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John Henry Mackay Geſammelte Werke

Siebenter Band

Gefammelte Werke John Henry Mackay

Grfter Band: Gedichte

Zweiter Band: Gedichte (Schiuß) Neue Gedichte | Dritter Band:

Be TR TERN?

Moderne 3 2 Menſchen der Ehe

Fünfter Band: Die letzte Pflicht und Albert Schnells Untergang Sechſter Band: Zwiſchen den Zielen Siebenter Band: Der Schwimmer

Achter Band:

Dieſe Geſamt⸗Ausgabe wurde im Sommer des | jet: in der Buchdruckerei von Wilhelm Hecker *

Graͤfenhainichen in einer Auflage von 1200 Exemplaren ruckt. Davon wurden 0 Exemplare auf hand⸗ es ihöpftem van Gelder (in acht Ganzlederbaͤnden ges unden zu 120 Mark) abgezogen, die handſch 8 vom Verfaſſer numeriert und igniert nur direkt von = | den Verlage Bernhard Zack in Treptow bei Berlin, 8 Kiefholzſtraße 186 zu beziehen find, 1 N

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Geſammelte Werke

von

John Henry Mackay

In acht Baͤnden

Siebenter Band:

Der Schwimmer

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Treptow bei Berlin

Bernhard Zacks Verlag 1911

Der Schwimmer

Die Gefchichte einer Leidenſchaft

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John Henry Mackay

Treptow bei Berlin

Bernhard Zack“ Verlag 1911

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Aulie Rechte vorbehalten

Der Schwimmer Die Geſchichte einer Leidenſchaft

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ann er ſchwimmen gelernt hatte? Man haͤtte ihn ebenſogut fragen koͤnnen, wie und wann er gehen gelernt habe.

Er wußte nicht mehr, wann er das erſte Mal ins Waſſer gegangen war; aber feine erſten Kindheitserinne⸗ rungen waren mit dem Waſſer verknuͤpft, das fein Ele⸗ ment war und in dem er lag, wie er auf der Erde ging.

Er war ein geborener Schwimmer.

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Er hieß Franz Felder und war der Sohn ſehr braver 2 ſehr armer Eltern in Berlin O., der fünfte unter . Alle waren es ſtaͤmmige Kerle mit dunklen Haaren und klaren Augen, und beide Eltern hatten voll⸗

15 auf zu tun, die hungrigen Maͤuler vom Morgen bis

zum Abend zu ſtopfen, von denen mindeſtens eines immer nach einer Stulle aufgeſperrt war. Sie taten es redlich und gern, und zu hungern brauchte keines. Aber damit war auch der Kreis ihrer elterlichen Pflichten geſchloſſen,

2 und fobald wie nur möglich blieben die Kinder einander

und ſich ſelbſt überlaffen und mußten ſich mit durchs Leben helfen, ſo gut oder ſo ſchlecht, wie es eben ging.

Der Alteſte lernte eben aus, als der kleine Franz geboren wurde, und nach dieſem kamen dann noch drei, de wie er vordem den vorhergegangenen älteren ſo nun ſeiner Obhut mit anvertraut wurden, ſobald er ſelbſt auf den Fuͤßen ſtehen konnte. Ohne viel Worte

und ohne jede Zaͤrtlichkeit herrſchte immer ein gutes Zu⸗

ſammenhalten zwiſchen den Bruͤdern. Es aͤußerte ſich hauptſaͤchlich ebenſowohl in derben Pruͤgeleien, wie in

ſolidariſchem Durchhelfen bei allen kleinen und großen 3

Faͤhrlichkeiten ihrer im ganzen und großen recht muͤh⸗ ſeligen, aber nicht ungluͤcklichen Jugend.

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Er hatte das Schwimmen nie „gelernt“; wenigſtens konnte er ſchwimmen, ſolange er zuruͤckzudenken vermochte, und das war etwa bis in ſein viertes Jahr. Damals fiel er auf einer Landpartie, deren Hoͤhepunkt eine Kahn⸗

fahrt bildete, ins Waſſer die Frauen kreiſchten und

die Maͤnner fluchten, waͤhrend er herausgeholt wurde; aber ihm machte die Sache Spaß, und er lachte feelen- vergnuͤgt, ſo daß jemand ſagte: „Der faͤllt uns gleich zu 85 feinem eigenen Vergnügen noch mal hinein ... —” was die entſetzte Mutter veranlaßte, ihren RR für diefen Tag wenigſtens nicht mehr von der Seite zu laſſen. Aber das war eine jener Erinnerungen, die nur des⸗ halb ſo ſtark in uns zu liegen ſcheinen, weil wiederholte | Erzählungen anderer fie ſtuͤtzen und halten.

4 In Wirklichkeit ſah ſich Franz Felder in feinen Ges donken zuerſt als kleinen Jungen von fünf Jahren lange, eee warme Sommernachmittagsſtunden am Ufer der e

bei Treptow. Seine Eltern wohnten damals in . zwei kleinen, heißen Zimmern in einem Hinterhauſe der Fruchtſtraße, aber der Vater hatte es zum großen Jubel 4 ganzen Familie fertig gebracht, fuͤr den Sommer auf einem der Felder am Treptower Bahnhof eine der vielen id R Lauben“ zu mieten, und man hatte nun ein winziges

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Stückchen Erde, auf dem man einige Kohlkoͤpfe ziehen und zu dem man hinauspilgern konnte in dem ſtolzen Gefuͤhl eigenen Beſitztums.

Der Vater und der eine oder andere der Älteren Brüder, die ſchon arbeiteten, kamen erſt des Abends; aber die Mutter, welche kraͤnkelte, verbrachte oft mit den Juͤngſten ganze Tage auf dem reizloſen Fleck, wo ſie wenigſtens in freier Luft war.

So oft er nur konnte, ruͤckte Franz aus. Erſt klagte und ſchalt die Mutter, dann ließ ſie ihn laufen, da es doch nichts half, ihn zurückhalten zu wollen.

Eine beſondere Anziehungskraft hatte für ihn ein großer Holzplatz an der Spree. Seit er einmal, dort umherſchlendernd, fuͤr den Zimmermeiſter eine Weiße ge⸗ holt hatte, ſtand ihm der Zutritt gegen Leiſtung gelegent⸗ licher gleicher und ahnlicher kleiner Dienſte offen, und nichts hinderte ihn, zwiſchen den Balken und Staͤmmen herumzuklettern, fo viel er wollte.

So wurde der Holzplatz feine Heimat für dieſen Sommer. Aus Spaͤnen kleine Kaͤhne zu bauen, ſie mit einem Knopf oder irgend etwas anderem zu „befrachten“, ſie dem großen Waſſer anzuvertrauen und zu ſehen, wie es fie hintrieb und verſchlang, wurde er nie müde; oder Gräben und Buchten zu bilden und das Waſſer hinein⸗ zuleiten und herumzupantſchen und zu mantſchen, bis der Feierabend allen ſeinen Spielen fuͤr dieſen Tag ein Ende machte.

Ein befonderes Feſt war es jedesmal, wenn er in einem wirklichen großen Boote, das von der anderen Seite herübergekommen war und anlegte, ein Stuck mit⸗

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genommen wurde oder etwa gar ſelbſt eine Paͤtſchel fuͤhren durfte.

Aber am meiſten von allem lockte ihn das Waſſer ſelbſt; und ſechsmal an heißen Sommertagen mindeſtens warf er Hemde und Hofe in den Sand und tauchte fich in die braune, traͤge, lauwarme Flut. Er ſchwamm ſchon wie ein Fiſch. Er ging auf den Grund und holte Steine aus dem Schlamm herauf. Er glitt unter den Floͤßen durch und verſchwand hier, um dort in die Hoͤhe zu kommen. Und er lernte ſeinen erſten Sprung, den einfachen Kopfſprung. Erſt von dem Rand des Floßes, dann von dem des Nachens, endlich von dem des großen Spreekahnes plumpſte er den Kopf voran und mit ausgeſpreizten Beinen wie ein Froſch ins Waſſer.

Ach, und wie war es ſchoͤn, den naſſen Koͤrper in das heiße Saͤgemehl zu werfen, ſich auf Bauch und Rüden darin herumzuwaͤlzen und dann den weißen Pelz mit einem Sprunge wieder abzuwaſchen! ... Und ſtunden⸗ lang in der Sonne zu liegen und die Kaͤhne und Dampfer mit feſtlich geputzten und froͤhlichen Menſchen auf der Spree voruͤberziehen zu ſehen, waͤhrend die roten Waͤnde der Fabriken und die weißen der Villen im Glanz des Sommertages aus dem Grün der Ufer hervorleuchteten und der blaue Himmel ſich über alles ſpannte, über die

75 nahe Eiſenbahnbruͤcke die Ringbahnzuͤge donnerten und unter ihr die Dampfer pfiffen und laͤuteten ...

Es war ein großer Sommer fuͤr den kleinen Kerl, der von den Arbeitern auf dem Platz, die ſich nur ſelten und nur bei uͤbergroßer Hitze ins Waſſer wagten, wie ein kleines Wundertier angeſtaunt und ihre „Otter“

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im Waſſer lag und feine erſten, kleinen Kunſtſtücke In Herbſt dieſes Sommers war er braun wie ven 9

Neger, geſund und immer hungrig wie ein Haifiſch, und er been bereits, ſich etwas einzubilden auf ſeine Fre igkeit

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Mit ſechs Jahren kam er, wie jeder andere Berliner Junge, in die Volksſchule, um bis zu ſeinem vierzehnten Jahre, dem der Einſegnung, in ihr zu bleiben. In dieſen Jahren lernte er ſchreiben, rechnen und leſen und einige allgemeine, elementare Kenntniſſe, das heißt, Franz Felder lernte auch hiervon nur das allernotwendigſte. Seine Schrift behielt immer die klobigen Formen der Ungewandt⸗ heit, und man ſah ihr an, wie muͤhſam es ihm wurde, die Feder zu führen; fein Rechnen ging gerade fo weit, um zur Zuſammenzaͤhlung ſeiner kleinen Ausgaben und Einnahmen zu dienen; und ſein Leſen ach, der arme Franz Felder hat in ſeinem kurzen Leben wenig mehr geleſen, als hier und da den „Lokalanzeiger“ und eine Annonce an der Litfaßſaͤule, denn es iſt ihm ewig un⸗ verſtaͤndlich geblieben, wozu Buͤcher uͤberhaupt anders eriftierten, als um den Überfluß an Zeit zu beſeitigen.

Er brachte ſich muͤhſam durch die acht Klaſſen bis zur erſten hinauf. Zweimal blieb er ſitzen, und drei⸗ mal half ihm ſein „gutes Betragen“ durch. Auch die guten Schuͤler konnten es nicht weiter bringen, denn bis zum vierzehnten Jahre mußten ſie alle miteinander in

der Schule bleiben. Dann begann für fie alle das

Leben —: die Arbeit. 2*

2 begriff das wenige, was er zu ge batte, 12 ver und manches gar nicht; aber was er einmal in ch aufgenommen hatte, war auch ſein geworden. RE Im allgemeinen war ihm die Schule hoͤchſt gleich⸗

tig; er ging bin, weil es nun einmal fein mußte.

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Aber nicht allein durch die Schule, ſondern auch durch die Notwendigkeit fruͤhen Verdienens wurde ſeine Zeit in Anſpruch genommen, und je mehr, deſto älter er wurde.

Zwar folgten auf jenen erſten Sommer frohen Um⸗ hertummelns und ſorgloſen Genießens. noch einige andere gleich und aͤhnlich ſchoͤne, aber immer oͤfter hieß es: „Du mußt dies und das tun und holen“ und ein jeder ſolcher Befehle vernichtete einen Wunſch. Es kam auf jeden Groſchen an, der verdient werden mußte, und zu⸗ dem verlangten die juͤngeren Bruͤder Beaufſichtigung und Fuͤrſorge von den aͤlteren, wie er ſie ſelbſt von den Vor⸗ aufgegangenen genoſſen.

Dennoch gab es immer noch viele Stunden ungetruͤbter Seligkeit fuͤr den Knaben, wenn er hinaus konnte ins Freie zum Baden.

Es waren die Stunden, fuͤr die er lebte, an die er ſtets und ſtaͤndig am Tage dachte und von denen er des Nachts traͤumte feine größte Freude und fein durch kein anderes uͤbertroffenes Vergnügen.

Im Sommer mußte einmal am Tage wenigſtens gebadet werden, das war ſelbſtverſtaͤndlich, und der Tag

verloren, an dem es nicht ſein konnte. Aber nicht etwa baden, was die anderen ſo nannten: aus den Kleidern

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ins Waſſer und wieder hinein ſondern hinein und

hinaus und in die Sonne, und wieder und wieder ins Waſſer, und am liebſten ſo den ganzen Nachmittag. Und ſchwimmen und ſpringen und tauchen und im Waſſer wühlen wie ein Seehund das nannte er baden. Als er noch ein kleiner Kerl war, gab es überall an der Spree Gelegenheit, ſplitternackt ins Waſſer zu ſpringen, wenn man nur aufpaßte, daß kein Schutzmann in der Naͤhe war. Aber als er älter wurde, ging es doch nicht mehr ſo gut außerhalb der Badeanſtalt und ohne Badehoſe. Vor dem Schleſiſchen Tor war ein großes Stuͤck Spree am Ufer durch einen hohen Zaun abgetrennt. Auf ſeiner Innenſeite zog ſich ein Gang an allen Seiten hin und es liefen Baͤnke an ihm entlang, über denen Nägel zum Aufhaͤngen der Kleider eingeſchlagen waren. Außer: dem gab es noch ein wackeliges Sprungbrett auf einer Art Turm, von dem man „bei Strafe“ hinunterſpringen mußte, wenn man ihn betreten hatte, und im Waſſer lag ein Kreuz aus Balken zur Beluſtigung der Badenden.

Das war die große Schwimm⸗ und Badeanſtalt „Oſten“, die groͤßte Berlins. Die Balken und Bretter waren ſchwarz und morſch vor Alter und die Nägel ver⸗ roſtet, und nie wurde ein neuer eingeſchlagen, denn das haͤtte ja Koſten und Muͤhe verurſacht. Alles war ver⸗ wahrloſt, aber Raum gab es hier in Fülle, und an allen heißen Sommertagen waren die Gaͤnge vom Morgen bis zum Abend dicht beſetzt mit vielen Hunderten von nackten, ſchwitzenden Koͤrpern, und der Laͤrm in und außer dem Waſſer nahm kein Ende, ob am Nachmittag die barfuͤßige Jugend des Oſtens oder am Abend die

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ſchwarze Arbeiterſchaft nach ihrem Tagewerk anrüdte, Das Bad koſtete einen Groſchen, und den ganzen Sommer konnte man hier fuͤr einen Taler baden. Was aber Franz Felder vor allem reizte, das war, daß man hier nie oder doch nur ganz ſelten herausgeſchmiſſen wurde, auch wenn man die formell vorgeſchriebene Badezeit von einer Stunde laͤngſt uͤberſchritten hatte. Bei der ungeheuren Menge von Badenden war es den Bademeiſtern ganz unmoͤglich, irgendeine Kontrolle auszuuͤben, und es war ihnen auch ganz gleichgültig, mochten ſich die Körper in und außer dem Waſſer ſtoßen und draͤngen und die Kleider uͤber— und die Stiefel durcheinander geworfen werden To lange man ſich nur nicht pruͤgelte oder einer am Er⸗ trinken war und herausgeholt werden mußte, ruͤhrte ſich keiner vom Flecke.

Franz beſchloß, hierher die Staͤtte ſeiner ſommer⸗ lichen Taͤtigkeit zu verlegen und daher mußte er den Taler haben. Das war ſehr viel Geld auf einmal, aber unmoͤglich ſchien es ihm nicht, ihn für ſich zuſammen⸗ zubringen, ohne daß die Mutter es merkte; denn die hätte natürlich geſagt, einmal in der Woche zu baden ſei genug (ſo viel verſtand die davon!) und haͤtte ihm das Geld abgenommen. Im Maͤrz fing er an zu ſparen: Sechſer fuͤr Sechſer und Groſchen fur Groſchen, und er hatte ein wundervolles Verſteck auf dem Dach⸗ boden des Hauſes in einem alten Strumpf und in einer Ecke, wo nie jemand hinkam, da kein anderer im ganzen Hauſe ſo geſchmeidig war, ſich bis dahin durch Bretter, Balken und Geruͤmpel durchzuwinden. Aber im Mai wurde der Vater krank, und eines Abends kroch Franz

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ER. voll Edelmut, aber nicht ohne Bitterkeit hin zu feinem Schatz und trug ihn in die Apotheke.

Jetzt mußte er von neuem anfangen, und er tat es: er trug des Morgens Fruͤhſtuͤck aus, bevor er zur Schule ging, und lauerte am Nachmittag auf die Reiſenden am Schleſiſchen Bahnhof, denen er hier und da ein Stüd Gepaͤck trug, und als im Juni nach einem kalten Fruͤh⸗ ling der herrliche, geliebte Sommer und ſeine Sonne kam, lag er im Waſſer und ſchwamm, daß es eine Art hatte. Dieſe Sommer-Nachmittage waren noch fein in dieſen und in den naͤchſten Jahren ſo lange er auf der Schule war. Er ließ ſie ſich nicht verkuͤrzen. Nach dem Eſſen ruͤckte er aus und kam am Abend wieder, mochten ſie daheim ſagen, was ſie wollten. Zwiſchen dieſen vier ſchwarzen, haͤßlichen Bretterwaͤnden, die alles, nur nicht den Himmel verſperrten, verbrachte er die langen Stunden ungezaͤhlter Nachmittage. Hier war die Welt, in der er lebte. Hier lernte er ſeine erſten, kunſtgerechten Sprünge, und hier bildete er feinen kleinen Körper in unausgeſetzter Übung zu der Kraft aus, die ihn ſpaͤter zu den Leiſtungen ſeiner Siege befaͤhigen ſollte.

Solange er noch nicht eingeſegnet war, brachte er es fertig, ſich für jeden Sommer feinen Taler zuſammen⸗ zuſparen, und dieſe Sommer vergingen ihm faſt wie ein einziger, langer, warmer Sonnentag, den er durch⸗ ſchwamm.

Aber auch die Winter dieſer Jahre ſeiner fruͤhen Kindheit waren nicht ohne alle Freuden. Die Stadt Berlin hatte nach langem Zoͤgern im Oſten ein großes, rotes Gebaͤude errichtet: eine Volksbadeanſtalt mit muſter⸗

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hafter Einrichtung, die neben den mancherlei Arten von Wannen⸗ und Brauſebaͤdern als Mittelpunkt auch eine große Schwimmhalle umfaßte, die Sommer wie Winter geöffnet war und das Schwimmen zu jeder Jahreszeit ermöglichte.

Es war die zweite ſtaͤdtiſche Anſtalt dieſer Art. Bisher hatten ſich in Berlin nur zwei oder drei andere Privat⸗ Anſtalten mit Schwimmbaſſins muͤhſam zu halten ver⸗ mocht, da die wenigſten Menſchen uͤberhaupt von der Möglichkeit, „im Winter zu ſchwimmen“, keine Vorſtellung hatten und die Exiſtenz ſolcher Schwimmhallen ihnen da= her einfach unbekannt und unverſtaͤndlich war.

Fuͤr Franz Felder waren dieſe privaten Anſtalten des: halb nicht in Betracht gekommen, einmal weil ſie viel zu entfernt lagen, und dann, weil das Baden in ihnen viel zu teuer war. So war die neue Anſtalt der Stadt wie für ihn gebaut, und wenn er auch im Sommer an dem ſchmucken Gebäude mit Verachtung vorbei und in den großen Kaſten an der Spree lief, ſo wandte ſich ihm doch ſeine ganze Aufmerkſamkeit zu, als der „Oſten“ ſich hinter ihm als dem letzten Badenden bis zum naͤchſten Sommer ſchloß und der alte Bademeiſter, als er ihn endlich endguͤltig hinausſchmiß, halb brummend, halb lachend gemeint hatte: „Na, weeßte, du haft ooch mehr an uns als wir an dir verdient!“

Franz brachte es fertig, Eintritt auch in das neue Ziel feiner Wuͤnſche zu erlangen. Es war allerdings nicht

an ein Abonnement für den ganzen Winter zu denken

eine unerſchwingliche Summe, die er weder zuſammen⸗

1 gebracht haͤtte, noch gewagt haben wuͤrde, ſelbſt fuͤr

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dieſen Zweck zu verwenden, auch wenn er im Winter die Zeit gehabt haͤtte zu taͤglichem Baden; ſchon die ein⸗ zelnen Baͤder waren fuͤr ihn teuer. Aber ſie waren doch zuweilen erſchwingbar, und außerdem wurden von der Gemeindeſchule aus die jüngeren Schüler ein⸗ oder zwei⸗ mal woͤchentlich vom Lehrer hierher gefuͤhrt, und bei dieſer Gelegenheit überfam Franz eine Ahnung von dem Zweck und Nutzen der Schule. Dieſe Freibäder verſoͤhnten ihn mit mancher anderen langweiligen und laͤſtigen Stunde. Das einzige, was ihm dieſe Freibaͤder im Winter zu verkümmern vermochte, war die Kürze der vorgeſchriebenen Zeit, in der die Kinder im Waſſer verweilen durften, und ob auch der Lehrer, ſelbſt ein großer Schwimmer und gütiger Freund feiner Kleinen, bei Franz ein Auge zus druckte, wenn dieſer ſelbſt durch die Schnelligkeit, mit der er ſich in ſeine Kleider warf, ein paar Augenblicke laͤngeren Verweilens in dem geliebten Naß zu ergattern vermochte, ſo war es Franz doch immer, als ſei er kaum einmal untergetaucht, und er hatte im Grunde ſeines Herzens für dieſe Art von Schwimmerei immer nur das eine Wort tiefer Verachtung: „Det is ja jarniſcht!“ Und trotzdem haͤtte er ſelbſt dieſe in ſeinen Augen ſo flüchtigen Augenblicke nicht miſſen können und wollen, denn immer ſeltener wurden die Male, in denen er allein dieſe wunderbare, warme Halle, die ihm der Inbegriff aller Weite und Schönheit war, beſuchen und mit dem Aufgebot aller Schliche ſo lange als irgend moͤglich in ihr verweilen konnte; und immer ſeltener und begehrter zu Hauſe wurden die Groſchen, die er ſich durch kleine Beſchaͤftigungen, wie das Brotaustragen am frühen, kalten

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Morgen vor der Schule und den Verkauf von kleinen Straßenwaren in den Weihnachtstagen und durch ſtetes Aufpaſſen auf jede andere moͤgliche Gelegenheit zu ver⸗ dienen wußte.

Früh wurde fein junges Leben muͤhſam und ernſt. Aber ungluͤcklich war er nicht, denn er konnte ja ſchwimmen, Sommer wie Winter ſchwimmen. Ungluͤcklich waͤre er nur geworden, wenn man ihm dies ſein einziges Ver⸗ gnuͤgen ganz genommen haͤtte. Aber daran dachte keiner, denn keiner verſtand, wie es ein jo großes Vergnügen ſein konnte.

So erreichte Franz Felder ſein vierzehntes Lebensjahr.

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Bisher hatte er von feinem Schwimmen nichts ges habt, als fein Vergnügen. „Brotloſe Kuͤnſte!“ ſagte fein Vater eines Tages, als Franz wieder einmal ſein Fort⸗ bleiben an einem ganzen Nachmittag und einem halben Abend mit nichts anderem zu entſchuldigen wußte, und dieſer konnte ſich nur mit dem Gedanken über dieſen Ausſpruch tröften, daß fein Vater eben auch nichts vom Schwimmen verſtehe. Er bedauerte ihn deshalb tief, denn für ihn gab es nur zwei Arten von Menſchen: ſolche, die ſchwimmen, und ſolche, die nicht ſchwimmen konnten. Die letzteren waren für ihn eine untergeordnete Klaſſe von Menſchen, jedes Mitleids wuͤrdig.

Nun aber er ſtand in ſeinem dreizehnten Lebens⸗ jahre brachte ihm ſeine Faͤhigkeit den erſten Erfolg in den Augen der Menſchen, und einen ſchoͤnen.

Es war an einem Sonntag⸗ Nachmittag, und Franz lag im Graſe an der Spree nahe der Kirche in Stralau, die ihren grauen Turm aus alten Linden und Ulmen heraus neugierig in den wolkenloſen Himmel ſtreckte. Franz war ganz allein. Seinen Freunden, die ihn zu einer Waſſerpartie nach Sadowa überreden wollten, hatte er einen Korb gegeben einmal, weil ein paar mit⸗ machten, die ihm nicht paßten, da fie ihm zu rüdig

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waren, und ſodann, weil er nur drei Sechſer in der Taſche hatte, uͤber die bereits anderweitig fuͤr morgen verfuͤgt war. Zudem war er ganz gern allein, und die Paͤtſchelei machte ihm nur dann Vergnuͤgen, wenn ſie mit einem regelrechten Bade verbunden war.

Franz alſo lag in dichtem Graſe, ſog an ausgerupften Halmen und ließ in augenblicklicher Ermangelung eines Beſſeren einen um den anderen ſeiner nackten Fuͤße ins Waſſer haͤngen. Erſt hatte es ihm Spaß gemacht, nach den Sommergaͤrten von Treptow, die alle ſchwarz von Menſchen waren, und auf die Spree, wo ſich Unmengen von kleinen Booten, Kaͤhnen und Seglern herumtrieben, hinauszuſchauen, und er hatte ſich vorgenommen, einmal aufzupaſſen, wie lange es wohl dauern wuͤrde, bis eine dieſer meiſt von den ungeuͤbteſten Haͤnden gelenkten Schalen in den Kurs eines der ſchwerfaͤlligen Dampfer kam, die einer nach dem andern menſchenuͤberladen und unter ohrbetaͤubendem Geklingel ſpreeauf- und abwärts an ihm vorbeifuhren. Denn alle Sonntage kamen hier einer oder mehrere Unfaͤlle vor, und das Gottvertrauen, mit dem der Handlungsgehilfe aus NO. und der Friſeur aus SW., denen doch ſonſt vor jeder Berührung mit dem Waſſer inner⸗ und aͤußerlich graute, die Boote mit ihren Schönen beluden und direkt auf die Dampfer los: fuhren, hatte etwas Ruͤhrendes. Aber, wie es immer iſt: wenn wir auf ein Ereignis warten, kommt es nicht, und jo wurde auch Franz bald müde, auf die Waſſerflaͤche hinauszublinzeln, und er ſah zur Abwechſlung hinauf in den Himmel, indem er ſich auf den Ruͤcken warf.

Od es wohl ein Waſſer gab, das fo tief und fo

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blau war, wie dieſer Himmel dort oben? Was mußte das fuͤr eine Luſt ſein, darin zu baden! Er dachte an einen ſeiner Lehrer, der einmal von einem Maͤrchen erzaͤhlt hatte. In dem kam ein Bergſee vor, der ſollte „No tief wie das Meer und jo blau wie der Himmel“ ſein. Aber Franz konnte ſich keine rechte Vorſtellung von einem Bergſee machen, und außerdem war es ja ein Maͤrchen, das der Lehrer erzaͤhlte. Die Spree war immer dunkelbraun und ſchmutzig, und auch in dem Volksbad konnte man nicht auf den Grund ſehen, auch dann nicht, wenn das Baſſin gereinigt und mit friſchem Waſſer ge⸗ füllt war. Aber es mußte doch wunderſchoͤn fein, eins mal in einem ſo ganz klaren, durchſichtigen Waſſer zu baden

Und da empfand Franz auch ſchon mit heftigem Un⸗ behagen, daß er heute noch gar nicht im Waſſer geweſen war. Wenn er es wagte? Aber das waͤre doch wohl eine zu große Frechheit geweſen, am Sonntag, hier vor allen Leuten wenn ihn da ein Schutzmann erwiſchte, wuͤrde es ſchoͤne Senge abſetzen, und nicht die allein. Nein, er mußte ſchon warten, bis es dunkel geworden war, und dann auf dem Heimweg noch ſchnell einmal irgendwo hineinſpringen. Weshalb waren doch nur alle Badeanſtalten am Sonntag nachmittag geſchloſſen das war doch zu dumm! Wo alle anderen Ver⸗ gnuͤgungslokale geoͤffnet waren, blieben die, wo es das allergrößte gab, zu!

Und wenn er nun doch jetzt ſein Bad naͤhme! Er getraute es ſich, ſeine Kleider abzuwerfen und ſo lautlos ins Waſſer zu ſchluͤpfen, unter ihm hin eine

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Strecke zu ſchwimmen, einmal aufzutauchen, um Atem zu ſchoͤpfen, dann ſo lautlos wieder zuruͤckzuſchwimmen, daß kein Menſch ihn bemerken ſollte. Aber eine boden: loſe Frechheit waͤre es doch geweſen und wenn wirklich ein Schutzmann in der Naͤhe war und immer war ein ſolcher Kerl irgendwo in der Naͤhe! und die Kinder ein Geſchrei erheben würden...

War da ſchon einer? Schrien die Kinder oder wer ſchrie ſo? Franz ſprang in die Hoͤhe. Hatte er es nicht gleich geſagt? Na ja, gleich der ganze Kahn um und alles ins Waſſer! Und ein Geſchrei und Ge⸗ rufe und ein Laufen jetzt aber raus aus dem Hemde und ins Waſſer! Er fuhr durch das Waſſer wie nie in kurzen, kraͤftigen Stoßen. Er wollte ſchon auf den Kahn zu, als er noch ein Stuͤck von ihm entfernt etwas auf dem Waſſer kaͤmpfen und unterſinken ſah: einen Jungen, ein paar Jahre ‚jünger nur, als er ſelbſt. Er erreichte ihn noch gerade und packte ihn beim Arm.

Aber der klammerte ſich auch gleich an ihm feſt, und

Franz hatte Muͤhe, wieder loszukommen. Denn ſo ging das ja nicht. Er ſchrie ihm zu, ganz ruhig zu ſein, er bringe ihn ſchon ans Land. Aber der andere war ſchon wieder mit dem Kopfe unter Waſſer und hoͤrte nichts mehr.

Da ließ ihn Franz einen Augenblick ganz los, griff ihn dann feſt unter dem Arm und brachte nun den ſich nicht mehr Straͤubenden denn der hatte einſtweilen genug Waſſer geſchluckt langſam, aber in ſicheren und kraͤftigen Stoßen ans Land.

Dort ſtreckten ſich ſchon hundert Haͤnde aus nicht

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nach dem Retter, um den kümmerte ſich keiner ſondern nach dem andern, und Franz war froh, daß man ihn in Ruhe ließ. Er ſuchte nach ſeinen Kleidern. Alles lag noch da, aber ſeine Jacke fehlte. Er ſuchte und ſuchte, ohne ſie finden zu koͤnnen. Erſt wollte er Skandal machen. Doch dann haͤtten ſich alle die Menſchen, die ſich dort um den Geretteten bemuͤhten oder ihn neu⸗ gierig umſtanden, nach ihm gewandt und ihn ausgefragt. Fragen aber war ihm ein Greuel. Und es nuͤtzte ja doch niſcht! der ſeine Jacke mitgenommen hatte, der Halunke, war jetzt doch ſchon über alle Berge!

Er machte beſſer, daß er fort kam, denn er glaubte, einen Lehrer am Ufer erkannt zu haben. Nur keine Quat⸗ ſcherei!

Er ſah noch gerade, daß der Junge wieder aufrecht ſtand, den er herausgeholt; dann rannte er, was er konnte. Aber als wirklich der Lehrer ſich nach ihm umſah, war Franz laͤngſt verſchwunden.

Er trottete in Hemdsaͤrmeln nach Hauſe. Sein Bad hatte er ja nun gehabt. Aber als er mit geſenktem Kopf an den Scharen der ſonntaͤglichen Spaziergaͤnger die lange Straße laͤngs der Spree nach Hauſe trabte, mußte er einmal doch die aufſteigenden Traͤnen hinunterſchlucken, als er daran dachte, daß er nun ohne Jacke nach Hauſe kam, und an den Skandal, den es abſetzen würde. Denn ſagen, wie es wirklich geweſen war, das konnte er 12

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1 Er hatte die ganze Sache laͤngſt vergeſſen, und auch deer Laͤrm um die Jacke zu Haufe war verhallt, als ihm eines Tages in der Schule die Eroͤffnung wurde, daß ihm „fuͤr ſeine mutige Tat“ die Medaille verliehen werden und daß er ſie am Tage der Entlaſſung aus der Schule in Öffentlicher Feierlichkeit erhalten ſollte.

Er wußte zuerſt nicht, was er dazu ſagen ſollte, und hoffte die Sache damit zu erledigen, daß er nicht daran glaubte. Das war auch nur wieder ſo eine Quatſcherei wegen ſo was! Aber er irrte ſich. Die Medaille war ihm wirklich zuerkannt, und zwar auf Betreiben desſelben Lehrers an ſeiner Schule, der zufaͤllig an jenem Sonntag in der Naͤhe geweſen war und vergebens nach ſeinem Schuͤler geſucht hatte, nachdem er durch ſeine praktiſchen Anordnungen den Geretteten wieder ſo weit gebracht, daß er Luft ſchnappen konnte.

Franz machte dieſe Feier kein Vergnuͤgen. Es war ihm unangenehm, ſo vorgerufen und von allen Augen angeſtaunt zu werden, als habe er Gott weiß was getan, und er . haͤtte ſich am liebſten in die Erde, oder noch weit lieber: ins Waſſer verkrochen. Aber das ging nun einmal nicht. Der Rektor hielt eine Rede, von der er wenig ver⸗

ſtand, da er nicht zuhoͤrte. Dann mußte Franz vortreten vn 3

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vor die andern Schüler und die Herren in ſchwarzen Röcken hin, und er fühlte, daß er rot wurde, als ihm die kleine, braune Bronze⸗Medaille an die Bruſt geſteckt wurde. Aber trotz aller Unbehaglichkeit durchdrang ihn doch in dieſem Augenblicke ein Gefuͤhl großer Gehoben⸗ heit, etwa aͤhnlich dem, das er empfand, wenn er ganz allein draußen auf ſeinem Elemente ſchwamm und fuͤhlte, wie er es beherrſchte. Und dies Gefühl mußte ſich in ſeinen Augen widerſpiegeln, mit denen er jetzt aufſchaute zu dem ſonſt ſo gefürchteten Rektor. Denn als dieſer den Ausdruck ſtummer Begeiſterung in den blauen, ehr⸗ lichen Augen des Knaben ſah, ihm ſo ungewohnt bei feinen fühlen, fruͤh lebensklugen Berliner Kindern, legte er noch einmal ſeine Hand auf den kurzgeſchorenen Kopf vor ihm, und ſich etwas niederbeugend, fügte er feinen Worten noch hinzu:

Du wirft gewiß einmal ein ſehr tuͤchtiger Schwimmer werden

Da aber antwortete Franz mit einer ſeiner ſonſtigen Schwerfaͤlligkeit ganz fremden Ploͤtzlichkeit und Schlag⸗ fertigkeit und wieder ſtand das ſeltſame Leuchten in ſeinen Augen:

Das bin ich ſchon!

Der Rektor lächelte, #

Aber ja. Sonſt hätteft du dir das da nicht verdient. Ich meinte auch nur, daß du dich noch weiter ausbilden kannſt; das willſt du doch gewiß?

Franz war wieder der alte, und er antwortete mit ſeiner eben zu der Einſegnung eingelernten Verbeugung, |

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die das einzige war, was ihm von der ganzen Geſchichte „dieſer heiligen Handlung“ geblieben war, nur:

Jawohl, Herr Rektor!

Die Feierlichkeit war zu Ende und keiner froher daruͤber, als Franz, der ſofort nach der Volksbadeanſtalt ſtuͤrzte und ſie gerade noch lange genug offen fand, um im Waſſer für eine halbe Stunde zu vergeſſen, was auf der Erde um ihn vorging.

Acht Tage vorher war er eingeſegnet worden, und ſo waren die beiden groͤßten aͤußeren Ereigniſſe ſeiner bis⸗ herigen kindlichen Jugend zuſammengefallen.

Die Einſegnung ſelbſt hatte ihn ganz kalt gelaſſen und er hatte mit dem beiten Willen nicht die üblichen Tränen hervorquetſchen koͤnnen, die bei dieſer Gelegenheit erwartet wurden. Aber die Verleihung der Medaille hatte ihn doch etwas innerlich erregt, da die anderen ſo viel Weſens davon machten und ihn anſtaunten, wo er ging und ſtand. Den tiefſten Eindruck machte es ihm, daß ſein Name in den Zeitungen ſtand, und als an einem Abend dieſer Woche der Onkel Sattlermeifter aus der kleinen Markus: ſtraße in dem elterlichen Keller erſchien und mit droͤh⸗ nender Stimme bei verſchiedenen Weißen die Notiz im „Lokal⸗Anzeiger“ uͤber feinen Neffen vorlas, da war dieſer faſt jo glücklich, wie einige Tage ſpaͤter, als derſelbe Onkel ihn „zur Einſegnung“ mit einer ſilbernen Taſchenuhr beſchenkte.

Jetzt war er von der Schule endguͤltig frei, die er im letzten Jahre geradezu gehaßt hatte. Er war nun darauf angewieſen, auf eigenen Fuͤßen zu ſtehen, Geld zu verdienen, um feinen Eltern ein Koſtgeld zu zahlen, mit

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zꝛuſammengehalten und gefucht, ſich das Leben gegenfeitig,

f einem Wort: ſich durchs Leben zu ſchlagen, ſo gut es

entſcheiden.

vierzehn Jahre alt geworden war, erklaͤrten die Eltern,

ſelbſtaͤndig gemacht, d. h. geheiratet hatten oder in die

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Fuͤr einen beſtimmten Beruf konnte er ſich noch nicht

Die beſſeren Berufsarten, die der Mechaniker, In⸗ genicure uſw., bei denen ein Lehrgeld in der Hoͤhe von mehreren hundert Mark zu bezahlen war, waren uͤberhaupt ausgeſchloſſen, da ſein Vater nie in der Lage geweſen waͤre, auch nur hundert Mark auf einmal fuͤr einen ſeiner Söhne aufzutreiben. Aber auch die Lehrſtellen, bei denen ein Lehrgeld nicht gefordert wurde, die nur die drei⸗ oder vierjaͤhrige Verpflichtung unentgeltlicher Kraft verlangten oder nach einiger Zeit und ſogar von Anfang an ein kleines, von Jahr zu Jahr um etwas hoͤher werdendes Gehalt auszahlten, waren ihm verſagt, denn jetzt, wo er

ihn nur bei ſich behalten zu können, wenn er wöchentlich feinen Beitrag für Wohnung und Eſſen beiſteuerte. Alle ſeine Brüder hatten das getan, bevor fie ſich

Fremde gegangen waren, und Franz waͤre der letzte unter ihnen geweſen, der nicht eingeſehen haͤtte, wie berechtigt die Forderung war. Die Familie Felder hatte immer

zu erleichtern; daß es ſo ſchwer war, nahmen alle als eine unabaͤnderliche Notwendigkeit, und Franz machte keine Aus nahme, wenn er nicht Darüber nachdachte, warum es eigentlich für fie alle jo ſchwer war

Er ging ohne Zaudern daran, ſich Arbeit zu ſuchen. Er ſchreckte vor keiner zurück. Im Winter war er Lauf⸗

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burſche und Austräger in verſchiedenen Geſchaͤften, hatte dann eine Stelle als Bote in einem großen Zigaretten⸗ Importgeſchaͤft, zu dem er in einer auffallenden Uniform und in einer Muͤtze mit Aufſchrift gehen mußte; und im darauffolgenden Sommer zog er fuͤr eine Papeteriewaren⸗ handlung mit einem Karren und einem Hunde, meiſt allein, zuweilen aber auch mit einem zweiten Jungen, vom Morgen bis zum Abend in der ganzen Umgegend von Berlin herum, um Waren abzuliefern. So brachte er es fertig, waͤhrend dieſes ganzen Jahres nie weniger als zehn Mark die Woche zu verdienen, und meiſtens noch etwas mehr, bis zu dreizehn und ſelbſt vierzehn, die Trinkgelder eingerechnet.

8.

Alles, was er an Geld und Zeit erübrigen konnte, gehoͤrte bis auf die letzte Minute und den letzten Pfennig feiner erſten Liebe: dem Waſſer!

Immer brachte er es fertig, auf ſeinen Geſchaͤfts⸗ gaͤngen und mußte er ſich noch ſo ſehr vorher und nachher beeilen jo viel an Zeit zu erübrigen, daß er in das zunaͤchſt gelegene Schwimmbad eilen konnte auf ein kurzes, oder, wenn es irgend anging, auf ein langes Bad. Im Sommer faſt taͤglich: da befand er ſich meiſt in den Vororten von Berlin, und ſtatt der wenigen Winter⸗Schwimmbaͤder der Stadt fand er Überall ein Sommerbad. Und mochte er in Reinickendorf oder Steglitz, am Ploͤtzenſee oder in Rirdorf ſein im Sommer wenigſtens durfte kein Tag vergehen, an dem er nicht in die Fluten tauchen konnte, die ſein Element waren. Er verzichtete auf die Mittagsruhe unter einem Baum auf dem Felde; er uͤberredete feinen Kameraden, mit dem Wagen eine halbe Stunde auf ihn zu warten, und ver⸗ ſuchte es auf alle Weiſe ſelbſt durch Beſtechung mit einem Sechſer oder mit einem Glas Bier; er ſtellte den Wagen bei Bekannten, die er überall machte, fuͤr eine Stunde unter, nur um auf fein Vergnügen nicht ver: zichten zu muſſen. Sonſt fo ſchwerfaͤllig, wurde er ſchlau

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in der Anwendung der Mittel, die ihn zu ſeinem Ziele fuͤhren konnten: ſeinem taͤglichen Bade.

übrigens fand er im Sommer meiſt Zeit. Bei dieſen weiten, tagelangen Fahrten konnte ſein Fortbleiben vom Geſchaͤft aus nur ſelten ſo genau kontrolliert werden, wie im Winter; wenn er abends, und mochte es auch ſchon ſpaͤt ſein, mit dem leeren Wagen nach Hauſe kam und nur alle Beſtellungen abgeliefert waren, war der Chef zufrieden, um ſo mehr, als Franz ſehr zuverlaͤſſig und ehrlich war, ſo daß ihm oft große Summen zur Einkaſſierung anvertraut wurden.

Auch die paar Groſchen fuͤr das Bad fand er immer. Sie waren ſeine einzige Ausgabe. Er hatte ſonſt kein Beduͤrfnis und verzichtete lieber auf ſein Glas Bier, als auf ſein Bad. Er konnte hungern und durſten und oft genug tat er beides —: aber ſein Vergnuͤgen ließ er ſich nicht nehmen. Auch war es ja ein ſo billiges Ver⸗ gnügen. Da er ſich immer noch in vielen Faͤllen auf ein Kinderbillet durchſchmuggelte, ſo koſtete ihm ſein Hallenbad nicht mehr als zwanzig, ſein Sommerbad meiſt aber nur zehn Pfennig. Das konnte er ſich ſchon leiſten. Nur ſprach er nicht mehr fo viel von feinem Vergnügen, Die Mutter haͤtte ſelbſt uͤber die kleine Ausgabe geklagt, und ſeine Freunde verſtanden ſeine Leidenſchaft doch nicht fo, wie er fie fühlte. So umgab er fie mit der ganzen Heimlichkeit einer wirklich erſten Liebe und ſtahl ſich zu feinem einzigen und größten Vergnügen wie zu einem Stelldichein.

Seine kleine Badehoſe, die zuſammengerollt nicht großer war als feine Fauſt, trug er mit ſich, wo er ging

Re und ſtand. Und mehr als fie, den Groſchen und eine Stunde Zeit, brauchte er ja nicht.

Es war eine harte und freudlofe Kindheit, die dem Knaben beſchieden war. Aber eine große Freude, die ſchon jetzt etwas von der alles in ihm beherrſchenden, verzehrenden Leidenſchaft ſpaͤterer Jahre an ſich hatte,

bͤbbergoldete ihre graue Nüchternheit, ließ ihn Müdigkeit

und Entbehrungen vergeſſen, und dieſe Freude war es,

KR in der er feine ganze Jugend auslebte und auskoſtete in

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ihrer erſten Kraft und in ihrem erſten unendlichen Ge⸗ nießen.

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9.

Ihm war das Schwimmen noch keine Kunſt. Er ahnte noch nicht einmal, daß es als eine ſolche betrachtet werden konnte. Wohl wußte er von der ſportlichen Aus⸗ bildung der Schwimmer, aber dieſe reizte ihn nicht. Sie war ihm fremd.

Wie als kleiner Kerl von fuͤnf Jahren, ſo tummelte er ſich auch jetzt noch im Waſſer, nur daß er mit ſeiner zunehmenden Kraft gelernt hatte, es jetzt völlig zu be⸗ herrſchen.

Als nochmals ein Sommer zu Ende ging, da gab es fuͤr den jungen Burſchen kein Waſſer in der ganzen naͤheren Umgebung von Berlin, wenn es nur ebenſo groß war, daß man in ihm baden konnte, in dem er nicht geſchwommen haͤtte. Berlin war eine große Stadt mit vielen Straßen und unzaͤhligen Haͤuſern, aber ihre Be⸗ deutung beſtand doch nur darin, daß um ſie herum die Teiche und Seen lagen und daß ſie der dunkle Fluß durchzog

Er ſchwamm nur zu ſeinem Vergnuͤgen und nur zu eigener Luſt. Sein einziger Wunſch war, den ganzen Tag im Waſſer zu liegen, und er war gluͤck⸗ lich uͤber die langen Sonntag⸗Nachmittage, an denen er es konnte.

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Mit ſeinen kurzen, ſtaͤmmigen Beinen, ſeinen feſten Armen, an denen ſich die Muskeln auszubilden be⸗ gannen, beherrſchte er das Waſſer mit vollkommener Sicherheit.

Es war ſein Freund, zu dem er unbedingtes Vertrauen hatte ſein beſter, ſein einziger Freund. An ſeiner Bruſt vergaß er alle Muͤhſeligkeiten ſeines jungen Lebens, und wenn er bei ihm ſein durfte, war er gluͤcklich.

Und das Waſſer vergalt ihm ſeine Liebe. Es war wie ein Aufſchrei der Freude ſeiner Wellen, wenn es ihn umfing, und es trug ihn ſicher und freundlich, wie er nur wollte. Sie ſpielten, ſie rangen miteinander, wie Knaben es tun, um ihre Kraft zu meſſen, aber ſie ver⸗ trugen ſich immer.

Ach, und wie der Knabe es liebte!

Wie andere Kinder den weißen Sand, mit dem ſie ſpielen, durch die Haͤnde gleiten laſſen, ſo nahm er oft, auf dem Rücken liegend, das fluͤſſige, raͤtſelhafte Element, um es zu faſſen, in die Haͤnde, und es zwiſchen den Fingern zerrinnen zu ſehen in flüchtigen Blaſen.

Wie andere Kinder zu ihrer Mutter gehen mit ihren Klagen und Wünſchen, fo kam er zu ihm, um ſich troͤſten zu laſſen.

Sein ganzer, kleiner Körper zitterte vor Aufregung, wenn er das Waſſer ſah, und er ſuchte den koͤſtlichen Augenblick zu verlaͤngern, in dem er hinein durfte.

Lag er dann im Waſſer, ſo rollte er ſich zunaͤchſt förmlich über die Fläche hin, uͤberſchlug ſich vor Wonne und kugelte ſich zuſammen, ging unter und kam wieder hervor, ſtreckte die Glieder in unendlichem Wohlbehagen

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und glitt auf der Oberfläche hin, wie eine Schlange, bis er zu ſchwimmen begann.

Dann ſchwamm er, ruhig, langſam und lautlos, fait andaͤchtig; oder in voller Kraft auf ein Ziel los, daß das Waſſer rauſchte.

Er ſchwamm, und er wurde nie muͤde.

Er tauchte, und feine kleine Bruſt weitete ſich mühelos.

Er ſchwamm und ſchwamm, wo und wann er konnte. Es war ein heißer Sommer, ein langer Sommer, ein arbeitsvoller Sommer.

Aber es war doch ein Sommer voll Freude.

Viel noch ſollte Franz Felder in ſeinem Leben ſchwimmen.

So ſorglos, ſo unbekuͤmmert vielleicht nie mehr.

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J.

Auch dieſer Sommer war vorbei, und wieder war es zu kalt geworden, um im Freien zu baden. Die offenen Sommeranſtalten ſchloſſen ſich. Franz Felder hatte ſeine Stelle aufgeben muͤſſen, da im Geſchaͤft nicht mehr genug zu tun war, und ſuchte nun nach einem geruͤhrten Ab⸗ ſchied von Caͤſar, dem treuen Gefaͤhrten ſo vieler ſchoͤner, heller Sommertage, nach einer neuen Stelle für den Winter. Einſtweilen nahm er mit, was er kriegen konnte.

So oft er konnte, ging er nun wieder in das große Volksbad, deſſen hohe, warme Halle ſich das ganze Jahr über nur an den zweiten Feiertagen ſchloß und immer weniger beſucht wurde, je kaͤlter es draußen wurde.

Es war ja nicht dasſelbe, ſagte Franz zu ſich, wie das Baden im Freien. Aber es war doch wenigſtens ein Waſſer, in dem man ſchwimmen konnte.

Als er eines Abends ſo mit ſeinen Kameraden im Baſſin tummelte und ſie gerade in einer kleinen race auf SO Meter ſpielend geſchlagen hatte, kam ein Herr auf ihn zu, den er ſchon oft geſehen, und fragte ihn, ob er denn nicht Luſt habe, in einen Schwimmverein einzutreten.

Es war nicht das erſtemal in letzter Zeit, daß an den Jungen dieſe Frage geſtellt wurde, und ſchon wollte

A er ſagen, daß er einſtweilen noch etwas warten wolle,

als er hörte, was der Herr weiter fagte: 8

Sie muͤſſen wiſſen, wir nehmen nicht jeden in unſere Jugendabteilung, ſondern nur Kraͤfte, von denen wir uns etwas fuͤr unſeren Verein verſprechen.

Und plotzlich ſchoß es Franz durch den Kopf: der Herr gehoͤrte ja zum „Schwimmklub Berlin von 1879“, dem aͤlteſten und angeſehenſten Schwimmverein Berlins, dem ſo viele Meiſterſchaftsſchwimmer entſtammten, der die großen Feſte gab, und in den einzutreten überhaupt eine Unmöglichkeit ſchien ... und noch etwas außer

Atem und ganz hochrot fragte er faſt unglaͤubig:

Schwimmklub Berlin von 1879? Der Herr lächelte. Jawohl. Sie wiſſen vielleicht,

unſere Beiträge find um etwas höher, als in den anderen

Vereinen, aber wir ſind nicht rigoros in dieſer Beziehung, und der gute Wille zaͤhlt hier mit, wenn es einmal nicht ſo geht. Übrigens haben Sie ſo viele andere Vorteile bei uns, beſonders wenn Sie viel baden, daß ſich das ſchon machen laſſen wird

Als er ſah, daß Franz noch immer nicht antwortete, laͤchelte er wieder und machte eine Bewegung:

Ich will Sie übrigens nicht uͤberreden .. Sie

können ſich die Sache ja überlegen

Aber da ſagte Franz haſtig, als koͤnne ihm das unerwartete Gluͤck wieder entgehen:

Nein, nein, ich will ſchon gern

Der Herr zog ſein Notizbuch hervor:

Alſo, der Name

Franz Felder

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Adreſſe?

Berlin O., Muͤnchebergerſtraße 102, und etwas zoͤgernder: Hof im Keller

Der andere ſchrieb alles auf. Dann reichte er ihm die Hand: „Unſere ubungsſtunden für die Jugendabteilung kennen Sie wohl? Jeden Dienstag und Freitag abends acht Uhr.“

Franz nahm die dargebotene Hand, machte eine tiefe und reſpektvolle Verbeugung, wie er ſie vor ſeinem Pfarrer und ſeinem Rektor gemacht hatte, ſah, wie der Herr weg⸗ ging, und fuͤhlte zugleich einen freundſchaftlichen Rippen⸗ ſtoß in der Seite:

Du, wat hat denn der von dir jewollt?

Er ſah ſeine Freunde um ſich und ſagte nur von oben herab:

Ich bin aufgefordert worden, dem „Schwimmklub Berlin 1879“ beizutreten, und ließ ſie ſtehen.

Nun, da er es ausgeſprochen hatte, glaubte er es ſelbſt, und eine unbaͤndige Freude ergriff ihn.

O, er wollte Ehre einlegen! Und die ſiebzig Pfennige Monatsbeitrag wollte er ſchon aufbringen und ſo puͤnktlich zahlen, daß man ihm deshalb nie einen Vorwurf machen ſollte, wenn er auch einſtweilen noch nicht wußte, wie ſie aufzutreiben waren.

Im Geiſte ſah er ſich ſchon in dem blaugeſaͤumten Trikot und der Badehoſe, die in Blau die geſtickten Anfangsbuchſtaben und die Zahl 1879 trug, und er machte vom Sprungbrett einen Freudenſprung, aber ſo ungeſchickt

in ſeiner Aufregung, daß er nur durch eine gewandte vn 4

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Wendung im letzten Moment es verhinderte, flach auf⸗ zuſchlagen.

Daran, daß es ihm nie als ein beſonderes Vergnügen erſchienen war, einem Verein anzugehoͤren, daß er den Zwang der Stunde, das Schwimmen-Muͤſſen um beſtimmte Laͤngen, dabei unter ſchaͤrfſter Aufſicht und ſteter Kritik, daran, daß ihn das ganze Klubleben, ſoweit er es kannte, mit einem Wort: das „offizielle Schwimmen“ nie an⸗ gezogen hatte, an all dies dachte er nun nicht mehr. Sein Ehrgeiz war angeſtachelt. Man hatte ihn bemerkt und ſo ausgezeichnet, ihn zur Mitgliedſchaft an dem erſten und aͤlteſten Schwimmverein Berlins aufzufordern.

Er gehoͤrte von heute ab dem „Schwimmklub Berlin

1.870% an, und allen, die es hoͤren wollten, und ſehr

vielen, die es nicht hoͤren wollten, erzaͤhlte er die ihm

ſelbſt unglaublich erſcheinende Tatſache, tief entrüftet über

die Gleichgültigkeit, mit der fie allgemein aufgenommen wurde.

2,

Es gab kein jugendliches Mitglied des Vereins, das puͤnktlicher zu den Übungsabenden gekommen wäre, keines, daß ſich williger und begeiſterter jeder Anordnung an dieſen Abenden gefuͤgt haͤtte, als Franz Felder. Man merkte es bald, und er erwarb ſich manche Bekanntſchaft im Klub dadurch auch von ſolchen, die der Einfuͤhrung von Mitgliedern, und noch ſo verheißungsvollen, aus, wie ſie es nannten, „anderen Verkehrskreiſen“, fremd, ja feind⸗ lich gegenuͤberſtanden. Bei faſt allen von ihnen erwarb ſich der neue Ankoͤmmling Achtung und Sympathie, einmal wegen des leidenſchaftlichen, fait komiſch-weihevollen Ernſtes, mit der er die Sache betrieb, und dann wegen der Beſcheidenheit und Ehrlichkeit ſeines Weſens, das ſich nie vordraͤngte. Man ſetzte bald große Hoffnungen auf ihn und ließ ihn nicht aus den Augen.

Das naͤchſte große Ereignis, das ſein Eintritt in den Klub zur Folge hatte, war eine Lehrſtelle in einer großen mechaniſchen Werkſtaͤtte, die ihm durch einen ſeiner neuen Sportsfreunde dort verſchafft wurde. Er ſollte gleich von Anfang an einen Wochenlohn erhalten und erhielt die Zuſicherung ſorgfaͤltiger und vollſtaͤndiger Ausbildung. Da unterdeſſen auch ſeine Bruͤder in beſſeren Stellungen waren und die Einſegnung eines jüngeren bevorſtand,

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trat er die Stelle an. Er blieb bei feinen Eltern wohnen

und der groͤßte Teil ſeines woͤchentlichen Verdienſtes wanderte nach wie vor in ihre Haͤnde. Was er fuͤr ſich behielt, brauchte er dazu, um am Sonntag auf den Aus⸗ flügen mit feinen Kameraden ein Glas Bier zu trinken, und für die erſten paar Mark, die er eruͤbrigte, ſchaffte er ſich ein tadelloſes Trikot an, eine Sportsmüge und das Klubabzeichen, ein kleines Schild, das auf dem Rock⸗ aufſchlag getragen wurde.

Er ging nun völlig auf in dem Leben des Vereins. Die Vergnügungen des Klubs waren feine Erholungen, ſeine Arbeit die ſeine. Die Sportskameraden waren ſeine Freunde, mit denen er alles teilte. Die Arbeit des Tages in der Fabrik tat er, weil ſie getan werden mußte, und er tat ſie gut und fleißig. Seine Familie ſah er nur, wenn es unbedingt nötig war, bei den unerlaͤßlichen Geburtstags: und anderen Feiern; mit den paar Freunden ſeiner Kinderzeit verkehrte er faſt gar nicht mehr.

Seine Dankbarkeit gegen ſeinen Klub wuchs allmaͤhlich ins Ungemeſſene. Er konnte ſie einſtweilen nur durch völlige Hingabe beweiſen. Aber immer wieder ſchwur er ſich ſelbſt zu: ſeinem Klub Ehre zu machen in jeder Beziehung, Ehre um jeden Preis. Er ſollte keinen Un⸗ würdigen in ihm aufgenommen haben.

Er wußte, daß er Über eine Kraft verfügte, die ig vielleicht einmal zu Siegen führen konnte, wenn er ſie ſtaͤhlte und übte. Nicht für ſich wollte er dieſe Siege erringen, daran dachte er nicht. Doch er traͤumte bereits im ſtillen davon, um den alten Namen des Vereins

neue Lorbeeren zu ſchlingen, die er ſelbſt in heißem Kampfe erfochten.

Er ſchwamm nicht mehr nur ausſchließlich zu ſeinem Vergnügen, er ſchwamm um ein Ziel, und begeiſterter ſchwenkte keiner die Sportsmuͤtze, lauter ſchrie keiner mit,

wenn das „Gut Naß! Hurra! Hurra! hurra!“ erſcholl,

als Franz.

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3.

Seine Fortſchritte waren rapide und ſetzten ſelbſt ſeine neuen Lehrer in Erſtaunen. Bei all ſeinen Faͤhigkeiten und all ſeiner unvergleichlichen Liebe zur Sache war es doch ein rohes Material, das hier in Ausbildung ge⸗ nommen wurde.

Dieſes jüngfte Mitglied der Jugend⸗Abteilung zu der die jungen Leute meiſt aus der Knabenabteilung mit

ihrem vierzehnten Jahre kamen und in der ſie etwa bis zu ihrem ſiebzehnten blieben war bei ſeinem Eintritt ein guter Schwimmer geweſen, aber ſonſt auch nichts.

Stil und Form bekam ſein Schwimmen erſt jetzt unter der ſteten und ſtrengen Bewachung an den Übungsabenden. Aber wie bald wurde die Form ſchoͤn und ſein Stil ſicher! Nach ein paar Wochen ſchon war Felder der anerkannt beſte Schwimmer ſeiner Abteilung.

Auf dem internen Wettſchwimmen des Klubs, das alljaͤhrlich im Winter in der Schwimmhalle des Volks⸗ bades ſtattfand und auf dem mit Ausnahme eines Gaſtſchwimmens befreundeter Klubs nur Klubmitglieder ſchwammen, holte ſich Franz ſeinen erſten Preis: den im Junioren⸗Schwimmen über SO Meter. Es war ein kleiner, einfacher Lorbeerkranz mit bedruckter Schleife, den er nach Hauſe trug.

Es war nicht das erſtemal, daß er ein Schwimm⸗

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Hi feſt ſah, denn er war in letzter Zeit oft zu ſolchen mit⸗ genommen und hatte mit tiefer, innerer Erregung den

Wettkaͤmpfen zugeſehen, an denen er ſich noch nicht be⸗ teiligen durfte. Nun ſchwamm er zum erſten Male mit.

Er wußte, daß er ſiegen würde, denn er kannte ja alle

ſeine Gegner und hatte jeden einzelnen bei den uͤbungen wieder und wieder geſchlagen. Dennoch war er aufgeregt und freute ſich, als es vorbei war.

Befangen, wie damals, als ihm der Rektor das Rettungszeichen an die Bruſt heftete, nahm er ſeinen erſten, kleinen Siegerpreis in Empfang.

Aber im Grunde war er doch maͤchtig ſtolz, als er den Kranz zu Hauſe in dem gemeinſchaftlichen Schlaf⸗ zimmer über dem ſchmalen Bett aufhing, iu dem er mit einem juͤngeren Bruder den feſten, traumloſen Schlaf der geſunden Jugend ſchlief, und bei Strafe unermeßlicher Schlaͤge verbot er der ganzen Geſellſchaft, auch nur ein Blatt zu beruͤhren.

Der Kranz wurde erſt angeſtaunt, blieb haͤngen und wurde dann über höheren und reicheren Ehrungen vers geſſen, verdorrte und verſtaubte, und war doch der erſte Lorbeer, der dieſe junge Stirn beruͤhrt hatte.

4,

Wieder folgte für Franz Felder auf feinen erſten kleinen Sieg ein Jahr ernſten Strebens. Es galt jetzt nicht mehr, ſich mit ſeinen Klubgenoſſen zu meſſen, ſondern ſeine Kraͤfte an weitere, außenliegende Ziele zu wagen.

Er war ſehr in die Hoͤhe geſchoſſen, und die Schlank⸗ heit ſeines Koͤrpers verriet nicht, wie groß die Kraft war, die in ihm lag. Aus dem ſtaͤmmigen, dicken Jungen mit den behaglichen, etwas ſchwerfaͤlligen Gliedern wurde

ſchnell ein ſehniger, junger Mann. Nur das Geſicht

blieb noch ganz dasſelbe: die blauen, treuherzigen Augen, die vollen, roten Lippen und Wangen und die eigenwillige Stirn, über die das ſchwarze Haar jetzt immer in einem Büfchel niederfiel, fo daß es alle Augenblicke zurück⸗ geſtrichen werden mußte, waren dieſelben das un⸗ ſchuldige, vertrauensvolle Geſicht eines Kindes, das noch vom Leben nichts erlebt hatte. Und derſelbe blieb auch der Blick dieſer Augen. Es war der gedankenloſe, etwas traͤumeriſche Blick eines Menſchen, in deſſen Gehirn mit hartnaͤckiger Zaͤhigkeit immer und immer wieder nur eine Idee wiederkehrt eine Idee, die in der Zukunft lebt, einer Zukunft voll großer Erfüllung verſchwiegener, noch

unausgeſprochener, nicht einmal erkannter Wuͤnſche -

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Felders Zeit war jetzt voͤllig eingeteilt. Kam er von der Arbeit des Tages, ſo war am Abend immer etwas los: entweder es fanden Übungsſtunden ftatt, oder Sitzungen, oder es galt Vorbereitungen fuͤr irgendein Feſt zu treffen immer nahm ihn ſein Klub in Be⸗ ſchlag. Auch die Sonntage gehoͤrten nach wie vor aus⸗ ſchließlich dem Verkehr mit den Sportgenoſſen der Beſuch fremder Schwimmfeſte, anderer ſportlicher Ver⸗ anſtaltungen, geſelliger Vereinigungen zu Muſik und Tanz, im Sommer Ausfluͤge in die Umgegend, Kahnpartien und vor allem die langen Bäder (überall da, wo Waſſer war) fuͤllten ſie aus und waren ſeine Freude und ſeine Erholung. Franz Felder blieb ſtill, wie er ſchon als Kind geweſen war, und beteiligte ſich hoͤchſtens an den Geſpraͤchen uͤber ſchwimmſportliche Fragen. Sie waren auch die einzigen, die ihn intereſſierten. Fuͤr keinen anderen Sport hatte er das geringſte Intereſſe; in keinem anderen dachte er auch nur daran, ſich zu verſuchen. Er kannte nur einen einzigen, neben dem alle anderen ver⸗ blaßten und gleichguͤltig erſchienen.

Es dauerte ziemlich lange, bis er ſich heimiſch in dem neuen Kreiſe fuͤhlte. Wenn er auch nie Gefallen an den ruͤden und lauten Beluſtigungen feiner früheren Schul⸗ kameraden und Altersgenoſſen gehabt hatte, ſo waren ihm

doch die Verkehrsart und der Ton ſeiner neuen Bekannten

zu fremd, als daß er ſich haͤtte ſo leicht in ſie finden koͤnnen. Aber dieſe neuen Freunde hatten ihn wirklich gern und taten ihr Beſtes, indem fie ihn überall hin mitnahmen und jetzt ganz als den Ihrigen betrachteten. Langſam trat ſo eine Wandlung nach der anderen in

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ihm ein. Auch in feinem Außeren. Er war nicht mehr der arme Junge in geflickten Kleidern und dem offenen Hemde, ſondern ein ſauber, oft mit ziemlich geſchmack⸗ loſer Eleganz gekleideter junger Mann, deſſen regelmaͤßige,

wenn auch einſtweilen nur geringe Einnahmen ihm er⸗

laubten, etwas auf ſich zu halten.

Vermochte er auch nie eine gewiſſe Schwerfaͤlligkeit und Langſamkeit zu überwinden, fo beeinflußte ihn doch in allem der gute Ton ſeines Klubs zum Guten. Er lernte ſich in Lebensformen fuͤgen, die ihm bisher un⸗ bekannt geblieben waren und die ihn zwanglos das eine tun und das andere laſſen ließen Dinge, an die er bisher überhaupt nicht gedacht hatte. Jene unaus⸗ bleiblichen Streitigkeiten des Sportlebens mit Ernſt und Freundlichkeit zu ſchlichten, auch laute Froͤhlichkeit nie in Roheit und Zank ausarten zu laſſen, und vor allem das Prinzip der Schwimmkunſt als eines edlen, den Menſchen durch und durch erfriſchenden und veredelnden Sports, hoch zu halten das war von jeher die Auf⸗ gabe dieſes Vereins mit dem einfachen Namen und der ſtolzen Vergangenheit geweſen, der mehr als irgendein anderer dazu beigetragen hatte, das Intereſſe fuͤr eine Sache zu wecken, die überhaupt bis vor kurzem noch als keine Kunſt, ſondern faſt allgemein nur als Mittel zu der zeitweiligen, notwendigen Reinigung des Korpers betrachtet wurde. | 3

War vielleicht nicht zum wenigſten infolge der N ſtrengen Befolgung dieſes Prinzips, das mehr im allge

meinen für die Sache des Schwimmens zu wirken ver⸗ ſuchte, als auf Züchtung großer Erfolge und mit ihnen

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verbundener Namen ausging der „Schwimm-Klub Berlin 1879“ in den letzten Jahren etwas in den Hinter grund getreten und an Mitgliederzahl und aͤußerer Be: deutung von dem einen oder anderen neueren Verein übertroffen, fo war er doch durchaus nicht gewillt, auf ſeinen alten Ruf, erſtklaſſige Schwimmer und Springer

phinauszuſenden, zu verzichten und ſtets bereit, neue Lor—

beeren zu den alten zu fuͤgen. Die naͤchſten Jahre ſollten auch nach außen hin wieder zeigen, daß der Klub in keiner Weiſe zuruͤckgeblieben war dahin gingen die Wuͤnſche der Mitglieder einſtimmig. Sie ſollten beweiſen, daß man nicht ſchlief, wenn man auch nicht immer mitfchrie,

Man ſetzte, wie geſagt, große, noch unausgeſprochene Hoffnungen auf Franz Felder. Wenn irgendeiner, ſo war er es, der zu außergewoͤhnlichen Erfolgen zu befaͤhigen ſchien. Derſelbe Herr, der zuerſt ſtillſchweigend auf den kraͤftigen Jungen aufmerkſam gemacht hatte, der ſich mit ſo erſtaunlicher Sicherheit und ſo unbaͤndiger Wonne im Waſſer herumwaͤlzte, war und blieb ſein treuer Berater. Er wachte mit faſt aͤngſtlicher Sorgfalt uͤber ſeinen Zoͤgling. Bernhard Nagel, von Beruf Chemiker, war ſeit zwei Jahren wieder Schwimmwart des „S.⸗K. B. 1879%, Selbſt in fruͤheren Jahren ein beruͤhmter Schwimmer, lange Zeit der unangefochtene Inhaber fo mancher Meiſter⸗ ſchaft, ein ausgezeichneter Turner auch heute noch und von jeher ein allbeliebtes Klubmitglied, hatte ſich gerade zur rechten Zeit, auf ſeiner Hoͤhe von jeder aktiven Taͤtigkeit zuruͤckgezogen und fein Name erſchien ſchon lange nicht mehr oͤffentlich in den Programmen der Schwimmfeſte.

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Damit aber war fein Intereſſe an feinem Klub um nichts vermindert. Seine Kraft gehoͤrte jetzt mehr als je den Fortſchritten der Sache, und ſeine Taͤtigkeit er⸗ ſtreckte ſich vor allem auf die Ausbildung der Jugend: abteilung. Wie ſein ſcharfes Auge gleich in dem unbekümmerten, waſſerfrohen Knaben den geborenen Schwimmer erkannt hatte, ſo nahm er ſich nun ſeiner von der erſten Stunde hilfreich an. Er war ein ſtrenger Lehrmeiſter, der ſcharf aufpaßte und ſo leicht nichts durch⸗ gehen ließ. Bei Felder hatte er indeſſen eigentlich mehr zu zügeln, als anzuſpornen, denn deſſen hauptſaͤchlichſter

Fehler beſtand darin, daß er immer gleich zu heftig ins

Zeug ging, um dann am Schluß eines Rennens den An⸗ ſtrengungen, denen fein Körper noch nicht gewachſen war, und ſomit erfahrenern und geübteren Schwimmern gegen: über zu unterliegen. Aber das gab ſich von Woche zu Woche, und Franz lernte allmählich mit ſeiner Kraft haushalten. Er vergalt das Intereſſe ſeines Schwimmwarts mit un⸗ begrenzter Dankbarkeit. Nicht nur, daß er dieſem Manne den Eintritt in den Klub und damit in ein fuͤr ihn ganz neues Leben, ſowie die Stellung verdankte, die ihn der Not um fein tägliches Brot enthob er fühlte ganz gut, daß jener Hoffnungen auf ihn ſetzte; und immer wieder ſchwur er ſich im ſtillen zu, ihm ſeine Dankbar⸗ keit eines Tages auch durch Taten zu zeigen. Daher börte er auf jedes Wort des Tadels und der Ermutigung, wie auf ein Gebot, und das eine konnte ihn ebenſo be⸗ ſeligen, wie ihn das andere niederzudruͤcken vermochte.

Schweigſamkeit, die felten das erſte Wort fand, um fih

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auszudrucken, ſchloß er ſich nur ſchwer und langſam an feine anderen Kameraden an und ließ fie lieber zu ihm kommen, als daß er ſich ihnen von ſelbſt genaͤhert hatte. So kam es, daß er zwar mit den meiſten in gutem und freundlichem Einvernehmen ſtand, aber doch

keine näheren Freundſchaften ſchloß. Unter den Jugend⸗

mitgliedern, feinen Altersgenoſſen, hatte er manchen

Gegner ſchon jetzt, wo es noch keine beſonderen Er⸗ folge zu beneiden gab. Davon merkte Franz nun zwar noch nichts. Seine gluͤckliche Unbekuͤmmertheit, ſeine reine Freude an der Sache uͤberhoͤrte oder verſtand die unausbleiblichen Bemerkungen nicht, die ſchon gemacht wurden, als er noch gar nicht oͤffentlich geſchwommen hatte. Er konnte ſich nicht denken, daß ſie ihm galten. Was war Überhaupt die Perſon! Wenn nur der Klub ſiegte!

Dagegen fielen ihm zwei Freundſchaften zu, um die er ſich in keiner Weiſe bemuͤhte. Als er in den Klub trat, fand er unter den vielen fremden Geſichtern ein bekanntes das eines Altersgenoſſen, der eine Zeitlang in demſelben Hauſe wie Franz gewohnt und mit ihm in dieſer Zeit auch oft geſprochen hatte. Koepke war ſeitdem Kaufmann geworden, faſt ſchon mit feiner Lehr⸗ zeit in einem großen Manufakturwarenmagazin zu Ende und ſah bereits ſeiner Anſtellung als wohlbeſtallter Kommis mit Selbſtgefuͤhl entgegen. Wie er in den Schwimmklub Berlin 1879 gekommen war, das war vielen der Juͤngeren ein Raͤtſel, denn er ſchwamm wie ein Klotz und befand ſich allem Anſchein nach auf dem Lande weit wohler, als im Waſſer. Aber die älteren

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Mitglieder des Klubs wußten, daß fie ihn eines Vers wandten wegen aufnehmen mußten, der vor Jahren dem Verein große Dienſte geleiſtet und ſeinen Eintritt dringend gewuͤnſcht hatte. Man hatte ihn ſogar nicht einmal ungern aufgenommen. Es gab in jedem Schwimm⸗ verein Mitglieder, die wenn ſie es auch ausuͤbend zu nichts brachten ſich doch ganz gut gebrauchen ließen, um in der „Verwaltung“ taͤtig zu ſein, wo es immer genug zu rechnen und zu ſchreiben gab, und die ſich ſehr wohl fuͤhlten, wenn ſie von ihrem Schreibzeug aus die Intereſſen des Klubs mit Leidenſchaft wahr⸗ nehmen durften und nicht ins Waſſer brauchten. Koepkfñe war dazu die rechte Perſon. Voll Dienſteifer ſtuͤrzte er ſich auf jede ihm zugeſchanzte Arbeit. Seine Leidenſchaft für das Waſſer aus der Ferne war zudem über jeden Zweifel erhaben, und atemloſer verfolgte kein Zuſchauer die Wettkaͤmpfer, feierlicher notierte keiner die Zahlen in das Programm, als er.

Als er Franz zum erſten Male im Klub ſah, kam er ihm gleich entgegen und begruͤßte ihn als alten Be⸗ kannten aus der Jugendzeit. Er war ein gutmuͤtiger und in keiner Weiſe überheblicher Menſch. Daß ſein Spiel⸗ kamerad in ſeinen einfachen Arbeitskleidern vor ihm, dem geſchniegelten Kommis, ſtand, merkte er ebenſowenig, wie er es ihn früher irgendwie hatte fühlen laſſen, daß ſeine Eltern im erſten Stock des Vorderhauſes und die Franz Felders im Hof wohnten. Der letztere immer in dieſer Beziehung zum Mißtrauen geneigt merkte es gleich wieder. Man ſchuͤttelte ſich die Hand. Als Franz aber ſeinen erſten kleinen Sieg erfochten, beſaß er einen

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ergebenen und ihn ſchon ſehr bewundernden Freund an dem „zweiten Schriftfuͤhrer“ des Vereins.

Bei einem anderen Klubgenoſſen bedurfte es fuͤr ihn nicht erſt dieſes Sieges, um in ihm einen ausgeſprochenen Goͤnner zu haben.

Der dicke Brüning war der letzte Inhaber der Haupt⸗ ſchwimmeiſterſchaften im Klub geweſen und ſein fabel⸗ hafter Stoß hatte die Gewaͤſſer der halben Welt durch⸗ furcht. Nach ſeinem Ruͤcktritt war in dem Siegeslauf des Klubs die große Pauſe eingetreten, die heute noch waͤhrte. Übrigens waren in dieſen Jahren auch ſonſt keine Siege im Schwimmſport zu verzeichnen, denen die Bruͤnings aus früherer Zeit nicht mindeſtens ebenbürtig geweſen waͤren. Daruͤber freute er ſich noch heute.

Einer reichen Charlottenburger Familie entſtammend und im Beſitz eigenen Vermoͤgens konnte er es ſich leiſten, ſeine Jugend dem Vergnuͤgen eines Sports zu widmen, und nachdem er erſt in Deutſchland uͤberall geſiegt, war er auch außerhalb jahrelang zu allen großen Feſten auf ſeine eigenen Koſten gereiſt, um uͤberall ſich und den Farben ſeines Klubs Ehre auf Ehre zu erobern und dem Namen des „S.⸗K. B. 1879“ eine internationale Berühmtheit zu verſchaffen. Das konnte und wollte ihm ſein Klub nie vergeſſen, und allein ſein Name bedeutete heute in ihm noch eine Tat einen Sieg, ſo friſch, als waͤre er erſt geſtern erfochten.

Jetzt war der Meiſter dick geworden und ſchwamm nur noch „zu ſeinem eigenen Vergnuͤgen“, wie er ſagte. Wenn er ins Waſſer ging, ſah ihm noch jeder nach. Aber nur bei der Älteren Generation lebte noch die Er⸗

**

1 innerung an jenen furchtbaren Schwimmer, der mit der

phaͤnomenalen Kraft und Wucht ſeiner Leiſtungen ein⸗

fach alles andere totgeſchlagen hatte. Brüning ſelbſt hatte ohne großes Bedauern ſeinen Erfolgen Lebewohl geſagt,

ſich dem Sportsleben im allgemeinen zugewandt und

ließ jetzt rennen. Übrigens verſtand er nichts von Pferden.

Zuweilen noch, aber doch nur ſelten, erſchien er an einem Übungsabend oder auf einer Veranſtaltung ſeines alten Klubs. Wenn er kam, erhob ſich ein allgemeines Hurra, denn er war allgemein beliebt, weil er ein nobler Kerl war: immer luſtig und aufgelegt, immer bereit zu helfen mit Geld und Rat und rieſig freigebig, wenn es galt, die Zeche zu bezahlen. Bei den Juͤngeren hieß er nur der „Sektonkel“, aber die Alteren hielten große Stücke auf ſein erprobtes und unbeeinflußbares Urteil.

Als er eines Abends in der Schwimmhalle neben dem Schwimmwart Nagel ſtand, machte ihn dieſer auf das neue Mitglied aufmerkſam, das gerade ſtillvergnuͤgt für ſich hundert Meter ſchwamm. Brüning kniff die Augen etwas zuſammen, wie es ihm eigen war, wenn er das tat, was er nachdenken nannte, ſagte aber noch nichts. Als Franz aus dem Waſſer kam, muſterte er ihn, wie er feine Pferde pruͤfte. Das Reſultat war ſehr zufrieden⸗ ſtellend. Er gratulierte Nagel zu feiner Akquiſition, ſchuͤttelte Franz kameradſchaftlich die Hand, und dieſer hatte ſich von dem Tage an ſeiner ausgeſprochenen Protektion zu erfreuen. Mit der Zeit erklaͤrte ihn Brüning unter vier

Augen als den einzigen im ganzen Klub, der vielleicht

eines Tages fein ebenbürtiger Nachfolger werden 9 „wenn er hielt, was er verſprach“.

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Das Intereſſe Nagels vergalt Franz mit unausloͤſch⸗ licher Dankbarkeit; die Freundſchaft Koepkes ließ er ſich gefallen; an das Wohlwollen Bruͤnings aber glaubte er lange Zeit nicht. Als er dann ſah, wie ſtetig und warm es war, freute er ſich ſehr; und er blieb immer einer der wenigen, die die Freigebigkeit des Sektonkels nie mißbrauchten.

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5,

Die Kunſt des Schwimmens iſt eine junge Kunſt. Man kann von ihr als ſolcher erſt im vorigen Jahr⸗ hundert ſprechen, und recht eigentlich erſt in ſeiner letzten Haͤlfte.

Das Schwimmen als koͤrperliche Übung iſt von jeher geübt, wenn es auch nie wieder zu der allgemeinen Not: wendigkeit wurde, die es in jenen Tagen des Altertums war, von deren Schoͤnheitsfreude noch heute die gigantiſchen Thermentrümmer der Alten in beredſamem Schweigen zeugen. In Deutſchland kam fie erſt wieder in Aufe nahme, als an der Spree durch die Initiative eines preußiſchen Generals die große Anſtalt entſtand, die noch heute feinen Namen trägt. Bedeutet der Name von Pfuel fo ein Wiedererwachen langverlernter Übung, fo kann von einer Kunſt des Schwimmens doch noch kaum geredet werden, als ſich in den ſechziger Jahren die erſten Hallen⸗ ſchwimmbaͤder in Deutſchland oͤffnen, ſondern mit Recht erſt dann, als ſich die erſten Schwimmer zuſammentun, um ihre Kraͤfte unter⸗ und gegeneinander zu meſſen.

Erſt ſpaͤrlich und faſt unbeachtet einer der erſten unter ihnen der S.⸗K. B. 1879 wachſen und ver⸗ mehren die Schwimmvereine ſich nur langſam, Fämpfen 7 wohl ſchon zu Beginn der achtziger Jahre ihre Meiſter⸗

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ſchaften aus, gelangen aber erſt um die Haͤlfte dieſes Jahrzehnts zu allgemeinen Wettſchwimmbeſtimmungen, auf die hin ſie ſich einigen. Aber von da an geht es ſchneller. Mit den Winterſchwimmbaͤdern in vielen Staͤdten entſtehen uͤberall auch Schwimmvereine, die ſich erſt unter ſich und dann in dem großen Verbande zuſammenſchließen, deſſen Ziel es iſt, alle Vereine und Unterverbaͤnde zu einer gemeinſamen Beſtrebung fuͤr die neue Sache zu vereinigen.

Ein Jahrzehnt ſpaͤter, und auch die Kunſt des Waſſer⸗ ſpringens hat ihre Wertungsform gefunden.

Man hat geſiegt. Das juͤngſte Stiefkind des Sports hat ſich Beachtung und Achtung errungen. Weit mehr gebunden, als irgendein anderer Sport an beſtimmte Bedingungen, hat er ſich kuͤhnlich neben jeden anderen geſtellt; und eines hatte er vor jedem voraus: er feierte ſeine Feſte Sommer und Winter. Im Sommer unter blauem Himmel in jedem Waſſer, deſſen Ausdehnung es erlaubt; im Winter unter den hohen Woͤlbungen von Eiſen und Glas.

Natürlich bleibt der Sommer die Hauptſaiſon und die groͤßten und wichtigſten Feſte fallen in ſeine Zeit. Doch kam es auch vor, daß die wichtigſten internen Veranſtaltungen einzelner oder vereinigter Klubs in den Winter fielen, da der Sommer zu viel von auswärtigen Intereſſen in Anſpruch genommen wird.

Jetzt gibt es nicht mehr nur vereinzelte Vereine in einzelnen Staͤdten. Wie die Pilze wachſen die Klubs aus der Erde ihre Namen mit Vorliebe den alten Waſſer⸗

göttern und allem möglichen Waffergetier entlehnend 5*

3 vereinigen und bekaͤmpfen ſich untereinander, erbittert und leidenſchaftlich; jetzt draͤngen ſich die kleinen und großen Feſte Sonntag auf Sonntag, und kaum einer im Jahre iſt frei von einem ſolchen Feſte in einer Stadt wie Berlin.

Es iſt die Zeit des reichſten Wachstums und damit der ſtuͤrmiſchſten Gaͤrung, der der alte „S.⸗K. B. 1879“ faſt allein ruhig zuſehen kann, da beides bereits hinter ihm liegt; und es iſt die Zeit, als Franz Felder in ihm in unablaͤſſigem Training um feine erſten Siege ringt.

Der Verlauf der Schwimmfeſte iſt im allgemeinen ein ziemlich gleicher, und ſie unterſcheiden ſich weſentlich

nur durch ihre Ausdehnung. Von den kleinen, internen . der Klubs unter ſich an den Sonntag⸗ nachmittagsſtunden angefangen erſtrecken ſie ſich bei den großen nationalen und internationalen Meetings oft über zwei Tage. Auf dreierlei Art wird auf allen gekaͤmpft: im Schwimmen, im Springen und im Tauchen.

Geſchwommen wird um kuͤrzere oder längere Strecken, und zwar iſt entweder der Stil freigeſtellt oder als Bruſt⸗, Seiten: und Ruͤckenſchwimmen vorgeſchrieben. Ge: ſchwommen werden kann in ſtromfreiem Waſſer, Seen und künſtlichen Baſſins; oder auch in Stroͤmen mit zu uͤberwindendem Waſſerwiderſtand.

Die Zahl der Sprünge iſt naturgemäß eine begrenzte. Die Sprungtabelle des Deutſchen Schwimm⸗Verbandes von 1892 weiſt deren fuͤnfunddreißig auf, die nach den Punkten O05 und dem Schwierigkeitsgrade 1—6 ge⸗ wertet werden. Von dem einfachen Abfallen und dem Abrenner, den einfachen und ſchwierigeren Kopfſpruͤngen

8

ſteigen fie langſam auf zu den Hecht: und Schlußſpruͤngen | in ihren verfchiedenen Drehungen des Körpers. Aber es herrſcht eine große Mannigfaltigkeit unter ihnen. Die Höhe des Sprungbrettes wechſelt von einem zu drei und ſechs Metern. Viele Sprünge koͤnnen ebenſowohl aus dem Stand, als mit Anlauf gemacht werden; und bei vielen tritt hinzu, daß fie ſowohl vor⸗, als auch ſeit⸗ oder auch ruͤck⸗

eines Preisrichters fuͤr das Springen kein leichtes und

die Tiefe nach Tellern (Sieger iſt, wer in der kuͤrzeſten Zeit die größte Anzahl hervorholt), oder in die Länge: das Hechttauchen man ſchwimmt unter dem Waſſer, und die dort in gerader Richtung erreichte Meterzahl gibt den Ausſchlag.

Auf jedem Feſte findet auch ein Mehrkampf ſtatt, der meiſt ſehr intereſſant verlaͤuft: gekaͤmpft wird in allen

die hoͤchſte Punktzahl erreicht.

2 Die Preiſe werden entweder Eigentum des Siegers oder gehen in den Beſitz feines Klubs uͤber. Sie beftehen bei den großen Meiſterſchaften oft in wertvollen Gegen

oder in Medaillen, Ehren⸗Urkunden und dem einfachen er, Lorbeer mit den farbigen Schleifen, die in goldenen Lettern von dem heißerrungenen Ruhme erzaͤhlen unvergeß— liche Andenken! Es gibt Preiſe, die dem Sieger ſofort

waͤrts ausgeführt werden koͤnnen. Daher ift das amt Di H erfordert langgeuͤbte und intime Kenntnis der einzelnen A x Sprünge und ihrer Werte. Auf den Zeiten gibt es chem

ſowohl Konkurrenzen für Pflicht⸗, wie für Kuͤrſpruͤnge. Bi: Das Tauchen iſt einfach. Man taucht entweder n

rei Arten, und Sieger bleibt, wer durchſchnittlich in allem

ſtäͤnden, die die Veranſtalter oder auch die Stadt ſtiften ;

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zufallen; aber es gibt auch Wanderpreiſe, die erſt nach mehrmaligem ſchwererſtrittenen Sieg erringbar ſind und mehrere Jahre hintereinander ausgefochten werden muͤſſen, ehe ſie in den Beſitz des Siegers uͤbergehen oder Klub⸗ ceeigentum werden. a er Was ſonſt die Feſte noch zeigen, dient mehr zu ihrer aͤußerlichen Bereicherung und Ausſchmuͤckung. Das Schwimmen „älterer Herren“, die die Zeit der hoͤchſten Ausbildung ihrer Staͤrke bereits hinter ſich, wie die eine leitenden Schwimmen der Knaben und Junioren, die fie noch nicht erreicht haben, dieſe Troſt⸗ und Ermunterungs⸗ Schwimmen konnen bei weitem nicht das Intereſſe er⸗ wecken, das die jungen Leute vor oder nach ihrem zwanzig⸗ ſten Jahre in der hoͤchſten Leiſtungsfaͤhigkeit ihrer Kraft bieten, und deren Namen daher mit Recht in der Mitte aller Programme ſtehen. Groteske und luſtige Waſſer⸗ pantomimen ſollen ſo manchen geduldigen Zuſchauer, der wenig oder nichts von den für den Nichtkenner oft ein⸗ tönigen Kämpfen verſteht, entſchaͤdigen, und ein lautes, lebhaftes Waſſer⸗Polo, in dem Klub gegen Klub ſich mißt, fehlt heute auf keinem als Abſchluß. N Die Preisverteilung findet am Abend des Feſtes ſtatt. Muſik und Tanz „halten die Teilnehmer noch lange zu⸗ ſammen“, wie es ſtets am Ende aller Berichte heißt. Gut Naß! Hurra! Hurra! Hurra!

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6. Auf der Meldeliſte des „Schwimm⸗Klub Berlin 1879%

fuͤr das diesjaͤhrige große Wettſchwimmen des Berliner

Schwimmerbundes ſtand zum erſten Male der Name Franz Felder. Der Inhaber dieſes Namens war gemeldet fuͤr das Schwimmen um die Meiſterſchaft der Stadt Berlin.

Es war Bruͤnings gewichtiges Wort geweſen, das, fuͤr das junge Mitglied in die Wagſchale gelegt, ſie in der langen Beratung endlich zu Felders Gunſten ſinken ließ.

Franz vergaß es ihm nie. Er war erſt faſt beſtuͤrzt, als er von der Entſcheidung hoͤrte, trotzdem ſie kaum anders haͤtte ausfallen koͤnnen, wollte der Klub ſich uͤber⸗ haupt beteiligen. Dann ergriff ihn einfach ein Freuden⸗ taumel.

Sein Klub ſandte ihn hinaus auf das große Schwimm⸗

feſt des Winters, um auf ihm um eine Meiſterſchaft,

um die Meiſterſchaft der Stadt Berlin uͤber die kurze Strecke von 100 Metern zu ringen! Er ſollte ſich auf

dem jaͤhrlichen Wettſchwimmen des großen Berliner

Schwimmer⸗Bundes mit erſten Schwimmern unter ihnen alte Sieger im Kampf um die ſilberne Medaille meſſen?!

Es war nur die Meiſterſchaft um eine Stadt, nicht

die um ein Land oder gar um einen Erdteil, aber es war immerhin die Meiſterſchaft um die Hauptſtadt, in der

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wie in keiner anderen der ganzen Welt der Sport des

Schwimmens gruͤnte und bluͤhte, die uͤberallhin die beſten

und gefuͤrchtetſten Kräfte ſtellte, wo es galt, erſte Erfolge zu erzielen. Eine Meiſterſchaft im Berliner Schwimmer⸗

bunde, der den größten Teil der Berliner Schwimm- vereine umfaßte, der im Allgemeinen deutſchen Schwimm⸗ 4

verbande die erſte Stelle einnahm, war ein großer Sieg

ein Sieg erſten Ranges, vielumſtritten und heiß⸗ begehrt

Und ſein Klub ſandte ihn, den jungen, unbekannten Franz Felder, hinaus, dieſe Meiſterſchaft zu erfämpfen! Sein Klub, der vor vielen Jahren zuerſt die Initiative zur Gründung eben dieſes Schwimmerbundes gegeben

hatte, fein Klub, der aͤlteſte und angeſehenſte Berlins, mit deſſen ſchlichtem und doch fo beruͤhmtem Namen die ſo vieler erſter Schwimmer der Welt unausloͤſchlich ver⸗

bunden waren, der nicht nur für ſich und feine Mit⸗ glieder, ſondern für die ganze Sache des Schwimmens von jeher ein unnachahmliches Beiſpiel geweſen war der „S.⸗K. B. 1879“ entſandte ihn zum diesjaͤhrigen Wettbewerb! 2

Wenn er fein junges Mitglied in dieſer Weiſe allen anderen vorzog, ſo wußte er, was er tat. Dann war es ohne Zweifel ſein beſter Schwimmer. Aber was mehr war, als dieſe Äußere Anerkennung feiner Kraft, war die innere: der Klub hätte nie ein Mitglied hinausgeſandt, von deſſen innerlicher Zuſammengehoͤrigkeit mit den Beſtrebungen und Zielen des Klubs und das waren in der Sache unbedingt die hoͤchſten er nicht uͤber⸗ zeugt geweſen waͤre. Er hatte ſich jahrelang von den

Feſten zurückhalten koͤnnen, ſtolz auf alte Erfolge und unbekuͤmmert um neue, als die alten Kräfte, die ſich ziuruͤckziehen mußten, nicht ſogleich durch neue von gleicher Staͤrke erſetzt werden konnten; und er würde ſich Zeit genommen haben, im noͤtigen Falle nochmals jahrelang zu warten, denn nicht um kuͤnſtliche Zuͤchtung einzelner

um die allgemeine Hebung der Sache war es ihm ſtets

Kranze

5 Felder war ſich uͤber all dies durchaus nicht klar. Er fühlte nur, wie ſehr man ihn auszeichnete, nicht nur als Schwimmer, ſondern auch als Menſchen, indem man ſeinen Namen als Vertreter ſeines Klubs zum erſten Male oͤffentlich nannte; er wußte, man vertraute ihm die Ehre

Klub zu erfechten. Er fuͤhlte, er mußte ihn erringen! 1 Er war ſehr ſtolz und ſehr gluͤcklich. Aber er hatte Angſt, richtige Angſt zum erſtenmal in feinem Leben.

ſie empfunden. Aber nun ergriff fie ihn. Es war das Kanonenſieber des Soldaten, der zum erſten Male in die 4 Schlacht geht.

zweiten, dritten oder überhaupt keinen Preis erhielt?

1 Größen und die Erlangung lauter Triumphe, ſondern

Er wußte bisher nicht, was Angſt war. Nie hatte er 5 a

Denn wenn er unterlag? Wenn er nur einen

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in erſter Linie zu tun geweſen. Entſchloß man fih daher heute zu neuer aktiver Beteiligung, ſo mußte man des Sieges ziemlich gewiß ſein und nicht nur dieſes einen Sieges, ſondern eines neuen Ruhmesblattes in dem alten

des Klubs an, nicht nur einen neuen Erfolg. Weiter ſah er noch nicht. So ging fein ganzer Ehrgeiz einfte weilen dahin, dieſen Sieg, auf den es ankam, für ſeinen

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den Schwimmfeſten geſehen und bewundert.

holt Aber mit keinem hatte er ſich bisher je gemeſſen.

Außer dem ſeinen ſtand nur noch ein neuer Name unter den Meldungen. Und er war der Juͤngſte von allen! Wohl ſchlug er ſchon die Alteſten ſeines Klubs über die kurze Strecke. Aber ſein Klub hatte, ſo lange er in ihm war, keine Meiſterſchaften mehr aufzuweiſen. Was wollte es alſo ſagen, daß er, Franz Felder, ſein beſter Schwimmer war? Nicht allzu viel. | Nagel, der feine innere Aufregung ſah, redete ihm wiederholt ernſtlich zu. Er war beſorgt um ſeinen Zoͤgling nicht, weil er fuͤrchtete, daß er unterliegen koͤnne, ſondern weil er ſah, in welcher verzehrenden Unruhe er umherging und uͤbte. Er warnte ihn, allzu viel Wert auf dies Rennen zu legen. Was war es denn, wenn

er auch unterlag? Was heute Niederlage war, konnte

morgen zum Siege werden, und umgekehrt. Er hatte das mitangeſehen, viele Male, und es an ſich ſelbſt er⸗ lebt; und auch Franz würde das erleben. Das war nicht das erſte und letzte Schwimmen, gewiß nicht und immer wiederholte der gute und erfahrene Freun:

Schwimm fo gut, wie du kannſt. Kuͤmmere dich um nichts, als um dein Ziel. Mehr kannſt du nicht tun, als was deine Kraft dir erlaubt, zu tun. Damit ſei zufrieden

Felder bene hem erſten Male ſeinem greund nur halb zy

Sein Klub hatte ihn hinausgeſandt. In ſeinen Haͤnden lag ſeine Ehre. Er durfte ihm keine Pr | machen; er mußte ſiegen er mußte!

abendlich trainiert. Geſtern war er früh zu Bett gegangen,

Strecke geſchwommen nur einmal . .. aber das wurde

in untaͤtiger Ungeduld. Er maͤßig und trank faſt nichts.

der Lindenſtraße gegeſſen und ſpielte nun gemuͤtlich im 5 2

aber es wurde ihm diesmal nicht leicht, ruhig zu bleiben. 1 Er ging von Tiſch zu Tiſch, bis ihn eine plögliche Müdig⸗ 24 keit überfiel und er vor ſich hindruſelte. 7 ſich hinter dem großen Tiſch auf dem alten, knarrenden ratungen der Vorſitzende ſaß. Nach zwei Minuten ſchlief

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So kam der Sonntag des Feſtes heran. Franz hatte Br in der legten Woche nach der Arbeit des Tages noch alle 2

aber er hatte wenig ſchlafen können. a N Am liebſten Hätte er am Morgen noch einmal die

ihm natuͤrlich nicht erlaubt. So . der Vormittag

Man hatte in dem Reſtaurant des Klublokals in 3

Sitzungszimmer einen Kaffeeſkat an verſchiedenen Tiſchen. BE Franz, der keine Karte anrührte, ſah wie gewöhnlich r N We

Leg’ dich doch hin, wir wollen dich ſchon wecken, 1 wenn es Zeit iſt! rief Brüning ihm zu, und Franz rollte

Sofa zuſammen, auf dem ſonſt bei den feierlichen Be

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Allmaͤhlich leerten ſich die Tiſche; man ging zum Feſt. Der, an dem Nagel und Brüning ſaßen, ſpielte ruhig weiter. N Um halb vier warf Brüning die Karten zuſammen

und zog ſeine goldene Uhr:

Maſſenhaft Zeit noch! Aber wollen doch lieber

gehen

; Er und Nagel ſtanden vor dem Sofa, auf dem

Franz noch immer ſchlief. Er lag da wie ein Kind, und fein Atem ging ſtill und friedlich durch die etwas ge⸗ öffneten Lippen. Sicherlich traͤumte er jetzt von keiner

Niederlage. Brüning betrachtete ihn mit faſt zaͤrtlichem Lächeln,

„Wie ein junger Gott, was? Und noch das reine Kind! Aber wecken wir unſeren jungen Sieger!“

Er iſt es noch nicht, ſagte Nagel und ruͤhrte den

| Schlafenden bei der Schulter. Franz fuhr in die Höhe, und fein erſter Griff war

nach der Uhr.

Aber wir verſaͤumen das Schwimmen, rief er

außer ſich, als er ſah, daß fie bereits über halb vier zeigte.

Die enorme Halle des großen Schwimmbaffins der

Waſſerfreunde war feftlich geſchmuͤckt. Der weite Raum

mit den hohen, gotiſchen Wölbungen war bis in den

letzten Winkel durch die großen, elektriſchen Bogenlampen

erleuchtet, denn durch die bunten Fenſter drang nur noch

das trübe Licht eines frühdunflen Wintertages. Die ſonſt

| Die anderen lachten ihn aus, packten ihn in eine D.roſchke und fuhren mit ihm zum Felt.

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Ruͤckwand hingen von der Decke bis zur Galerie die langen Fahnen der veranſtaltenden Vereine herab und verhüllten die weiße Fläche der Mauern mit ihren bunten Farben. An den Langſeiten zogen ſich von Pfeiler zu Pfeiler in langen Reihen hunderte von winzigen, auf Seile gezogene Faͤhnchen in buntem Farbengemiſch, und hoch von der Woͤlbung der Decke hernieder ſchwebte regungslos uͤber der Mitte des Baſſins die maͤchtige

weiße Fahne des „S.⸗K. B. 1879“ mit dem blauen Rande und dem blauen Namenszuge in der linken Ecke.

An der Eingangsſeite bei dem großen, ſechs Meter hohen Sprungbrett ſpielte hinter grünem Blattwerk ver⸗ borgen die Muſik. Die Seiten des Baſſins und die breiten Galerien waren dicht mit Zuſchauern beſetzt, die ſich geſpannt vornüber beugten, um beſſer die Waſſerflaͤche unter ſich überſchauen zu koͤnnen, in der die Wettkaͤmpfe ſtatt⸗ fanden. Die engen Reihen boten ein buntes Bild: jung und alt alles ſaß hier durcheinander, und unter die dunklen Roͤcke der Herren miſchten ſich die feſtlichen

Toiletten der Damen und gruppenweiſe die weißen, bunt⸗

geraͤnderten Mutzen der zahlloſen Sportgenoſſen. Alle Schwimmvereine Berlins waren vertreten und ſcharten ſich ihrer Zuſammengehoͤrigkeit nach hier und dort zus ſammen.

In den Pauſen und zu Beginn jedes neuen Rennens waren alle Augen auf die Eingangswand gerichtet. Dort ſaß unter der Galerie an einem mit Papieren bedeckten

Tiſche der Ausſchuß des Feſtes: die Preis: und Ziel

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richter, die beiden Schiedsrichter und in ihrer Nähe einige hervorragende Gaͤſte, Vertreter der Stadt Berlin und einiger Behoͤrden. Hier befanden ſich auch die reſervierten Plaͤtze fuͤr die Vorſtaͤnde der Vereine, denn hier nahmen die Rennen ihren Anfang.

Als Felder und ſeine Begleiter ankamen, mußten ſie ſich an der Aufgangstreppe, wo an der Kaſſe die uͤb⸗ lichen fünfzig Pfennig als Entree erhoben und von Sports kameraden die Programme verkauft und die Beſucher empfangen wurden, bereits durch dichte Menſchenmaſſen arbeiten und hatten Mühe, ſich durchzudraͤngen, um zu den Auskleideraͤumen zu gelangen.

Es war gerade eine Pauſe, und die Woͤlbung hallte wider von dem erregten Sprechen und Lachen der vielen Menſchen. Es war bereits erſtickend heiß. Über der noch vom letzten Rennen her leiſe bewegten Waſſerflaͤche zogen ſich leichte, weiße Streifen, und die ganze Halle dampfte von dem Dunſt des Waſſers und der Menſchen.

Die Uhr wies uͤber die vierte Stunde hinaus. Man naͤherte ſich den großen Wettkaͤmpfen. Laͤngſt war die ſtereotype Eröffnungsrede des Vorſitzenden des Berliner Schwimmerbundes, eines redegewandten und liebens⸗ würdigen Herrn, in feiner bekannten eleganten Weiſe ges halten und der Erdffnungsreigen geſchwommen. Bereits war das Schwimmen der Knaben und Junioren, der Kleinen bis zum 14. und der Knaben bis zum 17. Lebens⸗ jahre vorbei, und kuͤnftige Meiſter hatten den erſten Ans hauch ihrer Erfolge auf der heißen Stirn geſpuͤrt. Auch die aͤlteren Herren, die uͤber dreißig, hatten ge⸗ ſchwommen und vielleicht zum letzten Male die Hand

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nach dem Siegeskranze geſtreckt. Endlich war bereits ein intereſſanter Mehrkampf ausgefochten worden, uͤber deſſen unerwartetes Reſultat noch lebhaft hin und her geredet wurde. f Nun kam ein Bruſtſchwimmen und ein großes Teller⸗ tauchen mit unzaͤhligen Konkurrenzen an die Reihe. Es konnte alſo noch lange dauern, bevor die Meiſterſchaft Berlins ausgefochten werden ſollte fuͤr alle Kenner der Clou des Tages.

Felder wollte ſich ausziehen, aber Nagel riet ihm ab. Wozu? Man hatte noch lange Zeit. Man geſellte ſich alſo noch zu den Klubgenoſſen, die eine ausgezeichnete

Ecke am Anfang der Galerie erobert hatten und beſetzt hielten. Hier war man unter ſich, unter lauter Be⸗ kannten und Freunden, denn auch die Damen, die heute mitgekommen waren, waren von ſo vielen geſelligen Ver⸗ anſtaltungen des Vereins her alte Bekannte. Es war wie eine große Familie, dieſe Ecke. Koepke empfing Franz mit der gewohnten Lebhaftigkeit. Er war ſo er⸗ regt, als ſolle er ſelbſt um den Preis ſchwimmen. Er 1 war natuͤrlich wieder voll von Neuigkeiten, von denen kein Menſch etwas wußte. Georgy vom S.⸗K. „Spree“ ſollte nicht mitſchwimmen infolge eines Zerwuͤrfniſſes mit 10 ſeinem Klub. Aber Wenzel war da; und Hoffmann, der { gefürchtete vom „Triton“, auch. Hatte Franz ihn ſchon geſehen? Dort unten ſtand er, der lange mit der Hakennaſe und den mächtig vielen Bändern Über der 5 Bruſt. Und Rieſecker war da, der heute zum erſten Male ſeit zwei Jahren wieder mitſchwamm. Aber es würde ihm wohl nichts helfen .

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Felder hörte kaum auf das Geſchwaͤtz. Er hatte feinem Freunde das Programm aus der Hand genommen, und inſtinktiv ſuchte er feinen eigenen Namen. Er brauchte in dem kleinen Heft nicht lange zu blaͤttern. Da ſtand es:

IX. Schwimmen um die Meiſterſchaft der Stadt Berlin. Offen für alle Mitglieder. Bahnlaͤnge 100 Meter gleich 4 Längen. 1. B. Rieſecket (1. Berliner Amaten-S.:R.) ſchwarze Kappe.

2. K. Wenzel (S.⸗K. „Poſeidon“) gelbe * 3. W. Georgy (SR. „Spree”) rot⸗weiße 4. F. Felder (S.⸗K. Berlin 1879) blaue * 5. P. Hoffmann (S. -K. „Triton“) weiße

6. W. Hofſtetter (Berl. S.⸗Sport⸗K. von 1888) rote 1 Darunter war der Raum freigelaſſen zum Einzeichnen

der Sieger: R ˙ or Zeit: Min. . Sek. Zeit: Min. . Se.

Da ſtand fein Name, Noch keine Stunde würde vers gangen ſein, und die Entſcheidung war erfolgt. Welcher unter dieſen ſechs Namen würde eingetragen werden in

die kleine leere Stelle? Der ſeine?

Er hielt es nicht mehr aus. Der Gleichmut ſeiner Freunde erregte ihn. Ahnten ſie, wußten ſie denn nicht, was auf dem Spiele ſtand? Warum lachten fie noch? Außer dem dummen Koepke ſchien keiner von der Größe des Augenblicks erfüllt zu ſein.

Das Tauchen hatte begonnen. Es wuͤrde bei der großen Beteiligung mindeſtens eine halbe Stunde dauern. Aber Franz ertrug es nicht laͤnger, ihm untaͤtig zuzuſehen. Die

ſchien ihm endlos.

Er ſtahl ſich weg und ſuchte einen der hinten ges legenen Auskleideraͤume auf. In dem erſten, den er bes trat, hatten ſich bereits ſechs oder ſieben der Teilnehmer ausgezogen. Ein wuͤſtes Durcheinander herrſchte in dem engen Gelaß. Der Boden triefte von Naͤſſe und Schmutz,

lagen herum, die nicht zueinander paßten, und Kleidungs⸗ ſtuͤcke verſchiedenſter Art waren wahllos übereinander ges worfen friedlich vereinigten ſich hier die toten Dinge, waͤhrend ſich draußen ihre Beſitzer ſo bitter bekaͤmpften. Felder bemerkte das alles kaum. Er war es nicht anders gewohnt.

Er war zufrieden, noch einen freien Haken zu finden, und kleidete ſich langſam aus. Er war ganz allein in dem abgelegenen Raume, in dem ein truͤbes Dunkel herrſchte, da man vergeſſen hatte, hier Licht anzuzuͤnden. Durch die engen Fenſter ſah mit ihrem letzten Schein die fruͤh erloͤſchende Winterſonne, und nur von ferne drangen vers lorene Rufe aus der Halle bis hierher.

Als er das Trikot angelegt hatte und daruͤber die weiße Badehoſe mit dem blauen Rande ſtreifte, uͤberkam ihn wieder die zeitweilige Mutloſigkeit der letzten Tage. Er huͤllte ſich in ſein Badetuch und ſetzte ſich in eine

Zeit war, und es war ihm ganz lieb, daß man ihn bis dahin allein ließ.

Es war eine Vermeſſenheit von ihm, zu ſchwimmen; und WW N

5 Zeit, in der die erſten beiden unter Waſſer blieben, er⸗

unter den Lattenbelaͤgen ſtanden Waſſerlachen, Stiefel *

Ecke. Er wußte, daß man ihn rufen wuͤrde, wenn es

Er glaubte nicht mehr daran, daß er ſiegen konnte.

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c : 82 es war mehr als eine ſolche von ſeinem Klub, ihn zu dieſem

Wagnis verleitet zu haben. Auf ihn fiel die Schmach,

wenn er unterlag. Und er mußte ja unterliegen wenn nicht gegen die anderen, ſo doch gegen Wenzel. War ‚überhaupt jemals ein Menſch gegen den aufgekommen? Und gerade heute nach einjaͤhriger Pauſe ſchwamm der

wieder mit!

Er ſah trübe vor ſich hin. 1

Plötzlich wurde er aus feinem Sinnen geriffen. Zwei naſſe Geſtalten ftürzten herein und ſuchten laͤrmend nach ihren Kleidern, waͤhrend ſie laut miteinander uͤber das eben beendete Tauchen ſprachen.

Hinter ihnen her Koepke.

Wo bleibſt du denn, Menſch? Jetzt wird es aber wirklich Zeit. So komm' doch alle warten ſchon auf dich!

Felder ließ ſein großes Badetuch von den Schultern gleiten und folgte dem wieder Forteilenden langſam. Als er ſich mühſam durch die immer enger zuſammengepreßte Menſchenmenge zu ſeinen Leuten durchgerungen hatte, kam eben der letzte Taucher, mit ſeinen zwanzig Tellern be⸗ laden, blaß und ſchweratmend an die Oberflaͤche.

Es herrſchte an der Eingangsſeite ein unglaubliches Gedraͤnge. Alles ſtieß ſich durcheinander: Herren vom Wettſchwimm⸗Ausſchuß in ſchwarzen Fraͤcken; Kellner mit gefüllten Bierglaͤſern; Bademeiſter in hellen, friſchge⸗ waſchenen Leinwandanzuͤgen; Klubmitglieder in Muͤtzen und Abzeichen, viele die Bruſt mit Medaillen und Schleifen überfät, freundlich oder feindlich gefinnt, und ſich ent⸗ weder herzlich begruͤßend oder hoͤflich ausweichend; und

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Gaͤſte des Feſtes, jeden Alters und Standes und Ge: ſchlechtes alles mußte hier durch, um hinaus oder zu ſeinem Platz zuruͤck zu gelangen, und kaum wurde den Schwimmern ausgewichen, die triefend von Waſſer durch ſie alle hindurch und zu ihren Kleidern zu gelangen ſuchten. Die Halle droͤhnte wieder von dem Durcheinanderlaͤrmen zahlloſer Stimmen.

Man machte vor dem Hauptrennen des Feſtes die kurze Pauſe um einige Minuten laͤnger, waͤhrend welcher die Starter verſuchten, einen kleinen Raum um die Sprung⸗ bretter herum zu ſchaffen.

Felder ſtand eingekeilt in einer Ecke. Nagel hatte ihm ſelbſt die blaue Kappe uͤbergezogen, die ihm das Los beſtimmt hatte, und erinnerte ihn noch einmal an ſeine Platznummer: „Du haft alfo Nr. 3 und ſchwimmſt in der Mitte zwiſchen zwei Gegnern!“ Er hoͤrte Bruͤnings ſpoͤttiſche Stimme, der über den „Bloͤdſinn des über: triebenen Tauchens“ ſprach und fuͤhlte dabei, wie ſein Blick aufmerkſam auf ihm ruhte. Als er ihm begegnete, verſuchte er, ſorglos zu laͤcheln, aber er konnte es nicht. Er hatte nur den einen Wunſch, daß alles vorbei fein möchte,

Dann ſah er, wie der Starter auf das eine der unteren Sprungbretter trat und ſeine Fahne ſchwang. Der Laͤrm in der Halle verminderte ſich, Rufe um Rufe wurden laut, und eine klare Stimme tönte bis in den fernſten Winkel des Raumes:

Neunte Konkurrenz: Schwimmen über hundert Meter um die diesjaͤhrige Meiſterſchaft Berlins. Herr Wenzel vom Schwimmklub „Poſeidon“ ſchwimmt wegen plotzlich eingetretenen Unwohlſeins nicht mit.

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4 $ Wort verſtanden. Er fühlte ſich plöglich vorwärts ge ſtoßen und ſah, wie der Raum vor ihm frei wurde. Er 4

trat vor.

Ein Wurmeln der Überrafchung erhob ſich auf ver⸗

Maſſen ſchnell einige helle, nackte Geſtalten und ſprangen mit kurzem Ruck in das Waſſer. Felder hatte kein

Einen Augenblick eine kurze Sekunde ſtand

. feine jugendlich⸗ſchlanke, ebenmaͤßige Geſtalt allein über

dem Baſſinrand in der Mitte unzaͤhliger Blicke und uͤber⸗ ſtrahlt von dem grellen Lichte der Bogenlampen, als

konne ſie ſich nicht entſchließen, den Sprung zu tun dann ſtreckte Felder die Arme aus, neigte ſich vor und ging mit glattem Sprunge in das Waſſer unter ihm.

And in demſelben Augenblick, als ſein heißes Geſicht

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in die kühle Flut tauchte und feine Hand nach der

Stelle des Brettes griff, wo ſeine Nummer ſtand, da war es ihm, als muͤſſe er aufſchreien vor Luſt, und er fühlte nichts anderes in dieſer Minute mehr, als die maßloſe Seligkeit, ſchwimmen, jetzt losſchwimmen zu dürfen! Endlich im Waſſer war er jetzt wieder Herr ſeiner ſelbſt und ſeiner ganzen Kraft, und den

Blick geradeaus auf die glatte Flaͤche vor ſich geheftet, bioͤrte er die Stimme des Starters auf dem eren

über ſich: | Sind die Herren bereit? Der Platz neben Felder lag leer. Aber dieſer hatte keine | Zeit, darüber nachzudenken, denn ſchon erklang Über * N wieder die feſte Stimme: ö Achtung! Fertig!

ſchiedenen Seiten. Dann loͤſten ſich aus den ne, =

Und fofort danach mit dem gleichzeitigen ec 8 der Fahne durch die Luft: 5

Los!

Fünf Hände ließen das Brett los und fünf Geſtalten durchſchnitten mit raſender Geſchwindigkeit das Waſſer.

Die Muſik ſetzte ein und es wurde ſo ſtill unter der

ungeheuren Wölbung, daß man außer ihr nur das Rauſchen des Waſſers unter den peitſchenden Schlaͤgen der Arme und Haͤnde vernahm. Eine atemloſe Spannung ergriff ſelbſt die Fernſitzenden unter den Zuſchauern und Be: allen teilte fich etwas von der inneren Erregung mit, die 5

von dieſem Kampfe ausging. Die erſte Laͤnge von fuͤnfundzwanzig Metern wurde

faſt gleich genommen. Beim Wenden legte der Tritone

in weißer Kappe ſich vor und blieb ſo liegen bis faſt an das Ende der zweiten Laͤnge, wo er ſeinen Vorſprung gegen drei der Gegner, unter ihnen Felder, wieder verlor. Wieder ſtießen faſt gleichzeitig vier der Schwimmer zur dritten Länge ab; der fuͤnfte war zuruͤckgeblieben und blieb es. Die vier Körper lagen nun faſt nebeneinander. Bei

jedem Stoß verſchwanden die Köpfe mit den bunten

Muͤtzen unter der Waſſerwoge, die uͤber ſie wegging; dann ſah man, wie ſich die Arme wieder hoben, um zu neuem

Schlage auszuholen und die Körper, von neuem, maͤchtigem 1 Stoße der Beine getrieben, vorwaͤrts flogen, als würden

ſie gezogen

Gegen ende der dritten Laͤnge ſchien es, als ſchwaͤmmen die vier auf einen beſtimmten Punkt zu, ſo ſehr naͤherten ſie ſich einander. Aber dann gingen ſie wieder aus⸗ einander und jeder auf ſeine Nummer los. Wieder er⸗

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folgte der Anſchlag fait gleichzeitig; doch hatten ſowohl

die rotweiße, wie die rote Kappe eingebuͤßt, da ihnen die Richtung ein wenig verloren gegangen war. So kam

es, daß Felder zuerſt, oder doch faſt gleichzeitig mit dem Traͤger der ſchwarzen, wenden konnte.

Die Muſik ſchwieg ploͤtzlich und die erſten vereinzelten Rufe der Teilnahme und der Ermutigung wurden laut. Auf der Galerie waren die Zuſchauer aufgeſtanden und

überall drängten ſich die Köpfe fo weit wie nur moͤglich

vor. Die Spannung erreichte den hoͤchſten Grad.

Die erſten Laͤngen hatte Franz geſchwommen wie er immer ſchwamm: ohne Aufbietung feiner letzten Kraft. Er war fo glücklich, ſchwimmen zu koͤnnen, daß er faſt vergeſſen hatte, um was es ſich handelte. Nun erwachte er plotzlich wie aus einem Traum: er hörte die Rufe und ſah dicht neben ſich den langen Rieſecker, der ſich eben wandte und ihm mit dem naͤchſten Stoß ſchon voraus war. Da packte ihn eine fuͤrchterliche Wut. Er wußte

wieder, wo er war und tief Atem holend, ſtieß er

ſich ab. Ganz einerlei jetzt ob er ſiegte oder nicht; aber leicht wollte er jenem den Sieg nicht machen! Er griff in das Waſſer und ſchoß in ihm hin; er kaͤmpfte mit ihm wie mit einem perſoͤnlichen Feinde, außer ſich vor Wut und Raſerei. 1 Die Zuſchauer ſahen wie ſich die zu Anfang der End⸗ länge nicht mehr gerade Linie der vier Köpfe wieder ſchloß wie der zweite dem erſten wieder naͤher und naͤher kam und wie ſich ihm die beiden anderen zu- geſellten. In der Mitte des Baſſins lagen die Schwimmer faſt ſo wieder zuſammen, wie zu Anfang des Rennens.

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Die Aufregung der Zuſchauer ſtieg ins maßloſe. Man rief nicht mehr, man ſchrie den Schwimmern von allen Seiten zu, und jeder ihrer vier Namen erklang auf: munternd, anfeuernd drohend von uͤberallher . Franz nahm ſeine letzte Kraft zuſammen. Er hoͤrte und ſah nichts mehr. Er wußte nicht mehr, wohin er ſchwamm, ob er uͤberhaupt noch in einer Richtung ging. Neben ihm peitſchte irgend etwas mit beiden Armen wie ein Ertrinkender das Waſſer er ſah und hoͤrte nichts mehr. Er fuͤhlte kaum, wie ſeine Finger das Holz des Brettes beruͤhrten ... Er wußte nicht einmal mehr, war es nun zu Ende oder nicht Dann vernahm er das frenetiſche Jubelgeſchrei, das die Halle durchbrauſte und das den Tuſch der Muſik völlig uͤbertoͤnte. Über ſich ſah er erregte Geſichter und neben ſich fuͤr einen Augenblick ſeine Gegner er⸗ ſchoͤpft wie er. Wie ſie holte er noch einmal tief Atem. Dann tauchte er unter und ſchwamm mit einem Stoß auf die Leiter zu. Er hatte ſich vollkommen aus⸗ gegeben. Er hoͤrte nicht, was die Umſtehenden ſagten. Er hatte nur das eine Bedürfnis ſich jetzt hinſetzen zu dürfen, 0 Er drängte ſich aufs Geratewohl durch die Menſchen, die ihm keinen Platz machten. Man hatte ihm ein Tuch übergeworfen, wie einem Pferde nach dem Rennen die Decke. Er huͤllte ſich feſt hinein, um das Zittern ſeiner Glieder zu verbergen, und machte ſich ruͤckſichtslos Platz. So gelangte er zu dem Raum, wo ſeine Kleider hingen, j und ſetzte ſich, noch immer keuchend, in eine Ecke. 11 Sie draͤngten ſich ihm alle nach, ſeine Freunde, lachend

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über feine eilige Flucht und fein boͤſes Geſicht, und ver⸗ ſuchten, ihm die Hand zu druͤcken.

Als er ſie alle vor ſich ſah, die bekannten Geſichter, wurde er noch boͤſer:

Aber warum denn? Ich war doch nicht erſter!

Er ſah, wie ſie wieder lachten.

Wer denn ſonſt? fragte Bruͤning.

Franz ſah von einem zum andern. Ohne Zweifel, ſie lachten ihn aus.

Dann erblickte er ſeinen Schwimmwart und ſah ihn an. Und eine Ahnung ſtieg in ihm auf, daß es wahr fein konne. Wenn Nagel es ſagte, dann glaubte er es.

Und als auch dieſer nickte und ſagte:

Mit Sekunden etwa ... da war ihm, als loͤſe ſich von ſeiner Bruſt der ungeheure Druck und eilig ſprang er auf, um nach ſeinen Kleidern zu greifen.

Haſtig riß er Badehoſe und Trikot herunter und warf ſich in ſeinen Anzug. Um ihn herum ließen die Mit⸗ glieder des S.⸗K. B. 1879 jetzt ihren Gefuͤhlen freien Lauf. Lebhaft wurde das eben beendete Rennen beſprochen. Allgemein ſtimmte man darin uͤberein, daß es ein ganz außergewoͤhnliches Rennen geweſen war, „wieder einmal eines von jenen, bei denen alles anders gekommen war...“ Am außergewoͤhnlichſten ſicherlich das Endreſultat.

Nur einer war ganz zurückgeblieben; einer hatte nicht mitgeſchwommen. Die übrigen vier waren faſt gleich⸗ zeitig durchs Ziel gegangen. Es konnte ſich bei ihnen nur um ein paar Sekundenfuͤnftel handeln. Aber Felder hatte unbedingt zuerſt angeſchlagen. Sie alle hatten es geſehen. Gleich nach ihm hatte Rieſecker die Hand an⸗

gelegt, und es hatte ſich vielleicht nur um dies Anlegen der Hand gehandelt; dann Georgy vom „Spree“-Verein, und wieder faſt gleichzeitig mit dieſem der junge Erſt⸗ lingsſchwimmer Hofſtetter, dem das kein Menſch zu⸗ getraut haͤtte. Hoffmann, der beruͤhmte Hoffmann vom „Triton“, der Meiſter des Vorjahres, war uͤberhaupt ganz ziuruͤckgeblieben und hatte zu Ende der dritten Länge ſchon ganzlich ausgeſetzt.

1 Das an den Richtertiſch geſandte Mitglied, wo unters deſſen die Zeit feſtgeſtellt und bekannt geworden war, kam zuruͤck und beſtaͤtigte faſt jede Einzelheit. Die hundert Meter waren geſchwommen in der Zeit von 1: 23% bis 1:25 Minuten. Rieſecker hatte den zweiten Preis mit 24¼; der dritte hatte mit 24% abgeſchnitten und mit ½ Sekunde ſpaͤter der junge Hofſtetter. Der Rekord für Deutſchland betrug 1:18 Minuten. Er war alſo keineswegs erreicht, wie uͤberhaupt in den 0 letzten Jahren nicht mehr. Was aber die Leiſtung Felders zu einer fo außergewoͤhnlichen machte, war die Jugend des Siegers. Wenn man ſie in Betracht zog, war es ein Erfolg, faſt einzig in feiner Art.

| Neueintretende erzählten von der allgemeinen Ver: bluͤffung. Der ganze Amateur-Schwimmklub fei in Auf: ruhr und wolle das Reſultat anfechten, da zwiſchen ſeinem Mitglied und Felder ein totes Rennen ſtatt⸗ gefunden habe: man habe ganz genau geſehen, daß Mieſecker und Felder zu gleicher Zeit angeſchlagen hätten, und man habe es von ihrem Platze aus beſſer ſehen konnen, als von dem Tiſche der Richter.

Die Freude der Mitglieder wurde durch die Nachricht

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* von dem Ärger der anderen natürlich nur erhöht, and maan freute ſich im voraus auf die nicht ausbleibenden RMleeibereien der naͤchſten Zeit. ö

4 : Nur Franz war merkwürdig ſtill geworden. Jetzt, 2 wo er wirklich dieſen ſo heißerſehnten und noch immer \ unbegreiflichen Sieg fein eigen nannte, erſchien ihm fo wenig, was er errungen. Die Unruhe und Angſt der E- letzten Zeit waren vorbei. Aber geſchwunden war auch * zugleich mit ihnen und wie mit einem Schlage das 4 Gefühl des Angeſpanntſeins, das einer inneren Gehoben⸗ 5 heit trotz aller Verzagtheit ... Was hatte er getan? 5 Wofür wurde er gelobt? Er hatte geſchwommen, wie . ſchon hundert Male, von Rand zu Rand der Waſſer⸗ . fläche etwas beſſer, nicht viel ſchlechter heute, als 2 ſonſt. Nur hatte er diesmal etwas getan, was andere * nicht gekonnt: um den Bruchteil einer Sekunde, um = einen Augenblick früher hatte er die Hand zum An⸗ 1 ſchlagen erhoben, und dieſe eine, dieſe einzige Bewegung 5 der Arme und der Hand erhob ihn ploͤtzlich ſo, daß ihn 2 alle anſtarrten wie ein Wundertier. Wäre er unterlegen, 2 ja, wäre er nur zweiter geworden, kein Menſch würde 5 ſich um ihn kümmern, niemand feinen Namen nennen 2 Außerdem: Wenzel hatte nicht mitgeſchwommen. Waͤre 5 er Ae erkrankt, ſo haͤtten ſie alle miteinander einpacken und zuſehen koͤnnen! * Er wollte wiſſen, wie er geſchwommen hatte. Nagel ee würde es ihm jagen. Er drängte ſich zu ihm, als er 3 N, fertig war, und ging mit ihm hinaus, 5 Dann hörte er es. „Ein ſchoͤner Sieg, weil er jo 7 ſchwer errungen wurde. Wie du geſchwommen haſt?

Dee erſten drei Längen ganz gut. Bei der letzten haft 3 du natürlich den Stil verloren und bift über deine Kraͤfte hinausgegangen. Sonſt haͤtteſt du auch nicht ges ſiegt. Freu' dich nur ruhig. Wir freuen uns auch.“ Jaa, Franz freute ſich, als er dies hörte, und zog ſich ſeine Sportmuͤtze über die noch naſſen Haare. Jetzt erſt freute er ſich wirklich!

Mit den anderen ging er hinaus, und eine Weile noch ſtanden alle in ihrer Ecke der Galerie, wo der Sieger mit neuen Gluͤckwuͤnſchen empfangen wurde.

Die ſchwuͤle Hitze in der Halle hatte noch zugenommen. Der Dunſt des warmen Waſſers und der vielen Menſchen war erdruͤckend. Überall ſah man rote Geſichter, auf denen der Schweiß ſtand, und alles verſuchte die innere Glut mit großen Glaͤſern Bier zu loͤſchen. Aber noch immer erſchienen die Reihen der Zuſchauer ungelichtet. Man blieb, weil man einmal da war, oder auch, weil man noch das Waſſerpolo und die luſtige Pantomime am Schluß nicht aufgeben wollte. Die letzten Rennen gingen unter allgemeiner Intereſſeloſigkeit voruͤber. Selbſt ein langes, aber vortreffliches Kürfpringen vermochte es kaum mehr aufrecht zu erhalten. Wie immer, raͤchte ſich an dieſen letzten Nummern die offenbar unvermeidliche Aberladung des Programms.

AJVgn der Ecke der 79 er drängte Brüning feine näheren Freunde zum Aufbruch, endlich „dies verfluchte Schwitz⸗ bad“ zu verlaſſen. Er koͤnne es nicht mehr aushalten, und wenn ſie noch zehn Minuten laͤnger hierblieben,

Feſteſſen geplant und den immer bereiten Koepke (der als Belohnung dafür mit eingeladen wurde) in ein bes nachbartes Weinreſtaurant geſchickt, wo die Ner ſeines Namens und kurze Angaben genuͤgten, um e e gemütliche Niſche und ein ausgeſuchtes kleines Sou für ſechs Perſonen nach einer Stunde bereit zu finden. Die Geladenen verabſchiedeten ſich für ein paar Stun⸗ den von ihren Leuten und verließen, von vielen W gefolgt, die heiße Halle. Bei Tiſch herrſchte die lebhafteſte Froͤhlichkeit. F ſaß zunaͤchſt dem Gaſtgeber, neben ihm ein ä Schwimmer mit großem Namen, und ihm gegenuͤber ſein verehrter Schwimmwart. Er war aͤußerlich ſtill, wie immer, aber innerlich war jetzt alle Sorge von ihm ge⸗ nommen, und er ließ ſich alle die guten und ungewohnten Dinge, die auf den Tiſch kamen, mit dem ganzen un verdorbenen Appetit ſeiner jungen Jahre ſchmecken. Aber als Brüning zum Schluß, als der Sekt kam, das Glas in die Hand nahm und halb ernſthaft, halb launig, wie es ſo ſeine Art war eine Rede auf ihn hielt und alle aufſtanden, um auf den heutigen alle künftigen Erfolge mit ihm anzuſtoßen, da mannte ihn faſt die Ruͤhrung über fo viel und 2 Freundſchaft. Ein großer Entſchluß keimte in ihm auf, und waͤhrend die anderen ſchon weiteraßen und weit lachten, ſtand er plotzlich auf und ſagte g ſchauend und ganz ſchnell: Es lebe der Schwimmklub Berlin 1879. Ich d ihm, daß er mich aufgenommen hat, und ich werde mich anſtrengen, ihm immer ſo Ehre zu machen, wie heute

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Das war ein kurzer Toaſt, aber ein guter, und alle wunderten ſich, daß er ihn ſo zuſtande gebracht hatte; Bruͤning nannte ihn ſogar einen Beweis fuͤr „die un⸗ vermutet glaͤnzende Rednergabe unſeres lieben Mitgliedes Franz Felder“.

Aber das ſtoͤrte dieſen nicht weiter, und aͤußerlich

ſtill, aber innerlich gluͤcklich blieb er den ganzen Abend: waͤhrend der Droſchkenfahrt nach dem Lokal, wo die Preis⸗ verteilung ſtattfand; waͤhrend dieſer ſelbſt, als er noch einmal der Zielpunkt aller Blicke die ſilberne Medaille und die Urkunde, die ihn den Meiſter von Berlin fuͤr das kommende Jahr nannte, erhielt; und waͤhrend der langen Stunden, die ſich noch durch die halbe Nacht zogen, als man an den Tiſchen zu ſeiten des großen Saales ſaß, in dem unermuͤdlich getanzt wurde, und als immer wieder und wieder von allen Seiten alte und neue Bekannte kamen, um mit ihm anzuſtoßen, zu trinken und ein Wort zu wechleln .. . 5 Und gluͤcklich war er, als er endlich durch die helle und kalte Winternacht heimwaͤrts ging. Denn wie der Himmel dort oben, ſo war auch ſeine Zukunft voll lichter Sterne, und ein jeder von ihnen war ein neuer, ein großer und ein immer größerer Erfolg!

8.

Er durfte ſeinen Sternen vertrauen. Einer nach dem anderen neigte ſich gegen ihn und fiel nieder in feine jungen, hoch emporgeſtreckten Hände Sieg um Sieg!

Die Meiſterſchaft der kurzen Strecke fuͤr Berlin hatte Franz Felders Namen mit einem Schlage bekannt ge⸗ macht. Jetzt konnte im Klub kaum mehr daruͤber ge⸗ ſtritten werden, wer zu den naͤchſten Schwimmkonkurrenzen entſandt werden ſollte; es handelte ſich nur noch darum, an welchen Schwimmen er ſich beteiligen konnte, und bei welchen es beſſer war, von einer Beteiligung noch abzuſehen. Das galt natürlich in erſter Linie bei den langen Strecken, für die es im Klub kein Mitglied gab, das ſich mit den Meiſtern dieſer Jahre über ſie haͤtte meſſen konnen. Aber man konnte ſich nach dem un⸗ verhofften Triumphe feines jungen Mitgliedes jetzt nicht mehr zurückziehen, um ſo weniger, als man neben Felder einen ausgezeichneten Springer, Grafenberger, heran⸗ gebildet hatte, der ſich auf dem Bundesſchwimmen einen zweiten Preis geholt, und auf den man als Springer ebenſolche Hoffnungen zu ſetzen begann, wie ar delsen 8 als Schwimmer.

So war der alte Schwimmklub Berlin von 18 N mit einem Schlage wieder in den Vordergrund des Inter⸗

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eſſes getreten, und ſeine alten Mitglieder ſahen wohl ein, daß fie dem Drängen der jüngeren nicht länger widerſtreben durften und konnten, ſondern verpflichtet waren, das Eiſen zu ſchmieden, das wieder zu gluͤhen begann.

Mit der Hoffnung auf neue, rege Beteiligung an der

Pffentlichkeit und mit der begründeten Ausſicht auf neue

Siege begann ein neues, friſches Leben in den Sitzungen, wie auf den Übungsabenden ſich zu entfalten, und nie war der Ton bei den Zuſammenkuͤnften ſo frei und froͤhlich geweſen, wie zu Beginn dieſes Sommers

Felder uͤbte unablaͤſſig. Als der laute Tag vorbei⸗ gerauſcht war, der ihm ſeinen jo heißerſehnten Sieg ges bracht, erſchien es ihm wieder ſo wenig, was er getan, daß ein tiefes Gefühl der Unbefriedigtheit ihn faſt nicht mehr verließ. Ja, er hatte geſiegt aber war das ein Sieg geweſen, wie er zu wuͤnſchen war? Weder war beine Zeit eine beſondere geweſen, noch ſein Stil bis zu . rein geblieben; dabei hatte er feine Kraft völlig verausgabt; und endlich hatte Wenzel, der Meiſtgefuͤrchtete,

N nicht teilgenommen. Alles das beeinträchtigte den Wert

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feines Sieges in feinen Augen bedeutend und er war ungeduldig nach neuen Kaͤmpfen.

Er übte unermüdlich. Er erreichte es zunaͤchſt, die hundert Meter in derſelben Zeit, wie auf dem Bundes⸗ ſchwimmen, aber in glatt durchgefuͤhrtem Stil zu ſchwimmen; dann verbeſſerte er ſeine Zeit von Woche zu Woche um ein weniges.

Als der Frühling kam und die erſten Ausſchreibungen fur die Sommerfeſte erlaſſen wurden, begann er, das

frühere Training für Strecken über drei⸗ und fuͤnfhundert Meter wieder aufzunehmen. Seine Fortſchritte ſetzten

ſelbſt ſeine Klubgenoſſen in Erſtaunen. Sogar Nagel,

der ihn unausgeſetzt beobachtete, ſagte nichts mehr. Nach außenhin bewahrte der Klub abſolutes Stillſchweigen.

Dann kamen die Siege dieſes Sommers, einer nach dem andern: er ſiegte zweimal auf den internen Ver⸗ anſtaltungen ſeines Klubs gegen ſeine eigene Mann⸗ ſchaft, war deſſen erklaͤrter beſter Schwimmer über alle Strecken und in jeder Stilart und verzichtete damit fuͤrs erſte auf die Beteiligung an Kaͤmpfen mit ſeinen eigenen Leuten. Er ſchlug auf dem ſchoͤnen Feſt des „Delphin“ deſſen beiten Schulſchwimmer im Bruſtſchwimmen über

150 Meter; er holte ſich ein Diplom in Reinickendorf

und einen Ehrenpreis in Halenſee. Und er erlebte einen anderen, in feiner Art merkwuͤrdigen Triumph. Er ers reichte auf dem diesjaͤhrigen großen Verbandsſchwimmen im Kochſee, auf dem er zu dem großen 500 Meter⸗ ſchwimmen um den Hauptpreis nicht gemeldet war, da diesmal die abmahnenden Stimmen ſeines Klubs, die vor allzu haſtigem Vorgehen warnten, im Übergewicht geweſen waren, er erreichte auf dieſem Feſt im Junioren⸗ ſchwimmen über dieſelbe Strecke, bei dem er natürlich ſtartete, eine Zeit, die ſo nahe an die des Siegers im Hauptſchwimmen heranreichte, daß alle Gegner ſchweigen und denen recht geben mußten, die ſchon fuͤr dieſes Jahr ungeſtuͤm eine Beteiligung Franz Felders an erſten kurrenzen gefordert hatten. Das war auch ein Sieg, und nicht der ſchlechteſte!

Dazu kamen noch in dieſem Sommer ſeine erſten

8

Reiſen. Sie wurden uͤber den Sonntag gemacht, da er zur feſtgeſetzten Zeit wieder bei ſeiner Arbeit ſein mußte. Im Fluge hin, im Fluge zuruͤck; oft im Morgengrauen zur Bahn, eine lange Fahrt, ein haſtiger Sieg, ein Tele⸗ gramm an den Klub, und ſchon wieder zum Bahnhof zuruͤck . .. Nur einmal konnte er ein paar Tage Urlaub benutzen, um nach Stuttgart zu gehen, wo er zwei Tage blieb. Auf dieſen ſeinen erſten Reiſen, die mehr Aus⸗ fluͤge waren, unternommen auf Koſten ſeines Klubs und ſtets in Begleitung irgend eines Kameraden, kam er nach⸗ einander nach Magdeburg, Hamburg und Stuttgart und im Spaͤtherbſt nochmals nach Hamburg, wo er den ſchoͤnſten aller feiner bisherigen Siege errang: in dem deutſchen Schulſchwimmen einen Ehrenkranz mit Gra⸗ vierung fuͤr ein tadellos durchgefuͤhrtes Bruſtſchwimmen von hundert Metern gegen und hundert Metern mit dem Strom, bei dem die Art des Schwimmens, nicht nur die Schnelligkeit gewertet wurde. In Stuttgart holte er ſich den zweiten Preis im Wettſchwimmen über ein: hundert Meter, in Magdeburg den erſten im Hindernis: ſchwimmen: ein in feiner kuͤnſtleriſchen Ausführung wirk⸗ lich wertvolles Diplom.

5 Und dann hatte ſich Felder im folgenden Winter in ö feiner Meiſterſchaft von Berlin im Schwimmerbund uber die kurze Strecke zu behaupten: diesmal gegen Wenzel vom „Poſeidon“ und die beſten Berliner Schwimmer, und er tat es in einer Weiſe, die deutlich zeigte, welche Sicherheit ihm bereits die ſommerlichen Siege verliehen hatten er ſchwamm die kurze Strecke nicht nur in reinſtem ſpaniſchem Stil und verbeſſerte feine eigene Zeit

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gegen das Vorjahr nicht nur um fat drei Or 1 ſondern er ſchlug den gefuͤrchtetſten feiner Gegner, der alles daran ſetzte, die verlorene Meiſterſchaft wieder an 1 gewinnen, um eine ganze Sekunde. 4 Zum zweiten Male war er Meiſter von Berlin ge⸗ worden. Kaum war ein kurzes Jahr vergangen, und doch: welcher Unterſchied nicht zwiſchen heute und damals! Als er umſtanden von ſeinen jungen und alten Klubfreunden ſein Trikot uͤberzog und der immer be⸗ haͤbiger werdende Brüning den anderen in feiner fpdttifche gutmütigen Art erzählte, wie fie ihn damals vom Sofa aufgeweckt und den Mutloſen in einer Droſchke hierher gebracht, dachte Felder ſelbſt einen Augenblick an die trübe, einſame Viertelſtunde, in der er hier allein nieder⸗ gedrückt bei dem grauen Zwielicht eines trüben Winters tages geſeſſen, faſt verzweifelnd an ſich und ſeiner Zukunft. Heute zweifelte er nicht mehr. Er dachte überhaupt wenig mehr an Siegen und an Unterliegen. Die heitere Zuverſicht der Ruhe, erworben in fo manchen ernſten Kaͤmpfen des letzten Jahres, war uͤber ihn gekommen, und kaum ließ die Erwartung jetzt fein Herz hoͤher ſchlagen, wenn ein neuer Sieg ihn reizte. Er wußte, er tat, was er konnte, und er tat es in erſter Linie für ſeinen geliebten Klub. Er hatte ihm bereits Ehre ge⸗ macht. Er wußte es, und er war ſtolz darauf. Als das Diplom des Bundesſchwimmens, das ſeinen Namen trug, in dem alten, gemuͤtlichen Klubzimmer der Linden⸗ ſtraße, wo der Klub nun ſchon ſeit faſt einem Jahrzehnt tagte, dieſer Stätte fo zahlreicher, erregter Debatten, ſoſ zahlloſer freudiger und gehobener Stunden, zwiſchen den

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Unmenge Ehrengeſchenke und Urkunden vergangener Tage ſeinen Platz fand, da wich zum erſten Male recht eigentlich das Gefuͤhl einer gewiſſen Fremdheit, das ihn nie ganz verlaffen hatte, von ihm: denn jetzt hatte der Arbeiter: ſohn aus dem Oſten angefangen, ſeine Schuld zuruͤck⸗ zuzahlen, und man brauchte es nicht mehr zu bereuen, den armen Jungen unter ſich aufgenommen zu haben. Und er ſchwur ſich damals und viele Male ſpaͤter, immer und immer wieder zu: ganz und bis aufs letzte die in ſeinen Augen ſo unermeßliche Schuld zuruͤckzuzahlen, und vielleicht nicht nur das, ſondern dem S.⸗K. B. 1879 mit Zinſen und Zinſeszinſen zu vergelten, was er an ihm getan. Daher freute er ſich an jedem ſeiner Erfolge, nicht nur fuͤr ſich, ſondern auch fuͤr ſeinen Klub mit. Und fo gluͤcklich er auch war, einen Preis nach Haufe tragen zu duͤrfen und die Ehrenzeichen und Medaillen auf ſeiner Bruſt ſich vermehren zu ſehen lieber war es ihm doch noch und groͤßer ſeine Siegerfreude, wenn er ſeine Preiſe in den Beſitz des Klubs uͤbergehen und dort die Wand zieren ſah, waͤhrend ihm ſelbſt nur eine einfache Urkunde gewiſſermaßen als Westen zuteil wurde. So rein und ehrlich war ſeine Freude, daß er faſt noch keine Neider hatte, wenigſtens nicht unter ſeinen Leuten. Er war noch ganz der, als den ſie ihn damals 4 aufgenommen hatten, wenn er auch aͤußerlich ein junger, eleganter Mann geworden war, der es lernte, Wert auf ſein Außeres zu legen. Auf ſeinen Lippen zeigte ſich der . Flaum, aber ſein Korper obwohl Felder auch im letzten Jahre tuͤchtig in die Hoͤhe sehpoflen war

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zeigte noch immer die unentwickelten Formen des Knaben, und wenn er an den Start ging, verſchwand ſeine Ge⸗

mehr heimiſch in dieſem Leben, das mehr als je faſt jede ſeiner nicht der Tagesarbeit gewidmeten Stunde in Anſpruch

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ſtalt faſt neben denen der anderen. Wer ihn nicht kannte, prophezeite ihm vor ſeinen meiſt voll entwickelten, musku⸗ loͤſen Gegner ſicher nicht den Sieg, bis er ihn mit kurzen und ficheren Schlägen das Waſſer teilen und den ſchmaͤch⸗ tigen Schwimmer ſchnell allen vorauseilen ſah. Ä

Dieſe Liebe zu feinem Klub, dieſe faſt kindliche Freude an ſeinen erſten Triumphen, dieſe faſt beſcheidene und doch ſelbſtbewußte Zurückhaltung und Ruhe, die Felder eigen war, erhöhte feine Beliebtheit im Klub von Tag zu Tag; und wann immer er kam, woran er auch teil⸗ nahm, immer war er gern geſehen und fuͤhlte ſich mehr und

nahm. Noch immer waren und blieben die beſten ſeiner Freunde die alten: Nagel, der treue und ernſte Berater; Brüning, deſſen ausgeſprochener Schügling er blieb und der, ſo oft er nur konnte, den Unerfahrenen auf ſeinen

Reifen begleitete und natürlich ſtets alles zahlte; und Koepke, der Unzertrennliche, ſein Schatten, der bei jedem

neuen Siege von neuem aus dem Haͤuschen geriet un Ei

ihm Erfolge vorausſagte, über die Felder ſelbſt einftweilen nur lächelte. Aber auch an manchen anderen Klubgenoſſen hatte er wahre und aufrichtige Freunde, die verlernt hatten, ſich an ſeiner Schwerfaͤlligkeit und Wortkargheit zu ſtoßen und ihm naͤher ſtanden, als Felder es ſelbſt wußte.

Und noch eines trug dazu bei, ſeine Beliebtheit zu erhöhen: trotz feiner erſtaunlichen Fortſchritte und dern in Anbetracht feiner Jugend außergewoͤhnlichen Siege

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drängte er fich doch nie zu den Konkurrenzen, und immer

war es der freie Entſchluß ſeines Klubs, der ihn vor der von Brüning und einigen anderen gelenkten Majoritaͤt ſich beugend hinausſandte. So ließ er ſich ruhig

4 mitnehmen in die fremden Städte, uͤberwand ſchnell das anfaͤngliche Unbehagen der haſtigen und uͤberſtuͤrzten Fahrten, und tat fein Beſtes, ſich für die Kämpfe moͤglichſt

friſch zu erhalten, indem er geduldig die Ratſchlaͤge ſeiner Begleiter über ſich ergehen ließ und und ſchlief, wenn dieſe es fuͤr noͤtig erachteten, und nicht, wenn er hungrig und muͤde war. Die Reiſen ſelbſt intereſſierten ihn wenig: er ſah wohl hier und da eine Sehenswuͤrdigkeit der fremden Stadt, wenn es zufaͤllig eine freie Zwiſchenſtunde erlaubte, auch machte das neue und bunte Hafenleben Hamburgs einigen Eindruck auf den Binnenlaͤnder, aber im allgemeinen drehten ſich ſeine Erinnerungen an dieſe Reiſen doch nur um deren Zweck und Ziel: um die Wett⸗ laͤufe am Nachmittag und die Preisverteilung am Abend, und die glichen ſich alle mehr oder minder, mochte es nun in Hamburg fein oder in Stuttgart oder Berlin.

Aus dieſem Jahre, vielleicht dem gluͤcklichſten ſeines kurzen Lebens, ſtammte eine Photographie, auf der er ſich zum erſten Male bildlich im Schmucke ſeiner Sieges⸗ zeichen zeigte. Die kleine, braune Rettungsmedaille war faſt nicht mehr ſichtbar unter den ſechs bis ſieben großen Silbermünzen, die bereits eine ganze Reihe auf der linken Bruſtſeite bildeten; und um den Hals trug der junge Meiſter bereits das breite Band mit der kleinen, ver⸗ goldeten Medaille, das in leuchtenden Buchſtaben den frühen Ruhm feines Trägers verkuͤndete.

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Sportblatt der ganzen Welt, Felder um ſein Bild bat und es zu Ende dieſes Winters ſeinen Leſern zeigte, ſchrieb es dazu: 1 rg „Wenn wir heute entgegen unferer fonftigen Ger wiohnheit unſeren Leſern das Bild eines jungen Schwime | mers zeigen, deſſen Name, obwohl bereits ruͤhmlich ber 5 kannt in feinen Kreifen, doch noch keine eigentlich nationale 5 Geltung erlangt hat, fo tun wir es in der ſicheren Über zeugung, daß der Name Franz Felder eines, vielleicht nicht 2 einmal fernen Tages über die Grenzen feines Vaterlandes bhinaus genannt werden wird. Was uns zu dieſem Aus: ſfrwruch treibt, find nicht fo ſehr die in Anbetracht feiner Jugend allerdings außergewoͤhnlichen Leiſtungen und ſtau⸗ nens wert ſchnellen Fortſchritte dieſes Schwimmers, ſondern vor allem die Beobachtung der ganz nur auf ein Ziel gerichteten Energie dieſes jungen Mannes, mit der er von früh auf ſich ſelbſt geſteckte Ziele raſtlos und unbekuͤmmert zu verfolgen ſcheint ... Wir wußten unter allen deutſchen 10 Schwimmern der Nangeren Generation keinen, der er ER fo zu den hoͤchſten Hoffnungen berechtigt erfcheint, wie Franz Felder, der Meiſter von * über die kurze Strecke * der letzten beiden Jahre 1 Als an einem 8 des Klubs die Nummer R = herumgereicht und von allen Seiten mit launigen nd fpöttifchen Bemerkungen über den Schreiber begleitetwurde, war es wieder nur Nagel, der ernſt blieb. Indem er verſtohlen das Bild mit dem ihm ſeit Jahren eu Geſicht verglich und Zug für Zug hier wiederfand, was er dort ſo gut kannte: die niedrige, trotzige Stirn, den

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Mund mit den ausdrudsvollen, gewoͤlbten Lippen, das energiſche Kinn und die oft fo unnatuͤrlich ernſthaft blickenden blauen Augen mit den ſcharf gezogenen Brauen daruͤber D da mußte er innerlich dem gewiegten und in allen Lebens⸗ $ fätteln gerechten Menſchenkenner des großen Sports:

blattes recht geben und feiner Beobachtungsgabe Be⸗ wunderung zollen. Aber was jenen, den gleichguͤltigen Kritiker, zu fo uͤberſchwaͤnglichen Prophezeiungen begeiſterte, erfüllte ihn mit heimlich⸗banger Sorge um ſeinen Schuͤtz⸗ ling.

Er ſprach nicht aus, was er dachte. Man wuͤrde ihn mitverlacht haben. Denn fuͤr die meiſten anderen lag alles dies, was er in dieſem Augenblick in voller Schaͤrfe ſah, noch verborgen unter der Weichheit der Jugend, die in dieſen Zuͤgen noch nichts Hartes hervortreten ließ und gerade in dieſer Stunde, in dieſem luſtigen Kreiſe, unter dieſen ihm ſo vertrauten und lieben Menſchen, kam alles, was in Felders Natur an unbekuͤmmerter Froͤhlichkeit, an ſich und anderen vertrauender Güte und natürlicher Liebenswuͤrdigkeit lag, hervor. Mit den anderen lachte er über die Überſchwenglichkeiten des Reporters, denn wenn je in ihm die Stimme des Ehrgeizes geſchwiegen hatte, ſo tat ſie es jetzt. Seine erſten Siege hatten ihn beruhigt. Wenn es ſo leicht war, zu ſiegen nun, dann wollte er noch oft ſiegen. Aber wozu daruber nachdenken? Das wuͤrde alles ſchon kommen, wie es kommen ſollte. Fuͤr ihn war die Hauptſache, daß er ſeinem Klub Ehre und Freude machte. Hier hatte er die Heimat feiner knabenhaften Wünfche gefunden, und hier wollte er bleiben. Sein Klub wuͤrde ihn leiten und

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Sie waren eine glückliche Zeit für den jungen Schwimmer die Jahre dieſes rapiden, ſicheren und doch nicht uͤberhaſteten Aufſtiegs.

Aber nie ſchien ein Sommer in Franz Felders Leben ſo voll Sonne zu werden, wie dieſer naͤchſte, der ſeines achtzehnten Lebensjahres, in dem er ſeine Lehrzeit be⸗ endete und in dem er in einer Fuͤlle anderer erſtklaſſiger Siege, die ſich Schlag auf Schlag in faſt beaͤngſtigender Schnelle folgten, auch ſeine erſte, ganz große Meiſter⸗ ſchaft und mit ihr die große goldene Medaille erfocht: die Jahresmeiſterſchaft von Deutſchland uͤber die große Strecke von 1000 Metern den ſchoͤnſten und reinſten aller ſeiner bisherigen Siege.

Der Wunſch, ſich an dieſem hoͤchſten Wettkampf zu beteiligen, um den alle erſten Schwimmer Deutſchlands Jahr fuͤr Jahr mit ihrem beſten Koͤnnen rangen, hatte lange in ihm gelegen, bevor er ſich hervortraute. Die kurze Strecke, uͤber die er ſich Meiſter fuͤhlte, reizte ihn ſchon nicht mehr. So kam es, daß er ſich mehr und mehr auf die langen Strecken legte und im. Frühjahr dieſes Jahres wochenlang überhaupt nur noch über tauſend Meter trainierte, bis er auch hier Zeiten erreichte, die ſich kuͤhnlich neben anderen ſehen laſſen konnten.

Aus dem unübertrefflichen Flieger war ein e 5

Steher geworden. Als daher die Beratungen über die a jährliche Beteiligung begannen, konnten die ſchwachen und vereinzelten Einwaͤnde meiſt älterer Mitglieder gegen

ihn nur ſeiner Jugend gelten, und ſie wurden von dem allgemeinen lebhaften Verlangen des Klubs nach neuen und größeren Siegen auf neuem Gebiet glatt uͤberſtimmt.

Das große Schwimmen des „Allgemeinen deutſchen J Schwimmverbandes“ ſollte in dieſem Jahre beſonders großartig ausgeſtaltet werden, jede Art von Konkurrenz

im Schwimmen, Springen und Tauchen umfaſſen und ſich über zwei ganze Tage erſtrecken, einen Sonnabend und einen Sonntag im Juli. Als Ort war diesmal Grunau gewählt, der allbekannte Sportplatz an der Dahme, der „wendiſchen Spree“, dem Heim der großen Regatten. Seit Jahren waren keine zahlreicheren und bedeutſameren

Meldungen aus allen Orten Deutſchlands eingetroffen, und die geſamte Schwimmwelt blickte den entfcheidenden Tagen mit außergewoͤhnlicher Spannung entgegen. Dr „Schwimmklub Berlin 1879“ hatte neben Felder, der I

am erſten Tage in einem Zweihundertmeterſchwimmen,

am zweiten ſich an dem großen Schwimmen beteiligen

ſollte, ſeinen ausgezeichneten Springer, Grafenberger, und zu den kleineren Wettkaͤmpfen mehrere verheißungsvolle Kräfte gemeldet, jo daß er ſchon nach der Zahl feine

Meldungen im Vordergrund des Intereſſes ftand,

Der Eröffnungstag, der Sonnabend, war nicht vom Wetter begünftigt und verlief auch ſonſt unbefriedigend. Grafenberger hatte feinen ſchlechten Tag, und ſogaet Felder holte ſich nur einen zweiten Preis, indem er 5

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gegen den Meiſterſchwimmer Weſtdeutſchlands aus Frank⸗ furt uͤber die Zweihundertmeterſtrecke unterlag. Man trennte ſich unter ſtroͤmendem Regen fruͤh, um ſich zu dem Haupttage durch ausgiebigen Schlaf zu ruͤſten.

Um ſo zahlreicher und auserleſener war am Sonn⸗ tag die Zuſchauermenge, die in dichten Reihen die Holz⸗ baͤnke an dem ſanft aufſteigenden Ufer zu vielen Hun⸗ derten ſchon vor der angeſetzten dritten Stunde des Beginnes beſetzt hielt, waͤhrend von einem wolkenloſen, blauen Himmel die Sonne in vollſter Pracht auf Waſſer, Waͤlder und ſie, die Menſchen, herniederſtrahlte.

Faſt alles, was in der Welt des Schwimmſports einen Namen hatte, war vertreten. Man ſah mehr bunte Muͤtzen und Farben, als je zuvor, und aus der Zahl der Zuſchauer und der Vertreter und Deputierten oͤffentlicher Behoͤrden konnte man erſehen, welchen Aufſchwung das Schwimm⸗ weſen in den letzten Jahren genommen und wie ſehr es an Intereſſe in weiteren Kreiſen gewonnen haben mußte.

Von Anfang an wurden alle Rennen mit allgemeinſter Aufmerkſamkeit verfolgt, und ſelbſt ſolche, die ſonſt nur Ermuͤdung und Langeweile bei den Zuſchauern hervor— zurufen pflegten, wurden mit Beifall begleitet.

Als dann aber das Hauptſchwimmen kam, als die ſchlanke, ebenmaͤßige Geſtalt Felders die Flut mit der Regelmaͤßigkeit und Kraft eines Dampfers durchſchnitt, als er erſt den beſtaunten Koloß der Hamburger, dann den Meiſter der langen Strecke von Suͤddeutſchland, end: lich in der letzten Laͤnge auch den bisher als unbeſieglich geltenden Karl Becker, den Sieger des Vorjahres, hinter ſich ließ und vor allen ebenſo ruhig aus dem Waſſer

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Antwort zu ſtehen, ſuchte er ſich ihnen moͤglichſt bald zu

3 5 Grunau hinausgemacht“, um „einmal zu ſehen, auf welche

hoͤchſte geſtiegene Spannung in einem nicht endenwollenden

belegt. „Einen recht großen, denn es würden noch mehrere

fieg, wie er hineingegangen war, da löſte ſich die aufs

Jubel. Es war ein Sieg, ſo rein und ſchoͤn erfochten, daß jedes Maͤkeln und Deuteln vor ihm verſtummte; und ſo einfach und ungezwungen war die Haltung des Siegers (als habe er das Selbſtverſtaͤndlichſte der Welt getan), daß man nicht anders konnte, als ihn denn * und lieben zu gleicher Zeit. 0 Felder konnte ſich vor den Begluͤckwuͤnſchungen tam retten. Da es ihm bei ſeiner Schwerfaͤlligkeit noch immer Ang wer. det ſe dialen fremden Mienſchen Nee 1

entziehen. Heute hatte er einen guten Grund. Seine ganze Familie hatte heute ausnahmsweiſe „nach

Weiſe er denn zu all dieſen ſchoͤnen Geſchenken und den Medaillen kaͤme“. Franz hatte zuerſt proteſtiert. Was fiel ihnen plotzlich ein? Er wollte fie nicht da haben. . Sie follten ihre eigenen Wege gehen, wie er die feinen ging. Aber er konnte ihnen ſchließlich nicht verbieten, unter den Zuſchauern zu ſein und zuzuſehen. So hatte er ihnen denn moͤglichſt gute Plaͤtze verſchafft und im benachbarten Reſtaurant einen großen Tiſch am Waſſer

* 8 BI Er er

dabei fein”, meinte fein Vater.

Jetzt kam ihm dieſe ganze Familiengeſchichte gerade 1 recht, um ſich auf eine Stunde den anderen zu entziehen. Auch war er ganz zufrieden, daß die Seinen nun end? lich einmal geſehen hatten, was aus ihm geworden war, wenn ſie auch nicht viel davon verſtanden. Denn mehr 5

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als je zerfielen fuͤr ihn die Menſchen in die zwei Klaſſen: in die, die rg konnten, und in die, die es nicht konnten

Als er die Bruſt bedeckt mit ſeinen Siegeszeichen an den Tiſch trat, fand er auch bereits ſeine Familie faſt vollzaͤhlig vor: die Geſchwiſter, verheiratete und un⸗ verheiratete, waren da, die Kinder der erſteren und andere Verwandte. Außerdem befreundete Familien, von denen er nur einzelne Mitglieder kannte alle bunt durch⸗ einander.

Man hatte ihm einen Ehrenplatz oben am Tiſche aufgehoben. Er ſah ſich fluͤchtig um. Zu ſeiner Linken ſaß ein junges Maͤdchen, das ihm fremd war, zur Rechten ſeine alte Mutter. Ein paar Plaͤtze von ihm entfernt machte ſich ein beleibter Herr mit einer maͤchtigen Bowle zu ſchaffen. Überall bekannte Geſichter.

Franz nickte ſeiner Mutter zu.

Mit einem ſchwachen und ſeltenen Verſuch, zu ſcherzen ſein neuer Sieg hatte ihm Mut gemacht meinte er:

Na, Mutter, heute ging es ja noch mal gut; aber das naͤchſte Mal ertrinke ich dann ſicher. Die alte Frau glaubte naͤmlich noch immer, ihr Franz muͤſſe eines ſchoͤnen Tages ſeinen Tod im Waſſer finden. Ins Waſſer gehen, bedeutete für fie, ſich ganz unndͤtigerweiſe einer Gefahr ausſetzen; und wenn ſie in letzter Zeit auch be: griff, weshalb ihr Sohn das tat denn er brachte doch die ſchoͤnen Preiſe nach Hauſe ſo war ſie doch immer noch nicht aller Sorge ledig. So antwortete ſie denn nur: „Wenn du auch ſchwimmen kannſt, ertrinken kannſt du doch!“.

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Man lachte ſehr uͤber ihre Antwort, und Franz lachte mit, obwohl er ſich ein wenig uͤber das Unverſtaͤndnis der alten Frau aͤrgerte. 1 Da hoͤrte er ſich ploͤtzlich von links her angeſprochen: 1

Kennen Sie mich denn wirklich nicht mehr, Herr

Felder? Er ſah feine Nachbarin überrafcht an. Schon als er fich ſetzte, war fie ihm aufgefallen, und er hatte gedacht,

wer fie wohl ſei. Sie war noch ganz jung, etwa in

ſeinem Alter, und ſehr elegant gekleidet: ein weißes Sommerkleid mit rotem Beſatz, einen großen Strohhut, blonde Haare und ein Stumpfnaͤschen, ſehr huͤbſch und ſchon recht ſelbſtbewußt ſo kam ſie ihm vor. Er ſah ihr nun gerade ins Geſicht; dann ſagte er aufs Gerate⸗ wohl: Aber gewiß, Fraͤulein, voriges Jahr auf dem Er hatte ſie nie geſehen. Es kam überhaupt ſelten vor, daß er mit Damen ſprach. Hoͤchſtens auf den Vereinsvergnügungen oder auf den Schwimmfeſten, wo

er von den Damen, die den Sieger in der Naͤhe ſehen 1

wollten, zum Tanze geholt wurde, machte er eine flüchtige 5

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als wir noch Kinder waren. Wiſſen Sie denn nicht mehr, in der Fruchtſtraße, im Hof, da wohnten wir doch. Vatern gehoͤrte doch dazumalen das Haus

Ja, jetzt erinnerte er ſich dunkel, aber auch nur ganz dunkel. So oft, wie ſie ſagte, „immer“, konnten ſie uͤbrigens nicht zuſammen geſpielt haben, denn er war doch meiſt fort geweſen, am Waſſer. Aber daß ſie ſich als Kinder gekannt hatten, war ſchon richtig, denn er erinnerte ſich jetzt ſogar ihres Namens: Eliſe Heinecke.

Na, Sie haͤtte ich aber nicht wiedererkannt, Fraͤu⸗ lein Heinecke!

Ja, glauben Sie, ich Sie? Aber als wir neulich Ihren Namen im „Morgenblatt“ laſen, meinte Vater, ob das wohl dieſelben Felders ſind, die dazumal in der Fruchtſtraße bei uns gewohnt haben; und da er doch alles kennt, iſt er denn gleich zu dem Herrn Faß⸗ bender, was doch der Vorſitzende von Ihrem Verein iſt, gegangen, und der hat ihm geſagt, wenn wir uns über: zeugen wollten, brauchten wir nur heute nach Gruͤnau zu machen, da wuͤrden wir Sie ſchon in Ihrem Glanze ſehen. „Machen wir!‘ fagte Vater, und auf dem Bahn⸗ hof haben wir denn auch gleich Ihre Eltern getroffen. Nein, koͤnnen Sie aber ſchwimmen!

Die letzte Bemerkung machte Franz warm. Überhaupt, er wußte nicht, was es war, aber ſie gefiel ihm aus⸗ nehmend. Es war ſo leicht, ſich mit ihr zu unterhalten. Sie fragte und verſtand immer Dinge zu fragen, auf welche er Antwort zu geben wußte. Und wenn er keine gab, fo ſprach fie gleich weiter und nahm es nicht weiter übel.

Das Schwimmen war voruͤber, und der große Garten

füllte fich bis auf den letzten Mag mit Sportsfreunden

und Zuſchauern. Überall an den Tiſchen gruppierten ſich

die durſtigen Mitglieder der vielen Vereine und ihre zahl⸗

reichen Angehörigen. Ganz dicht am Waſſer an der anderen

Seite hatte ſich der S.⸗K. B. 1879 heute der Mittel⸗ punkt aller anderen einen langen Tiſch reſerviert. Als Felder, bereits von allen Seiten vermißt, von feinen Leuten gefunden und fortgeholt wurde, war er erſtaunt, zu hoͤren, wie ſchnell die Zeit vergangen war. Er mußte verſprechen, nach der Preisverteilung wieder⸗ zukommen, um teil an der Bowle zu nehmen, und der alte Heinecke, ſtolz auf ſein gelungenes Werk, ſagte ihm mindeſtens dreimal, ſie ſei nur ihm zu Ehren angeſetzt. Wichtiger aber war fuͤr Franz, was auch die Tochter ſagte, als er ging: „Ja, Herr Felder, kommen Sie bald wieder.

x Sie muͤſſen mir noch viel über Ihre Siege erzählen“,

Er dachte an ſie, als er unter ſeinen Freunden ſaß, und zum erſten Male, ſolange er denken konnte, haͤtte er eine andere Geſellſchaft, als die ſeines Klubs, vor⸗ gezogen, und immer wieder blickte er nach dem Tiſche hinüber, von wo ein weißes Kleid wie gruͤßend zu ihm heruͤberſchimmerte.

Als jedoch die Preisverteilung in dem großen Saale des Reſtaurants ſtattfand, als er aus den Haͤnden des erſten Verbandsvorſitzenden die ſchoͤne große Medaille von Gold erhielt und ihm das breite, dreifarbige Band, an dem ſie hing, um den Hals gelegt wurde, als an fein Ohr die Worte ſchlugen, die ihm galten —: „Wohl noch nie iſt ein Sieg, wie der heutige, von einer ſo jungen Kraft errungen worden. Was aber ſeinen Wert noch

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erhoht, iſt die tadelloſe Art, in der er gewonnen wurde. Indem ich Ihnen, Herr Franz Felder, daher hiermit den großen Preis Ihres Sieges, den von allen deutſchen Schwimmern am heißeſten begehrten, uͤberreiche, kann ich keinem anderen Wunſche Ausdruck geben, als dem: Moͤchten alle Ihre kuͤnftigen Siege, mein junger Meiſter von Deutſch⸗ land, fo rein und ſchoͤn fein, wie dieſer heutige...“ als dieſe Worte an Felders Ohr klangen und ihn dann wieder der ungezuͤgelte Jubel des ganzen Saales umtoſte, da hatte er alles, alles in der Welt vergeſſen, bis auf ſeinen geliebten Sport, und nur ein Wunſch, eine Sehnſucht hielt ihn wieder gefangen: ſich immer wuͤrdig zu zeigen der hohen und großen Ehre dieſes

a So ſehr hatten ihn die einfachen, warmen Worte

des alten Herrn ergriffen, daß er lange Zeit brauchte, um ſich zu ſammeln. Jeder wollte mit ihm ſprechen, jeder ihn und ſein Ehrenzeichen ſehen. Man zog ihn an dieſen Tiſch und an jenen, überall wurden ihm offene Haͤnde und gefüllte Glaͤſer entgegengeſtreckt; er mußte antworten, anſtoßen und mittrinken, und als er ſich end» lich feines Verſprechens erinnerte und an den Tiſch zuruͤck⸗ keehrte, wo ihn die Bowle, ſeine Familie und ein junges

Mädchen erwarteten, da begannen bereits die erſten Schatten des Abends zu fallen.

Wie er ſie wiederſah, war er gleich wieder in dem Bann dieſer braunen, luſtigen Augen. Er nahm die Gluͤckwunſche feiner Familie und eine lange, ſchwuͤlſtige Rede des dicken Hausbeſitzers hin, weil es ſo ſein mußte, aber er ſprach faſt nur mit ihr. vn 5

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Sie ſchmollte erſt ein wenig mit ihm, daß er nicht eher gekommen war, aber ſie begriff doch, daß er an einem ſolchen Tage viele Verpflichtungen habe; denn wenn ſie auch, wie ſie lachend meinte, wohl ſeine aͤlteſte Bekannte hier im Garten ſei, ſo kannten ihn doch alle anderen beſſer als ſie. Sie erzaͤhlte ihm, wie ſie im Saale geweſen ſei und ganz dicht bei der Tribune ges ſtanden habe, ſo daß ſie jedes Wort gehoͤrt habe. Sie bewunderte nach Gebühr feine neue Medaille und las Wort für Wort die Inſchrift auf dem Bande, wobei ſie es, wie liebkoſend, durch die Hand gleiten ließ. Dann kam ſie auf die vorhin unterbrochenen Erklaͤrungen feiner anderen Preiſe zuruck, und von neuem mußte Franz ihr Herkunft und Bedeutung eines jeden erklaͤren. So erfuhr ſie von allem, was ſeinem Leben bisher Inhalt und Wert gegeben, und es ſchien ſie auf⸗ richtig zu intereſſieren, ſo daß ſich Felder ſagte: das iſt nicht nur ein ſchoͤnes, ſondern auch ein kluges Maͤdchen.

Spaͤter gingen ſie miteinander durch den Garten, und wieder ſtellte ſie Fragen, die ihm Freude machten zu beantworten. Sie wollte wiſſen, wer die an dieſem und die an jenem Tiſche waren, ob es befreundete oder fernſtehende Vereine waren. Sie fragte nach den Namen von ſolchen, deren Bruſt ſie, wie die ſeine, mit Preiſen bedeckt ſah. Waren es Springer oder Schwimmer, wie er? Hatte er ſchon mit ihnen gekaͤmpft und hatte er ſie geſchlagen?

Es machte ihr offenbar Freude, ſo an ſeiner Seite durch die Reihen der Tiſche zu gehen, zu ſehen, wie

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Felder überall von Grüßen und Zurufen begleitet wurde, und dabei mit angeſehen zu werden. 8

In demſelben Saale, in dem die Preisverteilung ſtattgefunden, wurde jetzt getanzt. Als ſie hoͤrte, daß er zwar etwas tanze, ſich aber nichts daraus mache, meinte ſie auch, es koͤnne kein beſonderes Vergnuͤgen ſein, in dem heißen und uͤberfuͤllten Raume ſich herumzudrehen, wo es doch draußen jetzt ſo ſchoͤn kuͤhl geworden ſei.

Die Bowle war faſt geleert, und uͤberall im Garten brannten die Lichter, als ſie von ihrem Rundgang an ihren Tiſch zuruͤckkehrten. Man war natürlich wieder das geweſen und hatte nach Franz gefragt. Die alten Leute waren muͤde geworden und wollten nach Hauſe. Die Kinder ſchliefen ſchon zum Teil, und man brach auf, da man dem koloſſalen Gedraͤnge der letzten Zuͤge und der Gefahr, uͤberhaupt nicht mehr mitzukommen, entgehen wollte. So brach die ganze Geſellſchaft zuſammen auf. Franz wollte fie noch bis zum Bahnhof begleiten, bes vor er ſich endlich wieder zu ſeinen Kameraden geſellte.

Man ging in einer langen Reihe durch den Kiefern⸗ forſt zu der etwa zehn Minuten entfernten Station.

Es kam wie von ſelbſt, daß der junge Mann und das junge Maͤdchen die letzten wurden.

Als die Lichter der Haͤuſer in Gruͤnau hinter ihnen lagen, umgab ſie die Dunkelheit des Waldes, und ſie konnten nur noch die Zurufe der vor ihnen Gehenden hoͤren, ohne die Geſtalten mehr recht zu unterſcheiden.

Die beiden gingen dicht nebeneinander, ſo ſchmal war der Weg. Unſicher über feine Richtung in dem

tiefen Dunkel unter dem dichten Nadelholz, kam es, daß 8*

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ſich beruͤhrten, wenn ſie ihn mit ihren Schritten

Sie war ſtumm geworden, und er, nicht mehr ihr gefragt, wußte nicht, was er ſagen ſollte. Sie mußten ziemlich weit zuruͤckgeblieben fein, denn das Sprechen und das Gelaͤchter der Ihren toͤnte zu ihnen

zurück wie aus weiter Ferne. Wieder

ſtießen ſie in der Dunkelheit aneinander, und er hoͤrte, wie ſie lachte. Ihr Lachen machte ihm Mut, und er fragte:

Soll ich Ihnen nicht meinen Arm geben, Fraͤu⸗ lein? Sie werden ſonſt noch fallen.

Nehmen Sie mich bei der Hand, gab ſie zur Antwort, und er fuͤhlte ihre weichen, warmen Finger in den ſeinen.

Und dann wie es kam, wußte er nicht blieben N Er legte ſeinen Arm um ihre Taille und beugte fich nieder, um fie zu kuͤſſen. Er ſtieß erſt gegen ihren breiten berührte ihre Wange e Sie hielt ſtill.

Dann ſagte ſie

er nicht zu ha fie hob n empor, und er kuͤßte fie wieder und wieder und wieder, und er taͤuſchte ſich nicht, wenn er fuͤhlte, wie ehe men ſeinen Mund immer von neuem ſuchte.

Endlich aber wich fie von ihm zurück.

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Sie gingen Hand in Hand ſo ſchnell wie moͤglich, aber keines von ihnen ſprach ein Wort. Sie war es, die vorwaͤrts trieb. Bevor ſie in die vor ihnen heller und heller aufleuchtenden Lichter hinaustraten, ſuchte er ſie noch einmal an der Hand zuruͤckzuhalten. Aber ſie ſagte:

Nein, nein. Wir muͤſſen uns eilen. Und ſie gingen weiter.

Sie wurden von der ganzen Geſellſchaft geſehen, wie ſie aus dem Walde traten. Sie warteten alle vor dem Bahnhof auf den Abgang des Zuges. Der alte Heinecke machte ein boͤſes Geſicht und ging auf ſeine Tochter zu. Man ſuchte den Warteſaal auf. Der Zug hatte natuͤrlich Verſpaͤtung.

Dort, in der graͤßlichen Enge und Hitze des voll⸗ gedraͤngten Raumes, ſuchte ſich Felder dem Maͤdchen vergebens noch einmal zu naͤhern. Nur, als endlich alle auf den Bahnſteig ſtroͤmten, gelang es ihm, ihr noch einige Worte zu ſagen. „Sie werde doch ganz ſicher in acht Tagen auf das Kochſeefeſt kommen?“

Vater ſei ſehr böfe, fluͤſterte fie zurück, aber fie wolle ſehen ... Der Ausdruck ihres Geſichtes erſchien ihm ganz veraͤndert, wie ſie an ihm vorbeiging. Alle

Freundlichkeit ſchien aus ihm geſchwunden;z es war eine

ganz andere, als die, welche er noch eben in ſeinen Armen gehalten.

Als fie alle in dem bereits Überfüllten Zuge unter⸗ gebracht waren die einen hier, die anderen dort, aber alle auseinander geriſſen und er Eltern und Ver⸗ wandten Adieu geſagt, fuchte er fie noch einmal mit den

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Augen. Aber er fand die Abteilung nicht mehr, wo jie

eingeſtiegen war.

Eilig ging er den Weg zum Garten zurück. er fühlte

ſich fo leicht und glücklich, wie nie zuvor in feinem Leben. Als er unter ſeine Freunde trat, wurde er mit Jubel,

aber auch mit unmutigen Bemerkungen über fein Fern:

bleiben empfangen:

Ob er wohl lange genug Familie gefimpelt habe? Und ein anderer rief über den Tiſch hin: „Laßt ihn, Franz hat eine Braut Felder kuͤmmerte ſich um nichts, ſondern griff nach einem Glaſe. Er war durſtig, durſtig und gluͤcklich, und er wurde ſelbſt nicht boͤſe, als ihm ein Dritter in taͤppiſcher Vertraulichkeit zuflüfterte:

„Du, die kleine Heinecke muß du dir feſthalten. Der Alte hat Moneten wie Heu. Zwei Holgplaͤtze im Norden ...“

Ob er ſich wohl darum gefümmert hatte! Er wußte nicht einmal, was der Alte war. Aber das hatte er ſich ſchon gedacht, daß die Bemerkungen nun nicht ausbleiben konnten.

Ein Übermut ergriff ihn, der ihm ſonſt ganz fremd war. Er hörte nicht, was die anderen ſagten. Er lachte und trank und ließ ſie reden. Ein ſchoͤnes Maͤdchen, ein kluges Mädchen, und wie fie kuͤſſen konnte!

Es war ein wunderbarer Sommerabend, weich und warm. Die breite Waſſerflaͤche lag ſtill und ſchwarz und nur vom anderen Ufer her blinkten noch einige Lichter.

Die Baͤnke und Tiſche wurden leerer und leerer. Aber noch gegen Mitternacht, als ſich der Schwarm verlaufen hatte, kamen an dem Tiſche der 79 er einige der am

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geſehenſten Sportskameraden zuſammen, um unter fich

bei einem letzten Glaſe nochmals den Sieg des heutigen Tages zu feiern und unter allen Ehrungen dieſes und aller vorhergehenden Feſte war keine ſchoͤner und wert⸗ voller fuͤr den jungen Sieger, als die einfache und neidloſe Bewunderung, die ihm die Beſten ihrer Kunſt in dieſer ſpaͤten Stunde darbrachten, indem ſie ſich zu ihm ge⸗ ſellten. Wieder wurde er ganz der Schwimmer, der er mit Leib und Seele war, und wieder fuͤhlte er ſich hier, nur hier unter den Seinen, und zu Hauſe wie ſonſt nirgends auf der Welt.

Erſt als ſie lange nach Mitternacht Bruͤnings Motor: boot beſtiegen und das ficher gelenkte, elegante Fahrzeug lautlos an den flachen Ufern voruͤber glitt, waͤhrend ſich die Muͤdigkeit über die in den Ecken Hockenden und Liegenden breitete, kehrten ſeine Gedanken noch einmal zu dem jungen Mädchen zuruck, das er heute in feinen Armen gehalten und das feine Küffe fo willfaͤhrig und ſo innig erwidert hatte, und er konnte in dieſer ſtillen Stunde dem ſehnſuͤchtigen Wunſche nicht wehren, nur noch einmal wieder dieſe Lippen mit den feinen zu bes ruͤhren, dieſe weichen Lippen, die ſo verſtaͤndnisvoll zu fragen, fo freundlich zu lächeln und fo heiß zu kuͤſſen verſtanden.

10,

Acht Tage ſpaͤter ſchwamm er auf dem Feſte des

„Deutſchen Wettſchwimmkartells“. ; Zum erſten Male, folange Felder ſich an den Kämpfen beteiligte, waren ſeine Gedanken nicht ganz und ungeteilt bei ſeiner Aufgabe, obwohl es durchaus kein ſicheres

Schwimmen für ihn war. Es galt einen vielbegehrten

Wanderpreis, der erſt nach dreimaligem Jahr auf Jahr errungenem Siege in den Beſitz des Klubs überging, den Preis der Stadt Charlottenburg, zum zweiten Male zu gewinnen, und Felder wußte ganz gut, daß ſein großer Sieg des letzten Sonntags die Gegner nur noch hitziger gemacht hatte. War doch der Sieger des vor⸗ letzten Jahres, Biedermann vom „Erſten Charlottenburger Schwimmklub /, unter feinen Gegnern und brannte darauf,

ihm heute den bereits einmal erſtrittenen, dann wieder

verlorenen Preis ſeiner eigenen Stadt ſtreitig zu machen. Er wußte alſo gut, daß er ſich zuſammenzunehmen hatte.

Aber er konnte nicht ſo ruhig ſein wie ſonſt. Immer wieder überflog fein Auge die Menſchenmengen, die an dem abgegrenzten Ufer des Waſſers langſam die Zuſchauer⸗ reihen der Baͤnke zu fuͤllen begannen, ohne unter ihnen das weiße Kleid mit dem roten Beſatz und den großen Hut erkennen zu konnen. Selbſt als ſein Schwimmen

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begann, und er an den Start ging, ſuchte noch ſein Blick in, dem dichten Gewühl eine Geſtalt zu unterſcheiden, ohne daß es ihm gelang. War ſie gekommen, wie ſie verſprochen? Oder nicht? Er dachte immer wieder daran, als er im Waſſer lag und die erſten Laͤngen ſchwamm. Und ſo kam es, daß er in der Mitte der vierten plöglich dicht vor ſich den Charlottenburger und neben ſich einen zweiten Geg⸗ ner ſah, von dem er nicht einmal wußte, wer es war, ſo wenig hatte er die Konkurrenzen im Gedaͤchtnis. Ein gewaltiger Schrecken durchfuhr ihn. Mit maͤchtigem Schlage ausholend, ließ er erſt den neben ihm Liegenden hinter ſich, erreichte Biedermann, ſchlug kurz vor ihm an und glaubte geſiegt zu haben. Aber waͤhrend er ſich ruhig an dem Balken hielt und den Abſtieg ſuchte, ſah er zu ſeinem grenzenloſen Erſtaunen alle beide, erſt den einen, dann auch den anderen, die neue Länge beginnen Vund als es ihm plotzlich klar wurde, daß er ſich um

eine ganze Laͤnge geirrt hatte, waren ſie ihm bereits um ein paar Meter voraus und die übrigen teils ſchon neben | ihm, teils ebenfalls am Ende dieſer Länge. Da aber hatte Felder auch alles andere vergeſſen, und ſich feſt auf die Seite legend und tief Atem holend, ſah und dachte er jetzt nur noch eines: ſein Ziel! Waͤre die Laͤnge 75 ftatt 100 Meter geweſen, es wäre ihm nie möglich geworden, die ſo leichtſinnig und nutzlos verlorene Zeit wieder einzubringen. So aber und infolge feines ausgezeichneten, nie verſagenden Trainings dachte er keinen Augenblick daran, den Sieg ſchon verloren zu geben; und waͤhrend die Richter bereits glaubten, daß er

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freiwillig ausgeſetzt habe, ſahen fie ihn jetzt wieder näher und naͤher kommen, dann an der Seite des zweiten, gleich darauf an der des erſten Gegners liegen und end? ich in einer faſt unglaublichen Anſtrengung dicht vor 8 dieſem anſchlagen nn Bon toſendem Beifall umhallt, von erregten Fragen 4 über das Geſchehene beſtürmt, wurde Felder erft jetzt fein unbegreiflicher Irrtum recht klar. Der Schrecken lag ihm i noch in den Gliedern und er hatte ſich vollſtaͤndig aus⸗ 1 gegeben. Er winkte den Freunden ab, die ſich um ihn 3 bemühten, und mußte ſich im Ankleideraume ſofort ſetzen, ſo erſchoͤpft war er. Als er wieder ruhiger atmete, Er ſchaͤmte er ſich. Das konnte ihm, ihm paffieren, ſich in . den Längen zu irren! Und das alles, dieſes leicht N ſinnige Aufsſpielſetzen eines wenn heute verlorenen, erſt 2 in Jahren wieder einbringbaren Sieges, dies alles nur E darum, weil er nicht aufgepaßt hatte! weil er an ein . kleines Mädchen dachte, ſtatt an feine verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Er haͤtte ſich ſelbſt ohrfeigen moͤgen, fo wütend war er. Er wurde nicht ruhiger, als er Nagel vor ſich ſoh, der ihn heftig anfuhr: 10 * Du faͤngſt ja ſchon an, es dir bequem zu machen. Du paßt wohl ſchon nicht mehr auf? Na, weißt du, ſo leicht iſt die Sache denn doch nicht, und ſolche Scherze ſollteſt du einſtweilen noch unterlaſſen! ... Sonſt koͤnnten fie doch boͤſe Folgen für uns haben! Geſchwommen haft 4 du natürlich zuletzt wie ein Schwein! Felder ſagte kein Wort. Er ſaß da, w). (1 der von feinem Lehrer beftraft wird,

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Er wurde erſt ruhiger, als er ſich nach dem Ankleiden er trug heute einzig und allein die große goldene 5 Medaille ſeiner Deutſchland⸗Meiſterſchaft auf der Bruſt unter feine Freunde miſchte und die Erregung wahr: nahm, die nach ſeinem unglaublichen Endſpurt unter ihnen immer noch nachzitterte. Keiner habe auch nur E einen Pfennig mehr um feinen Sieg gegeben, verficherte man ihm, als man ihn in der letzten Länge fo weit hinter Biedermann liegen ſah. Ob er mit Abſicht zuruͤck⸗ geblieben ſei, um zu zeigen, was er konne? Ob ein Krampf ihn befallen habe? Ob er ſich in den Laͤngen verzaͤhlt habe? ſo beſtuͤrmten ihn die Frager von allen Seiten, bis Felder von neuem aͤrgerlich wurde und ſie ſtehen ließ. Er nahm Koepke auf die Seite. Er moͤge doch ein⸗ 1 mal nachſehen, ob der alte Heinecke mit feiner Tochter nicht da ſei, ja? Und er moͤge ihm Beſcheid in den Garten bringen. 7 Koepke rannte fort wie ein getreuer Hund, aber die I Antwort, die er nach einer halben Stunde brachte, war nicht geeignet, Felders Laune aufzubeſſern. Er habe alle Reihen durchgeſehen, meldete Koepke, aber er habe don 1 den Geſuchten nichts finden koͤnnen. Jaeetzt war es klar, daß fie nicht gekommen war. . war der Alte ſchuld daran, der ſie nicht gelaſſen % hatte. Wie follte er es jetzt anfangen, fie fo bald wieder: zuſehen? 2 Mißmutig ſaß er vor feinem Biere in einer Ecke des Bartens und ließ feine Freunde ſchwatzen, fo viel fie wollten, ohne ihnen zuzuhbren. Mißmutig und noch

ſchweigſamer als fonft blieb er auch den Reſt des Nach⸗ mittags. Er wartete nur noch die offizielle Bekanntgabe der Reſultate ab, dann ſchloß er ſich einem Klubfreund an, der fruͤh nach Haufe wollte, da er morgen fruͤh an

die Arbeit mußte. f

Das einzige, was ihn einigermaßen über feine eigene Dummheit troͤſtete, waren ein paar Worte, die Bruͤning ihm zugerufen, als er im Garten an ihm vorbeigegangen war: „Menſchenskind, du kannſt ja viel mehr, als wir alle wiſſen und du ſelber ahnſt. Wer das fertig bringt, was du eben getan haſt, der kann ſich ſchon einen Scherz erlauben”. Und er hatte ihm zugenickt und war mit feiner Maͤtreſſe fortgefahren. Ja, Brüning hatte recht: er konnte weit mehr, als alle und er ſelbſt wußten.

Zu Hauſe warf ſich Felder aufs Bett und verſchlief die Erinnerung dieſes Ungluͤckstages, wie er ihn nannte, in zehnſtuͤndigem Schlaf.

Die ganze naͤchſte Woche nagte es an ihm, daß ſie nicht gekommen war. Im Grunde war es weniger die Sehnſucht, ſie wiederzuſehen, als eine gewiſſe Unruhe, dieſem ihm ſo unbekannten Gefuͤhl ein Ende zu machen, das ihn für einen Abend, ſtatt zum Schwimmen, in der Naͤhe ihrer Wohnung auf und ab gehen ließ, in der Hoffnung, ſie ausgehen oder heimkehren zu ſehen und zu ſprechen. Nachdem er faſt eine Stunde vergeblich herumgelaufen war, ſah er nicht ſie, ſondern eine ihrer Freundinnen, die er ebenfalls vom vorigen Sonntag her kannte, aus dem Hauſe treten, gluͤcklicherweiſe allein. Er ließ ſie bis zur naͤchſten Straßenecke e ri = redete fie dann an. u

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Die kleine Dicke ſtieß erſt einen erſtaunten Schrei aus, als ſie Felder erblickte, war es dann aber gleich ſelbſt, die ſeinen Fragen zuvorkam.

O, Lieschen hatte ſie ja in alles eingeweiht wie gut es war, daß ſie ihn ſah, denn ſie habe ja Nach⸗ richten fuͤr ihn! Er habe ſie wohl zufaͤllig geſehen? Habe er auf Elife hier gewartet? Nein? Alſo: ob er denn noch gar nicht wiſſe, daß fie fort ſei? Nein? Ach, es war ja eine ganze Geſchichte. Der alte Heinecke ſei wuͤtend geweſen am Sonntag vor acht Tagen, daruͤber, daß ſie den ganzen Nachmittag zu⸗ ſammengeſeſſen haͤtten, und dann, daß ſie im Dunklen im Wald zuruͤckgeblieben ſeien. Schon auf der Ruͤck⸗ fahrt habe er angefangen wenn fie ſchon daran dachte, wuͤrde ihr noch ganz ſchlecht, ſo geſchimpft habe der Alte. An einem der naͤchſten Tage ſei ſie denn auch gleich hingegangen, um von Eliſe zu erfahren, was denn eigentlich vorgegangen ſei. Aber die Freundin habe nur geweint o ſo geweint! und immer nur geſagt, ſie * doch ſo gern am Sonntag kommen, um Sie noch 1 einmal zu ſehen. Als ſie aber endlich Mut gefaßt und ihrem Vater das geſagt habe, da ſei die Geſchichte von | * losgegangen, und um ihr ein Ende zu machen, ſei ſie noch in derſelben Woche nach Poſen geſchickt, zu er Tante, um dort ein Jahr zu bleiben und die Haus⸗ zu lernen. Sie habe Eliſe noch vor ihrer Ab⸗ reiſe geſehen, und dieſe habe ihr ausdruͤcklich aufgetragen, doch Herrn Felder noch recht fchön zu grüßen und ihm au ſagen, daß er doch nicht böfe fein folle, wenn fie am 1 nicht kommen könne, denn es ſei doch nicht

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möglich, daß daraus etwas würde, und fo ſei es denn ſchon das Beſte, wenn fie ſich fuͤgten nnd Be gaͤßen . So ſchwatzte die Dicke darauf los, ſelig, ihre Wiſſen⸗ ſchaft loszuwerden und einen fo guten Zuhoͤrer zu haben. Denn Felder ging neben ihr her, durch die Menſchen⸗ ſtroͤme, und erwiderte keine Silbe. Heute abend ſei ſie nun oben geweſen ſo ging es weiter um zu ſehen, ob noch kein Brief von Eliſe da ſei. Ja, ſie habe ſchon geſchrieben: es gefalle ihr ganz gut in der Stadt, in der ſie jetzt ſei, und in vier⸗ zehn Tagen ſei ein Ball im Kaſino, wo auch hinkaͤmen, und ſie haben die Tante gebeten, hinge zu durfen, und die Tante habe es ihr erlaubt. \ Der Alte ſei auch ſchon ganz beruhigt, und er habe heute abend ſogar gelacht, als er davon ſprach, daß ſeine kluge Eliſe ſchon nicht fo töricht ſei, zu denken, daß „daraus“ etwas Ernſthaftes werden koͤnne, denn wenn er Felder auch ein vorzüglicher Schwimmer ſei, fo feien das doch nur brotloſe Künfte, und er doch ſein einziges Kind nicht einem jungen M verſprechen, der eben erſt aus der Lehre ſei und kei ſichere Zukunft vor ſich habe 5 Weiter kam ſie nicht. Denn Felder blieb pl ſtehen und fragte: | Hat fie Ihnen keinen Brief für mich gegeben Nein, keinen Brief. Aber ſie habe ihm doch geſag daß Elife ihn recht ſchoͤn grüßen laſſe und es fo Dann ſtand ſie wieder allein auf der Straße

den vorbeieilenden Menſchen. Ihr Begleiter hatte ganz unverhofft ſeinen Hut gezogen, ganz kurz guten Abend gewuͤnſcht und war verſchwunden. Nicht einmal bis nach Hauſe brachte er ſie!

Felder dachte nicht einmal daran. Was ging ihn die dumme Gans an! Er dachte an das Mädchen, das mit ihm erſt geſpielt und ihn dann ſo leichten Herzens mit einem fluͤchtigen Gruß aufgegeben. Aber es war viel mehr das Gefuͤhl einer erlittenen Beleidigung, als das des Schmerzes, unter dem er in dieſer Stunde litt. Daß man ihn, den Meiſterſchwimmer von Deutſch⸗ land, ſo behandeln konnte, das war es, was ihn wurmte, und einen bitteren Groll in ihm entfachte. Und mehr als alles hatte ihn das Wort des reichgewordenen Holz⸗ h haͤndlers von der brotloſen Kunſt getroffen. Er biß die Lippen aufeinander vor Wut, wenn er daran dachte, waͤhrend er die Straße hinunterlief und ſich ruͤckſichtslos durch die Reihen der Fußgaͤnger ſtieß. Als ob er je daran gedacht haͤtte, dieſes Mädchen zu heiraten! Er hatte uberhaupt an nichts gedacht, dieſer alte Geldprotz konnte ganz ruhig ſein. Das Maͤdchen hatte ihm gefallen, am meiſten die unverhohlene Bewunderung, die er in ihren Augen ge— leſen, und bei deren Blick ihm ſo warm geworden war. Aber ihm geſchah ja ganz recht. Warum hatte er ſeine Leute verlaſſen und war an den Tiſch gegangen. Was gingen ihn die Frauenzimmer an. Er hatte ſich 1 bis jetzt nicht um ſie gekümmert und ſie nicht entbehrt, ſo würde er wohl auch noch dieſes dumme Ding vers 1 geſſen, um deſſentwillen er heute abend ſein 5 N Foerfäumte und faft einen Sieg verloren hätte .

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Er ſah nach der Uhr. Aber es war ſchon zu ſpaͤt. Und mit einer Bewegung des Argers ſchuͤttelte er dieſe ganze dumme Geſchichte, die ihm ſchon viel zu viel Kopf⸗ zerbrechen gemacht hatte, von ſich ab und ſchlug den Weg nach ſeinem Klublokal ein, wo er noch den einen oder anderen ſeiner Kameraden beim Biere zu finden hoffte 1

Von diefem Abend an dachte er nur noch zuweilen an das Mädchen, aber immer wallte von neuem das Gefühl verletzten Stolzes in ihm auf, und blieb in ihm zurück wie ein Reſt von Bitterkeit allen Frauen gegen: über.

Mit verſtaͤrkter Genugtuung genoß er die zahlreichen Triumphe dieſes Herbſtes, von denen faſt jeder Sonntag ihm einen neuen einbrachte: dieſer die Odermeiſterſchaft und mit ihr die große ſilberne Medaille; der naͤchſte zum zweiten Male den großen Staatspreis in Hamburg; und bereits der üͤbernaͤchſte den vielumſtrittenen Preis im Bruſt⸗ ſchwimmen, den die vereinigten weſtdeutſchen Schwimm⸗ klubs gaben einen ſilbernen Pokal für feinen > fo groß und wertvoll, wie dieſer wenige beſaß.

Bevor der Winter begann, nahm er ſich dann br be Fabrik, in der er noch ein Jahr nach ſeiner Lehrzeit bleiben wollte, ſeinen erſten achttaͤgigen Urlaub und machte das große Wettſchwimmen des „I. dfterreichiihen Amateur⸗ Schwimmklub Wien“ mit, auf dem er am erſten Tage Anton Riegler, den Meiſter Oſterreichs Über die kurze Strecke, zum erſten Male ſchlagen durfte; und am zweiten den großen Derbypreis über die lange gegen die Teil⸗ nehmer dreier Staaten: Italien, Oſterreich und Deutſch⸗

18 land, unter ungeheurer Erwartung aller beteiligten Kreiſe, erſiegte. F So griff der junge Meifter von Deutſchland mit dieſen Siegen raſch und beherzt nach den Lorbeeren des Auslandes, nachdem er die ſeines eigenen, weiten Vater⸗ landes bereits ſein eigen nannte. Die Fahrt nach Wien, ſeine erſte Auslandreiſe, war zugleich eigentlich die erſte, an der er wirklich Vergnuͤgen empfand. Er machte ſie mit Bruͤning und zwei anderen Mitgliedern ſeines Klubs, alten Freunden und luſtigen Brüdern, war Gaſt in der herrlichen Villa eines reichen oͤſterreichiſchen Sportsfreundes, der ſich die Ehre nicht nehmen laſſen wollte, den deutſchen Meiſterſchafts⸗ ſchwimmer bei ſich zu beherbergen, ließ ſich den ganzen Tag und die halbe Nacht durch alle Vergnuͤgungen der ſchoͤnen „Kaiſerſtadt an der Donau“ ſchleppen und es ſich wohl ſein unter den leichtlebigen Menſchen mit dem ſorgenloſen Weſen und der gemütlichen Sprache. Noch nirgends hatte er ſich ſo wohl gefuͤhlt wie hier, und als endlich die acht Tage mit ihren Ausflügen, ihren froͤh⸗ chen Mahlzeiten, bei denen es an feſchen Maͤdchen nie fehlte, ihren Fiakerfahrten, den Ronacherabenden und den durchjubelten Nächten zu Ende waren, da war er wie betaͤubt. Neben dem großen Preiſe für feinen Klub, dem Ehrenſchilde, und den eigenen Ehren brachte er unvergeß⸗ liche Erinnerungen nach Hauſe und unter ihnen war nicht die 9 letzte die an die Liebe, die er ebenfalls in Wien erſt kennen lernen ſollte: die reue- und ſchmerzloſe Liebe fluͤchtiger Stun⸗ den, lachend geboten und ohne Beſinnen genoſſen, erfriſchend wie ein Trank und füß wie eine vollſaftige Frucht.

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Berlin kam ihm nuͤchtern vor, und er brauchte einige Zeit, um ſich wieder an feine eintönige Tagesarbeit zu gewoͤhnen, nach dieſen Tagen, in denen er geehrt worden war wie ein König und gelebt hatte wie ein Millionaͤr “.

Der Winter verging ſtiller. Beim Hauptſchwimmen Berlins mußte er ausſetzen. Er war völlig übertrainſert. Was ſchadete es? wenn er ſich auch aͤrgerte. In feiner Bruſt regten ſich neue Wuͤnſche des Ehrgeizes, und heimliche Traͤume erzaͤhlten ihm von Siegen, die noch nicht die ſeinen geworden waren.

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11.

Wieder ging ein Winter und wieder kam ein Sommer. Und wie alles in dieſen letzten Jahren im Leben Franz Felders nur ein raſtloſes Eilen von Erfolg zu Erfolg ge⸗ weſen war, fo kamen mit dem naͤchſten Sommer jene Siege, die ihn auf eine Höhe führten, über die hinaus kein Weg mehr ging: neben einer Reihe anderer erſtet Siege fiel ihm die der Europameiſterſchaft zu und mehr als das er behauptete dieſe Meiſterſchaft auf jener glotreichen Reiſe nach England, wo er ſie in einem in der Geſchichte des Schwimmens einzig daſtehenden Rennen gegen die engliſchen und auſtraliſchen Meiſter verfocht, die größten und beruͤhmteſten Schwimmer der Welt. 1 Die Europameiſterſchaft über die lange Strecke von 1500 Metern erſchwamm er in Grunau auf einem Feſte, das der große deutſche Verband, zu dem jetzt faſt alle Schwimmvereine des deutſchen Reiches gehörten, in Vers bindung mit den größten außerdeutſchen Vereinen und Verbaͤnden abhielt, zu dem Schwimmer faſt aller Lander des Kontinents erſchienen, und das ſich zu einem Wett⸗ 1 ſchwimmen geftaltete, wie es in dieſem Umfang und dieſer Bedeutung in Deutſchland überhaupt noch nicht ſtattgefunden hatte. Es war nicht nur für Berlin, ſon⸗ dern auch für die geſamte Schwimmerwelt Deutſchlands A 9*

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das große Ereignis des Sommers, hinter dem alle an⸗

deren Veranſtaltungen weit zuruͤcktraten. Noch nie hatte

man einem Meeting mit ſolcher Erwartung entgegen⸗

geſehen, noch nie hatte die Spannung eine ſolch fieber⸗

hafte Höhe erreicht

Einmütigfeit herrſchte unter allen Berliner Vereinen, ſelbſt unter denen, die ſonſt nie muͤde werden konnten, ſich zu bekaͤmpfen: galt es doch, Berlin wuͤrdig nach außenhin zu vertreten, dem alten Ruhme, ſeit Jahren die eigentliche Heimat der Schwimmerei zu ſein, keine Schande zu machen. Daher wurden weder Muͤhe noch Koſten geſcheut und viele Wochen vorher begannen die Delegiertenverſammlungen, um das lange Programm der Tage zu durchdenken und bis in feine letzten Einzelheiten

feſtzuſetzen.

Nie war aber auch die Beteiligung an den Mel⸗ dungen eine ſo rege und ſo aufregende geweſen. Mit Ausnahme Englands waren ſolche aus faſt allen Laͤn⸗ dern des Kontinents, von Italien bis Schweden, von Holland bis Oſterreich eingelaufen, und faſt kein in den letzten Jahren genannter Name blieb unvertreten: neben den berühmteſten Schwimmern die erſten Springer, die gekroͤnteſten Mehrkampfmeiſter Europas. 4

Natürlich waren im Schwimmen alle größten Hoffe nungen auf den Meiſter von Deutſchland geſetzt. In ſeinen Haͤnden lag vor allem der Ruhm Berlins, die Ehre Deutſchlands. Wenn er unterlag, ſo unterlag Berlin; wenn er nicht ſiegte, ſo blieb die Meiſterſchaft von Deu land in den Haͤnden des Auslandes. #

Und Felder wußte es wohl! Es gab keinen, der

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N ſo uͤberzeugt wie er ſelbſt von der Wichtigkeit dieſes Sieges geweſen waͤre. Er fuͤhlte, daß diesmal andere

Dinge auf dem Spiele ſtanden, als ſein eigener Ruhm

und der ſeines Klubs, um die er bis jetzt gekaͤmpft. Die

Stadt, in der er geboren war, und ſein ganzes Vater⸗ land, das weite deutſche Reich, ſahen auf ihn an dieſem Tage. Er konnte ihnen keine Schande machen es durfte nicht ſein!

Er trainierte mit beiſpielloſer Ausdauer und Sorg⸗ falt. Da nun auch das Jahr, das er nach feiner Lehr⸗ zeit noch in der Fabrik blieb, zu Ende war, wollte er mit dem Eintritt in eine neue Stelle warten, bis das große Ereignis vorüber war. Bei feiner Sparſamkeit

hatte er vermocht, etwas zuruͤckzulegen. Auch ſtanden

ihm genug Boͤrſen wohlhabender Klubfreunde und Ber: ehrer offen, aber Felder war viel zu ſtolz, um auch nur das geringſte anzunehmen. Er haͤtte am liebſten ſeine Sportsreiſen ſelbſt bezahlt, aber das konnte er natürs lich nicht. Außerdem war ſein Klub reich genug, um Opfer ſolcher Art nicht von ſeinen Mitgliedern erwarten zu brauchen.

Da Felder ſomit voͤllig Herr ſeiner Zeit geworden

war, hinderte ihn nichts in feinem Training. Die Er⸗ fahrung des letzten Winters hatte ihn klug gemacht, und er hütete ſich wohl, des Guten zu viel zu tun. Er hielt

ſich ſelbſt in ſtrengſter Selbſtkontrolle und goͤnnte ſich kein Vergnügen, das über die zehnte Abendſtunde waͤhrte, wo er todſicher bereits im Bett lag. Einige fanden ſeinen Ernſt oft laͤcherlich; er ließ ſie lachen.

Eine Art finſterer Entſchloſſenheit bemaͤchtigte ſich

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feiner in dieſer letzten Zeit. Er wurde noch wortfarger und verſchloſſener, als er ſonſt ſchon war. Zugleich ſchien auch die ſchoͤne und ſonnige Ruhe, die nach den Siegen der letzten Jahre uͤber ihn gekommen war und mit jedem neuen Siege mehr und mehr das Schroffe und abweiſend Inſichgekehrte ſeines Weſens gemildert hatte, von ihm zu weichen. Er glich jetzt wieder mehr dem armen und unbekannten Knaben von damals, mit der unjugendlichen Stirn und dem trotzigen Munde, der

Und es war ihm in der Tat ſo, als habe er noch nichts erreicht, als ſei erſt dieſer Sieg über Europa allein alles Strebens wert, erſt die eigentliche Kroͤnung eines Gebäudes, zu dem alle anderen Erfolge nur als Stufen führten. Wenn er hier unterlag, er, auf dem die ungeheure Verantwortlichkeit der Repraͤſentation eines ganzen, großen Volkes lag, ſo war alles andere um⸗ ſonſt geweſen, ſo in feinen bereits überhitzten Ge: danken redete er es ſich ein ſo war nicht nur Berlin, ſondern das ganze deutſche Reich dem Spott des mit dem Preiſe davonziehenden Auslandes preisgegeben.

Denn daß es auch einem anderen deutſchen Schwimmer gluͤcken könne, den Preis über „die Fremden“ davonzu⸗ tragen, daran dachte er nicht einmal ſo ſehr betrachtete er ſchon ſich ſelbſt als den unbeſiegbaren Meiſter ſeines Vaterlandes. Aber er hatte Furcht vor dieſen Aus⸗ laͤndern, vor dieſen Gegnern, die er nicht kannte, von

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denen er ſich mit den wenigſten gemeſſen, über deren

Kräfte er nichts Beſtimmtes wußte. Und ein Gefühl der Unruhe und der Angſt, hier, auf ſeinem eigenen Boden, den er ſich gewiſſermaßen Meter für Meter in

dieſen Jahren erkaͤmpft hatte, geſchlagen zu werden, ließ nicht von ihm und verſcheuchte jede unbefangene

Freude ... Es war kein Genuß mehr, mit ihm zu ver⸗

kehren und ihn uͤben zu ſehen, und ſein feierlicher Ernſt, mit dem er kam und ging, ſteckte die anderen an. Es war wie in den Tagen vor einer Schlacht

Er ſiegte.

In den letzten Tagen wich alle Unruhe wieder von ihm. Eine große Entſchloſſenheit leuchtete aus ſeinen Augen, als muͤſſe er ſiegen um jeden Preis. Er wies alles von ſich ab, er wollte nichts mehr hoͤren und ſehen von dem, was alle um ihn herum beſchaͤftigte. Was gingen ihn alle dieſe fremden Namen und Menſchen an ob er ſie kannte oder nicht, er ſchwamm darum nicht beſſer. Er wußte nur eines: daß er ſiegen mußte!

Und gleich als wenn die Kraft ſeiner Muskeln ſeinem

Willen gehorchen muͤſſe, ſo geſchah, was er wollte.

Er ſiegte.

Er ſchlug den berühmten Holländer, den gefuͤrchteten Oſterreicher, er ſchlug den rieſigen Norweger, einen Huͤnen an Geſtalt und Kraft, er ſchlug die Beſten ſeines eigenen

Vaterlandes zum zweiten und dritten Male, und er ſiegte über ſeine eigene Zeit vom Vorjahre mit mehr als drei

Minuten. Ein unbeſchreiblicher Tumult entſtand, als er an⸗ ſchlug. Die Zuſchauer raſten.

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Seine Freunde erdruͤckten ihn fait. Voͤllig Fremde umarmten ihn. Man trug ihn mehr, als er ging, durch die Reihen von Menſchen, die ihre Plaͤtze verlaſſen hatten.

Deutſchland hatte geſiegt. Und in Deutſchland Berlin! Und dieſe kuͤhlen Berliner, ſo gern ſtets zu ver⸗ kleinernder Kritik geneigt und ſo abhold jeder Gefuͤhls⸗ uͤberſchwenglichkeit, waren kaum wieder zu erkennen in dem Jubel und der Freude über den Sieg ihrer Stadt.

Unglaublich, dieſer Felder! hoͤrte man allenthalben, was der will, das kann er auch. N

Und die Begeiſterung wollte ſich nicht legen ...

Am ruhigſten waren noch Felder ſelbſt und Nagel. Der ſagte ſchon lange nichts mehr, und nur ein Haͤnde⸗ druck zeigte, daß er mitfühlte in dieſem Moment. Bei ſich dachte er: Jetzt, jetzt wird es ſich zeigen daran, wie er dieſen Sieg ertraͤgt. Bruͤning rannte umher wie beſeſſen und ſchrie nach Sekt, und Koepke war völlig unzurechnungsfaͤhig. Er ſprach nur noch in Hyperbeln.

An Felders Ruhe, die zudem viel mehr eine aͤußer⸗ liche als eine innerliche war, hatte ubrigens eine gewiſſe ſeeliſche wie koͤrperliche Abſpannung ihren Hauptgrund. Jetzt, als alles vorüber war, merkte er erſt, wie er ſich in den letzten Wochen innerlich verzehrt hatte in dem einen Wunſche. 4

In demſelben Garten, in dem im vorigen Jahre ſeine Meiſterſchaftserklaͤrung für Deutſchland erfolgt war, wurde ihm nun die hoͤchſte aller Ehrungen zuteil und unter dem achtungsvollen Schweigen a dne nahm er den Weltmeiſterpreis entgegen . 1

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Die ganze warme Sommernacht hindurch dauerte wieder das Feiern um ihn herum. Er lebte ganz in dieſen Stunden. Er dachte nicht zuruck. Er dachte auch nicht in die Zukunft. Die Stimmen in ihm ſchwiegen. Zum erſtenmal vielleicht in ſeinem Leben ſchwiegen ſie ganz. Er hatte erreicht, nicht was er gewollt: nein, viel mehr als das. Sie mußten heute ſchweigen, dieſe Stimmen, denn ſie wurden uͤbertoͤnt von dem einmuͤtigen Jubel um ihn her. Die ſtillen Sterne leuchteten her⸗ nieder; der Atem der weichen Nacht ſpielte um die er⸗ hitzten Koͤpfe und vom Waſſer her kam die friſche Kuͤhle, die alle dieſe Menſchen nicht muͤde werden ließ, zu ſprechen, zu trinken, ſich zu berauſchen am Leben, an Freude und an der eigenen Kraft.

Und Felder trank trank trank alles, was man ihm bot: Sekt, Bier und Wein, aber am ſuͤßeſten ſchmeckte ihm der berauſchende Trank des Erfolges.

Alles andere hatte er vergeſſen.

Selbſt als er inmitten ſeiner wildeſten Bewunderer wie berauſcht endlich zum Bahnhof ging, zog auch nicht ein Erinnern durch ſeine muͤden und wirren Gedanken, das ihm ein weißes Kleid, einen jungen Leib oder einen warmen Mund wachgerufen haͤtte.

Muͤde ſaß er in einer Coupcéecke und während die

4 anderen um ihn herum ſich noch immer uͤber den heutigen

Tag ereiferten, ſchlief er ein; und den Sieger uber feinen

Siegen vergeſſend, dachten ſie erſt wieder an ihn und

weckten ihn erſt, als der Zug in die von der Morgen⸗ daͤmmerung erhellte Halle des Goͤrlitzer Bahnhofs ein fuhr

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12.

Der Glanz dieſes Tages konnte ſelbſt durch die Reiſe, die Felder wenige Wochen ſpaͤter nach England unter⸗ nahm, um dort in dem gelobten Lande des Sports ſeine Meiſterſchaft Europas gegen ihre erſten bisherigen Meiſter zu behaupten, kaum erhoͤht werden.

Die Reiſe war nie geplant. Es war an ſie nie ge⸗ dacht. Sie war einfach eine natürliche Folge dieſes letzten Sieges.

Waͤhrend die Sportszeitungen des Kontinents einig waren in der Anerkennung dieſes Sieges, verhielten ſich die engliſchen, an Zahl und Bedeutung gleich und im Ton

| | immer überlegen, dem Siege gegenüber ſkeptiſch, und ers

hoben den Einwand, daß England ſich nicht beteiligt habe, daß aber England in Sportsſachen (wie auch in anderen Dingen) Europa ſei, und daß Felder ſich erſt einmal mit engliſchen Schwimmern gemeſſen haben müßte, ehe ihm

ie wirklich der nur kuͤnſtlich gemachte Titel des Europas

meiſters gebühre. Natürlich verwahrte man ſich gegen dieſe Beſchuldigung und erflärte fie für laͤcherlich. Man hatte die erſten Schwimmer Europas eingeladen, auch die Engländer. Sie waren nicht gekommen, weil fie eben nie kamen. Und weil ſie hochmuͤtige Narren waren, die ſich einbildeten, man muͤſſe zu ihnen kommen.

eingebildete Überlegenheit zu brechen. Wenn wir ihnen

2 ö jede Entſchuldigung nehmen, ſo werden ſie ſich bequemen

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muͤſſen, von ihrem Piedeſtal herabzuſteigen, auf dem fie

ſchon viel zu lange geſtanden, dann iſt Beteiligung an kontinentalen Feſten oder aber endguͤltiger Verzicht die

unausbleibliche Folge.

Als dann auch der letzte Einwand: der der zu hohen Koſten dadurch kurz abgeſchnitten wurde, daß ſich Bruͤning, der ſich jetzt ſogar um feine Pferde nicht mehr kuͤmmerte,

erbot, fie ſaͤmtlich zu tragen und Felder nach England

zu begleiten, wurde deſſen Beteiligung beſchloſſen.

Wenn Felder ſpaͤter an dieſe Reiſe nach England zu⸗ ruͤckdachte, jo kam fie ihm vor wie ein Traum. Ein wirres Durcheinander von Bildern aller Art zog an ſeinem

Auge vorüber. Zunaͤchſt weite Landſchaften, die im Fluge an dem dahinraſenden Zuge vorbeizogen. Die dunkle

Regennacht auf dem Schiffe: das Meer, das er zum erſten Male ſah ein Waſſer, wie er es nie geahnt, Wogen von einer Kraft, gegen die das maͤchtige Schiff rang, wie ſein Körper rang gegen die ſtille Flut ſeines heimatlichen Fluſſes, und an der menſchliche Einzelkraft zerbrechen mußte, wie ein Streichholz unter dem Schlage eines Hammers. Waſſer, nur Waſſer, dasſelbe Waſſer, das er kannte und liebte, wie kein anderer und doch ein ganz anderes Element. Nicht das, welches ihm ver⸗

Daher waren auch erſt wieder manche Stimmen gegen die Reiſe Felders nach England. Ein Entgegenkommen dieſer Art war ein Zugeſtaͤndnis, eine Erniedrigung. f

Aber andere ſagten: Man muß es ihnen zeigen! Jetzt iſt die Gelegenheit da, ihre angemaßte und nur

traut war von Jugend auf, ſondern eine fremde, un⸗ heimliche Kraft, mit der zu meſſen er ſich nie getraut haͤtte, vor der ihm graute, da er der Schwaͤchere, ein Nichts war vor ihr ... das war das Meer! ... Elend, ganz zermalmt von der laͤcherlichen und doch ſo maͤchtigen Krankheit der See, atmete er erſt auf, als er wieder Land unter den Fuͤßen fuͤhlte er, der es ſonſt nur wider⸗ ſtrebend betrat, da er ſein geliebtes Waſſer verlaſſen mußte und nur mit Schaudern dachte er an das Ge⸗ bruͤll, die Feindſeligkeit, die ganze Furchtbarkeit des fremden Weſens zuruͤck, das ihn behandelt hatte wie den erſten Beſten, eine Katze, die ein Tiger geworden war, ein Freund, ploͤtzlich verwandelt in einen Feind, der die Mas ke fallen gelaſſen, und ihn niedergeworfen, um ihn zu ermorden! .

Dann, noch die Angſt vor dem gerettenen Leben in den Gliedern, die Ode und Unermeßlichkeit der in ewigen Dunſt gehuͤllten Stadt, vor deren Grenzenloſigkeit ihm ſein Berlin wie ein Dorf erſchien. Endlich, in ſchaͤrfſtem Kontraſt dazu, die Tage der Races an dem ſtillen, um⸗ buſchten Ufer der Themſe, wo der Himmel wieder lachte und der Frieden wieder in den verſteckten weißen Haͤuſern zum wohnen ſchien, wo er feinen Mut wiederfand, den Mut, ſich daran zu errinnern, weshalb er hierher gekommen war, und die Kraft, zu ſiegen, ſich wirklich den erſten

Preis zu holen, weil er ſich hier endlich wieder daheim

fühlte, daheim im Waſſer

And die Bilder nach dem Siege. : Der Jubel diefer ihm erft fo ernſt, fo fteif erfchienenen Menſchen, gegen den der Beifall von Grünau wie ein

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Murmeln war. In ſeinem ganzen Leben zuſammen hatte er nicht ſo vielen Menſchen die Hand geſchüttelt, wie an dieſem Tage. Man renkte ihm faſt den Arm aus. Und dann ſchleppte man ihn zwei Tage lang von einer Feſt⸗

lichkeit zur andern, durchzog in Reihen von zwanzig Cabs

in denen nur je einer ſitzen durfte wie in einer Prozeſſion die endloſen Straßen Londons, behandelte ihn

wie einen Fürften und überſchüttete ihn in beiſpielloſer

Generofität und Gaſtfreundſchaft mit Gaben jeder Art. Am letzten Tage überreichte ihm irgend jemand, deſſen

Namen er nicht einmal wußte, ein Ehrengeſchenk von

150 Pfund, da man gehort hatte, daß er vollig auf die Arbeit feiner Hände angewieſen war. Es wurde mit fo viel Achtung und Selbſtverſtaͤndlichkeit angeboten, daß Felder es unmoglich ausſchlagen konnte. Er war ganz gerührt. Er hatte gedacht, dieſe Engländer würden es gewaltig übel nehmen, wenn ein Ausländer daherkam und ſie auf ihrem Grund und Boden ſchlug, und nun ſah und fühlte er überall nichts, als die neidloſeſte Bes wunderung und eine Verehrung, wie ſie ihm in ſolchen Formen noch ganz unbekannt war.

Und doch war es die fremde Sprache oder was

war es? fo gemütlich wie in Deutfchland oder gar in Wien waren dieſe Tage nicht. Alles ging in ewiger Haft, von einem zum andern. Nie ſetzte man ſich zu einem Glas Bier zuſammen, um in Ruhe alles zu be⸗

ſprechen. Getrunken wurde zwar genug und was nicht alles durcheinander! aber alles im Fluge, im Stehen, |

und von einer Hand ging er in die andere, faſt wie eine

Sache, an der jeder ein Anrecht hatte. Jeder wollte ihm

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die Hand geſchuͤttelt und mit ihm getrunken haben Und immer wieder mußte er trinken und Haͤnde ſchuͤtteln, bis er am Abend ſo muͤde war, daß er die rechte nicht mehr von der linken zu unterſcheiden wußte.

Nein, fo gemütlich wie zu Haufe war es nicht, und Felder war faſt froh, als es an die Heimreiſe ging. Eigentlich haͤtte er ſich nicht fremd zu fuͤhlen brauchen, denn Bruͤning und ein anderer Klubgenoſſe waren ſtets mit ihm, und der erſtere war der beſte Reiſemarſchall, den man ſich denken konnte: überall zu Haufe, in allen Sprachen gerecht, praktiſch und erfahren, dabei in uns: erſchoͤpflich guter Laune und den ſchwerfaͤlligen Felder uͤber jede Verlegenheit ſpielend hinübertragend. Man kam aus dem Lachen mit ihm gar nicht heraus.

Aber Felder wurde nie ganz froh. Denn ohne es ſich ſelbſt einzugeſtehen, fuͤrchtete er ſich vor dieſer Heim⸗ reiſe. Wieder ſollte er und diesmal einen ganzen Tag ſich dem furchtbaren Element anvertrauen, wieder ihm machtlos und jaͤmmerlich gegenuͤberſtehen und ſich in elender Ohnmacht vor dieſem Waſſer kruͤmmen, das er ſonſt ſiegreich packte, wo immer er es traf

Er haͤtte ſich nicht zu fuͤrchten brauchen. Als ſie nach einer letzten, halb durchjubelten und durchtrunkenen Nacht am Morgen von Queensborough abführen, war er fo müde, daß die Freunde ihn faſt aufs Schiff trugen,

i F und kaum auf ihm angelangt, ſchlief er wie ein Toter

bis zu dem Augenblicke, wo fie ihn in Vliffingen wieder aufweckten. N Das war ſeine Reiſe nach England.

Alles war herrlich, glorreich, einzig geweſen. Aber

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er war froh, als er wieder in Berlin war, wieder die heimatlichen Laute um ſich herum vernahm, und das Schreckgeſpenſt vergaß, das ihn angegrinſt hatte, wie der leibhaftige Tod.

Denn er hatte es ſich jetzt klar gemacht: das Meer war das Meer, und das Waſſer war das Waſſer. Aber dasſelbe waren beide nicht! Nie wollte er das Meer wiederſehen.

Haͤtte er es geſehen, wie es in ſtahlblauer Pracht dalag, ruhig, verſchwiegen, lockend, wie ein tiefer See, und nur leiſe erzitternd unter den Strahlen der Sonne, wie es liebreich und verſoͤhnt den Sieger heimtrug auf ſeinem breiten Rücken, er hätte es wiedererkannt als fein Element, und nicht geruht, bis er ſich ſeiner ſalzigen Flut anvertraut und die Wonnen ſeiner Umarmung ge⸗ noſſen.

13.

deren Triumph nun die Zeitungen berichteten: ein wirres

Berichte recht deutlich zum Bewußtſein gebracht wurde den Sieg über die erſten Gegner der Welt, die von keiner Seite fuͤrs erſte mehr beſtrittene Meiſterſchaft von 7 Europa, die hoͤchſten erreichbaren Auszeichnungen, und ein Ruhm, der ſeinen Namen von jenem Tage an fuͤr alle Zeiten unvergeßbar in die Annalen des Schwimmſportes eingrub. Er hatte erreicht, was er gewollt. Was er erſehnt, war Erfuͤllung geworden. Er konnte etwas, was kein anderer Menſch außer ihm konnte. Er war der Meiſter des Waſſers. 14 Er hatte feinem Klub zu feinem alten Anſehen ver holfen. Mehr: er hatte feinen Namen mit dem eigenen berühmt gemacht weit uber die bisherigen Grenzen. Seine Schuld war beglichen. ö Aus dem armen Knaben war ein junger Menſch ge⸗

worden, auf den alle mit Stolz und Bewunderung ſahen,

der keine Not mehr zu leiden brauchte, ſo viele waren der hilfreichen Haͤnde, die ſich ihm entgegenſtreckten. vun 10

Das war Franz Felders Reiſe nach England, von

Durcheinander von Bildern aller Art, und leuchtend nurn die Erinnerung an ſeinen Sieg, der ihm erſt durch dieſe

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Nein, es war nicht richtig, daß er erreicht, was er gewollt. Nie hatte er ſo hoch gewollt. Er war dahin getragen, wohin er ſich nie zu ſehnen gewagt. l

Und ſo hoch war er getragen, daß er ſich fragen

mußte: wohin nun? So viel hatte er erreicht, daß

ihm nichts mehr zu wuͤnſchen übrig blieb. Welcher Weg fuͤhrte noch uͤber die Hoͤhe hinaus, auf der er ſtand? Denn ſich dort zu behaupten erſchien ihm ſelbſtverſtaͤndlich. ö Die Welt nannte ſeinen Namen. 2 Er vergaß nur zweierlei: daß die Welt, die er fo nannte, nur ein unendlich kleiner Teil der wirklichen weiten Welt wat wenn es auch die Welt war, in der er lebte; und daß ſelbſt dieſer kleine Teil von Menſchen, die ihn heute anſtaunten und bejubelten, ſich ſeiner vielleicht morgen

noch erinnern, ihn aber ganz ſicher uͤbermorgen vergeſſen

haben würden, .

Aber wie ihm ſeine Sache von jeher allein nur als die einzig wichtige erſchienen war, ſo konnte er die Welt nie richtig meſſen, weil ihm von jeher jeder andere Maß⸗ ſtab gefehlt hatte. So war er allmaͤhlich dahin gekommen, ſie nur unter einem einzigen Geſichtspunkt zu ſehen, und jetzt folgerichtig dahin, ſich als ihren Mittelpunkt zu be⸗ trachten. 3

Das einzige, was er ſich noch wirklich klar machte, war, daß er jetzt die Hoͤhe ſeiner Kraft erreicht hatte. Über fie hinaus konnte er nun nicht mehr.

Übertraf ihn, ja erreichte ihn nur irgendein anderer, ſo war es aus. i

Es galt daher, ſich auf dieſer Hoͤhe zu erhalten. Das

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mußte nun fein nächites Ziel fein. Aber es war kein Ziel mehr, das ihn reizte.

Daher war er jetzt, auf der Hoͤhe, nicht mehr ſo glücklich, wie er geweſen war, als er fie erklommen und jede ſeiner Bewegungen von tauſend Augen verfolgt ſah. Aber gluͤcklich war er doch noch. a

Daß einmal ein Tag kommen mußte, mochte er ſich auch noch ſo lange behaupten, an dem er herabſteigen mußte, um einem anderen Platz zu machen, das wußte er. Daruͤber gab es keine Taͤuſchung. Das war ſo ſicher wie der Tod.

Aber er dachte nie an dieſen Tag. Er wollte es nicht!

Er ſtand oben und ſah hinab auf den Weg, den er gemacht. Und aus der Tiefe zu ihm herauf klang be⸗ rauſchend Jubel und Neid gleich ſtark in ſeine Ohren.

In dieſer Zeit brachte jenes größte und angeſehenſte Sportblatt der Welt, das ſeinen Namen „Welt⸗Sport“ daher nicht mit Unrecht fuͤhrte, ſein Bild und erzaͤhlte ſeinen Leſern die einfache Geſchichte ſeines Lebens und die beiſpielloſe Geſchichte ſeiner Erfolge.

Die Biographie konnte nicht mehr ſein, als die ein⸗ fache Wiedergabe ſchlichter Tatſachen. Das Bild war die Reproduktion nach einer vorzuͤglichen Photographie. Sie zeigte den Meiſter von Europa im Bruſtbild, be⸗ kleidet, und neben den allerhoͤchſten Ehrungen nur die eine kleine, ſchlichte und doch vielleicht die hoͤchſte von allen kaum erkennbar neben den ſchweren Mer

daillen von Gold und Silber, die kleine Muͤnze, die er 10⁵

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| | ſich als erſte Ehre einft, vor langen Jahren, geholt,

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dem er das Leben eines Menſchen gerettet. 4

Das Bild ſelbſt zeigte ein ernſtes, ſchoͤnes und ſtolzes Geſicht. Es war nicht mehr das Geſicht des Knaben. Derſelbe war nur noch der ſeltſame Zug von Entſchloſſen⸗ 5 heit um den Mund und unveraͤndert war noch die etwas niedrige, trogige Stirn. Aber die Weichheit, die Rundung der Wangen und des Kinns, und vor allem der gute | mutige, vertrauende Blick der blauen Augen waren ver⸗ ſchwunden und einem fruhernſten Ausdruck gewichen, fo daß das Geſicht an Bedeutung gewann, was es an Liebenswürdigkeit verloren hatte. Es war das Geſicht eines Menſchen geworden, der ruhig, ſelbſtbewußt und entſchloſſen in ſteter Wachſamkeit um ſich und in die

Ferne blickt, damit ihm niemand zu nahe komme: der

Ausdruck einer ſtets bereiten Abwehr, der in feiner furchts loſen Kühnheit erſetzte, was dem Geſicht an tieferer geiſtiger Intelligenz mangelte. In dem Augenblick der Aufnahme war er ſo lebendig geworden, daß er es eigen⸗ tümlich belebte und intereſſant machte.

Es war noch immer ein ſympathiſches Geſicht, aber das liebenswürdige, gute Geſicht des Knaben war es nicht mehr.

Ein anderes Bild aber aus derſelben Zeit das den Meiſterſchwimmer in voller Figur und im Trikot zeigte und auf dem das Geſicht gegen den Körper zuruͤck⸗ trat, ftörte in keiner Linie. Es war das Bild einer wundervoll ſicher und gleichmaͤßig entwickelten, vom Leben noch völlig unangetaſteten, ganz einzigen Kraft in der Sieges ſicherheit ihrer Jugend. |

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14.

Mit ſchweren Fuͤßen gehen wir uͤber die ſchwere Erde. Ewig iſt in uns die Sehnſucht, uns uͤber ſie erheben zu koͤnnen, und noch im Tode bitten wir, ſie moͤge uns leicht ſein. Denn ſchwer iſt ſie uns, wie das Leben.

Aber wir koͤnnen nicht fliegen. Neidvoll ſehen wir Vögeln nach, die ſich in die Luft erheben, die ven

uns zu leicht ift.

Zu ſchwer die Erde, zu leicht die Luft.

Aber wir koͤnnen ſchwimmen.

Zwiſchen Himmel und Erde wiegt uns das Waſſer. Halb zieht es uns hinab, halb traͤgt es uns hinauf.

Wir ſind noch nicht oben, aber wir ſind nicht mehr unten. Es gibt uns das Vergeſſen: das Vergeſſen der Erde und die Ahnung, im Himmel zu ſein, wenn es uns trägt,

Wir haben keine Fluͤgel, aber wir fuͤhlen die Schwere

der Erde nicht mehr.

Wunderbares Element! Warum haben wir uns aus dir, das unſer aller Heimat und Wiege war, auf die Erde geflüchtet? Warum find wir nicht in deinen ſtillen, traumloſen, ſeligen Tiefen geblieben, ſtatt in das Getöſe, den Staub und den Kampf der Erde zu treten?

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Warum keuchen wir aus ſchweren Lungen, ſtatt mühelos aus leichten Kiemen zu atmen?

Weil wir Waͤrme, Licht und Leben brauchten? Ach, die Waͤrme der Erde iſt ſengende Glut, ihr Licht blendet unſere Augen, und unertraͤglich iſt uns meiſten das Leben.

Dort unten war Kühle, Daͤmmerung und Traum.

Aber wir wollten hinauf: aus den Tiefen hinauf auf

die Erde. Und dann wollten wir hoͤher und hoͤher: von der Erde in den Himmel. Und wir koͤnnen es nicht. Und verzehren uns nun in der ewigen Sehnſucht, die nicht hinauf kann und nicht mehr hinab.

Wunderbares Element! Die meiſten haben dich vergeſſen. So fremd biſt du ihnen geworden, daß ſie Furcht vor dir haben. Und ſtatt ſich dir anzuvertrauen, blicken ſie mit angſtvollen Augen auf dich und zittern vor der Berührung mit dir. Mit dir! Mit dir, das du ſie traͤgſt und wiegſt und ihnen neues Leben geben möchteft, das du ihnen den Staub aus den Augen und die Qualen vom Herzen waͤſcheſt und ſie nur ſinken laͤßt, wenn ſie, dumm und ungeberdig, dich mißhandeln mit plumpen Geberden und ungeſchickten Faͤuſten, und, das Unmoͤgliche heiſchend, in dir den Himmel ſuchen. Sie alle, die vergeſſen, daß du nicht wie ein Sklave be:

handelt ſein willſt, und es dir verdenken, wenn der Freie

ſich im Zorn empoͤrt und die ungebetene Laſt von ſich abſchuͤttelt und begraͤbt. N Aber nicht alle haben dich vergeſſen. In einigen lebt noch die Sehnſucht nach dir fort, wie das Verlangen nach der Reinheit aus dem Schmutze, und wenn ſie zu dir kommen, ſo nimmſt du ſie in die

151

Arme, wiegſt ſie, kuͤſſeſt ſie und vergiltſt tauſendfach jede ihrer noch jo ungeſchickten Liebkoſungen. Und wer ſich dir einmal ſo zu eigen gab, der begehrt den Himmel nicht mehr und kehrt nur auf die Erde zuruͤck, weil ihr Staub ihn gebar und ihn naͤhrt, der kehrt zu dir zuruͤck, wann immer er kann, der iſt dein eigen geworden für Lebenszeit

Einer von dieſen Wenigen war Franz Felder. Als ſich kaum die kleinen, dicken Kinderfaͤuſte von der Mutter⸗ bruſt geloͤſt, hatte ihn das erſte, ſelbſtaͤndige Lebensver⸗ langen nicht auf das weite Feld der Erde, ſondern in die ſtummen Tiefen des Waſſers gezogen. Und das Waſſer hatte ihn empfangen wie ſein eigenſtes Kind, hatte ihn unterwieſen in der Kunſt des Lebens, ihn verhaͤtſchelt, ihn auf alle Weiſe der gehaßten Erde zu entreißen ver⸗ ſucht, die Sehnſucht nach ſich auf alle Art genaͤhrt, bis er ſein eigen geworden war mit Leib und Seele.

So war es ſein erſter Spielkamerad geweſen und ſein einziger geblieben. So war es ſein erſter Freund ge⸗ worden, und in der Stunde, als er, noch faſt ein Kind, bei einem allzu haſtigen Sprunge ſich eine tiefe Fleiſch⸗ wunde an einem Nagel, den er ſtreifte, in den Arm riß und ſein Blut ſich mit dem Waſſer miſchte, das es trank, war zwiſchen ihnen die Blutsbruͤderſchaft entſtanden, die ſich erſt loͤſen konnte mit ſeinem Leben. Die Wunde war geheilt, das Waſſer heilte ſie wie von ſelbſt, aber die Freundſchaft zwiſchen ihnen hatte gewiſſermaßen ihre Weihe erhalten, und jede ſeiner kleinen Schmerzen und Wunden trug Franz fortab zu ſeinem Freunde und ließ ſie von ihm heilen, die offenen und die verſchwiegenen.

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Nun war das Waſſer ſein Gegner geworden. | | . 3 liche Spiel mehr des Augenblicks, vergeſſen im naͤchſten. Aus der knabenhaften Balgerei war ein ernſthaftes Meſſen der Kraͤfte geworden. Aber es war noch immer der achtungsvolle Kampf zweier Gegner, die ſich vor und nach ihm die Hand ſchuͤtteln und voneinander gehen ohne jeden Groll. 7

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Franz Felder wohnte noch immer bei ſeinen Eltern. Zwar nicht mehr in dem dumpfen Keller, in dem er einen Teil ſeiner Jugend verbracht, aber doch immer noch in einer Hofwohnung, ohne viel Licht und Waͤrme. Er hatte ſein eigenes Zimmer. Hier hingen alle ſeine Trophaͤen. Die Ehrenpreiſe, die in Gegenſtaͤnden be⸗ ſtanden und nicht in den Klubbeſitz uͤbergegangen waren und dort das Vereinszimmer ſchmuͤckten, hatte er zum Teil feiner Mutter überlaffen, die mit ihnen die dürftige Armut der vorderen Wohnſtube zu verdecken ſuchte. Dort ſtand das große Bierſervice, die Fruchtſchale aus Cuivre, der Rauchtiſch und manches mehr Dinge, die oft mehr dem guten Willen, als dem Geſchmack ihrer Stifter Ehre machten. Aber alles, was er ſich ſonſt errungen in ſeinen vielen Kaͤmpfen, hing hier in ſeinem eigenen kleinen Zimmer in Geſtalt dorrender Lorbeerkraͤnze und mehr „oder minder kuͤnſtleriſch ausgeführter Diplome an den Waͤnden, und von den bunten Schleifen leuchteten goldene Inſchriften. Bis an die niedrige Decke hinauf hingen ſie, und über dem Bette war faſt ſchon kein Platz mehr für neue Ankömmlinge. Auch hatte Felder es laͤngſt aufs geben muͤſſen, ſich alle feine Urkunden einrahmen zu laſſen.

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dem Geſchenk eines Klubfreundes, eines Schreiners, zu 8

Weihnachten lagen auf roter Sammetunterlage alle E feine Medaillen, goldene und filberne, große und kleine,

alle an ihren Schleifen, eine ganze Sammlung von nicht geringem Wert. Sie war fein hoͤchſter Stolz! Mit welcher Liebe nahm er nicht zu den Feſten Stuck

für Stuck heraus, um es, eins nach dem anderen, auf ſeiner Bruſt zu befeſtigen; mit welcher Sorgfalt legte er nicht jedes einzelne an feinen rechten Platz zuruck! Bei jedem neuen Siege verruͤckte der neue Erwerb den Platz und die Stellung der anderen, und in immer neuer Gruppierung lagerte ſich um die ſchweren, goldenen Rundſtuͤcke erſter Siege die Schar der kleinen Trabanten, alle gleich gekannt, alle gleich geliebt. Denn an jeden

knüpfte ſich eine unvergeßliche Erinnerung.

So viele waren ihrer geworden, daß ſie laͤngſt nicht

| he auf der breiten Bruſt des Meiſterſchwimmers Platz

fanden. Auf ſeiner letzten Photographie trug er daher nur die wichtigſten ſelbſt die breiten Bänder um den Hals und die großen goldenen und ſilbernen Muͤnzen auf den Rockſchlaͤgen; die anderen waren auf einem Schilde reihenweiſe geordnet, das auf einer Art Staffelei neben ihm ſtand, auf die er die Hand legte. Das ganze Bild des beutebeladenen Siegers erſchien ebenfalls als⸗ bald in einer Sportzeitung und übte ſtellenweiſe auf un: wiſſende Laien eine erheiternde Wirkung aus, die keines⸗ wegs beabſichtigt war.

Auch dieſes Bild prangte in der kleinen Stube, und was außer ihm an Bildern dort noch zu ſehen war, es

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ſtellte immer nur ihn dar: Franz Felder. Da war er als kleiner Junge mit ſeiner Rettungsmedaille auf der Bruſt, dick und ernſt; als junges Mitglied des S. -K. B. 1879 mit der hellen Muͤtze und dem Zeichen ſeines erſten Sieges auf der Bruſt; ein Jahr ſpaͤter als neu⸗ gebackener Berliner Meiſter noch ohne Band um den Hals, aber doch ſchon gekrönt mit einem erſten Preiſe und jenem ſeltſamen Zug um den Mund, der auf keinem der ſpaͤteren Bilder mehr fehlte. Endlich all dieſe Bilder der ſpaͤteren Jahre, aufgenommen in all den verſchiedenen

Staͤdten, wo man ihn mit zum Photographen genommen er.

oder ihn beim Feſt ſelbſt noch ſchnell vor den Kaſten geſtellt, ehe er ins Waſſer ging, immer um ein paar Zoll größer, immer etwas ſelbſtbewußter in der Haltung, je mehr die Zahl der Zeichen auf ſeiner Bruſt wuchs da waren ſie alle bis auf dies letzte, wo die Zahl der Ehren ſo groß geworden war, daß er ihre Laſt nicht mehr ſelbſt tragen konnte ... Und da waren die anderen Bilder, die Gruppenaufnahmen, auf deren keinem er fehlte: erſt mehr an der Seite, faſt verſteckt unter den anderen, dann immer mehr in die Mitte geruͤckt, bis ſeine Perſon die Mitte ſelbſt bildete dieſe Aufnahmen, ausgefuͤhrt zum größten Teile von irgend einem Amateurphoto⸗ graphen, mehr oder minder gut gelungen, aber jede ein⸗

zelne eine liebe Erinnerung an die fröhlichen Stunden

eines Ausfluges, einer Veranſtaltung des Klubs, erfüllt von Gelaͤchter und immer Überftrahlt von der unverſieg⸗ baren Fröhlichkeit der Jugend.

Und endlich die Bilder, die ihn darſtellten unter ſeinen Mitſchwimmern bei den Konkurrenzen, Aufnahmen, wie

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fie in letzter Zeit bei den wichtigſten Hauptſchwimmen gewöhnlich gemacht wurden, bevor man an den Start ging. Alle Namen, die uͤberhaupt in der Schwimmer⸗ welt in den letzten Jahren genannt wurden, waren da vertreten, alle die mehr oder minder gefaͤhrlichen Gegner, alle, mit denen er, Franz Felder, gerungen, alle, die er beſiegt hatte ... Er kannte fie alle und lächelte, wenn ſein Blick auf ihren Geſichtern ruhte. Im Momente der Aufnahme noch ruhig, faſt gleichgültig wie verändert waren ſie alle wenige Minuten ſpaͤter, wo es drauf und dran ging! Wie verſchieden waren dieſe nackten, nur mit dem Trikot bekleideten Geſtalten: der eine lang und hoch aufgeſchoſſen, wie ein Turm, und ſehnig, wie ein Pferd; der andere kurz und unterſetzt mit maͤchtigen Schenkeln und einer phaͤnomenalen Bruſtweite; der dritte ebenmaͤßig und ſchlank, in nichts faſt ſeine Kraft ver⸗ ratend; und immer war es Felder, der dieſem Dritten glich. Auf allen Bildern ſtand ſeine ſchoͤne, ſchlanke Geſtalt hoch aufgerichtet und ruhig unter den anderen, und ſeine ernſten und mutigen Augen verliehen ſeinem Geſicht einen Zug von Leidenſchaftlichkeit und Intelligenz, den man vergebens auf denen der anderen ſuchte

Schließlich fuͤllte eine Ecke des Zimmers ein großer Stoß von Programmen und Zeitungen: die Programme der Wettſchwimmen, an denen er teilgenommen, und die Zeitungen, die über fie berichtet hatten. Es war ſchon ein ganzer Haufen, und Felder hatte ihn ſorgfaͤltig ge⸗ ſammelt. Koepke hatte ihm dabei geholfen und ſorgte dafür, daß nichts fehlte.

So hatte er alles um ſich herum in dem kleinen Raum,

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159

5 was ſeines Lebens ganzen Inhalt ausmachte, und darum

fuͤhlte er ſich wohl in ihm.

Seine Familie bedeutete ihm ſchon ſeit langem nur ſo viel, als ſie ihm dieſe Heimat erhielt. Ihre Intereſſen waren nur noch in wenigen aͤußerlichen Dingen die ſeinen. Jeder ging ſeine eigenen Wege, und man war es beider⸗ ſeits zufrieden. Wenn er feiner Mutter zur Ausſchmuͤckung des Vorderzimmers die Wertpreiſe uͤberließ, ſo tat er es nicht nur, weil ſie ihn in ſeinem kleinen Zimmer be⸗ engten, ſondern hauptſaͤchlich, weil er auf ſie weit weniger Wert legte als auf ſeine Diplome und Medaillen. Er wußte nichts mit ihnen anzufangen.

Ganz Herr ſeiner ſelbſt, mit eigenem Schluͤſſel zu eigenem Eingang, kam und ging er, wie er wollte, und laͤngſt war jeder Anſpruch ſeiner Familie an ſeine Zeit verſtummt. Von den heranwachſenden Geſchwiſtern zeigte keiner beſondere Luſt zu ſeinem Sport; daher inter⸗ eſſierten ſie ihn nicht. Sie gehoͤrten fuͤr ihn zu dem „anderen Teile“ der Menſchheit. .

So war die einzige Veraͤnderung in ſeinem aͤußeren

Leben eigentlich nur die, daß er ſeine Stellung aufgegeben. Als ſeine Beteiligung an den auslaͤndiſchen Konkurrenzen

immer wieder die Bitte um Urlaub noͤtig machte, wurde der ſonſt ziemlich geduldige Chef unwirſch, und vor Felders engliſcher Reife ſagte er ihm, er möge zwar ein großer Schwimmer ſein, aber das koͤnne ihm doch fuͤr ſeinen eigentlichen Beruf nichts nuͤtzen, und er möge lieber feinem Sport etwas weniger Zeit opfern ... Wie der kleine Junge vor Jahren unter den Worten des Rektors, ſo baͤumte ſich jetzt der gefeierte Meiſterſchwimmer auf; aber er war

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zu ſtolz geworden, um uͤberhaupt ein Wort der Entgegnung

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zu verlieren. Er ging. Wenn man nicht wußte, wer er

war, ſo ſollte man es bleiben laſſen oder es lernen. Daß er zeitweilig ohne Stellung war, kuͤmmerte ihn wenig. Als er dann von England kam, war er durch

die ihm gebotene Ehrenſumme jeder augenblicklichen Rot enthoben, und er arbeitete von da an nur, e | gefiel

Größer war die innerliche Veraͤnderung, die mit ihm vorgegangen war in dieſem Jahre. Als er von England als der unangefochtene Meiſter Europas zurückkehrte, fiel ſie zum erſten Male ſeinen Klubbruͤdern auf. Ernſt und ſchweigſam war er eigentlich immer geweſen, aber nie hatte ſich feine große Gutmuͤtigkeit und Freundlichkeit ver⸗ leugnet. Jetzt war etwas Strenges und Hartes in ſein Weſen gekommen, das ihm nicht eigen geweſen war. Wie er gegen ſich war, ſo wurde er auch nun gegen andere.

Auch ſeine Unbefangenheit war nicht mehr dieſelbe. Er wußte, was er feiner Würde ſchuldig war, und war eiferfüchtig auf ſie. Er verlangte, daß fie reſpektiert werden ſollte, und hatte angefangen, darauf zu achten. Leichtig⸗ keit im Umgang hatte er nie beſeſſen, aber die Schwer⸗ faͤlligkeit ſeines Weſens war nie ſo hervorgetreten, wie jetzt, wo er nicht mehr im Hintergrunde ſtand. Bei den Sitzungen glaubte er an den Beratungen teilnehmen, in die Verhandlungen eingreifen zu muͤſſen. Da ihm die Gabe der Rede jedoch voͤllig abging, ſo vermochte er ſich nur unbeholfen auszudrucken, und man fand allgemein

mit Recht, daß er beſſer taͤte, zu ſchweigen, wie bisher.

Dennoch hatte man ſo viel Achtung vor ihm und ſeinem

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leidenſchaftlichen Ernſt, ſeiner hingebenden Liebe zur Sache,

daß man ihn geduldig anhoͤrte.

Eine bisher fremde Ungeduld hatte ihn ergriffen; er wollte immer weiter und weiter, ohne doch recht zu wiſſen, wohin noch. Bei den meiſten Mitgliedern des Klubs aber, beſonders bei den aͤlteren, machte ſich eine gewiſſe Ermuͤdung nach ſo vielen großen und lauten aͤußeren Erfolgen geltend, und ſie verlangten mit groͤßerer Entſchiedenheit nach einer einheitlichen Ausbildung des Ganzen, nach einer ruhigeren Entwickelung, als bisher.

Noch hatte Felder nichts an Freundſchaft und Achtung verloren. Im Gegenteil: feine Siege hatten ihm bes geiſterte Bewunderer erworben, die mit ihm durch dick und duͤnn gingen und bei denen er alles galt. Aber man fand den Verkehr mit ihm nicht mehr ſo bequem, wie fruͤher. Man fuͤhlte, hier mit Bedauern, dort mit Unmut, daß er nicht zufrieden war.

Und ſo war es auch: in dieſer Zeit, die nach bei⸗ ſpielloſen Erfolgen die gluͤcklichſte und ſchoͤnſte ſeines Lebens hätte fein muͤſſen, war er nicht glücklich.

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Ein Winter der Ruhe ſollte dieſem aufgeregten Sommer voll hoͤchſter Triumphe folgen. Der Verein hatte nach langen Debatten beſchloſſen, Felder nur auf ein einziges Winterfeſt zu ſenden, auf dem er den Wanderpreis der Stadt Charlottenburg zum dritten Male erkaͤmpfen mußte. Sonſt ſollte er ruhen, nicht trainieren und, wie Bruͤning laͤchelnd ſagte, ſich „in ſeinem eigenen Glanze ſonnen“. „Im naͤchſten Sommer wuͤrde es ſchon genug Arbeit geben, um das Gewonnene mit Ehren zu behaupten“, fügte Nagel in feiner bedaͤchtigen Weiſe hinzu. Er hatte ſich übrigens verlobt und fein Amt als Schwimmwart niedergelegt.

Auch Bruͤning war in dieſem Winter meiſt von Berlin fort, und ſo war Felder mehr als vorher auf die Geſellſchaft feiner anderen Klubbruͤder angewieſen. Obwohl er mit allen mehr oder minder vertraut war, ſo verband ihn doch mit keinem eigentlich die enge Freundſchaft, wie mit jenen beiden, und ſein Vertrauen genoß nur noch Koepke. Aber der war immer da und zaͤhlte nur mit, wenn Felder ihn gerade brauchte.

Eine der ſtuͤrmiſchen Klubſitzungen war vorüber. Es hatte irgendeine Streitigkeit mit einem anderen Vereine gegeben, bei der die Mitglieder verſchieden Partei ergriffen.

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Obwohl Felder von der ganzen im Grunde gleichguͤltigen Geſchichte wenig begriff und ſie ihn obendrein nicht be⸗ ſonders intereſſierte, glaubte er es doch ſeiner Wuͤrde ſchuldig zu ſein, ein paar Worte mitzureden, und die waren wieder ſchlecht genug ausgefallen. Daß man ſeine unklaren und unbeholfenen Auseinanderſetzungen ſo ruhig und ohne zu laͤcheln hingenommen hatte, verdankte er nur ſeinem Ruhm

Nun ging es noch in ein Café mit zwei anderen, denn man war noch viel zu erhitzt und aufgeregt, um ſchlafen zu koͤnnen. Es war das uͤbrigens fuͤr Felder in letzter Zeit eine Gewohnheit geworden, an die er vor einem Jahre noch gar nicht gedacht hatte. Jetzt aber: Geld hatte er ja, und ausſchlafen konnte er morgen auch

Man ſaß in einem Cafe in der Leipziger Straße. In Felder nagte noch der Arger über ſich ſelbſt, und er ſprach kein Wort mehr. Um ſo lauter waren die beiden anderen; in leidenſchaftlicher Debatte ſuchten ſie ſich gegen⸗ ſeitig zu überzeugen,

Felder hatte ſich eine Zeitung geben laſſen, las aber nicht, ſondern ſah ſich bewundernd um. Er war zum erſten Male hier. Er war nicht mehr der unerfahrene Junge aus dem Oſten Berlins, der nichts außer ſeinem Stadtteil kannte, ſondern ein gereiſter Mann, der Ver⸗ gleiche anſtellen konnte. Aber dies ſchien ihm doch eines der ſchoͤnſten Cafes zu fein, das er je geſehen hatte. Überall Gold und Marmor und Spiegel bis an die Decke hinauf; und dazu ſtimmte die Eleganz des Publikums, der ruhig⸗ vornehme Ton, der hier herrſchte und der ſelbſt ſeine Kameraden zwang, ihre lauten Stimmen zu daͤmpfen;

115

und die leiſe Art der Kellner, die in ihren blendend⸗ 5 f 25 ee Schuͤrzen kamen und gingen, W 2 daß man es

1 85 waren nicht ſehr viele Gaͤſte außer ihnen in dieſem

Teil des Saales. An einem Tiſch unweit von ihnen ſaß ein Herr mit einer Dame, deſſen Geſicht er nicht

ſehen konnte, da er ihm den Ruͤcken zudrehte. Die Dame war ſehr elegant gekleidet, ſaß zuruckgelehnt in ihrem Stuhl, und waͤhrend Felders Blick von der Betrachtung des Saales zu ihr zurückkehrte, bemerkte er, wie fie ihn anſah. Er blickte fort. Als er dann zufaͤllig nach einer Weile wieder zu dem Tiſch hinuͤberſah, ſah er noch immer ihre Augen auf ſich gerichtet, ſo feſt und unverwandt,

bi 5 daß jeder Irrtum ausgeſchloſſen war, und er konnte ſich

des Gedankens nicht erwehren, daß ſie ihn waͤhrend dieſer ganzen Weile ſo angeſehen haben mußte. Diesmal wandte er ſich noch ſchneller ab und betrachtete noch aufmerkſamer die Decke, die Wände und die übrigen Gaͤſte. Es war ihm unbehaglich, jo angeſtiert zu werden. q

Dann als er nach einigen Minuten wieder hin⸗ f ſchaute, überzeugt, dem eigentümlich feſten und ruhigen Blicke nicht mehr zu begegnen, ſah er die Dame un⸗ verändert wie vorher zuruͤckgelehnt in ihrem Stuhle figen und ihre Augen unverwandt auf ſeinem Geſichte ruhen. Diesmal begegneten ſich ihre Blicke: der Felders unruhig, herausfordernd⸗fragend, der der Fremden unveraͤndert ruhig, überlegen, faſt gleichgültig, als ſei es ſelbſtver⸗ ſtaͤndlich, daß ſie ihn in dieſer Weiſe muſtere; und ohne die geringſte Veraͤnderung, wie ihr Blick, blieb auch der Ausdruck ihrer Zuͤge.

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Er wurde unruhig. Jetzt wußte er, daß er ſich nicht taͤuſchen konnte.

Er ergriff eine Zeitung, ſtarrte verſtaͤndnislos auf eine politiſche Karrikatur der „Luſtigen Blätter“ und war ent⸗ ſchloſſen, nicht mehr aufzuſehen.

Was ſollte denn das eigentlich heißen?

Warum ſtarrte die ihn denn ſo an?

So viel hatte er geſehen, daß ſie außergewoͤhnlich ſchoͤn war und koſtbar gekleidet. Sie trug ein über und uͤber beſticktes graues Seidenkleid und einen Hut mit großen Federn von gleicher Farbe. Auch glitzerte es uͤber⸗ all von Steinen an ihr an ihren Haͤnden, in ihren Ohren, auf ihrer Bruſt.

Er wollte nicht aufſehen, um nicht nochmals ihrem Blick zu begegnen. Als er aber dann, wie neugierig, ſich nach den anderen Tiſchen umſah und feine Augen eben: falls ſcheinbar gleichguͤltig uͤber den ihren ſchweifen ließ, ſah er, wie fie ſich zur Seite gewandt hatte, da ihr Be⸗ gleiter mit ihr ſprach und ſie ſich ihm zuwenden mußte, um zu antworten. Nun konnte er der Verſuchung nicht widerſtehen, ſie zu betrachten, und er ſah, daß ſie noch weit ſchoͤner war, als er dachte. Er hatte noch nie ein ſo ſchmales, feines Geſicht geſehen, ſolche zarte Haut, die weiß ausſah, wie gepudert und ſolch eigen⸗ tuͤmlich rote, ſchoͤn geſchwungene Lippen, dabei ſo viel Selbſtbewußtſein und zugleich Gleichguͤltigkeit in der aufrechten Haltung des Körpers ... Er konnte nicht fortſehen, ſo ſeltſam ſchoͤn erſchien ſie ihm, und er ließ ſie nicht mehr aus den Augen, wie ſie ſich jetzt etwas vornuͤberbeugte, um irgendeine Stelle in

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2 beſſer zu ſehen, auf die ihr Begleiter ſie Als wenn fie fühle, daß er fie anblickte, ſah fie ploͤtz⸗ lich wieder auf, und wieder begegnete dem ſeinen der Blick dieſer großen, dunklen, von langen, ſchwarzen

Wimpern beſchatteten Augen, die wieder ruhig und pruͤ⸗

fend, ohne Frage, aber mit durchaus unverhohlenem Intereſſe auf ihm ruhten. Diesmal ſtieg eine jaͤhe Roͤte in ſein Geſicht, und mit einer haſtigen Bewegung, die nur zu deutlich zeigte, wie ſehr er ſich erraten ſah, wandte er ſich ab. | Er war verlegen und aͤrgerte ſich. Er wäre am liebiten fortgegangen, wenn es möglich geweſen wäre ohne die anderen, die unbekuͤmmert weiter ſchwatzten. a Von jetzt an ſchaute er nur von Zeit zu Zeit auf, und jedesmal begegnete er dem Blicke dieſer Augen, der immer größer und immer willensfeſter zu werden ſchien, als wollte er ſagen: ich erkenne dich N Eine ſchwüle Beklemmung ſtieg in dem jungen Manne empor, wie er ſie noch nie empfunden. Er fuͤhlte, daß dieſe Frau etwas von ihm wollte. Aber was? Wer war ſie? War der Herr mit den ergrauten Haaren ihr Mann? Ihr Freund? War ſie eine anſtaͤndige Frau oder war ſie etwas anderes? Eine anftändige Frau war fie ſicherlich nicht. Eine anſtaͤndige Frau ſah einen fremden Mann nicht ſo an, aber eine oͤffentliche noch weniger. Die wäre Übrigens gar nicht in dieſes Café eingelaſſen worden. | Einerlei wer fie war. Er war er, Franz Felder, und er wußte, wer er war, und er ließ ſich nicht ſo anſehen.

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Mit einer faſt veraͤchtlich⸗ausdrucksvollen Geberde kehrte er ſich ab und dem Geſpraͤch ſeiner Freunde zu. Man ſprach jetzt laut und ohne Ruͤckſicht auf die Ruhe des Cafes vom naͤchſten Schwimmfeſt.

Felder hatte ſich feſt vorgenommen, uͤberhaupt nicht mehr nach dem Nachbartiſche hinzuſehen. Mochte die ihn doch anſtarren, ſo viel ſie wollte! Er konnte es ihr nicht verbieten, aber er wollte ihr ſchon zeigen, was er von ihrem Benehmen dachte!

Aber dann, nach einer Weile, waͤhrend der er ver⸗ gebens verſuchte, ſich am Geſpraͤch zu beteiligen, vernahm er ein Geraͤuſch: ein Kellner hatte einen Löffel fallen laſſen das ihn auf und nach der Seite ſehen ließ, und unwillkuͤrlich ſtreifte fein Blick wieder den ihren wie vorher. Und jetzt ſah er, daß ſich der Ausdruck ihrer unbeweglichen Zuͤge geaͤndert hatte: es war ihm, als hoͤbe ſich die Bruſt unter der grauen Seide, als haͤtte ſich der feſtgeſchloſſene rote Mund ein wenig gedffnet, nur fo weit, daß er die weißen Zaͤhne durchſchimmern ließ, und als ſei in dieſe dunklen, kalten Augen das Feuer eines heimlichen Begehrens getreten, das nach ihm verlangte... Und jetzt war ihm nicht mehr ungemuͤtlich, ſondern ploͤtz⸗ lich unheimlich zumute.

Wieder ſah er fort und wieder auf: abermals hatte der Ausdruck dieſes fremden, raͤtſelvollen Geſichtes ge⸗ wechſelt und an die Stelle drohenden Begehrens war der triumphierender Freude getreten, der zu ſagen ſchien: Aha, jetzt fürchteſt du mich ſchon!

Er konnte es nicht mehr ertragen. Schon wollte er das Geſpraͤch ſeiner Genoſſen unter⸗

8 5 2 es und ſagen, er ſei müde und wolle fort, als er ſah, wie fich der alte Herr halb erhob und ſich fragend N * feine Begleiterin wandte, die bejahend den Kopf neigte.

Er blieb ſitzen. Jetzt wuͤrde es kommen. Beim

Hinausgehen würde er irgendein Zeichen von ihr em⸗ 1 pfangen, und an ihm wuͤrde er erfahren, was fie von

ihm wollte.

Aber nichts von dem allen geſchah. q Ruhig ſtand fie auf, ließ ſich den koſtbaren Pelz um die Schultern legen, und ging hochaufgerichtet und mit leichten Schritten, und ohne ihn anzuſehen, an ihm vor⸗ über: Felder ſah auf, aber ihr Blick ging gleichgültig über ihn weg, und nur leiſe ſtreifte ſeinen Stuhl die

Schleppe ihres Kleides, waͤhrend der ſtarke Duft eines

ſeltſamen Parfuͤms von ihr ausging. Hinter ihr her der

| 3 alte Herr, mager und ftraff, der Typus eines hoch:

mutigen, ariſtokratiſchen Roués, mit feinen kalten und leeren Zügen, unnahbarer noch als fie...

Felder blieb ganz verdutzt ſitzen. Er hatte ſo beſtimmt irgend etwas erwartet was, wußte er ſelbſt nicht, aber irgend etwas Ungewoͤhnliches. Aber ſo: erſt ſtarrte ſie ihn eine halbe Stunde lang mit ihren ſchwarzen Augen an, wie ein Wundertier, ſich foͤrmlich an ihm feſt⸗ ſaugend, und dann ging fie fort und ſah über ihn hin⸗ weg, als ſei er Luft Luft Luft!

Unbewußt war ſeine Eitelkeit geſchmeichelt und nun fühlte er ſich ploͤtzlich in ihr verletzt. Sie ſaßen noch lange im Café, die drei, aber Felder war noch mißge⸗ ſtimmter als vorher, und faſt grob. In der Nacht, unter den heißen und ſchweren Kiſſen, traͤumte er von ihr:

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von ihrer ſchlanken Geſtalt in dem grauen Seidenkleide, ihren drohenden Augen und dem ſeltſamen Rot ihrer gemalten Lippen

Und noch nach Tagen glaubte er zuweilen den Duft zu ſpuͤren, der von ihr ausgeſtroͤmt war, als ſie an ihm vorbeiſchritt, dieſen ſtarken Duft eines ihm unbekannten Parfuͤms.

Dann hatte er bald die „ganze blödfinnige Geſchichte“ vergeſſen, denn ein anderer Gedanke begann ihn zu be⸗

herrſchen ganz und gar

3,

In dieſer Zeit, die die glücklichſte feines Lebens hätte

fein müffen, war Franz Felder nicht glücklich.

Alles, was er je in feinen kuͤhnſten Träumen kaum zu hoffen gewagt, hatte er erreicht; alle Siege, die uͤber⸗ haupt erlangbar waren, waren ihm zugefallen; was keinem

Ie zuteil Dee: höchſte Ehren in fo frühen Jahren, e beſaß ſie

Dennoch war er nicht zufrieden. Alles konnte er ertragen, nur nicht dieſe Ruhe nach

bſolchen Siegen.

Ihn dürſtete nach neuen und größeren Erfolgen,

| wie der Trinker, deſſen Durft ſich mit jedem neuen

Glaſe vermehrt er begehrte etwas Neues, noch nie

Dageweſenes 5 Groͤßere Siege gab es nicht, ſo konnten es nur außer⸗

gewoͤhnlichere ſein. f Eine Idee tauchte wieder in ihm auf, die ihn ſchon

oft beſchaͤftigt und ließ ihn nicht mehr los.

Er war Schwimmer, ausſchließlich Schwimmer. Als

Schwimmer war er vom beften feines Klubs allmaͤhlich

der Meiſter Europas geworden. Ein ausgezeichneter Taucher war er ſchon als kleiner Kerl geweſen, und er wuͤhlte immer noch zuweilen unter

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dem Waſſer herum, um die Kraft ſeiner Lungen zu er⸗ proben und aus reiner Luſt. Aber an den Konkurrenzen der Teller⸗ und Hechttauchen hatte er nie teilgenommen. Sie waren ihm immer als etwas Minderwertiges vor⸗ gekommen.

Im Springen dagegen hatte er es uͤber den glatten und ſchoͤnen Kopfſprung, mit dem er ſtets ins Waſſer ging, nicht herausgebracht. Andere Spruͤnge hatte er früher wohl gekonnt und noch manchmal verſucht aber immer nur ungern, und dann war er regelmaͤßig ſo aufgeſchlagen wie alle anderen, die ſie nicht ſtaͤndig übten. Endlich waren ſie gaͤnzlich gegen ſein Schwimm⸗ training zurückgetreten und über ihm in Vergeſſenheit geraten. Er konnte keinen einzigen mehr ordentlich.

Daher hatte er ſich an den Mehrkaͤmpfen im Schwimmen, Springen und Tauchen, aus denen der als Sieger hervor⸗ geht, der die groͤßte Anzahl von Punkten in allen drei Arten aufweiſt, nie beteiligt und nie daran denken konnen, es zu tun. Aber nie hatte er in den letzten beiden Jahren ſeiner beiſpielloſen Triumphe ein Gefuͤhl des Mißmuts ganz unterdrücken konnen, wenn er ſehen mußte, wie bei den Preisverteilungen noch andere als er zu Meiſtern ernannt wurden, zu Meiſtern im Mehrkampf und Springen, und gleiche, wenn auch nie ſo beiſpielloſe Ehren genoſſen wie er. Beſonders ſtark war dieſes Gefuͤhl mehr ein Gefühl der Unbefriedigung, kein Gefühl des Neides, denn kleinlich war er nicht im letzten Jahre geworden, wo es dem Verwoͤhnten ſchwerer und ſchwerer wurde, mit anderen zu teilen.

Sein Ehrgeiz ließ den Gedanken nicht ruhen und

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ſchürte ihn immer von neuem: ſollte es denn nicht moͤg⸗ 1

lich ſein, auch dieſes Gebiet für ſich zu erobern, auf ihm gleiche oder doch aͤhnliche Triumphe zu erlangen, wie auf ſeinem eigenſten, und wenigſtens einzelne Mehr⸗ kampfpreiſe an ſich zu reißen? Im Tauchen würde

es ihm leicht gelingen, ſich durch einfache Übung ohne

große Anſtrengung ſo lange „unter Waſſer zu halten“, wie die anderen; Übung und eine normale Lunge ge: nügten hier vollkommen. Und erſt die feine!

Aber im Springen?! Er hatte bei ſeiner Ein⸗ ſeitigkeit die anderen Sports ſo gaͤnzlich vernachlaͤſſigt, z. B. nie geturnt; er war kein Knabe mehr, deſſen Muskeln noch weich und nachgiebig gegenüber allen Ans forderungen, ſich auszubilden, waren und hier kam nicht nur Ausdauer und Übung in Betracht, ſondern jene ſpezifiſche Begabung, die ihn gerade auf feinem Gebiet zu dem einzigen Schwimmer gemacht hatte.

Die Frage war: konnte ein erſter Schwimmer uͤber⸗ haupt ein erſter Springer ſein, und umgekehrt? N

Die Erfahrung ſprach dagegen. Es gab erſtklaſſige Schwimmer, die hervorragend gute Springer waren, und umgekehrt. Die einen oder anderen waren es gewoͤhn⸗ lich, die ſich daher die erſten Mehrkampfpreiſe holten, indem ſie durch die eine Fertigkeit erſetzten, was ihnen an der anderen fehlte, und nur ſelten verſcherzte ſich einer von ihnen durch ſchlechtes Tauchen den Preis. Aber daß ſich ein und derſelbe auf einem Feſte an zwei erſten Einzelkonkurrenzen auf verſchiedenen Gebieten be⸗ teiligt hatte, das war wohl noch faſt nie dageweſen, und haͤtte jedenfalls mit der ſicheren Niederlage auf dem

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= einen der beiden Gebiete geendet. Daher fielen die Preiſe

hierhin und dorthin, und der Klub genoß die hoͤchſte Ehre, dem es gelungen war, nicht nur erſte Schwimmer, ſondern auch erſte Springer heranzubilden. So beſaß der S.⸗K. B. 1879 neben dem Meiſterſchwimmer Felder den unübertrefflichen Springer Grafenberger.

Felder wußte dies alles ganz wohl.

Aber er kam von ſeinem Gedanken nicht mehr los.

Es nutzte alles nichts. Er ertrug es ſchon nicht Länger,

andere neben ſich als ebenbuͤrtige Meiſter gleich gefeiert zu ſehen einmal, einmal mußte er das Hochgefuͤhl ganz auskoſten, allein, ganz allein unter dem Jubel des Tages dahin zu ſchreiten —: keinen neben, alle

hinter ſich.

Wenigſtens mußte er verſuchen, ob es ihm nicht ge⸗ lang, durchzuſetzen, was er plante. - Mit der alten, zaͤhen Entſchloſſenheit, der ganzen Verbiſſenheit in ſein neues Ziel, ging er auch diesmal ans Werk. Er wollte vorab nichts verlguten laſſen. Ein⸗ mal, weil er nicht ausgelacht werden wollte, wenn die

Sache mißlang; dann aber, weil er ganz gut wußte,

daß mit feinen beiſpielloſen Erfolgen ihm überall Neider entſtanden waren, die es ſicher an gehaͤſſigen Bemerkungen nicht fehlen laſſen würden, wenn fie ſahen, wie er, immer

noch nicht zufrieden, weiter und weiter die Haͤnde nach den Lorbeeren anderer ſtreckte ..

überhaupt war es ganz ausgeſchloſſen, daß er ſich

unter aller Augen ploͤtzlich im Springen verſuchte. Er

konnte ja nicht mehr im Bade erſcheinen, ohne daß man

ihm auf Schritt und Tritt nachging und jede feiner Be:

wegungen verfolgte. Beim Schwimmen ftörte es ihn nicht, und er hatte ſich laͤngſt an die leiſe gefluͤſterten Worte und die neugierigen Blicke gewöhnt. Aber bei dem, was er jetzt vorhatte, haͤtte es jeden Verſuch von vornherein vereitelt.

Er mußte einen Ort ausfindig machen, an dem er ungeftört feine neuen Übungen anſtellen und ſich fo weit ausbilden konnte, um mit einiger Sicherheit vor ſeinen Klub an den Übungsabenden hintreten zu konnen. Das war nicht einmal ſchwer. Berlin, ſo arm an Winter⸗ ſchwimmhallen, beſaß neben ſeinen am meiſten beſuchten Volksbadeanſtalten und den ein, zwei großen privaten Hallen in dem einen oder anderen Stadtteil noch ein oder zwei Baſſins, unbrauchbar fuͤr die Schwimmfeſte

ihrer Kleinheit wegen, gekannt nur von wenigen alten

Stammgaͤſten und gehalten von ihren Beſitzern nur als unfruchtbarer Anfang zu ihren Etabliſſements, weil ſie nun einmal da waren. Ein ſolches Bad lag ganz im Suͤden der Stadt, jenſeits des Halleſchen Tores vers laſſen von aller Welt und als Schwimmbad ſeit langer Zeit vergeſſen und kaum mehr genannt. Ob es noch exiſtierte, wußte ſelbſt Felder nicht, der hier vor Jahren einmal geweſen war, um der kleinen Veranſtaltung irgendeines laͤngſt eingegangenen Klubs beizuwohnen.

Das war, was Felder jetzt brauchte, und eines Abends unternahm er eine heimliche Orientierungsreiſe nach dem Süden der Stadt.

Er fand ein dunkles, tiefes Loch, gefuͤllt mit einer ſchwarzen, kalten Fluͤſſigkeit, völlig ungeeignet zum Schwimmen, da Felder es mit einem einzigen ſeiner

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Stöße in die Länge und einem halben in die Breite durchmaß, aber von genuͤgender Tiefe, ſelbſt fuͤr die ge⸗ raden Spruͤnge, und leidlich erhaltenen Sprungbrettern in zweifach verſchiedener Hoͤhe. Einmal in der Woche uͤbte hier der Schwimmklub einer Schule, der mit ſport⸗

lichen Kreiſen in keiner Beruͤhrung ſtand; ſonſt badeten

nur morgens ganz fruͤh und abends nach der Arbeit ein paar Taͤglichſchwimmer hier, die es „nicht laſſen konnten“, wie der verſchlafene Bademeiſter meinte, der Felder nicht

einmal den Namen nach kannte.

Dieſer entſchloß ſich ſogleich, nachdem er einige Ver⸗

ſuchsſpruͤnge gemacht hatte. Hier würde ihn ſicher nie⸗

mand finden. Wenn er allwoͤchentlich einmal auf den Übungsabenden (wenn hier die Lehrer mit ihren Schülern hierherkamen) und ein anderes Mal auf den Sitzungen ſeines Klubs erſchien, wenn er zudem nach wie vor die

Sonntage mit ſeinen Leuten verbrachte, ſo konnte es nicht weiter auffallen, daß er regelmaͤßig die vier anderen Abende fortblieb. Außerdem erwartete jetzt auch kein

Menſch mehr von ihm, daß er wie bisher weitertrainierte. Und ſchließlich war er doch eben auch der beruͤhmte Franz

EL Felder, der tun und laſſen konnte, was er wollte, und

den ſo leicht keiner mehr danach fragen durfte. Zuſtatten kam ihm, daß die Arbeitszeit in der großen

mechaniſchen Werkſtaͤtte, in der er jetzt wieder eine Stelle angenommen hatte, nur bis ſechs Uhr dauerte. Wenn

er auf den Weg eine Stunde rechnete, ſo konnte er um ſieben am Halleſchen Tor ſein. Die Kaſſe des Bades

* ſchloß um acht; das Bad ſelbſt um neun Uhr. Es blieben

ihm alſo zwei Stunden viel zu viel für jeden ans

PPP ER WET EEE > X 9 * * = 1 1 RS R noch zu wenig für ihn und für das, was er 1

vorhatte. N Vom Entſchluß zur Ausführung war für Felder nur ein Schritt. Die ganze Hartnaͤckigkeit ſeines Willens zeigte ſich jetzt von neuem. Viermal die Woche, jeden Montag und Dienstag, jeden Donnerstag und Freitag, machte er nach der Arbeit den weiten Weg nach dem Süden, uͤbte friſch, als wenn er nicht von der Arbeit, ſondern aus dem Bette kaͤme, feine Sprünge, von den einfachſten allmaͤhlich zu den ſchwierigeren uͤbergehend, und endlich die ſchwierigſten treu, unermüdlich, taͤg⸗ lich von neuem die Kraft feines Körpers in dem fremden und ungewohnten Kampfe erprobend, und nie beruhigt über feine Fortſchritte, nie zufrieden. Wie er früher geſchwommen und nur geſchwommen hatte, ſo ſprang und ſprang er jetzt. Alles Gelernte durchging er jeden Abend von neuem, um ſicher zu ſein, nichts gegen geſtern eingebüßt zu haben, und täglich ging er einen Schritt weiter. Zunaͤchſt wiederholte er die ein⸗ fachen Sprünge, die er als kleiner Knabe dort draußen in dem Kaſten an der Spree halb im Spiel gelernt, aber faſt vergeſſen hatte, und ſah mit Freude, daß er ſie noch konnte: das einfache Abfallen und den „Abbrenner“, ſowie die leichteſten Formen der Kopfiprünge, in ihren verſchiedenen Arm⸗ und Beinhaltungen, das Anlegen, Anziehen, Strecken, Spreizen derſelben. Dann dieſe ſelben Kopfſprünge in ihren verſchiedenen Drehungen, der viertel, halben und ganzen Drehung um die Laͤngsachſe, vor⸗ waͤrts und ruͤckwaͤrts, und wiederum dieſelben mit An⸗ legen oder Hochheben der Arme, alle dieſe ſogenannten

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„Schrauben.“ Alsdann die Hechtſpruͤnge, die Bohrer, bei denen man ins Waſſer ſchoß wie ein Pfeil, und auch dieſe in ihren mehrfachen Armhaltungen und Drehungen beim Niedergehen. Endlich die „Schlußſpruͤnge“, dieſe ſchwierigen Spruͤnge mit ihren wunderbaren Drehungen um die Breitenachſe, die bis zur eineinhalb, ja zwei⸗ einhalbfachen Drehung des ganzen Koͤrpers gingen, die ſo beruͤhmten „Saltos“, bei denen der Springer ſich in der Luft um ſich ſelbſt dreht wie ein Ball, Spruͤnge, die in ihrer Vollendung von ungeheurer Schwierigkeit e ſind und daher ſelten mit der hoͤchſten Nummer ſechs gewertet werden konnten, da ſie nur dem Geuͤbteſten A gelangen. Ganz zuletzt noch die Spreizſpruͤnge, jene ſo⸗ genannten Auerbachiprünge, bei denen das regelrechte Spreizen der Beine die Hauptſache war...

Daneben aber galt es einen großen Teil aller dieſer unendlich verſchiedenfachen Sprünge zu üben in ihren wiederum ſo verſchiedenen Anſaͤtzen: aus dem Stand oder 1 mit Anlauf; und ſodann die aus dem Stand in ihrer beim Abſpringen angenommenen Haltung: vorwaͤrts,

ruͤckwaͤrts, ſeitwaͤrts. Endlich aber fie noch zu beherrſchen von verſchiedener Sprungbretthöhe aus, der niedrigen von einem, der mittleren von drei, der hohen von ſechs Metern aus.

» Selbſtverſtaͤndlich war es ein Unding, alle dieſe

14 Spruͤnge in allen ihren verſchiedenen Ausfuͤhrungsarten ſich zu eigen zu machen. Kein Menſch konnte das, und Felder dachte auch gar nicht daran. Worauf es ihm an⸗

kam, war nur, ſich einige der ſchwierigen, und wenn möglich die ſchwierigſten, bis zur Sicherheit einzulernen, vn 12

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vbveeoer allem die, welche bei den Konkurrenzen gewöhnlich verlangt wurden; und ſich ſodann einige andere ebenfalls dis zur Vollendung zu eigen zu machen, um fie als

ſelbſtgewaͤhlte Sprünge, im „Kürſpringen“, ins Treffen

wu führen.

Borerft durfte er an die Erreichung dieſes Zieles noch gar nicht denken und mußte froh ſein, wenn er die ein⸗ fachen Sprünge, die, „welche jeder konnte“, lernte. Denn eigentlich konnte er noch gar nichts und war ſich auch ganz klar darüber.

So übte er einſtweilen und war froh, es ſo unge⸗ ſtört und unter den Augen ſeiner eigenen Kritik tun zu konnen. . |

Denn feine Berechnung taͤuſchte ihn nicht. Er konnte

Be: ruhig fein, daß ihn hier niemand fuchte und fand. Die

Schwimmklubs hatten ſaͤmtlich ihre beſtimmten Abende in den anderen Baͤdern, an die ſich ihre Mitglieder hielten, und ſonſt waren es immer dieſelben paar Gaͤſte, die den alten müuͤrriſch⸗ſchweigſamen Bademeiſter abends aus feinem Winterſchlaf für eine Weile aufftörten: ein fana⸗ tiſcher Naturmenſch, der durch den tiefſten Schnee in bloßen Sandalen herkam, um ſich unter der kaͤlteſten Duſche zu erwaͤrmen; ein uralter Doktor, Medizinal⸗ rat uſw., der auf den Schlag der Stunde kam, ſich ge⸗ raͤuſchlos entkleidete und feinen duͤrren Körper für genau zwei Minuten am unterſten Ende des Baſſins ins Waſſer tauchte, wobei er ſich krampfhaft an der Leiter feſtklam⸗ merte; ein kleiner Judenjunge, der auf den Befehl feiner Eltern kam, die es offenbar fuͤr ſehr geſund hielten, wenn er ſich nach langem Zaudern endlich entſchloß, ins Waſſer

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zu ſpringen, einmal herumzuſchwimmen, und dann eine bhalbe Stunde lang noch bebend vor Angſt und zitternd vor Froſt mit bloßen Füßen auf dem kalten Steinboden rn zu ſtehen, und mit großen, ſtaunenden Augen Felders Sſpruͤngen zuzuſehen; und dann noch einer oder zwei von denen, die es „nicht laſſen konnten“ keine großen Schwimmer, aber paſſionierte Waſſerratten, denen dieſe koͤſtliche Erfriſchung einer täglichen Hautreizung Bedürfnis geworden war. 1 Keiner von ihnen allen wußte, wer Felder war und was ihn hierher brachte. Er trug ein einfaches Trikot und eine Badehoſe ohne jedes Abzeichen, die er ſich zu dieſem Zwecke gekauft hatte das erſtemal feit für ihn undenkbarer Zeit, daß er die blauweißen Farben feines Klubs nicht führte...

Ein ſeltſames Bild, dieſes jeden Abend: der nicht große, aber hohe Raum halb im Dunkeln, nur ſchlecht beleuchtet von ein paar flackernden Gasflammen, und unregelmäßig, oft kaum erwärmt. Das ſchwarze, ſtille Waſſerbecken, eine hohle Tiefe ohne Grund. Hier und da hinter den verhaͤngten Niſchen ein vereinzelter Bade: gaſt, der ſich langſam auszieht, langſam ins Waſſer geht und langſam wieder heraus. Kein Rufen und Laͤrmen, wie ſonſt in allen Baͤdern kaum ein Geſpraͤch; ein

eiſiges, unheimliches Schweigen, einzig unterbrochen zus weilen durch das ploͤtzliche Schnauben des Dampfes, der an einer fehlerhaften Stelle der Waͤrmeroͤhren pfeifend herausſchießt, um wie eine Sommerwolke ſchnell zu ver— fliegen. Dann kommt Felder, greift raſch mit einem

kurzangebundenen „Guten Abend“ nach feinen Sachen, 12˙

# und nach wenigen Minuten bereits hallt und rauſcht das Waſſer unter ſeinen erſten Spruͤngen. Da gibt es nicht erſt lange Abkühlung und Abreibung und bedaͤchtiges Überlegen: ein einziges Emporſtrecken der Arme, ein Diehnen des dampfenden Körpers, dann ein feſtes Auf- 8 ſetzen und er iſt in ſeinem Element. Und nun bebt und droͤhnt für die naͤchſte Stunde das Sprungbrett wieder und wieder unter den unermüdlichen Füßen, und das ſchlafende Waſſer gurgelt und grollt leiſe bei den Sprüngen, die gelingen, wenn der Koͤrper es wie ein Pfeil durch⸗ ſchneidet; und es knallt und ſpritzt hoch auf zu den Waͤnden bei denen, die mißlingen und die ihn flach auf⸗ ſchlagen laſſen, wie ein Breit ... und es hat nicht Zeit mehr ſich zu beruhigen, bis Felder endlich atemlos, rot wie ein Krebs und völlig erſchoͤpft eine Pauſe machen muß, in der er in irgendeiner Ecke auf einer Bank liegt N und, die Hände unter dem Kopf gefaltet, zu dem ſchmutzigen Glas dach emporſieht. u Kaum wieder zu Atem gekommen, beginnt er das Spiel von neuem und von neuem: immer ſchwieriger 3 werden feine Sprünge, immer intenſiver die Anſpannung ſeiner Muskeln und immer peinlich⸗genauer ihre Aus⸗ führung, und wieder gellt und ſchreit das Waſſer unter den Schlaͤgen dieſer Haͤnde, und grollt und ſchaͤumt und . murrt noch, wenn Felder ſchon wieder auf dem Brett ſteht, waͤhrend der kleine Junge zitternd vor Kaͤlte mit "TR feinen immer erſchrockenen Augen den rätjelhaften Springer = verfolgt und in der Ecke faͤuchend 1 Minute aus der zerplatzten Röhre ſchießt. 1

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n 3 dauerte dieſes neue er und 125 ſeltſame Training: in den erſten Wochen ſprang Felder ſtets allein, denn es kam ihm zunaͤchſt darauf an, ſeine Glieder fuͤr die neuen Anforderungen gelenkig zu machen. Dann, als er von den einfacheren zu den ſchwierigeren Spruͤngen übergehen mußte und fie nicht mehr il 5 ® kontrollieren konnte, brauchte er jemand, der ſie men, einigermaßen zu bewerten vermochte, und er vertrau ſich nach Abnahme eines heiligen Ehrenwortes feinem ges 5 treuen Koepke an. Der hatte ſich ſo lange im Schwimmer⸗ leben umhergetrieben, daß er wenigſtens etwas von der Sache verftand; und daß er Feuer und Flamme für die neue 75 Idee war, verſtand ſich von ſelbſt erwartete er doch Ze | immer das Unmoͤglichſte von feinem großen, genialen Freunde. Von da an mußte Koepke faſt alle Abende dabeiſtehen, wenn Felder ſprang, und er tat es mit Wonne. * Vorher machte Felder indeſſen noch eine neue de en kanntſchaft. ü

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Er hatte wieder ein Ziel und war wieder glücklich, -

Was ihn eine Zeitlang in ſeinen Strudel gezogen, der Rauſch ſeines Ruhmes und fremder, lauter Ver⸗ gnügungen, war in dieſer Zeit faſt von ihm vergeſſen und lag unbegehrt hinter ihm. Zuweilen vergaß er ganz, wer er war, und im Klub fand man wieder, daß er den „Meiſterſchwimmer“ nicht mehr ſo ſtark herauskehre,

wie nach ſeiner Rückkehr von England. So ſtellte ſich bald das alte, trauliche Verhaͤltnis mit ſeinen Genoſſen wieder her und die feſtlichen Veranſtaltungen des Winters ſtrahlten auch auf Felder ihre alte Froͤhlichkeit aus. Daß

er nicht mehr ganz fo oft wie früher unter „den Seinen“ erſchien, fiel nicht weiter auf; ſelten, daß er gefragt wurde und eine ausweichende Antwort geben mußte. Noch hatte er ſein Geheimnis auch an Koepke nicht verraten. | Abend für Abend machte er nach der Arbeit den weiten Weg vom Norden der Stadt nach dem Süden, fuhr erſt eine Zehnpfennigſtrecke mit der Pferdebahn und ging dann den Reſt des Weges mit ſeinen feſten elaſtiſchen Schritten die breite Lindenſtraße hinunter, an den glaͤnzenden Laͤden und den Staͤtten der Erholung und Freude, wie an ſeinem eigenen Klublokal vorüber, feiner neuen Arbeit zu mit

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dem Ausdrucke innerer Entſchloſſenheit in den Zügen, als ginge es ſchon zu neuen Siegen. Mit dem Streben nach ſeinem neuen Ziel war er wieder ganz zu der Einfachheit der Gewohnheiten ſeiner beduͤrfnisloſen Jugend zuruͤckgekehrt. Nie hatte er feine Tagesarbeit unverdroſſener und ftiller getan und nie waren ſeine Gedanken weniger bei aͤußerlichen Vergnuͤgungen und Zerſtreuungen geweſen, als jetzt. Wie fruͤher trug er ſein Abendbrot, ein paar belegte Stullen, in der Taſche mit ſich und verzehrte es beim Ankleiden oder auf dem Heimweg aus der Hand. Das war das Einfachſte und das Billigſte und es nahm ihm nichts von ſeiner Zeit. Obwohl er zu feinen heimlichen Übungen kam und ging, ohne ſich umzuſehen, machte ſich eine Bekannt⸗ ſchaft ſchon in den erſten Wochen wie von ſelbſt. Unter den paar abendlichen Stammgaͤſten erſchien auch ziem- lich regelmaͤßig ein Arzt, Dr. Koͤnig, wie ihn der Bade⸗ meiſter nannte. Ein guter Schwimmer, nahm er ſein Bad der Geſundheit wegen, ließ ſich Zeit beim An⸗ und Auskleiden, und nachdem man ſich erſt den guten Abend gewuͤnſcht und der Doktor des oͤfteren ſtillſchweigend den rraͤtſelhaften Spruͤngen Felders zugeſehen hatte, wechſelten ſich die erſten Worte ohne viel beiderſeitiges Zutun. Dann traf es ſich das eine Mal, daß man zuſammen hinausging, und ein anderes Mal, daß der Doktor Felder traf, wie er in dem dunklen Torweg des Hauſes ſeine Stulle aus der Taſche zog und kraͤftig hineinbiß. Nach ein paar Tagen ſtellte es ſich heraus, daß der Doktor wußte, wer Felder war, da er die Sportzeitſchriften las und ihn nach den Bildern erkannt hatte, worauf Felder

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& . in dieſem entlegenen Bade zu erklaͤren und die

Bitte auszuſprechen, ſie einſtweilen geheim zu halten. Geiß haͤtte Felder nach feiner gewohnten, unveraͤndert mißtrauiſchen und zuruͤckhaltenden Art dieſe unfreiwillige Beekanntſchaft von vornherein abgeſchnitten, wenn ihm die einfache und freundliche Art des Doktors nicht ſym⸗ pathiſch geweſen wäre. Dazu kam das große Intereſſe, das dieſer an ſeinem Plane faßte. Kurz, nachdem ein 1 Wort das andere gegeben und zu einer ftetigen Untere haltung geworden war, war es nur natürlich, daß man dein paarmal das Stüc des gemeinfchaftlichen Heimweges jiuſammen ging und gelegentlich noch irgendwo ein Glas Bier trank. So konnte es auch Felder nicht abſchlagen, als ihn der Doktor in feiner liebenswuͤrdigen Weiſe eines

Abends bat, ſein Abendeſſen in einem Reſtaurant zu teilen wovon der Stulle war nie die Rede geweſen), und eben: ſowenig mehr nein ſagen, als aus dieſer Einladung ein naͤchſtes Mal die zu einer Taſſe Tee in des Doktors eigener Wohnung wurde. Dieſe Einladung wiederholte ſich dann im Laufe des Fruͤhjahres noch einige Male.

Zum erſten Male tat Felder einen Blick in die ihm völlig fremde Welt einer höheren Lebensführung, erfüllt von geiſtigen Intereſſen und gelenkt von ſicherem Geſchmack. Denn der Dr. König war ein weitgereiſter Mann, ein tuchtiger Arzt von Ruf und ein guter Pſychologe, der die freie Zeit ſeines Lebens auf jede Art zu einer Art F Kunſtwerk zu geſtalten beftrebt war. =

Er erfannte natürlich bald die ungeheure Einfeitigkeit Felders und daß man mit ihm eigentlich nur über eine

5 Sache ernſtlich reden konnte. Fuͤr alles andere taub und 1 blind, exiſtierte es einfach nicht fuͤr ihn, ſetzte er jeder anderen Unterhaltung das Schweigen abſoluter Intereſſe⸗ lloſigkeit und eines geradezu kraſſen Unverſtaͤndniſſes ent⸗ gegen, und war erſt wieder zugaͤnglich, wenn die Rede wieder auf jenes Eine zuruͤckkam, oder er ſelbſt ſie naiv oder bruͤsk dahin zuruͤckgezwungen hatte. Das hätte den fo viel: ſeitigen Älteren und Erfahreneren bald langweilen muͤſſen, ſollte man meinen. Aber im Gegenteil: der Doktor war, wie geſagt, Pſychologe, und ihn haͤtte dieſe unglaubliche, auf ſo eiſernen Willen geſtuͤtzte Beſchraͤnktheit intereſſiert, auch wenn ſie ſich nicht auf dies ſpezielle Gebiet erſtreckt haͤtte, für das er ſelbſt eine beſondere Vorliebe hegte und dem er als Arzt eine fo große Bedeutung in der Ge: ſundheitspflege zuſchrieb.

So gab er denn ſchon nach wenigen Geſpraͤchen jeden Verſuch auf, mit dem „Meiſterſchwimmer“ uͤber irgend etwas anderes zu ſprechen, als was ihn und ſeine Kunſt betraf, und beſchraͤnkte ſich darauf, ihm gutmuͤtig zu⸗ zuhören, wenn er in weitſchweifiger Weiſe von feinen Erfolgen ſprach; oder zu verſuchen, den Horizont des jungen Mannes wenigſtens auf feinem eigenſten Gebiete zu er weitern, indem er ihm von der Entwickelung des Bade: weſens in früheren Epochen erzaͤhlte. Über dieſe Zeiten fehlte nun zwar Felder jeder Begriff; aber er hoͤrte doch mit geſteigertem Intereſſe zu, wenn der Doktor in ſeiner ruhigen Weiſe und vertieft in die Erinnerung an feine

Reiſen nach jenen klaſſiſchen Staͤtten, erſt von dem Leben jener alten Römer ſprach, die den halben Tag in ihren wunderbaren Baͤdern verbrachten; wenn er ſie in an—

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ſchaulicher Schilderung aus ihren braunen Trümmern

wiedererſtehen ließ: die unerhoͤrte Pracht jener Thermen des Caracalla und des Diokletian, die in jener Zeit zu Öffentlichen Wohnſtaͤtten geworden waren, in denen die Römer den größten Teil ihres Lebens lebten und die fie zuletzt nur noch verließen, um ſich zu ihren uͤppigen Mahlzeiten und den blutigen Schauſtellungen der Arenen und des Koloſſeums zu begeben. Das mußte eine Zeit nach Felders Herzen geweſen ſein, und er wuͤnſchte, in ihr gelebt zu haben: den ganzen Tag im Bade und den halben im Waſſer was konnte es Schöneres geben! Und er hoͤrte dem Erzaͤhler weiter zu, wenn dieſer von dem waſſerſcheuen Mittelalter mit ſeiner Verpoͤnung des freien Badens und den langen Jahrhunderten des Da: niederliegens des Schwimmens ſprach und ſo gemach auf die Wiederbelebung der Schwimmkunſt am Anfange des eigenen Jahrhunderts und hier in Berlin kam, um endlich bei der Jetztzeit und damit, wie von ſelbſt, bei ihm, Franz Felder, gewiſſermaßen als der Krone des Ganzen, zu enden Wenn es ſo weit gekommen war, wurde auch der Zuhörer warm, und ein Geſpraͤch über alle möglichen die Schwimmkunſt betreffenden Fragen entſtand zwiſchen den beiden, das ſich bei einer Taſſe Tee oder einem Glaſe Bier in dem gemütlichen, warmen, von dem Duft des Karbol leicht durchzogenen Zimmer des Arztes oft bis zur Zeit von Felders letzter Pferdebahn nach dem Norden hinzog. Man war ganz zufrieden miteinander: Felder hatte jemand, der ihm freundlich zuhdrte, und der Doktor machte eine pſychologiſche Studie, von der der ewe 5 allerdings nichts ahnte. 2:

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4 Es war die Bekanntſchaft mit Dr. König, die für Felder eine zweite nach ſich zog. Eines Abends erſchien im Bade ein großer, ſtarkknochiger Herr in guter, aber ſchlechtſitzender Kleidung, mit großen Haͤnden und ſcharfem Blick, den der Doktor als ſeinen Freund vorſtellte. Er badete nicht ſelbſt, ſah aber den Spruͤngen Felders mit hoͤchſtem Intereſſe zu und ließ ihn nicht aus den Augen, ſo daß dieſer ſchon wieder mißtrauiſch geworden wäre, wenn der Fremde ihm nicht als Bildhauer vorgeſtellt worden waͤre. Man trank noch zu dritt ein Glas Bier zuſammen, plauderte uͤber allerhand und ging ausein⸗ ander.

Das naͤchſtemal, als fie wieder allein waren, er⸗ fuhr Felder den Zweck dieſes Beſuches. Der Fremde war ein alter Bekannter des Doktors und einer der bes deutendſten, wenn auch nicht beruͤhmteſten Kuͤnſtler Deutſch—⸗ lands. Eines Tages war die Rede in feinem Atelier auf feine neuen Werke und damit auf die Modellnot ges

kommen.

Der Bildhauer trug ſich ſeit Jahren mit der Idee der Darſtellung eines jugendlichen Laͤufers, verzweifelte aber immer von neuem an der Ausführung, da es ihm vollig an einem Modell fehlte, das auch nur einigermaßen

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ſeinen Anfprüchen entiprach. Dr. König hatte von feinem jungen Freunde erzählt, und der andere war aus reiner Neugier mitgegangen, um ihn ſich einmal anzuſchauen. Er war Feuer und Flamme ja, das wäre ein Modell! Aber er wiſſe wohl, daß nichts daraus wer⸗ den koͤnne. Einmal werde Felder ſich wohl nie zum Modellſtehen hergeben, und dann habe er ja auch keine Zeit. Nun frug der Doktor, mitleidig mit der faſt komiſchen Verzweiflung des Kuͤnſtlers, behutſam bei Felder an: er erzählte ihm von der Würde und der Größe echter Kunſt, von dem unausgeſetzten Ringen einer vornehmen Kuͤnſtlerſeele, ihren Kaͤmpfen und ihrem Streben, das nur zu oft an nichtigen, aͤußerlichen Umſtaͤnden vor dem Ziele ſcheitert, von der harten und unbelohnten Arbeit ſeines Freundes, und es gelang ihm, beſſer und ſchneller als er gehofft, in Felder Intereſſe und Verſtaͤndnis zu erwecken. So deutete er denn einmal an, wie ſehr er ſelbſt zum Gelingen eines ſolchen Werkes beitragen koͤnne. Felder war durchaus nicht abgeneigt, doch machte auch er gleich den Mangel an der nötigen Zeit geltend. Einen Verſuch koͤnne man ja an den freien Sonntagen einmal machen, meinte er naiv ... Als dann aber der Doktor mit feinem letzten Trumpf herausruͤckte und da⸗ von ſprach, wie beim Gelingen des Werkes ſein Ruhm ſich mit dem des Kuͤnſtlers verbinden und beider Name in einer unvergaͤnglichen und vielleicht unſt Schöpfung weiterleben würde, da war Felder bereits ga gewonnen, und nun war er es, der den Vorſchlag zur weiteren Beſprechung der Sache machte. Was Zeit anbelangte nun, er hatte ja ausgelernt und

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ſein eigener Herr, und wenn er ſeine Arbeit wieder fuͤr einige Wochen (laͤnger wuͤrde die Geſchichte wohl nicht dauern) aufgaͤbe, ſo waͤre das nicht ſo ſchlimm; er faͤnde danach ſchon wieder andere.

N Er wuͤrde reichlich entſchaͤdigt werden, verſicherte Dr. Koͤnig. Da aber empoͤrte ſich der Stolz des Meiſter⸗ ſchwimmers. Davon koͤnne keine Rede ſein. So ſei es bei ihm nicht, „wie bei armen Leuten“. Wenn er ein⸗ willige, ſo tue er es um der Kunſt willen und des Ruhmes wegen. Der Doktor konnte nichts darauf erwidern, und

man traf ſich im Atelier des Kuͤnſtlers.

Als Schwimmer, der er war, muͤſſe er dargeſtellt werden, meinte Felder, waͤhrend der Bildhauer nicht von ſeiner urſpruͤnglichen Idee des Laͤufers laſſen wollte. Ein Schwimmer? wie ſich Felder denn das denke? In welcher Lage denn? liegend wohl? Und das Waſſer? aus blauem Glaſe, nicht wahr? Und dabei der Körper aus Marmor? Felder nahm das für Ernſt, und es gefiel ihm. Aber der Künftler wurde wütend, Dann wiederholte Felder zum zwanzigſten Male: er ſei der Meiſterſchwimmer von Europa und kein Läufer... Keiner wollte nachgeben, und die Sache war auf dem beſten Wege, an der Hartnaͤckigkeit der beiden zu ſcheitern, als der lachende Doktor den Vorſchlag des Springers machte. Er gefiel. So wurde der eine beruhigt durch die Idee, daß die Geſtalt des Körpers im Moment des Abſpringens ſich nicht zu ſehr von der des Laͤufers im Augenblick des Anlaufs unterſcheide; und der andere, daß, wenn er auch noch nicht der Meiſterſpringer ſei, er es doch unzweifelhaft werden würde, und daß die Zeit

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feines erſten Triumphes als folcher, wenn alles gut ging, mit der der Ausſtellung ſeiner Statue vor den Augen der Welt zuſammenfallen koͤnne |

Die Sitzungen in dem großen Atelier in Wilmers⸗ dorf begannen. Obwohl Felder nicht mehr arbeitete und mehr Ruhe und Schlaf hatte, als vorher, war er doch ſchon gegen Abend, wenn er zu ſeinem Training ging, von den ausgedehnten Stunden der Sitzungen und von den langen Fahrten nach dem Vorort muͤder, als je zuvor.

Er hatte nie gedacht, daß er fo müde werden konne. Erſt hatten ihn die langwierigen Vorarbeiten intereſſiert, das neue der Umgebung und die ganze Art des Kuͤnſtlers. Dann ſah er ſich ſelbſt mehr und mehr aus dem rohen Ton hervortreten, immer gleicher und aͤhnlicher werden. Als dann aber die ſtundenlangen, muͤhſamen Aus⸗ arbeitungen des einzelnen begannen, ohne daß er mit ſeinen ungeübten Augen irgendeinen Fortſchritt wahr⸗ nehmen konnte, da hatte er oft die ganze Kraft ſeines Willens noͤtig, um auszuhalten. Er hatte ſich vor⸗ genommen, ſo lange zu ſtehen, bis der andere ſelbſt das Holz aus der Hand legte; aber wenn der Künftler nach einer, nach zwei Stunden ganz in ſein Werk vertieft und völlig entrückt, keine Miene machte, eine Pauſe eintreten zu laſſen, dann war Felder oft ei fo erfchöpft, daß er plöglich abbrach. Erſtaunt Über Zeit, die verfloſſen war, brummte der Bildhauer etwas, das wie eine Entſchuldigung klang, und beide warfen ſich in irgendeinen Seſſel, froh, nicht miteinander ſprechen zu brauchen.

Denn zu einer rechten Unterhaltung kam es nie z wiſchen ihnen. Dieſe beiden ſo verſchloſſenen, nur mit ſich und ihren eigenen Zielen lebenden Menſchen, von denen keiner die Leichtigkeit und Freundlichkeit des Dr. König beſaß, hatten ſich nichts zu jagen. Wohl entſtand ab und zu ein Geſpraͤch, da man, um keine Zeit zu ver⸗ lieren, jetzt des oͤfteren auch draußen in einem maͤßigen Reſtaurant zuſammen aß. Aber wenn der eine oder der andere nach fo viel Stunden ſchweigenden Beiſammen⸗ ſeins in dem naturlichen Bedürfnis, ſich zu aͤußern, dieſer von ſeinem Werk und ſeinen Hoffnungen, und jener eben⸗ falls von ſeinen Plaͤnen und ſeinen Hoffnungen anfing, dann konnten ſie beide ſicher ſein, daß ſie aneinander vorbeiſprachen und keiner dem andern auch nur zu⸗ - hörte... Denn was wußten, was verſtanden fie von⸗ einander? beide ſo einſeitig, beide ſo verloren in ihre Ziele: ungleich in ihrer Weite und Größe, gleich nur in ihrer Außergewoͤhnlichkeit und der Energie, mit der ſie verfolgt wurden. In einem aber verſtanden ſie ſich ganz, und dieſes eine hielt ſie dieſe lange Zeit weit laͤnger, als vorausgedacht zuſammen. Felder bewunderte den raſtloſen Eifer, die unwillige und doch ſo gaͤnzliche Hingabe des Kuͤnſtlers an ſein Werk; er verſtand insgeheim dies ſchmerzliche, heiße Ringen um ein Letztes, nie ſich Erfuͤllendes, und die Art, in der es ſich aͤußerte: in fieberhafter Arbeit, ewigem Gemurr und wilden Fluchen ... Und dieſer, der Kuͤnſtler, war ſich voͤllig daruͤber klar, daß er nie ein Modell wie dieſes je gefunden hatte und wiederfinden wuͤrde, das ſo mit ihm bis zur beiderſeitigen Ermattung ging und in⸗

= 192

ſtinktiv mit ihm arbeitete ... Er haͤtte es nie gejagt, vielleicht nicht einmal zugegeben, aber in ſeiner Art und Weiſe ſprach ſich deutlich ſeine Dankbarkeit aus: ob er Felder eine Zigarette drehte oder ihm von den Tiefen feiner Künftlerfehnfucht ſprach, die er vor jedem anderen ſcheu verſchloß. Gegen Ende der Sitzungen ging ihm ſogar eine Ahnung davon auf, an was dieſer junge Menſch ſein Leben geſetzt hatte und was die naͤchſte Zeit für ihn bedeutete. Durch Abgründe in ihren Zielen voneinander getrennt, verſtanden ſie ſich in dem, worin fie gleich waren: in dem ungeſtuͤmen Drang, dieſe Ziele zu erreichen. Zwei Flammen ſchlugen ineinander, und ſo entſtand ein wundervolles Werk, an das fie beide ihre Kräfte gaben. Es kam zu Ende. Es gelang. Auch Felder kam ſeinem Ziel naͤher und naͤher. Seine Sprünge wurden ſicherer und ſicherer. In ſeinem Klub ſprach er weder von dem einen, * von dem anderen. Ein Erzählen des einen wäre ein Preisgeben des anderen geweſen. Er ſchwieg, verſchloſſener und unzugaͤnglicher, als je zuvor, f

- 6.

Eines Tages hielt er feine Stunde für gekommen. Er erſchien ſeit langer Zeit zum erſten Male wieder auf dem Übungsabend des Klubs. Die enorme Halle der Waſſerfreunde war noch hell erleuchtet, aber außer den Mitgliedern des S.⸗K. B. 1879 waren faſt keine fremden Gaͤſte mehr anweſend. Die letzten kleideten ſich eben an; die Kaſſe war bereits geſchloſſen und niemand wurde mehr zugelaſſen. überall ſah man die weiß⸗blauen Farben. Das Baſſin gehoͤrte fuͤr den Reſt des Abends ausſchließlich dem Klub, der es zweimal wöchentlich für feine Mitglieder mietete. Felder zog ſich aus und trat an das eine der kleinen Bretter, wo Grafenberger, der Meiſterſpringer Deutſch⸗ lands, eben übte. Eine Weile ſah er ihm ſtillſchweigend zu. Grafenberger machte einen Salto ruͤckwaͤrts mit halber Drehung. Das kann ich auch, ſagte Felder. Der andere lachte: So leichte nu nich! Aber Felder ließ langſam das Tuch von feinen Schul⸗ tern gleiten und trat an die aͤußerſte Kante des Brettes. Er ſtand mit dem Rücken dem Waſſer zu. Leicht hob

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| 8 ſich fein Körper auf den Zehen in die Höhe, feſt legten ſſich die Arme an die Schenkel, und ſich tief hintenüber⸗

neigend, tat er den Sprung. a

Als er aus dem Waſſer ſtieg, ſah er in lauter er⸗ ſtaunte und verblüffte Geſichter. Am erſtaunteſten war Grafenberger ſelbſt.

Und nun ging dieſer eine Reihe unbe oder minder ſchwieriger Sprünge durch, und jedesmal, wenn er aus dem Waſſer ſtieg, ſtand Felder bereits auf dem Brett und machte den Sprung nach, einen nach dem andern. Das Erſtaunen wurde immer größer und die meiſten wollten gar nicht glauben, was ſie ſahen. N

Von dem kleinen Sprungbrett ging man zu dem großen über, und alle ſtiegen die Treppe zu der Galerie empor. Dort ſtand bald der ganze Klub bis auf den letzten Mann um feine berühmten Mitglieder herum und verfolgte in atemloſer Spannung Sprung auf Sprung. Und es gab nicht einen unter allen, den der Schwimmer dem Springer nicht nachgemacht haͤtte. Freilich dachte in dieſer Stunde keiner an die Wertung der Leiſtungen, und nur wenige machten ſich klar, wie ſich die aͤußerlich gleichenden Sprünge der beiden doch in Sicherheit und Exaktheit himmelweit voneinander unterſchieden. M wollte jetzt nur ſehen, ob Felder überhaupt imſtande war, die Sprünge auszuführen, und man geriet bei jeden neuen in immer größere Aufregung, die ſich bald in Lachen, Zurufen und lauten, wie leiſen Bemerkunge jeder Art Luft zu machen ſuchte. a

Felder genoß das Vorgefuͤhl kommender Triumphe und ſetzte allen Fragen ſein geheimnisvolles Sch

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entgegen. Aber als der Springer meinte: „Na, dann 5 kann ich ja naͤchſtens an zu ſchwimmen fangen!“ laͤchelte er bedeutſam. Nur Nagel aͤußerte wieder kein Wort. Als jedoch Felder an ihm vorbeiging und vor ihm ſtehen blieb, ſagte er kurz: „Du kannſt ſie alle. Wo du ſie ge⸗ lernt haft, weiß ich nicht, und es geht mich ja auch nichts an. Aber glaube nur nicht, daß du auch nur einen ordentlich kannſt, fo wie er fein ſoll ...“ worauf Felder blaß wurde und weiter ging. Er vermochte nur noch zu erwidern: „Das werden wir ſehen!“ Seine Freude 174 war dahin fuͤr dieſen Abend und er begann ſeinen alten Freund und Lehrer zu haſſen. 4 Schon auf der naͤchſten Sitzung trat er mit feiner Forderung hervor, bei der naͤchſten Gelegenheit im Springen um eine bedeutende Meiſterſchaft gemeldet zu werden. Man hielt fie erſt für Scherz; dann erhoben ſich von allen Seiten Proteſte. So viel hatte man ſchon geſehen, um zu wiſſen, daß ein ſolches Vorhaben ganz ausſichtslos war. War es auch erſtaunlich, was er bei feinem geheimen Training man wußte jetzt ganz genau, wo und wie er dazu gekommen war in ſo kurzer Zeit zuſtande gebracht hatte, fo reichte das alles doch noch lange nicht aus, um mit erſten Meiſtern in Konkurrenz zu treten. Dazu gehörte vor allem eine jahrelange, ſtetige, ſorgſame Ausbildung unter den Augen von Kennern das Au er, der Sportsmann, doch wohl am beſten wiſſen ... Von allen Seiten redete man b; auf ihn ein, fuchte ihn 0 überzeugen, aber es war alles = 3 ee Man ſprach zu Ohren, die uͤberhaupt nicht . zuhoͤrten.

13*

| Felder beſtand hartnäckig auf feiner Forderung. We er gefragt wurde, zu welcher Schwimmnummer er ges meldet werden wollte, antwortete er: zum Springen um die Meiſterſchaft ... und je dringender die Frage wurde, um ſo mehr klang dieſe Antwort als Drohung: entwede oder Man lachte nicht mehr. Dazu war die Sache * ernſt. Zuviel ſtand in dieſem Sommer im Schwimmen auf dem Spiel: die Meiſterſchaft Deutſchlands ſollte bes hauptet, die größte über Europa zum zweiten Male g wonnen werden; der große Staatspreis Sachſens und der Stadtpreis Breslaus, zum dritten Male durch Felder er⸗ obert, in den endgültigen Beſitz des Klubs uͤbergehen; unzaͤhlige Anforderungen von allen Seiten nach des jungen Meiſters Teilnahme an den diesjährigen Schwimm⸗ kaͤmpfen mußten beantwortet werden und dieſer Menſch, was tat er? 4 Statt in dieſem Sommer feine glorreichen Siege zu erneuern, mühelos und ehrenvoll, verbohrte er ſich in eine Idee, Auf die noch kein anderer vor ihm gekommen war und auf die auch nur er verfallen konnte. Je r man auf ihn eindrang, von ſeinem ausſichtsloſen Vor⸗ haben abzuftehen, deſto erbitterter wurde er. Da er die Gründe gegen feine Meldung nicht verſtand, da er f nicht begreifen wollte, ſah er in ihnen nur den Aus fluß einer feindſeligen Stimmung gegen ſich und ganz all⸗ maͤhlich in den guten, alten Kameraden und 5 Freunden feines Klubs Gegner feiner Perſon und dami der Sache. 9 Denn daß er der Sache mit ſeinem Vorhaben ſch

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Eecche ſchaben! 3 Man begriff, daß nicht mit ihm zu reden war, als

Debatte einfach das Zimmer verließ. 2 Dann ſprach Nagel, und was er fagte, wurde als das richtige empfunden. Er ſchloß feine Ausführungen, in denen er ein kurzes und klares Bild von Felders Entwickelung gab, mit den Worten: „Tun wir ihm ſeinen Willen; denn was er nötig hat, um ihn zur Beſinnung zu bringen, find nicht neue Siege, ſondern es iſt eine gründliche Niederlage.“ So wurde der Meiſterſchwimmer von Europa von ſeinem Klub auf dem erſten diesjaͤhrigen Eroͤffnungs⸗ ſchwimmen der vereinigten Berliner Klubs nicht nur zu ſeiner alten Meiſterſchaft Berlins uͤber die kurze Strecke, ſondern auch zu dem Haupt⸗Mehrkampf im Schwimmen, Springen und Tauchen, ſowie zum Hauptſpringen ges meldet, und dieſe Meldungen wurden mit grenzenloſem Erſtaunen, aber unbeanſtandet angenommen.

N Enne, daran dachte er nicht einmal. Er und der

er an einem anderen Abend nach langer, vergeblicher

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55 Sonntag, einen klaren, aber noch friſchen Fruͤhlingstag. für ihm werden, ſo dachte Felder, der Tag, der allen

anderen der letzten Jahre die Krone aufſetzen, ſeinen Ruhm vor den Augen einer Welt verkünden ſollte,

aufreibenden Hilfe beim Gelingen einer fremden. 5

1

Eine gruͤndliche Niederlage! Und die erlebte er. 1 Das erſte große Schwimmfeſt Berlins in dieſem Sommer

veranftaltet von dem Bund der Berliner Vereine fiel

zuſammen mit der feierlichen Eroͤffnung der diesjährigen

Kunſtausſtellung im großen Glaspalaſt, beides auf einen

Es ſollte der Tag hoͤchſten und beiſpielloſen Triumphes

keiner vor ihm: hier in einem unvergleichlichen Siege, dort dieſer Sieg bereits verkoͤrpert in einem hohen Werke, das feinen Namen trug; der Tag, um den er gekaͤmpft hatte, wie um keinen anderen, monatelang, mit b Ausdauer nicht nur in der eiſernen Arbeit eig Übung, ſondern faſt noch mehr in der muͤhſamen

Es kam alles anders, wie er es ſich dachte.

Der Morgen brachte die erſte Enttaͤuſchung.

Sie waren hinausgefahren nach dem Glas Lehrter Bahnhof, er und zwei ſeiner Sportsfreunde, N mit der Karte des Bildhauers unbeanſtandet Eintritt er

*

* *

8 Halten und drängten mit der feſtlich gekleideten Menge allem, was Berlin an geiſtigem Leben beſaß der großen Eingangshalle zu. Sie fanden dort leicht, was ſie ſuchten. Denn um den „Springer“ herum ſtand bei reeits ein dichter Haufen von Menſchen, alle ergriffen von der Schoͤnheit und Kraft des Werkes, und in der erſten Stunde bereits ſeinen Ruhm mit ihrer einſtimmigen W wunderung beſiegelnd. 0 Und es war ein herrliches Werk, das hier, faſt in der Mitte der großen Halle, in dem leuchtenden Weiß ſeines Marmors vor dem ſattgruͤnen Hintergrunde hoher Blattpflanzen ſtand:

erſt zum Sprunge ſich anſchickend, noch nicht ganz zu ihm bereit, erhob ſich die jugendliche Geſtalt des „Springers“ in vollendet ebenmaͤßiger Schoͤnheit leicht auf den Zehen empor, ſtreckte wie flehend die ſchlanken

Arme in die Hoͤhe, um dem Koͤrper Schwung zu ver⸗

leihen, und hielt die Augen feſt und entſchloſſen in die

Ferne gerichtet gewiß des Gelingens, ſicher des nahen

Sieges ... Über der ganzen Geſtalt aber lag zugleich bei aller Kraft eine ſolche Anmut, eine ſolche Friſche, daß man den kuͤhlen Duft dieſes vielleicht eben erſt dem

Waſſer entſtiegenen Koͤrpers zu ſpuͤren glaubte, der ſich nun zu neuem und ſchwierigerem Sprunge anſchickte, und den das Trikot nur wie ein dünner Schleier um:

ſchloß, hinter deſſen zartem Gewebe jeder Muskel, ja die Adern erkennbar hervorzutreten ſchienen; und obwohl zum Teil mit dieſem Schleier bekleidet, erſchien auf den erſten Blick der ganze Körper wie nackt, bis man die 1 unſaͤglich feine Arbeit des Meiſters gewahrte, für den

= die leichte Hülle kein Hindernis geweſen war, das nad Leden in ſeiner Waͤrme zu bilden.

ſeelt“ „raffiniert ſchlicht“ „einfach antik“ „wo

ſelbſt war zum erſten Male in einer Kunſtausſtellung, und

—„Klaſſiſch ſchoͤn und doch von modernem Geiſte .

kann er das Modell herhaben?“ „ein Meiſterwerk, ganz ohne Zweifel“ das waren die Ausdrücke, die mit vielen anderen Namen und Vergleichen, von denen er nichts verſtand, Felders Ohren umſchwirrten, als er ſich mit ſeinen Begleitern naͤher herangedraͤngt und nun faſt vor der Statue ſtand. Er fühlte ſich ſehr unbehaglich. Alles war ihm hier fremd. Selbſt dieſes Werk, ſein anderes Ich, das er doch ſo genau kannte, erſchien ihm nicht mehr dasſelbe. War er das? So trat er doch nicht auf das Brett, wenn er ſprang? | Er allein unter all den Anweſenden vielleicht ſtand der Schönheit des eigenen Körpers verſtaͤndnislos gegen⸗ über, er und feine Freunde. Sie, fo ſehr an den taͤglichen Anblick nackter Geſtalten gewöhnt, hatten nie uͤber deren Schönheit und Haͤßlichkeit nachgedacht, und von der Kunſt, die hier zu ihnen redete, verſtanden ſie nichts. Felder

der Blick auf die vielen anderen Marmorwerke in 1 hohen Halle, in die lange Flucht der Saͤle, von der Waͤnden herab die Farben unzaͤhliger Gemaͤlde dect, machte ihn wirr und betaͤubte ihn.

Zudem aͤrgerte er ſich zu ſehr, als daß er ſich ruhig irgendeiner Betrachtung haͤtte hingeben koͤnnen. Er 1% ſich dieſen Morgen ganz anders gedacht. Wie, das wußte er wohl ſelbſt nicht, aber etwa ſo: daß er mit dem Künftler vor der Statue ſtehen wurde, aller Augen auf

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ſich gerichtet, als auf das Modell uſw. ... So aber ge: ſchah nichts dergleichen. Kein Menſch kuͤmmerte ſich um ihn, man druͤckte und ſtieß ihn von allen Seiten, und wenn ihn zufaͤllig jemand anſah, ſo hatte er das Be⸗ wußtſein, mit dieſem Blicke gefragt zu werden: Was wollen Sie denn hier?

Wie haͤtte aber auch irgend jemand in dem modiſch gekleideten jungen Mann mit dem hohen Hemdkragen und dem ſteifen Hut, der ausſah wie ein Kommis von Hertzog oder Wertheim, das Urbild dieſes Hellenen⸗ juͤnglings erkennen ſollen, deſſen Schönheit die Gedanken der Beſchauer weit zuruͤckfuͤhrte in die ſeligen Zeiten goͤttergleicher Menſchen?

Unmutig forderte Felder feine Freunde zum Weiter⸗ gehen auf; er wollte verſuchen, den Bildhauer und Dr. König zu finden. Die beiden anderen waren gern bereit: der eine hatte Durſt nach einem Fruͤhſchoppen, und der andere fand auch, daß er eine ſolche Stellung bei einem Springer noch nie geſehen habe.

Da waͤhrend ſie ſich hinausſtießen fuͤhlte Felder plotzlich, wie er angeſehen wurde. Der ſtarke Duft eines ſeltſamen Parfuͤms, den er irgendwo und irgendwann ſchon einmal geſpuͤrt hatte, umwehte ihn, und aufſehend, erblickte er dicht vor ſich jene Dame aus dem Cafe, die ihn den ganzen Abend ſo auffallend angeſehen hatte und nun ihren Blick mit demſelben feſten Ausdruck forſchen⸗ den Intereſſes auf ſeinem Geſicht ruhen ließ, wie an jenem Abend. Wieder war der alte Herr mit ihr, und wieder trug ſie ein Kleid von heller Seide und einen auffallend großen Rembrandthut mit ſchwarzer Feder.

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NE 2 Be 2 1 ; Felder hatte kaum Zeit, fie zu ſehen; im naͤchſten Augen⸗ blicke ſchon war fie weiter gegangen, und viele Menſchen hatten ſich zwiſchen fie und ihn geſchoben. Er hätte Fdꝛuruckkehren müffen, um fie wiederzufinden. } Er dachte noch an fie im Weitergehen, als er am Ausgang auf den Bildhauer traf, der ebenfalls in einer 3 dichten Menſchenmenge ſtand. Er machte ſich ſofort los und kam auf Felder zu, als er ihn ſah, und man ging daurch den Garten in langem Zuge nach der Oſteria. Diort wurde nun Felder genug und von allen Seiten an⸗ 7 geſehen, als die Kuͤnſtler erfuhren, wer er war, aber er

wurde nie das Gefühl los, daß alle dieſe fremden Menſchen in ihm nur das Modell ſahen, und keine Ahnung davon hatten, wer er eigentlich war... Nach Dr. König ſah er ſich vergebens um; er war wohl noch in den Saͤlen oder Überhaupt noch nicht gekommen. Der Bildhauer, aͤußerlich borſtig und wortkarg wie immer, war doch durch ſeinen großen Erfolg erregt und mußte ſich immer von neuem frei machen, um ein paar Worte mit Felder zu ſprechen. Dieſer wollte gerne wiſſen, ob fein Name auch im Katalog ſtüͤnde. Nein, dort ſtand nur „der Springer“ meinte der Künftler laͤchelnd, anders ginge es nicht, aber er wolle ſchon dafuͤr ſorgen, daß es in moͤglichſt vielen Zeitungen zu leſen fei, wer ihm Modell geſtanden darauf koͤnne ſich Felder verlaſſen .. N „Und am Nachmittage komme ich zu Ihrem Siege!“ - ſagte er noch, als Felder ſich mit feinem Freunde ver⸗ abſchiedete und, innerlich recht mißmutig, ging. Dieſer Nachmittag! Ber; Wieder einmal erglaͤnzte die weite Halle der Waſſer⸗

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1 ER in dem feſtlichen Schmuck der Fahnen und Faͤhn⸗

chen; wieder fuͤllten ihre Galerien bis auf den letzten Platz die dichten Reihen einer bunten Zuſchauermenge; wieder bot ſie das bis in die Einzelheiten immer ſich gleichende, unveraͤnderte Bild eines „Schwimmfeſtes“ .. Und in eintoͤniger Gleichfoͤrmigkeit verlief Nummer um Nummer des wiederum viel zu lang ausgeſponnenen Programms. Das ganze Intereſſe der engeren Kreiſe konzentrierte ſich heute nicht auf die Schwimmkonkurrenz Felders Sieg war ganz ſicher ſondern auf deſſen Beteiligung am Springen. Laͤngſt hatte ſich uͤber die Grenzen des S.⸗K. B. 1879 hinaus herumgeſprochen, wie gaͤnzlich ausſichtslos und vermeſſen ſie war, und uͤber⸗ all, in allen Ecken, lauerte das ſuͤßeſte und reinſte der menſchlichen Gefühle, die Schadenfreude, auf feine Ges legenheit. Nur Felder ſah und hoͤrte nichts von allem. Still und ernſt wie immer ſtand er unter ſeinen Leuten, und feine Augen blickten fo ruhig und ſiegesgewiß wie immer. Heute, heute war ſein großer Tag, und kein Zweifel durfte in ihm aufkommen; kein Zweifel der anderen das eigene, felſenfeſte Vertrauen ſtoͤren. Er fühlte nur ins ſtinktiv die Feindſeligkeit um ſich herum an der Art, wie man ihn allein ließ oder ihn dies oder jenes fragte, Was kümmerten fie ihn? Nach einer Stunde würde er ſie beſiegt haben, und ſelbſt die Widerſtrebendſten lagen bezwungen zu feinen Füßen! ... Als er daher feinen Namen hoͤrte und auf das Sprungbrett trat, um den erſten der fuͤr den Mehr: meiſterkampf vorgeſchriebenen Sprünge zu tun, hob er

der ſchoͤnen Halle empor, und in feinen Augen lag dae niemand erkennbar) das alte Leuchten, tiefer und ſieges⸗ gewiſſer, als je zuvor. 3 2 Dann ſprang er, und er ſprang nicht ſchlecht. Ein Murmeln nur begleitete ſein Ausſteigen aus dem Waſſer Erſtaunen bei jenen unter den Sportsgenoſſen, die ihn zum erſten Male ſpringen ſahen, halber Beifall bei denen, die den Sprung an ſeinen eigenen Leiſtungen, die ſie ſeit einigen Wochen kannten, verglichen. Noch hatte die Schadenfreude keinen Grund, ſich zu aͤußern und wagte ſich noch nicht hervor. Weder beſonders gut, aber ebenfalls nicht ſchlecht waren auch die naͤchſten Sprünge. Jeder Kenner ſah indeſſen, daß fie einfach nur beſſer ausſahen, als fie in Wirklichkeit waren, und daß Felder jede Hoffnung auf einen Sieg hätte begraben muͤſſen, waͤre es auf dieſes Springen angekommen. So aber erledigte er nicht nur den zweiten Teil des Mehrkampfs, das Schwimmen mit einer Bahnlaͤnge von 180 Metern, in: ſeiner alten glaͤnzenden Weiſe, fo daß er hier die Hiochſtzahl der überhaupt erreichbaren Punkte erlangte, ſendern er ſtellte ſich auch im dritten Teile, dem Tauchen, 8 ebenbürtig an die Seite ſeiner drei Gegner, indem er, wie ſie, alle zwanzig Teller hervorholte, und zwar in einer Zeit, die ſich nur unweſentlich von der ihren unterſchied. Keiner der Konkurrenten war vor Ablauf von 32 Sekunden aus dem Waſſer geftiegen, Felder 45 unter im geblieben. Die Teller hatten bei ihm welt 4 einander gelegen. 5 3 Der Mehrkampfpreis wurde daher trotz der BE =:

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Springen erreichten geringen Punktzahl nicht ver⸗

gleichbar mit der der anderen von ihm gewonnen.

Seinem Verein fiel ein Ehrenpreis zu, ihm ſelbſt ein Andenken, und das eine der geſetzten Ziele war ſomit von ihm erreicht: in ſeinen Lorbeerkranz ein neues Blatt geflochten. Der Meiſter im Schwimmen nannte die er Mehrkampfmeiſterſchaft fein!

Aber das ſtille und erwartungsvolle Laͤcheln, das von den Geſichtern ſo manches Kenners unter den An⸗ weſenden nicht wich, zeigte, daß es noch nicht aller Tage Abend war. Vor allem das Lächeln Grafenbergers.

Denn das Ereignis des Tages, das Hauptſpringen, ſollte erſt noch kommen. Und wenn Grafenberger fo laͤchelte, dann hatte er ſeinen Grund dazu.

Heute mehr als je. Denn dieſes Hauptſpringen, das als dritte Konkurrenz nach der eben beendeten folgen ſollte, hatte eine ganze, vielbeſprochene Geſchichte in den letzten Wochen gezeitigt. Als Felder brüsf und ungeſtüm feine plöglihe Meldung zu dieſem Hauptſpringen im Klub aͤußerte, und als nach endloſen privaten und internen Debatten die Furcht vor ſeiner Drohung die Schale zu

ſeinen Gunſten neigen ließ, da erklaͤrte Grafenberger 5

ebenſo brüsf und mit weit größerer Berechtigung natürlich: wenn fein Klub denn fo unverhofft einen fo großen Springer in ſeinem bisherigen Meiſterſchwimmer „entdeckt“

habe und ihm denſelben vorziehen wollte, ſo moͤge er 0

das doch tun; und da ſelbſtverſtaͤndlich jeder Klub nur einen Konkurrenten zu den Kaͤmpfen entſenden könne, ſo ſei es doch das beſte und einfachſte, wenn er, Grafenberger, aus: und in einen anderen Verein eintrete,

Dann konne er ja mit Leichtigkeit beweiſen, wie lächerlich. eeine ſolche Bevorzugung ſei. So ſehr traf jedes feiner

Worte den Nagel auf den Kopf, daß nur Übrig blieb, dem Empoͤrten klarzumachen, wie es ſich ja nur darum

handele, Felder ad absurdum zu fuͤhren, wie er, dem an dieſer Beteiligung gar nichts gelegen ſein koͤnne, ja gerade durch Felders unvermeidliche Niederlage nur ſeinen, Grafenbergers, Ruhm als den des erſten Springers im S.⸗K. B. 1879 befeſtigen würde; und fo ſehr ſah dieſer ſelbſt auch den Grund aller Einwendungen ein, daß die Sache in aller Ruhe verlaufen wäre, wenn nicht wie immer bei ſolchen Gelegenheiten jo viel bisher Une ausgeſprochenes zutage getreten wäre, was dann endlich

doch Grafenbergers Austritt zur unvermeidlichen Folge

hatte. Er, eine weit weniger ernſte und vornehme Natur, als Felder, hatte einen Ton angeſchlagen, den der Klub unter keinen Umſtaͤnden dulden durfte, und ſo war er gegangen von dort, wo niemand gegen ſeinen Willen gehalten wurde. f Mit Jubel ſofort in einen anderen, ebenfalls alte angeſehenen Verein, in die „Privat⸗Schwimmgeſellſchaft von 1888“, aufgenommen, noch in letzter Stunde von ihm zu heute gemeldet, erwartete der beruͤhmte Springer

nun im Kreiſe feiner neuen Klubgenoſſen das Haupt

ſpringen mit innerlichſter Freude; und ſchaͤrfer und klarer

als er hatte feiner Felders kümmerüche Sprünge beim 2

Mehrkampf betrachtet und gewertet. 7

Vergebens ſuchte er dem Blick feines früheren Ge noſſen zu begegnen, mit dem er ſo manche Jahre Schulten an Schulter um die Ehre des Klubs gekaͤmpft, und deem

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er wie oft nicht in denſelben Stunden desſelben Tages E gemeinſam mit ihm zu den hoͤchſten verholfen.

Felder ſah ihn nicht. Nicht ſein Laͤcheln; nicht die boshafte Erwartung um ſich her; nicht die aͤngſtliche Sorge ſeiner wahren Freunde, Nagels und anderer. Er ſah uͤberhaupt nichts mehr von allem, was um ihn her vorging. Er fuͤhlte nur die große Erwartung um ſich herum, und als Koepke, der aͤußerlich Aufgeregteſte wieder unter allen, ihm mit irgendeiner unnuͤtzen Frage zu nahe kam, wies er ihn mit einem barſchen Wort zur Ruhe.

Als das Hauptſpringen endlich begann, trat die atem⸗ loſe Spannung der Stille ein, die allen Entſcheidungen von Bedeutung vorausgeht, und teilte ſich unwillkuͤrlich auch dem Gleichguͤltigen unter den Zuſchauern mit. Fuͤnf Springer aus den erſten Berliner Klubs, unter ihnen drei mit bekannten Namen, waren gemeldet. Wie ſie ausgeloſt waren, kamen fie an die Reihe. Felder hatte

die vierte Nummer und die weiße Kappe erhalten. 14 Er ſah ſeine Vorgaͤnger auf das Brett treten, er hörte die Stimme des Starters, der Namen und Art des Sprunges verfündete, er ſah die Sprünge, er hörte

14 das Waſſer klatſchen und rauſchen, das Murmeln und

den Beifall der Zuſchauer; er trat ſelbſt hinter das Brett, ſäah vor ſich hin, vernahm die gleichmäßig ruhige und klare Stimme des Starters neben ſich, die rief: „Hecht⸗ ſſprung mit Anlegen der Arme und Anlauf, ein Meter. Herr Franz Felder ...“, lief, ſprang, tauchte unter und wieder auf, ging hinaus und hinauf zu dem hohen Brett, ſtellte ſich auf feine aͤußerſte Kante, hob den ganzen Körper auf den Fußſpitzen in die Höhe, ſah

geradeaus, hörte wieder die Stimme, diesmal unter ſich:

„Doppelſalto, rücklings, ſechs Meter, derfelbe ...“, ſprang ab, drehte ſich in der Luft um ſich ſelbſt, fühlte den Anprall des Waſſers wie glühendes Feuer, kam in die Höhe und ſtieg hinaus aber worauf er lauſchte, die alten, ihm ſo vertrauten Laute des Beifalls vernahm er nicht.

Stumm und ohne zu wiſſen, wie er geſprungen, miſchte er ſich unter ſeine Freunde.

Nach den zwei vorgeſchriebenen Pflichtſpruͤngen kamen die zwei Pfoſtenſprünge an die Reihe, die an demſelben Tage aus den Schwierigkeitsgraden 5 und 6 ausgeloſt und jedem der Bewerber vor einer Stunde mitgeteilt worden waren.

Auf Felder waren gefallen:

Als erſter ein Seitlingsſprung mit Drehung um die Laͤngsachſe vorwärts, mit Hochheben beider Arme, bei einer Bretthoͤhe von 3 Metern: nicht allzuſchwer gut aus: zuführen; und als zweiter ein Schlußſprung mit ganzer Drehung um die Breitenachſe, ſchwierig bei genauer Durch⸗ führung und der 6 Meter⸗Hoͤhe des Brettes. Den erſten machte er gut; daß ihm der zweite nicht fo gelingen wurde, wie er mußte, war ihm ſeit einer Stunde bereits ganz klar, und er ſprang ihn infolgedeſſen völlig ſchlecht, fo daß das publikum zu lachen begann, waͤhrend es dieſelben beiden Sprünge der anderen des Öfteren mit Beifall begleitete.

Felder ſah und hoͤrte noch immer nichts um ſich her. Auch dieſes Lachen nicht. Nur ein Zwiſchenfall erregte die allgemeine und damit auch ſeine Aufmerkſamkeit. Als

der Nachſpringer Felders feine Sprünge ausführte, erſcholl von allen Seiten her, wahrſcheinlich mit infolge des vor⸗ hergegangenen, jo augenſcheinlich verungluͤckten Sprunges, lauter Beifall. Die Pauſe zwiſchen den Spruͤngen dauerte etwas laͤnger als ſonſt, und bevor der naͤchſte, letzte

Springer an die Reihe kam, trat der Starter vorn auf

das Sprungbrett und ſprach mit erhobener Stimme zu den | gewendet:

„Die Herren Schiedsrichter laſſen die derehele ede, Damen und Herren, bitten, bei den Spruͤngen jedes Zeichen des Beifalls und des Mißfallens im Inter⸗ eſſe der Springer ſelbſt zu unterlaſſen, und den Herren Richtern in keiner Weiſe in ihrem Urteil vorzugreifen ...“

Ein Zwiſchenfall ſolcher Art war eine Seltenheit und wurde daher gebührend bemerkt. Einſtweilen aber ſchwieg der ganze Raum, und der dritte Teil des Hauptſpringens, die beiden Kuͤrſpringe, begannen unter allgemeiner Stille.

Die „Kuͤrſpringe“, vom Springer nach freier Wahl „gekuͤrt“, bei denen er an keine Schwierigfeitsgrade und keine Art der Ausfuͤhrung gebunden iſt, und ſomit nur die Kraft und Faͤhigkeit, die er ſich ſelbſt zutraut, entſcheidet, ſind gewoͤhnlich lange vorher eingeuͤbte und in vollendeter Sicherheit ausgeführte Sprünge, die das Können des Springers in hellſtem Lichte zeigen. Da die Zuſchauer ihrem Beifall keinen Ausdruck mehr geben konnten, ver⸗ liefen die Spruͤnge der drei erſten Springer unter dem achtungsvollen Schweigen des Publikums, bis Felder an die Reihe kam.

Statt daß dieſer wie es nach der ganzen Art und der Kürze der Zeit feines Trainings eigentlich ſelbſtver⸗ vn 14

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GE zierten Sprünge ausgefucht, fie in guter Ausführung ges F 5 zahl erreicht haͤtte, erlaubte es ihm ſein Ehrgeiz nicht, ſein

Sſpruͤngen erſten Ranges zu zeigen, und unter dem Kopf⸗

aü,bereingekommen, ihn gewähren zu laſſen, und fo kam, was unausbleiblich kommen mußte, und wozu es keines

fiändlich geweſen wire ſich zwei der zeigt und damit wenigſtens in ihnen die hoͤchſte Wertungs⸗ neuerworbenes, noch ſo unſicheres Koͤnnen anders, als in

ſchuͤtteln feiner Freunde, die indeſſen auf jede Einmiſchung verzichteten, hatte er zwei Sprünge gewählt, die ihm hier und da wenigſtens zur Zufriedenheit Koepkes ge⸗ lungen waren und die er in ſeiner grenzenloſen Verblendung auch heute vor den Augen aller ausführen zu dürfen glaubte. Kein anderer Klub haͤtte einem Mitgliede je⸗ mals etwas Ahnliches erlaubt. Aber der ſeine war

Propheten bedurfte, es vorherzuſagen.

Gereizt, erregt und wie im Fieber verlor Felder bei dieſen letzten Sprüngen jede Ruhe und jede Beſinnung. Er ſprang, wie er geſchwommen hatte in den Augen⸗ blicken hoͤchſter Anſtrengung, und vergaß vollkommen, daß, was dort noch zum Siege fuͤhren kann, hier, wo es einzig im gegebenen Moment auf Selbſtbeherrſchung und Ruhe ankommt, unrettbar zur Niederlage werden muß.

Er ſprang, wie er ſchwamm: wie er zweimal, drei⸗ mal es war ſchon lange her geſchwommen hatte, um den enteilenden Sieg noch zu ergreifen —: mit dem Mut der Verzweiflung. Aber was er bot, das waren ſchon keine regelrechten Sprünge mehr, das hatte Über haupt keine Ahnlichkeit mehr mit den Aufgaben, die er

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ſelbſt gewaͤhlt und ſich vorgeſchrieben, das waren krampf⸗ hafte Verzerrungen des Körpers, ein unſchoͤnes ſich Über: ſchlagen in der Luft ohne jede Haltung der Arme mehr, die um ſich griffen, wie um ſich zu halten, und end⸗ lich ein wuͤſtes Aufklatſchen auf die Oberflaͤche des Waſſers

Und waͤhrend die Richter auf jede Wertung mit dem Niederlegen ihrer Bleiſtifte uͤberhaupt verzichteten, waͤhrend ſich auf den Geſichtern der Umſtehenden erſt ſtarres Er⸗ ſtaunen ob ſolcher, nie geſehener Leiſtungen malte, das allmaͤhlich in offene Froͤhlichkeit uͤberging, waͤhrend Felders Freunde uͤberlegten, ob fie ihn nicht lieber an dem letzten der Sprünge hindern und der Blamage ein Ende machen ſollten, begann das Publikum, gereizt durch das Verbot des Beifalls, zu lachen. Es lachte erſt leiſe, dann ganz

laut beim zweiten Sprunge, und als Felder aus dem

Waſſer kam, da lachten ſelbſt die Sportsleute um ihn her, ja die eigenen Genoſſen, fo komiſch war der Kon⸗ traſt zwiſchen ſeiner ſiegesbewußten Miene und ſeinen klaͤglichen Leiſtungen geweſen .

Felder hörte das Lachen, jetzt hörte und ſah er es,

und er wurde totenblaß. Einen Augenblick ſchien es,

als wolle er ſich auf den erſten beſten der Naͤchſtſtehenden ſtürzen, dann überzog eine dunkle Nöte fein Geſicht, und wortlos verließ er die Reihen, die ſich noch nicht beruhigen wollten, bis das naͤchſte Rennen die Auf⸗ merkſamkeit von dem beendeten abzog.

Eine furchtbare Wut kochte in Felder, als er allein in einer Ecke des kleineren Damenſchwimmbades, das

heute als Auskleideraum fuͤr die Beteiligten galt, ſaß. 14*

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Man hatte es gewagt und ihn ausgelacht ihn, Franz Felder, den Meiſter Europas, ihn, ihn!

Er ging auf und ab, auf und ab, aber er wurde nicht ruhiger. Er wurde das Lachen aus ſeinen Ohren nicht los. Er würde es nie vergeſſen koͤnnen, das wußte er. Kein Beifall würde es jemals mehr ganz uͤbertoͤnen koͤnnen.

Alles, was er tun konnte, war, die erlittene Wunde ſo unter neuen Lorbeeren zu verbergen, daß niemand ſie mehr gewahren konnte.

Das aber wenigſtens wollte er, und als er nach einer halben Stunde geholt wurde und er zum letzten Male an dieſem Tage an den Start ging, nicht zum Springen mehr, ſondern zum Hauptſchwimmen über die 250 Meter, da waren die Nebel von feinen Augen gefallen, und mit ſeinem alten, klaren Blick ſah er alles um ſich

her, die Freunde und die Feinde, und jetzt war er e,

der laͤchelte.

Jetzt durfte er es allein, und wer es etwa noch wagen ſollte außer ihm, dem würde er das Lachen von den

Lippen vertreiben! * Nicht wie ſonſt, ruhig, ſtet und uͤberlegen ſeine Bahn

durchſchneidend, nichts als das Ziel im Auge, nicht fair und vornehm, wie man es an ihm gewöhnt war ſelbſt

in den ſchwierigſten Kaͤmpfen, ſondern auf ſeine Gegner achtend, ſie herankommen und voraufgehen laſſend, ſie durch die eigene Ungleichmaͤßigkeit ftörend, um fie dann zuletzt ruͤckſichtslos, faſt brutal zu ſchlagen, fo ſchwamm er dieſes Rennen, und als er den Jubel über feine Wag halſigkeit und Überlegenheit in feinen Ohren erklingen hörte, ° war er wieder ganz er ſelbſt. Nie vorher hatte er ſo ges

; ſchwommen, und er wußte es. Er wußte auch, daß er mit

E * dieſem Siege keinen Beifall unter ſeinen Freunden finden

wuͤrde. Aber das war es gerade, was er wollte. Sie hatten ihn ausgelacht, das verzieh er ihnen nicht. Jetzt war ihm auch an ihrem Beifall nichts mehr gelegen.

Wie er zum letztenmal fuͤr heute ſich ſo die Leiter emporſchwang, bis zu der ſich die erſte Reihe der Zu⸗ ſchauer hinzog, da, wo die beſten Plaͤtze nahe dem Start waren, die man durch Auflegen von Leinentuͤchern gegen das Aufſpritzen des Waſſers zu ſchuͤtzen verſucht hatte, war es ihm wieder, als ſtiege der Duft eines ſeltſamen Parfums, den er ſchon einmal geſpuͤrt, zu ihm auf, und als er

ſich zur Seite wandte, ſah er, daß der erſte dieſer Pläge,

die er beim Hinausſteigen faſt ſtreifte, von der Dame beſetzt war, die er an jenem Abend im Cafe und heute morgen erſt wieder geſehen hatte. Fuͤr eine Sekunde begegneten ſich ihre Blicke: ſie hielt ihr Kleid mit der Hand zuſammen, damit es nicht naß werden ſollte, und

lächelte leiſe, wie heimlich mit ihm triumphierend uͤber

ſeinen Sieg. Ein neuer Ausdruck ſchien in ihrem Blicke

zu liegen, etwa wie: wir kennen uns doch, nicht wahr?

Felder war ganz verwirrt und wandte ſich ab.

Als er angekleidet wieder in die Halle trat, galt ſein erſter Blick dem Platze, wo ſie geſeſſen. Aber er war leer, und die ihn innegehabt, war nirgends mehr zu finden. Was bedeutete das nun wieder? Wie kam

fie hierher? Und warum? Warum nur? Es

war ſeltſam, ſehr ſeltſam. Doch er hatte nicht lange Zeit, an den Vorfall zu denken. Zuviel wogte noch in ihm, und immer von neuem

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kehrten ſeine Gedanken zu dem unverhofften Verlauf des Tages zurück.

Erſt der Morgen. Dann der Nachmittag. Und der Bildhauer und Dr. König fielen ihm ein, die beide nicht gekommen oder ſchon wieder fortgegangen waren, da fie, ihm doch nicht Gluck wuͤnſchen konnten.

Eines wie das andere alles war umſonſt geweſen!

Umſonſt die zaͤhe, eiſerne Mühe langer Monate; ums ſonſt die inneren, bitteren Kämpfe und alles heiße Ringen; umſonſt alle Kraft und Zeit, die er an dieſe Sache geſetzt!

Deutlich hatte er heute die Grenze ſeiner Kraft erkannt, über die er ſich in unbegreiflicher Verblendung fo ſehr taͤuſchen konnte.

Zum erſten und zum letzten Male in ſeinem Leben hatte er heute Öffentlich geſprungen. Nie würde er von jetzt an wieder einen Fuß auf das Sprungbrett ſetzen. Sein Traum war zu Ende. Er war ganz erwacht, und er war ſich ganz klar.

Aber nicht, daß er mit ſeinem Plan geſcheitert war, ſondern, daß er ſich lächerlich gemacht hatte das war

es, was Felder mit immer tiefer ſich einbohrender, inner

licher Wut gegen ſich ſelbſt und gegen die andern er⸗ füllte. Er war ausgelacht worden. Er Franz Felder! Und er haßte ſie alle, die es gewagt hatten!

Aber er durfte jetzt nur noch den einzigen Gedanken haben, nicht zu zeigen, wie ſehr er ſich aͤrgerte. Das

beſte war jetzt, zu tun, als habe er ſelbſt das Ganze als

einen im Grunde nur ſcherzhaft gemeinten Verſuch bee trachtet, um zu beweiſen, daß es moͤglich ſei, in ganz

kurzer Zeit faſt ſaͤmtliche möglichen Sprünge zu ele J auch ohne jahrelange Übung.

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. Daher ging er nicht fort, wie er es am liebſten getan, Sondern blieb den ganzen Abend und die halbe Nacht unter ſeinen Kameraden, war ſo luſtig, wie es ihm uͤber⸗ haupt moͤglich war, nahm ſeinen erſten und auf immer einzigen Mehrkampfpreis ebenſo überlegen laͤchelnd und gleichgültig entgegen, wie die Schwimmeiſterſchaft für Berlin fuͤr dieſes vierte Jahr, und brachte es ſogar fertig, die Witze, die uͤber ihn als Springer gemacht wurden, = anzuhören, ja, auf fie einzugehen.

Aber in ihm war etwas gebrochen an dieſem Tage der großen Enttaͤuſchungen. Er hatte geglaubt, daß ihm, der ſo vieles erreicht, nun alles möglich fein muͤſſe, woran er die Hand legte. Er batte ſich überzeugt, daß er fich ſchmaͤhlich getäufcht daß es nur ein Gebiet gab, auf dem er Meiſter war, und daß er nichts anderes zu tun hatte, als moͤglichſt lange Meiſter auf ihm zu bleiben: ob es ihm nun gefiel oder nicht! Alles andere war ihm verſchloſſen.

Und eine Ahnung daͤmmerte ihm auf, wie eng der

h wußte. Ewig unerreichbar für ihn. Wohin nun aber ſollte er mit dieſer ungeftillten Sehn⸗

zufrieden war, wie ein Zirkuspferd im Kreiſe herum zu trotten? Wohin mit ihr?!

Es war nur erſt eine Ahnung, die ihm gekommen war mit dem heutigen Tage. Aber ſchon begann fie ihn zu beunruhigen.

Kreis ſeiner Welt war. Es gab andere, weitere Gebiete, 3 | von denen er nichts verſtand, von denen er nicht einmal

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8.

Alles ging wieder ſeinen alten Gang. Außerlich veränderte ſich zunaͤchſt nichts im Leben des Die Springerei Felders betrachtete man als eine Laune, einen verruͤckten Einfall, wert hoͤchſtens noch eines 7. ſchlechten Witzes, haͤtte man nicht ſeine unbeſchriblche Aufregung und ploͤtzlich hervorbrechende Wut geſehen, g wenn jemand ihn gelegentlich zu machen verſuchte. So d rüuͤhrte man nicht mehr daran. Innerlich aber war zwiſchen Franz Felder und feinem Klub ein Riß entſtanden, den keine Ausſprache heilte und 4 deer ſich faſt taͤglich mehr verſchaͤrfte. Entſtanden war er durch Felders eigenmaͤchtige Sande 3 llungsweiſe. Wann war es je dageweſen, daß das Mit⸗ glied eines Klubs auf eigene Fauſt zu trainieren begann und daraus ſogar vor feinen eigenen Klubbrüdern ein

Geheimnis machte? Wenn man das wollte, l 1 man keinem Klub anzugehören. Wäre es nicht 5 und zudem die Idee nicht gar ſo abſurd a würde man ja der Sache noch auf andere Weiſe 1 getreten fein. So aber... Außerdem würde er wohl lern eingeſehen haben, was er davon gehabt hatte! |

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Man ſprach mit ihm nicht mehr darüber, aber Felder fühlte wohl, wieviel an Unmut und Mißtrauen gegen ihn zuruͤckgeblieben war. |

Schlimmer aber war, daß er in den Zeitungen, die in dieſen Wochen ſo laut den Ruhm des Kuͤnſtlers, der nach ihm ſeinen „Springer“ gebildet, verkuͤndeten, als der „Meiſterſpringer von Europa“ bezeichnet wurde. Es war Felders ehrgeiziger Wunſch geweſen, daß ſein Name genannt werden ſollte; und der Bildhauer, von Dank⸗ barkeit gegen ſeinen ſelbſtloſen und treuen Helfer ges trieben, hatte alles getan, was in ſeinen Kraͤften ſtand, um ihn zu erfuͤllen. Daß dabei der Irrtum unterlaufen war, war zwar nicht ſeine Schuld, da er wohl wußte, daß Felder nur Schwimmer war, und da er ja ſelbſt ſeinem verungluͤckten Debut als Springer beigewohnt hatte; aber immerhin entſchuldbar bei den Kunſtſchreibern, die wenig von ſolchen Unterſchieden wußten und ſich beim Beſchauen der Statue wohl gedacht haben mochten, daß der, der als Springer dargeſtellt worden war, auch als ſolcher ſich ſeinen Meiſternamen erworben haben müßte.

Wer Felder kannte, wußte, daß ihm am wenigſten an dieſem Irrtum irgendwelche Schuld beizumeſſen war. Er haͤtte ſich lieber die Hand abhauen laſſen, als einen Erfolg für ſich in Anſpruch zu nehmen, den er nicht voll verdient zu haben ſich bewußt war.

Er war außer ſich uͤber das Verſehen. Er ließ ſich von dem Kimftler noch einmal fuhr er zu dieſem Zweck den langen Weg nach Wilmersdorf hinaus und betrat das ſtaubige, nuͤchterne Atelier wieder, in dem

= bereits an einem neuen, großen Werk gearbeitet ı wurd TE eine ſchriftliche Erklärung geben, daß er fich * nie gegenuber als etwas anderes ausgegeben habe, als was er wirklich war, und nahm zudem das Verſprechen mit ſich, daß alles getan werden würde, um den be⸗ dcdauerlichen Irrtum wieder gut zu machen. Das Papier ſtellte er zur Verfügung des Klubs und dieſer bewachten natürlich die Angelegenheit als feine eigene.

Aber was half das alles! Felder haͤtte keine Feinde haben muͤſſen, fo zahlreich wie feine Erfolge, als daß das Verſehen nicht gegen ihn ausgenützt worden waͤre; und wenn man ihn auch nicht Öffentlich als den Urs bheber desſelben bezeichnete, fo gab es doch genug Stimmen in den feindlichen Lagern, die der Behauptung nicht wider⸗ 8 ſprachen, daß er geduldet habe, was er ſo gerne als Wirk⸗ lichkeit geſehen hätte...

2 Für die immerwaͤhrenden Streitigkeiten und Eifer ſüchteleien zwiſchen den Klubs war die ganze Sache DI ins Feuer, und ſie entbrannten zu Beginn dieſes Sommers öffentlich und heimlich heißer als je. Felder, der fo ftolg darauf geweſen war, daß feine Perſon nie den Anlaß zu irgend ſolchen gehaͤſſigen und die Sache ſchaͤdigenden Fehden gegeben, erlebte, daß ſie und ſein Name in ſie hineingeriſſen wurden und fürs erſte überhaupt von ihnen nicht mehr zu trennen waren. 7

Immer wieder kehrte der Gedanke zuruck, der an jenem Abend, als er, äußerlich ruhig und laͤchelnd, aber innere lich aufs tiefſte erbittert uͤber ſeine Niederlage, Pe 7 feinen Genoſſen ſaß und fich zum erften Male unter ihnen wieder fremd fuͤhlte, zuerſt in ihm aufgetaucht war: ei)

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Gedanke des Austritts. Ein Austritt aus dem einen und der Übergang in einen anderen Verein war nichts Außer⸗ gewöhnliches. Es kam alle Tage vor, daß Träger be: kannter Namen aus irgendwelchen, oft ganz geringfuͤgigen Urſachen ihren angeſtammten Klub verließen und in einen andern uͤbergingen, gewoͤhnlich eine Anzahl anderer Mitglieder mit ſich ziehend und nicht ſelten eine Spaltung herbeifuͤhrend, die die Gruͤndung eines neuen Vereins zur Folge hatte. Eine ganze Reihe der wie Pilze aus der Erde ſchießenden Klubs war auf dieſe Weiſe entſtanden und hatte das Eingehen anderer, aͤlterer, verurſacht. Ja, es geſchah, daß manche die Gruͤndung ſolcher neuen Ver⸗ eine geradezu als Sport betrachteten, und es war vor⸗ gekommen, daß Traͤger von Namen, die zu den allererſten in der Schwimmerwelt zaͤhlten, im Laufe weniger Jahre drei, vier Vereinen angehoͤrten und ſie ganz nach ihrem Belieben wechſelten.

Aber Felder konnte ſich doch noch nicht mit dem Ge danken eines Austritts vertraut machen. Es erſchien ihm noch immer als etwas Undenkbares, daß er den S.⸗K. B. 1879 verlaſſen ſollte, mit dem er verwachſen war mit jeder Faſer, dem er die gluͤcklichen Jahre ſeiner Entwicklung verdankte, und den er durch ſeine Siege wieder zum erſten und meiſtgenannten unter allen gemacht hatte.

Noch liebte er ihn und alles, was mit ihm zuſammen⸗ hing. Noch konnte er nicht von ihm laſſen .. Er wehrte ſich gegen feine Gedanken..

Aber dann kam ein Tag, der gewiſſermaßen die Ent⸗ ſcheidung über ihn hinwegnahm.

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Hamburg Geſchaͤfte hatte, ſchloß ſich ihm an, und Fel konnte es nicht hindern, daß waͤhrend der Fahrt die Re

wurde er ganz ſtill.

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* dort, er müfje krank fein; aber man ſah ihn ſchwimmen,

ER, Felder reiſte nach Hamburg, um zum zweiten m . die Elbmeiſterſchaft ſich zu eigen zu machen.

Ein älteres Mitglied, ein Kaufmann, der gerade in

auf die Vorgaͤnge und allen Klatſch und Tratſch der letzten Zeit kam. So erfuhr er die Außerung Nage bei Beratung ſeiner Meldung zum Springen: „daß i ihm eine Niederlage wünfche, eine gründliche Nieder⸗ lage ...“ Das Wort traf ihn wie ein Schlag. Er ließ es ſich zweimal wiederholen, ehe er es glaubte. Dann

Er ſprach kaum ein Wort mehr an dieſem Tage: nicht während der Fahrt, nicht während der Begrüßung in Hamburg, nicht während des Feſtes .. Man glaubte

mit einer ſolchen verbiſſenen Wut und Kraft, daß die bloße Vermutung laͤcherlich ſchien. Sofort nach ſeinem Siege und was für ein Sieg war es wieder! ging er allein zum Bahnhof, ohne ſich von einem Menſchen zu verabſchieden, und fuhr mit dem Schnellzug nach Berlin zurück. vr Er ging ſofort in das Reſtaurant des Klublok wo er gewiß war, ſeine Leute zu treffen. Er einige von ihnen beim Billard. Auch Nagel. Er u bis die Partie zu Ende war, ohne auf irgendwelche Fragen Antwort zu geben. 79 Dann gingen er und ſein alter Schwimmwatt das noch leere Klubzimmer, und hier, in dem 2 N der die Spuren jeder Etappe in Felders Laufbahn

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| | | |

irgendeinem Preisſtück, von dem einfachſten bis zu dem koſtbarſten, aufwies, hier erfolgte die Auseinanderſetzung zwiſchen den alten Freunden.

Felder war maßlos erregt; Nagel blieb ruhig wie

e immer. Und nichts reizte den anderen ſo ſehr, wie dieſe kuͤhle Ruhe.

Iſt es wahr, daß du mir eine Niederlage, eine

Niederlage gewuͤnſcht haſt? begann Felder, und die

Antwort, die er bekam, brachte ihn außer ſich:

Ich habe ſie dir nicht gewuͤnſcht; aber ich habe geſagt, eine gruͤndliche Niederlage ſei das einzige, was dich noch zur Beſinnung bringen koͤnne.

Er ſei alſo nicht bei Beem

Er ſei ſeit einem halben Jahre ſo voͤllig von Ehr⸗ geiz und Ruhmſucht verblendet, daß er jede Direktive verloren habe und nach dem Unmoͤglichen ſtrebe.

Und nun ſprach Nagel ruhig und lange, und wenn manches auch wahr war, was er ſagte, ſo war anderes doch auch einſeitig und unverſtaͤndig, und alles war hart und ſcharf und unfreundlich. Felder hoͤrte es bis zum letzten Worte.

Er moͤge ſich doch nicht einbilden, ſetzte Nagel aus⸗ einander, daß man die Wandlung in ſeinem Weſen nicht ſchon ſeit langem und mit immer groͤßerem Mißfallen

beobachtet habe. Daß er der Entwicklung in dem Aus⸗

bau des Klubs nie das noͤtige Intereſſe entgegengebracht habe, daruͤber war man ſich ja ſchon lange klar geweſen. Wann habe er ſich wohl jemals um die Entwicklung und den inneren Fortſchritt des Vereins gekuͤmmert?

Habe er z. B. jemals der Jugendabteilung in ihrer Aus⸗

Dann aber fei es mit feiner Entwicklung zu Ende, dann

bildung geholfen? Sei er auch nur ein einziges Mal einem der Jüngeren mit Rat und Hilfe zur Seite ger ſtanden? Sei er nicht immer nur mit Widerſtreben an die Beteiligung bei dem Waſſerpolo gegangen, und nur dann, wenn es unumgaͤnglich noͤtig geweſen war? Habe er nicht noch letzthin ſeine Beteiligung am Staffettenſchwimmen aus reinem Hochmut einfach ab⸗ gelehnt? Immer habe er nur an ſich gedacht, ſchon als kleiner Junge, immer nur an ſich, und alles andere ſei ihm ſchnuppe geweſen. Auch mit den Kaͤmpfen des Vereins um ſeine Exiſtenz innerhalb der Bewegung (damit meinte Nagel die Streitigkeiten mit anderen Vereinen) habe er ſich nie befaßt, ſondern ſei immer gleichguͤltig und mürrifch nebenher gegangen, und wenn er ſich in letzter Zeit beteiligt habe, ſo ſei es nur geſchehen, um feine Perſon auch hier in den Vordergrund zu drängen, Denn im Vordergrunde muͤſſe er jetzt natürlich uͤberall ſtehen. Nicht zufrieden mit ſeinen unvergleichlichen Er⸗ folgen in Deutſchland und im Auslande als Schwimmer, habe er dann endlich ſogar ſeine Haͤnde nach den Lor⸗ beeren anderer geſtreckt und fie an ſich zu reißen verſucht. Das ſei ihm nun zwar nicht gelungen, und daruber freue er ſich, er, Nagel, der ihn immer gewarnt habe, ſeinem 5 Ehrgeiz allzuſehr nachzugeben 4 Denn wohin könne ihn dieſer jetzt noch führen? Hoͤchſtens noch zur Spezialität, zum Berufsſchwimmer.

ſei er kein Sportsſchwimmer mehr, ſondern nur noch . eine Abnormitaͤt. Ein Profeſſional, der feine Kunſt für Geld zeige. Aber es fei nie der Zweck des Klubs ge:

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er

. weſen, dem anzugehören fie beide die Ehre hatten, ſolche

hors-concours-Größen heranzuzuͤchten; fein Ziel und ein⸗

N ziger Zweck ſei die gedeihliche Pflege des Schwimmſportes,

und nichts anderes

So redete Nagel, und er ſprach noch in ſeiner weit⸗ ſchweifigen und langſamen Art, als die anderen von ihrem Billard aus dem Nebenzimmer und immer mehr Mit⸗ glieder, aͤltere und juͤngere, hereinkamen, ſich um den Tiſch ſetzten und geſpannt zuhoͤrten.

Leider war Bruͤning nicht unter ihnen, Bruͤning, der einzige, der mit feiner Gemuͤtlichkeit, Erfahrung und ſeiner Lebenskenntnis, mit ſeiner Zuneigung fuͤr Felder und feiner allgemeinen Beliebtheit im Klub die Sache noch hätte ins rechte Geleiſe bringen koͤnnen. Er war nicht in Berlin, ſondern wieder einmal auf einer ſeiner ploͤtzlichen Reiſen.

Felder ſaß ſtumm und blaß da. Jedes der Worte Nagels ließ den Groll und die Bitterkeit in ſeinem Herzen hoͤher und hoͤher ſteigen. Das war ja alles falſch und unrecht, was er da vorbrachte, und jeden der Vorwuͤrfe wies er im Innern von ſich, ſowie er fiel. Er haͤtte ſich nicht um das Gedeihen des Klubs gekuͤmmert, er, der nur fuͤr ihn, nur in ihm all dieſe Jahre gelebt hatte? Zwar mit der Jugendabteilung hatte er ſich wenig befaßt, das war richtig; aber er verſtand nun einmal nicht, Anordnungen zu geben und zu lehren. Er war doch nicht der Schwimmwart. Aber war es nicht weit wichtiger geweſen, daß er ſelbſt in unermüdlichem Eifer ſich ausgebildet hatte? Wie haͤtte er es denn ſonſt zum erſten Schwimmer der Welt bringen können? Wie hätte er ſich dankbarer erweiſen koͤnnen, als dadurch,

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daß er alle Erfolge mit feinem Verein teilte und d Von bhalbvergeſſenen Namen wieder zu Ehren brachte? i

habe ſich früher nicht an den Debatten beteiligt? Auch das ſei wahr, aber dieſe kleinlichen Streitigkeiten ekelten ihn nun einmal an. Dafuͤr habe er geſchwommen, ge⸗ ſchwommen, ſiegreich geſchwommen! ... War das nicht mehr wert, als alle Worte? br

So wies er innerlich jeden der Vorwürfe, einen nach dem 4 anderen, zurüc, und nur auf den letzten: den des Ehrgeizes nach einem fremden Ziele, fand er nicht die richtige Antwort, ſo daß er, als Nagel endlich geendet und er blaß und verwirrt aufſtand, um zu antworten, faſt alles vergeſſen hatte, was er, der Schwerfaͤllige, dem Redegewandten ent⸗ gegnen wollte. |

Er brach los, aber was er vorbrachte, waren nur un⸗ zuſammenhaͤngende Worte und halbe Saͤtze. Er hatte nie verftanden, ſich auszudruͤcken und auch in dieſer Stunde, wo ſein Herz ſo voll war, gingen ſeine Augen nur unruhig von einem der bekannten Geſichter zum anderen, als ſuchten ſie bei ihnen Hilfe gegen dieſe un⸗ erhoͤrten Beleidigungen und Anklagen, bis fie auf der Statuette des Springers hafteten, die dicht vor ihm auf dem Tiſche ſtand und die er in ſeiner Erregung erſt jetzt ſah. Sie war heute gekommen, waͤhrend er nach Ham⸗ burg gefahren war. Der Bildhauer hatte ſeiner Dank⸗ barkeit und Erkenntlichkeit für Felder einen Ausdruck geben wollen, und da dieſer ſo oft und mit ſolcher Liebe von ſeinem Klub geſprochen, hatte er gedacht, ihm eine Freude zu machen, wenn er dieſem eine kleine Nachbildung ſeines inzwiſchen fo berühmt gewordenen Werkes für das Ver

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einszimmer ſtiftete ... Nun ſtand das wertvolle Geſchenk auf dem Tiſche vor Felder.

Als dieſer begriff, was es war, ſtockte er von neuem, und abermals wallte ein maͤchtiger Groll in ihm auf. Immer und immer wiederholte er ohne Zuſammenhang das Wort von der Niederlage, und faſt ſinnlos vor Zorn ſchrie er endlich, als er in keinem der Geſichter um ſich her auch nur eine Spur von Verſtaͤndnis fuͤr ſeine Ge⸗ fühle fand, über den ganzen Tiſch hinweg:

Ja, Niederlagen wuͤnſcht ihr mir, aber meine Preiſe nehmt ihr gern!

Das haͤtte er nicht ſagen duͤrfen, und er merkte es ſofort an der Stille, die dieſen Worten folgte. Dann unter⸗ brach fie eine ſcharfe, hoͤhniſche Stimme vom Tiſchende her, die eines alten Gegners:

Sogar von dem Meiſterſpringer

Vor Felders Augen wurde es dunkel. Er wußte nicht mehr, was er tat. Er griff nach der Statuette, zog fie ſo heftig zu ſich heran, daß ſofort ein Arm abbrach, faßte ſie und ſchleuderte ſie mit ſolcher Heftigkeit zu Boden, daß ſie in tauſend Splitter zerbrach.

1 Ohne fich umzuſehen, ging er hinaus. Niemand hielt ihn, niemand ging ihm nach.

Als er im Torwege des Hauſes an der Straße ſtand fühlte er plotzlich, daß feine Augen naß waren. Er ſah nichts mehr und fuhr mit dem Handruͤcken über fie hin. iz Dann merkte er, daß es Tränen waren. Er wunderte fich. Es war das erſte und einzige Mal in ſeinem Leben,

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Koepke zugleich mit ihm austrat, war ebenſo ſelbſtver⸗

Mitglieder zuſammen, ein Wort gab das andere,

9.

Koepke mußte den Brief aufſetzen, in dem Felder ſeinen Austritt anmeldete. Kein Entwurf genuͤgte dem im Innerſten Gekraͤnkten. Sogar der übliche „Schwimmer⸗ gruß“ am Ende mußte fortbleiben und wurde durch das ſteife „Hochachtend“ erſetzt. Endlich entſchied er ſich für die kürzeſte Faſſung. Trotzdem dauerten Vorbereitungen und Ausführung der Abſchrift faſt eine Stunde. Daß

ſtaͤndlich, wie nebenſaͤchlich. 3 Es war kaum bekannt geworden, daß Felder den S.⸗K. B. 1879 verlaſſen wollte, als ſich bereits mehrere der erſten Berliner Schwimmvereine um ſeine Mitglied⸗ ſchaft bewarben. Alle waͤren ſtolz darauf geweſen, d Meiſterſchwimmer ihr eigen zu nennen. Aber Felder hatte bereits entſchieden, und es war mehr ein Zufal als Abſicht, der ihn den Klub „Hecht“ waͤhlen ließ. E traf eines Abends mit mehreren der ihm gut bekannten

Felder war ſein Mitglied, ehe er ſich deſſen verſah. Es war kein beſonders hervorragender, aber geachteter und ſtrebſamer Verein, der ſich natürlich mit dem „S.⸗K. B. 1879% in keiner Beziehung meſſen konnte, aber doch auch nicht zu jenen kleinen Klubs gehoͤrte, die lediglich aus

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3 27

Vereinsſimpelei entftanden waren und das Schwimmen nur ſo nebenbei betrieben. Er ſetzte ſich in ſeiner Herren⸗ abteilung meiſt aus kleinen Gewerbetreibenden und Be amten, in ſeinen juͤngeren Leuten aus deren Angehoͤrigen und Bekannten zuſammen und bildete gewiſſermaßen eine große Familie.

Fuͤr Felder war die Art und Weiſe entſcheidend, mit der man ihm entgegenkam. Man betrachtete ſeinen Ein⸗ tritt als hohe Ehre und nahm die Gelegenheit ſofort wahr, den Tag als Feſt zu feiern, wie man uͤberhaupt in geſelligen Zuſammenkuͤnften groß war.

Felder gebot von der erſten Stunde an unumſchraͤnkt in allem, was er wollte und wuͤnſchte. Das war nun zwar niemals mehr, als Beteiligung an jeder irgendwie bedeutſamen Schwimmkonkurrenz. Denn jetzt, wo er ſich endguͤltig auf dieſes, ſein Gebiet, beſchraͤnkte, war ſeine Eiferſucht, unumſchraͤnkt auf ihm zu herrſchen, größer als je. Keiner widerſprach feinen Wünfchen. Dafür ers wartete man Wunderdinge von ihm, als Geringſtes einen ganz neuen Aufſchwung des Klubs.

Der Anfang war vielverheißend. Man leerte die Kaſſe willig, um Felder auf moͤglichſt viele auswaͤrtige Feſte ſenden zu konnen, und freute ſich kindlich an den ers oberten Preiſen, mit denen man das noch recht kahle Klubzimmer ſchmuͤckte. So ſiegte er im Laufe der Sommer⸗ monate nacheinander: im Schwimmen um die „Havel⸗ meiſterſchaft“, bei dem neben ihm nur noch einer ſtartete; in Magdeburg im Schwimmen um die „Elbmeiſterſchaft“, die er nun ſchon zweimal ſein nannte; in dem großen „Müggelſeeſchwimmen“, einem heißen Kampfe; in Hans

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nover, wo er allein an den Start ging, und daneben in mehreren lokalen Veranſtaltungen der Berliner Klubs.

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Er unterlag eigentlich nur ein einziges Mal, als er auf dem Gaſtſchwimmen des „Triton“ ſich von dem Favorit dieſes Klubs im Bruſtſchwimmen zu deſſen eigenem Er⸗ ſtaunen ſchlagen ließ. 5

Aber die Kämpfe dieſes Jahres ftanden unter keinem 7 günftigen Zeichen und nicht auf der Höhe derer der Vorjahre.

Die Europameiſterſchaft wurde nicht in England aus⸗ gefochten, ſondern in Wien. Als Felder im Auguſt dort hinreiſte, fand er weder von England, noch von Italien Konkurrenten vor. England hatte, wie gewoͤhnlich, keine entſandt, und der italieniſche Meiſter, mit dem er nun ſchon zweimal ſo erfolgreich gerungen und der Stein und Bein geſchworen, ihn beim dritten Male unterzukriegen, war nicht erſchienen. Er ſei krank, hieß es ... Deutſch⸗ land hatte uberhaupt keinen geſchickt außer ihm. Es konnte nichts Beſſeres tun. Aber die Freude an der diesjährigen Europameiſterſchaft war Felder getruͤbt. Er waͤre nur zufrieden geweſen, wenn er ſie gegen die erſten Meiſter der Welt auch diesmal haͤtte verteidigen koͤnnen, vor allem gegen jenen auſtraliſchen Schwimmer, von deſſen phaͤnomenalen Leiſtungen die internationalen Sportsblätter fo viel ſprachen, deſſen Rekord über die 1000 Meter⸗Strecke den feinen um zwei Minuten Übers traf und deſſen Portraͤt deshalb in der letzten Nummer des „Sport im Bilde“ neben das ſeine geſtellt war. Aber der war nicht gekommen und auch nicht erwartet worden ... Er meſſe ſich nur in Auſtralien und Eng: land, hieß es.

29

Als Sieger kehrte er zuruͤck, mit Jubel empfangen. Als Sieger ging er auch aus dem diesjährigen großen Verbandsſchwimmen in Charlottenburg hervor, wo er einen doppelten Triumph davontrug. Denn hier fuͤhrte er zum erſten Male die neuen ſchwarz⸗gelben Farben gegen die blau⸗weißen ins Feld. Der S.⸗K. B. 1879 wagte es und hatte zum Schwimmen uͤber dreihundert Meter wie früher ihn ein Mitglied gemeldet. Felder lachte, als er es hoͤrte. Gegen ihn! Man wollte ihn erſetzen? Man ſollte ſich taͤuſchen. Er wollte ihnen zeigen, was ſie an ihm verloren hatten. Und es machte ihm ein grauſames Vergnuͤgen, den fruͤheren Klubgenoſſen, mit dem er ſo manches Mal zuſammen im Spiel ge⸗ übt hatte, noch neben ſich liegen zu laſſen, als die an⸗ deren drei Konkurrenten ſchon laͤngſt hinter ihnen ges blieben waren, ihm zu erlauben, bis auf Körperlänge ans Ziel zu kommen, ſchon die Rufe zu hören, die früher ihm gegolten, und ihn dann unter dem toſen⸗ den Beifall der Schwarz⸗Gelben und aller Zuſchauer um dieſe eine Körperlänge zu ſchlagen, indem er mit ſeinem gefuͤrchteten und beruͤhmten Anſchlag ans Ziel ging

An dieſem Abend, als er neben dieſem 300 Meter: Siege auch noch den neu geſtifteten „Kaiſerpreis“ für den „Hecht“ erwarb und ſeine neuen Genoſſen nicht genug tun konnten, ihm ihre Freude und Dankbarkeit zu be⸗ weiſen, waͤhrend der S.⸗K. B. 1879 in corpore das Lokal der Preisverteilung verließ, genoß er ganz das Ge⸗ fühl der Genugtuung geſaͤttigter Rache.

Aber in naͤchſter Zeit, in den langen Tagen und

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Wochen zwiſchen den großen Feſten, ſonſt ſtets ſo aus⸗ gefuͤllt durch ruhige Arbeit und frohen Verkehr mit lieben Freunden, fuͤhlte er mehr als je, was er in dieſem Sommer verloren. Keinen der beiden Schlaͤge die

erſten, die er in ſeinem Leben empfangen, vermochte

er zu verwinden: weder die Niederlage im Springen, noch den Verluſt ſeines Klubs. Der eine hatte ihn noch trotziger und eiferſuͤchtiger gemacht, obwohl fie ihn tieß verletzt; aber an dem anderen litt er. Es war eine Wunde, die ſich nicht ſchließen wollte.

Denn unter feinen neuen Genoſſen fühlte er ſich fremd. Wie als Knabe ſchon, war er auch jetzt noch nicht imſtande, ſich ſchnell an neue Menſchen anzu⸗ ſchließen und im Verkehr ſich leicht zu geben. Das wurde natürlich auf der anderen Seite ebenfalls empfunden und manche Verſuche vertraulicher Annaͤherung * von ſelbſt auf. :

Felder war nicht mehr zufrieden und glücklich. ſtanden ſeine Siege ganz auf der Hoͤhe derer vom * jahre. Er ſchwamm noch ebenſo tadellos, ſein Stil war unanfechtbar, wie ſeine Siege, aber ſie machten nicht mehr dasſelbe Aufſehen wie bisher. Man hatte ſich an ſie gewohnt und erwartete nichts anderes von ihm. Er

ſelbſt legte ihnen nicht den Wert mehr bei, wie fruher.

Manche ſagten, eine gewiſſe Gier und Rückſichtsloſigkeit habe ſich ſeiner bemaͤchtigt, die ihm fruͤher nicht eigen geweſen fei. ö Vielleicht taͤuſchten ſie ſich, weil er nicht mehr ſo ruhig war, wie fonft, nicht mehr mit derſelben frohen Unbes⸗ fümmertheit und Heiterkeit an den Start ging. Aber

231

in einem hatten ſie recht: Felder war wirklich ein anderer geworden. f Er war nicht mehr zufrieden, nicht mehr gluͤcklich. Außerdem beſchlich ihn jetzt zuweilen ein ganz neues Gefuͤhl, das er nie vorher gekannt hatte: er fühlte ſich einſam.

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er h 8 * I m’ *

10.

Es war nichts Beſonderes, daß ſich im Briefkaſten des Klubs Sendungen für Felder befanden. Gluͤckwuͤnſche, Einladungen zur Beteiligung an Schwimmfeſten, Anliegen aller Art, um Photographien, Lebenslauf und Autograph

kamen alle Woche, und es war nicht das erſte Mal, daß

ſich unter all dieſen geſchaͤftlichen Dingen, die ſaͤmtlich von Koepke mit rührender Sorgfalt und komiſcher Wich tigtuerei erledigt wurden, fo daß Felder nur feinen Nas men unter die Antworten zu ſetzen brauchte es war nicht das erſte Mal, daß ſich unter den Eingaͤngen Schreiben von zarter Hand befanden, auf die der Emp⸗ faͤnger zwar nie reagierte und die er meiſtens dem Ge⸗ lächter feiner Freunde preisgab, Briefe, die ihn aber doch dazu veranlaßt hatten, ſeine Korreſpondenz erſt ſelbſt durchzuſehen, ehe er fie feinem getreuen Sekretaͤr aus⸗

lieferte.

geſſenen Duft und ſchob ihn haſtig in die Taſche. So⸗

bald er allein war, oͤffnete er ihn. Erſt ſchien er ihm in einer fremden Sprache geſchrieben zu ſein, ſo fremd und ſeltſam kamen ihm die ſchlanken, eckigen Buchſtaben \

Eines Abends wurde ihm nur ein Brief gegeben, und kaum hatte ihn Felder in der Hand, als er wußte, von wem er kam. Er fpürte einen ſchwachen, unver⸗

1

27 233

vor. Dann entzifferte er ihn nach und nach. Keine An⸗ rede, keine Unterſchrift. Was er las, waren nur dieſe Zeilen: 5

„— Ich bitte Sie, mich zu beſuchen. Ich weiß, Sie werden kommen. Jeden Freitag abend um 8 Uhr wird man fie an der Ecke der Charlotten-⸗ und Taubenſtraße, der ſuͤdweſtlichen Ecke des Gendarmenmarkt, dort, wo die Litfaßſaͤule ſteht, erwarten, um Sie zu mir zu führen. Ich weiß, Sie werden kommen!...“

Felder war ganz verbluͤfft. Er nahm das Kuvert in die Hand: der Brief war an ihn. Er trug die Adreſſe des S.⸗K. B. 1879 und war durch deſſen Schriftfuͤhrer, wie ſchon ſo mancher andere, einfach an den „Hecht“ weitergeſandt worden. Es war kein Zweifel moͤglich.

Und plotzlich, während er noch das Papier in der Hand hielt und nicht wußte, was er denken ſollte, ſtieg von ihm wieder der ſtarke, ſeltſame Duft eines beſtimmten Parfums auf und mit ihm die hohe, ſchlanke Geſtalt in grauer Seide mit dem kuͤhnen und feſten Blick.

Das war ſie, die ihn damals im Café ſo unverwandt angeblickt, die er in der Kunſtausſtellung zum zweiten und an dem Nachmittag desſelben Tages er biß die Zaͤhne zuſammen, wenn er an dieſen Tag dachte zum dritten Male geſehen hatte, und dann nie wieder.

Sie mußte es ſein, die dies ſchrieb. Es konnte nie⸗ mand anders ſein. Dieſer Brief war von ihr.

Aber was fiel dieſer Perſon denn ein? Das war ja der reine Wahnſinn, einem ſo zu ſchreiben: ohne Anrede, ohne Namen und in dieſem Ton! Aber ſie irrte ſich,

11.

So ging auch dieſer Sommer zu Ende, und Franz Felder war faſt froh daruͤber. Viele neue Ehren hatte

er ihm gebracht, keine neuen, keine reinen Freuden mehr. 8 hr Alles war anders geworden gegen den vorigen. En

kurzes Jahr, und welche Veraͤnderungen!

Getrennt von ſeinen alten Freunden, fremd und un⸗ heimiſch unter den neuen; nicht mehr dumpf in den engen Bezirk eines abgeſchloſſenen Lebens gebannt, ſondern beunruhigt durch Einblicke in die Lebensführung anderer Kreiſe, erworben auf weiten und abwechflungsreichen Reiſen beim Streifen weiterer Fernen; neben unerhoͤrten, nicht endenwollenden Siegen eine laͤcherliche, zweckloſe, einzig ſelbſtverſchuldete Niederlage hatte er Gefühle von Bitterkeit, Groll und wiederum geſaͤttigter Rache kennen gelernt, die der ſchlichten, frohen Unbekuͤmmert⸗ heit ſeiner Jugend bisher voͤllig fremd geweſen waren.

Er hatte die hoͤchſte Höhe erreicht. Keine bewundernden Ai

Augen folgten feinem Aufſtieg mehr.

Er ftand oben, ganz allein, wie er es gewollt, Nun ging es in ſchwindelnder Höhe von Grat zu Grat, und wer ihm nachſah bei feiner haſtigen Wanderung von Sieg zu Sieg, ohne Ausruhen, ohne Freude mehr, der konnte fich eines bangen Gefühles für ihn nicht erwehren.

*

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Eines Tages würde er fallen in den Abgrund der

Vergeſſenheit.

Felder ſelbſt wußte es. Aber wie der tollkuͤhne Wage⸗ hals, der in atemloſer Haſt von Gipfel zu Gipfel eilt und keinen Blick ruͤckwaͤrts mehr in die Tiefe zu tun wagt, weil er fuͤrchtet, der Schwindel koͤnne ihn er⸗ greifen und niederreißen, ſo wollte auch er nicht mehr daran denken, woher er gekommen war, und nicht wiſſen, wohin er ging. 5

Statt in ruhiger Wahl ſich die ſchoͤnſten der Fruͤchte von dem Baume zu pflücken und fie zu genießen, ruͤttelte er in unerſaͤttlicher Begierde an ihm und ließ fie zur Erde fallen, ohne ſich kaum noch die Muͤhe zu geben, ſie zu zaͤhlen.

Die ſtille Wut des Gehetzten überfiel ihn zuweilen, von dem man das Unmoͤgliche verlangt und der doch über feine eigene Kraft nicht hinaus kann.

Und doch war er es ganz allein, der ſich unaufhoͤr⸗ lich antrieb mit den quälenden Zurufen feines Innern: „Weiter! weiter! Immer weiter! Nur kein Stillſtehen! 1

Er ſchwamm nicht mehr, wie bisher.

Er hatte keine Achtung mehr vor ſeiner eigenen Kunſt, weil ſie ihm nicht mehr die hoͤchſte Freude war. a

Wie er angefangen, in ſeinen Gegnern ſeine Feinde

zu ſehen, fo ſah er einen Feind jetzt auch in feinem

Waſſer. Nie tummelte er ſich mehr in ihm, wie als Knabe im kindlichen Spiel; nie rang er mehr mit ihm, um die

371 Kraft des Juͤnglings in ehrenvollem Kampfe mit dem Gegner zu meſſen.

Das Waſſer war ſein Feind geworden. Er kaͤmpfte mit ihm auf Tod und Leben um ſein Leben!

Und er behandelte es, wie einen Feind. Er gruͤßte es nicht mehr mit frohem, leuchtendem Blick, wenn er ſeine glitzernde Flaͤche ſah. Er koſte es nicht mehr mit warmer Hand und hielt keine vertrauliche, heimliche Zwie⸗ ſprache mehr mit ihm.

Haſtig kam er, griff beim Sprunge mit den Haͤnden in die Flut, als wolle er fie würgend bei der Gurgel packen, ſchlug und mißhandelte ſie, wenn ſie ihn nicht ſchnell genug zum Ziele trug, und das Waſſer ſchien es zu fuͤhlen.

Er bildete ſich ein, es ſetze ihm ſeit einiger Zeit einen geheimen und trotzigen Widerſtand entgegen, als truͤge es ihn nicht mehr ſo leicht wie bisher zu ſeinen Zielen, und raſend vor Wut mißhandelte er es mit den Faͤuſten, um es ſeinem Willen gefuͤgig zu machen.

Und das Waſſer murrte und grollte und ſchrie unter dieſen ungewohnten grauſamen und rohen Schlaͤgen, und baͤumte ſich auf, und ließ ihn doch immer noch ge⸗ waͤhren, weil es ihn vor Allen ſo lange geliebt hatte und immer noch liebte.

Aber Felder hoͤrte die heimliche Warnung der ver⸗ trauten Stimme ſchon nicht mehr.

Vierter Teil

Er war nicht mehr zufrieden und nicht mehr glücklich. | Es ſchien ihm, als habe fein Leben keinen Inhalt mehr. Was feine Freude geweſen war, war es nicht mehr. And ſtaͤrker und ſtaͤrker wurde das Gefühl der Ein⸗ ſamkeit in ihm. Er hatte zwar jetzt jeden Abend etwas vor, ging hierhin in ein Varietétheater, und dorthin zum Bier, aber wiewohl er in Geſellſchaft war, fuͤhlte er ſich doch allein. Eines Tages erhielt er einen zweiten Brief, auf dem: ſelben ſtarken, rauhen Papier mit dem unbeſchnittenen 8 „— Vergeſſen Sie nicht: jeden Freitag Abend um 18 * erwartet man Sie an der Ecke der Tauben⸗ und Charlottenſtraße, dort, wo die Litfaßſaͤule ſteht, denn ich weiß, Sie werden kommen. Einmal werden Sie kommen

E ganz ſicher! ...“

} Wieder knitterte er ihn zuſammen, und wieder faltete er ihn auseinander, um ihn abermals zu leſen. Die

Geſchichte wurde ihm unheimlich. Der beſtimmte, uͤber⸗

legene Ton des Briefes ließ diesmal kein Lachen in ihm

aufkommen. Wenn er noch feine alten Freunde gehabt

Hätte, würde er einem von ihnen, z. B. Brüning, den om 16

beſchaͤftigen. Dieſe geheimnisvollen Briefe woher hatte

und ſchamlos vor. Er wußte ganz gut, was ſie von ihm

= EEE?

Brief gezeigt haben. Unter feinen neuen war e dem er ſich anvertrauen mochte. N Er dachte zuweilen an die erſte Begegnung im Cafe und die beiden ihr folgenden. Manchmal, wenn er eine ſchoͤne Frau oder ein huͤbſches Maͤdchen ſah, kam ihm die Fremde ins Gedaͤchtnis, und immer fiel der Ver⸗ gleich zu ihren Gunſten aus. Immer dachte er auch daran, daß ſie an jenem Nachmittag ſeinem Unterliegen beigewohnt weshalb war ſie damals gekommen, wenn nicht ſeinetwegen? Wußte fie, wer er war? und was mußte ſie nun von ihm denken?

Das Raͤtſelhafte der ganzen Sache begann ihn zu

ſie ſeinen Namen erfahren, und den des Klubs? Sie mußte ihn an jenem erſten Abend im Cafe gehört haben, anders war es überhaupt nicht moͤglich.

Und dieſes Rendezvous? Ecke Tauben⸗ und Char⸗ lottenſtraße. Das war am Schauſpielhauſe. Auf dem Gendarmenmarkte. Wer erwartete ihn dort? Und wat wollte ſie von ihm? Was konnte ſie von ihm wollen Nur eines! |

Nie wäre er hingegangen, wenn er ſich nicht fo * ſam gefühlt hätte, wenn fie ihn nicht an jenem 2 a mittage geſehen und wenn ſie nicht ſo ſchoͤn geweſen waͤre!

Denn ſie war ſo ſchoͤn, daß er ſie nie vergeſſen hatte. Als er dieſen zweiten Brief bekam, fühlte er es; und er zerriß ihn nicht, ſondern ſteckte ihn zu ſich.

Dann wieder kamen ihm dieſe Aufforderungen dumm

243 wollte. Er war kein kleiner Junge mehr, und zudem war er ein Berliner. Mit ihm „ſich amuͤſieren“ das wollte fie! ...

Schließlich, nachdem er den erſten Freitag und den zweiten hatte verſtreichen laſſen, beſchloß er, an einem naͤchſten einmal an der bezeichneten Ecke vorbei zu gehen. Er wollte doch einmal nachſehen, wer denn dort auf ihn wartete. Wahrſcheinlich niemand. ... Sie hatte es jetzt wohl aufgegeben, nachdem ſie einmal geſehen, daß „mit ihm nichts zu machen war“.

Um ſieben Uhr kam er von der Arbeit. Um acht war er an der Ecke. Er hatte recht: es war niemand da, um ihn zu „erwarten“. Er war doch ein rechter Eſel. Da, ſchon wandte er ſich zum Gehen, ſtand wie aus der Erde gewachſen dicht neben ihm eine alte, kleine Frau, in einen weiten Mantel gehuͤllt und den Kopf halb unter einer großen Kapuze verborgen, ſo daß Felder nur die ſcharfe Naſe und die dunklen, funkelnden Augen ſah, und ſagte mit einem fremden Akzent haſtig und beſtimmt: „Bitte mir nur zu folgen! Nicht weit ...“

Wo war ſie ſo ploͤtzlich hergekommen? Hatte ſie hinter der Saͤule geſtanden? Oder war ſie aus einer der wartenden Droſchken geſtiegen? Felder hat es nie erfahren. Aber er folgte ihr faſt willenlos, ſo uͤberraſcht war er.

Die Alte ging ſchnell vor ihm her. Noch überlegte er, ob er nicht umkehren ſollte, als ſie bereits vor einem Haufe halt machte und die Tür oͤffnete. Er hatte nur Zeit, zu fragen: „Wohin fuͤhren Sie mich denn eigent⸗ lich?“ Aber die Alte verſtand ſeine Frage offenbar gar

nicht. Sowie er die erſten Worte ſprach, unterbrach ſie 16*

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nur zu folgen! Gar nicht weit! Schon hier!“

Umgebung einer verwöhnten Frau.

8

ihn und ſagte wieder nur (und es war wie eine eingelernte Redensart) ſchnell und in hartem Deutſch: „Bitte mir

Nochmals, als ſie dann die Treppen hinaufſtiegen und er immer weiter, wie gebannt, folgte, wollte er fragen und ſich wehren, aber wieder wurde eine Tür geoͤffnet, aus dem Entree ſtroͤmte es ihm hell und warm entgegen, und die Alte wiederholte, indem ſie ihn durch Gebaͤrden aufforderte, ſeinen Überzieher abzulegen und ihm dabei behilflich war: „Schon hier! Schon hier!“

Im naͤchſten Augenblicke ſtand Franz Felder in einem hohen, daͤmmerigen Gemach: ſchwere Teppiche auf dem Boden, ſchwere Portieren über den Türen und Fenſtern, ſchwere Fauteuils und Ruheſtaͤtten, aber ſonſt alles klein und leicht, die tauſend verſchiedenen Luxusdinge aus der

In der Mitte des Zimmers ſtand ſie ſelbſt, in n dünnen faſt durchſichtigen Gewande ihn erwartend. Als ſie ihn ſah, ging ſie langſam auf ihn zu, bis ſie dicht vor ihm ſtand. Sie waren allein. Sie ſah ihn an, aber ganz anders, wie ſonſt: mit einem unbeſchreiblichen Laͤcheln. Sie legte ihre Arme um ſeinen Nacken und ihr Koͤrper preßte ſich dicht an den ſeinen.

Dann küßte fie ihn, und es war wie ein Aufatmen, als fie dann das erſte Wort ſagte: „Endlich! ...“ |

Er ſtand ganz ſtill. Er wußte nicht, was er tun ſollte. Aber das Blut ſtieg ihm zu Kopf: wie ſchoͤn ſie war! Und der Duft, der fremde, ſeltſame Duft, der von ihr ausging, dieſer Duft, den er kannte, deen ihn und brachte ihn um ſeine letzten Sinne.

1 Er

Noch wollte er nicht. Aber er mußte. Wie ſchoͤn fie war! .... Er wußte ſchon nicht mehr, wo er war und was er tat.

Sie ſah es. Sie empfand es.

Und da regte ſich in ihr, die dieſen Augenblick ſeit Monaten mit verhaltener Gier erſehnt, und ihm, der ſich vor ihm, ohne es ſich klar zu machen, gefuͤrchtet hatte, die Luſt ihn zu verlaͤngern, und Auge in Auge, mit heißem Atem und gluͤhenden Haͤnden, maßen ſie ihre Staͤrke aneinander dieſe ſchoͤnen Menſchen, beide in der u: einer in ſtetiger Ausdauer geuͤbten Kraft.

Aber in ihm erwachte der Mann. Und da er der Staͤrkere war, nahm er ſie, wie ſie es wollte und gewollt hatte ſeit der Stunde, in der ſie ihn zum erſten Male geſehen und fuͤr ſich begehrt.

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*

2.

Sie wurde ſein Leben von da an. 7 Sie wurde es fo ſehr, daß er über ihr ſogar fein Liebſtes vergaß. Er hätte es bisher für eine Unmoͤglich⸗ keit gehalten, mehr als zwei Tage vergehen zu laſſen, ohne im Waſſer zu ſein. Ganz ſelten war einmal einer gegangen, ohne daß er ſich in fein Element geftürgt hätte, und zwei wohl nie, ſolange er denken konnte. Nun geſchah es, daß drei oder vier vergingen, ſelbſt ohne daß es ihm in den Sinn kam, zu ſchwimmen. Er dachte nur noch an ſie: an ihren Mund, an ihre Augen, an jede Einzelheit ihres Körpers, der fein geworden war und es jeden Tag von neuem wurde. 2 Es war ein ſeltſames Verhältnis. Als er eine Woche faft jeden Abend bei ihr geweſen war, wußte er noch nicht einmal ihren Namen; als er fie vier Wochen kannte, wußte er nicht viel mehr, als daß fie Georgette hieß,. Vielleicht nannte ſie ſich auch nur ſo. 7 Erſt wollte er alles wiſſen. Er wollte ſchon dahinter kommen. Aber er gelangte ſelten dahin, eine Frage zu tun; und dann hatte ſie eine ſo eigentuͤmliche Art, a Fragen, die ihr nicht paßten, zu erwidern, ohne fie zu beantworten. Nie erfuhr er das, was er eigentlich wiſſen wollte. Und wenn ſie nicht mehr ausweichen konnte,

247

dann konnte ſie ſo leiſe bei ſeiner Frage lachen, als ſei dieſe Frage nur ein guter Witz von ihm. Es kam nie zwiſchen ihnen zu einem Geſpraͤch. Er ſo ſchwerfaͤllig, ſo unerfahren und ſelbſt ſo ſchweigſam, war unfaͤhig, ein ſolches in Gang zu bringen; und ſie entweder hatte ſie nur die kurzen, abgeriſſenen Worte der Leidenſchaft, oder fie lag ihm gegenüber, rauchend und ihn unverwandt anblickend, bis ſie aufſprang, die Zigarette fortwarf und ſich von neuem an ihn ſchmiegte.

Etwas Fremdes haftete allem an, was ſie tat und ſagte. Ihre Sprache war kein reines Deutſch, ſondern ein Gemiſch von Ausdrucken, die fie auf ihren Fahrten durch aller Herren Laͤnder aufgeleſen. Denn ſie kannte alles, war uberall geweſen, hatte alles geſehen und wenn dem jungen Manne hier und da einer der vielen fremden Gegenſtaͤnde, mit denen ihre Zimmer überladen waren, in die Augen fiel und er ſie nach ſeinem Urſprung fragte, dann geſchah es auch wohl, daß ſie eine Art von Geſchichte daran knuͤpfte: aber nie zuſammenhaͤngend, nie ſo, daß ſie ein Stuͤck ihres Lebens wurde.

Und fo war und blieb fie: immer ſchlagfertig, immer bereit und im Grunde nie direkt ausweichend, aber doch nie und nichts wirklich gebend ... nichts, außer ſich ſelbſt .

Sie ſelbſt fragte ihn nie nach irgend etwas. Aber

5 fie unterbrach ihn auch nie und ſchien ſogar intereſſe⸗

voll zuzuhbren, wenn es einmal geſchah, daß er fein Schweigen brach und von ſich und ſeinen Erfolgen an⸗ fing zu erzaͤhlen. Lange hatte es ſchwer auf ihm ges legen, daß ſie ihn gerade an jenem Ungluͤckstage geſehen,

an dem er feinen erſten und letzten Verſuch in der fremden

Kunſt machte, und er * ihr weitfchweifig zu erklaͤren, wie alles gekommen war ... Sie begriff indeſſen durchaus nicht die Wichtigkeit, die er der Sache beilegte. Genuͤgte es nicht, daß er unbeſtrittener Sieger im Schwimmen war? Kam ihm da einer gleich? Was wollte er denn noch mehr? Im Grunde ſagte ſie ihm das⸗ ſelbe, was ſeine Freunde ihm auch geſagt hatten. Ihr war er recht ſo. Er war ja ſo ſchoͤn, ſo jung und ſo ſtark ah, fo ſtark! N

Aber ſie verſprach ihm, dem naͤchſten großen Schwimmen beizuwohnen, „wenn es ihr möglich fein wurde“, wie fie hinzufuͤgte.

Allmaͤhlich gab er es auf, zu fragen, als er ſah, daß er ihr durch keine Antwort naͤher kam. Er beruhigte ſich bei dem Bilde, das er ſich machte: |

eine reiche Ausländerin, die in Berlin lebte, nach⸗

dem fie fruͤh Wittwe und völlig unabhängig geworden

war (etwas derart hatte ſie einmal geaͤußert); die wohl Bekannte und Freunde hier hatte (natürlich nur Freunde in gutem Sinne, wie z. B. den alten Herrn, mit dem Felder ſie zuſammen geſehen); die ſich in ihn verliebt hatte und ihn liebte (das hatte ſie ihm in der erſten Stunde in neun verſchiedenen Sprachen geſagt, und ſagte es ihm täglich hundertmal in einem Gemiſch von dreien).

Es war nicht viel, was er von ihr wußte, und er fühlte, daß es nicht das richtige Bild war, das er vor ſich ſah. Aber was wollte er machen, da es ſich ihm nun einmal nicht klarer, als in dieſen ſchatdenhaſten Umriſſen zeigte? 1

1

Und er liebte ſi e!

Er liebte ſie, wie er ſeinen Ruhm lebte; er Sen das Gluͤcksgefuͤhl, die beide ihm gaben, nicht mehr ent⸗ behren. Sie hatte ihn gewonnen, weil es ſeinem Ehr⸗ geiz ſchmeichelte, von einer ſo ſchoͤnen und eleganten Frau begehrt zu werden, und weil ihr Wille der ſtaͤrkere geweſen war; und ſie hielt ihn feſt, indem ſie ſeine er⸗ regte Sinnlichkeit mit allen Kuͤnſten ihrer Erfahrung immer und immer wieder aufs neue anſtachelte.

Er war in der erſten Zeit faſt alle Abende bei ihr. Dann mindeſtens drei-, viermal in der Woche. Nie durfte er ihre Wohnung ungerufen betreten. Immer, wenn er von der Arbeit kam, hatte er zuerſt auf dem Poſtamte in der Naͤhe nachzufragen: zuweilen war ein Brief da, der die Verabredung dieſes Abends auf den naͤchſten oder uͤbernaͤchſten verſchob; jedesmal aber mußte er an der Ecke der Straße erſt nach der Alten ſehen, be⸗ vor er zu ihr kam: war ſie da, ſo huſchte ſie ſchweigend vor ihm her, und er folgte ihr die Straße hinunter und die in ewiger Daͤmmerung liegenden, teppichbelegten Stufen der Treppen hinauf bis in das hohe, ſchwuͤle Gemach. Ofter und oͤfter jedoch kam es vor, daß er noch in dieſer letzten Minute durch ein haſtig ihm in die Hand ges ſchobenes Billett gebeten wurde, heute „nicht zu kommen“, da das bekannte „unvorhergeſehene Ereignis“ eine Zus ſammenkunft für dieſen Abend unmöglich machte.

So wurde er in einer beſtaͤndigen Aufregung erhalten, ob er ſie ſehen wuͤrde oder nicht. Nach einer ſo ploͤtz⸗ lichen und ihn immer tief verſtimmenden Abſage lag der Abend zweck⸗ und inhaltslos vor ihm; und traf ſie nicht

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2

BERATEN

EN ſah er fie wirklich wieder, fo war ein Teil feiner Freude ſchon durch die Unruhe der Unbeſtimmtheit zerſtöͤrt, in der er den Tag bis zum Abend verbracht.

So gewoͤhnte er ſich mehr und mehr daran, die leeren Abende durch Vergnuͤgungen auszufüllen, an die er bisher ſchon ihrer Koſtſpieligkeit wegen nur ſelten gedacht hatte. Er ging in den Wintergarten, an Orte, wo Laune und Leben herrſchten, nur um nicht allein zu ſein, trank in Cafés und Lokalen, die er bisher nie betreten, hier einen Kognak, dort ein Glas Bier, kam ſpaͤter nach Hauſe,

als er wollte, und tat feine Arbeit am naͤchſten Tage

widerwillig und in der ewig geſpannten Erwartung, ob ihm der Abend eine neue Enttaͤuſchung oder ſeinen Sinnen wieder die erſehnte Erfüllung und Beruhigung bringen

würde. Er fühlte ſich nicht mehr einſam, aber unruhig,

und konnte den Abend nicht mehr erwarten waͤhrend eines Tages, der ihm zu lang wurde

Der Reſt der von England mitgebrachten Summe wurde oͤfter und oͤfter in Anſpruch genommen und ſchmolz immer mehr zuſammen, denn ſein Verdienſt reichte natürlich nicht entfernt aus, um die erhöhten Anfprüche des jetzigen Lebens zu befriedigen. Felder gab fuͤr ſeinen Schneider jetzt in einem Monat mehr aus, als ſonſt in einem Jahre, und doch wurde er nie das Gefühl los,

nicht gut genug gekleidet zu ſein, wenn er zu ihr ging, obwohl er dort niemals einen anderen Menſchen außer

ihr ſah und fie nie ein Wort uber fein Ausſehen verlor. Er achtete auch ſchon nicht mehr darauf, wieviel er der Sparkaſſe entnahm. Er brauchte ja nur nochmals nach England zu gehen, um einen neuen Fond heimzubringen.

251

überhaupt war es ein Skandal, daß er noch auf ſeine Arbeit angewieſen ſein mußte, waͤhrend die Meiſter der anderen Sports die Radler z. B. laͤngſt herrlich und in Freuden von den Einkuͤnften ihrer Siege lebten. Nur in ſeiner Schwimmſache gab es das nicht

Ganz langſam und allmaͤhlich begann er, ſeine Kunſt auch von dieſer Seite aus zu betrachten. Fruͤher haͤtte er ſich deſſen geſchaͤmt. Und alles das, weil der Luxus, den er ſo ploͤtzlich taͤglich einatmete, in ſo ſchreiendem Gegenſatz ſtand zu feinem bisherigen Leben der Armut, Einfachheit und Genuͤgſamkeit.

Sie hatte ihn.

Sie beſaß ihn, weil er ſie nicht mehr entbehren konnte.

Sie aͤnderte ihn, ohne es zu wollen. Denn ſie hatte ihn fo gewollt, wie er geweſen war: friſch und unberührt und jung.

Er war es nicht mehr in dieſer Leidenſchaft zu ihr.

Er, der fruͤher ſo maͤßig geweſen war, trank jetzt, nicht regelmäßig, aber unbekuͤmmert, je nach Luft und Laune. Es tat ihm nichts. Er fuͤhlte keine Wirkungen. Sein Körper überwand die leichten Folgen ſchnell.

Vielleicht war ſein Kopf etwas eingenommener. Aber er lebte jetzt überhaupt in einer dumpfen Schwere, in einem taͤglich neu erweckten Rauſch aller Sinne, durch deſſen Nebel er immer, wo er ging und ſtand, nur ihren braͤunlichhellen Körper ſah, ihre ſeltſam roten Lippen und ihr dunkles Haar, eingehüllt in die Duftwolke ihres aufreizenden Parfums, ein Nebel, ſuͤß und weich wie ihre Kuͤſſe, warm und weich und entnervend wie die weißen Dämpfe der Winterbaͤder im Schwimmbade.

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5 83

7 Er verlor feine ewige Sehnſucht nach friſchem, klarem

Waſſer, nach kalter, reiner Luft in dieſer Atmoſphaͤre. Er

verlor ſie, ohne es zu fuͤhlen, ohne es zu merken. Ganz allmahlich glitt er in fie hinein in dieſe abgruͤndige

Leidenſchaft, in die immer geoͤffneten, immer begehrenden

Arme dieſer fremden Frau. Er, der nicht wußte, was Nerven waren, fühlte ſie erwachen und zittern unter den

Liebkoſungen ihrer Haͤnde, und ehe ſie Zeit hatten, ſich zu beruhigen, wieder erwachen, bis ſie von einem

Tag zum anderen in ſteter Erregung gehalten dieſen Reiz nicht mehr zu entbehren vermochten, wie der Trinker

ſein Gift. 4 Gewiß, er ſchwamm noch. Ja, er war jetzt wieder,

wo ihre Abſagen ſich mehrten und immer oͤfter die un⸗ vorhergeſehene Abhaltung, nach deren Grund er nicht mehr zu fragen gewagt hätte, eintrat, die fluͤchtige Zeile, die ihn bat, „nicht zu kommen“, er war jetzt wieder mehr

unter feinen neuen Klubbrüdern, als vorher, denn er konnte dieſe einſamen Abende nicht mehr ertragen, in denen er in unterdruckter Begierde nach ihr von Kneipe zu Kneipe lief, um den Schlaf zu finden, der nicht mehr, wie bisher in der Minute ungerufen zu ihm kam, in der er ſich auf ſein Bett warf.

Aber er war kein guter Sportgenoſſe und kein an⸗ genehmer Geſellſchafter unter den „Hechten“. Sie wußten es vorher, hatten es oft genug gehoͤrt, als ſie ſich um ſeine Mitgliedſchaft bewarben, daß ſie im Grunde nur ſeinen Namen bekamen, und ſie ſahen ihm alles nach. Daß er ihnen ſo fremd bleiben wuͤrde hatten ſie wohl nicht gedacht.

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Keiner hatte eine Ahnung davon, was ihn der Sports: ſache innerlich zu entziehen begann. Felder ſelbſt ſah und hoͤrte nicht, was um ihn her vorging.

Er ſah nur noch Sie.

Eines Abends gab ſie ihm ihr erſtes Geſchenk. Sie ſaßen ſich muͤde und ſchweigſam gegenuͤber und wußten nicht wovon ſie ſprechen ſollten. Sie zeigte ihm ihre Schmuckſachen und erklaͤrte ihm ihren Wert. Er ſah Dinge, die er nie geahnt hatte. Wenn er nach ihrem Urſprung fragte, lachte ſie mit ihrem uͤberlegenen Lachen: „O, das war, als ſie in Buenos-Aires geweſen war, der weiße Pflanzer“ und dies Halsband kam aus London „von einem Herrn, der mit dem Prinzen von Wales ſehr befreundet war ... ja, dieſer Prince des Galles! ...“ . . . Und fo ging es weiter, und Felder verſtand nichts und begriff noch immer nichts und wollte auch nichts mehr begreifen.

Sie legte ihm die Ketten und Spangen um, wie einem Kinde, mit dem man ſpielt. Und dann kam, was Felder ſo lange heimlich gefuͤrchtet, und was er ſo ent⸗ ſchloſſen war, ſchon beim erſten Verſuch energiſch abzu⸗ weiſen: dies Armband, das fuͤr ihr Gelenk etwas zu weit war und ſich ſo feſt um das ſeine ſchmiegte, dies goldene Band mit dem daran baumelnden Schloß ſollte er immer tragen als Andenken an ſie ſo taten es jetzt die Maͤnner; und als ſie ſein Widerſtreben ſah, kam dieſer maßloſe Zorn über fie, den er nicht zum erſten Male an ihr ſah ihre Augen blitzten, und ihre Lippen, die bebten, ſprachen fremde und unverſtaͤndliche Worte der Entrüftung und der Beſchimpfung, bis fie dann bei

feinen vergeblichen Verſuchen, es abzuſtreifen, ihre Wut ebenſo ſchnell wieder vergaß und in ein Lachen aus brach: „O, er mußte es ja behalten; er kam ja nicht los, ſie

hatte ja den Schluͤſſel, und den bekam er nicht, nein, den Schluͤſſel nicht...“ Und er, erſchreckt durch ihren Zorn und gedemütigt durch ihr Lachen, wagte nicht mehr, ihr erſtes Geſchenk zuruͤckzuweiſen. Es ſollte nur ihr letztes bleiben, ſo beruhigte er ſich ſelbſt.

Er trug es, das Armband von Gold.

Nie hatte einer ſeiner Siege, ſelbſt der des Vorjahres in England nicht, ein ſolches Aufſehen gemacht, wie dieſes einfache Armband: nie ſprach man ſo viel von Felder, wie in dieſen Wochen, als er mit dem Goldreif am Arm an den Start ging und ſchwamm. Man lachte, man ſpottete,

man ſchimpfte und forſchte nach; man empoͤrte ſich, man zꝛsñnckte die Achſeln, man machte Vorſtellungen und man erriet ... Allerſeits aber war man ſich einig, daß

es einfach laͤcherlich ſei fuͤr einen Mann wie Felder, die duͤmmſte und weibiſchſte aller Moden mitzumachen, die man den Gigerln und Narren überließ. Ein deutſcher Schwimmer und ein goldenes Armband! Es war der unerhoͤrteſte Widerſpruch!

Felder ſah und hörte nichts. Hoͤchſtens, daß er vers ächtlich laͤchelte, wenn die Blicke und Worte allzu zus dringlich auf ſeinem Handgelenk ruhten.

Hoͤher als ſonſt ſtreckte er feinen Arm empor, unter die Augen der Zuſchauer: an ihm glaͤnzte der ſchmale Reif und leiſe klirrte das winzige Schloß beim Anſprung gegen die goldene Kette.

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..

3.

Er ftand noch nicht im Zeichen des Ruͤckganges, wie die boͤſen und durch „das Armband“ von neuem auf⸗ gereizten Stimmen behaupteten. Aber ſelbſt ruhigere Beobachter, die ſich durch aͤußere Dinge nicht oder doch nur wenig beeinfluſſen ließen, fanden ſeit einiger Zeit Felders Stil nicht mehr ſo ſicher, ſein Tempo nicht mehr ſo fließend wie bisher.

Vor allem nicht mehr ſo rein. Er ſchien Ruͤckſichten auf ſeine Gegner uͤberhaupt nicht mehr zu kennen. Es genuͤgte ihm nicht mehr, ſeine Siege, wie bisher, in leichtem Kanter nach Hauſe zu bringen, ſondern er ſtrebte danach, ſie auch dem Publikum recht deutlich zum Be⸗ wußtſein zu bringen, indem er ihm ſeine Überlegenheit über die andern auf alle Weiſe zeigte. Darunter mußte fein Stil natürlich leiden.

Er fuͤhlte es ſelbſt und ſogar einzelne Bemerkungen darüber kamen ihm zu Ohren.

Er war zum zweiten Winterfeſt des Schwimmer⸗ bundes zu einem Seitenſchwimmen gemeldet. Es fiel in den Anfang des Februar. Felder hatte nicht die Ab⸗ ſicht, zu ſtarten; aber da er auf der Sitzung des „Hecht“ wieder einmal nicht anweſend geweſen war, hatte ſein Klub für ihn die Meldung erlaſſen, in der Überzeugung,

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damit FR Wuͤnſchen die nach moͤglichſter Be⸗ en ſtrebten zu entſprechen. Er war aͤrgerlich. Wan haͤtte ihn doch wenigſtens fragen muͤſſen. Wann denn? entgegnete man ihm. Man ſah ihn ja ſo un⸗ e Und wenn man ihn nicht gemeldet haͤtte, wäre er ebenfalls boͤſe geweſen und hätte von Zurüͤck⸗ ſetzung geſprochen.

Er zog die Meldung nicht zuruck; es war ihm einerlei. Ein Sieg mehr, darauf kam es nicht an! Aber das ſagte

1 er gleich: zu der langweiligen Preisverteilung und zu dem

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1 war die ganze Nacht bei ihr geweſen, und auch am

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noch langweiligeren Tanzvergnuͤgen nachher kam er nicht. Er hatte keine Zeit am Abend; er war eingeladen.

Er war jetzt immer eingeladen, kein Menſch wußte, von wem. Aber man wagte nichts zu entgegnen und war froh, daß er keine weiteren Schwierigkeiten machte. Er erſchien, wie jetzt immer, ſpaͤt auf dem Feſt. Er

Morgen wollte ſie ihn nicht fortlaſſen. Er blieb nur zu gern. Sie frühſtückten im Bett, ſpaͤt, und die Stunden wurden verſchleudert bis über den Mittag hinaus. 3

Schnell kleidete er ſich aus und trat in die überfüllte Halle mit feinem hochmuͤtigen und finſteren Lächeln auf dem Geſicht. Dieſe Feſte hatten keinen Reiz mehr fuͤr ihn. Er fühlte weder Erwartung, noch Aufregung. Er nahm ſeine Mitwirkung jetzt nur als eine Pflicht, die von ihm erledigt werden mußte, da er nun einmal der Franz Felder war. Je baͤlder ſie getan war, deſto 8 Um fo eher konnte er wieder bei ihr fein.

Ungeduldig wartend ſtand er unter ſeiner Mannſchaft. Er hielt die Arme gekreuzt uͤber der Bruſt und an ſeinem

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257

rechten Handgelenk glaͤnzte herausfordernd das goldene Armband, als wolle er die Blicke aller darauf lenken. Kaum, daß er ſeinen Klubgenoſſen antwortete, wenn ſie mit einer Frage zu ihm traten .... Gleichguͤltig glitt fein Blick über die Waſſerflaͤche hin, wo eben ein Rennen zu Ende ging und ſchnaufende Geſtalten die Laͤnge des Baſſins durchkreuzten.

Sonſt hatte Felder nie den Augenblick erwarten koͤnnen, in dem er ſelbſt ins Waſſer durfte. Heute kuͤmmerte er ſich nicht einmal mehr um ſeine Konkurrenten; er hatte ſich kaum die Zeit genommen, ihre Namen auf dem Programm zu leſen.

Wie gewoͤhnlich jetzt, ließ er ſich Zeit waͤhrend det erſten Laͤnge. Bei der zweiten arbeitete er ſich vor; bei der dritten wollte er ſich dann nach den anderen um⸗

Er war gut in der Form heute, aber nicht ſo friſch wie ſonſt, fo ſchien es ihm. Er nahm daher ſchon die zweite Länge von Anfang an mit Ernſt. Bei der dritten wollte ihm der Vorſprung nicht gelingen. Irgend jemand,

et wußte nicht wer, lag immer dicht neben ihm und blieb es bis ans Ende. Er konnte ihn nicht los werden, nicht mit aller Anſtrengung, und die ungewohnliche Erregung am Start brachte ihn zu der Überzeugung, daß ſein Sieg diesmal ſehr gefaͤhrdet worden war.

r Aber es war noch mehr als das. Es war ein totes

Rennen. Die Richter konnten ſich nicht einigen, und es

blieb unentſchieden.

Ein totes Rennen das war weiter nicht ſchlimm.

Ein totes Rennen war keine Niederlage. Aber es wurmte vn 17

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f ihn doch, und er nahm ſich vor, in naͤchſter Zeit eber

einmal zu trainieren. Sie erleichterte ihm ſeinen Vorſatz,

da ſie ihm jetzt noch oͤfter abſagte, als bisher; ſo uͤbte Felder denn wieder faſt jeden Abend, teils fuͤr ſich allein,

teils auch unbekümmert an den Übungsabenden des „Hecht“, . und er fuͤhlte ſich Herr ſeiner Kraft, wie immer. Sich die Zeit nehmen zu laſſen, verſchmaͤhte er.

Er freute ſich beſonders auf das naͤchſte Meeting:

auf dem Feſte des „Poſeidon“ wollte er feinem alten

Gegner im Gaſtſchwimmen über die 200 Meter einmal wieder gegenüber treten und ihm was er bisher gern vermieden auf dem Feſt eines Brudervereins unter den Augen der Seinen den Lorbeer entreißen. N

Eine Bemerkung Wenzels gelegentlich ſeines Spring⸗ debuts war ihm zu Ohren gekommen. Felder hatte ſie nicht vergeſſen, wie er nie etwas vergaß, was man ihm zugefuͤgt. Dies ſollte ſeine Rache ſein.

Die Konkurrenz war merkwuͤrdig ſtark beſetzt: ſechs Schwimmer von ſechs bedeutenden Klubs rangen um den ehrenvollen „Poſeidonjahrespreis“. Felder freute ſich auf ſeinen Sieg; er freute ſich noch, als er an den Start ging, obwohl er ſich wiederum nicht ganz friſch fuͤhlte.

Aber er war ſo ſicher wie immer.

Dann, als er im Waſſer und in der zweiten Laͤnge lag, geſchah etwas, was er nie fuͤr moͤglich gehalten bätte: er fühlte, wie ihn eine ploͤtzliche Mattigkeit uͤber⸗ kam, und als er gegen ſie mit aller Kraft ankaͤmpfend etwa in der Mitte der dritten nicht nur Wenzel leicht vorauseilen, ſondern auch rechts und links je einen Gegner neben ſich liegen ſah, da hatte er zum erſten Male ſeit

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Jahren das deutliche Gefühl, daß er diesmal nie als Erſter ans Ziel gelangen wuͤrde. Und mit gleicher Deutlich⸗ keit empfand er, daß es in dieſem Augenblicke nur einen Ausweg fuͤr ihn gab, dieſer unvermeidlichen Niederlage zu entfliehen: „Ausſetzen!“

Ploͤtzlich im Schwimmen aufhoͤrend uud tief bis zum Grunde des Baſſins niedertauchend, ſchwamm er dort bis zum Fußende der Leiter, waͤhrend er uͤber ſich das Rauſchen des Waſſers unter dem haſtigen Wenden der Konkurrenten hoͤrte, und ſtieg an ihr hinter ihnen, die ihm feinen Sieg entführten, aus dem Waſſer unter die verbluͤfften Zuſchauer, ſeinem triefenden Koͤrper ruͤckſichtslos

Platz ſchaffend f Er war an dieſem Abend nicht einmal böfe, um fo mehr, als er hoͤrte, daß nicht Wenzel, ſondern ein junger Magde⸗ burger vom dortigen „Neptun“, deſſen Namen bisher nie genannt war, Sieger geworden war. Er hatte „aus⸗

geſetzt“. Nun, was war dabei weiter! Das taten die

größten Schwimmer aller Zeiten und Länder alle Augen⸗ blicke, und das Wunderbare bei ihm war nur das, daß es das erſtemal war. Und weil es das erſtemal war, ſo war er uͤber jeden Verdacht erhaben, daß er den alten, bekannten Kniff angewandt habe, um einer Niederlage zu entgehen.

Er Franz Felder fuͤrchtete keinen Schwimmer der ganzen Welt und brauchte keinen zu fuͤrchten. Das wußte jeder. Aber ſelbſt er konnte einmal unpaͤßlich

ſein, und das war er heute. Denn hätte er ſonſt wohl

das Rennen aufgegeben?

i Und den Triumph genoß er wenigſtens an dieſem Tage, daß keiner, auch ſein aͤrgſter Gegner nicht, es 17*

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wagte, den Verdacht dieſes Kniffs auszuſprechen. Die Mutmaßungen und Prophezeiungen indeſſen, in denen man ſich erging, hörte Felder gluͤcklicherweiſe nicht. Sonſt wäre ſeine Stimmung an dieſem Abend doch getrübt worden, die durch die ungeaͤußerte leiſe Enttaͤuſchung ſeiner Genoſſen vom „Hecht“ nicht beeintraͤchtigt, aber durch die Ausſicht auf das naͤchſte Schwimmen ſogar noch bedeutend gehoben wurde.

Denn als Felder ſich die erreichten Zeiten des 200 Meter⸗ Schwimmens geben ließ, ſah er, daß die Leiſtung dieſes jungen, unbekannten Magdeburgers nicht nur mit Hin⸗ ſicht auf ſeine erſtklaſſigen Konkurrenten, ſondern auch in bezug auf die erreichte Zeit eine außerordentliche ge⸗ nannt werden mußte. Sie erreichte natuͤrlich nicht den von Felder vor zwei Jahren aufgeſtellten und ſeitdem ſelbſt nie wieder erreichten Rekord von J: 02, aber fie kam doch bedenklich nahe an ihn heran.

Der junge Seubert hatte die 200 Meter in 3: 2% Minuten gemacht.

Das reizte Felder. Da war das naͤchſte große Feſt, zugleich das letzte dieſes Winters, das erſte Jahres⸗ ſchwimmen des neugegründeten „Norddeutſchen Schwimm⸗ kartells“, das beſonders großartig und feierlich geſtaltet werden ſollte, um Zweck und Bedeutung dieſer natürlich wieder aus vielen eiferfüchtigen Fehden hervorgegangenen Neugründung recht zur Wirkung zu bringen, da war dies große Feſt jo recht die Gelegenheit, um ſich auch dies⸗ mal einen glaͤnzenden Abgang von der Saiſon zu ſichern und einmal wieder „ſich ſelbſt zu übertreffen”, das einzige, was er noch konnte.

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Er hatte ja nur nötig, etwas mäßiger zu leben und etwas mehr zu trainieren. Daß allerdings beides nötig war, leuchtete ſogar ihm ein. Dieſes ploͤtzliche Ver⸗ ſagen der Kraft heute konnte doch kein reiner Zufall ſein. Es durfte jedenfalls nie wieder vorkommen; denn er konnte wohl einmal „ausſetzen“, aber nun auch nicht

wieder.

Er tat beides: er war jetzt nicht nur nicht enttaͤuſcht, ſondern begruͤßte es ſogar mit Befriedigung, wenn eine Abſage von ihr eintraf. Gab ſie ihm doch einen freien Abend der unausgeſetzten Übung, fo eifrig und ernſt, wie er ſeit langem nicht mehr betrieben.

Daran, daß es doch eigentlich nur ganz bei ihm ſtand, ob er zu ihr gehen wollte oder nicht, daß er ihr ebenſo abſchreiben konnte, wie ſie ihm, daran dachte er nicht einmal. So groß war ihre Überlegenheit in jeder Be— ziehung und ſo ſehr verſtand ſie es, wenn er bei ihr war, ihn durch immer neue Liebkoſungen und Liebesbeweiſe an ſich zu feſſeln, daß ihm noch immer die Stunden die ſeligſten waren, in denen er in ihren Armen liegen konnte, und dieſen wundervollen, braͤunlichen Koͤrper, dieſes hohe, geheimnisvolle Gemach mit dem Glanz ſeiner Lichter

und feinem verſchwenderiſchen Luxus, dieſe ſtillen, faulen

Stunden des ſpaͤten Abends und der Nacht, ja, die leiſen, unmerklichen Dienſte der ſchattenhaft auf den ſchrillen Ruf der Gebieterin herein- und heraushuſchenden Alten ſein eigen nennen konnte; und alles, was er verſuchte,

war, ſich in Augenblicken, wo ſeine traͤgen Gedanken,

durch die Freude auf ſeinen naͤchſten Sieg und durch eine keinen Sportsmeiſter je ganz verlaſſende Angſt, feiner

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2 Sraft zu fehaden, aufgeſtachelt, in beklemmender Ahnung ſſich von ihr wandten, alles, was er vermochte, war: ſich dieſer unerfättlichen Leidenſchaft, dieſen erſchlaffenden um⸗

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armungen einmal, nur für heute, zu entziehen

Diecſe Frau, die ihm, ihm unter allen, ihre Liebe ger . ſchenkt hatte, wie er glaubte, und die er darum, darum vor allen wieder liebte ſie war noch immer ſein Leben!

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An dieſem Tage kam, was kommen mußte: b. Er erſte Niederlage der Anfang vom Ende.

er das letztemal bei ihr geweſen war, hatte er ſich A Umarmungen wortlos und entjchieden entzogen, ſo daß | ihr Zuſammenſein ein ganz kurzes war. Sie biß die 2 Lippen aufeinander, aber fie ſagte kein Wort. * Felder kleidete ſich heute mit beſonderer Sorgfalt an und ließ ſeine Bruſt an Baͤndern und Muͤnzen tragen, u was fie nur faſſen konnte. Das Armband, bei der täglihen 5 Arbeit ſo hoch wie moͤglich hinaufgeſchoben und von dem wollenen Hemde ſo bedeckt, daß es noch von niemand Br in der Fabrik entdeckt worden war, wurde auf das Hands gelenk heruntergezogen und abgerieben, ſo daß es slänge 2 und funkelte. Re In dieſem bei allen fo verhaßten Zeichen wollte er gr heute fiegen, und fo wollte er ſiegen, daß nicht nur ds . >

auch das andere Lachen, das, welches er noch immer u feinen Ohren fühlte, das Lachen jenes ſchrecklichen Tages, 72 ſchweigen follte auf immer, um nie mehr gehört zu werden. Das erſte Feſt des „Norddeutſchen Schwimmkartells!s““ ſollte zugleich das erſte fein, das die neuerbaute Schwimm⸗ 85 .

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5 halle der Stadt Charlottenburg erlebte, und man hoffte, es beſonders glänzend zu geſtalten, obwohl die groͤßten und angeſehenſten Berliner Vereine, unter ihnen der

S.⸗K. B. 1879, wie überhaupt alle dem „Verbande“ an⸗

gehörenden Vereine naturgemäß fehlten. Aber es ſtand

von Anfang an unter keinem guten Zeichen. Obwohl die Stadt Charlottenburg ihre Vertreter geſchickt hatte, war doch das große Publikum, das ſich offenbar an den

Winterfeſten ſatt geſehen und die Sommerſchwimmen erwarten wollte, nur ſchwach vertreten und füllte kaum die erſte Reihe der weiten Galerien. Zudem war das

Wetter miſerabel: ein naßkalter, grauer Maͤrztag, und

mancher, der gekommen waͤre, war noch in letzter Stunde zu Hauſe geblieben. Felder war heute puͤnktlich und verlor ſich mit der

. kleinen Mannſchaft der Gelb⸗Schwarzen in einer Ecke

der weiten, ſchoͤnen Halle, in der bereits jetzt alle Bogen⸗ lampen brannten. Das Programm wickelte ſich langſam und ohne be⸗

ſondere Teilnahme von irgendeiner Seite ab. Nur gegen

ſeine Mitte brachte ein unvorhergeſehener Zwiſchenfall etwas Leben unter die Anweſenden. Es war beim Tauchen nach Tellern. Dreißig flache Emailleteller waren bereits dreimal ſaͤmtlich aus einer Tiefe von vier Metern her⸗ vorgeholt worden eine hervorragende Leiſtung und es ſchien auch dem Vierten gelingen zu wollen, ſo lange blieb er unter Waſſer. Felder ſtand bereits ausgekleidet dicht neben dem Starter und ſah zu. Dann merkte er plöglich mit feinem

erfahrenen Blick, daß irgend etwas dort unten nicht

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in Ordnung war, und als er fragend den neben ihm Stehenden anſah, hoͤrte er auch ſchon deſſen halblaut hervorgepreßten beſtimmten Befehl: „Hinunter!“ Er ging ſofort in die Tiefe und ſah dort den Taucher bereits bewußtlos mit dem Geſicht nach unten uͤber den zuſammengerafften Tellern liegen. Mit Felder war ein zweiter ins Waſſer gegangen, und beide hoben den leb⸗ loſen Koͤrper bis zur Leiter und an ihr hinauf zum Waſſer⸗

ſpiegel, wo er von vielen Händen ſofort in die Höhe

gezogen und nach hinten getragen wurde.

Als Felder, der erſt nach dem naͤchſten Lauf an die Reihe kam, dorthin folgte, war der Bewußloſe bereits unter den Haͤnden des Arztes wieder zu Atem gekommen, und Felder hoͤrte, wie ſeine erſte Frage der Tellerzahl galt, die er ans Land geſchafft zu haben glaubte. Als er ver⸗ nahm, was geſchehen war, wurde er auch noch boͤſe dar⸗ über, daß man ihn nicht länger drunten gelaſſen, denn er würde auch die letzten ſicher noch bekommen haben! ...

Die anderen lachten und aͤrgerten ſich, aber Felder war es nicht ums Lachen. Soweit war es alſo gekommen, daß dieſen jungen Leuten ihr Leben ſchon nichts mehr galt, wenn es darauf ankam, ihren laͤcherlichen Ehrgeiz zu befriedigen jo hörte er neben ſich einen alten Herrn zu einem anderen ſagen; und er mußte ſich unwillkürlich fragen: War es mit ihm anders? Haͤtte er nicht auch ſein Leben um einen Sieg gegeben?

Draußen hatte ſich die Stimmung der Anweſenden nach dem peinlichen Vorfall nicht gebeſſert, und man beeilte ſich mit der Abwicklung der naͤchſten Nummern, um die Aufmerkſamkeit abzulenken.

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Dann kam das große Rennen des Tages mit feinem | unerwarteten, in feinen Reſultaten geradezu verblüffenden

Verlauf, das Hauptſchwimmen über 175 Meter, in dem zwei der jüngften Schwimmer aus dem Nachwuchs die

Preiſe errangen, waͤhrend nicht nur Wenzel vom „Po⸗ ſeidon“, und Karl Becker, der Meiſter Suͤddeutſchlands, ſondern auch Felder, Franz Felder, der vierfache Meiſter Berlins, der Meiſter Deutſchlands, der „Champion der , nicht nur zurück-, ſondern überhaupt unplaciert

blieben!

Wie es geſchah, wie es geſchehen konnte, das Un⸗ erhoͤrte.— keiner begriff es recht. i Felders Vorſatz ging auf einen glatten Sieg in gutem Stil ohne voͤllige Kraftausgabe. Er hielt ihn inne waͤhrend

der beiden erſten Laͤngen, gab ihn auf bei der dritten

und vergaß ihn voͤllig bei der vierten. Aber es nutzte ihm alles nichts.

Er kam nicht vorwärts. Er ſah immer die alten Gegner neben ſich, die neuen ſich voraus; dieſe beiden jungen Leute, von denen er den einen nur aus einem einzigen Schwimmen und den anderen überhaupt nicht kannte. Und als er zum letzten Male bei dem ploͤtzlichen Aufhören der Muſik wandte und mit ſeinem wahnſinnigen Seitenſchlage den einen faſt erreicht hatte, ſchlug der andere bereits an, und der Sieg war verloren.

Er ging erſt ans Ziel gleich hinter dem zweiten. N

Was geſchehen war, begriff er erſt recht, als er den jungen Seubert, keuchend, aber ſelig, die Gluͤckwuͤnſche in Empfang nehmen ſah und in das junge, gluͤckliche Geſicht blickte, das auch ihm zulaͤchelte, als erwarte

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es auch von ihm ein freundliches Wort oder einen Hände: druck.

So, ganz ſo, etwas verlegen, aber doch mit einer gewiſſen naiven Selbſtverſtaͤndlichkeit, als gehoͤre es ſich ſo, hatte er ſeine erſten Triumphe entgegengenommen und ſeinen beſiegten Gegnern ins Geſicht geſehen.

Er dachte natuͤrlich nicht daran. Er fuͤhlte einzig nur die Schmach, die er ſeiner Anſicht nach in dieſem Augenblicke erlitt, wo er ſeinen Stern lautlos fallen und in den Tiefen verſchwinden ſah, und das harmloſe Laͤcheln auf dem Geſicht dieſes jungen Menſchen ſchien ihm nur Spott und Hohn zu bedeuten, ſo daß er am liebſten hineingeſchlagen haͤtte.

Kein Menſch kuͤmmerte ſich um ihn, keiner trat, wie ſonſt immer, zu ihm und ſprach mit ihm. Mit haſtiger Wendung kehrte er ſich zu den anderen Schwimmern um, ſeinen alten Gegnern, mit denen er ſich in dieſer Minute faſt verwandt fuͤhlte. Denn ſie erlitten das gleiche. Aber kluger als er waren fie am andern Ende des Baſſins ans Land gegangen und ſo allen Eroͤrterungen entflohen.

Da griff auch er nach ſeinem Tuch und eilte zu ſeinen Kleidern. Als er an der ganz beſtuͤrzten und heftig debattierenden Gruppe des „Hecht“ vorbeikam, wehrte er mit ungeduldiger Gebaͤrde jede Frage und Begleitung von ſich.

f Er fühlte jetzt nur, daß er allein fein mußte.

Er konnte niemanden um ſich haben.

Ohne aufzuſehen und ohne ſich von einem Menſchen zu verabſchieden verließ er das Feſt.

Es war noch früh, aber auf den Straßen brannten

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* ging nieder wie Staub.

Felder ging die breite, gerade Straße bis zum u garten, er durchſchritt ihn auf kotigen, dunklen Wegen,

bis er ans Brandenburger Tor kam, ging die Allee der Linden herunter, verlor ſich in dem Straßengewuͤhl des

Zentrums, immer noch ohne zu wiſſen, wohin er wollte, und ſah erſt auf, als der Regen ſein heißes Geſicht wie Schläge zu treffen begann. Er war zwei Stunden ger gangen wie zwei Minuten. Er wußte es nicht einmal. Er befand ſich in der Naͤhe des Moritzplatzes.

Er mußte allein fein, ganz allein.. Schon die wenigen Menſchen um ihn herum auf den Straßen ſtörten ihn. Der Name einer alten Weinſtube in der Nahe fiel ihm ein. Er war dort ein⸗ oder zweimal fruher geweſen, mit ſeinen Freunden. Vielleicht war das Hinterzimmer frei. c

Er traf es ſo. N

Erſt als er eintrat und den Überzieher zuruͤckſchlug, wurde er gewahr, daß er ſich im Schmucke ſeiner Ehren⸗ zeichen befand, der haſtig beim Ankleiden Übergeftreiften Bänder und der Munzenmenge auf feiner Bruſt. Schnell verdeckte er ſie wieder, und waͤhrend er ſeinen Rock aus⸗ zog, ſtreifte er alles ab und verbarg es in den Taſchen, wie geraubtes Gut. N

Er war ganz allein in ſeiner Ecke, nachdem ihm der | Wirt den Wein gebracht, Sogar im Vorderzimmer fpielten nur ein paar Stammgaͤſte, die fein Eintreten eee 3 nicht bemerkt hatten, einen ftillen Skat.

Er trank, ſah vor ſich hin und gruͤbelte nach. er

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konnte es noch immer nicht begreifen, was geſchehe war! 8 Dann zog er zoͤgernd ein kleines, abgenuͤtztes, in braunes Leder gebundenes Buch aus der Bruſttaſche, das er ſtets bei ſich trug. Dieſes Buch war ihm nach einem ſeiner erſten Aufſehen erregenden Siege wie lange war es ſchon her! von einem älteren Mitglied ſeines alten Klubs geſchenkt worden, und der Geber hatte ihm dabei geſagt: „Immer koͤnnen Sie nicht ſiegen, aber ſo viele Seiten dieſes kleine Buch hat, ſo viele Siege wuͤnſche ich Ihnen und uns..“ Und Felder hatte wie zum

\ Scherz die Seiten gezählt: 103. Koepke nahm das Buch

mit nach Hauſe, und als er es Felder wiedergab, fand dieſer in tadelloſer Rundſchrift und mit kaufmaͤnniſcher Genauigkeit von Anfang an bis heute ſeine ſaͤmtlichen Beteiligungen an den Feſten des Schwimmſports ein⸗ getragen: ihren Tag und Ort, ihre Veranſtalter, die Art der Konkurrenz und wer an ihr teilnahm, ja die Stunden alles war regiſtriert und ſeine Siege ſchoͤn unterliniert und mit roter Tinte praͤchtig hervorgehoben: ihre Art, die gemachten Zeiten, die errungenen Preiſe aufs ge⸗ naueſte verzeichnet ... Und jedesmal nach einer neuen Beteiligung oder nach einer Reiſe erhielt Koepke das kleine, braune Buch, um es am naͤchſten Tage wieder zurück⸗ zugeben, bereichert um ein neues Blatt, das in nüchternen Worten und Zahlen, aber doch ſo beredt von herrlichen

Ir Mühen und herrlichen Siegen ſprach.

Über kein Geſchenk hatte Felder ſich je fo gefreut,

1 wie über dieſes.

Oft hatte er in ſtiller Stunde in dem Buche geblaͤttert,

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die Namen ſeiner Gegner alle dieſe beruͤhmten, gefuͤrch⸗

teten Namen, die Blüten der Schwimmkunſt, aus allen

Gegenden Deutſchlands und fo vielen Ländern Europas..

Und immer wieder fein Name über allen als Sieger! ... i

Er blaͤtterte und blaͤtterte jedes neue Blatt ein neuer Sieg: ein Lorbeerblatt mehr in einem dichten Kranze! Faſt keine Niederlagen, hier und da ein zweiter Preis, ſonſt immer nur erſte, erſte, erſte .

Er fing von vorn an und zaͤhlte die beſchriebenen Seiten: 82. Und er zählte die ſiegreichen: 73.

Bis zur letzten! Bis heute!

Und auf dieſem leeren Blatt, den dreiundachtzigſten, ſollte zum dritten Male nacheinander nicht nur der rote

Strich, ſondern fein Name überhaupt fehlen oder es 1

ſollte leer bleiben, leer ... Nein, das durfte nicht fein!

Der Schrecken griff plöglich wieder nach feinem Herzen,

derſelbe Schrecken, den er vorhin empfunden, als er ſeine Gegner vor ſich ſah und fuͤhlte, wie ſeine Kraft verſagte, fie noch zu erreichen; aber nicht die Furcht Über die Ge⸗ fahr einer Niederlage war es geweſen, ſondern etwas

anderes, ein Neues, ein Unbekanntes: das Erſchrecken über

etwas Unglaubliches, Unerhoͤrtes Über die unwillfaͤhrig⸗ keit ſeiner Kraft!

aber noch nie hatte er ſo ſorgfaͤltig Blatt um Blatt a wandt, vom erſten bis zum legten, wie heute. Selten erſt, dann immer oͤfter, endlich faſt auf jeder Seite zeigte ſſich die rote Linie unter feinen Namen, und immer oͤfter

kehrten die Worte wieder: „Erſter: Franz Felder.“ Da ſtand ſein Name, immer und immer wieder als der Erſte, der Erſte .. der Erſte! und unter ihm ſtanden

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271 Was war das? Was war das auf einmal, das fo plotzlich gekommen?

War er wirklich ſchon dort angelangt, wo es kein uͤber ſich ſelbſt Hinausgehen mehr gab? Dann konnte jeder ihn ſchlagen, der ihm nur gleich kam! Dann war er ſchon am Ende.

Alle duͤſteren Prophezeiungen ſeiner Gegner fielen ihm ein: „Schneller Aufgang, ſchneller Abſtieg ...“ Und ein Mahnwort Nagels: „Du haſt fruͤh angefangen, fruͤh wirft du deshalb aufhoͤren ...“

Bis heute hatte er daruͤber gelacht. Aber jetzt lachte er nicht mehr. Es war ihm nicht mehr ums Lachen. Denn er war ſich bewußt, in dieſen letzten Wochen nichts verſaͤumt zu haben. Es hatte ein totes Rennen gegeben, dann ein Ausſetzen aber beides war erklaͤrlich, ſogar natürlich bei der Nachlaͤſſigkeit, mit der er in den ver⸗ gangenen Monaten ſeine Sache behandelt. Aber zu heute hatte er trainiert trainiert wie immer ſonſt was war das alſo?!

Er ſaß und gruͤbelte, und trank und gruͤbelte, und gruͤbelte

Und wieder griff die Angſt nach ſeinem Herzen, die furchtbare, die unbekannte Angſt!

War es etwa ſchon mehr? War es ſchon eine Ab⸗ nahme feiner Kraft? War er ſchon nicht mehr der: ſelbe? Blieb er ſchon hinter fich ſelbſt zuruck? Uns moͤglich! Mit zwanzig Jahren! Da, wo die Kraft noch wuchs von Tag zu Tag.

Laͤcherlich! Mit fünfundzwanzig wollte er anfangen, daran zu denken. Aber bis dahin wollte er ſie, ſeine

8 272

Kraft, wachſen, wachſen und ſiegen ſehen über alles, was ſich ihr in den Weg ſtellte! 4

Es war eine Indispoſition heute, 800 wer bas wehe | Wer hatte die nicht zuweilen? Deshalb nutzten auch die verdammten Sinnirereien nichts; jetzt mußte geſchwom⸗ men werden, darauf kam es an.

Er trank und klappte das Buch zu. Die Seite blieb nicht leer, das war ſicher: die dreiundachtzigſte. Auf der ſollte ein Sieg ſtehen. Und zwar bald!

Denn es konnte einfach ſchon deshalb nicht fein, weil es nicht ſein durfte!

Wie Felder das Buch in die Rocktaſche ſchieben wollte, ſtopfte es ſich dort gegen kniſternde Papiere. Er zog ſie hervor und ſah, daß es ihre Briefe waren, Der ſuͤßliche, fahle Duft eines ſeltſamen Parfinns ſtieg zu ihm aus den zerknitterten Blättern auf, und er fühlte, wie es plötzlich wieder aus war mit ſeinem neuen Mut und ſeiner Friſche.

Dieſer Duft machte ihn ſchwach, und es half ihm nichts, daß er die Blaͤtter zuſammenballte. Wie er ſie losließ, legte ſich das ſteife, engliſche Papier auseinander, und es entſtröͤmte ihm dieſer Duft, den er fo gut kannte, der allem anhaftete, was von ihr ausging: ihren Kleidern, ihren Handſchuhen, ihrem Atem, dieſem Papier ihm ſelbſt!! Ja, ihn ſelbſt hatte dieſer Duft förmlich durch⸗ traͤnkt in dieſen letzten Monaten, fo daß er ihn plotzlich verſpuͤrte, wenn er eines feiner Kleidungsſtücke zur Hand nahm. Et wurde ihn nicht mehrt los, dieſen Duft, der ihn uͤberall umgab, wo er ging und ſtand lockend, begehrlich, geheimnisvoll und aufreizend wie ſie ſelbſt, fo daß er an fie denken mußte ohne Aufhören.

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Was nuͤtzte es, daß er dieſe Papiere von ſich ſchob,

dieſe Rufe nach ihm, die er nun ſchon Monate lang

hoͤrte: erſt ſtuͤrmiſch und ſehnſuchtsvoll, erſt alle Tage, dann, je ſeltener ſie wurden, immer herriſcher und kuͤrzer, bis ſie nur noch der Befehl waren: „Heute abend um 9 -“ oder: „Erſt morgen!“

Welche Macht ſie uͤber ihn gewonnen, dieſe Frau, von

der er noch immer nicht einmal wußte, wer ſie war!

Und wie Felder ſaß und gruͤbelte, und gruͤbelte, wurde ez ihm klar, warum er heute unterlegen war, warum er in der letzten Zeit nicht mehr die alte Kraft in ſich fuͤhlte, die unbeſieglich geweſen war; und eine maßloſe Wut kam über ihn gegen die, die ihm feine Kraft geraubt. Er ballte die Hand um den Rand des Tiſches, daß er ſich bog und das Glas klirrte.

Und dann kam, blitzgleich, auch die wahre Erkenntnis dieſes Verhaͤltniſſes uͤber ihn.

Was ſie begehrt hatte, das war ſeine Jugend, ſeine Kraft und ſeine Friſche geweſen. Und was ſie begehrte, hatte ſie ihm genommen: die Jugend, die Kraft und die Friſche feines Körpers! Stuͤck für Stuck, in unerſaͤtt⸗ licher Habgier war ihm, ohne daß er es fuͤhlte und ahnte,

eines nach dem anderen von ihr genommen, in unzaͤhligen Umarmungen, mit Kuͤſſen und Schmeicheln, bis fie ihn zu dem gemacht, was er heute war!

Alles, was er beſaß, das einzige, das er ſein eigen nannte, hatte ſie ihm geraubt: ſeinen Ruhm! Sein

1 Ruhm aber war fein Leben. Sie hatte es zerſtöoͤrt.

Er aber, er war ſo blind und ſo toͤricht geweſen, nicht

| zu merken, was fie eigentlich von ihm wollte. Wie ein

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274

dummes Tier war er in die Falle gegangen; wie ei Hund war er ihr nachgelaufen; wie ein ... nein, er ver: mochte nicht weiter zu denken. l Denn jetzt wußte er auf einmal auch, wer ſie war. Eine große Abenteuerin, irgendwo in einem Winkel von zuſammengelaufenen Eltern erzeugt, fruͤh verdorben, früh gelehrt, ihre Schönheit als erſtes und eintraͤglichſtes Erwerbsmittel zu betrachten, fie gelehrig in unſtetem Wanderleben durch alle Laͤnder der Welt ſchleifend, und alles mitnehmend, was ſich ihr bot: hier die Alten und dort die Jungen. Die Alten, die ſie begehrten und bezahlten, und die Jungen, die von ihr ausgeſucht und bezahlt wurden! Und einer von dieſen Jungen war er geweſen er, Franz Felder! Nicht mit ſolchen Worten ſagte er ſich dies alles, aber er empfand es alles fo und fühlte, daß es wahr war. Und er haͤtte ſchreien moͤgen, ſchreien vor Wut und dor Scham. Ihn, ihn hatte ſie nicht bezahlt, nein, das hatte ſie nicht gewagt! Aber wie lange noch, und es waͤre auch dahin gekommen. Wieviel verſteckte Anerbietungen hatte ſie ihm nicht ſchon gemacht, wie oft nicht verſucht, ihm ſcherzhaft oder gleichguͤltig von Geld zu ſprechen, dieſem Gelde, das ſie verachtete, weil ſie es durch Arbeit nicht verdiente: damit er es nehmen ſolle von ihr als Lohn War ihm ſelbſt nicht eines Tages, wenn auch nur ganz flüchtig, der Gedanke gekommen, eines dieſer An⸗ erbietungen, nicht anzunehmen, o nein, aber als Darlehen zu benutzen, da es mit ſeinem Gelde zu Ende ging, als Darlehen fir eine kurze Zeit, bis er ſich in England durch

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neue Siege neues geholt? Es war nicht dazu gekommen, es war bei dem fluͤchtigen Gedanken geblieben. Aber er hatte ihn doch gedacht

Auch gegen Geſchenke hatte er ſich bis heute gewehrt. Das einzige, was er je angenommen, war das Band an ſeinem Handgelenk, die Kette von Gold.

Aber ſie war nicht unzerbrechlich. Sie band ihn nicht an ſie.

Er griff mit den Fingern der linken Hand zwiſchen ſie und das Fleiſch und verſuchte ſie abzuſtreifen, obwohl er wußte, daß es nicht ging. Und ſeine Wut ſtieg, als er ſah, wie vergeblich es war.

Aber das ſollte ein Ende nehmen, jetzt gleich, noch heute abend!

Er riß ſich aus dem Hinbruͤten auf und rief nach dem Wirt. Er hatte vier Stunden auf dieſem Fleck geſeſſen. Als er nach der Uhr ſah, war es gegen Elf.

Der Regen draußen war ſtaͤrker geworden. Felder fühlte ihn nicht. Er ging der Friedrichſtadt zu. i

Das Haus war offen. Natürlich: dieſes Haus war nachts immer offen, und die Treppen lagen in ihrem ewigen Zwielicht. Weshalb war ihm das nie ſo aufge⸗ fallen, wie heute? 8

Er klingelte an ihrer Tuͤr. Er klingelte nochmals. End⸗ lich hoͤrte er die ſchluͤrfenden Schritte der Alten und ihre Stimme. Er ſchlug gegen die Tuͤr und rief um Einlaß.

Als fie ſich öffnete, ſchob er das Weib beiſeite, das bei ſeinem Anblick wie erſtarrt war. Es war das erſte⸗ mal, daß er unerwartet kam. Er kümmerte ſich nicht im geringſten um die Fragen und Beteuerungen, daß

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warten, ſagte er kurz. Sie würde ſchon kommen.

Er riß die Tür zu dem großen Zimmer auf. es war beleuchtet und warm, wie immer. Aber ſie war

nicht da. Sie war auch nicht im Schlafzimmer.

„Ich werde Madame erwarten,“ ſagte er nochmals, und mit ſolchem Ausdruck in dem blaſſen Geſicht, daß ſich die Alte endlich mit Jammern und Wimmern zuruͤckzog.

Felder merkte es nicht einmal.

Er lief im Zimmer umher und warf überall ruͤckſichts⸗ los die Gegenſtaͤnde durcheinander. Er ſuchte den kleinen Schluͤſſel zu dem Armband. Als er nicht fand, was er ſuchte, begann er die Arbeit an ſeinem Handgelenk von neuem: er zerbrach eine goldene Hutnadel und eine Schere, er zerrte, bis ſeine Finger bluteten. Endlich gab er es auf, warf ſich in einen Seſſel und wartete.

Wie lange? Er hatte keine Ahnung.

Das Licht der Ampel trieb das Dunkel in die Ecken

des Gemaches und ein ſchwaches Rot auf ſeine Wangen,

wie die Nöte der Scham. Ja, er ſchaͤmte ſich. O, wie er ſich ſchaͤmte!

Er haͤtte weinen moͤgen und konnte es nicht. Die

innere Wut erſtickte ſeine Traͤnen.

Er lag wie in einem Halbſchlummer.

Plotzlich fuhr er empor. Er hörte draußen Stimmen: das klagende Wimmern der Alten und ihren herriſchen, empoͤrten Aufſchrei der Verwunderung. Die Tür wurde

aufgeſtoßen, und ſie ſtand vor ihm: hochaufgerichtet, in

Madame nicht zu Hauſe ſei. Er hoͤrte nicht hin, er verſtand das Kauderwelſch nicht. Er wollte Madame er⸗

277 großer Toilette, die Arme und die herrlichen Schultern entblößt, Zorn in den Augen und auf den roten Lippen.

„Wer iſt hier? Du? Was willſt du hier? Wer hat dir erlaubt —“

Er ging auf ſie zu. Die ganze Raſerei dieſer Nacht brach in ihm los. Als ſie ſeine Augen ſah, wußte ſie alles. Aber ſie hatte keine Angſt. Sie kannte keine Furcht und ihre Lippen verzogen ſich leiſe und ſpoͤttiſch.

Wie er das ſah, griff er ſie bei den Armen. Er wußte nicht, was er mit ihr tun ſollte, er wußte nur, daß er ſich raͤchen wollte an dieſem Geſchoͤpf, das ihn beraubt.

Sie bog ſich wie eine Katze unter dem Druck ſeiner rauhen Haͤnde. Und auf dieſem ſelben Platze, auf dem ſie an jenem erſten Abend miteinander gerungen in be— gehrender Liebe, rangen ſie nun in widerſtrebendem Haß.

Von ſeinem mißhandelten Handgelenk floß Blut und befleckte die Seide ihres Kleides und ihre weiche, braͤun⸗ liche Haut, während ihre Lippen unerhörte Beſchimpfungen, die er nicht verſtand, von ſich ſchleuderten.

Immer wieder verſuchte er ſie niederzuzwingen, und immer wieder flog ihr ſchlanker Koͤrper empor wie eine Gerte unter ſeinen Haͤnden.

Es war, als ob er ſeine Kraft an ſie gegeben habe in dieſen paar Monaten

War es das, oder war es der Duft, der von ihr ausging und ihn betaͤubte, daß er ſie nicht niederkriegen konnte?

Kurz: er fühlte, daß er auch hier der Schwaͤchere ges worden war

Da gab er ſie frei und taumelte hinaus, verfolgt von ihrem hoͤhniſchen und triumphierenden Lachen.

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= 3 in der Hand. Noch eine Stunde ging er durch die dden Gaſſen

© EL dieser Gegend. Irgendwo ſchleuderte er das Armband

deinem Brunnen die Hände, verband ſich das blutende Gelenk und trank in einer Deſtillation eine Taſſe Kaffee. um ſieben Uhr war er an feiner Arbeit. Den Morgen

warf ſich auf fein Bett und ſchlief wie ein Toter. Als er erwachte, war ein neuer Tag angebrochen. Mit ihm begann ein neues Leben für Franz Felder.

ſeinem neuen, großen Ziele der Springmeiſterſchaft ger führt hatte, ein einfaches und enthaltſames geweſen war ſo war das, welches er jetzt lebte, noch ſpartaniſch da⸗ gegen zu nennen. Es zerfloß zwiſchen Arbeit und Ruhe, und ſein einziger Zweck war flr Felder einſtweilen: die

Bis zum Morgen ging er durch die Straßen. Als es 1 ſchlug er die Richtung nach dem Norden ein.

Um ſechs Uhr war er an den Toren der Fabrik und 8 der erſte, der eintrat. Er ging in die mechaniſche Werk⸗ fſtaͤtte. An einem der Schraubſtöcke ſtand er eine kurze

2 Weile. Als er zuruck kam, hielt er das geſprengte Arms =

auf einen Kehrichthaufen. Dann erſt wuſch er fich an ütöber ſprach er kein Wort. Am Mittag fuhr er nach Hauſe,

Wenn das Leben, welches er vor einem Jahre vor

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Wiedererringung ſeiner Kraft. Nicht deſſen, was andere Menſchen Geſundheit und Kraft nennen. Die allermeiſten haͤtten ihn um die ſeine beneidet. Nein, jener uͤberlegenen, herkuliſchen Kraft, die er noͤtig hatte.

Daher ſtrich er von einem Tage zum anderen alles aus ſeinem Leben, wodurch er glaubte, ſie auch nur um ein Minimum vermindert zu haben: das Glas und die Frau, denn beides war Gift und Krankheit; jeden Ver⸗ kehr, denn der nahm ihm die Zeit zur noͤtigen Ruhe; jede Freude, denn er wollte von ihr nichts mehr wiſſen; und um ganz ſicher zu ſein, ſtrich er gleich alles auf einmal!

Das einzige, was er ſich noch goͤnnte an Genuͤſſen, war eine moͤglichſt gute und nahrhafte Koft und zuweilen ein Glas ſtarken Weines. Und Schlaf, viel Schlaf!

Die Arbeit war ihm lieb. Sie hielt ſeine Kraͤfte im

Gleichgewicht, ohne ſie zu verbrauchen.

Außerdem verlieh fie feinem Leben die nötige Regel: mäßigfeit. Da er mit feinem Gelde zu Ende und ganz auf fie angewieſen war, huͤtete er ſich vor jeder unndtigen Ausgabe. Er kleidete ſich wieder wie fruͤher und achtete ſelbſt an den Feiertagen kaum auf ſein Hufieres. Wo⸗ zu auch? Es ſah ihn ja niemand mehr.

Er nahm ſich nicht die Mühe, feinen Austritt aus dem Verein „Hecht“ dieſem anzuzeigen. Er ſandte gelegentlich ſein Trikot zuruck. Sie hatten feinen Namen wohl ber

reits aus der Mitgliederliſte geſtrichen. Was lag ihm

daran! Er hatte nie Fuͤhlung mit dieſen Leuten ger habt, unter denen er fremd, denen er nur der Meiſter⸗

ſchwimmer Europas geweſen war, die ihn fuͤr Siege, aber nicht für Niederlagen gebrauchen konnten.

ſchwiſtern, die darüber hoͤchſt erſtaunt waren. Aber auch

Er ſah ſelbſt Koepke kaum mehr, und damit ver, 3 auch das letzte Band, das ihn noch an fein fruͤheres Leben knüpfte. Wenn er ihn gelegentlich einmal traf tranken ſie ein Glas Bier zuſammen. Dann erzaͤhlte der alte Getreue Felder, wie er „ebenfalls der Schwimm⸗ ſache Valet geſagt habe“, da ſie ihm keinen Spaß mehr mache, ſeitdem Felder nicht mehr dabei ſei. Er war in einen kaufmaͤnniſchen und in einen Kegelklub eingetreten und ſpielte in beiden bereits ſeine alte Rolle des Laſt⸗ tieres mit unverhohlener Wonne weiter. a

Felder lächelte krampfhaft. Alſo er hatte dem Schwim⸗ men Adieu gefagt! Das ſagte man alſo von ihm! Nun, man würde ja ſehen |

Das neue Leben fiel ihm nicht ſchwer. Er dachte wenig und er fühlte ſich ganz wohl.

Nur die langen Sonntage waren ſchlimm. Es waͤre ihm am liebſten geweſen, ſie haͤtten nicht exiſtiert. Wen er fie haͤtte durcharbeiten koͤnnen, alle dieſe Wochen, einen Tag wie den anderen, ihm waͤre es Recht, dachte er oft. Nun mußte er ſich mit den Sonntagen abfinden, dieſen endlos⸗langen Nachmittagen, mit denen er nichts mehr anzufangen wußte, und er ging jetzt ſogar das eine oder andere Mal mit ſeinen ſtillen Eltern und den lauten Ge⸗

das gab er bald auf, denn er wußte mit ihnen nichts zu reden. Die haͤuslichen Dinge langweilten ihn, und über das Eine konnte er doch nicht ſprechen, weder mit ihnen, noch mit irgend jemand auf der Welt ... Wer verſtand das? Er kannte keinen.

So ging er denn ſchließlich auch an dieſen Nach:

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mittagen ſeine einſamen Wege: zu all den Orten, wo

2 er früher fo glücklich gewejen war und die jetzt dde und

verlaſſen unter dem ewig grauen Himmel lagen. Denn es wollte dieſes Jahr nicht Fruͤhling werden. Eine duͤnne Eisſchicht bedeckte noch den Kochſee, als er eines Tages dort durch die Spalten der feſtverſchloſſenen Umzaͤunung ſah, und kahl und traurig ſtarrten die Geruͤſte und Planken der anderen Badeplaͤtze in die Hoͤhe am Ploͤtzenſee und in Gruͤnau, wohin er auch kam, kahl und froſtig wie die Baͤume, deren laubloſe Staͤmme ſich regungslos von dem braunen Boden der Landſchaft abhoben. Sie ſtimmten ihn nicht froͤhlicher, dieſe einſamen Ausfluͤge, auf denen unvergeſſene Erinnerungen ihn immer von neuem in ihren Bann zogen. Aber er wußte nichts anderes zu tun, und ſo fuhr er immer wieder hinaus und ging oder ſtand oft ſtundenlang, in Gedanken verſunken, auf den verlaſſenen Stätten feiner Siege und feines Gluͤckes ...

Beſſer wurde es erſt, als es Fruͤhling wurde.

In der erſten Zeit ſchwamm er nur ſelten. Er wagte ſich nicht in die Schwimmhallen, aus Beſorgnis, dort Bekannte zu treffen. Er fuͤrchtete geradezu jede Frage, jedes Wort, jede Anſpielung auf feine Niederlage ... Er hätte fie nicht ertragen. Dann, als er wieder all abendlich nach der Arbeit badete, vermied er mit derſelben Sorgfalt, wie im Vorjahre, die Übungsabende der Klubs und ging an dem einen Tage hier-, an dem anderen dorthin, wo er ſicher ſein konnte, moͤglichſt allein zu ſein.

So beſuchte er alle Winterbaͤder, wie es gerade kam.

Nur in jene kleine, dunkle Halle im Suͤden der Stadt, wo er vor einem Jahre taͤglicher Gaſt geweſen war, ging

er nie mehr ... Dieſe Erinnerungen follten begraben * und durften ihn jetzt nicht ſtoͤren. 5 2 Er ſchwamm einſtweilen noch ohne jeden Gedanken an ein neues Training. Alles, was er wollte, war, feine re: Kraft wiederzufühlen, ehe er daran dachte, fie von neuem zu üben. Er glaubte nämlich allen Ernſtes, das Gefühl ſeiner Kraft verloren zu haben. Einmal ſchwankend geworden an ihr, war er wie der eingebildete Kranke, der ſtets die Krankheit zu haben glaubt, von der er hoͤrt. Er war irre an ſich geworden, weil er angefangen hatte, über ſich nachzudenken. Er fuͤrchtete ſich, die Zeit nehmen zu laſſen. So ſchwamm er vor der Hand noch in allen möglichen Stilarten und alle möglichen Längen, wie es ihm gerade in den Sinn kam, ohne auf ſich und feine Umgebung zu achten. And das ungeheure Wohlbehagen, das er immer empfand, wenn er im Waſſer war, ergriff ihn wieder, und taͤglich mehr und mehr ... Mit dem Wohlbehagen aber fühlte er zugleich ſeine Kraft wieder, und ſeine übungen wurden ernſter, wenn er ſie auch noch nicht pruͤfen ließ. Dann hörte er eines Abends, als er feine hundert

Meter zum dritten Male fo ganz fur ſich geſchwommen, wie ein Herr, den er nicht kannte, der ihn aber beobachtet und zu feinem eigenen Vergnügen nach der Uhr geſehen 5 hatte, ſagte 1: 2 | | 1: 2121 Aber das war ja feine eigene, frühere gute Zeit, das kam nahe an den von ihm ſelbſt vor zwei Jahren in Wien aufgeſtellten Rekord heran, als er ſo glaͤnzend disponiert war! Dann, dann beſaß er ſie ja wieder, feine verlorene Kraft! Dann ging es ja wieder!

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j Er bat den Fremden, ihm doch nochmals die Zeit zu ae Er ſchwamm die hundert Meter zum vierten * und zwar bewußt ohne beſonderen Kraftaufwand. £ und feine Zeit blieb gut.

Er freute ſich noch nicht. Er wagte es nicht. Aber in feine wahlloſen Übungen kam von jetzt ab wieder ein gewiſſer Sinn.

Er ſchwamm von neuem alle Stilarten und alle ingen durch, ließ ſich die Zeit nehmen, wenn er gerade den Bademeiſter oder ſonſt einen Bereitwilligen dazu fand, und ohne noch in ein beſtimmtes Training zu treten, erprobte er doch ſchon vorſichtig und unſicher wie ein Anfaͤnger ſeine Fertigkeit.

Allmaͤhlich wurde er ruhiger, je ſicherer er wurde. Er konnte ſich nicht mehr verhehlen, daß fein furchibares Erſchrecken nach jenen erſten, im Grunde belangloſen Niederlagen toͤricht und uͤbertrieben, und daß von einer ernſtlichen Erſchuͤtterung feiner Kraft wohl nie die Rede geweſen war; daß ein paar Wochen ruhigen Lebens fie vielleicht ganz von ſelbſt in das alte Geleiſe gebracht hätten und fo eigentlich dieſer ganze Bruch unndtig und im Grunde etwas laͤcherlich und darum eigentlich beſchaͤmend ar Aber eines blieb trotz allem. Wenn auch ſeine Kraft nicht erſchuͤttert war, fein Selbſtvertrauen war es auf jeden Fall! Dieſes ſtolze Selbſtvertrauen, entſtanden nicht in einer Stunde, ſondern aus empfangsfaͤhigem Boden jchlichtern und langſam emporgewachſen, ſtetig erſt bewaͤſſert durch kleine, dann genaͤhrt durch immer größere

Erfolge, Wurzel ſchlagend in beifpiellofen Siegen, und

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28 endlich untrennbar, Weſen und Eins, mit der benen. lichkeit, mit ihm, ihm Franz Felder!

Dieſes Inſichtſelbſt⸗Vertrauen war erſchuͤttert! 9 feine Kraft, fein Selbſtvertrauen mußte er daher wied gewinnen!

Dazu war nun das Leben, wie er es fuͤhrte, am wenigſten geeignet. Unfaͤhig, Vergleiche zu ziehen, drucke zu empfangen und wiederzugeben, konnte er nur naͤhren an den Maßen feiner Einbildung. Und n jedem neuen über ſich erfochtenen Sieg ſeiner Kraft nahm es Dimenſionen an, an die Felder früher nie ges dacht hatte. Schon aus dem einfachen Grunde nicht gedacht, weil er fruͤher geſchwommen, ſo gut er es konnte, ohne zu denken.

Zahlen waren es, die er jetzt verglich: Zahlen gegen Zahlen. Nicht Leiſtungen warme Leiſtungen des Lebens gegen Leiſtungen.“ Wie er aber den Tag er⸗ ſehnte, an dem ihm das zum erſten Male wieder mögl fein würde!

Dann würde er wieder leben. Denn dies Leben d Einſamkeit, wie er es jetzt fuͤhrte, war kein Leben mehr.

Er litt unter ſeiner eigenen Einſamkeit. Wie ſehr er litt, wußte er ſelbſt nicht einmal mehr.

Er war immer allein, und allmaͤhlich kam es wie ein Traum vor: die alten, lieben Freunde, die laute fröhlichen Feſte, feine ſenſationellen Siege waren fi in der Tat jemals Wirklichkeit geweſen? Der Taumel feiner Sicherheit, feine Wagniſſe, feine Reifen?

Er wollte nicht an die Vergangenheit denken. Er wollte ſich vorbereiten auf die Zukunft. Denn alles

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erſt noch vor ihm. Hinter ihm lag nur ein Anfang, ein in feinem Ende mißgluͤckter Anfang. Aber was er nicht hindern konnte, war: daß zuweilen Bilder dieſer Vergangenheit vor ihm aufſtiegen, und vor allem Bilder des letzten Jahres, der Zeit, als er ſchon nicht mehr ſo ganz und gar in dem engen Kreiſe der Genoſſen gelebt, ſondern neue, fremde Menſchen und andere Lebensweiten ſich ihm aufgetan. Und er ſah noch zuweilen das hohe, nuͤchterne Atelier des Bildhauers vor ſich, die kahlen Waͤnde und die ſeltſamen Figuren, und den Kuͤnſtler ſelbſt, ſchweißbedeckt, ſchweratmend und in innerlichen Kaͤmpfen qualvoll ringend; und das warme, gemuͤtliche Zimmer des Doktors, den froͤhlichen, freund⸗ lichen Mann mit den blitzenden Augen und der lebhaften Stimme, unermuͤdlich im Erzaͤhlen und voll Intereſſe fuͤr ihn; und zuweilen ſah er auch fie... Aber da wandten ſich ſchnell ſeine Gedanken. Er wollte davon nichts mehr wiſſen und zwang ſich zum Vergeſſen. Und nur in ſeinen Traͤumen erregte ſie ihn zuweilen noch, wie ſie es damals getan. Doch auch dieſe Traͤume wurden ſeltener und ſeltener und ſchwanden endlich ganz, wie ihr Duft allmaͤhlich aus ſeinen Kleidern gewichen war, dieſes ekelhafte Parfüm, das feinen Körper vers giftet hatte.

Und endlich wurden die Geſtalten blaſſer und blaſſer und ſchwanden ganz, ſo wie Felder es wollte. Alles, was hinter ihm lag, wurde weſenlos und ver⸗ A lor feine letzte Macht ſelbſt über feine Erinnerung. Hatte er es Überhaupt erlebt? Oft vermochte er kaum mehr daran zu glauben. Aber

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Wenn man ihn vergaß er hatte nichts vergeſſen. In der ganzen deutſchen Schwimmerwelt gab es keinen, der mit ſchaͤrferem Auge alle Vorgaͤnge in ihr verfolgte, keinen, der mit groͤßerer Haſt nach den Berichten griff, als Franz Felder. Kein Ereignis von irgendwelcher Be⸗ deutung entging ihm. Er las alle Zeitſchriften, die irgend⸗ wie in Betracht kamen; er war unterrichtet über alle Veranſtaltungen und über den Verlauf einer jeden. Kein neuer Name blieb ihm fremd, kein Sieg von irgend⸗ welcher Bedeutung unbekannt.

Es wurde ſeine Beſchaͤftigung, an manchen langen, einſamen Abenden die Sportszeitſchriften durchzuſehen, alte und neue, und Vergleiche uͤber Vergleiche anzuſtellen z wiſchen dem, was geleiſtet wurde und geleiſtet war

von ihm ſelbſt. | Er wurde innerlich immer ſicherer.

Als das erſte große Sommerſchwimmen des Berliner

Schwimmerbundes herannahte, draͤngte es ihn mit Macht

zur Beteiligung. Aber er bezwang ſich und dachte an

den Schwur, den er ſich ſelbſt in jener Nacht der Ver⸗ zweiflung getan. Nein, er wollte nicht! Was er tun wollte nicht

Berlin, nicht Deutſchland, Europa ſollte es ſehen. Dazu

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gab es nur eine Gelegenheit. Er mußte ſie erwarten. Noch war ſeine Stunde nicht gekommen. |

Er blieb fern. Aber es wurde ihm ſchwer. Zum erſten Male ſah er den Preis ſeiner Vaterſtadt uͤber die kurze Strecke, der vor vier Jahren ſein erſter großer Sieg geweſen und den er ſeitdem Jahr fuͤr Jahr behauptet, in fremden Beſitz uͤbergehen. Freiwillig gab er den Meiſtertitel Berlins aus den Haͤnden und ſeinen Namen neuer Vergeſſenheit preis! Freiwillig denn an dem⸗ ſelben Tage ſchwamm er, für ſich allein, einmal am Morgen und einmal am Nachmittage in einer eben ge⸗ öffneten, entlegenen Badeanſtalt der Umgegend die hundert Meter in einer Zeit, die ſeinem eigenen Rekord vor zwei Jahren faſt gleichkam und die Zeit des Siegers auch eines alten Gegners beide Male übertraf.

Er biß die Zaͤhne aufeinander. Er wollte noch nicht. Denn er durfte noch nicht!

Wieder vergingen Wochen, und der Sommer war da. Das Waſſer wurde taͤglich waͤrmer. Langſam nahte ſein Tag: der Tag des großen Feſtes des Allgemeinen deutſchen Schwimm verbandes, der größten internationalen ſchwimm⸗ ſportlichen Veranſtaltung des Jahres, nicht nur fur Deutſch⸗ land, ſondern alle benachbarten Laͤnder; der Tag der großen Entſcheidungskaͤmpfe über die allererſten Meiſterſchaften des Weltteiles.

Und er erwartete ihn.

Dann fiel fein Blick eines Tages im „Wel Eport⸗ auf ſeinen Namen, ſeit langer Zeit zum erſtenmal wieder, und ſein Herz ſchlug hoͤher bei dem, was er las. Es war eine Kritik des letzten Berliner Bundesſchwimmens

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und in der Hauptſache die Beſprechung des Sieges des jungen Georg Bauer vom „Triton“, wo es am Schluß hieß: 2 „Die Leiſtung dieſes jungen Mannes erinnert uns in ihrer ſelbſtbewußten Kraft und der idealen Schönheit ihres Stils an diejenigen des noch vor kurzem uberall genannten Meiſters von Europa vom Vorjahre. Unſere Leſer wiſſen, daß wir von Franz Felder ſprechen. Sie wiſſen auch, wie ſehr wir ſtets gerade fuͤr dieſen Schwimmer eingetreten ſind, und erinnern ſich, welche Hoffnungen und Wünfche wir noch auf Jahre hinaus für ihn gehegt und ausgeſprochen haben. Um ſo ſchmerzlicher war wie wohl überall unſer Bedauern und um fo größer unſere Enttaͤuſchung, dieſen in Haltung und Kraft einzigen Schwimmer ſo jaͤh niedergehen und dann von einem Tage zum anderen, nach einigen aͤußerlich gar nichts be⸗ deutenden Mißerfolgen, plotzlich von der Bildfläche ver⸗ ſchwinden zu ſehen: aus Gruͤnden, die offenbar tiefer liegen, als daß wir ihnen hier öffentlich nachgehen dürften.

Es wäre ſicherlich ein einziger Genuß für jeden feineren Kenner geweſen, am vergangenen Sonntag z. B. ihn und Bauer zugleich an den Start gehen und die reifende Kraft des Juͤngeren mit der gereiften des Meiſters in einer Form wetteifern zu ſehen, die bei der rohen, immer mehr eingreifen⸗ den Preisjaͤgerei gaͤnzlich in Vergeſſenheit zu geraten ſcheint.

Werden wir ein Schauſpiel dieſer Art nie mehr er⸗ leben? Faſt ſcheint es ſo. Aber wir koͤnnen die Hoffnung noch nicht aufgeben, Felder eines Tages wieder an der Arbeit zu ſehen, und möchten heute nur noch⸗ mals auch im Hinblick auf manchen ungerechten An⸗ griff, der den Meiſter mit zu ſeinem ſonſt raͤtſelhaften

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entſchluß, ſich fo ganz zurückzuziehen, getrieben haben mag betonen: wenn auch die neuerlichen Leiſtungen des Nachwuchſes jedes Lobes wuͤrdig ſind und manchen zum Nachfolger Felders geradezu praͤdeſtinieren, ſo ſcheint Allen doch völlig zu fehlen, was der Perfönlichkeit dieſes Meiſters ſo ſehr eigen war dieſe innerliche Leidenſchaft und Liebe zur Sache, dieſes Aufgehen in ihr mit Leib und Seele, dieſe unbedenkliche Hingabe der Begeiſterung, die wir in ſeinen phaͤnomenalen, oft uͤber die eigene Kraft hinausgehenden Leiſtungen zu oft bewundert haben, als daß wir uns über fie taͤuſchen koͤnnten. Dadurch nicht durch die Teilnahme an dem aͤußeren Ausbau des Schwimmweſens, wie er in den Klubs betrieben wird, und auch nicht durch ſeine Siege hat Felder ſeiner geliebten Sache den groͤßten Dienſt geleiſtet und ihr in den Augen Vieler eine hoͤhere, gewiſſermaßen edlere Be⸗ deutung gegeben, als ſie bis dahin beſaß. Das ſollte ihm unvergeſſen bleiben und ſeine Gegner daran erinnern,

daß Menſchen dieſer Art ihre eigenen Wege gehen und

gehen müſſen, weil fie nur auf ihnen ihre oft nur von ihnen ſelbſt geahnten oder erkannten Ziele er⸗ reichen koͤnnen ..“

Wie das Herz des Leſenden ſchlug!

Was er ſelbſt ſich nie klar gemacht, was er aber ahnte und dem er nachging dieſer Mann, der das geſchrieben, hatte ihm Worte gegeben! Er war der Einzige, der ihn ganz verſtand! 1

„Menſchen dieſer Art gehen ihre eigenen Wege..“ Ging er nicht die ſeinen, war er ſie nicht ſtets gegangen, getrieben von einer inneren Stimme, die das Raufchen-

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und Brauſen auch des lauteſten Beifalls übertönt hatte? UE Und wenn er ſie eine Zeitlang nicht mehr vernommen, war ſie es nicht geweſen, die ihn zuruͤckgelockt hatte zu ſich? Hoͤrte er fie nicht wieder? Und rief fie ihn nicht, wie damals den armen, kleinen Jungen, jetzt wieder, ihn, den Meiſter, zu Zielen, von denen niemand wußte, auch er ſelbſt nicht?!!

Ja, ſie rief ihn wieder, und er hoͤrte ſie: rein und klar, wie nur je!

Ein paar Tage ſpaͤter holte er eines Abends Koepke aus ſeinem Geſchaͤft ab. Die Ausſchreibungen zu dem großen internationalen Verbands⸗Schwimmen waren ſo⸗ eben crlaſſen.

Felders Tag war gekommen.

In einem Reſtaurant ſetzten ſie ſeine Meldung auf: in dem uͤblichen, geſchaͤftsmaͤßigen Stil, aber doch noch Wort fuͤr Wort uͤberlegend. Und als Koepke ſie abge⸗ ſchrieben, ſetzte Felder das uͤbliche: „Mit Schwimmer⸗ gruß ...“ und feinen Namen darunter in feiner klobigen, muͤhſamen Handſchrift. Auch die Einzahlung des Eins ſatzes von 20 Mark, die Felder ſchon lange zuruͤckgelegt, verſprach Koepke zu beſorgen, und Felder durfte ſicher ſein, daß es puͤnktlichſt geſchehen wuͤrde. Befriedigt legte er die Feder aus der Hand und laͤchelte zum erſten Male ſeit langer Zeit wieder.

Dann aber, als ſie nach geſchehener Arbeit noch zu⸗ ſammenſaßen, da brach es plotzlich aus Felder hervor! L Er wußte ſelbſt nicht, wie es ſo ploͤtzlich kam, aber er mußte ſprechen, um endlich einmal wieder die eigene

Stimme zu hören. Und während der kleine Kaufmann 19*

zuhbrte, ſtroͤmte vor ihm aus gequaͤlter Bruſt Alles her

1 Wanderung von Gipfel zu Gipfel!

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erſt erſtaunt und betroffen, dann ganz betäubt wortlos

vor, was fie feit Monaten zum Erſticken bedruckte. Man hatte ihn vergeſſen! Ja, er wußte es wohl. Er hatte ſich von der Schwimmerei zuruͤckgezogen. r konnte nichts mehr. Er war fertig. Er war toet Aber wie fie ſich Alle taͤuſchten! Sie Alle mit⸗ einander! 1 Was wußten fie denn von ihm? Verſtanden fie ihn überhaupt? Ahnten fie auch nur, was er gewollt hatte? —- Wie ſollten ſie begreifen, was er erſt wollte?! Sie glaubten ihn fertig, und er war erſt am Anfang. Sie glaubten ihn geſtuͤrzt, die aus dem Tale Zu: ſchauenden. Aber er war nur für eine kurze Weile hinter einer Felsecke verſchwunden, um auszuruhen zur neuen

In vierzehn Tagen würde er wieder vor ihren Augen erſcheinen und eine Wanderung beginnen, auf der ſie ihm überhaupt nicht mehr folgen konnten. 1

Er war noch nicht einundzwanzig Jahre alt. Er war noch gar nicht im Vollbeſitz ſeiner Kraft. Wenn er ſich einen Augenblick je eingebildet, ſie verloren zu haben, ſo war er ganz einfach ein Narr geweſen. Auf jeden Fall fühlte er fie jetzt wieder, jo mächtig und ungebaͤrdig, daß er den Tag nicht mehr erwarten konnte, fie zu er⸗ proben. Und da er jetzt wußte, wodurch er ihr ſchaden konnte, brauchte er nur alles zu vermeiden, um ſie un⸗ geſchwoͤcht ſich die naͤchſten zehn Jahre zu ihrer Hoͤhe entwickeln zu laſſen und ſie dann noch zehn Jahre auf ihrer Höhe zu erhalten. Das aber waren zwanzig Jahre!

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Und in dieſen zwanzig Jahren wollte er es in ſeiner Sache zu Leiſtungen bringen, wie ſie bisher uͤberhaupt noch nicht dageweſen waren. Und zwar nicht in dem engen Rahmen des Sports, unter der Vormundſchaft und beengt durch die Regeln der Klubs und Verbaͤnde, ſondern als freier Schwimmer der Welt, ſeinetwegen auch als ‚Profeffional‘, wenn fie es denn fo nennen wollten a

Wenn er in Gruͤnau noch einmal innerhalb des bis⸗ herigen Rahmens ſchwimmen ſollte, ſo tat er es, weil er hier noch eine alte Rechnung einzuloͤſen hatte. Aber es ſollte nur ein Wiederbeginn ſein. Unzweifelhaft wuͤrde ihm der S.⸗K. B. 1879 nach ſeinem Siege von ſelbſt die Mitgliedſchaft wieder anbieten, wahrſcheinlich ihn gleich zu ſeinem Ehrenmitgliede ernennen.

Er wollte ſie annehmen.

Dann aber ſollte ſein Weg in die Weite beginnen.

Berlin was war Berlin? Das war ein ab⸗ gegrafter Boden, auf dem es nichts mehr zu holen gab. Und auch in Deutſchland waren der Staͤdte wenige, wo er noch Ehren erlangen konnte, die er noch nicht beſaß.

Aber das Ausland! Dahin mußte er. Zunaͤchſt nach England. Und wenn er von dort mit neuen Ehren und neuen Mitteln zurückgekehrt war, dann ſollten ſeine großen Reiſen von einer Hauptftadt zu der anderen bes ginnen, und überall würde er feine Kunſt wenn es ſein mußte: vor der ganzen Offentlichkeit zeigen und den Ruhm feines Namens über die ganze Welt tragen

So ſprach Felder. Seine ungelenken Worte Über ſtürzten ſich, und feine Augen glaͤnzten wie im Fieber,

und ig ihm zu, ohne ihn zu v

72

In unſaͤglicher Spannung erwartete Felder ſeinen Tag Er lebte nur noch in dem Gedanken an ihn. Nie vor⸗ her hatte er mit ſolcher Sorgfalt ſich auf alles vorbereitet.

Seine Meldung war angenommen worden. Natürlich. Sie haͤtten ſie gar nicht abweiſen koͤnnen. Es lag nicht das geringſte gegen ihn vor.

Dann wurden die Teilnehmer bekannt gemacht. Felder verſchlang die Namen, und er haͤtte aufſchreien moͤgen vor Freude das war, was er gewollt, und mehr, als er je zu hoffen gewagt: die allererſten Namen, nicht nur Deutſchlands, ſondern Europas! Er kannte alle, vom erſten bis zum letzten! Da war zunaͤchſt Rieſecker, der der Meiſter Deutſchlands geweſen war bis zur Stunde, wo er ihn zuruͤckgedraͤngt hatte aha, jetzt wagte er ſich wieder hervor, fein alter Gegner; dann Scarpetta, der Meiſter Italiens, dem wohl wieder einmal nach einer Niederlage gelüftete; Anton Riegler, der Meiſter Oſter⸗ reichs und Ungarns zu gleicher Zeit der Europas wurde er nie werden, fo lange Felder lebte; Magelsdorffer, der im vorigen Jahre die große Rheinmeiſterſchaft über 7500 Meter erfochten er ſollte aber doch lieber in ſeinem heimatlichen Strom bleiben. Dann der junge Nachwuchs: vor allem der junge Magdeburger Seubert

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wieder nun, nur nicht fo eilig, junger Mann; und auch du nicht, Georg Bauer ihr jungen Haͤhne kraͤht zu früh...

Sie würden alle kommen, mit Ausnahme der Enge laͤnder wieder. Nun, mit denen wuͤrde er ja bei der naͤchſten Gelegenheit noch ein Wort reden

Sie waren alle da, und Felders innere Freude kannte keine Grenzen. Jetzt erſt war er wieder ganz ruhig.

Wat für ein Schwimmen ſollte das werden! Langſam, viel zu langſam kam endlich der Tag für den Einſamen heran.

Felder lag im Bett bis gegen Mittag. Mit offenen Augen ſtarrte er die Kraͤnze und Bilder an den Waͤnden an. Endlich hielt er es nicht mehr aus.

Früh am Nachmittag fuhr er hinaus nach Gruͤnau. In dem kleinen Paket in der Hand trug er ſein Trikot. Der Zug war überfüllt mit Ausflüglern.

In Grünau ging er gleich zum Sportplatz und dort hinter den Reihen der Zuſchauer entlang zu den ihm ſo wohlbekannten Ausklcideftellen, wo bereits uberall Kleider hingen. Er ſuchte ſich die entlegenſte freie Ecke und zog ſich langſam aus.

Es war vier Uhr. Vor fünf konnte das 600 Meter⸗ Rennen kaum beginnen. Als er das Trikot über feine glühenden Glieder zog, war er noch immer ganz allein in dieſer Ecke hier oben. Dieſes Trikot hatte er ſich für ſein heutiges Schwimmen als Einzelſchwimmer machen laſſen, und wochenlang hatte er darüber nachgedacht, was er waͤhlen ſollte und durfte. Endlich hatte er ſich ent⸗ ſchieden: ganz weiß, nur am Rande mit einem goldenen

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Streifen; und ebenſo die Badehoſe: ganz weiß, mit goldenen, ſchmalen Streifen und vorn mit einem ein⸗ fachen goldenen Stern. Das waren die Farben keines Klubs, das war kein Abzeichen, das war noch von nie⸗ mand jemals gewaͤhlt worden es ſollten die ſelbſt⸗ gewaͤhlten Farben ſein, unter denen er heute fuͤr ſich ganz allein ſiegen wollte, heute, dies eine Mal, bevor bevor er wieder fuͤr andere kaͤmpfen wollte. Leicht und ſtraff legte ſich der duͤnne, faſt durchſichtige Stoff um ſeinen Koͤrper, nur Arme und Beine frei laſſend, nirgends beengend, jeder Bewegung nachgebend, wie die Trikots der Akrobaten und Athleten. Felder hätte keine einfacheren und beſcheideneren und doch herausfordernd⸗ bedeutungsvolleren Farben wählen koͤnnen, ale dieſe: Weiß und Gold!

Noch immer kam niemand, und er ſtand bereits fertig. Von dieſem Fleck aus konnte er nicht nur den ganzen Sportplatz unter ſich, ſondern weithin die ganze Gegend überblicken, Vor ihm unter den Baͤumen fielen die langen Bankreihen itufenförmig bis zum Waſſerſpiegel nieder, dicht beſetzt mit den Zuſchauern, um fo dichter, je näher der Kampfplatz, alle es ſich fo bequem wie möglich machend, die Frauen in luftigen Sommerkleidern, die Maͤnner oft in Hemdsaͤrmeln, trinkend, lachend, ſich den Schweiß abtrocknend und immer wieder die Aufmerkſamkeit den Spielen zuwendend ... Kinder, die ſich langweilten und balgten, zwiſchen ſich ... Weiter unten die Farben der Klubs, die ſchwarzen Nöde und Fraͤcke der offiziell Beteiligten, der geladenen Gaͤſte, der Richter, der Ver⸗ anſtalter ... dann die nackten, hellen Geſtalten der

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Kaͤmpfer .. endlich der abgeſteckte Platz mit ſeinen fahnen⸗ geſchmuͤckten Geruͤſten, die auf Tonnen ſchwammen auf dem Sprungbrett die ſchnell ſich ablöfenden Geſtalten, in ſeltſamen Formen die Luft durchſchneidend und in dem aufſpritzenden Waſſer verſchwindend ... Leben, Bewegung überall, überall Kommen und Gehen: der erregte und doch verhaltene Ernſt, die geſpannte Aufmerkſamkeit dieſes Feſtes, nur unterbrochen durch den zeitweiligen, toſenden Jubel der Zuſchauer, aber alles gebannt, etwas gelaͤhmt durch die drohende Schwule dieſes Julitages i Und darüber hinaus die ganze, weite Landſchaft, das leuchtende Waſſerbecken, hier ſich zum See verbreiternd, dort, gegen Weſten, ſich in traͤgem Fluſſe verengernd, an feinen Ufern die menfchenüberfüllten Sommergaͤrten, von denen Muſik berüberfchaflte, beſaͤt mit Booten und Fahr⸗ zeugen, auf welchen die ſonntagsfreudigen und arbeits⸗ muͤden Großſtadtmenſchen ſich dahintreiben ließen; dann dort drüben das einfache und in feiner Einfoͤrmigkeit doch ſo tiefe Bild dunkler Kiefern und des weißen, maͤrkiſchen Sandes: die ſanften Linien der Muͤggelberge, gebrochen am Horizonte durch den ſcharfen Strich eines Aus ſichtturmes, aber ſonſt leiſe und wellig dahingleitend, in ihrer milden Freundlichkeit mehr geſchaffen fuͤr den ſtillen Ernſt des Herbſtes, als fuͤr dieſe grelle Sonne, der die geraden Staͤmme regungslos, ohne Erzittern, wie betäubt, ftandhielten . | Felder wußte nichts von der Schönheit und von ber Einfoͤrmigkeit diefer Gegend. Er hatte nie etwas anderes gekannt, wie ſie, und die Bilder ſeiner Reiſen hatte er geſehen, wie andere ſie für zehn Pfennig im Automaten

ge ſahen. Er ſah nur das Waſſer. Und es gligerte und glaͤnzte und lockte und rief; und ungeduldig griff er nach ſeinem Tuch.

Dies Waſſer war ſeine Heimat; dies Waſſer war ſein Land. ö

Genau war mit Koepke der Zeitpunkt verabredet, an dem dieſer ihn abholen ſollte: bei Beendigung der ſechſten Konkurrenz, des Hindernisſchwimmens; ſpaͤteſtens aber vor Beginn der ſiebenten: des Springens um die Deutſchland⸗ Meiſterſchaft, der als achte dann das große Haupt⸗ ſchwimmen folgen ſollte. Zeit genug alſo. Und Felder war ſchon fertig. Er wußte, daß Koepke kommen wuͤrde. Hierher.

Die Ungeduld ergriff ihn. Wurde denn das Sprung⸗ brett dort unten niemals leer? Immer von neuem erſchienen die Springer. Und mit der Ungeduld kam die Angſt uͤber ihn, jene Angſt, die er nur ein einziges Mal in ſeinem Leben geſpuͤrt: damals, vor ſeinem erſten großen Siege, an jenem grauen Wintertage, in der truͤben Ecke des Winterbades der Waſſerfreunde, als er ſo wie heute darauf wartete, daß man ihn holen ſollte.

Aber wie durfte er heute Angſt haben! Und doch fühlte er fie, wie eine Drohung, über ſich, und er atmete erleichtert auf, als dort unten eine Bewegung durch die Reihen ging, die das Ende eines Rennens an⸗ deutete. Dann ſtuͤrzten naſſe Geſtalten herauf, ohne ſich um ihn zu kümmern, riſſen ſich lachend und laͤrmend und noch ſchweratmend von der Arbeit, die Trikots vom Leibe, nach Hemd und Hofe greifend, und ſogleich ers ſchien auch puͤnktlich zur Sekunde Koepke.

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Da fiel die Unruhe von Felders Bruſt, und hoch⸗ erhobenen Hauptes, das Badetuch laͤſſig um die Schultern geſchlagen, ſtieg er langſam und ohne ſich umzuſehen, durch die Reihen der Zuſchauer hernieder und ſchritt auf die Bahn zu. Auch dort vermied er, irgend jemand mit dem Blicke zu ſtreifen, ſondern lehnte ſich ruhig an das Gelaͤnder, das naͤchſte Rennen erwartend, und als es begann, ihm aufmerkſam mit den Augen folgend. Aber er fühlte, wie man ihn anſah von allen Seiten; er wußte, daß in dieſem Augenblicke aller Augen auf ihm ruhten. Nicht jetzt wollte er ihnen begegnen. Nach dem Siege dann! Nur einmal ſah er auf und maß mit dem Blicke die lange Bahn, die man für das 600 Meter⸗Rennen beſonders abgeſteckt hatte. Welche der ſieben Nummern war wohl die ſeine? Wuͤrde er in der Mitte oder an der Seite liegen?

Die Hitze wurde immer druͤckender; der Himmel war nicht mehr ſo rein, wie am Mittag, ſondern faͤrbte ſich ins Graue, und leichte Wolken lagerten ſich hier und da. Er war wie geladen mit Spannung, und ein Gewitter konnte jede Minute losbrechen. Luft und Waſſer lagen ſtarr, und die Blätter der Bäume hingen ſchlaff hernieder. es war unerträglich, aber alle hielt die Erwartung auf das Kommende aufrecht.

Dann war auch dieſes Rennen zu Ende, und irgend N jemand, den er nicht kannte, ſagte etwas zu Felder, was dieſer nicht recht verſtand. Ach ſo, es ſollte vor dem Beginne des Wettkampfes das übliche Bild aufgenommen werden. Und er ſtellte ſich 44 aber er wußte nicht, wer neben ihm ſtand. War es

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Scarpetta oder der junge Seubert? Er ſah nur immer gerade aus, ſeine Augen hatten einen ganz ſtarren Aus⸗ druck angenommen, und in dieſem Moment ſah jeder, der ihn fruͤher gekannt und ihn nun zum erſten Male ſeit Monaten wiederſah, wie ſehr er ſich veraͤndert hatte.

Das war nicht mehr das weiche, runde, gutmuͤtige Geſicht Franz Felders, wie man es kannte von fruͤheren Zeiten her und ſo vielen Bildern, das unbekuͤmmerte Geſicht des Knaben und des gluͤckſtrahlenden Juͤnglings; das war nicht mehr der vertrauende, freundliche Blick, der dieſen Zuͤgen auch dann noch geblieben war, als die letzten Jahre ſchon die Linie der Entſchloſſenheit bis zur Härte vertieft hatten: das war das fruͤhalte, herbe Geſicht eines Mannes, in dem die Leidenſchaften ihre Spuren hinterlaſſen haben; und in dieſen Augen, die über alles hinweg in eine weite Ferne blickten, brannte nur noch das Feuer eines duͤſteren Willens, der entſchloſſen war, ſich durchzuſetzen, und ſei es über Leichen .. Und wie ſein Geſicht, ſo hatte auch Felders Geſtalt alle Weich⸗ heit verloren; jetzt ſah man deutlich, welche Kraft in dieſer hageren Sehnigkeit und in dieſen ſtraffen, eiſernen Mus keln lag.

Das Bild war aufgenommen. Irgendein anderer, deſſen Stimme ihm bekannt in die Ohren ſchlug, gab Felder die ſchwarze Muͤtze und nannte ihm die Nummer feines Platzes den zweiten links. Aber Felder fah und hörte überhaupt nichts mehr, als nur dieſe eine Zahl; und waͤhrend er ſich zu ihr durchdraͤngte, verſchwammen alle dieſe Geſichter um ihn her vollig in ein großes Ganzes die Starter, die Feſtteilnehmer, die Sports⸗

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leute, die Zuſchauer und erſt, als er im Waſſer mit der Hand an ſeiner Nummer lag, kam er wieder zur Be⸗

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ſinnung. Jetzt ſchaute er um fich: links neben ihm als Fi Nummer eins lag der junge Georg Bauer mit feinem lachenden Geſicht, als ſei dies Schwimmen ein Spielz rechts neben ihm, totenblaß und mit aufeinanderge⸗ biſſenen Zaͤhnen Rieſecker; dann, als er den Kopf nach hinten bog und emporſah, ob das Zeichen noch nicht gegeben wurde, erkannte er unter den Geſichtern dort oben über ihm, wie im Fluge, aber ganz deutlich vier, fuͤnf Geſichter ſeiner alten Freunde aus dem S.⸗K. B. 1879, unter ihnen das ernſte Geſicht Nagels. 4 Aber er durfte jetzt nur noch eines denken; und als er, wie um nichts mehr zu ſehen, fein heißes Geſicht für k eine kurze Sekunde in das Waſſer tauchte, wurde uͤber ihm das Zeichen gegeben. Die anderen hatten bereits abgeſtoßen. Mit einem Schlage war er unter ihnen Die erſten Laͤngen ſchwamm er unter dem Bann des einzigen Gedankens, feinen Stil moͤglichſt innezuhalten und ſich nicht unnüß auszugeben. Er mußte ſich zuͤgeln, ſo groß war das Übermaß von Kraft in ihm. Über die kurze Strecke eigentlich immer ſein Favoritgebiet - hätte er bereits gewinnen konnen. Dann kamen ihm in der dritten Laͤnge gegen den Strom zu beiden Seiten die Gegner wieder nach. Er hielt indeſſen ſeinen Stil inne, ohne ſich zu uͤberhaſten, und erſt in einer der naͤchſten es mußte nach feiner Berechnung die fünfte fein ergriff ihn die Unruhe, ihn aufgeben zu muͤſſen, da er glaubte, ſich ſonſt nicht behaupten zu koͤnnen. Eine Länge, die mit dem Strom, wenigſtens wollte er es indeſſen

BR: = noch verſuchen, bevor er dann mit feinem Endſpurt etwa Verlorenes wieder einbringen mußte. Er ſah ſich jetzt nicht mehr um.

Er ſchwamm, und er wußte, wie gut und ſicher er ſchwamm

Jetzt noch eine Laͤnge, und dann noch eine. Und waͤhrend dieſer einen, die er fuͤr die vorletzte hielt, wurde er die Gegner nicht los. Er fuͤhlte, es war unmoͤglich auf dieſe Weiſe. Er mußte ſeinen Stil aufgeben und ſich durchs Ziel arbeiten, ſo gut es ging.

Er ſchlug an.

Und nochmals ſtieß er ab.

Und jetzt er fuͤhlte es, wie er am Ende ſeiner Kraft war. Er wuͤrde auch dieſe Laͤnge noch zu Ende bringen, die wie endlos vor ihm lag, aber ſo wie die anderen nicht mehr. Wer war denn noch neben ihm?. Er ſah zur Seite. Niemand? Das gab ihm neuen Mut, und er holte zu neuen Stoßen aus. Zugleich aber war es ihm, als ob man ihm zurief, und als er noch⸗ mals unwillkuͤrlich den Blick erhob, ſah er, wie auf dem Seitenſteg ein Herr neben ihm herlief, mit den Haͤnden fuchtelte und ihm fortwährend zuſchrie: Genug! genug! es iſt ja zu Ende!

Zu Ende? Was? Darum lag niemand mehr neben ihm. Er wandte um und ſtieg ans Land.

Die Muſik blies immer von neuem Tuſch; die ganze Zuſchauermenge hatte ſich wie ein Mann erhoben und ſchrie und winkte mit Tüchern und Huͤten, und Felder trat in ein wirres Gewuͤhl von durcheinander redenden und durcheinander laufenden Menſchen.

a Aber wer war es denn, dem man zujubelte? Wem |

galt all diefe Erregung? Wer war der Sieger?

Einer konnte es doch nur fein.

Niemand ſchien es zu wiſſen.

Nur daß er es nicht war, das ſah er! Niemand kam zu ihm, niemand kümmerte ſich um ihn.

Da ging er langſam an dem Ufer entlang und an der Seite der Umzaͤunung empor zu ſeinem Platze. Mecha⸗ niſch kleidete er ſich an, und ſeine Augen hatten wieder den ſtarren, abweſenden Ausdruck. Er war wie zerſchlagen. Er begriff noch nichts. Nichts, als das eine: daß er unterlegen war!

Mechaniſch ftreifte er ſich auch das breite Band der Ehrenmitgliedſchaft der Lite Saving Society um den Hals, die hoͤchſte Ehrung, die ihm je zuteil geworden wat, und die einzige, die er neben den großen goldenen Medaillen feiner Eutopa⸗Meiſterſchaft an dieſem bedeutungsvollen Tage angelegt hatte.

Er ſtrich es noch unter dem Rock glatt, als Koepke in hoͤchſter Aufregung beraufitürmte.

Menſch, rief er ihm ſchon von weitem zu, was warteſt Du denn nicht! Na, da unten geht es ſchon zu! .. Aber was wollen fie denn machen! Du warſt es doch nun einmal

Felder ſtarrte ihn an. Der Kleine wiederholte nur immer in einem fort: Großartig! aber wirklich großartig! Ah, was die ſich aͤrgern dort unten, das iſt ja ein Schauſpiel fir Götter!

Felder begriff noch immer nichts. Er packte ihn am

ER Arme. Er wollte wenigſtens willen, gegen wen er unterlegen war. „Wer hat geſiegt?“ ſtieß er hervor.

Wer geſiegt hat? ſchrie da der andere. Wer geſiegt hat, fraͤgt er, und iſt es ſelbſt!

Mit einem Ruck zog Felder die Jacke feſt, fuhr mit der Hand durch die Haare und richtete ſich auf. Mit einem Blicke uͤberſah er, wie vorhin, das Bild zu ſeinen Fuͤßen. Es hatte ſich völlig geändert.

Vom Himmel fielen, jede Minute dichter, die erſten Tropfen, und ein Teil der Zuſchauer hatte bereits die Plaͤtze verlaſſen. Die übrigen ſchickten fich an, zu flüchten; die Frauen rafften ihre Kleider zuſammen, und die Maͤnner ſchluͤpften in ihre Roͤcke. Nur dort unten beim Kampfplatz ſtanden dicht zuſammen die erregten Gruppen. Selbſt von hier oben aus konnte man erkennen, daß etwas Außergewoͤhnliches geſchehen ſein mußte.

Langſam von ſeinem Freunde gefolgt, den Strohhut in der Hand, ſtieg Felder den Abhang hinunter. Er war wie verwandelt. Er laͤchelte.

Denn jetzt war feine Stunde gekommen! ... Und er hatte nur noch einen Gedanken: moͤglichſt ruhig zu erſcheinen, die wilde, unbaͤndige Freude, die ihn wie neugeſchenktes Leben durchrann, nicht zu ſehr merken zu laſſen. Aber ganz konnte er fie nicht verbergen: fie lag auf ſeinen Lippen, ſie ſchien aus ſeinen Augen, und ſein verhaͤrmtes Geſicht bedeckte eine ſchwache Nöte,

Er kam zu der erſten Gruppe, wo heftig durch⸗ einander gefchrieen wurde es war Felder, als ob einige ihn erkannten, ſchwiegen und ihm Platz machten, als er an ihnen vorbei ging.

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er getan, lächelte, als er Felder erkannte, und ging fort, ohne ihn anzuſprechen.

Die naͤchſte war die der „Boruſſia“. Er ſah den ihm bekannten Schwimmwart des Vereins an: der wandte ſich ab, und die anderen machten ihm Platz.

Er zoͤgerte einen Augenblick. Dann ging er an der Waſſerſeite entlang auf den Platz zu, wo der Tiſch der Veranſtalter ſtand und das Komitee der Richter ſaß. Sie waren alle beſchaͤftigt, und niemand kuͤmmerte ſich um ihn. Er ſtand vor der großen Tafel, auf der for eben der letzte der drei Sieger angekreidet wurde. Er las zunaͤchſt feinen eigenen Namen: 4

nr eee dann weiter: N 91

2. Bauer eee e 3. Riegler er MEHR Der Schreibende nde ſich um, als er ſeine Arbeit

Felder atmete ſchwer. Er fühlte die feuchten mee 9 nicht, die dichter und dichter fielen; er fuͤhlte wie nie die drückende Hitze dieſes Tages.

Alſo Bauer und Riegler! Welcher Sieg: er e den berühmten Meiſter Oſterreich-Ungarns gleichermaßen geſchlagen, wie die hoffnungsvollſte Kraft der Jugend. Er wußte, daß er vorzuͤglich geſchwommen hatte. Wenn die erreichten Zeiten ſich jo nah lagen eine Außergewoͤhn⸗ lichkeit bei einem Rennen Über eine ſo lange Strecke ſo lag das bei ihm nur daran, weil er durchaus ſeinen Stil beibehalten hatte. Ohne dieſe uberflüſſige Zugabe hätte er leicht heute noch den Weltrekord der 600 Meter

10:02 % verbeſſern koͤnnen. 1

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Es war ein Sieg wie keiner. Vielleicht ſein groͤßter. Weshalb ſchien man das nicht zu begreifen? Was ſollte das alles uͤberhaupt heißen? Warum kam man denn nicht zu ihm?

Auf der linken Seite, der Waſſerſeite, dem Ufer gegen⸗ über, lagen die für die Klubs und die geladenen Gaͤſte reſervierten Plaͤtze. Man ſaß dort nicht mehr, ſondern alles ſtand dicht durcheinander, kam und ging. Nur die Klubmannſchaften bildeten noch einzelne Gruppen.

Dort ſah Felder die blausweißen Farben. Und mit plötzlichem Entſchluß drängte er ſich durch die Menſchen und Stuͤhle, ohne daß ihn jemand beachtete. In ſeinen Augen war alles Licht erloſchen und er laͤchelte nicht mehr.

Nach ein paar Schritten ſtand er ſtill. Er konnte nicht weiter. Er wartete. Er ſtand jetzt der Gruppe ſo nah, daß man ihn von dort aus ſehen mußte.

Jetzt würden fie zu ihm kommen

Er ſtand da und wartete, und Koepke, der ihm gefolgt war, ohne zu wiſſen, wohin Felder wollte, ſtand neben ihm.

Er hoͤrte die Stimmen, bekannte Stimmen, und er wußte, wer ſprach. Das war der Vorſitzende, und das, das war Nagels ruhige, ſichere Stimme.

Niemand kam. Niemand ſchien nach ihm hinzuſehen. Niemand ſprach ihn an. Was ſollte es bedeuten! Was konnte das bedeuten?

Er ertrug es nicht mehr. Und er ging weiter, und dicht an den Mitgliedern des S.⸗K. B. 1879 vorüber.

Er ſah ſie an und ſie ſahen ihn an.

Aber keiner gruͤßte ihn; keiner machte eine Bewegung zu ihm hin.

20*

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Er ging weiter. Er begriff noch immer nichts. Aber er fühlte einen Schmerz, wie er ihn noch nie in feinem Leben gefuͤhlt. |

Er ging weiter und blieb irgendwo am Geländer ſtehen, mitten unter den Mitgliedern des „Neptun“, von denen er faſt keinen kannte.

Das große Hechttauchen war im Gange. Es regnete ſchon ſtark. Ein Kaͤmpfer nach dem anderen erſchien am Start: ging ins Waſſer, erſchien dort halb mit ſeinem Rücken, aber das Geſicht noch immer unter Waſſer, ver⸗ ſchwamm ſich, fuͤhlte es am Anſtoßen, ſchwamm geradeaus, ging ans Land, wurde beklatſcht Felder ſah immer auf das Waſſer vor ſich und begriff noch immer nichts. Er wartete und wartete und wußte ſelbſt nicht, worauf eigent- lich noch 7

Dann war auch das Hechttauchen zu Ende, und in die Umſtehenden, die ebenſo wie er ihre Blicke nur auf die unbewegte Waſſerflaͤche geheftet hatten, unter der der Sieg erfochten wurde, kam neue Bewegung.

Da fuhr auch Felder auf.

Irgend etwas mußte geſchehen.

Er mußte Gewißheit haben. N

Was ging hier vor um ihn? Entweder war ewas 4 gegen ihn im Gange, von dem er nichts wußte, oder ein unbegreifliches Mißverſtaͤndnis vielleicht auf feinen‘ ; 1 eigenen Seite taͤuſchte und verwirrte ihn. a

Jedenfalls mußte ein Ende gemacht werden. 4

Und wieder ging er an feinem alten Klub vorüber.

Aber diesmal blickte er nicht vor ſich hin, ſondern feſt und entſchloſſen ſah er von Mann zu Mann ohne We 1

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A zu gruͤßen, den Hut noch immer in der Hand aber wartend wartend .. worauf? Und überall, wohin er auch ſah, wich man ſeinem Blick aus, nicht bruͤsk und unfreundlich, aber hier in offenbarer Verlegenheit, dort in bewußter Abſichtlichkeit, und meiſtens wie erſtaunt. Seine Fuͤße wurden ſchwer und ſchwerer. Aber er ging weiter.

An der naͤchſten Gruppe, der des „Poſeidon“, wurden ſeine Blicke von einzelnen erwidert. Aber nicht freundlich, ſondern herausfordernd, mit offenbarer Feindſeligkeit, wie er es kaum anders erwartet. Er konnte ſich nicht taͤuſchen. Die Worte: „Groͤßenwahn!“ „Verruͤckt!“ „Der Meiſterſpringer“ und mehrfach das hoͤhniſch betonte „Einzelſchwimmer“ klangen zu vernehmlich an ſein Ohr. Er hoͤrte es und ging weiter.

Weiter und weiter, den Steg entlang. Und wohin er kam, erkannte und beachtete man ihn entweder gar nicht, oder man machte ihm Platz. Nur als er den „Hechten“ naͤher kam, ſchien es, als ob der eine oder andere von dort Miene machte, ihm entgegen zu kommen, und da wendete er ſich ab und ſchritt ſchnell zu den nun faſt völlig geleerten Sitzreihen.

Außer den Vereinen war nun faſt niemand mehr anweſend.

Er ſuchte die Vertreter der Zeitungen, aber ſie mußten bereits gegangen ſein.

Nur Koepke war plotzlich wieder neben ihm. Da fuhr er ihn an: „Was willſt du denn noch? Was laͤufſt du mir denn immer nach? So laß mich doch endlich einmal in Ruhe!“

Das war ſelbſt fuͤr den kleinen Kaufmann zuviel.

x Bar * Eee ö Tre Be: | - 310 5 5 n 4 = Mit gekraͤnkter Miene und ohne Antwort ging er von dannen. | Felder war jetzt ganz allein. u 3 e eee er das nee Seldube: Es war faſt ganz leer und der dichte Regen ſchlug durch die Blatter der Bäume. Jedes Intereſſe ſchien erlahmt und man trieb zum Biere und zu anderer Unterhaltung.

g Dort unten gingen die letzten Wettkaͤmpfe zu Ende. Die Richter ſaßen unter Regenſchirmen, und nur die Bountbemützten harrten bis zu Ende aus,

0 Da wandte ſich Felder zum Gehen.

Er dachte nicht daran, ſeinen Preis in Empfang zu nehmen.

2 Er kaͤmpfte nicht mehr um Preiſe. Ap ſeinen Namen, um feine Ehre kaͤmpfte er. Nein, auch das nicht.

2 Um ſein Leben hatte er heute gekaͤmpft, um en ganzes vergangenes und zukuͤnftiges Leben. Nie hatte er ſo geſiegt wie heute.

Und doch war er unterlegen!

8.

Er ſah ganz klar.

Er begriff ploͤtzlich alles. Er taͤuſchte ſich nicht mehr. Er erblickte alles in anderem Lichte, dem grellen, nuͤchternen Lichte der Wirklichkeit.

Er war ein Narr geweſen.

Ein Narr, als er geglaubt, daß er die Welt erobern koͤnne mit ſeinen Siegen. Ein Narr, als er waͤhnte, ſie drehe ſich forthin nur noch um ihn, nachdem er dieſe Siege errungen. Ein Narr, als er ſich einbildete, er ſei der allmaͤchtige und unbezwingliche Sieger, und der groͤßte Narr, als er von dieſem Tage eine unerhoͤrte Wendung der Dinge erwartet.

Er kannte doch das Schwimmerleben und wußte, wie es in ihm zuging! Wie im Leben des Tages, ſo auch dort Überall gegenſeitiger Neid und Haß! Hatte er ihn nicht in aller Blicken geleſen? Nie würde man ihm

dieſen Sieg vergeſſen. Daß er gewagt, ſeine eigenen

Wege zu gehen, war fchon ein Vergehen gegen die Ges wohnheit des Herkommens; daß er aber als einzelner Schwimmer den großen Preis an ſich geriſſen, der doch von Rechts wegen einem Klub gehoren ſollte, das war ein Verbrechen, das man ihm nie verzeihen wuͤrde.

And wie hatte er auch nur eine Minute glauben

4 55

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nnen, daß fein alter Klub ihn wieder aufnehmen, ja ziuerſt zu ihm kommen und ihm gar noch die Ehren⸗ x

mitgliedſchaft antragen würde? Gerade die 79er waren es doch, denen am wenigſten noch von allen Klubs an den Preiſen lag das wußte er doch am beſten! Er war von ihnen gegangen, und damit war alles zu Ende geweſen zwiſchen ihm und den Genoſſen feiner Jugend. Das war es geweſen, worunter er mehr ge

litten, als er es ſich jemals ſelbſt zugeſtanden. An dem Schmerz, als er an ihnen vorbeiging und feine Blicke

unerwidert geblieben waren, hatte er gefuͤhlt, wieviel er in dieſem letzten Jahre innerlich entbehrt. Er wußte es jetzt: nicht um die Ehre, nicht um die Preiſe, nicht um

ſeinen Namen hatte er gekaͤmpft, ſondern um ſeinen alten Klub. Um feine alte Liebe, um die Wiederkehr jener gluͤcklichen Stunden im Kreiſe der Freunde, um das

trauliche und ſchoͤne Beiſammenſein mit ihnen in allen Stunden, um ihre Achtung und Freundſchaft um alles, was feinem Leben jahrelang Wärme und Licht ver⸗ liehen um ſein Leben hatte er gekaͤmpft. Dafur hatte er zu ſiegen gehofft. Er hatte geſiegt. Und er hatte verloren. N 72 Sie würden ihn nicht wiedernehmen, auch wenn er K. >

ſelbſt zu ihnen zurückkehren wollte; und wenn fie iin

aufnehmen würden, dann war alles anders geworden. Was nun aber? | So ging es doch nicht weiter. en Er taͤuſchte fich nicht mehr, und er wußte jetzt, Bi = furchtbar er gelitten in dieſer letzten Zeit. So konnte

er nicht weiterleben. Er konnte die Einſamkeit einfach nicht mehr ertragen. ö

Gewiß: es ſtanden ihm andere, die beſten Klubs offen. Nichts lag vor, was ſeinen Eintritt hinderte, und nach dem heutigen Siege wuͤrden ſich gar bald die gehaͤſſigen in freundliche Mienen verwandeln und ſich ihm uͤberall da Haͤnde entgegenſtrecken, wo er ſie nur ergreifen wollte. Aber es wuͤrde niemals wieder ſo werden, wie es ges weſen war. Er würde fo fein, wie im „Hecht“: ein Fremder unter Fremden.

Aber was ſollte denn nun werden? Ihm begann vor der Zukunft zu grauen, denn er ſah jetzt in * ganz klar.

Er erkannte, wie ſehr er ſich zunaͤchſt in Bezug auf ſich ſelbſt getaͤuſcht. Allmaͤhlich in dieſen letzten Jahren, und immer mehr und mehr, hatte er ſich daran gewoͤhnt, nur ſich zu ſehen, nur ſeine Siege, nur ſeine Triumphe. So war er dahin gekommen, den Erfolgen Anderer keine Bedeutung beizulegen, ſie zu uͤberſehen, ſoweit es anging. Gewiß, daruͤber war kein Zweifel: ſein Name war der berühmteſte unter allen, fein Erfolg beiſpiellos, fein Ruhm weiter gedrungen, als der Ruhm irgendeines deutſchen Schwimmers bisher

Aber wieviel andere Namen wurden nicht auch neben, nicht mit dem ſeinen zuſammen genannt, wenn man von den Meiſtern des Schwimmens ſprach: alte Namen und neue, alle Tage neue .... Er war nicht der einzige, der Meiſter hieß. Da gab es eine Menge von Meiſterſchaften, ſelbſt in Deutſchland, die in anderen Haͤnden waren, an denen er ſich nicht beteiligt hatte,

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gar nicht hatte beteiligen konnen, ſchon allein, weil Zeit und Raumentfernung und Satzungen es verboten. Da

gal es ferner die Meiſterſchaften im Mehrkampf, unter denen er nur eine einzige, die bei ſeinem erſten und letzten Verſuch errungene, ſein eigen nannte. Dann endlich die Springmeiſterſchaften .. Doch daran mochte er

gar nicht mehr denken! Alſo: nicht auf einer Bruſt

wurden alle Ehren vereinigt. Genug, daß die ſeine die böchiten trug. Er hatte einen Namen, den beſten und berühmteſten. Aber es war doch nur ein Name neben

und mit anderen.

Noch immer der erſte. Heute mehr als je ER, 1

und nach diefem legten Siege lauter genannt, als jemals zuvor. Aber wie lange noch?

Denn auch darin ſah Felder jetzt zum erſten Male klar: daß es eine Grenze gab, über die keiner hinaus⸗ kam. Nie hatte er das ſich ſelbſt gegenüber eingeſtanden, nie daran auch nur denken wollen... Aber jetzt taͤuſchte er ſich auch hierin nicht mehr, und manches Wort ſiel ihm ein, das Nagel und auch Andere ſchon vor Jahren

warnend zu ihm geſprochen.

Wie lange dauerte denn die Siegeslaufbahn einer Sportsgröße? So lange, wie feine beſte Kraft. Eine Reihe von Jahren, ein paar weniger, ein paar mehr. Aber über ein gewiſſes Maß ging es nie hinaus.

Und im Schwimmen? Wenn einer dieſelben Meiſter⸗ ſchaften und einige Wanderpreiſe drei Jahre hinterein⸗ ander errang, ſo war das ſchon eine große Ausnahme.

Meiſt kam irgendeine andere Kraft dazwiſchen und

riß ſie ihm vor der Entſcheidung. Wenn ein Schwimmer N

315 ein paar Jahre lang die Meiſterſchaft uͤber die kurze oder lange Strecke, oder in irgendeiner beſonderen Art des Schwimmens, in der er es zur beſonderen Fertig⸗ keit gebracht, behauptete, ſo war das gerade genug. Sicher war kein Sieg, und je zahlreicher ſie ſich auf eine Perſon haͤuften, um ſo naͤher lag die Gefahr, daß dieſe bald von ihrem Platze verdraͤngt werden wuͤrde. War einer aber gar, wie Felder, jahrelang der uͤberall Sieg⸗ reiche, uͤberall Gefuͤrchtete und Beneidete geweſen, dann waren ſie alle hinter ihm her, ſie, die „auch etwas konnten“, und es galt, ſich zu verteidigen nach links und rechts und keinen der Gegner aus den Augen zu laſſen.

Das war nicht leicht. Jetzt erſt fuͤhlte Felder, wie ſchwer es war, wieviel ſchwerer es wurde von Jahr zu Jahr!

Eine Zeitlang hatte er ſich auch hieruͤber taͤuſchen koͤnnen. In ſtolze Sicherheit gewiegt, hatte er ſich fuͤr unüberwindlich gehalten, bis ihm die Augen geoͤffnet wurden. In erſter Beſtuͤrzung wollte er die Schuld einer Abnahme ſeiner Kraft und ſich ſelbſt zuſchreiben. Laͤngſt wußte er, daß er ſich auch darin geirrt. Sein eigener laͤſſiger Hochmut und Dunkel, das waren die hauptſuͤch⸗ lichſten Gruͤnde, die alles verſchuldet, was geſchehen war.

Er beſaß ſie nicht mehr: nicht Hochmut, nicht Duͤnkel mehr. Er wußte ſeit langem wieder, was auf dem Spiele ſtand, und wie es zu ringen galt, um ſich auf der neu gewonnenen Höhe zu behaupten. Er war bereit. Wie am erſten Tage der kleine Knabe bereit geweſen war, an ſeinen erſten kleinen Sieg ſeine ganze, kleine Kraft zu ſetzen ſo war er willig, jetzt zu ringen um ſeine letzten Siege.

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Aber wozu? Und für wen? 9 Die Freude an Siegen war dahin, die er mit Nie⸗ mandem mehr teilen konnte. Nicht nur mehr gefuͤre 3 und beneidet, gehaßt würden feine Siege werden, wenn er ſie in dieſer Weiſe weiter erfocht. Man wuͤrde ſie ihm erſchweren auf alle Weiſe. Hatte er nicht heute erlebt, wie man wie auf geheime Abmachung hin ihn überafl auch dort oſtentativ geſchnitten, wo er nicht das geringſte verſchuldet? Hatte nicht Feindſeligkeit, ja Haß gegen den „Einzelſchwimmer“ in den Blicken ge⸗ legen? Ruhiger geworden, fagte er ſich, daß auch der Zufall, der Ausbruch des Regens und andere Um: ſtaͤnde mitgewirkt hatten, um ihm dieſe furchtbare Ent⸗ taͤuſchung zu bereiten. Sonſt wuͤrden doch der eine oder andere von ſeinen aͤlteren Bekannten aus irgendeinem der befreundeten Klubs und ſicherlich auch die paſſiven Sportsfreunde und die Kenner, wie z. B. ſein alter Be⸗ wunderer, der Berichterſtatter des „Welt⸗Sport“ und andere zu ihm gekommen ſein. | Aber die allgemeine Animofität gegen den „Einzel ſchwimmer“ würde immer beſtehen bleiben, und allgemeine Freude würden feine Siege nie mehr hervorrufen. Sollte er immer ſo ſtehen bleiben, er, der Einzelne, gegen die geſchloſſenen Mächte der Klubs? | Und die anderen Träume, in die er fich gewiegt in dieſer letzten, einfamen Zeit waren fie nicht ebenfo haltlos und toͤricht? Nach England wollte er gehen? Ganz allein, ohne Kenntnis der Sprache in das fremde Land, um dort ſich zu meſſen mit dieſen un⸗ bekannten Kräften, von denen er nichts wußte, als daß

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ſie die allererſten der Welt waren? Woher ſollte er die Mittel zur Reiſe nehmen? Und ſelbſt wenn er hinging, wenn er alle Schwierigkeiten uͤberwand was dann, wenn er unterlag und mit Hohn und Spott heimgeſchickt wurde? Dann war es endgiltig aus

Oder ſollte er wirklich die wahnwitzige Idee zur Aus⸗ führung bringen und feine Kunſt zum Beruf machen? Dem ganzen Sportsweſen den Ruͤcken kehren und als Profeſſional die Welt durchreiſen? Jede andere Arbeit aufgeben, ſich auf einige Dinge bis zur Abnormitaͤt ein⸗ uͤben und dann von Stadt zu Stadt und von Land zu Land ziehen und ſich als „Artiſt“ anſtaunen laſſen? Das war ſicherlich die toͤrichtſte ſeiner Einbildungen ge⸗ weſen und er lachte ſich ſelbſt aus. Das konnte er einfach garnicht!

Alles, was alſo uͤbrig blieb, war, ſich noch ein paar Jahre, fo lange, wie nur eben möglich, auf der wieder: gewonnenen Hoͤhe zu halten, den ſchmalen, ſchwindelnden Grat zu verteidigen, bis eines Tages der Abgrund des Vergeſſens auch ihn verſchlang. Denn wie lange konnte die ganze Herrlichkeit noch dauern? Im beſten Falle ein paar Jahre. Dann war auch das vorbei. Dann waren die neuen, friſchen, jungen Kräfte ins Feld geruͤckt, die jetzt bereits in der Stille heranreiften, mit flatternden Fahnen und klingendem Spiele; und wer ihnen nicht ſelbſt klug genug zur rechten Zeit auswich, der wurde einfach uͤberholt, zu Boden geriſſen, niedergeſtampft. Dann wuͤrden die erſten wirklichen Niederlagen kommen, die, nach denen es kein Aufſtehen mehr gab. Denn während er ſchon ſtillſtand und über die eigene Kraft

nicht mehr hinaus konnte, marſchierten jene, und „J Platz endlich auch fuͤr uns!“ war ihr Geſchrei. Sie wuͤrden ſiegen, ganz einfach, weil ſie jung waren. Ihre 1 neuen Namen würden die alten verſchlingen, und noch ein paar Jahre eines letzten, ausſichtsloſen, verzweifelnden Ringens, in denen der alte Glanz immer mehr und mehr erblaßte, und alles war vorbei, ſie alle mitein⸗ ander vergeſſen; und waͤhrend ſie noch weiterlebten, waren ſie in Wirklichkeit ſchon tot, und niemand kuͤmmerte ſich mehr um ihre verblaßten Baͤnder und Medaillen, dieſe letzten Zeugen einftiger Triumphe, von denen ſie nur den geduldigſten ihrer Freunde noch erzaͤhlen durften, und auch das nicht, ohne bei ihnen das Gaͤhnen der Langeweile oder das Laͤcheln des Mitleids hervorzurufen.

So war es bei Allen.

So würde es auch bei ihm, bei Franz Felder, fein!

Denn es gab keine Ausnahme, keine.

Bei den Meiſten bildete die Militaͤrzeit die Grenze. Dieſe Jahre einer fuͤr den Sport brachgelegten Kraft überftanden nur wenige. Das Abſchiedsfeſt, das der Klub alljaͤhrlich ſeinen einberufenen Mitgliedern gab, bedeutete für die meiſten von ihnen auch den Abſchied von ihrer ſportlichen Laufbahn. Nur wenige hatten nach ihrer Rückkehr noch die Kraft und die Luft, die Ziele ihrer Jugend wieder aufzunehmen und ſich in neuen Verhaͤltniſſen an neue Kämpfe zu wagen. Viele be⸗ wahrten der Sache wohl noch ihr Intereſſe, aber das Leben forderte ſie ein, und wie der Student ins Philiſterium, fo gingen fie in ihren Beruf, und bald in ihm und der neugegründeten Familie auf.

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Nicht alle. Durchaus nicht alle. Es gab manche, die ſelbſt waͤhrend dieſer Militaͤrzeit noch Energie und Luſt gefunden hatten, die alte Fertigkeit nicht ganz ein⸗ ſchlafen zu laſſen und weiter zu pflegen. Sie kehrten zurüc und waren nach kurzer Zeit wieder auf der alten Hoͤhe. Manche errangen erſt jetzt ihre groͤßten Erfolge; bei anderen wieder ſchien die Übung „in den Waffen“ erſt ihre ganze Leibeskraft herausgearbeitet zu haben.

Bei Felder traf das alles nicht zu. In ſeiner aus⸗ geſprochenen Einſeitigkeit, die nie eine andere Betaͤtigung, als dieſe eine, erlaubt hatte, die ihn ſcheitern ließ an jenem Verſuch des Springens, graute ihm vor der Zeit, die doch ſchon ſo dicht vor ihm lag. Er wußte nicht, wie er ſie uͤberſtehen ſollte: in einer ſchmutzigen Kaſerne ohne Waſſer!

Und wenn er fie uͤberſtand was dann?

Noch die paar Jahre. Noch eine Zeitlang neue, un⸗ erhoͤrte Anſtrengungen. Nochmals neue Erfolge, wie dieſer heutige, die den verſchollenen Namen noch einmal vor die Augen Aller ſtellten, nochmals beneidet, gefürchtet, gehaßt und dann der unerbittliche Abſturz von der Hoͤhe, entweder: ſchnelles Stuͤrzen oder ein ſtetes, qual⸗ volles Weichen Schritt fuͤr Schritt.

Er taͤuſchte ſich nicht mehr. Er ſah ganz klar.

Er wußte, er wuͤrde es koͤnnen: die zwei Dienſtjahre überftehen, in neues Training treten und ſich noch Jahre laͤnger als irgendeiner vor ihm auf ehrenvoller Hoͤhe halten. Er brauchte nicht zu verzweifeln. So groß war ſeine Liebe zur Sache er hatte ſie erprobt; ſie würde ihm auch diesmal helfen.

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Er wußte, er würde das fait Unmoͤgliche koͤnnen.

Aber ſo nicht. Nicht unter dieſen Umſtaͤnden.

Nicht allein, nicht ſo allein.

Es war vergeblich, es zu verſuchen.

Denn die Freude fehlte, die Freude, die ihm Mut und Kraft verliehen, ſo hoch zu ſteigen, die Freude der Hoffnung, die ihm geholfen, die letzte bittere Zeit zu

überftehen: die mit anderen geteilte Freude.

Aber was ſollte denn nun werden?

Er hatte ſich rettungslos verſtiegen und wußte nicht mehr, wohin.

Wie ſollte er nun leben?

Er fand keine Antwort.

9,

Eine unertraͤgliche Hitze brütete über Berlin. Die Menſchen atmeten ſchwer in dieſer Atmoſphaͤre von Staub und Dunſt.

f Felder tat noch ſeine Arbeit, aber er ſchwamm nicht mehr. Abends ſaß er irgendwo und ſah vor ſich hin, wie ein Menſch, der keinen Ausweg aus ſeinen Gedanken mehr findet; oder er ging mit demſelben ſtarren Blick durch die heißen Straßen, bis er muͤde wurde.

Er lebte, wie er gelebt hatte, die ſchrecklichen Monate in dieſer letzten Zeit, ganz fuͤr ſich, und doch anders denn wenn ihn damals noch eine große Hoffnung begleitet hatte, ſo ging er jetzt ganz allein: er ſah und hoͤrte nichts mehr, ſelbſt von dem, was in ſeiner Welt, der engen, der kleinen und doch fuͤr ihn alles bedeutenden, vorging; auch durch die Zeitungen nicht mehr; und die Seite, die dreis undachzigſte in dem kleinen, braunen Buch, das er nicht mehr mit ſich trug, blieb leer: die Seite, auf die der groͤßte aller Siege eingezeichnet werden durfte und nicht wurde

Es war alles wie abgeſchnitten. Es war alles vorbei.

Er ſprach Überhaupt kaum ein Wort mehr.

So lebte er noch vierzehn Tage.

Dann fühlte er eines Tages, daß er das Leben nicht

mehr ertragen konnte. vu 2]

Irgend etwas, er wußte ſelbſt nicht was, war ges

brochen in ihm, und damit ſeine Kraft zum Leben. er

fuͤhlte es deutlich.

Es nutzte nichts, dies Denken, um herauszukommen. Er kam nicht daruber hinweg.

Es war, als wenn alles tot in ihm waͤre: alle Sehnen ploͤtzlich durchſchnitten von einer ungeheuren Ent⸗ taͤuſchung.

Es war wieder ein Sonntag, einer dieſer leeren, durch keine Arbeit und keine Freude mehr ertraͤglich gemachten Tage, und er waͤlzte ſich auf ſeinem harten Bett in ſeinem kleinen Zimmer in dumpfer Verzweiflung hin und her.

Was ſollte er tun? Er wußte es nicht mehr.

Er hatte keine Eltern, keine Geſchwiſter, keine Freunde, keine Geliebte mehr. Sinnlos war ſein Leben geworden, zwecklos und freudlos.

Und wie er mit den Haͤnden um ſich ſchlug, raſchelte etwas auf ihn nieder: verdorrte Lorbeerblaͤtter, die beim Niederfallen in Staub zerfielen.

Er nahm die Spreu in die Hand.

Es war ſein erſter Siegeskranz: erfochten als Knabe in dem erſten kleinen Schwimmen, feinem erſten ſchuͤch⸗ ternen Verſuch, ſeinem erſten Siege. Und wie er ſah, was es war, was er in ſeiner Hand hielt, da ſah er zu⸗ gleich ſich und ſein ganzes Leben; und es ſchien ihm, als ſeien alle dieſe Kraͤnze, die bedruckten und beſchriebenen Urkunden, dieſe Bilder an den Waͤnden, zerſtaubt, zer⸗ fallen und zu nichts geworden, wie dieſer hier, und nichts von allem übrig geblieben, als ein kleiner Haufen duͤrren Staubes, zu dem am Ende alles Leben wird.

Da wandte er ſich ab von dieſen zerfallenden und lebloſen Dingen, dieſen modernden Leichen des Geweſenen, und eine ſchreckliche Sehnſucht nach dem, was allein noch Leben fuͤr ihn war, ergriff ihn.

Er kleidete ſich haſtig an und ließ alles hinter ſich.

Er ging den ganzen Nachmittag durch die Hitze und den Staub und das Menſchengewuͤhl des Sonntags: durch den Park von Treptow, grau und nuͤchtern unter dem Sommerſtaube, an den Eierhaͤuschen an der Spree vorbei, teils am Ufer, dann auf der troſtloſen Landſtraße, die bedeckt war mit Fuhrwerken und Radlern, bis Koͤpe⸗ nick, wo er in dem Vorgarten irgendeiner Wirtſchaft ein Glas Bier trank. Und ſo ging er weiter, bis er nach Gruͤnau kam Stunde auf Stunde ging er ſo den langen, dunftigen Nachmittag, und überall, wo er hin⸗ kam, waren die Gaͤrten voll von Menſchen, und auf den daͤmmernden Uferwegen tauchten immer neue Geſtalten auf, die ſich noch nicht entſchließen konnten, die koͤſtliche Friſche des Abends einzutauſchen gegen die dumpfe Haͤuſer⸗ maſſe der großen Stadt.

Er aber mußte allein ſein, ganz allein, und ſo ging er, ohne Hunger und Durſt zu empfinden, durch Grunau und vorbei an dem Sportplatz, der dunkel und leer das lag; und fein Herz war fo müde und mutlos, daß es ſelbſt hier nicht einmal mehr hoͤher ſchlug . . . weiter und weiter, immer an den wegelofen Ufern der weiten Seen entlang

Endlich war er allein. Endlich begegnete ihm nies mand mehr.

Es war ſpaͤt in der Nacht. 217

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Kein lebendes Weſen zeigte ſich hier mehr in dem weiten Umkreiſe von Himmel, Wald und Waller...

Da ſtand er ſtill und entledigte ſich ſeiner Kleider.

Nackt ſtand er da und die Luft der Nacht umſpielte feinen heißen, ſtaub⸗ und ſchweißbedeckten Körper. *

Langſam trat Franz Felder zum Waſſer und ſah es an, nachdem er den ganzen Nachmittag und wie jo lange vorher ſchon! feinen Anblick gemieden.

Aber zum erſten Male ſchien es ihm, als wuͤrde ſein Gruß nicht erwidert. Stumm und gleichgültig lag es da.

Warum vernahm es denn nicht die ſtumme Bitte ſeiner Verzweiflung?

Und zoͤgernd, fait aͤngſtlich, ſetzte er Fuß vor Fuß, bis es ſeine Knie erreichte, verſank dann in den Schlamm und umarmte kes leiſe. Nackt, wie damals als kleiner Knabe, ſchmiegte er ſich an ſeine dunkle Bruſt.

Und ſchwamm.

Behutſam, wie um es nicht zu kraͤnken, ſchwamm er bis in die Mitte des Sees, bis dahin, wo es am tiefſten war. N

Dort wartete er: ließ ſich ſinken und verſchwand tief unter der Oberflaͤche.

Aber das Waſſer trieb ihn empor, und wieder lag der Himmel über ihm, tiefblau, und der Mond und die glitzernden Sterne.

Begriff es denn nicht, was er heute von ihm wollte?

Das Waſſer war ſein Freund geweſen, ſein beſter Freund, von jeher.

Es hatte den kleinen Kerl, der noch faſt nicht gehen konnte, liebreich getragen, wie es nur die traͤgt, die es

Be er

liebt gleich feinen eigenen Weſen, und ſeine Liebe war ihm treu geblieben waͤhrend ſeines Lebens bis heute.

Der ehrgeizige Ungeſtuͤm des Knaben und der un⸗ geduldige Groll des Juͤnglings hatten ſie nicht zu ver⸗ mindern vermocht.

Alles hatte es ſeinem Liebling gegeben, was es uͤber⸗ haupt geben konnte: Friſche, Geſundheit, Kraft und Ruhm und unendliche Freuden, die ſich erneuerten von Tag zu Tag; und alles hatte Felder genommen als etwas Selbſt⸗ verſtaͤndliches, wie andere Kinder die Liebe der Eltern nehmen.

Nun kam er noch einmal zu ihm, um bei ihm die letzte Erloͤſung vom Leben zu ſuchen.

Aber das Waſſer nahm ihn nicht.

Es ſchien nicht zu begreifen, was er fo plotzlich von ihm wollte; und als koͤnne er gar nichts anderes, als Luſt und Freude bei ihm ſuchen, ſo trug und wiegte und umſchmeichelte es ihn, gleich als ſei es froh, ihn ſo ver⸗ ſoͤhnt wieder zu haben nach der langen Zeit der Ent⸗ fremdung

Und Felder empfand die fühle und linde Berührung mit erſchauernder Wonne, und noch einmal vergaß er die ſchwere Erde, ihre Kaͤmpfe und ihr unertraͤgliches Leid und gab ſich ganz der ſtarken und reinen Umarmung des Waſſers hin.

Das war nicht mehr der Meiſter, der große Schul⸗ ſchwimmer, der Champion of the World, der in dieſer naͤchtlichen Stunde weit da draußen und ganz allein feine Kunſt uͤbte; das war der Freund, der wieder zum Freunde kam, um ihm ſeinen Kummer und ſeine Sorgen

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anzuvertrauen und auszuruhen an ſeiner Bruſt von Bi Muͤhſal des Lebens. Und fo ſchwamm Felder zum legten Male: ohne an etwas anderes zu denken, als an die Luſt dieſer Stunde, ließ er fich treiben, breitete nur zu weilen die Arme, als wolle er die ſilbernen Wellen faſſen und an ſich ziehen; ließ das Waſſer durch ſeine halbges oͤffneten Lippen dringen und erwiderte Umarmung und Kuß. Und wie er ſich wandte und drehte, ſich bald auf den Rüden legte, bald hier untertauchte und dort wieder emporkam, empfand er noch einmal die ganze Seligkeit, die ihm das Waſſer gegeben, die himmliſche Leichtigkeit, mit der es ihn trug

Lange ſchwamm er jo...

Aber dann wurde fein Herz bei dem plöglichen Ges danken an die Erde wieder ſchwer.

Doch die Schwere ſeines Herzens zog ihn nicht hinunter.

Und da begriff er, daß ihn dieſes Element nie toͤten wurde, dieſes Element, das ihn liebte und das fein Leben wollte, nicht feinen Tod. So unermeßlich ſtark, daß es ihn mit einem Schlag haͤtte niederſtrecken koͤnnen, war es doch ſchwach ihm gegenüber, der der Staͤrkere war, weil er geliebt wurde

Endlich begriff er, weshalb es ſo war und immer ſo geweſen war: ſeine ganze eigene Schwaͤche und die ungeheure Staͤrke dieſer Liebe!

Da ſchwamm er zurück zum Ufer, entnahm ſeinen Kleidern ſein Taſchenmeſſer, oͤffnete es und durchſchnitt beim hellen Lichte des Mondes mit ſchnellem, ſcharfem Schnitt die Pulsadern ſeiner rechten Hand, ganz nahe der Stelle, wo die Narbe war, die das Armband zurück⸗

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gelaſſen. Sein Blut ſpritzte empor und er empfand einen kurzen, heftigen Schmerz.

Von neuem warf er ſich ins Waſſer und erreichte mit wenigen haſtigen Schlaͤgen faſt noch die Mitte des Sees.

Sein rotes, warmes Blut miſchte ſich mit der warmen, ſchwarzen Flut.

Er fuͤhlte, wie mit ihm ſeine Kraft ſchwand.

Noch einmal breitete er die Arme weit auseinander, warf ſich in der jaͤhen Angſt des Todes herum und griff um ſich, als wolle er ſich halten.

Aber zum erſten Male ließ das Waſſer ihn fallen, und er ſank.

Den Lebenden hatte es geliebt.

Der Tote war ihm nichts als eine Laſt, die es acht⸗ los in ſeinen Tiefen begrub.

Inhalt des ſiebenten Bandes.

Der Schwimmer. Die Geſchichte einer Leidenſchaft.

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