Google

Über dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

Nutzungsrichtlinien

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen unter Umständen helfen.

+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.

Über Google Buchsuche

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.

Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books.google.comldurchsuchen.

d

NE e U f 7 CN 20

Geschlecht und

Seca

Illustrierte Monatsschrift für Sexual wissenschaft, Hygiene, Biologie und Menschenliunde

XIV. Jahrgang Heft 10 Aus dem Inhalt:

Prof. Dr. Friedrich S. Krauß:

Frauenseelenweihungen (Fortsetzung)

Hofrat Pachinger: Humor in alter Rechtspflege (Mit Abbildungen) P. Ambros Mayer O. S. B.: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu (Schluß) Dr. rer. pol. Felix Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie Richard Linsert: Internationaler Kongreß für Sexualforschung Theodor von Sosnosky: Hinter dem Vorhang Betrachtungen und kleine Mitteilungen.

RICH. A. GIESECKE, DRESDEN-A. 24 (Verlag für Menschenkunde und Sexualwissenschaft)

Preis des Einzelheftes Mk. 1.—

In neuer Auflage ist soeben erschienen das seit Jahren vergriffene Werk:

Ploss-Bartels

Das IDeib

in der

Nafur- und Dölkerkunde

Oänzlich neu bearbeitet und herausgegeben von

Ferdinand Freiherrn von Reitzenstein

Elfte stark vermehrte Auflage mit über 1000 Abbildungen im Text und ganzseitigen Tafeln, 8 farbigen Spezialtafeln.

Insgesamt über 2000 Seiten Text.

Drei starke Bände, Lexikon-Format.

Eleganter Ganzleinenband mit Goldprägung Preis 125.— Mark.

Der langjährige Herausgeber und Mitarbeiter unserer Monatsschrift Freiherr von Reitzenstein hat es in vieljähriger, mühseliger Arbeit ver- standen, den Text dieser bedeutendsten Monographie über das Weib in wirksamer Weise zu vervollständigen und ihn den Anschauungen der modernen Forschung anzugleichen. Ebenso ist das Bildermaterial durch zahlreiche Neuaufnahmen ergänzt worden. So liegt denn das Werk in einer Form vor, die seinem Ruf als unentbehrliches Handbuch für den Anthropologen, Naturforscher und Arzt, ebenso aber auch für den wissenschaftlich interessierten Laien von Neuem bestätigen wird.

Die Neuauflage ist in drei Bände eingeteilt, deren erster zunächst den Organismus des Weibes behandelt und seine soziale Stellung. Der zweite Teil zeigt uns das Weib im Geschlechtsverkehr und bei der Geburt, während der dritte das Weib als Mutter, in ihrem Leben außerhalb des Geschlechtsverkehrs, nach Aufhören der Fortpflanzungstätigkeit und schließlich in und nach dem Tode schildert.

In dieser glänzend ausgestatteten Neubearbeitung bildet das Werk eine grundlegende Quellensammlung, die von dauernder größter Bedeu- tung in der wissenschaftlichen Literatur bleiben wird.

Richard A. Giesecke, Buchhandlung, Dresden-A. 24.

emgeet, ug.

EE pe THEIR Ee L

1 ( = TATA] Io Digitized by a OOQ le

-

Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 33

FAZ Er: Lat EN in AR EAR, RAR A vam ep

Gd E . n AA

r ` en ? BTS TEE 725

Auspeitschung von ledigen Mädchen und Dirnen am Pranger. Nach einem Stich von Chodowicki 1782

Digitized by Google

Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 34

ge >a RR fr äi

Sehr ähnliches nach der Stockholmer Originalzeichnung gestochenes Profil des Königsmörders Ankarström, Stockholm, wie er vor seiner Hinrichtung gestanden hat

Digitized by Google

Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 35

Streckung einer schwangeren Hexe zur Erpressung eines Geständnisses. Stich um 1750

Tafel 36

Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10

191018 N

(08.1 emp) uonnyaxg

SL

nnn. een eee E á

Į

|

praene Tt Eu, et

sizi

ea

e 1

rr * be i S vi

eee ët. ge

PAtra tc ki tartte wenns

YPInog uoa Apjewan) WIN YMN 'SUNJYPNUIH IMZ ue ap ME IUOIIIƏW ap pun IZZI L, ap uauunesn)

Frauenseelenweihungen.

Von Prof. Dr. FRIEDRICH S. KRAUSS, Wien. (Fortsetzung.) IV. Frauenseelenweihungen für Verstorbene.

Die Frage ist vielleicht nicht so zu stellen, wo man überall in der weiten Welt schöne oder minder holde Frauen dem Geister- oder Seelendienste zuliebe hingemordet, vielmehr wo und warum man dies da und dort bei den Völkern zu tun unterlassen habe. Die Voraus- setzung für diese Art Frauenhinopferungen ist jedenfalls eine stark ausgestaltete, bei einem Volke bereits fest eingewurzelte Geisterfurcht und eine Ahnenverehrung, die sich hauptsächlich die Volkshäuptlinge zu leisten vermochten. Die miserrima plebecula war schon um ihrer Selbsterhaltung willen genötigt, ihre Frauen mehr zu schonen als die Reichen, die Machthaber, welche deren oft im Überflusse besaßen. Zudem kleben auch die Frauen zäh am Leben. Daß sich junge, schöne Frauen aus Harm und Gram nach ihrem Liebsten selber töten, kommt ausnahmsweise überall vor, daß sie sich jedoch aus lauterer Begeisterung für einen Verstorbenen abmurksen, ersäufen oder ver- brennen lassen, das mögen geschäftskundige Pfaffen das Wort Priester vermeide ich in diesem Zusammenhange anzuwenden immerzu beteuern und ihre Leichtgläubigen ihnen nacherzählen. Auch die nächsten Angehörigen der auserlesenen Opfer sind nicht immer oder richtiger niemals damit einverstanden, ihre ihnen lieben, anmutigen und teueren Blutsverwandten gesunderheit zu verlieren, mag man es ihnen noch so eindringlich weis zu machen versuchen, es lasse sich die Rückkehr des Toten nur dadurch vereiteln, daß man ihm seine Frauen nachschicke, auf daß er auch im Geisterreich seinem Ge- schlechtstrieb weiter obliege und sich nicht langweile.

Frauen schätzen das Leben so hoch ein, daß sie nun und nimmer in den Schützengräben und im Schnellfeuer der Schlachten ausgeharrt haben würden. Nach dem äußerlichen Abschluß des Männer- ausrottungsweltkrieges hatte ich als Armenvater deutscher Frauen und Kinder, deren Ernährer im Kriege gefallen oder verschollen und die auf einmal zu S.H.S.-Staatsbürgerinnen geworden und in bitterste Notlage geraten waren, in mehr als 700 Fällen Gelegenheit, die Frauenseele zu erkennen. Sobald ich ihnen von der Regierung in Bel- grad die ihnen gebührenden Ruhegehalte und den Kindern die Er- ziehungsbeiträge erwirkte, was, zu Ehren der Serben sei es gesagt,

jedesmal bestens gelang, ertrugen sie in ihren des meisten Hausrates G. u. G. XIV d 28

434 Krauß: Frauenseelenweihungen

entblößten öden Behausungen in unfaßbarer Ergebung Leid und Elend, weil Hoffnung auf bessere Zeit ihren Mut aufrecht erhielt. Männer an ihrer Stelle wären Verbrecher geworden oder hätten sich selbst gemordet, Frauen jedoch kleben am Leben.

Die Todarten, wie welchen man die schönen Frauen ihren ver- ewigten Ehegemahlen nachsandte oder nachsendet, unterliegen der Mode, ländlich sittlich. Segnete ein großer Häuptling auf den Salomo- eilanden das Zeitliche, so schlug man seinen Ehefrauen mit Schlacht- kolben die Schädel ein. Auf den Fidschieilanden erwürgte man bei Bestattung eines hervorragend bedeutenden Mannes seine Frauen, Freunde und Knechte. Die Basuto schlugen nach dem Begräbnis auf dem Grabe des Mannes seine Witwen tot. Will die chinesische Witib „auf dem Rücken des Storches in den Himmel aufsteigen, das heißt, sich erhängen, so begleitet man sie in feierlichem Umzug und errichtet ihr einen Triumphbogen für ihren ehrenvollen Selbst- mord“. Wie uns Homeros verbürgt, opferten die Hellenen Poly- xenen am Grabe des Achilles. Bei den Herulern erhängte sich die Frau am Grabe ihres Ehegatten mit einer Schlinge. Wie Hero- dotos berichtet, war es bei den Skythen Brauch, beim Ableben des Königs eine der Beischläferinnen, den Mundschenk, den Koch und den Roßknecht zu erdrosseln. Bei den Polen, Wenden und Russen ist die Witwentötung meist durch Feuertod gut bezeugt. Bei den Südslaven verherrlicht die Guslarendichtung den Selbstmord aus Liebesgram und Weltekel durch Dolch, Gift oder Wassersprung. Bei den skandinavischen Germanen bestand noch lange genug der Brauch, daß man die Witwe samt dem Leichnam des Gatten auf ein Schiff setzte und beide gemeinsam verbrannte.

Am bekanntesten ist bei uns die indische Witwenverbrennung geworden, die ja noch immer allen englischen Gesetzen zum Trotze nicht ganz abgekommen zu sein scheint. Sie ist nur selten und war es auch in früheren Zeiten, weil doch nicht täglich namhafte be- deutende Männer dahinsterben, von dem gewöhnlichen toten Männer- gesindel aber nicht viel zu befürchten und zu besorgen war, weshalb man die Witwen der zeitraubenden und kostspieligen Verbrennung auf Scheiterhaufen nicht unterzog. Die Begleitumstände der Witwen- verbrennungen bespricht übersichtlich und am besten M. Winternitz so: „Von dem Augenblicke an, wo die Witwe ihren Entschluß zum Mitsterben geäußert hatte, galt sie als eine Art Heilige und genoß während der Vorbereitungen zum Leichenbegängnis, die oft mehrere Tage oder noch länger dauerten, große Bewunderung und Verehrung.

Krauß: Frauenseelenweihungen 435

Immer war sie festlich geschmückt, wie zu einer Hochzeit. Der Fest- zug, der sie zum Scheiterhaufen begleitet, wird oft wie ein Hochzeitszug geschildert. Nie fehlte lärmende Musik und die Begleitung einer begeisterten und bewundernden Volksmenge, an deren Spitze die

Priester und die Verwandten einherzogen. Die Witwe hatte gewöhn- lich eine Zitrone in der einen und einen Spiegel in der anderen Hand. In feierlicher Weise umschritt sie dreimal oder siebenmal den Scheiterhaufen, der gewöhnlich in der Nähe eines Flusses er- richtet wurde. Endlich besteigt sie den Scheiterhaufen. Manchmal wird die Leiche quer über sie hingelegt oder sie sitzt auf einem Stuhl mit dem Kopf der Leiche auf ihrem Schoß. In manchen Gegenden sitzt die Frau mit dem Leichnam in einer Hütte. Anderswo wird ein Gerüste auf Pfosten errichtet, die man leicht wegnehmen kann, so daß die flammenden Balken nach dem Anzünden sofort über die Leichen zusammenstürzen. Brahmanen mit Fackeln stehen um den Scheiterhaufen herum, den sie auf ein vom leitenden Priester gegebenes . Zeichen entzünden. Nach anderen Berichten ist es die Witwe selbst, die den Scheiterhaufen in Brand setzt oder wenigstens das Zeichen dazu gibt. Nach der Verbrennung sammelte man die Asche und . warf sie in den Fluß. Der Sati zu Ehren errichtete man ein Denkmal aus Stein, begoß es mit Öl und bestrich es mit roter Farbe; sie selber aber galt von da an als eine Ortheilige und genoß geradezu göttliche Verehrung.

In Orissa und an der Koromandelküste geschah die Verbrennung in der Weise, daß man eine tiefe Grube machte, sie mit Holz und Spezereien füllte und die Leiche hineinlegte. Dann entzündete man das Feuer und die Witwe stürzte sich in die brennende Glut hinein. Auch kam es vor, daß man die Witwe mit dem Leichnam lebendig. begrub.“ | | | Daß öfter religiöser an Geistkrankheit grenzender Wahn die Frauen dazu trieb, wie Winternitz annimmt, ist richtig, nur bezweifle ich gar sehr, daß er öfter bei den Frauen als bei den indoarischen

Pfaffen auftrat. In einem wertvollen Aufsatze über religiöse An- schauungen und Menschenopfer in Togo sagt H. Klose nach eigenen Ermittlungen: „Nach dem Glauben der Dahomeer, der Nachbarn des Evhevolkes, die sich durch die enge Berührung verwandtschaftlich nahe stehen, waren noch zu Beginn der 90 er Jahre, vor der fran- zösischen Okkupation, öffentliche Menschenopfer bei dem Tode eines Herrschers allgemein im Gebrauch. Vor allem wurden die Lieblings- frauen und hunderte von Sklaven getötet, die oft freiwillig und freudig

e

436 Krauß: Frauenseelenweihungen

in den Tod gingen, um ihrem Herrn ins Jenseits zu folgen. Nach den Berichten der Reisenden soll es kein eigentliches Trauerfest, sondern ein Freudenfest mit Gesang und Tanz gewesen sein. Nach dieser Auffassung leben die Geister der Verstorbenen ganz wie auf Erden im Reiche der Toten weiter fort. Daher muß der König seine Bedienungs- und Lieblingsfrauen zu seinem Hofstaat um sich versammelt haben, damit er auch dort als Herrscher dementsprechend auftreten kann. Bei ärmeren Leuten opferte man daher auch nur gewöhnlich die Lieblingsfrauen. So richteten sich diese Opfer der Anzahl nach ganz nach dem Ansehen und Vermögen des Verstorbenen. Auch die Aschanti hatten ähnliche Opfer beim Tode eines Großen, wo man die sogenannten Totenbegleiter mit gebrochenem Genick zu Füßen des verstorbenen Herrn ins Grab legte.“

Klose vermutet, daß auch bei den Evhe früher ein derartiger Kult stattgefunden habe. Wichtig sind aber auch seine Angaben über die üblichen Hinopferungen eines der Zwillingskinder:

„Die Furcht vor den bösen Dämonen geht sogar so weit, daß selbst die Mutter ihr Liebstes opfert. In der Landschaft Kratyi tötet man unbarmherzig die Zwillinge, weil die Leute glauben, daß ein böser Geist seine Hand mit im Spiel gehabt hat. Hat eine Frau das Unglück, zum zweitenmal Zwillinge zu gebären, so sollen sogar die Leute nicht zurückschrecken, die unschuldigen Kinder einem Ameisenhaufen zu übergeben, wie Clerk angibt. Auf diese Weise nämlich sind sie der Ansicht, einer weiteren Zwillingsgeburt vor- zubeugen. Auch bei den Bassarileuten, wie bei den meisten Natur- ‚völkern gelten Zwillinge als ein böses Omen. Bei den Bassaris jedoch behält man von neugeborenen Zwillingen, wenigstens ein Kind, während man das andere in einen großen Topf tut und lebendig begräbt. Besteht das Zwillingspaar aus einem Mädchen und einem Knaben, so bleibt nur der Knabe am Leben, bei gleichem Geschlechte aber schont man das stärkere Kind. Um gewissermaßen die Zu- gehörigkeit von Zwillingen zu einander anzudeuten, opfert man ein Huhn und teilt es in zwei Hälften. Die eine gibt man dem zu begrabenden Kinde mit, die andere bestattet man dagegen in einem Topf neben der Grabstätte des Kindes. Dies Opfer soll gleichsam den Fetisch versöhnen und den Geist des verstorbenen Kindes an die nahen Beziehungen des lebenden SES erinnern, damit er sich nicht an ihm räche.

Nachgeborene Zwillinge begräbt man ebenfalls lebend. Der Vater geht dann zum Fetischpriester, um dem Fetisch zu opfern und ihn

Krauß: Frauenseelenweihungen o 437

zu bitten, daß er ihn vor einer Wiederholung des Unglücks behüten möchte. Solche Frauen, Mütter von Zwillingen, dürfen nicht mehr zur Einsaat und Ernte der Früchte auf das Feld gehen, da sie auch die Frucht des Feldes verderben könnten. Erst nach der Wieder- geburt eines Kindes erlaubt ihnen das Fetischgesetz, wieder an der Feldarbeit teilzunehmen.“ | |

Statt erwachsener Frauen legte man bei den Wabena in Deutsch- ostafrika, wie der Missionar Martin Priebusch berichtet, dem ver- storbenen Häuptling. zu beiden Seiten Kinder im Säuglingsalter mit ins Grab. Man begrub die Säuglinge lebend mit der Leiche des Häuptlings. Waren zufällig keine vorhanden, so benutzte man größere Kinder dazu. Ehe man sie bestattete, erstickte man sie vorher. Man hielt ihnen so lange Mund und Nase zu, bis sie tot waren. Huben die kleinen Kinder, die man lebend ins Grab zum toten Häuptling legte, zu weinen an, ehe sie mit Erde bedeckt waren, so nahm man sie wieder heraus und begrub an ihrer Stelle andere mit, die sich ruhiger ver- hielten. Wollte sich gar kein Kind finden, das beim Begrabenwerden

Stille war, so machte man ein Kind, das gerade zur Hand war, auf

oben geschilderte Weise erst stille und legte es dann der Leiche des Häuptlings zur Seite. Oben auf die Leiche lagerte man auch erwachsene Männer, die man auf gleiche Weise getötet hatte.

Selten ist die Hinopferung von Jungfrauen zu Ehren verstorbener Frauen, doch kommt auch sie vor. So berichtet z. B. Dr. M. Kranz, der sich viele Jahre lang bei den Zulus aufgehalten: „Wie sehr bisweilen Mütter oder Frauen scheinbar verehrt worden sind, beweist, daß der Zuludespot Tschaka beim Tode seiner Mutter Mnante, einer ränkeschmiedenden, ehrgeizigen alten Frau, über tausend Rinder opfern ließ, und nachher seine Krieger, die beim Grabe Wache hielten, damit festlich bewirtete. Dabei ließ er zehn auserlesene Jungfrauen lebendig mit der Verstorbenen begraben und die Krieger mußten ein allgemeines Niedermetzeln von mehreren Tausenden Menschen zurEhre der Toten, zu ihrem Hofstaate im Jenseits, ausführen.“

An der Küste von Peru begrub man die Witwen lebend mit dem Leib ihres verschiedenen Ehemannes und bei den Natchez schlug man ihnen vorerst das Schädeldach ein und bestattete sie im selben Hügelgrabe mit dem Manne. Die Belege dazu geben Navarrete, Dumont und Gumilla an. |

438 Krauß: Frauenseelenweihungen

V. Frauenseelenweihungen zur Erlangung von Frauenblut und Frauenfleisch.

Weibliche Schönheitssucht war mitunter die Quelle bösester Grausamkeiten gegen andere schöne Frauen. Solche Fälle kennen wir aus vielen Sagen vom Wettbewerb schöner Frauen, wo es bloß Rachehandlungen oder Beseitigung unliebsamer Nebenbuhlerinnen galt, doch gibt es einen Zauberwahn, daß man sich die Schönheit anderer aneignen könne, indem man sich in deren Blut bade. Das ist nur eine Spielart des bekannteren Glaubens, wonach man in den Besitz des Heldenmutes und sonstiger Tugenden eines Ermordeten gelangen werde, esse man von seinem Herzen oder Fleische und trinke man sein Blut. Die Sucht, ein Stückchen vom Strick eines Gehängten als ein Amulet oder als einen Talisman zu erwerben, gehört demselben Gedankenkreis an. Michael Wagner erzählt (1796) die grauenhafte Geschichte der im Jahre 1614 verstorbenen Elisabetha Bathori, der Ehefrau des Grafen Nadasdy, welche zur Erhöhung ihrer eigenen Schönheit hübsche Landmädchen töten ließ, um in deren Blute zu baden. Es ist zwar eine eigene Reinwaschungsschrift zugunsten besagten Scheusals erschienen, aber sie überzeugt nicht mehr und nicht weniger als der abgrundtief überschnappte Denker der christkatholischklerikal-juden-protestanten-türkenfresserischen Zeitung „Das Vaterland“ in Wien, welcher es unternahm, den sanften Feuer- tod der von der Inquisition verbrannten Hexen und Ketzer höchlich lob- zupreisen. Die Geschichte der Bathori entspricht dem Charakter jener magyarischen Hochadeligen, die sich während des Weltkrieges und nachher im Blute der Völker wälzten, um Schönkind zu werden und nach dem Kriege in staatlichen Anstalten Banknoten auswärtiger Staaten fälschten und in Umlauf zu setzen versuchten. Es gibt im Ungarlande eine gar nicht geringe Anzahl Mißvergnügter, ebenso in der Tschechoslowakei, im S. H. S.-Staate und in Österreich, welche in ihren Zeitungen dafür Stimmung machen, man solle alle diese Ver- brechersippen aufgreifen und sie entweder mit Stumpf und Stiel ausrotten:

od zla roda nek nije poroda (von böser Zucht soll keine Aufzucht bleiben) oder sie auf wüsten Atollen der Südsee aussetzen, damit Europa und die Welt überhaupt zu Ruhe und Frieden gelangen möge.

Elisabetha Bathori putzte sich ihrem Gemahl zu Gefallen in ungemeinem Grade und brachte halbe Tage bei ihrer Toilette zu. Einstmals versah eines ihrer Kammermädchen, wie der magyarische Geschichtschreiber Thurotz Laslö und Istvanfy berichten und es

Krauß: Frauenseelenweihungen 439

gerichtliche Urkunden auch bezeugen, etwas am Kopfputz und bekam für das Versehen eine so derbe Ohrfeige, daß das Blut auf das Gesicht der Gebieterin spritzte. Als diese die Blutstropfen von ihrem Gesichte abwischte, schien ihr die Haut auf dieser Stelle viel schöner, weißer und feiner zu sein. Sie faßte sogleich den Entschluß, ihr Gesicht, ja, ihren ganzen Leib im menschlichen Blute zu baden, um dadurch ihre Schönheit und ihre Reize zu erhöhen.

Bei diesem grausamen Vorsatz zog sie zwei alte Weiber zu Rate, welche ihr den gänzlichen Beifall gaben und ihr bei dem Vorhaben an die Hand zu gehen versprachen. In die blutdurstige Gesellschaft ward auch ein gewisser Fitzko, Zögling der Elisabetha, auf- genommen. Dieser Wüterich tötete gewöhnlich die unglücklichen Schlachtopfer und die alten Weiber faßten das Blut auf, in welchem sich dann dieses Ungeheuer um 4 Uhr morgens in einem Troge zu baden pflegte. Nach dem Bade kam sie sich immer schöner vor. Sie setzte daher dieses Handwerk auch nach dem Tode ihres Gemahls fort (welcher im Jahre 1604 verstarb), um neue Anbeter und Liebhaber zu gewinnen.

Die unglücklichen Mädchen, welche von den alten Weibern unter dem Vorwande des Dienstes ins Haus der Elisabetha gelockt wurden, brachte man unter verschiedenem Vorwand in den Keller. Hier ergriff man sie und schlug sie so lange, bis ihr Leib anschwoll. Elisabetha peinigte die Unglücklichen nicht selten selber, und sehr oft wechselte sie ihre vom Blute triefenden Kleider um und fing dann ihre Grausamkeiten aufs Neue an. Den aufgequollenen Leib der Mädchen schnitt sie dann mit dem Schermesser auf. Nicht selten ließ diese Unholdin die Mädchen brennen und dann schinden. Die meisten schlug man so lange, bis sie tot blieben. Die Vertrauten, welche ihr beim Prügeln nicht behilflich sein wollten, schlug sie selber; im Gegenteil belohnte sie die Frauen reichlich, welche ihr die Mädchen zuführten und sich bei der Ausführung der Missetaten zu Werkzeugen gebrauchen ließen. Sie war auch der vermeinten Zauberei ergeben, hatte einen eigenen Zauberspiegel in Gestalt einer Bretz, bei dem sie stundenlang betete. Gegen das Ende ging ihre Grausamkeit soweit, daß sie ihre Leute, zumal Mädchen, die mit ihr im Wagen fuhren, zwickte und mit Nadeln stach. Eines ihrer Dienstmädchen ließ sie nackend ausziehen und mit Honig beschmieren, damit es von den Fliegen aufgefressen werden sollte. Als sie er- krankte und ihre gewöhnlichen Schandtaten nicht ausüben konnte, ließ sie eine Person zu ihrem Krankenbett kommen und biß sie wie

40 Krauß: Frauenseelenweihungen

ein wildes Tier. Sie brachte auf die beschriebene Art gegen 650 Mädchen ums Leben, teils in Cseita (in der Neutraer Gespanschaft), wo sie einen eigens hierzu eingerichteten Keller hatte, teils an anderen Orten, denn das Morden und Blutvergießen war ihr zum Bedürfnis geworden.

Als so viele Mädchen aus der benachbarten Gegend, die man unter dem Vorwand des Dienstes oder der ferneren Ausbildung in das Schloß gelockt, verloren gingen und die Eltern auf ihre Nach- frage hin nie befriedigende und meistens zweideutige Antworten erhielten, so wurde die Sache verdächtig... Zuletzt hat man durch die Bestechung des Gesindes so viel herausgebracht, daß die ver- mißten Mädchen gesund in den Keller gegangen und nie wieder zum Vorschein gekommen seien. Die Sache wurde nun sowohl bei Hofe als bei dem damaligen Palatin Thurzo angegeben. Der Palatin ließ das Schloß Cseita überfallen, stellte die strengsten Untersuchungen an und entdeckte die schauderhaften Mordtaten. Die Gräfin Bathory- Nadasdy ward für die begangenen Greueltaten zu lebenslänglicher Haft verurteilt, ihre Mitschuldigen aber richtete man hin, weil sie dem gemeinen, unedelbürtigen Pack angehörten.

Die hochgeborene Frauenmörderin war eine Vorläuferin des Marquis de Sade und jenes Pariser Biedermannes, der in Puffen Mädchen fesseln ließ, um ihnen die Brüste mit Nadeln vollzuspicken. Alle drei Gestalten waren von Wahnvorstellungen befangen, unter deren Druck sie die Missetaten zur Befriedigung ihrer krankhaft gesteigerten Sinneslust verübten. Andere Fälle ähnlicher Art teilt Hermann L. Strack in seinem berühmten Werke vom Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit (München 1900) mit. Im Weltkrieg konnten sich die Bathoristinnen und Sadisten weidlich- austoben. Man nannte dies schönfärberisch ein Stahlbad der Völker.

Nach Wilhelm Mannhardts Praktischen Folgen des Aberglaubens führt Strack unter anderen Beispielen für den verbrecherischen Blut- glauben auch noch einen Fall an, den man als einen besonderen Beweis für den kulturellen Tiefstand unseres deutschen Volkes auch sonst noch öfters vorgesetzt bekommt. Aus jedem Lande kann man aus den Schriften der Strafgerichte dem nachfolgenden gleiche oder sehr ähnliche Fälle von Vernichtungen junger Frauenleben heraussuchen. Ob es sich in den einzelnen Fällen um die Verübung eines Verbrechens unter dem Einfluß überkommener Glaubenslehren oder um die Handlung eines schwer belasteten hemmungslosen Neurotikers dreht, das pflegen die

Krauß: Frauenseelenweihungen 441

Sachverständigen und die Richter nicht zu ermitteln, keineswegs jedoch sind wir irgendwie genötigt, derlei Vorkommnisse zu den Sitten und Bräuchen europäischer Völker zu rechnen. Man muß auch sehr, aber schon gar sehr mißtrauisch derlei Angaben aus dem Gebiete fremder Völker aufnehmen, wenn wir sie einer gewissen Art von reisenden Schnellreitern und Kilometerfressern verdanken. Solche Leute lügen wie manche Helden in Dickens Pickwickiern, führen zuweilen sogar in anthropologischen Gesellschaften das große Wort und begeifern giftig denjenigen, der ihren Umgang scheut, als einen Pornographen.

Am Sylvesterabend 1864 wurde in Ellerwalde bei Elbing an der 23 jährigen Elisabeth Zernickel ein gräßlicher Raubmord verübt. Aus ihrem Bauche war ein Stück Fleisch 9 Zoll lang und ebenso breit herausgeschnitten. Längere Zeit hatte man von dem Täter keine Spur, bis am Abend des 16. Februars 1865 bei Ausführung eines Diebstahls der Arbeiter Gottfried Dallian aus Neukirch in der Niederung ergriffen und bei ihm ein eigentümliches Licht, bestehend aus einer in einer Blechrolle befindlichen, ziemlich festen Fettmasse, die um einen Docht gegossen war, gefunden wurde. Bei der gerichtlichen Vernehmung legte der Raubmörder ein offenes Geständnis ab. Er habe am 31. Dezember nur einen Diebstahl beabsichtigt, erst das laute Hilfegeschrei der Zernickel habe ihn dazu veranlaßt, sie durch Schläge mit seinem Knotenstock auf den Kopf besinnungslos zu machen. Nachdem er alles zusammengepackt, schnitt er aus dem Leichnam ein Stück Bauchfleisch heraus, das er zu Hause ausbriet. Aus dem ausgebratenen Menschenfette habe er sich durch Zusatz von Rindertalg das Dieblicht verfertigt, die zurückgebliebenen Grieben aber aufgegessen. Das Schwurgericht Elbing verurteilte ihn am 23. Juni 1865 zum Tode. Der Beweggrund der Tat war der dem Dallian durch Hörensagen mitgeteilte Wahn, ein aus dem Fett eines Ermordeten verfertigtes Licht oder Lämpchen werde durch keinen Zugwind ausgelöscht, nur durch Milch sei die Flamme zu töten, wer es trage, werde unsichtbar, während alle Lebenden umher in tiefem Schlafe festgehalten würden. Auf diese Weise sichere es den Dieb vor jeder Störung in seinem Geschäfte. Und wenn der Mörder ein Stück aus dem Leibe seines Opfers ausschneide, brate und verzehre, so finde er Ruhe in seinem Gewissen, er gedenke der Untat nie wieder. Eine Umfrage in meiner Monatsschrift für Volks- kunde „Am Urquell“ ergab eine Menge ähnlicher Berichte aus vielen Völkergebieten. Dem Glaubenwahne fallen durchweg Frauen und Kinder zum Opfer.

442 Krauß: Frauenseelenweihungen

VI. Frauenseelenweihungen zur Abwehr von Krankheit- geistern und um Genesung zu erlangen.

Auch zur Abwehr von Krankheitsgeistern opferte man schöne Frauen hin, so bei den Nordslaven noch in halbvergangenen Tagen. A. Löwenstimm meint, von der Darbringung eines Tieres als Opfer bis zur Opferung eines Menschen sei nur ein Schritt. Diese Auf- stellung bedarf einer Berichtigung, denn die geschichtliche Entwicklung lehrt uns, daß man Tiere als Ersatz für Menschenopfer darbringt. Beim Umpflügen zur Bannung der Pest vergräbt man im Bezirke von Jaroslav auch noch schwarze Vögel und sonst welche Tiere und im Bezirke von Vologda einen Hund und eine Katze.

Das sind zweifellos Ersatzopfer. Wie J. P. Sachärov angibt, besteht die Überlieferung, daß man in alten Zeiten in großrussischen und ukrainischen Niederlassungen gewöhnlich ein bei der ganzen Gemeinde böser Anschläge verdächtiges Weib zur Beseitigung der Viehseuche dem Tode weihte. Die so dem Tode verfallenen Frauen band man in großrussischen Dörfern mit einer Katze und einem Hunde in einen Sack ein und verscharrte sie lebendig in die Erde. Die Ukrainer dagegen ertränkten solche Frauen in Seen und Flüssen. Es ist wohl ein uraltslavischer Glaubensbrauch, denn auch die Süd- slaven pflegten ihn noch bis ins XVIII. Jahrhundert hinein und zwar nachweislich für Ehebrecherinnen.

Tereščenko versichert, daß beim Umpflügen auch Fälle von Selbstaufopferungen vorgekommen seien: man habe das Los geworfen und wen es getroffen, den habe man in einer Grube lebendig mit einem Hahn und einer schwarzen Katze begraben. ]. J. JakuSkin erkannte richtig, daß ein derartiges Begraben eines lebendigen Frauenzimmers augenscheinlich die Bedeutung eines versöhnenden Opfers gehabt habe. Auf die Auslegung und das Wort kommt es uns hierbei wohl nicht an, sondern bloß auf die Tatsache, daß von den Wallerinnen höchstwahrscheinlich die schmuckste unter allen ihr Leben lassen mußte; denn mit Frauenschönheit glaubte man auch die schlimmsten Geister günstig stimmen zu können.

Desgleichen war bei den durch Schulmeisterweisheit zu aus- erkorensten Edelvölkern emporgeschwefelten Hellenen und Römern die schönste Frau als Opfertier gebräuchlich. Die Pfaffen, Dichterlinge und hofschwänzelnden Historiker faseln zwar von freiwilligen Selbst- aufopferungen, so z.B. B. Antonius Liberalis, den Geiger in seiner Schrift vom Selbstmord im klassischen Altertum und später Lasch anführen, aber die Priester und Richter können einem ein Loch in

"pd "reg: no *

*

eee

Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 443

den Bauch einreden, also auch Jungfrauen in den Tod hineinhetzen, boten Seuchen und Kriegsnöten dazu äußerlichen Anlaß. Als sich einst eine Pest über ganz Äonien verbreitete, verkündete der

Metiocheund Menippe einen prachtvollen Tempel in Orchomenos, wo ihnen alljährlich Knaben und Mädchen Opfer darbrachten. Die Athener ehrten den freiwilligen Opfertod der Töchter des Erechtheus mit Öffentlichen Trankopfern. Fortsetzung folgt.)

Humor in alter Rechtspflege. Kulturgeschichtliche Plauderei vom Hofrat PACHINGER, Linz a. D. (Mit Abbildungen.)

Vie unglaublich barbarisch die Rechtspflege früherer Zeit und zwar bis zum Anfange des 19, Jahrhunderts in Kriminalfällen schon

hatte sie bei sogenannten „Vergehen“ eine Neigung zum Humor, um dabei, allerdings in grimmiger Form, die Zügel schießen zu lassen.

gleichviel ob Mörder, Brandstifter, Meineidigen, Räuber, Dieb und dergleichen mit den qualvollsten Körperstrafen zu Leibe, ehe sie ihn dem Scharfrichter überlieferte, der ihn vom Leben zum Tode brachte,

444 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege

so war sie nicht weniger erfinderisch, den ob eines Vergehens wegen in ihre Hände geratenen, dem öffentlichen Spott, der gesellschaftlichen Ächtung zu überliefern.

Es ist geradezu drastisch zu nennen, wie diese alten Rechts- pfleger sich darauf verstanden, selbst einer körperlich nicht schmerz- haften Strafe den Beigeschmack einer moralischen Tortur zu geben, oder, wo nur immer es anging, jene auch mit einer leiblichen zu verbinden. Die gelindeste Form der sogenannten „Schandstrafen“, also der polizeilichen, somit nicht kriminellen, war das Pranger- stehen. Es gab wohl kein Städtchen, keinen Marktflecken im ganzen Römisch-deutschen Reiche, der nicht bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts einen „Schandpfahl“ gehabt hätte. Er stand meist am Rathause oder an einer übersichtlichen Stelle des Marktplatzes. Je nachdem war es einfach ein behauener, übermannshoher Holzpflock oder ein Steinpfeiler, aber stets ragte er aus dem Unterbau empor, damit der an ihn Gefesselte allseits gut gesehen werden konnte.

Die Prangerstrafe war sehr leicht erreichbar! Ein in fideler Stimmung veranstalteter Radau, ein lustiger Schelmenstreich genügte hierzu vollauf. War dieser am Ende gar noch der hohen Obrigkeit gespielt, dann bekam der „Schwerverbrecher“ zur Verschärfung der Strafe auch noch den schweren „Lasterstein“ um den Hals gehangen. An diesem Schandpfosten wurden auch liederliche Weibspersonen, „fahrende Dirnen“ bis zum Gürtel entkleidet, festgebunden und aus- gepeitscht, wie auch Verbrecher vor ihrer Justifizierung zur Schau gestellt. Dabei erhielt jeder Malefikant eine Tafel umgehängt, auf der die Ursache seiner Strafe geschrieben stand, mitunter auch noch die ihn weiter erwartende, wie zum Beispiel Kettenstrafe. Derlei Prangertafeln sind noch vielfach erhalten, so eine mit der Inschrift: „Strafe eines nachlässigen Kaminkehrers“, eine andere mit: „Schand- tafel der öffentlichen Übertretung allerhöchster Verordnung“, eine dritte mit: „Strafe des Frevels gegen die Sittlichkeit“, usw. Auch ein Stein aus dem fürstäbtlichen Gericht von Berchtesgaden in Bayern aus rotem Marmor, 25X31 cm groß und der eingemeißelten Bezeichnung: „Lasterstein Anno 1710“, befindet sich im National- museum zu München.

Nach Versicherung mancher Historiographen waren die Leute in der „guten alten Zeit“ viel sittlicher als jetzt, was indeß anderen Forschern keineswegs einleuchten will, am wenigsten nach der Lektüre von Gesetzbüchern und noch vorhandenen Gesetzverordnungen und Prozeßakten. Liefern jene doch den Beweis, daß die sittlichen

Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 445

Übelstände bereits in reichlichem Maße vorhanden sein mußten, als die Gesetze dagegen erlassen wurden, denn sonst hätte man dieser doch nicht bedurft; so aber bezeugen die Akten, wie tief die Un- moral bei Hoch und Nieder, bei Mann und Weib bereits eingegriffen hatte. Wie schlimm mußten die Dinge stehen, wenn dem Ehebrecher gegenüber von amtswegen mit der drakonischen Strafe der Ent- mannung vorgegangen werden konnte und diese Operation an dem Sünder nicht etwa in der abgeschlossenen Kerkerzelle vom Bader oder Feldscher, sondern am Pranger coram publico durch den Henker oder einem seiner Knechte vorgenommen wurde! Wie minderwertig in sittlicher Beziehung mußte die weibliche Bevölkerung sein, wenn sogar in dem niederbayrischen Landstädtchen Osterhofen von obrichkeitshalber öffentlich ein Strafmittel dagegen angewendet werden mußte? Auf dem Dachboden des alten Rathauses oben- genannten Städtchens fand man nämlich im Jahre 1872 ein aus Roßhaaren gewebtes Weiberhemd, das man denen, die außerehelich Mutter geworden waren, bei der vorgeschriebenen Kirchenbuße ebenso über den bloßen Körper zog, wie eingefangenen Dirnen, die nach der Stäupung mit der Ruthe noch zum Prangerstehen verurteilt wurden. Und dieses Bußhemd heute im bayrischen National- museum zeigt deutliche Spuren sehr reichlicher Verwendung.

Ein ebenso groteskes, wie boshaft ersonnenes altes Strafmittel war die „Schandmaske“ und besonders der originelle hölzerne „Schandesel“. Von letzterem gibt es sehr hübsche Abbildungen und auch viele, gut geschnitzte und naturgetreu bemalte wie auch primitiv gezimmerte Originale. Beiden war aber eigen, daß sie einen sehr scharfkantigen Rücken hatten und auf einem Untersatze mit Rädern standen, damit sie leicht durch die Straßen gezogen werden konnten. Die Stadt Krems in Niederösterreich besaß vor zirka 60 Jahren noch solch einen Schandesel und München zu Anfang des vorigen Jahrhunderts deren sogar zwei. Der eine stand vor der Hauptwache am Marienplatz; mit ihm mußten faule und nachlässige Soldaten Bekanntschaft machen. Der andere war Stadt- eigentum, wurde im Rathause aufbewahrt und auf den Markt- (Marien-)Platz gefahren, wo seiner beim Frischbrunnen der Stadt- büttel mit dem jeweiligen Reiter männlichen oder weiblichen Ge- schlechtes harrte.

Die zivilistischen Eselreiter rekrutierten sich meist aus dem Kleingewerbe und dieses wurde dann immer durch die Beigabe eines entsprechenden Emblemes versinnbildlicht. Auch Frauen und

446 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege

Dirnen, deren moralischer Ruf Einbuße erlitten hatte, mußten des öfteren das hölzerne Grautierchen besteigen.

Einem Krämer 2. B., der beim Wiegen betrogen hatte, hing man außer der für jeden Inkulpaten üblfchen Tafel mit der Bezeichnung seines Vergehens, eine große eiserne Wage um den Hals.

Sein Kollege, der mit der Elle bemogelt hatte, bekam eine schwarze schmale Latte zwischen die auf den Rücken gebundenen Hände gesteckt. Ganz besonders schlecht kamen die Brauer weg; diesen hing man vorne und auf dem Rücken eine Tafel mit der Inschrift: „Wegen prewen von schlechten pier“. Dazu baumelte ihnen vorne ein riesiger, eiserner Schöpflöffel. Jene aber, die „wegen schlechten Einschänkeris“ verdonnert waren, erhielten ebenso wie die gleicher Schuld bezichtigten Wirte, eine mächtig schwere Kanne um den Hals gehängt.

Eine Verschärfung der Schandeselstrafe war das Verkehrtsetzen, das heißt, mit dem Gesicht gegen das Hinterteil des Reittieres; weiter das „Umbfahren“, wobei der Holzesel samt seinem Reiter von den Stockknechten durch die Hauptstraßen der Stadt mit ihrem holprigen Pflaster gefahren wurde und als sehr empfindliche Straf- mehrung das Anhängen schwerer Gewichte an der Knöchelpartie.

Recht brutal verfuhr die heilige Hermandad mit den Bäckern wegen schlechten oder zu geringwertigen Brotes. Da besaß z. B. die Stadt Sulzbach einen aus starken, mit Eisen beschlagenen Latten bestehenden Käfig, gut mannshoch, sechskantig, oben an Ketten zum Aufhängen und innen mit einem schmalen Sitzbrett. Dieses famose Vehikel ward an einem genügend tiefen Bach oder See an einem auf- und niedergehenden Balken aufgehangen. War nun der „Verbrecher“ in den Käfig gesperrt, so ließen die Büttelknechte diesen samt seinem Insassen „in die Gumpen plumpsen“, zogen dann beide wieder hoch und wiederholten dies unterhaltliche Spiel „etzlichemale“. Auch München nannte solch eine „Bäckerschnelle“ mit beweglichen Galgen sein eigen. Das Instrument befand sich am Toratzbachl, über dem bei der „Roßschwemme“ am Viktualien- markt, wo heute das Kustermannhaus steht, extra hierfür gebauten Steg. Eine alte Verordnung für die Prozedur besagt: „Der zu strafende Pekchen ist so oft zu schnellen und unters Wasser zu lassen, bis er etzlichens wird plau im Gesicht“. |

Ein ebenso origineller wie für den jeweiligen Träger sicher un- behagliches Kleidungsstück war der „Schandmantel“. Es war dies ein meist aus derben Hartholzdauben gefügtes, von Eisenreifen

Pachinger: Humor in alter Rechtspflege , 447

zusammengehaltenes, glockenförmiges Faß von etwas mehr als einem Meter Höhe. Es wurde dem Deliquenten über den Kopf gestülpt, worauf jener es an den innenseitig angebrachten Hand- haben so hoch heben mußte, daß der Büttel ihm den zugehörigen, spottweise sternförmig ausgezackten Ringkragen, der gleichfalls aus Holz war, um den Hals legen und an den Faßwänden einhacken konnte. Ander Außenseite des Faßmantels waren Hacken angebracht, an die, zur Verschärfung der Strafe, Gewichte gehängt wurden.

Diese Schandmäntel, in die Trinker, Spieler, Radaumacher, beim Kammerfensterln erwischte Liebesritter und dergleichen gesteckt, vom Büttel durch die Straßen geführt und dann an den Pranger gestellt wurden, erfreuten sich bei Stadt- und Landrichtern offenbar großer Beliebtheit als Strafmittel, denn es sind uns deren noch viele erhalten. So besitzt auch das Bayrische Nationalmuseum ein paar von diesen Kulturdokumenten, die zum Teil sehr einfach, wie der aus Berchtesgaden und Dättelbach. Dagegen ist der aus Ottobeuren mit weißblau und roten Rokokoornamenten auf braunem Grunde be- malt; ein anderer aus Wertingen aber, datiert vom jahre 1775, wurde von dem dortigen Malermeister Leonhard Mittenmaier drastisch mit Genreszenen dekoriert. Da sehen wir einen Mann mit dem Straf- mantel am Pranger stehen, einen anderen, der ein Stück rotes Tuch stiehlt, weiteres Obst- und Holzdiebe, ein paar andere, die aus einem Haus Säcke fortschleppen. Des weiteren vier raufende Männer, von denen einer mit einem Knüppel draufschlägt, einen Mann, der eine Frau und zwei Kinder aus dem Haus treibt, ferner zechende Kartenspieler in Gesellschaft eines Schenkmädchens; ein heimliches Liebespaar auf der Gasse und einen Liebhaber auf der Leiter am Kammerfenster seiner Dulzinea. Der gezackte hölzerne Halskragen ist weiß und blau bemalt. Ahnlich, nur nicht so reich ist ein Schand- mantel aus Nürnberg malerisch behandelt. Hier sind nur drei Szenen mit den erklärenden Überschriften dargestellt und zwar: „Straff der Säuffer“, in Streit geratene Spieler; „Fraß und Völlerey“, eine Zecher- gruppe; „Straff der Unzucht“, ein Bauernknecht am Kammerfenster. Dafür ist der Kragen eines aus Eichstätt stammenden Schandmantels mit weißen, gelben und schwarzen Spitzen besetzt.

Originell ist eine „Schandkette“ aus dem Örtchen Erding. Durch eiserne Kettenglieder miteinander verbunden, baumeln an ihr, aus Holz geschnitzt und sauber bemalt, fünf Spielkartenblätter, fünf Würfel und zwei sogenannte „holländische“ Tonpfeifen. Diese Anti-Ehrenkette war für Spieler und Raucher bestimmt.

448 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege

Eine Art ausgleichende Gerechtigkeit war es, daß die gestrenge Themis das „zarte“ Geschlecht keineswegs glimpflicher behandelte. Ein ingenieuser Kopf war auf die Erfindung der „Strafgeige“ ver- verfallen, das ist ein im Grunde genommen höchst harmlos aus- sehendes Instrument. Sie war stets zweiteilig, aus Eichen-, Buchen-, Ahorn- oder Kirschbaumholz gefertigt. Auch Ulmen- und Birnbaum- holz wurde dazu verwendet; sie bestand aus einem Brett von etwa 50—70 cm Länge und 2—3 cm Dicke, in der Längsrichtung durch- schnitten und am dünneren Ende mittels eines Charnieres in zwei Hälften zum Auseinanderklappen. In diesen schmäleren. Teil des geigenförmigen Instrumentes waren nebeneinander zwei Löcher für die Arme geschnitten, die gerade dem Handgelenk Raum boten. Am entgegengesetzten, breiten Ende war ein größerer, runder Aus- schnitt für den Hals, häufig umgeben von einem breiten Rande, der zur Erhöhung des Spaßes gleich einer Halskrause zackenförmig ausgeschnitten war. Sogar aus Flacheisenstäben wurden solche Strafgeigen geschmiedet. Sie waren für böse, randel- und streit- süchtige Weiber bestimmt, deren Arme an den Handgelenken in die beiden kleineren Ausschnitte, der Hals in den größeren ge- steckt wurde. Man klappte dann die beiden Teile zu und schloß sie mit einem Vorhängeschloß ab, worauf der Büttel die also kampfunfähig gemachten Amazonen durch die Straßen führte und dann am Pranger zur Schau ausstellte. Auch Doppelstrafgeigen, in welche die Weiber, mit dem Gesicht zueinandergekehrt, gespannt wurden, hat es mehrfach gegeben. Diese Strafinstrumente waren in fast jeder Pfleggerichtsstätte mehrfach vorrätig. So wurden in Bayern seinerzeit von Erding allein sechs, von Eichstätt drei, von Ottobeuren zwei nach München eingeliefert. |

Von Schongau, Berchtesgaden und Dättelbach je eine. In der Sammlung des Schreibers dieser Plauderei befinden sich unter den Kulturkuriosa auch zwei verschiedenartig geschnitzte Strafgeigen aus dem Pflegamtsgericht Wildberg in Oberösterreich stammend.

Den Vogel des grotesken justiziellen Humors schossen indessen zweifellos die Verfertiger der „Schandlarven“ ab. Nur wer die lustigen Zeichnungen der Höllengeister in der „Versuchung des heiligen Antonius“ von Martin Schongauer, in den „Qualen und Gräueln der Hölle“ von Martin de Voß, den „Lastern der Wollust“ von Pieter Brueghel, dem Jüngeren, dem sogenannten „Höllenbreu- ghel“ kennt, kann sich eine Vorstellung machen, welch eine geradezu infernalische Erfindungsgabe auf diese Strafmasken verwendet wurde.

Pachinger: Humor in alter Rechtspflege . 449

Die „Schandhauben“, wie man sie auch nannte, waren aus

Eisenblech geschmiedet oder mehr oder minder kunstvoll getrieben und mit schmalen Eisenbändern so konstruiert, daß man ihren Träger darunter noch erkennen konnte. Sie wurden wie ein Turnier- oder Taucherhelm über den Kopf gestülpt und dann am Halse geschlossen. Mitunter waren sie sogar bemalt; fast nie aber fehlten die ungeheuer langen Ohren oder Hörner. Wo nicht an Stelle des Mundes eine rüsselartige Verlängerung angebracht war, hing aus jenem eine bewegliche Zunge. Diese sowie der Rüssel stand mit einer „Würgbirne“ in Verbindung, die der Delinquentin in den Mund geschoben wurde. Waren dann die Flügel dieser „Birne“ aus- einandergeschraubt, so hinderten sie den Inkulpaten nicht nur am Schimpfen und Schreien bei der nachfolgenden Stäupung des bloßen Rückens und Gesäßes, sondern jeder Lautversuch bewegte jene Blechzunge und löste nur einen pfeifenden Ton aus, der beim Vorhandensein eines Rüssels an der Maske sich je nachdem in einen trompetenden oder grunzenden verwandelte. Daß die durch die kräftigen Rutenhiebe verursachten natürlichen Schmerzäußerungen sich in solch merkwürdigen Tönen äußerten, erregte naheliegend die besondere Lachlust des ringsum versammelten Volkes. Die Verurteilung zum Tragen solcher Masken war eine Zusatz- strafe zur „öffentlichen Schändung“ und sie wurde nicht nur beim Strafvollzug am Pranger, sondern auch beim Führen durch die Gassen in Anwendung gebracht und zwar zumeist bei Vergehen der Be- leidigung und Verleumdung. Solche Schandmasken, die sich fast in der Fachabteilung eines jeden Museums befinden und auch in manchen Privatsammlungen anzutreffen sind, wurden in den sieb- ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus zahlreichen Patrimonial- gerichten an die großen Staatsmuseen eingeliefert. |

Für Mädchen, die sich eher nach einer Wiege als nach dem Ehebett umgesehen hatten oder solche, die sich bei einem heim- lichen Liebeshandel ertappen ließen, lag der Strohkranz mit zwei Zöpfen oder die „Schandkrone“ bereit. Wieder können wir hier auf das Bayrische Nationalmuseum verweisen, welches deren zwei besitzt. Die eine aus vier mit Stroh umflochtenen Bügeln bestehend, stammt aus Berchtesgaden, eine andere, hohe, gleichfalls aus vier strohumwundenen Bügeln, kuppelförmig nach oben zusammen- laufend, stammt aus Trostberg; diese hat noch ein kleines Dach aus Eisenblech, von dem kleine Quasten herabhängen; unter jenem

aber baumelt eine Kuhglocke und zwei mächtig lange und dicke G. u. G. XIV | 29

450 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassangu

Strohzöpfe hängen rückwärts herunter. An dem Stirnstreifen ist innen eine runde, schwarze Tuchkappe befestigt, außen zu beiden Seiten lange Eselsohren, in der Mitte ein einer Narrenkappe ähn- liches Blechschild mit Spielkartenblättern. Nach abwärts hängen zwei Ohrenschutzklappen, die mit einer Schnur unterhalb des Kinn gebunden, den grotesken Aufputz auf dem Kopfe festhielten.

Wenn sich aus dem Vorstehenden schon zur Genüge ergibt, daß die Justizverwaltung der so oft gelobten „guten, alten Zeit“ selbst für Vergehen, die heute im polizeilichen, geschweige denn im kriminellen Sinne überhaupt keine mehr sind, solche Strafen von wahrhaft infernalischem Humor erfand, der die davon Betroffenen der gesellschaftlichen Ächtung preisgab, so ist es nicht zu wundern, daß sich das Volk dazu verstand, zu diesem bürgerlichen Todschlag auch noch das seinige beizutragen und in der Tat berichten alte Chronisten, wie übel von der Menge stets den also zur Schau ge- stellten „armen Sündern“ und schönen Sünderinnen mitgespielt wurde. Natürlich die breite Masse betrachtete die Sache am Ende doch nur als einen zuerst für sie inszenierten Spektakel, um so mehr als zu seiner Veranstaltung meist ein Markttag gewählt wurde, an dem es an Zuzug aus der weiteren Umgebung so wenig fehlte, wie an geeigneten Wurfgeschossen aus Viktualien und sonstigen Abfällen, mit denen die anzüglichen und verhöhnenden Zurufe ergänzt wurden. |

Dieser justitielle Humor, der an die Schadenfreude der Menge appellierte, ist charakteristisch für die derbe Psyche jener breiten Volksschichten, die zweifellos heute noch in: gleicher Weise mit allen ihrer urteilslosen Misdervergeltungssucht Preisgegebenen ver- fahren würde. |

Das Sexualleben bei den Wahehe und

Wassangu. Von P. AMBROS MAYER O. S. B. (Schluß.)

Für die Periode des Zahnens habe ich keine besonderen Spezialitäten der mütterlichen Pflege, von Zaubermitteln, kennen gelernt. Hier werden auch die Vorderzähne nicht spitz zugefeilt oder ausgebrochen, wie bei anderen Stämmen; ebensowenig konnte ich von Kindesmord erfahren, wenn der Durchbruch der Zähne

Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 451

nicht normal erfolgt. Auch sonst scheint man nicht den verbrecherischen Abèrglauben von Unglückskindern zu hegen, da ich vielfach blinde und ganz verkrüppelte Kinder vorgefunden habe. Aus der gegebenen Säuglingspflege läßt sich ohne weiteres auf die kolossale Kinder- sterblichkeit im Säuglingsalter schließen. Wenn ich Weiber bei Anmeldung zum Taufunterricht nach ihrem Kindersegen befrage, hört man fast durchweg: „Zwei bis drei mal geboren, aber alle gestorben“. Warum gestorben? Amri ya Mungu“ „Gottes Wille“ und damit ist alle Philosophie erschöpft. Die Hälfte Weiber abortiert oder kommt zu früh nieder; was zur normalen Zeit geboren wird, davon stirbt mindestens die Hälfte im ersten Lebensjahre! Erstaunlich aber ist trotz alledem, was wir noch vom frühesten Geschlechtsgenuß hören werden, die riesige Konzeptionsfähigkeit. Nicht an der Befruchtungsfähigkeit fehlt es dem Weibe, sondern die unsagbar darniederliegenden hygienischen und sozialen Verhältnisse des schwarzen Weibes verschulden die unheimliche Sterblichkeit. Nicht minder schuld ist die Stupidität und Indolenz des nur mit Sklavensinn ausgestatteten auch freien Weibes.

Leicht ersichtlich fällt ein großer Teil der Todesfälle auf die un- bewußt geradezu verbrecherische Fütterung des Kindes neben der Muttermilch. Fast alle Kinder gehen an Verdauungsstörungen zu Grunde. Diese Störungen werden gefördert durch die Nacktheit der Kleinen, die vom warmen Mutterrücken herab der in den Tropen so riesig schwankenden Temperatur ausgesetzt werden. Wahrlich die Säuglinge werden, die Kinder sind abgehärtet! Die Feldarbeit fällt in die Regenzeit und nun ist das Kind allen Unbilden der Witterung, vorerst der Nässe, ausgesetzt! Es trocknet ja wieder am Mutterleib! l

Eine bisher völlig unbeachtete Schädigung schreibe ich dem Umstande zu, daß das auf den Rücken gebundene Kind während der den ganzen Rumpf erschütternden Arbeit des Mahlens, Stampfens, Hackens usw. eigentlich gar nie in Ruhe verdauen kann; es muß alles halbverdaut und gewaltsam abgehen.

Tatsächlich sind fast alle Säuglinge schlecht genährt, abgemagert, bei uns würde man sie rachitisch heißen. Selbst Knaben und Mädchen von fünf bis sechs Jahren zeigen hier nicht die Körperfülle der weißen Kinder dieses Alters, dafür aber oft gewaltig prominierende Bäuche, an denen die Beine wie Stelzen sich ausnehmen.

Jedem Beobachter, er braucht kein medizinisches Verständnis zu

haben, wird die Häufigkeit der Augenkrankheiten auffallen. In 29*

452 Mayer: Das Sexualleben bei den Wanene und Wassungu

erster Linie trägt die Mutter respektiv die unvermeidliche Großmutter daran die Schuld durch unqualifizierbare Unreinlichkeit in der Aufzücht des Kindes. Fließt das kranke Auge über von rahmartiger Absonderung, sind die Augenwinkel des Morgens voll der ekelhaften Sekrete, nur kein Wasser! Die Mutter oder die momentan funktionierende alte Tante wischt mit ihren schmutzigen Fingern einfach das Auge aus; damit ist Platz geschaffen für weiteren Nachschub und das genügt. Damit erklärt sich auch die häufige Infektion der Mutter und anderer Erwachsenen. Man sieht Knaben und Mädchen herumlaufen, deren Augen überentzündet sind, blutend, die Wimperhärchen alle verkrustet oder inkrustiert, so daß die Inhaber kaum die Lider öffnen können; aber Reinigung mit Wasser gibt es nicht! Daher die vielen Blinden, als ob die intensive Sonnenstrahlung daran Schuld wäre, was man oft hören kann von Europäern. Ich kenne einen einzigen Blinden nur, von dem die Märe geht, er sei blind geboren; dafür aber viele, die erst unter der sorgsamen Pflege der Eltern blind geworden. Nun, als Unglück wird der Blinde den Verlust des Augenlichtes nicht beklagen, solange er Tabak und Nahrung zur Genüge hat; bewundernden Genuß der Natur kennt der Neger nicht. Blindheit kann somit erwünschter Dispens von dem Kampf ums Dasein sein. Meines Erachtens dürfte der fast allgemeine fluor albus der Damenwelt hiesiger Landschaft nicht schuldlos sein an besagter Häufigkeit der Augenkrankheiten. Vielleicht empfängt das Kind schon den Krankheitsstoff beim Passieren des Geburtskanales; zweifelsohne aber überträgt die Mutter diesen Stoff nach Berührung der Genitalien auf das Auge des Säuglings, was sie übrigens selbst zugestehen und einsehen.

Weitere Schädigung und zwar der Atmungsorgane ersteht dem Kinde aus dem die ganze Negerhütte erfüllenden Rauch und Qualm. Den ganzen Tag brennt das offene Feuer am Boden; nachts wird dieses unterhalten wegen der empfindlichen Kälte und den Moskitos. Es ist undenkbar, daß sowohl für das zarte Auge, wie für die Lunge der beständige Qualm nicht von größter Schädigung sein muß. Daß gleichwohl Krankheiten der Atmungsorgane bei weitem nicht so zahlreich sind, wie die des Verdauungs-Traktus, kommt eben daher, daß das Kind den Tag über doch größtenteils auf dem Rücken der Mutter im Freien zubringt und der inhalierte Schaden wieder parallelisiert wird.

Wahrhaft zum Würgengel werden ansteckende Krankheiten, denen der Neger nichts entgegen zu stellen vermag, als die Flucht

Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 453

auf. der er aber oftmals den Tod nur noch in die Ferne trägt. Ist eine Krankheit einmal als infizierende, ansteckende erkannt, so hält schon die Selbstliebe und mehr noch der Aberglaube die Leute und somit auch die Säuglinge vom Verkehr mit den bekannten Ausbruchstellen, den dort seßhaften Leuten fern. Allein Mangels jeglichen Ver- ständnisses, jeglicher Hygiene, beim gemeinsamen Gebrauch der Geschirre usw. ist Weiterverbreitung unaufhaltsam. Säuglinge und Kinder sind dann zuerst dem Untergang preisgegeben, wie wir 1900 und 1904/05 bei der Pest, dann 1905 bei einer eigentlichen epide- mischen Kinderkrankheit gesehen haben (meines Erachtens Krupp).

Obwohl Lepra hierorts endemisch ist, ist mir ein damit behaftetes Kind nie vorgekommen, wohl aber Säuglinge mit Syphilis geschlagen, die dann ohnedies keine Aussicht auf längere Lebensdauer haben; dafür sorgt schon die Negerdawa (Medizin).

Hat sich der Säugling aus allen Gefährlichkeiten mütterlicher und großmütterlicher Fürsorge bis zum Kinde emporgearbeitet, so ist es in jenes ideale Zeitalter, für ihn das wahrhaft goldene, eingetreten, wo sich niemand um es kümmert. Die Mutter nicht mehr, weil es selbst sich bewegen und am Herde der Erwachsenen seine Nahrung zuführen kann, sie hingegen sich wieder ganz den gewohnten Arbeiten hingibt, meist auch sich wieder mit neuen Hoffnungen trägt; der Vater nicht, weil er mit seinem Kinde noch nichts an- zufangen weiß.

Das Erwachen des Verstandes bringt auch, außer erhöhter Nahrungszufuhr, für den Knaben nicht viel Mühsal mit sich. Schule und allen anderen Kulturunfug gibt es nicht, für Feldarbeiten sind seine Kräfte noch zu wenig versprechend. Somit verbleibt ihm nur, wenn sein Vater überhaupt dergleichen besitzt, das Hüten von Ziegen, Schafen und Rindern, eine Beschäftigung, die ihn bei der allgemeinen Weidefreiheit nicht mehr bedrückt, als wenn er überhaupt zu Schlaf und Spiel mit seinen Genossen im Sande läge. Hiesige Völker- stämme kennen auch die Beschneidung nicht im Gegensatze zu anderen Negerstämmen, wo sie an den heranwachsenden Knaben vorgenommen wird. Manche Reisende führen die Beschneidung bei heidnischen Stämmen einzig und allein auf hygienische Volksweisheit zurück, um so die gesundheitsschädlichen Folgen prophylaktisch zu meiden, wie sie die lange Vorhaut des Negers bedinge. Allein mir scheint so tief gründende Weisheit doch etwas zu vorurteilslose Voraussetzung zu sein. Die Völkerstämme nördlich des Äquator sind hamitisch-semitischen Ursprunges und dürfte die Beschneidung

454 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu

in der Urzeit religiöse Unterlage gehabt haben. Diese Unterlage hat sich mit der Zeit verflüchtigt und so ist traditionell die Beschneidung geblieben, obgleich kein Mensch weiß, warum und wozu. So ist es mit dem ganzen Aberglauben und der Zauberei, verstümmelte Tradition, die eben nur noch den Glauben an eine segnende und strafende Gottheit durchblicken läßt. Aber Rechenschaft über sein Glauben, Hoffen, Fürchten, Handeln vermag keiner zu geben.

Übrigens breitet sich die Beschneidungszeremonie immer mehr durch den vorrückenden und bei den Negerheiden sehr einflußreichen Islam auch bei unseren Stämmen aus, nicht zum mindesten dürften die Regierungsschulen daran schuld sein, ohne es zu wollen. Mir wurde neulich von einem Neger erzählt, daß die dortigen Schüler sich fast alle beim Wali beschneiden ließen. Die Beschneidung benimmt dem Wilden den entehrenden Ruf: „chenzi“ = Wilder, reiht ihn ebenbürtig den Waiglamu ein, stellt dogmatisch und moralisch absolut keine e dae; an seinem bisherigen und überlieferten Tun und Treiben etwas zu bessern, im Gegenteil! Ich kenne auch mitten in Usangu eine Ortschaft, wohin von dem Hauptsitz des Sultans mehrere Knaben zur Beschneidung geschickt worden. Dieser Akt ist aber kein traditioneller, sondern ist nur ein Symptom für den Einfluß des Islam unter den Naturvölkern.

Schlimm sind die Mädchen daran, welche ausnahmslos der Exstirpation der Klitoris unterworfen werden und zwar in einem Alter von sechs bis sieben Jahren. Grund hieran ist ebenfalls nicht ein hygienischer, wie schon Reisende berichtet haben, als ob die Klitoris zu einer übermäßigen Größe sich entwickeln und der Begattung hinderlich sei, sondern beruht in dem Aberglauben, daß ein Weib mit der Klitoris nicht empfangen könne. Die Exstirpation erfolgt durch ein altes Weib, mitten auf einer Flußinsel oder Sandbank. Über die dabei gehandhabten Werkzeuge konnte ich leider nichts erfahren und noch weniger eines bekommen. Die Operation ist ein großes Fest und geschieht öffentlich inmitten der versammelten Weiber und Mädchen, während die Männer abseits im Busche sitzen. Das mißhandelte Mädchen darf dabei nicht schreien, sonst müßten Vater und Mutter sterben. Anschließend an diesen ersten Akt der geschlechtlichen Mißhandlung ist ein mächtiges Saufgelage der Männer und allgemeiner Tanz der Weiber. Der Tanz bewegt sich um aus steifem Mehlbrei geformte und im Sande aufgestellte kleine Kinderfiguren. Augen, Ohren usw. sind durch schwarze Beeren,

Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 455

Hölzchen usw. angedeutet. (Klitoris=Cysongo oder Kizongo; Exstirpatio Klitoris = Kiungo.)

Nun ist das Mädchen heiratsfähig, wenn auch noch nicht konzeptionsfähig, was aber für den angehenden Ehemann und das Mädchen bedeutungslos ist. Ist das Mädchen einmal gesiegelt und gestempelt durch die Exstirpation und manneswürdig, so wird der Freier alsbald sich einstellen. Wir haben nur zu unterscheiden, ob das Mädchen einem Mann vor oder nach der Pubertätsperiode zu- fallen soll. i

Hat der Vater einen Knaben von sechs bis sieben Jahren, so ist es seine heilige Vaterpflicht, seinem Bengel ein Mädchen zu kaufen. Der Vater hält sich stets auf dem Läufenden, wo ein verfügbares Mädchen aufzutreiben ist, begibt sich zum Vater desselben, verabreicht der Mutter ein Geschenk in Kleidungsstoff oder Glasperlen und vereinbart mit dem Vater des Mädchens den Kaufpreis, der kaum zwei Rupien, gleich zwei Mark sechzig, übersteigen dürfte. Sind Vater und Mutter einverstanden, ist der Kaufpreis erlegt, so ist das Geschäft abgeschlossen, das Mädchen ist Braut, der Knabe Bräutigam. Ob Beide sich wollen oder nicht, darüber wird überhaupt nicht gesprochen, keines von beiden befragt und hat auch keines etwas einzuwenden, es ist so desturi, Brauch, fertig. Da der Knabe noch nicht zeugungsfähig ist, so verbleibt das Mädchen bei seiner Mutter, wird von befreundeten Weibern, die schon geboren haben, in alle Geheimnisse des Geschlechtsleben eingeweiht, was übrigens nicht ein- mal offiziell notwendig sein dürfte; dafür sorgt schon der freie Verkehr zwischen den Kindern beiderlei Geschlechtes und die Exstirpatio Klitoris. Meines Erachtens gibt es vom sechsten Lebensjahre an hier kein Kind mehr im Stande der Unschuld; wissen, erfahren theoretisch und üben praktisch fällt hier in Eines zusammen. Wohnen Braut und Bräutigam auch nicht zusammen bis zum Eintritt der Pubertät, so finden sie doch stets Gelegenheit zusammenzukommen und pflegen auch den geschlechtlichen Umgang. Das findet Groß und Klein ganz in der natürlichen Ordnung. Das Verlangen nach dem Koitus, die Erektio membri, berechtigt zum Beilager des Weibes; dies wurde mir schon oft entgegen gehalten.

Der Knabe ist geschlechtsreif, sobald er die Wahrnehmung der Effusio seminis (ntoko) macht, das Mädchen mit der ersten Men- struation.

Hat aber der Knabe keinen Vater, so muß er sich selbst auf die Brautschau begeben, wartet also seine „Größe“ von zehn

456 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und W assungu

bis 14 Jahren ab, was ihn selbstverständlich nicht hindert, mit jedem Mädchen, das sich ihm hingibt, Umgang zu haben. Entweder sucht er sich den Kaufpreis erst zu verdienen, um ihn so in bar oder in natura zu erlegen, oder was einfacher ist, er begibt sich in die Dienstbarkeit seines kommenden Schwiegervaters, arbeitet auf dem Felde; hütet das Vieh und hat dabei die stete Nähe seiner Liebe als angenehme Beigabe. Hat er so ein paar Regenzeiten mitgearbeitet, so steht der Hochzeit nichts entgegen, d. h. wenn das Mädchen bereits reif geworden.

Die erste Menstruation ist ein allgemeines Volksfest, zu dem von Nah und Fern die Männer zum Suff, Mädchen und Weiber zum Tanze herbeiströmen. Der Tanz ist in diesem Falle ein geradezu obszöner, da die Bewegungen des Koitus seitens der Weiber dar- gestellt werden; zum erstenmale menstruieren heißt: Kufunya ungo.

Geradezu unglücklich muß das Mädchen genannt werden, wenn ein erwachsener Mann sich als Freier einstellt und es ihm zu- gesprochen wird. Eine Weigerung seitens des Mädchens hat über- haupt keine Geltung. Jetzt hat das Mädchen nicht erst seine und des Bräutigams Pubertät abzuwarten, sondern es wird sofort ge- heiratet. Ich weiß Fälle, daß vierzigjährige, alte Schweinehunde, wenn ihre bisherigen Weiber nicht mehr genügend Sinnenkitzel bieten, sich kurzweg unreife Mädchen von sieben bis zehn Jahren kaufen. Für die Eltern des Kindes ist ein solcher Verkauf nichts als Geschäft. Andererseits ist mir bekannt geworden, daß der Ehemann seinem Freunde, der in seiner Hütte schläft, einfach so ein Mädchen zum Beilager gibt. Recht der Weigerung steht dem armen Wesen nicht zu.

Die Hochzeit besteht in jedem Fall, mag der puber gewordene Knabe oder ein alter Wüstling heiraten, in einem großen Suff für die Männer, in einem festlichen Tanze für die Weiber. Das ist der erste Teil.

Der zweite Teil folgt nachts in der Hütte des Mannes, wo dem ersten Koitus ein alter Mann und ein altes Weib assistieren; ob als Zeugen oder Gehilfen, wurde mir nicht klar.

Auf Integrität des Mädchens wird ja ohnedies nicht geachtet. Daß ein Mann eine virgo heiratet oder heiraten will, ist undenkbar; ja es wurde mir erzählt, daß ein Vater sein Mädchen durch einen Knaben für den Koitus mit einem Erwachsenen präparieren ließ. Der Zeuge davon war mir absolut glaubwürdig. Der Heide ist in punkto sexus einfach mehr als viehisch, bestialisch.

eo We

IW

Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 457

Das Lager der hiesigen Neger besteht in einer großen Binsen- matte auf dem bloßen Boden. |

Solange der Mann nur ein Weib hat, muß dieses eben dauernd, jede Nacht dem Manne beiliegen. Eine Unterbrechung veranlaßt die Menstruation. Während dieser Tage darf das Weib nicht ein- mal das gleiche Lager und die gleiche Matte mit dem Manne teilen, sondern muß abseits lagern; darf auch keine Nahrung dem Manne kochen. Die Menstrualsekretion wird als dem Manne Krankheit erregend angesehen; das Weib ist also unrein. Erst nach einem Bade post menses darf es wieder dem Manne beiliegen, d. h. wenn dieser will und darnach verlangt. Das Weib darf nicht das Ver- langen nach dem Koitus äußern, sondern hat zu warten, bis der Gemahl befiehlt; eine Weigerung würde eine Tracht Prügel und Gewaltanwendung zur Folge haben. Der Koitus wird in Seitenlage vollzogen. Das Weib hat nach demselben dem Manne die Vorhaut wieder über die Eichel zu streifen. Beide Teile nehmen sofort hernach eine Waschung der Genitalien vor.

Längere Unterbrechung veranlaßt der Beginn der Schwanger- schaft, die letzten Monate derselben und die ganze Laktationsperiode von ein bis eineinhalb jahren; ferner die ein- bis zweimonatliche Trauerzeit nach dem Tode eines Kindes.

Da das Weib völlig passiv sich zu verhalten hat, sowohl in der Forderung des debitum conjugale wie in der Ausübung desselben sich nur als Objekt der Wollust ihres Mannes zu betrachten hat, so dürfte mancher Fall steriler Ehe oder Konkubinats auf dieses passive Verhalten zu schreiben sein.

Diese häufige und langdauernde Außerdienststellung des Weibes, wie die Menstruation, die Schwangerschaft usw. es bedingen, die Anschauung des Heiden über den notwendigen Geschlechts-. verkehr zwingen eigentlich zur Polygamie (gleiche Anschauung äußerte Napoleon LL Die Werbung des zweiten und aller weiteren Weiber, Kauf und Heirat, erfolgt unter dem gleichen Modus wie bei der Heimführung des ersten Weibes. Verfügt der Mann nur über eine Hütte, so hat jedes Weib seinen eigenen Raum und wirtschaftet für sich; nur die Dienstleistung für den Mann ist eine gemeinsame, wie die Nahrung, bereiten, Feldbau u. dgl. Welches Weib des Nachts beim Manne zu liegen hat, bestimmt dieser. Verfügt derselbe über eine größere Anzahl von Ehehälften, so hat das gebrauchte Weib für drei Nächte Ruhezeit. Sobald der Ehe- mann eines seiner Weiber für den Koitus nicht mehr für geeignet

458 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu

erachtet, bekommt dieses eine eigene Hütte im Felde, hat dieses zu bebauen, die Erträgnisse im Großen dem Herrn und Gebieter ab- zuliefern, demselben für Festlichkeiten Bier zu sieden, bei seinem Besuche Lebensmittel zu kochen u. dgl. So findet man oft ganze Hüttenkomplexe, die keine anderen Insassen bieten, als ausrangierte Weiber von Häuptlingen mit ihren Kindern, bis diese letzteren ver- kauft oder in Arbeit gestellt werden können. Das Kommando über diese pensionierten Amazonen führt kein Eunuch, sondern ein alter Mann, ob Sklave oder Freier, weiß ich nicht. Aus der Anzahl und Häufigkeit der Hütten kann man also noch nicht auf starke Be- völkerung schließen. Der Inhaber mehrerer Weiber verteilt diese oft auch in mehrere Ortschaften, so daß er nach Belieben spazieren gehen kann und überall seinen eigenen Herd, sein Essen und sein Weib hat.

Eheliche Treue nach dem Moralprinzip ist so ziemlich un- bekannt. Sieht der Mann im Weibe nicht seine Lebensgenossin, sondern nur die notwendige Ergänzung zur Befriedigung seiner Lust, so muß ihm eben jedes Weib gleichwertig sein, das sich ihm hingibt. Das Weib aber kann jedenfalls nicht derart von ehelicher Liebe begeistert sein, daß es dem Manne, den es nicht frei gewählt hat, dem es durch Verkauf, unter dem Drucke der Gewohnheit, Furcht oder des Zwanges zugeführt worden ist, die Treue bewahrt. Ihm wird jeder Mann willkommen sein, der seine Sinne reizt, der ihm Genuß bietet und sie wird den Genuß genießen, soweit eben nicht Furcht vor Entdeckung und Prügel resp. Tötung es davon abhalten. Man kann es ihm auch nicht verdenken; da nimmt ein Wüstling jedes Jahr ein neues Weib, wenn nicht gleich zwei; setzt seine bisherige Leibmaschine noch im besten Alter ins Feld hinaus, und da soll das Weib zwischen zwanzig bis dreißig Jahren un- verrostete Liebe bewahren?

Meines Erachtens ist Ehebruch an der Tagesordnung, wird auch gegenseitig vorausgesetzt und vom Weibe meist auch stumpf- sinnig als unabänderliche Tatsache hingenommen. Dieser außer- eheliche Verkehr findet statt, wo immer zwei sich treffen, aber doch sich für unbemerkt erachten. Ein Weib arbeitet allein im Felde, ein Weib schläft oder arbeitet allein in der Hütte, der Mann ist abwesend, nirgends ist es sicher, ob es nicht mit Gewalt ergriffen und niedergeworfen wird. Selten wird ein Mann im Rausche sich intakt erhalten; meistens ist es Vergewaltigung des Weibes; doch hat auch das Weib seine illegitime Freundschaft und sucht dieselbe

Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 459

auf. So offenkundig die gegenseitige Untreue im Prinzip ist. so sucht doch jeder Eheteil seine Fehltritte sehr geheim zu l. en. Ertappt der Mann sein Weib in flagranti oder hört er nur von ` einem Dritten, wehe dem Weibe. Im Zorne überlegt der Mann nicht, das Weib mit dem Speere zu durchbohren, es krumm und lahm zu prügeln. Die beiden Kampfhähne, wenn sie aufeinander- stoßen, verhauen sich derart die Schädel, daß keiner ohne Wunde vom Platze streicht und das ist noch das Beste an der Sache, denn jeder hat es gleichwertig verdient. Auch das Weib ist nicht ohne Rache. Meisterhaft versteht es die Eifersucht, der Rivalin Gift in das Essen zu verbergen und diese so aus dem Wege zu schaffen. Das ist des Weibes diabolische Rache: „Giftmischerei!“

Der betrogene Ehemann hält sich außer einer gediegenen Prügelei auch insofern schadlos, daß er die „Liebe“, d. h. den illegitimen Mann seines Weibes zum Kadi, zum Häuptling schleppt, dieser dann zur Buße von etwa 1,30 Mark verurteilt wird. Wegen Ehe- bruch jedoch wird kein Mann sein Weib verstoßen, kein Weib den untreuen Mann verlassen. Das Geheimnis besteht in $ 11, sich nicht erwischen lassen.

Das Verhältnis der Knaben und Mädchen, der Männer und Weiber untereinander, wie es der freieste Geschlechtsverkehr kund- gibt, wird meinen ersten Satz bestätigen, daß das ganze Leben und Streben des heidnischen Negers sich um die Geschlechteslust bewegt, sein ganzes Sinnen und Trachten erfüllt. Daß dasselbe auch beim mohammedanischen Neger der Fall ist, ist klar. Wie weit dies beim christlichen Neger zutrifft, verdient eigene Beobach- tung und Darstellung.

Intra naturam also gibt es kaum ein Bedenken, seine Lust zu stillen, zum Koitus erachtet sich jedermann berechtigt, ja von der Natur getrieben; sittliche Bedenken dagegen erheben sich nicht. Fornicatio der Alleinstehenden, adulterium der Verheirateten, das sind die Kennzeichen, ja die Brandmale des Heidentums. Ent- haltsamkeit von. diesem Triebe wird nur widerwillig geübt, wo Furcht vor Strafe, Krankheit, Alter u. dgl. abschrecken. Incest hin- gegen soll nie verübt werden.

Bej der Ungebundenheit der Geschlechter, bei der Zügellosigkeit der Sitten, bei Ermangelung aller pudicitia, vor und untereinander, bei der stets sich bietenden Gelegenheit, seine Gelüste zu befriedigen, ob mit oder ohne Gewalt (mir ist letzthin ein Fall bekannt geworden, daß ein Eheweib kurzweg einen andern Mann aus der Hütte holte,

460 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu

mit ihm ins Feld ging, (Um das Kleid vom Leibe riß; nun, der

Widerstand des Herrn der Schöpfung wird nicht so ernst gewesen sein), ist wenig Anlaß geboten zu peccata contra naturam.

Daß aber Masturbation bei Knaben und Mädchen nicht un- bekannt ist, weiß ich bestimmt; sogar Onanie ist nicht bloß theoretisch bekannt, sondern wird auch in praxi betätigt, wenn auch nicht aus Furcht vor zu vielen Kindern (solche Sorgen kennt kein Vater), sondern aus reiner Wollust. Wo der Islam und der Küstenneger hinkommt, bürgert sich in Ermangelung des Weibes oder aus anderen Gründen auch Päderastie ein; ja ein Militärarzt sagte: Fälle, wo

Knaben an Mastdarmvorfällen leiden, seien fast stets auf Päderastie

zurückzuführen. Ein casus von bestialitas ist mir nie zu Ohren gekommen.

Prostitution, wie sie Kulturländern oder den Städten mit euro- päischen Einwanderern innerhalb der Kolonien oder fluktuierender Bevölkerung, wie Militärstationen, Karawanenstraßen, eigen ist, ist bei den Land- und Buschbewohnern unbekannt.

Quoad peccata contra naturam scheint mir der unkultivierte Naturneger oder „Wilde“ über den ins moderne Heidentum zurück- sinkenden Kulturmenschen zu stehen. Ersterer genießt zwar oder sucht zu genießen. schrankenlos die Fleischeslust, aber fast aus- nahmslos intra naturam.

Der Mangel der Religion, der Kultur, bringt ihn weder mit dem Gewissen, noch mit der Staatsgewalt in Widerspruch; so sieht er, ungereizt, keinen Anlaß zu peccata contra naturam; er bewegt sich als animal vivens einfach in Anschauungen, die besonders weit über die Tiere nicht. hinausgehen; das ist ihm auch in das Gesicht ge- schrieben; darum auch sein frühes Altern.

So weitgehend auch die ehelichen Freiheiten sind, so kann es doch über Nacht nicht bloß zu einer Prügelei, sondern auch zur Scheidung kommen.

Anlaß dazu gibt für den Mann Krankheit, Unfruchtbarkeit des Weibes, für das Weib mutmaßliche oder sichere Impotenz, Krankheit, übernormale Roheit des Mannes. Hat der Mann sich so weit erschwungen, daß er sein Weib verstoßen will, so wird er die Eltern des Kindes respektive des Weibes zum Häuptling zitieren, und dieser wird dann mit großer Würde die Untersuchung leiten und vor allem die Eltern veranlassen, das Mahengo, das empfangene Heiratsgut, den Kaufpreis für ihre Tochter, dem betrübten Ehemann zurück- zuerstatten, und das ist nicht so einfach. Welcher Vater wird sagen?

en

*

Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 461°

„Da, nimm deine Sachen und gib mir meine Tochter wieder!?“ Er wird sich weigern und wird lügen, daß die Bäume wackeln, daß er schon längst die Ziege gefressen, den Stoff verbraucht habe. Hilft alles nichts, der Mann will sein Eigentum wieder, wenn er das Weib nicht brauchen kann. Das ficht den Ehemann nichts an, daß das verstoßene Weib ihm vielleicht jahrelang die eheliche Pflicht geleistet, das Feld gebaut, die Nahrung gekocht hat. Sieht er sich von seinem Weibe in seinen Erwartungen getäuscht, so ist er bereit, das Weib zu wechseln, wie der Europäer das Hemd. Wie aber, wenn die Eltern gestorben, wenn der Kaufpreis den Erben zugefallen? Her muß der Kerl und wenn er auf dem Monde wohnte. Also so ein Ehescheidungsprozeß geht nicht so glatt ab und dauert oft länger als bei einem approbierten Juristen in Deutschland.

Gedenkt aber das Weib das Bett und Tischtuch (ideal gesprochen, in Wirklichkeit gibt es weder das eine noch das andere) zu zer- schneiden, so leitet es das Verfahren höchst einfach ein: läuft kurzweg davon, zu den Eltern, zu Verwandten oder, um als Eheweib nicht aus der Übung zu kommen, gleich zu einem anderen Manne. Der ver- lassene Ehemann läßt sich das selbstverständlich nicht bieten. Zuerst setzt es meist Prügel ab, er wird seine erblassende Flamme mit Gewalt zurückholen, einsperren; die Hausfrau wird aber bei der nächsten Gelegenheit wieder die Flucht ergreifen. Sieht der Mann, daß er trotz aller Liebenswürdigkeit seine Alte nicht mehr bezaubern und festhalten kann, so wird er ihr den Laufpaß nolens volens geben, aber nicht, ohne seinen Kaufpreis, den er ehedem bezahlt, wieder zurückzuerhalten. Der Prozeß und Verlauf ist dann derselbe wie im

obigen Falle, nur in verstärkter Auflage. Denn diesesmal hat der

Mann das Weib als Feindin vor sich und diese wird assistiert von allen Freundinnen und was das heißt, ein eigensinniges, ja böswilliges Weib mit einem Maul wie ein Krokodil sich vom Hals zu schaffen, das muß man mitangesehen und gehört haben.

Bei dem frühzeitigen und ununterbrochenen Geschlechtsverkehr ist es erklärlich, warum der Neger frühzeitig zu altern beginnt. Ein Mann oder Weib in den zwanziger jahren dürfte so ziemlich seinen europäischen Leidensgenossen im vierzigsten bis fünfzigsten Lebensjahre gleichzustellen sein; doch hält die Zeugungskraft des Mannes viel länger als die Konzeptionsfähigkeit des Weibes an.

Stirbt der Ehemann, so bedeutet das zwar Witwenschaft des Weibes, aber es ist nicht identisch mit Freiheit; im Gegenteil, das Weib gehört zum Rücklaß, Mobiliar, das an die trauernden Erben

-a A e, E A. ET

462 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu

übergeht. Die Weiber kommen aber nicht an die Söhne, wie das übrige Mobiliar, sondern an den Bruder oder andere Anverwandte gen. masc. Deshalb wird nicht der Sohn des Häuptlings Nachfolger in Amt und Würde, sondern stets ein Bruder oder anderer männlicher Anverwandter; zur Häuptlingswürde gehören viele Weiber, der Sohn aber kann nicht die Weiber des Vaters erben.

Freiheit des Weibes gäbe es nur dann, wenn kein Erbe da wäre. Wo aber findet sich kein Erbe für ein Weib?

Die alten Tage der Leute sind wahrhaft Sonnenuntergang, Abend des Lebens, freud- und trostlos. So lange die Alten arbeiten können, müssen sie sich selbst versorgen, in Krankheitsfällen wird von den Kindern oder Angehörigen kaum das Dürftigste gereicht. Ist die Krankheit übelriechend, ekelerregend, so wird im Felde eine kleine Grashütte errichtet, der Patient dorthin verbracht, das Essen ihm hingestellt. Je eher das Ende kommt, desto barmherziger erweist sich das Schicksal für den Ausgestoßenen, desto erwünschter den Angehörigen.

Das hindert aber diese keineswegs, im Todesfalle eine fürchter- liche Trauerklage anzustimmen. Alle Nachbarn und Nachbarinnen von nah und ferne strömen zusammen, miteinzustimmen, d. h. die Männer hocken hin, stemmen das Kinn auf die Knie und brüten stumpfsinnig vor sich hin. Die Weiber aber verführen ein Geheul, das „Stein erweichen, Menschen rasend machen kann“. Daß es dabei für die Trauergäste einen tüchtigen Trunk absetzt, das ge- hört zum Totenzeremoniell, sonst kämen die Trauergäste überhaupt nicht und man könnte nicht von Herzen lamentieren.

Ist der Kadaver einem Kinde gehörig, so wird er im Hause oder vor demselben begraben. Liegt die Grabstätte vor dem Hause, so wird sie mit einer kleinen Hecke eingefriedigt, Lebensmittel werden daraufgestellt für den kleinen Geist und so oft die Mutter Bier siedet, schüttet sie einige Tropfen auf das Grab des Lieblings. Beim Begräbnis selbst das Grab wird nur ein paar Fuß tief aus- gegraben drückt sie noch vor dem Zuschütten das letzte Mal die Brust voll Milch auf das Kind aus.

Handelt es sich um einen Erwachsenen, so wird der Leichnam ebenfalls in der Nähe der Hütte eingescharrt. Drei bis vier Tage dauert die Totenklage, dann aber folgt der Generalsuff, der selbst- verständlich alle Trauer fesselt und die alte Heiterkeit wieder löst. Der Geist des Toten muß gut gehalten werden, sonst fährt er in

4

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 463 a EE E EE

einen Löwen oder . und holt sich beliebig seine Opfer zum Frage.

Hat der Tote aber gar keine Angehörigen, ist er Fremdling nur, so wird er einfach in den Busch geworfen, wo er der Auferstehung entgegenharren mag, d.h. zuerst verfällt er den Hyänen und Aasgeiern zum Fraße. Dauert aber der Todeskampf oder die Krankheit zu lange, so hat die Barmherzigkeit schon vorher ein Ende. Das unnütze, überlästige Glied der Menschheit wird noch bei Lebzeiten in einen Sumpf oder in den Wald getragen und dort seinem weiteren Schicksale überlassen.

Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der

toten Materie.

Eine staatswissenschaftliche Betrachtung. Dr. rer. pol. FELIX SOLTERER.

In der Staatslehre hat der Gedanke der Darwinisten sein Ende gefunden. Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß das Selbst- bewußtsein des Menschen durch den Analogieschluß mit der Materie verletzt wurde. Das universalistische Lehrgebäude, das nun wieder den Vorrang errungen hat, triumphiert über das individualistische Denken. Doch nur aus dem Grunde, weil der Universalist bloß die Fehler der Individualisten aufzeigt, ohne zu bedenken, daß gerade die stärksten universalistischen Gebilde, wie die Gewerkschaften, Religionsverbände usw. aus dem individualistischen Denken ent- standen sind.

Der Individualismus beschränkt sich nicht allein auf Kaspar Hauser, der Individualist sieht die Notwendigkeit des gesellschaft- lichen Zusammenlebens ein, auch weiß er, daß der einzelne Mensch Mitmenschen benötigt, um ein Mensch des 20. Jahrhunderts sein zu können. Was er aber leugnet, ist, daß der Mensch von An- beginn schon so war, wie er jetzt ist, daß er vom Uranfange der Welt in geschlossenen Verbänden gelebt hat, daß Tier und Stein bloß erschaffen sind, damit sie der Mensch als eine Sache betrachten und gebrauchen kann.

Um nun die Entstehung eines Staates überhaupt erklären zu können, hat man zu verschiedenen Theorien gegriffen, um nur ja der Deszendenzlehre aus dem Wege gehen zu können.

464 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

So erklärt die Machttheorie, die durch Gumplowicz und Oppen- heimer vertreten ist, daß der Staat durch physische Gewalt ent- standen ist. Sie nimmt einen friedlichen ackerbauenden und einen kriegerischen Volksstamm an. Durch einen Vertrag verbinden sich diese zwei Volksstämme und wir haben einen Staat. Abgesehen von der energetischen und organischen Staatstheorie, wollen die anderen Theorien die Staatsentstehung auf dem Umweg der Ge- schlechtsliebe erklären. So haben Aristoteles, Cicero, Althusius, Filmer, Hobbes und Haller den Staat durch eine Familie gegründet wissen wollen.

Die neueren Theorien haben die Geschlechtsliebe, die zur Staaten- gründung führen soll, in verfeinerter Form ausgearbeitet, so meint Heinrich Schurtz in seinem Werke „Altersklassen und Männerbünde“, daß eine Art Päderastie der Autor meint dies aber nicht in seinen Ausführungen zu einer Staatengründung geführt hat. Er weist darauf hin, daß die Bedingung für den menschlichen Fortschritt die Verdrängung des Geschlechtstriebes sei,. der antisozial wirken soll und führt alle sozialen Verbände auf Männerverbände zurück.

Vorherrschend sind auch die verschiedenen Totemtheorien. So meint man, daß eine Gemeinschaft schon vor Zeiten menschlicher Vernunft bestand, jedoch erst mit der Menschwerdung hätte sich die Vernunftbegründung des Staates ergeben. Auf diese Weise wäre der Totemstaat entstanden. Totem nennt man im eigentlichen Sinne des Wortes das Handzeichen eines Häuptlings, das die Stelle einer Namensunterschrift vertrat. Dieses Handzeichen bestand meist aus dem Bilde des Tieres, von dem er den Namen trug. Das Totem mußte aber nicht immer ein Tier, es konnte auch eine Pflanze sein, von dem sich die Gemeinschaft abstammend glaubte. Darin liegt ja die Begründung des Totemismus, daß z. B. die Indianer sinnlich wahrnehmbare Wesen anbeteten. Die Schule Freud meint nun, daß der Totemstaat bloß zur Vermeidung des Inzestes diente. Die streng durch ein Tabu Totem abgeschlossenen Kasten sollten auf alle Weise die Blutschande verhindern. An die Stelle des Totemstaates trat der Ahnen-, resp. der Geschlechterstaat, der in den Gelände- staat überging, wo die Gemeinsamkeit der Abstammung keine Rolle mehr spielte und auch Fremde aufgenommen werden konnten. Alle diese Theorien, die den Staat auf der Geschlechtstheorie auf- bauen, leiden an einem Mangel. Wohl ist der Geschlechtstrieb des Menschen das wichtigste Moment des menschlichen Lebens, so daß der Mensch, der keinen Geschlechtstrieb zeigt, als abnormal

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 465

bezeichnet werden; muß. Dennoch kann man mit dem menschlichen Geschlechtstriebe allein niemals die Entstehung des Staatsgedankens erklären, denn der Geschlechtstrieb führt praktisch nur zur Ver- mehrung der Menschen, zu einer Familiengründung, niemals aber zu einer Staatentstehung. Nein, die Ursache der Kohäsion eines Staates liegt in der Materie selbst und diese Ursache soll nun bei

der toten Materie untersucht werden. Richtig aufgefaßt: Wir wollen

hier nicht beweisen, daß man im Mineralreiche Spuren von Staat- bildungen im menschlichen Sinne finden kann, denn dazu fehlt die Erscheinung des Denkens nach innen, wir wollen hier nur das Prinzip der Kohäsion in der Materie erforschen. Der Dualismus setzt die Begriffe Staat und Mensch ebenso voneinander als Welt, Mensch und Gott. Wie die Welt sich selbst schuf und nicht erschaffen wurde, so

existiert im vorhinein ein Ding Staat nicht, sondern er wurde erst

durch den Menschen gebildet.

Der Staat ist kein sinnliches, noch ein übersinnliches Wesen. Er existiert nicht, wenn man ihn als geistiges Prinzip erklärt, weil auf der ganzen Erde dies nicht vorhanden ist. Es ist ein Irrtum, wenn man behauptet, daß außer der toten Materie noch das geistige Prinzip, die Vernunft, Gott oder das Gedächtnis, wie man es nennen mag, leben muß. Die ganze tote und lebendige Welt ist auf dem Monismus aufgebaut, das heißt, es ist nur die Materie und sonst nichts, sowohl in uns als auch außer uns. Wie die Welt von einem leitenden Prinzip erschaffen sein soll, so wird dasselbe auch vom Staate behauptet. Die Welt an und für sich besteht nur im Vor- handensein der Materie, ebenso wie der Staat nur durch das Zusammenwohnen und -leben von Wesen hervorgerufen ist. Es gibt daher keine Welt und keinen Staat im subjektiven Sinne, da die beiden Begriffe nur Bezeichnungen von Materienansammlungen sind, wobei unter dem Begriffe Welt die ganze Materie verstanden wird und unter Staat nur ein Teil derselben. Wie die Welt, besteht der Staat aus zwei Teilen: aus einer toten und aus einer lebendigen Materie, aus Sachen und Menschen. Es ist schon öfters hingewiesen worden, daß ohne den Dualismus der Übergang der sogenannten toten Materie zu der lebendigen nicht erklärt werden könnte, mit anderen Worten gesagt, daß ein zweites Ding vorhanden sein mußte, um neben dem Steine noch das Tier zu erschaffen. Es kann nur in kurzen Umrissen erläutert werden, in welcher Weise dieser Über-

gang sich vollzog. Im Anfange mußte etwas vorhanden sein und

G.u.G.XIV 30

466 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

zwar eine Materie. Das Prinzip jeder Materie ist, eine Zeit lang zu existieren und dann zu zerfallen, um aus ihren Bestandteilen neue Materien aufzubauen. Wenn nun in der Laienwelt die Mineralien als unveränderliche Naturprodukte aufgefaßt werden, so übt dies in der Gelehrtenwelt die Wirkung aus, daß sie diese Meinung zwar als falsch erklärt, aber das Gegenteil in der Wissenschaft der Philo- sophie behauptet. Wie die Pflanze und das Tier, entsteht und vergeht das Mineral, nur daß die Zeiträume dieser Umwandlung unendlich größer als bei organischen Wesen sind. Wie das Tier sich weiterentwickelte, so entwickelte sich auch der Stein, da wir primäre und sekundäre Mineralien kennen. Primär sind alle jene Mineralien, die sich (analog der Weltentstehungstheorie von Kant) aus den heißen Dämpfen absetzten oder beim Abkühlen der ge- schmolzenen Massen des Erdinnern aus denselben abschieden. Aus den primären Mineralien haben sich dann unter dem chemischen Einflusse verschiedener Agentien, vor allem des Wassers, zahlreiche sekundäre Mineralien gebildet. Diese Zersetzungsvorgänge beruhen auf einem Austausch chemischer Bestandteile und stellen die Fort- pflanzungsmöglichkeiten der Steine vor. Wir sehen, der Stein hat die größte Ähnlichkeit mit der lebenden Materie, da er wie diese entsteht, sich fortpflanzt und zerfällt. Die Fortpflanzung der Gesteine findet ihre Gegenüberstellung in der künstlichen Befruchtung und in der Parthenogenese. Hans Driesch erzählt in seinem Buche „Philosophie des Organischen“ über Versuche, die Eier des See-

igels durch gewisse chemische und physikalische Agentien künstlich

zu befruchten. Es ist kein Zweifel, daß der Befruchtungsvorgang in der organischen Welt auf chemischen Vorgängen beruht, wie es in der anorganischen Welt deutlich hervorgeht. Der Übergang von der unorganischen Materie in die niedersten Lebewesen zeigt sich bei mehreren Gelegenheiten, so führt O. Lehmann in seinem Buche „Flüssige Kristalle“ überraschende Ähnlichkeiten zwischen diesen Kristallen und den Organismen an:

1. Fähigkeit zu wachsen.

2. Ähnlichkeit von Kristallisationskern und -Keim.

3. Aufzehren labiler Kristalle durch stabile.

4. Regelmäßige Form.

5. Regenerationsfähigkeit.

6. Fähigkeit der selbständigen Wiederherstellung der gestörten

Struktur. 7. Kopulation.

=- s

in

—— nn nn,

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 467

8. Selbstteilung. 9. Innenaufnahme. 10. Bewegungserscheinungen. 11. Vergiftungserscheinungen durch Beimengung fremder Stoffe. 12. Beschränkung der Größe der Individuen. 13. Kreuzung, Entstehung von Mischkristallen durch mechanische Mischung, Eindiffundieren der einen Substanz in die andere. Das sind wahrlich überraschende Ubereinstimmungen, besonders wenn man außerdem auf die merkwürdigen Kristallhäufungen hin- weist, wie z. B. die Eisblumen den Pflanzen ähneln. Überlegung besitzt freilich die tote Materie nicht, aber das ist der beste Beweis von dem Fehlen einer geistigen Macht im Leben, da die Welt jahrhundertelang nur aus vernunftloser Materie bestand. Die Ver- nunft hat sich daher ebenso aus der Materie entwickelt, wie die äußeren Formen der Materie sich verändert haben. Die Vernunft des Menschen stirbt mit seinem Körper, ein Zeichen, daß das geistige Prinzip mit dem Körper verbunden ist. Die Vernunft befähigt die lebende Materie nur insoweit, daß sie die Lebens- vorgänge der Materienwelt begreifen kann. Weitere Überein- stimmungen der toten und der lebendigen Materie zählt W. Hirt in seinem Buche „Das Leben der anorganischen Welt“ auf. Die Absorption gasförmiger Substanzen durch feste und flüssige Körper entspricht der Atmung und ist von der Temperatur und von der Wärmebildung abhängig. Wasser ist der Hauptbestandteil der an- organischen und der organischen Welt. Die wässrige Durchtränkung ist für die Kohärenz besonders der festen Körper, z. B. für die Kristalle von wesentlicher Bedeutung. Den Stoffwechsel bei Tier und Pflanze kann man vergleichen mit der in der Natur häufigen Umwandlung von Verbindungen, z. B. der Gesteine durch Aufnahme von Sauer- stoff und Kohlensäure. So wird Spateisenstein in Brauneisenstein, Bleiglanz in Bleivitriol, Erdöl in Erdpech und Asphalt, die Silikate von Kalk, Kali, Natron werden in die entsprechenden Karbonate verwandelt. Als einen Anpassungsvorgang kann man die Erwärmung und Abkühlung der Körper nach Maßgabe der Temperatur der Umgebung bezeichnen. Als ein Abbild der Sinnesempfindungen kann die Reaktion der anorganischen Welt auf die Reize der ver- schiedenen Energiearten, wie Licht, Wärme usw. erklärt werden. Die tote Materie hat keine Überlegungskraft, keine Denkmöglichkeit und dennoch bewirkt sie Vorgänge und Handlungen als Beweis dafür, daß nur die Materie Handlungen ausführt. So wehrt sich 30°

468 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

das Holz, das Sonnenlicht durchzulassen und läßt es nur als Wärme wirken, während das Glas ihm kein Hindernis entgegensetzt. Das Eisen wehrt sich gegen die Aufnahme von Wärme und statt sich: zu erwärmen, vergrößert es sein Volumen. Der Stacheldraht merkt sich jede Drehung, die er erfahren hat. Wenn ein Eisenstück unter der Wirkung von magnetischen Kräften ein vorübergehendes magnetisches Moment angenommen hat, nimmt er das gleiche Moment bei wiederholter Magnetisierung schon unter dem Einflusse von jedesmal schwächeren Kräften an. Diese Eigenschaft kommt fast einer menschlichen Erinnerung nahe. Auch Krankheiten kommen im unorganischen Reiche vor, so kann man die Metalle als „erkrankt“ ansehen, wenn sie verrosten oder durch die Oxydation angegriffen werden. Den Kampf mit dem Tode versinnbildlicht das Schmelzen eines Metalles, das ihm so lange Hindernis entgegensetzt, als es noch nicht auf den Schmelzpunkt gebracht wurde. Die Mineralien sind den äußeren Einflüssen sehr ausgesetzt und bilden keineswegs ein geschlossenes Ganzes. Wird Gips, welcher 21% Kristallwasser enthält, über 190 Grad erhitzt, so verliert er sein ganzes Wasser und kehrt durch Befeuchtung nicht in seinen früheren Zustand zurück. Diamant geht durch Glühen in niedere Modifikationen über und kann dann nicht mehr in dieselbe Form zurückgebracht werden. Das leichte Metall scheint eine gewisse Entartungsform des schweren Metalles zu sein, also gewissermaßen eine entartete Abstammungs- form, eine Rückentwicklung. Die Alkalimetalle (Kalium und Natrium) haben nämlich eine geringe Härte, keinen individuellen Bestand und eine starke Neigung zu oxydieren. Wasser zersetzen sie lebhaft und bilden mit der Gruppe (OH) Hydroxyde, die den stärksten basischen Charakter zeigen, während je edler ein Metall ist, desto weniger Fähigkeiten besitzt es, Basen zu bilden. Wenn wir nun auch den Steinen das Prinzip der Fähigkeit zur Staatenbildung zu- schreiben, so kann dies nur behauptet werden, weil wir schon bei dem Menschenstaat behaupteten, daß ein Staat an und für sich nicht existiert, sondern bloß durch das Zusammenbleiben von Individuen ein solcher gebildet wird.

Die darwinistischen Staatstheorien behaupten, daß der Mensch und das Tier hauptsächlich aus Sicherheitsrücksichten und durch die äußere Natur gezwungen, einen Staatsverband bilden. Dieselben Veranlassungen liegen nun auch im Mineralreiche vor, eine Ver- bindung der einzelnen Minerale durchzuführen. In der Natur treten die Minerale zu häufig vorkommenden Assoziationen zusammen,

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 469

die am Aufbau der festen Erdrinde einen wesentlichen Anteil nehmen und Gesteine genannt werden. Diese Assoziation bietet dem einzelnen Mineral die Gewähr, vor Wasser und anderen Gefahren geschützter zu sein als im Alleinzustande Wie man primäre und sekundäre Mineralien unterscheidet, so gibt es auch primäre und sekundäre Gesteine. Die primären Gesteine sind aus Schmelzflüssen, die aus dem Erdinnern stammen, gebildet worden. Diese Schmelzflüsse stellen gemischte Lösungen dar, aus denen sich die gelösten Sub- stanzen beim Abkühlen nach dem Grade ihrer Konzentration ab- scheiden. Die sekundären Gesteine sind wieder aus den primären durch chemische Umwandlung oder mechanische Zerstörung ent- standen. Für den einzelnen Stein ist es oft eine Lebensnotwendigkeit, daß er in Gesteinen vorkommt, da er sonst von anderen und größeren Steinen „aufgefressen“ werden könnte. In der Materie liegt eben schon das Prinzip des Verbindens, sowohl in der Fort- pflanzungsmöglichkeit als auch in der größten Assoziationsverbindung.

Die Ausdehnung des Gesteines ist nicht von untergeordneter Bedeutung, da die Gesteine oft das gegenseitige „Auffressen“ lieben. Auch im Mineralreiche kommt das Prinzip des Kampfes um das Dasein zur Anwendung. Dabei kann man erkennen, daß die Ver- einigung der wesentlichen Gemengteile zu Gesteinen keine will- kürliche ist. Auch hier finden wir gewissermaßen das Prinzip der freien Vereinigung zweier Körper aus Naturnotwendigkeit, da der Verband von chemischen und physikalischen Gesetzen beherrscht ist. Gewisse Mineralien vereinigen sich häufiger, einzelne bedingen sich wechselseitig und andere schließen sich wieder aus, so fordert z. B. das Vorkommen von Quarz das Mitvorkommen eines kiesel- säurereichen Feldspates, während der Olivin (ein Silikat aus der Erstarrung des Magmas) den Quarz geradezu ausschließt. Obgleich dem Gesteine die Vernunft abgesprochen wird, ist es imstande, ganz bestimmte Gruppen zu bilden. Wieder müssen wir bei dieser Gelegenheit hinweisen, daß damit der Beweis erbracht ist, daß in der Materie selbst die Vernunft liegt. Es gibt zwar eine Denkarbeit, man muß aber die Meinung zurückweisen, daß sich ein geistiges Prinzip außerhalb der Materie befindet, da aus der Materie allein die ganze Welt besteht. Der Mensch hat vor dem Stein nur das Denkvermögen, die Denkarbeit, die Überlegungsfähigkeit voraus. Vernunft hat aber auch die tote Materie, die aber nur in der Außen- welt und nicht im Individuum selbst zutage tritt. Das Denkvermögen ist dem Menschen von keiner der Natur außenstehenden Macht

470 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

verliehen worden, da die Denkfähigkeit nur einen verwickelten chemischen Prozeß vorstellt. Das Denkvermögen hat sich ebenso aus der Materie entwickelt, wie die verschiedenen äußeren Formen

der Materie. | |

Die primären Gesteinsassoziationen sind ebenso wie die sekundären dem Untergange ausgesetzt, wenn sie zu geringe Festigkeit haben, der mechanischen Zerstörung und der chemischen Umwandlung Widerstand zu leisten. Der Untergang einer Gesteinsvereinigung vollzieht sich oft aus dem Grunde, weil ein wichtiges Metall oder ein anderer Faktor zu fehlen beginnt, beziehungsweise in zu geringem Ausmaße vorhanden ist. So verdankt das sekundäre Gestein, der Serpentin, der chemischen Umwandlung anstehender feldspatarmer, dafür aber olivinreicher Gesteine, wie dem Olivinfels, seine Ent- stehung. Es findet dabei: ein langandauernder Kampf statt, da Reste der ursprünglichen Gemengteile noch im sekundären Gesteine auf- zufinden sind.

Das Prinzip der Materie: etwas aufzubauen und es dann nieder- zureißen, damit etwas Neues entsteht, finden wir in der Zersetzung der primären Gesteine, da ein Teil des Gesteines zersetzt wird und aus der Verwitterungskruste ein neues Gestein entsteht. Bei der Zerstörung der Gesteine bleiben nur die widerstandsfähigsten Mine- ralien über, z. B. der Quarz. Um nun weiter existieren zu können, verbinden sich die von der Zersetzung übrig gebliebenen Quarz- fragmente durch verschiedene Bindemittel (Gips, Kieselsäure) zu den Sandsteinen. Hier erkennt man nun das Vereinigungsstreben der Materie, das sowohl in der toten als auch in der lebendigen zu finden ist. Die einzelnen Minerale verbinden sich aus Natur- notwendigkeit, um im Gesteine, in der Vereinigung weiterleben zu können. Es ist vielleicht nicht uninteressant, bei dieser Gelegen- heit die neueste Kontinententstehungstheorie zu berühren, die das Prinzip der Verbindung und der Losreißung der toten Materie zum Inhalte hat. |

Nach dem Buche A. Wegener. „Die Entstehung der Kontinente und Ozeane“ wird die durch vertikale Bewegungen (Absinken der Schollen) erklärte Entstehung der Kontinente und Ozeane durch eine horizontale Bewegung einer Kontinentalscholle ersetzt. Nach A. Wegener bestand die Erde im Uranfange aus einer geschlossenen Scholle (analog der Kant-Laplace-Theorie, auf die wir schon öfters hingewiesen haben), die später zerriß (Gedanke der Auseinander- reißung der Materie) und deren Teile sich horizontal verschoben

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 471

und sich vermutlich heute noch verschieben. (Gedanke der Materien- verbindung.) |

Wenn wir, nun auf Einzelheiten eingehen, so müssen wir einige wenige Worte vorausschicken. Man könnte diesem Teile der Arbeit einen großen Phantasiereichtum zusprechen und danach auch die Beispiele bewerten.

Es muß jedoch mit allem Nachdruck hingewiesen werden, daß nur die Naturwissenschaften und die Gesetzeslehre ohne Phantasie arbeiten müssen, während die Philosophie und die Staatswissenschaft nur auf sie aufgebaut ist, denn bloß sichtbare Dinge kann man beschreiben, während man unsichtbare nur zu erforschen und zu erklären vermag. In unserer Abhandlung spielt die Phantasie noch lange nicht die Rolle, die sie bei der Philosophie zugewiesen bekommt, da wir Naturereignisse, sichtbare Vorfälle und Handlungen, für unsere Arbeit erklären und auslegen. Schließlich könnte man streiten, ob unter Geistesarbeit nicht die Phantasie gemeint ist. Die Phantasie ist nur dort ausgeschaltet, wo man etwas Gesehenes, etwas Gehörtes wiedergibt, bei Erforschungen von Lebensvorfällen muß der Mensch mit Vermutungen arbeiten, da er sonst mit diesen Gegenständen überhaupt sich nicht befassen dürfte.

Wenn wir nun dem Mineralreiche das Prinzip der Fähigkeit zu Gesellschaftsbildungen zuschreiben, so geschieht dies mit der Ein- schränkung, daß die Naturereignisse dies vermuten lassen. Aus diesem Grunde führen wir die zahlreichen Beispiele an und haben mehrmals schon bemerkt, daß die Minerale sich ihrer Gesellschafts- bildung nicht bewußt werden. Jedoch werden auch Tiere sich nicht dessen bewußt und wir lassen die Frage offen, wie viele Menschen, hauptsächlich auf dem Lande, wo die staatliche Gewalt meistens nur durch einen versoffenen Gemeindediener verkörpert wird, ohne Staatsbewußtsein im Verbande leben. Wieder ist dies ein Zeichen, daß es nur im Willen der Materie gelegen ist, gemeinsame Individuen- verbände zu schließen.

Die Naturwissenschaft ist heute auf dem Standpunkt, daß alles Tote und Lebendige auf enen Zusammenschluß aufgebaut ist, so setzt sich jedes Mineral aus vielen Molekülen zusammen, die ent- weder regelmäßig oder regellos angeordnet sind und demnach auch die Gestalt des festen Körpers eine bestimmte oder eine zufällige Form geben. Amorph ist z. B. das Glas, alle Flüssigkeiten und alle Gase, während das bestimmte Mineral einen ursächlichen Zusammen- hang zwischen seiner Gestalt und seinen physikalischen Eigen-

472 i Linsert: Inkose

schaften erkennen läßt. Es ist dies eine Erscheinung, die für den Monismus äußerst wichtig ist. Die physikalischen Eigenschaften eines Minerales (Härte, Löslichkeit, Lichtbrechung usw.) stellen Analogien zu den Lebensvorgängen der lebenden Wesen vor und hängen mit der äußeren Gestalt des Minerales im Zusammenhange, da ein größeres Mineral schon andere Eigenschaften zeigt. Wieder muß auf die Einheit der Materie hingewiesen werden, aus der alles entsteht und in der alles enthalten ist Gestalt und Vernunft. Freilich ist für das Wesen des Kristalles weniger die Größe als die Neigung der einzelnen Flächen zueinander von Bedeutung. (Schluß folgt.)

Internationaler Kongreß für Sexualforschung (Inkose).

n der Zeit vom 10. bis 16. Oktober tagte in Berlin im Langenbeck-Virchow- Haus

der „Internationale Kongreß für Sexualforschung“ (Inkose) unter Vorsitz seines Einberufers, des Geh. Sanitätsrates Dr. Albert Moll. Es war allerdings nicht die „erste“ Veranstaltung dieser Art, wie das Büro des Kongresses. mit seltsamer Hartnäckigkeit verbreitete, da bereits im September 1921 Magnus Hirschfeld eine große Anzahl in- und ausländischer Sexualforscher zusammengerufen hatte, die in demselben Saale, teilweise sogar über dieselben Themen referierten. Die Verhandlungen dieser Tagung sind später im Druck erschienen.* Ihrer offen- sichtlichen Tendenz wurde in einer Resolution Ausdruck gegeben, in der es u. a. hieß: „Die Sexualstrafgesetzgebung hat dem Stande der wissenschaftlichen Er- kenntnis gerecht zu werden. Sie darf Affekten und primitiven Kontra-Instinkten nicht Raum gewähren, schädlicher Neigung zu träger Beharrung nicht nachgeben. Die Straftatbestände und die Strafmaßnahmen sind auf dasjenige Maß zurück- zuführen, das erforderlich und fruchtbar ist. Die staatliche Fürsorge für das Sexualleben hat in erster Reihe durch wohltätigere Maßnahmen zu erfolgen, als es Strafen sind.“

Der Moll’sche Kongreß lehnte eine solche Stellungnahme von vornherein ab. Dies unter heutigen Verhältnissen reichlich grotesk anmutende Bestreben, nur ja nicht „tendenziös“ zu wirken, erlitt denn auch während der Verhandlungen verschiedentlich Schiffbruch und hat schließlich das Gesamtbild der Verhand- lungen in seiner Wirkung wesentlich beeinträchtigt. Auch die Sexualwissenschaft ist schließlich nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Menschheit willen da.

Peinlich mußte es auch wirken, daß gerade die hervorragendsten Fachwissen- schaftler auf der Referentenliste nicht vertreten waren. Ich nenne hier nur Forel, Carpenter, Havelock Ellis, Magnus Hirschfeld, Sergius Voronoff, Rohleder, Freud und viele andere mehr. William Stern, der hervorragende Hamburger Psychologe,

e „Sexualreform und Sexualwissenschaft‘‘. Herausgegeben von Dr. A. Weil. Stuttgart 1922 bei Julius Puttmann. Vergl. auch „Sexualreform“ X. (Geschlecht und Gesellschaft X, Heft 2—7.)

Linsert: Inkose 473

hat nicht unrecht, wenn er in der „Vossischen Zeitung“ schrieb: „Daß übrigens trotz der Fülle der vertretenen Gebiete, einige entscheidende Forschungsrichtungen fehlten, wurde mit Befremden und Bedauern festgestellt. Man mag zur Psycho- analyse stehen wie man wolle, unzweifelhaft ist, daß man für ihre würdige Vertretung eventuell würdige Bekämpfung auf dem Kongreß hätte sorgen sollen: ebenso wie gerade in Berlin die Teilnahme des bedeutendsten Berliner Forschungsinstitutes für Sexualforschung, des Instituts von Magnus Hirschfeld, hätte gesichert werden müssen.“

So kann man sich nicht wundern, wenn eine gewisse Einseitigkeit der Ver- handlungen hie und da doch allzu kraß in Erscheinung trat, ein Umstand, dem trotz angestrebter „Tendenzlosigkeit“ auch nicht durch die Fülle der Referate abgeholfen wurde. Der sicher gutgemeinte Versuch, möglichst alle Gebiete der Sexualforschung zu behandeln, mußte natürlich fehlschlagen. Man hat in sechs Tagen 130 Referate verhandelt und diskutiert! Das Ergebnis war, daß die ohnehin kleine Zuhörerzahl von Tag zu Tag mehr zusammenschmolz und im Wust der Vorträge eine einheitliche Linie nicht mehr festgestellt werden konnte. Allgemein klagte man über den ungeordneten Aufbau des Programms und das sicher mit Recht. Auch wurde zu viel Mittelmäßiges gesagt, indem Wesentliches unterging. Immerhin sei versucht, über einige wertvolle Mitteilungen, die An- spruch auf allgemeines Interesse haben, zu referieren.

Sellheim (Leipzig) berichtete über die von Lüttge und von Merz entdeckte Blutuntersuchung, die er als „Serum Extrakt Reaktion“ bezeichnete. Auf Grund dieser leicht auszuführenden Methode kann in kürzester Zeit festgestellt werden, ob Schwangerschaft vorliegt oder nicht, ob ein Mädchen oder Knabe getragen wird. Auch das Vorhandensein von Krebs kann auf Grund dieser Methode mit Sicherheit ermittelt werden. Eigenartig war das Referat van Bemmelens(Groningen) über den „Kriegsdrang als Sexualerscheinung“. Danach beruht die erste Veranlassung zum Kriege bei dem Menschen auf einem Instinkt, der die Männer dazu treibt, sich durch Kampf mit Nebenbuhlern in den Augen des weiblichen Geschlechts hervorzutun, um dadurch in den Besitz weiblicher Gefährten zu gelangen. Noch andere Triebe kämen als mögliche (!) Ursache des Hanges zum Kriege hinzu: die Jagdlust, der allgemeine Selbsterhaltungstrieb, Machtbegierde und Habsucht. Doch wich der Vortragende, der sich, wie diese kurzen Andeutungen zeigen, in den Sphären höherer Psychoanalytik bewegte, einer in die Tiefe gehenden Erörterung gerade der letzten und doch wohl wichtigsten Ursachen vorsichtig aus. Finkenrath (Berlin) berichtete über „die Grenzen der Aufklärung im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten“. Außer bekannten Tatsachen, daß z. B. die Geschlechtskrankheiten in akademischen Kreisen weiter verbreitet sind, als in anderen Volksschichten, sagte er nichts Originelles. Er forderte, daß an Stelle sexueller Aufklärung, sexuelle Erziehung treten müsse. Das Wichtigste nämlich: wie, wo und wann eine solche „Erziehung“ vor sich gehen müsse, blieb das Geheimnis der Referenten. Er wird es vielleicht auf einem nächsten Kongreß verraten. Albert Moll setzte sich in seinem Referat „Homosexualität und sogenannter Eros“ vor allem mit Spranger und Wyneken auseinander, denen er übrigens mit vollem Recht vorwirft, in das Wort „Eros“ einen Sinn gelegt zu haben, der heillose Begriffsverwirrung schaffen muß. Leider wurde der

* Siehe „Geschlecht und Gesellschaft“ XIII, Heft 304.

474 Linsert: Inkose

wissenschaftliche Wert und Charakter seiner Ausführungen, die eine bemerkens- werte Übereinstimmung mit Hirschfelds Arbeiten über Sexualbegriffe in dem vor etwa Jahren erschienenen Teile der „Geschlechtskunde“ aufweisen, durch peinliche Ausfälle gegen die homosexuelle Bewegung völlig verwischt. Moll meinte, daß die Homosexuellen sich dieser Begriffsanwendung bedienten, um ihre Neigungen zu idealisieren. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß sich nicht nur die Moll’sche Schule, sondern gerade auch die Kreise, gegen die von Wyneken u. a. geschaffene Begriffsverwirrung wenden, denen Moll ein Interesse an derartigen Neuprägungen unterschieben möchte. Alfred Adlers Vortrag über „Erotisches Training und erotischer Rückzug“ enttäuschte. Die Störungen, die Adler in der fehlgeleiteten und darum fehlleitenden Erziehung der Kinder sucht, erscheinen durch Beispiele allzu ferne dem Leben der Masse illustriert. Die Individualpsychologie hat ihre Schattenseiten. Adlers Mystik mahnte vielleicht mehr daran, als ihm lieb sein dürfte. Einen gewissen Höhe- punkt erreichte der Kongreß mit den Ausführungen Steinachs. Er sprach über „Demonstration der antagonistischen Wirkung der Sexualhormone“. Steinachs experimentelle Arbeiten haben bewiesen, daß von den männlichen und weiblichen Keimdrüsen eine innerliche Absonderung von geschlechtsspezifischen Stoffen erfolgt. In der Wirkung dieser Stoffe besteht insofern ein gewisser Gegensatz, als die gleichsinnigen Geschlechtsmerkmale gefördert, die gegensätzlichen gehemmt werden. Steinach konnte nun an Ratten die fundamentale Tatsache nachweisen, daß eine antagonistische Wirkung der Keimdrüseninkrete vorhanden ist, die die homologen Geschlechtsmerkmale fördert, die heterologen in ihrer Entwieklung hemmt. Neuerdings braucht man die Transplantations- Methode nicht mehr anzuwenden, da Steinach aus Rinderovarien oder Rinderplacenta ein weibliches Sexualhormon herstellen kann. Dieses ist standarisiert und gestattet somit eine genaue Dosierung. Die experimentelle und biochemische Prüfung dieses Stoffes berechtigt zu der Annahme, daß dieses Hormon einen vollen physiologischen Ersatz der normalen innersekretorischen Tätigkeit des Eierstockes bietet. Steinachs bekanntester Schüler, Peter Schmidt (Berlin), der als Erster nach Erscheinen der Steinach’schen Publikation über Verjüngung des Menschen (1920) Steinachs Methode nachprüfte, sprach über „Klinische Altersbekämpfung“. Seine ungemein fesselnde Darstellung wirkte geradezu sensationell. Er demonstrierte zuerst Kontrollbilder (Ratten und große Hunde) vor und nach der operativen Behandlung. Dann zeigte er Fälle von Menschen, die er ebenfalls nach dem Steinach’schen Prinzip behandelt hat. Sein Material stützt sich bis jetzt auf nahezu 400 Personen, die er sechs Jahre beobachten konnte. Es kann darnach keinem Zweifel mehr unterliegen, daß eine Verjüngung des Menschen möglich ist. Das stellen denn auch selbst die Gegner Steinachs z. B. Benda nicht mehr in Abrede. Justizrat Löwenstein (Berlin) wandte sich leider als Einziger in seinem Referat „die Sexualverbrechen nach künftigem Strafrecht“ gegen den Amtlichen deutschen Strafgesetzentwurf, den er als eine ziel- und planlose „Pfuscharbeit“ bezeichnete, die der modernen sexualwissenschaftlichen Erkenntnis nicht im geringsten Rechnung trage. Außerordentlich informativ waren die Ausführungen des klugen Londoner Frauenarztes Norman Haire über Empfängnis verhütende Mittel (The comparative Value of Current Contraceptive Methods). Haire konnte in den letzten sechs Jahren an 4000 Fällen die ver- schiedensten antikonzeptionellen Methoden in ihrer Wirksamkeit kontrollieren.

Ka

Linsert: Inkose 475

Er kommt zu dem Ergebnis, daß alle chemischen Mittel (Tabletten, Gallerte,

Salben, Spülungen u. dgl.) trotz größter Vorsicht bei der Anwendung unsicher sind und eine Empfängnis keineswegs ausschließen. Von den mechanischen Mitteln haben die Kondome den Nachteil, daß, sind sie zu dick, die geschlechtliche Befriedigung ausbleibt, sind sie zu dünn, durch Platzen des Kondoms, eine Empfängnis trotz alledem stattfinden kann. Apparate, wie intrauterine Pessare, die man in die Gebärmutter einlagert, Cervikalkappen aus Celluloid, Metall oder Kautschuk sind durch den ständigen Druck auf die Genitalorgane nicht selten sehr gesundheitsschädlich. Haire berichtet dann über das von ihm erfundene

„Dutch-Haire-Pessar“ das er in England und Amerika einführte und das alle

gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen ausschließt, weil es nicht in den Uterus, sondern in die Vagina eingesetzt wird. William Stern (Hamburg) sprach über „Psychologische Gutachten jugendlicher Zeugen in Sexualprozessen“. Er führte aus, daß die endlosen Vernehmungen Jugendlicher in gewissen Fällen viel schädlicher seien, als die vielleicht an ihnen begangene strafbare Handlung. Die Verhöre vom Lehrer, Rektor, Schulinspektor, Gendarm, Untersuchungsrichter, die ausführlichen Erörterungen in der Hauptverhandlung und in der Berufungs- instanz schaden dem jugendlichen Gemüt ungeheuer. Er empfiehlt vor allem, das Verhörverfahren in die Hand eines geschulten Psychologen zu legen, damit Schädigungen des Kindes auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Die Tätigkeit des „Gerichts-Psychologen“, wenn man so sagen darf, hat der Vortragende in seinem Werke „Jugendliche Zeugen in Sittlichkeitsprozessen“ (Leipzig 1926, Verlag Quelle und Meyer) in einzigartiger Weise erörtert. Moll sagt in seinem Kor- referate einige Belanglosigkeiten, um widersprochen zu haben. Fein durch- dacht waren die Mitteilungen von Müller-Freienfelds über „Sexualwissenschaft und Aesthetik“. Er führte neben anderem aus, daß die Rolle des sexuellen Erlebens im Kunstschaffen an Hand der biographischen Tatsachen festzustellen ist, die uns die Erforschung des Lebens und Schaffens der Künstler gibt. Es zeigt sich dabei, daß geschlechtliche Erlebnisse zwar oft Material für das Kunst- schaffen geliefert haben, auch oft positive Antriebe, dies jedoch nur nach mannig- facher Transformierung der Libido. Ebenso ist die Rolle des sexuellen Faktors im Kunstgenießen festzustellen. Von ästhetischem Verhalten ist dabei nur zu reden, wenn die Libido als solche zum mindesten stark in den Hintergrund gedrängt ist. Daß Tatbestände der sexuellen Beziehungen einen besonders beliebten Stoff auch für rein ästhetische Kunst geliefert haben, ist psychologisch zu erklären, ebenso wie die im Laufe der Geschichte stark wechselnde Betonung oder Zurückdrängung sexueller Motive einer psychologischen und soziologischen Erklärung bedarf. Ministerialdirektor Dr. Wulffen, Deutschlands bester Krimi- nologe, sprach über „die Sexualnot der Straf- und Untersuchungsgefangenen“. In seinen Ausführungen beleuchtet er die verschiedenen Probleme der durch die Freiheitsberaubung der Gefangenen entstehenden gesundheitlichen Schädigungen. Durch Verhinderung des Geschlechtsverkehrs werden diese ohnehin komplizierten Erscheinungen noch wesentlich verschlimmert. Wenn Wulffen allerdings meint, daß an einer gewissen Sexualnot im Gefängnis nur solche Individuen leiden, die auch in der Freiheit mit ihrem Geschlechtsleben nicht fertig werden, so möchte ich das bezweifeln. Es sind doch genug Fälle bekannt geworden, wo geschlechtlich gesunde Menschen in der Haft an Psychosen erkrankten, die wesentlich von der geschlechtlichen Zwangsabstinenz des Betreffenden beeinflußt

476 von Sosnosky: Hinter dem Vorhang

worden waren. In Rußland bewilligt man Gefangenen mit längerer Freiheitsstrafe oft genug eine kürzere Strafunterbrechung, wobei gerade die sexuelle Frage berücksichtigt wird. In Deutschland kann man sich zu einer so humanen Auf- fassung des Strafvollzugs nur schwer entschließen und scheint es, wie die Aus- führungen Wulffens zeigten, bei „der Anregung“ bewenden zu lassen. Schließlich seien noch einige Postulate des Paters Dr. Johannes Ude aus Innsbruck wieder- gegeben, die er in seinem Vortrage „die Beziehungen der christkatholischen Ethik zur sexuellen Frage“ aufstellte: Ich zitiere nach den von ihm verteilten „Leitsätzen“: „Der Zweck des Sexualtriebes ist die Erhaltung der Art. Der Sexualtrieb ist demnach ein sozialer Trieb, verbunden mit größter Verantwort- lichkeit. Die mit seiner Betätigung verbundene individuelle Lustbetonung ist ebenfalls nur in Hinsicht auf die Kindererzeugung gegeben. Die Betätigung des Sexualtriebes ist nur in der unauflöslichen Einehe mit lebenslänglicher Treuverpflichtung erlaubt. Vor dem Ehestand ist daher Jungfräulichkeit für den Jüngling wie für das Mädchen die standesgemäße Keuschheit... Die Sanierung der Völker und Staaten muß von der Sanierung des Sexus im Sinne der katholischen Ethik seinen Ausgang nehmen“. Ob der „Tendenzlosigkeit“ dieser Ausführungen schüttelte mancher fassungslos den Kopf. Auch Udes Auffassung: „Neben den natürlichen Mitteln spielen für die Aufrichtung der Herrschaft des Willens über die Sexualität die übernatürlichen Mittel (Gebet und Sakramentsempfang) eine große, „ausschlaggebende Rolle“ dürfte schwerlich die einmütige Billigung der modernen Sexualwissenschaft finden.

Es ist bei der Fülle der Referate selbstverständlich nicht möglich, auf alles einzugehen, was an Wissenswertem gesagt wurde. Ich habe mich hier auf die Vorträge beschränken müssen, die, abgesehen von dem allgemeinen Interesse, das sie beanspruchen dürfen, vor allem auch die Beziehungen zwischen Geschlechts- leben und Gesellschaft erörtert haben. |

Ihren Wert und Nutzen für eine moderne Auffassung des Geschlechtslebens und seiner Erscheinungen treffen die Worte

Mene mene tekel upharsin! Richard Linsert.

Hinter dem Vorhang. Von THEODOR VON SOSNOSKY.

o viel auch schon über die sexuelle Frage geschrieben worden ist oft genug

bloß aus Spekulation, weil das ein Gebiet ist, das fast alle Menschen zu interessieren pflegt so ist noch lange nicht alles gesagt worden, was darüber zu sagen wäre. Es ist darum auch ganz und gar kein überflüssiges Tun, wenn ein Fachmann, ein Psychologe und Neurologe, einmal den Versuch unternimmt, das gesamte Geschlechtsleben in seiner sozialen Auswirkung zu behandeln, Vor- urteile zu zerstören, schiefe Ansichten gerade zu biegen, dunkle Partien aufzuhellen und die ungeheuere Bedeutung hervorzuheben, die ihm zukommt. Der Züricher Nervenarzt Dr. Ludwig Frank hat sich in seinem zweibändigen Werke „Vom Liebes- und Sexualleben“* dieser ebenso verdienstvollen als schwierigen

* Frank, Dr. L., Vom Liebes- und Sexualleben. Erfahrungen aus der Praxis für Ärzte Juristen und Erzieher. 2 Bde. 1926 (Leipzig, G. Thieme).

von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 477

Aufgabe unterzogen. Er hat dafür die Form von Briefen an seine Patienten, deren Angehörige und deren behandelnde Ärzte gewählt, weil er auf diese Weise der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Anomalien im Liebes- und Geschlechts- leben noch am ehesten gerecht werden zu können glaubte; eine didaktische Dar- stellung, meint er, könne nie zu einem befriedigenden Ziele führen. Wir wollen hier mit dem Verfasser wegen der von ihm gewählten Form nicht rechten, möchten hierzu nur bemerken, daß es uns immerhin gewagt erscheint, das gesamte geistige Material von mehr als 800 Seiten in Briefform zu fassen, da die Ein- förmigkeit dieser Darstellungsweise ermüdend wirkt, von andern Bedenken dagegen gar nicht zu sprechen. Indes: der Autor hat diese Form nun einmal gewählt, und wir finden uns damit ab.

Dr. Frank ist ein Anhänger der Freud’schen Lehre von der „Verdrängung“ der Sexualgefühle und der hierdurch entstehenden Unlustgefühle. So sehr wir ihm aber auch hinsichtlich der außerordentlichen und meist viel zu wenig er- kannten Bedeutung des sexuellen Moments im menschlichen Seelenleben bei- pflichten müssen, so glauben wir doch, daß er darin zu weit geht, wenn er sogar Erscheinungen wie die Kleptomanie als Folgen solcher Verdrängungen hinstellt; es mag ja sein, daß sich in einzelnen wenigen Fällen ein Zusammenhang zwischen dem Stehl-Drange und dem sexuellen Moment herstellen läßt; doch im all- gemeinen will uns diese Methode etwas zu sehr an die des Prokrustes erinnern; ein Vorwurf, der der Freud’schen Theorie überhaupt nicht erspart bleiben kann. Viel glaubwürdiger erscheint es uns, wenn der Verfasser feindselige und wider- spenstige Empfindungen von Kindern gegenüber ihren Eltern auf „verdrängte“ Sexualgefühle zurückzuführen sucht; aber auch in diesem Falle wird man sich vor Verallgemeinerung hüten müssen. Daß in der Kindererziehung das sexuelle Moment meist ganz verkannt wird und daß Eltern und Erzieher gewöhnlich des naiven Glaubens sind, der Sexualtrieb lasse sich durch Strenge unterdrücken wie irgendeine kindliche Unart oder Bosheit, darin müssen wir dem Verfasser durch- aus zustimmen. Es ist in der Tat oft heillos, wie töricht in dieser Hinsicht Menschen handeln, die sich für große Pädagogen halten, und welch schweren Schaden sie den von ihnen erzogenen Kindern zufügen. Mit vollem Rechte weist der Verfasser darauf hin, daß sich dieser, nach Hunger und Durst mächtigste aller Naturtriebe auch durch die strengsten erzieherischen Maßnahmen nicht aus- rotten läßt „chassez le naturel, il revient au galop“ —, wohl aber durch äußerliche Unterdrückung unberechenbaren Schaden in Körper und Seele des Kindes anzurichten vermag. Der Verfasser hat dabei den anerkennenswerten Mut, gegen ein tiefeingewurzeltes Vorurteil Front zu machen, das im Laufe der Zeiten nachgerade zu einem erzieherischen Dogma erstarrt ist und als ein Nolimetangere gilt: er sieht nämlich, und mit vollem Rechte, in der Selbst- befriedigung nur ein wohltätiges Ventil, das gefährliche Explosionen verhüten und dem Knaben oder Jüngling wieder die Ruhe zurückgeben soll, deren er für sein Studium und seine Nerven bedarf. Der „wandelnde Leichnam“, den der alte Hufeland als Schreckgespenst an die Wand gemalt hat und in dem er der heranreifenden Jugend ihr unausweichliches Schicksal vorhalten wollte, wenn sie diesem „abscheulichen Laster“ fröhnte: dieses Schreckgespenst, das bald zum Eisernen Bestande aller Pädagogen und unbegreiflicherweise auch so vieler Ärzte werden sollte, ist in Wahrheit bloß ein hohles Phantom, das, seines bom- bastischen Phrasenflitters entkleidet, sich nur aus albernen Vorurteilen und törichten

478 von Sosnosky: Hinter dem Vorhang

Unwahrheiten zusammengeflickt erweist. Nichtsdestoweniger hat es in den Seelen junger Leute schon unberechenbares Unheil angerichtet, sie zu Hypochondern gemacht, ja wahrscheinlich manchen sogar zum Selbstmord getrieben. Daß Dr. Frank diesem gemeingefährlichen Popanz so unerschrocken an den morschen Leib rückt, muß ihm als besonderes Verdienst angerechnet werden. Nicht zu folgen aber vermögen wir ihm in dieser Sache, wenn er die Selbstbefriedigung dem vorehelichen Geschlechtsverkehre vorzieht. Daß sie unvergleichlich weniger sozialen Schaden stiftet als dieser, daran ist freilich nicht zu zweifeln: Kindes- mord, Fruchtabtreibung, Selbstmord, soziale Vernichtung junger Mädchen und andere soziale Katastrophen sind nur zu oft die verhängnisvollen Folgen des vorehelichen Geschlechtsverkehr, wozu, und wahrlich nicht an letzter Stelle, die Gefahren venerischer Erkrankungen kommen, diese nicht bloß für den weiblichen, sondern auch für den männlichen Teil. Alle diese schwerwiegenden Folge- erscheinungen bleiben dem Individuum, gleichviel ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, erspart, wenn es sich mit sich selbst begnügt. Darin hat der Ver- fasser fraglos recht; anderseits aber übersieht er oder beachtet doch zu wenig —, daß es einem Manne denn doch ein wenig viel zumuten heißt, wenn man von ihm verlangt, er solle sich bis zu seiner Verheiratung des Weibes völlig enthalten. Wie nun, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse oder sonstige Umstände ihn hindern, sich noch als junger Mann zu verheiraten? Soll er auch als Mann von dreißig, vierzig Jahren noch auf sich selbst angewiesen sein? Läuft er da nicht Gefahr, durch diese jahrzehrtelange fortgesetzte einseitige Betätigung seines natürlichen Sexualdranges für die Ehe ganz untauglich zu werden? Es ist un- begreiflich, daß der Verfasser in seiner Eigenschaft als Nervenarzt diese Gefahr so ganz übersehen oder doch zumindest so gering einschätzen konnte. Selbst- befriedigung als Notbehelf „faute de mieux“ würde Krafft-Ebing sagen muß man gelten lassen; aber sie darf nicht zur Gewohnheit werden, denn dann kann sie zum Laster ausarten und, wenigstens den Mann, zum normalen Ge- schlechtsgenusse unfähig machen; beim Weibe liegen die Dinge in diesem Punkte günstiger... Einer argen Täuschung gibt sich der Autor ferner darin hin, daß er seine Gegnerschaft gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr beim Manne auch mit der Behauptung zu begründen sucht, daß „kein wirklich feines Mädchen“ sich entschließen könne, einen Mann zum Gatten zu nehmen, der schon mit andern Frauen sexuell verkehrt hat. „Gerade für Frauen, die das Gefühlsleben des Mannes instinktiv verstehen und befähigt sind, einen Mann voll und ganz glücklich zu machen, sind solche Vorstellungen unerträglich; sie werden durch einen sexual-moralisch unreinen Mann unglücklich“. Mit nichten, verehrter Herr Doktor! Weitaus die Mehrzahl aller Mädchen, die im Begriffe sind, zu heiraten, setzt es als ganz selbstverständlich voraus, daß der Mann ihrer Wahl vorher schon andere Frauen besessen hat, und nimmt es ihm meist nicht nur nicht übel, sondern sieht es nicht einmal gern, wenn ein Mann ganz unerfahren in die Ehe tritt; ganz im Gegenteil: je mehr Liebschaften ein Mann hinter sich hat, desto höher pflegt sein Anwert in den Augen der Frauen zu steigen. Auf dieser Eigen- tümlichkeit des weiblichen Empfindens beruht ja die magische, für viele Frauen geradezu unwiderstehliche Anziehungkraft des Don-Juan-Typs, ja die ganze Don- Juan-Sage. Wie kann der Verfasser angesichts dieser unleugbaren Tatsache also behaupten, das normale Weib verlange die sexuelle Unberührtheit des Mannes, den sie als Gatten erwählt? Oder sollten die Mädchen und Frauen in der

von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 479

Schweizer Heimat des Verfassers so ganz anders geartet sein als die in anderen Ländern?... Uns will vielmehr scheinen, als wäre es um die Menschen- und Lebenskenntnis des Autors, die man bei ihm doch voraussetzen sollte und die zu besitzen er sichtlich sehr überzeugt ist, nicht immer aufs beste bestellt. So, wenn er gegen die widernatürliche Absonderung der Geschlechter wettert, die infolgedessen keine Gelegenheiten hätten, einander kennen zu lernen: „Wie sollen manche unserer jungen Männer imstande sein, das Wesen, die Fühl- und Denk- weise eines jungen Mädchens kennen zu lernen, wenn ihnen der freie, harmlose, ungezwungene, veredelnde gesellschaftliche Verkehr vorenthalten ist bis auf offizielle Diners und Bälle, wo man sich als Kulturmensch in steifleinenster Tracht, in Frack und Lackschuhen möglichst so gibt, wie man im gewöhnlichen Leben nicht ist, und wo die ganze Hohlheit des Menschen durch seine Geschicklichkeit in der äußeren Bewegung und abgedroschenen Phrasen verdeckt wird.... Von Jugend auf hat Männlein wie Weiblein es gelernt, sich abzusperren, ja nicht aus sich herauszugehen, sein besseres Ich, seine heiligsten und intimsten Gefühle zu verleugnen. Denn zu erkennen geben, daß man Gefühle hat, daß man zu lieben vermag, ja eine bestimmte Zuneigung hat, das ist schon ein Stück Selbst- prostitution“ ... So der Verfasser. Wenn man diese Ausführungen liest, fragt man sich, ob er sie wohl vor etwa zwanzig Jahren, zumindest vor dem Kriege, geschrieben hat oder jetzt? Wenn damals, so wollen wir sie gelten lassen, ob- schon sie selbst für jene Zeit nur bedingt zutreffen. Wenn er sie aber jetzt geschrieben hat, und allem Anscheine nach ist dies der Fall, dann nimmt sich sein Eifer und seine Entrüstung geradezu grotesk aus, und man fragt sich: ja um Himmels willen, in welcher Welt lebt denn der Verfasser? Weiß er denn nichts davon, daß dem Verkehr zwischen jungen Männern und jungen Mädchen heutzutage so gut wie gar keine Schranken gesetzt sind, daß sie ganz und gar nicht auf einen „steifleinenen“ Verkehr in „Frack und Lack“ angewiesen sind, sondern vielmehr, nur mit den allernotdürftigsten Kleidungsstücken versehen, fast völlig nackt, Stunden, ja Tage lang, von keiner Gardedame bewacht, in den Strand- und Sonnenbädern herumlungern, in diesem Kostüme Tänze aufführen, allerlei verfängliche Spiele treiben und sich dabei mit Vorliebe photographieren lassen. Der Verfasser brauchte nur eines unserer illustrierten Blätter zur Hand zu nehmen, um sich von der Tatsächlichkeit dieser Behauptung mit eigenen Augen zu überzeugen. Zumal in der Badezeit wimmelt es darin ja nur so von photo- graphischen Darstellungen paradiesisch gekleideter Männlein und Weiblein. Sollte das dem Verfasser denn wirklich unbekannt sein? Dann müßte er ja auf dem Monde leben. Da er aber in Zürich lebt, das doch kein weltabgeschiedenes Dörfchen ist, so sollte man meinen, daß ihm dieser gründliche Wandel im Ver- kehre der Geschlechter nicht unbekannt geblieben sei. Oder sollte die Schweiz auch hierin eine Ausnahme machen?... Selbst wenn dem wirklich so wäre, woran wir aber nicht glauben können, dürfte der Verfasser diese Ausnahme dann nicht zur Regel machen

Ähnliches ließe sich auch gegen die Ausführungen Dr. Franks über die sexuelle Aufklärung der Kinder einwenden. Auch da geht er von dem heutzutage nur mehr bedingt geltenden Standpunkt aus, die heranreifende Jugend befinde sich über die wichtigsten sexuellen Vorgänge zumeist in gefährlicher Unwissenheit, weil Prüderie und Unaufrichtigkeit der Aufklärung im Wege stünden. Nun, wir denken: Heutzutage wird wahrlich genug getan in diesem Punkte, und es mutet

480 Betrachtungen und kleine Mitteilungen

etwas antediluvianisch an, wenn man diese Polemik in einer Zeit liest, da ein populäres Film-Institut den Bau der menschlichen Sexual-Organe als Film-Nummer öffentlich ankündigt, natürlich nur der Aufklärung wegen... So rennt der Ver- fasser auch hier wieder nur offene Türen ein.

Seltsam weltfremd mutet es uns auch an, daß der Verfasser den Sexual-Akt immer wieder als das „Schönste“, „Höchste“ und „Heiligste“ preist und von den Menschen verlangt, daß sie in ihrem Geschlechtsdrange stets dessen eingedenk sein sollen, daß sie nur dem Gesetze der Erhaltung der Art dienen sollen... Er eifert zwar immer wieder gegen die weltfremden. Gelehrten, zeigt aber auf Schritt und Tritt, daß er, trotz seiner fraglos großen Erfahrung auf dem sexual- pathologischen Gebiete, doch selber nicht allzu weltkundig ist.

Es ließe sich noch so Manches gegen die Ansichten des Verfassers einwenden, auch gegen die Auswahl der Kasuistik; aber dann müßte man selber ein kleines Buch über sein großes schreiben. Darin liegt übrigens so paradox es auch klingen mag die bezeichnendste Anerkennung für das Werk, denn ein Buch, über das man, wenn auch zum Teil in oppositionellem Sinne, so viel zu sagen hat, kann selber nicht nichtssagend sein, sondern muß etwas bedeuten. Eltern, Pädagogen, Juristen und nicht zuletzt auch Ärzten kann die Lektüre des Werkes denn auch entschieden empfohlen werden; nur dürften sie es nicht unkritisch lesen.

Betrachtungen und kleine Mitteilungen.

Klinische Studie über 372 Syphilisfälle in einer Periode von 6 Jahren. Unter diesem Titel findet sich eine Abhandlung von H. S. Applebaum, B. Levine und J. E. Fischer in „The American Journal of Syphilis“. Die Verfasser kommen darin zu folgenden Ergebnissen: 1. Syphilis ist eine heilbare Krankheit bei sofortiger und intensiver Behandlung, besonders in Frühfällen. 2. Viele Patienten über- sehen die Erscheinungen in den Genitalien, bis ihnen mitgeteilt wird, daß sie Syphilis haben. In diesem Zusammenhang soll gesagt werden, daß mit unserer wachsenden Erkenntnis mit bezug auf die Syphilis, ein großer Prozentsatz der Fälle sich mit Erscheinungen an den Genitalien entweder sich selbst behandelt oder von Inkompetenten behandelt wird. 3. Allgemeine Aufklärung über Ge- schlechtskrankheiten nach bestimmter Hinsicht wird die Vorherrschaft dieser Krankheiten brechen. 4. Das Virus wird frühzeitig im ganzen Körper verbreitet, dies erhellt die Tatsache, daß 50% der Fälle mit Primäraffekten eine positive WaR. haben. 5. Bei positiver Anamnese und sorgfältiger klinischer Untersuchung wird man unzweifelhaft noch andere Erscheinungen von Syphilis finden, die mit der WaR übereinstimmen. 6. Das Dunkelfeld ist das früheste diagnostische Hilfsmittel, und es sollte bei allen zweifelhaften Erscheinungen angewandt und wiederholt werden, wenn es negativ ausgefallen ist. 7. Es besteht ein bemerkens- werter Unterschied in unseren Serien zwischen Männern und Frauen. Wahr- scheinlich kommt dies daher, daß a) die Frauen seltener wissen wie die Männer, daß sie Lues haben, b) die Frauen eine größere Abneigung haben, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, c) Frauen wahrscheinlich weniger Gelegenheit haben, Syphilis zu erwerben, als "Männer. 8. Die klinische Feststellung erfolgt früher als die serologische. 9. Quecksilber kann lange ohne Schaden für die Nieren vertragen werden. Diese Form der Therapie sollte systematisch durch Harnuntersuchung kontrolliert werden.

Herausgeber Rich. A. Giesecke. Verantwortlich für den Inhalt des Originalteils E. Schür-

mann, für den Referaten- und Anzeigenteil G. Zeuner, Dresden-A., Hettnerstr. 4. Alle Zu-

schriften an den Verlag R. A. Giesecke, Dresden-A. 24. Druck von G. Reichardt, Groitzsch, Bez. Leipzig.

Geschlecht u. Gesellschaft XIV, 10

Roman von Helene Stöcker 6.-11. Auflage. Sanzleinen M. 6.50 (In eugliſcher überſetzung im Derlage Thomas Belger, New York)

Nein, ich kann nicht anders. Ich muß Ihnen ſofort ſchreiben, ich muß Ihnen ſagen, daß ich Ihr Buch nicht geleſen, ſondern es erlebt habe. Es iſt große Kuuft, die Piychologie der Frauen fo zu verallgemeinern, daß Tauſende gradezu der aktiven, kümpfenden, ſchaffenden frauen der frauen, die fidh unter Schmerzen zum Menſchen entwickelt haben, ſich in dem Buch wiedererkennen Ich bin noch ganz unter dem Reiz dieſes Buches. Sie haben mit Ihrem Buch viel geleiſtet, und ich möchte Ihnen herzlich die Hand drücken. So ein Buch zu lefen - tut einem wohl. Alexandra Kolloutay-

du beziehen durch alle Buchhandlungen und den Verlag der neuen Generation / Berlin -Nikolaſſee

Wie gesund blelben bei

Wohnungsnot Arbeitslosigkeit Berufsgefahren?

Sonder- nummer

GUG

„Gesundheit u. Gesellschaft“

der „Urania“ Monatshefte für Naturerkenntnis und Gesellschaftslehre beleuchtet dieses für die großen Bevölkerungsschichten brennende Thema in verschiedenen Artikeln bekannter, im Be

leben stehender Fachwissenschaftler, u.a. Dr.Mos- bucher: „Krankheit als soziale Erscheinung“, Oberbürgermeister Hirsch: „Wohnungsnot als K rankheitsursache“, Dr. Wolf., Krankheit u. Beruf

Jeder bestelle noch heute! Dieses Sonderheft kostet einzeln nur 30 Pfg. Es erscheinen vierteljährlich 3 „Urania“-Hefte und eine „Urania“-Buchbeigabe.

Ausgabe A (mit braschiert. Buchbeigabe) Mk. 1.60 Ausgabe B (Buchbeigabe in Ganzleinen) Mk. 2.25

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder direkt

Urania- Verlags-Ges.m.b.H.,Jena

Zur Stage des gewollten Rindes:

Ei und Geſchlecht

Ein kritiſch⸗ſtatiſtiſcher Beitrag zur Coͤſung des Problems der willfür- lichen Geſchlechtsbeſtimmung beim.

Menſchen. Von Studienrat Job. Deodant. Preis: broſch. M. 3.50 Halbleinen geb. M. 4.— Großoftav mit JJ farbigen Tafeln Berilas Nichard A. Giejede, Dresden- A. 27

DIE BRAUTEHE

Von Dr. med. Alice Stockham u.

H. B. Fischer. Veredelung d.

Ehesitten u. d. kommend.

Geschl., id. Schutz v. un-

gewollter Muttersch.,

unübertr. Mannes -

u. Volkskraftbe besleben voll

wahrer,wirks SCH Reinheit, Schön- ar ot heit undHerzensadel, ? höchst.Lebensfr., d Borg unverwelkl. Jugend, d Gart. Eden auf Erden, die wonnev. Ehe d. Zukunft! Pr. geh. M. 4.—, eb. M. 5.- einschl. Porto. Verl E. Fischer Nachf., Leipzig, Sims onstr. I

Dr. med. E. SCHWAB

Sternenmächte u. Mensch

mit vielen Textabbildungen und 54 Abbildungen auf Kunstdrucktafeln. Preis broschiert RM. 4.— elegant gebunden . . . . . . RM. 5.50

Das interessante an dem Werke ist, daß ein Akademiker hier mit dem Rüstzeug des modernen Wissens uralte astrologische Regeln und Er- fahrungen nachprüft und zu ganz überraschenden Resultaten kommt. Wenn heute gerade das Schwab’sche Buch von allen denen, die irgend- wie zur Astrologie Stellung nehmen wollen, vor allen ähnlichen Werken bevorzugt wird, so liegt es an der fesselnden und völlig einwandfreien Art der Darstellung, die diesem Werk den guten Namen schuf, den es im Lager der Gegner und Freunde astrologischer Forschung genießt. Das Werk gehört zu den wenigen jener Art, die nicht enttäuschen.

Zwei einwandfreie Werke über Astrologie

Verlag für Kultur und Menschenkunde 6. m.b. H., Berlin-Lichterfelde

LENA VOSS

DerMensch u. seine Götter

Ein Buch über die astrolog. Einflüsse auf Gestalt und Werdegang des Menschen, mit 90 Abb. auf Kunstdrucktaf. Br. RM. 3.—, gut geb. RM. 4.50.

Wie Schwab, so bringt auch Lena Voss eine Menge einwandfreies Material ohne dunkle Phan- tastereien. Klar und sachlich ist das Werk, das uns die Verfasserin bietet, dabei so überaus amüsant zu lesen, mit einer solchen Fülle von Beobachtungsmaterial, daß jeder Leser unbe- dingt angeregt wird, zu prüfen, wie weit das Gesagte auch auf ihn selbst und seine Umgebung zutrifft. Die reiche Auswahl von guten Photo-

aphien erleichtert dieses Vergleichen beson-

ers. Das neue Werk ist also mehr als ein gut unterhaltendes Buch, es ermöglicht den Leser, sich selbst eine Meinung zu bilden über die Ab-

hängigkeit des Einzelmenschen von den ewigen Gesetzen des Kosmos.

Vererbung und deschlechtsleben

Vierteljahrsschrift mit besonderer ee puig des Sexualrechtes und der Sexualpädagog

herausgegeben von

Dr. August Forel una Dr. Fritz Dehnow

Die Zeitschrift wendet sich an Aerzte, Juristen, Pädagogen und Soziologen und über diesen Kreis hinaus an das gesunde Erkenntnis- und Bildungsbedürfnis der Allgemeinheit. Name des Mitherausgebers Dr. A. Forel ist durch dessen bahnbrechendes Buch „Die Sexuelle

Der gen GE das in Deutschland in mehr als 100000 Exemplaren verbreitetet ist, weitesten Kreisen bekannt. ie Vierteljahrsschrift bildet eine wertvolle Ergänzung unserer Monatsschrift GESCHLECHT UND GESELLSCHAFT, deren Bezieher wir sie zum Der Jahrespreis stellt sich sonst auf M. 6.—, Einzelhefte M. 1.60

VERLAG RICHARD A. GIESECKE, DRESDEN-A. 24

'orzugspreise von M. 5.— für 4 Hefte liefern.

HOTT Für eine neue Geschlechtsmoral!

E ES

J. P. Müller

GESCHLECHTSMORAL UND LEBENSGLÜCK

Kartoniert 5.50 Mark, gebunden 6.50 Mark.

Kühn und rücksichtslos greift J. P. Müller in diesem Buche das Sexualproblem an und stellt dem heutigen sexuellen Moralbegriff die Grund- forderung einer natürlichen Sexualethik ent-

egen, ie den physischen und psychischen

WE des Menschen gerecht wird.

eiche Welt von Hygiene ist durch den Dänen J. P. Müller und seine „System“-Bücher unter die Menschen gekommen! Millionen haben erst durch ihn den Weg zu Gesundheit und Lebensfreude gefunden, und so wird er auch mit diesem Buche der Menschheit einen wahr- haft großen Dienst leisten.

Müllers Buch könnte man schlechthin ein Evangelium der Liebe nennen, und zwar der Liebe im ursprünglichsten Sinne des Wortes, der gesunden, natürlichen, echt menschlichen Geschlechtsliebe. Das Sexualproblem ist in dieser Zeit viel erörtert worden. Das Thema aber so kraftvoll und frei anzugreifen, wie es hier geschehen ist, durfte nur eine so harmo- nische Persönlichkeit wie J. P. Müller wagen.

EES, Buchhandlung Rich. A. Giesecke, Dresden-A. 24.

A| 71

Neuerſcheinung! Dr. A. Mißriegler

Die liebe Krankheit

Gebunden 6.50 Mark

Der Verfaſſer ſchildert auf Grund einer faſt beiſpielloſen Beobachtungsgabe einzelne

älle aus feiner Praxis. Mit feinem Ber- tändnis weiß er die tieferen Urſachen vieler Leiden zu erklären und zu zeigen, wie man ſie auf Grund dieſer Erkenntnis heilen kann.

Wer an dem Geſchick feiner Mitmenſchen nicht teilnahmslos vorübergeht, wird das rechte Verſtändnis für dieſes Werk haben und fühlen, daß hier ein außergewöhnliches Talent am Werke iſt. Die Sprache iſt aus⸗ gezeichnet, einfach und leicht flüſſig, ſodaß

es einen Genuß bedeutet, das Buch des bekannten Pſychoanalytikers zu leſen und wieder zur Hand zu nehmen. Dr. G. Fenner.

Verlag Dr. Madaus & Co., Radeburg (Bezirk Dresden)

*

Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 OCOCCOOCOCOCOCOOCCOOCOOCCCOCCOCCOCCCOCOCSOOCOOOOOOO >

Die Truchtabtreibung

durch Gifte und andere Mittel.

Ein Handbuch für Aerzte, Juristen, Politiker und Nationalökonomen

von Prof. Dr. Luis Lewin.

4. vermehrte Auflage. Groß-Oktav. XII und 524 Seiten.

Geb. RM. 24.— in Leinen geb. RM. 27.—.

Zum vierten Male erscheint dieses Werk, dessen dritte Ausgabe in einem Jahr ver- griffen war, in erweiterter Gestalt.

Vor seinem ersten Erscheinen hatte es in Deutschland keinen anderen Vorgänger, und die Bedeutung und hohe Anerkennung, die ihm 1 wurde, äußerte sich in länzender Beurteilung im In- und Aus- ande. Bezeichnete es doch der vielleicht berufenste Kenner, Professor Brouardet, als er es der Pariser Akademie der Me- dizin vorlegte, als „ouvrage classique“.

Buchhandlung Rich. A. Giesecke, Dresden- A. 24.

Ce- NHZ

Neue Homöopathische Zeitung

Monatsschriftmitden Beilagen „Mutterrecht u. Kindesschutz“ u. „Diebiolog.Volksbewegung“

Schriftleiter Dr. med. H. Will

Oranienburg-Eden.

Die Zeitschrift dient zur Erhaltung u. Förderung der reinen Homöopathie SAMUEL HAHNEMANNS. Sie will die Erziehung des Volkes zu gesunder Lebensweise im Sinne der Lebensreform.

Preis durch die Post jährlich M. 3.—, unter Kreuzband M. 3.60

VERLAG Dr. MADAUS & CO. Radeburg (Bezirk Dresden)

III

II u III

VI. Band (Schlußband) soeben erschienen!

Handbuch der Politik

Dritte Auflage in 6 Bänden. Herausgeber: Gerard Anscbüß, Heidelberg Max Lenz, Hamburg / Albrecht Mendelssoßn-Barfboldy, Hamburg / Georg von Scan, Würzburg / Eugen Schiffer, Berlin/ Adolf Loch +, Leipzig.

Band VI:

Urkunden zur Politik unserer Zeit

(Bis zum Pakt von Locarno)

unn

maenner

XXIV und 524 Seiten Groß-Lexikon-Oktav; einzeln käuflich. In Halbleinen 24 Mark, in Ganzleinen 27 Mark, in Halbfranz (Voll-Leder) 32 Mark.

Der sechste Band des Handbuches der Politik, mit welchem die dritte Auflage des Werkes beschlossen wird, ist der wichtigste, interessanteste und unentbehrlichste des Gesamtwerkes. Er will unseren Lesern, die wir in allen Schichten des deutschen Volkes gesucht und gefunden haben, den Weg bahnen zu den bedeutenden Staatsurkunden unserer Zeit als den origi- nalen Zeugnissen der Politik. In Sammelwerken und amtlichen Publi- kationen vergraben, waren sie selbst dem Fachmann oft nur schwer zu- gänglich. ſeizi erst erhalten wir die lebendige Vorstellung von jenen Dokumenten, von denen wir immer hören oder in der Zeilung lesen, und gewinnen dadurch Einblick in die Werkstatt der Geschichte. Jedem Ab- schnitt ist eine Auswahl aus dem polilischen Schrifttum der Zeit, jedem Dokument eine kurze Einführung zusammen mit einer Angabe der Quellen und der wichtigsten Literatur vorangestellt. In unermüdetem Zusammen- arbeiten der Herausgeber und des Schriftleiters mit dem besonders be- auftragten Direktor des Instituts für auswärtige Politik in Hamburg und den zahlreichen Einzelarbeitern ist die Sammlung der Urkunden zustande gekommen. Mit diesem Bande ist das Handbuch der Politik abgeschlossen: „Ein Werk nach solcher Umsicht kaum je bereitet, in so würdigem Glanz noch nie erstanden.“

Ausführlicher Prospekt steht unberechnet zu Diensten.

Belek sei Dr. Walther Rothschild, Berlin- men

HILL

Völkerplychologie und Soziologie

find zwei Gebiete, die heute jeden Gebildeten intereſſieren.

Das beweiſt der von einer großen Zahl beſuchte Kongreß der Deutſchen Gefell- ſchaft für Soziologie in Wien.

Zeitſchrift für Völkerpfychologie

und Soziologie

herausgegeben von

Dr.R. Thurnwald, a. o. Prof. an der Univ. Berlin.

Jährlich erſcheinen 4 Hefte im Umfange von je 6 Bogen zum Preife von M. 7.50 pro Semeſter. Einzelne Hefte M. 4.—.

Bei der fändig wachfenden Erkenntnis geſellſchaftlicher Zulammenhänge und ihrer Bedeutung für die Löfung der wichtigften Zeitfragen it eine unbedingte Notwendigkeit, fich mit der obigen Zeitſchriſt bekanntzumachen.

Verlangen Sie heute noch Probeheft mit ausführlichem Profpekt.

Rembrandt als Erzieher

Von einem Deutlchen. Einzige vom Verfaller autorifierte Neuausgabe. Mit einer Einleitung: Der Verfaſſer und fein Werk. 67. bis 71. Tauſend.

In Ganzleinen gebunden und auf holzfreiem Papier gedruckt M. 5.—. Illuſtrierte Geſchenkausgabe in Halbleder gebunden M. 12.—.

Aus einigen Beſprechungen: Hat doch Bismarck geſagt: „Man kann es nicht vor dem Einfchlafen lefen, es gibt einem zuviel zu denken.“

„Zuſammenfaſſend kann man fagen, ‚Rembrandt als Erzieher‘ it eine Schaß- ammer voller origineller Gedanken und gibt Anregungen in Hülle und Fülle für Leben und Denken, Schaffen und Geſtalten.“

. . Es iſt ein politiſches Lehrbuch erften Ranges, und kein Deutſcher wird es ohne Gewinn und ohne ſtarke innere Bereicherung aus der Hand legen. Diefes Werk follte Datt der Weimarer Verfallung der zur Entlalung kommenden Jugend in die Hand gedrückt werden als Wegführer und MWegeeiler" r

(Cöthenfche Zeitung.)

C. L. HIRSCHFELD, VERLAG, LEIPZIG

lo Digitized by G i ik j