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ALLGEMEINE STAATENGESCHICHTE.

Herausgegeben von KARL LAMPRECHT.

I. ABTEILUNG : GESCHICHTE DER EUROPÄISCHEN STAATEN. II. ABTEILUNG : GE-

SCHICHTE DER AUSZEREUROPÄISCHEN STAATEN. III. ABTEILUNG : DEUTSCHE

LANDESGESCHICHTEN.

Erste Abteilung:

Herausgegeben

von

A. H. L. HEEREN, F. A. UKERT, W. V. GIESEBRECHT UND K. LAMPRECHT.

Achtunddreifsigstes Werk :

JIRECEK, GESCHICHTE DER SERBEN. I. Band.

GOTHA 1911. FRIEDRICH ANDREAS PERTHES A.-G,

GESCHICHTE DER EUROPÄISCHEN STAATEN.

Herausgegeben von

A. H. L. HEEREN, F. A. UKERT, W. v. GIESEBRECHT

UND K. LAMPRECHT.

Achtunddreifsigstes Werk.

GESCHICHTE DER SERBEN.

VON

CONSTANTIN JIRECEK. J^

/

Erster Band. (Bis 137 1.)

GOTHA 1911. FRIEDRICH ANDREAS PERTHES A.-G.

Vorwort.

Die Serben sind seit der Einwanderung der Slawen in das alte Illyricum stets eine hervorragende Nation der Balkanhalbinsel geblieben. Ihre Geschichte zerfällt in zwei Perioden ; in der ersten stehen im Vordergrunde die Berührungen mit dem oströmischen Kaisertum, in der zweiten die mit den osmanischen Türken.

Im Mittelalter waren die Serben zu verschiedenen Zeiten Bundesgenossen, Vasallen, Rivalen und Gegner der Byzantiner, nie aber direkte Untertanen der Kaiser von Konstantinopel, wie einmal ihre Nachbarn, die Bulgaren von 971, teilweise von 1018 bis 1186. Dabei wurden sie treue Anhänger der orienta- lischen Kirche, die äußersten im Nordwesten gegen die in Dalma- tien, Kroatien und Ungarn herrschende römische Kirche und die in Bosnien heimisch gewordene Sekte der Patarener (Bogomilen oder Babunen). Der Wechsel der Machtstellung brachte Ände- rungen des politischen Mittelpunktes des Serbentums mit sich, welcher sich in verschiedenen Jahrhunderten im Limtal, am See von Skutari, an den Ufern der Raska bei dem jetzigen Novipazar, in Skopje im nördHchen Makedonien, zuletzt in Belgrad und Sme- derevo an der Donau befand. Die serbische Nationalkirche hatte indessen im 13. bis 18. Jahrhundert ihren Mittelpunkt stets in Pec (türkisch Ipek), nahe an der Ostgrenze des heutigen Montenegro. Die Herrscher der Serben nannten sich Fürsten oder Herzöge, Großzupane, Despoten, Könige, im 14. Jahrhundert sogar Kaiser (Zaren), als das serbische Reich unter dem „Kaiser der Serben und Griechen" Stephan Dusan (1331 1355) den größten Teil der Halbinsel in sich schloß. Bald darauf begann der Kampf gegen

YI Vorwort.

die Türken, mit den Schlachten an der Marica (1371) und auf dem Amselfelde (1 389). Eingeengt zwischen Ungarn und Türken, leisteten die Serben dem Vordringen der Osmanen hartnäckigen Widerstand. Der Untergang des altserbischen Staates hatte eine starke Emi- gration nach Norden und Nordwesten, nach Ungarn, Kroatien und Dalraatien zur Folge, zugleich aber auch einen bedeutenden Rück- gang des serbischen Elementes im Innern der Halbinsel, in den jetzt „Altserbien" genannten Gebieten. Diese Emigration brachte es mit sich, daß der Nachfolger der alten serbischen Erzbischöfe oder Patriarchen von Pec jetzt in Karlowitz an der Donau auf dem Boden des „dreieinigen Königreiches" von Kroatien, Slawonien und Dalmatien in der österreichisch-ungarischen Monarchie resi- diert. Während des Verfalles des osmanischen Reiches beteiligten sich die Serben an allen Türkenkriegen der Österreicher, Vene- zianer und Russen. Ihre Freiheitskriege führten zur Entstehung von zwei neuen serbischen Staaten, der heutigen Königreiche von Serbien und Montenegro.

Die Literatur über die serbische Geschichte ist an Umfang nicht gering. An der Grenzscheide zwischen der mittelalterlichen und mo- dernen Historiographie steht ein Ragusaner, der Benediktiner Mauro Orbini mit seinem aus schriftlichen und mündlichen Quellen bunt zu- sammengestellten „IlRegno degli Slavi" (Pesaro 1601). Die ein- heimischen Arbeiten eröffnet im 18. Jahrhundert das vierbändige Buch des Archimandriten Rajic (1794). Das 19. Jahrhundert hat kein großes nationales Geschichtswerk hervorgebracht, etwas in der Art, wie die bändereichen Werke über russische Geschichte von Karamzin und Solovjev, wohl aber eine große Anzahl von wich- tigen Detailstudien. Dabei gab es unter den einheimischen Histo- rikern zum Schluß des 19. Jahrhunderts große Kämpfe. Eine Partei ließ die Aufzeichnungen der jüngsten Zeit, besonders die in den letzten hundert Jahren gesammelten epischen Volkslieder und Volkssagen als Geschichtsquellen für das Mittelalter gelten, voran Panta Sreckovid (f 1903). Die Gegenpartei, geführt vom Archimandriten Ilarion Ruvarac (f 1905), dem die serbische Kirchengeschichte viel zu verdanken hat, und von Ljubomir Kovacevid, bemühte sich, die moderne historische Kritik in der vaterländischen Geschichtsforschung zur Geltung zu bringen. Neben

Vorwort. vn

der Geschichte des Despoten Georg und der Dynastie der Balsidi hat Cedomil Mijatovid die ökonomischen Verhältnisse der Ver- gangenheit beleuchtet, der unermüdliche Stojan Novakovid neben einer Menge von Fragen der gesamten serbischen Geschichte bis in die neueste Zeit besonders die Kultur- und Rechtsgeschichte. Als Sammler und Herausgeber altserbischer Denkmäler haben Georg Danicid, Stojan Novakovid und Ljubomir Stojanovid eine große Tätigkeit entfaltet, zumeist in den Schriften der einstigen Serbischen Gelehrten Gesellschaft von Belgrad (im Glasnik) und der unter König Milan gegründeten Königlich Serbischen Akademie der Wissenschaften (im Glas, Spomenik, Zbornik). Groß ist die Zahl der Publikationen über die Geschichte des 19. Jahrhunderts, eröffnet von den Zeitgenossen des serbischen Aufstandes der Jahre 1804 bis 1815, besonders von dem Begründer der neuserbischen Literatur Vuk Stefanovic Karadzid und von Lazar Arsenijevid- Batalaka. Von hohem Wert sind für den Historiker die von dem Ragusaner Bogisid (f 1908), dem Verfasser des neuen montene- grinischen Gesetzbuches, begonnenen Sammlungen der teilweise noch lebenden Rechtsgebräuche. Weite Ausblicke in die Ver- gangenheit bietet das Sammelwerk über die serbischen Siedlungen (Naselja) unserer Zeiten, begründet (1902) und geleitet von den Geographen Professor Dr. Jovan Cvijid, in den Schriften der Belgrader Akademie (bisher sechs Bände). Die einheimischen Monographien über politische, Rechts-, Kultur- und Literatur- geschichte oder Archäologie aus den letzten 50 Jahren sind auf den folgenden Seiten oft erwähnt: von Dragovid, dem Archiman- driten Nikephor Ducid, Gavrilovic, Viadan Gjorgjevic, Ivic, Ljubomir und Slobodan Jovanovid, Nikola Krstid, Milicevid, Ge- neral Miskovid, Konst. Nikolajevid, Ostojid, Pavlovid, Bozidar Pe- tranovid, V. und N. Petrovic, P. Popovid, Radonid, von Resetar, Jovan Ristid (dem serb. Ministerpräsidenten), Dimitrije Ruvarac (Ilarions Bruder), SkerHd, Stanojevid, Georg von Stratimirovid , Johannes Safarik, Tomid, Vasid, Valtrovid, Trojanovid, Vilovski, Vitkovid, dem Grafen L. Vojnovid, Vujid, Vukidevid, Vukomanovid, Vulid und vielen anderen. Das unbestrittene Verdienst dieser Untersuchungen ist für die ältere Zeit die kritische Erörterung zahlreicher chronologischer, genealogischer, geographischer und

VIII Vorwort.

rechtshistorischer Fragen, für die neuere die eifrige Sammlung und Sichtung des archivaHschen Materiales. Von Gesamtdarstellungen folgt nach der des Russen Majkov (1857), serbisch übersetzt von Danicic (2. A. 1876), und den Schulbüchern von N. Krstic (2. A. 1868) und von Lj. Kovacevic und Lj. Jovanovic (Belgrad 1890 1891, 2 Bde.) ein für einen großen Leserkreis bestimmtes Handbuch : „Geschichte des serbischen Volkes" (bis auf unsere Tage) von Professor Dr. Stanoje Stanojevic (Istorija srpskoga naroda, 2. Aufl., Belgrad 1910, 8*^, 385 S., politische Geschichte, ohne Kultur- geschichte und ohne Belege in Anmerkungen).

Die Historiker des stammverwandten Kroatiens haben sich durch Sammlung von Materialien auch um die serbische Geschichte nicht geringe Verdienste erworben, vor allem Kukuljevic, Racki, Ljubic und Smiciklas, besonders in den Publikationen der Süd- slawischen Akademie der Wissenschaften in Agram, den „Monu- menta spectantia historiam Slavorum meridionalium ", den „Monu- menta historico-juridica Slavorum meridionalium", den alte Texte enthaltenden „Starine" und dem neuen „Codex diplomaticus " des dreieinigen Königreiches. Für die Slawisten hatte das serbische Mittelalter seit den Anfängen der slawischen Philologie eine große Anziehungskraft, von welcher die Untersuchungen und Editionen von Dobrowsky, Vostokov, Kopitar, Paul Jos. Safafik, Miklosich, Sreznevskij und Jagic Zeugnis geben. Bei ihren Studien über Byzanz, das orthodoxe Slawentum, die slawischen Sprachen und Literaturen und die Geschichte des russischen Reiches in der Neu- zeit haben sich die Russen viel mit den Denkmälern und der Ver- gangenheit der Serben beschäftigt, seit den ersten Reisen zu den Bibliotheken des Athos, welche der Philologe Grigorovic und der spätere Bischof Porfyrij Uspenskij in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts unternommen haben: Bezsonov, Budilovic, der Metropolit Filaret, Florinskij, Golubinskij, K. Grot, Hilferding, Jacimirskij, Jastrebov, Kocubinskij, Kondakov, Kulakovskij, La- manskij, Lavrov, Lavrovskij, der Archimandrit Leonid (Kavelin), Majkov, Makusev, Miljukov, Petrovskij, A. Pogodin, Nil Popov, Pypin, Rovinskij, Speranskij, Syrku, Theodor Uspenskij, Zigel und viele andere. Nachbarliche Verhältnisse erweckten in Ungarn ein reges Interesse für serbische Geschichte; voran stehen die

Vorwort. IX

bekannten, auch in deutschen Ausgaben zugänglichen Werke von Källay und von Thalloczy, In deutscher Sprache hat Johann Christian von Engel, ein Beamter der siebenbürgischen Hof kanzlei (t 1814), mit Benützung des Werkes von Rajic, sowie lateinischer und griechischer Quellen ein umfangreiches Buch veröflfentlicht : Geschichte von Serwien und Bosnien ", Halle 1801, 4'^ (Geschichte des ungrischen Reiches und seiner Nebenländer, HI. Teil). Das Werk wurde bei dem Mangel neuerer Handbücher bis auf unsere Tage von Nichtserben immer noch zu Rate gezogen. Einer der hervor- ragendsten deutschen Historiker unserer Zeit, Leopold von Ranke (t 1886), widmete der Geschichte des serbischen Aufstandes ein viel gelesenes Buch (1829), zu welchem ihm Vuk Karadzic das meiste Material geliefert hat; in der letzten Bearbeitung bietet es eine Fortsetzung bis zum Frieden von St. Stefano : Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert" (Leipzig 1879).

Hundert Jahre nach dem Erscheinen des Werkes von Engel wurde dem Verfasser des vorliegenden Buches von der Leitung der Allgemeinen Staatengeschichte " der ehrenvolle Auftrag zuteil, wieder eine vorzugsweise für abendländische Leser bestimmte Ge- schichte Serbiens zu bearbeiten. Bei seinen Studien über die Balkanländer war er seit Jahren stets in Verbindung mit dem Gegenstande geblieben, seit seiner Ausgabe (1874) des Typikons des vom Großzupau Stephan Nemanja im 12. Jahrhundert ge- gründeten Klosters Studenica (im Glasnik Bd. 40), durch Arbeiten über die historische Geographie und die Geschichte des Handels und der Bergwerke des mittelalterlichen Serbiens, durch verschie- dene Monographien, eine Urkundensaramlung (im Spomenik Bd. 11), Rezensionen neuerer Werke u. dgl., so daß die Bausteine zu einem größeren Werke schon zum Teil vorbereitet waren. Den- noch war die Aufgabe nicht leicht. Das Material zur Geschichte der Serben ist reichhaltiger, als z. B. über die Geschichte der Bul- garen, die der Verfasser einmal bearbeitet hat (1876), aber es ist besonders für das frühere Mittelalter sehr fragmentarisch und sehr ungleich erhalten. Alle bisherigen Quellensammlungen sind nur Vor- arbeiten. Es gibt keinen „Codex diplomaticus" und keine Regesten zur serbischen Geschichte, keine „Fontes rerum serbicarum", ja nicht einmal eine Quellenkunde oder eine historische Bibliographie.

X Vorwort.

Für die Geschichte der Neuzeit vermißt man vor allem eine voll- ständige Publikation der Korrespondenzen und Akten über die Freiheitskämpfe 1804 1815. Meine Bemühungen, die sehr zer- streute Literatur aufzutreiben, hatten bei der Seltenheit vieler ser- bischen und russischen Drucke nicht immer den gewünschten Erfolg. Von ungedruckten Quellen sind außer einzelnen Hand- schriften herangezogen die seit dem 12. Jahrhundert so reich- haltigen Archive der Republik Ragusa auf Grund von Studien, die ich dort in den Jahren 1878—1879 und 1890—1904 zu wiederholten Malen noch vor dem Erscheinen der „Monumenta Ragusina" der Südslawischen Akademie und der Sammelwerke von Gelcich und Thalloczy, sowie von Jorga betrieben habe. Benutzt sind die geringen Reste des Archivs von Cattaro, ebenso einiges aus dem Statthaltereiarchiv von Zara und dem Archiv der einstigen Republik von Venedig.

Als meine Hauptaufgabe betrachtete ich eine quellenmäßig beglaubigte, zusammenhängende, nüchterne Darlegung der wich- tigsten Ereignisse in der Geschichte dieser Gebiete. Einzelheiten, welche einem einheimischen Historiker und seinen Lesern näher liegen, mußten vermieden bleiben. Im Vordergrunde steht das Mittelalter, der altserbische Staat mit seiner politischen Ge- sellschaft und seinen wirtschaftlichen Verhältnissen. Neben dem serbischen Reich ist aber auch allen Nachbarländern gebührende Aufmerksamkeit gewidmet worden, vor allem dem mittelalterlichen Bosnien, welches eine religiöse Sonderstellung hatte und ein Rivale Serbiens war, sowohl zu Lebzeiten des Stephan Dusan, wo der bosnische Ban Stephan H. die Serben von der adriatischen Küste zu verdrängen begann, als in der Periode der serbischen Despoten des 15. Jahrhunderts, welche mit den bosnischen Königen fort- während Grenzkriege zu führen hatten. Auf Wunsch der Redak- tion der „Allgemeinen Staatengeschichte" wurden die inneren Verhältnisse mehr in Betracht gezogen, was manche Schwierig- keiten mit sich brachte, denn es mußten zahlreiche dunkle Fragen besprochen werden, die bis jetzt nur wenig oder gar nicht erforscht sind. In bezug auf viele Details, z. B. über die Ge- schichte der alten Geschlechtsverfassung, verweise ich auf meine Studien über Staat und Gesellschaft im mittelalterlichen Serbien,

Vorwort. XI

welche in den Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften in Wien 1911 erscheinen sollen, begleitet von dem mit- unter sehr umfangreichen Beweismaterial; in dem vorliegenden Buche beschränkte ich mich auf die Mitteilung der Resultate dieser Untersuchungen. Bei einer Literatur, in welcher neben wertvollen Daten so viele Hypothesen und Kombinationen mit- gehen, hielt ich die genaue Angabe der Quellen jederzeit für not- wendig, mag das Buch dadurch mit Anmerkungen nicht wenig belastet sein.

Den zweiten Band soll eine Darstellung der inneren Verhält- nisse unter der Dynastie der Nemanjiden eröffnen, auf welche die Darstellung des Zeitalters der Despoten des 15. Jahrhunderts uiid schließlich die Neuzeit folgen wird, in demselben Ausmaße gehalten, wie das Mittelalter. Den Abschluß des Werkes werden einige Beilagen bilden: eine Übersicht der Abkürzungen (zugleich auch ein Verzeichnis der benutzten Sammelwerke und Zeitschriften), die Reihenfolge der Herrscher und der kirchlichen Oberhäupter, einige genealogische Tafeln usw., sowie ein alphabetisches Register.

Die Drucklegung des Werkes hat sich durch große Unter- brechungen in der Arbeit sehr verzögert; das Glück, welches ich bei früheren schriftstellerischen Unternehmungen hatte, hat mich diesmal verlassen, infolge von großen Einschränkungen der freien Zeit durch periodisches Anwachsen der Berufsgeschäfte.

Wien, Neujahr 1911.

Der Verfasser.

Anmerkung über die Sclireibung der Namen,

Die serbokroatischen Namen und Worte sind in den landesüblichen Formen wiedergegeben. Die Transskription ist, um ein wissenschaftlich brauchbares, konsequent durchgeführtes System zu befolgen, die in Kroatien seit 1835 übliche, aufgenommen auch in den philologischen Werken von Miklosich, Jagic, Leskien usw. und auf den österreichischen militärischen Karten. Die neue, von Danicic 1878 eingeführte Schreibweise des Wörter- buchs (Rjecnik) der Südslawischen Akademie ist für philologische Zwecke genauer, hat aber noch nicht überall Boden gefaßt.

K ist stets k, c aber tz (Cer lies Tzer, Golubac lies Golubatz, Studenica lies Studeuitza); z lautet wie deutsch s in lesen, s dagegen ist ein scharfes s wie- in deutsch lassen, essen. C ist tsch (Caslav lies Tschaslaf, Cacak lies Tschatschak, Macva lies Matschwa, Branicevo lies Branitschewo) , s ist seh (Sabac lies Schabatz, Uros lies Urosch, Dusan lies Duschan), z das französische j, magyarisch zs (Zica lies Schitscha, franz. Jitcha, Zarko lies Scharko), dz (im Rjecnik g) ein dsch, wie italienisch ge, gi in gente, giallo (Karadzic lies Karadschitsch\ Das dem Serbokroatischen eigentümliche « ist ein tj, in der Aussprache von tsch für Fremde schwer zu unterscheiden (altserbisch als k wiedergegeben): Pec lies Petsch, Obrenovic lies Obreno- witsch. Dj (im Rjecnik 3) ist ein weiches d oder g-, magyarisch gy: Djuradj oder Gjuragj (Georg), medja oder megja; iij (im Rjecnik u) ist ein weiches n wie spanisch ii, italienisch gu, magyarisch iiy (Nemanja wäre ital. Nemagna), Ij ein weiches 1, ital. gl (im Rjecnik 1). H ist sowohl h als ch, da beide Laute im Serbokroatischen in der Neuzeit zusammenfließen und in den Dialekten ganz verschwinden: der Feldherr Hrelja, ital. Creglia, griech. XQiXrjg, neuserb. meist nur Relja ausgesprochen. V ist das deutsche w, im Auslaut f (Vojislav lies Wojislaf).

In altserbischen Worten ist das cyrillische l (in der älteren kroatischen Orthographie e) ein Halblaut, wie englisch u in but, church; neuserbisch ist es meist durch a ersetzt (kazntc Schatzmeister, jetzt kaznac lies kasnatz). Das Kirchenslawische hatte zwei Halblaute: i. (u) und i> (Y). Kirchenslawisch e lautete wie ea, ja, ebenso wie neubulgarisch, altserbisch wie e, je; im Russischen ist es ein e mit Erweichung des vorangehenden Konsonanten.

Altserbisch ist 1 zwischen Konsonanten vokalisch : Vlk , in lat. Texten als Velcus , Volchus , Vulchus wiedergegeben , neuserbisch durch ii ersetzt : Vuk. Vokalisch bleibt r zwischen Konsonanten auch im Neuserbischen : trn Dorn (teru), Prvoslav (lat. Pervosclavus), Srbin (^Serbin) der Serbe.

Rumänische und magyarische Worte werden in der nationalen Ortho- graphie wiedergegeben, die albanesischen nach der Schi-eibuug von Gustav Meyer (f ein Halblaut wie 'B ; d , ^ wie im Neugriechischen). Osmanisch- türkische Namen und Worte sind nach der Umschreibung in der Grammatik von Wahrmund (Gießen 1869) aufgenommen (y ein dumpfer Laut, dessen Aussprache zwischen i und ü in der Mitte liegt).

Inhalt.

Seite

Erstes Bach. Die rorslawische Zeit 1

Erstes Kapitel: Die Natur des Landes und ihr Einfluß auf

die Geschichte 3

Die Balkanhalbinsel, ihre Gestalt und Gliederung, S. 3. Die histo- risch wichtigen Verbindungswege, S. 7. Die Wohnsitze der Ser- ben und die territoriale Entwicklung der serbischen Geschichte, S. 9.

Zweites Kapitel: Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. . 12 Die Eiszeit, S. 12. Wald und Tierwelt zu Beginn der historischen Zeit, S. 13. Die Illyrier, ihre Völkerstellung, Stamm- und Gau- verfassung, Wohnsitze und Burgen, Götterkulte und Nekropolen, S. 17. Die Thraker und ihre sozialen und politischen Verhältnisse, S. 24. Der thrakische Stamm der Triballer im jetzigen Königreich Serbien, S. 26. Hellenische Kolonien und Kultureinflüsse, S. 27. Vorstoß und Eroberungen der Kelten; die Skordisker im Morava- gebiet, S. 28.

Dritt es Kapitel: Die Römer und das Zeitalter der Völker- wanderungen 30

Die Eroberung der Hämusländer durch die Römer, vollendet unter Augustus, S. 30. Die Sarmaten jenseits der Donau, S. 32. Die römischen Provinzen ; die Donauarmee und Donauflotte ; die Lager- kaiser aus Illyricum, S. 33. Bevölkerungsverhältnisse; Gauver- fassung und Stadtrechte, S. 36. Die Sprachen: Latein, Griechisch, Illyrisch und Thrakisch ; Romanisierung und Hellenisierung, S. 38. Wirtschaftliche Zustände; Bergbau, Verkehrswege und Handels- leben, S. 39. Heidentum und Christentum; Kunst und Literatur, S. 43. Abnahme der Bevölkerung, besonders durch die Invasionen fremder Völker; der Markomannenkrieg und die Gotenkriege, S. 46. Die neue Reichshauptstadt Konstantinopel (325) und die Tei- lung des römischen Reiches (395), S. 48. Die Hunnen des Königs Attila und die pontischen Hunnen (Bulgaren) , S. 49. Dalmatien

XIV Inhalt.

Seite unter Patricius Marcellinus und Kaiser Julius Nepos (f 480), später ein Teil des ostgotischen Reiches des Königs Theoderich, S. 51. Kaiser Justinian I. (527 565), seine Kriege und Bauten, S. 52. Das Ende der germanischen Völkerwanderung, S. 56. Die römi- schen Kaiser (Trajan, Diokletian, Konstantin der Große) in der Sage der Balkanländer, S. 57.

Zweites Buch. Die Besiedlung lUyricnms durch die Slawen ... 59

ErstesKapitehDieSlawen 61

Völkerstellung und Urheimat der Slawen, S. 61. Namen der Slo- venen, Anten und Spori, S. 65. Älteste Geschichte, S. 66. Die slawischen Stämme im jetzigen Rumänien und Ungarn im 6. 7. Jahrhundert; ihre Wohnsitze, Stämme, Verfassung, Wirtschaft und Kriegswesen, S. 69. Slawische Söldner im kaiserlichen Heer unter Justinian S. 78.

Zweites Kapitel: Die Einwanderung der Slawen in die Hä-

musländer 81

Slawische Invasionen in das oströmische Reich im 6. Jahrhundert, S. 81. Das Khanat des türkischen Volkes der Awaren, S. 83. Der Fall von Sirmium (582), S. 87. Bemühungen des Kaisers Mauri- kios (582 602) um die Verteidigung der Donaugrenze , S. 88. Überflutung der Hämusländer durch die Awaren und Slawen unter den Kaisern Phokas (602-610) und Heraklios (610 641), S. 93. Die Belagerungen von Thessalonich und der Fall von Salona, S. 94. Die Awaren und Slawen vor Konstantinopel (626), S. 98. Blei- bende Besiedlung der Halbinsel durch die Slawen ; Ausgangspunkte, Richtungen und verschiedene Intensität der Kolonisation, S. 100. Die Urheimat der Serben, S. 103. Restauration der byzantinischen Oberhoheit über die Hämusländer; slawische Truppen in den ost- römischen Heeren gegen die Araber, S. 104. Jüngere Sagen über die Urheimat und über die Art der Ansiedlung der Slawen in lUy- ricum, S. 107.

Drittes Buch. Die Serben im froheren Mittelalter (7. 12. Jahr- hundert) 111

Erstes Kapitel: Die Serben im 7. 10. Jahrhundert, ihre Landschaften, Fürsten, Stamm- und Familien- verfassung 113

Sclavonia {^ZxXaßt,vCcu) als Gesamtname, S. 113. Antike Namen: die Serben bei den Byzantinern als Dalmater und Triballer, S. 114. Landeseinteilung in Zupen (Gaue) und Landschaften, S. 115. Die Küstengebiete : Dioklitien (später Zeta) , Travunien , Zachlumien (Chelmo), die Territorien der Narentaner und Kroaten, S. 116. Die eigentlichen Serben im Binnenlande, S. 120. Bosnien, Usora und

Inhalt. Xy

Seite Sol, S. 122. Morava und die Tiinocauen, S. 123. Südslawische

Fürsten und Dynastien ; Thron und Residenzen ; Hof und Hofbeamte, S. 123. Die Zupane (erbliche Gaufürsten), Satnici (Hundert- männer) und Kaznaci (Schatzmeister), S. 127. Landtage und Zu- penversammlungen , S. 130. Recht und Gericht, S. 131. Adel, Bauern und Sklaven, S. 132. Geschlechtsverfassung: Sippschaften (pleme) und Bruderschaften (bratstvo), S. 133. Die grofse, unge- teilte Familie (Zadruga), S. 138. Wahlverbrüderung (pobratimstvo) und Gevatterschaft (kumstvo), S. 142. Besiedlung, Burgen und Dörfer, Formen des Grundbesitzes ; Viehzucht, Ackerbau und Jagd, S. 143. Gewerbe; Bronzen und anderer Schmuck; Viehgeld und Münze, S. 149. Kriegswesen, S. 151. Die Reste der älteren Ein- wohner: Albanesen, Rumänen (Wlachen) und dalmatinische Ro- manen, S. 152.

Zweites Kapitel: Heidentum und Christentum 160

Slawische Götter und Idole, S. 1(J0. Feen (Vila) und Berggeister; Werwölfe (Vukodlak) und Vampire, S. 161. Verehrung der Him- melskörper und Reste des Tierglaubens, S. 166. Priester, Zauberer und Wahrsager; heidnische Opfer und Opferplätze, S. 167. Toten- bestattung und Gräber, S. 169. Romanische und griechische Ein- flüsse durch Sagen und Märchen, S. 170. Verbreitung des Christen- tums im 7. 8. Jahrhundert aus den Städten Dalmatiens, verstärkt unter Kaiser Basilios I., S. 171. Die Slawenapostel von Thessa- lonich, Konstantin (Kyrill) und Methodios, und die slawischen Kirchenbücher, S. 174. Die serbische Feier der Schutzpatrone der Sippschaften oder Familien (Slava), S. 180.

Drittes Kapitel: Die byzantinische Oberhoheit und der Kampf gegen die Bulgaren im 9. und 10. Jahrhun- dert 183

Die byzantinischen Provinzen am Adriatischen Meere; ihre Städte und Beamten; Flotte, Landheer und die befestigten Grenzlinien, S. 183. Tribute und Truppenkontingente der Slawenfürsten imd ihr Verkehr mit dem Kaiserhof, S. 187. Die Bulgaren, S. 189. Das Ende des Awarenreiches (796) und die Eroberungen Karls des Großen in Istrien und Dalmatien, S. 190. Die südslawischen Für- stentümer um das Jahr 820, S. 192. Vorstoß der Bulgaren an der mittleren Donau und in Makedonien im 9. Jahrhundert und der Widerstand der Serben, S. 193, Verfall der byzantinischen See- herrschaft; Verwüstung Dalmatiens durch die Araber und Naren- taner , bis zur Erneuerung des byzantinischen Einflusses in Dalma- tien und Unteritalien durch Kaiser Basilios I. (867—886), S. 195. Symeon von Bulgarien (893? 927) und sein Kaisertitel; Wett- kampf einer byzantinischen und einer bulgarischen Partei unter

XVI Inhalt.

Seite den serbischen Fürsten, bis zum vollständigen Zusammenbruch Ser- biens (um 924), S. 197. Erneuerung Serbiens durch den Fürsten Caslav (um 931), S. 201. Das westbulgarische Reich und sein Vorstoß gegen Durazzo und Dalmatien unter den Zaren Samuel und Vladislav; Ermordung des hl. Vladimir, des serbischen Fürsten von Dioklitien (um 1015), S. 203. Eroberung des bulgarischen Reiches durch Kaiser Basilios II. (1018), S. 208.

Viertes Kapitel: Die Könige von Dioklitien und dieGroß- zupane von Ras im Kampfe gegen Byzanz im 11.

bis 12. Jahrhundert 210

Drückende Oberhen'schaft von Byzanz nach 1018, S. 210. Zwei Dynastien der Serben : die Fürsten , später Könige des Küsten- gebietes und die Großzupane des Binnenlandes, S. 211. Die latei- nische Kirche im Westen : die neuen Erzbistümer von Antivari und Ragusa, S. 216. Die orientalische Kirche im Osten: das autoke- phale Erzbistum von Ochrid und das Bistum von Ras, S. 219. Die Sekte der Bogomilen (Patarener) in^Bulgarien, Serbien und Bos- nien , S. 222. Kultur und Literatur : Inschriften , das Evangeliar des Fürsten Miroslav und das lateinische Buch des Presbyters Dio- cleas, S. 225. Beziehungen zu den Byzantinern, dem deutschen Reich, den Venezianern, Normannen und Ungarn, S. 227. Kroatien vereinigt mit Ungarn; Bosnien unter ungarischem Einfluß, S. 229. Die Dioklitier im 11. Jahrhundert: Stephan Vojislav, sein Sohn König Michael und sein Enkel König Bodin, S. 231. Großzupan Vlkan und Kaiser Alexios Komnenos (1081 1118), S. 238. Der Durchzug der Kreuzfahrer (seit lÜ9t!), S. 239. Verfall Dioklitiens im 12. Jahrhundert, S. 242. Die Kriege der Kaiser Johannes Kom- nenos (1118—1148) und Manuel Komnenos (1143—1180) gegen die serbischen Großzupane Uros I., Uros II. und Desa, S. 244. Vor- stoß des Desa gegen die Dioklitier zum Adriatischen Meer, S. 251. Erneuerung der byzantinischen Herrschaft im Küstengebiet von Dioklitien und Dalmatien (um 1164), S. 253. Der Großzupan Ti- homir, S. 254.

Fünftes Kapitel: Der Großzupan Stephan Nemanja. . . 255 Nemanja wird durch eine Revolution zum Großzupan erhoben (1170?), kämpft im Bund mit Venedig gegen Byzanz , muß sich aber (1172) Kaiser Manuel unterwerfen, S. 255. Nemanjas Brüder Sra- cimir und Miroslav als Teilfürsten, S. 262. Nach Kaiser Manuels Tod (1180) Offensive der verbündeten Serben und Ungarn gegen das griechische Reich, S. 263. Nemanja erobert Antivari und Cat- taro; Ende des dioklitischen Fürstentums, S. 265. Ragusa be- hauptet sich gegen die Serben unter dem Schutz der Normannen, S. 267. Das neue Bulgarenreich an der unteren Donau (1186),

Inhalt. Xvn

Seite S. 269. Der dritte Kreuzzug (1189); Kaiser Friedrich I. begrüßt

von Nemanja in Nis; Bund der Kreuzfahrer mit den Serben und Bulgaren gegen die Griechen, S. 270. Nemanja wird nach dem Durchzug des Kreuzheeres vom Kaiser Isaak Angelos zum Frieden gezwungen (1190); territorialer Gewinn Serbiens, S. 273. Kirch- liche Verhältnisse und Klostergründungen, S. 275. Nemanjas Sohn Rastko flieht auf den Athos und wird Mönch als Sava; ein an- derer Sohn Vlkan führt den dioklitischen Köuigstitel, S. 276. Ab- dankung des Nemanja (1196): als Mönch Symeon gründete er das Kloster Chilandar auf dem Athos (f 1199?), S. 277.

Viertes Buch: Serbien eine Großmacht der Halbinsel unter den

Nachkommen des Nemauja (1196—1371) 281

Erstes Kapitel: Die Söhne und Enkel des Nemanja während des lateinischen Kaisertums. Erwerbung der Königskrone und Gründung der serbischen Natio- nalkirche durch Stephan den Erstgekrönten (1196 1228). König StephanUtos I. (1243 1276). 283 Die internationale Stellung Serbiens unter den Nemanjiden, S. 283. Stephan der Erstgekrönte (1196 1228), Nemanjas Sohn, als Groß- zupan und später als König, S. 284. Während des vierten Kreuz- zugs in Serbien der Bruderkrieg zwischen Stephan und Vlkan (1202 1203), S. 289. Beziehungen zu den Venezianern, Ungarn, Bulgaren, den Lateinern von Konstantinopel und den Griechen von Epirus und Nikaia, S. 290. Erwerbung der Königskrone (1217) und Errichtung des serbischen Erzbistums unter dem ersten Erz- biscbof Sava I. (1219), S. 296. Die Schicksale Zachlumiens, S. 301. König Stephan Eadoslav (1228—1234) und sein Sturz, S. 303. König Stephan Vladislav (1234—1243, als zweiter König bis um 1264), S. 305. Durchzug der Mongolen durch Serbien (1242), S. 308. König Stephan Uros I. (1243 1276), anfangs im Bund mit den Nikäern, S. 310. Der ßusse Rostislav als Herzog in der Macva; Bosnien unter Ban Ninoslav und seinen Nachfolgern, S 311. Krieg der Serben gegen die verbündeten Bulgaren und Ragusaner (1252 bis 1254), S. 312. Konstantin Aben, ein Verwandter der Nemanjiden, wird Zar von Bulgarien (1257), S. 316. Anschluß Uros' I. an die Epiroten und Frauken gegen die Nikäer (1258) ; seine französische Gattin Helena, S. 317. Bund mit König Bela IV., S. 320. Uros I. verbündet mit Kaiser Michael Palaiologos, wird aber von den Ungarn in der Macva geschlagen und gefangen (1268), S. 321. König Karl I. von Anjou und seine Verbindungen mit Serbien und Bulgarien gegen die Griechen , S. o23. Neue Feindseligkeiten zwischen Uros I. und Ragusa, S. 324. Sturz Uros' I. durch seinen Sohn, den ,, jüngeren König" Stephan Dragutin, S. 326.

xvin Inhalt.

Seite

Zweites Kapitel: Offensive gegen Byzanz. Aufschwung Serbiens unter den Königen Stephan Dragutin (1276 1282, in Norden bis 131G), Stephan Uros IL Milutin (1282 1321) und Stephan Uros IIL

(1321-1331) 327

König Stephan Dragutin (1276—1282), später herrschend nur im Norden (f 1316), S. 327. Sein Bruder König Stephan Uros II. Milutin (1282—1321), S. 330. Langjährige Oflfensive gegen die Byzantiner in Makedonien und Albanien , S. 333. Verhältnis zu den Tataren als Oberherren Bulgariens, S. 335. Beziehungen zu den letzten Arpäden und den ersten Anjous in Ungarn, S. 337. Serben , Franken , Epiroten und Byzantiner in Albanien ; Uros IL im Besitz von Durazzo (1296), S. 338. Friedensschluß des Königs Uros IL mit den Griechen und seine Heirat mit Simonis, Tochter des Kaisers Andronikos IL (1299), S. 339. Konflikte mit ßagusa, S. 341. Bosnien unter den Bauen Stephan L, dem Schwiegersohn Stephan Dragutins , und Stephan IL ; zugleich führen auch die Baue des küstenländischen Kroatiens, Paul und Mladen Subic (1299—1322), den Titel eines Bans von Bosnien, S. 342. Bund zwischen Uros IL und dem lateinischen Titularkaiser Karl von Valois (1308), S. 344. Erneuertes Bündnis mit Andronikos IL; serbische Hilfstruppen bei den Griechen gegen die Türken in Kleinasien , S. 346. Bruderkrieg zwischen den Königen Stephan Dragutin und Stephan Uros IL, S. 347. Uros IL läßt seinen Sohn Stephan gefangen nehmen und halb blenden, S. 348. Krieg Uros' IL gegen König Karl Robert von Ungarn, Bau Mladen von Kroatien und die Neapolitaner in Albanien (1318—1320), S. 350. Kampf der drei Prätendenten nach Uros' IL Tod (1321); Untergang des Königs Konstantin, Sohnes des Uros IL, Vertreibung des Königs Vladislav, Sohnes des Stephan Dragutin, und Sieg des halbge- blendeten Stephan Uros III. (1322—1331) und seines Sohnes und Mitregenten Stephan Dusan, S. 354. Gleichzeitiger Vorstoß der Bosnier durch das Narentatal zum Meere ; die Nemanjiden verlieren Zachlumien, nach dem Aufstand der Söhne des Branivoj S. 356. Krieg mit Bulgarien und Byzanz ; Sieg der Serben über den bulgarischen Zaren Michael bei Velbuzd (1330), S. 361. Kampf zwischen Vater und Sohn; Sieg des Stephan Dusan, Absetzung und Tod des Uros III. (1331), S. 364.

Drittes Kapitel: Serbien unter Stephan Dusan (1331 bis 1355) als König, seit 1346 als Kaiser, die größte Macht der Halbinsel. Eroberung von Makedonien,

Albanien, Thessalien und Epirus 367

Persönlichkeit und Politik des Stephan Dusan, S. 367. Krieg mit Bosnien; die Eagusaner als Friedensvermittler gewinnen die Halb-

Inhalt. xiT

Seite

insel von Stagno (1333"), S. 372. Krieg mit Kaiser Andronikos III.

und Friedensschluß vor Thessalonich (1334), S. 373. Erster Krieg mit Ungarn unter König Karl Robert, S. 375. Kaiser Andronikos III. erobert Thessalien und das Despotat von Epirus; Abfall des serbischen Feldherrn Hrelja zu den Griechen, S. 376. Wirren im griechischen Reiche nach des Andronikos III. Tod (1341), S. 379. Der Gegenkaiser Johannes Kantakuzenos als Flüchtling am serbischen Hofe (1342—1343), S. 382. Eroberungen der Serben in Makedonien und Albanien , S. 385. König Stephan gekrönt in Skopje zum Kaiser der Serben und Griechen (134G\ S. 386. Des Räuberhauptmanns Momcilo, des Herrn der Rhodope, Glück und Ende, S. 389. Johannes Palaiologos und Johannes Kantakuzenos beide Kaiser von Konstantinopel nebeneinander (1347), S. 390. Zweiter Krieg mit Ungarn, unter König Ludwig I.; Freundschaft der Serben mit Venedig, S. 392. Zar Stephan besetzt Epirus und Thessalien (1348), S. 394. Feldzug des Zaren Stephan gegen Bosnien und sein Besuch in Ragusa (Herbst 1350), S. 397. Gleich- zeitige Offensive der Byzantiner gegen die Serben in Makedonien und die Kaiserbegegnung vor Thessalonich (Ende 1350), S. 399. Stephans Gesandtschaft zum osmanischen Emir Orchau nachBrussa (1351), S. 403. Wiederausbruch des byzantinischen Bürgerkrieges; Kaiser Johannes Palaiologos , unterstützt von Zar Stephan und dem bulgarischen Zaren Alexander, wird bei Dimotika von Suleiman, Orchans Sohn und Parteigänger des Kantakuzenos, geschlagen (1352), S. 404. Festsetzung der Türken auf dem Boden Europas in Kallipolis (1354), S. 406. Verhandlungen des Zaren Stephan mit dem Papst in Avignon , um Anerkennung als Capitaneus " der Christenheit gegen die Türken, S. 407. Vereitelt durch den dritten Krieg mit Ungarn, S. 410. Des Zaren Stephan Tod (1355), S. 412.

Viertes Kapitel: Verfall des serbischen Reiches unter dem Kaiser Uros (1355 1371). Kaiser Symeon in Thessalien (1356 1370?). König Vlkasin (1366 1371) und die Türkenschlacht au der

Marica (1371) 413

Um das Erbe des Stephan Dusan kämpfen sein Bruder Zar Symeon und sein Sohn Zar Stephan Uros (bis 1358), S. 413. Mißlungener Versuch des Nikephoros, das epirotische Despotat zu erneuern, S. 416. Kaiser Matthaios Kantakuzenos von den Serben geschlagen und bei Philippi gefangen (1357), S. 418. Der Friede von Zara (1358) zwischen Ungarn und Venedig und seine Folgen, S. 419. Symeon bleibt in Thessalien; sein Schwiegersohn Despot Thomas in Epirus, S. 420. Feldzug des ungarischen Königs Ludwig I. gegen den Zaren Uros (1359), S. 421. Die Ragusaner, nunmehr

XX Inhalt.

1 TT 1 1 Seite

unter ungarischer Hoheit, bedrängt von den Serben, S. 422. Vojislav (t 1363) und nach ihm Vlkasin die einflußreichsten Männer am Hofe des Zaren Uros, S. 423. Die drei Brüder Baisici als Statt- halter in der Zeta, S. 424. Karl Topia, Fürst von Albanien, und Alexander, Herr von Valona, S. 425. Vlkasin wird König neben dem Zaren Uros (1366); sein Bruder, der Despot Ugljesa, Wächter der Südostgrenze gegen die Türken mit dem Sitz in Serrai, S. 430. Zar Uros verliert allen Einfluß; Cattaro unterwirft sich dem König von Ungarn (1371), S. 432. Die Statthalter von Makedonien als Teilfürsten: Kesar Novak , Despot Dragas u. a., S. 433. Der mächtige Zupan Nikola Altomanovic in der jetzigen Herzegowina im Kampf mit allen Nachbarn, S. 434. Knez Lazar, Herr von Kudnik (1370), S. 435. Mißlungene Off"ensive des Königs Vlkasin und des Despoten Ugljesa gegen die Türken von Adriauopel und ihr Tod in der Schlacht an der Marica (September 1371), S. 437. Zar Uros stirbt natürlichen Todes (Dezember 1371); der letzte Nemanjide, der Kaiser Johannes Uros Palaiologos in Thessalien, Sohn Symeons, geht ins Kloster als Mönch Joasaph (f 1410), S. 440.

Berichtigungen uud Ergänzungen.

S. 20, Z. 24 lies: um 350 nach Chr.

S. 51, Z. 16 lies: Erztafel mit Silberschrift, gefunden in Belgrad, einst ver- wahrt im ungarischen Nationalmuseum, führt usw.

S. 279 zu A. 1: D. N. Anastasijevic, Das Jahr des Todes des Nemanja, Glas 86 (1911) 135—140 meint, daß der tvytvtaTUTos fi^ya; Covnavog rfjg Zf()ßiag 6 Ntf/xdv als Mönch Symeon zur Zeit der Ausstellung der zweiten Urkunde des Kaisers Alexios IH. für das Kloster Chilandar im Juli 1199 noch lebte und erst im Februar 1200 gestorben ist. Das Todesjahr 1199 ver- teidigt Jovan Radonic im Letopis 275 (1911) 64—67.

Erstes Buch. Die vorslawisclie Zeit.

Jirecek, Geschichte der Serben. I.

Erstes Kapitel.

Die Natur des Landes und ihr Einfluß auf die Geschichte.

Der iSchauplatz der serbischen Geschichte befindet sich auf der östlichsten der drei großen Halbinseln von Öüdeuropa. Diese Halbinsel unterscheidet sich in der Gestaltung ihrer Oberfläche und in ihrer ethnographischen und politischen Entwicklung nicht wenig von den beiden anderen, der Pyrenäischen und Apennini- schen. Obwohl ihre höchsten Gipfel nicht die Höhe der Sierra Nevada oder des Ätna erreichen, ist sie viel gebirgiger und un- wegsamer als Italien und Spanien und hat keinen natürlichen Mittelpunkt, der in der Geschichte zur Geltung käme. Sie hat auch keinen einheitlichen, allgemein anerkannten Namen und hat auch nie einen gehabt; man nennt sie die illyrische oder griechische, Hämus- oder Balkanhalbinsel. Nie bildete sie eine politische oder sprachliche Einheit ; nur die Römer haben sie ganz beherrscht, die Byzantiner und Osmanen nur mit Ausnahmen. Physisch besteht sie aus zwei ungleichen Teilen. Die nördliche, massive Hälfte, vom Quarnero bis zur Mündung der Donau an 1200 Kilometer breit, von der Moravamündung bis Salonik 475 lang, hat im Bezug auf Klima, Pflanzenwelt und Kulturverhältnisse einen mitteleuropäischen Cha- rakter. Von dem übrigen Europa ist sie durch kein hohes Ge- birge in der Art getrennt, wie Spanien durch die Pyrenäen und ItaUen durch die Alpen. Die Stelle der hohen Gebirgsketten ver- treten als Nordgrenze große Flüsse, die Save und die untere Donau, welche bei den Völkerzügen leicht überschritten werden konnten. Diese mehr kontinentale Nordhälfte ist gegenwärtig meist von Slawen bewohnt. Die südhche Hälfte ist von der an

1*

4 Erstes Buch. Erstes Kapitel.

300 Kilometer langen Linie zwischen der Bucht von Valona und dem Golf von Salonik abwärts um mehr als zwei Drittel enger als der Norden, aber au der Küste viel reicher gegliedert. Das ist die eigenthche griechische Halbinsel , welche in allen histo- rischen Perioden eine vorwiegend griechische Bevölkerung besaß ^). Aber auch die breite, nördliche Hälfte der Balkanhalbinsel ist in ihrer Bodengestaltung und Bevölkerung keineswegs gleich- artig. In der Westhälfte wohnen die Serben mit den stammver- wandten Kroaten, im Südwesten ein Rest der antiken Bewohner, die Albanesen; in der Osthälfte sitzen die Bulgaren. Der Westen hat bei weitem schlechtere Verbindungswege als der Osten. Die Wohnsitze der Kroaten und Serben befinden sich zum großen Teil in dem Berglande des Dinarischen Systems. Die Gebirgs- züge dieser längs des Adriatischen Meeres gelagerten Gruppe be- halten von der Gegend zwischen dem Quarnero und den Quellen der Kulpa, in welcher sie mit den Ostalpen in unmittelbarem Zu- sammenhang stehen, angefangen bis zum „Golfo dello Drino" der Venezianer, dem Mündungsgebiet der Bojana und des Drim, die Hauptrichtung von Nordwest nach Südost -). Es sind Gebirge der Kreideformation, mit dichtgedrängten, engen Ketten. Die Ge- schichte des Landes gruppiert sich um die zwischen steilen Fels- gebirgen tief eingeschnittenen Flußtäler und die großen, krater- förmigen Kesseltäler (serbokroat. polje, Feld), alte Seebecken, deren Sohle im Sommer meist trocken bleibt, im Winter aber sich pe- riodisch mit Wasser füllt (blato, Sumpt), mit unterirdischen , mit- unter verstopften Abflüssen (ponor, ponikva, in Griechenland /Mxa-

1) J. Cvijic, Oblik Balkauskog poluostrova: Glasnik der kroat. Naturforschergesellschaft, Bd. 10 (Agram 1899) = La forme de la peniusule des Balcans: Le Globe t. 39 (Genf, Okt. 190Ü).

2) Serb. Drim, alb. Drin, Drymon der Anna Komnena, im Mittelalter ital. Drino, Lodrin, Ludrino ist der Drinius der Römer (Dirino des Plinius), Drilon der Hellenen. Mit ihm ist nicht zu verwechseln die Drina zwischen Serbien und Bosnien, Dreinos des Ptolemaios, Drinus der Römer ^Tab. Peut.), als dessen Oberlauf im Altertum wahrscheinlich der Lim galt, da nach Ptolemaios der Dreinos und der nördliche Quellfluß des Drilon (der Weiße Drim) nahe beieinander entspringen. Die Namen sind nach Tomaschek desselben Ursprungs (Stamm avestisch dar, griech. dfo, slaw. der, spalten, reißen).

Die Natur des Landes und ihr Einfluß auf die Geschichte. 5

ßöd-ga). Es gibt hier Landschaften, welche mit ihren vegetations- losen, verwitterten Karsttelsen kahl sind wie der Mond. Im Sommer erscheinen diese Berge bei grellem Sonnenlicht oft wie ein blaß- graues, durchsichtiges Trugbild. Solche öde Steinwüsten kann man auch an den großen Verbindungswegen sehen, z. B. bei Njegusi an der Straße von Cattaro nach Cetinje, in den Bergen zwischen Ragusa und Trebinje, oder bei der Station Labin an der Eisenbahn von Spalato nach Drnis. Das vom Meere weiter entfernte Binnenland bilden dagegen gut bewaldete Gebirge älterer Formationen mit Erzlagern, deren Ausbeutung über die historische Zeit hinaus zurückreicht. Das Waldtal des Lim mit seinen ma- lerischen Felsen bietet schon einen viel freundlicheren Anblick, als die traurigen Karstgebiete des Küstenlandes. Über den grünen Wäldern des Lim- und Ibargebietes erhebt sich auf der Westseite im Hintergrund, wie ein Leuchtturm, das weiße Profil des Dur- mitor (2606 Meter), des höchsten Berges des Dinarischen Systems. Sanfte waldige Abhänge haben die erzreichen Gebirge Serbiens, der Kopaonik (2106 Meter) und die Berge von Rudnik (Gipfel Sturac 1104 Meter). Das Waldland der Sumadija erinnert nach einer Bemerkung von Ami Boue an die Ardennen, den Harz und das Innere des Wiener Waldes.

Bei der Bucht von S. Giovanni di Medua, gerade gegenüber den tiefsten Stellen des Adriatischen Meeres (an 1600 Meter), wendet sich die Fortsetzung des Dinarischen Systems teils gegen Nordost, wie die Gebirge des östlichen Montenegro und die Al- banesischen Alpen '^ (die Prokletja), teils nach Süd und Südost, wie die Berge Albaniens, welche den Übergang zu dem albanesisch- griechischen Gebirgssystem bilden. An der Küste von Alessio bis Valona erstreckt sich eine warme, in den Mündungsgebieten zahl- reicher Flüsse sumpfige Ebene, in ihrer Natur ganz verschieden von den felsigen, von steilen Bergmassen überragten und von Hunderten von Inseln und Khppen aller Größen begleiteten Ge- staden Dalmatiens.

Ganz anders sind die Bergzüge der Osthälfte der Halbinsel. Sie streichen vorwiegend von West nach Ost, besonders die lange Kette des Balkans, des Hämus des Altertums und der Stara Planina (des „alten Berges") der Bulgaren, und die aus Urgestein

6 Erstes Buch. Erstes Kapitel.

bestehende gewaltige, weitverzweigte Masse der Rhodope. Die Ge- birgs^ietten dieser Länder sind breit, massiv, mit weiten Becken dazwischen ^). Eine große Ausdehnung haben die thrakische Ebene zwischen Hämus und Rhodope und die Steppen Donau- Bulgariens zwischen Hämus und Donau. Auch an der Grenze zwischen der Ost- und Westhältte der Halbinsel liegt eine Reihe breiterer, fruchtbarer Täler: das Tal der vereinigten Morava, das Becken von Nis, im Zentrum der Halbinsel das berühmte Amsel- feld (Kosovo polje) und das benachbarte Becken des Weißen Drim mit den Städten Pec (türk. Ipekj und Prizren am Nordfuß des antiken Scardus, der majestätischen Sar Planina. Südlich vom Sar folgen die großen ringförmigen Becken Makedoniens. Einige davon besitzen schöne Seen, wie die von Ochrid, Prespa, Kastoria, Ostrov, andere aber nur Reste alter Sümpfe, wie die von Skopje und Bitolia Die Landschaften des alten Thrakiens im Südosten- der Halbinsel vermitteln die Verbindung zwischen beiden Welt- teilen, Europa und Asien, die hier nur durch zwei Meerengen, nicht viel breiter als ein großer Fluß, voneinander geschieden werden.

Der Norden der Balkanhalbiusel hat infolge seines gebirgigen Charakters ein viel kälteres Klima als Griechenland, Italien oder der größte Teil der Pyrenäischen Halbinsel. Die Grenze zwischen dem kälteren mitteleuropäischen Klima und dem wärmeren des Mittelmeergebietes bilden die Küstengebirge von Dalraatien und Montenegro, der Sar und der Balkan. Im Narentatal und im Becken des Sees von Skutari, des größten Sees der Halbinsel, reicht die immergrüne, mediterrane Flora tiefer landeinwärts. Das Binnenland gehört der mitteleuropäischen Flora an. Eine Zone großer Laubwälder, nach Grisebach vorwiegend eine Eichenzone, erstreckt sich vom zentralen Rußland über Siebenbürgen, Serbien,

1) Einen direkten Zusammenbang der Alpen mit den Bergen Illyriens und dem Hämus behaupteten seit Aristoteles die geographischen Theorien des Altertums, des Mittelalters, der Humanistenzeit vCatena mundi) und der Neuzeit bis um 1840. Vgl. meine Gesch. der Bulgaren 2—3 und meine Heerstraße von Belgrad nach Konstantinopel 139. Die Karten von Ortelius bis 1846 mit der angeblichen Zentralkette bei Cvijic, Geolog. Atlas von Makedonien (serb., Belgrad 1903), Bl. 8.

Die Natur des Landes und ihr Einfluß auf die Geschichte. 7

Bosnien und Nordalbanien bis zur Adria, analog den Waldregionen Nordamerikas i). In dem Gebiet der mediterranen Flora ist da- gegen der Wald in der historischen Zeit sehr stark zurückgegangen, ebenso wie in Italien und Spanien. In der Wirtschaftsgeographie ist bemerkenswert der Unterschied zwischen den kalten Gebirgs- landschaften ohne Weinbau und den wärmeren Küsten und Tälern mit Weingärten. Weinlos sind die Gebirge Bosniens, der Herze- gowina, von Montenegro, Nordalbanien und Westserbien. Längs der Donau reicht in den waldfreien Ebenen die Steppenflora aus der pontischen Niederung bis nach Ungarn hinein, so weit, als sich auch die Wanderungen der Reitervölker verschiedener Zeiten west- wärts zu erstrecken pflegten.

Für die Geschichte eines jeden Landes sind die natürhchen Kommunikationen von größter Bedeutung. Die Verbindungen zwischen der Adriatischen Küste und dem Stromgebiet der Donau führen alle durch unwegsame Gebirgsländer. Bis in die neueste Zeit waren sie mehr für Karawanen von Saumtieren, als für den Wagenverkehr geeignet. Die steilen und kahlen Bergzüge des Dinarischen Systems schließen das Binnenland oft mauerartig vom Meere ab. Die Wege steigen wiederholt von hohen Jochen in tiefe, enge Fiußtäler hinab und winden sich dann abermals ins Gebirge hinauf. Dieser Art sind die uralten Straßen von Spalato zur Save, ebenso die von der Mündung der Narenta über die Ivan Flanina (lOlO Meter) in das Bosnatal und weiter gegen Osten. Schwierig ist der Weg von Ragusa durch die Gebirge der Herzegowina über den Berg Cemerno (137^ Meter) zur Drina, ebenso seine Fortsetzung über Plevlje und Novipazar, am Südfuß des Kopaonik vorüber, durch das Tal der Toplica nach Nis. Ungleich gröfsere Hindernisse hatte der Saumpfad von Cattaro nach Onogost (jetzt Niksici) und zum altserbischen Markt Brskovo an der oberen Tara zu überwinden, mit Anschluß an den Ragu- saner Karawanenweg. Diese beiden Routen durchzogen ein Ge- biet pittoresker Dolomiten, mit steilen Spitzen, großartigen Riesen- toren und den eigenartigen, tief eingeschnittenen Caüons der Piva, Tara und Sutjeska. Erst südlich vom Drim werden die Berge

1) Grisebach, Vegetation der Erde 1 (1872), 158, 260.

8 Erstes Buch. Erstes Kapitel.

niedriger und weniger steil. Die verhältnismäßig leichteste Ver- bindung führt aus der Landschaft um den See von Skutari über die Berge von Nordalbanien (Joch von Cjafa Malit 1107 Meter) in das Becken des Weißen Drim und weiter über eine niedrige Hügelkette in das benachbarte Amselfeld. Von Skutari nach Frizren rechnet man auf diesem Wege 33 Stunden. Es folgt dann die „via Egnatia" der Römer aus Durazzo und dessen Um- gebung über Ochrid nach Salonik und von dort durch die Küsten- gebiete des Agäischen oder, wie es die Balkanvölker nennen, des Weißen Meeres zum Hellespont oder Bosporus. In der Römerzeit bildete diese Straße die wichtigste Verbindung Roms mit dem ferneren Orient, in der byzantinischen Periode den kürzesten Weg von Konstantinopel nach Unteritalien. Nicht schwierig ist auch die Route von Valona durch das Gebiet des oberen Devol nach Kastoria und in die umhegenden Landschaften von Makedonien und Thessalien.

Gangbarer als alle transversalen Kommunikationen von West nach Ost waren stets die longitudinalen Wege von Norden nach Süden, welchen gegenwärtig auch die neuen Eisenbahnen folgen. Es ist bemerkenswert, daß die Römer die untere Donau zuerst von Makedonien, nicht von Dalmatien aus erreicht haben. Auf demselben Wege bewegten sich die Invasionen der Kelten nach Griechenland, der Goten und der Slawen in das byzantinische Reich. Die wichtigste Linie führt von der Donau in der Gegend der Moravamün düng durch das Tal dieses Flusses aufwärts, dann entweder über das Amselfeld und den Paß von Kacanik (634 Meter) zwischen dem Sar und der Crna Gora, oder über den niedrigeren Sattel von Presevo bei Vranja (43Ü Meter) in das Tal des oberen Vardar bei Skopje und dem Laufe dieses Flusses abwärts folgend bis Salonik, im ganzen an 475 Kilometer lang. Die Täler an diesem Wege sind breiter, die Pässe niedriger und kürzer, die Landschaften fruchtbarer als auf den schwierigen Pfaden vom Adriatischen Meere landeinwärts. Ein wichtiger Kreuzpunkt der Kommunikationen ist Nis, welches neben dem Moravatal auch durch das Timoktal eine Verbindung mit der unteren Donau hat. Bei Nis zweigt von dem Weg, welcher die Donau mit dem Golf von Salonik verbindet, eine zweite Straße ab, welche durch das

Die Natur des Landes und ihr Einfluß auf die Geschichte. 9

Becken von Sofia nach Philippopel, Adrianopel und zu den Meer- engen führt. Das ist die historisch so bekannte große Heerstraße von Belgrad nach Konstantinopel, die Hauptverbindung zwischen Westeuropa und dem näheren Orient. Die Flußtäler des Ibar und der Drina sind zu eng und zu gewunden, um groI5e Korarau- nikationslinien bilden zu können ; gangbarer ist das Tal der Bosna. Zu erwähnen ist noch eine in der Kriegsgeschichte wichtige Quer- straße teils von Sofia, teils von Scres nach Skopje am Vardar, und von dort durch das Amselteld und über Novipazar nach Bosnien. Von den zur Adriatischen Küste parallelen Wegen ist der bedeutendste die schon von einer Römerstraße benutzte Route von Skutari durch das Tal der Zeta aufwärts nach Niksici und weiter über Gacko und Nevesinje ins Narentatal.

Von geringer Bedeutung sind die Wasserwege der Halbinsel, wegen des starken Gefälles der meisten Flüsse. Neben der Donau und Save besteht heute eine größere Schiffahrt nur auf der Bojana und der unteren Narenta. Einmal gab es einen Verkehr von Booten und Flößen auch auf der unteren Drina, der vereinigten Morava, dem unteren Drim, Vardar, Struma und Marica.

Die Landschaften zwischen den Felsbergen von Montenegro und dessen Umgebung und dem Stromgebiet der Morava ^) sind die älteste und ständigste Heimat des serbischen Volkes. Es ist ein kühles, armes Bergland, im Westen ein Karstgebiet, im Osten ein Waldgebirge mit hochgelegenen Alpentriften, größtenteils nur zur Viehzucht geeignet, welches für fremde Eroberer wenig An- ziehungskraft besaß. Es bot aber zu jeder Zeit alle Vorteile des Hirtenlebens. Die Beschaffenheit des Landes beförderte die Ent- wicklung einer kräftigen, kriegerischen, expansiven Bevölkerung, welche sich in ihren von Natur aus festen Bergen und Tälern gegen Angriflfe fremder Völker gut verteidigen konnte, daneben aber auch offensiv in die adriatische Küstenebene und in die Täler und Becken des Ostens und Südens vorzudringen pflegte. Die natür- lichen Verhältnisse brachten es mit sich, daß diese Bergländer stets einen Überschuß ihrer Einwohner den durch historische Umwäl- zungen entkräfteten, tiefergelegenen Landschaften abtreten konnten.

1) Von Belgrad bis Medua rechnet man in der Luftlinie 340 Kilometer.

10 Erstes Buch. Erstes Kapitel.

Nach neueren Untersuchungen sind bei den Verschiebungen der Bevölkerung in unseren Zeiten aktiv die Herzegowina, Montenegro, die Bergländer Nordalbaniens und Makedoniens. Ungleichartig sind Bosnien und die Landschaft von Novipazar. Passiv ist Dal- matien und das Königreich Serbien in seinen heutigen Grenzen; beide erhalten eine Verstärkung ihrer Bevölkerung durch einen langsamen Zuzug neuer Einwohner aus den Bergländern in der Mitte zwischen beiden Gebieten ^). Ebenso werden in Bulgarien die Ebenen an der Donau und in Thrakien allmähhch neu besiedelt von der Gebirgsbevölkerung des Balkans und der Rhodope 2).

Denselben Entwicklungsgang finden wii' in der älteren Ge- schichte dieser Länder. Unter den slawischen Stämmen, welche sich in den Balkanländern niedergelassen haben, waren die eigent- lichen Serben ursprünglich ein Binnenvolk, das abseits von der Donau und dem Meer in den Tälern des Lim, Ibar und der west- lichen Morava hauste. Von dort erweiterten sie ihre Macht in der Richtung zur adriatischen Küste und hatten einige Zeit ihren Schwerpunkt in den Landschaften von Dioklitien (oder Zeta) am See von Skutari. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts begann der führende Teil der Nation einen Vorstoß gegen Osten, zu den Straßen, die von der Donau zum Agäischen Meere führen. Ein neues Zentrum des Volkes wurde die Landschaft bei der Burg Kas am Flusse Raska, einem Nebenfluß des Ibar, die Gegend des heutigen Novipazar, ein hochgelegenes Gebiet (an 550 Meter), am Kreuzpunkt wichtiger Wege in der IVIitte der waldigen Bergländer zwischen Tara und Morava gelegen ^). Die Autorität der Könige von Dioklitien mußte bald der Macht der „großen Zupane^' von Ras weichen, der Familie des Nemanja. Die Eroberung der bei- den fruchtbaren Becken gerade in der Mitte des nördlichen Teiles der Halbinsel, des Beckens des Weißen Drim mit den Städten Pec und Prizren und des Amselfeldes, verschob den Mittelpunkt weiter gegen Süden. Ped wurde für fünf Jahrhunderte der Sitz des Oberhauptes der serbischen Nationalkirche.

1) Cvijic, Naselja 1 (1902) S. CCX.

2) Mein Fürstentum Bulgarien 48 f. Miletic, Das Ostbulgarische (Wien, Baikaukommission der Kaiser!. Akademie 1903) 10 f.

3) Altserb. Ras, mask., 'Püaov der Byzantiner.

Die Natur des Landes und ihr Einfluß auf die Geschichte. 11

Im 13. Jahrhundert folgte eine neue Offensive der Serben. Gegen Norden wendeten sie sich in das untere Moravatal, um dessen Besitz zuvor Ungarn und Bulgaren miteinander gestritten haben, und weiter abwärts zur Donau, in der Gegend zwischen der Savemündung und den Engen des Eisernen Tores. Gegen ISüden machten sie bei dem raschen Verfall des nach der Ver- treibung der Lateiner restaurierten byzantinischen Reiches große Fortschritte in Makedonien. Stephan Dusan, welcher sich 1346 zum Kaiser der Serben und Griechen krönen ließ, besetzte während der Bürgerkriege zwischen den Griechen ganz Makedonien (außer Thessalonich), Albanien, Epirus und. Thessalien. Innere Wirren erleichterten aber bald darauf das Vordringen eines neuen stär- keren Eroberers, der osmanischen Türken, sowohl gegen die Griechen, als auch gegen die Serben. Der serbische Staat der Despoten des 15. Jahrhunderts hatte seine Basis wieder im Nor- den, an der Donau, in Belgrad und in Sraederevo (bis 1459). Am längsten jedoch behaupteten sich gegen die Macht der Osmanen von den einheimischen Fürsten die Crnojevici in den gewaltigen Gebirgen oberhalb des Golfes von Cattaro und des Sees von Skutari.

Als in neueren Zeiten die Grenzen des osmanischen Welt- reiches wieder zurückgingen, erfolgte die Bildung neuer serbischer Staaten gerade auf dem Boden der letzten politischen Gebilde des IMittelalters : in den unwegsamen Bergen von Montenegro bei dem von den Crnojevidi im Jahre 1485 gestifteten Kloster von Cetinje und im Waldland der Sumadija, nicht weit südlich von Belgrad und von der Burg der Despoten in Smederevo.

Zweites Kapitel.

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten ^).

Noch unlängst glaubte man, die Balkanhalbinsel habe nie eine Eiszeit gehabt. Neuere Untersuchungen seit 1896, besonders von Professor Cvijic in Belgrad, haben nachgewiesen, daß in der- selben Zeit, in welcher die Gletscher der Südalpen in die Po-Ebene herabreichten und dadurch die jetzigen oberitalischen Seen ent- standen sind, auch die Gebirge der Balkanhalbinsel Gletscher be- saßen -). Spuren dieser glazialen Periode wurden nachgewiesen auf den höchsten Bergen von Bosnien, der Herzegowina, Monte-

1) Die prähistorischen Altertümer der südslawischen Länder sind am besten erforscht in Bosnien von M. Hoernes, V. Radimsky, F. Fiala, C. Truhelka u.a. Über Serbien die Arbeiten von M. Valtrovic, S. Tro- janovic und M. Vasic. Das meiste in Zeitschriften: Glasnik bos., Wiss. Mitt., Vjesnik arheol., Starinar, Glas. Ein Handbuch vom Berghauptmann V. Radimsky, Die prähistorischen Fundstätten, ihre Erforschung und Be- handlung, mit besonderer Rücksicht auf Bosnien und "die Hercegovina, Sarajevo 1891 mit 3.37 Abb. (auch in serbokroat. Ausgabe). Wilhelm Tomas chek. Die alten Thraker, eine ethnologische Untersuchung, Wien 1893—1894, 3 Hefte (aus den SB.W.Akad. Bd. 128, 130, 131). Über die Illyrier gibt es bisher keine erschöpfende Darstellung. Die Sprachen: Paul Kretschmer, Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache, Göttingen 1896 (Kap. VII Die Thraker, VIII Die illyrischen Stämme^ Wichtig für die Völkerkunde Illyriens sind die zahlreichen Abb. von Dr. C. Patsch in den Wiss. Mitt.

2) A. Penck, Die Eiszeit auf der Balkanhalbinsel: Globus Bd. 78 (1900) 183 f. J. Cvijic, L'epoque glaciaire dans la p^ainsule des Balcans: Annales de geographie 9 (1900) 359—372. Derselbe, Neue Ergebnisse über die Eiszeit auf der Balkanhalbinsel: Mitteilungen der k. k. geograph. Gesellschaft in Wien, Bd. 47 (1904) 149 f.

lllyrier, Thraker, Helleneu. Kelten. 13

negro und Nordalbanien, ebenso auf dem Sar, dem Peristeri in Makedonien und auf der Rila in Bulgarien. Die Gletscher be- fanden sich meist nur auf der Nord- und Nordostseite der Gebirge, mit kurzen Gletscherzungen, selten in die Täler hinabsteigend. Am tiefsten lag die glaziale Schneegrenze an der Adria im Dinarischen Küstengebirge, ungefähr 1400 Meter über dem Meere, demnach so tief, wie gegenwärtig an der norwegischen Küste in der Gegend von Bergen ; sie stieg landeinwärts, ebenso wie heute in Norwegen, von West nach Ost allmähhch empor. Auch die Kälte und Regen- menge war im Diluvium im Westen größer als im Osten. Unter- halb der Gebirge befanden sich zahlreiche Seen, aus denen sich bei dem sinkenden Wasserstand die heutigen Becken der Karst- poljen entwickelten ^). Auch die zwischen riesigen Steilwänden tief eingeschnittenen Durchbruchstäler, die großartigen Canons der oberen Narenta, der Tara (an 800 bis 1000 Meter tief) und der Piva zeugen von einer mächtigen Erosion in einer Periode mit größeren Wassermengen. Die nördliche, seichte, nur bis 200 Meter tiefe Hälfte der Adria mag (nach Cvijic) schon damals bestanden haben, bis auf die Küsteninseln und Klippen Dalmatiens, die erst bei der fortschreitenden Senkung des Adriatischen Küstenlandes als Reste des eingesunkenen Festlandes stehen geblieben sind. Diese Senkung des dinarischen Systems schreitet auch in der historischen Zeit fort. Sie ist bemerkbar am See von Skutari, dessen Grund seit dem Diluvium unter das Meeresniveau gesunken ist, und an einigen Bauten der römischen und frühmittelalterlichen Zeit an den Küsten Istriens und Dalmatiens. Im Osten der Halbinsel hat man dagegen eine Hebung des Landes beobachtet.

Nach der Eiszeit trat in den Balkanländern ein wärmeres, feuchtes Klima ein, mit einer reichen Vegetation und großen Ur- wäldern. Aber noch in der historischen Zeit galten die nördlichen Gebiete der Halbinsel bei den Griechen und Römern als rauh und unwirtlich. Bei einem Winterfeldzug im heutigen Strandzagebirge, nordwestlich von Bjzanz, litten die Griechen Xenophons im tieten Schnee arg unter der Kälte, bei welcher Wein und Wasser ge-

1) Cvijic, Die Karstpoljen: Abhandlungen der k. k. geogr. Gesell- schaft in Wien 3 (1901) 81 ff.

14 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

fror, und beneideten die Thraker um ihre warmen Pelzmützen und Mäntel ^). Die Römer kannten den frühzeitigen, rauhen und schneereichen Winter der Berge von Illyricum, der Täler des Hämus und der Provinzen an der unteren Donau -). Prokopios schildert die furchtbaren Winterstürme in Dalmatien. Niemand gehe dabei aus dem Hause, denn der Windstoß vermöge einen Reiter samt Roß in die Lüfte zu heben und wieder zum Boden zu werfen, wo er den Tod finde ^). Die Nachricht ist übertrieben, aber in unseren Tagen haben Bora und Scirocco auch Züge der neuen schmalspurigen Eisenbahnen vom Damm heruntergeschleu- dert, 1904 bei Clissa oberhalb Salona und bei Ostrozac an der oberen Narenta.

In den Wäldern der ältesten Zeit hauste eine Fauna großer Tiere. Löwen gab es zwischen den Flüssen Nestos (Mesta) in der Rhodope und Acheloos (Aspropotamo) in Atolien. Auf dem Durchmarsch des Königs Xerxes durch das Küstenland Make- doniens beunruhigten sie, wie Herodot erzählt, in den Nächten die Kamele des Lagers. Abgebildet sind sie auf den thrakischen Skulpturen, Jagd- und Reiterbildern. Aus der Römerzeit stammen die vielen steinernen Grablöwen in den Nekropolen der Donau- städte.

Wilde Rinder zweifacher Art belebten die Waldwiesen noch im Mittelalter. Als der Stammvater einiger Varietäten unseres Hausrinds gilt der jetzt ausgestorbene Ur oder Auerochs, urus der Römer (Bos primigenius). Herodot erwähnt diese wilden Stiere (ßosg äyQioi) in der Nähe des Golfes von Salonik. Ihre langen Hörner dienten den thrakischen Fürsten, ebenso wie den Germanen in der Zeit Cäsars, als Trinkgefäße. Der Dakerkönig trank aus einem mit Gold eingefaßten Hörn {ßoög ocqov ytegag), welches Kaiser Trajan aus der Kriegsbeute dem Zeus Kasios widmete *). Varro kennt in Cäsars Zeit eine wilde Art der Hausrinder (boves

1) Xenophon, Anabasis VII cap. 4.

2) Strabo VII p. 317. Vellejus Paterculus II cap. 113. Tacitus, Annales IV cap. 51. Geographi lat. minores ed. Riese p. 12L

3) Prokopios ed. Haury V cap. 15 (de belle goth. I, 15).

4) Anthologia Palatina VI, 332 (ein Gedicht Hadrians).

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. 15

perferi) in Dardanien , im Lande der Maden und in Thrakien ^). Auch im Mittelalter war der Auerochs in Osteuropa wohlbekannt, slawisch tur (fem. turica), rumänisch bouru (daher Ortsname Boureni) genannt. Zahlreiche Ortsnamen in Krain, Dalmatien, Bosnien, iSerbien, Makedonien und Bulgarien sind von tur ab- geleitet: Landschaft Turopolje (das „Auerochsenfeld'') bei Agrara, Dörfer Turovo, Tuija, Turica, Turici, Turjane u. a. '-). Auer- ochsen jagten noch die heidnischen Bulgaren, wie an den Knochen- funden im Lager von Aboba zu sehen ist, in den Wäldern Ost- bulgariens. Als der serbische König Stephan der Erstgekrönte (um 1215) solche Tiere (tari i turice) von König Andreas IL von Ungarn zum Geschenk erhielt, dürften sie in Serbien schon eine Seltenheit geworden sein ^). Daraals war der Auerochs noch ver- breitet im Karpathengebiet, wo die Moldau, ebenso wie der Kanton Uri, einen Stierkopf im Wappen führt. Verschieden vom Auer- ochsen war der behaarte Wisent (Bison europaeus), die „iubati bisontes" des Plinius, mit verhältnismäßig kleinen, nach rückwärts gewendeten Hörnern, in unseren Tagen noch bei Bialystok in Litauen und im Kaukasus gehegt. Im Altertum war er in großer Zahl vorhanden in den Wald wüsten der Hämusländer, besonders im Stromgebiete des Strymon und Axios ^). Noch in der Kaiser- zeit pflegte man in Rom den päonischen Wisent b< i den Tier- hetzen des Amphitheaters vorzuführen. Im Mittelalter war er südlich der Donau selten geworden. Paulus Diaconus im 8. Jahr- hundert erwähnt die „bisontes ferae" in den Bergen von Friaul und in Pannonien. Im Kirchenslawischen hieß das Tier z^br-L (zombrü, daraus rumänisch zimbru), serbisch zubr. Während in den nord slawischen Ländern seine Spur in den Ortsnamen recht häufig ist, sind in den Balkanländern nur wenige Beispiele vor- handen: der „Wisentfluß'' Zubrova Reka, ein Nebenfluß der Ravanica in Serbien, und die „Wisentberge" Zuber Planina bei

1) Varro II, 1, 5 ed. Keil.

2) Tur und zubr: xMiklosich, Slaw. Ortsnamen aus Appellativen 2 (Denkschr. W. Akad. 23) S. 250, 260. Jirecek, Arch. slaw. Phil. 15 (1893) 89. Cvijic, Naselja 1, S. GL.

3) König Stephan ed. Safaiuk, cap. 20, p. 29.

4) Tomaschek, Die Thraker 2, S. 5—6 (bonasus, fxövanos, ß6Xivd-og)._

16 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

Trn (zwischen Nis und Sofia) und Zuberovo Brdo bei Gradacae in Bosnien. Die Byzantiner kannten das Tier unter dem slawi- schen Namen (tov/urtgog) als ein in Rußland vorkommendes großes Jagdwild ^).

Reste des Steinbocks fand man in den Pfahlbauten an der Una, Überreste des Elentieres, welches noch in der Zeit des Albertus Magnus (f 1280) in den Wäldern von „Sclavonia" in Menge lebte, in den Pfahlbauten an der Save ^). Verschollen ist heute auch der Biber (bulg. bebr, serb. dabar), nach welchem der „Bibersee" von Kastoria in Makedonien benannt war. Seine Spur ist nur mehr in Ortsnamen bemerkbar ^). Die intensivere Besiedelung des Landes, die Ausbreitung der Agrikultur und die Jagdfreiheit führten zur Ausrottung der alten Waldfauna. In unseren Tagen ist selbst der Hirsch in Bulgarien und Serbien eine Seltenheit geworden, in Bosnien und der Herzegowina ganz verschwunden. Dasselbe Schicksal naht den Bären und Gemsen. Eine Mischung von Sagen über ausgestorbene Tiere, von Märchen über unheimliche, in stehenden Gewässern hausende Geschöpfe und von physikalischen Beobachtungen über das Geräusch, welches periodisch sich füllende und wieder entleerende Seen verursachen, ist die von Cvijic untersuchte Sage von dem Wasserstier (vodeni bik), überall verbreitet bei Seen und Sümpfen in Bulgarien, Ser- bien, Montenegro, Bosnien und Dalmatien. Es soll ein schwarzes, drachenartiges Tier sein, das nachts am Ufer der Gewässer weidet, die Rinder der Ortseinwohner verfolgt und durch sein Brüllen die Umgebung erschreckt ^).

Überreste des „paläolithischen^' Menschen der Eiszeit fand

1) Niketas Akominatos (um 1200) ed. Bonn. 433. Die byz. Glosse CöfißQog als roay^Xacfog and Qoaxrjg ik&civ erklären Lagarde und Tonaaschek (a. a. 0. 2, 12 nro. XVI) als slawisches (nicht thrakisches) Wort.

2) Woldfich, Wiss. Mitt. 5, 98: 9, 162.

3) Ai^vT], r] KciOTOQta djvöuaaiat, Prokopios ed. Bonn. 3, 273 bei Diokletianopolis (j. Kastoria, slaw. Kostur). In Serbien wurde nach Pancic (Glasnik 26, S. 85 86) ein Exemplar noch um 1850 bei Smederevo ge- fangen.

4) Glas 54 (1897) 98—100.

Illyrier, Thraker, Helleneu, Kelten. 17

man jüngst bei den Thermen von Krapina in Kroatien. Der „neolithischen" Periode gehören die Funde des Dr. Vasic in der Umgebung von Belgrad an, verwandt mit den Resten der ältesten Kultur von Griechenland. Es sind Grubenwohnungen mit Gerät aus Knochen, Hörn und Stein, sowie Tongeschirr, noch ohne Me- talle. Dabei fanden sich bemalte Idole aus Ton, besonders einer weiblichen Göttin. Die Höhlenfunde bei Valjevo und Nis und die Ausgrabungen im unteren Moravatal und in Sobunar am Berge Trebevid bei Sarajevo, mit Stücken der Steinzeit neben Gegenständen der Bronze- und ersten Eisenzeit geben Zeugnis von einer längeren Dauer der Ansiedlungen an derselben Stelle. Bei Anbruch der historischen Zeit erscheinen auf der Halbinsel drei indogermanische Völker: die Illyrier, Thraker und Hellenen.

Die Jllyrier wohnten in der westlichen Hälfte der Halbinsel, von der mittleren Donau bis nach Epirus. Im Zentrum der Halb- insel gehörten zu ihnen auch die Dardaner und die Paionen, an der Ostküste Italiens die Veneter und die Messapier mit anderen Küstenstämmen Apuliens. Die Personennamen auf den Inschrif- ten der Römerzeit, die einzigen Denkmäler des Altillyrischen, sind selten aus zwei Nomina zusammengesetzt (z. B. Epicadus oder Pladomenus), wie die Namen der Thraker, Hellenen, Ger- manen, Slawen oder Perser. Die Mehrzahl, bestehend nur aus einem Nomen mit Suftix, erinnert vielmehr ganz an die Namen der Römer und anderen Italiker: Dazas, Plares, Tito, Tato, Verzo, Piator, Lurus u. a Für die sozialen Verhältnisse sind merkwürdig Namen, die in unveränderter Form sowohl von Männern als Frauen geführt werden, besonders auf den Inschriften von Plevlje (Panto, Tritano, Vendes, Vandano u. a.). Auf den Denkmälern der Land- schaft Lika führen Mann und Frau dieselben Namen mit ver- schiedener Endung (Öplus und Öpla, Stennas und Stennato). Die Sprache der Albanesen, welche Nachkommen der alten Illyrier sind, bietet nur ein unvollkommenes Material zur Kenntnis des Illyrischen, da sie von romanischen Elementen ganz durchsetzt ist. Dagegen behaupten sich zahlreiche Ortsnamen der illyrischen Periode in mehr oder weniger veränderter Gestalt bis zum heu- ligen Tage.

Die Namen der Stämme dieses Volkes befanden sich in fort-

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 2

18 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

währendem Wechsel, durch Verschiebungen der Wohnsitze und innere Fehden, An den Ufern der unteren Save saßen die Breuker. Durch die Funde von Dr. Patsch sind bekannter geworden die Japoden im nordwesthchen Bosnien bei Bihad und in der Lika. Ihre Nachbarn an der Küste und auf den Inseln waren die in der Schiffahrt geübten Liburner. Als ein führender Stamm er- scheinen zur Zeit der römischen Eroberung die Delmater oder Dalmater, mit dem Hauptort Delminium (jetzt Zupanjac) und dem Hafenplatz Salona. Auf beiden Seiten der gewaltigen Berge von Makarska wohnten die Ardiaioi (lat. Vardaei), einst die berüchtigtsten Piraten des Adriatischen Meeres. Die Daorser (lat. Daversi) an der Narenta prägten später Kupfergeld mit dem Bild eines Schiffes und der Aufschrift Juoqgwv. Die Wohnsitze der Dokleaten umfaßten den größten Teil von Montenegro, sowohl bei Podgorica, als bei Grahovo, wo jüngst im Dorfe Viluse in den Ruinen des römischen Kastells Salthua lateinische Inschriften iln^er Häuptlinge (in Versen) gefunden wurden ^). Ihre Nachbarn waren die Labeaten am See von Skutari und die des Bergbaus kundigen Pirusten. Von den südlichen Stämmen waren von Bedeutung die Dassaretier im Berg- land bis zum See von Ochrid, neben ihnen die bei Ptolemaios genannten Albaner (ylXßavoi) mit der Stadt Albanopolis, dort, wo im Mittelalter die Landschaft Arbanum in den Bergen von Kroja bestand. Im Binnenlande waren einst die Autariaten das vor- nehmste Volk, Feinde der Ardiäer, zuletzt von den Kelten zer- sprengt. Der Name Tara mag von ihnen stammen; so heißt einer der Quellflüsse der Drina und ein Berg an den Quellen der Raca im Kreis von Uzice. Zur Zeit der römischen Eroberung waren mächtig die Daesitiates, wahrscheinlich im Innern Bosniens, neben ihnen im Norden die Mäzeer, die Ditiones, die Sardeaten und andere, deren Wohnsitze sich bei dem Mangel an Inschriften nicht genau bestimmen lassen. In der Landschaft von Uzice wohnten die Parthini, die den Jupiter Partinus als Schutzgott verehrten, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stamm im Küsten- lande bei Durazzo -). Am oberen Vardar, am Weißen Drim, auf

1) N. Vulic, Vjesuik arheol. N. S. 8 (1905) 172f. Rovinskij, Cernogorija : Sbornik russ. Akad. 86 (1909) S. 84 f.

2) Ladek, v. Premerstein, Vulic, Antike Denkmäler in Serbien:

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. I9

dem Amselfelde und in der Landschaft von Nis war die Heimat der Dardaner, welche erst seit 284 v. Chr. erwähnt werden als tapfere Feinde der Makedonier und später der Römer.

Diese Stämme waren geteilt in Sippschaften, welche Plinius als „decuriae" bezeichnet; z. B. die Delmatae zählten ihrer 342 die Daesitiates 103, dagegen die von den Römern fast aufgeriebenen Vardaei nur mehr 20. Gemeinsame Grabstätten der Geschlechter fand man in den Taniuli von Glasinac. Strabo berichtet, daß bei den Dalmatern das Land alle acht Jahre neu verteilt werde wohl innerhalb eines Gaues oder einer Sippschaft. Aus den Schriften der römischen Agrimensoren ist das Feldmaß von Dalmatia be- kannt, der „versus", 8640 Quadratfuß groß; 3| „versus" ent- sprachen einem römischen „iugerum" i). Die Frauen genossen eine große Achtung. Die historischen Nachrichten berichten von Kö- niginnen, die zeitweilig an der Spitze der Völker standen. Der Periplus des sogenannten Skylax von Karyanda und Nikolaos von Damaskus fabeln von einer mit einer Art Polyandrie verbundenen Frauenherrschaft im Lande der Liburner. Varro, ein Zeitgenosse des Cicero, rühmt die kräftigen und arbeitsamen Weiber der Illyrier, welche unverdrossen Vieh weiden, Holz zur Feuerstelle schleppen, Speisen bereiten und daneben noch Kinder mit Leich- tigkeit gebären und säugen. Daß die jungen Illyrierinnen (quas virgines ibi appellant) unbegleitet (incomitatae) große Freiheiten genossen und auch Kinder haben durften, erinnert an Herodots Schilderungen der Sitten der Thraker 2). Neben den Freien gab es eine untertane, leibeigene Bevölkerung, in der Art der Heloten von Lakonien und der Penesten von Thessahen, besonders im Lande der Ardiäer und der Dardaner. An der Spitze der Stämme standen Häuptlinge oder erbliche Könige. Nie waren alle Illyrier vereinigt zu einem Reich. Das einzige größere Königreich um- faßte im 3. und 2. Jahrhundert v, Chr. die adriatische Küste

Jahreshefte des österr. arch. Inst. 4 (1901) Beiblatt 158—160. Vgl. Vulic im Glas 72 (1907) 7.

1) Strabo VII cap. 5 p. 315. Gromatiei veteres; die Schriften der röm. Feldmesser, herausg. von Blume, Lachmann, Eudorff (Berlin 1848) 2, 282.

■2) Varro ed. Keil II cap. 10, 7—9.

2*

30 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

ungefähr von Alessio bis Sebenico, aber es war mehr ein Bund, als ein Reich; die nördlichen Stämme fielen bald ab. Als Resi- denz wird Skodra (Skutari), als Hauptfestung Rhizon (Risano) ge- nannt. Theopomp und Polybios schildern die fröhlichen Gelage dieser Illyrier, von welchen die Frauen ihre angeheiterten Gatten nach Hause zu fuhren pflegten. Ganz unmäßig aßen und tranken täghch die Ardiäer; auch die Könige Agron und Gentius bezechten sich in arger Weise.

Die Berge und Wälder erleichterten die Verteidigung des Landes. Die „fast uneinnehmbaren" Wohnsitze der Pirusten und Däsitiaten schildert Vellejus Paterculus, Legat im dalmatinischen Kriege unter Augustus. Die endlosen Fehden und Raubzüge be- förderten das Eotstehen großer Waldwüsten. Eine solche absicht- lich unbewohnt gemachte Wüstenei befand sich an der Grenze der Makedonier gegen die Dardaner, später um das Land der keltischen Skordisker herum. Das sind die noch in der spät- römischen „ Dimensuratio provinciarum " erwähnten „Wüsten Dar- daniens" (deserta Dardaniae) ^). Diese Wälder konnten mit ihrer Tierwelt Jägern und Fischern den ganzen Lebensunterhalt ge- währen. Die Hauptbeschäftigung blieb aber die Viehzucht, mit Herden von Schafen und Ziegen. Plinius findet die hiesige Schaf- wolle etwas zu rauh, lobt aber den Käse der Dokleaten (caseus Docleas) in den „Alpes Delmaticae". Eine Reichsbeschreibung um 350 V. Chr. nennt den Käse von Dardanien und Dalmatien. Zum Ackerbau war das Land, nach einer Bemerkung des Strabo, wenig geeignet; die Japoden bauten Spelt (ileid) und Hirse (ytcyxQog). Als Getränk dienten vor der Verbreitung des Weines verschieden- artige prähistorische Biere, bereitet aus Hirse, Gerste, Weizen, aus Kräutern und Wurzeln: der ßqvxog der Thraker, die jcaqaßiri und das Ttlvov der Paionen, das „camum" der Pannonier, die „sabaia" (oder sabaium) der Illyrier '^). Von den Gewerben ist vor allen der Bergbau zu nennen. Seine ersten Anfänge waren

1) Polybios XXVIII cap. 8. Livius XLIII cap. 20. Strabo VII p. 318. Geogr. lat. minores ed. Riese p. 11.

2) Tomas fhek, Die alten Thraker 2, 7 f. 01c k bei Pauly-Wissowa

3, 1, 461 (Art. Bier).

Illyrier, Thraker, Helleuen, Kelteo. 31

das Auswaschen von Metallkörnern aus dem Flußsand : des Magneteisens, wie heute noch in Bulgarien und Makedonien, be- sonders aber des Goldes. Eine höhere Stute war die trockene Arbeit bei den Erzgängen. Spuren uralter Bergmannsarbeit, mit Werkzeug der Hallstätter Periode, fand man jüngst in den Zinnober und Silber führenden Löchern der Suplja Stena (serb. „hohle Wand'') am Berge Avala bei Belgrad, ein verfallenes Kupferbergwerk aus der Bronzezeit im Dorfe Bor bei Zajecar ^). Die Hausindustrie beschäftigte sich mit der Verarbeitung der Pro- dukte der Viehzucht, mit Metallgießerei und Töpferei, der Herstellung von Kleidern, Waffen und Gerät für die Jagd, Fischerei und den Krieg. Bei der Küstenschiffahrt war die Versuchung zum See- raub naheliegend.

In der vorrömischen Zeit wohnte die Bevölkerung meist in höheren Lagen; erst unter der Römerherrschaft wurden die Täler dichter besiedelt. Die Nachbarschaft großer Waldtiere und die vielen Kriege nötigten schwer zugängliche Behausungen anzulegen. Natürliche Höhlen dienten als Wohnungen, Festungen oder als gottesdienstliche Räume. Bei dem Zug des Crassus (29 v. Chr.) schlössen sich die Mösier samt ihren Herden in der großen Höhle Keiris ein und mußten von den Römern belagert und ausgehungert werden. Nach Strabo, der unter Kaiser Tiberius schrieb, wohnten die Dardaner, die bei den Griechen als ein äußerst unreines, un- gewaschenes Volk galten, in Höhlen unter Düngerhaufen und unterhielten sich in diesen Verstecken mit Flöten und Saiten- instrumenten. Paulinus von Nola sagt in einem Gedicht an den Bischof Nicetas von Remesiana (um 40ü), daß die thrakischen Bessen in Höhlen wohnen (in antris viventes). In den Steppen an der mittleren und unteren Donau bedingte der Mangel an Stein und Holz die Errichtung von Grubenwohnungen, seit dem Altertum bis auf unsere Tage. Sehr verbreitet waren Pfahlbauten auf Seen und Flüssen, so anschaulich beschrieben von Herodot bei den von Fischfang lebenden Paionen auf dem See Pra- sias im südlichen Makedonien. Die Pfahldörfer der Daker mit ihren kegelförmigen Hütten sind abgebildet auf den Reliefs der

1) Vasic, Godi§njak 19 (1905) 263 f.

33 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

Trajanssänle. Reste der Ansiedlungen von Fischern und Jägern, die auch etwas Ackerbau trieben und in Hütten auf einem Pfahl- werk von Eichen- und Ahornstämmen wohnten, fand man in der Save auf dem bosnischen Ufer bei Bosnisch Gradiska, auf dem kroatischen bei Novigrad in der Nähe von Brod, und in der Una bei Ripac. Das reichhaltige Inventar reicht von Lanzenspitzen aus Hirschhorn und steinernen Pfeilspitzen bis zur Eisenzeit; die Zeit bestimmen barbarische Nachahmungen der Tetradrachmen des makedonischen Königs Philipp H. , an der Una römische Münzen der Kaiserzeit ^). Zu Verteidigungs- und Kultuszwecken waren die hochgelegenen Wallburgen errichtet, meist in kreisrunder oder elliptischer Form, wie z. B. die zahlreichen Umwallungen auf der Hochebene von Glasinac, die große Wallburg auf dem Berge Vrsnik zwischen Ötolac und Ljubinje mit vier konzentri- schen Ringen, die zusammen an 35 000 Quadratmeter einschließen, die Burg auf dem Berge Kicin bei dem mittelalterlichen Schloß von Blagaj an der Narenta -). Andere Burgen hatten schon Stadt- mauern nach hellenischem und römischem Muster. Im Karstgebiete dienten einige von der illyrischen Zeit bis auf unsere Tage stets als Festungen, wie Medeon im Gebiet der Labeaten, wo der Legat Perperna die Königin Etleva mit den Söhnen des illyrischen Königs Gentius gefangen genommen hat, Medione des Geographen von Ravenna, Medonum in den Urkunden des 15. Jahrhunderts. Es ist das heute noch wohlbekannte Medun, ein hochgelegenes Kastell mit Resten kyklopischer Mauern und uralter Felseutreppen auf einem weißen Kalkfelsen im Gebiete des Stammes der Kuci, im Osten von Montenegro ^). Im Innern der W^allburg von Kicin fand man eine Anzahl kreisrunder Hütten aus trocken zusammen- gelegten Steinblöcken mit engem Eingang. Im Waldgebiete sahen die illyrischen Dörfer wohl nicht anders aus, als die thrakischen in den Zeiten des Xenophon: weit voneinander zerstreute Holz-

1) Radimsky, Truhelka u. a.: Wiss. Mitt. 5 (1897) und 9 (1904). BruQsmid. Vjesnik arheol. N. S. 4 (1900).

2) Radimsky, Die prähist. Fundstätten 96f., 117f. Wiss. Mitt. 2, 20, 52 f.

3) Evans, Illyricum I— II, 84—86; Kretschmer a. a. 0. 257; meine Rom. Dalm. 1, 58; Rovinskij, Sbornik russ. Akad. 86 (1909) S. 81.

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. 33

häuser, bei Nacht, auch im Winterschnee schwer auffindbar, ein jedes ringsherum umschlossen von einem Zaun aus hohen Pfählen ^). Die Götter der Illyrier werden noch auf den Inschriften der Römerzeit abgebildet und genannt: der eine Waffe schwingende Kriegsgott Medaurus auf feurigem Roß, der Wasser- und Quellen- gott Bindus bei den Japoden, die Göttinnen Latra im Lande der Liburner, Sentona, Iria und Ica in Istrien usw. Merk- würdigerweise fehlt jede Erwähnung von Priestern -). In der Römerzeit wurden die einheimischen Götter durch die ähnlichen römischen verdrängt, besonders durch Silvanus (Pan), Diana, Liber und Libera. Schon früher fanden hellenische Götter- und Heroen- kulte Eingang ins Küstengebiet. Ein Sohn des Kadmos und der Harmonia, deren Giäber man bei Rhizon zeigte, lUyrios genannt, erscheint in griechischen Quellen als mythischer Stammvater des einheimischen Königsgeschlechtes ^). Eine andere Genealogie bei Appian macht Illyrios zum Sohn des Kyklopen Polyphem und der Nymphe Galateia; von ihren Söhnen und Töchtern führen die illyrischen Stämme ihre Namen, von Autarieus, Dardanos, der Parthö, Daorthö, Dassarö usw. ^). Reste von Schlangen- und Drachenglauben gab es, wie aus der vom Kirchenvater Hiero- nymus verfaßten Biographie des heiligen Hilarion von Gaza er- hellt, noch um 365 bei Epidaur (Ragusa vecchia); ein Drache (boa) soll Menschen und Vieh gefressen haben, bis der Heilige das Ungeheuer durch Feuer tötete. Vom einheimischen Aberglauben ist bei Plinius eine Notiz über das todbringende böse Auge bei den lUyriern und Triballern erhalten. Die Toten pflegte man unter Grabhügeln zu bestatten, die im Karstgebiet aus Steinen, im Binnenlande aus Erde errichtet wurden. Sie enthalten aus derselben Zeit teils Skelette, teils Brandgräber. Im alten Thraker- lande sieht man die höchsten Tumuli in tieferen Lagen, in Tälern, Ebenen und Steppen. Bei den lUyriern befinden sich dagegen

1) Xeuophon Anabasis VII cap. 4.

2) Tomaschek in Bezzenbergers Beiträgen zur Kenntnis der indogernti. Sprachen 9 (1884). Dr. C. Patsch in den Wissensch. Mitt., Band 5—7 und den Jahresheften 6 (1903) 72—73 (Medaurus).

3) Geographi graeci min. 1, 31.

4) Appian, lUyr. cap. 2.

34 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

große Nekropolen meist auf öden Bergen; wahrscheinlich wollte man die Toten recht hoch, in der Nähe des Himmels, der Sterne, des Mondes und der Sonne zur ewigen Ruhe bestatten. Alle bisher untersuchten großen Grabfelder stammen aus der ersten Eisenzeit, mit wenigen Spuren griechischen Einflusses, vor allem die von Hoernes und anderen gründlich erforschte riesige Nekro- pole von Glasinac in den Bergen östlich von Sarajevo. An Gla- sinac erinnern die Funde auf dem „Berg der Gräber" bei dem Dorf Komana in Albanien, in den Engpässen des Drim östlich von Skutari. Dasselbe gilt von einem Gräberfeld mit ungefähr 200 Tumuli in den Bergen zwischen Cacak und Arilje im König- reich Serbien, bei den Dörfern Negrisor und Markovica i).

Die östlichen Nachbarn der Illyrier waren die Thraker, ver- breitet von den siebenbürgischen Karpathen über die Donau und den Hämus bis über die Meerengen hinüber nach Kleinasien, wo die Phrygen, Mysier und Bithynen zu ihnen gehörten. Die Orts- namen ihrer Burgen (-diza, -dizos), Dörfer (-dava, -para) und Thermen (germ-) sind in großer Anzahl bekannt. Die thrakischen, meist zweistämmigen Personennamen, die noch in Justinians Zeit vorkommen, sind ganz verschieden von denen der Illyrier und erinnern an die der Armenier und Perser: Auluporis, Bithitralis, Dinikenthos, Mukaporis, Rhaiskuporis usw. Selten sind einstämmige Namen oder Kurzformen, wie Kotys , Bithys oder Seuthes. Auf- fällig war den Fremden die thrakische Sitte der Tätowierung, die Strabo auch bei den Japoden in Illyricum erwähnt. Je vornehmer ein Thraker oder eine Thrakerin war, desto zahlreicher waren die waschechten, mühsam mit Nadeln eingeätzten Zeichnungen, die Antlitz und Glieder zierten. Die Kleidung bestand im Norden aus Schafpelzen und weiten Hosen, im Süden aus Fellen und feinem, sehr bunt gefärbten Hanfzeug. Allgemein verbreitet waren die aus den Bildern der Trajanssäule bekannten und noch gegen- wärtig in den Ostkarpathen, auf der Balkanhalbinsel, im Kaukasus und in Persien landesüblichen Pelzmützen. Die soziale Stellung des Weibes war, im Gegensatz zu den Illyriern, eine untergeordnete. Die Vornehmen lebten in Vielweiberei ; je reicher der Mann war,

1) Trojanovic, Starinar 9 (1892) 1—23.

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. 35

desto mehr Frauen durfte er sich kaufen. Oberhäupter der Stämme waren erbhche Könige; bei den Bessen, Mosern und Geten übten die Priester einen großen Einfluß aus. Größere Bundesstaaten bildeten sich zwei: im Süden unter der Führung der Odryser, welche in der Landschaft von Adrianopel ihre Heimat besaßen, im Norden unter den Königen der Daker. Es war eine kriegerische Nation, deren Tapferkeit von den Zeiten der Perserkriege bis zur Regierung Justinians weltbekannt blieb. Der Odryserkönig Si- talkes konnte nach Thukydides 150000 Mann ins Feld stellen. Strabo schätzt die Mannschaften Thrakiens auf 215 000 Mann. Herodot schildert die Thraker als ein faules Volk. Nel-'en der Viehzucht, besonders Pferdezucht, und dem Fischfang war der Ackerbau schwach, begleitet vom Weinbau. Die Urheimat der Weinkultur sucht man überhaupt am Schwarzen Meere, wo die Rebe noch wild wachsend vorkommt, sei es in Thrakien oder in Mingrelien. Von den Gewerben ist der Bergbau zu erwähnen, nicht nur Gold- und Eisensandwäscherei, sondern auch die von Vegetius in der Theorie des Belagerungskrieges erwähnten unter- irdischen Stollen (cuniculi) der Bessen. Berüchtigt war die Trunk- sucht der Thraker. Es gab aber auch in dieser weiteutfernten Zeit eine Abstinenzbewegung. Wie Strabo berichtet, fand man bei den Mosern Asketen, welche kein Fleisch aßen und von Honig, Milch und Käse lebten; ebenso traf man neben der herrschenden Polygamie fromme Thraker, die ohne Weiber lebten. Der Daker- könig Burebistas hat, um seine Truppen nüchterner und folgsamer zu machen, das Volk überredet, die Weingärten auszurotten.

Bei den thrakischen Götterkulten ^) fehlte es mitunter nicht an Menschenopfern. Der bärtige Licht- und Donnergott Zbel- thiurdos wurde später identifiziert mit Zeus. Bendis, die thrakische Artemis, ist auf den Bildwerken mit Bogen und Pfeil auf einem Hirsch reitend dargestellt, begleitet von Jagdhunden. Die meist- genannten Götter waren aber Savadios oder Sabazios und der ihm verwandte Dionysos, dessen Verehrung mit lärmenden Trink- gelagen und Orgien ihren Mittelpunkt bei dem Bergtempel der Bessen in den Koniferenwäldern der Rhodope hatte. Auf Stein-

1) Dobrusky, Sbornik bulg. 16-17 (1900) 1—146.

36 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

tafeln aller Größen, gefunden von Konstantinopel bis Belgrad, ist abgebildet der thrakische Herosgott oder der „thrakische Reiter", begleitet von Hunden, Ebern, Hirschen oder Löwen. Abseits stehen die Geten mit ihrem Naturgott Salmoxis, dessen Hohepriester, der Ratgeber des Königs, nach Strabo in der Höhle eines heiligen Berges hauste. Wie der vornehme Thraker begraben wurde, ist bei Herodot zu lesen : die Lieblingsfrau wurde getötet und mit- begraben, Kampfspiele gefeiert und ein hoher Grabhügel (x^fxa) aufgeschüttet.

Von den Stämmen des Binnenlandes erscheinen im Goldland Siebenbürgens zuerst die Agathyrsen , später die Daker , die man als ihre Nachkommen betrachtet, verwandt mit den benachbarten Geten an der unteren Donau und der pontischen Küste ^). Die ältesten in der Geschichte erwähnten Bewohner des heutigen König- reichs Serbien waren die mächtigen und kriegerischen Triballer. Herodot kennt in diesem Lande zwei Flüsse: Angros, der aus dem Lande der lUyrier kommt, ohne Zweifel die westliche Morava samt dem Ibar, und Brongos (Bargos des Strabo, Margus der Römer), der in den Istros fließt, wohl die südliche und die ver- einigte Morava. Am Zusammenfluß beider befand sich die Ebene der Triballer {rtEÖiov TgißaHi/Mi'). In der Zeit des Thuky- dides wollte der Odryserkönig Sitalkes seine Macht über den Fluß Oskios (Isker) gegen Norden ausbreiten, fiel aber in einer Schlacht gegen die Triballer, deren Gebiet sich nach Strabo fünf- zehn Tagereisen weit vom oberen Strymon bis zur Donau aus- dehnte. Später kämpften sie mit den Makedoniern, Philipp H. und Alexander dem Großen, dem sich der Tribalierkönig Syrmos unterwerfen mußte (334 v. Chr.), worauf eine Schar Triballer an dem Zug Alexanders nach Persien teilnahm. Gebrochen wurde ihre Macht von den keltischen Skordiskern. TrebalHa hieß nach der römischen Eroberung ein Landstrich Westbulgariens, wo der Geograph Ptolemaios Oescus an der Iskermündung als Stadt der

1) Die von Herodot nördlich von den Thrakern im heutigen Ungarn erwähnten Sigyuner, ein Noraadenvolk medischea Ursprungs, gehören nach Müllenhof f, Deutsche Altertumskunde 3, 2 ans Kaspische Meer, wo sie Strabo nennt und beschreibt.

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. 37

Triballer bezeichnet i). Ihre Erben und Verwandten waren die Moser (Moiser und Myser der Hellenen), gleichnamig den Mysiern in Kleinasien, am Flusse Timacus (Timok) und weiter gegen Osten. Die östlichen Nachbarn der Dardaner waren: die Serden, deren Hauptort Serdica sich in der Römerzeit zu einer großen Stadt entwickelte (jetzt Sofia), die Danthaleten bei Küstendil und die Maiden (Maedi) im Gebiete der Bregalnica. Die Römer über- trugen fast auf alle Thraker den Namen der Bessen der Rhodope, welche ihnen den größten Widerstand leisteten.

Von großem Einfluß auf diese Völker war der Verkehr mit den Hellenen. An den Gestaden lllyriens war aber die hellenische Schiffahrt und Kolonisation nie so intensiv, wie im Pontus. Ko- lonien der dorischen Bürger von Korkyra (Korfu), gegründet im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr., waren Epidamnos, später Dyrrha- chion genannt (Durazzo), im Altertum und Mittelalter stets eine große Stadt, erst seit Ende des Mittelalters infolge der Abschließung der benachbarten Lagune verfallen, und Apollonia an der Mün- dung des Aoos (Vojussa), verödet seit den Zeiten Justinians durch die Versumpfung der Landschaft. Spärlich waren die Ansied- lungen auf den dalmatinischen Inseln: Issa (Lissa), Pharos (ital. Lesina, kroat. Hvar oder Far) und Schwarz - Korkyra {KcQ/.iqa J\IeXaiva, jetzt Curzola). Hellenischen Ursprungs ist z. B. auch der Name der allerdings erst seit Cäsars Zeit genannten, nach den Inschriften später rein lateinischen Stadt Epidaur (Ragusa vecchia). Eine Ansiedlung der Hellenen von Issa war Tragurion (Trau) auf einem kleinen Inselchen nahe an der Küste, eine Kolonie der Syrakusaner Lissos (Alessio) mit der durch kyklopische Burgmauern befestigten Akropole Akrohssos an der Mündung des Drilon (Drim). Ein reger Handel entwickelte sich an der Mün- dung des Naron (Narenta), wo die Schiffe den Fluß eine Strecke aufwärts bis zu einem Handelsplatz hinauffuhren, der Stadt Na- rona der Römerzeit. Die Kaufleute brachten den Illyriern Ton- gefäße, Schmuckgegenstände, Glaswaren, Waffen, wohl auch Wein und Seesalz. Griechische Bronzehelme der korinthischen Form, bekannt aus den Funden von Olympia, fand man in Albanien,

1) Tomaschek, Die Thraker 1, 87—90. Vulic, Klio 9 (1907) 490.

38 Erstes Buch. Zweites Kapitel.

Dalmatien, Bosnien und Serbien. Die größte Verbreitung hatten im Innern des Landes bis in den Anfang der römischen Kaiser- zeit die Münzen von Dyrrhachion und Apollonia, wohlbekannt aus den Funden von ganz Albanien, Bosnien, Kroatien, Serbien, Bul- garien, Ungarn und Siebenbürgen. Parallel damit sind im Osten der Halbinsel die Silbermünzen von Thasos verbreitet über Bul- garien und Serbien bis nach Siebenbürgen. Bald begannen auch einheimische Herrscher und Gemeinden Münzen mit griechischen Aufschriften zu prägen: paionische, thrakische, illyrische Könige^ die Städte Rhizon und Skodra, das Volk der Daorser u. a. Eine hellenische Großmacht war das Königreich der Makedonier, wel- ches sich aus einem kleinen Gebiet westlich von Thessaionich durch Eroberungen längs des Weges von Dyrrhachion nach Byzanz zu einem großen Staate entwickelte; zeitweihg reichte es aus Thrakien nordwärts bis zu den Donaumündungen. Das Quellgebiet des Vardar und der Struma mit den Ländern der Paionen und später der Dardaner blieb aber meist außerhalb der Grenzen dieses Königreichs. Auch den illyrischen Nordwesten der Halbinsel be- rührten die Feldzüge der Makedonier nicht.

Eine große Umwälzung in den ethnographischen Verhältnissen der Donauländer brachte der Vorstoß der Kelten, welche bei den Griechen meist unter dem Namen der Galater bekannt waren. Aus den Ostalpen und aus Pannonien begannen sie in die Hämus- halbinsel vorzudringen. Die Japoden bezeichnet Strabo als ein „zugleich keltisches und illyrisches" Mischvoik. Der makedonische König Ptoleraaios Keraunos fiel im Kampfe gegen die „Galater" (280 V. Chr.), welche dann vor den Tempeln von Dodona und Delphi in Hellas erschienen. Im heutigen Königreich Serbien ließ sich damals der unternehmende und tapfere Stamm der Skordisker nieder. Nach Strabo waren sie vei'mengt mit illyrischen und thrakischen Einwohnern und zerfielen in zwei Gruppen : die „großen" Skordisker westlich von der Morava bis zur Save, die kleinen " östUch von der Morava bis zu den Grenzen der Moser und Triballer. Ihre Burg Singidunum an der Stelle der heutigen Festung von Belgrad bewahrte ihren keltischen Namen bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. Kapedunum des Strabo ist nach Patsch vielleicht die auf den Inschriften der Kaiserzeit abgekürzt als

Illyrier, Thraker, Hellenen, Kelten. 29

Cap . . . bezeichnete Stadt bei Uzice. Nach Tomaschek sind auch Naissus (Nis), Remesiana (Bela Palanka) und viele andere Namen keltisch^). Ob der Name Danuvius, welcher den älteren thra- kischen Istros verdrängte, keltisch oder iranisch ist, bleibt noch zu erweisen ^). Die Skordisker bereiteten den Römern nach der Eroberung Makedoniens viele Sorgen, bis ihre Kraft vollständig gebrochen war und ihre Reste von den Siegern durch Übersiedlung in die Ebenen Pannoniens unschädlich gemacht wurden.

1) Tomaschek, Zeitschr. f. öst. Gymn. 1878, 204; Die Thraker 1, 90 f. Eine Monographie über die Skordisker fehlt.

2) Sobolevskij, Arch. slav. Phil. 27 (1905) 243.

Drittes Kapitel.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen ^j.

Die Römer wurden von den Hellenen gegen die Illyrier zu Hilfe gerufen, als die aus leichten Booten mit je 50 Mann Be- satzung bestehenden Piratenflotten des illyrischen Königs Agron Korkyra (Korfu) eroberten und die Westküste des Peloponnesos plünderten. Eben war Agron gestorben, und für seinen unmün- digen Sohn Pinnes regierte dessen Stiefmutter Teuta. Die Kon- suln Centumalus und Albinus zwangen mit Flotte und Landheer die illyrische Königin zum Frieden, nach welchem ihre Leute süd- wärts über Lissa hinaus nur zu Handelszwecken mit unbewaffneten Schiffen fahren durften (229 v. Chr.). Das Königreich von Skodra wurde in der folgenden Zeit als ein Gegengewicht gegen Make- donien unterstützt, bis der junge König Gentius sich mit König Perseus verbündete und bei dem Untergang des makedonischen Reiches mitgerissen wurde, um als Gefangener den Triumph der Sieger in Rom zu zieren (168 v. Chr.). Sein Land wurde in Gruppen von autonomen Gemeinden geteilt. Die unmittelbare

1) Literatur: G. Zippel, Die röm Herrschaft in Illyricn bis auf Augustus, Leipzig 1877. J. Jung, Die romanischen Landschaften des röm. Reiches, Innsbruck 1881; derselbe, Römer und Romanen in den Donauländern , 2. A. eb. 1887. M o m m s e n , Röm. Geschichte , Bd. 5. Untersuchungen von A. J. Evans über ganz Illyricum in der Archaeologia Bd. 48—49 (1883—1885), C. Patsch über Dalmatien in den Wiss. Mitt. Bd. 4fF; über Serbien Premerstein, Vulic und Ladek, Jahreshefte Bd. 3 f., serb. Studien von Vulic im Glas Bd. 72 f. und Spomenik Bd. 38 f. Völkerwanderungen : die bekannten Werke von Seeck, Güldeupenning, Bury, Diehl, Hartmann; serbisch S. Stanojevic, Byzanz und die Serben, 2 Bde., Neusatz 1903—1906.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 3 t

Herrschaft der Römer beschränkte sich in Dabnatien lange Zeit nur auf die Küste, an welcher allmählich auch römische Kolonien entstanden. Mit den Bergstämmen, besonders den Ardiäern und Delmatern, wurde oft gekämpft, nicht immer mit Glück. Unter dem ersten Triumvirat war dieses Gebiet Cäsar zugeteilt. Wäh- rend des Bürgerkrieges hielten es hier die lUyrier und Griechen mit Pompejus, die römischen Ansiedler mit Cäsar.

Mit dem Innern der Halbinsel wurden die Römer nach der Besetzung Makedoniens bekannt (146 v. Chr.). Die Provinz Macedonia umfaßte auch das heutige Mittelalbanien mit Dyrrhachion, reichte aber im Norden nur bis zur Grenzfestung Stobi (bei Gradöko) am Zusammenfluß des Axios (Vardar) mit dem Erigon (Cerna). An ihrer Nord- und Ostgrenze wurde fast ununterbrochen Krieg geführt, nicht nur mit den unmittelbaren Nachbarn, sondern auch mit fernereu Völkern, den Skordiskern und den Bewohnern der Karpathen, den Dakern und dem gallogermanischen Mischvolk der Bastarnen. Die sehr spärlichen Nachrichten lassen den Cha- rakter dieser erbitterten Kämpfe klar genug erkennen. Die Skor- disker z. B. schlachteten die römischen Gefangenen ihren Kriegs- göttern zum Opfer und tranken angeblich ]\Ienschenblut aus den Schädeln, ebenso wie die Priester der keltischen Bojer bei Bologna aus dem vergoldeten Schädel eines gefallenen Konsuls i). Die einzige Großmacht der Donauländer waren die Daker unter König Burebistas, dem sich auch ein Teil der Thraker südHch von der Donau unterworfen hatte und der angeblich 200 000 Mann auf- bieten konnte. Cäsar begann kurz vor seinem Tode (44 v. Chr.) Rüstungen gegen ihn, doch wurde der König bald darauf ermordet, worauf sein Land wieder in Teilfürstentümer zerfiel.

Rom mußte sein Gebiet bis zu einer natürlichen Grenze er- weitern, in diesem Teile von Europa bis zur Donau. Die Berg- länder von lUyricum unterwarf während des zweiten Triumvirates Cäsars Adoptivsohn Octavianus, von Aquileja und Siscia aus, be- sonders durch Siege über die Japoden und Delmater (35 33 v. Chr.). Nach Abschluß der Bürgerkriege schlug Crassus als Statthalter von Makedonien die Bastarnen am Flusse Cebrus

1) Ammiauus XXVII cap. 4, 4; vgl. Livius XXIII, 24.

33 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

(Cibrica) und unterwarf die Moser (29 v. Chr.). Nach neuen Feldzügen des Tiberius, des Stiefsohnes des Augustus, wie nun Octavianus hieß, war die Donaugrenze erreicht. Bald folgte aber der große dalmatisch-pannonische Aufstand, geführt von den beiden Batonen aus den Stämmen der Breuker und Däsitiaten , an der Spitze von 200000 Fußgängern und 8000 Reitern (6 9 n. Chr.). Die Sache der lUyrier war bald verloren durch Rivalitäten unter den Anführern. Zuletzt wurde Bato der Däsitiate in Andetrium (Mud oberhalb Spalato) belagert und zur Unterwerfung gezwungen; er schloß sein Leben als Gefangener in Ravenna. Der mißlungenen Erhebung folgte kein Wiederholungsversuch.

An der Donau, ebenso wie früher am Rhein, hielten die römi- schen Eroberungen eine beginnende Völkerwanderung zurück. Jen- seits der Grenze gingen die Völkerverschiebungen ohne Hindernis vor sich. Die iranischen Hirten- und Reitervölker der pontischen Steppe bewegten sich langsam gegen Westen. Zuletzt waren es die in den Zeiten des Herodot zwischen Don und Wolga hausen- den Sarmaten, deren Sprache nicht unbekannt ist. Hunderte ihrer Personennamen sind erhalten in den griechischen Inschriften der Pontusstädte. Außerdem leben noch Nachkommen eines großen Stammes dieses Volkes, der Alanen (altruss. Jasi): die heutigen Osseten im zentralen Kaukasus ^). Ein Teil dieser Nomaden, die Jazuges oder Jazyges, meist allgemein Sarmaten genannt, zog in die Ebene zwischen Theiß und Donau, wo sie zuerst in der Zeit des Kaisers Claudius (41 54) genannt werden. Als räuberisches Steppenvolk mit tätowierten Gesichtern wurden sie den Römern oft lästig. Ihre Reiterfiguren mit Halsketten, langem Bart und Haar und einer Art phrygischer Mütze sind neben dem Fußvolk der germanischen Markomannen und Quaden auf der zu Ehren des Kaisers Marcus Aurelius in Rom errichteten Denksäule ab- gebildet. Zahlreiche Nachrichten über ihre Könige (reguli) und Häuptlinge (subreguli), ihre Panzer aus Hornschuppen, die wie Federn auf Leinwand angenäht waren, ihre weiten Ritte mit

1) Vsevolod Miller über die Spuren der Iranier in Siidrußland in Zumal MNP. 188(5 Okt. Desselben Ossetische Studien, russ., Peters- burg 1881—1887, 3 Bde.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 33

Reservepferden, auf die sie rasch umzusteigen pflegten, und ihre Schlupfwinkel in den Auen der Theiß liest man bei Ammianus Marcellinus. Auch nach den Jazygen zogen einzelne Stämme westwärts, so die Serri, welche Plinius noch am Azowschen Meere kennt, während Ammian einen Teil der Karpathen als „montes Serrorum" bezeichnet ^).

Das eroberte Land bildete anfangs eine große Provinz Illyri- cutn : Obeiillyricum (superior provincia Illyrici) in Dalmatien, Unteiillyricum in Pannonia. Nach dem illyrischen Aufstand wurde dieses große Verwaltungsgebiet geteilt. Die Provinz Dalmatia mit der Hauptstadt Salona umfaßte die Meeresküste vom Flusse Arsia (jetzt ital. Arsa, kroat. Rasa) in Istrien bis jenseits Lissus (Alessio) ungefähr bis zum Flusse Mat. Im Norden gehörten beide Saveufer mit den großen Städten Siscia (Sisak) und Sirmium (Mitrovica) zu Pannonien. Im Osten reichte Dalmatia weit in das jetzige Königreich Serbien hinein , mit Einschluß von Cacak , vielleicht auch von Rudnik. Dort grenzte es an die Provinz Moesia im einstigen Lande der Dardaner, Skordisker, Triballer und Moser, errichtet nach dem Vorstoß der Garnisonen Makedoniens nordwärts zur Donau, an deren Ufern der Hauptort stand, das Lager von Virainacium (im Dorfe Kostolac bei Pozarevac) Zu Mösien ge- hörte im Süden das Amselfeld und das oberste Tal des Vardar. Der Legat von Mösien war auch der militärische Befehlshaber des thrakischen Donauufers (ripa Thraciae) bis zum Schwarzen Meer. Unter Domitian wurde die Provinz geteilt: Ober- Mösien westlich vom Cebrus(Cibrica), Unter- Mösien, eine schmale und lange Grenzprovinz, östlich von diesem Flusse bis zum Pontus. Kaiser Claudius (46 nach Chr.) zog das thrakische Königreich, das im Westen die Landschaften von Küstendil, Sofia und Pirot umfaßte, als Provinz ein. Als Kaiser Trajan (107) Dazien eroberte, wurde die Reichsgrenze für anderthalb Jahrhunderte in die Karpathen

1) Bei Plinius 6, 16, 19 Serri oder Serrei neben den Cercetae (Tscher- kessen) und Hali (nach Tomaschek Dvali des jetzigen ossetischen Ge- bietes\ bei Ptolemaios von einem byz. Abschreiber, der die Serben kannte, verwandelt in Zf'oßot neben OidXoi. Vgl. Müllenhoff a. a. 0. 3, 49 A., 97. Das sind die angeblichen Serben des Kaukasus, von denen noch in neueren Büchern die Rede ist.

Jirecek, Geschiebte der Serben. I. 3

B4 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

vorgeschoben. Fast drei Jahrhunderte nach Augustus brachten die Reformen des Kaisers Diokletian (284 305) eine neue Organisation der Provinzen. Das ganze Reich wurde in 4 Präfek- turen, 13 Diözesen und 116 sehr verkleinerte Provinzen geteilt, mit Zivilstatthaltern im Innern, Militärstatthaltern an der Grenze. Auf die Balkanhalbinsel entfielen Teile von drei Präfekturen. Zur Präfektur Itahens gehörte das „westliche Illyricum'*: Paunonien, in vier Provinzen geteilt, und Dalmatien, geschmälert durch den Verlust des Südens, der sogenannten Praevahs in der Umgebung des Sees von Skutari. Die kleinste Präfektur, nur auf die Halb- insel von der Donau bei Belgrad bis nach Kreta beschränkt, war die von Illyricum, später in zwölf Provinzen geteilt, mit der Haupt- stadt Thessalonich. Nach dem Verlust des transdanubischen Daziens wurde darin ein „neues Dazien" südlich der Donau errichtet, später in zwei Provinzen geteilt: Uferdazien (Dacia ripensis) von Orsova bis zum Isker und das binnenländische Dazien (Dacia raediterranea) in den Bergen bei Sofia, Nis und Küstendil ^). Mit den sechs Provinzen der Dioecesis Thraciarum begann weiter ost- wärts die große Präfektur des Orients.

Das römische Heer wurde allmählich eine Grenzarmee, ver- teilt in den befestigten Legionslagern, neben denen sich Markt- viertel (canabae) befanden, und in kleinen Kastellen. Die Legio- nen blieben oft durch viele Generationen an einem Platz, z. B. in Viminacium die Legio VII Claudia durch vier Jahrhunderte. Die ausgedienten Soldaten, denen während der 20 bis 25 Dienst- jahre keine Ehe gestattet war, sondern nur ein nachträglich legi- timiertes Konkubinat, erhielten nach der Verabschiedung Grund - , stücke, Ackertiere, Sklaven und Sämereien. Die Ansiedlungen z. B. der Veteranen der genannten Legion reichten von der Donau südwärts bis in die Landschaften von Prizren und Skopje. Bald

1) Die Provinzen von Illyricum mit ihren Hauptstädten: 1. Dacia ripensis (Ratiaria , jetzt Arcar bei Vidin) ; 2. Dacia mediterranea (Serdica, jetzt Sofia) ; 3. Moesia superior Margensis oder M. prima (Viminacium) ; 4. Dardania (Scupi bei Skopje"): 5. Praevalis oder Praevalitana (Doclea und Scodra) ; 6. Macedonia prima (Thessalonica) ; 7. Macedonia secunda oder M. salutaris (Stobi) ; 8. Epirus nova (Dyrrhachium und Lychnidus, jetzt Ochrid) 9. Epirus vetus; 10. Thessalia; 11. Achaja; 12. Greta.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 35

waren kaum die Oberoffiziere aus Italien; die Soldaten stammten aus den römischen Bürgerschaften der Umgebung. Eine große Neuerung war es, als Septimius Severus den Soldaten gestattete, zu heiraten und außerhalb des Lagers zu wohnen. Alexander Severus machte dann die Soldaten erblich, als Bauern auf nicht veräußerlichen, von Steuern befreiten Grundstücken in der Um- gebung ihrer Garnison. Eine wichtige Stütze der Grenzbesatzungen war die mösische und pannonische Donauflotte. In den Auxihar- truppen neben den Legionen waren alle Völker des Reiches ver- treten. In Dalmatien stand z. B. eine Kohorte der Lucenser aus Hispanien, in Naissus eine Kohorte der Kihker. Die Illyrier wurden stark zum Kriegsdienst herangezogen, ihre Kohorten aber in ferne Länder gesendet, an den Rhein, nach Nordafrika usw. Zahlreiche Illyrier und Thraker selbst aus den Bergstämmen dienten auf der Mittelmeerflotte in Ravenna und Misenum. Unter Diokletian und Konstantin folgte eine vollständige Neugestaltung der Armee, die damals angeblich vervierfacht wurde. Die große alte Legion wurde zerschlagen in kleine Legionen, später „numeri" genannt, nach Mommsen je 1000 Mann stark. Die Reiterei wurde stark vermehrt und in eigenen Abteilungen organisiert. Die Grenz- truppen (ripenses, limitanei) galten fortan als minderwertig. Die Linientruppen, die eigentlichen „mihtes", waren die „palatini% die Elite der Armee, später meist in Konstantinopel und Um- gebung aufgestellt. Die Reserve der Grenztruppen bildeten die „comitatenses". Die Legionen der „pseudocomitatenses", einer Lokaltruppe, wurden zum Teil nach den Städten der Hämusländer benannt (Scupenses, Ulpianenses, Timacenses usw.). Dazu kamen die „foederati", Barbaren des Grenzgebietes unter Anführung ihrer einheimischen Fürsten. Die Glanzperiode der illyrischen Truppen war das 3. Jahrhundert. Zahlreiche Kaiser stammten aus diesem militärischen Grenzgebiete: Decius aus Pannonien, Claudius aus Dardanien, Aurelianus aus Dacia ripensis (nach anderen aus Sir- mium), Probus aus Pannonien, Diokletian aus Dalmatien, Galerius aus Serdica, Konstantin der Große aus Naissus (Nis), Licinius aus dem „neuen Dazien". Im 4. Jahrhundert war Jovianus (363) gebürtig aus Singidunum (Belgrad), die Famihe des Valens aus Cibalae (Vinkovci in Slawonien). Im 5. Jahrhundert war im West-

3*

36 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

reich Konstantins, Mitregent des Honorius, ein Illyrier aus Naissus, im Ostreich Marcian, ebenso wie der „Besse" Leo I., ein thra- kischer Soldat, Anastasius ein Epirote aus Dyrrhachion. Von römischen Kolonisten in Dardanien stammte im 6. Jahrhundert die Familie Justinus' I. und seines Neffen Justinian I. mit ihren römischen Eigennamen (Marcellus, Dulcissimus, Lupicina, Vigilantia, Praejecta usw.).

Die Bevölkerungsverhältnisse machten in der Zeit von Augustus bis Diokletian große Veränderungen durch. Anfangs waren die herrschenden römischen Bürger und die unterworfenen Eingebore- nen voneinander strenge geschieden. Die römischen Städte zer- fielen in zwei Gruppen: älter waren die Küstenstädte Dalmatiens, mit Anfängen, die in die Zeiten der Republik zurückreichen, jünger die Lagerstädte, die sich allmählich aus den Marktvierteln neben den Truppenquartieren an der Donau entwickelt haben, mit Stadt- rechten beschenkt erst seit Trajan und Hadrian. Eine ältere Organisation hatten die griechischen Städte von Makedonien und Thrakien. Die Thraker und lllyrier in ihren Dörfern waren ein- geteilt in Gaugeraeinden , welche man in Dalmatia und Moesia ebenso wie in Hispanien und Gallien als ,.civitates" bezeichnete, in Thrakien griechisch als Strategien. Vorstände dieser Gaue waren Zivilbeamte oder Soldaten, teils Einheimische, teils Italiker. Auf den Inschriften heißen sie z. B. bei den Japoden, Mäzeern, Däsitiaten und Docleaten „praepositus", „princeps" oder ,,prae- fectus", in Thrakien oxQaTTqyög. Drei Jahrhunderte später hatte die friedliche Entwicklung zu einer weitgehenden Ausgleichung aller Gegensätze geführt. Die Gaugemeinden sind langsam in Stadtgemeinden verwandelt worden, mit großen Bezirken (regio, ywoa), ein Prozeß, der unter Kaiser Vespasian seinen Anfang nahm, von Kaiser Trajan nach Erweiterung der Nordgrenze sehr gefördert wurde und zu Beginn des 3. Jahrhunderts seinen Höhe- punkt erreicht hat. Einen Einfluß darauf hatte die Verleihung des römischen Bürgerrechtes an Eingeborene, besonders an Auxi- liare bei ihrer Verabschiedung aus dem Kriegsdienst, die dann den Gentilnamen des Kaisers zu ihrem einheimischen Kognomen setzten, als Julii, Claudii, Flavii, Ulpii, Aelii, Aurelii oder Septimii. Endhch wurden alle freien Männer römische Bürger durch das

Die Eömer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 37

aus finanziellen Beweggründen erlassene Gesetz des Kaisers Cara- calla (212). Damit war der Gegensatz zwischen den Eroberern und den Unterworfenen verwischt. Ein Nachkomme illyrischer oder thrakischer Häuptlinge, transdanubischer Gefangenen, grie- chischer oder syrischer Kaufleute fühlte sich dann ebenso als Römer, wie die immer selteneren echten Nachkommen der Landsleute des Sulla oder Cäsar. Auf den Thron wurden Kaiser nichtrömischen Ursprungs erhoben, wie der punische Afrikaner Septimius Severus oder wie ein Gegenkaiser in Mösien, Regalianus (263), angeblich ein Nachkomme des letzten Dakerkönigs Decebalus. Bald wurde die Gesellschaft überwuchert von Nachkommen von Sklaven ; Diokletian, der einzige Kaiser, der aus Dalmatien stammte, war nach Eutropius „sehr dunkeln Ursprungs" (vir obscurissime natus), ein Freigelassener. Auch die Unterschiede zwischen Städten ver- schiedenen Ranges und Rechtes haben Diokletian und Konstantin ersetzt durch eine Unifizierung auf finanzieller Grundlage. An der Spitze der Gemeinde stand fortan ein erblicher Stadtsenat der reich-ten Leute, welche für die Steuern haftbar waren, die „curia" (ßovlecTr^Qiov). Im byzantinischen Reiche bestand die Kurie bis in das 10. Jahrhundert, noch unter Leo dem Weisen; besonders behauptete sie sich in den weit entlegenen Städten, wie in Cherson (Sevastopol) und in Dalmatien, mit ihren TtQCOTOTioXlraL oder TiQiovevovTeg ^).

Gegenüber den Holzdörfern und Wallburgen der vorrömischen Zeit boten die Römerstädte das Bild einer weit fortgeschrittenen Kultur, mit regelmäßig angelegten, gepflasterten Straßen, aus- gestattet mit Wasserleitungen und Badeanstalten, Marktplätzen und Säulenhallen, Tempeln und öffentlichen Denkmälern, geräumigen Theatern für Tierhetzen, Gladiatorenkämpfe, Wettrennen und andere Volksbelustigungen, vor den Stadttoren umgeben von aus- gedehnten Nekropolen. Die Häuser der Römer, oft geschmückt mit Wandmalereien und Mosaiken, waren aus Stein und Ziegeln

1) Cherson: Theophanes ed. De Boor 1, 378 und Konst. Porph. ed. Bonn. 3, 178. Ein nQWTtvihv von Dyrrhachion um 1000: Prokic, Die Zusätze in der Hdschr. des Joh. Skylitzes usw. (^München 1906) S. 31 uro. 22. In Dalmatien übersetzt als „prior" (s. unten).

58 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

gebaut und für den Winter versorgt mit einer Luftheizung, welche man durch bohle Heizkacheln (tubuli) unter dem Fußboden und im Innern der Mauern leitete. Die römische Kolonisation war am stärksten im adriatischen Küstengebiet und in der militärischen Zone an der Donau. In den Landschaften von Naissus (Nis) und Remesiana (Bela Palanka) bezeugen die Städtenamen den militä- rischen Ursprung der Besiedlung: Castrum Hercuhs, Castra Martis (vielleicht im Timoktal), Praesidium Pompei (bei Aleksinac), das „Getreideraagazin an der Morava"^ Horreum Margi (Cuprija) usw. Lateinisch sind dort bei Prokopios auch die Namen kleiner Ansiedlungen : Lupi fontana, Spelunca, Primiana, Longiana, Septe- casas usw. Auch das untere Drinatal und das untere Narenta- gebiet waren durch römische Veteranen ganz neu kolonisiert. Da- neben behauptete sich in vielen Landschaften, wie bei Uzice, bei Plevlje, im oberen Tal der Cetina die illyrische Bevölkerung un- gestört in dem Besitz altererbter Güter; nach den Untersuchungen von Patsch war das Gebiet der Cetina in der Kaiserzeit sogar dichter besiedelt als in unseren Tagen. Es ist charakteristisch, daß in den altillyrischen Grabfeldern von Glasinac noch immer Nachbestattungen vorkamen, nach den Münzen bis ins 4. Jahr- hundert. Anderseits haben die blutigen Eroberungskriege die Bevölkerung sehr vermindert. Auch der lange, ehelose Kriegs- dienst der tüchtigsten jungen Mäoner in fernen Reichsgebieten hatte ohne Zweifel eine Verringerung des einheimischen Nach- wuchses zur Folge.

Die ethnographischen Verhältnisse änderten sich durch rasche Ausbreitung des Lateins und des Griechischen und den Rückgang des Illyrischen, von dem das Albanesische stammt, und des Thra- kischen, das nach dem 6. Jahrhundert nicht mehr erwähnt wird. Die Grenze zwischen Latein und Griechisch läßt sich nach der Sprache der Inschriften, Meilensteine und Stadtmünzen ziemlich genau feststellen i). Sie verheß das Adriatische Meer bei Lissus, ging durch die Berge der Mirediten und der Dibra in das nörd- liche Makedonien zwischen Scupi und Stobi durch, umging Naissus und Remesiana mit ihren lateinischen Bürgern, während Pautalia

1) Meine Rom. Dalm. 1, 13 ff.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 39

(Küstendil) und Serdica (Sofia) samt der Landschaft von Pirot in das griechische Gebiet gehörten; zuletzt wendete sie sich längs des Nordabhanges des Hämus zur Pontusküste. Das griechische Sprachgebiet stand in unmittelbarem Zusammenhang mit Hellas und Kleinasien, das lateinische, welches von der Nordgrenze Pannoniens bis Stobi die größte Tiefe hatte, von Ratiaria (Arcar) abwärts aber nur wenige Stunden breit war, mit dem romanischen Westen. Zum lateinischen Territorium gehörte auch das Traja- nische Dazien, nach dessen Räumung aber noch bis in Justinians Zeit eine Reihe von Kastellen am linken Donauufer besetzt blieb. Außerhalb des geschlossenen Gebietes gab es unter den Lateinern nur wenige griechische Kaufleute oder Beamte ; ebenso haben sich unter den Griechen, außer der Seestadt Dyrrhachion, die ver- einzelten römischen Kolonien (Stobi, Philippi u. a.j nicht auf die Dauer behaupten können. Im Mittelalter wurden zwischen Adria und Pontus zwei romanische Mundarten gesprochen, deren An- fänge in die römische Kaiserzeit zurückreichen: das Rumänische, abstammend von der mehr verderbten Sprache der Donaurömer, und das altertümliche Altdalmatinische, dessen letzte Reste in unseren Tagen auf der Insel Veglia erloschen sind ^). In den Bergländern zwischen beiden Gebieten entwickelte sich eine illyrisch- romanische Mischsprache, von der das Albanesische stammt, dessen Lexikon mehr als ein Viertel romanischer Elemente zählt; infolge der Mittelstellung hat es im Wortschatz manche Übereinstimmung teils mit dem Rumänischen, teils mit dem konservativen Dialekt der mittelalterlichen Romanen von Praevalis und Dalmatia.

In den wirtschaftlichen Verhältnissen ging das Hirtenleben durch Ausbreitung des Ackerbaues zurück. Nach den Schriften der römischen Agrimensoren unterschied man in Pannonien Wälder mit Eicheln zur Viehmästung, die in Ungarn und Serbien auch im Mittelalter und in der Neuzeit sehr geschätzt waren (silvae glandi- ferae), und Wälder, die als Viehweide dienten (silvae vulgaris pas- cuae) 2), Unzertrennlich von der Hirtenfreiheit war das Räuber-

1) M. Bartoli, Das Dalmatische, Wien (Balkankomm.) 1906, 2 Bde.

2) Gromatici a. a. 0. 1, 205; 2, 318.

40 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

leben, von welchem die vielen Grabsteine von Leuten Zeugnis geben, die von den „latrones" getötet worden waren. Unter Kaiser Marcus Aurelius warb man neue Truppen unter den Räubern von Dalmatia und Dardania. Die Ackerbauer waren entweder Be- sitzer eines eigenen Grundes (fundus) oder Kolonen auf Kron- domänen und Privatgütern. Die Grundbesitzer waren teils Ein- geborene, teils römische Ansiedler. An der Donau saßen seit dem 3. Jahrhundert erbhche Grenzsoldaten auf dem Staate gehörigen Soldgütern, eine Institution, die im byzantinischen und ser- bischen Mittelalter ihre Fortsetzung hatte. Kaiserliche Domänen befanden sich bei den Bergwerken und auf den Inseln Dalraatiens. Große Güterkomplexe (saltus), wie sie Hierokles im getreidereichen Thessalien erwähnt, sind im Norden nicht nachweisbar. In Prae- valis und Dalmatia gab es noch im 6. Jahrhundert bedeutende Besitzungen (patrimonium) der römischen Kirche. Sklaven kamen in den Städten und auf größeren Gütern vor, aber selten im bäuer- lichen Besitz. Große Bauernaufstände in der Art, wie in Afrika und Gallien, sind in Illyricum unbekannt geblieben. Kaiser Probus (276 282) hat die Weinkultur in Pannonien und Mösien frei- gegeben und Heß von Soldaten Weingärten auf dem Berge Alma (Fruska Gora) und in der Umgebung von Aureus mons (bei Smederevo) anlegen. Aller Grund und Boden war von den Agrimensoren vermessen, die Feldgrenzen mit ihren Grenzsteinen, sowie den in Dalmatien übhchen Steinwällen (maceria, unter diesem römischen Terminus heute noch wohlbekannt) genau ver- zeichnet, die Fruchtbäume und Weinreben abgezählt und die Ein- wohner mit Kindern, Sklaven und Vieh in die Steuerbücher ein- getragen 1). Neben der Grundsteuer gab es Naturallieferungen für die Truppen und Beamten (annona), Kopfsteuer, Gewerbe- und Erbschaftssteuer usw. Die Gewerbe waren in den Städten in Zünften (collegia) organisiert; einen besonderen Aufschwung er- lebte die Steinmetzkunst.

Von großer Bedeutung war der Bergbau, geleitet von einem kaiserlichen „procurator metallorum Pannoniorum et Delmatiorum'', um 400 von einem „comes metallorum per Illyricum". Von

1) Gromatici a. a. 0. 1, 240f.

Die Römer und das Zeilalter der Völkerwanderungen. 41

kurzer Dauer war der Ruhm der Goldbergwerke von Dalmatia,

von Augustus bis Trajan. Nach der Erzählung des Plinius (f 79) gewann man dort zur Zeit des Nero an einzelnen Tagen sogar 50 Pfund Gold, auf der Oberfläche des Erdbodens. Bei den Dichtern der Zeit ist Gold bei Statins das dalmatische Metall (Dalmaticum metallum), bei Martial Dalmatia das Goldland (auri- fera terra). Doch wurden diese Fundstätten bald erschöpft , wie die der Insel Thasos und des Berges Pangaios in Makedonien und die von Polybios beschriebenen in den Ostalpen, oder wie in unseren Zeiten die berühmten Goldfelder von BrasiUen oder Kali- fornien. Im neu eroberten Dazien fanden die Römer viel ergie- bigere Goldlager, die bis zum heutigen Tage noch Edelmetall liefern Geologische Nachforschungen im Innern von Bosnien führten in unseren Tagen zur Auftindung von Resten dieser ge- waltigen Goldwäschereien an drei Stellen: an den Bächen Fojnica und Zeljeznica, im oberen Vrbasgebiet und an der Lasva ^). Kleinere Waschwerke gab es in Dardanien, bei Pautalia (Küstendilj und in der Rhodope, mühsam betrieben von armen Goldsammlern (leguli aurariarum, auri leguli).

Mittelpunkt der Silber- und Bleibergwerke war die Stadt Domavia (Gradina bei Srebrnica), in der antiken Literatur nicht erwähnt, erst in unseren Tagen durch zahlreiche Inschriften des 3. Jahrhunderts bekannt geworden. Unbekannt ist der römische Name des Bergwerkes von Rudnik, mit einem von Septimius Severus erneuerten Tempel der Mutter Erde (templum Terrae Matris), mit kaiserlichen Bergleuten und mit Pächtern (coloni) der umliegenden Grundstücke '-). Ein andei'es Blei- und Silberbergwerk, mit einem Tempel des Jupiter und Herkules, einer kaiserlichen „Villa" und Werkstätten (officinae), sowie Kolonen und Freibauern, befand sich bei Guberevci und Stojnik am Berge Kosmaj südhch von Belgrad '^). In der Nähe der mittelaltei liehen Bergwerke auf der Westseite des Berges Kopaonik liegen am Ufer des Ibar bei

1) Bruno Walter, Beitrag zur Kenntnis der Erzlagerstätten Bos- niens, Sarajevo 1887. Baron von Foulion, Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt 42 (1892).

2) CILat. III nro. 6313 = 8333. Jahreshefte 3 (1900) Beiblatt 166 f.

3) Jahreshefte 4, 155.

43 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

dem Dorfe Socanica die Ruinen eines römischen Munizipiums, jetzt Trojanov Grad (Trajansstadt) genannt, mit Resten von Stadt- mauern, einer steinernen Brücke über den Ibar, Steinsarkophagen, Spuren von Schmelzöfen und riesigen Schlackenhalden ^). In Nordalbanien sind Reste von angebUchen Silbergruben sichtbar am Flusse Fandi und in der Dibra. Kupferbergwerke gab es in der Nähe von Viminacium am Flusse Picnus oder Pincus (Pek), wo jetzt die Kupfer und Eisenminen von Majdan-Pek liegen. Mit dem Bild Hadrians wurden dort Bronzemünzen geprägt, mit der Aufschrift „Aeliana Pincensia^' (sc. metalla), ebenso andere seit Trajan bei den nicht näher bekannten Kupfergruben von Dar- danien und Dalmatien. Eisengruben kennt in Dalmatia noch Kassiodor, wohl die bekannten an der Sana, bei Busovaca, Fojnica, Vares und Olovo in Bosnien; andere gab es bei Novipazar, bei Remesiana und in Makedonien. Der Name Salines bei Konstantin Porphyrogennetos zeigt, daß die einzigen Salzquellen der ganzen Halbinsel bei dem jetzigen Tuzla in Bosnien den Römern nicht unbekannt waren. Die Prägung von Scheidemünzen hat in den münzberechtigten Städten in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts aufgehört; später gab es nur staatliche Münzämter, auf der Halb- insel besonders in Thessalonica, Sirmium und Siscia. Bei der Verwertung des Eisens sind auch die zahlreichen ärarischen Waffenfabriken zu nennen, im Norden in Naissus, Ratiaria, Hor- reum Margi und Sirmium.

Vorzüglich war das System der militärischen Heerstraßen, begründet gleich nach der Eroberung, mit den Ausgangspunkten in Aquileja, Salona, Dyrrhachion und Thessalonica. Die Römer- straßen waren in der Regel mit großen Steinen gepflastert und nach genauer Messung mit Meilensteinen (milliare) bezeichnet, deren Inschriften bis ins 4. Jahrhundert reichen, über Flüsse, Bäche und Abgründe führten steinerne Brücken ; die größte war die Trajansbrücke über die Donau zwischen Kladovo in Serbien und Turn-Severin in Rumänien. Die großen Stationen mit Nacht- lagern hießen „mansiones^', die kleinen Haltestellen zum Pferde-

1) Evans a. a. 0. III^IV, 56. Avram Popovic, Godisnjica 25 (1906) 218f.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 43

Wechsel „mutationes'' {dXXayri). Noch in der Zeit Justinians be- stand die alte Staatspost zur Beförderung von Eilboten oder Beamten (cursus publicus, byz. ÖQOi-iog, daraus altserb. drum Land- straße), ja noch später wurde in der byzantinischen Zeit der Post- minister (Xoyod-eTTig rov ögof-iov) zugleich der Minister des Äußern. Auf dem römischen Pflaster reiste man teilweise noch im 16. Jahr- hundert. In Einöden stehen Teile der Römerstraßen heute noch unversehrt, wie z. B. in Bosnien die in Felsen gehauene (47 48 n. Chr.) Straße über das Dinaragebirge in die Täler des Unac und der Sana und weiter nach Siscia, mit 17 Meilensteinen dabei. Daneben bestand eine rege Flußschiffahrt z. B. auf der Save.

Bedeutend war der Handel von Aquileja mit den Donau- lär)dern, ebenso der der Städte Dalmatiens besonders mit Sirmiuni und dem Trajanischen Dazien. Von fremden Kaufleuten waren Syrer überall zu finden ^ z, B wohl des Holzhandels wegen in Senia (Zengg). An der Reichsgrenze war der Verkehr an der Donau, ebensogut wie an der persischen Grenze oder am Rande der Wüsten von Afrika strenge überwacht, nur an bestimmten Tagen und Orten unter militärischer Aufsicht gestattet. Die Aus- fuhr von Waffen, Eisen, Gold, Getreide und Salz ins Barbarenland war überhaupt verboten. Im Zollwesen erstreckte sich der große illyrische Zollsprengel (publicum portorii vectigalis Ulyrici) von der Ostgrenze des gallischen Sprengeis über die Ostalpen bis zum Schwarzen Meer. Die Zollbureaus (stationes) befanden sich an wichtigen Durchgangspunkten, nicht an den Provinzgrenzen. Die Einhebung des Zolles (2.5<'/o) war anfangs an Gesellschaften ver- pachtet; später besorgten sie Regierungsbearate, in der Regel kaiser- liche Sklaven oder Freigelassene, meist Griechen. Der Chef der Zollämter war später der „comes commerciorum per Illyricum". Das spätrömische „commercium'' (y,ovf.i^u6Qy.iov) wurde von den Byzantinern und Serben übernommen (altserb. kumerk Zollamt) und ist heute noch nicht vergessen (türk. gümrük, neuserb. gjum- ruk Zoll). Zur Zeit des Niederganges des Reiches wurde der Handel sehr erschwert durch Monopole, amtlich festgesetzte Preise der Waren und zuletzt durch die Verkaufsabgabe eines Vierund- zwanzigstels (siliquaticum).

Die Religion der Kaiserzeit bestand aus einem bunten Ge-

44 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

menge einheimischer Vorstellungen mit griechischen, römischen und orientalischen Kulten. Die Gottheiten erhielten lokale Beinamen , bei Naissus z. B. finden sich die Dedikationen „Mercurio Naisati", „Herculi Naisati". Im 3. Jahrhundert gewannen die orientalischen Kulte die Oberhand, vor allem die des Mithras (Sol), der Isis und des Serapis; es ist aber bemerkenswert, daß ihre Altäre in lUyricum nicht von Eingeborenen, sondern von Soldaten und Be- amten aus dem Osten errichtet sind. Orientalischen Ursprungs war der seit Augustus eingeführte Kaiserkultus. Dem lebenden Kaiser wurden Tempel errichtet (Cäsarea und Augustea) und ihm von eigenen Priestern (flamines) göttliche Ehren erwiesen. Einmal im Jahre kamen die Abgeordneten der Städte in einem Festort zum Landtag (concilium, -/.oiröv) zusammen, wo der Oberpriester der Provinz (sacerdos) das Opfer für die Göttin Roma und für den Kaiser darbrachte, worauf Festspiele abgehalten, aber auch Bitten und Beschwerden an die Regierung beschlossen wurden, z. B. in Scardona, Doclea und Remesiana. Überbleibsel dieses Kultus behaupteten sich in den Formeln der höfischen Termino- logie noch lange im christlichen Mittelalter. In Justinians Gesetzen ist beim Kaiser alles göttlich (divinum) oder heihg (.sacrum) , die Byzantiner sprechen von der eigenhändigen Unterschrift des „hei- ligen" Kaisers (ayiov fjutjüv ßaoL?Jojg), ja noch 125o reden die Ragusaner den bulgarischen Herrscher als den „heiligen Zaren" an, und 1362 1365 fertigt der serbische Kanzler Urkunden aus „auf Befehl des heiligen Herrn Kaisers '% des jungen Zaren Uros.

Das Christentum fand frühzeitig Eingang in diesen Ländern. Der Apostel Paulus lehrte in Makedonien, in Philippi, Thessa- lonica und Berrhöa, sein Schüler Titus in Dalmatia. Dyrrhachion, Scodra und besonders Salona gewannen bald eine Bedeutung in der Geschichte der Ausbreitung der Lehre Christi. In den Donau- ländern werden Märtyrer erst unter Diokletian erwähnt. Merk- würdig ist die „Passio quatuor coronatorum", die Geschichte der kaiserlichen Steinmetze unter Galerius in der damals blühenden Kaiserstadt Sirmium, welche sich weigerten Götzenbilder zu arbeiten.. Ebenso wurden in Ulpiana (Lipljan) am Amselfelde die Steinmetze Florus und Laurus hingerichtet, weil sie die Idole eines von

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 45

Kaiser Licinius errichteten Tempels in einer Nacht umgestürzt hatten. Eine Reihe von Märtyrern hatte in dieser Zeit Singidu- num (Belgrad) aufzuweisen. Unter Kaiser Konstantin fanden die Christenverfolgungen ein Ende (313). Es folgten Kämpfe unter den Christen selbst, zunächst ein orthodoxes Konzil in Serdica (343 344) gegen die Arianer, dann arianische Versammlungen in Sirmium (358) und Singidunum (366). Im 5. bis 6. Jahr- hundert hielten es die lateinisch redenden Provinzialen des Donau- gebietes oft mit der Kirche von Rom gegen die Konstantinopler Kaiser, vor allem gegen Anastas und Justin ian. Die Kirche der ganzen iilyrischen Präfektur war damals dem Papst untergeordnet, der sich auf Konstantinopler Konzilen mitunter durch Bischöfe von Hellas vertreten ließ. Erst nach Beginn des Kampfes um die Bilder hat Kaiser Leo der Isaurier (um 731) Illyricum und Unteritalien dem Papst entzogen und dem Patriarchen von Kon- stantinopel untergeordnet. Mit den Resten des Heidentums, sowohl unter dem Landvolk als unter den philosophisch gebildeten höheren Klassen hatte Justinian aufgeräumt. Einzelne Reste kamen aber auch später vor, wie die merkwürdigen Baumkulte in Klein- asien und überhaupt am Schwarzen Meere oder die unheimlichen Menschenopfer in Pergamon 716 beim Anmarsch der Araber. Die letzten Götzendiener (:rQoo/.vrj]tal xQv elöibhov) unter den Griechen waren nach einer Nachricht bei Konstantin Porphyrogennetos die Einwohner von Maina am Taygetos, getauft erst unter Kaiser Basilios L (867 886). Sonst lührt schon im 6- Jahrhundert eine Reihe von Kastellen bei Prokopios die Namen von Heiligen, wie die heute noch in Epirus bestehende Burg des heiligen Donatus. Neben den berühmten altchristlichen Denkmälern von Salona fand man merkwürdige alte Kirchenbauten in Doclea bei Pod- gorica ^). Ein in Belgrad gefundenes Grabdenkmal, dessen Skulp- turen Szenen aus der Geschichte des Propheten Jonas darstellen, erinnert an die Sarkophage von Rom, Ravenna, Arles und Salona 2).

l)Munro, Anderson, Milne and Haverfield, The Roman town of Doclea in Montenegro: Arcbaeologia 55 (1896). Rovinskij im Sbornik russ. Akad. 86 (1909) 5—71 (mit Plänen)

2) Starinar 8 (1891) 130 f.; Arch. epigr. Mitt. 13, 41.

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Altchristliche Nekropolen fand man in Nis und Sofia. Eine latei- nische Inschrift von Remesiana stellt eine Kirche unter den Schutz der Apostel Petrus und Paulus und aller Heiligen ^).

Die Kunstdenkmäler Dalmatiens stehen unter dem Einfluß Italiens, die der griechischen Städte von Thrakien und Makedonien unter dem der alten hellenischen Kultur, während sie im Donau- gebiete den militärischen Charakter der dortigen Zivilisation ver- raten. Die Kenntnis der lateinischen Schrift erwähnt in Paunonien schon Vellejus. Für den Unterricht in der Schule dienten Ziegel mit dem lateinischen Alphabet, für eine höhere Stufe solche mit homerischen Versen. Die metrischen Inschriften der griechischen Städte Thrakiens enthalten nicht selten gelungene Epigramme; im Norden finden sich lateinische Verse verschiedener Güte von dal- matinischen und musischen Poeten. Eine eigenartige lateinische Provinzialliteratur , wie in Gallien oder Afrika, ist in lilyricum nicht zur Entwicklung gelangt. Die meisten Schriftsteller dieses Gebietes waren Männer der Kirche : der Kirchenvater Hieronymus (j 420) aus dem Grenzgebiet zwischen Dalraatien und Pannonien, der Bischof Nicetas von Remesiana (um 400) ^), die arianischen Bischöfe Auxentius von Durostorum (Silistria), Palladius von Ratiaria, Ursacius von Singidunum u. a. Eine Chronik (für 379 bis 534) verfaßte Marcellinus, „cancellarius" Justinians, später Comes, zuletzt Kleriker, gebürtig aus lilyricum ^).

Seit dem 2. Jahrhundert ofi'enbarte sich der Niedergang des römischen Reiches durch die wachsende Abnahme der Bevölkerung Gegenüber den gewaltigen Heeren, welche die Könige Sitalkes und Burebistas oder die beiden Batone aufstellen konnten, wurden die Streitkräfte von Thrakien und lilyricum immer schwächer. Pestkrankheiten, Erdbeben, blutige Gemetzel, wie z. B. in Mösien nach dem Sieg des Kaisers Gallienus über seinen Rivalen Ingenuus (260), trugen nicht wenig dazu bei. Eine Verstärkung der Ein- wohnerzahl erfolgte zeitweise durch Ansiedlung gefangener Bar- baren oder dui'ch Flüchtlinge aus mehr exponierten Gebieten, wie

1) Evans a. a. 0. III-IV, 164. CILat. III mo. 8259.

2) A. E. Burn, Nicetas of Remesiana, Cambridge 1905.

3) Vgl. Schanz, Gesch. der röm. Literatur, Bd. 4.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 47

aus dem Trajanischen Dazien, aber zu einer inneren Kolonisation durch Zuwanderung aus anderen Provinzen reichte der Kräfte- überschuß und das Wirtschaftssystem des Reiches nicht aus. Den größten Schaden verursachten die Invasionen fremder Völker. Seit dem Markomannenkrieg (l65 180) unter Kaiser Marcus Aurehus trat die Defensive an Stelle der Offensive. Rom siegte, aber ohne neue Provinzen zu erwerben. Germanen, Sarmaten und freie Daker begannen damals den Angriff auf der ganzen Linie von Regensburg bis Siebenbürgen und verheerten tief landeinwärts alle Grenzprovinzen. Die Kostoboker in den Karpathen, deren Könige bisher Geiseln nach Rom senden mußten, unternahmen einen Raub- zug bis nach Hellas, wo sie aufgerieben wurden ^). Damals wurden auch Salona und Philippopel mit festeren Mauern umgeben und innerhalb des Limes z. B. am Berge Kosmaj südHch von Belgrad und an den Mündungen der bosnischen Flüsse neue Kastelle ge- gründet. Seit diesem Kriege schlichen sich kleine Räuberbanden (latrunculi) über die Donau, zwischen den Grenzwachen durch und schmälerten durch Vieh- und Menschenraub den ohnehin in- folge der schweren Kriegszeiten verminderten Wohlstand der Pro- vinzialen, zeitweise abwechselnd mit größeren Invasionen. Eine Folge davon war die allmähliche Verödung des offenen Landes und die Zusammenziehung der Bevölkerung in die befestigten Städte und Burgen. Bald begannen die Einfälle der tapferen Goten, welche stufenweise von der Ostsee zum Pontus vorgerückt waren. Der erste Kaiser, welcher im Kampfe gegen die Barbaren gefallen ist, war Decius in der Gotenschlacht bei Abrittus in Untermösien (251). Ein zweites Mai bestürmten die Goten Thessalonich und plünderten mit Bootsflotten aus dem Pontus die Städte von Hellas, deren fabelhafter Reichtum eine große An- ziehungskraft für die nördlichen Völker besaß (267), bis ihnen Kaiser Claudius bei Naissus eine schwere Niederlage beibrachte (269). Kaiser Aurelian mußte aber nach neuen Siegen das Trajanische

1) Die Namen der Kostoboker oder Coisstoboci auf den Inschriften sind thrakischer Art: Natoporus, Pieporus, Sabituus, Drilgisa usw. Zeuß, Tomascliek u. a. hielten sie für einen thrakischen Stamm, Safafik, Drinov und Niederle für Slawen (slaw. kost Knochen, bok Seite, Flanke).

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Dazien endgültig aufgeben. Reste der zersprengten Karpathen Völker wurden auf römischem Boden angesiedelt, der Bastarnen, Kar- pen u. a. 1).

In dem folgenden Zeitalter der Reformen waren unter Kon- stantin dem Großen zwei Neuerungen von weltgeschichtlicher Be- deutung: die Annäherung an das Christentum und die Erhebung der alten hellenischen Kolonie Byzantion zur Residenz als Con- stantinopolis (325), was die Bedeutung der Hämushalbinsel ver- stärkte, nachdem sie ohnehin durch die vielen illyrischen Lager- kaiser den Vorrang besaß. Eine neue Gefahr brachte ein Völkersturm aus dem Innern Asiens, welcher die Europäer zum erstenmal mit den türkischen Reitervölkern bekannt machte. Die Hunnen, einst Nachbarn von China, zogen langsam gegen Westen, besiegten die zwischen dem Don und der Donau angesiedelten Goten und drängten sie gegen die römische Grenze. Kaiser Valens fand in der großen Gotenschlacht bei Adrianopel ebenso den Tod, wie einst Decius (:378). Gratian und Theodosius I. mußten die An- siedlung der Goten als „foederati" in den Donauprovinzen zu- lassen (382).

Nach dem Tode Theodosius' I. wurde das römische Reich, wie so oft in der letzten Zeit, geteilt (395), jedoch zu einer neuen Vereinigung beider Teile kam es nimmermehr. Die Grenze der „östhchen" und „westlichen Römer" ging mitten durch Illyricum, ungefähr vom Golf von Cattaro nach Belgrad. Moesia superior, Dardania und Praevalis gehörten zum Ostreich, Dalmatia und die vier Pannonien zum Westreich. Die Nachwirkungen dieser Grenz- linie reichen bis in unsere Zeit. Das mittelalterliche und moderne Serbien blieb immer an der Grenzscheide zwischen Ost und West, zwischen der griechischen und lateinischen Kirche und zwischen der lateinischen und griechischen Schrift mit ihren Ableitungen. Das Westreich ist noch vor Ablauf eines Jahrhunderts zugrunde

!) Personennamen der Karpen, welche wahrscheinlich in der Moldau wohnten und von neueren Forschern teils als Thraker, teils als Slawen er- klärt werden, sind nicht bekannt Der Name des KnonciTtig ögog des Pto- lemaios ist sonst in der antiken und mittelalterlichen Literatur unbekannt; mit vielen anderen Namen der ptolemäischen Karten hat ihn erst die Hu- raanistenzeit in Umlauf gebracht.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 49

gegangen. Das kleinere, aber besser bevölkerte, mehr wohlhabende und gut verwaltete Ostreich hat sich nach der Trennung mehr als eintausend Jahre behauptet. Die oströmischen Kaiser des 5. und 6. Jahrhunderts stammten meist aus den europäischen Pro- vinzen. Es ist merkwürdig, wie sich das Latein im Ostreich im Rechtsleben und im Militärwesen lange behauptete, obwohl es vor den Eroberungen Justinians eine ethnographische Grundlage nur in den Donauländern besaß. Noch in griechischen militärischen Werken sind die Kommandoworte lateinisch (cede, sta, move, torna usw.). Bis in die Zeiten des Kaisers Maurikios waren die Feldherrnnamen vorwiegend lateinisch ^). Die zwei großen Ele- mente des Heeres vertraten unter Justinian seine beiden berühm- testen Feldherren; Orientale ist der Armenier Narses, Okzidentale der Thraker Belisar aus der Thermenstadt Germaneia in der Provinz Dacia mediterranea (Saparevska Banja bei Dupnica in Bulgarien) "-). Die Formierung eines neuen Heeres unter Kaiser Heraklios vorwiegend aus Kleinasiaten, Armeniern, Kaukasiern und Syrern führte zum Übergewicht der Orientalen und damit auch zur bleibenden Vorherrschaft der griechisch- christlichen Namen unter den Feldherren (Georgios, Theodoros, Sergios u. a.).

Gleich nach der Trennung bereiteten dem Ostreich die Visi- goten unter ihrem König Alarich schwere Sorgen, durch einen Raubzug bis in den Peloponnes (396). Bald zogen sie aber in die Ostalpen und nach Itahen ab, wo sie Rom ausplünderten (410), ein Schicksal, das Konstantinopel erst 800 Jahre später durch die Kreuzfahrer des vierten Zuges getroffen hat. Im ersten Viertel des 5. Jahrhunderts übersiedelte ein Teil der Hunnen aus den Steppen nördlich vom Schwarzen und Kaspischen Meere in die ehemahgen Sitze der Sarraaten an der mittleren Donau, in viele Gruppen geteilt, deren Häuptlinge einander oft befehdeten. Die

1) Meine Rom. Dalm. 1, 18 f.

2) Mit Unrecht sahen einige neuere Historiker in Belisar einen Slawen: beli-car „der weiße Kaiser" nach Bury; „B^lisaire un Slave peut-etre" bei Diehl, Justinien 413. Das neubulg. bjali car, neuserb. bijeli car lautet ja in der Sprache der Denkmäler aus dem Osten der Halbinsel noch im 9. bis 12. Jahrhundert „bjäli cesar". Die Ruinen von Germaneia: Arch.-epigr. Mitt. 10, 71 f.

Jirecek, GescMohte der Serben. I. 4

50 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

Residenz ihres Königs, ein großes Dorf aus Holzhäusern, bekannt aus den anschaulichen Schilderungen des Priscus, befand sich in den Pußten an der Theiß, in einer Ebene ohne Stein und ohne Baum. Am Hofe sprach man hunnisch , lateinisch und gotisch ; der König hatte auch lateinische Schreiber, Römer aus Pannonien und Obermösien. Die Oströraer zahlten den Hunnen des Friedens wegen Jahrgelder. König Attila (434 453) wurde der mächtigste und gefahrlichste Nachbar beider römischen Reiche und beschäf- tigte sich mit der Idee der Gründung eines großen Staates vom Ozean bis Persien. Kaiser Theodosius H. verdoppelte, ohne das Kriegsglück zu versuchen, die Jahrgelder, aber die stets wieder erneuerte Frage wegen der Auslieferung der hunnischen Überläufer führte zum Angriff des Hunnenkönigs (441 443). An 70 Städte wurden von den Scharen des Attila erobert, ausgeplündert und zerstört: Singidunum, Viminacium, Naissus nach heftigem Wider- stand und furchtbarem Gemetzel, Ratiaria, Serdica, Phihppopohs u. a. Die Hunnen erschienen bis in der Nähe der Meerengen, und der Friede konnte nur mit großen Geldopfern erneuert werden. Attila verlangte die Abtretung des Donaugebietes bis Novae (Svistov) und Naissus. Die alte Grenze wurde zwar behauptet, aber Obermösien blieb fortan ein verödetes Land, welches unter der römischen Herrschaft nie mehr einen Aufschwung er- lebt hat. Nach dem Tode Attilas wurde sein Reich zerstört durch die Kämpfe seiner Söhne untereinander und durch eine Erhebung der zahlreichen ti'ibutären germanischen Stämme. Die geschlagenen Reste der Hunnen zogen zu ihren Stammgenossen in die Pontussteppe ab, wo bald eine starke Gruppe hunnischer Nomaden (seit 482) in lateinischen, griechischen und armenischen Quellen unter dem neuen Namen der Balgaren erscheint. Die Germanen bekämpften einander an der mittleren Donau, voran die Gepiden im Trajanischen Dazien und die Ostgoten im Gebiete zwischen Wien und Belgrad. Die Sarmaten, bedrängt von den Goten, überfielen unter der Führung ihrer Könige Beuca und Babai Obermösien, besiegten, wie Jordanes erzählt, den römischen Feldherrn Camundus und besetzten Singidunum. Aber bald darauf schlug sie der ostgotische Prinz Theoderich, tötete den Babai und nahm Singidunum für sich ein (um 471). Von dort plün-

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 51

derten die Goten bis nach Hellas und eroberten Dyrrhachion, mit dem Wunsche, sich im warmen Küstenlande des heutigen Albaniens niederzulassen. Erst nach langen Kämpfen wurden ihnen vom Kaiser Zeno Wohnsitze in Dacia ripensis und Moesia inferior eingeräumt; wo Theoderich als gotischer König und römischer Feldherr seinen Sitz in Novae (Svistov) aufschlug (483).

Dalmatien beherrschte damals ein römischer Feldherr, der Patricius Marceilinus, wie ein selbständiger Herrscher, gestützt auf eine starke Seemacht, angeblich noch ein Heide, bis er als Befehls- haber der weströmischen Flotte auf einem Zuge gegen die afrika- nischen Vandalen in Sizilien ermordet wurde (468). Darauf wurde sein Neffe Julius Nepos, Sohn des Nepotianus und einer Schwester des Marcellinus, überdies ein Verwandter der Verina, Gattin des Konstantinopler Kaisers Leo I., mit Hilfe der Oströmer west- römischer Kaiser in Rom (474). Eine merkwürdige Erztafel mit Silberschrift im Belgrader Museum führt den Namen des Kaisers Nepos 1). Die Revolution des Basiliskos gegen Kaiser Zeno stellte aber bald die Unterstützung der Oströmer ein. Der Feldherr Orestes, ein pannonischer Römer, vor einem Vierteljahrhundert Höf- ling und Schreiber des Attila, proklamierte in Ravenna seinen eigenen Sohn Romulus (Augustulus) zum Kaiser (475). Aber sehr bald wurde er vom Söldnerführer Odovacar gefangen und ent- hauptet, der kleine Romulus abgesetzt (476). Nepos war indessen aus Rom nach Dalmatien entflohen und residierte in Salona immer noch als Kaiser, anerkannt auch im südlichen Gallien, bis er (Juni 480) in seiner Villa vor den Toren von Salona von den Comites Ovida und Viator ermordet wurde. Da rückte Odovacar, nun König und Herr von Italien, in Dalmatien ein und besetzte das Land. Gegen ihn bewog Kaiser Zeno den König Theoderich zu einem Zug nach Italien, einer neuen Völkerwanderung, welche dazu führte, daß Theoderich (493 526) als Sieger seine Residenzen in Rom, Ravenna und Verona aufschlug. Im neuen ostgotischen Reiche, welches Italien, Dalmatien, Pannonien und die Alpenländer umfaßte, bildeten die arianischen Goten die herrschende Krieger- kaste, die katholischen Römer die entwafihete Zivilbevölkerung.

1) CILat. III nro. 6335.

53 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

Die Verhältnisse in Pannonia Sirmiensis und Pannonia Savia, ebenso wie in Dalmatien sind aus der Briefsammlung des Kassiodor bekannt. In Dalmatien waren die Goten nur durch Feldherren und Garnisonen vertreten und bei den Römern des Landes un- beliebt. Über die kirchlichen Verhältnisse geben die Akten von zwei in Salona abgehaltenen Pro\'inzial8ynoden (530 und 532) Aufschluß. Der pohtische Wetterwinkel war die Landschaft von Sirmium, wo die Goten mit den Gepiden und Bulgaren (Hunnen) kämpften. Ein Freischarenführer Mundus, nach widersprechenden Nachrichten Germane oder Hunne, setzte sich in Obermösien fest, schlug den römischen Feldherrn Sabinianus den Jüngern im Mo- ravatale, mit Unterstützung der Goten (505), trat aber später in römische Dienste ^). Die Reiterscharen der Hunnen überschritten (seit 499) wiederholt besonders im Winter die untere Donau und durcheilten plündernd die römischen Provinzen, 517 bis nach Epirus, Thessahen und zu den Thermopylen. Dieser letzte Zug steht in Verbindung mit der Revolution des Donaurömers Vitalianus, Sohn des Patriciolus, aus der Provinz Scythia (Dobrudza), welcher, wie Marcellinus berichtet, mit fast 60 000 Römern (Romani) und Hunnen in dem Gebiet bei Akra (Kaliakra) und Odessus (Varna) sich gegen Kaiser Anastas erhoben hatte und dreimal vor Kon- stantinopel erschien. Es ist die letzte große Bewegung an der unteren Donau, in deren Geschichte die Slawen noch nicht er- wähnt werden.

Kaiser Justinian I. (527 565) ging wieder zur Offensive über. Seine Feldherren eroberten das Vandalenreich in Nordafrika, das Reich der Ostgoten in Italien und Teile des Reiches der Visigoten in Spanien. Bis auf eine Lücke zwischen Cartagena und Nizza gehörten alle Küsten des Mittelmeeres wieder dem römischen Staate an, ebenso alle Inseln. Aber die großen Unter- nehmungen überstiegen die Kräfte des Reiches, welches zum Schluß finanziell ganz erschöpft und erlahmt war. Für die Donauländer, wo man bei der Defensive geblieben war, war die lange Regierung des Kaisers eine Zeit des Verfalls. Erobert wurde das gotische Dalmatien, wobei um die Hauptstadt Salona viel gekämpft wurde.

1) Vgl. Hart mann, Gesch. Italiens 1, 152 f., 170 f.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 53

Mundus, einst Feind des Reiches, jetzt „magister militum per lUyricum", besetzte nach einem Siege die Stadt, fiel aber in einem neuen Gefechte in der Umgebung (535). Da zog der gotische Feldherr Gripas wieder in Salona ein, verließ es aber aus Miß- trauen gegen die römischen Bürger und die verfallenen Mauern, so daß Konstantianus mit der kaiserlichen Flotte die Stadt abermals besetzen konnte (536). Bei einen neuen Versuch wurden die Goten unter Uligisal und Asinarius von Salona neuerdings zurück- geschlagen, worauf die Hauptstadt Dalmatiens, deren Mauern in- dessen ausgebessert und ringsherum dui'ch einen Graben geschützt worden waren, den wichtigsten Stützpunkt der Oströmer bei dem Angriff auf das Gotenreich in Italien bildete. König Totila, oder mit seinem zweiten, auch auf seinen Münzen ersichthchen Namen Baduila (541 552), plante einen Angriff auf lUyricum, doch wur- den von der neuen gotischen Flotte nur zwei kleine Hafenplätze zwischen Salona und der Narenta überfallen. In Pannonien wur- den die Städte Sirmium und Bassiana vom Reiche wieder besetzt. Nach der Unterwerfung Italiens erscheinen dort auf den Inschriften /Truppen aus den Härausländern , Illyrier (numerus felicium Illy- ricianorum) in Genua, Daker (numerus Dacicus) in Rom usw. ^). In Dalmatien haben die Goten nur geringe Spuren hinterlassen. Von einem gotischen oder überhaupt germanischen Feldherrn Ana- gast ist der Name der Burg von Niksidi in Montenegro abgeleitet, in den Archivbüchern der Ragusaner im Mittelalter Anagastum genannt, heute noch als Onogost bekannt -).

Die Verwaltung suchte man durch Vereinigung der Provinzen zu vereinfachen. Die Zivilstatthalter im neueroberten Italien ließ Justinian von den Vornehmen und dem Klerus der Provinz wählen, wobei dem Kaiser die Bestätigung blieb ; Justinus II. dehnte diese Wählbarkeit auf alle Provinzen aus (569). Der Niedergang

1) Die hl, Etudes sur l'administration byz. dans l'exarchat de Ravenne (Paris 1888) 198.

2) Anagast (Anegast) im 5. 6. Jahrb., noch im 11. Jahrh. in Bayern (davon der Ortsname Anegestingin , jetzt Engstingen in Württemberg) : Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 1* (1900) Sp. 101. Ana- gastum in ragus. Denkmälern 1272 1401. Onogost zuerst 1362 Mon. serb. 171.

54 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

der Hämusländer wurde beschleunigt durch furchtbare Erdbeben, besonders im Jahre 518. Nach den Berichten bei Comes Mar- celHnus stürzte die Hauptstadt von Dardanien Scupi (Zlokudani, nordwestlich von Skopje) ganz ein, jedoch ohne Verluste an Menschenleben, ebenso 24 Kastelle der Provinz; zwei sind samt den Einwohnern versunken, die anderen mit Verlust der Hälfte, eines Drittels oder Viertels der Häuser oder Bewohner. Im Kastell Sarnonto stieg aus einem Erdspalt siedender Dampf wie aus einem Glutofen empor, worauf ein langer, heißer Regen niederging. Gleichzeitig entstand durch Abstürze von Felsen und Waldpartien ein 30 röm. Meilen (45 Kilometer) langer und 12 Fuß breiter Erd- spalt 1). Nach den Untersuchungen von Evans hat Justinian, aus dieser Landschaft gebürtig, Scupi in der Nähe der alten Stadt an der Stelle des heutigen Skopje erneuert und diese prächtig aus- gestattete Neugründung Justiniana Prima genannt; doch der alte Stacitname war stärker als der neue und lebt noch heute (alb. Skup, türk. Üsküb). Justiniana Secunda hieß das damals gleich- falls erneuerte Ulpiana am Südende des Amselfeldes, doch machte sich auch hier die größere Kraft des alten Namens geltend; in serbischer Umformung heißt der Ort seit dem Mittelalter Lipljan. Während der Grenzkriege bildeten sich in den Hämusländern Wald wüsten, wie in der Zeit vor der römischen Eroberung. Pris- cus sah 448 nach dem Kriege mit Attila von Serdica bis Vimi- nacium nur menschenleere Einöden mit Brandstätten und Ruinen ; Naissus war fast ganz verlassen. Die Invasionen der folgenden Zeit hatten vor allem Menschenraub zum Ziel, doch übertreibt Prokopios in seiner Geheimgeschichte, wenn er erzählt, daß bei jedem Einfall mehr als 200 000 Menschen getötet oder wegge- schleppt worden seien; so viele Einwohner haben wohl die einzelnen Provinzen nicht mehr gehabt. Kaiser Justinian hat in der ersten Hälfte seiner Regierung massenhaft Verteidigungswerke aufführen lassen. Prokopios zählt in seinem Buche über die Bauten des Kaisers (558) 80 feste Plätze an der Donau und an 370 Burgen

1) Mon. Germ., Auetores antiquissimi 11 (1894) p. 100. Die von Nord nach Süd verlaufenden Bruchlinien Dardaniens siehe auf der geologischen Karte des Baron Nopcsa in denMitt. der k. k. geogr. Gesell. 51 (1908) 289.

Die Römer und das Zeitalter der Völkerwanderungen. 55

südlich von der Grenze bis nach Griechenland auf. Es wurden z. B. Singidunum, Viminacium und Naissus erneuert, in der Land- schaft von Naissus 7 Burgen ausgebessert und 32 neu gebaut, in Dardanien 61 instand gesetzt, 8 neu gegründet. Jeder Gau (dyQog) sollte ein Kastell besitzen. Der Typus der Justinianischen Bauten ist am besten bekannt in Algier und Tunis, wo es nur dreierlei Arten alter Bauwerke gibt: römischen, byzantinischen und arabischen Ursprungs, mit zahlreichen Bauinschriften, die in den Hämusländern fehlen. Die Befestigungen Justinians in Afrika bind in kurzer Zeit in größter Eile aufgeführt, zum Teil unvoll- endet, wobei man ältere römische Gebäude als Steinbruch benutzte und zwischen Steinen und Ziegeln antike Inschriften, Architrave, Säulenstücke, Kapitale und Skulpturen ohne Ordnung zusammen- fügte. Kleinere Kastelle haben vier Rundtürme an den Ecken, größere Städte drei Stockwerke hohe Türme, rund, vier-, sechs- oder achteckig ^). In den Hämusländern ist derselbe Typus leicht zu erkennen. Die mit Rundtürmen versehene Nordmauer von Serdica ist zusammengeflickt aus altem Material, mit griechischen Inschriften der früheren Kaiserzeit, Altären thrakischer Götter und Grab- steinen -). Das Kastell (Kulina) von Ravna im Timoktal, mit Rundtürmen, ist von den Grundfesten aus aufgebaut aus älteren römischen Bausteinen und Inschriften ^). Ebenso fand man die meisten Denkmäler von Viminacium nicht in der ursprünglichen Lage, sondern eingelassen in dem Gemäuer eines mit den Steinen der alten Stadt errichteten großen Kastells ^). Paß- und Isthmus- sperren, in der Art der von Kaiser Anastas zum Schutz der Um- gebung von Konstantinopel erbauten „Langen Mauer", wurden unter Justinian in den Thermopylen, auf der Halbinsel Kassandria bei Thessalonich und auf dem thrakischen Chersones errichtet. Andere solche Mauern sind in den Quellen nicht erwähnt. Eine steinerne, an 30 Kilometer lange Mauer mit einzelnen Türmen zieht sich von der Stadt Fiurae bis zum Dorfs Prezid (slaw.

1) Die hl, L'Afrique byzantine, Paris 1896.

2) Sbornik bulg. 2 (1890) 3—6. Kacarov, Beitrag zur antiken Ge- schichte von Sofia, bulg. (Sofia 1910) 24 f.

3) Jahreshefte, Beibl. 3, 137f.; 4, 142f.

4) Ebenda 3, 107 f.

56 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

Quermauer} am Trifinium zwischen Kroatien, Istrien und Krain i). Ein ähnliches Werk, vielleicht einst der oströmische Limes gegen die Goten in Dalmatien, ist in Montenegro die sogenannte „Grenz- mauer des närrischen Vuk", die sich von West nach Ost angeb- lich vier Tagemärsche weit in gerader Linie über Berg und Tal zieht, von Risano oder von der Bijela Gora bei Grahovo über Ostrog bis zum Kom; es sind Mauerreste ohne Kalk und Erde, die beim Volke als unvollendeter Bau gelten -).

Alle diese Defensivbauten hatten wenig Erfolg. Es fehlte an Mannschaften zur Verteidigung. Die Grenztruppen gerieten bei den finanziellen Schwierigkeiten stark in Verfall, und die Mobil- armee, nach Agathias 150 000 Mann stark, war zerstreut in Gar- nisonen von Südspanien bis nach Armenien und Oberägypten. Die verfallenden Stadtbevölkerungen hatten mehr Sinn für kirch- liche Fragen, als für den Schutz des Vaterlandes. Prokopios er- zählt, wie (551) fünf Feldherren an die Donau zogen, um die unruhigen Gepiden zu züchtigen, aber nur ein einziger gelangte ins Gepidenland; die übrigen mußten in Ulpiana haltmachen, wegen eines kirchlichen Aufruhrs. Justinian hatte (535) für den lateinischen Norden von Illyricum ein privilegiertes Erzbistum in Justiniana Prima errichtet, fand aber während des sogenannten Dreikapitelstreites (seit 543) die heftigsten Gegner nicht nur in Itahen und Afrika, sondern gerade unter den „Illyriciani episcopi". Der Erzbischof Benenatus von Justiniana Prima wurde von einer illyrischen Synode als Anhänger des Kaisers sogar abgesetzt (549), aber Justinian unterdrückte die Bewegung mit eiserner Hand, indem er z. B. den widerspenstigen Erzbischof Frontinus von Salona nach Ägypten verbannte (554).

Indessen vollzog sich der Abschluß der germanischen Völker- wanderung an der unteren Donau. Die Heruler, heidnische Ger- manen aus Skandinavien, hatte Kaiser Anastas an der Grenze an-

1) V. Klaic: Vjesnik arheol. N. S. 5 (1901) 169 f.

2) Vuk Karadzic, Serb. Lexikon unter Vukova medja. Erzählung des Vladika Peter II. bei V. D. Lambl, Gas. ces. musea 24 (1850) 530. Evans a. a. 0. I— II, 88. IvaniSevic, Wiss. Mitt. 6 (1899) 656. Ro- vinskij, Sbornik russ. 86 (1909) S. 86 hat diese „römische" Mauer nicht selbst gesehen.

Die Bömer und das Zeitalter der Vöikerwandeningen. 57

gesiedelt (512); unter Justinian wohnten sie bei Singidunum und Sirmium und zeichneten sich, an 3000 Mann stark, in allen Feld- zügen aus. Die Gepiden, unter einem König und mit einem arianischen Bischof, saßen nicht mehr in Siebenbürgen, sondern im ßanat an der Donau und kämpften zuerst mit den Goten, dann mit den Römern um den Besitz von Sirmium, unter fort- währenden Raubzügen in die Donauprovinzen. Justinian be- günstigte gegen sie die Langobarden, teils arianische Christen, teils noch Heiden, die sich eben in Noricum und im nördHchen Pannonien niedergelassen hatten. Nach Justinians Tode ver- schwinden die Heruler, wahrscheinlich an die Nordgrenze Italiens an den Brenner versetzt, die Gepiden wurden aufgerieben und die Langobarden zogen ab nach Italien. Zu gleicher Zeit wurden die pontischen Hunnen, besonders der westliche Stamm der Ku- triguren, immer zudringlicher, durch große Invasionen bis zum Hellespont und den Thermopylen. Es waren Rückwirkungen von neuen Bewegungen in der pontischen und kaspischen Steppe, be- sonders nach der Entstehung des ältesten Türkenreiches am Altai und nach dem Auftreten der A waren. Der Höhepunkt war 559 der Zug des kutrigurischen Fürsten Zabergan im Winter über die zugefrorene Donau bis vor die Tore von Konstantinopel, wo ihn der alte Belisar besiegte. In dem Zwischenraum zwischen den Hunnen und Gepiden erscheinen an der unteren Donau zu- erst die Slawen, welche seitdem aus der Geschichte der Hämus- länder nicht mehr verschwinden.

Das Mittelalter kannte die Römerzeit besonders aus den Bau- werken. In den sich daran knüpfenden Sagen erhielt sich das Andenken an drei Kaiser bis auf unsere Tage. Trajan war durch seine Gründungen und seine zahlreichen Bauinschriften so bekannt, daß ihn Konstantin der Große das „Mauerkraut" nannte Es kam eine Zeit, wo die römischen Provinzialen alle alten Bauwerke dem Trajan zuschrieben. Die Straße von Novae (Svistov) über den Hämus nach Philippopel, nach den Inschriften vollendet unter Kaiser Nero, hieß um das Jahr 600, wie Theophylaktos Simo- kattes schreibt, der „Weg des Trajan" (^ Xeyoixevr] Tga'iavov TQißog). Bei den Resten dieser Straße steht jetzt im Balkan ein Städtchen Trojan. Die Trajanssage wurde von den Slawen über-

58 Erstes Buch. Drittes Kapitel.

nommen. Heute noch heißen die gepflasterten Römerstraßen „Trajansweg": rumänisch Calea Traianului, slawisch Trojan, Trojanov Put oder Trojanski Put, sogar türkisch Trajanjol; alte Burgruinen nennt man „Trajansburg", Trojanj Grad oder Trojanov Grad, alte Paßsperren „Trajanstor", Trojanova Vrata i). Kaiser Trajan gelangte sogar in die slawische Mythologie: der Gott Tro- jan in mittelalterlichen Apokryphentexten -). Ein dalmatinischer Sagenzyklus schloß sich an Kaiser Diokletian an, bekannt aus den Nachrichten bei Konstantin Porphyrogennetos und Thoraas dem Archidiakon, besonders in Salona, Spalato und infolge der Namensähnlichkeit bei den Ruinen des von Vespasian oder seinen Söhnen mit Stadtrechten ausgestatteten Doclea. Konstantin der Große galt in der Zeit des Porphyrogenneten als Erbauer eines Turmes in Belgrad, bei Leon Diakonos als Gründer von Dory- stolon (röm. Durostorum, jetzt Silistria), in der bulgarischen Visio des Isaias als der von Vidin, in der neuen serbischen Sage als der Stifter von Viminacium.

1) Meine Heerstraße 5, 156 f.; Arch. epigr. Mitt. 10, 87.

2) Leger, La mythologie slave (Paris 1901) 124 f.

Zweites Buch. Die Besiedlung Illyricimis durch die Slawen.

Erstes Kapitel.

Die Slawen ^).

In den Steppen auf der Nordseite des Schwarzen Meeres wohnten im Altertum iranische Stämme, welche erst seit dem Vorstoß der Hunnen durch die aus Innerasien nach Westen vor- dringenden türkischen Völker verdrängt wurden. Nördlich von der Steppe erstreckt sich von den Karpathen bis zum Ural ein gewaltiges Waldgebiet. In der östlichen Hälfte dieser Waldzone saßen Finnen, welche ursprünglich weit gegen Südwesten reichten, aber langsam von den Ariern nordwärts zurückgedrängt wurden; ein Zeugnis alter Nachbarschaft sind heute noch iranische und litauische Elemente in den Sprachen der Wolgafinnen. In der westlichen Hälfte des waldigen Tieflandes, in dem großen Raum zwischen der pontischen Steppe und der Ostsee, wohnten zwei

1) Literatur: P. J. Safafik, Slovansk^ starozitnosli (Slawische Alter- tümer), Prag 1837, 2. A. in dessen Gesammelten Werken, Prag 1862 f. Bd. 1—2 (auch deutsch, russ., poln. übersetzt). J. K. Zeuß, Die Deutschen und die Nachbarstämme, München 1837. W. Tomaschek, Kritik der ältesten Nachrichten über den skythischen Norden : SB.W. Akad. Bd. 106 107 (1886—1888). G. Krek, Einleitung in die slaw. Literaturgeschichte, 2. A., Graz 1887. A. L. Pogodin, Aus der Geschichte der slaw. Wanderungen, russ., Petersburg 1901. L. Nieder le, Slovansk^ starozitnosti , Prag 1902 bis 1906 Bd. 1 und 2. St. Stanojevic, Über die Südslawen im 6., 7. und 8. Jahrhundert: Glas 80 (1909) 124—154. Slawische Sprachen: ver- gleichende Grammatiken von F. Mi kl o sich, 2. A., Wien 1876—1888, 4 Bde und W. Vondräk, Göttingen 1906—1908, 2 Bde. Etymologische Wörterbücher von F. Miklosich, Wien 1886 und E. Berneker, Heidel- berg 1908 f. Jagiö, Die slaw. Sprachen: Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. IX (1908), S. 1—39.

68 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

indogermanische Völker, die Litauer und die Slawen. Die Litauer, einst ein großes Volk, sind seit dem Mittelalter im Rückgange begriffen. Die Slawen, deren älteste Wohnsitze aller Wahrschein- Hchkeit nach südlich und südwestlich von denen der Htauischen Stämme gelegen waren, haben seit mehr als anderthalb Jahr- tausenden die verwandten Litauer durch territoriale Ausbreitung weit überflügelt. Gegenüber dem bedeutenden Unterschied zwi- schen den einzelnen litauischen oder germanischen Sprachen ist es auffallig, daß die slawischen Sprachen einander verhältnismäßig viel näher stehen ; daraus könnte man auf einen nicht allzu großen Umfang der ältesten Wohnsitze schließen. Allerdings vergrößert sich die Differenzierung seit dem 9. Jahrhundert, mit welchem die einheimischen Denkmäler beginnen, in wachsendem Maße.

Altertümlich sind bei jedem Volke die nationalen Personen- und Ortsnamen. Die vollständigen Personennamen der Slawen bestehen, wie die der Hellenen, Germanen, Thraker oder Iranier, aus zwei Nomina, deren Stellung in vielen Fällen vertauscht wer- den kann. Daneben gibt es Kurzformen, in denen das zweite Nomen durch ein Suffix ersetzt wird oder ganz wegfällt. Die Themata sind Substantiva, Adjektiva und Verba von meist be- kannter Bedeutung i). Der Sinn entspricht oft ziemlich genau den hellenischen Namen, so nach Miklosich z. B. Dobroslav dem '^yad-o-/.lfjg, Vladislav ^^Qxi'Afjg, Vsevlad (russ. Vsevolod) TIccvt- agxog, Vojislav ^Tqatovilfig usw. Von den iranischen, thrakischen, illyrischen, keltischen Namen lassen sich die slawischen leicht unterscheiden. Nur mit den germanischen fallen manche Formen zusammen, wie -mir und -gost mit germ. -mar und -gast. Die Frauennamen sind von den Mannsnamen verschieden, an der vo- kalischen Endung kenntlich (Dragomira, Miroslava, Radonega usw.). Es fehlen keineswegs die bei allen Völkern beliebten Na- men von Tieren, wie Vlk (neuserb. vuk, Wolf), auch in zahl- reichen Zusammensetzungen (Vlkoslav, Vlkodrug, Vlkomir), Med- ved (Bär), Golub (Taube), Labud (Schwan). Auch Pflanzennamen

1) F. Miklosich , Die Bildung der slaw. Personennamen: Denkschr. W. Akad. Bd. 10 (1860)," jetzt veraltet. T. Maretic, Die nationalen Namen und Zunamen bei den Kroaten und Serben: Kad, Bd. 81—82 (1886).

Die Slawen. 03

gibt es, wie die Frauennamen Jagoda (Erdbeere) und Perunika (Iris). Dazu kommen Nomina mit Präpositionen, wie Preljub, Prerad, Predimir, oder mit der Negation (ne), wie Nenad, „der nicht Erwartete", sowie Apotropaia, wie das genau dem spät- lateinischen Projectus entsprechende altserbische Povrzen (Dimi- nutiv Povrsko), „der Weggeworfene". Auf alte soziale Verhältnisse weisen Prodan „der Verkaufte" und Kupljen „der Gekaufte". Die Bezeichnungen nach Eigenschaften, wie Golem (groß). Mal (klein), Beloglav f Weißkopf), Crnoglav (Schwarzkopf); bilden schon den Übergang zu den Spitznamen des späteren Mittelalters. Die sehr mannigfaltigen Kurzformen sind besonders häufig bei Frauen- namen: Goja, Mira, Dobra, Draga, Slavusa usw. In den Orts- namen sind, wie bei anderen Völkern, vorherrschend Ableitungen von Personennamen und von Pflanzennamen ^j. Die ersteren sind Bezeichnungen von Höfen, Häusern und Sennereien nach den Stiftern, FamiHenältesten , Stammvätern oder Besitzern, teils Ad- jektivformen (-0V, -in), teils Patronymika (-ovac, Plur. -ovci, oder -idi), wie Dedojevci, Vojnegovac, Gostiradici von den Eigennamen Dedoje, Vojneg, Gostirad. Die letzteren, größtenteils ursprünghch Namen fließender Gewässer (Endung -ica), bieten ein anschau- hches Bild der alten Waldflora, neben Bezeichnungen nach Obst- bäumen und Gemüsen. Seltener sind Orte nach Tieren benannt. Dazu kommen Namen nach Terrainformen, nach den Farben des Bodens, der Beschäftigung der Einwohner usw.

Der Landschaftscharakter der Heimat spiegelt sich in der topographischen Terminologie einer jeden Sprache. Ebenso wie es nach einer Bemerkung von Alexander von Humboldt (in den „Ansichten der Natur") im Arabischen und Persischen eine Un- zahl charakteristischer Benennungen der verschiedenen Typen der Ebenen, Steppen und Wüsten gibt, im Spanischen hingegen eine ausgebildete Terminologie für die Physiognomik der Gebirgsmassen, ist in den slawischen Sprachen auffallend der Reichtum an Be-

1) Miklosich, Die Bildung von Ortsnamen aus Personennamen im Slawischen: Denkschr. W. Akad. Bd. 14 (,1864), 373 Nros. Derselbe, Die slawischen Ortsnamen aus Appellativen, eb. 21 (1872) und 'A3 (1874), 789 Nros. Maretic, Die Namen der Flüsse und Bäche in den kroat. und serb. Ländern: Nastavni Vjesnik 1 (1892).

04 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

Zeichnungen für fließende und stehende Gewässer, für Quellen und Brunnen, Seen und Tümpel, Sümpfe und Moore, für Wälder, Ge- büsche und Haine. Dagegen sind die gemeinsamen slawischen Ausdrücke für Gebirgsformen selten und die lokale Termino- logie in den Karpathen, den Ostalpen, im Karstgebirge an der Adria und im Balkan sehr verschieden. Alles weist auf eine Ur- heimat in einem waldigen, wasserreichen, ebenen Lande, keines- wegs auf waldlose Steppen oder auf Täler und Abhänge eines Gebirges. Die reinste und altertümlichste slawische Ortsnomen- klatur besteht in Polen und Westrußland : im Stromgebiete der oberen Weichsel, des oberen Dnjestr und Bug und im westlichen Teil des Dnjeprgebietes. In diesem Gebiet sind die ältesten Wohn- sitze der Slawen zu suchen ; dorthin verlegen sie die spärlichen Nachrichten des Altertums und die klaren Berichte des früheren Mittelalters. Auch die Pflauzennamen der Slawen führen in diese Zone Osteuropas ^). Es ist ein Flachland mit unbedeutenden Er- hebungen an den Wasserscheiden der Flüsse, mit vielen Seen und Sümpfen, voll gewaltiger Wälder mit einzelnen Wiesen, reich an Jagdtieren und Fischen, geeignet für Ackerbau, Viehweide und Bienenzucht. Die Hauptverbindungen bilden Wasserstraßen, mit leichten Übergängen aus einem Stromgebiet ins andere. Nachbarn der Slawen in dieser Urheimat waren im Westen die Germanen, im Norden die Litauer, im Nordosten finnische Stämme, im Süd- osten in den waldfreien Steppen iranische Völker, im Süden in den Karpathen Thraker, später durchsetzt durch einzelne keltische Stämme. Ein mächtiger Vorstoß der Slawen wendete sich ostwärts über den Dnjepr; ein anderer hatte die Richtung westwärts, wo die Sprache der Elbeslawen sehr altertümliche Lautformen be- wahrt hat.

Römer und Slawen wurden miteinander bekannt durch die Vermittlung der Germanen. In den Quellen der römischen Kaiser- zeit heißen die Slawen Venedi (Ovevedai), ebenso wie in Deutsch- land im Mittelalter Winidi ; noch jetzt werden sie von den Deutschen in Sachsen und in den Ostalpen Wenden, Winden genannt. Bei

1) Dr. B. Sulek, Blick aus der Pflanzenkunde in die Urzeit der Slawen: kroat., Rad 39 (1887) 1—64.

Die Slawen. 65

den Slawen selbst war dieser Name, dessen Ursprung und Be- deutung nicht bekannt ist, niemals im Gebrauch. Auch die By- zantiner kennen ihn nicht. Anderseits bezeichneten die Germanen die Kelten und Römer mit dem Namen Walh (Plur. Walhas), ebenso wie die Rhätoromanen und Italiener bei den Deutschen bis in die Neuzeit Walchen oder Wälsche heißen. Davon stammt das slawische Vlach (russ Voloch), im Plural Vlasi, für die Romanen. So nennt man heute böhmisch, polnisch, slowenisch die Itahener, russisch, bulgarisch und serbisch die Rumänen.

Einheimisch ist der Name Sl ovenin, im Plural Slovene, seit dem 6. Jahrhundert bei den Nachbarn im Westen und Süden überall bekannt, bei den Griechen {^/.Xaßr^voi lies Sklavini, 2-/.X(x{jol zuerst bei Agathias, ^S-XdßoL bei Pisides), Romanen (Sclaveni, Sclavini, Sclavi), den westeuropäischen Verfassern latei- nischer Texte, bei den Syrern, zuletzt bei den Arabern (Sakähb). Er kommt ebensogut bei Thessalonich und in Dalmatien vor, als in den Ostalpen und Westkarpathen , bei den Elbeslawen und bei Nowgorod. Dobrowsky, Safafik und Miklosich haben ihn dem Suffix nach als die Ableitung von einem Ortsnamen erkannt, aber die Bedeutung des Themas bleibt, wie bei so vielen Völkernamen, dunkel ^j. An den Namen der Winden klingt der Name der Anten an, der nur in den Jahren 500 650 von Schriftstellern aus dem byzantinischen Reiche für die südrussischen Slawen ver- wendet wird , von den moldauischen Karpathen und den Donau- mündungen bis zum Nordrand der Steppe nordwestlich von der Krim {Avvai, Antes, Anti). Jordanes gibt die Wohnsitze der Anten, wohl nach einer älteren Quelle, zwischen Dnjepr und Dnjestr an und bezeichnet sie als die tapfersten der Slawen. In den Berichten aus dieser Zeit besteht ein Gegensatz zwischen den Anten und den eigentlichen „Slavinen" ~). Prokopios berichtet, daß die

1) Da Latein und Griecbisch die Lautgruppe sl vermeiden, ist ein x oder .^ eingeschoben. Das a für o im russ. Slavjanin entspricht den neuruss. Lautgesetzen. Die alten Deutungen von slovo verbum (seit Pulkava um 1374) und von slava gloria (seit Dubravius 1052) wurden bis in die neueste Zeit wiederholt.

2) L. Niederle, Antov^: Vestnik der kgl. böhm. Gesellsch. d. Wiss. 1909, 12 S.

Jlrecek, Geschichte der Seihen. I. 5

66 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

Slawen und Anten ursprünglich Spori geheißen haben, welchen Namen er oder seine Gewährsmänner, wahrscheinlich Pontus- griechen aus der Krim, mit griechisch a/togadriv zusammenstellt. Dobrowsky und nach ihm Safafik sahen in den ^jcoqol den durch eine Metathese entstellten Namen der Serben. Auf dieser Hypo- these ist die von beiden Gelehrten aufgestellte Theorie aufgebaut, der Name der Serben sei einmal der Gesamtname aller Slawen gewesen ^). Doch hat schon Zeuß auf die „gens Spaloium^' auf- merksam gemacht, mit welcher die Goten nach den bei Jordaues verzeichneten Sagen bei ihrem Vorstoß von der Ostsee zur Pontus- küste, also gerade im Slawenlande, zu kämpfen hatten. Ihren Namen kennen auch Diodor und Plinius {^ycäXoi, Spalaei) unter den Stämmen angebHch am Don -).

Die historischen Nachrichten beginnen spät. Die Geographen des Altertums hatten keine Ahnung von der großen Ausdehnung Europas gegen Nordosten. Strabo meint, der Teil Europas, welcher außerhalb der Grenzen des römischen Reiches geblieben ist, sei nicht groß, größtenteils eine Ebene, weiter nordwärts vielleicht wegen der großen Kälte unbewohnbar '^). Die meerbusenartige Abgeschlossenheit der Ostsee war noch nicht entdeckt, Skandi- navien galt als eine Insel und das Eismeer, als dessen Golf man auch das Kaspische Meer betrachtete, wurde als sehr nahe gedacht. Selbst bei Ptolemaios, welcher die wahre Gestalt des Kaspischen Meeres und den Lauf der Wolga (Rha) gut kennt, ziehen sich die Ufer des Polarmeeres mitten durch das jetzige europäische Rußland. Erst im 6. Jahrhundert hatte man einige Kenntnis von den riesigen Dimensionen des europäischen Kontinents nach dieser Seite. Bei dem anonymen Kosmographen von Ravenna liegt östlich

1) Dobrowsky, Gesch. der böhm. Sprache, Prag ^1818 S. 9; Sa- fafik, Slaw. Altertümer § 9. Von den Beweisgründen entfallen die Spori des Prokopios, die augeblichen Serben im Kaukasus (s. oben S. 33), die jetzt als Fälschung erwiesenen altböhmischen Glossen des Mater verborum '", (Sarmatae erklärt als Öirbi) und die bei Konstantin Porph. als Zf\)ßini wiedergegebenen Severjane in Rußland.

2) Vgl. kircheuslaw. sport über, spoiyni multitudo , bulg. spören fruchtbar; anderseits vgl. slaw. spolin, ispolin Kiese.

3) Strabo VII p. 294; XVII p. 839.

Die Slawen. (J7

von den Normannen, Dänen und Finnen Özythien, aus welchem das Volk der Slawen hervorgegangen sei (unde Sclavinorum exorta est prosapia) ^).

Die Hellenen sind zuerst durch die Gründung der Kolonien Tyras und Olbia an den Mündungen des Dnjestr und Dnjepr zu diesen Ländern in nähere Beziehungen getreten. Die erste Beschreibung gibt im 5. Jahrhundert v. Chr. Herodot. Vou den Völkern, die er im waldigen Binnenlande nördHch von der Steppenzone aufzählt, waren die von einem König beherrschten, als Zauberer verrufenen Neuren am oberen Dnjestr (Tyras) und ßug (Hypanis) wahrscheinhch Slawen, ebenso die Budinen, falls sie Nachbarn der Neuren waren -). Andere Stämme, die Herodot weiter östlich nennt, sind wohl Finnen gewesen. In die Literatur der Römer gelangten die ersten Nachrichten über diesen Teil Europas durch den von Pannonien aus zur Weichselmündung be- triebenen Bernsteinhandel. Die „Venedi" nennt zwischen den Völkern östlich von der Weichsel zuerst Plinius (f 79). Das ethnographische Tableau von Osteuropa ist vollständig bei Tacitus in dem Buch über Germanien (verfaßt 98): Germanen, Daker, Sarmaten, Wenden, Astier (Litauer) und Finnen. Die „Veneti" schildert ein Miniaturbild in der Art der ethnographischen Episoden, in deren Ausführung die antike Historiographie eine merkwürdige Virtuosität erreicht hat. Sie durchziehen räuberisch (latrociniis pererrant) alle Wälder und Berge einerseits zwischen den Germanen

1) Ravennatis anonymi cosmographia , ed. Pinter et Parthey I cap. 12 p. 28

2) Daß die Budineu von den Pontusgriechen nicht weit entfernt waren, sieht man bei Herodot aus der genauen Beschreibung ihres Waldlandes und ihres physischen Typus mit hellblauen Augen und rötlichem Haar. Die einzigen Städte des Binnenlandes werden in ihrem Gebiet genannt: Gelouos bei Herodot, Kariskos bei Aristoteles. Über fremdartige Tiere eben im Laude der Budinen und Neuren hat Aristoteles genaue Nachrichten. Die Völker saßen vielleicht nahe bei der hellenischen Kolonie Tyras, deren Nachbarschaft bei Herodot nicht näher beschrieben wird, wie denn das ganze Gebiet zwischen Donau und Bug bei ihm unklar bleibt. Die Budinen erscheinen bei ihm einigemal fem im Osten, ungefähr an der mittleren Wolga, einmal aber als Nachbarn der Neuren. Ptoleraaios kennt die Boj- Sivoi am Borysthenes (Dnjepr).

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68 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

und Sarmaten, anderseits zwischen den Bastarnen in den Ost- karpathen und dem pferdelosen, nur mit Bogen und Pfeil bewaffneten, in Pelze gehüllten Jägervolk der „Fenni". Im Gegensatz zu den nomadischen Reitervölkern der Sarmaten bauen sich die „Veneti*' Häuser, kämpfen zu Fuß und führen Schilde als Schutzwaffe. Es war also ein großes, kriegerisches, offensives Volk, leicht bewaffnet und echnellfüßig fpedum usu ac pernicitate gaudent) ^). Manche Züge dieser Schilderung des Tacitus stimmen mit den byzan- tinischen Berichten des 6. Jahrhunderts überein. Die Erobe- rung von Dazien brachte das römische Reich dem Nordosten Europas näher, diese Periode hat aber keine Literaturdenkmäler in der Art von Cäsars Gallien oder Tacitus' Germanien hinterlassen. Der Alexandriner Geograph Ptolemaios im 2. Jahrhundert kennt neben den litauischen Galinden und Sudinen auch die Veneder unter den „größten Völkern" (l'dyrj fxeyiora) dieser Gebiete 2). Die unter dem Namen der Peutingerscheu Tafel bekannte Kopie einer römischen Straßenkarte des 4. Jahrhunderts verzeichnet die Venedi an zwei Stellen, unmittelbar nördlich von Dazien und im Norden der Donaumündungen. Gering sind die Nachrichten in den gotischen Sagen bei Jordanes. In einer Art Völkertafel sind bei ihm keine Namen russischer Slawenstämme zu erkennen, höch- stens die der finnischen Merier und Mordwinen. Klar ist aber dabei die Erinnerung an alte Feindschaft, an Kriege der Goten gegen die Slawen und Anten. Es ist möglich, daß die ostgerma- nischen Völkerzüge den ersten Beweggrund zum Vordringen der Slawen gegen Nordosten und Osten, gegen die Litauer und Finnen gegeben haben; sicher hat der Abzug der Germanen vom Pontus, aus Dazien und von der mittleren und unteren Donau nach Westen den Slawen den Vorstoß gegen Süden erleichtert. Wie weit sich die Macht der Hunnen Attilas gegen Norden erstreckte, ist nicht bekannt; sie umfaßte einen Teil der Slawen, wenn sie schon damals südlich der Karpathen im nördlichen Ungarn und Siebenbürgen saßen ^).

1) Tacitus, GeiTnania cap. 46.

2) Niederle, Slovausk^ starozitnosti 1, 342 434.

3) Statt Wein tranken die Hunnen nach Priscus den fj.idog; vgl. deutsch Met, slaw. medi> Honig und Met, lit. medus Honig, midus Met,

Die Slawen.

In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts hatten die Slawen im Rücken der Gepiden wahrscheinlich schon Siebenbürgen be- setzt, in dessen topographischer Nomenklatur sie so viele Spuren hinterlassen haben. Von dort, ebenso wie durch die Moldau, be- gannen sie zur unteren Donau vorzudringen, die sie zur Zeit des Abzuges der Ostgoten nach Italien wohl schon erreicht hatten ^),

Aus den Berichten des Prokopios, Jordanes, Agathias, Menan- dros, Johannes von Ephesos, Theophylaktos Simokattes, aus dem früher dem Kaiser Maurikios zugeschriebenen, jedenfalls noch vor den Kriegen mit den mohammedanischen Arabern verfaßten strate- gischen Werk und aus den Quellen über die Zeit des Heraklios läßt sich über die Slawen des Donaugebietes in den Jahren 527 bis 626 eine Reihe von Nachrichten zusammenstellen. Die Wohn- sitze der „Slavinen" umfaßten damals nach Prokopios „den größten Teil des anderen Ufers des Istros". Die Anten wohnten nördhch und nordwestlich von den pontischen Hunnen, geteilt in zahllose Stämme {l'ihrj tcc ^AvtQv aj-isvQa), und reichten im Süden bis zu den Donaumündungen. Einige Nachrichten betreffen die Slawen jenseits der oberen Donau. Ein Teil der Heruler zog von der Donau durch das Gebiet zahlreicher Stämme der Slawen bis zu den Warnen und Dänen, um in die skandinavische Heimat zurück- zukehren 2). Von Slawen, die hinter den Gepiden und Langobarden,

osset. mid Honig. Bei Attilas Begräbnis erwähnt Jordanes ein Gelage „strava". Altpoln. strawa ,,epulae ferales*': Brückner, Bull, der Krakauer Akad. 1904 S. 4—5. Die slaw. Wurzel ist dieselbe, wie im kircbenslaw, trov^ verzehre, potrava Speise usw. Nach Sobolevskij, Arch. slav. Phil. 30 (1909) 474 enthält der Volksname Chyn, Plur. Chynove im altruss. Igorlied eine Erinnerung an die Hunnen.

1) Niederle 2, 99, 147f., IGO, 169 nimmt nach dem Vorgange älterer Historiker an, daß die Slawen schon seit dem 2. Jahrb. n. Chr. sporadisch an der mittleren Donau saßen. Doch sind die Beweise aus dem Anklang von Ortsnamen nicht ausreichend. Seit Safafi'k verweist man z. B. auf den Namen Dierna, Tsierna, Tierna oder Zernis bei Orsova an dem jetzt Cerna genannten Flusse. Auffallend ist bei den Römern die unsichere Wiedergabe des Anlautes durch di, ti, tsi, ze und der Wechsel zwischen ie und e, während slaw. cri>ni, cerni, „schwarz" im Mittelalter bei den Byzantinern stets als TCtQv-, in Dalmatien Gern-, Cirn- wiedergegeben wird.

2) Prokopios ed. Haury VI, 15; VII, 14; VIII, 4.

70 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

jenseits der Theiß und der Donau im Norden und Osten von Ungarn saßen, ist die Rede in der Geschichte des langobardischen Fürstensohnes Ildigis, einer abenteuernden Gestalt dieser Zeit. Er flüchtete sich zu den Warnen, dann zu den Slawen, und kam später mit langobardischen Flüchtlingen und zahlreichen Slawen zu den Gepiden, mit denen er gegen seine eigenen Landsleute kämpfte. Nachher begab er sich zum zweitenmal zu den Slawen und wollte von dort mit 6000 Mann zu König Totila ziehen, wurde jedoch in Venetien vom römischen Feldherrn Lazar zurück- geschlagen und ging zum drittenmal über die Donau in das Slawen- land Später war er in Konstantin opel Befehlshaber einer Abteilung der Palastgarde des Kaisers Justinian, floh aber zu den Gepiden, wo er ermordet wurde ^). Am klarsten kennt Prokopios die Slawen im jetzigen Bessarabien, der Moldau und der Walachei. Die In- vasionen über die Donau bei Durostorum (Silistria) und bei den Kastellen von Scythia i Dobrudza) erstreckten sich bis Adrianopel 2). Ein anderer Ubergangspunkt lag in der Landschaft von Vidin. Auch im Gebiet der Gepiden, die damals Nachbarn von Singi- dunum und Sirmium waren, wird eine von Slawen benutzte Über- fuhr über die Donau erwähnt. Unter Kaiser Maurikios (582 602) erscheinen die Hauptsitze der Slawen am linken Donauufer gegen- über den Grenzfestungen Durostorum, Novae (Svistov), Securisca (bei Nikopol), Asemus (an der Mündung des Osem) und Palatiolum (bei der Iskermündung). Die heutige Walachei jenseits der Donau wurde damals das Slavenland " , die Slavinia genannt 3). Jor- danes, bei welchem sich die Gebiete der Slawen von den Donau- mündungen und von den Quellen der Weichsel ., durch unermeß- liche Räume" (per immensa spatia) gegen Norden erstrecken, betont die große Zahl dieses Volkes (natio populosa; ihre numero- sitas, multitudo) *).

1) Prokopios ed. Haury VII, 35, VIII, 27.

2) Prokopios de aedif. ed. Bonn. 3 p. 293: die Kastelle Palmatis (bei Durostorum) und OvX/ui.twv, nach Jakob Weiß, Mitt. der k. k. geogr. Gesellsch. 48 (19(i5) 231 vicus ülmetum" der Inschrift CILat. ill 14214 (26) aus Tschat al-Ormau in der Dobrudza.

3) Zxlavrji'i,- : Theophy laktos Simokattes ed. De Boor VIII, cap. 5, 10 (zum J. 602).

4) Jordaues ed. Mommsen p. 62—63.

Die Slawen. 7l

Von einzelnen Gruppen erscheinen im 6. Jahrhundert nur die Anten, die aber nach Prokopios wieder iu zahh'eiche Stämme {tdvr]) geteilt waren. Es ist verfehlt, die Stammnaraen als etwas Uraltes, Unveränderliches zu betrachten. Bei den Germanen tauchen die Franken und Alamannen erst im 3., die Bajoaren erst im (j. Jahrhundert auf. Bei den russischen Slawen erscheint ein und derselbe Stamm unter drei Namen nacheinander, als Duljebi, ßuzane (vom Flusse Bug), zuletzt im heutigen Wolhynien als Volynjane. In einigen Fällen ist die Bedeutung klar. Die Drevljane in Rußland und an der Elbe sind nach der ältesten russischen Chronik „Waldbcwohner" (drevo Holz, Baum). Die Smoljane bei den Elbeslawen und in der Rhodope führen ihren Namen vom Pech oder Harz (smola). Die Poljane bei Kiew und in Polen sind Einwohner von Ebenen (polje). Von Personennamen, von zwei Brüdern Radim und Vjatko leitet die russische Chronik die Namen der Radimici und Vjatici am damaligen Ostrand Rußlands ab. Die Bedeutung anderer Benennungen ist unbekannt, z. B. der Duljebi in Westrußland, Böhmen und Pannonien, oder der Chor- vaten im böhmischen Riesengebirge, im heutigen Ostgalizien und im adriatischen Küstengebiet ^). Dunkel ist, allen neueren Deutungs- versuchen zum Trotz, auch der Name der Serben, der in der Lausitz und in den Balkanländern wiederkehrt -;. Die bei Kelten,

1) Im Mittelalter Hrvatin, jelzt serbokroat. Hrvat , Plur. Hrvati. Verwandte slaw. Verba und Substantiva gibt es nicht. Das r ist vokalisch, daher in kirchenslaw. Orthographie als rT>, bei Fremden als or, ar, ro, ri wiedergegeben. Das Volk der Kavpen und das Gebirge der Karpathen (s. S. 48) fsteheu lautlich nicht ganz nahe (vgl. Jagic, Arch. slaw. Phil. 23, fiM-X). . Der Name Hrvatin kommt als Personenname vor, nicht nur unter den ältesten Stammt'ürsten des Volkes (A'ow,-i«ro,-, Kon.st. Porph. 3, 143), sondern auch im 11.— 15. Jahrh. (Belege in Rjecnik); dazu Kurzform Hrvoje. A Pogodin, Epigraph. Spuren des Slawentums, Russkij filolog. vestnik, Warscliau 1901 macht auf den Namen Xno .ä&og, Xooovu&og in zwei In- schriften vonTatiais aus dem 2.- 3. Jahrh. n. Chr. aufmerksam (Latyschew, Inscriptiones antiquae orae septentrionalis Ponti Euxini 2 nro. 430, 445), bei Vsevolod Miller als iranisch in der Bedeutung „Sounenbett" (osset. chor Sonne) gedeutet, bei Justi (Iranisches Namenbuch S. 172) als „seine, zugetane. Freunde habend ". Danach wäre der Name Chorvat ein Personen- name iranischen Ursprungs

2) Der Name lautete auf der Balkanhalbinsel im Mittelalter Srblin,

73 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

Germanen und Slawen oft vorkommende Wiederholung desselben Stammnamens in verschiedenen Landschaften führte zur Auf- stellung von zwei Theorien. Die eine, vertreten von Safafik und Müllenhoff, nimmt einen genetischen Zusammenhang der gleich- namigen Stämme an. Die andere, ausgesprochen von Zeuß, meint, daß auch untereinander nicht verwandte Sippschaften gleiche Namen tragen konnten, wie denn auch verschiedene Personen denselben Namen führen ^). Die Beispiele aus den slawischen Ländern geben der letzteren Anschauung recht. Die weit voneinander wohnen- den gleichnamigen Stämme gehören sprachlich ganz verschiedenen Zweigen an. Während z. B. das Serbische in Serbien zur süd- slawischen Gruppe gehört, hat die Sprache der Lausitzer Serben eine Mittelstellung zwischen Polabisch, Polnisch und Böhmisch.

Die Verfassung der Slawen im 6. Jahrhundert erinnert an die der westlichen Germanen vor den Völkerwanderungen in den Schilderungen des Tacitus : viele kleine Stämme , gruppiert nach Geschlechtern (familiae et propinquitatesj , mit erblichen Königen oder Fürsten ohne große Macht, die nur in kleineren Angelegen- heiten verfügen dürfen, während über die wichtigen Fragen die Volksversammlung entscheidet. Nur bei den Ostgermanen hatten die Könige schon damals mehr Autorität, wie sie denn auch im Zeitalter der Völkerwanderungen die Führer der Völker sind. Die Slawen und Anten werden nach Prokopios nicht von einem Manne beherrscht, sondern leben seit alter Zeit in Demokratie, wobei sie die wichtigsten und schwierigsten Angelegenheiten gemeinsam be- raten. In den legendären Mirabilien des in derselben Zeit schrei-

Plur. Srbli, mitunter auch, wie jetzt, ohne 1: Srbin, Srbi; in der Lausitz Serb , Adj. serbski , serski. Das vokalische r wird im Süden nach der kirchenslaw. Regel ri> geschrieben, von Fremden er; auch im Norden als or, ur, ri, Surbi, Sorabi, Sorben u. a. Als Personenname war der Name nicht gebräuchlich. Die Wurzel serb erscheint: 1) im poln. und russ. paserb, pasierb Stiefsohn, pasierbica Stieftochter; 2) im kirchenslaw. sr^tbati schlürfen, das dem lat. sorbei'e entspricht. Von lat. Schriftgelehrten des Mittelalters stammt die Zusammenstellung mit lat. servi: Konst. Porph, 3, 152 (JoiAot), Wilhelm von Tyrus XX, 4, Arnold von Lübeck 1,3. 1) Safafik, Slaw. Altertümer, besonders § 45. Zeuß, Die Deutschen 186 Anm. Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde 2, 259, 268 u. a. Vgl. Brückner: Arch. slaw. Phil. 22 (1900) 238, 246.

Die Slawen. 73

benden Pseudo - Cäsarius sind die Slawen jenseits der Donau „autonom" und ,, fuhrerlos" ^). Indessen erwähnt die Gotensage bei Jordanes bereits im 4. Jahrhundert einen König der Anten (rex Boz) mit 70 Vornehmen (primates), welcher vom Gotenkönig Vinitharius besiegt wurde -). Die späteren Nachrichten lassen klar die erblichen Stammeshäupter hervortreten, deren Autorität während der Offensive gegen die Byzantiner wohl im ^\'achsen war. Bei Menandros erscheinen (um 560) in einem genealogischen Zusammen- hang genannte, also erbliche Fürsten (aQyovTeg) der Anten als eine Art Volksrat, welcher den Mezamir, Sohn des Idarizios und Bruder des Kelagastos, als Gesandten aus seiner Mitte zu den Awaren ent- sendet. Ebenso bildeten bei den „Slavinen" die Fürsten {rjyEi,{öveg) einen solchen Rat, mit dem Dobr^ta an der Spitze ^). In der Zeit des Kaisers Maurikios werden bei Theophylaktos Simokattes in der jetzigen Walachei drei Gaufürsten (cfvXaQxoi) oder Könige (?'/^) genannt. Der Verfasser der Strategica schildert die Slawen an der Donau als zahlreiche uneinige Stämme, unter vielen unter- einander nicht im Einvernehmen lebenden Königen (Qtjyeg). Die Könige an der Grenze sind nach den Ratschlägen dieses Buches durch Geschenke und gute Worte zu gewinnen; für das römische Reich wäre das gefährlichste eine Vereinigung oder Monarchie bei diesen Völkern {sviooig rj fxovaqyja). Ebenso kennt die St. De- metriuslegende von Thessalonich (600 800) Könige oder Fürsten (^Qfjyeg, äoyovreg) der einzelnen Slawenstämme der Nachbarschaft. Kaiser Konstantin Porphyrogennetos erwähnt bei den Slawen im adriatischen Gebiet (um 950) Fürstengeschlechter, deren traditio- nelle Genealogie viele Jahrhunderte zurückreichte Die ältesten einheimischen Bezeichnungen der Fürsten und Anführer waren: vladika*) (von vlad-, vlasti agyeiv), ursprünglich Herrscher, be- deutete später altserbisch eine Edelfrau, in der Neuzeit einen Bischof; celnik (eelo Stirne); nacelnik; vojevoda, welches wörtlich

1) Müllenhoff: Arch. slaw. Phil. 1 (1876) 294.

2) Jordanes ed. Mommsen p. 121.

3) Menandros frag. 6 und 48.

4) Mit Vladika wird in der Vita des hl. Konstantin (Cyrillus) der byz. Kaiser und der arabische Kalif bezeichnet. In der Evangelienübersetzung ist es für ^tan6rr]Q (auch Gott) und ^yfiiojv gesetzt.

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dem acQaxiqyoQ, Heerführer, entspricht ; g o s p o d i n oder gospodar, Herr. Germanischen Ursprungs ist das bei den Bulgaren, Russen u. a. seit dem 9. Jahrhundert vorkommende Kxn^zt (russ. knjaz, gerb, knez), von König (altnord. konungr). Dunkel ist das un- gefähr seit derselben Zeit bekannte zupan Gaufiirst, Vorstand, Beherrscher oder Verwalter eines Bezirkes, neben zupa Gau, Landschaft ^).

Die Slawen erscheinen in den Nachrichten als ein freiheits- liebendes, trotziges und übermütiges Volk. Bei Menandros spricht der Vertreter der Anten vor dem Awarenchagan stolz und heraus- fordernd. Ebenso antworten bei demselben Geschichtschroiber die Anführer der Slawen den Gesandten der Awaren, welche Unter- werfung und Tribut verlangen: „Wer von den Leuten, welche von den Strahlen der Sonne erwärmt werden, ist derart beschaffen, daß vY unsere Macht sich unterwerfen könnte? Wir sind ge- wohnt über andere zu herrschen und nicht andere über uns." Auch die Strategica schildern die Slawen und Anten als freie Völker, die man nicht überreden könne, sich zu unterwerfen. Ver- träge mit ihnen zu schließen sei nutzlos, wegen der verschiedenen Meinungen, die bei ihnen einander widerstreiten; durch Furcht sei mehr zu erreichen, als durch Geschenke. Die Existenz von Sippschaften ist klar bezeugt von Jordanes, welcher die „per varias familias et loca" wechselnden Namen der einzelnen Gruppen der „Sclaveni^* und Anten erwähnt. Das Bestehen solcher Gentil- verbände ist vorauszusetzen auch bei der Sitte der Blutrache, über welche die Strategica berichten. Fremde werden freundlich von einem Ort zum andern begleitet; wenn dem Gast ein Leid ge- schieht, beginnt der letzte Gastfreuud den Kampf (jiokeuov '/uveI), um ihn zu rächen, was mit den Regeln der heutigen südslawischen und albanesischen Blutrache ganz übereinstimmt ^). Gefangene werden nicht für immer in Sklaverei behalten, sondern können

1) Auf einem Grabstein der heidnischen Bulgaren um 820: 'O/ffor'vö? 6 Covnär TaoxHvog bei Uspenskij, Izvestija arch. inst. 6 (1900) 216 und 10 (1905) 198. Subang' als Stellvertreter des Slaweukönigs auch bei den Arabern: Marquart, Osteurop. und ostasiat. Streifzüge 468.

2) Miklosich, Die Blutrache bei den Slawen (Denkschr. W. Akad- Bd. 36) S. 39.

Die Slawen. 75

nach einer bestimmten Zeit heimkehren oder ira Slawenlande als freie Freunde zurückbleiben ; der letztere Fall beförderte die Ver- mischung des Volkes mit fremden Elementen. Nach einer Notiz bei Theophylaktos Simokattes reisten die Gesandten der Slawen unbewaffnet, mit Musikinstrumenten (yu'f-ccQai) ^).

Prokopios schildert die Slawen als hochgewachsene, starke Männer. Ihre Hautlarbe und ihr Haar sei weder schwarz noch blond, sondern rötlich {vrteQv&QOv)-), ihre Lebensweise rauh und vernachlässigt, voll Schmutz. Nach den Strategica ertrugen sie mit Leichtigkeit Hitze, Kälte und Regen, Blöße des Leibes und Mangel an Lebensmitteln, besser als die Franken, Langobarden und andere blonde Völker (^av,'/« l'^frij). Ihre Wohnungen waren nach Prokopios elende, weit voneinander zerstreute Hütten, deren Platz oft gewechselt wurde, wahrscheinlich Lehm- und Holzbauten. Die Nachricht erinnert an die Schilderung der Behausungen der Germanen bei Tacitus, wo jedes Haus für sich allein bei Quellen, V/ä!dern und Feldern stand. Alle diese Nordeuropäer hatten über- haupt einen Widerwillen gegen die dichtgedrängten stadtartigen Dörfer, wie sie bei den Griechen und Römern üblich waren. Nach den Strategica hatte bei den Slawen jedes Haus zahlreiche Aus- gänge; alles Wertvolle war vergraben und verborgen. Nach Jor- danes dienten ihnen Wälder und Sümpfe als Burgen Aucli nach Menandros war dichter Wald ihre Festung, in der Nälie der Dörfer und Felder. Die Strategica rühmen den Reichtum an Tieren, Korn und Hirse, ein Zeugnis für Ackerbau neben der Viehzucht. Sonst sei aber das Land der Slawen unwegsam, voll

1) Theophylaktos Simokattes VI, 2 (im J. 591). Die Erzählung, daß im fernen Slawenlande ungetrübtes Leben ohne Kenntnis drs Eisens herrsche und daß dort die Musikinstrumente {kv^jai) die Kriegstrompeten vertreten, erinnert an die literarischen Sagen über friedliche Menschen am Rande der Welt: die Hyperboräer des Herodot, Ästier des Tacitus u. a. Nach Jagic im Rad 37 (1876) 55 konnten diese als Musiker verkleideten Gesandten auch Kundschafter gewesen sein.

2) Eine „hellbraune Haarfarbe mit einem Stich ins Rötliche" nimmt als ältesten Typus der Slawen auf Grund der griechischen und arabischen Berichte und neuerer anthropologischen Untersuchungen Niederle an: Zur Frage über den Ursprung der Slawen, Prag 1899, 3f. ; Slov. starozitnosti 1, 97.

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Wälder und Gewässer. Die Dörfer liegen meist längs der Fluß- läufe, wenig voneinander entfernt. Bei dem Angriff auf die ersten Ansiedlungen flieht alles in die Wälder und Sümpfe, macht Aus- fälle aus dem Dickicht und lockt den Feind hinein, wie in eine Falle. Deshalb sei es leichter, im Winter mit ihnen Krieg zu führen; da seien die Gewässer zugefroren, der Wald laublos, und der Schnee verrate jede Spur. Diesen Vorzug der Winterfeldzüge kannte man im Mittelalter ebensogut in Rußland und Litauen, wie in den Hämusländern, noch in den Zeiten der Kaiser Basilios IL und Manuel Komnenos. Aber der Verfasser der Strategica rät, auch den Sommer nicht unbenutzt zu lassen, da die Dichtigkeit der Laubwälder den römischen Gefangenen im Slawenlande die Flucht erleichtere. Zu operieren sei mit leichtbewaffneten Reitern und Fußgängern, mit Pfeilen und Wurfgeschossen, durch rasch in aller Stille ausgeführte Märsche und Überfälle in getrennten Kolonnen.

Über die religiösen Anschauungen der Slawen weiß Prokopios, daß sie einen Gott, Herrn des Donners und des Weltalls, verehrten, dem Ochsen und andere Opfer dargebracht wurden. Daneben verehrten sie Flußgötter, Nymphen und andere Dämonen. Idole werden nicht erwähnt. Es war ein einfaches Heidentum, wie das der Kreter oder Römer in der ältesten Zeit. Nach den Stra- tegica töteten sich die Witwen nach dem Ableben des Mannes. Der König Musokios wurde, wie Theophylaktos erzählt, bei einem Totenmahl für seinen Bruder, berauscht vom Wein, in der Nacht von oströmischen Truppen überfallen und gefangen ge- nommen.

Räuberei und Krieg waren alltäglich. Slawen und Anten kämpften nicht nur gegen Fremde, sondern auch gegeneinander. Die Slawenheere waren nach dem Geschichtschreiber Justinians, ebenso wie es schon Tacitus hervorhebt, zu Fuß. Prokopios schildert auch die damaligen Franken als Fußvolk, bei welchem nur die Könige mit Gefolge zu Pferde saßen, in einer Zeit, wo im römischen Kriegswesen die Reiterei schon lange den Vorrang hatte. Ebenso bestand das Heer der Russen bei Silistria (971) nach Leon Diakonos nur aus Fußvolk. Gegen diese Fußgänger war die heranstürmende Kavallerie der Hunnen, Awaren und anderer No-

Die Slawen. 77

madenvölker im offenen Felde stets im Vorteil Nach Prokopios trugen die Slawen keine Panzer; ihre Bewaffnung bestand aus Lanze und Schild, oder aus zwei kleinen Wurfspießen, die auch Johannes von Ephesos kennt. Der hölzerne Bogen ist in den Strategica die Hauptwaffe, mit kleinen vergifteten Pfeilen, die man in den Balkan ländern noch im späten Mittelalter kannte. Nach Prokopios, Johannes von Ephesos und den Strategica kämpften die Slawen ungern im offenen Felde, am liebsten in unebenem Terrain hinter Felsen und Bäumen, in Wäldern und Engpässen, geübt in Überraschungen aller Art, in nächtlichen Überfällen und als gute Schwimmer gewandt im Kampfe in Gewässern und Sümpfen. Bald aber lernten sie auch gemauerte Kastelle zu neh- men und Stadtmauern mit Leitern zu stürmen, nach einem Hagel von Geschossen.

Aus der Heimat brachten die Slawen eine große Übung in der Flußschiffahrt mit sich, die in den Ebenen von Rußland und Polen stets eine große Bedeutung besaß. Auf den Nebenflüssen der Donau in der jetzigen Walachei hatten sie nach Theophylaktos oft an 150 Boote oder „Einbäumler^' (Monoxylen) beisammen, gegen welche auch die oströmischen Flußflotten von der Donau aus operierten ^). Den Awaren bauten die Slawen Schiffe zum Übergang über die Donau und die Save bei Sirmium , neben italienischen Schiffbaumeistern, welche der Langobardenkönig da- mals dem Chagan gesendet hatte -). Die Flußschiffahrt erleichterte den Übergang zur Seeschiffahrt, ebenso wie die heidnischen Russen des 9. und 10. Jahrhunderts und die Kosaken des 17. mit ihren Flußbooten das Schwarze Meer besuchen konnten. Ein Augen- zeuge des Angriffes auf Konstantinopel (626) schreibt, die Slawen hätten, seitdem sie mit den Römern in Berührung gekommen seien, viel Erfahrung gewonnen im Befahren des Meeres ^).

1) Es sind die Flüsse des heutigen Rumäniens; die Zuflüsse des rechten Donauufers , von der Morava und dem unteren Timok abwärts, eigneten sich wegen ibres starken Gefälles und ihres seichten Wassers nie zur Schiffahrt.

2) Theophylaktos VI, 3—4. Paulus Diaconus IV, 20.

3) Theodoros Synkellos, ed. A. Mai, Novae patrum bibl. t. 6, 430; ed. L. Sternbach, Rozprawy der Krakauer Akad. Bd. 30 (1900) 307.

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Bei dem Verfall der römischen Grenztruppen war es den Slawen leicht, das Beispiel der Germanen und Hunnen nachzuahmen, die Provinzen zu plündern und Städter und Bauern mit ihren Familien in die Gefangenschaft wegzuliihren. Von ihren Grau- samkeiten erzählt Prokopios, wie sie die Gefangenen, welche sie nicht mitschleppen konnten, samt Ochsen und Schafen in den Häusern verbrannten. Andere Römer wurden auf spitzen Pflöcken gepfählt, oder zwischen vier Plählen angebunden und mit Keulen wie Hunde oder Schlangen totgeschlagen. Alle Wege von Illyricum und Thrakien waren nach diesen Raub- zügen voll nicht begrabener Leichen. Ein gefangener römischer Reiteroffizier Asbad wurde von den Slawen geschunden und ver- brannt (549j 1).

Das Verhältnis der Slawen zu den Stämmen der pontischen Hunnen ist weuig bekannt. Gemeinschaftliche Züge konnten sie nicht unternehmen, da die Hunnen als Reiter rasch das ofi*ene Land, meist im Winter, durchzogen, wo sie über die gefrorene Donau leicht hinüberkamen, die Slawen aber als Fußvolk lang- samer vorrückten und sich im Sommer an die Wälder halten mußten, bevor ihr Laub wieder abfiel. Die Verwirrung, welche die Züge der einen verursachten, nützte allerdings auch den Unter- nehmungen der anderen. Die Anten waren Feinde der Hunnen, Justinian siedelte sie als Grenzwache gegen die Hunnen an. Die hunnischen Kutriguren stachelten die Awaren gegen die Anten auf. Mit den Römern hatten die Anten Bündnisse, sowohl unter Justi- nian, als unter Justin H. und Maurikios. Auch mit den Ge- piden waren die Slawen nach den Berichten des Prokopios be- freundet -).

Als Söldner dienten slawische Scharen nicht nur bei dem langobardischen Prinzen Ildigis, sondern auch bei den Römern. Es waren angeworbene Truppen unter einheimischen Führern oder Flüchtlinge, wie sie die Strategica erwähnen, durch die zahlreichen

1) Prokopios VIT, 38 (Menschenopfer?).

2) Anten, Römer und Hunnen: Prokopios VII, 14, 33; Menan- d r o s frag. 6 ; ein syrischer Bericht bei M a r q u a r t a. a. 0. s. unten ; Theophylaktos VIII, 5, 13.

Die Slawen. 79

Stammfehden und die Blutrache zum Übertritt auf römisches Ge- biet bewogen. In diesen Zeiten kam oft auch der Fall vor, daß man Gefangene in ferne Provinzen als Soldaten sendete. Bei der ersten Belagerung Roms wurden die Feldherren Martinus und Valerianus nach Italien gesendet, mit 1600 Reitern, meist Hunnen, Slawinen und Anten (538). Bei dem zweiten Feldzug Beiisars in Italien operierte eine in dem Kleinkrieg geübte Schar von 300 Anten in Lukanien (547) ^). Auf dem persischen Kriegs- schauplatz in Lazica (549 556) erwähnt Agathias einen Anten Dabragezas als Unterfeldherrn (Taxiarchen) in den Reitergefechten und bei den SchifFsoperationen gegen die Perser am Phasis (sein Sohn heißt schon Leontiosj und einen Slawen Svarun in den Kämpfen gegen die kaukasischen Misimianen -). Auch unter Kaiser Maurikios wird bei Theophylaktos ein Slawe Tatimir als Befehlshaber einer römischen Abteilung an der Donau genannt. Diese Söldner unter den Fahnen von Byzanz waren wohl die ersten Christen unter den Slawen; Heiden duldete man im kaiser- lichen Heere nicht mehr. Aus dieser Zeit stammen wahrscheinlich die ersten Anfänge der slawischen Terminologie für die Begriffe des Christentums, in welcher z. B. mit dem Namen Christi nicht nur die Christen, sondern auch das Kreuz (serb. krst) und die Taufe (serb. krstiti) bezeichnet wurden. Durch den Verkehr mit den Donaurömern und den Byzantinern beginnt bei den Südslawen die Aufnahme zahlreicher romanischer und griechischer Fremd- wörter. Die Berührung mit den Romanen war in der älteren Zeit intensiver, als die mit den Griechen. Die Slawen bezeichneten die Byzantiner nur selten als Römer (Rumi), wie sich die Ost- römer selbst nannten {' Pio^ialot) oder wie sie von den Persern, Arabern und Türken genannt wurden (Rum, Urum), sondern meist als Griechen (Grk, Grein), ganz nach dem romanischen Sprach- gebrauch (rum. und alb. Grek). Der Kaiser, spätlateinisch caesar, hieß auch bei den Slawen cesar, wie noch in der kirchen- ölawipchen Evangelienübersetzung und anderen älteren Schriften zu lesen ist, bei den Kroaten heute noch cesar, cesar, im Osten

1) Prokopios V, 27; VI, 2G ; VII, 22.

2) Agathias III, 7, 21; IV, 20.

80 Zweites Buch. Erstes Kapitel.

schon im Mittelalter infolge der Betonung der Endsilbe kontrahiert zu CBsar, car. Die Kaiäerstadt Konstantinopel nannte man sla- wisch Cesar' grad (caesaris civitas), später Car' grad, serbisch jetzt Carigrad i).

1) Vgl, meine Rom. Dalm. 1, 36; 3, 73; Arch. slav. Phil. 81 (1910) 450.

Zweites Kapitel.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer^).

Von Invasionen der Slawen über die Donau ist zuerst die Rede unter Kaiser Justin I, (518 527), noch mehr seit dem Regierungsantritt des Kaisers Justinian (August 527). Die Ge- schichte der älteren Einfälle 518 552 ist nur aus zusammen- hangslosen Episoden in den Kriegsgeschichten des Prokopios be- kannt Unter Justin I. zog ein großes Heer der Anten über die Donau, wurde aber von Justinians Neffen Germanus vollständig geschlagen '^). Von Justinian bis Heraklios führten die Kaiser den Titel „Anticus"; der Name der „Slavinen" erscheint dagegen nirgends in den Triumphaltiteln ^). Gegen die Slawen kämpfte unter Justinian der Feldherr Chilbudios drei Jahre mit Glück, durch offensive Operationen jenseits der Donau, bis er mit einer Übermacht zusammenstieß und im Kampfe fiel. Darauf besiegten die „Slavinen" auch ihre Nachbarn, die Anten. Der Kaiser bot

1) Literatur: E. Dumm 1er, Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien 549—928: SB.W.Akad. 20 (1856). ß. Roesler, Über den Zeitpunkt der slaw. Ansiedlung an der unteren Donau: eb. 73 (1873). M. Drinov, Die Besiedelung der Balkanhalbiusel durch die Slawen, russ. : Ctenija der bist Ges. in Moskau 1872 Heft 4. Dazu die oben erwähnten Werke von Stanojevic, Niederle u. a.

2) Prokopios ed. Haury VII, 40. Alle Kodizes haben YoranVo?, alle Editionen von Maltretus bis Haury die Emendation ^lovoTivtavög. Vgl. Niederle: Cesky casopis historicky 11 (1905) 137, ebenso Slov. sta- rozitnosti 2, 191 f.

3) Justinians Novellen ed. Zachariae 1 p. 137; Ins graecorom. 3, 13, 34; Chron. Paschale 1 p. 636; Gasquet, L'empire byz. et la mon- archie franque (Paris 1888) 199 A. 5 (Maurikios).

Jirecek, Geschictit'i der Serben, I. 6

83 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

den Anten die verödete Burg Turris an, eine Gründung Trajans, vielleicht das römische Dinogetia am linken Donauufer bei Ga- latz, mit der Verpflichtung, die Grenze gegen die Hunnen zu bewachen. Die Anten wollten den angeblich noch in der Ge- fangenschaft lebenden Chilbudios zum Befehlshaber der Ansied- lung Seine Rolle spielte ein Ante, welcher auch Lateinisch kannte {ytativtov (fO)vrj) und von einem römischen Gefangenen zu dieser Rolle angestiftet worden war, aber schon auf dem Wege nach Konstantinopel wurde er von Narses entlarvt und in Ketten in die Hauptstadt gesendet. Von Feindseligkeiten der Anten gegen die Römer ist bei Prokopios keine Rede mehr.

Die Angriffe der Slawen verstärkten sich nach 548. Pro- kopios weiß nicht, ob sie von selbst kamen, infolge des Mißerfolges der Heere Justiaians in Italien, oder ob sie der Gotenkönig Totila dazu aufgefordert hat. Ein großes Heer, das auch Burgen ein- nahm , plünderte die illyrischen Provinzen bis in die Nähe von Dyrrhachion; die Befehlshaber von lllyricum wagten mit ihren 15 000 Mann Lokaltruppen keinen Angriff und beobachteten den Feind nur aas der Ferne (548). Im folgenden Jahre zogen 3000 Slawen über die Donau, Hämus und Hebros, schlugen kleinere römische Abteilungen, erstürmten die Stadt Topiros am Nestos im Küstengebiet unter der Rhodope und kehrten mit einer Menge von Gefangeneu zurück (549). Als Germanus in Serdica eine neue Armee zum Zug nach Italien sammelte, erschien ein Slawenheer, größer als alle früheren, bei Naissus, mit der Absicht, Thessalonich und die benachbarten Städte zu belagern. Germanus erhielt vom Kaiser den Befehl, für die Sicherheit von Thessalonich zu sorgen und den Feind zu vertreiben. Die Slawen gaben den Marsch nach Süden auf, wagten sich nicht in die Ebene, durchzogen aber dafür alle Bergländer lUyricums bis nach Dalraatia hinein. Als Germanus im Herbst 550 starb und sein Heer in das Winterlager nach Salona abzog, verstärkten sich die Slawen durch neue Scharen und überwinterten (550 551) auf römischem Boden „wie im eigenen Lande". Justinian sendete gegen sie den Eunuchen Schola- stikos mit fünf Unterfeldherren, doch die Römer erlitten in der Nähe von Adrianopel bei einem übereilten Angriff auf den in einer höheren Stellung gelagerten Feind eine empfindliche Nieder-

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 83

läge. Die Slawen plünderten sodann auch im Osten Thrakiens bis zur Großen Mauer und wurden erst auf dem Rückweg von römischen Truppen teilweise zersprengt (551). Noch kurz vor dem Siege des Narses in Italien (552) beunruhigte ein slawisches Heer die Landschaften von Illyricum. Justinus und Justinianus, die Söhne des Germanus, versuchten mit ihren schwachen Truppen keine Schlacht und konnten den Feind auch an der Rückkehr über die Donau nicht hindern; die Slawen wurden samt ihrer Beute von den Gepiden hinübergeführt, wobei sie angeblich ein Goldstück für jeden Kopf zahlten.

Im Osten tauchte bald ein neues türkisches Nomadeuvolk auf, das langsam zur mittleren Donau vorrückte, die A waren, slawisch Obri (Sing. Obrin) genannt. Das Wort avar bedeutet türkisch (auch osmanisch) heute noch einen Flüchtling oder Vaga- bunden. Die Awaren wurden von den damals mächtigen Westtürken Turkestans geschlagen und zum Azowschen Meer vertrieben. In der pontischen Steppe brachen sie die Macht der Hunnen und verheerten das benachbarte Land der Anten. Im Jahre 558 kamen ihre Gesandten zuerst nach Konstantinopel, den Hunnen ähnliche, häßliche Leute mit langen Zöpfen, welche ihr Volk als das größte und stärkste der Welt vorstellten. Die Langobarden verbündeten sich mit ihnen gegen die Gepiden, indem sie ihnen die Hälfte der Beute und das ganze Gepidenland versprachen. Die Gepiden wurden vollständig geschlagen und ihr Königreich für immer ver- nichtet (567). Die Langobarden zogen ab nach Italien. Die Awaren ließen sich in denselben Ebenen nieder, in welchen vor etwas mehr als einem Jahrhundert Attila seine Residenz hatte. Ihr Herrscher führte, wie bei den Chazaren und anderen türkischen Völkern, den Titel Chagan. Sein Tron, ein goldener Stuhl, wurde ebenso wie bei den innerasiatischen Türken auf Feldzügen mitgeführt ^). Der Ruhm der awarischen Geschichte knüpft sich an drei Chagane. Der erste war der bei Menandros oft genannte Bajan , der die Awaren zur mittleren Donau geführt hatte, der Eroberer von Sirmium. Der zweite, der Gegner des Maurikios, war Bajans älterer Sohn unbekannten Namens. Der dritte, dessen Namen wir

1) Menandros frag. 65, vgl. frag. 20.

6*

84 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

ebenfalls nicht kennen, war der Gegner des Heraklios, ein jüngerer Sohn Bajans; nach Fredegars Chronik starb er um 630 ^). Der große Harem des Chagans begleitete seinen Herrn in den Fuhr- werken des Nomadenlagers; die Hauptfrau hieß, wie bei den Cha^aren, Chatun (türk. chatun vornehme Frau, daraus neuserb. kaduna türkische Frau). Hohe Würdenträger waren die iu frän- kischen Quellen genannten Jugur und Capeanus (y.auyarog der Bulgaren). Der Adel des Volkes waren die Tudune und Tarchane, die beide auch bei den Chazaren bekannt sind -) Die Byzantiner geben keine Beschreibung der awarischen Residenz; erst späte fränkische Berichte schildern den Wohnsitz der Awaren als neun große kreisförmige Gehege, Umzäunungen oder Wälle (hringus, circuli). Bestattet wurden die Awaren nach den archäologischen Untersuchungen von Hampel mit Pferd, Zügeln und Steigbügeln, Waffen, Schmuck und byzantinischen Münzen des 6. 7. Jahr- hunderts. Zahlreich waren die unterworfenen Völker. Mitgebracht haben die Awaren aus der Pontussteppe Teile v^erwandter Nomaden- völker, besonders die oft als Bulgaren bezeichneten Kutriguren, Während der Kämpfe um Sirmium sendete der Chagan einmal 10 000 Kutriguren über die Save, um die Provinz Dalmatia zu plündern. Reste der Gepiden wohnten in Dörfern an der Theiß und Donau; sie werden in der Zeit des Maurikios und Heraklios genannt, und ihre letzten Spuren reichen bis in das 9. Jahrhundert ^). Slawen werden in Pannonien in der Nähe von Sirmium und Singi- dunum erwähnt, ebenso an der unteren Theiß. Dazu kamen große Scharen von Gefangenen, Griechen, Donaurömer, Langobarden u. a. Das Awarenheer, ein Reiterheer, das, wie Älenandros be-

1) Theodoros Synkellos §3 (Mai, Nova patr. bibl. G, 424— 425- ed. Sternbach p. 301).

2) Cacauus, catuna mulier, tarcani primates: Carmen de Pippini regis victoria avarica (79(3) in den Beilagen bei Einhard ed. Peitz ^p. 35. Tudun: Zeuß, Die Deutschen 739. Tarebau bei den Chazaren: Ibn Khordädhbeh, Bibl. geogr. arab. 6, 125.

3) Teile der Gepiden „usque hodie, Hunnis eorum patriam possiden- tibus, duro imperio subjecti gemunt'': Paulus Diaconus I, 27. „De Gepidis autem quidam adhuc ibi resident" (in Panuonien) : De conver.sione Bagoariorum et Carantanorum libellus (um 873), cap. 6.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 85

richtet, unter Klängen von Trommeln in die Schlacht zog, hielt sich vorsichtig in der Ebene. In den Feldzügen gegen Kaiser Maurikios zog der Chagan nie auf dem geraden Wege durch das Gebirge, über Naissus und Serdica, sondern stets längs der Donau bis in die Steppen der Dobrudza und erst von dort über das niedrige Ostende des Hämus in die thrakische Ebene. Nach den Strategica waren die awarischen Reiter gekleidet in Panzer, be- waffnet mit Lanze, Schwert, Bogen und Pfeil. Eine Menge von Reservepferden begleitete das Heer. Am liebsten kämpften die Awaren durch verstellte Flucht oder durch Überfall aus einem Hinterhalt, am schlechtesten in offenem Gelände ohne Wald, Sumpf oder Schluchten. Zu Pferde aufgewachsen und zu Fuß ungeübt, vermochten sie nicht abzusitzen und gegen eine gutgeführte In- fanterie zu kämpfen ^). Vor Konstantinopel 626 bildeten nach Theodor Synkellos die erste Schlachtreihe des Awarenheeres Slawen zu Fuß ohne Panzer; solche slawische Plänkler vor der Aufstellung der Awaren, welche die Schlacht zu eröffnen pflegten, kennt auch Fredegar. In den Beziehungen zu anderen Völkern galten die Awaren als geldgierig und treulos. Ihr Traum, Konstantinopel auszuplündern und in unbewohnte Ruinen zu verwandeln, ging nicht in Erfüllung. Aus den erbeuteten Kirchengewändern machten sie Prachtkleider für ihre Weiber ^). Noch die Franken Karls des Großen erbeuteten in der Residenz des Chagans gewaltige Schätze von Gold und Silber. Verträge und Eide zu halten war nicht awarische Sitte. Gesandte der Anten töteten sie, Gesandte der Römer hielten sie gefangen. Bajan schwor vor Seth, dem Befehls- haber von Singidunum, er werde gegen die Römer nichts unter- nehmen, zuerst nach awarischer Art über dem Schwerte, dann nach römischer Art beim Evangelium, und ging sofort an die Belagerung der Römerstadt Sirmium. Vergeblich waren alle feier- lichen Abmachungen des Kaisers Heraklios mit den Awaren. Es gibt in der Geschichte kaum ein Volk, das allen Nachbarn in solchem Maße verhaßt war. Die Chronik des sogenannten Fre- degar berichtet, wie sie alljährlich zu den Wenden in die Winter-

1) Strategica XI, 3 ed. Scheffer p. 260 sq.

2) Marquart, Osteurop. Streifzüge 484. Carmen a. a. 0. v. 13 sq.

86 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

quartiere kamen und sich die Zeit mit deren Frauen vertrieben, bis sich die Wenden gegen ihre Bedrücker erhoben und sie nieder- machten. Die älteste russisciie Chronik verzeichnet eine Sage, wie die A waren die Duljebi (am Bug) bedrückten. Wenn ein Aware ausfahren wollte, habe er vor dem Wagen nicht Pferde oder Ochsen eingespannt, sondern drei bis fünf Frauen der Dul- jebi. Aber zuletzt sei dieses hoffärtige Volk von Gott ganz auf- gerieben worden, wie es denn in Rußland noch in der Zeit des Annalisten (um 1100) ein Sprichwort gab: „Sie gingen zugrunde wie die Awaren."

Die ersten Kämpfe zwischen den Römern und Awaren hatten die römischen Grenzfestungen Sirmium und Singidunum zum G en- stand, welche schon längere Zeit ein unsicherer Besitz a der Grenze gegen die Goten und Gepiden gewesen waren. Sirmium ,ging bald verloren, Singidunum wurde zähe gehalten. Eine ener- gische Offensive gegen die Awaren verhinderte der zwanzigjährige Perserkrieg (672—591), mit wechselndem Glück geführt von drei Kaisern, bis endlich innere Umwälzungen im persischen Reiche den Römern einen Erfolg brachten, allerdings nach einer großen Erschöpfung des Staatsschatzes. Die Awaren wurden damals vom Feldherrn Bonus und dem schönen Thraker Tiberios, welcher später Mitregent und Kaiser wurde, besonders aber durch ein Jahrgeld von 80 000 Goldstücken von Sirmium zurückgewiesen. Die Slawen verheerten in diesen Jahren unter Justin II. und noch mehr unter Tiberios IL nicht nur Thrakien und lUyricum i), sondern zogen, angeblich 100 000 Mann stark, bis nach Griechen- land. Ein Zeitgenosse, der Syrer Johannes, Bischof von Ephesos, einst Justinians Günstling als Missionar unter den Resten der Heiden in Kleinasien, von Justin IL aber verfolgt als Mono- physite, schreibt, das „verwünschte Volk der Slawen'' habe alles Land bis in die Umgebung von Konstantin opel verwüstet, „ganz Hellas, die thessalischen und thrakischen Provinzen '' durchzogen, geplündert und vier Jahre darin frei gewohnt, wie in seinem eigenen Lande. Zur Zeit, als der Verfasser schrieb (584),

1) Jobannes Biclariensis zu 575 und 582 : Mou. Germ., Auetores antiq. 11, 214-215.

Die Einwanderung der Slawen in die Häinusländer, 87

„wohnen, sitzen und ruhen sie in den römischen Provinzen, ohne Sorge und Furcht, plündernd, mordend und brennend, sind reich gewoi'den und besitzen Grold und Silber, Pferdeherden und viele Waffen, und haben gelernt Krieg zu führen, wie die Römer. Und doch sind es einfältige Leute, die sich außerhalb der Wälder und holzfreien Gegenden nicht sehen zu lassen wagen". In diese Zeit gehört das erste Erscheinen der Slawen vor Thessalonich; 5000 Mann kamen gerade am St. Demetriostage und wurden durch einen Ausfall weggetrieben ^). Um diese Invasionen einzustellen, verbündeten sich die ßömer mit den Awaren, die den Slawen Daziens todfeind waren. Der Zug des Chagans (578) ging nicht direkt durch Siebenbürgen in die heutige Walachei. Ein awarisches Heer von angeblich 60000 gepanzerten Reitern wurde in Panno- nien auf das römische Donauufer gesetzt, zog die Donau entlang abwärts bis in die Dobrudza und wurde in der Provinz Scythia wieder von römischen Schiffen auf das linke Ufer hinübergeführt. Das Slawenland war nach Menandros damals sehr reich, voll Beute aus den römischen Provinzen, weil es noch nie von fremden Völ- kern geplündert worden war. Die Einwohner zogen sich vor den Awaren in die Wälder zurück. Der Chagan befreite viele Tau- sende römischer Gefangenen, aber als er von den Slawen einen Tribut verlangte, wurden seine Sendboten erschlagen -). Die römisch-awarische Freundschaft nahm bald darauf ein plötzliches Ende. Die Awaren belagerten Sirmium durch drei Jahre (579 bis 582). Der Perserkrieg vereitelte jeden energischen Entsatz ^).

1) Die ZxXaßrjvoi in 'EXXdg (577): Menandros frag. 47, 48. Jo- hannes von Ephesos VI, 25 (581), übers, von Payne Smith (Oxford 1860) und Jos. Schönfelder (München 1862) 255. Differenzen dieser Über- setzungen: Gutschmid, Kleine Schriften 5, 433 und A. Vasiljev, Viz. Vrem. 5 (1898) 409 Auszüge aus Johannes bietet der Patriarch Michael: Chronique de Michel le Syrien, M. et trad. par J. B. Chabot, Paris 1899—1905. Chronologie: Niederle, Slov. starozitnosti 2, 203 f.

2) Menandros frag. 48.

3) Menandros frag. 63 66. Der awarische Zug gegen die Slawen fiel in die Zeit der Mitregentschaft des Tiberios (als Kaisar): Dezember 574 bis September 578; die Belagerung von Sirmium in die Zeit seiner Alleinregierung: 26. September 578 bis 14. August 582.

88 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

Den Stoßseufzer eines Griechen der Besatzung enthält eine jüngst gefundene Inschrift auf einem Ziegel: „Christus o Herr, hilf der Stadt, halte die Awäreu ab, beschütze Romanien und denjenigen, der dieses geschrieben hat i)." Endlich befahl Kaiser Tiberios seineu hart geprüften Truppen und den halb verhungerten Ein- wohnern, die Stadt zu räumen, erneuerte die Verträge mit den Awaren und zahlte dem Chagan die Jahrgelder sogar für die drei Kriegsjahre. Johannes von Ephesos erzählt, Sirmium sei schon nach einem Jahre durch eine Feuersbrunst vollständig zerstört worden ; die Barbaren verstanden nicht zu löschen und flohen ent- setzt aus der brennenden Stadt.

Die Geschichte des Kaisers Maurikios (582 602) ist aus dem unter Heraklios verfaßten Geschichtswerk des Ägypters Theo- phylaktos Simokattes bekannt ''*). Zum letztenmal erscheinen darin die Namen der römischen Städte an der Donau von Singidunum abwärts. Das Innere der Hämushaibinsel war damals ein schwach bewohntes Gebiet, in der Art der Landschaften des heutigen Klein- asiens oder Persiens. An den Ufern der Donau, in den Tälern des Hämus und im Innern der Provinz Dalmatia gab es stellen- weise ausgedehnte menschenleere Wüsten. Die größte Sorge des Kaisers war noch immer die Behauptung der Donaugrenze gegen die Awaren und Slawen ^). Die Slawen in der jetzigen Walachei wollte man deshalb im eigenen Lande beschäftigen; geplant waren Winterfeldzüge, welche jedoch durch die Unbotmäßigkeit der Truppen jedesmal verhindert wurden. Der Chagan erhob An- sprüche auf dieses Slawenland, mußte aber zugeben, daß der Über- gang römischer Truppen über die Donau kein Friedensbruch sei. Andere Scharen von Slawen mögen schon damals auf römischem Boden in den Bergen von Thrakien und Illyricum ständig ge- wohnt haben, man scheint sie jedoch als minder gefahrlich be- trachtet zu haben und suchte vor allem die großen Einbrüche über die Donau einzudämmen.

1) Brun§mid im Eranos Vindobonensis (Wien 1893); vgl. Byz. Z. 3 (1894) 222.

2) Mit einer Lücke 593—597: Bury, A history of the later Roman empire 2, 134; Derselbe, English bist, review 3 (1888) 310—315.

3) Theophylaktos Simokattes VI, 6, 2.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 89

Gleich anfangs überrumpelte der Cliagan in gewohnter Weise mitten im Frieden Singidunum, eroberte Viminacium, rückte bis zur Pontusküste und erzwang eine Erhöhung des Jahrgeldes auf 100 000 Goldstücke. Der Feldherr Comentiolus schlug dann die in Thrakien plündernden Slawen in zwei Schlachten, in einer auch ihren Fürsten Radogost ^). Bald erschien der Chagan zum zweiten- mal, lagerte bei Tomi an der Pontusküste, besiegte den Comen- tiolus im östlichen Hämus und drang in Thrakien ein; die Städte südlich des Hämus waren aber besser bevölkert und verteidigt, als die an der Donau, und die A waren wurden bei Adrianopel völlig geschlagen. Syrische Historiker, der Zeitgenosse Euagrios und der Patriarch Michael im 12. Jahrhundert, in dessen Chronik sich ein Auszug aus den verloren gegangeneu Partien des Johannes von Ephesos erhalten hat, berichten von Invasionen nach Grie- chenland, welche Theophylaktos nicht erwähnt. Nach Euagrios soll damals „ganz Hellas" von den Awaren verwüstet worden sein ; nach Michael war es das „Volk der Slawen ", welches überall Gefangene machte und die Kirchen plünderte, besonders die von Korinth, Damals (586) erschien ein Slawenheer vor Thessalonich und versuchte die Mauern mit Leitern zu ersteigen. Die Römer haben indessen wieder die Anten gewonnen, welche das Land der Slawen überfielen und verwüsteten -).

Als der Perserkrieg mit der Einsetzung des Königs Chos- roes n. (591 628) durch römische Truppen beendigt war, fehlte es an Mitteln, die großen Heere des östlichen Kriegsschauplatzes im Westen zu verwenden. Der Chagan rückte bei dem erneuerten Singidunum vorüber nach Thrakien, schlug den Feldherrn Priscus

1) 'A{)öüyuaTog; über die Lautform vgl. Paul Kretscbmer, Arch. slaw. Phil. 27 (1905) 231. Ein Mönch Joannes '/i/()J'«)'«ffrr?j'o,- im 11. Jahrb.: Viz. Vrem. 4 (1897) 374.

2) Michael X, 21 ed. Ciiabot 2, 361, von Marquart a. a. 0. 480f. in die Zeit des Tiberios II. vorlegt, von Nieder le, Slov. starozit- nosti 2, 213 f. mit Rücksicht auf die erhaltenen Titel der Kapitel des Jo- hannes von Ephesos in die Zeit 587 589, im Anschluß an die seit Fall- merayer oft erörterten Daten zur Geschichte von Hellas. Die Slawen am Sonntag 22. September 58G vor Thessalonich (nicht 597): Stanojeviö, By- zanz und die Serben 2, 208.

90 Zweites Bucb. Zweites Kapitel.

an den Gestaden der Propontis, schloß aber schleunigst Frieden auf das Gerücht, daß eine Flotte die Donau bis ins Awarenland hinauf segeln werde. Nun wendete sich der Kaiser gegen die Slawen in der heutigen Walachei. Von den Truppen des Priscus wurde bei einem Sommerfeldzug in den Wäldern und Sümpfen des Landes der oben erwähnte Fürst Radogost gegenüber von Dorostolon (Silistria) geschlagen, sein Nachbar Musokios gefangen. Im näch- sten Jahre erkämpfte Petrus, der Bruder des Kaisers, westlich von Asemus den Übergang über die Donau, wobei der slawische Fürst Pirogost fiel, aber der schwierige Vormarsch durch wasser- lose Wälder voll lauernder Feinde führte bald wieder zur Um- kehr ^). Diese Feldzüge haben die Räubereien der Slawen auf der Halbinsel nicht eingestellt. Ein Transport des Priscus mit Beute wurde im Hämusgebiete von Slawen überfallen. Die Vor- hut des Petrus stieß in Untermösien zwischen Marcianopolis und der Donau auf eine Schar von 600 Slawen, welche sich bei dem Anmarsch der Römer rasch mit einer Wagenburg umschlossen, ihre Gefangenen niedermachten und in tapferem Kampfe alle fielen. Bald darauf mußte Petrus haltmachen, weil der Kaiser hörte, ein Heer der Slawen sei gegen Konstantinopel in Anmarsch. Die Awaren überrumpelten dann von neuem Singidunum, wurden aber von Priscus vertrieben. Aus Rache zog der Chagan in die Pro- vinz Dalmatia, wo er eine sonst unbekannte Stadt (Boy/.Eig des Theophylaktos, Bd?<./.rjg des Theophanes) mit Kriegsmaschinen er- oberte und 40 Burgen zerstörte. Doch auf der Rückkehr wurden die Awaren in den Wäldern, wohl auf der Straße von Sirmium nach Salona, von dem Unterfeldherrn Guduin, einem Germanen, überfallen und geschlagen (598). Nach einer kurzen Friedenszeit lagerte der Chagan abermals in der Dobrudza bei Tomi den ganzen Winter hindurch und rückte von dort in Thrakien ein, als aber in seinem Lager zu Drizipera bei Adrianopel eine furchtbare Seuche ausbrach, trat er nach Erneuerung der Verträge wieder den Rück-

1) ITfiQdyceaTog, Pirogost von pir Festtag, Hochzeit, gost Gast. Ein Kaufmann desselben Namens hat nach den russ. Annalen in Kiew im 12. Jahrh. eine Muttergotteskirche gestiftet, erwähnt auch im Lied von der Heerschar Igors (1185).

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 91

zug an. Die großen Verluste des Feindes ermöglichten den Rö- mern in demselben Sommer (600) eine Offensive. Priscus zog bei Viminacium über die Donau in die Ebenen des Awarenlandes, schlug den Chagan in drei Gefechten, verheerte die Dörfer der Gepiden jenseits der Theiß {Tiaadg Ttovaiioo) und erfocht noch zwei Siege über Awaren und Slawen an den Ufern dieses Flusses. Mit 17 200 Gefangenen kehrten die Römer über die Grenze zu- rück; davon waren 3000 Awaren, 8000 Slawen, 4000 Gepiden und 2200 andere Barbaren. Der Erfolg wurde aber nicht aus- genutzt.

Über Dalmatien haben wir aus dieser Zeit einige Nachrichten in dem Briefwechsel des Papstes Gregor I. (590 604). Ebenso wie bei Theophylaktos die Donaustädte, werden in diesen Papst- briefen zum letzten Male zahlreiche Röraerstädte des Westens ge- nannt, vor allem Justiniana Prima, Doclea, Epidaur und Salona« Das Innere von lllyricum war nach dem Fall von Sirmium durch die Verwüstungen der Barbaren herabgekommen. In dem vom Kriegsschauplatz mehr entfernten Küstenlande führten aber die Stadtbürger, geteilt in Geistliche, Vornehme und das Volk (clerus, nobiles, populus), ein Leben voll Üppigkeit und Übermut, kurz vor dem Zusammenbruch aller Herrlichkeit der Römerzeit. Der Papst tadelt die Bischöfe von Dalmatien, daß sie sich zu sehr mit w^eltlichen Geschäften befassen. Der Erzbischof Natalis von Sa- lona, nur mit Gastmählern beschäftigt, verschenkte Kirchengewänder und Kirchengefäße an Verwandte. Sein Nachfolger Maximus be- mächtigte sich des Erzbistums gegen den päpstlichen Kandidaten mit Gewalt, unterstützt vom kaiserlichen Prokonsul Marcellinus (594). Erst nach einigen Jahren wurde der Konflikt beigelegt. In Epidaur wurde indessen der Bischof Florentius gegen den Willen der Bürgerschaft vom Erzbischof Natalis formlos abgesetzt und verbannt, während in Doclea der rechtmäßig abgesetzte Bischof Paul seinen Nachfolger Neemesion verjagte und sich des Bistums wieder bemächtigte. Dabei gab es noch Nachklänge des Drei- kapitelstreites. Bald aber pochte die Gefahr auch an die Tore der Römerstädte längs der Küste. Scharen von Slawen, die ihren Ausgangspunkt wohl in Pannonien hatten, begannen den Vorstoß sowohl in die Täler der Ostalpen, als nach Istrien und Dalmatien.

93 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

Bei Paulus Diaconus ist eine Notiz erhalten über eine Schlacht der Bajoaren gegen Slawen und Awaren, die nach dem Eintreffen des Chagans mit einem Siege der Heiden endigte (595 596). Der Exarch Callinicus von Italien meldete bald nachher dem Papst Siege über die Slawen (de Sclavis victorias), wahrscheinlich in Istrien (598). Paulus Diaconus verzeichnet eine gemeinschaft- liche Plünderung Istriens durch die Langobarden, xl waren und Slawen (um 600). Im Jahre 600 schrieb der Erzbischof Maximus von Salona dem Papst einen Brief mit betrübenden Nachrichten über die große Gefahr, welche Üalmatien von selten der Slawen drohte. Der Trost des Papstes klingt sehr betrübt: Diejenigen, die nach uns leben werden, werden noch schlechtere Zeiten durch- machen und unsere Tage als glückliche preisen ^)

An der Donau war seit 601 Befehlshaber wieder Petrus, der Bruder des Kaisers. Die Awaren wollten im Herbst die Land- schaft der Donaukatarakte den Römern entreißen, doch Petrus bewog den Chagan, den Frieden nicht zu stören. Im Jahre 602 rückte Petras aus Adrianopel zur Donau gegen die „Slavinia". Der Unterfeldherr Guduin ging über den Fluß und kehrte erfolg- reich zurück. Verbündete der Römer waren dabei die Anten. Der Chagan sendete seinen Feldherrn Apsich gegen die Anten, doch machte ihm der Aufstand einer awarischen Partei, die bereit war auf römisches Gebiet zu fliehen, große Sorge. Schon wollte Petrus in die Winterquartiere abziehen, als ihm der Kaiser den Befehl gab , jenseits der Donau im Slawenland zu überwintern. Das Heer stand in Sekuriska (bei Nikopol), während sich der Spätherbst durch Kälte und Regengüsse meldete. Der kaiserliche Befehl entfesselte einen Sturm im Lager. Die Donauarmee ver- jagte ihre Befehlshaber und zog nach Konstantinopel. Mau- rikios wurde auf der Flucht gefangen und mit allen den Seinigen

1) „Et quidem de Sclavorum geute, quae vobis valde imminet, affligor vehementer et conturbor. Affligor in bis, quae iam in vobis patior; con- turbor, quia per Istriae aditum iam Italiam iutrare coeperunt": Papst Gregor I. an Maximus, episcopus Salonitanus im Juli 600, Reg. lib. X ep. 36. Vgl. F. Bulic, S. Gregorio Magno papa nelle sue relazioui colla Dalmazia (a. 590—604): Beilage zum Bull. Dalm. Bd. 27 (19U4), 47 S. mit 3 Tafeln. Hartmanu, Geschichte Italiens 2, 1, 176 f.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 93

enthauptet. Zum Kaiser wurde der Führer der Empörer, der thrakische Centurio Phokas gekrönt (23. November 6<i2).

Die Revolution der Donauarmee brachte das römische Reich an den Rand des Verderbens. Erbitterte Parteikämple, Ver- schwörungen und Aufstände in allen großen Städten, die Aus- mordung der alten Regierungsgesellschaft, der Angriff aller Nach- barn, der Zerfall der Heere, große Seuchen und völliger Geldmangel bilden die Geschichte der Regierung des talentlosen Soldaten Phokas (602 610). Der Perserkönig Chosroes II. trat als Rächer seines Wohltäters Maurikios auf. Retter des Reiches wurde Kaiser He- raklios (610 641). Der Sieg über den Usurpator v.'ar leicht, aber der Kampf gegen die Perser wurde schwer, besonders nach- dem sie Syrien, Palästina und Ägypten erobert hatten Heraklios mußte neue Armeen schaffen, zu ihrer Ausrüstung die Kirchen- schätze heranziehen und jahrelang, auch im Winter, fern von Konstantinopel im Lager abwesend sein. Nach schwerem Ringen erfocht er einen glorreichen Sieg (628). Aber schon wenige Jahre darauf folgte der Ansturm der Heerscharen eines neuen Propheten aus dem bisher so wenig bekannten Innern Arabiens. Die Araber mit ihrem frischen Enthusiasmus waren stärker als die beiden bisherigen Gegner, Römer und Perser. Das kaum wieder ge- wonnene Syrien und Ägypten gingen rasch verloren an die neuen Eroberer, welche dann das persische Reich in kurzer Zeit ganz ihrer Herrschaft unterwarfen. Nur auf dem Meere waren die arabischen Flotten den Griechen nicht gewachsen. Es kamen trübe Zeiten. Das ganze Leben wurde militarisiert, und zur allgemeinen V^er- armuiig gesellte sich ein Verfall der Kultur und Literatur. Heraklios fand keinen Historiker mehr, nur einen Dichter, gleichfalls den letzten der älteren Schule, den begabten Georgios Pisides.

Spärlich und lückenhaft werden in diesem stürmischen Jahr- hundert auch die Nachrichten über die Hämusländer. Der Chagan sendete dem Langobardenkönig Agilulf slawische Hilfstruppen zur Eroberung von Cremona, Mantua und anderer Städte Italiens (603) ^). Als die Perser den Angriff begannen, erhöhte Phokas das awarische Jahrgeld und sendete alle europäischen Truppen

1) Paulus Diaconus IV, 28.

9t: Zweites Buch. Zweites Kapitel.

nach dem Osten (604) ^). Während der Stürme im Osten standen in Thrakien und lUyricum alle Wege den Awaren und Slawen offen. Ein ägyptischer Historiker, Johannes, der Bischof der Stadt Nikiu im Nildelta, berichtet zum Jahre 6ü9, wie die römischen Provinzen von fremden Völkern verwüstet, die Städte der Christen zerstört, die Einwohner in die Gefangenschaft weggeführt wurden; „nur die Stadt Thessalonica wurde verschont, denn ihre Mauern waren fest, und dank dem Schutze Gottes konnten sich die fremden Völker ihrer nicht bemächtigen'' ^). Merkwürdige Nachrichten enthält die St. Demetriuslegende von Thessalonich. In Thessalonich sammelten sich Flüchtlinge aus den Donauländern, aus Dardanien und beiden Dazien, namentlich aus Naissus und Serdica. Auch der ganze Süden der Halbinsel wurde von den Slawen geplündert, ganz Thessalien, Epirus, Achaja, mit Booten sogar auch die Inseln vor der thessalischen Küste, die Kykladen und ein Teil Kleinasiens. Vor Thessalonich erschienen fünf slawische Stämme: die Drugu- viten und Sagudaten, welche nach dem Bericht des Johannes Kameniates noch 904 in der Ebene vor den Stadttoren wohnten, die Velegeziten, die sich später in Thessalien niederließen, die Vajuniten und Berziten ^). Die Slawen kamen mit ihren Familien, um sich in der Stadt niederzulassen. Ihr Sturm auf die Mauern wurde zurückgeschlagen; ebenso mißglückte der Angriff ihrer plumpen Boote von der Seeseite. Trotz des Mißgeschickes blieben sie in der Nähe; die Gefangenen entflohen aus ihren Lagern oft in die Stadt, Da sendeten sie Gesandte mit Geschenken an den Chagan der Awaren um Hilfe {ovf.i/.iaxict). Der Chagan kam per- sönlich mit einem Heere von Awaren, Slawen und Bulgaren, aus- gerüstet mit Kriegsmaschinen, gerade zur Erntezeit. Thessalonich

1) Theophanes ed. De Boor 1, 292.

2; Johannes von Nikiu (um 661 686), franz. von Zotenberg, Journal asiatique, VII serie, vol. 13 (1879) 343. Zur Chronologie: meine Rom. Dalm. 1, "26; Nieder le, Slov. starozitnosti 2, 227 f.

3) Später gab es ein Bistum der Druguviten unter dem Metropoliten von Thessalouich. Der Name der Sagudaten (von einer Landschaft?) hat nichts Slawisches. Im Namen der Velegeziten ist ebensowenig wie im Eigen- namen Dabragezas (oben S. 79) das Wort -gost zu suchen ; das erste Thema ist klar: velij groß.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 95

wurde einen Monat lang belagert, aber nach der Ankunft eines neuen kaiserlichen Statthalters mit einer Flotte aus Konstantinopel ließ sich der Chagan die Gefangenen abkaufen und kehrte nach Pannonien zurück ^). Diese Berichte schweigen über die gleich- gültigen Romäer, welche, unzufrieden mit den Lasten des Kaiser- tums, sich mit den Barbaren gütHch vergHchen. Ein syrischer Chronist erzählt, wie die Awaren und Slawen den Leuten des Landes sagten: „Säet und erntet; nur einen Teil der Steuern wollen wir euch abnehmen -j."

Es ist kaum anzunehmen, daß in diesen Jahren, als so viele Städte des Binnenlandes zerstört und selbst die Griechen auf den Inseln aus ihrer Ruhe aufgescheucht wurden, in Dalmatien fried- liche Zustände geherrscht haben. Die Lokaltruppen waren schwach, die Mauern nicht so fest, wie die von Konstantinopel oder Thessa- lonich, die Hilfe vom Reiche fern. Es gibt nur späte Berichte; Kaiser Konstantin Porphyrogennetos (um 948) verwechselt dabei Slawen und Awaren, der Archidiakon Thomas von Spalato (f 1268) Slawen und Goten. Die datierten Inschriften von Salona schließen im Jahre 603 ^). Aus einer alten, oflfenbar kirchlichen Quelle stammt der Bericht über den Fall der Römerstadt bei Thomas. Die Barbaren berannten Salona mit Wurfgeschossen und brachen während einer Panik unter den Belagerten in die Mauern ein. Die Salonitaner retteten sich nur zum Teil auf die Schiflfe des Hafens und fanden eine Zuflucht auf den Inseln Solta, Brazza, Lesina, Lissa und Curzola. Die Feinde machten die zurück- gebliebenen Einwohner nieder, plünderten die Stadt aus und steckten sie in Brand, wobei das Feuer auch die Kirchen und Paläste verzehrte. Salona wurde nie mehr aufgebaut. Die Schiffe der Salonitaner, bemannt von der Jugend der Flüchtlinge, be- herrschten die Küste mit solchem Erfolg, daß „von den Slawen

1) Über die St. Demetriuslegeude : Tafel, De Thessalonica (Berlin 1839); der russ. Metropolit Filaret, serb. in Glasuik 18 (1865); Geizer, Die Genesis der byz. Themenverfassung (Leipzig 1899, Abb. der kgl. sächs. Ges. der Wiss.) 35 64.

2) Marquart a. a. 0. 482.

3) F. Bulic, Suir anno della distruzione di Salona (zwischen 612 und 614): Bull. Dalm. 29 (1906) 268—304.

96 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

niemand zum Meere herabzusteigen wagte". Zur Erneuerung von Salona waren die überlebenden Bürger zu schwach, die Stadt zu groß und ganz in Ruinen. Sie ließen sich daher mit Erlaubnis des Kaisers in dem nahen, gut befestigten Palast Diokletians von Spalatum nieder. Die Erzählung bei Kaiser Konstantin hat da- gegen ganz den Typus der Burgsage, wo die Burg stets nur durch List, Verrat oder Zauberei den Felden in die Hände fällt: die Barbaren kommen in den Rüstungen der an der Donau gefallenen Römer mit römischen Fahnen, täuschen dadurch die Einwohner und bemächtigen sich der Stadt ^).

Behauptet haben sich an dieser Küste nur wenige Städte, vor allem Jader (Zara) und Tragurium, im Süden Butua, Scodra, Lissus und die Burgen von Praevalis. Verödet sind, wir wissen nicht wie und wann, Scardona, Narona, Risinium, Doclea und viele andere berühmte Gemeinden der Römerzeit. In den Ruinen von Narona fand man den Schatz einer Frau Urbica, mit Münzen von Justin I. bis Tiberios IL; vergraben wurde er um 582, als die Awaren Sirmium eroberten, und nicht mehr ausgegraben 2). In Epidaur schließen die Münzfunde nach Evans mit Stücken des Phokas. Die mittelalterlichen Sagen erzählen von der Eroberung der Stadt durch die Slawen und von der Flucht der Epidauritaner, welche eine neue Stadt Ragüsium (roman. Ragusi, jetzt Ragusa) gründeten, ungefähr 10 Kilometer nordwestlich an einer von der Landseite wenig zugänglichen Stelle der Küste ^). Auch Cattaro (Decadaron des Ravennaten, xu JemtEQa des Kaisers Konstantin) mit seine!' hoch gelegenen Burg im innersten Winkel des Golfes von Risinium ist eine Neugründung dieser bewegten Zeit. Neu

1) Thomas Arch. cap. 7 11. Für das Alter seiner Vorlage spricht die Bezeichnung der Insel Issa (ital. Lissa, slaw. Vis) als Lysia, eine Form, die sonst nur bei Prokopios vorkommt: Avaiu. ^ivaivr], in den Editionen von Maltrctus bis Comparetti emendiert als ACaari, restituiert von Haury, welcher aber (l p. LVII, 2 p. 38 n. 1) diese Insel irrtümlich mit Lesina identifiziert, dem Pharos der Griechen , im Mittelalter insula Farre , Fara, slawisch heute noch Far oder Hvar. Erst um 1300 taucht der Name Lesna, Lesena für die Stadt auf der Südküste und die ganze Insel auf (wohl von slaw. les, Wald, Holz").

2) Bulic im Bull. Dalm. 25 (1902) 197—212.

3) Vgl. meine Rom. Dalm. 1, 28.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 97

war das auf einem steilen Felsen zwischen Olivengärten erbaute Antivari (^vzißaqig der Bischofskataloge und des Kaisers Kon- stantin). Das römische Olcinium wurde weiter übertragen; eine heute noch als Alt-Dulcigno bekannte Stelle mit Ruinen nördlich vom heutigen Dulcigno wird schon 1376 genannt ^). Die Neu- gründungen von Städten an geschützteren Stellen der dalmati- nischen Küste haben ihre Parallelen in Griechenland und Itahen zu derselben Zeit. An der Ostküste Lakoniens wurde damals Monobasia oder Monembasia auf einer kleinen Felsinsel erbaut, in Italien das zwischen Felsbergen verborgene Amalfi, bei den venezianischen Lagunen in der Nähe des römischen Altinum das nach dem Kaiser benannte Heracliana (Civitas nova).

Die Zeit des Heraklios teilt sich in zwei Perioden, vor und nach dem Sieg über die Perser, welchem allerdings nach wenigen Jahren der neue arabische Krieg mit abermaliger Zusammenziehung aller Truppen, auch aus dem Westen, nach Syrien folgte. Bei der Thronbesteigung fand Heraklios, wie Theophanes berichtet, Europa verwüstet von den Awaren (610). Paulus Diaconus ver- zeichnet um 611 einen Sieg der Slawen über die römischen Truppen in Istrien und eine traurige Verwüstung dieses Landes. Ein Zeitgenosse, der Bischof Isidor von Sevilla (f 636), berichtet in seiner Chronik, daß zu Anfang der Regierung des Heraklios, in der Zeit, als die Perser Syrien und Ägypten besetzten (also 611 619), die Slawen Griechenland den Römern entrissen haben 2). In den griechischen Quellen stehen im Vordergrund die Awaren. Seitdem das Konstantinopler Kaisertum aus den Donauländern verdrängt war, haben sie ihre Macht über slawische Stämme und über die Hunnen am Schwarzen Meere erweitert. Bei einigen Byzantinern dieser Zeit erscheint der Chagan als Oberherr aller slawischen Scharen. Daß es aber neben direkt unterworfenen auch nur verbündete Stämme gab, zeigt die oben erwähnte Art des Anteils der Awaren an den Belagerimgen von Thessalonich.

1) „In mari Dulcinii veteris" 1376 Div. Rag. Dulcigno vecchio der Karten unserer Zeit. Rovinskij, Sbornik russ. Akad. 86 (1909) 228 f.

2) Isidorus Hispalensis (zweite Redaktion von 626): ,,cuius initio (sc. imperii Eraclii) Sclavi Graeciam Romanis tulerunt, Persi Syriam et Aegyp- tum plurimasque provincias." Mon. Germ, Auetores antiquissimi 11, 479.

Jirecek, Geschichte der Serben. I. '

98 Zweites Buch, Zweites Kapitel.

Vor dem Abzug in den Perserkrieg (622) bat Kaiser Heraklios den Awarenchagan aus Höflichkeit, Vormund (inlrgonog) seines in der Hauptstadt bleibenden Sohnes und Mitregenten, des kleinen Konstantin zu sein. Nach der Rückkehr vom ersten Zug sollte (623) eine persönliche Zusammenkunft des Kaisers mit dem Chagan stattfinden, nicht irgendwo an der Donau, sondern nahe vor Kon- stantinopel, bei Herakleia. Aber die Awaren schmiedeten Verrat. Heraklios bemerkte rechtzeitig von der Ferne, wie der Chagan mit der Knute (q^gayslliw , flagellum) das Zeichen zum Angriff gab, und ritt sofort zurück, von den Awaren verfolgt bis vor die Tore der Hauptstadt. Das kaiserliche Lager samt den vorberei- teten Geschenken wurde Beute der Feinde ^). In demselben Jahre unternahmen die Slawen, wie eine syrische Quelle berichtet, von Griechenland aus Raubzüge zur See bis nach Kreta -). Indessen wurden die Verträge mit den Awaren erneuert. Der Chagan forderte die Hälfte der Schätze und Waren von Konstantinopel für sich und erhielt riesige Geschenke, ein Jahrgeld angeblich von 200000 Goldstücken und als Geiseln selbst Verwandte des Kaisers. Als aber Heraklios lange im Osten abwesend war und zweimal in Armenien überwinterte, schloß der Chagan einen Bund mit dem Perserkönig. Die Verbündeten erschienen im Juni 626 auf beiden Ufern des Bosporus, in Asien der persische Feldherr Sahrbaräz, in Europa ein Heer von 80 000 Awaren, Slawen, Gepiden, Bulgaren und anderen „wilden Völkern". Die Verteidigung der Hauptstadt leitete Bonus, einer der letzten byzantinischen Feldherren mit lateinischem Namen. Als der Chagan Ende Juli persönlich eintraf, forderte er Konstantinopel zur Übergabe auf, nach Abzug der Einwohner, die nur ihr Leben und ein Kleid mitnehmen durften. Diese Zumutung wurde stolz zurückgewiesen. Nun begann der Angriff, eröffnet von slawischen Fußgängern ohne Panzer, hinter welchen ein zweites Fußvolk in Panzern stand, die hell in der

1) Chron. Paschale (eine gleichzeitige Quelle) 1, 712 zum 5. Juni 623, Theophanes (verfaßt um 813) zu H19. Augelo Pernice, L'imperatore Eraclio (Firenze 1905) 97, entscheidet sich für die Datierung des Theo- phanes, Gerland in der Byz. Z. 15 (190ti) 305 306 dagegen.

2) Thomas Presbyter: Guts'hmid, Kleine Schriften 5, 433; Siä- manov im Bxlgarski Pregled 1897 Juni 79, 151; Geizer a. a. 0. 44.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 99

Sonne glänzten. Unter großem Geschrei wurden Kriegsmaschinen gegen die Mauern geschoben, bewegliche Dächer und Holztürme mit Lederverkleidung*, sie waren teils auf Fuhrwerken mitgebracht, teils aus den abgebrochenen Häusern der Umgebung errichtet. Doch alle Mühe des Barbarenheeres war umsonst. Die Byzantiner spießten, wie vor den Toren von Thessalonich, die Feindesköpt'e auf ihren Lanzen auf. Die Slawen füllten die Gewässer des Goldenen Hornes mit einer Menge von Booten-, auf welchen Männer und Frauen ruderten; diese Monoxylen hatten sie von der Donau ge- bracht ^). Jedoch die byzantinische Flotte, 70 Schiffe stark, ver- hinderte jede Verbindung zwischen den Feinden in Europa und Asien, zerstörte die Nachen und Flöße der Perser und vernichtete schließlich in einer Nacht die ganze Bootsflotte der Slawen. Das Goldene Hörn war voll Leichen und Trümmer. Zwischen den Feinden brachen Streitigkeiten aus. Der Chagan ließ einige Slawen, die sich von den Booten gerettet hatten, niederhauen. Nach der Erzählung der Osterchronik zogen die Slawen zuerst mißmutig ab. In der Nacht zum 8. August verbrannten die Awaren ihre Maschinen und brachen bei Tagesanbruch zur Rückkehr auf -).

Der Angriff auf Konstantinopel ist der Höhepunkt der awa- rischen Geschichte. Seitdem ist von den Awaren in griechischen Quellen keine Rede mehr. Ob Heraklios nach dem Siege über die Perser eine Expedition zur Donau gesendet hat, ist nicht be- kannt: schon bei dem Abzug von Konstantinopel drohte Bonus dem Chagan, der Bruder des Kaisers, der gegen die Perser sieg- reiche Theodoros werde ihn bis in sein eigenes Land verfolgen. Bei dem Zerfall der awarischen Macht spielen die pontischen Hunnen oder Bulgaren eine große Rolle. Kubrat, der Fürst der Hunnogunduren, Stammvater der späteren bulgarischen Dynastie, wurde nach einigen Siegen gegen die Awaren bei einem Besuch in Konstantinopel getauft und von Kaiser Heraklios mit dem Titel

1) Theophanes ed. De Boor 1, 316.

2) Über diese Belagerung von 62H drei Zeitgenossen: Piside«, Theodoros Synkellos und Chron. Paschale. Mit Benutzung älterer Quellen: Theophanes und der Patriarch Nikephoros. Vgl. Pernice a. a. 0. 137 f.

100 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

eines Patrikios ausgezeichnet ^). Die fränkische Chronik Fredegars berichtet, daß bei einer Erledigung des awarischen Thrones (um 630) die „Bulgaren" im Awarenland einen der Ihrigen zum Chagan erheben wollten, jedoch im Kampfe unterlegen seien. Sie flohen in das Land des Frankenkönigs Dagobert (628 638), wurden aber im Winterlager von den Bajoaren überfallen und größtenteils aufgeiieben. Nur ein Rest rettete sich zu den Langobarden und erhielt Wohnsitze in Samnium. Zahlreiche Siege über die Awaren erfocht Samo, der Fürst der Slawen in Böhmen (um 627 662). Die Massen der byzantinischen Gefangenen im Awarenlande waren nicht befreit oder losgekauft worden. Angesiedelt bei Sirmium, vermischten sie sich mit Awaren, Bulgaren und anderen Heiden, aber auch ihre Nachkommen blieben, wie die St. Demetrioslegende berichtet, dem christlichen Glauben treu, meist als freie Leute unter einem awarischen Statthalter. Die zweite Generation erhob sich gegen die Awaren herrschaft und zog südwärts auf byzan- tinisches Gebiet, wo man diese barbarisierten Romäer bei Thessa- lonich, in Thrakien und bei Konstantinopel ansiedelte -).

Während dieser stürmischen Zeiten haben sich die Slawen in den seit langer Zeit entvölkerten Provinzen südlich der Donau niedergelassen. Die ganze Besiedlung war wohl um die Mitte des 7. Jahrhunderts vollendet; später kamen nur einzelne Ver- schiebungen vor. Es waren die unternehmendsten Gruppen, welche am weitesten vorgedrungen sind, mit dem Streben, die warmen und reichen Küstengebiete zu erobern. Zuerst wurde wohl das südliche Donauufer besetzt, wo Theophanes und Nikephoros um 679 sieben slawische Stämme (yeveai) zwischen der Donau und dem Hämus erwähnen, ohne Zweifel aus der gegenüberliegenden heutigen Walachei übergesiedelt. Thrakien hat sich allen Drangsalen und Plünderungen zum Trotz zähe behauptet; der einzige Stamm, der sich dort niederlassen konnte, waren die Smolenen im Innern der Rhodope. Ein Hauptstrom der slawischen Kolonisation ergoß sich über Obermösien und Uferdazien in das Innere Makedoniens und

1) Darüber Zlatarski, Sbornik bulg. Bd. 11 (vgl. Arch. slaw. Phil. 21, 607).

2) Geizer, Die Themenverfassung 47 f.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 101

weiter südwärts durch Hellas bis nach Lakonien, wo die bei Kaiser Konstantin Porphyrogennetos erwähnten Stämme der Milingen und Ezeriten (von slaw. jezero See) eine neue Heimat gefunden hatten. Nach dem Zeugnis des Mazaris und Chalkondyles sprachen ihre Nachkommen noch im 15. Jahrhundert teilweise slawisch Aus Makedonien wendete sich eine Strömung westwärts nach Mittel- albanien; ihre Spur ist noch an einer scharf begrenzten Zone slawischer Ortsnamen bemerkbar, welche zwischen Durazzo und Chimara das Meeresufer erreicht ^). Viel stärkere Züge bewegten sich in die Provinz Dalmatia, längs der alten Römerstraßen von Naissus nach Lissus und von Sirmium nach Salona und Narona, bis in die Region der Weinberge und Olivengärten in der Nähe der dalmatinischen Städte, wo die Fürsten der Diokhtier, Kaualiten, Zachlumier und Kroaten ihre Sitze aufschlugen. Aus Pannonien endlich zogen mächtige Schwärme längs der Save und Drau auf- wärts, bis zu ihren Quellen in den Ostalpen. Dagegen ist in Dazien selbst das slawische Element durch den Abzug nach Süden und Westen derart verringert worden, daß seine Reste allmählich zwischen den Rumänen verschwanden. Die Intensität der slawischen Kolonisation und der Grad der Vermischung mit älteren Ein- wohnern ist kenntlich an den nicht überall gleichen Veränderungen der antiken topographischen Nomenklatur. Die meisten Namen des Altertums erhielten sich in allen Küstengebieten ringsherum um die ganze Halbinsel, von Thrakien bis zum Quarnero. Die wenigsten slawischen Ortsnamen entstanden im östlichen Thrakien und in Nordalbanien, Die größten Umwälzungen erfuhr dagegen die topographische Nomenklatur in drei Gebieten: in Moesia superior, im Innern Makedoniens und im Binnenland der Provinz Dalmatia. In Obermösien ist kein einziger römischer Stadtname übrig geblieben. Diese Erscheinung ist auffällig im Vergleich mit den benachbarten Provinzen Dacia mediterranea und Dardania, wo einige antike Namen mit lautlichen Veränderungen zum Teil heute noch fortleben : Naissus (Nis), Serdica (im Mittelalter Srjädec), Scupi (Skopje), Ulpiana (Lipljan). Ebenso gründlich hat die neue

1) Novakoviö, Die ersten Grundlagen der slaw. Literatur unter den, Balkanslawen (serb ) Belgrad 1893, 38-49.

103 Zweites Buch. Zweites Kapitel,

Besiedlung mit den alten Namen im Binnenlande Makedoniens auf- geräumt; man braucht nur die Verzeichnisse der Städte und Burgen bei Hierokles und Prokopios mit dem 400 Jahre jüngeren Material bei Skylitzes (oder Kedrenos) und in den von Kaiser Basilios IL dem Erzbistum von Ochrid verliehenen Privilegien zu vergleichen. Auch die aus den Itinerarien und Inschriften bekannten römischen Ortsnamen im Osten von Dalmatia sind verschwunden.

Die Slawen waren keine vorübergehenden Ansiedler in den Hämusländern. Die nördliche, mehr kontinentale Hälfte der Balkan- halbinsel ist bis zu einer Linie, die man von Antivari über die Seen von Skutari, Ochrid und Kastoria bis zu den Toren von Thessalonich ziehen kann, seit mehr als zwölf Jahrhunderten vor- wiegend von Slawen bewohnt. Durch langsame Amalgamierung der schwachen Reste der älteren illyrischen, thrakischen und roma- nischen Bevölkerung bildete sich im Laufe der Jahrhunderte in dem großen Raum von den Savequellen bis zur pontischen Küste bei Varna ein lückenlos zusammenhängendes slawisches Sprach- gebiet. In der südliehen Hälfte dagegen, in Thessalien, Epirus und Hellas, war das slawische Element schwächer und ist all- mähHch hellenisiert , zum Teil auch albanisiert worden. Diese Erscheinungen entwickelten sich parallel mit den Resultaten der germanischen Völkerwanderung in dem zunächst gegen Westen gelegenen Teil von Europa. In den römischen Provinzen südlich von der oberen Donau, im heutigen Ober- und Niederösterreich, Salzburg, Bayern, in dem größten Teil von Tirol und in der nördlichen Schweiz ist das wenig zahlreiche romanische Element von der intensiven germanischen Kolonisation assimiliert worden. Die Nordseite der Alpen ist, bis auf die Reste der Rhätoromanen im Quellgebiet des Inn und Rhein, in der ganzen Zone von Bern bis Wien deutsch geworden. Südlich der Alpen waren dagegen die Nachkommen der Römer viel zahlreicher als die germani- schen Eroberer. Die Goten und Langobarden sind infolgedessen in Italien bald unter dem älteren romanischen Element ver- schwunden.

Eine einzige Quelle der Zeit erwähnt den Umfang dieser slawischen Kolonisation: eine um 670 680 kompilierte Geographie in armenischer Sprache, welche man früher dem Moses von Chorene

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 103

zugeschrieben hat. Sie berichtet, daß in Dazien früher 25 Völker der Slawen gewohnt haben; später „gingen die Slawen über die Donau, erwarben sich andere Länder in Thrakien und Makedonien und drangen bis nach Achaja und Dalmatia vor" ^). Nach diesem Armenier waren also diejenigen Slawen, welche sich auf der Halb- insel niedergelassen haben, dieselben, welche früher in den Zeiten von Justinian bis Maurikios im heutigen Rumänien, Siebenbürgen und den benachbarten Teilen Ungarns angesiedelt waren. Die moderne Sprachforschung bestätigt diese Auffassung. Die süd- slawischen Dialekte vom Schwarzen Meer bis in die Ostalpen bilden nach Jagic '^) eine Kette, in welcher sich die Fortdauer von uralten Beziehungen zu den einstigen, jetzt durch weite Zwischen- räume getrennten Nachbarn des nordslawischen Gebietes konsta- tieren läßt.

Die Serben und Kroaten werden erst im 9. Jahrhundert mit diesen Namen genannt. Ihre Vorfahren saßen ursprünglich wohl längs der Südtront der Vorväter der Slowaken und Kleinrussen. Urväter der Serbokroaten waren wohl die Slawen in Nordungarn, bei denen in Justinians Zeit der langobardische Prinz lldigis als Flüchtling verweilte. Der Abzug der Langobarden nach ItaHen öflFnete ihnen den Weg nach Pannonien, doch kamen sie dort unter die Hoheit des Awarenchagans, ebenso wie seinerzeit die in demselben Lande wohnenden germanischen Stämme unter die Herrschaft des Hunnenkönigs Attila geraten waren. Vorfahren der Kroaten und Serben waren wahrscheinlich auch die Slawen, welche den Awaren bei Sirmium Boote auf der Save bauten und welche zugleich mit den Urvätern der Slowenen mit awarischen Heerscharen in die Ostalpen gegen die Bajoaren und als Hilfs- truppen zu den Langobarden nach Italien zogen. Schon um 600 bestürmten sie unter Kaiser Maurikios von Pannonien aus Istrien und Dalmatien. Der Fall von Salona und von anderen Städten in Dalmatien und P.raevalis ereignete sich durch slawische Heere,

1) Übers, von Patkanov (Patkanian) im Zumal MNP. 1883 März S. 26 (kennt schon die Chazaren und erwähnt den Bulgarenfürsten Asparuch, Sohn des Kubrat, im Donaudelta).

2) Arch. slaw. Phil. 17 (1895) 54; 20 (1898) 36.

104 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

teilweise wohl unter awarischer Führung. Nach der Ansiedlung im römischen Dalmatia wurde die Abhängigkeit dieser slawischen Stämme von den A waren immer lockerer. Die Slawen, die 62G mit Fußvolk und Booten von der Donau vor Konstantinopel er- schienen, stammten wohl gleichfalls aus dem Nordwesten der Halbinsel. Der Verfall des a warischen Khanates machte sie wieder frei.

Den Byzantinern fiel es bei dem üblichen System von Ge- schenken an die Nachbarn, Verleihungen von Titeln an deren Fürsten, natürlich verbunden mit Gehalt in schönen Goldstücken, der Anwerbung von Söldnern, Ausnutzung von Rivalitäten usw. nicht schwer, eine nominelle Oberhoheit über viele der slawischen Stämme zu erwerben. Man erweiterte das alte System der „foederati'', der Grenzvölker mit einheimischen besoldeten Führern, auf die in den römischen Provinzen angesiedelten Slawen. Der Beginn dieser diplomatischen Tätigkeit hängt mit der Zurückweisung des An- griffes auf Konstantinopel (626) und der Rückkehr des Kaisers Heraklios als Sieger aus dem Perserkriege (628) zusammen. Bald erscheinen die Slawengaue in der Umgebung von Thessalonich und zwischen Hämus und Donau unter kaiserlicher Hoheit. Auch Thomas von Spalato erwähnt einen Befehl (iussio principum, sacrum rescriptum dominorum principum) der „imperatores Constantino politani" an die Fürsten der Slawen (duces Sclavorum), sie sollten die im Kai^erpalast von Spalato wohnenden Salonitaner nicht be- lästigen; es mag Heraklios mit seinem Sohn als Mitregenten ge- wesen sein 1). Die erste klare Nachricht von friedlichen Beziehungen liest man in der Biographie des Papstes Johannes IV. (640 642), eines Dalmatiners, Sohnes eines Scholasticus (Rechtsanwaltes) Venan- tius. Er sendete den Abt Martin mit Geld, um in ganz Dalmatien und Istrien christliche Gefangene bei den in diesen Ländern hausenden Heiden loszukaufen und Reliquien aus den verödeten Kirchen zu sammeln -). Zur selben Zeit (um 642) unternahmen die Slawen mit einer Menge von Schifien einen Zug gegen die unteritalischen Langobarden, landeten in der Nähe des Monte

1) Thomas Arch. cap. 10 (Schluß).

2) Auch bei Racki Doc. 277.

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 105

Gargano bei Sipontum und deckten ihr Lager durch verborgene Gruben. Der Herzog Aio von Benevent wollte sie vertreiben, fand aber den Tod, als er zu Pferde in eine solche Wolfsgrube stürzte. Sein Erbe Radoald, Sohn des Herzogs Gisulf von Friaul, sprach mit den Slawen in ihrer Sprache, die er wohl in Friaul erlernt hatte, und machte sie dadurch unvorsichtig. Ein Überfall brachte ihm den Sieg; der Rest der Slawen floh über das Meer i). Diese Slawen waren wohl aus Dalmatien gekommen. Dasselbe Sipontum wurde 926 von Michael, dem Fürsten von Zachlumien, überfallen. Der Zug gegen die Langobarden war wahrscheinlich von den Byzantinern angestiftet, welche wenige Jahre später (um 650) in derselben Landschaft bei dem Monte Gargano von Gri- moald, dem Bruder Radoalds, zurückgeschlagen wurden, worauf Kaiser Konstans, der Enkel des Heraklios, während seines Aufent- haltes in Unteritalien (663 668) gegen denselben Grimoald, nun König der Langobarden, Krieg führte.

In den byzantinischen Heeren dieser Zeit gab es zahlreiche slawische Truppen. In Kleinasien sind damals (664) 5000 Slawen zu den Arabern übergegangen und wurden von ihnen bei Apameia in Syrien angesiedelt -). Der Enkel des Konstans , Kaiser Justi- nian IL (685 695), hat an 30 000 Mann Slawen in Bithynien kolonisiert als sein „auserlesenes Volk", unter einem slawischen Feldherrn aus den Vornehmen {eiyevtöTEQOi) des Volkes, namens Nebulos. Doch in der Schlacht von Sebastopolis in Kihkien (692) ging Nebulos mit 20000 Slawen zu den Arabern über ^). Bei ihren Unternehmungen gegen Konstantinopel fanden aber die Araber keine Unterstützung bei den Slawen der Halbinsel. Aus der Zeit der ersten Blockade unter Kaiser Konstantin Pogonatos (668 685) fehlt es an Nachrichten über die Stimmung auf der Halbinsel. Nur die Bulgaren unter ihrem Fürsten Asparuch, Kubrats Sohn, haben unter dem Druck der von Osten vordringenden Chazaren die Verhältnisse dazu benützt, um sich auf römischem

1) Paulus Diaconus IV, 44.

2) Theophanes ed. cit. 1, 348. Niederle a. a. 0. 2, 459f.

3") Theophanes 1, 366 und Nicephorus 36. B. A. Pancenko, Izvestija arch. inst. 8 (1902) 15—62 über ein Bleisiegel der ZxXußöiov (sie) T% Bi&vpcüP ^naQ/Jag; vgl. Schlum berger, Byz. Z. 12 (1903) 277.

106 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

Boden zwischen Donau und Hämus bleibend niederzulassen (679). Während der zweiten Belagerung von Konstantinopel (717 718) waren die Bulgaren und Slawen von Kaiser Leo dem Isaurier gewonnen und brachten den Arabern in Thrakien empfindliche Schlappen bei ^).

Es fehlt nicht an Berichten über Feldzüge der Kaiser in die Slawenländer. Kaiser Konstans zog 658 in die „Slavinien", unter- warf sie und kehrte mit vielen Gefangenen zurück. Kaiser Justi- nian II. durchzog 688 die „Slavinien'' siegreich bis Thessalonich, Kaiser Konstantin Kopronymos bekriegte 758 die „Slavinien Makedoniens" ^). Die kurzen annalistischen Aufzeichnungen lassen die Details nicht erkennen, doch sieht man, daß es sich vor allem um die Sicherung der Wege durch Makedonien handelte. Die Reste des oströmischen Territoriums waren nicht unbedeutend. Vieles ging in einem langsamen Zerbröcklungsprozeß verloren, ebenso wie in Italien das römische Gebiet von den Langobarden einige Generationen hindurch schrittweise verkleinert wurde. Bis ungefähr 679 besaß das Reich das rechte Ufer der unteren Donau. Die Grenze gegen das Awarenland (^ßagia) befand sich wahr- scheinlich dort, wo die spätere bulgarisch awarische Grenze heute noch durch drei parallele Erdwälle (bulg. okop) zwischen den Flüssen Isker und Lom bezeichnet ist ^). In Dacia mediterranea behaupteten die Byzantiner bis 809 das wichtige Serdica, welches nicht nur durch Thrakien, sondern, wie aus den Nachrichten bei Theophanes zu sehen ist, auch durch das Strymontal Verbindungen mit dem Reiche hatte. Die Küstenländer Makedoniens hat das Reich stets beherrscht, obwohl sich die Spuren der slawischen Kolonisation bis in die östliche Hälfte der Chalkidike erstrecken. In Griechenland wurden Athen, Theben, Korinth, Patras und über- haupt alle großen Städte behauptet, die daher eine ununterbrochene Geschichte besitzen. Dasselbe gilt von den Küstengebieten bei Dyrrhachion und im alten Praevalis. Dagegen sind in Dalmatia

1) Beda (f 735) bei Migne, Patr. lat. 90 col. 571. Theophanes 1, 397. Arab. Quellen (Tabari) bei Weil, Gesch. der Chalifen 1, 569 Anm. (Burdzan und Sakälib).

2) Theophanes ed. De Boor 1, 347, 364, 430.

3) Siehe die Karte bei meinem Fürst. Bulgarien (Text S. 412).

Die Einwanderung der Slawen in die Hämusländer. 107

die Umwälzungen besonders an den kleinen Territorien aller Städte kenntlich.

Es war Sitte der Konstantinopler Diplomatie, daß man das Land der abhängigen Völker als ein Geschenk des Kaisers be- zeichnete. Schon Justin II. hat einer Gesandtschaft der A waren geantwortet, die Gepiden seien als Flüchtlinge römische Untertanen geworden und ihr Land sei ein Geschenk des römischen Kaisers gewesen ^). Dieselbe Theorie liest man über die Ansiedlung der Kroaten und Serben bei Kaiser Konstantin Porphyrogennetos. Gegen- über den Ansprüchen der Bulgaren behauptete man, das Land der Kroaten und Serben sei ein Geschenk des Kaisers Heraklios, welcher diese Stämme als Flüchtlinge aus den Ländern im Norden jenseits Ungarn aufgenommen und in dem von den Awaren ver- wüsteten Dalmatien angesiedelt habe 2). Die Haltlosigkeit dieser Theorie ist zuerst von Ernst Dümmler (1856) erwiesen worden. Bei einer friedlichen Ansiedlung hätte das Reich gewiß alle alten Städte, vor allem Salona, für sich reserviert und wieder erneuert und mit den neuen Kolonisten eine Art Militärgrenze gegen die nördlichen Nachbarn errichtet ^).

1) Die Gepiden als Inr'ilvi^fg, denen ihre ;(fwp« vom Kaiser geschenkt wurde: Menandros frag. "28, Hist. graeci min. 2, 64.

2) Nach Konstantin Porph. ed. Bonn. 3, 148 wurden zuerst die Kroaten von Heraklios angesiedelt, nachdem sie auf seinen Befehl die Awaren vertrieben haben. Die Serben erhielten vom Kaiser angeblich die Stadt Serblia in der Provinz von Thessalonich (jetzt Servia, türk. Serfidze) im Tal des Haliakmon, zogen wieder zurück zur Donau bei Belgrad, gaben aber dort die Rückwanderung auf und wurden von Heraklios in den Land- schaften von Serblia, Pagania, Zachlumia, Terbunia und Canali angesiedelt (cap. 32 p. 152 153), also zuerst in einer kleinen engen Stadt, ein zweites Mal in der Hälfte des alten großen Dalmatiens. Diese Episode ist offenbar aus dem Namen der Stadt Serblia konstruiert. Im Widerspruch zu diesen Erzählungen wird an einer anderen Stelle Epidaur mit andern xüarQu von den Zxkdßot, zerstört (cap. 29 p 136 137).

3) Über Konstantins Berichte eine große neuere Literatur iDobrowsky, §afafik, Zeuß, Tafel, Dümmler, Gfrörer, Racki (besonders Knjizevnik 1, 1864, 36f, Doc. mit Kommentar und Rad 59, 1881, 201 f gegen Grot und Florinskij), Rambaud, Drinov, Hirsch, Nova- koviö, Grot (Die Nachrichten des Konst. Porph. über die Serben und Kroaten, russ., Petersburg 1880), Florinskij, Jagic, Jirecek (vgl.

108 Zweites Buch. Zweites Kapitel.

Die mittelalterlichen Sagen der Südslawen verlegten die Ur- heimat in den Norden. Am klarsten formuliert ist dies in der Notiz des Konstantin Porphyrogennetos , daß die Familie (yeved) des Fürsten Michael von Zachluraien von den damals (um 948) noch heidnischen Slawen an der Weichsel (Bia?M , poln. Wisla) abstamme ^). Andere Ursprungsgeschichten bei Kaiser Konstantin sind Kombinationen des 10. Jahrhunderts auf Grund der Ähn- lichkeit einiger Stammnamen im Norden und Süden. Die Ur- heimat der Chorvateu und Serben soll jenseits der Bayern und Ungarn gelegen sein, in zwei damals noch heidnischen Gebieten, an der Grenze Ottos I., des Königs von Frangia und Saxia". Der Fürst der „Belochrovati^' oder Weiß-Kroaten (aa/tQoi XQwßccToi) sei Otto I. Untertan, aber auch den Ungarn befreundet. Die Weiß- Serben {aOTZQOi ^eQßXoi), unter erblichen Fürsten, v\''ohnen eben- falls jenseits der Ungarn in einer Landschaft Boiki, benachbart den Franken und den Weiß- Kroaten -). Die Nachbarschaft zum deutschen Reich zeigt, daß diesen Korabinationen einige etwas unklare Nachrichten über die damals noch heidnischen Sorben an der mittleren Elbe und über die in dieser Zeit schon christiani- sierten, aus Denkmälern des 10. Jahrhunderts bekannten Chor- vaten in Böhmen am Eiesengebirge zugrunde liegen. Auch die älteste russische Chronik hat Kenntnis von weißen Chorvaten " (Chorvate belli), aber im Süden, benachbart den Serben (Serb) und Karantanen (Chorutane) •^). Bei Presbyter Diocleas liegt

Kom. Dalm. 1, 31) u. a. Zuletzt Bury, The treatise De administrando imperio, Byz Z. 15 (1906) 517—577 mit dem Nachweis, daß dieses Buch des Kaisers, eine unfertige Masse von Nachrichten und Auszügen voll Wider- sprüche, nie eine Schlußredaktion erfahren hat.

1) Kon st. Porph. ed. Bonn. 3, 160. Dunkel ist der Beiname der BiaXa als ziirCixT]; vgl. Niederle a. a. 0. 2, 276.

2) Böixi deutete Safafik als Land der kleinrussischen Bojken (Sing. Bojko) in Galizien. Doch dieser Name ist ein moderner Spitzname, nach Werchratskij, Arch. slaw. Phil. 16 (1894) 591 f. von der Bejahungs- partikel boje ja, jawohl; vgl. die südslawischen Kajkavci, Cakavci, Ötokavci von der Fragepartikel kaj, ca, sto was? Man kehrt zu der vor Öafafik aufgestellten Deutung des Namens als Boixq zurück, Boiohaemum der ßömer- zeit; vgl. Jagic, Arch. slaw. Phil. 17 (1895) 71.

3) Die Chronik kennt auch Chorvaten " in Rußland, doch ohne nähere Angabe der Wohnsitze, die man im östlichen Galizien sucht.

Die Einwanderung der Slawen in die Härausländer. 109

„Croatia alba" gleichfalls am Adriatischen Meere, bei Salona und Zara. Drei Jahrhunderte nach Kaiser Konstantin weiß noch der Archidiakonus Thoraas von Spalato, daß die Kroaten „de Polonia seu Bohemia" nach Dalmatien gekommen seien. Die nordslawischen, russischen, polnischen und böhmischen Chronisten um 11 00 1500 suchten umgekehrt die Urheimat aller Slawen im Süden, an der Donau und in den Balkanländern, teils in Bulgarien und Ungarn, teils in Kroatien und Serbien. Diese Vorstellung ist nach den Untersuchungen von Niederle entstanden aus der Welt- geschichte, wie sie die Bibel bot, mit dem Marsch vom Turmbau zu Babylon über den Bosporus nach Europa ^).

1) Bei Nestor, Kadlubek, Boguchwal, Diugosz, in der alt- böhm. Reimchronik des sogenannten Dalimil, bei Pulkava: Niederle, Slov. starozitnosti 1, 34 f.

Drittes Buch.

Die Serben im früheren Mittelalter (7.— 12. Jahrhundert).

Erstes Kapitel.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert, ihre Landschaften, Fürsten, Stamm- und Familienverfassung ^).

Die von dem Verfasser der Strategica befürchtete Entstehung einer „Vereinigung oder Monarchie" beiden Slawen ließ auch nach der Ansiedlung in den Ländern südlich von der Donau auf sich warten. Die Slawen waren dort lange Zeit geteilt in eine Menge kleiner Stämme, welche bald unter die fiktive oder wirkliche Ober- hoheit von Byzanz gerieten. Die Bildung größerer Staaten ist jüngeren Datums, aber auch da hat kein slawisches Reich des Mittelalters alle Slawen der Halbinsel in seinen Grenzen ver- einigt.

Als Gesamtname der Stämme galt bei Griechen und La- teinern lange noch der der Slawen. Das ganze Binnenland der Halbinsel zwischen Zara, Thessalonich und der Rhodope hieß im 7. 10. Jahrhundert griechisch „die Slavinien" {^/JMßivlai), lateinisch Sclavenia, Sclavonia, seltener Sclavinica. Bei Konstantin Porphyrogennetos gehören die Chorwaten, Serben, Dio- klitier und die übrigen benachbarten Stämme zu den „Slavinien".

1) Beschreibungen der Slawen von Illyricum aus dem 7. 8. Jabrh. fehlen. Hauptquelle sind die Werke des Kaisers Konstantin Porphyrogennetos (um 948). Die arabischen Geographen bieten wenig. Die bei Masüdi, einem Zeitgenossen Konstantins , genannten heidnischen Surbin sind nach Marquart, Osteurop. und ostasiat. Streifzüge (Leipzig 1903) 102, 106 f. die Sorben der Lausitz. Ebenso gehören die zwischen Morava (Mähren) und ^achin (Cechen) genannten Chorwätin des Masüdi in das nordslawische Gebiet. Eine Sammlung der Quellen 600—1100 bei Racki, Documenta zur altkroat. Geschiel te (Mon. slav. mer. Bd. 7). Vgl. meine Studien über das mittelalterliche Serbien in den Denkschr. W. Akad. 1911. Jirecck, GescMohto der Serben. I. 8

114 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Das „Volk der Slavinen" {Id-Xaßhwv ed-vog) bewohnt bei Nike- phoros Bryennios die Länder von Makedonien bis zur Donau (1072); bei Michael Rhetor von Thessalonich (um 1150) heißen die Serben Slavinen, ebenso noch bei Niketas Akominatos (um 1204) die Dalmatiner. Zäher behauptete sich der Name bei den Lateinern. In abendländischen Quellen ist „Sclavorum rex" so- wohl der König der Kroaten, als der König von Dioklitien. Im 13. 15. Jahrhundert war Sclavonia der allgemein bekannte Ge- samtname für das ganze Land von Istrien bis zur Mündung der Bojana, landeinwärts vom Adriatischen Meere bis zur Drau und Donau. Dazu gehörte sowohl Serbien, mit dem „rex" oder „im- perator Sclavonie" der Denkmäler von Venedig, Ragusa und Cattaro, als ganz Kroatien mit dem „banus tocius Öclavonie" und dem kroatischen Landtag, welcher noch im 18 Jahrhundert ein altes Siegel von 1497 mit der Aufschrift „Sigillum nobilium regni Sclavonie" führte^). Mit der türkischen Eroberung verschwindet der Name in seinem alten Umfang. Sein letzter Überrest ist seit dem 17. Jahrhundert das jetzige kleine Slawonien zwischen der unteren Drau und der Save. Das Volk von Venedig nennt aber die Dalmatiner noch immer Schiavoni. Am längsten behauptete sich die alte ethnographische Terminologie bei den Rumänen und Albanesen, wo die Bezeichnung der Slawen und ihres Landes auf lateinisch Sclavi, Sclavinia und Sclavinica zurückgeht "^).

In der geographischen Nomenklatur sind die römischen Pro- vinznamen langsam verschwunden. Ohne Unterbrechung behauptet sich der Name Dalmatiens, aber in der Regel beschränkt auf die Küste mit den Inseln. Sein alter Umfang war aber nicht so bald vergessen. Bei den Griechen der Komnenenzeit erscheinen die Serben meist als Dalmater. Die Burg Ras liegt bei Kinnamos in Dalmatien, Skutari bei dem serbischen König Stephan dem Erstgekrönten „im wahren Dalmatien'', Antivari und Dulcigno bei Thomas von Spalato in „superior Dalmatia''. Literarischen

1) Vjesnik arheol. N. S. 1 (1895) 21.

2) Rumänisch der Bulgare , besonders in älteren Urkunden , Scheiu, Plur. Scheie; albanesisch der Slawe, im Süden der Christ überhaupt Skl'a, Ska, das Slawenland im Dialekt der Gegen SKenija (aus Sclavinia), bkinik^a (aus Sclavinica).

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 115

Ursprungs ist die spätbyzantinische Bezeichnung der Serben als Daker oder Trib alier. Sie gehört zu der Mode der Um- nennung gleichzeitiger Völker mit antiken Namen, welche noch dem Kaiser Konstantin Porphyrogennetos fremd war, aber im 11.— 15. Jahrhundert in den historischen und rhetorischen Werken der Griechen vorherrschend ist.

Die slawische Landeseinteilung hatte mit der des Altertums nichts mehr gemeinsam. Die neue Einheit war die Zupanija oder Zupa, kleiner als der deutsche Gau, in der Regel nur ein Flußtal oder ein Becken des Karstgebietes umfassend i). Die meisten Namen der Zupen waren Flußnamen, wie Lepenica, To- plica, Crmnica, seltener eigene Landschaftsnaraen, wie Dubrava oder Hvostno, noch seltener Burgnamen, wie Rudnik oder Budimlja. Später wurde eine Zupa oft geteilt in eine obere und untere, nach dem Flußlauf Die Grenze der Zupen bildete ein unbewohntes Wald- oder Berggebiet, ohne feste Linien ; noch das Gesetzbuch des Zaren Stephan regelt die Verantwortlichkeit für Diebstahl und Raub in dem öden Landstrich zwischen den Zupen " -). Der Mittelpunkt war eine Burg (grad), welche die Einwohner der Zupa stets zu bewachen und im Stande zu halten verpflichtet waren. Eine Bezeichnung für Teile der Zupa ist auf serbischem Boden nicht erwiesen, während in Kroatien schon im Mittelalter eine „Unter-Zupanie'^ (podzupanija) vorkommt. Die Zupen waren ver- einigt in größeren Landschaften (slaw. zemlja, byz. y^Qa, lat. terra, regio), welche vom 9. Jahrhundert an wohl bekannt sind und fortan den Rahmen der Landesgeschichte bilden. Die des Küstenlandes werden noch in den serbischen Königstiteln des 13. 14. Jahrhunderts genau aufgezählt

Die südlichste Küstenlandschaft, ein Teil des ehemaligen Prae- valis, führte ihren Namen von der Römerstadt Doclea, die Kon-

1) Verzeichnisse schon bei Konst. Porph. yilovnavCu, slaw, nur zupa, unbekannten Ursprungs) und Diocleas: vgl. Novakovic, Godignjica 1 (1877) 1(53-243, Glasnik 48 (1880) 1—151, meine Handelsstraßen und Bergwerke 19 f. Jetzt Zupa mitunter als Landschaftsname: bei Ragusa (ital. ßreno), Cattaro (das alte Grbalj), Niklici in Montenegro und Krusevac in Serbien.

2) Zakonik, Art. 58, 158 ed. Novakovic.

8*

1(J1 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

stantin Porphyrogennetos mit einer Anpassung des Namens an den Kaiser Diol^letian nur mehr als verödete Ruine (iQriuoAaarQOv) Dioklia kennt. Das Land hieß lateinisch Dioclia, griechisch Jioy.leia, bewohnt von den Diokliern oder Dioklitiern (Jicxleig, JiOAlr^Tiavoi), serbisch D i o k 1 i tij a. Das Adriatische Meer nannten die Serben das „Dioklitische Meer'^ (more Dioklitijsko), den See von Skutari den „Dioklitischen See" (Dioklitijsko jezero) ^). Lang- sam wurde seit dem 11. Jahrhundert der Name Dioklitiens ver- drängt durch den der Zeta (lat. Zenta, Genta), einen Flußnamen des Landes; so heißt ein starker Nebenfluß der Moraca im Zen- trum des heutigen Montenegro. Es gab eine Landschaft Ober- Zeta im Gebirge, eine Unter-Zeta am See von Skutari und am Meeresufer 2). Das Küstengebiet Diokhtiens mit den zahlreichen alten Städten wurde Primorje oder Pomorje genannt („beim Meere'", „am Meere"), lateinisch Maritima. Es war lange im Besitz der Byzantiner, politisch und kirchlich zur Provinz von Dynhachion gerechnet. Im Golf von Cattaro gehörte die Süd- seite zu Dioklitien, die Nordseite zu Travunien; erst durch die venezianischen Eroberungen nach 1683 wurden beide Ufer zu einer Einheit verbunden. Im Binnenlande fiel die Grenze Dio- khtiens mit der Vvasserscheide zwisclien der Donau und Adria zusammen. Die Nordgrenze befand sich zwischen den Quellen der Zeta und Piva, die Ostgrenze in der waldigen Umrahmung des Limgebietes und in den hohen Gebirgen auf der Ostseite des Sees von Skutari, in denen das Bistum von Polatum (altserb. Pilot) samt der Landschaft Arbanum bei Kroja dem byzantinischen Gebiete angehörte ^). Die Bevölkerung Dioklitiens war sehr ge- mischt, mit zahlreichen Resten der älteren Einwohner, Albanesen

1) Domentiau ed. Danicic 298. Stojauovic, Zapisi 1, S. 140 nro. 445.

2) Zeta (wohl illyrischen Ursprungs) heißt auch ein linksseit ger Zu- fluß des Schwarzen Drim in der Dibra. Zuer.st Zivxu bei Kekaumenos (um 1080) ed. Vasiljevskij und Jernstedt p. 27. Zur Palatalisierung des Anlautes in der ital. Form Genta vgl die venezianischen Formen Vinegia, Nestagia für Venetia, Anastasia, die ihre Entstehung einer unrichtig ange- wendeten Analogie verdanken.

3) Polatum (jetzt Pulati): vgl. meine Handelsstraßen 17.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 117

und Romanen, zwischen den neuen slawischen Ansiedlern. Des- halb war dieses Land noch in der Zeit des Kaisers Konstantin politisch bedeutungslos.

Gegen Norden folgte zunächst die Landschaft zwischen Ra- gusa und Cattaro, genannt Tribunium, Tribunia, später Tribigna, griechisch Teqßovvia, bewohnt von den Terbuniaten oder Tribu- niern, slawisch Trebinje genannt, aber in den Titeln der ser- bischen Könige stets in der gräzisierten Form der byzantinischen Kanzleien geschrieben als Travunia (auch Trevunia, Trovunia). Der Name ist wohl illyrischen Ursprungs, von den Slawen (mit Anklang an trebiti, ausroden) umgeformt ^). Das wichtigste Ge- biet im Innern war das obere Tal des Flusses von Trebinje, der Trebinjsdica. Eine der Zupen dieses Landes war den Byzantinern besser bekannt, weil sie am Meere gelegen war, um das warme und fruchtbare Becken des Flusses Ljuta herum, welcher aus einer mächtigen Quelle hervorspringt und nach kurzem Lauf wieder unterirdisch zum Meer abfließt: KaiaXq, lat. Canali, Canale, slawisch Konavli (Plur. , im Gen. Konavala). bewohnt von den Kanaliten (Kavalelvai) ^). Diese Landschaft hatte ihren Namen von dem langen, durch seine Viadukte und Felskanäle auffallenden Aquädukt (canalis) der römischen Stadt Epidjiur, deren Ruinen sich an der Küste dieser Zupa befanden.

An der Seeküste von Ragusa gegen Norden bis zur Narenta und im unteren Narentatale selbst lag das Land Hlm, zu Ende des Mittelalters Hum, Humska zemlja (kirchenslaw. chltmi, Hügel, altserb. hlm, neu hum)), auch Zahlmije („jenseits des Hügels") genannt, die Zaxkovi.aov /w^a des Kaisers Konstantin, lateinisch Chelmania, Chulmia oder „terra de Chelmo". Es war ein von Natur aus reicheres Gebiet, dessen Fürsten lange eine selb-

1) TtQßovviÜTat, -iwTca (Theoph. Cont. 288), cig^ojv lüiv T^aßoivtav (1, 691) bei Konst. Porph., TQißovvtog bei Kekaumenos p. 25. Vgl. das Kastell Tribulium im nördlichen Dalmatien bei Pliuius, Nat. bist. III § 142 und das Gebirge Terbuni im Gebiet der Mirediten. Der Vokal- wechsel in Terv-, Trav-, Triv- (Trib-), Trev- (Treb-), Trov- ist nicht slawisch.

2) Vgl. Artur Gavazzi, Die Seen des Karstes, Abb. der k. k. geograph. Ges., Bd. 5 (1904) Nro. 2, S. 123: das „polje" von Canali, 11 . 62 qkm groß, von der Ljuta jährlich 2—3 Wochen lang überschwemmt.

118 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

ständige Rolle spielten, bis sich im 15. Jahrhundert hier eine neue politische Formation, das „Herzogsland", die wohlbekannte Herze- gowina bildete. Die Grenze zwischen Trebinje und Chelmo be- gann bei Ragusa; sie wird von Orbini (l60l) und von der heu- tigen Tradition ganz genau angegeben ^). Der Hauptort der Landschaft befand sich 10 Kilometer südöstlich von der jetzigen, erst zu Beginn der Türkenzeit gegründeten Stadt Mostar: die Burg Blagaj, unter deren Felsen der Fluß Buna aus einer Höhle entspringt und nach kurzem Lauf in die Narenta fällt. Konstantin Porphyrogennetos erwähnt in diesem Lande einen großen Berg mit zwei Schlössern auf dem Gipfel, Bona und Chlum, und dabei einen Fluß Bona 2). Vielleicht waren es nur zwei Namen , ein römischer und ein slawischer, für eine und dieselbe Burg, die wieder mit der illyrischen Stadt Bunnos des Stephan von Byzanz identisch sein kann. Der slawische Name Blagaj ist überdies nur eine Übersetzung des lateinischen Bona (slaw. blag: bonus) '). An der Küste besaßen die Zachlumier die 68 Kilometer lange ge- birgige Halbinsel, welche man jetzt Sabbioncello, slawisch Peljesac nennt; im Mittelalter hieß sie Puncta Stagni, slawisch Stonski Rat. Die Burg Stagno (slaw. Ston, byz. 2tayv6v, ^lauvov , lat. Stamnum, Stamum) bewachte den slawisch Prevlaka genannten Isthmus am Ostende der Halbinsel. Sie lag nahe bei dem Süd- eingang eines kaum einen Kilometer langen bogenförmigen Ein- schnittes zwischen Felswänden, durch welchen man kleinere Schiffe von der Narentamündung in das Meer von Ragusa hinüberzu- ziehen pflegte ^). Der Name der Landschaft ist seit der türkischen Eroberung außer Gebrauch gekommen ; im Volksmunde heißt aber der niedrigere, westliche Teil der Herzegowina noch immer

1) Vgl. Orbini .393 mit Naselja 2, 1151.

2) Der noraubg ZayXovfxa des Kon st. Porph. 3, 160 scheint mit dem kurz zuvor genannten noTn/uö; Bova identisch zu sein.

3) Vgl. meine Handelsstraßen 25 f. Radimsky, Das BiScepolje bei Mostar, Wiss. Mitt. 2 (1894) 3—34, mit Abb. und Karte.

4) Prevlaka entspricht wörtlich dem altgriech. dioXxog , der Schlepp- bahn für Schiffe auf dem Isthmus von Koiünth, und den russ. volok, Schlepp- bahnen zwischen den Flüssen Rußlands.

Die Serben im 7. 10. Jahrhimdert usw. 119

Humnina oder Huraina, gegenüber den Gebirgslandschaften des Innern, den Rudine ^).

In dem einstigen Lande der illyrischen Ardiäer saßen an der von hohen Gebirgen überragten Küste zwischen den Mündungen der Narenta und Cetina die Narentaner, als Heiden von den dalmatinischen Romanen Pagani genannt, berühmt durch ihre Seeräuberei. Ihr Land, steil und unzugänglich, soll nach Kaiser Konstantin nur drei Zupanien umfaßt haben. Im späteren Mittel- alter hieß das Küstengebiet mit dem Hauptort Makar (das röm. Mucur, jetzt Ruinen Makar bei der Hafenstadt Makarska) Krajina (Crayna), das „Grenzland" ^j^ seine Einwohner, die ihren Ruf als Piraten nicht eingebüßt hatten, Krajinjaue (Craynenses). Das be- rühmteste Piratennest war aber das an der Mündung der Cetina gelegene Alraissa (kroat. Olmis, später Omis).

Das Tal der Cetina selbst gehörte schon zum Herzogtum der Chrovaten (XQtoßäTOi), das zuerst in der Karolingerzeit nach 800 genannt wird. Der „Chroatorum dux'' hatte seine Residenzen in den fruchtbaren Gebieten an der Meeresküste: in CUssa (kroat. Klis) bei den Ruinen von Salona, in Biaci bei Trau, in Belgrad (Belgradum, jetzt ital. Zara vecchia, kroat. Biograd primorski), in Nona (kroat. Nin). In der Zeit Kaiser Konstantins waren die äußersten Zupen Kroatiens gegen Süden und Osten die von Imota (jetzt Jmoski), Cetina, Hlevno (jetzt Livno) und Pleva (Fluß PUva in Bosnien). Im Nordwesten erstreckte sich Kroatien damals bis in die Berge Istriens. Die vom Kaiser erwähnte Art der Ver- waltung der Zupen von Krbava, Lika und Gadska im Gebirge des Velebit und der Kapela durch den Ban als Stellvertreter des kroatischen Fürsten zeigt, in Verbindung mit den Nachrichten aus der Karolingerzeit, daß dies ein später erworbenes Gebiet war. Konstantin Porphyrogennetos kennt auch andere Chrovaten in Pannonien, die einen selbständigen Fürsten haben; das ist der in Siscia residierende „dux Pannoniae inferioris" in den Quellen der fränkischen Zeit.

Im Innern, ferne vom Meere und der Donau, lag nach der

1) Cvijic, Glas 57 (1899) 180; Naselja 2, 681 f.

2) Zuerst 1185: Smiciklas, Cod. dipl. 2, 193.

120 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Schilderung des Konstantin Porphyrogennetos das Land der ur- sprünglichen, eigentHchen Serben i). Zuerst erscheinen die Serben 822 in den fränkischen Annalen, die man Einhard zuschreibt, als ein mächtiges Volk, welches einen großen Teil Dalraatiens (im römischen Sinne) besitzen soll: „Sorabi, quae natio magnam Dal- matiae partem obtinere dicitur." Nach der Beschreibung des Kaisers Konstantin waren die Serben die östhchen Nachbarn der Küstenstämme, der Dioklitier, Travunier und Zachulmier; sie wohnten also jenseits der Wasserscheide zwischen der Adria und der Donau ''). Im Süden grenzte ihr Gebiet bei den Quellen des Lim und auf den Kämmen der Prokletja an das byzantinische Bergland von Polatum. Ihre Ostgrenze war durch die viel um- worbene Grenzburg Ras (Fäoov, 'Pdarj) am Flusse Raska bei Novi- pazar bezeichnet. Im Nordosten ist im 8. Jahrhundert die Grenze gegen die Awaren anzusetzen, welche Sirmium und wahrscheinlich auch das einstige Obermösien noch lange beherrschten. Das Land der eigentlichen Serben umfaßte demnach das Gebiet des Lim und der oberen Drina, samt der Piva und Tara, das Tal des Ibar und den Oberlauf der westlichen Morava. Die Lage der bei Kaiser Konstantin genannten Burgen des Serbenlandes läßt sich nicht sicher bestimmen. In der Gegend von Sjenica oder Prjepolje ist zu suchen die Hauptburg Destinikon oder Dostinika (rö Jean- vUov, fi JootivUa, serb. Dts[t]nik?). MeyuQarovg, wohl Medju- reßje, „zwischen den Flüssen", also ein serbisches Interamna oder Mesopotamia, erinnert an die zwei in späteren Jahrhunderten ge- nannten Medjurecje; eines war Unterstadt der Burg Samobor am rechten Drinaufer unterhalb Gorazda, das zweite die Unterstadt der Burg Sokol am Zusammenfluß der Piva und Tara. Über die Lage von drei anderen Burgen lassen sich kaum Vermutungen

1) ZfQßXCa, bewohnt von den Z^Qßkoo, in der Zeit der Komneneu ohne X: ZiQßov, Z^Qßioc im Lande ZiQßiu, Ztoßixri, slawisch Srblin, Plur. Srbli, später (ohne 1) Srbin (Adjektiv stets nur: srpski), das „regnum Servilie" in kirchliehen Urkunden der Ragusaner des 13. Jahrhunderts.

2) Presbyter Diocleas erwähnt in den Bergen längs dieser Wasser- scheide eine langgedehute eigene Landschaft Podgorje,lat.Submontana, mit den Zupen von Eama, Nevesinjo, Piva, Onogost, Moraca u. a. , ihre Exi- stenz ist aber durch andere Quellen nicht erwiesen.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. l:il

aufstelleu ^). Von den nach 1200 genannten und noch jetzt be- kannten Orten gehören in dieses Gebiet: Brskovo an der Tara, Breznica (jetzt Plevlje mit dem Kloster Vrhobreznica) , Sjenica zwischen Plevlje und Novipazar, Budimlja und Bjelopolje am Lim, Gradac (jetzt Cacak) an der westlichen Morava.

Das Land der Serben nahm durch seine Lage auf dem Ost- abhang der Gebirgskette von den albanesischen Alpen bis zu den Quellen der Narenta, in welcher die Bergriesen Visitor, Kom und Durmitor emporragen, eine dominierende Position über den um- liegenden Tälern ein. Die lange Front gegen Nordost bot eine feste Stellung gegen die Awaren, später gegen die Bulgaren und Ungarn. Durch ihren Widerstand gegen das Vordringen der Bulgaren wurden die Serben im 9. 10. Jahrhundert der mäch- tigste aller dieser Bergbtämme, als Bundesgenossen gesucht von den Byzantinern, denen damals jede Erweiterung der Macht Serbiens sehr gelegen kam. Ihre Rivalen waren die Zachlumier. Die Travunier sind nach der Erzählung des Kaisers Konstantin durch Heiraten ihrer Fürsten von den Herrschern der Serben ab- hängig geworden, die sich dadurch den Zutritt zum Meere erwarben, Konstantin Porphyrogennetos nennt im Besitze der Serben auch das Ländchen Bosna im oberen Bosnatale, mit Salines (Tuzla). Er bemerkt ausdrücklich, daß Serbien an Kroatien grenze und zwar an die kroatischen Zupen von Hlevno und Cetina -), und daß Fürst Peter (um 891 917) auch Pagania, das Land der Narentaner, beherrscht habe ^). Noch im 12. Jahrhundert schreibt Diocleas, Surbia oder lateinisch Transmontana sei in zwei „pro- vincias" geteilt; die eine, „a magno flumine Drina" gegen Westen heiße Bosna, die andere „ab eodem flumine Drina'' bis zum Flusse Lab (bei Pristina) werde Rassa genannt ^). Erst die Angriffslcriege

1) TCfQvetßovaxf^ (cm schwarz, das zweite Nomen unklar, mit Adjektiv- endung -ski), zJotavtrjx (Dreznik) und Atavrix (Ljesnik), ed. Bonn. 3, 159; vgl meine Handelsstraßen 33.

2) Die /üip« T^f XnutßcaiaQ . . . nltjaiüCd t^f ngog Ttjv TC^vTiva xcd T7]v Xkißiva Tij xojocc 2tQßXittg, Serblia noog äoxTov Sh nlrjaidCii T^ Xoo)- ßuTÜc. Kon st. Porph. 3, 146.

3) Eig TluyavCav ttju t6t€ ticiqu toü üo^ovro; 2!tQß).iag Siuxqutov- fi(vt]v. Kon st. Porph. 3, 156.

4) Diocleas ed. Crncic p. 17.

133 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

der Bulgaren haben im 10. Jahrhundert diese Erwerbungen ein- gestellt. Der Name der Serben wurde langsam ein Gesaratname für die Nachbarstämme, ebenso wie sich in den nordslawischen Ländern der Name der eigentlichen Cechen über die in der Gründungsurkunde des Bistums von Prag aufgezählten Stämme Böhmens verbreitete, oder der Name der Polanen bei Gnesen über alle polnischen Stämme. Kaiser Konstantin bezeichnet auch die zu seiner Zeit (um 948) ganz selbständigen Zachlumier als Serben und bemerkt in den Einwanderungssagen, daß die „Serbli" nicht nur in Serblia, Zachlumia und Terbunia wohnen (Dioklia fehlt an dieser Stelle), sondern auch in Pagania ^). Bei Kekaumenos (um 1080) ist Fürst Stephan Vojslav einmal ein travunischer Serbe (6 Tqißovviog 6 ^egßog), Herr von Dioklia, an einer zweiten Stelle aber ein Dioklitier {JLOv.Xr^Tiavög), Toparch von Zeta und Stamnon (Stagno) -). Verwechslungen der Serben und Kroaten kommen bei den Byzantinern erst im 11. Jahrhundert vor ^).

Noch weiter entlegen vom Meere und von den großen Ver- kehrswegen war das Land Bosna, im Mittelalter lateinisch Bosona, Bossina genannt, zuerst bei Konstantin Porphyrogennetos erwähnt {Booiova). Es erhielt seinen Namen vom Flusse Bosna, dem Basanius der Römerzeit, und umfaßte ursprünglich nicht mehr als das obere Gebiet dieses Flusses. Bei Diocleas und Kinnamos, ebenso wie in späteren Nachrichten erscheint als ständige Grenze zwischen Bosnien und Serbien das tiefeingeschnittene Tal der Drina *). Als eigene Landschaften werden in den Titeln der bos- nischen Bane und Könige genannt die Landschaft Usora am gleichnamigen Flusse und das Gebiet um die Salzquellen von Sol (jetzt türk. Tuzla) ^). Ein Verzeichnis der Zupen von Bosnien

1) Kon St. Porph. 3, 153, 160.

2) Kekaumenos p 25, 27.

3) Twv XooßdTojv (d-fug, ovg 6tj xal 2!iQßovg zivtg xccXouat Zonaras XVIII cap. 17 = t6)v Z^oßwv s&vog, oPg St] xal XQoßurag xuXovat Ke- drenos 2, 714.

4) UoTuubg ^ovvug ... BöaS-rav T^f äklrjg J^egßixfjg Siatoit. Kinna- mos III, 7.

5) Soli in den Titeln ist der Dativ von Sol; vgl. Daniciö, Ejecnik.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 133

gibt es erst aus dem Jahre 1244 ^\ Bosnien hatte ein eigenes erbliches Fürstengeschlecht, welches im 10. Jahrhundert ebenso wie das der Travunier, den Serbenfürsten untergeordnet war, aber im 12. Jahrhundert als von ihm nicht abhängig erscheint-).

Unbekannt sind die Namen der slawischen Stämme im Zentrum der Halbinsel, zwischen Ras und Serdica. Das untere Moravatal war lange im Besitz der Awaren, welche ursprünglich die west- lichen Nachbarn der Bulgaren waren ^). Im Donaugebiet erwähnen fränkische Quellen die Timocanen (Timociani 818) am Flusse Timok, ferner in „Dacien an der Donau" (Daciam, Danubio adiacentem) in der Nachbarschaft der Bulgaren die „Abodriti, qui vulgo Praedenecenti vocahtur" (824), Oster- Abtrezi " des bay- rischen Anonymus, slawisch vielleicht Bodrici, die Safafik im Bodroger Komitat, im Banat und an der Mündung der Morava suchte ^). Die Bezeichnung des Bischofs von Morava oder Bra- nicevo (röm. Viminacium) im 11. 12. Jahrhundert (o MoQccßov TjTOL BQaviT^aßov) zeigt, daß ein großer Teil des ehemahgen Ober- mösiens einfach Morava genannt wurde ^).

An der Spitze der einzelnen Stämme standen im 10. Jahr- hundert erbliche Fürstenfamilien. Den Fürsten nannte man grie- chisch ccQxcov, in lateinischen Denkmälern in Serbien *'), Kroatien, Zachlumien und ursprünglich auch in Bosnien '') dux. Der ein- heimische Name ist nicht überliefert; den slawischen Namen voje- v 0 d a (Heerführer) erwähnt Kaiser Konstantin nur bei den

1) Smiciklas, Cod. dipl. 4, 236f.

2) 'Earl ät r) Boa&va ov tBv Zioßimv ngyil^ovnävoy xuX aiiTJ] tYxovaa, ä).V f&vo; tSta naou jnvTr] y.ai Lwv xiu itnyöufvov. Kinnamos a a. 0.

3) Wohnsitze der Bulgaren zwischen Donau und Hämus , noö; dvaiv fi^XQi 'Aßaolag: Theophanes ed. De Boor 1, 359.

4) Die Zusammenstellung der Praedenecenti mit Branicevo bei Sa- fafik und Zeuß geht lautlich zu weit.

5) Geizer, Byz. Z. 1 (1892) 257; 2 (1893) 52—53, Die Burgen MioQÜßov (Branicevo) xai BtXiyQiidon' bei Kedrenos 2, 527. Ein Ort des Bistums von Branicevo hieß Monößiaxog, wohl Moravtsk^: Novakovic Glas 76 (1908) 37.

6) „Unus ex ducibus eorum" (der Serben) 822: Einhards Annalen, Mon. Germ. SS. 1, 2U9 (Racki, Doc. 327).

7) Dux Bossine: Stat. Ragus. III cap. 52, 56.

124 Drittes Bacb. Erstes Kapitel.

Magyaren^), während der Titel knez bei den Südslawen erst um 1050 nachweisbar ist. Die Fürsten der eigentlichen Serben waren nach Konstantin Porphyrogennetos Nachkommen eines Brüder- paares; der eine Bruder war der zuer.st in Serbien eingewanderte Stammfürst, der andere der Stammvater des Herrscherhauses der in der nördlichen Urheimat zurückgebliebenen Serben. Nach dem kaiserlichen Geschichtschreiber soll es ein nach dem Recht der Erstgeburt erbliches Geschlecht gewesen sein, aber die späteren Ver- hältnisse sprechen eher für eine Senioratserbfolge innerhalb der Familie, mit Teilungen des Landes, die im 9. 13. Jahrhundert oft erwähnt werden und zwischen Brüdern und Vettern Anlaß zu so vielen Rivalitäten und Fehden boten -). Kaiser Konstantin be- ginnt die Serie der Serbenfürsten mit Vyseslav (um 780) und dessen Sohn Radoslav, doch die erste klare Persönlichkeit ist Radoslavs Enkel Vlastimir (um 85u). Über das Fürstengeschlecht der Dioklitier macht der Kaiser keine näheren Mitteilungen, doch hat man ein Bleisiegel eines sonst nicht bekannten Fürsten Peter von Dioklia aus dem 9. 10. Jahrhundert gefunden •*). An der Spitze der Travunier nennt Konstantin Porphyrogennetos um 850 einen Zupan Krainas, Sohn des Belaj. Der Serbenfürst Vlastimir gab diesem Zupan seine Tochter zur Frau und ernannte ihn zum Fürsten (uQywv)\ darauf seien die Fürsten Travuniens, Krainas und seine Nachkommen Hvalimir und Cucimir stets den Für- sten der Serben untergeordnet gebUeben ^). In den Adressen des byzantinischen Zeremonienbuches ist ein eigener Fürst der Kanaliten angegeben °). Ein altes Fürstengeschlecht war das an- geblich von den heidnischen Slawen an der Weichsel stammende der Zachlumier (S. 108). In den Büchern des schriftstellernden Kaisers fehlt jede Erwähnung der Oberhäupter der Narentaner. In den venezianischen Chroniken wird um 1000 ein „Narrentanorum princeps" genannt, mit zahlreichen „nobiles", von denen die

1) BotßöSo; Kon St. Porph. 3, 16S.

2) Vlastimirs Söhne: ufoiaäunot, it]i> /üonv, ib. 154.

3) "Aq^ojv yltoxXfiag ib. 1, 691. Bleisiegel: IltToov üo/ovrog ztioxUag bei Schlumberger, Sigillographie byz.

4) Konst. Porph. 3, 161.

5) Eis Tov üo/ovTci ToD KuvüXt]: ib. 1, 691.

Die Serbeu im 7.— 10. Jahrhundert usw. 125

Venezianer damals 40 gefangen genommen haben. Es scheint eine Oligarchie von Stammeshäuptern gewesen zu sein ^). Bei den Kroaten erwähnt Kaiser Konstantin eine erbliche Dynastie seit der unter Kaiser Heraklios erfolgten Ansiedlung. Venezianische Chro- niken berichten von Familienfehden; um 878 hat der kroatische Fürst Zdeslav aus der „progenies" des Fürsten Trpimir mit Hilfe der Griechen die Söhne des Domagoj vertrieben, wurde aber bald von Branimir (879) ermordet. In Bosnien werden die Fürsten mit Namen erst spät genannt.

Der Fürst war der oberste Heerführer und Richter des Volkes, das er auch dem Ausland gegenüber vertrat. Seine Residenz hieß dvor (curtis, curia), der „Hof", wohl eine Gruppe einfacher Ge- bäude innerhalb einer Burg odei' unterhalb eines befestigten Burg- hügels -). Bei feierlichen Anlässen saß der Fürst auf einem Thron- sessel, dem stol oder p res toi, dem Thron der Vorväter, an den sich eine Art Ahnenkultus knüpfte ■^), In der Herzegowina haben sich bei Blagaj, Stolac, Gacko und an der Neretvica vier Stein- sessel erhalten, auf welchen die alten Fürsten des Landes unter freiem Himmel die Volksversammlungen leiteten und zu Gericht saßen ^). Nicht bekannt sind die äußeren Abzeichen der Herrscher- würde. Dazu gehörte wohl „die von Gott geschenkte Lanze'', welche in der Geschichte des Großzupans Nemanja erwähnt wird ^); sie erinnert an die vergoldete Lanze, das Abzeichen der ungarischen

\) Joannes Diaconus, auch bei Racki, Doc. 425, 427.

2) Dvor, stol, prestol (auch in den nordslaw. Sprachen) vgl. Danicic, Rjecnik ; curtis bei Racki, Doc, curia ib. und Diocleas.

?)) Die Residenz hieß ., stolno mjesto " , Ort des Thrones. Hervor- hebung der Erblichkeit : der kroat. Fürst Mutimir 892 residens paterno solio" Racki, Doc. 15; „Thron des Großvaters und Vaters" des serb. Königs Stephan Uros 1. 1261, Mon. serb. 48; ,, Thron meiner Vorväter" des bosDischen Königs Tvrtko II. 1420, ib. 304. Vgl. „stol" des Vaters und Großvaters in Rußland im 11. Jahrhundert bei Nestor ed. Miklosich p. 88, 108. Später heißt ,,stol" und „prestol" auch der ,^0010? des Biscliofs, Erzbischofs oder Patriarchen. In Kroatien heute „stol" der Gerichtshof; z. B. „banski stol" die „Banaltafel", das Appellationsgericht in Agram.

4) Beschreibungen von Radimsky, Hörmann und Truhelka: Wiss. Mitt. 2, 25, 42; 4, 343 f.

5) König Stephan cap. 5; Domentian p. 19.

126 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Könige des 1 1 . Jahrhunderts ^). Johannes der Exarch schildert den Fürsten Symeon von Bulgarien (f 927) in einem mit Edel- steinen besetzten Gewand, mit einer Halskette aus Münzen und mit Armringen, umgürtet mit einem Purpurgürtel, von welchem ein vergoldetes Schwert herabhängt, wie er im Kreise seiner Edel- leute sitzt, welche gleichfalls mit goldenen Halsketten, Gürteln und Armbändern geschmückt sind -). Dieser Prunk der Bulgaren wird sich in derselben Periode auch anderswo wiederholt haben. Über die Besitzungen des Serbenfürsten ist aus späteren Nachrichten klar, daß ihm die Einöden, Waldungen und Alpentriften gehörten, ebenso wie in Italien dem Langobardenkönig, und daß ursprünglich alle wlachischen Hirten seine Untertanen waren. In der Stiftungs- urkunde des Klosters Decani (um 1330) wird der Grundsatz auf- gestellt: „in den Bergen (planine) hat niemand ein Erbgut (bastina), außer den Königen und denjenigen Kirchen, denen sie die Könige geschenkt haben"; sollte ein Edelmann oder ein Wlache oder ein Albanese behaupten, er habe die Bergweide früher als Erbgut be- sessen, zahlt er dem regierenden König eine Buße von 500 Schafen^). Der Landesfürst erhielt in Serbien von der Benutzung der Alpen- und Waldweiden das Grasgeld (travnina) und das Eichelgeld (zirovnina), gerade so wie der König der Langobarden in Italien im 7. 8. Jahrhundert das „herbaticura" und „glandati- cum" ^).

Die Hofamter erinnern mehr an die Institutionen der Lango- barden und Franken, als an die Hierarchie des Konstantinopler Hofes, wo z. B. die Schwertträger (Spathar) oder Stallmeister (Protostrator) vornehme Männer waren, aber den inneren Dienst beim Kaiser und der Kaiserin Unfreie, Sklaven und Eunuchen besorgten. Die Vergleichung der Hofwürden in Kroatien im 9. 11. Jahrhundert^), in Bosnien, Serbien und der Walachei zeigt, daß diese Einrichtungen in allen diesen Ländern auf ein gemeinschaftliches altes Vorbild zurückgehen. Die Ehrenämter des

1) Huber, Gesch. Österreichs 1, 187, 188, 205.

2) Meine Geschichte der Bulgaren 166.

3) Novakovic, Selo 74 und Zakonik S. 194.

4) Hartmann, Geschichte Italiens 2, 2, 44.

5) Racki, Rad 91 (1888) 152.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 127

Hofes bekleideten dort die Zupane, die Vorsteher der Gaue, in Kroatien ebensogut wie bei den Königen von Dioklitien und den Fürsten der Walachei. Zwei Würdenträger des altkroatischen Hofes, der postelnik (postelja Bettgewand) oder „jupanus came- rarius" und der dvornik (dvor Hof), kehren nach 1400 in der Walachei wieder als „postelnik" und „vornic". Der oberste Würdenträger in Kroatien, der „jupanus palatinus**' oder „comes curialis'^, im 11. Jahrhundert tepcij genannt, kommt nach 1200 in Serbien und Bosnien als tepcij a vor i). Wir wissen nicht, ob es ursprünglich das Amt eines Bannerträgers oder Siegel- bewahrers war; das Wort ist jedenfalls nicht slawisch und verrät durch Stamm und Endung einen alttürkischen Ursprung, der zu dem Hofstaat der Hunnen und Awaren zurückführen kann -). Ahnlichen Ursprungs ist die Würde des Ban, eines Stellvertreters oder Statthalters des Landesfürsten , die in Kroatien , Bosnien, Ungarn und der Walachei wohlbekannt war (in Ragusa war im 13. Jahrhundert Ban der Vizebürgermeister, vicarius comitis), aber in Serbien nie vorkommt •^). Die Hundewärter (psar) und Falkeniere (sokolar) heißen in Serbien ebenso, wie im alten Kroatien.

Neben den Fürsten waren die mächtigsten Männer des Landes die Oberhäupter der Gaue, die Z upane Qovnai'oi, jupani, zuppani). Kaiser Konstantin bezeichnet sie als Alteste, Greise (CovTtavoL yegovTeg), erzählt aber an einer anderen Stelle, daß die Fürsten {aQyovzeg) von Travunien ursprünglich nur Zupane waren, ein erbliches Geschlecht. Es waren die Altesten eines lokalen Ge- schlechtes, welche durch Erbfolge zu ihrer Würde gelangten, mit- unter auch durch Wahl, wie dies z. B. im 13. Jahrhundert bei den Zupanen der Inseln Lesina und Brazza oder bei den Unter- zupanen von Kroatien bezeugt ist. Die Fürstengeschlechter sind wahrscheinlich ursprünglich nur Zupanenfamilien gewesen, welche langsam eine größere Macht und Einfluß über die benachbarten

1) Belege: Racki, Doc. (Register! ; Novako vic, Glas 78 (1908) 199 f.

2) Miklosich und Novakovic halten das Wort für slawLsch (von tpp^, schlagen u. dgl.). Vgl in Mittelasien türk. tapu Merkzeichen des Viehes; kumanisch tap finden.

3) Bei Kon st. Porph. 3, 145, 151 ßodvog, ßotcivog, serb. ban (langes a). Vgl. meng bajan reich und den awar. Personennamen Bajan.

138 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Bezirke erworben hatten. In Serbien verwalteten die Zupane das Land in Abwesenheit des Fürsten ; nach der Flucht des Fürsten Zacharias forderten die Feldherren des bulgarischen Kaisers Symeon die serbischen Zupane auf, den neuen, von den Bulgaren mitge- führten Fürsten Caslav zu empfangen ^). Dagegen führten im 13. Jahrhundert die Nachkommen der Seitenlinien des serbischen Königshauses wieder nur den Titel eines Zupan. Nach der Er- starkung der fürstlichen Macht ernannten die Landesherren an Stelle der erblichen Stammfürsten abhängige fürstliche Beamte zu Zupa- uen. Aber da geschah es, daß im 12. Jahrhundert der oberste Statthalter im Osten Serbiens, der „große Zupan", mächtiger wurde, als der im dioklitischen Küstenlande residierende König und sich zum Herrn des Landes machte -)

Dem Zupan untergeordnet ist der „Hundertmann", SLtnik (neu serbokroat. satnik). Nach Diocleas waren es „centuriones ex nobilioribus", welche neben dem Zupan (coraes) eine Gerichts- barkeit ausübten und Steuern sammelten ^). In Kroatien werden sie seit dem 11. Jahrhundert in den Urkunden oft als Zeugen erwähnt. In Serbien war Jura „setnicus" 1186 Vertreter des Großzupans Nemanja in Cattaro^), in Zachlumien 1254 ein „sttnik" Vojislav Radosevic Befehlshaber der Burg Imota (jetzt Imoski) und Vertreter des Zupans Radoslav von Chelmo ^). Man könnte an einen Zusammenhang mit den fränkischen Hundertschaften (centena) denken, in welche die Gaue eingeteilt waren, mit dem Zentgrafen (centenarius) an der Spitze, der in der Karolingerzeit die Ausführung gerichtlicher Urteile und die Eintreibung der fiska-

1) Kons t Porph. 3, 128, 158, 161.

2) Bei den Serben sind die Worte zupa und zupan nach 1400 aus dem Gebrauch verschwunden. In Kroatien heißt das Komitat heute noch zupanija, sein Oberhaupt veliki zupan (Großzupan, in Ungarn ispän, deutsch Gespan), sein Vertreter podzupan (Unterzupan, in Ungarn deutsch Vizegespan). Bei den Kroaten und Slowenen ist zupa die Pfarre, zupnik der Pfarrer; slowenisch heißt zupan der Bürgermeister, zum Schluß des Mittelalters (nach A. Dop seh, s. unten) der Dorfschulze (magister viilae).

3) Diocleas eap. 9 p. 18—19.

4) Smiciklas, Cod. dipl. 2, 198.

5) Mon. serb. 45.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 139

lischen Gefälle besorgte. In Serbien ist aber im 12. 13. Jahr- hundert klar zu sehen, daß der Hundertmann nur eine Stufe in dem dekadischen System der militärischen Würden bildete. Auf den serbischen Landtagen bei der Abdankung des Nemanja und bei der Krönung Stephans des Erstgekrönten versammelten sich Heerführer (vojevoda), Tausend männer (tisustnik), Hundertmänner (shtnik), Fünfzigmänner (petidesetnik) und Zehnmänner (desetnik) ^). Auch im mittelalterlichen Rußland gab es Tausendmänner (tys- jackij), Hundertmänner (sotnik, sockij) und Zehnmänner (desjatskij), wobei das Tausend (tysjaöa) einen territorialen Bezirk bedeutete ^). Die Gliederung entspricht der militärischen Rangordnung von Byzanz, die auf römische Muster zurückgeht : OTQaxriyoq, ^i^XiaQXoq (oder ÖQOvyyaqiog), '/.evraQxog (centurio), TtevTiq/iövvaQxog , öe/.aQXog (decanus).

Die Einsammlung der Steuern war in Serbien und Bosnien die Obliegenheit des seit dem 12. Jahrhundert erwähnten kazntc (neuserb. kaznac, lat. casnecius, ital. casnezzo), den die Ragusaner als „camerarius" übersetzten ^). Der Ursprung des Wortes ist dunkeH). Einige ,^kaznaci" werden am Hofe erwähnt, andere in ländlichen Bezirken. Nach dem Statut von Budua kam der „cas- nezzo deir imperador" im 14. Jahrhundert von Zeit zu Zeit in die Stadt, um die landesfürstlichen Steuern zu sammeln. In Bosnien wurde der Kaznac im 13. 14. Jahrhundert eine hohe Würde, höher als die des Zupan, an hervorragende Statthalter verliehen. Im Küstenlande dagegen sind beide Würden zu Vorstehern von Dorf- gemeinden degradiert worden ; auf den Quarnerischen Inseln (seit

1) Domentian 28. Theodosij 36, 141.

2) Nestor ed. Miklosich p. 77. Bestuzev-Rjumin, Russ. Ge- ßchichte, russ. 1 (Petersburg 1872) 210.

3) Nachdem der Übersetzer eines alttestamentarischen Textes einen Eunuchen (kirchenslaw. kazenik) mit ,,kaznbc" wiedergegeben hatte, wurde dieser Würdenträger in den Wörterbüchern von Miklosich, Daniele und Budmani mit einem Verschnittenen identifiziert.

4) Slaw. kaznt poena, institutio, edictum, mandatum, kazniti punire (vgl. sudi.c Richter von suditi richten), was auf eine ursprünglich strafrechtliche Wirksamkeit hinweisen würde. Vgl. aber auch ein Fremd- wort: russ. kazna Staatsschatz, kaznaöej Schatzmeister, vom altpers. gaza, neupers. und türk. chazin^ Schatz (chaznadar Schatzmeister).

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 9

130 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

1288) ist der satnik, bei Ragusa (seit ungefähr 1380) der kaznac nur ein Dorfschulze. Im Gebiet von Ragusa nennt man auch die Unterabteilungen der einstigen Zupen bis in die neueste Zeit kaznacina (casnazina 1440 f.).

Die Macht der Fürsten war beschränkt durch ihre Ratgeber, nämlich die Hofwürdenträger, und durch die Volksversammlungen. Schon der kroatische Fürst Trpirair beruft sich bei einer kirch- lichen Stiftung (852) auf die Zustimmung aller seiner Zupane (meis cum Omnibus zuppanis). Auch Papst Johannes VIII. richtet seine Briefe (um 880) nicht an den kroatischen Fürsten Branimir allein, sondern auch an die Richter (honorabiles iudices), nämUcli die Zupane, und das gesamte Volk (universus, cunctus populus). In Bosnien und Zachlumien ist nach 1200 in jeder Urkunde eine Reihe der Häupter des Adels genannt. Auch in Serbien fehlt in feierlichen Akten bis ins 14. Jahrhundert nie die Zustimmung des Adels und der Geistlichkeit. Die Volksversammlungen, für deren Alter die große Auswahl der einheimischen Termini spricht ^), waren zweifacher Art: Reichstage des ganzen Gebietes und Versamm- lungen der einzelnen Zupen. Der Reichstag hatte den Thron, wenn er erledigt war, zu besetzen. Eine solche Versammlung wählte in Kroatien Zvonimir (1076) zum König. Auch im Königreich von Dioklitien berichtet Presbyter Diocleas über Königswahlen durch das Volk. In Serbien sind die Reichstage (sbor) seit Nemanja wohl bekannt, ebenso in Bosnien. Die Tagungen der Zupa oder ihrer Unterabteilungen betrafen kleinere Angelegenheiten, oft mit einer lokalen Gesetzgebung verbunden, ursprünglich in Anwesenheit aller freien Männer des Gaues Auf der Insel Brazza hat 1185 eine Volksversammlung, an welcher sich der Knez (Coraes), der Zupan, alle Edelleute und das Volk (pltk, jetzt puk) von Brazza und Lesina beteiligte, einem Kloster die verlorenen Grundstücke zurück- erstattet ^). Demokratische Versammlungen, welche durch Stimmen- mehrheit entschieden, gab es auf den großen Inseln Lagosta und

1) Sbor oder si bor (neu sabor), okup, skup, skupstina (schon im kroat. Text des Diocleas ed. Crncic p. 33), shod, stnLmt (mehr kirchlich), stanak. Die Ratskollegien in Ragusa und Poljica heißen vijece, ein auch in Rußland (vece) und Polen (wiec) bekanntes Wort.

2) Mon. bist. jur. 6, 6 f.

Die Serben im 7.— 10. Jahrhundert usw. 131

Meleda bei Ragusa, stets im Freien vor einer Kirche. Unter freiem Himmel tagten auch die Adelsgemeinden, die von Poljica bei Spalato, mit primitiven Sitzen auf den zubehauenen Stein blocken des alten Versammlungsortes (zborisde) unterhalb einer Kirche i), und die von Pastrovidi bei ßudua auf dem Sand des ' Meeres- strandes. Ununterbrochen bis in die neueste Zeit ist die Geschichte der adligen „Congregationen" in den Zupanien von Kroatien. Ebenso erscheinen in den Ratsprotokollen von Ragusa im 15. Jahrhundert in Trebinje die Adligen und der „sbor" als oberste Autorität. Dagegen sind in den von Ragusa erworbenen Zupen die seit 12 79 erwähnten Tagungen („sborrum sive parlamentum " ) eine von der Behörde einberufene passive Bauernversamralung zu Gerichtstagen, Feststellung von Viehdiebstählen und Feldschäden, Verkündigung von Befehlen der Regierung, zur Proklamierung von Krieg und Frieden usw. In Montenegro versammelten sich die Geschlechter und Bruderschaften noch zu Menschengedenken zur Wahl der Anführer, zu Friedensschlüssen mit den Nachbai'n, zur Entscheidung von Rechtsfragen, stets an einer bestimmten Stelle, z. B. bei den Drobnjaci auf dem „Versammlungshügel" (Zborna Glavica). Heute werden dort solche Versammlungen, ebenso wie bei den alten Ragusanern, von der Regierung nur zur Verkündigung von Nach- richten oder Befehlen einberufen.

Die Rechtspflege befand sich in der Hand der Fürsten, der Zupane und der Hundertmänner. Nur im adriatischen Gebiet erscheinen eigene gewählte Richter, sowohl in den Zupen Kroatiens, als auf den Inseln bei Ragusa und bei den Pastrovici, unter dem Einfluß der Einrichtungen der dalmatinischen Küstenstädte. Im Gewohnheitsrecht gab es eine Anzahl von Institutionen, deren Be- nennungen bei allen slawischen Völkern gleich waren, so der sok, Ankläger oder Anzeiger bei einem Diebstahl, bekannt im alt- böhmischen, altrussischen, litauischen und altserbischen Recht, oder der SV od, Nachweis des Ursprungs bei verdächtigem Ankauf, z. B. von Vieh, ein Terminus, der gleichfalls in altserbischen, alt- russischen und altböhmischen Denkmälern vorkommt '^). Die Bußen

1) Abgebildet Wiss. Mitt. 10 (1907) 192.

2) Über die allgemein slawischen juridischen Termini vgl. das bist.

9*

133 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

wurden, wie in Skandinavien, in Vieh gezahlt, Pferden und Ochsen, stets nach dem Duodezimalsystem (zu 2, 6, 12 Stück), teil- weise noch im 14. Jahrhundert. Dagegen kennen die Statuten der dalmatinischen Küstenstädte nur Strafgelder in gemünztem Gelde.

Die Südslawen hatten ursprünglich, ebenso wie die Franken, Langobarden oder Norweger, keinen Adel. Auch im byzanti- nischen Reiche gab es lange Zeit nur eine Bevorzugung der reichen Klassen, aus finanziellen Gründen; die erblichen militärischen Archontenfamilien bildeten sich meist erst seit dem 10. Jahrhundert. In Serbien hat sich der höhere Adel der VI astel ine im späteren Mittelalter aus den Verwandten der Fürsten, den Stammeshäuptern und den fürstlichen Beamten entwickelt ^). Die Gemeinfreien werden noch um 1220 als „Kriegsleute" (vojnici) bezeichnet, aber im 14. Jahrhundert als niederer Adel (vlastelicici). In gewissen kleinen Gebieten der südslawischen Länder ist es sogar nie zur Entstehung eines lokalen Adels gekommen, wie auf den Inseln Meleda und Lagosta. Uralt ist die Bezeichnung der Pächter oder Bauern als sehr (neuserb. sebar), in Serbien nachweisbar im 14. Jahrhundert. Das Wort kommt auch im mittelalterlichen und modernen Rußland, bei den Litauern und in Griechenland vor, stets in der wahrscheinlich ursprünglichen Bedeutung eines Teil- habers, Halbpächters, Gesellschafters, Arbeitsgenossen und der- gleichen "-).

Die Sklaverei (rabota), Besitz, Verkauf und Freilassung von Sklaven (rob, otrok, celjad) wird noch im Gesetzbuch des Zaren

Wörterbuch des slaw. Rechtes von Hermenegild Jirecek (meinem Oheim), Prove, Prag 1904.

1) Vlastelin zuerst als Personenname 1071 auf der Insel Pago: Racki, Doc. 89.

2) Vgl. Arch slaw. Phil. 22 (1900) 211—212. Lit. sebras Hälftner, Handels- und Arbeitsgenosse. Altruss. sjaber der Teilhaber: Pskovskaja gramota (1397 f.) und das Statut von Litauen. Russ. sjabr Teilnehmer, aber auch Nachbar, Freund, Verwandter. Neugriechisch in Epirus, Thessalien, Peloponnes, auf den Ionischen Inseln of'/nnQog (1. s^bros) Teilbauer, Halb- pächter, a^/unga (1. sebra), ai^ngid Teilbauerschaft, Gesellschaft. Slaw. Grundform (mit ^ für russ. ja, serb. e) *sQbbrl.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 133

Stephan und in den dalmatinischen Stadtrechten des 14. Jahr- hunderts erwähnt, ebenso wie in allen byzantinischen Rechts- büchern (dovloi, liivyaQLu). Diese Unfreien waren sehr zahlreich. Bei der Okkupation der Hämusländer durch die Slawen hat sich zwar ein Teil der alten Bewohner, besonders die illyrischen und romanischen Hirten, mit den neuen Landesherren rasch verglichen, ein anderer Teil aber fiel in die Sklaverei. Nach jedem Krieg der Stämme untereinander wurden die Gefangenen verkauft, ebenso nach jedem gelungenen Zug der Land- und Seeräuber. Unter den Geschenken der Söhne des serbischen Fürsten Vlastimir an den Bulgarenfürsten Boris waren auch zwei Sklaven ^). Im kroa- tischen Küstengebiet gab es auf den Klostergütern Höfe (curtes), bewirtschaftet durch Sklaven beiderlei Geschlechtes. Die meisten Nachrichten enthält die Stiftungsurkunde des Klosters des heiligen Petrus von Selo bei Spalato (1080). Die Sklaven dieser Abtei, mit slawischen und rumänischen Namen, waren um 8 10 Gold- stücke (solidi) oft mit Frauen und Kindern gekauft von über- seeischen Händlern und Piraten, Langobarden aus Unteritalien, Cattarensern, Narentanern und Almissanern, einige Knaben direkt von ihren Vätern, während andere Männer durch Bürgschaft oder Schulden ihre Freiheit verloren hatten -). Das Gesetz des ser- bischen Königs Stephan des Erstgekrönten in der Inschrift von Zica (um 1220) erlaubt dem Mann, die ungetreue Frau zu ver- kaufen, wenn sie kein Vermögen besaß ^). Auf der Insel Lagosta wurde die Frau im Falle von Ehebruch noch um 1280 Sklavin (ancilla) des Comes von Ragusa *).

Die Geschlechtsverfassung der Slawen wird zuerst bei Jordanes erwähnt (S. 74) ^). Die Periode der Wanderungen erforderte eine

1) Konst. Porph. 3, 155.

2) Racki, Doc. 46, 134f.

3) Mon. serb. 14.

4) Einkünfte des Comes 12. August 1284 Div. Rag. Abgeschafft vor Abfassung des Statutes von Lagosta 1310 (Mon. bist. jur. Bd. 8).

5) Die Sippschaften werden mit Heranziehung von ungedruckten Ur- kunden besprochen in meinen Studien über das mittelalterliche Serbien, Denkschr. W. Akad. (1911).

134 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Organisation in Sippschaften, welche zugleich eine militärische Einheit bildeten und bei der herrschenden Sitte der Blutrache dem einzelnen einen Schutz boten. Nach der Einwanderung in die römischen Provinzen mußte die Gentilverfassung auch einen Halt gegenüber den älteren Einwohnern gewähren. Gut bekannt sind die Sippschaften in zwei Zonen: im Norden im küstenländischen Kroatien im 12. 15. Jahrhundert, im Süden in der südlichen Herzegowina und in Montenegro im 13. 19. Jahrhundert, hier im territorialen Anschluß an die heute noch lebende Stammver- fassung der Albanesen. Die nördliche Gruppe entwickelte sich zu einer aristokratischen Geschlechtsverfassung, als ein zahlreicher, allerdings meist armer Landadel; die südliche Gruppe war ur- sprünglich teilweise auch adliger Art, hatte aber in der Neuzeit mehr einen demokratischen Typus. Diese Einrichtungen standen in keinem Zusammenhange mit der Landeseinteilung, eher in einem Gegensatz dazu. Im Süden haben die Sippschaften sogar die alte Zupenverfassung gegen Ende des Mittelalters überwuchert; z. B. die Namen der einstigen Zupen von Vrsinje, Onogost und Papratna sind ganz verdrängt worden von den darin angesiedelten „pleraena" der Zubci, Niksici und Mrkovici. Bei dem Vorherrschen der Vieh- zucht fiel es den Sippen nicht schwer, ihre Wohnsitze zu verändern. In ihrer Organisation beruhte die südslawische Geschlechtsver- fässung auf der fiktiven Abstammung von einem gemeinsamen Stammvater, ganz in der Art, wie die hellenische rpvXy, die römische gens, der albanesische fis, die langobardische fara und der schottische clan. Die Sippschaft heißt bei deii Serben und Kroaten pleme, „Geschlecht" (in lat. Urkunden genus, generatio, proge- nies, parentela, parentatus, griech. yered). Sie ist zusammengesetzt aus „Bruderschaften'^, bratstvo genannt (brat Bruder), bei den Ragusanern als fraternitk übersetzt, wörtlich gleich der alt- griechischen (pQaTQia, der Unterabteilung der Phyle. Die Mit- glieder der Bruderschaft, welche ein oder mehrere Dörfer bewohnt, betrachten sich als Blutsverwandte und heiraten nicht untereinander, die Herzegowiner nicht bis auf zwanzig Grade. Im mittelalter- lichen Kroatien hießen die Unterabteilungen der Sippe k o 1 j e n o {wörtlich Knie). Die Bruderschaft teilt sich wieder in einzelne Famihen, welche als „Haus" (kuöa, in den Denkmälern Kroatiens

Die Serben im 7.— 10. Jahrhundert usw. 135

hiza) oder als „Verwandtschaft*' (rod) bezeichnet werden ^). Die Namen der Sippschaften und Bruderschaften bleiben oft viele Jahr- hunderte lang unverändert, während die Patronymika der einzelnen Häuser in der Regel nur Vatersnamen sind und mit jeder Gene- ration wechseln können. Schon im 14. 15. Jahrhundert führte der einzelne Mann im Süden vier Namen: seinen Vornamen, den Namen des Vaters, der Bruderschaft (oder des Dorfes) und des Geschlechtes. So gehört die jetzige Königsfamilie von Montenegro zum Geschlecht (pleme) der Njegusi, in die Bruderschaft (brastvo) der Herakoviöi, nach denen eines der zehn Dörfer der Njegusi benannt ist, und bildet die Familie (kuda) der Petrovici.

In Kroatien waren die Mitglieder der Sippschaften das Herren- volk im Lande zwischen Zengg und Almissa, angesiedelt in Höfen und Dörfern zwischen Untertanen Hirten, Bauern und Sklaven -). Die ursprüngliche Siebenzahl wurde zu einer Zwölfzahl vermehrt, den „duodecim generationes Croatorum". Im Laufe der Zeit sind einzelne Zweige zu großen Magnatenl'amilien emporgeblüht, während andere verarmten oder gar Beamte und Untertanen der glück- licheren Linien wurden. Ihr Kennzeichen war ihr gemeinsames, sehr einfaches Wappen. Die Kacidi von Almissa, welche in den Verträgen mit den Ragusanern und Venezianern im 13. Jahr- hundert stets mit langen Reihen von Namen auftreten, nennt Kinnamos ein „Volk" (rö KaxLi/iltov tO-vog). Die Mogorovici, die im IL 13. Jahrhundert bei Zara saßen, später aber im Velebit und in der Lika, zählten nach Klaid um das Jahr 1500 an 50 Familien; eine derselben, die Draskovici, hatte damals 35 erwach- sene Männer. Mit der Zeit vermehrte sich die Zahl der Sippen; die neuen waren teils selbständig gewordene Zweige der alten „generationes", teils Geschlechter neu erworbener Gebiete, besonders narentanischcn und westbosnischen Ursprungs, endlich Emporkömm- linge im königlichen Dienste. Zersprengt wurde diese alte Organi- sation durch die Umwälzungen der Türkenkriege. Ihre Nach- kommen sind aber heute noch unter dem Adel des nördlichen

1) In südslawischen und russischen Denkmälern bezeichnen dieselben Termini (pleme, rod) auch eine Dynastie.

2) V. Klai6, Die kroatischen Geschlechter des 12. 15. Jahrh. (Hrvatska plemena): Kad 130 (1897) 1—85.

136 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Kroatiens zu finden. Im Gebiet an der Kulpa, Save und Drau^ wo z. B. das Geschlecht von Klokoc (1224) 115 Mann zum Heere auszurüsten hatte, bildete die Organisation der Sippen kein System, wie an der Küste. In der Landschaft Poljica bei Spalato gab es seit dem 15. Jahrhundert neben Bauern und Hirten zwei Adels- klassen : einerseits drei Geschlechter (plemena) oder Bruderschaften (bratstva), die aber nicht zu den zwölf altkroatischen Sippen ge- hörten, anderseits die viel zahlreicheren, seit dem 12. Jahrhundert auch auf den Inseln Brazza und Lesina und bei der Stadt Trau erwähnten dedici, „die Erben", welche aus einer anderen Schicht der Gemeinfreien entstanden waren. Auch in Bosnien war die herrschende Klasse gruppiert in Geschlechter, Bruderschaften und Häuser. In den Urkunden der bosnischen Bane und Könige aus dem 14. und 15. Jahrhundert erscheinen die Adligen als Zeugen stets mit dem stereotypen Zusatz „mit den Brüdern" (s bratijom) ; jeder einzelne war demnach Zeuge nicht nur für sich allein, sondern in Vertretung seiner Verwandtschaft. Im 15. Jahrhundert schlössen die mächtigen Magnaten Sandalj, Radoslav Pavloviö und Stephan Vukcic Verträge mit Ragusa stets an der Spitze ihres Geschlechtes (pleme) oder ihrer Bruderschaft (bratstvo). Nicht anders war es in Zachlumien, ebenso in Trebinje und Canali, wo im 14. und 15. Jahrhundert das hervorragendste Geschlecht die Ljubibratidi waren, geteilt in viele Linien (Ljubisici, Obuganici, Vranicici usw.).

Die Geschlechter in der südlichen Herzegowina, am Golf von Cattaro und im jetzigen Königreich Montenegro lassen sich bis zum 14., in einem Falle bis zum 13. Jahrhundert zurück verfolgen. Die Namen sind teilweise von slawischen Personennamen abgeleitet, wie die Njegusi von Njegus i) (Stamm njego- ersehnen, pflegen; vgl. Njegomir, Njegoslav, Njego van, Njegota), die Ozrihnici (jetzt Ozrinidi) von Ozrihna. Andere haben einen christlichen Ursprung: die Ceklici von ihrer noch bestehenden Hauptkirche der heiligen Thekla, die Bijelopavlici von einem „weißen Paul" (bijeh Pavle), die Niksici von Niksa (Kurzform für Nikolaus"), die Vasojevici von Vaso (Diminutiv zu Vasihj). Einen adligen Charakter bewahrten

1) Ein Njegus um 1220 Mon, serb. 12. Auch in Polen Niegusz.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 137

die Pastrovici bei Budua, die seit 1423 bis zum Falle der vene- zianischen Republik eine abgeschlossene Adelsgemeinde bildeten, im 16. Jahrhundert an 1000 waffenfähige Mann stark. Aus dem ragusanischen Urkundenmaterial ist die Entstehung der „plemena" aus Hirtendörfern oder Katuni zu erkennen. Die Zubci, Banjani, Drobnjaci usw. werden anfangs nur als Katune erwähnt, aber bald sieht man, daß jedes Geschlecht auch mehrere Katune umfaßte. Die Venezianer bezeichneten im 15. Jahrhundert die Bergstämme als Genossenschaften (compagnie) oder Gemeinden (corauni), ein- geteilt in Dörfer (ville, cathoni) ^). Die Zubci werden in den mir bekannten Denkmälern seit 1305 genannt, die jetzt nicht mehr bestehenden Rigiani oberhalb Risano in den Landschaften von Krivosije und Grahovo seit 1430, die Priedojevici und Male- sevci bei Bilece im 14. Jahrhundert, die Bahjani seit 1319, die Drobnjaci am Durmitor seit 1354. In Montenegro kommen die zuletzt an 400 Häuser starken Njegusi oberhalb Cattaro seit 1435, die ihnen benachbarten Ceklici seit 1381 vor, die Bjelice seit 1430, die Bijelopavli ci im Tale der Zeta seit 1411, zu- gleich mit den Ozrihnici, die Piperi seit 1416, die Vaso- jevici seit 1444, wo sie noch nicht am oberen Lim, sondern bei der Burg Medun wohnten, die einen nicht slawischen Namen führenden Mataguzi bei Podgorica seit 1330. An der Küste werden die bereits erwähnten Pastrovici 1355 zuerst genannt, als Edelleute in Diensten des Zaren Stephan, die benachbarten Mahine 1435, die seit dem 18. Jahrhundert größtenteils zum Islam bekehrten Mrkovici (oder Mrkojevici) zwischen Antivari und Dulcigno 1409. Andere Stämme sind verschwunden: die im 14. Jahrhundert genannten Mataruge, bekannt aus den Sagen von Grahovo, die im 15. Jahrhundert erwähnten Luzani (von lug Hain), damals ein großer Stamm nördlich vom See von Skutari neben den Bijelopavlici, und die Malonsici im Zetatale. In einer Urkunde des Königs Stephan Uros I. erscheinen um 1260 an der Tara die Kricane, von denen eine Landschaft bei Kolasin Kricak heißt-). Die Sagen der Drobnjaci erzählen, die tapferen Kric-

1) Ljubic 10, 68, 151.

2) Spomenik 3, 9,

138 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

kovici oder Kricki seien die Ureinwohner des Gebietes der Jezera (der „Seen") auf den Abhängen des Durmitor gewesen, von den Vorfahren der Drobnjaci seit 20i> Jahren verdrängt; ihre Nach- kommen, teils Mohammedaner, teils Christen wohnen unter den Bergen bei Nefertara. Diese altertümliche Stammverfassung blühte in Montenegro noch bis 1850; sie nahm ein Ende nach der Ein- führung der weltlichen Fürstenwürde, mit der Ersetzung der alten, auf Lebenszeit stets aus derselben Bruderschaft gewählten Vojvoden der „plemena" durch fürstliche „Kapitäne" und mit der neuen, ohne Rücksicht auf die alten Stammgrenzen eingerichteten Landes- einteilung. Aber in der Tradition lebt sie fort ; es ist merkwürdig, wie die Auswanderer z. B. im jetzigen Königreich Serbien oft nach mehreren Generationen genau wissen, welchem Stamm und welcher Bruderschaft sie angehören. In das Hügelland des Ostens zum Ibar und zur Morava reichte die Stammesorganisation auch im Mittelalter nicht hinein. Die Natur des Landes war dort ihrer Entwicklung nicht günstig, ebenso die größere persönliche Macht der Fürsten und Könige.

Die Lebensverhältnisse der alten Zeit führten dazu, daß sich die Familien nicht gerne trennten und daß Väter, Brüder, Söhne, Schwiegersöhne und Enkel mit Frauen und Kindern oft in Güter- gemeinschaft blieben. Strabo erzählt von den Iberern, den Vor- fahren der heutigen Georgier des Kaukasus, die Besitzungen seien bei ihnen gemeinsam innerhalb der Verwandtschaft, in welcher das älteste Mitglied herrscht und vorwaltet ^). Solche große Familien, 25 100 Seelen stark, gibt es heute noch bei den Osseten des Kaukasus. Bei den Griechen des Mittelalters kommen 1262 in der Beschreibung der Güter des Bistums von Kephallenia Familien von 16 17 Personen vor; die Tionares, Söhne eines Papas Lazaros, zählten sogar 23 Seelen -). Die Anhäufung von ungeteiltem Be- sitz in der Hand einer weitverzweigten Verwandtschaft, wie sie aus den byzantinischen Urkunden des 13. Jahrhunderts bekannt ist^), war meist eine Folge des sogenannten Näherrechtes (7vqo-

1) Koivai ä'efaiv uvroTg al XTi'jdfis xcträ av/y^vtiav , üqj^h öi 'xal TK/uisvti ixäoTTjv 6 notaßvTajog. Strabo XI p. 501.

2) Acta graeca 5, 43.

3) Bezobrazov: Viz. Vrem. 7 (1900) 160-161.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 139

xli^rfiiq), des Vorkaufsrechtes der Verwandten. Wie Alfons Dopsch unlängst gezeigt hat, gab es auch in Westeuropa solche Besitz- gemeinschaften: in Spanien, Frankreich, in Südtirol, in den deut- schen Alpenländern besonders die Schweizer „Gemeinderschaft", wo Großeltern, Kinder und Enkel auf ungeteiltem Gute wirt- schafteten, und die Tiroler „Gemeinhauserei", mit „Mithausern'' unter dem „Vorhauser'' genannten Oberhaupt, welche im Puatertal noch 1820 bestand i). Diese Besitzgemeinschaften sind bekannt in allen slawischen Ländern. Im kargen Karstboden des küsten- ländischen Kroatiens erscheinen in den Urkunden des 15. Jahr- hunderts die Grundbesitzer als Nachbarn, Käufer oder Verkäufer stets gemeinsam mit ihren Söhnen, Brüdern und Enkeln -). In der Landschaft Canali werden um 1419 kurz vor und nach der Besetzung des Gebietes durch die Ragusaner sowohl Grundherren als Pächter erwähnt, die ungeteilt mit Vätern, Brüdern und Neffen ein Gut bewirtschafteten. Ein venezianisches Dokument berichtet um 1465, daß in den Landschaften Lustica, Bogdasici und Ljese- vici südlich vom Golf von Cattaro, welche damals zusammen öO Dörfer (ville) mit ungefähr 900 Feuerstellen (fuochi) und 1000 waffenfähigen Männern zählten, die Familie 10, 15, 20 und mehr Personen stark sei -^j. Für das mittelalterliche Serbien ist das Material spärlich. Die großen Klosterurkunden des 14. Jahr- hunderts betreffen meist die erst seit dem Ende des 12. Jahr- hunderts eroberten und größtenteils neubesiedelten Landschaften des Ostens, nicht die alten Stammgebiete des Westens. Genau beschrieben sind die Bauernhäuser, über 2000, nur in den Ur- kunden des Klosters Decani (1330 1336). Nach den Berech- nungen von Novakovic in der Studie über das altserbische Dorf ^) gab es einzelne Familien, die 7 11 männliche Köpfe zählten, selten 13 16; zwanzig Männer zählte eine einzige in dem aus zerstreuten Gruppen von Höfen bestehenden Dorf Seros im Ge- birge bei Pe6. Bei den stärkeren Häusern ist der Großvater

1) Alfons Dopsch, Die ältere Sozial- und Wirtschaftsverfassung der Alpenslawen (Weimar 1909) 147—172.

2) Mon. bist. jur. 6, 135, 189, 346.

3) Belege in meiner Abh. über das mittelalterliche Serbien.

4) Novakovic, Selo (Glas Bd. 24) 184 f., 230 f.

140 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

(ded) genannt, ein traditioneller Vorfahr zum Identitätsnachweis der Untertanen. Diese s^tärkeren Häuser waren aber in den Dör- fern von Decani überall in Minorität gegenüber den schwächeren Häusern, z. B. in Cabic nur 19 von 182, in Gorane 17 von 74. Dabei ist nicht zu vergessen, daß die Bevölkerung damals infolge der Kriege, Fehden, Räubereien, Hungei'snot und Krankheit über- haupt geringer war als heute.

Die Reste dieser Institution konnte man 1800 1860 noch gut beobachten ^j. Man nennt diese unter einem gewählten Ober- haupt, „Altesten" oder „Hausvater" (starjesina, domacin) in Gütergemeinschaft lebende große Familie meist nur ku 6a (Haus), mit einem neuen Terminus zadruga (Genossenschaft), in West- bulgarien rod, im Amtsdeutsch der ehemaligen österreichischen Militärgrenze die „Hauskommunion". Das sichtbare Merkmal des gemeinschaftlichen Haushaltes ist der gemeinsame Herd; die Mit- glieder des Hauses „eßen aus einem Kessel". Durchschnittlich zählten solche Haushaltungen au 20 Seelen; mehr als 30 Familien- mitglieder waren eine Seltenheit, mehr als 50 eine große Aus- nahme. Vertreten war diese Institution in der Neuzeit ebensogut auf türkischem, als auf österreichischem, venezianischem und ragu- sanischem Boden. Ihre Verbreitung war verbunden mit dem Vorherrschen des Hirtenlebens und nach einer Bemerkung von Cvijiö mit dem Typus der weit zerstreuten Dörfer, deren kleine Häusergruppen eben als Niederlassungen der Zadrugas entstanden waren. An Grundbesitz war die Zadruga überhaupt nicht ge- bunden. Im Gebiet der ragusanischen Republik behauptete sie sich am zähesten bei den landlosen Bauern von Canali, welche nur Kolonen auf den Gütern der Adligen und Stadtbürger von Ragusa sind; noch zu Menschengedenken waren drei Viertel der Bauernfamilien von Canali Zadrugas, je 10 15 Personen stark. Vor einem halben Jahrhundert traf man diese Einrichtung bei den Bergstämmen der südlichen Herzegowina von den Vasojevici bis zu den Zubci, in einigen Gegenden Bosniens, im Küstenlande bei den Pastrovici, den Canalesen und in ganz Norddalmatien, in

1) Die Literatur seit 1783 bespricht Dr. Ivan Stroh al: Glasnik bos. 21 (1909) 215 f.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 141

der seit dem 16. Jahrhundert größtenteils durch serbische Flücht- linge neu kolonisierten österreichischen Militärgrenze, in einzelnen Landschaften Kroatiens und Slawoniens, im ganzen Königreich Serbien, in Westbulgarien bei Sofia und Trn, im nördlichen Ma- kedonien bei Kratovo und Stip. Im westlichen Montenegro kommt nur die kleine ,, Einzelnfamiiie" vor (inokostina, inokosna ku6a, von inokosan, einzeln, einsam); der Vater lebt mit seinen erwach- senen Söhnen in ungeteiltem Besitz, welcher der gesamten Familie gehört, so daß der Vater ohne Einwilligung der Söhne nicht damit verfügen kann ^). Heute gibt es nur schwache Reste dieser Be- sitzgemeinschaften. Die moderne Entwicklung der Individuahtät, vereint mit dem neuen Rechtsleben und Steuerwesen hatte die Teilung und Auflösung des alten Familienbandes zur Folge.

Unbekannt ist der Unterschied zwischen der heidnischen und christlichen Familie bei den Südslawen. Bei den heidnischen Russen herrschte Polygamie, wobei man die eigentlichen Frauen (zena) und Nebenfrauen -) unterschied, bekannt aus den Schil- derungen der Araber und der ältesten Chronik von Kiew. Groß- fürst Vladimir hatte vor seiner Bekehrung in Kiew und Um- gebung Hunderte von Weibern aus allen benachbarten Völkern, und noch um 1100 pflegte bei den Stämmen der Severjane, Vja- tiöi und Radimici der Mann 2 3 Frauen zu besitzen. Bei den Südslawen wurde die Ehe, wie aus den noch bestehenden Ge- bräuchen zu ersehen ist, teils durch Raub oder Entführung (otmica), allerdings nach früherer Vereinbarung beider Teile, teils durch Vertrag oder Kauf geschlossen ^). Über die ursprüngliche Poly- gamie der Serbokroaten sind keine Nachrichten erhalten. Sicher ist es aber, daß nach dem heidnischen Eherecht die Trennung der Ehegatten und die Schließung einer neuen Ehe sehr leicht

1) Bogisic, De la forme dite inokosna de la famille rurale chez les Serbes et les Croates, Paris 1884.

2) Die Beischläferin heißt bei den Russen und Südslawen naloznica (die „Beigelegte"), bei den 8üdslawen hotimica (Lam. Rag. 1411, die „Gewollte"), povodnica (die „Herbeigeführte", im Nomokanon) und po- 8adnica(die „Eingesetzte", Viz. Vrem. 2, 103; noch jetzt im Rumänischen).

3) Bogisic im Knjizevnik 3 (186H) 182 f, 232 f. Lilek, Wiss. Mitt. 7 (1900) 326f. Dr. M. V. Smiljani(5, Glas 64 (1901) 171f.

143 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

war. Es gab daher bei vielen slawischen Völkern im Süden und im Norden noch lange einen Widerstand gegen die kirchliche Unaut löslichkeit der Ehe, in Mähren, Pannonien und Kroatien im 9. Jahrhundert, in Serbien noch unter Stephan dem Erst- gekrönten. Die Eheschließung nach dem nationalen Gewohnheits- rechte wurde in Serbien erst spät durch die bei den Byzantinern seit dem 9. Jahrhundert allein gültige kirchliche Ehe verdrängt. Der Erzbischof Sava ließ (um 1220) durch seine Protopopen überall die Ehepaare, Greise, mittleren Alters und junge Leute, samt ihren Kindern in den Kirchen versammeln und ihnen den ,, gesetzlichen Segen " erteilen ^). Noch das Gesetzbuch des Zaren Stephan bedroht die ohne Beteiligung der Kirche geschlossene Ehe mit der Scheidung. Die Leichtigkeit der Ehescheidung hat wohl der Verbreitung der Lehre der Bogomilen in Bulgarien und besonders in Bosnien die Wege geebnet. Heute noch besitzen Rumänien und Montenegro ein freieres Eherecht, als andere Länder der orientalischen Kirche.

In einem Zeitalter, in welchem Stammfehden und Blutrache alltäglich waren, hatte neben der Blutsverwandtschaft den größten Wert die angenommene, künstliche Verwandtschaft. Eine Form ist die Wahlverbrüderung (serb. pobratimstvo) zwischen Wahl- brüdern und Wahlschwestern, bekannt bis in die neueste Zeit. Man traf sie auch bei den Byzantinern (ddeXffOTroir^aig), bei den Wlachen in Thessalien im 11. Jahrhundert -), bei den Russen und Polen noch im 16. Jahrhundert '*). Die mittelalterlichen süd- slawischen Termini sind pobrat der Wahlbruder und posestra die Wahlschwester •*), die modernen pobrat im und posestrima. Die Verbrüderung (bratotvorenije, bratimiti se) wurde in der christ- lichen Zeit ganz feierlich in der Kirche vollzogen, mit eigenen Gebeten ^). Das Verhältnis der in die Wahlbruderschaft oder Wahlschwesterschaft eintretenden Personen beiderlei Geschlechtes entsprach der echten Geschwisterliebe, erforderte sittliche Reinheit

1) Domentian 243 f.

2) Kekaumenos p. 49, 74.

3) Brückner, Arch. slaw. Phil. 15 (1893) 314.

4) In Personennamen des 14. Jahrb.: meine Rom. Dalm. 3, 52.

5) Texte: Glasnik 22 (1867) 85-90 und 63 (1883) 276—287.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 143

und unverbrüchliche Treue und galt als unauflöslich. Eine ganz christliche zweite Form war die Gevatterschaft (kumstvo, com- paternitas, ovvTS/.via), welche in Friedensverträgen und bei der Schlichtung der Blutrache so oft erwähnt wird. Sie hatte nicht nur für einzelne Personen, sondern auch für die gesamte Bruder- schaft Geltung Eine Rolle spielt sie schon in den Verhältnissen zwischen dem bulgarischen Kaiser ^^ymeon und dem serbischen Fürsten Peter Gojnikovic Peter hatte Frieden mit Symeon, be- kräftigt durch Gev^atterschaft. Als es zum Bruch kam, zogen die Feldherren Symeons in Serbien ein, betörten den Fürsten Peter durch Abschluß einer wohl neuen Gevatterschaft und durch Eide, nahmen ihn aber bei der persönlichen Zusammenkunft treulos ge- fangen ^).

Die Besiedlung des Landes durch die Slawen hat sich in Formen vollzogen, welche vielfach eine Rückkehr zu den vor- römischen Zuständen bedeuteten. An die Stelle der großen um- mauerten Stadtgemeinden und der dichtgedrängten Dörfer, deren Typus noch in Griechenland, Unteritahen und Spanien zu sehen ist, traten wieder Landgaue, umgeben von großen Wählern und besiedelt von einer vorwiegend Viehzucht treibenden Bevölkerung. Die neuen Einwohner hausten in offenen Dörfern, meist Gruppen von weit zerstreuten Einzelhöten , hatten keine städtischen Orga- nismen und besaßen als Zufluchtsstätten für den Kriegsfall nur einzelne Burgen, zum Teil illyrischen und römischen Ursprungs, die festen „castella" und „civitates", welche die fränkischen Annalen um 820 in den Gebieten des Borna, des Ljudevit (ein Kastell „in arduo monte") und der Serben erwähnen. Heute noch unterscheidet Cvijic auf der Balkanhalbinsel, neben der griechisch-aromunischen, der italienischen und der durch die neuen Verkehrsmittel sich ausbreitenden mitteleuropäischen Zone mit ihren Städten und stadtartig angelegten Dörfern eine Zone der ,,pa- triarchalen Kultur". Sie umfaßt den größten Teil von Bosnien samt der Herzegowina, Montenegro, Albanien mit Ausnahme der Küstenstriche, Serbien mit Altserbien, Nordbulgarien und einzelne Gebirgslandschaften Makedoniens. Der größte Teil Makedoniens

1) Konst. Porph. 3, 156—157.

144 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

wurde ihr seit dem 11. Jahrhundert durch den byzantinischen Einfluß entzogen. Ihr Typus, mit der alten Geschlechts Verfassung, den weit voneinander liegenden meist hölzernen Häusern, der Blut- rache, dem Vorwiegen des Hirtenlebens und dem Karawanen- handel mit Saumtieren ist am besten erhalten in einigen teils ser- bischen, teils albanesischen Gebieten: im östlichen Montenegro, in den benachbarten Teilen der Herzegowina, in den Landschaften zwischen Montenegro und Serbien und im Bergland Nordalbaniens i). Nach der Einwanderung der Slawen war das Land viel dichter bewohnt, als in den Zeiten der Völkerwanderungen, aber stellenweise sind große Einöden übrig geblieben, in deren Wald- wüsten Auerochs, Wisent und Elch ungestört leben konnten (S. 15). Es ist charakteristisch, daß die meisten Ortsnamen, welche Erinnerungen an die Auerochsen (slaw. tur) enthalten, im Savegebiet vorkommen, in Krain, Kroatien und Bosnien. Die Bevölkerung zog durch Rodung der Wälder langsam bis in große Höhen hinauf, z. B. am Durmitor gegenwärtig bis 1500 Meter Seehöhe. Archäologische Untersuchungen der Zukunft werden zeigen, wie weit sich die slawischen Ansiedlungen direkt an die römischen Dörfer und Landgüter anschlössen. Es fehlt nicht an Fällen, wo prähistorische Tumuli, römische Inschriftsteine und mittelalterliche Kirchen und Gräber unmittelbar nebeneinander liegen. Unversehrt haben sich römische Bauwerke nur auf byzan- tinischem Boden erhalten, wie der von den Spalatinern bewohnte Palast des Diokletian. Ein großer Teil der antiken Städte blieb unbewohnt in Ruinen hegen. In den Mauern anderer Gemeinden haben sich die Slawen eine Burg eingerichtet, natürlich ohne städtische Verfassung. Wenn dies gleich bei der Okkupation des Landes geschah, hat sich der alte Stadtname mit einer kleinen Umformung erhalten. Deshalb erscheinen bei der Errichtung von Bistümern zahlreiche ehemalige Römerstädte wieder als Zentrum ihrer Landschaft. Die Umformung der antiken Namen geschah entweder nach bestimmten Lautregeln oder mit Unterschiebung eines Sinnes durch ein anklingendes slawisches Wort. In dem Falle, wo die Städte römischen Ursprungs in der slawischen Periode

1) Cvijic, Naselja 1 S. XXX f.

Die Serben im 7 10. Jahrhundert usw. 145

einen ganz neuen Namen erhielten, wie die „weiße Burg" Belgrad (Siugidunum) oder die Burg des „Verteidigers" (branic) Branicevo (Viminacium), war zwischen dem Untergang der antiken Stadt und ihrer Neubesiedlung jedenfalls eine längere Zeit verflossen. Auch die Städte des byzantinischen Gebietes erhielten mitunter bei den Slawen neue Namen, voran Konstantinopel als „Kaiser- stadt" Cesar'grad, später Carigrad (S. 80), oder Ragusa als Dubrovnik (von altserb. dubrova Hain). Nur an der Küste der Halbinsel, im Westen in Dalmatien und Albanien behauptete sich seit der frühchristlichen Zeit eine Menge von Ortsnamen aus den Heiligennamen der lokalen Kirchen; im Binuenlande, in Bulgarien oder Serbien, sind solche Namen sehr selten, in Bosnien fehlen sie ganz ^). Neben den Resten der älteren geographischen Nomen- klatur entstand eine neue slawische, mit Hunderten von neuen Fluß- und Bachnamen und Tausenden von Dorf- und Flur- namen.

Die Grundlage des Grundbesitzes bei den Südslawen war das Erbgut, über welches der Besitzer frei verfügen konnte Die Benennungen teilen sich in zwei Gruppen. In der einen Gruppe, im Nordwesten, wurde das unbewegliche Gut bezeichnet als Besitz des Geschlechtes, in Kroatien als plemensdina (Geschlechtsgut) in Bosnien als plemenita zemlja (Geschlechtsland) oder kurz als plemenito, in der Herzegowina '^J als plemenita bastina (Geschlechtserbgut). Man könnte daraus auf ein ursprünglich der ganzen Sippschaft gehörendes, später unter die Mitglieder der- selben aufgeteiltes Territorium schließen. Die zweite, im Südosten herrschende Gruppe, auch den Nordslawen bekannt, bezeichnet das Land in adjektivischer Form als Gut der Voreltern, Groß- väter oder Väter: djedina (von djed Großvater), besonders in Bosnien üblich, aber auch in Serbien nicht unbekannt 3), das

1) V^gl. mein Clirist. Elem. 18 f.

2) Mou. serb. 217 (!391). Wiss. Mitt. 3 (1895) 495 (1460).

3) Alles Adj. poss. fem. auf -ina; zu ergänzen ist zemlja Land. Schenkungen in Bosnien als „djedina": Urk. des 14. Jahrb., Glasnik bos. 18 (1906) 403 f. ,,Dedine zemlje": Kajjusa 12.53 Mon. serb. 38. „PlemenScina didina" der Mogorovici in Kroatien 1497 Mon. bist. jur. 6, 418. D. in Ser- bien: Mon. serb. 4, König Stephan cap. 7. Später djedina, ebenso wie

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 10

146 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

seltenere otBcina (von otac Vater) ^), zuletzt basti na (von basta Vater), das in Serbien seit 1300 allein vorherrscht, im Küstenland mit „Patrimonium" übersetzt. Diese Ausdrücke, besonders der letzte, haben in der späteren Zeit die Bedeutung einer Erbschaft überhaupt angenommen 2). Der Grundbegriff ist gleich dem byzan- tinischen Erbgut oder Elterngut, dem Kern des ursprünglichen freien Grundbesitzes im oströmischen Kaisertum (yoviy.dv /.cTjjiia, yoviAOv xiüQceq^iov, yovr/.rj VTiooraoig, yovr/.sia) oder dem Besitz der „Elterngutleute" {yoviytaQioL), die wörtlich den altserbischen basti- nici entsprechen -^j. Der nicht urbar gemachte Boden hieß ledina, die Rodung oder die neu angelegte Kultur laz, in den Urkunden in der Regel mit einem Personennamen bezeichnet, z. B. „laz" des Bratomir oder des Hranoje; das angebaute Feld ist njiva, sämt- lich bei den Slawen allgemein verbreitete Termini. Der einzelne Hof, das Wohnhaus samt dem bebauten Grundstück, hieß selo, eigentlich „das Besiedelte", in Ursprung und Bedeutung voll- ständig der lateinischen „sessio" entsprechend. Mit „selo" wird äygög (der Ackergrund) der griechischen Gesetzbücher wieder- gegeben ^). In den Urkunden des Gebietes von Zara ist 1042 die lateinisch umgeformte seUa gleich einem Hof, der „curtis"^). Ebenso ist in der Umgebung von Cattaro und Ragusa in den Urkunden 1270 1350 sella die einzelne „villa" oder das „casale", das Landhaus, bewohnt von den Besitzern und ihren Pächtern und

bastina; Patrimonium, hereditas, patria; vgl. Rjecnik. Böhm, dedina einst Erbgut, jetzt Dorf.

1) „OtiiCina dedina", väterliches Erbgut: Biographie des Nemanja von Sava p. 1. ,. Ocina" geschenkt dem Kloster Krusedol 1496 Mon. serb. 541. Ocevina das Erbgut bei den Drobnjuci: Tomic, Naselja 1, 394. Russ. votcina: erbliches unbewegliches Gut.

2) Vater russ. batja, bat'ko; bulg basta; serbokroat. basta = caca = otac in den altragusanischen Sprichwörtern bei Daniele, Poslovice nro. 1159, 32 S5; altserb. basta ein Würdenträger im Kloster Chilandar. Miklosich, Etym. Wort, hält das Wort für türkisch, Daniele (^im Rjecnik) für slawiscl:, Berneker für eine Koseform zu slaw. bratri, Bruder. Adj. fem. dazu kirchenslaw., altserb , bulg. bastina.

3) Pancenko, Izvestija arch. inst. 9 (1904) II 2 ff.

4) Im vo^uog ytwQyixog. Vgl. Jagic, Arch. slaw. Phil. 15, 109. 5") Racki, Doc. 46.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 147

umgeben von Wein- und Obstgärten. Desgleichen ist „selo" das Grundstück des einzelnen Besitzers auch in den altserbischen Klosterurkuuden des 14. Jahrhunderts, ebenso im Statut von Poljica, in glagolitischen Urkunden aus Istrien aus dem 15. Jahr- hundert und im kroatischen Urbar von Modrusa 1486 ^). Heute noch gibt es Gebirgslandschaften an der Narenta, am Lim und an der Tara, in welchen „selo'' nur ein einzelnes Gehöft oder eine ganz kleine Häusergruppe bedeutet ^). Erst im Laufe der Zeit entstanden größere Dörfer, die man in Serbien seit dem 12. Jahr- hundert gleichfalls „selo" nannte und heute noch so nennt; ihre kleinen, zersprengten Weiler oder „Fraktionen" hießen zaselije oder zaselak, wörtlich „hinter dem Dorf". Ein mittelalterlicher südslawischer Ausdruck für ein Dorf mit einem oder mehreren Häusern, jetzt im Serbokroatischen und Bulgarischen vergessen, ist VLS, später vas^). Das Haus war ursprünglich nur einzellig, mit einem einzigen Wohnraum um den Herd herum. Im Wald- land war es aus Holz, im Karstboden aus Stein errichtet. Der Araber Harun ben Jahja (um 880) erwähnt in der Beschreibung des Weges von Konstantinopel nach Rom die Route von Thessa- lonich nach Spalato, durch die Waldlandschaften „der Slawen, die Holzhäuser besitzen", bemerkt aber, daß auch die Häuser der Langobarden „nur aus Holzbrettern gebaut" sind ^). Reichere Leute, Edelleute und Fürsten, bauten sich größere Wohnhäuser, welche wohl zur Verteidigung hergerichtet waren ^). Die Typen der Dorfanlage sind nur aus der neuesten Zeit bekannt; über die älteren Stufen lassen sich kaum Vermutungen aufstellen.

1) Urk. von Banjska ed. Jagic p. 15, 23. Mon. bist. jur. 4, 65 58); 5, 29 A. 3; 6, 201.

2) Cvijic, Naselja 1, LXIIf.

3) Eine „curtis" als „ves" 1042:' Eacki, Doc. 1. c. Gorazda vts, „Dorf des Gorazd": Mon. serb. 11. Velja vas oder Velika vas (Großdorf) hieß im 14 15. Jahrb. das heutige Velicani in der Herzegowina: Wiss. Mitt. 3 (1895) 480. Heute als Dorf bei den Slowenen (ves, vas), in Böhmen (ves), in Polen (wies) usw. Urverwandt mit oixog, vicus.

4) Marquart a. a. O. 240.

5) Vgl. M. Murko, Zur Geschichte des volkstümlichen Hauses bei den Südslawen: Mitt. der Anthropologischen Gesellsch. in Wien, Bd. 35 und 36, auch S.A., Wien 1906 mit Wörterverzeichnis.

10*

148 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

Die Hauptbeschäftigung war Viehzucht. Neben Pferden und Schafen war die Schweinezucht von Bedeutung, in Pannonien schon in der Römerzeit landesüblich (S. 39). Bei den Langobarden gab es Schweineherden des Königs, bewacht von seinen Sklaven (por- carii mit dem archiporcarius an der Spitze) ^); ebenso werden in Serbien Schweine der Könige und Zaren in den Urkunden des 13. 14. Jahrhunderts erwähnt. Wilhelm von' Tyrus (1168) schildert das Land der Serben als ein gebirgiges, waldiges, un- zugängliches Gebiet mit vielen Engpässen. Die Einwohner seien ein kriegerisches Bergvolk, nur Hirten, reich an Herden, Milch, Käse, Butter, Fleisch, Honig und Wachs, angeblich ohne Acker- bau (populus agri cuiturae ignarus). An einer anderen Stelle be- schreibt er Dalmatien als ein Land v^oU Berge, Wälder und großer Weideplätze, mit sehr wenig Ackerbau (ita ut raram habeat agro- rum culturam), so daß die Einwohner allen Lebensunterhalt in ihren Herden besitzen -). Diese letztere Angabe ist nicht richtig. Es gab in den Tälern und Karstpoljen jederzeit auch etwas Ackerbau, aller- dings in einem mäßigen Umfang. Die serbische Terminologie für die Begriffe des Feldbaues steht im engsten Zusammenhang mit den bei allen slawischen Völkern üblichen Ausdrücken für die Bodenkultur und zeugt von ununterbrochener Übung seit der Vor- zeit. In den wärmeren Landschaften haben die Serben den Anbau der Weinrebe erlernt. Die Jagd war noch lange sehr ergiebig. Wie bei anderen mittelalterlichen Völkern, war die dem klassischen Altertum unbekannte, aus Indien, Persien und Innerasien stam- mende Falkenjagd auch bei den Serben und Kroaten sehr beliebt. Unter den Geschenken der Söhne des serbischen Fürsten Vlastirair an den Fürsten Boris von Bulgarien befanden sich 2 Falken {(pa't/Mvia), 2 Hunde iOAvlia) und 90 Pelze (yovvag) ^).

Die Seeschiffahrt gedieh bei den Kroaten , Narentanern und Zachlumiern; von einer Seefahrt der Travunier, Kanaliten und Dioklitier wird in der älteren Zeit nichts berichtet. Es waren kleine Schiffe; die Gondeln [/.ovöoCgai) der Kroaten hatten nach

1) Hartmann a. a. 0. 2, 2, 44.

2) Wilhelm von Tyrus II cap. 17; XX cap. 4,

3) Konst. Porph. 3, 155.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 149

Konstantin Porphyrogennetos 10 20, die Sagenen 40 Mann Be- satzung. Den Gewerbfieiß und den aus Holz, Ton, Leder und Metall geformten Hausrat dieser Zeit kennen wir nur wenig. So viel ist sicher, daß eine Fortsetzung der Bronzezeit bis tief in das Mittelalter reicht. Große Herren trugen Schmuck von Gold und Silber, arme Leute von Bronze. Spätrömische Bronzen, Griffel, Knöpfe, Schnallen usw. fand man auf dem Berge Debelo Brdo bei Sarajevo mit einer Münze des Kaisers Justinian ^). Aus späteren Zeiten gehören dazu nicht nur die byzantinischen Leuchter, Kreuze, Gefäße, Gewichte, Medaillen, Amulette usw. aus Bronze (xaX-/.6g), sondern auch viele primitive Kleinfunde des Hämus- und Donaugebietes. Silbermünzen der ungarischen Könige des 11. Jahrhunderts (1038 1095) bestimmen die Zeit, welcher die von Dr. Brunsmid untersuchten, merkwürdigen Reihenfried- höfe im Dorfe Bijelo Brdo bei Esseg und die ähnlichen Funde von Svinjarevci bei Vukovar in Slawonien angehören -). Es ist der ärmliche Hausrat einer Bevölkerung, die von Ackerbau, Viehzucht, Jagd und Fischerei lebte. Unter dem meist durch Guß hergestellten Metallschmuck überwiegt der primitive Zierat aus Bronze: die auch in Dalmatien, Bosnien und Serbien, ebenso in den nordslawischen Ländern vorkommenden S-förmigen Schläfen- ringe, ferner Ohrringe, Fingerringe, Hals- und Armringe, Schellen und andere Anhängsel, sowie Fibeln. Die besseren Stücke sind aus Silber. Daneben fand man Glasperlen, Muscheln, durchlochte, als Schmuck verwendete römische Kupfermünzen, eiserne Messer und Sicheln und einfaches Tongeschirr. Auf einigen dieser slawo- nischen Bronzestücke ist auch das Kreuzeszeichen ersichtlich. In Serbien fand Dr. Vasid ^) bei Ausgrabungen bisher nur Reste des späteren Mittelalters: bei Poljna im Kreis von Jagodina Gräber unter Steinplatten, deren Skelette gegen Osten orientiert waren und Spuren von Holzhäusern, mit Eisengerät, Topfscherben und einem silbernen Schläfenring, ebenso bei der Burg Stalaö am Zu- sammenfluß beider Moravas Töpferwaren mit Kreuzstempeln. Die

1) Fiala, Wiss. Mitt. 4 (1896) 65, 72.

2) Vjesnik arheol. N. S. 7 (1903) 30—97.

3) Godiinjak 19 (1905) 251 f.; Starinar N. S. 1 (1906) 39 f.

150 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

alten Termini des Schmuckes sind uns bekannt: grivna Halsring^ Halsband oder Halskette, in Rußland, ebenso in den glagolitischen Urkunden aus Kroatien und in Böhmen eine Münze, da die Hals- ketten später aus Münzen bestanden i) ; o b r u c , n a r u k v a oder narukvica der Armring 2), obotci Ohrringe, zapon^) die Spange oder Fibel, pojas der oft schwere Gürtel. Bronze und Kupfer bezeichneten die Slawen mit demselben Wort (mjedj ^). Auch der Ausdruck brondium, bronco war in den mittelalter- lichen Städten Dalmatiens für Kupfer in Gebrauch; nach Kara- bacek stammt er aus Persien '^). Die alte Bronzeindustrie mit der Kunst, Bronzewaffen zu schmieden, lebte am längsten im Kaukasus, wo sie noch im lö. Jahrhundert von einem der letzten byzanti- nischen Historiker, Chalkondyles aus Athen, bei den christlichen Alanen (Osseten) erwähnt wird *^).

Der Handel war sehr gering, was schon aus den Wertver- hältnissen erhellt. An gemünztem Gelde waren vor allem die byzantinischen Goldmünzen {roi.iiOj.iava, sohdi) im Umlauf, später nach den Kaisern unterschieden (romanati, michaelati), slawisch zlatnik, zlatica (von zlato Gold). Weniger verbreitet war das byzantinische Silber- und Kupfergeld. Sonst galt noch lange Zeit das primitive Kuh- oder Viehgeld. Die Viehbesitzer waren die reichsten Leute, besonders die Landesfürsten selbst. Masüdi (um

1) Grivna von griva Mähne, vgl. sanskr. grivä Hals; vgl. die Lexika von Miklosicb , Daniele und Budmaui. Kroatien: Starine 4, 121—124. Aitböhm hfivna: Mark Silber.

2) Mon. Serb. 92; Arch. slaw. Phil. 21, 423 (1515).

3) Inschrift auf der gold. Spange des Großfürsten Peter von Chelmo (um 1225): Starinar 1 (1884) 111.

4) Mjed neben Marmor, Silber und Gold unter dem Schmuck des Palastes Symeons von Bulgarien bei Johannes dem Exarchen. Die wohl bronzenen Menschen- und Pferdestatuen, die Großfürst Vladimir aus Cherson nach Kiew brachte, bei Nestor ed. Miklosich p. 71 als ,, kupfern" (medjan).

5) Brondium = ramen, cuprum: meine Rom. Dalm. 1, 88. Mittelpers. barinz, neupers. birindz Messing: Karabacek, Metallurgische Etymologien, Mitt. des k. k. österr. Museums für Kunst und Industrie, N. F. 1 (1887) 49—50.

6) Chalkondyles ed. Bonn. p. 467—468.

Die Serben im 7 10. J.ilirhuiulert usw. 151

950) schreibt, in Bulgarien werde alles mit Kühen und Schafen gezahlt. Im 11. Jahrhundert entrichtete der Bauer in den süd- lichen Landschaften Bulgariens an Steuer von jedem Ochsen- gespann (uvyog ß6o)v) 1 Scheffel {{.löötov) Weizen, 1 Scheffel Hirse und 1 Krug (ardinrog) Wein i). In Rußland waren die Steuern im 10. 11. Jahrhundert repartiert nach Rauchfängen oder Pflügen ; im Norden und Osten zahlte man mit Geld, welches dort durch den arabischen Handel mit den Chazaren und Wolga- Bulgaren im Uralauf war, im W^esten mit Marder- und Eich- hörnchenfellen oder mit Honig, ebenso wie in Polen. In Kroatien entrichtete man die Abgaben in Marderfellen (raarturinae, kroat. kuna, deutsch Mardergeld). Der Marder ist auch auf den kroa- tischen Banalniünzen abgebildet, ebenso im Landeswappen, Die Leistung in Fellen wurde später durch Zahlungen in gemünztem Geld ersetzt, der alte Name der „Marturinen" ist aber lange un- verändert im Gebrauche geblieben -). Selbst die Städte der Quar- nerischen Inseln versprachen (1018) Tribut an Venedig in Fuchs- und I\Iard erfeilen, Zara (1202) in Kaninchenfellen (cuniculae). Bei Zara kaufte man im 11. Jahrhundert Grundstücke mit Geld, selten mit Pferden, wobei das gute Pferd sechs Goldstücken gleichkam. Bei Spalato dagegen tritt das Geld gegenüber den Naturalzahlungen sehr stark zurück. Die Grundstücke wurden dort (um 1080) ge- kauft um bestimmte Mengen von Getreide, Wein, Salz, Käse, Brot, um lebendes Vieh, Schweine, Schafe und Ziegen, um Schafpelze, Leinwand oder Flachs. Oft ist der Kaufpreis halb Geld, halb Ware ^). In Serbien werden im 13. 14. J;ihrhundert, obwohl Metallgeld schon in ziemhcher Menge in Umlauf war, noch immer Bußen in Pferden, Ochsen und Schafen erwähnt. Die Urkunde von Banjska kennt auch Bußan in Leinwand (platno), welche nach Ibrahim ihn Jakub und Helmold bei den Nordslawen in Böhmen und Pommern ein allgemeines Zahlungsmittel war ^).

Mehr Vorliebe, als für den Handel, hatten die Südslawen für

1) Kedrenos 2, 530.

2) Klaic, Marturina: Rad 157 (1904).

3) Racki, Doc. 127 f., 174.

4) Platiti zahlen stammt nach Miklosich, Etym. Wörterbuch, von plati> Tuch, Leiuwand.

152 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

den Krieg. Die kleinen Fehden, die Blutrache, die Jagd, der Raub zu Land und zur See und der Söldnerdienst in der Fremde beförderten die Übung im Waffenhandwerk. Der wahrscheinlich aus Nordafrika stammende Jude Ibrahim ibn Jakub, der um 965 über Italien nach Deutschland reiste, berichtet, die Slawen an der Küste des „Venetianischen Golfes" seien ein sehr tapferes Volk; die Nachbarvölker hüten sich vor ihnen und trachten mit ihnen im Frieden zu leben; ihr Land sei voll hoher Gebirge, die Wege schwierig ^). Von der Bewaffnung der Serben erwähnt Kinnamos Laijzen und lange Schilde -}. Die Hauptwaffe waren aber Bogen und Pfeile. Giftpfeile, mit denen die Kreuzfahrer im Moravatale unangenehme Bekanntschaft gemacht haben, führten noch um 1559 die Mrkojevici bei Antivari, bestrichen mit einem Pflanzengift^), wahrscheinlich gewonnen aus den Blättern und Wurzeln des Eisen- hutes (Aconitum napellus) *).

Zwischen den Südslawen saßen noch lange Zeit ansehnliche Reste der älteren Bevölkerung ^). Die halbromanisierten Illyrier waren während der Völkerwanderungen aus dem Berglande zwischen Dalmatien und der Donau südwärts gedrängt worden. Ihr Mittel- punkt wurde die Landschaft von Arbanum ( dgßmov, iAlßavov), serbisch Raban bei Kroja, wo schon Ptolemaios in der Römerzeit einen Stamm der Albaner erwähnt. Dieser Name wurde seit dem 11. Jahrhundert auf das ganze Volk ausgedehnt, lateinisch Arba- nenses oder Albanenses {AXßavoi, '^Qßavlvai), woraus die sla- wische Form Arbanasi abgeleitet ist. Die Hauptsitze befanden sich im Mittelalter in dem Viereck zwischen Skutari, Prizren, Ochrid und Valona, mit Ausläufern weit gegen Norden. Im 14. Jahrhundert erscheinen „Arbanenses" mit ihren nationalen Namen unter den Bauern der Zupa von Grbalj bei Cattaro, ebenso

1) Zapiski der russ. Akad. 32 (1878) nro. 2, S. 53.

2) Kinnamos VI cap. 7.

3) Starine 10, 251.

4) Aconitum serbokroat. nalijep; altböhm. njllep Pfeilgift, wörtlich das „Angeklebte)".

5) Vgl. meine Wlachen und Maurowlachen, S.B. der kgl. böhm. Ges. d. Wiss. 1879, 109 125 und meine Rom. Dalm. (Albanesen 1, 41 f., Wlachen 1, 34 f.).

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 153

in dem jetzt rein serbischen Tale von Crmnica im Nordwesten des Sees von Skutari. Von einem albanesischen Personennamen Burraad („der große Mann") ist abgeleitet der Name der seit 1300 erwähnten Hirtengemeinde der Burmasi oder Burmazovici im Be- zirke von Stolac in der Herzegowina. In Montenegro sind auf- fallig echt albanesiäche Ortsnamen in Landschaften, wo heute niemand mehr albanesisch spricht: Singjon (albanesisch St. Johann), Goljemade (schon 1444, alb. „Großmäuler '', gulae magnae), Krusi (aus lat. crux) usw. Charakteristisch sind die bei Hahn, Rovinskij und in den Bänden der „Naselja" verzeichneten Stammsagen, welche albanesische und serbische Stämme von gemeinsamen Ur- vätern ableiten. Die Stammsage der Vasojevici nennt fünf Bi üder, Vaso, Pipo, Ozro, Kraso, Oto, als Vorfahren der jetzt serbischen Vasojevici, Piperi, Ozrinici und der jetzt albanesischen Krasnici und Hoti. Die Genealogie erinnert an die Konstruktion der illyrischen Stammsagen bei Appian (S. 23). Die Stammsage der Kuci leitet die jetzt serbischen Kuci und die albanesischen Kastrati und Saljani von drei Brüdern ab ; allerdings erscheinen die Kuci noch bei Mariano Bolizza aus Cattaro (1614) als „Chuzzi Albanesi", „del rito romano" ^). Im Osten werden in den altserbischen Urkunden des 14. Jahrhunderts Leute mit albanesischen Namen (Ljes, Gjon, Gin usw.) in Prizren und Umgebung genannt. Mögen die Alba- nesen im früheren Mittelalter an die Serben viel Boden verloren haben, ein absterbendes Volk waren sie keineswegs. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts eröffneten sie einen Vorstoß gegen Süden nach Thessalien, Epirus und Griechenland, seit dem des 17 Jahrhunderts einen zweiten gegen Nordosten bis Novipazar, Nis und Vranja. Im Mittelalter erscheinen sie als eine altchrist- liche Bevölkerung von mehr städtischer Kultur, welche den Grie- chen und den dalmatinischen Romanen viel näher stand, als den neubekehrten Serben. Von dem Alter des Christentums geben Zeugnis Reste der alten lateinischen Terminologie in ihrer Sprache und die vielen von Heiligennameu abgeleiteten Ortsnamen. In der Urkunde des Klosters Decani (1330) und in dem venezianischen Kataster von Skutari (l416) ^) führt jeder Albanese zwei Namen;

1) Starine 12, 182.

2) Ebd. 14, 32 f.

154 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

der erste war ein christlicher Vorname, selten ein römischer (wie Calens aus Caienda oder Tanusius) oder nationaler (Barda „weiß", Progon, Bitri usw.), der zweite meist der Name einer Sippschaft oder eines Dorfes, seltener die Bezeichnung einer persönlichen Eigenschaft, wie „schön" (Mira), „klein" (Vogali) u. dgl. Die meisten dieser Gentilnamen sind heute noch bekannt als Stamra- oder Dorfnamen : Tuzi (schon 1330), Prekah, Skreli, Kastrati usw. Im Kataster 1416 heißen z. B. in der „villa i Tusi" (Tuzi bei Podgorica) alle 16 Hausbesitzer Tusi vom Häupthng Jurco Tusi angefangen, während in Grouemira grande (alb. „die schöne Frau") von den 20 Häusern nur 11 von den Grouemiri bewohnt waren. Im Gebirge östlich vom See von Skutari saßen große Stämme, wie die heute noch sehr angesehenen, seit 1330 oft er- wähnten Hoti. Maßgebend waren aber im Mittelalter nicht die Stämme, sondern die HäuptHnge und Adligen; die Geschichte der gegenwärtigen Verfassung der nordalbanesischeu Bergstämme läßt sich bei dem Mangel an Nachrichten nicht so weit zurückver- folgen.

Von den Romanen haben die Donaurömer, die Vorfahren der Rumänen, in Obermösien und Dardanien durch die Völkerstürme seit dem 5. Jahrhundert am meisten gelitten und sind größtenteils ausgewandert, zum Teil weit über die einstige Sprachgrenze des Lateins hinaus. Den Hirten fiel der Abzug in fernere Gebiete allerdings nicht schwer. Sie fanden neue Wohnsitze in der Rho- dope, im Häraus, in Makedonien, in Thessahen, das zu Ende des Mittelalters „Groß-Wlachien" {Meyälr] Blayja) genannt wurde, in Epirus, in ganz Serbien, wo sie in keiner der Klosterurkunden des 12. 14. Jahrhunderts fehlen, in Bosnien und der Herzegowina, wo die Ragusaner die Sippschaften bei Trebinje, Ljubinje und Gacko, die Zubci, Banjani, Niksici, Drobnjaci u. a. zu den Wlachen zählten, ebenso im Küstengebirge Kroatiens besonders von der Cetina bis in die Landschaften der Lika und Krbava. Sich selbst nannten sie nach dem Zeugnis des venezianischen Geo- graphen Domenico Negri noch immer Romani^), ebenso wie sich die heutigen Makedorumänen (Aromunen) Arämän nennen.

1) Nigri Veneti Geographia (Basel 1557) p. 103.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 155

Bei den Slawen hießen sie, ebenso wie die Italiener, stets Wlacben (S. 65). Von der Kleiduug stammt die byzantinische Bezeich- nung der Gebirgshirten als Schwarzwlachen " oder j\Iaurowlachen, bei Diocleas im 12. Jahrhundert Morovlachi oder ,, Nigri Latini", in den Archivbüchern von Ragusa ebenso J\Ioroblachi, Morolacchi, seit 1420 kurz Morlachi. Bei den Venezianern sind im 16. Jahrhundert Murlacchi alle Einwohner des Festlandes vom Quarnero bis Antivari, außerhalb der Städte. In der neuesten Zeit, in welcher die etimographischen Unterschiede längst ver- wischt sind, nennen die Städter und Inselbewohner von Dalmatien jeden Bauern und Hirten des Festlandes slawisch Vlah, italienisch Morlacco, während in Kroatien unter Wlachen die Gläubigen der orientalischen Kirche verstanden werden. Heute noch heißt ein Teil der Makedorumänen „die Schwarzröcke", in Serbien Crnovunci, in Albanien, Makedonien, Epirus und ThessaHen Karaguni. Im letztern Gebiet sind diese „schwarzen" Wlachen die mehr seß- haften, in aus Stein gebauten Sommerdörfern wohnenden Aro- munen. Die weiße Kleider tragenden Farserioten (neugriech. Ar- vanitovlachi), welche als Hirten zwischen Serbien und Morea her- umwandern, bleiben mehr Nomaden, organisiert in Sippen (fälkare), die nach den Häuptlingen, den Celniks, genannt werden; mehrere Sippen bilden ein Geschlecht (farä) ^). Rumänische Personen- namen (wie z. B. Negulus oder Dracculus) erscheinen in dalma- tinischen Urkunden schon im 9. 11. Jahrhundert. Groß ist ihre Zahl in den altserbischen und den ragusanischen Denkmälern des 1.3. 14. Jahrhunderts; ein Teil davon ist rein rumänisch, wie Bun, Ursul, Fecor, Barbat oder Bukor, während andere slawisch sind, mit dem nachgestellten rumänischen Artikel, wie Gradul, Radul oder Vladul. Einzelne Spuren sind in Orts- und Flur- namen zu bemerken, z. B. im Bezirk von Dragacevo (Kreis von Rudnik) im Königreich Serbien : Dorf Negrisori, Anhöhe Korona, zwei Berge Kornet (cornetum) und Loret (lauretum), eine Flur Prijot (dakorum. preot presbyterj -). In Montenegro führen zwei der höchsten Berge romanische Namen, ursprünglich Personen-

1) Weigand, Die Aromunen 1 (189.5), 275, 303.

2) Erdeljauovic, Naselja 1, 69, 204 f.

156 Drittes Buch. Erstes Kapitel.

namen (von videre und dormire): Visitor (schon 1330) und Dur- mitor. Im Osten bestehen zahlreiche Reste rumänischer Orts- namen in dem Berglande zwischen Nis und Sofia ^).

Das wlachische Hirtenleben war an die Abwechslung zwischen Sommerweide (Ijetiste) und Winterweide (zimiste, x^if.iccdiov , lat. hiberna) gebunden. Ursprünglich lagen beide oft nahe beiein- ander, z. B. in der Urkunde von Zica (um 1220) die Somraer- "weide am Berge Kotlenik, die Winterweide im nahen Tale des Ibar. Bedeutende klimatische Unterschiede gab es im Küsten- lande zwischen den kühlen Alpentrii^en des Hochgebirges und dem Winterlager am warmen Meeresufer von Alessio bis zur Narenta. Novakovic macht darauf aufmerksam, daß in den älteren Urkunden die Wlachen nur mit dem Namen ihrer Häuptlinge und mit ihren eigenen Personennamen genannt werden, ohne die Dörfer näher zu bezeichnen ; die Bestimmung der Wohnorte nimmt wahr- scheinlich mit der Zunahme der Seßhaftigkeit immer mehr zu 2), Das Hirtendorf heißt seit dem 13. Jahrhundert „Katun"; es ist ein Lager, nach der militärischen Terminologie der Byzantiner 3). In Montenegro versteht man noch jetzt unter Katun die Gruppen der hölzernen Hütten auf der Sommerweide; die Umgebung von Cetinje heißt danach Katunska Nahija. Die Hirtendörfer führten meist die Namen der Häuptlinge, z. B. Ursulovac von einem Ursul. Eine Spur alter Wanderungen aus dem Donaugebiet südwärts enthält der Name der Vlasi Sremljane in der Urkunde von De- cani (1330), jetzt Dorf Sermiani bei Pec; es sind „Wlachen von Sirmium'^ (slaw. Srem). Die Landschaft Stari Vlah, „der alte Wlache" in der Gegend von Sjenica, jetzt zum Teil im König- reich Serbien im Srez von Moravica, enthält nur einen Häupt- lingsnamen der Berghirten ; Leute Starovlah, Starovlahoviö werden im 15. Jahrhundert urkundlich genannt. Der mittelalterliche Katun zählte nach den Untersuchungen von Novakovic 11 105 Fa-

1) Weigand, XIII. Jahresbericht des Inst. f. rumän. Sprache (Leipzig 1908) 40 f.

2) Novakovic, Selo 32f.

3) Mittelgriech. fj xarouva Lager, xaTovrfvw lagern, romanischen Ur- sprungs : itai. cautone Ecke (davon die Schweizer Kantone), franz. cantonner lagern, sich verschanzen.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 157

milien, aber die einzelne Familie war in der Regel klein, höchstens 14 männliche Köpfe stark. Da die Wlachen in Serbien, Bosnien und Kroatien nur eine sporadische, zusammenhangslose Bevölkerung bildeten, konnte sich ihre Sprache nicht auf die Dauer behaupten. Nach einem Zustand von Doppelsprachigkeit gewann das Slawische die Oberhand. Es sind Verhältnisse, die an den Rückgang der Romanen in den deutschen Alpenländern erinnern. Noch im 16. Jahrhundert redeten die Wlachen in den Bergen des küsten- ländischen Kroatiens nach dem Zeugnis des Negri eine Sprache mit verdorbenen lateinischen Worten. Die türkischen Invasionen zersprengten sie von dort gegen Nordwesten auf die Quarnerischen Inseln und nach Istrien. Die Nachkommen der Wlachen, die 145U 1480 auf die Insel Veglia übergesiedelt sind, sprachen im Dorfe Poljice noch in der Napoleonischen Zeit rumänisch i). Andere saßen um 1690 nach den Sprachproben bei Fra Ireneo della Croce in einigen Dörfern bei Triest. Der letzte noch fortlebende kleine Rest ist die Sprache der Rumänen in einigen Gemeinden im Osten Istriens.

Die Romanen der Städte von Dalmatien und Praevalis, meist Seefahrer, Kaufleute, Handwerker und Fischer, waren durch Ur- sprung und Sprache ganz verschieden von diesen rumänischen Berghirten '■^). Man nannte sie Romani, später meist Latini, slawisch noch in den serbischen und bosnischen Urkunden 1200 1250 Wlachen (Vlasi); selbst um 1600 bedeutete in Ragusa „vlaski" (wlachisch) italienisch. Diese Reste der alten Römer übten auf die Slawen Dalmatiens infolge der Nachbarschaft und des täglichen Verkehrs einen größeren kulturellen Einfluß aus, als die Griechen. Im alten Praevalis lagen ihre Stadtgemeinden dichter beisammen. In Dulcigno gab es z. B. gegen Ende des Mittelalters Patrizierfamilien Campanario, Paladino, Rosa, Taliaferri, in Dri- vasto Palombo (Colomba), de Leporibus, Summa, Bello. Als Flur- namen findet man in den Urkunden bei Antivari Monte Cavallo,

1) Aufzeichnungen des Feretid 1819: Zbornik za nar. zivot 9 (1904) 15 f.

2) Besonders in der Stellung des Artikels. Rumänisch postponiert: ursul, surdul. Altdalmatinisch: lu reame (regnum), lu mircat (mercatum).

158 Drittes Bucli. Erstes Kapitel.

Fontana leprosa, Tomba, einen Bach Spinosa, bei Drivasto Fundina und Cruce. Weiter nördlich waren die Städte in Dalmatien spär- licher verteilt, worauf sich ihre Reihe über die Quarnerischen Inseln an die alten Kommunen im Westen Istriens anschloß. Die meisten waren innerhalb ihrer Mauern und Türme eng zusammengedrängt, ein Winkelwerk von Laubengängen mit Felstreppen und wenigen freien Plätzen, z. B. in dem zur Winterszeit von der Sonne so wenig beschienenen, ringsumher von hohen Bergen umschlossenen Cattaro, im ältesten hoch gelegenen Teil von Ragusa oder in dem in die Mauern des Diokletianischen Palastes hineingebauten Spalato. Residenz der Behörden war im 12. Jahrhundert in Spalato und Ragusa ein „kaiserlicher Turm" (imperialis turris). Die kleinen Territorien auf dem Festlande wurden z. B. in Zara, Trau und Ragusa Starea oder Astarea genannt, ein Ausdruck, der auch in Korfu und Negroponte wiederkehrt und nach Jorga das grie- chische fj oieQEct (Festland) ist i). Die zahlreichen Ortsnamen vor- slawischen Ursprungs zeigen, daß es einmal auch eine romanische Insel- und Landbevölkerung außei'halb der Städte gegeben hat, die jedoch frühzeitig verschwunden ist. Merkwürdig ist in allen diesen Stadtgemeinden das Fortleben der spätrömischen Personen- namen bis zu Ende des Mittelalters: Bonus, Lampridius, Lucarus, Praestantius, Sabinus, Tiberius, Ursacius u. a. Herrschend in der Gemeinde waren erbliche Geschlechter, entstanden unter dem Ein- fluß der alten plutokratischen Kurial Verfassung, weiche sich seit IdOO als eine adlige Kaste abschlössen. Die tüchtigsten Männer hatten eine ehrenvolle Laufbahn vor sich, als byzantinische See- leute oder Beamte oder als Diener Gottes. Dalmatiner waren im 7. Jahrhundert Papst Johann IV. (640—642), der Patriarch Maxi- raus von Grado (um 649) und der Erzbischof Damian von Ravenna (688 705). Das Bewußtsein des römischen Ursprungs war bei den Patriziern noch zu Ende des Mittelalters lebhaft, besonders bei den Spalatiner Chronisten, dem Archidiakon Thomas (f 1268) und Micha Madii de Barbazanis (f um 1358) und bei dem Ra- gusaner lateinischen Dichter Alius Lampridius Cerva (f 1520). Stärker war aber der Einfluß der Nachbarschaft. In den südlich-

1) Jorga, Notes et extraits 1, 153.

Die Serben im 7. 10. Jahrhundert usw. 159

sten Städten wurde das Romanische vom Albanesischen zurück- gedrängt, obwohl nach Barletius die Drivastiner noch im 15. Jahr- hundert als Nachkommen römischer Kolonisten gelten wollten. Das Slawische drang in den nördlichen Städten durch das weib- liche Element ein, durch Heiraten mit den Slawen der Umgebung. Die hervorragenden Familien von Zara waren im 11. Jahr- hundert verschwägert mit den Königen von Kroatien, die von Ragusa im 13. mit den Fürsten von Chelmo, die von Cattaro im 15. mit der Dynastie der Crnojevidi von Montenegro. Der große Aufschwung der Städte nach 1200 mit Erweiterung der Mauern und Erwerbung neuer Territorien führte zur Aufnahme zahlreicher neuer Bürger, vorwiegend Slawen aus der Nachbarschaft, Ander- seits sind die Altbürger durch die furchtbaren Seuchen (besonders 1348) stark verringert worden. Der einheimische romanische Dialekt wurde im Norden verdrängt durch die auf der Adria herrschende venezianische Mundart. In Ragusa beschloß man noch 1472, das lokale Patois, die „lingua Ragusea", bei den Debatten in den Ratskollegien allein zuzulassen, mit Ausschluß der „lingua sclava". Aber im Gegensatz zu den Humanisten des 15. Jahr- hunderts fühlten sich die Ragusaner um 160Ü ganz als Slawen, was sich auch in den Geschichtswerken des Orbini und Luccari bemerkbar macht.

Zweites Kapitel.

Heidentum und Christentum i).

Das Material über das Heidentum der Südslawen ist sehr gering. Der letzte Bericht ist der des Prokopios (S. 76). Nach der Ansiedlung in den Balkanländern ist der alte Götterdienst vom Christentum leicht und ohne Kampf verdrängt worden. Die letzten Heiden waren im Westen der Halbinsel die unter Basilios 1. ge- tauften Narentaner, die am Ende des 9. Jahrhunderts von Bischof Klemens bekehrten Slawen Makedoniens und die dem Götzendienst (error Idolatrie) ergebenen Kroaten, für die im 11. Jahrhundert das Bistum von Agram gegründet wurde. Ihren primitiven Natur- dienst zu beschreiben hat sich niemand die Mühe genommen. Die vielen heute noch bemerkbaren Überreste des heidnischen Glaubens sind im Laufe von mehr als einem Jahrtausend zu sehr beeinflußt von fremden Elementen, altillyrischen und romanischen Vor- stellungen , christlichen Legenden und Apokryphen , griechisch- orientalischen Sagen und Märchen, als daß sich daraus ein System der südslawischen Mythologie zusammenstellen ließe. An den rus- sischen Donnergott Perun, bei welchem die heidnischen Russen in den Verträgen mit den Byzantinern im 10. Jahrhundert den Eid leisteten, erinnern nur einige Ortsnamen, wie ein Dorf Perun bei Spalato, ein Berg Perun bei Lovrana in Istrien und der Name der Schwertlilie (Iris, serbokrat. perunika). Mit dem russischen

1) Slawische Mythologie: Krek, Einleitung in die slaw. Literatur- geschichte'' 377 f. Leger, Mythologie slave, Paris 19 1. Zahlreicte Abb. von Jagic und Brückner im Arch. slaw. Phil. Nodilo, Religion der Serben und Kroaten auf Grundlage der Lieder, Märchen und der Sprache: Ead 77—101 (I885f.).

Heidentum und Christentum. löl

Viehgott Volos oder Veles wird zusammengestellt die Stadt Veles am oberen Vardar, ein Berg und ein Weiler Veles im westlichen Serbien ^) und ein Dorf Velesnica an der Donau unterhalb Kladovo. Eine von Novakovic aufgezeichnete Erzählung aus der Macva nennt den bogomilischen Satanael, den \A'idersacher des im Himmel herrschenden Gottes des Hei'rn (Gospod Bog), „den Kaiser (car) Dabog auf Erden'' 2); das erinnert an den russischen Dazbog (oder Dazdbog, wörtlich „gib Gott"), dessen Götze einst in einer Gruppe von Idolen vor der Residenz in Kiew stand und der in der christlichen Periode als Personenname in Rußland, Polen und in der Moldau wiederkehrt. Der Kult der Südslawen scheint ein bildloser gewesen zu sein, wie der der Litauer. Götzenbilder, wie bei den Russen der hölzerne Perun mit silbernem Kopf und golde- nem Schnurrbart vor dem Schloß von Kiew und wie die Götter- statuen bei den Elbeslawen, sind im Süden nicht nachweisbar. Alle slawischen Bezeichnungen der Idole sind Fremdwörter, zum Teil ori.-ntalischen Ursprungs: kumir, kap oder kapiste und balvan^j, das bei den Serben als Flurname in alten Urkunden, als Dojfname (Bovan in Montenegro, bei Stolac, Visegrad und Krusevac) und als Burgname (Bolvan, j. Bovan bei Aleksinac) vorkommt.

Kleinere Wesen sind aus dem Aberglauben bis auf den heu- tigen Tag nicht verschwunden. Die Nymphen {vif.i(fai ) und Fluß- geister {noiauoi), welche Prokopios erwähnt, Geister der Quellen, Bäche, Flüsse, Wälder, Berge, Wolken, sowie des Meeres wurden als weibliche Feen gedacht und Vila genannt. Der Übersetzer der Chronik des Geoigios Hamartolos hat die Sirenen als Vilen wiedergegeben. In einer Urkunde des 13. Jahrhunderts wird bei Prilep eine „Vilenquelle"' (Vilsky kladez) genannt^); ebenso gibt es in Montenegro einige Quellen Vilina Voda, eine davon am Berge Kom (Vilin izvor), im Kreis von Rudnik ein „Vilenwässer- chen'", Vilina Vodica. Bei den ragusanischen Dichtern der Re-

1) Naselja 1, 159 f.

2) Arch. slaw. Phil. 5 (1881) S. 11, 166.

3) Balvany iHöwlu im serb. Nomokanon: Starine 6, 84. Vgl. Ber- neker, Etym. Wbch.

4) äafafi'k, Pamätky 25.

Jirecek, Geschiciite der Serben. I. H

163 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

naissance übernehmen die Vilen die Rolle der klassischen Nymphen, Dryaden, Najaden oder Oreaden. Sehr gut bekannt sind sie aus den im 19. Jahrhundert gesammelten südslawischen Liedern und Sagen ^). Es sind schöne, ewig junge Mädchen, in leichten, weißen Kleidern, mit langem, auf Schultern und Busen herabhängendem Haar und süßer Stimme, mitunter bewaffnet mit Pfeilen. Unter lieblichem Gesang tanzen sie in der Nacht auf den Bergwiesen und Berggipfeln. Dort findet man oft ihren Tanzplatz, den „Vilen- kreis ' (Vilje kolo, Vihno kolo), einen Kreis oder Halbkreis von Schwämmen, Erdbeeren oder anderen Blattpflanzen, mitunter nur von üppigerem Gras, von verschiedenem Umfang, je nachdem der Windeswirbel den Samen mit größerer oder gei'ingerer Stärke aus- einandergestreut hat. Es sind die „fairy rings" der Engländer, die „cercles des fees" der Franzosen. Niemand wagt es, einen solchen Ring bei Nacht zu betreten, ihn aufzuackern oder darin Heu zu mähen. Ein solcher Vilenkreis am Berge Kom in Monte- negro zählt 20 Meter im Durchmesser. Ein großes Viljo Kolo in der Wildnis zwischen Vranja und Küstendil, durch welches die Grenze zwischen Serbien und Bulgarien mitten durchgeht, ist als Bergname sogar im Berliner Vertrag erwähnt -). Anderswo gibt es Höhlen, in denen die Feen hausten (Vilina peöina, Vihna spila), eine im Gebiet der Zubci, andere bei Cetinje und am Kom, vier an der Ombla bei Ragusa ^). Die Vilen verursachen atmo- sphärische Erscheinungen, Wolken, Stürme und Hagelwetter. Mit- unter verwandeln sie sich in Schlangen oder Schwäne. Den Menschen sind sie, wie die Nymphen des Altertums, oft gut und freundlich gesinnt. Sie sind Freundinnen der Helden, können mit Frauen Mahlschwesterschaft, mit Männern Wahlbruderschaft schließen oder gar heiraten und Kinder haben. Als Prophetinnen und Heilkünstlerinnen bringen sie den Bedrängten Rettung. Be-

1) Kukuljevic, Arkiv jug. 1, 1 (1851) 86-104. Nodilo, Rad 9' (1888) 181— '2-21.

2) Rovinskij, Sbornik russ. Akad, 69 (1901) 513. Berge Vilioo Kolo, Vilje Kolo: Naselja 1, 177; 2, 339; 3, 205, 614, 634, 654. Sommet du „Vilogolo": Berliner Vertrag Art. 2; vgl. Milicevic, Godisnjica 4 (1882) 280 und mein Fürsteutum Bulgarien 91.

3) Naselja 2, 1231. Rovinskij 510, 512.

Heidentum und Christentum. 105

leidigt und eifersüchtig gemacht werden sie böse, töten den Men- schen mit Pfeilen, ziehen ihn in tiefe Wässer hinab, machen ihn wahnsinnig oder zerstören über Nacht sein bei Tage mühselig aufgerichtetes Bauwerk. Verschieden von den Vilen sind weibliche Wesen, welche in der Art der römischen Parzen oder der ger- manischen Nornen bei der Geburt des Menschen sein Schicksal bestimmen, „rozdenica" in der Übersetzung der Chronik des Georgios Hamartolos, „rozanica" der altrussischen Denkmäler, „rodjenice" oder „sudjenice" der Slowenen und Kroaten. An ihre Stelle tritt oft ein männliches Wesen, bei den alten Russen der Rod (Geburt), bei den Serben der Usud (Schicksal) '),

Nach den Anschauungen der Montenegriner hat jedes Haus seinen Schutzgeist, Sjen (wörtlich: Schatten) oder Sjenovik genannt; es kann ein lebender Mensch, ein Hund, eine Schlange oder ein Huhn sein. Ebenso haben Seen, Berge, Wälder ihre Sjeni, die man auch mit einem türkischen Worte Dzin nennt. Der Sjen z. B. des Berges Rijecki Kom auf der Insel Odrinska Gora am Nordende des Sees von Skutari erlaubt niemand, auch nur einen Zweig, einen Grashalm oder ein kleines Körnchen aus dem immer- grünen Wald wegzutragen; den Übeltäter verfolgt er durch Nebel und wunderbare Luftspiegelungen. Ahnliche Waldgeister fürchten die Albanesen in den Nadelholz wäldern der Landschaft Lurja, wo man nicht einmal die trockenen Aste vom Boden aufzuheben wagt -). Das erinnert ganz an die heiligen Haine der alten Litauer. In späteren Quellen erscheinen die bösen „bjesi", Dämonen oder Teufel, zu denen die Christen auch die heidnischen Götter rech- neten '^j.

Dazu kommen böse Geister, welche durch Verwandlungen von lebenden und toten Menschen entstehen. Der unter den eu- ropäischen Völkern sehr verbreitete Glaube an den Werwolf fließt bei den Slawen mit den Vorstellungen über die Vampire zu- sammen. Schon Herodot erzählt, daß sich bei den Neuren (S. 67)

1) Valjavec im Knjizevnik 2 (1865) 52 61; Polivka, Arch. slaw. Phil. 14 (1892) 137-141.

2) Rovinskij a. a. 0. 502. Steinmetz, Von der Adria zum Schwarzen Drim (Sarajevo 1908) 49.

3) Nach Miklosich von der Wurzel bi schlagen.

li*

164 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

im jetzigen südwestlichen Rußland jedermann einmal im Jahr auf einige Tage in einen Wolf zu verwandeln pflege. Bei den Slawen heißt der Mann in Wolfsgestalt Vlkodlak, serbokroatisch jetzt Vukodlak ^). Die Vlkodlaci bewirkten nach den heidnischen Vor- stellungen Sonnen- und Mondesfinsternisse. Eine Glosse des ser- bischen Nomokanons von 1262 sagt: „Die Verfolger der Wolken werden von den Bauern (seljane) Vlkodlaci genannt. Wenn sich der Mond oder die Sonne vermindert, sagen sie: die Vlkodlaci haben den Mond aufgefressen oder die Sonne. Aber alles dies sind Fabeln und Lügen ^)." Auch in den Gedichten des Ragu- saners Sisko Mencetic (f 1527) liest man ein Gleichnis: „Wie der Mond, wenn ihn der Vukodlak frißt ^)." Heute noch meinen die serbischen Bauern, daß, wenn eine Sonnen oder Mondesfinsternis eintritt, diese Himmelskörper von einem Drachen, den man am Timok Vrkolak nennt, verschlungen werden. Die Leute trommeln auf Kessel und Pfannen, läuten die Glocken und feuern ihre Ge- wehre ab, bis das Ungetüm verscheucht ist '^). Eine 1452 ge- schriebene Anleitung iür katholische Beichtväter im kroatischen Küstenlande sagt: „Wenn jemand meint, daß sich Frauen in Zauberinnen (vjesce) oder Männer in Vlkodlaci verwandeln können, darf man das nicht glauben ^)/' Solche Transformationen lebender Menschen kennt auch der heutige Volksglaube Der Vjedogonja (wörtlich Hexenjäger), Zduh oder Zduhac ""j in Montenegro, der

1) Vlk Wolf; „dlak ist dunkel", Miklosich, Etym. Wort. 380 (vgl. dlaka Haar).

2) Jagic, Starine 6 (1874) 83. lu der altböhm Alexandreis fressen den Mond bei der Verfinsterung die „vedi" (Hexen), welche im Dunkel Hanf spinnen: Jagic, Arch. slaw. Phil. 5 (1881) 689. Vgl. Nestor ed. Miklosich p. 102

3) Jagic, Arch. slaw. Phil. 5 (1881) 91.

4) Milicevic, Srpski etnografski zbornik 1, 53 (nro. 14, 15), .59. Bei den Rumänen der Bukowina sind die „vircolaci" Drachen mit Hundeköpfen; bei der Verfinsterung beißen sie die Sonne oder den Mond, verbrennen sich aber und müssen zurückweichen: Weslowski, Zeitschr. für österr. Volks- kunde 12 (19U6) 163

5) Mom. bist jur. 6, 197.

6) Russ. ved'ma, altböhm. ved' Hexe, von der Wurzel ved- wissen; gouiti verfolgen Zduh von serbokroat. duhati blasen.

Heidentum und Christentum. 165

Herzegowina und der Landschaft von Cattaro ist die Seele eines schlafenden ]\Ienschen , welche in der Nacht im Wind auf die Berge emporfliegt. Auf den Höhen versammeln sich diese Geister in großen Scharen, kämpfen miteinander, entwurzeln Bäume mit Riesenstärke und bringen Steinblöcke ins Rollen. Besonders im Herbst und Frühling hört man ihr Heuleu, Pfeifen und Stöhnen die ganzen Nächte hindurch. In ihren Heerscharen versammeln sich nicht nur Menschen aller Nationen, sondern auch Geister von Tieren, von Hähnen, Hunden, vor allem von Ochsen. In den Bergen von Montenegro kämpfen die Geister von beiden Seiten des Adriatischen Meeres, die einheimischen und die „überseeischen" (prekomorski ). Die siegende Partei bringt ihrem Lande Frucht- barkeit und Fülle aller Erzeugnisse der Viehzucht und des Garten- und Feldbaues. Diese Personifikationen der Winterstürme gelten als gut und gescheit. Böse ist die Vjestica, in welche sich eine schlafende alte Frau verwandelt, seltener ein Mann. Sie fliegt in Gestalt eines Schmetterlings oder Vogels auf schlafende Leute, be- sonders Kinder, saugt ihnen das Blut ab oder frißt ihnen das Herz durch eine unsichtbare Öffnung stückweise aus dem Leibe. Mitunter pflegen sich die Vjesticas in Scharen auf Bäumen oder Berggipfeln zu versammeln ^).

Sehr verbreitet ist bis auf unsere Zeit die Vorstellung, daß sich Leute bald nach dem Tode in „Vukodlaci" oder „Vampiri" (in Montenegro ,,lampir'^ oder „tenac") verwandeln, in der Nacht an Menschen und Vieh Blut saugen und wieder klein wie eine Maus ins Grab schlüpfen. Da wird ein schwarzer fleckenloser Hengst auf den Friedhof geführt, um das Grab des Vukodlak auf- zufinden. Die Leiche wird ausgegraben, mit einem aus dem Holze von Weißdorn Tglog) oder der Kornelkirsche (drjen) geschnittenen Pfahl durchspießt und verbrannt. Das Gesetzbuch des Zaren Stephan Dusan bestimmt, daß ein Dorf, in welchem Leichen mit Zauberei aus den Gräbern genommen und verbrannt wurden, Wergeid zu zahlen habe, wie nach einer Mordtat; war der Pope dabei, verliert er sein Amt 2). Miliceviö erzählt einen Fall aus

1) Serbokroat. vjest kundig, erfahren. Vgl. Vuk Karadzic, Lexikon und Rovinskij a. a. 0. 518 f.

2) Zakonik Art. 20; vgl. die Erläuterungen von Novakovic S. 159.

Ißß Drittes Buch. Zweites Kapitel.

Serbien aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, wo der Geisthche bei der Leichenverbrennung aus dem apokryphen „Donnerbuch'' (Gromovnik) Gebete vorlas. Später wurden in Serbien die Schul- digen wegen der Ausgrabung von Leichen mit Stockstreichen be- straft. In Montenegro bemühte sich um die Ausrottung dieser Sitte der Vladika Peter II., doch einzelne Fälle reichen bis in die neueste Zeit, ebenso in Bosnien, in Istrien und in Bulgarien i). Derselbe Aberglaube, mit demselben slawischen Terminus, ist ver- breitet bei den Rumänen, Albanesen und Neugriechen -).

Die Lobrede auf die Slawenapostel von Thessalonich sagt, diese Brüder hätten das Gesetz Gottes bekanntgemacht einem Volke, welches „dem, was ihm begegnete, sich unterwarf und sich davor wie vor Gott verbeugte, vor dem Geschöpf an des Schöpfers Stelle" 3| Gemeint ist vor allem die Verehrung der Himmels- körper. Noch in dem erwähnten glagolitischen Beichtspiegel von 1452 heißt es: „Wenn sich jemand vor der Sonne oder dem Mond oder einem anderen Geschöpfe verbeugt und Gebete spricht: wer das tut, begeht eine Todsünde^;." Heute noch spielen Sonne (serbokroat. sunce, neutr.) und Mond (mjesec, raask.) in den volks- tümlichen Anschauungen eine große Rolle; es gibt serbische und bulgarische Lieder über die Heirat der Sonne und des Mondes '^). Von den Sternen stehen im Vordergrund der Morgenstern (danica) und die Plejaden, bei den Serben als „sieben Brüder" bezeichnet e). Auch Feuer und Blitz wurden angebetet ; die alten Russen brachten ihnen Opter dar. Das von Lavrov unlängst entdeckte Officium

1) Rovinskij a. a. 0. 524f. Lilek, Wiss. Mitt. 8 (1902) 269 Caric ib. 6 (18991 592. In Abbazia 1882: Arch. slaw. Phil. 6 (1882) 6i8f. Mein Fürstentum Bulgarien 100 f.

2) Des Mönches Markos von Serrai Z^rtiacg neql ßovXxoXäx.v, herausg. von Lampros: Niog 'EUrivofxvtifiuv 1 (19ü4) ^36-352.

3) Starine 1, 6i.

4) Mon hist. jur. 6, 196.

5) Krek ^831 f. Rovinskij a. a. 0. 454. Drinov im Periodicesko Spisanie 12 (Braila 1876) 153 f.: Heirat der Sonne mit dem Morgenstern, wobei Ognen (das Feuer) als Bruder der Sonne auftritt.

6) Milicevic a. a. 0. 1, 60 nro. 8 bringt zwei Serien der sieben Namen. Die Plejaden heißen sonst serb. Vlasici (die Wlachensöhne), bulg. kokoski (die Hühner).

Heideututn und Christeütum. 167

des heiligen Naum erwähnt, daß die makedonischen Slawen früher Steine und Bäume verehrten ^).

Ebenso ist von dem Tierglauben noch manches vorhanden. Der Bär , der aufrecht gehen kann , gilt bei den Serben als ein zur Strafe in ein Tier verwandelter Mensch. Die Montenegriner betrachten auch den in den Nächten wie ein Kind kläglich win- selnden Schakal als einen Halbmeuschen. Unter dem Schutz der Feen und der Berggeister stehen die Gemsen, die dem Jäger auch bei eifriger Verfolgung entrinnen. Die Vilen haben Bruderschaft mit Gemsen oder Rehen und schützen sie. Als große Sünde gilt es in Serbien und Montenegro, ein Wiesel (lasica) zu töten. Über alle Weltteile und Zeiten ist der Schlangenkult verbreitet. Auch in Serbien und Montenegro kennt man die angeblich schwarze Hausschlange (kucna zmija , die in einem Loch unter dem Hause lebt und niemand etwas zuleide tut; wenn man sie tötet, stirbt der Alteste des Hauses. Böse Ungeheuer waren die Feuerschlangen, welche einst die Schiffahrt auf dem See von Skutari bedrohten; eine haust angeblich heute noch in dem kleineu Alpensee von Rikavac in der Bergwildnis des östlichen Montenegro, von wo aus sie in der Welt herumfliegt und unter Donner und Blitz in den See heimkehrt. In älterer Fassung erscheinen die „igniti serpentes" auf dem Berge Obliquus westlich von Skutari in der Legende des heiligen Vladimir (um 1000); ihr Biß war für Menschen und Tiere tödlich, bis sie infolge der Gebete des frommen Serbenfürsten plötzlich durch ein Wunder unschädlich wurden ^j. Sehr geachtet sind die Adler, Falken und Schwäne; es ist gut, wenn man von ihnen im Schlafe träumt.

Von heidnischen Priestern werden neben anderen Wahrsagern und Medizinmännern Zauberer erwähnt (vlLhvi,, Plur. vltsvi, russ. volsvi), bekannt auch in Rußland, wo sie im 11. Jahrhundert gegen das neue Christentum wühlten; die kirchenslawische Evangelien- übersetzung hat schon im 9. Jahrhundert ihren Namen zur Be- zeichnung der heiligen drei Könige benutzt ^). Dazu gehören die

1) Izvestija russ. Akad. 12 (1907), 4. Heft, S. 11.

2) Diocleas p. 41.

3) Vlsvi, zrci, fem. zrica (Opferer), obavnici, carodejci im Nomokanon,

168 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

„resnici", welche nach dem Gesetzbuch des Zaren Stephan die Leiber der Toten verbrannten. Resnik, das in Serbien, Bosnien und Kroatien noch als Dorfname vorkommt, bezeichnete wohl einen „Wahrheitssucher" i). Bekannt ist besonders aus den Über- setzungen der griechischen Märtyrergeschichten die Terminologie der heidnischen Opfer und Opferstätten ^). Auch da wurde einigen Ausdrücken ein christlicher Sinn untergelegt ; z. B. trebnik " , ur- sprünglich ein heidnischer Altar oder Tempel , hieß fortan das griechisch Euchologion genannte Kirchenbuch. Als Schlachtopfer werden bei Prokopios Ochsen erwähnt, ebenso bei den Elbeslawen und Litauern neben Kälbern, Böcken und Schafen, bei den Russen in den Berichten der Byzantiner auch Vögel. In Montenegro schlachtet man bei einem Neubau einen Widder oder Hahn, um die Ecke mit Blut zu besprengen, bei der Eröflfaung einer neuen Quelle einen Bock. Die Sage erzählt, wie Fürst Ivan Crnojevic auf der Jagd vor einer Höhle einen Gemsbock von ungewöhn- licher Große erlegte, der ganz naß das Wasser von sich ab- schüttelte; da stürmte plötzlich aus der Höhle ein ganzer Fluß heraas, die heutige Rijeka Crnojevica ^). Diese Vorstellungen er- innern an die Funde von Ziegenhörnern und die Abbildungen von Böcken auf den bei einer Quelle aufgestellten Altären des illy- rischen Gottes Bindus im Gebiet der Japoden ^). Menschenopfer sind erwiesen bei den Russen und Elbeslawen. Bei den Süd- slawen tauchen sie nur in einem weitverbreiteten Kreise von Sagen über große Bauten auf, die angeblich erst nach dem Einmauern eines lebenden Menschen gelungen sind. Diese Sage hört man bei den Serben über die Burg von Skutari und die Brücke von Visegrad, bei den Bulgaren über die Burg Lydza-Hissar bei

bajalnik und vrazalLC in der Übersetzung des Syntagma des Blastares, vlhvica als Frau Mon. bist. jur. 6, 196. Zauberei: vlhovstvo (im Zakonik)» vrazanje (vrag Feind, Teufel), bajanje (Beschwörung), carovanje (car Zauber in allen slaw. Sprachen). Vgl. Wiss. Mitt. 4, 5 19 f. und 5, 436 f.

1) Zakonik ed. Novakovic' 23. Kirchensl. restni) wahr, resuota Wahrheit.

2) Zreti opfern, treba, zrtva Opfer, trebiste, trebnik Opferplatz.

3) Roviuskij a. a. 0. 536.

4) Patsch, Wiss. Mitt. 6 (1899) 155—156.

Heideutum uud Chri>te:.tum. 16<)

Philippopel und die „Brücke des Kadi" über die Struma, bei den Neugriechen über die Brücke von Arta, bei den Rumänen über die Kirche von Curtea de Arges i). In Verbindung damit stehen wahrscheinlich gewisse rätselhafte Basreliefs, ovale mensch- liche Gesichter mit Augen, Nasen und Mund, hoch in die Mauer eingesetzt. Ich sah drei solche Köpfe in der Burg des Despoten Georg in Smaderevo, auf der inneren Seite des mittleren Turmes in der Front gegen die Donau, zwei im Kloster von Rila auf der äußeren Mauer neben dem Dupnicaer Tor.

Die Slawen verbrannten ihre Toten bei der Belagerung von Konstantinopel 626 -), die Russen während der Kämpfe vor Si- listria 971. In Rußland verbrannte man die Leiche nach einem Totenmahl, bei welchem viel Met getrunken wurde, auf einem Holzstoß und bestattete die Asche unter einem von Erdreich auf- geschütteten Grabhügel (mogila). Die nördlichen russischen Stämme legten die Knochen in ein kleines Gefäß, welches sie auf einer Säule am Rand des Weges aufstellten; so taten es um 1100 noch die Vjatici. Am längsten lebten diese alten Sitten bei den Litauern; zuletzt wurde Kejstut, Bruder des Großfürsten Olgerd, 1382 nach heidnischer Art begraben, verbrannt mit Waffen und Pferden, Falken und Jagdhunden. Tumuli pflegte man aber noch in der christlichen Zeit zu errichten ; so haben nach der Erzählung des Kinnamos die Ungarn 1166 einen gewaltigen Grabhügel iXMf.ia, iiußag) über den gefallenen Byzantinern auf dem Schlacht- felde zwischen Sirmium und Semlin errichtet. Auf südslawischem Boden hat man den heidnisch slawischen und den älteren christ- lichen Grabstätten bisher wenig Aufmerksamkeit zugewendet. Ein Hindernis ist der Umstand, daß sie sich nicht selten an heute noch benutzte christliche Friedhöfe anschließen. Daß von den Slawen Tumuli aus Erde oder Klaubsteinen als Grabstätten er- richtet, oder wenigstens alte Tumuli wieder benutzt wurden, sieht man an den Personennamen, mit welchen sie in alten Grenz- beschreibungen bezeichnet wurden. Auf der Insel Brazza gab es

1) Karl Dieterich, Die Volksdichtung der Balkanländer in ihren gemeinsamen Elementen: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 1902.

2) Theodoros Synkellos cap. 18.

170 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

um 1250 einen Tumulus des Pribidrug (Pribidruza gomila) i), auf den Gütern des Klosters Baujska in der Zeta Grabhügel des Vrzinja, des Ljubko und des Radj, auf den Gütern des Klosters von Prizren auf der Ostseite des Sees von Skutari einen Grabhügel der Thekla, offenkundig einer Christin -). Anderswo wurden Steine aufgestellt, schwere Steinplatten oder Blöcke, Würfel oder Säulen, im Mittelalter kami (Stein) oder bilig (Zeichen) genannt, jetzt stecak oder mramor. Man findet sie oft zu Hunderten bei- einander, im Bezirk von Vlasenica über 6000 Stück, in der ganzen Herzegowina angeblich an 22 000; einige trifft man auch in Dal- matien, z. B. in Canali, in Montenegro besonders bei Niksici, in Serbien aber nur im Drinagebiet. Sie sind meist mit Figuren geziert , primitiven Nachahmungen römischer Skulpturen : säulen- artigen Arkaden, Pflanzenornamenten, Bäumen, Schwertern und Schildern, Bildern von Bogenschützen, reitenden Jägern mit Rehen, Bären, Ebern, Hirschen und Jagdfalken; es kommen auch Dar- stellungen von Tänzen vor, mit Männern und Frauen in langen Reihen ^). Das Zeichen des Kreuzes weist in die christliche Pe- riode. Inschriften sind erst seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar. Viele der inschriftlcsen Steine mögen aus den dunkeln Zeiten des früheren Mittelalters stammen. Einzelne, weit außerhalb der Dörfer gelegene Gräber werden in Urkunden bei Grenzbeschrei- bungen genannt, bezeichnet mit Personennamen: um 1260 bei Pec ein Grabfeld des Bolesta (Bolestino groblje), 1349 bei Skopje das Grab des Druzeta (Druzetin grob) ^). In Canali bei Ragusa gab es um 1420 einen wichtigen Scheideweg bei dem „Grab des Obugau", heute noch bekannt als inschriftloser Block Obuganj Greb. Es war das Grab des Stammvaters der Obuganici, einer Linie des Adelsgeschlechtes der Ljubibratiöi im 14. Jahrhundert^). Nach dem Absterben des Heidentums hat die südslawische

1) Mon. bist. jur. 6, 8.

2) Spomeuik 4, 5. Glasnik 15, 287.

3) Truhelka, Die bosnischen Grabdenkmäler, Glasnik bos. 1891 = Wiss. Mitt. 3 (1895) 403—480 mit Abb. Rovinskij, Sbornik russ. Akad. 86 (1909) 214f.

4) Spomenik 3, 9. Mou. serb. 144.

5) Obugagn Greb im Libro Rosso f. 448 f., Arch. Rag.

Heidentum uud Christentum. 171

Sage vieles von den Romanen und Griechen entlehnt. Sie kennt die Kaiser Trajan und Diokletian. Doch floß der in russischen Denkmälern unter den heidnischen Göttern genannte Trajan in den Hämusländern mit dem griechischen Midas zusammen. Ritter Bertrandon de la Broquiere hörte 1433 von den Griechen von Trajanopolis, diese Stadt habe Kaiser Trajan erbaut, welcher Schafsohren hatte; schon Tzetzes kennt die Geschichte von den Bocksohren (wr/a rgayoi) des Kaisers i). In der jetzigen ser- bischen Trajanssage erhielt ,, Trojan" zu den Ohren des Midas noch die Wachsflügel des Daidalos. Der Dukljan der lAIonte- negriner ist nicht nur der Gründer der in Trümmern liegenden Stadt Doclea und der Erbauer ihrer Wasserleitung, sondern auch der Teufel der Christen, Widersacher Gottes. Aus dem Kreis der mittelalterlichen Märchen stammen die in Höhlen hausenden Riesen, mit einem türkischen, ursprünglich persischen Namen Div genannt. Eine Abart waren Riesen mit einem Auge, Psoglav, wörtlich „Hundskopf' genannt, eine Art Kyklopen oder Kynoskephalen, auch aus bulgarischen, kroatischen und slowenischen Märchen be- kannt. An der Moraca in Montenegro zeigt man eine „Wiese der Hundsköpfe'', Psoglavlja Livada, mit der Höhle, in welcher sie gewohnt haben ^).

Die Besetzung der römischen Provinzen durch die heidnischen Slawen beschränkte das Gebiet des Christentums auf die Reste des byzantinischen Besitzes. In Dalmatien ist nach dem Fall von Salona das dortige Erzbistum übergesiedelt in das nahe Spalato, wird aber in den Papstbriefen des 9. Jahrhunderts noch immer als Salonitana ecclesia " bezeichnet, wie es denn auch seine Vor- rechte auf das ganze Land bis zur Donau (metropolis usque ripam Danubii) betonte 3). Die Bistümer von Praevalis, welche noch unter Papst Gregor I. der Kirche von Justiniana Prima unter- geordnet waren, wurden der römischen Kirche entzogen, ohne

1) Bertrandon ed. Schefer p. 179.

2) Krek ^277, 384, 783 f. Rovinskij a. a. 0. 493 f., 502f. Das Lied über Zar Dukljan bei Karadzic 2 nro. 17 ist nach Jagic, Arch. slaw. Phil. 4, 238 nicht volkstümlich, sondern entstanden unter dem Einfluß von Büchern.

3) Racki, Doc. 4, 10: Starine 12, 219.

173 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

Zweifel von Kaiser Leo dem Isaurier (um 731). In einem Texte der griechischen Bischofskataloge erscheinen unter dem Metro- politen von Dyrrhachion 15 Bischöfe, darunter die von Alessio (6 ^EXiaoüv), Dioklia (6 Jio/2eiag) ^), Skodra (6 ^/.odQav), Dri- vasto (6 JoiSäoTov), Pulati Ilold^wr), Dulcigno (6 ^v/uvidcov) und Antivari 'AviißccQEcjg) -). Diese Verhältnisse scheinen noch in der Zeit des Kaisers Konstantin Porphyrogennetos fortbestanden zu haben, welcher Alessio, Dulcigno und Antivari zu den Kastellen " von Dyrrhachion rechnet ^). Die Bistümer von Dalmatien und Istrien sind in keinem Verzeichnis der bischöflichen Sitze der griechischen Kirche genannt, der viele Jahrhunderte lang un- unterbrochene Einfluß von Byzanz ist aber auch dort bemerkbar in den Heiligenkulten, neben zahlreichen altchristlichen Elementen und den Spuren des kirchlichen Verkehres mit Aquileja, Raveuna und Apulien ^). Der Protomartyr Stephan, der wegen der Iden- tität seines Namens mit dem griechischen Wort für Krone {ocl- (fccvoc) als Schutzpatron des Konstantinopler Kaisertums galt, er- scheint auch in den Kirchennamen Dalmatiens; ihm war geweiht die Kathedrale von Skutari und die älteste Domkirche von Ra- gusa. Der besonders in der Justinianischen Zeit blühende Kultus des syrischen Märtyrerpaares Sergius und Bacchus war vertreten dui'ch eine Abtei bei Skutari an der Bojana und durch Kirchen in Antivari, Cattaro, auf dem Ragusa überragenden Berge (jetzt Srgj) usw. In Zara gab es eine Sophienkirche und zwei Frauen- klöster des heiligen Demetrius und des heiligen Plato. Außerhalb der Provinzgrenzen fand man im heidnischen Gebiete nur spora- dische Christen der älteren Zeit, Romanen, Albanesen und Ge- piden.

Die Christianisierung der Serben und Kroaten erfolgte nach Konstantin Porphyrogennetos in zwei Perioden, zuerst unter Kaiser

1) Der Bischof residierte wohl bei den Ruinen von Doclea. Presbyter Diocleas ed. Crnclc p. kennt eine „ecclesia S. Mariae in civitate Dio- clitaua".

2) Hieroclis Synecdemus et Notitiae graecae episcopatuum ed. Parthey p. 125, 220.

3) Konst. Porph. 3, 145.

4) Ausführlich in meinen Rom. Dalm. 1, 4Öf.

Heidentum und Cliristentum. 173

Heraklios, welchei' vom Papste in Rom Priester erbeten habe, welche diese Volker bekehrten und tauften. Doch waren die Slawen Dalmatiens noch zur Zeit des Papstes Johannes IV. (640 bis 642) sicher Heiden (S. 104), abgesehen davon, daß Heraklios mit den Päpsten nicht im besten Einvernehmen stand. Eher ist eine allmähliche Ausbreitung des Christentums aus den römischen Städten Dalmatiens anzunehmen, zuerst bei den Fürstenhöten. Daß die Kroaten der römischen Kirche angehörten, ist sattsam bekannt; die Bekehrung der Serben durch lateinische Kleriker ist in die Periode 642 731 zu verlegen, nach Papst Johannes IV. und vor dem Bruch Leos des Isauriers mit Rom. Zum zweitenmal ließ Kaiser Basilios I. (um 879) alle Ungetauften im Lande der Chrovaten, Serblier, Zachlumier usw. bekehren ; darauf verlangten auch die Narentaner, von denen sich nach der Erzählung des Diakons Johannes ein Gesandter um 830 in Venedig taufen ließ, die Aufnahme ins Christentum, die ihnen Basilios durch Sendung von Priestern gewährte ^). Die Namen der serbischen Fürsten des 9. Jahrhunderts sind eher lateinischer, als griechischer Art: Stephan, Peter, Paul, Zacharias. Der Protomartyr Stephan, dessen Namen ein großer Teil der serbischen Herrscher des 12 15. Jahrhunderts führte, wurde auch ein Schutzpatron des serbischen Staates. Auftällig sind gemischte, christlich-slawische Formen, wie z. ß der in Dioklitien so beliebte Name Petrislav aus Petrus, Marislava aus Maria. Reste des lateinischen Einflusses sind auch nach dem Anschluß an die orientalische Kirche noch im 13. bis 15. Jahrhundert zu bemerken: die bischöfliche Kirche der Apostel Peter und Paul in Ras, ein großes Kloster des heiligen Petrus am Lim, das Kloster S. Petri de Campo bei Trebinje (Ruine Petrov manastir bei Cicevo), eine Ortschatt S. Martinus in Canali (jetzt Pridvorje) -}. In der kirchlichen Terminologie der Serben sind lateinische Spuren sehr spärlich ^j. Dr. Patsch fand im Dorfe Drenovo bei Prjepolje im Limtale eine kleine Kirchenruine mit

1) Konst. Porph. 3, 129, 145, 149, 153.

2) Vgl. meiu Christ. Elfm. 29, 33, 38.

3) Oltar, otar (altare): komkati (communicare) ; kum Pate (compater, commater^ ; pogan, poganin, pogaijik Heide (paganus); raka Sarg, Grabmal (arca).

174 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

dem Fragment einer lateinischen Inschrift aus dem 9. 10. Jahr- hundert ^).

Das Christentum verbreitete sich bei den Südslawen anfangs nur oberflächlich, weil die lateinischen Gebete und Kirchenbücher dem Volke fremd blieben. Intensiver wurde es erst nach der Einführung der slawischen Sprache in den Gottesdienst. Im Orient gab es liturgische Bücher in allen hervorragenden Nationalsprachen. Die Griechen, die Kopten, die semitischen Äthiopier von Abessinien, die Syrer, die christlichen Araber, die Armenier, die Georgier, die an der unteren Donau bekehrten Goten priesen alle Gott in ihrer Sprache. Unter Justin I. predigte ein Bischof bei den hunnischen Sahiren an der Küste des Kaspischen Meeres und übersetzte die Heilige Schrift in die hunnische Sprache -;. In der Neuzeit ent- standen die nationalen Kirchenbücher der Rumänen und der Osseten. Bei den Slawen ließ eine derartige Missionstätigkeit längere Zeit auf sich warten, da in Byzanz der alte Eifer der Heidenbekehrung durch den Bilderstreit erlahmt war. In den byzantinischen Pro- vinzen war überdies eine solche Übersetzungstätigkeit nicht so dringend notwendig, da die Slawen z. B. in Thessalien, im küsten- ländischen Makedonien und in Thrakien inmitten zwischen grie- chischen Christen saßen und bald von der Nachbarschaft beeinflußt wurden. Daß man für sie neue Bistümer stiftete, sieht man an den slawischen Ortsnamen in den Katalogen: die Bistümer von Velikaja und des Stammes der Smolenen unter dem Metropoliten von Philippi, von Servia (6 tQv ^eQiii'wv) und des Stammes der Druguvitier unter dem Metropoliten von Thessalonich, von Jezero und Radovizd unter dem Metropoliten von Larissa ^). Diese Bischöfe und ihre Kleriker lassen die Liturgie griechisch, aber Predigt und mündliche Belehrung des Volkes wurde jedenfalls in slawischer Sprache gehalten, von Geistlichen und Mönchen, die geborene Slawen waren. Sie mußten dabei Worte ihrer Mutter-

1) Wiss. Mitt. 4 (1896) 295: „Te Criste auctore pontifex. . .". Nach den Schriftzügen ist die Inschrift, wie mir Museumsdirektor Buli<5 in Spalato schreibt, nicht vor 600, eher nach 800 zu setzen, aber nicht später als in das 10. Jahrhundert.

2) Diehl, Justinien 377.

3) Vgl. die Bischofskataloge bei Parthey und Geiz er.

Heidentum und Christentum. 175

spräche für die Begriffe der Glaubeuslehre adaptieren. Dadurch wurde das Werk der Brüder von Thessalonich und ihrer wahr- scheinlich meist aus Makedonien stammenden Mitarbeiter vor- bereitet. Ein Slawe (ciTzö ^KXdßiov) war nach Theophanes der Patriarch von Konstantinopel Niketas (766 78ü), wohl nicht der einzige unter den Bischöfen der Zeit.

Die Slawenapostel von Thessalonich waren die Söhne eines vornehmen byzantinischen Oifiziers, des Drungarios Leon. Die Hauptperson war der jüngere Konstantin, Priester und Bibliothekar des Patriarchates, Lehrer der Philosophie an der Hofschule im Kaiserpalast von Konstantinopel, hervorragend durch Sprachkennt- nisse und theologisches Wissen und bewährt in Disputationen mit den Ikonoklasten, den Mohammedanern in Kalifat und den Juden im Chazarenlande, eine bescheidene Gelehrtennatur. Der ältere Älethodios, den wir nur unter seinem Mönchsnamen kennen ^), war mehr mit dem öffentlichen Leben vertraut, ursprünglich Statthalter in einem slawischen Gebiet der Halbinsel, später Mönch auf dem bithynischen Olymp, zuletzt Hegumenos des Klosters Polychronion an der asiatischen Küste der Propontis bei Kyzikos. Eine Ge- sandtschaft der mährischen Fürsten Rastislav und Svatopluk an den Kaiser Michael HI (862) bot den Anlaß zu dem Beginn des Werkes. Die Mähren waren zwar zum Christentum bekehrt, wünschten aber Lehrer, die der slawischen Sprache kundig wären. Michael HI. und sein Oheim, der Armenier Vardas, beauftragten mit dieser Mission die beiden Brüder. Vor der Abreise erfolgte die Aufstellung der slawischen Schrift durch Konstantin, verbunden mit der Übersetzung des Evangelistars -). Die Erfindung des Alphabetes, in der Legende dargestellt als ein Wunder und eine Offenbarung Gottes, kann sich nur auf eine ganz neue Schrift beziehen, nicht auf eine kleine Adaptierung der allgemein be- kannten griechischen Zeichen. Es war wohl die Schrift, die man

1) Methodios war in dieser Zeit nur als Mönchsname gebräuchlich. Der weltliche Name mag, der Sitte gemäß, denselben Anlaut gehabt haben: Michael, Manuel usw.

2) J a g i c , Zur Entstehungsgeschichte der kirchenslaw. Sprache (Wien 1900, Denkschr. W. Akad. Bd. 47) 1, 17; 2, 45 f.

176 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

jetzt die glagolitische nennt ^). In ihrem äußeren Typus der ar- menischen und georgischen Unzialschrift nicht unähnlich , ist sie offenbar ein künstliches Produkt. Nach der Ansicht neuerer Forscher beruht sie auf der griechischen Kursiv- oder Miuuskel- schrift, mit wenigen orientalischen Elementen (wie für s) ^). Die sogenannte cyrillische Schrift ist jünger und, wie die koptische in Ägypten, nichts anderes als die griechische Unzialschrift, vermehrt durch einige neue Zeichen für eigenartige, nichtgriechische Laute. Ihre Heimat scheint Bulgarien zu sein , wo die heidnischen und christlichen Fürsten Inschriften in griechischer Sprache zu errichten pflegten und wo die griechische Schrift den Adligen und Kauf- leuten wohl allgemein bekannt war 3). Die Sprache, in welche die beiden Brüder mit ihren Mitarbeitern einen Teil der heiligen Bücher übersetzten, wurde nur die „slawische" genannt, repräsen- tierte aber einen eigenen, jetzt ausgestorbenen altertümlichen Dialekt. I\Ian nennt sie kirchenslawisch, altslowenisch oder altbulgarisch. Kopitar und Miklosich suchten ihre Heimat in Pannonien, Safafik, Schleicher, Leskien und die russischen Slawisten in Bulgarien, Jagic im Lande zwischen Thessalonich und Konstantinopel. Ich denke an die oben erwähnten Bistümer auf byzantinischem Boden zwischen Riiodope und Pindus

Das Werk der Brüder von Thessalonich wurde von Anfang an vom Konstantinopler Hofe begünstigt, ebenso wie einst die Übersetzung der heiligen Bücher ins Armenische im 5. Jahrhundert. Dem Nachfolger Michaels III., Basilios I., kam die neue slawische Liturgie noch mehr gelegen, bei seinem Streben, das Christentum bei den Südslawen überall zu befestigen, die heidnischen Russen zu bekehren und die zwischen Rom und Byzanz hin und her schwankenden neubekehrten Bulgaren bleibend zu gewinnen. Eine kurze Zeit waren damals selbst die Kroaten der Kirche von Rom

1^ Jagic, Arch. slaw. Phil. '23 (1901) 113 f.

2) Taylor, Arch. slaw. Phil. 5 (18H1) 191. Leskien ib. 27 (1905) Hilf. Abi cht ib. 31 (1909) 21(3 f.

3) Die mecliaüische Adaptierung ist sichtbar am of, das in der cy- rillischen, ganz wie in der koptischen Schrift, ohne lautlichen Cirund genau wie im Griechischen durch ein Doppelzeichen wiedergegeben ist

Heidentum und Christentum, 177

entfremdet ^). Kaiser Basilios hat den Methodios, wie dessen Vita erzählt, einmal aus Mähren nach Konstantinopel eingeladen und einige seiner Geistlichen bei sich behalten. Ebenso ließ er nach der älteren, jüngst von Lavrov herausgegebenen, in der Mitte des 10. Jahrhunderts verfaßten Vita des Naum, als nach Methods Tod eine Anzahl seiner Schüler von den Mähren nach Venedig in die Sklaverei verkauft worden war, diese hart geprüften Glau- bensboten von seinem Gesandten loskaufen und entschädigte sie durch geistliche Amter in Konstantinopel. Anderseits wurden die beiden Brüder auch in Rom freundlich aufgenommen, um so mehr, weil sie die Reliquien des heiligen Papstes Klemens I. aus Cherson mitbrachten und weil man eben (866 870) auf eine Ge- winnung der Bulgaren für die römische Kirche rechnete. Damals hatte Rom auch unter den Griechen eine Partei für sich, deren Oberhaupt Ignatios nach der Thronbesteigung Basilios' I. an Stelle des abgesetzten Photios wieder Patriarch wurde. Konstantin, der kurz vor seinem Tode (f 869) in Rom das Mönchsgewand mit dem Klosternamen Kyrillos angenommen hatte, hinterließ die Fort- führung des begonnenen Werkes seinem Bruder, welcher vom Papst zum Erzbischof von Pannonien und Mähren eingesetzt wurde. Die Männer von Thessalonich hatten keine Ahnung von dem weit- reichenden Einfluß ihres Werkes. Erst nach ihrem Tode gewann es festen Boden und sichere Zukunft durch die Verbreitung in Bulgarien, Serbien und Rußland. Zählt man Orthodoxe, russische Sekten, Uniaten und Glagoliten zusammen, hören heute an 112 Millionen Menschen das Wort des Herrn aus den Texten, welche die Brüder von Thessalonich vor mehr als tausend Jahren ver- dolmetscht haben.

Die slawischen Kirchenbücher gelangten jedenfalls noch zu Lebzeiten des Methodios aus dem Territorium des pannonischen Fürsten Kocel zu den Slawen des adriatischen Gebietes. Als nach des Methodios Tod (f 885) seine zahlreichen Schüler Mähren ver- lassen mußten und in Bulgarien am fürstlichen Hofe die freund- lichste Aufnahme fanden, wendeten sich nach der jüngeren Vita

1) Vgl. meine Rom. Dalm. 1, 48. Jirecek, Geschichte der Serben. I. 12

178 Drittes Bucb. Zweites Kapitel.

des Naum einige derselben auch nach Dalmatien ^). Glagolitische Kirchenbücher gab es, wie aus neueren Funden bekannt ist, nicht nur auf der einen Seite der Halbinsel im kroatischen Reiche, auf der anderen in Makedonien und Westbulgarien, sondern auch in der Mitte ziwischen beiden Gebieten, in Serbien und Bosnien. Zeugnis davon geben hturgische Kodizes in glagolitischer Schrift mit Texten, in denen das Kirchenslawische eine lokale serbische Färbung hat, begleitet von cyrillischen Glossen nach orientalischem Ritus ; umgekehrt gibt es auch cyrillische altserbische Handschriften mit einzelnen glagolitischen Stellen und Randbemerkungen -). Jeden- falls ist die glagolitische Schrift in Serbien bis ins J4. Jahrhundert sporadisch bekannt geblieben. Im öffentlichen Leben wurde sie durch die einfachere cyrillische Schrift verdrängt. Nur im küsten- ländischen Kroatien behaupteten sich die glagolitischen Kirchen- bücher mit Texten nach lateinischem Ritus bis in unsere Zeit ^) Dort schrieb man zwischen Spalato und Agram bis in die Neuzeit auch Urkunden in glagolitischer Schrift. Bald wurde das Kirchen- slawische in allen diesen Ländern unter Einfluß der einheimischen Mundarten in seinem Lautsystem verändert; es entstanden vier Rezensionen, eine kroatisch-glagolitische und eine serbische, neben der bulgarischen und der russischen.

Im adriatischen Küstengebiet ist das Verhältnis der Lateiner zu der slawischen Liturgie nicht überall gleich gewesen. Im Süden, an der Grenze gegen die griechische Kirche, und im Osten, wo die bulgarische Kirche der nächste Nachbar war, durfte Rom in eigenem Interesse keine Feindseligkeit gegen den slawischen Gottes- dienst äußern. Auch ist südlich von der Narenta nichts von einer Verfolgung der slawischen Bücher in den lateinischen Bistümern der Küste bekannt. In dem Gebiet des späteren katholischen Erzbistums von Antivari erwähnen die Urkunden über Ernennung

1) Glasnik 63 (1885) 3 ed. Lj. Kovacevic.

2) Zu den Belegen in meinen Rom. Dalm. 1, 50 Anm. ist nachzu- tragen: Jagic im Arch. slaw. Phil. 24 (1902) 313—314 und 25 (1903) 20 f. mit Faks.

3) Fontes historici liturgiae glagolito-romauae a XIII ad XIX sae- culum, collegit, digessit et indice analitico instruxit Dr. Lucas Jelic^ Veglae 1906.

Heidentum und Christentum. 179

der Erzbischöfe seit dem 11. Jahrhundert ausdrücklich monasteria tarn Latinorum quam Graecoruin sive Sclavorum", die sich wohl hauptsäclilich durcli die Sprache ihrer liturgischen Bücher von- einander unterschieden. Dagegen gab es im Norden Dalmatiens große Kämpfe, die heute noch nicht abgeschlossen sind. Während der Orient an Kirchenbücher in verschiedenen Sprachen seit alters her gewöhnt ist, herrschte im Abendland in der Kirche von Anfang an nur das Latein. Neben der lateinischen Messe entstand keine altirische, angelsächsische, althochdeutsche oder altnordische Liturgie. Diese zwei großen liturgischen Gebiete des mittelalterlichen Christen- tums grenzten aneinander vor den Toren der romanischen Städte Dalmatiens. Schon die Slawenapostel selbst hatten in Mähren und Pannonien mit dem Widerstand des deutschen Klerus zu kämpfen. Im Erzbistum von Spalato wurde die slawisch katholische Liturgie der Kroaten von den in der dalmatinischen Kirche herrschenden Romaneu oft verfolgt. Bei dem Verfall historischer Kenntnisse galten die glagolitischen Kirchenbücher bei den Lateinern als gotisch und arianisch, bis im 13. Jahrhundert eine neue Theorie auftauchte, die sie dem heihgen Hieronymus zuschrieb. Das machte ein Kompromiß möglich. Erst die moderne Wissenschaft deckte die Wahrheit auf, brachte aber dadurch den alten Kampf wieder zum Ausbruch.

Die innere Organisation der Kirche in den serbischen Ländern im früheren Mittelalter ist unbekannt. Bischöfe gab es nur an der Küste, im Innern vertreten durch eine geringe Anzahl von Priestern. Neben den Papstbriefen an die Fürsten der Kroaten fehlen in den Fragmenten der päpstlichen Korrespondenz aus diesen Zeiten Nachrichten über Beziehungen zu den Serbenfürsten '). Die

1) Papst Johannes VIII. (872 882) schrieb an „Montemerus dux Sclavinicae " , er solle sich, „progenitorura secutus morem", der Panno- niensium dioecesis" anschließen (Racki, Doc. 367) und „presbiteri vagi ex omni loco" nicht dulden (Starine 12, 212). In Kroatien herrschten zur Zeit Johannes' VIII. die Fürsten Domagoj, Zdeslav, Branimir; ein Mutimir folgte erst später (um 892). In Serbien gab es damals einen Fürsten Mu- timir, aber das Serbenland gehörte zur Kirchenprovinz von Dalmatia, nicht von Pannonia. Racki hält daher den Montemeriis für einen Fürsten im Lande zwischen Save und Drau.

12*

IgO Drittes Buch. Zweites Kapitel.

älteren Kirchen des Landes, in der Regel von einem Grabfeld umgeben, sind auffällig durch ihre geringen Dimensionen, meist nur 2 bis 4 Meter breit, 3 bis 6 Meter lang. Das Volk .stand während des Gottesdienstes größtenteils unter freiem Himmel vor der Kirche, in welcher nur der Priester mit den Oberhäuptern Platz fand. Die alte St. Peter- und Paulskirche von Ras, die gegenwärtig von den Türken als militärisches Magazin benutzte Petrova crkva (PeterskircheJ am Ufer der Raska unterhalb Novi- pazar, ist nach Evans ein Rundbau, wie San Donato in Zara oder die alten St. Georgskirchen von Salonik und Sofia, mit einem acht- eckigen Türmchen ^).

Als einen Überrest aus der Zeit der Christianisierung be- trachtet man das Fest des „krsno ime", wörtlich des Taufnamens, oder der „slava" (Feier) -). Bei den Serben wird nämlich nicht der Namenstag des einzelnen Familienmitgliedes festlich begangen, sondern die gesamte Familie feiert einen einzigen Heiligen, dessen Name oft als Personenname in der Familie gar nicht vorkommt. Im Westen, wo noch die großen Verbände bestehen, feiert diesen Schutzheiligen die ganze Bruderschaft oder das ganze Geschlecht. Die Feiertage sind keineswegs identisch mit den Kirchtagen der lokalen Pfarrkirchen. Aus der Identität der Schutzpatrone zieht man in Montenegro Schlüsse auf die Verwandtschaft der ganzer^ Sippschaften. Sagen und Volkslieder behaupten, die Dynastie der Nemanji(5i habe den Erzengel Michael zum Schutzpatron gehabt. Die Fürstenfamilie von Montenegro feiert den heiligen Georg, die Dynastie der Karadjordjevici den Apostel Andreas; die der Obreno- vidi feierte den heiligen Nikolaus. Am stärksten vertreten sind in Montenegro St. Michael und St. Nikolaus. In Belgrad feier^ den heiligen Nikolaus ungefähr ein Drittel der Einwohner, worauf "^ gleich der heilige Erzengel mit einem Sechstel der Bürgerschaft nachfolgt ■'). Seltener sind ältere Heiligenkulte , wie des heihgen Agathen, der heiligen Thekla, des heiligen Kyrikos und seiner

1) Evaus, Illyricum III— IV, 53.

2) Rovinskij a. a. 0. 69 (1901) '209—240; Milicevic, Srp.ski ct- nografski zbornik 1, 149 f.

3) Statistik nach den neun Pfarren von Belgrad bei Milicevic a. a. 0. 157 und Godir^njica 1 (1877) lOlf.

Heidentum und Christentum. 181

Mutter Julitta, in Montenegro auch der Märtyrer Sergius und Bacchus (an der Moraca) und der Apostel Peter und Paul (am Flu8se Zeta). Die Feier ist verbunden mit Gottesdienst, Andenken an die verstorbenen Verwandten, Gastmählern, Trinksprüchen und Beteilung der Armen. Oft wird an einem anderen Tage des Jahres eine Vor- oder Nebenfeier gehalten (preslava, posluzbica). Das Gesetzbuch des montenegrinischen Fürsten Danilo (1855) erklärt (Art. 88) das „Krsno ime'^ als „Erinnerung an die Taufe der Urväter". Rovinskij meint, die Feier sei rein christlich, ohne heidnische Spuren, sie stamme aber keineswegs aus den Zeiten der Christianisierung, denn dagegen sprechen die zahlreichen Än- derungen der Feiertage in neuerer Zeit und die geringe Auswahl, die sich auf wenige Heilige beschränkt, wobei die Verdrängung älterer Kulte stellenweise noch bemerkbar bleibt. Die Fintwick- lungsgeschichte dieser eigenartigen serbischen Familienfeier der Hauspatrone, welche den benachbarten Kroaten und Bulgaren un- bekannt ist, läßt sich bei dem Mangel an Nachrichten nicht ver- folgen. Im 14. Jahrhundert werden nur die persönlichen Schutz- patrone einzelner Adliger erwähnt. Die Brüder Zupan Bjeljak und der Vojvode Radic aus dem Geschlecht der Sankovici in der heutigen Herzegowina schwüren den Ragusanern 1391 bei ihren Taufpatronen (krstna imena), der erste bei dem heiligen Georg, der zweite bei dem Erzengel Michael, den geschlossenen Vertrag treu zu halten \).

Östlich von den Serben predigten im bulgarischen Reiche des Michael Boris und seines Sohnes Symeon das Christentum zuerst (864 f.) griechische Glaubensboten, nach ihnen eine kurze Zeit (866 870) lateinische Bischöfe mit ihrem Gefolge, dann wieder Griechen, bis die Schüler des Methodios (885 f.) sowohl am Hofe, als im fernen Westen einen großen Einfluß erwarben. Die ur- sprünglich geringe Anzahl der Bistümer wurde bald vermehrt. Über das westliche Makedonien bieten die Legenden des Bischofs Klemens und des Klostergründers Naum wichtige Nachrichten, über das östliche die Legende der Märtyrer von Tiberiopolis. Weniger wissen wir über das Moravagebiet. In Belgrad an der

1) Mou. serb. 219, 220.

183 Drittes Buch. Zweites Kapitel.

Donau (episcopatus Belogradensis) residierte 878 dei- Bischof Sergios, ein slawischer Eunuche, in Branicevo 879 der Bischof Agathon von Morava ^). Die vom bulgarischen Hofe unterstützte Über- setzungstätigkeit slawischer Kleriker übte bald einen großen Ein- fluß weit über die Grenzen des Landes hinaus; es ist charakteristisch, daß die meisten erhaltenen Abschriften teils in Serbien, teils in Rußland hergestellt worden sind -). Die bulgarische Kirche selbst, ein autokephales Erzbistum, wurde von Symeon zum Patriarchat erhoben, ein Beispiel, welches im Laufe der historischen Entwick- lung auch andere zur Nachahmung reizte.

1) Kukuljevic, Cod. dipl. 1, 59. Mansi, Sacr. conc. 17,373.

2) Vgl. M. Murko, Geschichte der älteren südslawischen Literatureu (Leipzig 1908) S. 57 f.

Drittes Kapitel.

Die byzantinische Oberhoheit und der Kampf gegen die Bulgaren im 9. und 10. Jahrhundert ^).

Die Vormacht der Balkanhalbinsel war bis 1204 das byzan- tinische Kaisertum oder das „imperium Romaniae", dessen Name heute noch nicht vergessen ist -), Es beanspruchte bei jeder Ge- legenheit die Oberhoheit über die kroatischen und serbischen Fürsten, welche angeblich seit Heraklios jederzeit dem Kaiser unterworfen und gehorsam waren ^) ; doch hat sich die Form dieser Ober- herrschaft nicht selten geändert und war zeitweilig ganz unter- brochen. Der Einfluß der Byzantiner beruhte auf der unbestrittenen Seeherrschaft über das Adriatische oder, wie man damals sagte, das „Dalmatische" Meer, auch nach dem Verlust von Ravenna und Istrien, solange Byzanz Albanien und Unteritalien besaß. In den Resten Dalmatiens war Hauptstadt teils das feste Zara, teils

1) Literatur: Dum ml er (s. oben S. 81). Hilf er ding, Briefe über die Geschichte der Serben und Bulgaren (bis 1018), russ. in seinen Ges- Werken (1868), deutsch von Schmaler, Bautzen 1856—1864. Drinov, Die Südslawen und Byzanz im 10. Jahrb., russ. : Ctenija , Moskau 1875, Heft 3. Novakovic, Die ersten Grundlagen der slawischen Literatur bei den Bal- kanslawen, serb. , Belgrad 1893. Stanojevic, Byzanz und die Serben, Bd. 2, serb. (bis zum 8. Jahrb.). Manojlovic, Das Adriatische Küsten- gebiet im 9. Jahrb. : Rad 150 (1902).

2) Üben-este : Romagna im einstigen Exarchat von Ravenna, bulg. Roraanjä die Ebene Thrakiens, Romanija in Ragusa nicht nur im 13. bis 15. Jahrb., sondern teilweise heute noch Albanien und Morea. Bei Uzzano (1442) ist die Bojana Grenze zwischen Schiavonia und Romania.

3) Konst. Porph. 3, 153, 154, 159.

184 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

das von Süden leicht zugängliche Ragusa ^). Die Beziehungen des Kaisertums zu Serbien gingen aber nicht durch die Hand des Statthalters von Dalmatien, sondern in den Jahren des Konstantin Porphyrogennetos, ebensogut wie in der Komuenenzeit durch die des von Dyrrhachion. Diese Stadt, der Schlüssel zu den Ver- bindungen des Konstantinopler Reiches mit der Adria und mit ItaHen; besaß eine feste Akropolis und gewaltige, sehr breite Stadt- mauern; über dem Nordtor stand eine antike eherne Reiterstatue, welche Anna Komnena erwähnt und welche noch Cyriacus von Ankona(1436) gesehen hat. Die dyrrhachinische Provinz, welche tief landeinwärts reichte, begann im Norden mit dem Städtepaar Antivari und Dulcigno -). Die wichtigste maritime Position zwischen Italien, Griechenland und Afrika war die Inselprovinz von Ke- phallenia, welche nach dem Zeremonienbuch auch den Vorrang vor Dyrrhachion und sogar vor Thessalonich hatte. Die miH- tärischen Statthalter oder Strategen der Provinzen oder „Themata" des Westens hatten alle einen tieferen Rang als die des Ostens an der arabischen Grenze und bezogen keinen Gehalt aus der Staats- kasse, sondern nur jährliche Zahlungen von ihrem Thema. Im 11. Jahrhundert wurden die Gouverneure in drei Stufen geteilt Dux (auch in Dyrrhachion), Katepan {ytaTE7cavoj , auch in Dal- matien) und der einfache Strategos '•''). Der Hofrang eines Proto- spathars, Prokonsuls (Anthypatosj oder Patrikios wurde nur persön- lich einzelnen von ihnen verliehen und war nicht verbunden mit dem Amte. Die Stellung Dalmatiens wird beleuchtet durch den Rang des Statthalters, der im Zeremonienbuche der vorletzte von allen ist, vor dem von Cherson; ja im 11. Jahrhundert überließ man dieses Amt dem Bürgermeister von Zara ^). Die viel auf sich allein angewiesenen Gemeinden entwickelten sich in Istrien

1) Kagusa als ^xriTQÖnohg: Theoph. Cont. p. 289. Koust. Porph. o, 136 iu Dalmatien an erster Stelle. Ein Strategos von Ragusa bei Ka- lt au menos (s. unten).

2) Konst. Porph. 3, 141, 145.

3) Skabalanovic, Der byz. Staat und die Kirche im 11. Jahrb., russ., Petersburg 1884, 187 f.

4) Eine Redaktion des Zeremonienbuches bat statt des Strategen nur einen äii/oiv /iaXfxaTlas: Tb. Uspenskij, Izvestija arch. inst. 3(1898) 124.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. 185

und Dalmatieu, ebenso wie in den Resten des byzantinischen Ge- bietes in Italien alhuählich zu Städterepubliken mit eigenen Rech- ten ^). Ihre Vornehmen waren die Tribunen, ursprünglich Offiziere der Lokaltruppen, von denen einzelne auch byzantinische Hüftitel führten; dabei ist aber zu bemerken, daß die unteren Würden vom Mandator bis zum Protospathar auch um 2 18 Pfund Goldes käuflich waren, um einen höheren Preis auch der Gehalt (goya) dazu, als eine Art Leibrente - ). Das auf einige Jahre ge- wählte Oberhaupt der Stadt war der Prior {jiQcoveuoiv, S. 37), zuletzt im 12. Jahrhundert in Cattaro so genannt, bald überall mit dem neueren Titel eines Comes bezeichnet. Ihm zur Seite standen die jährlich gewählten Richter (iudices). Die Hoheit des Kaisers äußerte sich in den Lobgesäugen (laudes) bei dem feierlichen Gottesdienst in der Domkirche; nach dem Ende der byzantinischen Herrschaft über Dalmatien wurde der Kaiser darin durch den König von Ungarn oder den Dogen von Venedig ersetzt '•'•). In den dalmatinischen Statuten des 13. 15. Jahrhunderts ist der Ein- fluß des byzantinischen Rechtes klar bemerkbar, im Süden mehr als im Norden, besonders im Seerecht und im Strafrecht, mit Ver- lust der Hand, des Auges usw. an Stelle der Todesstrafe des rö- mischen Rechtes.

Die byzantinische Flotte (oroXog) mit den großen, mit grie- chischem Feuer ausgerüsteten und je 300 Mann besetzten Dro- monen und den Chelandien und anderen kleineren Schiffstypen, im 7. 8. Jahrhundert die erste des Mittelmeeres, zerfiel in die ständige kaiserliche Flotte (rö ßaoüuv.bv 7tXoif.ior) und die nur im Kriegsfall mobilisierte Flotte der Provinzen (rö d^e/jarr/,öv rrXoi(.iov). In Dyrrhachion und Dalmatien standen 949 sieben Schiffe der Linienflotte '^). Die Provinzflotte wurde von den ein- zelnen Städten ausgerüstet; die Ragusaner z. B. hatten nach dem Privilegium von Kaiser Isaak Angelos (1192) bei jedem Seezug

1) Ernst Mayer, Die dalmatisch-istrische Munizipal Verfassung, Weimar 1005 (Zeitschr. der Savigny-Stiftung Bd. 24).

2) Zachariae, Gesch. des griech.-röm. Rechtes ^^300.

3) Zara (Text der „laudes" um 1105): Vjesnik zem. ark. 3 (1901) If. Kagusa: Mon. bist. jur. 9 p. LXIII.

4) Konst. Porph. 1, 664, 668.

186 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

der Byzantiner auf der Adria zwei Galeeren auf eigene Kosten aufzustellen. Die Landtruppen jeder Provinz, befehligt von dem Statthalter, bildeten ein gleichfalls Thema genanntes Armeekorps. Das Thema bestand aus Türmen, die nach den Schilderungen der Araber bis 5000 Mann stark waren, unter einem Turmarchen, welchem die Drungarier untergeordnet waren, mit je einem Drun- gos von 1000 Mann, eingeteilt in weitere Unterabteilungen nach dem dekadischen System (S. 129) ^). Die spätrömische Institution der Grenztruppen wurde langsam auf alle byzantinischen Provinzen ausgedehnt, mit unveräußerlichen Soldgütern {oTqaTnoii/.ä xr/y- fiava) und erblichen Soldaten -). Seit dem 11. Jahrhundert nannte man diese Lehen prönia (jiQÖvoia), was einem lat. provedimentum, provisio entspricht ; diese Institution übernahmen auch die Serben, in deren Urkunden die pronija im 14. 15. Jahrhundert wohlbekannt ist. Die Militarisierung umfaßte die ganze Besiedlung. Die Städte, ■/MGTQOv (lat. castrum) genannt , zerfielen in Fahnen " (bandi), z, B. Ravenna in elf solche Bezirke ^). Die Landgemeinden waren in Kleinasien im 10. Jahrhundert gruppiert in Türmen, diese wieder in Fahnen (ßccvdov), benannt nach den Dörfern oder Pfarr- kirchen. Ebenso hießen in Europa im 12. 14. Jahrhundert die Dorf bezirke auf Kreta Türmen, in Epirus, Attika und im Pelo- ponnes Drungoi.

Die Grenzen der Staaten waren durch Wälle und Verhaue genau bezeichnet und strenge bewacht. Der Grenzwall der Bul- garen gegen die Byzantiner, der „große Graben" (M€yd?^ri Td(pQog, Meyccli] oovda) des 10. Jahrhunderts, ist auf der Strecke von den Lagunen bei Burgas bis zur Tundza bei Jambol gut erhalten ^). Ebenso war in Ungarn und Kroatien im 13 14. Jahrhundert die Grenzlinie begleitet von einem Graben mit Zaun (lat. indago) und

1) Drungus (schon bei Vopiscus und Vegetius) ist germanisch: engl, throng Haufen. Julian Kulakovskij, Drungos und Drungarios: Viz. Vrem 9 (1902) If.

2) Zachariae a. a. 0. ='271f.

3) Die hl, Etudes sur Tadministration byz. dans l'exarchat de Ra- venue 311.

4) Arch. epigr. Mitt. 10 (1886) 136 f. Izvestija arch. inst. 10 (1905) 538 f.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. 187

einzelnen Toren (portae) ^). Auch die byzantinische Grenze gegen die Serben war in der Zeit der Koranenen an den Pässen und Übergängen befestigt mit Gräben, Verhauen aus gewaltigen Baum- stämmen und Burgen oder Türmen aus Holz oder Stein -), Auf der serbischen Seite nannte man die Grenzlandschaften krajina oder krajiste (kraj Rand). Krajina heißt schon bei Diocleas die Uferlandschaft des Sees von Skutari zwischen der Bojana und dem Tal von Crmnica, ebenso das Grenzgebiet zwischen Zach- lumien und dem kroatischen Reich bei Makarska (8. 119). In den kleinen Stadtgebieten Dalmatiens war die Absperrung jeden- falls nicht so streng, wie an der langobardischeu und bulgarischen Grenze. Nach einem Vertrag mit den Bulgaren (7 IG) durften die bulgarischen und byzantinischen Kaufleute nur mit Siegeln oder Geleitsbriefen über die Grenze; ohne Ausweis verfielen ihre Waren der Konfiskation '). Die goldenen Siegel der Gesandten, die silbernen der Kaufleute, später (944) ersetzt durch schriftUche Pässe, sind bekannt aus den in der ältesten Chronik von Bliew erhaltenen Urkunden des 10. Jahrhunderts über die alljährlich nach Konstantinopel kommende Bootsflotte der Russen.

Die Abhängigkeit der Slawen vom Kaisertum war nicht überall gleich. Kleine Stämme innerhalb der Provinzen, wie in Griechenland, hatten vom kaiserlichen Statthalter ernannte Fürsten (ciQxiov), zahlten ein Jahrgeld {ztd/.TOv) in Goldstücken und waren verpflichtet zur Heeresfolge \). Bei den mächtigen Stämmen jen- seits der Grenze im Norden mußte dagegen das Reich den erb- lichen Slawenfürsten Jahrgelder zahlen. Nach den Berichten des Porphyrogenneteu entrichteten die nördlichen Städte Dalmatiens den Slawen je 100—200 Goldstücke, außer den Leistungen in Wein und anderen Naturalien; Ragusa aber zahlte den Fürsten der Zachlumier und Terbuniaten je 36 Goldstücke, weil es Weingärten auf dem Boden beider Nachbarn besaß '"). Es ist sehr zweifelhaft,

1) Thallöczy, Die Grafen von Blagay (Wien 1898) 16—17. Kiaic: Vjesnik arheol. N. S. 7 (1903) If.

2) Anna Komnena IX cap. 1.

3) Theophanes ed. De Boor 1, 497.

4) Konst. Porph. 3, 220f.

5) Derselbe 3, 147 (Cattaro fehlt).

188 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

ob es, wie Konstantin meint, ursprünglich eine Einnahme des byzantinischen Statthalters war, erst von Basilios I. den Nachbarn geschenkt. In Ragusa war der im 13. 15. Jahrhundert ma- garisium (margarisium), slawisch mogoris genannte Tribut an die Trebinjer und Zachluraier ein Bodenzins, den die Gemeinde bei den Besitzern der Weingärten einsammelte und den Nachbarn zu bestimmten Terminen abführte ^). Truppenkontingente gab es auch im Norden. Unter Basilios I. wurden die Mannschaften der Chrovaten, Serben, Zachlumier, Terbuniaten und Kanaliten auf den Schiffen der dalmatinischen Städte gegen die Araber nach Unteritalien hinübergeführt -). Als sich die kaiserlichen Feld- herren zur Vertreibung der Araber aus Tarent rüsteten, befehligte Prokopios die Westländer (övti'/.oi) und Slawen (ßy.laßrivoi), Leon Apostyppes die Thraker und Makedonier; Leon ließ aber in einer Schlacht seinen Kollegen im Stich, nahm nach dessen Tode seine Truppen zu sich und eroberte Tarent allein '). In der Zeit der Komnenen war der serbische Großzupan verpflichtet, bei den Feld- zügen des Kaisers im Westen 2000 Mann zu senden, in Asien 300, später 500 Mann ^). Die Gesandten nicht nur des Papstes und der westlichen Kaiser, sondern auch der Russen und der dalmatinischen Slawen nannte man Apokrisiarier {aiToy.oLaLctQioi, eigentlich Beantworter ^■) ; davon stammt altserbisch poklisar der Gesandte, bekannt in der Neuzeit in Ragusa bis zum Fall der Republik (1808). Unter den Beamten des Logotheten tov öq6(aov, des Postministers und zugleich Ministers des Äußeren, gab es Dolmetscher (eQ(.irivevTai) für den Verkehr mit arabischen, arme- nischen, slawischen und anderen Gesandten ■'). Bei dem Empfang der slawischen Sendboten war der Kaiser bestrebt, in besonderem Glänze zu erscheinen. Michael III. empfing sie, wie im Zere- raonienbuche zu lesen ist, im Chrysotriklinon , dem „goldenen

1) Vgl. meine Handelsstraßen 12, Rom. Dalm. 1, 91.

2) Konst. Porph. 3, 131; Theoph. Cont. 293 (Narentaner und Dioklitier fehlen).

3) Theoph. Cont. 306. Vasiljev, Byzauz und die Araber, russ. 2 ^Petersburg 1902) 88 (um 880—885).

4) Kinn am OS III cap. 9.

5) Vgl. Bury, Byz. Z. 15 (1906) 540f.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. 189

Saal", auf dem Throne sitzend in dem mit Edelsteinen auf Gold- grund besetzten Purpurgewand, mit der Krone auf dem Haupte; sie wurden von dem Logotheten vorgestellt und mit Kleidern be- schenkt. Die kaiserlichen Schreiben an die Fürsten der Kroaten, Serben, Zachlumier, Travunier, Kanaliten und Dioklitier, stets mit goldenem Siegel, waren abgefaßt als kaiserlicher Befehl •'• (/e- Ä,Evoig) ^). Die Verträge der Byzantiner z. B. mit den heidnischen Russen und Bulgaren waren griechisch niedergeschrieben. Auch die Siegel der serbischen Fürsten hatten griechische Inschriften, wie die des Peter von Dioklitien (S. 124) und des Stephan Ne- mauja -). Dagegen waren die Verträge der Slawen mit den Städten Dalmatiens noch zu Ende des 12. Jahrhunderts lateinisch abgefaßt, mit cyrillischen Unterschritten der serbischen Fürsten, der Vertrag zwischen Ragusa und Ban Kulin von Bosnien (1189) auf demselben Blatt zuerst lateinisch, dann slawisch in cyrillischer Schrift 3).

Neben den Byzantinern waren eine mächtige Nation die seit 679 zwischen Donau und Hämus angesiedelten Bulgaren ; vor 800 reichte ihr Gebiet im Westen nur wenig über den Isker hinaus (S. lOG). Die Slawen ihres Landes werden in den byzantinischen Berichten des 8. 9. Jahrhunderts in den Heeren immer abseits neben den Bulgaren genannt, mit eigenen Fürsten {aQyovteg), welche z. B. unter Krum an den Gastmählern des bulgarischen Herrschers teilnahmen oder, wie ein Dragomir, für ihn Gesandt- schaftsreisen unternahmen. Griechen, Reste alter Einwohner, Über- läufer oder Gefangene meißelten die merkwürdigen , in unseren Tagen gesammelten griechischen Inschriften des heidnischen Bul- gariens ^). Das Volk war in Geschlechter {yevea) eingeteilt. Der Fürst heißt in den Inschriften Khan {y.avag) oder „Fürst von Gott" (6 ex ^Eov aqywv). Den höheren Adel bildeten die Bol-

1) Konst. Porph. 1, 634, 691.

2) Goldsiegel: 2!(f'Qay\g Zraifdvov ixtycü.ov iovndvov tov Nffiüvtu. Cajkanovic, Byz. Z. 19 (1910) 113 A. 1.

3) Jirecek, Arch. slaw. Phil. 26 (1904) 167.

4) Sammlung von Th. Uspenskij: Izvestija arch. inst. 10 (1905) 173—242, 544-554.

190 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

jaren (ßoiMdeg, ßolidöeg, kircbenslaw. byl oder boljarin) ^), den unteren Adel die Bagainen (ßayaivoi, slaw. ugain). Hervorragende Männer beider Klassen führten den Ehrentitel „bagatur" oder „bogotor" (mongolisch baghatür Held). Hohe Würden waren die des Kauchan und Tarkan; die Provinzialstatthalter nannte man im 9. Jahrhundert Comes (xd,aijg). Die großen Eroberungen führten dazu, daß sich die Bulgaren zwischen den Slawen weit zerstreuten. Nach 800 führen einzelne Mitglieder der Dynastie slawische Namen (Malomir, Vladimir). Als das Christentum die Gegensätze noch mehr ausgegUchen hatte, slawisierte sich das Volk, ebenso wie die germanischen Franken und Langobarden zwischen den Romanen von Gallien und Italien. Die wichtigste der Residenzen (avXal), bei den Slawen Pliskov genannt, befand sich nordöstlich von Sumen bei dem jetzigen Türkendorf Aboba, ein riesiges Nomadenlager, ungefähr 25 Quadratkilometer groß, mit Wall und Graben im Viereck umschlossen, mit einer gemauerten Burg in der Mitte ~). Erst später gründete man weiter südhch eine neue Residenz am Nordfuß der waldigen Vorberge des Hä- mus, das einen slawischen Namen führende Preslav (ursprünglich ^) Prej^slav). Die Bulgaren waren ein kriegerisches Volk mit fester Disziplin und strengem Recht. Ihre treffliche Reiterei war stets zum Ausmarsch in den Krieg bereit. Das Fußvolk stellten die Untertanen Slawenstämme, denen auch die Bewachung der Grenzen anvertraut Avar. Idole werden in der Antwort des Papstes Ni- kolaus I. an die Gesandten des Fürsten Boris erwähnt, Menschen- und Tieropfer bei der Belagerung von Konstantinopel durch den Fürsten Krum.

Die Politik des byzantinischen Reiches beschränkte sich in den Hämusländern seit dem 7. Jahrhundert während der arabischen Kriege größtenteils auf die Defensive. Alle großen politischen Be- wegungen in diesen Ländern hatten damals ihren Schauplatz außer- halb der byzantinischen Grenzen, im Donaugebiet. Nach dem

1) Die Endung -«V, -ddes ist griechisch (vgl. a/xrjoei^fg Emire), -arin slawisch (wie gospodar neben gospod Herr).

2) Izvestija areh. inst. 10 mit Atlas.

3) Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 613.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. 191

Verfall der Awaren rückten hier vom Osten die Bulgaren und Ungarn vor, von Westen her die Franken unter Karl dem Großen, dessen gewaltige Eroberungen die Griechen nicht wenig beunruhig- ten. Karl eroberte das Königreich der Langobarden, besetzte das byzantinische Istrien (um 788) und vernichtete das Khanat der Awaren (791 796). Awarische Flüchtlinge sammelten sich unter den Fahnen des Bulgarenfürsten Krum. Die ehemaUge Landschaft des Chagans an der Theiß und Donau wurde eine Wüste. Die Slawen an der Drau, Save und Kulpa kamen unter fränkische Hoheit ^). Die Markgrafen von Friaul unterwarfen auch die Kroa- ten bis vor die Tore der byzantinischen Städte Dalmatiens, un- gefähr bis zur Cetina; Markgraf Erich fiel dabei im Kampfe bei Tarsatica, der hochgelegenen Burg Tersatto (kroat. Trsatj bei Fiume (799). Als Karl in Rom zum Kaiser gekrönt wurde (800), standen die Byzantiner eben unter der Weiber- und Eunuchenherrschaft der Kaiserin Irene, deren Sturz durch die Militärpartei mit Er- hebung des Logotheten Nikephoros auf den Thron (802) die Be- wegung im Grenzgebiete nicht aufhalten konnte. Unter den Romanen von Venedig und Dalmatien bildete sich eine fränkische Partei; die Venezianer, der „dux Jaderae" Paul und Bischof Donatus von Zara unterwarfen sich Kaiser Karl in Diedenhofen in Lothringen (805), aber die Operationen der byzantinischen See- macht von Kephallenia aus erneuerten wieder die Autorität von Byzanz, da die Franken keine Flotte besaßen. Die Aufmerksam- keit der Byzantiner war damals ganz in Anspruch genommen durch das Vordringen der Bulgaren, welche in dem Zwischenräume zwischen den Oströmern und Franken große Eroberungen be- gannen. Krum nahm Serdica ein, die letzte große Festung des

1) Nach der Zerstörung von Mailand 1162 kamen flüchtige Mailänder in das Komitat von Kalocsa und gründeten die Ortschaften Francavilla (magyar. Nagy-Oläsz, jetzt Älandjelos bei Mitrovica) und Cadabul, beide mit Kirchen des hl. Ambrosius: Chronicon Tolosani, vgl. Julius Jung, Mitt. des österr. Inst. 19 (1898) 388. Von diesen italienischen „Franken" {'f'QÜyyog altserb. Frug, Plur. Fruzi), nicht von denen Karls des Großen, stammt der Name der Landschaft Frankochorion in der Umgebung von Sirmium bei Niketas Akominatos und des heute wohlbekannten ,, Frankenberges ", der Fruska Gora.

193 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

griechischen Reiches im Innern der Halbinsel (809), schlug den Kaiser Nikephoros, der bei einem Einbruch in Bulgarien den Tod fand (811), ebenso dessen Nachfolger Michael I. bei Adrianopel, und belagerte zuletzt den neuen Kaiser Leon den Armenier ohne Erfolg in Konstantinopel (813). Nach Krums Tode schloß sein Nachfolger Omortag wieder Frieden mit Leon (814) ^). Indessen hatte sich Michael I. mit Karl verglichen; Venedig und die See- städte (maritiraae civitates) von Dalmatien blieben den Griechen, die Slawen von Liburnien und Dalmatien den Franken (812). Die Grenzfragen bei den dalmatinischen Städten (de finibus Dalma- torum, Romanorum et Slavorum) wurden nach Karls Tod von Abgesandten des Kaisers Leon und des Kaisers Ludwig des From- men an Ort und Stelle geregelt (817) -).

In dieser Zeit werden im Nordwesten der Halbinsel fünf Territorien erwähnt. Der Herzog von Niederpannonien Ljudevit (dux Pannoniae inferioris) mit dem Sitz in Siscia (Sisak) war zwar ein fränkischer Vasall, wartete aber auf eine Gelegenheit zum Abfall 3). Im Gegensatz zu ihm war Borna *), dux Dalmatiae et Liburniae", der erste bekannte Fürst der Kroaten, ein Anhänger der Franken. Zu seinem Gebiete gehörten im Norden auch die Guduscani, in der späteren Zupa Gadska oder Gacka bei Otocac. Nach seinem Tode folgte mit Bestätigung durch den west- lichen Kaiser sein Neffe Vladislav; von den späteren Nachfolgern sind aus den Urkunden der Kirche von Spalato und venezianischen Nachrichten bekannt Mojslav (um 839) und Trpimir, „dux Chroa- torum" (um 852). Ein dritter Fürst, dessen Wohnsitz nicht näher bezeichnet wird, war (819) Dragomuz (Dragamosus), Schwieger- vater des Ljudevit und Freund des Borna; ein vierter, gleichfalls in „Dalmatia", war Bornas Oheim Ljutomysl (Liudemuhslus).

1) Ein Fragment dieses Vertrages ist die Inschrift von Suleimanköi ; vgl. Bury, English Hist. Review 1910 Apr. '276f.

2) Hartmann, Gesch. Italiens 3, 1, 63 f.

3) Die Belege auch bei Racki, Doc. 320—328. Liudewitus stellt Miklosich mit Ijud Volk zusammen; bekannter sind Namen mit Ijut scharf, Ljutovid u. a.

4) Kurzform für Namen von bori- liämpfen (Borislav, Borivoj u. a ). Vgl. böhm. Boren, poln. Borzim.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrb. 19S

Weiter östlich befanden sich die Landschaften der Serben, welche den Franken nicht untergeordnet waren, unter der Regierung einiger Herzöge (duces) nebeneinander. Herzog Ljudevit begann (819) einen Aufstand, unterstützt von den Slawen von Krain und Kärnten. Von den Franken an der Drau zurückgeschlagen, wendete er sich südwärts gegen den mit einem großen Heere heranrückenden Borna und besiegte ihn an den Ufern der Kulpa. Der mit Borna verbündete Fürst Dragomuz fiel in der Schlacht. Die G.iduscani, deren Abfall die Niederlage verursacht hatte, wurden zu Hause von Borna eingeholt und wieder unterworfen. Im Dezember brach dann Ljudevit in Dalmatien ein. Borna zog seine Leute in die Burgen zurück und beunruhigte den Feind mit auserlesenen Truppen bei Tag und Nacht durch kleine Angriffe so lange, bis er ihn zur Umkehr gezwungen hatte. Wie dem Kaiser Ludwig dem Frommen nach Aachen gemeldet wurde, hatte Ljudevit dabei an 3000 Mann an Toten verloren; überdies wurden ihm über 300 Pferde und zahlreiches Gepäck als Beute abgenom- men. Systematische Operationen der fränkischen Heere in drei Richtungen, aus Bayern, Kärnten und Friaul, zwangen Ljudevit zwei Jahre nachher zur Flucht aus Siscia zu den Serben (822). Einer der serbischen Herzöge nahm ihn in seine Burg auf, wurde aber von dem Flüchtling hinterlistig getötet, der nun die Festung für sich besetzte. Doch fühlte sich Ljudevit darin nicht sicher, verließ die Serben und floh zu Bornas Oheim Ljutomysl, der ihn nach kurzer Zeit ermorden ließ (823).

Die Byzantiner konnten diesen Ereignissen keine Aufmerk- samkeit widmen. Nach der Ermordung des Armeniers Leon wurde der neue Kaiser Michael H. ein ganzes Jahr (821 822) in Kon- stantinopel von dem Prätendenten Thomas belagert, der nach einigen Nachrichten ein Armenier, nach anderen ein Slawe aus den Kolonien in Kleinasien war, und besiegte ihn erst mit Hilfe des Bulgarenfürsten Omortag (823). Eine unmittelbare Folge dieser Wirren war die Besetzung von Kreta und des Westens von Sizilien durch die Araber, womit der Verfall der byzantinischen Seeherr Schaft begann. Zugleich fingen die Bulgaren an ihre Grenzen mit großer Energie nach Westen auszudehnen. Schon in Krums Heeren

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 13

194 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

befanden sich nach dem Sieg über Kaiser Nikephoros, neben Bul- garen und Awaren, Slawen angeblich aus „allen Slavinien ^)". In den Verträgen kam die Unterscheidung auf zwischen den Slawen, welche dem Kaiser, und denjenigen, welche den Bulgaren unter- geben waren ^). Die Franken faßten diese Unterordnung als einen Bund auf (Bulgarorum societas). Viele Stämme leisteten Wider- stand. Ein Teil der Timociani wanderte vom Timok lieber west- wärts zu den Franken, wurde aber von Ljudevit überredet, bei ihm zu bleiben (818). Auch die nördlich von der Donau woh- nenden Praedenecenti (S. 123) baten Kaiser Ludwig um Hilfe gegen die Bulgaren (824) ^). Auf einem von Omortag aufgestellten Grab- stein ist zu lesen, daß damals einer seiner Großen, der Tarchan Onegavon bei einem Feldzug in der Theiß (Ti^aa) ertrunken sei*), während andere Expeditionen dieses Fürsten, wahrscheinlich gegen die Chazaren, im Osten bis zum Dnjepr vorrückten ^). Als die Franken dem Abschluß eines Grenzvertrages mit Omortag aus- wichen, fuhr eine bulgarische Bootsflotte 1^827) die Drau aufwärts, vertrieb die von den Franken eingesetzten Fürsten (duces) der pannonischen Slawen und setzte bulgarische Statthalter ein (bul- garicos rectores). Doch kam es bald zur Erneuerung friedlicher Beziehungen. Sicher ist es, daß die Bulgaren in der äußersten Südostecke Pannoniens das alte Sirmium (slaw. Srem oder Strem) behielten, wo sie nach ihrer Bekehrung einen Bischofsitz errich- teten ^). Indessen unterwarfen sie sich von der Landschaft von Serdica aus die Slawenstämme Makedoniens bis zum byzantinischen Küstenland bei Thessalonich und wurden nach der Besetzung von Ochrid und der Landschaft am Flusse Devol auch Nachbarn der Provinz von Dyrrhachion, Die Chronologie dieser Erwerbungen im Südwesten ist unbekannt; nach der Legende des heiligen Kle-

1) Anon. de Leoue imp. ed. Bonn. p. 347.

2) Bury a. a. O. 279.

3) Böhmer-Mühlbacher, Regesta 1 (1889) nro. 658f.

4) Kaiinka, Antike Denkmäler in Bulgarien (Wien 1906) nro. 87; Izvestija ai-ch. inst. 10, 191.

5) Kaiinka nro. 88. Izvestija 10, 190.

6^ Bischof Zt-ouiov ^toi ^^TQutyov, &(>üfiov: Byz. Z. 1 (1892) 257, 2 (1893) 43, 53.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. 195

mens und der Märtyrer von Tiberiopolis besaßen sie das innere Makedonien sicher unter Boris.

Die Verbindung zwischen den Landschaften von Belgrad und Sirmium und dem neu erworbenen Westen Makedoniens störten den Bulgaren die kriegerischen Serben. Ihr Fürst Vlastimir ver- teidigte sich drei Jahre lang mit Erfolg gegen die Angriffe des Bulgarenfürsten Presiam (um 850). Seine drei Söhne Mutimir, Strojimir und Gojnik schlugen in ihrem Lande den Fürsten Boris, welcher die Niederlage seines Vaters Presiam rächen wollte, und nahmen Vladimir, des Boris Sohn, mit zwölf der großen Boljaren gefangen ^). Ungern schloß Boris, um in dem Gebirge auf dem Rückzug einer neuen Katastrophe zu entgehen, einen Frieden mit Austausch von Geschenken, worauf ihm zwei Söhne des Mutimir das Geleite bis zur Grenze bei Ras gaben. Das serbische Ge- schenk, bestehend aus Sklaven, Falken, Jagdhunden und Pelzen, wurde später von den Bulgaren als Tribut bezeichnet. Auch mit den Kroaten hatte Boris vergeblich gekämpft. Bald jedoch brachen zwischen den serbischen Fürsten Zwistigkeiten aus. Mutimir strebte mit Hilfe der Bulgaren nach der Alleinherrschaft, nahm seine beiden Brüder gefangen und Heferte sie dem Boris aus. Nach seinem Tode (um 890) wurde aber sein ältester Sohn Prvoslav schon nach einem Jahre vertrieben von seinem Vetter Peter, des Gojnik Sohn, welcher den serbischen Thron von Kroatien aus als byzanti- nischer Schützling für viele Jahre in Besitz nahm (ungefähr 891 bis 917). Die verdrängten Mitgheder der FamiKe mußten ins Aus- land ; der gestürzte Prvoslav mit seinen Brüdern Bran (oder Boren) und Stephan lebte in Kroatien, Prvoslavs Sohn Zacharias später in Konstantinopel.

Das Schwanken des byzantinischen Einflusses in Serbien er- klärt sich durch den Verfall der Autorität des Reiches im Adria- tischen Meere. Mit der Eroberung von Tarent (839) und Bari (841) durch die Araber brachen für Italien die trübsten Zeiten herein. Neben den Raubfahrten der Araber bis in den Quarnero

1) Wohl nach der Taufe des Fürsten (864), der schon Michael Boris genannt wird; auch war der Thronfolger Vladimir bereits erwachsen. Konst. Porph. 3, 154 f., oflFenbar nach den Erzählungen der Serben.

1.3*

196 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

wuchs die Piraterie der Kroaten und besonders der Narentaner, welche schon um 830 die großen Inseln vor der Narentamündung besetzt hatten Die Burgen der Inseln von Curzola bis Zara wurden zu Ruinen, wie sie Konstantin Porphyrogennetos beschreibt. Die Dogen von Venedig mußten zum Schutz ihres Handels persön- lich an die dalmatinische Küste ziehen und die Slawen zu Ver- trägen zwingen, Petrus Tradonicus (839) gegen den Fürsten Moj- slav von Kroatien und die Narentaner, Ursus Particiacus (um 865) gegen den Fürsten Domagoj i). In der Zeit, als Michael III er- mordet und sein Mitregent, der aus den armenischen Militärkolonien an der bulgarischen Grenze in Thrakien gebürtige Basilios I. zum Alleinherrscher erhoben wurde (867), verheerten die Araber von Bari die Städte Budua und Rosa (Porto Rose), plünderten die Unterstadt von Cattaro und belagerten mit aller Energie Ragusa. Der neue Kaiser sendete den Admiral Niketas Ooryphas mit 100 Schiffen nach Dalmatien, doch die Araber eilten vor seiner Ankunft nach Bari zurück -). Darauf verbündeten sich Kaiser Basilios I. und Kaiser Ludwig IL, der letzte Karolinger, der in Italien resi- dierte, zur Eroberung von Bari, welches von Ludwig (Februar 871) eingenommen wurde; in seinem Heere befanden sich dabei neben Franken und Langobarden auch die Kroaten als fränkische Vasallen (populi Sclaveniae nostrae) ^). Kurz zuvor segelte der byzantinische Admiral Niketas zum zweitenmal an die dalmatinische Küste, weil die Narentaner die vom Konstantinopler Konzil heim- kehrenden päpstlichen Gesandten auf der Überfuhr von Dyr- rhachion nach Italien gefangen und beraubt hatten. Die Griechen verheerten die Burgen der Narentaner und griffen auch die Kroaten an, welche damals unter dem Fürsten Domagoj als Piraten sehr in Verruf standen. Ludwig beklagte sich bei Basilios, der Patri-

1) Venet. Annalen 830 890 benutzt bei Johannes Diaconus. Vasiljev, Byzanz und die Araber, russ. 1 (Petersburg 1900) 145 f.

2) Konst. Porph. dreimal 3, Gl— 62, 130-136 und Vita Basilii I, Theoph. Cont. 289 297, mit verwirrter Chronologie, obwohl er (3, 130) in seiner Vorlage gelesen hat, daß die Araber Bari 40 (ricbtig 30) Jahre besaßen.

3) Hauptquelle das Schreiben Ludwigs II. an Basilios I. 871 im Chron. Salernitanum.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jabrh. 197

kios Niketas habe eben, als die Leute des fränkischen „Slaweniens" mit ihren Schififen bei Bari standen, die Burgen ihrer Heimat zer- stört, und verlangte vom Kaiser die Freilassung der Gefangenen. Die Slawen Dalmatiens haben aber ihre Seezüge nicht eingestellt; sie plünderten Rovigno und andere Städte Istriens, wurden jedoch vom Dogen Ursus empfindlich geschlagen (um 875). Statt der Araber von Bari kamen die von Kreta, verwüsteten einige dalma- tinische Gemeinden, darunter die seitdem verschollene Stadt von Brazza (872), erlitten aber von Niketas in den griechischen Ge- wässern eine vollständige Niederlage. Nach Kaiser Ludwigs Tod (875) ging Basilios energisch an die Restauration der byzantinischen Herrschaft in Unteritalien und Dalmatien. Das bisher fränkische Bari wurde sofort von den byzantinischen Feldherren besetzt, die Araber aus Tarent und allen Burgen des Festlandes vertrieben. In Dalmatien haben die Byzantiner die Narentaner getauft, in Kroatien und in den alten dalmatinischen Städten (um 879) auch die lateinische Kirche für kurze Zeit unter griechischen Einfluß gebracht. Auf den Thron Kroatiens wurde ein griechischer Schütz- ling Zdeslav gesetzt. Es ist aber charakteristisch, daß schon ein Jahr nach dem Tode des Kaisers Basilios I. der Doge Pietro Candiano I. v/ieder persönlich gegen die Narentaner ziehen mußte, aber bei einem mißglückten Landungsversuche den Tod iand (887).

Der erste christliche Fürst von Bulgarien Michael Boris ver- ließ (um 889) freiwillig den Thron, um seine alten Tage dem Klosterleben zu widmen, welches für die neubekehrten Bulgaren eine gewaltige Anziehungskraft besaß. Das Klostergevvand legte er ab, als sein Nachfolger Vladimir, derselbe, welcher einmal Ge- fangener der Serben gewesen war, eine heidnische Reaktion ver- suchte. Boris besiegte den ungehorsamen Sohn, der gefangen und geblendet wurde, setzte den jüngeren Symeon ein, der nach Liud- prand auch „aus der Stille des Klosters in die Stürme der Welt" herauskam, und kehrte wieder in seine stille Klause zurück (j 907). Symeon (893? 927) war in Konstantinopel erzogen, wahrschein- lich an der Hofschule, hatte Sinn für Bildung und Literatur und lebte wie ein Eremit ohne Fleisch und Wein; er war aber durch Schule und Kloster dem Kriegswesen keineswegs entfremdet und

198 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

nahm sogar persönlich an dem Kampfgetiimmel der Schlachten teil, ganz anders als der gelehrte, von Frauen und Günsthngen beeinflußte Nachfolger ßasihos' L, Kaiser Leon der Weise. Mit aller Kraft ging Symeon einem Ziele nach: der Eroberung Rumä- niens und der Erlangung der byzantinischen Kaiserkrone. Die Griechen warfen ihm vor, er stehe unter dem Einfluß von ..Pseudo- propheten" und Sterndeutern. Er verkehrte seinerseits mit ihnen voll Ironie, Hochmut und Hohn, wie aus seiner Korrespondenz mit dem Magistros Leon und dem Kaiser Roman Lakapenos zu sehen ist. Während des ersten Krieges Symeons mit den Byzan- tinern (ungefähr 893 896) verbündete sich Kaiser Leon mit den Ungarn oder Magyaren im jetzigen Bessarabien, aber die Bulgaren vereinigten sich mit den in der Pontussteppe mächtigen türkischen Petschenegen und vertrieben die Ungarn westwärts in die Steppen des alten Awarenlandes (895—896). Von dort begannen die Scharen der Ungarn bald Züge in die westlichen Nachbarländer, scheinen aber mit dem Serbenfürsten Peter, einem byzantinischen Vasallen, freundschaftHche Beziehungen gehabt zu haben. Nach neuen Siegen über die Griechen besetzten die Bulgaren im Westen dreißig Burgen der Provinz von Dyrrhachion, stellten sie aber, wie Magistros Leon in seinen Briefen ^) darlegt, im Frieden wieder zurück. Die Byzantiner mußten dem Symeon fortan Tribut zahlen. Soviel wir wissen, war der serbische Fürst Peter Gojnikovic an diesem Kriege nicht beteiligt, hatte sich aber gegen Prätendenten aus der Verwandtschaft, seine Vettern zu verteidigen. Zuerst wui-de Bran, Mutimirs Sohn, geschlagen, gefangen und geblendet (um 894). Zwei Jahre später brach Klonimu-, Sohn des Strojimir aus Bul- garien ein, besetzte sogar die Hauptburg Dostinika, fand aber im Kampfe den Tod (um 896). Nach diesen Erfolgen regierte Peter noch 20 Jahre und erweiterte seine Macht auch über das Bosnatal und das Land der Narentaner (S. 121) -).

Der Niedergang des griechischen Kaisertums, für welchen der Überfall von Thessalonich durch die Araber (904) bezeichnend ist, führte zum zweiten bulgarischen Krieg (913 927) gegen

1) Jt).T(ov 1 (1884) 396.

2) Konst. Porph. 3, 155 f.

Die byzantinische Oberhoheit im 0. und 10. Jahrb. 199

Leons unmündigen Sohn, den kleinen Konstantin Porphjrogennetos und seine Mitregenten. Die bulgarischen Heere durchzogen die Provinzen bis nach Nordgriechenland. Symeon selbst erschien zu wiederholten Malen vor Konstantinopel, nahm den Titel eines Kaisers der Bulgaren und Griechen an (ßaoi?.ecg Bovh/dotov y.al Pojuaiojv) und verlangte die Abtretung des ganzen Westens Qzdar^g dvastog). Die Byzantiner wollten aber nur die Grenzen der Zeit des Boris zugestehen und Symeon bloß als Kaiser der Bulgaren anerkennen. Der lange Krieg hatte einen Widerhall im Nord- westen der Halbinsel. Die Kroaten waren Gegner der Bulgaren. Dagegen wurde Michael, Fürst von Zachlumien, Verbündeter Symeons. Einmal nahm er einen byzantinischen Schützling durch List gefangen und sendete ihn an den Hof Symeons ; es war Peter, des Dogen Ursus IL Particiacus Sohn, der später als Petrus Ba- doarius selbst Doge wurde (939 942) und eben reich beschenkt aus Konstantinopel heimkehrte. Er mußte durch eine venezianische Gesandtschaft aus Bulgarien befreit werden ^). Am meisten litt Serbien, besonders durch den Wettkampf der Anhänger der Bul- garen und Byzantiner unter den Mitgliedern der Fürstenfamilie. In der Zeit, als Symeon bei Anchialos (9i7) einen glänzenden Sieg über die Griechen erfochten hatte, segelte der Statthalter von Dyrrhachion Leon Rhabduchos, später Logothet rov Sqouov, an die Küste der Narentaner zu einer Besprechung mit dem Serbenfürsten Peter. Michael von Zachlumien meldete dem Symeon, daß die Byzantiner den Peter durch Geschenke zu gewinnen suchen, da- mit er im Bunde mit den Ungarn in Bulgarien einfalle. Erzürnt sendete Symeon seine Feldherren Theodor Sigritzes und Marmaim nach Serbien, mit einem Prätendenten, Mutimirs Enkel Paul, einem Sohn des geblendeten Bran. Fürst Peter wurde bei den Verhand- lungen überlistet und ins Bulgarenland gebracht, wo er im Ge- fängnis sein Leben schloß. Gegen den bulgarischen Schützling Paul (ungefähr 917 923) stellte Kaiser Roman L, der Mitregent des Konstantin Porphyrogennetos, den in Byzanz erzogenen Zacha- rias, den Sohn des Prvoslav, entgegen, doch wurde dieser Thron- kandidat von seinem Vetter geschlagen, gefangen und nach Bul-

1) Jobannes Diaeonus um 912 (eher 913).

300 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

garien gesendet. Bald aber wechselten beide Vettern ihre Rollen. Paul näherte sich den Byzantinern, worauf Zacharia^ von Syraeon als bulgarischer Schützling auf den serbischen Fürstenthrori gesetzt wurde. Nach kurzer Zeit zog es aber Zacharias vor, i<ich wieder den Byzantinern anzuschließen, denen er sein Leben lang näher gestanden war. Er besiegte die bulgarischen Feldherren Sigritzes und Marmaim und sendete ihre Köpfe und Waffen als Trophäen nach Konstantinopel. Um diese Niederlage zu rächen, nahte ein neues Heer des Synieon unter drei Feldherren ^) , welche wieder einen neuen Prätendenten mitiührten, den Caslav, der aber nur als Lockspeise diente. Der bulgarische Zar hatte diesmal nicht mehr die Absicht, einen Fürsten aus der serbischen Dynastie ein- zusetzen, der wieder zu den Griechen abfallen könnte. Zacharias floh vor der Übermacht nach Kroatien. Die zum Empfang des neuen Landesherrn eingeladenen Zupane wurden gefangen unJ ge- fesselt. Die Bulgaren durchzogen das Land der Serben und schleppten alle Einwohner, die sie fangen konnten, nach Bulgarien weg; allerdings gelang es vielen, zu entfliehen, besonders nach Kroatien (um 924). Das serbische Gebiet soll nach Konstantin Porphyrogennetos ganz wüst geblieben sein, bewohnt angeblich nur von einigen Scharen von Jägern, ohne Frauen und Kinder. Daß es damals auf dem Kriegschauplatz in Thrakien n)it ver- ödeten Städten und verlassenen Dörfern nicht viel besser aussah, wissen wir aus der Vita der neuen Maria, einer Armenierin, Frau des Turmarchen Nikephoros von Bizye (jetzt Viza) -). Der bul- garische Feldherr Alobogotur brach dann in Kroatien ein, fand aber mit allen seineu Leuten den Tod '■'). Kaiser Konstantin nennt den Namen des damaligen Oberhauptes der Kroaten nicht. Nach anderen Berichten herrschte dort Tomislav, der zuerst den Königs- titel führte; bei Konstantin sind die kroatischen Herrscher aller- dings immer nur Fürsten {äQxovveg) ^). Michael von Zachlumieu

1) Über ihre Namen Kunik, Al-Bekri (Zapiski russ. Akad. 32) 152.

2) Ausgabe von Balascev: Izvestija arch. inst. 4 (1899), o, 189f.

3) „Der baute (ala) Held'' nach Tomaschek, Zeitschr. f. österr. Gymn. 1877, 685. Bei Konst. Porph. 3, 158 die Form 'Aloyoßojoio durch Anklang an ä'/.oyov Pferd.

4) Tamislavus dux 914 bei Thomas cap. 13, rex 924 Racki, Doc. 187, 189, ebenso Diocleas cap. 12.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. 201

wurde durch die Katastrophe iu Serbien unmittelbarer Nachbar der Bulgaren. Wahrscheinlich durch sein Gebiet reiste eine Ge- sandtschaft Symeons zu den Fatimiden nach Afrika, um sie zu einem Bündnis gegen die Griechen aufzufordern (924). Unter- italien hatte eben von den afrikanischen und sizilischen Arabern viel zu leiden. Auch die Zachhimier beteiligten sich an der Ver- wüstung Apuliens; im Juli 926 überfiel Michael die damals byzan- tinische Stadt Sipontum. Bald darauf haben die Araber unter Führung eines Slawen in arabischen Diensten, des Sajan oder Sahir aus Afrika und des Emirs von SiziUen Tarent (926) er- stürmt und ausgeplündert ^).

Nach dem Tode Symeons (27 Mai 927) beeilte sich sein Sohn Peter, ein unkriegerischer und frommer Herrscher, später unter die Heiligen der bulgarischen Kirche aufgenommen, endlich einen Frieden mit Byzanz abzuschließen. Während seiner langen Regierung mehrten sich die Anzeichen des Verfalles. Eine Partei machte Versuche, die Brüder Peters auf den Thron zu bringen. Die Ungarn durchstreiften das ganze Land und zwangen nach dem Zeugnis Liudprands sowohl die Bulgaren als die Byzantiner zur Zahlung von Jahrgeldern. Da war es leicht, die W^ieder- herstellung Serbiens auszuführen. Am Hofe von Preslav lebte der serbische Fürstensohn Caslav, geboren in Bulgarien unter der Regierung des Boris als Sohn des Klonimir und einer Bulgarin, ein Enkel des serbischen Teilfürsten Strojimir , Urenkel des Vla- stimir, derselbe, den die Bulgaren bei der letzten Verwüstung mii- getührt hatten, um die Serben leichter zu vernichten -). Angeblich

1) Vasiljev a. a. 0. 2, 220, 258 f. Gay, L'Italie meridiouale et l'empire byz. (Paris 1904) 147, 199, 208. Die Akten von zwei Synoden in Spalato 924 und 926—927, erhalten in einer Sammlung des 16. Jahr- hunderts, welche Racki für umgearbeitet, Drinov für echt hielt, betrachte ich, ebenso wie einst Lucius, als unecht: der Umstand, daß die Kroaten Gegner der Bulgaren, die Zachlumier dagegen Symeons Bundesgenossen waren, macht ein friedUches Zusammenwirken des Tomislav und Michael an einer Synode in dieser Zeit sehr unwahrscheinlich.

2) TCfsaS-)Mßog Kon st. Porph. 3, 156 f., Ciaslavus des Diocleas, von iajati warten, hoffen (vgl. Cäslav in Böhmen, Czeslaw oder Czaslaw in Polen). Verschieden von diesem Serben ist ein TCaad^Xdßog am Hofe des Boris um 886 in der Vita S. Clemeutis cap. 16.

202 Drittes Buch, Drittes Kapitel.

sieben Jahre nach diesem Feldzug entfloh Caslav aus der bulga- rischen Hauptstadt nur mit vier Begleitern nach Serbien, ergriflF ungehindert Besitz davon und unterwarf sich der Oberhoheit des byzantinischen Kaisers fum 931). Rasch sammelten sich die ser- bischen Flüchtlinge aus den umliegenden Ländern; aus Bulgarien kehrten die meisten über Konstantinopel heim, beschenkt vom Kaiser. Caslav, der außer dem eigentlichen Serbenlande auch das Bosnatal mit Salines (Tuzla) beherrschte, lebte noch, als Konstantin Porphyrogennetos sein Buch über die Nachbarn des Reiches schrieb (948 952) ^). Nach Diocleas hat er in einem Kriege gegen die Ungarn den Tod gefunden; er soll bei Sirmium von ihnen durch einen nächtlichen Überfall gefangen genommen und in der Save ertränkt worden sein ^). Auch Michael von Zachlumien hat sich nach Symeons Tode mit den Byzantinern ausgesöhnt, erhielt den Titel eines Prokonsuls {avdvnaTog) und Patrikios und lebte noch um 949 •''). Die Narentaner, über deren politische Stellung Kon- stantin kein Wort sagt, setzten ihre Seeräubereien fort und mußten eben damals (948) vom Dogen Pietro Candiano III. durch zwei Seezüge zum Abschluß eines Vertrages gezwungen werden.

Die Schicksale Serbiens in der zweiten Hälfte des 10. Jahr- hunderts sind in Dunkel gehüllt, die Nachfolger des Caslav, ebenso wie die des Michael unbekannt ^). Dasselbe gilt von Kroatien und von einigen der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte Bulgariens. Dagegen begann eben damals im byzantinischen Kaisertum eine Periode neuen Aufschwungs, hervorgerufen durch den Verfall der Araber und Bulgaren. Nach vielen Jahrhunderten ergriff das Reich wieder die Offensive im Donaugebiet. Die Griechen er- oberten Kreta, Zypern, einen großen Teil Syriens, Armenien, Iberien (Georgien), in Europa ganz Bulgarien. Kaiser Nikephoros Phokas verweigerte den Bulgaren den Tribut und bewog den heidnischen Großfürsten Svjatoslav von Rußland zuerst zu einem

1) Eb. 158—159 im Präsens {^arlv).

2) Diocleas p. 26f. Vgl. Thalloczy: Arch. slaw. Phil. 20 (1898) 201 f.

3) Konst. Porph. 3, 160.

4) Unbrauchbar ist das genealogische Chaos des Diocleas, mit sieben Generationen in den 20 Jahren um 971 990.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrb. 203

Einfall nach Bulgarien. Als Svjatoslav zum zweitenmal kam, Donaubulgarien eroberte, Peters Sohn Boris II. gefangennahm und die Byzantiner in Thrakien bedrohte, zog der neue Kaiser, der Armenier Johannes Tzimiskes (971) gegen die Russen und vertrieb den Svjatoslav aus Preslav und Dorostolon (jetzt Silistria). In diesen blutigen Kriegen wurde die alte herrschende Gesellschaft Bulgariens bis auf geringe Reste aufgerieben und das Gebiet zwischen Donau und Hämus für zweihundert Jahre politisch be- deutungslos gemacht. Kaiser Johannes behielt Donaubulgarien, brachte den „befreiten" Boris IL nach Konstantinopel und legte die Krone des Bulgarenreiches als wertvolle Beute in der Sophien- kirche nieder. Sein Nachfolger Kaiser Basilios II. (976 1025), ein rauher Kriegsmann ohne literarische Neigungen, seinem ge- lehrten Großvater Konstantin Porphyrogennetos ganz unähnlich, hatte aber neben seinen zahlreichen Feldzügen in Asien noch vierzig Jahre mit den Bulgaren zu kämpfen. Zum Schluß gelang ihm die vollständige Eroberung des Landes mehr durch innere Wirren und durch Verteilung von Privilegien und Würden, als durch Schlachten. Der Schauplatz des Krieges, welcher bei dem waldigen und sumpfigen Charakter des Landes mit zahlreichen Engpässen und großem Mangel an Getreide viel schwieriger war als im reichem Orient ^), befand .sich nicht mehr an der unteren Donau, sondern meist in Makedonien und Albanien, in dem Raum zwischen Philippopel, Vidin, Sirmium, Serrai, Thessalonich, Dyr- rhachion und den Bergen der Serben. In der Nachbarschaft der Serben residierten Bischöfe der bulgarischen Kirche auch nach 1018 in Priz- ren, Lipljan und Ras. Dieser Westen des Bulgarenreiches hatte sich nach einer Notiz bei Skylitzes gleich nach dem Tode des Zaren Peter (969) losgerissen. Daß Tzimiskes 971 nicht das ganze Bulgarien er- obert hat, sieht man an der Ankunft einer bulgarischen Gesandtschaft bei Kaiser Otto I. in Quedlinburg 973. Nach den dunklen Jahren 973 975 beginnt 976 die Offensive des Westens gegen Byzanz '^).

1) Jncerti scriptoris byzantini saeculi X über de re militari ed. E. Väri, Leipzig (Teubner) 1901 cap. 15, 21; nach Kulakov.skij, Byz. Z. 11 (1902) 558 verfaßt rom Feldherru Nikephoros Uranos.

2) Vgl. meine Bemerkungen im Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 545f. ;

204 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

Bezeichcet werden diese Gegner Basilios' II. in grieciiisclien^ ara- bischen, armenischen Quellen, ebenso bei Diocleas stets als Bulgaren. Eine Urkunde Basilios' IL bestätigt, daß das politische und kirch- liche Zentrum langsam von Serdica immer weiter nach Westen übertragen wurde ^). Die Residenzen befanden sich auf einer Insel des Sees von Prespa neben einer prächtigen Kirche des heiligen Achilleios von Larissa, dessen Gebeine Samuel (um 983) als Beute aus Thessalien mitgebracht hatte -) , und im festen Ochrid auf der Nordseite des Ochrider Sees. Neben dem Herrscher, der den bulgarischen Kaisertitel führte, residierte zuletzt in Ochrid der Erzbischof oder Patriarch der bulgarischen Nationalkirche. Herrschend waren in ihren Teilfiirstentümern die mächtigen Mag- naten mit Personennamen teils urbulgarischen, teils slawischen oder byzantinisch- christHchen Ursprungs, mit ihren Haustruppen. An der Spitze des Staates standen vier Brüder, die „Komitopulen" oder Grafensöhne ^), mit alttestamentarischen Namen, wie sie einmal am Hofe des Boris und Symeon beliebt waren, in einer Zeit, wo den neubekehrten Christen das Alte Testament mit seinen Kriegs- geschichten mehr gefiel als das Neue: David, Moses, Aaron und Samuel, zuletzt Samuel allein als Kaiser der Bulgaren, ein uner- müdhcher Meister der raschen Invasionen und der Überfälle im Waldlande. Aber bei der oligarchischen Verfassung des Landes fehlte den Unternehmungen die wuchtige Offensive und die be- rechnende Energie, durch welche sich einst die Bulgaren Krums und Symeons ausgezeichnet hatten.

Samuel war einige Zeit auch im Besitz von Dyrrhachion. Zuerst heiratete er Agathe, die Tochter des dortigen Bürgermeisters

Dr. Bozidar Prokic, Die Zusätze in der Hdschr. des Job. Skylitzes, cod. Vind. etc., Müucheu 1906 (Redaktion des Bischofs Michael von Dea- bolis oder Devol 1118). Zwei Abh. über Makedonien im 10. Jahrb. von Prokic im Glas 7G (1908) und 84 (1910).

1) Byz. Z. 2 (1893) 44 f.

2) Die Denkmäler von Prespa beschrieben von Miljukov: Izvestija arch. inst. 4 (1899), 1, 4GflF. (mit Abb.).

3) Söhne des Nikola und der Rhipsime (Name einer armenischen Hei- ligen): älteste datierte cyrillische Inschrift von 992 993, Arch. slaw. Phil. 21, 543 f. und Prokic, Skylitzes nro. 1.

Die byzaiitiuische Oberhoheit im 0. und 10. Jahrh. 205

(rrQcoTaiioi') Johannes Chiysclios, besetzte dann die Stadt für sich (nach 989) und ernannte dort zum Befehlshaber der Armenier Asot aus dem Geschlecht der Taroniten, der zuerst sein Gefangener, nachher sein Schwiegersohn , Gatte seiner Tochter Miroslava ge- worden war. Nach dem großen Sieg des Feldherrn Nikephoros Uranos über Samuel am Spercheios in Nordgriechenland (996) gewann die byzantinische Flotte wieder die Stadt durch Verrat ^); Asot hatte sich zuvor auf diese Schiffe geflüchtet, Chryselios war gewonnen durch den Rang eines Patrikios ~).

In Dioklitien, mit der Residenz (curia) bei einer Marienkirche (Precista Krajinska) am Fuße des Berges Katrkol in der Land- schaft Krajina auf der Westseite des Sees von Skutari 3), herrschte der serbische Fürst Vladimir, ein Freund der Byzantiner, in einer griechischen Quelle als ein tüchtiger, tugendhafter und friedliebender Mann gelobt'^), in einer bei Diocleas im Auszug erhaltenen latei- nischen Vita als Heihger gefeiert. Samuel brach mit einem großen Heere über die Bojana ein, belagerte vergeblich Dulcigno und nahm den Vladimir, der auf dem Berge Obliquus '') eingeschlossen und von dem Zupan der Landschaft verraten wurde, gefangen. Nach Diocleas brannte dann Samuel Cattaro und Ragusa nieder, verwüstete Dalmatien bis Zara und kehrte über Bosnien und Ras wieder heim. Sicher ist es, daß eben damals die Narentaner und Kroaten die byzantinischen Städte Dalmatiens sehr beunruhigten und den Seehandel der Venezianer, welche beiden Völkern Tribut zahlten, arg störten Der Doge Pietro Orseolo stellte diese Zah- lungen für immer ein und unternahm eine Expedition zur Be- strafung der Kroaten und besonders zur Züchtigung der Naren-

1) Nach Lupus Protospatharius erst 1005, Mon. Germ., SS. 5, 5H.

2) Prokic a. a. 0. uro. 14, 22. ,,Cursilius toparcha" von Durachium bei Diocleas, der eine ,,crux Cur.silii" bei Skutari erwähnt, au der Stelle, wo der Mann angeblich auf einem Feldzug gegen die Serben schwer ver- wundet gestorben ist.

3) Die Ruinen beschrieben von Jastrebov: Glasnik 48 (1880) 376 f. Urk. des Balsa III 1413 eb. 27, 190.

4") Kedrenos 2, 4B3, Diocleas p. 41—46.

5) Oblich 1444—1452 ein Gut der Crnojevici (Ljubic 9, 202, 435); jetzt Dorf Oblika am rechten Ufer der Bojana.

206 Drittes Buch. Drittes Kapitel.

taner auf den Inseln Carzola und Lagosta (Mai lOüO), jedenfalls im Einverständnis mit Kaiser Basilios IL ^). Die Narentaner ver- loren seitdem ihre Bedeutung. Indessen war Vladimir aus der Gefangenschaft in Prespa wieder als I^andesherr und als Schwieger- sohn des Zaren Samuel in sein Vaterland zurückgekehrt. Als die Tochter Samuels Theodora oder Kosara '-j einmal von ihrem Vater die Erlaubnis erhielt, mit ihren Mägden Haupt und Füße der Ge- fangenen zu waschen, wui'de sie gerührt durch die frommen Reden des schönen und bescheidenen Prinzen und erbat sich ihn zum Gatten.

Nach Samuels Tode (1014) wurde sein Sohn Radomir, mit dem christlichen Taufnamen Gabriel genannt, schon nach einem Jahre in der Nähe des Sees von Ostrov von seinem Vetter Johannes Vladislav ermordet, der sich des Thrones bemächtigte. Es war eine Familienrache: Vladislavs Vater Aaron war auf Befehl des Samuel getötet worden. Der Usurpator suchte die ganze Verwandtschaft Radomirs aus dem Wege zu räumen, darunter auch dessen Schwager, den Serben Vladimir, den er freundschaitlich zu sich nach Prespa einlud. Als Unterpfand ließ er ihm zuerst ein goldenes Kreuz überreichen, doch der Serbe wies es zurück; der Heiland sei nicht auf einem goldenen oder silbernen Kreuz gekreuzigt worden, sondern auf einem hölzernen. Nun sendete der Bulgare seinen Erzbischof mit einem kleinen hölzernen Kreuz. Der Serbenfürst, durch die Eidschwüre des Gesandten überredet, kam bis in die Residenz auf der Insel des Sees von Prespa und ging dort sofort in die Kirche zum Gebete. Der raordlustige Vladislav, der eben bei der Tafel saß, Heß die Kirche sogleich von seinen Kriegern umstellen. Zu spät bemerkte der Serbe, daß

1) Johannes Diaconus ed. Monticolo in den Fonti per la storia d'Italia (1890) und Andreas Dandolo. Nach Johannes wurde in den dalm. Städten „istius principls" (des Dogen) „nomen post imperatorum (Ba- silios II. und sein Bruder Konstantin VIII.) laudis praeconiis'' in der Kirche gefeiert.

2) Theodora: Prokic nro. 31. Kosara (nicht slawisch) bei Dio- cleas. Eine poetische Behandlung der Geschichte des Vladimir und Kosara von Kacic (f 17(iO) verbreitete sich als Volkslied bis nach Serbien: Arch. slaw. Phil. 13 (1891) 632.

Die byzantinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrh. S07

er überlistet worden sei. Mit dem Kreuz in der Hand trat er vor das Kirchentor und wurde dort enthauptet, viel beweint von seiner Gattin, die schon vor ihm in Prespa eingetroffen war, bereit, sich für ihn zu opfern. Als man auf seinem Grabe in derselben Kirche zu nächtlicher Stunde ein wunderbares Licht erblickte, erlaubte der bulgarische Kaiser der Witwe, die Leiche, welche das hölzerne Kreuz in der Hand hielt, in die Marienkirche von Krajina zu übertragen. Kosara lebte dort als Nonne und wurde nach ihrem Tode zu den Füßen ihres Gatten bestattet. Noch zur Zeit des Diocleas versammelte sich am Festtage des heiligen Vladimir (22. Mai) eine Menge Volkes bei seinem Grabe. In den griechischen Offizien wird er als Patron von Dyrrhachion gefeiert. Wahrscheinlich bei der Besetzung von Skutari unter Nemanjas Sohn Stephan (um 1215) haben die Epiroten den Heiligen in ihre Seestadt weggeführt, in einer Zeit, in welcher bei allen Zügen der Ungarn, Bulgaren und Franken die Reliquien die vornehmste Beute bildeten. Heute liegen die Gebeine des heiligen Johannes Vladimir ^) im Kloster des heiligen Johannes (alb. Sin Gjon) bei Elbassan in Mittelalbanien, in einer von dem albauesischen Fürsten Karl Topia 1381 erneuerten Kirche 2). Die alte Kirche von Krajina ist heute eine von Efeu umrankte Ruine in einer jetzt von mohammedanischen Albanesen bewohnten Landschaft, auf türkischem Boden ganz nahe bei der montenegrinischen Grenze. Vladimirs Kreuz oder das „Kreuz von Krajina" (krajinski krst), bedeckt von einem neuen vergoldeten Metallbeschlag ohne Inschrift, mit dem Bild des Heilands und der Evangelisten, wird seit der Bekehrung der Krajina zum Islam im Dorfe Velji Mikuliöi im Gebiete der Mrkojevidi zwischen Dulcigno und Antivari verwahrt. Am Pfingsttage pilgern alljährlich sowohl Mohammedaner, als griechische und lateinische Christen mit diesem Kreuze auf den Berg Rumija (1595 Meter), frühzeitig im Morgendunkel, damit die aufgehende Sonne den Zug auf dem Gipfel erreicht, von welchem

1) Diocleas erwähnt keinen Taufnamen des Vladimir.

2) Eine Analyse der Vitae und Offieia des hl. Vladimir bei Nova- kovic, Die ersten Grundlagen der slaw. Literatur unter den Balkanslawen, Belgrad 1893. Eine Kirche des hl. Vladimir bei Dulcigno 1406: Ljubic 5, 85.

208 Drittes Buch Drittes Kapitel.

sich eine gewaltige Rundsicht über den See von Skutari, die Ge- birge von Montenegro und Nordalbanien und das Küstenland zwischen Cattaro und Durazzo eröffnet i).

Den Zaren Johannes Vladislav ereilte der Tod bei einer Be- lagerung von Dyrrhachion (Ende 1017). Nach dem Bericht einer Redaktion des Skylitzes fiel er, als er zu Pferde mit dem Strategen Niketas Pegonites kämpfte, von zwei herbeigeeilten byzantinischen Fußsoldaten tödlich in den Unterleib getroffen -). Nach der Vladimirlegende tötete ihn ein Engel „in Gestalt des heiligen Vladimir" beim Abendessen. Auf den Thron von Ochrid wurde niemand mehr erhoben. Der greise Basilios IL, welcher in Bulgarien ebenso wie in Armenien mit vollen Händen Amter und Titel verteilte, zog ungehindert (l018) über Ochrid nach Dyr- rhachion und Athen, worauf er Konstantinopel (1019) als Sieger im feierlichen Triumphzug durch das Goldene Tor betrat. Gering war der Widerstand in einzelnen Landschaften. Der unbeugsame Sermon, der letzte bulgarische Statthalter von Sirmiura, wurde vom Feldherrn Konstantin Diogenes, Vater des späteren Kaisers Roman IV., bei einer Unterredung in einem Boot auf der Save mit dem Dolche niedergestoßen •^;, Nach einer langen Unter- brechung seit dem 7 Jahrhundert war die Donau vom Schwarzen Meere bis jenseits der Savemündung wiederum Nordgrenze des byzantinischen Kaisertums, dessen Einfluß bald in Ungarn be- merkbar v/urde. Eine Urkunde des ersten christlichen Königs Stephan des Heiligen (f 1038) an das Nonnenkloster von Vesprim ist griechisch verfaßt ^). In Kroatien war König Kresimir IL nach dem Zeugnis des Archidiakons Thomas byzantinischer Patri- kios. Über Serbien haben wir aus dieser Zeit nur die wahr- scheinlich aus Volksliedern geschöpften Erzählungen des Diocleas. Nach dem Tode des bulgarischen Kaisers Vladislav wollte der

1) Jastrebov, Rovinskij und Isevic, Godisnjica 24 (1905) 235 f.

2) Prokic, Skylitzes nro. 36.

8) .ZfoKOJv,, 6 ToD ZiQuiov xgaTwv, Kedrenos 2, 476. Da es keine Münzen der Zaren von Ochrid gibt, ist die dünne Goldmünze des ZfQuoj OTOKTTjläTT] hei Schlumberger, Melauges d'arch^ologie byz. 1, If. ganz rätselhaft.

4) Vgl. Melich im Arch. slaw. Phil. 32 (1910) 99 f.

Die byzautinische Oberhoheit im 9. und 10. Jahrb. 209

kinderlose Oheira, nach einer anderen Stelle Bruder des heiligen Vladimir, der Fürst Dragomir von Chelmania und Tribunia das Land seiner Väter in Dioklitien besetzen, fand aber den Tod durch die Verräterei der Bürger von Cattaro, welche ihn auf die Insel des heiligen Gabriel zu einem Gastmahl geladen hatten. Es ist die jetzt von Obstgärten, Olivenhainen und Weinbergen bedeckte Insel Stradiotti, die mittlere von den drei, die vor den alten Salinen von Prevlaka liegen ^). Als die Tafelrunde viel Wein genossen hatte, erhoben sich die Cattarenser und fielen über ihren Gast her. Dragomir zückte sein Schwert und floh in die St. Gabriels- kirche, doch die Cattarenser brachen das Dach ein und töteten den Fürsten mit Steinen und Balken. Seine Witwe, eine Tochter des Ljutomir, Großzupaus von Ras, flüchtete sich ins Binnenland und gebar unterwegs in der Zupa Drina den Dobroslav; durch diesen nachgeborenen Sohn soll die Dynastie in wunderbarer Weise wieder eine Fortsetzung erhalten haben. Indessen habe der Kaiser Basilios mit einem großen Heer und einer Flotte ganz Rassa, Bosnien und Dalmatien besetzt.

1) Crnogorcevic im Starinar 10 (1893) 40—48 mit Karte Taf. XV. St. Gabriel und andere Inseln alter Besitz des Bistums von Cattaro : Th einer, Mon. Slav. 1, 215 (1346). Im 16. 17. Jahrb. war hier ein Lager griechischer „Stratioten" in Diensten von Venedig.

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 14

Viertes Kapitel.

Die Könige von Dioklitien und die Großzupane von Ras im Kampfe gegen Byzanz im 11. 12. Jahrhundert^).

Durch die Eroberungen des Kaisers Basilios II. wurde die Stellung der Serben vollständig verändert. Bisher hatten die ser- bischen Fürsten an dem Kaisertum von Konstantinopel einen starken Rückhalt, besonders gegen die östlichen Nachbarn. Nun wurde es anders. Nach 1018 waren die Länder der Serben auf drei Seiten umklammert vom byzantinischen Gebiet, auch längs der ganzen Ostseite, von Prizren bis Belgrad und Sirmium. Nur gegen Norden und Nordwesten blieb die Grenze offen, gegen Ungarn, Bosnien und Kroatien. Der einst so wertvolle Schutz gestaltete sich zu einer drückenden Oberherrschaft. Haß trat an die

1) Quellen: die Byzantiner Skylitzes (Kedrenos) mit Fortsetzern, Kekaumenos, Michael Attaleiates, Nikephoros Bryennios, Anna Komnena, Theodoros Prodromos (höfische Gelegenheits- gedichte), Michael von Thessalonich (Festreden), Joannes Kinna- mos, Niketas Akominatos u. a. Die Geschichte des Kaisers Manuel von K in na mos ist nach Carl Neumann, Griech. Geschichtschreiber und Geschichtsquellen im 12. Jahrh., Leipzig 188S nicht Original, sondern nur ein Auszug. Die Chronisten der Kreuzzüge, besonders Wilhelm von Tyrus; ungar. Annalen und der sog. Presbyter D i ocleas. Literatur: F. Racki, Der Kampf der Südslaweu um politische Unabhängigkeit im 11 Jahrh. (Borba usw.), kroat. , Agram 1875, SA aus dem Rad Bd. 24 bis 31 Aleksej Petrov, Fürst Konstantin Bodin, russ. im Sbornik zu Ehren des Lamauskij. Petersburg 1883, 239— 2i;4. V. G Vasi Ije vs k i j , Aus der Geschichte von Byzanz im 12 Jahrh., russ. im „Slavjanskij Sbornik" 2 (1877) 21U— 290 (Beilage III: Über die ersten Nemanjiden). Konst. Grot, Aus der Geschichte Ungarns und des Slawentums im 12. Jahrh., russ., Warschau 1889.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrb. 311

Stelle der alten Freundschaft, und bei jeder Gelegenheit entbrannten Freiheitskämpfe, um das Joch der Griechen abzuwerfen. Die An- sprüche des griechischen Kaisertums äußern sich am klarsten in den Titeln des Manuel Koranenos: Kaiser der Römer, Herr von Isaurien, Kilikien, Armenien, Dalmatien, Ungarn, Bosnien, Kroatien, Lazika, Iberien (Georgien), Bulgarien, Serbien, Zikchia (im Kau- kasus), Chazaria und Gothia (auf der Krim) ^). Die abhängigen Fürsten wurden, wenn man mit ihnen zufrieden war, durch Ver- leihung byzantinischer Hoftitel ausgezeichnet. Waren sie unzuver- lässig, mußten sie Geiseln stellen ; es waren Kinder oder nahe Ver- wandte der Familie, denen es jedoch mitunter glückte, heimlich nach Hause zu entkommen. Die Byzantiner hielten in Konstan- tinopel oder in Dyrrhachion stets Prätendenten bereit, um die verdächtigen Serbenfürsten durch verläßlichere Fürsteusöhne zu ersetzen. Oft mußte die Autorität des Kaisertums durch militärische Expeditionen erneuert werden ; es waren nicht immer die Griechen, die dabei den Sieg davontrugen.

Bei den Serben gab es in dieser Zeit zwei Zentra, mit zwei Dynastien. Die eine, das Haus des Stephan Vojislav -), beherrschte das Küstengebiet, die Landschaften von Dioklitien, Tribunien und Zachlumien. Im 11. Jahrhundert wurde dieses Gebiet infolge glückhcher Defensive gegen die Angriffe der Byzantiner die Vor- macht der Nation. Im Innern, im einstigen Lande der eigent- lichen Serben, residierte ein zweites Geschlecht, welches seit dem Ausgang des 11. Jahrhunderts durch unablässige Offensive gegen die Griechen die Herrscher des Küstenlandes ganz in Schatten stellte und sie am Ende des 12. Jahrhunderts auch in DiokUtien vollständig verdrängte.

Die Herren des Küstengebietes heißen bei den Byzantinern stets nur Fürsten {6 zöv ^egßtov uq^cov oder ccgyriyög bei Sky- litzes, T07TaQyr^g bei Kekaumenos, l'^agyog bei Anna Komneua), ob- wohl sie seit der Mitte des 11. Jahrhunderts nach dem Beispiel

1) Kaiser Manuel 1166 als /JuX/uarixög, OvyyQixog, BoaivTixög (Var. BoOt'h'ixöi). XQoßaTixög, Attuxog, 'ißrjoixög, BovXyaotxog , ZtQßixbg usw. lus graecorom. 3, 485.

2) Die Wiederholung des Namens Michael könnte auf einen Ursprung Ton Michael von Zachlumien (um 912 948) gedeutet werden.

U*

313 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

der Kroaten den Königstitel angenommen hatten. Als König (Sclavorum rex) wird zuerst Michael, der Sohn Vojislavs, bezeichnet, in der Korrespondenz des Papstes Gregor VII. und bei dem apu- lichen Chronisten Lupus, nach ihm Michaels Sohn Bodin in einer Urkunde des Papstes Klemens III. und in den Nachrichten über den ersten Kreuzzug. König Michael bat Gregor VII. (1077), der ihn im Briefe als „carissimum beati Petri filium'^ anredet, um eine Fahne, doch ist das Resultat der Unterhandlungen nicht bekannt ^). Auch Nemanjas Sohn Vlkan, Teilfürst von Dioklitien, wird in Inschriften und päpstlichen Urkunden als König tituliert. Domentian, ein serbischer Mönch des 13. Jahrhunderts, sagt aus- drücklich, Dioklitien sei von alters her ein Königreich gewesen ^). Die Verwandten des Königs heißen bei Diocleas knez (knesius), in lateinischen Urkunden comes. Als Residenzen erwähnt Dio- cleas die Stadt Skutari, eine „curia'' in der Zupa Prapratna bei Antivari, die auch der Fortsetzer des Skylitzes kennt, und eine Burg (castellum) mit Hof (curia) am Golf von Cattaro, Trajectus genannt, eine Übersetzung des heute noch dort bekannten Namens von Prevlaka. Dazu kommt in der Chronik des Skylitzes die Stadt Cattaro ^). Nach Diocleas befanden sich die Grabstätten dieser Herrscher in der großen Abtei der Heiligen Sergius und Bacchus am linken Ufer der Bojana, 1t^ Stunden flußabwärts von Skutari, heute in Ruinen ^). Andere Fürstengräber gab es in der

1) Gregors VII. Briefe, lib. V ep. 12: Michaheli Sclavorum regi, auch bei Racki, Doc. 211. Racki, Borba 225 deutete die Worte »tuique regni honor a uobis cognosci" bei der vom König angesuchten Entscheidung der kirchlichen Streitfrage zugunsten des Erzbischofs von Ragusa als ein Verlangen um Anerkennung der Königswürde.

2) Dom entian p. 246. Unbegründet sind die Zweifel über den Königs- titel Bodins bei Petrov a. a. 0. 245 Anm. 3.

3) Michael residiert it^ z/fxarsQoig xcd IT^anouTot;: Prokic a. a. 0. nro. 68.

4) Das St. Sergiuskloster bei dem jetzigen Dorf Sirdz ist ein drei- schiffiger Bau aus wechselnden Quader- und Ziegellagen, mit Resten von Fresken in zwei Schichten übereinander, Spuren eines Mosaikbodens und einigen Inschriften des 13. 14. Jahrhunderts. Die Seitenfront zum Fluß ist schon durch Unterwaschuug eingestürzt. Noch 1685 hatte die Kirche ein hohes Kampanile: Theiner, Mon. Slav. 2, 218. Vgl. Jastrebov, Glasnik

Die Könige und Großzupaue im 11. 12. Jahrh. 213

Domkirche des heiligen Georg in Antivari, in der St. Andreas- kirche von Prapratna und im Kloster des heiligen Petrus de Gampo bei Trebinje. Nach den ersten drei Herrschern trat im „regnum Diocliae", wie es die päpstliche Urkunde von i089 nennt, ein Verfall ein, mit erbitterten Familient'ehden. Die unterlegenen Fürsten wurden, wenn sie nicht das Glück hatten, zu den Griechen, den östlichen Serben oder in die dalmatinischen oder apuUschen Küstenstädte zu entfliehen, von ihren Gegnern getötet, geblendet oder gar als blinde Eunuchen in das St. Sergius- kloster gesperrt, wie es Diocleas von König Dobroslav IL erzählt. Die inneren Verhältnisse sind wenig bekannt. Unverdächtige Urkunden der dioklitischen Könige gibt es nicht. Die lateinischen, augebhch von den Abten des Sergiusklosters als Kanzlern der Könige ausgefertigten Akten über die Güter der Benediktiner- abteieu auf den Inseln Lacroma und Meleda bei Ragusa erweisen sich durch die Widersprüche in Form und Inhalt, durch das Fehlen der in echten dalmatinischen, venezianischen und apulischen Urkunden dieser Zeit in der Datierung üblichen byzantinischen Kaisernamen und durch andere Merkmale als Fälschungen \). Allem Anschein nach ist ein Teil dieser Urkunden erst während der Konflikte um die Reorganisation der Benediktinerabteien auf dem Boden der Repubhk Ragusa im 15. Jahrhundert hergestellt -)

48 (1880) 366-3G9; Ippeu, Wiss. Mitt. 7 (1900) 231-235 (mit Abb.) und 8 (1902) 143 (Plan); Derselbe, Skutari und die nordalbanische Küsten- ebene (Sarajevo 1907) 9—11 (mit Abb.).

1) Über diese „unechten Urkunden" Engel, Gesch. des Freystaates Ragusa (Wien 1807) 76 A., Racki im Kujizevnik 1 (1864) 221 und Borba 231, Petrov a. a. 0. 245. Meine Bemerkungen im Arch. slaw. Phil. 26 (1904) 166-167.

2) In der Urk. 1114 „regnante rege Georgio, filio regis Bodini" (Sukuljeviö 2, 18, Smiciklas 2, 25) erscheinen gegen allen Brauch Frauen als Zeugen, sogar auch Nonnen. Eine derselben war „uxor Proculi de Cazariza". Das ist der urkundlich bekannte Ragusaner Patrizier Pro- culus de Chasaliqa 1323 1343, aus einer Familie (oder Seitenlinie eines größeren Hauses), welche unter diesem Namen nur 1313—134:5 vorkommt. Eine Urkunde für Meleda präsentiert sich als „Sigillum Lotauitti proto- spatarii epi tho chrussotriclino, ypati et stratigo Seruie et Zachulmie'" (bei Kukuljevic datiert ca. 1025, bei Smiciklas ca. 1151); doch ein Proto-

314 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

worden. Slawisch geschriebene Urkunden sind erst seit 1180 erhahen ^).

Die Fürsten des östlichen Gebietes führten nur den Titel eines „großen Zupans", velji zupan-), bei den Griechen (.tayag ^oi- Ttavog oder aQXi^otrcavog , lateinisch megaiupanus, niagnus jupanus oder in ungarischen Denkmälern magnus com es. Die Vorsteher der einzelnen Zupen, teils Verwandte des herrschen- den Hauses, teils Angehörige lokaler Geschlechter, heißen wie früher Zupane („magistratus haben t, quos suppanos vocant", sagt Wilhelm von Tyrus). Nur wenige Namen der Großzupane er- innern an die alten Fürstennamen der eigentlichen Serben um 800 950 (Stephan, Prvoslav). Dagegen ist der genealogische Zusammenhang für das 11. 14. Jahrhundert offenbar eben an der Wiederholung vieler Namen (Vlkan, Stephan, Uros, Desa). Eine Sage über den Ursprung der Dynastie der Großzupane ist in einer älteren Fassung bei Diocleas, in einer jüngeren bei den serbischen und ragusanischen Chronisten des 15. 17. Jahrhunderts zu lesen. Diocleas erzählt von einem Jüngling Tihomil, Sohn eines Dorfgeistlichen (filius cuiusdam presbyteri). Er hütete die Schafe eines Fürsten Budislav und pflegte seinen Herrn auf der Jagd zu begleiten. Einmal hatte er das Mißgeschick, einen Lieb- lingshund des Fürsten wider Willen zu erschlagen. Vor der Rache seines Herrn floh er zum Fürsten Caslav. Als dieser mit den heidnischen Ungarn aa der Drina kämpfte, tötete Tihomil einen ungarischen Fürsten Kis und brachte seinen Kopf als Trophäe in das serbische Lager. Zur Belohnung gab ihm Caslav die Zupa Drina und verheiratete ihn mit der Tochter des „banus Rassae^'. Nachdem Caslav im Kriege gegen die Ungarn den Tod gefunden hatte, erbte Tihomil von seinem Schwiegervater die Herrschaft über Rassa, nannte sich aber weder König noch Ban, sondern nur

spathar rov ;(QvaoTQt,xXivov konnte nicht zu gleicher Zeit die viel höhere Würde eines ünarog (Konsuls) bekleiden.

1) Die Urkunde von Popovo, die Safafik, Miklosich, Kukul- jeviö und Smiciklas in das 12. Jahrhundert verlegen, gehört, wie ich Glasnik 47 (1879) 306-309 und Arch. slaw. Phil, 26 (1904) 1G6 gezeigt habe, in die J. 1242—1280.

2) Mon. serb. 4; Glasnik 47 (1879) 309.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 315

„jupanus maior", das Oberhaupt der übrigen Zupane von Rassa; ebenso taten seine Nachfolger „de Thyeomil progenie ^)". In der späteren Fassung rückt der Stammvater der Großzupane aus dem 10. Jahrhundert in das 12. herab. Konstantin der Philosoph (um 1430) nennt Tehomil unmittelbar als Vater des Nemanja. Das- selbe liest man im Buche Rodoslov (Genealogie) mit dem Zusatz, Tehomil habe in Zachlumien gelebt und eine Kirche des heiligen Stephan in Drijeva (jetzt Gabela an der Narenta) erbaut; des- wegen sei er von den übermütigen Einwohnern des Landes zum Spott ein Pope genannt worden, sein Bruder Cudomil gar ein Bischof -). Die Ragusaner Orbini und Luccari stellen in der Genealogie des Hauses des Nemanja an die Spitze einen Geist- lichen, den „Stefano prete", in der fünften Generation vor Nemanja ^). Bei Diocleas sind die Zupane von Ras zeitweise abhängig von den Königen des Küstenlandes, welche angeblich die „Rassani'' einigemal, zuletzt unter Bodin, von der griechischen Herrschaft befreit haben.

Der Mittelpunkt des östlichen Gebietes wurde das Tal der Raska bei dem jetzigen Novipazar mit der Burg Ras, in welcher bis zum Anfang der Regierung des Kaisers Manuel zeitweilig eine griechische Besatzung lagerte. Bald nannte man den Osten Ser- biens im Ausland Rassia, ein Name, der zuerst bei Ansbert (1189) zu lesen ist '^). Einige Höfe des Großzupans lagen in anderen Teilen seines Gebietes, wie die von den Kaisern Manuel und Isaak Angelos niedergebrannten Schlösser ^). Das herrschende Geschlecht, die „Brüder" oder Vettern (adelcpoi , bratija), war durch Familienfehden in Parteien gespalten, eine autonome, mit

1) Diocleas p. 27—31, 34, 36, 38, 46.

2) Konstantin: Glasnik 42 (1875) 257. Rodoslov: eb. 53 (1883) 30 31. Garzoni, Istoria della repubblica di Venezia in tempo della sacra lega 1 (Venezia 1712) 553 erwähnt im Kastell von Gabella 1694 einen Turm, erbaut an Stelle einer Kirche S. Stefano.

3) Orbini 243, 249, Luccari ^20. Analyse dieser Sagen von Ko- vacevic: Glas 58 (1900) 320?.

4) Ansbert: Servia (Servigia im Grazer Kodex) et Crassia (Crazzia) Fontes, rer. austr. 5, p. 22, 24.

5) Kinnamos III, cap. 6. Rede des Niketas: Recueil des bist, de« croisadea, Hist. grecs 2, 738 C.

310 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

den Ungarn befreundete, und eine byzantinische. Deshalb wurden die Großzupane im 12. Jahrhundert so oft gewechselt; ein voll- ständiges Verzeichnis hat sich nicht erhalten. Diese östlichen Serben drangen seit Ende des 11. Jahrhunderts unermüdlich über die byzantinische Grenze vor. Unter Kaiser Alexios Komnenos hatten ihre Invasionen meist die Richtung nach Südost, über eine von Ras über Zvecan nach Ped gezogene Linie hinaus bis nach Makedonien. In der Zeit des Kaisers Manuel wendete sich die Offensive mehr ostwärts, gegen die Straße von Belgrad über Nis nach Konstantinopel. Bald saßen in den Bergen zwischen Ras und Nis auf dem Boden des Bistums von Nis serbische Teilfürsten. Durch diesen Kleinkrieg wurden die Grenzgebiete fortwährend verwüstet. Die Komnenen suchten den Widerstand der Serben durch massenhafte Übersiedlungen von Gefangenen zu brechen. Kaiser Johannes ließ sie nach Kleinasien in die Umgebung von Nikomedia führen, Kaiser Manuel in die Landschaft von Serdica ^). Ein neues Bevölkerungselement längs der damaligen serbischen Grenze waren die von Kaiser Alexios besiegten und an allen Straßen kolonisierten, zu Kriegsdiensten verpflichteten Petsche- negen. Ihre Spuren sind in Ortsnamen heute noch zu bemer- ken -).

Der Widerstand der Serben gegen die Griechen war für die Ausbreitung der lateinischen Kirche günstig. Unter dem Fürsten Stephan Vojislav wurde ein kathoHsches Erzbistum in Antivari gegründet, welches heute noch besteht. Während der Blütezeit der byzantinischen Macht waren die Bischöfe in den Resten des alten Praevalis, wie wir gesehen haben (S. 172), dem griechischen Metropoliten von Dyrrhachion untergeordnet. Der Niedergang des Einflusses von Byzanz führte zum Anschluß der Romaneu und Albanesen dieser Städte an Rom, angeblich zuerst an das Erz-

1) Niketas ed. Bonn. p. 23, Kinnamos a. a, 0. Serbeudörfer, Servochoria " gab es in der Gegend von Nikomedia noch 1204: Tafel und Thomas 1, 475.

2) Dörfer Peceuoge im Bezirk Gruza und Pecenjevci bei Leskovac, in der heutigen Lokalsage allerdings von „pecenja" (Braten) abgeleitet. Vgl. meine Abb. über die Überreste der Petschenegen und Rumänen: SB. der kgl. böhm. Gesellsch. der Wies. 1889, 3—30.

Die Könige und Großzupaue im 11.— 12. Jahrh. 217

bistum von Spalato. Dem Metropoliten von Dyrrhachion blieben überhaupt nur vier Bistümer, darunter im Norden die von Alessio und Kroja. Die Entstehungsgeschichte des lateinischen Erzbistums von Antivari ist in Dunkel gehüllt. Sagenhaft klingt der Bericht des Historikers der Kirche von Spalato, des Archidiakous Thomas. Als um 1045 die Bischöfe von Cattaro, Antivari, Dulcigno und Svac zu einer Provinzialsynode nach Spalato reisten, wurden sie bei den Inseln, nach der späteren Sage bei dem „Vorgebirge der Bischöfe" (Punta dei vescovi) auf Lesiaa, durch einen furchtbaren Sturm überrascht und fanden bei dem Schiffbruch alle den Tod. Da baten die Bürger den Papst um die Errichtung eines eigenen Erzbistums iür den Süden Dalmatiens (superior Dalmatia), welches seinen Sitz in Antivari erhielt i). Der wirkliche Vorgang war wohl nicht anders, als im byzantinischen Apuhen, wo 950 1050 die lateinischen Bischöle von Bari, Trani, Tarent und Lucera eigenmächtig zu Erzbischöfen erhoben wurden, ein Bestreben, welches die Byzantiner dort aus politischen Beweggründen unter- stützten ; noch Papst Leo IX. wollte das Erzbistum von Bari nicht anerkennen, bis Alexander IL alle diese Verhältnisse regelte -). Der urkundliche Name der neuen Metropolitankirche im alten Praevalis lautet „Diocliensis (Dioclitana) atque Antibarensis ecclesia"-'). Die Bistümer sind zuerst aufgezählt in drei päpstlichen Urkunden von Alexander IL (1067), Klemens III. (1089) i) und Calixtus IL (1119 1124)^). Sie zerfallen in zwei Gruppen: die kleinen nach

1) Thomas Arch. cap. 15. Bei Diocleas wird das Erzbistum vou Dioclia schon im 9. Jahrh. auf einer Synode in Delmiuium errichtet, welche Dr. Faber, Wiss. Mitt. 11 (1909) 3G5 in „das Reich der Fabel" verweist, während Dr. L. Jelic im Vjesnik arheol. N. S. 10 (1909) 135 f. diese Ver- sammlung in den August 1057 verlegt.

2) Gay, L'Italie meridionale 357—365, 545—552.

3) Monographien : Dr. IvanMarkovic, Dukljansko-barska metropolija {Agram 1902) und Dr. Moriz Faber, Das Recht des Erzbischofs vou Antivari auf den Titel Primas von Serbien, Glasnik bos. 17 (1905) = Wiss. Mitt. 11 (1909) ff.

4) P. Kehr, Nachr. der kgl. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, ph.-h. Kl 1900, 148 f

5)Pflugk-Harttung, Acta pontif rom. inedita 2 nro. 28(3. u lysse Robert, Bullaire du pape Calixte II (Paris 1891) 2 nro. 436.

218 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

zahlreichen , nahe beieinander gelegenen Städten und Burgen be- nannten Diözesen des Küstenlandes und die großen, die Namen von Landschaften führenden Sprengel des Inneren. An der Küste sind schon aus den griechischen Katalogen bekannt die alten Bischofsitze von Dioclia, Skutari, Drivasto, Polatura, Dulcigno und Antivari. Dazu kamen die zwei Bischöfe des uralten Budua und der serbisch Svac, lateinisch Suacia genannten Stadt, deren Rui- nen (jetzt Sas) östlich von Dulcigno an einem See auf jetzt tür- kischem Boden liegen. Im 12. Jahrhundert erscheinen Bischöfe in der Burg Sarda in den Engpässen des Drim östlich von Skutari (jetzt Ruine Surda) und in der Landschaft Arbanum bei Kroja, Im 14. Jahrhundert traten dazu noch die drei Bischöfe der gegen- wärtig verfallenen Burgen Balezo am Flusse Rioli östlich vom See von Skutari, Dagno (serbisch Danj) am Austritt des Drim aus den Felsengen in die Ebene und Sappa (Sappata) im Hügelland bei Alessio ^). Im Binnenlandc werden seit 1067 drei Bistümer genannt: die „Tribuniensis eeclesia" im Lande der Travunier, mit dem Mittelpunkt vielleicht in dem „monasterium Sancti Petri de Campo" bei Trebinje (S. 173), die „Bosoniensis eeclesia" im oberen Bosnatale mit dem Sitz bei der St. Peterskirche von Brdo (Ban- Brdo) und die „Serbiensis eeclesia" im Lande der eigentlichen Serben, deren Ursprung, Residenz und Geschichte nicht bekannt ist. Es ist auch kein Name eines Bischofs dieser serbischen Diö- zese überliefert; die Ragusaner identifizierten sie im 13. Jahr- hundert mit der von Bosnien -). Seit dem 12. Jahrhundert war ein Rivale des Erzbistums von Antivari das neue Erzbistum von Ragusa, dessen Anfänge ebenso unklar bleiben und überdies durch ganze Reihen von gefälschten Papsturkunden des 8. 12. Jahr- hunderts verdunkelt sind ^). Nach 1100 allgemein anerkannt, be- gann es die Rechtsgrundlage der Kirche von Antivari in Frage zu stellen und ihr ganzes Gebiet für sich zu beanspruchen; erst

1) Über diese Burgen Jastrebov (Glasnik Bd. 48), Degrand, Ippen.

2) Farlati 6, 103; Markovic 84 Anm. 62.

3) Vitalis nur als „episcopus" von Ragusa 1044, 1074 Kukuljevic, Cod. dipl. 1, 112, 148. Die Fälschungen: Carrara, Chiesa di Spalato (Triest 1844) llSf.; Gfrörer, Byz. Gesch. 2, 222; Racki, Rad 27 (1874) 198, Doc. 212 A.; Markoriö G3— 87.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 219

im 13. Jahrhundert endigten die Prozesse vor der Kurie mit dem Sieg der Antivarenser. Um 1200 waren Ragusa untergeordnet die drei Bisciiöfe von Bosnien, Tribunien und Zachlumien, das letztere mit dem Sitz in Stagno, ursprünglich dem Erzbistum von Spalato untergeordnet, im 13. Jahrhundert aus Stagno auf die Insel Curzola verdrängt ^). Der Bischof von Cattaro , eingeengt zwischen den Erzbistümern von Antivari und Ragusa, erscheint in den Urkunden des 11. 14. Jahrhunderts als SufFragan des Erzbischofs von Bari und Canusium an der apulischen Küste -). Die Unterschiede zwischen der östlichen und westlichen Kirche waren in diesen Ländern noch nicht klar zum Bewußtsein ge- kommen. Im Erzbistum von Antivari mußte noch 1199 eine Synode gegen die Priesterehe Beschlüsse fassen und den Klerikern die Entfernung der langen Barte vorschreiben. In Spalato hauste der Erzbischof Dabralis (um 1030 1050), ein Patrizier der Stadt, mit Frau und Kindern in seiner Residenz, die nach den Worten des Archidiakons Thomas „von dem Geschrei der Kinder und dem Lärm der Mägde" widerhallte; bei seiner Absetzung verteidigte er seine Ehe durch die Einrichtungen der östlichen Kirche, in welcher jedoch nur ein Mönch Bischof werden kann.

Im Osten standen die Serben unter dem Einfluß der orien- talischen Kirche, des autokcphalen Erzbistums von Ochrid, welches, von Kaiser Basilios IL mit großen Privilegien ausgestattet, bis ins 18. Jahrhundert be.stand, als die einzige mittelalterliche Schöpfung auf dem altberühmten Bodens Makedoniens, die eine längere Dauer aufzuweisen hatte. Der aQyieytiGv.onoq rtaarjg Bov?.yaQi'ag schreibt sich auch Erzbischof von Justiniana Prima; man fand nämlich in den Rechtsbüchern die Privilegien, welche Kaiser Justinian der Kirche seiner Heimat verliehen hatte, und erklärte diese als identisch mit Ochrid. Zu Erzbischöfen wurden nur Griechen ernannt, welche aber die Rechte der ihnen anvertrauten Kirche stets energisch ver- teidigten. Es waren darunter gelehrte Männer, wie zu Ende des 11. Jahrhunderts der berühmte Schriftsteller Theophylaktos. Die

1) Thomas Arch. cap. 15. Urk. 1192, 1284, 1286: Smiciklas 2, 252, Theiner, Mon. SlaT. 1, 100, 103.

2) Vgl. meine Rom. Dalm. 1, 47.

320 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

Zahl der Bistümer hatte sich seit der Einführung des Christentums am Ende des 9. Jahrhunderts stark vermehrt i). In den Urkunden Basilios' IL sind auffällig die ständigen Zahlen der Kleriker und Paröken (Kolonen) in den einzelnen Bistümern: 40, 'SO, 15, 12. Darin liegt vielleicht eine Spur der chronologischen Gruppen, wo- bei die ältesten Bistümer am besten dotiert waren, die jüngeren schwächer. Die in der Beschreibung der einzelnen Sprengel ge- nannten Ortschaften lassen sich zum Teil gar nicht feststellen, be- sonders in der Eparchie von Belgrad, welches schon bei Ansbert als „Weißenburg" (Wizzenburch) verdeutscht wird, oder in der von Branicevo, welches die Ungarn im Mittelalter Boronch (lies Borontsch), die Kreuzfahrer Brandiz nannten. Auch unter den Bischöfen gab es, neben Landeskindern, gelehrte Griechen. Der Bischof Johannes von Prizren schrieb in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf Bitten des Johannes Vranianites, des Stell- vertreters des Sevasten Georgios Palaiologos von Skopje, einen Kommentar zum Hexapsalmos am Anfang der griechischen Mette -). Die Gründung von Klöstern begann gleich mit der Bekehrung des Landes. Am See von Ochrid steht noch das im Jahre 905 gestiftete Kloster des heiligen Naum, eines Schülers der Slawen- apostel. Später wirkten die vier Eremiten und Klostergründer des östlichen Makedoniens, deren Stiftungen noch gegenwärtig be- stehen: der heilige Johannes von Rila im 10. Jahrhundert in den Zeiten des bulgarischen Kaisers Peter, Gabriel von Lesnovo, Joakim von Osogov und Prochor von Psinja im 11. Jahrhundert ^). Das Zentrum des griechischen Mönchslebens, einst auf dem bithy- nischen Olymp, wurde seit dem 10. Jahrhundert auf eine Halbinsel

1) Drei Urk. Basilios' II. und zwei Verzeichnisse der Bistümer des 11. 12. Jahrh. herausg. von Geizer, Byz. Z. 1, 256f.; 2, 42f. Kommentar von S. Novakovic: Das Erzbistum von Ochrid im Anfang des 11. Jahrh., Glas 76 (1908) 1—62.

2) Chrysostomos Lauriotes, 'iwdwrig iniaxonoi nntaSQiavGiif, 'E-Axlria. 'u4)./],nu( 23 (1903) 355 f., mir bekannt aus Viz. Vrem. 11 (.1904) 311 und Byz. Z. 13 (1901) 622. Vranianites wohl von der Stadt Vranja {Bquv^u Anna Komnena IX, 4) im heutigen Königreich Serbien.

3) Ihre Legenden neuerdings untersucht von Jordan Ivauov, Severna Makedonia (bulg. , Nordmakedonien, bist. Untersuchungen), Sofia 1906, 83—109.

Die Könige und Großzupane im 11.— 12. Jahrb. 321

der Küste Makedoniens übertragen, in die immergrünen Wälder des Berges Athos. Unter den Mönchen der dortigen neuen Ab- teien gab es Griechen, Georgier, Russen, Bulgaren, Serben, ja sogar auch Italiener aus Amalfi. Aus Makedonien verbreiteten sich weit gegen Norden verschiedene lokale Heiligenkulte. Spuren der Verehrung des heiligen Deraetrios von Thessalonich reichen bis zur Demetriuskirche unter der Burg Zvecan, bei welcher das heutige Mitrovica, Endpunkt der Eisenbahn von Salonik gegen Bosnien, entstanden ist, und bis zur St. Deraetriusabtei auf den Ruinen von Sirmium, nach welcher die alte Römerstadt im 13. bis 15. Jahrhundert „civitas S. Demetrii", magyarisch Szava Szent- Demeter, altserbisch Dimifrovce genannt wurde, jetzt ebenfalls als Mitrovica bekannt. Aus der Inselkirche von Prespa wurde der Kultus des heiligen Bischofs Achilleios von Larissa bis nach Serbien verpflanzt. Eine Kirche des heiligen Achilij, später Archilij aus- gesprochen, im heutigen Kreis von Uzice wurde im 13. Jahrhundert Sitz eines Bischofs der serbischen Nationalkirche; das Städtchen heißt heute noch Arilje i). In Nis wurden in der bischöflichen Kirche des heiligen Prokopios die Reliquien dieses palästinischen Märtyrers der Zeit Diokletians verwahrt. Die Ungarn haben (um 1072) die Hand des Heiligen genommen und in der St. Demetrios- kirche von Sirmium niedergelegt, von wo sie Kaiser Manuel wieder zurückbrachte -). In der Umgebung von Nis gab es eine „Burg des heiligen Prokopios" (grad svetago Prokopia 1395), die heutige Stadt Prokuplje an der unteren Toplica.

Trotz des Widerwillens der Serben gegen das byzantinische Kaisertum war aber der kirchliche Einfluß des Ostens stärker als der des Westens. Die slawischen GeistUchen Makedoniens und Bulgariens standen den Serben näher als die romanischen und albanesischen Bischöfe und Kleriker des adriatischen Küsten- gebietes. Die slawischen Bücher des Bischofs Klemens von Ochrid, des bulgarischen Exarchen Johannes, des Bischofs Konstantin u. a. waren ihnen ohne weiteres verständlich. Der inio-MTtog 'Paaov, dessen Sprengel in der Urkunde ßasihos' IL als eine der kleinen

1) Vgl. mein Christ. Elem. 37 f., 95.

2) Vgl. eine Urk. 1698: Letopis 229 (1905) 5f

233 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

Eparchien gar nicht näher beschrieben ist, wurde nach dem Vor- dringen der Serben ostwärts Bischof am Hofe des Großzupans und verwaltete bald das ganze ostserbische Gebiet. Athosmönche kamen bis zum Hofe des Großzupans; anderseits haben sich ser- bische Mönche in Thessalonich bei der Verteidigung dieser Stadt gegen die Normannen (1185) durch ihre Tapferkeit ausgezeichnet ^). Das Bistum von Ras wurde im 13. Jahrhundert die Grundlage und der Ausgangspunkt der autokephalen serbischen Nationalkirche.

Neben den beiden offiziellen Kirchen hatte sich auch eine alte kleinasiatische Sekte in den Hämusländern verbreitet -}. Gegründet im 3. Jahrhundert von Paul von Samosata, neuorgani- siert in Komraageue am Euphrat gegen Ende des 7. Jahrhunderts, hat die Lehre der Paulikianer im Osten Kleiuasiens viele Anhänger gefunden, sowohl bei den Griechen, als bei den Armeniern, wo ihre Spuren, wie der von Conybeare verÖffentHchte armenische „Schlüssel der Wahrheit" zeigt, bis ins 19. Jahrhundert reichen. Entstanden unter dem Einfluß der Gnostiker und Manichäer, beruhte ihre Theologie, obwohl sie sich als echte Christen bezeichneten, auf dem altpersischen Dualismus der zwei Prinzipe (slaw. nacala, wörtlich: Anfänge): des himmlischen Vaters, Schöpfers der un- sichtbaren Welt, und des bösen Geistes, Luzifer oder Satan, des Schöpfers der sichtbaren Welt. Auf die Hämushalbinsel kam ihre Lehre durch die Ansiedlung von Kleinasiaten, teils Griechen, teils Armeniern, an der bulgarischen Grenze bei Adrianopel und Philippopel, nach Unteritalien durch die vom Kaiser Basilios I. besiegten und dorthin verpflanzten Paulikianer vom oberen Euphrat. Die Katharer oder Patarener der Lombardei und die Albigenser Südfrankreichs sind nur Zweige dieser Gruppe. In Bulgarien verbreitete sich die Sekte schon im 10. Jahrhundert durch einen neuen Organisator, den Popen Bogomil, welcher angeblich unter dem Kaiser Peter gelebt hat. Daher nannte man ihre Anhänger

1) Eustathios ed. Tafel § 76 p. 291; Tafel, Komnenen und Nor- mannen 149.

2) Hauptwerk: F. Racki, Bogomili i Patareni, Rad Bd. 7—10 (1869 bis 1870). Rede des bulg. Presbyters Kosmas (10. Jahrb.), neueste Aus- gabe von M. G. Popruzenko, Sv. Kozmy presvitera slovo na eretiki, Petersburg 1907.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 223

auch bei den Byzantiuern Bogomilen. Eine spätere südslawische Benennung ist ,,der Glaube der Babunen" (babunska vjera), be- kannt aus serbischen Denkmälern des 14. Jahrhunderts ^). Eine große Verfolgung der Paulikianer oder Bogomilen in Konstanti- nopel und Philippopel unter Kaiser Alexios Komnenos vermochte sie nicht auszurotten; bei Philippopel erscheinen sie noch in der Zeit des lateinischen Kaisertums. Nach Anna Komnena hatte sich die Lehre nicht so sehr bei den Weltlichen, als unter den GeistHchen und Mönchen verbreitet -). In Bulgarien sind im 1 2. Jahrhundert Spuren einer Hierarchie der Sekte zu bemerken ; der Bischof der Häretiker in Serdica wird als der „kleine Alte" (dedtc) bezeichnet, ebenso wie er in Bosnien später „der Alte" (djed oder did) hieß ^).

Zum Schluß des 12. Jahrhunderts werden Anhänger dieser Sekte in Bosnien erwähnt. Nach den päpstlichen Urkunden waren die Führer auch dort Mönche, „magistri" und „priores" der „fratrum conventus". Sie trugen farbige Nationalkleider, ver- ehrten keine Heiligen, führten nur nationale Namen (Ljuben, Pri- bisa, Rados usw.), vernachlässigten Messe, Feiertage und Fasten, hatten in ihren Kirchen keine Altäre und kein Kreuz, nannten sich nur Christen („krstjani" der einheimischen Denkmäler) und betrachteten als heilige Bücher bloß das Neue Testament und den Psalter. Es kam auch vor, daß Klosterfrauen (feminae de nostra religione) in den Speise- und Schlafsälen mit den Brüdern gemein- schaftlich hausten ■*). Eine klösterliche Organisation hat die Sekte in Bosnien auch in den folgenden Jahrhunderten beibehalten, in welchen ihre Anhänger bei den Dalmatinern nach lombardischem Muster in der Regel Patarener genannt wurden. In Serbien be- gann sich die Lehre unter Nemanja im geheimen selbst unter den Adligen zu verbreiten. Der Großzupan berief einen Land- tag, ließ die Häupter der Sekte zusammenfangen und nach den Bestimmungen der byzantinischen Gesetze gegen die Manichäer

1) Zakonik ed. Novakovic p. 198. Stojanovic, Zapisi 1, 26 (1330). Spomenik 31, 5.

2) Anna Komnena XV, 8.

3) Florinskij, Sbornik zu Ehren Lamanskijs (Petersburg 1883) 37.

4) Theiuer, Mon. Slav. 1, 20 nro. 35 (1203).

224 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

und andere Häretiker strenge bestrafen. Ihrem Lehrer und An- führer wurde die Zunge abgeschnitten, seine Bücher verbrannt und er in die Verbannung gesendet; einige seiner Genossen er- litten den Feuertod, anderen wurden die Häuser und Besitzungen zugunsten der Leprosen und Armen konfisziert und sie selbst aus dem Lande gejagt ^). In Serbien ist von den Bogomilen fortan keine Rede mehr. In Zachlumien bestanden ihre Reste fort. In Bosnien war die Sekte schon um 1200 mächtig und bald herrschend geworden. Die Fürsten des Landes waren wohl römische Christen, aber gegen die bogomilische Majorität des Adels wagten sie nichts zu unternehmen. Die bosnischen Patarener verabscheuten noch im 15. Jahrhundert das Kreuz, die Bilder, gemauerte Kirchen, Altäre, Glocken und Reliquien und bezeichneten die römischen Christen als Götzendiener -). Bei der geringen theologischen Bildung der Führer ist allerdings manche Inkonsequenz bemerkbar; es gibt z. B. Urkunden bosnischer Patarener mit ganz rechtgläubigen Eidesformeln. Daß die Ausbreitung der Lehre durch die unvoll- endete Organisation der kirchlichen Hierarchie befördert worden war, sieht man an den Namen der Bischöfe von Bosnien, welche äußerlich der römischen Kirche angehörten, aber gegen allen Brauch ausschließlich nur nationale Namen führten : Vladislav (1141)3), Radogost (um 1197)^), Bratoslav^), Dragohna (1209) und Vladimir, der vom Erzbischof von Ragusa geweiht war und alljährlich in diese Stadt kam, bis ihn der Legat Kardinal Jakob

1) König Stephan cap 6.

2) Vgl. die von Racki herausg. Texte: Herrores, quos communiter Patareni de Bosna credunt et tenent, Starine 1, 138 f. und die 50 ,,errores" der Bosnier in der Schrift des Kardinals Johannes von Torquemada (1461) ib. 14, 5 f.

3) Orbini 247.

4) „Radogost non sapeva lettere latine, ne altre eccetto le slavoniche, e quando fece il giuramento della fedelta ed obbedienza al suo metropolitano, lo feeein lingua slava", angeblich nach einem Privileg Papst Johannes' VIII: Gondola, Chron. MS. Nach Ragnina 219 reiste er zu Papst Cölestin III. (1191-1198).

5) „Carta consecrationis Brataslauj episcopi Bosnensis" erwähnt 1251 Smiciklas, Cod. dipl. 4, 460.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 325

wegen seiner patarenischen Ansichten absetzte (1233) ^). Das bos- nische Bistum wurde dann dem Erzbischof von Kalocsa in Ungarn untergeordnet und mit fremden Klerikern besetzt. Das hatte aber den Abzug der katholischen Bischöfe aus dem Lande zur Folge, nach Djakovo zwischen Save und Drau, während in Bosnien der „Älteste^' (djed) der Patarener das geistliche Oberhaupt wurde, auch „Bischof der bosnischen Kirche" (episkup crkve bosanske) genannt-), stets mit einem nationalen Namen, wie Radoslav (um 1325), Radomir (1404), Miloje (1446), Ratko (um 1450)3). Der patarenische Geistliche hieß in Bosnien im 14. 15. Jahrhundert s t r o j n i k (Verwalter) ; die höhere Stufe war die des g o s t (Gast), die tiefere die des starac (Greis).

Einen intensiven Einfluß übte damals die byzantinische Kultur in Makedonien aus, noch gut zu erkennen an den Ruinen präch- tiger Kirchenbauteu , wie der Kirche des heiligen Panteleimon, gegründet 1164, in dem jetzt von mohammedanischen Albanesen bewohnten Dorfe Neresi bei Skopje, mit fünf Kuppeln und Fresken der Komnenenzeit *). Dagegen war der Norden schwach bevölkert, besonders der riesige, von den Kreuzfahrern gefürchtete „Bulgaren- wald" (silva Bulgariae) von der Donau bei Bi'anicevo bis zum Trajanstor ^). Wilhelm von Tyrus erzählt, daß die Einöden längs der Straßen vom Staate absichtlich im Stande gehalten werden; niemand dürfe die Wälder und Büsche ausroden und sich darin ansiedeln, weil die Griechen in der Schwierigkeit der Wege und in der Undurchdringlichkeit des Gesträuches einen verläßlicheren Schutz gegen die Feinde finden, als in ihren eigenen Truppen ^). Die Serben galten, wie aus den Erzählungen der Kreuzfahrer zu

1) Dragohna, geweiht 1209, bei Gondola, Resti und Cerva. Ladi- mirus, geweiht von Erzbischof Leonard von Ragusa (1203 1217), kam noch unter Erzbischof Arengerius (1220f.) einmal im Jahr in die Stadt: Urk. um 1252 Arch. Rag.

2) Puciö 1, 50—51 (1404).

3) Vjestnik zem. ark. 7 (1905) 216. Glasnik bos. 18 (1906) 404. Mon. serb. 253, 440. Star ine 14, 22.

4) Evans, lUyricum III— IV 95f. Miljukov a. a. 0. 136. Kon- dakoY, Makedonia (Petersburg 19u9) 174 f.

5) Bulgerewah : Arnold von Lübeck I, 3.

6) Wilh. Tyr. II, 4.

Jirecek, GeBchichte der Serben. I. 15

336 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

sehen ist, als ein wildes, räuberisches Volk; erst die des dritten Zuges sprechen von ihnen mit Freundschaft und Sympathie. Die Reste einheimischer Literatur beschränken sich auf einige glago- litische Fragmente (S. 178) und das älteste kirchenslawische Denk- mal serbischer Rezension: ein Evangeliar, in cyrillischer Schrift geschrieben für Nemanjas Bruder Miroslav, den Fürsten von Zach- lumien (um 1171 1197). Seine farbigen Initialen weisen einen starken Einfluß der romanischen Ornamentik des Abendlandes auf. Der gut erhaltene Foliant wurde 1896 von den Mönchen des Klosters Chilandar auf dem Athos dem jungen serbischen König Alexander geschenkt, der ihn in einer phototypischen Ausgabe von Ljubomir Stojanovic (Wien 1897) herausgeben heß i); seit der Ermordung des letzten Obrenovic ist das Denkmal verschollen. Überreste der lateinischen Bildung in Antivari und in anderen dalmatinischen Küstenstädten sind Grabinschriften, besonders der Bischöfe und Abte, zum Teil in Hexametern oder leoninischen Versen abgefaßt, leider meist ohne Jahreszahlen - ). Eine lateinische Schrift ohne Titel und Schluß, verfaßt wahrscheinlich von einem Priester von Antivari in der letzten Zeit des Kaisers Manuel (um 1160 1180), wird seit dem Ragusaner Tubero (f 1527) als das Buch des Diocleas bezeichnet ^). Der erste Teil ist überdies in einem kroatischen Texte vorhanden, nach den Untersuchungen von Crncic in 14. Jahrhundert aus dem Latein übersetzt in der Um- gebung der Ruinen der, wie der Übersetzer sagt, berühmten, wunderbaren, reichen, schönen, aber unglücklichen Stadt Salona. Das Latein des Diocleas ist armselig, mit seltenen Ausnahmen nur aus der Bibelübersetzung erlernt, ohne die zu Ende des Mittel- alters selbst in Notarialurkunden vorkommenden klassischen Brocken. Den Inhalt bildet eine sechshundertjährige Genealogie; sie be- ginnt mit dem Gotenkönig Totila, der den Mönchen aus der Legende des heiligen Benedikt besser bekannt war, als der sagen-

1) Vgl Kondakov: Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 302 f.

2) luschriften aus der 1881 durch eine Pulverexplosion zerstörten St. Georgskirche von Antivari: Markovic a. a. 0. 180; Rovinskij, Sbornik russ. 8G (1909) 175 f.

3) Eine Studie über den Diocleas von mir erscheint demnächst im Arch. slaw. Phil.

Die Könige und Großzupaue im 11.— 12. Jahrb. 237

berühmte König Theoderich, welcher tatsächlich über Dalmatien geherrscht hat, und schließt mit den Knezen Dioklitiens in der Zeit des Kaisers Manuel. Oflfenbar wurde sie zur Verherrlichung dieser kleinen Duodezfürsten in der Umgebung von Antivari er- funden. Das ^^'erk zerfällt in drei Teile. Der erste Teil, welcher mehr Kroatien betrifft und die angeblich heidnischen Goten mit den Südslawen identifiziert, beruht auf einer „Hbellus Gothorum'- genannten Vorlage, die auch dem Archidiakon Thomas nicht un- bekannt war und viel gelesen wurde. In einer Instruktion an die ragusanischen Gesandten in Bosnien wird 1432 der Stamm- vater der bosnischen Dynastie Kotroman als Gote bezeichnet i). Der zweite Teil, welcher historisch den meisten Wert hat und sich auch durch ein besseres Latein auszeichnet, ist ein Auszug aus der St. Vladimirlegende. Der dritte Teil enthält eine aus Sagen und Liedern zusammengestellte Geschichte der Herrscher von Dioklitien im 10 12. Jahrhundert. Jahreszahlen gibt es im ganzen lateinischen Texte keine einzige. Der berechnende Über- bhck über die Länge der verflossenen Zeit fehlt dem Verfasser vollständig. Er ist offenbar bestrebt, die Zahl der Generationen und Regierungen zu vermehren, wobei in seinem genealogischen Gebäude manches Zeitalter eine ganz fabelhafte Fruchtbarkeit ent- wickelt, während an schwachen Stellen ein einsamer nachgeborener Sohn die Erbfolge in außergewöhnhcher Weise rettet. Die meisten der aus Inschriften, Urkunden, venezianischen, päpstlichen und byzantinischen Denkmälern bekannten Fürsten fehlen ; dafür treten Massen von Namen auf, für die es keine urkundliche Beglaubigung gibt. Klar ist die römisch-katholische Tendenz, jedoch ohne jede Feindseligkeit gegen die orientalische Kirche. Es ist merkwürdig, daß die Kreuzfahrer, die Narentaner und, was noch auffälhger ist, die Venezianer mit keinem Wort erwähnt werden.

Von den Nachbarn der Serben geriet das byzantinische Kaisertum nach dem Tode Basilios' II. (1025) bald in Verfall, durch den Gegensatz zwischen der militärischen Aristokratie und

1) „Cotrumano Gotto, del quäl a avuto origine e principio li reali di Bosua": Schreiben an die Gesandten in Bosnien 14. Mai 1432, Lett. 1430 bis 1435 Arch. Rag.

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338 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

dem Kaiserpalast mit seinen Beamten, Frauen und Eunuchen. Der Vorstoß der seldschukischen Türken aus Iran in das Innere Klein - asiens führte zum Sieg der Militärpartei, durch Erhebung der Familie der Komnenen, welche dem Reiche für hundert Jahre (1081 1180) drei ausgezeichnete Kaiser gab In den europäischen Provinzen wurden im 11. Jahrhundert zwei große Aufstände der Bulgaren überwunden, die in der Zeit der Komnenen keine Wiederholung fanden. Die Serben suchten auch Verbindungen mit dem westlichen Kaisertum, den Deutschen oder, wie sie damals bei den Griechen hießen, den „Alamannen". König Bodin ver- handelte li 88 wegen Bestätigung des Erzbischofs von Antivari nicht mit Urban IL, dem Papst der Partei Gregors VII., sondern mit dem von Kaiser Heinrich IV. eingesetzten Gegenpapst Klemens III. (Wibert). Kaiser Friedrich I. erhob Ansprüche auf Länder, die seit den Karolingern nicht mehr dem deutschen Reiche angehörten. Mächtigen Adelsgeschlechtern von Bayern und Tirol verlieh er den Titel eines Herzogs von Kroatien und Dal- matien oder Meranien, nämlich „dem Land am Meere", zuerst (1152) dem Grafen Konrad von Dachau, nach ihm dem Ber- told (UI.) von Andechs, welcher (seit 1173) auch Markgraf von Istrien und Krain war i). Der Name von Dalmatien erscheint infolgedessen im 11. 12. Jahrhundert in den Titeln von fünf Mächten: der Byzantiner (S. 211), der Kroaten, später der Ungarn, der Venezianer und der genannten deutschen Herzöge. Der Kroa- tiens teilt im 12. Jahrhundert dasselbe Schicksal. Der Gegensatz zwischen Friedrich I. und den Byzantinern, welcher in den italie- nischen Angelegenheiten seine Gründe hatte, führte dazu, daß die serbischen Großzupane bei dem westlichen Kaiser eine Stütze gegen die Griechen suchten, wohl durch die Vermittlung der Herren von Andechs in Istrien. Zugleich hatten die serbischen Fürsten Verbindungen mit den Normannen, welche die Griechen aus Apulien und Kalabrien bis 1071 vollständig verdrängten und auch in den Städten Dalmatiens Freunde besaßen. Die Venezianer,

1) Conradus dui Croatiae et Dalmatiae: Otto Fris. I, 26; IV, 18 ed. Waitz (Hannover 1884). „Dalmacia, que et Chroacia seu Merania di- citur": Ansbert ina Grazer Kodex. Vgl. Huber, Gesch. Österreichs 1, 506.

Die Könige und Großzupane im 11.— 12. Jahrh. 229

deren Seemacht durch das Aufblühen des Levantehandels seit Beginn der Kreuzzüge sich in großem Aufschwung befand, knüpften Beziehungen mit den Serben an, sobald sie wegen ihrer großen Privilegien zeitweilig Streitigkeiten mit den Komnenen hatten.

Ungarn wurde seit der Bekehrung zum Christentum ein mächtiger Staat. Die Könige aus dem Geschlechte Arpäds (griech. /.Qcclrig, magyar. kiralyi, serbokroat. kralj) standen durch Heiraten in verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Herrschern der Griechen, Bulgaren, Russen, Polen, Böhmen, Kroaten und Serben. Die Nachbarschaft der Griechen in Sirmium war ihnen unbequem; bald begannen Grenzkriege und ungarische Invasionen auf der Konstantiuopler Straße. Sirmium wurde für ByzaDz abermals ein unsicherer Besitz, wie einst im 6. Jahrhundert. Periodisch befand sich der Kriegsschauplatz bei Belgrad und Braniöevo, wie vor- zeiten bei den Vorgängern dieser Städte, bei Singidunum und Viminacium. Die serbischen Großzupane waren damals die natür- lichen Bundesgenossen der Ungarn. Im 11. Jahrhundert bemühten sich die Byzantiner um die Freundschaft der Ungarn ; ein Zeugnis dafür sind die Teile eines Diadems, noch enthalten in der unga- rischen Krone, mit griechischen Inschriften aus der Zeit Gejzas I. und des Kaisers Michael VII. Dukas (1075). Im 12. Jahrhundert suchten die Komnenen die ungarischen Könige zu ihren Vasallen zu machen. Indessen hat Ungarn durch die Erwerbung Kroatiens den Zutritt zum Meere gewonnen. Das kroatische Königreich hatte sein Territorium zuletzt bedeutend erweitert, auch im Gebiet der früher unabhängigen Narentaner. Der letzte bedeutende König war Demetrius Zvonimir, vom Papst Gregor VII. mit einer Königskrone ausgezeichnet (1076). In den Wirren nach seinem Tode (1089) rief die Königin Helena ihren Bruder, den ungarischen König Ladislaus I. zu Hilfe, der über die Drau zog, einen großen Teil des Landes besetzte, aber nicht zur Küste vorzudringen ver- mochte. Ladislaus' Neffe König Koloman (1095 1114:), ein Freund und Verbündeter des Kaisers Alexios Komuenos, eroberte auch das Küstenland, nachdem der letzte kroatische König Peter in einer Schlacht in den Bergen des Gvozd von Modruse, der ietzigen Kapela gefallen war. Die Küstenstädte Zara, Trau und Spalato wurden wohl von Byzanz freiwillig aufgegeben und von

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den Ungarn durch große Privilegien gewonnen, mit freier Wahl der Stadtgrafen i). Mitglieder der Dynastie der Arpäden ver- walteten Kroatien als eine Sekundogenitur, im Lande vertreten durch einen Ban als Statthalter. Der Bruch zwischen den Ungarn und Komnenen führte zum Vorstoß der Venezianer, welche schon längst den Besitz der dalmatinischen Städte anstrebten, gegen die Ungarn, mit Besetzung von Zara und der Quarnerischen Inseln.

Bosnien war nach Diocleas im 10. Jahrhundert den Kroaten unterworfen, im 11, den Dioklitiern, deren König Bodin dort einen Knez Stephan zum Fürsten einsetzte; von dieser Unterordnung gibt auch die Abhängigkeit des bosnischen Bischofs vom Erzbischof von Antivari Zeugnis '-). Nach der Veränderung in Kroatien ge- rieten die Fürsten von Bosnien unter die Oberhoheit der unga- rischen Könige, obwohl noch Kaiser Manuel (S. 211) dieses Land zu seiner Interessensphäre rechnete. Im ungarischen Königstitel wird Bosnien (seit 1138) als Rama bezeichnet (rex Ramae), mit dem Namen des Flusses Rama, welcher zwischen Konjic und Mostar von rechts in die Narenta mündet ^;. König Bela II. verlieh seinem unmündigen Sohn Ladislaus (1137) die Würde eines Her- zogs von Bosnien ^). Den einheimischen erblichen Fürsten blieb nur der Titel eines Baus oder „großen Bans" von Bosnien (veliki ban, magnus banus). Der erste in den Denkmälern genannte ist Ban Boric, welcher (1154) den König Gejza II. gegen die Byzan- tiner unterstützte, nach dessen Tod aber Parteigänger der byzan- tinischen SchützUngc unter den Arpäden war ^). Er besaß auch Güter im Lande zwischen der Save und Drau, von denen er

1) Sisic, Dalmatien und der ung.-kroat. König Koloman im Vjesnik arheol. N.S. 10 (1909) 50—106 vertritt die Ansicht, daß Kaiser Alexios 1107 die dalmatinischen Küstenstädte dem König Koloman abgetreten habe, um ihn als Bundesgenossen gegen Boemund zu gewinnen.

2) Vgl. Klaic, Gesch. Bosniens, deutsch von Ivan von Bojnicic (Leipzig 1885) 60 f.

3) Zupa Rama bei Diocleas. Otto von Freising I cap. SJ. Co- mitatus Cetinae et Ramae 1411: Vjesnik zem. ark. 7 (1905) 170.

4) Pauler, Wiss. Mitt. 2 (1894) 158 f.

5) BoQiTirjg, Boricius : Kurzform zu Borislav , wie Radic zu Radoslav, Von Majkov, Ljubic u. a. verwechselt mit dem Arpäden Boris, des Königs Koloman Sohn.

Die Könige und Großzupaue im II.— 12. Jahrb. 331

einige mit Bewilligung des Königs Bela III. den Templern schenkte. Als seine Nachkommen galten im 15. Jahrhundert die Edelleute von Grabarje bei Pozega, wahrscheinlich identisch mit der mäch- tigen kroatischen Familie der Berislavici. Sein Nachfolger war (um 1180 1204) der aus Urkunden und Inschriften bekannte und heute noch in der Sage gefeierte Ban Kuhn.

Der Widerstand der Serben gegen die Übermacht der By- zantiner begann nach dem Tode des Kaisers Roman III. Argjros, als der Palasteunuche Johannes seinen Bruder Michael IV. den Paphlagonier (1034 1041) auf den Thron erhoben hatte. Eine lakonische Notiz der griechischen Chronisten berichtet, daß Serbien, welches nach Romans Tode abgefallen sei, 1036 wieder einen Ver- trag geschlossen habe ^). Der serbische Fürst Stephan Vojislav -) wurde damals wahrscheinlich als Geisel nach Konstantinopel ge- bracht und die Aufsicht über sein Land dem Feldherrn Theophilos Erotikos anvertraut. Doch Vojislav entkam aus Byzanz in die Berge der Heimat und vertrieb den byzantinischen Befehlshaber ^). Theophilos hat später Ärgeres erlebt: als Statthalter von Zypern begann er einen Aufstand (1043), wurde aber gefangen und als minderwertiger Verschwörer im Konstantinopler Hippodrom in Weiberkleidern herumgeführt. Vojislav beherrschte dann das ganze Gebiet vom See von Skutari bis über Stagno hinaus, Dio- klitien , Tribunien und Zachlumien *). Bald nachher sendete der Eunuche Johannes dem Kaiser Michael, der eben in Thessalonich verweilte, zu Schiff 10 Kentenarien Gold, wir wissen nicht woher (1040). Das Schiff scheiterte an der Küste von lUyricum und das Gold wurde eine Beute des Vojislav. Der Kaiser forderte den Serbenfürsten auf, er möge das Gold zurücksenden, erhielt aber keine Antwort. Der Eunuche Georgios Provatäs, der zuvor Ge-

1) Kedreuos 2, 514—515 zu 6544 (1035— 103G).

2) ZThifuvog 6 xal Bdia&Xdßog bei Kedrenos 2, 526, 543; einfach 6 2j(<ftivog ib. 607. Boia&Xdß'.g 6 ^JioxlrjTifcvög: Kekaumenos p. 27.

3) Kedrenos 2, 526: vgl. 549. Theophilos war vielleicht Statthalter von Dyrrhachion. Er wird keineswegs als Strategos von Serbien bezeichnet, wie Skabalanovic 219-220 meint; solche hat es nie gegeben, außer in der unechten Urkunde des Ljutovid (s. oben S. 213).

4) Kekaumenos p. 25, 27.

333 Drittes Buch Viertes Kapitel.

sandter bei den Arabern in Sizilien gewesen war, rückte auf Be- fehl des Kaisers in die unwegsamen Täler ein, um den Vojislav zu bestrafen, verlor aber fast sein ganzes Heer und entkam selbst nur mit Not ^).

Zur selben Zeit brach in Bulgarien ein gewaltiger Aufstand aus (1040 1041). Peter Deljan, welcher sich für einen Sohn des Kaisers Radomir ausgab -), zog von Belgrad und Branicevo südwärts über Nis nach Skopje. Kaiser Michael IV. floh rasch von Thessalonich nach Konstantinopel. Die Aufständischen be- setzten Dyrrhachion und drangen siegreich in Thessalien, Epirus und Nordgriechenland bis Theben vor. Das Eintreffen eines zweiten Nachkommen der letzten Dynastie brachte den Insurgenten kein Glück; es war Alusiän, der jüngste Bruder des bulgarischen Kaisers Vladislav, bisher byzantinischer Statthalter in Theodosiopolis (Er- zerum) in Armenien. Ein Angriff der Bulgaren auf Thessalonich mißglückte. Alusian nahm den Deljan bei einem Gastmahl ge- fangen, ließ ihn blenden, fand aber im Bulgareuheere keinen ge- nügenden Anhang und unterwarf sich wieder dem byzantinischen Kaiser.

Die Serben, welche indessen das byzantinische Gebiet durch zahlreiche Invasionen beunruhigt hatten, mußten einen neuen An- griff erwarten. Als Kaiser Konstantin IX. Monomachos die Re- gierung antrat, befahl er dem Statthalter von Dyrrhachion, dem Patrikios Michael, Sohn des Logotheten Anastasios, mit den Truppen seines Themas und der benachbarten Provinzen, angeblich 40 bis 60000 Mann, in Serbien einzufallen (Herbst 1042)=^). Michael war zwar kein Eunuche, aber auch kein Feldherr, ein verweich- lichter, „im Schatten erzogener" Byzantiner, dessen Leichtsinn zu

1) Kedreuos 2, 527.

2) Radomir hatte noch zu Lebzeiten seines Vaters Samuel seine schwangere Gattin, die Tochter des Königs von Ungarn {xQäXrjg Ovyygü(g), verstoßen und die schöne Irene, eine Gefangene aus Larissa, geheiratet. Deljan gab sich für den Sohn Radomirs von der Ungarin aus. Prokic, Skylitzes nro. 24, 62.

ö) Unmittelbar nach dem Kometen, der am G. Oktober 1042 sichtbar wurde. Ausführlich bei Kedrenos 2, 54.3—545, kurz bei Kekaumenos p. 25—26.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 233

einer furchtbaren Katastrophe führte. Auf schwierigen und steilen Pfaden, auf denen zwei Reiter nicht nebeneinander bleiben konnten, brach das Heer im Gebiet von Diokleia ein und plünderte die Gebirgstäler. Es gab einen besseren Ausgang, aber Älichael trat den Rückzug auf demselben Wege an, obgleich er ihn unbewacht zurückgelassen hatte. In den Bergen lauerten ihm die Serben auf. Als das Heer beutebeladen durch einen Engpaß zog, wurden die Byzantiner plötzlich von den Höhen mit Pfeilen und Schleuder- steinen überschüttet, denen gewaltige herabgerollte Felsblöcke nach- folgten. Zwei Drittel des Heeres mit sieben Strategen blieben tot in der Enge, deren Gießbäche und Klüfte sich mit Leichen füllten. Diejenigen, welche sich in Gebüschen, Wäldern und Schluchten verbergen konnten, entkamen nachts über die Kämme der Gebir;:,^e, im elendsten Zustand, ohne Pferde und Gepäck, „ein klägliches und der Tränen würdiges Schauspiel '', mit ihnen auch der Ober- feldherr 1). Nach der Beschreibung ist der Schauplatz dieser Niederlage in den Bergen von Montenegro zu suchen, in den Engen auf dem Wege vom See von Skutari durch das Zetatal in die Herzegowina 2j. Der Sieg der Serben kam einem byzantinischen Prätendenten sehr gelegen. Der Feldherr Georgios Maniakes, welcher sich in Unteritalien gegen Kaiser Konstantin Monoraachos erhoben hatte, kam (Februar 1043) nach Dyrrhachion und begann den Vormarsch gegen Thessalonich, fiel jedoch unterwegs in einer Schlacht bei Ostrov. Überdies erschienen die Russen zum letzten Male als Feinde vor der byzantinischen Hauptstadt, Eine neue Expe- dition gegen Vojislav wurde nicht mehr versucht. Es ist sehr wahr- scheinlich, daß das Grenzgebiet mit Skutari und Antivari seitdem den Serben blieb. Kekaumenos erzählt in seinem strategischen Yv^erk eine merkwürdige Episode aus dieser Zeit. Katakalön, der Strategos von Ragusa, wollte den Serbenfürsten durch List fangen

1) Michael war später Statthalter von Dristra (Silistria). Kedrenos 2, .583.

2) Bei Diocleas werden die Griechen von den Slawen durch eine Art Bartholomäusnacht vertrieben, ihre „Magnaten" an einem Tage erschlagen. Dobroslav (so heißt bei ihm Vojislav) besiegte dann zwei griechische Feld- herren, den Armenopolos in der „planities Zentae'', den Cursilius (s. S. 205) zwischen Antivari und Dulcigno durch einen nächtlichen Überfall.

284 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

und erbot sich, Pate bei der Taufe seines neugeborenen Sohnes zu sein. Vojislav war scheinbar bereit, wieder Untertan des Kaisers zu werden. Die Zusammenkunft fand der Verabredung gemäß in einem Hafen statt, wohl zwischen Ragusa und Stagno. Katakalon erschien mit Kriegsschiffen in der festen Hoffnung, den rebellischen Serben als Gefangenen heimzubringen. Doch es kam anders. Kaum war der byzantinische Statthalter, freundlich begrüßt, ans Land gegangen, als auf ein von Vojislav gegebenes Zeichen Be- waffnete aus einem Versteck hervorsprangen und ihn mit seinen Begleitern an Händen und Füßen fesselten. Auch die Dromonen wurden von den Serben besetzt und Katakalon auf ihnen in Ge- sellschaft der übrigen Gefangenen nach Stagno geführt.

Vojislavs Nachfolger war sein Sohn Michael ^), welcher wieder Freund des byzantinischen Reiches wurde und den Titel eines Protospathars erhielt (um 1052). Es folgte eine zwanzigjährige Friedenszeit. Damals hat wohl Michael den Königstitel angenom- men. Die Katastrophe von Manzikert (1071), wo Kaiser Roman IV, Diogenes von dem Seldschukensultan Alp-Arslan geschlagen und gefangen wurde, hatte ihren Widerhall auch im Westen. In Bul- garien brach ein Aufstand gegen den Kaiser Michael VH. Dukas aus (1073) ■^). Die Urheber der Bewegung waren die Boljaren von Skopje, an ihrer Spitze Georg Vojteh (Boirdxog). Einen ein- heimischen Führer fanden sie nicht und wendeten sich an Michael von Serbien, welcher seinen Sohn Konstantin Bodin zu ihnen sendete, begleitet von dem Feldherrn Petrilo und einer kleinen Schar von 300 Serben ^). In Prizren wurde Bodin von einer

1) Michael in den Briefen Gregors VII. und bei Lupus; mit einer nationalen Endung als Mcxarjhlg bei Kedrenos 2, 607, 715 f., Michala (-IIa) bei Diocleas.

2) Zur Chronologie: Job. Seger, Nikephoros Bryeunios (^München 1888) 1-20—121 zu Skylitzes 714. Quellen: Skylitzes oder dessen Fort- ßetzer (vgl. Prokic a. a. 0. nro. 68—70); wenig bei Nikephoros Bry- ennios: nichts bei Attaleiates. Von der Erhebung Bodins zum Kaiser der Bulgaren, seiner Niederlage und seinem Exil in Antiochia weiß auch Diocleas p. 52—53, doch mit verwirrter Genealogie.

3) KwvaTavjCvw tw xul BoSitw 6vof^aCo/u^i'(p: Kedrenos 2, 715. Der Name Bodin kommt später sehr selten vor: ein Zupan Bodinus in Canali

Die Könige uud Großzupane im IL— 12. Jahrb. 335

Versammlung der Boljaren zum Kaiser der Bulgaren {ßaoiXEi\; Bovh/äqcov, Bulgarinorum Imperator) proklamiert und dabei Peter umgenannt, wohl nach dem heiligen Peter, dem Sohn Symeons. Der Dux von Skopje Damianos Dalassenos suchte die Bewegung noch in ihren Anfängen zu unterdrücken, wurde aber geschlagen und gefangen. In die Gefangenschaft der Serben fiel dabei ein byzantinischer Offizier Longibardopulos, wohl ein unteritalischer Langobarde; er schloß sich sofort den Siegern an, wurde Michaels Schwiegersohn und Bodins Schwager. Nun teilte sich das Heer ; ßodin zog gegen Norden nach Nis, Petrilo in das südliche Make- donien. Die Truppen Michaels bedrängten indessen die Provinz von Dyrrhachion und die byzantinischen Küsteustädte Dalmatiens, Avelche auch von den Kroaten beunruhigt wurden ^). Im Norden hatte die Bewegung überall Erfolg; alle „Slavinen" dieser Länder, Sirmium und die Donaustädte abwärts bis Vidin schlössen sich den Aufständischen an. Petrilo besetzte mühelos Ochrid und Devol und erschien mit einem zahlreichen Heere vor dem festen, auf einer Halbinsel in einem See gelegenen Kastoria^ in welchem sich die byzantinischen Statthalter und die der Bewegung feindlichen Nach- kommen alter bulgarischer Geschlechter (genannt wird ein Boris David) eingeschlossen hatten. Damit war das Glück der Auf- ständischen zu Ende. Bei einem Ausfall der Belagerten wurde Petrilo vollständig geschlagen und mußte durch unwegsame Ge- birge zu seinem Herrn Michael fliehen. Ein großes byzantinisches Heer besetzte Skopje. Als Bodin im Dezember im Schnee von Nis heranrückte, wurde er bei Taonion geschlagen und gefangen -). Die ganze Bewegung, deren Geschichte von einer viel geringeren Energie zeugt, als die Erhebung des Deljan dreißig Jahre zuvor, war binnen wenigen Monaten niedergeworfen.

Bodin hat als Gefangener weite Reisen gemacht. Anfangs

1278—1285, Arch. slaw. Phil. 22 (1900) 173; ein Wlache Bodin auf den Gütern des Klosters Chilandar um 1302, Mou. serb. 60.

1) XojQoßdToi xcd zfcoxlns (inoardvitg anav rb Illvoixov xay.Gj; öifii- d-ovv. Nikephoros Bryennios 100.

2) Ti(u)riov des Skylitzes ist wohl, wie ich schon Gesch. der Bul- garen 208 A. 12 bemerkte, das Schloß Paun im Süden des Amselfeldes (zacii serb. paun: Pfau).

336 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

hielt man ihn in Konstantinopel im Kloster der Heiligen Sergios und Bakchos in der nächsten Nachbarschaft des Kaiserpalastes. Von dort wurde er nach Antiochia geführt, als Isaak Komnenos, ein Bruder des späteren Kaisers Alexios, in die alte Hauptstadt Syriens gesendet wurde. Aber König Michael gewann venezianische Seeleute, welche gegen gute Bezahlung seinen Sohn aus Syrien in die Heimat entführten ^). Eine Gelegenheit dazu war durch die Kämpfe zwischen der armenischen und griechischen Partei in Antiochia geboten; der Statthalter Isaak mußte sich in die Akro- polis einschließen und Truppen heranziehen, um die Stadt durch blutige Straßenkämpfe wieder zu unterwerfen ^). Bodin wurde Mitregent seines Vaters ; bei Anna Komnena erscheinen beide neben- einander als „Exarchen der Dalmater" ■^). Verbindungen der Serben mit Apulien führten dazu, daß Argyritzes, ein vornehmer Bürger von Bari und während des Zusammenbruchs der byzan- tinischen Herrschaft in Italien das Haupt der normannischen Partei in der Stadt, den König Michael persönlich besuchte und seine Tochter mit Bodin vermählte (Oktober 1080). Nach Diocleas führte diese Patriziertochter von Bari den Namen Jaquinta *). Eine Strafexpedition gegen die Serben wurde indessen von Nike- phoros Bryennios, dem Statthalter von Dyrrhachion, unternommen. Nach der Erzählung seines Sohnes zog Bryennios „gegen die Diokleer und Kroaten". Er besiegte den Feind, nahm ihm Geiseln ab, ließ in jeder Landschaft (y^toga) eine Besatzung zurück, befahl den Einwohnern, die Wege dm'ch Ausholzung des Buschwerkes

1) Kedrenos 2, 718.

2) Nikephoros Bryennios 96 f. (vor 1077).

3) Anna Komnena I. 16; III, 12. Kedrenos a. a. 0. (Bodin als Nachfolger des Vaters"). Diocleas hat statt der drei Generationen (Vojislav, Michael, Bodin) fünf Könige: Dobroslav, Gojslav, Michael, Radoslav (regierte 16 Jahre!), Bodin.

4) Lupus, Mou. Germ. Script. 5, 60 im Oktober 1081, doch rechnet Lupus das Jahr nach byz. Art vom 1. September; vgl. F. Hirsch, De Italiae inferioris aunalibus saeculi X et XI (Berlin 1864) p. 44. Bodins Frau „Jaquinta, filia Archiriz de civitate Barensi": Diocleas 54. Über Argi- rizzi (-ius) vgl. Gay, L'Italie m^ridionale et l'empire byz. 537, 568. Ja- quintus, Jaquinta (von Hyakinthos) im 11. 12. Jahrh. in Bari und Um- gebung ein sehr verbreiteter Name (Cod. dipl. Bar.).

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 237

in den Wäldern zu erweitern, machte alle Städte (VroAf/g), offenbar die dalmatinischen Küsten städte, wieder den Römern „wie früher" Untertan und kehrte siegreich nach Dyrrhachion zurück ^). Damals wurde der kroatische König Slavic vom Grafen Amicus von Gio- vinazzo in Apulien gefangen genommen (1075), einem Rivalen des Robert Guiskard und byzantinischem Parteigänger -'). Die Situation änderte sich rasch durch die gewaltigen Umwälzungen im Osten, als die drei Nikephore, darunter auch Brycnnios, den Kampf um Konstantinopel begannen (1077 1081). Byzantinische Archonten, welche während dieser Parteikämpfe in eine schiefe Situation ge- raten waren, wie der Statthalter von Dyrrhachion Georgios Monomachatos, suchten eine Zuflucht am Hofe des Serbenkönigs Michael.

Als Kaiser Alexios Komnenos die Bürgerkriege durch die Er- oberung von Konstantinopel beendigte (Gründonnerstag 1081 ), befand sich das Reich in einer gefährlichen Lage. Das Innere Kleinasiens war für immer an die Türken verloren; die Reiterscharen der Petsche- negen überschwemmten die Donauprovinzen ; die Normannen unter Robert Guiskard und seinem Sohn Boemund rüsteten sich zum ersten Zug in die Hämushalbinsel. Die Städte Dalmatiens, voran Ragusa und Spalato, sendeten ihre Schiffe in die Flotte Roberts, welcher bald die Belagerung von Dyrrhachion begann. Den Byzantinern stand eine große Flotte der Venezianer zur Seite (Juni 1081). Als Kaiser Alexios persönlich eintraf, befand sich in seinem Heere auch das Kontingent der Serben unter dem Befehl des Bodin. In der Hauptschlacht vor Dyrrhachion (18. Oktober 1081) stand Bodin, welchen die Kaisertochter Anna Komnena als „sehr kriege- risch und voll Bosheit" schildert, in der byzantinischen Schlacht- ordnung ganz abseits, untätig den Ausgang abwartend; als er die Griechen fliehen sah, zog er mit seinen Serben ohne Schwert- streich heim.

Nach dem Tode seines Vaters übernahm Bodin allein die Regierung (1082?j. In der Zeit, als die Normannen Makedonien, Epirus und Thessalien besetzt hielten, wird nichts über ihn be-

1) Nikephoros Bryennios p. 102f.

2) Racki, Doc. 99.

338 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

richtet, aber aus den Ereignissen der folgenden Zeit ist es klar, daß er sich ihnen angeschlossen hatte. Diocleas erzählt, König Bodin habe damals Bosnien unter seine Flerrschaft gebracht (S. 230), ebenso Rassa, wo er zwei Zupane seines Holes, Vlkan ^) und Marko -) einsetzte, welche für sich und ihre Nachkommen dem Hause Bodins Treue schwören mußten. Doch zeigte es sich bald, daß der Zusammenhang dieser Fürstentümer nur lose war. Da- mals hat Papst Klemens III. (Wibert) in Rom (8. Januar 1089) auf Bitten „tilii nostri Bodini, regis Sciavorum gloriosissimi," die Rechte der Kirche von Antivari wieder bestätigt. Als die Byzan- tiner nach dem Tode Robert Guiskards (1085) wieder Dyrrhachion besetzten, gestaltete sich ihr Verhältnis zu den Serben ganz feind- selig. Die Statthalter von Dyrrhachion waren fortan Verwandte des Kaisers, zuerst Johannes Dukas, Bruder der Kaiserin (bis 1091), welcher während des Petschenegenkrieges ohne Unterlaß mit den Serben kämpfte. Er vertrieb sie wieder aus den besetzten Burgen und sendete zahlreiche Gefangene zum Kaiser. Zuletzt gelang es ihm, den Bodin in einer großen Schlacht zu besiegen und gefangen zu nehmen ■^).

Die Geschichte dieser zweiten Gefangenschaft des Bodin ist nicht bekannt. Sicher ist es, daß seine Autorität nach der Frei- lassung zu sinken begann. Die Hauptperson wird Vlkan, der oberste Zupan der östlichen Serben, welcher bald wie ein selb- ständiger Herrscher mit dem byzantinischen Kaiser Verträge schließt. Dioklitien verliert seine Bedeutung. Der Kriegsschauplatz befand sich fortan auf dem Amselfelde. Die serbische Grenzburg war Zvecan (^q^Evrllävior), auf einem steilen, kegelförmigen Berg über dem Zusammenfluß des Ibar und der Sitnica, bei Mitrovica. Die Byzantiner hatten ihr Grenzlager am Südende des Amselfeldes in

1) Vlkan, neuserb. Vukan, von vlk (neuserb. vuk) Wolf, Velcanus, Belcanus bei Diocleas, BuXy.dvog (lies Volkänos) bei Anna Komnena.

2) Diocleas 54. Für Marcus die Variante Maurus bei Orbini.

3) Kai i^Xog xctQTfgäv /ufTa JoD BoöCvov /xd^riv avvctQQci^ug xal kvtov xaTfaytv: Anna Komnena VII, 9 ed. Reiflferscheid 1, 253. Der Irrtum der Anna, Johannes Dukas sei 11 Jahre Statthalter von Dyrrhachion ge- wesen, entstand wohl dadurch, daß seine Versetzung in den Orient (1091) im 11. Regierungsjahre des Kaisers erfolgte.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 239

dem kleinen Städtchen Lipljan, Sitz eines Bischofs. Ras wird nicht erwähnt; dieser exponierte Posten war wohl von den Griechen geräumt worden. Selbst die furchtbare Niederlage der Petsche- negen im Mündungsgebiet der Marica bei Enos (April 1091) brachte keine Ruhe. Kaiser Alexios, der in den europäischen Provinzen nunmehr freie Hand hatte, begab sich dreimal persön- lich au die serbische Grenze. Das erste Mal besichtigte er selbst alle Grenzbefestigungen (1091). Als Vlkan Lipljan einäschcite, kam der Kaiser abermals nach Skopje; die Serben versprachen Frieden und Geiseln, erwarteten aber nur die Abreise des Kaisers, um sich ihren Versprechungen zu entziehen (1093). Nun ergriff der Statthalter von Dyrrhachion Johannes Komnenos, ein Neffe des Kaisers und Sohn jüues Isaak, der einst den Bodin als Gefangenen in Antiochia zu beaufsichtigen hatte, die Offensive und gelangte bis vor Zvecan , von Vlkan durch Verhandlungen und Ver- sprechungen getäuscht. In einer finsteren Nacht überfielen die Serben das griechische Lager; viele Byzantiner wurden in den Zelten erschlagen, andere ertranken auf der Flucht in der Sitnica, während der Rest mit dem Feldherrn sich mühselig den Rückzug erkämpfte. Die Serben verheerten ungehindert das offene Land bei Vranja und Skopje, sowie das jenseits des Sar gelegene Becken von Polog im Quellgebiet des Vardar (bei Kalkandelen). Der Kaiser zog zum dritten Male an die serbische Grenze bis Lipljan (Februar 1091). Da kam Vlkan persönlich in das kaiserliche Lager, begleitet von seinen Verwandten und den vornehmsten der Zupane, schloß Frieden und stellte zwanzig Geiseln, darunter seine Neffen Uros {Oiqeoiq) und Stephan Vlkan i). Der magyarische Name Uros ist ein klares Zeugnis für die verwandtschaftlichen Verbindungen der Großzupane mit den Ungarn, die im folgenden Jahrhundert noch klarer hervortreten ^).

Unmittelbar darauf folgte der Durchzug der Kreuzfahrer durch die Hämusländer, eine neue Völkerwanderung, welche den

1) Anna Komnena VIII, 7; IX, 1, 4, 5, 10.

2) Uros nach Miklosich, Etynn. Wörterbuch 372 von magyar. ür dominus. Der Name Vros, Urosius sehr häufig in den ungarischen Urk. des 13. Jahrhunderts.

340 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

Orientalen einen Begriff von der dichten Bevölkerung Westeuropas und von deren Begeisterung für das Christentum beibrachte. Die stärksten Scharen zogen durch Ungarn über Belgrad nach Konstantinopel. Zuerst kam der französische Ritter Gautier mit seinen vier Söhnen, darunter Gautier Sansavoir („sine habere"), und 15 000 Mann. Seine Leute begannen schon vor den Toren von Belgrad wegen Viehraubes mit den Einwohnern zu streiten. Kämpfend gelangten sie durch den Bulgaren wald ", wobei der alte Gautier fiel, nach Nis und zogen friedlich weiter bis Konstantinopel (Juli 1096). Es folgte der Eremit Peter von Amiens, der „Jammerpeter" (Kukupetros) der Griechen. Seine ungeordneten und raubsüchtigen Scharen wurden in Nis vom Statthalter Niketas freundlich empfangen, begannen aber Streit auf dem Markt, steckten einige Mühlen in Brand und verloren im Kampfe ihre Fuhrwerke ^). Ihre Zuchtlosigkeit hatte bei der ersten Begegnung mit den kleinasiatischen Türken ihren Unter- gang zur Folge. Ruhig war der Durchmarsch des großen Heeres des Herzogs Gottfried von Bouillon (Spätherbst 1096). Die unter- italischen und französischen Normannen und die Flandern kamen über Dyrrhachion und Thessalonich. Zuletzt rückten im "Winter (1096/97) die Provenzalen heran, unter dem Grafen Raimund von Toulouse. Sie hatten den Weg über die Lombardei, Friaul und Istrien gewählt, um durch Dalmatien Dyrrhachion auf dem Land- wege zu erreichen. Die Berichte über ihren 40tägigen Marsch durch die südslawischen Gebiete lassen erkennen, daß mit den Landesherren keine vorherigen Vereinbarungen getroffen waren. Von den Obrigkeiten Kroatiens ist keine Rede. Weiter führte der Weg abseits von den Küstenstädten durch das Innere, wahr- scheinlich auf der alten Römerstraße über Nevesinje und durch das Zetatal bis Skutari. Der Domherr Raimund von Agiles schildert „Sclavonia" als ein ödes, gebirgiges, pfadloses Land, voll Winternebel, mit großen Flüssen und Sümpfen. Die Einwohner verließen bei dem Anmarsch des ,, exercitus Francorum", in welchem sie nur eine feindliche Invasion sahen, ihre Dörfer und flohen in die Wälder und Berge. Sie wollten weder Markt ge-

1) Näheres nur bei Albert von Aachen.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 241

währen noch als Führer dienen und schlugen die Nachzügler nieder. Die Franken hieben ihrerseits den Gefangenen Hände, Füße oder Nasen ab, was das Verhältnis zu den Einwohnern nicht bessern konnte. Es kam öfters zu Gefechten des Nachtrabes, wobei Graf Raimund sich selbst an die Spitze stellen mußte. Bei Skutari wurden die Anführer des Kreuzheeres von Bodin , dem ..Sclavorum rex", freundschaftlich empfangen. Der Graf von Toulouse schloß mit ihm Bruderschaft, doch hatte der Streit mit den Eingeborenen auch weiter bis Dyrrhachion kein Ende ^).

Vlkan hat nach diesen Zügen neuerdings Feindseligkeiten begonnen (1106), schlug abermals den Statthalter Johannes Kom- neros, als aber der Kaiser in Strumica eintraf, beeilte er sich, wieder Geit^eln zu stellen ''). Als Boemund, jetzt einer der Landes- lierren in den Kreuzfahrerstaaten, im Kriege gegen Kaiser Alexios den mißlungenen Versuch machte, den Kriegsschauplatz aus dem Fürstentum Antiochia wieder nach Albanien zu übertragen, ver- hielten sich die Serben ruhig, ja das von den Normannen zu Lande belagerte Dyrrhachion wurde zur See besonders über Alessio mit allem versorgt. Die Wege von Alessio nach Prizren und Skopje waren also damals für die Byzantiner ganz sicher.

Diocleas erzählt, König Bodin habe lange regiert, unter fortwährender Feindschaft mit seinen Vettern ^). Die Erzählung von diesen Kämpfen scheint die prosaische Wiedergabe eines epischen Volksliedes zu sein, wobei die Königin Jaquinta am schlimmsten wegkommt. Gegner Bodins war sein Vetter Knez Branislav, Sohn Radoslavs, mit sieben Brüdern und sechs Söhnen.

1) Raimund de Agiles und Wilhelm von Tyrus (auch Racki, Doc. 461f.). Bodin mit Namen g( uannt nur bei dem Engländer Ordericus Vitalis, Hist. eccles. (bis 1142) IX, 5 (Migne, Patrologia lat. vol. 188 col. 659): ,, Haimarus autem Podiensis episcopus cum Tolosano Raimundo pi'ospere per Sclavaniam transiit, eisque Bodinus, Sclavorum rex, amicabiliter favit."

2) Anna Komnena XII, 4. Schenkung des Kaisers Alexios an das Kloster Qforöxov Tfjg 'Eliovar]; bei dem jetzigen Dorf Velusa bei Strumica, ausgestellt im Thema von Strumica, „ort xma twv Z^Qßiov iSfj^^fv", Augu.st 1106: L. Petit, Izvestija arch. inst. 6 (1900) Heft 1, S. 9, 28, 34.

3) Nach Diocleas p. 55 26 Jahre und 5 Monate; im 22. Jahre „decoUavit fratres suos".

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 16

343 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

Als Branislav einmal mit seinem Bruder Gradislav und seinem Sohn Predihna zum König nach Skutari kam, wurden sie auf Betreiben der Königin bei einem Gastmahl gefangen genommen. Nun sam- melte sich die ganze Sippschaft (parentela) Branislavs, 400 waffen- fähige Männer stark, und floh nach Ragusa , welches von Bodin sofort belagert, aber von den Bürgern und Emigranten tapfer ver- teidigt wurde. Cocciaparus ^), ein Bruder Branislavs, tötete dabei mit einem Wurfspieß Cossar, einen Liebling, nach Tubero einen Bruder der Königin. Trotz des Widerspruchs der Bischöfe und Abte ließ Bodin, überredet von seiner Gattin, den gefangenen Knez Branislav mit Bruder und Sohn vor der Stadt enthaupten. Ihre Leichen wurden in der Benediktinerabtei auf der Insel Lacroma feierlich bestattet. Die Verwandten Branislavs flohen zu Schiff nach Konstantinopel zum griechischen Kaiser, der ihnen Wohn- sitze in Dyrrhachion anwies. Bodin soll dann vor der Stadt auf der Landseite eine Burg erbaut haben , nach den späteren Anna- listen von Ragusa bei dem Kirchlein S. Nicolai de Campo, welches noch jetzt auf dem Abhang hinter der Dogana zu sehen ist ^). Ob diese Erzählung einen historischen Kern hat, ist zu bezweifeln. Die Fresken in der Tribuna der erst 1497 gegründeten Apostel- kirche von Ragusa, auf die sich Luccari beruft, haben nichts zu sagen. Das Grab des Branislav in Lacroma, welches im 16. Jahr- hundert Tubero und Razzi erwähnen, kann der Grabstein des 12. 'J4 bis 1239 urkundlich erwähnten Knezen Branislav (Cnegius, Cnege Branislaui) sein, eines slawischen, unter die Nobiles von Ragusa aufgenommenen Edelmannes ^).

Noch weniger lassen sich die Berichte des Diocleas über die Nachfolger des Bodin kontrollieren. Die Chronologie ist schwer festzustellen, da selbst die Kaiser von Basilios II. bis Manuel nicht mit Namen genannt werden. Die Könige sind abwechselnd Mit- glieder des Geschlechtes des Bodin und des Hauses des Branislav; der Verfasser selbst ist ein Gegner der Familie Bodins und ein

1) Der Name ist nicht slawisch, eher albanesisch (pärt der erste).

2) Castello (oder torre) S. Nicolö nach den Annaleu von Ragusa ed. Nodilo 26 f. schon 1004 erbaut.

3) Vgl. meine Rom. Dalm. 1, 97; 3, 10.

Die Könige und Großzupane im 11. 12. Jahrh. 343

Anhänger der Branislavici ^). Die Kämpfe der Prätendenten führten zur periodischen Einmischung der Zupane von Rassa und der griechischen Statthalter von Dyrrhachion. Die Zupane Vlkan und Uros unterstützen einzelne Prätendenten. Sie stürzen die Könige Dobroslav (II.), der an der Moraca geschlagen und gefangen wird, Cocciaparus, der vor Vlkan nach Bosnien flieht, und Grubesa, der in einer Schlacht vor Antivari den Tod findet. Andere Könige von Dioklitien sind Schwiegersöhne der Zupane von Rassa, wie Vladimir, oder wenigstens ihre Schützhnge. Eine andere Partei der Prätendenten stützt sich auf die Griechen ^). Den Byzantinern ist besonders mißliebig der Sohn Bodins, König Georg. „Dux Calojoannes Kumano" (wohl Johannes Komnenos, der Neffe des Alexios) besiegt ihn in einer Schlacht, erobert Skutari und ver- treibt den König nach Rassa. Aus den Gefängnissen von Skutari wird der oben erwähnte Grubesa herausgeholt und auf den er- ledigten Thron gesetzt. Die Königin Jaquinta, welche die Blendung des Königs Dobroslav (II.) und die Vergiftung des Königs Vladi- mir auf ihrem schuldbeladenen Gewissen hat, wird von den Griechen bei Cattaro gefangen und nach Konstantinopel geführt, wo sie bis zu ihrem Tode bleibt. Während der zweiten Regierung des Königs Georg kommen die Statthalter von Dyrrhachion dreimal ins Land. Zuletzt nimmt der Dux „Kiri Alexius de Condistephano" (Konto- stephanos) den König Georg gefangeu, sendet ihn nach Konstan- tinopel, wo er fortan Gefangener blieb, und setzt den Gradihna ein. Zum Schluß bestätigt Kaiser Manuel den Söhnen des Gra- dihna ihren Besitz, aber nichtsdestoweniger werden sie vom Groß- zupan Desa bedrängt. Damit bricht der erhaltene Text des Diocleas unvermittelt ab.

1) Auf Bodin folgen: Dobroslav II., Bodins Bruder; Cocciaparus, Branislavs Bruder; Vladimir II. Die folgenden pflegt man clironologisch festzustellen: Georg, Bodins Sohn, zuerst 1113 1116 oder 1114 1118, Grubesa, Branislavs Sohn, 1116—1123 oder 1118—1125, Georg zum zweitenmal 1125 1135, Gradihna, Grube§as Bruder um 1135 bis 1146, ich glaube zu früh, denn die Augriffe des Großzupans Dessa auf die Söhne des Gradihna gehören in die Jahre 116Jf.

2) Jioxh'iov id-rr] tributär dem Kaiser Johannes: Prodromos, Patr. graeca vol. 133 col. 1342.

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344 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

Besser ist die Geschichte der Großzupane im Osten des Landes bekannt. Nachfolger des Vlkan war Uros I., wohl sein Neffe, den er einst dem Kaiser Alexios als Geisel übergeben hatte. Der Bruch zwischen Byzanz und Ungarn beeinflußte das Verhältnis der Serben zum Kaisertum, besonders als Kaiser Johannes Kom- nenos (1118 1143) überall von der Defensive zur Offensive über- ging. Kolomans junger Sohn Stephan II. (1114 1131) war Feind der Byzantiner, weil sie zwei geblendete ungarische Prätendenten freundlich aufgenommen hatten, Kolomans Bruder Almus und dessen Sohn Bela. Nach den Erzählungen des Niketas Akominatos diente ihm als Vorwand zum Krieg auch die Ausplünderung un- garischer Kaufleute durch die Einwohner von Branicevo. König Stephan IL eroberte Belgrad und befahl, die Steine der nieder- gerissenen Mauern über die Save zu führen, zur Befestigung von Semlin (altserb. Zomkn, Adj. von zemlja Erde, jetzt serb. Zemun); nach Jahren ließ Kaiser Manuel wieder die Mauern von Semlin abbrechen und das Material über die Save nach Belgrad zurück- führen. Ungarische Scharen plünderten bis Nis und Serdica (1128). Kaiser Johannes erschien mit Heer und Flotte in Bra- niöevo, schlug am nördlichen Donauufer die Ungarn an der Mün- dung des Karas imd besetzte die Burg Chrara ^), worauf der Frieden bei einer Zusammenkunft beider Herrscher auf einer Donauinsel bei Branicevo erneuert worden sein soll. Im folgenden "Winter überfiel aber Stephan Branicevo, aus dessen brennenden Häusern sich der Befehlshaber Kurtikios nur mit Not retten konnte. Kaiser Johannes eilte rasch hin, erneuerte die Stadt, ließ den Kurtikios als Verräter auspeitschen, mußte sich aber wegen Krank- heiten und Mangel an Lebensmitteln vorsichtig durch die Felsen der „Bösen Trejipe'* (Äax/) 2/.dla), wahrscheinlich den Engpaß Zdrelo (wörtlich Gurgel) am Flusse Mlava wieder zurückziehen (1129). Eine Erneuerung friedlicher Beziehungen hatte der Tod des Prätendenten Almus zur Folge -). Nach Kinnamos sind da-

1) XQci/j.o; (slaw. ehram ursprünglich Haus, erst später Tempel) auf dem ungarischeu Ufer bei Uj Palauka, gegenüber der Ruine Rama auf dem serb Ufer. In der Tüikenzeit die Burgen Haram und Jeni Haram (Neu-Chram) einander gegenüber. Vgl. meine Heerstraße 17.

2) Huber a. a. 0. 1, 346 f.

Die Könige uud Großzupane im 11.— 12. Jahrh. 345

raals die Serben abgefallen '^ und haben Ras erobert. Den Befehlshaber Kritoplos, welcher aus dieser Burg entflohen war, ließ der Kaiser wegen Feigheit in Konstantinopel in Frauenkleidern auf einem Esel herumführen. Nach Niketas brachte Kaiser Jo- hannes, den Prodromos als Sieger über die ,,Dalmater" feiert den Serben persönlich eine schwere Niederlage bei, was aber ihre Verbindungen mit den Ungarn nicht unterbrach ij. Der kinder- lose Stephan IL bestimmte zum Nachfolger seinen früher so ver- folgten Vetter, den bUnden Bela, und verheiratete ihn (um 1130) mit Helena, der Tochter des Großzupans Uros I ■'). König Bela II. (1131—1141) pflegte freundschaftliche Beziehungen mit den By- zantinern, was sie aber nicht hinderte, wieder einen ungarischen Prätendenten aufzunehmen, eine romanhafte Gestalt dieser Zeit bekannt auch in Rußland, Polen und Deutschland; es war Boris, ein Sühn des Königs Koloman von einer Tochter des russischen Großfürsten Vladimir Monomach, welche, von ihrem Gatten ver- stoßen, nach Rußland geflohen war und dort diesen Knaben ge- boren hatte •'). Belas Nachfolger wurde indessen sein kleiner Sohn Gejza IL (1141 1161), unterstützt von einem Oheim mütter- licherseits, dem Serben Bjelos, Ban von Kroatien und Comes Pa- latinus ^).

Der letzte Kaiser, unter dessen Regierung das Konstantinopler Kaisertum als Großmacht die Ereignisse in den Ländern um das östliche Becken des Mittelmeeres herum beeinflußte, war Manuel Komnenos (1143—1180), des Johannes jüngster Sohn. Persönlich tapfer, mit Vorliebe für Abenteuer, Zweikämpfe auf dem Schlacht- feld und Kampfspiele, war er mehr Ritter als Feldherr oder

1) Kinnamos I, 5 Niketas p. 23.

2) „Misit nuneios (Stephan 11.) in Serviam et filiam Uros comitis magni in legittimam uxorem Belae traduxerunt.'- Cbronicou pictum Vindo- bonense bei Florian 2, 211, ebenso Thuröcz bei Scbwaudtuer 1, 17;').

3) Borich der ung. Auualeu, Boricius bei Otto von Freisiug und Odo de Diogilo, Boutang bei Kinnamos. Ausführlich behand'lt seine Geschichte Vas ilje vskij, Slav. Sbornik 2, 2G5f.

4) Baoaig des Kinnamos, Belus „avunculus" des Königs bei Rahewin und in ungarischen. Urkunden, in den russ. Annalen (.Lavr. Kodex zu 1144 ed. 1897 p. 295) „korolev uj", Oheim des Königs (^uj Bruder der Mutter, gegenüber strij, neuserb. stric BruJer des Vaters).

246 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

Diplomat. Im stolzen Bewußtsein einer MachtfüllC; deren Grund- lagen zu schwinden begannen, verfolgte er riesige Pläne, suchte historische Rechte in fernen Ländern geltend zu machen, in Syrien, Ungarn oder Italien, erschöpfte aber dabei die Schatzreserven und vernachlässigte die innere Festigung des Reiches. Die vielen Unternehmungen in fernen Ländern verliehen seiner Zeit einen unzweifelhaften Glanz, dem jedoch der Niedergang des Reiches unmittelbar nachfolgte. Im Zusammenhang mit den zehn Kriegen Manuels gegen Ungarn und seinen Konflikten mit den Normannen und Venezianern stehen die periodischen Kämpfe in Serbien. Die Serben haben die Symptome des Verfalls von Byzanz klar er- kannt und ließen sich in ihrem Streben nach Unabhängigkeit auch durch Mißerfolge nicht abschrecken. Wilhelm von TyruS schildert, wie sie zeitweihg dem Kaiser dienen, mitunter aber durch Raubzüge aus ihren unzugänglichen Bergen und Wäldern heraus der ganzen Nachbarschaft unerträglich werden, ein unge- bildetes und unbotmäßiges Volk (populus incultus absque disciplina), kühn und kriegerisch (audaces et bellicosi viri) ^). Die Ausgangs- punkte der Feldzüge des Kaisers gegen die Großzupane waren Valona, Pelagonia (Bitolia), Serdica und Nis. Die Schlachtfelder lagen bei Ras und westlich davon bis zur Tara. Zum Schluß ist der Rückgang der byzantinischen Grenze von Ras bis nahe bei Nis klar zu erkennen.

Die Kreuzfahrer des zweiten Zuges, geführt von König Lud- wig VII. von Frankreich und dem deutschen König Konrad, zogen in guter Ordnung, gefolgt von einer großen Bootsflotte auf der Donau, bis Branicevo und von dort auf der alten Heerstraße durch die byzantinischen Provinzen, in denen die Städte und Burgen ihre Tore geschlossen hielten und die Bauern in den Ber- gen und Wäldern verborgen bheben (1147). Gleich nach dem Durchmarsch der Kreuzheere ließ der Normannenkönig Roger 11. seine Flotte in Griechenland plündern. Kaiser Manuel mußte die normannische Besatzung in Korfu mit Hilfe der Venezianer persönlich belagern und durch Hunger bezwingen (1149). Wäh- rend dieser Kämpfe warf der Großzupan Uros IL, wohl ein Sohn

1) Wilh. Tyr. XX, 4.

Die Könige und Großzupaue im 11. 12. Jahrb. 247

Uros' I. ^), unter dem Einfluß der Ungarn -) und Normannen die byzantinische Oberherrschaft ab. Der Kaiser wendete sich nach der Eroberung von Korfu über Valona und Pelagonia gegen die Serben (Herbst 1149), eroberte Ras und verheerte die Umgebung. Als die Burg GaHc •^) unter Führung Manuels nach tapferem Wider- stand erstürmt wurde, bedrängte Uros wieder den Feldheri-n Konstantin Angelos, der in Ras geblieben war. Manuel verjagte den Großzupan in die Berge, brannte eine seiner Residenzen nieder und wurde erst durch die scharfe Winterkälte zur Rück- kehr bewogen. Ein Gedicht des Theodoros Prodromos feiert den Einzug des Kaisers, des „Adlers mit goldenen Flügeln", in Kou- stantinopel nach den Erfolgen auf Kerkyra und in Serbien und verspottet mit anzüglichen Wortspieleu den Uros, der sich, von namenloser Angst befallen, wie ein Hirsch oder Hase in den Ber- gen verstecken mußte ''). Im nächsten Herbste (1150) wartete Kaiser Manuel nach den alten strategischen Regeln die Zeit ab, bis die Wälder ohne Laub waren, und unternahm einen neuen Feldzug, der auch nach dem ersten Schnee nicht abgebrochen wurde. König Gejza H. , eben in Galizien gegen den Fürsten Vladimirko beschäftigt, sendete den Serben ein Heer zu Hilfe,

1) So nach Ruvarac, Kovacevic und Jovanovic u. a. Uros I., um 1080 geboren, wäre ja um 1150 fast 70 Jahre alt, wenn nicht älter ge- wesen. Bei den serb. Annalisten nur eine verschwommene Gestalt „Bela Uros" vor Nemanja.

2) Nach Kinnamos III cap. 7 vermittelten diese Verbindungen zwei vornehme Brüder aus Serbien , Bekoatg (wohl der Bau Bjelos) und ein ge- blendeter Schwager des Großzupans, der am Hofe Gejzas II. lebte, bei dem Epitomator des Kinnamos vielleicht entstanden durch eine Verwechslung mit dem blinden König Bela IL Vgl. Kovacevic, Glas 58 (1900) 67.

3) Galic {raXirCri), auch in der Urkunde von ßanjska (Spomenik 4, 2 vgl. S. IX) genannt, am Flusse Selcanica {ZiT^tviTCa des Kinnamos, jetzt Socanica) am rechten Ufer des Ibar unterhalb Zvecan. Die Ruinen be- schrieben von Avram N. Popovic, Godisnjica 25 (1906) 189, 220 5 26 (1907) 145. Unbekannt ist die Lage der Landschaft Xixaßü des Kinnamos.

4) Prodromos bei Miller, Recueil des hist. des croisades, Historiens grecs 2 (1881) 761 763. Oi^geatg wird zusammengestellt mit ovofiv, ovqtj- Trig: trunken vor Furcht netzt er seine Schenkel mit Urin. Eine Notiz über den Feldzug auch bei Michael von Thessalonich, Fontes rer. byz. ed. Regel 1, 174f

348 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

zusammengestellt zum Teil aus Petschenegen, die man in Ungarn Bisseni nannte, und aus den bei Sirmium angesiedelten moham- medanischen Chalisiern, welche neuere Historiker als ausgewanderte Chazaren aus dem Stamm der Chvalisier an der Mündung der Wolga oder als flüchtige Wolgabulgaren betrachten ^j. Die By- zantiner wollten die Ungarn, welche wahrscheinhch aus der Land- schaft von Brauicevo heranrückten, unterwegs im Tale des Lugomir, eines linken Zuflusses der vereinigten Morava, aufhalten , kamen aber zu spät und holten den Feind erst an der Drina und später an der Brücke über die Tara ein. Der Kaiser zersprengte die Serben und ihre Bundesgenossen und begann persönlich in ver- goldeter Rüstung die Verfolgung, um den Großzupan oder wenig- stens den Anführer der ungarischen Truppen gefangen zu nebmeu. Der ungarische Feldherr Bakchinos, ein tapferer Riese, wurde vom Kaiser in einem Zweikampf überwunden und gefangen -). Bald erschien der serbische Großzupan im Lager, warf sich dem Kaiser zu Füßen und leistete den Eid des Gehorsams. Ein Ge- dicht des Prodromos läßt die Flüsse Tara und Save, von Blut gefärbt und mit Leichen der Serben und Ungarn beladen, in der Art der Volkslieder zum Kaiser sprechen, erwähnt den „hohen Berg Serbiens", wohl den Durmitor jenseits der Tara, und das ,, Gebrüll des Löwen des Bukoleon^' aus dem großen Palast von Koustantinopel , welches die serbischen Zupane mit Schrecken erfüllte ^).

Im folgenden Herbst (1151), als König Gejza H. wieder im Norden am Flusse San in Galizien weilte, unternahm Kaiser ]\Ia-

1) Hunfalvy, Ethnographie vou Uugani , deutsch von Schwicker 218; Graf Geza Kuun, Relat. Hungarorum cum Oriente 1 (Claudiopolis 1893) 76, 127 f.; Vasiljevskij a. a. 0. 247.

2) Bu/.yivog bei Kinnamos und Niketas (wohl aus einer gemein- sameu Vorlage) als Archizupanos, bei Prodromos (Recueil a. a. 0. 748 f., 761, 763) aber klar als Ungar (^Paionier), Fürst der Ungarn {('(Q/rj/öi üaiövojv), Feldherr des ungai-ischen y.ndh];^ ein furchtbarer Gigant und ein illyrischer Goliath. Vgl. II ar. Ruvarac, Godisnjica 14 (1894) 209 f.

3) Gedicht des Prodromos (O TÜQag IxTctQttTTfTcti. usw., 29 Verse) herausg. und deutsch in Versen übersetzt von G. M. Thomas, Gelehrte Anzeigen der kgl. bayer. Akademie 36 (1853) Sp. 535f. ; auch bei Miller, Recueil 763.

Die Köiiige und Großzupane im 11. 12. Jahrli. 349

nuel mit Heer und Flotte seinen ersten Zug nach Ungarn, er- oberte Semlin und verheerte die Landschaft von Sirmium. Ban Bjelos stand gegenüber von Branicevo, wagte aber nicht den Über- gang über die Donau, worauf eine Invasion des von Byzanz unterstützten Prätendenten Boris in die Landschaft am Temesch den ungarischen König zum Frieden bewog. Der neue Dax von Belgrad, Branicevo und Nis, der spätere Kaiser Andronikos ver- sprach dem Gejza insgeheim die Greuzprovinzen für eine Hilfe zur Erlangung des byzantinischen Thrones, doch Manuel, der einen geheimen Brief seines Vetters abgefangen hatte, ließ ihn (Herbst 1153) im Lager von Pelagonia verhaften und in einen Turm von Konstantinopel einschließen. Gejza kam in eine bedenkliche Lage, als sich auch Kaiser Fiiedrich L zu einem Feldzug gegen Ungarn rüstete. Erst nach der Klärung der Lage begann er wieder die Offensive gegen die Griechen durch eine Belagerung von Bra- nicevo (Herbst 1154). Kaiser Manuel kam mit einem zu kleinen Heere, bewog aber die Ungarn zum eihgen Abzug durch ein Strategem, einen an einen Pfeil gebundenen Brief an die byzan- tinische Besatzung von Branicevo. Der kaiserliche Chartular Ba- silios Tzintzilukes sollte den abziehenden Ban Boric von Bosnien verfolgen, ließ sich aber überreden, lieber das ungarische Haupt- heer anzugreifen, und erlitt in der Nähe von Belgrad eine voll- ständige Niederlage. In dieser Schlacht fand wahrscheinlich auch der Prätendent Boris den Tod, durch den Pfeil eines Kuraanen ^). In Belgrad regte sich eine ungarische Partei, ihre Häupter wurden jedoch vom Feldherrn Johannes Kantakuzenos gefangen wegge- führt. Kaiser Manuel überwinterte dann in Berrhöa in Make- donien und zog im Frühjahr (1155j abermals zur Donau, aber Gejza IL beeilte sich, den Frieden zu erneuern, und stellte dabei alle griechischen Gefangenen und die ganze Beute mit Waffen und Pferden zurück. Während dieser FelJzüge, welche den By- zantinern keinen entscheidenden Sieg gebracht hatten, stürzte bei

1) Otto Fris. II, 53 ed. G. Waitz (1884) p. 127. Der Epitomator des Kinn am OS III cap. 19 verwechselt Boris mit Stephan (III.), des Gejza Sohu, der nie ins byz. Reich ^eliommen ist. Hub er a. a. 0. 1, 355, Va- Biljevskjj 27G, Grot 203.

250 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

den Serben eine Partei den Großzupan Uros IL und erhob den Desa, welchen Kinnamos als ,, einen anderen der Brüder", Dio- cleas als einen Sohn des Uros bezeichnet ^). Aber der neue Großzupan konnte nicht die Oberhand gewinnen, worauf sich beide Rivalen mit ihrem Anhang vor dem Richterstuhl Ma- nuels im kaiserlichen Lager einfanden. Die Szene ist aus drei griechischen Berichten bekannt, bei Michael von Thessalonich -), Prodromos ^) und Kinnamos. Die Zupane beider Parteien hielten heftige Reden gegeneinander und zückten in der Hitze des Wort- gefechtes sogar die Schwerter. Der Kaiser entschied die Streit- frage zugunsten des Uros, bestimmte die Grenzen der einzelnen Teilfürsten und verpflichtete die Serben wieder zur Stellung von Geiseln und zur Heeresfoige (1155). Desa erhielt als Entschä- digung die reiche und wohlbevölkerte Waldlandschaft Dendra auf byzantinischem Boden, aber nur zum zeitweiligen Genuß ^). Die Großzupane Avechselten dann rasch ab : Prvoslav wurde vom Kai=er abgesetzt wegen seines Strebens nach Selbständigkeit '), Bjelus dankte bald ab und ging nach Ungarn ''). Diese Schwankungen

1) Jta(, Dessa der Venezianer und des Diocleas, von desiti finden, treffen, wie Desislav, Desimir, Desivoj , Desirad, Desibrat, in Kurzform Desen, Desinja, Desoje usw. In Dalmatien der Mannsname Desa oft im 11. 14. Jahrb., der Frauenname Desa in Ragusa bis in unsere Zeit (meine Rom. Dalm. 2, 68); Desa und Desa auch in den altserb. Pomeniks, ebenso in glag. Urk. Desic und Desic.

2) Fontes rer. byz. ed. Regel 1 p. ItiS f.

3) Bei Miller a. a. 0. 749 leider nur im Auszug.

4) Die Lage von J^vSqu sucht man im Bulgarenwalde " , in der Sumadija (suma serb. Buschwald) , an der Toplica (Novakovic) oder in Gluboeica (Kovacevic).

5) ITQijuiad-läßos Kinnamos V, 2 ist wohl ITnißc- zu lesen, ebenso wie Kiuutt V, 12 als 7\Yk^« (Kiew), bei der großen Ähnlichkeit von ß, fj., x in der Minuskel; V, 12 ist er durch die Flüchtigkeit des Epitomators nach Rußland geraten, statt des 'houad-laßog, Jaroslav. Der Text beruft sich auf eine frühere Bemerkung über diesen Großzupan , die aber der Epitomator ausgelassen hat; daher haber Vasiljevskij, Grot, Kovacevic u. a. Primislav mit Uros II. identifiziert. Im Rodoslov Prvoslav ein angeblicher Bruder des Nemanja; vgl. Ruvarac, Godisnjica 14 (1894) 215.

6) Kovacevic, Glas 58 (1900) 70 meint, dieser Großzupan BtXovarjg, der seit Du Gange ohne Grund mit dem Ban und Palatin Bjelos identifiziert wird, sei nur durch einen Irrtum des Kinnamos entstanden.

Die Könige und Großzupaue im 11. 12. Jabrh. 251

sind erklärlich als Folge der damaligen ferneren Ereignisse. Manuels Versuch einer Restauration der byzantinischen Herrschaft in Apulien schloß mit einer völligen Niederlage der Griechen gegen den Norraannenkönig Wilhelm I. bei Brindisi (Mai 1156); seine Versuche, im einstigen Exarchat in Ankona und Raveuna festen Fuß zu fassen, führten zum Bruch mit Kaiser Friedrich I. und zur Mißstimmung in Venedig. Dagegen hatte Manuel Glück im Osten, machte den Seldschukensultan Kyljdsch-Arslan II, zum Vasallen, bezwang die Armenier in Kilikien und zog persönlicli feierhch in die Hauptstadt der Normannen in Syrien, in das alt- berühmte Antiochia ein (1159). Als König Gejza II. von Ungarn starb (Mai 1161), unterstützte Kaiser Manuel gegen dessen un- mündigen Sohn Stephau III. Gejzas Brüder Stephan (IV.) und Ladislaus, die sich infolge von Intrigen, an denen ihr Oheim, der Serbe Bjelos beteiligt war ^), beide über Deutschland und Venedig nach Konstantinopel geflüchtet hatten. Es war ein Er- folg ^Manuels, als Ladislaus II. (1161 1162) wirklich König von Ungarn wurde.

In Serbien erscheint (ungefähr 1161) Desa wieder als Groß- zupan. Durch seine energischen Bemühungen, Serbien Unabhängig- keit, Macht und Ansehen zu verschaffen, wurde er der Vorläufer des Nemanja. Er suchte Heiratsverbindungen mit den Deutschen anzuknüpfen -) und vermählte seine Tochter mit einem Sohn des Dogen Vitale IL MichieH (1156 1172), dem Comes Leonardo von Ossero, während ein anderer Sohn dieses Dogen, der Comes Nikolaus von Arbe, eine Tochter des Königs Ladislaus II. von Ungarn heiratete (1167) •^). Die Schwäche der dioklitischen Dy-

1) „Avunculus amboruni, dux Belus, vir valde i^rudens". Rabewin III, cap. 13.

2) "Eg Tf ^Ahi^avoi g fnturljf, xfjtSo; h'TfC&fv eaiTiö avt'cöl'ca öii'.voriO-tCg: Kinnamos V, 5.

3) Leonardo, comiti Absavi, ducis Desse filiam, qui poteucior fuit in tota Ungaria, dedit uxorem": Historia ducum Venetorum (verfaßt bald naeb 1229), Mon. Germ., Scriptores 14, 76. Dandolo bei Muratori 12 col. 292 bat „filiam ducis Edessae". Leonardo war später Vizedoge und wird noch 1177 genannt: Federico Stefani, I conti feudali di Cherso ed Ossero, Arcb. veneto Bd. 3 (1872) p. 4. Vgl. W. Lenel, Die Entstehung der Vor- herrschaft Venedigs an der Adria (Straßburg 1897) 94 f.

352 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

uastic bewog den Großzupan zu einem Vorstoß zum Adriatischen Meere. Diocleas erzählt, wie sich „böse Menschen und alte Feinde" gegen Knez Radoslav und seine Brüder Johannes und Vladimir-, die kSöhne des Königs Gradihna, erhoben, die Schützlinge des Kaisers Manuel, und wie sie den Dessa ins Land riefen und ihm Zeta und Tribunia übergaben; Radoslav mit seinen Brüdern konnte unter unaufhörlichen Kämpfen nur das Gebiet zwischen Cattaru und Skutari behaupten ^). Der Ragusaner Orbiui erzählt, Dessa, „duca di Rassia", habe die Insel Meleda aa drei Mönche Marin, iSimon und Johannes geschenkt und sei dadurch Stifter der dortigen Benediktinerabtei geworden; er liege begraben in Trebinje in der Kirche S. Pietro di Campo -). Zwei lateinische Urkunden des Desa über die Insel Meleda sind offenbar spätere Erfindungen •'). Gegenüber den Byzantiuern benutzte Desa den Wechsel der Situation in Ungarn. Als nach Ladislaus' IL Tode dessen von Manuel unterstützter Bruder Stephau IV. von der Gegenpartei, den Anhängern seines kleinen Neffen Stephan ill. geschlagen und aus Ungarn vertrieben wurde (Sommer 1162), besetzte Desa wieder die Landschaft von Dendra, die er zuvor zurückgeben mußte, und säumte mit der Stelluog von Truppen zu den ungarischen Feldzügen. Er erschien mit seinem Kontingent erst, als der Kaiser persönlich in Nis eintraf, machte sich aber durch seinen Verkehr mit den Gesandten Stephans III. so verdächtig, daß ihn Manuel als Gefangenen nach Konstantinopel sendete ^).

Darauf schloß Manuel in Belgrad wieder einen Frieden mit den Ungarn. Ein jüngerer Bruder Stephans III., Bela, blieb beim Kaiser, bei den Byzantinern später zu Alexios umgenannt und mit einer Schwester der Kaiserin aus dem normannischen Fürsteu- hause von Antiochia verheiratet. Den Frieden störte der Prä-

1) Schlußworte des Diocleas cap. 47.

•2) Orbiiii 201, 245.

3) Kukuljevie, Cod. dipl. 2, 45 f., Smiciklas 2, 67 f: Dessa, dux Dioclie usw. scheukt die Insel Meleda dem Kloster S. Maria von Pulsauo am Monte Gargauo in Apulicu und wieder, nur als „magnus comes" von Zachulmia bezeichnet, die St. Paukraliuskirche (jetzt Ruine) in Babino Polje auf Meleda dem Kloster von Lacroma.

4} Kinnamos V cap. 5.

Die Könign und Großzupane im 11. 12. Jabrh. 253

tendent Stephan IV., unterstützt von seinem Oheim Bjelos, dem Ban von Kroatien, von Boric, dem Ban von Bosnien, und von zahlreichen ungarischen Bischöfen, bald auch von den Byzantinern. Kaiser Manuel erschien persönlich gegenüber Titel und der Theiß - mündung und ging bei Bäcs auf das linke Donauufer hinüber. Der Friede, den dort König Vladislav von Böhmen, ein Verbün- deter des jungen Stephan III., vermittelte, war von keiner Dauer (1163), da der Kaiser auch nachher Stephan IV. nicht zurückhielt, bis dieser Arpäde in Semlin während einer Belagerung durch seine Gegner starb, worauf die Ungarn die Burg eroberten. Der Kaiser kam abermals nach Belgrad und ließ Semlin von seinen Truppen erstürmen (1164). Gleichzeitig zog der Feldherr Johannes Dukas durch Serbien nach Dalmatien und besetzte nicht nur die einst byzantinischen Küstenstädte Spalato und Trai^i, sondern auch einen Teil Kroatiens von Almissa bis Sebenico und Scardona, im ganzen 57 befestigte Plätze^). In Spalato, dessen Erzbistum der Kaiser durch zahlreiche Schenkungen auszeichnete, wurde ein byzanti- nischer Statthalter als „dux Dalmatiae et Croatiae" eingesetzt ^). In Zara blieben, wie bisher, die Venezianer. Auch an der Küste Dioklitiens wurden die alten Grenzen erneuert •'), die Küstenstädte einem ,,dux Dalmatiae et Diocliae'' untergeordnet, der wohl in Cattaro, Antivari oder Skutari seinen Sitz hatte *), und die letzten dioklitischen Landesfürsten auf das offene Land beschränkt. Die Ungarn ließen sich aber nicht einschüchtern. Ihr Comes Dionysiu.s schlug bei Sirmium den dortigen Dax Michael Gavräs und den Feldherrn Michael Vranas, als sie nachts in einen Hinterhalt ge- rieten (1166). Da ließ der Kaiser gegen die Ungarn drei Heere operieren, eines auf dem gewohnten Wege an der Donau, das zweite unter Leon Vatatzes von den Donauraündungen nach Sieben

1) Kinnamos V cap. 17 (nach Huber 1164, nach Kap-Herr und Grot 1165).

2) Urk. 1171 1180 bei Kukuljevic und Smiciklas. Unterschrift Manuels: Arch. slaw. Phil. 2.ö (1903) 504.

3) Das Ausmaß der byz. Besitzungen in Dioklitien um 1180 bei König Stephan cap. 7.

4) Dux Dalmacie et Dioclie kyr Izanacius in einer Urk. von Cattaro 1166: Smiciklas 2, 102.

354 Drittes Buch. Viertes Kapitel.

bürgen, das dritte unter Johannes Dukas durch die Einöden der späteren Moldau zur russisch - ungarischen Grenze. Doch bald drangen wieder die Ungarn vor, bei Sirmium und bei Spalato (11G7). Eine große byzantinische Armee unter Andronikos Konto- stephauos, in welcher sich auch das serbische Kontingent befand ^), erfocht bei Sirmium einen großen Sieg über Comes Dionysius. Es scheint, daß damit der Krieg infolge der Erschöpfung beider Par- teien ohne regelrechten Friedensschluß beendigt wurde (1168).

Desa war indessen wieder Großzupan in Serbien geworden, immer auf Abfall sinnend '). Nach der Beendigung der unga- rischen Kriege ging Manuel persönlich an eine strenge Bestrafung des unverläßlichen Vasallen, schlug die Serben und nahm ihren Fürsten gefangen (praecipuo eorum principe mancipato). Wilhelm von Tyrus, welcher mit einer Gesandtschaft des Königs Araalrich von Jerusalem den Kaiser auf der Rückkehr von diesem Feldzug in der Stadt Butella (Bitolia) in Makedonien antraf (1168), nennt den Namen dieses Serbenfürsten nicht, ebenso nicht den seines Nachfolgers '^). Nach Kovacevid folgte nach Desa ein Bruder des Nemanja, der Großzupan Tihomir, dessen Name auf einer Grab- inschrift in der Georgskirche von Budimlja im Limtal zu lesen ist 4).

1) Kinnamos VI cap. 7 (Hub er 1168, andere 1167).

2) Nach Niketas p. 178 wollte Kaiser Manuel schon um 1167 den Desa wieder festnehmen.

3) Wilhelm von Tyrus XX cap. 4.

4) Grab des Zupan Stephan Prvoslav, Sohn des Großzupans Tihomir imd Neflfen des Nemanja: Kovacevic, Glas 58 (1900) 54; Stojanovic, Zapisi 1 S. 5 nro. 10; Rovinskij, Sbornik russ. 86 (1909) 164.

Fünftes Kapitel.

Der Großzupan Stephan Nemanja ^).

Der bedeutendste unter den serbischen Fürsten des 12. Jahr- hunderts war der Großzupan Stephan Nemanja, der spätere Mönch Symeon -). Die Vereinigung der serbischen Länder unter der Herrschaft seiner FamiHe, die Abrundung des Territoriums durch die Eroberung der griechischen Grenzgebiete im Osten und Süden und die Schaffung einer politischen Stellung, welche bei dem un-

1) Quellen: neben einigen lat. und den ersten altserb. Urkunden die Ijyz. Zeitgenossen Johannes Kiunamos, Niketas Akominatos aus Chonai, Eustathios von Thessalonieh und Konstantin Ma- nasses (Reden); die lat. Chronisten des dritten Kreuzzuges; die altserb. Vitae des Nemanja als hl. Symeon von seinen Söhnen, dem König Stephan und dem Erzbischof Sava (bei Safari k, Pam. ; die erstere auch in der Ausgabe von Martynov in den „Pamjatuiki" der russ. Gesellsch. der Biblio- philen 1880). Literatur: Stojan Novakovic, Das Territorium der Tätig- keit Nemanjas, hist.-geogr. Studie: Godisnjica 1 (1877) 163—243. Ivan Pavlovic, Die chronolog. Notizen des hl. Sava über Stephan Nemanja: Glasnik 47 (1879) 276—303. Konst. Jirecek, Toljen, der Sohn des zachlumischen Fürsten Miroslav: Glas 35 (1892) 1 lö. Ljuborair Ko- vacevic, Einige Fragen über Stephan Nemanja: Glas 58 (1900) 1 108.

2) Der Name Nemanja, bei Griechen und Lateinern dem biblischen NitfA-üv (Naamau) gleichgestellt, war im 12.— 15. Jahrhundert im adriatischeu Küstengebiete nicht selten, in Cattaro, Ragusa und Zara, auf den Inseln Brazza und Veglia, unter den kroatischen Adelsfamilien des Velebitgebirges (Belege in meinen Rom. Dalm. 3, 45). In anderen slaw. Ländern nur in Böhmen in den davon abgeleiteten Ortsnamen Nemanov und Nemanice (je dreimal). Nach Miklosich Stamm neman, verschieden von man in Grdomau, Vlkoman usw.; vgl. avestisch nemanh Verehrung, Anbetung, bei J u 8 1 i , Iranisches Namenbuch 504.

256 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

aufhaltsamen Verfall des griechischen Kaisertums von Konstanti- nopel die Grundlage der späteren Macht Serbiens wurde, sind seine Hauptverdienste. Nach Vollendung des Werkes ging er ins Kloster und starb auf dem Athos, bald als Heiliger verehrt. Seine direkten Nachkommen herrschten in Serbien bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Sein Name schwebt auf der Grenz- scheide der Zeiten. Unter seinen Nachfolgern wird er oft genannt, aber immer derart, als ob vor ihm nichts dagewesen wäre; in den serbischen Genealogien, Urkunden und kirchlichen Gedenk- büchern (Pomenik) steht an der Spitze der Regentenserie stets Nemanja allein. Seine Vorgänger und Vorfahren sind beim Volke der Vergessenheit anheimgefallen. Die Quellen verschweigen sogar die Namen seiner Eltern. In der Stiftungsurkunde des Klosters Chilandar sagt er selbst, Gott habe den Griechen Kaiser, den Ungarn Könige gegeben-, „ebenso hat er in seiner großen und unermeßlichen Gnade und Menschenliebe unseren Vorvätern (pra- djed) und unseren Großvätern (djed) das Geschenk verliehen, dieses serbische Land zu beherrschen , und wie Gott den Menschen so vieles zum Besseren eingerichtet hat, indem er ihren Untergang nicht wünschte, setzte er zum Großzupan mich ein, der ich in der heiligen Taufe Stephan Nemanja genannt wurde ^)". Aus dieser Stelle sieht man, daß Nemanjas Vater nicht Großzupan war, wohl aber seine Vorfahren in älteren Generationen. Nach den Unter- suchungen von Kovacevic war Nemanjas Vater Zavida, eine sonst unbekannte Persönlichkeit 2). Nemanjas Brüder waren, wie es scheint, ziemlich zahlreich; es gehörten dazu als ältester der schon erwähnte Großzupan Tihomir und die jüngeren Sracimir und Miroslav ^).

1) Mon. serb. 4.

2) Nemanjas Bruder Miroslav war uach der für ihn geschriebenen Evangelienhandsclirift Sohn des Zavida. In den spätnoittelalterlichen Genea- logien erscheint Zavida irrtümlich als Bruder des Nemanja. Sein Name (zavida Neid von zavidjeti invidere) kommt im 11. 12. Jahrh. auch in Dal- maiien und Rußland vor.

3) Bei Ansbert ed. cit. 22 sind Nemanja, Sracimir und Miroslav leibliche Brüder (germani). Nemanjas Enkel, König Stephan Uros I., nennt Miroslav einen Oheim von väterlicher Seite (stric) seines Vaters, Stephan des Erstgekrönten: Urk. um 1260, Spomenik 3, 8.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 257

Die Jugend Neraanjas schildert in allgemeinen Worten sein Sohn, der spätere König Stephan der Erstgekrönte. In Serbien, Dioklitien, Dalmatien und Travunien brachen große Wirren aus, in welchen der Vater Nemanjas von den eigenen Brüdern seines Gebietes beraubt wurde. Die Namen fehlen. Er flüchtete sich in sein Geburtsland Dioklitien und dort wurde ihm Nemanja geboren, im Orte Ribnica. So heißt heute noch das wasserreiche Flüßchen, welches durch die Stadt Podgorica in Montenegro strömt, 5 Kilometer südlich von den Ruinen des römischen Doclea; als Ansiedlung ist Ribnica wohl mit dem späteren Podgorica identisch ^). In der Kirche des Ortes gab es nur „lateinische Priester", und so kam es, daß Nemanja „die lateinische Taufe" erhielt. Als sein Vater wieder in den „Ort des Thrones" zurückkehrte, empfing Nemanja die Taufe zum zweiten Male nach östlichem Ritus, vom Bischof von Ras in der Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul. Herangewachsen erhielt er ein nicht geringes Teil- fürstentum im äußersten Osten des serbischen Gebietes, in den Landschaften zwischen Ras und Nis: die Täler der Toplica, welche gegen Nis in die Morava abfließt, des Ibar (wohl das untere Ibar- tal), der Rasina (bei Krusevac) und die nicht näher bekannte Landschaft Reky („die Flüsse") 2). Als Kaiser Manuel einmal nach Nis kam, lud er den jungen Nemanja zu sich, „bewunderte die Weisheit des Jünglings^)" und verlieh ihm außer einer

1") Der Fluß Ribnica ist auch in der Uik. von Banjska ed. Jagic 20 erwähnt (von riba Fisch, riban fischreich). Podgorica wird zuerst in den Not Cat. um 1330 genannt, öfters im 15. Jahrhundert.

2) Novakovic, Godisnjica 1 (1877) 177, 228 suchte die Landschaft Reky bei Aieiinac, Milicevic, Kraljevina Srbija 348 im Tal der Pust^ Reka, südlich von der Toplica.

3) Demnach war nach König Stephan Kaiser Manuel (geb. um 1123) damals älter als der ,, Jüngling" (junosa) Nemanja. Unglaubwürdig sind die Angaben in der Vita vom Erzbischof Sava cap. 12, deren Text (erhalten in einer Abschrift von 1619) nach der Untersuchung von Ivan Pavlovic im Glasuik 47 (1879) einerseits gekürzt, anderseits stark interpoliert ist. Da- nach wurde Nemanja 87 Jahre alt, gab 1113/14. Somit wäre er 10 Jahre älter gewesen, als Kaiser Manuel , bei der Zusammenkunft mit Friedrich I, in Nis (1189) gar 75 Jahre alt, viel älter als der 68jäbrige deutsche Kaiser. Die Historiker der Zeit hätten das Greisenalter des unruhigen und unter-

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 17

358 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

„kaiserlichen Würde" (einem Hoftitel eines Protospathars oder dgl.) die damals byzantinische Landschaft Glnbocica bei der jetzigen Stadt Leskovac als erbliches Gut ^). Mit seiner Frau Anna er- baute Nemanja zwei Klöster im oberen Gebiet der TopHca, in welchem sich offenbar seine Residenz befand. Das Nonnenkloster der Mutter Gottes am linken Ufer der Toplica gegenüber der Mündung der KosLlnica (jetzt Kosanica) ist jetzt nur mehr eine von Buschwerk überwucherte Ruine, Das Mönchskloster des heiligen Nikolaus an demselben Ufer gegenüber der Mündung des Flusses Banjska, in seinen Trümmern mit eingestürzter Kuppel noch immer ein schöner Bau mit zwei Türmen, wurde im 13. Jahr- hundert Sitz des Bischofs von Toplica. Die Ortschaft hieß später Bijele Crkve, die „weißen Kirchen"; auch ihr jetziger Name Kur- sumlija stammt vom Bleidach (kursum türk. Blei) dieser Kirchen -) In legendarischem Ton berichtet weiter die Biographie, wie Ne- manjas Brüder angeblich wegen dieser eigenmächtig errichteten Stiftungen gegen ihn sehr aufgebracht waren •^). Der älteste der Brüder, damals Großzupan, Heß ihn an Händen und Füßen fesseln und in einem unterirdischen Verlies, einer „steinernen Höhle" ein- kerkern. Doch Gott der Allmächtige hat den frommen Nemanja aus der Gefangenschaft befreit und ihn auf den Thron des Vater- landes gesetzt.

Daß Nemanja die rechtmäßigen Herrscher Serbiens gestürzt, seine Rivalen „mit dem Schwerte" verfolgt und sich selbst auf den Thron der Großzupane gesetzt habe, bestätigt auch Niketas Ako-

nehmungslustigen Großzupans und seiner Brüder gewiß mit Bewunderung hervorgehoben. Übrigens gingen die Brüder erst damals daran, ihre Söhne zu verheiraten, Miroslav 1189, Nemanja 1190. Nur auf Grund dieser Alters- angaben haben Golubinskij, Vasi Ijevskij , Grot u. a. den Nemanja mit Desa identifiziert.

1) Novakovic a a. 0. 183 f. Dilbocica der alte Name von Leskovac: Hahn, Reise von Belgrad nach Salonik ^59; Milicevic, Kraljevina Srbija 112 (altserb. glbbok, neuserb. dubok tief).

2) Biellezerque der Ragusaner 1422, 1427, Basilica alba bei Petantius (um 1500), Bellacherqua oder Coursoumne bei Brown (1669). Klosterruinen: Milicevic, Kraljevina 357, 380.

3) Es waren leibliche Brüder (jednorozdeni): König Stephan cap. 4.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 350

rainatos ^). Die Stellung der Byzantiner zu dieser Umwälzung (um 1170) ist bei der lückenhaften historischen Überlieferung nicht bekannt. Den Hintergrund der folgenden Ereignisse bildet der Krieg zwischen Kaiser Manuel und Venedig, dessen Ursachen wenig bekannt sind. An einem Tage wurden auf Befehl des Kaisers alle Venezianer im ganzen Reiche gefangen gesetzt und ihre Schiffe und Warenlager mit Beschlag belegt (März il71). Die Republik ließ sich aber nicht einschüchtern. Der Doge Vitale Michieli segelte mit einer gewaltigen Flotte von 120 Schiffen nach Griechenland (September 1171). Im byzantinischen Dalmatien wurde unterwegs Ragusa zur Unterwerfung gezwungen, nach Ab- schluß eines Vertrages, welcher das Vorbild der Verhältnisse nach 1205 wurde -). Damit waren die V^erbindungen der Venezianer mit den Serben, den Nachbarn von Ragusa, erleichtert, schon früher eingeleitet durch die Heirat eines Sohnes des Dogen mit einer Tochter des Großzupans Desa (S. 251) Nach Kinnamos haben die Venezianer damals die Serben zum Abfall aufgefordert ^). Nemanja setzte sich auch mit den Ungarn und den Deutschen ins Einvernehmen *) und ergriff die Offensive. Er bedrängte „Chor- vatia'", nämlich die von Manuel errichtete byzantinische Provinz von „Dalmatia et Croatia" mit der Hauptstadt Spalato, wahr- scheinlich an ihrer Ostgrenze bei Almissa, und bedrohte, vielleicht mit Hufe der Venezianer, die Stadt Cattaro ^). Zugleich beun- ruhigten die Serben die Straße von Belgrad nach Nis. Eine Episode dieser Kämpfe schildern die Nachrichten über die Pilger- fahrt Heinrichs des Löwen in das Heilige Land bei Arnold von

1) Niketas p. 206—207.

2) Historia ducum: Mon. Germ., Scr. 14, 79.

3) Kinnamos VI, cap. 11.

4) Nemanja Verbündeter ^A).ccfj.civMv xal 'levrövuv, des ccQ/rjyög Tevrö- rwv: Konst. Manasses (1173), Viz. Vrem. 12 (1906) 89, 91. Kaiser Manuel hat nach seinem Siege den Nemanja von fremden Bündnissen abgewendet, mit T(fj Twv 'Ak((ucivCöv orjyi und den Oüvvoi (Ungarn, vor Bela III.) : Ni- ketas p. 207.

5) Bei Niketas p. 206 XoQßaria und die Stadt cGii' KaTTccgcof (Var. JixcufQoiv, lat. Decatera, vgl. oben S. 96). XoQßiaag und AfxcuÖQcov hat auch die Chronik bei Sathas, Bibl. graec. 7, 272, nach Heisenberg verfaßt von Theodoros Skutariotes im 13. Jahrhundert.

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260 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

Lübeck. In Branicevo betrat der sächsische Herzog mit seinem glänzenden Gefolge den Boden des byzantinischen Reiches, von den Griechen auf Befehl des Kaisers freundlich aufgenommen. Als er (Ende März 1172) in der Mitte des „Bulgarenwaldes" bei der Stadt Ravno (Rabnel, Ravenelle der Kreuzfahrer) an der Mündung der Ravanica in die Morava , dem jetzigen Cuprija ^ ) eintraf, wollten die Einwohner, obwohl Untertanen des griechischen Kaisers, den Herzog trotz der Ermahnungen seiner byzantinischen Begleiter nicht in ihre Mauern aufnehmen und ihm nicht einmal Wegweiser geben. Die Serben, die Arnold bei dieser Gelegenheit in den schwärzesten Farben schildert, sahen in der großen Schar der Deutschen nur Verbündete und Freunde der Griechen ''^). Herzog Heinrich schlug sein Lager in der Nähe auf, in einem langen Tal an einem klaren Bach zwischen dichtem Buschwald. Für die Nacht wurden große Feuer angezündet und zahlreiche Wachen aufgestellt. Plötzlich um Mitternacht eröffneten die Serben den Angriff in vier Scharen unter großem Geschrei, mit vergifteten Pfeilen, wurden aber von den an 1200 Mann starken Kreuz- fahrern zurückgeschlagen und sogar ihr Anführer (dux) von einem Armbrustschützen getötet. Als am folgenden Morgen die Sonno aus dem dichten Nebel emporstieg, sah man beim Weitermarsch den ganzen Tag die Serben in der Ferne auf der Lauer liegen, gelangte aber ungefährdet bis Nis, wo der Herzog von den Byzan- tinern wieder feierlich begrüßt wurde. Indessen zog ein griechi- sches Heer unter Theodoros Padiates gegen Ras ^). Nach serbischen Berichten bestand es aus Griechen, Franken, Türken und anderen Völkern, begleitet von serbischen Emigranten, den Gegnern Neman- jas. Im Dorfe Pantino südlich von der Burg Zvecan betrat der

1) Vgl. meine Heerstraße 86. In den serb Texten sowohl Subst. neutr. Ravno, als Adj. nnasc. Ravan (Glasnik 5, 101) und Ravnyj (ravan: eben, flach); vgl. Daniele, Rjecnik.

2) „Cuius (urbis) habitatores Servi dicuntur, filii Belial, sine iugo Dei, illecebris carnis et gule dediti et secundum nomen suum immundiciis Om- nibus servientes et iuxta locorum qualitatem bellualiter vivendo, bestiis etiam agrestiores." Arnold von Lübeck I, 3 ed. Pertz (Hannover 1868) p. 16.

3) Niketas p. 207 verschweigt das Resultat der Expedition , die wohl mit dem Zug bei König Stephan cap. 5 identisch ist.

Der Großzupau Stephan Nemanja. 261

Feind den Boden Serbiens, wurde aber von Nemanja vollständig geschlagen. Einer der feindlichen Brüder des Großzupans ertrank dabei in der Sitnica.

Bald kamen nach Serbien ungünstige Nachrichten über die Venezianer. Als sie auf Chios überwinterten, brach eine furcht- bare Seuche im Lager aus; traurig kehrte der Doge mit den Resten der Mannschaft nach Venedig zurück und wurde bei einem Aufruhr ermordet (Mai 1172). Auch in Ungarn hat sich die Lage durch den Tod Stephans IIL geändert (4. März 1172). Kaiser Manuel zog nach Serdica, wo eine ungarische Gesandt- schaft den byzantinischen Schützling Bela, der indessen in Kon- ötantinopel die damals dritthöchste Würde eines Kaisar erlangt hatte, zum König verlangte. Für die Politik Manuels in Ungarn war das ein glücklicher Abschluß. Bela III. mußte dem Kaiser einen Eid ablegen, sein Leben lang stets nur das zu tun, was dem Kaiser und dem oströmischen Reiche nützlich sein wird, und kehrte nach eltjähriger Abwesenheit in sein Vaterland zurück, doch bei dem Widerstand einer Gegenpartei wurde diu Krönung erst im folgenden Jahre (l'd. Jänner 117ü>) vollzogen '). Nun wendete sich Manuel gegen die wider Erwarten isolierten Serben -). Ohne die Ankunft des ganzen Heeres abzuwarten, brach er mit wenigen Tausenden durch die Engpässe in das Land des Groß- zupans ein. Nemanja, in die Berge zurückgedrängt, entschloß sich zur Unterwerfung, damit, wie Niketas sagt, „die Gewalt nicht denjenigen übertragen werde, welche mehr Recht auf die Herr- schaft hatten als er, und welche er selbst gestürzt hatte, als er zur Regierung erhoben wurde' ^ Nach Niketas legte er seinen Kopf zu des Kaisers Füßen, in seiner ganzen Länge vor ihm auf dem Boden hingestreckt. Nach Kinnamos erschien er vor dem Richterstuhl des Kaisers barhaupt und barfuß, mit einem Strick um den Hals und dem Schwert in der Hand, das er dem Kaiser

1) Zur Chronologie Huber a. a. 0. 1, 3G7f.

2) Kinnamos VI, cap. 11 (ohne Namen des Archizupanos) vor der Belagerung von Aukona 1173 durch die „Alamannen" und Venezianer. Niketas p. 207. Bei König Stephan wird jeder Mißerfolg des Nemanja verschwiegen. Arnold von Lübeck erwähnt bei der Rückkehr Heinrichs des Löwen (Winter 1172/73) keine Schwierigkeiten mehr auf dem Landweg.

362 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

übergab; es war ganz derselbe klägliche Aufzug, in welchem der Regent des Fürstentums von Antiochia, der Ritter Rainald von Chätillon, bittend in Manuels Lager erschienen war (1158). Ne- manja wurde ebenso wie Rainald in Gnaden aufgenommen, der Kaiser nahm ihn aber nach Konstantinopel mit (1172). Diesen Besuch des Nemanja schildern zwei byzantinische Reden, des ge- lehrten Eustathios und des Konstantin Manasses, des Verfassers einer byzantinischen Chronik in Versen. Eustathios feiert die Tapferkeit Manuels, „durch welche dieses große Volk und jener berühmte Häuptling so sehr gedemütigt" worden sei. Neeman, sagt Eustathios, „zog vor kurzem mein Auge mit Staunen auf sich, ein Mann nicht bloß von dem Ellenmaß, welches die Natur den Männern verleiht, sondern hoch gewachsen und stattlich von Ansehen". Nachdem er sich früher verborgen hatte, kommt er nun zum Kaiser, „wie einer vom Dunkel der Sonne entgegen- läuft", und „naht jetzt der Kaiserin der Städte, voll Freude, daß er des ersehnten kaiserlichen Anblickes teilhaftig wird". Im Kaiser- palast mustert er die Fresken, welche die Großtaten des Kaisers feiern, besonders diejenigen, welche sich auf ihn beziehen und mit dem Namen des Neeman bezeichnet sind ^). Die gewaltige Körpergeslalt des Nemanja erwähnt auch Manasses: der abgefallene Barbar, ein hochschulteriger und stattlicher Mann, zierte den Triumphzug des Kaisers nach den Erfolgen in Ungarn und Serbien, von dem Konstantinopler Volk mit Schimpf und Spott begrüßt -).

Nemanja war nicht der alleinige Fürst der Serben. Eigene Teilfürstentümer besaßen zwei seiner Brüder, welche, wie es scheint, sich bald mit ihm versöhnt hatten und seine Freunde blieben, mit dem Titel eines Knezen (comes), welcher den Würden des eroberten Küstengebietes entlehnt war "). Sracimir, der in den Urkunden

1) Deutsche Übers, bei Tafel, Komneneu und Normannen (Ulm 1852) 221 f.

2) Herausg. von E. Kurtz: Viz. Vrem. 12 (1906) 69f.

3) In dem Evangelistar heißt Miroslav ,,velikoslavni knez" (der groß- berühmte Fürst) , in einer Urk. des Königs Stephan üros I. um 1260 „veliki knez" (der große Fürst), in seinen eigenen Urkunden in der Unter- schrift stets nur einfach ,,knez".

Der Großzupau Stephan Nemauja. ätiS

au erster Stelle nach Nemanja genannt wird, gilt als der Gründer des Muttergottesklosters in Gradac (jetzt Cacak) an der westlichen Morava ^). Miroslav erhielt Zachlumien und heiratete eine Schwester des bosnischen Baus Kuhn, welche nach der Behauptung ihres Neffen Vlkan eine Anhängerin der Patarener war -). Im Limtal, wohl in seiner ursprünglichen Heimat, stiftete er ein Kloster des heiligen Petrus, reich ausgestattet mit Gütern sowohl am Lim uüd an der Tara, als in Zachlumien an der Narentamündung, in der Umgebung von Stagno und im Küsteulande zwischen dieser Burg und Ragusa ^).

Serbische Truppen befanden sich neben einer ungarischen Schar im Heere, mit welchem Manuel (1176) gegen Kylydsch- Arslan H. zog, als dieser die byzantinische Hoheit von sich ab- gewälzt und die Türken Kleinasiens unter seiner Herrschaft ver- einigt hatte. Der Feldzug führte zu der großen Niederlage bei der Burgruine Myriokephalou ; der Kaiser selbst wurde im Schlacht- getümmel verwundet und entkam nur mit Not. Diese Katastrophe hat Manuel nicht lange überlebt. Nach seinem Tode (September 1180) folgte ein Chaos. Unter den zahlreichen Mitgliedern der Familie der Komneuen brachen Rivalitäten aus, um die Regent- schaft für den kleinen Sohn Manuels, Kaiser Alexios IL Zuletzt usuipierte die Gewalt (Frühjahr 1182) der schon erwähnte Vetter Manuels, Andronikos Komnenos, der bisher ein merkwürdiges Abenteurerleben geführt hatte: bald Statthalter in den Grenz- provinzen, bald Gefangener in Konstantinopel, bald Flüchthng in Rußland, in den Kreuzfahrerstaaten, am mohammedanischen Hofe von Damaskus, in den Bergen von Armenien und Georgien. Als Regent und (seit September 1183) als Mitkaiser verfolgte er die alte Regierungsgesellschaft, ein System, dem auch der junge Alexios IL in geheimnisvoller Weise zum Opfer fiel. Die Folge davon war eine starke Emigration der vornehmen Byzantiner in alle Länder von Sizilien bis Nowgorod *),

1) Smiciklas, Cod. dipl. 2, 201, 238. Glasnik 53 (1883) 45.

2) Theiner, Mou. Slav. 1, 6 nro. 10 (1199).

3) Spomenik 3, 8 11.

4) N. ßadojcic, Die letzten zwei Komnenen auf dem Thron von Konstantinopel, serbokroat., Agram 1907. Vgl. Byz. Z. 17 (1908) 182.

364 Drittes Bucb. Fünftes Kapitel.

Die von Kaiser Manuel jahrelang energisch beanspruchte Hoheit über die Nachbarländer war mit der Nachricht von seinem Tode zu Ende. Nemanja konnte ungehindert an die Offensive denken und fand einen Bundesgenossen an Manuels ehemaligem Zögling Bela III. Noch im folgenden Winter besetzte der unga- rische König nicht nur das byzantinische Norddalmatien samt den Inseln vor Spalato, sondern auch das venezianische Zara. In der Nachbarschaft von Spalato waren wenige Wochen vor Manuels Tod arge Fehden ausgebrochen. Der Erzbischof Raynerius, ein Italiener aus Toskana, welcher nicht lange zuvor als Gesandter der Spalatiner in Konstantinopel vom Kaiser freundlich empfangen und beschenkt worden war, begab sich wegen einer Frage über die Besitzungen seiner Kirche an die Küste zwischen Spalato und Almissa. Die Kacici erklärten sein Erscheinen als einen Eingriff in das Erbgut ihres Adelsgeschlechtes. Nach einer heftigen Aus- einandersetzung wurde der Erzbischof durch Steinwürfe getötet (August 1180). Die Stelle der Untat bezeichnet heute noch eine Kapelle, Sveti Arner genannt ^). Die Feinde des Erzbistums fanden Schutz bei Nemaujas Bruder Miroslav. Der Herr von Zachlumien wurde beschuldigt, er habe Gelder, die dem ermordeten Eizbischof gehörten, bei sich zurückgehalten und lasse in seinem Gebiet keine kirchlichen Verfügungen zu -). Dem päpstlichen Legaten Sub- diakon Thebaldus verweigerte er den Eintritt in sein Gebiet und wurde von ihm in den Kirchenbann getan. Papst Alexander III forderte (1181) Bela III. auf, er möge den Miroslav zum Schaden- ersatz und Gehorsam zwingen -'j, und ließ ein strenges Geheim- breve „Miroslave comiti Zacholmitano" schreiben ^). Es ist aber nie abgesendet worden; das Original liegt heute noch im Vatika- nischen Archiv. Das Ende des Konfliktes ist nicht bekannt, da Alexander III. bereits nach wenigen Wochen gestorben ist.

1) Thomas Arch. cap. 21. Abbilduug: Wiss. Mitt. 10 (1907) 1%.

2) Der Sprengel des Erzbiscbofs von Spalato reichte 1185 bis zur Bucht von Vrulja im alten Gebiet der Narentaner und umfaßte im Binnenland auch Livno: Smiciklas, Cod. dipl. 2, 193, 251.

3) Viterbo, G. Juli 1181. Smiciklas 2, 175.

4) Viterbo, 7. Juli 1181. Bei Pflugk-Har tt ung, Acta poutif. iuedita 2, 377 genauer als bei Theiuer, Mou. Slav. 1, 1.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 265

Bald begann der Angriff auf das byzantinische Gebiet auch im Moravatale und im südlichen Dalraatieu und Dioklitien. Auf die Nachricht von der Einkerkerung der ^Yitwe Manuels, seiner Schwägerin, durch den Usurpator Andronikos griff König Bela (1182) die Grenzfestungen Belgrad und Branicevo an. Nach der Ermordung der Kaiserin wurde der Krieg im Bunde mit Nemanja weitergeführt (1183). Die byzantinische Greuzarmee stand unter dem Befehl von zwei bewährten Feldherren der Zeit Manuels, Alexios Vranäs und Andronikos Lampardäs. Die Nachricht von der Krönung des Andronikos Komnenos zum Mitregenten ent- zweite sie und bewog sie, vor den Ungarn und Serben bis zum Trajanstor zurückzuweichen. Belgrad, Branicevo, Ravno, Nis und Serdica wurden von den Verbündeten verwüstet und ihre Mauern teilweise zerstört. Die Kreuzfahrer des dritten Zuges fanden sechs Jahre später diese Städte fast leer, meist in Ruinen. Aus Serdica ließ König Bela die Reliquien des heiligen Johannes von Rila nach Grau wegführen ; erst nach einigen Jahren v/urden sie unter Kaiser Isaak aus Ungarn zurückgebracht ^). Nemanja wendete sich dann gegen die Seestädte der komnenischen Provinz von „Dalmatien und Dioklien'^ Er besetzte die einst schon im 11. Jahrhundert von den Fürsten Dioklitiens beherrschte Stadt Skutari mit ihrer Burg, welche man damals infolge einer merk- würdigen, durch die St. Sergiuslegende vermittelten Übertragung mit dem Namen einer syrischen Stadt als Rosaf bezeichnete -). In der Umgebung eroberte er die vier Bischofsitze Sarda '■'), Dagno, Drivasto und Svac und die drei großen Hafenstädte Dulcigno, Antivari und Cattaro. Einen Einblick in das Detail gewährt ein leider undatierter Brief des Erzbischofs Gregor von Antivari an

1) Niketas 359f. ; Annales Zwettl. zu 1182 und 1183 (vgl. Huber a. a. 0. 1, 372); Ansbert ed. cit. 19 f.; König Stephan cap. 7; Vita des hl. Johannes von Rila: Werke des Patriarchen von Bulgarien Euthymius herausg. von Kaluzuiacki (Wien 1901) 21 f.

2) Rosaf des Königs Stephan cap. 7 und Rosapha (Sergiopolis) in Syrien nördlich von Palmyra in der Vita der hl. Sergius und Bacchus: Ilarion Ruvarac, Glasnik 49 (1881) 39 und mein Christ. Elem. 49 f.

3) „Sardonikij (sie) grad" bei König Stephan ist wohl zu lesen als Adjektiv: Sardonskij (lat. Sardanensis).

ä6€ Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

den Domherrn Gualterius von Spalato, geschrieben während einer großen Bedrängnis der Stadt von Seite des Großzupans (a magno jupano). Im verflossenen Jahre habe er die Stadt gezwungen, ihm 800 Perper zu versprechen, und weil die Antivarenser wegen Verwüstung ihrer Ländereien nicht zahlen können, wüte und drohe er von neuem. Von Knez Michael, dem letzten der kleinen Fürsten Dioklitiens, sei nicht viel Hilfe zu erwarten, weil er „von seineu Oheimen bedrängt wird" (ab avunculis molestatus), worunter Ne- manja und dessen Brüder zu verstehen sind ^). Auf die Dauer konnte sich die Stadt nicht halten, weil sie abseits vom Meere liegt und leicht ganz eingeschlossen werden kann. Am 20. August 1189 kam die Comitissa Desislava, Frau dieses Comes Michael, begleitet von dem Erzbischof Gregor von Antivari, den Zupanen Crneha und Crepun, dem Kazuac Grdomil und anderen Edelleuten wahrscheinlich auf der Flucht nach Ragusa und übergab der Ge- meinde zwei Schiffe -). Sicher ist es, daß der Erzbischof Gregor nicht mehr nach Antivari heimgekehrt, sondern in Zara geblieben ist ^). Ebenso sicher ist es, daß es seit Nemanjas Zeit keine dio- klitischen Fürsten aus dem alten Hause mehr gab und daß in den Titeln der Nachfolger des Nemanja die Entstehung ihres Reiches aus zwei Teilen, aus dem serbischen (rassischen) und dem Küsten- gebiet stets hervorgehoben wird. Auch Cattaro konnte nicht lange widerstehen. Im September 1181 wird in einer Urkunde kein Oberherr erwähnt, auch nicht der byzantinische Kaiser, sondei'n nur der einheimische Comes Triphon als „dominator Catari'' ^). Im Jänner 1186 ist ein Beschluß der Gemeinde von Cattaro bereits datiert unter der Regierung des Großzupans Nemanja: „tempore domini nostri Nemanne, magni jupani Rasse •^)**. Die kirchlichen Verhältnisse bheben durch die politische Veränderung unberührt.

1) Kukuljevic, Cod. dipl. 2, 115 (bei Smiciklas 2, 170 ist gerade ein Teil der Stelle über „Knesius Michahel" ausgefallen).

2) „Ego comitissa Desislauj (sie), magni comitis Mich(aelis) uior." Herausgegeben von A. Vucetic: Srgj 5 (1906) 54—55; vgl. Arch. slaw. Phil. (1904) 167.

3) Smiciklas 2, 270, 282 (1194—1196).

4) Smiciklas 2, 179.

5) Rad 1 (1867) 127; Smiciklas 2, 198.

Der Großzupau Stephan Nemanja. 2(57

Der Erzbischof von Bari schenkte eben damals (1187) dem Bischof von Cattaro zwei Häuser, damit er auf Besuchen bei seinem kirch- heben Oberhaupt in ApuUen darin wohnen könnte, und vermittelte den Cattarensern bei der Kaiserin Konstanze (1195) Befreiung von Anker- und Platzgebühren für ihre nach Bari kommenden Schiffe 1).

Ragusa zu unterwerfen ist den Serben nie gelungen, infolge der für mittelalterliche Kriegskunst vortrefflichen Lage der Stadt, welche, am offenen Meere gelegen, gegen die Landseite durch den gewaltigen Berg des heiligen Sergius gedeckt wird. Einige Nach- richten über die damaligen Ereignisse sind in den im 15. 18. Jahrhundert aus älteren Notizen und Urkunden redigierten Chro- niken der Stadt erhalten -). Der Bruder des Nemanja Sracimir ') soll (1184) einen Feldzug gegen die Lisel Curzola unternommen haben. Die Insulaner vei-brannten seine Schiffe, schlössen ihn ein und zwangen ihn zu einem Frieden, in welchem Sracimir mit seinen Brüdern Nemanja und Miroslav ver.sprechen mußte, daß Curzola aller Verpflichtungen gegen die Herren von Chelmo für immer ledig sei '). Nemanja rüstete dann gegen Ragusa nicht nur ein Landheer, sondern auch eine Flotte, doch auf dem Meere hatten die Serben kein Glück. Nemanjas Bruder Miroslav wurde mit 13 Schiffen und Booten am 18. August 1184 bei dem Dörf- chen Poljice, an der Küste zwischen Orasac (Valdinoce) und Malti gegenüber der Insel Calamotta, von der 11 Schiffe starken Flotte der Ragusaner vollständig geschlagen und verlor alle seine Fahr- zeuge ■'■). Im Sommer 1185 erschien Miroslav vor der Stadt an

1) Cod. dipl. Bar. 1, 115, 128.

2) Besser in der um 1G50 verfaßten Chronüc desGoudola (unediert\ als bei Ragnina, Orbini, Luccari und Resti.

3") Gondola hat Strasciiniro, Orbiui Costanthio.

4) Gondola nennt neben Curzola auch das ferne Lissa; gemeint ist wohl das nähere Lasta (jetzt Lagosta). Die Inseln Curzola, Lagosta, Lissa, Brazza gehörten 1185 zum Bistum von Lesina (episcopus Pharensis) : Smi- ciklas 2, 193.

5) „Appresso Poglize" Gondola Ms. Andere Ragusaner verlegen das Schlachtfeld in das ferne Albanien: Ragnina 218 an das Vorgebirge Pali bei Durazzo, Orbini 192, 247 und Luccari ^26 nach „Porto de' Rausei iii Albania" 'Jetzt Porto Raguseo südlich von Yalona).

268 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

der Spitze eines großen Heeres mit Belagerungsmaschinen zum Werfen von Steinen und Hölzern und begann am 1. Juli den Angriff. Am siebenten Tage, einem Sonntag ^), als das Volk in der Kirche der Märtyrer Petrus, Andreas und Laurentius '-) betete, verbi'annte er seine Maschinen und zog wieder ab, wahrscheinlich infolge der Nachrichten über die Verbindungen der Ragusaner mit den Normannen. Ragusa, ohne Schutz von Byzanz, unterwarf sich für eine Reihe von Jahren dem Königreich von Sizilien (1185 bis 1192), leistete den sizilischen Königen Wilhelm H. und Tankred den Treueid, behielt aber die einheimischen Obrigkeiten. In diesen Jahren (1186 1191) war Comes der aus den Urkunden dieser Zeit wohlbekannte Gervasius (slaw. Krvas), Vorfahr des Patrizier- geschlechtes der Martinussio. Nach dieser Veränderung schloß der Großzupan Nemanja mit seinen beiden Brüdern durch seine Ge- sandten einen Frieden mit der Stadt, in Anwesenheit eines Ver- treters des normannischen Königs, des Kämmerers Tasahgard (27. September 1186). Alle Streitfragen über Weinberge, Schiffe, Menschen, Vieh und anderen Besitz werden beiderseits der Ver- gessenheit überliefert; das Territorium von Ragusa wird bestätigt, der freie Handel der Ragusaner im Lande der drei Brüder, be- sonders an der Narentamündung (portus Narentij und ebenso der der Slawen, vor allem von „Chelmania^', in der Stadt wieder eröffnet •^).

König W^ilhelm H. hatte indessen den vierten und letzten Zug der Normannen gegen das byzantinische Reich begonnen. Dyr- rhachion ergab sich sofort, Thessalonich nach einer kurzen Be- lagerung (August 1185). Die Scharen der Sieger rückten bis in das Küstengebiet unter der Rhodope, während ihre Flotte die

1) Auf den 7. Juli 1185 fällt richtig ein Sonntag.

2) Diese lokalen Märtyrer (Festtag 7. Juli) stammten vom Golf von Cattaro. Die Reliquien wurden 1026 nach liagusa gebracht (Ragnina 210). Ihre Geschichte ist durch die Kombinationen der Chronisten des 15. 16. Jahr- hunderts ganz verdui.'kelt , welche sie als Opfer der Heiden, Schismatiker oder Häretiker darstellen. Vielleicht gehört ihr Martyrium in die Zeit der Raubzüge der Sarazenen auf der Adria.

3) Smiciklas 2, 201. Tasselgardus camerarius auch Cod. dipl. Bai*. 1, 128.

Der GroRzupau Stephan Nomaiija. 269

Umgebung von Konstantinopel plünderte. Die Katastrophen führ- ten zum Sturz des Kaisers Andronikos und zur Erhebung des Isaak Angelos (12. September). Doch bald wendete sich das Kriegsglück. Der Feldherr Alexios Vranäs erfocht einen glänzen- den Sieg über die Normannen bei Dimitritza an der Brücke über den unteren Strymon (7. November 1185). Rasch folgte ein Friedensschluß und der Abzug der Normannen aus den besetzten Städten.

Kaiser Isaak, mehr durch Zufall als durch persönliches Ver- dienst auf den Thron erhoben, suchte unermüdlich auf Feldzügen von Belgrad bis zur seldschukischen Grenze zu retten, was bei dem Niedergange des Reiches zu retten war. Mit Bela III. schloß er Frieden, heiratete dessen Tochter Margarete und erhielt als Heiratsgut die verlorenen Städte im Moravatale zurück ^). Bald folgte ein Aufstand des kriegerischen Adels von Bulgarien, diesmal im Donaugebiet (ll86j, unterstützt von den Kumanen (Polovci der Russen) der pontischen Steppe. Es entstand das zweite bul- garische Reich, mit der Residenz in der „Dornenburg" Trnov ^). An der Spitze standen als „Kaiser" zwei Brüder, Peter oder Kalopetros, nach dem Pomenik von Panagjuriste •') ursprünglich Theodor genannt, und Äsen (lies Asjän, '^advr^Q, Assanus), nach demselben Denkmal mit dem Beinamen Belgun, „Weißpelz"*). Die Fortschritte der Bulgaren erleichterte die Revolution des Sie- gers über die Normannen Alexios Vranas, der sich zum Kaiser erklären ließ, aber vor den Mauern von Konstantinopel den Tod fand (1187). Ein Feldzug des Kaisers Isaak über Serdica und Lovec führte nur zu einem kurzen Waffenstillstand mit den Bul-

1) „Terram, quam pater tuus sorori tuae, imperatrici Grecorutn, dedit in dotem": Innozenz III. an Emei-ich, den Sohn Belas III., 1204 bei The in er, Mon. Slav. 1, 36.

2) Von tr-in Dorn: altbulg. stets Tri.nov'i, (sc. grad) masc, neubulg. Ttmovo neutr.

3) Drinov, Zumal MNP. 1885 Apr. Annahme des Namens Peter, wie bei Bodin (ygl. oben S. 235).

4) Der Naire ist kumanisch, Fürsten der Kumanen (Polowzer) heißen im 11. Jahrhundert Osent, Osent, Asent: Nestor ed. Miklosich p. 127, 153, 180.

270 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

garen. Der Großzupan Nemanja, welcher mit Peter von Bulgarien einen Bund geschlossen hatte \), besetzte Nis und zerstörte in dem zum Bistum von Nis gehörigen Timoktal die Burgen von Svrljig, Ravni (jetzt Ravno bei Knjazevac) und Koztl (jetzt Kozelj) ^).

Da verbreitete sich weit in den Orient die Nachricht, in Deutschland versammle sich ein großes Kreuzheer, um das soeben- (1187) verlorene Jerusalem wieder den Mohammedanern zu ent- reißen. An der Spitze stand der mächtigste Herrscher des Westens^, Kaiser Friedrich I. , welcher schon vor 40 Jahren am zweiten Kreuzzug teilgenommen hatte. Die Byzantiner hegten große Be- fürchtungen , da Friedrich und Manuel noch vor wenigen Jahren Feinde in Italien gewesen waren. Die Serben und Bulgaren rechneten mit dem Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen den Deutschen und Griechen. Zu Weihnachten 1188 trafen am kaiser- lichen Hoflager in Nürnberg Gesandte des Nemanja ein und über reichten ein Schreiben, nach welchem der Serbenfürst den Durch- zug des Kreiizheeres durch sein Land mit größter Freude erwartete und nichts sehnlicher wünschte, als den Kaiser persönlich zu be- grüßen ■5). Das Heer, an 100 000 Mann stark, zog im Frühjahr 1189 auf dem gewohnten Wege längs der Donau bis Branicevo. König Bela IH. hat den Kaiser in Gran freundlich empfangen, doch die Schar der ungarischen Kreuzfahrer kehrte auf seinen Befehl sofort aus Thrakien zurück, als es zum Kampf gegen die Griechen kam. Die erste Stadt des byzantinischen Reiches, Belgrad, war halb zerstört. In Branicevo wurde der Kaiser vom byzan- tinischen Dux zum Schein freundHch begrüßt (2. Juli). In den

1) (Comites de SerTia) „partem Bulgarie sue dicioni subiugaverant, federe inito cum Kalopetro adversus imperatorem Constantinopolitanum". Ansbert 24.

2) König Stephan cap. 7.

3) Annales Colonienses maximi, Mon. Grerm., Script. 17, 795 796: „legati Servianensis regis". Weiter unten bei Nis (p. 797j „princeps dictus Serf". Über den Durchzug durch die Balkanländer der Brief des Bischofs Dietpold von Passau ib. 17, 509, die Berichte des Passauer Domherrn Ta geno, des sogenannten Ansbert (Fontes rer. austr. Bd. 5) und des Nike- tas Akominatos. Serbische Quellen fehlen.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 271

Einöden des Bulgaren waldes", in welchen die der Wege kun- digen Ungarn vorausgingen, erfolgten Angriffe auf den Nachtrab und Troß, unternommen von byzantinischen Söldnern, Griechen, Bulgaren, Serben und Wlachen mit vergifteten Pfeilen, nach der Aussage der Gefangenen auf Befehl des Dux von Branicevo. In Nis erschienen vor dem Kaiser der serbische Großzupan Nemanja und sein Bruder Sracimir mit großem Gefolge und brachten reiche Geschenke, Wein, Gerste, Ochsen und Schafe, überdies auch See- hunde und gezähmte Hirsche (27. Juli). Ehrenvoll empfangen, erzählten sie, daß sie mit dem dritten Bruder Miroslav Nis und die ganze Umgebung bis Serdica aus dem Besitz der Griechen „mit Schwert und Bogen" erobert haben und daß sie ihre Erobe- rungen nach jeder Richtung ausbreiten wollen. Für alle diese Erwerbungen wünschten sie Vasallen des deutschen Kaisers zu werden, bereit, ihn mit allen ihren Leuten gegen die Griechen zu unterstützen. Doch Friedrich dachte damals nur an den Kampf gegen die mohammedanischen Eroberer Jerusalems ^). In An- wesenheit des Kaisers wurden die schon früher begonnenen Ver- handlungen über die Heirat des Sohnes des Miroslav von „Chel- menia", des jungen Toljen, mit einer Tochter Berchtolds (IV.) von Andechs, des Markgrafen von Istrien und Titularherzogs von Kroatien, vollendet. Toljen sollte vor allen seinen Brüdern der Nachfolger Miroslavs werden, was die serbischen Fürsten durch Handschlag bekräftigten; es war verabredet, daß die Braut am folgenden St. Georgstag dem Toljen in Istrien übergeben werden sollte -). Auch Gesandte Peters von Bulgarien kamen, um Kaiser Friedrich zu begrüßen und Hilfe gegen die Griechen anzubieten. Auf dem W^eitermarsch durch die Berge und Wälder nach Serdica

1) Der Bericht Ansberts ist ohne Zweifel richtiger als der des Ar- nold von Lübeck IV, 8, welcher erzählt, der „dux" der „Servi" habe sich dem Kaiser unterworfen und sein Land von ihm „iure beneficiario" an- genommen.

2) Die Stelle über Tolni (richtig wohl Tolin) ist vollständig erhalten im Grazer Kodex des Ansbert; vgl. A. Chroust, Neues Archiv f. alt. deutsche Gesch. 16 (1891) 51! 526 und meine Abh. über Toljen im Glas 35 (1892). Ob der Heiratsvertrag zur Ausführung gelangte, ist zu be- zweifeln.

372 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

stießen die Kreuzfahrer auf die gegen die Serben aufgestellten byzantinischen Truppen unter dem Befehl des Großdomestikos (Marschalls) des Westens Alexios Gidos und des Manuel Kamytzes und mußten sich den Weg durch zwei mit Steinen und Holzwerk befestigte Pässe (clausurae) bahnen. Die Feldherren korrespon- dierten freundlich mit Kaiser Friedrich, beunruhigten aber das Kreuzheer durch ihre Truppen, welche aus dem dichten Busch- werk oder von hohen Bäumen ihre Giftpfeile abschössen und bei Nacht das Lager belästigten. Die Kreuzfahrer verteidigten sich mit Schwert und Armbrust und hängten die Gefangenen scharen- weise auf den Bäumen auf, mitunter „nach Wolfsart" mit dem Kopf abwärts. Serdica fand man fast leer, ohne Vorräte; die Einwohner hatten sich auf Befehl der Griechen in die nahen Berge zurückgezogen. Das alte Trajanstor, die „Bulgarenklause" (clau- surae Bulgariae) war durch große Verhaue aus Bäumen und Steinen gesperrt, die aber mit Leichtigkeit niedergebrannt und weggeräumt wurden. Sechs Wochen nach dem Abmarsch aus Branicevo stieg das Heer aus den öden Wäldern Bulgariens jubelnd in die an Wein und Getreide reiche Ebene von Philippopel herab. Da kam es zum offenen Kriege. Zu den Ursachen gehörte der Verdacht des Isaak, Kaiser Friedrich habe dem Großzupan byzantinische Provinzen zu Lehen gegeben. Die Kreuzfahrer verwüsteten die Ebene von Philippopel, ebenso nach der Ankunft in Adrianopel (November 1189) das ganze südliche Thrakien. Friedrich rüstete sich zum Angriff auf Konstantinopel. Nun wurde mit den Serben und Bulgaren über ein Bündnis verhandelt. Beide versprachen 60 000 Mann; davon entfielen 40000 auf die Bulgaren, Wlachen und Kumanen des Peter, so daß das Heer der Serben auf 20000 Mann geschätzt werden kann ^). Dem Bulgaren Peter handelte es sich auch um die Anerkennung seines Kaisertitels und Ge- währung einer Krone. Die Verhandlungen mit Nemanja, welcher im Winter den Kreuzfahrern bis zum Trajanstor nachgezogen war, führte Herzog Berchtold. Gesandte des Großzupans erschienen beim Kaiser in Adrianopel. Berchtold wurde zurückgesendet, um beim Trajanstor (in introitu clausarum Bulgariae) eine persönliche

1) Ansbert p. 44, 53.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 373

Besprechung mit Nemanja abzuhalten. Er traf den Großzupan nicht an der verabredeten Stelle, da derselbe eben durch große kriegerische Unternehmungen auf dem Boden des alten bulgarischen Reiches (grandi labore et hello in Bulgaria) beschäftigt war, und verständigte sich mit ihm nur durch Boten (Jänner 1190) ^). Nemanja zerstörte indessen die byzantinischen Burgen von Serdica bis Prizren: die feste, seit den Kriegen Basilios' II. berühmte Burg Pernik an der obersten Struma, Zemltn (jetzt Zemen) in der oberen Enge der Struma zwischen Radomir und Küstendil, die Bischofstadt Velbuzd (jetzt Küstendil) -), die Burg Zitomitsk (viel- leicht die Ruine bei Pastuch) in den unteren Engen der Struma zwischen Küstendil und Dupnica, endlich Stob am Flusse Rila '^). Er besetzte auch Skopje, Prizren und die Landschaften Ober- und Unter-Polog ^). Enttäuscht waren die Anführer der Serben und Bulgaren, als sie hörten, Kaiser Friedrich habe in Adrianopel (14. Februar 1190) mit den Byzantinern wieder Frieden ge- schlossen und den AVeitermarsch über den Hellespont nach Asien angetreten.

Kaiser Isaak wendete sich nach dem Durchmarsch der „Ala- mannen" gegen die Völker der Halbinsel (1190). In Bulgarien fand er die Städte und Burgen gut befestigt und erlitt bei dem Rückzug über den Hämus eine arge Schlappe. Im Herbst zog er mit frischen Kräften von Philippopel nach Nis gegen die Serben. In einer Schlacht an der Morava, in welcher der Kaiser selbst gewappnet auf einem Hügel zusah, siegten die Byzantiner und verheerten das Land, wobei eine Residenz des Nemanja, wohl an der TopHca, niedergebrannt wurde. Der Großzupan schloß Frie-

1) Ansbert ed. cit. 42, 46, 47. Vgl. K. Zimmert, Der deutsch- byz. Konflikt von JuU 1189 bis Febr. 119a: Byz. Z. 12 (1903) 42—77.

2) Velbuzd {Btktßova^iüv ßyz. Z. 2, 43, 52) schreibt der Kodex der Vita von König Stephan Velbluzd, als ob der Name von velblud Kamel abgeleitet wäre ; er stammt aber vom Eigennamen Velebud , Velbud (vgl. Dorf Velebudice in Böhmen).

3) Über diese Ruinen vgl. meinen ßeisebericht in den Arch. epigr. Mitt. 10 (1886) 56, 58, 70, 73.

4) König Stephan, cap. 7. Niketas p. 569 nennt nur Skopje; die Verheerung von Ni§ und Stob {Zrovfxniov) schreibt er den Bulgaren zu.

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 18

374 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

den. Die Bedingungen zeigen, daß der Sieg nicht so vollständig war, wie ihn Niketas Akominatos in einer Rede an den Kaiser darstellt: der eidbrüchige, zu jeder Schlechtigkeit bereite Nemanja sei vor Isaak in die „ödesten der Einöden'^ geflohen und das Land sei leer geworden, ein Wohnsitz nur für die Winde ^). Die Serben behielten einen ansehnlichen Teil des byzantinischen Gebietes -). Serbisch blieb im Osten das Gebiet zwischen den Bergen von Rudnik und der vereinigten Morava mit den Fluß- tälern der Lepenica (bei Kragujevac), Bjelica und des Levac, ferner die Landschaft Zagrlata (bei Djunis) in dem Mündungs- winkel der beiden Morava, endlich südhch von Nis die Landschaft Glubocica (bei Leskovac). Im Süden fiel ihnen das ganze Amsel- feld zu mit dem Flußgebiet der Sitnica und des Lab und der Stadt Lipljan. Im Becken des Weißen Drim behielten sie die zum Bistum von Prizren gehörige Landschaft Hvostno um Pec und Decani herum, in Nordalbanien die Landschaften Ober- und Unter- Pilot auf dem Weg von Prizren nach Skutari. Bleibend war die Erwerbung der Küstenstriche von Dioklitien oder Zeta, voran der Städte Skutari, Antivari und Cattaro. Nach diesen Abtretungen waren Belgrad, ßavno, Nis, Skopje, Prizren, Kroja und Alessio die Grenzstädte des byzantinischen Reiches. Die Tendenz der Byzantiner, die Freundschaft der Serben für lange Zeit zu gewinnen, ist überdies sichtbar an einem Heiratsbündnis: Nemanjas Sohn Stephan wurde mit des Kaisers Nichte Eudokia verheiratet, der Tochter seines Bruders Alexios und der Euphro- syne Dukaina '^), Isaak zog sodann bis Belgrad und hatte dort eine Zusammenkunft mit seinem Schwiegervater, König Bela III. Es war das letzte Mal, daß man an der Savemündung einen griechischen Kaiser mit seiner Armee zu sehen bekam. Die Ver- änderung der Lage machte sich auch im adriatischen Küsten- gebiete bemerkbar. Im Juni 1190 sicherte sich Miroslav für alle

1) Rede des Niketas Akominatos ed. Miller im Recueil des histo- riens des croisades, Historiens grecs 2, 737—741. Vgl. auch Eustathios ed. Tafel p. 43 § 10.

2) Urk. des Nemanja, Mon. serb. 4 und Vita von Öava cap. 1. Vgl. Novakovic: Godisnjica 1 (1877) 163 f.

3) Noch unter Kaiser Isaak: Niketas p. 704.

Der Großzupan StepLan Nernanja. 375

Fälle eine Zufluchtsstätte in Ragusa, das noch unter der Hoheit des Königs Tankred stand ^). Während des Krieges des Sohnes Friedrichs I., des Kaisers Heinrich VI., gegen die Normannen zogen es die Ragusaner vor, sich wieder den Griechen anzuschheßen. Im Vertrage wurde ihnen von Kaiser Isaak besonders verboten, mit den Königen von Alamannien ", Ungarn, SiziHen, ebenso wie mit den Großzupanen von Serbien oder den Venezianern Bünd- nisse einzugehen (1192) -).

Für Serbien begannen friedhche Zeiten. Im Osten der Halb- insel hatte der Krieg allerdings kein Ende. Die Bulgaren be- setzten Serdica (1194) und schlugen die Byzantiner bei Arkadio- polis (Lüle- Burgas). Kaiser Isaak Angelos rüstete sich zu einem neuen Zug nach Bulgarien im Bunde mit Bela III., als er (10. April 1195) im Lager von Kypselai (jetzt Ipsala) im süd- lichen Thrakien durch eine Militärrevolution gestürzt, auf der Jagd gefangen und geblendet wurde. Die Verschwörer erhoben auf den Thron seinen Bruder Alexios IIL Der neue Kaiser war Schwiegervater Stephans, des Sohnes Nemanjas, und verlieh ihm die von Alexios Komnenos errichtete zweithöchste Hofwürde eines Sevastokrator ■^).

In Kirchenfragen waren die Großzupane nach der Eroberung des adriatischen Küstenlandes in freundschaftliche Beziehungen zu den katholischen Erzbischöfen von Ragusa und Antivari getreten. In der Zeit, als Nemanja mit Friedrich I. über einen Bund gegen Isaak verhandelte, sendete Papst Klemens III. (25. November 1189) „dilectis filiis, nobilibus viris megajupano, Straschimiro et Mi- rosclabo" ein Empfehlungsschreiben für den neuernannten Erz- bischof Bernard von Ragusa, dessen Sprengel sich auch auf ser- bisches Gebiet erstreckte ^). Nemanjas Sohn Stephan hat (1199) die Briefe und Legaten des Papstes Innozenz III. freundlich emp- fangen und sich bei der Beteuerung seiner Anhänglichkeit an die

1) Kukuljevic 2, 157. Smiciklas 2, 245.

2) Der Inhalt erhalten bei Gondola: Mon. bist. jur. 9 p. LXII, Smiciklas 2, 25G.

3) Mon. serb. ö.

4) Smiciklas 2, 238.

18*

376 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

römische Kirche auf das Beispiel seines Vaters berufen ^). In der Biographie seines Vaters erwähnt er die Geschenke, welche Ne- manja den großen Kirchen der Christenheit gesendet habe, nicht nur nach Jerusalem, Konstantinopel und an die Kirche des heiligen Demetrios in Thessalonich, sondern auch nach Westen, an die Kirchen der heiligen Apostel Peter und Paul in Rom und des heiligen Nikolaus in Bari ^). Nemanjas Sohn Vlkan blieb als Herr von Antivari und Cattaro stets in Verbindung mit der rö- mischen Kirche.

Die orientalische Kirche hatte indessen im Osten Serbiens vollständig die Oberhand gewonnen. In der Biographie des Ne- manja ist ,,sein Bischof" der von Ras. Noch vor seiner Er- hebung zum Großzupan hatte Nemanja mit der Stiftung von Klö- stern begonnen. In Serbien ist das bedeutendste Denkmal das heute noch bestehende Kloster am Gebirgsbache Studenica („Kalten- bach"), der Mutter Gottes der „Wohltäterin " geweiht, im unteren Ibargebiet nördhch von Ras, mit einer kleinen schönen Kirche aus weißem Marmor zwischen hohen Bergen inmitten großer Wälder gelegen. Mit den Klöstern des Athos kam Nemanja durch ein eigentümliches Ereignis in seiner E'amilie in Berührung. Sein jüngster Sohn Rastko ^) beobachtete eifrig die frommen Werke des Vaters und las fleißig die heiligen Bücher. Die Erzählungen einiger Athosmönche, welche an den Hof des Großzupans kamen, um milde Gaben zu sammeln, besonders eines Russen, ließen ihn den Entschluß fassen, heimlich zu den Weltüberwindern auf den Heihgen Berg zu entfliehen. Unter dem Vorwand einer Jagd ent- fernte er sich aus dem Elternhause und gelangte ohne Hindernis an das Ziel seiner Wünsche. Die Edelleute, die ihm Nemanja nachsendete, fanden den schönen Jüngling im Kloster Vatopedi als Mönch Sava {^aßßdg) ^).

1) Stephan, „uaagnus juppanus totius Seruye" an Innozenz III.: „nos autem semper consideramus in vestigia sancte lomane ecclesie, sicut bone memorie pater mens ". T h e i n e r , Mon. Slav. 1 , 6 (ohne Datum , Antwort auf das päpstl. Schreiben vom 2. Jänner 1199 ib.).

2) König Stephan cap. 8.

3) Ein Diminutiv zu Rastimir, Rastislav.

4) König Stephan cap. 9. Sava cap. ü. Bei Domen ti an und Theodosij mehrere abweichende Details.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 377

Die geordneten Verhältnisse ermöglichten es Nemanja, frei- AviUig abzudanken und dem Beispiel seines jüngsten Sohnes zu folgen. Die Abdankung erfolgte feierlich auf einem Landtag (März lJ96)i). Von den beiden älteren Söhnen Nemanjas folgte als Großzupan der begabte Stephan. Vlk oder Vlkan erhielt mit dem Titel eines Großfürsten (velji knez) noch während der Re- gierung des Vaters drei untereinander nicht zusammenhängende Gebiete: Dioklitien und Tribunien, Hvostno bei Ped und die Toplica. Im Küstenlande führte er schon 1195 auch den alten dioklitischen Königstitel , den er vielleicht durch eine Heirat mit einer Fürstin aus dem einheimischen Geschlecht erworben hatte 2). Nemanja ließ sich vom Bischof von Ras sofort zum Mönch ein- kleiden, mit dem Namen Syraeon, und zog sich zuerst nach Studenica zurück. Seine Gemahlin Anna nahm den Schleier als Nonne Anastasia und begab sich in das Frauenkloster der Mutter Gottes in Ras. Doch Nemanja sagt selbst, das Wort der Heiligen Schrift, niemand werde als Prophet in seinem Vaterlande gern aufgenommen, sei an ihm in Erfüllung gegangen; dies habe ihn bewogen, den Kreis seiner Belüinnten und Kinder zu verlassen '^). Der Briefwechsel mit Sava bestimmte ihn, sich auf den Athos zu begeben (Oktober 1197). Die Hegumene, Mönche und Eremiten des Heiligen Berges begrüßten den alten Serbenfürsten mit der größten Achtung und Freude. Seitdem Sava auf den Athos ge- kommen war, hatte das Kloster Vatopedi die Freigebigkeit der frommen Serben in Fülle erfahren, durch Widmungen in Gold, Silber und Pferden, die bei der Ankunft des Mönches Sjmeon in größerem Maße sich wiederholten. Der Großzupan im Mönchs- gewand wollte alle Athosklöster sehen und ließ auf dieser Rund-

1) Über die Chronologie Iv. Pavlovic: Glasnik 47 (1879) 298.

2) Vlkan eine Kurzform für Vlkoslav, Vlkomir, Vlkodrug usw. (vlk Wolf). Vlbk im Evangelium um 1202, Stojanovic, Zapisi 1, 5, und in der Inschrift von Moraca ib. 1, 7 nro. 17, Bülxog bei Niketas, Vulcus in Ungar. Urk., Vulchus Urk. 1286 Spomenik 11, 21, Velcannus in der In- schrift über die Erbauung der Kirche des hl. Lukas in Cattaro 1195 (genaue Kopie von Georg von Stratimirovic im Spomenik 28, 11), in den Urk. Tou Cattaro, Wulcanus in päpstl. Urk.

3) Mon. serb. 5.

378 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.

reise überall ein schönes Geschenk zurück, Vater und Sohn faßten den Entschluß, ein eigenes serbisches Kloster auf dem Athos zu stiften, zum Andenken an ihre Dynastie und zum Nutzen ihres Volkes. Eine geeignete Stelle fanden sie auf der Nordseite der Halbinsel, nahe bei dem Isthmos von Prevlaka. Dort lagen die Ruinen eines von den Piraten zerstörten Klosters, Chilandar (griech. XelavTccgior, XiXiavöccQiov) genannt. Sava reiste nach Konstan- tinopel und erhielt von Kaiser Alexios III., dem Schwiegervater seines Bruders, ein ChrysobuU mit der Schenkung dieses verödeten Klostergrundes und der Bestätigung der neuen Stiftung als eines „kaiserlichen Klosters" i). Die serbisch verfaßte Gründuugsurkunde zählt die wenigen Güter auf, deren Zahl sich mit der Zeit so be- deutend vermehrte : mehrere Dörfer bei Prizren auf byzantinischem Boden, ein bei dem Kaiser erbetenes Geschenk, und einige An- siedlungen der Wlachen bei Podgorica -). Der Sohn, Großzupan Stephan, lieferte die Mittel zum Bau der Kirche (Maria Verkün- digung), der Wohngebäude, der hohen Festungsmauern und Türme, welche den Athosklöstern das Aussehen mittelalterlicher Burgen verleihen. Das Kloster Chilandar ist auch gegenwärtig eine Sehenswürdigkeit, in einem gegen Norden gewendeten Waldtal, umsäumt von schlanken, dunkeln Zypressen, umgeben von Wein- gärten und Obstpflanzungen, mit schönen Gebäuden und einer prachtvollen Kirche, welche jedoch nicht mehr der Bau des Ne- manja ist, sondern ein Neubau des Königs Stephan Uros IL Milutin (um 1300) ■'). In dem Hauptort des Heiligen Berges, in dem hochgelegenen, nach seinen Walnußbäumen genannten Karyäs (serbisch als Orahovica übersetzt), in welchem alle Klöster Sta-

1) Die Urkunden des Kaisers Alexios III. für Chilandar (eine vom Jahre 6707 = 1198/99) erwähnt bei P. Syrku, Beschreibung der Papiere des Bischofs Porphyrij Uspenskij, Petersburg 1891 S. 274 (Zapiski der Akad. der Wiss. Bd. 64, Beilage 9). Die Ausgabe in den „Trudy" der geistl. Akademie von Kiew 1871 Juni ist mir leider unzugänglich.

2) Mon. serb. 4—6 (ohne Datum). Das Original wurde 1896 nach Belgrad gebracht.

3) Neubau: Daniel 132. Abbildungen: Geizer, Vom Heiligen Berge und aus Makedonien (Leipzig 1904) HO; N. P. Koudakov, Die Denk- mäler der Christi. Kunst auf dem Athos , russ. , Petersburg (Akademie der Wiss.) 1902 S. 35 f. mit Fig. 10 f. und Tafel II.

Der Großzupan Stephan Nemanja. 379

tionen fiir ihre Vertreter haben, gründete Sava einen Eremitensitz, ein Hesychasterion ", geweiht dem heiligen Sabbas von Jerusalem. Der alte Großzupan verlebte noch acht Monate in seinem Kloster. Er starb inmitten seiner Mönche, vor dem Bild der Mutter Gottes auf einer Strohmatte gebettet, mit einem Stein unter dem Haupte, kurz vor Anbruch des neuen Jahrhunderts ^). Ein Grab hatte er sich in Studenica vorbereitet, doch wegen der stürmischen Zeiten, die seinem Ableben nachfolgten, konnten seine Gebeine erst nach einigen Jahren in die Heimat zurückgebracht werden. Sie ruhen heute noch in dem weißen Klosterkirchlein von Studenica. Bald wurde Nemanja, der Mönch Symeon, von seinem dankbaren Volke unter die Nationalheiligen aufgenommen.

1) Das Typikon von Chilandar gibt als Todesjahr Nemanjas den 13. Februar 6708 (1200) an; vgl. die Faks. in der Ausgabe von Bischof Di- mitrije, Spomenik 31 (1898) 44. Pavlovic, Kovacevic und Jova- novic u. a. nehmen das Jahr 1199 an, da der Großzupan Stephan in dem Brief an den Papst (s. oben S. 276) seinen Vater als bereits gestorben er- wähnt.

Viertes Buch.

Serbien eine Großmacht der Halbinsel unter den Nachkommen des Nemanja

(1196—1371).

Erstes Kapitel.

Die Söhne und Enkel des Nemanja während des la- teinischen Kaisertums. Erwerbung der Königskrone und Gründung der serbischen Nationalkirche durch Stephan den Erstgekrönten (1196 1228). König Stephan Uros I. (1243-1276) i).

Die Blütezeit der serbischen Geschichte ist die Periode der Nemanjiden. Der Umfang Serbiens erweiterte sich durch be- deutende Erwerbungen, bis es in der Mitte des 14. Jahrhunderts nahezu zwei Drittel der Halbinsel umfaßte. Schon wenige Jahre nach Nemanjas Tod war die Gruppierucg der Nachbarstaaten vollständig verändert. Verschwunden war das alte griechische Kaisertum, Als es nach Vertreib ui)g der Lateiner wieder in Konstantinopel erneuert wurde, drängten die Serben einige Gene- rationen hindurch die Grenzen des Staates der Palaiologen gegen

1) Das Quellenmaterial bilden Urkunden, sowohl die serbischen (Mi kl OS ich, Mon. serb. und Stojanovic im Spomenik Bd. 3), als die venezianischen und dalmatinischen (Ljubic, Smiciklas), ungarischen (Codex Arpadianus; Codex diplomaticus patrius u a), päpstlichen (Theiner) und griechischen (Miklosich und Müller, Acta graeca). Dazu kommen die serb. Inschriften und Epiloge der Handschriften (Stojanovic, Zapisi), sowie die griech. Briefe des Erzbischofs Deraetrios Chomatianos und des Kaisers Laskaris II. Legendenartig sind die serb. Biographien: des Nemanja von König Stephan (Zusätze bis 1215), des Erzbischofs Sava von den Mön- chen Domentian und Theodosij, der serb. Könige und Erzbischöfe von Erzbischof Daniel. Chroniken: Niketas Akominatos (bis 1206), Georgios Akropolites (bis 1261), Georgios Pachymeres (bis 1308), Archidiako « Thomas von Spalato (bis 12G6) und der Venezianer Martin de Canal (bis 1275).

384 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Süden zurück, bis sich Stephan Dusan als Herr fast des ganzen Westens den byzantinischen Kaisertitel beilegte. Um die einst von den Byzantinern ausgeübte Oberhoheit über Serbien bemühten sich die einstigen Bundesgenossen der Serben gegen die Griechen, die Ungarn, was vereint mit Grenzfragen den Anlaß zu vielen Kriegen bot, Rivalen der Serben waren seit 1320 die Bosnier, Vasallen der ungarischen Krone, seitdem sie durch das Narentatal die Küste des Adriatischen Meeres erreicht hatten. Freunde Serbiens waren die Venezianer; ihr gemeinsamer Gegner waren die Anjous von Ungarn und Neapel. Als sich im Osten jenseits des byzantinischen Reiches eine neue islamitische Macht erhob, die osmanischen Türken, waren bei dem Verfall der auf ihre Stadt- mauern beschränkten Griechen und der durch die lange Tataren- not herabgebrachten Bulgaren die Serben das einzige Volk der Halbinsel, welches sich den Osmanen bei ihrem ersten Vordringen in Europa in großen Feldschlachten entgegenstellte.

Die Geschichte der Balkanhalbinsel im 13. Jahrhundert bietet ein verwirrendes Bild rascher Verschiebungen der Machtverhält- nisse. Sowohl Einheimische, Griechen und Slawen, als Fremde, Franken und Ungarn, bemühten sich um die Hegemonie, ohne sie aber behaupten zu können. Die Situation veränderte sich durch unerwartete Zwischenfalle oft an einem Tage. Von den Umwälzungen wurden am meisten heimgesucht Albanien und Make- donien, welche in dieser Zeit keine selbständige Rolle spielten und rasch die Herren wechselten.

Nemanjas Nachfolger, sein Sohn Stephan, war ein kluger und begabter, in byzantinischer Art gebildeter Mann ^), dabei ein ge- wandter Diplomat und umsichtiger Feldherr, jedenfalls einer der talentvollsten Männer unter den Nemanjiden. Während seiner langen Regierung (1196 1228) setzte er, unbeirrt durch die ge- waltigen Umwälzungen in den umliegenden Ländern, das Werk seines Vaters unverdrossen fort. In der kritischen Zeit um 1204 wußte er sich mit Geschick sowohl gegen Nachbarn, als gegen Rivalen in der eigenen Familie zu behaupten und benutzte das Eintreten eioer günstigen Situation sofort zur Begründung der

1) Lob des Dem. Chomatiauos nro. 10 (um 1217).

Stephan der Erstgekrönte (1196—1228). 285

politischen und kirchlichen Selbständigkeit des Vaterlandes. Bei <ien Serben blieb ihm der Beiname des „erstgekrönten Königs" (prvovjenöani kralj).

Ungetrübt blieb der Friede, solange Nemanja als Mönch auf dem Athos lebte. Eine einzige Störung brachte ein ungarischer Einfall nach Zachlumien. Es hat ihn nicht Belas III. (f 1196) älterer Sohn und Nachfolger König Emerich unternommen, sondern der jüngere Andreas, der sich gegen seinen Bruder die Würde eines Herzogs von Dalmatien und Kroatien erkämpft hatte (1197) i). Er kam nach Zara und Spalato, legte sich den Titel eines „dux Chulmae" bei und rühmte sich nach einem kurzen Feldzug eines Sieges über Chelrao und Rassa (1198) -'). Das byzantinische Reich hatte unter der Regierung des Kaisers Alexios III., des Schwieger- vaters Stephans, von den Bulgaren einige Ruhe, nachdem die Brüder Äsen und Peter von einheimischen Gegnern ermordet worden waren, worauf der dritte Bruder, der „schöne Johannes" oder Kalojan, einen Frieden schloß. Schwere Sorge brachte eine Bewegung in Makedonien bei der Burg Prosek (wörtlich „der Durchhau"), die hoch über dem Wasserspiegel des Vardar in "den jetzt Demikapija (das Eiserne Tor) genannten Engpässen zwischen der Mündung der Cerna (des antiken Erigon) und der Küsten- ebene von Thessalonich gelegen war ^). In diesem Felsennest hat sich der Befehlshaber von Strumica, der Archont Dobromir Chrs iXQvaiqg) gegen ein von Alexios III. persönlich geführtes Heer gut behauptet (1198) i;. Chrs wurde in seinem Gebiet belassen, nach-

1) Vgl. Huber, Archiv f. österr. Gesch. 65 (1884) 156—163. Klaic, 0 hercegu Andriji (1197-1204): Rad 136 (1898).

2) Smiciklas 2, 293, 296.

3) Lage von Prosek {nQÖaaxo^): Marsch von Gynaikokastron (jetzt Avret-Hissar) über Prosek und Veles nach Skopje bei Kantakuzenos III cap. 42. Die feste Position schildern Niketas und Theodos ij. Wahr- scheinlich die Burgruine mit kyklopischen IVIauern über der Ostseite der „Demirkapija": Hahn, Reise durch die Gebiete der Drin und Wardar (S. A.), Wien 1867, 167—171.

4) Chryses des Niketas wurde von Hopf u. a. unrichtig identifiziert mit dem späteren Strez von Prosek. Demetrios Chomatianos unter- scheidet klar beide Namen: Xovarig (slaw. Chr^Ls, Ortsname Chr-Lsovo; vgl. den russ. Gott Chors bei Nestor) und ZiQs'aTCog (Kurzform von Strezimir

286 Viertes Bacli. Erstes Kapitel.

dem er sich durch eine Heirat mit der Tochter des Feldherrn Manuel Kamytzes der Konstantinopler Regierungsgesellschaft ge- nähert hatte. Weiter im Osten wurde der bulgarische Flüchtling Ivanko, der Vetter und Mörder Asens I. von Bulgarien, welchem Alexios III. die Burgen der Rhodope anvertraut hatte, ein gefähr- licher Rebell, bis man ihn durch List gefangen nahm. Bald war der Kaiser gezwungen, gegen Kamytzes selbst zu ziehen, als er sich mit Hilfe des Chrs in Westraakedonien und Thessalien fest- setzte (Frühjahr 1201). Zu gleicher Zeit ist der Neffe des Kaisers, der junge Alexios, Sohn des geblendeten Isaak Angelos, aus Kon- stantinopel ins Abendland entflohen, um dort Hilfe gegen seinen Oheim zu suchen.

Im folgenden Jahre versammelte sich in Venedig ein kleines Kreuzheer unter Anführung des Markgrafen Bonifaz von Mont- ferrat, wurde aber durch Geldmangel genötigt, die Fahrt nach Palästina aufzugeben und den Venezianern Söldnerdienste zu leisten. Die Venezianer und die Kreuzfahrer, geführt von dem greisen Dogen Enrico Dandolo, eroberten Zara, welches mehr als 20 Jahre im Besitz der Ungarn gewesen war (November 1202). König Emerich und Herzog Andreas taten nichts zur Unterstützung oder Wiedereroberung der Stadt. Während des Winterlagers in Zara verpflichteten sich die Führer des Heeres, einen Prätendenten nach Konstantinopel zu führen, den jungen Alexios. Auf dem weiteren Zug ergaben sich die ersten byzantinischen Städte, Ragusa ^) und Durazzo, sofort dem neuen Kaiser. In Konstantinopel wurde nach einigem Widerstände (Juli 1203) der Winde Kaiser Isaak aus dem Gefängnis geradeswegs auf den Thron gesetzt, neben ihm als Mit- regent sein Sohn, der Schützling des Kreuzheeres. Die weitereu Ereignisse führten nach einer Reihe von unerwarteten Wendungen zur Erstürmung von Konstantinopel durch die „Franken" (April 1204). Kaiser von „Romania" wurde der Graf Balduin von Flandern. Bonifaz, welcher Isaaks Witwe Margarete von Ungarn

oder Strezivoj ; gehört zu kircbenslaw. streg^. wachen). Vgl. Dr. Nikola Radojcic, Über einige Herren von Prosek am Vardar: Letopis Heft 259—260 (1909).

1) Devastatio Constantinopolitana bei Hopf, Chroniques 88.

Stephan der Erstgekrönte (1196—1228). 387

geheiratet hatte, erhielt das Königreich Thessalonich. Französische Ritter wurden Landesherren in Griechenland. Den Venezianern fielen die wichtigsten Inseln und Hafenstädte zu. Doch schon nach einem Jahre folgte eine Katastrophe. Mit den Bulgaren wollten sich die stolzen Eroberer nicht ins Einvernehmen setzen. In der Schlacht bei Adrianopel (April 1205) geriet Kaiser Balduin I. in die Gefangenschaft des Zaren Kalojan, der ihn hinrichten ließ. Bald fiel auch Bonifaz in einem Gefecht mit den Bulgaren in den Engpässen der Rhodope (1207). Die Griechen behaupteten sich in drei getrennten Staaten: im Despotat von Arta in Epirus unter den Angeli, in Nikaia unter Kaiser Theodoros I. Laskaris und im fernen Trapezunt unter den Komnenen ^).

Der Zusammenbruch des griechischen Kaisertums setzte alle Nachbarn in Bewegung. Noch vor der Entscheidung des Kampfes um Konstantinopel beeilte sich der Großzupan und Sevastokrator Stephan, der byzantinischen Politik den Rücken zu kehren. Er begann damit, daß er seine Frau, die Kaiserstochter Eudokia, nach gegenseitigen Vorwürfen der Untreue verstieß. Sie begab sich durch das Gebiet ihres Schwagers Vlkan nach Durazzo und von dort zu ihrem Vater Alexios III. nach Konstantinopel (1201 oder 1202). Die Ehe galt als aufgelöst. Eudokia wurde Gattin des Kaisers Alexios V. Dukas Murtzuphlos, der (Anfang 1204) Kon- stantinopel energisch gegen die Lateiner verteidigte. Nach dem traurigen Ende des tapferen Mannes heiratete sie noch den Leon Sguros, Herrn von Argos, Nauplia und Korinth (y 1 208) -). In- dessen suchte Stephan von Serbien eine Annäherung an den Westen. Es war eine Zeit, wo man in Rom goldene Königs- kronen an ferne Herrscher gerne erteilte, zuletzt in Zypern (1197) und Armenien (1198). Nach dem Vorbilde der Verbindungen

1) Vgl. Dr. Ernst Gerlaud, Geschichte der Frankenherrschaft in Griechenland, Bd. 2 (1905), Geschichte des lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel.

2) Niketas Akominatos 704 705. Akr opolites cap. 5, 8. Ant. Miliarakis, lazooCu roß ßuacltiov tFj; Nty.uiug y.cd tou ötanoTÜrov rrj^ 'HnftQov (Athen 1898) 630 640 bemüht sich, das Andenken dieser Kaiser- tochter zu rechtfertigen, durch Darlegung der Übertreibungen und Miß- verständnisse der neueren Übersetzer der griech. Geschichtschreiber.

388 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Bulgariens mit dem päpstlichen Stuhl unter Symeon und Samuel verhandelte Kalojan seit 1200 mit einem der hervorragendsten Männer, die je auf dem Stuhle des heiligen Petrus saßen, mit Innozenz III. Bald wurde ihm in Trnov vom Kardinallegaten Leo eine aus Kom gebrachte Krone feierlich auf das Haupt ge- setzt (8. November 1204). Diesen Weg betrat auch der serbische Großzupan. Den päpstlichen Legaten, welche (1199) im Erzbistum von Antivari im Gebiete seines Bruders Vlkan eine Provinzial- synode abhielten, war er freundlich entgegengekommen und stellte dem Papst als seinem „geistlichen Vater" (patri suo spirituali) die Absendung von Gesandten in Aussicht ^). Diese serbische Gesandt- schaft unterbreitete in Rom im Namen Stephans die Bitte um die Entsendung eines Legaten in sein Land und um die Verleihung einer Königskrone (regium diadema). Innozenz III. war mit seinen Ratgebern bereit dazu. Zum Legaten war schon einer der Kardi- näle, der Bischof Johannes von Albano in Latium, bestimmt, als die Sache zum Leidwesen des Papstes durch den Widerspruch des Königs Emerich von Ungarn vereitelt wurde. Ihn hat ohne Zweifel Vlkan dazu bewogen, der in seinem Teilfürstentum an der Adria mit dem alten dioklitischen Königstitel paradierte und unter den Serben allein König sein wollte (ungefähr 1202) ^).

Während der Belagerung von Konstantinopel durch die La- teiner benutzte der Bulgare Kalojan die allgemeine Verwirrung zur Okkupation des byzantinischen Westens, von den Bergen bei Sofia bis zur Grenze von Thessalien, mit den Städten Prizren, Skopje, Ochrid und Berrhöa ^). Überall wurden die griechischen Bischöfe vertrieben und durch Bulgaren ersetzt. Verdächtige

1) The in er, Mon. Slav. 1, 6 nro. 11 (1199).

2) Innozenz III. an König Emerich am 15. September 1204 über den Wunsch des „nobilis vir Stephanus, megajupanus Servie": Th einer, Mon. Slav. 1, 36 = Migne, Patrologia lat. vol. 215 col. 415. Über Johannes, Bischof von Viterbo, später von Albano, f 1210 in Rom, vgl. ib. vol. 215 col. 282 Anm.

3) Unter den bulg. Bischöfen damals auch Abraham von Prizren, Marinus von Skopje u. a.: Theiner a. a. 0. 1, 29. Verzeichnisse der bulg. Bistümer aus der Zeit Kalojans bei Weidenbach, Calendarium bist, christ. (Regensburg 1855) S. 276-277 und bei Erler, Der Liber cancellariae apostolicae (Leipzig 1888) p. 39 40.

Stephan der Erstgekrönte (1198—1228). 289

Griechen, wie die Bürger von Berrhöa, übersiedelte man an die Donau ^). Im Moravatale und an der mittleren Donau stießen aber die Bulgaren bei der Aufteilung der byzantinischen Erbschaft mit den Ungarn zusammen. König Emerich kämpfte mit den bulgarischen Truppen an der Morava und besetzte einige Bistümer, welche Kalojan zum „Imperium" von Bulgarien rechnete -). Serbien wurde in diese Kämpfe verwickelt und überdies durch einen Bruder- krieg tief erschüttert (1202 1203). Vlkan hatte alle Ratschläge seines seligen Vaters vergessen und strebte mit Unterstützung des Emerich nach der Alleinherrschaft über ganz Serbien. Stephan wurde von ihm aus dem Lande vertrieben. Emerich legte sich selbst den Namen eines Königs von Serbien bei, der seitdem im ungarischen Königstitel fortlebte. Den Papst ersuchte er um die Unterordnung Serbiens unter die römische Kirche und um Ge- währung einer Königskrone (regalis Corona) an Vlkan. Inno- zenz III. erteilte (März 1203) dem Erzbischof von Kalocsa in Ungarn den Auftrag, den Vlkan zu besuchen, ihn, sowie die Bischöfe und Edelleute von Serbien im wahren Glauben zu be- stärken und sie von dem Versprechen des Gehorsams gegen den Patriarchen von Konstantinopel zu entbinden. Doch wurde diese Reise wahrscheinlich gar nicht angetreten •^'). Vlkan nannte sich im Osten Serbiens nur Großzupan. In einer für ihn in Ras ge- schriebenen Evangelienhandschrift wird er der „großgeborene, groß- berühmte" Herr des ganzen serbischen Landes, der Zeta, der Küstenstädte und der Landschaft von Nis genannt ^). Zur selben Zeit (April 1203) hat Ban Kulin von Bosnien unter dem Einfluß des Königs von Ungarn und der päpsthchen Sendboten die Ober- häupter der Patarener zur Abschwörung ihrer Lehre bewogen. In Serbien fand aber der ungarische Einfluß bald ein Ende. Große

1) Dem. Chomatianos ep. 8, 48, 52.

2) „V episcopatus Bulgarie pertinent ad Imperium meum, quos invasit et detinet rex Hungarie": Kalojan an Innozenz III. s. d., Theiner a. a. 0. 1, 30. Die ZiflFer V ist unsicher; es waren wohl Belgrad, Branicevo und Nis. Ein Feldzug des Königs Emerich „contra Bulgaros super fluvium Morava" wird 1231 von Andreas II. erwähnt: Huber a. a. 0. 1, 377 Anm 2.

3) Theiner a. a 0. 1, 18-19, 34-36.

4) Stojanovic, Zapisi 1 nro. 7 (Orig. mit alten Easuren). Jirecek, Geschichte der Serben. I. 19

390 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Heere Kalojans, bestehend aus Bulgaren und Kumanen, brachen im Lande ein. Die Serben mußten Nis verlassen, die Ungarn Branicevo; in beiden Städten finden wir in der nächsten Zeit bulgarische Bischöfe i). Nur Belgrad scheint den Ungarn geblieben zu sein. Vlkan wurde aus dem Osten Serbiens vertrieben und Stephan wieder in den Besitz seines Reiches und Thrones gesetzt (Sommer 1203). Das Land war aber durch die Plünderungen der fremden Heere arg verwüstet, überdies auch durch eine furchtbare Hungersnot verödet. König Emerich konnte keinen Widerstand leisten, beschäftigt durch einen Krieg gegen seinen Bruder Andreas ; er nahm ihn gefangen, starb aber bald nach diesem Erfolg (Herbst 1204) -). Stephan und Vlkan versöhnte der dritte Bruder, der Mönch Sava, welcher damals mit den Gebeinen Nemanjas aus dem Athos in die Heimat zurückkehrte. Vlkan wird nach 1207 nicht mehr erwähnt ^). Von seinen drei Söhnen führte Georg 1208 den Königstitel, residierte aber 1242 nur als „princeps Dioclie" in Dulcigno. Stephan ist der Gründer des Klosters von Moraca in Montenegro (1252). Der jüngste, Zupan Dimitr, als Mönch David genannt, unternahm im hohen Alter (1286) eine Pilgerfahrt nach Jerusalem. Ein Enkel dieses Dimitr war Knez Vratko, einer der Feldherren des Stephan Dusan ; auch sein Zeitgenosse Mladen, der Stammvater der Brankovici, soll ein Nachkomme Vlkans gewesen sein *).

Durch den vierten Kreuzzug waren die Venezianer die ein-

1) Theiner a. a. 0. 1, 29, 30, 33 (1204).

2) Korreispondeuz Innozenz' III. mit Emerich, Vlkan und Kalojan: Theiner a. a. 0. 1, 14f, Niketas 705. König Stephan cap. 14. Sava cap. 11. Domeutian 96f. Theodosij bei Pavlovic, Einheimische Quellen zur serb. Gesch. (Belgrad 1877) 77 f.

3) Ragusa und Cattaro verpflichteten sich 12. April 1207 zu gegen- seitiger Hilfe; Vermittlungsversuche durch Gesandte sollen erfolgen, sobald eine der beiden Gemeinden belagert wird vom Dogen zu Venedig, dem König von Sizilien oder „da Stefano gran giupano e dal suo fratello Vulcano". Auszug bei Gondola MS.; vgl. Resti 75.

4) Über Vlkans Familie Ilarion Ruvarac in der GodiSnjica 10 (1888) If. und 14 (1894) 216 f. Lateinische Urk. des David oder Dimitr aus Akkon 1286: Spomenik 11, 21. Mladen: ein Text herausg. von No- vakovic. Starine 9, 90.

Stephan der Erstgekrönte (1196—1228). 291

flußreicliste Macht des Ostens geworden. Sie wurden auch un- mittelbare Nachbarn der Serben. Als der erste lateinische Patriarch von Konstantinopel, der Venezianer Thomas Morosini mit einer Flotte aus der Lagunenstadt nach seiner neuen Residenz segelte, unterwarf sich das seit dem Fall des byzantinischen Reiches verein- samte und schutzlose Ragusa ohne Widerstand (1205). Die Stadt erhielt einen venezianischen Comes (slaw. knez), behielt aber ihre Autonomie, mit ähnlichen Verpflichtungen gegen Venedig, be- sonders durch Ausrüstung von Kriegsschiffen, wie früher gegen Byzanz. Eine venezianische Besatzung gab es nicht; in Zeiten der Gefahr genügte das Erscheinen der Flotte der Republik. Anfangs waren die Comites lebenslänglich, so Giovanni Dandolo (urkund- lich 1214 1235); erst seine Nachfolger wurden in der Regel auf zwei Jahre bestellt. Morosini nahm dann nach kurzer Belagerung Durazzo. Zur Sicherung des Seeweges nach Konstantinopel suchte die Republik alle Herren der Küste unter ihre Hoheit zu bringen. Vasallen Venedigs wurden sowohl die französischen Fürsten von Achaja, als die griechischen Despoten von Epirus (1210)^). Ein unverläßlicher Vasall war (um 1208—1210) der Albanese Deme- trios, Sohn des Progon, Fürst oder „Richter" von Arbanum bei Kroja, ein Schwiegersohn des Großzupans Stephan, Gemahl seiner Tochter Komnina -). In Dioklitien leistete im Juli 1 208 Vlkans Sohn König Georg mit seinen Verwandten der Republik den Treueid ; er war bereit, eventuell gegen Demetrios Hilfe zu leisten ^). Auch der Großzupan knüpfte mit den Venezianern Verbindungen an und schloß mit dem Comes Dandolo und der Gemeinde von Ragusa einen Freundschaftsvertrag ^).

Der mysteriöse Tod des Zaren Kalojan bei der Belagerung

1) Tafel und Thomas 2, 97, 119f.

2) "Anywv roß 'doßdvov, Arbanensis princeps, iudex Albanorum: Dem. Chomatianos nro. 1, 3: Innozenz III. bei Theiner a. a. 0. 1, 45. Vgl. Drinov im Viz. Vremennik 1 (1894) 321 f., 336 und meine Abh. im Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 87.

3) Ljubic 1, 27.

4) Urkunde des „velji zupan Stefan" an „Zan Dandol" und die Ra- gusaner (um 1214 1217), herausg. von mir im Glasnik 47 (1879) 304f., wiederholt bei Smiciklas, Cod. dipl. 3, 140.

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293 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

von Thessalonich (Herbst 1207) hatte große Wirren in Bulgarien zur Folge. Die Gesellschaft der „principes imperii mei", wie sie Kalojan in seinen Briefen an den Papst nennt, zeichnete sich durch unbändige Wildheit aus. Fränkische und griechische Quellen schildern die grausame Härte des Kalojan selbst. Ivanko ließ in der Rhodope, wie Niketas Akominatos berichtet, bei seinen Gast- mählern zur größeren Feierlichkeit griechische Gefangene ab- schlachten. Der serbische Mönch Theodosij erzählt, wie Strez auf der Burg Prosek eine hölzerne Bühne errichtete, auf welcher er bei seinen Gelagen Leute zum Tode verurteilte und sofort in die tief unten strömenden Fluten des Vardar hinabwerfen ließ; „seine Freude war der Tod der Menschen". Nun begannen diese Männer gegeneinander zu kämpfen. Der junge Thronerbe Äsen, Sohn des „älteren" Äsen, mußte nach Rußland fliehen. Des Thrones bemächtigte sich ein Schwestersohn Kalojans, namens Boril (1207 1218). Borils Vetter, der Despot Slav machte sich in der Rhodope unabhängig und schloß sich bald den Franken an. Ein anderes Mitglied der Familie, der Sevastokrator Strez (bei den Lateinern Stratius, Straces) in Prosek fand Unterstützung bei Stephan von Serbien, obwohl Boril angeblich Tag für Tag seine Auslieferung verlangte, um diesen seinen „Bruder" dem Feuertode zu überliefern oder zu vierteilen. Mit Hilfe des Groß- zupans soll Strez die „Hälfte des bulgarischen Kaisertums" erobert haben. Indessen wurden die Landschaften an der Morava wieder von den Ungarn besetzt, in deren Besitz damals Branicevo mit der nahen Landschaft Kucevo und dem Gebiet südwärts bis Ravno (Cuprija) erscheint ^).

Zar Boril bemühte sich anfangs als Verbündeter der Griechen von Nikaia die Politik Kalojans fortzusetzen, doch eine Niederlage gegen Kaiser Heinrich, den energischen und begabten Bruder Balduins L, bei Philippopel (1208) und andere Mißerfolge zwangen ihn, sich gerade Kalojans Gegnern in die Arme zu werfen, den Lateinern und Ungarn. Kaiser Heinrich heiratete (um 1213) eine

1) Castrum Boronch 1217: Cod. dipl. patr. 7, 6 7. Kucso: vgl. Paul er im Sbornik bulg. 7 (1892) 429. Ravno „an der Grenze meines Vaterlandes": König Stephan cap. 20.

Stephan der Erstgekrönte (1196—1228).

Verwandte des Boril und wurde sein Bundesgenosse ^). Anderer- seits half König Andreas II. dem Boril zur Wiedereroberung von Vidin, als sich dort eine von den Rumänen unterstützte Gegen- partei festgesetzt hatte '^). Als Boril und Heinrich beim Großzupan die Auslieferung des Strez nicht erlangen konnten, unternahmen sie gemeinsam einen Zug gegen Serbien, wurden aber bei Nis angeblich durch ein mitternächtliches Wunder des heiligen Symeon Nemanja zu einem ruhmlosen Rückzug gezwungen (ungefähr 1214) ^). Bald darauf gelang es den Verbündeten, den Strez auf ihre Seite zu ziehen, gegen den Großzupan, dem er so viel zu verdanken hatte. Selbst durch eine Gesandtschaftsreise des Mönchs Sava ließ sich der Herr von Prosek von seinem Gesinnungswechsel nicht ablenken. Jedoch schon in der Nacht nach der Abreise des serbischen Fürstensohnes im Mönchsgewande ereilte ihn ein plötz- licher Tod (ungefähr 1215). Die Serben deuteten das unerwartete Ende des Mannes als ein Wunder. Die Wahrheit wissen wir nicht. Das Gebiet des Strez fiel weder Boril von Balgarien, noch Stephan von Serbien zu, sondern den näheren Nachbarn, teils den Lateinern von Thessalonich, welche Prosek in Besitz nahmen, teils den Griechen von Epirus, die sich in Skopje festsetzten ^).

Der erste der Despoten von Arta, Michael I. „Angelos Dukas Koranenos", des Kaisers Isaak Vetter, aber ein Bastard, hatte kurz zuvor die lateinische Partei verlassen, die Venezianer aus Durazza

1) König Stephan cap. 16 und 20 nennt Heinrich den „griechiscben Kaiser Jeris Filandr". Filandr ist Flandern, Eris die griech. Form für Heinrich; vgl. Ivan Pavlovic, Arch. slaw. Phil. 3 (1879) 718.

2) „Assenus Burul, Imperator Bulgarorum." unterstützt von Andreas H., Urk. Belas IV. 1259 bei Kukuljevic, Starine 27 (1895) S. 28.

3) König Stephan cap. 16, 17, 20, franz. übersetzt bei Baron de Borchgrave, Henri de Flandre, empereur de Constantinople et le roi Etienne I de Serbie (Compte rendu der bist. Kommission der Akademie von Brüssel, t. V uro 5, 5 serie). Abendländische Berichte fehlen; Henri de Valenciennes reicht nicht so weit und in deu Regesten Innozenz' III. fehlt Febr. 1214 Nov. 1215; vgl. Hampe, Mitt. des österr. Inst. 23 (1902) 547.

4) Prosek hat später Despot Theodor den Lateinern entrissen: Briefe des Metropoliten Johannes Apokaukos von Naupaktos bei Vasiljevskij, Epirotica, Viz. Vrem. 3 (189G) 214 f. Skopje im April 1217 im Besitz der Epiroteu: Dem. Chomatianos uro. 59.

394 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

und Korfu vertrieben ^) und im Bunde mit Strez die Lateiner in Thessalien und Makedonien bekämpft. Damals kam auch die Landschaft von Arbanum wieder unter die Herrschaft der Griechen. Dem Großzupan Stephan war Michael Feind, wir wissen nicht warum. Der unternehmende Despot begann sogar eine Restauration der griechischen Herrschaft im Küstengebiete Dioklitiens und be- setzte die Stadt Skutari. Vergeblich waren die Reklamationen Stephans. Plötzlich wurde der Epirote vom Tode ereilt, ein Er- eignis, welches den Zeitgenossen ebenso wie das Ende Balduins I., Kalojans und des Strez ganz wunderbar erschien. In Berat in Albanien wurde Michael, als er im Bette neben seiner Gattin lag, von einem seiner Diener mit dem Schwerte erstochen -). Sein Nachfolger war sein Halbbruder Despot Theodor, der bedeutendste unter allen griechischen Fürsten des Westens. Mit den Serben knüpfte er wieder freundschaftliche Beziehungen an. Sein Bruder Manuel vermählte sich mit einer Schwester des Großzupans. Stephan selbst war bereit, Maria, eine Tochter des verstorbenen Despoten Michael I. zu heiraten, jedoch das Projekt zerschlug sich an einem Ehehindernis, der bereits bestehenden Verschwägerung mit dem Hause der Angeli •^).

Bedenklich wurde für den Großzupan ein Bündnis zwischen Kaiser Heinrich und König Andreas H., welcher damals eine Nichte Heinrichs, die Jolante von Courtenay geheiratet hatte. Heinrich und Andreas verabredeten eine persönliche Zusammen- kunft in Nis (nach Ostern, 1215?), zu welcher sie auch den Serbenfürsten einluden. Stephan war aber sehr beunruhigt. In den Nachträgen zur Lebensbeschreibung des Nemanja beschuldigt er beide Herrscher geheimer Absichten gegen Serbien; sie hätten im Sinne gehabt, ihn zu vertreiben und sein Land untereinander zu teilen. Deshalb beeilte er sich zuerst mit Andreas II. allein

1) Um 1212—1214: Miliarakis a. a. 0. 62.

2) Akropolites ed. Heisenberg cap. 14 p. 25. König Stephan cap. 18 (bei ihm als nächstem Zeugen ist die chronologische Reihenfolge der Ereig- nisse zu beachten). Michaels Tod nach Finlay und Hopf 1214, nach Miliarakis Anf. 1216; eher 1215.

3) Demetrios Chomatianos nro. 10 (undatiert). Vgl. Drinov, Viz. Vrem. 1 (1894) 327 f. und Radouic, Letopis 208 (1901) 128.

Stephan der Erstgekrönte (1196—1228). 295

zusammenzukommen. Die Entrevue fand in Ravno statt und dauerte 12 Tage, unter Festlichkeiten und Austausch von Ge- schenken. Von dort zogen der König und der Großzupan dem Kaiser entgegen nach Nis. Heinrich war gegen Stephan von dessen Gegnern aufgebracht worden. „Er wünschte gar sehr, daß ihm von mir irgendeine, wenn auch kleine Ehre erwiesen werde, erlangte sie aber nicht." Es war wohl die einstige Ober- hoheit des Konstantinopler Kaisertums über Serbien, welche die Lateiner in irgendeiner Form gern erneuert hätten. Die Spannung ging so weit, daß die Serben alle Wege absperrten ; endlich konnte der Kaiser nur durch Intervention des Königs Andreas wieder frei abziehen ^). Die Machtstellung und die Ansprüche des latei- nischen Kaisertums zwangen Stephan, einen engeren Anschluß an andere Lateiner zu suchen. Wahrscheinlich durch Vermittlung des Coraes von Ragusa Giovanni Dandolo trat er durch eine Heirat in eine nähere Verbindung mit den Venezianern und zwar gerade mit der Familie Dandolo. Frau des Großzupans, wohl die dritte, wurde Anna, Enkelin des Dogen Enrico Dandolo (f 1205) und Tochter des Riniero Dandolo (f 1209) -).

Kaiser Heinrich starb indessen in Thessalonich eines frühen Todes (11. Juni 1216). Eine Partei war für den König Andreas H. von Ungarn, doch die Mehrheit entschied sich für Peter von Courtenay, Gemahl einer Schwester der beiden ersten lateinischen Kaiser. Peter wurde in Rom von Papst Honorius IH, gekrönt (9. April 1217), Aus Unteritalien segelte er nicht geradeswegs nach Konstantinopel, sondern auf Wunsch der Venezianer zuerst nach Durazzo, um diese Stadt für sie wiederzuerobern ^). Obwohl

1) Nur bei König Stephan cap. 20 (Schluß des Werkes, verfaßt jeden- falls noch vor dem Tode Heinrichs). Schenkungsurkunde Andreas' II. an Michael, Sohn Abrahams, für seine Verdienste „maxime in expedicione Rascie, nobis personaliter ibidem existentibus " (1229): Smiciklas, Cod. dipl. 3, 318.

2) Stammtafel der Dandolo bei Simons feld, Andreas Dandolo und seine Geschichts werke (München 1876) 24. Radonic im Letopis 208 (1901) 126 130 erklärt als Stephans zweite Frau die Ungenannte um 1204 1216 bei Demetrios Chomatianos nro. 10, als die dritte die Venezianerin.

3) Guill. de Nangiaco: Recueil des bist, des Gaules 20, 759.

396 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

die Belagerung mißglückte, begann der Kaiser den Vormarsch in sein Reich dennoch auf dem Landwege durch epirotisches Gebiet, in der Richtung nach Ochrid und Thessalonich. Schon in der Nähe erwartete ihn der Despot Theodor. An den Ufern des Skumbi geriet Kaiser Peter in einen Hinterhalt und fand im Kampfe den Tod ^). Durch diesen Sieg, welcher dem Kalojans über Kaiser Balduin I. nicht im geringsten nachstand, wurde Theodor mit einem Schlag der berühmteste Fürst des Ostens. Das lateinische Kaisertum hat sich seit diesem Tage nimmermehr aufgerafft. In Konstantinopel folgte eine schwache Regentschaft unter Peters Witwe. Boril von Bulgarien konnte sich ohne Unter- stützung der Franken nicht länger behaupten. Johannes Äsen II. kehrte aus Rußland zurück, nahm Boril gefangen und ließ ihn blenden (1218). Indessen trat König Andreas II. den Kreuzzug an, zu dem er sich längst verpflichtet hatte. Von Spalato segelte er (August 1217) nach Palästina, kehrte aber schon im folgenden Jahre (1218) auf dem Landwege durch das Sultanat der Seld- schuken und das Kaisertum Nikaia über Konstantinopel und Bul- garien nach Ungarn zurück.

Während dieses raschen Szenenwechsels erreichte Großzupan Stephan, wahrscheinlich mit Hilfe von Venedig, das Ziel seiner Wünsche, die Königskrone aus Rom (1217), um die er schon vor fünfzehn Jahren mit Innozenz III. verhandelt hatte. Die klarste Nachricht gibt ein Zeitgenosse, der Archidiakon Thomas von Spalato (geb. 1200, f 1268). Unmittelbar nach der Abreise des. Königs Andreas II. berichtet er, zur selben Zeit (eodem tempore) habe „Stephanus, dominus Servie sive Rasie", genannt „megaju- panus", durch Gesandte vom Papst Honorius III. eine Königs- krone (corona regni) erlangt. Ein päpstlicher Legat sei nach Serbien gesendet worden, welcher Stephan krönte und zum ersten König seines Landes einsetzte -). Andreas Dandolo wiederholt die

1) Akropolites ed. Heisenberg cap. 14 p. 26; vgl. Miliarakis a. a. 0. 125. Vor dem 28. Juli 1217: Press utti, Regesta Honorü III, 1 (Rom 1888) nro. 684 f.

2} Thomas (cap. 25, ed. Racki p. yi) war wohl bei der Abfahrt Andreas' II. aus Spalato anwesend, bevor er die Universität von Bologna (um 1220) bezog.

Erwerbung der Königskrone (1217). 297

Nachricht mit einem Zusatz aus der Geschichte seiner Familie : Stephan heiratete eine Enkehn des Dogen Enrico Dandolo, ließ sich von seiner Frau überreden, dem Schisma zu entsagen, und wurde von einem Kardinallegaten zugleich mit seiner Gattin zum König gekrönt ^). Die erhaltenen Regesten Honorius' III. bieten nichts über diese Krönung; sie scheinen nicht die Geheimbriefe zu enthalten und geben weniger Aufschluß über die politische Geschichte, als der Briefwechsel Innozenz' III. Nur im März 1220 ist darin ein Brief des „Stephanus, dei gratia totius Servie, Dioclie, Tribunie, Dalmatie atque Chlumie rex coronatus-'^ eingetragen^ in welchem er dem Papst seine Treue als Sohn der römischen Kirche beteuert, den Segen Gottes und des Papstes für seine Krone und sein Land erfleht und den Bischof Methodius als seinen Ge- sandten beglaubigt -). Bei dem serbischen Mönch Domentian (schrieb 1254) ist der Bericht schon ganz verfärbt. Sava, angeb- lich schon Erzbischof von Serbien, habe durch einen seiner Schüler, den Bischof Metodij, in Rom um den Segen der heiligen Apostel Peter und Paul und um eine vom Papste geweihte Krone gebeten. Der Papst habe diesen Wunsch erfüllt. Als Metodij die Krone nach Serbien brachte, habe Sava seinen Bruder im Kloster Zica gekrönt. Kein Wort von Rom, dem Papst und dem Ursprung der Krone sagt der Mönch Theodosij, der gleichfalls den Krönungs- akt von Sava ausführen läßt. Doch ist Sava damals noch gar nicht Erzbischof gewesen, sondern weilte abermals auf dem Berge Athos ^). Ein Protest gegen die Krone war nur von Andreas IL von Ungarn zu erwarten, der sich, wie sein Bruder und Vorgänger Emerich, stets auch König von Serbien schrieb. Nach der Rück- kehr aus Palästina war er über die Sache sehr ungehalten und betrieb Rüstungen, eine Gesandtschaftsreise des Sava soll ihn aber

1) Muratori, Bd. 12 col. 340 E.

2) Bei Raynald a. 1220, Farlati 7, 34, aus dem Nachlaß von T h e i u e r bei R a c k i , Starine 7, 55 ; kurzes Regest bei Pressutti a. a. 0. 1 p. LH nro. 21.

3) Vgl.die Untersuchungen von IlarionRuvaracim Letopis 208 (1901) 1—44. Engel, Majkov, Golubinskij u. a. haben, um die vei'schiedenen Berichte in Einklang zu bringen, zwei Kronen angenommen, eine aus Rom, die zweite, von der in den Quellen nirgends zu lesen ist, aus Nikaia.

398 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

besänftigt haben i). Die Gefahr war jedenfalls nicht groß, da in Ungarn eine arge Spannung zwischen dem König und dem Adel ausbrach, welche erst durch die „Goldene Bulle" (1222) beigelegt wurde.

Der Verfall des lateinischen Kaisertums entwertete bald die Verbindung mit dem Westen und riet zu einer Annäherung an den Osten. Im Aufschwung war die Macht der Griechen. Nur wußte man nicht, ob die Epiroten oder die Nikäer die Oberhand gewinnen würden. Zu dem politischen Gegensatz der griechischen Nebenbuhler gesellte sich auch eine kirchliche Rivalität, welche von König Stephan sofort ausgenutzt wurde. Der Einfluß des in der unmittelbaren Nachbarschaft, im Lande des mächtigen Theodor residierenden Erzbischofs von Ochrid war dem Stephan unbequem. Um ein eigenes serbisches Erzbistum zu erlangen, sendete der König (1219) seinen Bruder, den Mönch Sava, an den fernen Hof von Nikaia, zu Kaiser Theodoros I. Laskaris und zu dem dort lebenden Patriarchen von Konstantinopel, damals Manuel Saran- tenos, genannt Charitopulos (1215 1222) -). Die Errichtung eines Erzbistums wurde gerne bewilligt und Sava selbst in Nikaia feier- lich zum ersten Erzbischof von Serbien geweiht. Neben dem alten Bistum von Ras gründete man sofort eine Reihe neuer Bischofsitze. Der Kirche von Ochrid wurde von dieser Neu- gründung keine amtliche ]\Iitteilung gemacht. Der damalige Erz- bischof, der gelehrte Demetrios Chomatianos protestierte gegen die Verletzung seiner Rechte in einem Synodalschreiben an den „Mönch" Sava, welches der Bischof Johannes von Skopje zu überbringen und mündlich zu erläutern hatte (Mai 1220). In diesem Akte wird betont, daß Serbien dem Thron des Erzbischofs von Ochrid untergeordnet sei; der einzige legitime Bischof im Lande sei der von Ras. Sava sei gegen die Satzungen des kanonischen Rechtes gleich zum Erzbischof geweiht worden, ohne früher Bischof ge- wesen zu sein. Um die Errichtung eines Erzbistums hätte er in

1) Domentian 245f. Theodosij bei Pavlovic 115f.

2) Bei Domentian wird irrtümlicli Gerinanos IL, Manuels Nach- folger genannt, doch die Petersburger Handschrift (vgl. Jagic, Starine 5, 15) verbessert am Rande Germau in Manuel, den auch ein altserb. Text bei Pavlovic a. a. 0. 99 Anm. nennt.

Die erste Erzbischof Sava I. (1219). 399

Ochrid, nicht in Nikaia nachsuchen sollen. Sava selbst habe in jungen Jahren Vaterland, Familie, sein väterliches Erbe, kurz die ganze Welt verlassen, um unter den den Satan bekämpfenden Einsiedlern berühmt zu werden. Dann aber sei er aus Liebe zum Vaterlande aus der Akropolis des Heiligen Berges nach Serbien zurückgekehrt und aus einem Asketen Staatsmann und Diplomat geworden. Jetzt nehme er an weltlichen Gastmählern teil und reite schöne Pferde edler Rasse, umgeben von einem großen Gefolge von Bewaffneten. Nicht aus Eifer für das Evan- gelium, sondern aus Eitelkeit habe er die neue Würde angestrebt. Überdies habe er den kanonischen, von Ochrid abhängigen Bischof von Prizren eigenmächtig vertrieben und einen anderen eingesetzt; demnach war Prizren in dieser Zeit, wir wissen nicht wie, unter die Herrschaft der Serben gekommen. Demetrios droht dem Sava mit dem Kirchenbann {dcpoQiOf.i6g), als Übertreter der heiligen und göttlichen Kanones. Einige Jahre später richtete Demetrios neue Vorwürfe wegen Serbien an die Kirche von Nikaia, schon an den Patriarchen Germanos H. (seit 1222) ^). Ob die Serben und die Nikäer auf diese Proteste überhaupt geantwortet haben, ist nicht bekannt. In Serbien baute man damals eifrig an dem Kloster von Zica, der Residenz des Erzbischofs und der Krönungskirche der Könige. Unter den Fresken ist dort noch das Bildnis des Stifters, des Königs Stephan zu sehen: ein schöner Mann mit langem schwarzen Bart, in einer mit Perlen geschmückten Mütze, gekleidet in ein karminrotes Gewand mit gelben Doppeladlern in weißen Perlenkreisen. Neben ihm erblickt man das von einem schütteren Bart umrahmte jugendliche Antlitz seines ähnlich ge- kleideten erstgeborenen Sohnes Radoslav -).

Bald darauf zog ein neuer lateinischer Kaiser nach Konstan- tinopel, auf der alten Kreuzfahrerstraße. Es war ein Sohn des unglücklichen Peter, der junge Robert de Courtenay (1220 1228). Den Winter (1220 1221) brachte er bei seiner Schwester, der

1) Demetrios Chomatianos uro. 86 ed. Pitra col. 381 390 und nro. 114 col. 495— 49G.

2) Nach einer Kopie von Valtrovic bei Strzygowski: Denkschr. W. Akad. 52 (1906) 109, Abb. 40.

300 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

ungarischen Königin Jolante zu. Der Durchzug durch das Gebiet des serbischen Königs Stephan und des bulgarischen Zaren Johannes Äsen IL, der damals Schwiegersohn Andreas II. war, ging ganz ruhig vor sich. Merkwürdig ist eine Nachricht in der Chronik des Balduin von Avesnes. Robert hatte einen Kriegsmann (serjant) aus Lille bei sich, von dem man sich erzählte, daß er ein Bastard- onkel'* des jungen Kaisers sei. Dieser Onkel hatte eine schöne Tochter, welche Robert reich geschmückt als seine Cousine ausgab und an den „König von Serbien" (roi de Servie) unter großen Feierlichkeiten verheiratete. Dem Vater des Fräuleins gab er aber Geld zur Rückreise in die Heimat, damit das Geheimnis der Genealogie nicht verraten werde ^). Im März 1221 wurde Robert in Konstantinopel gekrönt, doch bald wußte alle Welt von seiner Unfähigkeit.

Nach kurzer Zeit wurde Thessalonich, die zweite Hauptstadt der Lateiner, vom Despoten Theodor erobert (April 1223). Der Sohn des Bonifaz, König Demetrios, war eben über Ungarn ins Abendland um Hilfe gereist. Eine epirotische Synode in Arta beschloß einstimmig, Theodor, den Befreier des Westens von dem Joche der Fremdherrschaft, zum Kaiser zu erheben. Erzbischof Demetrios Chomatianos vollzog die Krönung. Der neue Kaiser residierte meist in Thessalonich. Seine Statthalter, mit den Titeln von Duces und Sevasti, Griechen, Slawen und Albanesen, ver- walteten die Themata Makedoniens und Albaniens bis zur serbi- schen Grenze, die sich nördlich von Arbanum, Dibra und Skopje befand -). Gegen Osten erweiterte Theodor sein Gebiet bis nach Thrakien, wo sich ihm Adrianopel anschloß. König Stephan ver- stand es, mit dem mächtigsten Mann der Halbinsel freundschaft-

1) Bei Villehardouin ed. Wailly (Paris 1872) in den Beilagen p. 425; die Nachricht stammt vielleicht aus dem verloreneu Teil der Chronik des Henri de Valenciennes. Die angebliche Base des Kaiser Roberts war entweder die vierte Frau des Königs Stephan (nach der Venezianerin) oder eher die Frau eines seiner Söhne.

2) In Arbanon war Theodors Statthalter der Sevastos Gregorios Ka- monüs, welcher durch eine Heirat mit der Witwe des Archonten Demetrios Schwiegersohn Stephans von Serbien geworden war (vor 1217): Dem. Cho- matianos uro. 1, 3. '

Stephan der Erstgekrönte (119G— 1228). 301

liehe Beziehungen zu erhalten. Schon früher (um 1216) wollte er seinen ältesten Sohn Stephan Radoslav mit einer Prinzessin des epirotischen Hauses vermählen, doch der Plan konnte nicht aus- geführt werden, wegen des Widerstandes der Kirche, da Radoslav ein Sohn der Eudokia aus demselben Haus der Angeli war ^). Als der Epirote mächtig geworden war, ließ man das kanonische Recht beiseite. Radoslav wurde Schwiegersohn des Kaisers Theodoros selbst, Gemahl seiner Tochter Anna. Durch einen Zufall hat sich der massive Verlobuugsring erhalten, mit einer Inschrift in griechischen Versen -). Radoslav verwaltete als Thronfolger das einstige Gebiet Vlkans, Dioklitien und vielleicht auch Tre- binje ^').

Das alte Zachlumien war in dieser Zeit meist in zwei Teile geteilt, mit zwei „Großfürsten" (velji knez). Orbini, der wahr- scheinlich eine seitdem verschollene Chronik des Landes benutzt hat, erzählt, nach dem Tode des Miroslav, des Bruders des Ne- manja, habe der Adel des Landes seine Witwe und ihren zehn- jährigen Sohn Andreas verti'ieben und den Comes Peter zum Fürsten erhoben. Das ist der aus dem Buch des Archidiakons Thomas bekannte kriegerische Peter, Herr von Chulmia, ein Pata- rener, den die Spalatiner trotz des Widerspruchs der Geistlichkeit zu ihrem Stadtgrafen wählten (1225 1227) und dafür vom päpst- lichen Legaten Aconcius mit dem Interdikt belegt wurden. Peters Nachfolger war sein Neffe Toljen (f 1239J, ein Feind der Städte Spalato und Trau. Orbini berichtet ferner, der Großzupan Stephan sei mit seinem Sohn Radoslav gegen Peter gezogen, habe ihn auf

1) Demetrios Choraatianos nro. 10: geplante Heirat des Sohnes Stephans mit Theodora, Tochter des Despoten Michael I. Sehr zu be- zweifeln ist die Nachricht Domeutians 261, Radoslav sei erst nach seines Vaters Tod von seinem Oheim, dem Erzbischof Sava verheiratet worden.

2) Krumbacher, Ein serbisch-byzantinischer Verlobuugsring: S. B. der kgl. bayer. Akad. 1906 Heft HI, 421—452 mit Taf. Cajkanovic, Über die Echtheit eines serb.-byz. Verlobungsringes: Byz. Z. 19 (1910) Ulf. gegen die Einwendungen von S. Papadimitriu.

3) In den (nicht im Orig. erhaltenen) Urk. von Cattaro Radoslav als König seit Okt. 1217: Farlati 6, 439, Smiciklas 3, 163, 195, 208. Eine hat aber bei Kukuljevic, Starine 21, 286 und Farlati 6, 437—438 das Datum 1227, nicht 1217.

303 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

der Ebene Bisde unter der Burg Blagaj in der Nähe des heutigen Mostar geschlagen und auf das Gebiet zwischen Narenta und Cetina beschränkt. Südhch der Narenta habe Stephan die Verwaltung seinem Sohn ßadoslav übergeben, seinen Vetter Andreas, den Sohn Miroslavs, aber zum Herrn des Küstenlandes in Stagno, im Primorje (Marina) von Slano und in der Zupa von Popovo ein- gesetzt. Später gelang es Andreas ganz Chelmo zu gewinnen. Aus dieser Zeit stammen die Verträge des „Großfürsten" Andreas mit den Comites von Ragusa Giovanni Dandolo (1214 1235) und Giacomo Delfino (1247 1249) und mit der Stadt Spalato (1241). Als erblicher Fürst beruft er sich darin auf seine Vor- fahren und unterschreibt sich in der Art der byzantinischen Privat- urkunde um ein Kreuz herum, ebenso wie einst Nemanja und Miroslav ^). Die Freundschaft des Andreas mit den Patriziern von Ragusa wurde befestigt durch die Heirat seiner Tochter Vlkoslava mit dem vornehmen Ragusaner Barbius de Crossio (slaw. Krusic) ^). Daß dem König von Serbien die Oberhoheit über Andreas geblieben ist, sieht man an der Nennung Zach- lumiens in den Titeln der Könige Stephan und Vladislav und an der Errichtung eines serbischen Bistums durch den Erzbischof Sava in seinem Lande. Orbini kennt noch das Grab des Andreas (f um 1250) in der Marienkirche von Stagno, bei dem Sitz des serbischen Bischofs von Zachlumien.

Stephan der Erstgekrönte ließ sich vor dem Tode (f 24. Sep- tember 1228?) von seinem Bruder Sava ein Klostergelübde ab- nehmen und starb als Mönch Simon ^). Von seinen vier Söhnen wurde Radoslav vom Erzbischof Sava in Zica zum König ge- krönt. Vladislav und Uros haben wahrscheinlich eigene Territorien

1) Orbini 248, 250, 390. Mon. serb. 24, 34—35. Smiciklas, Cod. dipl. 3, 432; 4, 134, 414.

2) Meine Abb. über Toljen im Glas 35 (1892) 12-14; vgl. meine Rom. Dalm. 1, 96.

3) Der Todestag ist sicher, das Jahr nicht. Die Absperrung der Grenze bei Ragusa wegen Unruhen in der Nachbarschaft am 9. Oktober 1228 bei Smiciklas 3, 292 könnte mit dem Ableben des Königs in Ver- bindung stehen. Da Radoslav nach Daniel S. 5 sechs Jahre regierte (bis 1234), fällt sein Regierungsantritt in das Jahr 1228.

Stephan Radoslav (1228—1234). 303

erhalten. Der vierte Sohn Predislav wurde nach dem Beispiel seines Oheims Mönch, wieder mit dem Namen Sava ; er war später Bischof von Zachlumien ^), zuletzt Erzbischof von Serbien als Sava II. (12G3— 1270).

Stephan Radoslav (1228 1234) war ein schwacher und un- fähiger König. Als Sohn und Gatte byzantinischer Kaisertöchter wollte er ein Grieche sein und unterschrieb sich selbst auf serbisch verfaßten Urkunden in griechischer Sprache als ^vicfavog Qr^^ 6 ^ov7.ag -). Politisch war er ganz von sehiem Schwiegervater, dem epirotischen Kaiser Theodor abhängig. Es scheint, daß er auch die serbische Kirche wieder dem Erzbistum von Ochrid unter- geordnet hat. Bei seinem Interesse für liturgische und kanonische Fragen wendete er sich um Belehrung nicht an den Patriarchen von „Konstantinopel'' in Nikaia, wie man erwarten sollte, sondern an den Erzbischof Demetrios Chomatianos, der alle Anfragen des jungen Königs eingehend beantwortete. Der Erzbischof Sava war mit dieser Wendung unzufrieden und benutzte die Wiederge- winnung Jerusalems durch den Kreuzzug Kaiser Friedrichs IL (Februar 1229) zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. Drei Ri- valen umstanden das sinkende lateinische Kaisertum, in welchem nach dem Tode Roberts sein kleiner Bruder Balduin IL (1228) gefolgt war: die Epiroten, die Nikäer und die Bulgaren. Eine unerwartete Wendung brachte die Katastrophe des Kaisers Theo- dor. Er wurde von Äsen IL bei dem Dorfe Klokotnica (jetzt Semisdsche) auf der Straße von Philippopel nach Adrianopel über- rascht, geschlagen und gefangen (Frühjahr 1230). Mühelos be- setzten die Bulgaren den ganzen Westen , von Adrianopel über Skopje und Ochrid bis Durazzo. Nur in Thessalonich, Thessalien und Epirus bUeb des Theodor Bruder Manuel mit dem Kaiser- titel; nach dem Tode seiner serbischen Gattin heiratete er eine natürliche Tochter Asens. Die Ragusaner beeilten sich, wegen ihres Handels in Durazzo und Umgebung ihre Rechte von dem neuen Landesherrn, dem „Kaiser der Bulgaren und Griechen" bestätigen

1) Urk. im Spomenik 3, 8. Vgl. II. Ruvarac, Godisnjica 10 (1888) 66.

2) Mon. serb. 20. Acta graeca 3, 66. Dem. Chomatianos ed. Pitra col. 686 710. Verlobungsring bei Krumbacher a. a. 0.

304 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

zu lassen i). Zugleich war die Freundschaft der Bulgaren mit den Ungarn zu Ende. Branicevo und Belgrad erscheinen in Asens II. Privilegium an Ragusa im Besitze der Bulgaren, aber schon 1232 in dem der Ungarn 2). Asens Bruder, der Sevasto- krator Alexander, führte die bulgarischen Truppen gegen die Scharen Andreas' IL, der damals zum Schutz seiner Grenzen das Banat von Severin (jetzt Turn Severin) im äußersten Westen der Walachei errichtete (1233). König Stephan Radoslav verlor nach dem Fall seines epirotischen Schwiegervaters jeden Halt. Äsen IL schrieb sich die Oberhoheit über Serbien zu und unterstützte ßa- doslavs Bruder Vladislav, der sein Schwiegersohn wurde ^). Sava, dessen Lage sich unangenehm gestaltet hatte, dankte auf einem Landtag in Ziea ab , überließ den erzbischöflichen Thron seinem Schüler Arsenij und begab sich zum zweiten Male nach Palästina, um auch den Berg Sinai und Ägypten zu besuchen (1233) *). Bald nachher wurde Radoslav gestürzt und vertrieben. Der Mönch Theodosij erzählt, der König sei ganz von seiner Frau abhängig und deshalb „in seinem Verstände gestört" gewesen; das habe die Adligen bewogen, sich um Vladislav zu scharen, Radoslav floh mit seiner Gattin nach Ragusa. Der Comes Giovanni Dan- dolo weilte eben krank in Venedig. Seine Vertreter, die Vice- comites Peter de Balhslava (Boljeslaviö) und Theodor de Crossio (Krusic) mit der ganzen Gemeinde nahmen den landlosen König freundlich auf und erhielten von ihm eine Urkunde mit vielen Ver.-prechungen für den Fall seiner Wiedereinsetzung (4. Februar 1234). Wahrscheinlich auf einem ragusanischen Schiffe segelten die Flüchtlinge weiter nach Durazzo. Schon im folgenden Monat

1) Urk. des Zaren Äsen II. von 1230—1231: Mon. serb. 2—3 (vgl. p. IX), mit Faks. bei Iljinskij: Izvestija arch. inst. 7, 1 (1902) 25 f.

2) Theiner, Mon. Hang. 1, 103.

3) Asens II. Inschrift in Trnovo: „Ich eroberte alles Land von Odrin (Adrianopel) bis Drac (Durazzo), das griechische, darüber noch das albanesische und das serbische."' Neueste Ausgabe von Th. Uspenskij: Izvestija arch. inst. 7, 1 (1902) Taf. 5.

4) Erzbischof Daniel 248 f. verlegt die Abdankung seices großen Vorgängers in die Zeit ßadoslavs, Domentian erst unter Vladislav. Nach Domentian 295 war Sava 14 Jahre Erzbischof, also 1219—1233.

Stephan Radoslav (1228—1234). 305

März erhielten die Ragusaner ein Handelsprivilegium vom „Kaiser" Manuel Dukas, mit Belobung ihres wohlwollenden Benehmens gegen „Kyr Stephanos Dukas", den König von Serbien, und gegen Manuels Nichte, die Königin (q^yaiva) Anna Dukaina ^). Auf eine Wiedergewinnung des Thrones mußte Radoslav ver- zichten. Sein Unglück wurde seine Frau. In Durazzo soll sie sich, wie Theodosij erzählt, einem „großen Franken" angeschlossen haben, der den unglücklichen Serbenkönig sogar „mit dem tod- bringenden Schwerte" bedrohte. Ohne Krone und ohne Frau soll dann Radoslav traurig in die Heimat zurückgekehrt sein, um seine Tage in klösterlicher Stille als Mönch Johannes abzuschließen. Nach Daniel ruhen seine Gebeine in der Kirche von Studenica. Aber auch die schöne Anna suchte schließlich Zuflucht in einem Kloster, wohl in ibrer epirotischen Heimat -).

König Stephan Vladislav (1234 1243) hatte mehr Glück und Begabung als sein älterer Bruder, war aber wieder zu sehr von seinem bulgarischen Schwiegervater abhängig. Während Ra- doslav keine Stiftung hinterlassen hat, sicherte sich Vladislav ein langes Andenken durch Bauten und Schenkungen, nicht nur in Serbien, besonders durch die Gründung des Klosters Mileseva, sondern auch auf dem Athos •'). Seit seinem Regierungsantritt hatte die Freundschaft der Serben mit den Ragusanern für längere Zeit eine fühlbare Schmälerung erfahren. Die Stadt hatte sich wahrscheinlich für Radoslav zu sehr eingesetzt. Die Spalatiner schrieben (wohl im März 1234) den Ragusanern, daß sie sich über jeden Erfolg gegen den feindHchen König, der ihnen täglich Nachstellungen bereite, freuen würden *). Noch 45 Jahre später erinnerte man sich in Ragusa an die Ausrüstung der Stadttürme

1) Urkunden 1234: Mon. serb. 19—20; Acta graeca 3, 66; Smiciklas 3, 395, 404.

2) König Stephan Radoslav als Mönch Johannes, mit der Nonne Anna im serb. Pomenik: Glasnik 42, 30. Theodosij bei PavloYic 134. Daniel 5.

3) Großes Lob bei Daniel 5—7. Jos. Müller in der Slaw. Biblio- thek 1 (1851) 197: griech. Urk. des Vladislav an das Kloster Esphigmenu.

4) Smiciklas 3, 431 (undatiert, vgl. 3, 403). Jirecek, Geschichte der Serben. I. 20

306 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

„in der Zeit des Königs Radoslav " ^). Es ist mehr als ein halbes Jahr vergangen, ehe der Comes Giovanni Dandolo kurz vor seinem Tode den Frieden mit Vladislav wieder erneuern konnte, wobei die großen Versprechungen Radoslavs eine starke Einschränkung erfuhren ^).

Der ehemalige Erzbischof Sava reiste indessen auf dem Land- wege über das Kaisertum von Nikaia aus Jerusalem zurück und begab sich über das Schwarze Meer nach Bulgarien, um Äsen II. zu besuchen. Als Gast des bulgarischen Zaren starb er in Trnov (12. Jänner 1236) und wurde feierlich in der neuerbauten Kirche der 40 Märtyrer ins Grab gelegt. Schon im folgenden Jahre be- suchte König Vladislav seinen Schwiegei*vater und brachte die Leiche seines Oheims , des Begründers der serbischen National- kirche, in das neugegründete Kloster Mileseva (6. Mai 1237) ^). Zar Äsen II. bekämpfte damals im Bunde mit Kaiser Johannes Dukas Vatatzes von Nikaia eifrig die fast auf Konstantinopel allein beschränkten Lateiner. Der Höhepunkt der Offensive war die Belagerung der Stadt durch die Verbündeten im Sommer 1235. Die Politik des bulgarischen Herrschers geriet in Schwankungen, als er wieder auf friedlichem Wege Einfluß in Konstantinopel zu erwerben versuchte. So kam es, daß der junge Kaiser Balduin IL (1240) mit einem großen, im Abendlande gesammelten Heere un- gehindert auf dem Landwege durch Ungarn, Serbien und Bul-

1) „Tempore Radasclaui regis, quando armabantur turres", sei eine Mauer als „raurus communis" betrachtet worden; so hat es Domagna de Babalio immer gehört (semper audivi dici). Zeugenaussage vor Gericht 4. November 1279: Div. Rag. 1278 f. 60.

2) Der Vertrag zwischen Comes Dandolo und König Vladislav, nur in Abschriften erhalten, ist geschlossen zwischen September 1234 und April 1235 ; die erstgenannten Zeugen sind die Stadtrichter des Jahres Sept. 1234 bis Sept. 1235, vor der Vertretung des Dandolo durch den Vizecomes Petrus de Ballislava seit April 1235. Texte: a) Urkunde der Ragusaner, serbisch (ohne Zeugen) Mon. serb. 22 23, lateinisch (mit Zeugen) Ljubic 1, 57 58, beides Smiciklas 3, 427 430; b) Gegenurkunde des Königs: serbisch Mon. serb. 25 nro. 31, Smiciklas 3, 433 nro. 376, lateinisch ib. 430 bis 431. Testament des Giovanni Dandolo, datiert in Venedig 8. Juli 1235, im Arch. Rag.

3) Zur Chronologie vgl. Kovacevic, Godisnjica 3 (1879) 361 und Glasnik 63 (1885) 20.

Stephan Vladislav (1234—1243). 307

garien zurückkehren konnte ; allerdings löste sich das Heer wegen Geldmangel gleich wieder auf. Ein Fortsetzer der epirotischen Politik wurde (seit 1237) der Despot Michael II., ein Bastard IVIichaels I., in Albanien und Epirus. Ephemer war das noch- malige Auftreten des einstigen Kaisers Theodor. In der bulgarischen Gefangenschaft wurde er zuerst wegen seiner Intrigen geblendet, dann aber zu Asens IL Schwiegervater erhoben; er vertrieb seinen Bruder Manuel aus Thessalonich und heß dort seinen Sohn Jo- hannes zum Kaiser krönen, besaß aber nur ein kleines Gebiet (1240). Nach Asens U. Tod (1241) folgte in Bulgarien sein junger Sohn Kaliman I. Kaiser Vatatzes, von allen Nebenbuhlern befreit, nahm die Restauration des griechischen Kaisertums energisch in Angriff und zwang durch einen Feldzug nach Thessalonich die dortigen Epiroten, den Kaisertitel abzulegen (1242).

Im Nordwesten der Halbinsel wurden die häretischen Bosnier und Zachlumier von den Ungarn (1234 1237) energisch be- kämpft, unter der Führung des Koloman, eines Sohnes Andreas' H., des früheren Königs von Galizien, nun Herzogs von „Sclavonia" (Kroatien und Dalmatien). Dabei unterwarf Koloman den Norden von Zachluraien, damals beherrscht vom Fürsten Toljen ^). In der Landschaft Usora im nördlichen Bosnien war Knez Sebislav, Sohn eines sonst unbekannten Bans Stephan, ohnehin ein Anhänger des römischen Stuhles ^). Im eigentlichen, zentralen Bosnien be- hauptete sich siegreich gegen alle Angriffe Matthäus Ninoslav, der sich „Großbau" von Gottes Gnaden nannte (urkundHch 1232 bis 1250) und ausdrücklich als Nachkomme der alten Landesfürsten bezeichnete; er scheint unmittelbarer Nachfolger des Ban Kulin gewesen zu sein. Einmal kam Ninoslav (März 1240) durch das Gebiet des befreundeten Fürsten Andreas von Zachlumien per- sönlich nach Ragusa, wo er der Gemeinde die Handelsrechte be- stätigte und für den Fall eines Krieges der Ragusaner mit dem Serbenkönig den ragusanischen Kauf leuten allen Schutz versprach ^).

1) Im südlichen Zachlumien herrschte der Fürst Andreas. In Stagno werden 1239 Beamte des Königs Vladislav erwähnt: Smiciklas 4, 77.

2) Smiciklas 4, 15f.

3) Mon. serb. 29 (1240), wiederholt 1249 ib. 33; auch bei Smiciklas 4, 107, 386. Faksimile der Urk. 1249 im Glasnik 6 (1854).

20*

308 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

In diesen Tagen hielt ein Völkersturra aus dem Innern Asiens ganz Osteuropa in Aufregung. Die Mongolen oder Tataren er- schienen mit gewaltigen Reiterheeren in den Ländern nördlich vom Schwarzen Meere, besiegten die russischen Fürsten und zer- sprengten die seit vielen Generationen in den Steppen vom Don bis zur Donau nomadisierenden Rumänen. Der letzte Khan der Rumänen Ruthen zog (1239) mit dem größten Teil seines Volkes nach Ungarn ab. Andere kumanische Schwärme wendeten sich nach Bulgarien, während kleinere Scharen in die Dienste der Lateiner und Nikäer traten. Unter Batu, dem Enkel des Dschingis- Khan, folgte (im Winter 1240 1241) ein neuer Vorstoß; Riew, Rrakau und Breslau wurden erobert und zerstört, der Haupt- angrifF galt aber Ungarn. Bela IV. wurde (April 1241) vollständig geschlagen und das ganze Land furchtbar verwüstet. Der Rönig floh über Agram nach Arbe, von dort nach Spalato. Batus Vetter Kajdan verfolgte ihn bis zum Meere. Eine lebendige Schilderung dieser Rämpfe bietet ein Augenzeuge, der Ai'chidiakon Thomas. Nach seiner Erzählung erlitten die Slawen geringe Verluste, weil sie sich in den Bergen und Wäldern verborgen hatten. Die Be- satzung von Clissa schlug die Mongolen zurück, indem sie große Felsblöcke vom Burgfelsen herabwälzte. Einen Angriff auf die von Flüchtlingen überfüllten, gutbefestigten Städte Spalato und Trau, wo der Rönig eben weilte, versuchten die Reiterscharen nicht (März 1242). Eine Abteilung zog südwärts. Das feste Ra- gusa erHtt wenig Schaden, wohl nur in seinem Territorium. Da- gegen haben die Mongolen Cattaro, wahrscheinlich nur die Unter- stadt, niedergebrannt. Im Gebiet des Erzbistums von Antivari wurden die bischöflichen Städte Svac und Drivasto zerstört und ihre Einwohner niedergehauen ^). Rajdan eilte indessen durch Bosnien, Serbien und Bulgarien an die untere Donau, wo er sich mit Batu vereinigte; die Nachricht von dem Tode des Großkhans Oktaj (Dezember 1241) rief sie nach Osten zurück-). Von der

1) Duleigno wurde von der Katastrophe des nahen Svac nicht berührt und schloß eben damals am 22. Apiül 1242 einen Freundschaftsvertrag mit den Ragusanern: Smiciklas 4, 149.

2) Roger, Domherr von Großwai-dein , später Erzbischof von Spalato, und Thomas Ar eh. ed. Racki 156, 177. In ragusani sehen, serbischen und

Stephan Vladislav (1234—1243). 309

Donau reichte dann bis nach Turkestan das von allen Nachbarn gefürchtete neue Khanat der Goldenen Horde, mit der von Batu gegründeten Residenz Saraj an der unteren Wolga. Es war ein Teilfürstentum des mongolischen Riesenreiches, welches sich von Persien bis zu den Gestaden Chinas erstreckte, mit der Residenz im „goldenen Zelt" von Karakorum, später in den Palästen des Großkhans im heutigen Peking.

Nach diesen Ereignissen vermochte sich König Vladislav nicht mehr als Alleinherrscher zu behaupten. Den Thron mußte er (Frühjahr 1243) seinem jüngeren Bruder Stephan Uros überlassen; ihm blieb der Königstitel und einige Gebiete im Küstenlande. Über diese Umwälzung gibt es keinen serbischen Bericht, nur ragusanische Urkunden. Der Comes Giovanni Michieli mit den Vornehmen der Stadt versprach (im Sommer 1243) Jurko, dem Gesandten des Königs Stephan Uros, die Königin des Vladislav ", welche sich wahrscheinlich nach Ragusa geflüchtet hatte, werde weder mit dem Rat noch mit dem Wissen der Ragusaner, sei es durch Boten oder durch Briefe etwas gegen Uros unternehmen, weder zu Land noch zur See, auch nicht in Bosnien ^). Bald wurden (14. August 1243) die alten Verträge von Ragusa und König Uros feierlich erneuert -). König Vladislav wird später öfters erwähnt, stets als Freund seines Bruders; seine Residenz, vielleicht in Skutari, wird nicht genannt 3), Zuletzt wurde für ihn (1263 1264) im Kloster Mileseva eine Handschrift mit kurzen Heiligenlegenden (ein Prolog) abgeschrieben ^). Von seinen Söhnen

bulgarischen Quellen keine Nachrichten. Vgl. Gustav Strakosch-Graß- mann, Der Einfall der Mongolen in Mitteleuropa (Innsbruck 1893) 169.

1) Mon. serb. 30, Smiciklas 4, 210 (, Johannes Michael Comes seit 23. August 1242 ib. 4, 159). Das Adj. Vladislavlb {toO Vladislav) ganz mißverstanden von Gondola (Viadislava, reglua di Bossina), ebenso bei Resti 87.

2) Nur in lat. Übersetzung erhalten: Ljubic 1, 59, 63—64, Smi- ciklas 4, 194—195 nro. 174 und 211—212 nro. 189; in beiden Ausgaben nicht erkannt als zusammengehörende Urkunde und Gegenurkunde.

3) Urk. 1252—1254: Mon. serb. 36, Smiciklas 4, 483, 507, 5-29. Daniel p. 6 weiß nur von der Alleinregierung des Vladislav (angeblich 7 Jahre).

4) Mon. serb. 561; Stojanovio, Zapisi nro. 5015 (6772 Ind. 7);

310 Viertes Buch, Erstes Kapitel.

hat er dem wohl älteren Stephan seme Ktitorenrechte im Athos- kloster Esphigmenu übergeben i); der jüngere Zupan Desa starb vor 1281. Eine Tochter Vladislavs war an den Comes Georg, einen der Führer des kroatischen Adelsgeschlechtes der Kaöici von Almissa, verheiratet-). Bjeloslava, die Witwe des Königs Vladislav und Mutter des Desa, lebte noch 1285 3).

König Stephan Uros I. (1243 1276) wird von den Männern der serbischen Kirche, von Domentian und Daniel, der „Große" (veliki) genannt, in einer Urkunde der Stadt Cattaro gar als ein unbesiegbarer König gefeiert, aber an seinen Schicksalen ist zu sehen, daß ihm das Talent und der weite Bhck seines Vaters, des „erstgekrönten" Königs fehlte. Bei den Wandlungen seiner zwischen den Griechen v^on Nikaia, den Epiroten, den Uagarn und den neuen französischen Herren von Neapel, Albanien und Griechenland hin und her schwankenden Politik hat er sich oft verrechnet. Die späteren serbischen Annalisten nennen ihn nach seiner Stimme den „heiseren" König (hrapavi kralj) ^). Zuerst stand er in Verbindung mit den Nikäern, der damahgen ersten Macht der Halbinsel. Als in Trnov auf Kaliman (1246) wieder ein Knabe folgte, Asens IL jüngerer Sohn Michael Äsen, entriß Kaiser Johannes Vatatzes den Bulgaren sofort alle südlichen Pro- vinzen von Adrianopel bis zum Vardar. Das Gebiet westhch vom Vardar, mit Veles, Prilep und Ochrid besetzte indessen der Despot Michael U. von Epirus. Vatatzes brachte sodann Thessalonich (1246) dauernd in den Besitz seines Reiches. Nach wenigen Jahren besiegte er auch Michael 11. und nahm den Epiroten ganz

Todestag des Vladislav am 11. November: Stojanovic, Arch. slaw. Phil. 23 (1901) 631.

1) Slaw. Bibliothek a. a. 0.

2) Knez Gjura oder comes Jiirra wii-d urkundlich erwähnt 1239—1274, als Vladiblavs Schwiegersohn Mon. serb. 54, Smiciklas 4,126 (1253 1254).

3) Urk. 1281—1285 über das Deposit der Bjeloslava: Smiciklas 6, 888—391, 542—543. Ob sie die Tochter Asens II. war, die Vladislav ein halbes Jahrhundert früher geheiratet hatte, oder vielmehr eine zweite Frau dieses Königs, ist nicht bekannt.

4) Stefan Uros der sorb. Urk., Zrt'fnvog Ovntatg des Pachymeres, Mich. Pal. V cap. 7, bei, den Ragusanern und Ungarn meist „rex Urossius". Urosius, invictissimus rex: Urk. 1257, Ljubic 1, 89, Smiciklas 5, 77.

Stephan Uros I. (1243-1276). 311

Westmakedonien und Albanien mit Kroja, bis zum Adriatischen Meer und bis zur serbischen Grenze (1252). Sein Sohn, der melancholische und gelehrte Kaiser Theodor II. Laskaris (1254 bis 1258) geriet wieder in die Defensive und hatte sich gegen die Bulgaren und Epiroten zu verteidigen. Daß Uros zu den aller- dings nicht verläßlichen Freunden der Nikäer gerechnet wurde, sieht man aus einem Briefe des Kaisers Laskaris und aus den Vorwürfen, die Akropohtes später in seinem Geschichtswerk dem Serbenkönig machte ^).

Der rasche Aufschwung Ungarns nach dem JMongolensturm, mit Heranziehung fremder Kolonisten und Neugründung zahlreicher Städte und Burgen, ist bereits an dem Kampf mit Venedig um Zara (1242 1244) zu bemerken. König Bela IV., der begabteste unter den Arpäden, organisierte auch seine Südgrenze. Schon seine Vorgänger haben fremden Fürstensöhnen Besitzungen in Südungara angewiesen. Herr von Sirmium und Comes von Bäcs war um 1227 1242 Johannes oder Kalojohannes Angelos, ein Sohn des Kaisers Isaak Angelos und der „imperatrix Constanti- nopoHtana", der Ungarin Margareta, somit ein leibhcher Bruder des unglücklichen Alexios IV., der die Kreuzfahrer nach Kon- stantinopel geführt hatte, überdies durch die zweite Heirat seiner Mutter ein Stiefsohn des Bonifaz von Montferrat -). Eine einfluß- reiche Persönlichkeit wurde ein russischer Flüchthng, Rostislav Michailovic, Sohn des von den Tataren hingerichteten Fürsten von Cernigov, des in Rußland als Märtyrer verehrten heiÜgen Michael Vsevolodovic. Bela verheiratete ihn mit seiner Tochter Anna und ernannte ihn zum Herzog von Galizien, vermochte ihm aber dieses Land nicht zu erwerben. Rostislav wurde dann Ban von Sla- wonien (1247) und der erste Ban des seit 1254 urkundhch ge- nannten Banates von Macva (Machow, hes Matschö, der ung. Ur- kunden), welches das Land westlich von Belgrad zwischen Save, Drina und dem Gebh'ge des Cer umfaßte. Dazu erhielt er die

1) Theodor! Ducae Lascaris epistolae ed. Nie. Festa, Firense 1898 p. 58 iZ(oßoi). Akropolites ed. Heisenberg cap. 70 p. 145.

2) Theiner, Mon. Hung. 1, 39, 72, 88. Pressutti a. a. 0. 2,. 290, 466. Vgl. Hu her, Gesch. Österreichs 1, 440 A. 1.

313 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Landschaften Usora und Sol im Norden Bosniens und wohl auch Belgrad, so daß sein Gebiet eine von West nach Ost weit aus- gedehnte Grenzmark bildete. Schwiegersöhne des Rostislav wurden der junge Zar Michael von Bulgarien und der mächtige König Pfemysl Otakar II. von Böhmen. Nach seinem Tode (um 1262) erbten sein Gebiet seine Söhne Michael und Bela als „Herzöge von Macva".

Das eigentliche Bosnien geriet nach dem Tode des trotzigen Bans Ninoslav in größere Abhängigkeit von Ungarn. Ninoslavs Nachfolger war sein Verwandter (consanguineus) Prijezda I. (um 1250 1287), vom Könige mit Gütern in Kroatien an der Drau ausgestattet. Das ist der unmittelbare Stammvater der späteren bosnischen Herrscher, deren Dynastie im 15. Jahrhundert Kotro- manidi genannt wird, so genannt nach einem fernen Ahnherrn Kotroman, dessen Zeitalter sich nicht bestimmen läßt. Auf Pri- jezda I. folgten seine Söhne Prijezda II. und Stephan I. , beide (ungefähr bis 1290) als Bane nebeneinander, später Stephan I. aliein ^). In Zachlumien führten die Söhne des Großfürsten An- dreas nur den Titel von Zupanen: Bogdan, der bald gestorben war, und Radoslav, der auch Imota (jetzt Imoski) besaß und sich 1254 ausdrücklich als ungarischer Vasall bezeichnete -). Damit war der Einfluß Serbiens aus dem chelmischen Gebiet ver- drängt.

Die Bulgaren versuchten ihre verfallende Macht wieder durch eine energische Offensive zu beleben, vielleicht in der Hoffnung

1) Darüber die von Thallöczy gesammelten Urkunden: Geschichte der Grafen von Blagay (Wien 1898) 73 und Glasnik bos. 18 (1906) 421 f., 429 f. = Wiss. Mitt. 11 (1909) 260 f., 268 f. Vgl. Dr. M. Wertner, Bei- träge zur bosnischen Genealogie, deutsch im Vjesnik zem. ark. 8. (1906) 235 f. und Milovan Ristic, Bosnien 1250—1284, serb., Belgi-ad 1910. Den „Cotrumano Gotto" einer ragus. Urkunde von 1432 (s. oben S. 227) verwandelte Orbini in einen „Cotromanno Tedesco", Nachfolger Kulins. Mit Stephan I. identifizierte ihn zuerst Luccari. Zum Namen vgl. kirchen- slawisch kotorati s^ streiten und die Kurzform Kotrul, fem. Kotrula (vgl. meine Rom. Dalm. 1, 39); -man (vgl. -jm^vTjg) wiederholt sich in serb. Grdoman, Vlkoman usw.

2) Mon. serb. 44: „getreuer Eidgenosse (kletvenik) des Herrn Königs von Ungarn".

Stephan Uros I. (1243-1276). 31 S

auf Unterstützung von Seite des Herzogs Rostislav und der Ungarn. Eine kriegerische Adelspartei scharte sich um den jungen Michael Äsen und dessen Mutter Irene, die Tochter des einstigen Kaisers Theodor von Epirus. An ihrer Spitze stand ein Schwager des Zaren, der Sevastokrator Peter ^). Es ist unbekannt, warum sich ihr Angriff zuerst gegen Serbien wendete. Dabei fanden sie Bundesgenossen im Westen, vor allem in Ragusa, das mit Uros I. während seiner ganzen Regierung schlecht stand. Die Ragusaner bemühten sich damals trotz ihrer geringen materiellen Mittel um Erweiterung ihres Gebietes und ihres kirchlichen Einflusses. Die nächste Veranlassung bot ein schwerer Verlust des Erzbisturas von Ragusa. Das Bistum von Bosnien wurde ihm vom Papst (1247) entzogen und dem Erzbischof von Kalocsa in Ungarn unter- geordnet (S. 225). Die Ragusaner protestierten, griffen aber zu- gleich die alten Streitfragen mit dem Erzbistum von Antivari auf und beanspruchten bei der römischen Kurie das ganze antivaren- sische Gebiet (1247 1255). Sie hofften auf einen Erfolg, da die lateinischen Kirchen von Zachlumien und Trebinje auf serbischem Boden ohnehin zu ihrem Erzbistum gehörten, operierten aber auch mit allerlei Erfindungen und Fälschungen. Die Kirche von Anti- vari, damals verwaltet von dem durch seine Missionsreise ins Mongolenreich bekannten Italiener Johannes de Piano Carpini, fand Unterstützung sowohl in Rom, als bei ihren Landesherren, den Serbenköuigen Uros und Vladislav.

Im Sommer 1252 erschien König Uros mit einem großen Heere vor Ragusa , ließ sich aber nach wenigen Wochen zur Er- neuerung des Friedens bewegen "-). Comes von Ragusa war eben ein hervorragender Venezianer, Marsilio Giorgi (1252 1254), der neben zahlreichen Gesandtschaftsreisen sich besonders als Bailo in

1) Zet " Mon. serb. 36 37 ist nicht Schwiegersohn, sondern Schwager ; vgl. yuußnd; inl uiSfhfTj Dem. Chomatianos nro. 33 und lat. gener = sororis maritus bei Thietmar von Merseburg.

2) Urk. aus Bari, 5. Juli 1252: Smiciklas 4, 499. Friedensvertrag vom 13. August 1252 (nicht 1253): Mon. serb. 40 41, Smiciklas 4, 534. Am 14. September 1252 Grdoman §ametic als Gesandter des Königs Uroä in Ragusa : Smiciklas 4, 508.

314 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Syrien ausgezeichnet hatte ^). Im folgenden Jahre erschienen in Ragusa Gesandte des Zaren Älichael Äsen und des Sevastokrators Peter und bewogen die Stadt (l5. Juni 1253) zu einem Bund mit den Bulgaren gegen die Könige Uros und Vladislav. Die Ragusaner verpflichteten sich, mit ihren Schiffen die Küstenstädte Serbiens anzugreifen und die eroberten Plätze dem Zaren zu über- geben; dafür versprachen ihnen die Bulgaren eine vorteilhafte Grenzregulierung und eine Anerkennung der kirchhchen Ansprüche auf das Küstengebiet, nebst großen Handelsrechten -). Bulgarische und kumanische Truppen drangen tief in Serbien ein und ver- heerten am Lim das Kloster des heiligen Peter bei Bjelopolje ^). Diese Invasion war es wohl, welche den damaligen serbischen Erzbischof Arsenij I. bewog, die Residenz von Zica südwärts nach Pec zu übertragen. Ein Jahr später (Mai 1254) schloß sich dem Bund zwischen Ragusa und Bulgarien auch der chelmische Zupan Radoslav an ^). Jedoch schon bald wurde der Friede zwischen den Bulgaren und Serben erneuert, vielleicht durch Vermittlung des Kaisers Vatatzes. Die Ragusaner blieben isoliert. Ihre großen Pläne wai'en vollständig gescheitert. Den Frieden mit Uros mußten sie unter dem Comes Andj'eas de Auro mit schweren Geldopfern erkaufen (23. August 1254) '•'). Der Erzbischof von Ragusa verlor jede kirclüiche Hoheit auf dem Boden des serbischen Reiches. Sein Prokurator bei der Kurie wurde aus Neapel, wo sich Papst Alexander IV. nach seiner Wahl befand, wegen der Aussichtslosig- keit des Prozesses gegen Antivari abberufen (Februar 1255) '"').

1) Marsilio Giorgi als Bailo iu Akkon und Tyrus (1240—1244): Wilken, Geschichte der Kreuzzüge 7, 371f. und Heyd, Geschichte des Levantehandels 1, 170, 365 f., 370, 373, 377. Seine syrischen Relationen: Tafel und Thomas 2, 351—398.

2) Der längste südslawische Akt des 13. Jahrh., oft gedruckt: Safafik Pam. 16—20, Mon. serb. 35-40, Smiciklas 4, 528-533.

3) Spomenik 3, 8.

4) Mon. serb. 42—45, Smiciklas 4, 558-560.

5) Mon. serb. 45-48. Bei Smiciklas 4, 567—569, 580—581 nicht als zusammengehörende Urkunde und Gegenurkunde erkannt. Weinauflage und Verpfändung der Stadteinkünfte „pro reparatione pacis regis Urossi": -8. Nov. 1254 ib. 4, 572.

6) Smiciklas 4, 590.

Stephan Uro§ I. (1243-127G). 315

Wie aus den späteren Chroniken erhellt, schrieben die Ragu- saner die Schuld an ihrem Mißgeschick ihrem Comes zu. Marsilio Giorgi hat aus dem Krieg einen persönlichen Vorteil für seine Familie gezogen, der zugleich eine Erweiterung der venezianischen Herrschaft auf der Adria bildete. Schon die früheren Coraites von Ragusa bemühten sich vergeblich um die Gewinnung der Herr- schaft über die benachbarten großen Inseln, welche König An- dreas n. wahrscheinlich während der Kämpfe mit den Alraissanern den mächtigen Grafen von Veglia zugewiesen hatte ^). Marsilio Giorgi wurde (1254) von den Gemeinden von Ciu-zola und Meleda zum erblichen Grafen (comcs perpetuus) gewählt (f 1271). Sein Name eröffnet das Gesetzbuch von Ciirzola -). Die Giorgi herrsch- ten auf Curzola 104 Jahre, bis 1358. Auf Meleda konnten sie jedoch nie festen Fuß fassen; diese Insel mit ihrer Benediktiner- abtei blieb bis ins 14. Jahrhundert unter serbischer Hoheit. Da- gegen hat sich in diesen Zeiten (vor 1272) die weiter im offenen Meere gelegene kleine Insel Lagosta (slaw. Lastov) freiwillig den Ragusanern angeschlossen '^).

Die Bulgaren besetzten nach dem Tode des Kaisers Vatatzes (Oktober 1254) ohne Mühe wieder das Gebirge der Rhodope und das östliche Makedonien bis zum Vardar. Aber der junge Las- karis II. vertrieb sie abermals aus allen diesen Gebieten, Den Frieden vermittelte (1256) persönlich der Schwiegervater des bul- garischen Zaren, der Herzog Rostislav i). Die Grenzen wurden auf den Stand vor diesem Kriege gebracht. Der Mißerfolg hatte in

1) Smiciklas 3, 134 (1-215); 4, 111 (1240): Corcira, Lasta et Meleta. Papst Honorius III. 1221 au die Grafen von Veglia, Herren der Inseln Fara (Lesina), Brazza, Curzola und Lagosta: The in er, Mon. Hang. 1, 27: Pressutti a. a. 0. 1, 525 nro. 3214; Smiciklas 3, 190.

2) Mon. hist. jur. Bd. 1, S. 1, 3, 20. Ljubic 3, 403 f. Vgl. Dau- dolo bei Muratori 12 col. 363 A.

3) Stat. Rag. I cap. 15.

4) In den Briefen des Kaisers Laskaris II. (ed. Festa p. 280) der Friedensvermittler klar als ,,der Fürst der Russen" TGjf '^PwaGiv (ioyoyp); bei Akropolites (cap. 62, ed. Heisenberg p. 127) der „Russe Ur" (Pwao; OiQog, magyar. iir Herr, Fürst), Schwiegersohn des Königs von Ungarn. Früher auf Uros I. von Serbien gedeutet. Vgl. Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 623 f.

316 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Bulgarien eine Revolution zur Folge. Zar Michael wurde nieder- gemacht und sein Vetter Kaliman II. auf den Thron erhoben. Rostislav traf mit einem Heere in Trnov ein, doch war indessen auch Kaliman II. ermordet worden. Nun ließ sich Rostislav selbst zum Kaiser der Bulgaren proklamieren, vermochte sich aber nicht zu behaupten ^). Der Reichstag der Boljaren erhob schließlich auf den bulgarischen Thron einen von den Nikäern unterstützten Ver- wandten des Hauses des Nemanja. Es war Konstantin mit dem Beinamen Tih, welcher eine Tochter des Kaisers Laskaris IL, die mütterhcherseits eine Enkelin Asens II. war, heiratete und sich fortan Konstantin Äsen schrieb (ungefähr 1257 1277) -). Grie- chische und bulgarische Denkmäler bezeugen, daß er halb serbischen Ursprungs war und Nemanja zu seinen Vorfahren rechnete; es war eine Abstammung in weiblicher Linie, doch läßt sich eine Stammtafel nicht zusammenstellen =^). Der Beiname Tih ist eine Kurzform für Tihomir oder Tihoslav. Aus den Briefen des Erz- bischofs Demetrios Chomatianos ist dieser Name unter den Vor- nehmen der Provinz von Skopje bekannt. Ein Archont Johannes Tihomir (hoavvriq ö Tetxoi-ioiQog) und ein kaiserlicher Beamter {ßaoilLY.ög) Konstantin haben sich (um 1200) der Besitzungen zweier minderjähriger Brüder bemächtigt, die dann, als sie heran- gewachsen waren, deshalb gegen Tihomirs Söhne vor dem Des-

1) „Nos Razlaus dux Galacie ac imperator Bulgarorum et Anna du- cissa eiusdem et Mychael filius eorundem'' schenken (um 1262) einigen „Teu- tonici" ein Gut „iu provincia Bereg": Codex dipl. domus senioris comitum Zichy de Zieh et Vasonkeö 1 (Pest 1871) nro. 8 p. 5.

2) KwvaTttvT(vo) TO) TtCyjn Pachymeres, Mich. Pal. I cap. 13; KcDvaravTivus övo/x«, ToTxog iniöwfxov Nikephoros Gregoras III cap. 2 § 4, J5r. d Tot/og ib. § 5. Tohu der älteren Ausgaben des Ansbert ist nach vollständigeren Texten „Tolin", Sohn des Miroslav von Zachlumien, und hat mit Tih nichts zu tun (s. oben S. 271).

3) Konstantin Ix I^f'oßMv i^ i^uiadctg ib yt'vog tXxoiv: Pachymeres, Mich. Pal. V cap. 5. Der serb. Ursprung „zur Hälfte" kann nur mütter- licherseits gewesen sein; von väterlicher Seite wäre er ein ganzer Serbe ge- wesen. In der Urk. von Virpino nennt Zar Konstantin den Nemanja seinen „ded", Großvater oder überhaupt Vorfahr. In der Inschrift von Bo- jana bei Sofia von 1258—1259 (Stojanovic, Zapisi 1 nro. 18) erscheint Konstantins Brudersohn oder Vetter (bratuc^d), der Sevastokrator Kalojan als „Enkel des hl. serbischen Königs (kralj) Stephan".

Stephan Uros I. (1243—1276). 317

poten Theodor (1217) einen Prozeß führten ^). Es ist nicht un- möglich, daß Nemanja eine Tochter an diesen Tihorair von Skopje verheiratet hatte, ebenso wie eine Tochter seines Sohnes Stephan mit dem Albanesen Demetrios vermählt war. Überdies besaß Zar Konstantin selbst eine Zeitlang die Landschaft von Skopje und bestätigte bei einem persönlichen Besuch derselben dem Kloster des heiligen Georg auf dem Berge Virpino alle Besitzungen -).

Die Freundschaft zwischen den Serben und Nikäern, welche sich zuletzt bei der Besetzung des bulgarischen Thrones bemerk- bar gemacht hatte, war bald zu Ende. König Uros I. hat, wie Akropolites sagt, undankbar „den Becher der Freundschaft weg- geworfen" und sich den Epiroten und den Franken angeschlossen. Laskaris II. zwang Michael IL, ihm das wichtige Durazzo abzu- treten, als er seine Tochter mit dessen Sohn Nikephoros vermählte (September 1256). Michael IL, dadurch zum Widerstand ge- zwungen, gewann bei den Franken zwei mächtige Bundesgenossen durch Heiraten seiner Töchter: Wilhelm von Villehardouin , den Fürsten von Achaja, und Manfred, den König von Sizilien, welcher als Mitgift seiner Gemahlin Helena die Insel Korfu und das viel umworbene Durazzo nebst Valona und Berat erhielt. Diesem Bunde trat auch König Uros I. bei. Mit Leichtigkeit besetzten die Truppen des Despoten (Anfang 1258) das vor sechs Jahren verlorene Land von der Adria bis zum Vardar. Zugleich rückten die Serben nach Skopje, -Prilep und Kicevo vor. Georgios Akro- polites, der Historiker, damals kaiserlicher Befehlshaber des Westens, suchte eine Zuflucht auf der festen Burg von Prilep. Sein Unter- befehlshaber Xyleas ließ sich unvorsichtig in einen Kampf mit den Serben ein und erlitt eine schwere Niederlage. Akropolites wurde von den Epiroten in Prilep belagert und, als die Lokal- truppen verräterisch die Tore öffneten, in Ketten nach Arta weg- geführt. Die meisten nikänischen Feldherren gingen zum Sieger über. König Uros bestätigte indessen in Skopje ältere kirchhche

1) Dem. Chomatianos nro. 69 ed. Pitra col. 263.

2) Safari k Pam. 23 27 und Sreznevskij, Nachrichten und Be- merkungen über wenig bekannte Denkmäler nro. 81 (Zapiski der russ. Akademie Bd. 34, Heft II, 1897, Beilage nro. 4).

318 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Stiftungen, wie die des Edelmannes Pribo aus den Zeiten des Kaisers Theodor von Epii-us und des Zaren Äsen IL, die er dem Kloster Chilandar zuteilte i). Indessen ist Laskaris IL noch jung an Jalii'en geistesgestört gestorben (August 1258). Da sein Sohn Johannes noch ein Kind war, konnte sich der Feldherr Michael Palaiologos leicht zum Regenten, zum Mitkaiser und zum allei- nigen Kaiser erheben. Ein starkes Heer des neuen Herrschers bereitete den Epiroten und Franken bei Kastoria eine vollständige Niederlage, in welcher Fürst Villehardouin in die Gefangenschaft fiel (1259). Nur die Unterstützung von Seite Manfreds rettete den epirotischen Staat vor dem Untergang. Die Nikäer unter- warfen sich das ganze Gebiet bis zum Sargebirge und hoben in Skopje die kirchhchen Schenkungen des Serbenkönigs auf. Nicht lange darauf durcheilte Ost und West eine überraschende Nach- richt: die nikänischen Truppen überrumpelten in einer Nacht Konstantinopel und zwangen Kaiser Balduin IL zur Flucht nach dem Westen (25. Juli 1261).

Die Parteistellung Uros' I. wurde beeinflußt durch verwandt- schaftliche Beziehungen. Seine Frau, wir wissen nicht, ob die erste, zweite oder gar dritte, war seit ungefähr 1250 die Französin Helena. Erzbischof Daniel, der sie noch persönlich kannte, lobt ihre scharfsinnige Redeweise, ihre Güte, Freigebigkeit, Frömmig- keit und ihren tadellosen Lebenswandel -). Sie erreichte ein sehr hohes Alter (f 1314), gleich populär bei den Serben, wie bei den Lateinern des Küstenlandes, gleich geehrt von der serbischen und lateinischen Kirche, welcher sie, wie aus ihrer Korrespondenz mit den Päpsten zu sehen ist, treu geblieben war. Im dioklitischen Gebiet erneuerte sie (nach Barletius) Drivasto mit anderen Städten, welche bei der Invasion der Mongolen zerstört worden waren, und stiftete katholische Kirchen und Klöster in Cattaro, Antivari, Dul-

1) Sebast Kyr ITQiuTiog unter Kaiser Theodor bei Dem. Choma- tianos nro. 76 ed. Pitra col. 326. „Kellia" der hl. Petka (Paraskeue) in Tmorjane, welche der „Protosebast von Zagora Pribo in den Tagen des Zaren Äsen erbaut hatte " , erneuert und bestätigt von Uros II. um 1300 : Sporaenik 3, 12. Vgl. Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 625. Zur Chronologie: Miliarakis a. a. 0 513ff.

2) Daniel 8, 58, vgl. 60-61.

Stephan Uros I. (1243—1276). 310

cigno und Skutaj-i, aber auch im Binnenlande das serbische Kloster Gradac am Ibar. Dunkel bleibt ihre Abstammung. Daniel schreibt, Helena sei fränkischen Ursprungs (ot roda fruzLska) aus einem kaiserlichen oder königlichen Geschlechte gewesen (ot plemena carska), eine Tochter berühmter und reicher Eltern, welche sie dem serbischen König zur Frau gegeben haben. Es ist keine Phrase, wenn diese Königin, ebenso wie ihi*e Schwester, in den Urkunden Karls I, und II. von Anjou als Verwandte (consanguinea nostra carissima, cognata nostra, affinis nostra carissima) bezeichnet wird, ebenso wie z. B. auch die Toucy (de Tociaco) im latei- nischen Kaisertum „cousins" des Königs von Frankreich waren. Die von Neueren aufgestellten Kombinationen, um die Serben- königin in eine genealogische Verbindung mit den französischen Königen oder mit dem Hause der Courtenay, der lateinischen Kaiser von Konstantinopel, zu bringen, entbehren des urkund- lichen Beweises. Man könnte auch an die zahlreichen, meist aus der Champagne und aus Burgund stammenden französischen Herren- geschlechter Griechenlands denken. Maria, die Schwester der Königin Helena, war verheiratet mit Anselm de Chaurs, welcher 1273 als Generalkapitän Karls I. in Albanien erwähnt wird (f vor 1280). Sein Geschlecht, im 12. 14. Jahrhundert oft erwähnt unter den Bischöfen und großen Baronen von Frankreich und Neapel, führte den Namen nach dem Schlosse Chaource in der Champagne, jetzt im Departement Aube, Arrondissement Bar sur Seine, südlich von Troyes. Als Witwe lebte Maria (seit 1281) im Lande ihrer Schwester, wo ihr eine Residenz in Dulcigno ein- geräumt wurde. Ihr Sohn, der gleichfalls Anselm hieß, besaß (um 1292) Güter im Fürstentum Achaja. Das Grab der Maria de Chaurs und ihres Sohnes Anselm mit lateinischer Inschrift sah man noch unter der venezianischen Herrschaft (bis 1571) im Pflaster vor dem Hochaltar der Marien- oder Markuskirche von Dulcigno ^).

Der Anschluß des Serbenkönigs an das epirotisch - fränkische Bündnis führte zu einer Verständigung mit Ungarn, dessen Ein-

1) Über diese genealogischen Fragen vgl. meine Studien über das mittelalt. Serbien (Denkschriften W. Akad. 1911).

320 Viertes Bucb. Erstes Kapitel.

fluß auf der Balkanhalbinsel damals im Wachsen war. Stephan (V.), des Königs Bela IV. älterer Sohn und Gatte der Elisabeth, einer Tochter des letzten kumanischen Khans Kuthen, bekämpfte den Zaren Konstantin von Bulgarien, eroberte Vidin und ließ seine Truppen bis Pleven und Trnov (1261) vorrücken. Sein Schützling war ein mächtiger Edelmann in Westbulgarien, der Despot Jakob Svetislav, ein Russe und Landsmann des Rostislav, durch ungarische Hilfstruppen unterstützt gegen Kaiser Michael Palaiologos (1263) ^), später als „Imperator" der Bulgaren erwähnt (1271). Die Verbindungen mit den Serben waren auch auf einer Heirat begründet. Der ältere Sohn des Uros I. und der Helena, Stephan (Dragutin), wm'de vermählt mit Katharina, einer Tochter des „jüngeren Königs" Stephan (V.). Serben (Rascienses) erschei- nen neben Bulgaren und Bosniern in den ungarischen Heeren, die (1260) gegen den König Pfemysl Otakar U. von Böhmen im Felde waren ^). Andererseits gewann der serbische König wieder Zach- lumien, setzte dort zum Bischof seinen jüngsten Bruder Sava ein und bestätigte (um 1263) dem Kloster des heiligen Peter am Lim die Besitzungen am Meere bei der Narentamündung. Bald fühlte sich aber Uros gedemütigt durch die Prätensionen des ungarischen Königs, der ihn als Vasallen 2) betrachtete, und suchte wieder eine

1) Sendung von Feldherren des Stephan „contra Grecos in auxiUum Zuetizlav": Cod. dipl. patrius 6, 166.

2) Cont. Cosmae, Fontes rer. hohem. 2, 316. Bei dem Hochzeits- feste des Herzogs Bela, des jüngeren Sohnes Belas IV., mit der Nichte des Königs Pfemysl Otakar II. bei Wien (Oktober 1264) erwähnt Ottokar von Steiermark in der um 1300—1318 verfaßten österr. Reimchronik als an- wesend drei Könige: den König von Rußland (Daniel), den „König" von Matschouwe " , der Belas IV. Tochter zur „Hausfrau" hatte (Rostislav, damals schon gestorben) und „den kunic von Sirvie" (herausg. von See- müller, Mon. Germ., Scriptores qui vernacula lingua usi sunt Bd. V, 1890, Vers 8064f). Veit Arenpeck im 15. Jahrhundert machte daraus „tres reges ex Servia": Pez, Scriptores rerum austriacarum 1 col. 1222. Aus dieser Kombination des Arenpeck stammt die Nachricht bei Engel, Palacky u. a., bei der Hochzeit des jungen Bela sei König Uros mit seinen beiden Söhnen Dragutin und Milutin anwesend gewesen.

3) Klar aus den Worten Belas IV.: „Uros rex Servie" hat sich „su- perbia elevatus" der Gerichtsbarkeit des ungarischen Königs entzogen (se a iurisdiccione nostra retraxisset) : Cod. dipl. patr. 8, 96.

Stephan Uros I. (1243—1276). 331

Annäherung an die Griechen. Gelegenheit dazu boten die inneren Wirren in Ungarn, ein Krieg zwischen Bela IV. und seinem Sohn Stephan, dessen Schauplatz sich von Siebenbürgen bis Pest ausdehnte (1267).

In Italien war eine große Veränderung vor sich gegangen. Karl I. von Anjou, der energische Bruder des französischen Königs Ludwig IX., nahm in der Schlacht von Benevent (1266) dem König Manfred Reich und Leben. Im folgenden Jahre (Mai 1267) schloß er in Viterbo mit Balduin II. einen Vertrag zur Wieder- herstellung des lateinischen Kaisertums. Dafür erhielt er die Oberhoheit über Achaja und überdies ein Drittel der künftigen Eroberungen, welches er sich frei wählen konnte, im epirotischen Despotat oder „in regnis Albaniae et Serviae i)". Diese Feind- seligkeit Karls gegen Serbien erklärt sich durch den damaligen Anschluß des Uros an die Griechen. Die Lage in Italien wurde aber erst durch den Sieg Karls gegen Konradin, den letzten der Hohenstaufen , bei Tagliacozzo dauernd geklärt (August 1268). Kaiser Michael Palaiologos, der die Umwälzungen in Unteritalien aufmerksam verfolgte, bemühte sich, die Bulgaren und Serben auf seine Seite zu ziehen. Zar Konstantin Äsen wurde mit einer Nichte Michaels vermählt, doch gab es bald wieder Zwist und Feindschaft zwischen Griechen und Bulgaren wegen der Grenz- fragen. In Serbien sollte Milutin (der spätere Stephan Uros IL), der jüngere Sohn des Königs Stephan Uros I. , Michaels Tochter Anna heiraten und Thronfolger werden, mit Zurücksetzung des älteren Stephan (Dragutin) und seiner ungarischen Gattin. Die Verhandlungen waren so weit gediehen, daß die Kaisertochter schon nach Serbien unterwegs war, als sich die Sache durch eine vollständige Änderung der Dinge zerschlug -). König Uros I.

1) Du Gange, Histoire de Constantinople sous les empereurs franeais (Venedig 1729), Urk. S. 12.

2) Pachymeres, Mich. Pal. V cap. 6, mit Anachronismen und iin- klarer Chronologie, ohne Kenntnis der Ursachen des Bruches, unter dem Patriarchen Joseph (seit Jänner 1268) und vor der Gesandtschaftsreise des Chartophylax Bekkos zu König Ludwig IX. in das Lager von Tunis (1270). Anna heiratete später Michael, einen Sohn Michaels II. von Epirus, der sich den Palaiologen angeschlossen hatte (ib. VI cap. 6).

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 21

333 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

drang im Kriege gegen Ungarn in die Macva ein, das Gebiet des Herzogs Bela, des Sohnes des Rostislav, stieß aber auf ein von König Bela IV. seinem Enkel zu Hilfe gesendetes Heer unter Stephan, dem Comes von Preßburg, und wurde nicht nur ge- schlagen, sondern mit vielen seiner Edelleute als Gefangener zu Bela IV. geführt (1268). Unter den Beutestücken, die man im Triumph an den ungarischen Hof brachte, befand sich auch die Fahne des Königs und ein goldenes, mit Perlen und Edelsteinen geschmücktes Kreuz ^). Zu den Friedensbedingungen gehörte wohl das Versprechen, Uros I. werde mit seinem Sohn Stephan (Dra- gutin) noch bei Lebzeiten Thron und Königreich teilen, ebenso wie es in Ungarn zwischen Bela IV. und Stephan V. der Fall war -). Als dann nach Belas IV. Tod Stephan V. mit Pfemysl Otakar IL von Böhmen Frieden schloß (1271), wurden auf unga- rischer Seite unter anderen Verwandten mit eingeschlossen auch König Uros von Serbien und sein Sohn Stephan, der „jüngere König" von Serbien ^). Schon im folgenden Jahre starb Stephan V. (1272). Es folgte sein minderjähriger Sohn Ladislaus IV. unter der Regentschaft seiner Mutter Elisabeth der Kumanin, während vieler Wirren, in welchen Rostislavs Sohn Herzog Bela ermordet wurde.

Epirus zerfiel nach dem Tode des Despoten Michael IL (1271) in zwei Teile, die nimmermehr vereinigt wurden. In Epirus folgte sein schwacher Sohn Nikephoros, in Thessalien oder „Wlachien" sein energischer Bastard, der Sevastokrator Johannes, der sich „Komnenos Angelos Dukas" schrieb und der Abstammung von

1) Über die Gefangennahme des Königs UroS I. drei Urkunden: 1) 2. April 1264 (von Paul er berichtigt zu 1268), Cod. dipl. patrius 8, 96 bis 97; 2) 9. April 1269, Fej^r V, 3, 490, kurz bei Kukuljevic, Starine 27, 86 nro. 974; 3) 7. September 1271, Urkundenbuch des Zalaer Komitats (Zalavarm^gyi oklev^ltär) 1 p. 57—60. Regesten bei Thalloczy und Aldäsy, Codex dipl. partium regno Hungariae adnexarum (Mon. Hung. bist. Bd. 33, 1907) nro. 9, 10, 12.

2) Daniel 13—14.

3) Urk. 3. Juli 1271: „Belam, ducem de Machow et de Bozna, fratrem nostrum ; Urossium, regem Servie, et Stephanum filium eins, iuniorem regem Servie, generum nostrum ; Swetizlaum imperatorem Bulgarorum ", E m 1 e r ^ Regesta dipl. Bohem. et Morav. 2 nro. 753 p. 302.

Stephan Uros I. (1243—1276). 330

Kaisern rühmte i). Diese Veränderung erleiciaterte Karl I. die Besetzung von Durazzo und Berat (1272), bald auch von Valona, Kroja und anderen Burgen. Das neu erworbene „regnum Albanie'- verwaltete fortan ein neapolitanischer Generalkapitän mit dem Sitz in Durazzo. In den königlichen Urkunden erscheinen zum ersten Male die seitdem wohlbekannten albanesischen Adelsgeschlechter der Topia, Arianiti, Scura, Musachi u. a. Über Albanien gingen bald Karls Gesandte zu allen Gegnern des byzantinischen Kaisers ab. Gesandte „imperatoris Vulgarorum et regis Servie" erschienen schon 1273 am Hofe Karls I., damals in Foggia 2). Zu Karls Freunden gehörte auch der Sevastokrator von Thessalien, der eben mit den Serben Beziehungen angeknüpft hatte ; seine Tochter, deren Name nicht überliefert ist, wurde Gattin des jüngeren Königs- sohnes Milutin ^).

Der große Krieg Karls gegen den Palaiologen war bald im Gang. Die Truppen Kaiser Michaels besetzten das wichtige Berat hatten aber Mißgeschick in Thessalien. Um Zeit zu gewinnen knüpfte der schlaue Michael Unionsverhandlungen mit Papst Gre- gor X. an, geriet aber durch diese gar nicht ernst gemeinte Kirchenpolitik in Zwiespalt mit dem griechischen Klerus. Diese kirchliche Opposition wurde von den Nachbarn in Epirus, Thes- salien, Serbien, Bulgarien und Trapezunt unterstützt. Um die serbische und bulgarische autokephale Kirche zu schädigen, stellte Michael ihre Rechtsgrundlage in Frage und erneuerte die alten von Basilios IL verliehenen Privilegien von Ochrid (August 1272'» ebenso diejenigen, weiche diese Kirche an das alte Justiniana Prima anschlössen (1273)^). Als auf dem Konzil von Lyon (1274)

1) Notiz von 1283: Viz. Vrem. 3 (1896) 715. Sein Siegel; Jtlxlov der bist. Gesellsch. 4 (1892) 108 Anm. 1.

2) Regesten bei Makusev, Zapiski der russ. Akad. 19 (1871) und Racki, Rad 18.

3) Bei Pachymeres, Andr. III cap. 30 als zweite Frau Uros' II., bei Nikephoros Gregoras VI cap. 9 § 2 richtiger als seine erste Frau eine Tochter des „westlichen Sevastokrators Joannes", des „Archonten von Wlachien". Bei Hopf, Chroniques 529 in der Stammtafel irrtümlich mit dem im Orient nicht gebräuchlichen Namen Johanna (Jeanne) verzeichnet.

4) Golubinskij, Gesch. der rechtgläubigen Kirche von Bulgarien,

21*

3ä4 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

Georgios Akropolites an der Spitze einer zahlreichen byzantinischen Gesandtschaft vor dem Papst im Namen des Kaisers den Eid des Gehorsams ablegte, teilten die Griechen im Auftrag Michaels mit, die Metropolie von Serbien und das Patriarchat von „Zagora'' (Bulgarien) seien nicht kanonisch, da sie ohne Bewilligung des Papstes errichtet worden seien, zum Schaden der schon vom Kaiser Justinian und Papst Vigilius mit Privilegien ausgestatteten Kirche von Ochrid ^).

Das Verhältnis zwischen Uros I. und Ragusa verschlechterte sich seit dem Frieden von 1254 zu wiederholten Malen. Es han- delte sich nicht nur um kleine Lokalfragen, um Weinberggrenzen, Jahrgelder und serbische Flüchtlinge. Der König hatte die Ab- sicht, die Stadt seiner Oberhoheit zu unterwerfen, in der Art wie Cattaro oder Antivari -). Gegen die Venezianer, die Schutzherren von Ragusa, hatten ihn vielleicht die Genuesen gewonnen, die (seit 1256) den ersten langwierigen Seekrieg gegen die Lagunenrepublik führten. Die Autorität Venedigs war auf der Halbinsel ohnehin erschüttert durch den Fall des lateinischen Kaisertums und durch den Mißerfolg in dem langen Kriege mit den Franken Griechen- lands um die Insel Euböa. Die Stadtmauer von Ragusa auf der Landseite, dieselbe, welche, allerdings in der späteren Zeit vielfach verstärkt, heute noch besteht, wurde erbaut unter dem Comes Giovanni Quirini (1265 1266), um die Vorstadt (burgus) von S. Nicolaus de Campo einzuschließen und den Hafen besser zu schützen •^). Eine Gesandtschaft mit dem Erzbischof Aleardus an der Spitze, einem Franziskaner aus Sardinien, bat in Venedig um Hilfe gegen den Serbenkönig ^). Noch in demselben Jahre ver-

Serbien und Rumänien (russ., Moskau 1871) 259 f.; meine Geschichte der Bulgaren 274; Novakovic im Glas 76 (1908) 3f.

1) Die Konzilakten haben sich nicht erhalten. Einiges bei Zurita, Anales de la Corona de Aragon (Saragossa 1562) Bd. I, S. 144 a.

2) Die Serben wollten (1275) „prendre la ville": Canal (s. unten) p. 702. Vgl. Resti 96.

3) Ragnina 221, Gondola MS., Resti 96, 98.

4) Die Gesandtschaft, am 28. Dezember 1265 abgesendet, nahm am 7. April 1266 in Venedig eine Anleihe auf: Smiciklas 5, 375, Über ihren Zweck Gondola und Resti a. a. 0.

Stephan Uro§ I. (1243—1276). 335

trieb eine den Venezianern feindliche Partei den Quirini. Ver- bannte Ragusaner, unterstützt von Unzufriedenen, überfielen den Comes, töteten seinen Stellvertreter (socius) und verwundeten einige der übrigen Gefährten. Als Quirini einen der Angreifer hinrichten ließ, sperrten sie die Stadttore vor ihm zu, so daß er Ragusa nicht mehr betreten konnte und nach Venedig zurückkehren mußte ^). Aber unter seinem Nachfolger Giovanni Storlato (1267 1268) nahmen die Ragusaner mit ihren zwei Galeeren wieder regen An- teil an dem Krieg gegen die Genuesen in der Adria -). Merk- würdig ist ein zufällig erhaltenes Schreiben der Königin Helena an den Erzbischof Aleardus und den Comes Storlato. Die Französin auf dem serbischen Thron leistete vor den Gesandten der Ragu- saner, zwei Franziskanern und zwei Edelleuten, einen Eid, sie werde „die ganze Stadt lieben" und die Kaufleute bei sich be- schützen, selbst ohne Erlaubnis des Königs; sollte der König gegen Ragusa böse Absichten haben, ein Heer oder eine Raub- schar rüsten, wird sie so rasch als möglich die Stadt davon be- nachrichtigen ^). Zuletzt konnte der Friede nur durch eine Er- höhung des Jahrgeldes erneuert werden (1268) •^).

Sieben Jahre später folgte ein neuer Zusammenstoß unter dem Comes Pietro Tiepolo, Sohn des Dogen Lorenzo Tiepolo. Der Serbenkönig erschien persönlich mit seinem Heere auf den Bergen vor Ragusa, ließ die Landhäuser und Weingärten verwüsten, wagte es aber nicht, sich den Mauern zu nähern. Als die Nachricht von dem Tode des Dogen (August 1275) eintraf, stiegen die Serben zur Eroberung der Stadt herab, aber der junge Comes ließ die Trauer für seinen Vater beiseite, ritt zu Pferde an der Spitze der Ragusaner unter Glockengeläute zum Tore hinaus und trieb

1) Tadelndes Schreiben des Dogen Rainerio Zeno an die Ragusaner vom 20. November 1266, nach dem Eintreflfen des Quirini in Venedig: Smiciklas 5, 399.

2) Canal p. 554. Dandolo bei Muratori 12 p. 375C (15. Jahr des Dogen R. Zeno, 1267—1268).

3) Mon serb. p. 69, nro. 66 (serbisch).

4) Der Friedensvertrag ist nicht erhalten. Grondola MS. und Resti 96 97, mit Berufung auf das jetzt verschollene Archivbuch Diversa Notarie 1268.

336 Viertes Buch. Erstes Kapitel.

die Serben wieder auf den Berg hinauf. Die Ragusaner begannen die serbische Küste mit ihren Schiffen zu verheeren, gerieten je- doch bei einer Landung in einen Hinterhalt, in welchem 2000 Serben zu Fuß und zu Pferde warteten. An 40 Patrizier fielen in die Gefangenschaft. Der König ließ den Anführer Benedictus de Gondola uad einen Venezianer, den Stellvertreter (socius) des Comes blenden. Zwölf ragusanische Gesandte in schwarzem Trauer- gewande baten den neuen Dogen Giacorao Contariui flehentlich um Hilfe durch Entsendung einer Flotte, worauf zwei venezia- nische Gesandte, welche auf zwei Galeeren eintrafen, bald die Er- neuerung des Friedens vermittelten ^).

Schon im folgenden Jahre wurde König Stephan Uros I. von seinem Sohne Stephan Dragutin entthront. Der „jüngere König" verlangte die versprochene Teilung des Reiches. Als Uros dieses Verlangen zornig abwies, erhielt der Sohn von der Regentschaft für seinen Schwager Ladislaus IV. ungarische und kumanische Hilfstruppen und besiegte seinen Vater in den Bergen der jetzigen Herzegowina bei Gacko (Herbst 1276). Der alte König flüchtete sich nach Zachlumien, legte dort als Mönch Simon das Kloster- gewand an, doch bald erreichte ihn der Tod; man bestattete ihn in seiner Stiftung, dem Kloster Sopocani bei Ras -).

1) Lebendiger, aber unvollendeter Bericht am Schluß der „Chronique des Veniciens" (altfranzösisch) des Zeitgenossen Martino de Canal cap. 342—343: Archivio storico ital. 8 (1845) 702—704. Dandolo bei Mura- tori 12 col. 391 A., wo Ben. de Gondola von Uros gehängt wird (suspendi fecit), während er nach den ragus. Archivbüchern noch 1283 lebte.

2) Daniel 16—19. Todestag 1. Mai: Stojanovic, Arch. slaw. Phil. 23 (1901) 631. Stephan Uros war noch König im Jahre 6785 = 1. Sept. 1276 31. Aug. 1277: Jagic, Starine 9, 124, Stojanovic, Zi^pisi nro. 24. Vgl. Kovacevic: Godisnjica 3 (1879) 368-379.

Zweites Kapitel.

Offensive gegen Byzanz. Aufschwung Serbiens unter

den Königen Stephan Dragutin (1276 1282, im Norden

bis 1316), Stephan Uros II. Milutin (1282-1521) und

Stephan Uros III. (1321—1551) i).

Die rasche Entwicklung Serbiens unter den beiden Söhnen des Königs Stephan Uros I. wurde zum guten Teil gefördert durch die Wiederaufnahme des Bergbaues bei den einstigen römischen Bergwerken, nach Berufung von deutschen Bergleuten oder „Sachsen" aus Ungarn. Die großen Mittel dienten vor allem zur Schaffung einer starken Kriegsmacht mit zahlreichen fremden Söldnern und zur Offensive gegen das sinkende Reich der Palaio- logen.

König Stephan, mit seinem Hausnamen Dragutin (von drag

1) Zu den Urkunden (s voriges Kapitel) kommen die Sammlungen von Pucic, Bd. 2 (1312 f.) und Jirecek im Spomenik Bd. 11 (1286 f.), die Eatsprotokolle von Ragusa (1301 f.) in den Mon. Rag. und die ungedruckteu Diversa des Archivs von ^agusa seit 1278. Biographien der serb. Könige und Erzbischöfe von Erzbischof Daniel (f 1338) und seinen Fortsetzern Fremde Quellen: Micha Madius de Barbazanis aus Spalato 1290 bis 1330 (vgl. die Monographie von Sisic im Rad Bd. 153, 1903); der franz. Dominikaner Guillaume Adam, 1322 1341 Erzbischof von Antivari, Verfasser des 1332 dem französischen König Philipp VI. gewidmeten „Di- rectorium ad passagium faciendum", im Recueil des historiens des croisades, Documents arm^niens, t. 2, Paris 1906 (früher dem Brocardus zuge- schrieben, serb. übersetzt von Novakovic, Godisujica Bd. 14, 1894); die Griechen Theodoros Metochites, Georgios Pachymeres (bis 1308), Manuel Philes, Nikephoros Gregoras und der Kaiser Johannes Kantakuzenos.

328 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

teuer) genannt, regierte als alleiniger König nicht lange (1276 bis 1282) ^). Der Helena überließ er Besitzungen im Küstenlande von Ragusa bis Skutari, das lange Zeit bekannt blieb als Land der Königinmutter (domina regina mater), im Binnenlande Plav (bei Gusinje) am oberen Lim und das Schloß Brnjaci im obersten Ge- biet des Ibar -). Ein eigenes Gebiet erhielt wahrscheinlich auch sein jüngerer Bruder Milutin (von mil lieb). Die alten Feind- schaften waren vergessen, vor allem mit Ragusa, dem Stephan sein Leben lang Freund blieb. Der erste Vertrag mit den Ragu- sanern, geschlossen auf fünf Jahre (vielleicht schon im Herbst 1276), hat sich nicht erhalten, wohl aber seine Erneuerung (wahrschein- lich im Herbst 1281) ohne zeitliche Beschränkung, gültig für die ganze Lebenszeit des Königs ^). Auch das älteste erhaltene Archiv- buch der Stadt aus der Zeit des Comes Marco Zeno (1278 bis 1280) gibt Zeugnis von guten Verhältnissen zu den Serben, mit großem Handel nach Brskovo an der oberen Tara, dem damaligen Hauptort des westlichen Serbiens. Mit seinem jugendlichen Schwa- ger Ladislaus „dem Kumanen" (1272 1290) blieb Stephan stets in guten Beziehungen. Seine Schwiegermutter Elisabeth „die Kumanin" verwaltete das ehemalige Gebiet Rostislavs an der serbischen Grenze als „Herzogin von Macva und Bosnien". Der arge Verfall Ungarns äußerte sich an der Küste, wo sich die reichen Inseln Brazza und Lesina Venedig unterwarfen (1278), worauf die Republik das Piratennest Ahuissa eroberte (1281), aber bald wieder dem König zurückgab. Arge Stürme erschütterten Bulgarien, als Zar Konstantin sich den Fuß gebrochen hatte und die Feldzüge nur im Wagen mitmachte. Die Invasionen der

1) ,, Stefan kralj" in den serb. Urk. , bei Daniel, Nikodim usw., Zr^tfavog bei Paehymeres (Mich. Pal. V cap. 6 und Andr. III cap. 30), „rex Stephanus" der Neapolitaner, Venezianer, Ragusaner, Cattarenser und der päpstl. Kanzlei, Dragutin nie in den Urkunden; nach Daniel 12 wurde der König als Dragutin getauft, Stephan erst als König umgenannt; er heißt so schon in der Urk. 1271 (s. oben S. 322).

2) Beamte der alten Königin in Trebinje und an der Bojana : Div. Rag. 1278—1280. Plav: Urk. von Decani 133.

3) Undatierter Vertrag des Königs Stephan mit dem Comes Nikola Mavrizin (Nie. Maurocenus, ital Morosini, 1280—1282): Mon. serb. p. 54—55 nro. 57 (dort irrig Stephan Uros II. zugeteilt).

Stephan Dragutia (1276—1283). 329

Tataren führten zum Ausbruch einer Volksbewegung, deren Führer ein ,, Schweinehirt" des Gebirges war, der „Zar Ivajlo", bei den Griechen unter dem Spitznamen Lachanäs (neugr. lächano Kohl) bekannt ^). Er zersprengte einige Tatarenhaufen und besiegte auch den Konstantin, welcher hilflos auf seinem Fuhrwerk erschlagen wurde (wohl Ende 1277). Der siegreiche Bauernführer zog in die Hauptstadt ein, konnte sich aber nicht behaupten, ebenso wie sein Nebenbuhler, der byzantinische Schützling Johannes Äsen III. Begründer einer neuen Dynastie wurde ein Würdenträger des bulgarischen Hofes, der Kumane Georg Terterij I. (ungefähr Ende 1280). Schwer lastete auf der ganzen Nachbarschaft das Auftreten des Tatarenfürsten Nogaj , welcher Russen , Polen , Ungarn und Bulgaren durch seine Invasionen heimsuchte und auch die Serben bedrohte, aber mit Kaiser Michael befreundet war.

König Stephan blieb den Verbindungen seines Vaters mit Karl I. von Anjou treu. Michaels Spiel mit der Union täuschte niemand mehr ; der neue Papst Martin IV. , ein Franzose, brach die erfolglosen Verhandlungen ab und tat den griechischen Kaiser in den Bann. Die Feldherren Karls I. in Albanien eröffneten die Offensive, belagerten Berat, wurden aber (Frühjahr 1281) von einem großen byzantinischen Heere vollständig geschlagen. Die Griechen besetzten Kroja, Kanina und andere Burgen Albaniens ^). Karl I. gewann nun durch den Vertrag von Orvieto (Juli 1281) auch die Venezianer. Die Verbündeten verpflichteten sich, im nächsten Frühling von Brindisi aus mit Heer und Flotte gegen Konstantinopel zu ziehen und dort den Kaiser Philipp, Balduins II. Sohn und Karls I. Schwiegersohn, einzusetzen. Zugleich wurde eifrig mit den Serben und Bulgaren verhandelt. An der serbisch- byzantinischen Grenze, die sich im Gebirge des Sar oberhalb Prizren und Lipljan befand, gab es damals einen unaufhörlichen Kleinkrieg. Ein byzantinischer Überläufer Koteanitzes beunruhigte

1) Zar Ivajlo im Evangelium von Svrljig; neueste Ausgabe von G. Iljinskij in den „Statji po slavjanovedeniju" (Abb. zur Slawistik) Bd. 2 (Petersburg, Akad. 1906) 97—128.

2) Kroja bei Philes, Ausg. von E. Miller 2, 254, V. 289. Vgl. Pachymeres, Micb. Pal. VI cap. 32 und Sanudo, Istoria del regno di Romania bei Hopf, Chroniques gr^corom. 129.

330 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

mit serbischen Truppen die makedonischen Provinzen bis Serrai ^). Des Kaisers Michael Sohn Konstantin gewann einmal diesen Frei- beuter durch eine Amnestie; er wurde Mönch in Asien, ließ sich aber nachts auf einem Seil von den Mauern von Prusa herab und kehrte wieder zu den Serben zurück. Ein rühriger Gegner der Byzantiner war auch der Sevastokrator Johannes von Thessalien. Zugleich schloß aber Kaiser Michael durch Vermittlung der Ge- nuesen einen geheimen Bund mit König Peter von Aragonien, des unglücklichen Königs Manfred Schwiegersohn. Am Ostermontag (31. März) 1282 folgte die unerwartete Erhebung von ganz Sizilien gegen die französische Herrschaft. Durch die „Sizilianische Vesper" waren die griechischen Pläne Karls I. mit einem Schlage ver- nichtet. An ihre Stelle trat der langwierige Kampf zwischen den Häusern von Aragon und Anjou um den Besitz von Sizilien.

Der König von Serbien wurde inzwischen (ungefähr Anfang 1282) von einem Unglück ereilt. Auf einem Ritt mit seinen Adligen unter der Burg Jelee in der Zupa von Ras fiel er vom Pferde und brach sich den Fuß -). Er sah darin eine Strafe Gottes für den Aufstand gegen seinen Vater. Das Schicksal des bulgarischen Zaren Konstantin war ein abschreckendes Beispiel für einen lahmen Landesherrn. Stephan überließ oder, wie Daniel sagt, „schenkte" die Regierung seinem jüngeren Bruder Stephan Uros II. Milutiu (1282 1321), auf einem Reichstag in Dezevo bei Ras ^). Von nun an gab es (bis 1316) im Lande zwei Könige

1) Vgl. Philes und Pachymeres (zuerst Mich. Pal. VI cap. 22). Mein Christi. E!em. 79 A. 1 (Bcmerkungeu zum Gedicht des Philes an den Feldherrn Tarchaniotes). Der Name ist slawischen Ursprungs, von Hotea.

2) Daniel 23—27, 106 und Pachymeres, Andr. III cap. 30 (Mich. Pal. V cap. 6 irrtümlich, er habe sich noch bei Lebzeiten des Vaters den Schenkel gebrochen). Kex Stephanus urkundlich zuletzt Juli 1281 als Landesherr: Smiciklas 6, 388. Das erste Regierungsjahr des Stephan Uros II. war das Jahr 6790 = 1. Sept. 1281 31. Aug. 1282: Mon. serb. 561, Stojanovic, Zapisi nro- 27. Vgl. Kovacevic, Godisnjica 3 (1879) 386

3) In seinen Urk. „Stefan Uros"; „rex Urossius" der Ungarn, Vene- zianer, Ragusauer usw. Der Name Milutin ist nie in den Urk. zu lesen, wohl aber bei Daniel und Pachymeres {MrjXonivos Mich. Pal. V cap. 6);

Stephan Uros II. (1282-1321). 331

nebeneinander, die bei den Zeitgenossen „König Stephan" und „König Uros" heißen. Die näheren Bedingungen der Übergabe sind nicht bekannt. Pachymeres beti'achtet Uros nur als Regenten für die Söhne des älteren Stephan als künftige Nachfolger; der rechtmäßige König sei Stephan gewesen, der auch in neapolita- nischen, venezianischen und päpstlichen Urkunden stets als „rex Servie" bezeichnet wird und einen großen Einfluß auf die Re- gierungsgeschäfte hatte. Ebenso erklärt ein anderer Zeitgenosse, der Franzose Guillaume Adam, Erzbischof von Antivari, den Stephan und dessen Sohn für die allein legitimen Herrscher Ser- biens ^).

Ob König Stephan Dragutin einige Gebiete für sich reserviert hat, ist nicht sicher. Bald erhielt er (1284) von seinem Schwager Ladislaus IV. Ländereien außerhalb der serbischen Grenze, welche Daniel ausdrücklich als Teile des ungarischen und bosnischen Landes bezeichnet. Es war die einstige Grenzmark des Rostislav, zuletzt Besitz der Königinmutter Elisabeth, mit der Stadt Belgrad, der Landschaft Macva und dem Nordosten Bosniens -). Das Ge- biet bei Belgrad bezeichnete man damals mit dem Namen des jenseits der Save liegenden Sirmium als Srem (zemlja sremska); die Ragusaner rechneten in diesen Zeiten sogar noch Rudnik zu Srem ^). Die Residenzen des Königs waren Belgrad, damals in Ungarn als einstiger Besitz der Bulgaren lateinisch noch immer Alba Bulgarica genannt^), und das Schloß Debrec in „Srem", jetzt ein Dorf in der i\Iitte des Weges zwischen Belgrad und Sabac, südlich der Save. In Bosnien besaß König Stephan die

Köuig ,, Uros Milutiu" in der Inschrift von Nagoric'm, Arch. slaw. Phil. 31 (1909) 300.

1) Pachymeres, Andr. III cap. 30. G. Adam ed. cit. 2, 437.

21 Länder der „zemlja ugrskaja" und der „bostnskaja zemlja": Da- niel 41. Elisabeth als Herzogin der Macva zuletzt 11. Juni 1284, worauf Milovan Ristic, Bosnien 1250 1284 (serb., Belgrad 1910) 141f. aufmerk- sam macht.

3^ Ein ragusanischer Kaufmann Rossinus de Palma de PosopQe wurde am 27. Oktober 1297 befragt als Zeuge wegen eines Verkaufs von Tuch: „ego eram in Seremo in contrata de Rudinico". Div. Cauc. 1295, Arch. Rag.

4) Alba Bulgarica : 1290 Theiner, Mon. Hung. 1, 366; 1295 Starine 28, 170 nro. 15G8.

333 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

Landschaft Usora, vielleicht auch Sol (Tuzla) ^). Serbische und lateinische Berichte erwähnen Bekehrungen der Patarener. Auf die Bitten des Königs sendete ihm der Papst (l29l) für diese Landschaften (in partibus Bosne, Tue ditioni subiectis) als Missio- nare zwei Franziskaner, welche der slawischen Sprache kundig waren -). Ein bosnischer Bischof Basilius, dem Namen nach der östlichen Kirche angehörig, reiste (1293) als Gesandter des Königs nach Venedig. Das innere, eigentliche Bosnien beherrschten, wie schon erwähnt, die Brüder Prijezda II. und Stephan I. Ban Stephan wurde 1284 Schwiegersohn des Königs Stephan Dragutin, als Gemahl seiner Tochter Elisabeth 3). Auf dieser Heiratsver- bindung begründete 93 Jahre später Ban Tvrtko, ein Enkel des Baus Stephan I., seine Ansprüche auf die Nachfolge in Serbien nach dem Aussterben der Nemanjiden.

König Uros II., der den größten Teil Serbiens verwaltete, war beim Regierungsantritt noch jung, nach Daniel ein sehr schöner, freundlicher Mann, tapfer und kriegskundig, jedenfalls mehr Kriegsmann als Diplomat. Merkwürdig ist der rasche Wechsel der Gattinnen. Seine erste Frau, die Griechin aus Thessalien, sendete er nach einiger Zeit heim zu ihrem Vater, dem Sevasto- krator Johannes. Die zweite Frau war Elisabeth aus Ungarn, eine Schwester des Königs Ladislaus IV., der Königin Katharina von Serbien und der Königin Maria von Neapel. Schon als Kind wurde sie Nonne im Kloster auf der Haseninsel bei Ofen, lebte später am Hofe ihres Bruders und besuchte ihren Schwager, den König Stephan Dragutin. Pachymeres erzählt, Uros habe diese Klosterfrau, seine Schwägerin, bei seinem Bruder angetroffen, ver- führt und geheiratet. Nikephoros Gregoras berichtet, daß diese wegen des Klostergelübdes und der nahen Verschwägerung un- gesetzliche Ehe bei der serbischen Kirche auf großen Widerstand

1) Usora: serb Annalen, Glasnik 53 (1883) 37. Seit Engel in der neueren Literatur über Bosnien Verwechslungen beider Könige : vgl. Ilarion Ruvarac, GodLsnjica 2 (1878) 243.

2) Theiner, Mon. Hung. 1, 377.

3) „Yperpyri CXLVII, donati regi Stephano pro nupciis, quas facit cum bano Bosne " : November 1284. Div. Canc. 1284 (falsch bezeichnet als 1275) Arch. Rag.

Stephan Uros II. (1282—1321). 333

gestoßen sei. Nach einiger Zeit trennte sich Uros von dieser zweiten Frau von edlem magj'arisch-kumanischem Ursprung (vor 1284), behielt aber ihre kleine Tochter bei sich i). Elisabeth wurde Äbtissin des Klosters auf der Haseninsel, heiratete aber wieder nach wenigen Jahren, diesmal einen böhmischen Edelmann, welcher eine fast königUche Macht besaß. Es war der schöne Zävis, Sohn des Budivoj von Krumau, der 1284 die Witwe des Königs Pfemysl Otakar IL, Rostislavs Tochter Kunigunde, ge- heiratet hatte, aber schon nach einem Jahr \Vitwer geworden war. Aber eben infolge der neuen ungarischen Heirat (1287) neigte sich der Glücksstern des Emporkömmlings dem Untergange zu. EHsabeth gebar ihm einen Sohn, als jedoch Zävis den jungen König Wenzel U. in Prag zur Taufe einlud, wurde er wider Er- warten gefangen genommen und vor den Mauern der Burg Frauenberg bei Budweis hingerichtet (August 1290). Nach diesem Unglück kehrte Elisabeth in die klösterliche Einsamkeit auf der Haseninsel zurück, die sie bis zu ihrem Lebensende nicht mehr verließ. König Uros H. heiratete indessen als dritte Frau Anna, eine Tochter des bulgarischen Zaren Georg Terterij L (1284) 2).

Als Uros n. die Regierung antrat, hatte der Kampf zwischen den Anjous und den Palaiologen eben den Höhepunkt überschritten. Die Verbündeten der Franken, die Serben und Thessaher be- gannen ohne Kenntnis von der Umwälzung auf Sizilien den An- griff. Der junge Serbenkönig eroberte die Stadt Skopje, die nimmermehr in den Besitz der Byzantiner zurückkam, mit den benachbarten fünf Landschaften : Ober- und Unter-Polog am oberen Vardar, Ovcepolje, Zletovo und Pijanec im Gebiet der Bregalnica.

1) Elisabeth wird bei den Serben nicht erwähnt, wohl aber bei Pa- chymeres, Andr. III, cap. 30 und IV cap. 1, Nikephoros Gregoras VI cap. 9 § 2 und Guillaume Adam ed. cit. 487 (E. als ,uxor', später .repudiata'). Elisabeth, des Königs Uros II. „uxor legitima": Urk. 1308, Glasnik 27, 322.

2) „Dona facta regi Vrossio, quando accepit in uxorem filiam impe- ratoris Bulgarie", von den Ragusanern, im Werte von 400 Perper, erwähnt im August und November 1284: Div. Canc. 1284. Die Königin Anna mit zwei Kindern (cedoma, Dual) genannt in einer Hdschr. von 1286 1292 : Glasnik 29 (1871) 174.

334 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

Kaiser Michael rüstete sofort gegen die Thessalier und Serben, mit der Absicht, wie Daniel berichtet, ganz Serbien zu erobern und den König zu seinem „gehorsamen Sklaven'' zu machen. Er warb Franken und Türken, erhielt auch tatarische Hilfstruppen von Khan Nogaj, starb aber während der Vorbereitungen im Dorfe Allage bei Rodosto (11. Dezember 1282) i).

Die Unfähigkeit des Sohnes Michaels, des Kaisers Andro- nikos IL führte während seiner langen Regierung (1282 1328) rasch den Niedergang des Reiches herbei, den die Serben sofort rücksichtslos ausbeuteten. Noch im selben Winter sendete Andro- nikos Griechen und Tataren, besonders um den tatarischen Scharen Beute zu verschaffen, bis Lipljan und Prizren, jedoch ohne Erfolg. Eine Abteilung der Tataren wurde am hoch angeschwollenen Drim von den Serben ganz aufgerieben. Skopje blieb fortan Re- sidenz des Uros. Nach dem Weihnachtsfest (1283) brachen beide Könige der Serben mit ihrem ganzen Heere in das östhche Make- donien ein und verheerten es bis Serrai, Christopohs (j. Kavala) und bis in die Nähe des Athos. Uros besetzte dann allein die Gebiete von Porec (an der Treska), Kicava und Debra im Westen Makedoniens. Die Grenzlinie befand sich ohne Friedensschluß nördlich von den byzantinischen Festungen Strumica, Prosek, Prilep, Ochrid und Kroja, unter fortwährendem Kleinkrieg, in welchem sich Koteanitzes wieder bemerkbar machte -). Den Serben kam auch die Freundschaft des bulgarischen Zaren Georg Tcrterij zugute, des Schwiegervaters des Uros, mit welchem Helena, die Mutter der beiden Serbenkönige, im Sommer 1291 eine Zusammen- kunft hatte. Der Gegensatz zwischen den Serben und Byzantinern, sowie der Einfluß der aus dem katholischen Abendlande stammen- den Königinmutter erweckte in Rom Hoffnungen, Serbien für die Union der Kirchen gewinnen zu können. Helena wurde mit dem „regnum Servie" wiederholt (1291, 1303 und 1306) unter den

1) Die redselige Urkunde Uros' II. im Spomeuik 3, 17—24 ist nach der Untersuchung von Radonic im Letopis 183 (1895) 92 f. ein Falsifikat, kompiliert aus Daniel. Verlust von Skopje unter Kaiser Michael: Kan- takuzenos IV cap. 19.

2) Daniel Ulf. Pachymeres, Andr. III cap. 25, 30 und das Gedicht des Phil es an Tarchaniotes (um 1305) V. 301 f.

Stephan Uros IT. (^1282-1321). 335

Schutz des heiligen Petrus aufgenommen, ebenso ihr älterer Sohn König Stephan (März 1291). Dagegen waren die Aufforderungen der Päpste Nikolaus IV. (1288) und Benedikt XI. (1303) an König Uros, sich Rom anzuschließen, von keinem Erfolg begleitet. Bei der erwähnten Zusammenkunft richtete der Papst auf Bitten der Helena auch an den „Georgius Imperator Bulgarorum" einen Brief, um ihn zu gewinnen i).

Es war ein Glück für die Byzantiner, daß die Lage in Bul- garien die Aufmerksamkeit der Serben wiederholt nach Osten ab- lenkte. Zar Terterij mußte Vasall des Tataren Nogaj werden und eine Tochter an dessen Sohn Tschaga verheiraten, welcher derart ein Schwager des Königs Uros wurde. Doch der bulgarische Zar war nur ein kleiner Herr neben den mächtigen, fast unabhängigen Adligen. Im Westen herrschten in der Landschaft von Branicevo die Brüder Drman und Kudelin, welche im Engpaß Zdrelo an der Mlava (jetzt Gornjacka Klisura genannt) eine feste Burg besaßen und mit bulgarischen, kumanischen und tatarischen Scharen Raub- züge nach Ungarn und in das Gebiet des Stephan Dragutin unter- nahmen -). Vidin verwaltete Knez Sisman, der mit den Kumanen verwandte Stammvater der letzten bulgarischen Dynastie. Ein Bruder des Terterij, der Kumane Eltimir, beherrschte das zentrale Hämusgebiet. Die drei Brüder Smil oder Smilec, Radoslav und Vojsil, den Namen nach Slawen, besaßen die Landschaften der Sredna Gora. Als Terterij schließlich die tatarische Herrschaft unerträglich fand und auf byzantinisches Gebiet entfloh, setzte Nogaj an seiner Stelle den Smilec zum Zaren ein. Während dieser Wirren unternahmen die serbischen Könige vereint einen Zug gegen Drman und Kudelin, vertrieben sie aus ihren, mit Beute gefüllten Felsennestern und vereinigten das Gebiet von Branicevo mit dem Lande des Königs Stephan Dragutin. Zur Vergeltung für diesen Angriff erschien Sisman von Vidin mit einem Heere von Bulgaren und Tataren plötzlich vor Pec, um die erzbischöfliche Kirche aus-

1) Theiner, Mon. Hung. 1, 360, 375 f., 407, 410, 414.

2) König Ladislaus sendete den Magister Georg mit Siebenbürgern und Kumanen „contra Dormanum et Bulgaros": Urk. 8. Jänner 1285, Teutsch und Firnhaber, Urkundenbuch zur Geschichte Siebenbürgens, Bd. 1 (Fontes rer. austr. Bd. 15) S. LXV nro. 285 (aus Fejer).

336 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

zuplündern, mußte aber un verrichteter Sache abziehen. In diese Zeit gehört wahrscheinlich die Zerstörung des Klosters von Zica, welches von Rumänen niedergebrannt wurde ^). Darauf zog König Uros vor Vidin und nahm die Stadt ein. Sisman rettete sich auf Booten über die Donau, schloß jedoch bald Frieden und Freund- schaft, bekräftigt durch Heiraten; Sisman selbst erhielt zur Frau die Tochter des Zupans Dragos, sein Sohn Michael später Anna, die Tochter Uros' IL Nogaj sah in den Zügen der Serben nach Branicevo und Vidin einen Eingriff in seine Rechte als Oberherr von Bulgarien und bot seine Reiterheere, bestehend aus Tataren, Rumänen, christHchen Kaukasiern (Alanen oder Osseten) und tributären Russen, zu einer Invasion nach Serbien auf, ließ sich jedoch durch eine Gesandtschaft besänftigen. Rönig Uros II. mußte ohne Zweifel versprechen, Bulgarien künftig in Ruhe zu lassen. Als Bürgen sendete er seinen Sohn Stephan (den späteren Rönig) mit einigen Edelleuten an den Hof des „tatarischen Zaren". Nogaj war bald vollauf beschäftigt durch den Rrieg mit Toktaj, dem legitimen Rhan der Goldenen Horde. Sein Tod in einer Schlacht in der Gegend des heutigen Odessa (1299) ermöglichte dem ser- bischen Prinzen die Flucht in die Heimat '-). Nach der Rückkehr heiratete Prinz Stephan Theodora, eine Tochter des bulgarischen Zaren Smilec, und wird (1309 bis Februar 1314) als Statthalter seines Vaters im Rüstengebiete der Zeta erwähnt, welches zuvor seine Großmutter Helena verwaltet hatte ^). Nördhch von ihm war Statthalter Uros' II. in Zachlumien der Comes (serb. knez) Konstantin, wohl der ältere Sohn des Rönigs, seinem Namen nach von der ersten thessalischen Gattin; er wird in ragusanischen Ur- kunden (1303 1306) in Nevesinje, in Brodno (südwestlich von Mostar) und in Stagno erwähnt ^). Die Famihe des Andreas von

1) Die Leiche des Erzbischofs Eustatij I. (f 1286) wurde wegen dieser Stürme von Zica nach Pec übertragen; die Erneuerung von Zica begann wieder der Erzbischof Eustatij II. (1292—1309). Daniel 318, 371.

2) Daniel 114 f. Nogajs Tod: F. Bruun, Cernomorje , russ. 2 (Odessa 1880) 352—351.

3) Belege: Arch. slaw. Phil. 17 (1895) 258 f.

4) Vgl. eb. 22 (1900) 174. Konstantin hieß ein Bruder der thessalischen Gattin Uros' II.

Stephan Uros IL (1282—1321). _ 337

Zachlumien war ausgestorben; zuletzt wird 1280 sein Sohn Georg an der Narentamündung genannt ^).

In Ungarn wurde Ladislaus IV., welcher durch seinen Lebens- wandel allgemein Anstoß erregte, von einem Kumanen aus Eifer- sucht ermordet. König wurde der letzte Arpäde, ein halber Italie- ner, Andreacius oder Andreas III. „der Venezianer" (1290 1301), ein Enkel Andreas' IL, Sohn Stephans des „Lombarden" und der Venezianerin Tommasina Morosini. Seinen Oheim Albertino Moro- sini ernannte er zum Herzog von Slavonien und zum Comes von Pozega. Gegen Andreas traten die Anjous mit Ansprüchen auf das Erbe der Arpäden auf, da König Karl II. mit Maria, einer Schwester Ladislaus' IV., vermählt war. Schon im Jänner 1292 wurde ein Sohn Karls IL, Karl Martell (f 1295), zum König von Ungarn proklamiert. König Stephan Dragutin hätte als Gemahl einer zweiten Schwester Ladislaus' IV. dieselben Rechte gehabt, machte sie aber nicht geltend. Einen Anschluß an die Anjous bekundet eine Urkunde Karls II. (1292), in welcher er Vladislav, dem erstgeborenen Sohn des Stephan Dragutin, für die dem Karl Martell erwiesenen Dienste das Herzogtum von Slavonien erblich verlieh, mit Ausnahme der Gebiete der Grafen von Veglia und anderer Großen -). Derselbe Vladislav heiratete aber ein Jahr später (1293) Costanza, eine Tochter des Michael Morosini und Enkelin des sla wonischen Herzogs Albertino Morosini, somit eine Nichte des Königs Andreas III. ^j. Als der Sohn Karl Martells, Karl Robert, herangewachsen war und die Bewerbung um die ungarische Krone wieder aufnahm , wurde er vom König von Neapel (1300) wieder dem König Stephan und der Königin Katha- rina anempfohlen ^).

1) Glas 35 (1892) 12.

2) Urk. Karls II. vom 19. August 1292 an „vir magnificus Ladyslaus, filius primogenitus illustris principis Stephan! , regis Servie": Smiciklas 7, 103.

3) Ehevertrag, geschlossen in Venedig 24. August 1293 von den Ge- sandten des Königs Stephan und der Königin Katharina, Bischof Basilius von Bosnien und dem Ragusaner Vitus de Bobali, in ital. Übersetzung ge- druckt bei Franc. Nardi, Tre documenti della famiglia Morosini, Padua 1840 p. 15—16. Ein Porträt der Costanza in Venedig im Palazzo Morosini.

4) Urk.: Rad 18 (1872) 223.

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 22

3^8 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

An den freundschaftlichen Beziehungen seines Bruders zum Hof von Neapel nahm auch König Uros II. teil, ebenso wie die Königinmutter Helena mit Bewilligung Karls II. wiederholt ihre Städte mit Getreide aus Apulien versorgte i). An der Grenze gegen das Gebiet der Anjous bei Durazzo besaßen die Serben die Mündung des Ismi, mit dem Flußhafen von Isamo oder Dyssa- mum. Östlich davon herrschten die Byzantiner in Kroja und Berat 2). Karl IL errichtete eine Sekundogenitur der Anjous in den albanesisch - griechischen Ländern, indem er seinem Sohn Philipp von Tarent alle Besitzungen in Albanien, samt der Ober- hoheit über die Franken in Griechenland und allen Ansprüchen auf das lateinische Kaisertum überließ, nachdem Philipp durch eine Heirat mit Thamar, einer Tochter des epirotischen Despoten Nikephoros, das wichtige Naupaktos (Lepanto) erworben hatte (1294). Die Epiroten und Franken hatten sich verbündet wegen des damaligen Vorstoßes der Byzantiner gegen beide Nachbarn, durch welchen (seit 1290) auch das neapolitanische Gebiet in Albanien stark verringert wurde. Während dieses Wettstreites schloß sich der Adel Albaniens stets demjenigen an, der im Vor- teil war, diesmal den Byzantinern. Ein mit einer byzantinischen Hofwürde ausgezeichneter Albanese war der Großhetäriarch " Progon Sguros, welcher (1295) die Muttergotteskirche von Ochrid erneuerte '^). Bald besaßen die Byzantiner an der adriatischen Küste den Hafen von Valona und die Ortschaft Polina bei den Ruinen von Apollonia ^). Nach dem Zeugnis von zwei Zeit- genossen, des Manuel Philes und des Marino Sanudo Torsello, be-

1) Makusev, Die ital. Archive (Zapiski der russ. Akad. Bd. 19) 2, 31 f. und Histor. Untersuchungen über die Slawen in Albanien im Mittel- alter (russ., Warschau 1871) 33. Rad 18, 219 f.

2) In Ysamo " 1302 (so im Orig., Mon. Rag. 5, 27 unnötig verändert in : Prisreno). Privilegium Andronikos' II. 1288 für Kroja in lat. Übersetzung im Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 83, 97 f.

3) Inschrift: Izvestija arch. inst. 4,1 (1899) 90 Anm. ; Jordan Ivanov, Bulg. Denkmäler aus Makedonien, bulg. (Sofia 1908) 212.

4) Klagen ragusanischer Seeleute gegen die dortigen byz. Beamten und gegen die albanesischen Edelleute Matarango, „qui sunt sub dominio domini imperatoris ", November 1297 : Div. Canc. 1295 (Arch. Rag.).; Vgl. Diploma- tarium veneto-levantinum 1, 135 f.

Stephan Uros II. (1282—1321). 339

setzten sie damals auch Durazzo ^). Doch bald wurde ihnen diese wichtige Stadt von König Uros IL für einige Zeit entrissen. Die einzige Nachricht darüber betrifft die Absendung eines venezia- nischen Gesandten im Juni 1296 an den König von Serbien und an die Gemeinde von Durazzo, um einen Ersatz des Schadens, welcher venezianischen Kauf leuten in Durazzo und dessen Distrikt, seitdem der König das Land dem Kaiser von Konstantinopel weg- genommen hatte, zugefügt worden war und eine Bestätigung der Rechte, welche die Venezianer dort früher unter Kaiser Andronikos genossen hatten, zu erlangen -).

Der langjährige Kriegszustand an der serbischen Grenze wai- den Byzantinern nach fast zwei Jahrzehnten unerträglich geworden. Der Feldherr Tarchaniotes Glaväs riet dem Kaiser, mit den Serben einen Frieden zu vereinbaren, schon wegen der bedenklichen Lage in Kleinasien , wo die Türken das ehemalige Gebiet des Kaiser- tums von Nikaia immer mehr bedrohten. Theodor Metochites, der spätere Großlogothet (Kanzler), reiste damals fünfmal als Gesandter Andronikos' IL an den serbischen Hof'^). Die verlorenen Städte mußte man den Serben überlassen. Zur Befestigung des Friedens- vertrages schlugen die Byzantiner eine Heirat vor, was König Uros IL bereitwillig annahm. Er war auch der dritten Frau, der Tochter des Terterij überdrüssig; die Gültigkeit dieser Ehe

1) Gedicht des Philes an Tarchaniotes V. 288. Sanudo bei Hopf, Chroniques 129. Pachymeres schweigt darüber.

2) Starine 30 (1S02) 340 aus dem Nachlaß von Makusev. Hopf, Griechenland im Mittelalter, in Ersch-Grubers Enzykl. Bd. 85, S. 336, 355, 356, 359 meint, der Serbenkönig habe Durazzo 1296—1305 besetzt ge- halten, doch 1301—1302 war die Stadt sicher wieder im Besitz der Anjous, da die Ragusaner während des damaligen Krieges gegen Serbien mit Durazzo freien Handel trieben und ein Italiener Corrado Ystrigo als Gesandter des Capitaneus Durachii (Jänner 1302) nach Ragusa kam: Mon. Rag. 5, 11 f., 17 f. Daniel hat nichts darüber.

3) Autobiographie des Metochites (in homerischen Versen) ed. Treu (Programm des Viktoria -Gymnasiums in Potsdam 1895) V. 560 f., 726 f. Ausführlicher Brief des Metochites vom serb. Hofe (an Nikephoros Chum- nos): Sathas, Bibl. graecal, 1.54—193; serb. Übersetzung von Apostolovic im Letopis 216 (1902). Pachymeres, Andr. III cap. 29 bis IV cap. 9, 13. Kurz Gr egoras VI cap. 9.

22*

S40 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

wurde in Zweifel gezogen, weil zur Zeit ihres Abschlusses die beiden ersten Frauen des Königs noch am Leben waren. Eine Heiratsverbindung mit Byzanz war Uros sehr willkommen, als Stütze gegen seinen älteren Bruder. Zuerst wollte Kaiser Andro- nikos den Serbenkönig mit seiner Schwester Eudokia, der Witwe des Kaisers Johannes IL Komnenos von Trapezunt (f 1297), ver- mählen. Uros war bereit dazu, aber Eudokia kehrte aus Kon- stantinopel lieber zu ihrem Sohne Kaiser Alexios IL nach Trape- zunt zurück. Nun wurde dem König die Simonis, eine Tochter Andronikos' IL und der Irene von Montferrat, angetragen, obwohl sie noch ein Kind war, nach Pachymeres nicht einmal sechs, nach Gregoras acht Jahre alt, was man auch in diesem Zeitalter der Kinderheiraten wegen des Alters des Gatten sehr anstößig fand. Die Unterhandlungen stießen auf große Hindernisse. In Serbien war gegen den Frieden eine Adelspartei, welche aus der Guerilla an der Grenze große Vorteile zog. Unterstützung fand diese Opposition bei den beiden Söhnen des Sevastokrators Johannes von Thessalien, welche mit den Serben einen neuen Bund gegen den Kaiser schließen wollten, und bei den Bulgaren, wo die Witwe des Zaren Smilec, eine Griechin, dem König Uros ihre Hand und damit die Vereinigung Serbiens mit Bulgarien in Aussicht stellte ^). In Konstantinopel war der entschiedenste Gegner der Heirat der Patriarch Johannes von Sozopolis; er erklärte, die Ehe des Uros mit der Tochter des Terterij sei ganz gesetzmäßig, die Simonis zur Ehe noch zu jung. Kaiser Andronikos IL achtete aber nicht darauf und begab sich mit seinem Hofe nach Thessalonich (1299). Nachdem beiderseits Geiseln gestellt worden waren, lieferten die Serben auf einem Übergang über den Vardar die bisherige Kö- nigin {y.QdXaiva), die Tochter des Terterij , und der Verabredung gemäß auch den Überläufer Koteanitzes aus, während die Griechen die junge Simonis mit großem Gefolge hinübersendeten. Die vierte Ehe des Königs wurde vom Erzbischof Makarios von Ochrid ein- gesegnet. Die „mit dem Schwerte" eroberten Landschaften be- hielt Uros IL nun als „Mitgift" und besuchte seinen kaiserlichen Schwiegervater in Thessalonich, unter Austausch großer Ge-

1) Metochites bei Sathas 1, 190—191.

Stephan Uros II. (1282—1321). 341

schenke i). Mißmutig über den Bund seines Bruders mit den Griechen war König Stephan Dragutin; er rüstete zum Krie«-, soll aber nach Pachymeres durch die Anwesenheit byzantinischer Hilfstruppen bei Uros von einem Angriflf abgeschreckt worden sein. Die Familienverhältnisse des Uros selbst waren erschüttert. Von seinen Söhnen galt Konstantin, der Sohn der ersten Frau, als legitim, während Stephan aus der dritten, ungültig erklärten Ehe die Legitimität verlor. Als Andronikos, feierUch wie nach einem Siege begrüßt, nach Konstantinopel heimkehrte, brachte er auch Anna, die ehemalige Königin von Serbien, mit. Sie befreundete sich bald mit dem Feldherrn Michael Kutrules, einem epirotischen Prinzen, der den Despotentitel führte und eben Witwer war; seine erste Frau war die Schwester des Kaisers Andronikos gewesen, jene Anna, die einst, wie wir erzählt haben, demselben Uros von Serbien in seinen jungen Jahren zugedacht war. Die gewesenn serbische Königin wurde bald Gattin Michaels, hatte auch Kinder mit ihm, erlebte aber ein neues Unglück: ihr Gemahl wurde wegen Hochverrates eingekerkert und sein großes Vermögen kon- fisziert 2).

Zur selben Zeit war das Adriatische Meer der Schauplatz eines neuen Krieges zwischen Venedig und Genua, in welchem die Genuesen (September 1298) einen glänzenden Seesieg bei Curzola erfochten. Es folgte bald ein Friedensschluß (1299), aber die Byzantiner, Genuas Bundesgenossen, konnten erst nach einer Plünderung der Umgebung von Konstantinopel durch die vene- zianische Flotte die alten Beziehungen erneuern (1302). Der serbische König ließ sein neues Bündnis mit dem Kaiser den Schützlingen Venedigs, den Ragusanern fühlen. Zu Anfang seiner Regierung hatte er ihnen die Privilegien „meines Bruders, des Königs Stephan " bestätigt 3). Der Krieg begann mit der Ver- haftung der ragusanischen Kauf leute in Serbien, worauf die Kriegs- schiffe der Gemeinde sofort die Mündung der Bojana sperrten und die Insel Meleda besetzten (1301). Umfangreich waren die damals

1) Urk. Uros' IL: Spomenik 3, 14.

2) Pachymeres, Andr. V cap. 13, 19.

3) Mon. serb. 50—51 nro. 51 (undatiert).

34S Viertes Buch. Zweites Kapitel.

ausgeführten Verstärkungen der Befestigungen von Ragusa. Das Dominikanerkloster vor dem östlichen Tor wurde in die Stadt- mauern einbezogen; die ältere Mauer des 13. Jahrhunderts steht heute noch zwischen der Dogana und den Dominikanern aufrecht. Auch die kleine Abtei des heiligen Laurentius auf einem Felsen vor der Porta Pile erscheint seit dieser Zeit als eine neue, sorg- faltig bewachte Burg, bis zum heutigen Tage ein Vorwerk der Festungswerke der Stadt. Zum Schutz erschienen die venezia- nischen Galeeren, und Giacomo Zeno reiste als Gesandter des Dogen zur Vermittlung an den serbischen Hof. Erst im Sep- tember 1302 wurde der Friede zwischen Serbien und Ragusa im Schlosse Vrhlab an den Quellen des Lab unter dem Kopaonik unterzeichnet ^).

In Ungarn überboten einander der letzte Arpäde und die Anjous durch Schenkungen an den Adel. Ban Paul aus dem Geschlecht der Subici oder Grafen von Bribir erhielt von An- dreas III. das Banat des küstenländischen Kroatiens zum erb- lichen Besitz. Ohne Zweifel durch eine Verleihung von Seite der Anjous erscheint er seit April 1299 auch als „dominus Bosne"-). Zur selben Zeit bestätigte Karl II., Großvater des Gegenkönigs Karl Robert, den bosnischen Verwandten der Subici, dem mäch- tigen Comes Hrvatin und dessen Geschlecht, den Besitz des „Unter- landes" (partes inferiores, Donji Kraji) an den Flüssen Sana und Vrbanja im Nordwesten Bosniens ^). Der Kampf um die un- garische Krone brach aus, als die Subici den Gegenkönig Karl Robert aus Italien nach Spalato brachten (1300). Obwohl Andreas bald starb (Jänner 1301), blieben die Anjous mehrere Jahre auf das Küstenland beschränkt, während in Ofen als gekrönte Könige „Ladislaus V.", der spätere König Wenzel III. von Böhmen, und

1) Der serb. Text (ohne Jahr) von Miklosich, Mon, serb. 51 53 (nro. 53) irrtümlich Uros I. zugeschrieben , entspricht meist wörtlich dem lat. Entwurf vom November 1301 Mon. Rag. 5, 13 14. Die im Vertrage genannten Gesandten waren am 14. Aug. 1302 gewählt worden: ib. 5, 37.

2) Ljubic 1, 190. Die Urk. von 1285 ib, 1, 139 gehört in die Jahre 1311—1313.

3) Thallöczy, Glasnik bos. 18 (1906) 401-444 = Wiss. Mitt. 11 (1909) 237—285 mit Faks., Stammtafeln usw.

Stephan Uroi II. (1282—1321). 343

Otto von Bayern herrschten. Erst 1309 wurde Karl Robert zum König von Ungarn gekrönt. Unterlegen ist in diesen Kämpfen Ban Stephan I. von Bosnien, der Schwiegersohn des Königs Stephan Dragutin. Aus einem ragusanischen Briefe erfahrt man, daß im Frühjahr 1302 der Weg aus dem Gebiet des serbischen Königs Stephan durch Bosnien nach Ragusa gesperrt war, da Ban Stephan und Ban Mladen, des Bans Paul Sohn, an der Drina einander gegenüberstanden ^). Als Ban Stephan bald darauf starb, fand seine Witwe Elisabeth mit ihren drei Söhnen Stephan, Vladislav und Ninoslav Zuflucht in Ragusa, wo sie mehrere Jahre verweilte -). Bosnien verwaltete fortan IVIladen Subic als Ban des Landes, erteilte dort den Spalatinern Handels- freiheiten (Juni 1302) und empfing auf bosnischem Boden ragu- sanische Gesandte (1304) ^). Dunkel bleibt die Stellung des Königs Stephan Dragutin in dieser Zeit. Uros IL pflegte (1303 1304) eifrig Verbindungen mit Ban Paul, einem gewandten Politiker, und hatte mit ihm auch persönliche Begegnungen in der Gegend von Vrulja bei Makarska, an der Grenze Zachluraiens ^). Bul- garien erlebte unter der langen Regierung des Theodor Svetislav (1299? 1321), eines Sohnes Terterijs L, einen neuen Aufschwung, von dem noch die Silberraünzen dieses Zaren Zeugnis geben. Die Byzantiner suchten ihm vergeblich Prätendenten entgegenzustellen und mußten ihm schließlich einige Grenzgebiete abtreten. Uros IL war befreundet mit dem Bruder seiner ehemaligen dritten Frau nnd besuchte ihn einmal in Trnov ^).

Im Osten begann in diesen Jahren eine welthistorische Um- wälzung. Nach dem Zerfall des Sultanates von Ikonion ergriflfen dessen Erben, die zahlreichen unabhängigen Emire der Türken, die Ofi'ensive und drängten die byzantinischen Truppen bis zur

1) Mon. Rag. 5, 27 und meine Rom. Ddlm. 2, S. 2-3.

2) Gleichzeitige Zeugnisse fehlen. Instruktionen der ragus. Gesandten mit histor. Beispielen 1403 (Starine 1, IDO) und 14. Mai 1432 (Lett. 1430 bis 1435 Arch. Rag.). Vgl. Resti 106.

3) Mon. Rag. 5, 72, 74.

4) Mon. Rag. 5, 47, 52, 73, 74. Urk.: meine Rom. Dalm. 2, S. 3; Spomenik 11, S. 23 nro. 4.

5) Daniel 141.

344 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

Küste zurück (1301). Der Abzug der Besatzungen, die Panik unter der griechischen Bevölkerung und die ungeordnete Masseu- flucht zum Meere und hinüber nach Europa erinnern an die Er- scheinungen der Völkerwanderungszeit. Ein unglücklicher Ge- danke Andronikos II. war die Anwerbung spanischer Söldner, welche nach der Beendigung des zwanzigjährigen Krieges zwischen den Anjous und den Aragoniern in Italien frei geworden waren. Als das Geld ausging, setzte sich die katalanische „Kompagnie" im Verein mit türkischen Freibeutern an der wichtigsten Stelle der Meerengen, in Kallipolis fest, erklärte dem Kaiser den Krieg, verwüstete das südliche Thrakien in furchtbarer Weise und leistete den Byzantinern und Genuesen hartnäckigen Widerstand (1305 bis 1307). Im Frühjahr 1307 zogen die Kapitäne der Katalanen nach Westen und schlugen ihr Lager nahe bei Thessalonich auf der Halbinsel Kassandria auf. Da wurde das Küstenland Make- doniens verwüstet und die Mauern und Türme der Athosklöster unter Pfeilregen und Trompetenschall berannt. Das serbische Kloster Chilandar hat der Abt Daniel, der Verfasser der Bio- graphien der serbischen Könige, tapfer verteidigt. Die Kompagnie trat dann in die Dienste der Griechen von Thessalien, später in die des Herzogs von Athen, doch gab es bald wieder Streit wegen der Soldrechnungen. In der blutigen Schlacht am See Kopais (1311) unterlagen die französischen Ritter Griechenlands oder, wie der serbische Biograph Daniels schreibt, die „Franken von Li- vadia" den spanischen Söldnern, den „illi de Compagna", welche unter aragonischer Hoheit 76 Jahre lang Herren des Herzogtums von Athen blieben.

König Uros II. verließ während dieser Stürme die Partei der Griechen, da er, wie es scheint, auch mit den Anjous gute Be- ziehungen pflegte 1). Noch einmal lebte im Abendlande der Plan einer Restauration des lateinischen Kaisertums auf Katharina, die Enkelin Balduins IL und Erbin des lateinischen Kaisertitels, hei- ratete einen Bruder des französischen Königs Phihpp IV. des

1) Die Bestätigung eines Vertrages Philipps von Tarent ,,cum rege Servie" durch Karl II. 1306 nur in einem kurzen Regest bei Racki (Arkiv za pov. jug. 7, 1863, S. 28 nro. 31) und bei Makusev (2, 80).

Stephan UroS II. (1282—1321). 345

Schönen, Karl von Valois (1301), der sich Kaiser von Konstan- tinopel zu schreiben begann und mit Venedig und den Katalanen um ein Bündnis verhandelte. Da erschienen in Frankreich zwei Gesandte des Königs Uros IL, ein Ragusaner und ein Cattarenser,. mit lateinischen Briefen an den Papst und an „Kaiser" Karl. Am 27. März 1308 schlössen sie mit Karl in einer Abtei bei Melun einen Bund zur Wiedereroberung des „imperium Constan- tinopolitanum ". Der Serbenkönig versprach, sich der römischen Kirche anzuschließen und seine aus der Ehe mit Elisabeth von Ungarn stammende Tochter Zorica (Diminutiv von zora, Morgen- röte) mit Karl, dem jüngeren Sohn des Titularkaisers zu ver- mählen, dem Begründer des Hauses der Herzöge von Alen9on,, der später in der Schlacht bei Crecy gefallen ist. Die Haupt- sache waren aber Territorialfragen. Von Skopje und Polog war keine Rede; ebenso blieb Stip ausgeschlossen. „Geschenkt" wurden dem König vom Kaiser Karl Ovcepolje, das Gebiet zwi- schen Prosek und Prilep, die Landschaft von Kicava bis zur Grenze von Ochrid und die Gebiete von Debra bis zum Flusse Mat in Albanien, ein Territorium, das im ganzen angeblich weniger als 5000 Goldstücke Einkünfte abwarf Dabei ist zu bemerken, daß die Burgen von Prosek, Prilep und Ochrid noch lange im Besitze der Byzantiner blieben. Klemens V., ein Franzose, der im folgenden Jahre die päpstliche Residenz nach Avignon über- tragen hat, stellte dann den serbischen Gesandten am 1. April 1308 in Poitiers eine Reihe von Urkunden aus. Dem Patriarchen Egidius von Grado und den Prokuratoren des Prediger- und Mi- loritenordens wurde aufgetragen, die Aufnahme des Königs in die römische Kirche durchzuführen und ihm eine vom Papste ge- sendete Fahne zu überreichen. Der Franziskaner Gregor von Cattaro sollte als geistlicher Ratgeber am serbischen Hofe bleiben. Eine Urkunde betrifft den Stephan, den der König „verehelicht von einer geschiedenen Frau" zum Nachkommen hatte (conjugatus genuit de soluta); der Papst erlaubt dem König, er könne diesem Sohne trotz dieses Geburtsfehlers eine Landschaft (comitatus) bei Lebzeiten oder im Testamente schenken. Zwei französische Geist- liche reisten als Gesandte des „Kaisers" Karl mit den serbischen Abgesandten zu König Uros, der den Bundesv^ertrag im Juli

^46 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

1 308 genehmigte ^). Die Katalanen standen eben bei Thessa- Jonich. Von ihren türkischen Verbündeten nahm König Uros 1000 Reiter und 500 Fußgänger in seine Dienste, unter dem Seldschuken Melik, der in byzantinischen Diensten Christ geworden war. Die Serben griffen die griechischen Grenzgebiete an, wur- den aber von Chandrenos, dem Befehlshaber von Thessalonich, zurückgeschlagen. Der König sah sich bald gezwungen, einen Aufruhr seiner türkischen Söldner mit Gewalt niederzuwerfen; Melik wurde dabei gefangen und hingerichtet ^). Indessen starb •die Kaiserin Katharina. Kaiser Karl von Valois ließ alle seine großen und kostspieligen Pläne fallen, denn von Venedig, das wegen des Krieges um Ferrara vom Papste in den Bann getan war (1309), konnte er nichts mehr erwarten. Dafür wurde er der Gründer der Linie von Valois, die mehr als zwei und ein halbes Jahrhundert in Frankreich regiert hat.

Da kehrte Uros II. wieder zu dem Bunde mit den Griechen zurück. Als die Türken des katalanischen Heeres von Athen (1311) heimzogen und unter Führung des Chalil sich in Kallipolis festsetzten, belagerten und besiegten die Byzantiner diese Schar mit Hilfe der Genuesen und der Serben, die 2000 auserlesene Reiter gesendet hatten. Ein serbisches Hilfskorps unter dem Groß- vojvoden Novak Grebostrek wurde dann auf Schiffen nach „Ana- tolien" hinübergesetzt, wo die Byzantiner noch die großen Städte Bithyniens besaßen, und zeichnete sich durch tapfere Taten aus (1313) 3).

1) Diese Verträge, schon von Ducange benutzt, herausg. von Ubi- «ini im Glasnik 27 (1870) 309—341, die päpstl. Urkunden teils von Tur- geuevius, Historica Russiae monumenta, Bd. 2 (Petersburg 1842) 358 bis 362, teils von Theiner, Mon. Slav. 1, 127—130. Vgl. Bernard Gui- donis im Recueil des bist. Bd. 21 p. 718.

2) Melik: Gregoras' VII cap. 6 und 8; Daniel 354. Lobrede des Theodulosvon Thessalonich (vgl. Krumbacher, Byz. Z. 10, 1901, 317) ^uf Chaudrenos: Boissonade, Anecdota graeca 2, 201 202.

3) Urkunde Andronikos II. vom Oktober 1313 bei Florinskij, Athonskije akty 43 (ohne Datum bei Boissonade a. a. 0. 2, 63—69 und Jus graecorom. 3, 647 f.). Sieg des Königs über die Türken im Jahre 6821 (1. Sept. 1312 31. Aug. 1313): Inschrift von Nagoricin, Arch. slaw. Phil. 31 (1910) 300. Daniel 146f. Gregoras VII cap. 10. Vgl. No-

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Seit der gri3chischen Heirat des Uros gab es ein gespanntes Verhältnis zwischen beiden Königen. Bald brach ein Bruderkrieg aus, dessen Ursachen, Verlauf und Chronologie nur wenig be- kannt sind. Den Gegensatz verschärften ohne Zweifel gewisse byzantinische Pläne auf die Nachfolge in Serbien. Die ehrgeizige Kaiserin Irene (ursprünglich Jolante) von Montferrat grollte ihrem Oatten Andronikos IL, weil er das Reich nicht unter seine Söhne in erbliche Fürstentümer nach abendländischer Art aufteilen wollte. Übel gelaunt residierte sie in Thessalonich. Da die Ehe des Uros mit Simonis kinderlos war, versuchte sie zweien ihrer Söhne einen Thron in Serbien zu verschaffen, allerdings mit Umgehung der serbischen Thronfolgeordnung. Als Uros seine Schwiegermutter, die ihn bei jeder Gelegenheit mit großen Geschenken bedachte, in Thessalonich besuchte, wurden Unterhandlungen darüber ein- geleitet. Zuerst kam Deraetrios zu seiner Schwester Simonis, wurde am serbischen Hofe freundlich aufgenommen, aber Land und Leute gefielen ihm nicht. Auch Theodor, welcher nach dem Aussterben der Nachkommen des Bonifaz in männlicher Linie (1305) die Markgrafschaft von Montferrat geerbt hatte, verließ Serbien bald, um in sein italienisches Fürstentum am oberen Po zurückzukehren, wo seine Nachkommen, die montferratische Linie der Palaiologen, bis 1533 herrschten ^).

König Stephan Dragutin begann den Krieg mit der Absicht, seinen Bruder Uros abzusetzen und den Thron seinem Sohn Vladis- lav zu übergeben -). Der ganze Adel schloß sich dem lahmen König an. Uros, von allen seinen Großen verlassen, hatte bereits jede Hoffnung verloren. Es rettete ihn seine Freigebigkeit an Kirchen und Klöster und die Schätze, die er in der Abtei des

vakovic, Serben und Türken im 14. und 15. Jahrb., serb (Belgrad, Aka- demie 1893) 55 f.

1) Gr egoras VII cap 5. Vgl. Die hl, Figures byzantines 2 (Paris 1908) 234 f.

2) Nach dem „Rodoslov", der altserb. Genealogie (Glasnik 53, S. 6)» hatte König Stephan zwei Söhne, Vladislav (der erstgeborene, s. oben) und Urosic. Nach Guillaume Adam war Vladislav der Thronfolger, nach Daniel 357 aber Urosic. Bei Orbini 253 sind beide in eine Person ver- schmolzen.

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heiligen Stephan von Banjska unter der Obhut des dortigen Bischofs Daniel, des früheren Igumens von Chilandar, verborgen hatte. Mit diesem Gelde warb er fremde Söldner an, Osseten (Jasi), Tataren und Türken, und behauptete sich im Lande. Als Friedensverraittler trat der Klerus auf. Daniels Nachfolger in Chilandar, der Igumen Nikodim wurde von beiden Königen und dem serbischen Reichstag nach Konstantinopel zu Andronikos IL, dessen Sohn und Mitkaiser Michael und dem Patriarchen Niphon (1312 1315) gesendet, um mit ihrer Hilfe einen Frieden zu vermitteln ^). Den Inhalt dieses Vertrages kennen wir nicht. Das Kloster von Banjska wurde nach der Versöhnung als privilegierte Abtei (ohne Bischof) neu- gegründet, wobei seine Rechte, obwohl es im Gebiete des Uros lag, beide Könige durch eigene Akte bestätigten, aber dabei sprachen beide nur in ganz allgemeinen Worten von ihren Söhnen, Enkeln und Urenkeln als Nachfolgern. Guillaume Adam schreibt, Uros habe sich gegen seinen Bruder Stephan empört, sei von ihm besiegt worden, doch habe sich Stephan des Blutes seines Bruders erbarmt und mit ihm freiwillig das Reich geteilt. Stephans Sohn Vladislav sei dann Erbe des Anteiles seines Vaters gewesen, aber so, daß Uros Vasall seines Neffen für seinen Teil bleiben sollte -). Daß der Frieden von territorialen Änderungen begleitet war, sieht man daran, daß die rasch aufblühende Bergwerkstadt Rudnik 1302 im Besitz des Königs Uros, im März 1313 dagegen in dem des „rex Stephanus" war ^).

Damals starb die greise Königinmutter Helena (8. Februar 1314). Eine Adelspartei, welche während des Bruderkrieges die Anziehungs- kraft des Königsmachens kennen gelernt hatte, wollte Uros IL vertreiben und in der Zeta seinen Sohn Stephan auf den Thron erheben. Bei dem Anmarsch des alten Königs zog sich der Prinz über die Bojana zurück und unterwarf sich, wahrscheinlich unter günstigen Bedingungen. Aber der Vater hielt sein "Wort nicht ein, ließ den Sohn gefesselt nach Skopje bringen und auf Rat einiger Edelleute ohne gerichtliche Verhandlung blenden. Doch

1) Nikodims Notiz von 1319: Stojanovic, Zapisi 1 nro. 52, S. 22 24.

2) „Ita tarnen, quod Urossius ab eodem Vlatislao tanquam vassallus recognosceret se teuere reliquam partem regni". Gr. Adam ed. cit. 437.

3} Mon. serb. 52. Mon. Rag. 1, 24.

1

Stephan Uro§ II. (1282—1321). 349

ist dabei die Sehkraft nicht ganz zerstört worden i). Der unglück- liehe Nemanjide erzählt selbst in der Einleitung einiger Urkunden, wie er, vom Vater geliebt, sich am irdischen Ruhm erfreute, bis gottvergessene Leute, die von seinen Eltern und von ihm selbst als Brüder und Kinder behandelt worden waren, böse Saat säten und zuletzt den Vater zu der furchtbaren und unerhörten Untat verleiteten, „mich das Augenlichtes zu berauben" -). Nach dieser grausamen Bestrafung wurde Stephan mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Söhnen Dusan und Dusica nach Konstantinopel ver- bannt, wo er mehrere Jahre in einem kaiserlichen Palaste wohnte, unterstützt und beaufsichtigt vom Kaiser Andronikos IL, dem er auch nachher stets Freund blieb ^). Die Athosmönche von Chi- landar und der Erzbischof Nikodim benutzten eine Gelegenheit, um ihm die Erlaubnis zur Rückkehr in die Heimat zu erwirken. Nicht ohne Gewissenbisse erblickte der König seinen Sohn, der „die Augen verbunden hatte, wie es einem Blinden geziemt", und fuß- fällig um Verzeihung bat. Er wies ihm einen Teil der Zupa von Budimlja im Limtale zum Wohnsitz und Unterhalt an.

König Stephan Dragutin starb im März 1316, vor dem Tode als Mönch unter dem Namen Theoktist eingekleidet, und wurde in der Georgskirche (Gjurgjevi Stupovi) bei Ras bestattet. Von seinen Söhnen war der jüngere Urosic wahrscheinhch noch vor ihm gestorben, ebenfalls im Mönchsgewand mit dem Klosternamen Stephan, und wurde in der bischöflichen Kirche von Arilje an der westlichen Morava begraben ^). Nun sollte Vladislav König werden, aber Uros II. ließ alle Bestimmungen des letzten Vertrages

1) Ausführlich Guillaume Adam p. 437: „carnifex, corruptus pe- cunia" durchstach nicht die Pupille, worauf der Prinz „per medicinas appo- sitas oculis, licet non plenarie, aliqualiter tarnen vidit". Bei den Griechen keine Nachrichten.

2) Mon. serb. 89—90 (= Urk. für Decani, S. If.), Glasnik 27 (1870) 188 (für Vranjina) und 49 (1881) 361 (für Prizren).

3) Sieben Jahre der Verbannung in einer Notiz von 1330 bei Sto- janovic, Zapisi 1 nro. 56 und bei C am blak. Dusica starb in Kon- stantinopel.

4) Ausgaben des Lj. Stojanovic: Rodoslov im Glasnik 53, 6 und Spomenik 3, 95; Typikon im Arch. slaw. Phil. 23 (1901) 631.

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beiseite, bemächtigte sich sofort des Landes des verstorbenen Bruders und setzte seinen Neffen in den Kerker i).

Ein zweiter Krieg mit Ragusa (1317 1318) wurde wieder durch Intervention der Venezianer eingestellt, nachdem der König einen Schadenersatz für die Verwüstung des Stadtgebietes ver- sprochen hatte. Die Ragusaner verstärkten unablässig ihre Stadt- mauern. Das Franziskanerkloster vor der Porta Pile wurde damals demoliert, damit es dem Feinde nicht als Burg dienen könne, und innerhalb der Mauern ein neues Klostergebäude gegründet, das noch gegenwärtig besteht. In diese Zeit gehört der Bau einiger Türme, besonders des gewaltigen Donjons an der Ecke des Be- sitzes der Familie Menze, welcher, vielfach umgebaut, auch in unseren Tagen das Stadtpanorama beherrscht ^).

Bedenkhcher war ein Zusammenstoß des Königs Uros II, mit dem ungarischen König Karl Robert, als dieser nach Überwindung zahlreicher Feinde freie Hand erhielt und die Rückgabe des Ge- bietes einst des Stephan Dragutin verlangte. Der Krieg wurde in verschiedenen Gebieten von der Donau bis nach Albanien ge- führt. Der mächtigste Mann Kroatiens war der Sohn und Nach- folger Ban Pauls (f 1312), Ban Mladen mit seinen drei Brüdern den „Bansöhnen" (Baniöi). Er schrieb sich „Croatorum et tocius Bosne banus", setzte aber die Söhne des letzten bosnischen Bans und zugleich Enkel des Königs Stephan Dragutin wieder als Ver- walter des Landes ein, Stephan II. (mit einem Kosenamen auch Stipos genannt) und Vladislav. Der junge Stephan sollte (1319) nach Für- sprache des Mladen beim Papst eine Tochter des Grafen Meinhard von Ortenburg in Kärnten heiraten, wozu ein Dispens wegen der Verwandtschaft (wahrscheinlich durch die kroatische Adelsfamilie der Blagaj) notwendig war. Später finden wir als Frau Stephans II. von Bosnien eine polnische Prinzessin Elisabeth, Tochter des Herzogs Kasimir von Kujavien; die Heirat stand wohl in Ver- bindung mit der des Königs Karl Robert, dessen Frau, gleichfalls Elisabeth, eine Tochter des polnischen Königs Wladislaw Lokietek

1) Micha Madii (bei Schwandtner 3, 643) und G. Adam.

2) Die Friedensurkunde ist nicht erhalten. Nachrichten in den Rats- protokollen (Mon. Rag. 5, 108 f.) und den Diversa von Ragusa.

Stephan Uros II. (1282—1321). 35t

war (1 320) ^). Ban Mladen hielt einen glänzenden Hof, besaß aber nicht das diplomatische Talent seines Vaters. Seine Versuche, die Autonomie der Küstenstädte zu untergraben, brachten Vorteile nur Venedig, mit dem er schlecht stand, weil er den flüchtigen Ver- schwörer Bajamonte Tiepolo bei sich beherbergte. Die Feindselig- keiten mit den Serben begannen durch die Plünderungen der serbischen Grenzbefehlshaber, der Branivojevici von Zachlumien, die 1318 zum erstenmal urkundHch genannt werden ^). Nach Orbini waren es drei Söhne eines armen Edelmannes Branivoj aus Chelmo, namens Michael, Brajko und Branoje (oder Branko) •^). Sie resi- dierten mit ihrer Mutter in Stagno am Fuße des Felshügels, auf welchem die Burg des heihgen Michael stand (heute Frauenkloster), und verwalteten die Halbinsel von Stagno , das Küstengebiet bei Slano und das Mündungsgebiet der Narenta. Der Gegensatz zwischen den Nachbarn äußerte sich durch Annahme von Titeln; Mladen begann sich Herr von Chelmo zu schreiben, Uros H. zur Vergeltung „rex Croatie". Die Ragusaner, besorgt wegen des Kampfes in der Nachbarschaft, bemühten sich, einen Frieden zu vermitteln (Juli 1319). Mladen scheint dabei nichts gewonnen zu haben. Bis zur Erfüllung aller Verpflichtungen gegen den Serben- könig mußte er seinen Bruder Comes Gregor, den Herrn von Almissa, mit einigen Gefährten als Geisel den Ragusanern über- geben ^).

Zu gleicher Zeit setzte Karl Robert mit seinem ganzen Heere über die Save, eroberte die Burgen der Macva und lagerte (Sep- tember 1319) am Flusse Kolubara zwischen Belgrad und Sabac, während sein Feldherr Stephan Laczkfi Belgrad erstürmte und

1) Ilarion Ruvarac im Glasnik bos. 4 (1892) 210 = Wiss. Mitt. 2 (1894) 177.

2) Klagen des Bans Mladen gegen die „filii Braniuoi" Sept. 1318: Mon. Rag. 5, 121 (die Texte ib. 113—131 gehören unter 1318, nicht 1319).

3) Orbini 391 aus einer verschollenen Quelle. Er nennt auch einen vierten Bruder Dobrovoj; so heißt 1323 1326 ein Edelmann an der Küste gegenüber der Insel Giuppana in den Diversa von Ragusa.

4) Mon. Rag. 5, 142 f. Am 21. Juli 1319 erwartete man Ban Mladen persönlich in Ragusa: ib. 146.

353 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

verbrannte ^). Der Krieg wurde schon im vorhergehenden Jahre ^uch im Gebiet der Anjous in Albanien geführt. Papst Johannes XXII. ermunterte (Mai 1318) Philipp von Tarent, seit 1313 Titularkaiser von Konstantinopel, er möge den König Uros im Bunde mit Karl Robert und Ban Mladen angreifen -). Nach den Berichten, welche der Bischof Andreas von Kroja nach Avignon gebracht hatte (Juni 1318), sollen zahlreiche, der römischen Kirche angehörende „barones regci Albanie" mit byzantinischen, frän- kischen und serbischen Titeln im Lande zwischen Skutari und Valona das Joch des schismatischen, „treulosen Königs von Ras- cien" abgeworfen haben: Vladislav Gonoma (Jonima), Graf von Dioclia und der „maritima Albania", dann drei Musachi, nämlich der Graf Mentulus, der Marschall des Königreichs Albanien An- dreas und der Protosevast Theodor, ferner zwei Blenisti, der Proto- sevast Guilelmus ^) und der Graf Caloiohannes, endlich Guillelmus Arianites und Paul Matarango ^). Als König Karl dem Papste meldete, er habe die Älacva erobert und wolle bis zum Meere vor- xiringen, wenn ihm andere katholische Herrscher Hilfe leisteten, forderte Johannes XXU. die deutschen Fürsten und die Könige von Böhmen und Polen dazu auf, aber vergeblich ^). Uros hat indessen seine Südgrenzen behauptet und schrieb sich von nun an auch König von Albanien.

1) Urk. des Königs, datiert „prope Kalabar in Macho" 16. September 1319. „Aqua Abona" und „caput fluvii Obona" in anderen Urk. ist der Fluß Üb oder die Obnica bei Valjevo. Huber, Arch. f. österr. Gesch. 6(i (1885), 5—6. Derselbe, Geschichte Österreichs 2, 206. Thallöczy im Glasnik bos. 5 (1893) 186 und Wiss. Mitt. 3 (1895) 330.

2) Theiner, Mon Hung. 1, 830.

3) Wilhelm, der Sohn des zum Grafen ernannten Casnesius (serb. Titel eines „kaznac") Blenisti, 1304 von König Karl II. ernannt zum Marschall von Albanien. Hopf a. a. 0. 359. Derselbe bei Hahn, Reise durch die Gebiete des Drin 280. Dorf Blinist jetzt im Gebiete der Mirediten.

4) Theiner a. a. 0. 1, 831. Über Gonoma II. Ruvarac im Arch. slaw. Phil. 17 (1895) 564. Hopf a. a. 0. 419 meint, daß Durazzo 1319 bis 1322 wieder in Besitz der Serben gewesen sei, was im ragus. Material keine Bestätigung findet.

5) Theiner a. a. 0. 1, 470 f. (2. Juli 1320), wobei in der päpstlichen Kanzlei aus der Macva ein „regnum Macedonie" wurde.

Stephan Uros II. (1282-1321). 353

Der Frieden ist wobl bald erneuert worden. Da ließ Uros II. (1319) in einer katholischen Wallfahrtskirche, dem Tempel des heiligen Nikolaus von Bari in Apulien, einen silbernen Altar mit einer lateinischen Inschrift aufstellen, in welcher er sich stolz als Herr des ganzen Landes vom Adriatischen Meere bis zur Donau bezeichnete (de culfo Adriatico, a mari usque ad flumen Danubii magni). Neben Uros waren auf diesem Altar die Königin „Simo- nida" und der Königssohn Konstantin genannt ^). Die jugendliche Simonis hatte, wie Nikephoros Gregoras berichtet, viel unter der Eifersucht des greisen Königs zu leiden. Als sie nach dem Tode ihrer Mutter Irene (1317) länger in Konstantinopel verweilte, als es Uros wünschte, und erst durch die Drohungen ihres Gatten zur Rückkehr gezwungen wurde, legte sie in Serrai zum Entsetzen ihres serbischen Gefolges nachts das Klostergewand an, doch ihr Bruder Konstantin zerriß das Kleid und übergab sie, ohne ihre Tränen zu beachten, wieder den Serben.

Uros IL erlebte noch den Ausbruch des Krieges zwischen seinem Schwiegervater Andronikos IL, einem unbeliebten, pedan- tischen Greis, und dessen lebenslustigen und populären Enkel Andronikos III. (April 1321). An der Spitze der Verschwörer, die sich um den Enkel scharten, stand der begabte und gebildete Großdomestikos (Reichsmarschall) Johannes Kantakuzenos. Eben verlangte ein Gesandter des Serbenkönigs, der Mönch Kallinik, die Rücksendung von ungefähr 2000 kumanischen Söldnern, welche Uros seinem Schwiegervater geliehen hatte. Bei einer geheimen Unterredung beauftragten der junge Andronikos und Kantakuzenos den serbischen Mönch, den König um Hilfe zu bitten. Uros war bereit dazu, wenn der junge Andronikos in die Nähe der serbischen Grenze käme. Aber nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges warnte Kantakuzenos vor der gefährlichen Bundesgenossenschaft sowohl der Serben, als der Bulgaren 2).

1) Die Inschrift, seit der Restaurierung 1684 verschollen, bei Orbini (1601) 255 und Beatillo (1649), wiederholt von Kukuljevic, Arkiv jug. 4 (1857) 350 und Makusev, Ital. Archive 3, 13 (Zapiski der russ. Akad. Bd. 19, 1871). Der Name des Constantinus bei Beatillo.

2) Kantakuzenos I cap. 7, 8, 21. Nach der ersten Unterbrechung des Krieges bestätigten beide Andronici im Juni 1321 (6829) durch zwei

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 23

354 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

König Stephan Uros II. starb unerwartet am 29. Oktober 1321 im Schloß von Nerodimlja am Süd ende des Amselfeldes ^). Er ist eine hervorragende Gestalt der serbischen Geschichte, ein Herrscher, der über große finanzielle und militärische Mittel verfügte und die Politik der Erweiterung Serbiens gegen Süden mit Erfolg ein- leitete. Das zerrüttete Familienleben zeugt aber von keinem weiten Blick. Die inneren Kämpfe förderten die selbstsüchtigen Ten- denzen des Adels und den Verfall der Zentralgewalt. Richtig wußte Uros IL den Einfluß der Kirche zu schätzen und zu fördern, durch großartige Bauten und Stiftungen, wie die Klöster Gracanica und Banjska im Inland, auf dem Athos, in Konstantinopel und Jerusalem im Ausland. Die Kirche war ihm auch dankbar; ohne auf seine vier Ehen zu achten, wurde er bald als der „heilige König" (sveti kralj) verehrt. Sofort nach seinem Tode brachen große Stürme aus. Drei Prätendenten kämpften um den Thron. Die fremden Söldner zogen die einen gegen die anderen, um sich gegenseitig zu berauben und das Land zu plündern. Sie beun- ruhigten schon den vom Bischof Daniel geführten Leichenzug des Königs, auf dem Wege von Nerodimlja nach Banjska. Die Leiche Uros' U. wurde um 1389 aus diesem Kloster in die nahe Berg- werkstadt Trepca gebracht, um 1460 von dort nach Sofia; der Sarg steht noch immer in der bulgarischen Hauptstadt vor dem Altar der Kathedralkirche „Sveti Kral" (des heiligen Königs). Die Königinwitwe Simonis kehrte nach Konstantinopel zurück und lebte als Nonne teils im Kloster des heihgen Andreas, teils im Kaiserpalast bei ihrem Vater, später bei ihrem Neffen.

Konstantin, von seinem Vater, wie aus der Nennung in den Inschriften von Bari zu ersehen ist, zum Nachfolger bestimmt, wurde in der Zeta zum König proklamiert. In Skutari ließ er Silbermünzen prägen mit lateinischer Umsckrift, auf denen er auf dem Throne sitzend mit Krone und Zepter abgebildet ist ^). Es

Urkunden die Besitzungen des Klosters Menoikeion bei Serrai, auf Bitten des Serbenkönigs und der xqüIuivu ^^foßiag (der jüngere Kaiser bezeichnet beide als Oheim und Tante): Sathas, Bibl. graeca 1, i' 15— 221.

1) Todestag bei Daniel IGl. November 1321: Micha Madius bei Schwandtner 3, 646.

2) „Dominus rex Constantinus ", R. „S. Stefanus Scutari". Bei Za-

Konstantin (1321—1322). Stephan Uro§ III. (1322—1331). 355

fehlte ihm aber an Popularität und Anhang. Wir wissen gar nicht, wer seine Frau war und ob er Kinder hatte. Gegen ihn erhob sich im Norden als ernster Nebenbuhler König Vladislav, des Stephan Dragutin Sohn, nach seines Oheims Tod aus dem Kerker befreit und im väterlichen Gebiete als legitimer Nach- folger mit Freude begrüßt. Doch von den drei Prätendenten hatte den größten Erfolg derjenige, an welchen anfangs die wenigsten dachten: der geblendete Stephan. Das ganze Land durcheilte die unfaßbare Nachricht, er sei durch ein Wunder plötzlich sehend geworden. Er berief sein Gefolge zu sich und sagte seinen Ge- treuen, sie sollten Gott den Allmächtigen preisen: „Sehet und wundert euch: ich, der ich blind war, sehe wieder !'' In der Stiftungsurkunde des Klosters Decani schreibt er selbst, der Herr habe an ihm seine große Barmherzigkeit geäußert, indem er ihn „durch Rückgabe meines Augenhchtes erleuchtete" und ihn auf den Thron der heiligen Eltern und Voreltern setzte ^). Guillaume Adam, ein fanatischer Feind des Stephan und Anhänger des Vla- dislav, erzählt, Stephan habe stets ein wenig gesehen, aber dies vor seinem Vater und seinen eigenen Kindern geheimgehalten. Erst nach des Vaters Tod habe er durch eigenhändige Briefe dem ganzen Reiche kundgegeben, daß er sehe, und dadurch den größten Anhang gewonnen. Es ist merkwürdig, daß die Byzantiner von seinen geschwächten Augen kein Wort erwähnen, weder Kanta- kuzenos, noch Nikephoros Gregoras, der den Stephan persönlich kannte.

Zwischen den Halbbrüdern mußte das Kriegsglück entscheiden. Den Vorschlag Stephans, das Land zu teilen, wies Konstantin stolz zurück, aber seine Proklamationen, ein Blinder sei vom Throne ausgeschlossen, fanden kein Gehör mehr. Auf einem Reichstag wurde (6. Jänner 1322) Stephan Uros IIL vom Erzbischof Niko- dim feierlich gekrönt, mit ihm sein jugendlicher Sohn Dusan als Mitkönig oder „junger König" (mladi kralj, „rex iuvenis") neben

netti und Argellati (1750) richtig diesem König zugewiesen, ebenso von Dr. J. Safafik im Glasnik 3 (lb51) 219, erst von Neueren unrichtig dem Konstantin Baliic (f 1402) zugeteilt, der nie König war. König „Stefan Konstantin" im Pomenik von Sopocani: Glasnik 42, 31. 1) Daniel 170. Mon. serb. 90.

23*

356 Viertes Bucb. Zweites Kapitel.

dem „alten König" („rex veteranus"). Den Vater nannte man fortan Uros III. (rex Urossius), den Sohn Stephan ^). Bald wurde Konstantin in einer Schlacht besiegt, auf der Flucht getötet und in der Kirche der Burg von Zvecan begraben -). Die Zeta wurde dem jüngeren König zugewiesen. Länger dauerte der Krieg Stephans mit seinem Vetter König Vladislav, der wohl von Karl Robert und Stephan IL von Bosnien unterstützt wurde, umgeben von dem Adel des väterlichen Gebietes 3). Im Winter 1323 1324 wurde um Rudnik und die nahe Burg Ostrvica gestritten. Zuletzt mußte Vladislav den Kampf aufgeben und nach Ungarn fliehen, wo er bis zu seinem Tode blieb ^) ; von den Schicksalen seiner Nach- kommen ist nichts bekannt.

In engster Verbindung mit diesen Stürmen stand der Vorstoß der Bosnier durch das Narentatal zum Meere. Zachlumien ging dabei dem altserbischen Reiche für immer verloren. Die Unbot- mäßigkeit des kroatischen und serbischen Adels des Küstengebietes erklärt diese Umwälzung. Ban Mladen Subic wurde (1322) im Tale der Cetina von den Truppen Karl Roberts geschlagen und gefangen, das erbliche Banat ihm abgenommen und er selbst nach Norden weggeführt, wo ihm der König die Burg Zrinj im Tale

1) Auf den gut ausgeführten Münzen ist der alte König sitzend abge- bildet, mit langem Haar und Vollbart und mit der Krone auf dem Haupte; das bloße Schwert ist horizontal über die Knie gelegt. Die Inschrift lautet: „treti Stefan Uros kralj" (der dritte Stefan Uros König). Der Sohn ist auf seinem Siegel bartlos dargestellt und „mladi kralj" genannt; er hat es noch lange, z. B. auf einer Urkunde 1334 verwendet. Dr. A. Ivic, Die alten serbischen Siegel und Wappen (Neusatz, Matica 1910) nro. 13 und 14 (mit Photographie). Der Krönungstag ist in der Urk. von Decani (Mon. serb. 90) irrtümlich in das Jahr 6829 statt 6830 (1321—1322) verlegt, zu welchem die Ind. 5 richtig gehört.

2) Über den Krieg nur C am blak, Glasnik 11 (1857) 64—66. Das Grab Konstantins: serb. Annalen ib. 53, S. 10, 59. Bei Guillaume Adam p. 438 wird Konstantin gefangen und „inaudito crudelitatis genere" umgebracht.

3) König Vladislavs Schreiben vom 25. Oktober 1323 an den Comes von Bagusa in alter ital. Übersetzung bei Pucic 2, S. 3 4 (vgl. Spomenik 11, 99); erwähnt „miei filioli" und „parenti", die Zupane Radoslav und Vojihna, den Protovestiar Georg, den Sevast Junak usw.

4) Rodoslov: Glasnik 53, S. 6.

Vladislav (1321—1324). Stephan Uros IIL (1322—1331). 357

der Una schenkte, nach welcher die Subidi später Zrinjski (magyarisch Zrinyi) genannt wurden ^). Es folgten lange Kämpfe um Knin , die Residenz des Bans des Küstenlandes. Ein Mann zog den größten Vorteil aus diesen Wirren, der königstreue Ban Stephan II. von Bosnien, der schon 1324 durch eine Schenkung des Karl Robert als Herr der nordbosnischen Landschaften von Usora und Sol erscheint -). Bald besetzten die Bosnier die Land- schaft Krajina am Meere; der katholische Bischof von Makarska zog sich vor den bosnischen Ketzern nach Almissa zurück. Während der serbischen Thronkämpfe drang Ban Stephan im oberen Zachlumien ein ; die Adelshäupter des Landes schlössen sich ihm an, voran der Zupan von Nevesinje, Poznan Pureid ^'). An der zachlumischen Küste wollten sich die Branivojevici, wie es scheint, im Grenzgebiet zwischen den Serben und Bosniern in der Art der kroatischen Subici ganz unabhängig machen. Nur scheinbar hielten sie mit den Serben, welche hier der jüngere König Stephan Dusan mit seinen Ratgebern vertrat, dem Vojvoden Mladen, dem Stammvater der späteren Brankovici, und dem Feld- herrn Vojno, dem Herrn von Gacko ^). In ein arges Gedränge kam damals Ragusa. Wegen der ragusanischen Kaufleute und Zollpächter im Lande des Königs Vladislav geriet es (1324) in Konflikt mit Uros III. Der Handel wurde eingestellt, das Stadt- gebiet vom Kriegsvolk des Vojno und der Branivojevici geplündert (1325). Venedig nahm sich aber der Ragusaner ganz energisch an, berief alle Venezianer aus Cattaro und Serbien ab und ließ den Serbenkönig durch seinen Abgesandten, einen Notar wissen, daß die Republik keineswegs die Absicht habe, Ragusa zu ver- lassen ^). Der Frieden zwischen Ragusa und Uros IIL wurde

1) Über das Ende Mladens (starb vor 1843) Sisic im Rad 153 (1903) 35.

2) Mon. Rag. 1, 115. Vgl Klaic, Geschichte Bosniens, übers, von Bojuicic 143 f.

3) Posnanus de Purchia mit seinem Geschlecht in Nevesinje auf ser- bischem Boden 1306, Arch. slaw. Phil. 22, 174; 1325, 1327 als Gesandter des bosnischen Bans in Ragusa, Mon. Rag. Bd. 5.

4) Vojno besaß Gacko: April 1327 Div. Rag.

5) „Dicendo, quod nos non intendimus deserere Ragusium": Ljubic 1, 163. Mon. Rag. 5, 201.

358 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

dann am 25. März 1326 auf der Burg Danj bei Skutari erneuert, in Gegenwart des Vojvoden Mladen und des ,,Celnik''' Gjuras, des Stammvaters der Crnojevici ^).

Die Branivojevici hatten sich gerade in diesen Tagen unab- hängig gemacht und beunruhigten Ragusa durch fortwährende Räubereien, wodurch sie aber ihren Untergang herbeiführten -). Zwei Wochen nach dem Frieden von Danj wurde Brajko Braui- vojeviö mit seiner Frau, einer Tochter des Vojno, von der ragusa- nischen Flotte gefangen und zunächst in das Inselkloster des heiligen Andreas de Pelago (heute ein Leuchtturm) vor dem Hafen von Gravosa gebracht (10. April). In der Stadt verlangte eine Partei sofort seine Hinrichtung, doch sperrte man ihn einstweilen in einem Turm in einen eigens für ihn hergerichteten Holzkäfig (cabia de lignamine). Die Frau wurde nach Fürsprache des serbischen Königs und des bosnischen Bans zu ihrem Vater ent- lassen. Zahlreiche Schiffe der Branivojevici und ihrer Verbündeten, der Piraten von Krajina, wurden verbrannt. Der junge Stephan Dusan forderte die Ragusaner in einem Briefe auf, den zweiten Bruder Branoje, seinen abtrünnigen Vasallen, mit der Flotte zu bekämpfen (17. April). Ragusa schloß indessen auch einen Bund mit dem Bau von Bosnien zur Vernichtung der Branivojevici, welche zu Land und zur See angegriffen werden sollten ; ausdrück- lich wurde bestimmt, daß der Vertrag keineswegs gegen den König von Serbien gerichtet sei •^). Bald erscheint in Stagno statt der Beamten der Rebellen ein Zupan des Serbenkönigs. Als in Ragusa ein Preis von 2000 Perper ausgerufen wurde für denjenigen, der den Branoje Branivojev^ic tot oder lebendig ausliefere, flüchtete sich der gestürzte Dynast reumütig zu Uros HL, wurde aber am könighchen Hofe in Fesseln geschlagen, auf die Burg von Cattaro gebracht und dort hingerichtet (August 1326). Auch Brajko kam aus den Türmen von Ragusa nicht mehr heraus; nach späteren Berichten ließ man ihn verhungern "*). Indessen verhandelte der

1) Mon. serb. 85.

2) Zahlreiche Details in den Mon. Rag. 5, 197 ff.

3) Nach Orbini 891 f. sind zwei der Branivojevici, Michael und Do- brovoj, im Kampfe gegen die Bosnier gefallen.

4) In den Katsprotokoilen wird er am 25. November 1326 zuletzt er-

Stephan Uros III. (1322-1331). 359

Senat von Ragusa (seit Juli) eifrig mit dem Serbenkönig um die Abtretung der Halbinsel von Stagno gegen Zahlung eines Jahr- geldes; der König war bereit dazu, verlangte aber zuviel.

Der Ban von Bosnien blieb Herr des Narentatales. Schon 1326 schrieb er sich in einer Urkunde an die Stadt Trau als „terrae Chelmi coraes". Als die Ragusaner im Juli 1327 eine Gesandtschaft zu ihm senden wollten, erwartete man seine Ankunft im Schloß von Bisce an der Narenta unter der Burg Blagaj ^). An der Mündung der Narenta saßen fortan Beamte der Bosnier, Vergeblich waren seitdem alle Versuche der Serben, das verlorene Zachlumien wiederzuerobern. Bosnische Heere brachen auch im Drinagebiet über die serbische Grenze ein und verwüsteten den Sitz des Bischofs von Dabar, die Kirche des heiligen Nikolaus von Banja am unteren Lim. Der junge König Stephan Dusan soll dort gegen die „gottlosen" bosnischen Häretiker einen Sieg erfochten haben -).

König Uros HI. hatte indessen seine langjährige Lebens- gefährtin Theodora durch den Tod verloren und sie im Kloster Banjska ins Grab gelegt ^). Noch während des Krieges gegen seinen Vetter Vladislav suchte er verwandtschaftliche Beziehungen mit den Anjous von Neapel anzuknüpfen und bewarb sich bei Philipp von Tarent um dessen und der Thamar von Epirus Tochter Bianca (1323). Dabei war er sogar bereit, mit dem Klerus, dem Adel und dem Volk des „regnum Servie" dem Schisma zu entsagen und sich der römischen Kirche anzuschließen ; in dieser Art wollte er wahrscheinlich den Ansprüchen des Vladis- lav zuvorkommen. Papst Johannes XXH. in Avignon beauftragte den Bischof Bertrand von Brindisi mit einer großen Gesandtschaft nach Serbien zur Durchführung der Union. Auch die Ragusaner

wähnt. „Li Ragusei parimeate fecero morire di faoie Braico in carcere": Orbini 398, ebenso Resti 114.

1) Mon. Rag. 5, 244.

2) Epilog eines Evangeliums von 1328 1329 (Datum unsicher): Sto- janovic, Zapisi 1 nro. 55.

3) Eine Urkunde des Zaren Stephan Dusan mit Stiftungen für das Grab seiner Mutter (um 1346) herausg. von Novakovic, Spomenik 9, 1 7 (auch in seiner Anthologie „Primjeri" ^4 18 f.).

360 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

verwendeten sich eifrig für diese Heirat bei Philipp i). Doch die Sache zerschlug sich, da die Anjous wohl den Vladislav als den legitimen König von Serbien betrachteten. Uro.s III. heiratete nun eine Griechin, die Maria Palaiologina, eine Nichte der früheren Königin Simonis (l326). Ihr Vater war der Panhypersebast Johannes Palaiologos, damals öfters Statthalter von Thessalonich, ein Sohn des Konstantin Porphyrogennetos, eines Bruders des Andronikos II. Ihre Mutter Irene war eine Tochter des Groß- logotheten Theodoros Metochites. Als die Kämpfe zwischen beiden Andronikos wieder ausbrachen, wollte sich der Panhypersebast mit Hilfe der Serben eine eigene Herrschaft gründen, unterstützt von zwei Söhnen des Großlogotheten, welche Befehlshaber in den Grenzfestungen Struraica und Melnik waren. Er begab sich mit seiner Gattin an den serbischen Hof und bewog Uros III. zu Plünderungen des byzantinischen Gebietes bei Serrai. Andro- nikos II. beeilte sich, den Johannes durch die Verleihung der hohen Würde eines Kaisar zu gewinnen, doch der Prinz erkrankte bei den Serben und starb in Skopje. Seine Witwe, die Kaisarissa, wurde (1327) durch eine Gesandtschaft des alten Andronikos, unter deren Mitgliedern sich der bekannte Historiker Nikephoros Gre- goras befand, zur Rückkehr nach Thessalonich bewogen -).

Während des dritten und letzten Krieges zwischen Großvater und Enkel um den byzantinischen Thron blieb Uros III. auf Seite des alten Kaisers. Seinen erfahreneren Feldherrn Hrelja sendete er mit einer Truppenabteilung zu den Parteigängern des alten Kaisers nach Serrai. Als der jüngere Andronikos mitten im Schnee mit großem Erfolg einen kühnen Zug nach Westen unternahm (Jänner 1328), ließ sich Hrelja nicht zu einer Schlacht heraus- locken. Der junge Kaiser besetzte das ganze byzantinische Make- donien und Albanien. Die Anhänger des alten Andronikos be- haupteten sich nur in den Burgen längs der serbischen Grenze, in Prilep, Prosek, Strumica und Melnik. Prilep wurde vom jungen Kaiser besetzt. Zahlreiche vornehme Griechen flüchteten sich über

1) Theiner, Mon. Hung. 1, 488f. Mon. Rag. 1, 82, 90.

2) Kantakuzenos I cap. 43. Gregoras VIII cap. 14. Uuge- druckt ein Brief des Gregoras an Andronikos Zaridas über diese Heise.

Stephan Uros III. (1322—1331). 3C1

die Grenze zum Serbenkönig, doch er ließ sich nicht zur Offensive bewegen, sondern Wieb auf Rat des Hrelja in der Stellung eines Beobachters. Da geschah es, daß der Feldherr Michael Asan aus Furcht vor Verrat in das feste Prosek eine serbische Besatzung aufnahm; das Felsennest kam nimmermehr in den Besitz der Byzantiner zurück ^). Zuletzt wurde Konstantinopel in einer Voll- mondnacht (Mai 1328) vom jungen Andronikos und seinem Feld- herrn Kantakuzenos durch Verrat erobert. Der siebzigjährige Andronikos II. wurde gezwungen, das Mönchsgewand anzulegen (t 1332).

Mit Andronikos III. als Alleinherrscher stand Uro.s III., der Bundesgenosse der unterlegenen Gegenpartei, von Anfang an schlecht. Ein serbisches Heer belagerte (ungefähr 1329) Ochrid, zog sich aber zurück, als der junge Kaiser, nach einer schweren Krankheit genesen, in Eilmärschen heranrückte. Er vertrieb die Serben aus einigen benachbarten Burgen und kehrte wieder nach Thrakien zurück -). Einen Bundesgenossen gegen die Serben fand er an dem bulgarischen Zaren Michael, dem Sohn des Fürsten Sisman von Vidin. Michael hatte nämlich Anna, die Schwester Uros' III., verstoßen und Theodora, eine Schwester Andronikos' III., geheiratet, welche als Gattin des Zaren Svetislav bereits einmal in Bulgarien gewesen w^ar. Auf zwei persönlichen Zusammen- künften in Adrianopel und bei Sozopolis wurden alle Fragen zwischen beiden Nachbarn ausgeglichen. Der Krieg war unver- meidhch. Michael trat nach serbischen Berichten sehr selbstbewußt auf und prahlte, er werde in Serbien „seinen Thron aufstellen". Uros III. warb spanische und vielleicht auch deutsche Söldner; Michael sammelte Osseten (Jasi) und Tataren, und erhielt außer- dem Hilfstruppen von Bassarab, dem Fürsten der neu entstandenen Walachei, wenige Monate vor dessen Sieg über Köm'g Karl Robert in den Wäldern der Karpathen (November 1330).

Die Bulgaren und Byzantiner ergriffen die Offensive, aber ohne sich zu vereinigen ^). Andronikos kam zu spät nach Westen.

1) Kantakuzenos III cap. 42. Gregoras IX cap. 5, § 3.

2) Kantakuzenos II cap. 21.

3) Über die Schlacht von Velbuzd 1330: König Uros III. in der Urk.

363 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

Die Serben erwarteten den Anmarsch der Bulgaren zuerst auf der Ebene Dobric am Zusammenfluß der Toplica und Morava. Zar Michael schlug aber einen anderen Weg ein, von Vidin über Sofia nach Makedonien. \ Den serbischen Boden betrat er bei der Burg Zemlen, deren Ruine (jetzt Zemen) in einem Felsenamphitheater am unteren Ende des großartigen, an vier Stunden langen Durch- bruches der Struma steht, den die unlängst eröffnete Eisenbahn von Sofia nach Küstendil belebt, und näherte sich Velbuzd (jetzt Küstendil). Die beiden Serbenkönige lagerten nördlich von dieser Stadt am Flusse Kamenca (jetzt Sovolstica). Jedes der beiden Heere war ungefähr 15 000 Mann stark. Da die Serben noch einige ihrer Edelleute erwarteten, wurde ein kurzer Wafi'enstill- stand geschlossen. Die Bulgaren waren noch beim Plündern zer- streut, als die Serben plötzlich am Samstag den 28. Juli 1330 zu Mittag unter der Führung beider Könige mit Trompetenschall den Angriff begannen. Nach Gregoras stürmten die fremden Söldner, hochgewachsene, kriegsgeübte Reiter in glänzenden Rü- stungen, geradeswegs gegen das Banner des bulgarischen Zaren. Sehr ausgezeichnet hat sich dabei nach dem Bericht des Fort- setzers Daniels der junge Stephan Dusan. Die Bulgaren ver- mochten sich nicht mehr in Schlachtordnung aufzustellen und er- litten eine furchtbare Niederlage. Zar Michael wurde getötet, als er auf der Flucht vom Pferde stürzte und vom Feinde eingeholt wurde. Die Leiche brachte man zum Sieger, der den gefallenen Gegner im Kloster des heiligen Georg in Nagoricin (bei Kumanovo) bestatten ließ. An der Stelle, wo König Uros III. in seinem Zelte die Nacht vor der Schlacht im eifrigen Gebete zugebracht hatte, wurde eine Kirche der Himmelfahrt des Herrn erbaut, heute noch in den Ruinen ein schöner kleiner Bau aus wechselnden Lagen von Quadern und Ziegeln mit eingestürzter Kuppel, von weitem

von Decani 65, 13G; Stephan Dusan in der Vorrede zum Gesetzbuch, Zakonik ed. Novakovic S. 3 1; ausführlich Daniel 177—198. Kirche auf dem Schlachtfelde: Rodoslov (Genealogie) im Glasnik 53, S. 38. Griechische Berichte: Gregoras IX cap. 12, Kantakuzenos II cap. 21. Glückwünsche der Ragusaner zum Sieg „de domino imperatore Bulgarie" durch eine Gesandtschaft 14. Aug. 1330: Mon. Rag. 5, 293. Die Örtlich- keiten beschrieben in meinem Fürstentum Bulgarien 468 f., 473.

Stephan Uros III. (1322-1331). 363

sichtbar auf einem isolierten, glockenförmigen Hügel zwischen Weingärten über dem Dorfe Nikolicevci bei Küstendil, im Mündungswinkel der Struma und Sovolstica. König Uros rückte dem fliehenden bulgarischen Heere nach, welches sich unter dem Befehl von Michaels Bruder Belaur (bedeutet rumänisch einen Drachen) in die heute noch bekannte Landschaft Mraka an der oberen Struma im Becken von Radomir zurückzog. Im Dorfe Izvor („die Quelle") bei Radomir beeilten sich die Bulgaren, Frieden zu schHeßen. Die verstoßene und verbannte erste Frau Michaels, Uros' HI. Schwester Anna, wurde mit ihrem unmündigen Sohn Johannes Stephan als Herrscherin Bulgariens anerkannt und von einigen serbischen Edelleuten mit Truppen nach der bulga- rischen Hauptstadt geleitet. Alle Boljaren wurden in ihren Amtern bestätigt ^).

Der siegreiche Serbenkönig zog nun gegen Andronikos HI. Der Kaiser hatte an der serbischen Südgrenze persönlich einige Schlösser besetzt, wie Debrec bei Ochrid, Siderokastron (slaw. Zeleznec) bei Kicevo u. a. Als in seinem Lager die Nachricht von dem Untergang des Michael eintraf, beschloß der Kriegsrat den Zug nach Serbien aufzugeben und dafür die Wirren in Bul- garien auszunutzen. Andronikos ließ an der Grenze den Feld- herrn Syrgiannes zurück und eilte über Adrianopel zum Golf von Burgas, wo er die bulgarischen Grenzstädte rasch besetzte, be- sonders Mesembria und Diampolis (j. Jambol). Die Serben hielten seinen eiligen Abzug, wie der Fortsetzer Daniels erzählt, für eine „Flucht des griechischen Kaisers". Uros HL vertrieb die Grie- chen aus einigen Grenzstädten und kehrte auch aus dem Süden siegreich in die Heimat zurück. Es besteht noch ein Andenken an diese Zeit, das während dieses Krieges gebaute große Kloster von Deöani südlich von Pec. König Stephan Uros HL heißt schon in älteren serbischen Schriften der „König von De-

1) Zar „Joann Stepan" im bulg. Pomenik , Kodex des Drinov, bei Vasil Zlatarski, Die Fi-agc über den Ursprung des bulg. Zaren Johannes Alexander, russ. in „Statji po slavjanovedeniju" 2 (Petersburg 1906) 171. Bei Daniels Fortsetzer als Stephan. Kantakuzenos nennt zwei Söhne des Zaren Michael, Johannes (den Nachfolger) und §isman.

364 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

cani" (kralj Decanski), ein Name, der beute noch in der Volks- tradition fortlebt.

Während der großen Erfolge gegen Bulgaren und Griechen gab es gegen die Bosnier wieder nur Verluste. Sie erweiterten ihr Gebiet von der Narenta bis zur Grenze des Stadtgebietes von Ragusa an der Bucht von Malfi (slaw. Zaton). Ihre Feldherren waren ein italienischer Söldnerführer Ruggiero (Ruzir) und Milten Drazivojevic ^). Einflußreich wurden im Süden Zachlumiens die Nikolici, zuerst die seit 1342 erwähnten Brüder Vladislav und Bogisa, Neffen des bosnischen Bans, deren Geschlecht sich hier bis zur türkischen Eroberung behauptete ; nach Orbini waren diese Brüder mütterlicherseits Söhne einer Schwester des Bans Stephan, der Katharina, väterlicherseits Nachkommen des Comes Andreas und somit Verwandte des serbischen Königshauses -'). Ragusa lag fortan bis 1378 an der bosnisch -serbischen Grenze; Zachluraien mit Slano und Popovo war bosnisch, Trebinje und Canali serbisch. Den Serben blieb nördlich von Ragusa nur Stagno mit seiner Halbinsel und die Hoheit über die Insel Meleda, auf die Dauer ein unhaltbarer Besitz.

Den Schutz der nordwestlichen Grenze vereitelte ein neuer Kampf zwischen Vater und Sohn, wie man ihn in Serbien in den letzten Generationen wiederholt gesehen hat. üros III. hatte von der zweiten Gattin einen Sohn Symeon, den er, obwohl er noch ein Kind war, gegen den durch die letzten Feldzüge populären Mitkönig Stephan Dusan begünstigte. Der Fortsetzer Daniels be- schuldigt den alten König, er habe den Zwist begonnen, aus Haß gegen seinen Sohn, den er sogar „mit einem grausamen Tode be- strafen " wollte. Auch Stephan Dasan sagt in der Urkunde für das Kloster von Prizren, die Dämonen (besi) hätten ihn nicht zur Nachfolge zulassen wollen, doch Gott habe ihn „aus der tiefsten Grube" gerettet; ebenso schreibt er in der Einleitung zu seinem Gesetzbuch, böse Leute hätten seinen Vater gegen ihn aufgehetzt,

1) Rugerius erscheint larkundh'ch 1330 1340; seine Frau, wohl eine Bosuierin, hieß Boljoslava, sein Sohn Radoslav (f 1369). Über Miltens Familie und Verwandtschaft vgl. meine Abh. Die Edelleute von Ilum auf der Inschrift von Velicani: Glasnik bos. 4 (1892) 279 f. = Wiss. Mitt. 3 (1895) 474 f.

2) Div. Rag. 1342 flP. Orbini 2G5.

Stephan Uros III. (1322—1331). 305

,, damit mein Name und mein Leben ganz verschwinde". Von den Ragusanern verlangte der alte König (November 1330) einige Kriegsschiffe, der junge König Rat und Hilfe; beides Avurde ab- gewiesen und die Könige aufgefordert, untereinander Frieden zu machen. Uros III. zog vor Skutari, zerstörte das Schloß des Dusan auf den Ufern des Drimac, ging aber nicht über die Bo- jana hinüber (Frühhng 1331). Es war dieselbe Landschaft, in welcher einst Uros III. selbst gegen seinen Vater Krieg geführt hatte. Nach vielen Verhandlungen folgte eine unaufrichtige Ver- söhnung unter großen Eidschwüren. Als dann der junge König (im Mai) nach Trebinje kam, wurde er nach Ragusa eingeladen, beschenkt und bewirtet. Bald brach der Streit von neuem aus, nach Daniels Fortsetzer wieder durch den maßlosen Zorn des alten Königs. Der junge König, abermals vor den Vater vor- geladen, fürchtete um sein Leben und wollte schon in fremde Länder fliehen, aber seine Getreuen bewogen ihn zum Krieg. Nach Gregoras, der die ganze Bewegung als eine Adelsrevolution schildert, waren die Großen der Regierung des alten Königs über- drüssig und forderten den Sohn heimlich zum Aufstand auf ^). Stephan Dusan verließ plötzlich Skutari mit einem kleinen Heere und überraschte seinen Vater im Schlosse Nerodimlja. Uros III. vermochte kaum zu Pferde zu steigen und auf die nahe Burg Petric zu fliehen, wurde aber dort eingeschlossen und mußte sich ergeben. Der Sohn ließ ihn auf Rat seiner Anhänger in die feste Burg Zvecan bringen, wo er bewacht bleiben sollte, „bis eine Versöhnung zwischen ihnen zustande käme " (August). Stephan Dusan wurde sodann auf einem Reichstag im Schlosse Svrcin vom Erzbischof Daniel zum zweiten Male feierlich gekrönt (8. Sep- tember 1331) -)•

König Stephan Uros III. ist schon zwei Monate nach seiner Entthronung aus dem Leben geschieden (11. November 1331). Sein Biograph in der Danielschen Sammlung schreibt, er sei nach

1) Orbini 259 nennt als Getreue Dusans den Gjuras Ilijic und den Karavida (Schwiegervater des mächtigen Oliver, Spomenik 11, 26), dem Namen nach einen Griechen.

2) Mon. Eag. 5, 301—321. Daniel 207—214. Gregoras IX cap. 12 § 4. Zur Chronologie: Ilarion Ruvarac im Rad 19 (1872) 180.

366 Viertes Buch. Zweites Kapitel.

kurzer Zeit gestorben, wider Erwarten, wie denn niemand dem Tode entrinnen kann und niemand seine Todesstunde weiß, und sei von seinem Sohne feierlich im Kloster von Decani be- stattet worden. Doch ist dieser serbische Schriftsteller ein höfischer Lobredner Dusans, der die Wahrheit nicht frei sagen wollte oder konnte. Alle anderen Zeugen sprechen von einem gewaltsamen Tod. Guillaume Adam (schrieb 1332) ist beiden Serbenkönigen feind. Der alte sei ein Bastard, Tyrann und Brudermörder ge- wesen, der junge übertreffe sogar seine Vorfahren durch „das Gift unerhörter Bosheit"; er habe seinen Vater gefangen, einge- kerkert und in mehr als grausamer Weise umgebracht ^). Der gut- unterrichtete Nikephoros Gregoras stellt den jungen König ganz als ein Spielzeug der Edelleute und Feldherren dar : Sie brachten ohne Mühe auch den Vater gefesselt vor den Sohn. Dann setzten sie ihn in den Kerker, wahrscheinlich wider Willen des Sohnes und zu seiner Betrübnis. Er schwieg gleichwohl und vermochte dem Begehren der Menge nicht zu widersprechen, denn er fürchtete, er könnte selbst etwas Unvermutetes erleiden. Es vergingen nicht viele Tage und da erdrosselten sie jenen (den Vater) im Gefäng- nis und bereiteten ihm derart im Gegensatz zu jenen süßen Glücks- fällen (dem Sieg 1330) ein bitteres Lebensende, dem Sohne aber machten sie die Regierung fester und sicherer." Ungünstig für Dusan lauten die Erzählungen der jüngeren Generationen 2) ; um 1400 heißt es im Rodoslo v (Genealogie) und bei Camblak, der Gründer des Klosters Decani habe von seinem Sohne den Märtyrer- tod erlitten, worauf man ihn auch bald unter die Nationalheiligen rechnete.

1) „Cepit, vinculavit, carceri maucipavit et plus quam erudeliter inter- fecit"; ,,proditor et eaptor patris propra et occisor". G. Adam p. 438, 446.

2) Vgl. auch Johann von Ravenna, Notar von Kagusa 1384 bis 1387, bei Racki, Rad 74 (188G) 174.

Drittes Kapitel.

Serbien unter Stephan Dusan (1551—1355) als König, seit 1546 als Kaiser, die größte Macht der Halbinsel. Eroberung von Makedonien, Albanien, Thessalien und

Epirus 1).

Die Glanzperiode der mittelalterlichen serbischen Geschichte ist die Regierung des Königs, später Kaisers Stephan ; so heißt er in seinen Urkunden und auf seinen Münzen, wähi-end der Haus- name Dusan bloß in einigen nicht amtlichen Denkmälern ei'- scheint -). Die Zeitgenossen schildern ihn als einen Mann von

1) Die Urkunden Stephan Dusans bei Florinskij, Pamjatniky (Denkmäler der gesetzgeberischen Tätigkeit des Dusan , Zaren der Serben und Griechen, russ.), Kiew 1888 S. 26 168. Über die Beziehungen zu Ve- nedig und Ragusa: Acta archivi Veneti, Bd. 1 = Glasnik 11 (1859), Ljubic und Mon. Rag. Die Biographie von einem Fortsetzer D a n i e 1 s umfaßt nur die ersten Kegierungsjahre 1331 1335. Johannes Kantakuzenos und Nikephoros Gr egoras, die einander gegenseitig ergänzen. Haupt- werk: Timofej Florinskij, Die Südslawen und Byzanz im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts, russ., Petersburg 1882, 2 Bde. Emile de Borchgrave, L'empereur Etienne Douchan et la peainsule balcanique au XIV. siecle, Bruxelles 1884. Zahlreiche Monographien (serbisch) von No- vakovic. Vgl. auch die Werke über die gleichzeitige byz. Geschichte: Parisot, Cantacuzene, Paris 1845; Finlay, History of Greece 3 (Oxford 1877) 431 f.; Diehl, Figures byzautines 2, 245 270 (die Kaiserin Anna); Dino Muratore, Una principessa sabauda sul trono di Bisanzio, Gio- vanna di Savoia, imperatrice Anna Paleologina, Chambery 1906 (Memoires de l'Academie de Savoie, 4. serie, t. XI, 1909).

2) In seinen Urkunden nur ,, Stefan kralj" (später „car"), ebenso griech. ^Tf(f(ivog, in ragusanischen , venezianischen, päpstlichen Urkunden Stephanus rex, sp. imperator. Der Name Dusan neben Stephan bei Daniel

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368 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

hoher, ebeDmäßiger und kräftiger Gestalt, schönem Antlitz, aus- gestattet mit einem milden, geduldigen Temperament und mit großer persönlicher Tapferkeit ^). Auf den Münzen ist er mit einem Vollbart abgebildet, auf dem Thron oder zu Pferde sitzend. Geboren um 1308, hatte er in seiner Jugend viel mitgemacht. Als Knabe lebte er mit seinem geblendeten Vater und mit seiner Mutter Theodora, der Tochter des bulgarischen Zaren Smilec, in der Verbannung in Konstantinopel. Ungefähr 13 Jahre alt (1321) wurde er Mitregent seines Vaters und bewies, zum Jüngling her- angewachsen, seine Tüchtigkeit in den Schlachten gegen die Bosnier und Bulgaren. Er war nach Nikephoros Gregoras erst 22 Jahre alt, als ihn eine Revolution zum alleinigen König machte. Es fehlte ihm nicht an Energie, Umsicht und Glück. Er verfügte über bedeutende Geldmittel und unterhielt ein starkes Heer. Den Verfall des byzantinischen Reiches beutete er energisch aus, setzte sich die Kaiserkrone aufs Haupt und entriß dem griechischen Kaisertum für immer den ganzen Westen. Dabei besaß er die Kunst, Leute zu gewinnen und sich behebt zu machen. Sein Hof mit Serben, Bulgaren, Griechen, Albanesen, Sachsen aus den Berg- städten, deutschen Rittern, Finanzbeamten aus dem Stadtadel von Cattaro und Ragusa, sowie venezianischen und floreutinischen Kauf- leuten hatte einen internationalen Charakter. Neben den Feld- zügen sorgte er um die Gesetze des Landes, um Einführung einer geordneten Administration und Rechtspflege und um die Sicherheit der Straßen für den Handel. Kleinhche Konflikte, wie früher mit Ragusa, gab es nicht mehr. Es bheb ihm lange das Andenken eines weisen und mächtigen Fürsten -). In den folgenden trüben

163 und in einigen Inschriften und Epilogen von Handschriften bei Sto- janoviö, Zapisi. Einmal als Stephan IV".: ib. 1 nro. 89 (um 1346).

1) Es gibt vier Beschreibungen seiner Persönlichkeit: a) bei dem Fortsetzer des Daniel 215, 380; b) im Epilog eines Evangelienkodex von Chilandar (um 1346) im Glasnik 56, 100 und bei Stojanovic a. a. 0. 1 nro. 89; c) bei Philippe de Mezi^res, Kanzler von Zypern, abge- druckt auch im Glasnik 21, 282; d) bei Orbini 260 f. aus einer vielleicht aus Cattaro stammenden Quelle, die viel von der dortigen Familie Buchia sprach.

2) „Lo imperator Stefano, el quäl fo savio segnor et possente": In- struktion der ragus. Gesandten zum König von Bosnien, 10. Juni 1403 Lett. Rag.

Stephan Dusan (1331—1355). 369

Zeiten erinnerte man sich in Serbien gerne an die „große Ruhe und Wohlfahrt " in den Tagen dieses Herrschers, welcher Serbien so sehr erweitert und zu Ruhm und Ehren gebracht hatte und welcher seine Edelleute so freigebig mit glänzenden Gewändern und goldenen Gürteln beschenkte ^). Doch bei allen Erfolgen ver- mochte er die Übermacht des Adels nicht zu vermindern. Anfangs war er ziemlich einflußlos und mußte manche Widerwärtigkeiten überwinden, bis die glückhchen Feldzüge seine persönliche Auto- rität hoben. Die gewaltige Ausdehnung des Reiches führte zu einer größeren Selbständigkeit der Statthalter, und als nach Dusans Tod ein talentloser Jüngling sein Nachfolger wurde, verwandelte sich das große Reich sehr bald in eine Oligarchie ohne inneren Halt. Bald kamen Zeiten, wo man in Serbien, wie aus einer Ur- kunde des Despoten Ugljesa und aus der Fortsetzung der Bio- graphien Daniels zu sehen ist, dem verstorbenen Zaren Stephan bittere Vorwürfe machte, er habe die von den Vorvätern geerbte Königswürde verlassen und das Kaisertum angestrebt, ebenso das von dem heiligen Sava gestiftete Erzbistum eigenmächtig zum Patriarchat erhoben -).

Die rasche Erwerbung von Makedonien, Albanien, Epirus und Thessalien durch die Serben ist eine bewunderungswürdige Tatsache. Man darf aber nicht vergessen, daß die Besetzung dieser Länder während des damaligen langen Bürgerkrieges im byzan- tinischen Reiche leicht war und daß sie durchgeführt wurde, ohne eine einzige große Feldschlacht zu schlagen, nur durch Blockaden der Burgen und Städte. Bei dem Parteihader in den Provinzen gab es überall eine Partei für den Serbenköni^, aber wir wissen von Kantakuzenos, daß man auch unter der serbischen Herrschaft überall geheime Anhänger der Byzantiner antraf. Alle Aufmerk- samkeit war gegen Süden gerichtet. Der Norden wurde vernach- lässigt. Gegen König Ludwig I. von Ungarn konnte man die Grenze nicht immer behaupten, und die gelegentlichen Versuche, die Bosnier aus Zachlumien wieder zu verdrängen, sind mißlungen.

1) Der ältere Rodoslov: Glasnik 53, S. 11.

2) Daniel 380f. Konstantin PhU.: Glasnik 42, 257. Jirecek, Geschichte der Serben. I. 24

370 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Die politische Lage war beherrscht von zwei Ereignissen, von dem Niedergang von Bjzanz nach dem letzten kurzen Aufschwung unter Andronikos III. und von dem Wettstreit zwischen Venedig und Ungarn um den Besitz der dalmatinischen Küste, als Lud- wig I. auch König von Neapel wurde und daranging, eine Groß- macht auf beiden Seiten des Adriatischen Meeres zu gründen. Mit Venedig blieb Stephan stets in bester Freundschaft, als natürlicher Bundesgenosse der Lagunenrepublik gegen die Anjous. Mit den Bulgaren war er in guten Beziehungen, auch infolge von verwandt- schaftlichen Verbindungen. Daß die Ausbeutung des Verfalles von Byzanz durch einen östlichen Nachbarn der Griechen, durch die kleinasiatischen Türken, eine große Gefahr für die Zukunft mit sich bringe, sah Stephan klar voraus. Er betonte dies in seinen Verhandlungen mit dem Papst in Avignon, in einer Zeit, als man im Abendlande für diese fernen Verhältnisse wenig Verständnis hatte. Es ist merkwürdig, wie die römische Kurie den damaligen Bruch zwischen der griechischen und serbischen Kirche nicht für sich auszunutzen verstand.

Die letzte Umwälzung in Serbien hatte einen Widerhall in Bulgarien gefunden. Die Boljaren vertrieben die Zariza Anna mit ihren Söhnen und erhoben auf den Thron einen Neffen des Zaren Michael, den Johannes Alexander, Sohn des Despoten Sracimir und einer Schwester Michaels ^). Der neue Herrscher hat gleich anfangs den Kaiser Andronikos III. bei Rosokastron besiegt und in seinen guten Jahren die Südgrenze seines Reiches bedeutend erweitert, war ein Gönner der Literatur, wie an den für ihn ge- machten Übersetzungen griechischer Werke und den noch erhal- tenen, prachtvoll ausgestatteten Handschriften zu sehen ist, besaß aber kein hervorragendes politisches oder militärisches Talent. Er hatte nur das zweifelhafte Glück, alle Nachbarn zu überleben, bis in die bitteren Zeiten der Türkennot, deren baldigen Anbruch damals die wenigsten ahnten. Mit Stephan Dusan schloß er feste Freundschaft und vermählte ihn (Ostern 1332) mit seiner Schwester Helena -). Anna, Dusans Tante, begab sich nach Ragusa und

1) Vgl. Zlatarski a. a. 0.

2) Am 7. März 1332 wurde in Ragusa eine Gesandtschaft gewählt zur

Stephan Dusan (1331—1355). 371

verlebte in diesem Asyl vertriebener Fürsten viele Jahre (1337 bis 1346), befreundet mit den Anjous von Neapel ^). Ihr jüngerer Sohn Sisman weilte einmal bei den Tataren, später in Konstantinopel, wo man ihn als Prätendenten auf den bulgarischen Thron freund- lich aufnahm; er soll nach Luccari in Ragusa gestorben sein, be- graben in der Benediktinerabtei von Lacroma. Der ältere Sohn, der Zar Johannes Stephan, ist aller Wahrscheinlichkeit nach iden- tisch mit dem „Imperator Bulgarie" Ludwig, welcher 1338 den König Robert von Neapel besuchte und seit 1361 in Apulien er- wähnt wird. Er beteiligte sich im Heere des Grafen Nikolaus von Urbino an den Kämpfen, welche die Päpste zur Wiederher- stellung des Kirchenstaates führten, wurde dabei in der Schlacht von Guardavalle (1363) von den Bürgern von Siena gefangen und starb (1373) in Neapel ^).

Stephan Dusan hatte gleich anfangs (April 1332) mit einem Aufstand der Adligen der Zeta zu tun, geführt vom Vojvoden Bogoje und dem Albanesen Demetrius Suma. Vielleicht glaubten sie für ihre Verdienste im Kampfe gegen Uros III. nicht genügend belohnt zu sein. Diese Bewegung mag den Erzbischof Guillaurae Adam von Antivari, einen fanatischen Feind aller Schismatiker, bewogen haben, in seinem 1332 dem König Philipp VI. von Frank- reich gewidmeten Plan eines neuen Kreuzzugs eine Aufforderung zur Eroberung des „regnum Rassie" einzuschalten. Ein franzö- sischer Fürst könnte dieses Reich mit 1000 Reitern und 5 6000 Fußgängern leicht erobern, mit Hilfe der bedrückten Lateiner der

Hochzeit Stephans mit der „soror Alexandri, imperatoris Bulgarie": Mon. Eag. 5. 341, 343. Helena als Alexanders Schwester auch bei Kantakuzenos III cap. 56. Merkwürdig ist die Feindschaft der Quelle des Orbini 261, 265, 270, 355 gegen Helena, angeblich eine Feindin der Katholiken, donna perversa", „veramente disposta a fare ogni male".

1) „Domina Anna, imperatrix Bulgarorum" und ihre Söhne, Urk. aus Neapel 1337—1343: Rad 18 (1872), 229.

2) Kantakuzenos III cap. 2. Imperator Ludovicus: Rad 1. c, Mon. Rag. 3, 133, 156 f., Annales Senenses in den Mon. Germ. SS. 19, 283; Todesjahr bei Du Cange. Bei Luccari die romanhafte Geschichte eines Ragusaners Nie. Sapina, der sich für den verstorbenen Sisman ausgab und als Prätendent in Bulgarien herumtrieb.

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073 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Küstenstädte und der katholischen Albanesen, die allein 15 000 Reiter aufstellen können i).

Die Ragusaner bemühten sich, einen Frieden zwischen Serbien und Bosnien herbeizuführen, und boten durch ihre zur Hochzeit des Königs entsendete Gesandtschaft eine Vermittlung an. Es scheint, daß sie kaum einen Waffenstillstand zuwege brachten, aber dafür erreichten sie ein Ziel, das die Politiker der kleinen Seestadt seit dem Aufstand der Branivojevi(5i nicht aus den Augen gelassen hatten: die Erwerbung der Halbinsel von Stagno für Ragusa. Verholfen haben ihnen dazu besonders der Finanzminister des Königs, Nikolaus Buchia, ein Patrizier von Cattaro, und der kroatische Graf Gregor Kurjakovic, der sich eben am serbischen Hofe befand. Dagegen waren ihre Bemühungen um das Küsten- land zwischen Stagno und Malfi vergeblich, das Primorje von Slano. Sie erklärten sich bereit, beiden Rivalen einen Tribut zu zahlen, dem Serbenkönig als wirklichem Besitzer von Stagno überdies 8000 Perper in Bargeld. König Stephan trat ihnen durch eine in der Landschaft Polog am oberen Vardar am 22. Jänner 1333 datierte Urkunde Stagno samt der Halbinsel ab, außerdem auch Gebiete, die schon bosnisch waren, nämlich die Insel Posrednica (wo jetzt das Fort Opus steht) im Delta der Narenta und das erwähnte Küstengebiet von Stagno bis Ragusa 2). Der Ban von Bosnien bestätigte ihnen unter der Burg Srebrnik am 15. März 1333 nur Stagno mit der Halbinsel; die übrigen Gebiete wollten die Bosnier nicht herausgeben. Das Primorje von Slano und damit die Ver- bindung mit Stagno auf dem Landweg erlangten die Ragusaner erst 1399, denn auch König Ludwig L von Ungarn hat es ihnen (1358) vergeblich zugesprochen. Die Narentamündung ist nie in den Besitz der Ragusaner gelangt. Die Halbinsel von Stagno (S. 118), ein enges und langes, nur stellenweise fruchtbares Ge- biet (355 Quadratkilometer) mit hohen Bergen, wurde sofort den

1) Mon. Eag. 5, 346, 848. Ljubic 1, 410, 424. G. Adam ed. cit 477—485.

2) Urk. in zweifacher Avisstellung, lateinisch bei Ljubic 1, 398 in einem schlechten Regest mit Weglassung der Zeugen, serbisch in den Mon. serb. 103 105, neu bestätigt in Dobrusta bei Prizren im Mai 1334 ib. 107—109. Urk. des Ban Stephan ib. 105-107.

Stephan Dusan (1331-1355). 373

Ragusanern übergeben. An die Stelle des serbischen Zupans kam ein ragusanischer Comes. Das alte Schloß Stagno wurde von den neuen Landesherren aufgegeben und unmittelbar am südlichen Ein- gang in den Einschnitt der Prevlaka ein neues Stagno gegründet, ein Dreieck mit hohen Mauern, Türmen und regelmäßigen Straßen, besiedelt durch 150 ragusanische Familien. Am Nordende der Schlucht am „anderen Meere'' entstand das gleichfalls befestigte Klein-Stagno. Zwischen beiden Städteanlageu erbauten die Ragu- saner auf den Felsen über der Westseite der Schlucht der Prevlaka mit gewaltigem Aufwand eine Art „chinesischer Mauer" mit Türmen und der an der höchsten Stelle gelegenen kleinen Burg Pozvizd, um die Halbinsel gegen das Festland ganz abzusperren.

Die Beziehungen der Serben zu den Byzantinern blieben auch nach dem Sturz Uros' III. gespannt, ohne Verträge. Andronikos III., ein rastlos tätiger Herrscher, zog in Begleitung seines Reichsfeld- herrn Kantakuzenos jahraus jahrein ins Feld, erneuerte die Flotte und begann energisch die Restauration der byzantinischen Herr- schaft im alten Hellas. In Kleinasien verlor er zu gleicher Zeit allerdings die letzten großen Städte Bithyniens an die osmanischen Türken, Nikaia und Nikomedia. Befreundet mit Venedig, vertrieb er die Genuesen aus Chios und Lesbos und zwang sie auch in Galata vor Konstantinopel durch eine kurze Belagerung zum Frieden. Gegen Serbien waren seine Grenzfestungen Serrai, Melnik, Stru- mica, Prilep, Ochrid, Kroja, Berat und Valona; sie deckten ein Gebiet, dessen Bewohner, sowohl die Archonten in den Städten und auf den Landgütern, als die Albanesen, Slawen und Wlachen des Gebirges sehr wankelmütig und oft unberechenbar waren. Die serbische Grenze begann an der Adria südlich von Alessio, um- faßte die Landschaften Pilot, Debra und Polog, die Städte Kicava, Veles, Prosek, Stip und schloß südlich von Velbuzd (Küstendil). Eines Tages (1334) erschien am serbischen Hofe ein vornehmer byzantinischer Flüchtling. Es war Syrgiannes, Sohn eines kuma- nischen Fürsten Sytzigan und einer edlen Griechin, ein begabter, aber launenhafter Feldherr, früher während der Kämpfe des lungeren Andronikos gegen seinen Großvater eine wichtige Persön- lichkeit. Als Statthalter im Westen hatte er sich bei Griechen und Albanesen sehr beliebt gemacht. Einer Verschwörung be-

374 Viertes Buch. Drittes Kapitel,

schuldigt entfloh er aus Konstantinopel heimlich nach Negroponte und von dort nach Serbien i). Leicht bewog er den jungen König zu einem Angriff auf das byzantinische Reich. Durch geheime Briefe agitierte er bis nach Konstautinopel , wo eine Panik aus- brach und die Mauern schleunigst ausgebessert wurden. Die Serben besetzten Ochrid, Strumica und andere Städte. Syrgiannes rückte mit einem Heere von Serben und Albanesen in Kastoria ein. Im Hochsommer lagerte der Serbenkönig mit dem abtrünnigen kaiser- lichen Feldherrn vor Thessalonich. Eine Partei unter den Bürgern war schon bereit, die Tore zu öffnen. Andronikos eilte persönlich hin, um die Hauptstadt des byzantinischen Westens zu verteidigen. Da fand Syrgiannes ein unerwartetes Ende. Der Statthalter von Chlerin (jetzt Lerin, türk, Florina) Sphrantzes Palaiologos hatte sich dem Feind mit Wissen des Kaisers angeschlossen. Bei einem Rekognoszierungsritt an den Ufern des Flusses Galiko hieb er den Rebellen nieder und sprengte sofort zu den Toren von Thessalonich. Syrgiannes wurde sterbend in das serbische Lager gebracht und von Stephan Dusan als Freund beweint und feierlich bestattet -). Nach dem Tode des Urhebers war eine Fortsetzung des Krieges nicht möglich. Die Anhänger des abgefallenen Feldherrn gingen zum Kaiser über, wobei es den Serben mitunter schlecht ging ^). Nach wenigen Tagen folgte in der Nähe der Stelle, wo Syrgiannes gefallen war, eine Zusammenkunft zwischen Andronikos HL und dem ungefähr um 12 Jahre jüngeren Stephan Dusan, bei welcher nach Gastmählern ein Friede und, wie es scheint, auch ein Bünd- nis geschlossen wurde (26. August 1334). Die Freundschaft der Serben war Andronikos erwünscht zur Durchführung seiner Pläne in Nordgriechenland. Dem Serbenkönig blieben von den besetzten

1) Kantakuzenos II cap. 24-25. Gregoras X cap. 7. Vgl. Daniel 222f.

2) Sphrantzes, zur Belohnung zum uf'yag aTQcnon^äciQxrjg befördert, starb bei der Belagerung von Arta.

3) Wegen eines großen Mißgeschickes damals in Kastoria übte Stephan Dusan nach vielen Jahren Rache. Nach der Erstürmung von Voden (1851) ließ er dem verwundeten Feldherrn Georgios Lyzikos den Bart ausx'aufen, "worauf der gefangene Byzantiner auf dem Transport nach Skopje starb. Kantakuzenos IV cap. 22.

Stephan Dusan (1331—1355). 375

Städten wahrscheinlich nur Strumica und Prilep, in dessen Um- gebung er die Besitzungen des Muttergottesklosters von Treskavec durch einige Urkunden bestätigte ^). Aber trotz der neuen Freund- schaft ließ der Kaiser die Grenze gegen die Serben sorgfältig be- festigen. Einen Ersatz für das verlorene Prosek bot in der Ebene von Thessalonich das neu gegründete üynaikokastron mit einem gewaltigen Turm, angebhch so fest, daß es auch eine weibliche Besatzung behaupten könnte, noch jetzt die „Frauenburg" genannt, slaw. Zensko, türk. Awrethissar -).

Die Abwesenheit des Serbenkönigs im Süden benutzte der ungarische König Karl Robert (1335) zu einem Zug über die Donau in das einstige Gebiet des Stephan Dragutin. Stephan Dusan eilte in das Kloster Zica, nach den Berichten des Kanta- kuzecos unterstützt durch Truppen des Kaisers Andronikos III. Karl zog sich eilends über die Save zurück, angeblich wegen der byzantinischen Hilfstruppen, welche deshalb vom Serbenkönig reich beschenkt wurden. Aber der Grenzkrieg hörte gar nicht auf ^). An diesen Kämpfen beteihgte sich auf ungarischer Seite auch der Ban von Bosnien, jedoch gingen einmal seine Grenzfeldherren Rug- giero und Muten zur Gegenpartei über und blieben eine Zeitlang bei den Serben ^j. Der Serbenkönig war damals mit wichtigen häuslichen Angelegenheiten beschäftigt. Am 12. April 1336 reisten über Ragusa nach Serbien Gesandte des österreichischen Herzogs Otto, begleitet von dem deutschen Ritter Palmann, einem Söldner- führer in serbischen Diensten. Die Ragusaner sendeten eben eine Gesandtschaft zu König Stephan und nahmen die österreichischen Gesandten gerne auf ihrer Galeere in das Küstengebiet von Cattaro mit. Aus einer Nachricht in der Chronik des Abtes Johann von Viktring in Kärnten sieht man, daß es sich um eine Heirat des

1) Über Prilep und Treskavec nach den Urkunden (1335f.) Nova- kovic im Glas 80 (1909) S. 5 f.

2) Plan: Izvestija arch. inst. 4, 1 (1899) 31.

3) Daniel 227 f. Kantakuzeno s II cap. 25. Über die Beziehungen zwischen Serbien und Ungarn 1331 1355 eine Abb. von Peter Markovic im Letopis, Heft 221 f. (1903).

4) „Eugerius et Miltenus, homines nunc domini regis" Juli 1336 Div. Eag. Vgl. Pucic 2, S. 15 nro. 16.

376 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Königs von Serbien mit einer Nichte Ottos, mit Elisabeth (geb. 1317), einer Tochter des verstorbenen deutschen Königs Friedrich des Schönen und der EHsabeth von Aragonien handelte, deren Vermählung mit König Johann von Böhmen kurz zuvor durch den Widerspruch des Papstes verhindert worden war. Die fromme junge Prinzessin war ganz entsetzt über den Plan, sie mit einem schismatischen König zu verheiraten, und verfiel in eine schwere Krankheit, in weicher sie der Tod ereilte (23. Oktober 1336), worauf sie in der Abtei Mauerbach bei Wien begraben wurde i). Diese Heiratsverhandkmgen setzen einen Bruch zwischen Stephan und Helena voraus, ohne Zweifel aus dem Grunde, weil die Ehe nach fünf Jahren noch immer keinen Thronerben gebracht hatte. Helena gebar jedoch bald darauf ihrem Gatten einen Sohn Uros (1337), was den Ehebund wieder befestigte -).

Zu dieser Zeit erwarb Kaiser Andronikos III. Thessalien, nachdem der letzte Fürst des Landes, der Sevastokrator Stephan Gabrielopulos, wohl der Nachkomme einer Bastardhnie der Angeli, gestorben war. Eben änderte sich die Besiedelung dieses durch die zahlreichen Kriege sehr entvölkerten Landes durch das Vor- dringen der Wlachen aus den Bergen in die Ebene und durch den Beginn der großen albanesischen Wanderung nach Süden ^). Der Kaiser besetzte (1336) das ganze Gebiet bis zur Grenze der Katalonier im Herzogtum Athen ^). Auf der Rückkehr hatte er sieben Tage lang eine neue Zusammenkunft mit Stephan Dusan in Radovist bei Strumica; Kantakuzenos gewann dort die Freund-

1) Protokolle der Eatskollegien von Ragusa (erhalten nur in den Ex- zerpten des Mattel aus dem 18. Jahrh.) 133G: Mon. Rag. 2, 365 (amba- xatores magnifici domini ducis Austrie , voran filius clarissimi comitis Ma- nardi). Pez, Scr. rer. aust. 1, 948. Zeißberg, Elisabeth von Aragon: S.B. W. Akad. Bd. 137 (1897) S. 119f.

2) Uros war geboren im Jahre 6845 = 1. Sept. 1336 31. Aug. 1337. Serb. Annaleu ed. Stojanovic im Glasnik 53, 64; Spomeuik 3, 131, 149.

3) Urk. 1295 Acta graeca 5, 260; Brief des Sanudo 1325 bei Tafel und Thomas 1, 500. Die von Kantakuzenos genannten Stämme der „Albaner", die Malakasier , Mesariten und Bujer, waren aber Rumänen. Über die heutigen Malakasi und Boji: Weigand, Aromunen 1, 276, 285.

4) Zur Chronologie die Urk. des Kaisers an das Bistum von Stagoi, März 1336: Acta graeca 5, 270 f.

Stephan Dusan (1331—1355). 377

Schaft des Serbenkönigs und seiner Feldherren, welche ihm nach wenigen Jahren so wertvoll wurde. Wahrscheinlich suchte sich Andronikos die Zustimmung der Serben für den vorbereiteten epirotischen Feldzug zu sichern. Vielleicht kamen auch die Ver- hältnisse im Gebiet der Anjous zur Sprache, wo die Albanesen zwischen Franken, Serben und Griechen je nach der augenblick- lichen Lage hin und her schwankten. In Durazzo vertrat ein Kapitän die Landesherren, die nie nach Albanien kamen, den Herzog Johann von Gravina, Bruder des lateinischen Titularkaisers Philipp von Tarent, und Johanns Sohn Karl von Durazzo. Die Bürger der Stadt standen schlecht mit den Serben, die einen großen Teil des Herzogtums von Durazzo im Besitz hatten i). Als einige albanesische Edelleute dem König Robert von Neapel versprachen, vom Serbenkönig abzufallen, wenn ein königliches Heer in Alba- nien erscheinen würde, sendete er (1337) den jungen Ludwig von Tarent nach Durazzo, doch von seinen Erfolgen wissen wir nur, daß er die Rechte der Edelleute, besonders der Musachi an der Küste zwischen Durazzo und Valona bestätigte -). Mit diesen Be- mühungen der Anjous stand wohl im Zusammenhang eine Be- wegung auf dem benachbarten byzantinischen Gebiet bei Berat und Valona. Die albanesischen Berghirteu verwüsteten die Um- gebung der griechischen Städte und Burgen. Bald änderte sich aber die Situation vollständig. Der Kapitän von Durazzo, Guglielmo de Sanseverino, wurde noch im selben Jahre (1337) von einem Nachbarn, dem Com es Tanusius Topia, dem Herrn des Gebietes zwischen den Flüssen Mat und Skumbi, gefangen und erst nach längerer Zeit freigelassen. Kaiser Andronikos HL hatte nämlich indessen einen Feldzug in seine westlichsten Grenzpro- vinzen bis in die Nähe von Durazzo unternommen, die Albanesen der Gebirge empfindlich gezüchtigt und ihnen zur Strafe ihre Herden weggenommen, die größtenteils den Städten als Schaden- ersatz zugewiesen wurden. Die Griechen begrüßten überall den

1) Vertrag von Durazzo mit Ragusa vom März 1335: Mon. Rag. 5, 384 f.

2) Die einzige Erwähnung des Stephan Dusan in neap. Urkunden, nach Makusev, russ. , Die ital. Archive 2, 34 und Slawen in Albanien 40 f. Vgl. Hopf a. a. 0. 442.

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Kaiser mit Jubel ; die trotzigen Albanesen sannen grollend auf Rache.

Da erschien im kaiserlichen Lager in Berat eine Gesandt- schaft, welche die Unterwerfung von Epirus anbot. Nicht lange vorher war (1335) der Despot Johannes aus der gräzisierten Linie der Orsini, der Pfalzgrafen von KephaUenia, aus dem Leben ge- schieden, in gewaltsamer Weise, wie alle Männer seines Geschlechtes, angeblich vergiftet auf Anstiften seiner Gattin Anna Palaiologina, der Tochter eines byzantinischen Statthalters von Berat, welche dann das Land für ihren unmündigen Sohn Nikephoros verwaltete. Unter den Epiroten bildeten sich zwei Parteien; die Anhänger eines Anschlusses an das Konstantinopler Kaisertum waren stärker als die Verfechter eines frSien Epirus. Die Despina mußte ab- danken und das Despotat wurde nach einer Sonderexistenz von ungefähr 133 Jahren ohne Schwertstreich mit dem byzantinischen Reich wieder vereinigt ^). Nach dem Abzug des Kaisers begann aber die epirotische Partei einen Aufstand, unterstützt von den Franken Griechenlands, besonders der lateinischen Kaiserin Katha- rina II., der zweiten Frau des Philipp von Tarent, nachdem sich der kleine Thronerbe Nikephoros zu ihr geflüchtet hatte. Die Epiroten eroberten wieder die Hauptstadt Arta und der Kaiser mußte (1340) zum zweitenmal in dieses Land ziehen. Arta fiel erst nach einer langen Belagerung, während welcher Fieber und Dysenterie im kaiserlichen Lager wüteten. Der epirotische Prinz Nikephoros wurde Schwiegersohn des Kantakuzenos. Der Kaiser brachte den Winter krank in Thessalonich zu und kehrte schwer leidend erst im Frühjahr (1341) als Sieger in die Hauptstadt zurück.

Nicht viel besser als dem kranken Andronikos ging es in derselben Zeit dem Stephan Dusan, der von den Ärzten fast auf- gegeben war. Nach seiner Genesung suchte er voll Besorgnis vor inneren und äußeren Feinden Anschluß an Venedig. Durch eine Gesandtschaft versprach er (Juni 1340) für den Kriegsfall auch Hilfstruppen, 500 Reiter gegen Rebellen oder Nachbarn der Re-

1) Ausführlich bei Kantakuzenos, sehr kurz bei G-regoras. Die Chronologie bei dem Mangel an Urkunden unsicher, 1337 oder 1838.

Stephan Dusan (1331—1355). 379

publik, selbst nach Oberitalien (ad partes Lombardie); er erklärte sich sogar bereit, persönlich mit einem Heere Venedig zu Hilfe zu kommen. Dafür erwartete er als Freund und Nachbar seiner- seits Unterstützung von den Venezianern. Für den Notfall sicherte er für sich, seine Kinder und seine Habe eine Zuflucht auf vene- zianischem Gebiet. Die Botschaft fand bei dem Dogen Bartolomeo Gradonigo, der in seinen jungen Jahren dreimal Comes von Ragusa gewesen war (zuletzt 1320 1322), und seinen Ratsherren die beste Aufnahme. „Serenissimus dominus Stefanus, dei gratia rex Servie" wurde mit Kindern und Erben durch eine Bulle des Dogen mit hängendem Goldsiegel zum Bürger von Venedig er- nannt ^).

Während der schweren Krankheit des Serbenkönigs und der großen Erfolge des byzantinischen Kaisers in Albanien und Epirus fiel einer der einflußreichsten serbischen Feldherren an der Süd- grenze zu den Griechen ab, aus Beweggründen, die uns nicht be- kannt sind : Hrelja (X^06'Aijg), der schon drei Königen gedient hatte. Er führte den byzantinischen Hoftitel eines Protosebastos, den ihm wahrscheinlich Andronikos H. verliehen hatte, als er dessen Partei gegen den Enkel im Auftrag Uros' IH. unterstützte. Als frommer Mann hatte er manche Stiftung errichtet. In Stip gründete er eine Erzengelkirche, mit Ländereien reich ausgestattet und bestätigt von Stephan Dusan (1332). Er erbaute auch den Turm des Klosters von Rila in Bulgarien (1335), auf dessen grauem Ge- mäuer gegenwärtig noch eine Inschrift den Namen des Hrelja meldet Nun schloß er sich den Griechen an mit drei Städten, darunter Strumica. Die Byzantiner verliehen ihm bald den hohen Titel eines Kaisar "-).

Als Kaiser Andronikos III. im besten Mannesalter vom Tode ereilt wurde (15. Juni 1341), brach im griechischen Kaisertum ein erbitterter Bürgerkrieg aus, der mit einigen Unterbrechungen 14 Jahre dauerte. Des Andronikos Sohn und Nachfolger Johannes

1) Ljubic 2, 75-79 uro. 144, 145, 148.

2) Urk. : Spomenik 3, 25—26; Stojanovic, Zapisi 1 nro. 62. Kan- takuzenos III cap. 31 und Gregoras XII cap. 16, § 4. Hrelja als „Kjesar" auf seinem Grabstein und bei Vladislav Grammatik: Glasnik 22 (1867) 288.

380 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

war ein kleiner Knabe. Die Regentschaft fiel natürlich dem lang- jährigen Freund und fast Mitregenten des verstorbenen Kaisers, zu, dem Feldherrn Johannes Kantakuzenos , der es nach dem byzantinischen Staatsrecht wohl verdient hätte Mitkaiser zu werden^ wie einst Nikephoros Phokas und Johannes Tzimiskes neben dem kleinen Basilios IL Er hatte aber mächtige Feinde, vor allem die Kaiserinwitwe Anna (ursprünglich Giovanna) von Savoyen und den Kammerherrn Alexios Apokaukos, einen Kleinasiaten aus Bithynien. Die Nachricht von dem Thronwechsel in Konstanti- nopel brachte alle Nachbarn in Bewegung. König Stephan Dusau, ohnehin mißmutig über den Abfall des Hrelja, erschien vor Thessa- lonich, doch der Gesandte der Regentschaft, der Großdrungarios (Admiral) Johannes Gavalas bewog ihn wieder zum Frieden ^). Zar Johannes Alexander lagerte bei Sliven an der bulo-arischen Südgrenze und verlangte die Auslieferung des Prätendenten Sisman ; er blieb nachher stets Parteigänger des kleinen Johannes Palaio- logos, mit dessen Schwester sein Sohn Michael Äsen vermählt war. Die Aibanesen beunruhigten wieder die griechischen Städte,, diesmal auch Pogoniani im nördlichen Epirus, und die Bootsflotten der türkischen Emire brandschatzten die Küsten Thrakiens. Vier Monate nach dem Tode des Andronikos kam es zwischen den Parteien zum vollständigen Bruch. Kantakuzenos wurde als Ver- räter aller seiner Würden verlustig erklärt, sein Palast geplündert und sein gewaltiges Vermögen mit Beschlag belegt. Zur Revolution gezwungen, ließ er sich in der festen Doppelburg Dimotika, welche in den griechischen Werken der Zeit noch immer in der alten Form Didyraoteichos (die „Zwillingsmauer") genannt wird, an der unteren Marica zum Kaiser proklamieren (26. Oktober 1341). Seine Anhänger waren zumeist die Archonten, die reichen und gebildeten Klassen, die des Apokaukos der „Demos", die Stadt- bürger und Inselbewohner.

Bei früheren Bürgerkriegen war Konstantinopel das Haupt- ziel. Diesmal löste sich der Krieg in Kreuz- und Quermärsche durch die Provinzen auf, ohne Feldschlachten, unter fortwährendem Rauben und Plündern. Die Truppen beider Parteien bestanden

1) Kantakuzenos III cap. 12, 19.

Stephan Dusan (1331-1355). 381

meist aus Türken, welche derart den Boden Europas zuerst unter "byzantinischen Fahnen kennen lernten. Die schon in den Zeiten <les lateinischen Kaisertums, der älteren Bulgarenkriege, der Ein- fälle der Tataren aus Südrußland und des Kampfes mit den Kata- lanen begonnene Entvölkerung Thrakiens wurde vollendet. Die ihrer Herden und Ackertiere beraubten, von den griechischen Parteitruppen , türkischen Emiren , bulgarischen Scharen und tatarischen Reitern abwechselnd geplünderten Bauern flüchteten sich als arme Bettler in die Städte. Konstantinopel hielt sich nur durch die von den Genuesen vermittelte Getreidezufuhr aus der Krim. Die Verwüstungen der Türken reichten bald über die Grenze in den Süden Bulgariens hinein. Kurz zuvor hatte der berühmte Eremit Gregorios Sinaites, gebürtig aus Klazomenai bei Smyrna, in der öden Grenzzone zwischen Bulgarien und Rumänien, der nur von Einsiedlern und Räubern bewohnten Paroria ein Mönchsdorf gegründet, reich beschenkt vom Zaren Alexander, der den Klausnern auch einen Turm zur Verteidigung erbaute. Die Ruinen dieser Eremitenkolonie sind in den jetzigen Dörfern Groß- und Klein -Monastir zwischen Adrianopel und Jambol sichtbar. Nach dem Tode des Gregorios verödete seine Gründung; die Mönche, deren Oberhaupt Romil aus Vidin war, mußten sich vor den Türken über den Hämus in das nördUche Bulgarien flüchten ^).

Kantakuzenos ließ seine Gattin Irene aus der FamiUe Asan in Dimotika zurück und zog nach Westen (Frühjahr 1342). Die Besetzung von Thessalonich gelang ihm ebensowenig, wie früher die von Adrianopel. Stephan Dusan hatte damals die Einschließung von Voden, dem wichtigen Schlüssel der Straße von Thessalonich nach Ochrid, begonnen, doch vertrieb die Reiterei des Apokaukos

1) Vita des Gregorios Sinaites, verfaßt vom Patriarchen Kallistos, herausg. von Pomjalovskij , Petersburg 1894. Vita des Romil (Romiilus), aus dem Griech. ins Kirchenslawische übersetzt, herausg. von Daniele im Glasuik 9 (1857) 252 f. Über die Altertümer von Monastir vgl. mein Fürstentum Bulgarien 508. Die Gebeine des Gregorios Sinaites sollen später in das serbische Kloster Gornjak, eine Gründung des Fürsten Lazar gebracht worden sein: Ilarion Ruvarac im Starinar 6 (1889) 36 f.

382 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

seine Serben von dort ^). Kantakuzenos wurde bei Gynaikokastron durch die Operationen der Gegner und den Abfall der Seinigen derart in die Enge getrieben, daß ihm nur der Ausweg nach Norden übrig blieb. Begleitet von seinen Söhnen Matthaios und Manuel und dem katalanischen Söldnerführer Juan de Peralta, der ihm bis zu seinem Sturz stets treu blieb, zog er mit 2000 Mann längs des Vardar aufwärts -). In Prosek empfing ihn ganz freund- lich der serbische Befehlshaber, ein byzantinischer Überläufer Michael. In Veles traf er einen alten Freund, den serbischen Großvojvoden Oliver. König Stephan Dusan, welcher eben seine Gattin zu ihrem Bruder, dem Zaren Alexander begleitete, kehrte im Quellgebiet der östlichen Morava sofort um und ließ den Kantakuzenos durch den Vojvoden Bogdan, einen Bruder des Oliver, willkommen heißen. Ein byzantinischer Kaiser als Flüchtling war doch etwas ganz anderes, als vor acht Jahren der Feldherr Syr- giannes. In Pristina auf dem Amselfelde wurde Kantakuzenos vom König und der Königin feierlich empfangen (Juli 1342). Er blieb bei den Serben zehn Monate. Es wurde ein Bundesvertrag geschlossen, dessen Inhalt nicht bekannt ist. Stephan wollte alle byzantinischen Städte westlich von Christopolis (Kavala), welches damals bei den Serben Morunac hieß^), oder wenigstens westlich von Thessalonich erhalten. Kantakuzenos sagt in seinen Memoiren nicht die Wahrheit, wenn er schreibt, daß die eroberten Städte nur ihm allein hätten zufallen sollen. Nach Nikephoros Gregoras sollten die Städte sich ergeben, wem sie wollten; das war beiden Bundesgenossen bequem, da es überall je eine griechische und eine serbische Partei gab ^). König Stephan reklamierte den Hrelja für sich, der kurz zuvor den Kantakuzenos bei sich aufgenommen

1) Voden bezeichnet Kantakuzenos mit dem antiken Namen Edessa. An vielen Stellen werden aber bei ihm die Ortsnamen des Altertums ganz unrichtig verwendet; Serrai (Seres) wird mit dem Namen des thessalischen Pherai bezeichnet, die Küstenebene der Rhodope Chalkidike genannt usw.

2) Kantakuzenos IV cap. 41. Über das in Sizilien und Athen an- gesehene Haus der Peralta: Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter 2, 59 f.

3) Stojanovic, Zapisi 1, nro. 89.

4) Gregoras XIII cap. 5, § 7.

Stephan Dusan (1331—1355). 383

hatte. Doch der schlaue Alte kehrte freiwillig zu seinen Lands- leuten zurück und übergab dem Serbenkönig überdies noch das feste Meinik, nachdem er die aus Leuten des Kantakuzenos be- stehende Besatzung durch Absperrung der Zufuhr zum Abzug be- wogen hatte.

Die Operationen der Verbündeten eröffnete ein Zug des Kan- takuzenos mit einem serbischen, von Oliver und Vratko geführten Heere gegen Serrai (Herbst 1342). Die Serräer wollten von einer Kapitulation nichts wissen. Im serbischen Lager brach infolge des maßlosen Genusses von frisch gepreßtem Weinmost eine furchtbare Dysenterie aus, welche einige Anführer und an 1500 Mann hinweg- raffte. Anstatt gegen den durch eine Mauer befestigten Paß von Christopolis oder weiter nach Dimotika vorzurücken, mußte man den Rückzug antreten. Der Mißerfolg machte auf die Begleiter des Kantakuzenos einen so ungünstigen Eindruck, daß die meisten seiner Leute ihn verließen; nur ungefähr 500 Mann blieben ihm treu. König Stephan gewann indessen das neuerdings belagerte Voden durch Geld und zog, als Kantakuzenos bei ihm eintraf, mit seinem Gast ins Winterlager ab. Ihm hatte der Feldzug die Herrschaft über drei Städte gebracht: Voden, Strumica und Meinik. Auch Kantakuzenos ging nicht leer aus, da sich ihm Thessalien anschloß, welches er von seinem Neffen Johannes Angelos als Statthalter verwalten ließ. In Epirus zog während dieser Wirren wieder die alte Landesfürstin Despina Anna ungehindert ein. Zwei Gesandtschaften der Konstantinopler Partei boten dem Serbenkönig für die Auslieferung des Kantakuzenos oder die Übersendung seines abgeschnittenen Kopfes alle byzantinischen Städte westlich von Christopolis und Phihppi, mit Ausnahme von Thessalonich. Min- destens solle er den Gegenkaiser ins Gefängnis setzen. Auch Zar Alexander unterstützte diese Forderungen, aber König Stephan Heß sich nicht gewinnen.

Im Frühjahr (1343) erschienen König Stephan und Kaiser Kantakuzenos wieder vor Serrai. Apokaukos ankerte mit einer Flotte von 70 Schiffen an der Mündung des Strymon und wollte durch Vermittlung des Hrelja eine Unterredung mit dem König haben. Zu dieser Entrevue, bei welcher die Serben den Apokaukos gefangen nehmen wollten, kam es aber nicht. Bald darauf starb

384 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Hrelja, vor dem Tod als Mönch Chariton eingekleidet, und wurde von seiner Gattin im Kloster des heiligen Johannes von Rila be- graben, wo die Trümmer seines Grabsteines noch vor der Kirchen- mauer liegen. Sein Gebiet wurde von König Stephan sofort be- setzt. Das Andenken des „geflügelten Relja^' lebt heute noch in den serbischen Sagen und Liedern fort. Inzwischen verteidigten sich die Serräer mit maßlosem Fanatismus, Ein Gesandter des Kantakuzenos, der sie zur Übergabe aufforderte, wurde nicht nur getötet, sondern auch gevierteilt und die Viertel auf den Mauern aufgehängt. Zu einem Vormarsch weiter ostwärts nach Thrakien ließen sich die Serben nicht bewegen, und Kantakuzenos mußte wieder zum König nach Strumica zurückkehren. Im Sommer traf am serbischen Hofe der venezianische Gesandte Marino Venier ein. Die Kaiserin Anna hatte Venedig um Hilfe gegen die Türken und um Vermittlung beim serbischen König gebeten, damit er den rebellischen Reicbsfeldherrn (mega domesticura, rebellem imperii) nicht mehr unterstütze, der mit ihm täglich über die Zertrümmerung des griechischen Reiches verhandle i). Indessen trennten sich Stephan und Kantakuzenos von selbst. Dem Serben war der griechische Thronprätendent lästig geworden. Der wichtigste Platz auf dem Wege von Thessalonich nach Thessahen, das von den Serben durch Verwüstung der Umgebung sehr bedrängte Berrhöa unterwarf sich dem Kantakuzenos. Feierlich ritt er unter dem Jubel der Bürger in die Stadt ein, an der Spitze einer Schar deutscher Reiter in serbischen Diensten. Stephan Dusan lud ihn nochmals zu sich ein, zu einer Beratung über den bevor- stehenden ungarischen Krieg, Kantakuzenos wagte es aber nimmer- mehr, an den serbischen Hof zurückzukehren. Der Serbenkönig erfüllte inzwischen den Wunsch der Venezianer und verständigte sich mit der Kaiserin Anna ; dabei wurde sein kleiner Sohn Uros mit einer Schwester des Kaisers Johannes Palaiologos verlobt, wozu ihm Venedig seine Glückwünsche melden ließ '^). Die Situation des Kantakuzenos war ganz verzweifelt geworden. Es rettete ihn

1) Mai 1343: Ljubic 2, 174, 178.

2) Der Senat 4. September 1343, „congaudendo de nuptiis, quas fecit de filio suo cum sorore domini imperatoris Constantinopolis "• Bei Ljubic 2, 192 193 durch ein Versehen zweimal gedruckt.

Stephan Dusan (1331—1355). 385

ein treuer türkischer Freund, Omar von Smyrna, damals der mächtigste unter den türkischen Emiren Kleinasiens, welcher schon im letzten Winter die Gattin des Gegenkaisers durch einen Zug an die Mündung der Marica energisch unterstützt hatte. Omar erschien mit einer großen Bootsflotte an der Mündung des Vardar und geleitete den Kantakuzenos zur See wieder nach Thrakien zurück.

Der Westen stand fortan den Serben offen. Trotz ihrer ge- ringen Erfahrung im ßelagerungskriege nahmen sie eine Stadt nach der anderen. Schon 1343 bestätigte Stephan Dusan die Privilegien von Kroja, der wichtigsten Burg Nordalbaniens ^). Zähe verteidigte sich das alljährlich bedrängte Serrai. Als der König (1344) in der Nachbarschaft in Zichna lagerte, zerstörte eine Flotte der kurz zuvor in Avignon geschlossenen Liga der Venezianer, der Ritter von Rhodos, des Königs von Zypern und des Papstes eine Boots- flotte des Emirs von Smyrna bei der Halbinsel Longos, dem mitt- leren der drei Ausläufer der Chalkidike. Die türkischen Seeleute, über 3000 Mann, entkamen aufs Land und wollten über den Hellespont nach Hause ziehen. Der Serbenkönig sendete ihnen seinen Vojvoden _Pre]jub mit schwerer Reiterei entgegen. Bei Stefanianä zwischen Thessalonich und Serrai zogen sich die tür- kischen Fußgänger auf einen steilen Hügel zurück. Als die Serben absaßen und in ihren schweren Rüstungen zu Fuß den Abhang hinaufstürmten, liefen die leichtbewaffneten Türken eiligst auf der anderen Seite hinunter, setzten sich auf die Pferde der Serben, brachten den abgesessenen Reitern des Preljub schwere Verluste bei und gelangten ungehindert zu Kantakuzenos nach Thrakien '^).

In Albanien besetzten die Serben (Herbst 1345) Berat und Valona, in Makedonien Kastoria^). Bald wurde Berrhöa dem jungen Manuel Kantakuzenos durch Bestechung der Archonten abgewonnen. Schon früher war Ochrid serbisch geworden, wobei dem dortigen autokephalen Erzbischof seine Rechte bestätigt wur-

1) Lat. Text: Arch. slaw. Phil. 21 (1899) 84, 96.

2) Kantakuzenos III cap. 69.

3) Stojanovic, Zapisi 1 nro. 84: im Jahre 6854 (1. September 1345 bis 31. Aug. 1346), vor der ProklamieruDg Stephans zum Kaiser.

Jirecek, GescMclite der Serben. I. 25

386 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

den. Endlich, als jede Hoffnung auf einen Entsatz verloren war, ergab sich Serrai (serb. Ser, bulg. Sjar), der Schlüssel zum Weg von Thessalonich nach Konstantinopel, im Oktober 1345 dem Serbenkönig. Östlich davon wurde Drama und Philippi besetzt, ebenso an der Küste Chrysopolis (j. Orfano) mit seinen Seesalz- siedereien. Christopolis (Kavala) blieb dagegen stets Grenzfestung der Byzantiner, welche auch westlich davon Eleutheropolis am Meere behaupteten ^). Die alten Stadtprivilegien des besetzten Ge- bietes wurden durch Goldbullen des Königs bestätigt, die Mauern verstärkt und die Verwaltung serbischen Befehlshabern anvertraut, mit Garnisonen serbischer Truppen. Griechen waren unter den Beamten Stephan Dusans eine seltene Ausnahme-). Die neue Herrschaft war überall verbunden mit der Vertreibung der grie- chischen Partei aus den Städten.

Die Leichtigkeit der Eroberungen ließ bei Stephan Dusan den Entschluß reifen, das ganze byzantinische Reich zu erobern. Die Einnahme der großen Residenzstadt am Bosporus, die ihm aus den trüben Knabenjahren wohlbekannt war, blieb ihm zeitlebens ein Traum, dem er nicht mehr entsagen konnte. Gleich nach der Eroberung von Serrai unterschrieb er sich auf einer griechischen Urkunde für das nahe Kloster des heiligen Johannes des Täufers auf dem Berge Menoikeion als König von Serbien und „Romanien", in einem Schreiben an den Dogen als „Herr fast des ganzen Kaisertums von Rom anien "•''). Noch im Winter erfolgte mit Zustimmung des serbischen Reichstages die Proklamierung des Stephan zum Kaiser. Der Titel lautete serbisch „Kaiser (car) der Serben und Griechen'', in lateinischen und griechischen Akten „Kaiser (imperator) von Serbien (Rascien) und Romanien".

1) Über die Grenzen des Reiches Stephan Dusans im Südosten vgl. meine Bemerkungen im Arch. slaw. Phil. 17 (1895) 266 f.

2) Die Urkunden von Menoikeion, in denen man eine Reihe byz. Be- amten in serb. Diensten zu finden glaubte, stammen meist von Andro- nikos II. und III., nicht von Stephan Dusan. Vgl. Arch. slaw. Phil, a. a. 0.

3) Stephan, xodkrig y.al uvTOXQtxTWQ 2^fQßiag y.ctl 'Pwuuvi'ug , Okt. 6854 (1345): Sathas, Bibl. graeca 1, 234 239. Stephanus rex etc., „fere totius imperii Romanie dominus", „in Sero" 15. Okt. 1345: Ljubic 2, 278.

Kaiserkrönung Stephan Dusans (1346). 387

In der Form schloß er sich dem seit Symeons Zeit üblichen bul- garischen Titel an : Zar der Bulgaren und Griechen ". Der alte serbische Königstitel wurde dem Sohne, dem damals neun Jahre alten Uros überlassen^). Schon am 22. Jänner 1346 reiste über Ragusa eine Gesandtschaft Stephans nach Venedig, meldete dort die bevorstehende Kaiserkrönung (coronatio sua in imperio Con- stantinopolitano) und forderte zu einem Bund (unio) zur Eroberung dieses Kaisertums auf. Der Senat antwortete (3. März) mit herz- lichen Glückwünschen, lehnte aber die Liga ab, wegen des da- maligen Krieges mit Ungarn und der beschworenen Verträge mit Byzanz. Die Ragusaner wählten zur Krönungsfeier eine feierliche Gesandtschaft (24. März)-). Nach den Begriffen des orthodoxen Orients mußte der Kaiser einen Patriarchen zur Seite haben. Der serbische Erzbischof Joannikij , früher Kanzler (Logothet) des Stephan, wurde zum „Patriarchen der Serben und Griechen" er- hoben, mit Billigung des bulgarischen Patriarchen von Trnov und des Erzbischofs von Ochrid. Eine Zustimmung der Griechen war natürlich nicht zu erwarten, mit Ausnahme der reich beschenkten Athosmönche und der Halbgriechen der Kirche von Ochrid. Ebenso fehlte das Einverständnis mit den Patriarchaten des fernen Ostens. Die Metropoliten des Konstantinopler Patriarchats wur^ den überall vertrieben und durch serbische Bischöfe ersetzt.

Zum Kaiser wurde Stephan am Ostersonntag, den 16. April 1346 auf einem Reichstag in Skopje gekrönt, vom serbischen Pa- triarchen Joannikij und dem bulgarischen Patriarchen Symeon von Trnov, in Anwesenheit des Adels, des Klerus und der Mönche des Athos. Die Königin Helena wurde zur Kaiserin gekrönt, der

1) Nach Gregoras herrschte Uros zwischem dem Ionischen Meer, der Donau und Skopje, sein Vater von Skopje bis zum Paß von Christopolis. Die einzige urkundliche Notiz über ein Territorium des Sohnes im Privile- gium für Ragusa 1349, mit Gewährung freien Handels im Lande sowohl des Kaisers, als des Königs: Mon. serb. 146. Die Schenkung der Kirche des hl. Nikolaus an der Psinja im nordöstl. Makedonien an den Metropoliten Jakob von Seres 1353 bestätigen zuerst Zar Stephan und Zariza Elena, nach ihnen durch eine zweite Urkunde „Stefan Uros, König aller Serben" (kralj vsem Srbljem): Glasuik 24 (1868) 247—248.

2) Mon. Rag. 1, 221, 226. Ljubic 2, 326—327.

25*

388 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Sohn Uros zum König i). Den neuen Kaiserhof umgab ein glänzen- der Hofstaat mit byzantinischen Titeln und prunkvollen Parade- gewändern, bestehend aus den Häuptern des serbischen Adels, die zugleich Statthalterschaften auf ehemals griechischem Gebiet bekamen. Den höchsten Rang des Despoten erhielten Verwandte des Kaisers, Dusans Halbbruder Symeon und der Helena Bruder Johannes, neben ihnen auch der einflußreiche Großvojvode Johannes Oliver, Herr der Landschaften von Ovcepolje und Lesnovo^). Sevasto- kratoren wurden der Vojvode Dejan, der Gatte von Dusans Schwester Theodora, Besitzer des Gebietes von Kumanovo^), und Branko, des Feldherrn Mladen Sohn und Statthalter in Ochrid. Als Kaisares erscheinen zwei Feldherren von der Südgrenze, Preljub, durch seine Frau Irene auch ein Verwandter des Hauses der Nemanjiden '^) , und Vojihna, sowie Gregor Golubic. Die Pro- klamierung zum Kaisertum war eingeleitet durch großartige Schenkungen an Klöster und Kirchen, besonders an die Athos- klöster, die seit dem Falle von Serrai unter serbischer Hoheit standen, während der Westen der Chalkidike mit Thessalonich den Byzantinern geblieben war. Ende 1347 besuchte der neue Kaiser mit der Kaiserin persönlich sämtliche Klöster des Heiligen Berges, verteilte mit vollen Händen goldene und silberne Kirchen- gefäße, kostbare Kircheugewänder , Dörfer und Landgüter und bestätigte ihre Rechte durch feierliche Urkunden in slawischer oder griechischer Sprache. Am freigebigsten bedacht wurde die alte

1) Einleitung des Gesetzbuches des Zaren Stephan ed. Novakovic S. 4. KantakuzenosIII cap. 89 (Schluß). Gregoras XV cap. 1, § 2. Daniel 378, 380.

2) „Oliver Gherchinich, baro domini regis Raxie et Qener Charavide' erhielt im Juni 133G in Ragusa das Deposit seines verstorbenen Schwieger- vaters Karavida zurück: Spomenik 11, 26. Auf einer griechischen Inschrift des Klosters von Lesnovo vom Jahre 1348/49 erscheint Ollvers wohl zweite Gattin Maria als navtvTvxtaTcirrj ßaaiXCaau MuQia /} ^Ivßeoiaacc Glasnik 13 (1861) 293. Es war vielleicht eine Halbschwester Du§ans, aus der zweiten Ehe Uros' III.

3) Dejan Manjak 1333, Mon. serb. 105. Ib. 61 unter Uros II. ein Sevast Obrad Manijak. Über Dejans Familie siehe das folgende Kapitel.

4) Wie mir Novakovic mitteilt, nennt Zar Uros 1357 in einer un- gedruckten Urkunde des Athosklosters des hl. Athauasios die Witwe Preljubs Irene seine Schwester.

Stephan Du§an (1331—1355). 389

Familienstiftung der Neraanjiden, das Kloster Chilandar^). Das serbische Erzengelkloster in Jerusalem, eine Stiftung Uros' IL, er- hielt als Geschenk den ragusanischen Tribut von Stagno. Auch die St. Nikolauskirche von Bari im katholischen Italien lernte die Freigebigkeit des neuen serbischen Kaisers kennen. Nach dem Muster seiner Vorgänger begann Zar Stephan den Bau einer per- sönlichen Stiftung, eines neuen Klosters bei Prizren, geweiht den Erzengeln Michael und Gabriel. Die innere Organisation des Reiches förderte das Gesetzbuch des Zaren, ein merkwürdiges, originelles Buch, verkündet auf einem neuen Reichstag in Skopje im Mai 1349.

Die Byzantiner waren zu sehr untereinander beschäftigt, um gegen die Usurpierung des byzantinischen Kaisertitels durch den Herrscher der Serben Protest zu erheben. Es vergingen einige Jahre, bis der Patriarch Kallistos gegen den neuen Kaiser und den unkanonischen neuen Patriarchen den Bannfluch aussprach 2). Der Schauplatz des Bürgerkrieges befand sich, seitdem sich der Gegenkaiser von den Serben getrennt hatte, in Thrakien. Als sich dem Kantakuzenos das Innere der Rhodope unterwarf, ernannte er dort zum Befehlshaber den Momöilo, den berühmtesten Räuber- hauptmann dieser Zeiten. Dieser Momcilo stammte nach Gregoras aus dem Grenzgebiet zwischen den Serben und Bulgaren, lebte seit seinen Knabenjahren als Räuber in den Einöden an der byzantinisch -bulgarischen Grenze, diente dann als Söldner im byzantinischen und serbischen Heere und kam zuletzt zu Kan- takuzenos als Überläufer aus den Diensten des Stephan Dusan. Nun saß er in den Bergen der Rhodope, umgeben von einem treu ergebenen Räuberheer, das aus Bulgaren, Serben und anderen Völkern bestand und an 300 Reiter und 5000 Fußgänger zählte. Damit die Provinz von Philippopel mit den Burgen am Nordrand der Rhodope nicht in den Besitz des Kantakuzenos und seiner

1) Urkunden bei Florinskij, Pamjatniky. Vita des Mönches Isaias, herausg. von Nikephor Ducic: Glasnik 56 (1884) 72. Stojanovic, Zapisi 3 nro. 4939.

2) Biographien der serb. Erzbischöfe und Patriarchen: Daniel 381. Die Briefe des Ugljesa an das byz. Patriarchat 1368—1371 (s. unten). Kallistos war zweimal Patriarch, 1350-1354 und 1355 1364.

390 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Schützlinge falle, trat sie die Kaiserin Anna (1344) dem Zaren Alexander von Bulgarien ab, der aber dafür der Partei der Pa- laiologen nur wenig Hilfe leistete. Die Landschaft von Philippopel erhielten die Byzantiner nimmermehr zurück. Als die Flotte der lateinischen Liga Smyrna eroberte (Oktober 1344), verlor Kanta- kuzenos die wertvolle Unterstützung des Omar auf dem Meere. Da fiel Momcilo von ihm ab und machte sich zu einem unabhän- gigen Fürsten, obwohl ihn Kantakuzeuos zum Sevastokrator, die Kaiserin Anna zum Despoten ernannt hatte. Er schlug seine Residenz in Xanthia am Südfuß der Rhodope auf und herrschte mit großer Strenge; auf Großes und Kleines folgte bei ihm gleich die Todesstrafe. Aber bald verlor er vor den Mauern der Küsten- stadt Peritheorion gegen Kantakuzenos und dessen Freund Omarbeg im tapferen Kampfe Schlacht und Leben ^). Vier Tage nach dem Tode des Momcilo, der fortan eine Gestalt des südslawischen Volksepos blieb, wurde Apokaukos (11. Juni 1345) in Konstan- tinopel ermordet, als er den Bau eines neuen Kerkers für poli- tische Gefangene besichtigte. Damit war der Bürgerkrieg aber noch immer nicht zu Ende. Es war ohne Zweifel die Krönung des Stephan Dusan, welche den Kantakuzenos veranlaßte, sich einen Monat später in Adrian opel (21. Mai 1346) vom Patriarchen von Jerusalem feierlich krönen zu lassen, denn bisher war er ein un- gekrönter Kaiser. Omarbeg fiel bei einem Versuch, Smyrna den Lateinern zu entreißen. Die Vormacht unter den türkischen Emiren wurden die Osmanen, schon wegen der Lage ihrer Wohn- sitze in der Nähe der Meerengen. Kantakuzenos verbündete sich mit Orchan, dem Sohn Osmans, und gab ihm sogar seine Tochter Theodora, die Christin blieb, zur Frau.

Endlich zog Kantakuzenos als Sieger in Konstantinopel ein (3. Februar 1347). Rasch wurde ein Vertrag geschlossen, nach welchem Johannes Palaiologos und Johannes Kantakuzenos neben-

1) Momcilo: Kantakuzeaos III cap. 65, 68, 70—71, 75, 86; Gre- goras XIV cap. 4, 9. Die serb. Annalen (Glasuik 53, S. 65) verzeichueu den Tod des Momcilo im Kampfe gegen die Türken (Kantakuzenos wird nicht genannt) bei „Peritor" erst zum Jahre 1361 1362. Die Sage über- trug Peritor nach Pirdop am Balkan , nach Pirot , nach Pirlitor in Monte- negro, mit neuen Lokalisierungen unter dem Einfluß der Namensähnlichkeit.

Stephan Dusan (1331—1355). S9l

einander beide Kaiser sein sollten, der junge Palaiologe als Schwiegersohn seines bisherigen Gegners. Das Reich war ganz erschöpft, der Staatsschatz leer. Kantakuzenos besaß als Kaiser nur ein Zehntel der Einkünfte, die er einst als Reichsfeldherr be- zogen hatte. Bei dem Festmahl nach der neuerlichen Krönung des Kantakuzenos in der Sophienkirche waren, wie Nikephoros Gregoras nicht ohne Bosheit bemerkt, die Schüsseln und Becher nicht mehr aus Gold und Silber, sondern aus Zinn und Ton, die scheinbar goldenen Diademe und die kaiserlichen Gewänder mit den funkelnden Steinen nur aus vergoldetem Leder mit Stücken von farbigem Glas. Und dies in einer Zeit, wo Stephan Dusan die Klöster mit Scheffeln Gold beschenkte, durch große Geld- geschenke viele Gegner für sich gewann und seine Getreuen mit einträglichen Würden und Gütern belohnte. Konstantinopel selbst war ganz herabgekommen, wirtschaftlich vollständig abhängig von der blühenden Genuesenstadt Galata jenseits des Goldenen Hornes. Die Parteihäupter wurden durch Verwaltung der byzantinischen Landschaften entschädigt. So erhielt der Despot Nikephoros von Epirus Enos und die Städte am Hellespont. Dem Matthaios Kantakuzenos, des Mitkaisers Sohn, wurde die reiche Küstenebene unter der Rhodope von Dimotika bis Christopolis (Kavala) als „Grenzmauer" gegen die Serben zugewiesen i). Johannes Angelos, der Statthalter von Thessalien, hatte Epirus besetzt und die Des- pina Anna gefangen genommen -'). Des Matthaios Bruder Manuel Kantakuzenos begann mit Glück die Verwaltung des byzantinischen Anteiles des Peloponnesos. An Stephan Dusan sendete Kantaku- zenos zwei Gesandtschaften mit Dank für die in schweren Zeiten gewährte Hilfe, aber auch mit der Forderung, die byzantinischen Städte zurückzugeben. Stephan antwortete mit leeren Worten. Nun zog Älatthaios Kantakuzenos mit den Söhnen des Emirs Orchan, mit Suleiman und dessen Brüdern (auch Murad war dabei) und 10 000 Türken durch die Quermauer von Christopolis gegen die Serben. Trotz aller Vorstellungen der byzantinischen Feldherren begannen die Türken sofort zu plündern und zu morden und

1) Gregoras XVI cap. 4.

2) Derselbe XIII cap. 6.

393 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

kehrten mit reicher Beute nach Asien zurück. Das war gegen die Absicht des Kaisers Kantakuzenos gewesen , welcher die Be- völkerung der ehemals byzantinischen Provinzen durch Schonung gewinnen wollte ^).

Die Lage der Dinge ermöglichte es dem Stephan Dusan, sich auch mit dem Norden zu beschäftigen. Der neue ungarische König Ludwig I. (seit Juli 1342) beunruhigte die Serben und besaß wieder die Macva, Belgrad und Golubac-j. Zugleich rüstete er sich zur Vertreibung der Venezianer aus den Städten Dalmatiens. Zwischen dem venezianischen und dem königlichen Gebiet gab es dort an der Küste eine Zone mit Territorien kroatischer Edel- leute, vor allem der Subiöi, die von Venedig unterstützt wurden. Mißtrauisch gegen König Ludwig war auch Ban Stephan IL von Bos- nien. Im Juli 1343 verhandelte er mit Venedig wegen eines Defensiv- bundes zwischen Bosnien, den kroatischen Edelleuten und den unter venezianischer Schutzherrschaft stehenden dalmatinischen Städten ; man dachte auch den Serbenkönig dafür zu gewinnen. Venedig sollte aber aus Vorsicht im Vertrage nicht genannt werden •^). Doch bald fand es der Bosnier für vorteilhafter, auf der Seite des ungarischen Königs zu bleiben. Darauf eroberte Ludwig, begleitet vom Ban von Bosnien, Knin, das wieder Sitz des königlichen Bans des Küstenlandes wurde (Juli 1345). Unerwartet schloß sich Zara dem siegreichen König an. Die Venezianer mußten die Haupt- stadt ihrer dalmatinischen Besitzungen durch 16 Monate belagern und nach Zurückweisung von zwei Entsatzheeren, von denen eines von Ludwig persönlich geführt war, durch Hunger zur Erge- bung zwingen (Dezember 1346). Stephan Dusan, der eben den Kaisertitel angenommen hatte, bot den Venezianern Hilfstruppen gegen Zara an und war bereit, auch die Kapitulation der Stadt durch seine Gesandten zu vermitteln; doch die Republik wies das Anerbieten mit Dank ab, weil die Zaratiner bereits die Vermitt- lung des Bans von Bosnien und des Humbert IL von Vienne, des letzten Landesherrn der Dauphine und damals Befehlshabers der Flotte der Liga im Archipel, abgewiesen hatten. Indessen

1) Kantakuzenos IV cap. 4.

2) Theiner, Mon. Slav. 1, 216 (Jänner 1346).

3) Ljubic 2, 181—182.

Stephan Dusan (1331—1355). 39B

wurde zwischen Zar Stephan und König Ludwig ein Frieden geschlossen (Sommer 1346). Stephans Erhebung zum Kaiser war nicht ohne Eindruck geblieben; andererseits wollte Ludwig freie Hand zu einem Zuge nach Neapel haben. Als man eine persön- liche Zusammenkunft des Zaren mit dem ungarischen König er- wartete, hofften die Venezianer, daß er dabei als Freund der RepubUk ihre Gesandten bei den Friedensverhandlungen durch Rat und Tat unterstützen werde i). Doch die Abwesenheit Lud- wigs in Neapel zog den Abschluß eines Friedens zwischen Ungarn und Venedig sehr in die Länge. Die Venezianer nahmen ein neues Anerbieten des Zaren, den Frieden zu vermitteln, mit großem Dank an (April 1348) -). Kurz zuvor hatte Stephan Dusan im nördlichen Dalraatien Familienverbindungen angeknüpft. Ein Neffe des einst mächtigen Bans Mladen, Mladen (HI.) Subid, Herr von Almissa, Clissa und Scardona, ein Anhänger der Venezianer, heira- tete (Oktober 1347) Helena, eine Schwester des serbischen Zaren 3), starb aber schon im folgenden Jahre an der Pest. Endlich wurde zwischen Venedig und König Ludwig (August 1348) nur ein Waffenstillstand auf acht Jahre vereinbart, in welchem auf vene- zianischer Seite wohl mit Rücksicht auf den serbischen Zaren auch Mladens Witwe mit ihrem unmündigen Sohne (Mladen IV.) auf- genommen war.

Der ßan von Bosnien hörte ungern von dem Friedensschluß zwischen Zar Stephan und König Ludwig, denn er fürchtete isoliert zu bleiben. Dem Frieden zwischen den Bosniern und Serben stand die Weigerung, Zachlumien herauszugeben, im Wege, so sehr auch die Venezianer eine Versöhnung herbeizuführen sich bemühten. Noch während der Belagerung von Zara bat der Ban, der sich dort im ungarischen Heere befand, durch seinen Gesandten, den Domherrn Elias von Trau, Venedig um Vermitt- lung. Zar Stephan antwortete den venezianischen Gesandten, er sei zu Frieden und Freundschaft bereit, wenn die Bosnier die strittige Landschaft zurückstellten, im entgegengesetzten Falle

1) Ljubic 2, 365. Sagenhaft ist Orbini 262 f.

2) Ljubic 3, 75.

3) Datum bei Lucius, Starine 13, 233.

394: Viertes Buch. Drittes Kapitel.

wenigstens zu einem Waffenstillstand auf zwei oder drei Jahre i). Zur selben Zeit (seit 1340) suchte Ban Stephan persönlich einen engeren Anschluß an die römische Kirche, in der Hoffnung, sich die Unterstützung der kathoHschen Nachbarn zu sichern. Der Bischof von Bosnien kehrte nach sehr langer Zeit aus Djakovo wieder ins Land zurück, ebenso der Bischof von Makarska, wäh- rend in Dlmno, dem antiken Delminium, ein neues, dem Erzbistum von Spalato untergeordnetes Bistum errichtet wurde.

Ein furchtbares Unheil brachte die Pest des Jahres 1348, der „schwarze Tod", der sich aus dem Tatarenreich über ganz Europa verbreitete. Auf der Balkanhalbinsel hinterließ diese Plage große Verheerungen in allen Städten. Aber die Raubzüge der Türken aus den verschiedenen Emiraten, welche zu Pferd und zu Fuß alljährlich vom Hellespont aus ganz Thrakien bis ins bul- garische Gebiet durchstreiften, wurden durch die Seuche nicht eingestellt. Auch die Serben benutzten die Verwirrung für sich, als Johannes Angelos, der byzantinische Statthalter von Thessalien und Epirus, der Krankheit zum Opfer fiel. Zar Stephan brach mit einem großen Heere in Epirus ein und besetzte Janina, Arta und die anderen Städte bis zu den Grenzen der „Franken", der Anjous, damals Herren von Butriuto und Lepanto, der Brienne, der einstigen Herzöge von Athen, die noch Vonitza mit der Insel Leukas besaßen und der dem König von Sizilien aus dem Hause von Aragon untergeordneten Katalonier im Herzogtum von Athen -'). Die Albanesen, den Griechen seit der Zeit Andronikos' HI. feindlich gesinnt, dienten mit Freude unter den Fahnen der Serben. Nach der Chronik von Janiua gingen die Ländereien der flüchtigen griechischen Archonten und Stratioten meist in den Besitz der albanesischen Häuptlinge und ihrer Krieger über. Der Feld- herr Preljub besetzte ganz Thessalien, worauf Zar Stephan die Besitzungen der Klöster bei Trikala durch griechische Chrysobulle bestätigte 3). Ende 1348 gelangte Preljub bis in die Umgebung

1) Ljubic 2, 381 f., 408 (Sept., Nov. 134«).

2) Kantakuzenos IV cap. 20.

3) Zwei Urk. des Zaren Stephan vom Nov. 1348 für die Klöster Zab- lantia und Lykusada: Archimandrit Antonin, Spomenik 10, 28.

Stephan Dusan (1331—1355). 395

der venezianischen Hafenstadt Pteleon (Feteleo der Italiener) auf der Westseite des Einganges in den Golf von Volo, welche ins Gedränge zwischen den raublustigen Albanesen des serbischen Heeres und den Kataloniern kam. Schon am 3. Jänner 1349 wurde in Venedig der Beschluß gefaßt, den Zaren zu seinen Er- folgen zu beglückwünschen und ihm Pteleon und andere Besit- zungen Venedigs zu empfehlen. Stephan schrieb sich nun „Impe- rator Raxie et Romanie, dispotus Larte et Blachie comes" {BXayJa als Thessalien), aber der Besitz des Despotates schien ihm unsicher ; bald nachher wird dieses Land als ein eventuell an Venedig abzugebendes Tauschobjekt erwähnt ^). Die Verwaltung des Südens wurde drei Männern anvertraut. In Thessalien befehhgte der „Kaisar" Preljub. Mittelalbanien mit Valona und Berat verwaltete der „Despot"^ Johannes Komnenos Aseu, wie er sich schrieb, ein Bruder der Zariza Helena und des bulgarischen Zaren Alexan- der (ungefähr 1350 1363). Dieser eitle Bulgare heiratete die aus der Gefangenschaft befreite, nicht mehr junge epirotische Despina Anna, näherte sich den Griechen und unterschrieb sich sogar auf slawischen Urkunden in griechischer Sprache. Auf seine Bitte wurde ihm (1353) das Bürgerrecht von Venedig ver- liehen. Epirus erhielt der junge Symeon, des Zaren Stephan Halb- bruder, auch als Despot ". Er heiratete Thomais, eine Tochter der Despina Anna, und schrieb sich nach seiner mütterlichen Abkunft auch Palaiologos ■-). Durazzo blieb den Anjous; als der Herzog Karl von Durazzo auf Befehl des Königs Ludwig hingerichtet wurde, wollte sich die Stadt Venedig unterwerfen, wurde aber abgewiesen^). Von den Byzantinern hatten die Serben nichts zu befürchten. Kantakuzenos lag ein Jahr lang nierenkrank in Di- motika und war dann (1348 1349) vollauf beschäftigt mit den Genuesen von Galata, welche die neuerbaute byzantinische Flotte zweimal vollständig schlugen.

Indessen bemühte sich Venedig neuerdings Frieden zu schaffen, um der Unterstützung des Zaren Stephan in dem erwarteten neuen

1) Ljubic 3, 110, 169, 174.

2) Urkunden des Despoten Johannes von Yalona , herausg. von m i r im Spomeuik 11, S. 11, 29, 30. Chronik von Janina: Glasnik 14 (1862) 286.

3) Ljubic 3, 179 (April 1350).

Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Kriege gegen Ungarn und Genua sicher zu sein (1349). Eine große venezianische und ragusanische Gesandtschaft reiste nach Serbien ^). An der Spitze stand der Markgraf Niccolo Giorgi von Bodonitza, aus einer Nebenlinie der venezianischen Erbgrafen von Curzola. Er hatte die Erbin des kleinen fränkischen Fürstentums an den Therraopylen geheiratet, die Älarkgräfin Guglielma Palla- vicini, beging aber die Unvorsichtigkeit, einen ihrer Verwandten hinrichten zu lassen; die Gattin vertrieb ihn aus dem Miniatur- staat von Bodonitza, und er mußte sein Leben in den Diensten von Venedig fristen. Dem Markgrafen wurden drei Aufgaben auferlegt : eine Regelung der Handels- und Zollfragen zwischen Serbien, Venedig und Ragusa, die Herbeiführung eines Friedens zwischen Serbien und Byzanz und die Wiederherstellung fried- licher Beziehungen zwischen Serbien und Bosnien. Nur die erste Aufgabe wurde gelöst. Die Friedensvermittlungen sind mißlungen, obwohl der Ban von Bosnien selbst inzwischen durch seinen Ge- sandten, den Comes Ninoje, den Dogen um Intervention gebeten hatte. Als der Ban in Chelmo eine neue Burg bauen wollte, rieten es ihm die Venezianer ab, da der Zar diese Landschaft für sich beanspruche; es war wohl die „neue Burg", Novi in der Zupa Luka an der Narentamündung , auf der Nordseite des Flusses-). Bald brach der Krieg von neuem aus; kurz vor Weihnachten 1349 unternahmen die Bosnier einen Einfall in die Landschaft von Canali und plünderten bei Ragusa vecchia ^).

Zar Stephan wollte keinen Frieden mit den Griechen ; im Gegenteil, er bemühte sich abermals um einen Bund mit Venedig gegen Byzanz. Sein Gesandter Michael de Buchia aus Cattaro legte (April 1350) den Venezianern dar, sein Herr habe den größten Teil des griechischen Kaisertums erobert; nur die Hauptstadt Kon- stantinopel könne er ohne Unterstützung durch eine venezianische

1) Urkunden: Ljubid 3, 115, 119, 143, IGO; Mon. serb. 153 nro. 135; Glasnik 27 (1870) 286.

2) Ljubic 3, 143 (Juli 1349). „Novi moj grad" (meine neue Burg) in der Urk. des Bans Stephan und seines Bruders Vladislav an Knez Vlk Vlkoslavic, herausg. von Thalloczy, Glasnik bos. 18 (1906) 408 = Wiss. Mitt. 11 (1909) 245. Über die Lage: meine Handelsstraßen 79.

3) Liber de maleficiis 1348—1350 Arch. Rag.

Stephan Dusau (1331—1355). 397

Flotte nicht einnehmen. Es sei seine Absicht, den Johannes Palaio- logos aus den Händen des „ungetreuen Kantakuzenos" zu befreien, der ihn angeblich in ungehöriger und ungerechter Weise gefangen halte. Für die Hilfe war er bereit, den Venezianern das Despotat von Epirus oder nach der Eroberung von Konstantinopel das genuesische Pera (Galata) zu überlassen. Bei den Verhandlungen in Venedig hat man sich gegenseitige Hilfe bald zugestanden, aber der Bund gegen Byzanz wurde zu wiederholten Malen abgelehnt, da sich die Republik durch die beeideten Verträge mit beiden Kaisern als gebunden betrachtete. Dafür wurde das venezianische Bürgerrecht des „Serenissimus dominus Stephanus, Grecorum Im- perator semper augustus et Raxie rex illustris^', ebenso der „im- peratrix et regina" Helena und des Sohnes Uros feierlich erneuert. Buchia hatte einen besonderen Wunsch des Zaren vorgebracht. Stephan wollte mit dem Dogen Andreas Dandolo, demselben, der auch in der Literatur als Historiker bekannt ist, eine persönliche Unterredung über einige schwierige Fragen haben, und zwar in Ragusa oder an der Narentamündung, also auf damals bosnischem Boden. Den Venezianern war es leicht zu erwidern, daß der Doge nach den Satzungen der Republik selbst in sehr wichtigen An- gelegenheiten nicht aus der Stadt hinausgehen dürfe ^). Venedig, das eben wegen des Handels auf dem Schwarzen Meere in einen Krieg mit Genua verwickelt war, bemühte sich, den Frieden zwischen Serbien und Bosnien mit allen Mitteln herbeizuführen, doch die neuen Gesandten beim Zaren, Thomas Gradenigo und Niccolo Falieri, meldeten (im September), eine friedliche Erledigung dieser Fragen sei ganz aussichtslos -).

Zar Stephan zog (Oktober 1350) persönlich mit einem großen Heere gegen Bosnien. Er besaß auch eine Flotte von vier neuen Galeeren, die er zwei Jahre zuvor als eine ganz außerordentliche Freundschaftbezeigung in Venedig ankaufen durfte. Der Feld- zugsplan ist aus der projektierten Zusammenkunft mit dem Dogen klar. Stephan wollte längs der Küste in Zachlumien eindringen

1) Acta archivi Veneti 1, 128—141 = Glasnik 11 (1859) 446 f. Ljubic 3, 174—179, 181, 185.

2) Ljubic 3, 146, 189—190, 197, 199.

398 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

und von der Narenta bis in das Gebiet seiner Schwester in der Umgebung von Spalato vorrücken. Die Ragusaner, deren Stadt durch die Pest stark entvölkert war, hatten Befürchtungen wegen der Halbinsel von Stagno. Der Zar erreichte die Narenta, eroberte die Burg Novi und zog weiter zur Cetina. Ära 11. Oktober be- schlossen die Städte Trau und Sebenico, Gesandtschaften mit Ge- schenken zum „Imperator Raxie" zu senden, wenn er an der Cetina eintreffe i). Da kam aus dem Süden die Nachricht, daß die Byzantiner die Offensive begonnen hätten. Rasch mußte der Rück- marsch angetreten werden Eine feierliche Gesandtschaft von sechs Patriziern lud den „dominus imperator" unterwegs zu einem Be- such in Ragusa ein, mit der Kaiserin und dem Soha, sowie einem Gefolge von hundert Personen. Zwei ragusanische Kriegsschiffe unter Savinus de Bonda holten den hohen Gast in Ragusa vecchia ab und brachten ihn in den Hafen, worauf er seinen P^inzug durch das Seetor hielt (um den 13. November 1350). Die Kosten der Bewirtung wurden durch eine Auflage auf der Halbinsel von Stagno gedeckt. Der Versuch, bei dieser Gelegenheit dem Zaren eine Grenzregulierung auf den Abhängen oberhalb der ragusa- nischen Weinberge von Breno abzubitten, ist mißglückt. Der Zar eilte über Cattaro sofort weiter nach Makedonien 2). Die Bosnier besetzten rasch wieder die Burgen von Zachlumien. Novi entriß den Serben der bosnische Knez Vlk VIkoslavic, der Vetter des später berühmten Hrvoje. An der Narentamündung erscheinen abermals die bosnischen Zollbeamten. Ban Stephan IL erlebte

1) Besorgnisse wegen Stagno 6. Okt. 1350: Ljubic 3, 199. Beschlüsse von Trau und Sebenico: Lucius, Memorie di Trau 246, Starine 13, 233. Der „car raski" hat meine Burg Novi erobert: Urk. des Bans Stephan, s. oben; das von einer jüngeren Hand dazugesetzte Datum 1331 (s. Fak- simile) ist unrichtig, statt 1351. Orbini 264f. und nach ihm teilweise auch Luc car i lassen den Zaren mit 80000 Mann von der Drina in Bosnien bis Bobovac und Dumno einbrechen, worauf er bis zur Cetina und Krka (Dacherca) vordringt.

2) Mon. Rag. 2, Ulf. Im Sept. 1455 wurde Vlatko Hercegovic nach Ragusa eingeladen; man werde ihn mit einer Galeere in Obod in Canali abholen und er werde die Stadt durch dasselbe Tor betreten, wie andere Herren, „come e la bona memoria imperador Stefano", König Tvrtko u.a. (Lett Rag. 1455).

Stephan Dusan (1331—1355). 399

bald nachher die Freude, daß König Ludwig von Ungarn sein Schwiegersohn wurde, Gemahl seiner Tochter Elisabeth (Juli 1353). Nicht lange darauf ereilte ihn der Tod i). Sein Nachfolger war sein Neflfe Tvrtko, Sohn seines Bruders Vladislav, kaum 15 Jahre alt, unter der Vormundschaft seines Vaters und nach dessen baldigem Tode seiner Mutter Helena, der Schwester des Mladen (III.) Subic.

Zum Zuge nach Makedonien hat die Byzantiner sowohl die Abwesenheit des Zaren Stephan im Norden bewogen, als die trost- lose Lage von Thessalonich -). Die Führer der lokalen Parteien gehorchten nominell nur dem Kaiser Johannes Palaiologos allein, in Wirklichkeit aber waren sie ganz unabhängig. Dem Kanta- kuzenos drohten sie, daß sie den Serben, welche die Umgebung von Gynaikokastron aus beobachteten, die Tore öflfnen würden. Dem Zaren Stephan meldeten sie dagegen, er solle sie nicht be- kriegen, denn sie seien vom Kaiser abgefallen. Schließlich kam es zum Zwiespalt zwischen den Anführern. Alexios Metochites rief den Kantakuzenos zu Hilfe, Andreas Palaiologos floh zu den Serben. Seine Partei, die „Zeloten", behaupteten offen, es sei besser, sich dem Zaren Stephan zu unterwerfen, der alles Land bis zu den Toren der Stadt beherrsche und der über- dies den Führern Geld und Güter versprach. Im Herbst 1350 segelten beide Kaiser aus Konstantinopel nach Thessalonich. Ur- sprünglich sollte Matthaios Kantakuzenos, begleitet von Orchans Sohn Suleiman mit 20 000 Reitern, aus der Küstenebene unter der Rhodope auf dem Landweg nach Thessalonich ziehen. Doch Suleiman beschränkte sich auf einen Beutezug nach Südbulgarien und kehrte heim, w^il sein Vater mit den benachbarten Emiren Krieg führte. Die kaiserliche Flotte hatte hinter Christopolis (Kavala) ein seltsames, für die byzantinischen Zustände charak- teristisches Mißgeschick. Der trotzige Besitzer der Burg von Eleutheropolis (Anaktoropolis), Alexios aus Belokoma in Bithynien,

1) Über die Chronologie Ilarion Ruvarac, Glasnik bos. 6 (1894) 225 f. = Wiss. Mitt. 4 (1896) 324 f.

2) Hauptzeuge Kantakuzenos IV cap. 15—22. Er meint, Stephan sei gegen die Ungarn {Iluiovtg) gezogen. Ganz kurz Gregoras XVIII cap. 2.

400 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

ein ehemaliger Seeoffizier des Apokaukos und nun ein kleiner See- räuber, schlug die Kaiser zurück, die nur seine Schifi'e in Brand zu stecken vermochten. An der Mündung des Strymon hatte Kantakuzenos ein nächtliches Gespräch mit dem Befehlshaber von Chrysopolis (jetzt Orfano), dem Serben Brajan, einem seiner alten Freunde ^). In Thessalonich wurden die Kaiser mit Jubel begrüßt, die Häupter der „Zeloten" gefangen nach Konstantinopel gesendet oder aus der Stadt verbannt, die Serben aus der Umgebung ver- trieben.

Kantakuzenos rückte mit einem kleinen Heere griechischer Seesoldaten und türkischer Söldner in das serbische Gebiet ein. Stephan hatte im Süden keine Feldarmee unter einem bewährten Anführer hinterlassen, sondern nur einzelne Garnisonen. Alle Schwächen der neuen serbischen Herrschaft wurden mit einem Male offenbar. Der erste Angriff galt Berrhöa. Die dortigen Emigranten, griechische Archonten und Stratioten, befanden sich im Heere des Kantakuzenos. Die Mauern, die von den Serben eben umgebaut wurden und mit Gerüsten verkleidet waren, erstieg man nachts mit Leitern. Die Besatzung, 1500 serbische Reiter und eine Schar deutscher Söldner, mußte sich ergeben. Die Deut- schen, dieselben, welche einst den Kantakuzenos als Verbündeten des Stephau Dusan nach Berrhöa begleitet hatten, zogen in voller Rüstung reich beschenkt ab, die Serben ohne Waffen und Pferde; die Anführer, 30 serbische Edelleute, blieben aus Furcht vor ihrem Herrn freiwillig in Gefangenschaft, flüchteten sich aber bald einer nach dem anderen zu ihren Landsleuten. Kantakuzenos zog sofort gegen Voden, das alte Edessa der makedonischen Königszeit, am Rande der Küstenebene gelegen, damals zwischen einem hoch- gelegenen See und dem steilen Felsabhang gut befestigt, mit einer inneren Burg ^). Die Mauern wurden von den griechischen Matrosen erstürmt und die serbische Besatzung ergab sich, wie in Berrhöa. Die Bürger der serbischen Partei wurden aus der Stadt vertrieben.

1) Kantakuzenos identifiziert Chrysopolis irrig mit dem antiken Amphipolis, das gar nicht am Meere lag.

2) Jetzt ist der See verschwunden; dafür gibt es große Wasserfälle in der Stadt selbst. Vgl. A. Grisebach, Reise durch Rumelien, Bd. 2 (Göttingen 1841) 101.

Stephan Dusan (1331—1355). 401

Ohne Kampf ergaben sich die kleinen Burgen der Umgebung, besonders Ostrov auf dem Wege gegen Ochrid und Notia im Tale von Moglen. Kantakuzenos eilte nach Servia, am Zugang zum Wege nach Thessalien. Der Platz bestand aus drei wenig zugäng- lichen Burgen zwischen tiefen Schluchten und einer großen, offenen Unterstadt. Die Griechen der Unterstadt schlössen sich sofort ihren Landsleuten an, aber die festen Burgen hat Preljub mit 500 Mann gut behauptet und dadurch seinem Herrn die Herrschaft über Thessalien erhalten. Der Anbruch des Winterregens bewog Kanta- kuzenos zur Rückkehr nach Thessalonich. Insgeheim wurden Verbindungen mit den Freunden der Byzantiner tief landeinwärts angeknüpft. Sogar eine Gesandtschaft der Bürger von Skopje, einer der Residenzen des Zaren, die schon fast 70 Jahre im Be- sitz der Serben war, versprach die Unterwerfung, wenn Kanta- kuzenos persönlich so weit komme.

Plötzlich erschien vor Thessalonich Zar Stephan, in Eil- märschen aus dem adriatischen Gebiet herangerückt, mit einem kleinen Heere, das aber stärker war, als das der Griechen. Sofort wurden vor den Toren der Stadt an zwei Tagen nacheinander Be^prechungen abgehalten, zu welchen sich Stephan und die beiden griechischen Kaiser mit bewaffnetem Gefolge einfanden. Am ersten Tage machte Stephan dem Kantakuzenos ganz Öffentlich Vorwürfe wegen seines Undankes. Als einen Flüchthng habe er ihn unter- stützt und sich durch keine Versprechungen der Gegenpartei be- wegen lassen, ihn gefangen zu setzen oder auszuliefern. Jetzt sei Kantakuzenos mit Barbaren (Türken) gekommen und nehme des Zaren Städte mit Waffengewalt, List und Einschüchterung. Dem Kantakuzenos tue es leid, daß Stephan einen Teil des „römischen" Reiches beherrsche, doch Kantakuzenos besitze auch einen Teil und den habe er einem anderen weggenommen. Dies war eine offene Parteinahme für Johannes Palaiologos als den alleinigen legitimen Kaiser. Als Friedensbedingung verlangte Stephan die Wiederherstellung der Grenzen, wie vor dem Kriege. Kantakuzenos erwiderte mit Lob der Großmut und der Gerechtigkeit Stephans, dem er zu Dank verpflichtet sei; doch habe Stephan gegen den beeideten Bundesvertrag so viele römische Städte an sich gerissen. Am zweiten Tage, der mit einem Gastmahl schloß, wurde über

Jirecek, GtescMchte der Serben. I. 26

403 Viertes Bucb. Drittes Kapitel.

die Grenze verhandelt. Kantakuzenos verlangte die Abtretung von Epirus und Thessalien, sowie des Küstenlandes von Make- donien. Das Innere Makedoniens wollte er dem Stephan lassen, mit Zichna, Serrai, Melnik, Strumica und Kastoria als Grenz- städten im Süden. Was Kantakuzenos weiter erzählt, entspricht kaum der Wahrheit. Stephan sei einverstanden gewesen, und am dritten Tage hätten sowohl die Serben als die Griechen je fünf Männer zur Übergabe der Städte ernennen sollen. Aber in der Nacht seien griechische Archonten der Palaiologenpartei ins ser- bische Lager gegangen und hätten den Zaren überredet, lieber Krieg zu führen und den Palaiologen gegen Kantakuzenos zu unterstützen. Da seien bei Tagesanbruch ins griechische Lager Boten des Stephan gekommen, mit der Absage des Friedens und der Aufforderung zu einer Schlacht. Es ist unwahrscheinlich, daß Zar Stephan so ausgedehnte Länder ohne Schwertsti-eich abtreten wollte, um so mehr, als er den Wiederausbruch des Kampfes zwischen den byzantinischen Parteien klar voraussah. Am dritten Morgen standen Serben und Griechen vor den Mauern von Thessa- lonich in Schlachtordnung unbeweglich einander gegenüber, doch zur Schlacht kam es nicht. Stephan wollte dem Palaiologen nicht schaden und hatte Erfolg auch ohne Schlacht. Kantakuzenos kehrte nach Konstantinopel zurück, während der Palaiologe in Thessalonich blieb. Zar Stephan zog sofort über den Vardar und erstürmte Voden mit Leitern und Durchbruch der Mauern (Anfang Jänner 1351). Die Stadt wurde geplündert und die Bürger der griechischen Partei nach Berrhöa vertrieben. Zugleich begannen überall Untersuchungen gegen die griechischen Parteigänger wegen Hochverrates; in Skopje retteten sich die Angeklagten nur durch die Fürsprache des serbischen Erzbischofs. Das Datum der Wieder- eroberung von Berrhöa ist nicht bekannt; es war der Feldherr Hlapen, der sich dieser Tat rühmte und nach des Zaren Stephan Tod Statthalter in dieser Stadt war i).

Die osmanischen Türken, welche ganz regelmäßig über die Meerengen hinüberkamen, entweder als Truppen der Byzantiner

1) Xhinfvog als Eroberer von Berrhöa: Chronik von Janina cap. 6 (Glasnik 14, 240).

Stephan Dusan (1331—1355). 403

oder als Freibeuter auf eigene Faust, waren damals schon ein wichtiger Faktor geworden, mit dem auch fernere Nachbarn rech- nen mußten. Am Hofe des Emirs von Brussa sah man Gesandte der byzantinischen Kaiser und der Genuesen. Bald kamen auch Vertreter der Serben. Zar Stephan wollte dem Kantakuzenos diese Bundesgenossen entziehen und brachte dem Orchan sogar eine Heirat in Vorschlag, zwischen einem der Söhne des Emirs und einer Tochter Stephans. Die serbischen Gesandten wurden gut auf- genommen und kehrten mit einer türkischen Gesandtschaft und Geschenken zurück, wohl zu Schiff. Bei Rodosto wurden sie aber von Leuten des ehemaligen epirotischen Despoten Nikephoros über- fallen, ausgeplündert und teils gefangen , teils getötet ^). Orchan war deshalb gegen Kantakuzenos sehr erbittert und blieb im fol- genden Kriege sein Gegner, als Freund der Genuesen, welche die Türken über beide Meerengen zu Raubzügen auf byzantinischen Boden hinüberbrachten. Zu gleicher Zeit beschwerte sich Zar Alexander bei Kantakuzenos über den fortwährenden Durchzug türkischer Raubscharen durch byzantinisches Gebiet nach Bulgarien. Kantakuzenos entschuldigte sich, nur der Widerstand des Zaren Stephan, der die byzantinischen Städte nicht zurückgeben wollte, habe ihn bewogen, sich mit diesen Barbaren zu verbünden. Dabei versuchte er die Bulgaren gegen die Serben aufzubringen und verlangte von Alexander regelmäßige Beiträge zur Ausrüstung einer Flotte, die den Hellespont ständig bewachen sollte. Zar Stephan soll seinem Schwager davon abgeredet haben, er möge den Griechen keinen Tribut zahlen -). Die Sache hätte den Bul- garen auch nichts genützt, denn Kantakuzenos hätte die Flotte vor allem gegen die Genuesen verwendet, welche damals ohnehin den Türken den Weg über die Meerengen erleichterten.

Indessen lagerte Zar Stephan mit der Zariza Helena vor den Toren von Thessalonich und versuchte den Kaiser Johannes Palaio- logos durch Versprechung von Subsidien und Hilfstruppen wieder

1) Gregoras XXVI cap. 15, 27.

2) Kantakuzenos IV cap. 22. Eine legendär gefärbte Erzählung darüber auch in der bulg. Chronik, herausg. von Bogdan im Archiv slaw. Phil. 13 (1891) 527, 536.

26*

404 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

zum Krieg gegen Kantakuzenos zu bewegen. Zugleich sollte sich der Palaiologe von Helena Kantakuzena scheiden, sie den Serben ausliefern und eine jüngere Schwester der serbischen Kaiserin heiraten. Als Kantakuzenos davon erfuhr, bewog er die Kaiserin Anna, nach Thessalonich zu reisen und durch persönliches Ein- greifen diese Pläne zu vereiteln ^), Das byzantinische Reich wurde zur selben Zeit durch Subsidien von Seite Venedigs in den See- krieg zwischen beiden Republiken verwickelt. Vor Konstantinopel spielte sich eine der größten Seeschlachten des Mittelalters ab, an der 130 140 große Kriegsschiffe beteiligt waren (13. Februar 1352). Die eine Partei bildeten die Venezianer und ihre Ver- bündeten, die Ai-agonier und die Griechen, die andere die Genuesen allein. Auf dem asiatischen Ufer des Bosporus standen als Zu- schauer die Reiter und Fußgänger Orchans, Freunde Genuas. Die gewaltige Schlacht bheb unentschieden. Nach der Abfahrt der Venezianer fürchtete Kantakuzenos von den Genuesen und Türken belagert zu werden und schloß (im Mai) rasch einen Separatfrieden mit Genua. Die Fortsetzung des Seekrieges hatte ihren Schau- platz im Westen, an den Gestaden von Sardinien, Istrien und Morea, bis zum Abschluß des Friedens, der, wie immer, nur eine Erneuerung der früheren Verhältnisse zwischen beiden Seerepu- bliken brachte (1355).

Den Wiederausbruch des Bürgerkrieges beschleunigte eine neue Einteilung der Provinzen. Kaiser Johannes Palaiologos erhielt das bisherige Gebiet des Matthaios Kantakuzenos in der Rhodope, dazu auch Dimotika und Enos, während dem Matthaios Adrianopel mit Umgebung zugewiesen wurde. Die persönliche Feindschaft zwischen beiden Rivalen führte zum Krieg (Sommer 1352). Sein Ausbruch steht mit einem weltgeschichtlichen Ereignis in Verbindung, mit der ersten Festsetzung der Türken in Europa. Orchans Sohn Suleiman, der in Pegai (jetzt Bigha) östHch vom Hellespont wohnte, besetzte die kleine Burg Tzympe auf der Halbinsel von Kallipohs. Der Palaiologe belagerte den Matthaios auf der Akropolis von Adrianopel, wurde aber vom alten Kantakuzenos mit einem kleinen

1) Kantakuzenos IV c^p. 27, Gregoras XXVII cap. 16. Die Schwester der Helena hieß Theodora: Spomenik 29, 9.

Stephan Dusan (1331—1355). 405

Heere von Griechen, Kataloniern und Türken vertrieben. Darauf suchte und fand er Hilfe bei den beiden slawischen Zaren, Stephan und Alexander ; seinen jüngeren Bruder Michael Palaiologos sendete er als Geisel zu den Serben. Bald erschienen einige tausend serbische und bulgarische Reiter bei Dimotika, die Serben geführt vom Schatzmeister (kaznac) Borilovid ^). Kaiser Johannes eilte nach Enos, wo eben eine venezianische Flotte unter Marino Falieri (dem späteren Dogen) und Niccolo Pisani vor Anker gegangen war, und schloß mit den Venezianern eine Anleihe von 20 000 Dukaten ab, gegen Abtretung der wichtigen Insel Tenedos, des Schlüssels zur Einfahrt in den Hellespont -). Rasch eilte er nach Dimotika zurück, erhielt aber unterwegs die Nachricht von einer schweren Katastrophe. Seine Griechen, Serben und Bulgaren rüsteten sich zum Angriflf auf die kleine Burg Empythion. Plötz- lich erschien vor ihnen ein großes Reiterheer. Es war der Prinz Suleiman, auf dem Marsch vom Hellespont nach Adrianopel zur Unterstützung des Kantakuzenos. Die Schlacht war ganz improvi- siert, denn keine der beiden Parteien hatte von der Nähe der anderen eine Kenntnis. Die Türken waren auf ihren schnellen, ausdauernden Pferden besser beritten als die Slawen und Griechen. Alle vornehmen Byzantiner wurden gefangen. Die Bulgaren ent- kamen rechtzeitig nach Dimotika. Die schwersten Verluste erlitten die Serben, müde vom Marsche, schlecht beritten und mit der Landschaft nicht vertraut. Nur ihr Feldherr konnte sich mit wenigen Begleitern durchschlagen; die übrigen wvu'den meist ge- tötet oder gefangen. Im Triumph kam Suleiman mit Gefangenen, Pferden und Zelten nach Adrianopel zu Kantakuzenos. Kaiser Johannes Palaiologos wurde aus Thrakien ganz verdrängt. Es blieb ihm nur Thessalonich, wo seine Mutter residierte, und die nördlichen Inseln des Agäischen Meeres, mit der Hauptfestung auf

1) Die Serben zählten nach Kantakuzenos 7000, nach Gregoras 4000 Mann. KaGrirlog 6 Mnon;Xoßixr]g des Kantakuzenos IV cap. 33 ist vielleicht „Gradislavus Borilli vexillifer", einer der Zeugen in der (uned.) lat. Abtretungsurkunde von Stagno 1333.

2) Vertrag vom 10. Oktober 1352 „in burgo Eni": Diplomatarium veneto-levantinum, Bd. 2 (Venedig 1899) nro. 8 p. 17 (Monumenti storici pubbl. dalla R. Deputazione Veneta, vol. IX).

406 Viertes Buch. Drittes Kapitel.

Tenedos. Er gab aber den Kampf nicht auf und erwies sich als unerschrockener Seefahrer.

Kaiser Johannes Kantakuzenos erklärte nun seinen Kollegen Johannes Palaiologos für abgesetzt und proklamierte den Matthaios zum Mitkaiser (1353). Doch verringerte sich der Anhang der Kantakuzenen von Tag zu Tag, denn die Griechen sahen in ihnen die Urheber der wachsenden Türkengefahr. Vergeblich waren die Versuche, den Suleiman durch eine Geldsumme aus Tzympe wegzubringen. Da kam ein neues Unglück. Seit dem Herbst 1 344 litt die Küste von Konstantinopel bis Kallipolis durch perio- dische Erdstöße. Am Vorabend des ersten Fastensonntages, des 2. März 1354, folgte bei Einbruch der Nacht ein neues Erdbeben i). Die Mauern von KallipoHs stürzten ganz ein und die Einwohner flohen in der kalten Winternacht im Schnee und Regen sofort auf die zahlreichen im Hafen ankernden Schiffe. Am Morgen kamen die Türken aus Asien eilends hinüber. Suleiman besetzte das ver- lassene Kallipolis und die ganze Umgebung. Türkische Familien besiedelten die leeren Ortschaften, die Mauern wurden besser auf- gebaut, als sie früher waren, und starke türkische Heere plünderten ungehindert in Thrakien bis über die byzantinische Grenze hinaus. Mit Schrecken hörte man in den südslawischen Ländern, die Meer- enge mit der Überfuhr oder, wie die serbischen und bulgarischen Annalen naiv schreiben, die „Furt" (brod) von Kallipolis sei in die Hände der Türken gefallen. Auf die Proteste des Kanta- kuzenos antwortete Suleiman, er habe die Städte keineswegs ero- bert, sondern vom Erdbeben zerstört und menschenleer gefunden. Von den Slawen der Halbinsel bekamen zuerst die Bulgaren die Nachbarschaft der Türken von Kallipolis zu fühlen. Zwei Söhne des Zaren Alexander fanden den Tod in Schlachten gegen die Leute Suleimans, zuerst der dritte Sohn Johannes Äsen bei Sredec (Sofia), dann der älteste Sohn und Mitregent, der Zar Michael Äsen, ein Schwager der Kaisers Johannes Palaiologos -).

1) Genaues Datum in den byz. Annalen bei Jos. Müller, S.B. der W. Akad. 9 (1852) 392. Zur Chronologie vgl. meine Bemerkungen in Arch. slaw. Phil. 14 (1892) 259. Vgl. Jorga, Latins et Grecs d'Orient et r<5tablissement des Turcs en Europe: Byz. Z. 15 (1906) 214 f.

2) Bulg. Chronik: Arch. slaw. Phil. 13, 527; über die Chronologie

Stephan Dusan (1331—1355). 407

Die Türkengefahr beschäftigte seit der Niederlage der ser- bischen Hilfstruppen bei Dimotika ernstlich auch den Zaren Stephan Dusan. Nach dem Falle von Kallipolis wünschte er als ein vom Papste autorisierter Oberfeldherr der Christenheit gegen die Türken zu Felde zu ziehen. Sein Verhältnis zu den französischen Päpsten in Avignon war nicht immer gut. Einmal berichtete der Bischof Markus von Skutari, der Zar sei bereit, sich der Union der Kirchen anzuschheßen. Papst Klemens VI. schrieb (März 1347) voll Freude dem serbischen Herrscher und sendete auch Briefe an den mäch- tigen Protovestiar Nikolaus de Buchia, einen katholischen Catta- renser und Freund des Zaren, an den „Kaisar" Gregor Golubic und die Comites von Cattaro, Antivari und Skutari, mit der Auf- forderung, dieses lobenswerte Bestreben ihres Herrn zu unterstüt- zen ^). Die Beziehungen wurden aber bald gespannt, wahrschein- lich infolge der Agitationen der Anjous unter den Lateinern der Küstenstädte bei Antivari und den zwischen beiden Kirchen oft schwankenden Albanesen. Deshalb setzte Stephan in seinem Gesetz- buche strenge Bestimmungen gegen den Abfall zur lateinischen Kirche ein. Schon 1350 klagte man, Stephan habe Lateiner gewaltsam zum Beitritt zur orientalischen Kirche gezwungen und gegen die kirchlichen Bestimmungen nochmals taufen lassen -). Es gab auch Beschwerden über Wegnahme von Kirchen und Klöstern. Bald wurde wieder eine Annäherung versucht, wobei die Initiative von Stephan ausgingt). Eine feierliche Gesandtschaft des Zaren reiste

(die Witwe Michael Aseas kehrte 1355 nach Konstantinopel zurück) eb. 14 (1892) 261. Auch Orbini 472 weiß vom Tode des „Assegno" in einer Schlacht gegen die Türken. Dieser Johannes Äsen ist nicht zu verwechseln mit dem viel jüngeren gleichnamigen fünften Sohn des Zaren Alexander, aus zweiter Ehe.

1) Theiner, Mon. Hung. 1, 734 735. An Buchia: „tu, qui eidem (dem Stephan) assistis familiariter ".

2) „Stephanus, qui se cesarem seu regem Raxie facit comuniter no- minari", ließ Lateiner „contra formam ecclesie baptizari". Schreiben des päpstlichen Legaten Kardinal Guido aus Padua an den König von Ungarn und die Venezianer, Mai 1350: Ljubic 3, 186.

3) Orbini 266 schreibt, Stephan habe den Nie. Buchia nach Frank- reich gesendet, um die Heirat seines Sohnes Uros mit einer Tochter des

408 Viertes Buch. Drittes Kapitel

(1354) über Venedig zu Papst Innozenz VI. nach Avignon, der Hof- richter Bozidar, der Statthalter von Serrai Nestegus und Damian von CattarO; ausgerüstet mit mündhchen Aufträgen und einem feier- lichen Schreiben ihres Herrn mit Goldsiegel ^). Stephan Du§an erklärte, er sei bereit, den Papst als Vater der Christenheit, wahren Stellvertreter Christi und Nachfolger des heiligen Petrus anzuer- kennen, was ihm bei dem Bruch mit der Konstantinopler Kirche nicht schwer fallen konnte. Ferner brachte er zur Kenntnis, er habe in seinem Reiche jede Wiedertaufe der Lateiner strenge ver- boten, die ihnen weggenommenen Kirchen und Klöster zurück- gegeben und den abgesetzten lateinischen Bischöfen, Äbten und Priestern die freie Rückkehr erlaubt. Er wünschte auch eine päpstliche Gesandtschaft bei sich zu sehen. Seine Gesandten über- reichten das Schreiben dem Papste mit geziemender Rede in einer feierlichen Audienz in Anwesenheit der Kardinäle und bestätigten die Wahrheit ihrer Mitteilungen eidlich durch Berührung der Evangelien. Das Schreiben Stephans wurde vom Papste in Villa Nova, dessen Rundtürme sich am westlichen Ufer der Rhone gegenüber Avignon erheben, freundlich beantwortet (29. August 1354); merkwürdigerweise ist in dieser Korrespondenz der Kaiser- titel gar nicht berücksichtigt und der Adressat nur als „rex Rassie" bezeichnet. Indessen war als päpstlicher Vertreter ein dalmati- nischer Bischof bei Stephan gewesen, Bartholomäus, zuerst Bischof von Cattaro, seit 1349 von Trau, welcher vielleicht schon von Cattaro aus die persönliche Freundschaft des serbischen Herrschers gewonnen hatte 2). Zar Stephan beglaubigte diesen Bischof als Über- bringer seiner Wünsche, welche die Rettung der Christen von den Bedrückungen der Türken zum Gegenstand hatten. Vor allem

franz. Königs (also Philipp VI. oder Johanns des Guten) vorzubereiten. Ur- kundlich ist nichts darüber bekannt.

1) Empfehlung der serb. Gesandten von Venedig an den Papst im Juni 1354: Ljubic 8, 264. Päpstl. Urkunden: Th einer, Mon. Hung. 2, 8—17; vgl. Raynald, Ann. eccl. Bd. 16 (zu 135i).

2) Der Papst an Zar Stephan über Bischof Bartholomäus , cum sit tibi familiariter notus", einst „apostolice .sedis nunc jus" im Lande: T h ei- ner a. a. 0. 2, 12. Die Zeitfolge der Reisen des Bartholomäus ist aus Eaynalds Annalen und aus Theiners Sammlungen nicht klar.

Stephan Dusan (1331—1355). 40»

wollte er von der Kirche zum „Kapitän" gegen die Türken er- nannt werden ^). Die versprochene große päpstliche Gesandtschaft nach Serbien wurde aber erst zu Ende des Jahres ernannt und ihr Beglaubigungsschreiben in Avignon am Weihnachtsabend (24. Dezember 1354) ausgefertigt. Es war der Bischof Bartholo- mäus von Trau und als sein Begleiter der gelehrte Franzose Peter Thomas aus Perigord, damals Bischof von Patti und Lipari in Sizilien, später Erzbischof von Kreta und lateinischer Titular- patriarch von Konstantinopel, nach seinem Tode als Heiliger ver- ehrt. Das Anerbieten Stephans, die Türken zu bekämpfen, be- grüßte der Papst mit großer Freude. Der Papst werde ihn nicht nur in dem Amte des Kapitäns (in huiusmodi capitaneatus officio), sondern auch bei anderen ähnlichen Wünschen mit der aposto- lischen Gunst begleiten und wünsche ihm nach Vollendung der im Dienste des Herrn geführten Kriege lange Jahre glücklichen Friedens. Die päpstlichen Gesandten wurden durch eigene Schrei- ben auch der Helena und dem Uros, dem Patriarchen Johannicius, der indessen schon gestorben war, und allen Erzbischöfen und Bischöfen von Serbien und Albanien, ferner dem Sevastokrator Dejan, dem Despoten Oliver, dem „Cäsar" Preljub, dem Groß- logotheten Gojko, dem deutschen Feldherrn Palmann und anderen Edelleuten anempfohlen. Sie reisten über Italien, wo sie in Pisa Karl IV. auf der Fahrt von der Krönung mit der lombardischen Krone in Mailand zur Kaiserkrönung in Rom antrafen. Der Kaiser und zugleich König von Böhmen gab ihnen (19. Februar 1355) ein Empfehlungsschreiben mit, in welchem er Stephans Absicht, sich der Einheit der Kirche anzuschließen, lobte und ihn als „teuer- sten Bruder" begrüßte, der mit ihm durch Gemeinsamkeit nicht nur des Herrscherberufes, sondern auch der „edlen slawischen Sprache" verbunden sei 2).

An die Stelle des geplanten großen Feldzuges gegen die Türken trat aber inzwischen ein neuer Krieg zwischen Stephan

1) Desiderabas ab eadem ecclesia, matre tua , contra Turchos ipsos capitaneus ordinari", eb. 2, 12.

2) „Eiusdem nobilis slavici idiomatis participatio", „eiusdem generosae linguae sublimitas". Bei Palaeky, Gesch. von Böhmen (böhm.) 2, 2 (Prag 1876) 107.

410 Viertes Buch. Drittes Kapitel,

von Serbien und Ludwig von Ungarn. Die Details sind wenig bekannt. Wir wissen nur, daß Ludwig Mitte Juni 1354 in Belgrad war und daß Stephan Mitte August am Flusse Brusnica unterhalb Rudnik lagerte ^). Im Kloster Zica hatte der Zar eine Bespre- chung mit dem Patriarchen Joannikij, den er eigens in sein Lager berufen hatte, wahrscbeinUch wegen der gleichzeitigen Verhand- langen mit der päpstlichen Kurie. Doch der Patriarch verfiel dort nach wenigen Tagen in eine schwere Krankheit, wurde nach Pec zurückgetragen, starb aber unterwegs schon im Dorfe Polumir am Ibar (3. September 1354). Das Heer Ludwigs litt durch die sumpfige Luft an der Donau und Save und mußte sich zurück- ziehen; ein Opfer der Seuche wurde auch der jüngere Bruder des Königs, der Herzog Stephan von Slawonien (9. August) -). Zar Stephan zog ab in den Süden seines Reiches, wo er fortan ver- blieb. Im Herbst wurde in Serrai auf einem Reichstag Sava, bisher Igumen von Chilandar, zum Patriarchen eingesetzt, worauf der Hof in derselben Stadt überwinterte ^'). Aus Konstantinopel trafen wichtige Nachrichten ein. Die Situation war dort ganz verzweifelt; viele Griechen waren mit beiden Parteien, den Palaio- logen und Kantakuzenen, unzufrieden und hätten sich gern Venedig, Ungarn oder Serbien unterworfen, nur um Schutz gegen die Türken zu finden ^). Vor Jahresschluß (Ende 1354) nahm Kaiser Johannes Palaiologos Konstantinopel mit Hilfe der Genuesen durch einen nächtlichen Überfall. Kaiser Johannes Kantakuzenos mußte als Mönch Joasaph ins Kloster gehen, wo er sein Memoirenwerk und zwei Schriften gegen den Islam verfaßte ^). Sein Sohn, Kaiser Matthaios Kantakuzenos, behauptete sich mit Hilfe der Türken im

1) Urk. Kg. Ludwigs vom 16. Juni 1354 aus Belgrad: Dr. M. Wert- uer, Itinerar des Königs Ludwig I. im Vjesuik zem. ark. 5 (1903) 126. Urk. des Zaren Stephan vom 14. August 1354, „na Brusuice pod Rud- nikom": Spomenik 3, 56: Florinskij, Pamjatniky 46.

2) Vgl. P. Markovic, Letopis 223 (1904) 166.

3) Daniel 379—380. Urk. Stephans aus Serrai vom Febr. 1355: Pucic 2, 22 nro. 26.

4) Schreiben des veuez. Bailo aus Konstantinopel 6. Aug. 1354: Ljubic 3, 266.

5) Beide Schriften wurden von den Serben übersetzt; vgl. Miklosich, Chrestomathia palaeoslovenica (Wien 1854) 59—63.

Stephan Dusan (1331—1335). 411

Rhodopegebiete. Stephan Dusan, der diese Vorgänge mit Auf- merksamkeit verfolgte, hielt (wohl im Frühjahr 1355) wieder einen Reichstag im Süden ab, in Krupista (jetzt Chrupista) bei Kastoria ^). Um diese Zeit trafen die päpstlichen Gesandten ein. Am ser- bischen Hofe fanden sie, kühl und stolz empfangen, eine durch den ungarischen Krieg vollständig veränderte Situation -). Die Verhandlungen zerschlugen sich, da Bischof Peter gar zu sehr im Interesse Ungarns auftrat; er reiste aus Serbien sofort zu König Ludwig, um ihn zum Krieg gegen Stephan auzueifern 3). Ludwig hatte schon im März wieder ein Heer gegen die Serben gesammelt. Die Venezianer fürchteten, er werde sich in Wirklichkeit nach Dalmatien wenden. Im Mai (1355) wurde ein Friede oder Waffen- stillstand zwischen Ludwig und Stephan erwartet, doch haben sich darüber keine Nachrichten erhalten ^). Aus den Berichten des Florentiners Villani ist klar zu ersehen, daß Ludwig in der näch- sten Zeit nichts jenseits der Donau und Save besaß; Zar Stephan hatte also die gewünschte Grenzlinie behauptet.

Seit September 1355 unterhandelten die Venezianer mit der Schwester des Zaren, der Comitissa Helena, Witwe des Mladen Subic, wegen des Ankaufes von Clissa und Scardona '^). Anderer- seits bemühte sich um diese Plätze König Ludwig, unterstützt vom jungen bosnischen Ban Tvrtko und von Tvrtkos Mutter Helena. Bald traf in Venedig die Nachricht ein, Zar Stephan wolle die Festungen seiner Schwester mit seinen Leuten besetzen.

1) Florinskij, Pamjatniky 47. Krupista: vgl. Arch. slaw. Phil. 22 (1900) 170.

2) Legendenhafte Vita des Peter Thomas, verfaßt bald nach seinem Tode (t in Famagusta auf Zypern 1366) in Avignon von Philipp de Me zier es, Kanzler des Königs von Zypern; erwähnt den zweiten Gesandten Bischof Bartholomäus gar nicht. Acta S.S. zum 29. Jänner; das Stück über Serbien abgednickt von Daniele im Glasnik 21 (1867) 277 f. Vgl. N. Jorga, Philippe de Mezieres 1327—1405 (Paris 1896) p. 135 f., 344.

3) Bischof Peter kehrte erst kurz vor dem 1. Mai 1356 nach Avignon zurück; an diesem Tage forderte der Papst den Bischof Bartholomäus auf, so bald' als möglich mündlich zu berichten. T h e i n e r , Mon. Slav. 1 , 234.

4) Vgl. Hub er im Archiv f. österr. Gesch. 66 (1885) S. 26. Briefe des venez. Comes von Ragusa: Ljubie 3, 270, 272, 273.

5) Korrespondenz darüber: Ljubie 3, 271 if.

412 Viertes Bucb. Drittes Kapitel.

In der Tat trafen zwei serbische Feldherren ein, wahrscheinlich zur See, in Clissa der deutsche Söldnerführer Palmann, in Scardona der alte Gjuras, Sohn des Ilija, begleitet von Brüdern, Söhnen und Neffen. Aber ihre Lage wurde bald bedenklich. Die Vene- zianer sendeten Giacomo Delfino zum Zaren Stephan, um sich mit ihm wegen des Kaufpreises für die Burgen zu verständigen. Clissa war schon im Dezember vom königlichen Ban des küsten- ländischen Kroatiens derart eingeschlossen, daß der Verkehr mit der Burg nur nachts möglich war. In der Stadt Scardona, wo die Besatzung auch durch venezianische Soldaten verstärkt wurde, sträubten sich die Bürger gegen eine Herrschaft des „impe- rator Raxie", so daß Gjuras den Platz (10. Jänner 135G) den Venezianern übergeben mußte; dies hatte ihm Zar Stephan aus- drücklich für den Fall aufgetragen, wenn er sich nicht behaupten könnte. In CUssa kam Venedig zu spät; die Burg fiel in den Besitz des ungarischen Königs (März 1356).

Zar Stephan Dusan erlebte den Ausgang der Sache nicht mehr. Er war im fernen Süden geblieben und urkundete am 5. Dezember „unterhalb Ben'höa" (slaw. Ber) ^). Zwei Wochen nachher starb er, wir wissen nicht wo, Sonntag den 20. Dezember 1355, erst ungefähr 48 Jahre alt, und wurde in seiner Stiftung, dem Erzengelkloster bei Prizren, begraben ^).

1) Urk. datiert „pod Berom" (so Orig.): Pucic 2, S. 24 nro. 28; vgl. meine Kollation im Spomenik 11, 101. Nicht „unterhalb Ser" (Serrai), wie Daniele und Florinskij verbessern wollten.

2) Orbini 268 schreibt, Stephan sei an Fieber gestorben, nach den einen in „Diavolopota in ßomania" (Devol südlich von Ochrid?), nach anderen aber in Nerodimlje.

Viertes Kapitel.

Verfall des serbischen Reiches unter dem Kaiser Uros (1555-1371). Kaiser Symeon in Thessalien (1356 bis 1570 ?). König Vlkasin (1566—1571) und die Türken- schlacht an der Marica (1571) ^).

Nach dem Tode des Zaren Stephan war das Haus des Nemanja auf zwei männliche Personen beschränkt, die einander als Neben-

1) A) Quellen. Die Katsbücher von Ragusa haben eine Lücke 1368 bis 1378. Die Biographie des Patriarchen Sava I. (Daniel ed. Daniele 381). Der serb. Rodoslov (Genealogie) in der ältesten Redaktion, verfaßt um 1371 bb 1410: ed. Stojanovic im Glasnik 53 (1883) 1 13, der Kodex von Pec von demselben im Spomenik 3, 93 f. Wichtig für die Sagengeschichte ist das „Leben des Zaren Uros" vom serb. Patriarchen Paysij (aus dem 17. Jahrb.), herausg. von Ilarion Ruvarac im Glasnik 22 (1867) 209—232. Nikephoros Gregoras (bis 1358) und Kantakuzenos (einzelne Nach- richten bis 1364). Die griech. Chronik von Janina (1355 1400), verfaßt von den Mönchen Komnenos und Proklos, herausg. von Gabriel Destunis (Petersburg 1858) und von Jefta Avramovic im Glasnik 14 (1862) 233 bis 275. B) Literatur. Über das Ende der Nemanjiden: Ilarion Ruvarac, Chronologische Fragen über die Zeit der Schlacht an der Marica, des Todes des Königs Vukasin und des Todes des Zaren Uros: Godisnjica 3 (1879) 214—226. Ljubomir Kovacevic, König Vukasin ist nicht der Mörder des Zaren Uros, eb. 404 416. Dagegen P. Sreckovic, Der König Vu- kasin hat den Zaren Uros getötet, serb., Belgrad 1881. Const. Jirecek, Der serb. Zar Uros, König Vlkasin und die Ragusaner: Gas. ces. musea 60 (1886) 1—26, 241—276; dasselbe deutsch im Auszug in den S.B. der kgl. böhm. Gesellsch. d. Wiss. in Prag 1885, 114 141. Über die Balsici: C. Mijatovie im Glasnik 49 (1881) und 66 (1886); Georg von Strati- mirovic in der Godisnjica 15 (1895); Giuseppe Gelcich, La Zedda e la dinastia dei Bal§idi, Spalato 1899. Novakovic, Die Serben und Tür- ken im 14. und 15. Jahrb., serb., Belgrad 1893, 119f.

414 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

buhler entgegentraten. Es waren Stephans Sohn Uros und Stephans Halbbruder Symeon. Diese beiden jungen Männer besaßen nicht die Eigenschaften, um ein großes, neu erweitertes Reich in be- wegten Zeiten mit starker Hand zu leiten. Bald gab es Stürme im ganzen Lande ^). Die Kaiserin Helena besaß im Osten Serrai, im Westen Dulcigno. Sie legte bald den Schleier an, mit dem Klosternamen Elisabeth, und erlebte nach kurzer Zeit den völligen Zusammenbruch alles dessen, was ihr verstorbener Gatte aufgebaut hatte -). Thronfolger war unzweifelhaft Uros, der sich nun „Stephan Uros, Kaiser der Serben und Griechen" schrieb. Er war un- gefähr 1 9 Jahre alt, hatte sich aber durch keine glänzenden Taten bemerkbar gemacht, wie einst sein Vater in demselben Alter. Der Verfasser der älteren Genealogie (des Rodoslo v") der serbischen Herrscher schildert ihn als einen Jüngling von schöner Gestalt, jugendlich in seiner Sinnesart, allzu gnädig und sanft; die Rat- schläge der Alten wies er zurück und hielt sich an den Rat der Jüngeren und kam endlich zum Schaden durch seine eigenen Höflinge, von denen er viele Kränkungen erdulden mußte 3). Bald heiratete er (1360) Anna, eine Tochter des Alexander, Fürsten der Walachei; eine Schwester dieser neuen serbischen Kaiserin war Gattin des bulgarischen Thronfolgers, des Zaren Johannes Sracimir, wie denn die Heirat wohl von der Mutter des Uros ver- mittelt war, die dadurch einen neuen Anschluß an ihre bulgarische Verwandtschaft suchte^). Stephans Halbbruder Despot Symeon,

1) KantakuzenosIVcap. 43;Gregoras XXXVII cap. 13 (betrachtet Symeon irrig als den Sohn des Zaren Stephan) ; Chronik von Janina cap. 3 f.

2) Als Elisabeth schon im Jahre 6868 = 1. Sept. 1359 31. Aug. 1360: Stojanovic, Zapisi 1 nro. 116.

3) Rodoslov: ed. Safafik, Pamätky 54, ed. Stojanovic im Glasnik 53 (1883) 12.

4) Glückwünsche der Ragusaner „domino imperatori Sclavorum" zur Hochzeit im Juli 1360: Mon. Rag, 2, 293. Anna, Carica des Uros im Pomenik ed. Novakovic, Glasnik 42 (1875) 29. „Ancha, regina Servie", der Orient. Kirche treu: Th einer, Mon. Hung. 2, 95 (Jänner 1370). Orbini 269 hält sie für die erste Frau, die Uros verstoßen habe, um eine Tochter des serb. Magnaten Vojislav zu heiraten. Doch war Vojislav eher Schwager des Uros, Gatte seiner Schwester, von Uros in einer Urkunde (Mon. serb. 169) als „brat" (Bruder) bezeichnet, ebenso wie Stephans Schwager Dejan als dieses Zaren „brat" (ib. 143) erscheint.

Die Zaren Uros und Symeon (1356). 415

damals Statthalter in Epirus, war etwas älter, ungefähr 28 Jahre, besaß aber auch kein militärisches oder politisches Talent. Den Serben war er überdies nicht genehm als Halbgrieche, von Seite seiner Mutter und seiner Frau. Es ist charakteristisch, daß er meist mit einem verkleinernden Spitznamen erscheint, als „Sy- meonchen " (Sym^e , Simsa oder Semsa) ; noch jetzt kennt die Volkstradition den Bruder Dusans als Sinisa ^).

Symeon wollte Nachfolger seines Bruders werden, vielleicht nur als Mitregent seines Neffen. Er hat ja während der Kindheit des Uros als eventueller Nachfolger gegolten -). Nun versammelte er bei Kastoria ein Heer von ungefähr 5000 Serben, Albanesen und Griechen, ließ sich zum „Kaiser der Griechen, Serben und von ganz Albanien" proklamieren und schrieb sich, um serbische und griechische Ansprüche zu vereinigen, Symeon Uros Palaio- logos 2). Zahlreiche Adlige schlössen sich ihm an, besonders sein Schwiegervater, der Despot Johannes Komuenos in Valona. Durch die Angriffe der Serben und Wlachen litt während des Krieges (Juli 1356) besonders die Stadt Berat, damals Besitz des Des- poten Johannes^). Zur Gewinnung von Anhängern wurden Hof- titel nach byzantinischer Art von beiden Parteien freigebig ver- schenkt, auch an kleinere Herren; so finden wir im Küstenlande zwischen Valona und Durazzo einen Albanesen Blasius Matarango als „Sevastokrator", am See von Prespa einen Serben Novak als „Kaisar". Doch die Anhänger des Uros waren zahh'eicher. Der Statthalter von Thessalien, der „Kaisar'' Preljub, starb bald nach dem Zaren Stephan. Seine Witwe heiratete Hlapen, der Statthalter von Berrhöa und Voden, ein Gegner Symeons. Dem Uros treu blieb auch der Sevastokrator Branko Mladenoviö in

1) Symce (so im Orig.) Mon. Rag. 2, 193; Simsa, Spomenik 11, 32 33; Semsa im Pomeuik, Glasnik a. a. 0. Bei Orbini 270 Sinissa, „debile e di poco valore".

2) Mon. serb. 116 (1342).

3) Alle erhaltenen Urk. des Symeon sind griechisch. Faksimile bei Heuzey, Revue archeolog. 1861, wiederholt im Glasnik 18 (1865). Vgl. Spomenik 9, 28.

4) Gleichzeitige Notiz im JtXTi'ov der hist. Ges. 4 (1892) 276 f.

416 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

Ochrid mit seinen drei Söhnen: dem „Kaisar" Gregor, dem nachher berühmten Vlk und dem Mönch von Chilandar Roman ^).

Das ganze Unternehmen Symeons wurde lahmgelegt durch eine Bewegung unter den Griechen des Südens. Auf die Nach- richt von den Wirren in Serbien erschien (im Frühjahr 1356) an der thessalischen Küste mit Kriegsschiffen aus Enos der Despot Nikephoros und gewann mühelos Thessalien und Epirus. Die Griechen waren überall für den Nachkommen der alten Landes- fürsten, die Albanesen gegen ihn. Nikephoros wollte nämlich durch eine gewaltsame Restauration den Grundbesitz auf die Zustände vor acht Jahren zurückbringen, die Albanesen vertreiben und die Griechen in ihr Erbe einsetzen. Dabei suchte er eine Annäherung an die Serben und unterhandelte sowohl mit Symeon, seinem Schwager, als mit der Kaiserin Helena. Er war bereit, seine Frau, die Tochter des gestürzten Johannes Kantakuzenos, den Serben auszuHefern und eine Schwester der Helena zu heiraten, wohl <lieselbe, die vor wenigen Jahren dem Kaiser Johannes Palaiologos zugedacht war. Die Frau des Nikephoros floh jedoch rechtzeitig aus Arta zu ihrem Bruder Manuel Kantakuzenos nach Morea. Aber bald folgte ein Aufstand der Albanesen. Nikephoros wurde mit seineu griechischen Stratioten und türkischen Söldnern am Acheloos (jetzt Aspropotamo) von den albanesischen Edelleuten mit ihrem leicht beweglichen Kriegsvolk vollständig geschlagen und fiel im Kampfe (1358)-). Symeon erneuerte von Kastoria aus wieder die serbische Herrschaft im Süden. In Arta und Janina wurde er als Kaiser begrüßt, schlug aber seine Residenz in Thes- salien in der Stadt Trikala auf In Epirus blieb sein Einfluß ein- geschränkt durch die Sieger über Nikephoros, die Albanesen, welche am Acheloos und in Arta die wirklichen Landesherren waren.

Zu gleicher Zeit war der erwartete neue Krieg zwischen Venedig und Ungarn ausgebrochen. Die Venezianer ließen nach

1) Griechische Inschrift des Kaisar Gregor vom August 1361 ia Zaum bei Ochrid: Miljukov, Izvestija arch. inst. 4, 1 (1899) 84; Jordan Ivanov, Bulgarische Denkmäler aus Makedonien, bulg., Sofia 1908 S. 218.

2) Kantakuzenos IV cap. 43, Das Jahr 6866 = 1. Sept. 1357 bis 31. Aug. 1358 in der Chronik von Janina.

Zar Uros (1355—1371). 417

des Zaren Stephan Tod den Bund mit Serbien als wertlos ganz fallen; es war ein verspäteter Verweis, wenn ihnen der Papst wegen der Liga mit den ketzerischen Serben einen Tadel zu- kommen ließ ^). Als Ludwig vom Papste zum Feldherrn der Kirche gegen die serbischen Schismatiker ernannt worden war und ein ungarisches Heer (im Frühjahr 1356) in Agram angeblich gegen Uros zusammengezogen wurde, ließ sich Venedig überraschen. Die Ungarn wendeten sich unerwartet nach Friaul und bestürmten das venezianische Treviso.

Durch diese unruhigen Zeiten erklärt es sich, daß die Ragu- saner nach des Zaren Stephan Tod lange mit den üblichen Schritten um Wiederbestätigung ihrer Privilegien zögerten. End- lich im April 1357 versammelte sich der serbische Reichstag in Skopje, in Anwesenheit des Zaren Uros, des Patriarchen, der alten Kaiserin , des Adels und Klerus ^). Die ragusanischen Ge- sandten trafen den Uros in demselben Monat in Prizren und er- hielten von ihm die Bestätigung ihrer Rechte durch eine Reihe von Urkunden. Der größte Gewinn war die Schenkung der Ab- hänge über den Weingärten der Stadt, von Breno bis Kurilo (jetzt Petrovo selo). Als im Herbst ein albanesischer Adliger aus Valona als Gesandter Symeons nach Ragusa kam, sprachen die Ragusaner ihre Bereitwilligkeit aus, bei dem Abschluß eines Friedens zwischen Symeon und seinem Neffen mitzuwirken ^j.

Zu einer Ordnung aller Verhältnisse wäre eben die beste Zeit gewesen, denn die Ungarn, Bosnier, Byzantiner und Türken waren alle anderswo beschäftigt. König Ludwig zwang (1357) den jungen Ban Tvrtko, ihm den Norden Zachlumiens von der Cetina bis zur Narenta abzutreten, als Mitgift der Elisabeth, Tochter des Bans Stephan IL Tvrtko wurde verpflichtet, abwech- selnd mit seinem Bruder Stephan Vlk am ungarischen Hofe zu verweilen und daheim die Patarener zu verfolgen, was zu einer

1) Ljubic 3, 327 (Juli 1356). Urk. über den beabsichtigten Zug Ludwigs gegen Orosius, rex Rassiae: Raynaldi Ann. eccl. Bd. 16, 1356 cap. 24 f.

2) Urkunden: Mon. serb. 155 f.

3) Mon. Rag. 2, 193 (5. Sept. 1357).

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 27

418 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

großen Bewegung unter dem bosnischen Adel führte ^). Den Venezianern ging es in Dalmatien schlecht. An demselben Tage wurden die venezianischen Besatzungen von den Bürgern von Spalato und Trau plötzhch vertrieben (Juli 1357). Im Dezember besetzten die Truppen des Königs Ludwig Zara durch einen nächtlichen Überfall, im Einverständnis mit den Einwohnern. Bei den Türken hat der älteste Sohn Orchans, der Thronfolger Suleiman durch einen Sturz vom Pferde unerwartet den Tod gefunden (1356). Von den andern Söhnen wurde ChaUl von griechischen Seeräubern gefangen und von dem byzantinischen Statthalter von Phokaia bei Smyrna Johannes Kalothetos zwei Jahre lang (1356 1358) gefangen gehalten. Orchan bat den Kaiser um Vermittlung, Kalothetos verweigerte jedoch den Ge- horsam, mußte von Johannes Palaiologos belagert werden und gab den kostbaren Gefangenen erst gegen hohe Würden und eine große Geldsumme heraus. Während der Gefangenschaft Chahls hatte Thrakien, wie Gregoras berichtet, endHch einmal Ruhe; die türkischen Raubzüge hörten auf, das Land wurde wieder gangbar und erfreute sich an einer reichen Weinlese,

Damals fand auch das Kaisertum des Matthaios Kantakuzenos im Rhodopegebiet ein jähes Ende (Sommer 1357)-). Er ver- suchte einen Angriff auf die Serben, wahrscheinlich um aus dem Kampfe zwischen Uros und Symeon Vorteil zu ziehen. Geheime Verbindungen mit einigen serbischen Adligen lockten ihn in eine Falle. Mit 5000 Türken aus verschiedenen Emiraten, die ihm sein Freund Orchan gesendet hatte, ritt der jüngere Kantakuzenos durch den Paß von Christopolis. Vor Serrai, wo sich die Kaiserin Helena befand, stieß er unerwartet auf ein starkes, vom Zaren Uros gesendetes Heer unter dem „Kaisar" Vojihna {Botxvag), dem Befehlshaber von Drama, und wurde vollständig geschlagen. Im Abenddunkel verbarg er sich zu Pferde in dem Schilf eines Sumpfes bei dem aus dem Altertum berühmten Philippi, welches damals noch eine bewohnte Stadt war. Die Phihpper fanden den

1) Ilarion Ruvarac, Glasnik bos. 6 (1894) 231, 611 = Wiss. Mitt. 4 (1896) 828, 335.

2) Kantakuzenos IV cap. 44—45. Gregoras XXXVII cap. 16.

Zar Uros (1355—1371). 419

Matthaios mit Hilfe von Jagdhunden und brachten ihn zum ser- bischen Feldherrn. Vojihna lieferte ihn mit Erlaubnis der Kaiserin Helena um große Geschenke dem Kaiser Johannes aus, welcher inzwischen des Rhodopegebiet besetzt hatte und dadurch Nachbar der Serben wurde. Für die Serben des Uros war der Sieg über Matthaios ein ebenso großer Erfolg, wie der Untergang des Nike- phoros für die Partei des Symeon.

Der Krieg zwischen Ungarn und Venedig schloß mit dem Frieden von Zara (18. Februar 1358). Die Venezianer wurden für ein halbes Jahrhundert von der Ostküste des Adriatischen Meeres vollständig verdrängt, nach dem Wortlaut der Urkunde von der Mitte des Quarnero bis zu den Grenzen von Durazzo. Die ganze dalmatinische Küste bis zur Narenta kam mit allen Inseln unter ungarische Herrschaft, ebenso Ragusa, welches nun eine Republik wurde, mit monathch gewählten Rektoren aus dem Stadtadel. Der ungarische König bezog von den Ragusanem nur ein Jahrgeld und hatte in der Stadt keine Beamten und keine Besatzung. Nach den ungarischen Privilegien blieb Ragusa das Recht gewahrt, mit Serbien oder Venedig Handel zu treiben, auch wenn der König von Ungarn mit einem dieser beiden Staaten in Feindschaft wäre ^).

Der Krieg zwischen Uros und Symeon war damals neuer- dings in Gang gekommen. Bis zur Donau gab es (Sommer 1358) in den kaufmännischen Kolonien eine Panik auf die Nachricht über einen Vorstoß Symeons nach Serbien, in die Landschaft von Skutari 2). Doch war dies der letzte Versuch. Der Süden des Reiches des Stephan Dusan blieb fortan getrennt vom Norden. Symeon hatte sich zu Hause in Thessalien gegen Hlapen zu ver- teidigen, der für seine Stiefkinder, die Kinder des Preljub, An- sprüche erhob. Als Hlapen die Burg Damasis ^) eroberte, schloß

1) Starine 1, 144 145. Gelcich et Thalldczy, Diplomatarium relationum reipublicae RagusaDae cum regno Hungariae (Budapest 1887) 1 f.

2) Brief eines Ragusaners aus Zeljeznik in Kucevo 3. Febr. 1359: Spomenik 11, 33. Nach Orbini 270 wurde Symeon von der Burg von Skutari zurückgeschlagen.

3) Jetzt Dorf Dhamasi am Xerias, nw. von Larissa, auf türkischem Boden nahe bei der Grenze des Königreichs Griechenland.

27*

430 Viertes Bucli. Viertes Kapitel.

Symeon mit ihm Frieden und gab seine Tochter Maria Hlapeus Stiefsohn, dem Thomas Preljubovic zur Frau. Am kaiserlichen Hofe zu Trikala gewannen griechische Familien großen Einfluß, besonders die Angeli, Verwandte von Symeons Frau. Unter ihnen waren auch Nachkommen des byzantinischen Mundschenks [itiy- vJgvrig), einst Statthalters des Kaisers Kantakuzenos in Thessalien, des Johannes Angelos, Das sind die „Epikernäer", wie sie Chal- kondyles nennt ^). Es gibt in Thessalien heute noch ein merk- würdiges Denkmal aus der Zeit Symeons: die zahlreichen Meteor- klöster, auf unzugänglichen Felsen bei der bischöflichen Stadt Stagoi gegründet von griechischen Eremiten. In Epirus setzte Symeon seinen Schwiegersohn Thomas als Despoten ein (1366 bis 13^5). Unter dem Jubel der Einwohner zog der junge Serbe mit einem starken Heere in Janina ein, welches seit der Besetzung von Arta durch die Albanesen die Hauptstadt des Landes geworden war. Aber seine Macht war beschränkt durch den albanesischen Adel im Gebirge und im Süden des Landes, unter fortwährenden Fehden. Populär war seine Gattin, die „Kaiserin" {ßaailiaoa) Maria, die sich als Nachkomme der alten Landesfürsten „Angelina, Dukaina, Palaiologina" schrieb. Thomas selbst fand als gewalt- tätiger Dynast bei den Griechen wenig Freunde, wie dies die von den Mönchen Komnenos und Proklos verfaßte Stadtchronik von Janina ausführlich darlegt. Seine Hauptsorge war die Erhaltung seiner serbischen Truppen, durch Okkupation von Gütern der Archonten und der Kirche, durch Verheiratung der griechischen Witwen nach einer Seuche an die Serben und durch drückende Steuern und Monopole. Der mächtigste Mann im Süden wurde der zweite Despot des Landes, der energische Albanese Johannes Spata, der Herr von Arta. Seine Heirat mit des Thomas Schwester Helena verhinderte nicht den Ausbruch neuer Kämpfe zwischen den Herren von Janina und Arta. Der nächste fränkische Nachbar wurde der neue, von dem lateinischen Titularkaiser (1357) ein- gesetzte Pfalzgraf von Kephallenia und Zante, Leonardo Tocco,

1) 'EnixiQvaToi: vgl meine Zusammenstellung in der Byz. Z. 18 (1909) 585 (zur Form vgl. in Bulgarien im 14. Jahrh. „epikernij" für Ttiyx^QVTis).

Zar Uros (1355-1371). 421

ein neapolitanischer Ritter aus Benevent, der Stammvater der letzten epirotischen Dynastie,

König Ludwig wendete sich nach der Gewinnung Dalmatiens gegen die Serben. Im Donaugebiet wurde während der inneren Wirren ein serbischer Edelmann von einem mächtigen Nachbarn arg bedrängt. Als er bei Uros kein Recht finden konnte, bat er Ludwig um Hilfe und besiegte mit ungarischen Truppen seinen Nebenbuhler, der in der Schlacht fiel ^). Dadurch gewann der König einen guten Übergang über die Donau. Im Frühjahr 1359 kam ein starkes ungarisches Heer, in welchem sich auch deutsche Ritter, wie Graf Ulrich von Cilli befanden, über den Fluß, schlug am Fuß der großen Gebirge (grandi montagne di Rascia) das serbische Heer nach hartem Kampfe und drang acht Tagemärsche weit in das Land ein, wohl in die Berge von Rudnik. Beute gab es wenig, da die Serben alles in die Wälder fortgeschaflft hatten. Zar Uros, der „chayser von Syrvey'* des Suchen wirt, zog sich in die unzugänglichen Waldgebiete zurück, wohin ihm niemand ohne großen Schaden folgen konnte. Die serbischen Bauern beunruhigten das ungarische Heer ohne Unterlaß. Im Hochsommer kam König Ludwig persönlich mit einem zweiten Heer, lagerte bei den Berg- werken von Rudnik, aber seine Großen erlaubten ihm nicht weiter in die Gebirge zu ziehen. Nach einem Monat kehrte er wieder zurück -).

Ragusa, nunmehr unter ungarischer Hoheit, bekam die Ver- änderung zu fühlen. Nachbar der Stadt war einer der einfluß- reichsten Männer des serbischen Hofes, der Knez Vojislav, Sohn des Vojno, Statthalter von Canali, Trebinje, Gacko, Drina, Sjenica usw. Uros hat ihm auch den Titel eines „Knezen" von Zachlumien verliehen. Als König Ludwig in Serbien einbrach, verlangte Vojis-

1) Berichte des Matteo Villani IX cap. 22, 32. Suchenwirts Lobrede in deutscheu Versen auf Ulrich von Cilli bei Huber, Archiv f. Ost. Gesch. 66 (1885) 28. Vgl. Huber, Geschichte Österreichs 2, 226.

2) König Ludwig urkundet 31. Mai in Slankamen, 25. Juni in Rudnik, 6. Juli „in Servia", 22. Juli 1359 wieder in Visegrad bei Ofen. Vgl. D. Grub er über die Zeit Ludwigs I. in Dalmatien, im Rad 168 (1907) 186 A. 1 und M. Wertner, Itinerar Ludwigs L, im Vjesnik zem. ark. 5 (1903) 129.

433 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

lav von den Ragusanern unter Drohungen die Abtretung von Stagno ; es gehöre ihm als Residenz des „comes Chelmi", eine Zumutung, die nur Abweisung finden konnte. Nun wurde die Umgebung von Ragusa von den Serben verheert, zum Schluß aber der Friede um 4000 Perper erkauft (1359). Im folgenden Jahre erlangten die Ragusaner vom Zaren Uros in Sjenica ein neues Chrysobull über Handelsfragen (September 1360). Doch als König Ludwig wieder ein Heer gegen Serbien rüstete, begann Vojislav den Krieg von neuem, diesmal im Bund mit Cattaro (1361). Auf Befehl des Zaren wurden alle ragusanischen Kauf- leute in Serbien gefangengesetzt. Die Ragusaner beantworteten dies mit der Festnahme aller Handelsleute aus Cattaro und Prizren in ihrer Stadt und mit der Konfiskation der großen Deposite der serbischen Adligen. Sie fanden Freunde unter den Edelleuten der Zeta und blockierten mit ihren Kriegsschiffen die Küste, besonders den Golf von Cattaro. Auf die Tötung des Vojislav schrieb der Große Rat einen Preis von 10 000 Perper aus, dazu noch ein steinernes Haus in Ragusa, auf den Kopf eines jeden der Söhne Vojislavs einen Preis von 2000 Perper i). Um die Einstellung des Krieges bemühten sich lange vergeblich der Ban von Kroatien, welcher den Ragusanern Hilfstruppen nach Stagno gesendet hatte, der Ban von Bosnien durch seinen benachbarten Statthalter Zupan Sanko, des Milten Sohn, und die von den Cattarensern um Ver- mittlung ersuchten Venezianer. Erst am 22. August 1362 wurde der Friede zwischen Ragusa und Serbien in der Burg OnogoSt (jetzt Niksidi) unterzeichnet, mit Freigebung aller Deposite, Ent- lassung der Gefangenen, gegenseitiger Verzeihung aller Untaten und Wiederherstellung der alten Rechte, besonders des freien Handels. In der Urkunde erscheint der Krieg nur als eine Fehde der Ragusaner mit Vojislav und der kaiserlichen Stadt Cattaro, Zar Uros bloß als Friedensvermittler -).

Man sieht, die Autorität des jungen Zaren war ganz im Rückgang, zurückgedrängt durch die Übermacht der Magnaten. Die kleinen Beamten, die Kefalijas (Gouverneure), Vojvoden und

1) Mon. Rag. 3, 87.

2) Mon. serb. 1G9— 171.

Zar Uroä (1355—1371). 423

Kastellane erscheinen nicht mehr als Vertreter des Zaren, sondern als Organe der einzelnen Großen. Der mächtigste Mann, Knez Vojislav Vojnovid, wurde damals als Freund der Venezianer durch eine Goldbulle des Dogen zum Bürger von Venedig ernannt ^). Er starb aber schon bald (1363) bei dem Wiederauftreten der Bubonenpest. Sein Gebiet verwaltete seine Witwe, die „domina romitissa", mit ihren wahrscheinlich unmündigen Söhnen, welche mit den Ragusanern in Frieden lebte. Noch bei Lebzeiten des Vojislav erscheint bei den Friedensverhandlungen mit Ragusa (1361) als eine zweite einflußreiche Persönlichkeit des Hofes Vlkasin (Vol- cassinus). Unter Zar Stephan wird er (1350) als Zupan von Prilep erwähnt, in einer Landschaft, in welcher er sich langsam eine Hausmacht gründete -). Zar Uros ernannte ihn zum Despoten. Sein Bruder Ugljesa war unter Zar Stephan (1346) eine kurze Zeit Statthalter in der Nachbarschaft von Ragusa ^). Nach Chalkon- dyles war von den beiden Brüdern der eine Mundschenk (olvoxöog), der andere Stallmeister {i7t7to7.6iuog) des Zaren Stephan *). Sagen- haft sind die Berichte der ragusanischen Chronisten um 1600. Nach Orbini soll der Vater der Brüder ein armer Edelmann Margnava aus Livno gewesen sein, der dann bei Blagaj an der Narenta lebte und vom Zaren Stephan an den Hof berufen wurde ^). Der Name erinnert an den um 1280 in Trebinje urkundlich erwähnten Mrnjan (Mergnanus), Kaznac oder Schatzmeister (camerarius) der Königin Helena, Mutter Uros' H.

Eine große Veränderung vollzog sich damals in der Zeta. Der angesehenste Mann im Innern, Gjuras Ilijid, einer der Feld- herren des Zaren Stephan, wird seit 1362 nicht mehr genannt; sein

1) Ljubic 4, 48 (Juli 1362) : Voyslaus comes, „inagnus procer Sere- nissimi domini imperatoris Sclavonie".

2) Stojanovic, Zapisi 1 nro. 97. Die Form Vakasin ist jünger, nach den seit 1400 eintretenden Lautveränderungen.

3) Geschenke Uglesse barono: Mon. Rag. 1, 235.

4) Chalkondyles ed. Bonn. p. 28.

5) Orbini 274; vgl. Luccari (1. Ausg.) 58. An diese herzegowi- nischen Sagen schließt sich eine späte Chronik des Klosters Zographu auf dem Athos an, nach welcher Vukaäin aus dem Dorfe Opanci (bei Almissa) stammte: Jordan Ivanov a. a. O. 171.

424 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

Grabstein ist noch bei der St. Michaelskirche von Prevlaka am Golf von Cattaro zu sehen ^). Die Landschaft an der Bojana ver- waltete unter Uros zuerst der hervorragende Edelmann Zarko (1356 1357), den die Venezianer auch mit ihrem Bürgerrecht auszeichneten '^). Seit 1360 treten an seine Stelle mit einem Male die drei Brüder Balsidi: Stracimir, Georg (Jura) und Balsa. Ira Chrysobull von Sjenica gewährt Zar Uros den Ragusanern freien Handel in seinem Reich, besonders „in der Zeta bei den Balsidi" und im Gebiet des Vojislav; durch diese zwei Territorien führten nämlich die wichtigsten Wege in das Innere. Die Einsetzung dieser Brüder steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem letzten Kriege gegen Symeon bei Skutari. Sie besaßen damals Antivari, Budua, vielleicht auch Skutari; Dulcigno blieb anfangs noch Besitz der Kaiserinmutter. Schon im zweiten Kriege der Ragusaner mit ihren Nachbarn waren die Balsici verbündet mit Ragusa gegen Cattaro und gegen Vojislav, der Budua für sich haben wollte. Bald wurden sie Bürger von Ragusa (1361) und von Venedig (l 362). In päpstlichen Urkunden erscheinen die Brüder als „Zupane der Zeta" '^). Den Krieg gegen Vojislav setzten sie auch nach dem Frieden von Onogost fort; als Vojislav sich von den Ragusanern eine Galeere gegen die Balsici ausleihen wollte, wurde er abgewiesen, „weil ihr beide unter einem Herrn stehet" *). Der Name Balsa kommt nur in Serbien und in der Moldau vor; er hat zwar eine slawische Ableitungssilbe, ist aber nicht slawischen Ursprungs und wird schon früher bei den Rumänen Serbiens erwähnt '•'). Daß die Brüder Emporkömmlinge waren,

1) lurax (so im Orig.) zuletzt Aug. 1362: Mon. Rag. 3, 222. Grab- inschrift: Stojanovic, Zapisi 1 nro. 120.

2) Sarchus, baro domini regis Raxie : Spomenik 11, S. 13. Chal- kondyles a. a. 0. verwechselt ZuQy.og mit Dejan.

3) Zupani Zente 1368, 1370: The in er, Mon. Hung. 2, 86, 103.

4) Mon. Rag. 3, 256 (März 1363).

5) Zuerst ein Barbat Balsic in dem Wlachendorf der Gjurasevci oder Sremljane um 1330: Urk. von Decaui 53, 125. Neben Balsa, im 15. Jahrb. Baosa (-sa wie in Jaksa, Niksa aus Jacobus, Nicolaus), in Serbien die ver- wandten Personennamen Bai, Bala , Balica , Balija , Baleta , Baloje , Balosin, Baloslav (ein Dmitr Baloslalic: Urk. Decani 50), in der Moldau Balomir. Vgl. den illyrischen König Ballaios.

Zar Uros (1355-1371). 43*

sagt ein Nachricht bei Orbini: ihr Vater, namens Balsa, sei ein armer Edelmann gewesen, der unter Zar Stephan nur ein Dorf besaß ^). Als Verwandter erscheint ein Albanese, der Vojvode Nikola Zacharia, Herr von Budua, der auch Bürger von Ragusa (1365) und Venedig (1366) wurde ^j. Die Beziehungen zu den katholischen Albanesen erklären es, warum die Balsici öfters mit den Päpsten Verbindungen anknüpften, zuerst 1368. Einige Historiker der Neuzeit brachten die serbische Dynastie der Balsas in Zusammenhang mit dem mächtigen französischen Adelsgeschlechte der Baux (Baucii, de Baucio, spanisch de ßauza) in der Provence und unter den Anjous in Neapel, welches seinen Namen von der auf einem isolierten Felsen der Mündungsebene der Rhone nahe bei Arles erbauten Burg Les Baux (lies Bauz, lat. Baucium) führte. Doch ist dies eine bloß auf dem Anklang der Namen beruhende Hypothese ^).

Südlich von dem Gebiet der Balsici werden die Flußmün- dungen Albaniens noch 1363 als das Land des „imperador de Sclavonia" bezeichnet. In der Nachbarschaft von Durazzo war der mächtigste Mann ein albanesischer Graf, der kriegerische Karl Topia (1359 1388), dessen Taufname an die altern Anjous er- innert. Bald schrieb er sich „Fürst von Albanien". In der drei- sprachigen, lateinischen, griechischen und slawischen Inschrift über die Erneuerung der Kirche des heiligen Johannes bei Elbassan (1381) rühmt er sich der Abstammung aus dem Hause der Könige von Frankreich ^). Den Balsici war er Feind, nahm einmal (1364)

1) Balsa, „gentilhuomo di Zenta assai povero, e in vita dell' impera- dore Stefano teneva solamente una villa". Orbini 286.

2) Die Nachrichten über Nie. Zacharia, einen ,,consanguineus" der Baliici, und über seine vier Brüder (einer führt den albanesischen Namen Progon) habe ich mitgeteilt im Arch. slaw. Phil. 19 (1897) 589. Vor diesem Albanesen war 1361 1364 der Serbe Povrsko Kastellan von Budua, ein Freund der Ragusaner.

3) Die Verwandtschaft der Balsici mit den Baux wurde angenommen von Du Gange, Farlati, Buchon, Lenormant, Mijatovic, Mas- latrie, abgewiesen vou Hahn, Hopf und Barthelemy.

4) Inschrift 1381: Novakovic, Die ersten Grundlagen der slaw. Literatur usw. (Belgrad 1893) 226 f. (/| ccY/uaros ()Tjyug Tt]g 4^Qayyiugj de domo Franciae).

436 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

den Georg gefangen, schloß durch Vermittlung der Ragusaner einen Frieden, aber im Jänner 1368 urkundeten alle drei Brüder im Lager am Flusse Mat wieder auf einem Feldzuge gegen Karl ^). Die Neapolitaner in Durazzo bedrängte und belagerte Topia so lange, bis er diese wichtige Stadt im März 1368 in seinen Besitz bekam -). Weiter südlich folgte in Valona auf den Despoten Johannes, der wahrscheinlich auch ein Opfer der Pest des Jahres 1363 wurde, Alexander, „Herr von Kanina und Valona" (1363 bis 1368), vielleicht sein Sohn, Bürger von Ragusa, mit einem Gefolge von serbischen, albanesischen und griechischen Edelleuten ^). Im Innern galt Zar Stephan Uros noch 1365 als Landesherr in Ochrid.

Die letzte bisher bekannte Urkunde des Zaren Uros ist datiert im März 1365 in Pristina. Er bestätigt darin eine Schenkung der drei Söhne des verstorbenen Sevastokrators Branko an das Kloster Chilandar, dem altererbte Besitzungen der Familie im Lande zwischen Pristina und Prizren zugewiesen werden; das Gebiet von Ochrid scheinen die Brankovidi damals nicht mehr besessen zu haben ^). Die Kaiserinmutter, nunmehr die Nonne Elisabeth, residierte noch immer in Serrai, umgeben von einem Hofstaat von serbischen und griechischen Adligen und Klerikern. In einer Urkunde über die Besitzungen des Klosters Esphigmenu auf dem Athos erscheinen im August 1365 an ihrem Hofe ihr Schwiegersohn oder Schwager {yaj.tßQ6g), der Kefalija (Gouverneur) von Serrai Radoslav 5), und ihr Vetter (i^dd£l(fog) Alexios Asan,

1) Mon. serb. 177.

2) „Dominus Karollus Topie, princeps Albaniae, qui, ut dicitur, modo cepit Dirachium": Misti vol. 32 f. 116 v im Arcbiv von Venedig.

3) Despot Jobannes zuletzt Sept. 1363: Ljubic 4, 58. Alexander: Mon. Bag. 3, 263; Mon. serb. 178—179; vgl. Spomenik 11, S. 11. Aus Gjurica (dem kleinen Georg), dem Logofeten (Kanzler) des Alexander (Mon. serb. 1. c.), wurde bei Hopf durch ein Mifsverständnis der Fürst „Alexander Gioritsch".

4) Mon. serb. 171 173. Spomenik 3, 31. Geographisch erläutert von Lj. Kovacevic: Godisnjica 10 (1888) 217 f.

5) Viz. Vremennik 12 (1906) Beilage nro. 18 S. 37—40. Die Unter- schriften teils serbisch, teils griechisch. Radoslav, im Text vielleicht infolge einer Heirat mit dem Namen der byz. Archontenfamilie Tornikes bezeichnet, am Schluß aber serbisch unterschi'ieben, ist vielleicht identisch mit Radoslar

Zar Uros (1355—1371). 437

wohl derselbe, welcher durch eine Schenkung des Kaisers Johannes Palaiologos auf byzantinischem Boden die Insel Thasos, Christo- poHs und einige andere Burgen an der Küste besaß ^).

Die Türken erweiterten inzwischen ihr Gebiet von Kallipolis aus. Nach Villani besetzten sie im November 1361 die große Burg von Dimotika. Große Aufregung verursachte in ganz Ost- europa der Wiederausbruch der Bubonenpest, die 1362 in Trape- zunt sehr stark auftrat, 1363 Albanien und Dalmatien verheerte. Damals starb (März 1362) der Emir Orchan; sein Nachfolger wurde nicht Chalil, Schwiegersohn des Kaisers Johannes, wie die Byzantiner wünschten, sondern Murad I. (1362 1389), der Grün- der der osmanischen Macht in Europa. Die Pestjahre benutzten die Türken zur raschen Besetzung der übrigen Städte Thrakiens, vor allem von Adrianopel (ungefähr 1363)-). Die Reste des Kaisertums von Konstantinopel begannen den territorialen Zu- sammenhang mit den christlichen Staaten zu verlieren. Kaiser Johannes suchte einen Anschluß an die Serben und sendete den Patriarchen Kallistos zur serbischen Kaiserin nach Serrai, um end- lich Frieden zu schließen und eine gemeinsame Offensive gegen die Türken zu verabreden. Das Oberhaupt der Konstantinopler Kirche fand bei der Witwe des Zaren Stephan den besten Emp- fang, verfiel jedoch in eine schwere Krankheit und wurde bald in Anwesenheit der Athosmönche feierlich in der Kathedrale von Serrai begraben (Sommer 1364). Mit den Bulgaren verhandelte Kaiser Johannes nicht, sondern führte zur selben Zeit persönlich einen Krieg mit ihnen, wieder um die Küstenstädte am Golf von Burgas. Er eroberte sofort Anchialos, belagerte aber vergeblich Mesembria ; Zar Alexander vermochte ihn mit seinen Bulgaren und türkischen Söldnern nicht von dort zu vertreiben und bewog ihn durch Geld zum Abzug ^).

Povica, einem Bruder des Lop;ofeten Georg, der im Mai 1368 „in domo sua in civitate Serrarum" urkundete (Spomenik 11, 85).

1) ChrysobuU des Kaisers Johannes an die Brüder Alexios und Jo- hannes, März 1356: Diplomatarium reneto-levantinum 2, 166.

2) Zur Chronologie vgl. meine Ausführungen in Arch. slaw. Phil. 14 (1892) 260 und Byz. Z. 18 (1909) 582.

3) Kantakuzenos IV cap. 50 (Schluß des Werkes). Die Chrono-

428 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

In Bulgarien gab es in der Herrscherfarailie unerfreuliche Verhältnisse. Alexander hatte seine erste Gattin ins Kloster ge- sperrt, um eine schöne Jüdin zu heiraten, die „neugetaufte" Theodora. Der älteste lebende Sohn aus der ersten Ehe, Johannes Sracirair, wurde von der Nachfolge ausgeschlossen und mit dem Kaisertitel in Vidin belassen ; der größere Teil Bulgariens mit dem Thron sollte dem jungen Johannes Sisraan zufallen, dem Sohn der Jüdin. Dies kam dem König Ludwig von Ungarn ge- legen, der kurz zuvor (1363) auf einem Zug nach Bosnien kein Glück gehabt hatte, bei der Belagerung der Burg Sokol an der Pliva von Vlkac Hrvatinid, Hrvojes Vater, zurückgeschlagen. In Bulgarien gab es keinen solchen Widerstand. Ludwig erstürmte (Mai 1365) Vidin, führte den Zaren Sracimir weg und hielt ihn vier Jahre lang gefangen auf einer Burg in Kroatien. Indessen wurde Vidin (1365 1369) von einem ungarischen „Ban von Bulgarien" verwaltet i). Es war der Höhepunkt der Unterneh- mungen Ludwigs in den Balkanländern.

Ein anschauliches Bild der damaligen Lage von Byzanz bietet eine Rede des Demetrios Kydones (1366) 2). Die Türken sind Herren von Kallipolis und einem Teil von Thrakien mit der Rho- dope und wohnen dort sicherer, als wir selbst in früheren Zeiten. Die Einwohner von Konstantinopel leben eingeschlossen wie in einem Gefängnis oder wie Tiere in einem Käfig. Es nützt kein Vertrag, keine Jahrgelder, keine Heiraten mit den Emiren. Hilfe findet man in der Nähe keine. Die Macht der Tataren ist in Verfall. Die Serben und Bulgaren sind nahe, sind desselben Glau- bens wie wir, aber es sind arme Völker und pflegen nicht in die

logie unterliegt keinem Zweifel. Nach der Rückkehr des Kaisers wurde Philotheos zuna zweitenmal Patriarch, nach den Acta graeca 1, 448 am 8. Okt. 1364. Die Annalen bei Jos. Müller notiei-en den Tod des Kallistos (6872)11 Ind. = 1. Sept. 1303 31. Aug. 1364. Im Jahre 1363 war Kallistos im Sommer in Konstantinopel, wo ihn eine trapezuntinische Ge- sandtschaft, die lange in der Stadt verweilte, besucht hat (Panaretos ed. Tafel 367).

1) Neugefundene Urkunden über die ung. Herrschaft in Vidin herausg. von Thallöczy, Törtenelmi ttir 1898 und Szazadok 1900 Sept.

2) Migne, Patrologia graeca Bd. 154 p. 962 ff.

Zar Uros (1355-1371). 429

Ferne in den Krieg zu ziehen. Sie haben uns viel weggenommen und unser Mißgeschick ausgebeutet; die Verhandlungen und Gesandt- schaften zu ihnen sind vergeblich. Die Bulgaren befestigen und versorgen schon ihre Hauptstadt, für den Fall einer Belagerung durch die Türken. Helfen kann nur das Abendland, die Heimat der Kreuzfahrer, reich an Geld und Leuten, die Italiener und Ungarn. Hervorgehoben wird der kühne Überfall von Alexandria durch den König Peter I. von Zypern (Oktober 1365). Gesandte des Kaisers Johannes reisten damals bittend nach Italien und nach Avignon. Der Kaiser selbst segelte im Winter Ende 13G5 mit geringem Gefolge über das Schwarze Meer zu den Donau- mündungen, dann die Donau aufwärts nach Vidin und traf wohl- behalten bei König Ludwig in Ofen ein. Ludwig gab ihm Hilfs- truppen, aber die Bulgaren ließen ihn, da sie mit Ungarn im Kriege waren, aus Vidin nicht durch ihre Länder durch. Indessen hatte der Graf von Savoyen Amadeo VI., ein Neffe der byzan- tinischen Kaiserinmutter Anna, ein kleines Heer von FreiwiUigen und Söldnern gesammelt und segelte (Juni 1366) von Venedig nach Konstantinopel. Unterwegs wurde Kallipolis erstürmt (im Augustj. Der weitere Feldzug wendete sich aber statt der Türken gegen die Bulgaren, die nun von zwei Seiten arg bedrängt wurden. Ihre Seestädte von Sozopolis bis Kaliakra wurden von Amadeo erobert; nur Varna behauptete sich. Im Frieden mußte Zar Alex- ander Sozopolis, Anchialos und Mesembria den Griechen abtreten, die fortan bis 1453 Herren dieser Küste blieben. Kaiser Johannes kam von Vidin wieder mit wenigen Begleitern zu Schiff die Donau hinab ins Schwarze Meer und traf den Amadeo in Sozopolis (Jänner 1367). Der Graf von Savoyen nahm den Türken noch einige kleine Burgen in der Umgebung von Konstantinopel und kehrte nach Italien zurück. Der Erfolg seiner Expedition war ganz vorübergehend. Die Byzantiner konnten Kallipolis auf die Dauer nicht behaupten, da Murad die Herausgabe dieser Stadt als Bedingung des Friedens stellte ^).

1) Hauptquelle die Rechnungen der Expedition des Grafen Amadeo, herausg. von F. BoUati de St. Pierre , Biblioteca storica ital. , Bd 5 (rich- tig 6), Turin 1900. Die Reden des Kydones a. a. 0. Zar Alexander von

^3* Viertes Buch. Viertes Kapitel.

Wir wissen nicht, ob es diese Ereignisse in der Nachbarschaft oder innere Verhältnisse waren, welche zu einer großen Verände- rung in Serbien führten. Viele fühlten die Notwendigkeit, dem schwachen und kinderlosen Zaren einen kräftigen Mitregenten zur Seite zu stellen, welcher den Königstitel führen sollte, wie einst Uros neben seinem Vater Stephan. Als König neben dem Zaren erscheint mit einem Male Vlkasin. Wie die Sache durchgeführt wurde, ist nicht bekannt i). Im November 1366 kamen Gesandte sowohl des Zaren (dominus imperator Sclavonie), als des Königs (dominus rex Sclavonie) zusammen nach Ragusa wegen des St. De- metriustributes 2). Das eigene unmittelbare Gebiet Vlkasins um- faßte die Landschaften auf beiden Seiten des Sar, mit den Städten Prizren, Skopje und Prilep. Erst nach drei Jahren ließen sich die ßagusaner die von Zar Stephan verliehenen Handelsrechte vom neuen König durch ein Privilegium bestätigen, gegeben in der Landschaft Porec bei Skopje (5. Aprü 1370). Vlkasin nennt sich in dieser Urkunde „Herr des serbischen Landes, der Grie- chen und der westlichen Gebiete" und erwähnt auch seine Frau, die Königin Helena (Alena), und seine Söhne Marko und Andreas; später hören wir noch von einem dritten Sohn Dimitar. Wohl der älteste, Marko, sollte damals eine Frau aus dem kroatischen Geschlechte der Subici, Tochter des Gregor Pavlovid, heiraten, welche bei Ban Tvrtko und dessen Mutter in Bosnien lebte, doch die Heirat einer katholischen Edelfrau mit einem schismatischen Königssohn wurde durch den Widerspruch des Papstes verhindert*). Von der Freundschaft mit Ragusa gab noch lange Zeit Zeugnis ein Deposit des Königs (denarii quondam regis Volchassini), welches

Trnov als „Alexander de Thurno" in einem Briefe vom April 1367 bei Thallöczy im Tört(5nelmi tär 1898 (Urk. nro. 8). Vgl. Delaville le Roulx, La France en Orient au XIV siecle, Paris 1886 (Bibl. de l'ecole fran^aise, Bd. 44).

1) Nach Orbini 269 war die Änderung friedlich vor sich gegangen; Uro§ gab Vlkasin den Königstitel (gli diede etiandio il titolo del Re).

2) Mon. Eag. 4, (;8, 69, 71, 72.

3) Jb. 4, 94, 114, 126. Mon. serb. 179-181.

4) „Filio magnifici viri regis Kassie scismatico": Urban V. im April 1370 an König Ludwig und Ban Tvrtko: Theiner, Mon. Hung. 2, 97.

König Vlkasio (1366-1371). * 431

von seinen Söhnen bis 1399 ganz behoben wurde. Die wichtigste Stütze des neuen Königs war sein Bruder, der Despot Johannes Ugljesa (OuyKltoriq), welcher das Grenzgebiet gegen die Griechen und Türken im Südosten mit der Residenz in Serrai übernahm. Alle Nachrichten loben ihn als einen tüchtigen und tapferen Mann. Seine Frau war die Tochter eines der früheren Statthalter dieser Län- der, des „Kaisar" Vojihna. Es ist merkwürdig, daß Ugljesa sich in serbischen und griechischen Urkunden neben seinem Despotentitel mit den vollen Attributen der Kaiser würde schreibt ^). Seine Politik verfolgte als Ziel einen kirchlichen Frieden mit den Grie- chen und ein Bündnis mit ihnen gegen die Türken, welche das serbische Gebiet schon sehr beunruhigten. Kydones erwähnt in seiner zweiten Rede, in welcher er die Byzantiner warnt, sie sollen das vom Grafen Amadeo eroberte Kallipolis nicht wieder leicht- fertig den Türken überlassen, eine serbische Gesandtschaft, welche einen Bund gegen die Türken als gemeinsamen Feind, befestigt durch eine Heirat, in Vorschlag brachte und Subsidien in Geld anbot; sie kam wohl von Ugljesa'^). In kirchlichen Fragen war Ratgeber des neuen Hofes von Serrai der Erzbischof Gregorios von Ochrid, das Haupt einer anerkannten alten autokephalen Kirche ^). Als Gönner der Athosmönche erneuerte Ugljesa das heute noch bestehende Kloster Simonpetra. Wegen der kirchlichen Aussöhnung verhandelte er mit dem Patriarchen Philotheos seit März 1368. Indem er die Erhebung des Stephan Dusan zum Kaiser, sowie die unkanonische Umwandlung des serbischen Erz- bistums in ein Patriarchat als eine Eigenmächtigkeit tadelte, ver-

1) Im Schreiben an den Patriarchen von Konstantinopel März 1368 TTjg ßttaiXiiitg fiov: Acta graeca 1, 563 f In der Urk. vom Februar 1369 über die Grenzen zwischen dem Kloster Zographu und dem Bistum von Hierissos die Unterschrift StanÖTrjg xal KVTox^niTotQ. aber im Texte ßnat iCn fxov: Viz Vremennik 13 (19ti6) Beilage 98—101 (nro. 43). In der Be- stätigung der Schenkungen des Kesar Vojihna an die Erzengeikirche von Gabrovo im Gebirge Belasica von Mai 1369 (Ind. VII) die Unterschrift „Despot Joan Uglesa", aber in der Urkunde stets „mein Kaisertum" (carstvo mi): Glasnik 24 (1868) 248-249.

2) Kydones a. a. 0 p. 1034.

3) Urk 1369: Viz. Vremennik a. a. 0. Vielleicht der früher in In- schriften als Bi.schof von Ueabolis (Devol) genannte Gregorios.

433 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

sprach er die Wiederherstellung aller Rechte des Patriarchates. Aber erst nach der Rückkehr des Kaisers Johannes von seiner Reise ins Abendland wurde die Vereinigung (e'rcooig) der Kirche des Landes des Ugljesa mit der Konstantinopler Kirche im Mai 1371 feierlich proklamiert^).

Uros war bald ohne Macht und Einfluß, ebenso seine Mutter, die Serrai verlassen mußte. Es scheint, daß sich der junge Zar 1367 1368 bei den Griechen in Thessalonich aufhielt. Wir wissen, daß ein ehemaliger Logofet (Kanzler) des Zaren Stephan, Georg Povica damals in Thessaionich lebte. Er starb in dieser Ötadt (1367) in Anwesenheit seiner beiden Brüder, des Radoslav und des Celnik Milos, sowie anderer „Serben, Edelleute des Zaren" (Srblje, vlastele carevi); es wird also auch der Zar nicht ferne gewesen sein. Sicher ist es, daß Uros den St. Demetriustribut von 2000 Perper von den Ragusanern regelmäßig bezog und daß er dieses Geld z. B. 1368 eben durch den genannten Milos, seinen und der alten Kaiserinwitwe Beamten, abholen ließ ^). Unter den Großen Serbiens bildeten sich zwei Parteien, für und gegen den König Vlkasin. Die Ragusaner beklagten den großen Verfall ihres Handels in Serbien infolge der Spaltungen unter dem Adel ^). Verbündete und Verwandte des Königs waren die Balsici. Georg Balsic hatte eine Tochter des Vlkasm, namens Olivera. geheiratet; seine zweite Frau wurde später Theodora, eine Tochter Dejans und somit Nichte des Zaren Stephan, die in der ersten Ehe Frau des Zarko, des einstigen Statthalters der Zeta, gewesen war ^). Uros, der „Imperator Raxie", führte in Venedig durch Briefe und Gesandte bittere Klagen gegen seinen „Rebellen" Georg, der die kaiserliche Stadt Cattaro zu Land und zur See belagere, und bat um Ver-

1) Novakovic, Serben und Türken 15lf.

2) Urkunden über die Familie Povica: Spomenik 11 S. 8 f., 33 f. Belege über die Tributzahlungen in meiner Abb. in der Jag c-Fest- schrift 538.

3) Per lo malo stado , che ha lo ditto regno de Rassa, per la division de li baroui": Mon. Rag. 4, 118—119, Gelcich und Thalldczy a. a. 0. 54 (März 1371).

4) ,. Domina Oliveria, filia regis Volcassini" als Kirchengründerin bei Skutari: Urk. 1444 Ljubic 9, 194. Orbini 287 (nennt sie Milica). Theo- dora: Spomenik 11, S. 13.

König VlkasiQ (1366—1371). 433

mittlung eines Friedens zwischen beiden, dessen Abschluß dem venezianischen Gesandten Giberto Dandolo auch gelungen ist (1369) ^). Auch Papst Urban V., der seine Residenz für kurze Zeit wieder aus Avignon nach Rom übertragen hatte, nahm sich der Cattarenser an und hatte schon im November 1367 die Vene- zianer, Ragusaner, Apulier und die Städte Zara und Durazzo auf- gefordert, sie zu unterstützen. Als der katholische Bischof von Svac als Gesandter der drei Balsici zu ihm kam und ihre Bereit- willigkeit aussprach, der Union der Kirchen beizutreten, ermahnte der Papst ausdrücklich den Georg, er möge Cattaro in Ruhe lassen -). Die Cattarenser sagten sich bald von den Serben ganz los und unterwarfen sich (im Frühjahr 1371) derselben Obrigkeit wie Ragusa, dem König von Ungarn, worauf als Comites von Cattaro Zaratiner aus dem angesehenen Geschlechte der De Georgiis erscheinen ^),

In Makedonien war König Vlkasin allgemein anerkannt. Seine Regierung nennen die griechischen Inschriften der Muttergottes- kirche auf der Insel Mali Grad im See von Prespa, erbaut (1368 und 1369) vom Kaisar Novak, der Kaisarissa Kaie (ÄaAjy), ohne Zweifel einer Griechin, und ihrem Sohn AmiraHs ^). Ein später Zeuge, der Albanese Musachi (1510), erzählt, sein Vorfahr Andreas Musachi habe den „re Vucasino" bei dem Berge Peristeri zwischen Prespa und Bitolia an einer Quelle Dobrida geschlagen und ge- fangen 5). Der Name würde zu dem „Großzupan" Andreas Gropa führen, aus einer albanesischen Adelsfamihe, die früher in neapoli- tanischen Urkunden (als Cropa) vorkommt. Andreas Gropa er- scheint allerdings erst nach Vlkasins Tod als Herr von Ochrid „durch die Gnade Gottes", wie auf seinen Münzen mit slawischer

1) Ljubic 4, 94, 95, 98 (1368-69).

2) Raynaldi Annales eccl. Bd. 16, 1367 cap. 12f. Theiner, Mon. Hung. 2, 86 (1368). Derselbe, Mon. Slav. 1, 261-263 (1369).

3) Vgl. Mon. Rag. 4, 123 f. Im Zusammenhang damit steht die Regelung des Amtes des Comes im April 1371 im Statut von Cattaro.

4) Unter der Regierung ygakijov toD B(}.rjxc(a(vov: Izvestija arch. inst. 4, 1, 69; Jordan Ivanov a. a. 0. 222.

5) Hopf, Chroniques 281.

Jirecek, Geschichte der Serben. I. 28

434 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

Inschrift zu lesen ist ^). Schwiegersohn des Gropa war der Serbe Ostoja Rajakovic (f 1379), ein Verwandter des Vlkasin; sein Grab und Bild ist heute noch in einer der Kirchen von Ochrid zu sehen. An der Grenze gegen das Land des Zaren Symeon saß Hlapen, welcher neben Berrhöa und Voden vielleicht auch Kastoria besaß und später Schwiegervater des Marko, des Sohnes Vlkasins, wurde. Eine dunkle Persönlichkeit ist Bogdan im Gebiete zwischen Thessa- lonich , Strumica und Serrai '^). Dem Namen nach gehörte er vielleicht zur Famihe des Oliver, der mit seinen Nachkommen nach des Zaren Stephan Tod ganz verschwindet ^). Die mächtig- sten Herren im Nordosten Makedoniens waren die aus den Athos- urkunden gut bekannten zwei Söhne des Dejan und der Schwester Dusans Theodora, welche als Nonne Eudokia noch lange lebte: der Despot Johannes Dragas und der „Herr" (gospodin) Kon- stantin. Sie herrschten in Strumica, Stip, der Landschaft Zegligovo (bei Kumanovo), in Kratovo und Velbuzd (Küstendil), einem aus- gedehnten Gebiet mit Silberbergwerken, Getreideausfuhr und regem Handel auf der Straße aus Serbien nach Thessalonich '^').

Ein Feind des Königs Vlkasin und der Balsici, daneben auch ein Gegner des Zaren Uros war ein neuer Dynast im Nordwesten, zwischen der Küste südlich von Ragusa und den Bergen östlich von der Drina: der Zupan Nikola, Sohn des Zupans Altoman, eines Bruders des Vojislav ^) , ein kurzsichtiger und gewalttätiger Magnat, der mit allen Nachbarn in Unfrieden lebte. Er entriß (Oktober 1367) die Landschaften bei Ragusa seiner Tante, der Witwe Vojislavs. Orbini erzählt, wohl nach Sagen und Liedern, Nikola habe diese Frau mit ihren Söhnen Dobrovoj und Stephan

1) Inschrift von 6886 (1377 78) des jueyälov ^ovnävov xvo ^AvÖQia Tov FQwna besser bei Ivanov 214 als bei Miljukov, Izvestija 4, 95.

2) Vgl. Novakovic, Serben und Türken 132 f.

3) Im Pomenik des Klosters Lesnovo werden eine Tochter und sechs Söhne Olivers genannt: Glasnik 42 (1875) 12.

4) Eine Monographie von Dr. Jovan Hadzi- Vasiljevic über Dragas und Konstantin in der Belgrader Zeitschrift „Prosvetni Glasnik" 1902.

5) Des Altoman Gattin war Vitoslava, eine Tochter des Vojvoden Mladen , des Stammvaters der Brankovici. Ihr Grabstein im Kloster Banja bei Priboj am Lim: Stojanovic, Zaplsi 1 nro. 136.

König VlkaSin (13G6— 1371). 435

sieben Jahre gefangen gehalten, bis sie im Kerker starben; nach einer anderen Version soll er sie schon nach kurzer Zeit vergiftet haben i). Stürmische Ereignisse in Bosnien erleichterten seine Eroberungen. Gegen den Ban Tvrtko erhob sich eine Adelspartei, geführt von Verwandten, seinem Bruder, dem „jüngeren Ban" Stephan Vlk und seinem Vetter Dabisa. Doch Tvrtko gewann die Oberhand und verfolgte seine Gegner bis zur Küste, wo er Ragusa besuchte (1367). Als dann Zupan Nikola zum Meere vor- gedrungen war, fiel Sanko, der mächtigste Bosnier im Küstenlande, von Tvrtko ab und verbündete sich mit dem Usurpator der Länder Vojislavs. Die Ragusaner bemühten sich, Sanko von diesem Bunde abzulenken und wieder mit dem Ban zu versöhnen 2). Als Nikola Altomanovic von den Ragusanern den am St. Demetriustage an die serbischen Herrscher entrichteten Tribut verlangte, wurde ihm geantwortet, daß dieser Zins nach alten beschworenen Verträgen dem Zaren von Serbien allein und nicht seinen Edelleuten gehöre. Nach dieser Weigerung Heß Nikola das Stadtgebiet (1370 1371) von seinen Leuten ärger verwüsten, als es früher bei derartigen Fehden je vorzukommen pflegte. Vergeblich baten die Ragusaner den König von Ungarn um Schutz. Ludwig wurde eben damals (November 1370) zum König von Polen gekrönt; kurz zuvor hat er Vidin wieder dem Zaren Sracimir als ungarischen Vasallen überlassen und überhaupt seine südlichen Unternehmungen ganz aufgegeben. Mehr half den Ragusanern gegen den gewalttätigen Nachbar ein Bündnis mit Ban Tvrtko und Georg Balsic.

Der östliche Nachbar des Zupans Nikola Altomanovid im fernen Binnenlande war Knez Lazar, geboren um 1329 auf der Burg Priljepac bei Novo Brdo als Sohn des Pribac, der später einer der Kanzler (Logofet) des Stephan Dusan wurde. In jüngeren Quellen führt Pribac den Familiennamen Hrebeljanovic ^). Lazars

1) Orbiui 269, 282. BeiChalkoudyles ed. cit. p. 29 NixoXäog 6 CovTzavog irrtümlich als Statthalter von Kastoria und Trikala.

2) Sendung des Ser Michael de Babalio zu Sanko im Jänner 1368: „triumphus istius Nicolai est ad tempus et nuUo modo est diu duraturus, dominium vero banatus Bosne est perpetualis ". Mon. Rag. 4, 100 unrichtig unter 1367; vgl. meine Besprechung im Arch. slaw. Phil. 19 (1897) 588.

3) Pribaz Chrebelanovich , „barone" des Imperador Stefano: Orbini

28*

436 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

Frau wurde (um 1353) Milica, die Tochter des Knezen Vratko, eines hervorragenden Heerführers des Zaren Stephan, der aus einer der Nebenlinien der Nemanjiden, aus der Nachkommenschaft des Königs Vlkan stammte. Schon in juDgen Jahren kam Lazar in den Hofdienst des Zaren Stephan. Bei den Verhandlungen um den Frieden von Onogost (1362) erscheint er als einer der einfluß- reichsten Höflinge des Zaren Uros und als Freund der Ragusaner. Sicher ist es, daß „Comes Lazarus" 1370 1371 Herr von ßudnik war 1). Südlich von Lazar saß der Celnik Mlsa, welcher die Burg Brvenik im Bergwerksgebiet des Kopaonik 1363 für seine Burg Zvecan von Vojislav eingetauscht hatte -). Dunkel sind die An- fange des Gebietes des „Herrn" (gospodin) Vlk, des Sohnes des Branko Mladenovic, der nach wenigen Jahren als Besitzer von Pristina, Trepca, Vlcitrn („Wolfsdorn", jetzt Vuöitrn) und Zvecan erwähnt wird.

Die Lage der Byzantiner wurde immer trostloser, Kaiser Johannes unternahm eine zweite Reise, diesmal nach Westen (1369 1370). Seinen älteren Sohn und Mitregenten Andronikos, der seit 1355 mit einer Tochter des bulgarischen Zaren Alexander verheiratet war ^), ließ er in Konstantinopel zurück, den jüngeren Despoten Manuel in Thessalonich. In Rom trat der Kaiser vor Papst Urban V. feierlich der Union der Kirchen bei, reiste in Frankreich und Italien herum und geriet schließlich in Venedig in eine üble Lage, bedrängt von seinen Gläubigern. Andronikos ließ seinen Vater im Stich. Manuel brachte eilends Geld zusammen, segelte nach Venedig und führte den Kaiser in die Reste seines

311. Lazaro Grebeglianovich bei Luccari ^58. Der Personenname Hrebeljan war noch im 15. Jahrh. häui3g unter den Edelleuten von Serbien und Bosnien (von hreb Baumstamm, Adj. hrebeljav waldig, steinig, wild, rauh).

1) Prozeß zwischen Maroe de VolQigna, Zollpächter (dohanerius) des „Comes Lazarus" in Rudnik (war es schon vor dem St. Nikolaustage 1370), und BogavQC Priboevich Ochrugli vor dem Gericht von Eagusa am 22. April 1371 : Lam. Rag. im Arch. Rag. Literatur über Lazar s. unten.

2) Unedierte Urkunde des Zaren Uros, gegeben in Sjenica 15. Juli 1363, erwähnt von Avram Popovic in der Godisnjica 26 (1907) 162.

3) Gregoras XXXVII cap. 14 (Maria). Bei Phrantzes I cap. 13 wird als Schwiegervater des Andronikos ganz ii-rtümlich Marko (der Sohn des Königs Vlkasln) genannt.

König Vlkasin (1366—1371). 4S7

Reiches zurück. Andronikos verbündete sich insgeheim mit Saud- schi Bei, dem Sohn des Emirs Murad. Der griechische und türkische Prinz wollten gemeinsam ihre Väter stürzen, sind aber beide im Kampfe unterlegen. Der Türke wurde ganz geblendet, der Grieche nur teilweise des Augenlichtes beraubt und lebenslänglich in einen Turm von Konstantinopel gesperrt ^). Die Reise des Kaisers nach Westen war ganz vergeblich gewesen. Von den Bulgaren war nichts zu erwarten, nachdem Zar Johannes Alexander gestorben war und von seinen Nachfolgern, Johannes Sisman in Trnov und Johannes Sracimir in Vidin, jeder nur einen Teil des Landes be- herrschte -). Mehr versprach man sich von einer Offensive der Serben, um welche sich Ugljesa bemühte.

Im Juni 1371 lagerte König Vlkasin mit seinem Sohn Marko und seinem Schwiegersohn Georg Balsid bei Skutari. Sie wollten gegen Nikola Altomanovid ziehen, teils durch das Gebirge über Onogost, teils längs der Küste. Die Ragusaner waren bereit, das Kriegsvolk des Georg mit ihren Schiffen über den Golf von Cattaro hinüberzuführen ■^). Doch ist der Feldzug wahrscheinlich bald auf- gegeben worden. Der König begab sich nach Süden, wo sein Bruder große Vorbereitungen begonnen hatte, um die Türken aus Thrakien zu vertreiben. Im Spätsommer zogen König Vlkasin und Despot Ugljesa aus Serrai nicht nach Dimotika oder Kalli- polis, sondern in die Landschaft von Adrianopel. Den Feind trafen sie einen Tagemarsch westlich von der Stadt Hadrians in der waldigen Landschaft von Cernomen (Ttegvofxidvov) , welches noch zwanzig Jahre früher bei Kantakuzenos als eine byzantinische Stadt erwähnt wird, das jetzige Tschirmen auf dem rechten, süd- lichen Ufer der Marica. Dort erlitten die Serben am Freitag den 26. September 1371 eine furchtbare Niederlage. Im Kampfe fielen auch beide Anführer, der König und der Despot; ihre Leichen

1) Darüber zuerst der Zeitgenosse Raphael Caresinus, Kanzler von Venedig: Muratori 12, 443 B.

2) Nach der bulg. Chronik starb Zar Alexander am 17. Februar (1371) vor der Schlacht an der Marica: Arch. slaw. Phil. 13 (1891) 528.

3) Instruktion eines ragusanischen Gesandten zu den Beamten der Balsici, dreimal gedruckt: in meiner Abh. im Gas. ces. musea 60 (1886) 262; Gelcich und Thalloczy 60; Mon. Kag. 4, 127.

438 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

wurden nicht mehr gefunden. Die meisten ihrer Leute ertranken in der Marica oder wurden gefangen ; nur wenige konnten sich retten. Führer der Türken war der Feldherr Evrenos. Kein Zeitgenosse hat eine nähere Schilderung dieser Schlacht niedergeschrieben. Die bei Chalkondyles und in den serbischen und türkischen Annalen verzeichneten Sagen haben die Tendenz, den Sieg als fabelhaft leicht darzustellen, durch einen Überfall des serbischen Lagers in der Nacht vor Morgengrauen durch 4000 (bei Chalkondyles gar nur 800) Türken ^). Eine jüngere Sage, bekannt aus den Reise- beschreibungen der Türkenzeit, überträgt den Schauplatz ungefähr 28 Kilometer nordwestlich in die Gegend von Harmanli; dort wurde im 16. und 17. Jahrhundert das Grab des Ugljesa gezeigt und die Quelle, bei welcher angeblich Vlkasin oder nach einer anderen Fassung Ugljesa, als sie auf der Flucht nach der Schlacht ausruhten, von einem ungetreuen Diener ermordet wurden ^).

Mit der Schlacht an der Marica beginnt die türkische Herr- schaft über die Südslawen. Dem Sieger standen alle Wege offen. Türkische Reiterheere durchstreiften Makedonien bis nach Thes- salien und Albanien. Die serbischen Fürsten in Makedonien wurden gezwungen, dem türkischen Herrscher Tribut zu zahlen und Heeresfolge zu leisten : König Marko, des Vlkasin Sohn, Despot Dragas und sein Bruder Konstantin u. a. Im Gebiete des Ugljesa konnte sich seine Familie nicht behaupten. Seine Witwe, als Nonne Euphemia genannt, eine weltkundige und kluge Frau, lebte bei dem Fürsten Lazar und später bei dessen Witwe, ihrer Ver- wandten. Ob der „Kesar" Ugljesa, der noch zu Anfang des 15. Jahrhunderts ein Gebiet bei Vranja besaß, ein Sohn des Des- poten Ugljesa oder vielleicht des „Kesar" Vojihna war, ist nicht

1) Epilog des Mönches Isaias bei der slaw. Übersetzung des Dionysios Areopagites: Stojanovic, Zapisi 3p. 41 44 nro. 4944. Serb. Annalen ed. Stojanovic: Glasnik 53 (1883) 13, 39, 66 f. Bulg. Annalen ed. Bogdan: Arch. slaw. Phil. 13 (1891) 528. Evrenos: Konstantin der Philosoph ed. Jagic, Glasnik 42 (1875) 290. Chalkondyles p. 31. A Cutheis von Spalato (ganz sagenhaft) bei Schwandtner 3, 659 f. Über die Ortlichkeit der serb. General Jovan Miskovic im Glas 58 (1900) 109—113 (mit Karte).

2) J. N. Tomic, Die Motive in der Tradition über den Tod des Königs Vukasin, serb. in den Abb. zur Slawistik, „Statji po slavjanovedeniju" 1 (Petersburg 1904) 170—183.

Die Schlacht an der Marica (1371). 439

bekannt ^). Das Land des Ugljesa besetzten nicht die Türken, sondern vorerst die Griechen. Eine griechische Notiz erwähnt im November 1371 den Einzug eines ungenannten Despoten in Serrai, zur Übernahme der Regierung -). Es war ohne Zweifel der Despot Manuel Palaiologos, der spätere Kaiser, damals Statthalter von Thessaionich. Ein ChrysobuU seines Vaters, des Kaisers Johannes, rühmt seine Verdienste in ]\Iakedonien und im Küstengebiet Thessa- liens; er habe dort viele Städte „von dem Joch der Serben be- freit" ^). Vertreter des Kaisers in diesem Gebiet waren dann die Herren von Christopolis (Kavala) und Thasos, die Brüder Alexios und Johannes aus der Familie Asan, die sich auch Palaiologen schrieben. Alexios teilte 1373 dem Dogen mit, er habe mit seinem Bruder den Türken und den Serben einige Burgen mit dem Schwerte entrissen, und erhielt im folgenden Jahre das Bürgerrecht von Venedig ^). Die Byzantiner schenkten und bestätigten dann 1375 1378 verschiedenen Klöstern des Athos Güter in der näch- sten Umgebung von Serrai ■'). Das Jahr der türkischen Eroberung dieser Stadt ist nicht bekannt ; die älteste noch bestehende Moschee hat eine Inschrift von 1385.

Nach Avignon gelangten Nachrichten über diese Katastrophe erst im Frühjahr 1372. Papst Gregor XI, schrieb im Mai dem König Ludwig von Ungarn, daß die Türken mit einem großen Heere gewisse „Magnaten Rasciens", welche in den Landschaften Griechenlands, also auf ehemals byzantinischem Boden herrschten, sich unterworfen hätten und bis zu den Grenzen zwischen Ungarn und Serbien, sowie zwischen Albanien und „Slawonien" vorge- drungen seien. Man befürchte, daß sie bis zur Küste kommen

1) Eia ,,Ugljesa Despotovic" ist als Kind gestorben: Stojanovic, Zapisi 1 nro. 138.

2) Aus einem Kodex von Protaton herausg. von Papageorgiu, Byz. Z. 3 (1894) 316 A. 2; vgl. eb. 10, 426.

3) Proöinieu des Dem. Kydoaes zu Chrysobullea , herausg. von Zachariae von Lingenthal, S. B. der Kgl. Preuß. Akademie 52 (1888) 1421.

4) Der „magnus primicherius" Alexios an den Dogen aus Christopolis August 1373, Diplomatarium veneto-levantinum 2, 165. Über die Kirchen- stiftungen dieser Brüder vgl. G. Millet: Byz. Z. 15 (190G) 618.

5) Jos. Müller, Slaw. Bibliothek 1 (1851) 165. Viz. Vremennik 13 (1907) Beilage 106 f.

440 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

und Hafenplätze am Adriatischen Meere besetzen würden. Ludwig möge diesem grausamen Volk entgegentreten und es von den Grenzen der Christenheit zurückweisen. Eine zweite Aufforderung erging an den Dogen von Venedig, er solle den König dabei mit Schiffen unterstützen. Im Herbst brachte der Erzbischof von Neopatrai im Herzogtum von Athen genauere Berichte nach Avi- gnon, daß die Türken „gegen einige Magnaten und Völker der Landschaften von Griechenland, Wlachien (Thessalien) und des Reiches von Rascien einen großen Sieg erfochten haben"; bei der Unterwerfung dieser Länder seien sie bis zu den Grenzen des Herzog- tums von Athen und des Fürstentums von Achaja vorgerückt. Im November berief der Papst den griechischen Kaiser, den latei- nischen Titularkaiser, die Könige von Ungarn, Sizilien und Zypern, die fränkischen Herren von Griechenland, die Ritter von Rhodos, sowie die Venezianer und Genuesen für Oktober 1373 zu einem Kongreß nach Theben in Boiotien, um über die Verteidigung gegen die Türken Beschlüsse zu fassen. Es erschienen dort tat- sächlich die Fürsten oder ihre Vertreter, doch ihre Uneinigkeit vereitelte den Abschluß einer Liga ^). Bald hörte man , auch das glorreiche Kaisertum von „Romanien" sei den Türken tributär geworden -).

Zwei Monate nach der Schlacht an der Marica starb Zar Uros, am Donnerstag den 4. Dezember 1371, erst 35 Jahre alt. Noch am 15. Oktober und 3. November hat in Ragusa der Mönch Roman Prkosa mit ausdrückhcher Vollmacht des serbischen Kaisers (cum expresso consensu et voluntate imperatoris Rassie) den Tribut von Stagno für das Erzengelkloster in Jerusalem in zwei Raten behoben '^). Nach dem ältesten Text der serbischen Genealogien ist Zar Uros, obwohl vom Throne vertrieben, „inmitten seines Landes in seiner kaiserlichen Würde ruhmvoll zu Gott hinge-

1) Raynaldi Annales eccl. Bd. 16, 1372 cap. 28 f. The in er, Mon. Hang. 2, 115. Wenzel, Mon. Hung., Acta extera 3, 46. Gregore vius, Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter 2, 164 f.

2) Theiner, Mon. Hung. 2, 155 (Dezember 1375).

3) Vgl. meine Abb. über Ragusa, Uros und Vlkasin und die zweite über diesen Tribut in der Festschrift für Jagic 540.

Tod des Zaren Uros (1371). 441

gangen" ^). Erst spätere Lieder und Sagen lassen den Sohn des Stephan Dusan gewaltsamen Todes sterben. Ihre erste Spur ist in der Vita des heiligen Johannes von Rila von Demetrios Kanta- kuzenos zu lesen, verfaßt um 1453 1479: Uros wurde von beiden Brüdern, dem König und dem Despoten, des Thrones und Lebens beraubt. Eine andere Version, vertreten durch eine Randglosse der bulgarischen Chronik, schrieb die Untat dem Ugljesa allein zu -). Während in den älteren Genealogien der Tod des Uros nach der Schlacht an der Marica angesetzt ist, wird der Zar in den jüngeren Texten von Vlkasin ermordet, entweder erdrosselt oder auf der Jagd mit der Keule erschlagen ^). Je später die Erzählung ist, desto mehr Einzelheiten enthält sie; die meisten bietet die Vita des Zaren Uros vom Patriarchen Paysij aus dem 17. Jahrhundert. In diesen Sagen erscheint Uros als ein kaum herangewachsener Jüngling, der böse Vlkasin als sein vom Zaren Stephan bestellter Vormund. Es kam eine Zeit, in welcher man den jungen Uros als Märtyrer zu verehren begann. Da fand 1584 ein Hirt, von den Leuten anfangs als Narr verspottet, die Gebeine des heiligen Uros unter einer Steinplatte in einem verödeten Mutter- gotteskloster bei dem Dorfe Sarenik östlich von Prizren, zwischen der Burg Petric und dem einstigen Königshof Nerodimlja. Das Kloster wurde nach dieser Entdeckung von frommen Serben er- neuert. Der Patriarch Paysij verfaßte auch ein Offizium (sluzba) des heiligen Uros. Die angeblichen Gebeine des jungen Zaren wurden dann 1705 in das Kloster Jazak in der Fruska Gora gebracht, wo sie heute noch in einem kleinen Sarg in der Klirche ruhen ^).

1) Diese Nachricht mit dem genauen Datum im Eodoslov ed. Stojanovic im Glasnik 53, S. 13 und im Spomenik 3, S. 95, 99, 131, 149, 151. Jüngere Handschr. geben den Donnerstag, mitunter aber den 2. Dezember an, den auch die kirchlichen Typika haben: Stojanovic, Zapisi 3 nro. 5004, 5022.

2) Arch. slaw. Phil. 13 (1891) 528 A. 2 und 14, 265.

3) Glasnik 53, S. 39, 66 f.; Spomenik 3, 105, 125, 154. Vgl. auch Orbini und Luccari.

4) Paysij a.a.O. Übertragung 1705: Stojanovic, Zapisi 2 nro. 2151. Das Dorf Sarenik, das auch Orbini 271 und Luccari 1 A. 63 nennen, ist jetzt ganz verödet, die Kirche des hl. Uros, die noch Hilferding gesehen

443 Viertes Buch. Viertes Kapitel.

Des Zaren Stephan Witwe Elisabeth (Helena) hat ihren Sohn noch einige Jahre überlebt. Kaiser Symeon in Trikala wird nach 1369 nicht mehr erwähnt. Der letzte Nemanjide war Symeons Sohn, der Kaiser Johannes Uros Palaiologos oder Johannes Dukas ein unkriegerischer, ganz mönchisch und weltfremd erzogener Mann. Die Regierung seines Landes überließ er dem „Kaisar" Alexios Angelos, dem aus den Urkunden der Meteorenklöster und der Chronik von Janina bekannten letzten christlichen Herrn von Thessalien, legte das Klostergewand an (vor 1386) und lebte als Mönch Joasaph bis zu seinem Tode (f 1410) teils im Kloster Vatopedi auf dem Athos, teils in den thessalischen Meteoren- klöstern 1).

Nach dem Tode des Kaisers Uros entrichteten die Ragusaner den St. Demetriustribut ohne Widerstand dem Zupan Nikola Alto- manovic. Im Innern Serbiens wütete ein Kampf um das Erbe des Königs Vlkasin. Georg Balsic besetzte Prizren, eine Stadt des Königs, und behauptete sie gegen einen Angriff des Nikola (1372) -). Die bisherige, zuletzt -nur fiktive Einheit des serbischen Staates war untergegangen. An die Sielle des großen alten Reiches trat eine Reihe von Teilfürstentümern ohne politische Verbindung, nördlich vom Sar frei, südlich von diesem Gebirge abhängig von den Türken.

hat, demoliert und durch einen unfertigen Neubau ersetzt; vgl. den Reise- bericht von Jastrebov im Spomenik 41 (1904) 102 f.

1) Urkunden bei Heuzey a. a. 0., Glasnik 18 (1865) 206, Porfyrij Uspenskij, Reise in die Meteorenklöster (russ., Petersburg 1896) 464f. Der serb. Rodoslov spricht von zwei Söhnen des Symeon, ebenso Orbini 270 (Duca und Stefano), aber die Chronik von Janina nennt ausdrücklich nur zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Über den Kaisar Alexios und seine Nachkommen vgl. Byz. Z. 18 (1909) 585 f.

2) Die ragusanischen Kauf leute von Prizren schenkten dem Jura de Balsa vier Panzer (coracias), „quando Jura cepit castrum dicti loci": 10. Sept. 1372 Div. Rag. Flucht der ragus. Kaufleute von Prizren in das nahe Kloster S. Arcangeli „timore Nicole", vor „Nichola gupan": Klagen im Jänner und Febr. 1373 in den Lam. de foris 1370—1373 Arch. Ra^.

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Druck von Friedrich Ai.dreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.

AU6 2 S 1986

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