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Illustrierte Monatsschrift für Sexualwissenschaft, Hygiene,

Biologie und Menschenkunde

XIV. Jahrgang Heft 11 Aus dem Inhalt:

Prof. Dr. Friedrich S. Krauß:

Frauenseelenweihungen (Fortsetzung)

Dr. rer. pol. Felix Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie (Schluß)

Karl Besser: Graphologie und Menschenkunde

Dr. Ernst Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft

Betrachtungen und kleine Mitteilungen. Bücherschau

RICH. A. GIESECKE, DRESDEN-H. 24 (Verlag für Menschenkunde und Sexualwissenschaft)

Preis des Einzelheftes Mk, 1.—

AP: *

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Rembrandt als Erzieher

Völkerplychologie und Soziologie S

lind zwei Gebiete, die heute jeden Gebildeten intereffieren.

Das beweiſt der von einer großen Zahl beluchte Kongreß der Deutſchen Gefell- fchaft für Soziologie in Wien.

Zeitlchrift für Völkerplychologie

und Soziologie

herausgegeben von

Dr. R. Thurnwald, a. o. Prof. an der Univ. Berlin.

Jährlich erſcheinen 4 Hefte im Umfange von je 6 en zum Preiſe von M. 7.50 pro Semeſter. Einzelne Hefte M. 4.—.

Bei der Rändig wachlenden Erkenntnis geſellſchaftlicher Zufammenhänge und

ihrer Bedeutung für die Löfung der wichtigften Zeitfragen it eine unbedingte „Notwendigkeit, fich mit der obigen Zeitſchriſt bekanntzumachen.

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Von einem Deutſchen. Einzige vom Verfaſſer autoriſierte Neuausgabe.

Mit einer Einleitung: Der Verfafler und fein Werk.

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Aus einigen Befprechungen: Hat doch Bismarck gefagt: „Man kann es nicht vor dem Einfchlafen leſen, es gibt einem zuviel zu denken.“ c

„Zuſammenfaſſend kann man fagen, ‚Rembrandt als Erzieher“ ift eine 3 kammer voller origineller Gedanken und gibt Anregungen in Hülle und Fülle für Leben und Denken, Schaffen und Geſtalten.“

. Es ift ein politiſches Lehrbuch erften Ranges, und kein Deutſcher wird es ohne Gewinn und ohne farke innere Bereicherung aus der Hand legen. Dieſes Werk follte Ratt der Weimarer Verfallung der zur Entlaſſung kommenden Jugend in die Hand gedrückt werden als Wegführer und Wegweiler“....

(Cöthenfche Zeitung.) . HIRSCHFELD, VERLAG, LEIPZIG

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Frauenseelenweihungen.

Von Prof. Dr. FRIEDRICH S. KRAUSS, Wien. (Fortsetzung.) VII. Frauenseelenweihungen zur Erlangung guter Erfolge auf Acker- und Kriegsfeldern.

Die Frauenhinopferungen zur Erzielung der Feldfruchtbarkeit und des Bodensegens bestanden Öffentlich noch bis zum Jahre 1864 bei den Chonds in Indien, bis die englischen Behörden dagegen mit Macht- mitteln einschritten. Um den Gedankengang der frommen Frauen- mörder zu begreifen, muß man die äußeren Umstände des Brauches näher betrachten. Er entspringt einer Weltanschauung, welche jener südslavischer Ackerbauer gleich ist, deren von mir ermittelten urältesten religiösen Bräuche ich in meiner Dulaure-Ausgabe anführe und die dem wilden Ingrimm des Berliner Gerichtshofes, als meine angeblich unzüchtige Erfindung, zum Opfer fielen.

Die Chonds zerfallen in zwei große Sekten. Sie glauben. alle an ein höchstes Wesen, einen Gott des Lichtes, der da ein Quell alles Guten ist und sich eine Gattin erschaffen hat, die Erdgöttin, Göttin der Finsternis, von der alles Übel herrührt. Viele betrachten sie schon für besiegt, andere nicht. Sie hält in letzterem Falle die Wage des Guten und Bösen in ihrer Hand, lenkt die Schicksale der

Menschen und jede Wohltat, welche ihnen zuteil wird, muß man

dadurch erkaufen, daß man sie mit Opfern günstig stimmt.

Unter diesen sind die Menschenopfer am wirksamsten und die sind ein heiliger Gebrauch. Daß die Kinder gesund heranwachsen, daß die Ernte gedeiht, die Herde sich vermehrt, der Feind besiegt wird, keine Krankheit kommt, kein Blitz trifft, das alles hängt von der gewissenhaften Beobachtung dieses heiligen Brauches ab und deshalb beobachtet ihn das ganze Volk gegen die Erdgöttin, die Tari Pennu.

Der Generalmajor John Campbell verweilte dreizehn Jahre bei diesem Bergvolke. Unter Ubergehung seiner Ausdrücke sittlicher Entrüstung soll hier das Tatsächliche vom Frauenopferdienste folgen. Daß er dank seinem Eingreifen viele Menschen vor der Hinschlachtung bewahrt habe, ist für ihn ehrenvoll, doch daß er auch zugleich, wie er meint, den Glauben und Brauch aus dem Gemüte der Chonds aus- gerottet habe, das müßten uns erst einheimische Folkloristen bezeugen.

Eine Hauptbedingung war, daß die Schlachtopfer, die Meriah, an-

gekaufte Personen sein mußten; auf Alter, Geschlecht oder Religions- G. u. G. XIV ö 31

482 Krauß: Frauenseelenweihungen

bekenntnis kam es weniger an, doch zog man erwachsene Leute im kräftigen Alter vor, weil man sie teurer bezahlen mußte und sie deshalb der Gottheit willkommener waren als wohlfeil angekaufte Kinder oder Greise. Ein recht wohlbeleibtes Opfer war das angenehmste, in erster Reihe selbstverständlich gut genährte, schöne, junge Frauen. Die Lieferung der Meriah war eine gewinnbringende Handels- spekulation in den Händen besonderer Agenten oder Aufkäufer, welche fast alle zur Panu-Kaste gehörten. Diese Menschen hatten mit dem Glauben der Chonds gar nichts zu schaffen; ihnen kam es lediglich aufs Geschäft an. Sie zogen, namentlich, wenn Hungersnot war, in den Dörfern der Ebene umher und handelten den armen Leuten Kinder ab, stahlen wohl auch dergleichen und verlockten junge Burschen und Mädchen ins Gebirge unter dem Vorwande, ihnen dort eine lohnende Arbeit nachzuweisen. Manchmal sparte man sie jahrelang auf und behandelte sie immer gut. Sie wußten sehr wohl, was ihnen bevorstand, ergaben sich aber mit orientalischem Fatalismus in ihr Schicksal. Inzwischen arbeiteten sie auf dem Felde. Die Mädchen verheirateten sich auch wohl mit einem Chond oder auch mit einem männlichen Meriah und die Kinder wurden dann ebenfalls zu Schlachtopfern. u

Der Ankaufspreis wechselte von 60 bis 300 Rupien, jede zu zwei Drittel Taler gerechnet; man bezahlte ihn aber selten in barem Gelde, sondern lieber in Rindvieh, Schweinen, Ziegen und Bronzegefäßen.

Die religiöse Feierlichkeit muß unbedingt Öffentlich sein. In dem Monate vor dem zum Opfern bestimmte Tage veranstaltet man viele Festlichkeiten. Man hält Trinkgelage ab und tanzt um das Meriah herum, welches man mit Blumen bekränzt und mit den besten Kleidern ausschmückt. Am Abend vor dem Todtage führt man das berauschte Meriah an einen großen Pfahl, an welchem das Sinnbild einer Gottheit angebracht ist, ein Elefant z. B. oder ein Pfau. Man macht Musik, tanzt und stimmt heilige Gesänge zu Ehren der Gottheit an: „Wir bieten dir dieses Opfer dar! Gewähr uns gute Jahrzeiten! Gib uns gute Ernten und Gesundheiten!“ Darauf redet man das Schlachtopfer an: „Du bist unser. Nicht durch Gewalt. Wir haben dich gekauft und jetzt sollst du nach altem Brauch geopfert werden! Auf uns fällt keine Schuld!“

Am anderen Tage muß sich das Meriah abermals berauschen. Man salbt es mit Öl ein, namentlich an den Geschlechtsteilen und streicht das an seinen Fingern anhaftende Öl in sein Haar. Darauf beginnt der feierliche Umzug mit Spielleuten voran, und man trägt

Krauß: Frauenseelenweihungen 483

das Meriah um das Dorf herum und auf die Felder, so wie es die Südslaven, Griechen und Rumänen mit ihren mit Blumen um- wundenen, sonst nackten Umzugjungfrauen machen.

‚Der Priester oder Zani, bei welchem nichts darauf ankommt, zu welcher Kaste er gehört, geleitet den Zug um den Pfahl, welcher allemal neben dem Ortsgötzen (Sakari Pinu) steht. Ihn stellen drei große Steine dar. Dann übt er den heiligen Brauch Puga aus, d. h. er läßt durch ein Kind, welches noch nicht sieben Jahre alt sein darf, Blumen und Weihrauchdüfte darbringen. Das Kind ist auf Gemeindekosten gekleidet und ernährt, auch immer abseits gehalten worden, damit es rein bleibe. Man bezeichnet es als Sumba.

Inzwischen hat man am ‚Pfahl eine Grube gegraben und opfert an deren Rande ein Schwein. Das Blut fließt in das Loch ab und in dieses muß das betrunken gemachte Meriah hineinsteigen. Man drückt den Kopf in den blutigen Schlamm und erstickt es. Nachher schneidet ihm der Zani ein Stück Fleisch vom Leibe ab und rennt damit zu den Götzensteinen, wo er dies der Göttin der Erde zum Opfer darbringt. Sobald das geschehen ist, schneidet sich jeder Anwesende auch ein Stück ab. Wer aus einem anderen Dorfe ge- kommen ist, rennt mit seinem Stücke heim, damit er es recht bald unter seinen Ortsgötzen vergraben könne. Der Kopf des Meriah verbleibt unberührt in dem blutigen Schlammloche, das man nachher verschüttet.

Man bringt dann einen jungen Büffel an den heiligen Pfahl, haut ihm alle vier Beine ab und läßt ihn bis zum anderen Tag liegen. An diesem erscheinen Frauen, die wie Männer gekleidet und bewaffnet sind. Sie trinken, singen und tanzen um den Büffel herum, den man nachher verspeist. Nun schickt man den Priester heim, der vorher ein Geschenk bekommen hat.

An manchen Örtlichkeiten schneidet man dem lebendigen Meriah Stück für Stück vom Leibe ab.

WieRickett, ein Grenzkommissär, erfuhr, der da seine Erkundigungen an der Grenze von Bengalen einzog, schlachte man dort die Meriah besonders dann, wenn man gute Safranernten haben wolle. Auf Gegenvorstellungen antwortete man ihm, der Safran bekäme keine schöne Farbe, brächte man nicht ein Blutopfer dar. In manchen Gegenden zerquetschte man das Meriah zwischen Bambusbrettern, die man nach und nach immer mehr zusammenpreßte. Zuletzt hieb der. Priester mit einer Axt den Kopf ab.

In anderen Gemeinden verstümmelt man die Leiche nicht. In 28 *

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diesem Falle bringt das Opfer aber nur dem Einzelnen, welcher es bezahlt hat, die Gunst der Erdgöttin ein. Aus solchem Glauben erklärt sich die Hast, mit der jeder ein Stück Fleisch abhaben will; denn es kommt ja darauf an, die göttliche Gunst auf eine möglichst große Fläche von Ländereien herabzuziehen. Auch ist das Opfer nur wirksam, wenn das Fleisch des Meriah noch an demselben Tage auf einer Gemeindeflur eingescharrt wird. Es ist oft vorgekommen, daß an bestimmten Punkten Eilboten aufgestellt waren. Einer übergab das Stück Fleisch dem andern, der dann wie besessen weiterlief. So ging es fort, bis es an seinem weit entfernten Bestimmungsorte anlangte.

Ubrigens sind nicht alle Menschen, welche die Chonds von den Panus kauften, als Sühneopfer gefallen. Manche dienten als Poss ia puhs im Hause oder arbeiteten auf dem Felde und man betrachtete sie gleichsam als Familienmitglieder. Freilich war ihr Schicksal immerhin ungewiß, denn es konnte sich ereignen, daß ein Opfer nötig und kein anderes Meriah zur Hand war; dann kamen sie an die Reihe.

Der Zeichner Castelli gibt im Bild vier fein gekleidete und mit Ohr-, Hals-, Arm-, Handgelenk- und Fußknöchelschmuck reich ver- sehene Meriah-Mädchen von etwa 16—20 Jahren, eine prächtiger als die andere anzuschauen. Es ist leicht begreiflich, daß man solche Schönheiten lieber der irdischen Männerwelt als der R Erdgöttin Tari Pennu vergönnte.

Campbell erzählt des weiteren nach seinen Tagebüchern: „Vier Chonds hatten einen Liebebund mit vier Meriahmädchen geschlossen und mit ihnen in meinem Lager eine Zuflucht gefunden. Sie verließen Heimat und Familie, um diese Frauen dem Opfertode zu entreißen. Auch zwei Chondfrauen aus dem Dorfe Bandori waren mit zwei jungen, zum Opfer bestimmten Männern entflohen. Im Ganzen flüchteten aber doch nur wenige Meriahs. Sie sind nämlich in dem Wahne befangen, daß sich ein für das Opfer bestimmter Mensch, der als Meriah gehalten und ernährt worden ist, gegen das ihm zugedachte Schicksal nicht auflehnen dürfe. Dieses Vorurteil ist bei diesen fatalistischen Leuten so tief eingewurzelt, daß selbst der Selbsterhaltungstrieb und die Mutterliebe dadurch erstickt werden.

Im jahre 1852 brachte ich aus dem Bezirke Rajabidschi eine Anzahl Meriahs mit nach meinem Lager. Unter ihnen war auch eine Mutter mit drei Kindern. Die Frau war unter den Chonds fanatisch geworden, daß sie mir nur mit großem Widerstreben in das Unter- land folgte. Seit langer Zeit war sie mit dem Gedanken vertraut,

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daß sie mit ihren Kindern bei einem großen Feste geopfert werden solle; und dieser Gedanke machte sie förmlich stolz. Sie hatte Freude daran, ohnehin würde sie ja die Gunst der Götter gewonnen haben; ihr Schicksal in jener Welt wäre ein bevorzugtes gewesen, nicht wie jener Masse gewöhnlicher Menschen!

Als diese Frau längere Zeit in meinem Lager gelebt hatte, ver- schwand allmählich dieser verderbliche Wahn. Ich sah, daß sie Vertrauen zu mir gewann. Eines Morgens kam sie weinend zu mir und offenbarte mir ein Geheimnis, das sie bisher streng bewahrt hatte. Ihr viertes Kind, ein Knabe von sechs Jahren, war auch zum Meriah bestimmt, verborgen gehalten und mir nicht ausgeliefert worden. Er sollte der Erdgöttin geopfert werden, sobald sie ein Zeichen gegeben habe, daß und wann ihr das Opfer angenehm sein werde Hullu Mai, so hieß die Frau, bat mich inbrünstig, eine Abteilung meiner Leute nach Rajabidschi zu senden, um ihr Kind zu holen. Aber die Jahrzeit war schon weit vorgerückt, und ich ‚wollte ein feindliches Zusammentreffen in einem Lande vermeiden, in welchem wir kaum angefangen hatten, unsere Autorität geltend zu machen. Der betrübten Mutter konnte ich nur versprechen, daß im nächsten Jahre so früh als möglich ein Zug unternommen werden solle. Hoffentlich sei es dann für die Rettung ihres Kindes noch nicht zu spät.

Damit war die arme Frau weder beruhigt noch getröstet. Eben damals war die Regenzeit eingetreten und das Wasser ergoß sich in Strömen aus den Wolken. Zu meiner nicht geringen Überraschung meldeten mir die Vorsteher des Asyls zu Suradah, wo ich die Frau untergebracht hatte, sie sei verschwunden, habe jedoch ihre Kinder zurückgelassen. Ich ahnte, weshalb sie heimlich abgezogen sei und mußte sie gewähren lassen. Woche um Woche verstrich, ohne daß wir etwas von ihr erfuhren, und ich glaubte nun, sie sei völlig verschwunden. Da, am vierzigsten Tage nach ihrer Flucht, trat sie in mein Zimmer ein mit ihrem Knaben an der Hand!

Nun erfuhr ich ihre Abenteuer und was sie alles gewagt, um ihr Kind zu retten. So entfernte sie sich bei nächtlicher Weile aus Suradah und schlich ins Gebirge, durch die Wälder, in denen Schlangen krochen und Tiger brüllten. Auf dem Gebiete der uns befreundeten Stämme durfte sie von Niemandem bemerkt werden, denn sie wäre als flüchtiges Meriah. festgenommen und uns ausgeliefert worden. Andererseits drohte ihr ein gleiches Schicksal, fiel sie in die Hände der uns abgeneigten Stämme. Man hätte sie dann ihren früheren Besitzern überliefert.

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Das arme Geschöpf konnte also nur bei Nacht reisen, und Gott weiß, was eine nächtliche Wanderung in einer indischen Regenzeit bedeutet, wo die Bäche ausgetreten sind und das Geheul der wilden Tiere sich mit dem Sturmgetose mischt! Aber die mutige Frau, in welcher die Mutterliebe einmal mit Gewalt wach geworden war, kannte keine Furcht. Bei Tage hielt sie sich in den Wäldern ver- borgen und ging erst weiter, wenn die Dorfbewohner schliefen; dann sammelte sie Wurzeln und Früchte, die sich eben darboten, denn das bißchen Reis, welches sie aus dem Asyl hatte mitnehmen können, reichte nicht weit.

Endlich kam sie in die Nähe des Ortes, wo sie als Meriah hatte. Mehrere Tage lang spähte sie in der Gegend umher und lag auf der Lauer, aber hineinwagen durfte sie sich noch nicht. Indessen bot sich ihr eine günstige Gelegenheit dar. Während der Regenzeit gehen dann und wann die Dorfbewohner in Massen auf das Feld, um auf ihren Reisäckern zu arbeiten, und das geschah auch jetzt. Die Mutter benutzte den rechten Augenblick, gelangte zu ihrem Kinde und schlug sich abermals in die Wälder.

Nach fünf oder sechs Nachtmärschen war sie im Gebiete der uns befreundeten Stämme und nun war sie gerettet. Sie stellte sich einem Dorfhäuptling und bat, man möge sie zu mir führen. Man kann sich denken, wie hocherfreut ich war. Aber die Armste war durch Angst und Hunger zu einem Geripp abgemagert, erholte sich jedoch bald. Die Regierung hat ihr und ihren Kindern ein Unter- kommen verschafft. Mir war es, abgesehen von allem anderen, auch

lehrreich zu verfolgen, in welcher Weise die völlige Umwandlung

in den Ansichten und Gemütszuständen dieser Frau vor sich gegangen war. Vor vier Monaten war sie in hohem Grade stolz darauf ge- wesen, daB doch wenigstens eins ihrer Kinder den Ruhm und die Ehre haben werde, am Götterpfahle zu sterben; bald nachher wagte sie ihr eigenes Leben, um diesen Knaben zu retten.“

Bei den Kuluhindus im Himälaya opferte man bis vor kurzem unter einer uralten, jetzt gefällten Zeder alljährlich ein Dorfmädchen hin, so versichert im Jahre 1897 der Forschungsreisende Professor Gustav Oppert.

Von verschiedenen seit uralten Zeiten bis auf unsere Tage bei den Nordamerikanischen Indianern üblichen Menschenopfern steht viel in den Sammelwerken von Schoolcroft und Herbert Hobe Bancroft zu lesen. Es dürfte als ein Fortschritt in der Gesittung an-

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zusehen sein, daß man nicht Mädchen aus dem eigenen Stamme, sondern nur mit Vorliebe Gefangene den Fruchtbarkeitgeistern darbrachte.

Von einem derartigen Falle aus dem Monate April 1838 weiß Francis S. Drake in seinem Hauptwerke 1884 zu berichten. Die Pawnees und Sioux hatten ungefähr 160 Meilen oberhalb Council Bluff am Missouri einen heftigen und blutigen Krieg geführt. Im Februar hatten die Pawnees ein erst vierzehnjähriges Mädchen namens Haxta gefangen genommen und nach ihren Dörfern mit- geschleppt, wo man das Kind mehrere Monate hindurch sorgsam verpflegte und liebreich behandelte. Ihrer Verköstigung schenkte man mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit, äußerte aber kein Wort über ihr Schicksal. Die furchtbare Wahrheit schwante dem Kinde zum erstenmal am 22. April, um die Zeit, wo der Frühling bereits seine milde, heitere Herrschaft angetreten und der Pawnee-Stamm seinen Mais zu säen begann. Es versammelte sich ein Rat der Häuptlinge und Krieger und faßte einen Beschluß über das Los des Pfleglings, doch blieb das Ergebnis der Beratungen ein Geheimnis vor dem Kinde. Nach der Auflösung der Ratsversammlung holte man die Maid aus ihrer Wohnhütte ab und führte sie unter Begleitung sämt- licher Eingeweihten. von Wigwam zu Wigwam und in jedem reichte man ihr ein kleines Holzscheit und etwas Farbe zum Bemalen des Leibes. Die empfangenen Gaben reichte sie dem hinter ihr einher- schreitenden Krieger dar und so ging es mit den Besuchen bis zur letzten Hütte weiter fort.

Zwei Tage nach diesem feierlichen Rundgange führte man das Mädchen nach dem zu ihrer Aufopferung ausersehenen Orte hinaus und erst an dieser Stelle dämmerte ihr der wahre Zweck der sym- bolischen Beisteuer auf. |

Zwischen zwei ungefähr fünf Fuß auseinander stehenden Bäumen waren von Baum zu Baum hölzerne Balken gebunden und bildeten eine Standbrücke. Unter dem Gerüste brannte ein Feuer, dessen züngelnde Flammen eben noch bis zu den Füßen des Mädchens hinauflangten. Zwei stämmige Pawnee-Krieger stiegen dann auf die Balken, packten das Mädchen fest an und hielten es unmittelbar über die Flammen, worauf man kleine Bündel leichten, trockenen Holzes anzündete und sie ihr unter die Achselhöhlen hielt.

Ein weiter Kreis der versammelten Einwohnerschaft des Dorfes samt allen Häuptlingen und Kriegern stand dabei, um dieses außer- ordentliche Schauspiel mit anzusehen, doch nicht in allernächster Nähe des Gerüstes. Jeder Krieger hatte seinen Bogen und Pfeile

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bei sich. Der Augenblick, wo man die kleinen, brennenden Holz- bündel dem Mädchen unter die Arme hielt, gab den Kriegern das Zeichen zum Schießen und im Nu war der Leib der Unglücklichen so dicht von Pfeilen bespickt, daß jeder edle Teil getroffen war.

Sobald das Leben erlosch, zog man die Pfeile wieder heraus, schnitt das noch zuckende, warme Fleisch in kleinen Stücken vom Leibe ab und legte die Stückchen in Körbchen. All dies geschah beinahe mit unbegreiflicher Raschheit und man trug darnach die Körbchen mit dem Menschenfleisch nach einem benachbarten Maisfeld. Hier nahm der oberste Häuptling ein Stück des Fleisches und drückte daraus einen Blutstropfen auf die frisch ausgesteckten Kukuruzkörner.

Dieses Beispiel befolgten dann sogleich die übrigen Indianer, bis aller Mais auf solche Weise mit Menschenblut betreufelt und ein- gesegnet war, worauf man die Grübchen wieder mit Erde bedeckte und sie neuerlich aufhäufelte. Wie man behauptete, war dies durch- aus kein vereinzeltes Beispiel von Menschenopfern unter den Pawnees.

Was dem Haus-, Burg- und Brückenerbauer sein Bau, dem Land- mann sein Acker, das ist dem, Krieger sein Kriegszug, ein Mittel zu seiner Lebensbestreitung und zur Hebung seiner Wohlfahrt. Im Glauben an die Geisterwelt sind sie alle einig und nicht minder in der Überzeugung, daß man deren Gunst am sichersten erwerbe, weihe man ihnen eine Frauenseele als Gabe. Für den Kriegerwahn reichen hier zwei Belege aus einander gar fern liegenden Volks- gebieten aus.

S. E. Peal erwähnt in seiner Abhandlung On the „Morong“ as possibly a Relict of Pre-Marriage Communismus (1893), wie der Häuptling der Khulunia-Nagas bei einer Heerung in die Ebene von Assam vor den versammelten Kriegern ein gefangenes Mädchen langsam in Stücke hackte, während er um das Opfer herumtanzte und dabei Kriegslieder sang.

Vor ihrer Verchristlichung pflegten die Alyonkindianer, um auf einem Kriegszuge vom Glück begünstigt zu sein, auf einer erhöhten Platform dem Kriegsgott eine reine Jungfrau (agonakwens) als Schlachtopfer darzubringen. (Alex. F. Chamberlain nach Abbe Cuocz, J. A. F.-L. XIII. 271 und 276, 1900.)

VIII. Frauenseelenweihungen beim Regenzauber. Zur Erzeugung der Feldfruchtbarkeit ist ausreichende Durch- feuchtung des Landes unerläßlich. Sie erfolgt entweder durch reich- lichen Regenguß oder durch austretende Flüsse oder künstlich

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angelegte Bewässerungen. Versagen Himmel und Erde, so liegt die Schuld an den menschenfeindlichen Geistern, den Beherrschern des Wassersegens und um sie zu gewinnen, wendet der Wahnglaube die auch sonst bei Fruchtbarkeitszaubereien und Geisterbeschwörungen üblichen Mittel an, unter anderen auch das der Frauenhinopferung. Im übrigen begnügt man sich nicht damit allein, vielmehr bietet man mit Hinblick auf die Lebenswichtigkeit des Regens noch andere Zauberkünste auf. Ich sammelte sie, wo immer sie mir aufstießen, zumal im südslavischen Gebiete und habe davon genug zu einem recht starken Hefte. Daraus gebe ich hier nur einige Angaben, die unseren engeren Vorwurf der Untersuchung betreffen.

Wie J. G. Müller in seiner Amerikanischen Urreligion anführt, riefen die Mexikaner im sechsten Monat den Tlaloc, den Gott des Regens und Gewitters an, dem sie als dem duftgesalbten, blumen- bekränzten Könige des Paradieses, bei Dürre klagten, daß sich die Götter des Regens entfernt und die Götter des Uberflusses mit sich fortgeführt haben. Sie stellten ihm den trockenen Mund und das verdorrte Gewächs vor, holten Schilf aus dem See, um damit die Tempel zu decken und fuhren zuletzt auf den See zu einem Wasser- wirbel hinaus und opferten dort einen Knaben oder ein Mädchen.

Auch die als Menschen von sanftem Gemüte verschrienen Tolteken in Mexiko waren von der Wunderkraft jungfräulicher Mädchen beim Regenzauber gleich den Agyptern durchaus überzeugt. Sie opferten, wie dies Waitz-Gerland hervorheben, regelmäßig jährlich, um sich Regen zu sichern, fünf bis sechs kleine Mädchen, denen man das Herz ausriß. Vermutlich verzehrten, wie sonst in Mexiko, in Stell- vertretung der Gottheit die Häuptlinge und die Priester die frischen Herzen, während sich das Volk bei dem ihm zugeworfenen Opferleib zu bescheiden hatte.

Glaubt man bei einem Völkchen, der in den Gewässern hausende, zu begütigende Geist sei weiblichen Geschlechtes, so bringt man ihm selbstverständlich keine Mädchen, sondern Männer dar. So z. B. besteht oder bestand nach J. Grimm im nördlichen Afrika im Gebiete von Konstantine in Algier die fromme Gepflogenheit, daß die Moslimen jedes Jahr bei lang andauernder Trockenheit einen oder mehrere arme Marabuts halb freiwillig, halb gezwungen im Fluß untertauchen, worauf sofort Regen erfolgen soll.

J. G. Owens bezeugt es im Journal of Am. Folk-Lore IV. 126 (1891) die Zufi-Indianer haben im Sommer des Jahres 1889 zwei der Hexenkunst verdächtige Personen auf der Südseite der spanischen

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Kirche aufgeknüpft. Die eine war aber keine Frau, sondern ein junger Mann, den man beschuldigte, er habe die Regenwolken fortgeblasen. Nachdem er zwei Tage lang gehangen, schlug man ihn am dritten Tage mit Knütteln zu Tode. Bei der verurteilten Frau war aber offenbar dies Verfahren überflüssig geworden.

In Britisch-Ostafrika liegt in der. Nähe des Dorfes Luba in der Landschaft Busoga, wie Harry Johnston (1902) mitteilt, ein See, neben dem ein heiliger Baum steht. Bei großer Dürre bringt man ein Mädchen hin und taucht sie in den See, nachdem man vorher in ihren Nacken einen kleinen Einschnitt gemacht. Diesem derart dem Seegeist dargebrachten Mädchen ist bis an ihr. Lebensende jeder geschlechtliche Verkehr verboten. |

Die Wiener Zeitschrift „Die Woche“ berichtete am 4. August 1923 in Nr. 31 über Menschenopfer zur Regengewinnung in Rhodesia:

„In der Stadt Salisbury Rhodesia in Südafrika fand kürzlich eine Gerichtsverhandlung statt, wie sie ähnlich in unseren Tagen wohl kaum anderwärts hätte stattfinden können, und man müßte weit zurückgehen, um einem Tatbestande zu begegnen, wie er diesem Prozesse zugrunde lag. Als Angeklagte standen sieben Eingeborene vor dem Richter, alle des Mordes an einem ihrer Stammesgenossen, einem jungen Manne namens Mandura, angeklagt. Sechs der An- geklagten wurden schuldig befunden und zum Tode verurteilt, während der siebente, der Häuptling des Stammes, dem die An- geklagten angehörten, ein alter Mann namens Chis visti, freigesprochen wurde. Die sechs zum Tode verurteilten Männer wurden vom Staats- anwalt der Gnade des Richters empfohlen, und tatsächlich wurde ihnen die Todesstrafe erlassen.

Die Ermordung Manduras erfolgte durch regelrechte Verbrennung bei lebendigem Leibe an einem Pfahle, an dem der Delinquent fest- gebunden worden war. Diese Schreckenstat erfolgte zur Sühne einer schweren Beleidigung, deren sich der Hingerichtete gegen die Regen- göttin jenes Distriktes schuldig gemacht hatte. Die verunglimpfte Göttin hatte sich an der Gemeinschaft, nach Meinung des Stammes, dadurch gerächt, daß sie die Gegend mit andauernder Dürre schlug und so die Ernten vernichtete. Um die zürnende Göttin wieder zu versöhnen, brachte ihr der Stamm das erwähnte Brandopfer dar.

Bemerkenswert ist, daß einer der Häuptlinge, Chincango, der Vater Manduras, die Verbrennung seines Sohnes anregte und bei der Durchführung dieses grausigen Aktes die Hauptrolle spielte. Nicht minder bemerkenswert, daß die beleidigte Regengöttin in diesem Falle

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nicht eine Fantasiefigur einer religiösen Vorstellung ist, sondern ein lebendes Wesen, und zwar ein siebzehnjähriges Mädchen, dem vom Stamme die irdische Rolle einer Regengöttin zugewiesen worden war. Mandura hatte nun an der Regengöttin ein unsittliches Attentat verübt und wurde ihr zur Sühne am Brandpfahl zum Opfer gebracht.

In der Gerichtsverhandlung hob der Staatsanwalt hervor, daß bei Beurteilung der Tat der Kulturunterschied zwischen den Tätern und der Auffassung der kaukasischen Welt wohl Berücksichtigung verdiene, daß aber gleichwohl die gräßliche Tat gesühnt werden müsse. Der Verteidiger wies beredt auf die hohen moralischen Gefühle des mit- angeklagten Vaters des Geopferten hin, weil er seinen eigenen Sohn geopfert habe, um die durch seine Schuld beleidigte vermeintliche Gottheit wieder zu versöhnen.“

Eine erwünschte Aufklärung über die Glaubensanschauungen be- sagten Häuptlings Chigango vermittelte nach Kapstädtischen Zeitungs- berichten im Jahre 1923 Bergmanns Wiener Wochenschrift „Der Erzähler“: |

„Angesichts des heurigen unsommerlichen Urlaubswetters ist die Meteorologie eine vielbeachtete und beinahe interessante Wissenschaft geworden und es wurden die verschiedensten Ansichten dieser ab- normalen Witterung laut. Ein Mittel allerdings, um wieder schönes Wetter zu machen, hat bisher noch niemand angeben können. Ein von europäischer Kultur noch ziemlich unverdorbener Negerstamm Südafrikas kennt aber ein solches Mittel, das, durch alten Brauch geheiligt, auch heute noch verwendet wird, wie die britische Kolonial- polizei erfahren mußte: das Menschenopfer. |

Als die Sonnenglut im heurigen Jänner in Südafrika kein Ende nehmen wollte, beschloß Chigango, der Häuptling eines von Weißen aus Furcht vor der Tsetsefliege selten heimgesuchten Negerstammes, seinen Sohn Mandura dem aus irgend einem Grunde erzürnten Mwara, dem „Großen Geiste“, als Opfer darzubringen. Da er seinen eigenen Leuten, deren Furcht vor der europäischen Polizei offenbar ihr Vertrauen zu der Macht des „Großen Geistes“ überwog, den Vollzug der heiligen Handlung nicht zumuten konnte, stellte er den Leuten eines Nachbarstammes den Antrag, die Opferung vorzunehmen. Diese erklärten sich erst nach längeren Auseinandersetzungen dazu bereit insbesondere. erst, als er ihre Befürchtung vor den Weißen, unter deren Gesetzen sie jetzt leben, durch den Hinweis auf zwei frühere, gleichfalls von ihm angeordnete Opfer, die die Weißen niemals er- fahren hatten, beruhigte. Das Opfer ward vollbracht. Der unglück-

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liche Häuptlingssohn wurde mit einem besonderen, eigens zu diesem Zwecke aufbewahrten, heiligen Strick gefesselt, auf einen Scheiter- haufen gesetzt und bei lebendigem Leibe verbrannt. Durch die In- diskretion eines Bruders des Geopferten, dem vor dem gleichen Schicksal bangte, erfuhr die englische Kolonialpolizei von diesem Sakralmorde. Chigango wurde samt den Vollstreckern dieses grausigen Opfers verhaftet. Allerdings dürfte es schwer fallen, die Eingeborenen von dem Glauben an die Wirkungskraft solcher Opfer ganz zu be- freien. Allen Einwendungen wurde die Tatsache entgegengehalten, daß es wirklich vierundzwanzig Stunden nach Vornahme des Opfers in Strömen zu regnen begann. Und als. der Regen nicht mehr auf- hören wollte, gab man als Ursache hierfür an, daß wahrscheinlich Mwara, der „Große Geist“, mit Recht erzürnt sei, daß sich die Weißen in diese „interne“ Angelegenheit eingemengt hätten.“

Nach J. Rendel-Harris, der sich in Folklore über Armenien ausspricht, werfen die Türken in Urfa bei anhaltender Dürre in den „Abrahamteich“ Steine hinein, und versagt dies Mittel, so graben sie die Leiche eines Juden aus, schneiden ihr den Kopf ab und schleudern sie in den Teich. Desselben Mittels bedienen sich die Kurden. Man gräbt auf dem jüdischen Friedhofe die Leichen der in den letzten Wochen Bestatteten heraus und schleudert die abgeschnittenen Köpfe in einen Fluß, ohne daß sich die jüdische Bevölkerung gegen solche Grabschändung zu widersetzen getraute.

Denselben Dienst könnte wohl auch ein Christenkopf leisten und die Christen mucksten sich ebensowenig wie die Juden, doch wohnt nach dem Glauben sowohl der Moslimen als auch der Christen den Bestandteilen des Judenleibes eine eigene Zauberkraft inne. Beispiele dafür brachte ich in den Anthropophyteia genug bei. Daß der Leib eines toten Juden Wunder wirkt, wissen wir aus der Religions- geschichte der Christenheit.

Etwas gezwungen kommt mir Berkuskys Erklärung des Regen- zaubers in diesem Falle vor: „Der Gedanke, daß fließende Gewässer etwas Lebendes seien und ein ähnliches Nahrungsbedürfnis hätten wie andere lebende Wesen, scheint schon ziemlich früh entstanden zu sein; erst später scheint sich die Anschauung entwickelt zu haben, daß die causa efficiens der im Wasser wirkenden Kräfte auf beseelte Wesen, auf Geister zurückzuführen sei. Vielleicht sollten die ins Wasser geworfenen Menschen oder Tiere zunächst nur dazu dienen, den Regen erzeugenden Kräften des Wassers neue Nahrung zuzu-

Krauß: Frauenseelenweihungen 493

führen; späterhin wurde hieraus ein Opfer für die im Wasser woh- nenden Geister.“

In Mexiko brachte man, wie E. Seler angibt, den Regengöttern an Teichen und Seen oder an Felsen, die aus dem Wasser empor- ragten, Kinder zum Opfer dar, die entsprechend der Farbe des Wassers in blaue Gewänder gekleidet waren.

Die Berge Loi Kom und Loi Soo Tayp bei Chiengmai, dem Hauptorte der siamischen Schanstaaten, gelten als die Sitze zweier Geister Poo-Sa und Ya-Sa, welche die Seelen eines Königs der Larda und seiner Gemahlin sein sollen. Bevor Buddha ins Land der Larda kam, verzehrten sie Menschen und bestanden auf Menschen- opfern. Buddha ermahnte sie, diese üble Gewohnheit aufzugeben und seitdem begnügen sie sich mit Büffeln. Jährlich im Juni bringt man ihnen ein Tieropfer dar, zu dessen Kosten jedes Haus in der Umgebung einen kleinen Beitrag beisteuert. Das Volk glaubt jedoch, daß diese mächtigen Berggeister, die Regen senden oder zurückhalten können, noch immer ein Verlangen nach Menschenopfern hegen. Ein Jahr ehe Holt S. Hallet (1890), von dem dieser Bericht herrührt, Chiengmai besuchte, beschleunigte man zur Zeit einer Dürre, nachdem anderweitige religiöse oder zauberische Maßnahmen, wie z. B. das Waschen der Buddhabilder auf dem Berge Loi Soo Tayp nichts ge- nützt hatten, auf Bitten der Bevölkerung und Anordnung des Fürsten von Chiengmai die Hinrichtung einiger Verbrecher, um dadurch Poo-Sa und Ya-Sa günstig zu stimmen und sie zu veranlassen, mehr Wasser zur Bewässerung der Felder von den Bergen herabfließen zu lassen. Ob unter den Opfern Frauen vorkamen, erfahren wir nicht, doch müssen wir annehmen, daß man nicht wählerisch war oder zumindest die holden Weiblichkeiten von den Geistergnaden nicht ausschloß.

Im Jahre 1847 warfen die rumänischen Bauern eines Dorfes in der Bukowina zwei als Hexen verschriene Frauen mit gebundenen Händen in den Fluß. Die Täter gaben später vor dem Unter- suchungsrichter an, sie haben es getan, „weil es schon so lange nicht geregnet habe“ (nach J. Pilek).

(Schluß folgt.)

Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der

toten Materie.

Eine staatswissenschaftliche Betrachtung. Dr. rer. pol. FELIX SOLTERER.

(Schluß.)

Schon die Entstehungsweise der Kristalle deutet auf das Prinzip der Zusammenschließung und des Austrittes aus dem Verbande hin und zwar, wenn sich Dämpfe verdichten oder eine heiße Lösung sich abkühlt. Die Aggregation der Kristalle kann regellos und gesetzmäßig erfolgen. Die regellose Verwachsung mehrerer Kristalle, z.B. als Kristallstock ist für unsere Zwecke unbrauchbar, da die Kristalle wegen paralleler Stellungen oft im Wachstum aufeinander stoßen müssen. Dagegen zeigt die gesetzmäßige Verwachsung mehrerer Kristalle in nicht paralleler Stellung zu Zwillingen, Durch- dringungszwillingen, Berührungszwillingen oder Drillingen die Fähigkeit der toten Materie, Verbindungen herbeizuführen. Auch daß die derben Mineralien Formen anderer Gegenstände annehmen, weist auf die Formenbildungsmöglichkeit der Materie hin. Oder sollen wir bei dieser Gelegenheit wieder eine äußere Macht annehmen, die diese Naturvorfälle zur Erscheinung bringt? Ferner kommen manche Kristalle in einer fremden Substanz eingewachsen vor, während andere auf einer Unterlage aufwachsen, wieder andere sich wechselseitig zur Stütze dienen. Die Verbindungen der Kristalle verfolgen dabei immer einen Zweck. Auch die Farbe der Minerale kann sich ändern und beruht entweder in der chemischen Zusammen- setzung des Minerals oder auf der Einwirkung der Umgebung, z.B. von fremden Einlagerungen. Es ist dies ein neuerlicher Zu- sammenhang zwischen der organischen und der unorganischen Welt. Bei der Entstehung der sekundären Mineralien, von denen wir bereits sprachen, ist es auffällig, daß sie nicht selten die Gestalt des ursprünglichen Minerals mehr oder minder treu nachahmen, das sekundäre Mineral stellt daher die Nachkommenschaft wie im organischen Reiche vor, das mit seinem Erzeuger in der äußeren Gestalt übereinstimmt. Der einzige Unterschied besteht darin, daß der Generationswechsel in der organischen Welt schneller vor sich geht als in der unorganischen. Es gibt jedoch auch sekundäre Gebilde, die eine andere Gestalt zur Schau tragen als die der Sub- stanz, aus der sie bestehen. Auf diesem Wege entstand die Fort-

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Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 495

entwicklung, die wieder bloß eine Eigenschaft der Urmaterie vor- stell. Die Mineralien bewegen sich fort, indem die neugebildeten Verbindungen sich im Wasser lösen (Prinzip der Auflösung) und sich wieder vereinigen, wenn das Wasser verdunstet. (Prinzip der Vereinigung.) Die Mineralsubstanzen werden zum Teil schon im Innern der festen Erdkruste zur Ablagerung gebracht, indem das Wasser die zerstreut sich bildenden Mineralmoleküle zu größeren Komplexen vereinigt oder erst auf der Oberfläche der Erde absetzt. Viele Quellen erzeugen um ihren Quellenmund mächtige Ablagerungen. Hier sehen wir das Beispiel einer zwangsgemäßen Vereinigung, da die Steinmoleküle durch äußere Verhältnisse zur Zusammen- schließung gezwungen sind. Die unausgeschiedenen gelösten Mineralien werden teilweise im Meere von den dort lebenden Organismen zum Aufbau ihrer Skelette verwendet, ein Beispiel für den Umwandlungs- und Verbindungsdrang der toten und der lebenden Materie.

Betrachten wir die Verbindungsmöglichkeit bei einem einzelnen Mineral, so nennen wir bei dieser Gelegenheit den Schwefel, der allein oder mit Gips zusammen sich findet. Seine Entstehung ver- dankt er sowohl einem Auseinanderfallen als auch einer Verbindung. Der primäre Quarz verbindet sich oft mit Quarz, Orthoklas und Glimmer zu einer Mineralgesellschaft. Diese Assoziation ist jedoch für sein Weiterbestehen nicht unbedingt notwendig, da auch andere Verbindungen vorkommen. Wir müssen daher annehmen, daß die verschiedenen Materien freiwillig sich verbinden zum Unterschiede von. Assoziationen, die durch den Zwang der Umgebung gebildet sind. Der sekundäre Quarz kommt ebenfalls allein oder in Ver- bindungen vor. Die Materie selbst besitzt Kräfte, die sie durch Vereinigungen mit anderen Elementen zu stärken sucht, so besitzt die Uranpechblende die Erscheinung der Radioaktivität, da sie das Element Radium enthält. Der Quarz bildet auch sekundäre Gesteine nach anderen Mineralien, indem er letztere umhüllt oder verdrängt der Kampf ums Dasein im Mineralreich. Der Limonit kommt dagegen nur in derben Massen vor und ahmt sehr viele Gestalten nach. Trifft nämlich eine Lösung von Eisenvitriol in Gegenwart von freiem Sauerstoff mit Kalziumkarbonat zusammen, so entsteht nicht, wie es nach der theoretischen chemischen Formel sein sollte, Eisenspat, sondern der Limonit, der jedoch dessen Gestalt mit großer Treue nachahmt. Die tote Materie muß demnach eine Ver- nunft besitzen, auch wenn sie nicht denken kann. Oder soll man

496 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

hier wieder eine außerhalb der Materie befindliche Kraft annehmen, die dieses Naturereignis hervorruft? Der Ton ist kein Mineral, sondern ein Gemenge verschiedener Substanzen und gibt den besten Boden für Pflanzen ab. Ein Beispiel für die Notwendigkeit einer Verbindung für andere Lebewesen. Der Topas findet sich in Ver- bindung mit anderen Mineralien an manchen Orten in mächtigen Lagern. Diese Beispiele zeigten, wie verschiedene Mineralien sich verbanden, während von den Verbindungen derselben Mineralien schon bei den Gesteinen die Rede war.

Wir beendigen hiermit unsere Gedanken über die Gesteine. Als Abschluß werden wir sagen, daß die Urmaterie schon den Trieb in sich birgt, mit gleichen oder fremden Körpern Sich zu vereinigen, um einen Fortschritt der Materie zu erreichen. Die Gesteine kennen daher das Prinzip analog einer Verbindung der lebenden und denkenden Individuen, ohne dieses Prinzip erkennen und fassen zu können, indem dieses in der Natur der Materie liegt, während das Denk- vermögen des Individuums selbst bezüglich seiner Handlungen erst in der Weiterentwicklung der Materie zutage trat.

Als eigentlicher Abschluß soll nun eine kleine Übersicht über die verschiedenen Weltentstehungstheorien folgen. Diese Zusammen- stellung ist deshalb hier nicht unnütz, weil man an Hand der im Anfange skizzierten Staatsentstehungstheorien vergleichen kann, wie viele Ähnlichkeiten die Weltentstehungstheorien mit ihnen gemein haben. Ein deutlicher Beweis, daß die Autoren das Prinzip der Kohäsion auch im Mineralreiche fühlten. Wir werden sehen, daß viele Autoren, die eine organische Staatstheorie aufstellten, auch eine dementsprechende Weltentstehungstheorie vertreten. Wir werden bei den Weltentstehungstheorien genau dieselben Probleme finden, wie wir sie bei den Staatstheorien fanden, nämlich: Hie Universalismus, Hie Individualismus.

Was zuerst geherrscht hat, was zuerst vorhanden war, können wir nicht einmal vermuten. Wir müssen Kant folgen, der dem Menschen rät, sich einzugestehen, daß er darüber nichts weiß. Nur der Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung ist Sache der Wissen- schaft, alles andere des bloßen Glaubens. Im Anfange war das Monos, das vielleicht ein Dunstgebilde, das Wasser oder ein Geist war. Die Religion setzt für dieses Urgeheimnis den Begriff Gott ein und ersetzt dadurch eine Unbekannte durch eine andere. Der Streit zwischen der Frage des Monismus und des Dualismus muß zugunsten des Monismus entschieden werden. Die Annahme, daß

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Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 497

zu einer Schöpfung zwei Materien vorhanden sein mußten, eine geistige und eine körperliche, und daß die geistige Materie den Körper umwandelte, braucht darum nicht richtig zu sein, weil wir noch heute im Hermaphrodismus ein Beispiel sehen, wie aus einem Lebewesen ein anderes entstehen kann und zur Erzeugung eines neuen Lebewesens nicht immer unbedingt zwei Tiere sich vereinigen müssen. Da dieser Zustand bloß in unteren Tierklassen zu treffen ist, so kann man annehmen, daß der Hermaphrodismus auch in der toten Materie vorherrscht. Die Ansicht, daß das Schlagwort vom Monismus töricht ist, weil man sich dabei denken kann, was man will, ist nicht stichhaltig, da auch der Dualismus keine Erklärung für eine Weltschaffung geben kann. Nehmen wir daher an, daß das Monos das Wasser war, das sich zuerst in einem gasförmigen Zustande befand. Die Entstehung des Monos kann vom Menschen nicht einmal geahnt werden und wird dieses Rätsel auch in der Zukunft nicht gelöst werden, wenn sich der Mensch nicht weiter entwickelt. Die griechischen Philosophen haben sich schon mit der Weltentstehungsursache beschäftigt. Merkwürdig ist es nur, daß die meisten von ihnen das Wasser ebenfalls als Urstoff erklären. So behauptet Thales von Milet (624— 544 v. Chr.), daß aus dem Wasser alles entstanden ist und noch besteht. Die Erde schwimmt auf dem Wasser und die Luft ist von Göttern erfüllt. Merkwürdig ist auch der Gedanke des Dualismus und von der Beseelung der Natur, die er dem Magneten infolge seiner Eigenschaft der Anziehung von Eisen eine Seele wie dem Menschen zuschrieb. Man sieht daraus, daß die Seele damals einem Naturphänomen gleichgestellt wurde. Sein Zeitgenosse Anaximander, ebenfalls aus Milet, der von 610—546 v. Chr. gelebt haben soll, spricht von einer Welt- bildung und von einem Weltuntergange. Der unendliche Stoff, der das Weltall ausmacht, soll sich in die Form der Dinge verwandelt haben und beim Weltuntergange wieder in die formlose Masse zurückkehren. Hier ist ein Gedanke ausgedrückt, der für die Staats- wissenschaft zu gebrauchen ist. Ein Gebilde zerfällt in Komponente, die sich dann wieder zum ersten Gebilde vereinigen. Der Staat besteht wieder aus unfreien Menschen, die beim Niedergange eines Staates ihre Freiheit und zwar die Freiheit vom Herrschertum zurückerhalten. Der dritte jonische Naturphilosoph war Anaximenes (588—524 v. Chr.), der die unendliche Luft als Prinzip erklärte. Auch dieser Philosoph nimmt in letzter Linie das Wasser als Ur-

stoff an, da die Luft ja auch als Wasserdampf aufgefaßt werden G. u. G. XIV | 32

498 Soiterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

kann. Durch Verdichtung und Verdünnung, durch die ständige Bewegung entstehen und vergehen die Dinge. Jedoch ist der Ge- danke des Monismus in der Art ausgedrückt, daß die Luft zugleich als erzeugendes und seelisches Prinzip in der Lehre gedacht ist: Wie die Luft, als unsere Seele, uns zusammenhält, so umspannt die Luft auch die ganze Welt. Im Monismus ist der Staatsgedanke der Individualismus, daß etwas ohne Verbindung bestehen kann. Xenophanus war ebenfalls ein Vertreter des Monismus, indem er erklärte, daß Gott und die Welt dasselbe ist. Er leugnet die Viel- heit der Götter und bestreitet die Sterblichkeit des Gottes. Er ist durch diesen Gedanken ein Vorläufer des Universalismus zu nennen. Dennoch war er auch Materialist, denn er behauptete, daß die Erde aus dem Wasser entstanden ist und auch von ihr wieder ver- schlungen wird. Wenn man an das Sinken der Küsten von Pommern, Ostpreußen, Südschweden und an das Aufsteigen Schwedens und Norwegens aus dem Meere, an das plötzliche Auftauchen und Untergehen von kleinen Inseln im Meere, an die Versandungstätigkeit der Flüsse, z. B. des Po, an die beständige Veränderung der Erd- oberfläche durch das Wasser denkt, so kann man diese Ansicht auch heute nicht als töricht bezeichnen.

Heraklit aus Ephesos (535—475 v. Chr.) war auch Monist. Die Natur ist die Einheit und die Ewigkeit, die in dem Wechsel des Stoffes, im Werden und Vergehen der Dinge immer „fließt“. Aus Feuer wird Wasser, aus Wasser Erde und umgekehrt. Auch hier wird dem Wasser das Urstoffprinzip zugewiesen. Einen Rückschlag in die Weltentstehungsgeschichte brachte Empedokles von Agrigent (492—432 v. Chr.) in seiner Lehre, daß es vier materielle Prinzipien gibt: Feuer, Wasser, Luft und Erde und zwei ideelle: Liebe und Haß. Der Dualismusgedanke kann nicht stärker hervorgehoben sein. Entstehen kann nichts, die Elemente verbinden sich nur durch die Liebe und vernichten sich durch den Haß. Dasselbe Bild stellt unsere Seele vor. Der Philosoph war der Meinung, daß die zwei geistigen Prinzipien die Erdenmaterialität, nämlich Feuer, Wasser, Luft und Erde, in andere Elemente umwandelt. Der Dualismus unserer Jetztzeit steht auf einem ähnlichen Standpunkt. Jedenfalls ist der Gedanke der Entwicklungsfähigkeit der Dinge bei den Alten bemerkenswert.

Anaxagoras aus Klazomenä (500—428 v. Chr.) war Dualist, so- bald er das Werden und Vergehen von Dingen nicht aus mecha- nischen Gründen erklären konnte. Dasselbe Bild geben auch die

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 499

heutigen Dualisten ab. Bevor sie, wie die Monisten, die Unkenntnis einer Sache eingestehen, arbeiten sie lieber mit dem Schlagwort des allmächtigen Geistes oder Gottes. Anaxagoras lehrte, daß es viele qualitativ verschiedene Stoffe gibt, die durch ihre Mischung und Entmischung zu Dingen sich verbinden und ebenso ihr Vergehen bewirken. Ursprünglich war nur eine formlose Masse: „Alle Dinge waren zusammen.“ Trotzdem Anaxagoras ein Gottesleugner war, nimmt er an, daß ein göttlicher Geist Ordnung in das Chaos brachte. Dieses geistige Prinzip soll auch den Pflanzen eigen sein. Demokrit vertrat in gewisser Hinsicht die heutige Naturwissen- schaft im Altertum. Nach ihm sind die Atome das Seiende, während das Leere das Nichtseiende ist. Trotzdem existiert das Leere, da eine Bewegung der Atome nur im leeren Raum möglich ist. Kein Gott stößt von außen auf die Materie. Das Monos allein war vor- handen, das durch mechanische Ursachen sich veränderte. Von der Ursache des Stoffes oder der Welt darf man jedoch nicht sprechen. Die Grundlagen der Naturwissenschaft waren damit fast vollständig ausgesprochen. Der Nihilismus wieder war durch Gorgias ateen, der lehrte, daß die Welt überhaupt nicht existiert. Sokrates beschäftigte sich mit der Entstehung der Welt deshalb nicht, weil er die Naturwissenschaften im allgemeinen vernachlässigte. Erwähnenswert ist die Weltbildungstheorie von Plato, da er auf monistischem Standpunkt steht und dennoch keinen Stoff, keine sinnlich wahrnehmbare Materie annimmt. Das Formgebende, das Schaffende, sollen nur die Ideen allein gewesen sein, die Weltseele. Aristoteles kehrte zu der Theorie der Urelemente zurück. Nach ihm existieren außer Gott noch fünf Elemente, die vom Geiste bewegt werden, Feuer, Wasser, Luft, Erde und Äther. Aus dem Äther sind der Himmelsraum und die Gestirne gebildet. Die anderen vier Elemente sind nur auf der Erde vorhanden. Aus ihnen ent- stehen durch stufenweise Fortbildung Mineralien, Pflanzen, Tiere und Menschen. Die Pflanze besitzt nur Wachstum und Zeugungs- kraft; das Tier außerdem Empfindung, Begehren und Ortsbewegung. Im Menschen erscheint außer diesen Fähigkeiten noch die Vernunft. Aristoteles ist aber nicht im geringsten ein Vorläufer der Entwicklungs- theorie zu nennen, da er die zeitliche Aufeinanderfolge der Wesen bestreitet. Dennoch läßt Aristoteles den Zufall gelten und wider- spricht hier offensichtlich seiner Gott-Theorie, da bei einem lenkenden Herrn kein Zufall eintreten kann, sonst ist er eben nicht allmächtig. 32°

500 Soiterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

Übrigens scheint Aristoteles an manchen Stellen den Äther mit Gott zu identifizieren, so daß auch dieser in letzter Linie ein sinnlich wahrnehmbares Objekt darstellt und an den Urstoff Luft, aus dem alles entstanden sein mag, erinnert.

Der Pantheismus der Stoiker brachte eine sehr unklare Welt- entstehungstheorie. Der Pantheismus leugnet und leugnet wieder nicht Gott. Gott ist die Gesamtheit der Dinge, das All. Gott war von ewig her, mußte aber unendlich viele Umformungen erleiden. Es gibt nur Körper, Stoffe und die Kräfte der Dinge und doch existiert ein wesenloser Gott, der zugleich reine Vernunft und einen Körper vorstellt. Der Pantheismus ist heute noch die beliebteste Weltanschauung der Philosophen und Dichter, weil die Lehre bloß mit gefühlsmäßigen Aphorismen und Gedankensplittern arbeitet.

Von den Epikureern ist T. Lucretius Carus mit seinem Werke „de rerum natura Über das Wesen der Dinge“ zu nennen. Er war der materialistische Vorgänger Darwins. Einen Zweck gibt es in der Natur nicht, durch bloßen Zufall sind bei der Bewegung der Atome Dinge und lebende Wesen entstanden. Im Kampfe ums Dasein haben sich die lebensfähigen erhalten und sich bis zum Menschen weiterentwickelt. Unsere Erde bildet neben den sicht- baren Gestirnen eine Welt, außer derselben gibt es aber noch viele Welten.

Wie eine Philosophie eine Art Auslegung von einer Religion sein kann, zeigt Philo, der die jüdische Religion mit der platonischen Philosophie verband. Nach ihm ist Gott ein reiner Geist, Schöpfer und Erhalter des Alls. Weil er aber ein reiner Geist ist, so darf er sich nicht durch die Berührung der Materie beflecken und er- schafft zu diesem Zwecke Zwischengötter, Engel und Dämonen, die ihren Sitz in den Naturkräften haben und die gesamte Leitung besorgen. Gott ist daher notwendig, um bloß den Dingen Natur- kräfte einzuflößen. Ist es nicht klüger, wenn man sich eingesteht, den Urstoff nicht zu kennen? |

Plotin stellte eine Dualismustheorie auf, die sich selbst wider- sprach: Gott ist keine Person und doch fließt alles Gesetzmäßige ohne seinen Willen von ihm aus. Dabei verringert sich seine Sub- stanz nicht. Aus dem ersten Ausfluß entstehen dem Gott ent- ferntere Dinge, die sich bis zu immer unvollkommeneren Einzelwesen, bis zum Nichtsein, herabentwickeln.

Die sogenannte Emanationstheorie, die Ausflußlehre, ist in neuester Zeit von Dr. Müller-Walbaum in seinem Buche „Die Welt

Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 501

als Schuld und Gleichnis“ übernommen worden. Er behauptet, daß der Mensch von jeher existiert hat und daß es nie eine Zeit gab, in der das Tier ohne den Menschen lebte. Die Welt ist der Abfall vom höheren selbstbewußten Sein aus einer irgendwie gearteten Degeneration in das niedere Tier. Wir sehen hier eine typische Philosophenmeinung, die sich über die Errungenschaften und Be- weise der Naturwissenschaften hinwegsetzt, als ob sie nicht existieren möchten. Der Dualismus muß in den meisten Fällen zu derartigen irrigen Meinungen führen, da ja das geistige Element nur als Hypothese gelten gelassen werden kann.

Im allgemeinen war im Ausgange des Altertums die Meinung vorherrschend, daß Stoff und Geist Gottes von allem Anfange vor- handen war. Gott erzeugte die Naturgesetze und entäußerte sich aller Macht über die Natur. Alles entwickelte sich nach den von Gott gegebenen Gesetzen, eine Willkür war ausgeschlossen.

In der Zeit des Mittelalters war die katholische Theologie vor- herrschend. Jede Religion ist aber der größte Feind der Wissenschaft, da sie ja das Prinzip des Forschens verwirft und nur das Prinzip des Glaubens verlangt. Das Mittelalter war für die Wissenschaft bloß hemmend und wir kamen erst in der Neuzeit auf nn die im Altertum schon längst bekannt waren.

Erst Theophrastus Paracelsus (1493 1541) stellte eine mögliche Weltentstehungstheorie auf. Gott hat die prima materia geschaffen, aus ihr bildet sich das Einzelne, das sich stufenweise zu immer höheren Formen entwickelt. Es ist dies eine Lehre der religiösen und materialistischen Weltauffassung, die noch heute von vielen vertreten wird. Demnach wäre Gott aber nur zur Erschaffung der Urmaterie notwendig gewesen. Dies widerspricht dem Gottesbegriff, dem Lenker aller Erdendinge, da man Gott bloß die Rolle einer Weltursache zuschreibt. Die Naturwissenschaft der Jetztzeit stellt sich auf einen höheren Standpunkt, indem sie eingesteht, daß sie die Urstoffmaterie nicht kennt.

In Giordano Bruno fand die Naturphilosophie ihren Abschluß, um der Geistes philosophie Platz zu machen, die sich schließlich wieder der ersten zuwandte. Bruno lehrte, daß die Welt unendlich im Raume und in der Zeit ist, nirgends einen Anfang oder ein Ende gibt, sondern bloß eine Fortentwicklung und eine ewige Umwandlung. Die einzelnen Dinge bestehen aus Monaden, kleinsten Atomen, in denen sich die Gesetze des Alls wiederfinden, das aber selbst nur

502 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie

Gott darstellt. Diese Lehre ist eine Art vom Pantheismus mit naturwissenschaftlichem Einschlag.

Newton, der Schöpfer der mathematischen Physik, führt alles Geschehen auf mechanische Bewegungen zurück, dennoch glaubt er an die Unsterblichkeit der Seele und an das Dasein Gottes. Durch den Dualismus kann eben die materialistische Psychologie mit der Religion vermengt werden.

Die Deisten stellten sich im 17. Jahrhundert wieder auf den alten Standpunkt, daß es einen Gott gibt, der die Naturgesetze geschaffen hat, aber an sie selbst streng gebunden ist. Wir können hier die Theorien abbrechen, da wir bereits sahen, daß sie nichts Neues mehr bringen und nur alte Theorien variieren. Nur die Kant- Laplace-Theorie soll noch behandelt werden, da sie in der Natur- wissenschaft am meisten Wahrscheinlichkeit für sich beansprucht.

Nach dieser Hypothese bildete die Masse des ganzen Planeten- systems im Anfange eine einzige ungeheure Gaskugel. Man beachte dabei die Hypothese des Urelementes Wasser im dampfförmigen Zustande! Und wahrlich hat das Wasser den Vorrang. des Ur- elementes für sich zu beanspruchen, da es auf der Erde in drei Zuständen überall zu treffen ist, im gasförmigen, im flüssigen und im festen Zustande. Die Gaskugel drehte sich von Ost nach West um eine Achse, wobei die bei jeder Bewegung auftretende Flieh- kraft bewirkte, daß sich ringförmige Massen ablösten, die in der gleichen Richtung um den Zentralkörper rotierten. Diese Ringe zerrissen dann an einer Stelle und die Masse derselben ballte sich zu neuen Gaskugeln. Die Erde war ursprünglich ebenfalls ein Gasball, der durch Strahlungen in den kalten Weltenraum solche Wärmeverluste erlitt, daß der größte Teil aus dem gasförmigen Zustande zuerst in den schmelzflüssigen und zuletzt in den starren überging. :

f Graphologie und Menschenkunde.

Von KARL BESSER, cand. med. (aus dem Institut für Sexualwissenschaft, Berlin).

D" Graphologie ist die Lehre vom Ausdruck des Charakters eines Menschen in der Handschrift. Wir sprechen vom Charakter eines Menschen, wenn wir das betrachten, worin ein Mensch sich vom andern in seinen seelischen Äußerungen wesentlich unter- scheidet. So nennen wir jemanden einen Jähzornigen, nicht weil er etwa zu jeder Zeit und an jedem Ort jähzornig wäre, sondern weil er die seelische Regung des Jähzorns im Vergleich zu andern auffallend häufig zeigt, eine besondere Bereitschaft zu diesem Affekt besitzt. Willenlos nennen wir jemanden, ohne damit sagen zu wollen, er habe überhaupt niemals einen Willen, sondern wir meinen damit, daß er im Vergleich zu andern verhältnismäßig wenig und selten Willensenergie zu entfalten vermag. Es erweisen sich also die sogenannten Charaktereigenschaften eines Menschen als die seelischen Vorgänge, welche sich bei diesem Menschen im Vergleich zu anderen besonders häufig abspielen, und wir können den Charakter definieren als den Inbegriff der für einen Menschen typischen seelischen Abläufe.

Mit dem Inbegriff der seelischen Abläufe haben wir natürlich nicht die Seele selbst ergründet, sondern umfassen damit nur ihr Wirken, von dem wir den Teil, welcher nach außen gerichtet ist, wahrnehmen, und zwar ist diese Wahrnehmung das einzige, was uns von dem Vorhandensein der Seele direkt Kunde gibt.

Die Graphologie ist nun eine spezielle Anwendung jener um- fassenden Lehre, welche besagt, daß die individuelle körperliche Erscheinungsform eines Menschen seinem Charakter entspricht. Sowohl hinsichtlich der plastischen Form als Produkt individuell typischer Wachstumsreize —, als auch hinsichtlich der Organ- Bewegungen ist das individuell Körperliche schlechthin Ausdruck des Charakters. Die körperliche Erscheinung des Menschen läßt sich als Resultante aus zwei Komponenten auffassen: einem allgemein der Gattung Mensch zugrunde liegenden Schema, vermöge dessen jeder Mensch zwei Hände und Füße, eine Nase usw. und dies alles wieder mit bestimmten Details besitzt, vermöge dessen jeder Mensch geht, lacht, schreibt usf.; und andrerseits die im einzelnen Menschen verwirklichte Erscheinungsform dieses Schemas, deren Gestalt im

504 Besser: Graphologie und Menschenkunde

Ganzen wie in ihren einzelnen Elementen (Hände, Füße, Nase; Gang, Mimik, Schrift usw.) dem Schema zwar immer ähnlich sieht, sich aber nie in der gleichen Ausführung wiederholt. Diese individuelle Erscheinungsform ist es, welche mit dem Charakter als dem Inbegriff der individuell typischen seelischen Abläufe parallel geht.

Als Kriterium für den wissenschaftlichen Wert der Graphologie kann die Beantwortung folgender Fragen gelten:

1. Läßt sich überhaupt ein Zusammenhang zwischen der indi- viduell körperlichen Erscheinungsform und dem Charakter nachweisen? Und

2. Wenn dies der Fall ist, läßt es sich dann auch nachweisen, daß dieser Zusammenhang im einzelnen Falle, also hier speziell im einzelnen graphologischen Falle, immer richtig gedeutet wird?

Die erste Frage werden selbst die, welche sonst der Graphologie skeptisch gegenüber stehen, mit Ja beantworten. Absolut und exakt im mathematischen Sinne läßt es sich zwar schon deshalb nicht beweisen, weil das eine Vergleichsobjekt, der Charakter, sich nicht meßbar erfassen läßt. Aber allein die tausendfältige Erfahrung des praktischen Lebens, welche uns veranlaßt, tagtäglich mit Selbst- verständlichkeit von der Erscheinung und den Gesten eines Menschen auf gewisse Charaktereigenschaften Schlüsse zu ziehen, hat den Wert eines Evidenzbeweises, und zwar eines solchen von besonderer Eindringlichkeit. Außerdem ist von jedem, der die Frage nicht nur kritisch, sondern ernsthaft und objektiv kritisch betrachtet, zu erwarten, daß er mit sachkundigen Graphologen Reihenuntersuchungen anstellt, die ihm unter allen Umständen zeigen werden, daß dem Prozent- satz an richtigen Deutungen volle Beweiskraft für eine positive Beantwortung: unsrer ersten Frage zukommt.

Viel schwieriger ist es, die zweite Frage zu beantworten. Wenn die Graphologie eine einfache Zeichendeuterei wäre, bei der ein bestimmtes Schriftmerkmal, sagen wir der Abstand der Grundstriche, eine bestimmte Charaktereigenschaft darstellte, dann dürfte es nicht schwer fallen, für jedes einzelne Merkmal durch recht zahlreiche Belege die Deutung zu sichern. Davon kann nun aber gar keine Rede sein. Vielmehr ist die Sachlage die, daß ein Schriftmerkmal, für sich genommen, zumeist mehr oder weniger vieldeutig, mindestens

Besser: Graphologie und Menschenkunde 505

aber doppeldeutig ist. Zum Beispiel kann das Merkmal der Regel- mäßigkeit in der Handschrift folgendes bedeuten’):

Widerstandskraft Nüchternheit Willensstärke Gefühlskälte Festigkeit Gemütsarmut _ Beständigkeit Gleichgültigkeit Entschiedenheit Langweiligkeit Stetheit

Ausdauer

Diese Bedeutungen, welche sich noch leicht um zahlreiche Nuancen vermehren ließen, sind, soweit sie untereinander stehen, innerlich einander nahe verwandt, soweit sie nebeneinander stehen, in gewissem Sinne Gegensatzpaare. Man erkennt deutlich ein übergeordnetes Prinzip der Doppeldeutigkeit, welches meistens nicht immer alterniert, und ein untergeordnetes Prinzip der Vieldeutigkeit, wobei aber die zu einer Kolumne vereinigten Deutungen öfter gleich- zeitig zutreffen. Zur Illustration denke man einerseits an die Schrift Bismarcks, dem man gewiß Willensstärke, Entschiedenheit, Ausdauer, nicht aber Langweiligkeit, Gemütsarmut zusprechen wird, andterseits an die Schrift einer bürokratischen Schreiberseele, für deren regel- mäßige, innerlich leere, aber gerade um so mehr „schön“ geschriebene Züge oft genug die Bedeutungsgruppe der Gefühlskälte und Gemüts- _ armut allein charakteristisch sein wird.

Demnach ist ersichtlich: Welche von den möglichen Deutungen eines Merkmals im Einzelfalle zutrifft, wird durch die Konstellation des Gesamtschriftbildes erst bestimmt. Die einzelnen Schriftmerkmale sind an sich vieldeutig, werden aber in einem gegebenen Schriftbild durch die Gruppierung des Ganzen doch eindeutig festgelegt. Das- selbe trifft für alle übrigen Wege der Charaktererkennung zu: Physiognomik, Phrenologie, Chirologie; theoretisch ist die Gesichts-, Schädel- oder Handform zweifellos Ausdruck der seelischen Persön- lichkeit, teils mehr der konstitutionellen (Schädelform, Allgemeiner Körpertypus), teils mehr der entwickelten Persönlichkeit Physiognomie). Praktisch ist es jedoch bei diesen Verfahren sehr schwer, die richtige Deutung im einzelnen Falle zu finden; aber die Tatsache, daß er- hebliche Irrlehren infolge dieser Schwierigkeit entstanden und lange

) Nach Klages, Handschrift und Charakter, Verlag Ambrosius Barth, Leipzig. Y Vgl. die Forschungen Kretzschmers über den Zusammenhang von Körper- bau und Charakter.

506 Besser; Graphologie und Menschenkunde

Zeit kursierten, daß vor allem das Unkraut abergläubischer Quack- salberei hierbei üppig gedieh, kann die wirklichen theoretischen Grundlagen der Ausdruckskunde doch nicht erschüttern. Ausdrücklich sei diegrundsätzlicheMöglichkeitallerdieserMethoden der Charaktererkennung hervorgehoben, ebenso ausdrücklich sei aber auf die Schwierigkeit der einzelnen Deutung hingewiesen. Hier erweist sich die Graphologie infolge eines ganz äußerlichen Umstandes als die Methode mit den relativ günstigsten Vorbedingungen: In der Handschrift haben wir die für Vergleichszwecke idealste Fixierung

körperlicher Ausdrucksbewegungen.

Einige Einschränkungen in der Deutbarkeit der Schrift und damit einige Einwände, welche von Laien immer wieder mit Vorliebe gestellt werden seien hier erwähnt. Die Deutbarkeit der Handschrift nimmt zu, je mehr das Schreiben dem Schreiber zum mechanischen Reflex geworden ist; Kinder, ungebildete Leute, solche mit Bewegungsstörungen der Hand können also nur in beschränktem Maße nach der Schrift beurteilt werden. Verstellte Schriften geben nur in den seltensten Fällen und bei geringer Erfahrung zu Irrtümern Anlaß; denn erstens pflegt der Schreiber gegebenenfalls das zu verstellen, was ihm äußerlich am imponierendsten scheint, was aber graphologisch grade am unwesentlichsten ist, und zweitens fällt der Schreiber schon nach wenigen Zeilen unbewußt zuweilen in seine eigent- liche Schreibart zurück, da es ganz unmöglich ist, auf die Dauer konsequent gegen die festgefügten Bewegungsreflexe zu handeln. Schließlich ist es ohne Belang, daß man gelegentlich nach Stimmung, Müdigkeit usw. anders schreibt als sonst: Eine Landschaft sieht im Regen auch anders aus als im Sonnenschein und verändert doch ihre Grundzüge dabei nicht. Es sind eben äußerlich auf- fallende, aber tatsächlich unwesentliche Veränderungen. Immerhin gibt es, auch von diesen praktisch ziemlich seltenen Ausnahmen abgesehen, Fälle, in denen eingewissenhafterGraphologe sagen wird, hierkann man verschiedener Meinung sein.

Wenn wir nun die Möglichkeit einer richtigen graphologischen Einzeldeutung untersuchen, so finden wir zunächst folgende Situation: Auf der einen Seite eine gut meß- und vergleichbare Größe, die Handschrift, auf der anderen Seite eine äußerst schwer faßbare Größe, der Charakter, den wir als den Inbegriff der individuell typischen seelischen Abläufe definiert haben; zwischen beiden ein theoretisches Gleichheitszeichen. Das Streben jeder wissenschaftlichen Methodik ist darauf gerichtet, die menschliche Persönlichkeit als handelnden Faktor in einer Untersuchung nach Möglichkeit auszuschalten, da das Wesentliche an ihr, das Subjektive, das ist das schlechthin Unberechenbare, in jeder exakten Methodik wie ein feindlicher Fremdkörper als wichtigste Fehlerquelle erscheint. In der Mathematik und Physik, den ureigensten Gebieten der Wissenschaft, gelingt es mit großer Annäherung, das Ideal exakter Methodik zu erfüllen. Sobald aber die Wissenschaft an das Lebendige herangeht, beginnt

Besser: Graphologie und Menschenkunde 507

eine Art Krieg; Schritt für Schritt kämpft die Wissenschaft darum, die Erscheinung des Lebendigen auf die Gesetze, ‚welche man aus dem unbelebten, meßbaren Teil der Umwelt gewonnen hat, zurück- zuführen und als Spezialfall dieser, wenn auch als einen höchst komplizierten, zu verstehen. Ein Krieg ist es, nicht nur weil man um den Boden, um das, was körperlich, objektiv überhaupt noch faßbar sei, bis schließlich von der Seele nichts Unkörperliches mehr übrig bleibt, streitet, sondern ein Krieg ist es vor allem auch deshalb, weil dieser Streit mit einer Leidenschaft geführt wird, die ein grelles Schlaglicht darauf wirft, wieviel des Subjektiven selbst diesem Streben nach Objektivität zu Grunde liegt. Die eine Kriegspartei sind die Begeisterten oder besser gesagt Vergeisterten, welche gegen die „nüchterne, blut- und lebensleere, materialistische Wissenschaft“ zu Felde ziehen, die andere Partei ist die Wissenschaft, welche sagt, daß einzig und allein ihr Prinzip richtige Erkenntnisse vermittele. Es liegt in der Natur der Sache und ist nicht zu verwundern, daß das Gebiet der Psychiatrie und der Psychologie zu einem Brenn- punkt dieses Kampfes geworden ist, und unter anderem steht auch die Lehre vom Ausdruck des Charakters in der Handschrift in diesem Brennpunkt. Der wesentliche Erfolg der Leidenschaft ist: Einengung des Gesichtskreises, Überbelichtung dessen was innerhalb, Unter- belichtung dessen was außerhalb des eingeengten Gesichtskreises gelegen ist. Könnte man den Parteien das Parteiliche ihres Denkens nehmen, so müßte das Resultat m. E. etwa so aussehen: Die Feinde der Wissenschaft müßten zugeben, daß die wissenschaftliche Methodik eine äußerst fruchtbare Möglichkeit der Erkenntnisgewinnung ist, die einerseits von ihren festen Methoden, welche ihr Fundament bilden, nicht abgehen kann, ohne damit ihre Stärke und ihren eigensten Wert zu verlieren, die andrerseits keineswegs ausschließt, daß man unabhängig davon andere Methoden zur Erkenntnis des Lebendigen findet. Die Wissenschaft ihrerseits wird zugeben müssen, daß die Befolgung einer bestimmten Methodik, welche sich als richtig erwiesen hat, kein Beweis dafür ist, daß andere Methoden nicht auch zu richtigen Erkenntnissen führen können. Sie wird un- entwegt weiter danach streben, auch das Seelische naturwissen- schaftlich zu erfassen, aber, solange ihr das noch nicht gelungen ist, nicht die Möglichkeit ausschließen können, daß andere Über- legungen ihrerseits dem Ziele näher kommen.

Dies vorausgeschickt, ist für die Graphologie folgendes zu sagen: Die richtige Deutung einer Handschrift ist nicht objektiv

508 Besser: Graphologie und Menschenkunde

im Sinne der Wissenschaft feststellbar; es ist im Gegenteil die subjektive Persönlichkeit des Beurteilers dabei ein wesentlicher Faktor. Auf seine Fähigkeit zur Einfühlung inandere Charaktere kommt es an, damit er die im Rahmen einer gegebenen Charakterkonstellation richtige Einzel- deutung eines Merkmals unter den möglichen Deutungen findet.

Wir halten es für ganz verkehrt, für einen schlechten Dienst, den man der Graphologie erweist, wenn man um diese Tatsache herum zu reden sucht. Klarheit ist in allen Dingen auf die Dauer doch immer das erfolgreichste Prinzip. Denn nun sind folgende Fälle denkbar: Entweder man sagt, die Graphologie läßt sich nicht restlos in eine wissenschaftliche Methode bringen, wir lehnen sie daher ab, und man muß es dann erleben, daß andre Leute weiter- kommen mit dieser abgelehnten Methode, die ganz einfach durch ihre tatsächlichen praktischen Erfolge beweist, daß sie außerordentlich viel leisten kann. Oder man versucht der Tatsache dieses Erfolges einmal zunächst ohne den Maßstab der wissenschaftlichen Methodik auf den Grund zu gehen.

Versuchen wir nun das letztere, so ist vorerst darauf hinzuweisen: Der Gegensatz subjektiv objektiv ist kein einfacher; innerhalb des Subjektiven kann die Subjektivität einen ganz verschiedenen Grad haben, sie kann ihrerseits wieder in erheblichem Maße subjektiv oder objektiv betont sein. Die verschiedenen Arten charakterologischer Beurteilung im praktischen Leben sind das beste Beispiel dafür. Beurteilt ein Vater den Charakter seines Sohnes, so werden un- willkürlich als mehr oder weniger große Fehlerquellen mancherlei ge- fühlsbetonte Wunschvorstellungen dabei mitwirken, Vorurteile, welche durch den stark subjektiv gefärbten Vergleich mit sich selbst entstehen usw. Daß die Beurteilung eines erotisch geliebten Menschen hin- wiederum noch viel stärker subjektiv auszufallen pflegt, weiß jeder- mann, sofern er sich nicht grade selbst in einem diesbezüglichen Ausnahmezustand befinden sollte. Im Vergleich dazu kommt ein erfahrener Geschäftsmann bei der Beurteilung von Bewerbern viel sicherer zu richtigen Resultaten, weil er der einzelnen Individualität mit einem relativ objektiven Blick gegenübersteht. Immerhin wird auch er nicht dagegen gefeit sein, daß er sich öfter in der Deutung der Wesensart seines Gegenüber irrt. Das sichtbare Wesen eines Menschen ist ja das Resultat ungemein komplizierter nicht fest- haltbarer Einzelbewegungen; wenn er dieses sein Wesen noch dazu

Besser: Graphologie und Menschenkunde 509

mit bestimmter Absicht „zur Schau trägt“, so wird die Analyse sehr schwierig. Hier lernt nun jeder, der viel mit Menschen zu tun hat, von selbst, daß es viel mehr auf die scheinbar unwichtigen, weil nicht offensichtlich zweckhaften, Begleitbewegungen des Wesens, das einer zur Schau trägt, ankommt. Alle die Wesenszüge, welche sich dem inneren Blick eines Menschen bei der Beobachtung seiner selbst entziehen, die sind das neutrale Gebiet, auf denen sein eigentliches Wesen sich in Freiheit tummelt. Die Handschrift hat in diesem neutralen Gebiet eine ganz bevorzugte Stelle inne. Sie bewahrt die Spuren des Wesens besser als eine photographische Platte, sie bietet bequem analysierbare Verhältnisse und das subjektive Ich kennt sich mit wenigen Ausnahmen in diesem Gebiet nicht aus, selbst wenn es ihm gelänge, für kurze Zeit seinen inneren Blick darauf zu richten. Die Handschrift ist sozusagen die Projektion des Wesens auf ein neutrales Feld. Der an sich subjektive Vorgang der Einfühlung in fremde Wesensart und damit ihrer Erkenntnis spielt sich hier unter günstigsten Voraussetzungen ab und ist damit von relativ größter Objektivität. Denn der Graphologe steht der Person des ihm meist unbekannten Schreibers erstens mit einer persönlichen Objektivität etwa wie der erwähnte Geschäftsmann dem Bewerber gegenüber, er ist aber ferner auf dem neutralen Boden der Handschrift nicht so sehr der Gefahr ausgesetzt, sich durch ein bewußt zur Schau getragenes Wesen irritieren zu lassen. Nur etwas muß dabei gegeben sein: Die Fähigkeit zur Einfühlung überhaupt. Wer die nicht hat, kann auch nicht Charaktere be- urteilen; er kann vor allen Dingen auch sich selbst nicht beurteilen, und deshalb kann man immer Leute finden, die sich Charakterologen nennen und doch keine sind, so wie es immer Mediziner gibt, die keine Ärzte sind. Das Mißtrauen gegenüber dem Wert der

intuitiven Erkenntnis trifft eigentlich tatsächlich nur die meist un- günstigen Voraussetzungen ihrer Anwendung. Sind die Voraus- setzungen so günstig wie bei der Graphologie, dann zeigt es sich, daß die in der Anlage vorhandene Begabung zur Einfühlung, wenn sie geübt wird, den Blick allmählich bis zu einer Sicherheit schärft, die alle auf rein wissenschaftlichem Wege vorläufig erreichbaren Erfolge auf diesem Gebiet, so weit man von solchen überhaupt reden kann, weit in den Schatten stellt. Jedenfalls liegt der ent- scheidende Punkt darin, daß wir sagen: Die intuitive Erkenntnis ist an sich ebenso wertvoll wie die wissenschaftliche, sofern sie sich nur unter günstigen Voraussetzungen, sozusagen objektiv, ent-

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falten kann. Dadurch, daß zumeist im praktischen Leben die intuitive Einfühlung durch einseitige Maßstäbe und unbewußte Strebungen beeinträchtigt wird, dürfen wir uns nicht verleiten lassen, ihr überhaupt die Möglichkeit richtiger Urteilsgewinnung abzu- sprechen.

HI.

Es liegt vieles im Keime verborgen, das, rechtzeitig geweckt und gepflegt, sich in schöner Blüte entfalten könnte. Die Intuition gehört auch dazu. Es scheint mir außer Zweifel: Ebenso wie eine Allein- herrschaft des intuitiven Prinzips dem denkenden Geiste wohl ver- hängnisvoll sein würde, so hat andrerseits die allzu einseitige Erziehung im Sinne wissenschaftlich methodischen Denkens, wie sie nicht nur der gesamte Bildungsgang des modernen Menschen, sondern schon die Kinderstube pflegt, die Fähigkeit zur intuitiven Erkenntnis, zur Ein- fühlung und damit zum Verständnis des anderen, überhaupt zum Blick für das Gegebene, verkümmern lassen. Es hat etwas Verlockendes, den Gedanken weiterspinnend zu fragen, ob die Hilf- und Ratlosigkeit mit der der moderne Durchschnittsmensch infolgedessen der Seele anderer, den Dingen und überhaupt dem Leben im tiefsten Sinne gegenübersteht, nicht zum großen Teil Schuld sei an dem Geist des Mißtrauens, des Betrügens, des Scheinlebens in unserer Zeit, welcher die Menschen ihres Lebens nicht mehr froh werden läßt.

Aber wir wollen zur Sache zurückkehren und darauf hinweisen, daß der Graphologie außer der Aufgabe, den einzelnen Charakter zu ermitteln, eine sehr wertvolle erzieherische Bedeutung zukommt. Wer mit Erfolg und Ernst Graphologie treibt, der lernt auch allgemein beobachten und das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden. Grade das letztere fehlt den meisten Menschen, und es ist doch der Schlüssel zur echten Lebenskunst und Kenntnis. Folgender Sach- verhalt hat zum Beispiel eine Art eigene Pointe: Von wissenschaft- lichen Kritikern hört man oft den Einwand, wenn auch schon die Schrift den Charakter widerspiegele, so könne man doch dies nur dann im einzelnen feststellen, wenn man eine exakte Charakterologie habe. Dieser Einwand ist vom wissenschaftlichen Standpunkte aus durchaus richtig, hindert aber nicht, daß jeder intuitiv Begabte, der sich mit Graphologie beschäftigt, grade umgekehrt aus der Schrift erst charakterologische Vorgänge und Zusammenhänge erkennen und verstehen lernt, denen er sonst kaum je auf die Spur gekommen wäre, und ich stehe nicht an, zu sagen: Wenn irgend etwas, so ist

Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft 511

die Graphologie dazu geeignet und berufen, am Aufbau einer all- gemeinen charakterologischen Erkenntnis mitzuwirken. Das Prinzip der Wissenschaft, nämlich an den einzelnen Erscheinungen das Gemeinsame, also Gesetzmäßige herauszufinden, ist letzten Endes dem Prinzip der Charakterologie, welche den Haupt- und Endwert darauf legt, wodurch der einzelne sich von allen andern unter- scheidet, entgegengesetzt. Der Gegensatz ist freilich kein absoluter, aber er ist doch relativ, als Wechsel des Blickpunktes, ein sehr er- heblicher.) Es kommt eben, wie auch sonst im Reiche des Denkens und Wissens, darauf an, daß man einerseits die genügende Konzentration besitzt, um in seinem Fache Gutes zu leisten, daß man aber auch die wahre Objektivität habe, um nicht seinen eigenen Horizont zu überwerten, und was jenseits davon liegt, zu unterwerten. Die Arbeitsmethoden können noch so verschieden sein, man wird doch klar erkennen, daß es für jeden Ernstdenkenden im höheren Sinne nur ein Zusammenarbeiten geben kann zum Segen und zum Fortschritt der Menschheit.

Sexualität innerhalb der Grenzen

der reinen Vernunft. Von Privatdozent Dr. ERNST BARTHEL (Köln).

Meer Standpunkt für die günstige Lenkung der sexualethischen Entwicklung läßt sich durch die obige Formel ausdrücken. Eine ähnliche Formel hat Kant auf seine Betrachtung der Religion angewandt. Nicht zufällig komme ich auf dem andern Stoffgebiet von selbst zu gleicher Einstellung. Kant meinte mit Recht, daß Religion nichts Unvernünftiges ist, daß sie aber von verworrenem Aberglauben befreit werden müsse. Seine Gegner waren die Atheisten, die von Religion überhaupt nichts wissen wollen, und die Abergläubischen, die aus der Religion ein Gebiet der Widervernunft machten. Eine ganz analoge Einstellung vertrete ich bezüglich der Sexualität. Sie darf weder

1) Unter den zahlreichen Versuchen der Aufstellung von Charakterlehren ist die jetzt sehr beachtete Charakterologie von L. Klages, dem bedeutendsten Ver- treter der Graphologie und Begründer der Ausdruckskunde überhaupt, von be- sonders tiefer Bedeutung für den menschenkundlichen Wert der Graphologie geworden.

2) Diese Abhandlung stellt einen Auszug aus dem umfassenden philosophischen System „Die Welt als Spannung und Rhythmus“ dar, für das ein guter Verleger gesucht wird.

512 Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft

negiert noch zu einem Gebiete der Unvernunft gemacht werden. Sondern nur innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft kann sie ihren Wert erweisen. Die Gegner meines Standpunktes sind also diejenigen, die von Sexualität überhaupt nichts wissen wollen und sie zur Sünde stempeln, und andererseits diejenigen, die aus ihr ein verworrenes, logisch unsauberes Gebiet leidschaffender Erotik machen. Atheismus und Aberglaube erscheinen hier analogisch als Anti- sexualismus und „moral insanity“ auf sexuellem Gebiet. Es handelt sich in den Wirrnissen der Gegenwart darum, eine Kantische Tat zu vollbringen, die das Recht des Lebens in Schutz nimmt, es aber nicht der Unreife und Unvernunft ausliefert. So kämpfe ich auch hier gegen zwei Fronten den undankbaren Kampf einer Zukunft: gegen Asexualismus und Erotismus. Seltsamerweise erscheinen die Gegenpole in religiösen und sexuellen Einstellungen meistens in konträrer Kreuzung: der Atheist wird im Durchschnitt der erotischen Unvernunft, der Abergläubische der asexuellen Einstellung zuneigen.

In der „Philosophie des Eros“ (München, Reinhardt, 1926) habe ich in naturgemäßer Übereinstimmung mit der Kausaltheorie Schopen- hauers die These von der „vierfachen Wurzel des erotischen Problems“ ausgeführt, bei welcher hier der Punkt wesentlich ist, daß Sexualität autonom ist, das heißt eine eigene Wertbedeutung unabhängig von Fortpflanzung, Ehe und seelischer Liebe hat oder haben kann. Diese These wendet sich gegen die Identifizierung von Sexualität und Sünde und gegen die theoretische und praktische Verwirrung sexueller Interessen durch Fortpflanzungsphänomene. Sie hat mit diesbezüg- lichen Ausführungen Max Schelers einige Berührungen und liegt im ganzen auf der Linie des modernen Willens gegen Asexualität als ethischer Grundforderung. Indessen wäre es verfehlt, zu glauben, daß ich mich mit dem gegenteiligen Irrtum, daß nämlich in der Erotik die Herrschaft des Unbewußten und Unvernünftigen anerkannt werden sollte, identifiziere. Ich’ vertrete da in Übereinstimmung mit meiner Gesamtphilosophie vielmehr einen ganz andern Standpunkt, der heute noch nicht zeitgemäß ist: daß nämlich die psychologischen Minderwertigkeiten, die das Gewebe der erotischen Naturkräfte aus- zumachen pflegen, durch ethische Vernunft durchleuchtet, beherrscht und gesäubert werden müssen. Meine Ethik ist eine imperativische wie die Kantische. Sie will den Instinkten nicht theoretisch schmeicheln, wie das so viele moderne Psychologen tun, sondern die Instinkte klären, ändern, emporheben, und zwar durch Bewußtseinsarbeit. Auch die Art, wie dies geschieht, ist durchaus Kantisch zu nennen: ich

Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft 513

versuche einen ethischen Obersatz zu finden, aus dem sich die materialen Forderungen als Folgerungen ableiten lassen. Nur auf diese Weise wird Ethik als unsubjektive Wissenschaft möglich.

Die Wahl dieses Obersatzes ist Sache der Urteilskraft. Es läßt sich nicht beweisen, daß man den rechten Obersatz anerkennen müsse. Es lassen sich nur Menschen sammeln, die von seiner Richtigkeit überzeugt sind. Die Ableitungen aber haben zwingenden Charakter. Und von bewußten Menschen wird verlangt, daß sie, wenn sie den Obersatz anerkennen, auch den logischen und ethischen Mut haben, die Konsequenzen daraus zu ziehen und zu verwirklichen, selbst wenn sie den üblichen Meinungen widersprechen. Mein Obersatz lautet nun nicht, daß die Überlieferung einer Kirche letzter Maßstab für Ethik und Recht ist. Er lautet auch nicht, daß das Leben verneint werden soll. Sondern er hat die naturgemäße und vernunftgemäße Fassung: „Jeder Mensch hat das Recht und die Pflicht, ein Maximum von positiver Lebensfreude zu erstreben, sofern nur nicht die ebenso berechtigte Tendenz anderer Menschen dadurch geschädigt wird, und zwar auch dann, wenn dieses Maximum nur recht gering sein kann. Die heroische Einstellung, Lebensfreude dennoch zu wollen, obgleich die Grundlagen des Lebens leidvoll sind, gibt der schöpferischen Entwicklung ihre Aufschwungkraft. Die Arten der Lebensfreude aber stufen sich zwischen primitiven und hochschöpferischen Formen ab. In Konfliktsfällen ist das Opfer primitiver Freuden zugunsten hochschöpferischer zu verlangen. In keinem Falle aber darf das positive Lebens- und Entwicklungsprinzip der Freude, auf heroisch-pessimistischer Grundlage, schwächlich negiert werden.“

Dieser Obersatz meiner Ethik und besonders der Sexualethik ist mit Willen und Bewußtsein einfach, naturgemäß, unverkünstelt. Er drückt den gesunden Willen gesunden Lebens aus, vom Leben „etwas haben zu wollen“, wenn es auch schwer ist. Und wenn dieses Habenwollen sich in einem Schenkenwollen modifiziert, so ist dadurch das positiveLebensprinzip nicht gestört,sondern potenziert. Denn Schenken ist eine hohe Schöpferform der Freude. Ich wende mich aber grundsätzlich und scharf gegen alle Gefühle und Ober- sätze, die imVerzicht dieGrundlage des Ethischen erblicken. Resignation ist wohl in vielen Einzelfällen des Lebens die einzige Notwehr gegen noch schlimmeres Leid. Aber sogar solche Resignation ist dann nur der Versuch, sein Leben noch auf einem gewissen Niveau des

Erträglichen zu halten. Prinzipielle Verneinungsethiken sind Wider- G. u. G. XIV 33

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sprüche in sich selbst, denn Ethik ist das höchste Bewußtsein des Weltgeistes von seinem Vorwärtswillen. Man täusche weder andere noch sich selbst: Verzicht ist immer nur Notwehr gegen schlimmeres Leid, nicht aber Grundstein des ethischen Willens. Der Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind, möge sich weder in Schopenhauerscher noch in einer andern Verkleidung zum philosophischen Prediger aufspielen. Der Oberbegriff aller gesunden Ethik heißt: Wollen. Genauer gesagt: Freude wollen. Noch genauer gesagt: Hohe Freude wollen. Am genauesten: Auf den unteren, soliden Fundamenten der Lebensfreude die Veredelung zu den höchsten Feinheiten zu gipfeln und zu steigern. Wesentlich dabei ist, daß das reale Fundament nicht preisgegeben werde, damit nicht die Freude im leeren Raum hänge und Realität zur Phrase werde.

Und damit gelange ich zum Begriff der Sexualität selber. Diese nämlich ist ein Fundament gesunden Lebens, auf welchem der Auf- bau der höheren Kräfte sich vollzieht. Wird diese Wurzel künstlich durchschnitten, so rächt sich die Natur durch ein ganzes Heer zum Teil unbewußter Folgeerscheinungen negativer Art. Das psychische Unbehagen, die Störung inneren Gleichgewichts, die Verkrampfung der Lebensrhythmik, die unbewußte Errichtung von Schranken gegen Menschen und Dinge, die Auswirkung gefesselter Naturkräfte durch kleine Regungen des Neides, der Eifersüchtelei, oder durch groß- zügige Haßansammlungen, die in der Politik zu barbarischer Kriegs- wut und im Sozialleben zur unbrüderlichen Kampfstimmung führen, solche Folgen einer unterdrückten Sexualität findet man millionen- weise, und sie lassen sich durch alle Predigten nicht beseitigen, denn die Prediger sind meistens selbst einer gehemmten Lebensrhythmik versklavt. Auch Kaltwasserkuren, Wandern, Schwimmen und die so beliebten Boxkämpfe sind nur schlechter Kriegsersatz für harmonische Forderungen der Natur, und die Besänftigungsreden kränklicher Sektenmediziner wirken auch nur auf ältliche Hysterikerinnen über- zeugend, die den Lohn ihrer falschen Erziehung bereits längst dahin haben. Kurz, die Sexualität ist eine der allerwichtigsten Grundkräfte eines gesunden und harmonischen persönlichen und öffentlichen Lebens. Sie öffnet die verschlossenen Pforten der Seele zum Jasagen gegen die Welt, stählt und stärkt zum Kampf gegen Widerwärtiges, macht den Menschen klar und gut. Das große Mysterium des Lebens mit Schmutz beworfen zu haben, ist das traurige Verdienst von Menschen, die selbst unter den Folgeerscheinungen der Unter- drückung eines berechtigten Naturtriebs leiden und sich dadurch

Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft 515

anomalisiert haben. Außerdem wird aber die Sexualität auch von der Gegenpartei in den Schmutz gezogen: von den Erotikern.

Wie es Fische gibt, die elektrische Schläge austeilen, so auch Menschen. Sie faszinieren andere durch einen Zwang. Sie betören sie zu allen Verrücktheiten und geben sie preis, wenn die momentane elektrische Ladung sich erschöpft hat. Sie kennen keine Treue und keine Güte, sondern nur geile Erotik, das heißt ein verworrenes Gemisch von halbbewußten Minderwertigkeitsbestandteilen des un- geklärten Seelenlebens. Erotik ist daher für kleine Mädchen und Jünglinge das non plus ultra der Liebe. In dem geheimnisvollen Erleben elektrischer Energien, an denen sie tanzen wie ein Hampel- mann am Faden des Teufels, glauben sie das Höchste und Tiefste des Lebens zu erfassen, obwohl sie in Wahrheit nur einen Kitzel fühlen, dessen ganzer Reiz darin liegt, daß er nicht durchschaut ist. Wird ein Mensch reifer und klarer, so wird er Erotik ebenso ab- lehnen wie die Unterdrückung der gesunden Geschlechtlichkeit als Harmoniefunktion des Lebens. Er wird in der Erotik wie in der Geschlechtsunterdrückung die beiden Disharmoniefunktionen er- kennen, die es gerade zu vermeiden gilt. Er wird sich auf einen hohen Standpunkt erheben, der in unserer Zeit allerdings erst von sehr wenigen auch nur geschaut, geschweige denn erklommen wird. Denn unser heutiges Geschlechtsleben besteht im Ganzen nur aus den beiden falschen Flügeln, Geschlechtsfeindschaft und Erotik, während die Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft ein unbekanntes Programm ist. |

Möge die Prolepsis, die ich durch diese neue Lehre verkörpere, sich in nicht allzu langer Zeit einmal öffentlich geltend machen. Wir können keine Behandlung der Sexualität brauchen, die entweder die Gesundheit unterdrückt, oder alles mögliche Leid der Torheit schafft. Sondern wir brauchen lebenssouveräne: Sexualität, die von geschlechtsfeindlichen Hysterikern und leidschaffenden Erotikern gleich weit abliegt. Gewiß, das ist Kunst. Und diese Kunst ist zu gestalten. Man komme aber nicht mit den Gemeinplätzen, die alle Bücher mitteilen, um zu „beweisen“, daß man nicht einen solchen neuen Willen haben dürfe. Der Wille lächelt über alle „Beweise“ und dokumentiert sein Recht durch sein Dasein, seine Festigkeit, seinen ethischen Adel. Daher ist es der unbeugsame Wille meiner Philosophie, daß Geschlechtsfeindschaft und Erotik aufhören, alleinige Träger der Theorien und der Praxis zu sein, und daß die höhere Spannung zwischen den Gegensätzen als Synthesis geschaffen werde.

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„Sexualität innerhalb der Grenzen der reinenVernunft“ ist das Programm einer edleren Zukunft.

Die Mängel der Erotik, die sie außerhalb der Grenzen der Ver- nunft stellen, sind in der Hauptsache folgende. Durch Unbesonnenheit werden Krankheiten aller Art begründet, seien es die üblichen Geschlechtskrankheiten, sei es Schädigung der Frau durch den Gebrauch von Giften, sei es die Krankheit einer nicht beabsichtigten und nicht zu verantwortenden Schwangerschaft. Durch die Erotik, die sich psychologisch treiben läßt, anstatt sich ethisch zu beherrschen, wird sehr oft das Leid erzeugt, das aus der Gewissenlosigkeit der Menschenseele gegenüber entspringt: Treulosigkeit erzeugt den Schmerz der Verlassenheit, Ehebruch erzeugt das Leid mißbrauchten Vertrauens, Täuschungsversuche erzeugen die metaphysische Be- leidigung dem Ethischen im Menschen gegenüber, die mit jedem Betrug verbunden ist. So sind die erotischen Zentren in der Menschheit, seien es Mannskerle oder Weiber, meistens die Zentren von Schmerz und Leid, wahre Antipoden des Freudeprinzips im Streben der Menschheit, und die armen Hypnotisierten, die auf diese Zentren zufliegen wie die Mücken ins offene Licht, werden sich fast immer schwer die Flügel verbrennen. Die Erfahrungen der Menschheit aber sollen in einer Moral gefestigt werden, die es den Einzelnen erspart, das Leid durchzumachen, das ohne Erziehung ihr notwendiges Schicksal wird, wenn sie, in dem berechtigten Triebe der Natur Genüge zu tun, sich auf die schiefe Bahn einer haltlosen Erotik begeben. Wir brauchen eine Erziehung der Menschen zur Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft.

Die bisherige Erziehung und Moral wird diesem Anspruch nicht gerecht. Sie setzte voraus, was in unsern Sozialverhältnissen nicht mehr vorausgesetzt werden kann, daß die Menschen in der Lage sind, zu heiraten, wenn ihre geschlechtliche Reife vollendet ist. Sie erkennt Unverheirateten überhaupt kein Recht auf Sexualität zu. Sie betrachtet die Sexualität fälschlicherweise als bloßes Mittel zur Fort- pflanzung und erkennt ihre gesundheitliche Eigenberechtigung im Leben erwachsener Menschen nicht an. Sie ist in jeder Weise allzu primitiv und arbeitet mit viel zu groben Assoziationen, die durch feinere Philosophie zu trennen sind. Selbst für Verheiratete versagt sie oft, sofern in jeder Ehe kürzere oder längere Zeiten auftreten, die sie bezüglich der Geschlechtsbeziehung wertlos machen. Für solche Fälle hat eine überlieferte Moral nur die naturwidrige Vor- schrift der Enthaltsamkeit übrig, die sich natürlich durchführen läßt,

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aber nur in Begleitung ihrer Folgen. Und diese Folgen sind in der Regel sehr unwünschenswert. Es läßt sich gewiß auch der Grund- satz aufstellen, der Mensch tue, um den Schwierigkeiten des Lebens zu entgehen, am besten daran, sich in einen Sarg zu legen und den Deckel zu schließen. Auch solche Dinge können getan werden: es fragt sich nur, ob sie weise sind, ob sie getan werden sollen. Und in bezug auf das ethische Soll bin ich anderer Meinung als die Verneinungs- und Resignationsprediger. Mir scheint, daß Ver- zicht, Opfer, Fasten und Peinigungen den Menschen vom Leben selbst schwer genug auferlegt werden, und daß es gut ist, verzichten zu können, so man dazu gezwungen ist. Aber den Verzicht auf harmonische Lebensbestimmung zum Grundsatz zu machen, halte ich für verfehlt. Die Nichtanerkennung des Eigenwertes der Sexualität bedeutet aber für sehr viele Menschen die Forderung zu solchem prinzipiellen Verzicht. Daß dies ethisch sei, läßt sich nicht behaupten. Fasten, Kasteiungen, Resignationen tragen in sich selbst gar keinen Wert, sondern sind nur als Notausgänge des Lebens von wahrer Bedeutung. Lebensfreude, Harmoniestimmung, inneres Gleichgewicht, und damit eben auch die Sexualität als eine Grund- lage dieser Werte, rechtfertigen sich aus sich selbst. Die über- lieferten Moraleinstellungen sind also ebensowenig wie gewissenlose Erotik eine Lösung der sexuellen Frage. Auch sie fassen die Ge- schlechtlichkeit nicht in die Grenzen der reinen Vernunft, sondern stellen sie jenseits dieser Grenzen.

Nicht Phrasen, sondern Tatsachen allein können dazu verhelfen, die schwierige Problematik des Geschlechtslebens einer Klärung näherzuführen. Daß eine völlig und allseitig befriedigende Lösung gefunden werden könne, halte ich für heutzutage ausgeschlossen. Es fragt sich nur, wo man den kleinsten aller möglichen Fehler begeht, wie die Quadratur dieses Zirkels am angenähertsten vollzogen werden kann. „Wie man's macht, ists falsch“ „Eines schickt sich nicht für alle“ dergleichen Popularweisheiten können auch von kritischster Philosophie nicht überwunden werden. Aber heute kann verlangt werden, daß erstens die Errungenschaften der Zivilisation, durch welche das Geschlechtsleben von unwünschenswerter Fort- pflanzung und von Krankheiten befreit werden kann, in der Sexual- erziehung unerfahrener Menschen offen und ehrlich eine anständige Rolle spielen dürfen, und das zweitens die Vieldeutigkeit des Sinnes der Geschlechtsbeziehung zur Grundlage ihrer Bewertung gemacht werde, wodurch seelische Leiden weitgehend vermieden werden

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können. Die mangelnde Berücksichtigung zivilisatorischer Er- findungen zur Verselbständigung der Sexualität hat physische und biologische Schäden zur Folge. Die mangelnde Berücksichtigung der verschiedenen Sinnbedeutung geschlechtlichen Verkehrs ver- ursacht sehr oft überflüssige Seelenqualen. In diesen beiden Punkten scheint mir die Möglichkeit zu liegen, die Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft zu gestalten und das Unbefriedigende an der sexuellen Problematik wenigstens auf ein bisher noch niemals erzieltes Minimum zu reduzieren. Und mehr läßt sich nicht tun.

Betreffs des ersten Punktes darf ich mich in einem philosophischen Aufsatz ganz kurz fassen. Es scheint mir eine Aufgabe der ge- schlechtlichen Erziehung zu sein, den jungen Menschen eine Kenntnis davon zu vermitteln, auf welche Weise in unschädlicher Weise Sexualität von Fortpflanzung und Krankheit getrennt werden kann. Dabei ist nötig, daß darauf hingewiesen wird, daß es sich dabei um die Eingehung eines Verzichts handelt, den die Brutalität gern ablehnt, der aber nichtsdestoweniger ethisch notwendig ist, Damit der unnötige Verzicht auf den Geschlechtsverkehr überhaupt von erwachsenen Menschen nicht mehr verlangt werden muß, ist um so notwendiger, den unerläßlichen Verzicht zur Pflicht zu machen, der mit der Vermeidung unwünschenswerter 'Folgen bei dem Stand der heutigen Zivilisation noch unzertrennlich verbunden is. Wer sich um den notwendigen Verzicht drücken will, ist un- ethisch. So wenig angenehm einem großen Teil der Männerwelt auch einem geringeren Teil der Frauenwelt diese Feststellung klingt, so muß sie doch ganz energisch betont werden. Gewissenlos ist es, nicht einmal das Minimum von Verzichtleistung betätigen zu wollen und lieber Krankheiten und Schmerzen aller Art auf sich oder den andern Menschen herabzubeschwören. Durch die Ent- wicklung der Zivilisation ist das Gebot sexueller Verzichtleistung wohl einen Schritt zurückgedrängt, aber nicht aufgehoben worden. Man muß sich damit bescheiden, daß die trennende Wand zwischen den Menschen zwar nicht geschwunden, aber dünner geworden ist, wodurch der große Fortschritt erzielt ist, daß eine ganze Welt von Zärtlichkeitsbeziehungen, die früher nicht erlaubt sein konnten, nun- mehr von strenger ethischer Beurteilung als zulässig anerkannt werden können. Alles Weitere ist nicht Sache des Philosophen, sondern des Mediziners. Wenn auch in diesen Kreisen noch viel Irrtümer im Umlauf sind, sei es, daß man zu negativ oder zu leicht- fertig über die betreffenden Angelegenheiten urteilt, so ist doch zu

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hoffen, daß mehr und mehr die Erkenntnis sich Bahn bricht, daß un- wünschenswerte Folgen durch ganz bestimmte Maßnahmen die sich aber durch krankheitverursachende Gifte durchaus nicht ersetzen lassen in völlig sicherer und völlig unschädlicher Weise vermieden werden können, sofern es sich nur um gewissenhafte Menschen handelt. Nicht im Können, sondern im Wollen versagt hier die Gegenwart noch in unerhörter Weise: man scheut den kleinen Ver- zicht, und die Statistik der Geschlechtskrankheiten, der unehelichen Kinder, der Abtreibungen, der Frauenkrankheiten gibt auf diese Un- moral die gebührende Antwort. |

Fast wichtiger noch ist die Vermeidung seelischer Schmerzen und Schäden, die aus der Sexualbeziehung für die Beteiligten oder für andere entstehen können. Auch sie lassen sich gewiß nicht völlig aus der Welt schaffen, und es ist also sehr oft unbedingte ethische Pflicht, um seelischer Gründe willen sexuellen Verzicht zu üben. Aber ebenso gewiß ist, daß ein großer Teil der seelischen Leiden, die sich mit Sexualität heute erfahrungsgemäß verknüpfen, glatt beseitigt werden kann, indem nicht der Geschlechtsakt als Tatsache, sondern der Sinn des Aktes zum Objekt der Beurteilung gemacht wird. Und dieser Sinn kann sehr verschieden sein. Der Mensch, der seinen Liebes- oder Ehepartner betrügt und seelisch verrät, indem er das tiefste Mysterium seines Inneren an einen anderen kettet, begeht im Geschlechtsakt etwas ganz anderes als der Mensch, der in dieser Funktion eine physische Erholung und Befreiung sucht, die ihrem Wesen nach niemand kränkt, schädigt, beleidigt, also auch besonnenerweise verstanden und gebilligt werden kann. Daß der Sinn dessen, was wir tun und lassen, und nicht das Tun und Lassen selbst Objekt der ethischen Beurteilung ist, werden feine Menschen schon immer eingesehen haben, muß aber auch ins Bewußtsein der öffentlichen Moral treten. Es darf nicht mehr sein, daß jeder Hausknecht und Portier ein Urteil haben zu können glaubt über Fakta, deren Sinn er nicht kennt, wohl auch nicht verstehen würde. Die Hausknecht- und Pöbelmoral muß durch eine Moral des Sinnes und der Feinsinnigkeit ersetzt werden. Unter dieser Voraussetzung wird mancher Schmerz der Eifersucht, manche pöbelhafte Anklage gegen Höherwertiges, manche Betrügerei aus der Welt geschafft.

Wie selten auf einem Gebiet gilt hier der Grundsatz Jesu: „Richtet nicht“ Abgesehen von der unbedingten, ehernen Ver- pflichtung, unwünschenswerte Folgen der Sexualität auf leiblichem

520 Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft

und seelischem Gebiet nicht zu verursachen, gibt es allgemeinfaßbare Moralregeln überhaupt nicht, weil der Sinn der Phänomene eine ganze Welt von Komplikationen erfüllt. Wie ein Individuum nicht einem andern Individuum identisch gesetzt werden kann denn wie ungeheuer verschieden sind die Menschen! —, wie eine Ehe nicht einer andern Ehe identisch gesetzt werden kann denn jede ist etwas anderes! —, wie eine Ehescheidung nicht mit einer andern Ehescheidung vergleichbar ist denn die eine mag ein Verbrechen, die andere eine Heldentat sein —, so ist auch ein Geschlechtsakt nicht mit einem andern Geschlechtsakt identifizierbar. Der Sinn des Phänomens folgt aus dem Konnex der Gesamtumstände, ist etwas organisch Individuelles von Fall zu Fall, verträgt überhaupt keine Rubrizierung unter Gattungsbegriffe. So wenig wie Mensch und Mensch das Gleiche sind, so wenig Geschlechtsakt und Geschlechtsakt. Ein Halbgott und ein Halbtier begegnen sich un- wesentlich genug im weiten Begriffe „Mensch“, und ebenso begegnet sich im Begriffe „Geschlechtsverkehr“ das Sublimste, Heiligste und Reichste, was Menschensehnen beglücken kann, mit dem Brutalsten, Tierhaftesten, Gemeinsten. Es ist eine Erscheinung der Gegensatz- struktur der Welt, daß das Heiligste und das Gemeinste so nahe beisammen liegen wie das Erhabene und das Lächerliche. Der Sinn aber, und darauf kommt es mir an, liegt nicht in der Faktizität als solcher, sondern bedeutet die organische Gesamtseele des irrationalen Umstands komplexes, der von Fall zu Fall ganz verschieden ist. Daher aber ist Richten und Verurteilen gewissenlos, wenn es sich auf andere Dinge bezieht als auf die allgemeingültigen: daß un- wünschenswerte Folgen leiblicher und seelischer Art vermieden werden sollen.

Strenge Ethik und edle Freiheit müssen sich zu der Geschlechts- moral innerhalb der reinen Vernunft verbinden. Dadurch wird dann die Herabdrückung des Lebensniveaus durch die Sexualität, die heute zu den beklagenswertesten Mißständen gehört, aufhebbar gemacht. Dann ist Sexualität nicht mehr die Funktion der beiden traurigsten Variablen: Armut und Betrugskunst, sondern sie wird anständig und ehrlich. Das heutige Geschlechtsleben außerhalb der Ehe beruht mit wenigen Ausnahmen teils auf Geldzahlung an arme Mädchen, teils auf virtuosem Schwindel, dem das „Laß dich nicht erwischen“ alle tiefere Erwägung ersetzt. Beides aber ist unwürdig, ebenso unwürdig fast wie das Verbot der Sexualität durch eine vorsintflutliche Moral. Daß die sexuellen Naturkräfte manchen

Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft 521

Mann dazu nötigen, in seinem Menschenverkehr auf die gemeinsten Niveaustufen der Menschheit herabzusteigen, daß hochkultivierte, feinnervige Menschen genötigt werden, sich mit Wesen einzulassen, mit denen sie auch gar nichts gemeinsam haben können, daß die wunderbarste Schenkung der Natur in der gegenseitigen Identität von Geben und Nehmen zu einem Geldgeschäft gemacht wird und mit welchen schamlosen Überforderungen! —, daß daneben Tausende von Frauen sexuelllebenslang zum Fasten verdammt sind, weil sie sich nicht erkenntlich geben dürfen, oder weil sie Angst vor bösen Folgen haben müßten, oder weil sie die Sexualität klug berechnend als Köder für das beste Geldgeschäft, die lebenslange Versorgungsehe, benutzten, diese Dinge schreien wahrlich zum Himmel. Erst wenn Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft keine bloße Idee, sondern öffentliche ethische Wirklichkeit sein wird, hören solche empörenden Zustände auf. Dafür zu kämpfen, daß sie es tun, ist heutzutage immer noch eine Methode, seine Lebenskraft möglichst nutzbringend für die Menschheit zu verwenden.

Zwei gute Folgen wird „Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ außerdem noch zeitigen: die Ermöglichung von Ehrlichkeit und Redlichkeit auf diesem Gebiet in größerem Umfange als heute, und die Abschaffung dessen, was ich die „soziale Syphilis“ nenne, nämlich den auf bloßer Konstatierung oder Vermutung sexueller Betätigung beruhenden Verleumdungskrieg des Pöbels gegen freiere Menschen, der sich der Pestbazillen bedient, die den Sozialzusammenhang eines Individuums ebenso durchsetzen wie Syphilisbazillen einen Organismus. Beförderung der Ehrlichkeitjund Unschädlichmachung von Verleumdungsbazillen wären zwei be- sonders wertvolle Folgen einer Ethik, welche die Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft anerkennt. Daß heute das außer- eheliche Geschlechtsleben zu 99°/, sich mit Schwindel und Betrug identisch setzen muß, und daß der Bazillus der „sozialen Syphilis“ um so lieber ausgestreut wird, je weniger immun das betreffende Individuum dagegen erscheint mächtige und beliebte Menschen „dürfen“ alles, neidvoll und abneigungsvoll empfundene Menschen „dürfen“ nichts, und alles dies vermöge der Souveränität des Un- bewußten und Verworrenen in den Menschenseelen, ist eine unleugbare Tatsache. Wie ärmlich denken die konservativen Eiferer und Scharfrichternaturen, die da meinen, es genüge, der Menschheit die Sexualität überhaupt zu verbieten, um das Recht der „Moral“ zu wahren. Nicht die Sexualität, sondern ihr Mißbrauch und ihre

522 Barthel: Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft

ungeeignete Beherrschung in unserm frühen Zeitalter ist schuld an den moralischen Mißständen. Wer aber deswegen die Sexualität als solche bekämpft, begeht die Torheit, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Unrichtig wäre es zu glauben, daß durch Sexualität in den Grenzen der reinen Vernunft die Fortpflanzungsinteressen der Menschheit geschädigt würden. Das Bedürfnis der Menschen nach Kindern wird dadurch gar nicht berührt, und es wird immer bestehen. Wenn aber Überbevölkerungserscheinungen durch die neue ethische Einstellung ausgemerzt werden, so kann dies nur als weiterer Vorzug betrachtet werden. Es gehört zu den an Verbrechen grenzenden Gewissenlosigkeiten einer älteren Moral, daß sie den Menschen weiszumachen sucht, Kinder seien das notwendige Fatum, das mit der Sexualität verbunden sein müsse, so daß die derart belehrten Menschen Kinder über Kinder in die Welt setzen, bloß weil sie sich sexuell nicht enthalten wollen. Die Ruchlosigkeit solchen frommen Verfahrens zeigt sich an den Folgen unauskömmlicher Lebensbedingungen für die Kinder, übergroßer Sorgen für die Eltern, Überbevölkerung und Arbeitslosigkeit für die Gesellschaft, Über- bevölkerungskriege oder ähnlicher Gewaltmaßnahmen für den Staat. Das im Anfang der Weltgeschichte vortrefflich gewesene Wort

Jehovahs: „Seid fruchtbar und mehret euch“ kann heute unmöglich

noch den Sinn haben, der Mensch solle sich möglichst zahlreich fortpflanzen, sondern nur den: er solle sich fortpflanzen, so oft es harmonischerweise wünschenswert erscheint. Und die „Sexualität innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ wird notwendig ergänzt durch die „Fortpflanzung innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ die Unvernunft ist auf beiden Gebieten mit einem Schlag be- seitigt, zur Freude aller human Gesinnten, zum Ärger aller Disharmo- nischen, Brutalen, Unvernünftigen. Philosophie kann weiter nichts tun als nach Erörterung des Wesentlichen den Menschen die Wahl freistellen.

Betrachtungen und kleine Mitteilungen.

Die Stellung der Frau in Südamerika, Japan und China. Die einzigen Völker, die auch heute noch auf einem ziemlich niedrigen Kulturboden stehen, sind die afrikanischen Hottentotten und Buschmänner und die südamerikanischen Ona- und Peschärähindianer auf der Insel Feuerland.

Dort streifen sie durch das Steppen- und Buschland und durch die dichten Wälder am Meer. Bei beiden wird die Frau zwar als tapfere Lebensgefährtin betrachtet, doch ist sie durch die Geisterreligion unglaublichen Mißhandlungen ausgesetzt.

Während die Peschärähfrauen plump und nach unseren Begriffen unschön sind, haben die Onaindianer schöne Mädchen aufzuweisen, die nach der Ver- ehelichung, durch die Last ihrer Arbeit, schnell verblühen.

Durch die Gleichstellung, ohne Häuptlingswesen, wären diese Eingeborenen ein freies, glückliches Völkchen, wenn auch hier die Religion nicht ihre Gifte ausgestreut hätte. Religiöse Männergeheimbünde sorgen in ausreichendem Maße dafür, daß auch der geringste Rest an Selbständigkeit den Frauen des Landes genommen wird.

Mit den Kaffern und Tuaregs Afrikas, durch ihre verzweifelten Freiheits- kämpfe und imperialistischen Unterdrückungen vergleichbar, sind die tapferen und heldenmütigen Araukaner, das widerstandsfähigste Reitervolk Südamerikas. Ihre Frauen sind schön und stolz und stehen den Männern ebenbürtig zur Seite. Den gewählten Apo-uelmes (Häuptlinge) und Toquis (Großhäuptlinge) wird kein Tribut gezahlt.

Je mehr man in das Innere Brasiliens und in die Wildnisse Südamerikas überhaupt eindringt, wo nur selten ein weißer Fuß eindrang, findet man noch friedliche und glückliche Völkchen, unter denen die Frauen eine freie und un- gezwungene Stellung einnehmen.

Bei den Bakariri z. B., einem Stamm am Xingu, einem Nebenflusse des Amazonas, herrscht in der Familie eine strenge Arbeitseinteilung, in der die Frau nur die leichteren Arbeiten verrichtet, während der Mann einzig für seine Familie zu sorgen hat.

Die Bevölkerung geht hier vollständig nackt und besitzt trotzdem einen viel höheren Grad von „Moral“, als so mancher Europäer.

Die Indianerfrauen, die sich durch geschickte Handarbeiten und Malereien auf Tierfellen schwer und sauer ihr Brot verdienen, besitzen darin eine ungewöhn- liche Fertigkeit.

Die Indianerinnen werden in ihrer Jugend von den Männern umschwärmt, besungen, geliebt und verehrt. Doch kaum sind sie in die Ehe getreten, werden sie zu willfähigen Werkzeugen ihrer Männer.

Die Indianerin lebt einzig ihrem Manne zuliebe, bedient und beputzt ihn, hat jedoch nur die häuslichen Arbeiten zu verrichten.

Die wenigen Indianer, die sich nicht an die Feldarbeit gewöhnen können, ziehen durch die Lande und verkaufen selbstgefertigte Körbchen, indianische Schnitzereien und Stickereien.

Unter den Mädchen findet man oft Schönheiten; doch nach der Heirat pflegen sie gewöhnlich sehr schnell zu verblühen.

Viele dieser Indianerinnen wurden in Fabriken und Werkstätten gesteckt, und dadurch ihrer letzten Kraft beraubt. In wenigen Jahren müssen sie alt und verbraucht ihre Verdienst- und Ausbeutungsstätte wieder verlassen und müssen sich nun, um nicht Hungers zu sterben, durch Betteln ihr Leben fristen.

Japan, das bekannte Nippon, das „Land der aufgehenden Sonne“.

524 Betrachtungen und kleine Mitteilungen

Hier hat die Frau im allgemeinen eine glückliche Stellung. Fröhlich und unverdrossen bei der Arbeit, auf dem Felde oder in der Werkstatt, ist sie die tapfere Lebensgefährtin des Mannes, wird von ihm geliebt und geachtet.

Die Erpressungen und Ausschweifungen der Priester haben ihren Ursprung in der Urreligion Japans, dem Schintoismus. Derselbe stellt eine Art Natur- religion dar.

Die eigentliche Verehrung i im Schintoismus gilt dem männlichen Zeugungsorgan.

Man sieht in Japan, in den Gärten der Anhänger dieser Religion, unzählige Bäume, deren Aeste durch Beschneidungen und Zurechtstutzen zu dieser Form umgestaltet wurden; oft mit geschickter Kunstfertigkeit.

Und diese Zeugungsverehrung wurde und wird von den Priestern zu eigen- nützigen Zwecken ausgenutzt.

Das japanische Volk, und insbesondere die Frauen, werden auch heute noch von einem ungeheuren Aberglauben beherrscht.

Eine Frau, die zur Kinderlosigkeit verurteilt ist, oder deren Geburt nicht recht vonstatten gehen will, begibt sich in den Tempel und wird von dem diensttuenden Priester mit „allesbefruchtenden« Sprüchen überschwemmt; unter unglaublichen Geldopfern natürlich!

In ein ganz anderes Licht stellt sich uns China, das „Reich der Mitte“, heute der Schauplatz erbitterter revolutionärer Befreiungskämpfe.

Hier war die Frau noch bis vor kurzem durch eigene Staats- und Religions- gesetze unglaublichen Demütigungen und Grausamkeiten ausgesetzt.

Die bekannte Fußverkrüppelung der Chinesin, die wohlgemerkt nur in den höheren Kreisen geübt wurde, wurde von ihr selbst als ein Schönheitsideal be- trachtet. Die Sitteneinführer hatten jedoch andere Dinge damit bezweckt. Eine Frau, die noch keine Schmerzen verspürt, könnte eigensinnig werden, keine Zurechtweisungen hinnehmen wollen und würde ihrem Ehemann gegenüber nicht unterwürfig(!) und gehorsam genug sein!

Wer konnte da noch Widerstand leisten, wenn der weise Confucius selbst lehrt, daß die Frauen schwach und. die Männer stark sein sollen; das wäre dann die rechte Ordnung der Dinge!

Er gebot den Frauen, Zufriedenheit mit ihrem Lose zu lernen, wie es auch ausfallen möge.

Sie haben zu schweigen, wenn der Mann sie belehrt, zu lieben, wenn er verachtet, zu danken, wenn er züchtigt!

So wurde der Chinesin von vornherein durch die heiligen Vertreter der Religion jede Selbständigkeit genommen.

Auch hier herrschte vor kurzem und noch heute unter der bürgerlichen und

Adelsgesellschaft die Sitte, daß die zu verheiratende Tochter den Gatten erst am Tage der Vermählung zum ersten Male erblicken darf.

Eine Spekulation ihres Erzeugers, der um den Preis handelt und feilscht und sie regelrecht verkauft.

Wie rechtlos die Chinesin durch die Gesetze eines krassen, männlichen Egoismus wurde, ersieht man daraus, daß sie nie eine Scheidung durchführen darf, während sie der Mann, ohne jegliches Gericht, ganz auf eigene Faust, unter Gründen (!) natürlich, durchzusetzen berechtigt ist.

Diese Scheidungsgründe bestehen dann, wenn die Frau plauderhaft(!), eifer- süchtig, kinderlos ist oder wenn der Mann sie arm geheiratet hat und dann später reich geworden ist!!! („Die Welt am Abend“.)

Ehe und Infantilismus. In der „Nederlandsch Tijdschrift vor Genees- kunde“ schreibt van de Velde über die Eignung für die Ehe bei Infantilismus der weiblichen Geschlechtsorgane. Er hält neben künstlichen Eingriffen und Lues den Infantilismus der weiblichen Genitalien für die häufigste Ursache von

Bücherschau 525

Früh- und Fehlgeburt und fordert deshalb, daß jedes Mädchen vor Eingehen einer Ehe auch in dieser Hinsicht ärztlich untersucht wird, um festzustellen, ob die Genitalien für die Schwangerschaft geeignet sind. Van de Velde empfiehlt in negativen Fällen eine besondere Behandlung der pathologischen Zustände. Eine ähnliche Auffassung bezügl. des Infantilismus überhaupt finden wir ja auch bei Aschner. („Die Konstitution der Frau.* Verlag Bergmann).

Bücherschau.

Ernst Barthel: Philosophie des Eros. (Ernst Reinhardt, München 1926.) Um nicht den Irrtum zu begehen, die Erotik des Menschen zur Geschlechtlichkeit des Tieres in Parallele zu bringen, menschliche Liebe überhaupt unter dem Gesichtspunkt einer Wesensverwandtschaft mit den tierischen Fortpflanzungsakten betrachten zu wollen oder den Menschen auf diesem Gebiete, als zoologisches Wesen wie andere, in unmittelbare Nähe zum Tiere zu bringen, stellt der Verfasser zu Beginn seines Werkes den Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier überhaupt und den Unterschied menschlicher und tierischer Geschlecht- lichkeit im besonderen fest. Das Wesen des Menschen steht zum Tiere im Kontrast. Nicht eine Vervollkommnung von im Tiere bereits vorgebildeten Eigenschaften kennzeichnet das Wesen des Menschen, sondern etwas prinzipiell Neues offenbart sich im Menschen, dessen Kennzeichen der Reichtum ist, u. a. das Vermögen kultureller Differenzierung biologischer Kräfte, vor allem auch des Geschlechtstriebes. Mag die Ansicht vom Nützlichkeitszweck in der organischen Natur beim Tiere seine Geltung haben, das spezifisch Menschliche ist gekennzeichnet durch die besondere Freiheit, die dem Menschen eigen ist, durch einen bewußt schöpferischen Willen, der die Naturentwicklung durch bewußte Erfindungen, Neuschöpfungen und Umgestaltungen fortzusetzen vermag, durch ein freies Bewußtsein, das die Reichtümer der Schöpfung um ihrer selbst willen zu begreifen imstande ist. So wird auch im Bereiche menschlicher Erotik der Zweckbegriff zur Haltlosigkeit gegenüber freimenschlicher Genuß- fähigkeit und dem bewußten Erlebnisse schäumenden Lebens. Durch die Möglichkeit, zu wählen zwischen Tun und Lassen, und durch die Fähigkeit, dem Erlebnis künstlerische Gestalt zu verleihen, steht der Mensch mit seiner Geschlechtlichkeit im Kontrast zum Tiere als einem willenlosen Werkzeug der Naturkraft. |

Alle die Funktionen nun, die in der Sexualität des Tieres als starre Einheit freiheitslos bestehen, finden wir beim Menschen auf Grund seiner ihm eigenen Freiheit verselbständigt vor. Gegenüber dem animalischen Gattungsinstinkt entfaltet sich die reiche Welt der menschlichen Erotik. Zwei Funktionen des Erotischen lassen sich voneinander trennen: eine natürliche und eine kulturelle, deren jede sich wieder deutlich in zwei Teile spaltet, in Liebe und Sexualität auf der einen Seite, Fortpflanzung und soziologische Gemeinschaft, nämlich die Ehe, auf der andern. Eine psychische, physische, biologische und soziologische Funktion bildet zusammen die vierfache Wurzel des erotischen Problems beim Menschen. Um den Eigenwert des Erotischen zu wahren und die menschliche Geschlechtlichkeit nicht nur als eine Fortpflanzungsfunktion zu betrachten, ist es nötig, diese vier Wurzeln voneinander zu trennen.

Zunächst gilt es festzustellen, daß die Liebe etwas grundsätzlich anderes ist als die Sexualität, der Geschlechtstrieb. Ebenso muß die selbständige Bedeutung des biologischen Problems der Fortpflanzung nachdrücklich betont werden, das weder durch das physiologische Problem der Sexualität notwendig hervorgerufen ist, noch an die Ehe als das Mittel zum Zweck gebunden ist. Daß das Psychische, das Physische und das Soziale gegenüber der Fort-

526 Bücherschau

pflanzung gleichberechtigten Eigenwert besitzt, zeigt, wie der Mensch sich durch seine Willensfreiheit und fortschreitende Naturerkenntnis aus den Banden einer tierischen Zweckgebundenheit zu lösen vermochte. Wahrhaft menschlich erst ist die Ansicht des Verfassers, daß wir nicht der Fortpflanzung wegen leben, sondern um der Liebe willen, ohne die das Fortbestehen der Menschheit keinen Wert hätte. Unter diesem Gesichtspunkte erhalten dann Sexualität und Ehe ihren Wert, indem sich die Menschenliebe in ihnen ein Werkzeug schafft.

Die Zerteilung des Gesamtproblems der Erotik in seine vier Funktionen ist zur Notwendigkeit geworden, um jedem einzelnen Problem die ihm ge- bührende Würdigung widerfahren zu lassen und Klarheit zu schaffen gegen- über verworrener Begriffsbildung und der Zwiespältigkeit von Sinnlichkeit und Sittlichkeit, die beispielsweise die Sexualität gegenüber der ethischen Einheit vonLiebe, Fortpflanzung und Ehe zuetwas Minderwertigem und Nichtseinsollenden herabdrücken möchte. Nur so kann die organische Einheit dieser vier getrennten Funktionen als das für die Kultur erstrebenswerte Ziel ethischer Vollkommenheit einleuchtend gemacht werden.

Im ersten Hauptteil seines Werkes offenbart uns der Verfasser mit psycho- logischem Feinempfinden die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der seelischen Liebe, die allerdings ein Vermögen feinentwickelter Menschennaturen ist. Die Eigengesetzlichkeit rein psychischen Erlebens auf erotischem Gebiete besonders deutlich gemacht zu haben gegenüber der biologistischen und materialistischen Einstellung unserer Zeit, in der das Liebesleben des Menschen nur unter der Voraussetzung sozialer und biologischer Ergebnisse Sinn und Wert erlangt oder der Begriff der Liebe mit Sexualität identisch ist, ist ein besonderes Verdienst des Verfassers. Die Sexualität bildet nicht etwa das Fundament der Liebe, wenn allerdings auch die höchste Steigerung psychischen Erlebens erst dann auftritt, wo die Gesamtheit der Lebenskräfte, insbesondere der sexuellen, mit einbezogen sind und die Sexualität „das große biologische Kontrastphänomen“* bildet, das „durch seine Einbeziehung in die Liebe den Reichtum der Harmonien und Dissonanzen symphonisch zur höchsten Potenz steigert“. Mit diesen Gedanken wendet sich der Verfasser ebenso entschieden gegen die spiritualistische Einstellung, welche die physischen Grundlagen der Liebe verachtet, anstatt diese zur Bereicherung edler Liebe einzubeziehen. Ebenso sollen die Gattungskräfte als Resonanzgegensatz für die seelischen Erlebnisse des Individuums benutzt, überhaupt alle Liebeserlebnisse im Dasein zum Zwecke allgemeiner Lebensbereicherung verwertet werden.

Das Folgende handelt vom Wesen der Liebe, woraus hervorzuheben ist, daß die seelische Liebe ähnlich wie auf physiologischem Gebiet ein Ergänzungs- phänomen ist und daß infolgedessen die Liebe dann zu ihrer höchsten Steigerung gelangt, wenn die Liebeskräfte zweier Menschen zur Befriedigung gelangen, deren seelischer Organismus die eigenartigsten und feinsten Differenzierungen erkennen läßt, woraus hervorgeht, daß eine große Liebe im Leben nur selten zur Verwirklichung gelangt. Was über das Verhältnis der Liebe zur Erlösung, zum Unendlichen, zu allem Hohen und Schönen, zur Zeit und Ewigkeit gesagt ist, kann nicht in kurzen dürftigen Worten wiedergegeben werden, es ist so schön, daß an dieser Stelle nur zu eigenem Studium angeregt werden kann. Aus allem strahlt uns eine überaus beglückende Lebensbejahung entgegen gegenüber aller Verfinsterung des Lebens und seiner Glücksmöglichkeiten.

Ein besonderer Abschnitt handelt von der männlichen und weiblichen Psyche. Der Verfasser faßt gleich Weininger die Seele wie den Leib jedes Menschen als Spaltung zwischen sexuellen Grenzwirklichkeiten auf, die selbst nur als ideale Werte existieren, sich in konkreten Menschen aber in allen möglichen Mischungsverhältnissen und Stärkebetonungen kombiniert vorfinden.

Bücherschau 527

Herauszuheben ist der Standpunkt des Verfassers, daß die Vertiefung der . Kluft zwischen der Eigenart der Geschlechter der Erlebnisbereicherung diene und daß die Begünstigung des Charaktergegensatzes der Geschlechter einen Fortschritt der Kultur bedeute. Das sollten diejenigen beherzigen, deren Bestreben die Nivellierung des Geschlechtergegensatzes ist und die der Gemeinschaftserziehung in der modernen. Pädagogik das Wort reden! Die Anerkennung der Gleichberechtigung des männlichen und des weiblichen Wesens wird in Zukunft das Weib den rechten Weg zu seiner Berufung finden lassen.

Ein „die platonische Liebe“ überschriebenes Kapital handelt von den schöpferischen Kräften des Platonismus, die sich vor allem in jungem Alter offenbaren. Damit im Zusammenhange spricht der Verfasser auch von der seelischen Liebe zwischen gleichgeschlechtigen Wesen und weiß für den Adel und den hohen Kulturwert dieser Liebe vor allem auch zwischen gereiftem Mann und Jüngling überzeugende Worte zu finden, mit dem Hinweis, daß doch gerade der Mann der seelischen Erziehung durch Liebe bedürfe. Gerade in dieser Liebe zeigt sich am deutlichsten der Eigenwert und die Eigen- gesetzlichkeit des Seelischen, da das Wesen der platonischen Liebe mit Geschlechtlichkeit nichts zu tun hat, ja diese geradezu ablehnt. Ebenso wie das Weib vermag der jugendliche Mann Träger begeisternder Energien zu sein für große Schöpfer und Gestalter.

Der zweite Hauptteil des Werkes handelt vom seelisch-leiblichen Problem, von der Sexualität. Hier gilt es, die Sexualität nach zwei Seiten hin abzugrenzen: zum ersten, das Eigenrecht der physischen Funktionen der Geschlechtlichkeit und deren Unabhängigkeit von der Seelenliebe zu betonen, zum anderen dem Irrtum zu begegnen, das Sexuelle bloß im Hinblick auf die Fortpflanzung zu betrachten und nur dann als berechtigt gelten zu lassen. Der Verfasser hebt unter anderem hervor, daß das Sexuelle ebenso der Verfeinerung, der Variation, der Höherkultivierung unterzogen werden kann wie alles Physische. Aufgabe sei gerade, die Eigengesetzlichkeit des Sexuellen zu erforschen und ihre leben- fördernde Bedeutung zur Geltung kommen zu lassen, anstatt diese mit immer- währendem Fluche zu behaften. Für die Unabhängigkeit der Sexualität von der Fortpflanzung spricht die Tatsache, daß der notwendige Zusammenhang von Sexualität und Fortpflanzung durch die Erfindungen der Kultur allmählich zu einem nicht mehr notwendigen geworden ist. Das muß zur Folge haben, daß die Sexualethik, soweit sie auf der Annahme der Identität beider Funktionen beruht, reformiert wird. Würdige Aufklärungen der öffentlichen Vernunft haben dazu beizutragen, daß nicht aus der Liebeserweisung ein Fortpflanzungs- akt gemacht wird, der der sozialen Vernunft widerspricht. Die Unabhängigkeit von Sexualität und Fortpflanzung enthält gleichzeitig die ebensogroße Un- abhängigkeit zwischen physischer und sozialer Funktion. Die Ehe lediglich als Geschlechts verhältnis zu bezeichnen, bedeutet die Verkennung ihrer tieferen seelischen Eigenart.

Reich an trefflichen Gedanken und feinen Beobachtungen über Gesetz- mäßigkeiten im Reiche des Eros sind die Abschnitte über „das Wesen der menschlichen Liebeserweisung“ (in dem der Verfasser unter anderem dem lrrtum begegnet, daß die Sexualität ein negatives Stoffwechselphänomen sei, und im Gegensatz dazu auf die Bedeutung der Sexualität als einen positiv physiologischen Prozeß und auf das Hinzutreten eines Energiewechsels zwischen Spannung und Lösung hinweist), über „Sexualität und Sünde“, über „die Kulturformen der Sexualität“ (in dem auch auf den Ubelstand der Prostitution eingegangen wird) und über „die Ehe als seelischer Lebenswert“, die Ehe als das höchste Ziel des Eros, als das Symbol der Ewigkeit in der w des. Lebens. I. G.

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528 Bücherschau

Vita sexualis. Das Geschlechtsieben des Menschen. Verjüngungs-Methoden und Reizmittel im Sexualleben des Mannes und der Frau. Von Dr. Zoltan von Nemes-Nagy. W. Braumüller, Wien und Leipzig 1926.

Wenn auch dieses Werk in erster Linie für den Arzt, den Sexualforscher bestimmt ist, so wendet es sich doch auch an den Kriminalpsychologen, Schrift- steller, Naturforscher und in weiterer Folge an jeden gebildeten Laien, der eine klare Uebersicht über dieses Thema wünscht. Das sexuelle Leben drückt dem Wesen, der Denkart, den Gefühlen und der Aktionsfähigkeit des Menschen einen unverlöschlichen Stempel auf und die Erklärungen des Geschlechtstriebes, der pathologischen Funktionsstörungen des sexuellen Lebens können niemanden gleichgültig sein. Die Kapitel, die sich mit der Geschichte der Liebestränke und der die Geschlechtsfähigkeit erhöhenden Mittel befassen, sowie die Aus- führungen über das Liebesleben orientalischer Völker und über die geschlecht- lichen Perversionen sind hochinteressant und lehrreich. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß der Autor als Assistent des berühmten Voronoff dessen Ver- jüngungslehre und Methode in klassischer Weise darstellt, wie er ja auch vor kurzer Zeit eine sensationelle Voronoff-Operation in Budapest durchführte; daß er auch die Steinachsche Theorie behandelt, ist selbstverständlich.

Dr. med. H. Elsner, Facharzt für Magen- und Darmkrankheiten, „Krebs- entstehung und endokrines System“. Verlag S. Krager, Berlin. 1926.

Verfasser vertritt die Auffassung, daß exogene und endogene Ursachen der Krebsentstehung scharf getrennt, und dem endogenen Faktor das Uebergewicht gegeben werden müsse. Er meint, daß den exogenen Bedingungen (äußeren Reizen) zu hohe Bedeutung beigelegt wird, und daß Tumoren, die durch Be- rufsreize usw. hervorgerufen sind, mit dem endogen verursachten Krebs der inneren Organe nicht ohne weiteres in Parallele gestellt werden können. Erstere Geschwulstarten stellt E. unter die Gruppe der Reiztumoren, im Gegensatz zu den endogen bedingten Spontantumoren, bei deren Bildung ein exogener Faktor nicht zu erkennen sei. E. verlegt die Hauptursache der Tumorbildung in Störungen der Konstitution und Zusammenarbeit des endokrinen Drüsensystems und führt zur Stützung seiner Ansichten die Altersdisposition an. (Endogene Altersstimmungen.

Die Arbeit enthält wertvolle Gedanken in bezug auf Krebs und inner- sekretorische Vorgänge. Die etwas einseitige Bewertung endogener Faktoren und ihre unbedingte Trennung von exogenen Bedingungen, wird nicht überall Zustimmung finden, da die Beziehungen innersekretorischer Vorgänge zur Außenwelt, zu exogenen Faktoren, nicht abzustreiten sind. Aus diesem Grund ist auch der Ersatz endokriner Drüsenfunktionen durch hochwertige endokrine Präparate wohl nicht allzu optimistisch zu bewerten. Denn der einer endo- genen Altersstörung vorangegangene Reiz könnte auch als exogener, als äußer- lich bedingter Ermüdungsreiz (Erschlaffung der Zellfunktion bestimmten chro- nischen Reizen gegenüber) angesehen werden.

Der Verfasser hat aber Recht, wenn er das Krebsleiden als eine durch endokrine Störungen verursachte Allgemeinerkrankung ansieht. Der Tumor ist nur das letzte Stadium einer Anzahl vorangegangener Störungen des Zellstoff- wechsels, die im Zusammenhang mit endogenen und exogenen Bedingungen auftreten. ni Hedwig Th. Winzer.

Herausgeber Rich. A. Giesecke. Verantwortlich für den Inhalt des Originalteils E. Schür-

mann, für den Referaten- und Anzeigenteil G. Zeuner, Dresden-A., Hettnerstr. 4. Alle Zu-

schriften an den Verlag R. A. Giesecke, Dresden-A. 24. Druck von G. Reichardt, Groitzsch, Bez. Leipzig.

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Der Verfasser, ein Schüler von Krafft-Ebing, der ja als erster mit der Fackel der Wissen- schaft in die dunklen Tiefen des krankhaft veränderten Sexuallebens hineingeleuchtet hat, gibt in der vorliegenden Schrift unter Skizzierung von ihm selbst beobachteter Fälle einen Ueberblick über eine Reihe der verschiedensten sexuellen Psychopathien, wobei er besonders die Art und die Aussichten der von ihm durchgeführten Heilmethoden genauer erläutert. Die Ergebnisse seiner Behandlung, die in erster Linie in planmäßiger psychotherapeutischer Beeinflussung bestand, dürfen insofern auf besondere Beachtung Anspruch machen, als sich die Dauer der Beobachtung bei den meisten Kranken auf viele Jahre erstreckt. Hinsichtlich der am eingehendsten erörterten konträren Sexualempfindung ist besonders bemerkenswert, daß er auch hier auf Grund seiner Erfahrungen die rein psychische Therapie für die aussichtsreichste erklärt, im Widerspruch zu anderen Sachkundigen, die bekanntlich in weitem Umfang durch Ueberpflanzung der männlichen Keimdrüse diese Anomalie zu beeinflussen versucht haben. Ein solches chirurgisches Vorgehen bleibt nach seiner Ansicht nur für die selteneren Fälle vorbehalten, die mit einer völligen Um- wandlung des äußeren Körperzustandes einhergehen, und bietet auch hier nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Operation schon vor dem Abschluß des Wachstums vorgenommen werden kann.

Kölnische Zeitung 1926 Nr. 576.

lag von Ferdinand Enke in Stuttgart.

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