht, einen Cabildo, einen Gemeinderat, wählen zu dürfen. Das ſpaniſche Miniſterium willfahrte dem Geſuch nicht, und doch hatte es bei der Expedition Iturriagas und Solanos an den Orinoko, auf das dringende Geſuch der Franziskaner, ein paar Haufen indianiſcher Hütten den vornehmen Titel Ciudad erteilt. Die Selbſtverwaltung der Gemeinden ſollte ihrem Weſen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleich— heit der Bürger ſein; aber in den ſpaniſchen Kolonieen iſt ſie in eine Gemeindeariſtokratie ausgeartet. Die Leute, welche die unumſchränkte Gewalt in Händen haben, könnten ſo leicht den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken dienſtbar machen; ſtatt deſſen fürchten ſie den ſogenannten Unabhängigkeitsgeiſt der kleinen Gemeinden. Lieber ſoll der Staatskörper gelähmt und kraftlos bleiben, als daß ſie Mittel— punkte der Regſamkeit aufkommen ließen, die ſich ihrem Ein- fluß entziehen, als daß ſie der lokalen Lebensthätigkeit, welche die ganze Maſſe beſeelt, Vorſchub leiſteten, nur weil dieſe Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der oberſten Gewalt ausgeht. Zur Zeit Karls V. und Philipps II. wurde die Munizipalverfaſſung vom Hofe klugerweiſe begünſtigt. Mächtige Männer, die bei der Eroberung eine Rolle geſpielt, gründeten Städte und bildeten die erſten Cabildos nach dem Muſter der ſpaniſchen; zwiſchen den Angehörigen des Mutterlandes und ihren Nachkommen in Amerika beſtand damals Rechts⸗ gleichheit. Die Politik war eben nicht freiſinnig, aber doch nicht ſo argwöhniſch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und verheerte Feſtland wurde als eine ferne Beſitzung Spaniens angeſehen. Der Begriff einer Kolonie im heutigen Sinne ent⸗ wickelte ſich erſt mit dem modernen Syſtem der Handelspolitik, und dieſe Politik ſah zwar ganz wohl die wahren Quellen des Nationalreichtums, wurde aber nichtsdeſtoweniger bald kleinlich, mißtrauiſch, ausſchließend. Sie arbeitete auf die Zwietracht zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen hin; ſie brachte unter den Weißen eine Ungleichheit auf, von der die erſte Geſetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. All: mählich wurde durch die Centraliſierung der Gewalt der Ein: fluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieſelben Cabildos, denen im 16. und 17. Jahrhundert das Recht zuſtand, nach dem Tode eines Statthalters das Land proviſoriſch zu re— gieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Hemmniſſe der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichſten Dörfer trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur ſehr ſchwer den Stadttitel und das Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt ſich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Kolonial- politik keineswegs alle ſehr philoſophiſch ſind. Man ſieht — 188 — ſolches ſehr deutlich, wenn man in den Leyes de Indias die Artikel von den Verhältniſſen der nach Amerika überſiedelten Spanier, von den Rechten der Gemeinden und der Einrichtung der Gemeinderäte nachlieſt. Durch die Art des Anbaues iſt der Anblick der Umgegend von Victoria ein ganz eigentümlicher. Der bebaute Boden liegt nur in 525 bis 580 m Meereshöhe, und doch ſieht man Getreidefelder unter den Zucker-, Kaffee- und Bananenpflan⸗ zungen. Mit Ausnahme des Inneren von Cuba werden ſonſt fajt nirgends im tropiſchen Teile der ſpaniſchen Kolonieen die europäiſchen Getreidearten in einem jo tief gelegenen Land— ſtriche gebaut. In Mexiko wird nur zwiſchen 1170 und 2340 m abſoluter Höhe der Weizenbau ſtark betrieben, und nur ſelten geht er über 780 m herab. Wir werden bald ſehen, daß, wenn man Lagen von verſchiedener Höhe miteinander ver— gleicht, der Ertrag des Getreides von den hohen Breiten zum Aequator mit der mittleren Temperatur des Ortes merkbar zunimmt. Ob man mit Erfolg Getreide bauen kann, hängt ab vom Grade der Trockenheit der Luft, davon, ob der Regen auf mehrere Jahreszeiten verteilt iſt oder nur in der Winter— zeit fällt, ob der Wind fortwährend aus Oſt bläſt oder von Norden her kalte Luft in tiefe Breiten bringt (wie im Meer— buſen von Mexiko), ob monatelang Nebel die Kraft der Sonnen— ſtrahlen vermindern, kurz, von tauſend örtlichen Verhältniſſen, die nicht ſowohl die mittlere Temperatur des ganzen Jahres als die Verteilung derſelben Wärmemenge auf verſchiedene Jahreszeiten bedingen. Es iſt eine merkwürdige Erſcheinung, daß das europäiſche Getreide vom Aequator bis Lappland, unter dem 69. Breitengrad, in Ländern mit einer mittleren Wärme von + 22 bis — 2 Grad, allerorten gebaut wird, wo die Sommertemperatur über 9 bis 10 Grad beträgt. Man kennt das Minimum von Wärme, wobei Weizen, Gerſte und Hafer noch reifen; über das Maximum, das dieſe ſonſt ſo zähen Grasarten ertragen, iſt man weniger im reinen. Wir wiſſen nicht einmal, welche Verhältniſſe zuſammen— wirken, um unter den Tropen den Getreidebau in ſehr ge— ringen Höhen möglich zu machen. Victoria und das benach— barte Dorf San Mateo erzeugen 4000 Zentner Weizen. Man ſät ihn im Dezember und erntet ihn am 70. oder 75. Tage. Das Korn iſt groß, weiß und ſehr reich an Kleber; die Deckhaut iſt dünner, nicht ſo hart als beim Korn auf den ſehr kalten mexikaniſchen Hochebenen. Bei Victoria erträgt Na 1. der Morgen in der Regel 1500 bis 1600 kg Weizen, alfo, wie in Buenos Ayres, zwei bis dreimal mehr als in den nördlichen Ländern. Man erntet etwa das 16. Korn, während der Boden von Frankreich, nach Lavoiſiers Unterfuchungen, im Durchſchnitt nur das 5. bis 6., 500 bis 600 kg auf den Morgen trägt. Trotz dieſer Fruchtbarkeit des Bodens und des günſtigen Klimas iſt der Zuckerbau in den Thälern von A einträglicher als der Getreidebau. Durch Victoria läuft der kleine Rio Calanchas, der ſich nicht in den Tuy, ſondern in den Rio Aragua ergießt, wor— aus hervorgeht, daß dieſes ſchöne Land, wo Zuckerrohr und Weizen nebeneinander wachſen, bereits zum Becken des Sees von Valencia gehört, zu einem Syſtem von Binnenflüſſen, die mit der See nicht in Verbindung ſtehen. Der Stadtteil weſtlich vom Rio Calanchas heißt La otra banda und iſt der gewerbſamſte. Ueberall ſieht man Waren ausgeſtellt, und die Straßen beſtehen aus Budenreihen. Zwei Handelsſtraßen laufen durch Victoria, die von Valencia oder Porto Cabello und die von Villa de Cura oder den Ebenen her, Camino de los Llanos genannt. Es ſind im Verhältnis mehr Weiße hier als in Caracas. Wir beſuchten bei Sonnenuntergang den Kalvarienberg, wo man eine weite, ſehr ſchöne Ausſicht hat. Man ſieht gegen Weſt die lachenden Thäler von Aragua, ein weites, mit Gärten, Bauland, Stücken Wald, Höfen und Weilern bedecktes Gelände. Gegen Süd und Südoſt ziehen ſich, ſo weit das Auge reicht, die hohen Gebirge von Palma, Guayraima, Tiara und Guiripa hin, hinter denen die unge— heuren Ebenen oder Steppen von Calabozo liegen. Dieſe innere Bergkette ſtreicht nach Weſt längs des Sees von Va— lencia fort bis Villa de Cura, Cueſta de Yusma und zu den gezackten Bergen von Guigue. Sie iſt ſteil und fortwährend in den leichten Dunſt gehüllt, der in heißen Ländern ferne Gegenſtände ſtark blau färbt und die Umriſſe keineswegs ver⸗ wiſcht, ſondern ſie nur ſtärker hervortreten läßt. In dieſer inneren Kette ſollen die Berge von Guayraima bis 2340 m hoch ſein. In der Nacht des 11. Februar fand ich die Breite von Victoria 10° 13° 35“, die Inklination der Magnetnadel 40,80, die Intenſität der magnetiſchen Kraft gleich 236 Schwingungen in 10 Zeitminuten und die Abweichung der Nadel 4,40“ nach Nordoſt. Wir zogen langſam weiter über die Dörfer San Mateo, Turmero und Maracay auf die Hacienda de Cura, eine ſchöne — 190 — Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir erſt am 14. Februar abends ankamen. Das Thal wird allmählich weiter; zu beiden Seiten desſelben ſtehen Hügel von Kalktuff, den man hierzu— lande tierra blanca nennt. Die Gelehrten im Lande haben verſchiedene Verſuche gemacht, dieſe Erde zu brennen; ſie ver— wechſelten dieſelbe mit Porzellanerde, die ſich aus Schichten - verwitterten Feldſpats bildet. Wir verweilten ein paar Stunden bei einer achtungswürdigen und gebildeten Familie, den Uſtariz in Conceſion. Das Haus mit einer auserleſenen Bücher: ſammlung ſteht auf einer Anhöhe und iſt mit Kaffee- und Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüſch von Balſambäumen (balsamo)! gibt Kühlung und Schatten. Mit reger Teil: nahme ſahen wir die vielen im Thale zerſtreuten Häuſer, die von Freigelaſſenen bewohnt ſind. Geſetze, Einrichtungen, Sitten begünſtigen in den ſpaniſchen Kolonieen die Frei— heit der Neger ungleich mehr als bei den übrigen europäiſchen Nationen. y San Mateo, Turmero und Maracay ſind reizende Dörfer, wo alles den größten Wohlſtand verrät. Man glaubt ſich in den gewerbſamſten Teil von Katalonien verſetzt. Bei San Mateo ſahen wir die letzten Weizenfelder und die letzten Mühlen mit wagerechten Waſſerrädern. Man rechnete bei der bevorſtehenden Ernte auf die zwanzigfache Ausſaat, und als wäre dies noch ein mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob man in Preußen und Polen mehr ernte. Unter den Tropen iſt der Irrtum ziemlich verbreitet, das Getreide arte gegen den Aequator zu aus und die Ernten ſeien im Norden reicher. Seit man den Ertrag des Ackerbaues in verſchiedenen Erd— ſtrichen und die Temperaturen, bei denen das Getreide ge⸗ deiht, berechnen kann, weiß man, daß nirgends jenſeits des 45. Breitengrades der Weizen ſo reiche Ernten gibt als auf den Nordküſten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu⸗ granada, Peru und Mexiko. Vergleicht man nicht die mitt⸗ lere Temperatur des ganzen Jahres, ſondern nur die mittleren Temperaturen der Jahreszeit, in welche der „Vegetations⸗ cyklus“ des Getreides fällt, ſo findet? man für drei Sommer⸗ ! Amyris elata. 2 Die mittlere Sommertemperatur ift in Schottland (bei Edinburg unter dem 56. Grad der Breite) dieſelbe wie auf den Hochebenen von Neugranada, wo in 2725 m Meereshöhe und unter dem 4. Grad der Breite ſo viel Getreide gebaut wird. Auf der * 7 — 191 — monate im nördlichen Europa 15 bis 19 0, in der Berberei und in Aegypten 27 bis 29°, unter den Tropen, zwiſchen 2725 und 580 m Höhe, 14 bis 25 v. Die herrlichen Ernten in Aegypten und Algerien, in den Thälern von Aragua und im Inneren von Cuba beweiſen zur Genüge, daß Zunahme der Wärme die Ernte des Weizens und der anderen nährenden Gräſer nicht beeinträchtigt, wenn nicht mit der hohen Temperatur übermäßige Trockenheit oder Feuchtigkeit Hand in Hand geht. Letzterem Umſtande ſind ohne Zweifel die ſcheinbaren Anomalieen zuzuſchreiben, die unter den Tropen hie und da an der unteren Grenze des Getreides vorkommen. Man wundert ſich, daß oſtwärts von der Havana, im vielgenannten Bezirk der Quatro Villas, dieſe Grenze faſt bis zum Meeresſpiegel herabgeht, während weſtlich von der Havana, am Abhange der mexikaniſchen Ge— birge, bei Xalapa, in 1320 m Höhe, die Vegetation noch jo üppig iſt, daß der Weizen keine Aehren anſetzt. In der erſten Zeit nach der Eroberung wurde das europäiſche Getreide mit Erfolg an manchen Orten gebaut, die man jetzt für zu heiß oder zu feucht dafür hält. Die eben erſt nach Amerika ver— ſetzten Spanier waren noch nicht ſo an den Mais gewöhnt, man hielt noch feſter an den europäiſchen Sitten, man be— rechnete nicht, ob der Weizen weniger eintragen werde als Kaffee oder Baumwolle; man machte Verſuche mit Sämereien aller Art, man ſtellte keckere Fragen an die Natur, weil man weniger nach falſchen Theorieen urteilte. Die Provinz Car— tagena, durch welche die Gebirgsketten Maria und Guamoco laufen, baute bis ins 16. Jahrhundert Getreide. In der Provinz Caracas baut man es ſchon ſehr lange im Gebirgs— anderen Seite entſpricht die mittlere Temperatur der Thäler von Aragua (10° 15° der Breite) und aller nicht ſehr hochgelegenen Ebenen in der heißen Zone der Sommertemperatur von Neapel und Sizilien (39° 407 der Breite). Die obigen Zahlen bezeichnen die Lage der iſotheren (der Linien der gleichen Sommerwärme), nicht der iſothermen Linien (der Linien der gleichen Jahres⸗ wärme). Hinſichtlich der Wärmemenge, welche ein Punkt der Erd— oberfläche im Laufe eines ganzen Jahres empfängt, entſprechen die mittleren Temperaturen der Thäler von Aragua und der Hoch— ebenen von Neugranada in 580 bis 2725 m Meereshöhe den mitt: leren Temperaturen der Küſten unter dem 23. bis 45. Grad der Breite. — 192 — land von Tocuyo, Quibor und Barquefimeto, das die Küſten⸗ bergkette mit der Sierra Nevada von Merida verbindet. Der Getreidebau hat ſich dort ſehr gut erhalten, und allein aus der Umgegend der Stadt Tocuyo werden jährlich gegen 5000 Zentner ausgezeichneten Mehls ausgeführt. Obgleich aber auf dem weiten Gebiete der Provinz Caracas mehrere Striche ſich ehr gut zum Kornbau eignen, jo glaube ich doch, daß dieſer Zweig der Landwirtſchaft dort nie eine große Be— deutung erlangen wird. Die gemäßigtſten Teile ſind nicht breit genug; es ſind keine eigentlichen Hochebenen und ihre mittlere Meereshöhe iſt nicht ſo bedeutend, daß die Einwohner es nicht immer noch vorteilhafter fänden, Kaffee ſtatt Getreide zu bauen. Gegenwärtig bezieht Caracas ſein Mehl entweder aus Spanien oder aus den Vereinigten Staaten. Wenn ein: mal mit der Herſtellung der öffentlichen Ruhe auch für den Gewerbefleiß beſſere Zeiten kommen und von Santa Fe de Bogota bis zum Landungsplatz am Pachaquiaro eine Straße gebaut wird, ſo werden die Einwohner von Venezuela ihr Mehl aus Neugranada auf dem Rio Meta und dem Orinoko beziehen. f Achtzehn Kilometer von San Mateo liegt das Dorf Turmero. Man kommt fortwährend durch Zucker-, Indigo-, Baumwollen- und Kaffeepflanzungen. An der regelmäßigen Bauart der Dörfer erkennt man, daß alle den Mönchen und den Miſſionen den Urſprung verdanken. Die Straßen ſind gerade, untereinander parallel und ſchneiden ſich unter rechten Winkeln; auf dem großen viereckigen Platz in der Mitte ſteht die Kirche. Die Kirche von Turmero iſt ein koſtbares, aber mit archtiktoniſchen Zieraten überladenes Gebäude. Seit die Miſſionäre den Pfarrern Platz gemacht, haben die Weißen manches von den Sitten der Indianer angenommen. Die letzteren verſchwinden nach und nach als beſondere Raſſe, das heißt, ſie werden in der Geſamtmaſſe der Bevölkerung durch die Meſtizen und die Zambos repräſentiert, deren Anzahl fortwährend zunimmt. Indeſſen habe ich in den Thälern von Aragua noch 4000 zinspflichtige Indianer angetroffen. In Turmero und Guacara ſind ſie am zahlreichſten. Sie ſind klein, aber nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas; ihr Auge verrät mehr Leben und Verſtand, was wohl weniger Folge der Stammverſchiedenheit als der höheren Civiliſation iſt.“ Sie arbeiten, wie die freien Leute, im Tagelohn; ſie ſind in der kurzen Zeit, in der ſie arbeiten, rührig und fleißig; was — 193 — ſie aber in zwei Monaten verdient, verſchwenden ſie in einer Woche für geiſtige Getränke in den Schenken, deren leider von Tag zu Tage mehr werden. In Turmero ſahen wir ein Ueberbleibſel der Landmiliz beiſammen. Man ſah es den Leuten an, daß dieſe Thäler ſeit Jahrhunderten eines ununterbrochenen Friedens genoſſen hatten. Der Generalkapitän wollte das Militärweſen wieder in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet. Da hatte in einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero auf das von Victoria Feuer gegeben. Unſer Wirt, ein Miliz— lieutenant, wurde nicht müde, uns zu ſchildern, wie gefährlich ein ſolches Manöver ſei. „Rings um ihn ſeien Gewehre ge— weſen, die jeden Augenblick zerſpringen konnten; er habe vier Stunden in der Sonne ſtehen müſſen, und ſeine Sklaven haben ihm nicht einmal einen Sonnenſchirm über den Kopf halten dürfen.“ Wie raſch doch die ſcheinbar friedfertigſten Völker ſich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte damals über eine Haſenfüßigkeit, die ſich mit ſo naiver Offenherzigkeit kundgab, und zwölf Jahre darauf wurden dieſe ſelben Thaler von 0 98 die friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero, das Defile von Cabrera und die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia der Schauplatz der blutigſten, hartnäckigſten Gefechte zwiſchen den Eingeborenen und den Truppen des Mutterlandes. Südlich von Turmero ſpringt ein Bergzug aus Kalkſtein in die Ebene vor und trennt zwei ſchöne Zuckerpflanzungen, die Guayavita und die Paja. Letztere gehört der Familie des Grafen Tovar, der überall in der Provinz Beſitzungen hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eiſenerz entdeckt. Nördlich von Turmero, in der Küſtenkordillere, erhebt ſich ein Granitgipfel, der Chuao, auf dem man zugleich das Meer und den See von Valencia ſieht. Ueber dieſen Fels— kamm, der, ſo weit das Auge reicht, nach Weſt fortſtreicht, ge— langt man auf ziemlich beſchwerlichen Wegen zu den reichen Kakaopflanzungen auf dem Küſtenſtriche bei Choroni, Turiamo und Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbar⸗ keit ihres Bodens und wegen ihrer Ungeſundheit. Turmero, Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im Araguathal hat ſeinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der Küſte führt. Hinter dem Dorfe Turmero, Maracay zu, bemerkt man auf 4,5 km weit am Horizont einen Gegenſtand, der wie ein A. v. Humboldt, Reiſe. II. 13 — 194 — runder Hügel, wie ein grün bewachſener Tumulus ausſieht. Es iſt aber weder ein Hügel, noch ein Klumpen dicht bei— ſammenſtehender Bäume, ſondern ein einziger Baum, der be— rühmte Zamang del Guayre, bekannt im ganzen Lande wegen der ungeheuren Ausbreitung ſeiner Aeſte, die eine halbkugelige a von 187 m nn en Zamang iſt eine höne Zumolummt eren gewundene Zweige ſich gabeli teilen. Sein feines, zartes Laub hob ſich 3 en blauen Himmel ab. Wir blieben lange unter dieſem vegeta- biliſchen Gewölbe. Der Stamm iſt nur 20 m hoch und hat 3 m Durchmeſſer, ſeine Schönheit beſteht aber eigentlich in der Form der Krone. Die Aeſte breiten ſich aus wie ein gewaltiger Sonnenſchirm und neigen ſich überall dem Boden zu, von dem ſie ringsum 4 bis 5 m abſtehen. Der Umriß der Krone iſt ſo regelmäßig, daß ich verſchiedene Durchmeſſer, die ich nahm, 62 und 60 m lang fand. Die eine Seite des Baumes war infolge der Trockenheit ganz entblättert; an einer anderen Stelle ſtanden noch Blätter und Blüten neben- einander. Tillandſien, Lorantheen, die Pitahaya und andere Schmarotzergewächſe bedecken die Zweige und durchbohren die Rinde derſelben. Die Bewohner dieſer Thäler, beſonders die Indianer, halten den Baum in hohen Ehren, den ſchon die erſten Eroberer ſo ziemlich ſo gefunden haben mögen, wie er jetzt vor uns ſteht. Seit man ihn genau beobachtet, iſt er weder dicker geworden, noch hat ſich ſeine Geſtalt ſonſt ver: ändert. Dieſer Zamang muß zum wenigſten ſo alt ſein wie der Drachenbaum bei Orotava. Der Anblick alter Bäume hat etwas Großartiges, Imponierendes; die Beſchädigung dieſer Naturdenkmäler wird daher auch in Ländern, denen es an Kunſtdenkmälern fehlt, ſtreng beſtraft. Wir hörten mit Vergnügen, der gegenwärtige Eigentümer der Zamang habe einen Pächter, der es gewagt, einen Zweig davon zu ſchnei— den, gerichtlich verfolgt. Die Sache kam zur Verhandlung und der Pächter wurde vom Gericht zur Strafe gezogen. Bei Turmero und bei der Hacienda de Cura gibt es Zamang, die einen dickeren Stamm haben als der am Guayre, aber ihre halbkugelige Krone iſt nicht ſo groß. Je näher man gegen Cura und Guacara am nördlichen Ufer des Sees kommt, deſto beſſer angebaut und volkreicher werden die Ebenen. Man zählt in den Thälern von Aragua auf einem 58 km langen und 9 km breiten Landſtrich über 52000 Einwohner. Dies gibt auf den Quadratkilometer an — 195 — 100 Seelen, alſo beinahe ſo viel wie in den bevölkertſten Teilen Frankreichs. Das Dorf oder vielmehr der Flecken Maracay war früher, als der Indigobau in höchſter Blüte ſtand, der Hauptort für dieſen Zweig der Kolonialinduſtrie. Im Jahre 1795 zählte man daſelbſt bei einer Bevölkerung von 6000 Einwohnern 70 Kaufleute mit offenen Läden. Die Häuſer ſind alle von Stein; in jedem Hofe ſtehen Kokosbäume, deren Krone über die Gebäude emporragt. Der allgemeine Wohlſtand macht ſich in Maracay noch bemerklicher als in Turmero. Der hieſige Anil oder Indigo wurde im Handel immer dem von Guatemala gleich, manchmal ſogar höher ge— ſchätzt. Seit 1772 ſchloß ſich dieſer Kulturzweig dem Kakao- bau an, und jener iſt wieder älter als der Baumwollen- und Kaffeebau. Die Koloniſten warfen ſich auf jedes dieſer vier Produkte der Reihe nach mit beſonderer Vorliebe, aber nur Kakao- und Kaffee find Artikel von Belang im Handelsverkehr mit Europa geblieben. In den beſten Zeiten konnte ſich die hieſige Indigofabrikation faſt mit der mexikaniſchen meſſen; ſie ſtieg in Venezuela auf 40000 Arroben oder eine halbe Million Kilogramm, im Werte von mehr als 1250000 Piaſtern. Man bekommt einen Begriff von der außerordentlichen Er— tragsfähigkeit des Bodens in den ſpaniſchen Kolonieen, wenn wenn man einem ſagt, daß der Indigo aus Caracas, der im Jahre 1794 einen Wert von mehr 6000000 Franken hatte, auf 80 bis 100 qkm gebaut iſt. In den Jahren 1789 bis 1795 kamen jährlich 4000 bis 5000 Freie aus den Llanos in die Thäler von Aragua, um beim Bau und der Bereitung des Indigo zu helfen; ſie arbeiteten 2 Monate im Tagelohn. Der Anil erſchöpft den Boden, auf dem man ihn viele Jahre hintereinander baut, mehr als jede andere Pflanze. In Maracay, Tapatapa und Turmero gilt der Boden für ausge: ſogen; der Ertrag an Indigo hat auch fortwährend abgenom— men. Die Seekriege haben den Handel ins Stocken gebracht und durch die ſtarke Indigoeinfuhr aus Aſien ſind die Preiſe geſunken. Die Oſtindiſche Compagnie verkauft jetzt in London über 2750000 kg Indigo, während ſie im Jahre 1786 aus ihren weiten Beſitzungen nur 125000 kg bezog. Je mehr der Indigobau in den Araguathälern abnahm, einen deſto größeren Aufſchwung nahm er in der Provinz Varinas und auf den heißen Ebenen von Cucuta, wo der bis da unberührte Boden am Rio Tachira ein äußerſt farbreiches Produkt in Menge liefert. — 196 — Wir kamen ſehr ſpät nach Maracay. Die Perſonen, an die wir Empfehlungen hatten, waren nicht zu Hauſe; kaum bemerkten die Leute unſere Verlegenheit, ſo erbot man ſich von allen Seiten, uns aufzunehmen, unſere Inſtrumente unter⸗ zubringen, unſere Maultiere zu verſorgen. Es iſt ſchon tauſend— mal geſagt worden, aber der Reiſende fühlt immer wieder das Bedürfnis, es zu wiederholen: die ſpaniſchen Kolonieen ſind das wahre Land der Gaſtfreundſchaft, auch noch an Orten, wo Gewerbfleiß und Handel Wohlſtand und eine gewiſſe Bil— dung unter den Koloniſten verbreitet haben. Eine kanariſche Familie nahm uns mit der liebenswürdigſten Herzlichkeit auf; man bereitete uns ein treffliches Mahl, man vermied ſorgfältig alles, was uns irgendwie einen Zwang auflegen konnte. Der Hausherr, Don Alexandro Gonzales, war in Handelsgeſchäften auf der Reiſe und ſeine junge Frau genoß ſeit kurzem der Mutterfreude. Sie war außer ſich vor Vergnügen, als ſie hörte, daß wir auf dem Rückweg vom Rio Negro an den Orinoko nach Angoſtura kommen würden, wo ſich ihr Mann befand. Von uns ſoll er erfahren, daß ihm ſein Erſtling geboren worden. In dieſen Ländern gelten, wie bei den Alten, wandernde Gäſte für die ſicherſten Boten. Es gibt Poſtreiter, aber dieſe machen jo weite Umwege, daß Privat: leute durch ſie ſelten Briefe in die Llanos oder Savannen im Inneren gehen laſſen. Als wir aufbrachen, trug man uns das Kind zu. Wir hatten es am Abend im Schlaf geſehen, am Morgen mußten wir es wachend ſehen. Wir verſprachen, es dem Vater Zug für Zug zu beſchreiben; aber beim Anblick unſerer Bücher und Inſtrumente wurde die junge Frau un⸗ ruhig. Sie meinte, „auf einer langen Reiſe und bei ſo vielen anderweitigen Geſchäften könnten wir leicht vergeſſen, was für Augen ihr Kind habe“. Wie liebenswürdig iſt ſolche Gaſtfreundſchaft, wie köſtlich der naive Ausdruck eines Ver— trauens, das ja auch ein Charakterzug früherer Menſchenalter beim Morgenrot der Geſittung iſt! Auf dem Wege von Maracay nach der Hacienda de Cura hat man zuweilen einen Ausblick auf den See von Valencia. Von der Granitbergkette an der Küſte läuft ein Aſt ſüdwärts in die Ebene hinaus; es iſt dies das Vor— gebirge Portachuelo, durch welches das Thal beinahe ganz geſchloſſen würde, wenn nicht ein ſchmaler Paß zwiſchen dem Vorgebirge und dem Felſen der Cabrera hinliefe. Dieſer Ort hat in den letzten Revolutionskriegen in Caracas eine traurige m — 197 — Berühmtheit erhalten; alle Parteien ſtritten ſich hitzig um dieſen Paß, weil der Weg nach Valencia und in die Llanos hier durchführt. Die Cabrera iſt jetzt eine Halbinſel; noch vor weniger als 60 Jahren war es ein Felſeneiland im See, deſſen Waſſerſpiegel fortwährend ſinkt. Wir brachten auf der Hacienda de Cura ſieben Tage äußerſt angenehm zu, und zwar in einem kleinen Hauſe in einem Gebüſch, weil im Hauſe auf der ſchönen Zuderpflanzung die Bubas ausgebrochen waren, eine unter den Sklaven in dieſen Thälern häufig vor— kommende Hautkrankheit. Wir lebten wie die wohlhabenden Leute hierzulande, badeten zweimal, ſchliefen dreimal und aßen dreimal in 24 Stunden. Das Waſſer des Sees iſt ziemlich warm, 24 bis 25°; aber es gibt noch ein anderes, ſehr kühles, köſtliches Bad im Schatten von Ceibabäumen und großen Zamang, in der Toma, einem Bache, der aus den Granitbergen des Rincon del Diablo kommt. Steigt man in dieſes Bad, ſo hat man ſich nicht vor Inſektenſtichen zu fürchten, wohl aber vor den kleinen rötlichen Haaren an den Schoten des Dolichos pruriens, die in der Luft ſchweben und einem vom Winde zugeführt werden. Wenn dieſe Haare, die man be— zeichnend Picapica nennt, ſich an den Körper hängen, ſo ver— urſachen ſie ein ſehr heftiges Jucken; man fühlt Stiche und ſieht doch nicht, woher ſie rühren. Bei Cura ſahen wir die ſämtliche Einwohnerſchaft daran, den mit Mimoſen, Sterculia und Coccoloba excoriata be: wachſenen Boden umzubrechen, um mehr Areal für den Baum: wollenbau zu gewinnen. Dieſer, der zum Teil an die Stelle des Indigobaues getreten iſt, gedeiht ſo gut, daß die Baum— wollenſtaude am Ufer des Sees von Valencia wild wächſt. Wir fanden 2,5 bis 3 m hohe Sträucher, mit Bignonien und anderen holzigen Schlingpflanzen durchwachſen. Indeſſen iſt die Baumwollenausfuhr aus Caracas noch unbedeutend; ſie betrug in Guayra im Durchſchnitt jährlich kaum 150000 bis 200 000 kg; aber in allen Häuſern der Capitania general ſtieg ſie durch den ſtarken Anbau in Cariaco, Nueva Barce— lona und Maracaybo auf mehr als 22000 Zentner. Es iſt dies faſt die Hälfte deſſen, was der ganze Archipel der Antillen erzeugt. Die Baumwolle aus den Thälern von Aragua iſt von guter Qualität; ſie ſteht nur der braſiliſchen nach, denn ſie gilt für beſſer als die von Cartagena, von Do— mingo und den Kleinen Antillen. Die Baumwollenpflanzungen — 198 — liegen auf der einen Seite des Sees zwiſchen Maracay und Valencia, auf der anderen zwiſchen Guayra und Guigue. Die großen Plantagen ertragen 30000 bis 35000 kg jährlich. Bedenkt man, daß in den Vereinigten Staaten, alſo außer: halb der Tropen, in einem unbeſtändigen, dem Gedeihen der Pflanze nicht ſelten feindlichen Klima die Ausfuhr der ein— heimiſchen Baumwolle in 18 Jahren (1797 bis 1815) von 1200000 auf 42500000 kg geſtiegen iſt, jo kann man ſich nicht leicht einen Begriff davon machen, in welch ungeheurem Maßſtab dieſer Handelszweig ſich entwickeln muß, wenn ein: mal in den vereinigten Provinzen von Venezuela, in Neu— granada, in Mexiko und an den Ufern des La Plata der Gewerbfleiß nicht mehr in Feſſeln geſchlagen iſt. Unter den gegenwärtigen Verhältniſſen erzeugen nach Braſilien die Küſten von holländiſch Guyana, der Meerbuſen von Cariaco, die Thäler von Aragua und die Provinzen Maracaybo und Car— tagena am meiſten Baumwolle in Südamerika. Während unſeres Aufenthaltes in Cura machten wir viele Ausflüge auf die Felſeninſeln im See von Valencia, zu den heißen Quellen von Mariara und auf den hohen Granit: berg Cucurucho del Coco. Ein ſchmaler, gefährlicher Pfad führt an den Hafen Turiamo und zu den berühmten Kakao— pflanzungen an der Küſte. Auf allen dieſen Ausflügen ſahen wir uns angenehm überraſcht nicht nur durch die Fortſchritte des Landbaus, ſondern auch durch das Wachstum einer freien Bevölkerung, die fleißig, an Arbeit gewöhnt und zu arm iſt, um Sklavenarbeit in Anſpruch nehmen zu können. Ueberall hatten kleine Landbauer, Weiße und Mulatten, zerſtreute Höfe angelegt. Unſer Wirt, deſſen Vater 40000 Piaſter Einkünfte hat, beſaß mehr Land, als er urbar machen konnte; er ver— teilte es in den Thälern von Aragua unter arme Leute, die Baumwolle bauen wollten. Sein Streben ging dahin, daß ſich um ſeine großen Pflanzungen freie Leute anſiedelten, die nach freiem Ermeſſen bald für ſich, bald auf den benachbarten Pflanzungen arbeiteten und in der Ernte ihm als Tagelöhner dienten. Graf Tovar verfolgte eifrig das edle Ziel, die Neger: ſklaverei im Lande allmählich auszurotten, und er hegte die dop— pelte Hoffnung, einmal den Grundbeſitzern die Sklaven weniger nötig zu machen, und dann die Freigelaſſenen in den Stand zu ſetzen, Pächter zu werden. Bei ſeiner Abreiſe nach Europa hatte er einen Teil ſeiner Ländereien bei Cura, weſtlich vom Felſen Las Viruelas, in einzelne Grundſtücke zerſchlagen und — 19 — verpachtet. Als er vier Jahre darauf wieder nach Amerika kam, fand er daſelbſt ſchöne Baumwollenpflanzungen und einen Weiler von 30 bis 40 Häuſern, Punta Zamuro genannt, den wir oft mit ihm beſucht haben. Die Einwohner des Weilers ſind faſt durchaus Mulatten, Zambos und freie Neger. Mehrere große Grundbeſitzer haben nach dieſem Vorgange mit gleichem Erfolg Land verpachtet. Der Pachtſchilling beträgt zehn Piaſter auf die Vanega und wird in Geld oder in Baumwolle ent— richtet. Die kleinen Pächter ſind oft in Bedrängnis und geben ihre Baumwolle zu ſehr geringem Preiſe ab. Ja, ſie ver⸗ kaufen ſie vor der Ernte, und durch dieſe Vorſchüſſe reicher Nachbarn gerät der Schuldner in eine Abhängigkeit, infolge deren er ſeine Dienſte als Tagelöhner öfter anbieten muß. Der Tagelohn iſt nicht ſo hoch als in Frankreich. Man be— zahlt in den Thälern von Aragua und in den Llanos einem freien Tagelöhner 4 bis 5 Piaſter monatlich, neben der Koſt, die beim Ueberfluß an Fleiſch und Gemüſe ſehr wenig aus— macht. Gern verbreite ich mich hier über den Landbau in den Kolonieen, weil ſolche Angaben den Europäern darthun, was aufgeklärten Koloniſten längſt nicht mehr zweifelhaft iſt, daß das Feſtland des ſpaniſchen Amerikas durch freie Hände Zucker, Baumwolle und Indigo erzeugen kann, und daß die unglücklichen Sklaven Bauern, Pächter und Grundbeſitzer wer— den können. Sechzehntes Kapitel. Der See von Valencia. — Die heißen Quellen von Mariara. — Die Stadt Nueva Valencia de el Rey. — Weg zur Küſte von Porto Cabello hinab. Die Thäler von Aragua, deren reichen Anbau und er: ſtaunliche Fruchtbarkeit wir im Obigen geſchildert, ſtellen ſich als ein Becken dar, das zwiſchen Granit- und Kalkgebirgen von ungleicher Höhe in der Mitte liegt. Nordwärts trennt die Sierra Mariara ſie von der Meeresküſte, gegen Süden dient ihnen die Bergkette des Guacimo und Yusma als Schutzwehr gegen die glühende Luft der Steppen. Hügelzüge, hoch genug, um den Lauf der Gewäſſer zu beſtimmen, ſchließen das Becken gegen Oſt und Weſt wie Querdämme. Dieſe Hügel liegen zwiſchen dem Tuy und Victoria, wie auf dem Wege von Valencia nach Nirgua und in die Berge des Torito. Infolge dieſer eigentümlichen Geſtaltung des Bodens bilden die Gewäſſer der Thäler von Aragua ein Syſtem für ſich und laufen einem von allen Seiten geſchloſſenen Becken zu; fie ergießen ſich nicht in den Ozean, ſie vereinigen jich. in einem Binnenſee, unterliegen hier dem mächtigen Zuge der Verdunſtung und verlieren ſich gleichſam in der Luft. Durch, dieſe Flüſſe und Seen wird die Fruchtbarkeit des Bodens und. der Ertrag des Landbaus in diefen Thälern bedingt. Schon“ der Augenſchein und eine halbhundertjährige Erfahrung zeigen, daß der Waſſerſtand ſich nicht gleich bleibt, daß das Gleich— gewicht zwiſchen der Summe der Verdunſtung und der des Zufluſſes geſtört iſt. Da der See 324 m über den benach— barten Steppen von Calabozo und 432 m über dem Meere liegt, ſo vermutete man, das Waſſer habe einen unterirdiſchen Abfluß oder verſickere. Da nun Eilande darin zu Tage kommen und der Waſſerſpiegel fortwährend ſinkt, ſo meinte man, der See könnte völlig eintrocknen. Das Zuſammen— a A u 2 * — 201 — treffen ſo auffallender Verhältniſſe mußte mich auf dieſe Thäler aufmerkſam machen, in denen die wilden Reize der Natur und der liebliche Eindruck fleißigen Anbaues und der Künſte einer erwachenden Kultur ſich vereinigen. Der See von Valencia, von den Indianern Tacarigua genannt, iſt größer als der Neuenburger See in der Schweiz; im Umriß aber hat er Aehnlichkeit mit dem Genfer See, der auch faſt gleich hoch über dem Meere liegt. Da in den Thälern von Aragua der Boden nach Süd und Weſt fällt, ſo liegt der Teil des Beckens, der unter Waſſer geblieben iſt, zunächſt der ſüdlichen Bergkette von Guigue, Yusma und dem Guacimo, die den hohen Savannen von Ocumare zuſtreicht. Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees ſtechen auf— fallend voneinander ab. Das ſüdliche iſt wüſte, kahl, faſt gar nicht bewohnt, eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein finſteres, einförmiges Anſehen; das nördliche dagegen iſt eine liebliche Landſchaft mit reichen Zucker-, Kaffee- und Baum⸗ wollenpflanzungen. Mit Ceſtrum, Azedarac und anderen immerblühenden Sträuchern eingefaßte Wege laufen über die Ebene und verbinden die zerſtreuten Höfe. Jedes Haus iſt von Bäumen umgeben. Der Ceiba mit großen gelben! und die Erithryna mit purpurfarbigen Blüten, deren Aeſte ſich verflechten, geben der Landſchaft einen eigentümlichen Cha⸗ rakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabili⸗ ſchen Farben ſticht wirkungsvoll vom eintönigen Blau des wolkenloſen Himmels ab. In der trockenen Jahreszeit, wenn ein wallender Dunſt über dem glühenden Boden ſchwebt, wird das Grün und die Fruchtbarkeit durch künſtliche Be— wäſſerung unterhalten. Hin und wieder kommt der Granit im angebauten Land zu Tage; ungeheure Felsmaſſen ſteigen mitten im Thale ſteil empor. An ihren nackten, zerklüfteten Wänden wachſen einige Saftpflanzen und bilden Dammerde für kommende Jahrhunderte. Häufig iſt oben auf dieſen ein- zeln ſtehenden Hügeln ein Feigenbaum oder eine Cluſia mit fleiſchigen Blättern aus den Felsritzen emporgewachſen und beherrſcht die Landſchaft. Mit ihren dürren, abgeſtorbenen Aeſten ſehen ſie aus wie Signalſtangen auf einer ſteilen Küſte. An der Geſtaltung dieſer Höhen errät man, was ſie früher waren; als noch das ganze Thal unter Waſſer ſtand und die 1 Carnes tollendas; Bombax hibiscifolius. — — 202 — Wellen den Fuß der Gipfel von Mariara, die Teufels: mauer (el Rincon del Diablo) und die Küſtenbergkette be⸗ ſpülten, waren dieſe Felshügel Untiefen oder Eilande. Dieſe Züge eines reichen Gemäldes, dieſer Kontraſt zwiſchen den beiden Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft an das Seegeſtade des Waadtlandes, wo der überall angebaute, überall fruchtbare Boden dem Ackerbauer, dem Hirten, dem Winzer ihre Mühen ſicher lohnt, während das ſavoyiſche Ufer gegenüber ein gebirgiges, halb wüſtes Land iſt. In jenen fernen Himmelsſtrichen, mitten unter den Gebilden einer fremdartigen Natur, gedachte ich mit Luſt der hinreißenden Beſchreibungen, zu denen der Genfer See und die Felſen von Meillerie einen großen Schriftſteller begeiſtert haben. Wenn ich jetzt mitten im civiliſierten Europa die Natur in der Neuen Welt zu ſchildern verſuche, glaube ich durch die Ver— gleichung unſerer heimiſchen und der tropiſchen Landſchaften meinen Bildern mehr Schärfe und dem Leſer deutlichere Be— griffe zu geben. Man kann es nicht oft genug ſagen: Unter jedem Himmelsſtriche trägt die Natur, ſei ſie wild oder vom Menſchen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen Stempel. Die Empfindungen, die ſie in uns hervorruft, ſind unendlich mannigfaltig, gerade wie der Eindruck der Geiſtes— werke je nach dem Zeitalter, das ſie hervorgebracht, und nach den mancherlei Sprachen, von denen ſie ihren Reiz zum Teil borgen, ſo ſehr verſchieden iſt. Nur Größe und äußere Form— verhältniſſe können eigentlich verglichen werden; man kann den rieſigen Gipfel des Montblanc und das Himalayagebirge, die Waſſerfälle der Pyrenäen und die der Kordilleren zu— ſammenhalten; aber durch ſolche vergleichende Schilderungen, ſo ſehr ſie wiſſenſchaftlich förderlich ſein mögen, erfährt man wenig vom Naturcharakter des gemäßigten und des heißen Erdſtriches. Am Geſtade eines Sees, in einem großen Walde, am Fuße mit ewigem Eis bedeckter Berggipfel iſt es nicht die materielle Größe, was uns mit dem heimlichen Gefühle der Bewunderung erfüllt. Was zu unſerem Gemüte ſpricht, was ſo tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wachruft, entzieht ſich der Meſſung wie den Sprachformen. Wenn man Naturſchönheiten recht lebhaft empfindet, ſo mag man Land— ſchaften von verſchiedenem Charakter gar nicht vergleichen; man würde fürchten, ſich ſelbſt im Genuß zu ſtören. Die Ufer des Sees von Valencia ſind aber nicht allein wegen ihrer maleriſchen Reize im Lande berühmt; das Becken — 203 — bietet verſchiedene Erſcheinungen, deren Aufklärung für die Naturforſchung und für den Wohlſtand der Bevölkerung von gleich großem Intereſſe iſt. Aus welchen Urſachen ſinkt der Seeſpiegel? Sinkt er gegenwärtig raſcher als vor Jahrhun—⸗ derten? Läßt ſich annehmen, daß das Gleichgewicht zwiſchen dem Zufluß und dem Abgang ſich über kurz oder lang wieder herſtellt, oder iſt zu beſorgen, daß der See ganz eingeht? Nach den aſtronomiſchen Beobachtungen in Victoria, Ha— cienda de Cura, Nueva Valencia und Guigue iſt der See gegenwärtig von Cagua bis Guayos 45 km lang. Seine Breite iſt ſehr ungleich; nach den Breiten an der Einmündung des Rio Cura und beim Dorfe Guigue zu urteilen, beträgt ſie nirgends über 9 bis 13 km, meiſt nur 8 bis 10 km. Die Maße, die ſich aus meinen Beobachtungen ergeben, ſind weit geringer als die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man könnte meinen, um das Verhältnis der Waſſerabnahme genau kennen zu lernen, brauche man nur die gegenwärtige Größe des Sees mit der zu vergleichen, welche alte Chronikſchreiber, z. B. Oviedo in ſeiner ums Jahr 1723 veröffentlichten „Geſchichte der Provinz Venezuela“, angeben. Dieſer Geſchichtſchreiber läßt in ſeinem hochtrabenden Stil „dieſes Binnenmeer, dieſen monstruoso cuerpo de la laguna de Valencia“, 63 km lang und 27 breit ſein; er berichtet, in geringer Entfernung vom Ufer finde das Senkblei keinen Grund mehr, und große ſchwimmende Inſeln bedecken die Seefläche, die fortwährend von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt ſich auf Schätzungen Gewicht legen, die auf gar keiner Meſſung be⸗ ruhen und dazu in Leguas ausgedrückt ſind, auf die man in den Kolonieen 3000, 5000 und 6550 Varas! rechnet. Nur das verdient im Buche eines Mannes, der ſo oft durch die Thäler von Aragua gekommen ſein muß, Beachtung, daß er I Da einigermaßen richtige Begriffe über die aſtronomiſche Lage und die Entfernungen der Orte in den ſpaniſchen Kolonieen zuerſt und lange Zeit allein durch Seeleute ſich verbreiteten, ſo wurde in Mexiko und in Südamerika urſprünglich die Legua nautica von 6650 Varas oder 5559 m eingeführt; aber dieſe „Seemeile“ wurde allmählich um die Hälfte oder um ein Dritteil verkürzt, weil man in den Hochgebirgen wie auf den dürren heißen Ebenen ſehr lang— ſam reiſt. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der Zeit und ſchließt uus der Zeit, nach willkürlichen Vorausſetzungen, auf die Länge der zurückgelegten Strecke. — 204 — behauptet, die Stadt Nueva Valencia de el Rey ſei im Jahre 1555 2,25 km vom See erbaut worden, und daß ſich bei ihm die Länge des Sees zur Breite verhält wie 7 zu 3. Gegenwärtig liegt zwiſchen dem See und der Stadt ein ebener Landſtrich von mehr als 5260 m, den Oviedo ſicher zu 7 km angeſchlagen hätte, und die Länge des Seebeckens verhält ſich zur Breite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6. Schon das Ausſehen des Bodens zwiſchen Valencia und Guigue, die Hügel, die auf der Ebene öſtlich vom Cano de Cambury ſteil aufſteigen und zum Teil (el Islote und la Isla de la Negra oder Caratapona) ſogar noch jetzt Inſeln heißen, beweiſen zur Genüge, daß ſeit Oviedos Zeit das Waſſer be- deutend zurückgewichen iſt. Was die Veränderung des Um— riſſes des Sees betrifft, ſo ſcheint es mir nicht ſehr wahr— ſcheinlich, daß er im 17. Jahrhundert beinahe zur Hälfte ſo breit als lang geweſen ſein ſollte. Die Lage der Granit— berge von Mariara und Guigue und der Fall des Bodens, der gegen Nord und Süd raſcher ſteigt als gegen Oſt und Weſt, ſtreiten gleichermaßen gegen dieſe Annahme. Wenn das ſo vielfach beſprochene Problem von der Ab— nahme der Gewäſſer zur Sprache kommt, ſo hat man, denke ich, zwei Epochen zu unterſcheiden, in welchen das Sinken des Waſſerſpiegels ſtattgefunden. Wenn man die Flußthäler und die Seebecken genau be⸗ trachtet, findet man überall das alte Ufer in bedeutender Entfernung. Niemand leugnet wohl jetzt mehr, daß unſere Flüſſe und Seen in ſehr bedeutendem Maße abgenommen haben; aber zahlreiche geologische Thatſachen weiſen auch dar: auf hin, daß dieſer große Wechſel in der Verteilung der Gewäſſer vor aller Geſchichte eingetreten iſt, und daß ſich ſeit mehreren Jahrtauſenden bei den meiſten Seen ein feſtes Gleichgewicht zwiſchen dem Betrage der Zuflüſſe einerſeits, und der Verdunſtung und Verſickerung andererſeits hergeſtellt hat. So oft dieſes Gleichgewicht geſtört iſt, thut man gut, ſich umzuſehen, ob ſolches nicht von rein örtlichen Verhältniſſen und aus jüngſter Zeit herrührt, ehe man eine beſtändige Ab⸗ nahme des Waſſers annimmt. Ein ſolcher Gedankengang entſpricht dem vorſichtigeren Verfahren der heutigen Wiſſen⸗ ſchaften. Zu einer Zeit, wo die phyſiſche Weltbeſchreibung das freie Geiſteserzeugnis einiger beredten Schriftſteller war und nur durch Phantaſiebilder wirkte, hätte man in der Er— ſcheinung, von der es ſich hier handelt, einen neuen Beweis für den Kontraſt zwiſchen beiden Kontinenten geſehen, den man in allem herausfand. Um darzuthun, daß Amerika ſpäter als Aſien und Europa aus dem Waſſer emporgeſtiegen, hätte man wohl auch den See von Tacarigua angeführt als eines der Becken im inneren Lande, die noch nicht Zeit gehabt, durch unausgeſetzte allmähliche Verdunſtung auszutrocknen. Ich zweifle nicht, daß in ſehr alter Zeit das ganze Thal vom Fuße des Gebirges Cocuyſa bis zum Torito und den Bergen von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der Bergkette von Guigue, zum Guarimo und der Palma, unter Waſſer ſtand. Ueberall läßt die Geſtalt der Vorberge und ihr ſteiler Abfall das alte Ufer eines Alpſees, ähnlich den Steiermärker und Tiroler Seen, erkennen. Kleine Helix- und Valvaarten, die mit den jetzt im See lebenden identiſch ſind, kommen in 1 bis 13 m dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero und Conceſion bei Victoria vor. Dieſe Thatſachen beweiſen nun allerdings, daß das Waſſer gefallen iſt; aber nirgends liegt ein Beweis dafür vor, daß es ſeit jener weit entlegenen Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler von Aragua gehören zu den Strichen von Venezuela, die am früheſten bevölkert worden, und doch ſpricht weder Oviedo, noch irgend eine alte Chronik von einer merklichen Abnahme des Sees. Soll man geradezu annehmen, die Erſcheinung ſei zu einer Zeit, wo die indianiſche Bevölkerung die weiße noch weit uͤberwog und das Seeufer ſchwächer bewohnt war, eben nicht bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhunderte, beſonders aber ſeit dreißig Jahren fällt es jedermann in die Augen, daß dieſes große Waſſerbecken von ſelbſt eintrocknet. Weite Strecken Landes, die früher unter Waſſer ſtanden, liegen jetzt trocken und ſind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und Baum— wolle bepflanzt. Wo man am Geſtade des Sees eine Hütte baut, ſieht man das Ufer von Jahr zu Jahr gleichſam fliehen. Man ſieht Inſeln, die beim Sinken des Waſſerſpiegels eben erſt mit dem Feſtlande zu verſchmelzen anfangen (wie die Felſeninſel Culebra, Guigue zu); andere Inſeln bilden bereits Vorgebirge (wie der Morro, zwiſchen Guigue und Nueva Valencia, und die Cabrera ſüdöſtlich von Mariara); noch andere ſtehen tief im Lande in Geſtalt zerſtreuter Hügel. Dieſe, die man ſchon von weitem leicht erkennt, liegen eine Viertelſee— meile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die merkwürdigſten ſind drei 60 bis 80 m hohe Eilande aus Granit auf dem Wege von der Hacienda de Cura nach Aguas calientes, und — 206 — am Weſtende des Sees der Cerrito de San Pedro, der Islote und der Caratapona. Wir beſuchten zwei noch ganz von Waſſer umgebene Inſeln und fanden unter dem Geſträuche auf kleinen Ebenen, 8 bis 12, ſogar 15 m über dem jetzigen Seeſpiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einſt die Wellen hier abgeſetzt. Auf allen dieſen Inſeln begegnet man den unzweideutigſten Spuren vom allmählichen Fallen des Waſſers. Noch mehr, und dieſe Erſcheinung wird von der Bevölkerung als ein Wunder angeſehen: im Jahre 1796 erſchienen drei neue Inſeln öſtlich von der Inſel Caiguire, in derſelben Rich— tung wie die Inſeln Burro, Otama und Zorro. Dieſe neuen Inſeln, die beim Volke Los nuevos Pefiones oder Las Apa- recidas heißen, bilden eine Art Untiefen mit völlig ebener Oberfläche. Sie waren im Jahre 1800 bereits über 1m höher als der mittlere Waſſerſtand. Wie wir zu Anfang dieſes Abſchnittes bemerkt, bildet der See von Valencia, gleich den Seen im Thale von Mexiko, den Mittelpunkt eines kleinen Syſtemes von Flüſſen, von denen keiner mit dem Meere in Verbindung ſteht. Die meiſten dieſer Gewäſſer können nur Bäche heißen; es ſind ihrer zwölf bis vierzehn. Die Einwohner wiſſen wenig davon, was die Verdunſtung leiſtet, und glauben daher ſchon lange, der See habe einen unterirdiſchen Abzug, durch den ebenſoviel ab— fließe, als die Bäche hereinbringen. Die einen laſſen dieſen Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe liegen ſollen, in Ver— bindung ftehen; andere nehmen an, das Waſſer fließe durch einen ſchiefen Kanal in das Meer. Dergleichen kühne Hypo— theſen über den Zuſammenhang zwiſchen zwei benachbarten Waſſerbecken hat die Einbildungskraft des Volkes wie die der Phyſiker in allen Erdſtrichen ausgeheckt; denn letztere, wenn ſie es ſich auch nicht eingeſtehen, ſetzen nicht ſelten nur Volksmeinungen in die Sprache der Wiſſenſchaft um. In der Neuen Welt wie am Ufer des Kaſpiſchen Meeres hört man von unterirdiſchen Schlünden und Kanälen ſprechen, ob: gleich der See von Tacarigua 412 m über und die Kaspiſche See 105 m unter dem Meeresſpiegel liegt, und jo gut man auch weiß, daß Flüſſigkeiten, die ſeitlich miteinander in Ver⸗ bindung ſtehen, ſich in dasſelbe Niveau ſetzen. Einerſeits die Verringerung der Maſſe der Zuflüſſe, die ſeit einem halben Jahrhunderte infolge der Ausrodung der Wälder, der Urbarmachung der Ebenen und des Indigobaues eingetreten iſt, andererſeits die Verdunſtung des Bodens und N die Trockenheit der Luft erſcheinen als Urſachen, welche die Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich teile nicht die Anſicht eines Reiſenden, der nach mir dieſe Länder beſucht hat,! derzufolge man „zur Befriedigung der Vernunft und zu Ehren der Phyſik“ einen unterirdiſchen Ab— fluß ſoll annehmen müſſen. Fällt man die Bäume, welche Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, ſo ſchafft man kommenden Geſchlechtern ein zweifaches Ungemach, Mangel an Brennholz und Waſſermangel. Die Bäume ſind vermöge des Weſens ihrer Ausdünſtung und der Strahlung ihrer Blätter gegen einen wolkenloſen Himmel fortwährend mit einer kühlen, dunſtigen Lufthülle umgeben; fie äußern weſent⸗ lichen Einfluß auf die Fülle der Quellen, nicht weil ſie, wie man ſo lange geglaubt hat, die in der Luft verbreiteten Waſſerdünſte anziehen, ſondern weil ſie den Boden gegen die unmittelbare Wirkung der Sonnenſtrahlen ſchützen und damit die Verdunſtung des Regenwaſſers verringern. Zerſtört man die Wälder, wie die europäiſchen Anſiedler allerorten in Amerika mit unvorſichtiger Haſt thun, ſo verſiegen die Quellen oder nehmen doch ſtark ab. Die Flußbetten liegen einen Teil des Jahres über trocken und werden zu reißenden Strömen, ſo oft im Gebirge ſtarker Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs auch Raſen und Moos auf den Bergkuppen verſchwinden, wird das Regenwaſſer im Ablaufen nicht mehr aufgehalten; ſtatt langſam durch allmähliche Sickerung die Bäche zu ſchwellen, furcht es in der Jahreszeit der ſtarken Regenniederſchläge die Bergſeiten, ſchwemmt das losgeriſſene Erdreich fort und ver— urſacht plötzliches Austreten der Gewäſſer, welche nun die Felder verwüſten. Daraus geht hervor, daß das Verheeren der Wälder, der Mangel an fortwährend fließenden Quellen und die Wildwaſſer drei Erſcheinungen ſind, die in urſächlichem Zuſammenhange ſtehen. Länder in entgegengeſetzten Hemi⸗ ſphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder⸗ peru zwiſchen dem Stillen Meere und den Kordilleren der 1 Depons, in feiner „Reiſe nach Terra Firma“: „Bei der unbedeutenden Oberfläche des Sees (er mißt übrigens 4037 ha) läßt ſich unmöglich annehmen, daß die Verdunſtung allein, ſo ſtark ſie auch unter den Tropen ſein mag, ſo viel Waſſer wegſchaffen kann, als die Flüſſe hereinbringen.“ In der Folge ſcheint aber der Ber: faſſer ſelbſt wieder „dieſe geheime Urſache, die Hypotheſe von einem Abzugsloch“ aufzugeben. — 208 — Anden, liefern einleuchtende Beweiſe für die Richtigkeit dieſes Satzes. Vis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Berge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald bewachſen. Große Bäume aus der Familie der Mimoſen, Geiba- und Feigenbäume beſchatteten die Ufer des Sees und verbreiteten Kühlung. Die damals nur ſehr dünn bevölkerte Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgeſtürzten Baum⸗ ſtämmen und Schmarotzergewächſen, mit dichtem Raſenfilz überzogen, und gab ſomit die ſtrahlende Wärme nicht ſo leicht von ſich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnen: glut nicht geſchützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume, mit der e des Zucker-, Indigo- und Baumwollen— baues nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüſſe des Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht ſich nur ſchwer einen Begriff davon, welch ungeheure Waſſermaſſen durch die Verdunſtung in der heißen Zone aufgeſogen werden, und vollends in einem Thale, das von ſteil abfallenden Bergen umgeben iſt, wo gegen Abend der Seewind und die nieder— a Luftſtrömungen auftreten, und deſſen Boden ganz flach, wie vom Waſſer geebnet iſt. Wir haben ſchon oben erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura, Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrſcht, der ſtärkſten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleichkommt. Die mittlere Temperatur der Luft in den Tälern von Aragua iſt ungefähr 25,5“; die hygrometriſchen Beobachtungen er: gaben mir für den Monat Februar im Durchſchnitte aus Tag und Nacht 71,4° am Haarhygrometer. Da die Worte: große Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an ſich haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter den Tropen ſehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte, ſo kann man über dieſe klimatiſchen Verhältniſſe nur urteilen, wenn man verſchiedene Orte in derſelben Zone vergleicht. Nun iſt in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht regnet, und wo ich zu verſchiedenen Stunden bei Tage und bei Nacht ſehr viele hygrometriſche Beobachtungen gemacht, die mittlere Feuchtigkeit der Luft gleich 86“, entſprechend der mittleren Temperatur von 27,7. Rechnet man die Regen⸗ monate ein, das heißt ſchätzt man den Unterſchied zwiſchen der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des ganzen Jahres, wie man denſelben in anderen Teilen des tropiſchen Amerikas beobachtet, ſo ergibt ſich für die Thäler — 209 — von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von höchſtens 74°, bei einer Temperatur von 25,55. In dieſer warmen und doch gar nicht ſehr feuchten Luft iſt nun aber eine ungeheure Menge verdunſteten Waſſers. Nach der Daltonſchen Theorie berechnet ſich die Dicke der Waſſerſchicht, die unter den oben erwähnten Umſtänden in einer Stunde verdunſtet, auf 0,36 mm, oder auf 8,3 mm in vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in der gemäßigten Zone, z. B. für Paris, die mittlere Tem⸗ peratur zu 10,6“ und die mittlere Feuchtigkeit zu 82“ an, ſo ergibt ſich nach denſelben Formeln 0,10 mm in der Stunde und 2,2 mm in vierundzwanzig Stunden. Will man ſich ſtatt dieſes unzuverläſſigen theoretiſchen Kalküls an die Er: gebniſſe unmittelbarer Beobachtung halten, ſo bedenke man, daß in Paris und Montmorency von Sedileau und Cotte die jährliche mittlere Verdunſtung gleich 855 mm und 1,015 m gefunden wurde. Im ſüdlichen Frankreich haben zwei ge— ſchickte Ingenieure, Clauſade und Pin, berechnet, daß der Kanal von Languedoc und das Baſſin von Saint Ferreol, über Abzug des Betrages der Verſickerung, jährlich 746 bis 780 mm verlieren. In den Pontiniſchen Sümpfen hat de Prony ungefähr das gleiche Ergebnis erhalten. Aus allen dieſen Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grade der Breite und bei einer mittleren Temperatur von 10,5 und 16° ergibt ſich eine mittlere Verdunſtung von 2,2 bis 2,8 mm im Tage. In der heißen Zone, z. B. auf den Antillen, iſt die Ver: dunſtung nach Le Gaur dreimal, nach Caſſan zweimal ſtärker. In Cumana, alſo an einem Orte, wo die Luft weit ſtärker mit Feuchtigkeit geſchwängert iſt als in den Thälern von Aragua, ſah ich oft in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 mm, im Schatten 3,4 mm Waſſer verdunſten. Verſuche dieſer Art ſind ſehr fein und ſchwankend; aber das eben Angeführte reicht hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Maſſe des Waſſer— dunſtes ſein muß, der aus dem See von Valencia und auf dem Gebiete aufſteigt, deſſen Gewäſſer ſich in den See er— gießen. Ich werde Gelegenheit finden, anderswo auf den Gegenſtand zurückzukommen; in einem Werke, das die großen Geſetze der Natur in den verſchiedenen Erdſtrichen zur An: ſchauung bringt, muß auch der Verſuch gemacht werden, das Problem von der mittleren Spannung der in der Luft enthaltenen Waſſerdämpfe unter verſchiedenen Breiten und in verſchiedenen Meereshöhen zu löſen. Das Maß der Verdunſtung hängt von einer Menge A. v. Humboldt, Reiſe. II. 14 — 210 — örtlicher Verhältniſſe ab: von der ſtärkeren oder geringeren Beſchattung des Waſſerbeckens, von der Ruhe und der Be— wegung des Waſſers, von der Tiefe desſelben, von der Be— ſchaffenheit und Farbe des Grundes; im großen aber wird die Verdunſtung nur durch drei Elemente bedingt, durch die Temperatur, durch die Spannung der in der Luft enthaltenen Dämpfe, durch den Widerſtand, den die Luft, je nachdem ſie mehr oder minder dicht, mehr oder weniger bewegt iſt, der Verbreitung der Dämpfe entgegenſetzt. Die Waſſermenge, die an einem gegebenen Orte verdunſtet, iſt proportional dem Unterſchiede zwiſchen der Maſſe des Dampfes, welche die umgebende Luft im geſättigten Zuſtande aufnehmen kann, und der Maſſe desſelben, welche ſie wirklich enthält. Es folgt daraus, daß (wie ſchon d'Aubuiſſon bemerkt, der meine hygro— metriſchen Beobachtungen berechnet hat) die Verdunſtung in der heißen Zone nicht ſo ſtark iſt, als man nach der ungemein hohen Temperatur glauben ſollte, weil in den heißen Himmels— ſtrichen die Luft gewöhnlich ſehr feucht iſt. a Seit der Ausbreitung des Ackerbaues in den Thälern von Aragua kommen die Flüßchen, die ſich in den See von Valencia ergießen, in den ſechs Monaten nach Dezember als Zuflüſſe nicht mehr in Betracht. Im unteren Stücke ihres Laufes find fie ausgetrocknet, weil die Indigo-, Zucker⸗ und Kaffeepflanzer ſie an vielen Punkten ableiten, um die Felder zu bewäſſern. Noch mehr, ein ziemlich anſehnliches Waſſer, der Rio Pao, der am Rande der Llanos, am Fuße des La Galera genannten Hügelzuges entſpringt, ergoß ſich früher in den See, nachdem er auf dem Wege von Nueva Valencia nach Guigue den Cano de Cambury aufgenommen. Der Fluß lief damals von Süd nach Nord. Zu Ende des 17. Jahr— hunderts kam der Beſitzer einer anliegenden Pflanzung auf den Gedanken, dem Rio Pao am Abhange eines Geländes ein neues Bett zu graben. Er leitete den Fluß ab, benutzte ihn zum Teil zur Bewäſſerung ſeines Grundſtückes und ließ ihn dann gegen Süd, dem Abhange der Llanos nach, ſelbſt ſeinen Weg ſuchen. Auf dieſem neuen Laufe nach Süd nimmt der Rio Pao drei andere Bäche auf, den Tinaco, den Guanarito und den Chilua, und ergießt ſich in die Portu⸗ gueſa, einen Zweig der Rio Apure. Es iſt eine nicht un⸗ intereſſante Erſcheinung, daß infolge der eigentümlichen Boden⸗ bildung und der Senkung der Waſſerſcheide nach Südweſt der Rio Pao ſich vom kleinen inneren Flußſyſteme, dem er 22 — 211 — urſprünglich angehörte, trennte und nun ſeit hundert Jahren durch den Apure und den Orinoko mit dem Meere in Ver— bindung ſteht. Was hier im kleinen durch Menſchenhand geſchah, thut die Natur häufig ſelbſt entweder durch allmäh— liche Anſchwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens infolge ſtarker Erdbeben. Wahrſcheinlich werden im Laufe der Jahrhunderte manche Flüſſe im Sudan und in Neuholland, die jetzt im Sande verſiegen oder in Binnenſeen laufen, ſich einen Weg zur Meeresküſte bahnen. So viel iſt wenigſtens ſicher, daß es auf beiden Kontinenten innere Flußſyſteme gibt, die man als noch nicht ganz entwickelte! betrachten kann, und die entweder nur bei Hochgewäſſer oder beſtändig durch Gabelung unter ſich zuſammenhängen. Der Rio Pao hat ſich ein ſo tiefes und breites Bett gegraben, daß, wenn in der Regenzeit der Cano grande de Cambury das ganze Land nordweſtlich von Guigue über— ſchwemmt, das Waſſer dieſes Cano und das des Sees von Valencia in den Rio Pao ſelbſt zurücklaufen, ſo daß dieſes Flüßchen, ſtatt dem See Waſſer zuzuführen, ihm vielmehr welches abzapft. Wir ſehen etwas Aehnliches in Nordamerika, da wo die Geographen auf ihren Karten zwiſchen den großen Kanadiſchen Seen und dem Lande der Miami eine eingebildete Bergkette angeben. Bei Hochgewäſſer ſtehen die Flüſſe, die den Seen, und die, welche dem Miſſiſſippi zulaufen, mitein⸗ ander in Verbindung und man fährt im Kanoe von den Quellen des Fluſſes Santa Maria in den Wabaſh, wie aus dem Chicago in den Illinois. Dieſe analogen Fälle ſcheinen mir von ſeiten der Hydrographen alle Aufmerkſamkeit zu verdienen. Da der Boden rings um den See von Valencia durchaus flach und eben iſt, jo wird, wie ich es auch an den Merifa- niſchen Seen alle Tage beobachten konnte, wenn der Waſſer⸗ ſpiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit fruchtbarem Schlamme und organiſchen Reſten bedeckter Strich Landes trocken gelegt. Im Maße, als der See ſich zurückzieht, rückt der Landbau gegen das neue Ufer vor. Dieſe von der Natur bewerkſtelligte, für die Landwirtſchaft der Kolonieen ſehr wich— tige Austrocknung war in den letzten zehn Jahren, in denen ganz Amerika an großer Trockenheit litt, ungewöhnlich ſtark. 1 Karl Ritter, Erdkunde Bd. I. — 212 — Ich riet den reichen Grundeigentümern im Lande, ſtatt die jeweiligen Krümmungen des Seeufers zu bezeichnen, im Waſſer ſelbſt Granitſäulen aufzuſtellen, an denen man von Jahr zu Jahr den mittleren Waſſerſtand beobachten könnte. Der Mar⸗ ques del Toro will die Sache ausführen und auf Gneisgrund, der im See häufig vorkommt, aus dem ſchönen Granit der Sierra de Mariara Limnometer aufſtellen. Unmöglich läßt ſich im voraus beſtimmen, in welchem Maße dieſes Waſſerbecken zuſammengeſchrumpft ſein wird, wenn einmal das Gleichgewicht zwiſchen dem Zufluſſe einer— ſeits und der Verdunſtung und Einſickerung andererſeits völlig hergeſtellt iſt. Die ſehr verbreitete Meinung, der See werde ganz verſchwinden, ſcheint mir durchaus unbegründet. Wenn infolge ſtarker Erdbeben oder aus anderen gleich unerklärten Urſachen zehn naſſe Jahre auf ebenſo viele trockene folgten, wenn ſich die Berge wieder mit Wald bedeckten, wenn große Bäume das Seeufer und die Thäler beſchatteten, ſo würde im Gegenteile das Waſſer ſteigen und den ſchönen Pflan— zungen, die gegenwärtig das Seebecken ſäumen, gefährlich werden. Während in den Thälern von Aragua die einen Pflanzer beſorgen, der See möchte ganz eingehen, die anderen, er möchte wieder zum verlaſſenen Geſtade heraufkommen, hört man in Caracas alles Ernſtes die Frage erörtern, ob man nicht, um mehr Boden für den Landbau zu gewinnen, aus dem See einen Kanal dem Rio Pao zu graben und ihn in die Llanos ableiten ſollte. Es iſt nicht zu leugnen, daß ſolches möglich wäre, namentlich wenn man Kanäle unter dem Boden, Stollen anlegte. Dem allmählichen Rücktritte des Waſſers verdankt das herrliche, reiche Bauland von Maracay, Cura, Mocundo, Guigue und Santa Cruz del Escoval mit ſeinen Tabak-, Zucker⸗, Kaffee⸗, Indigo: und Kakaopflanzungen feine Ent⸗ ſtehung; wie kann man aber nur einen Augenblick bezweifeln, daß nur der See das Land ſo fruchtbar macht? Ohne die ungeheure Dunſtmaſſe, welche Tag für Tag von der Waſſer⸗ fläche in die Luft aufſteigt, wären die Thäler von Aragua ſo trocken und dürr wie die Berge umher. Der See iſt im Durchſchnitt 23 bis 30 m, und an den tiefſten Stellen nicht, wie man gemeiniglich annimmt, 155, ſondern nur 68 bis 78 m tief. Dies iſt das Ergebnis der ſorgfältigen Meſſungen Don Antonio Manzanos mit dem Senkblei. Bedenkt man, wie ungemein tief alle Schweizer ee * — 218 — Seen ſind, ſo daß, obgleich ſie in hohen Thälern liegen, ihr Grund faſt auf den Spiegel des Mittelmeeres hinabreicht, ſo wundert man ſich, daß der Boden des Sees von Valencia, der doch auch ein Alpſee iſt, keine bedeutenderen Tiefen hat. Die tiefſten Stellen ſind zwiſchen der Felſeninſel Burro und der Landſpitze Cana Fiſtula, ſowie den hohen Bergen von Mariara gegenüber; im ganzen aber iſt der ſüdliche Teil des Sees tiefer als der nördliche. Es iſt nicht zu vergeſſen, daß jetzt zwar das ganze Ufer flach iſt, der ſüdliche Teil des Beckens aber doch am nächſten bei einer ſteil abfallenden Gebirgskette liegt. Wir wiſſen aber, daß auch das Meer bei einer hohen, ſenkrechten Felsküſte meiſt am tiefſten iſt. Die Temperatur des Sees an der Waſſerfläche war während meines Aufenthaltes in den Thälern von Aragua im Februar beſtändig 23 bis 23,7, alſo etwas geringer als die mittlere Lufttemperatur, ſei es nun infolge der Verdunſtung, die dem Waſſer und der Luft Wärme entzieht, oder weil die Schwankungen in der Temperatur der Luft ſich einer großen Waſſermaſſe nicht gleich ſchnell mitteilen, und weil der See Bäche aufnimmt, die aus kalten Quellen in den nahen Ge: birgen entſpringen. Zu meinem Bedauern konnte ich trotz der geringen Tiefe die Temperatur des Waſſers in 58 bis 78 m unter dem Waſſerſpiegel nicht beobachten. Ich hatte das Senkblei mit dem Thermometer, das ich auf den Alpen⸗ ſeen Salzburgs und auf dem Meere der Antillen gebraucht, nicht bei mir. Aus Sauſſures Verſuchen geht hervor, daß zu beiden Seiten der Alpen Seen, die in einer Meereshöhe von 370 bis 530 m liegen, im Hochſommer in 290 bis 195, zuweilen ſogar ſchon in 48 m Tiefe beſtändig eine Temperatur von 4,3 bis 6° zeigen; aber dieſe Verſuche find noch niemals auf Seen in der heißen Zone wiederholt worden. In der Schweiz ſind die Schichten kalten Waſſers ungeheuer mächtig. Im Genfer und im Bieler See fand man ſie ſo nahe an der Oberfläche, daß die Temperatur des Waſſers je mit 3 bis 5 m Tiefe um 1° abnahm, alſo Smal ſchneller als im Meere und 48mal ſchneller als in der Luft. In der gemäßigten Zone, wo die Lufttemperatur auf den Gefrierpunkt und weit darunter ſinkt, muß der Boden eines Sees, wäre er auch nicht von Gletſchern und mit ewigem Schnee bedeckten Bergen umgeben, Waſſerteilchen enthalten, die im Winter an der Oberfläche das Maximum ihrer Dichtigkeit (zwiſchen 3,4 und 4,40 erlangt haben und alſo am tiefſten niedergeſunken ſind. Andere — 214 — Teilchen mit der Temperatur von + 0,5 ſinken aber keines⸗ wegs unter die Schicht mit 4“ Temperatur, ſondern finden das hydroſtatiſche Gleichgewicht nur über derſelben. Sie gehen nur dann weiter hinab, wenn ſich ihre Temperatur durch die Berührung mit weniger kalten Schichten um 3 bis 4° erhöht hat. Wenn das Waſſer beim Erkalten in derſelben Proportion bis zum Nullpunkt immer dichter würde, ſo fände man in ſehr tiefen Seen und in Waſſerbecken, die nicht miteinander zuſammenhängen, welches auch die Breite des Ortes ſein mag, eine Waſſerſchicht, deren Temperatur dem Mari: mum der Erkaltung über dem Frierpunkt, der jährlich die umgebenden niederen Luftregionen ausgeſetzt ſind, beinahe gleich käme. Nach dieſer Betrachtung erſcheint es wahrſchein— lich, daß auf den Ebenen der heißen Zone und in nicht hoch— gelegenen Thälern, deren mittlere Wärme 25,5 bis 27° beträgt, der Boden der Seen nie weniger als 21 bis 22“ Temperatur haben kann. Wenn in derſelben Zone das Meer in der Tiefe von 1360 bis 1560 m Waſſer mit einer Tem⸗ peratur von nur 7°, das alſo um 12 bis 13° kälter iſt als das Minimum der Luftwärme über dem Meere, ſo iſt dieſe Erſcheinung, nach meiner Anſicht, ein direkter Beweis dafür, daß eine Meeresſtrömung in der Tiefe die Gewäſſer von den Polen zum Aequator führt. Wir laſſen hier das ſchwierige Problem unerörtert, wie unter den Tropen und in der gemäßigten Zone, z. B. im Meere der Antillen und in den Schweizer Seen, dieſe tiefen, bis auf 4 oder 7“ abge: kühlten Waſſerſchichten auf die Temperatur der von ihnen bedeckten Geſteinſchichten einwirken, und wie dieſe Schichten, deren urſprüngliche Temperatur unter den Tropen 27°, am Genfer See 10° beträgt, auf das dem Frierpunkt nahe Waſſer auf dem Boden der Seen und des tropiſchen Ozeans zurück— wirken? Dieſe Fragen ſind von der höchſten Wichtigkeit ſowohl für die Lebensprozeſſe der Tiere, die gewöhnlich auf dem Boden des ſüßen und des Salzwaſſers leben, als für die Theorie von der Verteilung der Wärme in Ländern, die von großen, tiefen Meeren umgeben ſind. Der See von Valencia iſt ſehr reich an Inſeln, welche durch die maleriſche Form der Felſen und den Pflanzenwuchs, der ſie bedeckt, den Reiz der Landſchaft erhöhen. Dieſen Vorzug hat dieſer tropiſche See vor den Alpenſeen voraus. Es ſind wenigſtens fünfzehn Inſeln, die in drei Gruppen zerfallen. Sie ſind zum Teil angebaut und infolge der Waſſer⸗ — 215 — dünſte, die aus dem See aufſteigen, ſehr fruchtbar. Die größte, 3900 m lange, der Burro, iſt ſogar von ein paar Meſtizen— familien bewohnt, die Ziegen halten. Dieſe einfachen Menſchen kommen ſelten an das Ufer bei Mocundo; der See dünkt ihnen unermeßlich groß, ſie haben Bananen, Maniok, Milch und etwas Fiſche. Eine Rohrhütte, ein paar Hängematten aus Baumwolle, die nebenan wächſt, ein großer Stein, um Feuer darauf zu machen, die holzige Frucht des Tutuma zum Waſſerſchöpfen, das iſt ihr ganzer Hausrat. Der alte Meſtize, der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine ſehr hübſche Tochter. Unſer Führer erzählte uns, das einſame Leben habe den Mann ſo argwöhniſch gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit Menſchen geworden wäre. Tags zuvor waren Jäger auf der Inſel geweſen; die Nacht überraſchte ſie und ſie wollten lieber unter freiem Himmel ſchlafen, als nach Mocundo zurückfahren. Darüber entſtand große Unruhe auf der Inſel. Der Vater zwang die Tochter, auf eine ſehr hohe Akazie zu ſteigen, die auf dem ebenen Boden nicht weit von der Hütte ſteht. Er ſelbſt legte ſich unter den Baum und ließ die Tochter nicht eher herunter, als bis die Jäger abgezogen waren. Nicht bei allen Inſelbewohnern findet der Reiſende ſolch argwöhniſche Vorſicht, ſolch gewaltige Sittenſtrenge. Die See iſt meiſt ſehr fiſchreich; es kommen aber nur drei Arten mit weichlichem, nicht ſehr ſchmackhaftem Fleiſche darin vor, die Guavina, der Vagre und die Sardina. Die beiden letzteren kommen aus den Bächen in den See. Die Guavina, die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, iſt 53cm lang, 92 mm breit. Es iſt vielleicht eine neue Art der Gattung Erythrina des Gronovius. Sie hat große, ſilberglänzende, grün geränderte Schuppen; ſie iſt ſehr gefräßig und läßt andere Arten nicht aufkommen. Die Fiſcher verſicherten uns, ein kleines Krokodil, der Bava, der uns beim Baden oft nahe kam, helfe auch die Fiſche ausrotten. Wir konnten dieſes Reptils nie habhaft werden, um es näher zu unterſuchen. Es wird meiſt nur 1 bis 1,3 m lang und gilt für unſchädlich, aber in der Lebensweiſe wie in der Geſtalt kommt es dem Kaiman oder Crocodilus acutus nahe. Beim Schwimmen ſieht man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das Schwanzende. Bei Tage liegt es auf kahlen Uferſtellen. Es iſt ſicher weder ein Monitor (die eigentlichen Monitor ge— hören nur der Alten Welt an), noch Sebas Sauvegarde (Lacerta Teguixin), die nur taucht und nicht ſchwimmt. — 216 — Reiſende mögen nach uns darüber entſcheiden, ich bemerke nur noch, als ziemlich auffallend, daß es im See von Valencia und im ganzen kleinen Flußgebiet desſelben keine großen Kai⸗ man gibt, während dieſes gefährliche Tier wenige Kilometer davon in den Gewäſſern, die in den Apure und Orinoko, oder zwiſchen Porto Cabello und Guayra unmittelbar in das An— tilliſche Meer laufen, ſehr häufig iſt. Die Inſel Chamberg iſt durch ihre Höhe ausgezeichnet. Es iſt ein 60 m hoher Gneisfels mit zwei ſattelförmig ver⸗ bundenen Gipfeln. Der Abhang des Felſens iſt kahl, kaum daß ein paar Cluſiaſtämme mit großen weißen Blüten darauf wachſen, aber die Ausſicht über den See und die üppigen Fluren der anſtoßenden Thäler iſt herrlich, zumal wenn nach Sonnenuntergang Tauſende von Waſſervögeln, Reiher, Fla— mingos und Wildenten über den See ziehen, um auf den Inſeln zu ſchlafen, und der weite Gebirgsgürtel am Horizont in Feuer ſteht. Wie ſchon erwähnt, brennt das Landvolk die Weiden ab, um ein friſcheres, feineres Gras als Nachwuchs zu bekommen. Beſonders auf den Gipfeln der Bergkette wächſt viel Gras, und dieſe gewaltigen Feuer, die öfters über 2000 m lange Strecken laufen, nehmen ji) aus, wie wenn Lavaſtröme aus dem Bergkamme quöllen. Wenn man ſo an einem herrlichen tropiſchen Abend am Seeufer ausruht und der angenehmen Kühle genießt, betrachtet man mit Luſt in den Wellen, die an das Geſtade ſchlagen, das Bild der roten Feuer rings am Horizont. Unter den Pflanzen, die auf den Felſeninſeln im See von Valencia wachſen, kommen, wie man glaubt, mehrere nur hier vor; wenigſtens hat man ſie ſonſt nirgends gefunden. Hierher gehören die See-Melonenbäume (Papaya de la la- guna) und die Liebesäpfel der Inſel Cura. Letztere ſind von unſerem Solanum Lycopersicum verſchieden; ihre Frucht iſt rund, klein, aber ſehr ſchmackhaft; man baut fie jetzt in Vic⸗ toria, Nueva Valencia, überall in den Thälern von Aragua. Auch die Papaya de la laguna iſt auf der Inſel Cura und auf Cabo Blanco ſehr häufig. Ihr Stamm iſt ſchlanker als beim gemeinen Melonenbaum (Carica Papaya), aber die Frucht iſt um die Hälfte kleiner und völlig kugelrund, ohne vorſpringende Rippen, und hat 10 bis 13 cm im Durchmeſſer. Beim Zerſchneiden zeigt ſie ſich voll Samen, ohne die leeren Zwiſchenräume, die ſich beim gemeinen Melonenbaum immer finden. Die Frucht, die ich oft gegeſſen, ſchmeckt ungemein — 217 — füß; ich weiß nicht, ob es eine Spielart der Carica Miero— carpa iſt, die Jacquin beſchrieben hat. Die Umgegend des Sees iſt nur in der trockenen Jahres— zeit ungeſund, wenn bei fallendem Waſſer der ſchlammige Boden der Sonnenhitze ausgeſetzt iſt. Das von Gebüſchen der Coccoloba barbadensis beſchattete, mit herrlichen Lilien: gewächſen geſchmückte Geſtade erinnert durch den Typus der Waſſerpflanzen an die ſumpfigen Ufer unſerer europäiſchen Seen. Man findet hier Laichkraut (Potamogeton), Chara und Im hohe Teichkolben, die man von der Typha angusti- folia unſerer Sümpfe kaum unterſcheiden kann. Erſt bei ge⸗ nauer Unterſuchung erkennt man in allen dieſen Gewächſen der Neuen Welt eigentümliche Arten. Wie viele Pflanzen von der Magelhaensſchen Meerenge, aus Chile und den Kor— dilleren von Quito ſind früher wegen der großen Ueberein— ſtimmung in Bildung und Ausſehen mit Gewächſen der nörd— lichen gemäßigten Zone zuſammengeworfen worden! Die Bewohner der Thäler von Aragua fragen häufig, warum das ſüdliche Ufer des Sees, beſonders aber der ſüd— weſtliche Strich desſelben gegen Las Aguacates, im ganzen ſtärker bewachſen iſt und ein friſcheres Grün hat als das nördliche. Im Februar ſahen wir viele entblätterte Bäume bei der Hacienda de Cura, bei Mocundo und Guacara, wäh— rend ſüdöſtlich von Valencia alles bereits darauf deutete, daß die Regenzeit bevorſtand. Nach meiner Anſicht werden im erſten Abſchnitte des Jahres, wo die Sonne gegen Süden abweicht, die Hügel um Valencia, Guacara und Cura von der Sonnenhitze ausgebrannt, während dem ſüdlichen Ufer durch den Seewind, ſobald er durch die Abra de Porto Cabello in das Thal kommt, eine Luft zugeführt wird, die ſich über dem See mit Waſſerdunſt beladen hat. Auf dieſem ſüdlichen Ufer, bei Guaruto, liegen auch die ſchönſten Tabaks— felder in der ganzen Provinz. Man unterſcheidet welche der primera, segunda und tercera fundacion. Nach dem drücken⸗ den Monopol der Tabakspacht, deren wir bei der Beſchreibung der Stadt Cumanacoa gedacht haben, darf man in der Pro: vinz Caracas nur in den Thälern von Aragua (bei Guaruto und Tapatapa) und in den Llanos von Uritucu Tabak bauen. Der Ertrag beläuft ſich auf 500 000 bis 600 000 Piaſter; aber die Regie iſt jo koſtſpielig, daß ſie gegen 230 000 Piaſter im Jahre verſchlingt. Die Capitania general von Caracas könnte vermöge ihrer Größe und ihres vortrefflichen Bodens, ſo gut — 218 — wie Cuba, ſämtliche europäiſche Märkte verſorgen; aber unter den gegenwärtigen Verhältniſſen erhält ſie im Gegenteil durch den Schleichhandel Tabak aus Braſilien auf dem Rio Negro, Caſſiquiare und Orinoko, und aus der Provinz Pore auf dem Caſanare, dem Ariporo und dem Rio Meta. Das ſind die traurigen Folgen eines Prohibitivſyſtems, das den Fortſchritt des Landbaues lähmt, den natürlichen Reichtum des Landes ſchmälert und ſich vergeblich abmüht, Länder abzuſperren, durch welche dieſelben Flüſſe laufen und deren Grenzen in unbe— wohnten Landſtrichen ſich verwiſchen. Unter den Zuflüſſen des Sees von Valencia entſpringen einige aus heißen Quellen, und dieſe verdienen beſondere Auf— merkſamkeit. Dieſe Quellen kommen an drei Punkten der aus Granit beſtehenden Küſtenkordillere zu Tage, bei Onoto, zwiſchen Turmero und Maracay, bei Mariara, nordöſtlich von der Hacienda de Cura, und bei Las Trincheras, auf dem Wege von Nueva Valencia nach Porto Cabello. Nur die heißen Waſſer von Mariara und Las Trincheras konnte ich in phy— ſikaliſcher und geologiſcher Beziehung genau unterſuchen. Geht man am Bache Cura hinauf, ſeiner Quelle zu, ſo ſieht man die Berge von Mariara in die Ebene vortreten in Geſtalt eines weiten Amphitheaters, das aus ſenkrecht abfallenden Felswänden beſteht, über denen ſich Bergkegel mit gezackten Gipfeln erheben. Der Mittelpunkt des Amphitheaters führt den ſeltſamen Namen Teufelsmauer (Rincon del Diablo). Von den beiden Flügeln derſelben heißt der öſtliche El Cha— parro, der weſtliche Las Viruelas. Dieſe verwitterten Felſen beherrſchen die Ebene; ſie beſtehen aus einem ſehr grob— körnigen, faſt porphyrartigen Granit, in dem die gelblich-weißen Feldſpatkriſtalle über 4cm lang find; der Glimmer iſt ziemlich ſelten darin und von ſchönem Silberglanz. Nichts maleriſcher und großartiger als der Anblick dieſes halb grün gewachſenen Gebirgſtockes. Den Gipfel der Calavera, welche die Teufels— mauer mit dem Chaparro verbindet, ſieht man ſehr weit. Der Granit iſt dort durch ſenkrechte Spalten in prismatiſche Maſſen geteilt, und es ſieht aus, als ſtünden Baſaltſäulen auf dem Urgebirge. In der Regenzeit ſtürzt eine bedeutende Waſſer⸗ maſſe über dieſe ſteilen Abhänge herunter. Die Berge, die ſich öſtlich an die Teufelsmauer anſchließen, ſind lange nicht ſo hoch und beſtehen, wie das Vorgebirge Cabrera, aus Gneis und granithaltigem Glimmerſchiefer. In dieſen niedrigeren Bergen, 3,5 bis 5,5 km nordöſtlich 0 — 219 — von Mariara, liegt die Schlucht der heißen Waſſer, Quebrada de aguas calientes. Sie ſtreicht nach Nord 75° Weſt und enthält mehrere kleine Tümpel, von denen die zwei oberen, die nicht zuſammenhängen, nur 21 em, die drei unteren 60 bis 95 em Durchmeſſer haben; ihre Tiefe beträgt zwiſchen 8 und 40 em. Die Temperatur dieſer verſchiedenen Trichter (pozos) it 56 bis 59°, und, was ziemlich auffallend iſt, die unteren Trichter ſind heißer als die oberen, obgleich der Unterſchied in der Bodenhöhe nicht mehr als 18 bis 21 em beträgt. Die heißen Waſſer laufen zu einem kleinen Bache zuſammen (Rio de aguas calientes), der 10 m weiter unten nur 48° Tem: peratur zeigt. Während der größten Trockenheit (in dieſer Zeit beſuchten wir die Schlucht) hat die ganze Maſſe des heißen Waſſers nur ein Profil von 184 qem, in der Regenzeit aber wird dasſelbe bedeutend größer. Der Bach wird dann zum Bergſtrom und ſeine Wärme nimmt ab, denn die Tem— peratur der heißen Quellen ſelbſt ſcheint nur unmerklich auf und ab zu ſchwanken. Alle dieſe Quellen enthalten Schwefel⸗ waſſerſtoffgas in geringer Menge. Der dieſem Gaſe eigene Geruch nach faulen Eiern läßt ſich nur ganz nahe bei den Quellen ſpüren. Nur in einem der Tümpel, in dem mit 56,2“ Temperatur, ſieht man Luftblaſen ſich entwickeln, und zwar in ziemlich regelmäßigen Pauſen von 2 bis 3 Minuten. Ich bemerkte, daß die Blaſen immer von denſelben Stellen ausgingen, vier an der Zahl, und daß man den Ort, von dem das Schwefelwaſſerſtoffgas aufſteigt, durch Umrühren des Bodens mit einem Stock nicht merklich verändern kann. Dieſe Stellen entſprechen ohne Zweifel ebenſo vielen Löchern oder Spalten im Gneis; auch ſieht man, wenn über einem Loche Blaſen erſcheinen, das Gas ſogleich auch über den drei anderen ſich entwickeln. Es gelang mir nicht, das Gas anzuzünden, weder die kleinen Mengen in den an der Fläche des heißen Waſſers platzenden Blaſen, noch dasjenige, das ich in einer Flaſche über den Quellen geſammelt, wobei mir übel wurde, nicht ſowohl vom Geruche des Gaſes, als von der übermäßigen Hitze in der Schlucht. Iſt das Schwefelwaſſerſtoffgas mit vieler Kohlenſäure oder mit atmoſphäriſcher Luft gemengt? Erſteres iſt mir nicht wahrſcheinlich, ſo häufig es auch bei heißen Quellen vorkommt (Aachen, Enghien, Barege). Das in der Röhre eines Fontanaſchen Eudiometers aufgefangene Gas war lange mit Waſſer geſchüttelt worden. Auf den kleinen Tümpeln ſchwimmt ein feines Schweſelhäutchen, das — 220 — ſich durch die langſame Verbrennung des Schwefelwaſſerſtoffes im Sauerſtoffe der Luft niederſchlägt. Hie und da iſt eine Pflanze an den Quellen mit Schwefel inkruſtiert. Dieſer Niederſchlag wird kaum bemerklich, wenn man das Waſſer von Mariara in einem offenen Gefäße erkalten läßt, ohne Zweifel, weil die Quantität des entwickelten Gaſes ſehr klein iſt und es ſich nicht erneuert. Das erkaltete Waſſer macht in der Auflöſung von ſalpeterſaurem Kupfer keinen Nieder⸗ ſchlag; es iſt geſchmacklos und ganz trinkbar. Wenn es je einige Salze enthält, etwa ſchwefelſaures Natron oder ſchwefel— ſaure Bittererde, ſo können ſie nur in ſehr geringer Quantität darin ſein. Da wir faſt gar keine Reagenzien bei uns hatten, ſo füllten wir nur zwei Flaſchen an der Quelle ſelbſt und ſchickten fie mit der nahrhaften Milch des ſogenannten Kuh: baumes (Vaca) über Porto Cabello und Havana an Furcroy und Vauquelin nach Paris. Daß Waſſer, die unmittelbar aus dem Granitgebirge kommen, ſo rein ſind, iſt eine der merkwürdigſten Erſcheinungen auf beiden Kontinenten.” Wo ſoll man aber das Schwefelwaſſerſtoffgas herleiten? Von der Zerſetzung von Schwefeleiſen oder Schwefelkiesſchichten kann es nicht kommen. Rührt es von Schwefelcalcium, Schwefel— magneſium oder anderen erdigen Halbmetallen her, die das Innere unſeres Planeten unter der oxydierten Steinkruſte enthält? In der Schlucht der heißen Waſſer von Mariara, in den kleinen Trichtern mit einer Temperatur von 56 bis 59°, kommen zwei Waſſerpflanzen vor, eine häutige, die Luftblaſen enthält, und eine mit parallelen Faſern.“ Erſtere hat große Aehnlichkeit mit der Ulva labyrinthiformis Vandellis, die in den europäiſchen warmen Quellen vorkommt. Auf der Inſel Amſterdam ſah Barrom? Büſche von Lykopodium und Marchantia an Stellen, wo die Temperatur des Bodens noch weit höher war. So wirkt ein gewohnter Reiz auf die Organe der Gewächſe. Waſſerinſekten kommen im Waſſer Auf dem alten Kontinent kommen in Portugal und am Cantal in den Pyrenäen ebenſo reine Waſſer aus dem Granit. Die Pisciarelli des Agnanoſees in Italien ſind 93° heiß. Sind etwa dieſe reinen Waſſer verdichtete Dämpfe? 2 Converfa? s Reiſe nach Cochinching. — 221 — von Mariara nicht vor. Man findet Fröſche darin, die, von Schlangen verfolgt, hineingeſprungen ſind und den Tod ge— funden haben. Südlich von der Schlucht, in der Ebene, die ſich zum Seeufer erſtreckt, kommt eine andere ſchwefelwaſſerſtoffhaltige, nicht ſo warme und weniger Gas enthaltende Quelle zu Tage. Die Spalte, aus der das Waſſer läuft, liegt 12 m höher als die eben beſchriebenen Trichter. Der Thermometer ſtieg in der Spalte nur auf 42°. Das Waſſer ſammelt ſich in einem mit großen Bäumen umgebenen, faſt kreisrunden, 5 bis 6m weiten und Im tiefen Becken. In dieſes Bad werfen ſich die unglücklichen Sklaven, wenn ſie gegen Sonnenuntergang, mit Staub bedeckt, ihr Tagewerk auf den benachbarten Indigo⸗ und Zuckerfeldern vollbracht haben. Obgleich das Waſſer des Bano gewöhnlich 10 bis 14° wärmer iſt als die Luft, nennen es die Schwarzen doch erfriſchend, weil in der heißen Zone alles ſo heißt, was die Kräfte herſtellt, die Nervenaufregung beſchwichtigt oder überhaupt ein Gefühl von Wohlbehagen gibt. Wir ſelbſt erprobten die heilſame Wirkung dieſes Bades. Wir ließen unſere Hängematten an die Bäume, die das Waſſer⸗ becken beſchatten, binden und verweilten einen ganzen Tag an dieſem herrlichen Platze, wo es ſehr viele Pflanzen gibt. In der Nähe des Bano de Mariara fanden wir den Volador oder Gyrocarpus. Die Flügelfrüchte dieſes großen Baumes fliegen wie Federbälle, wenn ſie ſich vom Fruchtſtiele trennen. Wenn wir die Aeſte des Volador ſchüttelten, wimmelte es in der Luft von dieſen Früchten und ihr gleichzeitiges Niederfallen gewährte den merkwürdigſten Anblick. Die zwei häutigen, geſtreiften Flügel find jo gebogen, daß die Luft beim Nieder: fallen unter einem Winkel von 45“ gegen ſie drückt. Glück⸗ licherweiſe waren die Früchte, die wir auflaſen, reif. Wir ſchickten welche nach Europa und ſie keimten in den Gärten zu Berlin, Paris und Malmaiſon. Die vielen Voladorpflanzen, die man jetzt in den Gewächshäuſern ſieht, kommen alle von dem einzigen Baume der Art, der bei Mariara ſteht. Die geographiſche Verteilung der verſchiedenen Arten von Gyro⸗ carpus, den Brown zu den Laurineen rechnet, iſt eine ſehr auffallende. Jacquin ſah eine Art bei Cartagena das Indias; eine andere Art, die auf den Bergen an der Küſte von Koro⸗ mandel wächſt, hat Roxburgh beſchrieben; eine dritte und vierte kommen in der ſüdlichen Halbkugel auf den Küſten von Neuholland vor. — 222 — Während wir nach dem Bade uns, nach Landesſitte halb in ein Tuch gewickelt, von der Sonne trocknen ließen, trat ein kleiner Mulatte zu uns. Nachdem er uns freundlich ge— grüßt, hielt er uns eine lange Rede über die Kraft der Waffer von Mariara, über die vielen Kranken, die ſie ſeit einigen Jahren beſuchten, über die günſtige Lage der Quellen zwiſchen zwei Städten, Valencia und Caracas, wo die Sittenverderbnis mit jedem Tage ärger werde. Er zeigte uns ſein Haus, eine kleine offene Hütte aus Palmblättern, in einer Einzäunung, ganz nahebei, an einem Bache, der in das Bad läuft. Er verſicherte uns, wir finden daſelbſt alle möglichen Bequem— lichkeiten, Nägel, unſere Hängematten zu befeſtigen, Ochſen— häute, um auf Rohrbänken zu ſchlafen, irdene Gefäße mit immer friſchem Waſſer, und was uns nach dem Bade am beſten bekommen werde, Iguanas, große Eidechſen, deren Fleiſch für eine erfriſchende Speiſe gilt. Wir erſahen aus dieſem Vortrage, daß der arme Mann uns für Kranke hielt, die ſich an der Quelle einrichten wollten. Er nannte ſich „Waſſerinſpektor und Pulpero! des Platzes“. Auch hatte ſeine Zuvorkommenheit gegen uns ein Ende, als er erfuhr, daß wir bloß aus Neugierde da waren, oder, wie man in den Kolonieen, dem wahren Schlaraffenlande, ſagt, „para ver, no mas“ (um zu ſehen, weiter nichts). Man gebraucht das Waſſer von Mariara mit Erfolg gegen rheumatiſche Geſchwülſte, alte Geſchwüre und gegen die ſchreckliche Hautkrankheit, Bubas genannt, die nicht immer ſyphilitiſchen Urſprunges iſt. Da die Quellen nur ſehr wenig Schwefelwaſſerſtoff enthalten, muß man da baden, wo ſie zu Tage kommen. Weiterhin überrieſelt man mit dem Waſſer die Indigofelder. Der reiche Beſitzer von Mariara, Don Domingo Tovar, ging damit um, ein Badehaus zu bauen und eine Anſtalt einzurichten, wo Wohlhabende etwas mehr fänden als Eidechſenfleiſch zum Eſſen und Häute auf Bänken zum Ruhen. Am 21. Februar abends brachen wir von der ſchönen Hacienda de Cura nach Guacara und Nueva Valencia auf. Wegen der ſchrecklichen Hitze bei Tage reiſten wir lieber bei Nacht. Wir kamen durch den Weiler Punta Zamuro am Eigentümer einer Pulperia, einer kleinen Bude, in der man Eßwaren und Getränke feil hat. — 223 — Fuße der hohen Berge Las Viruelas. Am Wege ſtehen große Zamang oder Mimoſen, deren Stamm 20 m hoch wird. Die faſt wagerechten Aeſte derſelben ſtoßen auf mehr als 48 m Entfernung zuſammen. Nirgends habe ich ein ſchöneres, dichteres Laubdach geſehen. Die Nacht war dunkel; die Teufelsmauer und ihre gezackten Felſen tauchten zuweilen in der Ferne auf, beleuchtet vom Scheine der brennenden Sa— vannen oder in rötliche Rauchwolken gehüllt. Wo das Ge— büſch am dichteſten war, ſcheuten unſere Pferde ob dem Ge— ſchrei eines Tieres, das hinter uns herzukommen ſchien. Es war ein großer Tiger, der ſich ſeit drei Jahren in dieſen Bergen umtrieb und den Nachſtellungen der kühnſten Jäger entgangen war. Er ſchleppte Pferde und Maultiere ſogar aus Einzäunungen fort; da es ihm aber nicht an Nahrung * fehlte, hatte er noch nie Menſchen angefallen. Der Neger, der uns führte, erhob ein wildes Geſchrei, um den Tiger zu verſcheuchen, was natürlich nicht gelang. Der Jaguar ſtreicht, wie der europäiſche Wolf, den Reiſenden nach, auch wenn er ſie nicht anfallen will; der Wolf thut dies auf freiem Felde, auf offenen Landſtrecken, der Jaguar ſchleicht am Wege hin und zeigt ſich nur von Zeit zu Zeit im Gebüſche. Den 23. Februar brachten wir im Hauſe des Marques del Toro, im Dorfe Guacara, einer ſehr ſtarken indianiſchen Gemeinde, zu. Die Eingeborenen, deren Korregidor, Don Pedro Venalver, ein ſehr gebildeter Mann war, ſind ziemlich wohlhabend. Sie hatten eben bei der Audiencia einen Prozeß gewonnen, der ihnen die Ländereien wieder zuſprach, welche die Weißen ihnen ſtreitig gemacht. Eine Allee von Carolinea— bäumen führt von Guacara nach Mocundo. Ich ſah hier zum erſtenmal dieſes prachtvolle Gewächs, das eine der vor— nehmſten Zierden der Gewächshäuſer in Schönbrunn iſt.! Mocundo iſt eine reiche Zuckerpflanzung der Familie Toro. Man findet hier ſogar, was in dieſem Lande ſo ſelten iſt, „den Luxus des Ackerbaues“, einen Garten, künſtliche Gehölze und am Waſſer auf einem Gneisfelſen ein Luſthaus mit einem Mirador oder Belvedere. Man hat da eine herrliche Ausſicht auf das weſtliche Stück des Sees, auf die Gebirge 1 Sämtliche Carolinea princeps in Schönbrunn ſtammen aus Samen, die Boſe und Bredemeyer von einem ungeheuer dicken Baume bei Chacao, öſtlich von Caracas, genommen. — 224 — ringsum und auf einen Palmenwald zwiſchen Guacara und Nueva Valencia. Die Zuckerfelder mit dem lichten Grün des jungen Rohres erſcheinen wie ein weiter Wieſengrund. Alles trägt den Stempel des Ueberfluſſes, aber die das Land bauen, müſſen ihre Freiheit daran ſetzen. In Mocundo baut man mit 230 Negern 77 Tablones oder Stücke Zuckerrohr, deren jedes 10 000 Quadratvaras! mißt und jährlich einen Nein: ertrag von 200 bis 240 Piaſtern gibt. Man ſetzt die Steck⸗ linge des kreoliſchen und des tahitiſchen Zuckerrohres im April, bei erſterem je 1,3 m, bei letzterem 1,6 m voneinander. Das Rohr braucht 14 Monate zur Reife. Es blüht im Oktober, wenn der Setzling kräftig iſt, man kappt aber die Spitze, ehe die Riſpe ſich entwickelt. Bei allen Monokotyledonen (beim Maguey, der in Mexiko wegen des Pulque gebaut wird, bei der Weinpalme und dem Zuckerrohr) erhalten die Säfte durch die Blüte eine andere Miſchung. Die Zuckerfabrikation iſt in Terra Firma ſehr mangelhaft, weil man nur für den Ber: brauch im Lande fabriziert und man für den Abſatz im großen ſich lieber an den ſogenannten Papelon als an raffinierten und Rohzucker hält. Dieſer Papelon iſt ein unreiner, braun⸗ gelber Zucker in ganz kleinen Hüten. Er iſt mit Melaſſe und ſchleimigen Stoffen verunreinigt. Der ärmſte Mann ißt Pa⸗ pelon, wie man in Europa Käſe ißt; man hält ihn allgemein für nahrhaft. Mit Waſſer gegoren, gibt er den Guarapo, das Lieblingsgetränk des Volkes. Zum Auslaugen des Rohr— ſaftes bedient man ſich, ſtatt des Kalkes, des unterkohlenſauren Kalis. Man nimmt dazu vorzugsweiſe die Aſche des Bucare, der Erythrina corallodendron. Das Zuckerrohr iſt ſehr ſpät, wahrſcheinlich erſt zu Ende des 16. Jahrhunderts, von den Antillen in die Thäler von Aragua gekommen. Man kannte es ſeit den älteſten Zeiten in Indien, in China und auf allen Inſeln des Stillen Meeres; in Choraſſan und in Perſien wurde es ſchon im 5. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung zur Gewinnung feſten Zuckers gebaut. Die Araber brachten das Rohr, das für die Bewohner heißer und gemäßigter Länder von ſo großem Werte iſt, an die Küſten des Mittelmeeres. Im Jahre 1306 wurde es auf Sizilien noch nicht gebaut, aber auf Cypern, Rhodus und in Morea war es bereits verbreitet; 100 Jahre darauf war es ein wert⸗ Ein Tablon, gleich 7026 qm, entſpricht etwa 1¼ Morgen. a 5 ung a voller Beſitz Kalabriens, Siziliens und der ſpaniſchen Küſten. Von Sizilien verpflanzte der Infant Henriquez das Zucker— rohr nach Madeira, von Madeira kam es auf die Kanarien, wo es ganz unbekannt war; denn die Ferulae, von denen Juba ſpricht (quae expressae liquorem fundunt potui jucundum), ſind Euphorbien, Tabayba dulce, und kein Zuckerrohr, wie man neuerdings behauptet hat. Nicht lange, ſo waren zehn Zuckermühlen (ingenigs de azucar) auf der Großen Canaria, auf Palma und auf Tenerifa zwiſchen Adexe, Icod und Ga⸗ rachico. Man brauchte Neger zum Bau, und ihre Nach: kommen leben noch in den Höhlen von Tiaxana auf der Großen Canaria. Seit das Zuckerrohr auf die Antillen ver⸗ pflanzt worden iſt, und ſeit die Neue Welt den glückſeligen Inſeln den Mais geſchenkt, hat der Anbau dieſer Grasart auf Tenerifa und der Großen Canaria den Zuckerbau ver— drängt. Jetzt wird dieſer nur noch auf Palma bei Argual und Taxacorte getrieben und liefert kaum 1000. Zentner Zucker im Jahr. Das kanariſche Rohr, das Aiguilon nach San Domingo brachte, wurde dort ſeit 1517 oder den ſechs, ſieben folgenden Jahren unter der Herrſchaft der Hieronymiter mönche gebaut. Von Anfang an wurden Neger dazu ver⸗ wendet, und ſchon 1519 ſtellte man, gerade wie heutzutage, der Regierung vor, „die Antillen wären verloren und müßten wüſte liegen bleiben, wenn man nicht alle Jahre Sklaven von der Küſte von Guinea herüberbrächte“. Seit einigen Jahren haben lich der Anbau und die Fa⸗ brikation des Zuckers in Terra Firma bedeutend verbeſſert, und da auf Jamaika das Raffinieren geſetzlich verboten iſt, ſo glaubt man auf die Ausfuhr von raffiniertem Zucker in die engliſchen Kolonieen auf dem Wege des Schleichhandels rechnen zu können. Aber der Verbrauch in den Provinzen von Venezuela an Papelon und an Rohzucker zu Schokolade und Zuckerbäckerei (dulces) iſt ſo groß, daß die Ausfuhr bis jetzt gar nicht in Betracht kam. Die ſchönſten Zuckerpflan⸗ zungen ſind in den Thälern von Aragua und des Tuy, bei Pao de Zarete, zwiſchen Victoria und San Sebaſtiano, bei Guatire, Guarenas und Caurimare. Wie das Zuckerrohr zuerſt von den Kanarien in die Neue Welt kam, ſo ſtehen noch jetzt meiſt Kanarier oder Islenos den großen Pflan— zungen vor und geben beim Anbau und beim Raffinieren die Anleitung. Dieſer innige Verkehr mit den Kanariſchen Inſeln und A. v. Humboldt, Reiſe. II. 15 — 226 — ihren Bewohnern hat auch zur Einführung der Kamele in die Provinzen von Venezuela Anlaß gegeben. Der Marques del Toro ließ ihrer drei von Lanzerote kommen. Die Trans⸗ portkoſten waren ſehr bedeutend, weil die Tiere auf den Kauf— fahrern ſehr viel Raum einnehmen und ſie ſehr viel ſüßes Waſſer bedürfen, da die lange Ueberfahrt ſie ſtark angreift. Ein Kamel, für das man nur 30 Piaſter bezahlt, hatte nach der Ankunft auf der Küſte von Caracas 800 bis 900 Piaſter gekeſtet. Wir ſahen dieſe Tiere in Mocundo; von vieren waren ſchon drei in Amerika geworfen. Zwei waren vom Biß des Coral, einer giftigen Schlange, die am See ſehr häufig iſt, zu Grunde gegangen. Man braucht bis jetzt dieſe Kamele nur, um das Zuckerrohr in die Mühlen zu ſchaffen. Die männlichen Tiere, die ſtärker ſind als die weiblichen, tragen 40 bis 50 Arroben. Ein reicher Gutsbeſitzer in der Provinz Varinas wollte, aufgemuntert durch den Vorgang des Marques del Toro, 15000 Piaſter aufwenden und auf einmal 14 bis 15 Kamele von den Kanariſchen Inſeln kommen laſſen. Solche Unternehmungen find um jo lobenswerter, da man dieſe Laſttiere zum Warentransport durch die glühend heißen Ebenen am Caſanare, Apure und am Calobozo benutzen will, die in der trockenen Jahreszeit den afrikaniſchen Wüſten gleichen. Ich habe anderwärts bemerkt,“ wie ſehr zu wün⸗ ſchen wäre, daß die Eroberer ſchon zu Anfang des 16. Jahr: hunderts wie Rindvieh, Pferde und Maultiere ſo auch Kamele nach Amerika verpflanzt hätten. Ueberall, wo in unbewohnten Ländern ſehr große Strecken zurückzulegen ſind, wo ſich keine Kanäle anlegen laſſen, weil ſie zu viele Schleuſen erforderten (wie auf der Landenge von Panama, auf der Hochebene von Mexiko, in den Wüſten zwiſchen dem Königreich Quito und Peru, und zwiſchen Peru und Chile), wären Kamele für den Handelsverkehr im Inneren von der höchſten Bedeutung. Man muß ſich um ſo mehr wundern, daß die Regierung nicht gleich nach der Eroberung die Einführung des Tieres aufgemuntert hat, da noch lange nach der Unterwerfung von Granada das Kamel, das Lieblingstier der Mauren, im ſüdlichen Spanien ſehr häufig war. Ein Biscayer, Juan de Reinaga, hatte auf ſeine Koſten einige Kamele nach Peru gebracht. Pater Acoſta ſah ſie gegen das Ende des 16. Jahrhunderts am Fuße der Essay politique sur la nouvelle Espagne T. I, p. 23, I. II, p. 689. — 227 — Anden; da ſie aber ſchlecht gepflegt wurden, pflanzten fie ſich ſpärlich fort und ſtarben bald aus. In dieſen Zeiten der Unterdrückung und des Elends, die man als die Zeiten des ſpaniſchen Ruhmes ſchildert, vermieteten die Encomenderos den Reiſenden Indianer wie Laſttiere. Man trieb ſie zu Hunderten zuſammen, um Waren über die Kordilleren zu ſchleppen oder um die Heere auf ihren Eroberungs- und Raubzügen zu begleiten. Die Eingeborenen unterzogen ſich dieſem Dienſte um ſo geduldiger, da ſie, beim faſt völligen Mangel an Haustieren, ſchon ſeit langer Zeit von ihren eigenen Häuptlingen, wenn auch nicht ſo unmenſchlich, dazu angehalten worden waren. Die von Juan de Reinaga verſuchte Ein— führung der Kamele brachte die Encomenderos, die nicht ge— ſetzlich, aber faktiſch die Grundherren der indianiſchen Dörfer waren, gewaltig in Aufruhr. Es iſt nicht zu verwundern, daß der Hof den Beſchwerden dieſer Herren Gehör gab; aber durch dieſe Maßregel ging Amerika eines Mittels verluſtig, das mehr als irgend etwas den Verkehr im Inneren und den Warenaustauſch erleichtern konnte. Jetzt, da ſeit Karls III. Regierung die Indianer unter einem milderen Regimente ſtehen, und alle Zweige des einheimiſchen Gewerbefleißes ſich freier entwickeln können, ſollte die Einführung der Kamele im großen und von der Regierung ſelbſt verſucht werden. Würden einige hundert dieſer nützlichen Tiere auf dem un— geheuren Areal von Amerika in heißen, trockenen Gegenden angeſiedelt, ſo würde ſich der günſtige Einfluß auf den all— gemeinen Wohlſtand ſchon in wenigen Jahren merkbar machen. Provinzen, die durch Steppen getrennt ſind, wären von Stunde an einander näher gerückt; manche Waren aus dem Inneren würden an den Küſten wohlfeiler, und durch die Vermehrung der Kamele, zumal der Hedjines, der Schiffe der Wüſte, käme ein ganz anderes Leben in den Gewerbfleiß und den Handel der Neuen Welt. Am 22. abends brachen wir von der Mocundo auf und gingen über Los Guayos nach Nueva Valencia. Man kommt durch einen kleinen Palmenwald, deſſen Bäume nach dem Habitus und der Bildung der fächerförmigen Blätter dem Chamaerops humilis an der Küſte der Berberei gleichen. Der Stamm wird indeſſen 6 m, zuweilen ſogar 10 m hoch. Es iſt wahrſcheinlich eine neue Art der Gattung Corypha; die Palme heißt im Lande Palma de Sombrero, weil man aus den Blattſtielen Hüte, ähnlich unſeren Strohhüten — flicht. Das Palmengehölz, wo die dürren Blätter beim ge: ringſten Luftzug raſſeln, die auf der Ebene weidenden Kamele, das Wallen der Dünſte auf einem vom Sonnenſtrahl glühen⸗ den Boden, geben der Landſchaft ein afrikaniſches Gepräge. Je näher man der Stadt und über das weſtliche Ende des Sees hinauskommt, deſto dürrer wird der Boden. Es iſt ein ganz ebener, vom Waſſer verlaſſener Thonboden. Die benachbarten Hügel, Morros de Valencia genannt, beſtehen aus weißem Tuff, einer ganz neuen Bildung, die unmittelbar auf dem Gneis aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an verſchiedenen anderen Punkten längs der Küſtengebirgskette wieder zum Vorſchein. Die weiße Farbe dieſes Tuffs, von dem die Sonnenſtrahlen abprallen, trägt viel zur drückenden Hitze bei, die hier herrſcht. Alles iſt wüſt und öde, kaum ſieht man an den Ufern des Rio de Valencia hie und da einen Kakaoſtamm; ſonſt iſt die Ebene kahl, pflanzenlos. Dieſe anſcheinende Unfruchtbarkeit ſchreibt man hier, wie überall in den Thälern von Aragua, dem Indigo⸗ bau zu, der den Boden ſtärker erſchöpft (cansa) als irgend ein Gewächs. Es wäre intereſſant, ſich nach den wahren phyſiſchen Urſachen dieſer Erſcheinung umzuſehen, über die man, wie ja auch über die Wirkung der Brache und der Wechſel— wirtſchaft, noch lange nicht im reinen iſt. Ich beſchränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß man unter den Tropen deſto häufiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit des Bau— landes klagen hört, je näher man ſich der Zeit der erſten Urbarmachung befindet. In einem Erdſtriche, wo faſt kein Gras wächſt, wo jedes Gewächs einen holzigen Stengel hat und gleich zum Buſch aufſchießt, iſt der unangebrochene Boden fortwährend von hohen Bäumen oder von Buſchwerk be— ſchattet. Unter dieſen dichten Schatten erhält er ſich überall friſch und feucht. So üppig der Pflanzenwuchs unter den Tropen erſcheint, jo iſt doch die Zahl der in die Erde drin: genden Wurzeln auf einem nicht angebauten Boden geringer, während auf dem mit Indigo, Zuckerrohr oder Maniok an⸗ gepflanzten Lande die Gewächſe weit dichter bei einander ſtehen. Die Bäume und Gebüſche mit ihrer Fülle von Zweigen und Laub ziehen ihre Nahrung zum großen Teil aus der um— gebenden Luft, und die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens nimmt zu durch die Zerſetzung des vegetabiliſchen Stoffes, der ſich fortwährend auf demſelben aufhäuft. Ganz anders bei den mit Indigo oder anderen krautartigen Gewächſen be— pflanzten Feldern. Die Sonnenſtrahlen fallen frei auf den — 1 Boden und zerſtören durch die raſche Verbrennung der Kohlen— waſſerſtoff⸗ und anderen oxydierbaren Verbindungen die Keime der Fruchtbarkeit. Dieſe Wirkungen fallen den Koloniſten deſto mehr auf, da ſie in einem noch nicht lange bewohnten Lande die Fruchtbarkeit eines ſeit Jahrtauſenden unberührten Bodens mit dem Ertrag der bebauten Felder vergleichen können. In Bezug auf den Ertrag des Ackerbaues ſind gegenwärtig die ſpaniſchen Kolonieen auf dem Feſtland und die großen Inſeln Portorico und Cuba gegen die Kleinen Antillen be— deutend im Vorteil. Erſtere haben vermöge ihrer Größe, der mannigfaltigen Bodenbildung und der verhältnismäßig geringen Bevölkerung noch ganz den Typus eines unberührten Bodens, während man auf Barbados, Tabago, Santa Lucia, auf den Jungfraueninſeln und im franzöſiſchen Anteil von San Do— mingo nachgerade ſpürt, daß lange fortgeſetzter Anbau den Boden erſchöpft. Wenn man in den Thälern von Aragua die Indigofelder, ſtatt ſie aufzugeben und brach liegen zu laſſen, nicht mit Getreide, ſondern mit anderen nährenden und Futterkräutern anpflanzte, wenn man dazu vorzugsweiſe Ge— wächſe aus verſchiedenen Familien nähme, und ſolche, die mit ihren breiten Blättern den Boden beſchatten, ſo würden all— mählich die Felder verbeſſert und ihnen ihre frühere Frucht— barkeit zum Teil wieder gegeben werden. Die Stadt Nueva Valencia nimmt einen anſehnlichen Flächenraum ein; aber die Bevölkerung iſt kaum 6000 bis 7000 Seelen ſtark. Die Straßen ſind ſehr breit, der Markt (plaza mayor) iſt übermäßig groß, und da die Häuſer ſehr niedrig ſind, iſt das Mißverhältnis zwiſchen der Bevölkerung und der Ausdehnung der Stadt noch auffallender als in Ca⸗ racas. Viele Weiße von europäiſcher Abſtammung, beſonders die ärmſten, ziehen aus ihren Häuſern und leben den größten Teil des Jahres auf ihren kleinen Indigo- oder Baumwollen- pflanzungen. Dort wagen fie es, mit eigenen Händen zu arbeiten, während ihnen dies, nach dem im Lande herrſchen— den eingewurzelten Vorurteil, in der Stadt zur Schande ge— reichte. Der Gewerbefleiß fängt im allgemeinen an ſich zu regen, und der Baumwollenbau hat bedeutend zugenommen, ſeit dem Handel von Porto Cabello neue Freiheiten erteilt worden find und dieſer Hafen als Haupthafen, als puerto mayor, den unmittelbar aus dem Mutterlande kommenden Schiffen offen ſteht. Nueva Valencia wurde im Jahre 1555 unter Villacindas — 230 — Statthalterſchaft von Alonzo Diaz Moreno gegründet, und iſt alſo zwölf Jahre älter als Caracas. Wir haben ſchon früher bemerkt, daß in Venezuela die ſpaniſche Bevölkerung von Weſt nach Oſt vorgerückt iſt. Valencia war anfangs nur eine zu Burburata gehörige Gemeinde, aber letztere Stadt iſt jetzt nur noch ein Platz, wo Maultiere eingeſchifft werden. Man bedauert, und vielleicht mit Recht, daß Valencia nicht die Hauptſtadt des Landes geworden iſt. Ihre Lage auf einer Ebene, am Ufer des Sees würde an die von Mexiko erinnern. Wenn man bedenkt, wie bequem man durch die Thäler von Aragua in die Llanos und an die Nebenflüſſe des Orinoko gelangt, wenn man ſich überzeugt, daß ſich durch den Rio Pao und die Portugueſa eine Schiffahrtsverbindung im inneren Lande bis zur Mündung des Orinoko, zum Caſſiquiare und dem Amazonenſtrom herſtellen ließe, ſo ſieht man ein, daß die Hauptſtadt der ausgedehnten Provinzen von Venezuela in der Nähe des prächtigen Hafens von Porto Cabello, unter einem reinen, heiteren Himmel beſſer läge als bei der ſchlecht geſchützten Reede von Guayra in einem gemäßigten, aber das ganze Jahr nebeligen Thale. So nahe beim Königreich Neugranada, mitten inne zwiſchen den getreidereichen Ge— bieten von Victoria und Barqueſimeto hätte die Stadt Valencia gedeihen müſſen; ſie konnte aber nicht gegen Ca: racas aufkommen, das ihr zwei Jahrhunderte lang einen bedeutenden Teil der Einwohner entzogen hat. Die Man: tuanosfamilien lebten lieber in der Hauptſtadt als in einer Provinzialſtadt. Wer nicht weiß, von welcher Unmaſſe von Ameiſen alle Länder in der heißen Zone heimgeſucht ſind, macht ſich keinen Begriff von den Zerſtörungen dieſer Inſekten und von den Bodenſenkungen, die von ihnen herrühren. Sie ſind im Boden, auf dem Valencia ſteht, in ſo ungeheurer Menge, daß die Gänge, die ſie graben, unterirdiſchen Kanälen gleichen, in der Regenzeit ſich mit Waſſer füllen und den Gebäuden ſehr ge— fährlich werden. Man hat hier nicht zu den ſonderbaren Mitteln gegriffen, die man zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf San Domingo anwendete, als Ameiſenſchwärme die ſchönen Ebenen von La Vega und die reichen Beſitzungen des Ordens des heil. Franziskus verheerten. Nachdem die Mönche ver— gebens die Ameiſenlarven verbrannt und es mit Räucherungen verſucht hatten, gaben ſie den Leuten den Rat, einen Heiligen herauszuloſen, der als Abagado contra las Hormigas dienen — 231 — ſollte. Die Ehre ward dem heil. Saturnin zu teil, und als man das erſte Mal das Feſt des Heiligen beging, verſchwan— den die Ameiſen. Seit den Zeiten der Eroberung hat der Unglauben gewaltige Fortſchritte gemacht, und nur auf dem Rücken der Kordilleren fand ich eine kleine Kapelle, in der, der Inſchrift zufolge, für die Vernichtung der Termiten ge— gebetet werden ſollte. Valencia hat einige geſchichtliche Erinnerungen aufzu— weiſen, ſie ſind aber, wie alles, was die Kolonieen betrifft, nicht ſehr alt und beziehen ſich entweder auf bürgerliche Zwiſte oder auf blutige Gefechte mit den Wilden. Lopez de Aguirre, deſſen Frevelthaten und Abenteuer eine der dramatiſchten Epiſoden in der Geſchichte der Eroberung bilden, zog im Jahre 1561 aus Peru über den Amazonenſtrom auf die Inſel Margarita und von dort über den Hafen von Burburata in die Thäler von Aragua. Als er in Valencia eingezogen, die ſtolz den Namen einer königlichen Stadt, Villa de el Rey, führt, verkündigte er die Unabhängigkeit des Landes und die Abſetzung Philipps II. Die Einwohner flüchteten ſich auf die Inſeln im See und nahmen zu größerer Sicher— heit alle Boote am Ufer mit. Infolge dieſer Kriegsliſt konnte Aguirre ſeine Grauſamkeiten nur an ſeinen eigenen Leuten verüben. In Valencia ſchrieb er den berüchtigten Brief an den König von Spanien, der ein entſetzlich wahres Bild von den Sitten des Kriegsvolkes im 16. Jahrhundert gibt. Der Tyrann (jo heißt Aguirre beim Volke noch jetzt) prahlt unter: einander mit ſeinen Schandthaten und mit ſeiner Frömmigkeit; er erteilt dem Könige Ratſchläge hinſichtlich der Regierung der Kolonieen und der Einrichtung der Miſſionen. Mitten unter wilden Indianern, auf der Fahrt auf einem großen Süßwaſſermeer, wie er den Amazonenſtrom nennt, „fühlt er große Beſorgnis ob der Ketzereien Martin Luthers und der wachſenden Macht der Abtrünnigen in Europa“. Lopez de Aguirre wurde, nachdem die Seinigen von ihm abgefallen, in Barqueſimeto erſchlagen. Als es mit ihm zu Ende ging, ſtieß er ſeiner einzigen Tochter den Dolch in die Bruſt, „um ihr die Schande zu erſparen, bei den Spaniern die Tochter eines Ver— räters zu heißen“. „Die Seele des Tyrannen“ — ſo glauben die Eingeborenen — geht in den Savannen um in Geſtalt einer Flamme, die entweicht, wenn ein Menſch auf ſie zugeht. Das zweite geſchichtliche Ereignis, das ſich an Valencia knüpft, iſt der Einfall der Kariben vom Orinoko her in den — 232 — Jahren 1578 und 1580. Dieſe Horde von Menſchenfreſſern zog am Guarico herauf und über die Llanos herüber. Sie wurde vom tapferen Garci-Gonzalez, einem der Kapitäne, deren Namen noch jetzt in dieſen Provinzen in hohen Ehren ſteht, glücklich zurückgeſchlagen. Mit Befriedigung denkt man daran, daß die Nachkommen derſelben Kariben jetzt als fried— liche Ackerbauer in den Miſſionen leben, und daß kein wilder Volksſtamm in Guyana es mehr wagt, über die Ebenen zwiſchen der Waldregion und dem angebauten Lande herüber— zukommen. Die Küſtenkordillere iſt von mehreren Schluchten durch— ſchnitten, die durchgängig von Südoſt nach Nordweſt ſtreichen. Dies wiederholt ſich von der Quebrada de Tocume zwiſchen Petarez und Caracas bis Porto Cabello. Es iſt als wäre allerorten der Stoß von Südoſt gekommen, und die Erſchei— nung iſt um ſo auffallender, da die Gneis- und Glimmer⸗ ſchieferſchichten in der Küſtenkordillere meiſt von Südweſt nach Nordoſt ſtreichen. Die meiſten dieſer Schluchten ſchneiden in den Südabhang der Berge ein, gehen aber nicht ganz durch; nur im Meridian von Nueva Valencia befindet ſich eine Oeff— nung (Abra), durch die man zur Küſte hinuntergelangt und durch die jeden Abend ein ſehr erfriſchender Seewind in die Thäler von Aragua heraufkommt. Der Wind ſtellt ſich regel— mäßig zwei bis drei Stunden nach Sonnenuntergang ein. Durch dieſe Abra, über den Hof Barbula und durch einen öſtlichen Zweig der Schlucht baut man eine neue Straße von Valencia nach Porto Cabello. Sie wird ſo kurz, daß man nur vier Stunden in den Hafen braucht und man in einem Tage vom Hafen in die Thäler von Aragua und wieder zurück kann. Um dieſen Weg kennen zu lernen, gingen wir am 26. Februar abends nach dem Hofe Barbula in Geſellſchaft der Eigentümer, der liebenswürdigen Familie Arambary. Am 27. morgens beſuchten wir die heißen Quellen bei der Trinchera, 13 km von Valencia. Die Schlucht iſt ſehr breit und es geht vom Ufer des Sees bis zur Küſte faſt be⸗ ſtändig abwärts. Trinchera heißt der Ort nach den kleinen Erdwerken, welche franzöſiſche Flibuſtiere angelegt, als ſie im Jahre 1677 die Stadt Valencia plünderten. Die heißen Quellen, und dies iſt geologiſch nicht unintereſſant, entſpringen nicht ſüdlich von den Bergen, wie die von Mariara, Onoto und am Brigantin, ſie kommen vielmehr in der Bergkette — 23 — ſelbſt, faſt am Nordabhange, zu Tage. Sie ſind weit ſtärker als alle, die wir bisher geſehen, und bilden einen Bach, der in der trockenſten Jahreszeit 60 em tief und 5,4 m breit iſt. Die Temperatur des Waſſers war, ſehr genau gemeſſen, 90,3“. Nach den Quellen von Urijino in Japan, die reines Waſſer ſein und eine Temperatur von 100° haben ſollen, ſcheint das Waſſer von La Trinchera de Porto Cabello das heißeſte, das man überhaupt kennt. Wir frühſtückten bei der Quelle. Eier waren im heißen Waſſer in weniger als vier Minuten gar. Das ſtark ſchwefelwaſſerſtoffhaltige Waſſer entſpringt auf dem Gipfel eines Hügels, der ſich 48 m über die Sohle der Schlucht erhebt und von Süd⸗Süd⸗Oſt nach Nord-Nord-Weſt ſtreicht. Das Geſtein, aus dem die Quelle kommt, iſt ein echter grob— körniger Granit, ähnlich dem der Teufelsmauer in den Bergen von Mariara. Ueberall wo das Waſſer an der Luft ver: dunſtet, bildet es Niederſchläge und Inkruſtationen von kohlen— ſaurem Kalk. Es geht vielleicht durch Schichten von Urkalk, der im Glimmerſchiefer und Gneis an der Küſte von Caracas ſo häufig vorkommt. Die Ueppigkeit der Vegetation um das Becken uͤberraſchte uns. Mimoſen mit zartem, gefiedertem Laube, Kluſien und Feigenbäume haben ihre Wurzeln in den Boden eines Waſſerſtückes getrieben, deſſen Temperatur 85° betrug. Ihre Aeſte ſtehen nur 5 bis 7 em über dem Waſſer— ſpiegel. Obgleich das Laub der Mimoſen beſtändig vom heißen Waſſerdampfe befeuchtet wird, iſt es doch ſehr ſchön grün. Ein Arum mit holzigem Stengel und pfeilförmigen Blättern wuchs ſogar mitten in einer Lache von 70° Temperatur. Die: ſelben Pflanzenarten kommen anderswo in dieſem Gebirge an Bächen vor, in denen der Thermometer nicht auf 18° ſteigt. Noch mehr, 13 m von der Stelle, wo die 90“ heißen Quellen entſpringen, finden ſich auch ganz kalte. Beide Gewäſſer laufen eine Strecke weit nebeneinander fort, und die Ein— geborenen zeigten uns, wie man ſich, wenn man zwiſchen beiden Bächen ein Loch in den Boden gräbt, ein Bad von beliebiger Temperatur verſchaffen kann. Es iſt auffallend, wie in den heißeſten und in den kälteſten Erdſtrichen der ge— meine Mann gleich ſehr die Wärme liebt. Bei der Einführung des Chriſtentums in Island wollte ſich das Volk nur in den warmen Quellen am Hekla taufen laſſen, und in der heißen Zone, im Tieflande und auf den Kordilleren, laufen die Ein— geborenen von allen Seiten den warmen Quellen zu. Die Kranken, die nach Trinchera kommen, um Dampfbäder zu — 234 — brauchen, errichten über der Quelle eine Art Gitterwerk aus Baumzweigen und ganz dünnem Rohr. Sie legen ſich nackt auf dieſes Gitter, das, wie mir ſchien, nichts weniger als feſt und nicht ohne Gefahr zu beſteigen iſt. Der Rio de Aguas calientes läuft nach Nordoſt und wird in der Nähe der Küſte zu einem ziemlich anſehnlichen Fluſſe, in dem große Krokodile leben, und der durch ſein Austreten den Uferſtrich ungeſund machen hilft. Wir gingen immer rechts am warmen Waſſer nach Porto Cabello hinunter. Der Weg iſt ungemein maleriſch. Das Waſſer ſtürzt über die Felsbänke nieder, und es iſt als hätte man die Fälle der Reuß vom Gotthard herab vor ſich; aber welch ein Kontraſt, was die Kraft und Ueppigkeit des Pflanzen— wuchſes betrifft! Zwiſchen blühenden Geſträuchen aus Big— nonien und Melaſtomen erheben ſich majeſtätiſch die weißen Stämme der Cecropia. Sie gehen erſt aus, wenn man nur noch in 195 m Meereshöhe iſt. Bis hierher reicht auch eine kleine ſtachelige Palme, deren zarte, gefiederte Blätter an den Rändern wie gekräuſelt erſcheinen. Sie iſt in dieſem Gebirge ſehr häufig; da wir aber weder Blüte noch Frucht geſehen haben, wiſſen wir nicht, ob es die Piritupalme der Ka— riben oder Jacquins Cocos aculeata iſt. Je näher wir der Küſte kamen, deſto drückender wurde die Hitze. Ein rötlicher Dunſt umzog den Horizont; die Sonne war am Untergehen, aber der Seewind wehte noch nicht. Wir ruhten in den einzeln ſtehenden Höfen aus, die unter dem Namen Cambury und Haus des Kanariers (Casa del Islengo) bekannt ſind. Der Rio de Aguas ca: lientes, an dem wir hinzogen, wurde immer tiefer. Am Ufer lag ein totes Krokodil; es war über 3 m lang. Wir hätten gerne ſeine Zähne und ſeine Mundhöhle unterſucht, aber es lag ſchon mehrere Wochen in der Sonne und ſtank ſo furcht— bar, daß wir dieſes Vorhaben aufgeben und wieder zu Pferde ſteigen mußten. Iſt man im Niveau des Meeres angelangt, ſo wendet ſich der Weg oſtwärts und läuft über einen dürren 7 km breiten Strand, ähnlich dem bei Cumana. Man ſieht hin und wieder eine Fackeldiſtel, ein Seſuvium, ein paar Stämme Coccoloba uvifera, und längs der Küſte wachſen Avicennien und Wurzelträger. Wir wateten durch den Guay— guazo und den Rio Eſtevan, die, da ſie ſehr oft austreten, große Lachen ſtehenden Waſſers bilden. Auf dieſer weiten Ebene erheben ſich wie Klippen kleine Felſen aus Mäandriten, — 235 — Madreporiten und anderen Korallen. Man könnte in den⸗ ſelben einen Beweis ſehen, daß ſich die See noch nicht ſehr lange von hier zurückgezogen; aber dieſe Maſſen von Polypen⸗ gehäuſen find nur Bruchſtücke, in eine Breccie mit kalkigem Bindemittel eingebacken. Ich ſage in eine Breccie, denn man darf die weißen friſchen Koralliten dieſer ſehr jungen Forma— tion an der Küſte nicht mit den Koralliten verwechſeln, die im Uebergangsgebirge, in der Grauwacke und im ſchwarzen Kalkſtein eingeſchloſſen vorkommen. Wir wunderten uns nicht wenig, daß wir an dieſem völlig unbewohnten Orte einen ſtarken, in voller Blüte ſtehenden Stamm der Parkinsonia neuleata antrafen. Nach unſeren botaniſchen Werken gehört der Baum der Neuen Welt an; aber in fünf Jahren haben wir ihn nur zweimal wild geſehen, hier auf der Ebene am Rio Guayguazo und in den Llanos von Cumana, 135 km von der Küſte, bei Villa del Pao. Letzterer Ort könnte noch dazu leicht ein alter Conuco oder eingehegtes Baufeld ſein. Sonſt überall auf dem Feſtlande von Amerika ſahen wir die Parkinſonia wie die Plumeria nur in den Gärten der Sn: dianer. Ich kam zu rechter Zeit nach Porto Cabello, um einige Höhen des Canopus nahe am Meridian aufnehmen zu können; aber dieſe Beobachtungen, wie die am 28. Februar aufge nommenen korreſpondierenden Sonnenhöhen, ſind nicht ſehr zuverläſſig. Ich bemerkte zu ſpät, daß ſich das Diopterlineal eines Troughtonſchen Sextanten ein wenig verſchoben hatte. Es war ein Doſenſextant von 5 em Halbmeſſer, deſſen Ge— brauch übrigens den Reiſenden ſehr zu empfehlen iſt. Ich brauchte denſelben ſonſt meiſt nur zu geodätiſchen Aufnahmen im Kanoe auf Flüſſen. In Porto Cabello wie in Guayra ſtreitet man darüber, ob der Hafen oſtwärts oder weſtwärts von der Stadt liegt, mit der derſelbe den ſtärkſten Verkehr hat. Die Einwohner glauben, Porto Cabello liege Nord— Nord⸗Weſt von Nueva Valencia. Aus meinen Beobachtungen ergibt ſich allerdings für jenen Ort eine Länge von 3 bis 4 Minuten im Bogen weiter nach Weſt. Nach Fidalgo läge er oſtwärts. Wir wurden im Hauſe eines franzöſiſchen Arztes, Juliac, der ſich in Montpellier tüchtig gebildet hatte, mit größter Zuvorkommenheit aufgenommen. In ſeinem kleinen Hauſe befanden ſich Sammlungen mancherlei Art, die aber alle den Reiſenden intereſſieren konnten: ſchönwiſſenſchaftliche und . * naturgeſchichtliche Bücher, meteorologiſche Notizen, Bälge von Jaguaren und großen Waſſerſchlangen, lebendige Tiere, Affen, Gürteltiere, Vögel. Unſer Hausherr war Oberwundarzt am königlichen Hoſpital in Porto Cabello und im Lande wegen ſeiner tiefeingehenden Beobachtungen über das gelbe Fieber vorteilhaft bekannt. Er hatte in ſieben Jahren 600 bis 800 von dieſer ſchrecklichen Krankheit Befallene in das Spital aufnehmen ſehen; er war Zeuge der Verheerungen, welche die Seuche im Jahre 1793 auf der Flotte des Admirals Arizti— zabal angerichtet. Die Flotte verlor faſt ein Dritteil ihrer Bemannung, weil die Matroſen faſt ſämtlich nicht akklimati— ſierte Europäer waren und frei mit dem Lande verkehrten. Juliae hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inſeln gebräuchlich iſt, die Kranken mit Blutlaſſen, gelinde abführen— den Mitteln und ſäuerlichen Getränken behandelt. Bei dieſem Verfahren denkt man nicht daran, die Kräfte durch Reizmittel zu heben; man will beruhigen und ſteigert nur die Schwäche und Entkräftung. In den Spitälern, wo die Kranken dicht beiſammen lagen, ſtarben damals von den weißen Kreolen 33 Prozent, von den friſch angekommenen Europäern 63 Prozent. Seit man das alte herabſtimmende Verfahren aufgegeben hatte und Reizmittel anwendete, Opium, Benzoe, weingeiſtige Ge— tränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend abgenommen. Man glaubte, ſie betrage nunmehr nur 20 Prozent bei Europäern und 10 Prozent bei Kreolen, ſelbſt dann, wenn ſich ſchwarzes Erbrechen und Blutungen aus der Naſe, den Ohren und dem Zahnfleiſch einſtellen und ſo die Krankheit in hohem Grade bösartig erſcheint. Ich berichte genau, was mir damals als allgemeines Ergebnis der Beobachtungen mitgeteilt wurde; man darf aber, denke ich, bei ſolchen Zahlenzuſammenſtellungen nicht vergeſſen, daß, trotz der ſcheinbaren Uebereinſtimmung, die Epidemieen mehrerer aufeinanderfolgenden Jahre voneinander abweichen, und daß man bei der Wahl zwiſchen ſtärkenden und herabſtimmenden Mitteln (wenn je ein abſoluter Unter: ſchied zwiſchen beiden beſteht) die verſchiedenen Stadien der Krankheit zu unterſcheiden hat. Die Hitze iſt in Porto Cabello nicht ſo ſtark als in Guayra. Der Seewind iſt ſtärker, häufiger, regelmäßiger; auch lehnen ſich die Häuſer nicht an Felſen, die bei Tag die Sonnenſtrahlen abſorbieren und bei Nacht die Wärme wieder von ſich geben. Die Luft kann zwiſchen der Küſte und den Bergen von Jlaria freier zirkulieren. Der Grund der Un: geſundheit der Luft iſt im Strande zu ſuchen, der ji) weit: wärts, jo weit das Auge reicht, gegen die Punta de Tucacos beim ſchönen Hafen von Chichiribiche fortzieht. Dort befinden ſich die Salzwerke und dort herrſchen bei Eintritt der Negen- zeit die dreitägigen Wechſelfieber, die leicht in ataktiſche Fieber übergehen. Man hat die intereſſante Bemerkung gemacht, daß die Meſtizen, die in den Salzwerken arbeiten, dunkelfarbiger ſind und eine gelbere Haut bekommen, wenn ſie mehrere Jahre hintereinander an dieſen Fiebern gelitten haben, welche die Küſtenkrankheit heißen. Die Bewohner dieſes Strandes, arme Fiſcher, behaupten, nicht daher, daß das Seewaſſer das Land überſchwemme und wieder abfließe, ſei der mit Wurzel— trägern bewachſene Boden ſo ungeſund, das Verderbnis der Luft rühre vielmehr vom ſüßen Waſſer her, von den Ueber— ſchwemmungen des Rio Guayguazo und des Rio Eſtevan, die in den Monaten Oktober und November ſo plötzlich und ſo ſtark austreten. Die Ufer des Rio Eſtevan ſind bewohnbarer geworden, ſeit man daſelbſt kleine Mais- und Piſangpflan— zungen angelegt und durch Erhöhung und Befeſtigung des Bodens dem Fluß ein engeres Bett angewieſen hat. Man geht damit um, dem Eſtevan eine andere Mündung zu graben und dadurch die Umgegend von Porto Cabello geſunder zu machen. Ein Kanal ſoll das Waſſer an den Küſtenſtrich leiten, der der Inſel Guayguaza gegenüberliegt. Die Salzwerke von Porto Cabello gleichen ſo ziemlich denen auf der Halbinſel Araya bei Cumana. Indeſſen iſt die Erde, die man auslaugt, indem man das Regenwaſſer in kleinen Becken ſammelt, nicht ſo ſalzhaltig. Man in hier wie in Cumana, ob der Boden mit Salzteilchen geſchwängert ſei, weil er ſeit Jahrhunderten zeitweiſe unter Meerwaſſer geſtanden, das an der Sonne verdunſtet, oder ob das Salz im Boden enthalten ſei wie in einem ſehr armen Steinſalz— werk. Ich hatte nicht Zeit, den Strand hier ſo genau zu unterſuchen wie die Halbinſel Araya; läuft übrigens der Streit nicht auf die höchſt einfache Frage hinaus, ob das Salz von neuen oder aber von uralten Ueberſchwemmungen herrührt? Da die Arbeit in den Salzwerken von Porto Cabello ſehr ungeſund iſt, geben ſich nur die ärmſten Leute dazu her. Sie bringen das Salz an Ort und Stelle in kleine Magazine und verkaufen es dann in den Niederlagen der Stadt. Während unſeres Aufenthaltes in Porto Cabello lief die Strömung an der Küſte, die ſonſt gewöhnlich nach Weſt geht, — 238 — von Weſt nad) Oft. Dieſe Strömung nach oben (corriente por arriba), von der bereits die Rede war, kommt zwei bis drei Monate im Jahr, vom September bis November, häufig vor. Man glaubt, ſie trete ein, wenn zwiſchen Jamaika und be Kap San Antonio auf Cuba Nordweſtwinde geweht aben. Die militäriſche Verteidigung der Küſten von Terra Firma ſtützt ſich auf ſechs Punkte, das Schloß San Antonio bei Eu: mana, den Morro bei Nueva Barcelona, die Werke (mit 134 Geſchützen) bei Guayra, Porto Cabello, das Fort San Carlos an der Ausmündung des Sees Maracaybo und Cartagena. Nach Cartagena iſt Porto Cabello der wichtigſte feſte Platz; die Stadt iſt ganz neu und der Hafen einer der ſchönſten in beiden Welten. Die Lage iſt jo günſtig, daß die Kunſt faſt nichts hinzuzuthun hatte. Eine Erdzunge läuft anfangs gegen Nord und dann nach Weſt. Die weſtliche Spitze derſelben liegt einer Reihe von Inſeln gegenüber, die durch Brücken verbunden und jo nahe bei einander find, daß man ſie für eine zweite Landzunge halten kann. Dieſe Inſeln beſtehen ſämtlich aus Kalkbreccien von ſehr neuer Bildung, ähnlich der an der Küſte von Cumana und am Schloß Araya. Es iſt ein Konglomerat von Madreporen und anderen Korallenbruch— ſtücken, die durch ein kalkiges Bindemittel und Sandkörner verkittet ſind. Wir hatten dasſelbe Konglomerat bereits am Rio Guayguazo geſehen. Infolge der eigentümlichen Bildung des Landes ſtellt ſich der Hafen als ein Becken oder als eine innere Lagune dar, an deren ſüdlichem Ende eine Menge mit Manglebäumen bewachſener Eilande liegen. Daß der Hafen: eingang gegen Weſt liegt, trägt viel zur Ruhe des Waſſers bei. Es kann nur ein Fahrzeug auf einmal einlaufen, aber die größten Linienſchiffe können dicht am Lande ankern, um Waſſer einzunehmen. Die einzige Gefahr beim Einlaufen bieten die Riffe bei Punta Brava, denen gegenüber eine Bat- terie von acht Geſchützen ſteht. Gegen Weſt und Südweſt erblickt man das Fort, ein regelmäßiges Fünfeck mit fünf Ba- ſtionen, die Batterie beim Riff und die Werke um die alte Stadt, welche auf einer Inſel liegt, die ein verſchobenes Viereck bildet. Ueber eine Brücke und das befeſtigte Thor der Eſta— cada gelangt man aus der alten Stadt in die neue, welche bereits größer iſt als jene, aber dennoch nur als Vorſtadt gilt. Zuhinterſt läuft das Hafenbecken oder die Lagune um dieſe Vorſtadt herum gegen Südweſt, und hier iſt der Boden ſumpfig, — 239 — voll ſtehenden, ſtinkenden Waſſers. Die Stadt hat gegen⸗ wärtig gegen 9000 Einwohner. Sie verdankt ihre Entſtehung dem Schleichhandel, der ſich hier einniſtete, weil die im Jahre 1549 gegründete Stadt Burburata in der Nähe lag. Erſt unter dem Regiment der Biscayer und der Compagnie von Guipuzcoa wurde Porto Cabello, das bis dahin ein Weiler geweſen, eine wohlbefeſtigte Stadt. Von Guayra, das nicht ſowohl ein Hafen als eine ſchlechte offene Reede iſt, bringt man die Schiffe nach Porto Cabello, um ſie ausbeſſern und kalfatern zu laſſen. Der Hafen wird vorzugsweiſe durch die tiefgelegenen Batterieen auf der Landzunge Punta Brava und auf dem Riff verteidigt, und dieſe Wahrheit wurde verkannt, als man auf den Bergen, welche die Vorſtadt gegen Süd beherrſchen, mit großen Koſten ein neues Fort, den Mirador (Belvedere) de Solano baute. Dieſes Werk, eine Viertelſtunde vom Hafen, liegt 130 bis 160 m über dem Meere. Die Baukoſten be: trugen jährlich und viele Jahre lang 20 000 bis 30000 Piaſter. Der Generalkapitän von Caracas, Guevara Vasconzelos, war mit den beſten ſpaniſchen Ingenieuren der Anſicht, der Mirador, auf dem zu meiner Zeit erſt 16 Geſchütze ſtanden, ſei für die Verteidigung des Platzes nur von geringer Bedeutung und ließ den Bau einſtellen. Eine lange Erfahrung hat bewieſen, daß ſehr hochgelegene Batterieen, wenn auch ſehr ſchwere Stücke darin ſtehen, die Reede lange nicht ſo wirkſam beſtreichen, als tief am Strande oder auf Dämmen halb im Waſſer liegende Batterieen mit Geſchützen von geringerem Kaliber. Wir fan⸗ den den Platz Porto Cabello in einem keineswegs befriedigen— den Verteidigungszuſtand. Die Werke am Hafen und der Stadtwall mit etwa 60 Geſchützen erfordern eine Beſatzung von 1800 bis 2000 Mann, und es waren nicht 600 da. Es war auch eine königliche Fregatte, die an der Einfahrt des Hafens vor Anker lag, bei Nacht von den Kanonierſchaluppen eines engliſchen Kriegsſchiffes angegriffen und weggenommen worden. Die Blockade begünſtigte vielmehr den Schleichhandel, als daß ſie ihn hinderte, und man ſah deutlich, daß in Porto Cabello die Bevölkerung in der Zunahme, der Gewerbefleiß im Aufſchwung begriffen waren. Am ſtärkſten iſt der geſetz⸗ widrige Verkehr mit den Inſeln Curacao und Jamaika. Man führt über 10 000 Maultiere jährlich aus. Es iſt nicht un— intereſſant, die Tiere einſchiffen zu ſehen. Man wirft ſie mit der Schlinge nieder und zieht ſie an Bord mittels einer Vor— N richtung gleich einem Krahn. Auf dem Schiffe ſtehen fie in zwei Reihen und können ſich beim Schlingern und Stampfen kaum auf den Beinen halten. Um ſie zu ſchrecken und füg— ſamer zu machen, wird faſt fortwährend Tag und Nacht die Trommel gerührt. Man kann ſich denken, wie ſanft ein Paſ— ſagier ruht, der den Mut hat, ſich auf einer ſolchen mit Maul— tieren beladenen Goelette nach Jamaika einzuſchiffen. Wir verließen Porto Cabello am 1. März mit Sonnen— aufgang. Mit Verwunderung ſahen wir die Maſſe von Kähnen, welche Früchte zu Markte brachten. Es mahnte mich an einen ſchönen Morgen in Venedig. Vom Meere aus geſehen, liegt die Stadt im ganzen freundlich und angenehm da. Dicht be— wachſene Berge, über denen Gipfel aufſteigen, die man nach ihren Umriſſen der Trappformation zuſchreiben könnte, bilden den Hintergrund der Landſchaft. In der Nähe der Küſte iſt alles nackt, weiß, ſtark beleuchtet, die Bergwand dagegen mit dicht belaubten Bäumen bedeckt, die ihre gewaltigen Schatten über braunes ſteiniges Erdreich werfen. Vor der Stadt be— ſahen wir die eben fertig gewordene Waſſerleitung. Sie iſt 4180 m lang und führt in einer Rinne das Waſſer des Rio Eſtevan in die Stadt. Dieſes Werk hat 30000 Piaſter ge— koſtet, das Waſſer ſpringt aber auch in allen Straßen. Wir gingen von Porto Cabello in die Thäler von Aragua zurück und hielten wieder auf der Pflanzung von Barbula an, über welche die neue Straße nach Valencia geführt wird. Wir hatten ſchon ſeit mehreren Wochen von einem Baume ſprechen hören, deſſen Saft eine nährende Milch iſt. Man nennt ihn den Kuhbaum, und man verſicherte uns, die Neger auf dem Hofe trinken viel von dieſer vegetabiliſchen Milch und halten ſie für ein geſundes Nahrungsmittel. Da alle milchigen Pflanzenſäfte ſcharf, bitter und mehr oder weniger giftig ſind, ſo ſchien uns dieſe Behauptung ſehr ſonder— bar; aber die Erfahrung lehrte uns während unſeres Aufent— haltes in Barbula, daß, was man uns von den Eigenſchaften des Palo de Vaca erzählt hatte, nicht übertrieben war. Der ſchöne Baum hat den Habitus des Chrysophyllum Cainito oder Sternapfelbaumes; die länglichen, zugeſpitzten, lederartigen, abwechſelnden Blätter haben unten vorſpringende, parallele Seitenrippen und werden 26 em lang. Die Blüte bekamen wir nicht zu ſehen; die Frucht hat wenig Fleiſch und enthält eine, bisweilen zwei Nüſſe. Macht man Einſchnitte in den Stamm des Kuhbaumes, ſo fließt ſehr reichlich eine klebrige TER — 241 — ziemlich dicke Milch aus, die durchaus nichts Scharfes hat und ſehr angenehm wie Balſam riecht. Man reichte uns welche in den Früchten des Tutumo oder Flaſchenbaumes. Wir tranken abends vor Schlafengehen und frühmorgens viel davon, ohne irgend eine nachteilige Wirkung. Nur die Klebrigkeit macht dieſe Milch etwas unangenehm. Die Neger und die Freien, die auf den Pflanzungen arbeiten, tunken ſie mit Mais: und Maniokbrot, Arepa und Caſſave aus. Der Verwalter des Hofes verſicherte uns, die Neger legen in der Zeit, wo der Palo de Vaca ihnen am meiſten Milch gibt, ſichtbar zu. Bei freiem Zutritt der Luft zieht der Saft an der Oberfläche, vielleicht durch Abſorption des Sauerſtoffes der Luft, Häute einer ſtark animaliſierten, gelblichen, faſerigen, dem Käſeſtoff ähnlichen Subſtanz. Nimmt man dieſe Häute von der übrigen wäſſerigen Flüſſigkeit ab, ſo zeigen ſie ſich elaſtiſch wie Kautſchuk, in der Folge aber faulen fie unter denſelben Erſcheinungen wie die Gallerte. Das Volk nennt den Klumpen, der ſich an der Luft abſetzt, Käſe; der Klumpen wird nach fünf, ſechs Tagen ſauer, wie ich an den kleinen Stücken bemerkte, die ich nach Nueva Valencia mitgebracht. In einer verſchloſſenen Flaſche ſetzte ſich in der Milch etwas Gerinnſel zu Boden, und ſie wurde keineswegs übelriechend, ſondern behielt ihren Balſamgeruch. Mit kaltem Waſſer ver— miſcht, gerann der friſche Saft nur ſehr wenig, aber die klebri— gen Häute festen ſich ab, ſobald ich denſelben mit Salpeter⸗ ſäure in Berührung brachte. Wir ſchickten Foureroy in Paris zwei Flaſchen dieſer Milch. In der einen war ſie im natür⸗ lichen Zuſtande, in der anderen mit einer gewiſſen Menge kohlenſauren Natrons verſetzt. Der franzöſiſche Konſul auf der Inſel St. Thomas übernahm die Beförderung. Dieſer merkwürdige Baum ſcheint der Küſtenkordillere, beſonders von Barbula bis zum See Maracaybo, eigentümlich. Beim Dorfe San Mateo und nach Bredemeyer, deſſen Reiſen die ſchönen Gewächshäuſer von Schönbrunn und Wien ſo ſehr bereichert haben, im Thale von Caucagua, 13,5 km von Ga- racas, ſtehen auch einige Stämme. Dieſer Naturforſcher fand, wie wir, die vegetabiliſche Milch des Palo de Vaca angenehm von Geſchmack und von aromatiſchem Geruch. In Caucagua nennen die Eingeborenen den Baum, der den nährenden Saft gibt, Milchbaum, Arbol de leche. Sie wollen an der Dicke und Farbe des Laubes die Bäume erkennen, die am meiſten Saft geben, wie der Hirte nach äußeren Merkmalen A. v. Humboldt, Reiſe. II. 16 — eine gute Milchkuh herausfindet. Kein Botaniker kannte bis jetzt dieſes Gewächs, deſſen Fruktifikationsorgane man ſich leicht wird verſchaffen können. Nach Kunth ſcheint der Baum zu der Familie der Sapoteen zu gehören. Erſt lange nach meiner Rückkehr nach Europa fand ich in des Holländers Laet Beſchreibung von Weſtindien eine Stelle, die ſich auf den Kuhbaum zu beziehen ſcheint. „In der Provinz Cumana,“ ſagt Laet, „gibt es Bäume, deren Saft geronnener Milch gleicht und ein geſundes Nahrungsmittel abgibt.“ Ich geſtehe, von den vielen merkwürdigen Erſcheinungen, die mir im Verlaufe meiner Reiſe zu Geſicht gekommen, haben wenige auf meine Einbildungskraft einen ſtärkeren Eindruck gemacht als der Anblick des Kuhbaumes. Alles, was ſich auf die Milch oder auf die Getreidearten bezieht, hat ein Intereſſe für uns, das ſich nicht auf die phyſikaliſche Kenntnis der Gegenſtände beſchränkt, ſondern einem anderen Kreiſe von Vorſtellungen und Empfindungen angehört. Wir vermögen uns kaum vorzuſtellen, wie das Menſchengeſchlecht beſtehen könnte ohne mehlige Stoffe, ohne den nährenden Saft in der Mutterbruſt, der auf den langen Schwächezuſtand des Kindes berechnet iſt. Das Stärkemehl des Getreides, das bei ſo vielen alten und neueren Völkern ein Gegenſtand reli⸗ giöſer Verehrung iſt, kommt in den Samen und den Wurzeln der Gewächſe vor; die nährende Milch dagegen erſcheint uns als ein ausſchließliches Produkt der tieriſchen Organiſation. Dieſen Eindruck erhalten wir von Kindheit auf, und daher denn auch das Erſtaunen, womit wir den eben beſchriebenen Baum betrachten. Was uns hier ſo gewaltig ergreift, ſind nicht prachtvolle Wälderſchatten, majeſtätiſch dahinziehende Ströme, von ewigem Eis ſtarrende Gebirge; ein paar Tropfen Pflanzenſaft führen uns die ganze Macht und Fülle der Natur vor das innere Auge. An der kahlen Felswand wächſt ein Baum mit trockenen, lederartigen Blättern; ſeine dicken hol⸗ zigen Wurzeln dringen kaum in das Geſtein. Mehrere Monate im Jahre netzt kein Regen ſein Laub; die Zweige ſcheinen vertrocknet, abgeſtorben; bohrt man aber den Stamm an, ſo fließt eine ſüße, nahrhafte Milch heraus. Bei Sonnenaufgang ſtrömt die vegetabiliſche Quelle am reichlichſten; dann kommen von allen Seiten die Schwarzen und die Eingeborenen mit großen Näpfen herbei und fangen die Milch auf, die ſofort an der Oberfläche gelb und dick wird. Die einen trinken die Näpfe unter dem Baume ſelbſt aus, andere bringen ſie ihren — 243 — Kindern. Es iſt, als ſähe man einen Hirten, der die Milch ſeiner Herde unter die Seinigen verteilt. Ich habe den Eindruck geſchildert, den der Kuhbaum auf die Einbildungskraft des Reiſenden macht, wenn er ihn zum erſtenmal ſieht. Die wiſſenſchaftliche Unterſuchung zeigt, daß die phyſiſchen Eigenſchaften der tieriſchen und der vegetabi— liſchen Stoffe im engſten Zuſammenhange ſtehen; aber ſie benimmt dem Gegenſtande, der uns in Erſtaunen ſetzte, den Anſtrich des Wunderbaren, ſie entkleidet ihn wohl auch zum Teil ſeines Reizes. Nichts ſteht für ſich allein da; chemiſche Grundſtoffe, die, wie man glaubte, nur den Tieren zukommen, finden ſich in den Gewächſen gleichfalls. Ein gemeinſames Band umſchlingt die ganze organiſche Natur. Lange bevor die Chemie im Blütenſtaube, im Eiweiß der Blätter und im weißlichen Anfluge unſerer Pflaumen und Trauben kleine Wachsteilchen entdeckte, verfertigten die Be— wohner der Anden von Quindiu Kerzen aus der dicken Wachs— ſchicht, welche den Stamm einer Palme überzieht. Vor wenigen Jahren wurde in Europa das Caſeum, der Grund— ſtoff des Käſes, in der Mandelmilch entdeckt; aber ſeit Jahr— hunderten gilt in den Gebirgen an der Küſte von Venezuela die Milch eines Baumes und der Käſe, der ſich in dieſer vegetabiliſchen Milch abſondert, für ein geſundes Nahrungs— mittel. Woher rührt dieſer ſeltſame Gang in der Entwicke— lung unſerer Kenntniſſe? Wie konnte das Volk in der einen Halbkugel auf etwas kommen, was in der anderen dem Scharf— blick der Scheidekünſtler, die doch gewöhnt ſind, die Natur zu befragen und ſie auf ihrem geheimnisvollen Gange zu be— lauſchen, ſo lange entgangen iſt? Daher, daß einige wenige Elemente und verſchiedenartig zuſammengeſetzte Grundſtoffe in mehreren Pflanzenfamilien vorkommen; daher, daß die Gattungen und Arten dieſer natürlichen Familien nicht über die tropiſchen und die kalten und gemäßigten Himmelsſtriche gleich verteilt ſind; daher, daß Völker, die faſt ganz von Pflanzenſtoffen leben, vom Bedürfnis getrieben, mehlige näh— rende Stoffe überall finden, wo ſie nur die Natur im Pflan⸗ zenſaft, in Rinden, Wurzeln oder Früchten niedergelegt hat. Das Stärkemehl, das ſich am reinſten in den Getreidekörnern findet, iſt in den Wurzeln der Arumarten, der Tacca pinna- tifida und der Jatropha Manihot mit einem ſcharfen, zu⸗ ı Ceroxylon andicola. — 244 — weilen ſelbſt giftigen Safte verbunden. Der amerikaniſche Wilde wie der auf den Inſeln der Südſee hat das Satzmehl durch Auspreſſen und Trennen vom Safte ausſüßen gelernt. In der Pflanzenmilch und den milchigen Emulſionen ſind äußerſt nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käſeſtoff und Zucker mit Kautſchuk und ätzenden ſchädlichen Materien, wie Morphium und Blauſäure, verbunden. Dergleichen Miſchungen ſind nicht nur nach den Familien, ſondern ſogar bei den Arten derſelben Gattung verſchieden. Bald iſt es das Morphium oder der narkotiſche Grundſtoff, was der Pflanzenmilch ihre vorwiegende Eigenſchaft gibt, wie bei manchen Mohnarten, bald das Kautſchuk, wie bei der Hevea und Castilloa, bald Eiweiß und Käſeſtoff, wie beim Melonenbaum und Kuhbaum. Die milchigen Gewächſe gehören vorzugsweiſe den drei Familien der Euphorbien, der Urticeen und der Apocyneen an, und da ein Blick auf die Verteilung der Pflanzenbildungen über den Erdball zeigt, daß dieſe drei Familien! in den Nie: derungen der Tropenländer durch die zahlreichſten Arten ver: treten ſind, ſo müſſen wir daraus ſchließen, daß eine ſehr hohe Temperatur zur Bildung von Kautſchuk, Eiweiß und Käſe⸗ ſtoff beiträgt. Der Saft des Palo de Vaca iſt ohne Zweifel das auffallendſte Beiſpiel, daß nicht immer ein ſcharfer, ſchäd— licher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käſeſtoff und dem Kaut:, ſchuk verbunden iſt; indeſſen kannte man in den Gattungen Euphorbia und Asklepias, die ſonſt durch ihre ätzenden Eigen: ſchaften bekannt ſind, Arten, die einen milden, unſchädlichen Saft haben. Hierher gehört der Tubayba dulce der Kana⸗ riſchen Inſeln, von dem ſchon oben die Rede war,? und As- clepias lastifera auf Ceylon. Wie Burmann erzählt, bedient man ſich dort, in Ermangelung der Kuhmilch, der Milch der letztgenannten Pflanze und kocht mit den Blättern derſelben die Speiſen, die man ſonſt mit tieriſcher Milch zubereitet. Es iſt zu erwarten, daß ein Reiſender, dem die gründlichſten Nach dieſen drei großen Familien kommen die Papaveraceae, Chicoraceae, Lobeliaceae, Campanulaceae, Sapoteae und Cucur- bitaceae. Die Blauſäure iſt der Gruppe der Rosaceae amygda- laceae eigentümlich. Bei den Monokotyledonen kommt ein Milchſaft vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die ſo ſüße und angenehme Emulſionen gibt, enthält ohne Zweifel Käſeſtoff. Was iſt die Milch der Pilze? Euphorbia balsamifera. — 245 — Kenntniſſe in der Chemie zu Gebote ſtehen, John Davy, bei ſeinem Aufenthalt auf Ceylon dieſen Punkt ins reine bringen wird; denn, wie De Candolle richtig bemerkt, es wäre möglich, daß die Eingeborenen nur den Saft der jungen Pflanze be— nutzten, ſolange der ſcharfe Stoff noch nicht entwickelt iſt. Wirklich werden in manchen Ländern die jungen Sproſſen der Apocyneen gegeſſen. Ich habe mit dieſer Zuſammenſtellung den Verſuch ge— macht, die Milchſäfte der Gewächſe und der milchigen Emul— ſionen, welche die Früchte der Mandelarten und der Palmen geben, unter einen allgemeinen Geſichtspunkt zu bringen. Es möge mir geſtattet ſein, dieſen Betrachtungen die Ergebniſſe einiger Verſuche anzureihen, die ich während meines Aufent- haltes in den Thälern von Aragua mit dem Safte der Carica Papaya angeſtellt, obgleich es mir faſt ganz an Reagenzien fehlte. Derſelbe Saft iſt ſeitdem von Vauquelin unterſucht. worden. Der berühmte Chemiker hat darin richtig das Ei— weiß und den käſeartigen Stoff erkannt; er vergleicht den Milchſaft mit einem ſtark animaliſierten Stoffe, mit dem tieri— ſchen Blut; es ſtand ihm aber nur gegorener Saft und ein übelriechendes Gerinnſel zu Gebote, das ſich auf der Ueber— fahrt von Isle de France nach Havre gebildet hatte. Er ſpricht den Wunſch aus, ein Reiſender möchte den Saft des Melonenbaumes friſch, wie er aus dem Stengel oder der Frucht fließt, unterſuchen können. Je jünger die Frucht des Melonenbaumes iſt, deſto mehr Milch gibt ſie; man findet ſie bereits im kaum befruchteten Keime. Je reifer die Frucht wird, deſto mehr nimmt die Milch ab und deſto wäſſeriger wird ſie; man findet dann weniger vom tieriſchen Stoff darin, der durch Säuren und durch Ab— ſorption des Sauerſtoffes der Luft gerinnt. Da die ganze Frucht klebrig! ift, fo könnte man annehmen, je mehr ſie wachſe, deſto mehr lagere ſich der gerinnbare Stoff in den Organen ab und bilde zum Teil das Mark oder die fleiſchige 1 Dieſe Klebrigkeit bemerkt man auch an der friſchen Milch des Kuhbaumes. Sie rührt ohne Zweifel daher, daß das Kaut— ſchuk ſich noch nicht abgeſetzt hat und eine Maſſe mit dem Eiweiß und dem Käſeſtoff bildet, wie in der tieriſchen Milch die Butter und der Käſeſtoff. Der Saft eines Gewächſes aus der Familie der Euphorbien, des Sapium aucuparia, der auch Kautſchuk ent— hält, iſt ſo klebrig, daß man Papageien damit fängt. BE Subſtanz. Tröpfelt man mit vier Teilen Waſſer verdünnte Salpeterſäure in die, ausgepreßte Milch einer ganz jungen Frucht, ſo zeigt ſich eine höchſt merkwürdige Erſcheinung. In der Mitte eines jeden Tropfens bildet ſich ein gallertartiges, grau geſtreiftes Häutchen. Dieſe Streifen ſind nichts anderes als der Stoff, der wäſſeriger geworden, weil die Säure ihm den Eiweißſtoff entzogen hat. Zu gleicher Zeit werden die Häutchen in der Mitte undurchſichtig und eigelb. Sie ver: größern ſich, indem divergierende Faſern ſich zu verlängern ſcheinen. Die Flüſſigkeit ſieht anfangs aus wie ein Achat mit milchigen Wolken, und man meint, organiſche Häute unter ſeinen Augen ſich bilden zu ſehen. Wenn ſich das Gerinnſel über die ganze Maſſe verbreitet, verſchwinden die gelben Flecke wieder. Rührt man ſie um, ſo wird ſie krümelig wie weicher Käſe. Die gelbe Farbe erſcheint wieder, wenn man ein paar Tropfen Salpeterſäure zuſetzt. Die Säure wirkt hier wie die Berührung des Sauerſtoffes der Luft bei 27 bis 35% denn das weiße Gerinnſel wird in ein paar Minuten gelb, wenn man es der Sonne ausſetzt. Nach einigen Stunden geht das Gelb in Braun über, ohne Zweifel, weil der Kohlenſtoff frei wird im Verhältnis, als der Waſſerſtoff, an den er gebunden war, verbrennt. Das durch die Säure gebildete Gerinnſel wird klebrig und nimmt den Wachsgeruch an, den ich gleich— falls bemerkte, als ich Muskelfleiſch und Pilze (Morcheln) mit Salpeterſäure behandelte. Nach Hatchetts ſchönen Ver— ſuchen kann man annehmen, daß das Eiweiß zum Teil in Gallerte übergeht. Wirft man das friſch bereitete Gerinnſel vom Melonenbaum in Waſſer, ſo wird es weich, löſt ſich teil— weiſe auf und färbt das Waſſer gelblich. Alsbald ſchlägt ſich eine zitternde Gallerte, ähnlich dem- Stärkemehl, daraus nieder. Dies iſt beſonders auffallend, wenn das Waſſer, das man dazu nimmt, auf 40 bis 60 O erwärmt iſt. Je mehr man Waſſer zugießt, deſto feſter wird die Gallerte. Sie bleibt lange weiß und wird nur gelb, wenn man etwas Salpeter⸗ ſäure darauf tröpfelt. Nach dem Vorgange Fourcroys und Vauquelins bei ihren Verſuchen mit dem Safte der Hevea, ſetzte ich der Milch des Melonenbaumes eine Auflöſung von kohlenſaurem Natron bei. Es bildet ſich kein Klumpen, auch wenn man reines Waſſer dem Gemiſch von Milch und alka⸗ liſcher Auflöſung zugießt. Die Häute kommen erſt zum Vor⸗ ſchein, wenn man durch Zuſatz einer Säure das Alkali neu⸗ traliſiert und die Säure im Ueberſchuß iſt. Ebenſo ſah ich — 247 — das durch Salpeterſäure, Zitronenſaft oder heißes Waſſer ge⸗ bildete Gerinnſel verſchwinden, wenn ich eine Löſung von kohlenſaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchig und flüſſig, wie er urſprünglich war. Dieſer Verſuch gelingt aber nur mit friſch gebildetem Gerinnſel. Vergleicht man die Milchſäfte des Melonenbaumes, des Kuhbaumes und der Hevea, ſo zeigt ſich eine auffallende Aehnlichkeit zwiſchen den Säften, die viel Käſeſtoff enthalten, und denen, in welchen das Kautſchuk vorherrſcht. Alles weiße, friſch bereitete Kautſchuk, ſowie die waſſerdichten Mäntel, die man im ſpaniſchen Amerika fabriziert und die aus einer Schicht des Milchſaftes der Hevea zwiſchen zwei Leinwandſtücken beſtehen, haben einen tieriſchen, ekligen Geruch, der darauf hinzuweiſen ſcheint, daß das Kautſchuk beim Gerinnen den Käſeſtoff an ſich reißt, der vielleicht nur ein modifizierter Ei: weißſtoff iſt. Die Frucht des Brotfruchtbaumes iſt ſo wenig Brot als die Bananen vor ihrer Reife oder die ſtärkemehlreichen Wurzel— knollen der Dioscorea, des Convolvulus Batatas und der Kartoffel. Die Milch des Kuhbaumes dagegen enthält den Käſeſtoff gerade wie die Milch der Säugetiere. Aus allge⸗ meinem Geſichtspunkte können wir mit Guy⸗Luſſac das Kaut⸗ ſchuk als den öligen Teil, als die Butter der vegetabiliſchen Milch betrachten. Die beiden Grundſtoffe Eiweiß und Fett ſind in den Organen der verſchiedenen Tierarten und in den Pflanzen mit Milchſaft in verſchiedenen Verhältniſſen ent: halten. Bei letzteren ſind ſie meiſt mit anderen, beim Genuß ſchädlichen Stoffen verbunden, die ſich aber vielleicht auf chemiſchem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird nahrhaft, wenn keine ſcharfen, narkotiſchen Stoffe mehr darin ſind und ſtatt des Kautſchuks der Käſeſtoff darin überwiegt. Sit der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeß⸗ lichen Segensfülle der Natur im heißen Erdſtrich, ſo mahnt er uns auch an die zahlreichen Quellen, aus denen unter dieſem herrlichen Himmel die träge Sorgloſigkeit des Men⸗ ſchen fließt. Mungo Park hat uns mit dem Butterbaume in Bambarra bekannt gemacht, der, wie De Candolle vermutet, zu der Familie der Sapoteen gehört wie unſer Kuhbaum. Die Bananenbäume, die Sagobäume, die Mauritien am Ori⸗ noko ſind Brotbäume ſo gut wie die Rima der Südſee. Die Früchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen; die Blumenſcheiden mancher Palmen und Baumrinden geben — 248 — Kopfbedeckungen und Kleider ohne Naht. Die Knoten oder vielmehr die inneren Fächer im Stamme der Bambu geben Leitern und erleichtern auf tauſenderlei Art den Bau einer Hütte, die Herſtellung von Stühlen, Bettſtellen und anderem Geräte, das die wertvolle Habe des Wilden bildet. Bei einer üppigen Vegetation mit jo unendlich mannigfaltigen Pro⸗ dukten bedarf es dringender Beweggründe, ſoll der Menſch ſich der Arbeit ergeben, ſich aus ſeinem Halbſchlummer auf- rütteln, ſeine Geiſtesfähigkeiten entwickeln. In Barbula baut man Kakao und Baumwolle. Wir fanden daſelbſt, eine Seltenheit in dieſem Lande, zwei große Maſchinen mit Cylindern zum Trennen der Baumwolle von den Samen; die eine wird von einem Waſſerrade, die andere durch einen Göpel und durch Maultiere getrieben. Der Ver⸗ walter des Hofes, der dieſelben gebaut, war aus Merida. Er kannte den Weg von Nueva Valencia über Guanare und Miſagual nach Varinas, und von dort durch die Schlucht Callejones zum Paramo der Mucuchies und den mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgen von Merida. Seine Angaben, wie viel Zeit wir von Valencia über Varinas in die Sierra Ne: vada, und von da über den Hafen von Torunos und den Rio Santo Domingo nach San Fernando am Apure brauchen würden, wurden uns vom größten Nutzen. Man hat in Europa keinen Begriff davon, wie ſchwer es hält, genaue Er⸗ kundigung in einem Lande einzuziehen, wo der Verkehr ſo gering iſt, und man die Entfernungen gern zu gering an- gibt oder übertreibt, je nachdem man den Reiſenden auf: muntern oder von ſeinem Vorhaben abbringen möchte. Bei der Abreiſe von Caracas hatte ich dem Intendanten der Provinz Gelder übergeben, die mir von den königlichen Schatz⸗ beamten in Varinas ausbezahlt werden ſollten. Ich hatte beſchloſſen, das weſtliche Ende der Kordilleren von Neu: granada, wo fie in die Paramos von Timotes und Niquitao auslaufen, zu beſuchen. Ich hörte nun in Barbula, bei dieſem Abſtecher würden wir 35 Tage ſpäter an den Orinoko ge⸗ langen. Dieſe Verzögerung erſchien uns um ſo bedeutender, da man vermutete, die Regenzeit werde früher als gewöhn⸗ lich eintreten. Wir durften hoffen, in der Folge ſehr viele mit ewigem Schnee bedeckte Gebirge in Quito, Peru und Mexiko beſuchen zu können, und es ſchien mir deſto geratener, den Ausflug in die Gebirge von Merida aufzugeben, da wir beſorgen mußten, dabei unſeren eigentlichen Reiſezweck zu ver⸗ ng — 249 — fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs— würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen. Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar⸗ keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blaſen das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht, den Vorübergehenden ins Geſicht. Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen. Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa— milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten, wo der Menſch jo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen⸗ ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen. Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo⸗, des Baumwollen⸗ und Zuckerbaues in der Provinz Caracas einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen, die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr⸗ hunderts jährlich 150 000 Fanegas, von den 30 000 in der Provinz und 10 000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu 25 Piaſtern an, jo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas 800 000 Piaſter. Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von — 250 — Terra Firma nördlich vom Orinoko nirgends wild; erſt jen⸗ ſeits der Fälle von Atures und Maypures trafen wir ihn nach und nach an. Beſonders häufig wächſt er an den Ufern des Ventuari und am oberen Orinoko zwiſchen dem Padamo und dem Gehette. Daß der Kakaobaum in Südamerika nord: wärts vom 6. Breitengrad ſo ſelten wild vorkommt, iſt für die Pflanzengeographie ſehr intereſſant und war bisher wenig bekannt. Die Erſcheinung iſt um ſo auffallender, da man nach dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Kakaopflanzungen in Cumana, Nueva Barcelona, Venezuela, Varinas und Mara- caybo über 16 Millionen Bäume in vollem Ertrag rechnet. Der wilde Kakaobaum hat ſehr viele Aeſte und ſein Laub iſt dicht und dunkel. Er trägt eine ſehr kleine Frucht, ähnlich der Spielart, welche die alten Mexikaner Tlalcacahuatl nannten. In die Conucos der Indianer am Caſſiquiare und Rio Negro verſetzt, behält der wilde Baum mehrere Genera— tionen die Kraft des vegetativen Lebens, die ihn vom vierten Jahre an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die Ernten erſt mit dem ſechſten, ſiebenten oder achten Jahre be— ginnen. Sie treten im Binnenlande ſpäter ein als an den Küſten und im Thale von Guapo. Wir fanden am Orinoko keinen Volksſtamm, der aus der Bohne des Kakaobaumes ein Getränk bereitete. Die Wilden ſaugen das Mark der Hülſe aus und werfen die Samen weg, daher man dieſelben oft in Menge auf ihren Lagerplätzen findet. Wenn auch an der Küſte der Chorote, ein ganz ſchwacher Kakaoaufguß, für ein uraltes Getränk gilt, ſo gibt es doch keinen geſchichtlichen Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der Ankunft der Spanier die Schokolade oder irgend eine Zuberei— tung des Kakao gekannt haben. Wahrſcheinlicher ſcheint mir, daß man in Caracas den Kakaobaum nach dem Vorbilde von Mexiko und Guatemala angebaut hat, und daß die in Terra Firma angeſiedelten Spanier die Behandlung des Baumes, der jung im Schatten der Erythrina und des Bananenbaumes auf: wächſt, die Bereitung der Schokoladetafeln und den Gebrauch des Getränkes dieſes Namens durch den Verkehr mit Mexiko, Guatemala und Nicaragua gelernt haben, drei Länder, deren Einwohner von toltekiſchem und aztekiſchem Stamme ſind. Bis zum 16. Jahrhundert weichen die Reiſenden in ihren Urteilen über die Schokolade ſehr voneinander ab. Benzoni ſagt in ſeiner derben Sprache, es ſei ein Getränk vielmehr „da porci, che da huomini“. Der Jeſuit Acoſta verſichert, — 251 — die Spanier in Amerika lieben die Schokolade mit närriſcher Leidenſchaft, man müſſe aber an „das ſchwarze Gebräue“ ge: wöhnt ſein, wenn einem nicht ſchon beim Anblick des Schaumes, der wie die Hefe über einer gärenden Flüſſigkeit ſtehe, übel werden ſolle. Er bemerkt weiter: „Der Kakao iſt ein Aber⸗ glaube der Mexikaner, wie der Coca ein Aberglaube der Peru⸗ aner.“ Dieſe Urteile erinnern an die Prophezeiung der Frau von Sevigns hinſichtlich des Gebrauches des Kaffees. Hernan Cortez und ſein Page, der gentilhombre del gran Con- quistador, deſſen Denkwürdigkeiten Ramuſio bekannt gemacht hat, rühmen dagegen die Schokolade nicht nur als ein ange: nehmes Getränk, ſelbſt wenn fie kalt bereitet wird, jondern beſonders als nahrhaft. „Wer eine Taſſe davon getrunken hat,“ ſagt der Page des Hernan Cortez, „kann ohne weitere Nahrung eine ganze Tagereiſe machen, beſonders in ſehr heißen Ländern; denn die Schokolade iſt ihrem Weſen nach kalt und erfriſchend.“ Letztere Behauptung möchten wir nicht unter⸗ ſchreiben; wir werden aber bei unſerer Fahrt auf dem Orinoko und bei unſeren Reiſen hoch an den Kordilleren hinauf bald Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenſchaften der Schokolade zu ruͤhmen. Sie iſt gleich leicht mit ſich zu führen und als Nahrungsmittel zu verwenden und enthält in kleinem Raume viel nährenden und reizenden Stoff. Man ſagt mit Recht, in Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem Menſchen durch die Wüſten. In der Neuen Welt haben Schokolade und Maismehl ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure un— bewohnte Wälder zugänglich gemacht. Die Kakaoernte iſt ungemein veränderlich. Der Baum treibt mit ſolcher Kraft, daß ſogar aus den holzigen Wurzeln, wo die Erde ſie nicht bedeckt, Blüten ſprießen. Er leidet von den Nordoſtwinden, wenn ſie auch die Temperatur nur um wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach der Regenzeit in den Wintermonaten vom Dezember bis März unregelmäßig eintreten, ſchaden dem Kakaobaume bedeutend. Es kommt nicht ſelten vor, daß der Eigentümer einer Pflanzung von 50000 Stämmen in einer Stunde für 4000 bis 5000 Piaſter Kakao einbüßt. Große Feuchtigkeit iſt dem Baume nur 1 Der Pater Gili hat aus zwei Stellen bei Torquemada (Mo- narquia Indiana) bündig dargethan, daß die Mexikaner den Auf⸗ guß kalt machten, und daß erſt die Spanier den Brauch einführten, die Kakaomaſſe im Waſſer zu ſieden. — 252 — förderlich, wenn ſie allmählich zunimmt und lange ohne Unter⸗ brechung anhält. Wenn in der trockenen Jahreszeit die Blätter und die unreife Frucht in einen ſtarken Regenguß kommen, ſo löſt ſich die Frucht vom Stiele. Die Gefäße, welche das Waſſer einſaugen, ſcheinen durch Ueberſchwellung zu berſten. Iſt nun die Kakaoernte äußerſt unſicher, weil der Baum gegen ſchlimme Witterung ſo empfindlich iſt und ſo viele Würmer, Inſekten, Vögel, Säugetiere! die Schote freſſen, hat dieſer Kulturzweig den Nachteil, daß dabei der neue Pflanzer die Früchte ſeiner Arbeit erſt nach 8 bis 10 Jahren genießt und daß das Produkt ſchwer aufzubewahren iſt, ſo iſt dagegen nicht zu überſehen, daß die Kakaopflanzungen weniger Sklaven erfor⸗ dern als die meiſten anderen Kulturen. Dieſer Umſtand iſt von großer Bedeutung in einem Zeitpunkte, wo ſämtliche Völker Europas den großherzigen Entſchluß gefaßt haben, dem Neger— handel ein Ende zu machen. Ein Sklave verſieht 1000 Stämme, die im jährlichen Durchſchnitt 12 Fanegas Kakao tragen können. Auf Cuba gibt allerdings eine große Zuckerpflanzung mit 300 Schwarzen im Jahre durchſchnittlich 40000 Arrobas Zucker, welche, die Kiſte? zu 40 Piaſtern, 100000 Piaſter wert find, und in den Provinzen von Venezuela produziert man für 100000 Piaſter oder 4000 Fanegas Kakao, die Fanega zu 25 Piaſtern, auch nur mit 300 bis 350 Sklaven. Die 200000 Kiſten Zucker mit 3200000 Arroben, welche Cuba von 1812 bis 1814 jährlich ausgeführt hat, haben einen Wert von 8 Millionen Piaſtern und könnten mit 24000 Sklaven hergeſtellt werden, wenn die Inſel lauter große Pflan— zungen hätte; aber dieſer Annahme widerſpricht der Zu⸗ ſtand der Kolonie und die Natur der Dinge. Die Inſel Cuba verwendete im Jahre 1811 nur zur Feldarbeit 143 000 Sklaven, während die Capitania general von Caracas, die jährlich 200000 Fanegas Kakao oder für 5 Millionen Piaſter pro— duziert, wenn auch nicht ausführt, in Stadt und Land nicht mehr als 60000 Sklaven hat. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß dieſe Verhältniſſe ſich mit den Zucker- und Kakao⸗ preiſen ändern. Die ſchönſten Kakaopflanzungen in der Provinz Caracas ſind an der Küſte zwiſchen Caravalleda und der Mündung Papageien, Affen, Aguti, Eichhörner, Hirſche. 2 Eine Kiſte (caxa) wiegt 15 bis 16 Arroben, die Arroba zu 23 ſpaniſchen Pfunden. des Rio Tocuyo, in den Thälern von Caucagua, Capaya, Curiepe und Guapo; ferner in den Thälern von Cupira, zwiſchen Kap Codera und Kap Unare, bei Aroa, Barquejimeto, Guigue und Uritucu. Der Kakao, der an den Ufern des Uritucu am Rande der Llanos, im Gerichtsbezirk San Se— baſtiano de los Reyos wächſt, gilt für den beſten; dann kom— men die von Guigue, Caucagua, Capaya und Cupira. Auf dem Handelsplatze Cadiz hat der Kakao von Caracas den erſten Rang gleich nach dem von Soconusco. Er ſteht meiſt um 30 bis 40 Prozent höher im Preiſe als der Kakao von Guayaquil. Erſt ſeit der Mitte des 17. Jahrhunderts munterten die Holländer, im ruhigen Beſitz der Inſel Curacao, durch den Schleichhandel den Landbau an den benachbarten Küſten auf, und erſt ſeitdem wurde der Kakao für die Provinz Caracas ein Ausfuhrartikel. Was in dieſer Gegend vorging, ehe im Jahre 1728 die Geſellſchaft der Biscayer aus Guipuzcoa ſich daſelbſt niederließ, wiſſen wir nicht. Wir beſitzen lediglich keine genauen ſtatiſtiſchen Angaben und wiſſen nur, daß zu Anfang des 18. Jahrhunderts aus Caracas kaum 30000 Fane⸗ gas jährlich ausgeführt wurden. Im Jahre 1797 war die Ausfuhr, nach den Zollregiſtern von Guayra, den Schleich— handel nicht gerechnet, 70832 Fanegas. Wegen des Schmug— gels nach Trinidad und den anderen Antillen darf man kecklich ein Vierteil oder Fünfteil weiter rechnen. Ich glaube an⸗ nehmen zu können, daß von 1800 bis 1806, alſo im letzten Zeitpunkte, wo in den ſpaniſchen Kolonieen noch innere Ruhe herrſchte, der jährliche Ertrag der Kakaopflanzungen in der ganzen Capitania general von Caracas ſich wenigſtens auf 193000 Fanegas belief. Die Ernten, deren jährlich zwei ſtattfinden, im Juni und im Dezember, fallen ſehr verſchieden aus, doch nicht in dem Maße wie die Oliven⸗ und Weinernten in Europa. Von jenen 193000 Fanegas fließen 145000 teils über die Häfen der Halbinſel, teils durch den Schleichhandel nach Europa ab. Ich glaube beweiſen zu können (und dieſe Schätzungen beruhen auf zahlreichen einzelnen Angaben), daß Europa beim gegenwärtigen Stande ſeiner Civiliſation verzehrt: 11,5 Mill. kg Kakao zu 120 Fr. den Ztr. 27600000 Fr. 16 Mill. kg Thee zu 4 Fr. das Pfund 128000000 „ 70 Mill. kg Kaffee zu 114 Fr. den Ztr. 159600000 „ 225 Mill. kg Zucker zu 54 Fr. den Ztr. 243000000 „ 558200000 Fr Von dieſen vier Erzeugniſſen, die ſeit zwei bis drei Jahr: hunderten die vornehmſten Artikel im Handel und der Pro⸗ duktion der Kolonieen geworden ſind, gehört der erſte aus— ſchließlich Amerika, der zweite ausſchließlich Aſien an. Ich ſage ausſchließlich, denn die Kafavausfuhr der Philippinen tft jetzt ſo unbedeutend wie die Verſuche, die man in Braſilien, auf Trinidad und Jamaika mit dem Theebau gemacht hat. Die vereinigten Provinzen von Caracas liefern zwei Dritt- teile des Kakaos, der im weſtlichen und ſüdlichen Europa ver— zehrt wird. Dies iſt um ſo bemerkenswerter, als es der ge— meinen Annahme widerſpricht; aber die Kakaoſorten von Caracas, Maracaybo und Cumana ſind nicht alle von der— ſelben Qualität. Der Graf Caſa-Valencia ſchätzt den Ver⸗ brauch Spaniens nur auf 3 bis 3,5 Millionen kg, der Abbé Hervas auf 9 Millionen. Wer lange in Spanien, Italien und Frankreich gelebt hat, muß die Bemerkung gemacht haben, daß nur im erſteren Lande Schokolade auch von den unterſten Volksklaſſen getrunken wird, und wird es ſchwerlich glaublich finden, daß Spanien nur ein Dritteil des in Europa ein⸗ geführten Kakaos verzehren ſoll. Die letzten Kriege haben für den Kakaohandel in Caracas weit verderblichere Folgen gehabt als in Guayaquil. Wegen des Preisaufſchlages iſt in Europa weniger Kakao von der teuerſten Sorte verzehrt worden. Früher machte man in Spanien die gewöhnliche Schokolade aus einem Vierteil Kakao von Caracas und drei Vierteilen Kakao von Guayaquil; jetzt nahm man letzteren allein. Dabei iſt zu bemerken, daß viel geringer Kakao, wie der vom Maranon, vom Rio Negro, von Honduras und von der Inſel Santa Lucia, im Handel Kakao von Guayaquil heißt. Aus letzterem Hafen werden nicht über 60000 Fanegas ausgeführt, zwei Dritteile weniger als aus den Häfen der Capitania general von Caracas. Wenn auch die Kakaopflanzungen in den Provinzen Cu: mana, Barcelona und Maracaybo ſich in dem Maße vermehrt haben, in dem ſie in der Provinz Caracas eingegangen ſind, ſo glaubt man doch, daß dieſer alte Kulturzweig im ganzen allmählich abnimmt. In vielen Fällen verdrängen der Kaffee⸗ baum und die Baumwollenſtaude den Kakaobaum, der für die Ungeduld des Landbauers viel zu ſpät trägt. Man behauptet auch, die neuen Pflanzungen geben weniger Ertrag als die alten. Die Bäume werden nicht mehr ſo kräftig und tragen ſpäter und nicht ſo reichlich Früchte. Auch ſoll der Boden erſchöpft == 355 = fein; aber nach unſerer Anſicht iſt vielmehr durch die Entwicke— lung des Landbaues und das Urbarmachen des Landes die Luft— beſchaffenheit eine andere geworden. Ueber einem unberührten, mit Wald bewachſenen Boden ſchwängert ſich die Luft mit Feuchtigkeit und den Gasgemengen, die den Pflanzenwuchs befördern und ſich bei der Zerſetzung organiſcher Stoffe bilden. Iſt ein Land lange Zeit angebaut geweſen, ſo wird das Ver— hältnis zwiſchen Sauerſtoff und Stickſtoff durchaus kein anderes; die Grundbeſtandteile der Luft bleiben dieſelben; aber jene binären und tertiären Verbindungen von Kohlenſtoff, Stick— ſtoff und Waſſerſtoff, die ſich aus einem unberührten Boden entwickeln und für eine Hauptquelle der Fruchtbarkeit gelten, ſind ihr nicht mehr beigemiſcht. Die reinere, weniger mit Miasmen und fremdartigen Effluvien beladene Luft wird zu— gleich trockener und die Spannung des Waſſerdampfes nimmt merkbar ab. Auf längſt urbar gemachten und ſomit zum Kakaobau wenig geeignetem Boden, z. B. auf den Antillen, iſt die Frucht beinahe ſo klein wie beim wilden Kakaobaume. An den Ufern des oberen Orinoko, wenn man über die Llanos hinüber iſt, betritt man, wie ſchon bemerkt, die wahre Heimat des Kakaobaumes, und hier findet man dichte Wälder, wo auf unberührtem Boden, in beſtändig feuchter Luft die Stämme mit dem vierten Jahre reiche Ernten geben. Auf nicht er: ſchöpftem Boden iſt die Frucht durch die Kultur überall größer und weniger bitter geworden, ſie reift aber auch ſpäter. Sieht man nun den Ertrag an Kakao in Terra Firma allmählich abnehmen, ſo fragt man ſich, ob in Spanien, in Italien und im übrigen Europa auch der Verbrauch im ſelben Verhältnis abnimmt, oder ob nicht vielmehr infolge des Ein— gehens der Kakaopflanzungen die Preiſe ſo hoch ſteigen werden, daß der Landbauer zu neuen Anſtrengungen aufgemuntert wird? Letzteres iſt die herrſchende Anſicht bei allen, die in Caracas die Abnahme eines ſo alten und ſo einträglichen Handelszweiges bedauern. Wenn einmal die Kultur weiter gegen die feuchten Wälder im Binnenlande vorrückt, an die Ufer des Orinoko und des Amazonenſtromes, oder in die Thäler am Oſtabhange der Anden, ſo finden die neuen An⸗ ſiedler einen Boden und eine Luft, wie fie beide dem Kafao- bau angemeſſen ſind. f Bekanntlich ſcheuen die Spanier im allgemeinen den Zu⸗ ſatz von Vanille zum Kakao, weil dieſelbe die Nerven reize. Daher wird auch die Frucht dieſer ſchönen Orchisart in der Provinz Caracas faſt gar nicht beachtet. Man könnte fie auf der feuchten, fieberreichen Küſte zwiſchen Porto Cabello und Ocumare in Menge ſammeln, beſonders aber in Turiamo, wo die Früchte des Epidendrum Vanilla 29 bis 32 em lang werden. Die Engländer und Angloamerikaner ſuchen häufig im Hafen von Guayra Vanille zu kaufen, und die Handels: leute können ſie nur mit Mühe in kleinen Quantitäten auf⸗ treiben. In den Thälern, die ſich von der Küſtenbergkette zum Meere der Antillen herabziehen, in der Provinz Trupillo, wie in den Miſſionen in Guyana bei den Fällen des Orinoko könnte man ſehr viel Vanille ſammeln, und der Ertrag wäre noch reich— licher, wenn man, wie die Mexikaner thun, die Pflanze von Zeit zu Zeit von den Lianen ſäuberte, die ſie umſchlingen und erſticken. Bei der Schilderung des gegenwärtigen Zuſtandes der Kakaopflanzungen in den Provinzen von Venezuela, bei den Bemerkungen über den Zuſammenhang zwiſchen dem Ertrag der Pflanzungen und der Feuchtigkeit und Geſundheit der Luft, haben wir der warmen, fruchtbaren Thäler der Küſten— kordilleren erwähnt. In ſeiner weſtlichen Erſtreckung, dem See Maracaybo zu, zeigt dieſer Landſtrich eine ſehr intereſſante mannigfaltige Terrainbildung. Ich ſtelle am Ende dieſes Kapitels zuſammen, was ich über die Beſchaffenheit des Bodens und den Metallreichtum in den Bezirken Aroa, Barqueſimeto und Carora habe in Erfahrung bringen können. Von der Sierra Nevada von Merida und den Paramos von Niquitao, Bocono und Las Roſas an,! wo der koſtbare Chinabaum wächſt, ſenkt ſich die öſtliche Kordillere von Neu: granada ſo raſch, daß ſie zwiſchen dem 9. und 10. Breitengrade nur noch eine Kette kleiner Berge bildet, an die ſich im Nordoſt der Altar und der Torito anſchließen und die die Nebenflüſſe des Rio Apure und des Orinoko von den zahlreichen Ge⸗ wäſſern ſcheiden, die entweder in das Meer der Antillen oder Wir wiſſen aus dem Munde vieler reiſenden Mönche, daß der kleine Paramo de las Roſas, der in mehr als 3120 m Meereshöhe zu liegen ſcheint, mit Rosmarin und roten und weißen europäiſchen Roſen, die hier verwildert ſind, bewachſen iſt. Man pflückt die Roſen, um bei Kirchenfeſten die Altäre in den benach⸗ barten Dörfern damit zu ſchmücken. Durch welchen Zufall iſt unſere hundertblätterige Roſe hier verwildert, da wir fie doch in den An den von Quito und Peru nirgends angetroffen haben? Iſt es auch wirklich unſere Gartenroſe? — 257 — in den See Maracaybo fallen. Auf dieſer Waſſerſcheide ſtehen die Städte Nirgua, San Felipe el Fuerte, Barqueſimeto und Tocuyo. In den drei erſteren iſt es ſehr heiß, in Tocuyo dagegen bedeutend kühl, und man hört mit Ueberraſchung, daß unter einem ſo herrlichen Himmel die Menſchen große Neigung zum Selbſtmord haben. Gegen Süden erhebt ſich der Boden, denn Truxillo, der See Urao, aus dem man kohlenſaures Natron gewinnt, und La Grita, oſtwärts von der Kordillere, liegen ſchon in 780 bis 1170 m Höhe. Beobachtet man, in welchem konſtanten Verhältniſſe die Urgebirgsſchichten der Küſtenkordillere fallen, ſo ſieht man ſich auf eine der Urſachen hingewieſen, welche den Landſtrich zwiſchen der Kordillere und dem Meere ſo ungemein feucht machen. Die Schichten fallen meiſt nach Nordweſt, ſo daß die Gewäſſer nach dieſer Richtung über die Geſteinsbänke laufen und, wie ſchon oben bemerkt, die Menge Bäche und Flüſſe bilden, deren Ueberſchwemmungen vom Kap Codera bis zum See Maracaybo das Land ſo ungeſund machen. Neben den Gewäſſern, die in der Richtung nach Nordoſt an die Küſte von Porto Cabello und zur Punta de Hicacos herabkommen, ſind die bedeutendſten der Tocuyo, der Aroa und der Paracuy. Ohne die Miasmen, welche die Luft ver: peſten, wären die Thäler des Aroa und des Naracuy vielleicht ſtärker bevölkert als die Thäler von Aragua. Durch die ſchiff— baren Flüſſe hätten jene ſogar den Vorteil, daß ſie ihre eigenen Zucker⸗ und Kafavernten, wie die Produkte der benachbarten Bezirke, den Weizen von Quibor, das Vieh von Monai und das Kupfer von Aroa, leichter ausführen könnten. Die Gruben, wo man dieſes Kupfer gewinnt, liegen in einem Seitenthale, das in das Aroathal mündet und nicht ſo heiß und ungeſund iſt als die Thalſchluchten näher am Meere. In dieſen letzteren haben die Indianer Goldwäſchereien, und im Gebirge kommen dort reiche Kupfererze vor, die man noch nicht auszubeuten verſucht hat. Die alten, längſt in Abgang gekommenen Gruben von Aroa wurden auf den Betrieb Don Antonios Henriquez, den wir in San Fernando am Apure trafen, wieder aufgenommen. Nach den Notizen, die er mir gegeben, ſcheint die Lagerſtätte des Erzes eine Art Stockwerk zu ſein, das aus mehreren kleinen Gängen beſteht, die ſich nach allen Richtungen kreuzen. Das Stockwerk iſt ſtellenweiſe 4 bis 6 m dick. Der Gruben find drei, und in allen wird von Sklaven gearbeitet. Die größte, die Biscayna, hat nur A. v. Humboldt, Reiſe. II. 17 — 258 — 30 Bergleute, und die Geſamtzahl der mit der Förderung und dem Schmelzen des Erzes beſchäftigten Sklaven beträgt nur 60 bis 70. Da der Schacht nur 58 m tief ift, fo können, der Waſſer wegen, die reichſten Strecken des Stockwerkes, die darunter liegen, nicht abgebaut werden. Man hat bis jetzt nicht daran gedacht, Schöpfräder aufzuſtellen. Die Geſamt⸗ ausbeute an gediegenem Kupfer beträgt jährlich 1200 bis 1500 Zentner. Das Kupfer, in Cadiz als Caracaskupfer bekannt, iſt ausgezeichnet gut; man zieht es ſogar dem ſchwe— diſchen und dem Kupfer von Coquimbo in Chile vor. Das Kupfer von Aroa wird zum Teil an Ort und Stelle zum Glockenguß verwendet. In neueſter Zeit iſt zwiſchen Aroa und Nirgua bei Guanita im Berge San Pablo einiges Silbererz entdeckt worden. Goldkörner kommen überall im Gebirgslande zwiſchen dem Rio Paracuy, der Stadt San Felipe, Nirgua und Barqueſimeto vor, beſonders aber im Fluſſe Santa Cruz, in dem die indianiſchen Goldwäſcher zuweilen Geſchiebe von 4 bis 5 Piaſtern Wert finden. Kommen im anſtehenden Glimmerſchiefer- und Gneisgeſtein wirkliche Gänge vor, oder iſt das Gold auch hier, wie im Granit von Guadarama in Spanien oder im Fichtelgebirge in Franken, durch die ganze Gebirgsart zerſtreut? Das durchſickernde Waſſer mag die zer⸗ ſtreuten Goldblättchen zuſammenſchwemmen, und in dieſem Fall wären alle Bergbauverſuche fruchtlos. In der Savana de la Miel bei der Stadt Barqueſimeto hat man im ſchwarzen, glänzenden, dem Bergpech (Ampelite) ähnlichen Schiefer einen Schacht niedergetrieben. Die Mineralien, die man daraus zu Tage gefördert, und die man mir nach Caracas geſchickt, waren Quarz, nicht goldhaltige Schwefelkieſe und in Nadeln mit Seidenglanz kriſtalliſiertes kohlenſaures Blei. In der erſten Zeit nach der Eroberung begann man trotz der Einfälle des kriegeriſchen Stammes der Girahara die Gruben von Nirgua und Buria auszubeuten. Im ſelben Bezirk veranlaßte im Jahre 1553 die Menge der Negerſklaven einen Vorfall, der, ſo wenig er an ſich zu bedeuten hatte, dadurch intereſſant wird, daß er mit den Ereigniſſen, die ſich unter unferen Augen auf San Domingo begeben haben, Aehn⸗ lichkeit hat. Ein Negerſklave ſtiftete unter den Grubenarbeitern von San Felipe de Buria einen Aufſtand an, zog ſich in die Wälder und gründete mit 200 Genoſſen einen Flecken, in dem er zum König ausgerufen wurde. Miguel, der neue König, liebte Prunk und Feierlichkeit; ſein Weib Guiomar ließ er Königin nennen; er ernannte, wie Oviedo erzählt, Minifter, Staatsräte, Beamte der Casa real, ſogar einen ſchwarzen Biſchof. Nicht lange, ſo war er keck genug, die benachbarte Stadt Nueva Segovia de Barqueſimeto anzugreifen; er wurde aber von Diego de Loſada zurückgeſchlagen und kam im Hand— gemenge um. Dieſem afrikaniſchen Königreiche folgte in Nirgua ein Freiſtaat der Zambos, daß heißt der Abkömmlinge von Negern und Indianern. Der ganze Gemeinderat, der Ca— bildo, beſteht aus Farbigen, die der König von Spanien als ſeine „lieben und getreuen Unterthanen, die Zambos von Nirgua“ anredete. Nur wenige weiße Familien mögen in einem Lande leben, wo ein mit ihren Anſprüchen ſo wenig verträgliches Regiment herrſcht, und die kleine Stadt heißt ſpottweiſe La republica de Zambos y Mulatos. Es iſt ebenſo unklug, die Regierung einer einzelnen Kaſte zu überlaſſen, als ſie ihrer natürlichen Rechte zu berauben und ihr dadurch eine Einzelſtellung zu geben. Wenn in den wegen ihres vortrefflichen Bauholzes be— rühmten Thälern des Aroa, Yaracuy und Tocuyo der üppige Pflanzenwuchs und die große Feuchtigkeit der Luft ſo viele Fieber erzeugen, ſo verhält es ſich mit den Savannen oder Llanos von Monai und Carora ganz anders. Dieſe Llanos ſind durch das Gebirgsland von Tocuyo und Nirgua von den großen Ebenen an der Portugueza und bei Cala— bozo getrennt. Dürre Savannen, auf denen Miasmen herr— ſchen, ſind eine ſehr auffallende Erſcheinung. Sumpfboden kommt daſelbſt keiner vor, wohl aber mehrere Erſcheinungen, die auf die Entbindung von Waſſerſtoffgas hindeuten. Wenn Was iſt die unter dem Namen Farol (Laterne) de Maracaybo bekannte Lichterſcheinung, die man jede Nacht auf der See wie im inneren Lande ſieht, z. B. in Merida, wo Palacios dieſelbe zwei Jahre lang beobachtet hat? Der Umſtand, daß man das Licht über 180 km weit ſieht, hat zu der Vermutung geführt, es könnte daher rühren, daß in einer Bergſchlucht ſich jeden Tag ein Gewitter ent— lade. Man ſoll auch donnern hören, wenn man dem Farol nahe kommt. Andere ſprechen in unbeſtimmtem Ausdruck von einem Luftvulkan; aus asphalthaltigem Erdreich, ähnlich dem bei Mena, ſollen brennbare Dünſte aufſteigen und daher beſtändig ſichtbar ſein. Der Ort, wo ſich die Erſcheinung zeigt, iſt ein unbewohntes Ge— birgsland am Rio Catatumbo, nicht weit von ſeiner Vereinigung mit dem Rio Sulia. Der Farol liegt faſt ganz im Meridian der — 260 — man Reiſende, welche mit den brennbaren Schwaden unbekannt ſind, in die Höhle Del Serrito de Monat führt, ſo erſchreckt man ſie durch Anzünden des Gasgemenges, das ſich im oberen Teile der Höhle fortwährend anſammelt. Soll man annehmen, daß die ungeſunde Luft hier dieſelbe Quelle hat, wie auf der Ebene zwiſchen Tivoli und Rom, Entwickelung von Schwefel— waſſerſtoff?! Vielleicht äußert auch das Gebirgsland neben den Llanos von Mona einen ungünftigen Einfluß auf die anſtoßenden Ebenen. Südoſtwinde mögen die faulen Efflu— vien herführen, die ſich aus der Schlucht Villegas und Sienega de Cabra zwiſchen Carora und Carache entwickeln. Ich ſtelle abſichtlich alles zuſammen, was auf die Ungeſundheit der Luft Bezug haben mag; denn auf einem ſo dunkeln Gebiete kann man nur durch Vergleichung zahlreicher Beobachtungen hoffen, das wahre Sachverhältnis zu ermitteln. Die dürren und doch ſo fieberreichen Savannen zwiſchen Barqueſimeto und dem öſtlichen Ufer des Sees Maracaybo ſind zum Teil mit Fackeldiſteln bewachſen; aber die gute Bergkochenille, die unter dem unbeſtimmten Namen Grana de Carora bekannt iſt, kommt aus einem gemäßigteren Land— ſtriche zwiſchen Carora und Trurillo, beſonders aber aus dem Thale des Rio Mucuju, öſtlich von Merida. Die Einwohner geben ſich mit dieſem im Handel ſo ſtark geſuchten Produkte gar nicht ab. Einfahrt (boca) in den See von Maracaybo, fo daß die Steuerleute ſich nach ihm richten wie nach einem Leuchtfeuer. ı Don Carlos de Pozo fand in dieſem Bezirke, in der Due: brada de Moroturo, eine Schicht ſchwarzer Thonerde, welche ſtark abfärbt, ſtark nach Schwefel riecht und ſich von ſelbſt entzündet, wenn man ſie, leicht befeuchtet, lange den Strahlen der tropiſchen Sonne ausſetzt; dieſe ſchleimige Materie verpufft ſehr heftig. N * V Siebzehntes Kapitel. Gebirge zwiſchen den Thälern von Aragua und den Llanos von Caracas. — Villa de Cara. — Parapara. — Llanos oder Steppen. — Calabozo. Die Bergkette, welche den See von Tacarigua oder Va⸗ Ieneia im Süden begrenzt, bildet gleichſam das nördliche Ufer des großen Beckens der Llanos oder Savannen von Caracas. Aus den Thälern von Aragua kommt man in die Savannen über die Berge von Guigue und Tucutunemo. Aus einer bevölkerten, durch Anbau geſchmückten Landſchaft gelangt man in eine weite Einöde. An Felſen und ſchattige Thäler ge⸗ wöhnt, ſieht der Reiſende mit Befremden dieſe baumloſen Savannen vor ſich, dieſe unermeßlichen Ebenen, die gegen den Horizont aufzuſteigen ſcheinen. Ehe ich die Llanos oder die Region der Weiden ſchildere, beſchreibe ich kürzlich unſeren Weg von Nueva Valencia durch Villa de Cura und San Juan zum kleinen, am Eingang der Steppen gelegenen Dorfe Ortiz. Am 6. März, vor Sonnen⸗ aufgang, verließen wir die Thäler von Aragua. Wir zogen durch eine gut angebaute Ebene, längs dem ſüdweſtlichen Ge: ſtade des Sees von Valencia, über einen Boden, von dem ſich die Gewäſſer des Sees zurückgezogen. Die Fruchtbarkeit des mit Kalebaſſen, Waſſermelonen und Bananen bedeckten Landes ſetzte uns in Erſtaunen. Den Aufgang der Sonne verkündete der ferne Lärm der Brüllaffen. Vor einer Baum⸗ gruppe, mitten in der Ebene zwiſchen den ehemaligen Eilanden Don Pedro und Negra, gewahrten wir zahlreiche Banden der ſchon oben beſchriebenen Simia ursina (Araguate), die wie in Prozeſſion äußerſt langſam von Baum zu Baum zogen. Hinter einem männlichen Tiere kamen viele weibliche, deren mehrere ihre Jungen auf den Schultern trugen. Die Brüll⸗ affen, welche in verſchiedenen Strichen Amerikas in großen — 262 — Geſellſchaften leben, ſind vielfach beſchrieben. In der Lebens weiſe kommen ſie alle überein, es ſind aber nicht überall die⸗ ſelben Arten. Wahrhaft erſtaunlich iſt die Einförmigkeit in den Bewegungen dieſer Affen. So oft die Zweige benach— barter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten ſchwieligen Teile ſeines Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt denſelben hin und her, bis er den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht ſofort an derſelben Stelle dieſelbe Bewegung. Ulloa und viele gut unterrichtete Reiſende behaupten, die Marimondas,! Araguaten und andere Affen mit Wickelſchwänzen bilden eine Art Kette, wenn ſie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen; ich brauche kaum zu bemerken, daß eine ſolche Behauptung ſehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge— habt, Tauſende dieſer Tiere zu beobachten, und eben deshalb glaubten wir nicht an Geſchichten, die vielleicht nur von Europäern erfunden ſind, wenn auch die Indianer in den Miſſionen ſie nachſagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheſte Menſch findet einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern ſeines Landes den Fremden in Erſtaunen zu ſetzen. Er will ſelbſt geſehen haben, was nach ſeiner Vorſtellung andere geſehen haben könnten. Jeder Wilde iſt ein Jäger, und die Geſchichten der Jäger werden deſto phantaſtiſcher, je höher die Tiere, von deren Liſten ſie zu erzählen wiſſen, in geiſtiger Beziehung wirklich ſtehen. Dies iſt die Quelle der Märchen, welche in beiden Hemiſphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Kondor der Anden im Schwange gehen. N Die Araguaten ſollen, wenn fie von indianischen Jägern verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche laſſen, um ſich auf der Flucht zu erleichtern. Man will geſehen haben, wie Affenmütter das Junge von der Schulter riſſen und es vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine rein zufällige Bewegung für eine abſichtliche genommen. Die Indianer ſehen gewiſſe Affengeſchlechter mit Abneigung oder mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen kleinen Sagoinen ſind ſie gewogen, während die Araguaten wegen ihres trübſeligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge— brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber 1 Simia Belzebuth. — 263 — nachdachte, durch welche Urſachen die Fortpflanzung des Schalles durch die Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, ſchien es mir nicht unwichtig, genau zu beſtimmen, in welchem Abſtande, namentlich bei naſſer, ſtürmiſcher Witterung, das Geheul eines Trupps Araguaten zu vernehmen iſt. Ich glaube gefunden zu haben, daß man es noch in 1560 m Entfernung hört. Die Affen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in die Llanos machen, und mitten auf den weiten, mit Gras bewachſenen Ebenen unterſcheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt iſt und von welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf dieſe Baumgruppe zugeht oder ſich davon entfernt, ſo mißt man das Maximum des Abſtandes, in dem das Geheul noch vernehmbar iſt. Dieſe Abſtände ſchienen mir einigemal bei Nacht um ein Dritteil größer, namentlich bei bedecktem Himmel und ſehr warmem, feuchtem Wetter. Die Indianer verſichern, wenn die Araguaten den Wald mit ihrem Geheule erfüllen, ſo haben ſie immer einen Vor⸗ ſänger. Die Bemerkung iſt nicht unrichtig. Man hört meiſtens, lange fort, eine einzelne ſtärkere Stimme, worauf eine andere von verſchiedenem Tonfall ſie ablöſt. Denſelben Nachahmungs⸗ trieb bemerken wir zuweilen auch bei uns bei den Fröſchen und faſt bei allen Tieren, die in Geſellſchaft leben und ſich hören laſſen. Noch mehr, die Miſſionäre verſichern, wenn bei den Araguaten ein Weibchen im Begriffe ſei zu werfen, ſo unterbreche der Chor ſein Geheul, bis das Junge zur Welt gekommen ſei. Ob etwas Wahres hieran iſt, habe ich nicht ſelbſt ausmachen können, ganz grundlos ſcheint es aber aller— dings nicht zu ſein. Ich habe beobachtet, daß das Geheul einige Minuten aufhört, ſo oft ein ungewöhnlicher Vorfall, zum Beiſpiel das Aechzen eines verwundeten Araguate, die Aufmerkſamkeit des Trupps in Anſpruch nimmt. Unſere Führer verſicherten uns allen Ernſtes, ein bewährtes Heilmittel gegen kurzen Atem ſei, aus der knöchernen Trommel am Zungenbeine des Araguate zu trinken. „Da dieſes Tier eine ſo außerordentlich ſtarke Stimme hat, ſo muß dem Waſſer, das man in ſeinen Kehlkopf gießt, notwendig die Kraft zu— kommen, Krankheiten der Lungen zu heilen.“ Dies iſt Volks— phyſik, die nicht ſelten an die der Alten erinnert. Wir übernachteten im Dorfe Guigue, deſſen Breite ich durch Beobachtungen des Canopus gleich 10° 4, 11“ fand. Dieſes Dorf auf trefflich angebautem Boden liegt nur 1950 m — 264 — vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem alten Sergeanten, aus Murcia gebürtig, einem höchſt originellen Manne. Um uns zu beweiſen, daß er bei den Jeſuiten erzogen worden, ſagte er uns die Geſchichte von der Erſchaffung der Welt lateiniſch her. Er nannte die Namen Auguſt, Tiber und Diokletian. Bei der angenehmen Nachtkühle in einem Ba⸗ nanengehege beſchäftigte er ſich lebhaft mit allem, was am Hofe der römiſchen Kaiſer vorgefallen war. Er bat uns dringend um Mittel gegen die Gicht, die ihn grauſam plagte. „Ich weiß wohl,“ ſagte er, „daß ein Zambo aus Valencia, ein gewaltiger ‚Curiojo‘, mich heilen kann; aber der Zambo macht auf eine Behandlung Anſpruch, die einem Menſchen N Farbe nicht gebührt, und ſo bleibe ich lieber, wie ich bin Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette, welche im Süden des Sees gegen Guacimo und La Palma hinſtreicht. Von einem Plateau herab, das 624 m hoch liegt, ſahen wir zum letztenmal die Thäler von Aragua. Der Gneis kam zu Tage; er zeigte dieſelbe Streichung der Schichten, denſelben Fall nach Nordweſt. Quarzadern im Gneis ſind goldhaltig; eine benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada del Oro. Seltſamerweiſe begegnet man auf jedem Schritte dem vornehmen Namen „Goldſchlucht“ in einem Lande, wo ein einziges Kupferbergwerk im Betriebe iſt. Wir legten 22,5 km bis zum Dorfe Maria Magdalena zurück, und weitere 9 zur Villa de Cura. Es war Sonntag. Im Dorfe Maria Mag⸗ dalena waren die Einwohner vor der Kirche verſammelt. Man wollte unſere Maultiertreiber zwingen, anzuhalten und die Meſſe zu hören. Wir ergaben uns darein; aber nach langem Wortwechſel ſetzten die Maultiertreiber ihren Weg fort. Ich bemerke hier, daß dies das einzige Mal war, wo wir einen Streit ſolcher Art bekamen. Man macht ſich in Europa ganz falſche Begriffe von der Unduldſamkeit und ſelbſt vom Glaubens⸗ eifer der ſpaniſchen Koloniſten. San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa de Cura, liegt in einem ſehr dürren Thale, das von Nordweſt nach Südost ſtreicht und nach meinen barometriſchen Beob⸗ achtungen eine Meereshöhe von 518 m hat. Außer einigen Fruchtbäumen hat das Land faſt gar keinen Pflanzenwuchs. Das Plateau iſt deſto dürrer, da mehrere Gewäſſer — ein ziemlich ſeltener Fall im Urgebirge — ſich auf Spalten im Boden verlieren. Der Rio de las Minas, nordwärts von — 265 — Villa de Cura, verſchwindet im Geſtein, kommt wieder zu Tage und wird noch einmal unterirdiſch, ohne den See von Valencia u erreichen, auf den er zuläuft. Cura gleicht viel mehr einem Dorfe als einer Stadt. Die Bevölkerung beträgt nicht mehr als 4000 Seelen, aber wir fanden daſelbſt mehrere Leute von bedeutender geiſtiger Bildung. Wir wohnten bei einer Familie, welche nach der Revolution von Caracas im Jahre 1797 von der Regierung verfolgt worden war. Einer der Söhne war nach langer Gefangenſchaft nach der Havana gebracht worden, wo er in einem feſten Schloſſe ſaß. Wie freute ſich die Mutter, als ſie hörte, daß wir auf dem Rückwege vom Ori⸗ noko nach der Havana kommen würden! Sie übergab mir fünf Piaſter, „all ihr Erſpartes“. Gerne hätte ich ſie ihr zurückgegeben, aber wie hätte ich mich nicht ſcheuen ſollen, ihr Zartgefühl zu verletzen, einer Mutter wehe zu thun, die in den Entbehrungen, die ſie ſich auferlegt, ſich glücklich fühlt! Die ganze Geſellſchaft der Stadt fand ſich abends zuſammen, um in einem Guckkaſten die Anſichten der großen europäiſchen Städte zu bewundern. Wir bekamen die Tuilerien zu ſehen und das Standbild des großen Kurfürſten in Berlin. Es iſt ein eigenes Gefühl, ſeine Vaterſtadt, 9000 km von ihr ent⸗ fernt, in einem Guckkaſten zu erblicken. Ein Apotheker, der durch den unſeligen Hang zu berg⸗ männiſchen Unternehmungen heruntergekommen war, begleitete uns zum Serro de Chacao, der an goldhaltigen Kieſen ſehr reich iſt. Der Weg läuft immer am ſüdlichen Abhange der Küſtenkordillere hinab, in welcher die Ebenen von Aragua ein Längenthal bilden. Die Nacht des 11. brachten wir zum Teil im Dorfe San Juan zu, bekannt wegen ſeiner warmen Quellen und der ſonderbaren Geſtalt zweier benachbarten Berge, der ſogenannten Morros de San Juan. Dieſe Kuppen bilden ſteile Gipfel, die ſich auf einer Felsmauer von ſehr breiter Baſis erheben. Die Mauer fällt ſteil ab und gleicht der Teufelsmauer, die um einen Strich des Harz⸗ gebirges herläuft. Dieſe Kuppen ſieht man ſehr weit in den Llanos, ſie machen ſtarken Eindruck auf die Einbildungskraft der Bewohner der Ebenen, die an gar keine Unebenheit des Bodens gewöhnt ſind, und ſo kommt es, daß ihre Höhe im Lande gewaltig überſchätzt wird. Sie ſollten, wie man uns geſagt, mitten in den Steppen liegen, während ſie ſich am nördlichen Saume derſelben befinden, weit jenſeits einer Hügel⸗ kette, die La Galera heißt. Nach Winkeln, die im Abſtande — 266 — von 3,9 km genommen wurden, erheben ſich die Kuppen nicht mehr als 304 m über dem Dorfe San Juan und 682 m über dem Meere. Die warmen Quellen entſpringen am Fuße der Kuppen, die aus Uebergangskalkſtein beſtehen; ſie ſind mit Schwefelwaſſerſtoff geſchwängert, wie die Waſſer von Mariara, und bilden einen kleinen Teich oder eine Lagune, in der ich den Thermometer nur auf 31,3“ ſteigen ſah. In der Nacht vom 9. zum 10. März fand ich durch ſehr befriedigende Sternbeobachtungen die Breite von Villa de Cura 10° 2“ 47“. Die ſpaniſchen Offiziere, welche im Jahre 1755 bei der Grenzexpedition mit aſtronomiſchen Sn: ſtrumenten an den Orinoko gekommen ſind, können zu Cura nicht beobachtet haben, denn die Karte von Caulin und die von Cruz Olmedilla ſetzen dieſe Stadt einen Viertelsgrad zu weit ſüdwärts. Villa de Cura iſt im Lande berühmt wegen eines wunder: thätigen Marienbildes, das Nueſtra Senora de los Valencianos genannt wird. Dieſes Bild, das um die Mitte des 18. Jahr— hunderts von einem Indianer in einer Schlucht gefunden wurde, gab Anlaß zu einem Rechtshandel zwiſchen den Städten Cura und San Sebaſtiano de los Reyes. Die Geiſtlichen der letzteren Stadt behaupteten, die heil. Jungfrau ſei zuerſt in ihrem Sprengel erſchienen. Der Biſchof von Caracas, dem langen ärgerlichen Streite ein Ende zu machen, ließ das Bild in das biſchöfliche Archiv ſchaffen und behielt es daſelbſt dreißig Jahre unter Siegel; es wurde den Einwohnern von Cura erſt im Jahre 1802 zurückgegeben. Depons gibt umſtändliche Nach: richt von dieſem ſeltſamen Handel. Nachdem wir im kleinen Fluſſe San Juan auf einem Bette von baſaltiſchem Grünſtein, in friſchem, klarem Waſſer ge— badet, ſetzten wir um 2 Uhr in der Nacht unſeren Weg über Ortiz und Parapara nach Meſa de Paja fort. Die Llanos waren damals durch Raubgeſindel unſicher, weshalb ſich mehrere Reiſende an uns anſchloſſen, ſo daß wir eine Art Karawane bildeten. Sechs bis ſieben Stunden lang ging es fortwährend abwärts; wir kamen am Cerro de Flores vorbei, wo die Straße zum großen Dorfe San Joſé de Tisnao abgeht. An den Höfen Luque und Juncalito vorüber gelangt man in die Gründe, die wegen des ſchlechten Weges und der blauen Farbe der Schiefer Malpaſo und Piedras Azules heißen. Wir ſtanden hier auf dem alten Geſtade des großen Beckens der Steppen, auf einem geologiſch intereſſanten Boden. — 267 — Der ſüdliche Abhang der Küſtenkordillere iſt ziemlich jteil da die Steppen nach meinen barometriſchen Meſſungen 324 m tiefer liegen als der Boden des Beckens von Aragua. Vom weiten Plateau von Villa de Cura kamen wir herab an das Ufer des Rio Tucutunemo, der ſich ins Serpentingeſtein ein von Oſt nach Weſt ſtreichendes Längenthal gegraben hat, un⸗ gefähr im Niveau von La Victoria. Von da führte uns ein Querthal über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos. Dieſes Thal ſtreicht im ganzen von Nord nach Süd und ver— engt ſich an mehreren Stellen. Becken mit völlig wage— rechtem Boden ſtehen durch ſchmale, abſchüſſige Schluchten mit— einander in Verbindung. Es waren dies einſt ohne Zweifel kleine Seen, und durch Aufſtauung der Gewäſſer oder durch eine noch gewaltſamere Kataſtrophe ſind die Dämme zwiſchen den Waſſerbecken durchbrochen worden. Dieſe Erſcheinung kommt gleichzeitig in beiden Kontinenten vor, überall, wo Längenthäler Päſſe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen bilden.” Wahrſcheinlich rührt die ruinenhafte Geſtalt der Kuppen von San Juan und San Sebaſtiano von den ge— waltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der Ge— wäſſer gegen die Llanos erfolgten. Bei der Meſa de Paja, unter dem 9. Grade der Breite, betraten wir das Becken der Llanos. Die Sonne ſtand beinahe im Zenith; der Boden zeigte überall, wo er von Vegetation entblößt war, eine Temperatur von 48 bis 50°. In der Höhe, in der wir uns auf unſeren Maultieren be— fanden, war kein Lufthauch zu ſpüren; aber in dieſer ſchein⸗ baren Ruhe erhoben ſich fortwährend kleine Staubwirbel in- folge der Luftſtrömungen, die dicht am Boden durch die Temperaturunterſchiede zwiſchen dem nackten Sande und den mit Gras bewachſenen Flecken hervorgebracht werden. Dieſe „Sandwinde“ ſteigern die erſtickende Hitze der Luft. Jedes Quarzkorn, weil es wärmer iſt als die umgebende Luft, ſtrahlt ringsum Wärme aus, und es hält ſchwer, die Lufttemperatur zu beobachten, ohne daß Sandteilchen gegen die Kugel des Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum ſchienen zum Himmel anzuſteigen, und die weite unermeßliche Einöde ſtellte ſich unſeren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen 1 Ich erinnere die Reiſenden an den Weg vom Urſernthal zum Gotthardshoſpiz und von da nach Airolo. — 268 — bedeckte See dar. Da die Dunſtmaſſen in der Luft ungleich verteilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein: andergelagerten Luftſchichten keine gleichförmige iſt, ſo zeigte ſich der Horizont in gewiſſen Richtungen hell und ſcharf be— grenzt, in anderen wellenförmig auf und ab gebogen und wie geſtreift. Erde und Himmel ſchmolzen dort ineinander. Durch den trockenen Nebel und die Dunſtſchichten gewahrte man in der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden Wipfel beraubt, erſchienen dieſe Stämme wie Schiffsmaſten, die am Horizont auftauchten. Der einförmige Anblick dieſer Steppen hat etwas Groß— artiges, aber auch etwas Trauriges und Niederſchlagendes. Es iſt als ob die ganze Natur erſtarrt wäre; kaum daß hin und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durch den Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Sa— vanne fällt. Der erſte Anblick der Llanos überraſcht vielleicht nicht weniger als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer, welches auch die abſolute Höhe ihrer höchſten Gipfel ſein mag, haben eine gemeinſame Phyſiognomie; aber nur ſchwer gewöhnt man ſich an den Anblick der Llanos von Venezuela und Caſanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco, die beſtändig, 20, 30 Tagereiſen lang, ein Bild der Meeres— fläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der ſpani⸗ ſchen Mancha und die Heiden (ericeta), die ſich von den Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Weſtfalen bis nach Belgien hinein erſtrecken. Letztere ſind wahre Steppen, von denen der Menſch ſeit Jahrhunderten nur kleine Strecken kulturfähig zu machen imſtande war; aber die Ebenen im Weſten und Norden von Europa geben nur ein ſchwaches Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im Südoſten unſeres Kontinentes, in Ungarn zwiſchen der Donau und der Theiß, in Rußland zwiſchen dem Dnjepr, dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weide— länder auf, die durch langen Aufenthalt der Waſſer geebnet ſcheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die ungariſchen Ebenen bereiſt habe, an den Grenzen Deutſchlands zwiſchen Preßburg und Oedenburg, beſchäftigen ſie die Ein— bildungskraft des Reiſenden durch das fortwährende Spiel der Luftſpiegelung; aber ihre weiteſte Erſtreckung iſt oſtwärts zwiſchen Czegled, Debreczin und Tittel. Es iſt ein grünes Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Waitzen, dem anderen zwiſchen Belgrad und Widdin. — 269 — Man glaubte die verſchiedenen Weltteile zu charakteri— ſieren, indem man ſagte, Europa habe Heiden, Aſien Steppen, Afrika Wüſten, Amerika Savannen; aber man ſtellt damit Gegenſätze auf, die weder in der Natur der Sache, noch im Geiſte der Sprachen gegründet find. Die aſiatiſchen Steppen ſind keineswegs überall mit Salzpflanzen bedeckt; in den Sa— vannen von Venezuela kommen neben den Gräſern kleine ' kraut— artige Mimoſen, Schotengewächſe und andere Dikotyledonen vor. Die Ebenen der Dſungarei, die zwiſchen Don und Wolga, die ungariſchen Pußten ſind wahre Savannen, Weideländer mit reichem Graswuchs, während auf den Savannen oſt- und weſtwärts von den Rocky Mountains” und von Neumexiko Chenopodien mit einem Gehalt von kohlenſaurem und ſalz— ſaurem Natron vorkommen. Aſien hat echte pflanzenloſe Wüſten, in Arabien, in der Gobi, in Perſien. Seit man die Wüſten im Inneren Afrikas, was man ſo lange unter dem allge— meinen Namen Sahara begriffen, näher kennen gelernt hat, weiß man, daß es im Oſten dieſes Kontinents, wie in Ara— bien, Savannen und Weideländer gibt, die von nackten, dürren Landſtrichen umgeben ſind. Letztere, mit loſem Geſtein bedeckte, ganz pflanzenloſe Wüſten, fehlen nun aber der Neuen Welt faſt ganz. Ich habe dergleichen nur im niederen Striche von Peru, zwiſchen Amotape und Coquimbo, am Geſtade der Süd— ſee geſehen. Die Spanier nennen ſie nicht Llanos, ſondern Deſiertos von Sechura und Atacamez. Dieſe Einöde iſt nicht breit, aber 1980 km lang. Die Gebirgsart kommt überall durch den Flugſand zu Tage. Es fällt niemals ein Tropfen Regen, und wie in der Sahara nördlich von Timbuktu findet ſich in der peruaniſchen Wüſte bei Huaura eine reiche Stein⸗ ſalzgrube. Ueberall ſonſt in der Neuen Welt gibt es öde, weil unbewohnte Flächen, aber keine eigentlichen Wüſten. Dieſelben Erſcheinungen wiederholen ſich in den ent— legenſten Landſtrichen, und ſtatt dieſe weiten baumloſen Ebenen nach den Pflanzen zu unterſcheiden, die auf ihnen vorkommen, unterſcheidet man wohl am einfachſten zwiſchen Wüſten und Steppen oder Savannen, zwiſchen nackten Landſtrichen ohne Spur von Pflanzenwuchs und Landſtrichen, die mit Gräſern oder kleinen Gewächſen aus der Klaſſe der Dikotyle— donen bedeckt ſind. In manchen Werken heißen die ameri— kaniſchen Savannen, namentlich die der gemäßigten Zone, Wieſen (Prärien); aber dieſe Bezeichnung paßt, wie mir dünkt, ſchlecht auf Weiden, die oft ſehr dürr, wenn auch mit — 270 — 1,3 bis 1,6 m hohen Kräutern bedeckt find. Die amerikani— ſchen Llanos oder Pampas ſind wahre Steppen. Sie ſind in der Regenzeit ſchön begrünt, aber in der trockenſten Jahres— zeit bekommen ſie das Anſehen von Wüſten. Das Kraut zer⸗ fällt zu Staub, der Boden berſtet, das Krokodil und die großen Schlangen liegen begraben im ausgedörrten Schlamm, bis die erſten Regengüſſe im Frühjahr ſie aus der langen Erſtarrung wecken. Dieſe Erſcheinungen kommen auf dürren Landſtrichen von 1000 bis 1200 qkm überall vor, wo keine Gewäſſer durch die Savanne ſtrömen; denn am Ufer der Bäche und der kleinen Stücke ſtehenden Waſſers ſtößt der Reiſende von Zeit zu Zeit ſelbſt in der dürrſten Jahreszeit auf Ge⸗ büſche der Mauritia, einer Palmenart, deren fächerförmige Blätter beſtändig glänzend grün ſind. Die aſiatiſchen Steppen liegen alle außerhalb der Wende— kreiſe und bilden ſehr hohe Plateaus. Auch Amerika hat auf dem Rücken der Gebirge von Mexiko, Peru und Quito Sa⸗ vannen von bedeutender Ausdehnung, aber ſeine ausgedehn⸗ teſten Steppen, die Llanos von Cumana, Caracas und Meta, erheben ſich nur ſehr wenig über dem Meeresſpiegel und fallen alle in die Aequinoktialzone. Dieſe Umſtände erteilen ihnen einen eigentümlichen Charakter. Die Seen ohne Abfluß, die kleinen Flußſyſteme, die ſich im Sande verlieren oder durch die Gebirgsart durchſeigen, wie fie den Steppen im öſt— lichen Aſien und den perſiſchen Wüſten eigen ſind, kommen hier nicht vor. Die amerikaniſchen Llanos fallen gegen Oſt und Süd und ihre ſtrömenden Gewäſſer laufen in den Orinoko. 5 Nach dem Laufe dieſer Flüſſe hatte ich früher geglaubt, daß die Ebenen Plateaus bilden müßten, die mindeſtens 195 bis 290 m über dem Meere gelegen wären. Ich dachte mir, auch die Wüſten im inneren Afrika müßten beträchtlich hoch liegen und ſtufenweiſe von den Küſten bis ins Innere des großen Kontinents übereinander aufſteigen. Bis jetzt iſt noch kein Barometer in die Sahara gekommen. Was aber die amerikaniſchen Llanos betrifft, ſo zeigen die Barometerhöhen, die ich zu Calabozo, zu Villa del Bao und an der Mündung des Meta beobachtet, daß ſie nicht mehr als 78 bis 97 m über dem Meeresſpiegel liegen. Die Flüſſe haben einen ſehr ſchwachen, oft kaum merklichen Fall. So kommt es, daß beim geringſten Winde, und wenn der Orinoko anſchwillt, die Flüſſe, die in ihn fallen, rückwärts gedrängt werden. Im Rio Arauca — 271 — bemerkt man häufig die Strömung nach oben. Die In⸗ dianer glauben einen ganzen Tag lang abwärts zu ſchiffen, während ſie von der Mündung gegen die Quellen fahren. Zwiſchen den abwärtsſtrömenden und den aufwärtsſtrömenden Gewäſſern bleibt eine bedeutende Waſſermaſſe ſtillſtehen, in der ſich durch Gleichgewichtsſtörung Wirbel bilden, die den Fahrzeugen gefährlich werden. Der eigentümlichſte Zug der Savannen oder Steppen Südamerikas iſt die völlige Abweſenheit aller Erhöhungen, die vollkommen wagerechte Lage des ganzen Bodens. Die ſpaniſchen Eroberer, die zuerſt von Coro her an die Ufer des Apure vordrangen, haben ſie daher auch weder Wüſten, noch Savannen, noch Prärien genannt, ſondern Ebenen, los Llanos. Auf 600 qkm zeigt der Boden oft keine fußhohe Unebenheit. Dieſe Aehnlichkeit mit der Meeresfläche drängt ſich der Ein⸗ bildungskraft beſonders da auf, wo die Ebenen gar keine Palmen tragen, und wo man von den Bergen an der Küſte und vom Orinoko ſo weit weg iſt, daß man dieſelben nicht ſieht, wie in der Meſa de Pavones. Dort könnte man ſich verſucht fühlen, mit einem Reflexionsinſtrument Sonnenhöhen aufzunehmen, wenn nicht der Landhorizont infolge des wechſelnden Spieles der Refraktionen, beſtändig in Nebel ge⸗ hüllt wäre. Dieſe Ebenheit des Bodens iſt noch vollſtändiger unter dem Meridian von Calabozo als gegen Oſt zwiſchen Cari, Villa del Pao und Nueva Barcelona; aber ſie herrſcht ohne Unterbrechung von den Mündungen des Orinoko bis zur Villa de Araure und Oſpinos, auf einer Parallele von 810 km, und von San Carlos bis zu den Savannen am Caqueta auf einem Meridian von 900 km. Sie vor allem iſt 1 An me Kontinent, er die aſia⸗ tiſchen Steppen zwiſchen dem Dnjepr und der Wolga, zwi⸗ schen dem Irtyſch und dem Ob. Dagegen debe i Ab en im inneren Afrika, in Arabien, Syrien und Perſien, die Gobi und die Gasna viele Bodenunebenheiten, Hügelreihen, waſſer⸗ loſe Schluchten und feſtes Geſtein, das aus dem Sande her— vorragt. Trotz der ſcheinbaren Gleichförmigkeit ihrer Fläche finden ſich indeſſen in den Llanos zweierlei Unebenheiten, die dem aufmerkſamen Beobachter nicht entgehen. Die erſte Art nennt man Bancos; es ſind wahre Bänke, Untiefen im Steppen⸗ becken, zerbrochene Schichten von feſtem Sandſtein oder Kalk⸗ ſtein, die 1,3 bis 1,6 m höher liegen als die übrige Ebene. — Dieſe Bänke find zuweilen 13 bis 18 km lang; fie find voll: kommen eben und wagerecht und man bemerkt ihr Vorhanden— ſein überhaupt nur dann, wenn man ihre Ränder vor ſich hat. Die zweite Unebenheit läßt ſich nur durch geodätiſche oder barometriſche Meſſungen oder am Laufe der Flüſſe er: kennen; ſie heißt Meſa. Es ſind dies kleine Plateaus, oder vielmehr konvexe Erhöhungen, die unmerklich zu einigen Metern Höhe anſteigen. Dergleichen ſind oſtwärts in der Provinz Cumana, im Norden von Villa de la Merced und Candelaria, die Meſas Amana, Guanipa und Jonoro, die von Südweſt nach Nordoſt ſtreichen und trotz ihrer unbedeutenden Höhe die Waſſer zwiſchen dem Orinoko und der Nordküſte von Terra Firma ſcheiden. Nur die ſanfte Wölbung der Savanne bildet die Waſſerſcheide; hier ſind die- Divortia aquarum,! wie in Polen, wo fern von den Karpathen die Waſſerſcheide zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meere in der Ebene ſelbſt liegt. Die Geographen ſetzen da, wo eine Waſſerſcheide iſt, immer Bergzüge voraus, und ſo ſieht man denn auch auf den Karten dergleichen um die Quellen des Rio Neveri, des Unare, des Guarapiche und des Pao eingezeichnet. Dies erinnert an die mongoliſchen Prieſter, die nach einem alten abergläubiſchen Brauche an allen Stellen, wo die Waſſer nach entgegengeſetzten Seiten fließen, Obos oder kleine Steinhaufen errichten. Das ewige Einerlei der Llanos, die große Seltenheit von bewohnten Plätzen, die Beſchwerden der Reiſe unter einem glühenden Himmel und bei ſtauberfüllter Luft, die Ausſicht auf den Horizont, der beſtändig vor einem zurückzuweichen ſcheint, die vereinzelten Palmſtämme, deren einer ausſieht wie der andere, und die man gar nicht erreichen zu können meint, weil man ſie mit anderen Stämmen verwechſelt, die nacheinander am Geſichtskreiſe auftauchen — all dies zuſammen macht, daß einem die Steppen noch weit größer vorkommen, als ſie wirklich ſind. Die Pflanzer am Südabhange des Küſtengebirges ſehen die Steppen grenzenlos, gleich einem grünen Ozean gegen Süd ſich ausdehnen. Sie wiſſen, daß man vom Delta des Orinoko bis in die Provinz Varinas und von dort über die Flüſſe Meta, Guaviare und Caguan, anfangs von Oſt nach Weſt, ſodann von Nordoſt nach Nordweſt, 1700 km weit in 1 Eixdus I. 38, e, 75. — 273 — den Steppen fortziehen kann, bis über den Aequator hinaus an den Fuß der Anden von Paſto. Sie kennen nach den Berichten der Reiſenden die Pampas von Buenos Ayres, die gleichfalls mit feinem Gras bewachſene, baumloſe Llanos ſind und von verwilderten Rindern und Pferden wimmeln. Sie ſind, nach Anleitung unſerer meiſten Karten von Amerika, der Meinung, der Kontinent habe nur eine Bergkette, die der Anden, die von Süd nach Nord läuft, und nach einem unbeſtimmten ſyſtematiſchen Begriffe laſſen ſie alle Ebenen vom Orinoko und vom Apure an bis zum Rio de la Plata und der Magelhaensſchen Meerenge untereinander zuſammen— hängen. Ich entwerfe im folgenden ein möglichſt klares und ge— drängtes Bild vom allgemeinen Bau eines Feſtlandes, deſſen Endpunkte, unter ſo verſchiedenen Klimaten ſie auch liegen, in mehreren Zügen miteinander übereinfommen. Um den Umriß und die Grenzen der Ebenen richtig aufzufaſſen, muß man die Bergketten kennen, welche den Uferrand derſelben bilden. Von der Küſtenkordillere, deren höchſter Gipfel die Silla bei Caracas iſt, und die durch den Paramo de las Roſas mit dem Nevado von Merida und den Anden von Neugranada zuſammenhängt, haben wir bereits geſprochen. Eine zweite Bergkette, oder vielmehr ein minder hoher, aber weit breiterer Bergſtock läuft zwiſchen dem 3. und 7. Parallelkreiſe von den Mündungen des Guaviare und Meta zu den Quellen des Orinoko, Marony und Eſſequibo, gegen das holländiſche und franzöſiſche Guyana zu. Ich nenne dieſe Kette die Kor— dillere der Parime oder der großen Fälle des Orinoko; man kann ſie 1125 km weit verfolgen, es iſt aber nicht ſowohl eine Kette, als ein Haufen granitiſcher Berge, zwiſchen denen kleine Ebenen liegen und die nicht überall Reihen bilden. Der Bergſtock der Parime verſchmälert ſich bedeutend zwiſchen den Quellen des Orinoko und den Bergen von Demerara zu den Sierren von Quimiropaca und Pacaraimo, welche die Waſſer⸗ ſcheide bilden zwiſchen dem Carony und dem Rio Parime oder Rio de Aguas blancas. Dies iſt der Schauplatz der Unter— nehmungen, um den Dorado aufzuſuchen und die große Stadt Manoa, das Timbuktu der Neuen Welt. Die Kordillere der Parime hängt mit den Anden von Neugranada nicht zuſammen; ſie ſind durch einen 360 km breiten Zwiſchenraum getrennt. Dächte man ſich, dieſelbe ſei hier durch eine große Erdum— wälzung zerſtört worden, was übrigens gar nicht wahrſcheinlich A. v. Humboldt, Reiſe. II. 18 iſt, ſo müßte man annehmen, ſie ſei einſt von den Anden zwiſchen Santa Fe de Bogota und Pamplona abgegangen. Dieſe Bemerkung mag dazu dienen, die geographiſche Lage dieſer Kordillere, die bis jetzt ſehr wenig bekannt geworden, dem Leſer beſſer einzuprägen. — Eine dritte Bergkette ver⸗ bindet unter dem 16. und 18. Grad ſüdlicher Breite (über Santa Cruz de la Sierra, die Serranias von Aguapehy und die vielberufenen Campos dos Parecis) die peruaniſchen Anden mit den Gebirgen Braſiliens. Dies iſt die Kordillere von Chiquitos, die in der Capitania von Minas Geraes breiter wird und die Waſſerſcheide zwiſchen dem Amazonenſtrome und dem La Plata bildet, nicht nur im inneren Lande, im Meridian von Villa Boa, ſondern bis wenige Meilen von der Küſte, zwiſchen Rio de Janeiro und Bahia. Dieſe drei Querketten oder vielmehr dieſe drei Berg: ſtöcke, welche innerhalb der Grenzen der heißen Zone von Weſt nach Oſt ſtreichen, find durch völlig ebene Landſtriche getrennt, die Ebenen von Caracas oder am unteren Ori— noko, die Ebenen des Amazonenſtromes und des Rio Negro, die Ebenen von Buenos Ayres oder des La Plata. Ich brauche nicht den Ausdruck Thäler, weil der untere Orinoko und der Amazonenſtrom keineswegs in einem Thale fließen, ſondern nur in einer weiten Ebene eine kleine Rinne bilden. Die beiden Becken an den beiden Enden Südamerikas ſind Savannen oder Steppen, baumloſe Weiden; das mittlere Becken, in welches das ganze Jahr die tropiſchen Regen fallen, iſt faſt durchgängig ein ungeheurer Wald, in dem es keinen anderen Pfad gibt als die Flüſſe. Wegen des kräftigen Pflanzenwuchſes, der den Boden überzieht, fällt hier die Eben⸗ heit desſelben weniger auf, und nur die Becken von Caracas und La Plata nennt man Ebenen. In der Sprache der Koloniſten heißen die drei eben beſchriebenen Becken: die Llanos von Varinas und Caracas, die Bosques oder Selvas (Wälder) des Amazonenſtromes, und die Pampas von Buenos Ayres. Der Wald bedeckt nicht nur größtenteils die Ebenen des Amazonenſtromes von der Kordillere von Chiquitos bis zu der der Parime, er überzieht auch dieſe beiden Bergketten, welche ſelten die Höhe der Pyrenäen erreichen. Deshalb ſind die weiten Ebenen des Amazonen— ſtromes, des Madeira und Rio Negro nicht ſo ſcharf begrenzt wie die Llanos von Caracas und die Pampas von Buenos Ayres. Da die Waldregion Ebenen und Gebirge zugleich — 275 — begreift, ſo erſtreckt ſie ſich vom 18. Grad ſüdlicher bis zum 7. und 8. Grad nördlicher Breite und umfaßt gegen 2430 000 qkm. Dieſer Wald des ſüdlichen Amerika, denn im Grunde iſt es nur einer, iſt ſechsmal größer als Frankreich; die Europäer kennen ihn nur an den Ufern einiger Flüſſe, die ihn durch⸗ ſtrömen, und er hat Lichtungen, deren Umfang mit dem des Forſtes im Verhältnis ſteht. Wir werden bald an ſumpfigen Savannen zwiſchen dem oberen Orinoko, dem Conorichite und Caſſiquiare, unter dem 3. und 4. Grad der Breite, vor⸗ überkommen. Unter demſelben Parallelkreiſe liegen andere Lichtungen oder Savanas limpias! zwiſchen den Quellen des Mao und des Rio de Nauas blancas, ſüdlich von der Sierra Pacaraima. Dieſe letzteren Savannen ſind von Ka— riben und nomadiſchen Macuſi bewohnt; ſie ziehen ſich bis nahe an die Grenzen des holländiſchen und franzöſiſchen Guyana fort. Wir haben die geologiſchen Verhältniſſe von Südamerika geſchildert; heben wir jetzt die Hauptzüge heraus. Den Weſt⸗ küſten entlang läuft eine ungeheure Gebirgsmauer, reich an edlen Metallen überall, wo das vulkaniſche Feuer ſich nicht durch den ewigen Schnee Bahn gebrochen: dies iſt die Kor— dillere der Anden. Gipfel von Trappporphyr ſteigen hier zu mehr als 6430 m Höhe auf, und die mittlere Höhe der Kette beträgt 3595 m. Sie ſtreicht in der Richtung eines Meridians fort und ſchickt in jeder Halbkugel, unter dem 10. Grad nördlicher und unter dem 16. und 18. Grad ſüd⸗ licher Breite einen Seitenzweig ab. Der erſtere dieſer Zweige, die Küſtenkordillere von Caracas, iſt minder breit und bildet eine eigentliche Kette. Der zweite, die Kordillere von Chi— quitos und an den Quellen des Guapore, iſt ſehr reich an Gold und breitet ſich oſtwärts, in Braſilien, zu weiten Plateaus mit gemäßigtem Klima aus. Zwiſchen dieſen beiden mit den Anden zuſammenhängenden Querketten liegt vom 3. zum 7. Grad nördlicher Breite eine abgeſonderte Gruppe granitiſcher Berge, die gleichfalls parallel mit dem Aequator, jedoch nicht über den 71. Grad der Länge fortſtreicht, dort gegen Weſten raſch abbricht und mit den Anden von Neugranada nicht zuſammen⸗ hängt. Dieſe drei Querketten haben keine thätigen Vulkane; wir wiſſen aber nicht, ob auch die ſüdlichſte, gleich den beiden 1 Offene baumloſe Savannen, limpias de arboles. — 276 — anderen, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere Höhe der Kordillere der Parime und der Küſtenkordillere von Caracas beträgt nicht ganz 1170 m, wobei übrigens manche Gipfel ſich doch 2730 m über das Meer erheben. Zwiſchen den drei Querketten liegen Ebenen, die ſämtlich gegen Weſt geſchloſſen, gegen Oſt und Südoſt offen ſind. Bedenkt man ihre ſo unbedeutende Höhe über dem Meere, ſo fühlt man ſich verſucht, ſie als Golfe zu betrachten, die in der Richtung des Rotationsſtromes fortſtreichen. Wenn infolge einer un: gewöhnlichen Anziehung die Gewäſſer des Atlantiſchen Meeres an der Mündung des Orinoko um 100 m, an der Mündung des Amazonenſtromes um 390 m ſtiegen, ſo würde die Flut mehr als die Hälfte von Südamerika bedecken. Der Oſtabhang oder der Fuß der Anden, der jetzt 2700 km von den Küſten Braſiliens abliegt, wäre ein von der See beſpültes Ufer. Dieſe Betrachtung gründet ſich auf eine barometriſche Meſſung in der Provinz Jagen de Bracamoros, wo der Amazonenſtrom aus den Kordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß dort der ungeheure Strom bei mittlerem Waſſerſtande nur 378 m über dem gegenwärtigen Spiegel des Atlantiſchen Meeres liegt. Und dieſe in der Mitte gelegenen waldbedeckten Ebenen liegen noch fünfmal höher als die grasbewachſenen Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas und am Meta. ’ Dieſe Llanos, welche das Becken des unteren Orinoko bilden und die wir zweimal im ſelben Jahre, in den Monaten März und Juli, durchzogen haben, hängen zuſammen mit dem Becken des Amazonenſtromes und des Rio Negro, das einerſeits durch die Kordillere von Chiquitos, andererſeits durch die Gebirge der Parime begrenzt iſt. Dieſer Zuſammen⸗ hang vermittelt ſich durch die Lücke zwiſchen den letzteren und den Anden von Neugranada. Der Boden in ſeinem Anblick erinnert hier, nur daß der Maßſtab ein weit größerer iſt, an die lombardiſchen Ebenen, die ſich auch nur 100 bis 120 m über das Meer erheben und einmal von der Brenta nach Turin von Oſt nach Weſt, dann von Turin nach Coni von Nord nach Süd ſtreichen. Wenn andere geologiſche That⸗ ſachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am unteren Orinoko, am Amazonenſtrom und am Rio de la Plata als alte Seebecken zu betrachten, ſo ließen ſich die Ebenen am Rio Vichada und am Meta als ein Kanal anſehen, durch den — 27 — die Waſſer des oberen Sees, des auf den Ebenen des Ama— zonenſtromes, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas, durchgebrochen wären und dabei die Kordillere der Parime von der der Anden getrennt hätten. Dieſer Kanal iſt eine Art Land⸗Meerenge (detroit terrestre). Der durchaus ebene Boden zwiſchen dem Guaviare, dem Meta und Apure zeigt keine Spur von gewaltſamem Einbruch der Gewäſſer; aber am Rande der Kordillere der Parime, zwiſchen dem 4. und 7. Grad der Breite, hat ſich der Orinoko, der von ſeiner Quelle bis zur Einmündung des Guaviare weſtwärts fließt, auf ſeinem Laufe von Süd nach Nord durch das Geſtein einen Weg ge— brochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald ſehen werden, auf dieſer Strecke. Aber mit der Einmündung des Apure, dort, wo im ſo niedrig gelegenen Lande der Abhang gegen Nord mit dem Gegenhang nach Südoſt zuſammentrifft, das heißt mit der Böſchung der Ebenen, die unmerklich gegen die Gebirge von Caracas anſteigen, macht der Fluß wieder eine Biegung und ſtrömt ſofort oſtwärts. Ich glaubte den Leſer ſchon hier auf dieſe ſonderbaren Windungen des Orts noko aufmerkſam machen zu müſſen, weil er mit ſeinem Laufe, als zwei Becken zumal angehörend, ſelbſt auf den mangelhafteſten Karten gewiſſermaßen die Richtung des Teiles der Ebenen bezeichnet, der zwiſchen die Anden von Neu⸗ granada und den weſtlichen Saum der Gebirge der Parime eingeſchoben iſt. Die Llanos oder Steppen am unteren Orinoko und am Meta führen, gleich den afrikaniſchen Wüſten, in ihren ver⸗ ſchiedenen Strichen verſchiedene Namen. Von den Bocas del Dragon an folgen von Oſt nach Weſt aufeinander: die Llanos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder Venezuela. Wo die Steppen vom 8. Breitengrade an, zwiſchen dem 70. und 73. Grad der Länge, ſich nach Süd und Süd⸗ Süd⸗Weſt wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos von Varinas, Caſanare, Meta, Guaviare, Caguan und Ca⸗ queta. In den Ebenen von Varinas kommen einige nicht ſehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein nicht mehr vorhandenes Volk deuten. Man findet zwiſchen Mijagual und dem Cano de la Hacha wahre Grabhügel, dortzulande Serrillos de los Indios genannt. Es ſind kegelförmige Er⸗ höhungen, aus Erde von Menſchenhand aufgeführt, und ſie bergen ohne Zweifel menſchliche Gebeine, wie die Grabhügel in den aſiatiſchen Steppen. Ferner beim Hato de la Calzada, — ey, zwiſchen Varinas und Caragua, ſieht man eine hübſche Straße, 22,5 km lang, vor der Eroberung, in ſehr alter Zeit von den Eingeborenen angelegt. Es iſt ein Erddamm, 5 m hoch, der über eine häufig überſchwemmte Ebene führt. Hatten ſich etwa civiliſiertere Völker von den Gebirgen von Truxillo und Merida über die Ebenen am Rio Apure verbreitet? Die heu— tigen Indianer zwiſchen dieſem Fluß und dem Meta ſind viel zu verſunken, um an die Errichtung von Kunſtſtraßen oder Grabhügeln zu denken. 5 Ich habe den Flächenraum dieſer Llanos von der Caqueta bis zum Apure und vom Apure zum Delta des Orinoko auf 345 000 qkm berechnet. Der von Nord nach Süd ſich er— ſtreckende Teil iſt beinahe doppelt ſo groß als der von Oſt nach Weſt zwiſchen dem unteren Orinoko und der Küſten— kordillere von Caracas ſtreichende. Die Pampas nord- und nordweſtwärts von Buenos Ayres, zwiſchen dieſer Stadt und Cordova, Jujuy und Tucuman, ſind ungefähr ebenſo groß als die Llanos; aber die Pampas ſetzen ji) noch 18° weiter nach Süd fort, und ſie erſtrecken ſich über einen jo - weiten Landſtrich, daß am einen Saume Palmen wachſen, während der andere, ebenſo niedrig gelegene und ebene, mit ewigem Eis bedeckt iſt. Die amerikaniſchen Llanos ſind da, wo ſie parallel mit dem Aequator ſtreichen, viermal ſchmäler als die große afri— kaniſche Wüſte. Dieſer Umſtand iſt von großer Bedeutung in einem Landſtrich, wo die Richtung der Winde beſtändig von Oſt nach Weſt geht. Je weiter Ebenen in dieſer Richtung ſich erſtrecken, deſto heißer iſt ihr Klima. Das große afri⸗ kaniſche Sandmeer hängt über Yemen mit Gedroſia und Be⸗ ludſchiſtan bis ans rechte Ufer des Indus zuſammen, und infolge der Winde, die über die oſtwärts 1 Wüſten weggegangen ſind, iſt das Becken des Roten Meeres, in der Mitte von Ebenen, welche auf allen Punkten Wärme ſtrahlen, eine der heißeſten Gegenden des Erdballs. Der unglückliche Kapitän Tuckey berichtet, daß der hundertteilige Thermo— meter ſich dort faſt immer bei Nacht auf 34, bei Tag auf 40 bis 44° hält. Wie wir bald ſehen werden, haben wir ſelbſt im weſtlichen Teile der Steppen von Caracas die Tem: peratur der Luft, im Schatten und vom Boden entfernt, ſelten über 37“ gefunden. An dieſe phyſikaliſchen Betrachtungen über die Steppen der Neuen Welt knüpfen ſich andere, höhere, ſolche, die ſich BR — 279 — auf die Geſchichte unſerer Gattung beziehen. Das große afrikaniſche Sandmeer, die waſſerloſen Wüſten ſind nur von Karawanen beſucht, die bis zu 50 Tagen brauchen, ſie zu durchziehen. Die Sahara trennt die Völker von Negerbildung von den Stämmen der Araber und Berbern und iſt nur in den Oaſen bewohnt. Weiden hat ſie nur im öſtlichen Striche, wo als Wirkung der Paſſatwinde die Sandſchicht weniger dick iſt, ſo daß die Quellen zu Tage brechen können. Die Steppen Amerikas ſind nicht ſo breit, nicht ſo glühend heiß, ſie werden von herrlichen Strömen befruchtet und ſind ſo dem Verkehr der Völker weit weniger hinderlich. Die Llanos trennen die Küſtenkordillere von Caracas und die Anden von Neugranada von der Waldregion, von jener Hyläa! des Ori— noko, die ſchon bei der Entdeckung Amerikas von Völkern bewohnt war, welche auf einer weit tieferen Stufe der Kultur ſtanden, als die Bewohner der Küſten und vor allen des Ge— birgslandes der Kordilleren. Indeſſen waren die Steppen einſt ſo wenig eine Schutzmauer der Kultur, als ſie gegen— wärtig für die in den Wäldern lebenden Horden eine Schutz⸗ mauer der Freiheit ſind. Sie haben die Völker am unteren Orinoko nicht abgehalten, die kleinen Flüſſe hinaufzufahren und nach Nord und Weſt Einfälle ins Land zu machen. Hätte es die mannigfaltige Verbreitung der Geſchlechter über die Erde mit ſich gebracht, daß das Hirtenleben in der Neuen Welt beſtehen konnte; hätten vor der Ankunft der Spanier auf den Llanos und Pampas ſo zahlreiche Herden von Rindern und Pferden geweidet wie jetzt, ſo wäre Kolumbus das Men— ſchengeſchlecht hier in ganz anderer Verfaſſung entgegengetreten. Hirtenvölker, die von Milch und Käſe leben, wahre Nomaden hätten dieſe weiten, miteinander zuſammenhängenden Ebenen durchzogen. In der trockenen Jahreszeit und ſelbſt zur Zeit der Ueberſchwemmungen hätten ſie den Beſitz der Weiden einander ſtreitig gemacht, ſie hätten einander unterjocht und, vereint durch das gemeinſame Band der Sitten, der Sprache und der Gottesverehrung, ſich zu der Stufe von Halbkultur erhoben, die uns bei den Völkern mongoliſchen und tatariſchen Stammes überraſchend entgegentritt. Dann hätte Amerika, gleich dem mittleren Aſien, ſeine Eroberer gehabt, welche aus den Ebenen zum Plateau der Kordilleren hinaufſtiegen, dem 1 Tai. Herodot, Melpomene. j j hr — 280 — umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka und des Zaque! umſtürzten und an die Stelle des Deſpo⸗ tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Deſpotismus ſetzten, wie ihn das patriarchaliſche Regiment der Hirtenvölker mit ſich bringt. Die Menſchheit der Neuen Welt hat dieſe großen moraliſchen und politiſchen Wechſel nicht durchgemacht, und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die aſiatiſchen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich iſt, und weil in der Entwickelung amerikaniſcher Kultur das a zwiſchen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern fehlte. N Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten gegenüber den Wüſten Afrikas und den fruchtbaren Steppen Aſiens ſchienen mir geeignet, den Bericht einer Reiſe durch ſo einförmige Landſtriche anziehender zu machen. Jetzt aber mag mich der Leſer auf unſerem Wege von den vulkani⸗ ſchen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas begleiten. 5 Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver— geblich unter Gebüſch von Murichipalmen Schutz gegen die Sonnenglut geſucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen Hofe „El Cayman“, auch la Guadelupe genannt. Es iſt dies ein Hato de Ganado, das heißt ein einſames Haus in der Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, iſt nicht ein⸗ gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren Quadratmeilen. Nirgends iſt eine Umzäunung. Männer, bis zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, ſtreifen zu Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be⸗ halten, zurückzutreiben, was ſich zu weit von den Weiden des Hofes verläuft, mit dem glühenden Eiſen zu zeichnen, was noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Dieſe Far⸗ bigen, Peones Llaneros genannt, ſind zum Teil Freie oder 1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca. 1 teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von raca. — 281 — Freigelaſſene, zum Teil Sklaven. Nirgends iſt der Menſch ſo anhaltend dem ſengenden Strahl der tropiſchen Sonne aus⸗ geſetzt. Sie nähren ſich von luftdürrem, ſchwach geſalzenem Fleiſch; ſelbſt ihre Pferde freſſen es zuweilen. Sie ſind be⸗ ſtändig im Sattel und meinen nicht, den unbedeutendſten Gang zu Fuß machen zu können. Wir trafen im Hof einen alten Negerſklaven, der in der Abweſenheit des Herrn das Regiment führte. Herden von mehreren tauſend Kühen ſollten in der Steppe weiden; trotzdem baten wir vergeblich um einen Topf Milch. Man reichte uns in Tutumofrüchten gelbes, ſchlam— miges, ſtinkendes Waſſer: es war aus einem Sumpf in der Nähe geſchöpft. Die Bewohner der Llanos ſind ſo träg, daß ſie gar keine Brunnen graben, obgleich man wohl weiß, daß ſich faſt allenthalben in 3 m Tiefe gute Quellen in einer Schicht von Konglomerat oder rotem Sandſtein finden. Nach⸗ dem man die eine Hälfte des Jahres durch die Ueberſchwem— mungen gelitten, erträgt man in der anderen geduldig den peinlichſten Waſſermangel. Der alte Neger riet uns, das Gefäß mit einem Stück Leinwand zu bedecken und ſo gleich— ſam durch ein Filtrum zu trinken, damit uns der üble Geruch nicht beläſtigte und wir vom feinen, gelblichen Thon, der im Waſſer ſuſpendiert iſt, nicht ſo viel zu verſchlucken hätten. Wir ahnten nicht, daß wir von nun an monatelang auf dieſes Hilfsmittel angewieſen ſein würden. Auch das Waſſer des Orinoko hat ſehr viele erdige Beſtandteile; es iſt ſogar 2 Fiat wo in Flußſchlingen tote Krokodile auf den Sand⸗ änken liegen oder halb im Schlamm ſtecken. Kaum war abgepackt und unſere Inſtrumente aufgeſtellt, ſo ließ man unſere Maultiere laufen und, wie es dort heißt, „Waſſer in der Savanne ſuchen“. Rings um den Hof ſind kleine Teiche; die Tiere finden ſie, geleitet von ihrem Inſtinkt, von den Mauritiagebüſchen, die hie und da zu ſehen ſind, und von der feuchten Kühlung, die ihnen in einer Atmoſphäre, die uns ganz ſtill und regungslos erſcheint, von kleinen Luft: ſtrömen zugeführt wird. Sind die Waſſerlachen zu weit ent⸗ fernt und die Knechte im Hof zu faul, um die Tiere zu dieſen natürlichen Tränken zu führen, fo ſperrt man ſie 5, 6 Stun⸗ den lang in einen recht heißen Stall, bevor man ſie laufen läßt. Der heftige Durſt ſteigert dann ihren Scharfſinn, in⸗ dem er gleichſam ihre Sinne und ihren Inſtinkt ſchärft. So⸗ wie man den Stall öffnet, ſieht man Pferde und Maultiere, die letzteren beſonders, vor deren Spürkraft die Intelligenz — 282 — der Pferde zurückſtehen muß, in die Savanne hinausjagen. Den Schwanz hoch gehoben, den Kopf zurückgeworfen, laufen ſie gegen den Wind und halten zuweilen an, wie um den Raum auszukundſchaften; ſie richten ſich dabei weniger nach den Eindrücken des Geſichts als nach denen des Geruchs, und endlich verkündet anhaltendes Wiehern, daß ſich in der Richtung ihres Laufs Waſſer findet. In den Llanos geborene Pferde, die ſich lange in umherſchweifenden Rudeln frei ge— tummelt haben, ſind in allen dieſen Bewegungen raſcher und kommen dabei leichter zum Ziele als ſolche, die von der Küſte herkommen und von zahmen Pferden abſtammen. Bei den meiſten Tieren, wie beim Menſchen, vermindert ſich die Schärfe der Sinne durch lange Unterwürfigkeit und durch die Gewöh— nungen, wie feſte Wohnſitze und die Fortſchritte der Kultur ſie mit ſich bringen. Wir gingen unſeren Maultieren nach, um zu einer der Lachen zu gelangen, aus denen man das trübe Waſſer ſchöpft, das unſeren Durſt ſo übel gelöſcht hatte. Wir waren mit Staub bedeckt, verbrannt vom Sandwind, der die Haut noch mehr angreift als die Sonnenſtrahlen. Wir ſehnten uns nach einem Bad, fanden aber nur ein großes Stück ſtehenden Waſſers, mit Palmen umgeben. Das Waſſer war trüb, aber zu unſerer großen Verwunderung etwas kühler als die Luft. Auf unſerer langen Reiſe gewöhnt, zu baden, ſo oft ſich Ge⸗ legenheit dazu bot, oft mehrmals des Tages, beſannen wir uns nicht lange und ſprangen in den Teich. Kaum war das behagliche Gefühl der Kühlung über uns gekommen, als ein Geräuſch am entgegengeſetzten Ufer uns ſchnell wieder aus dem Waſſer trieb. Es war ein Krokodil, das ſich in den Schlamm grub. Es wäre unvorſichtig geweſen, zur Nachtzeit an dieſem ſumpfigen Ort zu verweilen. Wir waren nur etwas über 1 km vom Hof entfernt, wir gingen aber über eine Stunde und kamen nicht hin. Wir wurden zu ſpät gewahr, daß wir eine falſche Richtung ein: geſchlagen. Wir hatten bei Anbruch der Nacht, noch ehe die Sterne ſichtbar wurden, den Hof verlaſſen und waren aufs Geratewohl in der Ebene fortgegangen. Wir hatten, wie immer, einen Kompaß bei uns; auch konnten wir uns nach der Stellung des Canopus und des ſüdlichen Kreuzes leicht orientieren; aber all dies half uns nichts, weil wir nicht ges wiß wußten, ob wir vom Hof weg nach Oſt oder nach Süd gegangen waren. Wir wollten an unſeren Badeplatz zurück — 283 — und gingen wieder drei Viertelſtunden, ohne den Teich zu finden. Oft meinten wir, Feuer am Horizont zu ſehen; es waren auf— gehende Sterne, deren Bild durch die Dünſte vergrößert wurde. Nachdem wir lange in der Savanne umhergeirrt, beſchloſſen wir, unter einem Palmbaume, an einem recht trockenen, mit kurzem Gras bewachſenen Ort uns niederzuſetzen; denn friſch angekommene Europäer fürchten ſich immer mehr vor den Waſſerſchlangen als vor den Jaguaren. Wir durften nicht hoffen, daß unſere Führer, deren träge Gleichgültigkeit uns wohl bekannt war, uns in der Savanne ſuchen würden, bevor ſie ihre Lebensmittel zubereitet und abgeſpeiſt hätten. Je bedenklicher unſere Lage war, deſto freudiger überraſchte uns ferner Hufſchlag, der auf uns zukam. Es war ein mit einer Lanze bewaffneter Indianer, der vom „Rodeo“ zurückkam, das heißt von der Streife, durch die man das Vieh auf einen be: ſtimmten Raum zuſammentreibt. Beim Anblick zweier Weißen, die verirrt ſein wollten, dachte er zuerſt an irgend eine böſe Lift von unſerer Seite, und es koſtete uns Mühe, ihm Ber: trauen einzuflößen. Endlich ließ er ſich willig finden, uns zum Hof zu führen, ritt aber dabei in einem kurzen Trott weiter. Unſere Führer verſicherten, „ſie hätten bereits ange— fangen, beſorgt um uns zu werden“, und dieſe Beſorgnis zu rechtfertigen, zählten ſie eine Menge Leute her, die, in den Llanos verirrt, im Zuſtand völliger Erſchöpfung gefunden worden. Die Gefahr kann begreiflich nur dann ſehr groß ſein, wenn man weit von jedem Wohnplatz abkommt, oder wenn man, wie es in den letzten Jahren vorgekommen iſt, von Räubern geplündert und an Leib und Händen an einen Palmſtamm gebunden wird. Um von der Hitze am Tage weniger zu leiden, brachen wir ſchon um 2 Uhr in der Nacht auf und Juſſten vor Mittag Calabozo zu erreichen, eine kleine Stadt mit lebhaftem Handel, die mitten in den Llanos liegt. Das Bild der Land— ſchaft iſt immer dasſelbe. Der Mond ſchien nicht, aber die großen Haufen von Nebelſternen, die den ſüdlichen Himmel ſchmücken, beleuchteten im Niedergang einen Teil des Land— horizonts. Das erhabene Schauſpiel des Sternengewölbes in ſeiner unermeßlichen Ausdehnung, der friſche Luftzug, der bei Nacht über die Ebene ſtreicht, das Wogen des Graſes, überall wo es eine gewiſſe Höhe erreicht — alles erinnert uns an die hohe See. Vollends ſtark wurde die Täuſchung (man kann es nicht oft genug ſagen), als die Sonnenſcheibe am — Horizont erſchien, ihr Bild durch die Strahlenbrechung ſich verdoppelte, ihre Abplattung nach kurzer Friſt verſchwand, und ſie nun raſch gerade zum Zenith aufſtieg. Sonnenaufgang iſt auch in den Ebenen der kühlſte Zeit⸗ punkt am Tage; aber dieſer Temperaturwechſel macht keinen bedeutenden Eindruck auf die Organe. Wir ſahen den Thermo⸗ meter meiſt nicht unter 27,5% fallen, während bei Acapulco in Mexiko auf gleichfalls ſehr tiefem Boden die Temperatur um Mittag oft 32°, bei Sonnenaufgang 17 bis 18° beträgt. In den Llanos abſorbiert die ebene, bei Tag niemals be⸗ ſchattete Fläche ſo viel Wärme, daß Erde und Luft, trotz der nächtlichen Strahlung gegen einen wolkenloſen Himmel, von Mitternacht bis zu Sonnenaufgang ſich nicht merkbar ab: kühlen können. In Calabozo war im März die Temperatur bei Tag 31 bis 32,5%, bei Nacht 28 bis 29%. Die mittlere Temperatur dieſes Monates, der nicht der heißeſte im Jahre iſt, mag etwa 30,6“ ſein, eine ungeheure Hitze für ein Land unter den Tropen, wo Tage und Nächte faſt immer gleich lang ſind. In Kairo iſt die mittlere Temperatur des heißeſten Monats nur 29,9“, in Madras 31,8“, und zu Abuſchär im perſiſchen Meerbuſen, von wo Reihen von Beobachtungen vor: liegen, 34°; aber die mittleren Temperaturen des ganzen Jahres ſind in Madras und Abuſchär niedriger als in Cala⸗ bozo. Obgleich ein Teil der Llanos, gleich den fruchtbaren Steppen Sibiriens, von kleinen Flüſſen durchſtrömt wird, und ganz dürre Striche von Land umgeben ſind, das in der Regen⸗ zeit unter Waſſer ſteht, ſo iſt die Luft dennoch im allgemeinen äußerſt trocken. Delues Hygrometer zeigte bei Tag 34°, bei Nacht 36°. Wie die Sonne zum Zenith aufſtieg und die Erde und die übereinander gelagerten Luftſchichten verſchiedene Tempera⸗ turen annahmen, zeigte ſich das Phänomen der Luftſpiege— lung mit ſeinen mannigfaltigen Abänderungen. Es iſt dies in allen Zonen eine ganz gewöhnliche Erſcheinung, und ich erwähne hier derſelben nur, weil wir Halt machten, um die Breite des Luftraumes zwiſchen dem Horizonte und dem auf— gezogenen Bilde mit einiger Genauigkeit zu meſſen. Das Bild war immer hinaufgezogen, aber nicht verkehrt. Die kleinen, über die Bodenfläche wegſtreichenden Luftſtröme hatten eine ſo 22 R. — 285 — veränderliche Temperatur, daß in einer Herde wilder Ochſen manche mit den Beinen in der Luft zu ſchweben ſchienen, während andere auf dem Boden ſtanden. Der Luftſtrich war, je nach der Entfernung des Tieres, 3 bis 4 Minuten breit. Wo Gebüſche der Mauritiapalme in langen Streifen hinliefen, ſchwebten die Enden dieſer grünen Streifen in der Luft, wie die Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegenſtand meiner Beobachtungen geweſen. Ein unterrichteter Mann verſicherte uns, er habe zwiſchen Calabozo und Uritucu das verkehrte Bild eines Tieres geſehen, ohne direktes Bild. Niebuhr hat in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters meinten wir am Horizont Grabhügel und Türme zu erblicken, die von Zeit zu Zeit verſchwanden, ohne daß wir die wahre Geſtalt der Gegenſtände auszumitteln vermochten. Es waren wohl Erdhaufen, kleine Erhöhungen, jenſeits des gewöhnlichen Ge— ſichtskreiſes gelegen. Ich ſpreche nicht von den pflanzenloſen Flächen, die ſich als weite Seen mit wogender Oberfläche dar— ſtellten. Wegen dieſer Erſcheinung, die am früheſten beobachtet worden iſt, heißt die Luftſpiegelung im Sanskrit ausdrucks— voll die Sehnſucht (der Durſt) der Ant ilope. Die häu⸗ figen Anſpielungen der indiſchen, perſiſchen und arabiſchen Dichter auf dieſe magiſchen Wirkungen der irdiſchen Strahlen— brechung ſprechen uns ungemein an. Die Griechen und Römer waren faſt gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem Reichtum ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten ſie wenig Sinn für eine ſolche Poeſie der Wüſte. Die Ge— burtsſtätte derſelben iſt Aſien; den Dichtern des Orientes wurde ſie durch die natürliche Beſchaffenheit ihrer Länder an die Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die ſich gleich Meeresarmen und Buchten zwiſchen Länder eindrängen, welche die Natur mit überſchwenglicher Fruchtbarkeit geſchmückt, wurde für ſie zu einer Quelle der Begeiſterung. Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh, das ſich bei Nacht längs der Teiche oder unter Murichi- und Rhopalabüſchen gelagert hatte, ſammelte ſich zu Herden, und die Einöde bevölkerte ſich mit Pferden, Maultieren und Rin⸗ dern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als freie Tiere leben, ohne feſten Wohnplatz, der Pflege und des Schutzes der Menſchen leicht entbehrend. In dieſen heißen Landſtrichen ſind die Stiere, obgleich von ſpaniſcher Raſſe wie die auf den kalten Plateaus von Quito, von ſanfterem Tem⸗ perament. Der Reiſende läuft nie Gefahr, angefallen und — 288 verfolgt zu werden, was uns bei unſeren Wanderungen auf dem Rücken der Kordilleren oft begegnet iſt. Dort iſt das Klima rauh, zu heftigen Stürmen geneigt, die Landſchaft hat einen wilderen Charakter und das Futter iſt nicht ſo reichlich. In der Nähe von Calabozo ſahen wir Herden von Rehen friedlich unter Pferden und Rindern weiden. Sie heißen Matacani; ihr Fleiſch iſt ſehr gut. Sie ſind etwas größer als unſere Rehe und gleichen Damhirſchen mit ſehr glattem, fahlbraunem, weiß getupftem Fell. Ihre Geweihe ſchienen mir einfache Spieße. Sie waren faſt gar nicht ſcheu und in Rudeln von 30 bis 40 Stück bemerkten wir mehrere ganz weiße. Dieſe Spielart kommt bei den großen Hirſchen in den kalten Landſtrichen der Anden häufig vor; in dieſen tiefen, heißen Ebenen mußten wir ſie auffallend finden. Ich habe ſeitdem gehört, daß ſelbſt beim Jaguar in den heißen Land— ſtrichen von Paraguay zuweilen Albinos vorkommen, mit ſo gleichförmig weißem Fell, daß man die Flecke oder Ringe nur im Reflex der Sonne bemerkt. Die Matacani oder kleinen Damhirſche ſind ſo häufig in den Llanos, daß ihre Häute einen Handelsartikel abgeben könnten. Ein gewandter Jäger könnte über zwanzig im Tage ſchießen. Aber die Einwohner ſind ſo träge, daß man ſich oft gar nicht die Mühe nimmt, dem Tiere die Haut abzuziehen. Ebenſo iſt es mit der Jagd auf den Jaguar oder großen ameri⸗ kaniſchen Tiger. Ein Jaguarfell, für das man in den Steppen von Varinas nur 1 Piaſter bezahlt, koſtet in Cadiz 4 bis 5 Piaſter. e Die Steppen, die wir durchzogen, ſind haupſächlich mit Gräſern bewachſen, mit Killingia, Cenchrus, Paspalum. Dieſe Gräſer waren in dieſer Jahreszeit bei Calabozo und San Ge: ronimo del Pirital kaum 23 bis 26 em hoch. An den Flüſſen Apure und Portugueſa wachſen ſie bis 1,3 m hoch, ſo daß der Jaguar ſich darin verſtecken und die Pferde und Maul: tiere in der Ebene überfallen kann. Unter die Gräſer miſchen ſich einige Dikotyledonen, wie Turnera, Malvenarten und, was ſehr auffallend iſt, kleine Mimoſen mit reizbaren Blättern von den Spaniern Dormideras genannt. Derſelbe Rinder⸗ ſtamm, der in Spanien mit Klee und Eſpen gemäſtet wird, findet hier ein treffliches Futter an den krautartigen Senſi⸗ tiven. Die Weiden, wo dieſe Senſitiven beſonders häufig vorkommen, werden teurer als andere verkauft. Im Oſt, in den Llanos von Cari und Barcelona, ſieht man Cypura — 287 — und Craniolaria mit der ſchönen weißen 16 bis 21 em langen Blüte ſich einzeln über die Gräſer erheben. Am fetteſten ſind die Weiden nicht nur an den Flüſſen, welche häufig aus— treten, ſondern überall, wo die Palmen dichter ſtehen. Ganz baumloſe Flecke ſind die unfruchtbarſten, und es wäre wohl vergebliche Mühe, ſie anbauen zu wollen. Dieſer Unterſchied kann nicht daher rühren, daß die Palmen Schatten geben und den Boden von der Sonne weniger ausdörren laſſen. In den Wäldern am Orinoko habe ich allerdings Bäume aus dieſer Familie mit dicht belaubten Kronen geſehen; aber am Palmbaum der Llanos, der Palma de Cobija,! iſt der Schatten eben nicht ſehr zu rühmen. Dieſe Palme hat ſehr kleine, gefaltete, handförmige Blätter, gleich denen des Chamärops, und die unteren ſind immer vertrocknet. Es befremdete uns, daß faſt alle dieſe Coryphaſtämme gleich groß waren, 7 bis 8 m hoch, bei 21 bis 26 em Durchmeſſer unten am Stamm. Nur wenige Palmarten bringt die Natur in ſo ungeheuren Mengen hervor. Unter Tauſenden mit olivenförmigen Früchten be— ladenen Stämmen fanden wir etwa ein Hundert ohne Früchte. Sollten unter den Stämmen mit hermaphroditiſcher Blüte einige mit einhäuſigen Blüten vorkommen? Die Llaneros, die Bewohner der Ebenen, ſchreiben allen dieſen Bäumen von unbedeutender Höhe ein Alter von mehreren Jahrhunderten zu. Ihr Wachstum iſt faſt unmerklich, nach 20 bis 30 Jahren fällt es kaum auf. Die Palma de Cobija liefert übrigens ein treffliches Bauholz. Es iſt ſo hart, daß man nur mit Mühe einen Nagel einſchlägt. Die fächerförmig gefalteten Blätter dienen zum Decken der zerſtreuten Hütten in den Llanos, und dieſe Dächer halten über 20 Jahre aus. Man befeſtigt die Blätter dadurch, daß man die Enden der Blattſtiele umbiegt, nachdem man dieſelben zwi— ſchen zwei Steinen geſchlagen, damit ſie ſich biegen, ohne zu brechen. Außer den einzelnen Stämmen dieſer Palme findet man hie und da in der Steppe Gruppen von Palmen, wahre Ge— büſche (Palmares), wo ſich zur Corypha ein Baum aus der Familie der Proteaceen geſellt, den die Eingeborenen Cha: parro nennen, eine neue Art Rhopala, mit harten, raſſelnden Blättern. Die kleineren Rhopalagebüſche heißen Chaparrales, »Dachpalme, Corypha tectorum. — 288 — und man kann ſich leicht denken, daß in einer weiten Ebene, wo nur zwei oder drei Baumarten wachſen, der Chaparro, der Schatten gibt, für ein ſehr wertvolles Gewächs gilt. Der Corypha iſt in den Llanos von Caracas von der Meſa de Paja bis an den Guayaval verbreitet; weiter nach Nord und Nordweſt, am Guanare und San Carlos, tritt eine andere Art derſelben Gattung mit gleichfalls handförmigen, aber größeren Blättern an ſeine Stelle. Sie heißt Palma real de los Llanos. Südlich vom Guayaval herrſchen andere Palmen, namentlich der Piritu mit gefiederten Blättern und der Murichi (Moriche), den Pater Gumilla als arbol de la vida ſo hoch preiſt. Es iſt dies der Sagobaum Amerikas; er liefert „vietum et amictum“, Mehl, Wein, Faden zum Verfertigen der Hängematten, Körbe, Netze und Kleider. Seine tannenzapfenförmigen, mit Schuppen bedeckten Früchte gleichen ganz denen des Calamus Rotang; ſie ſchmecken etwas wie Aepfel; reif ſind ſie innen gelb, außen rot. Die Brüllaffen ſind ſehr lüſtern danach, und die Völkerſchaft der Guaraunen, deren Exiſtenz faſt ganz an die Murichipalme geknüpft iſt, bereitet daraus ein gegorenes, ſäuerliches, ſehr erfriſchendes Getränk. Dieſe Palme mit großen, glänzenden, fächerförmig gefalteten Blättern bleibt auch in der dürrſten Jahreszeit leb- haft grün. Schon ihr Anblick gibt das Gefühl angenehmer Kühlung, und die mit ihren ſchuppigen Früchten behangene Murichipalme bildet einen auffallenden Kontraſt mit der trüb: ſeligen Palma de Cobija, deren Laub immer grau und mit Staub bedeckt iſt. Die Llaneros glauben, erſterer Baum ziehe die Feuchtigkeit der Luft an ſich, und deshalb finde man in einer gewiſſen Tiefe immer Waſſer um ſeinen Stamm, wenn man den Boden aufgräbt. Man verwechſelt hier Wirkung und Urſache. Der Murichi wächſt vorzugsweiſe an feuchten Stellen, und richtiger ſagte man, das Waſſer ziehe den Baum an. Es iſt eine ähnliche Schlußfolge, wenn die Eingeborenen am Orinoko behaupten, die großen Schlangen helfen einen Landſtrich feucht erhalten. Ein alter Indianer in Javita ſagte uns mit großer Wichtigkeit: „Vergeblich ſuche man Waſſer⸗ ſchlangen, wo es keine Sümpfe gibt; denn es ſammelt ſich kein Waſſer, wenn man die Schlangen, die es anziehen, un— vorſichtigerweiſe umbringt.“ 1 Plinius L. XII, e. VIE — 289 — Auf dem Wege über die Meſa bei Calabozo litten wir ſehr von der Hitze. Die Temperatur der Luft ſtieg merkbar, ſo oft der Wind zu wehen anfing. Die Luft war voll Staub, und während der Windſtöße ſtieg der Thermometer auf 40 bis 41°. Wir kamen nur langſam vorwärts, denn es wäre gefährlich geweſen, die Maultiere, die unſere Inſtrumente trugen, dahinten zu laſſen. Unſere Führer gaben uns den Rat, Rhopalablätter in unſere Hüte zu ſtecken, um die Wir⸗ kung der Sonnenſtrahlen auf Haare und Scheitel zu mildern. Wir fühlten uns durch dieſes Mittel erleichtert, und wir fanden es beſonders dann ausgezeichnet, wenn man Blätter von Pothos oder einer anderen Arumart haben kann. Bei der Wanderung durch dieſe glühenden Ebenen drängt ſich einem von ſelbſt die Frage auf, ob ſie von jeher in dieſem Zuſtand dagelegen, oder ob ſie durch eine Naturumwälzung ihres Pflanzenwuchſes beraubt worden? Die gegenwärtige Humusſchicht iſt allerdings ſehr dünn. Die Eingeborenen ſind der Meinung, die Palmares und Chaparrales (die kleinen Gebüſche von Palmen und Rhopala) ſeien vor der Ankunft der Spanier häufiger und größer geweſen. Seit die Llanos bewohnt und mit verwilderten Haustieren bevölkert ſind, zündet man häufig die Savanne an, um die Weide zu ver⸗ beſſern. Mit den Gräſern werden dabei zufällig auch die zerſtreuten Baumgruppen zerſtört. Die Ebenen waren ohne Zweifel im 15. Jahrhundert nicht ſo kahl wie gegenwärtig; indeſſen ſchon die erſten Eroberer, die von Coro herkamen, beſchreiben ſie als Savannen, in denen man nichts ſieht als Himmel und Raſen, im allgemeinen baumlos und beſchwer— lich zu durchziehen wegen der Wärmeſtrahlung des Bodens. Warum erſtreckt ſich der mächtige Wald am Orinoko nicht weiter nordwärts auf dem linken Ufer des Fluſſes? Warum überzieht er nicht den weiten Landſtrich bis zur Küſtenkordillere, da dieſer doch von zahlreichen Gewäſſern befruchtet wird? Dieſe Frage hängt genau zuſammen mit der ganzen Geſchichte unſeres Planeten. Ueberläßt man ſich geologiſchen Träumen, denkt man ſich, die amerikaniſchen Steppen und die Wüſte Sahara ſeien durch einen Einbruch des Meeres ihres ganzen Pflanzenwuchſes beraubt worden, oder aber, ſie ſeien urſprüng⸗ lich der Boden von Binnenſeeen geweſen, ſo leuchtet ein, daß ſogar in Jahrtauſenden Bäume und Gebüſche vom Saume der Wälder, vom Uferrand der kahlen oder mit Raſen be— deckten Ebenen nicht bis zur Mitte derſelben vordringen und A. v. Humboldt, Reife II. 19 —_ aa einen fo ungeheuren Landſtrich mit ihrem Schattendach über: wölben konnten. Der Urſprung kahler, von Wäldern um— ſchloſſener Savannen iſt noch ſchwerer zu erklären, als die Thatſache, daß Wälder und Savannen, gerade wie Feſtländer und Meere, in ihren alten Grenzen verharren. In Calabozo wurden wir im Hauſe des Verwalters der Real Hacienda Don Miguel Couſin, aufs gaſtfreund⸗ lichſte aufgenommen. Die Stadt, zwiſchen den Flüſſen Guarico und Uritucu gelegen, hatte damals nur 5000 Einwohner, aber ihr Wohlſtand war ſichtbar im Steigen. Der Reichtum der meiſten Einwohner beſteht in Herden, die von Pächtern be— ſorgt werden, von ſogenannten Hateros, von Hato, was im Spaniſchen ein Haus oder einen Hof im Weideland bedeutet. Die über die Llanos zerſtreute Bevölkerung drängt ſich an gewiſſen Punkten, namentlich in der Nähe der Städte, enger uſammen, und ſo hat Calabozo in ſeiner Umgebung bereits fünf Dörfer oder Miſſionen. Man berechnet das Vieh, das auf den Weiden in der Nähe der Stadt läuft, auf 98 000 Stücke. Die Herden auf den Llanos von Caracas, Barcelona, Cu— mana und des ſpaniſchen Guyana ſind ſehr ſchwer genau zu ſchätzen. Depons, der ſich länger als ich in Caracas aufge— halten hat, und deſſen ſtatiſtiſche Angaben im ganzen genau ſind, rechnet auf den weiten Ebenen von den Mündungen des Orinoko bis zum See Maracaybo 1200000 Rinder, 180 000 Pferde und 90000 Maultiere. Den Ertrag der Herden ſchätzt er auf 5 Millionen Franken, wobei neben der Ausfuhr auch der Wert der im Lande konſumierten Häute in Anſchlag gebracht iſt. In den Pampas von Buenos Ayres ſollen 12 Millionen Rinder und 3 Millionen Pferde laufen, ungeachtet das Vieh, das für herrenlos gilt. Ich laſſe mich nicht auf ſolche allgemeine Schätzungen ein, die der Natur der Sache nach ſehr unzuverläſſig ſind; ich bemerke nur, daß die Beſitzer der großen Hatos in den Llanos von Caracas ſelbſt gar nicht wiſſen, wie viel Stücke Vieh ſie beſitzen. Sie wiſſen nur, wie viele junge Tiere jährlich mit dem Buchſtaben oder der Figur, wodurch die Herden ſich unterſcheiden, gezeichnet werden. Die reichſten Viehbeſitzer zeichnen gegen 14000 im Jahr und verkaufen 5000 bis 6000. Nach den offiziellen Angaben belief ſich die Ausfuhr an Häuten aus der ganzen Capitania general jährlich nur nach den An⸗ tillen auf 174000 Rindshäute und 11500 Ziegenhäute. Be⸗ denkt man nun, daß dieſe Angaben ſich nur auf die Zoll— 5 regiſter gründen, in denen vom Schleichhandel mit Häuten keine Rede iſt, ſo möchte man glauben, daß das Hornvieh auf den Llanos vom Carony und dem Guarapiche bis zum See Maracaybo zu 1200000 Stück viel zu niedrig ange⸗ ſchlagen iſt. Der einzige Hafen von Guayra hat nach den Zollregiſtern von 1789 bis 1792 jährlich 70000 bis 80 000 Häute ausgeführt, wovon kaum ein Fünftel nach Spanien. Am Ende des 18. Jahrhunderts belief ſich nach Don Felix d'Azarra die Ausfuhr von Buenos Ayres auf 800000 Häute. Man zieht in der Halbinſel die Häute von Caracas denen von Buenos Ayres vor, weil letztere infolge des weiteren Transportes beim Gerben 12 Prozent Abgang haben. Der ſüdliche Strich der Savannen, gemeiniglich Llanos de Arriba genannt, iſt ausnehmend reich an Maultieren und Rindvieh; da aber die Weiden dort im ganzen minder gut ſind, muß man die Tiere auf andere Ebenen treiben, um ſie vor dem Verkauf fett zu machen. Die Llanos von Monai und alle Llanos de Abaxo haben weniger Herden, aber die Weiden ſind dort ſo fett, daß ſie vortreffliches Fleiſch für den Bedarf der Küſte liefern. Die Maultiere, die erſt im fünften Jahre zum Dienſte taugen, und dann Mulas de Saca heißen, werden ſchon an Ort und Stelle für 14 bis 18 Piaſter verkauft. Im Ausfuhrhafen gelten ſie 25 Piaſter, und auf den Antillen ſteigt ihr Preis oft auf 60 bis 80 Piaſter. Die Pferde der Llanos ſtammen von der ſchönen ſpaniſchen Raſſe und ſind nicht groß. Sie ſind meiſt einfarbig, dunkelbraun, wie die meiſten wilden Tiere. Bald dem Waſſermangel, bald Ueber: ſchwemmungen, dem Stich der Inſekten, dem Biß großer Fledermäuſe ausgeſetzt, führen ſie ein geplagtes, ruheloſes Leben. Wenn ſie einige Monate unter menſchlicher Pflege geweſen ſind, entwickeln ſich ihre guten Eigenſchaften und kommen zu Tag. Ein wildes Pferd gilt in den Pampas von Buenos Ayres ½ bis 1 Piaſter, in den Llanos von Caracas 2 bis 3 Piaſter; aber der Preis des Pferdes ſteigt, ſobald es gezähmt und zum Ackerbau tüchtig iſt. Schafe gibt es keine; Schafherden haben wir nur auf dem Plateau der Pro— vinz Quito geſehen. Die Rindviehhatos haben in den letzten Jahren viel zu leiden gehabt durch Banden von Landſtreichern, die durch die Steppen ſtreifen und das Vieh töten, nur um die Haut zu verkaufen. Dieſe Räuberei hat um ſich gegriffen, ſeit der Handel mit dem unteren Orinoko blühender geworden iſt. — 292 — Ein halbes Jahrhundert lang waren die Ufer dieſes großen Stromes von der Einmündung des Apure bis Angoſtura nur den Miſſionären bekannt. Vieh wurde nur aus den Häfen der Nordküſte, aus Cumana, Barcelona, Burburata und Porto Cabello ausgeführt. In neueſter Zeit iſt dieſe Abhängigkeit von der Küſte weit geringer geworden. Der ſüdliche Strich der Ebenen iſt in ſtarken Verkehr mit dem unteren Orinoko getreten, und dieſer Handel iſt deſto lebhafter, da ſich die Verbote dabei leicht umgehen laſſen. Die größten Herden in den Llanos beſitzen die Hatos Merecure, La Cruz, Belen, Alta Gracia und Pavon. Das ſpaniſche Vieh iſt von Coro und Tocuyo in die Ebenen ge: kommen. Die Geſchichte bewahrt den Namen des Koloniſten, der zuerſt den glücklichen Gedanken hatte, dieſe Grasfluren zu bevölkern, auf denen damals nur Damhirſche und eine große Aguti⸗Art, Cavia Capybara, im Lande Chiguire genannt, weideten. Chriſtoval Rodriguez ſchickte ums Jahr 1548 das erſte Hornvieh in die Llanos. Er wohnte in der Stadt Tocuyo und hatte lange in Neugranada gelebt. Wenn man von der „unzählbaren Menge“ von Horn⸗ vieh, Pferden und Maultieren auf den amerikaniſchen Ebenen ſprechen hört, ſo vergißt man gewöhnlich, daß es im civili⸗ ſierten Europa bei ackerbauenden Völkern auf viel kleinerer Bodenfläche gleich ungeheure Mengen gibt. Frankreich hat nach Peuchet 6 Millionen Stück Hornvieh, wovon 3 500 000 Ochſen zum Ackerbau verwendet werden. In der öſterreichi⸗ ſchen Monarchie ſchätzt Lichtenſtern 13400000. Ochſen, Kühe und Kälber. Paris allein verzehrt jährlich 155000 Stück Rindvieh; nach Deutſchland werden alle Jahre aus Ungarn 150000 Ochſen eingeführt. Die Haustiere in nicht ſtarken Herden gelten bei ackerbauenden Völkern als ein untergeord⸗ neter Gegenſtand des Nationalreichtums. Sie wirken auch weit weniger auf die Einbildungskraft als die umherſchwei⸗ fenden Rudel von Rindern und Pferden, die einzige Bevöl⸗ kerung der neuangebauten Steppen der Neuen Welt. Kultur und bürgerliche Ordnung wirken in gleichem Maße auf die Vermehrung der menſchlichen Bevölkerung und auf die Ver⸗ vielfältigung der dem Menſchen nützlichen Tiere. Wir fanden in Calabozo, mitten in den Llanos, eine Elektriſiermaſchine mit großen Scheiben, Elektrophoren, Bat⸗ terieen, Elektrometern, kurz einen Apparat faſt ſo vollſtändig, als unſere Phyſiker in Europa ſie beſitzen. Und all dies war — 293 — nicht in den Vereinigten Staaten gekauft, es war das Werk eines Mannes, der nie ein Inſtrument geſehen, der niemand zu Rate ziehen konnte, der die elektriſchen Erſcheinungen nur aus der Schrift des Sigaud de la Fond und aus Franklins Denkwürdigkeiten kannte. Carlos del Pozo — ſo heißt der achtungswürdige, ſinnreiche Mann — hatte zuerſt aus großen Glasgefäßen, an denen er die Hälſe abſchnitt, Cylinder— maſchinen gebaut. Erſt ſeit einigen Jahren hatte er ſich aus Philadelphia zwei Glasplatten verſchafft, um eine Scheiben— maſchine bauen und ſomit bedeutendere elektriſche Wirkungen hervorbringen zu können. Man kann ſich vorſtellen, mit welchen Schwierigkeiten Pozo zu kämpfen hatte, ſeit die erſten Schriften über Elektrizität ihm in die Hände gefallen waren, und er den kühnen Entſchluß faßte, alles, was er in den Büchern beſchrieben fand, mit Kopf und Hand nachzumachen und herzuſtellen. Bisher hatte er ſich bei ſeinen Experimen— ten nur am Erſtaunen und der Bewunderung von ganz rohen Menſchen ergötzt, die nie über die Wüſte der Llanos hinaus— gekommen waren. Unſer Aufenthalt in Calabozo verſchaffte ihm einen ganz neuen Genuß. Er mußte natürlich Wert auf das Urteil zweier Reiſenden legen, die ſeine Apparate mit den europäiſchen vergleichen konnten. Ich hatte verſchiedene Elektrometer bei mir, mit Stroh, mit Korkkügelchen, mit Goldplättchen, auch eine kleine Leidner Flaſche, die nach der Methode von Ingenhouß durch Reibung geladen wurde und mir zu phyſiologiſchen Verſuchen diente. Pozo war außer ſich vor Freude, als er zum erſtenmal Inſtrumente ſah, die er nicht ſelbſt verfertigt, und die den ſeinigen nachgemacht ſchienen. Wir zeigten ihm auch die Wirkungen des Kontaktes heterogener Metalle auf die Nerven des Froſches. Die Namen Galvani und Volta waren in dieſen weiten Einöden noch nicht gehört worden. as nach den elektriſchen Apparaten von der gewandten Hand eines ſinnreichen Einwohners der Llanos uns in Cala— bozo am meiſten beſchäftigte, das waren die Zitteraale, die lebendige elektriſche Apparate ſind. Mit der Begeiſterung, die zum Forſchen treibt, aber der richtigen Auffaſſung des Er— forſchten hinderlich wird, hatte ich mich ſeit Jahren täglich mit den Erſcheinungen der galvaniſchen Elektrizität beſchäftigt; ich hatte, indem ich Metallſcheiben aufeinander legte und Stücke Muskelfleiſch, oder andere feuchte Subſtanzen da— zwiſchen brachte, mir unbewußt, echte Säulen aufgebaut, — — — nn nn ee — 294 — und ſo war es natürlich, daß ich mich ſeit unſerer Ankunft in Cumana eifrig nach elektriſchen Aalen umſah. Man hatte uns mehrmals welche verſprochen, wir hatten uns aber immer getäuſcht geſehen. Je weiter von der Küſte weg, deſto wert: loſer wird das Geld, und wie ſoll man über das unerſchüt⸗ terliche Phlegma des Volkes Herr werden, wo der Stachel der Gewinnſucht fehlt? Die Spanier begreifen unter dem Namen Tembladores (Zitterer) alle elektriſchen Fiſche. Es gibt welche im Antilli⸗ ſchen Meer an den Küſten von Cumana. Die Guahykeri, die gewandteſten und fleißigſten Fiſcher in jener Gegend, brachten uns einen Fiſch, der, wie ſie ſagten, ihnen die Hände ſtarr machte. Dieſer Fiſch geht im kleinen Fluſſe Manzanares aufwärts. Es war eine neue Art Raja mit kaum ſichtbaren Seitenflecken, dem Zitterrochen Galvanis ziemlich ähnlich. Die Zitterrochen haben ein elektriſches Organ, das wegen der Durchſichtigkeit der Haut ſchon außen ſichtbar iſt, und bilden eine eigene Geſtaltung oder doch eine Untergattung der eigent- lichen Rochen. Der cumaniſche Zitterrochen war ſehr munter, ſeine Muskelbewegungen ſehr kräftig, dennoch waren die elek— triſchen Schläge, die wir von ihm erhielten, äußerſt ſchwach. Sie wurden ſtärker, wenn wir das Tier mittels der Berüh— rung von Zink und Gold galvaniſierten. Andere Tembla- dores, echte Gymnoten oder Zitteraale, kommen im Rio Co: lorado, im Guarapiche und verſchiedenen kleinen Bächen in den Miſſionen der Chaymasindianer vor. Auch in den großen amerikaniſchen Flüſſen, im Orinoko, im Amazonen⸗ ſtrom, im Meta ſind ſie häufig, aber wegen der ſtarken Strömung und des tiefen Waſſers ſchwer zu fangen. Die Indianer fühlen weit häufiger ihre elektriſchen Schläge beim Schwimmen und Baden im Fluß, als daß ſie dieſelben zu ſehen bekommen. In den Llanos, beſonders in der Nähe von Calabozo, zwiſchen den Höfen Morichal und den Miſſionen de Arriba und de Abaxo, ſind die Gymnoten in den Stücken ſtehenden Waſſers und in den Zuflüſſen des Orinoko (im Rio Guarico, in den Canos Raſtro, Berito und Paloma) ſehr häufig. Wir wollten zuerſt in unſerem Hauſe zu Cala⸗ bozo unſere Verſuche anſtellen; aber die Furcht vor den Schlägen des Gymnotus iſt im Volk ſo übertrieben, daß wir in den erſten drei Tagen keinen bekommen konnten, obgleich ſie ſehr leicht zu fangen ſind und wir den Indianern zwei Piaſter für jeden recht großen und ſtarken Fiſch verſprochen — 295 — hatten. Dieſe Scheu der Indianer iſt um ſo ſonderbarer, als ſie von einem nach ihrer Behauptung ganz zuverläſſigen Mittel gar keinen Gebrauch machen. Sie verſichern die Weißen, ſo oft man ſie über die Schläge der Tembladores befragt, man könne ſie ungeſtraft berühren, wenn man dabei Tabak kaue. Dieſes Märchen vom Einfluß des Tabakes auf die tieriſche Elektrizität iſt auf dem Kontinent von Südamerika ſo weit verbreitet, als unter den Matroſen der Glaube, daß Knoblauch und Unſchlitt auf die Magnetnadel wirken. Des langen Wartens müde, und nachdem ein lebender, aber ſehr erſchöpfter Gymnotus, den wir bekommen, uns ſehr zweifelhafte Reſultate geliefert, gingen wir nach dem Cano de Bera, um unſere Verſuche im Freien, unmittelbar am Waſſer anzuſtellen. Wir brachen am 19. März in der Frühe nach dem kleinen Dorfe Raſtro de Abaxo auf, und von dort führten uns Indianer zu einem Bache, der in der dürren Jahreszeit ein ſchlammiges Waſſerbecken bildet, um das ſchöne Bäume ſtehen, Cluſia, Amyris, Mimoſen mit wohlriechenden Blüten. Mit Netzen ſind die Gymnoten ſehr ſchwer zu fangen, weil der ausnehmend bewegliche Fiſch ſich gleich den Schlangen in den Schlamm eingräbt. Die Wurzeln der Piseidia Eri- thryna, der Jacquinia armillaris und einiger Arten von Phyllanthus haben die Eigenſchaft, daß ſie, in einen Teich geworfen, die Tiere darin berauſchen oder betäuben: dieſes Mittel, den ſogenannten Barbasco, wollten wir nicht an— wenden, da die Gymnoten dadurch geſchwächt worden wären. Da ſagten die Indianer, ſie wollen mit Pferden fiſchen, embarbascar con cavallos.“ Wir hatten keinen Begriff von einer ſo ſeltſamen Fiſcherei; aber nicht lange, ſo kamen unſere Führer aus der Savanne zurück, wo ſie ungezähmte Pferde und Maultiere zuſammengetrieben. Sie brachten ihrer etwa 30 und jagten ſie ins Waſſer. Der ungewohnte Lärm vom Stampfen der Roſſe treibt die Fiſche aus dem Schlamm hervor und reizt ſie zum An— griff. Die ſchwärzlich und gelb gefärbten, großen Waſſer— ſchlangen gleichenden Aale ſchwimmen auf der Waſſerfläche hin und drängen ſich unter den Bauch der Pferde und Maul: tiere. Der Kampf zwiſchen ſo ganz verſchieden organiſierten Tieren gibt das maleriſcheſte Bild. Die Indianer mit Har— 1 Wörtlich: mit Pferden die Fiſche einſchläfern und betäuben. — 296 — punen und langen, dünnen Rohrſtäben ſtellen ſich in dichter Reihe um den Teich; einige beſteigen die Bäume, deren Zweige ſich wagerecht über die Waſſerfläche breiten. Durch ihr wildes Geſchrei und mit ihren langen Rohren ſcheuchen ſie die Pferde zurück, wenn ſie ſich aufs Ufer flüchten wollen. Die Aale, betäubt vom Lärm, verteidigen ſich durch wieder⸗ holte Schläge ihrer elektriſchen Batterieen. Lange ſcheint es, als ſolle ihnen der Sieg verbleiben. Mehrere Pferde erliegen den unſichtbaren Streichen, von denen die weſentlichſten Or⸗ gane allerwärts getroffen werden; betäubt von den ſtarken, unaufhörlichen Schlägen, ſinken ſie unter. Andere, ſchnaubend, mit geſträubter Mähne, wilde Angſt im ſtarren Auge, raffen ſich wieder auf und ſuchen dem um ſie tobenden Ungewitter zu entkommen; ſie werden von den Indianern ins Waſſer zu⸗ rückgetrieben. Einige aber entgehen der regen Wachſamkeit der Fiſcher; ſie gewinnen das Ufer, ſtraucheln aber bei jedem Schritt und werfen ſich in den Sand, zum Tode erſchöpft, mit von den elektriſchen Schlägen der Gymnoten erſtarrten Gliedern. Ehe fünf Minuten vergingen, waren zwei Pferde ertrunken. Der 1,6 m lange Aal drängt ſich dem Pferde an den Bauch und gibt ihm nach der ganzen Länge ſeines elektriſchen Organes einen Schlag; das Herz, die Eingeweide und der plexus coeliacus der Abdominalnerven werden dadurch zumal be: troffen. Derſelbe Fiſch wirkt ſo begreiflicherweiſe weit ſtärker auf ein Pferd als auf den Menſchen, wenn dieſer ihn nur mit einer Extremität berührt. Die Pferde werden ohne Zweifel nicht totgeſchlagen, ſondern nur betäubt; ſie ertrinken, weil ſie ſich nicht aufraffen können, ſo lange der Kampf zwiſchen den anderen Pferden und den Gymnoten fortdauert. Wir meinten nicht anders, als alle Tiere, die man zu dieſer Fiſcherei gebraucht, müßten nacheinander zu Grunde gehen. Aber allmählich nimmt die Hitze des ungleichen Kampfes ab und die erſchöpften Gymnoten zerſtreuen ſich. Sie bedürfen jetzt langer Ruhe! und reichlicher Nahrung, um den erlittenen Verluſt an galvaniſcher Kraft wieder zu erſetzen. Maultiere und Pferde verrieten weniger Angſt, ihre Mähne ſträubte ſich nicht mehr, ihr Auge blickte ruhiger. Die Gymnoten kamen Die Indianer verſichern, wenn man Pferde zwei Tage hinter: einander in einer Lache laufen laſſe, in der es ſehr viele Gymnoten gibt, gehe am zweiten Tage kein Pferd mehr zu Grunde. — 297 — ſcheu ans Ufer des Teiches geſchwommen, und hier fing man ſie mit kleinen, an langen Stricken befeſtigten Harpunen. Wenn die Stricke recht trocken ſind, ſo fühlen die Indianer beim Herausziehen des Fiſches an die Luft keine Schläge. In wenigen Minuten hatten wir fünf große Aale, die meiſten nur leicht verletzt. Auf dieſelbe Weiſe wurden abends noch andere gefangen. Die Gewäſſer, in denen ſich die Zitteraale gewöhnlich aufhalten, haben eine Temperatur von 26 bis 27°. Ihre elektriſche Kraft ſoll in kälterem Waſſer abnehmen, und es iſt, wie bereits ein berühmter Phyſiker bemerkt hat, überhaupt merkwürdig, daß die Tiere mit elektriſchen Organen, deren Wirkungen dem Menſchen fühlbar werden, nicht in der Luft leben, ſondern in einer die Elektrizität leitenden Flüſſigkeit. Der Gymnotus iſt der größte elektriſche Fiſch; ich habe welche gemeſſen, die 1,7 m und 1,62 m lang waren; die Indianer wollten noch größere geſehen haben. Ein 1,23 me langer Fiſch wog 5 kg. Der Querdurchmeſſer des Körpers (die kahnförmig verlängerte Afterfloſſe abgerechnet) betrug gam. Die Gym: noten aus dem Cerro de Bera ſind hübſch olivengrün. Der Unterteil des Kopfes iſt rötlichgelb. Zwei Reihen kleiner gelber Flecken laufen ſymmetriſch über den Rücken vom Kopf bis zum Schwanzende. Jeder Fleck umſchließt einen Aus⸗ führungskanal; die Haut des Tieres iſt auch beſtändig mit einem Schleim bedeckt, der, wie Volta gezeigt hat, die Elek— trizität 20 bis 30mal beſſer leitet als reines Waſſer. Es iſt überhaupt merkwürdig, daß keiner der elektriſchen Fiſche, die bis jetzt in verſchiedenen Weltteilen entdeckt worden, mit Schuppen bedeckt iſt. Den erſten Schlägen eines ſehr großen, ſtark gereizten Gymnotus würde man ſich nicht ohne Gefahr ausſetzen. Be— kommt man zufällig einen Schlag, bevor der Fiſch verwundet oder durch lange Verfolgung erſchöpft iſt, ſo ſind Schmerz und Betäubung ſo heftig, daß man ſich von der Art der Empfindung gar keine Rechenſchaft geben kann. Ich erinnere mich nicht, je durch die Entladung einer großen Leidner Flaſche eine ſo furchtbare Erſchütterung erlitten zu haben wie die, als ich unvorſichtigerweiſe beide Füße auf einen Gymnotus ſetzte, der eben aus dem Waſſer gezogen worden war. Ich empfand den ganzen Tag heftigen Schmerz in den Knieen und faſt in allen Gelenken. Will man den ziemlich auffallenden nterſchied zwiſchen der Wirkung der Voltaſchen Säule und | | | | — 298 — der elektriſchen Fiſche genau beobachten, ſo muß man dieſe berühren, wenn ſie ſehr erſchöpft ſind. Die Zitterrochen und die Zitteraale verurſachen dann ein Sehnenhüpfen vom Glied an, das die elektriſchen Organe berührt, bis zum Ellbogen. Man glaubt bei jedem Schlage innnerlich eine Schwingung zu empfinden, die zwei, drei Sekunden anhält und der eine ſchmerzhafte Betäubung folgt. In der ausdrucksvollen Sprache der Tamanaken heißt daher der Temblador Arimna, das heißt, „der die Bewegung raubt“. Die Empfindung bei ſchwachen Schlägen des Gymnotus ſchien mir große Aehnlichkeit zu haben mit dem ſchmerzlichen Zucken, das ich fühlte, wenn auf den wunden Stellen, die ich auf meinem Rücken durch ſpaniſche Fliegen hervorgebracht, zwei heterogene Metalle ſich berührten. Dieſer Unterſchied zwiſchen der Empfindung, welche der Schlag des elektriſchen Fiſches, und der, welche eine Säule oder ſchwach geladene Leidner Flaſche hervorbringt, iſt allen Beobachtern aufgefallen; derſelbe widerſpricht indeſſen keineswegs der Annahme, daß die Elektrizität und die galvaniſche Wirkung der Fiſche dem Weſen nach eins ſind. Die Elektrizität kann beidemal dieſelbe ſein, ſie mag ſich aber verſchieden äußern infolge des Baues der elektriſchen Organe, der Intenſität des elektriſchen Flui— dums, der Schnelligkeit des Stromes oder einer eigentümlichen Wirkungsweiſe. In holländiſch Guyana, zum Beiſpiel zu Demerary, galten früher die Zitteraale als ein Heilmittel gegen Lähmungen. Zur Zeit, wo die europäiſchen Aerzte von der Anwendung der Elektrizität Großes erwarteten, gab ein Wundarzt in Eſſequibo, Namens van der Lott, in Holland eine Abhandlung über die Heilkräfte des Zitteraales heraus. Solche „elektriſche Kuren“ kommen bei den Wilden Amerikas wie bei den Griechen vor. Scribonius Largus, Galenus und Dioscorides berichten uns, daß der Zitterrochen Kopfweh, Migräne und Gicht heile. In den ſpaniſchen Kolonieen, die ich durchreiſt, habe ich von dieſer Heilmethode nichts gehört; aber ſo viel iſt gewiß, daß Bonpland und ich, nachdem wir vier Stunden lang an Gymnoten experimentiert, bis zum anderen Tage Muskelſchwäche, Schmerz in den Gelenken, all— gemeine Ueblichkeit empfanden, eine Folge der heftigen Reizung des Nervenſyſtems. Humboldts Verſuche über die gereizte Muskelfaſer. Bd. I, S. 323— 329. — 299 — Während die Gymnoten für die europäiſchen Naturforſcher Gegenſtände der Vorliebe und des lebhafteſten Intereſſes ſind, werden ſie von den Eingeborenen gefürchtet und gehaßt. Ihr Muskelfleiſch ſchmeckt allerdings nicht übel, aber der Körper beſteht zum größten Teil aus dem elektriſchen Organ, und dieſes iſt ſchmierig und von unangenehmem Geſchmack; man ſondert es daher auch ſorgfältig vom übrigen ab. Zudem ſchreibt man es vorzüglich den Gymnoten zu, daß die Fiſche in den Sümpfen und Teichen der Llanos ſo ſelten ſind. Sie töten ihrer viel mehr, als ſie verzehren, und die Indianer erzählten uns, wenn man in ſehr ſtarken Netzen junge Kro: kodile und Zitteraale zugleich fange, jo ſei an letzteren nie eine Verletzung zu bemerken, weil ſie die jungen Krokodile lähmen, bevor dieſe ihnen etwas anhaben können. Alle Be— wohner des Waſſers fliehen die Gemeinſchaft der Zitteraale. Eidechſen, Schildkröten und Froſche ſuchen Sümpfe auf, wo ſie vor jenen ſicher ſind. Bei Uritucu mußte man einer Straße eine andere Richtung geben, weil die Zitteraale ſich in einem Fluſſe ſo vermehrt hatten, daß ſie alle Jahre eine Menge Maultiere, die belaſtet durch den Fluß wateten, um: brachten. Am 24. März verließen wir die Stadt Calabozo, ſehr befriedigt von unſerem Aufenthalt und unſeren Verſuchen über einen ſo wichtigen phyſiologiſchen Gegenſtand. Ich hatte über— dies gute Sternbeobachtungen machen können und zu meiner Ueberraſchung gefunden, daß die Angaben der Karten auch hier um einen Viertelsgrad in der Breite unrichtig ſind. Vor mir hatte niemand an dieſem Orte beobachtet, und wie denn die Geographen gewöhnlich die Diſtanzen von der Küſte dem Binnenlande zu zu groß annehmen, ſo hatten ſie auch hier alle Punkte zu weit nach Süden gerückt. Auf dem Wege durch den ſüdlichen Strich der Llanos fanden wir den Boden ſtaubiger, pflanzenloſer, durch die lange Dürre zerriſſener. Die Palmen verſchwanden nach und nach ganz. Der Thermometer ſtand von 11 Uhr bis zu Sonnen⸗ untergang auf 34 bis 35%. Je ruhiger die Luft in 2,6 bis 2,9 m Höhe ſchien, deſto dichter wurden wir von den Staub— wirbeln eingehüllt, welche von den kleinen, am Boden hin- ſtreichenden Luftſtrömungen erzeugt werden. Gegen 4 Uhr abends fanden wir in der Savanne ein junges indianiſches Mädchen. Sie lag auf dem Rücken, war ganz nackt und ſchien nicht über 12 bis 13 Jahre alt. Sie war von | | nn Fe a III —— — — ur nn 5m — 300 — Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub, der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern. Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge— fahr, beharrte fie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani— ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog fie eine Staub: wolke unſeren Blicken. In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 km von da, im Rio Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind. Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab— weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin, einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank, da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis 90 em langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in — 301 — den Fluß. Man unterſuchte den Boden unter der Barbacoa oder Lagerſtätte, und da war denn der Hergang des ſeltſamen Abenteuers bald klar. Man fand die Erde weit hinab auf— gewühlt; es war vertrockneter Schlamm, in dem das Krokodil im Sommerſchlaf gelegen hatte, in welchen Zuſtand manche Individuen dieſer Tierart während der dürren Jahreszeit in den Llanos verfallen. Der Lärm von Menſchen und Pferden, vielleicht auch der Geruch des Hundes hatten es aufgeweckt. Die Hütte lag an einem Teich und ſtand einen Teil des Jahres unter Waſſer; ſo war das Krokodil ohne Zweifel, als die Savanne überſchwemmt wurde, durch dasſelbe Loch hineinge— kommen, durch das es Don Miguel herauskommen ſah. Häufig finden die Indianer ungeheure Boas, von ihnen Uji oder Waſſerſchlangen genannt, im ſelben Zuſtand der Erſtarrung. Man muß ſie, ſagt man, reizen oder mit Waſſer begießen, um ſie zu erwecken. Man tötet die Boas und hängt ſie in einen Bach, um durch die Fäulnis die ſehnigten Teile der Rückenmuskeln zu gewinnen, aus denen man in Calabozo vor— treffliche Guitarrenſaiten macht, die weit beſſer ſind als die aus den Därmen der Brüllaffen. Wir ſehen ſomit, daß in den Llanos Trockenheit und Hitze auf Tiere und Gewächſe gleich dem Froſt wirken. Außer: halb der Tropen werfen die Bäume in ſehr trockener Luft ihre Blätter ab. Die Reptilien, beſonders Krokodile und Boas, verlaſſen vermöge ihres trägen Naturells die Lachen, wo ſie beim Austreten der Flüſſe Waſſer gefunden haben, nicht leicht wieder. Je mehr nun dieſe Waſſerſtücke eintrocknen, deſto tiefer graben ſich die Tiere in den Schlamm ein, der Feuch⸗ tigkeit nach, die bei ihnen Haut und Decken ſchmiegſam er— hält. In dieſem Zuſtand der Ruhe kommt die Erſtarrung über ſie; ſie werden wohl dabei von der äußeren Luft nicht ganz abgeſperrt, und ſo gering auch der Zutritt derſelben ſein mag, er reicht hin, den Atmungsprozeß bei einer Eidechſe zu unterhalten, die ausnehmend große Lungenſäcke hat, die keine Muskelbewegungen vornimmt und bei der faſt alle Lebens— verrichtungen ſtocken. Die Temperatur des vertrockneten, dem Sonnenſtrahl ausgeſetzten Schlammes beträgt im Mittel wahr— ſcheinlich mehr als 40. Als es im nördlichen Aegypten, wo im kühlſten Monat die Temperatur nicht unter 13,40 ſinkt, noch Krokodile gab, wurden dieſe häufig von der Kälte be— täubt. Sie waren einem Winterſchlaf unterworfen gleich unſeren Fröſchen, Salamandern, Uferſchwalben und Murmel— — 302 — tieren. Wenn die Erſtarrung im Winter bei Tieren mit warmem Blut, wie bei ſolchen mit kaltem vorkommt, ſo kann man ſich eben nicht wundern, daß in beiden Klaſſen oft Fälle von Sommerſchlaf vorkommen. Gleich den Krokodilen in Südamerika liegen die Tenrek oder Igel auf Madagaskar mitten in der heißen Zone drei Monate des Jahres in Er: ſtarrung. Am 25. März kamen wir über den ebenſten Strich der Steppen von Caracas, die Meſa de Pavones. Die Co- rypha- und Murichepalme fehlen hier ganz. So weit das Auge reicht, gewahrt man keinen Gegenſtand, der auch nur 40 em hoch wäre. Die Luft war rein und der Himmel tief blau, aber den Horizont ſäumte ein blaſſer, gelblicher Schein, der ohne Zweifel von der Menge des in der Luft ſchwebenden Sandes herrührte. Wir trafen große Herden und bei ihnen Scharen ſchwarzer Vögel mit olivenfarbigem Glanz von der Gattung Crotophaga, die dem Vieh nachgehen. Wir ſahen ſie häufig den Kühen auf den Rücken ſitzen und Bremſen und andere Inſekten ſuchen. Gleich mehreren Vögeln dieſer Einöde ſcheuen ſie ſo wenig vor dem Menſchen, daß ſie Kinder oft mit der Hand fangen. In den Thälern von Aragua, wo ſie ſehr häufig ſind, ſetzten ſie ſich am hellen Tag auf unſere Hängematten, während wir darin lagen. Zwiſchen Calabozo, Uritucu und der Meſa de Pavones kann man überall, wo der Boden von Menſchenhand wenige Fuß tief aufgegraben iſt, die geologiſchen Verhältniſſe der Llanos beobachten. Ein roter Sandſtein! (altes Konglomerat) ſtreicht über mehrere tauſend Quadratmeilen weg. Wir fanden ihn ſpäter wieder in den weiten Ebenen des Amazonenſtromes, am öſtlichen Saum der Provinz Jaen de Bracamoros. Dieſe ungeheure Verbreitung des roten Sandſteines auf den tief— gelegenen Landſtrichen oſtwärts von den Anden iſt eine der auffallendſten geologiſchen Erſcheinungen, die ich unter den Tropen beobachtet. a Nachdem wir in den öden Savannen der Meſa de Pa- vones lange ohne die Spur eines Pfades umhergeirrt, ſahen wir zu unſerer freudigen Ueberraſchung einen einſamen Hof vor uns, den Hato de alta Gracia, der von Gärten und ' Notes Totliegendes, oder älteſter Flözſandſtein der Frei⸗ berger Schule. — 303 — kleinen Teichen mit klarem Waſſer umgeben iſt. Hecken von Azedarac liefen um Gruppen von Jcaquesbäumen, die voll Früchten hingen. Eine Strecke weiter übernachteten wir beim kleinen Dorfe San Geronimo del Guayaval, das Miſ— ſionäre vom Kapuzinerorden gegründet haben. Es liegt am Ufer des Rio Guarico, der in den Apure fällt. Ich beſuchte den Geiſtlichen, der in der Kirche wohnen mußte, weil noch kein Prieſterhaus gebaut war. Der junge Mann nahm uns aufs zuvorkommendſte auf und gab uns über alles die ver— langte Auskunft. Sein Dorf, oder, um den offiziellen Aus— druck der Mönche zu gebrauchen, ſeine Miſſion, war nicht leicht zu regieren. Der Stifter, der keinen Anſtand genommen, auf ſeine Rechnung eine Pulperia zu errichten, das heißt ſo— gar in der Kirche Bananen und Guarapo zu verkaufen, war auch bei Aufnahme der Koloniſten nicht ekel geweſen. Viele Landſtreicher aus den Llanos hatten ſich in Guayaval nieder— elaſſen, weil die Einwohner einer Miſſion dem weltlichen Arm entrückt ſind. Hier wie in Neuholland kann man erſt in der zweiten oder dritten Generation auf gute Koloniſten rechnen. Wir ſetzten über den Rio Guarico und übernachteten in den Savannen ſüdlich vom Guayaval. Ungeheure Fleder⸗ mäuſe, wahrſcheinlich von der Sippe der Phylloſtomen, flat— terten, wie gewöhnlich, einen guten Teil der Nacht über unſeren Hängematten. Man meint jeden Augenblick, ſie wollen ſich einem ins Geſicht einkrallen. Am frühen Morgen ſetzten wir unſeren Weg über tiefe, häufig unter Waſſer ſtehende Land— ſtriche fort. In der Regenzeit kann man zwiſchen dem Guarico und dem Apure im Kahn fahren wie auf einem See. Es begleitete uns ein Mann, der alle Höfe (Hatos) in den Llanos beſucht hatte, um Pferde zu kaufen. Er hatte für 1000 Pferde 2200 Piaſter gegeben.! Man bezahlt natürlich deſto weniger, 1 In den Llanos von Calabozo und am Guayaval koſtet ein junger Stier von 2 bis 3 Jahren 1 Piaſter. Iſt er verſchnitten, (in ſehr heißen Ländern eine ziemlich gefährliche Operation), ſo iſt er 5 bis 6 Piaſter wert. Eine an der Sonne getrocknete Ochſen— haut gilt 2½ Silberrealen (1 Peſo = 8 Realen); ein Huhn 2 Realen; ein Schaf, in Barqueſimeto und Truxillo, denn oſtwärts von dieſen Städten gibt es keine, 3 Realen. Da dieſe Preiſe ſich notwendig verändern werden, je mehr die Bevölkerung in den ſpaniſchen Kolonieen zunimmt, ſo ſchien es mir nicht unwichtig, hier Angaben — 308 7 Re je bedeutender der Kauf ift. Am 27. März langten wir in der Villa de San Fernando, dem Hauptort der Miſ⸗ ſionen der Kapuziner in der Provinz Varinas, an. Damit waren wir am Ziel unſerer Reiſe über die Eb enen, denn die drei Monate April, Mai und Juni brachten wir auf den Strömen zu. niederzulegen, die künftig bei nationalökonomiſchen Unterſuchungen als Anhaltspunkte dienen können. 1 unhh-. I In u, ne * e — FR 3 kaum aun m Yale ——— — ee Humboldt, Alexander, Freiherr von Gesammelte Werke PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET = 7 | | | UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY