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Otto Seeck

Geschichte des Untergangs der antiken Welt

Fünfter Band

GESCHICHTE

DES UNTERGANGS

DER ANTIKEN

WELT

VON

OTTO SEECK

FÜNFTER BAND

S TUTTGART J. B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG

Alle Rechte vorbehalten

J. B. Metzlersche Buchdruckerei in Stuttgart

Inhalt

VI. Valentinian und seine Familie Seite

1. Valentinian, Valens und Gratian 1

2. Das Ostreich unter Valens 45

3. Die Einwanderung der Gothen 84

4. Gratian und Theodosius 135

5. Valentinian II. und Maximus 182

6. Die letzte Erhebung des Heidentums 217

VII. Die Auflösung des Reiches

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile ....... 263

2. Claudian, Stilicho und Eutrop 292

3. Der Sieg des Antigermanismus 314

4. Johannes Chrysostomus 335

5. Stilichos Ende 371

6. Alarich gegen Rom 391

Sechstes Buch

Valentinian und seine Familie

Erstes Kapitel.

Valentinian, Valens und Gratian.

Als nach dem Tode Julians das Heer, umzingelt von den Persern, im Feindeslande stand, hatte man nicht einen Tag warten zu können gemeint, ehe man sich einen neuen Herrscher und Oberfeldherrn bestellte.

5 Bei dem friedlichen Zuge nach Constantinopel hatte dies mindere Eile. Weil das kleine Dadastana, wo Jovian sein Ende gefunden hatte, für einen längeren Aufenthalt des Hofes und der Truppen keine aus- reichenden Quartiere bot, zog man drei Tagemärsche

10 weiter nach Nicaea, um dort in Ruhe die Kaiserwahl vorzubereiten. Wieder dachte man an Salutius, und als er zum zweiten Male wegen seines hohen Alters die Krone zurückwies, an seinen Sohn. Doch der kluge Praefect mochte glauben, dass nur eine Soldatenfaust

15 das Reich zusammenhalten könne, und lehnte auch für diesen ab. Aber auch diesmal hinderten Neid und Missgunst, dass irgend ein Feldherr, der schon Proben seiner Tüchtigkeit abgelegt hatte, in Betracht gezogen wurde. Nach einigem Schwanken einigte man sich,

20 dem Rate des Salutius folgend, auf einen Mann, der zwar zehn Jahre älter war, aber sonst nicht mehr bedeutete, als Jovian vor seiner Thronerhebung, den Tri- bunen einer Leibwächtertruppe, Flavius Yalentinianus.

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 1

2 VI. Valentinian und seine Familie.

Sein Yater Gratianus war aus niedrigstem Stande in dem pannonischeu Cibalae geboren, also in einer Gegend, die schon seit den Zeiten des Marcus immer wieder mit barbarischen Ansiedlern bevölkert war. Er war unter Diocletian in das Heer eingetreten, 5 wrurde wegen seiner aussergewöhnlichen Körperkraft in die Eliteschar des Protectores Domestici eingereiht und diente sich dann schnell empor. Unter Constautin hatte er es schon bis zum Comes Africae gebracht, wurde aber, da er seine Habsucht auf unerlaubte 10 Weise befriedigte, schimpflich entlassen. Doch auf die Dauer mochte man den erprobten Krieger nicht entbehren; er empfing, wahrscheinlich durch Constans, ein neues Kommando in ßrittannien und zog sich dann ehrenvoll in den Ruhestand zurück. Später hatte er 15 das Unglück gehabt, dass der Usurpator Magnentius bei ihm als Gast einkehrte, und wurde dafür von Constantius durch Konfiskation seines Vermögens be- straft. So hinterliess er seine Söhne iu Armut, was bei ihnen eine doppelte Folge hatte. Einerseits wurde -'o die Neigung zur Habsucht, die sie von ihrem Vater geerbt hatten, dadurch noch gesteigert, dass sie darauf angewiesen waren, neuen Besitz zusammenzuscharren; andererseits aber wussten sie auch aus schwerer Er- fahrung, was den Armen drückte, und haben sich 25 daher als Kaiser gehütet, das niedere Volk mit Steuern zu überbürden.

Valentinian war um 321 in Cibalae geboren, zählte also bei seiner Thronbesteigung etwa dreiundvierzig Jahre. Sein hoher, kräftiger Wuchs, seine weisse Haut, sein blondes Haar, die blauen, wild und finster blickenden Augen verrieten seine barbarische Ab- stammung; doch war er eifrig bemüht, sie unter einem Firnis römischer Bilduno; zu verbergen. Zwar Griechisch

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1. Valentinian, Valeus und Gratian. 3

hat er nie gelernt, hielt es aber für Ehrenpflicht, griechische Reden mit Geduld anzuhören; lateinisch dagegen schrieb er den geschmückten Stil, der damals für schön galt, redete nicht schlecht und machte selbst 5 Verse. Auch sonst wusste er den Schmuck des Lebens, den eine hohe Kultur verleiht, wohl zu schätzen: er legte Wert auf eine feine Tafel, ja er malte und modellierte sogar. So empfahlen ihn seine aristo- kratischen Neigungen den Hofleuten, seine kraftvolle

io Schönheit den Soldaten, und beides im Verein scheint für seine Wahl bestimmend gewesen zu sein. Denn dass unter der anerzogenen Tünche die ganze innere Roheit des Barbarentums sich versteckte, konnte nur wenig zu Tage treten, solange die untergeordnete

15 Stellung, in der er sich befand, ihn hohen Abgesetzten demütig unterwarf und dadurch seinen wilden Leiden- schaften Zügel anlegte.

Obgleich das Ansehen seines Vaters ihm ein schnelles Aufsteigen im Militärdienst zu verbürgen

20 schien, hatte es Valentinian doch nur zu einem Range gebracht, der für sein Alter recht bescheiden war; denn kühnes Wagen war seine Sache nicht, und zu- gleich hatte sich ihm das Glück wenig hold erwiesen. Als er unter Julian in Gallien eine Reiterschar be-

25 fehligte, hatten die Verleumdungen des Barbatio be- wirkt, dass Constantius im Jahre 357 seine Dienst- entlassung verfügte (IV S. 258). Der Tod des Kaisers hatte ihm Rang und Stellung wiedergegeben, aber da er als frommer Christ sich dem Opferdienst entzog,

30 wurde er durch den Philosophen Maximus bei Julian denuuziert und fiel, wenn er auch nicht aus dem Heere ausgestossen wurde, doch in Ungnade. Jovian gab ihn seinem Schwiegervater Lucillianus zum Be- gleiter, als dieser in den Westen reiste, um dort die

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4 VI. Valentiuian und seine Familie.

Truppen für den neugewählten Kaiser in Pflicht zu nehmen. Doch in Reims Hessen die Soldaten sich einreden, Julian lebe noch und es seien die Sendlinge eines Usurpators, die gekommen seien, sie jenem ab- spenstig zu machen; sie erschlugen den Lucillianus, 5 und kaum entging Valentiuian dem gleichen Schicksal. In den Orient zurückgekehrt, wurde er für die über- standene Gefahr dadurch belohnt, dass Jovian ihn zum tribunus scholae secundae scutariorum ernannte. Als Offizier der Leibwächter hatte er den Kaiser bei 10 seinem Zuge nach Constantinopel begleitet, war aber von ihm iu Ancyra zurückgelassen. Nachdem der Hof und die Spitzen des Heeres sich über seine Wahl geeinigt hatten, wurde ihm eiligst Botschaft gesandt, und am 24. Februare 364 traf er in Xicaea ein. 15 Doch obgleich man jeden Augenblick erwarten konnte, dass die Soldaten in ihrer Ungeduld irgend einen andern zum Kaiser ausriefen, war er zu abergläubisch, um gleich am anderen Tage seine Herrschaft anzu- treten, weil dieser zufällig Schalttag war und daher 20 für unheilvoll galt. So musste man bei Todesstrafe verbieten, dass irgend ein Mann von Rang und Ausehn sich öffentlich blicken Hess, ehe der furchtsame Kandidat der höchsten Feldherrnwürde sich seinem künftigen Heere vorgestellt und dessen Anerkennung empfangen -■> hatte.

Endlich am Morgen des 26. Februar, nachdem die kaiserlose Zeit schon bis in den zehnten Tag ge- dauert hatte, trat er vor die versammelten Soldaten, zu denen er erst kürzlich zurückgekehrt und daher :i0 wohl den meisten ganz unbekannt war. Doch die vorgeschriebenen Akklamationen Hessen nicht auf sich \\ arten, und nachdem Valentiuian um des guten Scheines willen sich ein wenig gesträubt hatte, nahm er die

1. Valentinian, Valens und Gratian. 5

Wahl an. Man war froh, wieder einen Herrn zu haben, und wünschte nichts sehnlicher, als dass die Un- sicherheit der Thronfolge, wie die Alleinherrschaft sie jetzt schon zweimal herbeigeführt hatte, nicht wieder- 5 kehre. Von Diocletian bis auf Constantius hatte man immer mindestens zwei Kaiser gehabt, sodass, wenn einer von ihnen starb, doch das Reich nicht ganz verwaist blieb. In sechsuudsiebzigjähriger Dauer hatte sich dieser Zustand so eingebürgert, dass er jetzt als

io der einzig normale und die Regierungen des Julian und des Jovian ihm gegenüber als gefahrdrohende Aus- nahmen erschienen. Noch ehe Valentinian die übliche Dankrede an seine Wähler beginnen konnte, schrie so das ganze Heer nach einem zweiten Kaiser. Er

15 versprach, dies in huldvolle Erwägung zu ziehen; doch die Wahl, zu der er sich jetzt entschliessen musste, wurde ihm nicht leicht gemacht.

In erster Linie musste sein jüngerer Bruder Flavius Yalens in Frage kommen; dieser aber besass

20 keine der glänzenden Eigenschaften, welche die Kaiser- wahl auf Valentinian gelenkt hatten. Zwar schätzte auch er die Rhetorik hoch und ehrte ihre berühmten Vertreter; er selbst aber verstand nicht zu reden und galt daher, wenn auch kaum mit grösserem Recht

25 als sein Bruder, für einen rohen Barbaren. Auch waren ihm dessen stattlicher Wuchs, dessen schönes Blondhaar nicht zuteil geworden: krummbeinig, dick- bäuchig und dadurch entstellt, dass eins seiner Augen getrübt war, konnte er durch seine Erscheinung nicht

30 imponieren. Zudem hielt man ihn für träge, unent- schlossen und furchtsam; er hatte daher im militärischen Avancement noch wenigerGlück gehabt, als Valentinian. Trotz seines reifen Alters er zählte schon über fünfunddreissig Jahre war er noch immer protector

6 VI. Valentinian und seine Familie

äomesticus, d. h. er gehörte einer vornehmen Truppe an, in die er wahrscheinlich durch den Einfluss seines Vaters aufgenommen war, hatte es aber in ihr noch nicht über den Gemeinen hinausgebracht. Als bei der Thronbesteigung Valentinians das Heer forderte, 5 er solle sich einen Kollegen bestellen, wagte er nicht gleich seineu Bruder zu nennen, ja viele glaubten auch noch später, er werde sich für einen würdigeren entscheiden. Doch dass der nächste Verwandte des Herrschers, wenn man ihn nicht auf den Thron berief, 10 ein höchst gefährlicher Prätendent werden musste, hätte man wissen sollen. Der Kaiser war daher von vornherein entschlossen; wenn er die Wahl seines Mitregenten im Consistorium zur Beratung stellte, so geschah dies nur, um für seinen Wunsch auch die 15 Autorität seiner eigenen Wähler zu gewinuen. Damit hatte er freilich kein Glück; seine Frage, für wen er sich entscheiden solle, begegnete einem eisigen Schweigen, ja ein kecker Germane, der Magister Militum Dagalaifus, wagte sogar anzudeuten, dass die 20 Erhebung des Valens mehr im Interesse der kaiserlichen Familie, als des Reiches sein würde. Um nicht noch mehr unangenehme Antworten zu bekommen, vermied Valentinian jedes weitere Fragen und handelte, wie er sich vorgesetzt hatte Da der Sprung vom gemeinen 25 Soldaten zum Kaiser ihm denn doch zu auffällig schien, ernannte er Valens am I. März 364, als das Heer in Nicomedia eingerückt war, zum Oberstallmeister (tribunus stäbuli). In Constantinopel angelangt, wartete er dann dieselbe Tagesziffer (ante dient qtiintuni w ealendas), die er im Februar durch seine Thronbesteigung als Glückszahl erprobt zu haben meinte, im nächsten Monat ab, um seinem Bruder ein schönes Omen zu be- reiten. So wurde dieser am 28. März 364 auf dem

1. Valentinian, Valens und Gratian. 7

Hebdomon, dem Paradeplatze vor der Stadt, dem Heere vorgestellt, um durch dessen Akklamation zum Augustus erhoben zu werden. Da keiner zu wider- sprechen wagte, begrüsste es auch Valens mit den er-

5 forderlichen Heilrufen, und wieder war nach den Grundsätzen Constautins eine brüderliche Doppel- herrschaft hergestellt.

Diesmal sollte sie, wenigstens was die Eintracht der Herrscher betrifft, sich besser bewähren, als da

10 die Söhne des ersten christlichen Kaisers ihr Regiment antraten. Valens fügte sich in allem der geistigen Überlegenheit seines Bruders und tat es gern. Denn so unähnlich sie sich äusserlich waren, innerlich stimmten sie ganz überein. Ihre Charaktere sind

15 deshalb von besonderem Interesse, weil sie für jene Zeit eine typische Bedeutung haben. Sie zeigen uns, wie bei den Männern germanischen Blutes, die damals mehr und mehr das Reich erfüllten, trotz ihres redlichen Bestrebens, in der römischen Kultur aufzugehn, doch

20 immer wieder die ursprüngliche Wildheit schrecklich hervorbrach. So entstand zwischen ihren natürlichen Instinkten und den Lebensbedingungen, in die sie sich hineinfiigen mussten und wollten, ein unheilvoller Zwiespalt, der halb uubewusst immer auf ihnen lastete

25 und ihnen die kühne Sicherheit ihres Wesens raubte. Und wie ihnen, so ging es unzähligen jener halb- romanisierten Barbaren, die man damals nicht ganz mit Unrecht den Besten der Reichsbevölkeruiig zu- zählte. Denn so abschreckend uns Nachgeborenen das Bild dieser Kaiser erscheint, die Zeitgenossen haben bei Valentinian, an dem die römische Tünche etwas fester haftete, als an seinem plumpen Bruder, die Fehler zwar anerkannt, aber sie nicht nur ent- schuldigt, sondern ihn sogar hoch gepriesen.

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$ VI. Valentinian und seine Familie.

Es gehört zu den auffälligsten Kennzeichen der Wilden, dass sie sich von wechselnden Stimmungen widerstandslos beherrschen, namentlich von plötzlich aufbrausendem Jähzorn hinreissen lassen. An beiden Kaisern trat diese Eigenschaft auffällig hervor; beide 5 machten Versuche, sie zu unterdrücken, aber nur dem Valens gelang dies wenigstens so weit, dass sie sich meist nur in groben Schimpfworten Luft machte; bei Valentinian hatte sie viel schrecklichere Folgen. Ein- mal bäumte sein Pferd und wollte ihn nicht aufsteigen 10 lassen; da gab er den Befehl, dem Soldaten, der es am Zügel hielt, die rechte Hand abzuhauen. Als ein Page ihm die Jagd störte, indem er einen Hund vor- zeitig von der Leine Hess, wurde der Unglückliche zu Tode gepeitscht, und ähnliches wiederholte sich is nicht selten, bis ein Ausbruch dieser wilden Leiden- schaft den Schlagfluss herbeiführte, der Valentinian selbst den Tod brachte. Wenn seine Hofbeamten den Mut fanden, ihn in geschickter Weise zu er- mahnen, konnte freilich sein Zorn ebenso plötzlich, 2<> wie er aufgeflammt war, in verzeihende Milde um- schlagen. Namentlich sein Quaestor Eupraxius und der Praefect Florentius haben dies nicht selten durch freimütigen Widerspruch erreicht, und der schlaue Magister Officiorum Remigius entdeckte sogar ein 25 Mittel, das beinahe unfehlbar diese Wirkung übte. War der Kaiser in Wut, so sprach jener davon, dass die Barbaren in Bewegung seien und das Reich mit Einfällen bedrohten. Diese fürchtete Valentinian als Strafe des Himmels, und schnell verwandelte sich 30 sein Zorn in ängstlichen Kleinmut.

Die weite Verbreitung von Mitleid und Mensch- lichkeit ist das sicherste Zeichen einer hohen Kultur. Was sich davon im früheren Altertum entwickelt hatte,

1. Valentinian. Valens und Gratian. 9

war in dieser tief gesunkeneu Zeit trotz ihres eifrigen Christentums zwar den Meisten wieder verloren ge- gangen; aber auch damals waren diese Eigenschaften kaum bei einem andern schwächer ausgebildet, als bei dem kaiserlichen Brüderpaar. Doch ihre Grausamkeit war nicht ein Zeichen von Degeneration, wie bei Caligula und Nero oder auch bei dem Caesar Gallus, sondern von urwüchsiger Wildheit. Sie weideten sich nicht an den Qualen ihrer Opfer, um darin einen raffinierten Nerven- kitzel zu finden, wohl aber war es für sie die Forderung einer groben Gerechtigkeit, dass selbst kleine Vergehen durch den Tod gesühnt werden müssten und bei schweren Verbrechen auch diese Strafe nicht genüge, wenn sie nicht durch Martern verschärft werde. Valentinian pflegte zu sagen, dass Strenge die untrenn- bare Genossin einer gut geleiteten Regierung sei, und erklärte, von seinen Beamten vor allem andern Gerechtigkeit zu fordern. Darunter verstand er, dass sie abgesetzt wurden, wenn sie sich als milde Richter erwiesen; appellierte man an ihn von einem zu harten Urteil, so wurde es oft noch verschärft, und niemals machte er von seinem Begnadigungsrechte Gebrauch. Neben seinem Schlafgemach standen die Käfige von zwei Bärinnen, von denen er die eine Goldchen [Mica 25 aurea), die andere mit grausamem Hohn Unschuld (Innocentid) getauft hatte. Ihnen Hess er Verbrecher zum Frasse vorwerfen, und „Unschuld" erwarb sich nach seiner Meinung durch diese Blutarbeit solche Verdienste, dass sie nach einiger Zeit ihre ehrenvolle Entlassung erhielt und ungeschädigt in "den Wald laufen durfte.

Diese unerbittliche Gerechtigkeit hatte mit dem geschulten Rechtsgefühl des zivilisierten Menschen nichts gemein, ja oft genug schlug sie in die tollste

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10 VI. Valeutinian uud seiue Familie.

Willkühr um. Wo ihm dies erwünscht war, besaun sich Valentinian keinen Augenblick, Personen der Folter zu unterwerfen, die durch ihren Stand rechtlich von ihr befreit sein sollten. Waren die Kaiser von der Schuld oder dem bösen Willen überzeugt, so Hessen sie 5 kurzweg köpfen oder verbrennen, ohne viel nach ge- richtlichen Beweisen zu fragen. In Autiochia hatte mau durch allerlei zauberischen Hokuspokus herauszubringen gesucht, wie Valens sterben uud wer sein Nachfolger sein werde. Das Orakel schien auf den Notar Theodorus 10 hinzuweisen. Als dies im Winter 371/72 verraten wurde, hatte mau diesen selbst und alle, die als Teil- uehmer oder Mitwisser des törichten Spukes angezeigt waren, verhaftet und grausam gefoltert; es war eine zahllose Menge, von der viele gewiss ganz unschuldig 15 waren. Da der Prozess dem Valens zu lange dauerte, verfügte er einfach die Hinrichtung aller Angeklagten, ohne sich weiter um die Beweismittel zu kümmern, die gegen oder für den Einzelnen vorlagen. Valentiniau wollte einmal die Decurionen dreier Städte, weil sie 20 irgend einen Auftrag nicht richtig ausgeführt hatten, allesamt hinmetzeln lassen, und gab ein anderes Mal bei einer ähnlichen Gelegenheit deu Befehl, aus mehreren Städten je drei Decurionen herauszugreifen und abzuschlachten. In diesen Fällen gelang es dem 25 kühnen Widerspruch seiner Beamten, die Morde zu hintertreiben. Denn haltlose Stimmungsmenscheu, wie die Kaiser waren, Hessen sie sich nicht weniger leicht beschwichtigen, wie zu Bluttaten aufreizen.

Dies mochte dazu beitragen, dass die Brüder trotz jener Strenge, die sie als ihre Pflicht betrachteten, sich doch für sehr milde Herrscher hielten. Und freilich verdienten sie diesen Kuhni wenigstens insofern, als sie sich von ihrer nächsten Umgebung viel gefallen Hessen.

1. Yalentiuian, Valens und Gratian. 1 1

Denn wie echte Germanen kümmerten sie sich wenig um ihre entferntere Verwandtschaft, hielten aber auf Freuudestreue und waren, wenn sie jemand ihr Ver- trauen geschenkt hatten, nicht leicht darin zu erschüttern.

5 Für Schmeicheleien waren sie nicht unempfänglich, wenn man sie ihnen geschickt beizubringen wusste; doch soweit ihre sehr geringe Menschenkenntnis das Hofgeschmeiss als solches erkannte, verachteten sie es und legten Wert auf schlichten Freimut, auch wenn

io er sie persönlich verletzte. Der einzige, der im Con- sistorium der Erhebung des Valens offen widersprochen hatte, jener Dagalaifus, blieb nicht nur ungekränkt in seinem hohen Amte, sondern wurde 366 sogar durch das Consulat geehrt. Der Quaestor Eupraxius

15 trat, wie wir schon gesehen haben, den Blutbefehlen Valentinians kühn entgegen und durfte sich dabei manches bittere Wort erlauben. Nichts lag den Kaisern ferner, als jenes feige Misstrauen des Constantius. Haben sie doch sogar die Männer, die als Thron-

-'" kandidaten genannt waren, nicht umgebracht, sondern einen von ihnen, den Equitius, selbst zu hohen mili- tärischen Stellungen und endlich gar zum Consulat erhoben. Doch dies grossherzige Zutrauen zu der Ehrlichkeit ihrer Freunde ging nicht selten in eine

2r> lässige Vertrauensseligkeit über, wie sie die korrum- pierten Beamten jener Zeit keineswegs verdienten. In deren Auswahl verfuhren die Kaiser mit grosser Sorgfalt, was freilich nicht hinderte, dass sie oft genug getäuscht wurden. Aber hatten sie jemand angestellt,

30 so betrachteten sie ihn, wie ein germanischer Häupt- ling seinen Gefolgsmann, auf dessen Treue er sich unbedingt verlassen könne. Sie behielten ihn so lange wie möglich im Amt und waren gegen alle Klagen der Bedrückten taub. Valentinian ging soweit, dass,

12 VI. Valentinian und seiue Familie.

wenn man sich in einem Prozess an ihn wandte, um den Richter als persönlichen Feind ablehnen zu dürfen, er die Sache an denselben Richter zurückverwies. Wie schmählich man ihn betrügen konnte und das über Dinge, die sich vor Tausenden von Zeugen ab- 5 gespielt hatten und jeder unbefangenen Nachforschung offen lagen, haben wir schon in anderem Zusammen- hange dargestellt (II S. 104). Doch sich selbst auf Untersuchungen einzulassen, waren die Kaiser zu träge und glaubten alles, was ihre Umgebung ihnen vor- 10 spiegelte. Denn die warme Bärenhaut, auf der die alten Germanen sich so gerne reckten, hatte auch für sie ihren Reiz noch nicht verloren.

Während Constantin, Constans und Julian im Fluge die Provinzen durcheilt hatten, reisten Talen- 15 tinian und Valens immer mit höchster Behaglichkeit und gönnten sich auf allen grösseren Stationen die ausgiebigste Erholung. Der erstere brauchte, um 364 von Constantinopel nach Mailand zu gelangen, kaum weniger als ein halbes Jahr, d. h. er legte im Durch- 20 schnitt täglich noch nicht elf Kilometer zurück. Als Valens 365 in den Orient reisen wollte, wohin die Gefahr eines Perserkrieges ihn rief, machte er in dem hochgelegenen Caesarea bis in den Oktober halt, um nicht in Cilicien und Syrien von der Sommerhitze zu 25 leiden. So entzogen sie sich trotz ihrer militärischen Vergangenheit weichlich allen Strapazen, ja selbst seine Kriege hat Valentinian allen Traditionen seiner Vorgänger zuwider in den ersten Jahren seiner Regierung nicht selbst geführt. Namentlich bei Wiuterfeldzügen :!0 blieb er gern iti den warmen Quartieren und Hess seine Feldherrn für sich frieren und kämpfen. Auch das persönliche Rechtsprechen, das Julian mit solchem Eifer geübt hatte, wälzten die Kaiser von sich ab.

1. Yalentinian, Valens und Gratian. 13

Valens liess sich gerne überzeugen, dass es unter seiner Würde sei, und Valentinian suchte sich sogar davor zu schützen, dass er über Appellationen selbst entscheiden musste. Wenn ein Prozessführender es

5 wagte, au das Hoflager zu reisen, um seine Sache persönlich zu betreiben, sollte er mit einer Geldstrafe im Werte des halben Streitobjekts belegt werden. Sogar die Gesandtschaften der Städte wollte der Kaiser nicht selbst empfangen; sie sollten dem Praefecten ihre

10 Anliegen vortragen, der dann nach freiem Ermessen zu entscheiden hatte, was er der allerhöchsten Auf- merksamkeit für würdig hielt. Natürlich bedeutete dies, dass die Untertanen der Willkür der Beamten schutzlos preisgegeben waren. Es war äusserst schwierig,

15 die Kaiser davon zu überzeugen, dass ihre Kreaturen stahlen und erpressten; sie trauteu ihnen fast unbedingt und waren mit ihnen zufrieden, wenn nur dafür ge- sorgt wurde, dass die Steuern richtig einliefen.

Denn auch die Freude an ihrem Schatz und die

20 Gier, ihn zu vermehren, hatten sie mit den barbarischen Häuptlingen gemein. Wenn sie einen schwer reichen Mann hinrichten lassen und sein Vermögen einziehen konnten, waren sie auch auf Kosten der Gerechtigkeit gerne dazu bereit. Auf das leidige Geschenkemachen,

25 das von Alters her als Ehrenpflicht des Herrschers galt, konnten sie freilich nicht verzichten; doch be- wiesen sie darin eine heilsame Sparsamkeit. Über- haupt waren die Finanzen wohl der einzige Zweig der Verwaltung, dem sie einige Sorgfalt widmeten. Klug

30 genug, die Steuerschraube nicht zu hart auzuziehen, waren sie doch unerbittlich, wenn ihre massigen Forderungen nicht befriedigt wurden. Liess Valen- tinian doch die Unglücklichen, die erklärten, nichts mehr zahlen zu können, einfach hinrichten. Und freilich

14 VI. Valentinian und seine Familie.

brauchte man Geld, nicht nur für die Forderungen des Grenzschutzes, die sich wieder sehr dringend geltend machten. Denn die Zahl der gierigen Subalternbeamten, die Julian mit so rücksichtsloser Energie auf das Not- wendigste herabgesetzt hatte, wuchs nach seinem Tode 5 wieder ins Ungemessene. Schon 369 musste der Prae- fect von Gallien Viventius in seinem Officium gründlich aufräumen, indem er eine ganze Anzahl untätiger Fresser an die Luft setzte, und Valentinian bestätigte dies gern; doch blieb es eine vorübergehende Maass- 10 regel. Denn da die Kaiser jedes unmittelbare Ein- greifen, ja selbst die persönliche Kenntnisnahme von <\en Zuständen des Reiches, soweit dies anging, träge vermieden, machte sich die Günstlingswirtschaft, die am Hofe selbst allmächtig war, auch in den niederen 15 Regionen geltend. Wenn also der Klient eines mäch- tigen Würdenträgers oder auch der Klient des Klienten um irgend ein fettes Stellchen bat, entschloss man sich nicht leicht zum Neinsagen. So gingen die Früchte von Juliaus Regierung schnell verloren, und das umso 20 leichter, als die christlichem Kaiser sich zu ihrem heidnischen Vorgänger in bewusstem Gegensätze fühlten. Alles sollte anders gemacht werden, als es unter ihm gewesen war; in allen Zweigen der Verwaltung wurde gemaassregelt, wenn auch wohl 25 meist mit zweifelhaftem Erfolge. In den ersten Jahren seiner Regierung überschwemmte Valentinian das Reich mit einer ungeheuren Flut von Gesetzen; dies war das einzige Gebiet, auf dem er sich nicht träge erwies. Allerdings machte es wenig Mühe, dem Quaestor irgend eine rohe Willensmeinung auszu- sprechen, die dieser dann mit Hilfe seiner Kanz- leien in die Form eines leidlich annehmbaren Ge- setzes bringen musste.

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1. Valeutinian, Valens und Gratian, 15

Nur in einer Beziehung folgten diese Kaiser dem Vorbilde Julians, in der ostentativen Schätzung und Förderung der Künste und Wissenschaften. Es war das der Tribut, den ihre Barbarei der römischen

5 Bildung darbrachte. Valeutinian begnügte sich nicht damit, zu malen, zu modellieren und schöne Reden zu drechseln; er Hess sich sogar auf einen poetischen Wettkampf mit Ausonius ein. Beide flickten aus Versen des Vergil die Schilderung eiuer Hochzeit zu-

10 sammen und freuten sich von Herzen, wenn sie den ernsten Worten des alten Dichters durch Veränderung ihres Zusammenhanges einen schlüpfrigen Sinn unter- legen konnten. Als künstlerische Leistung stand solch ein Machwerk sehr niedrig; doch hätte es der Kaiser

15 nicht zustande bringen können, wenn er nicht das Nationalepos der Römer fast auswendig gekannt hätte. Den Ausonius zog er als Erzieher seines Sohnes an den Hof und ernannte ihn später zu der vornehmen Stellung des Quaestors, damit der berühmte Schrift-

20 steller auch den kaiserlichen Erlassen eine künstlerische Form verleihe. Entsprechend wollte Valens für sein kleines Söhnchen den Philosophen Themistius als Lehrer gewinnen, bewarb sich eifrig darum, von ihm in Pane- gyriken gefeiert zu werden, und war hoch erfreut,

25 wenn Schmeichler anch in seinen eigenen, sehr dürftigen Reden Schönheiten zu finden wussten.

Aber mochten die Kaiser auch bestrebt sein, sich den Traditionen des gebildeten Römertums, so gut es ging, anzupassen, den berufenen Vertretern derselben,

30 den Senaten von Rom und Constantinopel, standen sie doch mit instinktiver Abneigung gegenüber. Dass die hochgeborenen Herren sich tief vor ihnen bückten, befreite sie nicht von der peinlichen Empfindung, von jenen als barbarische Emporkömmlinge verachtet zu

16 VI. Valentiniau und seine Familie.

werden. Aliens hat daher seine höchsten Beamten sehr selten aus dem Senate seiner Hauptstadt gewählt, und seinem heftigeren Temperament entsprechend ging Valentinian noch weiter. Selbst gut gekleidete Leute waren ihm zuwider; recht wohl fühlte er sich nur unter 5 den Barbaren seines Heeres. Den römischen Senat hat er daher systematisch herabgedrückt und die Mit- glieder dieses höchsten Standes, weil sie ihm alle ver- dächtig schienen, seine harte Faust schrecklich fühlen lassen. Auch verfolgte er nicht nur die Einzelnen als 10 Zauberer oder Hochverräter: die Gesamtheit sollte wahr- nehmen, dass sie hinter dem Kriegerstande, dem er selbst angehörte, weit zurückstehe. Auf das Consulat legte er hohen Wert, wie sich daraus ergibt, dass er es während seiner elfjährigen Regierung nicht weniger 15 als viermal gemeinsam mit seinem Bruder bekleidete und es dreimal seinem kleinen Sohne Gratian verlieh. Aber nur zwei Senatoren, die Praefecten Probus und Modestus, hat er dadurch geehrt; im übrigen behielt er es seinen barbarischen Feldherrn vor. Er war der ->(> erste Kaiser, der im Geiste eines pedantischen Unter- offiziers über Rang und Vortritt gesetzliche Bestimmungen erliess, und während vorher auch die höchsten Offiziere hinter den senatorischen Beamten zurückgestanden hatten, wurden sie ihnen jetzt gleich und zum Teil 25 selbst höher gestellt. Freilich war es nicht unberechtigt, dass die tatsächliche Gewalt, die mehr und mehr in die Hände des barbarischen Soldatentums gelangte, auch ihren formalen Ausdruck fand: aber dass Valen- tinian diese Formen so wichtig behandelte und sie be- 30 nutzte, um den Senat recht augenfällig zu kränken, war doch ein sehr bezeichnendes Merkmal seiner Regierung. Jener Zwiespalt zwischen der Beherrschung eines Reiches, das in sich die höchste Kultur jener Zeit

1. Valentinian, Valens und Gratian. 17

verkörperte, und den rollen Instinkten des augestammten Barbarentums rief in dem Kaiser eine Unsicherheit hervor, deren peinliches Gefühl er durch ein tolles Renommieren vergebens zu übertäuben suchte. Er

5 meinte, ein Herrscher müsse in allem, was rühmens- wert sei, seine Untertanen weit überragen, und pflegte daher fremde Vorzüge, die er nicht überbieten konnte, neidisch herabzusetzen. Und das Wort Lessings, dass man am liebsten von den Tugenden spreche, die man

10 nicht besitze, bestätigte sich auch au ihm. Wie er sich gern seiner Milde rühmte, so liebte er es auch, bramar- basierend auf die Feigheit zu schelten, weil er selbst sich vor ihr nicht ganz sicher fühlte. Denn jener Mangel an Selbstvertrauen, wie er in seinem Hasse gegen alle,

15 die ihm überlegen zu sein schienen, und noch mehr in seinem lächerlichen Prahlen zum Ausdruck kam, Hess die Wagelust des Helden, der sich stark fühlt, in ihm nicht aufkommen. Seine Kriegführung war daher immer eine zage und abwartende; er selbst

20 fand es angemessen, die Vorsicht als seine glänzendste Feldherrntugend zu rühmen. Doch besass er Selbst- beherrschung und Haltung genug, um auch in den Gefahren des Kampfes seinen Mann zu stehen. Um so anstössiger trat die natürliche Furchtsamkeit bei

25 Valens hervor: als der Aufstand des Procop drohend anwuchs, war er nur zu schnell bereit, feige dem Thron zu entsagen, und Hess sich nur mit Mühe durch seine Umgebung davon zurückhalten. Vor allem hatteu beide Kaiser eine heillose, ganz unstillbare Angst vor

30 der Zauberei. Schon im ersten Jahre seiner Herr- schaft erliess Valens ein Gesetz, das ihre Ausübung mit dem Tode bedrohte, und als die Brüder gleich nach ihrem Regierungsantritt beide von Fiebern be- fallen wurden, hielten sie sich für verhext und Hessen

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 2

18 VI. Valentinian und seine Familie.

eine Untersuchung anstellen, die sich namentlich gegen die heidnischen Freunde Julians wendete. Als nichts Greifbares zu ermitteln war, scheuten sie sich, schon in den ersten Wochen ihrer Herrschaft in den Ruf unberechtigter Grausamkeit zu kommen, und Hessen 5 die Sache auf sich beruhen. Doch später haben sie diesem kindischen Argwohn umso ungescheuter gefrönt. Unter den verhassten Senatoren Roms Hess Valentinian mehrere Jahre lang nach Zauberbüchern, Liebesträuken und Beschwörungen schnüffeln; zahlreiche Männer und 10 Frauen der höchsten Aristokratie wurden mit dem Tode oder mit Verbannung und Konfiskation bestraft, und der Praefectus Annonae Maximinus, der sich bei dieser Hexenriecherei besonders auszeichnete, wurde erst zum Vicarius Urbis, dann sogar zum Praefecten von 15 Gallien befördert und blieb bis zum Tode Valentinians dessen bevorzugter Ratgeber. Im Orient suchte der Pro- cousul von Asia Festus auf dieselbe Weise die Gunst des Valens zu gewinnen und zeigte sich dabei so energisch, dass er ein altes Weib hinrichten liess, bloss weil es 20 durch Besprechung Wechselfieber zu kurieren pflegte. Und wenn der Kaiser selbst bei dem Process des Theodorus Dutzende von Schuldigen und Unschuldigen hinzuschlachten befahl (S. 10), in erster Linie neu- platonische Philosophen, so wollte er auch damit weniger 25 den Hochverrat strafen, als die Zauberei ausrotten. In diesem Sinne verbot er auch gegen das Ende seiner Regierung zwar nicht das heidnische Opfer an sich, wohl aber das Tieropfer, weil dieses mit Eingeweide- schau verbunden zu sein pflegte und dadurch Anlass 30 zum zauberischen Wahrsagen bot. Derselbe Aber- glaube, der Valentinian gehindert hatte, am Schalttage den Purpur zu nehmen, forderte so im Osten, wie im Westen, unzählige Opfer.

1. Valentinian, Valeus und Gratian. 19

Wie bei Constantius und Constans, so hatte auch bei Valentinian und Valens das Gefühl der inneren Schwäche und Haltlosigkeit die natürliche Folge, dass sie sich eifrig um den Schutz höherer Mächte bewarben; 5 doch war ihr Christentum ein ganz anderes. Um das Dogma, in dessen Studium die hochgebildeten Söhne Constantius sich vertieft hatten, kümmerten diese Halb- barbaren sich wenig; aber wie die Heiden der Meinung waren, dass der Kultus, gleich dem Zauber, nur dann

lo seine Wirkung übe, wenn der vorgeschriebene Hokus- pokus dabei ganz genau beobachtet werde, so hielten auch sie vor allem auf die kirchlichen Riten.

In Schriften, die sehr bald nach dem Tode Valen- tinians verfasst sind, stossen wir schon auf die Be-

15 hauptung, er habe unter Julian um seines christlichen Glaubens willen sein militärisches Amt niederlegen müssen; einzelne fabelten sogar von einer schweren Verbannung, für die jeder einen andern Schreckensort zu nennen wusste. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass

20 noch er selbst das Gerücht von dieser opferfreudigen Bekennerschaft verbreitet oder doch seine Verbreitung begünstigt hat; denn mit der Wahrheit nahm er es nicht sehr genau. Scheute er sich doch nicht, Befehle, die er schriftlich gegeben hatte, wenn er sich später

5 ihrer schämte, schlichtweg abzuleugnen. Von dem, was den Zorn des heidnischen Julian erregt haben sollte, berichtete man in folgender Weise. Als Leib- wächter habe ihn Valentinian bei einem seiner Tempel- gänge begleiten müssen; da seien von dem Weihwasser,

30 mit dem der Kaiser bespritzt wurde, auch auf ihn ein paar Tropfen gefallen. Sogleich habe er dem Ministranten einen Faustschlag versetzt oder nach einer anderen Version den Zipfel seines Mantels, der durch die heid- nische Flüssigkeit befleckt gewesen sei, vor den Augen

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20 VI. Valentiuian und seine Familie.

Juliaus abgerissen und weggeworfen. Die Geschichte ist nicht wahr, aber ganz im Sinne Valentinians er- funden. Denn, wie schon gesagt, war sein Christentum ein wesentlich ritualistisches; auf die kirchlichen Formen, denen er eine zauberische Heilswirkung zutraute, legte 5 er Wert, nicht auf Lehre oder Sittlichkeit, ausser soweit auch diese etwas Rituales an sich hatte. Wie er nach jener Erzählung nicht durch das Weihwasser der Heiden beschmutzt werden wollte, so scheute er auch vor der Befleckung durch ünkeuschheit zurück. Wohl hat 10 er sich von seiner ersten Frau Marina scheiden lassen, um die jüngere und schönere Justina heimzuführen; doch so lange seine Ehe dauerte, bewahrte er die Treue, wozu freilich die germanische Sittlichkeit, die ihm im Blute lag, wohl ebensoviel beitrug, wie die christliche. 15 Auch Valens scheint ein guter Ehemann gewesen zu sein; jedenfalls weist es auf ein inniges Verhältnis zu seiner Gattin Domnica hin, dass sein Schwiegervater Petronius grosse Macht über ihn besass. So straften sie denn auch den Ehebruch mit unerbittlicher Strenge; doch als der Henker eine Frau, die aus diesem Grunde zum Tode verurteilt war, nackt zum Richtplatz geführt hatte, wurde er wegen dieser Schamlosigkeit lebendig verbrannt. Dass aber das christliche Gebot der Barm- herzigkeit für beide Kaiser nicht vorhanden war, haben 25 wir schon dargelegt. Doch so hart sie sonst in ihrer Finanzpolitik waren, am Sonntag verbot Valentiuian jede Execution ; den Nonnen gewährte er Steuerfreiheit, und als ein Bischof, weil er sich dem Spruche eines Concils nicht unterwerfen wollte, mit einer Geldstrafe ::() belegt wurde, Hess er sie nicht für den Fiskus ein- ziehen, sondern unter die Armen verteilen. Vor der reinigenden Wirkung derTaufe hatte er grossen Respekt: er selbst unterzog sich ihr, als er in schwerer Krankheit

1. Yalt'iit.inian, Valens und Gratian. 21

das Nahen des Todes zu fühlen meinte. Den Schau- spielerinnen, die gesetzlich au ihren Stand gefesselt waren, gestattete er sie nur in der letzten Not; doch wenn sie wider Erwarten gesund wurden, sollten sie

5 das heilige Bad nicht mehr durch die Ausübung ihres verachteten Berufes entweihen. Gegen die Donatisten erliess er ein Gesetz, weil sie Widertäufer waren (III S. 347), und ritualistische Gründe ähnlicher Art werden es auch gewesen sein, die ihn veranlassten,

10 die Religion der Manichäer zu verbieten. Doch den übrigen Sekten Hess er volle Freiheit, gewiss nicht aus Milde, sondern weil erzürn Heil des Reiches nicht, wie Constantius, Theologe war, vielleicht auch weil seine natürliche Trägheit davor zurückscheute, sich auf

i> die langwierigen Verhandlungen und ärgerlichen Placke- reien einzulassen, die mit einem tätigen Eingreifen notwendig verbunden waren. So hielt er sich denn den Streitigkeiten der Bischöfe geflissentlich fern: als einige gleich im Anfang seiner Regierung ihn baten,

20 ein grosses Concil zu berufen, antwortete er, das sei nicht seine Sache: sie könnten zusammentreten, wie und wo sie wollten. Auch war er vom Klerus un- abhängig genug, um seiner Erbschleicherei durch Gesetze entgegenzutreten. Doch wenn er auch dem Heiden-

25 tum, soweit es ihn nicht durch geheimes Zauberwissen schreckte, volle Duldung zugestand, so wird dies wohl nur geschehen sein, weil er an seiner Ausrottung ver- zweifelte. Hatte doch eben erst die Regierung Julians nur zu deutlich gezeigt, wie verbreitet es noch in allen

:1" Ständen war.

Auch in dieser Beziehung stimmte Valens mit seinem Bruder überein. Der Arianismus, dessen ihn die Ortho- doxen beschuldigten, bedeutete nichts anderes, als dass er in seinem ausgesprochenen Gegensatze zu Julian

22 VI. Valeutinian und seine Familie.

auf die Versöhnungspolitik des Constantius zurück- greifen wollte, zu der auch Valeutinian sich öffentlich bekannte. Nur Hess sie sich im Westen, der von dog- matischen Streitigkeiten wenig berührt war, ohne Gewalt- samkeit durchführen, nicht aber im Osten, wo Atha- 5 nasius und seine Gesinnungsgenossen Macht besassen. Auch gegen diese Hitzköpfe ist Valens, wie wir sehen werden, nur schüchtern und zagend vorgegangen; doch hat ihn freilich in der Hitze des Kampfes seine bar- barische Gewaltsamkeit und sein rohes Ungeschick zum 10 Maassregeln hingerissen, wie er sie anfangs kaum be- absichtigt haben wird.

Dies waren die Männer, denen eine lange ver- zögerte und doch übereilte Wahl die Hut des Reiches anvertraut hatte. Und selten war diese Aufgabe schwerer 10 zu erfüllen gewesen als eben damals. Die Kampflust und Beutegier der barbarischen Stämme, die an allen Grenzen lauerten, hatte Julian eingeschüchtert, aber nicht unterdrückt. Solang er lebte, hatten sie sich ruhig verhalten; doch fürchteten sie nicht die Römer, 20 sondern nur das erprobte Kriegsglück dieses immer siegreichen Kaisers. Als sie von seinem Tode erfuhren, waren sie wieder schnell zu neuen Angriffen bereit.

Im Herbst 3G4 erschien eine Gesandtschaft der Alamannen in Mailand, wahrscheinlich um den Kaiser 25 zu seinem Regierungsantritt zu beglückwünschen, da- neben wohl auch um ein bischen am Hofe zu spionieren- Es war üblich, barbarische Sendlinge dieser Art durch bestimmte, von der Sitte genau vorgeschriebene Ge- schenke zu ehren. Doch Valeutinian wollte sparsam 30 sein und liess ihnen weniger geben, als sie nach dem Brauch erwarten durften. Erzürnt warfen sie dem Magister Officiorum Ursatius, der kraft seines Amtes alle Gesandschaften abzufertigen hatte, jene minder-

1. Valentinian, Valens und Gratian. 23

wertigen Gaben vor die Füsse und wurden dafür von ihm grob angelassen. Dies genügte, um einen Krieg zu entfachen. Sobald das Eis des Winters seine Brücke über den Rhein gebaut hatte, fielen im Januar 365

5 die Aiamannen in Gallien und Raetien ein, brachten den Römern eine Niederlage bei und plünderten und sengten über ein Jahr lang, bis es dem Magister Militum Jovinus gelang, Anfang 366 ihre geteilten Scharen eiuzeln aufzureiben. Doch blieben in Gallien

10 noch zahlreiche Räuberbanden zurück, die sich wohl teils aus den versprengten Resten der Germanen, teils aus den beraubten und verzweifelten Einwohnern zu- sammensetzten und alle Strassen noch auf lange Jahre hinaus unsicher machten. Schon vorher waren die

15 Wüstenstämme der Sahara in die tripolitauische Provinz eingebrochen und wiederholten, da der Comes Africae Romanus sie ruhig gewähren liess, noch zweimal ihre Raubzüge. An der Donau plünderten die Gothen, im südlichen Kleiuasien die Bergstämme Isauriens, in

2o Syrien die Maratocuprener. Im J. 367 überschwemmten die wilden Völkerschaften Schottlands, die Picten, Scoten und Attacotten, das römische Brittannien bis in die Gegend von London, während zugleich die Wikingerflotten der Sachsen an den Küsten plünderten

25 und gemeinsam mit den Franken auch das nördliche Gallien beunruhigten. Nachdem zuerst Severus und dann Jovinus ohne Erfolg diese Feinde bekämpft hatten, gelang es Theodosius, dem Vater des gleich- namigen Kaisers, erst im Jahre 369 der Insel den

30 Frieden wiederzugeben.

Während die Mauren Africa, die Germanen Gallien verwüsteten, war Valentinian ruhig in Mailand geblieben. Erst im Herbst 365 entschloss er sich, nach Paris überzusiedeln, wo er dem Schauplatze

24 VI. Valeutiuiau und seine Familie.

des Krieges etwas näher war, ohne doch von seinen Unbequemlichkeiten berührt zu werden. So wurden seine Feldherrn ohne ihn mit den Alamannen fertig-, und auch die Beruhigung Brittanniens überliess er ihrer Tapferkeit. Erst 368, als die Rheingermanen 5 schon durch die Siege des Jovinus erschöpft und entmutigt waren, hielt er es für augemessen, auch persönlich für die Sicherung Galliens etwas zu tun. Nur sorgte er vorher dafür, dass der Alamannenkönig Vithicabius, den man für besonders gefährlich hielt, 10 durch einen gedungenen Mörder aus dem Wege ge- räumt wurde. Auch verstärkte er sein Heer durch Werbungen und Aushebungen, was nach den furcht- baren Verlusten, die es durch die Bürgerkriege des Constantius erlitten hatte (IV S. 113), nur zu nötig 15 war, und leitete mit Sachkunde die Schulung der Truppen. Doch während er die weitläufigsten Vor- bereitungen traf, um das allerhöchste Debüt würdig zu iuscenieren, fand Rando, ein anderer Germanen- häuptling, die Gelegenheit, die Festung Mainz, als 20 während eines christlichen Festes keiner an den Schutz ihrer Mauern dachte, plötzlich zu überfallen und neben reicher Beute auch einen grossen Teil ihrer Einwohner als Sklaven fortzuschleppen. Erst im Hochsommer überschritt der Kaiser den Rhein bei Worms, ver- 25 wüstete das Land der Alamannen und erstürmte glücklich einen hohen Berg, auf den sich ihre Scharen zurückgezogen hatten. Dieser Erfolg gab ihm den Mut, von da an wahrscheinlich jeden Sommer einen militärischen Spaziergang jenseit des Rheines zu 30 machen; aber da er sich niemals tief ins Feindesland hineinwagte, wurde dabei sehr wenig ausgerichtet. Auch als er mit den östlichen Nachbarn der Alamannen, den Burgundern, ein Bündnis schloss, um jene von

1. Valentiniau, Valens uud Gratian. 25

beiden Seiten anzugreifen und so zwischen zwei feind- lichen Heeren zu vernichten, kam nichts dabei heraus. Durch unnützes Zaudern verpasste er die Zeit, die für das gemeinsame Vorgehen angesetzt war, und er-

.-. bitterte dadurch die Burgunder so, dass sie nichts mehr mit den Römern zu tun haben wollten. Energischer Angriff entsprach eben nicht seiner trägen, lässigen Art; die schwächliche Defensive, bei der man sich nicht zu rühren brauchte, bis der Feind selber herankam, war

10 ihm gemässer. So richtete er denn sein Haupt- augenmerk darauf, durch Erbauung neuer Burgen und stärkere Befestigung der alten die Grenzlinien gegen die Barbaren zu schützen, zeigte aber auch dabei seinen Unverstand. Denn mit grossem Aufwand

i> an Mühe und Kosten errichtete er auch jenseit des Rheines und der Donau Kastelle, wo sie auf die Dauer doch nicht zu halten waren. Einer solchen ephemeren Schöpfung zu Liebe scheute er sich nicht, die früher geschlossenen Verträge zu brechen und

20 sie an einer Stelle zu bauen, die er selbst als freies Alamannenland anerkannt hatte. Die Folge war, dass die Germauen, nachdem sie vergeblich an sein Ver- sprechen gemahnt hatten, die schanzenden Soldaten überfielen und allesamt niedermachten. Doch Treu-

25 losigkeit schien ihm den Barbaren gegenüber ganz am Platze: als sein Magister Militum Severus 370 mit einer Schar sächsischer Seeräuber, die tief ins innere Gallien eingedrungen war, einen Vertrag auf freien Abzug schloss und sie dann auf dem Marsche überfiel

■!0 und niedermachte, hielt er es nicht für nötig, den

verräterischen Feldherrn abzusetzen oder zu bestrafen.

Ein Kaiserpaar, das gegen den äusseren Feind

schwach und unentschlossen war, gegen die Untertanen

wütete, konnte auf ihre Liebe und Treue natürlich

26 VI. Valentinian und seine Familie.

nicht rechnen. Man forschte nicht nur durch Orakel und Zeichendeutung, wann sie endlich sterben würden, sondern es bildeten sich gegen sie auch wiederholt Verschwörungen, von denen die meisten freilich schon im Keim unterdrückt wurden. Einmal aber brach 5 gegen jeden der beiden Kaiser ein grosser Aufstand aus, der schwere Folgen hatte. Gegen Valens erhob sich Procopius und entriss ihm beinah die Krone, gegen Valentinian der Maure Firmus, und wenn seine Usurpation die Kaiser nicht mit so grossen Gefahren 10 bedrohte, so lag dies nur daran, dass ihr Schauplatz das entlegene Africa war.

Der Comes Romanus hatte die africanischen Provinzen schamlos ausgebeutet und die wilden Stämme der Mauren zu ihren Plünderungszügen geradezu er- 10 mutigt. Obgleich seine Schandtaten sich in vollster Öffentlichkeit vollzogen hatten, blieben sie doch dem Kaiser ein Geheimnis, und neun Jahre lang konnte jener sein Amt behaupten (II S. 105 107). So war die Stimmung sowohl der Untertanen als auch ihrer 20 barbarischen Nachbarn zu einer Erhebung vorbereitet, als derselbe Romanus durch eine neue lntrigue dazu den Anstoss gab.

Von den Kleinkönigen, die unter römischer Ober- herrschaft die maurischen Völkerschaften regierten, 25 war Nubel einer der mächtigsten. Als er starb, hinter- liess er eine Unzahl von Kindern, unter denen das geschwisterliche Verhältnis wohl schon deshalb nicht das beste war, weil in diesen barbarischen Klein- staaten die Thronfolge niemals eine feste Regelung 30 erfahren hatte und daher immer zu Streitigkeiten der Erben Anlass gab. Der eine seiner Söhne, Firmus, wurde mit Recht oder Unrecht von Romanus bei Valentinian verklagt, seinen Bruder Zammac ermordet

l. Yalentinian, Valens und Gratian. 27

zu haben, und der Magister Officiorum Remigius, der bei Hofe grossen Einfluss besass, war mit Romanus verschwägert und wusste es so einzurichten, dass der träge Kaiser die Verteidigungsschriften des Firmus

r> gar nicht las. Dieser sah sich in Gefahr, ungehört verurteilt zu werden, und fand keine andere Rettuug, als dass er sich von den beiden Truppenkörpern der vierten Sagittarii und der Constantiani um 372 zum Kaiser ausrufen liess. So war schon zum zweiten-

10 mal innerhalb weniger Jahre ein Feldherr durch den Herrscher selbst zur Usurpation gezwungen worden, Silvanus durch das ängstliche Misstrauen des Con- stantius, Firmus durch das lässige Vertrauen, das Valentinian seinen Beamten entgegenbrachte.

15 Die maurischen Stämme sprachen alle die gleiche

Sprache und fühlten sich national zusammengehörig. Sie schlosseu sich sogleich dem Usurpator an und ver- mehrten seine Kriegsmacht so, dass er Caesarea an- greifen konnte. Da die Beamten, die hier als in der

2o Hauptstadt der Provinz ihren Sitz hatten, ihm zu widerstehen versuchten, eroberte er es durch eine Kriegslist und liess es plündern und niederbrennen. Nachdem er auch Icosium gewonnen und so in dem westlichen Mauretanien seine Herrschaft fest begründet

25 hatte, drang er auch in das östliche und dann in Numidien ein. Die Truppen des Romanus wurden besiegt und ihnen mehrere Feldzeichen abgenommen. Nach diesen ersten glänzenden Erfolgen faud der neue Kaiser auch bei der römischen Bevölkerung starken

3(» Zulauf. Namentlich die Donatisten, gegen deren Wiedertaufe Valentinian eben damals ein Gesetz erliess, schlössen sich ihm mit fanatischem Jubel an. In Rusicade öffnete ihm ihr Bischof die Tore der Stadt und begrüsste es mit Freude, dass die orthodoxen

*28 VI. Valentinian und seine Familie.

Einwohner von den wilden Mauren gründlich ausge- plündert wurdeu. Selbst in der proconsularischen Provinz erkannten einzelne Städte den Firmus an, ehe ein ebenbürtiger Kämpfer ihm entgegentrat.

Theodosius hatte sich zuerst im britannischen Feld- zuge, der ihm die Würde eines Magister Militum ein- getragen hatte (S. 23), dann auch in den Kämpfen gegen Sarmaten und Alamannen glänzend bewährt. Er wurde daher im Sommer 373 nach Afrika geschickt, zwar nur mit einem kleinen Heere; doch mit deu Truppen des Romanus vereinigt, konnte es genügen. Denn die ungeschulten Horden wilder Wüstensöhne, die fast den einzigen Schutz des Firmus bildeten, waren auch in grosser Übermacht römischen Kriegerscharen kaum gefährlich. Und wirklich war dieser zur Unterwerfung- bereit, sobald er meinte, sie ohne die dringendste Gefahr für sein Leben vollziehen zu können.

Als Theodosius in Igilgili, nahe der Grenze von Mauretanien und Xumidien landete, fand er dort zu- fällig den Romanus und beorderte ihn, in dem west- lichen Mauretanien die Grenzkastelle zu inspizieren und in Stand zu setzen. Nachdem er ihu so entfernt hatte, bemächtigte er sich des Vincentius, der Stellvertreter und rechte Hand des Comes gewesen war. Wie es scheint, waren es dessen Aussagen, die Theodosius veranlassten, auch Romanus selbst unter Bewachung zu stellen und bei ihm eine Haussuchung vornehmen zu lassen. Dabei wurden Briefe aufgefunden, die ihn schwer belasteten, und an das Hoflager abgeschickt. Dass sein Ankläger so zum Angeklagten geworden 30 war, gab Firmus den Mut, durch eine Gesandtschaft seine Unterwerfung anzubieten, wenn ihm dafür Ver- zeihung zugesichert werde. Schon vorher waren dem Magister Militum Zweifel gekommen, ob seine gallischen

25

l. Valentioian, Valens uud Gratian. 29

Soldaten die Hitze Afrieas ertragen und zum Kampfe jresi'en flüchtige Nomadenhorden brauchbar sein würden. Er nahm daher die Gesandten freundlich auf und forderte nur, dass ihm Geiseln gestellt würden. Doch

5 als er das Heer des Komanus inspiziert und in ihm ein sehr brauchbares Werkzeug für seine Zwecke gefunden hatte, wurde ihm seine Nachgiebigkeit leid. Er fand es lockender, Ruhm und Beute zu gewinnen, als einen kampflosen Frieden zu schliessen, und wies

i(i daher eine zweite Gesandtschaft des Firmus unter dem Vorwande, dass sie die verlangten Geiseln nicht gleich mitgebracht hatte, kurzweg ab. Um die Provinzialen dem Usurpator zu entfremden und ihre Unterstützung für sich zu gewinnen, erliess er die Erklärung, dass

r> er weder Geld noch Kornlieferungen von ihnen fordere, sondern den Krieg durch den Krieg ernähren wolle, und marschierte in das Gebiet der feindlichen Mauren- stämme ein.

Als diese unter Führung des Mascizel, eines

20 Bruders des Firmus, in zwei Treffen geschlagen und die umliegende Landschaft schrecklich verwüstet war, erschienen christliche Bischöfe mit den geforderten Geiseln im Lager des Theodosius, um von ihm den Frieden zu erbitten. Für den Zuspruch der Seelen-

25 hirten zeigte sich der fromme Held empfänglich, wozu es beitragen mochte, dass seine Arorräte knapp ge- worden waren und sie ihm reiche Zufuhren ver- sprachen. Firmus durfte es wagen, sich persönlich dem Sieger vorzustellen, wurde ehrenvoll empfangen

30 und ungekränkt entlassen. Auf den Frieden ver- trauend, der ihm zum zweitenmal zugesichert war, versah er das Heer nicht nur mit dem verheissenen Getreide, sondern begann auch, seine Gefangenen, die eroberten Feldzeichen und andere Beutestücke auszu-

30 VI. Valentinian und seine Familie.

liefern. Auch die vierten Sagittarii und die Constantiani, die Firmus zum Kaiser erhoben hatten, unterwarfen sich, und der Stamm der Mazices wollte das Gleiche tun. Doch unterdessen hatte sich Theodosius darauf besonnen, dass er noch nicht genug Siege aufzu- 5 weisen habe. Er entgegnete den maurischen Gesandten, dass seine Waffen ihr Volk für den Abfall strafen müssten, und machte zugleich die Entdeckung, Firmus habe ihn nur durch Scheinverhandhmgen täuschen wollen, um ihn dann unvorbereitet zu über- 10 fallen. Von den beiden aufrührerischen Truppen- körpern, die sich ihm selbst ausgeliefert hatten, Hess er die meisten Soldaten hinrichten oder durch seine Krieger niedermachen; nur einige Bevorzugte wurden so mitleidig behandelt, dass man sie leben Hess und 15 ihnen nur beide Hände abhackte. Nach diesem furcht- baren Strafgericht war es jedem klar, dass weder Firmus noch irgend einer seiner Anhänger Gnade zu erwarten hatten, und der Krieg konnte lustig weitergehn.

So sahen sich denn die abgefallenen Stämme 20 zu einem Kampfe der Verzweiflung gezwungen, und Feuer und Schwert hausten schrecklich in den mauretanischen Provinzen. Immer blieb Theodosius Sieger, und die Barbaren wurden zu Tausenden hin- geschlachtet. Doch indem sich ihre Völkerschaften 25 zu gewaltigen Massen zusammentaten und selbst die Neger des inneren Africa zu Helfern gewannen, brachten sie ihn zeitweilig doch in die grösste Gefahr. Und des Firmus habhaft zu werdeu, der, immer ge- schlagen, doch immer zu entkommen wusste und in den Schluchten des Atlas immer neue Sehlupfwinkel fand, wollte lauge Zeit nicht gelingen. Als einmal das kleine Häuflein der Römer, von übermächtigen Scharen umschlossen, mutig um sein Leben kämpfte,

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l. Valentinian, Valeus uud Gratian. 31

ritt er, seinen Purpurniantel schwingend, an sie heran und forderte sie auf, ihren Bluthund von Feldherrn auszuliefern, und wirklich wurden einige schwankend; doch Theodosius wusste die Schlacht hinzuziehen, bis 5 die Nacht die Kämpfenden trennte. Und jeden, der sich feige erwiesen oder gar zum Abfall Neigung verraten hatte, Hess er lebendig verbrennen oder ihm mindestens die rechte Hand abhauen. So war er nicht nur ein Schrecken der Feinde, sondern auch

10 seiner eigenen Krieger, und endlich errang er den gewünschten Erfolg. Igmazen, der König der Isaflenser, zu dem Firmus geflohen war, hatte anfangs den Römern tapfer widerstanden. Aber durch wiederholte Schläge entmutigt und zugleich an der Verproviantierung

15 seiner Scharen gehindert, trat er endlich mit Theodosius in Unterhandlung und erklärte sich bereit, den Usurpator auszuliefern. Doch dieser machte die Wächter, die Igmazen ihm bestellt hatte, betrunken, und als sie alle schliefen, erhängte er sich.

20 Auf diese Weise wurde nach langem blutigen

Ringen ein Krieg beendigt, der von Anfang an ganz überflüssig gewesen war; doch diesesmal sollte der Schuldige seiner Strafe nicht entgehen. Dass Theo- dosius ohne jeden vernünftigen Grund weite Strecken

25 römischen Landes zur Wüste gemacht und Hundert- tausende von Menschen geopfert hatte, hätte ihm Valentinian wahrscheinlich verziehen, ja wenn das Glück gut war, hätte er vielleicht nicht einmal Ge- naueres darüber erfahren. Doch jener hatte nicht nur zwei Truppenkörper in ihrer Gesamtheit hinrichten und ganze maurische Völkerschaften niedermetzeln lassen, sondern auch die Kreaturen des Romanus der verdienten Strafe übergeben, und dies wird es gewesen sein, was ihm den Hals kostete. Denn jetzt wurde

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32 VI. Valentinian und seine Familie.

der Kaiser durch Remigius und die andern Freunde des Comes jedenfalls davon unterrichtet, dass Theo- dosius so in Africa gewütet hatte, wie keine noch so glänzenden Siege es entschuldigen konnten. Ausser- dem hatte man in Antiochia fünf Jahre vorher durch 5 Zaubermittel erkundet, dass ein Mann, dessen Name mit Theod beginne, zur Herrschaft bestimmt sei, und wie dies dem Theodorus und seinen Genossen den Tod gebracht hatte (S. 10), mag es auch auf die Ver- urteilung des Theodosius eingewirkt haben. So musste 10 er, nachdem er noch die Taufe erbeten und empfangen hatte, Ende 375 sein Haupt in Karthago auf den Block legen. Dies war einer der letzten Blutbefehle, die Valentinian gab, und als er zur Ausführung kam, weilte der grausame Kaiser wohl nicht mehr unter L5 den Lebenden.

Während Theodosius in Mauretanien kämpfte und mordete, hatte Valentinian eifrig an seinen Burgen weitergebaut. Und wie am Rhein, so wollte er sie auch an der Donau über den Greuzstrom hinaus ins 20 Barbarenland vorschieben und rief dadurch auch hier unnütze Kriege hervor. Die Quaden, in deren Gebiet man solche Festungsbauten beginnen wollte, wandten sich an den Magister Militum per Illvricum Equitius und erwirkten, dass die Arbeiten solange aufgeschoben '-.-> wurden, bis sie sich beim Kaiser durch eine Gesandt- schaft nach Gallien beschweren könnten. Diese Durch- kreuzung seiner Pläne ärgerte Valentinian, und der Praefect Maximinus, der, seit er sich in den römischen Hexenprozessen als unerbittlichen Richter bewährt ;)0 hatte (S. 18), sein volles Vertrauen besass, bestärkte ihn in diesem Unmut, um für sein Söhnchen Mar- cellianus ein Amtchen zu erlangen. Er tadelte den Equitius als träge und nachlässig in der Erfüllung der

1. Valentinian, Valens und Gratian. 33

allerhöchsten Wünsche und versicherte, dass, wenn seinem Sohne der Grenzbefehl in der Donauprovinz Valeria anvertraut werde, man für den Burgenbau keine Zögerung mehr zu befürchten habe. Und wirk-

5 lieh begann Marcellianus, sobald er, zum Dux ernannt, in seiner Provinz angekommen war, die Barbaren- familieu, die auf dem für die Festung bestimmten Räume wohnten, ohne weitere Unterhandlungen aus- zutreiben. Der Quadenkönig Gabinius machte be-

10 scheidene Einwendungen und wurde von dem jungen Manne, als wenn dieser sich ihm nachgiebig erweisen wolle, zur Tafel geladen. Doch als er das Haus, das ihn scheinbar gastlich empfangen hatte, verliess, stiess man ihn verräterisch nieder.

15 Durch den Mord ihres Königs erbittert, über-

schritten im Sommer 374 quadische Raubscharen die Donau und machten die Bauern der Valeria, die, nichts Böses ahnend, mit dem Einbringen der Ernte beschäftigt waren, massenhaft nieder oder schleppten

20 sie als Sklaven fort. Denn dem trefflichen Dux war es gar nicht eingefallen, dass sein Treubruch bedenk- liche Folgen haben könne; nichts hatte er vorbereitet, um die Feinde abzuwehren. Beinahe hätten sie die Tochter des Kaisers Constantins, die eben von Con-

25 stantinopel nach Gallien reiste, um dort mit dem jungen Gratian vermählt zu werden, unterwegs ge- fangen. Die Erfolge der Quaden gaben auch den Sarmaten Mut, in das Reich einzufallen und teils mit jenen vereinigt, teils auch auf eigene Faust Beute zu

30 machen. Zwei Legionen, die sich miteinander nicht vertrugen, weil jede vor der andern den Vorrang be- gehrte, wurden bei ihrem Streit von den Sarmaten überfallen und beinahe vollständig aufgerieben. Nur an die Mauern der festen Städte wagten sich die Bar-

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34 VI. Valentinian und seine Familie.

baren nicht heran; auf dem flachen Lande wütete Mord und Brand, und das nicht nur in der Yaleria, sondern auch in den Nachbarprovinzen. Einzig in Moesien blieb der junge Dux Theodosius, der gleich- namige Sohn jenes grausamen Feldherrn, über die 5 Sarmaten Sieger und zwang sie, um Frieden zu bitten, was für seine spätere Thronerhebung der entscheidende Grund wurde.

Als im Herbst die Nachricht von dem Quaden- einfall an Valentinian gelangte, der eben bei Basel 10 mit einem Festungsbau beschäftigt war, wollte er an- fangs sogleich nach dem Kriegsschauplatz aufbrechen. Doch war es seiner Trägheit sehr genehm, dass seine Hofschranzen, denen die weite Reise bei herbstlichem Regenwetter unbequem gewesen wäre, alle möglichen 15 Gründe fanden, warum er den Zug bis zum kommenden Frühling aufschieben müsse: der hereinbrechende Winter werde den Marsch seines Heeres sehr be- hindern, und er müsse dafür sorgen, dass nicht während seiner Abwesenheit Gallien durch die Alamannen be- 20 unruhigt werde. So ging er denn nach Mainz, um mit einem ihrer Könige, Macrianus, den er besonders fürchtete, einen Vertrag abzuschliessen, und begab sich dann nach Trier, wo er sich schon seit Jahren seine behaglichen Winterquartiere eingerichtet hatte, 25 obgleich er sich so von den bedrohten Provinzen immer weiter entfernte.

Erst spät im Frühling 375 machte er sich auf den Weg und gelangte eiliger, als sonst seine Art war, nach Carnuntum bei Wien, wo er sich volle drei Mo- 30 nate erholte und weitläufige Vorbereitungen für den Feldzug traf, obgleich dieser nur das schwache Volk der Quadeu allein treffen sollte. Denn die Sarmaten hatten ihm eine Gesandtschaft schon unterwegs ent-

1. Valentinian, Valens und Gratian. 35

gegengeschickt, die sich ihm demütig zu Füssen warf und seine Verzeihung erflehte. Man hatte erwartet, dass er über die Beamten, die an der Verwüstung der Provinzen schuld waren, ein furchtbares Strafgericht 5 halten werde; doch ein einziger Sünder nahm seine Aufmerksamkeit so in Anspruch, dass sein enges Hirn, das nicht leicht mehrere Gedanken auf einmal fassen konnte, alle andern darüber vergass. Obgleich er den römischen Senat im allgemeinen nicht liebte, hatte er

10 doch einem seiner vornehmsten Mitglieder, dem Sextus Petronius Probus, der als Christ eine Ausnahmestellung unter dem heidnischen Adel Roms einnahm, das un- bedingteste Vertrauen geschenkt. Schon seit mehr als sieben Jahren verwaltete dieser diePraefectur von Italien,

15 Africa und Illyricum, und weil deren Steuersoll immer pünktlich einlief, war Valentinian mit ihm sehr zu- frieden gewesen. Doch bei dem Quadeneinfall hatte sich jener als Feigling gezeigt, und da der Kaiser jede Furchtsamkeit um so härter verdammte, als er

20 selbst sich von diesem Fehler nicht ganz frei wusste, hatte das auf ihn einen recht schlechten Eindruck ge- macht. Da langte eine Gesandtschaft der Epiroten in Carnuntum an, um dem Praefecten, wie er das von allen seinen Provinzen forderte, Dank und Preis dar-

25 zubringen. Damit die erforderliche Lobrede seinem feingebildeten Geschmack entspreche, hatte man zu ihrem Führer den Philosophen und Sophisten Iphicles gewählt, der Valentinian persönlich bekannt war. Dieser fragte ihn im Vertrauen, ob seine Auftraggeber

30 die Gesandtschaft gern und aus echter Dankbarkeit abgeschickt hätten, und er hatte den Mut zu erwidern: „Zähneknirschend und widerwillig!" Der Kaiser er- schrak und forschte weiter nach. Da er sich in dem Lande seiner Geburt befand, kannte er viele der an-

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36 VI. Valentinian und seine Familie.

gesehensten Provinzialen und fragte nach ihnen. Da erfuhr er, dass der eine durch die Bedrückungen des Probus zum Selbstmord getrieben, der andere tot- gepeitscht, der dritte über das Meer geflohen sei usw. Doch in seiner trägen Langsamkeit konnte Valentinian , sich nicht darauf besinnen, wen er dem Praefecten zum Nachfolger geben solle, und Probus ist infolge- dessen noch über den Tod des Kaisers hinaus im Amte geblieben. Gleichwohl hatte dieser sich so in die Untersuchung gegen ihn verbissen, dass er gar nicht 10 Zeit fand, sich mit der Ermordung des Gabinius und den anderen Schandtaten seiner Kreaturen zu be- schäftigen, und alle Schuldigen frei ausgingen.

Endlich, als schon der Herbst gekommen war, überschritt er bei Acincum die Donau und verwüstete das Gebiet der Qnaden, die ihm gar keinen Wider- stand leisteten. Zurückgekehrt, forschte er nach einem Orte für die Winterquartiere, der ihn die gewohnten Bequemlichkeiten nicht ganz vermissen lasse, und er- fuhr, dass ein solcher nur in Savaria zu finden sei. 20 Als er auf dem Wege dahin nach Brigetio gelangt war, holte ihn eine quadische Gesandtschaft ein, die ihn um Frieden bitten sollte. Doch als sie unter den Entschuldigungen für den Einfall ihres Volkes auch einen Tadel jenes Burgenbaus zu äussern wagte, brach 25 bei Valentinian wieder einmal der wilde Jähzorn los. Während er die Quaden mit Schmähungen überhäufte, wurde er plötzlich blutrot im Gesicht, seine Stimme erstarb, und gleich darauf brach er in den Armen seiner Umgebung zusammen. In sein Schlafgemach gebracht, :i0 atmete er nur noch kurze Zeit; ein Sehlagfluss hatte am 17. November 375 seinem Leben ein Ende gemacht.

Durch seinen Tod wurde der Thron nicht erledigt. Denn nicht nur herrschte Valens nach wie vor im

1. Valentiniau, Valens und Gratian. 37

Osten, sondern auch im Westen stand ein junger Kaiser in Reserve. Im Jahre 367 war Valentinian von einer schweren Krankheit befallen worden, die ihn fast das Leben kostete. Als er dennoch genas,

5 hatten Frau und Schwiegermutter ihn überredet, seinen Sohn Flavius Gratianus zum Mitregenten zu ernennen, damit, wenn der Tod des alten Herrschers eintrat, ein neuer gleich zur Stelle sei. Der Knabe war im Frühling 359 geboren, also damals erst acht Jahre

10 alt; doch war er auch noch nicht fähig, selbst zu regieren, so konnten doch die Beamten, denen Valen- tiniau blind vertraute, für ihn während seiner Kindheit die Herrschaft führen, und dem Reiche blieben die Zweifel und Gefahren einer neuen Kaiserwahl erspart.

15 Zu Amieus, wo Hof und Heer sich damals aufhielten, wurde am 24. August 367 Gratian zum Augustus aus- gerufen; denn die Abstufungen der Herrscherwürde, die Diocletian geschaffen und seine Nachfolger bisher beibehalten hatten, hielt Valentinian mit Recht für

20 überflüssig. Hatte doch das Beispiel Julians gezeigt, dass, wer in einem Reichsteil als Kaiser gebot, dort, sobald er wollte, auch die höchste Gewalt ausüben konnte, ob er den Titel Caesar oder Augustus führte. Bei einer Mitregentschaft konnten eben nur guter

25 Wille oder tatsächliche Gewalt darüber entscheiden, welcher Herrscher dem andern zu gehorchen hatte; staatsrechtliche Vorschriften waren nach dieser Richtung wirkungslos. So ist denn auch das Caesarentum seit- dem ein halbes Jahrhundert lang verschwunden; nicht

30 nur wirkliche Mitregenten, sondern auch kleine Kinder, wie Gratian, denen man die Thronfolge sichern wollte, wurden gleich zu Augusti ernannt.

Schon unmittelbar nach seiner Erhebung hatte der Knabe den Vater bei seineu Feldzügen gegen die

38 VI. Valentinian und seine Familie.

Alamaunen begleiten müssen, um deu Soldaten bekannt und lieb zu werden. Als er dann sein fünfzehntes Jahr zurückgelegt hatte, war er mit der zwölfjährigen Constantia, der nachgeborenen Tochter des Constautius, vermählt worden und hatte so die neue Dynastie mit 5 der untergegangenen verknüpft. Bei seinem Aufbruch nach Paunonien hatte Valentinian das junge Ehepaar in Trier zurückgelassen und dem Jüngling die Ver- waltung Galliens übertragen. Als Privatmann hätte dieser zwar noch neun Jahre warten müssen, ehe er 10 die volle Mündigkeit erreichte; der Herrscher aber galt für eine halbgöttliche Person, die den Beschränkungen des Lebensalters nicht unterworfen sei. Eine Vor- mundschaft über ihn hat das römische Staatsrecht nie- mals anerkannt. Selbst den neugeborenen Knaben 15 musste man im vollsten Maasse als handlungsfähig be- trachten; dass er dies tatsächlich nicht war und andere für ihn handelten, wurde rechtlich ignoriert. So durfte niemand daran zweifeln, dass Gratian mit seinen sech- zehn Jahren die Regierung selbständig übernehmen 20 könnne; die Zweiteilung des Reiches, wie sie nach dem Tode Jovians eingetreten war, hätte also unverändert fortbestehen können, wenn nicht die Stimmung des Heeres dies verhindert hätte.

Einen Teil seiner Truppen hatte Valentinian unter -"> Führung des Merobaudes und Sebastianus im Quaden- lande zurückgelassen. Der letztere war schon von Julian mit wichtigen militärischen Aufgaben betraut worden (IV S. 344 ff.) und bei den Soldaten so beliebt, dass man fürchtete, sie könnten ihn in Abwesenheit 30 des Valens und des Gratian zum Kaiser ausrufen. Man sandte daher Botschaft au Merobaudes, der als Barbar keiner Usurpatiousgelüste verdächtig war, er möge den Tod Valentinians vor den Soldaten geheim halten,

1. Valeutiuian, Valens und Gratian. 39

dafür sorgen, dass Sebastianus fern bleibe, und eiligst zurückkommen. Unter dem Vorwande, mit seinen Truppen nach Gallien beordert zu sein, überschritt er bei Acincum die Donau und Hess die Brücke hinter 5 sich abbrechen, um so den gefährlichen Menschen völlig vom Gros des Heeres zu trennen. Auf dem rechten Ufer des Flusses angelangt, traf er mit Equitius und Probus zusammen, die ihm, wohl begleitet von andern Würdenträgern, hierher entgegengeeilt waren. Man

10 trat in Beratung, was zu tun sei, und beschloss, den Soldaten Gelegenheit zu einer unschuldigen Kaiser- macherei zu geben, damit sie, hierdurch befriedigt, nicht zu einer gefährlicheren versucht würden. Die junge Kaiserin Justina hielt sich mit ihrem kleinen Söhnchen,

15 das am 2. Juli 371 geboren und nach dem Vater be- nannt war, in der Nähe auf. Sie wurde nach Acincum berufen und hier der vierjährige Valentinian am 22. No- vember 375 durch das versammelte Heer zum Augustus gemacht. Valens und Gratian waren anfangs darüber

so ungehalten, dass man ohne ihre Zustimmung einen so wichtigen Schritt getan hatte; doch als man ihnen vor- stellte, welcher Gefahr dadurch vorgebeugt war, er- klärten sie sich einverstanden. Und wirklich war für das Reich, wie damals seine Verwaltung war, eine

25 Dreiteilung das angemessenste.

Es bestanden zu jener Zeit drei Praefecturen : 1) Gallien mit Brittanien und Spanien, dem auch Mau- retania Tingitana, das heutige Marokko, zugerechnet wurde, 2) Italien mit Africa und Illyricum, zu dem

30 auch Macedonien und Griechenland gehörten, 3) der Orient mit Aegypten, Kleinasien und Thrakien. Va- lentinian hatte seinem jüngeren Bruder den dritten Teil zugewiesen und die beiden ersten unter seine eigene Verwaltung genommen; es war also ganz passend,

40 VI. Valentiniau uud seine Familie.

dass diese jetzt unter seine zwei Söhne verteilt wurden. Gratian als der ältere erhielt den westlichen, der von den Grenzbarbaren schwerer bedroht war und daher zu seiner Verteidigung einer stärkeren Hand bedurfte; doch verstand es sich von selbst, dass er bis zum Her- 5 anwachsen seines kleinen Bruders auch im italischen Reichsteil die höchste Gewalt ausübte. Denn Valens hielt sich an der fernen Ostgrenze auf und fand dort seine schwachen Kräfte durch die Perser so vollständig in An- spruch genommen, dass er nicht daran denken konnte, 10 in die Verwaltung seiner Neffen tätig einzugreifen.

Als mau vom Tode Valentinians erfuhr, atmete der ganze Westen erleichtert auf. Sein Nachfolger war ein schönes und artiges Kind, wie es den Eltern Freude macht, und ist das sein Leben lang geblieben. Frei is von allen gefährlichen Neigungen, hatte er nur den einen Fehler, dass er bis zu seinem frühen Tode aus dem Spielen nicht herauskam und den Ernst des Lebens und der Pflicht nie begriffen hat. Seine Gattin, die das Staatsinteresse ihm in frühester Jugend zudiktiert 20 hatte, dürfte er kaum geliebt haben; denn als sie im Jahre 383 starb, heiratete er sogleich eine andere. Doch war er zu gut erzogen, um ihr untreu zu werden. Denn er betete viel und hielt fest an der christlichen Sittlichkeit, wie an dem orthodoxen Dogma. Wahr- 25 scheinlich war er durch den harten Vater verängstigt und hatte sich daher keine Lehre fester eingeprägt, als dass Gehorsam die erste Christenpflicht sei. Er übte sie auch gegen seinen Lehrer, als er dessen Zucht- rute längst entwachsen war, und dieser wurde so in 30 den ersten Jahren Gratians /.um entscheidenden Leiter der Regierung.

Decimus Magnus Ausonius stammte aus einer gut büi'o-erlichen Familie von Bordeaux. Er hatte den

1. Valentiniau, Valens uud Gratian. 41

Beruf eiues rhetorischen Lehrers ergriffen und machte nebenher Verse, die z. T. höchst künstlich waren, aber jedes dichterische Empfinden vermissen liessei). Doch dem schlechten Geschmack Yalentinians imponierten 5 sie, und da er sich gern als Beschützer und Förderer der Künste aufspielte, berief er den Dichter au das Hoflager, um ihm die Erziehung seines zehnjährigen Sohnes anzuvertrauen (368). Diese Aufgabe erfüllte Ausonius zur Zufriedeuheit aller Teile; Gratian lernte

10 von ihm in so gutem Stile reden, schreiben und sogar Verse machen, wie dies den höchsten Bildungsforderungen der Zeit entsprach. Zur Belohnung wurde der glückliche Lehrer mit der hohen Stellung eines Quaestors betraut, in der er die kaiserlichen Erlasse zu formulieren und

15 ihnen den stilistischen Schliff zu geben hatte, den man damals für unerlässlich hielt. Valentiniau war ihm gnädig: doch hinderte dies kaum, dass er mit Furcht und Grauen zu dem jähzornigen Blutmenschen aufsah, dessen Launen auch sein Leben bedrohten. Und die

20 Abneigung seines Herrn gegen den römischen Senat teilte er nicht; war es doch unter dessen hochgebildeten Mitgliedern hergebracht, literarischen Ruhm zu ehren oder, soweit es möglich war, ihn auch selbst zu er- werben, und dass die adligen Herrn ihn, den Empor-

25 kömmling, als Bruder in Apoll begrüssten, schmeichelte seiner Eitelkeit.

Sobald die Nachricht vom Tode Valentinians in Trier angelangt war, wurde ein Eilbote nach Rom ge- schickt, um dem Senat den Anbruch einer neuen Zeit zu verkündigen. Schon am Neujahrstage 376 konnte in seiner Versammlung eine Proklamation des jungen Kaisers verlesen werden, in der er die hohe Körper- schaft seiner Huld und Ehrfurcht versicherte. Denn jetzt stilisierte Ausonius nicht nur die allerhöchsten

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42 VI. Valentinian und seine Familie.

Erlasse, sondern bestimmte auch ihren Inhalt. Es ist charakteristisch dafür, dass einer der frühesten (vom 23. Mai 376) die Wahl der städtischen Lehrer, aus deren Mitte er selbst hervorgegangen war, freiheitlicher regelte und ihnen stattliche Gehalte zuwies. Waren 5 vorher die Forderungen der Staatskasse mit grosser Strenge eingetrieben worden, so wurden jetzt alle Steuerschulden erlassen und die Register, die von ihnen Zeugnis gaben, auf den Märkten der Städte öffentlich verbrannt. Hatte Valentinian säumige Schuldner des 10 Fiskus mitunter hinrichten lassen, so verbot Gratian auch die Anwendung der Folter gegen sie. Die Ver- bannten wurden zurückgerufen, die Untersuchungs- gefangenen entlassen, den Erben derjenigen, die Va- lentinian hatte hinrichten lassen, die konfiszierten Ver- 10 mögen zurückgegeben. Kurz in jeder Beziehung wurde es dem Volke klar gemacht, dass die Herrschaft der eisernen Grausamkeit jetzt vorüber sei und im bewussten Gegensatze dazu liebreiche Milde den Thron bestiegen habe. 20

Die alten Diener seines Vaters gleich zu entlassen, widersprach der Pietät des jungen Kaisers. Selbst Maximinus durfte einstweilen noch im Amte bleiben; doch wurde ihm verboten, Denuntiationen von Sklaven und Freigelassenen gegen ihre Herren anzunehmen. 25 Aber da er es wagte, dem kaum erwachsenen Jüngling gegenüber die Autorität des erfahrenen Mannes un- gebührlich geltend zu machen, erhielt er im Frühling 376 denn doch seinen Abschied; der Eiufluss des Ausonius herrschte jetzt unbeschränkt und wurde 30 benutzt, um seiner ganzen Verwandtschaft zu Ehren und Würden zu verhelfen.

Schon unmittelbar nach dem Tode Valeutiuiaus war sein Sohn Decimius Hilarianus Hesperius zum

1. Valentiuiau, Valens und Gratian. 43

Procousul Africae ernannt worden, um gleich darauf zum Praefecten von Italien aufzusteigen, eine Stellung, in der er berufen war, am Hofe der Justiua und ihres kleinen Sohnes die Befehle Gratians zur Ausführung 5 zu bringen. Julius Ausonius, der Vater des Dichters, ein unscheinbarer gallischer Arzt, erhielt zwar nicht das Amt, wohl aber den Titel und die Ehren des Praefecten von Illyricum. Thalassius, der mit der Tochter des jüngeren Ausonius verheiratet war, wurde

lo zuerst Vicarius Macedoniae und dann, wie vorher sein Schwager, Procousul von Africa. Auch für die Kinder seiner Schwester sorgte der allmächtige Quaestor. Ihr Sohn Arborius wurde 379 Comes sacrarum largitionum, 380 Stadtpraefect von Rom; auch die Gatten ihrer

15 Tochter und ihrer Enkelin stiegen zu hohen Würden auf. Ausonius selbst erhielt 378 das Amt des Prae- fecten von Gallien, scheint aber für die schweren Auf- gaben, die ihm damit übertragen waren, doch nicht recht brauchbar gewesen zu sein. Um ihn nicht gleich

20 absetzen zu müssen, vereinigte Gratian die Praefectur von Italien mit der gallischen und übergab beide ge- meinsam dem Ausonius und dem Hesperius zu kolle- gialer Verwaltung. So konnte der Sohn die Geschäfte führen und der Vater sich der Ehre freuen. Eine

25 noch grössere, die höchste, welche das Römerreich bieten konnte, wurde ihm dann noch 379 zu Teil, indem er diesem Jahr als Consul den Namen geben durfte. Wie mau sieht, war sein Regiment zwar milder, als das seiner Vorgänger in der kaiserlichen Gunst, aber nicht

30 uneigennütziger.

Doch die Untertanen begrüssten es mit Freuden, vor allem der römische Senat. Wurde er auch aus einer grossen Anzahl hoher Stellungen durch Empor- kömmlinge aus einer bescheidenen gallischen Bürger-

44 VI. Valentinian und seine Familie.

familie verdrängt, so blieb für ihn doch immer noch mehr übrig, als Valentinian ihm gegönnt hatte. Denn der christliche Dichter war liberal genug, auch die heidnischen Senatoren nicht zurückzustossen. Und da- zu wurde ihnen die Freude, an ihrem brutalsten Feinde 5 Rache nehmen zu dürfen. Sobald man von der Ab- setzung Maximins erfuhr, schickte der Senat eine Ge- sandtschaft nach Trier an das Hoflager, die ihn an- klagen sollte, und bewirkte damit seine Hinrichtung. So hatte den grausamsten Hexenrichter die verdiente 10 Strafe ereilt. Man freute sich des fügsamen Kaisers und meinte einer glücklichen Zukunft eutgegenzugehn, eine Hoffnung, die freilich schnell getäuscht werden sollte. Denn schon war die Flut der Völkerwanderung über den Osten des Reiches hereingebrochen, um bald 15 auch den Westen in ihre Strudel hineinzuziehen.

Zweites Kapitel.

Das Ostreich unter Valens.

Als Valentiniaii nach seiner Thronbesteigung in den Westen reiste, hatte ihm sein Bruder bis Sirmium das Geleite gegeben. Im Herbst 364 nach Coustantinopel zurückgekehrt, fand dieser den kaum geschlossenen 5 Frieden mit den Persern schon wieder gefährdet. Um der Bewunderung der Heiden für ihren Julian euto-eo-enznwirken. hatten die Christen überall es laut

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verkündigt, dass sein gottloser Übermut das römische Heer dem sicheren Verderben preigegeben habe und

10 nur die Gnade des Herrn, die dem Jovian um seines Glaubens willen zuteil geworden sei, die Perser habe bewegen können, ihm den Abzug zu gewähren. Solche Reden müssen auch dem Sapor zu Ohren gekommen sein und in ihm nachträglich die Meinung erweckt

is haben, dass er nur aus Mitleid, nicht aus Furcht, einen Frieden bewilligt habe. So reich der Gewinn eines Krieges, der ihm nur Niederlagen gebracht hatte, für ihn gewesen war, glaubte er doch jetzt, nicht genug gefordert zu haben. Er benutzte daher

20 den Tod Jovians als Yorwand, um zu behaupten, er habe nur mit diesem Kaiser persönlich seinen Vertrag- geschlossen und sei dessen Nachfolgern gegenüber nicht daran gebunden. Valens musste zu einem neuen Perserkriege rüsten, und weil das orientalische Heer

46 VI. Valentinian und seine Familie.

bei dem Rückzuge seines Vorgängers schwer gelitten hatte, brauchte man Geld und Menschen, um es auf seinen früheren Stand zu bringen. Zudem durften die Soldaten auf die hohe Summe Anspruch machen, mit der man in der Form eines Geschenkes jede Kaiser- 5 wähl zu bezahlen pflegte. So musste er seine Regierung gleich mit neuen Steuern und drückenden Aus- hebungen beginnen; alte, längst vergessene Steuer- schulden wurden mit grösster Strenge eingetrieben, und neben den harten, aber berechtigten Forderungen 10 des Kaisers standen die unberechtigten seiner Kreaturen, vor allem seines Schwiegervaters Petronius, der, aus der Stellung eines niedrigen Offiziers plötzlich zum Patricius erhoben, seine neue Macht zu grausamen Erpressungen missbrauchte. Der milde und gerechte 15 Praefect Salutius, den alles hoch verehrte, hatte zwar nicht darunter zu leiden, dass er zweimal Thron- kandidat gewesen war, ja er durfte sogar noch über ein Jahr im Amte bleiben; doch im Sommer 365 wurde er auf Betreiben des Petronius entlassen, wahrscheinlich 20 weil er nicht scharf genug in der Beitreibung der Steuern vorging, und durch Nebridius ersetzt, der sich als Widersacher Julians und treuer Anhänger des Constantius bekannt gemacht hatte (IV S. 291. 297). Auf diese Weise wurde der neue Herrscher schon 25 gleich in seinen Anfängen verhasst, und wer es unter- nahm, ihn zu stürzen, durfte überall auf Zustimmung rechnen.

Dies gab dem Procopius Mut, aus dem uner- träglichen Zustande, in dem er seit dem Tode Julians 30 hatte leben müssen, die einzige Rettung zu suchen, die ihm möglich schien, indem er selbst sich der Krone bemächtigte. In dem cilicischen Corycus im J. 325 geboren, war er als Verwandter der Basiliua,

2. Das Ostreich unter Valens, 47

der Schwägerin Constantins des Grossen, in das vor- nehme Kollegium der Xotare aufgenommen worden und darin schon zu einer der höchsten Stellen auf- gerückt, als sein Vetter zur Herrschaft gelangte. Schon e Constantius hatte seine Klugheit so hoch geschätzt, dass er ihn als einen seiner Gesandten zu Sapor schickte; Julian beförderte ihn zum Comes. Doch obgleich Procop, wie sein kaiserlicher Verwandter, sich durch einen unrasierten Bart als Philosophen

in legitimierte, scheint seine finstere Schweigsamkeit den offenen, mitteilsamen Julian abgestossen zu haben; jedenfalls übertrug er ihm kein Amt von irgendwelcher Bedeutung. Erst bei dem Perserfeldzug betraute er ihn mit der Führung jenes abgesonderten Truppenteils,

der mehr bestimmt war, den Feind zu täuschen und hinzuhalten, als irgend etwas Positives zu erreichen (IV S. 344). Doch gab er ihm auch hierbei den Sebastianus zum Genossen, mit dem sich Procop, der dem erfahrenen Feldherrn gegenüber wahrscheinlich

20 die Rechte des kaiserlichen Verwandten zur Unzeit geltend machte, sehr schlecht vertrug. So hatte er die Aufgaben, die ihm gestellt waren, recht ungenügend erfüllt, als er nach Beendigung des Krieges sein Heer dem neugewählten Kaiser übergab und von diesem

25 mit der Bestattung Julians beauftragt wurde. Während er dieser Verwandtenpflicht nachkam, erfuhr er von der grausamen Ermordung jenes Notars Jovian, der dem Misstrauen seines kaiserlichen Namensvetters zum Opfer gefallen war (IV S. 366). Ein gleiches Schicksal

30 hatte Procop auch für sich zu fürchten, umso mehr als schon damals das falsche Gerücht aufgetaucht war, Julian habe ihm bei ihrem Abschied ein Purpurgewand übergeben und ihn auf dem Todbette zu seinem Nach- folger bestimmt. Er hielt daher für gut zu verschwinden,

48 VI. Valentinian und seine Familie.

und als er erfuhr, dass Joviau nichts unversucht Hess, um sein Versteck zu entdecken, zog er sich in die gebirgigen Einöden Kleinasiens zurück, wo er, den Menschen fern und oft der notwendigsten Lebens- bedürfnisse entbehrend, wie ein gehetztes Wild umher- 5 irrte. Doch auf die Dauer konnte der verwöhnte Hofmann dies elende Dasein nicht ertragen. Er schlich sich auf abgelegenen Pfaden nach Chalcedon, wo er bei einem befreundeten Senator eine Zuflucht fand. Indem er verkleidet und unerkannt auch die Strassen 10 des gegenüberliegenden Constantinopel durchstreifte und auf die Reden des Volkes horchte, erfuhr er leicht, welchen Hass Valens schon in den wenigen Monaten seiner Regierung auf sich geladen hatte, und hielt bald die Zeit für gekommen, um, wie Silvanus und 15 später Firmus, seine Sicherheit in der Usurpation zu suchen.

Während der Winterquartiere hatte der Kaiser seine Rüstungen betrieben und trat im Sommer 365 mit dem Heere seinen Marsch nach Antiochia an, wo 20 er die Bewegungen der Perser aus grösserer Nähe beobachten konnte. Nachdem er Bithynien schon durchzogen hatte, empfing er die Nachricht, dass die Gothen einen Einfall vorbereiteten und schickte einige von den Truppen, die ihn begleiteten, wieder zurück, 25 um durch sie den Schutz der Douaugrenze zu ver- stärken. Als die zwei Legionen der Divitenses juniores und der Tungrecani juniores wieder in Constan- tinopel angelangt waren, wurden ihnen dort nach altem Herkommen zwei Ruhetage gewährt. Wie es 30 scheint, waren dies gallische Truppen, die Julian bei allen seinen Feldzügen vom Rheine bis zum Tigris begleitet hatten und daher auch seinem Verwandten geneigt sein mussten. Vielleicht hatten sie dem Teil

2. Das Ostreich unter Valens. 49

des Heeres angehört, das Procop selbst in Mesopo- tamien befehligt hatte; jedenfalls waren ihm mehrere ihrer Unteroffiziere persönlich bekannt. An diese machte er sich heran und wusste sie durch das Au-

5 denken Julians und grosse Versprechungen zu be- wegen, dass sie auch die andern Soldaten für ihn gewannen. Schnell genug muss dies gegangen sein, da sie kaum zwei Tage dafür Zeit hatten, ein deut- liches Zeichen, wie wenig beliebt Valens auch bei

in dem Heere wTar. Am 28. September 365 fand sich Procop noch vor Tagesanbruch bei den Thermen der Anastasia ein, wo die beiden Legionen einquartiert waren, und Hess sich von ihnen zum Kaiser ausrufen. Die Beamten des Valens, die er zu fürchten hatte,

15 vor allen Nebridins und der Stadtpraefect Caesarius, wurden aus den Betten geholt und von den Soldaten bewacht. Als es Tag geworden war, stellte sich der Usurpator zuerst dem Volke von Contantinopel als Augustus vor, dann auch dem Senat, in dem freilich

20 kein Mann von Bedeutung zu erscheinen wagte, und traf dann schnell und energisch seine Maassregeln, um seine eben gewonnene Herrschaft zu sichern.

Um seine Anhänger zu ermutigen, liess er das Gerücht verbreiten, dass Valentinian tot sei und man

25 es nur noch mit seinem Bruder zu tun habe, dessen kriegerische Befähigung man allgemein sehr niedrig einschätzte. Kein Schiff liess man aus dem Hafen, keinen Wanderer aus den Toren der Stadt, damit die Nachricht von dem Aufstande möglichst lange den

30 Kaisern und ihren Beamten unbekannt bleibe. Der Praefect Nebridius wurde gezwungen, au Julius, den Befehlshaber der thrakischen Streitmacht, einen Brief zu schreiben, der ihn eiligst nach Constantinopel be- orderte. Arglos folgte er dem Befehl, und nachdem

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 4

50 "VI. Valentinian und seine Familie.

man auch ihn gefangen gesetzt hatte, wurde ein Kommandant an die Nordgrenze geschickt, dem Procop vertrauen konnte. Unterdessen kamen immer neue Truppenzüge, die Valens gegen die Gothen ausgesandt hatte, in der Stadt an und wurden von dem Usur- 5 pator in Eid genommen. So wuchs sein Heer in kurzem zu einer höchst achtunggebietenden Masse an. Und die Bedrohung der Donaugrenze wusste er ab- zuwenden, indem er die gothischen Scharen, die zum Einfall in das Reich gerüstet waren, gegen gute Be- 10 Zahlung in seine Dienste nahm. Zwei Feldherren des Constantius, die unter Julian in den Ruhestand ge- treten waren und in Constantinopel lebten, Agilo und Gomoarius, wurden an die Spitze seiner Truppen ge- stellt. Denn Procop suchte seinen verwandtschaftlichen 15 Zusammenhang mit der Contantinischen Dynastie auch dadurch bemerkbar zu machen, dass er ihre alten treuen Diener wieder zu Ehren brachte. In demselben Sinne bemühte er sich auch um Faustina, die Witwe des Constantius, die sich gleichfalls in Constantinopel 20 aufhielt, und zeigte sich gern öffentlich, ihre kleine Tochter auf den Armen tragend. Ja später musste die Kaiserfrau mit ihrem Kinde sein Heer in einer Sänfte sogar in den Krieg begleiten, um die Soldaten durch die Erregung ihrer dynastischen Gefühle zum -:> Kampfe zu begeistern.

An das Heer von Illyricum waren gleich anfangs heimliche Emissäre abgesandt, um es zum Anschluss zu verführen; doch wurden sie noch rechtzeitig ent- deckt und hingerichtet. Equitius, der hier den Ober- :!0 befehl führte, berichtete an Valentinian, der eben da- mals in Paris eingetroffen war (S. 23). Nach einigem Schwanken entschied sich dieser dafür, dass Procop nur der Feind seines Hauses, die Alamannen dagegen

2. Das Ostreich unter Valens. 51

Feinde des Reiches seien, und dass daher seine Pflicht gebiete, diese zu bekämpfen. Doch bekämpfte er sie gar nicht, sondern überliess dies seinen Feldherrn (S. 12. 24 ), und auch Equitius erhielt nicht den Befehl,

s die Usurpation niederzuschlagen, wie er es mit dem starken Heer Illyricums sehr gut hätte tun können. Valentinian wollte neutral bleiben, vielleicht weil er so hoffen durfte, mit Procop, falls dieser Sieger blieb, noch ein Abkommen schliessen zu können, vielleicht

10 auch nur, weil müssiges Abwarten seiner Natur am

besten zusagte. So besetzte Equitius nur die Pässe,

die Illyricum von Thrakien schieden, und überliess es

Valens, allein mit seinem Gegner fertig zu werden.

Der Kaiser hielt sich noch in dem cappadocischen

15 Caesarea auf, als er von der Usurpation die erste Nachricht empfing. Sogleich kehrte er um; doch als ihm eine Hiobspost nach der andern zugetragen wurde, geriet er so in Furcht, dass er schon daran dachte, den Purpur niederzulegen, um dadurch vielleicht sein

20 armseliges Leben zu retten, und nur mit Mühe konnte ihn sein Hof davon zurückhalten. Als seine Vorhat, bestehend aus den beiden Auxilien der Jovii und Victores, den Sangarius erreichte, trat ihr Procop, dessen Heer unterdessen schon nach Asien übergesetzt

26 war, hier entgegen. Während schon der Kampf durch das Hin- und Herfliegen der Wurfspiesse eingeleitet wurde, ging er den Seinen voran auf die feindlichen Soldaten zu, begrüsste einen von ihnen als alten Be- kannten und rief laut in ihre Scharen hinein, sie

so sollten nicht für einen Fremden, einen elenden Panuonier, streiten, sondern sich ihm, dem echten Spross des an- gestammten Kaiserhauses, anschliessen. Und seine Kühnheit bewundernd, gingen wirklich die Truppen zu ihm über.

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52 VI. Valentiuian und seine Familie.

Der Verlust von tausend Mann bedeutete für Valens allerdings nicht viel. Da Mcaea von Kumitalca, einem Offizier des Procop, durch Handstreich genommen war, übertrug er einem Teil seines Heeres die Be- lagerung der Stadt und rückte selbst unter die Mauern 5 von Chalcedon. Doch wie man in dem gegenüber- liegenden Constantinopel ihn hasste und an dem Usurpator hing, so fand er auch hier hartnäckigen Widerstand; und da es Spätherbst, also das Korn längst abgeerntet und die Bevölkerung ihm feindlich 10 war, litt er bald empfindlichen Mangel. Schon dachte er daran, die Belagerung aufzuheben, als Rumitalca durch einen unerwarteten Ausfall das Heer, das Nicaea umschloss, zum grossen Teil niedermachte und dann auf Chalcedon marschierte, um den Kaiser selbst im 15 Rücken zu fassen. Wahrscheinlich hätte er ihn ab- geschnitten und zum Gefangenen gemacht, wenn Valens nicht noch rechtzeitig die Gefahr bemerkt und sich auf weiten Umwegen bis Ancyra zurückgezogen hätte. So blieb ganz Bithynien in den Händen der Auf- 20 ständischen, und auch in die Provinz Hellespontus griffen sie hinüber. Denn auch Cyzicus, wohin ein Teil des kaiserlichen Schatzes gerettet war, wurde durch kühne Bestürmung eingenommen. Zwar war es schon vorher einem Feldherrn des Valens gelungen, 25 auch vom Heere des Procopius einen Truppenteil zum Abfall zu bringen. Doch was bedeutete dieser kleine Vorteil gegen die Einbussen, die Valens überall sonst erlitten hatte! Hätte der Usurpator seine tiefe Ent- mutigung benutzt, um ihn sogleich zu verfolgen, und den Krieg auch den Winter hindurch fortgesetzt, so wäre er wahrscheinlich Sieger geblieben. Doch er war von schwerer Geldnot gedrückt. Was er bei seiner Erhebung im kaiserlichen Schatze von Con-

2. Das Ostreich unter Valens. 53

stantinopel vorgefunden hatte, war gleich anfangs draufgegangen, um die Soldaten zu belohnen, die ihn mit dem Purpur bekleidet hatten. Da die Einkünfte des reichen Orients seinem Gegner zuflössen, hatte

5 er sich schon gezwungen gesehn, von den Senatoren schwere Steuern zu erheben, und sogar die Koru- vorräte, die zur Verteilung au die hauptstädtische Bevölkerung bestimmt waren, zur Ernährung des Heeres einziehen müssen. So hielt er es für das

10 Dringendste, sich persönlich der reichen Städte Asiens zu bemächtigen, und liess darüber den günstigen Augen- blick ungenutzt vorübergehen. Und indem ein Teil seiner Truppen ihn unter Führung des Gomoarius bis nach Lydien begleiten musste und dann hier zu-

15 rückblieb, teilte er zugleich sein ohnehin nicht sehr starkes Heer, und dies sollte ihm zum Verderben werden.

Als im Frühling 366 der Kampf erneuert wurde, hatte Valens frische Truppen aus Syrien herangezogen

20 und, was noch wichtiger war, zugleich einen Mann gewonnen, der auch das moralische Übergewicht des Procop, das auf seinem Verhältnis zum Hause Con- stautins beruhte, zu erschüttern vermochte. Flavius Arbitio war als Gemeiner in das Heer eingetreten,

25 hatte sich aber schon unter Constantin zum Magister Militum emporgedient und dann in den Bürgerkriegen des Constantius so ausgezeichnet, dass er im Jahre 355 sogar mit dem Consulat belohnt wurde. Auch Julian hatte ihn hoch geehrt, ehe er unter dessen Regierung in

30 hohem Greisenalter seinen Abschied nahm. Da er so die Traditionen der ganzen Dynastie in seiner Person zu verkörpern schien, hatte Procop ihn wieder- holt an seinen Hof geladen; doch Arbitio, der sich nach keiner Seite kompromittieren wollte, hatte immer

54 VI. Valentinian und seine Familie.

wieder Ausflüchte gesucht. Da wurde der Usurpator ungeduldig uud liess in Constantinopel das Haus des Greises, das überreich an jeder Art von Prachtgeräten war, zur Strafe ausplündern. Hierdurch gereizt, hatte Arbitio seine Kriegserfahrung und sein Ansehen bei 5 den Soldaten in die Dienste des Valens gestellt, was den Kampf entscheiden sollte.

Zunächst wusste er den schwachen Kaiser aus seiner Mutlosigkeit aufzurütteln und zu einer schnellen und energischen Kriegführung zu begeistern. Mit dem 10 ersten Anbruch des Frühlings zog das Heer von Ancyra nach Pessinus und richtete eiligst diese Stadt so ein, dass sie zur Basis der ferneren Operationen dienen konnte. Da von diesem Punkte die grosse Strasse nach Bithynien fühlte, musste Procop glauben, 15 dass man hier das Heer, das er selbst im Verein mit Agilo befehligte, angreifen werde. Doch man beschloß, die Teiluno; der feindlichen Macht zu benutzen, um zuerst mit der schwächeren Hälfte derselben, die unter Gomoarius noch in Lydien stand, aufzuräumen. Auf 20 schwierigen Gebirgspfaden, auf denen man seinen Anmarsch nicht erwarten kounte, zog Valens von Pessinus aus gerade nach Westen und überraschte den Feind bei Thyatira. Gomoarius hätte sich nach Norden auf das Hauptheer zurückziehen können; doch -"> angesichts des übermächtigen Feindes war dies höchst gefährlich. Zudem musste er bemerken, dass viele seiner Soldaten durch ihre Ehrfurcht vor dem greisen Arbitio in ihrer Treue wankend geworden waren, und wurde er geschlagen und gefangen, so war seine Hinrichtung gewiss. Er zog es daher vor, sich durch einen Verrat die Gnade des Kaisers zu erkaufen, und ging mit allen seinen Truppen zu ihm über.

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2. Das Ostreich unter Valeus. 55

So verstärkt, trat Valens den Rückweg- nach Pessinus an, fand ihn aber bei Nacolia durch das andere Heer des Procop versperrt. Doch das Beispiel des Abfalls wirkte weiter: auch Agilo verzweifelte 5 jetzt am Siege des Usurpators und suchte Verzeihung, indem er sich kampflos dem Kaiser unterwarf. Plötz- lich allein gelassen, floh Procop in den nahen Wald, wo er, nur von zwei Tribunen begleitet, die folgende Nacht zubrachte. Aber auch diese sannen vor allein

io auf ihre eigene Rettung. Als der Morgen nahte, warfen sie sich auf ihn, banden ihn und führten ihn als Gefangenen ins Lager des Valens. Dieser Hess ihm in furchtsamer Hast unverzüglich den Kopf ab- schlagen; doch auch die beiden Verräter wurden von

15 den aufgeregten Soldaten sogleich niedergestossen. So endete am 27. Mai 366 der letzte Mann, der als Erbe Constantins den Purpur getragen hatte.

Der Bürgerkrieg, der so unverhofft glücklich be- endet war, fand noch ein kurzes, aber blutiges Nach-

20 spiel. Marcellus, ein Verwandter des Procop, dem dieser die Verteidigung von Nicaea übertragen hatte, Hess sich auf die Nachricht seines Todes von einigen Soldaten, die so schwer kompromittiert waren, dass sie nicht auf Gnade hoffen durften, selbst zum Kaiser

25 ausrufen. Mit diesem schwachen Gefolge eilte er über den Bosporus. Denn 3000 Gothen, die Procop jenseit der Donau angeworben hatte, waren erst jetzt in Thrakien eingetroffen, und Marcellus hoffte, sie ge- winnen und mit ihrer Hilfe den Krieg fortsetzen zu

30 können. Es war das Unternehmen eines Verzweifelten, der sein Leben doch für verloren hielt und wenigstens in mutigem Streite fallen wollte; auch dies aber sollte ihm nicht beschieden sein. Da schon im Herbst 365 der Kampf sich völlig nach Asien hinübergezogen

56 VI. Valentinian und seine Familie.

hatte und der europäische Teil des Ostreiches von den Truppen des Usurpators ganz entblösst war, hatten Valentinian und sein tapferer Feldherr Equitius es ungefährlich genug gefunden, sich der thrakischen Diöcese zu bemächtigen. Im Frühling 366 durchzog 5 dieser die Pässe, die er vorher so ängstlich gesperrt hatte (S. 51), und begann Philippopolis zu belagern. Die Einwohner der Stadt, die Valens bitter hassten, verteidigten sich mit wilder Entschlossenheit; sie haben sich erst ergeben, als ihnen der abgeschlagene Kopf io des Procop gezeigt wurde. Doch einstweilen wussten weder sie noch Equitius von dem, was bei Nacolia vorgefallen war, und die Belagerung nahm daher ihren Fortgang. Da wurde ihm gemeldet, dass Marcellus heranziehe, der von seinem Einmarsch in Thrakien is noch nichts wusste. Er schickte ihm einige Truppen entgegen, und diese nahmen die ganze kleine Schar gefangen. Der neue Usurpator und alle Teilnehmer seines sinnlosen Unternehmens wurden unter ausge- suchten Martern hingerichtet. Dass noch eine lange 20 Reihe von Hochverratsprozessen, namentlich auch gegen die kühnen Verteidiger von Philippopolis, sich hieran anschloss, versteht sich von selbst.

Eine ebenso würdige Rache nahm Valens an Chalcedon. Als die Bewohner der Stadt mit ver- 25 zweifelter Hartnäckigheit ihre Mauern gegen den ver- hassten Kaiser verteidigten, hatte er den Eid ge- leistet, diese niederzureissen. Nach seinem Siege kam das zur Ausführung, und die Steine wurden für den Bau der ersten grossen Wasserleitung von Constanti- 30 nopel verwendet, die im J. 373 vollendet war und noch heute benutzt wird. Als die Bürger der Nachbar- gemeinden, Nicomedia, Nicaea und Coustantinopel selbst, ihn dringend baten, die Stadt, welche den

2. Das Ostreich unter Valeu>. 57

Übergang von Asien nach Europa beherrschte, nicht schutzlos jedem Angriff preiszugeben, war er zwar anfangs sehr erzürnt, nahm aber doch Vernunft an. Zwar beharrte er schon aus religiösen Gründen auf 5 seinem Eide, liess aber an Stelle der abgerisseneu Mauer sogleich eine neue errichten. Freilich verriet sie durch ihre schlechte Ausführung deutlich genug die gesunkene Zeit, in der sie entstanden war, und stach von den Resten des schönen alten Baues sehr io bemerkbar ab.

Auch an den Gothen glaubte er Rache nehmen zu müssen, weil sie dem Procop Zuzug geleistet hatten. Er hatte ihre Scharen, als sie verspätet in Thrakien eingerückt waren, umstellt, entwaffnet und als Ge- is fangene über die Städte verteilt. Ihr König forderte ihre Auslieferung, wurde aber schroff zurückgewiesen. Zwar konnte er mit gutem Grunde zu seiner Ver- teidigung anführen, dass er in dem letzten Verwandten des Constantinischen Hauses den berechtigten Vertreter 20 des römischen Reiches erblickt) und dieses folglich nicht böswillig angegriffen, sondern ihm Hilfe zu bringen gemeint habe. Doch diese Entschuldigung war nur o-eei°;net, den unverständigen Kaiser noch mehr zu erbittern. So wurde denn ein Kampf be- 25 gönnen, der ebenso wenig Zweck wie Erfolg hatte, und drei Jahre lang fortgesetzt. Von Marcianopel aus, wo er während der Dauer des Krieges seine gewöhnliche Residenz hatte, überschritt Valens im Frühling 367 die Donau, fand aber nirgend einen 30 Feind. Die Gothen hatten sich in Gebirge und Sümpfe geflüchtet, und ihm blieb nichts weiter übrig, als die zurückgebliebenen Sklaven aufgreifen zu lassen und einen Preis auf jeden Kopf eines Barbaren zu setzen, den seine Soldaten ihm brachten. Im nächsten

58 VL Valentinian und seine Familie.

Jahre konnte er gar nicht ins Feindesland gelangen, weil der Strom, durch den regenreichen Sommer an- geschwollen, keinen Brückenbau duldete. Erst 369 vermochte Valens tief genug ins Gebiet der Gothen ein- zudringen, um ihnen ein paar siegreiche Gefechte zu 5 liefern. Da sie weniger durch die Waffen des Kaisers, als durch die Unterbrechung des Handels mit den römischen Grenzlanden, die sie mit Korn zu versorgen pflegten, schwer getroffen waren, hatten sie schon vorher wiederholt um Frieden gebeten, aber immer 10 vergebens. Doch jetzt, nachdem man einen Triumph, wenn auch einen sehr bescheidenen, aufzuweisen hatte und die Kaiser sich ohne gar zu grosse Lächerlichkeit mit dem Ehrennamen Gothicus schmücken durften, zeigte Valens sich fügsamer. Durch eine Gesandtschaft 15 des Senats von Constantinopel, dem die Last des Krieges mit den Jahren recht drückend geworden war, Hess er sich im Sommer 369 zum Friedensschlüsse bewegen. Während dieser Krieg ohne einen anderen Zweck, als dem Kaiser Rache und wohlfeilen Ruhm zu ver- ao schaffen, drei Jahre laug die Streitkräfte des Ostreiches beschäftigte, hatten die Perser freies Spiel. Fast unge- hindert hätte Sapor es brandschatzen können, wenn er bei näherer Überlegung nicht selbst darauf verzichtet hätte. Da ihm der Feldzug Julians doch einigen -'5 Respekt vor den römischen Waffen beigebracht hatte, zog er es vor, den Frieden des Jovian gelten zu lassen und sich mit der Unterwerfung Armeniens zu begnügen, das ihm durch jenen schimpflichen Vertrag ja preis- gegeben war (IV S. 363). Während der Kaiser durch den Aufstand des Procop beschäftigt war, vermochte Sapor einige der armenischen Grossen für sich zu gewinnen und das Gebiet anderer durch unvermuteten Überfall zu besetzen. In der Hoffnung, durch persön-

30

2. Das Ostreich unter Valens. 59

liehe Verhandlungen etwas zu erreichen, Hess sich König- Arsaces in das persische Lager locken. Am Tische des feindlichen Herrschers scheinbar gastlich bewirtet, wurde er gleich darauf geblendet und in 5 silbernen Fesseln nach Persien abgeführt, um dort unter Martern hingerichtet zu werden. Zwei Armenier, die schon vorher in Sapors Dienste getreten waren, Artabannes und der Eunuche Cylaces, wurden zu Statthaltern ihres Heimatlandes ernannt, wo ihnen

10 zunächst die Aufgabe zufiel, die feste Stadt Artogerassa zu erobern. Denn hier hatte die Witwe des ermordeten Königs mit ihrem jungen Sohne Papa eine Zuflucht gesucht, und was die Perser noch mehr reizen mochte, hier wurde auch der Schatz des Arsaces auf-

15 bewahrt. Doch während der langen Belagerung, die sich bis tief in den Winter hineinzog, wurde die Treue der beiden Feldherrn wankend. Ob sie fürchteten, dass sie für die mangelhafte Ausführung dessen, was ihnen befohlen war, mit persischer Grausamkeit be-

20 straft werden könnten, ob sie noch immer als Armenier fühlten und die Selbständigkeit ihres Vaterlandes nicht vernichten wollten, jedenfalls traten sie heimlich mit der Königin in Unterhandlung und boten ihr die Möglichkeit, das Perserheer, das sie selbst befehligten,

26 nächtlich im Schlafe zu überfallen. Nachdem es so teils niedergemacht, teils zerstreut war, floh Papa 368 auf römisches Gebiet, wo Valens ihm in Neocaesarea ein Asyl gewährte, und Artabannes und Cylaces schlössen sich der Königin an und führten in ihrem

30 Namen die Regierung.

Wenn Sapor nicht gleich mit Waffengewalt hier eingriff, so mag dies darin seinen Grund gehabt haben, dass er an einer andern Stelle beschäftigt war, dem Kaiser Verlegenheiten zu schaffen. Das iberische

QO VI. Valentinian und seine Familie.

Königreich, am Südabhang des Kaukasus gelegen, galt seit den Zeiten Diocletians als Vasallenstaat der Römer. Hier wurde Sauromaces, den sie als Herrscher ein- gesetzt hatten, von den Persern vertrieben und durch seinen Vetter Aspacures ersetzt, den Sapor mit dem 5 Diadem belehnte. Unterdessen hatten Artabannes und Cylaces in Armenien soweit festen Fuss gefasst, dass sie an die Herstellung des alten Königshauses denken konnten, in dem sie auch für ihre Herrschaft eine festere Stütze zu finden erwarteten. Sie schickten 10 eine Gesandtschaft an Valens und bateu ihn, dem Papa zu seinem angestammten Königtum zu verhelfen. Der Kaiser mochte einen so ehrenvollen Antrag, der Armenien wieder von seinem Reiche abhängig gemacht hätte, nicht zurückweisen, aber da er noch immer 15 durch jenen Krieg gegen die Gothen in Anspruch ge- nommen war, scheute er vor neuen Verwicklungen mit den Persern zurück. So griff er zu einer feigen Halbheit. Er Hess Papa in sein Land zurückführen, versagte ihm aber noch Titel und Abzeichen der 20 Königswürde und wies seinen Feldherrn Terentius, der den Prinzen geleiten sollte, dazu an, alles zu ver- meiden, was als Bruch des durch Jovian geschlossenen Vertrages gedeutet werden könne. Die Folge war, dass Sapor 369 in Armenien einfiel und Papa, der 25 viel zu schwach war, um ihm Widerstand zu leisten, begleitet von Artabannes und Cylaces in unwegsame Gebirge flüchten musste, aus denen er sich fünf Monate laug nicht hervorwagte. Unterdessen wurde1 sein Reich bis in den Winter hinein furchtbar ge- 30 plündert und verheert, ausser vielen andern Burgen auch Artogerassa erobert und verbrannt und die Königin -Mutter mit ihren Schätzen von hier nach Persien abgeführt.

2. Das Ostreich unter Valeus. 61

Jetzt endlich entschloss sich Valens, nachdem er kurz vorher mit den Gothen Frieden geschlossen hatte, ein grösseres Heer nach Armenien zu schicken, das die Perser bekämpfen sollte, wenn sie im Sommer 370 wieder einen Einfall wagten. Er selbst eilte schon im Vorfrühling nach Antiochia und nahm dann bei Hierapolis in der Nähe des Euphrat Aufstellung, um auch Mesopotamien, falls dies nötig würde, zu schützen. Doch Sapor begnügte sich damit, den Kaiser durch eine Gesandtschaft darauf hinzuweisen, dass seine Ein- mischung in den armenischen Krieg dem Vertrage des Jovian widerspreche, und während die Römer durch diese Verhandlungen hingehalten wurden, knüpfte er heimlich mit Papa Verbindungen an. Als Verräter und Überläufer waren ihm Artabannes und Cylaces verhasst; diese aber wurden auch dem jungen Herrscher von Armenien unbequem, weil sie über ihn eine Art von Vormundschaft in Anspruch nahmen und seine Selbständigkeit hemmten. Er war daher leicht bereit, sie hinrichten zu lassen und ihre Köpfe dem Sapor zu überschicken; so hoffte er, das römische Bündnis, das ihn bisher schlecht genug geschützt hatte, mit der Gunst des Perserkönigs zu vertauschen.

Als dieser im Frühling 370 weder in Mesopota- mien einrückte, noch in Armenien seine Einfälle er- neuerte, sondern statt dessen durch eine Gesandtschaft friedlich zu unterhandeln begann, meinte Valens, Sapor habe Furcht vor einem neuen Kriege mit den Kömern, und wurde dadurch seinerseits mutig. Er wies die Beschwerden der Perser kurzweg ab und liess seinen Feldherrn Terentius mit einem starken Heere in Iberien einrücken, um dort den römischen Vasallen Sauromaces, den Sapor vertrieben hatte, wieder einzusetzen. Doch bald von neuer Angst er-

(>2 VI. Valentinian und seine Familie.

griffen, entschloss er sich wieder zu eiuer halben Maass- regel, von der er hoffen mochte, dass sie den Zorn des Perserkönigs nicht gar zu sehr reizen werde. Dessen Schützling Aspacures wurde nicht ganz seiner Herrschaft beraubt, sondern das Land zwischen ihm 0 und Sauromaces geteilt. Durch diese Mässigung hielt er den Frieden für so gesichert, dass er Ende 370 Syrien wieder verliess und nach Constantinopel zurück- kehrte.

Sapor war nicht so friedliebend, wie sein hoffnungs- 10 voller Gegner erwartet hatte; er rüstete den Winter über mit Eifer und Hess im Frühling 371 seine Reiter- scharen gegen das römische Mesopotamien los. Valens eilte in den Orient zurück und schickte ein Heer gegen die Perser, gab aber den Feldherrn desselben den Auf- 15 trag, jeden Angriff zu vermeiden. Auf diese Weise meinte er behaupten zu können, dass er den Frieden des Jovian noch immer nicht gebrochen habe, und dem Perserkönig eine Möglichkeit des Einlenkens zu gewähren. Natürlich war die Folge keine andere, als 20 dass die römischen Feldherrn, so auf eine schwäch- liche Defensive angewiesen, zwar die angreifenden Feinde in einzelnen Gefechten zurückschlugen, aber nichts erreichten, was eine Entscheidung hätte herbei- führen können. Immerhin hatten jene kleinen Siege 25 den Erfolg, den Respekt vor der römischen Tapfer- keit, den Julian dem Perserkönig beigebracht hatte, wieder etwas aufzufrischen und diesen zu veranlassen, dass er seine Zwecke, wenn irgend möglich, ohne Krieg zu erreichen strebte. Man gelangte zu einem 30 Waffenstillstand, und die Unterhandlungen, ob der Friede des Jovian noch zu Recht bestehe oder ob er gebrochen sei und von welchem der beiden Teile, konnten sich in der alten Weise weiterschleppen.

2. Das Ostreich anter Valens. 63

Nach einiger Zeit gewannen sie dadurch einen neuen Inhalt, dass der Thron von Armenien wieder erledigt wurde. Die Hinrichtung des Artabannes und Cylaces konnte den Römern nicht verborgen bleiben,

5 und bald mussten sie auch gewahr werden, dass Papa dadurch Anlehnung an die Perser gesucht hatte. Da Valens selbst mit ihnen in Unterhandlung stand, bot dies keinen ostensiblen Grund, gegen Armenien vor- zugehn; doch durch die Warnungen des Terentius

10 veranlasst, suchte sich der Kaiser des gefährlichen Jünglings zu versichern. Er lud ihn zu einer persön- lichen Besprechung nach Tarsus, Hess ihn aber dort ruhig warten, während er selbst in Autiochia oder Hierapolis weilte. Unterdessen war Papa zwar von

15 den Beamten Ciliciens aufgenommen und bewirtet, wie das einem befreundeten König gegenüber ziemlich war, wurde aber in unauffälliger Weise unter Be- wachung gehalten. Trotz aller Ehren, die man ihm erwies, empfand er, dass er Gefangener war; meinte

20 er doch sogar erkundet zu haben, dass der Plan in Erwägung gezogen werde, den Armeniern einen andern König zu geben. Unterdessen regierte Terentius sein Reich und scheint sich dabei um den Kaiser kaum viel mehr gekümmert zu haben, als um den jungen

25 König. So wandte er sich an den orthodoxen Basilius von Caesarea, damit er den Städten Bischöfe bestelle, obwohl er, wie jedermann, wusste, dass Valens zum Ariauismus neigte. Dies mag dazu beigetragen haben, dass Terentius bald darauf abgesetzt und Trajan an

30 seiner Stelle als Feldherr der römischen Truppen nach Armenien geschickt wurde.

Unterdessen beschloss Papa, sich der Gefangen- schaft und den Nachstellungen, mit denen sie ihn bedrohte, durch die Flucht zu entziehen. Ohne die

(54 VI. Valentinian und seine Familie.

Erlaubnis des Kaisers abzuwarten, verliess er Tarsus am hellen Tage mit den 300 Reitern, die ihn als sein königliches Gefolge begleitet hatten. Vergebens suchte ihn der Praeses von Cilicien zurückzuhalten; die Legion, die er ihm nachschickte, trieb jener durch 5 Pfeilschüsse in die Flucht, und als man Botschaft nach dem nahen Antiochia sandte und Valens eine Schar von 1000 leichten Reitern beauftragte, den Flüchtlingen nachzusetzen, entgingen sie den Verfolgern durch eine List. So langte Papa glücklich in seinem 10 Reiche an, wo die Untertanen ihn mit Jubel empfingen. Doch obgleich die schlimmen Absichten des Kaisers deutlich genug hervorgetreten waren, suchte der Ar- menier dennoch ein freundliches Verhältnis mit ihm aufrecht zu erhalten, freilich wohl ohne seine Be- 15 zielumgen zu dem Perserkönig abzubrechen.

Schon sein böses Gewissen musste Valens mit Misstrauen gegen den Jüngling erfüllen. Und die Offiziere, die er zu seiner Verfolgung ausgesandt hatte, behaupteten, Papa habe ihnen nur dadurch entschlüpfen 20 können, dass er sich und sein Gefolge unsichtbar ge- macht habe. Er sei also ein böser Zauberer, der dem Kaiser nicht nur durch seine Verbindung mit den Persern Unheil bereiten werde. Einem ähnlichen Ver- dacht hatte Valens kurz vorher in dem Prozess des 25 Theodorus ganze Scharen seiner Untertanen geopfert (S. 10); den unheimlichen Künsten eines fremden Königs gegenüber hielt er vollends jedes Mittel der Abwehr für erlaubt. Wie sein eifriges Christentum den Valentinian nicht davon zurückgehalten hatte, ;!0 Verrat und Meuchelmord gutzuheissen oder gar an- zustiften, so glaubte auch sein furchtsamer Bruder es verantworten zu können, dass er seinem Feldherrn Trajan den Auftrag gab, den gefährlichen Hexen-

2. Das Ostreich uuter Valens. 65

meister hinterlistig aus der Welt zu schaffen. Papa wurde durch huldvolle Briefe des Kaisers und freund- schaftliche Besuche Trajans sicher gemacht, dann von diesem zu Gaste geladeu und an der Tafel nach

5 tapferer Verteidigung uiedergestossen.

Wie es scheint, war Sapor zeitweilig nicht in der Lage, iu die Ordnung der Verhältnisse Armeniens tätig einzugreifen. Denn am andern Ende seines grossen Reiches war er in einen Krieg gegen die Baktrer

Ki verwickelt, der ihm schwere Niederlagen brachte. So konnten die Römer den Armeniern ungehindert einen neuen Herrscher bestellen. Aber da er nicht zur alten Königsfamilie gehörte, erhob sich die dynastische Treue des Volkes gegen ihn; er wurde vertrieben

15 und die Witwe Papas als Regentin für ihre minder- jährigen Söhne Arsaces und Vagharsaces eingesetzt. Gegen den Willen des Kaisers erhoben, musste sie Hilfe bei Sapor suchen, und er übersandte ihr ein Diadem, durch dessen Annahme sie ihn als ihren

so Lehnsherrn anerkannte. Zugleich rückte ein persisches Hilfsheer in Armenien ein; doch zählte es nicht mehr als 10 000 Mann und stand nicht unter Führung des Königs selbst, der mit seiner Hauptmacht wohl noch im Osten seines Reiches beschäftigt war, sondern nur

25 seines Oberfeldherrn, des Sureuas. Dies gab Valens Mut, den Kampf aufzunehmen. Im Frühling 376 rückte er an die Grenzen Armeniens, und die Regentin fand für gut, sich ihm zu unterwerfen, ja vielleicht gar den Sureuas und seine kleine Schar mit Waffen-

30 gewalt zu vertreiben. Sapor musste noch immer Furcht hegen, den Kampf gegen die Römer aufzunehmen; er beschwerte sich nur durch eine Gesandtschaft, dass sie durch ihre Intervention in Armenien den Frieden des Jovian gebrochen hätten. Zugleich machte er

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 5

QQ VI. Valeutiniao und seine Familie.

den Vorschlag, den Zankapfel, der immerfort Kriege hervorgerufen habe, ganz zu beseitigen, indem man das Land gründlich verwüste und so durch eine schützende Einöde die Flanken beider Reiche decke. Doch wolle man darauf nicht eingehu, so werde er 5 sich auch damit zufrieden geben, dass man den Sauromaces seiner Teilherrschaft in Iberien entsetze und dieses gauz dem Aspacures übergebe. Valens hegte wohl kaum ohne Grund den Verdacht, dass jene Vernichtung Armeniens nur dessen spätere Besitz- 10 nähme durch die Perser vorbereiten solle, und sprach dies auch offen aus. Durch die Einwanderung der Gothen, die, wie im folgenden Kapitel erzählt werden soll, eben damals stattfand, meinte er eine gewaltige Menge ueuer tüchtiger Krieger gewonnen zu haben, i~> und dies stärkte ihm den Mut. Er wies die Gesandt- schaft mit der Erklärung ab, er verlange nichts weiter, als dass der Vertrag des Jovian in vollem Umfange aufrecht erhalten werde. Dies konute er sagen, weil er den Armeniern ja nur seine Waffen gezeigt, sie nicht 20 durch Krieg zum Anschluss gezwungen hatte, sondern dieser freiwillig erfolgt war. Tief im Winter 376/7 langte dann ein Brief Sapors an, in dem nicht mit Unrecht erklärt wurde, Valens lege jenen Vertrag falsch aus; die Männer, welche ihn abgeschlossen 25 hätten, müssten zur Stelle geschafft werden, um den Sinn seiner Bestimmungen authentisch zu erklären. Es war offenbar, dass die Perser Zeit zu gewinnen suchten, also offenbar zu einem Kriege gegen das römische Reich nicht gerüstet waren. 30

Im nächsten Frühling änderten sich die Aspekten. Die Gothen, die man als friedliche Einwanderer und willkommene Helfer begrüsst hatte, waren im Aufstande und mussten jetzt ihrerseits bekämpft werden. Die

2. Das Ostreich unter Valens. 67

ansehnliche Streitmacht, durch die man den Besitz des Sauromaces schützte und die von Iberien aus sehr wirkungsvoll im Rücken der Perser hätte operieren können, war jetzt auf einem andern Kriegstheater

5 nötig geworden, und Sapor durch ein schroffes Auf- treten zu reizen, erschien höchst bedenklich. Valens beabsichtigte selbst an die Donau zu ziehen; er suchte daher die Verhandlungen mit dem Perserkönig möglichst schnell zum Abschluss zu bringen und schickte jetzt

io seinerseits eine Gesandtschaft an ihn. Sie sollte er- klären, dass man Sauromaces zwar nicht absetzen, wohl aber ihm die Unterstützung des römischen Heeres, das in seinem Lande stand, entziehen wolle; nur dürften die Perser dessen Abzug nicht stören; Armenien solle

15 sich selbst überlassen und von keiner Seite beunruhigt werden. Sapor, der von der Erhebung der Gothen wohl noch nichts wusste, begrüsste dies unerwartete Ente-eo-enkommen des Kaisers mit Freuden. Doch schlug er vor, Armenien zwischen den beiden Gross-

20 mächten zu teilen, wobei er sich natürlich den Löwen- anteil vorbehielt, wahrscheinlich in der Erwartung, dass die Gesandten ihn herabbieten würden. Diese aber waren froh, das Reich aus seiner bedrängten Lage noch mit einem Gebietszuwachs befreien zu

25 können, und gingen auf alles ein.

Unterdessen aber hatte sich an der Donau die Kriegslage geändert und damit auch die Stimmung des Kaisers. Die Gothen waren auf ein enges Gebiet zusammengedrängt, wo man meinen konnte, sie durch

30 Hunger zur Übergabe zu zwingen. Valens durfte hoffen, sie durch Lieferung von Getreide und massige Zahlungen in Geld doch noch als Helfer gegen die Perser zu ge- winnen, und scheute daher vor einem Kampfe nicht zurück, der ihm vielleicht die unter Jovian verloreneu

5*

68 VI. Valentinian und seine Familie.

Gebiete wiederschenkte. Und der Ruhm, jene Scharte römischer Ehre auszuwetzen, schien um so leichter zu gewinnen, als Sapor, wie sein früheres Verhalten bewies, den Krieg offenbar fürchtete. Der Kaiser begab sich da- her im Sommer 377 nach Hierapolis, um von dort aus 5 seinerseits einen Einfall in das persiche Mesopotamien vorzubereiten. Die Friedensbedingungen, welche die Gesandten angenommen hatten, wurden zurückgewiesen, weil sie ihrer Instruktion nicht entsprochen hätten, und auch als der Surenas selbst nach Syrien geschickt 10 wurde, um die Vorschläge seines Königs zu vertreten, inusste er unverrichteter Sache abziehen. Doch im Hauptquartier des Kaisers muss der persische Feldherr auch vom Gothenkriege gehört haben, und dies stärkte wieder Sapor den Mut. Jetzt beabsichtigte er, ganz 15 Armenien für sich zu nehmen und auch das römische Heer, das in Iberien stand, anzugreifen. So war der Krieg auf beiden Seiten beschlossene Sache, und den Winter über rüstete man eifrig. Doch als der Frühling nahte, hatte der Gothenkrieg schon wieder eine so 20 gefährliche Gestalt angenommen, dass Valens ge- zwungen war, Persien und Armenien sich selbst zu überlassen und nach Thrakien zu eilen.

Wie sich dann die Verhältnisse an der Ostgrenze des Reiches entwickelt haben, wissen wir nicht, doch 25 zu einem grossen Kriege scheint es nicht gekommen zu sein. Vielleicht wurden die Perser wieder von den Baktrern oder Massageten angegriffen und mussten daher mit den Römern Frieden halten; vielleicht auch wurde der greise Sapor schon damals von jener Krank- :!0 heit befallen, der er im J. 379 erlag, und dadurch die Handlungsfähigkeit seiner Monarchie gelähmt. Nach seinem Tode traten dann wieder einmal jene Wirren ein, wie sie im Perserreiche fast jeden Regierungs-

2. Das Ostreich unter Valens. 69

Wechsel zu begleiten pflegten. So herrschte denn, wie es scheint, am Euphrat Ruhe, wenn es auch zu einem wirklichen Friedensschlüsse noch nicht kam. Auch diesen hoffte man Anfang 383 erreichen zu können; 5 Theodosius selbst war im Begriff in den Orient zu reisen, um persönlich die Verhandlungen mit den Persern zu leiten, als ihn die Nachricht von der Usurpation des Maximus nach Constantinopel zurückrief. Doch wurde Sporacius, begleitet von dem jungen Stilicho, als Ge- rn sandter an den Perserhof geschickt und erwirkte dort einen Vertrag, nach dem Armenien unter zwei Könige verteilt und der eine von diesen durch den römischen, der andere durch den persischen Herrscher belehnt werden sollte. Noch in demselben Jahre stürzte der 15 gleichnamige Sohn Sapors seinen Oheim Artaxerxes II. vom Throne; doch auch der neue König der Könige be- eilte sich, eine Gesandtschaft an Theodosius zu schicken, die 384 in Constantinopel anlangte und dort eine Er- neuerung des Friedensvertrages erbat. Diese brachte 2<' dem römischen Reiche sogar einen Gebietszuwachs auf Kosten Armeniens. Als dann 387 wieder ein Regierungs- wechsel in Persien eintrat und Vararanes IV. zur Herr- schaft gelangte, hatte auch er nichts eiliger, als dem Kaiser reiche Geschenke zu übersenden und um Be- 25 kräftigung des freundschaftlichen Verhältnisses zu bitten. Auf diese Weise blieb, während das Römerreich von anderen schweren Kämpfen heimgesucht war, doch an der Ostgrenze der Frieden ungestört.

Wie Valens den äusseren Feinden des Reiches bald keck entgegentrat, bald ängstlich vor ihnen zu- rückwich, so führte er auch den Kampf gegen die orthodoxe Geistlichkeit, zu dem er sich halb widerwillig entschliessen musste, mit derselben schwächlichen Un- beständigkeit.

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70 VI. Valeutinian und seine Familie.

Die mehr als zweijährige Toleranz, die mit dem Tode des Coustantius eingetreten und auch von Jovian aufrecht erhalten war, hatte in den Kirchen des Ostens einen Zustand wilder Verwirrung herbeigeführt. In Alexandria gab es zwei Bischöfe, Athanasius und den 5 Arianer Lucius, in Antiochia gar drei, den Arianer Euzoius, den Meletius, der zwar orthodox war, aber unter dem Drucke des Constantius doch Zugeständnisse gemacht hatte, und den ganz waschechten Orthodoxen Paulinus, und ähnliche Spaltungen werden noch in in vielen anderen Städten vorgekommen sein. Dabei ist freilich zu beachten, dass als Arianer betrachtet wurde, nicht nur wer sich wirklich zu den Lehren des Arius bekannte, sondern auch wer die Bekenner derselben nicht von der Kirchengemeinschaft ausschliessen wollte; 15 denn Eiferern, wie Athanasius oder Paulinus, galten beide gleich, ja ihr Zorn traf die Toleranten fast noch mehr als die entschiedenen Gegner. Da ihre Gemeinden sich von ihnen fortreisseu Hessen, werden die Reibungen der Sekten kaum je aufgehört haben und wohl auch 20 oft genug wilde Tumulte die Folge gewesen sein.

Mit welchem wahnwitzigen Grimme diese Kämpfe ausgefochten wurden und wie lange es dauerte, ehe sie zur Ruhe kamen, dafür bietet die Papstwahl des Jahres 366 ein bezeichnendes Beispiel. Als elf Jahre 25 vorher Liberius in die Verbannung ging, hatte der Klerus von Rom angesichts der versammelten Gemeinde einen feierlichen Schwur getan, keinen anderen Bischof, so lange jener lebte, anzuerkennen. Doch war die grosse Mehrzahl der römischen Geistlichkeit unter dem :i,) Drucke des Kaisers eidbrüchig geworden (IV S. 152). Dieser hatte bei der Rückkehr des Verbannten ihm die Bedingung gestellt, den Felix, der an seiner Stelle gewählt worden war, als zweiten, gleichberechtigten

2. Das Ostreich unter Valens. 71

Bischof anzuerkennen; das Volk aber hatte diesen ver- trieben (IV. S. 158, 159). Da der Teil des Klerus, der sich ihm angeschlossen hatte, bei Liberius keine Gnade fand, wurde der Gegenpapst veranlasst, nach Rom zu- 5 rückzukehren und sich jenseit des Tiber der Basilica des Julius zu bemächtigen; doch musste er noch ein- mal der Wut des Volkes weichen. So starb er fern seinem Bistum am 22. November 365, und jetzt, wo er nichts mehr von ihm zu fürchten hatte, gewährte

10 Liberius seinen Anhängern Absolution und setzte sie wieder in ihre alten Stellungen ein. Doch innerhalb des Klerus blieb der Gegensatz der Parteien bestehen und teilte sich auch der Gemeinde mit.

Als am 24. September 366 der Papst gestorben

15 war, trat jene Minderheit der Geistlichen, die ihm auch in der Verbannung treu geblieben waren, in der Basilica des Julius zusammen, wählte an seiner Stelle den Ursinus und liess ihn durch den Bischof von Tibur weihen. Offenbar hatte man jene abgelegene Vorstadt-

2<> kirche gewählt, weil man sich im Innern Roms nicht sicher fühlte. Denn Damasus, der Führer der Gegen- partei, war ein Mann, der auf der vollen Höhe der rhetorischen Zeitbildung stand, ja sogar erträgliche Verse machte; für seine schönen Reden war die edle

25 Weiblichkeit so begeistert, dass seine Feinde ihn den Ohrenkitzler der Damen nannten; und auch die Masse der städtischen Bevölkerung hatte er trotz seines Eid- bruchs für sich gewonnen. Dadurch sicher gemacht, hatte er sich durch das schnelle Vorgehen seiner Gegner

30 überrumpeln lassen, und da die Weihe des Ursinus kanonisch vollkommen giltig war, hätte er sich ihm als seinem rechtmässigen Bischof unterwerfen müssen. Doch hatte er vorher einen Eidbruch nicht gescheut, so konnte er sein Gewissen noch viel weniger durch

72 VI. Valentinian und seine Familie.

eiuen Aufruhr bedrückt fühlen, bei dem man ja den Namen Gottes nicht anzurufen brauchte. Unter Führung der Circuskutscher, die als die bekanntesten Persönlich- keiten Roms auf die schaulustige Menge grossen Ein- fluss übten, stürmte man die Tiberbrücken und eroberte 5 nach einem Strassenkampfe, der volle drei Tage währte, die feindliche Basilica. Der Stadtpraefect Yiventius war ausser Stande, den Wüten Einhalt zu tun; er selbst musste aus Rom in eine benachbarte Villa fliehn. Als dann Damasus im Lateran zum Bischof geweiht 10 war, hielt jener es für das Gescheiteste, sich dem Sieger anzuschliessen und dessen Gegner zu verbannen, und auch Valentinian stimmte dem zu. Doch damit waren die Kämpfe noch lange nicht zu Ende. Sieben Presbyter, die der Praefect gefangen hielt, wurden durch 15 die Anhänger des Ursinus befreit und in der Basilica des Liberius geborgen. Da versammelte am 26. Oktober 366 Damasus seine Knüttelgarde; ein Teil kletterte auf das Dach der Kirche und warf mit den Ziegeln nach der in ihr eingeschlossenen Volksmenge ; die andern 20 verbrannten und sprengten die Türen, drangen hinein und töteten mehr als 160 Menschen, wobei selbst Frauen nicht geschont wurden.

Schon nach drei Tagen sammelten sich auf den Strassen und Plätzen wieder Volkshaufen, die dem 25 Ursinus anhingen, und recitierten in lautem Chor Bibel- sprüche, wie: „Sie haben die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Lande. Sie haben Blut vergossen um Jerusalem her wie Wasser, und war niemand, der begrub" oder „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten". Und wirklich waren diese Fa- natiker furchtlos genug, immer wieder in der Kirche

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2. Das Ostreich unter Valens. 73

zu schreien, der Kaiser möge ein Concil versammeln und den Mörder vom Stuhle Petri stossen, obgleich ihre Rufe gewiss nicht selten mit Knüttelschlägen be- antwortet wurden. Dies setzte sich lange Monate fort r> und konnte endlich auch Yalentinian nicht verborgen bleiben. Er entschloss sich, dem Ursinus und seinen treuen Klerikern tue Rückkehr nach Rom zu gestatten; vorher aber ernannte er den Praetextatus zum Stadt- praefecten, weil dieser Heide war und man daher von

10 ihm erwarten konnte, dass er vor der hohen Geistlichkeit nicht zuviel Respekt haben werde, um sie kräftig niederzuhalten.

Am 15. September 367 zog Ursinus in Rom ein, schon vor den Toren von einer begeisterten Volks-

15 menge freudig empfangen. Denn wie es scheint, hatte das Mitleid mit dem Verbannten und der Tod so vieler seiner Anhänger, der als Martyrium aufgefasst werden konnte, ihm neue Freunde geworben und die Partei des Damasus zeitweilig zur schwächeren gemacht. Als

20 es um die Basilica des Sicininus, deren Ursinus sich bemächtigt hatte, zu einem Kampfe kam, der wieder 137 Menschen das Leben kostete, blieb er Sieger. Doch diesmal stellte Praetextatus mit rücksichtsloser Strenge die Ruhe her und veranlasste Valentinian zu

25 einem Edikt, durch das Ursinus am 16. November wieder

in die Verbannung getrieben wurde. Jetzt hatte Darna- ch ö

sus den Mut, an den Kaiser eine Petition zu richten, dass ihm die Kirche des Sicininus, die letzte, die noch in den Händen seiner Gegner war, ausgeliefert werde, '" und wirklich wurde der Stadtpraefect damit beauftragt. Damit meinte Valentinian, jede Gelegenheit zu weiteren Streitigkeiten beseitigt zu haben; doch die Ursinianer hielten jetzt ihre Gottesdienste ohne Kleriker bei den Gräbern der Märtyrer ausserhalb der Stadt, und auch

74 VI. Valentinian und seine Familie.

hier lieferte ihnen Damasus blutige Schlachten. Unter- dessen war sein Geburtstag herangekommen, und er benutzte den Anlass, um mehrere Bischöfe Italiens zum Feste zu laden. Als so eine Art von Synode ver- sammelt war. forderte er sie auf, den Ursinus in den 5 Bann zu tun, um seine Vertreibung auch kanonisch rechtfertigen zu können. Sie aber erklärten, über einen Abwesenden, der sich nicht verteidigen könne, nicht urteilen zu dürfen. Dies bedeutete, dass sie sich, wenn auch in schüchterner Weise, auf die Seite des Ursinus 10 stellten, und wie es scheint, bewog dies den Kaiser, zwar ihn selbst noch in Gallien festzuhalten, aber seinen Klerikern am 12. Januar 368 zu gestatten, dass sie sich ausserhalb Roms an jedem beliebigen Ort aufhalten dürften. Dies scheinen sie benutzt zu haben, um sich 15 zwar ausserhalb der Mauern, aber doch in der nächsten Umgebung der Stadt niederzulassen. Jedenfalls wurden hier ursinianische Gottesdienste gehalten, die zu neuen Krawallen führten. Sie wurden daher um das J. 369 ver- boten und riefen wieder Verbannungen hervor. Doch -" mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit versammelten sich jetzt die Sektierer bei Nacht in Privathäusern und wurden natürlich, wenn Damasus ihre Schlupf- winkel entdeckte, von seinen Schergen auseinander- getrieben, was wieder nicht ohne Totschlag abging. -:i Noch achtzehn Jahre nach seiner Papstwahl lassen sich die Ursinianer als unterdrückte Sonderkirche nach- weisen; d. h. sie haben bis an seinen Tod und selbst noch darüber hinaus fortbestanden. Doch hinderte dies nicht, dass der Eidbrüchige, der so viele Menschen- " leben auf dem Gewissen hatte, im ganzen Reich als Säule der Rechtgläubigkeit verehrt und gepriesen wurde.

Wenn dies alles im Westen vorkommen konnte wo die orthodoxe Lehre kaum bestritten war, wie viel

•_». l>;iN Ostreich unter Valens. 75

erbitterter musste der Kampf im Orient toben, in dessen Kirchen neben den persönlichen Gegensätzen auch die dogmatischen mit südlicher Glut ausgefochten wurden ! Hatte die Furcht vor dem heidnischen Julian die

5 Ruhe einigermaassen aufrechterhalten, so war unter seinem christlichen Nachfolger die alte Streitsucht so- o-leich wieder erwacht. Als dann Yalentinian den Thron bestiegen hatte, suchte natürlich jede Partei ihn für sich zu gewinnen, und wieder einmal richtete

i(i man die Bitte an den Kaiser, durch ein grosses Concil den Frieden herbeizuführen. Er war vernünftig genug zu erwidern, dass die Bischöfe tun und lassen könnten, was ihnen beliebe (S. 21); doch der beschränktere Valens hiety es, wie Constantius, für seine Pflicht, die

15 Einheit der Kirche herzustellen. Auf jenen Bescheid seines Bruders hatte man Lampsacus zum Versamm- lungsorte gewählt, weil es von Constantinopel aus leicht zu Schiffe erreichbar und doch der unmittelbaren Ein- wirkung des Hofes und des hauptstädtischen Pöbels

20 entzogen war. Hier erneuerte man nach zweimonat- licher Beratung den Beschluss, den schon das Concil von Seleucia gefasst hatte, ehe Constantius ihm das Glaubensbekenntnis von Nice aufdrängte (IV S. 165). Man lehnte dieses jetzt ab uud kehrte zu demjenigen

25 zurück, das vorher in Autiochia unter der Autorität des heiligen Märtyrers Lucianus veröffentlicht war (IV S. 61). Als Valens, der unterdessen seinen Bruder auf der Reise nach Italien bis Sirmium begleitet hatte (S. 45), nach Constantinopel zurück-

30 kehrte und um den 24. September 364 bis Heraclea gelangt war, wurden ihm hier die Beschlüsse des Concils durch eine Gesandtschaft desselben über- geben; für ihn aber waren sie, wie er meinte, unannehmbar.

76 VI. Yalentinian und seine Familie.

In erster Linie bestimmte ihn ein persönlicher Grund. Als die Kaiser gleich nach ihrem Regierungs- antritt von schweren Fiebern heimgesucht wurden, hatten sie in Erwartung des Todes sich durch den Bischof Eudoxius von Constantinopel taufen lassen. 5 Dieser aber stand nicht nur auf dem Standpunkt des Arius, sondern neigte sogar der noch entschiedeneren Richtung der Euuomianer zu. Weil deren Dogma auch im Orient nicht zur Anerkennung zu bringen war, wollte er wenigstens die Beschlüsse von Ariminum und 10 Seleucia aufrecht erhalten, da sie den verschiedenen Glaubensmeinungen einen ziemlich weiten Spielraum Hessen, und war deshalb in Lampsacus in den Bann getan. Valens aber wollte nicht dulden, dass der Mann, den er als seinen geistlichen Vater betrachten musste, 15 jetzt zum Ketzer gestempelt werde. Und Eudoxius konnte sich auf eine Tatsache berufen, die auf den ersten Blick dem Kaiser sehr einleuchtend scheinen musste.

Constantius hatte die Einheit der Kirche her- 20 gestellt, freilich nur sehr äusserlich. Die orthodoxen Geistlichen, die durch ihn mit Verbannung bestraft waren, hatten bei seinen Lebzeiten wütende Schmäh- schriften in die Welt geschickt, und gleich nach seinem Tode, als mau durch das Toleranzedikt Julians vor 25 Absetzung gesichert schien, hatten viele Bischöfe, die vorher die Beschlüsse von Ariminum und Seleucia ge- zwungen anerkannt hatten, öffentlich ihre Reue darüber erklärt. Dass auch die Orientalen, auf die Constantius sich vorzugsweise gestützt hatte, mit seinen Einigungs- 30 bestrebungen nicht ganz einverstanden waren, hatte noch das Concil von Lampsacus deutlich zum Ausdruck gebracht; doch zu der Zeit, wo es tagte, war man von der Verunglimpfung seiner Person und seines

2. Das Ostreich unter Valens. 77

Glaubens, in der sich Athanasius, Lucifer, Hilarius und andere vorher so ungescheut ergangen hatten, denn doch zurückgekommen. Weil die Heiden da& Lob des siegreichen Julian in Schrift und Rede laut 5 verkündeten, empfand man es als nächste Pflicht, den Abtrünnigen nach Kräften herunterzureissen, und dazu gehörte auch, dass man auf seine Undankbarkeit gegen Coustantius schalt. Dies aber bedingte weiter, dass die Tugenden des christlichen Kaisers, um

10 einen wirksamen Gegensatz zu der Schlechtigkeit des heidnischen zu bieten, im hellsten Lichte strahlen mussten. Selbst die Orthodoxesten vergasseu alles, was sie früher an ihm getadelt hatten, priesen seine Frömmigkeit und sogar seine Bemühungen um die

15 Einheit der Kirche, und führten den Beweis, dass Gott ihn ebenso reichlich dafür belohnt habe, wie Julian für seinen Abfall bestraft worden sei. Unter den arianischen Gemeinden gingen einzelne soweit, den Todestag des Kaisers gleich denen der Märtyrer

20 kirchlich zu feiern. Eudoxius konnte also mit gutem Grunde behaupten, dass selbst die strengste Recht- gläubigkeit sich bei längerer Überlegung darauf be- sonnen habe, dass Constantius keineswegs ihrer früheren Schmähungen würdig, sondern ein ganz vor-

2r> trefflicher Herrscher gewesen sei. Mithin durfte Valens glauben, allen christlichen Parteien zu Willen zu sein, wenn er dessen Beispiel getreulich nachahmte. Bald nachdem die Beschlüsse von Lampsacus ihm mitgeteilt waren, erliess er daher ein Gesetz, dass der Zustand

30 der Kirche, wie er in den letzten Jahren des Con- stantius geherrscht hatte, unverändert herzustellen sei, namentlich auch alle Bischöfe, die dieser ab- gesetzt hatte, wieder in die Verbannung zurückkehren müssten.

78 VI. Valentinian und seine Familie.

Natürlich musste man mit Athanasius den Anfang machen, und selbst dieser wagte nicht, nachdem man eben erst die Rückkehr des Kaisertums zur heidnischen Religion durchlebt und eine grosse Christenverfolgung befürchtet hatte, den Frömmsten aller Herrscher zu 6 desavouieren. Dafür machte er die merkwürdige Ent- deckung, dass Constantius ihn nach dem Concil von Serdica gar nicht verbannt habe. Als am 5. Mai 365 der Befehl des Valens in Alexandria anlangte und der Rat der Stadt, geschreckt durch die ungeheure io Geldstrafe von 300 Pfund Gold (184 000 Mark), die ihm angedroht war, ihn ausführen wollte, behaupteten die Anhänger des Athanasius, er werde von dem Gesetz gar nicht betroffen. Constantius habe ihn selbst aufgefordert, in sein Bistum zurückzukehren, und ihm i"> später schriftlich die Versicherung gegeben, dass er ihn nie wieder absetzen wolle; da er dies nicht schrift- lich widerrufen habe, könne die spätere Vertreibung des Bischofs nicht der Wille des Kaisers, sondern nur ein Übergriff von dessen Beamten gewesen sein. 20 Dagegen habe der heidnische Julian ihn wirklich ver- bannt, und dies müsse ihm jetzt unter einem christ- lichen Herrscher zu Gute kommen. Zwar jener Ad- vokatenkniff konnte keinen täuschen; doch scheint die Haltung des Volkes so drohend gewesen zu sein, dass 25 man über einen Monat nichts gegen Athanasius zu unternehmen wagte; erst am 8. Juni sandte der Praefect Flavianus einen Bericht an Valens und fragte an, ob er auf der Verbannung des Bischofs bestehe. Die Übergabe des Schreibens dürfte sich verzögert haben, 30 weil der Kaiser unterdessen Constantinopel verlassen hatte und nach Syrien unterwegs war (S. 48). So mag es erst in seine Hand«' gekommen sein, als am 21. Juli ein Erdbeben, wie man es noch nie erlebt

2. Das Ostreich unter Valens. 79

hatte, den ganzen Orient erschütterte. Das Meer zog sich erst meilenweit zurück und stürzte sich dann mit einer gewaltigen Flutwelle über seine Ufer, so dass zahlreiche Häuser weggerissen wurden und

5 viele tausend Menschen umkamen. Im südlichen Pelo- ponnes wurden Schiffe über zwei Kilometer weit ins Land getragen, in den niedriger gelegenen Stadtteilen Alexandrias gar auf die Dächer geschleudert. Diese furchtbare Naturerscheinung wird dem Kaiser als

10 Zeichen des göttlichen Zornes gegolten und ihn in seinen Entschlüssen wankend gemacht haben. Jeden- falls überlegte er lange, ehe er auf den Bericht des Flavianus Antwort gab. P]rst am 5. Oktober 365 langte der Befehl in Alexandria an, dass man sich

15 der Person des Bischofs, bemächtigen solle. Aus Furcht vor dem aufgeregten Volke bot der Praefect die Militärmacht auf und wählte die stille Nacht, um mit den Soldaten in die Wohnung des Athanasius ein- zudringen; doch fand man ihn hier nicht mehr vor.

20 Er war gewarnt worden und hatte sich in derselben Nacht schon vorher geflüchtet.

Kaum hatte Valens jenen Befehl abgeschickt, so empfing er die Nachricht von dem Aufstande des Procop, und in den ersten Monaten verlief der Krieg

25 für ihn so unglücklich, dass er an seiner Sache fast verzweifelte. Jetzt war es nicht schwer, den Kaiser zu überzeugen, dass ihn der Zorn Gottes um des Athanasius willen treffe. Am 1. Februar 366 wurde dieser durch den Notar Brasidas, der mit einem Brief

30 des Kaisers am Tage vorher in Alexandria eingetroffen war und dort das Versteck des Bischofs erkundet hatte, feierlich in die Stadt zurückgeführt. Da bald das Kriegsglück umschlug und Valens überraschend schnell des Usurpators Herr wurde, zweifelte er erst

80 VI. Valentinian und seine Familie.

recht nicht daran, dass Athanasius ein Mann Gottes sei, den man nicht antasten dürfe. Als einmal dessen arianischer Gegenbischof Lucius seine alte Mutter be- suchen wollte, musste er sich bei Nacht in die Stadt einschleichen. Trotzdem verbreitete sich die Kunde 5 von seiner Anwesenheit; das Volk lief drohend zu- sammen, und er wäre von der erregten Menge zerrissen worden, wenn man ihn nicht unter militärischer Be- deckung aus den Toren geführt hätte. So blieb die Gewaltherrschaft des Athanasius ungestört. Als er 10 sein letztes Stündlein nahen fühlte, weihte er noch selbst den streng orthodoxen Petrus zu seinem Nach- folger und starb fünf Tage nachher am 2. Mai 373, von seinen Parteigenossen als Musterbild aller christ- lichen Tugenden auch nach seinem Tode hochgepriesen. 15

Derselbe Aberglaube, der ihm sein Bistum wieder- gab und dauernd erhielt, sollte auch dem Basilius von Caesarea zu gute kommen. Die Kämpfe gegen Procop hatten Valens verhindert, die Religionspolitik, die er nach dem Concil von Lampsacus eingeleitet hatte, sogleich durchzuführen. Doch sobald er sich auf dem Throne sicher fühlte, begannen die Verfolgungen gegen alle, die sich zur Einiguugspolitik des Constantius nicht bekennen wollten. Indem er auf diesen Kaiser zurückgriff, den die Orthodoxen kaum weniger priesen, 25 als die Arianer, hatte er geglaubt, allen Parteien zu Willen zu sein; dass er jetzt auf solchen Widerstand stiess, wo er es doch so gut gemeint hatte, musste ihm daher als schnöder Undank erscheinen und sein ohnehin nicht sehr sanftes Gemüt mit hartem Grimm 30 erfüllen. Als er im Winter 36Ü/70 als Sieger über die Gothen seine Reise in den Orient antrat (S. 61), zwang er in allen Provinzen, die er durchzog, mit schrecklichen Drohuugen die Bischöfe, sich dem Eudoxius

2. Das Ostreich unter Valens. 81

anzuschliessen, und entsetzte die wenigen, welche sich weigerten. So gelangte er auch nach Caesarea, wo Basilius zwar noch nicht Bischof, wohl aber der aussichtsreichste Kandidat für den Bischofsthron war,

5 dessen Erledigung man wohl bald erwarten konnte. Auch ihn versuchten zuerst der Praefect Modestus, dann auch der Kaiser persönlich zu gewinnen ; doch er blieb standhaft, und als man ihn mit Verbannung bedrohte, starb in der folgenden Nacht ganz plötzlich

io der vierjährige Valentinian, der einzige Sohn des Valens. Dieser hatte ihn zu seinem Nachfolger be- stimmt, und um dies zum Ausdruck zu bringen, ihn schon 369 zum Consuln ernannt: er musste daher seinen Tod als schwere Strafe Gottes empfinden. So

r> blieb Basilius nicht nur im Amte, sondern auch seine spätere Bischofswahl stiess auf keinen Widerspruch, ja der Kaiser beschenkte ihn sogar mit ansehnlichem Grundbesitz, damit er von den Einkünften die Armen seines Bistums unterstützen könne.

Auch an Gregor von Nazianz wagte Valens sich

nicht heran, und den Bischof der Novatianer Agelius, den er erst verbannt hatte, rief er später, wie den Athauasius, zu seiner Gemeinde zurück, als er durch einen Hofmann erfahren hatte, dass er nach den

25 Worten der Bibel nicht mehr als einen Rock besass und immer barfuss lief. Von den drei Bischöfen Antiochias wurde Meletius, der relativ gemässigt war, verbannt, aber nicht nur der Arianer Euzoius, sondern auch der starr orthodoxe Paulinus im Amte gelassen,

weil auch dieser durch sein asketisches Leben von einem gewissen Schein der Heiligkeit umstrahlt war. Denn darin stimmte Valens mit den Altarianern über- ein, dass die Lehre des „Wesensgleich" zwar vielleicht irrig, aber doch nicht ketzerisch sei; die Schuld ihrer

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 6

82 VI. Valentinian und seine Familie.

Vertreter sah er also nur darin, dass sie mit den Andersgläubigen nicht kommunizieren wollten; trotz dieser Hartnäckigkeit konnten sie Männer sein, die Gott liebte und deren Verfolgung er vielleicht rächte. Doch wenn diese Furcht den Kaiser von ihrer Maass- 5 regelung zurückhielt, so hinderte ihn dies nicht, an der Kirchenpolitik des Constantius, wie Eudoxius sie verfocht, mit zähem Eigensinn festzuhalten und minder heilige Bischöfe, die sich ihr widersetzten, in Massen zu verbannen. Die Geistlichen wurden selbst körper- 10 liehen Strafen unterworfen, ja als nach dem Tode des Athanasius der Arianer Lucius sich des Bischofs- thrones von Alexandria bemächtigte, liess Valens sogar die Mönche der Thebais mit Waffengewalt zwingen, mit diesem in Kommunion zu treten. So verfocht er 15 trotz seiner Schonung des Athanasius und Basilius die Sache der Toleranz, seiner barbarischen Natur ent- sprechend, mit viel härterer Brutalität, als Constantius; nur schlug er, um die Glaubenseinheit durchzusetzen, einen ganz anderen Weg ein. Dieser hatte auf den 20 klugen Hat des Valens von Mursa zuerst die ent- schiedensten Leiter der orthodoxen Partei aus dem Wege geräumt und dann die führerlose Menge leicht zu Paaren treiben können; so hatte er etwas erreicht, wenn es auch nicht von Dauer war. Sein schlechter 25 Nachahmer dagegen zerstreute nur die Schafe und liess, weil er sich vor ihrer Heiligkeit fürchtete, die Hirten in Ruhe, so dass sie bald eine neue Herde um sich sammeln konnten. Auf diese Weise hatte er keinen andern Erfolg, als dass ein grosser Teil seiner Untertanen ihn als Verfolger bitter hasste und von seiner Grausamkeit die tollsten Fabeln verbreitet wurden. Man erzählte sich von ihm, er habe in Antiochia sranze Scharen von Rechto-läubiffen in den

30

2. Das Ostreich unter Valens. 83

Orontes werfen lassen, er habe achtzig Presbyter auf einem Schiff in die Verbannung' geschickt, das dann auf seinen Befehl angezündet sei, und was dergleichen Unsinn mehr ist. So würde sein Tod von der grossen Mehrzahl seiner Untertanen mit Jubel begrüsst worden sein, wenn nicht die Völkerwanderung, die ihn herbei- führte, auch für das Römerreich selbst den Anfang vom Ende bedeutet hätte.

6*

Drittes Kapitel.

Die Einwanderung der Gothen.

Als um die Zeit von Christi Geburt die Gothen an der unteren Weichsel hausten und in engster Berührung mit dem bestgeordneten Staate der Germanen, dem Reiche des Marbod, standen, scheinen sie unter dem Einfluss desselben eine Höhe der Kultur erreicht zu » haben, die sie über die meisten deutschen Stämme erhob. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts war bei ihnen die ursprüngliche Häuptlingsanarchie ein über- wundener Zustand; es hatte sich ein Königtum ge- bildet von solcher Macht und Festigkeit, wie es bei 10 den Germanen nicht gewöhnlich war. Auch der Gebrauch der Metalle war bei ihnen reichlicher; denn ihre Haupt- waffe war nicht, wie bei der Mehrzahl der deutschen Völkerschaften, der Speer, der für seine kleine Spitze nur wrenig Eisen in Anspruch nahm, sondern das 15 kurze Schwert. Im Laufe des zweiteu Jahrhunderts hatten sie sich aus Gründen, die wir nicht mehr kennen, auf die Wanderschaft begeben, waren unter harten Kämpfen allmählich bis an das schwarze Meer vorgedrungen und hatten sich von dort aus auch an 20 der unteren Donau ausgebreitet. Auf diese Weise blieben sie der Einwirkung des römischen Reiches und seiner Kultur, die sich bei den Westgermanen so mächtig geltend machte, nur wenig ausgesetzt.

3. Die Einwanderung der Gothen. 85

Während diese, durch feste, wohlgeschützte Grenzen eingeengt, nicht anders konnten, als sich zu inten- siverem Ackerbau bequemen, fiel für die Gothen dieser Zwang fort. Vor ihnen lagen die russischen Steppen, 5 die ihnen eine Ausdehnung fast ins Unendliche ge- statteten. Denn ihre Bewohner waren wilde Nomaden, die, in viele kleine Horden zerspalten und durch keine natürlichen Grenzen geschützt, leicht zu besiegen waren. Das grösste und tapferste dieser Völker, die in Alanen, war hochgewachsen, dunkelblond und von regelmässiger Schönheit der Gesichtszüge, also den Germanen nicht unähnlich. Als sie später mit diesen vereinigt im römischen Reiche herumzogen, haben sie sich ihnen in Art und Sitten so angepasst, dass 15 die Byzantiner sie für einen gothischen Stamm halten konnten, ja mit den Vandalen sind sie in Africa ganz zusammengeschmolzen. Auf schnellen Rossen zogen sie als Nomaden durch die Welt uud waren eifrige Jäger und gefürchtete Räuber. Als National- st) gott verehrten sie ein in die Erde gestecktes Schwrert, einen Fetisch, in dem sie sich den Kriegsdämon ein- gekörpert dachten. Mit den Skalpen erschlagener Feinde schmückten sie ihre Pferde, und kein Tod galt ihnen als manneswürdig ausser dem auf dem 25 Schlachtfelde. Sie waren daher keine verächtlichen Feinde; wenn sie unter ihren gewählten Herzogen Raubfahrten machten, die sich mitunter bis nach Armenien und Medien ausdehnten, hausten sie furchtbar, uud das umso mehr, als sie die Sklaverei noch nicht 30 kannten, also wohl keine Gefangenen machten, sondern alles, was in ihre Gewalt kam, hinmordeteu. Doch diese Beutezüge brausten über die Nachbarvölker hin, wie Gewitterstürme, die arge Verwüstungen anrichteil können, aber schnell vorübergehn. Auf die Dauer

86 VI. Valentinian und seine Familie.

konnten die Alanen das Vordringen der Gothen schon deshalb nicht aufhalten, weil sie, wie alle Noraaden, über eine grosse Fläche dünn verstreut, sich nur selten zu ansehnlichen Heeren zusammenschlössen.

Diese Nachbarschaft musste auch auf die Kultur- •"> entwicklung der Gothen hemmend einwirken. Wurden ihre westlichen Stammesgenossen durch die feste römische Grenze gezwungen, auch ihre Siedeluugen fester zu gestalten, so fanden sich die Ostgermanen schweifenden Horden gegenüber, die, wie eine Gummi- 10 masse, bald vor ihrem Drucke zurückwichen, bald wieder gegen sie anschnellten. Eine Grenze aber, die immer hin- und herwogt, lässt auch diejenigen, welche hinter ihr wohnen, nicht zur Ruhe kommen. So scheinen auch die Gothen in den Zustand des Halb- *5 nomadentums zurückgesunken zu sein, und obgleich sie auf dem fettesten Boden von ganz Europa hausten, doch den Ackerbau nur widerwillig und unzureichend betrieben zu haben. Jedenfalls waren die Stämme an der Donau, die sich durch den Eiufluss der Römer -'" au reichliche Pflanzenkost gewöhnt hatten, auf die Zufuhr von diesen Nachbarn her angewiesen und gerieten in dringende Not, wenn sie ein paar Jahre ausblieb. Dieser Rückgang ihrer Kultur hatte auch auf ihre staatlichen Verhältnisse eingewirkt. Sie hatten -:' sich in zahlreiche Sondergruppen aufgelöst, und nur bei einzelnen derselben hatte sich das Königtum noch erhalten. Bei anderen setzte es sich zeitweilig durch, um dann wieder der Häuptlingsanarchie zu weichen; noch andere scheinen dieser ganz verfallen zu sein. ;"

Ihre urwüchsige Wildheit machte sie den Römern zu sehr gefährlichen Nachbarn. Doch anfangs be- drängten sie das Reich nicht, um, wie die westlichen Stämme, in ihm neue Wohnsitze zu suchen das

3. Die Einwanderung der Gothen. 87

hatten sie nicht nötig-, weil die weiten Ebenen Russ- lands ihnen Kaum genug und übergenug boten , sondern sie machten nur, gleich den Alanen, Raub- züge, um ihre Kampflust zu befriedigen und reiche

5 Beute heimzubringen. Für diesen Zweck aber taten sie sich oft zu gewaltigen Heeren zusammen, die bald über die Donau in Thrakien und Makedonien ein- drangen, bald auch zu Schiffe die Küsten Kleinasiens und Griechenlands brandschatzten. Solange im dritten

io Jahrhundert das Reich durch immer wiederholte Usurpationen zerrissen war, haben sie furchtbar ge- haust, selbst grosse Städte verbrannt und ungeheure Mengen an Gut und Menschenleben vernichtet. Doch die Siege des Claudius, den Constantin später zu

15 seinem Ahnherrn machte (I S. 106), und dann die des Aureliau brachten ihnen einigen Respekt vor den römischen Waffen bei. Ganz hörten ihre Raubzüge zwar auch später nicht auf, wurden aber seiteuer und mit minder grosseu Heeren unternommen.

20 Schon sehr bald nach ihrem Erscheinen an der

unteren Donau hatte man die Gothen zeitweilig zur Ruhe gebracht, indem man ihnen Geldzahlungen leistete. Wie es scheint, wurde das Schimpfliche des Tributes dadurch gemildert, dass man sie veranlasste, den

25 Römern Kriegshilfe zu leisten, und ihm so den Charakter eines Werbesoldes verlieh. Und jenen mochte es will- kommen sein, wenn sie ihre kampflustige Jugend auf diese Art beschäftigen und ihr Gelegenheit bieten konnten, mit geringerer Gefahr Kriegsbeute und kaiser-

30 liehe Goldgeschenke heimzubringen. Im Reiche freilich empfand man diese Zahlungen doch als Schmach und rühmte es, wenn ein Kaiser den Mut fand, sie zu weigern. Zudem verminderten sie zwar die Plünderungen des römischen Gebiets, aber waren nicht imstande, sie

88 VI. Valentinian und seine Familie.

ganz zu unterdrücken. Denn weuu auch eiu gothischer Stamm als Gauzes mit deu Römern im Bündnis stand, war doch seine staatliche Gewalt zu schwach, um zu verhindern, dass kleiue Räuberhaufen auf eigene Faust Beute machten, und oft genug mochten sie sich auch 5 zu grösseren Scharen zusammentun und so einen Krieg entfacheu, von dem der König und die Volksgemeinde nichts wussten. Trotzdem sah man sich immer wieder auf jene Zahlungen angewiesen. Denn weil das Reich zu seiner Verteidigung barbarischer Söldner nicht 10 entbehren konnte, durfte man auf Werbungen bei den Gothen nicht verzichten und musste dann wohl auch jedes Mal ihren Königen und Fürsten jene Tribute leisten. So trugen 297 gothische Scharen zu dem Persersiege des Galerius bei und kämpften i> 324 unter Licinius gegen Constantin. Beide entrichteten ihnen daher auch Jahrgelder, was sie nicht abhielt, ihre Raubscharen 323 auf das Gebiet des Licinius loszulassen. Nachdem Constantin sie herausgeschlagen hatte, entzog er ihnen den Tribut, scheint aber das 20 alte Verhältnis zu ihnen sehr bald hergestellt zu haben. Jedenfalls zahlte ihn sein Sohn, und er selbst empfing von den Gothen so wirksame Kriegshilfe, dass er einem ihrer Häuptlinge sogar in Constantinopel eine Statue setzen liess. Seine Beziehungen zu ihnen waren -'5 so gute, dass er 328 eine steinerne Brücke über die Donau baute, was nur zu dem Zwecke geschehen sein kann, um, wenn er ihre Hilfstruppen brauchte, deren Anmarsch zu erleichtern und zu beschleunigen. Trotz- dem empfand er es als Notwendigkeit, sie nicht zu :*> mächtig werden zu lassen. Er leistete daher, als sie 332 die Sarmaten zu unterjochen drohten, diesen Hilfe und brachte den Gothen schwere Verluste bei (IV S. 4). Vielleicht war dies der Grund, warum jener Haupt-

3. Die Einwanderung der Gothen. 89

ling, den Constantin durch eine Statue geehrt hatte, über die Undankbarkeit der Römer erbittert, seinem Sohn Athanarich den Eid abnahm, nie den Boden des Reiches zu betreten. Doch hinderte dies nicht,

5 dass die Gothen auch Constantius und Julian für den Perserkrieg- Zuzug leisteten und noch dem Procop ihre Unterstützung boten, weil sie in ihm den Fort- setzer der Constantinischen Dynastie erblickten (S. 57). Sie mussten es daher als neue Undankbarkeit be-

io trachten, dass ihnen dafür der Krieg erklärt wurde. Als man dann 369 über den Friedensschluss verhandelte, konnte dies nur auf Schiffen mitten auf der Donau oeschehn: denn Athanarich durfte seinen Schwur nicht brechen, und Valens fand es seiner Herrscherwürde

15 nicht entsprechend, den Gothen in ihr Land entgegen- zugehn. Der Tribut wurde ihnen jetzt verweigert, und damit hörte, wie es scheint, auch ihr Zuzug zum römischen Heere auf. Doch als sie später, von der Völkerwanderung gedrängt, um Aufnahme in das

20 Reich baten, begrüsste der Kaiser das mit Freuden, weil er sich von ihrer tüchtigen Kraft einen sehr wertvollen Zuwachs für seine Kriegsmacht versprach (S. 66).

In dem langen Frieden, der vorher mehr als

25 dreissig Jahre (332 367) an der unteren Donau ge- herrscht hatte, waren die Gothen zu dem grossen Nachbarreiche in ein ganz eigentümliches Verhältnis getreten. Völlig hatten ihre Plünderzüge wohl niemals aufgehört; doch waren dies keine Kriege, sondern nur

30 kleinere oder grössere Räubereien, von denen König oder Volksgemeinde nicht ganz mit Unrecht behaupten konnten, sie hätten nichts davon gewusst und seien folglich auch nicht dafür verantwortlich. Über solche Kleinigkeiten regte mau sich am Hoflager nicht auf;

90 VI. Valentinian und seine Familie.

war doch auch in den innersten und bestgeschützten Provinzen keiner vor Räuberbanden sicher. Und an den Grenzen stahlen die römischen Soldaten kaum viel weniger, als die Barbaren; denn da Sold und Verpflegung von ihren Offizieren oft unterschlagen 0 wurden, sahen sie sich gezwungen, aus den Gütern und Dörfern, die in der Nähe ihrer Quartiere lagen, zu nehmen, was sie brauchten, und nahmen dann natürlich auch mehr als das. Wenn aber die Strassen auch nichts weniger als sicher waren, schreckte dies 10 kühne Händler doch nicht ab, mit ihren Waren über die Brücke Constantins zu ziehen, bis diese von den Barbaren, wahrscheinlich als Valens den Krieg gegen sie begann, zerstört wurde. Zwischen den beiden Ufern der Donau hatte sich ein so reger Handels- 15 verkehr entwickelt, dass die Gothen ohne die römischen Zufuhren gar nicht mehr leben konnten. Man hatte sich ganz daran gewöhnt, in ihnen befreundete Nachbarn zu erblicken, die allerdings nicht ganz ungefährlich waren und mitunter etwas geduckt werden mussten. Man freute sich daher, wenn sie sich durch Kämpfe ihrer eigenen Stämme untereinander aufrieben, ohne darum auf ihre Kriegshilfe zu verzichten. So konnte man die Burgen an der Donau, wie man meinte, ruhig verfallen lassen und ihre Besatzungen gegen ->5 Perser oder Alamannen verwenden.

Durch Gefangene, welche die Gothen von einer Raubfahrt aus Cappadocien als Sklaven mitgeführt hatten, war schon um die Mitte des 3. Jahrhunderts das Christentum verbreitet worden. Die neuen Götter, :!0 die hohe Wunderkräfte zu besitzen schienen, fanden bald grossen Anhang; doch für die Geheimnisse ihres Dogmas hatte der schlichte Sinn der deutschen Bar- baren noch kein Verständnis. Als im 6. Jahrhundert

3. Die Einwanderung der Gothen. 91

der Geschichtschreiber Proeop mit den Resten der Gothen, die nach der Völkerwanderung noch in den Steppen Russlands zurückgeblieben waren, in Be- rührung kam, konnte er nicht von ihnen erfragen, ob

5 sie Arianer oder Rechtgläubige seien; sie wussten es selber nicht. So standen sie ganz naiv auf demselben Standpunkt, den Eusebius von Caesarea und Arius selbst nach tiefen Studien einnahmen, dass es nämlich für die ewige Seligkeit nicht darauf ankomme, wie

io man über das Verhältnis von Gott Vater und Sohn denke (III S. 387). Die in das römische Reich ein- gezogen und mit den religiösen Streitigkeiten, die es erfüllten, bekannt geworden waren, lernten freilich auch über Wesensgleich und -ungleich disputieren. Doch

15 übten auch sie eine milde Toleranz, die selbst dem Heidentum zu Gute kam. Als einmal Gregor von Tours mit einem solchen Arianer stritt und dabei nach Art der Orthodoxen ins Schimpfen kam, antwortete ihm sein Gegner: „Schimpfe nicht auf die Lehre, der du

20 nicht anhängst; schimpfen doch auch wTir nicht auf das, was ihr glaubt und wTir nicht glauben. Denn es kann nicht als Verbrechen gelteu, wenn man sich zu dem oder jenem bekennt. So pflegt man auch bei uns zu sagen, es sei keine Sünde, wenn jemand, der

25 zwischen den Altäreu der Heiden und der Kirche Gottes hindurchgeht, beiden Ehrfurcht erweist." Natür- lich erfüllte dies den Pfaffen mit tiefer Entrüstung, und wenn die Gothen von den Römern durch eine unüberbrückbare religiöse Kluft getrennt waren, so

30 war wohl nicht so sehr das, was sie bekannten, als ihre Gleichgiltigkeit gegen alle Bekenntnisse daran schuld.

Die Orthodoxen behaupteten, auch die Gothen seien anfangs rechtgläubig gewesen und erst der böse

92 VI. Valentinian und seine Familie.

Valens habe sie zum Arianismus verlockt; doch ist dies Verleumdung. Allerdings scheint ihr Bischof Theophilus, der dem Concil von Nicaea beiwohnte, sich hier der Mehrheit angeschlossen zu haben, aber wohl kaum aus einem andern Grunde, als weil es 5 eben die grosse Mehrheit war. Jedenfalls wird seine Gemeinde zu der streitigen Frage, die selbst im Römer- reiche damals eben erst aufgetaucht war, noch gar nicht Stellung genommen haben. Sobald aber die Gothen gezwungen waren, sich für die eine oder die 10 andere Seite zu entscheiden, haben sie sich zu den Arianern gestellt und mussten es tun, nicht weil diese den Sohn dem Vater unterordneten, sondern weil sie bereit waren, auch andere Glaubensmeiuungen inner- halb der Kirche zu dulden. Im Jahre 3-11 schickten is sie eine Gesandtschaft an den Kaiser, und an ihrer Spitze stand Wulfila, den die Kömer Ulfilas nannten. Constantius weilte damals im Orient, wo noch immer unter Leitung des Eusebius das Concil von Antiochia tagte (IV S. 54ff. 70). Von diesem empfing der junge Gothe die Bischofsweihe und trat damit schon gleich im Beginn seiner ruhmreichen Laufbahn unter die- jenigen ein, welche den Athanasius und seine kirch- liche Richtung bekämpften. Seitdem hat er sich immer zur Lehre der Arianer gehalten, noch mehr aber zu & der Toleranz, die sie predigten, und wurde dafür von Constantius als ein zweiter Moses gepriesen. So nahm er 359 an dem Concil von Constautinopel teil, das be- rufen war, um die Konsequenzen der Beschlüsse von Seleucia und Ariminum zu ziehen, und 381 ereilte der Tod ;!0 den Siebzigjährigen bei einer Gesandtschaft, mit der er den Kaiser Theodosius zur Duldung zu bekehren hoffte. Ulfilas war ein Abkömmling jener geraubten Klein- asiaten, die zuerst unter den Gothen als Missionare

3. Die EinwanderuDg der Gothen. 93

aufgetreten waren, und von Jugend auf in griechischer Bildung wohlerfahren. Wie allbekannt, hat er den Gothen ein Alphabet geschenkt, das aus dem griechi- schen entwickelt war, und zum erstenmal die Bibel

5 ins Deutsche übersetzt. Die Bücher der Könige aber liess er aus, weil ihre kriegerischen Erzählungen sein Volk in seiner schon allzugrossen Rauflust noch hätten bestärken können. Er wagte also zu glauben, dass nicht der ganze Inhalt des Gotteswortes sittigend

io wirken müsse, eine Freiheit des Urteils, deren nur wenige Christen jener Zeit fähig waren. Doch wollte er die Gothen zur Milde und Sanftmut erziehen, so fürchtete Äthan ar ich, dass ihre angestammte Tapfer- keit dadurch gefährdet sein könne, und schon von

15 seinem Vater gegen das grosse Nachbarreich auf- gestachelt, hasste er auch das Christentum als römi- sches Gewächs. Es begann eine grausame Verfolgung, und Ulfilas musste 348 mit seinen Anhängern auf das rechte Donauufer fliehen, wo Constantius den Ver-

triebenen Wohnsitze in Moesien anwies. Doch auch jenseit des Stromes wurde das Christentum nicht ausgerottet und fand durch die Spaltungen des Gothen- volkes sogar neue Stützen.

Kurz vorher müssen sich bei den Westgothen

25 politische Umwälzungen vollzogen haben. Denn noch in der vorhergehenden Generation erscheint bei ihnen ein König namens Rothesteus; dessen Sohn Atharidus aber führt nicht mehr den Königstitel, und Athanarich hat sein Volk nur als Richter beherrscht, also wahr-

30 scheinlich eine neue und daher noch nicht gefestigte Form der Regierung begründet. So fand er nicht überall Gehorsam, als sein Römerhass, den der Krieg des Valens von neuem angefacht hatte, sich gleich nach der Beendigung desselben (369) in einer zweiten,

94 VI. Valeotinian und seine Familie.

noch härtereu Christenverfolgung Luft machte. Scheute man doch nicht davor zurück, ein Bethaus mit der ganzen darin versammelten Gemeinde zu verbrennen. Mindestens drei Jahre dauerte das Wüten; diesmal aber fiel ein Teil der Westgothen unter Fritigern, der 5 sich selbst zum neuen Glauben bekannte, von Atha- narich ab und rief gegen ihn den Kaiser an. Dieser beauftragte die Uferbesatzung der Donau, seine ger- manischen Glaubensgenossen zu unterstützen, und mit ihrer Hilfe gelang es diesen, den Römerfeind zu besiegen 10 und einen Teil seines Volkes von ihm unabhängig zu machen. Doch kaum war dies geschehen, so brach eine Gefahr über die Gothen herein, die ihren ein- mütigen Zusammenschluss nur zu sehr gefordert hätte.

Aus dem fernen Osten drangen in ihr Gebiet 15 Keiterscharen ein von so unbezähmbarer Wildheit, wie man sie bei keiner der barbarischen Nationen, die sich im Gesichtskreise der antiken Welt bewegten, seit unvordenklicher Zeit gesehen hatte. Welchen un- heimlichen Eindruck, gemischt aus Furcht und Ekel, 20 die Hunnen bei ihrem ersten Erscheinen in Europa hervorriefen, davon zeugt am deutlichsten die Schilde- rung, die Ammianus Marcellinus von ihnen gibt. „Der Stamm der Hunnen", schreibt er, „der, den Über- lieferungen der Alten kaum bekannt, jenseit der 2"> Maeotischen Sümpfe am eisigen Ocean wohnte, über- schreitet jedes Maass der Wildheit. Da man dort den Kindern schon gleich nach der Geburt mit Eisen tiefe Furchen in die Wangen schneidet, damit das Haar, wenn es zu seiner Zeit hervorspriesst, durch runzelige 3<> Narben unterdrückt werde, altern sie bartlos ohne jede Schönheit, den Eunuchen ähnlich, alle von dicken, kräftigen Gliedern und fleischigem Nacken, von Ge- stalt wie furchtbare Missgeburten, so dass sie aussehen

3. Die Einwanderung der Gothen. 95

wie zweifüssige Tiere oder wie jene Holzklötze mit Gesichtern, die an Brückengeländern roh geschnitzt sind. Lässt man sie aber als Menschengestalten, wenn auch als widrige, gelten, so findet man sie auf so

.-> niedriger Stufe, dass sie weder des Feuers noch be- reiteter Speisen bedürfen, sondern von den Wurzeln wilder Kräuter leben und vom rohen Fleisch irgend beliebiger Tiere, das sie, zwischen ihre Schenkel und den Rücken des Pferdes gelegt, kurze Zeit

10 erwärmen. Nie bietet ihnen irgend ein Gebäude Schutz; sie halten sich von ihnen fern, wie von Grab- kammern, die keiner betreten darf; denn bei ihnen findet man nicht einmal schilfgedeckte Hütten, sondern in wirrem Schweifen durch Berge und Wälder lernen

sie schon von der Wiege an Schnee, Hunger und Durst ertragen. Auch in der Fremde gehen sie nie ohne die zwingendste Notwendigkeit unter ein Dach; denn bei ihnen meint man, unter Dächern keinen sicheren Ausweg zu finden. Sie bedecken sich mit

20 Gewändern, die aus Linnen oder den Fellen von Wald- mäusen zusammengeflickt sind, und haben keine ver- schiedenen Kleider zu Hause und zum Ausgehen; sondern wenn sie einmal ihr Hemd von schmutziger Farbe über den Hals gezogen haben, wird es nicht

2:> abgelegt oder gewechselt, bis es, durch lange Zeit abgenutzt, ihnen in Lumpen vom Leibe fällt. Sie decken ihr Haupt mit gebogenen Kappen, schützen ihre haarigen Beine mit Bocksleder, und ihre Schuhe, die nicht auf Leisten geschlagen sind, gestatten ihnen

30 kein freies Ausschreiten. Aus diesem Grunde sind sie zum Fusskampfe wenig geeignet, sondern beinahe festgenagelt auf ihren Pferden, die ausdauernd, aber hässlich sind, und nicht selten nach Weiberart auf ihnen sitzend, besorgen sie ihre üblichen Verrichtungen.

96 VI. Valentinian uud seine Familie.

Tag und Nacht auf ihnen kauft und verkauft jeder aus diesem Volke, nimmt Speise uud Trank zu sich, und sinkt, auf den schmalen Nacken des Tieres ge- beugt, in so tiefen Schlaf, dass er dabei allerlei Träume haben kann. Reitend beraten sie auch gemeinsam, 5 wenn ein wichtiger Gegenstand zu überlegen ist. Sie leben aber ohne die Strenge eines Königs, sondern, mit der beliebigen Führung von Häuptlingen zufrieden, durchbrechen sie, wTas ihnen im Wege steht. Und nicht selten, wenn man sie reizt, kämpfen sie einzeln, 10 in Keilform aber, wenn sie in die Schlacht gehen, mit ungeregelten Rufen grauenvoll schreiend. Und wie sie in Hurtigkeit leicht und plötzlich sind, so ge- winnen sie Kraft, indem sie sich jählings mit Absicht zerstreuen, und rennen in ungeordneter Masse mit 15 weitverbreitetem Morden dahin; und wegen ihrer über- grossen Schnelligkeit kann mau sie kaum mit den Augen verfolgen, wenn sie in einen Wall einbrechen und das feindliche Lager plündern. Und man darf sie wohl die furchtbarsten Kämpfer nennen, weil sie 20 mit Wurfspeeren, die mit erstaunlicher Kunst befestigte spitze Knochen gleich Pfeilspitzen tragen, von Ferne angreifen, dann heranstürmend ohne Rücksicht auf sich selbst mit dem Eisen den Nahkampf beginnen, und wenn der Feind auf die Gefahr der Klingen 25 achtet, ihn in zusammengedrehte Lappen verwickeln, so dass sie den gebundenen Gliedern der Widersacher die Möglichkeit, einherzusprengen oder auszuschreiten, rauben. Keiner von ihnen baut den Acker und rührt je den Pflugsterz an. Denn alle streifen umher ohne :!" festen Wohnsitz, ohne Haus und Gesetz und regel- mässige Nahrung, immer Fliehenden ähnlich mit den Wagen, in denen sie hausen, wo ihre Frauen jene scheusslichen Kleider bereiten, mit den Gatten

3. Die Einwanderung der Gothen. 97

Beilager halten, gebären und bis zur Geschlechtsreife die Kinder nähren. Und keiner von ihnen kann, wenn man ihn fragt, antworten, woher er stammt, weil er an anderem Ort empfangen, weit davon geboren und noch 6 weiter grossgewachsen ist. Bei Verträgen sind sie untreu, unzuverlässig, durch jeden Hauch einer neu auftauchenden Hoffnung äusserst leicht beweglich, alles dem Ansturm der Leidenschaft anheimgebend. Nach Art unvernünftiger Tiere wissen sie nichts von Recht 10 und Unrecht; sie reden gewunden und dunkel, werden von keiner Achtung vor irgend einer Religion, irgend einem Aberglauben im Zaum gehalten, breunen von unendlicher Gier nach Gold, sind so veränderlich und so schnell zum Zorn, dass sie oft mehrmals an dent- is selben Tage von ihren Genossen abfallen, ohne dass sie jemand reizt, und sich wieder mit ihnen versöhnen, ohne dass ihnen jemand zuredet."

Dies ist die Schilderung eines hochgebildeten

Griechen, der die fremde Erscheinung mit dem kühlen

20 Blick des Forschers studiert hatte. Wie viel mächtiger

musste sie in ihrer unheimlichen Neuheit auf die

Phantasie halbwilder Germanen wirken! Sie flohen

nicht so sehr vor ihren Waffen, als vor dem greulichen

Anblick der schmutzgeschwärzten Gesichter, die, nur

25 mit engen Schlitzen statt der Augen ausgestattet, mehr

einem unförmlichen Klumpen als einem Menschenantlitz

ähnlich schienen. Von Alraunen, so fabelte man, die

sich mit unsauberen Geistern in der Wüste begattet

hatten, stammten sie ab, und abergläubisch scheute

30 man vor diesen dämonischen Unholden zurück.

Schon im Jahre 363 hatten sie am Westufer des Kaspischen Meeres Schrecken verbreitet, und in den Vertrag, den Jovian mit Sapor schloss (IV S. 363), war daher die Bestimmung aufgenommen, dass Römer

Seeck, Untergang der antiken Welt V. 7

98 VI. Valentiniau und seine Familie.

und Perser gemeinsam die Pässe des Kaukasus gegen das fremde Volk befestigen sollten. Schon damals also scheinen die wilden Reiterhorden der Hunnen und der Alanen im Kampfe gelegen zu haben. Jetzt wurden diese nach argen Metzeleien gezwungen, sich ihren 5 Feinden anzuschliessen, und beide vereint zogen gegen den König der Ostgothen Ermenrich heran, der durch glückliche Kriege seine Macht weithin über die Stämme des heutigen Russland ausgedehnt hatte. Dem neuen Feinde aber, von dessen unwiderstehlicher Gewalt das 10 Gerücht Schreckliches erzählte, wagte er nicht entgegen- zutreten und tötete sich selbst. An seine Stelle trat Vithimir, der eine Schar Hunnen für seinen Dienst anwarb und mit ihnen die Alauen, die an der Spitze der übrigen Horden vordrangen, tapfer bekämpfte. 15 Doch nach mehreren Niederlagen fiel er in der Schlacht. Die Krone ging auf seinen kleinen Sohn Viderich über, für den Alatheus und Saphrax die Vormundschaft übernahmen. Der Name des letzteren ist nicht ger- manisch, könnte aber hunnisch sein. Danach scheinen 2o die fremden Hilfsvölker, die Vithimir gedungen hatte, unter den Gothen solche Macht gewonnen zu haben, dass einer ihrer Führer sogar an der Herrschaft Anteil verlangen konnte. Doch ihre Scharen vermochten den andringenden Horden nicht Stand zu halten und 2!i zogen sich hinter den Dniestr zurück.

Unterdessen hatte Athanarich von der Hunnen- gefahr, die auch ihn bedrohte, Nachricht erhalten und zog von Westen heran, um an demselben Strome Auf- stellung zu nehmen und die wilden Feinde an seiner :}0 Überschreitung zu hindern. Aber da germanische Nachbarstämine, auch wenn sie nah verwandt waren, doch voll eifersüchtigen Hasses mit einander zu hadern pflegten, vereinigte er sich nicht mit Alatheus und

3. Die Einwanderung der Gothen. 99

Saphrax, sondern schlug- sein Lager in bedeutender Entfernung- von dem ihren, so dass sie sich nicht gegenseitig unterstützen konnten. Dann schickte er zum Rekognoszieren eine Schar über den Fluss, um 5 durch sie vom Anmarsch der Hunnen rechtzeitig unter- richtet zu werden. Doch sie zog am Lager derselben vorüber, ohne es wahrzunehmen; die Feinde ent- deckten beim Mondschein der folgenden Nacht eine Furt des Dniestr, überschritten sie unbemerkt und

io warfen sich ganz überraschend auf das Heer des Athanarich. Nach einigen Verlusten musste er sich in die siebenbürgischen Karpathen hinter den Sereth zurückziehen, und wo dieser in die Ebene hinaustritt, Hess er hinter ihm in o-rösster Eile Verschanzuno-en

15 aufwerfen, die bis an die Donau hinunterreichten. Da die Hunnen sich zum Plündern des Landes zer- streut hatten und dann, von Beute beschwert, nur langsam weiterkamen, blieb ihm die Zeit, jene Be- festigungen zu vollenden. Doch in dieser Aufstellung

20 sah er sich bald durch den Mangel an Lebensmitteln schwer bedrückt, und dies veranlasste den grösseren Teil seines Volkes, ihn im Stiche zu lassen.

Die Gothen, die sich unter Führung des Fritigern gegen Athanarich erhoben hatten, scheinen sich, als

25 es die Hunnen abzuwehren galt, ihm wieder ange- schlossen zu haben. Aber da er vor diesen hatte zurückweichen müssen und dann sein Heer nicht ein- mal ernähren konnte, erinnerten sie sich ihrer alten Bundesgenosseuschaft mit Valens. Sie beschlossen,

30 ihn um Aufnahme in Thrakien zu bitten, wo sie durch die breiten Fluten der Donau und die Macht des römischen Reiches vor den Hunnen sicher zu sein meinten. Geführt von Fritigern und Alavivus, ver- liessen sie die Stellungen am Sereth, erschienen im

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Herbst 376 mit Weib und Kind au den Ufern des Grenzstromes und baten flehentlich, ihnen den Über- gang zu gestatten. Einer kleineren Schar, die sich schon früher von dem Kern ihres Volkes getrennt hatte, war dies unbedenklich gewährt worden; doch 5 jener ungeheuren Völkerwanderung gegenüber musste man vorsichtiger sein. Die Befehlshaber der Greuz- truppen erklärten daher, erst die Erlaubnis des Kaisers einholen zu müssen, und während die Gothen unge- duldig harrten, wurde eilige Botschaft an ihn nach 10 Antiochia gesandt.

Valens begrüsste die Nachricht mit Freuden; ver- sprachen ihm die neuen Einwanderer doch nicht nur eine fast unerschöpfliche Fülle trefflicher Krieger, die ihm im Kampfe mit den Persern den Sieg zu gewähr- 15 leisten schienen, sondern sie erlaubten ihm auch seineu geliebten Schatz zu füllen. Denn jetzt konnte er, wie er meinte, auf Aushebungen im Innern des Reiches fast ganz verzichten und sich von den Gutsbesitzern, die nur ungern ihre kräftigsten Colonen hergaben, die 20 Rekrutierung mit Geld abkaufen lassen (II S. 46). Er wies daher die Beamten der Grenzlande an, die Gothen über die Donau zu schaffen, einstweilen durch Lieferung von Korn für ihre Ernährung zu sorgen und sie dann auf den wüstliegenden Ackern Thrakiens an- 25 zusiedeln.

Unterdessen hatte das hungernde Volk am nörd- lichen Ufer des Stromes friedlich und geduldig ge- wartet, bis der Bescheid des Kaisers aus Syrien eintraf. Wahrscheinlich hatte man die umliegenden Felder ab- :t0 ernten und so der allerdringendsten Not abhelfen können; doch drückte noch immer der Mangel. Die Gothen stürzten sich daher mit gieriger Hast auf Bote, Flösse und Einbäume, ja viele versuchten die Donau zu

3. Die Einwanderung der Gothen. 101

durchschwimmen, und da diese, durch die Herbstregen geschwellt, reissend dahinschoss, gingen die meisteu dabei zu Grunde. Doch was an Fahrzeugen aufzu- treiben war, ging Tag und Nacht hin und zurück, und 5 bald häufte sich eine unzählbare Menge fremden Volkes auf dem südlichen Ufer au. Der Hunger aber, dem es so zu entgehen hoffte, sollte auch jetzt noch seine Opfer fordern.

In der langen Friedenszeit, die dem Gothenkriege io des Valens vorangegangen war, hatten die Offiziere an der untern Donau wenig Gelegenheit gehabt, durch Waffentaten Ehre und Beute zu gewinnen, desto mehr aber sich gewöhnt, durch unsaubere Handelsgeschäfte ihre Taschen zu füllen. Man führte in den Muster- te rollen viel mehr Soldaten, als tatsächlich die Kastelle bewachten, speicherte die Lebensmittelrationen auf, die man für die nicht vorhandenen bezog, und ver- mehrte den Vorrat, indem man auch denjenigen, die wirklich da waren, so viel abknappte, wie man ihnen 20 nur entziehen konnte, ohne sie verhungern zu lassen. Und sie brauchten wenig, weil sie sich das Notwendigste auf den umliegenden Dörfern zusammenstahlen. So konnten die Offiziere einen schwunghaften Handel mit Korn und andern Lebensmitteln treiben, für die sie 25 in den Barbaren jenseit des Stromes stets bereite Ab- nehmer fanden. Doch bezahlten diese wohl selten in Geld von dem Artikel besassen sie selbst uicht viel , sondern lieferten statt dessen die Waren ihrer niederen Kultur, vor allem Sklaven, die sie auf ihren 3o Raubzügen bei den Nachbarstämmen oder auch bei deu Römern selbst aufgegriffen hatten. Auf diese Weise hatte sich ganz Thrakien mit gothischen Knechten gefüllt; denn natürlich trieben die Gothen nicht nur beiSarmaten und Quaden, sondern auch beiden eigenen

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Stammesgenossen Menscheujagd, namentlich wenn unter ihnen, wie zwischen Athauarich und Fritigern, innere Kriege ausgebrochen waren. In den nächstgelegenen Landschaften waren dann die Sklaven, die so erworben wurden, am billigsten und daher am meisten verbreitet, 5 obgleich sich bei den Lagern gewiss auch Händler einfanden, die ihren Vertrieb in weitere Fernen be- sorgten. So war das Vertauschen von Lebensmitteln gegen Menschenfleisch an der Donau ein altgewohntes Geschäft, für das der Absatzmarkt längst vorbereitet 10 und erprobt war. Was Wunder, dass der Coines Lu- picinus und der Dux Maximus, die damals hier kom- mandierten, jetzt, wo so viele Barbaren angekommen waren, die dringend Lebensmittel brauchten, die günstige Gelegenheit nicht vorübergehen Hessen! io

Das Korn, das Valens für die Gothen angewiesen hatte, wurde ihnen nicht, wie es befohlen war, unent- geltlich verteilt, sondern verkauft, und mau war spar- sam damit, um die Preise hochzuhalten. So brach unter den Eingewanderten eine furchtbare Hungers- 20 not aus. Die edlen Feldherren konnten, um jene zu ernähren, sogar die Hunde zusammentreiben lassen und jedes dieser Tiere gegen einen Menschen ver- tauschen. In ihrer Verzweiflung brachten die Gothen, und zwar nicht nur die niedrig stehenden, sondern 25 selbst einzelne Häuptlinge, die eigenen Frauen und Kinder auf den Sklaven markt, um ihr elendes Leben zu erhalten. Anfangs mag man sie damit vertröstet haben, dass der Kaiser ihnen bald helfen werde; all- mählich aber wurden sie unruhig, und Lupicinus, der ;i> sie zuerst geflissentlich an der Donau festgehalten hatte, um so bequemer seinen Handel betreiben zu können, bekam Furcht und Hess sie eiligst in das innere Thrakien, wo sie ihre neuen Wohnsitze empfangen

3. Die Einwanderang der Gotlien. 103

sollten, abführen. Doch waren sie schon so gereizt, dass er sie nur unter starker Bedeckung ziehen lassen konnte. Auf diese Weise wurden die Donaukastelle und selbst die Kriegsschiffe, die den Strom befuhren, 5 von ihren Besatzungen entblösst, und dies öffnete neuen Schareu den Eintritt in das Reich.

Von dem grössten Teil seines Volkes verlassen, hatte Athanarich die Stellung am Sereth nicht halten können, und auch die Ostgothen unter Alatheus und

10 Saphrax waren vor den Hunnen bis an die Donau zurückgewichen. Auch sie hatten durch eine Gesandt- schaft gebeten, ihnen den Übergang über den Fluss friedlich zu gestatten; doch man fand, dass der Bar- baren, die mau in das Reich aufgenommen hatte,

15 schon genug und übergenug seien, und wies die Bitte zurück. Dies hatte auch Athanarich abgeschreckt, der unterdessen gleichfalls am Grenzstrom erschienen war. Da er erst vor wenigen Jahren, auf seinen Eid gestützt, sich geweigert hatte, römischen Boden zu be-

20 treten, wagte er nicht, das jetzt als Gunst zu erflehen, was er vorher stolz zurückgewiesen hatte, und wandte sich lieber westlich ffeg-en die Sarmaten. Wenn er sie aus ihren Wohnsitzen verdrängte, durfte er hoffen, auf ihrem waldigen Gebiet, das den Reiterscharen der Hunnen schwerer zugänglich war, als die Steppen Russlands oder die Ebenen an der Donaumündung, vor weiteren Angriffen sioher zu sein. Doch Alatheus und Saphrax blieben stehen, und als sie wahrnahmen, dass die Uferbesatzung zu schwach geworden war, um sie zu hindern, setzten sie auf eilig zusammen- geschlagenen Flössen über den Strom. So befanden sich jetzt schon zwei gewaltige Barbarenhorden im Reich, die Ostgothen wider den Willen des Kaisers eingedrungen und daher zum Kampfe gegen ihn be-

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104 VI. Valentiuian und seine Familie.

reit, wenn sie ihn auch lieber zu vermeiden wünschten; die Westgothen des Fritigern zwar anfangs freundlich gesinnt, jetzt aber durch Hunger und Bedrückung so erregt, dass auch sie in kurzem zu gefährlichen Fein- den werden mussten. Und ihr kluger Führer sah den 5 Konflikt voraus und traf danach seine Maassregeln. Dem Befehl des Lupicinus, das Donauufer zu verlassen, hatte er zwar gehorcht, verlangsamte aber geflissentlich den Marsch in das Innere Thrakiens. Denn er wollte sich von Alatheus und Saphrax nicht zu weit ent- 10 fernen, um gegebenen Falles an ihren Horden einen Rückhalt zu finden und mit ihnen vereint den Römern zu widerstehen.

So waren die Westgothen, als das neue Jahr (377) anbrach, noch nicht weiter als bis Marcia- 15 nopel gekommen, wo Lupicinus Fritigern, Alavivus und einige andere Häuptlinge zum Gastmahl lud. Doch ausser ihrer kleinen Leibwache, tue vor dem Hause, das sie bewirten sollte, Aufstellung nahm, wurden keine Barbaren in die Stadt gelassen. Es -;o sollte ihnen nicht gestattet werden, auf dem reich ver- sehenen Markte die Lebensmittel billiger zu kaufen, als die Herren Offiziere sie ihnen zu verhandeln be- liebten. Indem die hungrigen Gothen sich herein- drängen wollten, entstand vor den Toren ein Tumult, 25 und die kleine Schar römischer Soldaten, die den Zu- gang zur Stadt verteidigen sollte, wurde im Kampf zusammengehauen. Als Lupicinus davon erfuhr, Hess er die Leibwache der Männer, die an seinem Tische sassen, vor der Tür niedermachen und schickte sich 3o an, sie selbst gefangen zu nehmen. Doch Fritigern erklärte, die Ermordung seines treuen Gefolges als berechtigte Tat der Wieder vergeltung zu betrachten und den Frieden erhalten zu wollen. Zu diesem Zweck aber

3. Die Einwanderung der Gothen. 105

müsse man ihm und seinen Genossen gestatten, dass sie zu ihrem Volke, um es zu beruhigen, zurückkehrten. Denn wenn es seine Häuptlinge gefangen oder gar getötet glaube, werde es unfehlbar die Tore stürmen

5 und in Marcianopel ein Blutbad anrichten. Lupicinus, der ebenso feige wie habgierig war, willigte in seiner Angst in alles ein. Fritigern aber rief, sobald er sich wieder von seinen Gothen umgeben sah, sie zum Kampfe gegen die verräterischen Römer auf. So

w stürzten sie sich denn auf die umliegenden Dörfer und Villen und nahmen sich selbst die Lebensmittel, die man ihnen bisher geizig verweigert hatte. In ganz Thrakien wurde geplündert, gesengt, gemordet, und furchtbar musste die Bevölkerung des Reiches

15 büsseu, was seine Feldherren gefrevelt hatten.

In Eile raffte Lupicinus zusammen, was an Sol- daten in der Nähe war, und stellte sich unweit Marcia- nopel den Gothen zur Schlacht. Doch ihrer Über- macht und dem verzweifelten Mute, mit dem sie,

2<» durch den Hunger getrieben, kämpften, unterlag das schwache Häuflein. Nur mit Wenigen vermochte sich der würdige Comes durch die Flucht in die Stadt zu retten, und die Waffen, die sie den Gefallenen ab- nahmen, verliehen den Feinden eine viel bessere Aus-

25 rüstung, als sie bisher besessen hatten.

Überall, wohin sie kamen, fanden sie germanische Sklaven, darunter auch viele ihrer Angehörigen, die sie selbst in der Not der jüngst vergangeneu Monate hatten verkaufen müssen. Da diese alle sich ihnen

30 anschlössen, wurde nicht nur ihre Zahl beträchtlich vermehrt, was bei der Schwierigkeit der Verpflegung ein zweifelhafter Vorteil war, sondern sie gewannen auch ortskundige Führer, die sie dorthin geleiteten, wo grosse Getreidevorräte lagen oder andere Beute

106 VI. Valentinian und seiue Familie.

zu finden war. Aber auch von denen, die für freie Römer galten, aber unter dem Druck des Stände- zwanges und der Steuererhebung seufzten, wie die Colonen oder die Arbeiter der thrakischeu Bergwerke, fanden sich sehr viele, die ein freies Schweifen mit 5 den Gothen der staatlichen Ordnung vorzogen, wie sie der grausame Kaiser und seine feilen Beamten aufrecht erhielten. Diesem am treuesten waren die erst kürzlich eingewanderten Barbaren, welche die Zustände des Reiches noch nicht aus langer Erfahrung 10 kannten. Schon vor den Völkern des Fritigern hatte man eine kleine Gothenschar in Thrakien aufgenommen, die Valens gegen die Perser zu gebrauchen dachte; aber da der Herbst schon weit vorgeschritten war, hatte mau ihr in Adrianopel Winterquartiere an- 15 gewiesen. Auch als die Plünderungen ihrer Lands- leute begannen, hatte sie dem ruhig zugesehen und gar nicht daran gedacht, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen; denn der Lohn, den ihr der kaiserliche Dienst verhiess, schien ihr sicherer und reichlicher als die Beute eines Krieges gegen das übermächtige Römerreich. Da kam plötzlich der Befehl des Kaisers, der ihr doch nicht recht trauen mochte, sie solle über den Hellespont in den Orient ziehen. Auch dazu war sie bereit, nur verlangte sie, dass man ihr zwei Tage 25 der Vorbereitung gönne und unterdessen die nötigen Lebensmittel und einen kleinen Reisepfennig unter die Krieger verteile. Diese Forderung war nicht un- gebührlich, doch hätte sie den Bürgern der Stadt, die sie erfüllen mussten, eine neue Last zu ihren ohnehin 3P nicht leichten Steuern auferlegt; und ihre Magistrate waren gegen die Barbaren erbittert, weil andere Gothen- h auf eil ihre Villen, die vor den Toren lagen, verwüstet hatten. Sie boten daher das niedere Volk auf, vor

3. Die Einwanderung der Gothen. ](>7

allem die Arbeiter des kaiserlichen Arsenals, um mit dieser Übermacht die kleine Truppe durch Drohungen oder mit Gewalt aus der Stadt zu vertreiben. Anfangs blieben die Gothen auch jetzt noch friedlich und be-

5 sonnen; doch als man sie mit Schinipfworten über- schüttete und endlich auch Steine gegen sie flogen, riss ihnen die Geduld. Sic machten viele von den Schreiern nieder, trieben die übrigen in die Flucht und be- mächtigten sich der Waffen, welche die Arsenalarbeiter

lc mitgebracht hatten. Dann zogen sie aus den Toren und vereinigten sich mit Fritigern, der ganz in der Nähe stand. Mit Hilfe dieser Ortskundigen begann er jetzt Adrianopel zu bestürmen; doch an den starken Be- festigungen scheiterte die sehr mangelhafte Belagerungs-

15 kunst der Gothen. Da zog er mit der Erklärung ab, mit Mauern wolle er künftig Frieden halten. Und wirklich war es überflüssig, an ihnen die Kraft seiner Mannen zu brechen; denn beherrschte man unbestritten das flache Land, so mussten die Städte, von jeder

20 Zufuhr abgeschnitten, auch ohne Umschliessung aus- gehungert werden.

Unterdessen hatte Valens die Gefahr erkannt und sandte ein Heer unter Trajan und Profuturus nach Thrakien. Zugleich bat er Gratian um Hilfe und

25 suchte die Verhandlungen mit den Persern, die ihn selbst noch im Orient festhielten, schnell zum Abschluss zu bringen, indem er eine Gesandtschaft an Sapor abschickte (S. 67). Seine beiden Feldherren drängten die Gothenscharen, die, zur Plünderung des Landes weit zerstreut, keinen geschlossenen Widerstand leisten konnten, langsam über den Balkan zurück. Erst im Norden der Dobrudscha, unweit des Städtchens Ad Salices, das in der Gegend von Babadagh gelegen haben muss, sammelte sich der grösste Teil der Feinde

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108 VI. Valentinian und seine Familie.

in einer gewaltigen Wagenburg. Trajan und Profu- turus waren ihnen nachgezogen und vereinigten sich jetzt mit dem freilich nicht sehr starken Heere, das ihnen Richomeres aus dem Westreich zugeführt hatte. Doch blieben sie der grossen Übermacht gegenüber 5 einstweilen noch beobachtend stehen. Da die Feinde, um ihre Plünderungen weiter auszudehnen, ihren Standort bisher schnell gewechselt hatten, meinten die römischen Feldherrn, auch jetzt ihren Abzug er- warten und sie dann auf dem Marsche überfallen zu 10 können. Aber da aus den Barbaren, die im Römer- heere dienten, fortwährend Überläufer ins Feindeslager kamen, wurde man hier über den Plan unterrichtet und rührte sich nicht. An die Scharen, die noch vereinzelt umherschweiften, hatte Fritigern den Befehl 15 gesandt, sich mit ihm zu vereinigen, und eiligst zog ihm eine nach der andern zu. Als die Römer sahen, dass die Macht des Feindes täglich wuchs, während sie selbst in absehbarer Zeit keine neuen Verstärkungen zu erwarten hatten, entschlossen sie sich, ihm die 20 Schlacht zu bieten. War die Gefahr derselben auch gross, so mussten die Folgen eines Sieges doch für den ganzen Krieg entscheidend sein. Denn im Rücken und auf beiden Flanken von den Windungen der Donau und dem Meere eingeschlossen, hätten die 25 Gothen nirgend einen Weg des Rückzuges finden können und wären gezwungen gewesen, sich bedingungs- los zu ergeben. Doch der Kampf blieb unentschieden, und die Verluste waren auf beiden Seiten so gross, dass jeder Teil sich für den besiegten hielt. Die 30 Römer zogen sich nach Marcianopel zurück, und die Feinde, die dies anfangs nicht bemerkten, wagten sich sieben Tage lang nicht aus ihrer Wagenburg heraus. Doch als sie wahrnahmen, dass ihnen kein

3. Die Einwanderung der Gothen. 109'

Heer mehr gegenüberstand, konnten sie sich wieder ungehemmt über die Douauebene verbreiten.

Trajan und Profn turus wagten nicht zum zweiten Mal, dem sehr viel stärkeren Feinde im offenen Felde

5 entgegenzutreten. Sie besetzten aber die Pässe des Balkan, befestigten sie durch starke Wälle und hofften so, die Gothen, in den schmalen Raum zwischen Strom und Gebirge eingezwängt, allmählich auszuhungern. Denn das Laud war hier gründlich leergeplündert,.

10 und die Vorräte, welche sie aus Thrakien mitgebracht hatte, konnten nicht sehr lange mehr reichen. So durfte man denn doch ihre Übergabe erwarten, und wie wir schon gesehn haben, stärkte dies Valens im Herbst 377 so sehr den Mut, dass er die Verhandlungen

15 mit den Persern abbrach und sich zum Kriege gegen sie vorbereitete (S. 67).

Noch ehe der Winter anbrach, sollten diese Hoff- nungen zu Schanden werden. Wiederholt versuchten die Gothen die Pässe zu stürmen, wurden aber immer

20 blutig zurückgewiesen. Doch auch von der äussersten Not gedrängt, wollten sie sich nicht zum zweitenmal in die Hände der verräterischen Römer geben, sondern riefen lieber die Hilfe des grausamen Feindes an, vor dem sie erst kürzlich geflohen waren. Sie schickten

25 zu den Hunnen und Alanen, die jetzt schon am nörd- lichen Ufer der Donau streiften, und machten sie darauf aufmerksam, wie viel reichere Beute auf römischem Gebiete zu finden sei, als bei den halbwilden Germanen. Und ihre Boten waren mit dem Lande auch bekannt " genug, um den furchtbaren Nomaden die Wege an- geben zu können, auf denen sie am besten in das innere Thrakien eindringen könnten. Vielleicht über- schritten sie die Donau an der Morawamündung und zogen dann in dem breiten Tale aufwärts, das über

110 VI. Valentinian und seine Familie.

Naissus und Serdica in den Rücken der Baikaupässe führte. Jedenfalls überzeugten sich die römischen Feldherren, dass hier ihre Stellung unhaltbar geworden war, und gaben sie auf. Wieder waren den Gothen alle Wege geöffnet, und durch Erfahrung gewitzigt, 5 Hessen sie jetzt am nördlichen und südlichen Ausgang des Schipkapasses, bei Nicopolis und Beroea, ständige Besatzungen zurück, die ihnen auch für die Folgezeit die wichtigste Verbindung zwischen dem Donautal und dem inneren Thrakien freihielten. Und hinter den 10 Hunnen und Alanen her brach ein Völkerschwarm nach dem andern über die jetzt unbeschützten Grenzen herein. Noch ehe der Herbst vorüber war, hatte ein römischer Feldherr gegen die Taifalen zu kämpfen, die erst kürzlich die Donau überschritten hatten. Er 15 machte den grössten Teil nieder und siedelte die Reste, dem Kriegsschauplatze fern, in Oberitalien an. Dies aber hinderte nicht, dass die Völkerwanderung über den Grenzstrom fortdauerte, nur dass wir ihre weitereu Phasen nicht im Einzelnen verfolgen können. Doch 20 wissen wir z. B. , dass die Westgothen, die dem Atha- narich treugeblieben und mit ihm in die sarmatischen Wildnisse geflohen waren (S. 103), später gleichfalls in das römische Reich einzogen; nur lässt sich nicht mehr bestimmen, wann dies geschah. 25

Im Anfang des Winters 377 war es jedem klar geworden, dass diese überströmende Völkerflnt sich nicht mehr durch Abschliessen der Pässe oder andere strategische Manöver aufhalten Hess. Man musste eine Hauptschlacht wagen, welche die Macht des Feindes vielleicht zerschmetterte und es dann möglich machte, seine zerstreuten Haufen einzeln aufzureiben oder zur Unterwerfung zu zwingen, wie dies mit den Taifalen gelungen war. Es galt jetzt, für diesen entscheidenden

'S. Die Einwanderung der Gothen. Hl

Schlag eine möglichst grosse Macht zu konzentrieren. Die Perser, die in den letzten Jahren sehr wenig Kriegs- lust verraten hatten, überliess Valens sich selbst und suchte vor allem mit der Gottheit, deren Zorn ihm die Erfolge der Gothen zu verraten schienen, seinen Frieden zu machen. Wie einst der Aufstand des Procop ihn veranlasst hatte, Athanasius nach Alexandria zu- rückzurufen, so gestattete er im December 377 Petrus, dem orthodoxen Nachfolger desselben, und mehreren anderen verbannten Bischöfen reuevoll die Rückkehr. Schon im Herbst hatte er au Gratian geschrieben und ihn dringend gebeten, alles, was sich in Gallien an Kriegsvolk entbehren lasse, zu seiner Unterstützung heranzuführen. Der junge Herrscher war gleich bereit; doch traten im Westreich Ereignisse ein, die seinen Anmarsch unheilvoll verzögerten.

Ein Alamanne, der in der kaiserlichen Leibwache dieute, hatte seine Landsleute jenseit des Rheines auf Urlaub besucht und dabei im Gespräch verraten, dass ein grosser Teil des Heeres bestimmt sei, noch im Winter unter Führung des Kaisers nach dem fernen Thrakien zu ziehen. Durch diese Schwächung der Grenztruppen schien den unruhigen Germanen die Gelegenheit geboten, die weiten Landstriche Galliens, die ihnen Coustantius preisgegeben, aber Julian wieder genommen hatte, aufs neue zu erobern. Als im Februar 378 der Frost seine Eisbrücke über den Rhein geschlagen hatte, brach eine Raubschar in Gallien ein, wurde aber durch zwei Auxilien, die in der Nähe ihre Winterquartiere hatten, nach hartem Kampfe zurückgetrieben. Doch bald erfuhr man, dass dieser Angriff nur eine Rekognoszierung gewesen war, die für die Alamannen den sehr unerwünschten Erfolg hatte, den jungen Kaiser zu warnen. Er blieb bis in

112 VI. Valentinian und seine Familie.

den Frühling- 378 in Gallien, und seine Feldherrn fanden Zeit, die Truppen, die schon nach Thrakien auf dem Marsche waren, zurückzurufen und mit ihnen vereinigt den Feind zu erwarten. Unterdessen hatte der König Priarius aus allen Gauen der Alamannen 5 ein Heer versammelt, das man auf 40 000 Mann, einige gar auf 70 000 schätzten, und überschritt unweit Colmar den Rhein. Doch erlitt er eine Niederlage, bei der er selbst fiel und, wie man behauptete, nicht mehr als 5000 seiner Krieger sich retten konnten. 10

Damit war die Gefahr abgewandt; Gratian aber hielt es für nötig, Gallien auch für alle Folgezeit vor den Angriffen der Alamannen zu schützen, indem er ihre tiefe Entmutigung benutzte, um ihr Volk gänzlich auszurotten. Es war das Unternehmen eines unreifen 15 Jünglings, das natürlich scheitern musste und nur die Folge hatte, das Heer, das Valens Hilfe bringen sollte, viel länger, als nötig war, dem Kriegsschauplatz fern- zuhalten, auf dem die Entscheidung lag. Gratian führte es zunächst in den 8chwTarzwald, auf dessen Höhen 20 sich die Feinde geflüchtet hatten, und da der Versuch scheiterte, die unzugänglichen Berge zu erstürmen, fasste er den noch unmöglicheren Plan, die Alamannen auf ihnen einzuschliessen und auszuhungern. Dies törichte Unternehmen, das nie zum Ziele führen konnte, 26 raubte dem jungen Kaiser viel kostbare Zeit, und als er endlich davon abliess und nach dem östlichen Kriegs- schauplatz marschierte, langte er erst an, als das Schicksal seines Oheims sich schon entschieden hatte.

Am 30. Mai 378 war Valens mit dem Heere des 30 Orients in Constantinopel eingezogen. Er hatte sich von Gratian den Feldherrn Sebastianus erbeten, der von anerkannter Tüchtigkeit und bei den Soldaten so beliebt war, dass man nach dem Tode Valentinians

3. Die Einwanderung der Gothen. 113

gefürchtet hatte, sie würden ihn zum Kaiser aus- rufen (S. 38). Dieser war der .Meinung, man solle oreo-en die ungeheure Übermacht der Barbaren zunächst noch keine grosse Schlacht wagen, sondern sie vorher

5 nach Möglichkeit zu schwächen suchen, indem man ihre Streifscharen, tue plündernd über die ganze thrakische Diöcese verstreut waren, einzeln überfalle und aufreibe. Für diesen Zweck bedürfe er nur einer kleinen, aber auserwählten Truppe, auf deren Mut,

10 Schnelligkeit und gute Disziplin er sich verlassen dürfe. Der Kaiser billigte natürlich einen Plan, der nicht nur wirklich zweckmässig war, sondern auch seiner Scheu vor grossen Wagnissen entgegenkam, und gestattete dem Sebastianus, aus jedem der in

15 Constantinopel versammelten Heerkörper 300 Mann auszulesen.

Unterdessen streiften gothische Horden schon bis vor die Tore der Hauptstadt, verwüsteten die um- liegenden Landhäuser und drohten sogar, wie man

20 meinte, die Mauern zu stürmen. Zwar brachten die schnellen saracenischeu Reiter, die in kleinen Trupps gegen sie ausgeschickt wurden, ihnen viele Verluste bei und bewirkten endlich ihren Abzug. Doch Valens hatte sich nicht, wie es damals als Pflicht des Kaisers

25 galt, persönlich an den Kämpfen beteiligt, und doch war er an dem ganzen Unheil schuld, weil er ja den Gothen die Einwanderung in das Reich gestattet hatte. Beliebt war er nie gewesen, und sein Vorgehen gegen die Orthodoxen, die in Constantinopel noch von den

30 Zeiten des Bischofs Paulus her grossen Anhang be- sassen, hatte ihn erst recht verhasst gemacht. Und die Mängel seines inneren Regiments durch kriegerische Taten vergessen zu machen, war ihm nicht gelungen. Die leichten Erfolge seines ersten Gothenkrieges, der

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 8

114 VT. Valeutiuian und seine Familie.

zudem ganz überflüssig gewesen war, aber die Steuer- zahler doch hart gedrückt hatte, waren kaum ernst zu nehmen. Im Orient hatte er heidnische Zauberer hinrichten lassen und christliche Bischöfe verbannt, aber die Perser nicht einmal von ferne gesehen. Und 5 jetzt schien er es sich in der Hauptstadt bequem machen und das Kämpfen wieder seinen Feldherren überlassen zu wollen. Dies musste das Volk umso mehr erbittern, als eben damals die Nachricht von dem ruhmreichen Alamannensiege Gratians eingetroffen 10 war und so das Verhalten des kaum neunzehnjährigen Neffen zu dem des Oheims, der nach seinem Alter ein erprobter Krieger hätte sein müssen, in scharfen Gegensatz trat. Im Circus rief der Chorus der ver- sammelten Menge dem Kaiser Schmähreden zu, und 15 auf den Gassen gab es Krawalle. Da schämte er sich und verliess am 11. Juni mit seinem Heere die Stadt, blieb aber bei der nächsten Poststation Melanthias, nur 27 Kilometer vor den Toren, schon wieder stehen; er wollte, ehe er Gefährliches wagte, erst abwarten, 20 welche Erfolge ihm Sebastianus melden werde.

Diese waren glänzend und erschienen in den prahlerischen Berichten des Feldherrn noch glänzender. Bei Adrianopel hatte er einer Gothenschar aufgelauert, die von einer gründlichen Plünderung des südlichen 25 Thrakien zurückkehrte. Er hatte sie bei Nacht im Schlaf überfallen, die Krieger fast alle niedergemacht und ihr an Sklaven, Vieh, Getreide und anderem Gut so reiche Beute abgenommen, dass sie in der Stadt gar nicht Raum fand und selbst die Ebene vor ihren :1" Toren noch überfüllte. Dieser hoffnungsvolle Beginn seines Feldzuges machte dem Kaiser Mut. Er war entschlossen, jetzt auch persönlich Lorbeern zu er- ringen, die denen des jungen Gratian nicht nach-

3. Die Ein Wanderung der Gothen. 115

ständen, and setzte sein Heer gegen Adrianopel in Marsch, wo sein Geschick ihn ereilen sollte.

Denn hierher führte auch Fritigern seine Gothen. Als er erfuhr, dass Valens mit der Hauptmacht des

5 Orients in Constantinopel eingetroffen war, hatte er einen entscheidenden Angriff erwarten müssen und dahin- an alle seine zerstreuten Scharen Botschaft gesandt, sich um das Städtchen Cabyle (bei Jambol) zu sammeln. Dies war der gegebene Punkt, um so-

lo wohl aus der Donauebene, als auch aus den südlichen Landschaften die schweifenden Horden an sich zu ziehen, und vom Bosporus war er weit genug entfernt, um ihnen zu ihrer Vereinigung Zeit zu lassen, ehe das kaiserliche Heer heranrückte. Auch jene Schar,

15 die Sebastianus vernichtete, scheint hierher unterwegs gewesen zu sein, als er sie überfiel. Noch fehlten aber Bundesgenossen, auf deren Mitwirkung Fritigern hoheu Wert legen musste, weil sie als leichte Reiterei zu kämpfen pflegten. Denn auch Valens und schon

20 vor ihm Constantius hatten nach dem Vorbilde der Perser diese Waffe ganz besonders ausgebildet, und es war höchst wünschenswert, ihr mit gleichartigen Kriegern entgegentreten zu können. Diese wichtigen Helfer waren die Ostgothen des Alatheus und Saphrax,

25 die o-emeinsam mit einer Alanenhorde wahrscheinlich im oberen Hebrustal plünderten und angewiesen waren, sich nördlich von Adrianopel mit den Westgothen zu vereinigen. Um sie aufzusuchen, erwarteten diese den Augriff der Römer nicht bei Cabyle, sondern zogen

so die Tundscha abwärts, bis sie auf die Strasse trafen, die bei Burdipta (Mustafa Pascha) das Hebrustal verliess und, Adrianopel südlich lassend, nach Osten führte. Hier schlugen sie bei dem Dorfe Nice, auf den Höhen, die das rechte Ufer der Tundscha überragen, 22 Kilo-

HQ VI. Valentinian und seine Familie.

meter vor Adriauopel, die übliche Wagenburg auf, um so in fester Stellung die Ostgothen und Alanen zu erwarten. Auf diese Weise zogen sich von drei Seiten her die Heere um Adrianopel zusammen, wo sie teils freundlich, teils feindlich aufeinandertreffen mussten. 5

Als die Westgothen sich Nice näherten, waren sie von römischen Eclaireurs bemerkt worden. Diese meldeten dem Kaiser, der eben gegen Adrianopel heranzog, dass im Norden eine feindliche Truppen- masse zu sehen sei, die sie auf 10 000 Mann schätzten. 10 Wahrscheinlich war es der Vortrab Fritigerns; sein Hauptheer hatten sie nicht wahrgenommen. So meinte der Kaiser, dass nur eine kleine Macht ihm gegenüber- stehe, über die ihm ein ebenso leichter Sieg beschieden sei, wie ihn kurz vorher Sebastianus gewonnen hatte. 15 Er Hess unter den Mauern von Adrianopel ein festes Lager schlagen und bereitete sich zum Kampfe. Da langte bei ihm der Comes Domesticorum Richomeres an und überbrachte einen Brief Gratians, in dem dieser meldete, dass er den Kriegsschauplatz schon erreicht und ein Gefecht mit einer Alanenhorde olücklich bestanden habe. In kurzem hoffe er bei seinem Oheim zu sein und bitte diesen, vorher nichts Ernstliches zu unternehmen, damit sie mit vereinigten Kräften dem Feinde um so wirksamer entgegentreten ->r> könnten. Ein Kriegsrat wurde berufen, und mehrere seiner Teilnehmer meinten, dass man warten solle; doch Sebastianus erklärte, man dürfe die Gelegenheit, ein so kleines feindliches Heer mit Übermacht zu vernichten, sich nicht entschlüpfen lassen, und freudig :!0 stimmte ihm der Kaiser zu.

Dieser hatte seinen Neffen seit dessen frühester Kindheit nicht mehr gesehn, war aber nach dem, was er von ihm erfahren hatte, keineswegs mit ihm zu-

;>. Die Bin Wanderung der Gothen. 117

frieden. Er selbst hatte seinen verstorbenen Bruder kritiklos bewundert: als jenes Bürschchen, das kaum die Kinderschuhe ausgetreten hatte, seine selbständige Regierung gleich damit begann, alles, was sein Vater

5 getan hatte, nach Möglichkeit umzustossen (S. 41), musste Valens dies nicht nur als arge Pietätlosigkeit betrachten, sondern auch empfinden, dass er selbst, der immer dem Vorbilde Valentinians nachgestrebt hatte, auch davon betroffen wurde. Wahrscheinlich

10 war schon die Sendung des Themistius, der 376 im Auftrag»1 seines Kaisers zu Gratian nach Gallien reisen musste, dazu bestimmt gewesen, ihm in diesem Sinne Vorstellungen zu machen. Doch der Einfluss des Ausonius wurde dadurch nicht erschüttert, und durch

15 ihn blieb auch der Gegensatz des jungen Herrschers zu Vater und Oheim ungeschwächt. Gerade damals aber musste Valens ihn umso schärfer fühlen, als kurz vorher das Volk der Hauptstadt sein schwäch- liches Zaudern bitter verhöhnt und deu Ruhm des

20 siegreichen Jünglings gepriesen hatte. Wenn er jetzt, erst mit diesem vereint, die Gothen schlug, so konnte er sicher sein, dass man das Verdienst nicht ihm, sondern seinem tapferen Neffen zuschreiben werde. Es drängte ihn daher Erfolge zu gewinnen, ehe dieser

25 ihm zugezogen war, und da er das Gothenheer, das ihm gegenüberstand, für sehr schwach halten musste, schienen sie ihm sich von selbst darzubieten.

Die Kampflust des Kaisers wurde noch gesteigert, als Fritigern dadurch Furcht zu zeigen schien, dass

30 er durch einen christlichen Presbyter, der als Gesandter ins römische Lager kam, demütig um Frieden bitten Hess. Allerdings verlangte er, dass ihm das flache Land von ganz Thrakien mit allem Vieh und Getreide, das es enthielt, zur Ansiedelung seiner Genossen über-

118 VI. Valentinian und seiue Familie.

lassen werde; dafür aber versprach er Freundschaft und Kriegshilfe. Zugleich fügte er hinzu, dass er nicht wisse, ob sein Volk sich zur Annahme eines solchen Vertrages bereit finden werde, und dass er, um es einzuschüchtern, den Kaiser bitte, sein Heer 5 recht nah an das Gothenlager heranzuführen. Ohne Zweifel waren diese Vorschläge ernst gemeint, und ganz unbillig konnten sie nicht scheinen, wenn man bedachte, dass fast alles Vieh Thrakiens von den Barbaren schon weggetrieben war und dass sie nicht 10 nur diese Diöcese tatsächlich im Besitz hatten, sondern auch schon weit in die benachbarten mit ihren Raub- zügen hinübereriffen. Doch Valens wies den Gesandten ab und rüstete sich zum Kampfe.

Am Morgen des 9. August 378 verliess das römische 15 Heer sein Lager und zog dem Feinde bis auf 18 Kilo- meter von Adrianopel entgegen. Indem es sich aus den Toren entwickelte und dann in der glühenden Hitze des Sommertages auf bergigem Wege langsam und verdrossen vorwärts schob, verging durch die un- 20 geschickten Anordnungen der Führung eine so lange Zeit, dass man erst gegen drei Uhr nachmittags die Wagenburg der Gothen vor sich sah. Bei ihrem An- blick musste sich Valens überzeugen, dass nicht nur 10000 Mann, sondern ein gewaltiges Heer ihm gegen- 25 überstand, und wyurde ängstlich. Als eine neue Ge- sandtschaft ihn aufsuchte, während man sich auf beiden Seiten schon in Schlachtordnung stellte, hatte er gegen sie nichts weiter einzuwenden, als dass sie aus zu nied- rigen Leuten bestehe, um über den Frieden zu unter- 30 handeln. Er verlangte die Entsendung von Häuptlingen, und Fritigern begrüsste das mit Freuden; denn dies- mal verhandelte er nur, um Zeit zu gewinnen, weil die Keiterei der Ostgothen und Alanen noch nicht ein-

3. Die Einwanderung der Gothen. 119

getroffen war, aber jeden Augenblick erwartet werden konnte. So verzögerte er die neue Gesandtschaft und forderte, dass ihm für deren Sicherheit Geiseln ge- stellt würden. Während die Boten hin- und hergingen

5 und man in der Umgebung des Kaisers beriet, welchen von den Offizieren man der Gefahr aussetzen dürfe, die eine Vergeiselung im Gotheulager mit sich brachte, stand das römische Heer in Sonnenglut, Durst und Hunger, um seh w alt von dem heissen Qualm der Felder,

io welche die Feinde angezündet hatten. Seit dem Morgen war es auf den Beinen gewesen und fühlte sich jetzt, wo es bis in den späten Nachmittag ohne Trank und Speise hatte warten und immer warten müssen, tief erschöpft, noch ehe der Kampf begann. Dies lauge

15 Zaudern machte die Reiter, die auf der äussersten Linken standen, ungeduldig; als die Geiseln sich eben auf den Weg machen wollten, stürzten jene, ohne einen Befehl des Kaisers abzuwarten, sich auf den Feind. Der übrige linke Flügel schloss sich ihnen an und

20 drängte die Gothen, denen der plötzliche Angriff ganz unerwartet kam, bis dicht an ihre WTagenburg zurück. Da sah mau gerade im rechten Augenblick die Ostgothen und Alanen hinter den Bergen hervorsprengen, uud gleich vom Marsche fielen sie den vordringenden

25 Römern in Flanke und Rücken. Jene, die den Kampf so voreilig eröffnet hatten, waren die ersten, die, durch den wilden Reitersturm überrascht, sich in die Flucht warfen. Der linke Flügel des römischeu Heeres, so von seiner Deckung durch die Reiterei entblösst, wurde

30 von drei Seiten umschlossen und derart zusammen - gepresst, dass die Soldaten sich kaum noch rühren konnten. In dieser fürchterlichen Enge war es nicht mehr möglich, den Pfeilen der flüchtigen Steppensöhue auszuweichen oder sie mit dem Schilde aufzufangen,

120 VI. Valentiuian und seine Familie.

und fast keiner verfehlte in der dichtgedrängten Menge sein Ziel. Der umzingelte Flügel wehrte sich verzweifelt; doch wurden die meisten niedergemacht und der Rest, da ihm jeder andere Ausweg abgeschnitten war, gegen das Zentrum gedrängt, das dadurch gleichfalls in Yer- 5 wirrung geraten musste. Anfangs wehrte man sich gegen diesen Seitendruck, und manche scheuten nicht davor zurück, die eigenen Kampfgenossen, wenn sie ihnen hindernd in den Weg kamen, niederzustossen. Doch endlich wurde die ganze Schlachtordnung von 10 der linken Flanke her aufgerollt und zerstreute sich in ordnungsloser Flucht. Da das befestigte Lager, das dem geschlagenen Heer eine Zuflucht hätte bieten können, über drei Stunden entfernt war und es zudem von seiner Rückzugslinie abgedrängt wurde, hätte es 15 ganz vernichtet werden können, wenu nicht die Schlacht erst am späten Nachmittag begonnen und bald das Dunkel einer mondlosen Nacht die Verfolgung gehemmt hätte. So konnten sich viele in die Berge retten; doch das ganze Heer hatte sich aufgelöst, und was 20 sich später sammelte, waren nur ärmliche Reste.

Unter den Gefallenen waren auch die Feldherren Sebastianus und Trajanus. Der Kaiser selbst hatte die Flucht, als seine Umgebung ihn dazu drängte, in stumpfer Verzweiflung abgelehnt. Nach der Schlacht 25 war er verschwunden, und auch sein Leichnam Hess sich nicht auffinden. Später erzählte einer seiner Leib- wächter, der von den Gothen gefangen, aber dann zu den Römern zurückgelangt war, seinen Tod in folgender Weise. Durch einen Pfeilschuss schwer verwundet, :5° sei Valens in ein naheliegendes Landhaus getragen worden. Da sei ein Gothenschwarm herbeigekommen und habe die verriegelte Türe zu erbrechen versucht. Als man sie durch Pfeilschüsse aus dem oberen Stock-

3. Die Einwanderung der Gothen. 121

werk abzuwehren suchte, hätten sie das Haus ange- zündet, und mit Ausnahme jenes Leihwächters, der sich durch einen Sprung aus dem Fenster gerettet habe, seien im Innern alle verbrannt. So entging der 5 unglückliche Herrscher einer schmählichen Gefangen- schaft; orthodoxe Bischöfe aber und heidnische Philo- sophen durften es als offenbares Gottesgericht preisen, dass ihrem Verfolger nicht einmal ein ehrliches Grab beschiedeu war.

i" Da die Gothen durch Überläufer erfahren hatten,

dass der Hof und der Kriegsschatz des Kaisers in Adrianopel zurückgeblieben waren, erschienen sie schon am Tage nach der Schlacht vor der Stadt und versuchten sie zu gewinnen. Aber da zwei Tage lang ihre todes-

15 mutigen Stürme fruchtlos waren, bekehrte sich Fritigern wieder zu seinem früheren Grundsatz, mit Mauern Frieden zu halten. Er zog nach Süden, verwüstete die Umgegend von Constantinopel zum zweiten Mal und wandte sich dann den Alpen zu, um in Gegenden,

?o die noch nicht so gründlich ausgeraubt waren, wie das unglückliche Thrakien, Nahrung für seine Yolksmasseu und neue Beute zu gewinnen.

Als die Strassen um Adrianopel her wieder einiger- maassen sicher schienen, hatte sich das Hofgesinde

25 mit dem Schatz aufgemacht, um den verschwundenen Yalens, von dessen Schicksal man noch nichts wusste, aufzusuchen. Es musste annehmen, dass er, uachdem sein eigenes Heer sich aufgelöst hatte, bei den Truppen Gratians Schutz gesucht habe, und wird daher diesem

30 zugezogen sein.

Die Nachricht von der Niederlage wurde durch Offiziere, die sich aus der Schlacht gerettet hatten, dem jungen Herrscher zugetragen. Den Kampf zu erneuern, wragte er nicht, sondern wich ängstlich bis

122 VI. Valentinian und seine Familie.

nach Sirmium zurück, dessen starke Befestigungen für die Barbaren nicht zu nehmen waren. Der Tod seines Oheims, dessen Grausamkeit er nicht gebilligt hatte und dessen arianische Ketzerei sein rechtgläubiges Herz mit Abscheu erfüllte, machte ihm keinen grossen 5 Schmerz. Sogleich erliess er ein Gesetz, das die verbannten Geistlichen zurückrief und der Kirche auch im Orient Religionsfreiheit gewährte. Von dieser Gunst aber wurden nicht nur die Manichäer und die Photinianer, sondern auch die Eunomianer aasgeschlossen, die Valens 10 entschieden begünstigt hatte. Gratian hatte Eile, die Gottlosigkeiten des Besiegten gutzumachen; denn nur so, meinte er, Hess sich der Schutz des Himmels für die römischen Waffen wiedergewinnen. Daun machte er mit freudigem Stolze zum ersten Mal von dem 15 Rechte der Consulernennung Gebrauch, das ihm als dem jetzt ältesten Augustus zugefallen war, und über- trug diese höchste Ehre des Reiches seinem Lehrer Ausonius und dem römischen Senator Olybrius, einem Manne vom höchsten Adel. Nachdem vorher fast nur 20 Emporkömmlinge aus dem Soldatenstande das Consulat bekleidet hatten (S. 16), bedeutete auch dies, dass mit der neuen Regierung auch eine neue Zeit ge- kommen sein sollte.

Neue Lorbeeren konnte sie freilich nicht bringen; 25 denn in den thrakischen Hexenkessel wagte sich der Jüngling gar nicht mehr hinein. Wie er nicht mit Un- recht glaubte, Hess sich die Macht der Gothen hier nicht mehr erschüttern, sondern höchstens isolieren, und denselben Zweck verfolgte man auch in anderen Ländern 30 des Reiches, zum Teil in sehr eigentümlicher Weise. So befahl in der Diöcese des Orients der Magister Militum Julius allen Truppenführern, die Gothen, die in ihren Scharen dienten, sämmtlich an ein und dem-

3. Die Einwanderung der Gotlien. 123

selben Tage zu ermorden, und dies wurde prompt ausgeführt. Es war das eine höchst überflüssige Grau- samkeit, welche die römische Militärmacht erheblich schwächte, aber keine wirkliche Gefahr beseitigte.

5 Denn die Germanen, die im Dienste des Kaisers ihr gutes Brot gefunden hatten, fühlten sich mit ihren zurückgebliebenen Landsleuten nie in dem Grade soli- darisch, dass deren Siege in Thrakien auch im fernen Orient Aufstände hätten hervorrufen können. Aber

10 die Furcht vor dem Gothennamen war damals so all- gemein, dass jene unnütze Barbarei auch bei sonst ganz vernünftigen Leuten volle Billigung fand.

Auch Gratian teilte diese Furcht. Als die Feinde jetzt auch den Reichsteil zu überschwemmen drohten,

15 den er für seinen kleinen Bruder verwaltete, stand er der immer wachsenden Gefahr ratlos gegenüber. Yon seinen Feldherren war der tüchtigste, Sebastianus, bei Adrianopel gefallen, und einen andern, dem er die Fähigkeit zugetraut hätte, mit den Gothen fertig zu

20 werden, besass er nicht. Da wurde er fast durch einen

Zufall auf einen Mann hingewiesen, der sich im Kampfe

gegen die Donaubarbaren schon glänzend bewährt hatte

und vielleicht der Retter des Reiches werden konnte.

Flavius Theodosius war am 11. Januar 347 in

25 Cauca geboren. Da auch Trajan Spanier gewesen war, betrachteten es später die Schmeichler als ange- messen, ihn diesem Kaiser äusserlich und innerlich sehr ähnlich zu finden, ja man leitete sogar seinen Stammbaum aus dessen Familie ab. Schon seine Gross-

30 eitern, die wahrscheinlich Honorius und Thermantia hiessen, scheinen fromme Christen gewesen zu sein und durch einen Traum gemahnt, ihren SohnTheodosius benannt zu haben, um ihn dadurch als Gabe Gottes zu bezeichnen. Dies war jener Feldherr Valentinians,

124 VI. Valentinian und seine Familie.

der sich, wie wir oben sahen (S. 23. 28), gegen Brittanner und Alamannen auszeichnete, dann aber in den afrikanischen Provinzen so teuflisch hauste, dass er mit Recht dem Henker verfiel. Doch ehe er starb, hatte er alle seine Sünden noch schnell durch die 5 Taufe abwaschen lassen, und diese Art der Frömmigkeit vererbte er auf seinen gleichnamigen Sohn. Obgleich dieser jünger war als seine Brüder, scheint er doch dem Vater besonders nahe gestanden zu haben. Schon durch seine stattliche Schönheit die Augen des Heeres 10 auf sich ziehend, hatte er ihn bei seinen Feldzügen begleitet und war schon in frühen Jahren zur wichtigen Stellung eines Dux Moesiae primae erhoben worden. Als 374 bei dem Einfall der Quaden und Sarmaten alles um ihn her den Kopf verloren hatte, war er der 15 einzige Feldherr gewesen, der seinen Teil der Grenze tapfer verteidigte und die Barbaren siegreich zurück- schlug (S. 34). Als dann sein Vater durch Valentinian zum Tode verurteilt wurde, sah auch er selbst sich bedroht und zog sich auf seine Güter in Spanien zu- 20 rück. Doch wie Gratian überhaupt geneigt war, die- jenigen, welche durch die Grausamkeit seines Vorgängers gelitten hatten, nach Möglichkeit dafür zu entschädigen, so hatte er auch den Bruder und den Schwiegersohn des hingerichteten Theodosius, Eucherius und Syagrius, 25 an seinen Hof berufen und den einen zu seinem Schatz- meister, den anderen zum Magister Officiorum gemacht. Wahrscheinlich waren es diese, die den Kaiser an den jungen Feldherrn erinnerten, der sich schon früher so glänzend an der Donau hervoraretan hatte und daher :i0 vor allen andern geeignet schien, auf dem gleichen Kriegstheater auch zum zweitenmal Siege zu gewinnen. Theodosius wurde in grösster Eile aus Spanien berufen, zum Magister Equitum ernannt und ihm einst-

3. Die Einwanderung der Gottaen. 1 25

weilen nur ein kleines Beer zur selbständigen Führung anvertraut. Kaum harte er es übernommen, so gelang es ihm, eine Sarmatenhorde, die auf den Spuren der Gothen und Hunnen die Donau überschritten hatte,

5 gründlich zu schlagen und über den Strom zurück- zutreiben. Dies überzeugte Gratian, dass jener der richtige Mann sei, um die erledigte Stelle im Herrscher- kollegium würdig auszufüllen. Am 19. Januar 379 wurde er in Sirmium den Truppen als Augustus vor-

10 gestellt. Zu dem Reichsteil des Valens erhielt er einst- weilen auch noch das östliche Illyricum mit den Diöcesen Macedouia und Dacia, weil auch hier die Gothen streiften und Gratian mit diesen Feinden "so wenig, wie möglich, zu tun haben wollte. Und bald wurde

15 diesem gemeldet, dass ihre glänzenden Siege auch die Alamaunen und Franken zu neuen Einfällen ermutigt hätten, und eiligst musste er in seinen Reichsteil zu- rückkehren.

Theodosius schlug noch in demselben Jahre, das

20 ihn zum Kaiser erhoben hatte, mehrere Scharen von Gothen, Alauen und Hunnen; die Aufgabe aber, die er sich gestellt sah, hat er nicht gelöst, und wahr- scheinlich wäre dies auch einem Besseren nicht ge- lungen. Denn das Heer des Ostens, vor dessen sicherer

•25 Schulung die Gothen gezittert hatten, war zum grössten Teil aufgerieben und musste aus Colonen neu gebildet werden, die iu ihrer bäuerischen Ungeschicklichkeit schlechtere Soldaten waren, als ihre barbarischen Feinde. Trotzdem hat er auch später manchen Sieg gewonnen,

:!" ja wahrscheinlich wurde ihm dies nicht gar zu schwer gemacht. Denn das gewaltige Heer, das bei Adrianopel die Römer geschlagen hatte, liess sich nicht zusammen- halten, weil die Schwierigkeit, es zu ernähren, auf die Dauer zu gross werden musste. Um sich durch Raub

126 VI. Valentinian und seine Familie.

erhalten zu können, inusste es sich in kleinen Gruppen über eiuen weiten Raum verteilen, und dieser musste um so weiter, die einzelnen Horden um so kleiner werden, je weniger das ausgesogene Land hergeben konnte. Überraschte man diese plündernden Scharen 5 vereinzelt, so Hessen sie sich leicht genug schlagen und mitunter selbst ganz aufreiben, wie dies einmal dem Sebastianus gelungen war und auch später römischen Feldherrn gelang. Die Gefangenen, die in solchen Kämpfen gemacht wurden, überschwemmten 10 die Sklavenmärkte und füllten den ganzen Orient mit gothischen Knechten und Mägden. Doch was die Feinde so an Streitkräften verloren, wurde ihnen doppelt und dreifach ersetzt. Denn da jetzt die Donaugrenze unver- teidigt war, drangen immer neue Scharen über sie is herein. Nicht nur Gothen, Hunnen und Alanen folgten den Spuren ihrer vorangegangenen Volksgenossen, sondern auch Marcomannen, Vandalen, Quaden, Sar- maten, kurz alle die Völker, die bisher durch die Ufer- besatzungen mühsam zurückgehalten waren, stürzten 20 sich gierig auf die römischen Provinzen, von deren Schätzen sie iu ihrer barbarischen Armut die über- triebensten Vorstellungen hegten. Und hatten die Ein- dringlinge vorher keine festen Städte einnehmenköunen, so fielen ihnen jetzt nicht wenige zu. Einige scheinen -$ sie auch ohne Belagerung ausgehungert zu haben; denn da alles Land umher verwüstet und jede Zufuhr durch schweifende Horden abgeschnitten war, mussten die Städte endlich ihre Tore öffnen, um alles, was sie Wertvolles besassen, gegen das {geraubte Korn der 3() Barbaren einzutauschen. Andere lieferten arianische Bischöfe, als der streng rechtgläubige Theodosius seine Verfolgung gegen sie begann, ihren gothischen Glaubensgenossen aus. Noch andere sind vielleicht

3. Die Einwanderung der Gotlieu. 127

durch den Steuerdruck, der jetzt härter wurde, als er je vorher gewesen war. den Feinden in die Arme getrieben. Manche scheinen sich mit ihnen abgefunden zu haben, indem sie durch einen massigen Tribut, den

5 die Bürger unter sich zusammenbrachten, ihre Plünde- rungen abkauften. So konnten die Barbaren sich dauernd in den Donauprovinzen festsetzen und sind nie wieder von hier vertrieben worden.

Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als

lo seien die Zustände hier nicht wesentlich anders ge- wesen, als Julian sie durch die Sünden des Constantius in Gallien vorfand (IV S. 249). Auch hier waren die Barbaren massenhaft in das Land eingedrungen, auch hier hatte man die Grenzfestungen aufgegeben, und

15 kein Hindernis stand neuen Zuzügen im Wege. Wenn trotzdem die Alamannen und Franken in wenigen Jahren aus dem römischen Gebiet verdrängt wurden, was mit den Gothen und Hunnen nie gelingen wollte, so ist das nicht allein der Heldenkraft Julians zuzu-

20 schreiben. Freilich konnte sich Theodosius nicht ent- fernt mit ihm messen: doch muss mau zugeben, dass auch seine Aufgabe eine sehr viel schwerere war. Die Westgermanen waren schon seit Jahrhunderten sess- haft geworden; sie wollten ihr Laud garnicht verlassen,

25 sondern nur für den Überschuss ihrer Bevölkerung auf neuem Boden den Unterhalt gewinnen, den die enge Heimat ihm versagte. Xur ein geringer Teil der Alamannen und Frauken hatte sich daher in Gallien niedergelassen, und da sein Abzug denZurückbleibenden

3o Raum geschaffen hatte, fühlten sie garnicht den Drang, jenen nachzuziehu. Die Hunnen und Alauen dagegen waren Nomaden, und auch die Gothen hatten sich niemals an feste Sitze gewöhnt. Alle diese östlichen Völker waren daher immer bereit zu wandern, sobald

128 VI. Valentmian und seine Familie.

sie hoffen konnten, schönere und reichere Gegenden zu erreichen. So hatte Julian es nur mit den wenigen zu tun, die an der Behauptung des gallischen Acker- landes ein unmittelbares Interesse nahmen; Theodosius dagegen stand einer immer strömenden Völkerflut 5 gegenüber, die, nachdem der Damm gebrochen war, nichts mehr aufhalten konnte.

Diese Feinde aber konnten nicht in ewigem Kriegs- zustande beharren, selbst wenn sie immer siegreich gewesen wären; denn von dem gewonneneu Lande 10 lebten sie ja nicht, wie die Älamannen, indem sie es fleissig bebauten, sondern nur, indem sie es ausraubteu. War das Vieh weggetrieben und die Ernten aufgezehrt, so konnte dieselbe Landschaft sie nicht zum zweiten Mal ernähren; denn natürlich waren auch die Römer 15 kaum geneigt, ihre Felder wieder zu bestellen, solange sie jeden Augenblick fürchten mussten, dass ein neuer Plünderzug die Frucht ihrer Arbeit vernichte. Zwar genügte für den Unterhalt dieser Nomaden wohl die Milch und das Fleisch der Herden, die sie vor sich 20 hertrieben. Doch in den steten Kämpfen, die sie bald mit den Römern, bald wohl auch mit anderen Horden auszufechteu hatten, wird oft genug ihr Vieh verloren gegangen sein. So muss bei ihnen verschwenderischer Cberfluss mit quälendem Hunger gewechselt haben, 25 ja vielleicht raffte dieser eine grössere Zahl der Barbaren hin, als das römische Schwert. So finden wir denn, dass Tausende des unstäteu Schweifen? überdrüssig wurden und ihre Volksgenossen verliessei), um im Dienste der Römer ein sicheres Brot zu finden. 30 Theodosius konnte aus solchen Überläufern grosse Truppenkörper bilden, die freilich nur mit Vorsicht dort zu brauchen waren, wo man ihrer am dringendsten bedurft hätte. Denn standen sie denen gegenüber, die

3. Die Einwanderung der Gothen. 129

vorher ihre Mitkämpfer gewesen waren, so konnte man sich auf ihre Treue nicht verlassen. Der Kaiser schickte daher einen grossen Teil von ihnen möglichst weit in die Ferne, nach Aegypteu, und zog die Truppen,

5 die dort gestanden hatten, zum Kampf gegen Gothen und Hunnen heran. Und auch ganze Völkerschaften wurden des Ungewissen Räuberlebens, das ihnen selbst die Existenzmittel zerstörte und mit den Jahren immer dürftiger werden musste, allmählich müde und suchten

io Frieden mit den Römern.

Dieser wurde meist in der Weise geschlossen, dass jene die Landschaften, die sie schon im tatsächlichen Besitze hatten, jetzt mit Erlaubnis des Kaisers besiedeln durften. Doch fanden sie ihre Nahrung wohl nur zum

15 kleinsten Teil durch eigenen Ackerbau. Denn da sie den Römern Waffenhilfe versprachen, galten sie als Teile des Reichsheeres und durften in dieser Eigen- schaft Löhnung und Verpflegung in Anspruch nehmen. In dieser Form wurde es verschleiert, dass man ihnen

20 teils in Geld, teils in Naturalien hohe Tribute zahlte. Auch musste man sie ehren und sich ängstlich vor jeder Verletzung eines Barbaren hüten, um sein Volk nicht in Zorn zu versetzen. Sie wurden daher sehr übermütig und pflegten auf den Märkten, was ihnen

25 gefiel, lieber einfach zu nehmen, als mit Geld zu er- kaufen. Doch als einmal in Constantinopel ein Gothe wegen irgend eines derartigen Vergehens vom Volk erschlagen wurde, entzog Theodosius der Stadt die üblichen Kornspenden, Hess sich aber freilich erbitten,

30 sie ihr schon am andern Tage wiederzugeben. Er beabsichtigte eben nur, demonstrativ zum Ausdruck zu bringen, dass er jeden der verbündeten Barbaren schützen oder rächen wolle. Bei Tomi stand eine angeworbene Eliteschar, die übermütig die Untertanen

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 9

130 VI. Valentiaiaii und seine Familie.

bedrückte und ausraubte und gegen ihren Feldherrn Gerontius frech und imbotmässig war; da dieser fürchtete, sie möchte sich gegen ihn erheben und der Stadt bemächtigen, machte er sie nach hartem Kampfe nieder. Die Folge war, dass er zur Ver- 5 antwortung gezogen wurde und kaum der Todesstrafe entging. Barbarische Truppen wurden mit goldenen Halsbändern bescheukt und empfingen reichere Natural- verpfleguug, als die römischen; kurz alles geschah, um die zweifelhaften Verbündeten bei guter Laune 10 zu erhalten. Die gleiche Rücksicht bestimmte auch das Verhalten des Kaisers gegen Athanarich. Dieser war durch Parteiungen in seiner eigenen Familie gezwungen worden, mit seinen Anhängern über die Donau zu gehen: doch Fritigern gedachte seiner alten is Feindschaft gegen ihn und griff ihn mit Übermacht au. Da suchte er bei Theodosius Schutz, der mit ihm ein Bündnis schloss. Am 11. Januar 381 kam der Gothen- richter nach Constantinopel, starb aber schon am 25. desselben Monats. Der Kaiser Hess ihm ein so prächtiges 20 Leichenbegängnis ausrichten, dass es allgemeines Auf- sehen machte. Und das ganze Gothenvolk fühlte sich in seinem Helden hochgeehrt und suchte die Freund- schaft des Theodosius.

Diese Bündnisse haben die militärische Macht- 25 Stellung des Kaisers wieder zu einer sehr ansehnlichen erhoben und ihm in seinen Kriegen wichtige Dienste geleistet. Den Raubzügen und Verwüstungen aber, die immer wieder das Reich heimsuchten, haben sie doch nicht Einhalt geboten. Denn mau hatte es ja nicht mit einer einheitlichen Macht zu tun, sondern mit einer ganzen Anzahl von Völkern und Völkchen, die jedes für sich Krieg und Politik machten und oft genug auch untereinander im Hader lagen. Wie dies

80

3. Die Einwanderung der Gothen. 131

ihre Bekämpfung erleichterte, so erschwerte es ihre volle Befriedigung. Denn hatte man sich nach langen, mühsamen Verhandlungen mit dem einen versöhnt, so wurde das andere dadurch vielleicht nur um so mehr

5 erbittert. Und auch diejenigen, mit denen man glücklich zu einem Bündnis gelangt war, hielten es doch nur so lange, wie es ihnen passte, und jede Verzögerung des Tributes, jede Verletzung ihrer Eitelkeit, ja selbst jede Regung barbarischer Laune konnte sie zu neuen

10 Feindseligkeiten aufreizen.

Wo der Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus die Erhebung der Gothen berichtet, da sucht er sein Volk über deren unheilvolle Folgen zu trösten, indem er darauf hinweist, dass das römische Reich schon

15 seit den Tagen der Cimbern und Teutonen wiederholt durch o-rosse Barbareneinfälle in ^en Grundfesten seiner Macht erschüttert worden sei, sich aber immer wieder siegreich aus seiner Not erhoben habe. Auch bei diesen Kämpfen hatte man die Feinde nicht alle

20 vertrieben oder auf die Sklavenmärkte geschleppt; o-anzen Völkerschaften waren die Wohnsitze im Reich, nach denen sie verlangt hatten, auch zu Teil geworden. Diese hatten sich freilich in der einen oder anderen Form in die Untertänigkeit fügen müssen; doch auch

25 formell unabhängige Staaten hatte es innerhalb des Reiches gegeben. So waren z. B. ein Herodes von Judaea, ein Dejotarus von Galatien selbständige Fürsten, die nur ein Vertrag mit den Römern verband. Insofern bot also das Verhältnis des Theodosius zu Gothen und

*> Hunnen staatsrechtlich nichts Neues; und doch haben ein Herodes und Dejotarus den Zusammenhalt des Reiches in keiner Weise gestört, während ein Alarich und seine Genossen ihn in wenigen Jahren völlig auflösten. Der Grund lag darin, dass jene die Römer

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132 VI. Valentinian und seine Familie.

zu fürchten hatten, diese von ihnen gefürchtet wurden; was die alten Klientelstaaten den neuen so unähnlich machte, war nicht ein Unterschied des Rechtes, sondern der Macht. Von Anfang an hatte das römische Reich den Charakter eines Staatenbundes gehabt, doch die 5 Centralgewalt stand den einzelnen Teilen, die ihn bildeten, so mächtig gegenüber, dass sie sich wohl oder übel fügen mussten und so mehr und mehr zur staatlichen Einheit zusammengewachsen waren. Schwand jenes Übergewicht, so musste der Zerfall 10 unfehlbar eintreten. Was ihn herbeiführte, war nicht die Heldenkraft der Germanen, die, in zahllose Stämme und Stämmchen zerspalten, so ohnmächtig waren, wie je vorher, sondern die immer zunehmende Schwäche des römischen Reiches. Wie Ammian richtig hervor- 10 hebt, hatte es sich von vielen Niederlagen glücklich erholt; wenn die Niederlage von Adrianopel ihm ver- derblich wurde, so lag das nicht daran, dass sie schwerer gewesen wäre, als manche der früheren, sondern dass der gewaltige Körper die Kraft der Selbsterneueruug 20 verloren hatte, die auch tiefe Wunden heilen macht. Und prüfen wir die Ursachen jenes tiefen Falles im Einzelnen, so finden wir, dass er in jeder Be- ziehung durch die inneren Zustände des Reiches herbeigeführt ist. Schon dass man die Gothen über '-■"> die Donau Hess, war dadurch veranlasst, dass die Entvölkerung der Provinzen neue Ansiedler, das Schwinden ihrer militärischen Kraft fremde Krieger erwünscht machte. Sie kamen als friedliche Bittsteller, und was sie in gefährliche Feinde verwandelte, war :!0 nur die sittliche Verkommenheit des Römertums. Denn nicht nur Lupiciuus und Maximus waren ver- antwortlich für jene künstlich herbeigeführte Hungers- not, welche die Gothen zum Aufstaude trieb, sondern

3. Die Einwanderung der Gothen. 133

jeder, der ihr Verhalten sah und mutlos davor zurück- scheute, es dem Kaiser oder seinem Praefecten anzu- zeigen, wurde ihr Mitschuldiger. Es war die angeerbte Feigheit des ganzen Volkes, die nicht nur seine kriege-

5 rische Tüchtigkeit vernichtet hatte, sondern es auch unfähig machte, den Übergriffen gewissenloser Beamten mit kühner Entrüstung Einhalt zu gebieten. Und als die Eindringlinge sich dann feindlich über das Land ergossen, da war es der unerträgliche Zustand der

i" Sklaven, der Colonen, der Bergarbeiter, die an ihren Stand gefesselt und von Steuern fast erdrückt waren, was ihnen überall willige Helfer und Führer ver- schaffte. Und wenn die römischen Feldherren fast nichts planen oder unternehmen konnten, ohne dass

i-"> der Feind davon Nachricht erhielt, so war der Grund, dass auch ihr Heer zum grossen Teil aus Barbaren bestand, die nicht für ihr Vaterland kämpften und leicht bereit waren, zu den freien Plünderern über- zulaufen. Ferner hatte die Teilung des Reiches, wie

20 sie von Diocletian ausgeklügelt war, die natürliche Folge gehabt, dass es nicht seine ganze Kraft auf den am schwersten gefährdeten Punkt coucentrierte, sondern jeder Herrscher seine besonderen Interessen den allgemeinen voranstellte. Gratian hatte sich von

25 dem unbedeutenden Alamannenkriege weit länger, als nötig, aufhalten lassen und darüber die Rettung seines Oheims versäumt; dieser beneidete die Lorbeern seines Neffen und drängte zum Kampfe, wo er hätte zögern sollen. Endlich haben auch die religiösen

30 Zustände des Reiches die Niederlage zwar nicht herbeigeführt, wohl aber dahin gewirkt, dass ihre Folgen dauernde wurden.

Schon seit den Zeiten des Marcus waren immer wieder grosse Barbarenhorden im Reiche angesiedelt

13-1 VI. Valentinian und seine Familie.

worden, die, wenn sie sich zusammengetan hätten, ihm sehr gefährlich werden konnten. Doch wie die Deutschen noch heute leicht bereit sind, unter Fremden ihre Nationalität zu vergessen, so waren sie auch damals in der einheimischen Bevölkerung aufgegangen 5 und hatten sich schnell als Römer fühlen gelernt. Ebenso hätten auch die Gothen mit den alten Bewohnern von Thrakien und Illyricum sehr bald verschmelzen können, wenn sie nicht Arianer gewesen wären. In jenem Zeitalter wilden Glaubenshaders richtete eine 10 lächerlich kleine Abweichung im Dogma eine wirk- samere Yölkerschranke auf, als alle Unterschiede von Art und Sitte hätten schaffen können.

Viertes Kapitel.

Gratian und Tlieodosius.

Dass ein Kaiser, der so allgemein verhasst und missachtet war, wie Valens, die orthodoxe Kirche hitzig bekämpft hatte, konnte nur dazu beitragen, ihre innere Kraft zu steigern. Die Bischöfe, die er

5 verbannt hatte, verehrte man als Märtyrer, ihre ariani- schen Nachfolger stiessen überall auf heftigen Wider- stand der Gemeinden, und als nun gar sein schmäh- liches Ende bekannt wurde, betrachtete man es als ein unverkennbares Zeichen, durch das Gott seinen

10 Zorn gegen den Verfolger und seine Zustimmung zu dem, was er verfolgt hatte, habe kundgeben wolleu. Zudem hatte die gemeinsame Gefahr und der gemein- same Gegensatz gegen den Ariauismus einen Zusam- menschluss von Parteien herbeigeführt, die sonst nichts

15 weniger als einig waren. Schon gleich im Anfang von Valens' Regierung hatten die Macedonianer bei seinem älteren Bruder Schutz suchen wollen, und um diesen zu gewinnen, die Fürsprache des Liberius an- gerufen, der damals noch auf dem römischen Stuhle

20 sass. Zu diesem Zwecke hatten sie die Erklärung- abgegeben, das nicaenische Glaubensbekenntnis in seinem vollen Umfang anzuerkennen und folglich Glieder derselben rechtgläubigen Kirche zu sein, der auch er angehörte. Den gewünschten Erfolg hatte

136 VI. Valentmian uud seine Familie.

dies freilich nicht gehabt, weil Yalentinian sich um die religiösen Händel des Ostens nicht kümmern wollte; doch hatten die Macedonianer trotzdem an der Verbindung mit Rom festgehalten, solange die Möglichkeit uicht ausgeschlossen schien, dass die 5 Autorität des Papstes sie gegen die Angriffe des Valens decken könne. Kaum aber war das Toleranz- edikt Gratians erlassen, so versammelten sie eine Synode zu Antiochia in Carien, erklärten hier, dass sie Vater und Sohn doch nicht für „wesensgleich", 10 sondern nur für „wesensähnlich" halten könnten, und kehrten damit zu ihrer alten Ketzerei zurück.

So wiederholte sich auch diesmal, was jeden Re- gierungswechsel zu begleiten pflegte. Jede Partei war fest davon durchdrungen, die allein wahre Lehre zu 15 verkündigen; jede erwartete daher, dass, wenn auch der alte Herrscher sich gegen ihre unwiderleglichen Gründe böswillig verstockt hatte, doch der neue sicher überzeugt werden müsse. Auf diese Weise lebten, sobald man meinen konnte, dass am Hof ein anderer 20 Wind wehe, alle schon unterdrückten Spaltungen wieder auf, und jeder Kaiser, der töricht genug war, dem unerreichbaren Ideal der Kircheneinheit zuzu- streben, musste ganz von vorne anfangen.

Wie sich in jener Zeit von selbst versteht, lag 25 auch Theodosius dieser Gedanke nicht fern; höher aber, als die Einheit, stand ihm die Reinheit der Kirche. In einer frommen Familie Spaniens aufge- wachsen, wo man über Religion nicht disputierte und nur mit heiligem Grauen von den Christuslästerern :1" des fernen Ostens reden hörte, betrachtete er die Arianer als schwere Sünder, deren Aufnahme in die Kirchengemeinschaft ihm unmöglich schien. Und Gratian, der zwar der jüngere Mann, aber der ältere

i. Gratian und Theodosius. 137

Augustus war. und seinem kaum ernannten Kollegen gegenüber die höhere Autorität beanspruchen durfte, gab ihm sehr bald das Beispiel ihrer Verurteilung. Schon als er unterwegs nach Thrakien war, hatte dieser sich 5 mit der Bitte, ihn über den rechten Glauben zu be- lehren, an Ambrosius gewandt, der eilends ein Büchlein darüber abfasste und es dem Kaiser übersandte. Als dann, während der Gothenkrieg noch tobte, die Nach- richt von einem neuen Einfall der Alamannen anlangte,

10 berief der Jüngling in seiner Not den Bischof an sein Hoflager. Dieser eilte ihm gehorsam entgegen und "•ab ihm bis Mailand das Geleite. Die Folge der Ge- spräche, die sie im kaiserlichen Reisewagen geführt hatten, zeigte sich in dem Gesetz vom 3. August 379,

15 demselben Tage, an dem Gratian nach kurzer Rast die Stadt des Ambrosius wieder verliess. Er wieder- rief darin das Toleranzedikt, das er vor weniger als einem Jahre selbst gegeben hatte, und verbot allen Sekten, ihre Lehren in öffentlichem Gottesdienste zu

'-'" verkündigen.

Es wäre eine Beleidigung dessen gewesen, der ihn zum Kaiser gemacht hatte, wenn Theodosius dies Gesetz nicht auch in seinem Reichsteil anerkannt hätte; und sein Herz trieb ihn, sich auch selbsttätig dazu

25 zu bekennen. Nachdem er im Sommer und Herbst 379 die ersten Siege über die schweifenden Barbarenhorden erfochten hatte, wurde er in Thessalonica von einer Krankheit befallen, die ihn mit dem Tode zu bedrohen schien. Er Hess Acholius, den Bischof der Stadt, zu

:;" sich kommen, um durch ihn die Taufe zu empfangen, überzeugte sich aber vorher, dass er rechtgläubig sei. Nachdem das heilige Wasser, durch diesen Mann ge- spendet, das Wunder gewirkt hatte, den Kaiser wieder gesund zu machen, fühlte dieser sich um so mehr ver-

138 VI. Valentiuian und seine Familie.

pflichtet, der Lehre, die sein Retter verkündigte, zum Siege zu verhelfen. Am 27. Februar 380 erliess er ein Gesetz, dessen erhaltene Fragmente folgender- maassen lauten: „Wir wollen, dass alle Völker, welche die Leitung unserer Gnade lenkt, in der Religion leben, 5 die der göttliche Apostel Petrus, wie die von ihm ge- wiesene Religion bis jetzt beweist, deu Römern über- liefert hat und der offenbar der Pontifex Damasus folgt und Petrus, der Bischof von Alexandria, ein Mann von apostolischer Heiligkeit; das heisst, dass wir nach 10 der apostolischen Unterweisung und evangelischen Lehre an die einheitliche Göttlichkeit glauben von Vater, Sohn und heiligem Geist in gleichartiger Majestät und in frommer Dreiheit. Wir gebieten, dass diejenigen, welche diesem Gesetze folgen, den Namen katholischer 15 Christen beanspruchen dürfen, die anderen aber, die wir für unsinnig und verrückt halten, den Schimpf ketzerischen Dogmas tragen, dass ihre Versammlungs- orte nicht den Namen von Kirchen führen und dass sie zunächst durch die göttliche Strafe, dann aber auch 20 durch die Rache unseres Eintretens, das uns durch den Willen des Himmels übertragen ist, getroffen werden. Denn wer die Heiligkeit des göttlichen Ge- setzes durch Unkenntnis verwirrt oder durch Nichtbe- achtung vergewaltigt und verletzt, begeht damit ein 25 Sacrileg." Dies klang sehr hart, war aber im Grunde nicht mehr als ein Glaubensbekenntnis des Kaisers. Er hing den Andersgläubigen Schimpfnamen an, bedrohte sie aber zunächst nur mit der Strafe des Himmels; dass auch er selbst sie strafen werde, war nur als :;<l eine künftige Möglichkeit angedeutet. Ebenso hatte auch Gratian zwar <lie Gottesdienste der Sekten ver- boten, aber keine ausdrücklichen Strafbestimmungen dagegen erlassen. Dies bedeutete, dass die einzelnen

4. Gratiati und Theodosius. 139

Beamten nach Gutdünken eingreifen konnten oder auch nicht. Da sie sich ungern mit Dingen befassten, die Volksaufstände hervorrufen konnten, wird einstweilen alles beim Alten geblieben sein. Nur dass beide 5 Kaiser sich so entschieden auf die Seite der Orthodoxie gestellt hatten, mochte immerhin eine gewisse moralische Wirkung üben. Einstweilen freilich trat eine Wirkung ein, die man nicht gerade eine moralische nennen kann. Man sali voraus, dass der Bisehofsthron von Constan-

10 tinopel, der vornehmste des ganzen Ostreiches, dem- nächst durch die Absetzung seines arianischen In- habers Demophilus erledigt sein werde, und unter den orthodoxen Kandidaten begann der Kampf des Ehrgeizes.

15 Sobald Gregor von Nazianz erfahren hatte, dass

ein Kaiser aus dem fernen Westen, dem man nach der kirchlichen Stellung seiner Heimat rechtgläubige Gesinnungen zutraun konnte, den Thron bestiegen habe, folgte er dem Rufe einiger Gesinnungsgenossen

20 und eilte aus dem ärmlichen Nestlein, wo er bisher Bischof gewesen war, nach dem glänzenden Cou- stantinopel. Da die Arianer auch Andersgläubige zu ihrer, Kirchengemeinschaft zuliessen, war dort nur ein kleines Häuflein von ganz Verstockten übriggeblieben,

25 die jede Berührung mit den Ketzern ablehnten. Diese noch sehr bescheidene Gemeinde übernahm er zu leiten, weil er voraussah, dass ihr die Zukuuft gehörte. Natürlich gab es Krawalle, bei denen Steine gegen ihn flogen, und er wurde als Unruhstifter vor den

30 Richter gestellt; aber mutig focht er seine Sache durch. Dabei wurde er von einem gewissen Maximus, der kynischer Philosoph, zugleich aber orthodoxer Christ war. so wirksam unterstützt, dass er sich veranlasst sah, vor versammelter Gemeinde eine Lobrede auf

140 VI. Valentinian uud seiue Familie.

ihn zu halten. Doch bald sollte er sich überzeugen, welche Natter er an seinem Busen genährt hatte.

Maximus war Alexandriner und hatte sich bei den Unruhen, die nach dem Tode des Athanasius gegen dessen arianischen Nachfolger Lucius ausgebrochen 5 waren, so lebhaft beteiligt, dass er dafür ausgepeitscht und verbannt wurde. Natürlich war die Folge, dass ihn der orthodoxe Gegenbischof Petrus als treuen Anhänger schätzte. Zwar hatte dieser das Bestreben Gregors, die kleine Gemeinde der Rechtgläubigen in 10 Coustantinopel zu sammeln und zu führen, vorher brieflich gebilligt. Als aber durch das Ketzergesetz des Theodosius die Sicherheit gegeben war, dass die Hauptstadt seiner Partei zufallen müsse, hielt er es für vorteilhaft, wenn dort ein minder selbständiger 15 Bischof regierte, auf dessen Unterordnung er sich schon deshalb verlassen könne, weil jeuer ihm seinen Thron verdankte. Er schickte daher eiligst einige ägyptische Bischöfe dahin, um die fette Stelle seinem Schützling Maximus zu sichern. Während Gregorius 20 krank zu Bette lag, bemächtigten sie sich noch vor Tagesanbruch seines Bethauses und begannen, dem Kyniker sein ungepflegtes Philosophenhaar abzu- schneiden und ihn zum Bischof zu weihen. Doch ehe sie damit fertig waren, wurde es Morgen; die 25 Nachricht verbreitete sich, und drohend strömte die Gemeinde zusammen. Da zogen sie sich in ein Privat- haus zurück und führten dort die heilige Handlung zu Ende. Trotzdem war sie nach dem damaligen Kirchenrecht giltig, uud der hoffnungsvolle Gregor 30 sah den lockenden Bissen sich vor der Nase weg- geschnappt. Als Maximus nach Thessalonica fuhr, um sich die Bestätigung des Theodosius zu erbitten, hatte er freilich keinen Erfols,-. Er ging nach Alexandria

4. Gratian und Theodosius. 141

zu seinem Freunde Petrus, wurde aber auch von hier, wahrscheinlich auf Befehl des Kaisers, durch den Praefecten ausgewiesen. Doch ob man ihm das erschlichene Bistum auf die Dauer werde vorenthalten

5 können, blieb sehr zweifelhaft. War er doch unter der Autorität desselben Petrus geweiht, den jenes (iesetz erst kürzlich als Hort der Rechtgläubigkeit gepriesen hatte.

Unterdessen hatte die Krankheit des Theodosius,

10 von deren glücklicher Überwindung sie noch nichts wussten, den Feinden neuen Mut gegeben. Fritigern fiel in Macedonien ein, wo jener selbst residierte, Alatheus und Saphrax in Pannouien, das als Vormund seines kleinen Bruders Gratian verwaltete. Eiligst zog

15 dieser heran, als ihm unterwegs in Italien die Nachricht zuging, dass Theodosius genesen sei und schon selbst den Kampf aufgenommen habe. Doch bald sollte schlimmere Botschaft folgen. Die zahlreichen Über- läufer im Heere des Kaisers unterhielten immerfort

20 Verbindungen mit ihren zurückgebliebenen Lauds- leuteu, so dass man im Feindeslager über alle Be- wegungen der Römer unterrichtet war. Diese genaue Kunde benutzte Fritigern, um sie bei Nacht zu über- fallen und den grössteu Teil von ihnen niederzumachen.

25 Kaum vermochte sich Theodosius selbst nach Thessa- lonica zu retten, und ungehindert ergossen sich die Gothenschareu über Griechenland, das, bisher noch von ihren Plünderungen verschont, reiche Beute ge- währen musste. Indem er sie hier ungestört hausen

30 liess, gewann der Kaiser Zeit, sein Heer wieder zu sammeln und zu neuem Kampfe zu bereiten. Doch glaubte er jetzt, nur noch mit der Macht Gratians vereint Erfolge erringen zu können. Er führte daher seine Truppen diesem nach Pannonien entgegen, und

142 VI. Valentinian und seine Familie.

wirklich gelang es ihnen, in einigen Scharmützeln mit den Ostgothen Sieger zu bleiben. Doch konnte man nicht daran denken, sie über die Grenzen zurück- zutreiben, sondern musste ihnen Wohnsitze im Reich und sogar Korntribute bewilligen. Gegen Fitigern 5 dauerte der Krieg noch fort; für diesen aber gewann Theodosius in Athanarich einen Bundesgenossen, dessen tapfere Scharen dem arg geschwächten Römerheer wieder das Übergewicht verleihen konnten (S. 130).

Auf diese Art war der Kaiser aus schwerer Gefahr io errettet worden, und wie er nach seiner Genesung sein erstes Ketzergesetz erlassen hatte, so brachte er jetzt dem Herrn seinen Dank durch ein zweites schärferes dar. Sobald er am 24. November 380 in Constantinopel eingezogen war, hatte er nichts Eiligeres 15 zu tun, als seine Hauptstadt vom ariauischen Schmutze zu reinigen. Er forderte ihren Bischof Demophilus auf, sich zum Nicaenum zu bekennen, und als er dies weigerte, verbot er ihm alle Kirchen der Stadt. Schon am 26. November musste jener vor die Tore 20 hinausziehn, um dort seinen Gottesdienst zu halten, und jetzt erst, nachdem die Ketzerei ausgetrieben war, besuchte Theodosius eine der Kirchen, um darin zu beten. Sehr bald darauf, am 10. Januar 381, erliess er ein Gesetz, nach dem auch aus den andern Städten 25 der häretische Kultus verbannt sein solle, als wenn er ausserhalb der Mauern minder befleckend wäre. Einstweilen erstreckte sich dies nur auf die Photinianer, Eunomianer und Arianer; welche andern Sekten noch als ketzerisch zu betrachten seien, darüber sollte erst 30 ein allgemeines Concil, das schon einberufen war, die Entscheidung fällen. Zu den schon jetzt verdammten gehörten aber auch diejenigen, die unter Valens die Macht besessen hatten und daher besonders stark

4. Gratian und Theodosius. 143

verbreitet waren. Natürlich wollten sie, wo sie die Majorität der Bevölkerung bildeten, sich ihre Kirchen nicht rauben lassen, und bei der Verteidigung derselben kam es in vielen Städten zu Aufständen; es musste sogar ein Feldherr ausgeschickt werden, um mit militärischer Gewalt die Ketzer aus den Kirchen aus- zutreiben. Doch den glaubenseifrigen Kaiser rührte das nicht. Fast kein Jahr seiner Regierung ist seit- dem vergangen, in dem nicht ein neues Gesetz gegen die Ketzer erlassen wäre. Zwar wurden sie nicht an Leib und Leben gestraft, wohl aber in ihrer Erb- fähigkeit beschränkt, was in jener Zeit, wo jeder auf Erbschaften spekulierte, sehr hart empfunden wurde. Die Folge war gewiss, dass viele sich zur Orthodoxie bekehrten, die meisten freilich mit der stillen Hoffnung, wenn der Wind wieder einmal umschlug, zu ihrer alten Kirche zurückkehren zu können. Die ehrlichen Menschen aber, die an ihrem Glauben festhielten, wurden durch dessen Verbannung aus den Städten und die Entziehung weltlicher Vorteile nur fanatischer und verstockter.

Vor allem zeigte sich dies in dem weiteren Fort- schreiten der Sektenbilduus:. Denn diese ist das sicherste Zeichen, dass eine Kirche lebendig ist; verzichtet man auf sie, so bedeutet das nichts anderes, als dass man es nicht mehr der Mühe wert findet, über seine Religion nachzudenken oder, wenn man es doch tut, die Ergebnisse dieses Nachdenkens nicht für wichtig genug hält, um sie der Welt zu verkündigen und dafür Anhänger zu werben. Dies aber ist immer das Zeichen einer Gleichgiltigkeit, wie sie in streiten- den und unterdrückten Kirchen am wenigsten zu finden ist. Sogar die Arianer, die vorher immer bereit gewesen waren, auch Andersdenkende in ihrer

]44 VI. Valentinian und seine Familie.

Gemeinschaft zu dulden, begannen jetzt, sich auf Worte zu steifen. Unter ihnen tauchte die Frage auf, ob man Gott auch vor der Zeugung des Sohnes habe Vater nennen können, und grimmig stritt man darüber, wie, lange vor der Weltschöpfung, als es 5 noch keinen gab, der seinen Namen hätte sprechen können, der Schöpfer gehiessen habe. Dieser hoch- wichtige Gegenstand führte zu einer Spaltung, die volle fünfunddreissig Jahre dauerte und erst dadurch beendet wurde, dass man sich entschloss, künftig 10 nicht mehr von der Sache zu sprechen. So ereiferte man sich über Dinge, die heute kaum noch im Hörsaale eines sehr zurückgebliebenen Professors der Dogmatik erörtert werden und, wenn ein grösseres Publikum davon erführe, nur Gelächter erregen 15 würden. Doch im Grunde wäre das mit den Streitig- keiten über „Wesensgleich" und „Wesensähnlich" auch nicht anders, wenn nicht die Schriften „heiliger" Kirchenlichter ihnen einen Schein der Wichtigkeit gegeben hätten. 20

Schon bei ihrer Zusammenkunft in Sirmium hatten die beiden Kaiser über die Berufung eines allgemeinen Concils beraten, von dem man wieder einmal die Unterdrückung der kirchlichen Spaltungen erhoffte. Doch die Schwierigkeit, dass die Bischöfe 25 des Ostens kein Latein verstanden und die des Westens nur ausnahmsweise etwras Griechisch, hätte auch jetzt die Verhandlungen gehemmt, und dazu kam die neue, dass durch die Streifzüge der Barbaren die Reise aus einem Reichsteil in den anderen sehr gefährlich ge- 30 worden war. Und was den Ausschlag gab, Ambrosius musste wünschen, dass die Occidentalen hübsch unter sich blieben, weil sich auf diese Weise am sichersten ein einstimmiger Beschluss erzielen liess. Denn er

4. Gratiao und Theodosius. [45

ist es gewesen, der Gratiau, als er auf seiner Rück- reise nach Trier durch Mailand kam, dazu beredete, dem Beispiel des Constantius zu folgen und di<- Bischöfe jedes der beiden Reichsteile für sich beraten

6 zu lassen.

Im Mai 381 trat das Coucil des Orients in Oon- stautiuopel zusammen und beendete seine Sitzungen am 9. Juli. So lange Zeit hätte es nicht gebraucht, wenn ihm nur die Glaubensfrage vorgelegen hätte.

in Denn da nur orthodoxe Bischöfe daran teilnahmen, verstand es sich ganz von selbst, dass man das Xicaenum einfach bestätigte und alle Sekteu, die davon abgewichen waren, mit dem Banne belegte. Anfangs hatte Theodosius zwar auch die Macedonianer

15 eingeladen, weil sie sich früher gleichfalls jenem Glaubensbekenntnis angeschlossen hatten (S. 135); als sie aber jetzt bei ihrem „Weseusähnlich" beharrten, mussten sie Constantinopel verlassen. So zählte die Versammlung nicht mehr als 150 Bischöfe, legte

20 sich aber trotzdem den Namen eines ökumenischen Concils bei und nahm dessen Autorität in Anspruch. In Betreff des Glaubensbekenntnisses wurde ihm diese auch nicht bestritten, wohl aber in den Personen- fragen, die viel ernstere Schwierigkeiten machten und

'-'•r> jedenfalls den grössten Teil jener Zeit beanspruchten. Denn hatte Petrus, um den Einfluss des alexandri- nischen Stuhles zu erhöhen, die Wahl des Bischofs von Constantinopel an sich gerissen, so meinte Rom erst recht, dass es in einer so wichtigen Sache die

:;0 Entscheidung geben müsse.

Kaum war Theodosius in seine Hauptstadt ein- gezogen, so gewährte er dem Gregor eine sehr gnädige Audienz und erklärte ihm, dass er die Hauptkirche Constantinopels, nachdem der Arianer Demophilus aus-

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 10

146 VI. Valentinian und seine Familie.

getrieben war, ihm übergeben wolle. Zu diesem Zwecke musste sie vorher militärisch besetzt werden, und um- geben von Soldaten hielt Gregor mit Furcht und Zittern seinen Einzug. Denn das Volk hatte wilde Schmäh- rufe gegen die Kaiser ausgestossen und drängte sich 0 jetzt in dichten, aufgeregten Massen vor der Kirche. Wohl hatte man sich früher für den orthodoxen Paulus totschlagen lassen, und Theodosius versäumte nicht, daran zu erinnern. Er Hess die Leiche des grimmigen Glaubenskämpfers, der fünfmal wegen blutigen Auf- 10 ruhrs hatte verbannt werden müssen, ausgraben und nach Constantinopel bringen, wo sie, gleich den Re- liquien eines Märtyrers, in einer Kirche beigesetzt wurde. Doch wofür man vor einem Menschenalter todesmutig gestritten hatte, war längst vergessen. Was die Massen i"> zum Kampfe begeisterte, war ja viel weniger der Glaube, als die Anhänglichkeit an ihren Bischof gewesen, und seit man sich an Demophilus gewöhnt hatte, war man bereit, auch um seinetwillen Krawalle anzuzetteln. Dass sie sich diesmal in massigen Grenzen hielten, war nur 20 das Verdienst des Arianers, der nach der milderen Art seiner Sekte mehr Scheu vor Blutvergiessen trug, als sein orthodoxer Vorgänger.

So meinte Gregor gewonnenes Spiel zu haben, als ein Brief des Damasus an mehrere Bischöfe des -• östlichen Reichsteils einlief, der alle seine Hoffnungen zu vernichten drohte. Der Papst eiferte zwar gegen den Kyniker Maximus, weil Philosophie und lange Haare der Kirche ein Greuel sein müssten; zugleich aber erinnerte er an den Kanon von Nicaea, nach dem 30 kein Bischof seine Gemeinde verlassen durfte, um in eine andere überzutreten (III S. 416). Damit war es ausgesprochen, dass Gregor, weil er schon in Nazianz Bischof war, für Constantinopel nicht in Betracht

4. Gratian und Theodosius. 147

kommen dürfe. Wahrscheinlich war jener Brief ge- schrieben, che Damasus wusste, dass Theodosius schon in anderem Sinne Stellung genommen hatte; denn sich mit dem Kaiser überwerfen zu wollen, lag ihm fern.

5 Und jener Kanon war so oft verletzt worden, dass man ihn ruhig der Vergessenheit, in die er mit Recht verfallen war, hätte überlassen können. Doch nachdem Rom einmal gesprochen hatte, Hess sich sein Wort nicht zurücknehmen, mochte es Damasus auch nach-

10 träglich bereuen. Und dazu hatte er allen Grund; denn sein Versuch, auch die orientalische Kirche unter seine Befehle zu beugen, nützte zunächst dem Gregorius mehr, als dass er ihm geschadet hätte. Nicht nur der Kaiser, unter dessen Augen die Synode tagte, stellte

15 sich auf seine Seite, sondern auch ihr geistlicher Leiter, Meletius von Antiochia. Hatte dieser doch sogar zwei- mal sein Bistum gewechselt und lag zudem auch aus anderen Gründen mit Damasus im Streite.

Er war zuerst in dem armenischen Sebastia, dann

ao iu dem syrischen Beroea Bischof gewesen, hatte an dem Concil von Seleucia teilgenommen und, als dieses sich dem Willen des Constantius unterwarf (IV S. 165), dem Beschlüsse zugestimmt. Gleich darauf im Jahre 360 wurde durch die Berufung des Eudoxius nach Constan-

25 tinopel der Stuhl von Antiochia erledigt, und für dieses wichtigste Bistum der orientalischen Diöcese wusste man keinen passenderen Kandidaten als Meletius. Zwar hatte er sich vorher zum Nicaenum bekannt; aber da er sich in Seleucia hatte bestimmen lassen, auch den

3o Andersgläubigen Toleranz zu erweisen, erschien er gerade darum besonders geeignet, eine Vermittlerrolle zu übernehmen, wie sie in Antiochia nötig war. Denn seit im Jahre 330 Eustathius hatte in die Verbannung gehn müssen (III S. 439), waren die Leiter der Ge-

10*

148 VI. Valentiuian uud seine Familie.

meinde Arianer gewesen; doch ein grosser Bruchteil der Bevölkerung, der an seinem abgesetzten Bischof festhielt, hatte sich immer von ihnen fern gehalten. Diese rechtgläubigen Schismatiker mit der herrschenden Kirche zu vereinigen, konnte am ehesten einem Manne 5 gelingen, der orthodox und zugleich tolerant war, namentlich wenn er durch Redegabe und asketisches Leben in so hohem Rufe stand, wie Meletius. An- fangs hatte er auch wirklich den Erwartungen ent- sprochen, die man von ihm gehegt hatte; seine Predigten 10 hatten die Unterscheidungslehren ganz aus dem Spiel gelassen und sich auf Ermahnungen zur Sittlichkeit beschränkt. Doch der Umgang mit den fanatischen Eustathianern scheint ihm das Gewissen geschärft zu haben; auch mochte er glauben, dass er jetzt fest genug im Sattel sitze, um etwas wagen zu dürfen. Jedenfalls trat er mit seineu orthodoxen Überzeugungen schroff hervor und wurde dafür von Constantius ver- bannt, um dem Arianer Euzoius Platz zu macheu. Nicht sehr lange darauf starb der Kaiser, und durch 20 das Toleranzedikt Julians wurde Meletius die Rückkehr gewährt. Aber noch ehe er in sein Bistum eingezogen war, gesellte sich den zwei Bischöfen, die es schon besass, noch ein dritter hinzu.

Schon von Alters her war die christliche Kirche 25 durch Bestrebungen gespalten, die ihr ohne jede Rück- sicht auf die tatsächlichen Zustände der bösen Welt die fleckenloseste Reinheit erhalten wollten. So hatten sich bei der Verfolgung des Decius die Novatianer von der Allgemeinheit getrennt, weil sie annahmen, dass jede schwere Sünde, die nach dem Taufbade begangen werde, unverzeihlich sei, namentlich aber weil sie diejenigen, welche unter dem Drucke der Staatsgewalt zum Heidentum abgefallen waren, für

4. Gratian und Theodosius. 14;>

immer von der Kirche ausschliessen wollten. Da die Bischöfe den Verhältnissen Rechnung- trugen und sich gegen die reuigen Sünder mild erwiesen, erklärten jene sie und ihre Gemeinden für befleckt, und zwar

5 haftete diese Uusauberkeit auch an allen, die mit ihnen Kirchengemeinschaft hielten oder gehalten hatten, und übertrug sich so untilgbar auf Kinder und Kindeskinder. Auf Grund dieser Anschauung bildeten die Novatianer „reine" Sondergemeinden, die sich zu der Zeit, von

10 der wir hier zu reden haben, schon mehr als ein Jahr- hundert behauptet hatten. Ganz ähnliche Grundsätze verfochten auch die Donatisten (III S. 374), und als dritte Sekte der „Reinen" hatten sich kürzlich die Luciferianer aufgetan. Auch Athanasius hielt die Be-

15 rühruug mit den Arianern für befleckend; Lucifer von Caralis aber, nach dem jene ihren Namen führten, ging noch weiter. Für ihn waren nicht nur diejenigen, welche mit den Ketzern Kirchengemeinschaft hielten, sondern auch wer sie jemals gehalten hatte, für alle

20 Zeiten unrein und zu geistlichen Ämtern unfähig. Dies Verdammungsurteil musste den Meletius treffen, weil er sich mit den Arianern nicht nur zeitweilig vertragen hatte, sondern sogar durch ihre Bischöfe eingesetzt war. Noch ehe er nach Antiochia zurück-

25 gekehrt war, erschien daher Lucifer hier mit einigen gesinnungstüchtigen Begleitern und weihte gegen ihn den Paulinus. Durch Valens war dann Meletius zum zweiten Mal verbannt worden (S.81), und seine Freunde, vor allen Basilius von Caesarea, hatten sich eifrig

30 bemüht, ihn auf seinen Bischofsitz zurückzuführen. Wie die Macedonianer in ihrem Widerstände gegen Valens auf die Hilfe Valentinians hofften und, um sie zu erlangen, die Fürsprache des Papstes in An- spruch nahmen, so geschah es auch in der Sache des

150 VI. Yalentinian uud seine Familie.

Meletius; doch Damasus zeigte sich spröde. Zwar hatte er mit den Luciferianern nichts gemein; schon dass er den römischen Gegenbischof Felix anerkannt hatte, der durch den Arianer Acacius geweiht war(S. 70. 71), musste ihn von jenen scheiden. Doch dass sie recht- 5 gläubig waren, konnte man nicht leugnen, und sich vom Kaiser eine schroffe Ablehnung zu holen, hatte der kluge Papst keine Lust. Er hielt es daher für besser, den Paulinus, der im tatsächlichen Besitz der Bischofswürde und zweifellos orthodox war, in aller io Form anzuerkennen, als für den verbannten Meletius einzutreten. Das bewirkte, dass dieser dem Damasus nicht sehr freundlich gesinnt, um so geneigter aber dem Gregorius war, weil dieser mit seinem Fürsprecher Basilius stets in engster Verbindung gestanden hatte. i?> Dies Verhältnis sollte für das Concil von Constantinopel entscheidend sein.

Als nach dem Tode des Valens Meletius in sein Bistum zurückkehrte, hatte Paulinus sich nach wie vor ihm ferngehalten. Doch das Volk, begeistert für den Mann, der schon zweimal das Martyrium einer Verbannung auf sich genommen hatte, erzwang eine Annäherung. Man kam überein, dass einstweilen beide Bischöfe sich vertragen sollten und, wenn der eine starb, keine Neuwahl für ihn stattfinde, so dass der -'• andere im Alleinbesitze der Würde bleibe. Um dies zu bekräftigen, wurde den sechs Geistlichen der Stadt, die für eine Neubesetzung des Stuhles in Betracht kommen konnten, vor allen einem gewissen Flaviauus, der Eid abgenommen, dass sie bei Lebzeiten eines :1° jener beiden jede Wahl zurückweisen würden. Zwar führte dies dazu, dass die starrsinnigsten Luciferiauer sich jetzt auch von Paulinus lossagten und ihre Gottes- dienste gesondert hielten: dies aber war nur ein kleines

4. Gratiaa and Theodosius. 1 ."> 1

Häuflein. Die grosse Mehrzahl der Gemeinde be- grüsste den Vertrag mit Freuden, und unter den Orthodoxen Antiochias schien die Eintracht hergestellt. Doch ein Streit, der lauge Jahre hindurch mit e hitziger Glaubenskraft von den Kanzeln herab aus- gefochten war, konnte durch diplomatische Verhand- lungen wohl aus der Öffentlichkeit, aber nicht aus dem inneren Empfinden der Beteiligten ganz getilgt werden. Ein stiller Gegensatz musste bestehn bleiben,

io und der Kaiser stellte sich auf die Seite des Meletius. Wie es scheint, Hess er sich bei den Einladungen zum Concil durch Gregor bestimmen; denn Bischöfe aus Ägypten, das an der Erhebung des Maximus schuld war, wurden anfangs nicht zugelassen. So

15 lud man denn auch aus Antiochia nicht den Paulinus, sondern nur den Meletius, und weil dieser als Patriarch des Orients der vornehmste unter den anwesenden Geistlichen war, wurde ihm in der Versammlung der Vorsitz übertragen. Uuter dieser Leitung beeiferte

20 man sich, den Brief des Damasus ganz geflissentlich unbeachtet zu lassen. Maximus wurde zwar abgesetzt, aber nicht wTeil er kynischer Philosoph war, sondern weil nicht thrakische Bischöfe ihn geweiht hatten. Denn man beschloss, dass die Geistlichkeit sich inner-

halb der Reichsdiöcese, der sie angehörte, zu halten habe und unaufgefordert niemals über die Grenzen derselben hinausgreifen dürfe. Da dies, wie alle Kanones, rückwirkende Kraft hatte, musste hiernach jede Priesterweihe ungiltig sein, die von ägyptischen

30 Bischöfen für Constantinopel vollzogen war. Dass man künftig auch zu Ungunsten Roms Konsequenzen daraus ziehn könne, wurde nicht ausgesprochen, lag aber nahe genug. Für den Kanon von Nicaea, den Damasus gegen Gregor geltend gemacht hatte, fand

]5'2 VI. Valentinian und .seine Familie.

Meletius die Interpretation, dass er sich nur gegen den Ehrgeiz der Bischöfe richte. Da sein Schützling von diesem bösen Laster zweifellos ganz frei sei und nur aus schöner Uneigennützigkeit die Wieder- aufrichtung der Orthodoxie in Constantinopel unter- 5 nommen habe, könne jene Bestimmung auf ihn keine Anwendung finden. Einer so plausiblen Erklärung, die auch den Beifall des Kaisers für sich hatte, stimmte das Concil natürlich zu, und Damasus zum Hohn wurde Gregor trotz des bescheidenen Sträubens, 10 durch das er den Mangel jeglichen Ehrgeizes sicht- barlichst demonstrierte, von Meletius zum Bischof der Hauptstadt geweiht (Ende Mai 381).

Da die arianischen Bischöfe, die Valens ein- gesetzt hatte, alle zu beseitigen waren, mussten für r> sie noch zahlreiche Ersatzwahlen stattfinden. Bei dieser Gelegenheit aber, wo jeder für seine Schütz- linge zu sorgen hatte oder auch selbst ein reicheres Bistum zu ergattern hoffte, ging die schöne Einigkeit, die vorher unter den frommen Vätern geherrscht -•<» hatte, völlig in die Brüche. Zum grossen Teil aus dem niederen Pöbel hervorgegangen, benahmen sie sich pöbelhaft. Ohne Rücksicht auf den heiligen Raum der Kirche, in dem sie ihre Sitzungen hielten, schrien sie sich gellend an und schimpften und 25 beschuldigten einer den andern. So war man schon in sehr gereizter Stimmung, als plötzlich Meletius erkrankte und starb und hierdurch mit der wichtigen Frage, was jetzt aus dem Patriarchat von Antiochia werden solle, ein neuer Zankapfel unter die gläubige 38 Schar geworfen wurde.

Freilich wäre für Männer, die nach heutigen Begriffen anständig dachten, von einer zweifelhaften Frage gar nicht die Bede gewesen; dass ein be-

4. Gratiau und Theodosius. 1 53

schworener Vertrag zu halten sei, hätten sie als selbst- verständlich betrachtet. Doch in jener tiefgesunkenen Zeit kam es auch geistlichen Herren auf einen kleinen Eidbruch nicht an. Und den Paulinus als alleinigen

5 Bischof von Antiochia anzuerkennen und ihm damit in der orientalischen Diöcese die höchste geistliche Macht einzuräumen, widersprach den Wünschen der grossen Mehrzahl aus mehr als einem Grunde. Zunächst war man sich dessen bewusst, im Kampfe gegen Koni

10 und den Westen zu stehn. Christus, so hob man hervor, hatte im Orient gelehrt und gelitten; wie die Sonne, so sei auch das Licht der Gnade der Welt von Osten gekommen, und dies bedeute einen viel höheren Anspruch, als das römische Bistum des Petrus

i"> gewähren könne. Dass der Papst die Kommunion des Meletius verschmäht und den Paulinus ihm vor- gezogen hatte, war also schon an sich ein Grund, diesem ein Bein zu stellen. Ausserdem aber gehörten die meisten Bischöfe zu denen, die sich dem Willen

30 des Constantius und dann des Valens furchtsam gefügt hatten, um erst nach dessen Tode reuevoll zur Ortho- doxie zurückzukehren; nach der Lehre der streugen Luciferianer von der Art des Paulinus waren sie daher Abtrünnige, mit denen er nie in Kirchengemeinschaft

25 treten konnte. Bei einigen soll auch das gute Geld des Flavianus, mit dem er nicht sparsam war, die Entscheidung gegeben haben. Jedenfalls wurde er an Stelle des Meletius gewählt und nahm trotz seines Eides die Wahl an. Doch ehe diese Entscheidung fiel, setzte es noch einen harten Kampf, bei dem kein Geringerer als Gregor nach heldenkühnem Ringen auf der Wahlstatt blieb.

Das Concil hatte beschlossen, dass sein neues Bistum im Range nur hinter dem römischen zurück-

30

1 ,")4 VI. Valentiuian und seiue Familie.

stehn solle; im Stillen mochte man hoffen, dass es an Macht selbst dieses überragen oder ihm doch die Wage halten werde. War doch Constantinopel Residenz eines Kaisers und gestattete so seinem Bischof, persönlich auf ihn einzuwirken, ein Vorzug, den Rom schmerz- 5 lieh vermisste. So ist denn auch kaum zu bezweifeln, dass nach dem Tode des Meletius der Vorsitz im Concil auf Gregor übertragen war. Doch obgleich dieser von Theodosius begünstigt wurde, stand seinem Ein- fluss ein anderer, vielleicht noch stärkerer gegenüber: 10 Acholius von Thessalonica hatte den Kaiser getauft und dadurch grosse Macht über ihn gewonnen. Aber obgleich die Diöcese Macedonien, in der sein Bistum lag, kürzlich dem Ostreiche hinzugefügt war, wurde sie kirchlich noch immer dem Occident zugerechnet. 15 und er selbst stand mit Damasus in engster Verbindung. Ohne diesen zu gewinnen, konnte also Gregor seiner Machtstellung noch nicht sicher sein. Wie er selbst vorgiebt, hatte er die WTahl für Constantinopel nur angenommen, um so besser zwischen dem Westen 20 und dem Osten vermitteln zu können; tatsächlich übernahm er wohl diese Vermittlerrolle, um dadurch seine neue Würde besser zu sichern. In diesem Sinne trat er der Wahl des Plavian zu Gunsten des Paulinus entgegen, weil er wusste, dass dies dem Damasus '-.-> genehm war. Damit aber enttäuschte er die Er- wartungen, die das Concil von ihm gehegt hatte: denn da er gegen die ausdrückliche Erklärung des Papstes gewählt war, hatte man geglaubt, in ihm einen Mann zu finden, der die Rechte des Orients gegen Rom 30 verteidigen, nicht sich diesem schwächlich unterwerfen werde. So stiess er denn auf erbitterten Widerstand, und gerade diejenigen, die er als seine Freunde be- trachtet hatte, weil sie gegen Damasus für ihn ein-

4. Gratian und l'lieoclosius. 1 .">.")

getreten waren, wurden jetzt seine heftigsten Gegner. Im Stolz auf seine rhetorische und theologische Bildung, die ihn hoch über die anderen Bischöfe des Concils erhob, meinte er, diese rohe Masse leicht mit sich

r> fortreissen zu können. Aber dass er diese l'ber- legenheit so hochmütig zur Schau trug, erbitterte und verstockte sie gegen ihn. Nach dem alten Grundsatz des Christentums, die Rhetorik zu verachten (IV S. 199), nannte mau seine Kunst eine buhlerische und erinnerte

io daran, dass die Apostel Fischer und Zöllner gewesen seien. Da er trotzdem in seiner hohen Stellung als Vorsitzender des Concils seine Sache durchfechten zu können meinte, nahm er den Kampf mit der ihm eigenen Hitze auf und Hess sich in seinem Eifer sogar

15 dazu hinreissen, mit seiner Abdankung zu drohen, wenn man ihm nicht den Willen tue. Diese Un- vorsichtigkeit sollte für ihn die üble Folge haben, dass man ihn sehr bald beim Worte nahm.

Um seinen Willen durchzusetzen, berief er Acholius

20 und Timotheus, den Bruder und Nachfolger des Petrus von Alexandria, nach Constantinopel, weil beide er- klärte Anhänger des Damasus waren. Doch indem sie dagegen stritten, dass dem Meletius ein Nachfolger bestellt werde, musste auch die Frage aufgeworfen

25 werden, ob jener selbst rechtmässiger Bischof gewesen sei, und damit kam mau auf jenen bösen Kanon des nicaenischen Concils, durch den auch Gregor getroffen wurde. Freilich beabsichtigten sie nicht, ihm damit zu schaden; doch versteht es sich von selbst, dass,

30 was sie gegen Meletius anführten, von den Gegnern auch gegen Gregor ausgebeutet wurde. Da spielte dieser seinen letzten Trumpf aus, indem er seine Drohung wahr machte und erklärte, den Episkopat von Constantinopel niederzulegen. Ohne Zweifel er-

15(j VT. Valentinian und seine Familie.

wartete er, dass man ihn dringend bitten werde zu bleiben und dann auch alle seine Wünsche erfüllen werde; denn ein anderer Kandidat, den man ernsthaft hätte nehmen können, war zur Zeit nicht vorhanden. Doch zu seinem lebhaften Ärger nahm man seine % Abdankung ohne Zögern an. So war er denn sein schönes Bistum los. Er nahm in einer Rede davon Abschied, in der er wacker auf seine lieben Kollegen und das Volk von Constantinopel schimpfte und seine eigenen Verdienste keineswegs in Dunkel hüllte. Später io fühlte er sich dann noch gemässigt, sein Unglück in Versen zu besingen, die unglaublich schlecht sind, uns Profanen aber ein höchst ergötzliches Bild davon ge- währen, wie der heilige Geist über diesem ökumenischen Concil gewaltet hat. 15

So wurde denn nicht nur Flavian gewählt, sondern auch der Thron von Constantinopel war neu zu besetzen. Von den anwesenden Bischöfen war keiner wählbar, weil allen jener üble Kanon von Nicaea im Wege stand; dafür aber wollte jeder einen seiner Schützlinge 20 zu dieser wichtigen Stellung befördern, und jeder ver- lästerte natürlich den Kandidaten des andern. Da sah sich Theodosius veranlasst, persönlich einzugreifen. Er liess sich durch Flavian, der, wie es scheint, als Patriarch des Orients jetzt den Vorsitz führte, die Liste 2? der Vorgeschlagenen einreichen, und als er die lange Reihe durchsah, blieb sein Blick auf dem Namen haften, der an allerletzter Stelle stand. Denn vermutlich war dies der einzige, den man noch nicht mit Schmutz beworfen hatte, weil er in den Sitzungen des Concils '•* gar nicht genannt worden war.

Nectarius aus Tarsus war Senator von Constan- tinopel und hatte hier eben der kostspieligen Pflicht genügt, als Praetor die Spiele auszurichten, die zu

4. Gratian and Tlieodosius. 157

jener Zeit fast die einzige Obliegenheit dieses Amtes bildeten. Ehe er wieder abreiste, besuchte er den Bischof seiner Heimatstadt Diodor, um ihn zu fragen, ob er Briefe nach Hause zu bestellen habe. Demi

5 weil die kaiserliche Post sich der privaten Korrespondenz versagte, erwies damals jeder, der eine Reise antrat, seinen Freunden die Gefälligkeit, ihnen als Briefbote zu dienen. Da die ehrwürdige Erscheinung des grau- haarigen Mannes dem Diodor auffiel und es ihm sehr

10 erwünscht sein musste, ein treues Mitglied seiner Ge- meinde auf dem Throne von Coustantinopel zu sehn, wandte er sich an Flavian mit der Bitte, den Nectarius in sein Verzeichnis aufzunehmen. Er selbst hatte jenen zum Bischof von Antiochia geweiht und durfte daher

auf seine Dankbarkeit rechnen; und ihm jenen kleinen Gefallen zu erweisen, schien um so unbedenklicher, als die Kandidatur eines Laien, der noch nicht einmal die Taufe empfangen hatte, kaum ernsthaft zu nehmen war. Doch als der Kaiser ihn vorschlug, wählte man

20 ihn einstimmig. Denn eben weil er zu keiner der geistlichen Cliquen gehörte, hatte auch keine gegen ihn etwas einzuwenden, und jeder Bischof mochte sich freuen, dass, wenn er seinen Kadidaten nicht durch- bringen konnte, doch auch die seiner lieben Kollegen

25 leer abziehen mussten. Und da im Volke den Circus- kutschern und Schauspielerinnen Arianer und Ortho- doxe mit der gleichen Begeisterung zujauchzten, durfte man erwarten, dass ein Praetor, der nicht zu sparsam gewesen war, auch als Bischof bei

beiden Parteien populär sein werde. Und wirk- lich begrüsste ihn der Pöbel von Constantinopel mit heller Freude; viel kühler aber wurde seine Wahl von Damasus und der Geistlichkeit des Westens auf- genommen.

],r,,S VI. Valentiniau und seine Familie.

Hatte das Concil von Constantinopel, obgleich es sich ein ökumenisches nannte, doch nur 150 Bischöfe vereinigt, so fiel die Versammlung, die ihm im Occident entsprechen sollte, durch die Schuld des Ambrosius von Mailand noch dürftiger aus. In Sirmium war 5 Gratian mit zwei arianischen Bischöfen zusammen- getroffen, die in den benachbarten Provinzen zu Hause waren, Palladius von Ilatiara und Secundianus aus Moesien. Sie hatten ihm zugesagt, sich in Aquileja den Orthodoxen zu einer Disputation zu stellen, und 10 dafür von ihm das Versprechen empfangen, dass auch orientalische Bischöfe, unter denen sie Parteigenossen zu finden erwarteten, dazu eingeladen werden sollten. Doch nachdem er sich mit Ambrosius beredet hatte, meinte er seinem Kaiserwort genug zu tun, wenn er 15 durch einen Brief seines Praefecten erklären Hess, dass auch Orientalen kommen könnten, wenn sie wollten; es wollte aber keiner. Wirklich eingeladen wurden nur 33 Orthodoxe, auf die sich Ambrosius fest verlassen konnte, zwei Drittel davon aus Italien. Nur um dem 20 Concil doch etwas von seinem ökumenischen Charakter zu wahren, wurden einzelne Bischöfe aus Gallien, Pannonien und Africa zugelassen; durch sie, so fingierte man, sei auch die Geistlichkeit dieser Länder und folglich der ganze Occident vollgiltig vertreten. Auf 25 diese Weise sahen sich Palladius und Secundianus, die ihr Wort besser hielten als der Kaiser, auf dem Concil nur Feinden gegenüher und wollten sich daher anfangs auf gar keine Disputation einlassen. Doch geschickt wusste man sie zum Reden zu bringen und 3" führte dann die Verhandlungen mit derselben Unehr- lichkeit, wie sie eingeleitet waren. Zwar wurden in das Protokoll, dass uns noch erhalten ist, fast nur die Ausführungen ihrer Gegner aufgenommen; von ihnen

4. Gratiaa und Theodosius. 159

selbst verzeichnete es nicht viel mehr als ein paar Schlagworte, die möglichst belastend für sie waren. Vergebens forderten sie immer wieder, dass auch von ihnen gewählte Schreiber an der Führung des Protokolls

5 teilnehmen sollten; liess man doch nicht einmal arianische Laien, die über den Verlauf der Disputation hätten Zeugnis ablegen können, als Hörer zu. Doch trotz ihre Verstümmelung lassen die Verhandlungen deutlich erkennen, wie man sich jedem Versuch der Annäherung,

io jedem vernünftigen Grunde absichtlich verschluss und

nur darauf drängte, die Gegner verurteilen zu können.

Ambrosius hatte das Zusammentreten der Synode

von Aquileja bis zum 3. September 381 verschleppt,

wahrscheinlich um abzuwarten, welche Beschlüsse man

ir> in Constantinopel fassen werde, und danach seine Maass- regeln treffen zu können. Wenn man sich dort zum Xicaenum bekannt hatte, so war das natürlich ganz in seinem Sinne; viel weniger aber, dass man sich bei der Besetzung wichtiger Bischofsthroue um Rom und den

20 Westen gar nicht gekümmert hatte. Dass er den neuen Bischof von Antiochia nicht anerkannte, ver- steht sich von selbst; doch auch in Constantinopel wünschte er die Hand im Spiele zu haben. Die Wahl des Nectarius deshalb anzufechten, weil er zur Zeit

-' derselben noch ungetaufter Laie gewesen war, ging nicht an ; denn Ambrosius selbst war in dem gleichen Falle gewesen. Brauchte man einen Grund, so konnte es nur der sein, dass der Bischofsthron schon vorher besetzt gewesen war; man sah sich also ge-

" zwungen, die Weihe des Maximus gelten zu lassen, wenn man die des Nectarius vernichten wollte. Zwar hatte Damasus jene früher verworfen; jetzt aber war der ehemalige Kyniker nach Aquileja gekommen und hatte dem Concil Briefe des jüngst verstorbenen Petrus

]iiO VI. Valentinian und seiue Familie.

vorgelegt, die seiner Rechtgläubigkeit das glänzendste Zeugnis ausstellten. Auch bei Gratian in Mailand war er gewesen, um diesem eine Schrift owen die Arianer zu überreichen und durch diesen augenfälligen Beweis seiner Orthodoxie die Fürsprache des jungen 5 Kaisers zu gewinnen. Und schon dass er sich Rom unterwarf, indem er die Hilfe des Westens anrief, war Grund genug, sie ihm zu gewähren. So schrieb denn Ambrosius im Namen des Concils von Aquileja an Theodosius und stellte die Forderung, dass Flavian 10 zu Gunsten des Paulinus, Nectarius zu Gunsten des Maximus, nachdem man sie kaum gewählt hatte, wieder abgesetzt werden sollten. Wolle er dies nicht be- willigen, so müsse ein wirklich ökumenisches Concil in Rom, zu dem die Bischöfe beider Reichshälften zu 15 vereinigen seien, die Entscheidung geben.

Solange Ambrosius hatte fürchten müssen, dass die Arianer in den Orientalen eine Stütze fänden, hatte er behauptet, es sei altgeheiligter Brauch, dass Osten und Westen sich abgesondert berieten (S. 145). 20 Jetzt verlangte er ihre Vereinigung und zwar in Rom. Denn da die Strassen noch immer durch die Gothen unsicher gemacht wurden und vor weiten Seereisen damals jeder Scheu trug, konnte er mit Sicherheit darauf rechnen, dass nur sehr wenige ganz waghalsige 25 Bischöfe aus dem Orient dort erscheinen und folglich die grosse Majorität auf seiten der Occidentalen sein werde. Doch wo es sich um Persouenfrageu handelte, war man im östlichen Reichsteil am wenigsten bereit, sich der Entscheidung des Papstes zu unterwerfen, :!<> und auch Theodosius war entschlossen, den Nectarius, dessen Wahl er ja selbst herbeigeführt hatte, gegeu die Anmaassung des Westens zu verteidigen. Er lies.s das ökumenische Concil nur in dem Sinne zusammen-

4. Gratian und Theodosius. li;i

treten, wie Ambrosius das früher selbst als kirchliche Tradition bezeichnet hatte; d. h. gegen Ende des Sommers 382 tagten gleichzeitig die Bischöfe beider Reichshälften, aber die orientalischen in Constantinopel, .') die occidentalischen in Rom. Hierher kam aus dem Osten einzig Paulinus von Antiochia in Begleitung des Epiphanius von Salamis, offenbar weil die Ab- setzung seines Gegenbischofs Flavian sich nur durch die Bischöfe des Westens erreichen Hess. Vergebens

10 luden diese die am Bosporus versammelten Kollegen ein, nach Rom zu fahren und sich mit ihnen zu ver- einigen. Selbst dass sie diese Aufforderung durch einen Befehl des Kaisers Gratian bekräftigen liessen, blieb wirkungslos. Man antwortete ihnen sehr ver-

bindlich, aber auch sehr entschieden, dass man zwar in allen Glaubensfragen mit ihnen übereinstimme, aber von den vollzogenen Bischofswahlen nicht ab- gehen könne und nicht in der Lage sei, auf ihren Ruf die weite Reise zu unternehmen.

20 So blieb der Gegensatz zu Rom bestehen, und

was ernster war als jenes erbärmliche Gezänk über die Bischofsthrone, er rief auch eine Spannung zwischen den Kaisern hervor. Schon im Jahre 376 hatte Gratian verfügt, dass über die Priester des ganzen Reiches

25 der Papst mit Zuziehung anderer Bischöfe urteilen solle. Unmittelbar vor der Thronbesteigung des Theo- dosius hatte er jene Bestimmung in der Form erneuert, dass gewöhnliche Bischöfe durch den Metropoliten ihrer Provinz, die Metropoliten selbst entweder in Rom

38 durch den Papst oder durch Richter, die dieser zu bestimmen habe, abgeurteilt werden sollten. Wenn also Xectarius und Flavian sich weigerten, der Vor- ladung des römischen Concils Folge zu leisten, so ver- gingen sie sich gegen ein kaiserliches Gesetz, und

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 11

]i;-j VI. Valentinian und seine Familie.

dass Theodosius sie dabei unterstützte, war eine Auf- lehnung gegen den, der ihn auf den Thron erhoben hatte und kraft seiner älteren Herrscherrechte Ge- horsam von ihm beanspruchen durfte.

In seinem ersten Ketzergesetze hatte er Damasus 5 als denjenigen anerkannt, der über die Rechtgläubig- keit der Geistlichen zu entscheiden habe, aber schon in dem Bestreben, die Selbständigkeit seines Reichs- teils zu wahren, ihm Petrus von Alexandria als gleich- berechtigte Autorität an die Seite gestellt, so dass 10 auch für den Osten eine Art von Papsttum geschaffen wurde (S. 138). Freilich bewährte es sich nicht; als die hinterlistige Usurpation des Kynikers Maximus durch Petrus unterstützt oder gar veranlasst wurde, wandte sich der Kaiser in seiner ehrlichen Entrüstung 15 von ihm ab. Doch auch Damasus bekämpfte zuerst Gregor und dann Xectarius, die Theodosius schätzte und deren Wahl er selbst veranlasst hatte, und auch bei dem Kaiser, wie bei den meisten Christen jener Zeit, wogen persönliche Rücksichten schwerer als 20 Principien. So erliess er denn schon gleich nach dem ersten Concil von Constantinopel am 30. Juli 381 ein Gesetz, wonach diejenigen, die mit Xec- tarius und einigen anderen Bischöfen des Orients in Kommunion ständen, als rechtgläubig gelten sollten; 25 die Kommunion mit Damasus wurde nicht mehr verlangt, ja als dieser die Kirchengemeinschaft des Xectarius später zurückwies, trat er nach jenem Gesetze damit selbst, wenn nicht unter die Ketzer, so doch unter die Schismatiker ein. So hatte Theo- ;" dosius zwar nicht mit ausdrücklichen Worten, wohl aber tatsächlich, das widerrufen, was kaum andert- halb Jahre früher durch sein erstes Ketzergesetz be- stimmt worden war.

4. Gratian and Theodosius. liio

Doch dass er recht getan hatte, wurde dem Kaiser, wie er nach den Anschauungen seiner Zeit meinen nnisste, sehr bald unzweideutig bewiesen: denn ganz augenscheinlich belohnte ihn Gott für seine Kirchen-

5 politik. Im Sommer 382 tagte jenes zweite Concil von Constantinopel, das die Ansprüche des römischen so entschieden zurückwies, und schon wenige Wochen später, am 3. Oktober desselben Jahres, gelang- es dem Feldherrn Saturninus, auch mit den Gothen des

to Fritigern einen Vertrag abzuschliessen, durch den sie sich zu friedlicher Ansiedlung bequemten und ihre Waffen dem Kaiser zur Verfügung stellten. Dieser gewann damit eine Heeresmacht, wie sie der östliche Reichsteil noch nie besessen hatte, nur dass man

15 freilich nicht wissen konnte, ob sie ihm treu bleiben oder sich gegen ihn selbst wenden werde.

So ging er denn sehr bald noch weiter. Ohne Zweifel war ihm das Protokoll von Aquileja zugestellt worden, und da seine Augen zu jener Zeit nicht durch

20 Vorliebe für Ambrosius geblendet waren, konnte es ihm nicht entgehen, wie ungerecht man gegen die Arianer verfahren war. Auch diese Sünde der Occiden- talen wollte er in seinem Reichsteil gutmachen. Hatte er zu seinen früheren Concilieu nur die Orthodoxen

25 eingeladen, so versammelte er im Juni 383 alle Sekten zu freier Disputation. Wenn so endgiltig festgestellt wurde, was der allein richtige Glaube sei, kamen vielleicht auch die Volksaufstände zur Ruhe, die in vielen Städten die Überweisung der Kirchen an die

30 rechtgläubige Geistlichkeit hervorgerufen hatte. In dem Gesetz vom 30. Juli 381 hatte er für jede Reichsdiöcese einzelne Bischöfe benannt, die durch Zulassung zu ihrer Kommunion oder Verweigerung derselben frei bestimmen sollten, wer als rechtgläubig zu betrachten

11*

164 VI. Valentinian uud seiue Familie.

sei oder nicht. Damit war ihnen ein so unbeschränktes Absetzungsrecht gegen ihre Kollegen eingeräumt, dass es sehr leicht missbraucht werden konnte und ohne Zweifel auch missbraucht worden ist. Theodosius mochte die Vertrauensseligkeit bereuen, mit der er 5 nach seiner sanguinischen Art wenigen Bischöfen eine so übertriebene Machtbefugnis gewährt hatte, uud wollte jetzt selbst entscheiden.

Ganz frei war allerdings auch bei dem Concil von 383 die Debatte nicht. Die Frage wurde nicht 10 so gestellt, wTelche Lehre an sich die besten Gründe habe, sondern welche am besten der Tradition der Väter entspreche. Da nuu die Ketzereien meist auf einer Auslegung der Bibel beruhten, die erst kürzlich aufgetaucht war, hatten ihre Vertreter einen schweren 15 Stand. Natürlich wollten sie trotzdem sich nicht er- geben; der Kaiser wurde ungeduldig und beschloss. den Knoten, den er nicht lösen konnte, kurzweg zu zerhauen. Er beschied die Führer der Sekten zu sich und Hess sich von ihnen ihre Glaubensbekenntnisse 20 übergeben. Dann zog er sich zurück und betete in der Einsamkeit, dass ihn der Herr zu seiner Ent- scheidung erleuchten möge. Da eine solche Bitte natürlich erhört werden musste, glaubte er jetzt nicht mehr irren zu können uud zerriss alle jene Bekenntnis- -"> Schriften mit Ausnahme der orthodoxen. Bald darauf erliess er ein neues Ketzergesetz, dass die früheren noch verschärfte. Von dem Papst in Rom hatte er sich losgesagt, war aber kraft der göttlichen Er- leuchtung, die seine Gebete ihm spendeten, selbst " zum unfehlbaren Papst geworden.

Natürlich konnte auch auf diesem Concil die Bischofsfrage nicht ganz unerörtert bleiben, und nach dem Vorgange des Westens verweigerte jetzt auch

4. Gratian und Theodosius. 165

Ägypten dem Flavian von Antiochia die Kirchen- gemeinschaft. Aber wieder bewiess das unmittelbare Eingreifen der göttlichen Macht, dass Theodosius Hecht hatte. Denn gerade in den Läuderu, die sich

5 ihm widersetzten, Ägypten und Italien, traten schwere .Missernten ein, und da auch Africa von dem gleichen Unheil betroffen wurde, blieb in Rom die auswärtige Zufuhr aus. Die Stadt, die der böse Damasus be- herrschte, wurde von einer so schweren Hungersnot

in heimgesucht, dass man, um die Zahl der fressenden Manier zu vermindern, alle Fremden austrieb. Und zu derselben Zeit traf auch Gratian, der um des herrschsüchtigen Westens willen sich mit Theodosius veruneinigt hatte, die verdiente Strafe.

Soweit es nicht kirchliche Streitigkeiten galt,

in die einzugreifen ihn Ambrosius veranlasste, hatte sich der Jüngling um die Regierungsgeschäfte wenig gekümmert. Neben seiner Religion interessierte ihn nur der Sport, vor allem das Pfeilschiessen. Er liess

20 sich in Massen wilde Tiere herbeischaffen, um sie dann im umzäunten Raum als Zielscheiben zu be- nutzen, und bewunderte die Alanen, weil sie als Bogenschützen vollendete Meister waren, in dem Grade, dass er sich nicht selten in ihrer barbarischen

2:< Tracht sehen Hess. Für schweres Geld hatte er eine Schar von ihnen angeworben, bewegte sich immer in ihrer Mitte, überhäufte sie mit Geschenken und kümmerte sich wenig um die anderen Soldaten seines Heeres. Dass Barbaren, die sich noch kaum über

30 die niedrigste Stufe der Wildheit erhoben hatten, so vor ihnen bevorzugt wurden, erbitterte alle Truppen, und im Sommer 383 kam in Brittaunien ihr Zorn gegen den jungen Kaiser zum Ausbruch. Hier be- fehligte Magnus Maximus, ein Bastard, der durch die

16G VI. Valentinian und seine Familie.

Guust des älteren Theodosius und später wohl auch seines kaiserlichen Sohnes im Kriegsdienst empor- gekommen war. Nachdem er sich durch einen Sieg über die Picten und Scoten den Soldaten empfohlen hatte, bekleideten sie ihn mit dem Purpur, und als- 5 bald setzte er nach Gallien über, um sich sein Reich von Gratian zu erkämpfen.

Schon Anfang 381 hatte der junge Kaiser seiue frühere Residenz Trier dauernd verlassen und war zu seinem kleinen Bruder nach Mailand übergesiedelt. 10 wo er unter dem steten Einfluss des Ambrosius blieb. Im Sommer 382, während des zweiten Concils von Constantinopel, als der kirchliche Konflikt auf seiner Höhe stand, reiste er dann nach Viminacium an der Donau, wahrscheinlich um dort, an der Grenze beider i~> Reichsteile, mit Theodosius zusammenzutreffen und ihn durch persönliche Überredung zum Nachgeben zu bewegen. Gleichzeitig designierte er ihn, um ihm dadurch seine versöhnliche Gesinnung zu zeigen, zum Consuln für das folgende Jahr. Aber Theodosius 20 kam nicht nach Yiminacium und nahm auch das Consulat nicht an, sondern übertrug es auf Saturninus, um ihn dafür zu belohnen, dass er die Gotheu zu einem Vertrage veranlasst hatte (S. 163). Dies Zurück- weisen einer hochgeschätzten Ehre, die .sein junger -"• Mitregent ihm zugedacht hatte, hätte unter anderen Verhältnissen vielleicht ganz unschuldig sein können; da es aber fast unmittelbar auf die Absage folgte, die sein Concil dem Westen übersandt hatte, musste Gratian darin absichtliche Beleidigung; sehen. Und ;" gleich darauf die Berufung des neuen Concils, in dem alle ketzerischen Sekten zu Worte kommen sollten, war jedenfalls auch nicht im Sinne des Ambrosius, woraus sich von selbst ergibt, dass sie

4. Gratian und Theodosius. 167

auch Gratian zuwider sein musste. So standen die beiden Kaiser im schroffsten Gegensatze, als der Aufstand in Brittannien ausbrach und gleich auch nach Gallien hinübergriff.

Kurz vorher war Gratian in Mailand gewesen und dann nach Padua gezogen, vielleicht um noch- mals die julischen Alpen zu überschreiten und eine persönliche Zusammenkunft mit Theodosius herbei- zuführen. Da erreichte ihn die Nachricht, dass die

10 Alamannen in Raetien eingefallen waren, und eiligst kehrte er bis nach Verona zurück, um von dort über die Brennerstrasse gegen den Feind an die Donau zu ziehen. Hier empfing er die neue Hiobspost von der Usurpation des Maximus. Er zog ihm bis Paris

15 entgegen, wo die Heere fünf Tage sich gegenüber lagerten, durch leichte Scharmützel den Kampf vor- bereitend. Diese Zeit genügte für Maximus, um unter den Truppen Gratians, die längst mit ihrem Kaiser unzufrieden waren, Verbindungen anzuknüpfen. Als

20 er unter dem älteren Theodosius in Africa diente, hatte er, wie es scheint, die maurischen Reiter, die ihm jetzt gegenüberstanden, befehligt und bei ihnen ein gutes Andenken hinterlassen. Jedenfalls waren sie die ersten, die zu ihm abfielen, und bald folgte

25 der grösste Teil der übrigen Truppen unter Führung des Feldherrn Merobaudes ihrem Beispiel. Nur von drei- hundert Reitern begleitet, wahrscheinlich seineu ge- liebten Alanen, floh Gratian den Alpen zu. Andra- gathius, den er selbst zum Dux eruaunt hatte, der

**» aber trotzdem dem Maximus zugefallen war, wurde mit einer Reiterschar zu seiner Verfolgung ausgeschickt und erreichte ihn, als er bei Lyon eben die Rhone überschreiten wollte. Die gallischen Städte, die der junge Kaiser auf seiner Flucht berührt hatte, hatten

168 VI, Valentinian und seine Familie.

ihre Tore vor ihm verschlossen. Da er mit Schrecken gesehn hatte, wie wenige Anhänger er besass, ver- zweifelte er an weiterem Kampfe und übergab sich dem Andragathius als Gefangenen. Er war unge- fährlich genug, um sein Leben zu schonen. Maximus hatte daher den Befehl gegeben, ihn nur des Purpurs zu entkleiden und lebendig an Theodosius auszu- liefern; der Dux aber meinte, den Thron seines neuen Herrschers besser zu sichern, wenn er seinen Auftrag überschritt und Gratian ganz aus dem Wege i<> schaffte. Er lud ihn an seine Tafel, und als jener zauderte zu kommen, verbürgte er sich eidlich für seine Sicherheit. Um ihn mit eitlen Hoffnungen zu erfüllen, wurde ihm sogar sein Purpurmantel wieder- gegeben. Doch als er, von der Leibwache seiner 15 Alanen getrennt, im Hause des Andragathius war, stiess dieser ihn nieder (25. August 383).

Dem Leichnam wurde der Kopf abgehauen und auf einer Stange durch die Provinzen getragen, wie man das bei getöteten Usurpatoren zu tun pflegte, 20 um ihren noch übrigen Anhängern jede Hoffnung zu rauben; doch Maximus gebot dem Einhalt. Theodosius beklagte den Tod des unbedeutenden Jüngling; doch an seiner Entthronung dürfte er kaum unbeteiligt ge- wesen sein. Denn Maximus hatte seinen Vater bei 25 dessen Feldzügen begleitet, war ihm selbst Kriegs- kamerad gewesen und mit seiner Familie verschwägert. Dass er sich der Gunst des Theodosius rühmen konnte, hatte nicht am wenigsten dazu beigetragen, dass Feld- herren und Heere Gratians zu ihm abfielen. Denn 30 Maximus hatte ihnen gegenüber behauptet, dass jener seine Usurpation billige, und dass dies keine Lüge war, ist um so wahrscheinlicher, als die beiden Kaiser zu eben jener Zeit über das Wichtigste, was es für

i. Gratian und Theodosius. 1 69

sie gab, die Verwaltung der Kirche, in heftigem Streite lagen. Freilich stand dem entgegen, dass der Usurpator selbst vorgab, wider seinen eigenen Willen dem Zwange seines Heeres nachgegeben zu haben, als er den Purpur empfing. Wäre dies richtig, so hätte seine Erhebung freilich nicht durch Theodosius veranlasst sein können. Aber in dieser Zeit, in der die Demut für eine der höchsten Tugenden galt, gehörte es fast zum guten Ton, sich zur Annahme jeder hohen Würde zwingen zu lassen. Wie bei der Besetzung der Bischofsthrone die Erwählten sich meist in erheuchelter Bescheiden- heit zu sträuben pflegten (S. 152), so ist auch nicht nur von Constantin und Julian, sondern auch von Valentinian und Theodosius überliefert, dass sie die Wahl der Soldaten anfangs nicht annehmen wollten, und ebenso haben es wohl auch sehr viele andere Kaiser gemacht, nur dass unsere Quellen verschmähen, dessen Er- wähnung zu tun. Ob diese Ablehnungen ernst ge- meint oder nur hergebrachte Komödien waren, lässt sich einzig aus den sonstigen Umständen der be- treffenden Kaiserwahl erschliessen, die uns bei Maximus leider unbekannt sind. Jedenfalls musste Theodosius daran liegen, den unreifen Jüngling los zu werden, der seine Kirchenpolitik bekämpfte und ihm dabei mit der Autorität des älteren Augustus entgegentreten konnte, und zudem mochte er glauben, dass er ihm mit der Krone etwas raube, worauf Gratian selbst kaum sehr hohen Wert legen könne. Denn um die Regierung hatte sich dieser ja immer nur sehr wider- willig gekümmert, und sich mit seinen Alanen im Bogenschiessen zu üben, blieb ihm ja auch im Privat- leben nicht verwehrt. Trotzdem war es schwere Un- dankbarkeit, wenn Theodosius deu der Herrschaft be- raubte, der sie ihm selbst aus freiem Willen geschenkt

170 VI. Yalentinian und seine Familie.

hatte, und das um so mehr, als er wissen musste, dass ein abgesetzter Kaiser nicht leicht mit dem Leben davonkam. Ob wir ihn dessen fähig glauben dürfen, darüber kann nur die Prüfung seines gesamten Cha- rakters entscheiden. 5

Die Kirche hat Theodosius mit dem Beinamen des Grossen geschmückt, und weil dieser einmal her- gebracht ist, mag er ihm bleiben. Doch wer nach modernen Begriffen urteilt, wird ihm keine Eigenschaft weniger zuschreiben, als was wir Grösse nennen. Denn 10 nach keiner Richtung hin hat er sich über seine Zeit- genossen erhoben; er ist tief in einer schwachen Mensch- lichkeit stecken geblieben, die von höchst gefährlicher Art war, aber einer gewissen Liebenswürdigkeit doch nicht entbehrte. Zwar was wir als menschlich im i~> engeren Sinne bezeichnen, war er keineswegs. Im Kriegslager seines grausamen Vaters aufgewachsen und von Jugend auf an den Anblick von Tod und Marter gewöhnt, konnte er Blut vergiessen wie Wasser. Wie er in Thessalonica Tausende hinmetzeln Hess, ist 20 allbekannt, und schon ehe er diese grause Schlächterei befohlen hatte, wusste man im ganzen Reiche, dass? wenn sein leicht erregter Jähzorn aufwallte, seine rohe Soldatennatur zu dem Schrecklichsten fähig war. Packte ihn die Wut, so wagten selbst seine Frau und seine 25 Kinder sich nicht in seine Nähe. Als im Januar 387 die Antiochener, durch seine harten Steuerforderungen aufgeregt, die Statuen der Kaisers und seiner Familie umgestürzt und geschändet hatten, erwartete man nichts Geringeres, als dass er die glänzende Stadt zerstören ;>,() und ihre Einwohner abschlachten werde. Tausende Hohen aufs Land hinaus oder verkrochen sich gar in den Höhlen des Gebirges, und die Zurückgebliebenen harrten mit Furcht und Zittern, welches Unheil ein

4. Gratian and Theodosius. ] 7 1

paar Stunden unbesonnener Volkswut über sie herauf- beschworen hätten. Doch als der greise Bischof Flavian nach Constantinopel reiste und dem Kaiser demütig flehend die Pflicht christlicher Milde ans Herz legte, f. da blieb die Stadt gänzlich unbestraft. Und derselbe Mann, von dessen Zorn man mit gutem Grunde die blutige Ausrottung ganzer Stadtbevölkerungen erwarten konnte, hat in den ersten zwei Jahren seiner Re»ieruno; kein Todesurteil vollstrecken lassen und auch später

10 so manches Mal gegen überführte Verbrecher Gnade geübt, ja einmal sogar schriftlich sein Bedauern aus- gesprochen, dass er die Hingerichteten nicht wieder zum Leben erwecken könne. Auch bemühte er sich redlich, seine plötzlich aufflammende Hitze zu unter-

15 drücken, ja dass er in Zorn geraten war, wurde für ihn nicht selten der Grund, zur Sühne seines eigenen Fehlers dem Sünder zu vergeben. Sprach man ihm gütlich zu, so Hess sein bestimmbarer Sinn sich zur Milde wenden; ebenso leicht aber konnte man ihn auch

20 zu noch wilderem Grimme aufhetzen. Er wrar eben wie ein Tiger, der, mühsam gezähmt, sich streicheln und sogar schlagen lässt, bei dem man aber niemals wissen kann, ob nicht die angestammte Wut einmal grässlich hervorbricht.

25 Im Christentum erzogen, erkannte er dessen mildes

Sittengesetz an und wäre ihm gerne gefolgt, wenn seine Selbstbeherrschung im Stande gewesen wäre, seine rohen Instinkte immer zu zügeln. Es war der echt menschliche Widerspruch zwischen Kraft und

30 Willen, der ihn hin- und herschwankeu liess zwischen schwächlicher Barmherzigkeit und wilder Grausamkeit, die im Grunde auch nur ein Ausfluss der Schwäche war. Freilich wird er sich das kaum eingestanden und sicher auch Gründe gefunden haben, um vor

172 VI. Yalentiniau und seine Familie.

sich selbst zu rechtfertigen, wenn er von einem Extrem ins andere übersprang. Denn war er zu milde ge- wesen und wurden dadurch, wie sich von selbst ver- steht, die Verbrechen nicht ausgetilgt, so fiel es ihm nicht schwer, sich einzureden, dass er berechtigt und 5 verpflichtet sei, umso härter vorzugehn. Aber dass er seine Inkonsequenz im Stillen denn doch als Mangel empfand, geht aus der hohen Achtung hervor, die er der starren Konsequenz, wo sie ihm entgegentrat, immer bewiesen hat. So hart er jede Ketzerei be- 10 kämpfte, so sehr ihm die Einheit der Kirche am Herzen lag, niemals ist er doch gegen die Schismatiker ein- geschritten, die sich von ihr getrennt hatten, weil sie das Princip der Reinheit mit gar zu harter Strenge festhielten. Die Novatianer und die Luciferianer hat 15 er entschieden begünstigt, und selbst den Donatisten trat er nicht entgegen, als er auch im Occident das entscheidende Wort zu sprechen hatte. Es war das die Huldigung, die seine Schwäche der grundsätzlichen Festigkeit, auch wenn sie missleitet und übertrieben 20 war, doch nicht versagen konnte.

Theodosius war ein Mann von hohem Wuchs und grosser Schönheit; im Verkehr war er von bestechender Freundlichkeit; doch besass er nicht jenen Herrscher- blick, der die Menschen durchdringt und niederbeugt, 25 und seinen Bewegungen fehlten Anmut und Hoheit. Auch war er nicht so kräftig, wie er aussah. Er liebte eine gute Tafel, musste sich aber, um Störungen seiner Verdauung zu vermeiden, grosse Enthaltsamkeit im Essen und Trinken auflegen und durch gemässigte 30 Leibesübungen und viel Spazierengehn für seine Gesundheit sorgen. Jene Ungleichmässigkeit der Stim- mung, wie sie durch körperliches Unbehagen so leicht herbeigeführt wird, dürfte auf seinen Mangel an Selbst-

4. Gratian und Theodosius. 173

beherrschung nicht ohne Einfiuss gewesen sein. Auch mag in seinem schwankenden Befinden der Grund ge- legen haben, dass er sich den Beschwerden des Feld- lagers gern entzog. Den kriegerischen Pflichten des 5 Kaisers hat er sich zwar nicht versagt, wenn sehr drin- gende Anforderungen an ihn herantraten; im Ganzen aber liebte er die Ruhe und Hess seine Feldherren für sich kämpfen. In einer Zeit, in der die Plünderzüge der Barbaren zu deu alltäglichen Ereignissen gehörten,

10 hat er Constantinopel fast nur verlassen, wenn es gegen die Usurpatoren des occidentalischen Reichsteils zu ziehen galt. Erst durch ihn ist die Stadt zu dem ge- worden, was sie noch heute ist, der ständigen Residenz für die Beherrscher des Ostreiches, und prächtig

15 schmückte er sie für diesen Zweck. Begeisterter Soldat war er also nicht, sondern zog die Behaglichkeit seines Palastes den Unbequemlichkeiten des Kriegslebens bedeutend vor: doch hatte ihm seine Vergangenheit nicht nur eine tüchtige Kenntnis des Militärwesens.

sondern auch etwas von der Pedanterie des Gamaschen- dienstes hinterlassen. So hielt er es für nötig, die Stände seiner Hauptstadt durch eine strenge Kleider- ordnung von einander zu scheiden, und die Gesetze über Rang, Vortritt und Titel, die Yalentinian zuerst

'25 gegeben hatte (S. 16), sind durch ihn mit Eifer ergänzt und eingeschärft worden. Dem heiligen Lande bewies er dadurch seine Ehrfurcht, dass er dem Statthalter von Palaestina den Titel Proconsul verlieh, und den Prae- fecten von Ägypten benannte er in praefccf/ts Augustalis

30 um, offenbar weil diese leeren Äusserlichkeiten in seinen Augen Wert hatten. Sich selbst aber durch die Schranken einengen zu lassen, mit denen seine Würde ihn umgab, hat er immer verschmäht. Nicht selten sah man ihn ohne das Gefolge seiner Leib-

174 VI. Yalentinian und seine Familie.

wächter zu Fusse durch die Strassen gehn und die Häuser von Privatleuten besuchen. Für jeden war er leicht zu sprechen und verkehrte nicht nur mit seiner Umgebung, sondern auch mit Leuten aus dem niederen Volke frei und ungezwungen. Zum Teil mag dies 5 durch die militärische Erfahrung bedingt gewesen sein, dass der Soldat die Offiziere am höchsten schätzte, die mit ihm wie mit ihresgleichen verkehrten; sodann mochte wohl auch die stete Selbstbeherrschung, die ein strenges Aufrechterhalten der kaiserlichen Hoheit 10 erfordert hätte, seiner trägen Behäbigkeit unbequem sein. Doch wenn er die höchste Ehre des Römer- reiches, dem Jahre als Consul seinen Namen zu geben, die alle andern Kaiser schätzten, sich nicht mehr als dreimal (380, 388, 392) beigelegt hat, so muss dies i~> andere Gründe gehabt haben. Wahrscheinlich wollte er damit sich in der Demut üben, die das Christen- tum ja als eine der höchsten Tugenden zu preisen pflegte.

Denn in seiner Lebensführung strebte er dem 20 sittlichen Ideal seines Glaubens nach, so weit seine schwache Kraft und sein unbeständiger Geist dies zuliessen. Als erstes Erfordernis galt ihm natürlich die Rechtgläubigkeit, und in der Bestimmung dessen, was der rechte Glaube sei, beugte er sich in prüfungs- -"> loser Untertänigkeit vor den maassgebenden Lehrern der Kirche. Wer als solcher zu betrachten sei. darüber freilich hat seine Ansicht sehr gewechselt; erst waren ihm Damasus und Petrus diejenigen, deren Glauben man bekennen müsse, dann Nectarius und Timotheus; :!l) ja zeitweilig hat er sogar selbst gewagt, über die Be- kenntnisse der christlichen Sekten die Entscheidung zu fällen (S. 164). Doch war dies nur eine der In- konsequenzen, an denen seine Regierung und nament-

4. ( i rat ia 11 und Theodo>ius. 17.")

lieh seine Religionspolitik so reich war. Darin freilich ist er sich treu geblieben, dass er immer am nicaeni- schen Bekenntnis festgehalten hat.

In zweiter Linie stand für ihn die Forderung der

.-) Barmherzigkeit. Theodosius suchte ihr genug zu tun. indem er zu Ostern jedesmal für alle leichteren Ver- brechen eine vollständige Amnestie erliess und auch bei den schweren für die ganze Dauer der Fastenzeit die Untersuchung, weil sie regelmässig mit Folterungen

10 verbunden war, unterbrach und die Vollstreckung jedes Todesurteils verbot. Gegen die Decurionen pflegte mau sehr hart zu verfahren, wenn sie die schwere Pflicht der Steuererhebung, die ihnen oblag, nicht rechtzeitig und vollständig erfüllt hatten; Theodosius

i"> untersagte den Beamten bei schwerer Strafe, sie körper- lichen Züchtigungen zu unterwerfen. Die Haft der Untersuchungsgefangenen suchte er zu verkürzen oder ganz zu verhindern. Gegen das Ende seiner Regierung verbot er sogar, Beleidiger seiner Majestät überhaupt

20 in Untersuchung zu ziehen. So konnte er sich zeit- weilig nicht mit Unrecht rühmen, dass er fast jeden Tag irgend ein barmherziges Gebot erlasse und die Zeit für verloren halte, in der er Niemand begnadigen könne. Doch als die Steuern nicht so einliefen, wie

25 es seinem steten Geldbedürfnis entsprach, hat er die Decurionen wieder der Bleiknute unterstellt und für Schuldner des Fiskus sogar das Asylrecht der Kirchen aufgehoben. Und dass die Zeiten christlicher Barm- herzigkeit mitunter durch grauenhafte Mordbefehle

30 unterbrochen wurden und man niemals wissen konnte, ob der Kaiser zur Milde oder zur Blutgier gestimmt sei, haben wir oben schon gesehen.

Auch, dass er die Keuschheit im christlichen Sinne wertete, zeigt seine Gesetzgebung. Der Ehebruch war

17l> VI. Valentiniau und seine Familie.

von seinen Amnestien ausgeschlossen, ja er verordnete sogar, dass, wenn bei einer Anklage wegen dieses Ver- brechens Freisprechung erfolgt sei und später das be- schuldigte Paar sich heirate, es nachträglich ohne jeden weiteren Beweis zu verurteilen sei. Die zweite Ehe- 5 Schliessung einer Witwe, namentlich wenn sie vor dem Abschluss des Trauerjahres vollzogen wurde, bestrafte er durch schwere Einbussen an Ehre und Vermögen, die Päderastie gar durch den Scheiterhaufen. Er selbst war ein treuer Gatte, und sowohl die Frau seiner Jugendjahre, Aelia Flaccilla, als auch die Kaiser- tochter Galla, die er als Witwer schon in reifem Alter heiratete, besassen grosse Macht über ihn. Das- selbe gilt freilich von allen, die seine nähere Umgebung bildeten; denn er war leicht zu beschwatzen. Konnte 15 man doch fürchten, dass selbst seine heiligsten Über- zeugungen geschickter Überredung gegenüber nicht Stand halten würden. Als er dem Ketzerführer Euno- mins eine Audienz gewähren wollte, geriet die streng rechtgläubige Flaccilla in helle Angst und wusste die 20 Zusammenkunft zu hintertreiben. Und wirklich hat sich Theodosius nach ihrem Tode bestimmen lassen, die Rechtsnachteile, mit denen er die Eunomianer vorher belegt hatte, wieder zu beseitigen, wie er über- haupt zur Aufhebung von Gesetzen, die er selbst ge- 25 geben hatte, nur zu leicht bereit war. Ein Beispiel aus vielen mag hier angeführt werden, weil es fin- den Kaiser besonders bezeichnend ist. Da die Mönche bei allen religiösen Krawallen die Spitzführer zu stellen pflegten, wurde ihnen am 2. September 3!)0 der Auf- enthalt in den Städten verboten; aber schon am 17. April 392, also nicht viel mehr als anderthalb Jahre später, Hess sich Theodosius durch die Fröm- migkeit dieser Glaubenskämpfer rühren und stellte

30

4. Gral ian und Theodosius. 1 7 <

ihre Freizügigkeit wieder her. Bei dieser wankel- mutigen Bestimmbarkeit des Kaisers fiel es seinen Günstlingen natürlich nicht schwer, ihm immer wieder Geschenke oder Privilegien abzuschmeicheln, selbst

5 wenn sie dem Reiche schädlich waren. In seinen Ge- setzen kehrt daher sehr oft die Bestimmung wieder, dass solche Vergünstigungen, die er persönlich erteil! hat oder noch erteilen wird, nngiltig sein sollen. Er fühlte eben selbst nur zu deutlich, dass er seiner

10 eigenen Festigkeit niemals trauen durfte.

Desto vertrauensvoller kam er denen entgegen', die er als seine Freunde betrachtete, und deren Kreis war ein sehr grosser. Zunächst hing er mit rührender Treue an seiner ganzen Verwandtschaft und an denen,

die ihm in seiner ferner Heimat nahegetreten waren, namentlich wenn sie ihm, als er nach der Hinrichtung seines Vaters in Ungnade gefallen war, Freundschaft erwiesen hatten. Doch auch die er in seinem späteren Leben kennen lernte, gewannen leicht grossen Einfluss

20 auf ihn, und geduldig liess er sich von ihnen auch bittere Wahrheiten gefallen. Denn er war sich seiner Schwächen wohl bewusst und beugte sich, wenn auch manchmal widerstrebend und missmutig, vor klarerer Einsicht und stärkerem Willen. Literarisch hervor-

25 ragende Männer, wie den Philosophen Themistius und den Sophisten Libanins, hat er, auch wenn sie Heiden waren, geehrt und befördert; doch lieber schloss er sich an Leute an, die auf seiner eigenen, recht niedrigen Stufe der Bildung standen. Auf diese Weise konnte

selbst ein Barbar, wie Stilicho, seine Gunst in dem Grade gewinnen, dass er ihn nicht nur zu den höchsten militärischen Würden erhob, sondern ihm auch seine Nichte Serena zur Gemahlin gab. Doch seine Aus- wahl pflegte nicht die glücklichste zu sein, und um

Seeck, Untergang der antiken Walt. V. 12

17<S VI. Valentinian und seine Familie.

die fast unbeschränkte Macht, die sein Vertrauen ge- währte, lagen seine Günstlinge untereinander regel- mässig in heimlichem oder offenem Kampfe. Diese Zwistigkeiten seiner Kreaturen haben nach seinem Tode die Einheit des Reiches vernichtet und schon 5 zu seinen Lebzeiten Unheil genug gestiftet, am meisten freilich für die selbst, welche sie ausfochten. So haben der Praefect des Orients Tatianus und sein Sohn Proculus, den er zum Stadtpraefecten von Constanti- nopel gemacht hatte, über vier Jahre lang (388 392) 10 die Untertanen grausam bedrückt, ohne vom Kaiser darin gestört zu werden, und hätten damit wohl auch noch länger fortfahren können, wenn der Magister Officiorum Rufinus sie nicht um ihre Macht beneidet hätte. Er brachte es dahin, dass ihr ganzes Ver- 15 mögen, das freilich zusammengeraubt war, für die Staatskasse eingezogen, der Sohn vor den Augen des Vaters geköpft und dieser selbst als Bettler in die Verbannung getrieben wurde. Und nachdem Theodosius ihm lange blindlings vertraut hatte, war sein Zorn 20 gegen ihn jetzt so gross, dass er sämtliche Lycier von allen Ämtern und Würden ausschloss und mit öffentlichem Schimpf belegte, weil Tatian aus ihrer Provinz herstammte. Auf diese Weise konnte das Vertrauen des Kaisers in einen so grimmigen Hass 25 umschlagen, dass er sich von dem falschen Freunde auch auf alle Landsleute desselben übertrug und so jeder Vernunft und Gerechtigkeit Hohn sprach. Natür- lich hat Rufinus ebenso geraubt und gemordet, wie vor ihm Tatian und Proculus, nur dass Theodosius w dies nicht erfuhr und daher die Rache erst nach seinem Tode den Schuldigen ereilte.

Da der Kaiser ganz unter dem Einfluss einer beutegierigen Umgebung stand, versteht es sich von

4. Gratian und Theodosius. 17'.)

selbst, dass er ihren Betteleien keinen Widerstand entgegensetzte und mit fürstlichen Geschenken um sich warf, umso mehr als auch seine Religion Frei- giebigkeit und Verachtung des Geldes predigte. Wie 5 er immer bereit war, selbst wenn ganz Unbekannte ihn darum baten, Ämter und Titel zu verleihen oder sie wenigstens durch Versprechungen zu vertrösten, die er dann in der Regel auch hielt, so stellte ei- sernen Schatz und den Grundbesitz der Krone denen to zur Verfügung, die er als seine Freunde betrachtete. Er war eben zu schwach und gutmütig, um irgend eiuem Bittsteller Nein zu sagen, und zu unbesinnlich, um die Folgen dieses Treibens vorauszusehn. Obgleich er für seine eigene Person leidlich sparsam war, ver- 15 geudete er durch diese Schenkefreudigkeit doch solche Summen, dass er nie aus den Geldverlegenheiten herauskam. Und zu diesen gelegentlichen Ausgaben, die sich freilich immer wiederholten, kam eine dauernde Belastung des Budgets; denn um möglichst vielen 20 Wünschen genugzutun, sah er sich veranlasst, die Zahl der Beamten zu vermehren und den schon vor- handenen höheren Rang und damit auch grösseres Gehalt zu verleihen. Er sah sich daher zu einer solchen Erhöhung der Steuerlast gezwungen, dass sie 25 die Untertanen ganz zur Verzweiflung brachte; von dem Aufruhr, den sie in Antiochia hervorrief, haben wir oben schon geredet (S. 170). Derselbe Herrscher, der sich so gerne mild und freigiebig preisen liess, musste ein Gesetz erlassen, nach dem die Schuldner des 30 Fiscus nicht einmal durch das Hergeben ihres ganzen Vermögens, wenn dieses zur Deckung nicht reichte, befreit sein sollten. Das konnte nichts anderes be- deuten, als dass man sie solange plagen und foltern solle, bis Verwandte oder Freunde aus Mitleid das Fehlende

12*

180 VI. Valeutinian und seine Familie.

beisteuerten. Nicht nur seine Beamten und selbst seine Kammerdiener, die im vertrauten Verkehr viel bei ihm durchsetzen konuten, verkauften die Ämter, sondern auch er selbst musste sich, wie Constans (IV S. 4'.»). zu diesem Handel verstehen. Natürlich suchten die- .-, jenigen, die sich mit schwerem Gelde ihren Anteil an den Herrschaftsrechten erworbeu hatten, sich auf Kosten der Provinzen schadlos zu erhalten. Wie schlimm es in dieser Beziehung stand, ergibt sieh wohl am deutlichsten aus einem Edikt, in dem der 10 Kaiser durch öffentlichen Anschlag alle seine Unter- tanen aufforderte, die Beamten zu verklagen, wenn sie sich von ihnen beschwert fühlten. Da keiner dies gewagt haben wird, der nicht Verbindungen am Hofe besass, bedeutete eine solche Ermahnung nur 10 ein trauriges Symptom des Übels, gewiss keine Heilung desselben.

Wie man sieht, fehlte es Theodosius nicht an gutem Willen, doch bei der inneren Haltlosigkeit seines Charakters, der in der Kirche den einzigen 20 festen Halt zu finden meinte, aber niemals fand, ist ihm trotzdem alles zuzutrauen. Auch Züge zwei- deutiger Hinterhältigkeit werden wir bei ihm noch manches Mal bemerken; denn ganz wahr und ehrlich zu sein, ist das Vorrecht einer starken Männlichkeit. 25 wie sie diesem Kaiser durchaus fremd war. Gerne las er historische Erzählungen und pflegte dann nicht nur Taten der Grausamkeit, sondern mehr noch Treu- losigkeit und Undankbarkeit scharf zu verurteilen. Doch wie ihn das nicht abhielt, mitunter furchtbar ," grausam zu sein, so kann er gegen Gratian auch treulos und undankbar gehandelt haben. Wozu war denn die Kirche da, wenn nicht um dem reuigen Sünder Gnade zu o-ewähren-' Und auf ein bischen

i. Gratian and Theodosius. lsl

mehr oder weniger Rene kam es Theodosius nicht an. Als ihm Ambrosius wegen der Bluttat von Thessalonica eine öffentliche Busse auferlegte, hat er sich ihr nicht nur unterworfen, sondern es wahrscheinlich gern und

5 freudig getan. Die 7000 Ermordeten Hessen sich da- mit freilich nicht zum Leben erwrecken, aber der Kaiser fühlte sich von ihrem Blute gereinigt und mit seinem Gott versöhnt. Und was er gegen Gratian verbrach. Hess sich doch iiuch entschuldigen: den Tod des

in Jünglings hatte er nicht gewollt, und dass dieser über knabenhaften Spielereien die Regierung des Reiches vergass, konnte es rechtfertigen, dass er ihrer ganz beraubt wurde. Vor allem aber bekämpfte er, was Theodosius zum Heil der Kirche für nötig

15 hielt, und dies durfte am wenigsten geduldet werden. Wenn freilich der Kaiser meinte, nach Beseitigung dieses Mitregenten nur noch gefügige Werkzeuge zur Seite zu haben, so sollte sich dies sehr bald als Täuschung erweisen, und gerade das Gebiet der

20 Kirchenpolitik war es, auf dem von neuem der Streit entbrannte.

Fünftes Kapitel.

Valentinian II. und Maximus.

Nachdem Maximus sich des gallischen Reichs- teils bemächtigt hatte, wäre es scheinbar das Natür- lichste gewesen, wenn die beiden legitimen Kaiser sich zusammengetan hätten, um die Ermordung Gratians zu rächen. Theodosius besass die Macht dazu, weil 5 durch das Bündnis mit den Gothen, das er ein Jahr vorher abgeschlossen hatte, deren fast unerschöpfliche Streitkräfte ihm zur Verfügung standen (S. 163), und Valentinian II. befand sich in solcher Bedrängnis, dass ihm die Hilfe seines Mitregenten hätte willkommen 10 sein müssen. Wie wir gesehn haben, hatten die Ala- inannen einen Einfall in Raetien gemacht, und Gratian war ihnen entgegengezogen, als die dringendere Gefahr der Usurpation ihn nach Gallien abrief (S. 167). So konnten die Barbaren ungehindert den Norden des '' italischen Reichsteils plündern, während er zugleich im Westen durch Maximus bedroht schien. Wenn Valentinian in dieser Not nicht einmal den Ver- such machte, die Unterstützung des Ostreiches in Anspruch zu nehmen, sondern sich nur mit den -" Mitteln half, die sein eigenes Herrschaftsgebiet ihm darbot, so kann dies kaum aus einem anderen Grunde geschehn sein, als weil er Theodosius miss- traute.

5. Valentitrian II. und Maximus. 183

Valentinian war noch nicht dreizehn Jahre alt; was er beschloss und tat, wird also in Wirklichkeit gewiss das Werk seiner Mutter Justina gewesen sein; doch iiiuii" es unter seinem Namen. Denn die Herr- r. schaft eines Weibes war damals im Hömerreiche noch unerhört, nicht aber die eines Knaben. Hatten doch schon die Söhne Constantins, noch ehe sie mit vier- zehn Jahren das gesetzliche Alter der Pubertät er- reichten, ganze Reichsteile scheinbar selbständig be- ut herrscht, und Gratian war als achtjähriger zum Angustus ernannt und damit seinem Vater und Oheim gleich- berechtigt an die Seite gestellt worden. So lange er lebte, hatte er auch im Gebiete seines jüngeren Bruders die Hoheitsrechte der Gesetzgebung und Verwaltung 15 ausgeübt; doch eine Vormundschaft des Theodosius wollte Valeutinian oder richtiger seine Mutter nicht anerkennen. Um den übermächtigen Mitregenteu nicht zu beleidigen, befragte er ihn zwar in wichtigen An- gelegenheiten um seine Meinung; in der Hauptsache 20 aber stellte er sich auf die eigenen Füsse. Schon gleich nach dem Tode Gratian s begann er selbständig Gesetze zu erlassen, und die Verteidigung seiner Grenzen übertrug er dem Franken Flavius Bauto, der hierdurch zeitweilig zum eigentlichen Beherrscher des italischen 25 Reichsteils wurde.

Dass Valentinian sich dem Theodosius nicht unter- ordnen wollte, trat noch deutlicher bei einer anderen Frage hervor, die an sich unwichtig, dafür aber um so bezeichnender ist. Seit Gratian durch den Tod 30 des Valens zum ältesten Augustus geworden war, hatte er die Jahresconsuln ernannt, dabei aber auf die Wünsche des Theodosius immer Rücksicht genommen, so dass diesem nicht rechtlich, wohl aber tatsächlich, die Besetzung einer der beiden Stellen zugefallen war.

1 S4 VI. Valentinian uud seine Familie.

Als 383 der junge Kaiser ermordet war, hatte Maximus das Consulat für 384 sich selbst beigelegt, Theodosius aber dies nicht anerkannt, sondern beide Consuln aus Männern seiner Umgebung ernannt. Dass er sich so die Rechte des ältesten Augustus anmaasste, die nach 0 der Verfassung Diocletians jetzt dem Valentinian hätten zufallen müssen, duldete dieser für das eine Mal. scheint aber der Wiederholung solcher Übergriffe ent- gegengetreten zu sein. Es kam ein Abkommen zu- stande, nach dem die eine Stelle des Consulats regel- 10 massig einem Mitgliede des Herrscherhauses vorbehalten blieb, die andere abwechselnd von allen drei Kaisern besetzt wurde. So hatte Theodosius auf das ausschliess- liche Recht der Consulnernennuug, wie er es gleich nach dem Tode Gratians auszuüben versucht hatte, is gewiss widerwillig genug verzichten müssen. Und den militärischen Schutz des kaiserlichen Knaben nahm Bauto, ohne sich um den östlichen Mitregenten zu kümmern, energisch und geschickt in seine Hand.

Was bei dem Abzüge Gratians von Truppen in 20 Italien zurückgeblieben war, besetzte die Alpenpässe, um den erwarteten Angriff des Maximus aufzuhalten. Gegen die Alamannen wurde eine Schar von Hunnen und Alanen angeworben. Doch als sie jene zurück- geschlagen hatte und dabei an die Grenzen Galliens 25 gelangt war, musste sie Halt macheu. um nicht den Usurpator durch den Übertritt auf sein Gebiet zu reizen. Denn mit ihm, nicht mit Theodosius, der ihn leicht hätte schützen können, trat Valentinian in Unter- handlung, um sich den Besitz seines Reichsteils zu '■" siehern.

Da Maximus als treuer Sohn der Kirche bekannt war, meinte man in Ambrosius den passendsten Ver- mittler zu finden. Valentinian hatte eine wertvolle

.">. Valciitinkii! II. und Maxiraus. L85

Geisel in seiner Hand, den Bruder des Usurpators, Marcellinus, der kurz vorher im italischen Reichsteil ein Amt bekleidet und ihn noch nicht verlassen hatte. Wahrscheinlich sollte dessen Auslieferung- versprochen

.-, werden, wenn Maximus auf die Eroberung Italiens verzichtete. Doch als Ambrosius im Winter 383 die Heise nach Trier angetreten hatte, begegnete er schon in Mainz einer Gesandtschaft, die Valentinian nicht nur in seinem Besitzstande anerkennen, sondern ihn

in sogar auffordern sollte, selbst nach Gallien zu kommen und sich unter den Schutz des Maximus zu stellen. Ein solches Ansinnen wäre unerklärlich, wenn man nicht hätte annehmen können, dass der kaiserliche Knabe Theodosius noch mehr zu fürchten habe, als den Mörder

i". seines Bruders. Allerdings wurde es zurückgewiesen, und als nach Abschluss des Friedens und Auslieferung des Marcellinus Ambrosius zum zweiten Mal nach Trier uing, um zu erwirken, dass die Leiche Gratians dem Bruder zur Bestattung übergeben werde, vermochte

20 er dies nicht zu erreichen. Doch auch diese Ablehnung hatte einen freundlichen Grund: Maximus fürchtete, dass der Anblick des verstümmelten Leichnams den Kaiser und sein Heer zum Zorne reizen könne; nur dies wollte er vermeiden und, soweit es möglich war,

2"> die friedliche Stimmung in Mailand erhalten.

Valentinian hätte seinem Bruder gern die letzten Ehren erwiesen, doch ihn zu rächen, kam zunächst noch keinem in den Sinn. Obgleich Maximus den Mörder nicht bestrafte, ja nicht einmal seines hohen

30 militärischen Amtes beraubte, glaubte man ihm doch, dass er selbst am Tode des Jünglings unschuldig sei, und dessen Entthronung hielten damals die meisten für gerechtfertigt. Nicht nur die Soldaten hatten sich von ihm abgewandt, sondern auch Theodosius ver-

136 VI. Valentinian und seine Familie.

urteilte ihn, und fast alle religiösen Parteien, Heiden wie Christen, scheinen darin einig gewesen zu sein, dass er sein Schicksal verdient habe. Freilich fand jede Richtung seine Schuld in andern Sünden, und jede hätte ihn uoch schärfer verurteilt, wenn er ihren :, Gegnern ganz zu Willen gewesen wäre.

Am schwersten hatte er in seinem christlichen Eifer die Heiden getroffen. Wenn er den Titel pontifex maximus abgelegt hatte, der schon seit den Zeiten des Augustus als notwendiger Bestandteil des 10 Kaisertums galt, so durften sie es als gerechte Strafe betrachten, dass die Götter ihn auch des Kaisertums selbst beraubten. Im Versammlungsräume des römischen Senats hatte ein Altar der Victoria gestanden, den viele als Symbol und Bürgschaft für die Unbesiegbar- 15 keit des Reiches betrachteten. Bei seinem Besuch in Rom hatte Constantius ihn entferneu lassen (IV S. 158): unter Julian aber war er wieder aufgestellt worden und hatte seitdem seinen Platz behauptet, bis Gratian im J. 382 von neuem den Befehl zu seiner Beseitigung -" gab. Zugleich hatte er alle Vermächtnisse, durch welche den Priesterschafteu der Hauptstadt Grund- stücke verschrieben wurden, für nichtig erklärt, ihnen ihre Gehalte und Immunitäten geraubt und dem heid- nischen Kultus die Staatsmittel entzogen. Die Mehr- '-'•"' heit des Senats hatte eine Gesandtschaft au ihn ge- schickt, um von ihm die Zurücknahme dieser Ver- fügungen zu erbitten; doch war sie garnicht vorgelassen worden. Denn die christliche Minderheit hatte durch Vermittlung des Damasus dem Ambrosius eine Gegen- :W schrift zugestellt und dieser seinen Einfluss in ihrem Sinue geltend gemacht. In Rom war die Befürchtung weit verbreitet, dass jetzt, wo man den Göttern, die das Reich so lange geschützt hatten, den altgewohnten

5. Valentiniaii II. und Maxinius. 1 sT

Kultus versage, ein furchtbares Unheil hereinbrechen müsse. Wohl spotteten die Christen, dass die Heiden meinten, ihre Religion werde zu Grunde gehn, wenn man ihr eine erbärmliche Geldsumme entziehe; der

5 neue Glaube dagegen habe Jahrhunderte laug gar keine öffentliche Unterstützung empfangen, ja er sei sogar grimmig verfolgt worden und habe sich doch immer weiter ausgebreitet. Doch darauf konnte man erwidern, dass durch das Aufhören der heidnischen

io Opfer nicht die Religion geschädigt werde, sondern der Staat. Denn wenn Privatleute den Göttern ihre Gaben darbrachten, so erwarben sie damit ihre Gunst nur für sich; damit sie dem Reiche zuteil werde, musste dieses selbst und auf Reichskosten ihren Kultus

io ausrichten; unterbleibe dies, so würden sie sich furcht- bar rächen. Und wirklich trat gleich im folgenden Jahre eine schwere Hungersnot ein (S. 165), und als zugleich der Kaiser, der an dem ganzen Unheil schuld gewesen war, durch eine Usurpation hingerafft wurde,

20 mussten die Gläubigen darin die Hand der strafenden Gottheit erblicken.

Wenn Gratiaii die Bischofswahlen des Nectarius und des Flaviau bekämpft hatte, so war ihm das zwar von Theodosius und seiner Geistlichkeit zur schweren

25 Sünde gerechnet worden, doch Ambrosius und Damasus

hatte er auf seiner Seite gehabt. Sehr bald aber

wurden auch sie mit ihm unzufrieden; denn eine

Ketzerei, die sie verurteilten, fand bei ihm Duldung

und sogar Unterstützung.

Während der entnervte Orient in unvernünftiger

Selbstquälerei die vollkommenste Heiligkeit erblickte,

hatte das gesunde Barbarentum des gallischen Reichs- te o

teils die fleischliche Askese zwar nicht grundsätzlich abgewiesen, sich aber nur in sehr beschränktem Maasse

1 SS VI. Valentiiiian und seine Familie.

ihr unterworfen. Zwar gab es auch hier Mönche; doch verzichteten sie auf jene peinigenden Hunger- proben, denen sich Syrer und Ägypter mit Begeisterung hingaben. Wohl suchte der Bischof Martin von Tours jenen orientalischen Unfug auch in Gallien einzuführen 5 und gab in eigener Person das Beispiel strenger Ab- tötung des Fleisches; aber wenn es ihm auch an Be- wunderern nicht fehlte, fand er doch hier sehr wenige Nachahmer, und ein großer Teil der gallischen Geist- lichkeit trat ihm offen entgegen. Doch stark in 10 Mirakeln, wußte er den Ruf eines Heiligen aufrecht zu erhalten, und da sich seiner Rechtgläubigkeit nichts anhaben ließ, mußte man sich wohl oder übel mit ihm vertragen. Mit umso größerem Zorn warf man sich einer Sekte entgegen, die gleichfalls das asketische Ideal 15 vertrat, zugleich aber im Rufe geheimer Irrlehren stand, und bald genügte es, daß man blaß und verhungert aussah und schlechte Kleider trug, um in Gallien für einen Ketzer zu gelten.

Schon an anderer Stelle haben wir dargelegt, wie 20 die Gnostiker zwar das Dogma der allgemeinen Kirche nicht anfochten und als Mitglieder derselben gelten wollten, daneben aber Geheimlehren besaßen, die nach ihrer Meinung mit jenem nicht im Widerspruche standen, sondern es nur ergänzten und seine Heils- -•"> Wirkung vervollständigten (III S. 251. 267). Im Orient waren ihre Lehren noch nicht ganz vergessen und hatten durch das Eindringen des nah verwandten Mani- chäimus Erweiterungen und neue Stützen empfangen. Der Ägypter Marcus hatte sie nach Spanien gebracht :,f> und dort für seine wunderlichen Geheimnisse, in denen sich Christentum mit persischem Dualismus, Astrologie und Zauberspuck seltsam mischte, zwei Anhänger ge- wonnen, den Rhetor Helpidius und eine angesehene

5. Valeutinian II. und Maximus. 189

Frau namens Apape. Durch diese beiden wurde Priscillian eingeweiht, ein vornehmer und reicher Spanier, dessen hinreißende Beredsamkeit, unterstützt durch sein persönliches Ansehn, bald eine große Ge- meinde um ihn sammelte. Über ganz Spanien breitete sie sich aus, und selbst zwei Bischöfe traten auf seine Seite. Da die Priscillianisten jene Abtötung des Fleisches, die der Manichäismus predigte, sehr sichtbar zur Schau trugen und auch bei ihren gottesdienstlichen Verrichtungen gewisse Bräuche beobachteten, die sonst nicht üblich waren, wurden sie bald auffällig, und der Bischof Hyginus von (Jorduba trat mit Hydatius von Emerita in Verbindung, um ihre Sache gemeinsam zu untersuchen und eine neue Sektenbildung zu ver- hindern.

Zu diesem Zwecke versammelte sich in Caesar- augusta eine Synode und beendete ihre Beratungen am 4. Oktober 380. Doch unterdessen war Hyginus selbst den zwei Bischöfen hinzugetreten, die Priscillian schon vorher zugestimmt hatten. Dies hinderte nicht, daß die große Mehrheit des Concils sich gegen ihn erklärte; zu einer direkten Verurteilung aber fand man keine genügende Handhabe. Denn seine Geheim- lehre kannte man nicht, ja er läugnete sogar, über- haupt eine Geheimlehre zu besitzen. Dies konnte er tun, weil seine Sekte die Lüge, soweit sie ihrer Kirche nützte, als erlaubt betrachtete und dies später auch in ihren Schriften verteidigt hat. Den Manichäismus aber durfte er auch ehrlich abweisen, weil er sich zwar viele seiner Elemente angeeignet hatte, ihn aber keines- wegs in seinem vollen Umfange gelten ließ. Zudem stellte er sich der Synode gar nicht, und da kurz vorher ein Brief des Damasus das alte Verbot einge- schärft hatte, keinen abwesend und unverteidigt zu

190 VI. Yalentinian und seine Familie.

verdammen, machte schon dies allein seine Verurteilung unmöglich. So mußten sich die Bischöfe begnügen, einige der kirchlichen Bräuche, welche die Bekeuner der Sekte sich angeeignet hatten, mit dem Anathem zu belegen, wodurch freilich Priscillian selbst und seine .-. Anhänger, wenn auch nur indirekt, getroffen wurden. Diese aber scheinen durch den Verlauf der Synode, vor allem wohl durch den Anschluß des Hyginus, eher ermutigt, als abgeschreckt zu sein. Wagten sie doch sogar, den Priscillian, der vorher noch Laie gewesen 10 war. zum Bischof von Abila zu weihen, und bald kehrte er den Spieß um und veranlaßte eine Anklage gegen seinen Hauptgegner Hydatius, die zu einer Spaltung in dessen Klerus führte. Aber da er nicht erwarten konnte, in der Synode, die das Urteil hätte i~> fällen müssen, die Majorität zu gewinnen, suchte er bald wieder Versöhnung mit ihm; doch als er, um sich persönlich mit ihm auszusprechen, in seine Kirche kam, wurde er von dem Bischof nicht empfangen, wohl aber von dessen treuer Gemeinde durchgeprügelt. -" In seinem Zorne wandte sich Hydatius an Ambrosius und erwirkte von ihm ein Rescript des Gratian, nach dem „Pseudobischöfe und Manichäeru nicht nur aus ihren Städten, sondern aus dem ganzen Reiche aus- zutreiben seien. 2:>

In aller seiner Strenge kam dieser Erlaß ebenso wenig zur Durchführung, wie die früheren Gesetze ähnlicher Art. Nur mußten die Führer der Sekte ihre Bistümer aufgeben, und ein großer Teil ihres Anhangs zerstreute sich. Doch Priscillian verzweifelte :!" noch nicht an seiner Sache, die er natürlich für eine gute und Gott wohlgefällige hielt. Er richtete einen noch erhaltenen Brief an Damasus, in dem er diesem sein Glaubensbekenntnis vorlegte, alle Ketzereien aus-

5. Valentiman II. und .Maximus. |9]

drücklich verdammte, erklärte, daß er sich durch das kaiserliche Reskript nicht getroffen fühle, da er weder ein Pseudobischof noch ein Manichäer sei, und den Papst zum Richter darüber aufrief. Dann trat er mit 5 den vornehmsten seiner Anhänger die Reise nach Rom au. um dort auch persönlich für sich zu wirken. Unterwegs hielt er sich längere Zeit in dem südlichen Gallien auf und gewann auch hier eine große Gemeinde, vor allem zahlreiche Weiber, die ja für religiöse Er-

10 regungen immer am empfänglichsten sind. Unter ihnen ragten durch ihren Eifer Euchrotia, die Witwe eines angesehenen Rhetors, und deren Tochter Procula hervor, ja mau behauptete, daß diese zu Priscillian in einem ehebrecherischen Verhältnis stehe. Diese beiden

15 und viele andere schlössen sich seinem Zuge an, so daß er mit großem Gefolge in Rom erschien; doch die fanatischen Frauenzimmer, die sich in dieser Schar nur zu sehr bemerkbar machten, wirkten viel eher abschreckend, als gewinnend. Damasus ließ ihn gar

20 nicht vor, und als er sich dann nach Mailand wandte, wurde er von Ambrosius nicht minder schroff abge- wiesen. Doch gewann er dafür den Magister Officiorum Macedonius, ob durch Bestechung, wie man später behauptete, ist fraglich. Denn eine Sekte, die strenge

25 Askese auf ihre Fahne geschrieben hatte, konnte nach den Anschauungen jener Zeit leicht für eine Schar von Heiligen gelten, und auch ein Hofbeamter mochte sie so auffassen. Jedenfalls wußte er sie dem jungen Kaiser, bei dem er großen Einfluß besaß, in diesem

" Sinne darzustellen, und dieser befahl, daß Priscillian und seine Genossen in ihre kirchlichen Stellungen wieder einzusetzen seien. Dies aber bedeutete, daß Ambrosius aus der allerhöchsten Gunst verdrängt war; Macedouius durfte es wagen, als der stolze Bischof

192 VI. Valeiitinian und seine Familie.

ihn einmal sprechen wollte, ihm die Türe seines Amts- lokals zu verschließen. So galt Gratian nicht nur den Heiden als Frevler gegen die Religion, sondern nach- dem er den Zorn der orientalischen Kirche durch seine Parteinahme für Damasus und Ambrosius erregt 5 hatte, war er zum Schlüsse auch mit diesen zerfallen. Natürlich hielt Maximus, als er sich der Krone bemächtigt hatte, für angemessen, die Sünden seines entthronten Vorgängers auch dadurch in das hellste Licht zu setzen, dass er sie nach Kräften gut zu machen 10 suchte. Gab es doch für seine Usurpation keine bessere Rechtfertigung, als wenn er bewies, dass Gratian sein Schicksal verdient hatte. Zudem war er unmittelbar nach seiner Taufe zum Kaiser ausgerufen worden und fand hierin die Bürgschaft dafür, dass er zum Vor- 15 kämpfer des rechten Glaubens berufen sei. Die Pris- cillianisten hatten sich der Bischofssitze, die sie kurz vorher hatten aufgeben müssen, ohne Widerstand zu finden, aufs neue bemächtigt, und klagten jetzt ihrer- seits den Ithacius von Ossonoba, der neben Hydatius 20 ihr eifrigster Gegner gewesen war, als Störer des kirchlichen Friedens an. Dieser floh nach Gallien und wusste sich, als er auch hier verfolgt wurde, seinem Prozesse so lange zu entziehen, bis Maximus seine Herrschaft angetreten hatte. Bei ihm trat Ithacius 25 als Ankläger gegen die Ketzerei des Priscillian auf, und der neue Kaiser berief alsbald eine Synode nach Burdigala, die über jenen und seine Genossen urteilen sollte. Ein Bischof, der sich zu der Sekte bekannte, wurde von ihr abgesetzt; Priscillian aber wollte sich !" ihrem Spruche nicht unterwerfen, sondern verlangte, von Maximus selbst gehört zu werden. Die Folge war, dass er und eine Anzahl seiner treuesten Anhänger, darunter auch Euchrotia, Anfang 38-1

:>. Valentinian II. and Maximus. 193

hingerichtet, andere in die Verbannung geschickt wurden.

Mau hält dies für den ersten Fall, dass Irrglauben mit dem Tode bestraft worden sei, und pflegt mit

5 Genugtuung darauf hinzuweisen, dass die Kirche ihn missbilligt habe; doch ist diese Auffassung nicht richtig. Denn Priscillian starb nicht als Ketzer, sondern als Zauberer, ja wie es heisst, hat er dies Verbrechen gestanden, und das ist nicht so unglaublich, wie es

in heute manchem scheinen mag. Denn wahrscheinlich meinte er selbst, der geheimnisvolle Hokuspokus, den er bei seinen Andachtsübungen trieb, besitze Wunder- kraft; nur dadurch also unterschied er sich von dem, was damals allgemein als Zauberei galt, dass nach

15 Priscillians eigenem Glauben der heilige Geist, nicht die heidnischen Dämonen, darin wirksam war. Aber diejenigen, welche ihn für einen Irrlehrer hielten, werden dies natürlich nicht zugegeben, sondern auch seine Wunder dem Teufel zugeschrieben haben. Er

20 wurde also wegen eines Verbrechens hingerichtet, daßs schon seit den Zeiten des Constantius der Staat ver- folgte, und dasselbe wird von denen seiner Genossen gelten, die sein Schicksal teilten. Denn der Bischof lnstantius, der seinen Lehrmeinungen anhing und

2a gleichfalls zu den Leitern der Sekte gehörte, der also als Ketzer ebenso schuldio- war, wie Priscillian, wurde nur durch Verbannung bestraft, wie dies schon dem Athauasius, dem Paulus und vielen anderen Geistlichen widerfahren war. Wenn also Ambrosius, Martin von

:;" Tours und andere das Vorgehen gegen die Priscillia- nisten missbilligten, so tadelten sie damit nur, dass die törichten Gesetze gegen die Zauberei, die schon hunderten von Heiden das Leben gekostet hatten, jetzt auch auf Christen angewandt wurden. Was sie

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 13

1H4 VI. Valentinian uud seine Familie.

aber noch mehr verurteilten, war, dass ein Prozess, der teilweise in das kirchliche Gebiet gehörte uud bei dem die Mehrzahl der Angeklagten Geistliche waren, vor dem Kaiser und seinen weltlichen Richtern ge- führt wurde. Wenn später Ithacius und Hydatius .-, abgesetzt wurden, so wird der Hauptgrund dafür ge- wesen sein, dass sie diesen Übergriff der Staatsgewalt geduldet und durch ihre Anwesenheit bei den Gerichts- verhandlungen legalisiert hatten. Dass man das Schick- sal der Priscilliauisten beklagte, geschah nicht aus 10 milder Toleranz, die einem Ambrosius wahrlich sehr ferne lag, sondern war nur ein neuer Ausdruck der altgewohnten kirchlichen Herrschsucht.

Die Sekte hat ihren Stifter noch Jahrhunderte lang überlebt, und sein Tod, der ihn für sie zum r. Märtvrer machte, steigerte noch ihre religiöse Be- geisterung. Und dass die Mehrzahl der gallischen Bischöfe seine Verurteilung durch weltliche Richter zugelassen und gebilligt hatte, rief auch unter den Orthodoxen einen Streit hervor, der noch lange nicht 20 zur Ruhe kam. Wie einst die Zänkereien der Christen Jovian zu seinem Toleranzedikt veranlasst hatten, das auch dem Heidentum zu Gute kam (IV S. 368), so übten sie eine ganz ähnliche Wirkung auch auf Va- lentinian II. und seine Mutter aus. 25

Auf die Unterdrückung des heidnischen Kultus in Rom war eine Hungersnot gefolgt und dann auch der gewaltsame Tod des Kaisers, der den Göttern ihr«- alten Rechte versagt hatte. Dies als Beweis ihrer Macht darzustellen, war leicht genug. Mochten auch 30 Justina und ihr Sohn sie nach ihrem christlichen Glauben als böse Dämonen betrachten, so Hess sich doch die Ansicht nicht ganz verwerfen, dass mau auch den Teufel nicht unnütz reizen dürfe. Seit Constnntin

.">. Valeatinian IL und Maximus. 195

dem Li rossen hatten die Herrscher dem rechten Gotte, der römische Senat dessen höllischen Widersachern gedient, und beide waren dadurch bei guter Laune erhalten worden. Empfahl es sich nicht, zu diesem 5 schlauen Doppelspiel zurückzukehren ? Der Kaiser selbst konnte ja seine Hände in Unschuld waschen und das Opfern denen überlassen, deren Seelen ohne- hin verloren waren, wodurch es nach ihrer eigenen Meinung nichts von seiner Kraft verlor. Diese An-

iii schauung wird Bauto, der sich durch seine geschickte Verteidigung des italischen Reichsteils grosse Verdienste erworben (S. 184) und dadurch seinen Einfluss mächtig gesteigert hatte, bei Hofe vertreten haben. Denn als Franke jenseit des Rheines geboren und im Heiden-

15 tum auferzogen, war er seinem Glauben treu geblieben, auch als er in römische Dienste trat und dann schnell zur höchsten Staffel der militärischen Laufbahn auf- rückte. Wahrscheinlich durch ihn veranlasst, ver- traute Yalentinian auch die höchsten Civilämter seines

20 Reichsteils Männern an, die man als die entschiedensten Vorkämpfer des Heidentums kannte. Von den beiden christlichen Praefecten Sextus Petronius Probus und Nonius Atticus, die Italien kollegialisch verwalteten, wurde der letztere abgesetzt, obgleich er sein Amt

-' erst seit wenigen Monaten bekleidete, und dieses auf Praetextatus übertragen, den wir schon als religiösen Ratgeber Julians des Abtrünnigen kennen gelernt haben (IV S. 314). Lileichzeitig wurde eine literarische Berühmtheit, der Redner Quintus Aurelius Symmachus,

:" der ebenfalls zu den eifrigsten Verteidigern des Heidentums gehörte, zum Stadtpraefecten von Rom ernannt. Praetextatus erwirkte eine* Verfügung des Kaisers, wonach das Baumaterial, das Private sich von den öffentlichen Gebäuden Roms angeeignet hatten,

13*

1<)6 VI. Valentinian uud seine Familie.

zurückgefordert werden sollte. Ihr Zweck war wesent- lich, im Sinne Julians (IV S. 305) den beraubten Tempeln ihren Schmuck wiederzugeben; doch wagte Symmachus nicht, diesen Auftrag auszuführen, ehe er sich vergewissert hatte, dass die neuen Erfolge des 0 Heidentums dauernde sein würden.

Sehr bald wurde die Probe gemacht. Noch ein- mal bat der Senat um Aufhebung jener Verfügungen, die Gratiau gegen den heidnischen Kultus erlassen hatte, und Symmachus übersandte diesen Beschluss an den Hof, begleitet von einem Briefe, in dem seine hochgepriesene rhetorische Kunst sich selbst übertraf. Noch heute kann man diesen Schwanengesang einer sterbenden Religion nicht ohne Rührung lesen; doch ist er nicht nur tief empfunden, sondern stellt zugleich r> mit höchster Geschicklichkeit alle Gründe des Aber- glaubens, die für die Bitte des Senats sprechen konnten. in das rechte Licht. So war denn auch damals der Eindruck dieses Briefes ein überwältigender. Als er im Consistorium Valentinians vorgelesen wurde, er- 20 klärten auch die christlichen Mitglieder desselben, daß man die Bitte eines so bedeutenden Mannes nicht zu- rückweisen dürfe; doch kam es noch zu keinem end- giltigem Beschluß. Da schrieb Ambrosius einen Brief an den kaiserlichen Knaben, in dem er diesen, falls 25 er nachgebe, mit der Exkommunikation bedrohte, und das wirkte. Valentinian wies die Petition des Senats zurück, und auch Bauto wagte dem nicht zu wider- sprechen.

So war der stärkste Angriff des Heidentums ab- ;" geschlagen, doch verlor es darum nicht seinen Einfluss am Kaiserhofe. Am deutlichsten trat dies darin her- vor, dass Valentinian den Praetextatus für 385 zum Consuln ernannte, und als dieser vor Übernahme der

5. Valentiniuii IL und Maximus. 197

Würde starb, den Bauto an seine Stelle setzte. Natürlich bedeutete dies, dass ihre Glaubensgenossen wenigstens in Rom, wenn auch ihr Kultus nicht mehr mit Staats- mitteln unterstützt wurde, doch die unbeschränkteste 5 Toleranz genossen. Denn daran hielt man auch am Kaiserhofe fest, dass man Rom den Kultus nicht rauben dürfe, der es zur Weltherrscherin gemacht habe. Dies scheint Maximus den Vorwand geboten zu haben, Italien mit Heeresmacht zu bedrohen. Zum

10 -Misstrauen hatte sein Verhalten schon vorher Anlass -('boten; seit er aber als Glaubenskämpfer auftreten konnte, ging es in offene Feindseligkeit über. Valen- tinian zog sich aus Mailand, das seinem Gegner den nächsten Angriffspunkt geboten hätte, nach Aquileja

15 zurück, um falls es nötig war, schneller in den Reichs- teil des Theodosius entfliehen zu können. Zugleich suchte er auch dadurch diesen zu gewinnen, dass ei- serne Gesetze auch in Italien anerkannte und ver- öffentlichen Hess. Und wirklich erreichte er seinen

20 Zweck; Theodosius rüstete zum Kriege gegen den Usurpator und eilte selbst nach Oberitalien, um von dort aus einen Einfall in Gallien vorzubereiten. Aber durch eine Gesaudschaft des Maximus liess er sich schnell beruhigen, erkannte diesen als Mitregenten

25 an, schlug seitdem Münzen auf seinen Namen und liess sein Bildnis neben dem der andern Kaiser in den Grossstädteu seines Reichsteils aufstellen. In Aquileja traf er wohl auch den Knaben Valentinian und besprach sich mit ihm über das gegenseitige

30 Verhältnis der drei Reichsteile. Als er dann nach Constantinopel zurückgekehrt war, fühlte er sich, wTenn auch nicht als Vormund, so doch als Schutzherr des Knaben und meinte auf dessen Gehorsam rechnen zu können.

198 VI. Valentiniau und seine Familie.

Hierin sollte er sich freilich täuschen, und zwar war es kein anderer als Ambrosius, der in seinem religiösen Übereifer Valentinian in einen Gegensatz gegen die herrschende Kirche und damit auch gegen seine beiden Mitregenten hineintrieb. Als er es durch- » setzte, dass die Petition der heidnischen Senatoren zurückgewiesen wurde, hatte er nur einen halben Sieg erfochten. Denn das literarische Interesse war bei allen Gebildeten und nicht am wenigsten bei dem jungen Kaiser so gross, dass die ergreifende Schönheit des 10 Briefes, durch den Symmachus seine Religion verteidigt hatte, auch bei den Christen ihre Wirkung fortübte. Zwar verfasste Ambrosius eine Gegenschrift, in der er alle seine rhetorische Kunst aufbot, um jenen Einfluss zu neutralisieren; aber so geschickt sie war, hinter dem r> Werke seines Gegners stand sie weit zurück. Schrieb doch noch Jahrzehnte später ein Christ, indem er es bekämpfte, es sei so schön, dass es trotz seines ge- fährlichen Inhalts unangetastet bleiben und der Nach- welt erhalten werden müsse. Da nun literarische -" Leistungen damals, wie noch heute, und vielleicht in noch viel höherem Grade, auch auf die persönliche Wertschätzung ihres Urhebers einzuwirken pflegten, stand Symmachus trotz seines Misserfolges in höherem Ausehn, als je vorher. So spann man denn eine In- 25 trio-ue, um den heidnischen Praefecten zu stürzen. Wir sahen schon, dass auf Antrag des Praetextatus eine Verfügung erlassen war, dass den öffentlichen Gebäuden, namentlich auch den Tempeln, der Schmuck wiederzugeben sei, den Privatleute ihnen geraubt hatten. Da natürlich die Christen es waren, die sich am eifrigsten durch Plünderung der Tempel bereichert hatten, konnte man dem Kaiser leicht einreden, seine Glaubensgenossen, darunter auch Geistliche, seien bei

5. \';ilriitiniaii II. und Maximus. 199

Ausführung jenes Erlasses von Symmachua einge- kerkert oder selbst der Folter unterworfen. In seinem Zorne sandte Valentinian ein Edict nach Rom, durch das der Praefect scharf getadelt und der Befehl ge- geben wurde, alle christlichen Gefangenen freizulassen. Doch Symmachus erwiderte darauf, dass in den Kerkern Korns sich gar keine Christen befänden, ja dass er die ihm befohlene Untersuchung wegen Entfremdung des öffentlichen Eigentums überhaupt noch nicht begonnen habe, und konnte seiner Relation sogar einen Brief des Papstes Damasus hinzufügen, der dies beglaubigte. Zugleich bemerkte er, wer gegen ihn solche Anklagen erhebe, tadele damit auch an dem Kaiser selbst, dass er seine Beamten leichtsinnig gewählt habe, und erbat sich die Gnade, dass, wie jene Yerläumdung ihm eine öffentliche Rüge eingetragen habe, sie jetzt auch ge- bührend zurückgewiesen werde. Valentinian erkannte diese Bitte als berechtigt an und richtete am 28. De- cember 384 einen gnädigen Erlass an Symmachus, in dem es unter anderm hiess: „Über das Urteil des Herrschers soll man nicht räsounieren; denn daran zu zweifeln, dass derjenige würdig sei, den der Kaiser ausgewählt hat, gleicht einem Sacrileg." Diese Forde- rung der Unfehlbarkeit für die Auswahl seiner Be- amten klingt im Munde eines dreizehnjährigen Knaben sehr lächerlich; doch ohne Zweifel fühlten sich die Verläumder des Symmachus dadurch recht kräftig aufs Maul geschlagen, und zu ihnen gehörte wahrscheinlich auch Ambrosius. Vorher hatte Justina ihm ausdrück- lich ihren Sohn empfohlen und den Knaben seiner Leitung anvertraut; doch von diesem Zeitpunkt an ist sein Einfluss am Hofe geschwunden, und als geist- licher Berater des Kaisers und seiner Mutter tritt an seine Stelle ein Arianer.

200 VI. Valentinian und seine Familie.

Als im Jahre 355 der orthodoxe Bischof Dionys von Mailand das Conti], das in seiner Stadt tagte, heftig bekämpft und selbst den Pöbel dagegen auf- geboten hatte (IV S. 148), war er abgesetzt worden und dann in der Verbannung gestorben. Zu seinem 5 Nachfolger war der Arianer Auxentius gewählt worden und hatte sich, obgleich Damasus ihn mit dem Anathem belegte, doch bis zu seinen Tode auf seinem Bischofsthron behauptet. Als er 374 starb, waren um seine Nachfolge die üblichen Parteikämpfe aus- io gebrochen, und Ambrosius, der damals als uugetaufter Laie das Amt des Consularis Liguriae bekleidete, war auf dem Markt erschienen, um das Volk zur Ruhe zu bringen. Da erschallte aus der Mitte des- selben der Ruf, er möge dem Streit ein Ende machen, 15 indem er selbst die Bischofswürde übernehme, und die ganze Menge stimmte dem zu. Valentinian I. be- grüsste es mit Freuden, dass ein Beamter, den er ernannt hatte, einer so hohen Popularität genoss; zugleich hoffte er, ein Mann, der als Laie den kirch- 20 liehen Streitigkeiten noch fern stand, werde am ehesten den Frieden unter den Konfessionen her- stellen können. Dies erfüllte sich denn auch, freilich in anderer Weise, als der Kaiser erwartet haben mochte. Wie wir schon gesehn haben, suchte 25 Ambrosius nicht zu vermitteln, sondern stellte sich mit aller Entschiedenheit auf die Seite der strengsten Orthodoxie; doch gelang es ihm, ihr seine Gemeinde so gut wie ausnahmslos zuzuführen. Doch mit einer Schar Gothen, die man für den Dienst Valentinians II. angeworben hatte, war jetzt ein neues ariaiiisches Element in Mailand heimisch geworden, und wie es scheint, war mit ihnen als ihr Seelsorger ein gewisser Mercurinus gekommen, nicht ein Vertreter jenes

.">. Yalt'iitiuiaii II. und Maximus. 201

milden Arianismus, den oinst die beiden Eusebins und Arius selbst gepredigt hatten, sondern ein starrer Fanatiker. Ging er doch soweit, nicht einmal die Taufe der orthodoxen Kirche anzuerkennen, sondern

5 diejenigen, die aus ihr zu ihm übergetreten waren, noch einmal zu taufen. Doch um Anhänger zu werben, ist die Glaubensenergie eines wilden Eiferers viel wirkumrskräftiger, als weitherzige Duldsamkeit. Dies erwies sich auch an der Kaiserin und ihrem

10 Sohne, umsomehr als das Verhalten des Ambrosius >ie nur zu gut vorbereitet hatte, um jedem, der sich als seinen Gegner bekannte, ihr Ohr zu öffnen Hatte schon die Drohung mit der Exkommunikation, durch die er die Wiederaufrichtung des Victoriaaltars ver-

15 hindert hatte, ihren Herrscherstolz verletzt, so mussten die Lügen, durch welche er oder seine Parteigänger den Symmachus zu stürzen versucht hatten, auch den Glauben an seine sittliche Würdigkeit schwer ge- fährden. So bekehrten sich Justina und Valentinian

20 zur Lehre des Mercurinus und Hessen ihn für die Arianer Mailands zum Bischof weihen, wobei er, um die Stadt an ihren früheren Seelenhirten zu erinnern, dessen Namen Auxentius annahm.

Der Kaiser verlangte, dass die Basilica Porciana,

25 die ausserhalb der Tore Mailands lag, dem neuen Bischof eingeräumt werde. Gesetze des Gratian und des Theodosius hatten arianische Gottesdienste inner- halb der Städte verboten. Wenn Valentinian für die Gemeinde, der er selbst mit seiner Mutter sich an- geschlossen hatte, keine Ausnahme beanspruchte, sondern sich mit einer Kirche begnügen wollte, die den Forderungen jeuer Gesetze entsprach, so war das gewiss ein bescheidenes Verlangen. Doch Ambrosius wies es zurück; nicht nur in seiner Stadt, sondern

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202 VI. Valentinian und seine Familie.

auch in der Nähe derselben wollte er die Ketzerei nicht dulden. Er wurde vor das Consistorium ge- laden und folgte dem Befehl. Doch hinter ihm her kam ein brüllender Pöbelhaufe, der bereit war, den Kampf mit der kaiserlichen Leibwache aufzunehmen. 5 Valentinian war jung und schwach genug, sich ein- schüchtern zu lassen. Er bat den Bischof, das Yolk zu beruhigen, und dieser tat es gegen das Versprechen, dass man seine Kirchen einstweilen nicht autasten wolle. Doch dass der Kaiser sich als besiegten fühlte- 10 stimmte ihn gegen Ambrosius nicht freundlicher. Und wieder scheint Maximus eine drohende Haltung angenommen zu haben. Jedenfalls fand Valentinian für gut, im Sommer 385 zum zweiten Mal nach Aquileja zu gehn, und kehrte erst im tiefsten Winter l5 nach Mailand zurück, als die Alpenstrassen wahr- scheinlich durch tiefen Schnee schon schwer passierbar waren, was einen Angriff von Gallien her unmöglich oder doch sehr schwierig machen mußte.

Unterdessen hatte Mercurinus Auxentius ein Ge- -" setz entworfen, das am 23. Januar 386 die Unter- schrift des Kaisers erhielt. Es wurde darin auf das Concil von Ariminum zurückgegriffen uud allen, die sich der vermittelnden Glaubensformel desselben an- geschlossen hatten, also namentlich den Arianern, das -•"> Recht gewährt, ungehindert Gottesdienste zu halten. Wer dem durch Aufreizung des Volkes zu Tumulten entgegentrete, solle als Majestätsverbrecher dem Tode verfallen und auch diejenigen, die gegen dieses Gesetz Bittschriften einreichten, schwer gestraft werden. Am- brosius war also mit der Hinrichtung bedroht, falls er sein Verfahren vom vergangenen Jahr wiederholte; doch dass ein Martyrium ihm bereitet schien, gewährte ihm nur ein neues wirksames Mittel der Agitation.

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:.. Valentiniai] II. und Maximus. 203

Er wurde nicht müde, zu verkündigen, dass er freudig- bereit sei, seinen Hals dem Henker darzubieten; wusste er doch sehr genau, dass keiner Hand au ihn zu legen wagte. Und während er sich mit kühner Sicherheit

5 täglich auf der Strasse sehen Hess, schwang sich der Kaiser zu keinem mutigeren Entschlüsse auf, als dass er ihm sagen Hess, er möge Mailand verlassen, könne sich aber im Übrigen aufhalten, wo es ihm beliebe. Natürlich machte er von diesem freundlichen Aner-

lo bieten keinen Gebrauch. Man hatte schon einen Wagen bereitgestellt, um ihn mit Gewalt fortzuschaffen; aber angesichts des Yolkes wagte man dies nicht, und heimlich Hess er sich nicht ergreifen.

Unterdessen hatte er an seine Armen nicht, wie

15 es sonst üblich war, Getreide, Brot oder kleine Münze, sondern Goldstücke verteilt. Es war das Handgeld für seine Krieger, wahrscheinlich deshalb so hoch bemessen, damit sie sich Waffen erstehen könnten. In den Kirchen war seine Gemeinde Tag und Nacht

20 versammelt und hielt die Türen verschlossen, um dem Eindringen der Arianern, selbst weun Soldaten sie unterstützten, besser widerstehen zu können. Um jenen gläubigen Scharen Beschäftigung zu geben, Hess er sie Hymnen singen, die im Gegensatze zum Arianis-

26 mus die Personen der Dreieinigkeit als gleichberechtigt priesen. Diese Art des Gottesdienstes hatte er seinen Gegnern entlehnt, weil er darin ein sehr wirksames Mittel erkannte, die Massen durch ihre eigene Stimmen zu fanatischer Begeisterung zu entflammen (III S. 392). In den Pausen wurde ein Kapitel nach dem andern aus der Bibel vorgelesen, abwechselnd aus dem alten Testa- ment, aus den Evangelien und den Episteln. Dazwischen hielt er selbst aufreizende Predigten, in denen er den Auxentius offen schmähte oder mit sehr durchsichtigen

30

204 VI. Yalentiuian und seine Familie.

Anspielungen aus der Bibel die Kaiserin traf und sich selbst bereit erklärte, jedes Martyrium freudig zu er- dulden.

Dieser wohlüberlegten Rüstung gegenüber zeigte der Hof, von einem Weibe und einem Knaben geleitet, 5 sich sehr feige und unentschlossen und steigerte da- durch den Mut des Bischofs und seiner Partei. Statt ein Machtwort zu sprechen und, wenn es nottat, den Aufstand mit Waffengewalt niederzuschlagen, erbot sich Yalentinian, den Streit durch ein Schiedsgericht ent- 10 scheiden zu lassen. Unter seinem Vorsitz sollte es aus Männern zusammengesetzt werden, die zur Hälfte von Auxentius, zur Hälfte von Ambrosius zu wählen seien. Aber dieser erklärte in einem sehr kecken und siegesgewissen Briefe, er werde sich keinem weit- i"> liehen Gericht, auch dem des Kaisers nicht, unter- werfen, sondern höchstens einem Concil, halte aber auch dies für überflüssig. Hierdurch erzürnt, wollte Yalentinian den widerspenstigen Bischof bestrafen, in- dem er sich nicht mehr mit der Basilica Porciana 20 begnügte, sondern eine viel grössere Kirche innerhalb der Stadt in Anspruch nahm. Doch seine Unterhändler deuteten dem Ambrosius an, wenn er nur auf die Porciana verzichte, werde man sich auch damit zu- frieden geben, und befestigten dadurch nur seinen 25 trotzigen Entschluss, auch diese zu verweigern. Dabei führte er die Verhandlungen in der Kirche angesichts seiner Gemeinde und Hess, soweit es möglich war, deren aufrührisches Geschrei für sich antworten. Zwar versicherte er immer wieder, dass seine Anhänger nicht 30 kämpfen, sondern nur Gebete und Bitten an Gott und den Kaiser richten sollten, und meinte damit den Vorwurf, sie zum Aufstande gereizt zu haben, schlau von sich abzuwehren. Aber als sie doch zum Kampfe

.".. Yali'iitinian II. und Maximus. 205

bereitstanden und er aufgefordert wurde, sie zur Ruhe zu bringen, da weigerte er sich: er sei nur verpflichtet, das Volk nicht aufzustacheln, aber es zu beruhigen, sei Gottes Sache.

Während dieser Verhandlungen rückte das Oster- fest heran, das Valentinian mit seinem Auxentius zu feiern gedachte. Am Palmsonntag, den '2d. März, er- fuhr Ambrosius während des Gottesdienstes, dass kaiserliche Diener nach der Basilica Porciana geschickt

10 worden seien, um dort den Thronbaldachin aufzu- schlagen, und dass aufrührerische Volksmassen dies zu verhindern eilten. Zunächst Hess er sich dadurch in seinen frommen Verrichtungen nicht stören, bis die neue Nachricht kam, die Menge habe einen arianischen

i~> Presbyter, der ihr auf der Strasse begegnet sei, auf- gegriffen und zu misshandeln begonnen. Da schickte er einige seiner Geistlichen ab, um den Mann zu be- freien; so zeigte er seine Macht noch besser, als wenn er eine Gewalttat, die er für überflüssig hielt, duldete.

20 Jetzt aber wollte der Kaiser ein Exempel statuieren: er liess die Rädelsführer der Bande einstecken und belegte die Kaufmannschaft von Mailand, weil sie sich auf die Seite ihres Bischofs gestellt hatte, mit einer schweren Geldbusse. Trotzdem wurden die Unter-

25 handlungen mit Ambrosius fortgesetzt, mit keinem andern Erfolge, als dass selbst die niederen Hofbe- amten, da sie ihre Regierung so schwach sahen, sich offen für ihn erklärten. Man musste ihnen verbieten, auf die Strasse zu gehen, damit sie sich den Auf-

;" rührern nicht anschlössen.

Schon vorher hatte man an den Kirchen Truppen aufgestellt, um die gläubige Menge, die dort ihre Hymnen brüllte, an Ausschreitungen zu verhindern. Dies gab dem Bischof Gelegenheit, seine Scharen durch

206 VI. Valentinian und seiue Familie.

den Hinweis auf das drohende Martyrium noch mehr zu begeistern, zugleich aber auch, was noch wichtiger war, mit den Soldaten persönlich in Verbindung zu treten. p]r selbst rühmte sich, dass er gegen sie keine anderen Waffen habe, als seine Tränen; diese aber 5 wusste er trefflich zu benutzen, d. h. er forderte die Truppen zum Ungehorsam gegen ihren Kaiser auf. Und sein Mut. wenn man ihn mit der Unentschlossen- heit des Hofes verglich, war wohl geeignet, sie zu ge- winnen. Die Soldaten, welche die Basilica Porciana to besetzt hatten, liessen Valentinian erklären, wenn er am orthodoxen Gottesdienste teilnehmen wolle, ständen sie zu seinem Befehl, anderenfalls müssten sie selbst sich dem Ambrosius anschliessen. Selbst den aria- nischen Gothen hatte er so imponiert, dass sie sich 15 mit den andern Soldaten in seine Kirche drängten, nicht um seine Anhänger, wie diese anfangs fürchteten- zu bekämpfen, sondern um an ihren Gebeten teilzu- nehmen. Der Kaiser fühlte sich dem o-eo-enüber ohn- mächtig. Das Thronbaldachin in der Basilica Porciana -0 wurde niedergelegt, und das Volk zerriss es höhnend in Fetzen. Am Karfreitag, den 3. April 386, wurden die kurz vorher verhängten Geldstrafen erlassen; die Soldaten empfingen den Befehl, von der Bewachung der Kirchen abzuziehen, und jubelnd fielen sie den -:> Aufrührern. gegen die sie ausgeschickt waren, in die Arme und tauschten Küsse mit ihnen. Die Offiziere wagten sogar, den Kaiser aufzufordern, er möge den Wünschen seiner Truppen nachgeben und selbst den Gottesdienst des Bischofs besuchen; dies aber wies er m mit Entrüstung von sich. „Wenn Ambrosius es euch befiehlt", so rief er voll Bitterkeit, ,, werdet ihr bereit sein, mich ihm gebunden auszuliefern." Auf diese Weise war der Kaiser zwar besiegt, aber sein Grimm dadurch

."). Valentiiiiim II. und Maximus. 201

nur umso mehr entfacht, und wenn die Begeisteruni; bei den Anhänger des Ambrosius erschlaffte und man ihm ohne gar zu grosse Gefahr beikommen konnte, hatte er das Schlimmste zu befürchten.

So entschloss er sich, seine Stellung mehr zu befestigen, indem er die Mirakelmaschine in Be- wegung setzte. Ein Traum verkündete ihm, dass in einer seiner Kirchen zwei bisher ganz unbekannte Märtyrer, Gervasius und Protasius, bestattet seien.

10 Er liess am 17. Juni 380 an der ihm bezeichneten Stelle nachgraben und fand die heiligen Knochen und eine Menge Blut. Durch die Berührung dieser wunder- baren Reliquien wurde ein Blinder sehend und aus Besessenen die bösen Geeister ausgetrieben. Die

Arianer erklärten das Alles zwar für Schwindel, aber Volk und Soldaten glaubten daran, und ihre Hin- gebung für den Wundermann war jetzt so glühend, dass Justina und ihr Sohn auf jeden ferneren Angriff verzichten mussten.

20 Auch aus andern Gründen sahen sie sich dazu

gezwungen. Schon in dem Brief, durch den Ambrosius es geweigert hatte, sich dem Gerichte des Kaisers zu unterwerfen, hatte er mit versteckter Drohung auf die Rechtgläubigkeit des Theodosius und

25 des westlichen Reichsteils, d. h. des Maximus, hin- gewiesen, und dieser liess ihn nicht im Stich. Schon um die Osterzeit 380 richtete er ein Schreiben nach Mailand, worin er sagte, wenn das Misstrauen Valentinians gegen ihn berechtigt wäre, so müsste er

so sich freuen, dass dieser Gott bekämpfe und sich dessen Strafe aussetze. Statt dessen sorge er um das Wohl des Jünglings und ermahne ihn daher ernstlich, von seinem Streite gegen die rechtgläubige Kirche abzulassen. Yalentinian konnte nicht anders.

•JOS VI. Valeutinian und seine Familie.

als in dieser Ermahnung eine Drohung sehen, und musste sich ihr umso mehr fügen, als jenseit der Donau die Bewegung der Völker wieder begonnen hatte und das Reich mit neuen Einfällen bedrohte.

Schon 385 hatte ein Feldherr Valentinians, wahr- scheinlich Bauto, die Sarmaten bekämpfen müssen. Ein grosser Teil von ihnen wurde niedergemacht, andere oefansen und nach Rom geschickt, um dort im Amphitheater gegen Gladiatoren zu kämpfen. Im Hochsommer 386 waren dann die Greuthungen unter Führung des Odotheus an der unteren Donau erschienen und hatten gebeten, dass ihnen der Eintritt in das Reich gestattet werde. Als der Feld- herr des Theodosius, Promotus, der hier befehligte, ihren Wunsch versagte, hatten sie in einer mond- losen Nacht den Übergang über den Strom ver- sucht. Doch ihre schwankenden Einbäume wurden von der römischen Flotte leicht zum Umschlagen gebracht, und der grösste Teil ihrer Krieger ertrank. Die Reste des Volkes ergaben sich dem Kaiser, der mit seinem Sohn Arcadius persönlich herbeigeeilt war, und er siedelte sie in seinem Reichsteil an. Am 12. Oktober 386 hielt er als Sieger seinen Ein- zug in Constantinopel. Durch das Schicksal der Greuthungen geschreckt, Hessen die Horden, die noch jenseit der Donau umherirrten, das Ostreich zunächst unbehelligt und wandten sich stromaufwärts, wo sie das Gebiet Valentinians bedrohten.

Wir dürfen vermuten, dass Maximus und Theodosius beide bereit waren, den Schutz des Jünglings zu übernehmen, jeder aber wohl nur unter der Bedingung, dass der sechzehn jährige seine Vormund- schaft anerkenne. Vielleicht trat er auch mit beiden in Unterhandlung, um zu prüfen, welcher ihm die

o. Valentiniau 1 1. und Maximus. 209

wenigst drückenden Forderungen stellen werde. Jedenfalls sandte er von Aquileja aus, wohin er sich im Sommer 387 wieder zurückgezogen hatte, seinen Vertrauten Domninus an Maximus ab, und jener fand

5 liier das freudigste Entgegenkommen. Alsbald wurden ihm Truppen übergeben, um sie Yalentinian als Hilfsmacht zuzuführen; aber hinter ihnen her kam der Usurpator, da er jetzt die Pässe der Cottischen Alpen offen fand, selbst nach Italien. Wahrscheinlich

10 beabsichtigte er nicht, den jungen Herrscher zu ver- treiben, wohl aber sich seiner Person zu bemächtigen und als Vormund seinen Keichsteil zu verwalten, und wäre ihm dies gelungen, so hätte man es wahr- scheinlich mit Freuden begrüsst. Denn die orthodoxe

15 Kirche, die in Italien die Gemüter des Volkes un- bedingt beherrschte, traute dem Valentinian noch immer nicht und hatte Grund dazu. Fühlte er sich doch Ambrosius gegenüber als den schmählich be- siegten: dies musste den Wunsch der Rache in ihm

20 wachrufen, und wahrscheinlich hätte er ihn befriedigt, sobald er sich mächtig genug fühlte. Von Maximus hatte man nichts ähnliches zu fürchten, da er sich von Anfang an entschieden auf die Seite der Ortho- doxie gestellt hatte, und zugleich schätzte man ihn

25 als milden Herrscher, der auch der kriegerischen Tüch- tigkeit nicht entbehrte. Vermochte er doch allein durch den Schrecken seines Namens die Grenzvölker Galliens nicht nur im Zaum zu halten, sondern auch Tribute von ihnen zu erheben. Auch im Orient, der unter

30 den harten Steuern des Theodosius schwer zu leiden hatte, sehnte man ihn herbei, ja in Alexandria hatte das Volk den Mut, öffentlich im Theater nach ihm zu rufen. Doch Valentinian entzog sich seiner Macht, indem er mit Mutter und Schwestern in Aquileja ein

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 14

1>10 VI. Valentinian und seiue Familie.

Schiff bestieg- und sich nach Thessalonica in den Reichs- teil des Theodosius flüchtete.

Dieser war zum Kampfe so gut gerüstet, wie nie vorher ein anderer Herrscher; denn die ungeheuren Scharen wilder Krieger, die er seit seinem Regierungs- :> antritt auf der Balkanhalbinsel angesiedelt hatte, waren jeden Augenblick bereit, sich unter seineu Fahnen zu sammeln. Trotzdem hat er fast ein Jahr gezaudert, ehe er Maximus den Krieg erklärte, uud anfangs hatte er wohl überhaupt nicht die Absicht dazu. Er schrieb dem Valentinian, ihm sei ganz recht geschehn. dass er für seine Unterstützung des Arianismus dem ortho- doxen Maximus habe weichen müssen, d. h. er billigte offen dessen Vorgehen. Auch'] lud er die flüchtige Kaiserfamilie nicht nach Constantinopel ein, offenbar is weil er fürchtete, dass ihr Aufenthalt an seinem Hofe dem Usurpator als Drohung erscheinen könne; Thessa- lonica dagegen, wo sie bleiben sollte, konnte nur als anständiger, aber ungefährlicher Verbannungsort gelten. So durfte man fast glauben, dass das Geschlecht -" Valentinians T. endgültig vom Throne verdrängt sei, bis der Kaiser, der ja sehr leicht umzustimmen war, durch ein paar schöne Augen auf andere Gedanken gebracht wurde.

Obgleich er mit Valentinian nichts im Sinne hatte. ' musste es ihm doch als Pflicht der Höflichkeit er- scheinen, seinem vertriebenen Kollegen in Thessalonica eine Anstaudsvisite zu machen. Dabei sah er dessen Schwester Galla und konnte sich von der Stadt nicht mehr trennen. Da seine Gattin Flaccilla etwa vor :i* Jahresfrist gestorben war, sehnte er sich nach einer neuen Beherrscherin seiner Wünsche und Gedanken, und keine schien ihm dazu geeigneter, als die schöne Kaiserstochter. In so grosser Eile, wie sie der Un-

.'). Vah'iitini;iii II. und Maximus. •_' 1 1

geduld des Liebhabers entsprach, wurde die Hochzeit gefeiert, und nachdem sich Theodosius noch durch einen heiligen Einsiedler hatte prophezeien lassen, dass sein Kampf siegreich sein werde, stand sein Heer dem

5 neuen Schwager zur Verfügung.

Da der Krieg erst im letzten Augenblicke be- schlossen wurde, war er sehr mangelhaft vorbereitet. Zwar die Barbarenhorden, die durch ihre Verträge zur Heerfolge verpflichtet waren, liefen schnell genug

io zusammen, so dass Theodosius auf Aushebungen unter den Provinzialen verzichten konnte. Nur ein kleiner Teil, den Maximus, wie man meinte, durch grosse Versprechungen aufgehetzt hatte, zeigte sich feindlich, wurde aber noch vor Beginn des eigendlichen Feld-

15 zuges leicht zu Paaren getrieben. Doch was längere Voraussicht und umfassendere Vorbereitungen gefordert hätte, die Verpflegung des grossen Heeres, war schlecht geordnet; zeitweilig musste es hungern, und erst als es gelungen war, Magazine, die Maximus für seine

20 Truppen angelegt hatte, zu erobern, wurde der Not gesteuert. Dies mag teilweise dazu beigetragen haben, dass Theodosius seine Kriegsmacht, um sie leichter aus dem Lande ernähren zu können, nicht einheitlich zusammenfasste, sondern in drei gesonderten Abtei-

25 hingen operieren Hess; entscheidend dafür aber wird ein anderer Grund gewesen sein. Als schwerstes Hindernis seines Vordringens musste der Kaiser die Alpen betrachten, die auch gegen eine grosse Über- macht leicht zu verteidigen waren. Er schiffte daher

" unter Führung des jungen Valeutinian, deu seine Mutter und seine beiden noch ledigen Schwestern begleiteten, den einen Teil seiner Truppen ein, damit sie in Italien landeten und den Maximus, wenn er die Gebirgspässe besetzt hielt, im Rücken angriffen. Mit dem zweiten

14*

212 VI. Yalentinian und seine Familie.

Heeresteil brach Theodosius selbst Anfang Juni von Thessalonica auf; mit dem dritten, der wahrscheinlich der stärkste war, scheinen seine Feldherren Timasius und Promotus von Constantinopel aus vorgegangen zu sein, um sich mit dem Kaiser an der Donau oder an 5 der Save zu vereinigen. Schon unterwegs suchte dieser sich noch schnell der Hilfe seines Gottes zu versichern, indem er die Sünden, die Yalentinian durch seine Unterstützung der Arianer begangen hatte, seinerseits wieder gutmachte. Als er bei seinem Vormarsch lo bis Stobi gelangt war, erliess er am 14. Juni 388 ein neues Gesetz gegen alle Ketzereien und gleich darauf ein zweites, das jedes öffentliche Disputieren über die Religion verbot.

Umgekehrt beging Maximus noch unmittelbar vor ls dem Beginn des Krieges eine schwere Sünde, die, wie Ambrosius später versicherte, seinen Untergang herbei- geführt hat. In Rom hatte der Pöbel in frommer Be- geisterung eine jüdische Synagoge angezündet, und der böse Usurpator hatte die Frechheit, diese schöne Tat -" durch ein Edict zu rügen. Ambrosius, der ihm offen entgegentrat, wurde hart bedroht. So verscherzte Maximus, der früher so orthodox gewesen war, noch im letzten Augenblick die Anerkennung der Geistlich- keit und damit natürlich auch den Erfolg des Kampfes. 25 Sogleich brach das verdiente Unheil herein, indem die Franken am Niederrhein plünderten, die Schiffe der Sachsen an der Küste, und dadurch ein Teil seines Heeres in Gallien festgehalten wurde. Und auch auf die folgenden Ereignisse scheinen die Drohungen der ;" Christen, um so mehr, als sie sich teilweise schon so prompt erfüllt hatten, nicht ohne Einfluss gewesen zu sein. Maximus hatte sich bisher als Liebling Gottes betrachtet, dem nichts fehlschlagen könne, und wurde

5. Valentinian II. und Maxiraus. 213

jetzt in diesem Glauben erschüttert. Daraus erklärt sich wohl die kleinmütige Unsicherheit seiner ganzen Kriegführung, die bald auch seine Soldaten ansteckte. Mit seiner Rüstung, die Andragathius, der Mörder 5 (Iratians (S. 168), als oberster Feldherr leitete, war er schon lange vor Theodosius fertig und konnte daher seinerseits die Offensive ergreifen. Während er selbst in Aquileja blieb, überschritt sein Heer, von Andra- gathius geführt, die julischen Alpen und setzte sich bei

10 Siscia, dessen es sich leicht bemächtigte, hinter der Save fest. Gestützt auf die reichen Magazine, die hier angelegt wurden, wäre es vielleicht noch weiter vorgedrungen, wenn der Feldherr nicht die Nachricht erhalten hätte, dass die Flotte des Theodosius nach

Italien unterwegs sei. In der Hoffnung, sie vor ihrer Landung abfangen und vernichten zu können, kehrte jener alsbald nach Aquileja zurück, sammelte dort die italischen Kriegsschiffe und kreuzte mit ihnen im adriatischen Meere. Doch Valentinian versuchte nicht,

20 wie man erwarten musste, in Brundisium zu landen, sondern hielt auf Sicilien zu, blieb dort in einem kleinem Scharmützel Sieger und wandte sich dann nach den Häfen von Rom. Dadurch gelang es dem Andragathius nicht, die Flotte der Gegner aufzufinden,

25 und während er nach ihr suchte, blieb das Heer des Maximus an der Save verlassen von seinem obersten Führer. So traf es Theodosius; seine Reiter durch- schwammen den Fluss, und kaum waren sie auf dem nördlichen Ufer gelandet, so wandte sich der Feind

!0 in ordnungslose Flucht und wurde fast widerstandslos niedergehauen.

Dieser überraschend schnelle Erfolg ist so er- staunlich, dass er einer Erklärung bedarf, die wahr- scheinlich in Folo-endem zu finden ist. Jenen kecken

214 VT. Valentinian und seine Familie.

Übergang über den breiten Strom konnten nur solche Reiter wagen, die mit ihren Pferden von Jugend auf beinahe verwachsen waren. Es werden die Hunnen gewesen sein, die sich dem Heere des Theodosius angeschlossen hatten. Nun haben wir schon oben .-> (S. 97) gesehn, welchen furchtbaren Eindruck, ge- mischt aus Ekel und Grausen, diese schmutzigen Wilden bei ihrem ersten Erscheinen auf die Gothen machten. Man hielt sie für unüberwindliche Kobolde, gezeugt von Hexen und argen Dämonen, und schon 10 ihr blosser Anblick trieb ihre Gegner in die Flucht. Im Osten, wo Römer und Germanen bald als Feinde, bald als Bundesgenossen schon oft genug mit ihnen gekämpft hatten, muss sich jener erste zwingende Eindruck allmählich durch die Gewohnheit abgestumpft 10 haben; auf die westlichen Barbaren dagegen, welche das Heer des Maximus bildeten, wirkte er mit der ganzen Gewalt des Niegesehenen. Nimmt man hinzu, dass bei diesen durch die Unheilsprophezeihungen der Christen der Aberglaube wachgerufen war und dass 20 sie des Feldherrn, dem sie vertrauten, entbehren mussten, so wird mau begreifen, wie das Hervor- tauehen der unheimlichen Teufelsgestalten aus den Fluten der Save sie sogleich in die Flucht jagte. Barbarische Krieger sind eben für schreckenvolle Ein- 25 Wirkungen auf die Phantasie viel empfänglicher als zivilisierte Heere und lassen sich viel leichter durch eine tolle Panik hiureissen.

Während Theodosius sich in Siscia der Magazine bemächtigte und seine darbenden Truppen neu ver- 30 proviantierte, sammelte Marcellinus, der Bruder des Maximus, dessen flüchtiges Heer bei Poetovio, und hier kam es zu einer zweiten Schlacht. Diesmal wurde dem Kaiser der Sieg hart bestritten; doch ge-

T). Valentinian il. und Maximus. 215

lang- es ihm, den Feind in die Flucht zu schlagen und ihm durch die Verfolgung, die mit den schnellen Reiterscharen der Hunnen und Alanen bis in die Nacht hinein fortgesetzt wurde, ungeheure Verluste beizubringen. Ein Teil des besiegten Heeres ging zu ihm über; der Rest scheint von seiner natürlichen Rückzugsstrasse seitwärts abgedrängt zu sein, sodass

O OD

die Alpenpässe frei blieben. Damit Maximus sie nicht von Italien aus besetze, schickte Theodosius seine

i" hurtigen Reiter in fliegender Eile über das Gebirge. Das feste Emoua, das auf dieser Seite den Schlüssel zu der Alpenstrasse in den Händen hatte, leistete ihm nicht nur keinen Widerstand, sondern empfing ihn mit festlichen Veranstaltungen, und schon gegen Ende

15 August stand er unter den Mauern von Aquileja.

Als Maximus die Nachricht von der Schlacht bei Roetovio erhalten hatte, wollte er anfangs nach Gallien fliehen; doch schon unterwegs, kehrte er wieder nach Aquileja zurück. Er hatte eingesehen, dass jetzt, wo

2o der grösste Teil seines Heeres für ihn verloren war, neue Kämpfe die Entscheidung wrohl hinauszögern, aber nicht verändern konnten, und meinte bessere Aussichten auf Rettung zu haben, wenn er sich der Gnade des Siegers vertrauensvoll unterwarf. War er doch mit

25 Theodosius verschwägert und von 'Jugend auf be- freundet; nicht ohne dessen Zustimmung hatte er Gratian entthront und dann fünf Jahre lang mit ihm in gutem Einvernehmen regiert. So versuchte er denn auch nicht, das feste Aquileja zu halten, sondern ging

30 selbst vor die Tore hinaus und übergab sich den Offizieren seines Gegners. Diese rissen ihm die Ab- zeichen der Kaiserwürde vom Leibe und führten ihn gebunden dem Theodosius zu, der vier Kilometer vor der Stadt sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Da

216 VI. Valeutinian und seine Familie.

Maximus immer versichert hatte, mit ihm im Einver- ständnis gehandelt zu haben, hielt der siegreiche Kaiser es für gut, sich von diesem Vorwurf öffentlich zu reinigen. Er forderte den Gefangenen auf, seine frühereu Behauptungen angesichts des versammelten ~> Heeres zu widerrufen, und in der Hoffnung, sich damit Begnadigung zu erkaufen, zögerte jener nicht, sich selbst Lügen zu strafen. Und wirklich war Theo- dosius nahe daran, ihm das Leben zu schenken; aber die aufgeregten Soldaten duldeten es nicht. Sie rissen 10 den Unglücklichen vom Throne des gnädigen Kaisers fort und überlieferten ihn dem Henker. So wurde er am 28. August 388 enthauptet. Wenig später fiel auch sein kleiner Sohn, Flavius Victor, den er zum Augustus ernannt und in Gallien zurückgelassen hatte, 15 durch Arbogast, den Feldherrn des Theodosius. Als Audragathius auf der Flotte von dem Schicksal seines Herrn erfuhr, stürzte er sich ins Meer. So war nach kurzem und leichtem Kampf die Einheit des Reiches hergestellt, und der junge Valeutinian konnte den Thron seines Vaters und Bruders von neuem besteigen.

Sechstes Kapitel.

Die letzte Erhebung des Heidentums.

Als nach dem Tode Gratians Valentiniaii zuerst als selbständiger Herrscher aufgetreten war, hatte er eine Politik der Toleranz eingeleitet, die zunächst dem Heidentum, dann auch dem Arianismus zu Gute kommen sollte, aber durch den hartnäckigen Wider- stand des Ambrosius sich nicht durchführen Hess. Merkwürdiger Weise sollte es jetzt Theodosius ganz ähnlich ergehen: auch er begann den fremden Reli- gionen Milde und selbst Wohlwollen zu erweisen: doch musste auch er, als er in Mailand seinen Wohn- sitz genommen hatte, vor der harten Willenskraft des Bischofs zurückweichen. Jene Wendung zur Toleranz scheint bei ihm anfang 388 eingetreten zu sein, also um dieselbe Zeit, wo er die flüchtige Kaiserfamilie in Thessalonica besuchte und dann sogleich durch seine Ehe mit der schönen Galla sich in ihren Kreis aufnehmen Hess. WTir irren daher wohl nicht, wenn wir vermuten, dass die kluge Justina, wie sie früher ihren jungen Sohn geleitet hatte, so auch über den leicht bestimmbaren Geist des Schwiegersohnes Macht gewann und sie auch bei diesem in der gleichen Richtung geltend machte.

j^och kurz vorher war er ganz andere Wege ge- gangen. Valens hatte anfangs dem Heidentum im-

•218 VI. Valentinian und seine Familie.

beschränkte Duldung gewährt; doch als er aus dem Prozess des Theodorus (S. 10. 18) den Sehluss zog, dass die heidnische Weissagung seinem Throne Gefahren bringe, hatte er die blutigen Opfer Anerboten, weil von ihnen das Wahrsagen aus den Eingeweiden der ge- s schlachteten Tiere sich kaum trennen liess; nur Weih- rauch und Wein den Göttern darzubringen blieb er- laubt. Dies hatte auch Theodosius durch ein Gesetz vom 21. December 381 bestätigt, und als bald darauf übereifrige Christen das Volk am Besuche der Tempel 10 hindern wollten, verfügte er am 30. November 382. dass sie schon wegen der wertvollen Kunstwerke, die sie enthielten, jedermann offenstehen sollten. Um die- selbe Zeit wurde entdeckt, dass man auch über ihn irgend welche Orakel befragt hatte, und er zeigte sich 15 grossherziger, als Constantius und Valens in dem gleichen Falle gewesen waren, und schenkte den geständigen Hochverrätern das Leben. Doch ähnliche Verbrechen scheinen auch später vorgekommen zu sein und ihn minder barmherzig gefunden zu haben. 20 Jedenfalls erneuerte er am 25. Mai 385 das Verbot der Tieropfer und der damit verbundenen Eingeweide- schau in schärferer Form und gab seinem Praefecten Cynegius den Auftrag, den östlichen Reichsteil zu be- reisen und überall für die Ausführung dieses Gesetzes 25 zu sorgen.

Dieser Vertrauensmann des Kaisers wurde von seiner Frau Acanthia beherrscht, die völlig unter dem Einrluss der Geistlichkeit stand, vor allem das streit- bare Mönchtum blind verehrte. Von ihr angestiftet. :;|> ging er über den Auftrag, den Theodosius ihm ge- geben hatte, weit hinaus. Zwar sich an dem Serapis- kult in Alexandria zu vergreifen, hinderte ihn derselbe Aberglaube, der sein Wüten gegen das Heidentum

»;. Die Letzte Erhebung des Heidentums. 219

bestimmte. Denn die Meinung- war weit verbreitet und wurde auch von Cynegius geteilt, dass dieser heid- nische Dämon die Überschwemmungen des Nils be- stimme; was aber sollte aus dem Volke von Constan- 5 tinopel werden, wenn die ägyptischen Kornzufuhren ausblieben? Wo aber solche Bedenken ihn nicht störten, da hinderte er nicht nur die blutigen Opfer, sondern schloss auch gegen das Gesetz von 382 die Tempel. Als der Bischof Marcellus von Apamea das

10 prachtvolle Heiligtum seiner Stadt niederriss, gewährte er ihm militärischen Schutz gegen den Zoru des Volkes und zerstörte sogar den berühmten Tempel von Edessa, obgleich der Kaiser diesen gegen die Angriffe der Christen ausdrücklich in Schutz genommen hatte.

i") Nachdem Cynegius dann auf der Rückreise nach Constantinopel anfang 388 gestorben war. widmete ihm Theodosius zwar noch einen glänzenden Nachruf. Trotzdem scheint es ihn stutzig gemacht zu haben, dass der plötzliche Tod des Praefecten immittelbar

20 auf dessen Feldzug gegen das Heidentum gefolgt war und so fast wie eine Strafe dafür erschien. Justina, die eben damals seine Schwiegermutter geworden war, bestärkte ihn wahrscheinlich in dieser Ansicht, und die Folge war, dass er nach einigem Besinnen den

Heiden Tatianus zum Praefecten des Orients ernannte, was natürlich das Ende jener Verfolgungen bedeutete. Als dann Theodosius den Feldzug gegen Maximus angetreten hatte und damit der persönlichen Ein- wirkung der Justiua entzogen war, besann er sich

30 noch einmal auf seine Rechtgläubigkeit und erliess jene Ketzergesetze, deren wir oben schon erwähnt haben (S. "212); doch was ihnen zunächst folgte, sah nicht wie eine Belohnung Gottes aus. Das Heer des Usurpators wrar ungehindert in seinen Reichsteil ein-

220 VI. Valentiniao und seine Familie.

gefallen, und als er ihm entgegenzog, wurden seine Truppen von schwerem Nahrungsmangel heimgesucht (S. 211). In Constantinopel verbreitete sich die Nach- richt, dass er besiegt sei, und dadurch mutig gemacht, überfielen die Arianer, die noch immer an ihrem ab- 5 gesetzten Bischof Demophilus hingen, das Haus von dessen orthodoxem Nachfolger Nectarius und steckten es in Brand. Unter andereil Umständen hätte dies den Kaiser noch mehr gegen die Ketzerei einnehmen können; in seiner damaligen Stimmung aber sah er 10 ein, dass seine Begünstigung der Orthodoxie die Ur- sache des Aufruhrs gewesen war. und das wurde ihm um so klarer, als seine Glaubensgenossen zu derselben Zeit noch viel ärgere Schandtaten begingen. Denn seit die kaiserlichen Beamten die Verfolgung des 15 Heidentums aufgegeben hatten, nahmen sie die Mönche in die Hand. In aufgeregten Horden durchzogen sie das Land, verwüsteten die Tempel und zerstörten die herrlichsten Kunstwerke, wenn sie Götter darzu- stellen schienen; und ihnen folgten Scharen beute- 20 gierigen Gesindels, um die Dörfer, die des Unglaubens verdächtig waren, schonungslos auszuplündern. So veranlasste er denn seinen Sohn Arcadius, der, in Constantinopel zurückgeblieben, den dortigen Krawall miterlebt hatte, dass er für die arianischen Mord- -'•"> brenner um Gnade bat, und gewährte sie ihnen. Die orthodoxen Unruhstifter dagegen, die ihm zur Zeit gefährlicher schienen, wollte er härter anfassen, und das umso mehr, als ein Spitzführer der Partei sich eben damals arg vor ihm blamierte. :!,)

Bischof Theophilus von Alexandria hatte den Ehrgeiz gehabt, dem Sieger im Bürgerkriege, wo möglich, als erster seine Glückwünsche zu Füssen zu legen. Denn wenn sein Bote mit den üblichen

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 221

Ehrengeschenken in Aquileja anlangte, noch ehe die Siegeskunde nach Ägypten überbracht sein konnte, so musste dies den Bindruck erwecken, als wenn er ein gottbegnadeter Seher sei, der alles vorausgewusst

5 habe. Er hatte daher schon beim Ausbruch des Krieges seinen Vertrauten, den Presbyter Isidorus, mit zwei Gratulationsbriefen nach Italien geschickt, von denen der eine an Theodosius, der andere an Maxim us gerichtet war. Je nachdem die Entscheidung

i<> fiel, sollte dieser oder jener an seine Adresse bestellt und der andere in der Stille vernichtet werden. Doch in Koni war ein Begleiter des Isidorus so fromm und ehrlich, die Briefe zu stehlen und beide dem Theo- dosius in die Hände zu spielen. Als der Presbyter

dies erfuhr, floh er in heller Angst nach Alexandria, um dort sein Missgeschick zu melden. Der Kaiser aber konnte in dem Briefe, der für ihn selbst bestimmt war, seine christlichen Tugenden verherrlicht und in dem an Maximus sein Sündenregister aufgezählt finden,

20 was seiner Selbsterkenntnis ohne Zweifel sehr förder- lich war, aber seine Ehrfurcht für die geistlichen Ver- treter der Orthodoxie kaum erhöhte.

Auch Ambrosius hatte es nicht viel minder eilig als Theophilus, ihm zu seinem Siege über Maximus

25 Glück zu wünschen. Kaum war Theodosius Ende August 388 in Aquileja eingezogen, so eilte jener ihm sehr beflissen entgegen, um ihn gleich an der Grenze Italiens willkommen zu heissen. Doch als er auch diesem Kaiser gegenüber seine geistlichen Herrschafts-

30 rechte geltend machen wollte, begegnete er kühler Ablehnung. Zwar wurden auf seine Fürbitte die meisten Anhänger des Maximus begnadigt; doch wäre dies auch ohne sie geschehen, weil Theodosius, der zu ihrem Herrn lange Zeit in einem freundschaftlichen

222 VL Valentinian und seine Familie.

Verhältnis gestanden hatte, ihnen gar nicht böse sein konnte. Liess er doch sogar der Mutter des Usurpators eine Rente aus dem kaiserlichen Schatze anweisen und sorgte für die Erziehung seiner Töchter. In einer andern Sache aber, welche die Kirche näher anging, 5 hatte der herrschsüchtige Bischof geringeres Glück. Von einem Grenzkommandanten am Euphrat war ein Bericht eingelaufen, nach dem in Callinicum eine jüdische Synagoge, in einem Dorfe ein Bethaus der valentinianischen Gnostiker eingeäschert waren. An 10 diesem hatte eine Horde von Mönchen ihren ortho- doxen Eifer bewiesen: gegen die Juden war eine Volksmenge auf Anstiften ihres Bischofs zu Felde ge- zogen und hatte dabei nicht nur gesengt, sondern sich vorher noch an den Weihgeschenken bereichert. Der 15 Kaiser hatte hohe Achtung vor den uralten Über- lieferungen des Judentums, auf denen ja auch der christliche Glaube beruhte. Die Kontinuität derselben war niemals ganz unterbrochen, ja man meinte sogar, dass die Nachkommen desselben Aaron, denen einst 20 der Herr die ewige Priesterwürde verheissen hatte, noch immer ihres Amtes walteten. Und dieser ehr- würdige Glaube verdiente um so eher Schonung, als er nicht, wie das Heidentum, die Herrschaft über das Reich in Anspruch nahm, sondern nur einem kleinen 25 Bruchteil seiner Bevölkerung eigen war. In seiner Antwort auf jenen Bericht tadelte daher der Kaiser den Beamten, weil er überhaupt an ihn berichtet habe, während er doch gleich mit den erforderlichen Strafen hätte einschreiten sollen. Die Mönche uud die Rädeis- führer des aufrührerischen Volkes sollten streng be- straft, die geraubten Weihgeschenke aufgesucht und zurückgegeben, der Bischof gezwungen werden, die Synagoge auf seine Kosten wieder aufzubauen. Dieser

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 223

durchaas gerechten Entscheidung widersetzte sich Anibrosius, fand aber zunächst noch kein Gehör. Ohne seinen Befehl zurückzunehmen, siedelte Theodosius gegen Anfang October von Aquileja nach Mailand

5 über, wo er wahrscheinlich mit Justina und ihrem Sohn, die unterdessen mit der Flotte gelandet waren, zusammentreffen wollte.

Natürlich folgte ihm der Bischof und richtete jetzt ine Denkschrift an ihn, in der er in herrischem Tone

in die Forderung stellte, dass er, der für den Kaiser zu beten und um dessen Seelenheil zu sorgen habe, gehört werden müsse. Jener wolle die Ordnung im Reiche aufrecht erhalten; doch höher als die Ordnung stehe die Religion. In Mailand sei die Synagoge durch das

15 (Bericht Gottes niedergebrannt ob nicht irgend

jemand das Werkzeug dieses Gerichtes war, ist nicht gesagt ; doch wenn sie noch stände, würde Ani- brosius selbst nicht zögern, die Brandstiftung zu ver- anlassen, wie es der Bischof von Callinicum getan habe.

20 Dieser könne ein jüdisches Bethaus nicht aufbauen, ohne seinen Glauben zu verraten: er werde also wahr- scheinlich sich dem Befehl des kaiserlichen Beamten widersetzen und durch die Strafe zum Märtyrer werden. Ob Theodosius wolle, dass seine Regierung durch eine

25 Christen Verfolgung befleckt werde? Zum Schlüsse er- klärt Anibrosius, er sei dem Kaiser bis jetzt noch achtungsvoll begegnet; wenn dieser ihn aber im Palast nicht hören wolle, werde er ihn in der Kirche hören müssen.

Und wirklich machte er diese Drohung wahr. Im Beisein des Kaisers hielt er eine Predigt, in der fast jedes Wort auf diesen gemünzt war, vorsichtiger Weise freilich noch so, dass Theodosius sich wohl ermahnt, aber nicht geradezu beleidigt fühlen konnte. Er redete

224 VI. Valentinian und seine Familie.

den Ambrosius an, als dieser von der Kanzel herabstieg, um an den Altar zu treten, und der Bischof erklärte ihm, nicht eher in seiner Gegenwart das Messopfer darbringen zu wollen, als bis er ihm den Willen tue. Der Feldherr Timasius stand dabei; er hatte sich in 5 dem Kriege o-egen Maximus solche Verdienste erworben, dass ihm für das bevorstehende Jahr 389 die höchste Ehre des Römerreiches, das Consulat, verliehen war. Doch als er es wagte, etwas gegen die Gewalttaten der Mönche zu sagen, verbot ihm der hochmütige lo Bischof grob den Mund. Theodosius Hess sich ein- schüchtern; er versprach, seine Straf befehle zu mildern, namentlich den Bischof von Callinicum nicht zum Wiederaufbau der Synagoge zu zwingen, aber damit war Ambrosius noch nicht zufrieden. Erst als ihm in feier- 15 lichster Form zugesichert wurde, dass gar keine Unter- suchung gegen die Mordbrenner angestellt werden solle, ging er an den Altar, um jetzt in sehr erhöhter Stim- mung die Messe zu celebrieren.

Um dieselbe Zeit erschien eine Gesandtschaft des '-" Senats in Mailand, um auch bei diesem Kaiser die Herstellung des heidnischen Kultus in Rom zu erbitten. Wieder trat ihr Ambrosius entgegen, und als Theodosius nicht abgeneigt schien, ihr zu willfahren, hielt der Bischof sich eine Zeitlang fern von ihm, wie von einem 25 Schuldbefleckten, bis er auch diesmal seinen Willen durchgesetzt hatte.

Doch was er erfochten hatte, waren Pyrrhussiege. Gründlich verärgert durch die Anmaassung des Bischofs und wohl noch mehr durch die Scham über seine eigene '■'•" Schwäche, gab Theodosius den Befeld, dass die Ver- handlungen des Consistoriums vor Ambrosius tief ge- heimzuhalten seien, damit er sich nicht wieder in die Regierungsgeschäfte einmischen könne. Zwar behielt

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 225

er seine Spione am Hofe, die ihn trotzdem auf dem Laufenden erhielten; doch schon um diese Getreuen nicht blosszustellen, musste er schweigen und durfte von dem, was er erfahren hatte, keinen Gebrauch

5 machen. Und was nocli wichtiger war, Theodosius wandte seine Gunst jetzt namentlich Männern zu, von denen er mit Sicherheit voraussetzen konnte, dass sie nicht unter dem Einfluss der Geistlichkeit ständen, d. h. Juden und Heiden.

10 Zu dem Freunde Julians des Abtrünnigen, dem

berühmten Redner Libanius, stand er schon seit Jahren in einem ganz eigentümlichen Verhältnis. Da dieser in Antiochia lehrte und seine geliebte Heimatstadt kaum je verliess, hatte er den Kaiser nie mit Augen

15 gesehn. Doch schickte er ihm von Zeit zu Zeit Denk- schriften, die in der Form von Reden teils die Be- amten des Orients kritisierten, teils auf öffentliche Miss- stände hinwiesen und um Abhilfe baten. Diese Rat- schläge, in ein künstlerisches Gewand gekleidet, das

20 jeuer Zeit mustergültig schien, hatten Theodosius so gut gefallen, dass er seine Gesetzgebung schon wieder- holt durch sie hatte bestimmen lassen. Diesen Ein- fluss suchte man zu zerstören, indem man anfang 388 den heidnischen Sophisten denunzierte, dass er über

25 die Kaiserfamilie irgend welche Orakel befragt habe. Das war Hochverrat und hätte seinen Tod herbei- führen können. Nachdem aber der Heide Tatianus zum Praefecten des Orients ernannt war, wurde der Prozess sehr bald niedergeschlagen, und Ende 388,

3o also um dieselbe Zeit, wo Ambrosius sich seines Sieges über den Kaiser rühmen konnte, verlieh .dieser dem Libanius Rang und Titel eines Praefecten.

Ganz ähnlich ging es Gamaliel, dem Patriarchen der Juden in Palaestiua, der mit Libanius in freund-

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 15

226 VI. Valentüiian und seiue Familie.

schaftlichem Briefwechsel stand. Er beschäftigte sich mit der Medizin, und da man zu jener Zeit nicht nur durch Arzneien, sondern fast noch mehr durch Be- sprechungen und anderen Hokuspokus zu heilen pflegte, konnte schon dies ihn in den Verdacht der Zauberei 5 bringen. Durch Bestechung seines Schreibers be- mächtigte sich der Consular Hesychius, der mit ihm verfeindet war, seiner Papiere, jedenfalls um daraus Auklagematerial gegen ihn zu gewinnen. Doch die Folge war, dass Theodosius den Hesychius hinrichten 10 Hess und dass auch Gamaliel durch den Praefecten- titel geehrt wurde.

Jener Symmachus, der wenige Jahre vorher so kühn für die Herstellung des heidnischen Kultus ein- getreten und dann durch die Verläumduugen des 15 Ambrosius verfolgt worden war (S. 198), hatte auf Maximus eine Lobrede gehalten und dabei wahrschein- lich auch Schmähungen gegen Theodosius nicht ver- mieden. Die härteste Strafe fürchtend, suchte er ein Asyl in der Kirche der Novatianer. Doch erlangte er nicht nur Verzeihung, sondern wurde vom Kaiser hochgeehrt und bald darauf (391) sogar zum Consuln ernannt.

Dies sind Symptome der Stimmung, die damals am Hofe herrschte. Von entscheidender Bedeutung 25 aber war, dass ein naher Verwandter jenes Sym- machus, der Philosoph und Historiker Virius Nico- machus Flavianus, zum Kaiser berufen und sehr bald zum Praefeeten von Italien, Illyricum und Africa er- nannt wurde. Dies war ein erklärter Feind des :;0 Christentums: hat er doch, wie wir sehn werden, später sogar versucht, eine Reaktion dagegen ganz im Sinne Julians durchzuführen. So waren die beiden wichtigsten Praefecturen, die italische und die des

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 227

Orients, mit Heiden besetzt, die sicher bereit waren, den Ausschreitungen der Geistlichen und Mönche energisch entgegenzutreten. Theodosius durfte hoffen, dass sie nicht erst Befehle dazu von ihm erwarten

5 und ihm so neue Konflikte mit Ambrosius, in denen er sich tief beschämt als den schwächeren fühlte, er- sparen würden.

Mächtig musste die Grösse der alten Religion den eindrucksfähigen Geist des Kaisers ergreifen, als

io er in Rom ihre gewaltigsten Denkmäler kennen lernte. Als Triumphator zog er am 13. Juni 389 in die Welthauptstadt ein und verweilte hier bis zum 30. August. Valentinian, dessen Mutter kürzlich ge- storben war, nahm nicht Teil an dieser Feier; da ihm

15 die Regierung des gallischen Reichsteils übertragen war, hielt er sich zu derselben Zeit, in Trier auf. Dafür hatte Theodosius seinen kleineu Sohn Honorius aus Constantinopel kommen lassen, um ihn den Römern, zu deren künftigem Herrscher er bestimmt war, vor-

20 zustellen. Er selbst besuchte den Senat, sprach von der altberühmte Rednerbühne zum Volk, bewunderte die Bauten der ewigen Stadt und verkehrte mit ihrem Adel, der damals noch zum grössten Teil heidnisch war, in freundlicher Herablassung. Als der gallische

25 Dichter und Redner Pacatus, der sich gleichfalls zur Religion der Väter bekannte, ihm den noch erhaltenen Panegyrikus vortrug, wurde er mit dem Proconsulat von Africa belohnt. Selbst dass, als er sich eben zur Rückkehr nach Mailand rüstete, ein Stern von ganz

so eigentümlicher Gestalt, vielleicht ein Komet, als Drohung- Gottes am Himmel erschien, wurde zwar wahrschein- lich die Veranlassung, dass er ein neues Ketzergesetz erliess, machte ihn aber an dem Vertrauen zu seinen heidnischen Beamten nicht irre.

15*

228 VI. Valeutinian und seine Familie.

Von den fröhlichen Festen Roms nach Mailand zurückzukehren, wo er wieder unter die scharfe Auf- sicht des Ambrosius kam, wird dem Kaiser wenig Freude bereitet haben; doch wie es scheint, hielt er es aus dynastischen Gründen für nötig. Da Arcadius 5 den Orient beherrschen sollte, hatte er wahrscheinlich schon damals dem Honorius Italien zugedacht, damit so das Erbe der Brüder unmittelbar an einander grenze und nicht durch den Reichsteil Valentinians getrennt werde. Doch offen einzugestehen, dass er diesen aus 10 dem Gebiet hinauswerfen wolle, das ihm schon seit den frühesten Kinderjahren gehört hatte, wagte Theo- dosius nicht. Wohl aber wünschte er eine vollendete Tatsache zu schaffen, indem er den Jüngling in Gallien liess und Italien an seine eigene Herrschaft gewöhnte, 15 aus der es dann als selbstverständliches Erbteil auf seinen Sohn übergehen konnte. Dazu aber war es erforderlich, dass er in Mailand als dem Mittelpunkt der civilen und militärischen Verwaltung dieses Reichs- teils dauernd residierte. So schuf er mit der Hinter- 20 haltigkeit, die wir schon in seinem Verfahren gegen Gratian und Maximus beobachten konnten, für den Augenblick einen ganz zweifelhaften Besitzstand. Für Italien, Illyricum und Africa ernannte er die Beamten und verfasste die Gesetze, liess aber Valeutinian ruhig 25 in dem Glauben, dass diese Gebiete eigentlich ihm gehörten. Doch den Männern, welche die Umgebung des jungen Kaisers bildeten, scheint heimlich befohlen zu sein, dass sie ihn nicht aus Gallien herauslassen sollten, damit er dieses als sein einziges Eigentum *' betrachten lerne und dem Heer und Volk des italischen Reichsteils allmählich entfremdet werde.

Doch sehr lange hielt Theodosius es in Mailand nicht aus. Im Frühling 390 hatte er die Stadt wieder

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 229

verlassen, als ihm eine Nachricht gebracht wurde, die in ihm den wildesten Jähzorn hervorrief. Sie wurde die Ursache jenes grausigen Massenmordes, der sein Andenken für alle Zeiten beschmutzt hat.

5 In Mailand hatte der Kaiser unter dem Eintiuss

des Ambrosius, der durch das Erscheinen jenes Ko- meten wahrscheinlich sehr verstärkt worden war, ausser jenem Gesetze gegen die Ketzerei noch ein anderes erlassen, nach dem die Cinaeden Roms alle verbrannt

io werden sollten. Die Verkündigung desselben musste auch ein schärferes Vorgehen gegen die Paederasten zur Folge haben. Nun hatte in Thessalonica ein sehr populärer Circnskutscher einem schönen Jüngling nachgestellt, der Bntherich, dem Befehlshaber der

15 illyrischen Truppen, als Mundschenk diente, und wurde dafür in Haft genommen. Als in der nächsten Zeit öffentliche Wagenrennen stattfinden sollten, for- derte das Volk seine Freilassung, damit er bei den- selben mitwirken könne, doch wurde sie verweigert.

20 Da brach der Pöbel, dem die Freude an den Circus- spielen eines der wichtigsten Lebensinteressen war, in einen wilden Aufstand aus, und Butherich wurde da- bei erschlagen. In den letzten Jahren waren die Krawalle sehr häufig geworden. Wir haben schon

2r> gesehen, wie in Antiochia die Statuen der Kaiser- familie umgestürzt (S. 170), dann in Constantinopel das Haus des Bischofs, im Orient jüdische Synagogen und ketzerische Bethäuser in Brand gesteckt, heid- nische Tempel demoliert und wertvolle Kunstwerke

so zerstört worden waren (S. 220. 222). Anfangs hatte Theo- dosius freiwillig Gnade geübt, dann, als er ungeduldig geworden war, hatte ihn Ambrosius dazu gezwungen. Jetzt aber, wo die Zügellosigkeit der Massen ihm einen geschätzten Feldherrn geraubt hatte, brach bei

230 VI. Valeutinian und seine Familie.

ihm der lauge aufgespeicherte Grimm schrecklich aus. Er wollte ein Exempel statuieren, das im ganzen Reich Entsetzen erregen und überall abschreckend wirken sollte, und gab den Befehl, das Volk von Thessalonica, wenn es bei seinen geliebten Spielen im Circus ver- .-, sammelt sei, wahllos niederzuhauen. Mit unheilvoller Eile wurde dies ausgeführt. Über zwei Stunden lano- wüteten die Soldaten unter der dicht gedrängten Menge, und ohne nach Schuld oder Unschuld zu fragen, mordeten sie hin, was ihnen vor das Schwert kam. 10 Man schätzte die Zahl der Opfer auf nicht weniger als 7000.

Sehr bald reute Theodosius sein Blutbefehl; doch der Bote, der den Widerruf nach Thessalonica über- brachte, kam zu spät, um die Ausführung zu ver- r> hindern. Eben damals hatte der Streit gegen Ithacius (S. 194) eine Synode in Mailand versammelt, und Am- brosius glaubte seinem eigenen Rufe zu schaden, wenn er angesichts dieser Kollegen eine Schandtat, die sie alle mit Entsetzen erfüllte, einfach ignorierte. Zwar 20 hat er den Kaiser nicht, wie eine schlechte Quelle erzählt und das schöne Gemälde von Rubens es dar- stellt, von der Kirchentüre zurückgewiesen, wohl aber ging er, kurz bevor Theodosius nach Mailand zurück- kehrte, unter dem Vorwande einer Krankheit aufs '& Land, um ihm nicht persönlich begegnen zu müssen. So gewann er Zeit, sein weiteres Vorgehen zu über- legen und die Stimmung des Kaisers zu erkunden, damit er wisse, wie weit er gehn köune. Als er er- fuhr, dass dieser selbst schon Reue empfinde, schrieb :!" er ihm einen Brief, in dem er erklärte, nicht eher in seiner Gegenwart das Messopfer darbringen zu wollen, als bis die erforderliche Busse geleistet sei. Durch diese Forderung fühlte sich Theodosius anfangs, wie

6. Die letzte Erhebung des Heidentum-. 231

es scheint, in seinem kaiserlichen Selbstbewusstsein verletzt. Seinem Missmut über die geistliche Censur gab er durch ein strenges Gesetz gegen die Erb- schleicherei des Klerus Ausdruck und ernannte zwei 5 Heiden, den Praefecten Tatianus und den berühmten Redner Symmachus, zu Consuln für das kommende Jahr 391. Mailand, wo er seinem strengen Mahner bald hätte gegenübertreten müssen, verliess er schon nach wenigen Wochen, um nach Verona zu gehn,

lo vielleicht weil er dort einen fügsameren Bischof zu finden erwartete.

Doch scheint er durch diese Reise den geistlichen Ermahnungen nicht entgangen zu sein. Jedenfalls er- liess er in Verona am 18. August 390 eine Verfügung,

15 dass kein Befehl zu einer Hinrichtung ausgeführt werden dürfe, ehe dreissig Tage verstrichen seien. Auf diese Weise Hessen sich verhängnisvolle Über- eilungen, wie die von Thessalonica, künftig verhindern. Doch gleich verkündete ein Himmelszeichen, dass der

20 Zorn Gottes durch diesen Beweis der Reue noch nicht versöhnt sei. Am 22. August erschien ein gewaltiger Komet, und schon am folgenden Tage wurde jenes eben erst veröffentlichte Gesetz, das die Erbfähigkeit der Kleriker beschränkte, wieder aufgehoben. Daun

25 aber scheint die Rede des Libanius für die Tempel am Hoflager eingetroffen zu sein. Hier war geschildert, mit welcher Zerstörungslust die Mönche und ihr An- hang gegen die alten Heiligtümer wüteten, und zornig erkannte Theodosius, dass die Volksmassen, wenn sie

30 solche Führer fanden, sich auch durch seine neueste Schreckenstat nicht vor Krawall und Aufruhr warnen Hessen. So verfügte er denn am 2. September 390, dass die Mönche die Einöden, die ihr Aufenthalt sein sollten, nicht verlassen dürften, ein Gesetz, dass er

232 VI. Valentinian und seine Familie.

freilich auch sehr bald wieder umstiess. Aus allem dein sehen wir, wie er in dieser Zeit bald einen An- lauf nimmt, die Übergriffe der Geistlichkeit niederzu- halten, bald sich ihren Wünschen beugt und das kaum Beschlossene widerruft, ein deutliches Zeichen für den 5 schwankenden und unsicheren Seelenzustand, in den ihn teils die Reue über sein Verbrechen, teils der Grimm über die Anmaassung seines Seelenhirten ver- setzt hatten.

Unterdessen waren Nachrichten aus Constantinopel 10 gekommen, die den Kaiser schwer trafen. Arcadius konnte sich mit seiner jungen Stiefmutter nicht ver- tragen, und der Konflikt hatte sich so zugespitzt, dass er sie in Abwesenheit seines Vaters aus dem Palast ausgewiesen hatte. Diese öffentliche Schmach der 15 ganzen Familie, in der er die Strafe Gottes erkennen mochte, könnte es gewesen sein, was den Stolz des Theodosius brach. Er kehrte nach Mailand zurück und trat durch Vermittlung seines Magister Officiorum Rufinus, eines eifrigen Orthodoxen, mit 20 Ambrosius in Verbindung, um dessen Bedingungen zu hören. Der Kaiser musste öffentlich seine Sünde beichten und eine bestimmte Zeit lang ohne die Iusignien seiner Würde als Büsser in der Kirche er- scheinen, ehe ihm am Weihnachtstage des Jahres 390 25 wieder das Sakrament gespendet wurde. Er wird es mit freudiger Erleichterung begrüsst haben, dass er durch die Absolution mit seinem Gott und seinem Gewissen wieder Frieden hatte; damit aber war die Macht des Ambrosius über ihn widerspruchslos entschieden. Rufinus wurde :!0 mit dem Consulat des Jahres 392 belohnt und der Ein- tluss der heidnischen Beamten begann zu erlahmen.

In Rom waren dem alten Kultus die Staatsmittel zwar entzogen; doch weil der Aberglaube, dass von

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 233

ihm Sieg- und Macht des Reiches abhänge, auch bei den Christen nicht ganz erloschen war, hatte man ihn hier doch nicht verboten. Ebenso hatte der Serapis von Alexandria, der, wie man meinte, die Über-

5 schwemmungen des Nil beherrschte und regelte, seine alten Rechte bis dahin bewahrt. Nach der Busse des Theodosius aber am 24. Februar 391 wurde nach Rom der Befehl geschickt, dass künftig auch liier die Opfer zu bestrafen seien, und namentlich jeder Be-

10 amte, der sich eine heidnische Kulthandlung erlaubte, mit einer Geldbusse bedroht, die sich bei den Prae- fecten bis auf 15 Pfund Gold, das sind 13700 Mark, steigerte. Von den alten heidnischen Bräuchen blieb nur übrig, dass die Jahresconsuln bei ihrem Antritt

die Auspicien der fressenden Hühner befragten, und dies scheint man nicht nur in Rom, sondern im ganzen Reiche bis zu seinem Ende beobachtet zu haben. Man meinte eben, was dem Jahre den Namen gab, müsse auch die Schicksale dieses Zeitabschnittes bestimmen,

20 und wagte nichts an den alten Formen zu ändern, damit nicht auch das alte Glück mit ihnen entweiche.

Das ferne Alexandria hatte der Kaiser vergessen, ehe es selbst ihn sehr laut auf sich aufmerksam machte. Wie einst Georgius (IV S. 334), so hatte auch Bischof

2"> Theophilus durch höhnische Profanierung der Mysterien- geheimnisse einen Aufstand hervorgerufen, bei dem unter Führung des Philosophen Olympus zahlreiche Christen erschlagen, viele durch Misshandlungen sogar zum Opfern gezwungen wurden. Da die ägyptischen

30 Beamten wussten, dass das Heidentum am Hofe mäch- tige Fürsprecher besass, hatten sie nicht mit Waffen- gewalt einzuschreiten gewagt, sondern nur an den Kaiser berichtet. Die Antwort war, dass dasselbe Gesetz, das kurz vorher für Rom erlassen war, am

234 VI. Yalentinian und seine Familie.

16. Juni 391 auch nach Alexandria überschickt wurde. Durch die Erfahrung von Thessalonica gewarnt, ge- währte Theodosius zwar den Aufrührern Begnadigung; doch wurde die Statue des Serapis zertrümmert und verbrannt, sein Tempel zerstört und damit auch in 5 Ägypten jede öffentliche Ausübung des heidnischen Kultus unterdrückt.

Wahrscheinlich war es der Zwist der Galla mit seinem Sohn Arcadius, was den Kaiser bewog, im Frühling 391 Mailand zu verlassen und nach Con- 10 stantinopel zurückzukehren. Doch auch nach seiner Trennung von Ambrosius blieb seine Gesetzgebung auf dem Wege, den dieser vorgezeichnet hatte. Als verzeihender Beichtvater hatte er die unbeschränkte Macht über den Willen des Herrschers gewonnen, die 15 ihm vorher so scharf bestritten war. So wurden am 11. Mai 391 denen, die zum Heidentum abgefallen waren, das Erbrecht und alle Ehrenrechte geraubt, und diese Strafe sollte auch dann nicht aufgehoben sein, wenn sie reuig in den Schoss der Kirche zu- 20 rückkehrten. Am 15. März 392 wurden den Witwen, die eine zweite Ehe eingingen, neue Rechtsnachteile auferlegt. Am 17. April erging das Verbot, am Sonn- tag Circusrennen abzuhalten, und gleichzeitig wurde den Mönchen die Freizügigkeit wiedergegeben (S. 176). -"• So stand ihnen gesetzlich nichts mehr im Wege, ihre Feldzüge gegen die Tempel mit erholten Kräften wieder aufzunehmen, und da die Heiden sich zur Wehre setzten, hallte der ganze Orient von Krieg und Kriegsgeschrei. Am 27. Mai wurde verfügt, dass in den zwei Osterwochen keine Rechtshandlung vor- zunehmen sei. Am 15. Juni wurden Kulthandlungen der Ketzer wieder einmal mit schweren Vermögens- strafen belegt. Am 18. Juli wurde die Predigt ketze-

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6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 235

rischer Lehren mit Deportation bedroht. Ein Gesetz vom 8. November 392 erklärte jedes blutige Opfer für ein Majestätsverbrechen und belegte auch das Darbringen von Weihrauch und Wein, das früher er-

6 laubt gewesen war, mit harten Bussen. So folgten sich Schlag auf Schlag Verfügungen, die Glauben und Sittlichkeit ganz im Sinne des Ambrosius fördern sollten.

Unterdessen war es Rufinus gelungen, den heid-

ii> nischen Praefecten Tatian im Sommer 392 zu stürzen und sich selbst an seine Stelle zu setzen. Mit wildem Hasse verfolgte er seinen Sieg, und Theodosius war leicht bereit, den früheren Günstling grausam zu strafen. Der Sohn desselben, Proculus, der freilich zuerst als

15 Comes Orientis, dann als Stadtpraefect von Constan- tinopel die Untertanen hart bedrückt hatte, wurde vor den Augen des Vaters enthauptet, dieser selbst seines Vermögens beraubt und als Bettler in die Verbannung- geschickt, und alle Bürger der Provinz Lycien, aus

20 der er herstammte, um seinetwillen gesetzlich zur Ehr- losigkeit verurteilt. Doch während im Orient Rufinus als Vertreter der starren Orthodoxie die höchste Macht am Hofe des Kaisers erlangte, was bald auch ihm selbst zum Verderben werden sollte, hatte sich im

25 westlichen Reichsteil ein Umschwung vollzogen, der dem Heidentum seinen letzten kurzen Sieg verlieh.

Als Ende 388 der siebzehnjährige Valentinian uach Gallien geschickt wurde, hatte ihm Theodosius, bei dem eben damals jene vorübergehende Vorliebe

so für die Vertreter der alten Religion sich geltend zu machen begann, einen Heiden zum Feldherrn und Leiter bestimmt. Arbogast war ein Franke, der, aus seiner Heimat vertrieben, in römische Dienste getreten war. Er wurde die rechte Hand seines Landsmannes

•J36 VI. Valentinian und seine Familie.

und Glaubensgenossen Bauto, und als dieser starb, wählten ihn die Truppen zu ihrem Feldherrn. Dass er seine Stellung nicht der Gnade des Kaisers, sondern dem Willen der Soldaten verdankte, hätte gefährlich scheinen müssen; doch in gewohnter Vertrauensselig- 5 keit hatte ihn Theodosius nicht nur im Amte gelassen, sondern ihm auch die wichtigsten militärischen Auf- gaben übertragen. Er hatte zu den Feldherren des letzten Krieges gehört und dabei das Glück gehabt, dass Maximus sich in seine Hände übergab. Dann 10 war er gegen dessen Sohn Victor nach Gallien ge- schickt, fing und tötete ihn und unterwarf das Land dem jungen Valentinian, um es dann selbst in dessen Namen zu regieren. Ein Amt, das ihm das formelle Recht dazu gegeben hätte, wie es etwa der Major- 15 domat der Franken war, besass er nicht: während das Magisterium Equitum und Peditum auf zwei an- dere Männer, Charietto und Syrus, übertragen wurde, stand er über ihnen mit dem schlichten Titel Comes, der damals auch untergeordneten Beamten verliehen 20 wurde und dadurch ganz nichtssagend geworden war. In diesem Fall aber bedeutete er, dass Arbogast wirk- lich der „Genosse" des jugendlichen Herrschers war, nicht kraft irgend einer fest umschriebenen Kompetenz, sondern nur durch die Macht seiner Persönlichkeit und 25 das Vertrauen des Theodosius. Doch wusste er sich auch von diesem unabhängig zu machen. Indem er durch glänzende Siege die Franken zwang, für die Plünderung Galliens, die sie unter Maximus sich er- laubt hatten (S. 212), Genugtuung zu geben, fesselte » er die Soldaten noch fester an seine Person. Er sorgte dafür, dass alle wichtigen militärischen Stellen mit seinen fränkischen Landsleuten besetzt wurden, machte durch Furcht auch die Civilbeamten gefügig und brachte

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 237

es schnell dahin, dass man nur auf seine Befehle achtete und Valentinian kaum noch etwas zu sagen hatte.

Der Kaiser, der unterdessen sein zwanzigstes Jahr

5 vollendet hatte, war eines jener überzarten Prlänzchen, wie sie die Ilofluft mit ihrer strengen Abgeschlossen- heit gegen alle rauhen Winde von aussen her, nur zu leicht hervorbringt. Schon mit vier Jahren auf den Thron erhoben, war er von frühester Jugend an zum

io Herrscher erzogen worden; doch wegen dieses hohen Berufes hatte man zu viel an ihm erzogen und eben dadurch die frische Herrscherkraft erstickt. Denn leider betrachtet es die Erziehung ja bis auf den heutigen Tag als ihre erste Aufgabe, im Kinde den

15 Willen zu brechen, der doch das kostbarste Gut des Mannes werden soll. Damals, wo Gehorsam als „des Christen Pflicht" allen andern Pflichten vorging, war das in noch höherem Grade der Fall, und bei Valen- tinian hatte man damit erreicht, dass er im Kleinen

20 eine ängstliche Selbstbeherrschung übte, die doch grossen Aufgaben gegenüber versagte. Dem asketischen Ideal der Zeit gemäss hatte man ihn gelehrt, dass jedes Vergnügen Sünde sei, und er handelte danach. Er liess wilde Tiere für sich hegen, um sie mit Pfeil-

25 Schüssen niederzustrecken, eine Waffenübung, die dem Kaiser durchaus anständig war; aber als mau ihn darauf aufmerksam machte, dass er vielleicht, wie Gratian es getan hatte (S. 165), seine Regierungsge- schäfte darüber vernachlässigen könne, liess er sie alle an

30 einem Tage töten. Weil die Circusrennen ihm Freude machten, unterliess er ihre Ausrichtung auch an den Tagen, an denen sie durch die Sitte geboten waren, und machte sich mit dieser Enthaltsamkeit weder das Volk noch die Soldaten zu Freunden. Auch in

238 VI. Valentinian und seine Familie.

der Abtötung des Fleisches suchte er sich hervorzutuu. Nachdem seiu jugendlicher Appetit ihn eine Zeitlang getrieben hatte, früher, als es sonst üblich war, sein Frühstück einzunehmen, begann er systematisch zu hungern und ruinierte damit nur seine Nerven, die .-, ohnehin nicht die stärksten waren. Natürlich regte sich auch bei ihm die Sinnlichkeit; doch eben dies erfüllte ihn mit solcher Scheu vor dem Weibe, dass er seine Ehe immer hinausschob. Als er von einer Schauspielerin gehört hatte, die in Rom durch ihre 10 Schönheit Aufsehn erregte, wurde in ihm die Begierde wach, und er befahl sie an das Hoflager. Doch eben da ihm vergönnt war, was seine rege Phantasie ihm vorgespiegelt hatte, jetzt leibhaftig zu gemessen, wurde ihm bange; er schickte das Dirncheu nach Rom zu- r> rück, ohne es auch nur gesehu zu haben- Dieser unbefriedigte Drang zur Weiblichkeit machte ihm seine schönen Schwestern um so teurer. Bei ihnen erholte er sich von den Mühen der Regierung, lieb- koste sie, wie ein Bräutigam, oder zankte auch mit 20 ihnen, um dann zärtlich und demütig ihre Verzeihung zu erbitten. Noch die letzten Worte, die man von ihm hörte, waren: „Weh meinen armen Schwestern! " Gleichwohl dachte er hoch genug von seinem kaiser- lichen Berufe, um nicht ihnen zu Liebe das Recht zu 25 beugen. Als sie einen Prozess hatten, richtete nicht er selbst, sondern übertrug die Entscheidung einem Be- amten, und veranlasste sie endlich, ganz auf das streitige Grundstück zu Gunsten ihres Gegners zu verzichten, weil dieser eine Waise war. Auch sonst so nahm er seine Herrscherpflichten tief ernst und erfüllte sie in dem milden Sinne des Christentums, in dem er erzogen war. So schlug er einen Prozess wegen Hochverrats nieder, weil die Verhandlung zufällig- in

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 239

die Osterzeit fiel und er in den heiligen Tagen der Gnade kein Todesurteil fällen wollte, und das arme Volk durch Steuerzuschläge noch mehr zu drücken, als es schon ohnedies bedrückt war, hat er sich

5 standhaft geweigert.

Doch je höher er von den kaiserlichen Pflichten dachte, um so stolzer empfand er die kaiserliche Würde. Von Kindheit an hatte er von seinem Thron auf tief- gebückte Höfliuge herabgesehen, und dass Ambrosius

10 allein ihm gegenüber aufrecht geblieben war, hatte ihn mit tiefem Grimm erfüllt. Dies aber war längst vergeben, ja die Festigkeit des kühnen Glaubens- kämpfers flösste ihm jetzt Bewunderung und Ehrfurcht ein. War er doch damals noch ein Knabe gewesen,

15 den seine Mutter leitete, und seit deren Arianismus ihm die Verbannung als Strafe Gottes eingetragen hatte, verurteilte er selbst ihn als Irrlehre. Jetzt aber war er zu einem Alter gelangt, in dem sein Bruder schon längst die Regierung selbständig ausgeübt hatte,

2o und doch durfte er nicht einmal gegen die Feinde des Reiches zu Felde ziehen, wie er es gerne gewollt hätte, sondern wurde in seinem Palast zu Vienne, fern der bedrohten Grenze, eingeschlossen gehalten, wie ein Gefangener. Und der ihm die Freiheit raubte,

25 war ein Barbar und wagte sogar, seine religiösen Gefühle zu verletzen. Denn der Senat, der nicht müde wurde, immer wieder die Herstellung des alten Kultus zu fordern, fasste jetzt, wo ein heidnischer Feldherr im Westreich allmächtig war, aufs Neue den Mut, auf

30 seine so oft abgeschlagene Bitte zurückzukommen, und Arbogast trat für die Gesandtschaft ein. Trotzdem wagte der junge Kaiser sie zurückzuweisen; doch es war das letzte Mal, dass er sich seinem Gewalt- haber unbestraft widersetzen durfte.

240 VI. Valeutinian uud seine Familie.

Schon wiederholt hatte er sich an Theodosius um Hilfe gewandt; aber da es diesem nur erwünscht sein konnte, wenn sein Mitregent an Gehorsam und Abhängigkeit gewöhnt wurde, war das ohne Folgen o-ebliebeu. Da brach eine Barbarenhorde in Panno- 5 nien ein und griff mit ihren Plünderungen auch in Gebiete hinüber, die schon zum italischen Reichsteil gehörten. Doch als sie erfuhr, dass sie damit Valen- tinian bekriegt habe, scheute sie davor zurück, von beiden Kaisern gemeinsam bekämpft zu werden, und 10 lieferte mit einer Entschuldigung die italischen Ge- fangenen aus. Trotzdem fürchtete man in Mailand neue Angriffe und beschloss, eine Gesandtschaft unter Führung des Ambrosius nach Gallien zu schicken, die den jungen Kaiser um seiuen persönlichen Schutz 15 bitten sollte. Aber noch ehe sie abging, war er freudig- bereit, ihren Wunsch, selbst bevor er offiziell ausge- sprochen war, eiligst zu erfüllen. Hoffte er doch so, nicht nur seine alten Rechte auf Italien, die Theodosius stillschweigend in Frage gestellt hatte (S. 228), wieder 20 aufzufrischen, sondern auch im Kampfe gegen die Barbaren eigene Lorbeern zu gewinuen, die ihm bis- her immer versagt geblieben waren. Wenn es ihm so gelang, die Soldaten für seine Person zu gewinnen, konnte ihm dies vielleicht das Mittel werden, um sich 25 von der Herrschaft der Franken zu lösen. Schon wurden zum Empfang des Kaisers in Italien die Vor- bereitungen getroffen, als Arbogast erklärte, er werde ihm die Reise nicht gestatten. Und wirklich war sie überflüssig geworden, da die Barbaren ja schon frei- 30 willig Genugtuung gewährt und um Frieden gebeten hatten. Es kam im Consistorium zu heftigem Streit, bei dem Arbogast Harmonius, den Sohn des Consulu Taurus (IV S. 165), der ihm kühn widersprach, in bar-

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 241

barischem Jähzorn niederstiess. Und dies geschah Angesichts des Kaisers, der seinen Freund vergebens mit dem Purpur zu decken suchte. Auch wer sonst an Valentinian hing und sich dem Franken nicht beugen 5 wollte, sah sein Leben in dringendster Gefahr. Da fasste der unbesonnene Jüngling in seinem Herrscher- stolze einen verwegenen Entschluss und überreichte dem Comes vor versammeltem Hofe das Dekret seiner Absetzung. Doch dieser zerriss es in Fetzen und rief

10 höhnisch: ,,Du hasst mir mein Amt nicht gegeben und kannst es mir auch nicht nehmen!" Um entweder den Übermütigen, der seine kaiserliche Würde so frech verletzte, oder sich selbst zu töten, griff Valen- tinian nach dem Schwert eines Leibwächters; der

15 aber Hess es sich nicht entreissen. So ging das Con- sistorium in wilder Aufregung" auseinander, und der junge Kaiser blieb ein Gefangener seines Feldherrn, wie bisher.

Er hatte eine Demütigung erlitten, wie sie noch

20 nie einem römischen Herrscher widerfahren war, und konnte doch nichts dagegen tun, als Zähneknirschen und weinen. Um Meuchelmörder zu dingen oder Gift zu mischen, war sein Gewissen zu zart, um still die Gelegenheit zur Rache abzuwarten, sein Blut zu

25 stürmisch. So sah er aus seiner Not und Schande nur einen Ausweg. In den Jahren der Entwicklung regt sich der Gedanke an Selbstmord bei sehr vielen, am sichersten aber bei einem Jüngling, den ver- zärtelnde Erziehung und schwächende Askese zum

30 Neurastheniker gemacht haben. Jede Lebensfreude hatte er seiner Herrscherpflicht, wie er sie verstand, entsagungsvoll geopfert, und nun wollte ma i ihm auch noch die Freude rauben, die in der Erfüllung jener Pflicht für ihn lag, und verdammte ihn zu demütigen-

Seeck, Untergang der antiken \Yc\t. V. 16.

242 VI. Valentiuiau und seine Familie.

der Untätigkeit: welchen Wert konnte da das Leben selbst noch für ihn haben? Doch ehe er es von sich warf, wollte er sich noch durch die Taufe zur Ewig- keit bereiten; aber im knabenhaftem Eigensinn hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass kein anderer sie ihm 0 spenden dürfe, als Ambrosius. Mit lebhafter Freude empfing er die Nachricht, dass dieser als Gesandter zu ihm nach Yienne kommen werde. Aber da man in Mailand erfuhr, dass er auch unaufgefordert nach Italien zu kommen gedenke, hielt man es für über- jo flüssig, die Gesandtschaft abgehen zu lassen. Da schickte er selbst nach dem Bischof, hiess ihn eilends kommen und wartete mit verzehrender Ungeduld auf seine Ankunft. Doch seine Nervenkraft reichte nicht aus, um mit dem furchtbaren Entschluss im Herzen if> die langen Tage, die der Ersehnte für seine Reise brauchte, die bange Erwartung zu ertragen. Noch unterwegs empfing Ambrosius die Nachricht, dass man am 15. Mai 392 den jungeu Kaiser in seinem Gemach erhängt gefunden hatte. -'"

Viele hielten Arbogast für den Mörder, und nach- dem Tlieodosius als Rächer Valentinians aufgetreten war, wurde diese Auffassung zur offiziellen. Auch Ambrosius scheint sie anfangs geteilt zu haben ; später aber, als er die Einzelheiten des Leichenbefundes genauer '-•"> keimen gelernt hatte, überzeugte er sich von dem Selbstmorde des unglücklichen Jünglings. Da er ohne Zweifel sehr gut unterrichtet war, dürfen wir seine Ansicht auch zu der unseren machen, umso mehr als sie schon an sich höchst wahrscheinlich ist. Nament- ::" lieh jenes dringende Verlangen Valentinians nach der Taufe, der sich Laien meist erst in Erwartung des Todes zu unterziehen pflegten, spricht dafür. Aber wenn auch Arbogast nicht Hand an ihn gelegt hatte,

6. Hie letzte Erhebung des Heidentums. 243

war er doch an seinem frühen Ende nicht unschuldig, und Theodosius konnte ihn dafür zur Verantwortung ziehen, falls er dies für nötig- hielt.

Einstweilen hatte es nicht den Anschein. Eine

ö Gesandtschaft gallischer Bischöfe ging nach Constan- tinopel, um durch ihre geistliche Autorität Arbogast von dem Verdachte des Mordes zu reinigen, und mehr als drei Monate schien es, als wenn dieser nur im Namen des Theodosius und seiner Söhne das West-

i(i reich verwalten wolle. Und wirklich hatte er kaum einen gerechten Grund, den Zorn des Kaisers zu fürchten. Denn wenn er Valentinian die Reise nach Italien nicht erlaubt hatte, so war dies wahrscheinlich im Einverständnis mit Theodosius geschehen (S. 228),

i"> und ebenso musste es in dessen Sinne sein, dass ein hoher Beamter, den er eingesetzt hatte, sich nicht ohne seine Erlaubnis von dem jungen Herrscher absetzen Hess. Doch im Sommer 392 wurde der Praefect Tatian gestürzt und damit die Partei der Heiden am Hofe

20 ihrer letzten Stütze beraubt (S. 235). Dies scheint es gewesen zu sein, was Arbogast für seine Stellung und sein Leben fürchten machte. Denn erst um die Zeit, wo die Nachricht des Praefectenwechsels ihm zu- gegangen sein konnte, am 22. August 392, Hess er

25 durch die Truppen, die ihm blindlings ergeben waren, den Flavius Eugenius zum Gegenkaiser ausrufen.

Da Arbogast als Barbar nicht selbst nach der Krone greifen konnte, hatte er in jenem einen Mann gefunden, der unbedeutend genug war, sich von ihm leiten

;" zu lassen, und doch ansehnlich genug, um des Thrones nicht ganz unwürdig zu scheinen. Eugenius war Lehrer der lateinischen Rhetorik gewesen, als Richomeres, ein Feldherr Gratians, der 384 sogar zum Consuln erhoben wurde, ihn kennen lernte. Dieser war Barbar, gefiel

16*

244 VI. Valentinian und seine Familie.

sich aber darin, den Maecen zu spielen, mit literarischen Berühmtheiten in Korrespondenz zu stehen und sich von ihnen Lobreden halten zu lassen. Durch eine Leistuno- dieser Art mao- auch Eugenius sein Herz gewonnen haben. Jedenfalls nahm sich Richomer des 5 hochgebildeten Mannes an und empfahl ihn, als er selbst um 388 in den orientalischen Reichsteil ab- kommandiert wurde, dem Arbogast, dessen Vertrauter er wurde. Da man für die Abfassung der kaiserlichen Briefe gute Stilisten brauchte und ein Rhetor für diesen i<> Zweck besonders geeignet war (IV S. 189), wurde er auf Fürsprache seines Gönners zum Vorsteher einer der Hofkanzleien befördert, eine Stellung, die hoch- geschätzt wurde und im Range dem Proconsulate gleichstand. Er bekleidete also eine viel höhere Würde, is als Jovian oder Valentinian und Valens, ja selbst als Theodosius vor ihrer Thronbesteigung; doch war es seit mehr als einem Jahrhundert nicht vorgekommen, dass ein Beamter des Civildienstes zum Kaiser aus- gerufen wurde. Aber dass Eugenius in den Waffen 20 nicht geübt war und in gar keinen Beziehungen zum Heere stand, konnte Arbogast nur erwünscht sein, weil es ihm die Sicherheit bot, dass seine Kreatur an die Wurzel seiuer Macht nicht zu rühren vermochte. Zudem war der neue Herrscher zwar Christ, legitimierte sich aber, wie Julian, durch einen unrasierten Bart als Philosophen und folglich als recht schlechten Christen, sodass sein Gönner von ihm keine Verfolgung des Heidentums zu fürchten brauchte. Schon gleich beim Antritt seiner Regierung hegte Ambrosius Verdacht 3(> liegen ihn und liess einen freundlichen Brief, den er vom ihm empfing, unbeantwortet.

Der Usurpator suchte mit dem Bischof anzu- knüpfen, weil er dessen Eintluss auf Theodosius kannte

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 245

und ein friedliches Übereinkommen mit diesem erhoffte. Er schickte sofort eine Gesandtschaft an ihn und ging nicht gleich nach Italien, weil er wusste, dass dieser Reichsteil dem Honorius zugedacht war. sondern

5 begab sich an den Niederrhein, von wo aus er das Ostreich am wenigsten zu bedrohen schien. Im December 392 fiel Arbogast von Köln aus in das Gebiet der Franken ein und verwüstete es, ohne dass der Feind ihm entgegenzutreten wagte. Dann fand sich auch

io Eugenius hier ein, entfaltete, um die Germanen durch diesen Anblick zu schrecken, eine gewaltige Heeres- macht und erneuerte die alten Verträge mit den Franken und Alamannen. Ungehindert hätte Theo- dosius sich Italiens bemächtigen können; doch machte

15 auch er keine Anstalten dazu. Den Gesandten des Eugenius hatte er eine ausweichende, aber nicht un- freundliche Antwort gegeben und war, wie es scheint, selbst noch zweifelhaft, wie er sich zu dem Usurpator stellen sollte. Unterdessen erschien bei diesem eine

20 Gesandtschaft des römischen Senats, um die alte Bitte um Herstellung des heidnischen Kultus zu erneuen, wie dies fast bei jedem Regierungswechsel geschehen war (S. 224). Wenn sie auch diesmal abgelehnt wurde, so war der Grund wohl nur, dass Eugenius die reli-

25 giösen Gefühle des Theodosius nicht beleidigen und nicht durch eine Verfügung für Rom in die Hoheits- rechte eingreifen wollte, die dieser über Italien in Anspruch nahm. Aber dass der neue Herrscher dem Wunsche des Senats an sich nicht abgeneigt war, trat

30 doch so deutlich hervor, dass man eine zweite Gesandt- schaft beschloss. Auch sie wurde noch abgewiesen, aber sehr bald darauf, ohne dass eine dritte nötig war, ihre Bitte erfüllt. Dies war die erste Handlung des Usurpators, die ihn im Gegensatze zu Theodosius zeigte,

246 VI. Valeutinian und seine Familie.

und ohne Zweifel hatte dieser sie durch sein Verhalten selbst veranlasst.

Es war üblich, dass jeder neugewählte Kaiser dem ersteu Jahre, das nach seiner Thronbesteigung begann, den Namen gab. Dieser Sitte entsprechend hatte Eugenius 5 sich das Cousulat für 393 beigelegt, zugleich aber auch Theodosius in derselben Würde anerkannt. Wenn das Jahr in seinem Reichsteil Theodosio III et Eugenio Augustis consulibus hiess und so die Namen beider Kaiser in engster Gemeinschaft erschienen, so ver- io kündete dies den Untertanen am deutlichsten, dass er Eintracht mit seinem älteren Kollegen erstrebte. Im Orient aber nannte man das Jahr Theodosio Augusto III et Abundantio consulibus, d. h. Theodosius hatte die zweite Stelle des Consulats, die Eugenius in Anspruch 15 nahm, einem seiner Feldherrn zugewiesen und dadurch die Gemeinschaft mit dem Usurpator öffentlich ab- gelehnt. Und ohne dass dieser gefragt wurde, erfolgte gleich darauf am 23. Januar 393 die Ernennung des jüngeren Kaisersohnes Honorius zur Augustuswürde, 20 welche der ältere Arcadius schon seit zehn Jahren bekleidete. Dies beides beantwortete Eugenius damit, dass er durch die Herstellung des alten Kultus in Rom seine Herrschaftsrechte auch in Italien geltend machte und bald darauf selbst in Mailand seinen Ein- -r» zug hielt.

Ambrosius hatte sich unterdessen besonnen und ihn doch noch mit Briefen beehrt, die jener freundlich aufgenommen hatte. Doch als er erfuhr, dass jene Bitte des Senats jetzt doch erfüllt worden war, verliess m er Mailand, noch ehe Eugenius dort anlangte, um jede persönliche Berührung mit ihm zu vermeiden, entwich nach Bologna und später noch weiter nach Faenza und Florenz. An den gottlosen Ursurpator schrieb er

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. -J47

einen Brief, in dem er auch ihn mit der Exkommuni- kation bedrohte, falls er seinen Beschluss nicht wider- rufe. Der Erfolg war ein ganz anderer, als er hoffen mochte.

Wie die Christen jener Zeit die heidnischen Götter anerkannten, wenn auch nur als böse Dämonen, so hatten auch die Heiden, wenigstens soweit sie dem naiven Barbarentum angehörten, garnichts dagegen, Christus und seinen Vater in den grossen Kreis ihrer

in helfenden oder schadenden Geister aufzunehmen. Arbo- gast hatte früher in einem ganz freundlichen Verhältnis zu Ambrosius gestanden und es nicht ungern gehört, wenn seine feindlichen Landsleute, die Franken, den glücklichen Erfolg seiner Schlachten dessen Gebeten

15 zuschrieben. Denn dass der gewaltige Mann auch bei den himmlischen Mächten grösseren Einfluss besitze, als gemeine Sterbliche, mochte ihm ganz einleuchtend scheinen. So hatte er denn wohl auch anfangs be- absichtigt, sowohl die heidnischen als auch die christ-

20 liehen Götter in trautem Verein für sich kämpfen zu lassen. Da aber der Heilige sich von ihm wandte, musste er die tätige Hilfe der Geister, die diesem feindlich waren, durch um so grösseren Eifer in ihrem Kultus zu erwerben suchen. Und dazu kam, dass in

25 demselben Mailand, das der neue Elias zürnend ver- lassen hatte, Eugenius und sein Feldherr durch einen Baalspfaffen freudig empfangen wurden.

Flavianus war in den Sturz seines Glaubens- genossen Tatian nicht mit hineingezogen worden. Er be-

30 kleidete noch immer die Praefectur von Italien (S. 226), vielleicht aus keinem andern Grunde, als weil Theo- dosius nicht wusste, ob er diesen Reichsteil schon als den seinen betrachten dürfe, und daher seine Absetzung nicht gewagt hatte. Der hochgebildete Mann hatte

248 VI. Valentinian und seine Familie.

nicht nur den Thukydides studiert und nach dessen Vorbild ein Geschichtswerk verfasst, dessen Widmung Theodosius gnädig angenommen hatte, sondern auch das Leben des Wundermannes Apollonius von Tyana ins Lateinische übersetzt und ein Buch über die Mei- 5 nungen der Philosophen geschrieben. Im Sinne dessen, was man damals Philosophie nannte, hatte er, wie Julian, sein eifrigstes Studium den Wahrsagekünsten zugewandt, die mau unter den christlichen Kaisern nur heimlich pflegen konnte. Jetzt, wo sie auch 10 öffentlich gestattet waren, konnte er sich in der Ein- geweideschau und anderem Hokuspokus ähnlicher Art nicht genug tun und entdeckte denn auch glücklieb, dass dem Eugenius durch ewigen Schicksalsschluss Sieg und Herrschaft beschieden seien. Ein griechischer is Orakelspruch war verbreitet, nach dem das Christen- tum nur so viel Jahre bestehen sollte, als das Jahr Tage zählt; da man die Kreuzigung in das J. 29 setzte, stand also der Ablauf jener 365jährigen Frist unmittel- bar bevor. Es gereicht dem Plavian zur Ehre, dass 20 diese hoffnungsvollen Aussichten ihn nicht zu gewalt- samen Bekehrungen veranlasst haben. Aber wer von dem mächtigen Praefecten zur Tafel geladen wurde, der schlug diese Ehre nicht leicht aus; nahm er sie aber an, so musste er sich heidnischen Bräuchen 25 unterziehen und damit seine Seele den Teufeln ver- schreiben. Zudem durfte man hoffen, mit Ämtern und Würden belohnt zu werden, wenn man zum Heidentum übertrat, und dies verführte so manchen. Wie dieses Vorgehen ganz im Sinne Julians des Abtrünnigen war, :W so wurde auch seinen Verfügungen entsprechend der geraubte Besitz der Tempel schonungslos zurück- gefordert, selbst wenn man Säulen und Marmorquadern aus den Häusern, in die sie verbaut waren, heraus-

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 249

reissen musste. Ohne Zweifel war dies ehrlicher Fanatismus; im gegebenen Augenblick konnte er aber, auch ganz zweckmässig scheinen. Denn der Lands- knecht stellt sich gern unter den Schutz einer höheren 5 Macht, und da ihm die Gebete des Ambrosius versagt waren, kam es umso mehr darauf an, ihn zu über- zeugen, dass die alten Götter für ihn kämpften. Um das Heer mit freudiger Zuversicht zu erfüllen, hat man ihm daher später ein Herculesbild vorangetragen,

ki und an dem Orte, den Arbogast zum Schlachtfelde bestimmt hatte, wurde auf einer beherrschenden Höhe eine Kolossalstatue des Jupiter errichtet, die mit ihrem Donnerkeil aus reinem Golde den heranziehenden Feind bedrohte.

15 Einstweilen aber hoffte Eugenius noch, den Frieden

mit Theodosius erhalten zu können. Da in diesem Jahre seiu Consulat im Orient nicht verkündet wrorden war, erkannte er seinerseits im J. 394 auch das des Arcadius und Honorius nicht an; doch bestellte er

20 nur einen Consuln, seinen Praefecten Flavianus; selbst Arbogast wurde diese Ehre nicht zuteil. Dies konnte keinen andern Sinn haben, als dass er bereit war, die Besetzung der anderen Stelle dem Beherrscher des Ostreiches vorzubehalten. Auch hat er bis zu

25 seinem Tode zwar nicht Honorius, der ohne seine Zustimmung zum Augustus erhoben war, wohl aber Theodosius und Arcadius als Mitregenten anerkannt. Selbst als der Krieg unvermeidlich geworden war, fiel er nicht, wie Maximus es getan hatte, in den

Reichsteil seines Gegners ein, sondern erwartete dessen Angriff in Italien, wahrscheinlich noch immer in der Hoffnung, wenn die erste Schlacht gewonnen sei, mit Theodosius ein freundliches Übereinkommen herbei- zuführen.

250 VI. Valentinian und seine Familie.

Auch Theodosius zauderte volle zwei Jahre, ehe er den Kampf aufnahm. Denn er schätzte und fürchtete die Feldherrngaben des Arbogast, die er in seinen eigenen Diensten kennen gelernt hatte, und was ihm gegenüberstehn sollte, war die ganze Macht 5 zweier Reichsteile, noch stark vermehrt durch die Rheingermanen, die der Franke teils unter seinen Landsleuten angeworben, teils zur Stellung von Hilfs- völkeru gezwungen hatte. Wieder soll es das Flehen der Galla gewesen sein, das den verliebten Gatten 10 bestimmte, die Rache für ihren Bruder auf sich zu nehmen. Doch auch dass im Westen das Heidentum geradezu als Staatsreligion proklamiert wurde, legte dem streng gläubigen Manne die Verpflichtung auf, dagegen einzuschreiten. Auch er aber mochte nicht 15 darauf verzichten, den Weissagungen, auf die sein Gegner vertraute, ebenso gut beglaubigte von christ- licher Seite gegenüberzustellen. Er schickte seinen Hofeunuchen Eutropius nach Aegypten, um einen prophetischen Einsiedler der Thebais, Johannes, der 20 ihm schon den Sieg über Maximus geweissagt hatte, auch über den Ausgang dieses Krieges zu befragen, und empfing natürlich die gewünschte Antwort. Unter- dessen erschöpfte sich der Kaiser in Fasten und Beten, zog mit feierlichen Prozessionen von einer Kirche zur 25 andern und kroch im Bussgewande auf allen Vieren vor den Reliquien der Apostel und Märtyrer. Daneben aber versäumte er nicht, auch mit weniger frommen Mitteln den Sieg vorzubereiten. Alles, was das Ost- reich an Truppen hergeben konnte, wurde in Marsch 3o gesetzt. Nicht nur die Barbaren, die im Reiche an- gesiedelt waren, mussten ihre Kriegsmacht stellen, darunter über 20000 Gothen unter Führung des Alarich, sondern auch die Armenier wurden um Hilfe

G. Die letzte Erhebung des Heidentums. 251

angegangen, und selbst jenseit der Donau warb man Bundesgenossen. Alle Grenzen wurden von ihren Verteidigern entblösst, was gleich nach dem Tode des Theodosius sehr schlimme Folgen haben sollte. Doch

5 der Kampf, den er jetzt aufzunehmen im Begriffe war, trug den Charakter eines Religionskrieges, und diesem heiligen Zwecke gegenüber musste jede andere Rücksicht schweigen.

Noch unmittelbar vor seinem Auszuge traf den

10 Kaiser ein schwerer Schicksalsschlag, den er zugleich als böses Vorzeichen auffassen musste. Die schöne Galla, die so eifrig zu diesem Kriege getrieben hatte, starb im Kindbette; doch er hatte keine Zeit, sie zu betrauern, wenn er die Alpenpässe noch überschreiten

i5 wollte, ehe der Schnee sie versperrte. Nachdem er Constantinopel verlassen hatte, machte er noch Halt am siebenten Meilenstein, um bei dem Haupte Johannes des Täufers zu beten. Da er wenige Jahre vorher diese kostbare Reliquie selbst hierhergebracht

und für sie eine prächtige Kirche erbaut hatte, durfte er mit gutem Grunde hoffen, den grossen Heiligen als Bundesgenossen zu gewinnen. Trotzdem wird er voll banger Unruhe gewesen sein, als er nun zu den Julischen Alpen hinzog. Denn er wusste wohl, dass

25 sein gewaltiges Heer ihm hier wenig nützen konnte, weil schon eine kleine Schar genügte, um in ihren Engen ihm den Durchzug unmöglich zu machen. Doch überschritt er die Passhöhe, ohne auf ein Hin- dernis zu stossen, und begann freudigen Mutes den

30 Abstieg, bis er das Heer des Feindes in Schlacht- ordnung unter sich erblickte.

Heutzutage ist es ein anerkannter Grundsatz der Kriegskunst, dass man einen Pass viel wirksamer verteidigt, wenn mau sich hinter seinem Ausgang

252 VI. Valentinian und seine Familie.

aufstellt und den Feind verhindert, sich aus der Enge heraus zu entwickeln, als wenn man diese selbst ver- sperrt. Arbogast scheint der Erste gewesen zu sein, dessen klarer Feldherrnblick dies erfasste und praktisch verwertete. Umsomehr konnte er erwarten, dass diese ganz neue Taktik mit der vollen Kraft des Überraschenden wirken werde.

Wo der Hubl aus den Bergen heraustritt, um sich etwas weiter südlich mit der Wippach zu ver- einigen, befand sich an der Stelle des heutigen Fleckens Haidenschaft ein Kastell, das als Post- station diente und nach dem Flüsschen, an dem es lag, Fluvius Frigidus hiess. Nach ihm hat man die Entscheidungsschlacht benannt, obgleich sie vier bis fünf Kilometer weiter nach Südosten ausgefochten is wurde. Hier hatte Arbogast um eine Hügelgruppe, die das flache Wippachtal weithin zu überschauen erlaubt, sein Lager geschlagen und es durch Palisaden und hölzerne Türme stark befestigt. Ihm gegenüber trat die Strasse aus der Schlucht des Baches Bela, 20 wo sie auf halber Höhe des Berges entlanggelaufen war, ins Freie hervor, um in steiler Neigung in die Ebene hinabzuführen. Ein Ausweichen des Theodosius nach der Seite hin scheint durch ein kleine Kastell versperrt gewesen zu sein, dessen Reste noch jetzt 25 erkennbar sind. Zwar gehört es prähistorischer Zeit an, könnte aber durch Arbogast neu hergestellt und besetzt sein. So konnte das Heer des Kaisers auf keinem anderen Wege vorwärts kommen, als auf fener schmalen Strasse und vielleicht noch auf ein & paar steilen Fusspfaden, die neben ihr den Abstieg erlauben mochten, und auch der Rückzug war ihm verschlossen; denn auf der Höhe erblickte man eine Feindesschar, die sich vorher seitlich vom Passe in

6. Die letzte Erhebung des Heidenturas. 253

den Bergen versteckt gelullten hatte und, nachdem die lange Marschkolonne an ihr vorübergezogen war, hinter ihr den Weg- versperrte.

In dieser verzweifelten Lage blieb Theodosius, 5 wenn er sich nicht mit seinem ganzen Heer ergeben wollte, nichts anderes übrig, als den Durchbruch nach vorne zu versuchen. Die Gothen, die unter Führung des Gainas seine Vorhut bildeten, brachen aus dem Passe hervor und stürzten sich auf den Feind, der

io sie, vor seinem Lager aufgestellt, in Schlachtordnung erwartete. Doch wie sie in schmalen Kolonnen auf die Ebene hinaustraten, fanden sie vor sich eine erdrückende Übermacht und wurden, von der Flanke her umfasst, alle zusammengehauen. Theodosius

15 suchte ihnen so schnell wie möglich Verstärkungen nachzuschieben; aber durch die Enge des Weges, hier und da auch durch Teile des Trains, die nicht nur dem ganzen Heere folgten, sondern, wie es scheint, auch den einzelnen Teilen desselben beigegeben waren,

ao wurden sie aufgehalten. Um ihren Vormarsch zu beschleunigen, stellte sich der Kaiser, vom Rosse herabspringend, selbst an ihre Spitze und trieb sie mit dem Rufe: „Wo ist der Gott des Theodosius?" zur Eile an. Doch auf den schmalen Wegen, die

25 ihnen allein zu Gebote standen, konnten sie nur tropfenweise auf das Schlachtfeld gelangen, und zeit- weilig fanden sie den Zugang wohl auch ganz durch die Kämpfenden versperrt. So war, als die Nacht dem Morden ein Ende machte, die Hälfte der gothischen

30 Vorhut gefallen; 10 000 ihrer Krieger deckten in grauenvollen Leichenhaufen das Feld.

Die Xacht schuf Theodosius zunächst in seinem Rücken Luft. Die Schar, die auf der Passhöhe hinter ihm stand, war durch eine meilenlange Marschkolonne

254 VI. Valentinian und seine Familie.

vom Schlachtfelde getrennt und konnte daher nicht wissen, wie schlimm hier die Sachen für ihn standen. Vielleicht bekannte sich auch ihr Führer zum Christentum und fürchtete die Strafe Gottes für Eugenius und Arbogast. Jedenfalls war er, wie sein 5 Name Arbitio beweist, ein germanischer Mietliüg und hielt es für erlaubt, seine Dienste dem zu verkaufen, der sie am teuersten bezahlte. In seiner dringenden Not war der Kaiser bereit, jeden Preis zu bieten, den mau von ihm forderte, und nachdem er seine Ver- 10 sprechungen in höchster Eile auch schriftlich bekräftigt hatte, trat Arbitio mit seiner Truppe zu ihm über. Da man jetzt den Rückzug frei hatte, rieten die Feld- herren des Theodosius, den hoffnungslosen Kampf ab- zubrechen und für den Winter in den östlichen Reichs- 15 teil zurückzukehren; im nächsten Frühling könne man danu den Krieg erneuern und wahrscheinlich unter günstigeren Bedingungen zu Ende führen. Ohne Zweifel war dies das Vernünftigste, was man tun konnte. Wenn Theodosius den Rat zurückwies und 20 noch einmal gegen die unbezwingliche Stellung des Arbogast vorzustürmen beschloss, so kann er dies weder aus strategischen noch aus politischen Gründen getan haben, sondern nur aus abergläubischen.

Im Anfang des Jahrhunderts war Konstantin der & Grosse gegen Rom gezogen, obgleich alle Vernunft- gründe dagegen sprachen und jeder nüchterne Beur- teiler der Sachlage meinen musste, dass er sich dort nur Niederlagen holen könne. Doch ein Traum hatte ihm verkündet, dass seine Soldaten mit dem Zeichen :i" Christi auf ihren Schilden siegen müssten, und diese göttliche Offenbarung galt ihm mehr, als die gemeine Wahrscheinlichkeit (I S. 120). Ein ebenso glaub- würdiges Orakel, wenn auch in anderer Form, war

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 255

Theodosius durch den ägyptischen Einsiedler zuteil geworden, und da dessen Siegverheissung sich in dem Kampfe gegen Maximus bewährt hatte, glaubte der Kaiser fest und unerschütterlich, dass sie auch diesmal

5 nicht täuschen könne. Die ganze bange Nacht brachte er im Gebete zu und gab dann am Morgen mit dem Zeichen des Kreuzes den Befehl zum Angriff. Er selbst nahm seine Stellung auf einem Bergvorsprung zwischen den hinunterfahrenden Wegen, von wo er

io das ganze Schlachtfeld überschauen und selbst von Freund und Feind gesehen wrerden konnte.

Wahrscheinlich Hess Arbogast absichtlich die Zu- gänge soweit frei, dass ein Teil des feindlichen Heeres, natürlich kein zu grosser, auf die Ebene gelangen

i.'i konnte; denn so durfte er hoffen, am sichersten einen zweiten Sieg gewinnen zu können. Da bemerkte man, wie Theodosius, allen sichtbar, sich abermals zum Gebete niederwarf, und kaum war dies geschehen, so wurde ihm Erhörung. Aus der Schlucht, in welcher

2d seine Soldaten heranzogeu, kam hinter ihnen ein wilder Sturm dahergebraust, der den Feinden den Staub ins Gesicht wehte, ihre Wurfgeschosse auf sie selbst zu- rückschleuderte und sich in ihren grossen Schilden fing, sodass diese kaum noch zu handhaben waren.

25 Dieser gewaltige Nordostwind, der gefürchtete

Boreas der antiken Seefahrer, wird noch heute am adriatischen Meere Bora genannt. Im Norden des- selben erreicht er eine Geschwindigkeit bis zu hundert Kilometer in der Stunde, das sind beinahe 28 Meter

30 in der Socunde. Es ist wiederholt vorgekommen, dass er ganze Eisenbahnzüge aus den Schienen gehoben hat. Als ich mich in diesen Gegenden aufhielt, warf er in Triest einen Lastwagen um, obgleich dieser so schwer beladen war. dass der danebenstehende Kutscher von

256 VI. Valentinian und seine Familie.

ihm erdrückt wurde. Bei meinem Besuch des Schlacht- feldes hatte der Wind schon bedeutend abgeflaut, war aber immer noch so stark, dass ich mich nur mit vorsichtigem Zögern an die Bergabhänge heranwagte aus Furcht, hinuntergeweht zu werden. Und in der ö Belaschlucht, der das Heer des Arbogast gegenüber- stand, wird die Bora von den Bergwänden eingeengt und stürmt dann mit noch gesteigerter Gewalt aus ihr hervor. Den Anwohnern ist diese Naturerscheinung wohlbekannt; jene Truppen aber stammten zum grössten 10 Teil aus Gallien oder Germanien her, wo sie einen solchen Sturm wahrscheinlich noch nie erlebt hatten. Als er mit überraschender Plötzlichkeit aufsprang, wie dies nicht selten vorkommt, mussten sie das für ein Wunder, für die unmittelbare Antwort Gottes auf das 15 Gebet des Kaisers halten, und die meisten von ihnen waren Halbwilde, die, fester Disziplin unfähig, sich von panischen Schrecken nur zu leicht hiureissen Hessen. Und ihren Aberglauben hatte man absichtlich auf- gestachelt und genährt. Bei ihrem Auszuge aus Mai- 20 land hatten Flavian und Arbogast öffentlich gedroht, dass sie nach ihrer siegreichen Rückkehr die Kirchen zu Pferdeställen, die Geistlichen zu Rekruten machen wollten; den Kämpfenden wurde ein Bild des Hercules vorangetragen, und auf einem Bergvorsprung über dem 25 Schlachtfelde hatte man eine Statue des Jupiter auf- gestellt, die mit goldenem Blitz den anrückenden Feind bedrohte. So schien dieser Kampf die Frage zu stellen, ob die Götter des alten Rom oder der Gott des Theo- dosius stärker sei, und die Antwort darauf gab jene Bora. Da ist es nicht zu verwundern, dass die Soldaten des Arbogast sogleich von abergläubischer Angst er- griffen wurden, und noch ehe der eigentliche Kampf begann, in unaufhaltsamer Flucht dem Lager zustürzten.

10

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 257

Hinter ihnen her konnten auch die Feinde in den Wall eindringen und dort ihre Waffeustreckung ent- gegennehmen.

Der unglückliche Eugenius wurde auf der Flucht 6 gefangen und mit gebundenen Händen zu Theodosius geführt. Er warf sich ihm gnadeflehend zu Füssen; doch ohne die Entscheidung des Kaisers abzuwarten, schlugen die Soldaten ihm das Haupt ab. So endete am 6. September 394 seine kurze Regierung. Arbogast

io irrte noch zwei Tage im Gebirge umher und stürzte sich dann in sein Schwert. Flavian scheint schon vor der Schlacht den Tod gesucht zu haben; vielleicht befand er sich bei dem Truppenteil des Arbitio und hielt, als er dessen verräterische Gesinnung erfuhr,

15 seine Sache für verloren. Denn dass er, der Führer der heidnischen Reaktion, Gnade finden könne, schien ihm unglaublich.

Darin sollte er sich getäuscht haben. Theodosius erklärte öffentlich, dass er den berühmten Schriftsteller

_>o gern erhalten gesehn hätte, und gab sein Vermögen, das nach dem Recht hätte konfisziert werden müssen, den Erben zurück. Auch soust zeigte er sich ebenso mild, wie nach seinem Siege über Maximus. Kein überlebender Anhänger des Eugenius wurde hin-

25 gerichtet. Wenn Ambrosius für diejenigen, die in der Kirche ein Asyl gesucht hatten, als Fürbitter auftrat, so geschah dies nur, um seinen Einfluss beim Kaiser in das rechte Licht zu setzen; an sich war es über- flüssig.

30 Sobald Eugenius Mailand verlassen hatte, um in

den Kampf zu ziehen, war Ambrosius dorthin zurück- gekehrt und am 1. August 394 wieder in seinem Bis- tum eingetroffen. Als er die Siegesnachricht durch einen Brief des Theodosius, in dem Dankgottesdienste

Seeck, Untergang der antiken Welt, V. 17

258 VI. Valentinian und seine Familie.

angeordnet waren, empfangen hatte, eilte er nach Aquileja, um gleich an der Grenze Italiens den Kaiser willkommen zu heissen. Dieser warf sich ihm bei der Begrüssung zu Füssen und erklärte, nur den Gebeten des Heiligen seine Rettung zu danken. Die Strapazen 5 des Feldzuges hatten ihm eine Krankheit zugezogen, und niedergeschlagen durch sein körperliches Leiden, war er zu demütiger Unterwerfung nur zu geneigt. In jenem Brief hatte er seine Überzeugung aus- gesprochen, Ambrosius müsse gemeint haben, dass 10 seine Sache von Gott verlassen sei. Stimmungsmensch, wie er es war, betrachtete er sich in seiner kranken Verdrossenheit als schweren Sünder, und selbst das Blut, das er auf dem Schlachtfelde hatte vergiessen müssen, lastete auf seinem Gewissen. Er hielt sich 15 für so befleckt, dass er nicht wagte, das Sakrament zu nehmen, ehe er die wiedergewonnene Gnade Gottes darin zu erkennen meinte, dass sein Sohn Houorius. den er eiligst aus Constantinopel hatte berufen lassen, glücklich in Mailand anlangte. In der Kirche über- ao gab er den zehnjährigen Knaben und die kleine Tochter der Galla, die mit diesem gekommen war, in die Hut des Ambrosius. Natürlich wurden die Rechte, die Arbogast und Flavian dem Heidentum zurückgegeben hatten, ihm sogleich wieder genommen und das orthodoxe 25 Bekenntnis für das einzig erlaubte erklärt. Zugleich aber empfand der Kaiser auch, dass seine Steuerpolitik hart und ungerecht gewesen war, und verhiess Er- leichterung, ein Versprechen, das gleich nach seinem Tode eingelöst wurde. Unterdessen hatte sich seine :*° Krankheit zur Wassersucht ausgebildet. Er vorsuchte noch den Circusspielen beizuwohnen, die er zur Feier seines Sieges in Mailand gab; doch schon am 17. Januar 395 ereilte ihn der Tod. Die drückende Empfindung

6. Die letzte Erhebung des Heidentums. 259

seiner Sündhaftigkeit war er bis zu seiner letzten Stunde nicht losgeworden; doch erinnerte er sich im Sterben der Sünderin des Evangeliums und wodurch sie Gnade gefunden hatte. Denn mit schon versagen-

ö der Stimme flüsterte er noch: „Ich habe geliebt!"

So schied nicht volle drei Jahre nach dem letzten Sproß des Valentiuianischen Kaiserhauses auch der Mann aus dem Leben, der auf den Thron erhoben war. um es zu stützen und zu verteidigen, aber wohl

in die meiste Schuld an seinem Untergange trug. Dafür hatte er der orthodoxen Kirche zum entscheidenden Siege verholfen und seine eigene Dynastie fest be- gründet. Doch für das Reich hatte dies keinen andern Erfolg, als dass es unter den schwachen Händen, die

15 es jetzt leiten sollten, schon gleich nach dem Tode desTheodosius mit grauenvoller Geschwindigkeit seiner völligen Auflösung zueilte.

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Siebentes Buch.

Die Auflösung des Reiches.

Erstes Kapitel.

Die Entzweiung der beiden Reichste) le.

In unsereu Geschichtstabellen findet man das Jahr 395, in dessen Anfang Theodosius starb, als ein epochemachendes bezeichnet, und das mit Recht; doch wenn man seine Bedeutung darin finden will, dass

5 das Reich geteilt worden sei, so ist dies unrichtig. Demi dass mehrere Kaiser, jeder über ein abgegrenztes Gebiet, regierten, war schon seit mehr als einem Jahrhundert der regelmässige Zustand gewesen, und unter Arcadius und Honorius war dadurch die Einheit

des Reiches nicht mehr gefährdet, als unter den Nach- folgern Diocletians oder den Söhnen Constantins. Nach wie vor bezeichnete man das Jahr im Osten und im Westen mit denselben Consuln, und die Ge- setze und Verordnungen wmrden alle mit den Namen

!"' beider Kaiser überschrieben und sollten grundsätzlich im ganzen römischen Machtgebiet Geltung haben, wenn dies auch tatsächlich nicht zur Durchführung kam. So haben die Juden von einer Verfügung, die Arcadius am 1. Juli 397 zu ihren Gunsten im Orient erlassen

20 hatte, schon unmittelbar darauf auch im Occident Gebrauch machen wollen, und wenn ihnen dies unter- sagt wurde, so geschah das nicht, weil Honorius das iesetz seines Bruders für sein Gebiet als ungiltig be- trachtet hätte, sondern nur aus praktischen Gründen,

264 VII. Die Auflösung des Reiches.

weil er es im Westen für schädlich hielt. Allerdings lockerten sich die Beziehungen der Reichsteile immer mehr; aber dies hatte schon unter Diocletian begonnen, und in dieser langsamen Entwicklung bezeichnet der Tod des Theodosius keinen Abschnitt, sondern nur 5 den Beginn eines etwas schnelleren Fortschritts.

Doch in anderer Beziehung eröffnet er freilich eine neue Epoche: das dynastische Prinzip, dessen Herrschaft Diocletian mit seineu Adoptionen eingeleitet und Constantin fester begründet hatte, feierte in 10 Arcadius und Honorius zum ersten Mal seinen ganz unbestrittenen Triumph. Als das Kaisertum durch den ersten Augustus begründet wurde, war mau von der Anschauung ausgegangen, dass infolge der Bürger- kriege das Reich sich in einer aussergewöhnlichen 15 Notlage befinde und nur ein aussergewöhnlicher Mann es daraus erretten könne. So wurde es zur Grund- lage der neuen Regierungsform, dass die persön- lichen Leistungen des Herrschers die Bedingung seiner Herrschaft seien, und wenn auch oft genug schlecht regiert wurde, so war doch die Persönlichkeit des Kaisers fast immer im Schlimmen, wie im Guten, bestimmend geblieben. Traten Ausnahmen ein, wie bei Alexander Severus, Gordian III. und noch kurz vor der Zeit, von der wir hier zu reden haben, bei 25 Gratian und Valentinian II, so war schon nach wenigen Jahren der unbedeutende Herrscher gestürzt worden. Einen Nero, einen Domitian hatte man länger ertragen können, als gutartige, aber unselbständige Knaben. Doch seit den Tagen Diocletians war jeder Usurpator 30 elend zu Grunde gegangen, und das dynastische Prinzip hatte sich unter allen Erschütterungen des Reiches siegreich durchgesetzt. So hatte es im Empfinden von Volk und Heer immer fester Wurzeln

1. Die Entzweiung der beiden Keiclisteile. 265

geschlagen und war jetzt nach Ablauf eines Jahr- hunderts im Stande, selbst die erbärmlichste Nichtig- keit der Herrscher zu tragen und zu überdauern. Auch unter Arcadius und Honorius hat es an Usur-

5 pationen nicht gefehlt, aber obgleich die Kaiser ganz unvermögend waren, persönlich für ihr Recht zu kämpfen, scheiterten doch alle am Felsen ihrer Legi- timität. Die Söhne des Theodosius waren nicht die schlechtesten, wohl aber die unfähigsten Herrscher,

io die das Römerreich je besessen hat, und doch sind beide im Vollbesitze der Kaisermacht gestorben und ihre berechtigten Erben ihnen gefolgt. Dies aber kam nur der Dynastie, nicht dem Reich zu gute. Dessen Auflösung hatte zwar schon wiederholt gedroht, war

15 aber bisher immer noch abgewandt worden; doch unter diesen schwachen Kaisern schritt sie mit unheil- voller Geschwindigkeit ihrem Ziel entgegen.

Flavius Arcadius war um das Jahr 377 geboren, also beim Tode seines Vaters schon in das Jünglings-

-•o alter eingetreten. Seine Erziehung hatte der fromme Geistliche Arsenius unter Mitwirkung des heidnischen Philosophen Themistius geleitet. Doch als sie kaum erst beginnen konnte, hatte Theodosius bei der Feier seiner Quinquennalien am 19. Januar 383 den sechs-

25 jährigen schon zum Augustus ausrufen lassen. So pflegte denn auch Arsenius in den Lehrstunden vor seinem thronenden Schüler ehrerbietig zu stehen, bis der Kaiser dies abstellte und ihm sogar das Züchtigungs- recht einräumte. Doch als er einmal davon Gebrauch gemacht hatte, wollte der Knabe ihn ermorden lassen, und da sich dem künftigen Herrscher die Werkzeuge dazu leicht genug darboten, musste Arsenius in die Wüste fliehen. Als dreizehnjähriger bewies Arcadius dann noch einmal, wie wild und rücksichtslos er zu

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26G VII. Die Auflösung des Reiches.

hassen wusste, indem er in Abwesenheit seines Vaters die junge Stiefmutter aus dem Palast verjagte (S. 232). Doch als er später, in seinen Gemächern eingeschlossen, kaum mehr mit der Aussenwelt in Berührung kam, scheint auch diese Regung eines kräftigeren Lebens- 5 gefühls sich bei ihm abgestumpft zu haben. Bei seinem Tode rühmten ihn Wohlwollende als sanft und ruhig: minder Gutgesinnte nannten es dumm und stumpf- sinnig. Schwächlich und unansehnlich, von schläfrigen Augen und stockender Rede, konnte er den Unter- 10 tauen nicht imponieren und noch weniger die Soldaten durch seine persönlichen Eigenschaften an sich fesseln. Wenn ihm trotzdem niemand den Thron streitig ge- macht hat, so ist dies nur ein Zeichen dafür, wie mächtig der Grundsatz der dynastischen Erbfolge schon 15 geworden war. Jedenfalls war man darin einig, »lass er für nichts, was unter seiner Regierung geschah. verantwortlich sei, sondern dass alles durch seine Günst- linge gemacht werde. Und auch diese wählte er nicht selbst, sondern nahm willenlos die Leiter hin, die ihm 20 anfangs sein Vater, später seine schöne Frau bestimmten. In sehr eigentümlicher Weise hat diese Nichtig- keit des Herrschers auch auf die Literatur der Zeit eingewirkt. Hatte man einem der frühereu Kaiser eine Anrede zu halten, so war sie immer zum Pane- 25 gyrikus geworden, der seine Taten und Gesinnungen in den höchsten Tönen pries. Doch als die Stadt Cyrene im J. 309 dem Arcadius einen goldenen Kranz schickte, da wusste Synesius, der ihn als Gesandter überbrachte und mit der üblichen Rede begleitete, gar :;" nichts Lobendes zu sagen. Er begnügte sich damit, den Kaiser an seine Pflichten zu erinnern, und das in einer Weise, die eher beleidigend, als schmeichel- haft war. Wohl noch nie hatte man eine Rede, die sc

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 267

wenig ehrfurchtsvoll klang, einem römischen Herrscher vorzutragen gewagt. Vielleicht noch bezeichnender ist eine andere Schrift desselben Verfassers ..die Aegyter oder über die Vorsehung." In ihr zeigt er deutlich, 5 dass er keineswegs zu stolz ist, um zu schmeicheln, und es bei Arcadius nur unterlassen hat, weil es ihm nicht der Mühe wert schien. Hier wird unter dem Bilde des Kampfes zwischen Osiris und Typhon der Streit des Praefecten Aurelian gegen seinen feindlichen

io Bruder Caesarius und dessen gothische Helfer dar- gestellt, von dem wir später noch zu reden haben. Dabei werden die höchsten Beamten ganz so behandelt, als wenn sie die einzigen Beherrscher des Reiches wären; nirgend tritt es hervor, dass der Kaiser auch

15 etwas zu sagen hatte.

Honorius, der am 9. September 384 geboren war und am 23. Januar 393 die Würde des Augustus empfangen hatte (S. 246), war beim Tode seines Vaters noch nicht mündig und ist es, wie sein Bruder, sein

20 ganzes Leben lang nicht geworden. Theodosius hatte daher seinen Söhnen nicht rechtlich, wohl aber tat- sächlich, Vormünder bestellt, für Arcadius den Prae- fecten des Orients Rufinus, für Honorius den Magister Militum Stilicho. Diese Wahl aber machte der

2"i Menschenkenntnis und Voraussicht des Kaisers wenig Ehre. Denn die beiden Männer seines Vertrauens hatten sich schon an seinem Hofe immerfort mit wilder Erbitterung bekämpft, und man konnte daher mit Sicherheit erwarten, dass ihre Feindschaft nach seinem Tode zu einem unheilvollen Gegensatze der beiden Reichshälften führen werde.

Flavius Rufinus war in dem südgallischeu Städtchen Elusa geboren. Die Sprache des griechischen Reichs- teils hat er nie vollkommen erlernt und stand

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268 VII. Die Auflösung des Reiches.

daher den Untertanen, die er beherrschen sollte, als fremder Tyrann gegenüber. Aber da Theodosius, der selbst aus dem Westen stammte, sich gern mit Männern seines heimatlichen Reichsteils und seiner Sprache umgab, war auch jener in Constantinopel zu 5 einem Hofamt gelangt. Seine hohe Gestalt, sein lebhafter Blick, seine gewandte Rede lenkten bald die Augen des Kaisers auf ihn hin, und seine strenge Kirchlichkeit gewann dessen Herz. Denn mochte Rufinus auch gierig Reichtümer zusammenscharren 10 und vor keiner Erpressung, keinem Justizmorde zurückscheuen, wenn etwas dabei zu verdienen war, für fromme Zwecke hatte er doch stets eine offene Hand. So sorgte er für sein Seelenheil, indem ei- serne stolze Grabpyramide bei den Reliquien des 15 Petrus und Paulus erbauen liess und über diesen eine prächtige Kirche mit dazugehörigem Kloster errichtete. Auf diese Weise durfte er hoffen, dass die Apostel, in deren nächster Nähe er ruhen wollte, ihm die Vergebung seiuer zahlreichen Sünden dankbar ver- 20 mittein würden. Doch als Theodosius seine Gunst heidnischen Männern zuwandte (S. 225), war der Hofmann geschmeidig genug, auch mit ihnen freund- liche Verbindungen anzuknüpfen. Den Gipfel seiner Macht aber erreichte er, als er sich bei Ambrosius 25 eingeschmeichelt und nach dem Blutbade von Thessa- lonica die Versöhnung zwischen ihm und dem Kaiser vermittelt hatte (S. 232). Nachdem er schon vorher um 388 zum Magister Officiorum erhoben war, wurde er jetzt im Jahre 392 zuerst Consul, dann auch so Praefect des Orients. Als dann Theodosius im Som- mer 394 gegen Eugenius zog, liess er seinen älteren Sohn unter der Obhut des Rufinus in Constantinopel zurück und übertrug ihm dabei sogar die selbständige

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 269

Gesetzgebung, ein Recht, das er sogleich benutzte, um der Ketzerei mit äusserster Schärfe entgegen- zutreten.

Natürlich fehlte es dem Rufiuus am Hofe des

5 Theodosius nicht an Nebenbuhlern: vor allen machten die Männer, die sich durch kriegerische Verdienste die Dankbarkeit des Kaisers erworben hatten, ihm dessen Gunst streitig. Mit Timasius und Promotus, die sich im Kampfe gegen Maximus das Consulat

m verdient hatten (S. 224), wurde die Feindschaft so grimmig, dass sich der letztere einmal dazu hinreissen Hess, den Rufinus zu ohrfeigen. Die Folge war, dass Promotus vom Hof entfernt und in die Provinz geschickt wurde, wo er bald darauf in einen Hinter-

15 halt der ßastarner fiel und dabei seinen Tod fand. Timasius behielt seiu Kommando auch in dem Kriege gegen Eugenius; doch wurde beim Tode des Kaisers nicht er, sondern Stilicho, obgleich auch dieser mit Rufinus verfeindet war, zum Oberfeldherrn und Vor-

2o mund des kleinen Honorius eingesetzt. Der Grund lag wohl nicht in seiner überragenden Befähigung, sondern nur darin, dass er mit dem Kaiserhause verschwägert war und dem Theodosius, der selber treu zu seiner Verwandschaft hielt (S. 177), daher

2r) vertrauenswürdiger schien.

Flavius Stilicho war der Sohn eines Vandalen, der unter Valens eine barbarische Reitertruppe befehligt hatte; seine Mutter scheint der einheimischen Reichs- bevölkerung angehört zu haben. Er selbst trat schon

:«> in frühester Jugend als Gemeiner in das Heer ein; aber da sein Vater Offizier war, wurde er in die vor- nehme Schar der Protectores aufgenommen (II S. 41). Er hatte das Glück, dem Sporacius, der 383 als Gesandter an den Perserhof geschickt wurde, zum

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Begleiter gegeben zu werden (S. 69), wahrscheinlich nur wegen seiner ungewöhnlich hohen und kräftigen Gestalt. Denn um einen günstigen Vertrag zu erzielen, war es wünschenswert, dass der römische Krieger den kleinen Asiaten schon durch seine Statur imponierte 5 und ihnen vor Augen führte, wie gefährliche Feinde ihnen im Fall eines Krieges gegenüberstehen würden. Von dieser wichtigen Sendung zurückgekehrt, zog der Jüngling die Augen des Hofes auf sich und, was für ihn noch bedeutsamer war, zugleich auch die Augen u> einer heiratsfähigen Prinzessin. Serena war die Tochter des Spaniers Honorius, der gestorben war, kurz bevor sein Bruder Theodosius auf den Thron erhoben wurde. Dieser hatte sie nicht rechtlich, wohl aber tatsächlich adoptiert, und sie war sein besonderer 's Liebling geworden. Gern besprach er mit ihr auch ernste Dinge, und wenn er in jenen wilden Jähzorn verfiel, bei dessen Ausbrüchen selbst Gattin und Kinder ihn flohen, war sie die einzige, die ihn zu besänftigen vermochte. So bewog sie ihn auch, dass er ihr den schönen Soldaten zum Manne gab, und damit war dessen Glück gemacht. Er durfte den Kaiser bei allen seinen Feldzügen begleiten, wurde von ihm zuerst zum Oberstallmeister (tribunus stahuli) ernannt, dann durch den Comestitel geehrt und stieg bald zu 25 der wichtigen Stellung des Comes Domesticorum und endlich um 385 zum Magister Militum auf. Diese Amter bis zum höchsten, das es in der militärischen Laufbahn gab, durchlief er nach seiner Vermählung in nicht mehr als zwei Jahren. Dabei zeichnete er :!0 sich keineswegs durch hervorragende Kriegstaten aus; selbst bei dem Kampfe gegen Maximus wird er nicht unter den leitenden Feldherren genannt, obgleich er kaum zu Hause geblieben sein dürfte. Die einzige

l. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 271

Heldentat, die selbst sein Lobredner Claudian von ihm ans dieser Zeit anzuführen weiss, ist die Ver- nichtuno-des kleinen Völkchens der Bastarner, nachdem Promotas durch sie gefallen war (S. 269). Auch aus .-> dem Kriege gegen Eugenius, bei dem Stilicho zu den Führern der römischen Truppen gehörte, hat Claudian nichts Besonderes von ihm zu berichten. Doch am Hofe wacdite Serena für ihn; sie wusste in allen Intriguen, die dort gesponnen wurden, geschickt ihre

10 Rolle zu spielen, und dies genügte, um ihrem Gatten die Gunst des Theodosius bis zu dessen Tode zu erhalten.

Dass Stilicho, wie später seine Feinde behaupteten, seinen Sohn Eucherius zum Kaiser erheben wollte,

15 ist nicht unwahrscheinlich und wäre auch vom Stand- punkte der Legitimität gar nicht zu tadeln gewesen. Denn da Arcadius nur einen männlichen Nach- kommen hinterliess und Houorius überhaupt keine Kinder hatte, musste es durchaus augemessen scheinen,

20 den Sohn der kaiserlichen Nichte und Adoptivtochter zum Mitregenten und dann zum Erben zu bestimmen. Doch ist Stilicho mit dieser Absicht nur insofern öffentlich hervorgetreten, als er den Eucherius mit Galla Placidia, der Tochter des Theodosius, verlobte

25 und so die dynastischen Ansprüche desselben noch verstärkte. Im übrigen begnügte er sich damit, Anfang 398, noch ehe Houorius mit vierzehn Jahren das gesetzliche Alter der Mannbarkeit ganz erreicht hatte, ihn mit seiner Tochter Maria zu vermählen, und

:*» gab ihr, als sie früh starb, im Jahre 408 seine zweite Tochter Thermantia zur Nachfolgerin. Als Halb- barbar, der seine Abstammung schon in seinem unrömischen Namen deutlich zur Schau trug, konnte er selbst nicht nach dem Kaisertum streben, wohl

272 VII. Die Auflösuug des Reiches.

aber nach der Regierung des Reiches in der Form der Vormundschaft, und zwar des ganzen Reiches. Denn wie er behauptete, hatte Theodosius vor seinem Tode ihm auch die Obhut über Arcadius anvertraut, und was wichtiger war als dies angebliche Vermächtnis, er besass das Mittel, um seinen Anspruch durchzu- setzen.

Theodosius hatte die ganze Macht des östlichen Reichsteils zum Kampfe gegen Eugenius aufgeboten und dieser ihm die ganze Macht des westlichen gegen- übergestellt. Nach der Schlacht am Frigidus hatten sich beide Heere vereinigt und standen jetzt unter dem Befehl des Stilicho. Dieser hätte sich also ohne jeden Widerstand Constantinopels bemächtigen können; doch scheute er sich vor einem offenen Bruche der formellen Legalität und liebte die krummen Wege. Er wünschte, dass Arcadius selbst ihn um seine Hilfe bitte und offiziell als Schützer des Ostreiches aner- kenne. Das aber Hess sich gegen den Willen des Rufinus nur erreichen, wenn der junge Kaiser in der dringendsten Noth war, und diese sollten ihm die Gothen bereiten.

Nach dem Kampfe wird ihre Stimmung gegen ihre römischen Bundesgenossen nichts weniger als freundlich gewesen sein. Dem Kaiser, dem sie sich angelobt hatten, war ein glänzender Sieg zuteil geworden, sie aber waren dabei die Besiegten gewesen. Am ersten Schlachttage hatten sie die Hälfte ihrer Streiter verloren und das unter Umständen, die den Verdacht sehr nahelegten, dass man sie absichtlich dem Unter- gange preisgegeben habe. Und diesem Argwohn musste durch die Art, wie die Römer sich des Erfolges freuten, neue Nahrung zugeführt werden. Man triumphierte, dass Gott dem Theodosius seinen

1. Die Entzweiung der beiden Reielisteile. 2 i 3

Siee nicht durch die arianischen Barbaren verliehen habe, und pries ihre Verluste als ein Glück für das Reich, weil von denen, die es früher geplündert hatten und leicht aufs neue damit beginnen konnten, eine 5 tüchtige Anzahl jetzt beseitigt sei. Sie waren daher o-ern bereit, an denen, die sie für Verräter hielten, ihre Rache zu nehmen, namentlich wenn sie Stilicho, der ihnen als germanischer Landsmaun vertrauens- würdiger scheinen mochte, damit einen Gefallen taten.

10 Während er das übrige Heer zusammenhielt, Hess er die Gothen gleich nach dem Tode des alten Kaisers heimziehen, und kaum hatten sie die Alpen über- schritten, so begannen sie wieder im Ostreiche zu rauben und zu sengen.

15 Das Gerücht, dass Rufinus nicht nur den gothischen

Plüuderzug, sondern auch alle die andern, die gleichzeitig den Reichsteil des Arcadius heimsuchten, absichtlich veranlasst habe, tritt gleich darauf mit solcher Entschiedenheit auf und ist so allgemein ver-

20 breitet, dass man kaum umhin kann zu glauben, es sei geflissentlich ausgestreut worden. Daraus darf man schliessen, dass hier tatsächlich eine Schuld vorlag, für die man einen Sündenbock suchen musste, und der Praefect eignete sich gut zu dieser Rolle, weil

25 alles ihn wegen seiner grausamen Erpressungen hasste und daher bereit war, das Schlimmste von ihm zu glauben. Doch wenn einer die Gothen aufgereizt hat, so kann es nur der gewesen sein, dem ihr Raubzug Nutzen brachte, also nicht Rufinus, sondern Stilicho.

30 Denn diesem boten sie so die Gelegenheit, auch in die Verhältnisse des Orients als Vormund beider Kaiser einzugreifen, wie er es ersehnte. Und dass er mit Alarich im Einverständnis war, ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass dieser bei seinen Plünderungen

Seeck, 1'ntergang der antiken Welt. V. 18

274 VII. Die Auflösung des Reiches.

die ausgedehnten und weitverstreuten Güter des Rufinus verschonte, offenbar zu keinem anderen Zweck, als um Verdacht gegen ihn zu erregen. Freilich hätte Stilicho, was er aber nicht vorauswissen konnte, der Gothen nicht bedurft, um dem Ostreiche seine Hilfe 5 wertvoll zu macheu. Denn weil Theodosius, als er zu seinem letzten Kampfe die Streitkräfte sammelte, in ganz unverantwortlicher Weise die Grenzen entblösst hatte, brachen von allen Seiten Barbarenhorden ins Land. Noch im Winter 395, um dieselbe Zeit, als 10 Alarich seine Kriegsfahrt begann, überschritten Hunnen- scharen das Eis der gefrorenen Donau, und andere Horden desselben Volkes drangen durch die Pässe des Kaukasus über Armenien in Cappadocien ein und raubten bis nach Antiochia hinunter. 15

Theodosius hatte 389 den Eunomianern das testa- mentarische Erbrecht geraubt, aber wenige Monate vor seinem Tode dies harte Gesetz widerrufen. Es scheint, dass Rufinus in den Barbareneinfällen die Strafe des Himmels für diese gottlose Milde gegen die Ketzer 20 erblickt hat; denn als die Gotheu Constantinopel be- drohten, verfügte er alsbald, dass das ältere strenge Recht wieder in Kraft treten solle. Und so ist er während seiner ganzen Regierung unermüdlich gewesen, durch immer neue ATerfügungen gegen Heidentum und 25 Ketzerei die Gnade seines Gottes zu gewinnen; aus den kurzen anderthalb Jahren, in denen er die Ge- schicke des Ostreiches bestimmte, sind nicht weniger als sieben Gesetze dieser Art erhalten. Er ging soweit. dass selbst Bischöfe, die nur in unbedeutenden Neben- '• dingen vom orthodoxen Dogma abwichen, als Irrlehrer abgesetzt wurden. Noch am 24. November 395 be- stimmte er, dass in allen Hofämtern nachgeforscht werden solle, ob keiner ihrer Bediensteten sich zu

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 275

einer ketzerischen Lehre bekenne, und dass jeder, der auf diesem Verbrechen ertappt werde, nicht nur zu entlassen, sondern auch aus Constantinopel auszuweisen sei. Da immer eine Schar von Stellenjägern auf die

5 leerwerdenden Ämter des Hofes lauerte, hätte dies zu zahllosen Denuntiationen und zu einer ganz unwürdigen Gesinnungsschnüffelei führen müssen, wenn nicht schon drei Tage später ein schmählicher Tod den gottseligen Bestrebungen des Praefecten ihr Ziel gesetzt hätte.

10 Mit dem Beginn des Frühlings überschritt Stilicho

die Alpen, um auch im Orient seine Rechte als Reichs- feldherr geltend zu machen. Schon vorher waren die Gothen unter den Mauern von Constantinopel er- schienen, und man hatte sich auf eine Belagerung

r> vorbereitet; doch Rufiuus war in ihr Lager gegangen, um mit ihnen zu unterhandeln. Er hatte dabei gothische Tracht angelegt, um durch dies sichtbare Zeichen der Sympathie ihre Herzen zu gewinnen. Wahrscheinlich beabsichtigte er, mit ihnen ein Bündnis zu schliessen,

■-H) das ihm ihre Streitmacht zur Verfügung gestellt hätte; denn nur so vermochte er ein Heer zu erlangen, das ihm Stilicho gegenüber eine gewisse Selbständigkeit verleihen konnte. Alarich aber hatte sich, wie es scheint, schon durch andere Versprechungen gebunden ;

25 es war nicht mehr von ihm zu erreichen, als dass er die Hauptstadt nicht weiter belästigte und nach Thessalien abzog. Hier traf ihn Stilicho, blieb aber nicht weniger als ein halbes Jahr seiner Wagenburg gegenüber untätig stehen. Offenbar hatte er gar nicht die Absicht zu kämpfen, sondern erwartete nur, dass ihm von Arcadius Generalvollmacht auch für das Ostreich erteilt werde, um dann auf Grund der heim- lichen Besprechungen, die er mit Alarich gewiss schon gehabt hatte, einen öffentlichen Vertrag abzuschliessen.

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276 VII. Die Auflösung des Reiches.

Doch es kam ganz anders, als er gehofft hatte. Nach seinem langen Zaudern musste es scheinen, als wenn er einen entscheidenden Schlag nicht wage; es war daher ganz berechtigt, dass Rufinus ihn durch Arcadius auffordern Hess, die Truppen des Orients nach Con- stantinopel zurückzuschicken, damit er einen mutigeren Feldherrn an ihre Spitze stellen könne. Stilicho wrar zu feige, um einem klar ausgesprochenen Befehl des älteren Augustus den Gehorsam offen zu versagen. Hatte er anfangs die Absicht gehabt, nach dem Ab- schluss des Bündnisses mit den Gothen, nach Constan- tiuopel zu gehn und dort die Zügel der Regierung zu ergreifen, so hielt er sich jetzt für berechtigt, in rachsüchtigem Schmollen das Ostreich sich selbst zu überlassen, und zog mit dem Teil des Heeres, der ihm noch blieb, kampflos heim. Ungehindert konnte jetzt Alarich ganz Griechenland bis in den Peloponnes durchziehen, überall Beute machend, die Einwohner als Sklaven mit sich führend und die Städte als rauchende Trümmerhaufen hinter sich lassend.

Unterdessen hatte der Teil des Heeres, auf den Stilicho nach den Befehlen des Arcadius verzichtet hatte, seinen Marsch nach Constantinopel angetreten. Doch sein Führer Gainas hatte geheime Aufträge empfangen und führte sie mit grausamer Geschick- lichkeit aus. Als er am 27. November 395 auf dem Paradeplatz vor der Stadt angelangt war, kam ihm der Kaiser, begleitet von seinem Praefecten, entgegen, um nach der Sitte die Truppen zu begrüssen. Während er ihre Front abschritt, wurde Rufinus von den Soldaten eingekreist, und plötzlich bohrten sich von allen Seiten Schwerter in seinen Leib. Das Volk, das schnell von seiner Ermordung erfuhr, strömte jubelnd aus den Toren, um an dem Leichnam des Verhassten den

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 277

lange unterdrückten Groll auszulassen. Man warf mit Steinen nach seinem Kopf, der auf einer Stange v umhergetragen wurde; die rechte Hand wurde ihm abgeschnitten, und indem man an ihren Sehnen zerrte, g Hess man sie, seine Habgier verhöhnend, die Bewegung v des Zugreifens machen. Der verstümmelte Leib blieb vunbegraben liegen; denn man behauptete, dass er das Kaisertum habe usurpieren wollen, ja sogar schon Münzen auf seinen Namen geschlagen habe, und 10 stempelte damit den Mord zu einer gerechten Hin- richtung. Seine Frau und seine Tochter, die er noch kurz vorher zur Gemahlin des Kaisers bestimmt hatte, y flohen in eine Kirche. Es wurde ihnen gestattet, nach Jerusalem in die Verbannung zu gehen, wo sie ihr L5 Leben in Armut beschlossen. Sein Vermögen wurde v konfisziert, aber nicht um denen, die er beraubt hatte, ihr Eigentum zurückzugeben, sondern um die un- geheuren Reichtümer zum grössten Teil an neue Günstlinge zu verschenken. -?<» Die erste Stelle unter ihnen nahm der Eunuch

Eutropius ein. Schon Theodosius hatte diesem Kammer- / diener grosses Vertrauen geschenkt; so war er es ge- wesen, der zu dem ägyptischen Propheten Johannes geschickt wurde, um dessen Weissagungen über den 25 Feldzug gegen Eugenius dem Kaiser zu überbringen (S. 250). Wie Rufinus, so wurde auch er dem Arcadius hinterlassen, der ohne eigenen Willen und eigenes Urteil stumpfsinnig die Ratgeber gewähren liess, die sein* Vater ihm bestellt hatte. Da man trotz 30 des Christentums dem Herrscher noch immer eine Art von Göttlichkeit beilegte, war die Stellung des- s jenigen, der seiner geheiligten Person aufzuwarten </ hatte, eine hochgeachtete: der Sohn des Arcadius hat seinen Oberkammerdiener sogar den Praefecten und

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den höchsten Feldherrn im Range gleichgestellt. Noch mehr aber, als seine äusseren Ehren, bedeutete der geheime Einfluss, den er in unterwürfigem und doch vertrautem Verkehr mit dem Kaiser von jeher aus- zuüben pflegte. So hatte Eutrop es sogar gewagt, » dem allmächtigen Rufinus seine beherrschende Stellung streitig zu machen. Zu diesem Zweck hatte er mit v Stilicho konspiriert, es aber noch aussichtsreicher ge- funden, den Weg zur Macht, seinem Amt entsprechend, durch das kaiserliche Schlafgemach zu nehmen. Rufinus 10 hatte beabsichtigt, seine Tochter mit Arcadius zu ver- mählen und sich so auch eine Familienverbindung mit dem Herrscherhause zu schaffen. Da der willenlose Jüngling, in der strengen Abgeschiedenheit des Palastes lebend, kaum etwas Weibliches zu sehen bekam, hätte 15 er wohl auch diesem Plane sich passiv gefügt und hingenommen, was man ihm darbot, wenn Eutrop nicht gewesen wäre. Dieser zeigte ihm das Bildnis v der schönen Eudoxia, vermittelte ihm ihre Bekanntschaft, und ihr Anblick, unterstützt durch die geschickten 20 Einflüsterungen des Kammerdieners, entflammte ihn so, wie man das seiner schwerflüssigen Natur kaum hätte zutrauen können. Er wartete nicht einmal ab. bis der Leichnam seines Vaters in Constantinopel bei- gesetzt war, sondern verschob dies bis zum 8. November -", 395, damit die Trauerfeier nicht gar zu schnell der Hochzeit folge. Denn schon am 27. April führte er die blonde Schönheit heim; nach zwei Jahren schenkte v sie ihm die erste Tochter, und seitdem- ist kaum ein Jahr vergangen, ohne dass ein weiteres Kind hinzu- :;o gekommen wäre.

Aelia Eudoxia war die Tochter jenes Franken Bauto, der sich als Feldherr Valentiuians IL aus- gezeichnet hatte (S. 183); doch obgleich sie mindestens

1. Di«- Entzweiung der beiden Reichsteile. 279

zur Hälfte barbarischen Blutes war, hatte das Consulat

ihres Vaters sie doch in die Kreise des höchsten

v Reichsadels erhoben. Nach seinem Tode war sie in

dem Hause jenes Promotus aufgewachsen, den wir als

5 den bittersten Feind des Rufinus kennen gelernt haben (S. 269). Ihre Erhebung bedeutete also eine Ge- fährdung seiner Macht; doch scheint sie einstweilen noch zu jung gewesen zu sein, um den politischen Einfiuss, den sie später ausübte, schon damals in An-

Ki spruch zu nehmen. Desto mehr stärkte sie den des

Eunuchen, der als Beherrscher der Frauengemächer

nicht nur unmittelbar, soudern auch durch ihre Reize

v auf den schwachen Kaiser einwirken konnte. Rufinus

arbeitete daher jetzt an dem Sturze dieses Neben-

i". buhlers; aber noch ehe er ihn beseitigen konnte, er- eilte ihn selbst sein Geschick und schuf dem Eutropius freie Bahn.

Anfangs hielt dieser an seiner früheren Verbindung mit Stilicho noch fest. Es schien, als wolle er nur

20 für desseu Macht wirken und sich selbst bescheiden

in den Grenzen seines Amtes halten. Damit keiner

dieselbe Gewalt an sich reisse, wie sie Rufinus besessen

hatte, wurde die Praefectur des Orients nicht mehr

y einem Manne anvertraut, sondern Caesarius und

25 Eutychianus sollten sie als gleichberechtigte Kollegen verwalten. Abundantius und Timasius, die hervor- ragendsten Feldherren des Theodosius, die er für ihre Kriegstaten beide mit dem Consulat belohnt hatte, wurden angeklagt und verbannt. Indem man so auch

:,<l die militärischen Helfer des Arcadius beseitigte, wurde v für Stilicho Raum geschaffen, und wirklich erging an ihn die Bitte, jetzt, nachdem sein Feind Rufinus ge- fallen war, dein Ostreich zum zweiten Mal Hilfe zu bringen.

280 VII. Die Auflösung des Reiches.

Unterdessen hatte Alarich ungehindert die Ther- mopylen durchzogen und Theben angegriffen, war aber, ^ da die Gothen in den Künsten der Belagerung noch immer Neulinge waren, an den starken Mauern der Stadt gescheitert. Doch Athen wurde eingenommen 5 v und ein grosser Teil seiner Einwohner als Sklaven wes'ffeführt, Korinth verbrannt und alles Land von Thessalien bis in den Peloponnes hinunter furchtbar verwüstet. Während so der grösste Teil von Griechen- land zur Einöde gemacht wurde, war Stilicho an den 10 * Rhein gegangen, hatte ihn bis zu seiner Mündung befahren und die Verträge mit den westlichen Ger- manen erneuert. Als ihm aber von neuem die Gelegenheit geboten wurde, auch im östlichen Reichs- teil als Oberfeldherr aufzutreten, ergriff er sie mit is Begierde. Noch ehe es Frühling geworden war, setzte er 397 zu Schiffe ein Heer nach Korinth über und folgte den Gothen nach Arcadien, wo sie eben damals umherstreiften. Da ihre Scharen von einer Seuche heimgesucht waren, leisteten sie nur schwachen Wider- 20 stand und zogen sich nach einigen Verlusten auf das Pholoegebirge zurück. Sie hier anzugreifen, konnte Stilicho sich nicht entschliessen, hoffte aber sie zu freiwilliger Ergebung zu veranlassen, indem er ihnen das Wasser abgrub. Docli mit seinen zuchtlosen 25 J Truppen, die sich von der Plünderung des umliegenden Landes nicht zurückhalten Hessen, vermochte er die Einschliessung der Gothen nicht durchzuführen. Sie brachen durch und retteten nicht nur sich selbst, sondern auch ihre reiche Beute über die Meerenge 30 nach Epirus hinüber. In die wilden Gebirgstäler dieser Provinz, die selbst gegen eine grosse Übermacht leicht zu verteidigen waren, wagte ihnen Stilicho nicht zu folgen, und das umso weniger, als wohl auch seine

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 281

Truppen von der Seuche nicht unberührt geblieben * waren. So setzte er denn wieder nach Italien über, ohne etwas anderes erreicht zu haben, als dass seine Soldaten, was die Gothen an Beute übriggelassen 5 hatten, ihrerseits aus dem unglücklichen Griechenland fortschleppten.

Diese Art der Hilfeleistung war nicht geeignet, dem Kaiser und seinem Hofeunuchen ein ferneres Zusammengehen mit Stilicho nützlich erscheinen zu

m lassen. Da ihr kleines Heer durch die Hunnen, die noch immer sowohl in Thrakien als auch in den asi- atischen Provinzen raubend umherzogen (S. 274), ganz in Anspruch genommen war, suchten sie sich mit Alarich auf friedlichem Wege abzufinden und fanden ihn bereit ^iö dazu. Von Epirus aus hatte er wieder in Thessalien einbrechen wollen; doch hatte die Bevölkerung, die von seinem ersten Durchzuge her wusste, was sie von ihm zu erwarten hatte, sich ihm in den Gebirgspässen mit dem Mute der Verzweiflung entgegengew^orfen

-,(» und ihn mit Verlust von 3000 Mann zurückgeschlagen.

Dadurch eingeschüchtert, begrüsste er es mit Freuden,

v dass Arcadius sich erbot, ihn zu Magister Militum per

Illyricum zu ernennen und seine Gothen in römische

Dienste zu nehmen. Dies bedeutete, dass sie auf

25 Kosten des Ostreiches mit Naturalverpfleguug und Waffen versehen wurden, und dass er selbst in der Form eines Beamtengehaltes einen ansehnlichen Tribut empfing. Eutropius aber hatte der Westgrenze so eine Militärmacht vorgelegt, die zwar von ihm

30 halb unabhängig war, aber auch seine Unabhängigkeit dem Stilicho gegenüber sicherstellte. Denn weil dessen Feldzug nach Arcadien ihm Alarich zum Feinde gemacht hatte, musste dieser bereit sein, jeden Über- o-riff des ehrgeizigen Feldherrn auf den Osten seiner-

282 VII. Die Auflösung des Reiches.

seits abzuwehren. Das Bewusstsein, dass die Brüder nur die Hälften desselben Reiches, geteilt, aber doch gemeinsam, beherrschen sollten, war durch Schuld des Stilicho dem Arcadius ganz verloren gegangen. Rüstete er sich doch gleich darauf, Africa für sich 5 zu gewinnen und so auf Kosten des Westreiches, als wenn es eine feindliche Macht sei, Eroberungen zu machen.

Der maurische Königssohn Gildo hatte im Kampfe o-eeren seinen Bruder Firmus den Grossvater des 10 Arcadius eifrig unterstützt, war dann in römischen Diensten geblieben und um 385 zum Comes Afn'cae ernannt worden. Als Maximus sich 388 zu seinem letzten Kriege rüstete, stellte er ihm die Kornsteuern der fruchtbaren Diöcese zur Verfügung und ermög- 1"1 lichte wohl nur dadurch die treffliche Versorgung seiner Truppen, die ihn anfangs dem Theodosius über- legen machte (S. 213. 220). Dieser hatte von Aegypten aus ein Heer gegen Gildo in Bewegung gesetzt; doch wird es noch nicht an sein Ziel gelangt sein, 20 als der schnelle Sieg über Maximus auch die kampf- lose Unterwerfung Africas zur Folge hatte. Die Absetzung des Comes scheint der Kaiser nicht gewagt zu haben, weil sie leicht einen zweiten Bürgerkrieg hätte veranlassen können. Als 392 durch die Er- 23 hebung des Eugenius neue Gefahren drohten, vermählte er sogar Nebridius, den Neffen seiner verstorbenen Gattin Flaccilla, mit Salvina, der Tochter des Gildo, um so den Beherrscher Africas auch durch Familien- bande an sein Haus zu knüpfen. Vielleicht war dies der Anlass, dass Theodosius, der seine Verwandtschaft gern ehrte und befördert (S. 177), ihm den Titel eines Magister Militum verlieh, der über den Bang der sonstigen Befehlshaber Africas weit hinausging.

30

1. Die Entzweiung der beiden ßeichsteile. 283

Damit wurde freilich nichts weiter erreicht, als dass (Jildo sich nicht offenkundig von dem legitimen Herrscher lossagte: doch weigerte er sich auch nicht, Beamte zuzulassen, die Eugenius ernannte, und unter- :• stützte diesen ebenso durch Kornzut'uhren, wie er es bei Maximus getan hatte. Als Theodosius ihn auf- forderte, durch einen Angriff von Africa aus seinen Einfall in Italien zu unterstützen, versagte er den Gehorsam und bewahrte seine Neutralität, um sich je

10 nach dem Ausgang des Krieges für den einen oder für den andern der Kämpfenden entscheiden zu können. Der Kaiser war zu schnell nach seinem Siege gestorben, als dass er den Ungetreuen hätte strafen können; doch war zu fürchten, dass Stilicho dies jetzt als seine

15 Aufgabe betrachten werde.

Um dieser Gefahr zu begegnen, sammelte Gildo eine so starke Kriegsmacht, wie sie Africa nur her- geben konnte, und presste zu diesem Zweck alle wilden Maurenstämme in seinen Dienst: bei dem

-'" Eutscheiduugskampfe schätzte man sein Heer auf nicht weniger als 70 000 Mann. Hatte er schon vorher unbarmherzig erpresst und konfisziert, um seinen Schatz zu mehren und einen ungeheureu Grundbesitz zu erwerben, so mussten diese Rüstungen

25 den Druck noch steigern. Ganz Africa war von wildem Hasse gegen den harten Tyrannen erfüllt, und diese Stimmung übertrug sich auch auf die Soldaten seines Heeres, was ihm später zum Verderben wurde. Einst- weilen aber erschien er als ein so gefährlicher Gegner,

'M) tlass Stilicho lange zauderte, ehe er sich an ihn heran- wagte: ja vielleicht hätte er es überhaupt nicht getan, wenn nichtdie dringendste Not ihn dazu gezwungen hätte. Gildo hatte nach dem Tode des Theodosius den Knaben Honorius als Oberherrn anerkannt, was nichts

284 VII. Die Auflösung des Reiches.

anderes bedeutete, als das er bereit war, Befehle von Stilicho zu empfangen. Doch voll Misstrauen gegen dessen Absichten war er zugleich bemüht, die Kriegs- bereitschaft des Westreiches nach Möglichkeit zu hemmen. Dazu bot sich ihm ein sehr naheliegendes 5 Mittel, weil die Ernährung Italiens und seiner Heere von den Kornzufuhren aus Africa durchaus abhängig war. Er verweigerte diese nicht, Hess sie aber immer nur in genau bemessenen Raten abgehen, so dass man grosse Magazine, wie sie zur Vorbereitung eines 10 Krieges nötig waren, nicht anlegen konnte. Da Stilicho trotzdem nicht darauf verzichtete, in den Jahren 395 und 397 jene Feldzüge nach Griechenland zu unternehmen, die auch im Ostreiche seine Macht begründen sollten, blieb für die Verpflegung Roms 15 sehr wenig übrig. So herrschte denn während dieser ganzen Zeit in der Hauptstadt Teuerung und steigerte sich zeitweilig bis zur Hungersnot, die schwere Seuchen hervorrief. Wie immer bei solchen Anlässen, geriet das Volk in wilde Aufregung, und die Mit- 20 glieder des Senats, den es für jedes Unheil verant- wortlich zu machen pflegte, schwebten in Lebens- gefahr. Zweimal nacheinander musste er sich eine freiwillige Steuer auflegen, durch deren Ertrag die Hungersnot zwar nicht beseitigt, aber doch etwas 20 gelindert und der Zorn des Pöbels zur Ruhe gebracht wurde. So oft es Gildo einfiel, seine Macht fühlen zu lassen, musste sich die gleiche Not wiederholen. Dass er beseitigt wurde, war daher eine Lebensfrage für das Westreich, und Stilicho konnte nicht anders, als 30 seine Absetzung durch den jungen Kaiser verfügen lassen. Doch der Beherrscher Africas weigerte den Gehorsam, aber ohne damit seinen Abfall offen zu erklären. Er verschanzte sich hinter der nicht im-

1. Die Entzweiung der beiden Reicbsteile. 0^5

berechtigten Annahme, dass Arcadius der natürliche Vormund seines kleinen Bruders sein müsse, und erklärte, nur von jenem als dem älteren Augustus Befehle empfangen zu wollen. Dadurch wahrte er 5 den Schein des Hechtes und lehnte sich nicht o-es-en den Kaiser, sondern nur gegen Stilicho auf; in Wirklichkeit aber bedeutete dies nichts anderes, als das er eigenmächtig Africa vom westlichen Reichs- teil abtrennte und dem östlichen hinzufügte. In dieser

10 Weise den letzten Willen des Theodosius umzustossen, war aber aus praktischen Gründen ein Unding; denn wie wir eben gesehen haben, konnten Rom und Italien des Landes nicht entbehren, auf dessen reichen Ernten ihre Ernährung beruhte. Constantinopel da-

15 gegen empfing ausreichende Kornzufuhren aus Aegypten ; die Erwerbung Africus war daher für Arcadius ein stolzer und reicher, aber ganz überflüssiger Macht- zuwachs, den er hätte ablehnen müssen, wenn er als römischer Kaiser das Schicksal Roms, wie es seine

20 Pflicht war, berücksichtigt hätte. Doch in seinem Hasse gegen Stilicho begrüsste Eutropius die Anträge Gildos mit Freuden. Eine Gesandtschaft des Orients erschien in Italien, um Africa für den Reichsteil des Arcadius in Anspruch zu nehmen, und als sie

26 abschlägig beschieden wurde, erklärte ein Edikt jeden Feldherrn, der Gildo bekämpfen werde, für einen Feind des Kaisers und des Reiches.

Dies war für Stilicho ein harter Schlag; denn wenn er auch vor keiner Schandtat zurückschreckte, so hielt

30 er doch mit lächerlicher Pedanterie darauf, immer den Schein des Legalen für sich zu haben, und dieser war jetzt zweifellos auf Seiten des Gildo. Wie Stilicho nicht gezögert hatte, auf die Hälfte seines Heeres zu verzichten, als ein Befehl des Arcadius dies von ihm

286 VII. Die Auflösung des Reiches.

forderte (S. 276), so hätte er sich vielleicht auch jetzt gefügt, wenn die Umstände dies irgend gestattet hätten. Da aber der Beherrscher Italiens Africa nicht aufgeben konnte, suchte er nach einer anderen Form der Legalität, die er dem Edikte des Kaisers 5 entgegenstellen könne, und entdeckte sie glücklich in der historischen Rumpelkammer. Schon seit Jahr- hunderten war der Senat kaum mehr als der Stadt- rat von Koni; aber früher war er der Beherrscher der Welt gewesen, und als solchen hatte ihn das 10 Kaisertum zwar tatsächlich entthront, aber niemals formell abgesetzt. Noch Constantin der Grosse hatte sich durch ihn zum ältesten Augustus ernennen lassen und ihn zum Richter über seinen Schwager Licinius eingesetzt (I S. 1 32-- 172). Darin lag die Anerkennung, 15 dass der Senat dem Rechte nach über den Kaisern stehe, mochte er in Wirklichkeit auch ihr gehorsamer Diener sein. Auf diese verblassten Erinnerungen griff Stilicho zurück und Hess im Spätherbst 397 in Rom den Antrag stellen, dass Gildo für einen Feind des 20 Vaterlandes erklärt werde, was natürlich ohne jeden Widerspruch beschlossen wurde. „Mit untertäniger Abstimmung wurde der Senat der gewaltigen Sache gerecht", wie eines seiner Mitglieder sich in einem Brief an Stilicho ausdrückte; dieser aber hatte einen 25 Rechtstitel gewonnen, der zwar für die Entscheidung des Kampfes garnichts bedeutete, sich aber schon durch seine Altertümlichkeit recht hübsch ausnahm. Sogleich antwortete ihm Eutrop, indem er gegen den Senat von Rom den der zweiten Reich shauptstadt aus- 30 spielte; wie jener Gildo, so erklärte man in Constan- tinopel Stilicho für einen Feind des Reiches, und dessen Güter, soweit sie im orientalischen Reichsteil lagen, wurden konfisziert.

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. -_'s,

Doch zugleich wurden auch ernstere Vorberei- tungen für die Eroberung Africas getroffen. Da die Zufuhren von dort jetzt natürlich ganz ausblieben. wurde Getreide aus Gallien und Spanien nach Koni

5 geschafft und so zwar nicht dein Mangel, aber doch der Hungersnot vorgebeugt. Schon seit dem Sommer 397 war man beschäftigt, durch grosse Aushebungen, die als sehr drückend empfunden wurden, das Heer des Westreiches bedeutend zu verstärken. Jedenfalls

10 beabsichtigte Stilicho, es im folgenden Jahre, sobald die Schifffahrt nicht mehr durch die Winterstürme gefährdet war, nach Africa übersetzen zu lassen. Aber noch ehe dies ausgeführt werden konnte, hatte sich das Schicksal Gildos schon entschieden.

15 Wie er früher unter Führung des älteren Theo-

dosius gegen Firmus gekämpft hatte (S. 282), so lebte er auch mit einem andern seiner zahlreichen Brüder, dem Mascizel, in bitterster Feindschaft. Dieser war vor ihm nach Italien geflohen, und seine zurück-

20 gebliebenen Söhne hatte Gildo nicht nur umbringen lassen, sondern ihren Leichnamen sogar das Begräbnis versagt. Zu jedem Wagnis, das ihm Rache verhiess, war der trauernde Vater bereit, und keiner vermochte dem Tyrannen gefährlicher zu werden. Denn im Dienste

25 seines Bruders Firmus hatte Mascizel die Scharen der maurischen Stämme befehligt, und das Andenken, das er bei ihnen hinterlassen hatte, konnte sie um so eher /ann Abfall von Gildo vermögen, als dieser sich durch seine raubsüchtige Grausamkeit allgemein verhasst

30 gemacht hatte. Um so den Kampf vorzubereiten, wurde Mascizel, noch ehe der Winter 398 zu Ende war, nach Africa vorausgeschickt. Was er im Hafen von Pisa einschiffte, wTar nur die kleine Macht von einer Leo-ion und sechs Auxilien, im «ranzen nicht

288 VII. Die Auflösung des Reiches.

mehr als 5000 Mann. Reiterei, in den Steppen und dem Sande Africas die wertvollste Waffe, fehlte ihm ganz, was sich nur daraus erklären lässt, dass man sie durch den Anschluss der berittenen Wüstenstämme zu gewinnen hoffte. Jedenfalls war es ein höchst 5 gewagtes Unternehmen, mit diesem Handvoll Soldaten, denen der Nachschub erst sehr viel später folgen sollte, der ungeheuren Übermacht Gildos entgegenzutreten. Doch es waren gallische Truppen, die erst vor wenigen Jahren im Dienste des Eugenius gestanden hatten und io wahrscheinlich gegen den Sohn ihres Überwinders noch voll flüsteren Grolles waren. Wenn sie jetzt auf- gerieben wurden, mochte dies bei ihrer aufrührischen Gesinnung, die das Reich mit neuen Usurpationen bedrohte, dem Stilicho sogar erwünscht sein. Mascizel 15 aber hatte unterwegs die Insel Capraria angelaufen und von dort einige fromme Mönche mitgenommen, deren Gebete ihm und seinen Soldaten den Sieg zu sichern schienen.

Sobald er sie ausgeschifft hatte, zog er eiligst ins 20 Innere des Landes, um den Wüstenrand, an dem die Mauren hausten, möglichst bald zu erreichen; doch schon am Flüsschen Ardalio, zwischen Ammaedara und Theveste, trat ihm Gildo in den Weg. Mascizel wollte sich anfangs in ein nahes Gebirgstal zurück- -"' ziehen, dessen Enge seine Umfassung durch die ge- waltige Übermacht hätte verhindern können. Im Traum aber erschien ihm der heilige Ambrosius, der nicht lange vorher gestorben war, schlug mit seinem Stabe dreimal auf die Erde und rief dabei: „Hier, hier, hier!" ;" Der fromme Feldherr deutete dies so, dass er an der Stelle, an der er sich befand, nach drei Tagen den Sieg gewinnen werde, und blieb in seinem Lager. Vermutlich befand sich dieses auf einer steilen Höhe,

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 289

die auch mit geringer Truppenzahl so leicht zu ver- teidigen war, dass Gildo sie nicht zu stürmen wagte. .Jedenfalls Hess er seinem Bruder die Frist, die der Heilige durch jene dreimalige Wiederholung bezeichnet

5 zu haben schien, und wahrscheinlich wurde sie von Mascizel benutzt, um im feindlichen Heere Verbindungen anzuknüpfen. Denn als er ihm am dritten Tage im offenen Felde entgegentrat, begann er nicht sogleich den Kampf, sondern versuchte die Truppe, die ihm

io unmittelbar gegenüberstand, durch freundliche Über- redung zum Abfall zu bewegen. Der Träger des Feldzeichens stürmte auf ihn los, wurde aber durch sein Schwert am Arm verwundet, so dass er unwillkühr- lich die Fahne senkte. Dies hielten die Fernerstehen-

den für ein Zeichen der Unterwerfung, und nachdem einmal dies vermeintliche Beispiel gegeben war, ging eine Schar nach der andern zu Mascizel über. Was von den maurischen Horden dem Gildo treu blieb, wurde teilweise niedergehauen, und der Rest zerstreute

20 sich in wilder Flucht. Er selbst entkam an das Meer und suchte sich in einem Kahn zu retten; doch trieb ihn ein Sturm bei Thabraca an die Küste, wo er gefangen wurde. Aber da er durch die Vermählung seiner Tochter mit Nebridius mit dem Kaiserhause

25 verschwägert war (8. 282), schritt man nicht gleich zu seiner Hinrichtung, sondern berichtete zuerst nach Mailand. Er wurde daher, obgleich er schon im April 398 besiegt und gefangen war, doch erst am 31. Juli im Kerker erdrosselt. Auch mehrere Anhänger Gildos,

!(l vor allen der donatistische Bischof Optatus, mussten ihm in den Tod folgen; doch verfuhr man im Ganzen recht milde. Die africanischen Beamten, die man für das Ausbleiben der Kornzufuhren mitverantwortlich machen konnte, stellte man auf dem römischen Forum

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 19

290 VII. Die Auflösung des Reiches.

dem Stadtpöbel vor, damit sie sich vor ihm vertei- digten; je nach den Acclamationen, mit denen er sie dann begrüsste, wurden sie hingerichtet oder frei- gelassen, eine Wiedererweckung der längstverschollenen Volksgerichtsbarkeit, wie sie des Stilicho würdig war. :. Aber gegen die Familie des Gildo hat man nicht gewütet; nicht nur seine Tochter Salvina, sondern auch seine Gattin und eine Schwester, die Nonne war, blieben erhalten. Auch wurde denjenigen, die Mascizel aus dem Asyl der Kirchen hatte herausreissen lassen, 10 das Leben geschenkt. Er selbst aber erlag dem Neide des Stilicho, der keinen Feldherrn von so hohem Ruhme neben sich dulden wollte. Nach Italien zu- rückgekehrt, wurde er ehrenvoll empfangen; aber als er bald darauf mit Stilicho über die Brücke eines 10 reissenden Stromes ritt, ergriffen ihn die Trabanten und warfen ihn in's Wasser, während sein Neben- buhler seinem Untergange mit hämischem Lachen zu- schaute.

Schon vor dem Ende des Gildonischen Krieges 20 hatte Stilicho seine ältere Tochter Maria mit Honorius verheiratet, obgleich dieser das fünfzehnte Jahr, mit dem nach römischer Anschauung die Pubertät begann, noch nicht ganz erreicht hatte. Doch sein Leiter hatte Eile, die Bande, die ihn mit dem Kaiserhause ver- 25 knüpften, noch fester zu schürzen. Aber wenn ihm dies auch gelungen war, konnte er doch keinen Mann, wie Mascizel, der unabhängig von seiner Gunst eigene Bedeutung in Anspruch nahm, neben sich dulden. Zwei Herrscher und mehr hatte das römische Reich :!0 ertragen können, und wenn ihre Uneinigkeit ihm auch oft genug schweren Schaden gebracht hatte, so war ihr Zusammenwirken doch mitunter auch nützlich gewesen; zwei Günstlinge aber, die ihren Kaisern nicht

1. Die Entzweiung der beiden Reichsteile. 291

dienen, sondern sie beherrschen wollten, fanden neben- einander keinen Raum. Da Stilicho nicht, was er anfangs beabsichtigt hatte, den Hof von Constantinopel ebenso leiten konnte, wie den von Mailand, blieb ihm nichts anderes übrig, als beide Reichsteile weit aus- einanderzureissen, damit er wenigstens in dem einen unbeschränkter Herr bleibe, und in dem gleichen Bestreben kam ihm Eutrop entgegen. So hatten sie die kaiserlichen Brüder in offenen Kriegszustand hin- eingehetzt, und vielleicht hätten um Africas willen die Heere des Ostens noch einmal die Alpengrenze bedroht, wenn nicht das Schicksal Gildos sich so überraschend schnell erfüllt hätte. Aber wenn durch diesen glücklichen Zufall auch offener Kampf ver- mieden wurde, in feindseliger Erbitterung standen sich die Reichsteile auch ferner gegenüber; und doch wäre ihre gegenseitige Unterstützung niemals nötiger gewesen, als in der schweren Zeit, welche dem Sturze tuldos folgte.

19*

Zweites Kapitel.

Clandian, Stilicho und Eutrop.

Dass das barbarische Element im Reiche mehr und mehr zur Herrschaft gelangte, hatte man wohl schon lange mit leisem Missbehagen wahrgenommen. Man stand den blonden Eindringlingen nicht nur fremd gegenüber, sondern empfand gegen sie auch 5 körperlich einen instinktiven Widerwillen: selbst der Geruch der Germanen war den Römern unangenehm. Aber da mau es mit den Mächtigen nicht verderben wollte, hatten die Meisten sich ihrer Überlegenheit schweigend gefügt. Der offenherzige Julian ist der 10 einzige, von dem uns aus früherer Zeit eine abfällige Äusserung darüber erhalten ist. Die emporgekommenen Fremden waren ehrlich bemüht gewesen, sich den Forderungen des gebildeten Römertums anzupassen, und die Grössen der Literatur hatten dies freudig 15 anerkannt. Sie schrieben an jene Briefchen im Stile ehrfurchtsvoller Vertraulichkeit, die dann in den Sammlungen ihrer Werke veröffentlicht wurden, und barbarische Feldherrn, wie Richomeres, Hellebichus, ßauto, wurden in griechischer Sprache von Libanius, '-'" in lateinischer von Augustinus und gewiss noch von mauchem andern durch Panegyriken gefeiert. Zudem stammten von den Spitzen des Reichsadels, die sich längst als Römer fühlten, so viele von barbarischen

2. Claudian, Stilicho and Eutrop. 293

Almen ab, dass es ihnen schlecht angestanden hätte, »leren Stammesgenossen, die später eingewandert waren, hochmütig zu verketzern. Seit aber erst Arbogast, dann Stilicho sich der Leitung des Westreiches 5 bemächtigt und beide damit schweres Unheil gestiftet hatten, änderte sich die Stimmung. Nicht nur heimlich empfindet man es als Schmach, von Fremden beherrscht zu werden, sondern predigt offen dagegen und sucht ihre Macht mit allen Mitteln zu zerstören. i" Das Bild Stilichos strahlt für uns in leuchtenden

Farben, weil es durch einen Dichter, wie das Römertum der nachaugusteischen Zeit kaum einen zweiten hervor- gebracht hat, der Nachwelt gezeichnet ist. Der Alexandriner Claudius Claudianus hatte schon in 15 jungen Jahren durch Epigramme und ein mytholo- gisches Epos in griechischer Sprache seinen Ruf begründet. In einer Zeit, in der die Lateiner nur selten Griechisch und die Griechen fast niemals Latein verstanden, hatte er sich die vollkommenste 2<> Beherrschung beider Reichssprachen zu eigen gemacht und unter den Bücherschätzen seiner Vaterstadt eine reiche Kenntnis beider Literaturen erworben. Im Jahre 394 war er, vielleicht mit dem Heere des Theodosius, nach Italien gekommen und wandte sich 25 dort der lateinischen Poesie zu. Auf die Bitte des Senats hatte der Kaiser zwei unbedeutende Jünglinge, die Brüder Olybrius und Probinus, die kein anderes Verdienst besassen, als dass sie aus einer sehr vor- nehmen Familie abstammten, für das Jahr 395 zu :;o Consuln ernannt. Zur Feier ihres Amtsantritts trug ihnen Claudian einen Panegvrikus in Versen vor und erregte durch ihn die allgemeine Bewunderung. Gleich darauf begann er ein Epos, zu dem die Kornteuerung, die eben durch Schuld des Gildo in Rom herrschte,

294 VII. Die Auflösung des Reiches.

den Anlass bot. Es sollte die Erfindung des Äcker- baus behandeln und wahrscheinlich in einem Lob- hvmuus auf den Stadtpraefecten Florentinus ausklingen, der damals unter schweren Sorgen und Mühen die Ernährung des römischen Pöbels sicherzustellen 5 versuchte. Aber noch ehe er diese Dichtung zu Ende führen konnte, wurde ihm eine Aufgabe gestellt, die für seine Zukunft lohnender zu werden versprach.

Am 1. Januar 396 sollte der kaiserliche Knabe Sein drittes Consulat, das erste seit dem Tode seines io Vaters, in Mailand antreten, und der Senat schickte dazu eine Gesandtschaft hin, um ihn bei der Feier zu beglückwünschen. Der schnell berühmt gewordene Dichter sollte sie begleiten und in ihrem Namen das Gratulationscarmen vortragen. An Olybrius und 15 Probinus hatte er bewiesen, dass er es verstand, auch ganz nichtige Menschen in dem Strahlenkranze seiner Poesie herrlich leuchten zu lassen : er war also gerade der rechte Mann, um einen Herrscher zu preisen, an dem nichts zu preisen war. Obgleich ihm nur sehr 20 kurze Zeit für die Ausarbeitung seines Gedichtes blieb, löste er die schwierige Aufgabe doch so glänzend, dass er auch in Mailand berechtigtes Aufsehen erregte. Man belohnte ihn und fesselte ihn zugleich an den Hof, indem man ihn in das vornehme Kollegium der 25 Notare aufnahm. Kurz vorher war Rufinus ermordet worden, und Claudian fand es zweckdienlich, der gestürzten Grösse einige derbe Fusstritte zu versetzen. Er schrieb ein Schmähgedicht auf sie und gewann da- mit das Herz des Stilicho. Seitdem war seine schnell- fertige Feder fast ununterbrochen beschäftigt, diesen Helden und seine Freunde zu preisen oder seine Feinde herunterzumachen, was natürlich nicht ohne Belohnung blieb. Machte sich Serena doch sogar zur

2. Claudian, Stilicho und Eutrop. 295

Preiwerberin für ihn und verschaffte ihm in Africa

eine Frau, die gewiss nicht ganz unbegütert war. Als er 400 den Stilicho nach Rom begleitete, um dessen Consulat durch den Vortrag einer umfang-

5 reichen Dichtung angesichts des römischen Senats zu verherrlichen, beschloss ihm dieser sogar eine Statue auf dem Forum Trajans, deren Inschrift noch erhalten ist. Und der Dichter erwies sich zu vielem brauchbar; obgleich er Heide war, fand man ihn doch bereit, als

10 dies bestellt wurde, selbst ein hochorthodoxes Gebet zu verfassen, das nicht zu seinen schlechtesten Er- zeugnissen gehört. Doch die Spottsucht, die einen so hervorstehenden Zug im Charakter der Aegypter bildete (IV S. 331), war auch diesem ihrem Landsmanne nicht

15 fremd, ja er scheute nicht davor zurück, denselben Theodorus, den er in einem langen Panegyrikus öffentlich hoch gepriesen hatte, in einem kleinen Epi- gramm, das er heimlich unter seinen Freunden verbreitete, bitter zu verhöhnen. So waren auch die

20 höchsten Würdenträger vor seiner scharfen Zunge nicht sicher; Praefecten, Feldherren und Quaestoren bekamen sie zu fühlen, und selbst die Heiligen- verehrung, der Theodosius sich mit solcher Begeisterung hingegeben hatte (S. 250. 251), wurde von ihm verlacht.

25 Solange er der Gunst Stilichos sicher war, durfte er sich das erlauben; die Beleidigten mussten sich sogar stellen, als ob sie ihm sehr gut wären, und während der Kaiser und sein Hof auf ihre Kosten lachten, zähneknirschend ein freundliches Gesicht machen.

30 Um so grimmiger war ihre Rache, als durch eine Intrigue, die wir nicht kennen, veranlasst, sein mächtiger Gönner die Hand von ihm abzog. Der Praefect Hadrianus, dessen unersättliche Raubgier er durch ein Epigramm gegeisselt hatte, verwickelte ihn 404 unter

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irgend einem Yorwand iu einen Halsprozess. Wie es scheint, beschuldigte man den heidnischen Dichter, heimlich ein blutiges Opfer dargebracht zu haben, was damals bei Todesstrafe verboten war. Wahr- scheinlich um gegen ihn Aussagen zu erpressen, g wurden seine Freunde der Folter unterworfen und verbannt. Er selbst richtete aus dem Kerker ein Gedicht an Hadrian, durch das er in zitternder Demut um Yerzeihuns,' und Gnade flehte. Man mög-e ihn schimpflich seines Amtes entsetzen und gleichfalls in 10 die Verbannung treiben, wenn man ihm nur sein elendes Leben lasse. Diese klägliche Unterwerfung eines grossen Yersküustlers, der aber als echter Aegypter keck und zugleich feige war, scheint den grausamen Praefecten nicht gerührt zu haben; jeden- 15 falls ist Claudian seitdem für uns verschwunden. So erlitt er das typische Schicksal des Höflings; durch verlogene Schmeichelei emporgekommen, stürzte er in den Abgrund, weil er von einem mächtigen Schurken die Wahrheit gesagt hatte. 20

Stilicho hat den Mann, der seinen Ruhm meister- lich besungen hatte und ihn noch heute einer fernen Nachwelt verkündet, schmählich preisgegeben, und prüfen wir seinen Charakter nicht nach den hoch- tönenden Worten des Hofdichters, sondern nach seineu 25 Taten, so wird uns das nicht Wunder nehmen. Er bietet das bezeichnendste Beispiel dafür, wie der Ger- mane, aus seiner natürlichen Wildheit herausgerissen uni 1 in die Atmosphäre eines byzantinischen Hofes verpflanzt, noch schlimmer entartete, als das ver- 90 kommene Römertum, das sich dieser Stickluft schon seit vielen Generationen angepasst hatte. Von der Kühnheit seines Stammes war ihm nichts geblieben, als ein gewisses hastiges Zutappen nach Früchten.

2. Claudian, Stilicho und-Eutrop. 297

die ihm meist unerreichbar waren. Immer trug er sich mir stolzen Plänen und war bereit, die Mittel schnell zu ergreifen, die zu ihre Verwirklichung dienlich schienen. So brauchte er nur vierzehn Tage, um 396

., den ganzen Rheinstrom hinabzuschiff'en und seine germanischen Anwohner zu veranlassen, dass sie Frieden hielten (S. 280). Als Alarich 401 in Italien einfiel und gleichzeitig andere Barbarenhorden Raetien über- schwemmten, brachte er es in wenigen Wochen fertig,

in mit diesen Verträge zu schliessen, die ihm ihre Waffen gegen die Gothen zur Verfügung stellten (S. 330). Doch diese Hurtigkeit des Entschlusses und des Handelns führte oft zur Übereilung, wie namentlich jene kopf- losen Versuche, das ganze Reich seiner einheitlichen

15 Herrschaft zu unterwerfen, deutlich verraten. Winkte ihm irgend ein Ziel, so ergriff er mit unbesonnener Schnelligkeit das nächstliegende Mittel zu dessen Er- reichung, ohne danach zu fragen, ob nicht andere, höher stehende Interessen dadurch geschädigt würden.

20 So hetzte er Alarich gegen das Ostreich auf, um ihn gleich darauf im Namen des Ostreiches zu bekämpfen, und indem er sich gegen ihn, wie später gegen Clau- dian, treulos erwies, schuf er auch seinem Reichsteil den gefährlichsten Feind.

25 Ebenso unzuverlässig, wie gegen seine Freunde

und Bundesgenossen, war Stilicho auch gegen seine Kirche. Zwar hatte er grossen Respekt vor den über- irdischen Mächten, aber vor allen, mochten sie heid- nisch oder christlich sein, und je nachdem, wie sein

30 Aberglaube zeitweilig- angeregt wurde, suchte er bald die einen, bald die andern als Helfer zu gewinnen. Der Geistlichkeit trat er bald keck entgegen, bald duckte er sich feige vor ihr. Gleich im Anfang seiner Berrschaft Hess er einen Verbrecher, der am Altar

298 VII. Die Auflösung des Reiches.

.Schutz gesucht hatte, mit militärischer Gewalt fort- schleppen, obgleich Ambrosius und sein Klerus das Asylrecht ihrer Kirche verteidigten. Kein recht- gläubiger Soldat hätte sich an dem heiligen Bischof zu vergreifen gewagt: nur arianische Gothen waren 0 dafür zu haben gewesen, doch diese traf alsbald ihre Strafe. Bei den Spielen, die für das Consulat des kaiserlichen Knaben gegeben wurden, brachen ein paar Leoparden aus und stürzten sich auf die Schuldigen. Hierin den Finger Gottes erkennend, Hess sich Stilicho 10 zu einer mehrtägigen Kirchenbusse herab. Der Ver- brecher, obwohl er des Todes schuldig war, wurde nur mit Verbannung bestraft und bald ganz begnadigt. Die Privilegien der Geistlichkeit wurden nicht nur immer wieder bestätigt und eingeschärft, sondern auch 15 so sehr erweitert, dass ihre handeltreibenden Mitglieder trotz dringender Not des Staatsschatzes von der Kaufmannssteuer befreit blieben. An Ketzergesetzen war die Herrschaft des Stilicho nicht minder fruchtbar, als die vorhergehenden Zeiten, und auch die Heiden 20 blieben nicht verschont. Ende 398 verfügte er, dass alle Tempel zu zerstören seien, und am 19. März 399 kam dies in Karthago zur Ausführung. Doch schon vorher hatte man die Zerstörung so vieler edler Denk- mäler der Vergangenheit am Hofe bereut und den -'5 Befehl, leider zu spät, widerrufen. Und als bald darauf die Heiden dem Stilicho klar zu machen wussten5 das Glück seiner Waffen hänge davon ab, dass die Sieg-esoöttin wieder in den römischen Senat einziehe, liess er jenen Victoriaaltar, um den einst Symmachus 80 und Ambrosius gestritten hatten (S. 196), von neuem aufrichten. Vielleicht befragte er auch die sibyllinischen Bücher; da aber ihre Weissagungen ihn getäuscht zu haben scheinen, liess er sie verbrennen. So war er

2. Claudian, Stilicho und Eutrop. •_",)!>

auch auf dem religiösen Gebiet ebenso wenig in seinen Mitteln wählerisch und ebenso hastig und unbesonnen zutappend, wie auf dem politischen.

Hiernach sollte man erwarten, dass auch seine 5 Kriegführung eine rasche und entschiedene war, dies aber war keineswegs der Fall. Grosse Hauptschlachten hat er nach Möglichkeit vermieden und immer die Taktik angewandt, dass er den Feind einzuschliessen und auszuhungern versuchte. Damit brachte er ihn

10 zwar meist in grosse Not, errang aber nur ausnahms- weise einen vollen Erfolg. Denn durch den Mangel zu verzweifeltem Kampfe angetrieben, durchbrachen die Germauen fast jedesmal seine Linien, und er hatte das Nachsehen. Wenn er aber trotz dieser wieder-

15 holten Erfahrung immer aufs neue zu jener Zauder- strategie zurückkehrte, weil sie ihm die gefahrloseste schien, so zeigt sich darin, dass er im Grunde eine ängstliche Natur war, und dasselbe beweist auch sein Verhalten zu den Kaisern. Als Soldat ans Order-

20 parieren gewröhnt, fand er niemals den Mut, ihren deutlich ausgesprochenen Befehlen den Gehorsam zu versagen, obgleich er sie beherrschen wollte. Als er zuerst versuchte, sich auch den Orient zu unterwerfen, befehligte er die Heere beider Reichsteile und besass

25 so die Macht, seinen Anspruch durchzusetzen; doch diu Forderung des Arcadius, ihm seine Truppen zurückzuschicken, erfüllte er ohne Widerspruch. Und selbst als ihm der Tod drohte, hat er sich in stumpfer Fügsamkeit hinschlachten lassen, ohne die Mittel, die

00 er in reichem Maasse besass, zu seiner Verteidigung zu benutzen. Nur bei der Eröffnung des Gildonischen Krieges hat er, weil er nicht anders konnte, sich einem Edikte des älteren Augustus widersetzt, aber nicht ohne sich eine neue Form der Legalität zu

300 VII. Die Auflösung des Reiches.

schaffen, hinter der sich seine äusserliche Gewissen- haftigkeit verstecken konnte (S. 286). Doch während er vor jeder offenen Auflehnung- gegen das Vorgeschriebene und Hergebrachte ängstlich zurückscheute, kam es ihm auf Verrat und Mord nicht an, wie sein Verfahren 5 gegen Rufinus und Mascizel uns schon gezeigt hat. Gelangte aber ein Höfling zur Macht, den er nicht beseitigen konnte, so vertrug er sich mit ihm selbst auf Kosten seiner treuesten Freunde, wie er dem Zorne des Hadrian seinen Dichter geopfert hat. Und io während seine Feigheit überall, wo er auf ernstlichen Widerstand stiess, sich drückte und beugte, strebte sein unruhiger Ehrgeiz doch nach einer Stellung, die er, wenu sie ihm erreichbar gewesen wäre, nie hätte ausfüllen können. Denn das Reich in seiner Gesamt- ir> heit persönlich zu leiten, hatte schon ein Diocletian für unmöglich gehalten, und nach ihm war es nur den bedeutendsten Herrschern und auch diesen nur auf kurze Zeit o-elungen. Stilicho scheiterte schon an dem ersten Versuch und erreichte keinen anderen 20 Erfolg, als dass die Reichsteile, die er in seiner Hand hatte vereinigen wollen, in einen um so schärferen Gegensatz zu einander hineingedrängt wurden. Es war daher sehr natürlich, dass der Hass gegen ihn. soweit er ihn nicht gewaltsam niederhalten konnte, 25 überall mächtig hervorbrach und sich dann auch auf seine Landsleute übertrug.

Auch das Ostreich wurde von einem Barbaren beherrscht, freilich von keinem germanischen. Eu- tropius war als Sklave an der assyrischen Grenze 30 geboren und durch viele Hände gegangen, ehe er, schon in höherem Alter, freigelassen und in den Hof- dienst getreten war. Musste schon diese Vergangen- heit die höhnende Verachtung der Vornehmen und

2. Claudian, Stilicho and Eutrop. 301

selbst derer, die nichts weiter als freigeboren waren, gegen den Emporkömmling wachrufen, so steigerte sie sich noch dadurch, dass er Eunuche war. Dass er, der niemals Vater werden konnte, vom Kaiser

5 selbst „Vater" genannt wurde, weil er die Würde des Patricius erwarb, der diese Anrede zukam, erregte den allgemeinen Spott. Doch der Halbmann bewies männliche Kühnheit, der Greis jugendliche Tatkraft und Arbeitsfreude. Da es dem Ostreiche nur zu sehr

io an brauchbaren Staatsmännern fehlte, nahm er mit unermüdlichem Fleiss alle Geschäfte auf sich, die irgend von Wichtigkeit waren. Er bestimmte die Unterhandlungen mit Stilicho, Alarich und Gildo, er Hess sich die Leitung des höchsten Gerichtshofes über-

15 tragen, ja endlich trat er sogar als Feldherr auf und das mit gutem Erfolge. Wenn er über den schwachen Kaiser die unbeschränkteste Herrschaft ausübte, so geschah dies doch nicht in schroffer uud verletzender Weise. Arcadius liebte und verehrte ihn, wie seinen

2<i wirklichen Vater, und als er endlich in den Sturz des Eunuchen willigen musste, hat er sich selbst vor der Öffentlichkeit bitterer Tränen nicht enthalten können. Natürlich war auch Eutrop von den üblichen Sünden seiner Zeit nicht frei. Auch er scharrte Geld zu-

25 sammen, nicht nur indem er auf Erbschaften lauerte und sich vom Kaiser reich beschenken Hess, sondern auch durch Erpressungen und Konfiskationen. Der Ämterhandel blühte, wie je vorher, ja von den Pro- vinzen, die ohnehin schon viel zu klein waren (II

'■<• S. 108), wurden mehrere noch geteilt, um für jenen Schacher mehr Ware zu gewinnen. Auch Eutrop war ein Frömmler, wie das bei einem Günstling des Theo- dosius ja nicht anders zu erwarten ist, und setzte den Kampf gegen Heidentum und Ketzerei durch eine

302 VII. Die Auflösung des Reiches.

Reihe strenger Gesetze tapfer fort. Trotzdem wusste <t auch widerspenstige Bischöfe seinem Willen zu beugen und trat den Übergriffen der Geistlichkeit so energisch entgegen, dass er am Ende seiner Regierung sogar in den Ruf eines Kirchenfeindes kam. Doch 5 zeigte er sich darin christlicher als die meisten Macht- haber vor und nach ihm, dass er seine Gegner in der Regel nicht unter Martern hinrichten liess, sondern nur mit Verbannung und Konfiskation bestrafte, ob- gleich er und Stilicho sich nicht nur öffentlich, sondern 10 auch durch das Anstiften von Verschwörung und Meuchelmord gegenseitig bekämpften. Dass Eutropius überall seine Spione hatte, war daher nicht nur ganz im Geiste seiner Zeit, sondern auch für seine Sicher- heit kaum entbehrlich. is

So war sein Regiment zwar durchaus kein muster- haftes; doch wäre es ihm kaum gelungen, sich unter den schwierigsten Verhältnissen mehr als drei Jahre lang in der Herrschaft zu behaupten, wenn er in den Mitteln gar zu wählerisch gewesen wäre. Und er 20 brauchte diese Zeit, um dem Ostreich den Frieden wiederzugeben. Als Rufinus fiel, wurde der europäische Teil desselben von Alarich, der asiatische durch die Hunnen verwüstet. In dieser dringenden Not hatte Eutrop anfangs die Unterstützung des Westreiches in 25 Anspruch genommen; während das eigene Heer des Arcadius in Asien den Feind abzuwehren suchte, sollte Stilicho die Gothen in Europa bekämpfen. Aber da sein Feldzug nach Griechenland mehr schadete, als nützte (S. 281), und wie es scheint auch die Feld- :!0 herren, welche gegen die Hunnen befehligten, sich nicht bewährten, half Eutrop sich selbst und wusste dazu mit ebenso viel Kühnheit wie Besonnenheit die Mittel zu finden. Mit Alarich schloss er jenen Vertrag,

2. Claudian, Stilicho und Eutrop. 303

der zwar nicht eben rühmlich, aber notwendig war, weil das Ostreich nicht die Streitkräfte besass, um in beiden Weltteilen zugleich den Frieden zu erkämpfen. (üldo musste dem Stilicho zu schaffen machen und

5 so den Eunuchen vor dessen aufdringlicher Herrschsucht bewahren. Nachdem er so im europäischen Teil seines Machtbereiches Ruhe geschaffen hatte, stellte er selbst sich an die Spitze der asiatischen Truppen, und wenn es ihm auch nicht gelang, den Hunnen ihre Beute

10 abzunehmen, so schlug er sie doch zurück, verfolgte sie bis nach Armenien und zwang sie, entweder über den Kaukasus heimzuziehn oder sich über das Perser- reich zu ergiessen. Auf diese Weise erreichte er es, dass Ende 398 im ganzen Ostreich Friede herrschte.

15 Als er im Triumph in Constantinopel einzog, wurde er mit lautem Jubel empfangen. Der Senat überbot sich selbst in Ehrenbezeigungen gegen ihn; unzählige Statuen wurden ihm gesetzt und für das folgende Jahr (399) ernannte ihn Arcadius zum Consuln, was

20 noch nie einem Eunuchen widerfahren wrar.

Doch die höchste Ehre, die er erreichen konnte, war nur das Vorspiel seines Sturzes. Dass unter den Senatoren und Höflingen viele ihn beneideten und seine Beseitigung mit Freuden begrüsst hätten, ver-

25 steht sich von selbst; doch bVauchte er diese heim- lichen Gegner nicht zu fürchten, solange er des Kaisers and des Heeres sicher war; aber beider Gunst war nichts weniger als zuverlässig. Die Soldaten waren grossen Teils angeworbene Barbaren; unter Eutrop

;!" hatten sie siegreich gekämpft; doch der nationale Instinkt musste sie mehr zu der blonden Reckengestalt des Stilicho hinziehen, als zu dem greisen Eunuchen, der aus persischem oder semitischem Blute erzeugt war. Und Gainas, dem die Ermordung des Rufinus

304 VII. Die Auflösung des Reiches.

zu danken war (S. 276), behauptete uoch immer seine Stellung im Heere, und wenn er seine alte Verbindung mit Stilicho auch jetzt nur heimlich fortsetzen konnte, hatte er sie doch wahrscheinlich niemals ganz abge- brochen. Der Kaiser aber, so sehr er an seinem klugen 0 Leiter hing, unterstand auch zwei anderen Mächten, der Geistlichkeit und einer schönen Frau. Nun waren unter dem frommen Regiment des Theodosius und seines Sohnes die Mönche so kühn geworden, dass sie unter der Führung von Klerikern Verbrecher und lo Steuerschuldner den Bütteln in offenem Kampfe zu entreissen wagten, um ihnen dann in den Kirchen ein unantastbares Asyl zu gewähren. Auch wurden Decurionen und andere Männer, die erblich an ihren Stand gefesselt waren, nicht selten dadurch befreit. 15 dass man sie zu Geistlichen ordinierte. Dem war Eutrop gleich nach seiner Rückkehr aus dem Hunnen- kriege durch ein Gesetz vom 27. Juli 398 entgegen- getreten, hatte das Asylrecht der Kirchen aufgehoben und die Bischöfe für den Unfug verantwortlich gemacht, 20 den Klerus und Mönche stifteten. Dies nahm ihm die Geistlichkeit, an ihrer Spitze der Bischof von Constantinopel Johannes Chrysostomus, um so mehr übel, als man meinte, es sei dadurch veranlasst worden, dass persönliche Feinde des Eunuchen sich seiner -:> Verfolgung durch Flucht in die Kirche entzogen hätten. Eudoxia aber hatte längst vergessen, dass sie ihre Stellung nur dem Eutrop verdankte, und wollte kraft des Rechtes ihrer Schönheit mehr zu befehlen haben, als sein Einfluss ihr gestattete. Wir erfahren, dass ;!0 er einen andern Eunuchen hat hinrichten lassen; der Grund ist nicht überliefert, aber da das Reich dieser Krüppel die Frauengemächer des Palastes waren, darf man wohl daraus schliessen, dass Eutrop eben hier

2. Claudian, Stilicho und Eutrop. 305

einer gefährlichen Intrigue auf die Spur gekommen war. Wenn aber der Enthauptete ein Günstling der Eudoxia war, so wird sein Tod jedenfalls nicht dazu beigetragen haben, sie an die Pflichten der Dankbar- 5 keit zu erinnern. So schloss sich um den Beherrscher des Ostreiches ein immer dichter werdender Kreis von Feinden zusammen, und eine Reihe unglücklicher Zufälle sollte dazu führen, dass ihren Bemühungen der Erfolg nicht entging.

10 Noch ehe Eutrop sein Consulat augetreten hatte,

wurden die Ufer des Bosporus von einem furchtbaren, int'hrere Tage sich wiederholenden Erdbeben heim- gesucht. Es folgte in Constantinopel ein grosser Brand, dann eine Überschwemmung, und bald meinte man

15 eine ganze Reihe von Wunderzeichen bemerkt zu haben, wie sie von Alters her als Verkündiger kommen- den Unheils galten. Einem Offizier wurde die gött- liche Offenbarung zuteil, dass Constantinopel an einem bestimmten Tage, gleich Sodom und Gomorrha, durch

20 Feuer vom Himmel vernichtet werden würde. Er meldete dies dem Bischof, der das Volk zur Busse rief, damit die Stadt, wie einst Ninive, als Jonas seinen Untergang prophezeit hatte, durch Reue und Gebet errettet werde. Als nach dem festgesetzten

25 Tage die Nacht eingebrochen wTar, erschien eine feurige Wolke, wahrscheinlich ein Nordlicht, am Himmel und erfüllte die ganze Bürgerschaft mit Entsetzen. Man glaubte den Schwefel zu riechen, der das Verderben bringen sollte. Alles eilte, sich taufen zu lassen, um,

30 wenn der zeitliche Tod schon unentrinnbar war, doch wenigstens dem ewigen zu entgehen. Diesmal liess der Herr noch Gnade walten; doch wurde verkündet, dass am nächsten Samstag das Verhängnis unfehlbar hereinbrechen werde. Die ganze Stadt, den Kaiser

Seeck, Untergang der antiken Welt V. 20

306 VII. Die Auflösung des Reiches.

an der Spitze, wanderte aus mit Jammergeheul; mau dachte nicht einmal daran, die Türen zu verschliessen ; doch war kein Mensch zurückgeblieben, der sich ge- traut hätte, die sehr bequeme Gelegenheit zum Dieb- stahl zu benutzen. Als die unheilvolle Stunde, die 5 der Prophet genau vorausgesagt hatte, gekommen war, glaubte die wandernde Menge eine Rauchsäule über der schon fernen Stadt wahrzunehmen. Man trat zum allgemeinen Gebet zusammen und schickte ein paar beherzte Männer aus, um nachzuforschen, was es in 10 Constantinopel gebe. Sie brachten die Nachricht, dass die leere Stadt in ungestörter Ruhe daliege, und dankend und lobpreisend, weil Gott seinen Zorn noch einmal von ihr abgewandt habe, kehrte man heim.

Dies Ereignis verrät deutlich, mit welchem aber- 15 gläubischen Grauen man dem unerhörten Consulat entgegensah. Der Name des Jahres galt ja nicht für gleichgiltig, und dass er von einem Eunuchen hergenommen wurde, was noch nie, so lange Rom stand, vorgekommen war, konnte schon an sich ein 20 unheilvolles Vorzeichen scheinen. Im Westen pries man Stilicho hoch, weil er den Eutrop nicht als Consulu verkündigen liess, und im Osten wird die Geistlichkeit nicht versäumt haben, dem schwachen Kaiser zu predigen, dass ein Jahr mit so ominösem Namen nur 25 Unglück bringen könne.

Diese Weissagung sollte sich erfüllen. Als im Jahre 386 die Greuthungen bei ihrem Donauübergang zum grössten Teil aufgerieben wurden, hatte Theodosius die Reste des Volkes, die sich ihm ergeben hatten, in ao Phrygien angesiedelt (S. 208). In seinem Hunnen- kriege hatten sie dem Eutrop Heerfolge geleistet, und nach dem Siege erwartete ihr Führer Tribigild dafür fürstlich belohnt zu werden. Doch als er zu diesem

2. Claudian, Stilicho and Eutrop. 307

Zwecke nach Constantinopel reiste, wurde seine Hab- gier enttäuscht und er selbst von dem Eunuchen recht hochmütig behandelt. Er wollte sich rächen, indem er die Reichtümer, die ihm verweigert wurden, sich

5 selber nahm, und seine Landsleute waren noch wild und wanderfreudig genug, um ein lustiges Umherziehen und Beutemachen der einförmigen Sesshaftigkeit und mühseligen Arbeit eines Bauerndaseins vorzuziehen. Im Frühling 399 begannen sie unter seiner Führung

lo in Phrygien zu plündern, und es gelang ihnen sogar, sich fester Städte zu bemächtigen, weil infolge des langen Friedens, dessen diese Provinz im Gegensatz zu dem übrigen Reiche genossen hatte, die Mauern verfallen und schlecht bewacht waren.

15 Da die Schar angesiedelter Krieger, die Tribigild

befehligte, nur klein war, schätzte Eutrop die Gefahr anfangs nicht sehr hoch. Aber um sein Consulat, das in Frieden begonnen hatte, nicht durch den Aus- bruch eines neuen Krieges zu beflecken, suchte er

20 die Aufrührer zunächst durch Geschenke und Ver- sprechungen zur Ruhe zu bringen. Doch Tribigild wies alles zurück; denn im Verlaufe seines Raubzuges waren ihm die Schwingen gewachsen. Durch die zahlreichen Gefangenen der vorausgegangenen Kriege

25 bestand damals in jedem ansehnlichen Hausstande des orientalischen Reichsteils der grösste Teil des Gesindes aus gothischen Sklaven. Diese entflohen jetzt massenhaft, schlössen sich ihren Landsleuten an und schwellten so deren anfangs geringe Zahl

30 7ä\ einem grossen Heere an. Auch in den Nachbar- provinzen Phrygiens war man voll banger Furcht, und viele ihrer Einwohner flohen auf die Inseln: ja als die Scharen Tribigilds sich im Gebiete von Chalcedon zeigten, meinte man sogar, sie würden

20*

308 VII. Die Auflösung des Reiches.

die Meerenge überschreiten und Constantinopel selbst angreifen.

In dieser Gefahr stellte Eutrop zwei Heere auf, von denen das eine die Küsten Europas gegen einen Übergang der Gothen schützen, das andere sie in Asien bekämpfen sollte. Bei dem ersteren genügte wohl, dass es überhaupt vorhanden war, um die Feinde abzuschrecken; dass es mit ihnen in unmittelbare Berührung kommen werde, Hess sich kaum erwarten. Eutropius wagte daher, vielleicht auf besonderen Wunsch des Kaisers oder der Kaiserin, es dem Gainas zu übergeben, obgleich er ihm nicht recht trauen mochte. Das wichtigere asiatische Heer dagegen sollte Leo befehligen, ein Mann, den der Eunuch aus niederem Staude zum Feldherrn erhoben hatte und auf dessen Treue er sich verlassen konnte. Und seine Aufgabe wurde ihm leicht gemacht. Während er ängstlich den Hellespont bewachte, wandte sich Tribigild nicht, wie man gefürchtet hatte, gegen Constantinopel, sondern wich nach Süden aus, um Pisidien und Pamphylien zu brandschatzen, wo ihm kein nennenswertes Heer gegenüberstand. Doch hier war die Bevölkerung gewohnt, die Räubereien der benachbarten Bergstämme abzuwehren, und daher minder unkriegerisch, als in den übrigen Teilen Kleinasiens. Valentinus, ein Bürger von Selge, sammelte eine Schar von Colonen und Sklaven und besetzte einen Gebirgspass, den die Gothen durchziehen mussten. Als sie, ohne den Feind zu bemerken, in die Falle gegangen waren, wurde ihnen auch der Rückweg versperrt; Steine donnerten von den Höhen auf sie herab, und fast ihr ganzes Heer wurde aufgerieben. Aber der Erfolg, den die kühne Selbsthilfe der Provinzialen errungen hatte, blieb durch den Verrat eines römischen Offiziers unvollständig.

2. Claudian, Stilicho und Eutrop. 309

Diesem war ein steiler Bergpfad, der den Ein- geschlossenen einen Ausweg bieten konnte, zur Be- wachung anvertraut. Er wurde von Tribigild bestochen und Hess ihn mit seinem nächsten Gefolge entschlüpfen, ö Doch was diesem von seinen Scharen geblieben war, betrug nicht mehr als dreihundert Mann: und diese standen auf der schmalen Küstenebene, teils von Ge- birge und Meer, teils von den Flüssen Eurymedon und Melas eingeschlossen, von denen sie keinen über-

io schreiten konnten. Denn durch das Beispiel des Valentinus begeistert, hatten sich die Einwohner der Nachbarstädte bewaffnet und verteidigten alle Über- gänge. Wie es schien, hatte Leo, als er endlich heranzog, nicht mehr gegen ein Heer zu kämpfen,

15 sondern nur noch eine Räuberbande gefangen zu nehmen und dem Henker zu überliefern.

Die Truppen, die er befehligte, bestanden zum grossen Teil aus angeworbenen Barbaren, welche die Städte, die sie durchzogen, nicht viel besser be-

■-'" handelten, als die feindlichen Gothen. Denn gute Mannszucht verstand ihr Feldherr nicht zu halten. So mussten sie sich ihre bürgerlichen Helfer ent- fremden, die kurz vorher dem Kriege eine so günstige Wendung gegeben hatten. Sie selbst aber sympathi-

2"' sierten mit den feindlichen Raubscharen, und um noch ungehemmter plündern zu können, liefen viele zu diesen über. Da auch der Zustrom gothischer Sklaven nicht aufhörte, hatte Tribigild bald wieder eine achtung- gebietende Macht beisammen. Gainas, der unterdessen

30 den Hellespont überschritten hatte, schickte dem Leo Verstärkungen; aber auch diese bestanden meist aus barbarischen Kriegern und lieferten neue Überläufer. Endlich gelang es den Gothen, das feindliche Heer bei Nacht in seinem Laser zu überfallen und ganz

310 VII. Die Auflösung des Reiches.

zu zerstreuen ; Leo selbst starb auf der Flucht au einem Herzschlage. Ungehindert konnte Tribigild sich wieder nach Norden wenden und jetzt wirklich die Meerengen bedrohen. Gainas aber, der in Phrygien stand, wagte ihm nicht entgegenzutreten, weil er ebenso 5 wenig, wie vorher Leo, sich auf seiu eigenes Heer verlassen konnte; und zugleich schien ihm die Gelegen- heit günstig, um den Sturz des Eunuchen herbeizu- führen. Er schrieb daher nach Constautinopel, dass er aus der gegenwärtigen Not keinen anderen Ausweg 10 finde, als Tribigild durch Zugeständnisse zu versöhnen: dazu aber sei vor allem nötig, dass Eutrop, der jenen schwer beleidigt habe, seinem Grolle geopfert werde. Schon vorher war die Nachricht nach Constan- tinopel gelaugt, dass bei den Persern ein Regierungs- 15 wrechsel eingetreten sei und der neue König einen Krieo- geo-en das Römerreich vorbereite. Auch diesmal wurde der Kampf durch einen Angriff auf die römische Religion eingeleitet; es begann eine Christenverfolguug, die sich durch mehrere Jahre fortsetzte. Zum wirk- 20 liehen Kriege ist es nicht gekommen. Einstweilen aber hielt Eutrop es für die einzig mögliche Rettung, mit Stilicho Versöhnung zu suchen und, wie dieser es immer ersehnt hatte, ihm den Schutz des Ostreiches zu über- tragen. Arcadius wurde veranlasst, den Beherrscher -~> des Westens um Hilfe zu bitten, und da beide Reichs- teile noch immer als einheitliches Ganzes betrachtet wurden, wäre dieser verpflichtet gewesen, die Perser- üefahr nach Kräften abzuwenden.

Stilicho stand damals auf dem Gipfel seiner Macht. 30 Barbarenhorden, die sich aus sehr verschiedenen Völkern zusammensetzten, hatten friedlich um Aufnahme in das römische Reich gebeten, und ihr 'Wunsch war gewährt worden. Über die wüstliegenden Äcker verteilt, er-

2. Clauclian. Stilicho und Eutrop. 311

neuteu sie nicht nur deren Steuerkraft, sondern boten auch für die Aushebung ein reiches und wertvolles Material. Die Konfiskation des ungeheuren Vermögens, las Gildo hinterlassen hatte, setzte Stilicho instand,

5 das grosse Heer, das er gegen diesen zusammen- gebracht hatte, nicht nur zu unterhalten, sondern, wenn er wollte, auch durch neue Werbungen zu ver- mehren. Die Furcht vor dieser Übermacht hielt die Rheingermanen sehr wirksam im Zaum. Als der

10 Prankenkönig Marcomeres Verdacht erregte, konnte man ihn 398 in Mailand vor das Gericht des Kaisers stellen und nach Etrurien verbannen. Sein Volk bat um Frieden, empfing aus der Hand Stilichos einen andern Herrscher, und als der Bruder des Abgesetzten, Suuno,

i"> jenen durch einen Aufstand zu rächen versuchte, gaben ihm seine eigenen Krieger den Tod. In Britannien hatte man feindliche Einfälle siegreich abgewehrt und den Grenzschutz hergestellt. Wenn jemals, so war der Westen jetzt in der Lage, dem bedrängten Bruder-

20 reiche Hilfe zu bringen. Doch Stilicho hatte den Raubzügen des Tribigild in höhnischer Untätigkeit zugesehen, und als jetzt seine Unterstützung angerufen wurde, stellte er in seinem Antwortschreiben die Be- dingung, dass Eutrop für seine Auflehnung gegen ihn

25 gebührend bestraft werde. Trotz dieses vereinigten Drängens von Gainas und Stilicho, das wohl auch durch geistliche Einflüsse unterstützt wurde, hätte der Kaiser vielleicht doch an seinem geliebten Ratgeber festgehalten, wenn nicht auch Eudoxia sich dessen

so Feinden zugesellt hätte. Mit ihren zwei Töchtern im Arm stürzte sie weinend dem schwachen Gemahl zu Füssen und flehte ihn an, den frechen Eunuchen, der auch sie schwer beleidigt habe, fallen zu lassen. Sie war wieder einmal guter Hoffnung und beanspruchte

312 VII. Die Auflosung des Reiches.

um so grössere Schonung, als man den künftigen Thronerben noch immer erwarten musste. In jenen plötzlichen Jähzorn ausbrechend, wie er ihn mitunter befiel (S. 265), Hess Arcadius den Entrop rufen und kündigte ihm seine Entlassung an. .5

Dass es für einen Mann, der so zahlreiche Feinde hatte, bei dieser milden Strafe nicht bleiben könne, war jedem klar und am deutlichsten dem Eunuchen selbst. Kaum war er aus dem Palast herausgetreten. so eilte er hastigen Laufes in die nächste Kirche, um an heiligem Orte vielleicht noch Schutz für sein Leben zu finden. Doch jetzt, wo es erlaubt war, an dem barbarischen Emporkömmling aus dem Sklavenstande sein Mütchen zu kühlen, brach überall der neidische Hass gegen ihn unaufhaltsam hervor. Das Volk, dem 15 er vergebens durch verschwenderische Spiele ge- schmeichelt hatte, tobte gegen ihn; die Soldaten sammelten sich vor der Kirche und forderten mit aufrührerischem Geschrei seinen Tod. Arcadius selbst trat vor sie hin und suchte sie zu beruhigen, indem 20 er sie an die früheren Verdienste des Sünders erinnerte; davon aber wollten sie nichts hören. Erst als sie den Kaiser in Tränen ausbrechen sahen, wurden sie still.

An einem der nächsten Tage predigte Johannes Chrysostomus in der Kirche, wo Eutrop zitternd am -:> Altar sass. Die halbe Stadt, Männer, Weiber und und Jungfrauen, war zusammengelaufen, um ihn bei dieser Gelegenheit zu hören und sich am Anblick der gestürzten Grösse zu weiden. Eutrop, so erklärte der Bischof, habe sein Schicksal verdient. Als Feind der 30 Kirche habe er ihr Asylrecht angetastet, das er jetzt selbst in Anspruch nähme. Gerade darum aber müsse man es zu seinen Gunsten wahren. Wie Jesus sich der Sünderin erbarmt habe, so sei es die Pflicht der

2. Claudian, Stilich o und Eutrop. 313

Gemeinde, sich auch dieses Sünders zu erbarmen. Sie soUe mit ihrem Bischof vor den Thron des Kaisers /.iehn und Gnade für den unwürden Schützling der Kirche erbitten. Kühnen Mutes schritt er durch die wütenden

5 Soldaten hin auf den Palast zu; doch auf «lern Markt ergriffen sie ihn und führten ihn ab. Hegen den Kaiser selbst wurden Drohworte ausgestossen, ja man begann schon, Häuser in Brand zu stecken. Da fühlte sich Eutrop auch in der Kirche nicht mehr sicher;

10 er versuchte, heimlich zu entfliehen, wurde aber ent- deckt und gefangen. Doch hatte sich unterdessen der Grimm der Truppen soweit abgekühlt, dass Arcadius ihm das Leben schenken konnte. Durch »'in Gesetz vom 17. August 399 wurden alle Ehren,

t5 die man so freigiebig auf ihn gehäuft hatte, vor allem das unheilvolle Consulat, für nichtig erklärt, die Zer- störung seiner Statuen anbefohlen, sein Vermögen konfisziert und er selbst nach Cypern verbannt. Aber schon wenige Monate später war die Erinnerung an

->0 seine treuen Dienste bei dem stumpfsinnigen Herrscher sii weit ausgelöscht, dass die Feinde des Eunuchen ihn unter der Anklage, sich kaiserliche Ehren angemaasst zu haben, vor ein Gericht stellen und dem Henker überliefern durften.

Drittes Kapitel.

Der Sieg des Autigernianismus.

Wenn Stilicho erwarte hatte, dass nach dem Sturze des Eutrop sich auch das Ostreich ihm unterwerfen werde, so sollte sich dies schnell als Täuschung erweisen. Hatte er 399 das Consulat des Eunuchen im Occident nicht verkündigen lassen, so wiederholte 5 sich dasselbe bei demjenigen, das im Jahre 400 der Praefect des Orients, Aurelian, bekleidete. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, nicht nur dass die Spannung zwischen den beiden Reichsteilen fortdauerte, sondern dass man dies auch vor der grösstmöglichen Offen t- io lichkeit geflissentlich zum Ausdruck brachte.

Als Eutrop und seine Kreaturen beseitigt waren, blieb man einige Tage noch im Zweifel, wer an seiner Statt die Leitung des Kaisers übernehmen solle. In erster Linie kamen zwei Brüder in Betracht, Aurelianus 15 uud Caesarius, die Söhne jenes Taurns, der das Concil von Ariminum geleitet hatte und dafür mit dem Consulat von 361 belohnt worden war (IV S. 165). Beide waren schon vorher zur höchsten Staffel der Ämterlaufbahn aufgestiegen: Aurelian hatte 393 die 20 Stadtpraefectur von Coustantinopel bekleidet, Caesarius nach der Ermordung des Rufinus dessen Praefectur gemeinsam mit Eutychianus übernommen (S. 279). Sogleich hatte er die schlimmsten Ketzergesetze seines

3. Der Sieg des Antigermanisinus. 315

Vorgängers aufgehoben, wahrscheinlich um so den arianischen Offizieren, vor «allen dem Gainas, seine ( runst zu erweisen, und hatte sich auch sonst zu den Barbaren des Heeres freundlich gestellt. Da er sein 5 hohes Amt zu der Zeit empfangen hatte, wo Eutrop noch Anscliluss an Stilicho suchte, muss er auch bei diesem persona grata gewesen sein. Zwar scheint er sich bis zum Sturze des Eunuchen in seiner Stellang behauptet zu haben, hatte also wohl dessen politische to Wandlungen mitgemacht; doch welcher Beamte des Ostreiches hatte dies nicht getan? Wäre jetzt Caesarius der beherrschende Leiter des Arcadius geworden, so hätte man das im Westen wahrscheinlich mit Freuden begrüsst. Doch in Constantinopel hatte man sich seit 15 Jahren gewöhnt, Stilicho als Feind zu betrachten, und jetzt hatten sich auch andere Männer, die als Fremde in das Reich gekommen waren, Gainas, Tribigild, Eutropius selbst, als gefährlich erwiesen. Mit den Gothen als Bundesgenossen hatte man zwar Schlachten 20 gewonnen, aber dazwischen waren sie immer wieder im Aufstande gewesen und plünderten noch jetzt die reichen Provinzen Asiens. So war die öffentliche Meinung gegen die Barbaren in wilder Erregung: den Caesarius lehnte sie ab, eben weil er ihr Freund und 25 ihnen genehm war, und bevorzugte um so mehr seinen Bruder, der schon lange mit ihm in Feindschaft lebte und einen ganz anderen Standpunkt vertrat.

Dieser wird für uns am deutlichsten durch den Freund und Schützling Aurelians, Synesius von Cyrene, 30 vertreten, der eben damals als Gesandter seiner Vater- stadt an den Hof kam und dem Arcadius eine noch erhaltene Rede vortrug. Der Kaiser, so führt er darin aus, müsse an den Übungen der Soldaten teil- nehmen und sich ihnen freundlich erweisen, aber nur

316 VII. Die Auflösung des Reiches.

denen, die aus dem Reiche herstammten und unter dessen Gesetzen erzogen seien. Denn sie allein könne man den wachsamen Hunden vergleichen, von denen Piaton rede. Den Wölfen aber, auch wenn sie schon von frühester Jugend an gezähmt zu sein schienen 5 dies passte auf Stilicho und Eutrop , dürfe man nie die Herden anvertrauen. Sobald die Hunde versagten, würden sie diese selbst und mit ihnen Hirt und Herde überfallen. Den Fremden solle man nicht Waffen in die Hand geben, weil man von ihnen kein natürliches 10 Pfand der Treue besitze. Ihre Macht würde immer gleich einem Damoclesschwert über den Bürgern hängen; denn wo sie einen Vorteil davon erwarteten, würden sie zu Feinden, wie die noch fortdauernden Unruhen deutlich gezeigt hätten. Wie der Arzt 15 bemüht sei, Fremdkörper aus dem Leibe des Kranken zu entfernen, so müsse auch der Herrscher verfahren. Gothen anzuwerben und die Aushebungen aus der Reichsbevölkerung einzuschränken, sei ein selbst- mörderisches Tun. Selbst wenn man durch jene viele 20 Siege gewinne, habe man Grund, sich dessen zu schämen. Das Heer müsse wieder ein echt römisches werden; denn wenn die Bewaffneten und die Waffen- losen, das männliche und das weibliche Element des Staates, verschiedenen Stammes seien, so müsse jeder '-'■"' Vorausschauende erwarten, dass dieses durch jenes unterjocht werde, wie das teilweise ja schon einge- treten sei. Doch aus den Ämtern und Würden müsse man die Kerle vertreiben, denen römische Sitte nur schmachvoll erscheine. Sie bekleideten zur :;" Schande des Reiches die höchsten Stellen; doch wenn sie sich ihrem neuen Range zu Liebe zeitweilig in römische Tracht gehüllt hätten, kehrten sie doch gleich wieder zu ihren heimischen Fellkleidern zurück

;>. Der sieg des Antigermanismus. 317

und spotteten der Toga, weil sie das Handhaben des Schwertes behindere. In allen Mausern habe man gothisehe Sklaven, weil dies Volk zur Knechtschaft geboren sei; schon seit den fernsten Urzeiten, von denen die Geschichte erzähle, sei es immer wieder besiegt und unterjocht. Und doch wolle es jetzt über die Römer, die sich den Erdkreis unterworfen hätten, als Herrscher auftreten!

Der Redner begriff nicht, dass eine Herrschaft,

10 die, wie er selbst anerkannte, tatsächlich bestand, auch ihre guten Gründe haben musste. Das Römertum war eben zu tief herabgekommen, um sich noch selbst zu regieren, und bedurfte der fremden Leiter. Nur dadurch konnte es noch gerettet werden, dass es ihr

gesunderes Blut in sich aufnahm und dem eigenen Körper zu assimilieren strebte. Doch wer möchte es den Patrioten jener Zeit verargen, dass sie die Ent- artuug des eigenen Volkes nicht zugeben wollten und nach seiner Befreiung von der Fremdherrschaft

20 strebten! Und diesen schönen, wenn auch törichten, Idealismus teilte nicht nur Aurelian, sondern auch die Kaiserin. Und dass die Tochter des Franken Bauto sich den Feinden des Germanentums zugesellte, kann unsere Zeit kaum wundernehmen; erleben wir es doch

25 täglich, wie Halbjuden sich dadurch in der germanischen Gesellschaft zu legitimieren glauben, dass sie sich als die wütendsten Antisemiten aufspielen. So wollte auch Eudoxia zeigen, dass sie sich ganz als Römerin fühlte, indem sie ihre eigenen Stammesgenossen bekämpfte.

M Denn ohne Zweifel war es ihr Einfluss, durch den die Praefectur des Caesarius auf Aurelian übertragen und dieser damit an die leitende Stelle des Ostreiches berufen wurde. Er erwies sich dankbar, indem er sie schon am 9. Januar 400 nicht nur zur Augusta,

318 VII. Die Auflösung des Reiches.

sondern auch zur Mitregentin ernennen Hess. Dies war im römischen Reiche bis dahin unerhört gewesen. Zwar jenen Titel hatten schon viele Kaiserfrauen geführt; doch dass man das Bild der Eudoxia in den Hauptstädten aller Provinzen neben dem ihres Gatten 5 aufstellen liess, damit beiden zu gleichem Recht halb- göttliche Verehrimg erwiesen werde, war etwas ganz Neues, und nicht ohne Grund äusserte sich Honorius in einem Brief an seinen Bruder, der jedenfalls von Stilicho diktiert und für die breiteste Öffentlichkeit 10 bestimmt war, sehr missfällig darüber. So wurde durch die Herrschsucht der jungen Frau der Gegensatz der beiden Reichsteile noch schärfer zugespitzt, und das zu einer Zeit, wo Arcadius der Hilfe seines Bruders nur zu sehr bedurft hätte. 15

Denn der Augenblick für die Verwirklichung jener nationalen Ideale war nicht gerade glücklich gewählt. Wenn man es als Programm der neuen Regierung verkündigte, alle barbarischen Offiziere und Soldaten zu entlassen, mussten nicht nur die Verhandlungen 20 mit Tribigild abgebrochen, sondern auch Alarich und Gainas, denen die einzigen nennenswerten Heere des Ostreiches gehorchten, zum Aufstande getrieben werden. Zwar begann man im Sinne des Synesius durch Aus- hebungen ein echt römisches Heer zu bilden; aber 25 bis es schlagfertig war, musste noch lange Zeit ver- gehen. Doch wer als begeisteter Idealist für Prinzipien kämpft, pflegt nach den praktischen Folgen nicht viel zu fragen, und so war es auch bei Aurelian und seinen Anhängern. Dem Alarich scheinen die Tribute, 33 die ihm Eutrop in der Form eines Beamtengehaltes zugesichert hatte (S. 281), jetzt entzogen zu sein; jedenfalls hat er Illyricum, das er als Magister Militum beschützen sollte, bald wieder als Feind verwüstet.

3. Der Sieg des Antigermanisrous. 319

Zu noch schärferen Maassregeln griff Gainas, weil ihn noch schwerere Gefahren bedrohten. Seine unglück- liche Kriegführung hatte den Verdacht erweckt, er stecke mit Tribigihl unter einer Decke und habe

5 vielleicht gar dessen Erhebung selbst angestiftet. Thm wurde hinterbracht, dass man ihm den Prozess machen wolle, und ob er sich schuldig oder unschuldig fühlte, wie damals die Stimmung gegen die barbarischen Offi- ziere war, konnte das Urteil nicht zweifelhaft sein. Es

i" war also nur eine Tat der Selbsterhaltung, dass Gainas sich mit Tribigihl bei Thyatira vereinigte und sie gemeinsam auf Constantinopel zogen. Doch teilten sie bald wieder ihre Heere, und jener wandte sich nach dem Bosporus, dieser nach dem Hellespont. Denn

15 der Übergang über die Meerengen konnte Schwierig- keiten bieten, musste aber hier oder dort gelingen, weil Aurelian nicht die Macht besass, beide zugleich wirksam zu verteidigen.

Als das Heer der Gothen vor Chalcedon erschien,

-'" dachte keiner an Widerstand. Caesarius schlich sich heimlich in ihr Lager, und nachdem das Nötige ver- abredet war, sandte Gainas die Botschaft nach Con- stantinopel, dass er mit keinem andern als dem Kaiser persönlich verhandeln wolle. Arcadius musste sich

25 die Demütigung gefallen lassen, selbst dem Aufrührer ento-eo-enzuo-ehn. In einer Kirche unweit Chalcedon kamen sie zusammen. Gainas verlangte den Ober- befehl in Constantinopel und dass ihm die Führer des Antigermanismus zu beliebiger Strafe ausgeliefert

30 würden. Nachdem dies zugestanden war, leisteten er und der Kaiser bei den Reliquien der heiligen Euphemia, die in der Kirche aufbewahrt wurden, sich gegenseitig den Eid, dass keiner dem andern Böses sinnen werde, der später natürlich nicht gehalten

320 VII. Die Auflösung des Reiches.

wurde. Aurelian, der greise Saturninus, der 383 Consul gewesen war (8. 166), und Johannes, eio Günstling der neugebackenen Augusta, den viele für ihren Liebhaber hielten, wurden in das gothische Lager geführt, wo Gainas sich barmherziger gegen sie 5 erwies, als sie in gleichem Falle gegen ihn gewesen wären. Um ihnen seine Macht zu zeigen, berührte er sie mit dem Schwert und liess sie dann in die Verbannung ziehen: selbst ihr Vermögen wurde nicht konfisziert. Caesarius übernahm jetzt die Praefectur io des Orients, und Gainas zog in Constantinopel ein. Die römischen Truppen, die sich hier noch befanden, selbst die kaiserlichen Leibwächter nicht ausgenommen, zerstreute er sogleich in kleine Garnisonen und be- herrschte nun mit seinen Gothen die Stadt und den 15 Hof. Doch diese Stellung, die unerschütterlich schien, sollte er schon nach wenigen Monaten durch seine eigene Furchtsamkeit einbüssen und dann auch schnell seinen Untergang finden.

Von dem barbarischen Gewaltmenschen, der selbst dem Kaiser als unabhängiger Gebieter entgegengetreten war, erwartete man in Constantinopel das Schlimmste. Bald hiess es, er beabsichtige die Läden der Banquiers auszurauben, bald, er habe bei Nacht den Kaiserpalast in Brand stecken wollen und sei nur durch ein Wunder 25 davon zurückgehalten. Die Aufregung erreichte ihren Höhepunkt, als er gegen die Gesetze, die jeden ketzerischen Gottesdienst in den Mauern der Städte verboten, die Forderung stellte, dass dem arianischen Kultus seiner Germanen eine der hauptstädtischen 30 Kirchen eingeräumt werde. Caesarius riet zur Nach- giebigkeit, und der Kaiser wagte keinen Widerspruch; doch Johannes Chrysostomus trat der Ketzerei helden- mütig entgegen. Von einer Anzahl Bischöfe begleitet, die

3. Der Sieg des Autigermanisinus. 321

zufällig in Coustantinopel waren, ging er in den Palast und hielt in Gegenwart des Gothen ihm und Arcadius eine feurige Rede, in der er sie ermahnte, von ihrem ebenso ungesetzlichen, wie gottlosen Vorhaben ab-

r. zustehn. Er hatte schon vorher eine Kirche der Stadt dem Gottesdienst in gothischer Sprache eingeräumt, Hess ihn aber durch orthodoxe Geistliche halten oder hielt ihn selbst mit Hilfe eines Dolmetschers. Dies hatte ihm grosses Ansehn bei den germanischen

io Kriegern verliehen, und Gainas selbst verehrte ihn als Heiligen. Er konnte sich daher nicht entschliessen, Gewalt gegen ihn zu brauchen, und liess den Streit einstweilen unentschieden. Die Bürgerschaft aber war wild erregt über den drohenden Sieg der Ketzerei und

i") entzündete zugleich ihren Mut an dem ihres Bischofs. Obwohl zum grössten Teil waffenlos, begann sie doch durch ihre ungeheure Überzahl sich den fremden Ein- dringlingen gewachsen zu fühlen; es kam zu Gewalt- tat und Mord, und bald wagten sich die Gothen nicht

20 mehr anders als in starken Haufen auf die Strasse hinaus. Das Erscheinen eines Kometen von solcher Grösse, wie kein Lebender ihn noch gesehn hatte, erfüllte sie mit abergläubischen Unheilsahnungen. Bei seinem ungewissen Schein spiegelte ihnen die Furcht

25 Scharen römischer Krieger vor, von denen sie an- nahmen, sie seien zum Zweck eines Überfalls auf Gainas und seine Truppen heimlich in die Stadt ge- führt und würden dort verborgen gehalten. Auch bei Tage entstanden unter den Barbaren mehr als einmal

:!() panische Schrecken, ohne dass irgend ein vernünftiger Grund dafür vorhanden war, und diese verängstigte Stimmung seiner Mannen teilte sich auch dem Feld- herrn mit. Und wie die Bürger von den Gothen, so wurden die Gothen von den Bürgern gefürchtet, und

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 21

322 VII. Die Auflösung des Reiches.

das mit sehr viel besserem Grunde. Denn nach dem, wie sie in Asien gemordet, gesengt und geplündert hatten, konnte man nicht erwarten, dass sie sich von den Schätzen Coustantinopels bescheiden zurückhalten und seine Einwohner schonen würden. Yon diesen 5 kauften daher viele Waffen, um sich wenigstens gegen die Räubereien Einzelner schützen zu können, was für den Kampf, der in Kurzem ausbrechen sollte, von hoher Wichtigkeit war. Einstweilen beobachtete man alles, was die Barbaren taten, mit ängstlicher Spannung 10 und witterte hinter allem finstere Pläne. So gab ein Verhalten, das an sich ganz unschuldig und nur durch ihre eigene Furcht hervorgerufen war, das Signal zum Losschlagen gegen sie, weil man sich einbildete, dass sie selbst losschlagen wollten. 15

Durch den Drang der Verhältnisse, die er nicht zu meistern wusste, überwältigt und verwirrt, hatte Gainas die Empfindung, dass es in seinem Kopfe nicht ganz richtig sei. Um seine überreizten Nerven zu heilen oder, wie er und seine Zeit es auffassten, um den Dämon aus- 20 zutreiben, der in ihm Wohnung genommen hatte, wall- fahrtete er zu dem Haupte Johannes des Täufers, jener hochgeschätzten Reliquie, über der Theodosius am siebenten Meilenstein von Constantiuopel eine Kirche erbaut hatte (S. 251). Seine Familie begleitete ihn, und 25 da er sich nicht unbeschützt hinauswagte, kam auch ein grosser Teil seines Heeres mit. Um kein Aufsehen hervorzurufen, das die misstrauische Bürgerschaft hätte aufregen können, wählte er zu seinem Auszuge die Nacht. Yon den Gothen, die nicht zu seiner Be- 30 deckungsmannschaft gehörten, waren viele sehr ge- neigt, in der Wallfahrt ihres Feldherrn eine versteckte Flucht zu sehn; von seiner Furcht angesteckt, wollten auch sie teils sich selbst, teils wenigstens dasjenige,

3. Der Sieg des Antigermanismus. 323

was ihnen das Teuerste war, in Sicherheit bringen. In der Dunkelheit drängten sich am Stadttor schwer- beladene Männer, Weiber und Kinder, vermischt mit Lasttieren, welche die kostbarsten Stücke der asiatischen

5 Beute trugen. Da kam, als der Morgen graute, ein altes Bettelweib heran, das an diesem Tor seinen ge- wohnten Standort hatte. Das allgemeine Misstrauen der Bürgerschaft teilend, meinte sie, die Gothen wollten Frauen, Kinder und Habe nur deshalb fortschaffen,

10 um desto ungehinderter die Metzeleien und Plünde- rungen beginnen zu können, die man von ihnen er- wartete. Als sie ein lautes Geschrei erhob, wollte einer der Barbaren sie niederhauen; schon aber hatte sich ein Yolkshaufe angesammelt und übernahm ihre

15 Verteidigung. Es entspann sich eine blutige Schlägerei, zu der immer mehr Bürger herbeieilten. Denn alle glaubten die letzte Stunde Constautinopels gekommen, wenn es nicht g-elino-e, durch verzweifelten Widerstand (las Verderben abzuwehren. Die Gothen dagegen,

2d soweit sie sich am Tor versammelt hatten, waren nur darauf bedacht, unverletzt hinauszukommen, und eilten, sobald sie das Freie gewonnen hatten, der Kirche des Johannes zu, um sich dort mit dem Gefolge des Gainas zu vereinigen. Denn sie meinten ja, römische

25 Soldaten seien in der Stadt verborgen und würden sogleich zu ihrem Verderben herbeieilen. Endlich überzeugte sich eine kleine Minderheit tapferer Männer, denen die allgemeine Panik den Kopf nicht ganz ver- wirrt hatte, dass sie es nur mit schlecht bewaffneten

so Civilisten zu tun hätten, und suchte das Tor zu be- haupten, wurde aber durch die ungeheure Über- zahl der Gegner hinausgedrängt. Als Gainas den Sachverhalt erfuhr, rückte er mit seinen Truppen an. fand aber die Tore schon geschlossen und

21*

324 VII. Die Auflösung des Reiches.

sein Versuch, sie im Sturm zu nehmen, wurde ab- geschlagen.

Etwa der fünfte Teil des Gothenheeres man schätzte ihn auf mehr als 7000 Mann war in Constantinopel zurückgeblieben, ohne an jenem Kampf 5 um das Tor teilzunehmen. Unter gewöhnlichen Um- ständen hätte eine so grosse Trappe vollauf genügt, um die Stadt zu beherrschen. Aber führerlos und eingeschüchtert, wie sie war, glaubte sie, ihre Volks- genossen seien gewaltsam vertrieben, und wagte nicht, 10 einen Kampf zu erneuern, bei dem ein viermal grösseres Heer nach ihrer Meinung unterlegen war. Sie hielt es daher für das Sicherste, die Waffen niederzulegen und ihre Unterwerfung zu erklären; das wütende Volk aber stürzte sich auf sie und hieb sie zusammen. Die 15 Übriggebliebenen retteten sich in die gothische Kirche; aber auf Befehl des Kaisers, dem sich Caesarius ver- geblich widersetzte, wurde sie in Brand gesteckt, und alle, die hier ein Asyl gesucht hatten, kamen um.

So wurde am 12. Juli 400 Constantinopel von 20 der Gothen«efahr befreit. Doch als er zur Besinnung gekommen war, Hess der Kaiser sich überzeugen, dass sie wahrscheinlich nur eingebildet gewesen war und dass der Sieg ihn den besten Teil seines Heeres ge- kostet hatte. Caesarius durfte den Bischof Johannes -•> als Gesandten zu Gainas schicken und diesen bitten lassen, dass er zurückkehren möge. Doch das Volk der Stadt bewachte die Tore, fest entschlossen, keinen Barbaren hereinzulassen, und auch Gainas selbst traute der Versöhnung nicht. Er hatte in Thrakien zu 30 plündern begonnen, und manche römische Truppen, die er früher geführt hatte, schlössen sich seinen Gothen an, um mit deren Hilfe Beute zu machen. Durch harte Steuern und Aushebungen musste man

3. Der Sieg des ADtigermanismus. 325

zum Kriege rüsten. Und als man für das kleine Heer, das man mühsam zusammenbrachte, einen passenden Feldherrn suchte, war man gezwungen, es wieder mit einem Barbaren zu versuchen, der noch dazu Heide

5 war, dem Gothen Flavius Fravita. So blieb denn auch Caesarius trotz seiner Beziehungen zu Gainas noch im Amte; denn die Ereignisse hatten seiner Politik recht gegeben, und xArcadius sah ein, dass man der Fremden nicht entbehren könne.

i" In Thrakien war die Ernte schon eingebracht und

das Korn in die Mauern der Städte geschafft, die Gainas nicht einnehmen konnte. Seine Truppen litten daher Maugel, und er beschloss, über den Hellespont nach Asien zurückzukehren. Doch wenn auch von

15 dem römischen Heere nicht viel mehr übrig war, die Flotte war unberührt geblieben, und mit ihrer Hilfe gelang es Fravita, den Übergang der Gothen zu hindern. Die rohen Flösse, welche sie eilig gezimmert hatten, wurden von den Kriegsschiffen leicht zerstört

20 und der grösste Teil des feindlichen Heeres vernichtet. Mit dem Reste wollte Gainas sich in seine alte Heimat retten. Da die römischen Truppen, die ihm zugefallen waren, durch seine Misserfolge wankend wurden, liess er sie durch seine Gothen niederhauen und überschritt

25 mit diesen die Donau. Doch der Hunnenfürst Uldin, dessen Horden hier streiften, wollte die Macht eines angesehenen Feldherrn nicht neben der seinen dulden und war zugleich nach den Gescheuken gierig, die er von dem römischen Kaiser für den Tod des Gainas

30 erwarten durfte. Nach wiederholten Treffen fiel dieser am 23. Dezember 400. Sein Kopf wurde nach Con- stantinopel geschickt und dort am 3. Januar 401 unter dem Jubel des Yolkes auf einer Stange durch die Strassen getragen.

326 VII. Die Auflösung des Reiches.

Schon gleich nach dem Seesiege des Fravita hatte sich die antigermanische Partei gegen ihn erhoben. Man beschuldigte den gothischen Feldherrn, dass er aus landsmannschaftlicher Freundschaft unterlassen habe, den besiegten Gainas zu verfolgen. Doch o-elano- 5 es ihm nicht nur, sich zu reinigen, sondern zur Be- lohnung für seine Tat wurde er sogar zum Consuln für das kommende Jahr (401) ernannt. Bald darauf aber kehrten Aurelian, Saturninus und Johannes, von der Bevölkerung Constantinopels feierlich empfangen, 10 aus der Yerbannung zurück und fanden an ihrer alten Freundin Eudoxia eine um so wirksamere Stütze, als sie am 10. April 401 den langerwarteten Thron- erben geboren hatte und dadurch ihrem Gemahl noch teurer geworden war. Im Winter 401/2 wurde Au-- 10 relian wieder zur Praefectur erhoben und beeiferte sich, den kleinen Sohn der Kaiserin sogleich zum Augustus ausrufen zu lassen (10. Januar 402). Cae- sarius und Fravita machte man den Prozess; der Barbar wurde hingerichtet, der Römer auf Fürbitte 20 seines Bruders begnadigt, obgleich jener den Gainas besiegt, dieser ihn unterstützt hatte. Und jetzt wurde mit allem Ernste das Programm des Aurelian durch- geführt, aus der Beamtenschaft, vor allem der mili- tärischen, die Fremden auszustossen. Aus den sechs 25 Jahren, die Arcadius später noch regierte, sind uns etwa zwanzig Offiziere bekannt: es findet sich unter ihnen kein einziger mit deutschem Namen.

Die Folgen Hessen nicht auf sich warten. Jedes Jahr, das Gott werden liess, plünderten die kleinen :i0 Wüstenstämme der Sahara die beiden Provinzen Li- byens und wagten sich sogar an die Belagerung der Städte und festen Dörfer. Und doch waren sie zu feige, um selbst einem schwachen Heere, wenn es nur

3. Der Sieg des Antigermanismus. 327

leidlich geführt wurde, zu widerstehen. Anysius, einer der wenigen Offiziere römischen Blutes, die sich brauch- bar erwiesen, vernichtete eine Raubschar von 1000 Ausurianern mit einem Häuflein von vierzig Unni- 5 gar den. Dies aber war noch ein kleiner Rest der barbarischen Söldner, die Aurelian aus den Heeren ausstiess, und auch er wurde trotz dieses glänzenden Sieges mit dem Verluste seiner Privilegien bedroht. Die römischen Soldaten dagegen waren durch die

10 Habsucht und Nachlässigkeit der Führer gänzlich desorganisiert; sie versteckten sich hinter den Mauern der festen Städte oder in den Gebirgen und waren niemals zu finden, wo der Feind sich zeigte. Die Offiziere meldeten sich krank, wenn Gefahr drohte,

15 und als die Bevölkerung sich bewaffnete und zur Selbsthilfe griff, da gab in der Schar des Synesius einer von ihnen das erste Signal zum Ausreissen. Von den Feldherren hauste Cerealis aus Furcht auf einem Schiffe und Hess die Befehle au seine Truppen

20 durch Boote überbringen, und Inuocentius war ein kränklicher Greis. Und nicht viel besser, als die Mauren in Libyen, hausten die Isaurer in den asi- atischen Provinzen. Im Jahre 404 plünderten sie alles Land von Carien bis zur persischen Grenze, von

25 Cappadocien bis Palaestina, selbst die Insel Cypern mit eingeschlossen, und bis zum Tode des Arcadius (408) waren sie noch nicht zur Ruhe gekommen. Dass das Verhältnis zum Westreiche, wo der Halbbarbar Stilicho herrschte, durch die Germanenhetze in Constantinopel

30 immer gespannter wurde, war noch das geringere Übel. Johannes, dem Liebling der Kaiserin, der gegen Fravita als Ankläger oder Zeuge auftrat, konnte dieser mit Recht vorwerfen, dass sein und seiner Parteigenossen Treiben die Einheit des Römerreiches ganz zerreisse.

328 VII. Die Auflösung des Reiches.

Bei diesen Zuständen war es ein Glück, dass der östliche Reichsteil wenigstens von Angriffen der Gothen und Hunnen verschont blieb. Der Grund wird kein anderer gewesen sein, als dass Thrakien, nachdem es mehr als zwei Jahrzehnte lang ihren Raubzügen als 5 Tummelplatz gedient hatte, noch zuletzt von Gainas gründlich ausgeplündert war. Das Land, das hinter der Donaugrenze lag, konnte die Barbaren nicht mehr locken, ja sie hatten zu fürchten, beim Durchziehen eines Gebietes, dessen Äcker fast nur noch Unkraut 10 trugen, verhungern zu müssen. So bot die Wüstenei, die sie geschaffen hatten, Constantinopel und Griechen- land einen höchst wirksamen Schutz. Um so mehr mussteu sich ihre begehrlichen Blicke auf das West- reich richten, das, längere Zeit von ihren Einfällen 15 verschont, ihren Horden genügende Verpflegung und reiche Beute zu versprechen schien.

Im Jahre 401 drangen vandalische Raubscharen, wahrscheinlich durch alanische verstärkt, in Raetien ein, und dass Italien, um sie zurückzuschlagen, von 20 Truppen entblösst wurde, machte sich Alarich zunutze. Er hatte sich ruhig verhalten, solange die Geldzahlungen und Kornlieferungen, die er als Magister Militum des Ostreiches für sich und seine Gothen empfing, richtig geleistet wurden; als sie dann um 399 durch die 25 Schuld der antigermanischen Regierung ausblieben, hatte er sein Volk, das wenig Lust hatte, sich selbst mit der Bebauung des Ackers zu mühen, durch Plün- derung Tllyricums ernährt (S. 318). Aber bald war hier nichts mehr zu holen, und gegen Constantinopel 30 zu ziehen, verhinderte ihn der wüste Zustand Thrakiens. So wandte er sich nach Italien, das zur Zeit so gut wie unbeschützt vor ihm lag. Der Weg durch die Alpen war den Gothen ja wohlbekannt, da sie ihn in

3. Der Sieg des Antigermanismus. 329

den Kriegen gegen Maximus und Eugenius schon zwei- mal als Bundesgenossen des Theodosius gezogen waren; auch werden sie gewusst haben, dass man ihre Pässe im Winter nicht zu bewachen pflegte, weil sie dann

5 durch den Schnee ausreichend gesperrt schienen. So wurde denn gerade diese Jahreszeit für den Einfall gewählt. Am 18. November 401 erschien Alarich ganz unerwartet vor Aquileja, eroberte die Stadt nach kurzer Belagerung und zog dann weiter, überall ein aus-

io geraubtes und verwüstetes Land hinter sich lassend. Allgemein war die Befürchtung verbreitet, er be- absichtige Rom selbst einzunehmen. Nach uralter Überlieferung waren dem Romulus, als er bei Gründung der Stadt die Auspicien anstellte, zwölf Geier erschienen.

15 Daraus hatte man schon in republikanischer Zeit ge- schlossen, dass Rom zwölf Jahrhunderte zu leben habe, und nach einer falschen Rechnung, die wir nicht mehr kontrollieren können, meinte man, dieser Zeitraum laufe demnächst ab. Voll abergläubischer Befürch-

2»» hingen hatte Stilicho Anfang 399 Offiziere in die Provinzen entsandt, um die Statuen und Tempel der Götzen zu zerstören, und wenige Monate später den entgegengesetzten Weg zur Rettung des Reiches ein- geschlagen, indem er den Altar der Victoria, den erst

25 Constantius, dann Gratian und endlich Theodosius aus der römischen Curie entfernt hatten, wieder herstellen Hess. Doch bald darauf hatten ein grosser Komet (S. 321), drei sich schnell folgende Mondfinsternisse und andere Wunderzeichen neue Unheilsalmuugen hervorgerufen, die sich jetzt bei dem Einfall Alarichs zu erfüllen schienen. Eiligst begann man in Rom die Stadtmauern herzustellen, die, lange nicht bedroht, arg in Verfall geraten waren. Doch die Vorsicht erwies sich diesmal noch als überflüssig; Alarich zog nicht

so

330 VII. Die Auflösung des Reiches.

gegen Rom, obgleich hier das Plündern am meisten gelohnt hätte. Denn seine Heerfahrt war kein Raub- zug, sondern eine Völkerwanderung. Die Gothen führten ihre Frauen und Kinder mit sich und hatten auch die Beutestücke früherer Kriege nicht zu Hause gelassen. 5 Sie beabsichtigten also nicht, mit neuen Reichtümern beladen nach Ulyricum zurückzukehren, sondern wollten einen passenden Ort für ihre dauernde Niederlassung aufsuchen. Dazu musste ihnen ein Land am ge- eignetsten scheinen, das, der Donaugrenze fern, nicht 10 immerfort von Hunnen, Alanen und Vandalen bedroht war. Sie zogen daher geradeswegs auf die Alpenpässe zu, die nach Gallien hinüberführten.

Auf die Nachricht von ihrem Einfall wollte der Hof nach Gallien fliehen; aber Stilicho, der ahnen 15 mochte, dass man dort auf die Dauer nicht sicherer sein werde, als in Italien, bewog ihn, hinter den festen Mauern von Mailand auszuharren. Ohne darauf Rück- sicht zu nehmen, dass so alle Grenzen entblösst wurden, schickte er an die Truppen bis nach Britannien hinüber 20 den Befehl, dass sie sich sogleich nach Italien in Marsch setzen sollten. Er selbst eilte im tiefsten Winter über die Alpen nach Raetien und wählte dazu den kürzesten, wenn auch beschwerlichsten Weg über den Comersee und den Splügen. Dort angelangt, stellte er den 25 Frieden her, indem er die feindlichen Raubschareu gegen gute Bezahlung als Hilfstruppen in seine Dienste nahm, und kehrte dann mit den vereinigten Heeren, die sich eben noch kämpfend gegenübergestanden hatten, auf der bequemeren Strasse des Brenner nach :i0 Italien zurück. Unterdessen sah man von den Mauern Mailands schon die Feuer des Gothenlagers; als Stilicho der Stadt Hilfe brachte, musste er sich den Übergang über die Adda erkämpfen. Doch Alarich wollte nicht

3. Der Siei^ des Antigermanismus. 331

mit einer neuen Belagerung- Zeit verlieren, sondern zog- nach Westen weiter, während Stilicho ihm folgte, ohne eine Schlacht zu wagen. Als man so in die Gegend von Turin gelangt war, von wo über den Mont Genevre 5 die nächste Strasse nach Gallien führte, werden die Gothen erfahren haben, dass die Truppen der Rhein- grenze im Anmarsch waren und den Pass versperrten. Sie wandten sich daher nach Süden, jedenfalls mit der Absicht, ihr Ziel über die Seealpen zu erreichen. Als

10 sie zwischen den Städten Hasta und Pollentia, die sie auf diesem Wege berühren mussten, ihr Lager ge- schlagen hatten, fühlte sich Stilicho, der unterdessen wahrscheinlich die Heere von Germanien und Britannien an sich gezogen hatte, stark genug, um den Feind

15 nach seiner gewöhnlichen Taktik einzuschliessen. Da das Osterfest (6. April 402) unmittelbar bevorstand, machte ihm sein heidnischer Unterfeldherr Saul den Vor- schlag, au diesem Tage, an dem die christlichen Gothen nicht würden fechten wrollen, sie zu überfallen. Dies

2o leuchtete Stilicho ein, war aber doch gegen sein Ge- wissen; er wusch daher seine Hände in Unschuld, indem er dem Ungläubigen den zeitweiligen Oberbefehl und damit die Ausführung des schönen Planes überliess. Saul konnte sich der gothischen Wagenburg bemächtigen,

25 weil die Feinde, wie er erwartete, aus religiösen Skrupeln dem Kampfe auszuweichen suchten. Doch gezwungen nahmen sie ihn auf und führten ihn unter schweren Verlusten beider Teile heldenmütig fort, bis die Nacht ihm ein Ziel setzte. Bei den Gothen aber war das Fussvolk am ärgsten heimgesucht; die Reiterei, ihre gefährlichste Waffe, hatte wenig gelitten. Mit ihr zog sich Alarich auf die nahen Vorhöhen des Appenuin zurück und drohte jetzt wirklich, sich gegen Rom zu wenden.

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332 VII. Die Auflösuug des Reiches.

Dies war nur ein Schreckschuss, der Stilicho zu Unterhandlungen veranlassen sollte. Denn da mit der Wagenburg nicht nur die erbeuteten Schätze der Gothen, sondern auch ihre Weiber und Kinder, darunter die des Alarich selbst, in die Hände der Römer gefallen 5 waren, musste er vor allem suchen, deren Auslösung zu erwirken. So wurde ein Vertrag vereinbart, der ihn gegen Rückgabe der Gefangenen zur Heimkehr nach Illyricum, wahrscheinlich auch zu künftiger Bundeshilfe verpflichtete. Doch ist es nicht unbegreif- 10 lieh, dass Alarich sich durch ein Versprechen nicht gebunden fühlte, dass ihm durch gottlosen Überfall am höchsten Festtage der Christenheit abgepresst war. Er verzichtete nicht darauf, Gallien zu gewinnen, und hielt sich daher, eine passende Gelegenheit abwartend, mög- 15 liehst lange in Italien auf. Jeder Übergang über den Po und seine zahlreichen Nebenflüsse bot ihm den Yorwand zu zaudern. So langte er erst im Hochsommer bei Verona an und warf hier die Maske ab, um auf dem Umwege über die Brennerstrasse und das Donau- 20 tal doch noch sein Ziel zu erreichen. Indem aber Stilicho die umliegenden Höhen besetzte, gelang es ihm zum zweiten Mal, die Gothen einzuschliessen. Einen neuen Kampf wagte er zwar nicht; doch Hunger und Seuchen taten ihr Werk, und bald vermehrten 25 zahlreiche Überläufer seine eigenen Scharen. Doch gelang es Alarich, sich durchzuschlagen und wenigstens nach Illyricum zurückzukehren, das jetzt, wo sein Volk durch die unglückliche Wanderung stark vermindert war, zur Ernährung desselben wohl vollauf genügte. 30

Trotzdem blieb die Furcht vor ihm so gross, dass der Hof nach Ravenna übersiedelte, weil diese Stadt durch die weit ausgedehnten Sümpfe, die sie umgaben, besser geschützt war, als Mailand nur durch seine

3. Der Sieg des Antigermanismus. 333

Mauern. Zugleich begann der Hinfall des Gothen- fürsten, der Magister Militum gewesen war uud auf römische Kosten sein Volk bewaffnet hatte, auch im Westreiche der antigermanischen Strömung zum Siege

5 zu verhelfen, und wie im Osten die Halbbarbarin Eu- doxia, so machte sich hier Stilicho zu ihrem Vertreter. Und wirklich waren die halbwilden Truppen, die man aus den Fremden geworben hatte, für den Reichs- feldherrn ein sehr unbequemes und selbst gefährliches

10 Werkzeug. Unbotmässig gegen ihre Offiziere, ver- trugen sie sich auch untereinauder nicht, und nicht selten bekämpften sich die einzelnen Scharen in blutigem Hasse. Er hörte es daher nicht ungern, wenn man an ihm rühmte, dass er seine barbarischen Hilfsvölker

15 absichtlich durch Alarich habe aufreiben lassen, weil ihre Vernichtuno- dem Reiche nur Vorteil bringen könne, und begann ganz im Sinne Aurelians sie durch einheimische Rekruten nach Möglichkeit zu ersetzen. Gänzlich auf die fremden Söldner zu verzichten, kann

20 zwar nicht seine Absicht gewesen sein, weil bei der tiefen Erschlaffung des Römertums sich aus ihm allein genügende Heere nicht mehr bilden Hessen; doch sollten jene nicht die Mehrzahl der Truppen bilden und durch eine überlegene römische Macht im Zaum

25 gehalten werden. Nicht um der Gefahr des Gothen- krieges zu begegnen, sondern erst nachdem sie glücklich abgewendet war, erfolgten grosse Aus- hebungen, bei denen freilich die waffenscheuen Römer masseuhaft ausrissen. Immerhin wurde der

30 nationale Teil des Heeres bedeutend verstärkt, was sich bald gegen Stilicho selbst wenden sollte. Denn dass er germanischen Blutes war, konnte er durch seine Bekämpfung des Germanentums nicht vergessen machen.

334 VII. Die Auflösuug des Reiches.

Doch kaum hatte er damit begonnen, so traten Ereignisse ein, die ihn veranlassten, ohne Rücksicht -auf seinen neugebackenen Römerstolz jede militärische Hilfe anzunehmen, die sich ihm bieten wollte; selbst Alarich war ihm als Bundesgenosse willkommen. 5 Mochte sein Plan, das Ostreich seiner Herrschaft zn unterwerfen, auch immer wieder gescheitert sein, verzichtet hatte er nicht darauf, und jetzt bot sich die Gelegenheit, unter einem Yorwande, der jedem Unter- tan, vor allem der Geistlichkeit, sehr berechtigt schien, 10 dem Arcadius in die Zügel der Regierung zu greifen. In Constantinopel war wieder einmal ein kirchlicher Streit ausgebrochen, der den ganzen Orient in wilde Aufregung versetzte und ihn sehr geneigt machte, die Intervention des Westreiches nicht nur zu dulden, is sondern freudig zu begrüssen.

Viertes Kapitel.

Johannes Chrysostomus.

Zwar hatte schon Constantin der Grosse die Stadt, die er nach sich benannte, durch den Namen einer zweiten Roma geehrt und Constantius ihre Würden und Rechte so gesteigert, dass sie hinter der alten

5 Reichshauptstadt kaum noch zurückstand; ihr Bischof aber war nur das geistliche Oberhaupt Thrakiens ge- wesen und hatte nicht mehr bedeutet, als die Metro- politen der andern Diöcesen. Die Führung der orien- talischen Kirche hatte Alexandria behauptet; noch als

w Theodosius der Grosse sein erstes Ketzergesetz erliess, galten ihm als die Säulen der Rechtgläubigkeit, an welche die Bischöfe des ganzen Reiches sich anzu- lehnen hätten, im Westen Damasus von Rom, im Osten Petrus, der Nachfolger des Athanasius (S. 138).

i5 So hatten denn auch, als durch die Absetzung des Arianers Demophilus eine Bischofswahl in Constan- tinopel nötig geworden war, beide sie zu beeinflussen versucht, aber jeder in verschiedenem Sinne und beide anders, als es dem Kaiser und seinem Concil genehm

20 war (S. 140. 145). Da man in Personenfragen sehr emp- findlich war, hatte man diese Eingriffe schroff zurück- gewiesen und durch einen Kanon beantwortet, der den Bischof von Constantinopel an Rang und Würde über den alexandrinischen erhob und ihm im Osten eine

336 VIT. Die Auflösung des Reiches.

Stellung einräumte, die sich von der des Papstes im Westen kaum unterschied (S. 153). Doch zugleich hatte man seine Macht, wahrscheinlich ohne dies zu beabsichtigen, wesentlich eingeschränkt. Denn um die Wahl des Maximus, die durch ägyptische Bischöfe 5 vollzogen war, für nichtig erklären zu können, hatte man beschlossen, dass die kirchlichen Angelegenheiten jeder Reichsdiöcese nur durch ihre einheimische Geist- lichkeit entschieden werden dürften (S. 151). Dies war geschehen, um den Übergriff Alexandrias auf k> Thrakien abzuwehren; doch im Eifer des Kampfes hatte man nicht bedacht, dass man damit den Einfluss Constantinopels auch auf Thrakien beschränkte. Dies hätte sich durchführen lassen, solange die Stadt nur vorübergehend von den Kaisern bewohnt wurde, wie 15 das bis auf den Tod des Valens geschehen war; seit aber Theodosius der Grosse sie zur dauernden Residenz erhoben und damit ihren Bischof zu seinem regel- mässigen Beichtvater gemacht hatte, stand dieser in so engen Beziehungen zum Hofe, dass dessen Macht- 20 bereich auch der seine werden musste. Da Alexan- dria den Anspruch nicht aufgegeben hatte, auch über die Grenzen Ägyptens hinaus die Führung der orien- talischen Kirche zu behaupten, waren Konflikte zwischen seinen Bischöfen und denen von Constantinopel auf 25 die Dauer nicht zu vermeiden. Wenn uns unter Nectarius noch nichts von derartigen Streitigkeiten berichtet wird, so kann der Grund kaum ein anderer sein, als dass er ein Mann von sehr geringem Ehrgeiz war. Doch als er am 27. September 397 die Augen so geschlossen hatte, trat ein anderer an seine Stelle, der die Zügel der Kirchengewalt mit festerer Hand ergriff und daher auch sehr bald in jenen Kampf verwickelt wurde. Ohne Zweifel wäre er Sieger geblieben, wenn

4. Johannes Chrysostomus. 337

er nicht die Gunst des Hofes, auf der die beherrschende Stellung seines Bistums einzig und allein beruhte, in törichtem Idealismus stolz verschmäht hätte.

Der Antiocheuer Johannes, den wegen seiner

5 glänzenden Redegabe die Nachwelt durch den Ehren- namen Chrysostomus (Goldmund) geehrt hat, gehörte zu der sehr geringen Zahl von Christen, die mit den sittlichen Forderungen ihrer Religion, wie sie damals verstanden wurde, unerbittlich Ernst machten. Sein

10 Gott war der finstere Wüterich, der die grosse Mehr- zahl seiner menschlichen Geschöpfe zu ewiger Flammen- qual verdammt hat, und die Phantasie erfüllt von den Schreckensbildern der Hölle, stand er der Sünde, deren Lohn sie war, mit angstvollem Grauen gegen-

i5 über. So richtete sich schon im frühen Jünglingsalter all sein Streben auf seiner Seelen Seligkeit, ein Ziel, das ihm am sichersten und leichtesten durch mön- chische Askese zu erreichen schien. Er brachte daher lange Jahre in der Einsamkeit zu, immer damit

20 beschäftigt, zu beten und seineu Leib zu miss- handeln. Die einsiedlerischen Gewohnheiten, die er sich in dieser Zeit aneignete, Hessen ihn auch später jedem engeren Verkehr mit den Menschen scheu aus- weichen, und durch anhaltendes Hungern verdarb er

25 sich den Magen so gründlich, dass er immer in Gefahr war, die Speise nicht bei sich behalten zu können. In Constautinopel pflegte er daher ganz allein seine Mahl- zeiten einzunehmen, weil er keinem das widrige Schau- spiel eines erbrechenden Bischofs gewähren wollte. Natürlich musste dies körperliche Missbehagen seine finstere Weltanschauung noch mehr verdüstern und eine nervöse Reizbarkeit hervorrufen, die keiner seelischen Erregung, am wenigsten dem Jähzorn, zu widerstehen vermochte. Und die Anstrengung, die es seiner süd-

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 22

30

338 VII. Die Auflösung des Reiches.

lieh heissen Natur kostete, die Lockungen der Sinn- lichkeit zu überwinden, erfüllte ihn mit einem Weiber- hass, der ihm in seinem Verkehr mit der Kaiserin verhängnisvoll werden sollte. Denn eine rührende Aufrichtigkeit, der jede Heuchelei fremd w^ar, machte 5 es ihm ganz unmöglich, die Gefühle seines Herzens klug zu verbergen. Doch als er in heissem Drange, die Welt zu bessern und zu bekehren, von seiner Einsiedlerzelle Abschied nahm und im Klerus von Antiochia seine öffentliche Wirksamkeit begann, da 10 gab jene rücksichtslose Wahrheitsliebe seinen Predigten eine hinreissende Gewalt. Aus der Schule des Liba- nius hervorgegangen, beherrschte er das Rüstzeug der Rhetorik in höchster Vollendung, und es machte ihm Freude, seine Kunst zu zeigen, indem er die Ketzer 15 bekämpfte und die Sünder zur Busse rief. Der Eu- nuch Eutropius war zweimal im Auftrage seines Herrn in Ägypten gewesen (S. 277) und hatte unterwegs auch Antiochia berührt. Hier musste der Ruf der Heiligkeit zu ihm dringen, deren Glanz den abge- 20 zehrten Asketen umstrahlte; vielleicht hatte er auch Gelegenheit, einzelne seiner Predigten zu hören. Jeden- falls bildete er sich die Überzeugung, dass für die Hauptstadt des Ostreiches ein würdigerer Bischof nicht zu finden sei, und betrieb daher, als Nectarius ge- 25 storben war, die Wahl des Johannes.

Die Presbyter von Constantinopel, welche die nächste Anwartschaft auf den erledigten Bischofsthron zu haben meinten, liefen schon bei Hoch und Niedrig umher, um durch Geld und gute Worte Stimmen zu 3(> werben; doch bald fanden diese Kämpfe des Ehrgeizes ihr Ende. Denn was Eutrop wollte, das wollte auch Arcadius, und des Herrschers Wunsch war für Klerus und Volk Gesetz. Weil die Antiochener sich ihren

4. Johannes Chrysostomus. 33'.»

Heiligen nicht ohne Aufruhr hätten rauben lassen, schaffte man Johannes heimlich aus der Stadt und entführte ihn nach Constantinopel. Seine Wald und Ordination wollte man mit aussergewöhnlichem Glanz 5 umgeben; der erst vor wenigen Jahren beschlossene Kanon, nach dem jede Reichsdiöcese ihre kirchlichen Angelegenheiten innerhalb der eigenen Grenzen ordnen sollte (S. 151), wurde daher unbeachtet gelassen und die vornehmsten Bischöfe des ganzen Orients für den

i(i Zweck zusammeuberufen. Natürlich fehlte auch Theo- philus von Alexandria nicht; dieser aber versuchte, wie sein Vorgänger Petrus (S. 140), den Bischof der Hauptstadt von sich abhängig zu machen, indem er die Wahl auf eine seiner Kreaturen lenkte. Doch

15 durch sein zweideutiges Verhalten dem Usurpator .Maximus gegenüber (S. 220) hatte er jeden Eiufluss auf den Kaiser verscherzt, und auch sonst lagen An- klagen genug gegen ihn vor, um seine Absetzung zu ermöglichen. Durch die Drohung, ihm den Prozess

20 zu machen, konnte Eutrop ihn zum Aufgeben seines Widerspruches zwingen, so dass Johannes einstimmig gewählt und am 26. Februar 398 geweiht wurde. Doch hinderte dies nicht, dass der natürliche Gegen- satz von Alexandria und Constantinopel sich durch

25 die persönliche Feindschaft ihrer bischöflichen Ver- treter jetzt noch mehr verschärfte.

Der neue Bischof der Hauptstadt hatte einen sehr hohen Begriff von den Rechten und der Würde seines Amtes. Für ihn stand es ebenso hoch über dem

30 Kaisertum, wie der Geist über dem Fleische. „Die Bischöfe", so schreibt er, „leben auf der Erde, sind aber beauftragt, das, was im Himmel ist, zu verwalten, und haben eine Macht empfangen, wie sie weder den Engeln noch den Erzengeln Gott gegeben hat. Denn

22*

340 VII. Die Auflösung des Reiches.

zu diesen ist nicht gesagt: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein. Auch die Mächtigen der Erde haben Gewalt zu binden, aber nur den Leib; jenes Band aber um- 0 schliesst die Seele und durchdringt die Himmel. Und was hienieden die Priester tun, das bestätigt Gott in der Höhe, und den Beschluss seiner Knechte vollzieht der Herr. Denn was anderes als die ganze Himmels- gewalt hat er ihnen gegeben? Denn welchen ihr die 10 Sünden erlasset, spricht er, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Was gibt es Grösseres als diese Gewalt? Alles Ge- richt hat der Vater dem Sohn übergeben, der Sohn aber, sehe ich, hat es ganz in ihre Hände gelegt. 10 Denn als wenn sie schon in den Himmel versetzt, über die menschliche Natur erhoben und von unseren Leiden- schaften befreit wären, so sind sie zu diesem Amte geführt worden. Wenn der Kaiser einem seiner Unter- getanen an seiner Ehre solchen Anteil gewährt, dass 20 er ins Gefängnis wTerfen und wieder daraus befreien kann, wen er will, so ist dieser von allen beneidet und hoch angesehen: der Bischof aber hat von Gott eine so viel grössere Gewalt empfangen, wie der Himmel köstlicher ist als die Erde und die Seelen als 25 die Leiber." Doch dieser mehr als menschlichen, ja mehr als engelhaften Macht stand die entsprechende Verantwortung gegenüber. Unermüdlich hatte der Bischof für den reinen Glauben und für die sittliche Besserung seiner Gemeinde zu arbeiten; jede einzelne 30 Seele, die durch seine Schuld verloren ging, konnte von ihm gefordert werden, und versäumte er seine Pflichten, so war er selbst der ewigen Feuerqual ver- fallen. Johannes blickte daher zu seinem eigenen

4. Johannes Chrysostomus. 341

Amte mit einer Art von angstvoller Ehrfurcht empor. Schon in seinen Jünglingsjahren hatte sich ihm ein Bistum dargeboten, aber in der Überzeugung, dass er ihm nicht gewachsen sei, hatte er sich der Wahl ent- 5 zogen. Dass ein Kandidat den Demütigen spielte, mit niedergeschlagenen Augen erklärte, er sei des Amtes nicht würdig, und sich klagend und weinend zur Über- nahme desselben zwingen Hess, war eine hergebrachte Komödie; aber dass es ernsthaft zurückgewiesen wurde,

in fand man unerhört. Man schalt Johannes hochmütig, weil seine Demut nicht erheuchelt, sondern wirklich war, und er musste eine Schrift veröffentlichen, um jenen Vorwurf zurückzuweisen. Doch dass er mit dem Ernst machte, was für die Mehrzahl seiner Zeit-

15 genossen nur schöne Phrase war, dass er anders war und anders sein wollte, als sie alle, konnte man aller- dings als Hochmut auffassen, und bis zu seinem Lebens- ende hat dieser Vorwurf ihn verfolgt. Ganz unbe- rechtigt war er nicht; denn das Urteil der Menschen

20 verachten, bedeutet nichts anderes, als sich über sie erheben. So demütig er sich vor Gott als Sünder fühlte, dass er besser war als die meisten, mit denen das Leben ihn zusammenbrachte, durfte er empfinden und empfand es mit Stolz. In diesem Siune konnte

25 er auch das Bischofsamt, das er in seiner Jugend ab- gelehnt hatte, bei reiferer Erfahrung mit gutem Ge- wissen annehmen. Denn fühlte er sich seiner auch nicht würdig, so war er doch würdiger, als die meisten, ja vielleicht als alle, die er kennen gelernt hatte. Er

30 hatte gesehen, dass die sittlichen Forderungen, die er an sich selbst stellte, kaum von irgend einem erfüllt wurden; doch als unverbesserlicher Idealist hörte er darum nicht auf, sie auch an andere zu stellen, und dies sollte ihm Verderben bringen. Denn zu den

342 VII. Die Auflösung des Reiches.

Seelen, die es in Coustantinopel zu retten galt, ge- hörten auch der Kaiser und sein herrschsüchtiges Weib, und wer gewohnt ist, sich immer von kriechender Schmeichelei umgeben zu sehen, der lässt sich nicht gerne tadeln und zur Tugend ermahnen. 5

Johannes begann seine Amtsführung damit, dass er unter dem Klerus von Coustantinopel fürchterlich Musterung hielt. Wer ihm des geistlichen Berufes unwürdig schien, wurde schonungslos abgesetzt, und wie wenige gab es, die nach der Strenge seiner sitt- 10 liehen Forderungen würdig waren! Und wenn er gegen die Sünden der Welt predigte, fühlten sich, wohl nicht ohne seine Absicht, mancher vornehme Herr und manche einflussreiche Dame persönlich getroffen, und in kurzem sah er sich von mächtigen Feinden 15 umgeben. Doch unbeirrt ging er seines Weges. „Mich kümmert es nicht", sagte er einmal, „wenn selbst die Kaiserin mir zürnt; sie schaden damit nur sich selbst, nicht mir. Und sollten sie mir den Leib schädigen, so nützen sie nur umso mehr der Seele." Und wenn 20 er seine Ausgaben auf das Notwendigste beschränkte und von den Überschüssen der bischöflichen Einkünfte Hospitäler baute, wenn er furchtlos durch die auf- geregten Soldaten hinschritt, um für Eutrop, nach dessen Blut sie schrien, Fürsprache einzulegen (S. 313), -r> wenn er dem Arianer Gainas, vor dessen Macht selbst der Kaiser sich beugte, kühn entgegentrat, obgleich dessen Gothen Coustantinopel beherrschten (S. 320), so machte dies auch auf die Gegner tiefen Eindruck. Nicht nur das Volk begeisterte er durch seine zun- '" denden Predigten und mehr noch durch den Eindruck seiner starken, von hohem Idealismus getragenen Per- sönlichkeit, sondern auch Gaiuas, den er bekämpft hatte, und die Gothen, die ihm Ketzer waren, ver-

4. Johannes Chrysostomus. 343

ehrten ihn als Heiligen, und am wenigsten konnte sich eine schwache und heissblütige Enthusiastin, wie Eudoxia, der Wirkung seiner selbstbowussten Männ- lichkeit entziehen. Obgleich sie wissen nmsste, dass

5 er der Weiberherrschaft mehr als ablehnend gegen- überstand, unterstützte sie ihn eifrig in seinem Kampfe gegen den Arianismus, und ihre Eunuchen wurden seine bereitwilligsten Helfer.

Sehr bald sollte sich dies freundliche Verhältnis

io trüben. Die Kaiserin hatte sich irgend welcher Grund- stücke, die ihr gefielen, bemächtigt, ohne nach den Rechten der Eigentümer zu fragen, und hatte dafür eine Strafpredigt des Johannes anhören müssen. Die Folge war, dass er schon Anfang 401, nachdem er

15 seiu Bistum kaum drei Jahre bekleidet hatte, von Arcadius gar nicht mehr empfangen wurde. Doch die Eunuchen der Kaiserin hielten an ihrem Beichtvater fest, und um persönliche Missstimmungen auszugleichen, sind Kammerdiener die geeignetsten Werkzeuge. So

20 kam diesmal noch eine Versöhnung zustande und wurde dadurch besiegelt, dass Johannes den Pansophius, den Eudoxia als den Wärter ihrer Kindheit verehrte, gegen den Willen der Bevölkerung zum Bischof von Nicomedia weihte. Doch auch er selbst konnte den

25 Mann schätzen, und auf das Volksgeschrei keine Rück- sicht zu nehmen, lag gana im Sinne seiner stolzen Mensch enverachtung.

Damit griff er über die Diöcese Thrakien hinaus und verletzte jenen Kanon des Concils von Con-

30 stantinopel. Aber diesen hatte man schon bei seiner Wahl zu den Toten geworfen (S. 339), und es war zu erwarten, dass er niemals Auferstehung feiern werde, wenn nur Johannes mit dem Hof im Ein- verständnis blieb. Er wollte die Kirche reinigen, und

344 VII. Die Auflösung des Reiches.

das nicht nur innerhalb seines engen Amtskreises; dadurch aber wurde es ihm zur heiligen Pflicht, sein Machtgebiet soweit auszudehnen, wie die Verhältnisse irgend erlaubten. So war denn auch die Weihe des Pansophius und die Absetzung seines Vorgängers nur 5 einer der zahlreichen Bischofswechsel, welche die umfassende Reform des Johannes einleiten sollten. Der Metropolit der asiatischen Diöcese, Antoninus von Ephesus, hatte sich und seinen Sohn aus dem Kirchen- gut bereichert und seine Stimme, die für die Bischofs- 10 wählen Asiens entscheidend war, schon mehrmals für bares Geld verkauft. Bei Johannes angeklagt, hatte er bewirkt, dass die erforderlichen Zeugen sich nicht stellten, und so die Beweisaufnahme zwei Jahre hin- geschleppt. Ehe sie zum Abschluss kam, starb er, 15 und über die Wahl seines Nachfolgers brachen die gewöhnlichen Zwistigkeiten aus. Einige der Streitenden riefen die Intervention des Johannes an, und im Winter 401/2 reiste er nach Ephesus. Dort schob er die einheimischen Kandidaten allesamt bei Seite, liess, 20 auf eine Synode von siebzig treuen Anhängern gestützt, seinen eigenen Diakon Heraclides, den er als strengen Asketen kannte, zum Metropoliten von Asien wählen und sechs Bischöfe, die dem Antoninus ihr Amt ver- dankten, mit einen Schlage absetzen. Dann bereiste 25 er die benachbarten Provinzen, unterdrückte rücksichts- los nicht nur die Ketzer, sondern auch die schismatischen Sekten und entthronte noch mehr als ein halbes Dutzend Bischöfe, um sie durch würdigere zu ersetzen. Dies bedeutete nichts geringeres, als dass der Bischof 30 der kaiserlichen Residenz sich zum Sittenrichter über die Geistlichkeit des ganzen Orients aufwarf; denn wenn er selbstherrlich in Asien schaltete, so konnte man mit Sicherheit erwarten, dass er bald auch nach

4. Johannes Chrysostomus. 345

Syrien und Ägypten hinübergreifen werde. Ein formelles Eecht stand ihm ausserhalb der thrakischen Diöcese nicht zu; einzig- auf seine tatsächliche Gewalt konnte er sich stützen; diese aber besass er nur solange, wie

ö er des Hofes sicher war. Trotzdem beging er gleich

nach seiner Rückkehr die Unbesonnenheit, aus ganz

nichtigem Grunde die Kaiserin zum zweitenmal zu

erzürnen, und auch dies sollte nicht das letzte Mal sein.

Wie heutzutage Virtuosen und Schauspieler, so

in waren im früheren Altertum berühmte Sophisten von Ort zu Ort gereist, um ihre Redekunst beklatschen und bewundern, vor allem aber auch gut bezahlen zu lassen. . Seit die heidnische Rhetorik hinter der christlichen Predigt zurückgetreten war, begannen auch

15 Geistliche ebensolche Kunstreisen zu machen. So war aus dem syrischen Gabala der Bischof Severianus nach Constantinopel gekommen, um sein Licht vor dem auserwählten Publikum der Hauptstadt leuchten zu lassen und seinen Beutel durch Kollekten zu füllen.

20 Johannes empfing ihn freundlich, musste aber bald bemerken, dass die Leistungen des Fremden seinen eigenen Ruhm in den Schatten zu stellen drohten. Als er nun gar bei jener asiatischen Reise fünf Monate lang abwesend war und Severianus ohne ebenbürtigen

25 Xebenbuhler die Kanzel beherrschte, gewann dieser einen immer grösseren Anhang; namentlich die Kaiserin berauschte ihr andachtfreudiges Herz gern an seinen prächtigen Tiraden. Johannes war von Küustler- eitelkeit nicht frei und musste seinen Ruf, der wirk-

30 samste Prediger des griechischen Reichsteils zu sein, schon deshalb aufrechtzuhalten suchen, weil dieser ihm in seinem Kampfe gegen die böse Welt die stärkste Waffe darbot. Da er zu aufrichtig und zu heftig war, um seine Gefühle zu verbergen, trat der

346 VII. Die Auflösung des Reiches.

Gegensatz der beiden berühmten Redner bald so un- verkennbar hervor, dass ein übereifriger Anhänger des Johannes, der Diakon Serapio, sich veranlasst sah, dem Severianus die schuldige Achtung zu versagen. In berechtigtem Zorne rief dieser aus: „Wenn Serapio 5 als Christ stirbt, so ist Christus nicht Mensch geworden!" Dies aber benutzte Johannes, um zu behaupten, sein Gegner habe die Menschwerdung Christi geleugnet, und ihn als Ketzer aus Constantinopel auszuweisen. Die Kaiserin rief den Gebannten, als er kaum den 10 Bosporus überschritten hatte, wieder zurück, was zu Pöbelkravallen geführt zu haben scheint. Doch auch wenn dies nicht gewesen wäre, hätte sie sich gescheut, den Zorn ihres Bischofs, den sie noch immer als Heiligen betrachtete, dauernd auf sich zu laden. Sie 15 suchte ihn in der Apostelkirche auf, legte ihr ein- jähriges Söhnchen in seinen Schoss und beschwor ihn bei dem Haupte des künftigen Herrschers, sich mit Severianus zu versöhnen. Diesen demütigen Bitten einer Frau, die sonst zu befehlen gewohnt war, musste 20 er sich fügen. Äusserlich wurde der Friede hergestellt; doch die hochtönenden Reden, mit denen beide Teile ihn auf der Kanzel feierten, vermochten die heimliche Fortdauer der Feindschaft nur schlecht zu verhüllen. Und diesmal war Johannes im Unrecht gewesen; er 25 hatte sich durch Eitelkeit und Jähzorn eine Blosse gegeben und konnte der Kaiserin nicht mehr als der Untadelige erscheinen, zu dessen fleckenloser Tugend sie mit scheuer Unterordnung emporsah. Noch einmal hatte sie ihm ihre Ehrfurcht erwiesen; aber diese war 30 für ihn nicht mehr ein ganz sicherer Schutz, als ein neuer, schwerer Konflikt seine Stellung bedrohte.

In Ägypten war wieder einmal ein dogmatischer Streit ausgebrochen. Wenn Gott den Menschen nach

4. Johannes Chrysostomus. 347

seinem Bilde geschaffen hatte, so mnsste man daraus schliessen, dass er selbst von menschlicher Gestalt sei, und die zahlreichen Bibelstellen, die von der Hand Gottes, dem Auge Gottes usw. redeten, bestätigten 5 dies. Dagegen hatte die Platonische Philosophie den Gedanken eines rein geistigen Wesens ausgebildet, das gestaltlos durch das All ergossen sei, und dieser sehr viel höhere Gottesbegriff' war auch in das Christentum eingedrungen und hatte hier in Origenes seinen be-

10 deutendsten Vertreter gefunden. Zwei Jahrhunderte laug hatte man sich dabei beruhigt; die Fragen nach dem Verhältnis des Sohnes zum Vater und dann auch des heiligen Geistes hatten so sehr im Vordergründe des Interesses gestanden, dass man darüber vergessen

15 hatte, das Wesen der Gottheit als solches in Betracht zu ziehen. Jetzt aber, wo der Arianismus zu einer unterdrückten Sekte zusammengeschrumpft und die Fragen, die er angeregt hatte, für den Orthodoxen ab- getan waren, begann man darüber zu disputieren,

2<» ob das Angesicht Gottes und was sonst Menschliches von ihm in der Bibel erwähnt wurde, nur allegorisch zu erklären oder wirklich vorhanden sei. Theophilus von Alexandria hatte sich auf den Standpunkt des Origenes gestellt und ihn nicht nur in seinen Predigten,

25 sondern auch in einem der Briefe, wie sie alljährlich zur Verkündigung des Osterfestes durch ganz Ägypten verschickt wurden, als den einzig rechtgläubigen pro- klamiert. Die Mönche aber waren anderer Ansicht: sie, die in ihren Wüsteneien immer wieder den leib-

30 haftigen Teufel bekämpfen mussten, wollten auch auf ihren leibhaftigen Gott nicht verzichten, und das umso weniger, als jede unbefangene Interpretion der Bibel ihnen Recht geben musste. In hellem Haufen zogen sie nach Alexandria, um den ketzerischen Bischof

348 VII. Die Auflösung des Reiches.

totzuschlagen. Er aber war klug genug, sich nicht auf einen Kampf mit Männern einzulassen, deren asketische Heiligkeit allem Volk imponierte. Den hohläugigen Büssern, die drohend ihre Knüttel schwan- gen, trat er mit den Ruf entgegen: „Ich sehe euch 5 vor mir, wie das Angesicht Gottes." Diese Worte, die in ihrem Sinne von schönster Orthodoxie waren, besänftigten etwas die stürmische Flut, brachten sie -aber noch nicht ganz zur Ruhe. Man schrie ihm zu, er solle seine löbliche Unterwerfung auch dadurch 10 bekräftigen, dass er die Schriften des Origenes öffent- lich als ketzerisch brandmarke, und auch dazu erklärte er sich bereit, ja er hielt es für angezeigt, durch fanatischen Eifer für das, was er jetzt als die christ- liche Wahrheit verteidigen musste, die Ehrlichkeit 10 seines Renegatentums zu erweisen, und das umso mehr, als es ihm zum Ausfechten eines rein persön- lichen Zwistes eine treffliche Waffe bot.

Unter der kleinen Minderzahl von Mönchen, die sich zum origenistischen Gottesbegriff bekannten, 20 ragten vier Brüder hervor, Dioscorus, Ammonius, Eusebius und Euthymius, die man wegen ihrer hohen Gestalt mit dem Gesamtnamen der Langen zu be- zeichnen pflegt. Früher hatte sie Theophilus als Gesinnungsgenossen hoch geschätzt und den Dioscorus 25 sogar zum Bischof von Hermupolis geweiht. Jetzt aber hatten sie ihn erzürnt und sollten daher für die Ketzerei, von der er selbst sich nur durch die Knüttel der anderen Mönche hatte bekehren lassen, gebührend bestraft werden. 30

Der Diakon Isidorus war der intimste Vertraute des Bischofs gewesen. Ihn hatte Theophilus mit dem zweideutigen Auftrag betraut, dem Theodosius oder dem Maximus, je nachdem, welcher Sieger bleibe, seine

4. Johannes Chrysostomus. 349

Gratulation zu überbringen (S. 221); ihn hatte er als sein treuestes Werkzeug- sogar zum Bischof von Con- stantinopel bestimmt. Da übergab eine reiche Witwe lein Diakonen tausend Goldstücke mit dem Auftrag, 5 davon Kleider für arme Alexandrinerinnen zu kaufen; zugleich nahm sie ihm den Eid ab, dem Bischof nichts von der Schenkung zu sagen, damit er das Geld nicht im Interesse seiner unersättlichen Bauwut verwende. Er aber erfuhr von der Sache, sah darin

10 einen Vertrauensbruch seines Untergebenen und wollte dafür Rache nehmen. Vor achtzehn Jahren war eine Denuntiation wegen Sodomie gegen Isidorus eingelaufen ; solange er diesem wohlwollte, hatte Theophilus sie unterdrückt. Jetzt aber suchte er das alte Papier

15 hervor und zog den achtzigjährigen Greis vor ver- sammeltem Klerus zur Rechenschaft. Obgleich die angeblichen Sünden soweit zurücklagen, dass sich gar kein Beweis mehr dafür erbringen Hess, wurde Isidorus abgesetzt und aus der Kirchengemeinschaft aus-

20 geschlossen. Er ging in eiu Kloster der nitrischen Wüste, dem er früher angehört hatte und das jetzt von Amnionitis, einem der vier langen Brüder, ge- leitet wurde. Dieser verwandte sich für ihn bei dem Bischof und trieb es, als er hingehalten wurde, zum

25 offenen Konflikt. Darauf erliess Theophilus den Befehl, dass seine Gegner unter den Mönchen aus ihren Klöstern auszutreiben seien, und als Ammonius ihn deshalb zur Rede stellte, schlug der streitbare Gottes- mann dem Greise höchsteigcnhändig die Nase blutig und schrie ihn an: „Ketzer, verdamme den Origenes!1' Damit hatte er den Kampf aus dem rein per- sönlichen Gebiet in das dogmatische hinübergespielt, wo er ihn unter der Maske orthodoxen Glaubenseifers mit sehr viel besserer Aussicht auf Erfolg weiterführen

30

350 VII. Die Auflösung des Reiches.

konnte. Er hetzte die Mönche, die für den leibhaftigen Gott schwärmten, gegen die langen Brüder auf, so dass diese ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Da aber die Hunderte, die ihrem eigenen Kloster auge- hörten, zu ihrer Verteidigung bereit waren, vermochten 5 sie sich einstweilen noch zu halten. Da versammelte Theophilus eine Synode, erwirkte, ohne jene zur Ver- teidigung zuzulassen, ein Urteil gegen sie und bat auf Grund desselben den Praefecten um militärische Hilfe zu ihrer Vertreibung. Begleitet von den Soldaten und 10 einer fanatisierten Volksmenge überfiel er ihr Kloster, liess die Zellen plündern und verbrennen, und nur weil ihr Versteck nicht aufzufinden war, entgingen die Brüder selbst dem Tode. Als der Sturm vorüber- gebraust war, flüchteten sie mit dreihundert Mönchen 15 nach Jerusalem; aber drohende Briefe des Theophilus veranlassten den dortigen Bischof sie auszuweisen. Dabei verlief sich der grösste Teil ihrer Begleiter. Mit den achzig Übriggebliebenen siedelten sie sich in Scythopolis an; ihr unerbittlicher Feind aber schrieb 20 nach Constantiuopel, um sie auch aus ihrem neuen Zufluchtsort vertreiben zu lassen. Da beschlossen Isidor und die Brüder, persönlich ihre Sache am Hofe zu führen; begleitet von den letzten Getreuen, nicht viel über vierzig an Zahl, erschienen sie in der Haupt- 25 stadt und fielen dem Johannes zu Füssen, um seine Verwendung zu erflehen. Auf diese Weise wurde er, nachdem er schon in Kleinasien so energisch ein- gegriffen hatte, auch gegen den Primas von Ägypten zum Schiedsrichter aufgerufen. 30

Anfangs hatte er danach gestrebt, mit diesem in freundlicher Kollegialität zusammenzuwirken. So hatten sie beide gemeinsam eine Gesandtschaft an den Papst geschickt, um ihn mit Flavian von Antiochia, dessen

4. Johannes Clirysostomus. 351

Kommunion er noch immer ablehnte (S. 153. 159). zu versöhnen. Auch jetzt kam ihm die Bitte der Mönche nichts sveniger als erwünscht. In dem Origenistisehen Streit hatte er noch nicht Stellung genommen und

5 hätte dies am liebsten ganz vermieden. Denn seinem innersten Wesen nach war er viel mehr Moralist als Dogmatiker. Die verzwickten Fragen, über welche die ägyptischen Starrköpfe sich erhitzten, schob er gern bei Seite; so hatte er schon in einigen seiner

frühesten Predigten ausgeführt, das Wesen der Gott- heit sei so tief geheimnisvoll, dass darüber zu grübeln die schlimmste Sünde der Ketzer sei. Doch gegen das Vorgehen des Theophilus empörte sich sein starkes sittliches Empfinden, und das Schicksal der Verfolgten

15 rührte ihn. Er empfing sie daher mit Freundlichkeit und gestattete ihnen den Besuch seiner Kirchen, scheute aber davor zurück, Männer, die ihr geistliches Oberhaupt mit dem Banne belegt hatte, formell in seine Kommunion aufzunehmen. So trat er denn iu

20 Korrespondenz mit Theophilus und suchte ihn zu ver- anlassen, dass er sein Verdammungsurteil gegen die Mönche aufhebe. Doch dieser antwortete damit, dass er auch ihren Bruder, den Bischof von Hermupolis, den er schon vorher abgesetzt hatte, zur Flucht nach

25 Constantinopel zwang. Brieflich erklärte er in der schroffsten Form, in die Angelegenheiten Ägyptens, über die er und seine Unterbischöfe nach jenem Kanon des Concils von Constantinopel allein zu entscheiden hätten (S. 336), werde er keinen Eingriff des Johannes

30 dulden.

Die vier Brüder galten längst für grosse Heilige: unter Valens hatten sie um ihrer strengen Recht - gläubigkeit willeu das Martyrium der Verbannung er- litten, ja der eine durfte sich rühmen, dass er gleich

352 VII. Die AuflösuDg des Reiches.

dem heiligen Antonius (III S. 231) von dämonischen Er- scheinungen heimgesucht werde. Sie wurden daher von den Weibern Constantinopels verpflegt und an- geschwärmt, und auch Eudoxia gesellte sich diesen Verehrerinnen hinzu. Als Ammonius sie auf der 5 Strasse antrat, beugte sie sich zu ihm aus dem Wagen, bat ihn, für ihre Familie und das Reich zu beten, und versprach ihm die Berufung eines Concils, dem Theo- philus sich stellen solle. Dieser entscheidenden Für- sprache sicher, reichten sie eine umfangreiche Anklage- io schrift gegen ihren Bischof und die feindliche Mönchs- partei dem Kaiser ein, und nachdem sie sich in der Johanniskirche noch einmal mit Eudoxia besprochen hatten, wurde der Agens in Rebus Elaphius nach Alexandria geschickt, um Theophilus willig oder mit is Gewalt nach Constautinopel zu befördern, wo eine Synode unter Vorsitz des Johannes über ihn urteilen sollte. Dieser begrüsste das Schiedsrichteramt, das ihm hiermit übertragen wurde, mit sehr gemischten Gefühlen. Denn seinen Überzeugungen widersprach es, 20 dass der Zwang der weltlichen Macht, die noch dazu durch ein Weib bestimmt wurde, in kirchliche Streitig- keiten eingreifen sollte. Aber da sie auf andere WTeise nicht beizulegen waren, musste er sich dem Willen der Kaiserin fügen. 25

Theophilus hatte allen Grund, die Lage als sehr drohend zu betrachten. Schon vorher hatte er mehrere Mönche seiner Partei zur Vertretung seiner Sache nach Constautinopel geschickt; doch auf Antrag des Ammonius waren sie vor das Gericht der Praefecten 30 gestellt und als falsche Ankläger ins Gefängnis ge- worfen, freilich unter dem ATorbehalt, dass erst das bevorstehende Concil endgiltig über sie entscheiden solle. Dies war ein böses Vorzeichen dafür, was den

4. Johannes Chrysostomus. ;;.").';

Theophilus selbst erwarte. Doch gab er die Hoffnung nicht auf, dass die sehr wetterwendische Stimmung der Kaiserin, wenn man ihr nur die nötige Zeit lasse, sich zu seinem Gunsten ändern könne, und trat daher

5 zu Fuss mit möglichster Langsamkeit die Wanderung nach Constantinopel an.

Desto eiliger musste ein anderer ihm vorausreisen, von dessen Einfluss er sich nicht geringe Hilfe ver- brach. Die Hauptstadt Cyperns, Constantia, früher

in Salamis genannt, erfreute sich eines Bischofs, der trotz seines pedantischen Stumpfsinns in der christ- lichen Welt hoher Verehrung genoss. Der greise Epiphanius hatte dicke Bücher zur Widerlegung aller Ketzereien geschrieben und wurde daher im ganzen

Orient als erste Autorität in allen dogmatischen Fragen betrachtet. Was aber für die Zwecke des Theophilus noch schwerer ins Gewicht fiel, jeuer war nicht nur ein heiliger Asket, sondern auch stark im Teufel- austreiben und Wuudertun, konnte also auf die

3' Phantasie der Kaiserin mit noch kräftigeren Mitteln wirken, als die ägyptischen Brüder. Mit aller Hitze des Gelehrten, der seine eigensten Theorien verteidigt, hatte er den gestaltlosen Gott des Piaton und Origenes bekämpft und war darüber mit Theophilus selbst in

25 Streit geraten. Umso mehr freute es ihn, als dieser, durch die handgreiflichen Beweise der Mönche bekehrt, sich seiner Meinung anschloss und sie dann auch gleich mit dem Eifer des Renegaten vertrat. Durch ihn angeregt, hatte Epiphanius eine Synode der cyprischen

30 Bischöfe zusammenberufen und durch sie die Schriften des Origenes auf den Index setzen lassen. Nachdem er sich auf eine Autorität von dieser Bedeutung stützen konnte, war dann Theophilus in Ägypten ebenso verfahren. Wie man sieht, hatten beide auch

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 2q

354 VII. Die Auflösung des Reiches.

bei der Entscheidung dieser dogmatischen Frage sich streng in den Grenzen ihrer Provinz oder Diöcese gehalten, offenbar um die Einmischung Constantinopels auszuschliessen. Doch hatte Epiphanius an Johannes geschrieben, er möge auch die thrakischen Bischöfe 5 zu entsprechenden Beschlüssen veranlassen. Dieser aber hatte sich neutral verhalten und schon dadurch den Zorn des fanatischen Greises erregt. Als er dann noch gar die ägyptischen Brüder, die als Origenisten verurteilt waren, bei sich aufnahm, betrachtete ihn 10 Epiphanius als erklärten Ketzer. Nachdem das all- gemeine Concil angesagt war, ging er sogleich nach Constantinopel zu Schiff, um mit aller Energie seine Gottestheorie zu vertreten, und traf lauge vor Theophilus dort ein. Obgleich Johannes ihm seinen ganzen Klerus 15 zu feierlichem Empfang entgegenschickte, hielt Epi- phanius sich von ihm fern, wie von einem Pestkranken. Auf jede versöhnliche Botschaft antwortete er mit der Erklärung, er lasse sich auf nichts ein, ehe auch durch den Bischof von Constantinopel Origenes und die 20 ägyptischen Brüder öffentlich verdammt seien. Unter- dessen versammelte er die fremden Bischöfe, die sich in der Stadt aufhielten, und suchte sie für seine Lehre zu gewinnen, was ihm freilich nicht bei allen gelang. Gegen Johannes, dessen Absetzung für ihn beschlossene -'■ Sache war, verfuhr er, als wenn sie schon vollzogen wäre. Ohne ihn zu fragen, weihte er in Constan- tinopel einen Diakonen, ja er erschien sogar in der Apostelkirche, um vor versammelter Gemeinde seine Auathemen gegen Origenes und dessen Anhänger zu '■'•'' verkündigen und dabei zugleich recht böse Worte über Johannes zu sagen. Natürlich hielt auch dieser mit seiner Meinung nicht zurück, und die Schimpf- reden, die geschäftige Freunde bald dem einen, bald

•l. Johannes Chrysostomus. :;.");>

dem andern zu überbringen wussten, steigerten den Zorn auf beiden Seiten.

Durch diesen Streit wurde die fromme Eudoxia in eine Lage versetzt, in der sie sich gar nicht zu

.-, helfen wusste. Für den dogmatischen Gegensatz des Epiphanius zu den ägyptischen Mönchen, zu deren dürren Büssergestalten sie eben erst in gläubiger Bewunderung aufgeschaut hatte, besass sie nicht das geringste Verständnis. An ihnen und ihrem Beschützer

10 Johannes wollte sie festhalten, zugleich aber auch von der Wunderkraft des cyprischen Heiligen Nutzen ziehn. Der kleine Theodosius, die Hoffnung des ganzen Ost- reiches, war krank geworden, und sie liess den Epi- phanius bitten, ihn durch sein Gebet zu heilen. Da

sandte er ihr die Autwort, das Kind werde gesunden, wenn sie die ägyptischen Ketzer von sich weise. So stand sie da gleich dem berühmten Esel, der zwischen zwei Heubündeln verhungern musste. Heilige rechts und Heilige links: sie aber sollte zwischen ihnen

20 wählen und wusste doch nicht, auf welcher Seite die grössere Heiligkeit sei. Zum Glück erfuhr sie, dass dem Epiphanius sein erster Diakon, auf den er grosse Stücke hielt, kürzlich gestorben war. Hatte er den nicht gesundbeten können, so war auch für ihr Kind

25 nicht viel von ihm zu hoffen. Als dieses nun gar genas, ohne dass sie sich von ihren Mönchen lossagte, war die Autorität des Epiphanius erst recht erschüttert; trotzdem hielt sie es für weise Vorsicht, seinen ge- fährlichen Fluch zu vermeiden, indem sie Versöhnung

so stiftete. Sie bewog ihn zu einem Gespräch mit den langen Brüdern, und diese waren schlau genug, ihm seine Bücher zu loben und ihn zu versichern, dass sie der tiefgelehrten Theologie derselben vollkommen zustimmten. So bei seiner Autoreneitelkeit gefasst,

23*

356 VII. Die Auflösung des Reiches.

Hess er sich leicht überzeugen, dass sie doch nicht so schlimme Ketzer wären, wie er bisher gemeint hatte. Das Anathem, das er in der Apostelkirche feierlich über sie ausgesprochen hatte, konute er nicht zurücknehmen; dazu hatte es zuviel Aufsehen gemacht. 5 Doch es vor versammeltem Concil zu wiederholen, wäre ihm nach jener Unterredung peinlich gewesen. Da kam es ihm sehr gelegen, dass Johannes ihm einen Vorwand geboten hatte, um Constantinopel den Rücken zu kehren. 10

Nachdem jener Bannfluch in seiner Kathedrale verkündet war, hatte er im ersten Zorn seinem Gegner gleich am folgenden Tage diese Botschaft übersandt: „Vieles, Epiphanius, tust du gegen die Gesetze der Kirche. Erstens hast du in den mir gehörigen Kirchen 15 eine Weihe vorgenommen, sodann eigenmächtig ohne meine Erlaubnis in ihnen Gottesdienst gehalten. Als ich dich früher in sie einlud, wiesest du das zurück, jetzt aber gestattest du dir ihre Benutzung auf eigene Hand. Hüte dich, dass nicht ein Aufruhr im Volk 20 entstehe und auch du selbst dabei in Gefahr kommest." Dies bedeutete nichts anderes, als das Johannes die Lynchjustiz des Pöbels anrief. Wenn jetzt Epiphanius abzog, so konnte er mit Recht sagen, er sei einer unverhüllten Drohung gewichen, und dadurch seinen -,:> Gegner ins Unrecht setzen. So ging er denn noch vor dem Beginn des Concils zu Schiff, um nach Cypern zurückzukehren, starb aber schon unterwegs am 12. Mai 403.

Johannes hatte Grund, mit sich selbst unzufrieden :i0 zu sein; doch wie man das in solchen Fällen zu tun pflegt, suchte er nach einem anderen Sündenbock, und in seinem ausgesprochenen Weiberhasse fand er ihn in der Kaiserin, die in diesem Falle ganz unschuldig

4. Johannes Chrysostomus. :!.'»,

war. Aber sie hatte kürzlich den Severianus gegen ihn in Schutz genommen und jetzt seinen noch schlimmeren Feind als Heiligen verehrt; er glaubte annehmen zu müssen, dass dies es gewesen sei, was

5 Epiphanius zu seinen Übergriffen den Mut gegeben habe. In seinem Zorne hielt er eine Predigt über die Sünden der Weiber im Allgemeinen; doch was er sagte, war der Art dass sich das Meiste auf die Kaiserin beziehen Hess, vieles auch auf ihre einfluss- reichsten Freundinnen. Die kräftigsten Stellen wurden von Feinden des Bischofs stenographiert und bei Hofe mitgeteilt, wo sie lebhafte Entrüstung hervorriefen. Eudoxia hatte Johannes hoch geehrt, indem sie mit ihrem Kinde als demütige Bittstellerin vor ihm ge-

15 standen hatte, um ihn mit Severian zu versöhnen. Xoch kürzlich hatte sie ihu den dreizehnten Apostel genannt, und auch als sie die Annäherung des Epi- phanius an die Origenisten bewirkte, konnte sie glauben, in seinem Sinne zu handeln. Dass er so gegen sie

20 losfuhr, musste sie daher als schnöde Undankbarkeit betrachten, und nicht nur Severianus schürte ihren Groll, sondern auch ein anderer, der noch mehr über sie vermochte. Jener Johannes, den man für ihren Liebhaber hielt, war kürzlich aus der Verbannung, in

25 die Gainas ihn getrieben hatte (S. 320), zurückgekehrt und zu dem hohen Amte eines Schatzmeisters ernannt worden. Wie so viele Hoflente, hatte auch ihn sein bischöflicher Namensvetter sich zum Feinde gemacht und musste jetzt die Folgen tragen. Man beschloss im

30 Rate der Kaiserin, gegen das geistliche Oberhaupt der Residenz die ältere Autorität von Alexandria aus- zuspielen: in dem bevorstehenden Coucil, zu dem die meisten Bischöfe schon angelangt waren, sollte Theo- philus aus dem Angeklagten zum Vorsitzenden und

358 VU. Die Auflösung des Reiches.

Johannes, der den Vorsitz hatte führen sollen, zum Angeklagten gemacht werden.

Dieser sah den Sturm kommen und suchte vor- zubeugen, verschmähte aber in seinem stolzen Weiber- hass den einzigen Weg, der zum Ziele führen konnte. Nicht mit der Kaiserin, die sein Schicksal in Händen hielt, sondern mit Theophilus suchte er Versöhnung, obgleich er bei einiger Menschenkenntnis hätte wissen müssen, dass dessen Zorn viel schwerer zu besänftigen war. Doch der unverbesserliche Idealist wollte sich nur mit seinem geistlichen Kollegen verständigen und den Vertretern der Weltlichkeit gegenüber das Recht des Bischofs, als strafender Bussprediger aufzutreten, ungeschmählert wahren. Auch dass Theophilus nach seiner Ankunft das Quartier, das er ihm sorgsam be- reitet hatte, nicht bezog, keine seiner Kirchen betrat und jeden Verkehr mit ihm ablehnte, machte ihn in dieser Absicht nicht irre. Als der Kaiser ihn auf- fordern liess, dass Gericht über den Alexandriner zu eröffnen, wies er dies entschieden zurück und erklärte sich mit Berufung auf jenen Kanon für inkompetent. Er, der vorher ganz unbedenklich in fremde Diöcesen hinübergegriffen hatte und noch kürzlich bereit ge- wesen war, den Ägypter vor seinen Richterstuhl zu ziehen, besann sich jetzt plötzlich auf die örtliche Beschränkung, die jenes kirchliche Gesetz seiner Macht auferlegte. Offenbar war der Zweck, dass Theophilus es <'benso machen und Angriffen gegen den Bischof von Constantiuopel seine Mitwirkung versagen solle. Hatte er sich vorher in seinem Brief an Johannes auf jenen Kanon berufen (S. 351), so wurde jetzt der- selbe Kanon ihm als Mahnung vorgehalten. Doch wie er früher in der origenistischen Frage schnell bereit gewesen war, seinen Standpunkt zu wechseln, so

4. Johannes Chrysostomus. 359

kümmerte er sich auch jetzt nicht um das, was er früher geschrieben hatte. Eine solche Gelegenheit, seinen Nebenbuhler zu stürzen, wie sie ihm der Zorn der Kaiserin bot, musste rücksichtslos ausgenutzt 5 werden. Die Ablehnung des Johannes hatte daher keine andere Folge, als dass die Untersuchung gegen Theophilus damit abgetan war und das Gericht über ihn selbst ohne weiteres beginnen konnte.

Der Alexandriner hatte jenseit des Bosporus

10 Wohnung genommen. Hier befand er sich nicht im Sprengel des Johannes, sondern iu dem des Quirinus von Chalcedon, der als nächster Nachbar des Bischofs von Constantinopel dessen überlegene Macht am bittersten empfand und daher zu seinen grimmigsten

i") Feinden gehörte. Doch war Theophilus hier der Hauptstadt nah genug, um in den drei Wochen, die er bis zum Beginn seiner Synode noch verstreichen liess, mit allen Gegnern des Johannes Verbindungen anzuknüpfen und Rat zu halten. Namentlich liess er

20 die Kleriker von Constantinopel, von denen die Mehr- zahl, den Archidiakon au der Spitze, ihrem über- streugen Bischof feindlich war, zu sich herüberkommen. Aus ihrer Mitte gingen denn auch die Ankläger und Belastungszeugen zum grössten Teil hervor.

25 Die Synode begann ihre Sitzungen im September

403 in Drys bei Chalcedon. Sie in Constantinopel selbst zu halten, wagte man nicht, weil mau sich vor der Wut des Volkes fürchtete. Sie bestand aus nicht mehr als 36 Bischöfen, darunter 29 Ägypter, die

30 Theophilus als ganz sichere Leibgarde mitgebracht hatte. Zu den sieben übrigbleibenden gehörten Severianu>, Quirinus und andere, die sich schon vorher ganz öffent- lich als Feinde des Johannes bekannt hatten. Ihn selbst umgaben 42 Bischöfe, die wahrscheinlich nach de

360 VII. Die Auflösung des Reiches.

Hauptstadt gekommen waren, um das Gericht über Theophilus zu bilden; wären sie der Synode beigetreten, woran man sie kaum verhindern konnte, so hätten sie die Majorität gehabt. Doch Johannes erklärte, dass er sich der Versammlung nur stellen werde, s wenn Theophilus, Severianus und zwei andere Bischöfe, die schon vor dem Zusammentreten des Concils kein Hehl daraus gemacht hatten, das sie ihn verurteilen wrollten, ihm nicht als Richter, sondern als Ankläger gegenüberträten, und diese sehr berechtigte Forderung 10 wies man hartnäckig ab. So wurde denn, nachdem er einer viermal wiederholten Vorladung nicht gefolgt war, die Exkommunikation und Absetzung über ihn ausgesprochen und dem Kaiser anheimgestellt, ob er für die Beleidigung der Eudoxia, die als rein weit- 15 liches Verbrechen die Synode nichts angehe, auch noch die Todesstrafe verhängen wolle. Über die origenistische Frage, die den Ausgangspunkt des ganzen Streites gebildet hatte, regte man sich nicht auf. Nachdem die langen Brüder, soweit sie noch 20 am Leben waren denn zwei von ihnen starben um diese Zeit , dem Theophilus ihre Entschuldigung gemacht hatten, wurden sie ohne Widerruf in die Kirehengemeinschaft aufgenommen. Dass sie die unschuldige Ursache für den Sturz des Johannes -'~> geworden waren, war ein mehr als genügender Grund, um ihren herrschsüchtigen Bischof mit ihnen zu ver- söhnen.

Schon seit einiger Zeit war das Volk von Cou- stantinopel Tag und Nacht kampfbereit in der Kirche so versammelt. Jetzt trat Johannes vor seine Gemeinde hin und hielt ihr eine Predigt, die höchst aufreizend wirken musste. Zwar ermahnte er sie, sich nicht zum Aufruhr hinreissen zu lassen, sondern nur für

4. Johannes Chrysostomus. 361

ilin zu beten. Auch erklärte er sich bereit, die Ver- bannung- auf sich zu nehmen und selbst, wenn es gefordert werde, sein Haupt auf den Block zu legen, wie der Täufer, dessen Namen er trage. Wieder

5 tanze eine Herodias; wieder verfolge eine Jesabel den Elias. Doch der Herr werde seinen Propheten rächen; die unverständigen Weiber, die seinen Ermahnungen ihr Ohr verschlössen, könnten nicht guten Samen, sondern nur Dornen zur Welt bringen. König David

in habe sich nicht von einem Weibe leiten lassen, nicht die Kirche angegriffen, nicht durch Raub an den Unter- tanen seineu Schatz gefüllt, sondern für die Stärke seines Heeres gesorgt. Einst habe das Weib des Potiphar den Joseph verführen wollen; auch jetzt greife ein

15 Ägypter die Keuschheit der Kirche an. Demi ihren Bischof, mit dem sie vermählt sei, von ihr loszureissen, bedeute den schlimmsten Ehebruch. Was Gott zu- sammengefügt habe, dürfe der Mensch nicht trennen. So stellte der heissblütige Greis nicht nur Theophilus

20 und Eudoxia, sondern auch Arcadius und seinen kleinen Sohn, an dem die Hoffnung der Eltern sich erfreute, unter biblischen Bildern an den Pranger. Und das Volk hörte nicht auf die Ermahnung zur Ruhe, sondern Hess sich von dem Feuer der Anklage entzünden und

25 tobte in wildem Aufruhr, wobei die Mönche, wie ge- wöhnlich, Spitzführer waren. Das Militär musste einschreiten, und obgleich es Befehl hatte, nicht das Schwert zu brauchen, sondern nur mit Knütteln drein- zuschlageu, gab es doch zahlreiche Tote, sodass

:!" Kirche und Baptisterium mit Leichen und Blut gefüllt waren. Johannes war nicht grausam genug, den Strassenkampf fortzusetzen, wie es Athanasius oder Ambrosius wohl getan hätten. Schon am nächsten Taü'e lieferte er sich in der heissen Mittagsstunde, wo

362 VII. Die Auflösung des Reiches.

die Strassen am leersten waren, den kaiserlichen Be- amten aus und wurde nach Einbruch der Nacht in aller Stille über den Bosporus geschafft.

Am andern Morgen versuchte Severianus durch eine seiner kunstvollen Predigten, die es vorher so 5 bewundert hatte, das Volk zu beruhigen; doch als er Johannes zu schmähen wagte, brach ein neuer Sturm der Entrüstung los. Die Gemeinde stürmte aus der Kirche und zog tobend vor dem Kaiserpalast, um die Rückberufung ihres Bischofs zu erbitten. Und schon 10 nach wenigen Stunden war man bereit, ihren Wünschen entgegenzukommen. Denn bei Eudoxia war die aber- gläubische Angst vor der Strafe des Himmels, mit der Johannes sie in der letzten Predigt bedroht hatte, durch einen Zufall wachgerufen und hatte den Hass 15 gegen ihren kühnen Seelsorger zeitweilig zurück- gedrängt-

Um die Mittagszeit desselben Tages wurde das kaiserliche Frauengemach von einem schweren Schlage getroffen. Wie es scheint, hatte das älteste Kind des 20 Arcadius, die sechsjährige Flaccilla, einen tötliehen Fall getan oder war von einer plötzlichen Krankheit ergriffen worden. Noch mochte Eudoxia hoffen, dass das Gebet des Johannes die Gefahr abwenden könne, und schrieb daher an ihn einen flehenden Brief, in '-•"> dem sie alle Schuld von sich abzuwälzen suchte. „Möge deine Heiligkeit nicht meinen," hiess es darin, „dass ich in das Geschehene eingeweiht war. Ich bin unschuldig an deinem Blute. Schlechte und ver- derbte Menschen haben diese Nachstellung angestiftet. :l" Von meinen Tränen aber zeugt Gott, dem ich diene. Ich gedenke dessen, dass durch deine Hände meine Kinder getauft sind.1" So hoffte sie die Fürbitte des Bischofs zu gewinnen, indem sie ihn anlog. Hatte sie

4. Johannes Chrysostomus. 3M3

selbst die Angriffe gegen ihn veranlasst, so erklärte sie jetzt weinend dem Kaiser, mit den Verfolgern des Heiligen nicht kommunizieren zu können. Gegen Theophilns, der unterdessen nach Constantinopel ge- 5 kommen war, erhob sich die gläubige Menge und drohte ihn ins Meer zu werfen. Da die ägyptischen Matrosen, deren Fahrzeuge im Hafen lagen, ihren Bischof verteidigten, kam es wieder zu blutigen Kämpfen, während er mit der Mehrzahl seiner Ge- i" nossen sich auf ein Schiff flüchtete und nach Alex- andria in See stach, obgleich die Herbststürme schon begonnen hatten. Auch die feindlichen Kleriker des Johannes flohen aus der Stadt. Unterdessen streiften die Boten der Kaiserin überall im asiatischen Ufer- 15 lande, um den Verbannten zu suchen; denn weil er sein Leben für bedroht halten musste, hielt er sich bei dem bithynischen Praenetus versteckt. Als man endlich erfuhr, dass er unversehrt aufgefunden war, brach in Constantinopel ein unbeschreiblicher Jubel 20 aus. Männer, Weiber und Kinder eilten zu den Booten, um ihn festlich einzuholen, und die ganze Meerenge strahlte von Fackeln und Wachskerzen. Eudoxia schickte ihm einen Boten entgegen mit dem Befehl: „Sage zu ihm: mein Gebet ist erhört; durch 25 Flehen hab' ich den Erfolg gewonnen. Ich bin schöner gekrönt als durch das Diadem. Den Priester hab' ich zurückempfangen, dem Ijeibe sein Haupt wiedergegeben, dem Schiffe den Steuermann, der Heerde den Hirten, dem Brautgemache den Bräutigam." 30 Als er am europäischen Ufer gelandet war, empfing sie ihn mit einer Umarmung, und aller Groll schien vergessen.

So nahm er denn auch in einem Landhause dieser wiedergewonnenen Freundin, das vor den Toren

364 VII. Die Auflösung des Reiches.

von Constantinopel lag, sein erstes Nachtquartier; die Stadt selbst wollte er erst betreten, nachdem das Urteil der Synode von Drys durch eine andere grössere aufgehoben sei. Am anderen Tage aber schrie das Yolk nach seinem Bischof und stiess, als er nicht 5 erscheinen wollte, selbst gegen das Herrscherpaar Schmährufe aus. Da musste er sich dem Zureden seiner Freunde fügen. Wachsfackeln in den Händen und Lieder auf ihn singend, zog ihm die Bürgerschaft entgegen, und von 30 Bischöfen und einem Notar als 10 Vertreter des Hofes geleitet, betrat er die Kirche. Auch hier aber wiederholte er seine Bitte an den Kaiser, ein Concil zu berufen, und wollte nicht auf dem Bischofsthroue Platz nehmen, bis ihn die heftige Erregung der Gemeinde dazu zwang. Dann hielt er 15 eine Predigt voll freudigen Triumphes, in der Theophilus nicht geschont, Eudoxia aber ob ihres frommen Sinnes und ihrer Wohltätigkeit hoch gepriesen wurde. Eine schöne Frau mit reichem Kindersegen ist als Herrscherin fast immer populär. Als er erklärte, in der Führung 20 seiner Gemeinde treu mit ihr zusammenwirken zu wollen, unterbrach ihn ein so lauter und anhaltender Jubel, dass er nicht mehr weiterreden konnte.

Dies Versprechen sollte nicht gehalten werden. Wahrscheinlich wurde Eudoxias Glaube an seine 25 Heiligkeit schon dadurch erschüttert, dass seine Rück- berufung ihr sterbendes Kind nicht rettete. War er es gewesen, der Gottes Zorn auf sie herabgerufen hatte, und konnte ihn dann nicht wieder wegbeten, so musste ihr Mutterschmerz ihm gegenüber zu neuem 30 und stärkerem Hasse werden. Und Severian war in Constantinopel zurückgeblieben und wird bald seinen früheren Einfluss auf die Kaiserin wiedererlangt haben, um ihn gegen Johannes zu benutzen. Dieser aber

4. Johannes Chrysostomus. 365

konnte, nachdem ihm eine so unerwartete und wunder- bare Rettung zuteil geworden war, sieh selbst als den unverletzbaren Heiligen des Herrn betrachten, und dass Eudoxia ihm mit beleidigender Kulte entgegen-

5 trat, mochte ihm als sündliche Auflehnung gegen ihren von Gott bestellten Seelenhirten erscheinen. So waren nach seiner Rückkehr kaum zwei Monate vergangen, als der Arger ihn zu einer plumpen Unhöflichkeit gegen die Kaiserin hinriss. Der Stadtpraefect Sim-

io plicius hatte eine Porphyrsäule errichtet, die ihre silberne Statue trug. Da sie in nächster Nähe seiner Kirche stand, sah Johannes sich gemässigt, in den Volksfesten, mit denen die Einweihung begangen wurde, eine Störung des Gottesdienstes zu erblicken

15 und von der Kanzel dagegen zu wettern. Da Hess Eudoxia merken, dass sie zum zweitenmal den Spiess umkehren -und das Concil, auf dessen Berufung er selbst gedrungen hatte, gegen ihn benutzen wolle. Als er dies erfuhr, riss ihn abermals sein unheilvoller

20 Jähzorn hin und er hielt eine Predigt, die mit den Worten begann: „Wieder rast Herodias, wieder stiftet sie Unruhe, wieder tanzt sie, wieder fordert sie von Herodes, dass er Johannes den Täufer ungesetzlich enthaupten lasse. Wieder bemüht sich Jesabel, Naboths

25 Weinberg zu rauben und den heiligen Elias in die Berge zu vertreiben." Die Fortsetzung war dann freilich recht zahm; sie enthielt keine Anspielung auf die Kaiserin, sondern handelte nur ganz allgemein von guten und bösen Weibern, ja zum Teil war sie

30 nichts weiter als Übersetzung einer syrischen Predigt des Ephräm. Auch jene Anfangsworte konnte man bei gutem Willen so deuten, als wenn sie nur besagen wollten, dass die schlimmen Weiber, wie die Bibel sie schilderte, noch immer nicht ausgestorben seien.

3G6 VII. Die Auflösung des Reiches.

Der Anklage auf Majestätsbeleidigung war also vor- gebeugt, und wirklich ist sie diesmal auch nicht er- hoben worden. Doch konnte der Angriff auf Eudoxia umso weniger missverstanden werden, als Johannes sie schon früher mit Herodias und Jesabel verglichen 5 hatte (S. 361). Die Folge war, dass nicht nur die Kaiserin, sondern auch der Kaiser bei dem Weihnachts- feste 403 der Kirche fernblieb und dem Bischof sagen liess, er könne nicht mit ihm kommunizieren, ehe er sich vor der bevorstehenden Synode gereinigt habe. io

Die Schreiben, welche diese zusammenberiefen, waren schon gleich nach der Rückkehr des Johannes abgesandt worden. Man hatte die Anklage gegen Theophilus erneuern wollen und ihn daher namentlich vorgeladen. Doch unter dem Vorwande, dass seine i-j Abreise in Alexandria einen Aufstand hervorrufen könne, weigerte er sein Kommen. Auch als er erfuhr, dass der Wind bei Hofe wieder einmal umgeschlagen sei. mochte er das Pflaster Constantinopels, das sicli ihm so heiss erwiesen hatte, nicht zum zweiten Mal 20 betreten. Doch teilte er den Bischöfen, die dorthin- reisten, zu geschickter Benutzung jenen Kanon mit, den das Concil von Antiochia einst gegen Athanasius aufgestellt hatte (IV S. 55. 56). Er bestimmte, dass ein Bischof, den eine Synode abgesetzt habe, strafbar -•"' sei, wenn er ohne einen neuen Synodalbeschluss nur auf Grund eines kaiserlichen Befehls in sein Amt zurückkehre. Hiernach wäre Johannes zweifellos schuldig gewesen, wenn man die Versammlung, welche den Kanon beschlossen hatte, nicht als ketzerisch hätte so betrachten können.

Die ersten Bischöfe, die zur Synode nach Con- stantinopel kamen, waren anfangs noch der Meinung, dass sie berufen seien, um Johannes zu rechtfertigen,

4. Johannes Chrysostomus. 3t>7

ii ml kommunizierten daher mit ihm. Bald aber er- fuhren sie, dass dies bei Hofe Missfallen errege, und beugten sich untertänig- den allerhöchsten Wünschen. Einzelne, die weder den Heiligen verurteilen noch der

5 Kaiserin zuwiderhandeln mochten, entzogen sich den Beratungen, indem sie vorher in ihre Heimat zurück- kehrten. Die übrigen Hessen sich gar nicht darauf ein, die Anklagen, über die man in Drvs verhandelt hatte, nachzuprüfen, sondern verurteilten ihn einfach

lo auf (iruml der notorischen Tatsache, dass er den Kanon von Autiochia übertreten hatte. Da begaben sich zwei Freunde des Johannes zum Kaiser und wussten den immer schwankenden Mann zu über- zeugen, dass ein so gar summarisches Verfahren denn

L"> 'loch nicht am Platze sei. In seiner Gegenwart fand eine Disputation statt, wobei der eine Teil jenen Kanon als ketzerisch erweisen, der andere ihn aufrecht- erhalten wollte. Da wurde an die Vertreter des Urteils die Aufforderung gerichtet, sie sollten schriftlich er-

- > klären, dass sie dem Glauben des arianischen Concils von Autiochia zustimmten, und Arcadius fand dies gerecht. Notgedrungen mussteii sie das Versprechen geben, konnten es aber natürlich nicht erfüllen. So wurde der Beschluss der Synode nicht aufgehoben,

25 aber während man auf jene schriftlichen Erklärungen wartete, durfte auch Johannes seines Amtes walten. Da nahte das Osterfest heran, das im Jahre 404 am 10. April begangen wurde, und man machte dem Kaiser klar, dass diese höchste Feier der Christenheit

30 nicht durch einen Bischof entweiht werden dürfe, der in aller Form abgesetzt und exkommuniziert war. Johannes wurde aus der Kirche verwiesen, und als er erklärte, nur der Gewalt weichen zu wollen, in den Bischofs- palast abgeführt. Ihn aus der Stadt zu schaffen, wagte

368 VII. Die Auflösung des Reiches.

man nicht; denn trotz des Synodalbeschlusses blieb es doch möglich, dass er wirklich ein Heiliger war, und wenn neue Zeichen von Gottes Zorn dies verrieten, wollte man ihn bei der Hand haben, um durch sein schnelles Zurückführen in die Kirche dem Schaden 5 noch rechtzeitig vorbeugen zu können. Doch das Unheil, das man angstvoll erwartete, trat nicht ein. und seine Feinde gewannen neuen Mut. Aber seit die Kirchen ihnen übergeben waren, standen sie leer; selbst in der heiligen Xacht, die dem Osterfeste vor- 10 herging, wollten sie sich nicht füllen. Dafür sammelte sich das Volk in den öffentlichen Bädern, um sich in dem Wasser derselben durch die Kleriker, die Johannes treu geblieben waren, taufen zu lassen und ihren Predigten zu lauschen. Seine Gegner wandten sich 15 an den Magister Ofrlciorum Antheinius, eine Kreatur der Kaiserin, und er bewilligte ihnen militärische Unterstützung, um die Anhänger des abgesetzten Bischofs aus den ( 'onstantianischen Thermen in die Kirchen zu treiben. Abermals kam es zu Blut- 20 vergiessen, und zahlreiche Widerspenstige, darunter Geistliche und hochangesehene Männer und Frauen, wurden in den Kerker geworfen. Aber weder dies noch die Edikte des Kaisers, die immer wieder drohten und von der Kommunion mit Johannes abmahnten, 25 vermochten den Frieden herzustellen. Die Johanniten, wie man sie von da au nannte, bildeten sich zu einer Sekte aus, die jede Gemeinschaft mit der offiziellen Kirche ablehnte und ihre Gottesdienste an profanen, Orten hielt. Um diese Bewegung zu unterdrücken, 30 raffte man sich endlich zu dem Entschlüsse auf. Johannes aus dem Bischofspalast, wo er in ruhiger Abgeschlossenheit gewohnt hatte, herauszuschaffen und in die Verbannung zu schicken. Als er am 20. Juni

•l. Johannes Chrysostomus. 369

40-4 fortgeführt wurde, ermahnte er grossherzig seine Freunde, mit seinem Nachfolger in Kommunion zu treten und jede Sektenbildung zu vermeiden. Aber in den langen Monaten, die der Kampf schon ge- währt hatte, war die Aufregung zu hoch gestiegen, als dass auch sein eigenes Wort sie hätte beschwichtigen können. Ein wilder Aufruhr brach aus, seine Kirche wurde in Brand gesteckt, und das Feuer verzehrte auch das gegenüberliegende Senatsgebäude mit .seinen

10 reichen Kunstschätzen-, die Johanniten aber behaupteten -ich als Sonderkirche trotz den Verfolgungen, denen sie in den nächsten Jahren unterworfen waren.

Johannes sollte seinen Sturz noch drei Jahre überleben. Man brachte ihn nach dem armenischen

L5 Cucusus; aber da sich eine Gemeinde um ihn bildete, wurde ihm schon nach einem Jahr Arabissus zum Wohnsitz angewiesen. Auch dort aber suchten ihn seine zahlreichen Bewunderer selbst aus weiter Ferne auf, und man beschloss daher, ihn au die äussersten

20 Grenzen des Reiches, nach Pityus im Kaukasus, zu versetzen; doch starb er unterwegs am 14. September 407 in dem politischen Comana.

Schon sehr viel früher war ihm seine kaiserliche Gegnerin vorausgegangen. WTie nach der Synode von

25 Drys sie das göttliche Strafgericht getroffen hatte, so erwartete sie es zitternd auch nach seiner zweiten Absetzung und traf, wie wir gesehn haben (S. 367), ihre Vorkehrungen dagegen. Doch während es damals Schlag auf Schlag der Sünde gefolgt war, liess es

11 diesmal auf sich warten, und das gewährte ihr eine um so grössere Beruhigung, als ihre Bisehöfe immer wieder erklärt hatten, alle Verantwortung dem Himmel gegenüber auf ihr eigenes Haupt zu nehmeu. Man konnte gegen die Johanniten mit blutiger Gewalt ein-

Seeck, Untergang der antiken Weh. V. 24

370 VII. Die Auflösung des Reiches.

schreiten und endlich gar ihr Haupt verbannen, ohne dass etwas Bedenkliches geschah. Aber drei Monate später schien der Zorn Gottes sich anzukündigen. Am 30. September 404 ging über Constautinopel ein Hagel nieder, wie man ihn seit Menschengedenken nicht r> erlebt hatte die Eisstücke sollen so gross wie Wall- nüsse gewesen sein , und der Aberglaube des Volkes und natürlich auch der Kaiserin brachte dies mit der Absetzung des Bischofs in Zusammenhang. Da sie wieder in gesegneten Umständen war, scheinen 10 Schrecken und Angst eine Fehlgeburt hervorgerufen zu haben, die ihr am 6. Oktober 404 in der Blüte ihrer Jugend den Tod brachte.

So wurden der fromme Bischof und die fromme Kaiserin sich gegenseitig zum Verderben. Gern hätte 15 sie ihm ihren Herrscherstolz gebeugt und wäre seine hingehendste Verehrerin geblieben, wenn er verstanden hätte, klug auf ihre weiblichen Schwächen Rücksicht zu nehmen. Er aber im überspannten Gefühl seiner geistlichen Würde hatte alles Weltliche kühn verachtet 20 und war so seinem Berufe, wie er ihn verstand, zum Opfer geworden. Wenn ein Bischof alle Ketzereien unbarmherzig bekämpfte, so gereichte ihm das nur zum Ruhme; schritt er aber gegen wirkliche Sünden ein oder rügte sie in seinen Predigten, so trat er 25 damit in einen Gegensatz zu seiner tief verderbten Zeit, den sie ihm nicht verzeihen konnte. Trotzdem wirkte der hohe Idealismus, der seine mächtige Persönlichkeit erfüllte, auch über seine Verbannung hinaus, aber nicht zum Heile des Reiches und seiner 30 Kirche.

Fünftes Kapitel.

Stiliclios Ende.

Anfangs war man sowohl in Constantinopel als auch in Alexandria bemüht gewesen, den johannitischen Streit innerhalb der orientalischen Kirche auszufechten und für die Einmischung Roms keine Handhabe zu 5 bieten. Erst als nach der zweiten Absetzung des Johannes die Frage aufgetaucht war, ob jene durch den antiochenischen Kanon rechtsgiltig begründet sei oder ob man diesen als ketzerisch betrachten müsse, hatte Theophilus an den Papst geschrieben, um dessen

10 wertvolle Autorität für seinen Standpunkt zu gewinnen. In eine so wichtige Frage als Schiedsrichter eingreifen zu können, musste Tnnocenz willkommen sein, und wie es scheint, war er nicht abgeneigt, dem Alexandriner, der ihm die Gelegenheit dazu bot, Recht zu geben.

15 Denn jener Kauon war zwar von einer arianischen Versammlung zuerst formuliert worden, aber sowohl der damalige Papst, als auch Athanasius selbst hatten ihn anerkannt; sie hatten nur behauptet, dass er auf diesen nicht anwendbar sei, weil das Concil von Tyrus

211 gar nicht für eine rechtmässige Synode gelten könne (IV S. 56). Mithin hätte Innocenz die zweite Ab- setzung gutheissen können, selbst wenn er die erste missbilligte, und mit Alexaudria vereiut Constantinopel zu demütigen, lag ganz im Interesse der römischen

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372 VII. Die Auflösung des Reiches.

Kirche. Doch zufällig war ein Diakon des Johannes in Rom, der den Papst über die Vorgänge genauer unterrichten konnte und ihn zugleich beschwor, nur noch kurze Zeit mit der Antwort zu warten, da auch die andere Partei sich an ihn wenden werde. Natürlich 5 erfüllte er diese Bitte, weil es ihm höchst erwünscht war, dass die beiden vornehmsten Metropoliten des Orients, nicht nur der ägyptische allein, seine Autorität anriefen.

Schon drei Tage später langten vier orientalische 10 Bischöfe in Rom an, um Briefe des Johannes und seiner Anhänger zu überbringen und durch ihre per- sönliche Fürsprache deren Inhalt zu empfehlen. Der Papst wurde darin gebeten, die Absetzung als un- giltig zu behandeln, indem er brieflich mit dem 15 Gebannten in Kommunion trete, und auch in anderer Weise, die nicht näher bezeichnet war, zur Beendigung der Wirren beizutragen. Doch waren jene Briefe nicht au Innocenz allein gerichtet, sondern gleich- lautend auch an die Bischöfe von Mailand und Aquileja; 20 sie bedeuteten also nur eine Anrufung der occideu- talischen Kirche, nicht eine Unterwerfung unter den Stuhl Petri. Aber während Tlieophilus sein Schreiben ganz allein unterzeichnet hatte, trug einer jeuer Briefe die Unterschrift von vierzig Bischöfen, die man nicht -•" vor den Kopf stossen durfte, wenn der Einfluss Roms auch im Orient mächtig werden sollte. Innocenz gab sich daher als Unparteiischen, indem er mit beiden Teilen brieflich in Kommunion trat; zugleich aber verlangte er, dass der Prozess des Johannes vor 30 einem gemeinsamen Concil beider Reichsteile erneuert werde und weder die ausgesprochenen Feinde des Angeklagten noch seine entschiedenen Freunde dabei stimmberechtigt sein dürften. Als ihm Tlieophilus

5. Stilichoa Ende. 373

mit Berufung auf den Kanon von Antiochia antwortete, schrieb ihm Innocenz einen recht groben Brief und erklärte darin, für ihn gebe es keine anderen Kanones als die von Nicaea.

Da kam die Nachricht, dass man Johannes, ohne auf die Forderung des Papstes Rücksicht zu nehmen, aus Constantinopel verbannt habe, und falls dieser noch gezweifelt hatte, war damit seine Stellung ent- schieden. Denn jetzt galt es die Autorität Roms

i(i herzustellen, was nur durch die Zurückführung des ungerecht Verurteilten geschehen konnte. Innocentius schrieb daher an Johannes und seine Anhänger im Klerus von Constantinopel neue Kommunionsbriefe und Hess das Schreiben von dessen Gegnern, in dem

15 sie ihn wegen der Freuersbrunst in Constantinopel als Brandstifter anklagten, unbeantwortet. Stilicho aber ergriff die Gelegenheit, sich wieder in die Regierung des Ostreiches einzumischen, mit tausend Freuden. Sogleich musste Honorius einen Brief voll scharfer

20 Missbillio-uno- und ernster Mahnung an seineu Bruder schreiben, der natürlich von dem allmächtigen Feld- herrn diktiert war. Die Antwort war ein Edikt des Arcadius, das alle Bischöfe, die nicht mit den Gegnern des Johannes kommunizieren wollten, für abgesetzt

25 erklärte und ihr Vermögen einzuziehen befahl. Bald folgte ein zweites, das auch die Häuser und Land- güter, in denen man einen der Schuldigen versteckt finden werde, mit Konfiskation bedrohte. Anthemius, der an jener blutigen Osternacht die Schuld trug 1 (S. 368), wurde zum Praefecten des Orients und zum Consuln für das folgende Jahr ernannt. Im ersten Schrecken über den Tod Eudoxias, den auch Arcadius als Strafe des Himmels betrachten musste, wurde zwar für die Anhänger des Johannes eine Amnestie ver-

374 VII. Die Auflösung des Reiches.

kündigt; doch dies Zurückweichen des Hofes stärkte nur ihren Mut. Die meisten blieben dabei, jede Kommunion mit den Feinden ihres Heiligen abzulehnen, und die Verfolgung gegen sie musste ihren Fortgang nehmen. 5

Unterdessen sammelten sich in Rom und Italien zahlreiche Flüchtlinge, um sich den harten Strafen, mit denen Anthemius und seine Werkzeuge sie be- drohten, zu entziehen. Stilicho gab seiner Unzufrieden- heit mit dem Praefecten öffentlichen Ausdruck, indem 10 er dessen Consulat im westlichen Reichsteil nicht ver- kündigen Hess. Auf seine Veranlassung trat eine Synode italischer Bischöfe zusammen, die an Honorius die Bitte richtete, er möge seinen Bruder auffordern, ein ökumenisches Concil nach Thessalonica zu berufen. Doch die Gesandtschaft, die man zu diesem Zweck in den Orient schickte, wurde unterwegs schlecht be- handelt, Monate lang aufgehalten und endlich, ohne zum Kaiser zu gelangen, unverrichteter Sache heim- gesandt. ->r>

Dies war eine schwere Beleidigung des west- römischen Kaisers, doch bot sie keinen genügenden Grund, um einen Bruderkrieg zu entfachen. Stilicho aber war entschlossen, die Schwäche des Ostreiches zu benutzen, um seinen alten Plan zur Ausführung zu '-"' bringen und es seiner Herrschaft zu unterwerfen. Durch die Torheit des Antigermanismus war das Heer des Arcadius seiner brauchbarsten Elemente beraubt; in den asiatischen Provinzen waren die Raubzüge der Isaurer, in den afrikanischen die der Mauren noch immer ; ' nicht zur Ruhe gekommen (S. 3*26); dazu gährte es in Constantinopel und gewiss auch in vielen andern Städten, die durch den johannitischen Streit ihrer Bischöfe beraubt waren, und immer wieder mussten

5. Stilichos Ende. 375

Teile der schwachen Kriegsmacht aufgeboten werden, um Aufstände zu unterdrücken und das erregte Volk im Zaume zu halten. Niemals war die Zeit zu einem Angriff auf den östlichen Reichsteil günstiger gewesen,

5 und da er auch die kirchlichen Wirren beendigen sollte, konnte der Krieg sogar höchst populär werden. Um einen passenden Vorwand zu finden, trat daher Stilicho jetzt plötzlich mit der Behauptung hervor, Theodosius habe Illvricum seinem jüngeren Sohne

io vererben wollen. Wahrscheinlich wurde hinzugefügt, dieser habe bisher aus brüderlicher Liebe auf seine Rechte verzichtet, könne aber jetzt, wo man ihn so rücksichtslos beleidigt habe, nicht mehr den Gross- mütigen snielen. In dem streitigen Gebiete wird es

15 kaum eine Militärmacht gegeben haben, die sich mit der des Alarich auch nach seiner Niederlage hätte messen können. Mit ihm trat daher Stilicho in Unterhandlung, und da der Gothe keinen Tribut mehr aus Constau- tinopel empfing, war er gern bereit, sich künftig von

w Honorius bezahlen zu lassen. Dieser ernannte ihn jetzt seinerseits zum Magister Militum, und alles war für die Besitznahme Illyricums vorbereitet, als eine ungeheure, plötzlich hereinbrechende Gefahr auch die Kräfte des westlichen Reichsteils lähmte und Stilicho

^ zwang, die Ausführung seiner stolzen Pläne aufzu- schieben.

Jenseit der Donau gährte es noch immer, und wieder richteten sich die Völkerzüge auf das West- reich. Gegen Ende 405 überschritt der gothische

30 König Radagais mit einer Horde gemischten Volkes, unter dem die Gothen vorherrschten, aber auch suebische Alamannen zahlreich vertreten waren, die Donau und brach, wahrscheinlich über den Brenner, in Italien ein. Nach der bescheidensten Schätzung zählte sie 200000

376 VII. Die Auflösung des Reiches.

Köpfe, nach anderen sogar das Doppelte. In Rom erwartete man demnächst ihren Angriff, und wieder erscholl der Ruf. das ganze Unheil sei nur durch den Zorn der alten Götter heraufbeschworen und eiligst müsse ihr Kultus hergestellt werden. Stilicho sammelte 5 sein Heer bei Ticinum, nah den Alpenpässen, wahr- scheinlich weil er auch diesmal den Anmarsch der gallischen und britannischen Streitkräfte erwartete. Der Kaiser erliess einen Aufruf, dass zur Verteidigung des Vaterlandes Freiwillige sich melden sollten, und 10 schloss dabei selbst die Sklaven nicht aus, eine Maass- regel, die so tief in alle wirtschaftlichen Verhältnisse eingriff, dass man sich nur in der äussersten Not dazu entschloss. Von den Rekruten, die sich daraufhin stellten, war freilich nicht gar zu viel zu erhoffen; viel 15 wichtiger war, dass es gelang, den Hunnen Uldin und den Gothen Sarus mit ihren Scharen als Bundes- genossen zu gewinnen. Unterdessen hatte Radagais, der seine ungeheuren Horden schon deshalb nicht zusammenhalten konnte, weil sie vereinigt kaum zu 20 ernähren waren, sie unter verschiedenen Führern in drei Heerhaufen geteilt und belagerte mit dem grössten derselben Florenz. Stilicho entsetzte die Stadt und drängte die Feinde auf den Berg von Fiesole zurück. Indem er sie hier einschloss und die hurtig schweifende 25 Reiterei der Hunnen sie hinderte, sich aus dem um- liegenden Lande zu verproviantieren, brachte er sie durch Nahrungsmangel in die höchste Not. Radagais fand nicht den Mut, wie es Alarich schon wiederholt getan hatte, die Umschliessung zu durchbrechen. Er allein suchte sich heimlich durch die Linien Stilichos durchzuschleichen, wurde aber am '23. August 40b' gefangen und bald darauf enthauptet- Seine Horde blieb, von ihrem Führer verlassen, ganz ratlos zurück.

.">. stili. 'Ims Ende. ,^77

Ohne dass eine Solllacht nötig gewesen wäre, ergab sie sich auf Gnade 11ml Ungnade, und der Preis der Sklaven wurde durch den Verkauf dieser Massen so gedrückt, dass man schou für ein Goldstück einen

5 Menschen haben konnte. Nur 12 000 Gothen, die aus unter Familie waren, nahm Stilicho in das römische Heer auf.

Doch so glänzend dieser Krieg verlaufen war, sollte er in seinen Folgen doch noch für das Reich

11, verhängnisvoll werden. Von den drei Heerhaufen, in welche die Horde des Radagais sich geteilt hatte, war der grösste vernichtet; die beiden übrigbleibenden aber scheint Stilicho durch Vertrag bewogen zu haben, dass sie über die Alpen zurückgingen, und sie werden

15 es gewesen sein, die mit anderen Feinden der Römer vereinigt, den Verlust Galliens und Britanniens herbei- führten. Als er die Macht des Westreiches gegen Radagais konzentrierte, musste er den verbündeten Franken, die jedenfalls gut dafür bezahlt wurden, den

20 Schutz der Rheingrenze überlassen, und sie taten ihre Pflicht. Wie vorher Alarich es beabsichtigt hatte, so war ein König der Vandalen namens Godigisel aus den verwüsteten Donaulanden aufgebrochen, um in Gallien neue Wohnsitze für sein Volk zu suchen.

25 Auch von der römischen Bevölkerung Pannonieus hatten grosse Scharen, durch die immer wiederholten Plünderungen ihrer Heimat zur Verzweiflung getrieben, sich dem Zuge angeschlossen. Doch als er an den Rhein gelangte, stellten sich ihm die Franken ent-

30 gegen, und im Kampfe gegen sie fiel der König und mit ihm, wie es heisst, 20 000 seiner Mannen. Auch der Rest, dessen Führung jetzt seinem Sohne Gunderich zufiel, wäre vielleicht aufgerieben worden, wenn nicht ein anderer Völkerzug ihm Hilfe gebracht hätte;

378 VII. Die Auflösung des Reiches.

wahrscheinlich war es der eine jener Heerhaufen, die sicli in Italien von Radagais getrennt hatten. Die Alanen des Königs Respendial vereinigten sich mit den Vandalen; gemeinsam besiegten sie die Franken und überschritten am 31. Dezember 406 das Eis des r> Rheines.

Noch eine Schar, die früher den Einfall in Italien mitgemacht, aber Radagais vor seiner Kata- strophe verlassen hatte, schweifte unstät umher. Dies dürften die suebischeu Alamannen gewesen sein, die io jetzt vermischt mit Quaden, Sarmateu, Gipeden, He- rulern und Burgundern, den Vandalen und Alanen folgend, in Gallien einbrachen. Zuerst wurde Mainz erobert und zerstört; Tausende von Menschen, die in den Kirchen ein Asyl gesucht hatten, fielen unter den 15 Schwertern der Barbaren. Worms traf nach langer Be- lagerung dasselbe Schicksal. Von dort wandten sich die wilden Horden den belgischen Provinzen zu, eroberten Reims und andere Städte und durchzogen dann ganz Gallien bis zu den Pyrenäen, überall nur Trümmer und 20 Brandstätten hinter sich zurücklassend. Dann wandten sie sich dem Ocean zu, so dass man fürchten konnte, sie würden auch nach Britannien übersetzen. Diese Gefahr lag um so näher, als sächsische Piratenflotten an beiden Ufern des Kanals plünderten und ihre -•> Fahrzeuge auch den andern Barbaren, die in Gallien umherschweiften, das Mittel zum Übersetzen zu ge- währen schienen. Da man nicht erwarten konnte, von dem schwachen Kaiser aus dem fernen Italien irgend welche Hilfe zu erlangen, setzten die Truppen :W der Insel sich selbst einen Feldherrn und Herrscher. Zuerst bekleideten sie einen gewissen Marcus mit dem Purpur, erschlugen ihn aber schon nach kurzer Zeit; Gratianus trat an seine Stelle, um nach kaum vier

5. Stilichos Ende. 37<)

Monaten sein Schicksal zu teilen. Sein Nachfolger wurde der gemeine Soldat ( 'onstantinus, weil sein Name an die letzten legitimen Herrscher erinnerte, die das britannische Heer persönlich hatte begrüssen

5 dürfen, Constantin den Grossen und seinen Sohn Constans (IV S. 48). Und zum Kaiser erhoben, be- hauptete der Mann, wirklich von ihnen abzustammen: er legte seinen Söhnen die Namen Constans und Julianus bei, die beide der ausgestorbenen Dynastie

10 angehörten, und nannte sich selbst Flavius Claudius Constantinus, wreil sein angeblicher Ahnherr angeblich von dem Divus Claudius abstammte (I S. 106). Ob- gleich bei seiner Erhebung der Winter des Jahres 407 schon hereingebrochen war, setzte er doch, dem Bei-

15 spiel Constautins des Grossen folgend, sogleich nach Boulogne über, um im Kampfe gegen die Barbaren seine Legitimität zu erweisen. Was von Truppen noch in Gallien stand, schloss sich ihm an; er brachte den Feinden eine schwere Niederlage bei, zwang sie zu

20 Bündnisverträgen, und bald gehorchte ihm alles Land bis zu den Alpen und Pyrenäen.

Stilicho hatte sich um die Not Galliens nicht °;e- kümmert, wTeil er wieder nach Tllyricum hinüberschielte und die Eroberung neuer Provinzen für wichtiger

25 hielt, als den Schutz derer, die er schon besass. Er hatte Alarich angewiesen, mit seiner Kriegsmacht im Sommer 407 nach Epirus zu ziehen, wahrscheinlich um sich dort mit einem italischen Heere, das von Brundisium aus übersetzen sollte, zu vereinigen, und 1 die Gothen hatten sich pünktlich am angewiesenen Orte eingestellt. Massenhaft flohen die Einwohner der bedrohten Landschaften und suchten in dem scheinbar- sicheren Italien eine Zuflucht, wo sie Stilicho wie Kriegsgefangene als Sklaven oder Colonen an die

380 VII. Die Auflösung des Reiches.

Grundbesitzer verschenkte. Denn er betrachtete sich als im Kriegszustände mit dem anderen Reichsteil; hatte er doch schon verboten, dass irgend ein Kauf- mann oder Schiffer, der aus dem Orient kam, in den Häfen des Westens zugelassen werde, damit er dem 5 Feinde nicht als Spion diene. Den Gewinn von Illyricum hielt er für so sicher, dass er schon einen Praefecten für dieses Gebiet hatte ernennen lassen. Demgegenüber hatte Arcadius Anfang April 407 an- geordnet, dass die Mauern der illyrischen Städte zu 10 verstärken und für den bevorstehenden Kampf alle Zurüstungen zu treffen seien. Doch unterdessen scheinen die Nachrichten aus Gallien, die immer trost- loser lauteten, Stilicho veranlasst zu haben, dass er zauderte und zweifelte, ob er seine Kriegsmacht nicht 15 lieber dort verwenden solle. Dann verbreitete sich das falsche Gerücht, Alarich sei gestorben, und rief neue Verzögerungen hervor. So verging die Jahres- zeit, die für die Schiffahrt auf der stürmischen Adria günstig war, ohne dass die Gothen in Epirus den er- 211 warteten Zuzug empfangen hätten, und als der Winter gekommen war, erhielt Stilicho aus Rom, wo der Kaiser sich damals aufhielt, die Nachricht, dass ein Usurpator sich Galliens bemächtigt habe. Jetzt, wo die Krone selbst bedroht war, konnte man nicht mehr 25 an neue Eroberungen denken, und das umso weniger, als auch Alarich ungemütlich wurde. Es war ja kein Treuverhältnis, das ihn mit Stilicho verband, sondern nur ein Komplott zu beiderseitiger Bereicherung auf Kosten eines Dritten. Daher konnte es sein Gewissen nicht bedrücken, wenn er die zeitweilige Not des WTestreiches benutzte, um sich von ihm die Tasche füllen zu lassen. Als Entschädigung für den ver- geblichen Zug nach Epirus und den dortigen langen

5. Stilichos Ende. 381

Aufenthalt beanspruchte er nicht weniger als 4000 Pfund Gold, das ist nach unserem (leide die Kleinig- keit von 31 ., Millionen .Mark. Die Forderung war furchtbar unverschämt, Hess sich aber kaum vorsagen.

5 Denn er hatte ihr Nachdruck gegeben, indem er seine Scharen nach Aemona (Laibach) führte, die Haupt- masse der leichteren A7erpftegung wegen über Noricum verteilte, und seine Vorhut bis in die Gegend von Aquileja vorschob. Damit waren beide Ausgänge des

lo Passes der julischen Alpen in seiner Hand, und einem tieferen Eindringen nach Italien stand kein natürliches Hindernis mehr im Wege. Der Räuber hatte seinem Opfer das Messer an die Kehle gesetzt, und mau konnte sicher sein, dass er zustiess, wenn es nicht

15 den Beutel zog.

Die Lage war umso gefährlicher, als unterdessen Constantin schon bis an die Rhone vorgerückt war, Italien also auch von Westen bedroht wurde. Ihm sandte Stilicho jenen Gothen Sarus entgegen, den er

20 für den Krieg mit Radagais in seine Dienste genommen hatte (S. 37 H). Justinian, ein Feldherr des Usurpators, wTurde besiegt und getötet und er selbst in Valentia eingeschlossen. Doch schon nach sieben Tagen wurde Sarus gezwungen, die Belagerung aufzuheben und

25 sich über die Alpen zurückzuziehn, wobei er schwere Verluste erlitt. Constantin besetzte die Pässe des Gebirges und nahm sein Hauptquartier in Arelate, von wo aus er in wenigen Tagemärschen die Grenzen Italiens erreichen konnte.

30 Da blieb nichts anderes übrig, als Alarich zu

befriedigen; aber wo das viele Geld dazu hernehmen? Die vorhergehenden Kriege hatten den Schatz geleert, und durch die regelmässigen Steuern Hess sich eine so 2,-rosse Summe nicht in so kurzer Zeit zusammen-

382 VII. Die Auflösung des Reiches.

bringen, wie es nötig war. Man war gezwungen, denen, in deren Besitz man flüssiges Geld voraus- setzen konnte, eine hohe Kontribution aufzulegen, vor allem den reichen Senatoren. In früherer Zeit hätte der Herrscher einfach befohlen, und sie wären, wenn 5 auch mit heimlichem Schelten, zum Zahlen bereit gewesen. Seit man aber Gildo durch den Senat hatte verurteilen lassen (S. 286), glaubte dieser, auch in andern wichtigen Fragen mitsprechen zu dürfen, und das umso mehr, als es diesmal an seinen Beutel ging. io Seine Häupter konnten auf den schwachen Kaiser persönlich einwirken, weil er sich eben damals in Rom aufhielt, und setzten es durch, dass die Forderung Ala- richs im Senat zur Beratung gestellt wurde. Stilicho war herbeigeeilt, um selbst für die Zahlung einzutreten, ir> stiess aber auf eine so heftige Opposition, wie man sie bei den fügsamen Herren des römischen Adels seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte. Und sie hatten den moralischen Vorteil, die Besorgnis um ihre Kasse hinter den patriotischen Phrasen des Antigermanismus verstecken zu können, den er selbst ermutigt hatte. Man forderte Krieg gegen die Gothen, obgleich sich daraus die selbstverständliche Folge ergeben musste, dass Honorius sich mit Constantiu vertrug und ihm den gallischen Reichsteil überliess. Doch vielleicht 25 war damals die Nachricht, dass Sarus zurückgeschlagen war, noch nicht in Rom eingetroffen; man mochte glauben, mit dem Usurpator fertig zu sein, und konnte sich daher, ohne den Kaiser zu beleidigen, frisch und frei seinem Chauvinismus überlassen. „Non est ista 30 pax, sed pactio servitutis!" Dies bittere Wortspiel rief der Senator Lampadius in die hohe Versammlung hinein, versäumte aber nicht, gleich nach Schluss der Sitzung sich in dem Asyl einer Kirche zu verkriechen.

5. Stilichos Ende. 883

Denn der Heldenmut seiner Kollegen hielt vor Stilichos Drohungen nicht stand. Man beschloss, was er ver- langte; doch bis die Geldsumme eingetrieben wurde, vergingen Monate, und während dessen trat eine solche

5 Veränderung der politischen Verhältnisse ein, dass zum

Verderben Roms die Zahlung nicht geleistet wurde.

Noch einmal war Stilicho Sieger geblieben, wozu

gewiss nicht am wenigsten beitrug, dass die nationale

Partei des Senats zugleich auch die heidnische war.

i" Schon am 15. November 407 hatte Houorius ein Gesetz erlassen, durch das die Reste ihres Kultus mit grösster Härte unterdrückt wurden. In dieser Gesinnung be- stärkte ihn jetzt sein Ratgeber, ja er veranlasste sogar, dass die sibyllinischen Bücher, in denen man das

15 Palladium Roms erblickt hatte, verbrannt wurden. Doch die Verhandlungen des Senats und wohl noch mehr die heimlichen Einflüsterungen, die ihnen voran- gingen und folgten, hatten den Kaiser denn doch an der Trefflichkeit seines Leiters irre gemacht. Zwar

30 harte er eben erst dessen zweite Tochter Thermantia geheiratet, nachdem die erste, Maria, kinderlos ge- storben war; doch selbst seine Schwiegermutter Serena trat dafür ein, dass man mit dem Ostreiche Frieden halten müsse, und der ihn immer wieder gestört

25 hatte, war ihr Gatte gewesen. Er hatte schon gleich nach dem Tode des Theodosius und jetzt zum zweiten Mal Alaricli gegen den östlichen Reichsteil gehetzt; er zuerst hatte die Gothen angestiftet, dass sie ihre Verträge mit Füssen traten, was sich jetzt auch gegen

10 das Westreich richtete; in seiner Gier, Illyricum zu erobern, hatte er die Verteidigung Galliens versäumt und dadurch den Anlass zur Usurpation des Con- stantin gegeben; er selbst hatte den Senat gegen das Kaisertum aufgeboten und auch im Westen die

384 VIT. Die Auflösung des Reiches.

antigermanische Parole ausgegeben, die ihm jetzt entgegengerufen wurde. 80 erhoben sich von allen Seiten seine eigenen Sünden gegen ihn: die Nemesis meldete sich an, um bald ihr Opfer zu fordern.

Dass er der Gunst des Kaisers nicht mehr sicher war, mochte Stilicho empfinden, glaubte aber noch nichts befürchten zu müssen, weil die Truppen nur von ihm Befehle zu empfangen gewohnt waren. Als daher jener mit ihm zugleich nach Ravenna zurück- kehren wollte, wo er jetzt allein zu schalten wünschte, war ihm dies sehr unbequem. Doch auch Serena war der Meinung, dass der Herrscher nur in der festesten Stadt Italiens die nötige Sicherheit für seine Person finden könne. Gleichwohl suchte Stilicho ihn in Rom zurückzuhalten, ja als Honorius ganz gegen seine Gewohnheit auf seinem Willen bestand, Hess er durch Sarus, der unterdessen aus Gallien zurückgekehrt war, sogar einen Soldatenaufstand in Ravenna anzetteln. Durch diese eingebildete Gefahr «laubte er den mut- losen Jüngling abschrecken zu können, damit er nicht mit den Truppen in persönliche Verbindung trete; aber auch damit verfehlte er seinen Zweck. Diese Hartnäckigkeit einem Manne gegenüber, dem der Kaiser sich sonst immer unbedingt gefügt hatte, erschien so bedenklich, dass ein Vertrauter des Stilicho es schon jetzt geraten fand, heimlich zu verschwinden. Doch die Revue, die Honorius abhielt, ging ohne Zwischenfall vorüber, und er liess sich bewegen, Ravenna gleich wieder zu verlassen. Denn in Ticinum wurde das Heer versammelt, das gegen Constantin nach Gallien ziehen sollte, und auch dort wollte sich der Kaiser seinen Truppen vorstellen. Kaum aber war er auf seiner Reise bis nach Bologna gelangt, als eine Nach- richt von höchster Bedeutung ihm überbracht wurde.

30

5. Stilichos Ende. 385

Am 1. Mai 408 war Arcadius gestorben, einen kaum siebenjährigen Solin hinterlassend, der freilich schon längst mit der Angiistiiswürde geschmückt war (S. 326). Schon als Honorius noch in Rom 5 war, hatte sich dies Gerücht verbreitet, fand aber erst jetzt seine Bestätigung. Wieder regte sich in Stilicho das alte ehrgeizige Verlangen, sich auch im Ostreiche der Herrschaft zu bemächtigen, und das umso mehr, als sie ihm im Westen aus den Händen

10 zu gleiten drohte. Denn regierte er in Constantinopel als Vormund des kleinen Theodosius, so durfte er hoffen, mit der ganzen Macht des einen Reichsteils ausgerüstet, auch den andern wieder ebenso fügsam zu machen, wie er es noch kurz vorher gewesen war.

ir> Doch was er wünschte, traf auch diesmal bei dem Kaiser auf Widerstand.

Schon auf dem kurzen Marsche von Ravenna nach Bologna hatte Honorius die Truppen, die ihn begleiteten, nicht im Zaum zu halten vermocht. Ein

20 Krawall war unter ihnen ausgebrochen, und er wusste sich keinen andern Rat, als Stilicho zu ihrer Beruhigung; herbeizurufen. Um den Schwächling zu erschrecken, hatte dieser schon einmal Aufruhr anstiften lassen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er auch an

25 diesen neuen Unruhen nicht ganz unschuldig war. Jedenfalls benutzte er sie, nicht nur um Honorius seine Unentbehrlichkeit zu beweisen, sondern auch um sich den Soldaten als milder Fürsprecher zu empfehlen. In der Rede, die er ihnen hielt, behauptete

30 er, der Kaiser habe befohlen, jeden zehnten Manu hinrichten zu lassen, erklärte sich aber auf ihr kläg- liches Flehen bereit, die Gnade des harten Richters zu erbitten. Da ein Urteil, das nie gefällt worden war, natürlich nicht zur Ausführung kam, gelang es

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 25

386 N^II - Die Auflösung des Reiches.

ihm für den Augenblick, sich die Dankbarkeit der getäuschten Soldaten zu erwerben. Doch als man sie später über die Komödie unterrichtete, die er mit ihnen gespielt hatte, wurden sie gegen ihn desto er- bitterter, wie sich bald herausstellen sollte. 5

Bei den Beratungen darüber, wüe mau sich zu dem Regierungswechsel im andern Reichsteil stellen solle, trat dann der Gegensatz zwischen dem Kaiser und seinem obersten Feldherrn wieder scharf hervor. Die sehr unbequeme Aufgabe, Italien zu verteidigen 10 und Gallien wiederzuerobern, wollte jeder der beiden dem andern überlassen und selbst die Vormundschaft in Constantinopel übernehmen. Nicht mit Unrecht machte Stilicho geltend, dass, wenn kein Herrscher im Westreich anwesend sei, leicht auch die noch treuen Teile 1 5 desselben zu Constantin abfallen könnten. Er riet dazui Alarich gegen den Usurpator in Sold zu nehmen, damit die beiden feindlichen Mächte sich gegenseitig aufrieben- Dazu aber brauche man Geld und könne sich daher die Kosten nicht gestatten, die es verursachen würde, wenn - Honorius mit allem Kaiserprunk die weite Reise nach Constantinopel mache. So liess sich dieser widerwillig bestimmen, die Fahrt nach Ticinum fortzusetzen.

Sclrwache Menschen fügen sich leicht, pflegen aber demjenigen, der sie dazu bewogen hat, im 25 drückenden Gefühl ihrer Schwachheit einen hart- näckigen Groll nachzutragen, auch wenn sie den besten Gründen gewichen sind. Diese Stimmung des Kaisers wusste ein gewisser Olympius. dem Stilicho selbst ein Hofamt verschafft hatte, geschickt zu be- :!l) nutzen, um Misstraueu gegen seinen Wohltäter hervor- zurufen. Er befand sich während der ganzen Reise in der Umgebung des Honorius und hatte so die beste Gelegenheit, um den furchtsamen Jüngling mit

5. Stilichos Ende. 387

seinen Einflüsterungen zu schrecken. Konnte der übermächtige Feldherr in Constantinopel nicht viel- leicht seine Macht benutzen, um den kleinen Theodosius aranz aus dem Wege zn räumen und seinen Solin

ö Encherius an dessen Stelle zu setzen? Und wenn dies gelang, welche Gefahren drohten dann auch dem Westreiche? In Ticinnm angelangt, suchte sich Olympius bei den Truppen beliebt zu machen, indem er ihre Kranken in den Lazareten besuchte, und

i" knüpfte zugleich mit den Gesunden heimliche Ver- bindungen an. Um sie gegen Stilicho aufzureizen, brauchte er keine lange Zeit. Denn auch bei den römischen Soldaten war der Äntigermanismus lebendig geworden: sie hörten voll Zorn, dass die Goldstücke,

is mit denen man sie zu beschenken pflegte, jetzt in die Taschen der Gothen fliessen sollten, und machten mit gutem Grunde den Halbgermanen und seine Kreaturen dafür verantwortlich. Schon am vierten Tage nach der Ankunft des Kaisers, als dieser am

-" 13. August 408 ihnen eine Rede hielt, um sie zum Kampfe gegen Constantin anzufeuern, überfielen sie auf einen Wink des Olympius das Gefolge des Herr- schers und machten einige der höchsten Würdenträger nieder, weil diese ihre Stellungen Stilicho verdankten.

25 Voll Schrecken zog sich Houorius in den Palast zurück; die Soldaten aber zerstreuten sich über die Stadt, drangen plündernd in die Häuser ein und mordeten fast jeden Beamten, auf den sie trafen. Als der Kaiser sich unter sie wagte, um sie zu be-

" ruhigen, wurde seiu Quaestor Salvius, während er seine Knie umfasste, niedergestossen. Erst der Ein- bruch der Nacht machte dem Gemetzel ein Ende.

Als diese Nachrichten zu Stilicho gelangten, ver- weilte er noch immer in Bologna, seine Reise in den

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388 VII. Die Auflösung des Reiches.

Orient vorbereitend. Da keiner zweifelte, dass in jenem Blutbade der Antigermanismus sich Luft ge- macht hatte, waren es nur die Führer der barbarischen Hilfstruppen, die sich um den Feldherrn versammelten, um die erforderlichen Maassregeln zu beraten. Noch 5 wusste man nicht, ob der Kaiser selbst dem Gemetzel entronnen sei. Man beschloss gegen Ticinum zu ziehen, und falls er tot sei, dies an allen römischen Truppen fürchterlich zu rächen; sei er dagegen noch am Leben, so wolle man sich mit der Hinrichtung der Anstifter 10 und Rädelsführer begnügen. Da erfuhr man, dass Honorius sich inmitten der Mörder ganz wohl befinde, und der Mut Stilichos war dahin. Seinem tief gewurzelten Gefühl für formelle Legalität konnte er es nicht abgewinnen, Barbaren gegen ein römisches 15 Heer zu führen, das dem Kaiser gehorchte. Statt nach Ticinum wollte er jetzt nach Ravenna gehn, wahr- scheinlich in der Hoffnung, man werde aus Furcht, die starke Festung belagern zu müssen, ihn wieder zu Gnaden annehmen. Vergebens bestürmten ihn die -" Barbarenführer, auf den früheren Beschluss zurück- zukommen; da er sich ihnen versagte, zerstreuten sie sich, um die Entscheidung des Kaisers abzuwarten, uud wenn sie ungünstig fiel, zur Flucht bereit zu sein. Nur Sarus fasste einen kühneren Entschluss: er überfiel bei Nacht das Lager der Hunnen, die Stilichos Leibwache bildeten, machte sie alle nieder und bemächtigte sich der Schätze und Kriegsmittel, die es enthielt. So ausgerüstet, zog er mit seiner Gothenschar davon, um in unstätem Wandern, je :;" nachdem es nötig wurde, Honorius oder Alarich die Stirne zu bieten. In einem bedeutsamen Augenblick sollte er mit seinem kleinen Gefolge wieder auftauchen und entscheidend in die Geschicke des Westreiches eingreifen.

5. Stilichos Ende. 389

Jener Überfall veranlasste Stilicho. noch einmal Jen Antigermanen herauszukehren. Er übersandte den Städten, in denen Weiber und Kinder der fremden Krieger ein Unterkommmen gefunden hatten, den

r, Befehl, keiner barbarischen Heerschar ihre Tore zu öffnen, damit jene kostbaren Geiseln den Römern nicht entrissen würden. Dann ging er nach Ravenna, wo jetzt römische und germanische Truppen, sich misstrauisch beobachtend, nebeneinander hausten.

10 Unterdessen hatte Ölvmpius den Kaiser mit dem Geschehenen ausgesöhnt und durch Schmeichelei und christliche Gesinnung dessen volles Vertrauen ge- wonnen; zum Magister Officiorum ernannt, beherrschte er den Hof und seinen schwachen Gebieter. So langte

15 denn in Ravenna ein Befehl an den römischen Teil des Heeres an, Stilicho unter freier Bewachung zu halten. Die Barbaren rüsteten sich zum Widerstände; er selbst aber zog es vor, bei Nacht in eine Kirche zu fiiehn. Hier erschienen am andern Morgen die

2" Soldaten, um seine Auslieferung zu fordern, und da sie dem Bischof eidlich versichern konnten, sie seien nur beauftragt, seinen Schützling zu bewachen, nicht zu töten, gewährte er sie ihnen. Kaum aber war Stilicho in ihren Händen, so zog derselbe Bote, der

25 jenen kaiserlichen Befehl überbracht hatte, einen zweiten hervor, der die Hinrichtung anordnete. Die Barbaren wollten ihn aus den Händen der Wache befreien, doch er selbst hinderte sie daran. Für sich erwartete er nichts mehr von der Zukunft und wollte, um wenigstens

;" seine Familie zu retten, nicht als Aufrührer fallen. So bot er am 22. August 408 seinen Hals untertänig dem Schwerte dar.

Seinen Sohn Eucherius hatte er zwar mit der Schwester des Honorius verlobt, ihn aber nicht über

3!)0 VII. Die Auflösung des Reiches.

die bescheidene Stellung- eines Tribunus und Xotarius erhoben. Trotzdem hatte es als Rechtstitel für seine Hinrichtung- dienen müssen, dass er jenen habe zum Kaiser machen wollen. Daraus ergab sich von selbst. dass auch das Leben des unschuldigen Jünglings ver- 5 wirkt war. Kurz vor dem Tode seines Vaters war er aus Ravenua nach Rom geflohen, um bei dem Papste Schutz zu suchen, erreichte aber damit nichts weiter, als dass seine Todesangst um einige Monate verlängert wurde. Thermantia schickte der Kaiser ihrer Mutter io zurück, und Olympius eröffnete eine lange Reihe von Prozessen gegen alle Freunde des Stilicho. Sie wurden grausam gefoltert, um über seine hochverräterischen Pläne auszusagen, und wenn sie das nicht taten, mit Stöcken totgeprügelt. Da man für die bevorstehenden 15 Kriege sehr viel Geld brauchte, erging endlich sogar ein kaiserlicher Befehl, alle Schenkungen fiskalischer Güter, die in der Zeit von Stilichos Herrschaft erfolgt waren, rückgängig zu machen und das Vermögen aller, die in derselben Zeit ein Amt bekleidet hatten. 20 für die Staatskasse einzuziehn, was sich freilich nicht in vollem Umfange durchführen Hess. Die römischen Soldaten aber rächten sich für die lange Bevorzugung ihrer barbarischen Mitkämpfer, indem sie deren wehr- lose Frauen und Kinder überall, wo sie ihrer habhaft 25 Wurden, abschlachteten. Aber diese letzte und furcht- barste Orgie des Autigermanismus hatte keine andere Folge, als dass die Fremden, die das Reich bisher unter der Maske römischer Dieustbarkeit beherrscht hatten, es von da an unverhüllt und schonungslos ' ihrer Knechtschaft unterwarfen.

Sechstes Kapitel.

Alarich gegen Roni.

Ohne Zweifel war Alarich bekannt, dass die Be- willigung der Geldsumme, die er gefordert hatte, auf lebhaften Widerstand gestossen und nur durch den Einfluss des Stilicho durchgesetzt war. Er konnte 5 daher nicht erwarten, dass sie nach dessen Tode in ihrem vollen Umfange gezahlt werden würde, und einen zweiten Eeldzug in Italien hätte er nach den Erfahrungen des ersten lieber vermieden. So schickte er denn Gesandte nach Mailand, wrohin sich der Kaiser

i" aus dem nahen Ticinum begeben hatte, und erklärte, mit einem viel geringeren Betrage zufrieden zu sein; bewillige mau ihm den, so wolle er Geiseln geben und empfangen und sein Volk von den Grenzen Italiens weg nach Panuonien führen. Aber am Hofe war zur

15 Zeit der Antigermanisinus so stark, dass man aller Vernunft zuwider auch diese bescheidene Forderung abwies. Da marschierte er in höchster Eile, alle Städte, deren Belagerung Zeit genommen hätte, bei Seite lassend, auf Mailand los. Offenbar wollte er

-" den Kaiser schrecken und zur Annahme des Friedens veranlassen; wenn er die südliche Strasse über Cremona wählte, so wird dies geschehen sein, um jenem die Flucht nach dem uneinnehmbaren Ravenua abzu- schneiden. Dafür aber kam er schon zu spät, und

392 VII. Die Auflösung des Reiches.

hinter den Gräben und Sümpfen jener sicheren Zuflucht verkrochen, trotzte Honorius weiter.

Nachdem sein Anschlag auf die Person des Kaisers misslungen war, wandte sich Alarich gegen die Haupt- stadt des Reiches, auch hiermit in erster Linie wohl 5 den moralischen Erfolg bezweckend. Unterwegs fand er überall den Anschluss der barbarischen Söldner, die eben noch im Dienste des Reiches gestanden hatten und jetzt, nachdem man ihre Familien verräterisch ermordet hatte, nach Rache schrien. So um mehr 10 als 30 000 Mann verstärkt, erschienen die Gothen im Herbst 408 vor Rom. Hier führte der Schreck über <lie bevorstehende Belagerung vor allem zu einem neuen Wutausbruch gegen den toten Stilicho. Dessen Witwe befand sich mit Galla Placidia, der Schwester 15 des Kaisers, in der Stadt. In einer Senatssitzung, an der diese, wie es scheint, persönlich teilnahm, wurde Serena einstimmig des Verrates schuldig gesprochen, und man liess sie erwürgen. So brach sich die nationale Begeisterung selbst gegen die Adoptivtochter 2 1 des verstorbenen Herrschers Bahn, nur weil sie mi' einem verdächtigen Halbbarbaren verheiratet gewesen war. Zur Abwehr aber tat man nichts, sondern er- wartete still, dass Honorius Hilfe bringen werde; und dieser sass in Ravenna ebenso ratlos und untätig, wie -'•"> seine getreuen Senatoren in Rom. Und als man in der höchsten Not endlich nach Rettungsmitteln suchte, da konnte man sich auf keine anderen besinnen, als auf religiöse, die schon deshalb nichts nützen konnten, weil sie sich gegenseitig neutralisierten. Denn jedes der frommen Lager wandte sich an andere Götter, und jedes erzürnte so den Gott des anderen. Der Kaiser suchte sich die Gnade des Himmels zu sichern, indem er jeden Andersgläubigen vom Hofdienst aus-

6. Alarich gegen Rom. 393

schloss, die Ketzerei bekämpfte and die Macht der Bischöfe erhöhte; er erwartete alles Heil von den Gebeten des Olympius. In Rom dagegen Hess sich der Städtpraefect Pompejanus von zwei etruskischen

r> Harnspices erzählen, dass sie durch heidnische Riten Sturm und Gewitter erzeugt und dadurch Alarich von der Belagerung Narnias abgeschreckt hätten. Jeder Vernünftige musste sich sagen, dass die Gothen nicht durch Zaubermittel vertrieben, sondern einfach

ii» weitergezogen waren, weil sie sich bei ihrem eiligen .Marsch auf Rom nicht durch eine unbedeutende Klein- stadt wollten aufhalten lassen. Doch Pompejanus ergriff jene Hoffnung mit gläubigem Eifer, und selbst Papst Jnnoceutius gab heimlich seine Zustimmung, dass

15 auf dem Capitol und den öffentlichen Plätzen wieder in aller Feierlichkeit heidnische Opfer dargebracht wurden.

Alarich hatte die Stadt umschlossen und ihr jede Zufuhr abgeschnitten; vor allem hatte er den Hafen

20 an der Tibermündung besetzt und belegte die Korn- schiffe aus Africa, die hier augekommen waren und noch ankamen, mit Beschlag. In Kurzem sah man sich in Rom gezwungen, die Getreiderationen, die täglich ver- teilt wurden, auf die Hälfte und dann auf ein Drittel

-5 herabzusetzen. Die Hungersnot rief eine Seuche hervor, und da man aus den Toren, welche der Feind versperrte, die Leichen nicht heraustragen konnte, verpesteten sie im Innern der Stadt die Luft und steigerten das Elend. Als der erhoffte Entsatz aus

" Ravenna nicht eintraf, sah sich der Senat schon nach wenigen Wochen gezwungen, Gesandte an Alarich zu schicken. Sie führten noch die stolze Sprache des nationalen Römertums: wenn er nicht massige Be- dingungen stelle, werde die ungeheure Masse des Volkes

3!>4 VII. Die Auflösung des Reiches.

sich bewaffnen und, ihrer Väter würdig, die Feinde abwehren. Doch mit lautem Gelächter antwortete er: „Je dichter das Gras, desto leichter das Mähen!" Er forderte alle Kostbarkeiten, die sich in Rom befänden, und alle barbarischen Sklaven. Auf ihre Frage, was r> er den Römern dann noch lasse, erwiderte er kurz: „Das Leben." Die Gesandtschaft zog unverrichteter- sache ab, und man versuchte es mit den heidnischen Opfern, deren wir schon erwähnten. Als auch die nicht halfen, musste man sich den Forderungen des Gothen 10 fügen, die jetzt genauer formuliert wurden. Er bean- spruchte 5000 Pfund Gold, 80 000 Pfund Silber, 4000 Seidengewänder, 3000 Stück rotes Leder und 3000 Pfund Pfeffer. Um die Sklaven brauchte er sich nicht mehr zu bemühen; die kamen von selbst: während der Belagerung und nachher liefen an die 40 000 zu ihm über. Doch stellte er noch die Bedingung, der Senat solle bei Honorius erwirken, dass dieser mit den Gothen Frieden und Bündnis schliesse.

Dies Bestreben, mit dem römischen Reiche ein 20 Verhältnis dauernder Freundschaft herzustellen, be- stimmt das Verhalten des Alarich auch in den folgen- den Jahren, und ganz Ähnliches wiederholt sich noch bei manchem andern der barbarischen Heerkönige, die ihm folgten. Wie man daraus ersieht, bereitete ihr '-'■"' fortgesetztes Siegen ihnen wenig Freude, und dies erklärt sich leicht genug. Eine Wanderhorde von Hunderttausenden hat immer mit Schwierigkeiten der Ernährung zu kämpfen, und diese wachsen umso mehr, je weitere Strecken sie siegreich durchzogen hat. :!0 Denn die Gebiete, deren sie sich bemächtigt, versteht sie nicht rationell auszubeuten, sondern sie plündert und verwüstet und zerstört so selbst die Mittel, von denen sie leben soll. Der Hunger, durch den die

6. Alarich gegen Rom. 395

(iothen sich Rom unterworfen hatten, musste daher bald auch in ihren eigenen Reihen wüten. Dauernd vor ihm gesichert waren sie nur, solange der Praefeet des Kaisers ihnen regelmässige Verpflegung lieferte, 5 wie dies während der glücklichen Jahre geschehen war, als Alarich sich Magister Militum des Ostreiches nannte. Einen ähnlichen Zustand wieder herzustellen, ist daher immer sein eifriges Bemühen gewesen, und wenn dies nicht gelang, dann wenigsteus feste Sitze zu ge-

winnen, in denen sich sein Volk durch Ackerbau er- nähren konnte. Freilich selber den Pflug zu führen, war die Sache des freien Gothen nicht. Doch seine Kämpfe hatten ihm Sklaven verschafft, welche die Arbeit für ihn besorgen konnten, und brachten täglich

15 neue. So war sein Ziel, ohne grössere Mühe, als von

Zeit zu Zeit einen Feldzug im Dienste des Kaisers,

entweder als Pensionär des Reiches sicher zu leben

oder sich durch römische Knechte füttern zu lassen.

Einstweilen war es nicht leicht, die ungeheure

20 Kontribution zusammenzubringen, die Alarich den Römern auferlegt hatte. Nicht nur mussten die Herren Senatoren fast alles hergeben, was sie an be- weglichem Gut in der Stadt besassen. sondern man war auch gezwungen, was sich an Gold und Silber in den

25 Tempeln fand, darunter so manches alte Götterbild, in den Schmelztigel zu werfen. Unterdessen Hess Alarich das Korn, das im Hafen lagerte, nach Rom bringen und gestattete den Bauern der Umgegend, drei Tage vor den Toren Markt zu halten. Länger wurde

;i(l dies nicht erlaubt, damit die Stadt sich nicht auf Monate verproviantieren und einer zweiten Belagerung, falls sie nötig werden sollte, widerstehen könne. Erst als die Nachricht kam, dass Honorius zum Friedens- schluss bereit sei, zog Alarich, um die Verhandlung

3(.m; VII. Die Auflösung des Reiches.

zu Ende zu führen, nach Toscana, einer Landschaft, die seine raubenden Scharen noch nicht durchzogen hatten und die ihnen daher reichliche Ernährung versprach.

Um den endgiltigen Abschluss des Friedens zu 5 beschleunigen, hatte der Senat eine Gesandtschaft nach Raveuna geschickt, und wirklich schien sie Erfolg zu haben. Mitte Januar 409 wurde die antigermanische Regierung, die der Sturz Stilichos ans Ruder gebracht hatte, entlassen und eine neue gebildet, in der zwei 19 jener römischen Gesandten, Caecilianus als Praefect von Italien, Attalus als Schatzmeister, die wichtigsten Stellen bekleideten. Aber noch ehe sie die Unter- handlungen mit Alarich beendigen konnten, mussten auch sie anderen Beamten weichen. Dem Kaiser boten 15 sich, neue Hoffnungen, und gierig ergriff er die Mög- lichkeit, zur stolzen Politik des Antigermanismus zurückzukehren.

Constantin hatte während des einen Jahres, das er Gallien beherrschte, nicht nur die eingedrungenen -'o Barbaren sich dienstbar gemacht, sondern auch, wie einst Julian es getan hatte, die Kastelle der Rhein- grenze wieder in guten Verteidigungszustand gesetzt, um das Zuwandern neuer Scharen zu verhindern. Auch Spanien, das von Alters her gewohnt war, sich 25 nur als Zubehör von Gallien zu betrachten, hatte sich ihm unterworfen und wäre ihm wohl auch treu ge- blieben, wenn nicht die Familie, aus der Kaiser Theo- dosius hervorgegangen war, hier noch verbreitet ge- wesen wäre und es für ihre Pflicht gehalten hätte, 30 für die Rechte ihres Vetters Honorius einzutreten. Die Brüder Didymus und Verenianus, die ihr an- gehörten, bildeten eine kleine Streitmacht aus ihren Sklaven und Colonen und besetzten mit ihr die Pässe

6. Alarich gegen Rom. ;5!)7

der Pyrenäen. Constantin, der damals noch von Ita- lien aus einein Angriff erwarten musste, durfte jene Feinde nicht in seinem Kücken lassen. Er ernannte seinen Bolin Constans, der vorher Mönch gewesen war,

5 zum Caesar und schickte ihn mit einer Schar an- geworbener Barbaren nach Spanien, wo er schnell den Sieg gewann. Gegen Ende 40S wurden Didymus und Verenianus mit ihren Familien gefangen und dem Usurpator zugeführt, der sie sehr bald darauf hin-

10 richten Hess.

Trotzdem sandte dieser Anfang 409 seine ver- trauten Hofeunuchen zu Honorius, liess sich bei diesem entschuldigen, dass er unter dem Zwange des Heeres ohne die Zustimmung des legitimen Kaisers wider

15 seinen eigenen Willen den Purpur habe nehmen müssen, und erbat sich dessen Anerkennung. In Ravenna wusste man, dass Didymus und Verenianus gefangen, nicht aber, dass sie schon getötet waren. Honorius hoffre sie zu retten, wenn er sich versöhnlich erweise,

:"> und was ihm noch wichtiger war, zugleich in Con- stantin einen starken Bundesgenossen geg-en Alarich zu gewinnen. Er überschickte ihm daher ein Purpur- gewand und erkannte ihn so als Mitregenten an. Und um dieselbe Zeit, wo sich dem Kaiser die Aussicht

25 eröffnete, von Gallien aus wirksam unterstützt zu werden, scheinen aus Dalmatien einige Truppenkörper in Ravenna angelangt zu sein, die man zu den brauch- barsten des römischen Heeres zählte. Hatte er sich kurz vorher den Forderungen Alarichs in ohnmächtigem

Grimme fügen müssen, so schwellte ihm dies wieder den Kamm. Nachdem Caecilian sich kaum ein paar Wochen seiner hohen Stellung erfreut hatte, musste er dem Jovius Platz machen. Dieser war zum Prae- fecten von Illyricum ernannt gewesen, als Stilicho es

398 VII. Die Auflösung des Reiches.

mit Hilfe des Alarich zu erobern hoffte, und hatte bei dieser Gelegenheit dessen Gastfreundschaft im Lager der Gothen genossen. Doch dass er Sitten und Kriegs- weise des Volkes genau kannte, sollte nur dazu dienen, es wirksamer zu bekämpfen. Denn Olympius war 5 wieder zur Macht gelangt, die er sogleich benutzte, um ein paar Freunden des Stilicho, die seinen Ver- folgungen bisher entgangen waren, den Prozess zu machen. Die Verhandlungen mit Alarich wurden abgebrochen und der Schatzmeister Attalus nach Rom 10 geschickt, um dort die Einziehung der Vermögen, die der Fiskus aus dem Eigentum des Stilicho und seiner Anhänger in Anspruch nahm, zu beschleunigen und so das Geld für den neu beginnenden Krieg zu be- schaffen. 15

Als er unter Bedeckung von G000 Mann jener dalmatischen Truppen unterwegs war, überfielen ihn die Gothen und nahmen die ganze Schar gefangen; kaum hundert, darunter Attalus selbst, vermochten sich zu retten. Auch begann Alarich, vornehme Römer, 20 wenn sie sich ausserhalb der Mauern zeigten, auf- zugreifen und nur gegen hohes Lösegeld wieder frei- zulassen. Doch sollte dies den Kaiser nur schrecken und einem Vertrage geneigter machen. Denn als eine neue Gesandtschaft des Senats unter Führung des -•"> Papstes Innocentius nach Ravenna ging, um dort für den Frieden einzutreten, gewährte Alarich ihr bereit- willig eine gothische Bedeckungsmannschaft. Doch ein kleiner Erfolg, den die Römer eben damals er- rangen, stärkte wieder den Mut des Kaisers und machte :S" so die Bemühungen der Gesandten zu nichte.

Athaulf, ein Gothenhäuptling, dessen Schwester Alarich geheiratet hatte, war bei dessen Abmarsch nach Italien in Pannonien zurückgeblieben und hatte

6. Alarich gegen Koni. 3!>i>

jetzt die Aufforderung erbalten, mit seinen Scharen die Kriegsmacht seines Schwagers zu verstärken. Als er diesseil der julischeu Alpen erschien, wollte Honorius, der erführen hatte, dass dies neue Feindesheer nur

5 klein war. es vor der Vereinigung mit Alarich durch Übermacht vernichten und zog- für diesen Zweck alle seine Streitkräfte zusammen. Doch ehe jener Plan zur Ausführung- kommen konnte, hatte eine Schar von 300 Hunnen, von Olympius seihst geführt, den Athaulf [iberfallen und mit Verlust von nur 17 Mann nicht weniger als 1100 Göthen erschlagen. Doch wie es scheint, hat gerade dieser Sieg den Sturz des Olympius herbeigeführt. Denn einerseits vereitelte er die weiter- gehenden Absichten des Kaisers: Athaulf war vor-

15 sichtig gemacht, wusste sich der Umklammerung durch ein überlegenes Heer zu entziehen und vereinigte sich glücklich mit seinem Schwager. Andererseits bewies die Heldentat der Hunnen, dass die wenigen barbarischen Truppen, die Honorius noch besass, viel

20 brauchbarer waren, als die römischen, und widerlegte so ganz augenscheinlich die antigermanische Schwärmerei. Dies beides dürfte es gewesen sein, was die Eunuchen lies Kaisers benutzten, um Olympius einen Strick zu drehen. Er wurde abgesetzt und floh, ein noch schlimmeres Schicksal voraussehend, nach Dalmatien. Später wurde er ergriffen und mit Stöcken totgeprügelt; auf diese Weise erlitt er dasselbe Schicksal, das er den Freunden des Stilicho bereitet hatte.

Da die meisten Beamten Kreaturen des Olympius 1 waren, führte sein Sturz eine grosse Anzahl von Ent- lassungen herbei, und die jetzt ans Ruder kamen, waren Barbaren oder Barbarenfreunde, wie zum Teil schon ihre germanischen Namen beweisen. So wurde ein Gaiso Schatzmeister, ein Allobich Comes domesti-

400 VII. Die Auflösung des Reiches.

corum Equitum, ein Generid Befehlshaber von Dal- matien. Dieser war sogar Heide und vermochte es durchzusetzen, dass ein Toleranzedikt erlassen wurde (III S. 364); sein Glaubensgenosse Attalus wurde Stadtpraefect von Rom. Gleich darauf stifteten Allo- 5 bich und Jovius in Raveuna einen Soldatenkrawall an, um von der antigermanischen Beamtenschaft, die beim Sturze Stilichos eingesetzt war, auch noch die letzten Reste zu beseitigen, und der schwache Kaiser wurde so in Schrecken gesetzt, dass sie den voll- 10 ständigsten Erfolg errangen. Doch im Herzen be- wahrte er das alte römische Nationalgefühl, und durch einen lächerlichen Zufall sollte sich das bald in einer Weise verraten, die dem Reiche schweres Unheil brachte. i">

Nach jenem grossen Beamtenwechsel kamen die Unterhandlungen mit Alarich wieder in Fluss. Er und Athaulf wurden nach Ravenna berufen, um sie dort durch persönliche Besprechungen mit den Würden- trägern des Kaisers, vielleicht auch mit diesem selbst, 20 zum Abschluss zu bringen. Doch als die Gotheu bis zum nahen Ariminum gelangt waren, hielt man es doch für sicherer, sie dort Halt machen zu lassen. Jovius kam in ihr Lager, um ihre Wünsche zu hören. Alarich erklärte sich zu Frieden und Bündnis bereit. -•> wenn ihm ein Jahrgeld und seinem Volke die nötigen Korulieferunoen gewährt würden. Da es nach seinen bisherigen Erfahrungen sehr zweifelhaft war, ob der Kaiser diesen Verpflichtungen, wenn er sie auf sich nahm, dauernd nachkommen werde, sollten die Gothen in Venetien, Noricum und Dalmatien angesiedelt werden. so dass beide Ausgänge des julischen Alpenpasses in ihren Händen waren und sie, wenn nötig, die Erfüllung des Versprechens auch erzwingen konnten.

6. Alarich gegeu Rom. 401

J)i<»se Bedingungen formulierte Jovius in Gegenwart der gothischen Häuptlinge schriftlich, um sie so dem Kaiser zu übersenden. Er selbst fügte einen Brief hinzu, in dem er anriet, dem Alarich aufs Neue die

5 Würde eines Magister Militum zu verleihen, weil er, durch dies ehrende Entgegenkommen erfreut, von seinen Forderungen wohl noch einiges ablassen werde. Als Honorius diese Botschaft empfing, regte sich in ihm wieder etwas von dem früheren Autigermauismus;

io er wollte zwar nachgeben, aber wie Schwächlinge pflegen, doch nicht voll und ganz, sondern einen kleinen, ärgerlichen Vorbehalt machen. Was Alarich selbst gefordert hatte, musste er wohl oder übel ge- nehmigen; aber an den Ratschlägen seines Beamten

15 stand ihm das Nörgeln frei. Er schrieb daher zurück, Jovius als Praefect könne von Amts wegen über die Steuern des Reiches verfügen und folglich den Gothen davon zuteilen, was er für gut halte; ihm selbst aber als Kaiser falle es nicht ein, einem von diesen Kerlen

20 Ehren und Würden zu verleihen. So bewilligte er das Wesentliche, wenn auch mit schmollender Miene und alle Verantwortung von seiner Person abwälzend, befriedigte aber seinen Ärger au der elenden Rang- und Titelfrage, und dies kindische Verhalten sollte

23 ihm zum Unglück werden. Jovius empfing den Brief in Gegenwart Alarichs, und fest überzeugt, dass er nur Zustimmung enthalten könne, Hess er ihn sogleich vorlesen. Da hörte der Gothe zwar, dass seine Wünsche erfüllt werden sollten, zugleich aber auch,

30 in welchem beleidigenden Ton Honorius von ihm und den Seinen sprach, und sein germanisches Ehrgefühl bäumte sich empor. Wütend sprang er auf und brach mit der Erklärung, alsbald gegen Rom ziehen zu wollen, die Verhandlungen ab.

Seeck, Untergang der antiken Welt. V. 26

402 VII. Die Auflösung des Reiches.

Jovius musste fürchten, dass seine Unvorsichtig- keit ihm den Hals koste, und führte, nach Ravenna zurückgekehrt, daher zu seiner Rettung eine drama- tische Scene nationalen Stolzes auf. Mit feurigen Worten die Schmach schildernd, die der Barbar dem . Römertum zufüge, bewog er den leicht zu bestimmen- den Kaiser zu dem Eide, niemals mit Alarich Frieden zu schliessen, leistete ihn selbst, die Schwurfinger auf das Haupt des Honorius legend, und veranlasste auch die anderen hohen Beamten dazu. So waren der 10 Herrscher und sein ganzer Hof in einer Sackgasse festgerannt, aus der sie nicht mehr herauskonnten.

Während der Kaiser 10 000 Hunnen anwarb und alles zur Wiederaufnahme des Krieges rüstete, war Alarich seine Hitze schon leid geworden. Da er 15 wusste, dass man durch religiöse Mittel am eindrucks- vollsten auf Honorius wirken könne, veranlasste er eine Anzahl Bischöfe, als seine Gesandten nach Ra- venna zu gehen und die Verhandlungen wieder an- zuknüpfen. Er beanspruche gar nicht die Würde des 20 Magister Militum; auch wolle er auf die Geldzahlungen, die er früher gefordert habe, gern verzichten, wenn man ihm nur jährliche Kornlieferungen für sein Volk zusage, deren Höhe der Kaiser selbst bestimmen möge. Zur Ansiedlung genüge ihm Noricum, das von Italien 25 durch die Alpen getrennt, zudem immer von der Donau her bedroht sei und nur einen sehr geringen Steuer- ertrag bringe. Dafür sei er bereit, gegen jeden beliebigen Feind seine Waffen in den Dienst des Reiches zu stellen. Noch vor kurzem hätte man diese :1() Vorschläge mit tausend Freuden angenommen; jetzt aber steigerte die Verzagtheit, die sich in ihnen kund- gab, nur die Kriegslust des Hofes. Vergebens stellten die Bischöfe dein Kaiser vor, dass man die Hauptstadt

(>. Alaricli gegen Rom. 403

des Reiches nicht auf's Neue den Schrecken aussetzen dürfe, die sie schon einmal durch die Gothen erfahren hätte, und vielleicht gar den noch schlimmeren der Eroberung und Zerstörung. Jovius erklärte, einen Eid bei Gott dürfe man, auf seine Verzeihung hoffend, zwar vielleicht brechen: was aber bei dem Haupte des Kaisers geschworen sei, müsse unerschütterlich feststehen. Und um dieselbe Zeit traf wieder eine Gesandtschaft aus Gallien in Ravenna ein, um die

in Hinrichtung des Didymus und Yerenianus, da sie angeblich ohne Wissen und Willen Constantins voll- zogen sei, bei Honorius zu entschuldigen. Mit Freuden Hess er dies gelten, weil ihm zugleich versprochen wurde, dass ein gallisches Hilfsheer demnächst gegen

15 Alaricli in Marsch gesetzt werden solle.

Dieser hatte noch durch eine zweite Bischofs- gesandtschaft den Sinn des Kaisers zu erweichen s;e- sucht. Als auch sie unverrichteter Sache zurück- kehrte, gab er die Hoffnung auf, mit diesem Herrscher

20 zu einem Frieden zu gelangen, nicht aber mit dem römischen Reiche. Er zog gegen Ende 409 zum zweiten male vor Rom, aber nicht um es zu plündern oder eine neue Kontribution zu erzwingen, sondern um durch den Senat einen andern Kaiser wählen zu

25 lassen, von dem grössere Fügsamkeit zu erhoffen war. Als man zögerte, ihm den Willen zu tun, nahm er nach kurzer Belagerung den Hafen an der Tiber- mündung und bemächtigte sich der Kornvorräte, die hier zur Ernährung der Hauptstadt aufgehäuft waren.

:" Die Senatoren wagten nicht, eine neue Hungersnot heraufzubeschwören, waren aber bemüht, dem Kaiser zu beweisen, dass sie nur dem Zwange gehorchten und, soweit die harte Gewalt der Gothen es erlaubte, gern in seinem Sinne handeln wollten. Sie wählten

26*

404 VII. Die Auflösung des Reiches.

daher keinen andern als den Mann, den sein Ver- trauen zum Stadtpraefecten und damit zum Be- herrscher Roms bestellt hatte, jetzt zum Beherrscher des Reiches.

Priscus Attalus dürfte bei seiner Erhebung schon 5 ein würdiger Greis gewesen sein. Sein Vater Publius Ampelius stammte aus Antiochia her, war aber nach Koni übergesiedelt und dort 370 372 Stadtpraefect gewesen. Die lateinische Sprache hatte er sich so gründlich angeeignet, dass die Briefe, die er in ihr 10 schrieb, als Sammlung herausgegeben wurden und für vollendete Stilmuster galten. Als Sohn eines so hoch- gebildeten Mannes war auch Attalus literarisch tätige Er machte Verse und scheint auch als Redner in An- sehen gestanden zu haben, da der Senat ihn wieder- is holt als Gesandten an den Kaiserhof geschickt hatte. Zu den Wortführern des antiken Heidentums und der literarischen Bewegung Roms, Flavianus und Sym- machus, hatte er in den engsten Beziehungen ge- standen. Das waren die Kreise, in denen die natio- -" nale Begeisterung, an den Überlieferungen der grossen Vorzeit genährt, ihren lebhaftesten Ausdruck fand, und wie wir wissen, ging sie in dieser Zeit meist in An- tigermanismus über. Sich offen zu ihm zu bekennen, konnte Attalus jetzt freilich nicht wagen; doch das -•"> Bestreben, die Barbaren nicht zu mächtig werden zu lassen, hat seine ganze Politik beherrscht. Zwar liess er sich durch den Feldbischof der Gothen arianisch taufen und ernannte Alarich zum Magister Militum, Athaulf zum Comes domesticorum Equitum, stellte '" ihnen aber römische Offiziere als gleichberechtigte Kollegen zur Seite. Und zum Praefecten von Italien wählte er denselben Lampadius, der kurz vorher dem Vertrage Stilichos mit den Gothen am kühnsten wider-

6. \Iarich gegen Rom. 405

sprochen hatte (S. 382). Sein Kaisertum eröffnete er mit einer langen, schön ausgearbeiteten Reih', in der er auseinandersetzte, dass das ganze Reich, den Orienl miteingeschlossen, wie in der guten alten Zeit, der

5 Herrschaft des römischen Senats unterworfen sein müsse, und bewies damit weiter nichts, als dass sein kindlicher Idealismus den gegebenen Verhältnissen nicht Rechnung zu tragen verstand.

Die Kornverpflegung für sein Volk, für die Ala-

io rieh kämpfte, konnte ihm Attalus nicht gewähren, weil er einstweilen nicht mein- beherrschte als eine Stadt, die selbst durch fremdes Getreide ernährt werden musste: doch sollte er ihm dafür ein anderes, noch lockenderes Ziel erreichbar machen. Die überströmende

15 Fruchtbarkeit Africas hatten die Gothen kennen gelernt, als sie im Hafen die reichen Vorräte, die von dort herkamen, anstaunen konnten; seitdem war dies Land das Paradies ihrer Hoffnungen geworden. Alarich erbot sich, es für seinen neugebackenen Kaiser zu

20 erobern, wenn man einen Teil seines Heeres auf römischen Schiffen übersetze. Die grosse Masse sollte in Italien bleiben; auch wollten, um Misstrauen zu vermeiden, weder er noch Athanlf den Feldzng leiten, sondern der Gothe Druma wurde dazu bestimmt.

25 Trotzdem lag ihm wohl der Hintergedanke nicht fern, seine Scharen in dem reichen Lande dauernd anzu- siedeln; hatte erst ein Teil derselben es besetzt, so konnte er den Zurückgebliebenen leicht die Hand zum Übergange reichen. Doch Attalus begriff, welche Ge-

;(l fahr es bedeutete, wenn die Kornkammer des West- reiches den Barbaren geöffnet werde, und verweigerte seine Zustimmung. Auf den Besitz Africas konnte der Beherrscher Roms freilich nicht verzichten; aber die heidnischen Weissagekünste, die jetzt, nachdem

406 VII. Die Auflösung des Reiches.

der alte Kultus wieder hergestellt war, mit Eifer be- trieben wurden, hatten ihn belehrt, dass er es auch ohne Heer gewinnen werde. Er schickte daher den Römer Constans als Comes Africae über das Meer und überliess es ihm und den Göttern, wie er sich 5 des Kommandos, das ihm anvertraut war, bemächtigen könne.

Alarich gab sich auch damit zufrieden; er war abergläubisch genug, den Orakeln zu vertrauen, und wenn Africa für Attalus gewonnen wurde, so durften 10 die Gothen erwarten, dass von seinen Konisteuern auch ihnen der gebührende Anteil zufliesseu werde. Bis dort die Entscheidung fiel, wollte man die Zeit benutzen, um Honorius in Italien abzusetzen. Dieser war in heller Angst; wenn man ihm nur seine Krone 15 Hess, hätte er gerne Attalus, wie vorher Constantin, als Mitregenten anerkannt. Als der Feind, gegen Ra- venna heranrückend, bis Ariminum gekommen war, schickte er ihm eine Gesandtschaft entgegen, die aus

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den vornehmsten Beamten unter Führung des Prae- 2 fecten Jovius bestand. Sie begrüsste den Attalus als Kaiser und übergab ihm einen Brief des Honorius, in dem auch dieser ihn als Augustus und Bruder anredete; er verlange nur, neben dem neuen Herrscher auch in seinen älteren Rechten bestätigt zu werden. Dieser 25 erklärte sich bereit, ihm seinen Hof halt zu lassen; doch auf die Regierung, zu der er unfähig sei. müsse er verzichten und auf einer Insel oder sonst einem abgelegenen Ort, von dem aus er die Ruhe des Reiches nicht stören könne, seinen Wohnsitz nehmen. Jovius, dem es an der Zeit schien, sich dem aufgehenden Gestirne zuzuwenden, stimmte dem unverzüglich bei, ja er machte sogar den Vorschlag, um bei Honorius jeder Gefahr künftiger Prätensionen vorzubeugen,

6. Alarich gegen Rom. 407

ihn am Leibe derart zu verstümmeln, <lass er auch äusserlich zur Herrschaft untauglich werde. Dies wies Attalus zwar zurück; doch freute ihn der Eifer des verräterischen Praefecten so, dass er ihn gleich in 5 seine Dienste nahm, ihn zum Patricius ernannte und ihn jetzt seinerseits als Gesandten an Honorius benutzte. Dieser wollte sich auf so schmähliche Bedingungen nicht einlassen; aber nach der Untreue seines höchsten Beamten fürchtete er auch den Abfall seiner Soldaten,

10 die zu dem schwächlichen Kaiser jedes Vertrauen ein- gebüsst hatten.

Sie wurden befehligt von jenem Allobich, der schou früher eine Meuterei unter ihnen angezettelt und so seine Ernennung zum Magister Militum er-

15 zwungen hatte. Damals hatte er im Einverständnis mit Jovius gehandelt (S. 400), und der Verdacht lag nahe, dass er sich auch jetzt ihm anschliessen werde. Als der Hofeunuche Eusebius Einfiuss gewann, hatte er ihn vor den Augen des Honorius mit Knütteln

20 totschlagen lassen und tyrannisierte seitdem, auf das Heer gestützt, den ohnmächtigen Kaiser. Dass dieser ihn bitter hasste, inusste er wissen; so gebot ihm schon die Vorsicht, einen Herrscher, der ihm künftig gefährlich werden konnte, solange es noch Zeit war,

25 zu beseitigen. Dies scheint denn auch seine Absicht gewesen zu sein; doch wollte er sich nicht einem Kaiser von Alarichs Mache unterwerfen, sondern lieber einen Herrn gewinnen, der ihm selbst den besten Teil seiner Macht verdankte. Er wandte sich daher

so an Constantin und forderte ihn auf, mit Heeresmacht nach Ravenna zu kommen, wozu sein früheres Ver- sprechen, dem Honorius gegen Alarich Hilfe zu leisten, leicht den Vorwand bieten konnte. Stand aber der gallische Usurpator erst innerhalb der Festung, so

408 VII. Die Auflösung des Reiches.

konnte es ihm nicht schwer fallen, mit Allobichs Unterstützung* den legitimen Kaiser ganz bei Seite zu schieben. Constantin folgte dem Ruf und rückte in Italien ein. So bot sich Honorius zwar die Hoffnung, den Gothen mit stärkerer Macht entgegentreten zu können, doch einen wie zweifelhaften Wert sie für die Behauptung seiner eigenen Herrschaft besass, dürfte ihm kaum verborgen geblieben sein. Er rüstete sich, nach Constantiuopel zu entfliehen, wo er als Vor- mund des kleinen Theodosius vielleicht die Herrscher- rechte wiedergewinnen konnte, die ihm in Italien verloren schienen. Schon waren die Schiffe zur Flucht über das adriatische Meer gerüstet, als ein Zufall seinen schwankenden Geist mit neuem Mut erfüllte und ihn bewog, in Ravenna auszuharren.

Sobald durch das Blutbad von Ticinum der Sturz Stilichos entschieden war, hatte noch vor dessen Er- morduno* Honorius das freundliche Verhältnis zu dem Ostreiche hergestellt und das Versprechen empfangen, durch orientalische Truppen in seinem Kampfe gegen Constantin unterstützt zu werden. Aber noch ehe sie abgeschickt wurden, war eine schwere Gefahr über den östlichen Reichsteil hereingebrochen, die ihn zwang, alle seine Streitkräfte zusammenzuhalten. Der Hunnen- fürst Uldin hatte vorher die Freundschaft der Römer gesucht. Er hatte den Gainas getötet, seinen Kopf nach Constantiuopel geschickt (S. 325) und war dafür durch reiche Geschenke und den Absehluss eines Bündnisvertrages belohnt worden, der ihm wahr- scheinlich einen Tribut zusicherte. Später hatte er auch dem Stilicho in seinem Kampfe gegen Radagais Bundeshilfe geleistet (S. 376). Doch als er erfuhr, dass Arcadius gestorben war und ein kleines Kind an dessen Stelle den Thron bestiegen hatte, meinte

6. Alaricli gegen Rom. 409

er, noch reicheren Gewinn vom dem Nachbarreiche erpressen zu können. Er überschritt im Sommer 408 die Donau und bemächtigte sich durch Verrat «Irr Festung Castra Martis in Moesien, um von dort ans

5 die umliegenden Landschaften zu brandschatzen. Als der Grenzkommandant mit ihm in Unterhandlungen trat, erklärte er zuversichtlich, er könne, wenn er wolle, sich das ganze Ostreich unterwerfen, und ver- langte für den Frieden einen ganz unerschwinglichen

lo Tribut. Doch während die Gesandten zwischen ihm und den Römern hin und hergingen, gelang es diesen, einige seiner Unterfeldherren durch grosse Ver- sprechungen zu gewinnen. Ein ansehnlicher Teil -riiier Horden fiel von ihm ab und verstärkte die

L5 Feinde. Nur mit Mühe und unter grossen Verlusten vermochte er sich über die Donau zu retten. Seine Nachhut, darunter die Sciren, die mit ihm verbündet waren, wurde abgeschnitten und teils niedergemacht, teils gefangen genommen, um als Colonen über die

20 asiatischen Provinzen verteilt zu werden. Durch diesen Sieg wurden im Vorfrühling 409 die orientalischen Truppen wieder frei, und man konnte daran denken, das Versprechen zu erfüllen, das man Honorius ge- geben hatte. Doch um dieselbe Zeit brach in Cou-

-■"' stantinopel eine schwere Hungersnot aus, die das Volk zum Aufstande trieb und natürlich auch die Verpflegung des Heeres erschwerte. Dadurch scheint sich die Sendung der Hilfstruppen verzögert zu haben; jeden- falls landeten sie erst im Sommer 410 in Ravenna.

30 Dies waren Soldaten, die Allobich noch nicht verführt hatte. Zwar zählten sie nicht mehr als 4000 Mann; aber das genügte, um die Tore zu besetzen, damit sie nicht verräterisch dem Attalus geöffnet würden, und um dem Kaiser einen gewissen Schutz gegen den

410 VII. Die Auflösung des Reiches.

Feind im eigenen Lager zu gewähren. So beschloss er denn, die Nachrichten aus Africa abzuwarten und nur, wenn auch dieses Land sich dem Usurpator an- schliesse, in den Orient zu entweichen.

Bald darauf erfuhr man, dass die Orakel der 5 Heiden sicli nicht bewährt hatten. Der Sendung des Usurpators war durch den Comes Africae Heraclianus gefangen und hingerichtet. Dieser hielt die Korn- sendungen zurück und erzeugt dadurch nicht nur in Rom eine furchtbare Hungersnot, sondern wahrschein- 10 lieh auch im Gothenlager schweren Mangel. Alarich sah sich gezwungen, die Belagerung von Ravenna aufzuheben, und am '25. Juni 410 konnte Honorius ein Gesetz absenden, durch das er in seiner Freude den Africanern alle Steuerschulden zur Belohnung 15 ihrer Treue schenkte. Trotzdem erhielt er durch Heraclianus eine grosse Geldsumme zugeschickt, die ihm gestattete, die neuen Truppen durch reiche Ge- schenke an sich zu fesseln und bald wohl auch unter den alten Anhänger zu gewinnen.

Unterdessen war eine Gesandtschaft aus Rom in das Gothenlager gekommen, um Attalus von der Not der Stadt zu unterrichten und seine Hilfe zu erbitten. Alarich erbot sich, eine Schar von nicht mehr als 500 .Manu unter Führung des Druma über das Meer zu -"> schicken-, sie würde genügen, um Heraclianus zur Unterwerfung zu bringen, und doch nicht stark genug sein, um, wie Attalus fürchtete, Africa für die Bar- baren zu gewinnen. Denn diese Hoffnung hatten die Gothen wohl aufgegeben; jetzt, wo sie wieder Hunger litten, genügte es ihnen, ihrem Kaiser die Verfügung über die africanischen Kornsteuern zu verschaffen, damit er sie in Italien damit ernähre. Doch sein Misstraueu war nicht zu überwinden: er scheint keine

6. Ahricli gegen Rom. 411

weitere Zusage gegeben zu babeu, als dass er den Vorschlag im Senat zur Beratung stellen wolle. Während er zu diesem Zwecke nach Koni ging, wandte sich Alanch zuerst nach der Aeinilia und dann nach Li-

u gurien, um auch diese Provinzen dem Usurpator zu unterwerfen, zugleich wohl auch, um in Landschaften, die noch wenig vom Kriege gelitten hatten, seine Horden besser ernähren zu können.

Unter dem Drucke der Hungersnot war ein grosser

10 Teil der Senatoren geneigt, die Hilfe der Gothen an- zunehmen; Attalus selbst aber verhinderte diesen Be- schluss. Er glaubte noch immer an die Weissagung, dass er Africa ohne Heer gewinnen werde, und wollte daher Emissäre mit einer grossen Geldsumme hin-

15 schicken, um durch Bestechung zu wirken. Wie zu erwarten war, fügte sich die Mehrheit des Senats ihrem Kaiser, zugleich aber erinnerte sie sich, dass Honorius selbst sich erboten hatte, den Attalus als Mitregenten anzuerkennen. War er noch jetzt dazu

5 1 bereit, so konnte man erhoffen, dass er den Hera- clianus anweisen werde, die Hauptstadt seines Reiches mit dem nötigen Korn zu versorgen. Jovius wurde gewählt, um als Gesandter nach Ravenua zu gehen; doch er wies den Auftrag zurück. Denn jetzt ver-

25 zweifelte er an der Zukunft des Usurpators und fand es augezeigt, sich die Verzeihung des Honorius zu erwirken, indem er den Verrat an diesem durch einen neuen Verrat an Attalus wieder gutmachte. Er eilte daher zu Alarich und stellte ihm vor, dass der Kaiser

30 seiner Mache ein wütender Antigermane sei und, so- bald er ihn nicht mehr brauche, sein gefährlichster Feind werden würde. Auch der Angeklagte kam in das Gothenlager, wahrscheinlich um sich zu verteidigen; docli nach allem, was vorausgegangen war, konnte

412 VII. Die Auflösung' des Reiches.

ihm dies nicht gelingen. Wieder zog Alarich vor Ravenna, aber diesmal nicht als Feind. In Ariminum endkleidet er den Attalus feierlich aller Abzeichen der Herrscherwürde und übersandte sie dem Honorius. Mit diesem wurden neue Verhandlungen angeknüpft ö und schienen zunächst günstig zu verlaufen. Am (i. August 410 verkündigte ein Gesetz, um den Dank des Kaisers gegen Gott für die Unterdrückung der Usurpation zum Ausdruck zu bringen, eine allgemeine Amnestie. Am 15. desselben Monats wurde nach Africa 10 der Befehl gesandt, die Kornzufuhr nach Rom wieder aufzunehmen und sie selbst durch den Winter nicht unterbrechen zu lassen, wenn die Witterung das Aus- laufen der Schiffe nur irgend erlaube. Um diese Zeit entledigte sich Honorius auch des Allobich; als sie zu- 15 sammen durch die Strassen Kavennas ritten, fiel der o-efährliche Mensch durch Mörderhand, und soo-leich stieg der Kaiser vom Rosse, um öffentlich für den Tod des Verräters ein Dankgebet zu sprechen. Und noch in anderer Weise erwies er dem Höchsten seine :'o Dankbarkeit; das Toleranzgesetz, das Allobich und seine heidnischen Helfershelfer erwirkt hatten (S. 400), wurde am "25. August aufgehoben und die alten Be- stimmungen gegen Ketzerei und Heidentum wieder in Kraft gesetzt. Aber schon vorher hatte Honorius 25 in seiner freudigen Siegeszuversicht eine neue Torheit begangen, die dem Reiche sehr teuer zu stehen kam. Jener Sarus, der kurz vor dem Tode des Stilicho diesen im Zorn verlassen hatte (S. 388), war fast zwei Jahre lang in Italien umhergeirrt. Während die anderen :'° barbarischen Truppen, nachdem ihre Frauen und Kinder ermordet waren, sich Alarich angeschlossen hatten, hatte seine Schar ihre Selbständigkeit bewahrt. Denn er gehörte demselben Gothenstamme an, und wie die

6. Alarich gegen Rom. 1 1 :;

germanische!] Häuptlinge sich in steten Kämpfen des Ehrgeizes gegenseitig aufzureiben pflegten (I S. 20a), so war auch er mit jenem tödlich verfeindet. Sein (i efolge bestand aus nicht mehr als 300 Mann; doch 5 waren es auserlesene, in tausend Gefahren erprobte Leute. Athaulf wollte die kleine Schar vernichten, und als Sarus vor dieser Übermacht keine andere Rettung sah, hatte er seine Dienste dem Kaiser au- geboten, der ihn gern in Ravenna aufgenommen hatte.

10 Hier wirkte der tapfere Krieger dem Frieden mit Alarich entgegen, und da Honorius sich jetzt als Sieger fühlte und die Not der Gothen kannte, war er wieder übermütig geworden und lieh aufstachelnden Reden leicht sein Ohr. Sarus konnte es wagen, die Unter-

15 handlungen zu stören, indem er mit seinem Gefolge auf eigene Faust die Gothen überfiel. Da Alarich an die friedliche Gesinnung des Kaisers glaubte, traf ihn der Angriff ganz unvorbereitet, und er erlitt einige Verluste. Jetzt wäre es Pflicht des Honorius ge-

20 wesen, sich zu entschuldigen und den Friedensbrecher zu bestrafen; doch jede Genugtuung, die Alarich fordern konnte, unterblieb. Da erfasste diesen wilder Zorn, und weil Ravenna ihm uneinnehmbar war, marschierte er zum dritten Male gegen Rom.

-,:> Hier musste man von den mit Recht erzürnten

Gothen das Schlimmste erwarten, und obwohl die Stadt schon vor der Belagerung ausgehungert war, versuchte mau doch, die Mauern zu verteidigen. Aber schon nach wenigen Tagen stieg die Not so hoch,

30 dass es bis zum Fressen von Menschenfleisch ge- kommen sein soll. Da ward die fromme Christin Proba, die Witwe des Praefecten Probus (S. 35), von Mitleid ergriffen : sie hielt es für ein geringeres Übel, wenn die Gothen die Stadt plünderten, und Öffnete

414 VII. Die Auflösung des Reiches.

ihuen bei Nacht die Porta Salaria, die in nächster Nähe ihres Palastes auf dem Monte Pineio lag. Am 24. August 410 drangen sie ein, und es begann ein wildes Rauben. Alarich hatte angeordnet, dass man sich mit dem Beutemachen begnügen und das Blut & der Bürger schonen solle; und wirklich kam der grösste Teil der ansehnlicheren Leute, namentlich der Senatoren, mit dem Leben davon. Viele gewannen auch die Zeit, sich auf die Inseln des Meeres oder in die Provinzen zu retten. Doch der grossen Masse 10 gegenüber wurde jener menschenfreundliche Befehl wenig beachtet. Nicht nur folterte man die Bürger, um sie zum Bekennen verborgener Schätze zu zwingen, sondern es wurde auch eine so grosse Zahl von ihnen erschlagen, dass man später nicht die Möglichkeit fand, sie alle zu begraben. Auch ging ein grosser Teil der Stadt in Flammen auf. und natürlich machte man Sklaven und missbrauchte die Weiber. Doch kam es auch vor, dass ein Gothe, durch den kühnen Wider- stand einer schönen Frau zur Achtung gezwungen, 20 ihrer Keuschheit schonte und sie selbst in ein sicheres Asyl geleitete. Denn solche gab es in der Stadt auch während des ärgsten Wütens der Barbaren. Als guter Christ hatte Alarich die Basiliken des Petrus und Paulus für unverletzlich erklärt, und keiner, der sich -5 hierher rettete, wurde angetastet. Ja als eine greise Nonne erklärte, die goldenen und silbernen Gefässe, die man bei ihr fand, gehörten dem heiligen Petrus, da wurden sie auf Befehl des Alarich in feierlichem Zuge durch die ganze Stadt getragen und in der 30 Kirche des Apostels niedergelegt, und mit ihnen führte man ihre Bewahrerin dorthin. Auch sonst geleiteten die Gothen so manchen, der sich ihnen als Glaubens- genossen zu erkennen gab und ihr Mitleid zu erregen

6. Alaricli gegen Rom. 4 1 5

wusste, an diese heiligen Stätten, und obgleich sie ausser den Kirchengeräteu kaum etwas Wertvolles in der Stadt zurückliessen, zeigten sie sich doch milder, als man es bei Eroberern jener Zeit ge-

5 wohnt war.

Schon am dritten Tage verliessen sie Rom wieder, offenbar weil sie dort wohl Gold und Silber, aber kein Brot fanden. Da die Sorge um die Ernährung seines Volkes sich immer wieder erneuerte, war Alaricli

to jetzt entschlossen, auch ohne die Zustimmung eines römischen Kaisers sich Africas zu bemächtigen. Er zog auf dem geradesten Wege nach Regium, um von dort nach Sicilien und dann nach dem Lande seiner Hoffnung überzusetzen. Doch die Fahrzeuge, deren

15 er sich bedienen konnte, werden meist schlechte Kähne, zum Teil vielleicht nur Flösse gewesen sein, die man eiligst zusammengeschlagen hatte. Jedenfalls konnten sie die starke Meeresströmung nicht überwinden; ein Teil ging unter, die andern wurden an die italische

20 Küste zurückgetrieben. Da scheint Alaricli auf den Plan zurückgekommen zu sein, den er vor neun Jahren gehegt hatte (S. 330) und den sein Nachfolger dann zur Ausführung brachte; d. h. er wollte das verwüstete Italien hinter sich lassen und nach Gallien

25 ziehn, vielleicht mit dem Hintergedanken, über Spanien und die Säulen des Hercules dennoch das ersehnte Africa zu gewinnen. So wandte er sich denn nach Norden zurück, erlag aber unterwegs einer Krankheit. Wie es heisst, leitete man bei Cosenza das Flüsschen

30 Busento ab, versenkte den Leichnam mit dem reichen Königsschatze in die Erde des leeren Bettes und Hess dann wieder die Wasser sich darüber ergiessen. Die I refangenen, welche diese Erdarbeiten ausgeführt hatten, wurden alle getötet, damit kein Kömer die Stätte

416 VII. Die Auflösung des Reiches.

erfragen und aus Habgier die Ruhe des Heldengrabes stören könne.

Und als wollte nach der tiefsten Schmach, die Rom erfahren hatte, auch die römische Geschichte sich in trauerndes Schweigen hüllen, so bricht mit den Taten Alarichs für uns jede genauere Kunde ab. Konnten wir bis hierher die Ereignisse noch soweit verfolgen, dass ihr ursächlicher Zusammenhang uns ziemlich klar wurde, so besitzen wir für die Folgezeit nicht viel mehr als abgerissene Notizen. Dass und warum die antike Welt ihrem Verhängnis nicht länger entgehn konnte, haben die Tatsachen, die wir kennen. uns deutlich gelehrt; doch wie sich ihr langer Todes- kampf vollzog und welche Kräfte dabei im Einzelnen wirksam waren, das verschwimmt für unsere Augen im trüben Dämmerlicht einer erlöschenden Über- lieferung.

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Gedruckl bei Julius Abel in Greifswald.

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