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Von Hermann Bahr ift im gleichen Verlage erfhienen: Die gute Schule. Roman. 2. Auflage.
Meben der Liebe. Wiener Roman. 2 Auflage. Dora. Wiener Gefpichten. 2 Auflage.
Caph. Novellen. 2 Auflage.
Der Antifemitismus. Ein Interview. Nenaiffance. Neue Reipe zur aritit der Moderne. Theater. Ein Wiener Roman. 3. Auflage. Tſchaperl. Ein Wiener Stüd.
Joſephine. Ein Spiel.
Der Star. Ein Diener Stüd.
Wiener Theater (1892-1898),
Die ſchoͤne Frau. Novellen. 2. Auflage. Rezenfionen (Wiener Theater 1901-1909).
Dialog vom Tragifchen. Eſſavs.
Der Meiſter. Komödie. 3. Auflage.
Sanna. Schauſpiel.
Die Andere. Schauſpiel.
Hermann Bahr
Sn Gloſſen Zum Wiener Theater
(1903—1906)
©. Fiſcher, Verlag, Berlin 1907
Ale Rechte, insbeſondere das der Überfegung, vorbehalten.
Pas 1c Vs Bs4
I Burgtheater
1905 Zu fpät.
(Drei Einakter von M. E. delle Grazie. Zum erften Male aufgeführt im Burgtheater am 19. März 1903.)
„Bu fpät“ nennt Fräulein belle Grazie drei kleine Stüde: „Vineta“, „Donaumwellen“ und „Sphinz“ ; das Buch, bei Breitfopf und Härtel, enthält noch ein viertes, „Mutter“, das man im Burgtheater ausgelafjen hat, viel- feiht damit die Komtefjen nicht erfahren, daß man Kinder ausſetzen kann. Die Form kennen wir von Sudermann, Hartleben und Schnigler her. Sie erlaubt dem Dichter, mit einem Gedanten zu fpielen, indem er ihn bald nad- denttich und ſchwer, bald von der heiteren Seite nimmt und jo, was man etwa gegen das eine Stüd einzuwenden hat, ſelbſt im nächiten gleich wieder außgleichen fann. Dem Publikum gefällt fie Durch ihre Kürze, da es doch Heute, nervbs und ungeduldig, nirgend3 zu warten, jondern gleich „gepadt“ fein will und nach dem letzten Alte, nach der Entſcheidung drängt; das andere, meint es, könne es fich ſelbſt denlen. Darin täufcht es ſich nun freilich und be- merft nicht, daß es eben die Kunſt jener drei Autoren iſt,
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indem fie uns nur einen legten Aft zu geben ſcheinen, in diefem doch alles, wenn auch nur fozufagen ftenographifch, unterzubringen, was fonft vorher in zwei langen Aften ausgebreitet wird. Ich fürchte faft, Fräulein delle Grazie hat fich darin auch ein wenig täufchen laſſen. Ihre Akte find in der Tat Iegte Akte, denen die früheren fehlen. Man fühlt e8 aber, daß fie fehlen; man vermißt fi. Wenn ih ganz aufrihtig meine Empfindung beim Lejen jagen darf, fo war fie recht jeltfam. Ich war die ganze Zeit ver- wundert, warum e8 denn noch immer nicht auf mich wirkte, da das doch eigentlich auf mich wirken müßte. Dann habe ich das Buch zugeflappt und nachgedacht und mir zu dem Stüd die Vorgefehichte aufgebaut. Und da hat e8 gemirkt. Im Theater aber hat man nicht bie Zeit, jo nachzuhelfen. Bevor wir noch in die Stimmung gelommen find, ung diefe Menichen und ihr Leben aus eigenem zu ergänzen, ift das Stüd ſchon wieder aus. Der Schaufpieler kann da freilich viel für und tun, aber es ift noch immer zu wenig.
Ich vermute, Fräulein delle Grazie überjchägt die Situation, fie überfchägt das Ereignis auf der Bühne. Wir find aber geneigt, bei jedem Ereignis zu denen: Da kommt e8 num ganz auf den Menfchen an, den es trifft — was dieſen vernichtet, wird für jenen nur ein Spaß fein, je nach feiner Art; und fo ift ung mit der bloßen Situation, mit dem Ereignis noch gar nichts gegeben und gar feine Stimmung angejchlagen, wenn wir die Art des Menſchen nicht kennen. Sie aber rechnet nun ſchon mit einer Stimmung in ung, baut auf dieje und wundert fich ‚wohl, wenn fie nicht wirkt. Nehmen wir gleich das erſte
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Stück. Zufällig begegnen ſich die junge Baronin Sußdorf und der Miffionär Johannes Noltih. Die beiden haben fi einft, ala er Hofmeifter im Haufe ihrer Eltern war, heiß geliebt, ohne es fich zu jagen. Sie Hat einen anderen heiraten müfjen und ift unglüdlich geworden. Ex geht als Prediger nad) China, um den Tod zu fuchen. Und nun, da es „zu ſpät“ ift, jagen fie fich, was fie einander geweſen find, und fcheiden in einer tiefen Wehmut, die wir nicht mitfühlen können. Wir fönnen es nicht, weil wir diefe beiden Leute zu wenig kennen, um zu willen, was ihnen jenes Ereignis bedeutet hat. Das Fräulein wird fagen: Uber denken Sie doch, ein junges Mädchen, das dem Geliebten entjagen und einen anderen heiraten muß ! Bir Innen aber junge Mädchen, die das vortrefflich über- ftanden Haben, mit dem anderen jehr glüdlich geworden find und nur lachen müfjen, wenn fie zufällig dem Heiß⸗ geliebten von damals begegnen. Jeder Hofmeifter, deſſen Bögling eine Schwefter Hat, ift in diefe vernarrt. Aber wenige find noch Miffionäre geworden. Das heißt, äſthetiſch geiprochen: Jenes Ereignis. hat an fich gar feinen Stimmungs- gehalt, es Tann Fein Poften in der dramatijchen Rechnung fein, es ift feine Valeur, fondern es befommt feine Be— deutung, feinen Wert erft eben durch den Menſchen, dem es geſchieht. Wir müßten die Baronin, bevor fie heiratet, geiehen und als eines jener empfindfamen Wejen erfannt haben, die nicht verwinden Tönnen; oder dies müßte un, wozu freilich eine ganz außerordentliche Kunſt gehören würde, durch irgend etwas, das fie geheimnisvoll fagt, oder an irgend einem Vorfalle unmittelbar gewiß werden. Da die nicht geichieht, fühlen wir uns, wie man fchon im
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indem fie und nur einen letzten Alt zu geben ſcheinen, in diefem doc; alles, wenn auch nur fozufagen ftenographifch, unterzubringen, was font vorher in zwei langen Alten ausgebreitet wird. Ich fürchte faſt, Fräulein delle Grazie hat ſich darin auch ein wenig täufchen laſſen. Ihre Alte find in der Tat legte Akte, denen die früheren fehlen. Man fühlt e8 aber, daß fie fehlen; man vermißt fie. Wenn ich ganz aufrihtig meine Empfindung beim Lejen fagen darf, fo war fie recht ſeltſam. Ich war die ganze Zeit ver- wundert, warum e8 denn noch immer nicht auf mich wirkte, da das doch eigentlich auf mich wirken müßte. Dann habe ich da8 Buch zugeflappt und nachgedacht und mir zu dem Stüd die Vorgefchichte aufgebaut. Und da hat e8 gewirkt. Im Theater aber hat man nicht die Zeit, jo nachzuhelfen. Bevor wir noch in die Stimmung gelommen find, uns diefe Menſchen und ihr Leben aus eigenem zu ergänzen, ift dag Stüd ſchon wieder aus. Der Schaufpieler kann da freilich viel für und tun, aber es ift nod immer zu wenig.
Ich vermute, Fräulein delle Grazie überſchätzt die Situation, fie überfhägt das Ereignis auf der Bühne. Wir find aber geneigt, bei jedem Ereignis zu denken: Da fommt es nun ganz auf den Menſchen an, den es trifft — was dieſen vernichtet, wird für jenen nur ein Spaß fein, je nach jeiner Art; und fo ift una mit der bloßen Situation, mit dem Ereignis noch gar nichts gegeben und gar feine Stimmung angeichlagen, wenn wir die Art des Menjchen nicht kennen. Sie aber rechnet nun ſchon mit einer Stimmung in uns, baut auf dieje und wundert ſich ‚wohl, wenn fie nicht wirkt. Nehmen wir gleich das erfte
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Stück. Zufällig begegnen fich die junge Baronin Sußdorf und der Miffionär Johannes Noltſch. Die beiden haben ſich einft, als er Hofmeifter im Haufe ihrer Eltern war, heiß geliebt, ohne e3 fich zu jagen. Sie hat einen anderen heiraten müfjen und ift unglüdlich geworden. Er geht als Prediger nach China, um den Tod zu ſuchen. Und nun, da es „zu ſpät“ ift, jagen fie ich, was fie einander gewejen find, und fcheiden in einer tiefen Wehmut, die wir nicht mitfühlen Tönnen. Wir können e3 nicht, weil wir dieſe beiden Leute zu wenig fennen, um zu willen, was ihnen jenes Ereignis bedeutet hat. Das Fräulein wird jagen: Aber denken Sie doch, ein junges Mädchen, das dem Geliebten entjagen und einen anderen heiraten muß ! Wir Iennen aber junge Mädchen, die das vortrefflich über- ftanden haben, mit dem anderen ſehr glüdlic) geworden find und nur lachen müffen, wenn fie zufällig dem Heiß- geliebten von damals begegnen. Jeder Hofmeifter, deſſen Bögling eine Schwefter hat, ift in diefe vernarrt. Aber wenige find noch Miffionäre geworden. Das heit, äſthetiſch geiprochen: Jenes Ereignis hat an fich gar feinen Stimmungs- gehalt, es Tann fein Poſten in der dramatijchen Rechnung fein, es ift feine Valeur, ſondern es befommt feine Be- deutung, feinen Wert erft eben durch den Menjchen, dem es geichieht. Wir müßten die Baronin, bevor fie heiratet, gejehen und als eines jener empfindfamen Weſen erkannt haben, die nicht verwinden Tönnen; oder dies müßte ung, wozu freilich eine ganz außerordentliche Kunſt gehören würde, durch irgend etwas, das fie geheimnigvoll fagt, oder an irgend einem Vorfalle unmittelbar gewiß werden. Da dies nicht gejchieht, fühlen wir uns, wie man ſchon im
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Theater, wird man nicht bezwungen, fogleich widerſpricht, in eine heimliche Oppofition gebrängt und jagen blaftert: „Das alles, weil fie ben Hofmeiſter nicht gekriegt hat? Anderen ift ſchon Ärgeres paffiert.*
Mit den „Donaumwellen“ ift es ähnlich. Ein kleines Wirtshaus Hinter dem Prater, an der Reichsbrücke Kleine Leute, die einer Damenkapelle zuhören. Hier tommt Fräulein Hedwig mit dem Weinreiſenden Dit zuſammen, den fie heiraten fol. Die alte Geſchichte: Sie iſt verführt und verlaffen worden, und um fie los zu werden, will fie der Frühere einem Reiſenden feiner Firma an« hängen, der unter guten Bedingungen bereit ift, gefällig zu jein. Im Geſpräch mit diefem praftifchen Herrn fühlt fie erſt, was aus ihr geworden ift, fühlt, was neben ihm aus ihr würde. Sie hat ja dem Kinde das Opfer bringen wollen, aber fie fann nicht, es ift zu viel. Sie fpringt auf und rennt fort, ein Gewitter kommt, es bligt und ſtürmt und donnert, da jchreit ein Fiaker plöglich auf: „Jeſus Maria! Da 18 ane in die Donau g’prungen! Hilfe, Hilfe !“ ... Dies ift unleugbar eine rein tragiſche Situa- tion, wenn — wenn nämlich) das Mädchen danach ift. Es fommt auch bier wieder alles auf ihr Weſen an, das wir erft fühlen müffen, um ficher zu fein, daß ihr Unter- gang notwendig ift. Was jener Dit zu ihr fagt, ift ſehr ftarf, vielleicht zu ftarf, da gerade jo naiv verdorbene Leute meiftens ſchon aus Eitelfeit gutmütig find. Es handelt fi) aber nicht darum, ihn jehr gemein zu zeigen, fondern um auf und zu wirken, müßte gezeigt werden, daß fie zu jenen. Menjchen gehört, die das Gemeine tdtet. Das fehlt. Es fehlen wieder die früheren Akte, in welchen wir das
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Mädchen allmählich hätten Tieb gewinnen können ; oder es fehlt jene geheimnisvolle plaftiiche Kraft, der ein ftilles Wort genügt, um uns dadurch eine Seele zu ent- Hüllen.
Ganz Iuftig ift die „Sphing“ gedacht, die freilich achte zum Schwan, in die Poſſe Hinübergleite. Ein Ge- lehrter, der verlorene zerjtreute Profefjor aus den liegenden, ahnt nicht, daß er fich in ein gutes junges Mädchen im Haufe verliebt, und um ed nur immer bei fich zu haben, läßt er fich ein, ihre alte Tante zu heiraten. Da fich das Mädchen nun aber mit einem Coufin verlobt und aljo doc; aus dem Haufe will, begreift er erit, was mit ihm war, und rennt Inapp vor der Hochzeit noch der Tante erjchroden davon. Das fit ein ganz hübſcher Scherz in, der älteren Manier, den die verliebte Wunterfeit des jungen Paares angenehm belebt.
Dem erften Stüde Half Frau Hohenfeld mit ihrer unficgtbar waltenden Energie nad; Herrn Devrient wird man freilich einen ſchwärmeriſchen Miffionär niemals glauben. Im den „Donauwellen“ jchten ſich das Publitum über das Beiwerk zu amüfieren, die Damentapelle, die Kellner, den Tinker; es wurde auch ſehr „echt“ gejpielt, freilich mit einer etwas Herablaffenden und zum Parterre zwinfernden Echtheit, gleichjam: Schauts, wie gemein wir Hofbeamten uns doch machen Tönnen! Frau Medelsky übertrieb; dies ift doch nicht der letzte Akt der „Liebefei“. Höchft ergöglich waren Herr Zeöla, Herr Korff und Her Schmidt. Die „Sphinx“ zog und dehnte Herr Thimig jehr aus, und jo komiſch er übrigens, jo reizend Frau Retty war, die rechte Stimmung wurde es nicht.
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Fräulein delle Grazie erſchien nach jedem Stüde, dem Ziſchen tapfer trogend.
Die Frau vom Meere. (Schaufptel in fünf Alten von Henrik Ibſen. Im Burgtheater zum erften Male aufgeführt am 24. Aprit 1908.)
Elida, das Kind eines Wächters auf dem Leuchtturm, wird von einem wilden finnifchen Steuermann begehrt und da er fliehen muß, verloben fie fich insgeheim unter felt- famen Zeichen, indem er einen Schlüffelbund aus der Tafche zieht, an diejen feinen Ming und einen Meinen Ning von ihr ftedt und nun den Bund mit den Ringen weit ins tiefe Meer wirft, wodurch fie fich nun beide für alle Zeit dem Meere angetraut glauben jollen. Er zieht fort, fie erwächſt und bald ift e& ihr nur noch wie ein wüfter Traum, fie fieht ein, wie „verdreht und ſinnlos“ e3 war, und wird die Frau des Doktor Wangel, nachdem fie diefem ehrlich befannt Hat, daß fie ſchon einmal einen anderen geliebt. Aber fie kann fich in der Ehe, nicht recht „afflimatifieren“. Ste lernt ihren gütigen Gatten lieben, doch der andere, der Wilde, jchredt immer noch ihr Gemüt auf. Sie denkt nur mit Grauen, mit Entjegen an ihn, aber fie fühlt, daß fie ihm gehört. Er wird fommen und fie holen, da wird fie ihm folgen müfjen, denn er hat Die Macht über fie. Und er kommt wirklich. Da wagt ihr Dann, der Arzt, das legte: er gibt fie frei, fie ſoll nicht gebunden fein, fie mag wählen zwijchen ihm und dem Fremden. Dies Idft den Spuk, der finftere Zauber zer- rinnt, über die Freie hat der Fremde feine Gewalt mehr:
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er geht, ſie bleibt. Sie iſt dem Gatten gewonnen, jetzt kann ſie erſt Wurzel ſchlagen in ſeinem Hauſe.
Dies iſt nun zunächſt nur, wie ein Arzt jagen würde: ein jchöner Fall von Hyſterie. Ellida mag damals in den gefährlichen Jahren der Hedwig Ekdal geweien fein; oder gerade kaum darüber hinaus. Von einer ungeheuren Er: regbarkeit und Empfänglichkeit aljo. Da ftößt fie auf den wilden Mann, der eine billige Romantik Hat: er iſt eine Art fliegender Holländer in der Vollsausgabe, er hat einen Mord begangen, er ift aber unfchuldig und er weiß fie durch unheimliche Worte, durch abenteuerliche Zeichen, grobe Symbole, wie Kinder und einfache Menjchen fie lieben, zu betäuben und zu betören. Wie er weg ift, wird das alles bald vergeffen. Es verfinkt in fie hinab, fie denkt nicht mehr daran. Aber die Che mit einem_älteren, ſehr gütigen, doch nicht eben ſehr lebhaften Manne in einem engen Kreiſe unter Heinen Pflichten und Sorgen hält ihr nicht, was fie fich verfprochen haben mag. Ihr wird dumpf und bang, ihre Sehnfucht fängt zu arbeiten an und dag ift num pfychologiich jehr wahr: die Sehnfucht jegt ſich immer an einen alten Kern an, bier Friftallifiert fie. So ſteigt der verfunfene Fremde drohend wieder aus ihrer Erinnerung herauf. Sie erjchridt, fie wehrt das fürchter- liche Bild ab. Dadurch und weil fie es verbirgt, weil fie & nicht wagt, fich dem Gatten anzuvertrauen, weil fie die Erfcheinung, die fie verftört und beflemmt, wie die Piychiater das nennen: nicht „abreagiert“, wird ihre Furcht jo groß, daß fie jeden anderen Gedanken allmählich aus ihr ver- drängt. Dafür gibt e8 nur eine Kur: was fie fürchtet, muß gejchehen, weil das Wirkliche niemals jo furchtbar
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Theater, wird man nicht bezwungen, ſogleich wiberjpeicht, in eine heimliche Oppofition gedrängt und fagen blaftert: „Das alles, weil fie den Hofmeiſter nicht gekriegt hat? Anderen ift ſchon Ärgeres paffiert.“
Mit den „Donauwellen“ ift es ähnlich. Ein Kleines Wirtshaus Hinter dem Prater, an der Reichsbrücke Kleine Leute, die einer Damenfapelle zuhören. Hier kommt Fräulein Hedwig mit dem XWeinreijenden Dit äufammen, den fie heiraten fol. Die alte Geſchichte: Sie iſt verführt und verlafen worden, und um fie 108 zu werden, will fie der. Frühere einem Reiſenden feiner Firma an- hängen, der unter guten Bedingungen bereit iſt, gefällig zu fein. Im Gefpräch mit diefem praftifchen Herrn fühlt fie erſt, was aus ihr geworben ift, fühlt, was neben ifm aus ihr würde. Sie hat ja dem Kinde das Opfer bringen wollen, aber jie kann nicht, es iſt zu viel. Sie fpringt auf und rennt fort, ein Gewitter kommt, es bligt und ſtürmt und donnert, da ſchreit ein Fiaker plöglich auf: „Jeſus Maria! Da is ane in die Donau g’fprungen! Hilfe, Hilfe !“ ... Dies ift unleugbar eine rein tragiſche Sttua- tion, wenn — wenn nämlich das Mädchen danach iſt. Es kommt auch hier wieder alles auf ihr Weſen an, das wir erft fühlen müffen, um ficher zu fein, daß ihr Unter- gang notwendig iſt. Was jener Ott zu ihr fagt, ift ſehr ſtark, vielleicht zu ftark, da gerade jo naiv verdorbene Leute meiftens ſchon aus Citelleit gutmitig find. Es handelt fi) aber nicht darum, ihn ſehr gemein zu zeigen, fondern um auf und zu wirken, müßte gezeigt werden, daß fie zu jenen Menſchen gehört, die das Gemeine tötet. Das fehlt. Es fehlen wieder die früheren Akte, in welchen wir das
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Mädchen allmählich hätten lieb gewinnen Tönnen ; oder es fehlt jene geheimnisvolle plaftiiche Kraft, der ein ftilles Wort genügt, um und dadurch eine Seele zu ent- hüllen.
Ganz luſtig iſt die „Sphinx“ gedacht, die freilich ſachte zum Schwant, in die Poſſe Hinübergleitet. Ein Ge— lehrter, der verlorene zerſtreute Profeſſor aus den Fliegenden, ahnt nicht, daß er fich in ein gutes junges Mädchen im Haufe verliebt, und um es nur immer bei fich zu haben, läßt er fich ein, ihre alte Tante zu heiraten. Da fich das Mädchen nun aber mit einem Coufin verlobt und alſo doch aus dem Haufe will, begreift er erjt, was mit ihm war, und rennt knapp vor der Hochzeit noch der Tante erſchrocken davon. Das tft ein ganz hübjcher Scherz in, der älteren Manier, den die verliebte Munterkeit des jungen Paares angenehm belebt.
Dem erften Stüde Half Frau Hohenfels mit ihrer unfichtbar waltenden Energie nah; Herrn Debrient wird man freilich einen fchwärmerifchen Miſſionär niemals glauben. In den „Donaumellen“ ſchien fich das Publikum über das Beiwerk zu amüfieren, die Damenfapelle, die Kellner, den Fialer; es wurde auch jehr „echt“ geiptelt, freilich mit einer etwas herablaffenden und zum Parterre zwinfernden Echtheit, gleichſam: Schauts, wie gemein wir Hofbeamten und doch machen können! Frau Medelsky übertrieb; dies iſt doch nicht der legte Aft der „Liebelei“. Höchſt ergbtzlich waren Herr Zesla, Herr Korff und Her Schmidt. Die „Sphinx“ z0g und dehnte Herr Thimig ſehr aus, und fo komiſch er übrigens, jo reizend Frau Retty war, die rechte Stimmung wurde es nicht.
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Fräulein delle Grazie erfchien nach jedem Stüde, dem Ziſchen tapfer trotzend.
Die Frau vom Meere. (Säaufpiel in fünf Akten von Henrik Ibſen. Im Burgtheater zum erften Male aufgeführt am 24. April 1908.)
Ellida, das Kind eines Wächter auf dem Leuchtturm, wird von einem wilden finnifchen Steuermann begehrt und da er fliehen muß, verloben fie ſich insgeheim unter jelt- famen Zeichen, indem er einen Schlüffelbund aus der Taſche zieht, an diefen feinen Ring und einen Heinen Ning von ihr ſtedt und nun den Bund mit den Ringen weit ins tiefe Meer wirft, wodurd fie fi nun beide für alle Zeit dem Meere angetraut glauben follen. Er zieht fort, fie erwächſt und bald ift es ihr nur noch wie ein wüfter Traum, fie fieht ein, wie „verdreht und finnlos“ e3 war, und wird die Frau des Doktor Wangel, nachdem fie diefem ehrlich befannt hat, daß fie ſchon einmal einen anderen geliebt. Aber fie Tann ſich in der Ehe, nicht recht „afflimatifieren“. Sie Iernt ihren gütigen Gatten lieben, doch der andere, der Wilde, ſchreckt immer noch ihr Gemüt auf. Sie denkt nur mit Grauen, mit Entjegen an ihn, aber fie fühlt, daß fie ihm gehört. Er wird kommen und fie holen, da wird fie ihm folgen müffen, denn er hat bie Macht über fie. Und er kommt wirklich. Da wagt ihr Mann, der Arzt, das legte: er gibt fie frei, fie foll nicht gebunden fein, fie mag wählen zwiſchen ihm und dem Fremden. Dies Löft den Spuf, der finftere Zauber zer zinnt, über die Freie hat der Fremde keine Gewalt mehr:
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er geht, ſie bleibt. Sie iſt dem Gatten gewonnen, jetzt kann ſie erſt Wurzel ſchlagen in ſeinem Hauſe.
Dies iſt nun zunächſt nur, wie ein Arzt jagen würde: ein fchöner Fall von Hyſterie. Ellida mag damals in den gefährlichen Jahren der Hedwig Efdal geweien fein; oder gerade faum darüber hinaus. Von einer ungeheuren Er: regbarkeit und Empfänglichkeit alfo. Da ftößt fie auf den wilden Mann, der eine billige Romantik hat: er ift eine Art Fliegender Holländer in der Volksausgabe, er hat einen Mord begangen, er ift aber unfchuldig und er weiß fie durch unheimliche Worte, durch abenteuerliche Zeichen, grobe Symbole, wie Kinder und einfache Menjchen fie lieben, zu betäuben und zu betören. Wie er weg iſt, wird das alles bald vergefjen. Es verfinkt in fie hinab, fie denkt nicht mehr daran. Aber die Ehe mit einem_älteren, jehr gütigen, doch nicht eben jehr lebhaften Manne in einem engen Kreife unter Heinen Pflichten und Sorgen Hält ihr nicht, was fie fich verfprochen Haben mag. Ihr wird dumpf und bang, ihre Sehnfucht fängt zu arbeiten an und das ift nun piychologiich fehr wahr: die Sehnfucht ſetzt ſich immer an einen alten Kern an, bier Friftallifiert fie. So fteigt der verjunfene Fremde drohend wieder aus ihrer Erinnerung herauf. Sie erichrict, fie wehrt das fürchter- liche Bild ab. Dadurch und weil fie es verbirgt, weil fie & nicht wagt, fich dem Gatten anzuvertrauen, weil fie die Erſcheinung, die fie verjtört und bellemmt, wie die Piychiater das nennen: nicht „abreagiert“, wird ihre Furcht jo groß, daß fie jeden anderen Gedanken allmählich aus ihr ver- drängt, Dafür gibt es nur eine Kur: was fie fürchtet, muß gefchehen, weil das Wirkliche niemals jo furchtbar
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ſein laun, als es unſere Einbildung macht; und fie darf nicht beſchũtzt, ſie muß gezwungen werden, ihm aus eigener Kraft zu begegnen. Indem der Fremde erſcheint, nicht mehr als ein bloßes Geipenft ihrer Angft, ſondern mit Fleiſch und Blut, ift fie eigentlich jchon geheilt. Es muß ihr nur erft noch bewußt werden, fie darf nicht glauben fönnen, daß man ihr geholfen Hat, fie muß ficher fein, daß jie es jelbft ift, die die Macht hat, das Phantom zu vernichten. Indem der Doktor Wangel die Einficht hat, fie frei wählen und ſich ihren Entſchluß allein abringen zu laſſen, Handelt er ganz, wie unjere Doktoren Breuer und Freud ihre Kranfen behandeln: er hebt ihr Leiden an einer urfprünglich nicht erledigten, fondern gewaltſam ge- hemmten Vorftellung dadurch auf, daß er fie zwingt, den verhaltenen Affekt auszulöjen und im Hin und Her von Erwägungen, zwifchen welchen fie ſchwankt, bis fie fi entfchließt, allmählich abzuführen; worüber mehr in dem wunderbaren Buche unjerer beiden Gelehrten, „Studien über Hyſterie“ (Wien, Franz Deutide, 1895) nachgeleien werden mag.
Ibſen ftellt ficy immer, al? fei e3 ihm nur um einen folgen ganz bejonderen einzelnen Fall zu tun. Er hat, feit er fich der Romantik entrungen hat, eine ungeheure, manchmal fat komiſche Angſt, ein „Problembichter” zu fein. Es hilft ihm aber nichts, er kommt von jeiner Natur nicht 108. Nur find es, was man leider immer noch zu verfennen fcheint, freilich niemal® Probleme der Moral, fondern er hält fich an die der Kultur. Man wird ſchon fpäter einmal begreifen Iernen, daß er fich darin unmittel- bar an Goethe anjchließt; Rosmer und Tafjo haben diejelbe
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Wurzel. Hier ift e8 nun das Thema, wie fehwer es ung wird, und aus der Barbarei in die Sitte zu fügen. Da jeder von uns in fich die ganze Entwicdlung der Menjch- heit noch einmal abgekürzt durchzumachen Hat und noch einmal ber Reihe nach Tier, Urmenſch, Halbmenſch ift, bevor er al3 Europäer herausfommt, muß ſich der Jüng- fing, noch von ſolchen ftarfen Erinnerungen an die Wild- beit beherrfcht, fremd in der Sitte und Zucht fühlen, die ihn umgeben, und findet ſich nicht gleich zurecht. Er muß fich erft „afflimatifieren". Es ergeht ihm ganz wie Ellida jagt: „Ich Habe es jo gut hier gehabt, wie es nur ein Menſch wünſchen mag. Aber ich kam nicht freiwillig. Das ift die Sache” Jeder hat das wohl einmal erlebt; feiner ift „freiwillig“ gefommen, das iſt die Sache. Wir finden und als Jünglinge vor Gejegen, Sitten, Gewohn- heiten, um die wir nicht gefragt worden find — das iſt die Dual der Jugend. Mag man und immer beweifen, wie gerecht und notwendig fie find — man hätte uns fragen follen. Man mag und immer erzählen, daß fie ja nur zu unferem Glüde find — weiß man denn, ob wir glüdlich fein wollen? „Die Wahl muß ich haben,“ fagt Ellida, „die Wahl nach beiden Seiten hin.” Ihr graut vor dem Manne des Meeres, jo graut und vor Begierden, die wir aus alter Zeit her in uns drohen fühlen. Aber wir werden bon ihnen erft frei, wenn wir ung ihnen ftellen dürfen, wie fich Ellida dem {Fremden ftellt. Es gibt Dinge, die der Menſch nur bei fich ſelbſt allein abmachen Tann, und es ift der Wahn unferer Kultur, daß fie ihm dies eriparen will, indem fie ihm feine Natur zu vertuſchen glaubt, Geſetz, Sitte und Kunſt können nicht befohlen
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werben, fie müfjen erlebt worben fein. Es hilft ung nichts daß ung Eltern und Erzieher über dad Chaos in una Binwegtäufchen wollen. Es bricht doch durch und unjer Stolz verlangt, „die Wahl zu haben, die Wahl nach beiden Seiten hin". Erſt wenn wir das Chaos aus eigener Kraft überwunden haben, treten wir „freimillig” in die Kultur ein und wir fchließen uns dem Beſchluſſe der Menfchheit erſt an, wenn wir erleben, daß nicht ohne uns ſchon alles erledigt und abgetan ift, daß auch wir notwendig find, daß es auch für und noch eine „Aufgabe“ gibt. Als Ellida fih an der wirren Heinen Hilde fragt: „Sollte hier eine Aufgabe für mich fein?“, da weicht der Bann, der Dämon der barbarifchen Erinnerungen entfchwindet, die Wilingerin iſt bezähmt.
Frau Bleibtreu Hat als Ellida verfagt. Das Ner- vdfe, das Hyſteriſche, das Viſionäre oder wie man es immer nennen mag, ift ihrer fejten, in fich ficheren und Haren Natur fremd, die nach ruhiger Entfaltung verlangt, wenn fie fich in ihrer Kraft und Größe zeigen ſoll. Freilich weiß ich auch ſonſt im Burgtheater niemanden für die Rolle. Here Heine wird als fremder Mann durch feine fpige, nüchterne, verjtändige Art faft komiſch; vielleicht Tönnte man es mit Herrn Schmidt wagen. Sonnenthal wirft ja immer durch jeinen warmen und edlen Ton, aber jeinem Bangel fehlen die hübſchen Heinen Züge des alkoholiſchen Pedanten. Frau Medelsfy, Frau Retty, Herr Niſſen und Herr Trefler fpielen gar etwas ftark in den deutſchen Schwank hinüber, aber fie haben das Publikum für fich, dem erft in den leichteren Szenen des legten Altes all- mählich etwas behaglicher zu werden jchien.
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Burgtheater.
(Mutter“, Schauſpiel in einem Alt von M. E. delle Grazie. „Die ſtillen Stuben", Schauſpiel in drei Akten von Sven Lange. Am 13. Mat 1903.)
Sven Lange Hat einen merfwürdigen Roman ge— ſchrieben: Hertha Junker. Der fängt als muntere Satire mit allerlei netten einen Bosheiten an, um fich allmählich in eine traurige Liebe einzufpinnen. Jene find ganz an» genehm zu leſen, ohne doch irgend ernſter oder tiefer zu wirken. Diefe genießt man mit einer unendlichen Wehmut und man fpürt, daß hier etwas ganz Neues verfucht wird. Was hier nämlich die Leute jagen oder was über fie vom Dichter gejagt wird, iſt es nicht, daS uns rührt, ſondern auf eine geheimnisvolle Art läßt er und in ihre Stimmung geraten, ohne Worte zu brauchen; dieje Klingen und ſchwin⸗ gen nur fo mit, wir hören fie faum. Sehr reine und ftille Menjchen kommen uns nahe, nicht durch das, was fie tun oder was fie fprechen, jondern durch einen Glanz auf ihrem ganzen Weſen. Sehr ſchbne Stunden beglüden und noch in der Erinnerung, aber wir konnen eigentlich nichts von ihnen erzählen, das wäre lächerlich; wir wiffen gar nicht, wa3 an ihnen war, wir werden nur nie vergefjen, ‘wie jchön e8 war. Sehr bittere Schmerzen werden una von fieben Menſchen angetan, aber wir fönnen und nicht einmal beffagen, wir begreifen jelbft nicht, was uns fo gefränft hat, und was wir davon jagen können, das ift e3 alles nicht. Solche Dinge, den Schimmer oder die Muſik, die um manchen Menfchen ſchweben, die bange Luft unvergeßlicher Stunden, das tiefe Leid, daS ung ge-
Hermann Bahr, Gloſſen 2
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ichieht, ohne dab eine Hand erhoben oder auch nur ein Wort geiprochen wird, durch einen bloßen Blick oder durch das Schweigen oder durch den verhaltenen Gram einer geliebten Perfon, dies drüdt Sven Lange mit einer wunder- baren Macht aus.
In feinem Schaufpiel jehen wir eine junge Frau in ihrer Ehe mit einem guten Manne, den fie liebt, allmäh- lich verzagen und ſcheu und fo traurig werden, daß fie in ihrer Not jich felbft nicht mehr verfteht und ſchon einen anderen zu lieben glaubt, bis fie, jchon bereit, mit diefem zu entlaufen, plöglich erfennt, daß es doch jener ift, dem fie mit ganzer Seele gehört, und in ihrer Verwirrung, ihrer Scham Gift nimmt. Alfo die alte Gefchichte, wird man jagen, von der unverftandenen oder unbefriedigten Frau, die es nach Abenteuern lodt und die doch zu an- ftändig oder zu feig ift, ihrer Leidenichaft zu folgen. Ja und nein. Gewiß find es immer die alten Gejcichten, die unter den Menjchen gejchehen. Cs jpürt fie nur jeder anders. Hier wird gezeigt, wie wir fie ſpüren. Sonſt hie es in den Romanen oder in den Stüden immer: Sie liebte ihren Mann nicht mehr, fie liebte einen andern. Wobei ich doch immer dag Gefühl habe: Glüdliche Frau die ihrer Empfindung fo ficher ift und darin ſolche Ordnung hält, die da8 Datum fennt, wann fie zu lieben angefangen oder aufgehört hat, die weiß, wen fie liebt! Im Leben, hab ich gefunden, ift daS anders. Wir begehren, vie. ge: nießen, aber nachdem es aus ift, fält uns fpäter plöglich einmal ein: War das damals eigentlich Liebe? Und wir wifjen es nie. Wir fünnen nur vermuten. Wielleicht im erften Taumel, ein paar Tage, ein paar Wochen. Aber
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iſt das Liebe? Selbſt Romeo — hat er eigentlich geliebt ? Nicht bloß begehrt, ſondern ſo geliebt, wie jede junge Frau geliebt zu werden und zu lieben träumt ?
Bei diefer Frage ift Frau Helga angefommen. Liebt ihe Dann fie noch? Liebt fie ihn noch? Sie vermikt wohl die ftarfe und heftige-Emotion der erften Begierde. Sie fühlt etwas aus ihrem Leben entſchwinden, entgleiten. Sie Löjt fich allmählich von ihrem Manne los, fie wird einſam, fie fragt und grübelt und fehnt ſich. Hätte fie nun einen brutalen und finnlichen Mann, fo würde diefer, dur ihr verändertes Weſen ftugig, gereizt und wütend, jeine Eiferjucht, feinen Neid, feine Sorge fo gewaltſam entladen, daß es unter Flüchen und Tränen ſchließlich doch wieder die Emotion geben würde, die ihr fehlt. Niels Theyſen aber, ihr Gatte, iſt einer jener ftillen, verleglichen und fprachlojen Menſchen, die Sven Lange liebt. Er kann nicht toben, nicht Elagen, er explodiert nicht, er würgt alles ftumm in fich hinein, befommt höchſtens Kopfweh davon und zeigt nicht, was in ihm geichieht. Und, was feine eigentliche Schuld gegen die Frau ift: er will gerecht gegen fie jein und ihr ihre volle Freiheit laſſen. Er jpürt, daß fie ſich allmählich von ihm entfernt. Statt fie nun mit aller Macht an fich zu ziehen, wodurch alles wieder gut werden Tönnte, hat er das Gefühl: Dies wäre häßlich, ich darf fie ‚nicht ftören, in ihr geht irgend etwas vor, derlei muß jeder Menſch bei ſich allein abtun, dann wird. fich ja zeigen, ob fie mich noch liebt, und wenn fie mich nicht mehr liebt, foll fie frei fein!. So quält er fich und ahnt nicht, daß er fie damit noch viel mehr quält. Sein Irrtum iſt nämlich, mit der Liebe einer Frau wie mit einer ficheren
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Größe zu rechnen. Er denkt immer: Das ift ihre Sache, ich darf fie nicht zwingen! Liebe ift aber nichts ala Zwang: dag weiß er nicht. Was Frauen als Liebe empfinden, ift nur die durch fie ftrömende Straft des Mannes, der fie will. Hört diefe zu wirken auf, fo ift es für das Gefühl der Frau ganz gleich, ob es aus Überdruß, aus Un- treue oder aus einer faljchen Gerechtigkeit geichiet. Sie fühlt fich nur verlafjen und davon, daß er ſich im Stillen abhärmt, Hat fie nichts; fie will bezwungen fein. In diefem faft unheimlichen Verhältniffe zweier Menichen, das man Liebe nennt, Tommt es eben wahrjcheinlich gar nicht darauf an, was jeder von ihmen bei fich fühlt, fondern nur darauf allein, was er den anderen fühlen läßt.
So zarte und gefährliche Dinge werden in biejem Stüd mit einer unbejchreiblichen geiftigen Anmut dargeftellt. Ganz feltiam tft dabei, wie der Dichter das Wort be- handelt. Er erinnert darin an Strindberg. Strindberg tft der erfte geweſen, der das Wort völlig zurückgedrängt hat, jo daß es eigentlich wenig bedeutet, was jeine Men⸗ chen jagen; das Wort wirkt bei ihm nur noch als Farbe oder wie die Maler das nennen: als Valeur im Ganzen. Darum verlangt er auch Echaufpieler, die nicht bloße Referenten“ des Tertes find, jondern die mimiſche Kraft haben, uns durch den Blick, die Gefte und ihr ganzes Weſen mehr von fich wiſſen zu laſſen, als jie jagen dürfen. Ebenſo Sven Lange in diefem Stüd, das vermutlich erſt im Berliner „Kleinen Theater“ erjcheinen wird, wie es wirklich iſt. Hier traf nur Herr Korff anfangs ungefähr
den Ton. Die anderen jpielten daran fo grotesf vorbei, |
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daß das Publikum eigentlich recht Hatte, das feine und melancholifche Stück auszufichern.
Der Akt des Fräuleins delle Grazie, zum Zyklus „Bu ſpät“ gehdrend, zeigt wieder, daß es dem Fräulein leider immer an der plaftiichen Straft fehlt, ihre Intention zu geftalten. Sie hat gewiß allerhand zu jagen, aber fie jagt e8 eben immer nur, fie ftellt es nicht dar, wir hören in einem fort reden, aber wir jehen nichts, nichts wird lebendig, nichts fteht da. Doch wird ihr Stück wenigſtens in zwei Rollen gut gejpielt: Die klare, ſcharfe, eindring- liche Art der Frau Mitterwurzer und Sonnenthals warmer edlet Ton Klingen vortrefflich zufammen.
Geſchäft ift Geſchaft. (Komödie in drei Akten von Detabe Mirbeau. Zum erſten Male aufgeführt im Burgtheater am 2. Ottober 1908.)
Bon Mirbeau wird erzählt, es fei, ald er noch ein Heiner Bub war, feine Paſſion geweſen, fich ungeitüm, wenn er einen Wagen ſah, vor die Pferde zu werfen, neu» gierig, ob es dem Kutjcher gelingen würde, fie noch zurüdzu- tigen. Als er daheim nicht mehr zu bändigen war, wurde er nach Vannes zu den Jefuiten in die Schule ge- ſchict, woran man feine Erinnerungen im Sebaſtien Roch nachleſen mag, und kaum fiebzehn kam er nach Paris, um Juriſt zu werden, er zog aber die Heinen Mädchen vor. Bald finden wir ihn im Ordre bei den Bonapartiften, wo er über Malerei jchreiben foll, doch durch feine Begeifterung für Manet und feine Wut auf die „Alten“ unmöglich wird. Er wendet ſich zur Kritik über die Theater, Tann fich aber
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ſoll, daß er ihn aufgeleſen hat, und kuſchen muß, wenn
“er ihn anſchreit. Oder mit ſeinem Gärtner, deſſen Frau die Frechheit hat, ein Sind zu kriegen, ohne ihn zu fragen — und nur feine Kinder im Haus, das ruiniert den Raſen. Aber jonft, wenn man ihn nicht reizt, fann er mit feinen Leuten ganz liebenswürdig und nett jein. Er hat in jeinem Blatt einen jungen Menichen, für den er alles tut, weil er jo ſpaßig ift, die Sarah Bernhardt kopiert und mit der Nafe Klavier fpielen fann. Er hat es überhaupt gern, wenn man gemütlich ift. Nur feine langen Geſchichten machen, die Menjchen find alle Brüder, nur gemütlich! J’aime qu’on soit rond. J’aime qu’on se tutoie. Nous ne sommes pas des gens de l’ancien rögime, nous autres, des comtes, des ducs. Nous sommes de francs dömocrates, pas vrai? Des travailleurs.. Man muß das Leben genießen! Leben und Ieben laſſen! Auer natürlich in Geſchäften. Das ift etwas anderes, Das muß man zu trennen wifjen.
Und er beweift, daß er es zu trennen weiß. Es wird ihm ein Gefchäft angetragen. Bon zwei Ingenieuren. Die möchten nämlich ihn Hineinlegen. Sie find aber doch nur kleinere Gauner. Er bat das gleich weg und e& dauert Taum eine Stunde, jo freffen fie ihm aus der Hand. Er diftiert ihnen feine Bedingungen. Sie ziehen ſich zurüd, den Vertrag aufzujegen. Einftweilen nimmt er den Marquis v. Porcelet vor und zwingt ihn, für feinen Sohn um die Hand des Fräuleins Lechat zu bitten. Da geſchieht es, daß diefe widerfpricht: „Ich bin nicht mehr frei, ich habe einen Geliebten." Lechat fährt auf, tobt, droht, fie gibt nit nad), er jagt fie hinaus — „mag fie vor Hunger
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ſchwankt immer zwiſchen den beiden Typen. Aber manchmal vereinigen fie ſich. In Diderot zum Beiſpiel. Und Mirbeau hat wirklich etwas von Diderot. Dies ſind Menſchen, in welchen eine durch viele Geſchlechter verhaltene und auf- geiparte Energie fich plöglich entladen muß. Sie fragen nicht viel, fie werfen fich vor die Pferde. Die Kraft muß heraus. Aber in jenen Gejchlechtern, von welden fie ftammen, ift zur felben Zeit viel Erfahrung und Kenntnis der Welt angejammelt worden, die fich nicht verliert. Da- her der Philojoph im Abenteurer. Und fo blinzelt der fleine Bub unter den Hufen neugierig hervor, wie ſich der Kutjcher benehmen und welche „Pointe“ jein Abenteuer haben wird. Dieſe Menſchen reizt es, alles zu erleben, aber doch eigentlih nur, um davon hübſch erzählen zu finnen, dann genießen jie es erjt: niemals im Moment ſelbſt, ſondern erjt in Literatur abgezogen. Weshalb fie & auch gar nicht erwarten können, den Moment in Dar« ftelung zu verwandeln, und in der einen Hand noch das Schwert, tapfer um fich ſchlagend, mit der anderen ſchon gleich alles notieren, ‚wobei e3 ihnen denn begegnet, daß fie fi manchmal in ihren Gegner plögfich verlieben, bloß weil er eine jo ſchöne Notiz gibt. So ift auch dieſe Ko— mödie Mirbeaus offenbar entftanden, in der er fich mit feiner ganzen Wut auf den großen Geldmenfchen ftürzt, dann aber in der rein Fünftlerijchen Luft an der Figur auf einmal den Polemiften vergißt und aus Kunſtgefühl menfch- lich gerecht wird.
Man wird bei ung vielleicht finden, das ſei gar fein Süd. Es hat feine Handlung, es geſchieht nichts im ge- meinen Sinne, es geht nicht? vor, was die Komteſſen
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„Ipannen“ Zönnte. Bei Moliere auch nicht. Es wird nur ein Menſch gezeigt. Dies aber mit einer Kraft und einer fünftlerifchen Freude, die man eigentlich Mirbeau doch gar nicht zugetraut Hätte. Sonft hat ihn immer feine Laune oder auch der Haß Hingerifien, fich perjönlich ein- zumifchen. Aber hier ift fein Gefühl der Figur jo ftark gewejen, daß es ihn völlig aufgejogen Bat. Er hat in feinem ganzen Leben nichts geichaffen, was fich mit ihr vergleichen konnte.
Iſidore Lechat Heißt der Mann. Banfier, Brasseur d’affaires, hat fünfzig Millionen. Woher ? Verdient, heißt &. In „Geihäften“. Bald fo, bald jo. Überall. Nicht immer ganz reinlich. Meiftens nicht. Hat auch einmal mit dem Gericht zu tun gehabt. Böje Geſchichte. Wie ja die meiften, das gehört dazu. Heute Hat er fünfzig Millionen, Hat ein Hiftoriches Schloß, hat eine Zeitung, der Minifter iſt jein Freund, fein Sohn ift im vorneßmften Klub — wer denkt da noch an die alten Saden? Und wenn — des cretins, jagt er, je m’en fiche! Er fennt die Menjchen. Sie tun nur manchmal ein bißchen mo- raliſch. Aber das Geld ift ftärker. Er wird deswegen doch in die Kammer gewählt werden und wird feine Tochter mit dem jungen Marquis von Porcellet verheiraten. Das Geld kann alles. Er ift noch mit allen Vorurteilen fertig geworden, man muß die Menfchen nur zu nehmen wifjen. Und man muß nur das Gejchäft verjtehen. Geichäft iſt alles. Und er verfteht es. Weil er fich Har ift, darauf fommt e3 an: nur feine Phrajen ... Klarheit, Tatjachen, Geld! Man muß wiffen, was man will. Il faut faire de la philanthropie ou des affaires. Alles zu jeiner
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Zeit. Das iſt jo merkwürdig, daß das manche nicht bes greifen wollen. Gejchäft ift doch Geſchäft. Wie Tann man da jentimental fein? Es iſt vielleicht fein ganzes Talent, daß er in Gejchäften niemals jentimental ift. Andere müßten aud), wie der große Coup zu machen wäre. Aber dann jagen fie ſich: das kann man doch nicht tun, aus Rückſicht auf diejen, aus Mitleid mit jenem. Lechat fagt fi das nie. Wodurch man Geld verdient, das fann man immer tun. Er ift fonft eigentlich ein ganz gutmütiger Menſch. Er erträgt geduldig die Launen feiner albernen, ängftlichen, geſchwätzigen Frau, die Verfchwendungen jeines Sohnes, der ein Ged ift, und jelbft die trübe Stimmung feiner ernften Tochter, die er gar nicht ‚verjteht, weil fie ſich feiner ſchämt, weil fie in feiner Luft faſt erſtickt, weil fie fi) Hinausfehnt, ing Elend ... lieber ungern und frieren, aber ein ehrlicher Menjch fein dürfen! Er lacht darüber — wie eben die jungen Mädchen Heute find, nervös
. und leſen Romane und Verſe zujammen, lauter dummes Zeug, „ich,“ fagt er, „ich leje nie. Ich habe in meinem Leben nichts gelefen. Das ift mein Stolz. Und das hindert nicht, daß ich Iſidore Lechat bin, Schloßherr von Vauperdu, Millionär und Eigentümer einer Zeitung, durch welche ich die öffentliche Meinung in Politik, Philo— fophie umd Literatur beherrſche.“ Er macht fich jelbft darüber luſtig. Das Leben kommt ihm eigentlich unge heuer komiſch vor, weil die Menſchen alle jo dumm find. Nur dürfen fie dann nicht noch frech fein. Wenn fo ein dummer Kerl, der nicht? Hat, ſich vor ihm nicht Duden will, dann fann er jehr unangenehm werden. So mit feinem Verwalter, einem verarmten Vicomte, der froh fein
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ſoll, daß er ihn aufgeleſen hat, und kuſchen muß, wenn
“er ihn anſchreit. Oder mit feinem Gärtner, deſſen Frau die Frechheit hat, ein Sind zu kriegen, ohne ihn zu fragen — und nur feine Stinder im Haus, das ruiniert den Raſen. Aber jonft, wenn man ihn nicht reizt, kann er mit feinen Leuten ganz liebenswürdig und nett jein. Er Bat in jeinem Blatt einen jungen Menichen, für den er alles tut, weil er jo ſpaßig ift, die Sarah Bernhardt fopiert und mit der Nafe Klavier fpielen kann. Er hat es überhaupt gern, wenn man gemütlich ift. Nur feine langen Gejchichten machen, die Menjchen find alle Brüder, nur gemütlich! J’aime qu’on soit rond. J’aime qu’on se tutoie. Nous ne sommes pas des gens de l’ancien r&gime, nous autres, des comtes, des ducs. Nous sommes de francs dömocrates, pas vrai? Des travailleurs. Man muß das Leben genießen! Leben und Ieben lafjen! Außer natürlich in Gejchäften. Das ift etwas anderes. Das muß man zu trennen wifjen.
Und er beweift, daß er e3 zu trennen weiß. Es wird ihm ein Geſchäft angetragen. Von zwei Ingenieuren. Die möchten nämlich ihn hineinlegen. Sie find aber doch nur Heinere Gauner. Er bat das gleich weg und es Dauert Taum eine Stunde, jo freffen fie ipm aus der Hand. Er diftiert ihnen feine Bedingungen. Sie ziehen fich zurüd, den Vertrag aufzujegen. Einftweilen nimmt er den Marquis dv. Porcelet vor und zwingt ihn, für feinen Sohn um die Hand des Fräuleind Lechat zu bitten. Da gejchieht es, daß dieſe widerjpricht: „Sch bin nicht mehr frei, ich Habe einen Geliebten.“ Lechat fährt auf, tobt, droht, fie gibt nicht nad), er jagt fie hinaus — „mag fie vor Hunger
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krepieren, das wird meine Rache ſein, meine Luſt!“ Aber während er noch raſt, bringt man ſeinen Sohn, ſeinen Stolz, zerſchmettert heim; er iſt mit dem Automobil ge— ſtützt. Das trifft ihn furchtbar, er taumelt, er wankt, er weint, vielleicht zum erften Mal. Da fommen die beiden Ingenieure mit dem Vertrag. Sie haben von dem Unglüd ion gehört, fie fuchen ihn zu tröften, fie ſprechen ihm zu... nur, fie müffen dann gleich fort, ihr Zug geht und deshalb, jo peinlich es fft, in einem ſolchen Moment von Geſchäften zu reden, aber er braucht ja nur zu unter- ichreiben, der Vertrag enthält genau, was fie beiprochen haben. Und fie legen ihm das Papier hin. Er joll nur ſchnell unterjchreiben. Er nimmt das Papier. Seine Augen find noch naß, feine Hand zittert, er fann kaum ftehen. Aber er lieft. Geſchäft ift Geſchäft. Und nachdem er ge» lejen hat, fieht er die beiden an: „Ihr feid Schufte! Diebe! Ihr Habt den Vertrag gefälfcht, im Vertrauen auf meinen Schmerz!" Und er zwingt fie, den Vertrag noch einmal zu fchreiben, mit viel härteren Bedingungen für fie, die er ihnen mit feiter Stimme diltiert. Man meldet, daß die Leiche ſchon über die Stiege getragen wird. Gleich, jagt er, und er diftiert erft aus. Dann unterzeichnen Tie. Er lieſt ihn noch einmal durch, unterzeichnet auch und geht zu jeinem toten Sohn. Dieje furchtbare Szene ift von einer Kraft, von einer Größe, die man doch nur mit den ganz großen Momenten bei Balzac vergleichen Tann.
Den Lechat gibt Herr Heine. Schaufpieleriich in manden Momenten ganz intereffant, gar wenn man be-, denkt, daß fich fein ganzes Wejen gegen die Rolle fträubt. Schon phyſiſch. Die Menfchen (man denke, wie oft Forain
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den Typus, immer wieder, gebracht hat) find groß, breit, maffig, mit plumpen Füßen und fleifchigen Tagen und enormen Bäuchen. Sie puften, fie | hnauben, fie fchwigen, alles gejchieht mit Getdje und wenn ihre fette Stimme flüſtern will, grunzt fie. Es gröhlt, wenn fie lachen, und fie lachen in einem fort und huſten vor Lachen und ſchneuzen ſich und rülpfen und fpuden. Dieſe unappetitlich triefende Bonhomie gehört aber zu ihrem Metier, fie können nicht wirfen, geht nicht ein gewiſſes jchmalziges Behagen von ihnen aus, das über ihren böfen Ruf täufcht. Wenn man zu ihnen geht, jagt man fich auf der Stiege: Mic joll der Gauner nicht fangen, ich weiß, wer er ift! Und dann Hopfen fie einem auf den Bauch und erzählen jchmierige Aneldoten und lärmen lachend herum. Und wenn man dann von ihnen geht und erſt nach und nach merkt, wie betrogen man iſt, jagt man ſich auf der Stiege: Daß das ein ſolcher Gauner ift, hätt’ ich doch nicht gedacht — aber ein famofer Kerl und fo furchtbar komiſch! Nun aber der fleine, pie, dünne, faure, fcharfe Herr Heine, dem man den Bdjewicht am der Nafe abfieht! Freilich wird man fragen: wer ſonſt? Vielleicht am ehejten noch Herr Schmidt. Auch Frau Medelsky paßt für die Germaine gar nicht. „Une intellectuelle“, jagt der Vater von ihr. Geiftig ift fie ihren Eltern entwachien und ihr Grimm, ihre Ekel, ihr Schmerz, alles kommt aus dem Kopfe Es ift aber gerade das Talent der Medelsky, daß bei ihr nicht3 aus dem Kopfe kommt. Und nun jollte gar noch Frau Schmittlein, immer vortrefflih, wenn es Schärfe, Energie und Überlegenheit gilt, die einfältige, wirre und Hilfloje Frau Lechat fein! So war es denn fein Wunder,
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daß dem Publikum, das den Sinn des Stückes in dieſer heilloſen Entſtellung nicht erraten konnte, zuletzt die Ge⸗ duld riß.
Der Strom. (Drama in drei Aufzügen von May Halbe. Zum erften Mal auf- geführt im Burgtheater am 19. Dftober 1903.)
An der Weichſel. Durch das Fenſter fieht man auf den hohen Deich hinaus, Es ſchneit und der Strom liegt feit, liegt und Iauert; man hört nur manchmal fo ein Knacken md Knallen mitten im Eis, dann ift wieder alles ftill. Und der Sturm bläft ivie verrüdt, auf dem Damm kann man fi kaum halten. Es ift die böje Zeit, jeden Tag fann der Strom ausbrechen; denn die ift wie ein wildes Vieft, die Weichjel, wie jo ein wildes Bieft auf dem Jahr- markt. So lange die Eifenftange hält, lacht man, wenn & brülft und den Rachen zeigt. Aber wenn die Eiien- fange Ioder wird! Und eine jolche Eifenftange iſt das hohle Knie bei der Wachtbude drüben, wo der Damm änmal ſchon beinahe nachgegeben hat. Dann bricht das Vieft durch und frißt alle zufammen auf. In diejer Angit leben fie. Steiner weiß, ob der Strom nicht morgen fein Gut verfehlingt, mit den Eisichollen anrüdend wie im Sturm, und dann kann er betteln gehen.
Der Hof gehört dem Peter Doorn. Sein Bruder Heinrich tft in der Fremde draußen, tief unten im Süden, am Rhein. Jakob, der andere Bruder, erſt fiebzehn, dient auf dem Hof. Er hat nichts lernen dürfen, er muß immer im Stall beim Vieh fein. Das hat ihn wire und mild
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haben zwei Rehe geſtanden, die ſind wer weiß wie weit von oben gekommen und haben mitmüſſen runter zur See. Ganz merkwürdig haben die beiden ausgejehen im halben Mondlicht. Neben mir hat das Waffer jo komiſch gegludit und am Damm gefteffen. Da hab’ ich mir gejagt, was du da fiehft, ift wie ein Bild. Der Strom, der ift das Leben oder das Schidfal oder jo was, und die Menfchen, das find die Eisfchollen, die ziehen fo reihenweiſe runter zur See! Da ift es mir fo frei und leicht ums Hey geworben, ich hab’ jo 'n Gefühl nie vorher gefannt, und wie die beiden Rehe vorüber getrieben find, weißt du, woran ich da gedacht hab’? Ich Hab’ gedacht, das ift der König und die Königin... Sa! Und der König, der war ich, und die Königin, die warft du.“ Renate fchidt ihn fort. Die Brüder kommen. Heinrich will nun ab- rechnen mit Peter. Aber diefer verweigert es: „Nichts geb’ ih zu! Es ift alles erftunfen und erlogen, was Dir gejagt ift. Du haft dich von einer Wahnfinnigen beſchwatzen laſſen! Bon einer Najenden, die nicht weiß, was fie tut und was fie fpricht!" Sie follen fehen, ob fie es ihm beweifen Zönnen, beweijen! Sie follen fich ihren Teil vom Gericht Holen! Hier aber ift er noch der Herr. Und er jagt fie hinaus, alle beide, gleich, den Heinrich und den Jakob, und wer nicht freiwillig vom Hofe geht, ben wird er mit den Hunden hegen! Satan, ſchreit Jakob auf, aber „ich will mir die Hand nicht ſchmutzig machen, ich weiß ein beſſeres Mittel für dich, du ſollſt am mich denken!“ Und raſend hinaus und den Damm hinauf und fängt zu graben an und draußen ſchreit's: der Damm wird durch- geitochen! Aber Peter ihm nach, Elettert Hinauf, rennt
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ihn von unten an, jetzt haben ſie ſich, jetzt halten ſie ſich, Jakob wirft den Spaten weg, fie halten ſich gepadt, fie ringen Bruft an Bruft, und immer näher zum Rand, immer näher zum Strom, noch einen Schritt und noch einen Schritt, fie Halten ſich überm Rand, fie haben fich bei der Gurgel, fie ftürzen, der brüllende Strom reißt fie fort.
In diejem ſchweren und finfteren und atemlog ächzen- den Schaufpiel wirft wieder Halbes Gefühl für die Natur, für Erde und Strom, für Wetter und Wind jehr ſtark und wir fpüren, wie nahe ihm folche Menfchen mit einem Dtto Ludwig-Zug gehen müſſen. Uns fommen fie freilich jeltfam vor. Die Weichjel ift weit und und die Art diefer Leute, fich voreinander jahrelang zu verwahren und ver- halten, heimlicher als es uns im täglichen Bufammenfein möglich wäre, dann aber wieder plöglich fo Ioszufahren und ſich, in alle Winkel hinein, preiszugeben, wie wir es auch wieber, felbft in der letzten Leidenichaft von einer gewiffen Scham oder doch Verlegenheit niemals frei, und nicht denken fünnten, diefe tieriich dumpf hinbrütende, dann aber wie ein Geſchwür ausbrechende Art werden wir viel- leicht verftehen, aber kaum jemals mitempfinden fünnen.
Fräulein Witt ift zu ſehr Dame für die Renate, der vielleicht Frau Bleibtreu eher beigefommen wäre, und Herrn Nifjens bürgerlicher Bieberfeit glaubt man den verichlagenen Deichhauptmann ſchwer. Vortrefflich waren Herr Reimers, der in folchen deutſchen Nollen einen wunderbar einfachen und wahrhaften Ton hat, und Herr Gimnig. Halbe wurde nach dem zweiten und dritten Akt ftürmifch gerufen.
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Novella d Andrea.
Gchauſpiel in vier Aufzügen von Ludwig Fulda. Zum erſten Mal aufgeführt im Burgtheater am 21. November 1903.)
Giovanni d’Andrea, der greife Lehrer des Rechts in Bologna, Hat zwei Töchter, die zierlich heitere Bettina, ein „Loje® Jungfräulein“, und die ftrenge männliche No- vella, die ihre Jugend in Folianten vergräbt und Dem Ehrgeiz hat, in Gelehrjamfeit jo Hoch zu jteigen, als ihr berühmter Vater fteht. Diefe it alſo, was man Heute eine „Emanzipierte“ nennt. Sie ſpürt die Kraft und den Stolz ihrer neuen Zeit jehr ftark und erträgt es nicht, daß e3 immer nur die Männer fein follen, die ringen und er- obern dürfen —
Und nur wir Frauen follen ſeitwärts ftehen,
Nur wir dem Heildruf unfer Ohr verſchließen, Im engen Kreis von Heinen Müh'n und Pflichten Freiwillig blind und taub fein für das Große, Das aller edlen Männer Dafein füllt?
Es Iodt fie, e8 den Männern gleich zu tun, in welchen ſich „alles Menschliche zum ſchwellenden Afkord“ vereinen darf:
D, wär ich doc ein Mann! Wir ahnen nicht, Was Leben heiß, und werden's nie erfahren. Nur ein paar Schlüdchen, forgiam durchgefiltert, Doc nie den ganzen, vollen ftarfen Trank!
Darum gibt fie fich gierig der Wiffenfchaft hin, von Sangiorgo gefördert, einem jungen Gelehrten, bis fie fo weit ift, daß fie ſich den beften Schüler ihres Vaters
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mennen darf. Nun fordert fie aber auch, Öffentlich zu wirken wie der Vater und jener Freund.
Ja, hört mid an. Was meine Wangen glühen macht, ift nicht Das Fladerlichtlein wandelbarer Laune ; Dies Feuer, von euch beiden angezündet, Bon euch geihürt, kann nur mit meinem Leben Berlöfchen ; denn es warb mein Leben felbft- Das Reich, in dem du König bift, mein Vater, Ich, durch Geburt die Nächte deinem Thron, Lernt es mit deinen Augen jehn und lieben; Und wenn bu warnend oft das Haupt gefchüttelt, Ja, nur mit Zögern deines Geiftes Schäge Bor mir erſchloſſen — mir erftand ein Helfer In unferm Freund; er reichte mir die Hand, Ein wack'rer Mentor, dem es nichts verſchlug, Daß Telemach diesmal ein Mädchen war, Und führte mich hinan, bis meinem Blick Nicht fürder ſchwindelte, mein Fuß nicht mehr Zu ftraucheln drohte, nur mit jedem Schritte Die Ausfiht freier ward auf deine Welt Solt’ ich zurüd? Vergabwärts wieder fteigen Ins dumpfe Tal? Ich hätt’ es nicht vermocht, Und fo befchloß ich denn: ich mil zum Gipfel.
Der Vater, der Freund erfchreden. Der Alte warnt:
D, meine Tochter, glaub mir, einen Sohn, Der alfo fpräche, ſchlöß' ich an mein Herz Und hieße mich den glüdlichften der Väter. Jedoch fo unerhört ift, was bu planft,
So weit von allem Brauch, ber bein Geſchlecht Seit Alterd in beſcheid'm Schranken zwingt, Daß furchtbeklommen meine Seele zittert
Und forgend mahnt: Bedenke, wer du bift!
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haben zwei Rehe geftanden, die find wer weiß wie weit von oben gelommen und haben mitmüfjen runter zur See. Ganz merkwürdig haben die beiden ausgejehen im halben Mondlicht. Neben mir hat das Waſſer fo komiſch gegludit und am Damm gefreffen. Da hab’ ich mir gejagt, was du da fiehft, ift wie ein Bild. Der Strom, der ift das Leben oder das Schidfal oder jo was, und die Menjchen, das find die Eiöfchollen, die ziehen fo reihenweife runter zur See! Da ift es mir fo frei und leicht ums Herz geworben, ich hab’ fo ’n Gefühl nie vorher gelannt, und wie bie beiden Rehe vorüber getrieben find, weißt bu, woran ich da gedacht hab’? Ich Hab’ gedacht, das ift der König und die Königin... . Ja! Und der König, der war ic, und die Königin, die warft du.” Renate chic ihn fort. Die Brüder Tommen. Heinrich will nun ab» rechnen mit Peter. Aber diefer verweigert es: „Nichts geb’ ich zu! Es ift alles erftunfen und erlogen, was dir gejagt ift. Du haft dich von einer Wahnfinnigen beihwagen laſſen! Bon einer Rafenden, die nicht weiß, was fie tut und was fie ſpricht!“ Sie follen jehen, ob fie es ihm beweifen Zönnen, beweijen! Sie follen fich ihren Teil vom Gericht holen ! Hier aber ift er noch der Herr. Und er jagt fie hinaus, alle beide, gleich, den Heinrich und den Jakob, und wer nicht freiwillig vom Hofe geht, den wird er mit den Hunden hegen! Satan, fchreit Jakob auf, aber „ich will mir die Hand nicht ſchmutzig machen, ich weiß ein beſſeres Mittel für dich, du ſollſt an mich denken!“ Und rafend Hinaus und den Damm hinauf und fängt zu graben an und draußen ſchreit's: der Damm wird durch⸗ geſtochen! Aber Peter ihm nach, klettert hinauf, rennt
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ihn von unten an, jet haben fie fich, jegt Halten fie fich, Iafob wirft: den Spaten weg, fie halten fich gepadt, fie tingen Bruft an Bruft, und immer näher zum Rand, immer näher zum Strom, noch einen Schritt und nod einen Schritt, fie halten ſich überm Rand, fie haben fich bei der Gurgel, fie ftürzen, der brüllende Strom reift fie fort.
In diejem ſchweren und finfteren und atemlos ächzen- den Schaufpiel wirft wieder Halbes Gefühl für die Natur, für Erde und Strom, für Wetter und Wind jehr Stark und wir fpüren, wie nahe ihm ſolche Menjchen mit einem Otto Ludwig-Zug gehen müffen. Uns kommen fie freilich ſeltſam vor. Die Weichjel ift weit und und die Art diefer Leute, fich voreinander jahrelang zu verwahren und ver- halten, heimlicher als es uns im täglichen Bufammenjein möglich wäre, dann aber wieder plöglich fo loszufahren und fich, in alle Winkel hinein, preiszugeben, wie wir es auch wieder, ſelbſt in der legten Leidenichaft von einer gewiffen Scham oder doch DVerlegenheit niemals frei, und nicht denfen fünnten, dieſe tierijch dumpf hinbrütende, dann aber wie ein Geſchwür ausbrechende Art werden wir biel« leicht verftehen, aber faum jemals mitempfinden können.
Fräulein Witt ift zu fehr Dame für die Renate, der vielleicht Frau Bleibtreu eher beigefommen wäre, und Herrn Nifjens bürgerlicher VBiederfeit glaubt man den verſchlagenen Deichhauptmann fehwer. Vortrefflih waren Herr Reimers, der in ſolchen deutjchen Rollen einen wunderbar einfachen und wahrhaften Ton hat, und Herr Gimnig. Halbe wurde nach dem zweiten und dritten Aft ſtürmiſch gerufen.
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Novella d Andrea.
(Schaufpiel in vier Aufzügen von Ludwig Fulda. Zum erſten
Dal aufgeführt im Burgtheater am 21. Rovember 1903.)
Giovanni d’Andrea, der greiie Lehrer des Rechts in Bologna, hat zwei Töchter, die zierlich heitere Bettina, ein „loſes Jungfräulein“, und die ftrenge männliche No— vella, die ihre Jugend in Folianten vergräbt und den Ehrgeiz hat, in Gelehrjamfeit jo hoch zu jteigen, als ihr berühmter Vater fteht. Diefe ift alfo, was man heute eine „Emanzipierte“ nennt. Sie ſpürt die Kraft und den Stolz ihrer neuen Zeit jehr ſtark und erträgt e3 nicht, daß es immer nur die Männer fein follen, die ringen und er- obern dürfen —
Und nur wir Frauen follen feitwärts ftehen, Nur wir dem Heildruf unfer Ohr verfchließen, Im engen Kreis von Heinen Müh'n und Pflichten Freitvillig blind und taub fein für das Große, Das aller edlen Männer Daſein fült?
Es lockt fie, e8 den Männern gleich zu tun, in welchen fi „alles Menſchliche zum ſchwellenden Alkord“ vereinen darf:
D, wär ih body ein Mann! Wir ahnen nicht,
Was Leben heiß, und werden's nie erfahren.
Nur ein paar Schlücdkhen, ſorgſam durchgefiltert,
Do nie den ganzen, vollen ftarfen Trank!
Darum gibt fie ich gierig der Wifjenfchaft Hin, von Sangiorgo gefördert, einem jungen Gelehrten, bis fie jo weit ift, daß fie fich den beiten Schüler ihres Vaters
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nennen darf. Num fordert fie aber auch, Öffentlich zu wirfen wie der Vater und jener Freund.
Ja, hört mid an. Was meine Wangen glühen macht, ift nicht Das Fladerlichtlein wandelbarer Laune; Dies Feuer, von euch beiden angezündet, Bon euch gefhürt, lann nur mit meinem Leben Berlöfchen ; denn es warb mein Leben felbft- Das Reich, in dem du König bift, mein Bater, Ich, durch Geburt bie Nächite deinem Thron, Lernt es mit deinen Augen fehn und lieben; Und wenn bu warnend oft das Haupt gefchüttelt, Ja, nur mit Zögern beines Geiftes Schäge Bor mir erſchloſſen — mir erftand ein Helfer In unferm Freund; er reichte mir die Hand, Ein wad'rer Mentor, dem es nichts verfchlug, Daß Telemach diesmal ein Mädchen war, Und führte mic hinan, bis meinem Blick Nicht fürder ſchwindelte, mein Fuß nicht mehr Bu ſtraucheln droßte, nur mit jedem Schritte Die Ausficht freier ward auf deine Welt Sollt' ich zurüd? Bergabwärts twieber fteigen Ind dumpfe Tal? Ich hätt’ es nicht vermocht, Und fo beſchloß ich denn: ich will zum Gipfel.
Der Vater, der Freund erjchreden. Der Alte warnt:
D, meine Tochter, glaub‘ mir, einen Sohn, Der alfo fpräche, ſchlöß' id} an mein Herz Und hieße mich den glüdlichften der Väter. Jedoch fo unerhört if, was du plant,
So weit von allem Brauch, der bein Geſchlecht Seit Alters in beſcheid'm Schranfen zwingt, Daß furchtbeflommen meine Seele zittert
Und forgend mahnt: Bedenke, mer bu bift!
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Der Freund aber faßt ſich raſch.
Wahrhaftig, nein! Mich ſelbſt würd' ich verleugnen,
Rief id} bewundernd nicht euch Beifall zu.
Novella hat, ſo dünkt es mich, mein Lehrer,
Das Vorrecht jeder ſeltenen Erſcheinung
Auf eig'nen Maßſtab und Geſetz. Ihr Mut,
Ihr Geift, ihr tiefer Ernſt, ihr reiches Wiffen
Stellt fie den beften Männern völlig gleich;
Nicht und geziemt ed, Schranken aufzurichten,
Wo die Natur in einer Sonntagslaune
Ste fortgeräumt.
Und fo geſchieht es, fie jegt ihren Willen duch, fie darf auf das Satheder. Aber die wilden Scholaren, jehr ſchlimme Buben, toben fo, daß fie nicht fprechen Tann. Einer erklärt es ihr:
Nicht Kränkung iſt's für euch, wenn wir Scholaren Unfähig find, gefammelt und gefaßt
Das Eherecht von Euch trattiert zu hören,
Als wäret Ihr ein fchrumpfliger Magifter ;
Nicht Krankung ift es fondern Hulbigung.
Blut und nicht Tinte fließt in unfern Adern, Und unfer Herz ift nicht aus Pergament. Fünf Sinne haben wir; wenn Ihr verlangt, Daß Euch von biejen einzig nur das Ohr Sic widmen fol, dann müßten wir zubörberft
Blind werden wie die Göttin Themis felbft;
Denn ir find jung, und Ihr — bei der Madonna Schwör' ich's und allen Helligen — Ihr feid ſchön.
Da Hat fie den hübjchen Einfall, ſich das Geſicht
dicht mit einem Schleier zu verhüllen: Ihr jungen Herrn, hier bin ich wieder, Und dennoch bin ich's nicht. Denn was vorhin Euch für mein Wefen galt, hab’ id} verborgen, Damit, was ihr verfanntet, fich enthüllt.
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Ich bin fein Antlig mehr, das euch verwirrt, Kein Bild, das euerer Abficht euch entfrembdet, Nur eine Stimme nod, nur noch ein Wort, Das aus ben toten Büchern auferfteht,
Um lebend eure Seelen zu befruchten.
Ehrt meinen Schleier und ihr ehrt euch felbft; Jedoch ift unter euch ein eing’ger nur,
Der diefed Panzer Heiligkeit verachtet,
Der trete vor und reiß’ ihn mir herab.
Dies bezwingt die Scholaren, fie werden fromm und jegt ſchlägt auch in der ganzen Stadt die Stimmung um, man jauchzt Novella zu und fie wird im Triumph zur Promotion geführt. Iener „Gipfel“ ift erreicht und fie hat nur noch einen Wunſch, den fie verwirrt dem Water befennt: fie Liebt Sangiorgio, ihren Mentor. Da fommt diefer, aber er iſt anders als fonft, zögernd, was er von ihr wänjcht : er liebt Bettina und fie foll für ihn um fie werben —
Ich meine, was mir zum Geleite frommt
Iſt Einfalt unverkünftelter Natur,
Ein ſchlichter Sinn, ein kindliches Gemüt, Das nur den Ehrgeiz hegt, in fanfter Demut Sich anzuſchmiegen, nur den Willensbrang, Im ſtärk'ren Willen aufzugeben... .
Sie ift vernichtet. Ihr ganzes Leben zerbricht, mit allen Hoffnungen und Wünſchen.
Ich war fo verblendet, ih! So finnberaubt,
So kindiſch und betört und aberwitzig
War id), zu wähnen, eine Geifteäbrüde,
Müßt' ich erbauen zwiſchen mir und ihm!
D llagliches Verſehen, daß ich bie Kluft
Durch al’ mein Heißes Mühen Jahr um Jahr
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Und Tag und Nacht, fie mählich auszufüllen, Erft aufriß und beharrlich tiefer grub!
Ich war ja fhön! D Narrbeit, daß ich nicht Mit diefem einen Vorzug mich beſchied!
Schön, nichts ald ſchön; den Männern iſt's genug; Warum denn wollt ih mehr? Warum nicht blieb Ich wie Bettina ſchlicht und ungelehrt,
Klein und altäglih? Dann für feine Hürde Das rechte Weibchen wär’ ich ihm erfchienen ; Dann hätt’ er mich geliebt. Mein Wiſſen war Der Schleier, der mein Antlig ihm verbedte,
Der meiner Jugend Blüh’n vor ihm verbarg ... Fluch eud Büchern, die ftatt Frühlingshauch
Mir Moderluft geſpendet! Liſt'ge Diebe,
D, wär' in euch doch Leben! Könntet ihr
Doch Pein wie ich empfinden, Fönntet fpüren, Die meine Rachſucht euch mit Füßen tritt!
Fluch meinen Gaben! Meinem Streben Fluch!
Sangiorgio zieht mit Bettina fort. Novella bleibt allein. Der Vater ftirbt. Sie lebt einfam mit der alten Amme, fehr gelehrt, jehr berühmt, Nach zehm Jahren
fieht fie den Geliebten wieder. Auch er ift nicht glücklich
geworden. Bettina ift zu Hein für ihn. Ich bin der Gatte nicht, den fie erträumte, Ste nicht da Weib, def’ ich bedurft; Enttäuſchung Bedrückt und beide... . Sprechen wir felbander, Dann iſt's ein hohler Ton, der ohne Mitklang Nur Luft bewegt . . .
Sept jagt fie ihm, wie fie ihn einft geliebt und was er in ihr zerftört hat. Dann gehen fie ftill aus— einander.
Goethe Hat einmal gejagt: „Die Deutjchen Haben fo eine Art von Sonntagspoefie, eine Poeſie, die ganz alltägliche
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Geſtalten mit etwas beſſeren Worten bekleidet, wo denn auch die leider die Leute machen follen.” Daran muß ich bei Fulda immer wieder denken. Ich bin früher manchmal heftiger gegen ihn geworben, als es recht war. Er ift immerhin ein Autor von Bildung und Gejchmad, der fein Metier fennt, und wenn er fich eifriger, als es für fein Talent gut ift, um die Gunft des Publitums bemüht, jo weiß er doch eine gewiſſe äußere Kultur in der Darftellung zu bewahren und bleibt immer ein Mann von guten lite- tarifchen Sitten. Mich macht nur nervös, daß feinen an- genehmen Formen doch der geiftige Gehalt fehlt, den fie verlangen würden. Das Schöne ift bei ihm nur Koftüm, & fällt ab und die „ganz alltäglichen Geftalten“ ftehen da.
Freilich, wenn Kainz feine Rollen fpielt, merft man ihnen das gar nicht an. Kainz hat die geheime Kraft, Vulgäres durch feine wunderbare Energie jo zu vergeiften und befeelen, daß es manchmal, feltiam umgewandelt, plöß- lich aufzuleuchten fcheint. Wie er den Sangiorgio ſpricht, fangen alle Gloden Dantes zu Klingen an. Die Novelle gibt Frau Hohenfels in ihren munteren Szenen ſehr hübſch. Herr Thimig iſt als Rektor, Herr Baumgartner als Pedell ſehr luſtig. Frau Netty, Here Korff, Herr Reimers, Herr Römpler, Herr Gimnig und Herr Schmidt jchließen ſich angenehm an. Das Publifum war dem Autor ſehr freundlich.
Braut von Meffina. Am 4. Juli 1803 fchrieb Zelter an Goethe über die dritte Aufführung der „Braut von Meſſina“ in
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Berlin: „Über die Chöre möcht' ich lieber nichts fagen, weil mir alles dunkel und unbelannt vorjchweht. Wetten wollte ich, daß Schiller recht Hat, und daß etwas dahinter liegt, was wir alle noch nicht fennen.“ Bu unferer Schande müſſen wir eingeftehen, daß wir nach hundert Jahren noch immer nicht weiter find. Wir möchten wetten, daß Schiller echt hat, wir jpüren in der Tiefe diejer Chöre eine mächtige Schönheit verborgen, aber fie jchwebt und nur dunfel und unbefannt vor, die Schaufpieler Haben fie noch immer nicht gehoben. Lejen wir die Chöre, jo fühlen wir uns durch ihren zwiſchen der Sprache und der Muſik ſchwebenden Ton wunderbar ergriffen. Er ſchwingt ſich über jene hin- aus, indem er überall vom Einzelnen gleich zum All- gemeinen dringt, ohne doch dieje zu erreichen, da er immer noch in Nefferion befangen bleibt. Daß er deu Schau- fpieler zugänglich ift, wifjen wir, wir brauchen nur an die Dufe zu denfen oder uns etwa zu erinnern, wie Kainz Die große Rede im dritten Akt der , Verſunkenen Glode“ oder die Erzählung von Salern im letzten des „Armen Heinrich“ behandelt. Beide haben einen Ton, der ſich über unjere Sprache beflügelt erhebt und doc durch feine Erregung natürlich bleibt. Man wende ihn auf diefe Chöre an und die Höchite Wirkung ift gewiß. Leiert man fie aber, wie «3 bei uns geſchieht, mit den entjtellten geſchraubten und verfälfchten Stimmen manieriert verlogener Bußprediger herab, die unperjönlich, widernatürlich und unmenichlich, wie Grammophone, Klingen, jo tft es heillos und man hat Mühe nicht herauszulachen. Es wird ung immer von einer Erneuerung der klaſſiſchen Stüde verſprochen. Das Bedürfnis ift da: denn wir haben wieder ein Verhältnis
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zur Tradition gefunden und fie unferen neuen Gefühlen angeeignet. Auch die Mittel find da: denn die Schau- ipieler, in ihrer Kunft durch den Naturalismus erfrifcht und verjüngt, brauchen nur den Schwung einer großen Empfindung, um fich wieder zum Stile zu erheben. Man sieht es aber vor, in der alten Routine zu bleiben, und indem man dies mit fchlechtem Gewiſſen tut, wird fie zur hellen Karikatur. Novelli macht feinen Freunden gern einen Spaß -vor, der fehr luſtig ift. Er hat auf feinen Reifen in allen Ländern Vorftellungen gejehen, ohne die Sprache zu verftehen, fo daß ihm nur der Klang der Schaufpieler im Ohre geblieben ift, dieſen fopiert er nun. Kommen da die Deutichen an die Reihe, jo ift es ein Vergnügen, wie er die Unarten unjerer alten finnlojen Dellamation, natürlich noch ein bißchen übertreibend, grimmig zu verjpotten weiß. Genau jo wurde geftern gemimt, es war aber fein Vergnügen. Iſt das Burgtheater unfähig, ein klaſſiſches Stüd halbwegs anftändig zu fpielen, fo tut es wirklich befjer, wenn e3 fich auf die leichtere Gattung der heutigen Stüde beichränft, die ja jet meiſtens mit Geſchmack inizeniert und erträglich dargeftellt werden. Der geftrigen Aufführung aber hätte man fich in jeder Provinz geſchämt. Man hatte das Gefühl: Frau Bleibtren als Saft. Sie war es namentlich allein, die fich im wütenden Tumult der faljchen Deflamationen dur die Ruhe, den hohen Sinn und die Klarheit ihrer ausgeglichenen Dar- ftelung zu behaupten verjtand, Aber Fräulein Rabitow mit ihren blechernen, jcheppernden Tönen, Herr Gregori mit feiner ranzigen und fetten Stimme, Herr Lewinsky mit feiner verddeten Diftion — es war unerträglich.
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1904 Timandra.
(Zrauerfpiel in fünf Aufgügen von Adolf Wilbrandt. Zum erfter Mal aufgeführt im Burgtheater am 6. Mat 1904.)
Plutarch erzählt im neununddreißigften Kapitel feines Alkibiades von einer Hetäre Timandra, der Geliebten des Alkibiades, die bei ihm war, als er von den Leuten des Lyſander ermordet wurde. Sie bob den Leichnam auf, Ihlug ihn in ihr Gewand und trug ihn ins Grab. Andere Autoren nennen fie Theodote und in des Kenophon Memo- rabilien, im elften Kapitel des dritten Buches, ift es fehr hübſch, wie Sokrates einft, durch den Ruf von ihrer hohen Schönheit angelodt, zu ihr geht, die eben einem Maler figt. Sokrates, der ihren koſtbaren Echmud und die Dienerinnen und das reiche Wejen des ganzen Haufes be merkt, fragt fie, woher fie denn eigentlich ihr Einkommen habe. Wenn einer, jagt fie, der mein Freund geworden ift, mir Gutes erweiſen will, das ift mein Einfommen. Woraus Sokrates fchließt, daß es beffer ift, eine Herde von Freunden zu befigen, ald von Biegen und Schafen und Rindern. Und nun unterhalten fie ſich von der Kunft, folche Freunde anzuziehen und feftzuhalten, wobei Sokrates der Schönen fo zu gefallen weiß, daß fie wünjcht, ihn öfter bei fich zu fehen, um feinen Rat hören. Ein reizendes Beifpiel der attijchen Konverfation, die es liebte, auf eine unfcheinbar ſcherzende Art den tieferen geiftigen Gehalt mehr ahnen zu lafjen als unmittelbar auszufprechen. Eigent- lich jeden wir nur einen alten Herrn mit leifer Lüſternheit
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ſpaßen. Bald aber merken wir doch, daß ſeiner gelaſſenen Heiterleit ein Sinn beigemiſcht iſt, der uns unwillkürlich zum Nachdenken ſtimmt.
Nicht dieſe Timandra iſt es, die Wilbrandt bringt, ſondern er gibt ihren Namen der Frau des Glaufon, die Platon, ihren Schwager, liebt. Diefer erwidert es ihr, will mit ihr fliehen, wird aber von Sofrates gewarnt, fein Leben, der Luft gehorchend, zu verderben. Er reift fich 103, fie aber, um ſich an Sokrates zu rächen, verjpricht dem Dichter Meletos ihren Leib, wenn er jenen dafür beim Volfe jo verflage, daß es ihn töten wird. Dies gejchieht, wir finden Sokrates vor jeinen Richtern, hören feine Stläger, hören ihn fich verteidigen und jehen ihn dann im Sterfer, von feinen Freunden umgeben, fterben. QTimandra, die zu ſpät bereut, nimmt dasſelbe Gift. Ste ift überhaupt viel heroiſcher als jene in dem Kleinen Kapitel des Keno- phon. Ich aber meine, den ganzen Sokrates dort mehr zu fpüren als bier in fünf langen Alten, jo fleißig fie aus dem Platon zitieren.
€3 wäre mir peinlich, den Reſpekt vor Wilhrandt zu verlegen, deffen ganze geiftige Haltung eher angenehm it Er Hat ein fchönes Gefühl der Verehrung für die hohe Kunft, daS in allen feinen Bemühungen erjcheint. Nur geſchieht es ihm, die Wärme, die ihm von den Werfen der großen Kunſt zugeftrahlt wird, mit eigener produftiver Erregung zu verwechſeln. Das Nachzittern fremder Werke in einem empfänglichen Gemüte reicht aber eben doch nicht bin, jchöpferifch zu werden. Er mag dies ſelbſt fpüren und glaubt fich auszuhelfen, indem er jein Werk in den Schutz geliebter Namen ftellt, die fo leuchten, daß davon
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doch wohl, hofft er offenbar, auch auf feine armen Ge- ftalten ein Glanz hinüberfließen wird. Das ift ein Irrtum. Ich könnte mir denfen, daß dieſe Gefchichte einer beleidigten Frau, die eben die ganz andere Bedeutung der Liebe für den Mann als für das Weib, defien ganzes Leben fie ausfüllt, nicht verftehen Tann, in bürgerlichen Verhältniſſen an Herrn Maier und Frau Schulze dargeftellt, vielleicht erträglich wäre. Aber gerade dadurch, daß jeden Augen- blid ein anderer Name in und Erinnerung an die Anmut des attijchen Geiftes weckt, empfinden wir unjere Entfernung von ihm mit einer Wehmut, die allmählich zur Erbitterung wird.
Iener Glaufon war des Platon jüngerer Bruder, voll Ehrgeiz, jo daß er, kaum zwanzig Jahre alt, durchaus jchon den Staatsmann fpielen wollte Wie ihn Sofrates davon zu kurieren fucht, das gehört in der Darftellung |
des Xenophon (im fechiten Kapitel des dritten Buches ber Memorabilien) zu den feinften Proben feiner ironijchen Weisheit. Tritt Antifthenes auf, der fpäter zum Stifter der zunifchen Schule wurde, fo gedenken wir des fchönen Geipräches, daS bei Zenophon (Buch II, Kapitel V) So- krates über die Freundſchaft mit ihm führt. Hermogenes, der arme Bruder des verjchwenderijchen Kallias, und ber Thebaner Simmias, von dem Sokrates im Phaidros jagt, feiner übe beſſer als er die Kunſt, zum reden zu nötigen, kommen herein und vor ung taucht die wunderbare Welt diefer philofophifch rajenden Jugend auf. Im zweiten Alte werden wir durch ein Gaftmahl, im vierten Durch das Gericht, im fünften durch den Kerfer an das Sympofion, die Apologie, den Eutryphron, den Kriton und den Phädon
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erinnert. Meletos, der mit Alkibiades einft im Haufe des reichen Polytion die Eleufiniichen Myſterien parodiert hat, und der Staatsmann Anytos beichwören Verje des Arifto- phanes oder de3 Euripides, die von der Wut der Edlen gegen die jchamlojen Nedner grollen. Uber dabei geht es zu, wie wenn von Spiritiften große Männer beſchworen werden. Es Hopft, wir horchen, nun heißt e8: Goethe ift da oder Leonardo! Wir ſchaudern vor Ehrfurcht, aber der Schauder verrinnt, wenn fie zu ſprechen beginnen, denn fie wiffen nichts, was ung nicht ebenfo ein Krämer oder Kellner jagen konnte.
Sonnenthal gibt den Softates mit einer geiftigen und törperlichen Kraft und Ausdauer, die Bewunderung ver- dienen. Auch Frau Hohenfels jegt für die Timandra ihre ganze Kunft ein. Den Platon jpricht Herr Reimers, den Meletos Herr Devrient, den Anytos Herr Heine Das Publikum wurde jehr herzlich, als Wilbrandt erichien, und tief ihn immer wieder und wieder. Er fieht auch wirklich wie ein Dichter aus.
Tell. (eu infeniert im Burgtheater am 17. Ottober 1904.)
In Berlin muß jegt jedes Theater feinen Maler Haben. Die Direktoren, die dies Reinhardt nachmachen, wiſſen jelöft nicht warum. Cine Mode, fagen fie, die Hoffentlich hurze Beine hat. Oder allenfalls: Das Publikum tft nervös, zerfahren, es bringt die ruhige Kraft nicht mehr auf, ſich an den Dichter zu Halten, e& will gereizt, zerjtreut, betört
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zugleich äußeren und inneren Schauens zu erleben. Dazı genügt dad Wort nie, es ift zu weit, es ift ja Doch immer nur ein Zeichen in der Ferne, wie eine wehende Fahne, die uns anzeigt, daß dort drüben, dort draußen etwas vorgeht, aber nicht: was, Dies wird erſt durch die Ge- bärbe des Schaujpielerd beitimmt, der an feinem Körpet dad Wort individualifiert. Die Gebärde des Schaufpielers verſtehen wir ſchon befjer, aber er bleibt doch immer ein fremder Menſch für uns, ein anderer: wir erleben fein Schichſal, nicht unſeres. Erſt indem nun die Muſik aus Geheimnifjen heraufdringt, welche für alle Menfchen die- jelben find, können wir am einzelnen falle die gemein- ſame Sache der ganzen Menfchheit, am Falle des anderen unfere eigene Sache erfennen. Und erft wenn dieſe Töne, wie aus unferem eigenen Munde gequollen, um unjere tiefften Heimlichleiten zu verraten, nun plöglich wieder draußen als Farben unjeren Augen ſichtbar werben, geht uns de3 Lebens hochſtes Wunder auf: daß unfere innere Welt und jene äußere Welt diefelbe find und wir, was wir auch zu erbliden glauben, immer nur in einen Spiegel ſchauen.
Zu dieſem gehört natürlich ein Maler, der zur Dichtung fteht, wie Wagner zu feinen Verſen oder Beethoven zum Egmont oder Coriolan. Roller fteht jo zum Fidelio. Maler aber, welchen ein folches zwingendes inneres Ver⸗ hältnis fehlt, werden höchitens etwas wie Zwijchenaft3- mufif machen, um allenfalls ein zerjtreutes Publikum einige Zeit anzuregen. Derlei Zwiſchenaltsmuſik kann nun an fich gut oder ſchlecht fein. Es joll nicht geleugnet werben, daß die, welche jegt der Maler Golg zum Tell geliefert
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deutſchen Geiſte ſeit hundert Jahren vorbereitet, iſt unaufhalt» ſam. Erſt wenn ſie ſich durchgerungen haben wird, iſt das Kunſtwerk der Germanen möglich, das von Shakeſpeare zu Goethe und Schiller, von Goethe und Schiller zu Wagner immer heftiger nach der Vereinigung aller Künfte drängt. Wagner beklagt einmal Goethe und Schiller, weil fie nicht erreichen konnten, was fie wollten: denn fie Hatten die Muſik nicht. Ebenſo können wir Wagner beffagen, weil er nicht erfüllt jehen fonnte, was er wollte: denn er hatte die Malerei nicht. Dieje hinzuzufügen, wie er die Muſik hinzugefügt hat, nämlich nicht als eine Begleitung, jondern al3 den mit dem Worte zugleich geborenen Ausdrud, der dasſelbe wie das Wort, aber im Elemente der Töne, nicht für die Dimenfion des Verftandes, jondern für Die des Gefühles ift, verlangt unjere ganze Entwidlung, die dadurch erſt da3 Drama der Germanen auf die Höhe der griechijchen Tragödie bringen wird, wohin es freilich von einer ganz anderen Seite als dieje gelangt, nämlich urjprünglich, vecht unferer Rafje von einjamen Menfchen gemäß, vom Worte ber, vom Mittel des einzelnen aus, während die Griechen, diejeg den einzelnen niemals vom Ganzen, von der Polis loslaffende Volt, vom Rhythmus herfamen.
Die Tendenz, welche die Entwidlung des germanijchen Dramas treibt, ift unverkennbar: einen vollfommenen und abſoluten Ausdrud zu fchaffen, der das zufcauende Wolf zwinge, genau das, was der Dichter einen Moment lang in einer ungeheuren, plöglich den tiefiten Sinn des Dafeins durchleuchtenden Erregung erblidt, gehört, gejpürt, gedacht und erfannt hat, ganz ebenſo mit derjelben Intenfität, der- jelben unmittelbaren Gewißheit und derjelben Energie des
Hermann Bahr, Gloffen. 4
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vorgeht, aber nicht: was. Dies wird erft durch die Ge-'
bärde des Schaujpielers beftimmt, der an feinem Störper das Wort individualifiert. Die Gebärde des Schaufpielers verftehen wir jchon beffer, aber er bleibt doch immer ein fremder Menſch für uns, ein anderer: wir erleben fein Schidjal, nicht unſeres. Erſt indem nun die Mufif aus Geheimnifjen heraufdringt, welche für alle Menjchen die- jelben find, können wir am einzelnen falle die gemein- fame Sache der ganzen Menſchheit, am Falle des anderen unfere eigene Sache erfennen. Und erft wenn dieje Töne, wie aus unferem eigenen Munde gequollen, um unſere tiefften Heimlichkeiten zu verraten, nun plöglich wieder draußen als Farben unjeren Augen fichtbar werden, geht uns des Lebens höchſtes Wunder auf: daß unfere innere Welt und jene äußere Welt diefelbe find und wir, was wir auch zu erbliden glauben, immer nur in einen Spiegel ſchauen.
Zu dieſem gehört natürlich ein Maler, der zur Dichtung fteht, wie Wagner zu feinen Verjen oder Beethoven zum Egmont oder Coriolan. Roller fteht jo zum Fidelio. Maler aber, welchen ein ſolches zwingendes inneres Ber- hältnis fehlt, werden höchitens etwas wie Zwifchenafts- muſik machen, um allenfalls ein zerftreutes Publikum einige Zeit anzuregen. Derlei Zwiſchenaktsmuſik kann nun an fich gut oder jchlecht fein. Es joll nicht geleugnet werden, daß die, welche jet der Maler Golg zum Tell geliefert
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hat, am fich ſehr hübſch iſt. Seine Dekorationen haben dem Publikum gefallen und manche — nicht die der großen Landfchaft, wofür ihm der heroiſche Bug fehlt, wohl aber die behaglich intimen, da8 Zimmer beim Walter Fürft im zweiten Alte, Haus und Hof Tells im dritten, das Zimmer Tells im fünften, mit dem Blice auf die ftrahlende Wieje hinaus — find in der Tat erfreulich. Und fie haben den Vorzug, auch für jedes andere Stüd zu pafjen, das in der Schweiz ſpielt, wenn fich vielleicht nächjtens einmal Blumen- thal oder PHilippi dahin begeben; bei ihrem Text würde jogar der amüjante Brand der Fronvefte („ein Triumph der modernen Technik”, konnte auf dem Bettel ftehen) ficherlich noch ftärfer wirken, da einem die dramatiſche Aufregung Schillers Teider nicht die Zeit Täßt, fich ihm ganz zu widmen. Das Pathos, das Schiller feinen Schweizern gibt, Hat Golg nicht. Ich weiß Heute freilich nur einen der es hätte: Hodler. Aber gewiß ift Goltz wienerijcher.
Der Darftellung merkt man es an, daß Thimig fich bemüht, ebenfo von der leeren Dellamation als von der Öden Meiningerei loszulommen und das Wort überall in Spiel umzufegen. In zwei Szenen ift ihm dies merf- würdig jehön gelungen: bei Attinghaufen und beim Apfel- ſchuſſe. Sonft gerät er bald in einen jaljchen Lärm, jo daß man fich eher bei Wildenbruch glaubt (gleich in der eften Szene des erften Altes), bald wieder, offenbar aus Angft, theatralifch zu werden, faft in den Ton der ger wöhnlichen Konverſation (in allen Szenen Stauffachers und auch auf dem Rütli, wo jede Steigerung fehlt), mit- unter aber ganz in die Oper (bejonderd in der hohlen Gaffe). Baumeiſters Attinghaufen ift prachtvoll. In der
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Maske an den dreizehnten Leo erinnernd, ganz eingelunfen, | zerknittert, verlöfchend, mit einem geifterhaften Glanze der | Hinüberblidenden Augen, ſchlägt er in dieſen zwei knappen Szenen ein ganzes Leben vor uns auf. Wenn er jagt:
gern’ dieſes VoM ber Hirten Tennen, Knabe!
Ich kenn's, ich hab’ es angeführt in Schlachten richtet fich in dem Hinfälligen Greiſe plöglich ein junger Held auf. Und wie dann Rudenz fort ift und er fih müde in den Erker jeßt, der Zeit nachſinnend, Die er nit mehr verfteht, hören wir in dieſem flehentlich zornigen: Was tu ich Hier? alle Bitterkeit des ausgeftoßenen Alters | Magen. Wunderjchön ift auch der Walther Fürft des Herm Rompler, der zeigt, wie man einfach und mit der höchiten | Wahrheit jprechen Tann, ohne deshalb nüchtern zu werben. Kainz, Frau Medelsky und Herr Heine geben dem Meld- thal, der Armgard und dem Baumgarten ihre fladernde Nervofität. Reimers geht den Tell beherzt und entjchlofjen an, Hütet fich zu deflamieren, jchreit nur ein paar Mal und Hat alles, um, wenn er die Rolle erjt noch breiter und männlicher nimmt, ein guter Tell zu werden, dem nur freilich ein Bug von verfonnener Innigkeit immer fehlen wird. Als Rudenz führt fich ein Herr Baſch in angenehmer Haltung ein. Unerträglich ift Here Gregori, der den Parricda mit den Grimafjen eines Franz Moor auf dem Dorfe mimt und jegt auch noch die Manie Hat, fich jeden Moment als „Iebendes Bild“ zu ftellen.
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Im grünen Baum zur Nadtigall.
(Ein Stubentenftüd in drei Akten von Dito Erich Hartleben. Zum erften Mal aufgeführt im Burgtheater am 27. Dftober 1904.) Doktor Hermann Steingräber, alter Couleurftudent,
einft Dozent in Iena, durch den Tod feines Vaters ver- armt, gezwungen, für ſich und Schwefter zu verdienen, it nad Amerika, um in Milwaukee in die Fabrik eines Freundes zu treten, des Ingenieurs Heinrich Pfenninger eines biederen Schweizers, der das „Opachinal“, ein Mittel für franfe Nerven, erfunden hat, mit dem fie tüchtig Geld machen. Sechs Jahre vergehen, da padt fie die Sehnfucht. Sie entichließen fich, nach Iena zu fahren, wo das Schwefterchen, Lilli Steingräber, bei einem alten Onkel geblieben ift, und Pfenninger Hofft inögeheim, fie zur Frau zu gewinnen. Kaum auf deutfchem Boden, Tönnen fie fich der alten deutichen Sentimentalität nicht erwehren und es gelüftet fie, das Nänzchen auf dem Rücken, durch Land gu wandern und in ihr geliebtes Städtchen einzuziehen. Aber ein paar Stunden vor Jena verftaucht ſich Stein- gräber den Fuß, er kann nicht weiter, fie müffen in einer Schenke in Cospeda raften, im grünen Baum zur Nadh- tigall, bis eingefpannt fein wird. Das dauert jeine Zeit und einftweilen hören fie den Studenten zu, den „Alanen“, die in diejem Bierdorfe ihre Schwänfe treiben. Bierjungen werden gebrummt, Bierfchwefel gehalten, ein Biergericht verhandelt und e& ertönt das jchöne Lied:
Laßt und den Verftand verfaufen,
Denn was nügt uns ber Verftand?
Denn was nützt und der Berftand?
Laßt und den Berftand verfaufen,
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Denn was nützt uns der Verſtand?
Von der Wiege bis zur Bahre
IR der Suff das einzig Wahre — ! Laßt und den Berftand verfaufen,
Denn was nüßt und ber Berftand? Sieſtewohl!
Die beiden Amerikaner jehen fi verwundert den Zumult an, der brave Schweizer ganz ergrimmt, daB es fo etwas heute überhaupt noch gibt, während in dem anderen allmählich Erinnerungen an feine Jugend erwachen, als es auch bei ihm noch hieß:
Immer Iuftig, iht lieben Brüber,
Stect die bangen Sorgen auf!
Morgen geht ja die Sonne wieder
Betrunten an dem Himmel auf! Der Schweizer ringt die Hände, dem anderen wird immer wärmer. Dann tritt noch ein junger Menich an den Tiſch der Alanen, Reinhard Dühring, der nun ſogleich von den Brüdern gehänfelt wird. Er fcheint verliebt zu fein und wird deswegen außgelacht: denn er hat ſich, wie fein Leibburſche verrät, nicht entblödet, ſogar Gedichte auf „Tie“ zu machen. Ungeheuered Hallo! Eine Biermimif wird vorgeſchlagen: „Diejer jehr glüdliche, Hoffnungsvolle Jüng- ling macht bekanntlich; Gedichte. Möge er uns doch mal eins davon hier vorjäufeln, auf daß wir dann daraus eine jaftige Biermimif deixeln.“ Dies gejchieht, Reinhard fügt fich in guter Laune, indem er ſelbſt fein Gedicht parodiert, während die anderen es grotesf pantomimijch begleiten und Röschen, die Tochter des Wirtes, ein „wohlbejcholtenes Mädchen“, feine Geliebte jpielt; und als fie fich nun gar in die Arme finfen und küſſen, ſchlägt die Fidelität über und der ganze Chor jauchzt dem Dirnlein brüllend zu:
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„Heil! Fräulein Lilli Steingräber, ſie lebe hoch! Hoch, hoch, hoch und abermals hoch!“ Da fahren die beiden Amerikaner auf. Der Doktor Steingräber iſt ganz fahl geworden: ſeine Schweſter alſo, ſeine liebe Schweſter Lilli es, die hier von betrunkenen Studenten verhöhnt wird! Er geht auf Reinhard zu: „Was haben Sie fi da erfrecht? Mein Name ift Steingräber.“ Reinhard prallt zurüd: Der Bruder! Aber Steingräber aufer fih: „Sie... Sie unverfchämter dummer Junge! Betrachten Sie fich ala ge- ohrfeigt.“ Die Karten werden gewechjelt, die Sefundanten treten zufammen : Gezogene Piftolen. zehn Schritte Diftanz, dreimaliger Kugelwechiel mit Bielen; morgen früh.
Steingräber fieht natürlich ein, daß das ein Unfinn iſt. Schließlich Hat der junge Menſch keineswegs die Ab- ficht gehabt, feine Schweſter zu beleidigen. Es war ein Spaß, nicht fehr fein, aber Steingräber ift ſelbſt einmal Student gewejen und kennt die Stimmung der Fidelität bei Liechtenhainer Bier. Und deswegen jchießen und auf ſich ſchießen lafjen? Aber, was foll er tun? Er kann nicht mehr zurüd. Etwa den jungen Menſchen noch um Verzeihung bitten? Ausfneifen? Nein. Dazu ift er doch zu jehr Stubent geblieben. Mag der Schweizer, der ihm tät, einfach „diefe jungen Burjchen mit ihrem Affenkram allein zu Iafjen“, taujendmal recht Haben, „über gewifje Dinge fommt man eben nicht hinweg“.
Für den Studenten ift es noch ärger. Er banbelt nämlich nicht ;etwa bloß fo mit der Lilli. Er liebt fie wirklich. Sie find heimlich ſchon verlobt. Sie haben nur noch gewartet, biß der Bruder fommt, an dem das Mädchen zärtlich Hänge. Und nun foll das alles zerftört jein?
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Aber was kann er tun? Er iſt beſchimpft worden, er muß es rächen ober er Hat Feine Ehre mehr. „Wenn man doch einen anftändigen Ausweg wüßte! Aber es gibt ja Teinen — es gibt feinen!“ Und fchon ift am anderen Morgen alles bereit, der Kampf foll beginnen, ala plötzlich Lilli fommt. Jenes Röschen,. das Mädchen des Wirtes, hat es ihr in feiner Angft verraten und fo tritt fie zwiſchen den Bräutigam und den Bruder, ein neues Ehrengericht verlangend, dad fie mit folcher Laune und jo Hug zu führen weiß, daß fich die beiden verjühnen, in einer recht unwahrfcheinlichen, aber theatralijch amüfanten Szene, die wirklich beſter Paul Lindau ift.
IH fage das ohne Grimm. Paul Lindau hatte es vor dreißig Jahren gern, irgend eine Tagesfrage jcharf anzugehen, als Moralift oder fatirijch, dann aber, um den Leuten nicht unbequem zu werden, mit einem bübjchen Einfall abzubiegen und es in einen guten Spaß aufzu- Idjen, der den Leuten im Theater entſchieden lieber ilt. Dagegen will ich nun feineswegs den böfen Merfer machen, weil Dtto Erich, ſich zitierend, mir font jagen könnte:
Die Würbdigen, die die Kunft gemacht zum Lehrgebäube, Bergaßen mit der Zeit, daß fie ein Kind der Freude. Sie anerkannten gern, doch ſchließlich merkt ihr Grollen, Das Künftler immerfort nur wieder fpielen wollen. Worauf ich e3 freilich Leicht Hätte, ihn auch zu zitieren, erwidernd : Damit’3 dir Spaß noch macht, mußt du dich ſchon bequemen, Das Leben immerhin ein bißchen ernft zu nehmen. Dem Halkyonier, der ganz reif und ganz ruhig geworden ift, wird zuleßt alles, was die Menfchen tun, ein bloßer
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Bahn fein, mit dem er jpielt, Aber eben um mit ihm fpielen zu können, muß er verlangen, daß es den Menjchen jelbft damit ernft ift. Wenn fie jelbft aus der Rolle fallen, hört der Spaß auf, der doc eben darin allein ift, daß wir, als Zuſchauer, verlachen gelernt haben, womit fie, als Mitipieler, fich noch ‚quälen. Ich gehöre nicht zu den „Würdigen,“ die fich erbofen, wenn der Sünftler feine eigenen Figuren nicht ernft. nimmt. Ja, Dito Erich, er foll mit ihnen fpielen, nicht aber fie jelbft mit fich, ſonſt geht es mir wie hier, wo am Ende ich es bin, der ſich von ihnen gefoppt fühlt, weil er fie ernſter nahm als fie ſich ſelbſt, weil er für fie fürchtet, weil er für fie litt, wo fie fich mit einer Komödie Iuftig zu helfen mußten.
So ſchien es auch unjer Publitum zu empfinden, durch die Darftellung noch darin beftärkt, die zuerjt den Ton fo ſchwer nahm, daß man nad) dem zweiten Afte auf ein tragifches Ende geftimmt war und num bei der heiteren Wendung be3 dritten in eine recht ärgerliche Ver- blüffung geriet. Übrigens find gerade hier Frau Retty und Herr Niffen jo liebenswürdig, daß ich den Born der Leute doch nicht recht begriff. Wenn man fich erinnert, wie gnädig fie mit dem Heren Brüll neulich waren!
1905
Don Carlos. (Im Burgtheater neu infgeniert am 7. und 9. Januar 1905.) Die Klagen gegen den Don Carlos find alt: ein „Liebesdrama“ ſei Hier in ein „politifches“ Drama gelegt,
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ohne mit ihm zu verwachſen, ſo daß eines das andere nur hemme, verdränge, ſtöre; jedes habe ſeinen beſonderen Helden für ſich, zwiſchen welchen die Teilnahme des Dichters noch mehr als die des Publifums ſchwanke; und fo jei es fein Wunder, wenn das Stüd, jegt nach dem Erotiichen Hin, jegt vom Politiſchen her gerifjen, in der Mitte zerbricht. Schon Schiller ſelbſt bat fich dagegen in den „Briefen über den Don Carlos“ verteidigt. Er gibt zu, es könne ihm begegnet fein, daß er in den erften Akten andere Er- wartungen erregt habe, als er in den leßten erfüllte. Und entfchuldigt dies fo: „Während der Zeit nämlich, daß ich es ausarbeitete, welches, mancher Unterbrechungen wegen, eine ziemlich lange Zeit war, hat fi — in mir jelbft vieles verändert. An den verſchiedenen Schidjalen, die
während dieſer Zeit über meine Art, zu denfen und zu
empfinden, ergangen find, mußte notwendig auch dieſes Werk teilnehmen. Was mic, zu Anfang vorzüglich in demjelben gefeſſelt Hatte, tat dieje Wirkung ſchon in der Zolge ſchwächer und am Ende nur faum noch. Neue Ideen, die indeſſen bei mir auffamen, verdrängten die früheren. Carlos jelbft war in meiner Gunſt gefallen,
vielleicht auß feinem anderen Grunde, ala weil ich ihm in
Jahren zu weit vorausgefprungen war, und aus der ent- gegengejegten Urjache ‚hatte Marquis Poja feinen Platz
eingenommen. So fam es denn, daß ich zu dem vierten
und fünften Afte ein ganz anderes Herz mitbradjte. Aber die erften drei Akte waren in den Händen des Publikums, die Anlage des Ganzen war nicht mehr umzuftoßen — ich hätte aljo das Stüd entweder ganz unterbrüden müſſen (und das Hätte mir doch wohl der Hleinfte Teil meiner
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Leſer gedankt), oder ich mußte die zweite Hälfte der erften fo gut anpafjen, als ich konnte. Wenn dies nicht überall auf die glüdlichfte Art geſchehen ift, jo dient mir zu einiger Beruhigung, daß e3 einer geſchickteren Hand als der meinigen nicht viel befjer würde gelungen fein. Der Hauptfehler war, ich Hatte mich zu lange mit dem Stüde getragen; ein dramatifches Werk aber kann und foll nur die Blüte eine einzigen Sommers fein.“ Was ein Dichter über jein Berk zu jagen hat, mag man anhören, weil e8 ung immer» bin auf Ummegen doc} feinem Sinne nähern kann. Uber man fol ihm lieber nicht trauen: was er gebildet Hat, braucht er nicht erft noch einmal auszufprechen und wo feine bildende Kraft verjagt, wird uns die redende nichts helfen. Was er einmal im Schaffen verloren hat, bringt ihm feine Befinnung mehr zurüd, Dies aber vermute ich hier. Ich vermute, daß er hier den erften dramatijchen Keim und Trieb, aus welchem ihm einmal, einer jehr grellen, aber fogleich verbligenden Viſion gleich eine &e- ftalten plöglich aufgejprungen waren, jpäter im Schaffen völlig verloren hat, ohne ſich, wie er ſich auch darum peinigen mochte, jemals dahin zurüd zu finden. Daher die Stodungen, die Paufen, der Wechfel im Ton; daher das Gefühl, dad man im zweiten Teile bisweilen hat: einer ich gewaltfam erhigenden Reflexion, die forcieren foll, was fich der Eingebung nicht mehr abpreſſen läßt. Selt- ſam bleibt nur, daß er, was er damals verloren liegen ließ, nicht jpäter, wie es Dichtern oft gejchieht, in einem anderen Stoffe mwiederfand. Vielleicht, weil er nicht bloß einen Einfall verloren Hatte, fondern mit ihm fich felbit, jenes Stüd von fich, deſſen Ausdruck eben jener Einfall gewejen
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war. Und dies vielleicht darum, weil er ihn und fich an feine Zeit verlor, der es wejentlich war, das Grundverhältnis abzuweiſen und auszuichließen, auf daS er fein Stüd zu- erſt geftellt Hatte. Dieſes Grundverhältnis jcheint mir die Begegnung zweier Männer zu jein, die dasſelbe ſuchen, es aber, nach ihrer inneren Anlage, jeder dort finden müffen, wo es dem anderen verwehrt ifl. Ihre inneren Anlagen wären die beiden Enden der menichlichen Natur, in deren ewigen Widerftreit allein vielleicht alle Bewegung, alle Entwictung de3 menjchlichen Lebens be- fteht. Deshalb hätte fie der Dichter nebeneinander Hin- zuftellen mit dem gleichen Rechte, beide von Anbeginn in unerfchütterlicher Macht, gleich unverföhnlich, ſich gleich ewig unentbehrlich, wie Tag und Nacht. Aber dies ließ dem Dichter feine Zeit nicht zu, die, eine bon jenen leidenſchaftlich aufgeregten und vehement begehrenden, die auch den Größten zwingen, Partei zu nehmen, ihn un geftüm nad) der einen riß.
Zwei junge Leute, Karl und Pofa, begegnen fich in derjelben Sehnjucht und Dual. Dual an diefem dumpfen, nichtigen, leeren Leben, das ftarr und hart um fie fteht. Sehnjucht nach einem freien, vollen, frohen Leben, das fie in ihren Tiefen loden fühlen. Jenes ift die Qüge, dieſes die Wahrheit, wird ihnen in jtillen Stunden der Ießten Vertraulichkeit gewiß. Jenes durch diejed zu verdrängen, dieſes zum Gejege für eine glüclichere Menjchheit zu ge winnen, wird der Vorſatz, dem fie ſich weihen. Ehre, Ruhm, alles, worum fie die Großen de3 Reiches fich verzehren jehen, gilt ihnen nichts. Im ihrer Bruft fühlen fie ein edleres Glück. Diejen reineren Himmel ihrer Begeifterung
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unter die Menjchen auf die Erde zu bringen und ein Leben der Unſchuld dort zu geftalten, wo jetzt der Neid, die Bosheit, der Haß der Mächtigen herrſchen, ſchwören fie ſich trunfen zu. Beiden ift Dies äußere Leben unerträglich, , beide fühlen ein inneres, das jenes überwinden fol, und fo verbinden fie ſich, auß fich felbft die Welt umzufchaffen. Schiller ſchreibt: „Unter beiden Freunden bildet fich aljo ein enthuſiaſtiſcher Entwurf, den glüdlichiten Zuftand her- vorzubringen, der ber menjchlichen Gejellichaft erreichbar ift, und von diefem enthuſiaſtiſchen Entwurfe, wie er nämlich im Konflifte mit der Leidenjchaft erjcheint, handelt das gegenwärtige Trama.“ Im Konflikte mit der Leidenjchaft ? Hier fpricht Schiller ſchon völlig als Poſa, dem er jich im Schaffen allmählich fo ſehr überlajjen hat, daß er unfähig wird, jenen beiden Typen der Menjchheit, von welchen er ſich den erften jchöpferiichen Reiz geholt hat, ihr gleiches Recht zu geben, weil er nun für den einen ſelbſt Partei nimmt. Nun erjcheint ihm, wie dem Poſa, al3 eine das Weſen des Carlos und feine Beftimmung zerftörende „Leidenichaft“, was viel mehr, der anderen Natur des Poja freilich umbegreiflich, nur der höchfte Ausdruck diefes Weſens und feine Vollendung iſt.
Die beiden. jungen Leute, vom äußeren Leben ange- widert, Durch ihr inneres beglüct, möchten dieſes in jenem bewähren. Es ift die Stimmung der erften Jugend, welche ſtets Welt und Menfchheit vor das Gericht der eigenen Sehnfucht ftellt. Den Jüngling verlangt, feinen eigenen Wunſch zum Gejege zu machen, er traut ſich zu, durch feine Tat alles Häßliche zu verdrängen und ift es nur einmal jo weit, daß, was er für gerecht, für vernünftig,
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für notwendig erfennt, in der Welt zur Regierung kommt, fo zweifelt er nicht, daß der ganzen Menjchheit die Stunde des Glückes fehlagen wird. Poſa Hat es nun in feiner Natur, der ewige Jüngling zu bleiben, dem ſich niemals der Verdacht regt, es konnte vielleicht überhaupt unmöglich fein, inneres Glüd vom äußeren Leben zu erlangen oder unjere innere Welt in die äußere zu tragen, es Tönnte vielleicht die Kluft zwiſchen unferer Sehnjucht und der Wirklichleit zu breit, zu tief fein. In feinem Zutrauen auf unfere Kraft, aus und die Welt umzufchaffen, bis fie unſer Gleichnis wird, ift er der richtige Idealiſt und reißt damit auch den noch unerwachten Carlos fort. Die „Verbreitung reinerer, fanfterer Humanität, die höchft mögliche Freiheit der Individuen bei des Staates höchfter Blüte, der voll- endetſte Zuſtand der Menjchheit, wie er in ihrer Natur und ihren Kräften als erreichbar angegeben liegt“, wird nun der liebliche Traum, in dem die Phantafie der jungen Freunde jchwelgt, bis es dem Carlos geichieht, daß er im hödjften Momente des Daſeins jene ganz andere Wahrheit erfährt, die feinem Weſen beitimmt ift: bis er liebt. Er liebt und plöglich verfinft diefe äußere Welt, von der er fonft fo gelitten hat, und er hat Teinen Efel mehr vor ihr und feinen Haß mehr auf fie und fie fann ihn nicht mehr quälen, denn fie ift jegt gar nicht mehr da, nichts ift mehr da, fein Gefühl für die Königin hat alles verfchlungen und aus Ddiefem alles verdrängenden, außzehrenden, zer- nichtenden Gefühl geht ihm ein Glück auf, das gegen alles Außere fich gefeit weiß und dem feine Macht mehr geben oder nehmen Tann. Cr liebt, aber dies ift freilich nicht die fanfte, till verklärende, tief beruhigende Neigung, die
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ſonſt als Liebe bejungen wird, fondern es ift die Liebe al tödliche Leidenſchaft, von welcher ein Menſch förmlich aufgeiprengt, jeder gefelligen Verbindung mit den anderen, ja jelbft dem bloßen Vermögen, fie auch nur zu verſtehen, entriſſen und gleichjam in den Urzuftand der Menfchheit, ind Chaos der noch von Feiner Vernunft, Feiner Sitte, feiner Furcht vor Leben oder Tod gefeflelten Elemente zurüdgetaucht wird. Liebe ala Leidenichaft, die Dante in der Vita nuova mit dunklen Worten ſcheu berührt, Shafe- ipeare ein einziges Mal, im Romeo, geftreift und vielleicht nur Stendhal wirklich begriffen Hat, da fie doch felbft im Triftan ſich immer wieder in Schleiern entzieht. Trogdem ift fie vieleicht nicht jo ſelten, als man wohl denkt, aber die von ihr reden könnten, find verftummt durch fie, wie durch einen mächtigeren Tod, weil fie für alles, was unter den Menfchen ift und hier gilt, nur noch das tiefe Lachen haben. Aber nun wird Carlos von allen im Stiche ge— laſſen. Auch vom Dichter, der fich plöglich vor feinem eigenen Entwurfe zu fürchten ſcheint. Cr hätte hier den Urgrund unfere® Dafeins aufreißen fönnen. Drüben alle Mächte des Lebens, die böfen wie die guten, das Unrecht, die Gewalt, der Haß, und Recht, Freiheit und Menjchen- liebe, aber gegen alle dieje Verbündeten zufammen ein ein» ziget Menſch geitellt, dem fein Gefühl ein jolches Glück ge- währt, daß daneben alle anderen menfchlichen Unterſchiede von Luft und Leid verichwinden und, an diefem Glüde ge- meffen, der Prinz mit dem Bettler, der freie mit dem Knecht, der Frohe mit dem Bedrüdten in dasſelbe Elend verfinft! Welch ungeheueres Schaufpiel! Was ift ihm Flandern, was das Schidjal der Provinzen, was kann ihm
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noch die Freiheit fein, der an ſich jelbft die Seligfeit der eigenen Vernichtung in einem anderen Wejen erfahren hat? Poſa, die Figur jener Menſchen, die in ihr eigenes Indi- viduum ewig eingejchloffen bleiben und e3 darum, gewiß ſich niemals zu verlieren, leicht Haben, den anderen ruhiges Wohlwollen, die Hilfe beherzter Taten und zuverläffige Treue zuzumenden, neben Carlos, der fich plöglich entäußert fühlt und indem er eben durch diefen Verluft feiner ſelbſt im tiefften doch erft zu feinem wahren Selbft fommt, feinen auf das äußere Glüd, die Wohlfahrt, den Frieden, auf Ehre, Recht oder Freiheit gelenkten Trieb mehr verftehen Tann — die beiden Enden, die beiden Pole der Menjchheit zujammen! Aber plöglich gibt der Dichter Carlos auf, wie von feiner eigenen Vifion erfchredt, Qielleicht, weilman, . um fie ganz zu verftehen, erft in Schopenhauer hinein und durch ihn und über ihn hinaus ins Licht gegangen fein muß. Don Carlos wird uns jet im Burgtheater in zwei Teilen geliefert. Wenn der König in der Tiefe feiner ver- Iaffenen Not fich entichließt, nach dem Marquis zu fenden, werben wir heimgejchict, um nach zwei Tagen erft zu er- fahren, wie die Gefchichte noch ausgegangen ift. Das ift durchaus unkünſtleriſch, aber jchließlich auch nicht mehr, al3 den halben Text auszureißen und, wozu der Dichter ſechs Stunden braucht, in vieren abzufprudeln. Es zeigt ſich wieder, daß das dramatijche Weſen mit einer Ordnung der Gejellichaft unverträglich ift, welche den Erwerb von Geld in die Mitte des Dajeins rückt, unſer wahres Leben aber in den Winfel ermüdeter Stunden ſtellt. Dies aber gerade von Schlenther gelöft zu, verlangen, der vielleicht gar nicht anfpricht, ein Nevolutionär zu fein, jcheint mir
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nicht ganz billig. Nicht an den Künſtlern und ihren Ge— biffen ift es, Die Bedingungen zu fchaffen, unter welchen Kunft überhaupt erft wieder möglich fein wird. Bis dahin bleibt es ziemlich gleich, ob man ein Werk, um es für die Jerftreuung oder Verdauung Herzurichten, bejchneiden oder gerreißen oder was immer man mit ihm machen wird, damit es die Gewohnheiten erſchöpfter Handelsleute nicht för. Der Fleiß der Regie, den man in jeder Szene wieder fpürt, iſt neulich fchon gerühmt worden. - Wie Thimig den Wert des einzelnen im Ganzen zu fühlen, jeder leifen Wendung nachzujpüren, alles aufeinander zu beziehen weiß, verdient Bewunderung. Ich fürchte nur, et vergißt darüber, daß doch alles, was auf den Proben geichieht, immer nur Vorarbeit, Vorjpiel, Vorftimmung auf ein am Abend jeldft erft wie Gewitter außbrechendes Ereignis, daß es fozufagen nur Brennholz ift, das er von allen Seiten Herbeizujchleppen und rings aufzufchichten hat, in da3 num aber, im Moment der Darftellung jelbit, erjt das Feuer einer ungeheueren Leidenfchaft geworfen werden muß. Das fehlt feinen Aufführungen oft: es ift alles bereit, wird aber dann nicht abgebrannt. Wie denn auch hier alle Szenen, durch welche nicht Kainz feine Riejenflammen ſchlägt, unbewegt im Finfteren liegen bleiben.
Traumulus.
ragiſche Komödie von Arno Holy und Oskar Jerſchke. Zum erften Mal aufgeführt im Burgtheater am 11. Februar 1905.)
Traumulus wird der Direktor des königlichen Gym- nafiums, Herr Profefjor Dr. Niemeyer, von jeinen Schülern Hermann Bahr, Bloffen. 5
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genannt weil er feine Ahnung hat, wie fie find und wie die Welt ift. Faft jede Schule hat jo einen Traumulus und an ihm, den Güte wehrlos macht, pflegen die Buben zu rächen, was ihnen von feinen harten Stollegen an Bos- heit und Grauſamkeit geſchieht. Kinder richten nämlich ihr Verhältnis zu den Menichen nur nad) ihrer Furcht - ein; merken fie, daß jemand gut ift und fich jchent, ihnen wehe zu tun, und fie fich alfo ficher vor ihm glauben dürfen, jo benügen fie dies immer nur, um fich ungeftraft gegen ihn zu vergehen. Erwachjene ja übrigens auch; nur daß dieſe fich dabei doch heimlich manchmal ein bißchen ſchämen. Es fcheint jchon ein Geſetz unjerer Natur zu fein, daß jeder Menfch dem anderen genau jo viel antut, als er rechnen kann, daß diejer fich von ihm gefallen läßt. Dafür wird, wer fich alles gefallen läßt, dann gut, wer fich nichts gefallen läßt, böje genannt. Jener wird geliebt, aber ausgelacht, diejer gehakt, aber man folgt ihm. Man Tann das ruhig außfprechen, ohne fürchten zu müſſen, daß deswegen ein Guter, durch Schaden Hug geworden, fi, zum Bbſen entichließen Fünnte. Unſer Verhältnis zu den anderen wird ja leider nicht von unſerer Erfenntnis noch durch unferen Willen beftimmt, fondern wir find, wie zu fein ein aus der Tiefe unſeres Wejens heraufdringendes Gebot, ſtärker als jeder Rat und Plan der Vernunft, und geheimnisvoll zwingt. Bei Slindern oder ganz jungen Leuten ift daS nun deutlicher, weil fie noch gar nicht ver- fuchen, es zu vertujchen, jondern wie Frauen, die darin ewig jung bleiben, Güte, die fie dankbar anerkennen, ſogleich als Schwäche behandeln, die nicht zu mißbrauchen doch ſchade wäre. Bisweilen mag es ihnen wohl dämmern,
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daß Dies eigentlich in der Welt nicht ſehr ſchön ift. Aber ftatt fich zu fchämen oder gar fich ändern zu wollen, empfinden fie dann nur noch einen leijen Verdruß, eine durch Verachtung verbitterte Mancune gegen den Guten, der daran ſchuld ift. Ein „wahrhaft guter Menſch“ wird zu legt gewahr, daß er fich eigentlich immer nur lächerlich und fogar die anderen nur noch fehlechter macht, weshalb er fich gar nicht beffagen darf, wenn fie ihn verachten, ſondern es verdient. Otto Erich Hartleben hat diejes Thema einmal in einer merkwürdigen, nur doch recht lieder- lich geführten Komödie geftreift, aber es würde, mit Ernft ergriffen, wohl auch wahrjcheinlich eine ſolche Qual ſein, daß es niemand aushalten könnte. Doc) in den Traumulus Mingt davon nicht mehr hinein, als fich mit der angenehmen Stimmung eines guten Theaterftüdes gerade noch verträgt.
Und um bieje Tragödie des guten Mannes ift eine andere geichlungen: die de3 jungen Menjchen, dem zum eriten Male der Schleier vom Leben geriffen wird. Kurt d. Zeblig, ein Schüler de Traumulus, fein Liebling, hat ſich in eine jener Heinen Damen vergafft, die daneben auch beim Theater find; fie bringt ihn in ein verrufenes Lokal, fie zechen, es wird ſpät, er ift jung, er hat Seft getrunfen und fo begleitet er fie, nicht bloß 5i8 an das Tor. Und das ift gejehen worden. Sfandal. Alle Heuchler der Heinen Stadt find los. Und die Feinde des Direktors, der Landrat voran, die fein weltfernes Weſen, weil fie es nicht verftehen können, als ein ewiger Vorwurf erbittern muß, eilen nun, ihm daraus den Strid zu drehen. Trau- mulus, der dies alles noch gar nicht faſſen kann, hält ſtrenges Gericht. Zuerſt mit der liftigen Sünderin, die
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natürlich leugnet, tief beleidigt iſt und auf ihre Tugend ſchwört. Gerührt, wie durch den ſüßen Ton der Lüge, den die Wahrheit niemals hat, weil ſie zu ſtolz iſt, ein noch unverdorbener Mann immer gerührt wird, glaubt ihr Traumulus natürlich ſofott. Nun muß der Jüngling vor, der natürlich zu „ritterlich“ iſt, um-jeine „Dame“ zu ver- raten; lieber lügt auch er. den Lehrer an, der jegt, von Schanı verwirrt, das unfchuldige junge Mädchen und feinen verleumbdeten Liebling am liebften um Verzeihung bitten möchte, daß er fie jo häßlich verdächtigen fonnte. Dan denfe fich, wie dem Knaben fein muß, dem doch der Mund verichloffen ift. Er erkennt jegt Traumulus erſt, er fieht plöglich feine Güte ganz, es überläuft ihn, alles gut zu machen, aber darf er denn, kann er denn? Und fo, in feiner Sehnjucht nach irgend einer geheimnisvoll großen und jchönen Tat, die ihn innerlich reinigen und erlöjen und wieder erheben foll, ftürzt er zu feinen Kollegen, in die Kneipe der „Antityrannia” und redet fie feierlich an: „Liebe Freunde! Ich Habe die mir auferlegte Strafe nicht durchbrochen, um mit euch fidel zu fein. Ich bin hier- | hergefommen, um den Antrag zu ftellen, unjere Verbindung | auizulöjen. Bitte, laßt mich außreden. . . . Ich begreife | vollkommen, daß ihr meint, ich habe den Verſtand ver- Ioren. Hätten wir unſer Stiftungsfeit geftern um dieſe Zeit gefeiert, ich glaube, ich hätte dem, der und auch nur | mit Ähnlichen gefommen wäre, nie mehr die Hand gereicht. ! Ich denke jegt nicht mehr fo. Ich Habe heute, vormittags mit Herrn Profefjor Niemeyer ein. . . inneres Erlebnis gehabt, das mich — zu einem anderen Menfchen gemacht hat. Ich habe die Überzeugung gewonnen, daß unſer
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Direktor, den wir Tag für Tag auf das fchamlofefte be- ſchwindeln, den wir Hintergangen Haben, wo wir nur tonnten, der beite Menich ift. Einem befjeren werden wir nie mehr im Leben begegnen. Wir find dumme Jungens oder Schurken, wenn wir feine unglaubliche Gutheit in fo ſchandbarer Weiſe noch weiter mißbrauchen. . . . Ich Habe diefe Nacht etwas getan, vor dem ich jegt ausſpucken möchte. Ich habe diefen Dann, der mir in feiner Herzensgüte voll vertraut, in der niedrigften Art und Weile Hintergangen ! Einer... Kanaille wegen! Und ich will heilfroh fein, wenn die einzige Folge meiner Gemeinheit die bleibt, daß ih ihn obendrein auch noch auf das widerlichite belügen mußte! Ich würde fonft wiffen, was ich zu tun hätte... Ih bin fein anftändiger Menſch mehr!" Aber er kommt zu ſpät, ſchon dringt die Polizei in die Bude, die Burſchen werden abgefaßt und auf das Bureau gefchleppt, der Land⸗ tat ift entfchloffen, mit der ganzen Wirtſchaft des guten Traumulus einmal gründlich aufzuräumen. Und er be— weift ihm, durch das Verhör, wie niederträchtig er von der „Dame“ und von feinem Liebling belogen und betrogen worden ift. Und ganz in der Art von Menfchen, die jedem glauben, aber, einmal in diefem Glauben erjchüttert, fich an einen Zorn verlieren, der ihnen nun die ganze Welt ind Teufliſche verzerrt, bricht der fonft fo janfte Mann gegen den armen Snaben jegt wie gegen den ärgſten Buben 108. Der ftammelt nur: „Ich bitte Sie, Herr Direktor... mir zu verzeihen!" Aber Traumulus ift hart geworden: „sh bin mit Ihnen fertig!" Noch einmal fledt jener in einem jo merkwürdigen Tone, daß jeder andere ſtutzig werden müßte: „Es ift meine leßte Bitte, Herr Direktor!" Aber
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Traumulus, unverföhnlich: „Sie haben jedes Bitten bei mir verwirkt! Danfen Sie Gott, daß ich Ihnen nicht noch rechts und links einen Polizisten mitgebe! Sie find ein Verbrecher." Da geht der Knabe ftumm, rennt in die Nacht Hinaus und fchieht fich tot.
Mich ergreift es ſehr, wie durch diefes ganze Stüd der troftlofe Gedanke zieht, daß doch fein Menjch den andern kennt, aber eigentlich auch jich nicht, feiner vom anderen weiß, auch von fich nicht, und darum feiner je- mals dem anderen Helfen kann, auch fich ſelbſt nicht, ſon⸗ dern alle nur, vor den anderen und vor fich ſelbſt verftedt, im Leben wie in einem tiefen Nebel ftehen. Und es wirkt auf mich, wie ftark und rein jene zwei Gejtalten empfunden find, wenn auch freilich der Autor fie uns mehr bloß ahnen als fehen läßt. Dies ift nicht feine Schuld, fondern eher fünftlerifche Abficht: denn fie Hätten fonft die Form des Theater zeriprengt. Es hat ihm aber offenbar gereizt, einmal zu zeigen, daß es möglich ift, auch in das übliche Theaterjtüc, das fich der Sinn der Menge wünſcht, Menich- liches zu bringen. Wan weiß, daß es Holz Spaß madit, | manchmal in fremden Tönen zu reden. Warum nicht auch einmal im Tone des durchtriebenen Theatermenfchen, dem auf jeden Wink alle Finten und Kniffe de Metiers ge- horchen? Sonft rufen wir in jolchen Fällen gleich verzüdt: Seht doch die Franzofen! Freuen wir ung, e3 einmal an einem Deutjchen bewundern zu dürfen. Dies alles jagt mir mein Verſtand beharrlich vor und ich ärgere mich, daß e3 ihm nicht gelingt, mich ehrlicher zu begeiftern. Aber eine leiſe Stimme will nicht ſchweigen: es tut mir um dieſe zwei Figuren leid, daß der Autor fie in ein Theater»
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ftüf verbannt hat. Gerade weil ich ihren menſchlichen Bert jo ftarf fpüre. Sie find mir zu gut, um dem Be- hagen träg verbauender Gaffer zu dienen. Und ich kann den Arno Holz nicht vergeffen, der zwanzig Jahre lang ein Unerbittlicher geweſen tft, einer von den großen Ein- famen, zu welchen niemals der Ruf des Marktes dringt.
Die Räuber. Reu infzeniert.)
Ob man die Räuber in der Vorſtadt oder in der legten Provinz, von Stümpern, Anfängern oder Pfuſchern geipielt fieht, man Tann ficher fein, daß fie wirken. Sie find unverwüftlich und wenn auf irgend ein Stüd, fo trifft Hier die Forderung Goethes an Kleiſt zu: „Auf jedem Jahrmarkt, auf Bohlen über Fäſſer gefchichtet, der gebildelen und ungebildeten Mafje das Höchite Vergnügen zu machen.” Geſtern aber jaß man müde da, langweilte ſich und atmete auf, als es, nach zwölf, doch endlich aus war. Wie neulich im „Tell”. Wie dann im „Don Carlos“. Noch ein paar folche Inſzenierungen und Schiller wird und auf Jahre verleidet fein.
Schuld hat vor allem die törichte Marotte, alles un- geſttichen zu fpielen. Daran erfennt man Schlenther als Germaniiten. Einem Künftler wäre das nie eingefallen. Aber der Germanift nimmt ein bloß gelehrte Intereſſe de3 urteilslos ſammelnden Antiquars an der Kunſt. Jeder Zettel gilt ihm gleich, der Buchſtabe ift ihm Heilig und er bat ja für die Wiſſenſchaft auch recht. An der Wiffen-
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ſchaft iſt es, das Material beizuſtellen, aus welchem dann jede Generation nach der neuen Art, auf die fie die Menſchen und die Dinge ſieht, ſich wählen mag, was ihr wichtig ift. Aber eben um dieſe Wahl Handelt & fi, wenn man fünftleriich wirken will. In dieſen Hundert Jahren find die Menfchen anders geworden und fie verlangen, daß in ihrer neuen inneren Sprache mit ihnen geredet werde, wofern man nämlich fich nicht an der verlogenen Zuftimmung der Bildungsphilifter ge- nügen läßt, fondern Iebendiges Gefühl entbinden mill. Striche aufzumachen hat gar feinen Sinn. Eher: andere Striche zu fuchen, die notwendig geworben find. Worte auszumerzen, die ihren Sinn gewechjelt oder ihren Klang verloren haben. Wiederholungen zu kürzen, die wir, mit unferen im Theater erfahrenen Ohren, entbehren können. Wer dies einmal wagen wird, mag fi) über daß Gezeter der Pedanten tröften; er hat das Beilpiel Goethes und Schillers für fi. „Man muß ein alter Praktikus fein,“ hat Goethe einmal zu Edermann gejagt, „um das Streichen zu verftehen. Schiller war hierin beſonders groß. Ich jah ihn einmal bei Gelegenheit jeines „Muſenalmanachs“ ein pompðſes Gedicht von zweiundzwanzig Strophen auf fieben reduzieren und zwar hatte das Produft durch dieje furcht- bare Operation keineswegs verloren, vielmehr enthielten dieſe fieben Strophen noch alle guten und wirfjamen Ge- danken jener zweiundzwangig.“ Goethe fonnte davon reden, er hatte es an fich jelbit erfahren, als Schiller auf feinen Egmont jo barbarifch eindrang; denn wie Goethe jagte: „Schiller Hatte in feiner Natur etwas Gewaltſames; er handelte oft zu jehr nach einer vorgefaßten Idee, ohne hin-
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längliche Achtung vor dem Gegenſtande, der zu behandeln wor.“ Man nannte das in Weimar damals: ein Stüd „tedigieren“. Und fchlieklich ift die ganze dramatifche Literatur nur eine ewige ſolche Redaktion der alten Stoffe für die neue Reit: Sophofles Hat den Aiſchylos redi- giert, Euripides den Sophofles, die Römer die griechiiche Komödie, Shafeipeare alte engliſche Stüde, die Klaſſiker Shakeſpeare. Und mir ift gewiß, daß, wenn unſere klaſſiſche Dichtung wieder aufleben foll, ſich erft einer finden muß, der den Mut Hat, fie nach unferem Sinne zu „redigieren". Bis dahin bleibt doch alles bloß Schmockerei.
Dazu kommt, daß dieſe Aufführungen Schillers |Haufpieleriich verfagt Haben. Freilich Kain! Er hat den MelchtHal gejpielt, dann den Carlos, jet den Franz. Alle drei Rollen find in feinem Leben jehr viel gewejen. Der Melchthal war die erfte, die er in München gab, wo dann jenes jeltiame Märchen mit ihm begann. Durch den Carlos hat er zuerſt Berlin bezwungen. Am Franz hat er jeine Begabung für das Böſe gefunden, die ihn dann bis zum Tartuffe geführt hat und ihn Hoffentlich auch noch zum Marineli, zum Mephifto, zum Banga, zum Shylod, zum Jago, zum Golo und zum Stolzen- thaler führen wird. Dazu ift es aber jegt die höchjte Seit: er hat durchaus neue Rollen nötig, an den alten hat er fich überfpielt, fie machen ihn ungeduldig und da er fein Virtuoſe ift, der fich mit der Routine forthelfen würde, fondern um zu wirken, den Reiz unmittelbarer Er- griffenheit braucht, iſt es nur natürlich, wenn wir ihn an den alten Rollen jegt mit den ſeltſamſten Einfällen han- tieren jehen. Er wendet fie hin und ber, nichs genügt
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ihm, in jeder Szene greift er ſie von einer andern Seite an. Man mißverſtehe mich nicht: es iſt durchaus nicht das, was man „überladen“ nennt, er macht feine „Nuancen“, ex ftopft feine Mägchen hinein. Darin ift er der große eine Künftler geblieben, daß er immer durchaus auf die ganze Figur losgeht, nur leider in jeber Szene auf eine andere. Wie er denn geftern den franz Moor dreimal gab: bald fHakefpearifierend, in den großen Linien des dritten Richard, bald fich auf den Zopf befinnend, den er trug, mit der prachtvollen Dialektik, in der die Helden bes Marquis de Sade ſich fo gefallen, und dazwiichen wieder plöglich einen farbigen Verismus verjuchend, faft ein biß- hen zu Novelli oder Zacconi hinüber. Dies ift ein Schau- fpiel von höchſtem geiftigen Reize für Artiften. Aber die Rolle wird aufgeiprengt, das Stück zerreißt.
Ich glaube, daß es mit der Regie Thimigs ganz ähnlich fteht: er überprobiert die Stüde. Dabei gefchieht es einem leicht, daß man fich in den einzelnen fzenifchen Einfall verliebt und daß man, allmählich ftumpf geworden, fi ſchon nicht mehr genug tun fann, weil man das Ge- fühl für die ruhige Wirkung des Ganzen in der Haft einer immer wieber zerriffenen Arbeit fchlieglich durchaus ver- Ioren bat. Jenes verführt, alles auszudehnen und hin- zuziehen, was gejtern, bejonder3 im vierten Afte, faft un- erträglich wurde. Dieſes ermüdet, durch fzenijches Detail, den Schaufpieler fo, daß ihm darin der Atem der Rolle auögeht, was geftern beſonders an Reimer zu merken war. Die Folge ift, daß ſich am Ende alles völlig verzerrt und aus dem Ganzen, das verfinkt, plöglich irgend eine Epiſode zu verblüffender Wirkung Herausfpringt, wie e8 geftern mit
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dem Daniel de3 Herrn Römpler und dem Paftor des Herrn Gregori geſchah.
Hedda Gabler. Ghhauſpiel In vier Akten von Henrit Ibſen. Im Burgtheater zum erften Mal aufgeführt am 20. März 1905.)
Das iſt eine ſehr ergögliche Gedichte, wie es jet gelang, Hinterrüd® die Hedda Gabler ind Burgtheater zu paſchen. Einige Schaufpieler, mit den Aufgaben unzu— frieden, die Schlenther ihnen ftellt, nach höheren gierig und empört, fich im niedrigen Schwanfe verfümmern zu fühlen, nahmen dieſes Stüd, teilten unter fi die Rollen aus, übten e3 ein, fuhren nach Brünn, führten es auf und hatten Erfolg. Dadurch bemerkte Schlenther das Stüd und, im Vertrauen auf Brünn, entſchloß er fich beherzt, & nun auch bei und zu wagen. So fönnen wir wieder hoffen. Wielleicht nehmen fich nächiten® ein paar feiernde Schaufpieler der Genovefa, des Herodes und der Agnes Bernauer an, um Hebbel über Znaim oder Steyr in unjere Stadt zu bringen. Und auch wir, die Schlenther nach Berlin verbannt hat, atmen auf. Wenn wir es nur ver- ftehen, und der Gunſt müßiger Schaufpieler zu verfichern, tüdt vielleicht doch wieder einmal ein Stüd von uns ind Burgtheater ein. Liebe Senders, erbarme dich unfer, lieber Reimers, bitt' für und! O wie nett, o wie zuderjüß will ich hinfort mit den Schaufpielern immer fein!
Die Hedda Gabler ift in Wien zuerft im Carltheater von Frau Niecherd, dann im Volkstheater unter Brahm don Fräulein Dumont, zulegt von der Dufe geipielt worden.
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Mean bat fie anfangs ausgelacht, ſpäter angeſtaunt, ver- ftanden nie. Die jungen Mädchen ſchwärmen für fie, weil fie in Schönheit Ieben oder doc} fterben will, Weinlaub im Haar, wie einft der trunfene Zug des Julian trug. Die klugen Leute dagegen jagen: Aber fie ift doch ein Luder! Ich denke, fie haben beide recht, die jungen Mädchen und die Eugen Leute: der Dichter zeigt, wie eine Frau, die fich aus der Gemeinheit einer bürgerlichen Exiftenz er- heben will, in unferen Zuftänden und an unjeren Zuftänden zum Luder werden muß. Ihn Hat das Problem der dionyſiſchen Frau gereizt, die fich an ihrer Sehnfucht in ein helleres und freiere und edleres Leben ſchwingen will, aber indem die wunderbare Klarheit feiner Natur es ihm ſogleich an einem einzelnen und ganz bejonderen alle, eben dem der ertravagant erzogenen, vor der Zeit erotiſch erwachten, unftet durch ein leeres Leben irrenden, dann noch in eine dumpfe Ehe verftoßenen, an einen täppiſch ahnungslofen Mann verlorenen, im Engen und Starten vereinfamten QTochter des General® Gabler zeigt, ftellt er mit dem Problem gleich auch jeine Karikatur dar, bis er eben dadurch plöglich unverjehen® wieder an fein ewige: Thema fommt, in das feine Werfe, wo immer fie auch beginnen mögen, immer wieder enden: an das Leiden von Menſchen zwiſchen zwei Formen, die, in ihrer Sehnfucht ſchon fo neu, daß ihnen die alte durchaus unerträglich ift, doch immer wieder in fie zurädfinfen müffen, weil fie noch die Kraft nicht haben, aus jich eine andere zu prägen. Diejes ewig über ſich hinaus Verlangen und ewig wieder in fich hin- ein Verlbſchen unferer armen Zeit, die ſich in Wünſchen jo verzehrt, daß ihr feine erfüllende Macht mehr bleibt,
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bis ſie davon bitter, wild und tückiſch wird, dieſes ganze Elend unſerer doch immer flügellahmen Vermeſſenheiten wird hiet dargeſtellt. Ich geſtehe, daß auch mir dies erſt durch die Duſe völlig aufgegangen iſt, wie es denn, um für ein Stück Ibſens reif zu werden, niemals genügt, ſeine Geſtalten mit dem Verſtande zu erkennen, ſondern man immer noch erſt ein ſtarkes inneres Erlebnis braucht, um ſich daran zu jeiner Freiheit aufzufchwingen.
Er hat einmal an Brandes gejchrieben: „Überhaupt gibt es Zeiten, da die ganze Weltgejhichte mir wie ein einziger großer Schiffbruch erſcheint — es gilt, fich ſelbſt zu retten!“ Das ift die Grundftimmung feines Lebens, feiner Werke. Schiffbruch überall. Die Menfchheit an ihren Lügen gefcheitert. Und: wie retten wir una? Das ift immer jein Thema. Immer ftellt er einen Menfchen auf, der leben möchte, aber es in unferer Welt nicht kann. Daher fein furctbarer Haß gegen die bürgerliche Form des Dafeins, in der es für ihn fein Gedeihen, aus der & fein Entrinnen gibt. Byron, die franzöfijche Romantik, das junge Deutichland, auch revolutionär, haben doc immerhin geglaubt, der einzelne könne fich innerlich frei behaupten. Und jpäter find die Künftler gern aus dem Bürgertum und feinen Gejegen entflohen, um fich in ihrem Schaffen wie auf einer feligen Injel zu ergehen. Ibſen reift alle dieje Betäubungen der Erbitterung auf. Nein, du kannſt did diejer bürgerlichen Form nicht Durch inneren Trog er- wehren, du Tannft dich nicht ſtill in eine Ede jtellen, dies alles ift nicht wahr, denn fie läßt dich dir nicht, fie nimmt dich ſelbſt dir weg, fie biegt und Lügt und ſchmiegt dich um, bis du dir jelöft zum Efel und zur Verachtung wirft, bald
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biſt du nicht mehr du, ein Schatten ihrer Gemeinheit wird |
aus dir! Nein, du haft feine andere Wahl, als: dich ihr zu ergeben, indem du dir entjagft, oder aber, wenn du dich retten willft, fie zu vernichten. Nein, jchmeichle dir nicht mit dem falfchen Troft, in jeder Form des menſch⸗ lichen Lebens fei dem einzelnen doch das ftille Glück ei- gener Ausbildung gewährt, du betrügft dich nur, es gibt für einen Mann, der ſich nicht verraten oder doch ver- leugnen will, fein andere Verhältnis zum Staate ald die Revolte.
Keiner Hat leidenfchaftlicher al3 Ibſen empfunden, was aus dem Menjchen werden könnte. Steiner jchmerz- licher, wie furchtbar ihm unjere Zeit verfrüppelt. Seiner hat fich gieriger und wilder nach dem dritten Meiche ge- jehnt, in welchem die Menjchen aus dem Tode erwachen werden. Wie jinnlos ift unjer Leben und könnte den höchften Sinn haben! Damit entläßt er und aus feinen Stüden immer. Seit es wieder Mode geworden iſt, Wohljein in unferer Eriftenz zu heucheln, nennt man das jeinen Peſſi— mismus. Aber dann ift es ein Peſſimismus, jo wunder- bar produftiv an Kühnheiten und Hoffnungen, daß die Menfchheit ihn einſt fegnen wird: denn er hat ihr den Zorn und den Haß in die Hand gedrüdt, nun fann fie fich wehren. Er ift unter allen, die jegt leben, der ein- zige Dichter, der Pathos Hat. Kein Iyrijches freilich, das in Tiraden erplodiert. Sondern das gelaffene, ftumme, totbereite eines Verſchworenen, der lauert. Unjer Pathos, das fich mit Faſſung oder Spott bededt, bis die Stunde gefommen fein wird! Er hat einmal gejagt: „Ein Dichter gehört feiner Natur nach zu den Weitfichtigen.“ In diefem
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Sinne iſt er heute der einzige Dichter. Er ſieht in die Weite. Er ſieht eine Menſchheit, die vielleicht in fünfzig, in hundert Jahren erft fein wird. Er fieht die Zeit, die fine Gewalt mehr leiden wird. Und er weiß, daß, wenn fie dann einft über unfere Gericht hält, ihr jeder von und aur nach feiner Sehnjucht, feinem Hafje gelten wird, nach dem Hafje gegen unſere Lügen, nad} der Sehnjucht in die Ferne, zur Sonne, hinaus und hinauf.
So müßte man aber feine Stüde nun auch endlich einmal fpielen: als Symphonien von Haß und Sehnſucht. Es ift gar nicht fo ſchwer: man erinnere ſich nur der Vorftellung des „Klein Eyolf” unter Burdhard, mit Mitter- wurzer und der Sandrod. Ich hoffe noch immer, daß Reinhardt, der jegt im Sommernachtstraum die Heiterkeit Shatefpeares, die auch auf der Bühne immer verfehlt worden ift, jo wunderbar getroffen hat, daß dieſer jeltfame Zauberer der Negie ſich doch noch einmal an den legten Ibſen machen wird. E wird dann eine Überrafchung geben. Denn mir ift gewiß, daß Ibſen, wenn die Schau- ipieler nur erft feinen Stil Haben, für das Schaujpiel wird, was jest Wagner für die Oper ift.
Fräulein Witt, deren Fleiß und fünftleriichen Takt man immer wieder bewundern muß, ift für die Hedda zu mondän; bejonders ſeeliſch. Sie jpielt fie mehr zur Francillon hinüber. Damit ftimmt im Tone Herr Gimnig, der auß dem Brad ungefähr den Präfekten in Andrea macht. Dumas, Sardou. Herr Niffen gleicht das aus, indem er einen Tesman von Benediz, höchitens von Wolzogen gibt. Merf- würdig ift Reimer: anfangs der beite Lovborg, den wir noch gejehen Haben, und ebenjo wieder am Schlufje von
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Herz, wird feiner Ines untren, einer Spanierin, Die der Dichter als feurig charakterifiert, und raftet nicht, bis er aus alten Urkunden den Beweis hat, daß William Dorrit der einzige Nachkomme von Japhet Ieremiad Dorrit, der einzige Erbe feines ungeheueren Vermbgens und alfo frei und ein reicher Mann ift, worauf er fich fofort befcheiden zurüdzieht, damit wir im legten Afte und noch über Torrit als Snob amüfieren fönnen, bis fie fich dann, noch dazu in Gegenwart eines Prinzen, eines wirklichen Prinzen, endlich doch Triegen.
Das macht nun dem Publikum ein großes Vergnügen, von dem man fich nicht auszufchließen braucht, weil e8 gar feine Prätenfionen hat und durchaus anftändig, ſauber und geſchickt vorgeführt wird. Man darf nur nicht an den Roman denken, fonft wird man ärgerlich. Nicht weil auf der Bühne, was dort Kraft und Fülle hat, dünn und leer geworden ift; dies verfteht man, da fich eine Erzäh— lung von taujend Seiten faum in einen Schwanf von dritthalb Stunden preſſen läßt. Aber man ftaunt, wie viel Didens, bei jeiner Verwandlung in Schönthan, an Menſchlichkeit verloren hat. Es find hier diejelben Leute al dort, ebenjo jpaßhaft, aber dort muß man manchmal plöglich über fie weinen, mitten im Spaß, und mehr als über fie noch darüber: wie der Menſch eben if. Das ge- ſchieht einem Hier nie, daran zu denken: wie der Menſch eben ift. Und das fehlt dann den Figuren. Gleich bei Klein Dorrit jelbft. Dort läßt fie ung fpüren, wie furdht- bar arm jein ift; hier kommt einem das nur ein bißchen abenteuerlih und eher fait verlodend vor. Dort iſt es rührend, wie jcheu es fie macht, daß man fie jedem zeigt
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und zu jedem von ihr jpricht und alle ftolz auf fie find, bier Eofettiert fie noch faft damit. Ebenjo das Pumpen des Alten. Derb komiſch, bier wie dort. Auch Dickens bedenkt fich gar nicht, ihn uns ſchäbig zu zeigen. Aber e3 wirft ganz anders. Denn anfangs wird einmal erzählt, daß einft ein armer Mann, ein Maurer, das Gefängnis verließ und dem Alten Kupfer in die Hand gab, indem ex entjchuldigend bemerkte: es ift nicht viel, aber es kommt vom Herzen. Das war dem noch nie geichehen, Kupfer hatte ihm noch feiner gefchentt. „Wie Lönnen Sie es wa⸗ gen!“ fagte er zu dem Manne und brach in ohnmächtige Tränen aus. Der Maurer drehte ihn gegen die Wand, damit man fein Geficht nicht jehe; dies war jo zartfühlend und der Mann war jo zerfniricht und bat jo ehrlich um Verzeihung, daß er nicht umhin konnte, ihm zu fagen: „Ich weiß, Sie meinten es gut. Sprechen wir nicht mehr davon.“ — „So wahr ich lebe, Sir,“ beteuerte der Maurer, „ich hab’ es gut gemeint. Und ich glaube, ich würde mehr für Sie tun, als alle anderen.“ — „Was würden Sie tun?“ fragte er. — „Ich würde" Sie wieder bejuchen fommen, nachdem ich draußen bin.“ — „Geben Sie mir das Geld wieder,“ jagte der andere lebhaft, „und ich will & behalten und nie ausgeben. Ich danke Ihnen, danlke Ihnen vielmals. Ich werde Ste aljo wiederjehen?“ — „Wenn ich noch eine Woche Iebe, ja.“ Sie jchüttelten ſich die Hände und fchieden. Die Kollegen, welche am Abend in der Kantine verammelt waren, wunderten fich über ihren Vater und fragten, was ihm wohl gefchehen fei, daß er jo fpät noch im Hofe auf und ab gehe und fo niederge- ſchlagen ſcheine . . . Das ift nur eine ganz fleine, ganz 6
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Herz, wird feiner Ines untren, einer Spanierin, die der Dichter ald feurig charakterifiert, und raftet nicht, bis er aus alten Urkunden den Beweis bat, daß Williom Dorrit der einzige Nachlomme von Japhet Jeremiad Dorrit, der einzige Exbe feines ungeheueren Vermögens und alfo frei und ein reicher Mann ift, worauf er fich fofort bejcheiden zurüdzieht, damit wir im legten Akte uns noch über Dorrit als Snob amüfieren können, bis fie fich dann, noch dazu in Gegenwart eines Prinzen, eines wirklichen Prinzen, endlich doch friegen.
Das macht nun dem Publitum ein großes Vergnügen, von dem man fich nicht außzufchließen braucht, weil es gar feine Prätenfionen hat und durchaus anftändig, fauber und geichict vorgeführt wird. Man darf nur nicht an den Roman denken, jonjt wird man ärgerlich. Nicht weil auf der Bühne, was dort Kraft und Fülle hat, dünn und leer geworden ift; dies verfteht man, da fich eine Erzäh— fung von taujend Seiten kaum in einen Schwanf von dritthalb Stunden preffen läßt. Aber man ftaunt, wie viel Didens, bei jeiner Verwandlung in Schönthan, an Menichlichkeit verloren hat. Es find hier diefelben Leute ala dort, ebenjo jpaßhaft, aber dort muß man manchmal plöglich über fie weinen, mitten im Spaß, und mehr als über fie noch darüber: wie der Menjch eben ift. Das ge ſchieht einem Hier nie, daran zu denken: wie der Menſch eben ift. Und das fehlt dann den Figuren. Gleich bei Klein Dorrit ſelbſt. Dort läßt fie uns fpüren, wie furcht- bar arm fein ift; Hier fommt einem das nur ein bißchen abentewerlich und eher fait verlodend vor. Port ifl & rührend, wie ſcheu es fie macht, daß man fie jedem zeigt
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und zu jedem von ihr jpricht und alle ftolz auf fie find, bier Eofettiert fie noch fat damit. Ebenjo das Pumpen des Alten. Derb komiſch, bier wie dort. Auch Dickens bedenkt fich gar nicht, ihn ung ſchäbig zu zeigen. Aber & wirkt ganz anderd. Denn anfangs wird einmal erzählt, daß einft ein armer Mann, ein Maurer, das Gefängnis verließ und dem Alten Kupfer in die Hand gab, indem er entichuldigend bemerkte: es ift nicht viel, aber es kommt vom Herzen. Das war dem noch nie gejchehen, Kupfer hatte ihm noch feiner geſchenkt. „Wie können Sie es wa- gen!” ſagte er zu dem Manne und brach in ohnmächtige Tränen aus. Der Maurer drehte ihn gegen die Wand, damit man fein Geficht nicht jehe; dies war jo zartfühlend und der Mann war fo zerfnirjcht und bat jo ehrlich um Verzeihung, daß er nicht umhin Fonnte, ihm zu jagen: „Ich weiß, Sie meinten es gut. Sprechen wir nicht mehr davon.“ — „So wahr ich lebe, Sir,“ beteuerte der Maurer, „ich hab’ e3 gut gemeint. Und ich glaube, ic} würde mehr
für Sie tun, als alle anderen.“ — „Was. würden Sie tm?“ fragte er. — „Ich würde" Sie wieder bejuchen fommen, nachdem ich draußen bin.“ — „Geben Sie mir
das Geld wieder,“ jagte der andere lebhaft, „und ich will & behalten und nie ausgeben. Ich danke Ihnen, danfe Ihnen vielmals. Ich werde Sie aljo wiederjehen ?“ — „Wenn ich noch eine Woche Iebe, ja.“ Sie jhüttelten ſich die Hände und ſchieden. Die Kollegen, welche am Abend in der Kantine verjammelt waren, wunderten ſich über ihren Later und fragten, was ihm wohl gejchehen jei, daß er jo fpät noch im Hofe auf und ab gehe und fo niederge- ſchlagen ſcheine ..... Das ift nur eine ganz Heine, ganz 6*
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kurze Szene. Aber wir können fie nicht mehr vergefien. Und wie gemein und abjurd ſich der Alte hinfort gebärden mag, wir fennen ihn befjer, wir wifien, was es ihn koſten muß, denn wir wiſſen die Gefchichte mit dem Maurer. Bei Schönthan fehlt fie. Und eigentlich Hat bei Didens jede Figur immer fo irgend eine geheime Gejchichte mit dem Maurer. Bei Schönthan aber fehlt diefe. Deshalb darf man an den Roman nicht denen.
Das Publikum tat es nicht und fo ftörte nicht3 feine Freude, die (man ſah das im dritten Afte) dem unver- fälfchten Schönthan noch mehr als dem mit Dickens gemifchten galt. Das Stüd wird in mehreren Stilen gejpielt: von Frau Retty, die jehr gefiel, im Tone des „feinen Luft- fpieles“ von 1880, aus dem Herr Thimig erft zulegt in den groben „deutihen Schwanf“ gerät, dann von Herrn Hartmann, der den wirklichen Prinzen gibt, ftark franzdjelnd, endlich von Frau Kallina, die als Spanierin gern die Dufe kopieren möchte, wie das nur die Pohl-Meifer könnte, als Operette. Schönthan wurde nach jedem Akte gerufen.
Zwiſchenſpiel.
(Komödie in drei Alten von Artur Schnitzler. Zum erſten Mal
aufgeführt im Burgtheater am 12. Oftober 1905.) Zwiſchenſpiel. Der Name gefällt mir ſehr. Vielleicht iſt es gar nicht fo gemeint, aber ich höre heraus: zwiſchen ernften Dingen. Ein Aufatmen nad) großen, vor größeren Werfen. Aufatmen und Ausraften. Paufe. Sein Deutſcher unferer Beit ift auf der Bühne im Geiftigen weiter ge- kommen als Schnigler im „Einfamen Weg“. Und id
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habe vielleicht nie Wahn und Wunfch der Heutigen, Mor- gigen ftärfer vernommen als aus jeinem „Auf des Lebens". Aber dazwiſchen Pauſe. Atem zu holen und lächelnd zurüd- zubliden. Auf vieles, da8 ung einft wichtig war. Und mit dieſem jegt zu fpielen. Wieder einmal Theater zu fielen. Ganz einfach Theater. Wie damals, ala wir noch für Herrn Hartmann ſchwärmten ... So fpricht diefer Name mich an und ich kann es ſehr verftehen. Niegiche Hatte feine Zeit mit Nie. Er nannte das im Spaß jeinen Réealismus. Man wunderte fich: der tief jpürende, Hoch wollende Niegjche mit diejem gemäßigten Menſchen der verftändigen Klarheit. Es war ihm aber ofienbar eine Sur, die er fich verordnet Hatte. Wir haben ſolche Zeiten, in welchen ung nötig wird, uns einzuziehen, ja, am beiten: von uns einmal abzufehen. Wir brauchen Pauſen, welche vielleicht für die geheime Kraft in ung gar feine find, die vielleicht umbelaufcht fchaffend bleibt, während wir zu fpielen glauben. Ich verjtehe das; und noch mehr: e3 jcheint mir für unjer Theater ganz gut, wenn dieſer oder jener manchmal in jeiner eigentlichen Produktion anhält, um daneben, dazwifchen in einer leichteren, ihm jelber unwichtigen, etwa ſogar nicht ganz echten, loſen, Iuftigen Art wieder einmal bloß zu jpielen, einfach Theater zu ſpielen. Es ift nämlich ſonſt Gefahr, daß wir uns, nur unferer Eigenheit zugewendet, indem wir und erfüllen und vollenden, zu jehr vom Publikum ent- fernen, welches, unfähig, und nachzufommen, ratlos an die gemeinen Macher ausgeliefert würde. Weshalb es ihm zu gönnen ift, wenn manchmal ein Künftler ſich zwifchen feinen ernften Dingen herabläßt, den ftrengen Ton etwas
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zu mildern, um in einer Pauſe mit ihm ein bißchen zu ſpielen.
Der Kapellmeiſtet Amadeus Adams und ſeine Frau, die Sängerin Ortenburg. Die zwei haben ſich einſt ſehr geliebt. Jetzt haben fie fich nur noch ſehr gern. Vielleicht follte man gar nicht jagen: nur noch. Vielleicht ift das jegt eigentlich viel fchöner, al3 das damals war. Vielleicht verbinden fich zwei Menfchen gerade dann erft ganz, wenn fie fich nicht mehr begehren. Wielleicht gibt es eine zweite Liebe, die zwar nur unter Menfchen möglich ift, welche früher durch jene finnliche verbunden waren, aber erft beginnt, wenn die erſte aus ift. Wenigftens Amadeus fühlt es faft fo; es feheint auch mehr ein männliches Ge- fühl zu jein, in das ſich eine frau jelten findet. Er iſt ſehr froh, auch weil es ihm ein bißchen jchmeichelt, fich fagen zu dürfen, daß es fein Verſtand ift, den er diefe gute Che verdankt. Er Hat fie auf volllommene Auf- richtigfeit gegründet, fie Haben einander nie etwas verjchwiegen und deshalb kennen fie ſich jegt jo gut, daß ihnen vor- kommt, es könne noch nie zwei Menjchen gegeben haben, die fich beſſer verftanden hätten. Vor allem künſtleriſch. Wenn fie fingt, hat fie ihn gern bei fich, weil fie fich in feiner Nähe viel ficherer weiß. Und er erlebt es oft, dab fie an feinen eigenen Einfällen mehr entdedt, als er ſelbſt darin merkt. Aber nicht bloß Fünftlerifch, jondern auch menſchlich. Sie läßt es zu, daß er mit einer Kollegin tändelt, der Sängerin Gräfin Friederife Moosheim, welche einen jehr eiferfüchtigen Mann, eine Villa, leuchtend und weiß am Waffer, mit einer berühmten Platane im Part, unter der fie in heißen Nächten manchmal fchläft, und
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Liebhaber Hat. Und er wieder läßt e3 zu, daß ihr ein junger Fürft Lohfenftein gefällt, der eigentlich ins Klofter gehen wollte, jegt aber hauptſächlich Tanzmuſik treibt. Zuerſt iſt es wirklich nicht mehr, als daß ihr der ganz artige junge Menſch eben gefällt. Es wird mehr, als Amadeus zu fragen beginnt, nicht aus Eiferfucht, fondern gewohnt, von allem mit ihr zu fprechen. Hier zögert fie, mit der Empfindung, daß man manches nicht ausſprechen darf, weil es dadurch gleich ganz anders wird. Er aber verſteht daS nicht und drängt: Liebſt du ihn? Sie weiß es nicht. Sie glaubt es eigentlich nicht. Sie fühlt fich zu ihm Bingezogen, aber e3 ift etwas da, das fie zurück- hält, Oder doch zurüdhalten könnte. Aber das will er nicht. Nein, da wird er fchroff, er iſt zu Stolz, fie zu halten. Nein, dann lieber gleich — und fie haben das ja immer gewußt, daß einmal diefe Stunde tommen wird, die Stunde der Trennung. Aber er fieht nicht ein, warum fie, innerlich getrennt, es auch äußerlich werden müſſen. Warum? Sie leben fo ſchön zufammen, fie verjtehen fich jo gut, fie brauchen fich fo viel, fie haben ein Heim, fie haben einen Buben, warum dies alles zerſtören? Da es doch nur noch viel ſchöner werden lann, wenn fie nicht mehr als Gatten, fondern als Kameraden beifammen find! „Wir würden uns über alles augjprechen, geradejo, wie bisher — ja gewiffer- maßen über mehr. Da wäre natürlich die Vorausſetzung unjerer weiteren Beziehung: Wahrheit — rüchhaltloſe Wahrheit. Und das käme nicht nur unjeren DBezieh- ungen zueinander, fondern jedem einzelnen von ung jehr auftatten. Denn fönnteft du einen befjeren Kameraden
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finden al3 mich, ich eine beifere Kameradin ala dich? — Mit unferen Freuden und unferen Schmerzen kämen wir zueinander, wären Freunde wie biöher, vielleicht befjere als je, und würden uns die Hände reichen, auch über Ab- gründe. So behielten wir alles was uns bisher gehört hat: unfere Arbeit, unfer Kind, unfer Heim — alles was wir gemeinfam haben müfjen, damit es feinen ganzen Wert für ung behält. Und gewännen zugleich mandjed, wonach wir ung beide feit einiger Zeit jehnen und wovon ich im übrigen auch gar feine freude Hätte, wenn ich Dich ver- Heren müßte... . Dir geht es ja geradefo, Cäcilie. Ich weiß es ja. Wir können ohneeinander gar nicht Ieben. Ich ohne dich gewiß nicht. Und du?“ Sie antwortet: „Es ift wohl möglich, daß es auch mir ſchwer fiele." Er aber überhört, wie wenig zuverfichtlich das Klingt, und um- armt fie. „Was tuft du?“ fragt fie. Er erwidert: „Sch habe meiner Geliebten Lebewohl gejagt.“ Und drüdt ihr die Hand: „Und nun begrüße ich die Freundin!“ Und iſt tiefig vergnügt, weil es Doch auch wirklich jo bequem ift. „Ah, ich kann dir gar nicht jagen, wie froh mir zumute ift! Es hat ſich wahrhaftig nicht viel geändert. Nur die Befangenheit ift fort... . die Bangigfeit diejer legten Wochen... . Es ift nicht jchön geweſen in der legten Zeit. Der Himmel jo trüb über unjerem Hauje ... und nicht nur über unjerem Haufe. Jetzt ſchwinden die Wolten, jegt wird die ganze Welt geradezu wieder licht. Und ih werde eine Symphonie fehreifen — eine Symphonie!“ Und nun geht Amadeus zu jeiner Heinen Gräfin in die weiß am Waffer leuchtende Billa unter die berühmte Platane. Das Hält ſich übrigens nicht Iange, im zweiten
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Alte ift es ſchon wieder aus. Eben kommt Cäcilie aus Berlin zurüd, wo fie gaitiert hat. Der junge Fürft war natürlich mit. Amadeus hat nichts Dagegen, ald er es erfährt. Es ftimmt ja mit der Verabredung. Es macht ihn höchſtens manchmal ein bißchen nervös, dab die Leute ſchon davon reden, daß man ihn anonym warnt, daß eine Zeitung fogar von der Verlobung jeiner Frau mit dem Fürften wifjen will. Aber er würde mit dieſem allen fertig, wenn fie nicht plöglich, heimgefommen, jo merkwürdig verwandelt wär. Er erfennt jie faum, iht Wefen hat einen neuen Klang, der ihm fremd ift, und es regt ſich in ihm wie Furcht für fie. Er möchte fie ſchützen, vor unbelannten Gefahren, die er ihr drohen fühlt. Aber das weift fie zurüd, fie will nicht mehr gehütet jein. „Sch habe ja noch... . ich habe ja noch fo wenig erlebt. Und ich ſehne mich danach. Ich ſehne mich nach allem Schmerzlichen und Süßen, nach allem Schönen und nach allem Kläglichen, was das Leben bringt. Ich jehne mich nah Stürmen und Gefahr — vielleicht nach mehr... du weißt nur, was ich dir — was ich als deine Geliebte, deine Gattin war. Uud da du für mich die ganze Welt bedeutet Haft, in dir all meine Sehnjucht, all meine Zärt- lichfeit beichlofjen war, jo fonnten wir beide früher nicht ahnen, wozu ich beftimmt wäre, wenn fich die wirkliche Welt dor mir auftäte. Ich bin jchon Heute nicht mehr, die ich war, Amadeus... .. Ober vielleicht war ich immer diejelbe und babe es nur nicht gewußt; und es ift jegt etwas von mir abgefallen, das mich früher umhüllt Hat... . 3a, jo muß & fein: denn jegt fühle ich alle Wünſche, die früher an mir herabgeglitten find wie an einem fühllofen eifernen Pan—
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zer ... jetzt fühle ich fie über meinen Leib, über meine Seele gleiten und fie machen mich beben und glühen. Die Erde fcheint mir voll von Abenteuern, der Himmel wie von Flammen ftrahlend und mir ift, als jäh’ ich mich ſelbſt, wie ich mit außgebreiteten Armen dajtehe und warte.“ Und da fie fo vor ihm fteht, ferner Ver— heißungen wartend, ander als er fie je gefannt, von einer Schönheit, die er nie an ihr geſehen hat — „Seine Beſſere, glaub’ ich, als jene andere, eher eine Graujamere, und doc eine, glaub’ ich, die mehr ge- Schaffen ift zu beglüden“ — da geichieht ihm, daß er fie plöglich wieder begehrt. Sie beraufcht ihn, er dringt auf fie ein und jegt, ſeit er fie wieder gehabt hat, ift ihm der Fürft unerträglich, die Leidenſchaft wirft zurüd, er haßt ihn, will ihn fordern, will ihn töten, bis er erfährt, daß zwiſchen dem Fürften und feiner Frau gar nicht geweſen iſt. Alſo nur eine Komödie von ihr? Um ihn eiferfüchtig zu machen? Und an feiner Eiferfucht aus feinen Aben- teuern zu ihr zurüd zu ziehen? Nein. Sie war nicht treu. Und wenn fie dem Fürften nicht gehört hat, fo ift das nur, weil Frauen irgend etwas auch dann noch zögern macht, wenn fie ſchon längſt entichlofjen find. Nur deö- halb ift es noch nicht, aber es wird fein. Amadeus fährt auf: „Nie!“ Sie aber: „Warum bildeit du dir das ein, Amadeus? Es wird wahr werden. Glaubft du denn, dies follte eine Prüfung für dich fein? Denkft du, id fpielte eine lindiſche Kombdie, um dich zu ftrafen, und jegt, nachdem du zu früh die ganze Wahrheit erfahren, würde ich Dir in die Arme finfen und erklären, alles jei wieder gut? Haft du es wirklich für möglich gehalten,
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daß nun alles vergeſſen ſei und wir unſere Ehe wieder aufnehmen werden, wo ſie unterbrochen wurde? Kannſt du es denn nur wünſchen, daß es fo fommt und daß es eine Ehe wird wie taufend andere, wo man fich betrügt — und wieder verjöhnt — und wieder betrügt, je nach der Laune des Augenblides?“ Amadeus will fie beſchwichtigen: „Wir haben ung nicht betrogen und nicht verfühnt — wir waren frei und haben uns wiedergefunden.“ Aber fie läßt ſich jegt von feinen Lügen mehr fangen: „Wir ung +... Als wenn das nur möglich gewejen wäre! Was ift & denn, was mich mit einem Mal für dich jo begehreng- wert machte? Nicht daß ich Cäcilie war — nein: da ih als eine andere wiederzukommen ſchien. Und war ich denn wirklich dein? Ich' war es nicht. Oder bift du jo beicheiden geworden mit einem Mal, daß dir ein Glüd genügte, das zur felben Stunde fich vielleicht auch ein anderer hätte holen können, wenn er nur dageweſen wäre?” Und fo fcheiden ji. Es wird zu ertragen fein, fie haben ja beide zu arbeiten. Und vielleicht, wer weiß? „Wir find einander joviel gewejen, Amadeus, daß wir ung die Erinnerung daran erhalten müffen. Wenn das ein Aben- teuer war, jo find wir auch unjer vergangenes Glüd nicht wert; war es ein Abſchied, jo find wir doch vielleicht zu einem künftigen beitimmt . . . vielleicht."
Ich Habe Hier manches gefunden, das mir nachge- gangen ift. Dieſes: man Iebt mit einer Frau, Hat fie gern und weiß doc eigentlich nicht? von ihr, fie Tann morgen eine andere fein, über Nacht. Und diefes: wir jehen die Menjchen nur fo, wie wir für fie fühlen. Seit dem Amadeus feine Frau finnlich gleichgültig geworden
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iſt, glaubt er fie gleichgültig, unfinnlic, falt. Worin viel- leicht noch ein ganz anderes Stüd ftedt. Und diejes: wir glauben unjer Schidjal zu regieren, aber es |pielt mit ung und unfer eigenes Leben lebt über uns hinweg; was ich im „Meifter" fo ſehr empfunden habe. Nicht angenehm ift mir der Ton, in welchen Amadeus mit jeinem Freunde verkehrt: Grienfteidl 1890. Und gar nicht mag ich den Fürften. Died mag meine Schuld fein. Jeder fann nur nad) jeinen Erfahrungen denken. Dieier junge Fürſt be- trägt ich edler al® alle andern in der Komödie. Nach meinen Erfahrungen ift in feinen Kreiſen fittlicher Taft und Menjchlichfeit der Empfindung unbefannt. Wenn ich die Kapellmeifter nehme, die ich Tenne, und mit den Baronen, Grafen oder Fürſten vergleiche, über welche mir ein Urteil zufteht, fo ift jeder von jenen menſchlich mehr wert als dieje. Sch weiß nicht, woher Schnigler andere Erfahrungen haben kann. Und es ftört mich jehr, woran Schnigler gewiß gar nicht gedacht hat, wie diejer Fürft im Burgtheater wirfen muß: als ein Kompliment vor den Komteſſen! Es iſt für mich, weil ich Schnigler ſehr gern habe, ein peinliche® Gefühl, mir zu denfen, daß eine der Damen, die damals den Kaladu vertrieben haben, jegt vielleicht befriedigt ruft: Bravo, Hat fich gebefjert! Und ich darf nicht aufftehen und darf nicht fchreien: Nein, es ift nicht wahr, er hat fich nicht gebeffert, er wird es nie! Wunderbar ift Kainz als Amadeus. Nicht bloß ſchau— fpielerijch, in feiner unglaublichen Bravour, alle Neben-, Seiten-, Ober«, Unter- und Zwiichenbedeutungen der Worte mitzujprechen und das Wort durch den Geſtus umzubiegen und abzubrechen. Noch viel mehr menjchlich: er ift der
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einzige deutſche Schauſpieler jetzt, der den guten Wiener Ton Hat, oder richtiger: den Ton der zehn oder zwolf ſeht kultivierten Wiener; und einer der ganz wenigen, die und mit zwei Sägen an einen wirflichen bedeutenden Mien- ſchen glauben machen können. Das fehlt dem ſcharmanten Fräulein Witt leider ganz, das die Cäcilie bald ins Mon- däne hinüber, bald ins bürgerlich Brave herabrüdt. Den jungen Fürften gab Herr Korff mit einer zu fichtlichen Angft, ausgelacht zu werden. Das Publilum, anfangs ſehr gut gelaunt, wollte im legten Afte nicht mehr recht folgen. Nach dem erften Afte erichten der Negiffeur, dann Schnigler felbft, herzlich begrüßt.
Stein unter Steinen.
Schaufpiel in vier Alten von Hermann Subermann.
IH traf vor Jahren einmal Theodor Herzl, wir gingen zufammen und er war ſehr böje auf mich. Er ärgerte fich, daß ich ein Stüd, das er jchlecht fand, freund- lich rezenſiert hatte. Ich fand es ebenfo fchlecht, er Hatte die auch Herausgehört und begriff mich nun gar nicht. Die Peitiche, rief er, ich höre ihn noch, verdient der Kerl und Sie ftreicheln ihn noch! Wenn er aber, fragte ich, vielleicht doch Talent hat, wie mir feheint? Und Herzl, heftig: . „Umfo fehlimmer. Für ihn und für Sie. Einem Talente ift man ſchuldig, unerbittlich zu fein.” Und mit der Luft, die wir an Paradoxen haben, fuhr er fort: „Talentlojeg mag man loben, wenn denn ſchon manchmal gelobt werden muß. Das fehadet niemand. Aber Talent, nein, Nie. Lachen Ste nur, es ift doch fo. Talent darf
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nie gelobt werden, auch in ſeinen höchſten Leiſtungen nicht, weil es ſich ſonſt beruhigt. Kritik aber iſt dazu da, Talent über ſich empor zu treiben und es ſo zu quälen, daß es vor Angſt und Not das Letzte hergibt.“ Es ſei dies eine Frage der Methode, entgegnete ich, auf Kinder verweiſend, die manche freilich Schläge brauchen, aber andere nur in meiner ftreichelnden Art zu behandeln feien, indem fie fich ſonſt gleich verftodten und zertrogten. Solchen müfje mar vielmehr fingieren, als feien fie wahre Muſter, wodurch es ihr Ehrgeiz werde, unferen Glauben nicht zu enttäufchen. Und nun führte ich ihm Beifpiele an, wie ich Autoren, die ſchon ſehr bereit geweſen, fich zum Publikum herab⸗ finfen zu laſſen, durch einen Starken Ausdrud des Vertrauens emporgehalten hätte. Herzl lachte und gebrauchte noch das Wort, daß ich eigentlich aljo Talente innerlich hinaufſchwindle. Was mich gar nicht verdroß, denn das Mittel ift mir gleich und ich Habe Proben, daß Menichen, zu einer geiftigen Haltung gezwungen, an die fie zuerſt insgeheim ſelbſt gar nicht glauben, diefe mit der Zeit zu ihrer zweiten Natur machen. Bei jedem wird das freilich nicht gelingen und ich beſtritt Herzl auch gar nicht, daß feine Methode, die peitjchende, ebenjo notwendig ift. Beide find notwendig. Und beide Zönnen, falſch gebraucht, ſehr gefährlich werden. Was ja auch jeder von uns wife, wie denn meine Sritif doch keineswegs immer nur ftreichle, feine feineswegs immer nur peitjche und wir uns, einer über den anderen, auch ſchon umgekehrt geärgert hätten. Und fo fchieden wir ver- gnügt und entfernten uns.
Daran muß ich immer denfen, wenn ich Sudermann ſehe. Er gehört, fommt mir immer mehr vor, zu den
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Autoren, die es brauchen, daß ihnen von guten klugen Freunden beharrlich Talent eingeredet wird, und die dann wirllich ſeht fteigen können. Nun kann man nidjt fagen, daß die Berliner Kritif von der ftreichelnden Art if. Er aber Hat die Peitjche nicht vertragen. Er ift troßig ge- worden, haut aus und rennt durch. Fort. Hinüber. Mitten ins gemeine Publikum hinein.
In ihm war immer eine hochjtrebende Begabung mit einem Zug ins Brutale, mit einer heftigen Begierde, un- mittelbar ftarf zu wirken, beijammen. Und er hat ſich um jene jehr bemüht. Das ſollte man nicht verfennen. Ich muß Doch jagen, immer wieder, daß mir der Mann, der ſich nach der Heimat aufgerafft und zu der ftillen Arbeit an der Schmetterlingzfchlacht, am Glück im Winkel, an den Reiherfebern bejonnen hat, Uchtung zu verdienen ſcheint. Wäre er darin ermutigt worden, fo würde die deutjche Bühne am anftändigen, einen hohen Geſchmack nicht ver- legenden und doch den Bedürfnifjen des gebildeten Philiſters gerechten Stücken reicher fein. Und folche Stüde brauchen wir fehließlich. Entbehren wir fie, jo haben nur die ge- meinen Spaßmacher den Profit. „Kunftpolitiich” Hätte Sudermann, von einer behutjamen Kritik nach dem edleren Geſchmack hingedrängt, dem deutichen Theater etwas jehr BVichtiges werden Eönnen: der Autor de3 gebildeten mitt- leren Bürgertums, das bei ihm fein Gewiſſen erforjcht, feine Sorgen beraten, feine ragen verhandelt gefunden hätte, Die peitichende Kritik Hat ihm toll gemacht. Er will jegt nur noch zeigen, daß er ftärfer ift. Eine Stimmung, die fi ganz gut begreifen läßt. Schreibt er heute ein Stüd, das nicht unbedingt auf das Publitum rechnen
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Tann, ſo hat er dazu nur noch den kritiſchen Hohn. Es bleibt ihm alfo nichts als: mit allen Mitteln zu wirken. Die Kritit hat ihn zum Publitum verdammt. Hat er diefed, jo Tann er ihrer lachen; es mag ein bitteres Lachen fein. Aber ob er will oder nicht, er muß, es bleibt ihm nichts als der brutale Effekt, er kann nicht mehr aus. Schade um ihn. Und noch einmal: nicht er allein iſt ſchuld. Und wenn er vielleicht doch noch feinen Trotz wenden würde und doch noch die Kraft hätte, heute noch, fich heraus zu reißen, vom Publikum weg, nach einem überall unbefümmerten Schaffen empor, dies Könnte ein großes Bild fein. Aber e3 icheint, daß er müde geworden ift. Schade. Dan Iennt den Inhalt des Stüdes. Stark Fabricius, Gewiß ein Problem. Es Lönnte das Sinnloje der Strafe gezeigt werden. Und wie ihre Wirkungen ihr eigentliches Weſen erfennen laſſen: daß fie zulegt ja doch nichts als Rache ift. Umd deswegen unjerer Empfindung heute jo fremd, fo feindfich. Aber dies alles wird hier durch den Effekt zugedeckt. Alles geichieht mit unabläſſigen Blicken nad dem Publitum. Und er hat ja jehliehlich recht. Er erreicht ja, was er will. Es wirft ja. Ich aber muß an die Echinetterlingsjchlacht denken und an die Reiher- federn und noch an Johannisfeuer und mir ift leid.
Familie. (Schaufpiel in drei Akten von Karl Schönherr. Zum erſten Mal aufgeführt im Burgtheater am 30. November 1905.) Ein junger Menſch hat feine Frau jehr gern. Uber die blinzelt und angelt nach anderen. Und da ift im Dorfe
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ein Jäger, Rüttling, den will ſie. Er widerſtrebt, er mag den Günther, feinen beſten Freund, nicht betrügen. Und der eine Bub tut ihm leid. Uber fie, gierig und heiß, läßt nicht und Iodt und lodt: Komm’ ſchöner Jäger... tan dich ... heut wär mein Mann nicht daheim. Ich fell? dir das Licht and Fenfter! Ein Licht... dem lieben Gott zu Ehren, jagt fie. Er jei ihr Gott. Auch dem Knaben fagte fie dies. Er erzählt es, viele Jahre ipäter: „So fünf, ſechs Jahre war ich alt... . werd’ ich in der Nacht einmal wach. Seh’ ich ein Licht am Fenſter! Ruf ich! Mutter! Was tft dad? Sagt fie: Ein Licht... dem Tieben Gott zu Ehren! Kommt Gott denn Heut zu uns? frag’ ih, — Mußt ſchon die Augen zumachen! Dann kommt er, jagte fie. Ich mach’ die Angen zu und wart auf den lieben Gott. Da Hör’ ich, es fommt wer in die Stube! Heb' ich die Händ’ auf umd bei’... Bas ſeh' ich dir ftatt Gott? Einen ganz gewöhnlichen Menſchen! Und Mutter Hat feit die Arme um ihn und fügt ihn ab und erzählt ihm lachend, was fie mir mit dem Lichte vorgefchwefelt Hat... . es ſei dem lieben Gott zu Ehren. Da geht auf einmal die Tür auf! Der Vater tommt! Er ſchaut! Er will drauf los ... kann feinen Schritt vom Boden weg! Reißt fperrangelweit die Augen auf... plumpft der Länge nach auf den Boden hin... erledigt! Er Hat den Anblid Gottes nicht ertragen.“ Der Vater, ins Herz getroffen, ift tot. Die Mutter, in ihrer ungeheueren Angft, padt den Knaben, rennt hinaus und jpringt in den Bad. Sie ertrinkt, das Kind wird gerettet. Sie hat's aus Verzweiflung getan, aus übergroßer Liebe, jagen die Leute und find fehr gerührt. Man be- Hermann Bar, Gloffen. 7
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gräbt beide in demfelben Grabe und die frauen der Gegend fammeln für einen Stein. Und Heute noch wallfahrten junge Hochzeitsleute ‘gern zu dieſem Grabe und ſchwören fich davor Liebe und Treue bis in ben Tod.
Seitdem find Jahre vergangen. Rüttling hat es über- wunden. Furchtbar ſchwer. Lange noch im Gemüte be- drüdt, auch nachdem er es gebeichtet und der gute Pfarrer ihn getröftet Hat. Lange noch ungewiß, ob es denn genüge zu beichten, ob er es nicht erft noch werde büßen müffen. Aber Jahre vergehen. Er freit ein Weib, es fchenkt ihm Kinder, einen Sinaben, Henner, und ein Mädchen, Nantchen. Er iſt Oberförfter, Arbeit freut ihn, alles gedeiht ihm. So finkt Vergangenheit allmählich hinab, er wird frei, er wagt zu vergefien. Bis es ihn plöglich einmal wieder furchtbar aufſcheucht. Er ertränft eine Kate im Bache, jein Sohn fteht dabei, rutſcht aus, ſtürzt ins Waſſer. Da taucht jenes mit fo jchauerlicher Kraft vor ihm auf, daß es ihm lähmt: er fteht mur und ftarrt hinaus und denkt zurüd, kann fich nicht vegen, ſonſt ein fo mutiger Helfer, ein Preisichwimmer, man verfteht es gar nicht. Schon fcheint der Knabe verloren, da kommt ein Soldat gerannt und rettet ihn. Es iſt der Soldat Günther, jener beiden Sohn,
Dem Günther ift’3 arg ergangen. Bon Hein auf wie ein Hund in der Welt herumgeſchlagen. Mit fünfzehn Jahren jchon in der Stadt, Bedienter, bei einer Brettel- fängerin. „Na! Bei der Gnädigen iſt's zugegangen! Ye den Tag ein anderer an der Tour! Und wenn die Gnädige in ber Nacht heimgefommen iſt ... vollgefoffen von Scham- pus ... und fie hat g’rad’ wieder einmal ihre Mädel
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davongejagt, dann hab’ ich bei ihr dürfen Kammerzofe machen. Und das muß ich ſchon ſagen ... da war meine Gnädige oft ſchon mehr als gnädig. Na... das Luder hat mich gut abgerichtet! Wo ich nur ein jchönes Weib erwiſcht hab'!“ Und fo bedenkt er fich nicht viel, nützt die dankbare Rührung der erregten Mutter aus und nimmt fi Frau Nüttling „Ste hat mir zuerft wegen Henner die Hände geküßt ... und fo hat fich die Sache ge- macht !*
Bald fängt man im Dorfe zu ziicheln an. Es gibt Leute genug, die es dem aufrechten Manne gönnen. Man tufchelt bei der Hirfchenmwirtin drüben, daß fich jet oft nachts im Erker des Förfters ein Licht zeigt. Und immer, wenn ſich das Licht zeigt, iſt es eine Nacht, in der ber Operförfter auswärts ift. Und immer, wenn ſich das Licht zeigt, fteht der Soldat Günther auf, fo bald er e8 von der Gaſtſtube aus fieht, und zahlt und geht fort. Das weiß man bald im ganzen Dorfe und die Gafjenbuben fingen ſchon einen Neim auf das Abenteuer: Eins und zwei ift drei, ein Weidmann trägt ein Geweih!
Hier fett das Stüd ein, das nun eigentlich bloß zeigt, wie Rüttling, erft ahnungslos, es allmählich erfährt, doc nicht glauben Tann, argwöhniſch wird, immer noch hofft, dab es fich als eine Verleumdung zeigen wird, Beweiſe will und eben dieje Beweiſe doch jcheut, bis er endlich jelbft nachts das Licht in jenen Erker ftellt, um zu fehen, ob der Soldat auf das Zeichen wirklich kommen wird. Aber indem er Iauert, fchleicht fein Sohn Henner, der es weiß, in die Nacht hinaus und erſchießt den Soldaten. Dos wird mit einer jehr ficheren Technik aufgerollt, an
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der zu bewundern ift, wie fie Stüd um Stüd Vergange- nes und Kommendes fo verknüpft, daß der Zuſchauer immer- fort in Spannung tft: er hat Angft, alles zu verfäumen, wenn er nicht jede Karte, die der Autor augfpielt, gleichfam mitzuzählen und den Moment auszurechnen weiß, wann der Trumpf kommen muß. Bei einem Franzoſen würde man ſich über die Bravour diejer Technik gar nicht genug verzüden können. Es ift vielleicht ungerecht, daß man bei Schönherr diejer Künfte nicht froh werden will. Vielleicht aber darf er gerade darauf ftolz fein. Mir ift es unbe haglich, an einem Menfchen zu beiwundern, was er kann, wenn ich lieber bereit wäre, zu verehren, was er ift. Das fpürt man bier jo wenig. Den Schönherr ſpürt man eigent- lich das ganze Stüd nicht. Es hat etwas Franzöfilches, im rüdficht3lofen Drängen auf den ftarfen Effekt Hin, und hat in der Stimmung manchmal plöglich etwas Altromanti- ſches, jo Zacharias Werner etwa; oder gar geradezu an Müllers Schuld habe ich manchmal denken müſſen. Nur an Schönherr felbft nicht. Und ich fürchte faft, dies kommt daher, weil Schönherr, ich will nicht jagen: Furcht vor dem. Publitum hat, nein, das hoffentlich doch nicht, aber weil man ihm anzumerfen glaubt, daß er fich um das | Publikum forgt. Er traut feiner eigenen Sache nicht zu, allein mit dem Publikum fertig zu werden. Und jo fpinnt | er allerhand ein und aus, für das Publikum, und verjpinnt | fie fo, daß man fie zuleßt gar nicht mehr fieht, feine eigene | Sache ſelbſt. Ich vermute, daß ihn an jeinem Stüde zu | erſt etwas Wunderjchönes gereizt hat: der Sohn, der die | Gier des entbrannten Weibes, die jedem Jüngling entjeg- lich ift, zuerft an der eigenen angebeteten Mutter erblidt.
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Et hat das zweimal: der Günther verdirbt daran, ebenfo wie Henner. Und trogdem merft man es faum, weil er es mit feiner Technik verhängt. Vielleicht zum äußeren Vor- teile de3 Stückes, gegen das, wenn ed den Mut hätte, rückſichtslos auf fich zu beftehen, die Leute wütend rebellieren würden. Gewiß mit einem inneren Verlufte, weil er fo doch gar nicht dazu fommt, feine Sache eigentlich aus- zutragen.
Merkwürdig übrigens, wie das Publikum ijt: will's ihm einer recht machen, jo iſt's ihm auch wieder nicht recht, & wollte ben ganzen Abend über eine gelafjene Hochachtung nicht hinaus. Vielleicht auch weil Herr Pittichau, in den ruhigen Momenten vortrefflich, dann doch die Kraft nicht hat, zum Erbförfter emporzuwachien. Wunderfchön ift die Maria der Frau Bleibtreu, wunderfchön auch die Groß— mutter der frau Mitterwurzer. Reimers überrajcht als Günther durch eine knappe Wucht die faft etwas Gabilloni- ſches hat, und Fräulein Senders zeigt in einer Epifode wieder ihre ganz unvergleichliche fchaufpielerifche Energie.
- Der Helfer.
(Shaufpiel in vier Aufgügen von Felix Philippi. Zum erften Mat aufgeführt im Burgtheater am 14. Dezembember 1905.) Wir jagen neulich in Berlin ein paar beifammen und
erinnerten und und wunderten ung. Noch vor ein paar
Jahren herrichten die „Macher“. Und plöglich gibt es jegt
faum mehr ein Theater für fie. Reinhardt nimınt fie
nicht; Brahm felten und nicht gern. Bonn zählt nicht.
Bleibt hochſtens Hülſen. Und auch in der Provinz, Hagen
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fie, geht es zurüd. Überall dringt die „Literatur“ vor, die verfluchte Literatur. Den großen firmen wird angft. Was fol das werben? Und ich ſagte: Es tft auch un- gerecht. Sehr angenehm für und. Aber ungerecht gegen fi. Schließlich Lönnen wir doch nicht Ieugnen, daß die Stüde der Macher, diefe grundichlechten Stüde, auch ihr Publikum haben. Ein ſehr großes Publilum. Ein Publikum, das ſich nach folchen Stüden jehnt. Dem jchlechte Stüde ein Bedürfnis find. Glaubt man, daß es angeht, ein jo ftarkes Bedürfnis unbefriedigt zu lafien? Das wird fich nicht Halten. So fagte ich und fagte voraus, da nächftens einer, der das Geichäft veriteht, ein neues großes Theater für fie gründen werde, ein Theater der Macher, der jchlechten Stüde. Da erwiderte einer: Warum denn? Es ift nicht fo arg. Denn wenn fie auch bier jegt aus allen Theatern verdrängt find und die Provinz uns zu folgen fcheint, es bleibt ihnen doch ein jchönes Heim: das Burgtheater bleibt ihnen.
Das Burgtheater gab geftern den neuen Philippi: „Der Helfer“. Da kommt das moderne junge Mädchen vor, Tochter eines Groklaufmanns und Senators. Bei Sudermann, vor fünfzehn Jahren, in Sodoms Ende, hieß fie Kitty. Dann wurde fie zur Demi-vierge des Prevoft. Aber natürlich trägt Philippi ganz anders auf. „Verdorben werden wir ja alle jchon in den Penfionen und was etwa an Unſchuld und Reinheit und Illuſionen noch übrig bleibt ... Du lieber Gott, das wird einem im erjten Winter, wo man tanzt, gründlich genommen!“ (Achtung auf den Stil) Zieht fi wie eine Kofotte an. Wird auf der Straße für eine gehalten. {Freut fich darüber. Lieſt ſcham⸗
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- doch nicht mehr Schiller!“ Spottet über Liebe und Ehre.
„Heiraten, ih? O ja, gedacht Hab’ ich ſchon daran, wie man an Slavierftunden oder an das Wartezimmer beim Zahnarzte denkt... . Ich? Heiraten? Immer mit dem- jelben Mann Ieben müſſen? Das lange, lange Leben? Ihm gehorchen müſſen? Diefe Sklaverei! Weißt bu, was die Ehe ift? Neugierde! Und meiftens beftrafte Neu- gierde ! Kurz, das „richtige übermütige Übermädchen“. Ihre Schwefter, die auf dem Lande verheiratet ift und fünf Kinder Hat, Hält darüber einen langen Sermon: „Ein modernes Mädchen braucht mit achtzehn Jahren nicht mehr an den Storch zu glauben, ein modernes Mädchen joll ftreben und arbeiten und fich auf eigene Füße ftellen, ein modernes Mädchen ſoll mit offenem Blicke in die Welt jehen, fie fol fi} an dem Schönen freuen, fie jol auch das Häßliche kennen Iernen und ſoll ſich von ihm ab- wenden. Das lafje ich don Herzen gelten. Aber wenn dad „modern“ bedeuten fol, daß die jungen Mädchen fich von jedem dummen Laffen Unverjchämtheiten in die Ohren tufcheln laſſen und mit gleicher Münze heimzahlen dürfen, daß jie Bücher leſen und über Bücher jprechen, die jeder anftändigen Frau die Schamrdte ind Geficht treiben... . wenn das modern jein foll, daß fie nur noch Freude am- Efelhaften und Genuß am Schamlojen haben, dann, liebe Mama, geht mir mit eueren „Modernen“ gefälligit zum Teufel. Sieh dir doch deine Beate an. Jedes Wort, da fie jpricht, jeder Gedanke, den fie denkt, ift zweideutig und ſchlüpfrig, jeder Blick ift eine Herausforderung, jeder Wunſch ift unweiblich, jede Hoffnung ift unkeuſch! Ihre Phantafie
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ift ſchon hübſch zerfreffen. Für die gibt es nur noch eine Rettung; heiraten! Einen Mann, der fie feft am Bügel hält, der fie lehrt, was fittlicher Ernſt und was echte Weiblichkeit bedeutet!”
, Das Stüd zeigt nun, wie dies edle Mädchen an einen folchen Mann gerät. Auf eine recht jonderbare Art. Und an einen recht fonderbaren Mann, Direktor Stein- harter. „Ein tollfühner gewiſſenloſer Spieler”, aber, erflärt der Konſul Peterſen, „ein Finanzgenie! Ich gebe dir zu, daß feine Gefchäftsprinzipien ganz, ganz an⸗ dere find als die, die du und ich mit der Muttermilch ein- gejogen haben. Er ift eben ein ganz und gar moderner Menih! und das läßt fich doch nicht leugnen: der Erfolg hat ihm recht gegeben. Er ift mit feinen wohl kaum dreißig Jahren der leitende Direktor der Handelsbank, er hat fie in wenigen Jahren zur vollften Blüte gebracht, in feiner Hand laufen die Fäden großartiger Weltunternefmungen zufammen. Was geniert dih? Was willſt du? Daß er ein lockerer Vogel ift, daß fein Privatleben nicht ganz ein- wandfrei ift, daß er, wenn ich recht unterrichtet bin, ein Schürzenjäger ift und ſich jede reife und vielleicht auch un- zeife Frucht vom Baume des Lebens fchüttelt ?* Der ftelt num Beaten nach und verführt fie. Seine Frechheit „im- poniert“ ihr, jeine Unverjchämtheit findet fie „bezaubernd“. Es fällt ihr nicht ein, ihn zu lieben. Sie jagt es ihm ganz offen, es reize fie nur, „weil es verboten ift! Weil ich der guten Sitte ein Schnippchen jchlage, weil ich nicht mehr nur ahnen, weil ich wiſſen wollte. Dürfte ich mit dir zufammen fein... fo vor aller Welt... jo ohne alles Heimliche und Verſchwiegene und ohne alles Herz
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Hopfen und Vorwürfe... . fo beglaubigt und geftempelt ... jo als beine Frau . . . weiß Gott, e8 würde jeden Reiz für mich verlieren!“ (Achtung auf ben Still Und man laufche dem Dialog der Liebenden! Beate wirt ſich auf die Chaifelongue. Steinharter ſetzte fh zu ihr: „Sirene!“ — Beate: „Bin ich fo kühl?“ — GSteinharter: „Schlange“ — Beate: „Bin ich jo jaiaj?*)
Aber nun begibt es fich, daß Beatens Vater Verlufte bat. Er braucht viermalyunderttaufend Marl. Er findet fie nirgends. Nur Steinharter, den er nicht mag, Tann ‚ihn retten. Cr überwindet fich, geht zu ihm und bittet ihn. Steinharter fagt zu, er will der Helfer jein. Der Senator ift gerettet. Da kündigt ihm fein alter Profurift. Barum? Er will e8 erft nicht jagen. Der dringt in ihn. Und nun bricht der Alte los: „Ich bin ganz allein... ih habe weder frau noch Kinder... . mich liebt niemand . . . ich Liebe niemand! ... Ich liebe nur eins: das Geſchäft! Mit Stolz... . mit Freude! . . . Mein ganzes Herz hing daran! ... Ich Habe mich in der Ehre des Haufes gefpiegelt . . . ſeit geſtern iſt der Fleck auf die Ehre des Hauſes gefallen. Dieler Fleck fann nur ver- ſchwinden, wenn Sie dem Manne das Geld noch heute zurüdzahlen! ... Zahlen Sie noch heute das Geld zurück — und wenn Sie e8 vom Himmel herunternehmen joll- ten — fonft find Sie ein verlorener Mann!" Der Alte weiß. nämlich, daß fich Beate dem Steinharter gegeben hat, und glaubt, daß auch der Senator es weiß, glaubt, dab er feine Ehre verfauft hat, und jo kommt es heraus. Nun natürlich: die große Szene zwilchen dem Vater und dem
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Verführet. „Sehen Sie, ich bin aufgewachjen in ber Zucht eined Vaters, dem Ehre und Atmen untrennbare Begriffe waren. Ich bin aufgewachien in einem Haufe, welches — ich kann das ohne Übertreibung und mit Stolz fagen — das Sinnbild der. Ehre war. Ich Habe die Lehren, die ich da empfangen habe, in mir aufgenommen und habe fie zur Richtſchnur meines Lebens gemacht. Selbſt meine Feinde — und ich habe wohl auch welche — werden dies zugeſtehen. Ich Habe niemals eine Handlung begangen, die ich nicht vor meinem Gewifjen hätte verantworten tönnen, habe mich glüdlich gefühlt in dem Bewußtſein, meine Pflicht zu tun! Ich habe niemald in meinem gan«. zen Leben einem Menfchen wifjentlich etwas Boſes zuge fügt... . Herr, was tat ich Ihnen, daß Sie mir mein Kind zugrunde richten?" (Achtung auf den Stil! Und die Piychologie! Man verführt bekanntlich Mädchen nur, wenn einem der Vater etwas „getan“ Hat.) Umd natürlich ift der Verführer num plöglich jehr edel und will fie Heiraten. Und natürlich jagt fie zuerft nein, plöglich aber ja, weil fie plöglic, ihr Herz entdedt und aus. einem Übermädchen plöglich ein „echtes Weib“ wird.
Die Darfteller, Sonnenthal, Devrient und Römpler, Frau Retty und Fräulein Witt, bemühen fich, die Hand» lung ins Einfache, Natürliche zu rüden, das Stüd fozufagen Binter feinem Rüden zu fpielen. Wodurch es nicht beſſer, aber langweilig wird. Doch wirft der breite Bariton, den Sonnenthal für väterlichen Schmerz hat, und Korffs und Treßlers Chargen find luſtig.
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Torquato Taſſo.
(Neu infgeniert im Burgtheater am 17. Januar 1906.)
Tafjo Hat beim Publikum den Ruf, langweilig zu fein. Man gebt allenfalls Hin, um diefe Sentenzen mit Nefpekt zu vernehmen. Uber ſchade, daß es undramatifch it. Eigentlich doch nur eine Sammlung von Zitaten. So wirkt's auf die Leute. Denn, hört man fie jagen, es geſchieht ja nichts; es wird bloß deflamiert, freilich wunder» ihn. Das ift die Meinung, die der gebildete Deutſche inögeheim vom Tafjo hat. Er fühlt feinen Verſtand an- geregt, vermißt aber die Emotion; es iſt ein kaltes Stüd. Ein Höchft mwunderliches Urteil: denn ein Menich der höchften Emotion wird Hier gezeigt, eine Frage, die jeden an jeinem Leben trifft, und ein erotijcher Fall von folcher Seltjamfeit, daß er heute pervers heißen würde.
Taffo wie Oreſt find Menſchen in hyſteriſchen Zu— ftänden. Bon jo heftigen Leidenichaften angefallen, daß im Momente ihr ganzes Weien ausgelbſcht wird. Verlaſſen von allen Hilfen des Verftandes, des Willens, des Ge- wiſſens; verloren an eine Wut, die gar nichts. Menfchliches mehr hat, fondern fi) von außen auf fie zu werfen jcheint. Beſeſſen; und dieſes muß erjt ausgetrieben werden, dann tehren fie zurüd, fie felbft. Goethe hat das aus fich ge- kannt. Es hat faum einer je die Macht des fremden, des Anderen über fich fehredlicher gefühlt und fein ganzer „Stil“ ift immer nur ein Schild gegen fi. Man müßte einmal Goethe und Beethoven vergleichen. Beide dämoniſch. Aber Beethoven bereit, fi) dem Dämon zu opfern, indem er im Dämoniſchen nur das wahre Leben erkennt, während
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Goethe fich entjchließt, die Grenzen feiner bewußten Natur zu hüten und alles anruft, um von ihnen den Dämon abzuwehren. Zwei Rafjen. Die Größe der Griechen war es, daß fie es ertrugen (übrigens auch kaum hundert Jahre lang), beide zu ſein. Die ganze deutiche Myſtik: Raſſe Beethoven Das Weien der Renaiſſance, die noch immer nicht vollendet ift: daß die Raſſe Goethe Herr wird. Uber man will Zeichen jehen, als könnte jest wieder die Raffe Beethoven beginnen.
Und das Problem, das doch, wie diefem Taſſo, jo jedem von und geftellt wird: das innere mit dem äußeren Leben auszugleichen. Won und allen Handelt das Stüd und jeder, in den Logen oder im Parterre, hat fich, bewußt oder dumpf, einmal dasjelbe fragen müflen: Wie findeft du dich in die Welt? Und leife, bange: Iſt fie e8 denn auch wert? Und: Was aber bleibt dir dann zulegt von bir?
Taſſos Problem ift allgemein. Seine Erotik ift eine ganz bejondere. Man verfteht fie erſt gar nit. Man ftaunt nur. Man fpürt: in diejer Liebe dieſes Mannes zu dieſer Frau ift etwas, was uns fremd if. Man weiß es nur nicht gleih. Man ſpürt: diefer Mann liebt dieje Frau anders als ſonſt Frauen vom Manne geliebt werden ; jeine Liebe hat noch ein anderes Motiv. Und man fucht. Und dann findet man: es ift die Prinzefjin, die er an diefer Frau liebt. Alfo: der foziale Rang hat fich hier in einen erotijchen Neiz verwandelt. Es ift genau das Verhältnis des Wilhelm Meifter zur Gräfin. Und man ſpürt e3 auch in den Briefen an die Stein. Auch hier hat man mitunter das Gefühl, der hier wirkende finnliche
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Neiz gehe weniger von der Frau als von der Dame aus. Was mir immer fajt unheimlich ift: daß nämlich etwas bloß Gedachtes, nur Fingiertes, ganz Unwirkliches, wie es Rang und Titel find, durch unfere Imagination in eine finnliche Kraft verwandelt werden kann! Daß ber erotiiche Neiz eines Weibes wachſen fol, bloß durch den fozialen Mantel, den es trägt! Daß aljo Soziales zulegt ſogar unfere Serualität beftimmen darf! Es gibt dafür ein Beiipiel, das faft ein bißchen komiſch ift: Goethes Ver— hältnis zur Maria Ludovica. Goethe beträgt ſich da gar nicht als Taffo, er vergißt in feiner Leidenichaft niemals die Form und doch geichieht es ihm, daß er die Kaiſerin verftimmt. Vielleicht eben weil fie jpürt, daß es die Kaiferin ift, die er liebt, nicht die Frau. "Dies gehört ins Gebiet des erotijchen Idealismus, der die Kraft gibt, durch bloße Vorftellung ſich wollüftig zu erregen.
Wenn man died num addiert: einen Menjchen, den wütende Begierde von aller Bejonnenheit entrüdt, und ein Problem, das jeden von und trifft, und die Seltſamkeit des ungemeinen erottjchen Falles, wer kann dann begreifen, daß alles dies zufammen ein langweiliges Ctüd ergibt? Es iſt aber fein Zweifel, daß die meiften Zufchauer gar nicht fpüren, was es an Emotion enthält. Es geht ihm ganz wie der Iphigenie. Zwei Stücke der Raſerei; und der Zufchauer ſchläft darin ein. Weil unfer Zuſchauer gedrillt ift, niemald die Sache jelbft aufzunehmen, fondern nur den Ton, in welchem fie dargeftellt wird. Er regt ſich auf, wenn aufgeregt verhandelt wird; nach dem Grunde fragt er nicht, er Hält ſich an die Wirkung, die er ſieht. Es kommt ihm gar nicht darauf an, wie das ift, was dar-
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geftellt wird, jondern immer nur eben auf die Darftellung ſelbſt, wie diefe iſt. Und er ift gewohnt, daß dieſe jegt aufgeregt tut, auch wenn fie gar feinen Grund bat. WWed- Halb er fich mit dieſer goethiichen Art feinen Rat weiß, die vielmehr durch Darftellung von der Aufregung Toszu- kommen jucht. Unfer Zuſchauer verlangt von der Stunft, daß fie ihn, der ſich matt und leer und ftarr fühlt, erzitieren fol. Goethe griff nach der Kunft in extremen Zuſtänden einer legten Erregung und Verftörung, um fie zu Talmieren. Er rettet fich in die Kunſt vor den Flammen des Lebens. Uns, die vor dem Leben friert, ſoll die Kunſt entflammen. Sein Bwed ift: aus Efftafen, die ihn zerreißen, fich zu beruhigen. Unfer Zwed ift: aus Ermattung, in der wir verdden, uns zu fteigern. Er nimmt dazu die Kunft, wir auch. (Wir, ich meine die Menjchen diejer Zeit, von der ich ſelbſt mich übrigens gerade darin abgejondert fühle.) Es ift Mar, daß feine Kunft eine ganz andere fein muß als unfere. Er fpürt daS Leben zu ftark, die Kunſt foll es abkühlen; es kommt ihm zu nahe, fie ſoll es entfernen. Wir verſchmachten nach dem und immer entrinnenden Le⸗ ben, uns ift falt, die Kunft joll uns erhigen, fie ziehe das Leben heran. Er ift viel „reizſamer“ als wir es find. Er braucht Schug vor den Neizen, fonft zerfleiichen ihn die Hunde des Lebens: das ift jeine Kunſt. Uber un- fere ift für erlofchene Sinne, aus welchen fie die Iegten Funken ſchlägt. Deshalb Tonnen fich die beiden nicht verſtehen.
Wer Taſſo für unſere Zuſchauer infgenieren fol, muß alſo eigentlich die goethiſche Form auftrennen. Wenn’ ich mir vorfage, was im Taſſo geichieht, ift es ſehr aufregend.
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Gelingt es mir, die den Bufchauer fpüren zu laſſen, jo wird das Stüd auf ihn wirken. Diefelbe Handlung, in derjelben Reihe, an denfelben Menſchen, aber mit den im- pulſierenden Verſen, die wir jetzt gewohnt find, und ſolchen Gebärden dargeftellt, muß ihn erjchüttern. Die Gebärden lann der Schaufpieler bringen, aber es bleibt noch immer Goethes beſchwichtigender, erfältender, entfernender Vers. Bas geſchieht mit diefem? (Diejelbe Frage, wie bei Shate- ſpeare jo oft, wo auch der Vers bisweilen, zum Beifpiel im Lear auf der Heide, aus der Emotion reißt, ftatt fie, wie wir jegt von ihm verlangen, zu vollenden.) Wir können ja das Wort nicht ändern. Wie aber, wenn wir, ftatt die Gebärden aus den Worten zu beftimmen, jetzt dieje viel- mehr an jene zu pafjen trachteten ? Goethe tft bisher immer aus den Worten infzeniert worden, aljo aus der Kälte. Geht man aber in feinen jchöpferifchen Zuftand .zurüd, der von ſol⸗ em Fieber war, daß er, um fich zu retten, eben in jene Kälte floh, fo Hat man den Ton, den wir brauchen. Er muß für und aus feiner inneren Situation infzeniert werden. Dieſe gibt die Gebärden an und die Frage ift nun nur noch, ob man die Kraft hat, ihren Rhythmus fo den Ber- ien aufzuzwingen, daß dieſe eigentlich bloß noch wie vor innerer Fülle aufgeplagte und fich nun ausrollende Gebärden wirken. Allerdings muß man dann fähig fein, den Vers ganz unlogifch, rein muſilaliſch und maleriſch, bloß auf feinen Klang und feine Zarbe bin, bloß ala Mittel der Stimmung zu behandeln. Was heute vielleicht nur Sing und Matkowsky können.
Bunäcft faßt aber Stainz den Tafjo ganz anders an. Es ſcheint: er will fich goethifieren.. Dämpfen. Einkühlen.
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Abflären. Zur großen Linie hin. Was vor allem techniſch ſehr merfwärdig ift, aber doch mehr einen Tafjo von Kaul⸗ bach gibt. Zwei Alte lang. Dann hält er es nicht mehr aus. Dann, im vierten, bricht plöglich der Schaujpieler 108. Der Echaufpieler wird Herr über ihn. Und jept fpielt er: nicht die Worte, jondern den Zuſtand, den fie verhüllen. Zerreißt dieſe Hüllen. Sprengt alle Deden auf. Das ift dad Geheimnis der ungeheneren Wirkung, die er hier hat; er fpielt Hinter den Tert zurüd. In das Chaos vor der Form. Und fängt nun Hier mit eigener Fauft zu formen an. Alles wird neu, wir erfennen die Worte nicht mehr, jedes hat einen anderen Glanz, einen anderen Klang befommen, ein Wunder ift gejchehen.
Die anderen Rollen werden von den Damen Hohen- feld und Reinhold jowie von den Herren Hartmann und Gregori aufgefagt.
Der verlorene Vater. Gomödie in vier Akten von Bernard Shaw. Deutid von Siegfrieb
Trebitſch. Zum erften Mal aufgeführt im Burgtheater
am 17. März; 1906.)
Vor vier Jahren hätte Schlenther Candida haben Tönnen. Sie war ihm, noch dor Dresden und Berlin, ‚angeboten. Er zögerte, konnte fich nicht entſchließen und ſchlug den Ruhm aus, der erſte für Shaw unter den Deutihen zu jein. Dem Hat da3 weiter nicht geſchadet, feine jeltfam tiefjinntg fragenhafte Art, von Ibſen zu Courteline, zur Weisheit Grimafjen jchneidend, ift uns raſch geläufig worden. Candida, zuerft in Dresden, dann
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mit der Sorma bei Reinhardt, dieſes wunderbar jeinen Ernſt verhüllende Spiel, und der Teufelsferl, die Helden, fein Napoleon Haben fie durchgejegt. Nur fennen wir noch immer erft den Shaw, der fich verftellt und Lieber einen Chatlatan aus fi macht, ald jein Gemüt auf den Markt zu bringen. Es reizt ihn, jich Masten aufzufegen und er fat una aus, wenn ung immer wieder eine andere täujcht. Eſt in CAfar und Kleopatra dringt durch die Larve der Schein jeined eigenen Weſens manchmal dur. Hier er- taten wir den anderen Shaw, den wirklichen feiner Ein- jamfeit. Und wieder hätte Schlenther, diefen bringend, der erfte fein fönnen, der Entdecker jener Welt, die Shaw jonft Hinter feinen Späßen verborgen Hält. Er Hat nicht wollen. Er zieht eine alte Poſſe von ihm vor. Er würde, wöre Goethe nicht ſchon bei uns eingeführt, wohl zuerſt feinen Bürgergeneral bringen.
Ein Dann ift feiner unausftehlichen Frau weggelaufen. Nach achtzehn Jahren treffen fie fich wieder. Sie haben einen Sohn und zwei Töchter; in eine verliebt fich ein Zahnarzt. Sie find aus Madeira, das Stüd fpielt in einem englifchen Bade. Und es gejchieht nun nichts, ala daß der Autor fie durcheinander hegt, um Schindluder zu treiben: mit ihnen, mit dem Publikum, mit fich ſelbſt. Das ift famos, beſonders durch einen unmiderftehlichen Trid, den er gern Hat: er bringt eine Figur, wenn fie etwas Geſcheites zu jagen Hat, in die dafür dümmſte Stellung. Man denke fich etwa: Hamlet, feinen Monolog fagend, indem er fich dabei mit der großen Zehe hinter dem Ohre fragt. Es ift wirklich die Komik von Affen und ebenjo rührend . . . wenn man ſich nämlich nur durch die Frage
Hermann Badr, @loffen. 8
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nicht abjchreden läßt, nachdenklich Atem zu holen. Dann befinnt man fi), daß dies ja doch ein Gleichnis unferes Lebens ift: wir verfuchen ſtets, in Lächerliches eingezwängt, gedanfenvoll zu fein und, vom Echidjal in unferen Tief- finn gezwickt, müſſen wir Gefichter jchneiden. Ein fehr deutjcher Humor eigentlich: der Grabbes, der Viſchers (in „Auch Einer“); und er fegt eine völlige Verachtung der Wirklichfeiten voraus, welche zugleich als Null erfannt und als Macht empfunden werden.
Shaw Hat revolutionär angefangen. Bor zwanzig Jahren Hat man ihn, eine ſchwarze Fahne in der Hand, mit Scharen von Arbeitslojen durch die Straßen ziehen jehen und an jeder Ede gegen die Reichen, gegen die Aus- beuter wüten gehört. Der erjte Marzift in England. Beraufcht von Wünfchen nach der Zukunft hin. Plöglich aber ernüchtert. Plöglich enttäuſcht. Plöglich in die Kunſt verfchlagen, für Wagner. Der erfte Wagnerianer in Eng- land. Wieder ein Rauſch. Dann fucht er die Malerei, gleich darauf das Theater ab: immer nach einem neuen Naufch. Immer wieder enttäufcht. Sein Geheimnis ift: er kann nur im Rauſche leben und keiner hält. Was viel- leicht das uralte Geheimnis der ganzen Menjchheit iſt, welche ftet3 das Leben nur ertrug, indem es ihr gelang, darüber irgend eine ungeheuere Täufchung auszufpannen. Was vielleicht das Iegte Geheimnis unferer Not ift, dab wir die Kraft verloren haben, uns durch Rauſch um bie Wahrheit zu betrügen. Was bleibt dann? inficht ins grenzenlos Stupide, das unfer Leben it. Im der Poſſe Shaws jagt einer: „ed iſt unklug, geboren zu werben, es ift unflug zu heiraten, es ift unklug zu leben, und es
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iſt klug zu fterben.“ Aber ein anderer, noch klüger, er- widert: „Wenn ich mir Höflichft erlauben darf, fortzu- fegen:: Und Weisheit ift das Allerunklügſte!“ Wir fangen endlich wieder an, dies zu erfennen, daß Erkenntnis ung nicht helfen kann. Sie legt uns bloß die Nichtigkeit von lem in die hohle Hand, wie follen wir und aus diejer Kraft oder Mut trinken? Und jo wiſſen wir jegt wieder, daß es nicht gilt, dem Verſtande das Leben auszuliefern, fondern an Sehnfucht jo ftark zu fein, daß wir aus ihr ein zweites, neues, unſer eigenes ſchaffen, das zu leben fich verlohnt. Und vielleicht wird in einer fpäteren Beit jeder von und nur jo viel wert fein als er beigeholfen Hat, Sehnfucht zu ſchüren. Set es indem er einen Traum vor und aufflammen läßt. Set es, indem er dieſes jegige, vor den Verſtand geftellte Leben in folchen Fragen zeigt, daß wir uns fchämen, ſolchen Hohn zu verdienen. So nur ift Shaw zu verftehen, wenn er den Clown macht: aus Efel und Verachtung einer Welt, die, zum bloß Verftändigen degradiert, nur die Narrheit des Zufalles behalten will.
Im Burgtheater wird Shaw geſpielt, als ob es Scribe oder der ältere Sardou wäre. Für diefe hat man den ſeht beliebten Stil einer zurüdhaltenden Luftigfeit, welche & allenfall® einmal riskiert, unmwahrjcheinlich zu werden, aber niemals, über das Mögliche zu fehießen. So be- mühten fi Nömpfer, Frau Bleibtreu, Fräulein Witt, Thimig und Gimnig, nur ja nicht fomifcher zu werden, als es fich mit der Bejcheidenheit der Natur noch verträgt. Shaw wäre vor Langweile übers Drchefter auf die Rampe geffettert und ich Hätte gern erlebt, was dann aus Herrn Pittſchau geworden wäre, der eine Mitterwurzers würdige,
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diabolijch freche Charge mit dem pietätvollen Ernfte eines Leichenbitter3 gab. Selbſt Korfi, dem die Grimaffe doch geläufig ift, zwängte fi in eine Würde ein, ala ob Shaw Öfterreichifcher Hofrat und Herrenhausmitglied wäre. Wirk licher Shaw waren nur die Senders und Treßler, auf die „Natur“ der banalen Wirklichkeit pielfend, um vergnügt in die höhere der Karikatur zu fpringen. Der größte Spaß aber war dad Publifum. O Shaw, das hätten Sie jehen müffen, Sie hätten fich gefugelt! Nämlich, es hat läuten gehört, daß bei Ihnen alles eine tiefere philoſophiſche Be- deutung hat. Und nun ftocherte es fich bei jedem Sage nad) diefer das Gehirn aus. Bis ihm alles weh tat, und dann wurde es bös.
Dor fünfzig Jahren. 1. Burgtheater.
1832 wurde Schreyvogel fortgejagt, weil er unbequem war, Er hatte das Burgtheater zur erften deutjchen Bühne gemacht, verftand e3 aber nicht, den Kavalieren und den mit ihnen farefjierenden Weibern zu ſchmeicheln: er gefiel oben nicht. Man entließ ihn und nahm Deinhardftein, einen forglojen Wiener, der den höfifchen Ton befier be- geiff und auf die Kunft pfiff. Die Stavaliere atmeten auf, das Theater verfam. Dies hätte ihnen nichts gemadit, aber al3 nun auch die Rechnung nicht mehr ftimmte, er- ſchralen fie. In ſolchen Fällen wird in Öfterreich ein Beamter berufen: Holbein, ein braver Kanzlift. Da brach die Revolution an. Im jolchen Fällen wird in Oſterreich
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verſucht, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben. Dieſer hieß jetzt: Laube. Er wurde Direktor wie man bei und Minifter wird; niemand will es, man glaubt jelbft nicht daran, plöglich ift man’3. Sie hatten fich das eigentlich nur als ein Proviforium gedacht. Aber fie kannten den Dann ſchlecht. Der fette fich felbft in den Sattel. Er verlangte fünf Jahre. Graf Grünne, im Kommißmantel, bis an den Hals zugelnöpft, fragte, wohl ein bißchen ver- wundert über den jeltiamen Menjchen, der, ftatt nach dem Amte zu fchnappen, noch jo dreift war, Bedingungen zu ſtellen: „Warum wollen Sie gerade fünf Jahre?“ Er fagte: „Weil ich in den erſten Jahren genötigt bin, mir jehr viel jeinde zu machen. Ih muß aufräumen, muß abjegen. Nach zwei bis drei Jahren bin ich im weſentlichen nur ver- hakt — fchaffen und mir Freunde erwerben fann ich erft im vierten und fünften Jahre.“ Man tat ihm jeinen Villen. Dan tut in Öfterreich jedem feinen Willen, der tinen hat. Es fommt nur faft nie vor.
Ein unzulängliches Perfonal, feit zehn Jahren nicht mehr ergänzt, kaum geflidt, von den paar guten Schau- Wielern die Mehrzahl alt, die Minderzahl bejahrt, alle durch Routine faul und dumpf geworden, fein Repertoire und in Publitum, dad an das Theater nicht mehr glaubte. & begann er. Und nad; zehn Jahren war es wieder das erfte Theater der deutſchen Welt.
Wie hat er das gemacht?
Er war fleißig. Gleich im Jahre 1851 verzeichnet a: „Zünfundzwanzig Neuigkeiten und gegen vierzig Neu- hhenierungen“. Das pulverte die Schaufpieler auf, das zog dog Publikum ber, alle fühlten: Hier geht wieder etwas
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vor! Man begreift freilich Heute faum, wie er es leijten Tonnte. Und ganz allein. Selbit fein einziger Regifjeur. Immer jelbft auf der Bühne. Denn er hatte jogleich er- kannt: „Ein Theater ift Heute nicht mehr vom Bureau zu dirigieren, die wichtigfte Arbeit der Direktion muß auf der Szene geleitet werden.“
Zweitens: Er hatte eine Überzeugung. Er lieh das Publikum nicht diktieren. Er verachtete es nicht, er juchte es zu verftehen, aber um ihm beizufommen, nicht um ihm zu dienen. Vom „Fräulein von Seigliere" des Sandeau erzählt er einmal: „Trotz Safjenproteftes gab ich das Stüd nicht auf, weil ich es für ein gutes Stüd hielt, und fegte jahrelang die Wiederholungen fort vor ſchwach be- ſuchtem Haufe Nach fünf Jahren etwa, als das Stüd hartnädig wiederfam, fammelte ſich allmählich ein neues Publitum für dasfelbe, und erft nach zehn Jahren hatte es die Scharte des erjten Abends ausgewegt." in Stüd, dad er für gut hielt, gab er niemal3 auf und fo gab das Publikum am Ende lieber nad. Das war jein großes Geheimnis. Seine beiten Erfolge hat er jo dem Publikum abgeſchlichen oder abgetrogt.
Dann aber: indem er jo fich unnachgiebig gegen das Publitum zu behaupten verfiand, blieb er doc eingedent, niemal3 die Verbindung mit dem Volfe zu verlieren. Er hat einmal gejagt: „Ein Theater muß eng und vertrau- lich mit dem Volke zujammenhängen.“ Er fühlte, daß hier nicht ein einzelner feine bejonderen Wünfche, Sorgen, Zaunen zu verfünden hat, jondern die Nation aus ihm die tiefen Stimmen ihrer eigenen Sehnfucht zu hören ver- langt: denn dies eben macht das Weſen der dramatijchen
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Kunft aus, daß fie den einzelnen fich vergefien läßt und, für eine felige Stunde, wieder in das Urgefühl der Ge— meinfchaft taucht. Nur freilich, Volt und Publitum find nicht dasſelbe, wie jegt unjere Direktoren glauben, jondern das Publikum, ein Haufe von einzelnen, die ſich aus der Kunſt eine Liebhaberei, einen Sport gemacht Haben, drängt fi vor das Volk und verjucht, den Dichter von ihm ab- zuſchneiden. Und es ift vielleicht das Schwerfte für jeden, der irgendwie am Dramatiſchen mitwirft als Schaujpieler, Dichter oder Direktor fich des Publitums, das immer nur eine Kafte ift, beharrlich zu erwehren, ohne fich aber da» durch zum Troge gegen das Volk verleiten zu laffen.
Und ebenfo verftand er, wie jeit Schreyvogel feiner, das rechte Verhältnis zur Zeit zu trefien. Er hat einmal geſagt: „So fehr ich überzeugt bin, daß ein Theater nicht beftehen Tann, wenn fein Inhalt nicht wejentlich überein- ftimmt mit dem Sinne der Seit, fo feft bin ich davon durhdrungen, daß die weiteren Gefichtspunfte der Kunſt nicht dem eben herrjchenden Parteifinne geopfert werden dürfen.“ Und jv hütete er fich, das Schaujpiel den Fragen des Tages auszuliefern, die ſchon morgen vergefien fein werden, ohne jich aber deswegen an zeitloje Spiele zu ver- lieren. Wie das Publifum vor das Volt, jo ftellt fich nämlich das Problem des Augenblickes vor den Sinn der Zeit und verdedt ihn, indem es ihn gerade zu entfalten ſcheint. Er zeigt fich erft, wenn die Redner der Minute abgetreten find.
Und fo gelang es ihm, feinem Theater eine das ganze Leben der Nation beherrichende Macht zu geben. Er ſchuf aus ihm, was heute den Deutſchen überall fehlt: ein
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geiſtiges Milien“. Der einzelne, feinen Geſchäften hin— gegeben, fich in den Sorgen des Tages erjchöpfend, an Die er fich doch nicht verlieren will, unfähig, fi von feinem engen Winkel aus das große weite Leben und den Sinn der Welt zu deuten, worauf er doch nicht verzichten will, jehnt fich, das Echo ftarfer Stimmen zu vernehmen, welchen er fich anvertrauen könnte. Nur den ganz Großen ift es gegeben, aus ſich allein mit unjeren Nätjeln fertig zu werden. Die anderen verlangt, fich in der Not und Angſt des Daſeins anzufchließen, anzulehnen, anzuhalten. Sie drängen fich zufammen, um nicht zu frieren. Sie brauchen den ftarfen Atem einer Gemeinjchaft. Es ift ihnen not- wendig, vom Rhythmus großer Gedanken, Heftiger Gefühle fortgeriffen und beftimmt zu werden. Im jeiner großen Beit, ala es fich fand, Hat das deutjche Bürgertum drei ſolche Rhythmus ausftrahlende Mächte gehabt: feine Uni- verfitäten, jene Berliner Kreiſe, die Goethe in der Stille hegten, und das Burgtheater Laubes, der hier vollendete, was Schreyvogel begonnen hatte.
Draußen hat man früher über und gern ein bißchen gelächelt, wenn man vom Enthuſiasmus der alten Dfter- reicher für ihr Burgtheater vernahm. Man konnte kaum begreifen, was e3 durch Laube für unfere ganze Entwicklung geworden war. Im der fehlimmften Beit hielt es unfere Menſchen geiftig zufammen. Hier fanden fie jich, hier atmeten fie von den angeziwungenen Zügen auf, hier ſaßen fie wie Verſchwbrer einer freieren Zukunft da. In dieſes Theater kam man nicht, um ſich an den vorgetäufchten Leidenſchaften erfundener Abenteuer aufzuregen, fondern hier ftrecten fie fich von der Knechtſchaft des Tages aus:
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man fam wie in eine Schule des fünftigen Lebens. Menfchen, von verbotenen Hoffnungen erregt, brauchen, um fich zu verftändigen, dieſe gar nicht erft auszufprechen, fondern fie glänzen aus allen Augen, jeder leiſe Drud der Hand verrät fe. Starte Wünfche, aus einer Mafje ftrahlend, ftellen eine Spannung ber, in der fich der einzelne wunderbar ermutigt und verftärft fühlt: ein fonft leeres Wort, ein geheimes Zeichen nimmt darin die größte Bedeutung an. So war es hier: es fam gar nicht auf das einzelne Stüd, die einzelne Rolle an — man fuchte diefe Luft auf, die Luft der neuen Zeit. Sch muß den Vergleich mit den deutfchen Univerfitäten wiederholen: da trug auch jeder bloß feine Sache vor und doch fühlte fich der Lehrer dem Schüler unausgeſprochen verbunden. Solche tiefite Ver— hundenheit, die der Worte, der Zeichen entraten fanrı, vom Schaufpieler um den Zufchauer zu fchlingen, hatte Laube die geheime Kraft.
Daher auch die ganz einzige Bedeutung des Schau- ſpielers, der hier gar nicht jo fehr nach feinen Mitteln, nach feinen Künften als nach dem menfchlichen Werte galt. Schiller Hat einmal vom Schaufpieler gejagt, er müfje zuerſt dafür forgen, daß „die Menjchheit in ihm ſelbſt zur Zeitigung komme“. Dies wirkte Hier jo ftarf: die Bu- ſchauer, in unerträgliche Zuftände gebannt, welche jie hemmten, ſich auszureifen, fahen jehnfüchtig nach Proben, nach Bei- riefen einer glücklichern Menichheit aus, dieſe fanden fie bier: Laube gab den Wienern Echaufpieler von jolcher Art, wie jeder fich wünfchte, jelbft zu fein; auf der Bühne er- idien ihnen, was das Leben ihnen verjagt hatte,
Unfere Zeit gleicht der vor Laube. Ein Gefchlecht,
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das dor ungeduldiger Erwartung bebt. Cine ungeheuere Sehnfucht überall. Heimlich geballte Fäufte und ein tiefes Knirjchen. Und der Mann des Vertrauens fehlt. Dies ift es, was alle zu folcher entjeglichen Einjamfeit verdammt. Selbft fühlt fich feiner jo ftark, aus fich zu helfen; und feiner fann zum anderen fommen. Werden wir verichmach- ten? Oder hält das Schidjal noch eine legte Gefahr, eine letzte Not bereit, ftarf genug, daß wir in ihr eines Sinnes werden fönnen? In diejes öfterreichiiche Problem gehen alle unjere Fragen aus. Auch die Frage des Burgtheaters. Wenn es jemals wieder werden foll, was es in der großen Zeit war, muß es erſt ein Publitum haben, das nicht durch Launen oder Moden, fondern wieder duch ein Pathos beſtimmt wird. Dazu aber gehörte ein Dann der Zeit, der daS PVertrauen hätte: der Mann, der uns überall fehlt.
’ 2. Literatur.
Als Laube ins Burgtheater trat, fand er unfere Literatur jo vor:
Grillparzer grollend verftummt. Mürriſch, menjchen- ſcheu, „monologijch“ geworden. In fein „Mausloch“ ver- feochen, wie er es in einem Briefe an Anaftafius Grün nennt, abgejperrt, „vom Theater wie vom Leben völlig abgewendet“, hat ihn Bauernfeld geſchildert. Trogig wie ein gefränftes Sind, das nicht mehr mitjpielen will. Ver- ärgert, müde, fatt. Won feiner Kunft, von der Liebe, von unjerem Wolfe, von der Menjchheit enttäujcht. Laufig. „Es geht mir laufig,“ pflegte er auf die Frage nad} jei-
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nem Befinden zu jagen. Das ift das Wort für fein Leben, feit dem Falle von „Weh’ dem, der Tügt“, jeit 1838, noch dreiunddreißig Jahre lang: lauſig. Am liebſten einſam im Lehnſtuhle vor ſeinem Pulte, die Beine über einen Seſſel geſtreckt, den rechts geneigten Kopf in bie Hände geftügt, um zu „fimulieren“. In fich hineinzu- horchen. Üngftlich zu lauſchen, ob es ſich micht doch noch einmal regen wird. Aber es regt fich nichts mehr, er wartet umfonft. Er ift verödet. Manchmal fucht er noch den täufchenden Troft der Mufit oder die Betäubung alter Bücher auf. Manchmal fprigt er feinen Grimm in ein Epigramm aus, das tückiſch in der Lade verftedt wird. Die Leute follen nicht mehr merken, wie ihm ift. Ihnen kehrt er eine künſtliche Quftigkeit zu. Für fie ift er ein etwas wunderlicher, aber ganz vergnügter alter Herr, der einmal etwas geweſen fein joll, aber dem Halt nichts mehr einfällt. So kümmern fie fich nicht mehr um ihn. Nur ein paar ernfte, ſtille Männer, die mit ihm jung waren, find ihm treu geblieben. So fteht dieſes entjegliche Leben da, in der Mitte geborften. „Ein Torſo,“ hat Bauern- feld gejagt. Und man fragt beffommen: „Warum? Was war e8, das ihn zerbrochen hat?“ Es heißt: „Gott, die Benfur, der Vormärz, diejes ganze alte Öfterreich Halt!“ Bauernfeld hat gemeint: Weil er die Fröhlich nicht ge- habt und fich in der finnlichen Entbehrung aufgerieben und ausgezehrt hat. Und andere: daß er die Gemeinheit der Wiener, welchen auch die Kunft nur eine Heß ift, jeit jenem Sturze von „Weh' dem, der lügt“ nicht mehr ver- winden konnte. Dies alles war gewiß dabei. Wer aber fein Tagebuch Iennt, weiß, daß er doc; an feiner eigenen
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Natur verdorben ift. 1826, in der Mitte des Lebens, auf der Höhe des Erfolges, ein Jahr nad) dem „Dttofar“, zwei Jahre vor dem „Treuen Diener“, fünf Jahre vor ber „Hero“ jchrieb er: „In ähnlicher Unfähigkeit zu ar- beiten und zu dichten habe ich mich zwar ſchon bfters be— funden, uber das Charafteriftiiche meines gegenwärtigen Zuftandes ift, daß, indes ich fonft die Urjache meiner Un- tätigfeit in äußeren Umftänden fuchte und fand, mir jegt ein inneres entjegliches Gefühl jagt, e3 fei mit der Dichter- gabe jelbft zu Ende. Eine ftufenweife Erfaltung der Bhan- tafie läßt ſich übrigens in meinen bisherigen Hervorbrin- gungen beftimmt nachweijen ... Auf der einen Seite alfo Abnahme, ftufenweifes Erlöfchen der Herzenswärme, und auf der anderen durchaus fein Zunehmen von feiten des Denkens und des Wollend. Die Phantafie wird nach und nach zum Greife und der Verftand bleibt ewig Kind, oder Knabe beſſer zu fagen, denn Kind wäre noch allenfalls zu entſchuldigen. Schon in ber Zeit, da ich noch hoffte, in der Poefie etwas Tüchtiges leijten zu fünnen und ein vorjchneller Wahn mich zu glauben antrieb, ich fönnte mich bereinft an die erften Dichter der Nation reihen, ſchlug das Gefühl einer inneren Injuffizienz, einer Unbedeutend- heit als Menſch jede ſolche Hoffnung nieder. Hätt' ich nur den Mut, mir ſelbſt treu zu jein, den unnennbaren Schmerz eines verfehlten Dafeins in mir fortwalten zu laffen, bis er entweder das Dafein jelbft verzehrt oder in höchſter Steigerung ein höheres hervorruft. Aber eine törichte Eitelkeit, -eine übel angebrachte faljche Scham zwingt mir bei jeder Berührung mit Menjchen eine gewiſſe Luftigkeit auf, die mic nicht froh macht, die mir nicht von Herzen
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geht, aber für mich das einzige Mittel ift, mit Menjchen zu fommunizieren.“ Und ein anderes Mal, 1827: „Ich wollte was jchuldig fein, um einen Schmerz, ein Unglüd, eine Verzweiflung, die — und wär’ nur für eine Stunde — mein Wejen ganz aufgehen machte in eine Empfindung und mich — nur für eine Stunde — von dieſer dauernden Verftandeskälte frei machte, die wie ein hohnlachender Narr Sinter jedem Vorhange hervorgudt." Und wieder: „Wenn
ich je dazu kommen jollte, die Geichichte der Folge meiner
inneren Zuftände niederzufchteiben, jo würde man glauben, die Krankheitsgeſchichte eines Wahnfinnigen zu lefen. Das Unzufammenhängende, Widerfprechende, Launenhafte, Stoß- weiſe darin überfteigt alle Vorftellung. Heute Eis, morgen Teuer und Flammen. Jetzt geiftig und phyſiſch ohnmächtig, gleich darauf überfließend, unbegrenzt. Und zu dem allen noch nicht imſtande, fich von etwas anderem bejtimmen zu laſſen, als von der fprungweilen Aufeinanderfolge des ögenen, verftocten Ideenganges.“ Neutafthenie, würde man Heute jagen. Gewiß, aber eine, die nicht auß ber gemeinen Ermattung der Nerven, jondern aus einer tieferen Erkrankung des Geiſtes kommt. Es ift an jener eriten Stelle doch jehr merkwürdig, daß er, dad Nachlafjen feiner Staft beflagend, unwillkürlich ſogleich auf feine Verftellung dor den Menſchen fommt. Er hat fich vor ihnen immer zugedeckt. Gewiß nicht vorfäglich. Er litt eher darunter. Aber ihm war verjagt, fich ihnen zu geben. Sein Weſen, von ihnen berührt, zog fich ſogleich zu. Das ift jehr Öfterreichifch: fich vor dem Leben einzurollen, daß es nitgends herein Tann. Daran verdarb er. Nun ſaß er mit jeiner Kraft im Leeren da, unfähig, fie auf das Leben
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einzujtellen, an welchem allein fie erſt hätte wirfen fönnen. Wenn feine Phantafie verjagte, wie er Hagt, jo war es, weil er ihr nichts mehr zugeführt Hat. Aus Unfähigkeit zu leben, wurde er unfähig zu dichten. Es ijt entfeglich, wenn er einmal befennt: „Für mich gab es nie eine andere Wahrheit, als die Dichtkunft. Im ihr habe ich mir nicht den Hleinften Betrug, die Heinfte Abweienheit vom Stoffe erlaubt. Sie war meine Philojophie, meine Phyſik, Geſchichte und Rechtslehre, Liebe und Neigung, Denfen und Fühlen. Dagegen hatten die Dinge des wirklichen Lebens, ja feine Wahrheiten und Ideen für mich ein Zu- fälliges, ein Unzujammenhängendes, Schattenähnliches, das mir nur unter der Hand der Poeſie zu einer Notwendig- Teit ward. Won dem Augenblide an, als ein Stoff mich begeifterte, fam Ordnung in meine Teilvorftellungen, ich wußte alles, erfannte alles, ic) erinnerte mich auf alles, ich fühlte, ich Tiebte, ich freute mich, ich war ein Menſch. War diejer Zuftand vorüber, trat wieder das alte Chaos ein. Mein ganzer Anteil blieb immer der Poefie vorbe- halten und ich ſchaudere über meinen Zuftand ala Menſch, wenn die immer feltener und jchwächer werdenden An- mahnungen von Poeſie endlich ganz aufhören follten.“ Das Schaffen muß für ihn aljo eine Art Epilepfie gewejen fein, durch die ja dem Kranken auch eine wunderbare Helligfeit vorgetäujcht wird. Und fo haben wir dieſen grauenhaften Zall: ein fehr heftiger Trieb, zu geftalten, dem aber die natürliche Befriedigung, am unmittelbaren Leben ſelbſt, verfagt wird, wodurch er, nad) gewaltjam fchmerzlichen Explofionen, allmählich erlahmt und erftarrt.
Neben ihm fand Laube Halm vor. Sehr gefeiert,
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ſehr berühmt. Der richtige Dichter für die Wiener. Ein Üuger Spieler mit der Form. Und was man hübfche Gedanken nennt. Solche nämlich die niemanden unruhig machen. Manchmal fam er den Wienern ein bißchen ipanifch vor, was ihnen aber nur zu beftätigen ſchien, daß er wirklich ein Dichter. Grillparzer Hat fein ganzes Weſen in einen einzigen Sag gepreßt: „Er verjteht nur auszu—⸗ führen.“ Laube meint dasſelbe, wenn er jeine „Kunitpoefie“ definiert als „talentvolle Produktionen, denen der Stern der Bahrhaftigkeit abgeht“. Sein „Talent“ ift nur die an- genefme Begabung, Worte zu fombinieren. Ungefähr wie man Domino fpielt. Das Leben, das die Worte urſprüng- fi, Hatten, geht dabei ganz verloren. Nur weil wir uns dunkel doch manchmal erinnern, daß Hinter den Worten einſt etwas Wirfliches war, fommt ein Schein von Leben herein. Aber diefer Schein ift ‘den Leuten, die ſich aus— ruhen wollen, gerade genug. In ihm finden fie die „Ver— rung“, die fie von der Poeſie fordern.
Und zwifchen dieſen beiden Hofräten: Bauernfeld. Bricht in Grillparzer das Leben nur krampfweiſe aus, mit fo fchmerzlichen Anfällen, daß er fich, auf den Tod er- ſchtocken, vor ihm verkriecht, läßt es Halm an fich nur zum Spiel heran, fo ftredt Bauernfeld die Hände Iuftig in den Schaum, den es ang Ufer wirft. „Immer in dem« jelben Kreiſe des aktuellen Lebens und immer mit benfel- ben Mitteln und Wendungen“, Hat Laube von ihm gejagt. Das Talent recht Hein. Gar feine geftaltende Kraft. Aber doch endlich einer, der lebt. Recht töricht freilich: ganz im Augenblick befangen, unfähig vom einzelnen zum gan« zen, von der Fläche in die Tiefe zu dringen, und der richtige
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Städter, der im Geſchwätz der Gaſſen bald die leije Stim- me der eigenen Sehnjucht nicht mehr hört. Aber doch einer, der lebt. Und darum der Sprecher der „Malfon- tenten“. Ein Heiner Revolutionär. Sehr Hein; und von einer behutfamen, wienerijch raunzenden, im Grunde doc höchſt Hoffähigen Art. Aber immerhin ein NRevolutionär. Einer, der das djterreichifche Problem ahnt: die Menjchen wieder mit dem Leben zu verbinden, von welchem fie ab- geſchnitten worden find.
Einftweilen aber jaß in oberöfterreichiichen Schenfen einer mit Liedern, in welchen diejes Volk fein ganzes Weſen fand. Wie ein Tier vor Luft oder Leid auf- fchreit, fo ftieß er fein ganzes Leben in diejen Liedern aus, Das war des Johann Stelzhamer Sohn, der Franz von Pieſenham.
Seither wandelt unfere ganze Literatur immer nur dieſe vier Typen ab. Und es ift vielleicht ihr legter Sinn, ung daran das dfterreichifche Problem begreifen zu laſſen und jo die Kraft vorzubereiten, die es einft Idjen wird. Es ift vielleicht der einzige Sinn der armen Menfchen, die ſich bei uns jegt mit dem Dichten quälen: erſt wieder möglich zu machen, daß einft ein Dichter kommt. Wozu die Vorbedingung wäre: möglich zu machen, daß unfere Naffe wieder unmittelhar an das Leben felbft herangebradt wird, von welchem fie feit der Gegenreformation abge Tchnitten ijt. Unfere Menjchen in einer maginären Welt von der Wirklichkeit zu ifolieren, ift die Tat der Gegen- zeformation gewefen. (ES fehlt und nur noch immer das Buch über die Barode, daS fie auf diefen geiftigen Grund- trieb zurücführen würde) Und ob mir die Straft finden
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werden, unfere Menfchen aus dem Dunſt fo betäubter Eriftenzen ind Erwachen zu ftoßen, ift die Frage, der alle Arbeit unjerer Zeit gehört: aus Öfterreichern Lebende zu machen. Alles, was mir tun, ift nur ein langſames Suchen des Lebens.
Nach jenen vier Typen ordnen fich die wichtigiten Nomen etwa jo:
Zu Grillparzer, der, vor dem Leben entfegt, fich in den Winkel ftellt, gehören Stifter, Warsberg, die Ehner- Eſchenbach, Saar; ftatt durch Kunſt ihr Leben zu voll» enden, meinen fie, ſich mit ihr vor ihm zu ſchützen. An Halm, der Leben und Kunſt als Spiel treibt, ein richtiger Epigone des Barod, nur ein bißchen klaſſiſch maskiert, ſchließen fich Weilen, Keim, Wartenegg, Kralit und die Delle Grazie an. Vauernfeld, dem behenden Späher, der den Augenblid zu ertappen fucht, folgen zunächit: Kaiſer, D. F. Berg, Cofta, dann mit höherem Ehrgeize, an Rat- mund erftarkt, von Anzengruber gehoben, Karlmeis, dem ſich jegt, in ihren guten Momenten nicht ohne Glüd, Hawel und Schrottenbach nähern möchten. Anzengruber felbit iſt der erfte nach Stelzhamer. Er und Nofegger bleiben noch oft im Lofalen, im Zeitlichen, im einzelnen Erlebnis fteden, von dem alle Kunft beginnt, aber das bie große SKunft, indem es ihr zum Gleichnis wird, immer ins All- gemeine vollendet. An Anzengruber haben ſich Langmann, Mamus, Schönherr und Stranemitter gebildet, diefer, in der Provinz verloren, in allen Hoffnungen gekränkt, ſich einfam verzehrend, vielleicht das ſtärkſte Talent, das wir jegt haben.
Es würde mich natürlich reizen, nun auch an Schnigler,
Hermann Badr, Gloffen. 9
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Hofmannsthal, Beer- Hofmann, Burdhard, Salten und der ihnen nachrädenden Jugend zu zeigen, wie fich auch hier jene vier Formen widerholen. Aber diefen bin ich doch zu nahe, um „hiſtoriſch“ zu bleiben. Und ich hoffe ja, daß es ihnen gelingen wird, aus jenen alten Zormen die neue zu prägen.
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Deutfches Volkstheater
1905 Auferftehung.
(Schaufptel in einem Borfpiel und vier Aften nad dem Roman Leo
Tolftoiß von Henry Bataille, deutſch von Annie Reumann-Hofer.
Zum erften Mal aufgeführt im Deutſchen Vollstheater am 24. Närz 1903.)
Manchen gilt Tolftoi als ein Nevolutionär, der den Staat, die Kirche und alle Sitte bedroht, anderen als ein Reaftionär, ein Feind der Bildung, der jede Kultur ver- nichten will. Die einen jagen, er fei überhaupt nur als Ruffe aus den befonderen Verhältnifjen feines Landes zu verjtehen, den anderen ift er der mächtige Prophet, der den Europäern ihren neuen Glauben bringt. Viele verehren in ihm den größten Stünftler, an plaftiicher Kraft nur etwa mit Ibſen zu vergleichen, andere ſchmähen ihn, weil er fein Talent an eine Tendenz verraten habe. Die einen finden es Herrlich, daß er den Mut Hat, nach feiner Über- zeugung zu leben, die anderen fpotten über den Grafen, der Hinter dem Pfluge geht. Jenen ift er der Vote einer wunderbar neuen Zeit, die mit allen feigen Lügen brechen wird, um duch und durch wahr gegen fich ſelbſt zu jein,
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diejen ein abgejchmadter Pofeur, im beiten Falle ein Vhantaft unferer Tächerlichen Decadence. Aber auf alle, ob fie ihm ergeben oder ihm widerftreben, auf alle Hat er gewirkt. Wie niemand unter uns ift, der nicht, er mag es vielleicht gar nicht wiſſen, er mag vielleicht felbft feinen Namen kaum fennen, durch Ibſen in jeinem ganzen Den- ten bejtimmt worden wäre, jo haben alle den Geift des verftörten Ruſſen eingeſogen. Es ift mit Gedanken ſeltſam, es ſcheint, daß fie die Schrift, das Buch gar nicht brau— Gen: fie fliegen von jelbft über die Länder. Menfchen, die feine Romane, feine Stüde, feine Manifefte niemals gelefen haben, denken wie Zoljtoi, fühlen mit ihm. Ir— gendwo fit in einer Heinen Garnifon ein braver Leut- nant, der ruhig feine Pflicht tut, morgens exerziert, abends Karten fpielt, und er wünjcht es fich nicht anders, aber plöglich fängt e3 in ihm zu bohren und zu hämmern an, und er weiß nicht, was mit ihm ift, er erſchrickt vor fich feldft, aber immer muß er wieder, geheimnisvoll gelodt, an das Duell denken, und es kommt ihm vor, daß es ein Unfinn fei, und es fällt ihm ein, daß vielleicht vieles, noch vieles andere auch ein Unfinn ift, und dies läßt ihn nicht mehr aus und ängſtigt ihn und er vertraut ſich zitternd einem Sameraden an und e& zeigt fich, daß diefer bei fich ebenfo denkt. Irgendwo figt ein braver Richter auf dem Lande, der feine Paragraphen kennt und nie ge- zweifelt Hat, aber plöglich fchleicht ein merkwürdiges Ge- fühl bei ihm ein, daß er unwürdig fet, ja, daß fein Menſch würdig jet, über einen anderen zu richten. Woher fommen | folche Bewegungen, welche plöglich Männer eines Standes ergreifen, defjen Vorteil doch verlangen würde, fich gegen
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fie mit allen Kräften zu jträuben? Der Eleine Leutnant und der brave Nichter haben kaum je von Tolftoi gehört, fie find doch von ihm „infiziert“, man kann es gar nicht anders nennen. Es ift, ala ob die Gedanken, einmal aus— geatmet, von der Luft fortgetragen würden.
Man verftehe mich recht: ich weiß fchon, daß die Theorie Tolftois oder fein Syſtem (worüber man das lluge Buch Eugen Heinrich Schmitts „Leo Tolftoi und ieine Bedeutung für unjere Kultur“ nachlejen mag, das durch die höchſt merfwürdige Schrift desſelben Verfaſſers über „Die Gnoſis“*) num erjt völlig verftändlich wird) faum taujend Menfchen befannt find. Ich weiß auch, daß man feine Romane lieft, um fich aufzuregen, ohne nach feiner Lehre zu fragen. Defto feltjamer iſt es mir, jo viele Leute, ohne daß fie es freilich ſelbſt recht bemerken, don ihr ergriffen zu finden. Beſonders Frauen, aber auch mandje Männer und gerade jolche, denen man es am wenig- iten zutcauen follte, Männer der Tat und des Weltlebens höre ich oft jagen, daß unfere inneren Fragen doch wich. tiger al3 alle äußeren Abenteuer find und daß eine gute Stimmung, ein frohes Gefühl, der Friede des Gewiſſens für uns mehr ift, als Glüc oder Reichtum je bedeuten fann. Weltkinder, erwerbende und genießende, fangen wieder an, Religion zu haben oder fie doch zu vermiſſen. Auch wählt in hohen Kreifen das Gefühl, daß, wer in der großen Stomddie des Lebens zufällig den Fürften oder Richter oder Helden fpielt, doch ganz ebenjo ein Menſch wie jeder Bettler oder Räuber ift, nur mit einem ſchweren
*) Beide Werke bei Eugen Diederichs in Leipzig.
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feierlichen Gewand angetan; reißt es ihm der Tod ab, jo ift fein Unterfchted mehr zu ſehen. Und rohen oder häß- lichen Menfchen zürnt man nicht mehr, fondern man wünfcht nur zu ändern, wodurch fie roh oder häßlich geworden find. Es iſt faſt unheimlich, wie geläufig diefe Gedanken heute fchon überall find, fie werden in der nächſten Gene- tation bereit3 banal fein. Indefjen fahren die Menſchen fort zu leben, wie fie immer gelebt haben, ſich zu haſſen, zu betrügen, zu bedrohen, und Gewalt und Lift herrfchen. Sollen, dürfen wir fie fchelten, daß fie jo ganz ander im Zun, ander in ihrem Denken find?
Tolſtoi veracdhtet die Kunft. Er fragt nur immer: Wie mag ein Menich fich fo plagen, fi jo quälen, um feine Kraft für nichts zu vergeuden, mit der er doch an- deren nügen und helfen könnte? Es find nicht nur die Were unjerer Zeit, die er verdammt. Er denkt ganz ebenjo über „die rohen, wilden und für uns oft finnlofen Werke der alten Griechen“, über „Michelangelo mit feinem unfinnigen jüngften Gericht“, über Beethoven, deſſen legte Werke „ein künſtleriſches Irrereden vorftellen“ und defjen neunte Sym- phonte zur „ichlechten Kunft“ gehört, weil „diefe Muſik exkluſiv ift und nicht alle Menfchen vereinigt, ſondern nur einige, indem fie diejelben von den anderen Menfchen ab⸗ fondert”. Auch den „Fauft“ zählt er unter die „Falſifikate der Kunſt“ und Wagners Nibelungen findet er „jo dumm und gauflerhaft, daf man fich wundert, wie Menſchen, die älter find als fieben Jahre, ernfthaft bei diefer Sache zugegen fein Tönnen“. Er Haft dieje Kumft, weil fie „das Ideal der Moral durch das Ideal der Schönheit, daS heikt des Genuſſes“ verdrängt und „die Menfchen mittels Anſteckung
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mit den für die Menfchheit fchlechteiten und jchädlichiten Gefühlen von Aberglauben, Patriotismus, Hauptjächlich aber von Wollluſt verdirbt“. Er jchont auch feine eige- nen Werke nicht, er nimmt nur die Erzählung „Gott fieht die Wahrheit" und die „Kaukafiichen Gefangenen“ aus, alle anderen rechnet er auch „in das Gebiet der fchlechten Kunft“. Man hat aber noch nicht gehört, daß er vorge— ſorgt Hätte, dieje jo ſchädlichen Bücher den Menfchen zu entziehen, um fie vor ihren verberblichen Wirkungen zu bewahren. Er Hat einmal mit ingrimmigem Hohne eine Probe gejhildert, die er in irgend einem Theater mitgemacht. „Es iſt ſchwer,“ jagt er, „ein abſcheulicheres Schaujpiel anzutreffen.“ Überall Arbeiter mit ſchmutzigen Händen, abgehetzt, müde, verbrofjen. Auf der Bühne hunderte von geſchminkten und aufgepugten Männern und entblößten Frauen. In der Oper, die man gerade probte, fam ein Zug von Indiern vor, die eine Braut führten. Der Zug wurde durch ein Rezitativ eines als Türken verkleideten Mannes eingeleitet, der mit fonderbar geöffneten Munde fang: „Ich begleite die Braut.“ Das Happte num nie, Bald kamen die Indier mit den Hellebarden zu jpät, bald zu früh, bald Tamen fie zur Zeit, aber beim Rückzuge drängten fie zu ſehr oder aber fie ftellten fich nicht, wie es fich gehörte, an den Seiten der Bühne auf und jedes- mal wurde alles unterbrochen und von neuem begonnen, unter den gröbjten Schimpfworten, wie man fie von Drofchkenkutichern Hört. Immer wieder beginnt der Sän- „Ich begleite die Braut“, wieder kommen die Indier mit den Hellebarden, wieder klappt es nicht, wieder klopft
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der Meifter ab, wieder fehilt er und ſchmäht, und dann fängt jener wieder zu fingen an: „Ich begleite die Braut.” Und fo dauert es ein, zwei, drei Stunden. „Sol eine Probe dauert ſechs Stunden hintereinander. Das Klopfen mit dem Stödchen, Wiederholungen, Verteilungen, Korri⸗ gieren der Sänger, de3 Orchefters, des Zuges, der Tänze, und alles wird mit einem wütenden Schelten gewürzt. Die Worte: Eſel, Dummköpfe, Idioten, Schweine, die bei den Mufifanten und Sängern angewendet wurden, hörte ih im Laufe einer Stunde wohl vierzigmal. Und der unglüdliche, phyſiſch und moralisch entftellte Menſch, der Slötift, der Waldhornift, dem die Schimpfwörter zufallen, ſchweigt und kommt dem Befehle nach: wiederholt zwanzig⸗ mal „ich begleite die Braut“ und fingt zwanzigmal eine und dieſelbe Phraje und fchreitet wiederum in gelben Schuhen mit der Hellebarde auf der Schulter. Der Diri- gent weiß, daß dieje Menſchen jo entftellt find, das fie zu nicht? anderem taugen, als zu blafen und mit der Hellebarde in gelben Schuhen einherzugehen, daß fie aber zugleich an ein gutes, Iuzuridfes Leben gewöhnt find und alles ertragen werben, um nur nicht diejes gute Leben zu entbehren — und deshalb ergibt er ich ruhig jeiner Grob⸗ heit, umſomehr, da er dies in Paris und Wien beobachtet hat und weiß, daß die beiten Dirigenten fo handeln, daß dies eine mufifaliiche Tradition der berühmten Künſtler ift, die von dem großen Werke ihrer Kunſt fo hingeriſſen find, daß fie feine Zeit mehr haben, die Gefühle der Dar- fteller zu berückſichtigen.“ Lieft man diefe furchtbar wahre Schilderung, die vor Zorn und Verachtung bebt, jo ſchämt man fi, jemals an diefem Metier mitgetan zu haben
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md verwünfcht es. Man hat aber den Troft, dab fich Tolftoi nirgends gegen die Aufführung der „Auferftehung“ gewehrt hat. Und da wird e8 wohl, bei Herm Giniſty in Paris und bei Herrn Beerbohm Tree in London wie jegt bei uns, auf den Proben ganz ebenfo gewejen fein: fünf Stunden lang, der Regifjeur rajend, die Arbeiter ihwigend, die Darfteller außer ich, wie es eben bei diejer „linnberaubenden Beichäftigung“ einmal nicht anders ift. Aber, wendet man ein, vergeſſen Sie nicht, hier hat die Arbeit, die Angft, die Dual wenigſtens einen Sinn, einen Zweck: feine Gedanken des wahren Chriftentums zu ver- breiten! Nur find diefe Gedanken vom Roman zur Bühne verloren gegangen, der kluge Dramaturg hat wohl geſpürt, daß fie unfer Publitum, wie es nun einmal ift, bloß langweilen würden, und was übrig bleibt, ijt ein ftarfes, aufregendes und erjchütterndes Melodrama, das fich ganz ebenfo an unjere Sinne, unfere Nerven wendet, wie die Oper, in der jener die Braut begleitet hat.
Njechljudow, ein junger Fürſt, eigentlich gutmütig, aber leichtjinnig und bald durch die Sitten jeiner Klaſſe verdorben, findet im Haufe jeiner Tanten ein junges Mäd- den, das ihm gefällt. Er verführt es, verläßt es und teift zu feinem Regiment ab. Nach ein paar Tagen hat er dad Abenteuer vergeſſen. Das Mädchen wird, als fich die Folgen zeigen, fortgejagt. Das Kind ftirht, die Mut- ter finkt, bald ift fie ganz verfommen. Es begibt fi aun, dab Njechljudow zum Geſchworenen berufen wird. Eine Dirne, die Maslowa, ift angeklagt, einen Klienten ermordet zu haben. Der Fürft erfennt in ihr jenes Mäd- den. Er überzeugt fich, daß fie unfchuldig iſt. Sie wird
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trogdem verurteilt. Cr wendet alles auf, fie zu retten. Er folgt ihr ins Gefängnis, erwirkt manche Erleichterung für fie, und als fie deportiert wird, begleitet er den Zug. Ia, um gut zu machen, was er verjchuldet hat, trägt er ihr an, fie zu heiraten. Sie lehnt es ab und nimmt, als fie begnadigt wird, einen gutmütigen Sträfling zum Manne, der fich in fie verliebt hat. Das ift die Hand- lung, im Roman wie im Stüd. Nur fehlt im Stüde alles, was im Roman kuünſtleriſch und tolftoiich ift. Im Roman jehen wir den Fürften aus einem guten Jungen zum nachdenflichen Mann reifen, der allmählich, von den Freuden enttäujcht, unruhig wird, nach allen Seiten ſchwankt und fich zwifchen den Gewohnheiten jeines Kreiſes und den leifen Wünjchen feines. Gewiſſens nicht zurechtfinden Tann. Nun erkennt er die Dirne und an dieſem Falle glaubt er mit einem das ganze Unrecht der Welt zu er- tennen. Er hat die Schuld, fie wird dafür beitraft. Und das ift immer fo — er fühlt jeßt, daß das überall jo tft, und eine ungeheuere Scham kommt über ihn, zu jenen zu gehören, die immer die Schuld haben, und ein unge heueres Erbarmen mit jenen, die immer beftraft werden, und eine ungeheuere Sehnjucht, gut zu machen und fid zu opfern. Es ift num wunderbar, wie es dem Dichter gelingt, die Gejtalt doch nicht ans Romantiſche zu ver- lieren: der Zürft bleibt, wie er ſich bemühen und mit fich ringen mag, doc immer ein elender Menich, und es ift rührend, wie er, feft entjchlofien, die Dirne zu heiraten, da er es für feine Pflicht hält, dennoch den Weltmann nicht verleugnen fann, der aufatmet, als ihm dies erſpart wird, wenn er auch freilich die jelbftjüchtige Regung im
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nächſten Augenblide ſchon wieder bereut. Ebenſo das Mädchen: welche Wahrheit, welches Leben Hat dieſe ent- jegliche Geftalt! Wie fie durch das Schidjal vertiert, dann durch die Güte des Fürften, die fie gar nicht verftehen Tann, erjt gereizt und erbittert, allmählich aber gleichjam umgebogen wird und nun ihre verfunfene Menfchlichfeit langſam wieder auftaucht, dies fühlen wir mit, als hätten wir e3 an ung jelbft erlebt. Im Stücke dagegen ift Njechljudow ein pathetijcher Ged und die Maslowa zer- rinnt uns, da jie uns zuerft wie das Annchen in der „Jugend“, plöglich als betrunfene Dirne und dann ebenſo plöglich als büßende Magdalene gezeigt wird, ohne daß wir jehen, wie im Roman wirklich vor uns fehen Fönnten, wie die eine zur andern wird und es durch ihr Schidjal werden muß. Dies fol übrigens durchaus kein Tadel für Herrn Bataille fein. Stellt man fi einmal das Problem: aus diefem Romane ein Stüd zu ziehen, wel- ches auf das Publifum, das in unfern Theatern figt, wirken fol, jo ift es faum ander zu Iöfen. Seltſam ift nur, daß Tolftoi diefes Problem überhaupt zuläßt.
Herr Kutjchera legt den Fürſten gleich anfangs ſchwerer und inniger an, als er zuerft wohl eigentlich gedacht ift. Der leichte Sinn, die Sorgloſigkeit des unbefümmert genießenden Weltmenichen fehlen. Dafür weiß er fpäter durch feinen feſten Ton und feine energiiche Haltung manche Gefahr zu verhüten. Wunderbar ift die Sandrod als Maslowa, bejonders im zweiten Aft, fie hat da Geften einer Verlommenheit, Töne einer Erbitterung, die grauen- Haft find. Here Brandt, in einer ganz winzigen Epiſode von einer verblüffenden Wahrheit, dann die Damen Brenn-
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eis, Schufter, Hofteufel, Somary, Gribl und Herr Kra— mer fchließen fi an. Das Publikum, anfangs Hoch- achtungsvoll gelangweilt, nur allmählich erft auftauend, zeichnete nach dem zweiten und nach dem vierten Aft die Sandrod ftürmijch aus.
Vor Sonnenaufgang.
(Soziales Drama von Gerhart Hauptmann. Zur Aufführung durch den Alademiſchen Berein für Kunft und Literatur im Deutichen Vollstheater am 25. April 1908.)
Als ich mich in den Jahren 1884 bis 1887 an der Berliner Univerfität zuerft im Seminar von Adolf Wag- ner, fpäter bei Guſtav Schmoller der politifchen Öfonomie befliß, Ternte ich Wolfgang Heine kennen, der jegt ein Zührer der deutfchen Sozialiften ift. Damald war er eben Referendar geworden und wollte fich, bevor er nun in das tätige Leben trat, erft noch ein wenig in ber Wiſſenſchaft befeftigen. Er war ein berühmter Student gewejen, als Redner in den „Vereinen der deutichen Studen- ten", dann auch eine Zeit ald Redakteur des „Kyfihäufers“ viel bemerft; aber allmählich war er unficher und ratlos ge— worden und e3 ging ihm jegt wie mir, e8 fehlte ung in den geiftigen und fittlichen Dingen jede Direktion, jeder Halt; wir hatten jo viel gefehen und gelernt und nun wußten wir gar nichts, wir wollten wirken, aber wo, aber wie? Died verband und und ergab eine jener Freund- ichaften, die nur die Jugend fennt und fein Wechſel der Anfichten, aller Beziehungen, ja des ganzen Lebens jemals vernichten Tann. Wir hatten ein merfwürdiges Gefühl,
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deffen ich mich heute noch ganz deutlich entfinne, nämlich als ob irgendwo ein Menſch oder ein Buch verborgen fein müßten, die uns die Wahrheit jagen fönnten, die ganze Wahrheit, die wahre Wahrheit, von Feiner Nüdficht oder Feigheit verfälicht; e3 gälte nur, jenen Mann oder jenes Buch zu finden. Und fo fuchten wir. Cine wilde, faſt finnliche Begierde, die Geheimniffe zu begreifen, eine wahre Satyriafis des Erfennens hatte und erfaßt. Die Tage über ftundenlang in der königlichen oder in der ftillen be— baglichen Bibliothek des ftatiftifchen Bureaus, Philoſophen und Öfonomen und Hiftorifer ercerpierend, ſaßen wir nachts im Café Bauer oben, alle Zeitungen vor und auf- getürmt und heftig disputierend, um uns dann, wenn es graute und wir endlich nach Haufe gingen oder vielmehr (wie Caftelli einmal von einer nächtlichen Heimkehr mit Zacharias Werner jo plaftifch gejagt Hat) nach Haufe ftanden, noch auf der Straße bis in den Morgen hinein unfere Sorgen, unſere Zweifel, unfere Sehnfucht zu Hagen. Dort war es auch, im Cafe Bauer oben, daß wir, einmal Arno Holz trafen. Es war eben, 1885, fein „Buch der Beit“ erjchtenen, das, in der Form eigentlich noch gar
- nicht fo neu, uns doch durch feinen frechen und verruchten Ton entzüdte; wir fühlten überall den Rebellen heraus, Und dann hatte ihm der „Kladderadatſch“ geraten, Eifig- fabrifant zu werden; im „Rladderadatich“ verhöhnt zu fein, genügte aber damals, um von der Jugend bewundert zu werden. Auch war uns in unjeren ſchwanken Stimmun- gen nichtS gewiß als ein ſehr ſtarkes Beitgefühl. Diejes aber fchlug im jenem Buche heftig. Vivos voco ftand gleich auf dem Titel, und dann hie es:
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D’rum ihr, ihr Männer, die ihr's ſeid, Bertrümmert eure Trugibole Und gebt fie weiter, die Parole: „Glüdauf, Glüdauf, du junge Zeit!” und ebenfo: Das Lied der Lieber, Das ift bad Lieb ber Zeit und: Ein neu Geſchlecht, ſchon weht es feine Schwerter, Schon webt die Sonne ihm den Glorienichein, Und glaubt: Es wird fein veildhenblauer Werther, Es wird ein blutiger Meffiad fein! In ſolchen Drohungen meinten wir unjere eigene Stimme zu vernehmen, und wenn er fich rühmte: Der Tonfal meiner lyriſchen Kollegen It mir ein unverftand’ner Dialekt, Denn meinen Reim hat die Kultur beledt Und meine Mufe wallt auf andren Wegen! fo Hang aud da wieder unjere Hoffart mit, in ihrem blinden Glauben an die Macht unferer neuen „Bildung“. Wir ſchwärmten aljo ſchon längſt für ihn, und als wir ihn ‘nun fennen lernten, war es völlig um uns gefchehen. Ich Habe nämlich feitger nur noch einen Menjchen gefun- den, der fo vermag, durch die Kraft feiner Gefinnung, durch feinen gebieterifchen Ton, ja durch einen juggeftiven Zauber feines bloßen Blides jchon alle Welt zu tyran- nifieren: unferen jungen Meifter Olbrich, der num aber freilich viel ruhiger und reifer, viel freier und reicher, viel männlicher und menfchlicher iſt, als Holz damals war. Diefer Hatte eine Art, einen mit feinen Meinungen fürm- lich zu knebeln, die mir nicht wieder vorgefommen iſt. In
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den Büchern, bei den Lehrern hatten wir immer nur Ver- mutungen und alles voll Zweifel angetroffen. Hier hatten wir endlich einen, der feiner Sache ficher war. Er glaubte, wie nur irgend ein Fanatiker jemals geglaubt hat. Er wußte alles ganz genau. Er lachte über jeine lyriſche Bergangenheit, da für ihn noc das höchite „eine Zeile war, die wie eine Kuhglocke läutete“. Nun ging er daran, die Kunft „wiſſenſchaftlich“ zu begründen. Eigentlich ver- achtete er zwar alle Theorie, es war aber notwendig, fie durhzumachen, um „der verfligten Praxis beſſer beizu- lommen“. Und jo faß er tagelang emfig in feinem falten „Sy“, in Niederjchönhaufen draußen, eine Stunde vor Berlin, und brütete einfam und rang um eine formel, welche die ganze Kunft enthalten und die albernen Lügen der Vergangenheit entlarven follte. Er Hat jpäter einmal befannt, dies feien feine „glüdlichften Tage“ geweien, in der Heinen Bude, die „wie ein Vogelbauerchen mitten über einer wunderbaren Winterlandfchaft hing: von unferen Schreibtifchen aus, vor denen wir daſaßen, bis an die Nofen eingemummelt in große, ‚rote Wolldecken, fonnten wir fern über ein. verjchneites Stüd Heide weg, das von Krähen wimmelte, allabendlich die märchenfarbenften Sonnen- untergänge ftudieren, aber die Winde bliejen ung durch die ſchlecht verfitteten Heinen Fenſter von allen Seiten an und die Finger waren und troß der vierzig dicken Preb- fohlen, die wir allmorgendlich in den Dfen jchoben, oft fo froftverflammt, daß wir gezwungen waren, unjere Ar- beiten ſchon aus diefem Grunde zeitweile einzuftellen. Denn mitunter mußten wir fie auc) noch aus ganz andern Gründen quittieren. So zum Beiſpiel, wenn wir aus
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Berlin, wohin wir immer zu Mittag efjen gingen — eine ganze Stunde lang, mitten durch Eis und Schnee, weil es dort „billiger“ war — wieder gar zu hungerig in unfer Vogelbauerchen zurückgefrochen waren, wenn uns ab und zu, um die Dämmerzeit, während draußen die Farben ftarben und in all der Stille rings die Einfamteit, in der wir lebten, plöglich hörbar wurde, hörbar und fühlbar, die Melancholie überfiel oder wenn, was freilich ſtets das Allerbedenklichite war, und einmal der „Tobak“ ausging, dad war dann ein Herzeleid — gar nicht zu beichreiben! Von Cuba waren wir jo allmählich auf „Caraballa“ ger funfen, von Caraballa auf „Paetum optimum“. Sa, ein- mal, als die Not am größten war, entfinne ic; mid, tauchten wir jogar das letzte Stüd einer alten Girlande auf. Honny soit, qui mal y pense .. . Unferen jchönften runden Tiſch mit bunter Velourdede, der eigentlich hätte vor dem Sofa ftehen jollen — dem „Perſerdiwan“, wie es offiziell hieß — hatten wir eigens zwifchen unfere beiden Schreibtijche gerückt, als würdige Unterlage für die lange Strienadel, mit der wir unfere Pfeifen pußten, eine leere Liebig-Büchfe diente als Ajchenbecher. Schließlich, als dann endlich durch unfere Scheiben wieder blau der Früh: lingshimmel brach, hatten wir die Genugtuung, Tonftatieren zu können, daß unfer jchöner, jchneeweißer Hermeskopf, der jo lange quer über einem großen, rotgebundenen Don Quigote mitten unter einem Spiegelchen geſtanden, ausſah wie ein Niggerjchädel.” Gott, wenn ich das jegt leſe und daran denfe, wie ich da auch einmal im Enifternden Schnee hinausgewandert bin, mit Wolf Heine zufammen, jener füßen Unruhe und Bangigfeit voll, die wir Damals immer |
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hatten, am Ende das Große doch zu verjäumen — Gott, war das doch fhön! Freilich, unfer Ton und die wilden Worte gegen die Alten, und wie wir einen großen Strich unter alle Vergangenheit zogen, um von uns aus erft die wahre Geichichte zu datieren, „Die Welt, fie war nicht, eh’ ich ſie erſchuf“, und wie wir ung entrüfteten, wußten ſelbft noch nicht, gegen wen, und wie wir und der höchſten Taten vermaßen, wußten jelbft noch nicht, wo und wann, dies mag alles wohl furchtbar komiſch gewejen fein. Aber diefe Zuverficht, dieſe Anjpannung aller Nerven und Sinne und, wie Holz einmal gejagt hat, dieſer „ſimſonſtarke“ Glaube, das gab doch ein Hochgefühl, das ich für die müde Weisheit der heutigen Jugend nicht umtaufchen möchte,
In dieſe Luft, der ich 1887 entwich, um zumächit endlich mein Jahr abzudienen und dann in die weite Welt zu rennen, geriet 1889 Gerhart Hauptmann. Er hatte fi, eben erft zweiundzwanzig, im Mai 1885 vermählt, war nad Berlin gezogen, hielt es aber dort nicht aus, verließ die Stadt und ging nach Erfner, einem Kleinen Vorort im Dften, um ſich da, wie Bölfche einmal gejagt dat, „im Sieferduft der endloſen, einfamen Wälder, Die man bis zum Horizont fluten fieht wie einen blaugrünen Wollteppich, die ſchwarze Brühe der Großſtadt geiftig und törperlich wieder herunterzumaschen“. Sein Bruder Karl, Bolſche und Wille, Adalbert von Hanftein, der früh ver- ftorbene Maler Hugo Ernft Schmidt und Ferdinand Si- mon waren jein Verkehr. Er hatte ſich als Bildhauer verfucht, in Jena naturwiſſenſchaftlich und philojophifch ausgebildet, auch gelegentlich ſchon poetiſch geübt Aber
Hermann Bahr, Gloffen.
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er ſchwankte noch immer. Nun ging es eben um dieſe Zeit überall in der Literatur 108. Die Brüder Hart be- gannen zu rufen, in München wetterte Conrad mit feiner „Geſellſchaft“, Bleibtreu fuhr mit feiner „Revolution der Literatur“, Conradi mit den „Brutalitäten“ und dem „Adam Menſch“ auf. Am 14. April 1886 wurden Die „Geipenfter”, das „Trauerfpiel zum Gehirnerweichen“, wie der „U“ damals höhnte (man muß fi an jenen Ton erinnern, um unjere Erbitterung zu verftehen), zum erften Mal in Augsburg, am 9. Januar 1887 im Berliner Nefidenztheater aufgeführt; im März folgte die „Wildente“, im Mai „Rosmersholm“, in jener unvergeflichen Borftel- fung mit Emanuel Reicher und Charlotte Frohn. Um dieſelbe Zeit erfuhren wir, in Paris habe ein junger Be- amter der Gasgejellichaft namens Antoine ein neues The- ater geichaffen, gegen die verhaßte industrie thöätrale, das Theätre Libre. Sollten wir uns wieder von den Franzoſen beichämen laſſen? Überall war alles wie im Fieber vor Erwartung. Ein paar junge Leute taten ſich zufammen, die Gründung einer neuen Bühne zu beraten. Aber nun lernte Hauptmann Holz Eennen, dem inzwiſchen jeine neue Formel der Kunft gewiß geworden war: „Die Kunst hat Die Tendenz, wieder die Natur zu jein; fie wird fie nach Maßgabe ihrer jeweiligen Reproduftions- bedingungen und deren Handhabung.“ Das Hang recht nüchtern, aber defto leidenſchaftlicher jein Gebot, die blöde „Sprache des Theater“, diefe plumpe Lüge, von der Bühne zu jagen, um dafür die „Sprache des Lebens“ zu bringen, die einzige wahre Sprache der Kunft, und „ftatt des bisher überliefert geweſenen pofierten Lebens mehr und
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mehr das nahezu Wirkliche zu ſetzen, mit einem Worte: aus dem Theater allmählich das „Theater“ zu drängen.” Kein Theater mehr auf dem Theater, riefen wir ihm nach, jondern das Leben ſelbſt, das milde, große, herrliche, grau⸗ fige, unerfchöpfliche Leben, jo wie es tft, mit allen Wurzeln ausgegraben, friſch von der Gaſſe geholt, noch rauchend vom Dampfe de Augenblides, und wahrhaft, graufam, ſchamlos — !
Das Böfe mit feinem Namen heißen,
Nichts verlindert und nichts vertwigelt,
Nichts verzierlicht und nichts verfrigelt, wie ſchon der Erzvater aller Naturaliften gefordert hatte, Nur jo, glaubten wir, konnten die Deutſchen wieder zur Kunft gelangen und dies ſchien und in der Tat, wie Holz gelagt Hat, „eine Neuerung für die gefamte Literatur von einer fo prinzipiellen Bedeutung, wie fie jeinerzeit für die Malerei die Verdrängung de künſtlichen Atelierlichtes duch das natürliche SFreilicht beſeſſen“.
„Erfült von Arno Holzens Theorie, angejpornt von feinem Bufpruch, machte fich Gerhart Hauptmann, wie Schlenther erzählt, fofort an einen Stoff, der für diefe extrem naturaliftiiche Behandlung ganz bejonder3 geeignet war.“ In ein paar Wochen war er fertig, Das Stüd jollte „Der Sämann“ heißen. Holz taufte e8 um und nannte es, wohl auch leiſe ſymboliſch, „Vor Sonnenauf- gang“. Es erſchien im Herbit, Arno Holz und Johannes Schlaf gewidmet, und wurde am 20. Dftober 1889 im Reifing- Theater von der „Freien Bühne“ aufgeführt, als äweite Vorftellung diefes Vereines, der fi am 5. April gebildet und am 20. September mit den „Geipenftern“
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begonnen Hatte. Das Publikum, an den „Zall Clemenceau“ und Dslar Blumenthal gewöhnt, ſchäumte vor fittlicher Entrüftung über das „Schnaps- und Zangenftüd“. Ein Arzt, der das Buch kannte, hatte in jeiner Wut eine Zange mitgebracht und, obwohl man auf den Proben manches gemildert hatte und die Wöchnerin gar nicht mehr wimmern ließ, fprang er auf das Stichwort doch im Parkett heu- Iend empor, um (ich zitiere wieder Schlenther) feine intime Zange wie ein hochgehaltenes Banner des Wahren, Gu- ten, Schönen über der Freiichenden, höhnenden, raſenden Maffe zu ſchwingen. Mitten in diefem Tumult und Höl- Ienlärm erſchien Hauptmann fo harmlos und unfchuldig erftaunt, daß der alte Fontane am nächiten Tag luſtig ſchrieb, man werde fich erinnern, wie ſchon der verftorbene Geheime Medizinaltat Caspar fein berühmtes Buch über feine Phyſilats- nnd gerichtsärztlichen Erfahrungen mit den Worten anfing: Meine Mörder fahen alle aus wie junge Mädchen.
Wir Tönnen das heute alles Taum mehr begreifen. Es geht und mit dem Stüde ähnlich wie mit dem „Vierten Gebot“. Wir können uns eigentlich gar nicht denken, wie man denn den Dichter darin jemals verfennen mocjte. Wir empfinden es auch heute gar nicht mehr als „natu- raliſtiſch“. Es ftört uns. eher durch die „Tendenz“, die ſich heftiger vordrängt, als wir es jegt mögen; und, was wieder beweift, wie rajch der Geſchmack fich verändert: gerade feine Technik, die man damals als eine jo unerhört verwegene Neuerung empfand, kommt uns heute eher ſchon wieder ein bißchen veraltet und beinahe „Eonventionell” vor. Wir verftehen die Aufregung wirklich nicht mehr.
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Deſto mehr wirkt auf uns jegt, was man damals noch gar nicht zu bemerken jchien, bei den Feinden nicht und laum bei den freunden: der neue Menich, der fich hier ihon überall anfündigt, ftatt des „bibliſchen“ des alten Dramas, der die Krone der Schöpfung war, der arme Menſch unferer Zeit, der, „wie eine Welle im endlofen Strom“, fich gar nicht mehr „Souverän“, fondern (nad Bölfche, der unter den wenigen war, die das damals ſchon ‚ Würten) nur als ein winziges Fragment im Ungeheuren fühlt. Das klingt Hier manchmal ſeltſam rührend durch ud wer Hinhorcht, kann ſchon den Johannes und den armen Heinrich vernehmen.
Ruhmloſe Helden.
(Vier dramatifche Balladen mit Vorfpiel von Paul Buffon. Zum erſten Mal aufgeführt im Deutſchen Vollstheater am 12. Seps tember 1903.)
Steile Feljen, ernfte Zyprefien, tiefe Dämmerung auf dem grauen Meer. Wir find am Geſtade des Todes. Der Dichter fieht auf die dunkle Flut hinaus, Hinter ihm fteht der Tod, von dem er „einen Blic ins unerforſchte Land“ verlangt. Schatten tauchen auf, mit flehenden Ger bärden, die Schatten armer Menjchen, die vergefien find, von welchen „kein Denkmal und fein Lied erzählt“, die ihr Geheimnis in da Grab genommen Haben. Ihr „Herold“ Will der Dichter fein:
Sie waren Helden! — Ad} ich fühl e8 wohl, Und niemand fang für fie ein Helvenlied.
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Für andere türmte man in weißem Stein Und golb’ner Bronze manches ſtolze Mal. Das darf nicht fein, daß niemand fie betreut. | Laß mich der Langvergefi'nen Sänger jein!
Der Schlaf, des Todes fanfter Bruder, tritt zum Dichter, um auf fein Haupt einen Kranz von glühenden Mohnblüten zu legen, leiſe Muſik erflingt, der Dichter ſchläft ein. Der Tod aber jpricht: Mein ift er Doch! Und ftarr aufgeredt, ins Publitum drohend:
„Ihr feid ja alle mein! Was er euch kündet auß bed Todes Reich, Erfahret ihr früher ober fpäter felbft. — Wenn fi zum legten Mal das Auge brebt In bangem Kreis — und wenn zum Ichten Mal Der Inhalt eured Lebens vor euch fteht Und Gut und Boſe in der Wage klingt, Dann wünſch id, daß ihr mir ind Auge feht Wie jene, die der Dichter euch beſingt!“
Der Vorhang geht wieder auf und wir jehen Hafjan ben Achmed und Omar ben Ismail in Stetten, von den Schergen des wilden Muley Bey bewacht. Sie find dem Muley Bey feind, dem fie den Tribut verweigert und die Boten ausgepeiticht Haben. Auf einem Ritte nad Diglis find fie von feinen Sriegern gefangen worden. Nun er- warten fie den Tod. Muley erjcheint, mit feinen Derwilchen, Soldaten und Sklaven. Den Henker neben fich, verhört er fie. „Seid ihr Verwandte?" Hafjan erwidert: „Omar ift der Gemahl meiner Schwefter“. Und warum nennt man euch die Brüderſcheichs? „Weil wir uns lieben, wie die Söhne einer Mutter fich lieben, und weil wir uns Treue halten in allen Dingen.“ Muley lacht: „Treue?
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Gibt es denn das?“ Haſſan aber erzählt, wie ihn Omar, vor drei Jahren, vom Tode gerettet hat; jeitdem lieben fie fich fo zärtlich. Seltfam kommt dies dem Bey vor; fie prahlen wohl nur, die Pferdediebe! Und er verfündet: Einer jei frei, der andere muß fterben; num zeigt eure Ziebe: wer will für den anderen das Opfer jein? Und Haſſan ben Ahmed und Omar ben Ismail rufen beide: „Ich — ich, Herr!" Die Derwiſche und alles Volt und die Sklaven ftaunen. „Würde man mir von jolchen Männern erzählen,” jagt Muley, „ich würde es nicht glauben.“ So fol denn das Los enticheiden. Er läßt zwei Schüffeln und einen jchwarzen Kieſel bringen: „Nun achtet wohl auf mic, ihr Brüderſcheichss. Die Hand desjenigen, dem es beitimmt ift, vom Leben zu feheiden, wird dieſen Stein wählen. Der aber, deſſen Schüffel leer ift, mag ungefährdet heimkehren zu feinen Zelten und künftighin ein treuer Untertan fein.“ Nachdem er aber den Stiefel heimlich in eine der Schüſſeln getan und dieſe mit einer roten, die . andere mit einer jchwarzen Schärpe bedeckt hat, ruft er den Haffan zu fi und flüftert ihm zu: „Du bift mir lieb, Tapferer! Der ſchwarze Stein liegt unter dem roten Tuche.“ Und er wendet fich zu jeinen Sklaven, Muſik er- tönt, der Zug entfernt fi. Die Freunde bleiben mit ihren Wächtern und dem Henker allein. Omar fällt Haffan ſchluchzend um den Hals. Hafjan hat ihn nie jo gefehen: „Dmar! Willft du weinen wie ein Weib? Du, der mid aus den Händen der Feinde befreit hat? Du, ver, mit einer Stugel zwiſchen den Rippen, ſchweigend mit mir durch die Wüfte ritt? Du weinſt?“ Aber Omar denft an Fatme, feine Frau, Haſſans Schweiter; dies macht ihn
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feig. Da tritt Haffan vor die Schüffeln, fein 2o8 zu wählen. Und er ſpricht: „Rot war die Farbe deines Mantels, gefärbt von deinem Blute, ald wir durch die Wülte ritten. Ich wähle das, was unter dem roten Tuche liegt.“ Und da er Omar erbleichen fieht: „Du wollteft auch Rot wählen ?“ Omar erwidert: „Sa, Haſſan.“ Jener aber: „Nun iſt's mein.“ Er hebt das Tuch auf und nimmt den jchwarzen Stein aus der Schüffel. „Grüß' mir Fatıne, meine liebe Schwefter, und grüß’ mir meine tapferen Krieger. Umarme mich, wir jehen uns nicht mehr wieder!" Und die Wächter führen ihn fort.
Diefem arabiſchen Aft, den der Autor „Leben um Leben” nennt, folgt ein ruffiicher, „Die Flüchtlinge“. Zwei Studenten und eine junge Malerin, Olga, die Braut des einen, die Schweiter des anderen. Ein Verein, dem die Sünglinge angehören, ift ausgehoben, ihre Freunde find verhaftet worden, geftern nacht? aus den Betten geholt und gleich in den Wagen und fort, in die Kupfergruben.
Auch ihnen feldft ift man ſchon auf der Spur. Wenn jie -
nicht auf das ſchwediſche Schiff entlommen, find fie ver- Ioren. Aber fie haben feinen Paß. Der Hafen ift mit Wachen umftellt, ohne „Schein“ darf niemand dur. Sie find gefangen wie Wachteln im Netz. Freilich, der Rheder Milkow, bei dem fie wohnen, hätte folche Scheine, für feine Beamten und Arbeiter. Olga foll ihn bitten. Mil- kow fommt und Olga, mit ihm allein, fleht ihn at. Er fann fie retten. Er will es auch. Aber unter einer Be— dingung. Er wagt doch viel: er wird felbft verjchickt, wenn man ihn ertappt. Und: er ift fein Idealiſt — was gehen ihn die zwei überfpannten jungen Leute an? Außer
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wenn, ja — „was befomm’ ich denn dafür, Dlgachen ?* Und er nähert fich ihr zärtlich: „Einen Abend, Olga, und ich tue was Sie wollen... . Sie verlangen, ich folle meine Eriftenz aufs Spiel jegen, ich begehre dagegen ein paar Stunden... Es ift ein Gejchäft! Ich bezahle mit dem Leben Ihres Bruders und Ihres Bräutigams — Sie mit . .. mit Ihrem reizenden Körper!" Sie willigt ein. Aber erſt die Scheine. Der Rheder gibt fie, fie ruft die Jüng- linge: fie follen voraus, fie wird ihnen fpäter mit dem Rheder folgen. Der Bräutigam zaudert wohl einen Augen» blick, aber ihr Bruder drängt: in zehn Minuten Tönnen fie an Bord fein und find gerettet! Und fo rennen fie fort. Der zynifche Rheder lacht: „Die Eiferfucht de3 Bräutigams iſt nicht jo ſchlimm. Nicht einmal danke haben fie gejagt.” Olga ftarrt vor fich Hin: „Nein, nicht einmal danke haben fie gejagt." Dann tritt fie zum Fenſter. Sie fieht die Jünglinge nad) dem Hafen eilen, jegt find fie beim legten Poſten, der prüft die Scheine genau, aber er läßt fie durch, jeßt fteigen fie in den Kahn, die Kette wird gelöft, fie find gerettet. Da nähert fich ihr grinfend der Alte. Sie ftößt ihm weg. Erbarmen! Er wird zomig: Sie haben gefchworen, zieren Sie fich nicht länger! Sie er- greift ein Meffer und bohrt es fich in die Bruft. „Coeurdame“ heißt der dritte At. Der grauſame und rohe Graf von Sterendar ift auf vier Tage fort, da läßt feine zarte Frau Herrn von Barignac ein, den fie fiebt. Während fie flirten, Eehrt der Gatte zurück. Barignac wird in eine hohe alte Uhr verjtect, die in der Edle des Zimmers eingemauert iſt. Schon bricht der Graf tobend herein. Er hat zwei Schatten am Fenster gejehen! „Sie
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haben einen Geliebten. Wo verbirgt fich der Elende? Er entfommt mir nicht!“ Er nimmt jein Reiterpiftol, fpannt ‚den Hahn und taumelt rafend durch die Zimmer. Plög- lich bemerkt er die Uhr. „Ei! Es kündigt fi ein Un- glüd an. Die alte Familienuhr ift ſteh'n geblieben.“ Er Hebt die Piftole und zielt. „Nicht ſchießen!“ jchreit Yvonne auf. Er aber, in jeiner Trunkenheit: „Ei, was! Blitz und Knall tun mir wohl! Wenn Sie um Gnade flehen würden mit Ihren Heinen Händen — nun, vielleicht würde ich ihm fagen, geftehe alles und du magit laufen, Bube! Sollte aber das Bürſchlein trogen und fchweigen, Aug in Aug mit dem Rohr, dann, dann würd’ ich ihn fo niederfnallen!" Und er ſchießt in die Uhr und trifft. „Somit wäre die Sache abgetan ... Madame, ich er- warte Sie in einer halben Stunde zum Diner. Sie werden jchön fein, wie immer . . . Auf Wiederjehen, jchöne Yoonne!l* Er wirft ihr tändelnd mit zwei Fingern einen Kuß zu und verläßt lächelnd das Zimmer. Die Uhr wird geöffnet, Barignac fteht totenblaß, das Spigentud) auf das Herz gepreht. Die Zofe bringt ihn fort. Man Hört Fanfaren und da Gelächter der wilden Freunde, die mit dem Grafen zechen. Die Zofe kommt weinend zurüd, er hat fich noch durch den Park bi an das Tor gefchleppt, er ift tot. Ein alter Diener tritt ein und meldet monoton: Madame, es ift ferviert.
Zulegt „Morgenrot“. Eine fteinige Schlucht in einem düfteren ZFöhrenwalde. Napoleoniſche Grenadiere, von einem armjeligen Dorflehrer geführt, der fich für Geld an- geboten hat, ihnen den Weg zu zeigen. Raſt. Die Offi- ziere verhöhnen den Spion. „Deine Frau war fehr nett
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mit dir... . Verräter — Judas — Schelm — hübjche Borte, fie ſoll doch froh fein, wenn du ein paar Golb- füchfe mitbringft . ... Schön wirft du zu Haufe empfangen werden. D weh! ch ginge am deiner Stelle nicht mehr beim ... Deine Frau hat fogar die Kinder weggeriſſen, als du fie küſſen wollteſt.“ Da kommt ein Hufar mit einer Meldung. Der Meine Lehrer reckt fich auf. Jetzt berjtehen die Offiziere, daß fie in eine Falle geraten find. Rings droht ein ganzes Freikorps, der Transport iſt ver- Ioren. „Ihr alle jeid verloren,” jagt der Lehrer; er ift plöglich ganz verändert. Und er befennt: er hat fie ge- täufcht, er hat fie abſichtlich in die Falle gelodt. „Hätte da8 Dorf um meinen Plan gewußt, wäre er euch ficher zu Ohren gelommen. Gie glaubten, ich führe euch über die Berge. Hätten fie geahnt, daß ich euch in die Wald- Schlucht führe, Hätte fich gewiß einer gefunden, der gegen gute Bezahlung alles verraten hätte. Mir ward es ge- geben, diefe Tat zu tun, und ich danke dem Himmel da- für" Mag fein Weib den Tag verfluchen, an dem fie fein geworden ift, mögen feinen Sindern die Gafjenbuben nachſchreien, mag fein Name mit Schmach bededt fein, der Herr wird ihn in Ehren aufnehmen! Die Soldaten führen ihn ab, man hört einen Schrei, fie haben ihn in ihrer Wut mit den Bajonetten niedergeftochen.- Aber der Kapitän jagt, indem er den Degen zieht, um fich dem Feinde zu ftellen: Der Mann war ein ganzer Held.
Der Gedanke, der in dieſen vier Akten defliniert wird, verrät die Jugend des Autors, der offenbar noch meint, der Ruhm fei nad Verdienſt und Würdigkeit zu verteilen. Später hat man andere Sorgen. Man wird allmählich
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mißtrauifch gegen Ruhm. Bei Werken freilich, welche dem Nugen oder gar unmittelbar dem finnlichen Genufje dienen, findet, jagt Schopenhauer einmal, die richtige Würdigung feine Schwierigkeit und „ein ausgezeichneter Paſtetenbäcker wird in feiner Stadt lange obſtur bleiben, gejchweige nötig haben, an die Nachwelt zu appellieren”. Wenn e3 aber einen neuen Gedanken oder eine kühne Tat gilt, findet fich die Bewunderung langſamer ein. Man lernt das ertragen und wenn man gar erft, alternd, leiſe die Gewalt des Todes zu ahnen beginnt, wird einem auch der Nachruhm eher lächerlich. „Nachwelt gibt's auch nur für die Leben- digen,“ jagt der fterbende Rademacher, in den „Legten Masken“. Ich Tann mir wirklich nicht denken, daß es den Toten jo wichtig fein follte, was fie bei uns gelten. Herr Buſſon überfchägt dag wohl. Wären wir nur immer gegen die Lebendigen gerecht, die Toten nehmen es kaum fo genau. Es will mir nicht ein, daß ich einen Menfchen, dem nichts Ärgeres geichieht, als verfannt zu werden, deshalb tragiſch nehmen fol. Er weiß doch, was er ift. Muß es ihm erſt beicheinigt werden? Wäre Alerander geringer, wenn wir nicht8 von ihm wüßten? Und würde dann wirklich fein Schatten unerlöft am Geftade des Todes irren müfjen, bis irgend ein ausfpähender Journalift ihn gnädig „ent- dedt“ ? Mich verdrießt's, mir auch die Toten noch als Geden vorzuftellen.
Die Vorftellung war auf einen ganz falſchen Ton gewaltfamer und künſtlicher Erregung geftimmt, in den die Schaufpieler gern verfallen, wenn fie glauben: fie müfjen’s jegt machen und den Dichter heraushauen. Dann geht's 103, daß die Zegen fliegen. Bei Barnay hat man einft
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ſo geſpielt, vor fünfzehn Jahren. Heute wirkt es nur noch tomiſch. Doch ſei immerhin der tragiſchen Wucht der Sandrod, der männlichen Entichloffenheit, mit der Kutſchera den Hafjan ſprach, und der guten Haltung gedacht, in der Herr Jenſen einen franzöfifchen Offizier gab.
Die Shloßherrin. (Komödie in vier Alten von Alfred Capus. Zum erfien Mal auf: geführt im Deutfchen Volkstheater am 26. September 1908.)
Nach dem theätre rosse das théatre rose — das ift die neue Formel. Hoffentlich doch nur für Paris, Aber da ftimmt jie; man dreht einfach das Theater der legten zehn Jahre um und die Schule Antoine wird zur Schule Capus. War man dort graufam und roh, jo wird man jegt duldſam und ſanft. Dort Hat man die &criture artiste gejucht, jest ſpricht man, wie die Qeute auf der Gaſſe reden. Frapper fort hieß es dort, jeßt zieht man den leichten Ton des Cauſeurs vor. Damals war die Hauptfache que ga fasse peur au bourgeois, jegt gilt es wieder, dem Bourgeois eine Stimmung zu bereiten, in welcher er angenehm verdaut. Le parti pris pessimiste war e3 damals, die ganze Welt von Schurfen und Kretins bewohnt, ein Peſſimismus, der zulegt jo banal wurde, daß ihn Zemaitre une sagesse de commis voyageur nennen konnte; jeßt ift e8 le parti pris optimiste, alle Menfchen find plöglich nett und alles geht immer gut aus. In kaum fünf Jahren hat fich das jo verwandelt, die Franzoſen zeiten ſchnell.
Max Tann ja nun von diejen beiden Schulen jagen,
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daß die eine jo wahr als die andere oder daß feine wahr ift oder auch, daß es erft beide zufammen find. Cs kommt ſchließlich wohl eigentlich nur auf da8 Temperament an. „Die Welt, in der jeder lebt, hat Schopenhauer gejagt, hängt zunächſt ab von feiner Auffaſſung derjelben, richtet fich daher nach der Verjchiedenheit der Köpfe: diejer gemäß wird fie arm, ſchal und nun flach oder reich, intereffant und. bedeutungsvoll ausfallen.“ Und dann kommt es viel- leicht auch auf das Lebensalter an. Die Jugend mit ihren großen Forderungen wird wild, wenn fie zum erjten Mal die wirkliche Welt erblidt. Seitdem aber die Autoren ein bißchen älter geworben find, haben fie ſich beſchwichtigen laffen; und dann machen auch die Tatiemen viel, das glaubt man gar nicht. Man dichtet doch anders im vierten Stod als in einer Villa, mit Automobil. Renten haben die geheime Kraft, das Weltbild zu verſchieben ... Ich will aljo keineswegs, wie viele tun, Capus verachten, nur deshalb, weil er fein Mifanthrop ift. Seine Philoſophie konnten wir uns ſchon gefallen laſſen. Sie kann fich auf gute Zeugen berufen. Er meint: wir follen nur das Leben nicht tragiſch nehmen, das ſei es gar nicht wert. Dies hat Plato ſchon gewußt: onze zı zur dvdgwnivon &Sıov ueyakis- omovdis, nicht? Menjchliches, jagt er in der Republik, ver- diene großen Eifer. Dann: wir follen und nicht auf- regen, alle Energie hilft nicht viel, das Schiejal läßt ſich nicht zwingen, Glüd muß man haben und geduldig warten, big feine Stunde fommt, das tft die ganze Kunſt. Auch dies war den Griechen jchon befannt, die den Eufolos vom Dyskolos fehieden; und in einem alten fpanijchen Sprich worte, das Schopenhauer gern zitiert, heißt es: da ventura
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a tu hijo y echa lo en el mar — ſchau, daß dein Sohn Glück Hat, dann Tannft du ihn ins Meer werfen. Es gilt nur, die gute Stunde nicht zu verpaffen, das Talent findet fich dann fehon: denn, fagt Lichtenberg, „Gelegen- heit macht nicht Diebe allein, fie macht auch große Männer.” Und endlich: eigentlich find alle Menfchen gut, au fond, es gibt gar feine böfen, ſolche nämlich, die nicht fähig wären, gut zu werden, wenn es ſich trifft, ganz jo, wie & zulegt auch gar feine guten gibt, folche nämlich, die fiher wären, niemals ſchlecht zu werden; darum darf fich feiner befjer ald der andere dünfen, im Grunde find wir doch alle gleich, jeder trägt diefelde menjchliche Natur in fih, die fich nur bei jedem freilich anders zeigt. Geht man diejem Gedanken nach, der alle Figuren des Capus hält, jo kommt man auf unſeres braven Angelus Silefius:
Menſch, alles, was du willſt, ift ſchon zuvor in bir;
Es lieget nur an bem, daß du's nicht wirtſt herfür.
Und eigentlich überhaupt gleich in die tieffte Myſtik. Der Meifter Edhart hat gejagt: „Wem Gott lieber in einem als im andern ift, der Menſch ift gewöhnlich und noch fern und ein Sind. Aber wem Gott gleich ift in allen Dingen, der ift zum Mann geworden. Aber wen alle Kreaturen überflüfjig und fremd find, der ift zum Rechten gefommen.“ *) Und davon kommt, dahin geht feit jeher alle Gnofis, die und in allem, was einmal von der
*) Ich möchte bier gleich auf die ſchöne neue Ausgabe Eckharts von Guſtav Sandauer (Berlin, Karl Schnabel) verweilen, von ber ich hoffentlich, vieleicht zufammen mit dem vortrefflichen Paracelſus von Franz Strunz (Leipzig, Eugen Diederichs) noch einmal aus— führlicher ſprechen darf.
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Natur gegeben ift, es ſei gut oder 658, mächtig oder gering, {hön oder Häßlich, immer dasjelbe Gejeg verehren lehrt ... Aber ich merke, daß mir Capus unter der Hand zum Schwärmer ober Magier wird. Dabei habe ich ihn. gar nicht loben, fondern mir nur erflären wollen, warum mir denn feine Stüde fo wenig gefallen. Nämlich: es kommt doch wohl nicht bloß darauf an, was einer jagt, fondern auch, wie er es jagt. In diejen Stüden werden Gedanfen vorgetragen, die nur wahr find, wenn man fie in einem ganz großen und menjchlichen Sinne nimmt, nicht aber, wenn man mit ihnen bloß fpielt, um fie fchließlich zu einem artigen Wig zufammendrehen, und nicht für Menfchen, die | damit dann foupieren gehen. Seine „petites folles“ hat Mendes ein vaudeville trös distingu& genannt. Das gilt | eigentlich von allen Komödien des Capus. Wie er ji auch immer anftellen mag, zulegt wird es Doch wieder nur ein Vaudeville. Es fragt fich nun aber, ob dieje Form Raum für kosmiſche Gedanken hat. Und mag fie nod | jo dijtinguiert behandelt fein. Dann erjt recht nicht. Das | ift e8 wohl, warum, was, von Tolftoj oder Gorfi vor- gebracht, jo ftarf auf mich wirkt, mir hier allmählich ſchon faft unerträglich ift. Zur Mefje jpielt man feine Polka. Oder man darf dann doch feine Andacht von mir ver- langen.
In jeiner „Chatelaine“ wird nun das alles noch deut⸗ Ticher, als. es fonft war, weil ihm hier offenbar einmal gar nichts eingefallen ift. Das fann einem ja pafjieren. Wer Piychologie der Autoren treibt, mag es fogar ſeht gern: denn niemals zeigt der Autor befjer, was eigentlich an ihm ift, als wenn er fi) ganz auf feine eigene Macht
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angewieſen fieht, ohne ſich mit dem Stoff aushelfen zu tonnen. Hier fommt es nun jchredlich auf, daß jener Optimismus des Capus nur ein Duietismus ift, aus Angit, feine Figuren zu verlieren, fo bald er fie bewegt. Frau von Rive, von ihrem liederlichen Dann verlafjen, der fie nicht bloß betrogen, jondern auch ihr Vermögen vergeudet hat, Hat nichts mehr als ihr altes Schloß Sauveterre. Dos will jie verlaufen. Es ift kaum Hunderttaujend Franken wert. Aber Ioffan, in feiner Jugend ein wilder Biveur, jet Erfinder und fehr reich, bietet ihr dreimal fo viel, denn er hat fich auf den erſten Blick in fie verliebt. Natürlich rührt fie das, fie liebt ihn wieder, fie möchten ſich verloben. Da ift num aber eine böfe alte Frau, der dies nicht paßt, weil fie den reichen Joſſan für ihre Tochter will. Sie Het darum Herrn von Rive auf, der ſchon ganz einverftanden war, fich von feiner Frau zu trennen, nun aber, da es ihr Glück wäre, plöglich nicht mehr will. Barum? Weil e& ihr Glück wäre Aus reiner Bosheit. Diejer fchlechte Kerl wird nun aber, nachdem er feiner Frau, um fie fich gefügig zu machen, ihren geliebten kleinen Knaben mit Hilfe jener böjen alten Zrau entführt hat, von Joſſan gepadt, der ihm fo ins Gewiſſen fpricht, daß er ſich ſchämt und entfagt, weil er ja doc} eigentlich ein ganz, guter Menſch iſt — Joſſan ſelbſt gefteht es ihm zu: „Et pourtant vous n’ötes pas un möchant homme, au fond“. Und natürlich kriegt jegt der edle Millionär die fanfte Chatelaine und das brave Heine Mädchen, dem er von der böfen Alten zugedacht war, kriegt einen Züngling, den & natürlich im ftillen immer fchon heiß geliebt hat und alle find gerührt, ſogar die böje Alte, die nämlich eigent- Hermann Badr, Gloffen. 11
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lich auch gar nicht bbſe iſt, wenigſtens ſagt ihr armer Mann: „Au fond, tu n’es pas möchante.“ Großer Feuillet! Wie haben wir über deine Menichen gelacht, jeder ganz Held oder ganz Bbſewicht, ſchneeweiß oder rabenſchwarz! Aber jchließlich waren fie Doch irgend etwas, fie waren doch irgend wie. Hier aber ift jeder, au fond, geſchwind nur das, was der Autor gerade für die nächite Szene braucht. Und wie hat man dich je langweilig finden konnen, großer Feuillet? Hätten wir gewußt!
An die ſchmachtende Frau von Rive verſchwendet Frau Odilon ihre feinfte Laune, Herr Jenſen ift ein ele- ganter Joſſan und den lächerlichen böfen Gatten rettet Herr Kramer durch das merkwürdige Talent, das er immer in heiffen Rollen wiederfindet: verlorene Poſten weiß niemand befjer zu verteidigen. And ein paar Fleinere Nollen werden von Frau Thaller, Fräulein von Brenneis und Heren Tewele jehr hübfch geſpielt. Schade.
Verliebt.
(Komödie in drei Alten von Georged de Porto⸗Riche. Deutſch von Theodor Wolff. Zum erften Mal aufgeführt im Deutichen Bolt theater am 10. Oktober 1908.)
„Amoureuse“, die wir übrigens ja ſchon von der Rejane im Ausftellungstheater gejehen haben, ift nun zwölf Jahre alt. Sie wurde zuerft am 25. April 1891 im Odbon gegeben, drei Jahre nach der „Chance de Frangoise* desielben Autors, die aus dem Theätre-Libre dann über das Gymnaſe-Dramatique allmählih in die Comödie Frangaife eingerüct ift. Sechs Jahre jpäter folgte „Le
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Pass&“, am 30. Dezember 1897, im Od6on. Zuſammen mit einem Eleinen Akt in Verjen, „L’infidele“, hat Porto- Ride die drei Stüde in ein wunderbares Buch gegeben, dad er „Theätre d’amour“ nennt (Paris, Paul Ollen- dorf. 1898). Wunderbar, weil faum irgend ein anderes die Stimmung diefer Generation, einer zugleich jfeptifchen und doch nach Leidenfchaft verlangenden, ungläubigen und fehnfüchtigen, nihiliſtiſch enttäufchten und romantiſch ver- ſchwaͤrmten, jo traurig jchön ausgedrückt hat, Und weil man hier auch alles, was fie im Techniſchen zu verfuchen fih vermaß, wie von einem Schulbeijpiel ablejen Tann.
Techniſch kommt der Autor aus dem erjten Theätre Libre und von Henri Becque her. Seine Handlung, feine Spannung, feine „Präparationen“, feine ficelles, wie man damals Höhnifch fagte, feine scöne & faire, nicht mehr von diefem unerträglich und verächtlich gewordenen Metier des guten Onkel Sarcey. Sondern Menjchen, alltäglich, wie wir find, in ihren alltäglichen Gefühlen und ihrer alltäglichen Erjcheinung vorgebradt. Und mit einer heute für uns ſchon wieder faft ein wenig komiſchen Angft vor jeder „Tirade“ (jo daß die Reden, die man ja fchließlich, um ein Schaufpiel zu bewegen, doch nicht entbehren kann, immer wieder vom Partner abgefchnitten werden, was auf und heute genau jo ünftlich wirft, als man es damals unerhört natürlich fand), vor jedem „Abgang“, vor alleın, was jemals das Publikum daran erinnern Tönnte, daß es im Theater figt. Dies wundert uns Heute ein wenig, wenn wir denfen, wie wichtig und ftolz man es damald nahm, da ung doch inzwiſchen aufgegangen ift, daß die dramatiſche Kunft, wie jede, eine Form Hat, die auf Fiktion beruht.
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Doc wollen wir nicht vergefien, von welchen Feſſeln eben dadurch das Schaufpiel befreit und um wieviel beweglicher es geworden ift.
Dieje jungen Leute hielten damals ehr viel auf ihren Peſſimismus. Sie wollten ſich vom Leben nicht betrügen laſſen, fie riffen ihm alle Kränze holder Illuſionen ab. Sie entdedten, daß der Menſch ein Tier ift, daß es fein menfchliches Glüd gibt, daß uns von allen’ Freuden, die das Leben bringt, nur Bitterfeit und Efel auf der Zunge Hleibt. Sieht man aber diejen Peſſimismus nur fefter an, jo bemerkt man bald, wie romantifch er eigentlich war. Es ging ihnen allen, wie es Stendhal ergangen war (den man ja gerade um jene Zeit — Bourget grub ihn aus — wieder zu leſen begann), der fich, napoleonijch aufgeregt und an feinem Bilde eines erträumten Italien beraufcht, eine beroijche Welt imaginierte, an der er nun die wirk— liche maß. Gerade Porto-Riche erinnert darin ſehr an Stendhal. In jedem Franzoſen ftect ja immer noch ein Cyrano. Kennt man Dörouldde, fo begreift man dieje Figur erft. Nun denfe man fich einen Cyrano mit Ver- ftand, einen mißtrauffchen, ironifchen, fpöttiichen Cyrano, wozu freilich eine fo verwirrte Zeit gehört, als die unſere ift, einen Cyrano mit der hämiſchen Stepfis des Boulevard, und man hat Borto-Niche, fein Heimweh nach ungebrochener großer Leidenjchaft und den böfen Spott, den ihm unfere | Welt erregt. |
Lichtenberg jagt einmal: „Kein Menſch, der nicht, jo
zu reden, jedermanns Heimlichkeiten zu fagen weiß, jollte fi an ein Schaufpiel machen"; und Speidel hat einmal vom Pichter gejagt, daß fein Auge jämtliche Dinge, fie
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mögen noch jo gewohnt und vergriffen fein, ſtets zum erſten Mal ſieht und einen Strahl der Verwunderung und, des Wiedererkennens darauf fallen läßt. Auch Schopenhauer findet darin, daß „man fich über das Gewöhnliche und Altägliche verwundere“, das Zeichen, das „die künſtleriſchen Menſchen von den anderen trennt“. Dieſe drei Sätze ſind wie eigens auf Porto-Riche geſchrieben. Seine Art iſt 8, dem Banalen nachzufpüren, um in jedermanns Heim» lichleiten Die verftecten Dramen aufzufinden. Banal tft, wobon wir oft gehört und woran wir ung gewöhnt haben. Es Hört aber fogleich auf, e8 zu fein, wenn es un jelbit einmal paffiert. Täglich werden Kinder geboren, darüber wundert ich niemand. Nur die Mutter fühlt das uner- forjchliche Geheimnis, das jede Geburt if. Undank ift der Welt Lohn, weiß jeder und weiß es doch eigentlich nicht, bis er es, verwirrt, beftürzt, zerftört, an fich jelber erfährt. Das Niederträchtige ift das Mächtige, jagen wir nach, aber an wem e3 wahr wird, der kann, indem er es erlebt, zerbrochen werden. Wir tragen in allgemeinen Redensarten einen Schag uralter Weißheit mit ung herum, die wir eigentlich gar nicht verftehen. Würden wir es, wir hätten faum mehr den Mut, gelaffen fortzuleben. Wir fönnen unfer Dafein nur ertragen, wenn wir ung, vor und jelbft, doch unwiffend ftellen, als wären die Gefahren, die dem Menſchen drohen, nur für die anderen, keineswegs aber für uns felbft da. Aus dieſer Unwiſſenheit reißt uns das Leben täglich und doch, um und nur zu behaupten, tauchen wir täglich wieder in fie hinein. Sagt uns je- mand: Es tft ein Pech, wenn eine Frau ihren Mann mehr liebt als ex fie, jo ftimmen wir leichtfinnig zu und fragen
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hicht weiter. Porto-Niche aber zeigt hier, daß es tragiſch tft, und läßt ung, was wir und hundertmal gedacht oder doch nachgeiprochen haben, jo ſtark empfinden, als Hätten wir e8 eben erſt an uns ſelbſt erlebt. Darin gerade ift fein ganz merkwürdiges Talent, daß alle Dinge, fie mögen noch jo gewohnt und vergriffen fein, unter den Strahlen feiner Verwunderung plöglich aufzuleuchten fcheinen und uns neu werden. Cine Frau liebt ihren Mann. Aus dem ganzen erften Aft der „Amoureuse“ erfahren wir eigent- lich fonft nichts. Aber indem wir fie jo um ihn jchleichen, bald werben, bald trogen, bald flehen, immer wieder zärt- lich überftrömen jehen, wird ung, als wüßten wir nun erft, was die Leidenſchaft der Liebe ift, wie fchön, wie furchtbar und — wie unverträglich mit einer ruhigen bürger- lichen Eriftenz! Wir bewundern die Frau als ein ganz feltenes und koſtbares Exemplar einer Empfindung, von der wir in einemfort veden hören und vor der wir doc, wenn jie einmal wirklich erfcheint, ung fat entjegen müſſen. Wir beneiden den Mann, der fo geliebt wird, und be- greifen doch, daß er es verwünſcht, und begreifen vielleicht fogar, daß er zulegt, durch dieſe Liebe in allen jeinen Plänen bedroht, da es doch feinem Manne genügen kann, nichts als Romeo zu fein, erbittert die Frau feinen Freunde an den Hals wirft. Und wir begreifen das läppiſch traurige Abenteuer des Freundes, wir begreifen die Neue und Scham de3 Gatten und begreifen, daß er die Frau zurücdnimmt und alles wieder unverändert weitergeht, wie alles Glück und alles Unglüd in unferem Leben immer unverändert weiter: geht, als welches nicht von außen hereingetragen ift, fon- dern aus unjerem Weſen kommt. Dies alles wird mit einer
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rwubhigen Macht, einer Sicherheit und einer Schärfe vor- getragen, .die nur die Meifter des Theaters haben.
Frau Odilon, ſchauſpieleriſch vortrefflich und mit allen Fineſſen ihrer fubtiblen Kunſt, verfehlt doch eigentlich, was der Autor meint. Sie mag bei Stendhal über die „vier Arten der Liebe“ nachlejen und wird dann empfinden, daf fie nur Die „Liebe aus Sinnlichkeit” dargeftellt hat, wäh. rend es bier eine „aus Leidenichaft” iſt. Wäre es jene, fo Lönnten wir den Ernſt kaum verftehen, mit dem ein Thema des Vaudeville in eine tragifche Stimmung gerüct wird, wie es auch in der Tat unferem Publikum erging, das, anfangs entzückt, fich fpäter gar nicht mehr zurecht» finden wollte. Herr Streamer Iegt den Gatten geſchickt an, aut leider ſehr unficher im Text, und Herr Jenſen weicht in der heiflen Rolle des Freundes behutjam und ug allen Gefahren aus.
Die Shratt. (Zur Premiere der „Maria Therefia” von Franz v. Schönthan im Deutichen Volkstheater am 17. Dftober 1908.)
Es gibt Schaufpieler, die gar nicht erjt den Ummeg über ihre Kunft brauchen, ſondern unmittelbar, ſchon durch die bloße Macht ihres Wejens, dadurch allein, daß fie da find, auf dad Publitum wirken, jet e8, daß dieſes fie als bejondere, an Schönheit oder Leidenjchaft oder Güte un- gemeine Exemplare der Menjchheit verehrt, fei es, was ihm vielleicht noch lieber ift, daß es in ihnen feine eigene Natur wiederzufinden glaubt, jo rein und mit folcher Anmut dargeftellt, daß es Urfache hat, ftolz zu fein. Dieſe, jeder
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Stadt willlommen, weil man fich überall gern in einem verjchönenden Spiegel fieht, find es nirgends mehr als in der unferen, die, was fie auch räjonnieren und über fich raunzen mag, doch, geftehen wir es mur, recht eigenfinnig in ſich verliebt ift und fich, wie bereit fie ſei, Fremdes zu bewundern, Neues aufzufafjen, in ihrer altgewohnten Art immer noch am wohlften fühlt Wir find nun einmal auch im Theater nicht „objektiv“, wir ſchauen duch die Rolle gleich nach der Perſon aus, dieſe ſoll ung wert und lieb fein, was doc, jedem Menfchen jchließlich nur ift, wer ihm gleicht. Und fo ringt fich in Wien fein Schau- fpieler durch, der ung nicht irgendwie fat familiär anzu- heimeln weiß. Wir fragen viel weniger, was oder wie er ipielt, al3 ob er ung gemütlich verwandt berührt, und eigentlich entjcheidet zulegt doc immer nur, ob man in den Logen und im Parkett Luft bekommt, mit ihm be- fannt und intim zu werden. Das fcheint einft das Ge— heimnis Korns und Fichtners, der Luife Neumann, der Haiginger und auch wohl der Rettich geweſen zu fein; man hatte offenbar das Gefühl: hier jpielt uns einer oder eine von ung unjer eigene® Temperament vor. Und das ift das große Geheimnis der Schratt, die jegt in der Gunft der Stadt neben Girardi fteht: weil an ihr die Wienerin ſich jelbft zu erblicen glaubt, wie fie ift ober doch gern wäre, und weil an ihr der Wiener feine liebſten Wünſche anmutig behaglich erfüllt fieht.
Sie Hat einft im Burgtheater die Frau Wahrheit ge- ſpielt, und von dieſen tüchtigen, derben, refoluten Frauen des Hans Sachs ftammt ja die Wienerin weſentlich ab, nur daß der deutichen Redlichkeit und dem breiten Behagen
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in unferen Ländern noch ein Schuß von Übermut und ein vielleicht feltifcher Zug von geiftiger Beweglichkeit und arglofer Lift beigemifcht, ift, der nun gar in dieſer merf- würdigen Wiener Stadt noch feinen befonderen füdlichen Glanz hat. Die Wienerin tft zugleich trogiger und herber, aber doch auch wieder finnlicher und wärmer als ihre bajuvarifche Schwefter, in ihre deutjche Grundfarbe jpielt & bald jlaviich, bald romaniſch jchillernd Herein. Dem Norddentichen kommt fie verwegener dor als fie ift, weil ihn ihre unbefangene Munterkeit und die Luft an Heinen Gefahren täufcht, die fich doch durch das Gewicht ihres Haren und eigentlich ganz unleidenjchaftlichen Sinnes ge- fihert weiß. Der Romane hinwieder findet fie eher ipröde und falt, weil er eben ihre kreuzbrave Seelenruhe nicht verftehen Tann. Daß fie beides ift, finnlich Fed und im Grunde doch ernft, launiſch und Doch verläßlich, bei jenem Philinenzug, der Hebbel fo gefiel, doch eigentlich faft philiſtrös, das macht ihren Zauber aus, der fich Iuftig zwiſchen Leiden- ſchaft und Verſtand wiegt, manchmal faft bis an jene ge» rät, aber fich fogleich immer wieder auf diejen befinnt und zulegt beide in einer gemächlichen Heiterkeit, der es an Meinem Eigenfinn und einem faft fomifchen Trotz nicht fehlt, fanft auszugleichen und fröhlich zu beruhigen weiß. So ift die Wienerin und genau fo ift die Schratt und daß man dag im Theater jpürt und daß die Wienerin fi an ihr erfennt, das ift ihr Reiz.
Dazu ftimmt nun bei ihr alles ein. Gleich wenn fie tommt, man hat fie noch faum erblickt und ſchon iſt das Ohr betört, fo freundlich klingt ung dieje helle und reiche Stimme an, in der alle Heinen Teufel der Wiener Laune
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lauern, gutmütiger Spott, Verjchlagenheit und unfere böje Luſt am Frozzeln, alle bereit, bunt durcheinander loszu— fahren. Uber jegt jchlägt fie die Augen auf, dieſe un- glaublichen Augen, fern und ftill, wie ein weit weg gligern- der Stern, Augen einer Melufine, die fich nach dem tiefen Waffer fehnt, verträumt, unirdiſch, entrüct, zu denen nun der fröhlich geiprächige Mund eigentlich gar nicht paßt, um ben es, ſehr weltlich, jehr irdiſch, hausfraulich ver— ftändig, von tätiger Entſchloſſenheit und munterer Ber- wegenheit bligt. Dem Wiener wird warn, er benft un- willkürlich gleich, wie nett es fein muß, wenn fie fich ndiftet“ und die Zähne zeigt, danach gelüjtet ihn, wie ihm denn immer ein verföhnlicher Zank, Iuftig, Friegeriich ge- führt, im Grunde das liebſte Verhältnis zur Frau ift. Er ift fein Tronbadaur, er betet nicht gern an, höchſtens über die Gaffe, und zur ſchweren und verhaltenen nordijchen Leidenſchaft taugt er jchon gar nicht. Sein „Ideal“ muß am häuslichen Herd ftehen, bonne menagere und bereit, treibt er es zu arg, auch einmal mit dem Kochlöffel auf ihn loszugehen, worauf ihm das Eſſen erft noch viel beſſer ſchmeckt. Dieje ideale Wiener Frau, Melufine mit dem Koch- Löffel, der jchon in det fchnadahüpfelnden Stimme, ja jo- gar ſchon in ihrem behaglich Tampfbereiten Gange droßt, das ift die Schratt.
As Rojel im „Verſchwender“, ald Unzengrubers Vroni, in allen Rollen, die zeigen, wie frohen, ftarfen, unanfechtbar in fich ruhenden Naturen im Leben nichts geichehen ann, und die einen Tropfen von unjerer alt- öfterreichijchen Luft am Spotte haben, ift fie ganz unver gleichlich. Sicherheit des Herzens, die nicht zu verwirten ift,
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und ein Gefühl der eigenen Kraft, das manchmal faft in Hochmut oder Trog ausarten konnte, aber durch Wohl- wollen befchwichtigt wird, geben ihr eine feltiame Art von verſchämter Güte, die ſich fträubt, die fich wehrt, die, kaum etappt, ſchon wieder in einen Spaß entwifcht. Dieſer jcheint ihr eigentliche Clement zu fein, aber es ift zu hübſch, wie fie fih nun aus ihm allmählich, durch Übung und mit Takt, zur Dame hinaufgejpielt und (man benfe nur an die Königin im „Glas Waffer“) einen jcharmanten Ton des Salons gewonnen hat, der und am meiften ent - züdt, wenn er dann wieder unverjehens plöglich feinen Biener Schnabel verrät. Bei und plaudert man ja nicht, bei uns plaufcht man; unfer „Eiprit“, fonft dem Pariſer fo verwandt, hat immer doch eben erft den Kochlöffel weg- gelegt und ſich an der Schürze abgewiſcht. Das ift nicht zu erlernen und ift kaum zu befchreiben, auch fangen wir ja jelbft jegt jchon dies Talent, das vielleicht nur in einer Heinen Stadt unter ftillen, eng zufammengerüdten Menfchen feinen leifen Zauber ſpinnen Tann, allmählich zu verlieren an. Die Schratt ift vielleicht die legte Meifterin der alten Wiener Sunft des Plauſchens, in der noch einmal alle guten Geifter unferer gemütlichen Eleganz verfainmelt find. Man muß fie nur vorlefen hören, Wiener Gedichte und Wiener Geſchichten oder das unfterbliche Lied von. Mar und Morig, den ſchlimmen Buben. Sie Iennt die Be- fangenheit gar nicht, welcher Schaufpieler, wenn ihnen dad Bublitum jo nahe rüdt, leicht verfallen, ſondern unbedenklich jegt fie fich Hin, gudt munter im Kreiſe herum, macht ein liſtiges Geficht, als ob es etwas ganz Beſonderes wäre, was ſie weiß, und ſogleich iſt die Stimmung da, bloß
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durch ihren Ton fchon verwandelt ſich uns der Saal, fie figt auf einem Stanapee und wir rund um den Tifch her⸗ um, eine eine Campe brennt und es riecht nach Kaffee. Und immer, wenn td) fie jo hörte, einmal bei Böfendorfer und wieder voriges Jahr, al3 fie im Mufikverein Stelz- hamer las, immer babe ich dann denfen müffen, wie ſchade es doch ift, für fie felbft und für uns alle, daß fie in einer Stadt Iebt, wo jeder Menfch auf den anderen böfe ift und feiner dem anderen dienen will. Sie würde näm- lich nur ihren Sardou brauchen, der fähig wäre, ihr Weſen zu verftehen und auszudrüden, in einer Rolle, die fie nicht erft zwingt, fich lange zu verftellen, fondern, auf ihr Ge— müt gefchrieben, ihr erlaubt, einmal ganz fie jelbft zu fein, als irgend eine Wiener Sans-Göne, die, breit in unferer Vollksnatur ftehend, ſich darin ungebunden ergehen darf, aber dann doc auch ihren heimlichen Ernft, ihre Redlich- keit und. ihre gute Buverficht verlauten läßt. Karlweis Hat in feiner legten Zeit an eine folche Rolle für fie gedacht, in der fie fich nicht erft viel zu verkleiden hätte, da es Doch niemals die Rolle ift, wodurch fie auf ung wirkt, fondern die Schratt.
Herr von Schönthan verfteht fein Metier, fennt das Publikum und weiß es auf feine Art zu vergnügen, nicht ſehr wählertich in den Mitteln, wenn fie nur wirken, und nicht eben ängftlich, wenn er nur gröblich lachen macht. Man muß ihm aber lafjen, da es ein glängender Einfall war, ftatt ein Stüd, jegt lieber einmal die Schratt zu fchreiben, wie fie leibt nnd lebt. Man wäre nun ein Pedant, ihm kritiſch darzutun, daß die Maria Therefia doch wohl noch ein bifschen anders geweſen fein wird.
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Schließlich war e3 (ich weiß, daß man daS vielleicht paradox ausgedrückt finden wird) die ftolze Phantafie diefer Frau allein, welche, wa® wir Öfterreich nennen, erſchaffen hat, md fo fuggejtiv war ihre Straft, daß es noch bis in das Gemüt der vierten Generation lebendig blieb. Die ganze Verwaltung, die zulegt doch immer dad Leben einer Nation beftimmt, ftammt von ihr her und es ift ihr Geiſt, den wir in unferer fehönen Literatur, von der Pichlerin über Stifter bis auf unferen guten Saat, in unfere Beit hinein noch immer vernehmen. Aber das weiß Herr von Schön- than wohl auch, er hat nur das alles nicht brauchen können, denn e3 iſt ihm ja bloß um ein Koftäm für die Schratt zu tun. Und fo zeigt er uns feine Staiferin bald feierlich, bei der Einweihung von Schönbrunn, unter ihren Großen, ſtaatsmänniſch, beredt, Cicero zitierend, franzöfiich par— lierend, ungariſch ertemporierend, gelegentlich aus dem ftrengen Hochdeutich in unfere bequemere Mundart hin- über entgleift; bald wieber intim, in ihrem Boudoir, mit den Heinen Crzherzoginnen, die ihren Glückwunſch zum Geburtstage auffagen; und immer verliebt in ihren ſchönen Franz, eben noch eiferfüchtig erboft und gleich wieder zärt- lich verföhnt, aber dann noch einmal von der böfen Zuchfin verhegt, trugend, bodend, heimlich bereuend, bis fie ihr geplagter Mann zulegt nach dem alten Rezept Heilt, das ſchon der liſtigen Lufiftrata befannt war. Dazu ein paar hübſche Kleine Bilder, Saal in Schönbrunn, mit dem Blick duch) das Fenſter aufs Gloriette, die Gratulationscour, die tanzenden Erzherzoginnen, die Kleinen Hofdamen, auf dem Boden herumkriechend, um einen verlorenen Rubin zu ſuchen; und allerhand Figuren, jene fchlimme Fuchſin,
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ihrer Majeftät gar zu tugendhafte Oberhofmeifterin, der bizarre Kaunig, freilich ohne das „genie superieur*, das ihm ſelbſt Schevenhüller, der ruhige und eher ſleptiſche Oberftfämmerer, bei allen feinen „Kleinen ridicules“ doch lafjen mußte, und fogar Metaftafio, der zierliche Poet, aber eben alle kaum angedeutet, viel Kleiner noch, als fie im Leben neben ihrer großen Kaijerin waren.
Das Publikum Hielt ſich an Die Schratt, die es jünger, ſcharmanter, anmutiger fand, als je. Jedes Iuftige Wort, jede drollige Wendung nahm es dankbar lachend auf, und fie mußte fi, zwiſchen Sträußen und Stränzen, immer wieder und wieder ihren Wienern zeigen. Neben ihr er- ſchienen Herr Kutſchera, Herr Stramer, Herr Tewele, Herr Weiſſe, Frau Thaler, Fran Schweighofer, Fräulein Schufter, Fräulein v. Brenneis, Fräulein Dewal, Fräulein Laval, die Heine Gerzhofer, die Heine Einer und Herr v. Schön- than, der glüdliche Autor.
„Gloria.“ ¶ Tragðdie von Gabriele d'Annunzio. Deutich von Linda von Lützow. Zum erften Mal aufgeführt im Deutſchen Vollstheater am 28. Di: tober 1903.) 1897 wurde d’Annunzio in die Kammer gewählt. Am 24. Auguft erichien er zum erſten Mal als Kandidat, um vor Bauern und Handwerkern von den höchſten Fragen zu reden. Die Pfeiler des großen Saales, in weldem er ſprach, trugen die Namen feiner Bücher, wie ein Held ſich mit ‚den Namen feiner Städte zu umgeben liebt, die er erobert hat. Und er fagte zu den Männern aus den Bergen
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* (id) zitiere nach einer Überfegung unjeres Hofmannsthal): „Ihr Leute aus meiner Heimat, ich habe mit euch von den Banden zu reden, die den Geift eines Dichter mit dem Boden feines Landes verfnüpfen. Ein Genoffe diefer ungeheuren Zeit, vermag ich in meiner Kunft doch nichts auszudrüden, al3 indem ich es mit dem Leuchten ber reifen Früchte, mit den ſchwanken Ähren, mit dem Summen der Bienen vermenge, mit dem fanftmütigen Schauen der Kinder, mit der Tieblichen Krümmung unjerer Buchten, mit dem Blinfen unſeres Pfluges. Indem ich meinen Blick auf den fchimmernden Strohhalm im Staube Hefte, vermag ih in eine ſchwere Wahrheit einzudringen. Glühende Ge- danken erweckt in mir die Gebärde des Mannes, der das ſchwellende, duftende, friiche Brot in den Dfen hebt, Wundervolles taucht in mir auf, wenn ich das junge Lamm jaugen jehe und aus dem Schatten her das Tönen des Bienenftodes mich umſchwebt. Ich will mic, rühmen vor euch, ihr Männer aus meinem Lande. Zwiſchen die ver- brannten und ſchwieligen Hände des Bauern, in denen er in der feierlichen Stille des Sonntags, unter dem Eichbaum figend, einen heiligen Tert zu halten gewohnt ift, möchte ih dasjenige von meinen Büchern legen, in welchem ich mit der graufamften Kühnheit das langſame Sterben eines der Liebe und des Lebens unwürdigen Menjchen geichildert babe. (Hier meint er eines feiner berühmteften Bücher, den „Triumph des Todes.) Und wenn das geichriebene Wort durch ein Wunder firh in die greifbaren Dinge verwandeln tönnte, deren Gedankenſymbole es enthält, ſo müßte es geichehen, dab der Mann, von ungeheurem Staunen ge troffen, das volle Gewicht feiner eigenen ländlichen Welt
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auf der flachen Hand zu tragen meinte, wie auf alten Bildern die Kaiſer eine Weltkugel tragen. Sein Haus aus Lehm und Stroh, fein Waſſer, jein Brot und die Lieder feiner Töchter bei der Arbeit, dies alle müßte nun vor feinen Augen Heiliger ſcheinen ald zuvor. Und wenn ih an irgend einem Abend etwa in fein Haus zu treten täme, er würde fich mit Ehrfurcht erheben, nicht als vor feinem Herrn, doch als vor einem, der eine große und gute Macht über fein ganzes Dafein hat. Und er würde ſprechen: „Diejer Tennt mich wohl und zeigt mir mein Gutes!“ Deſſen rühme ich mid. Wie das Waſſer und das Brot, fo Halfen die Gleichniſſe, die mein Griffel hinſchreibt, das Leben unjere® Stammes erhalten. Und wenn einem jeden von euch mein ganzes Werk völlig unbelannt wäre und wenn feiner von euch meine Sprache verftanden hätte, ich euch ein Fremder fchiene, aus unbefannten Ländern Her- gewanbert: mein Wort würde deöwegen nicht weniger leuchtend ausbrüden, was in eurem Denfen dämmernd liegt — und wenn feiner in mir den Offenbarer des ewigen Strebens anerfennen wollte, des dunklen unfterblichen Strebens, da unfer Volt nach ſeinen Schichſalszielen hin- drängt, jo wäre darum meine Gegenwart nicht minder voll einer erhabenen und wohltätigen Bedeutung. Es liegt in der Menge eine Schönheit verborgen, der nur der Dichter und der Held Blige zu entloden vermögen. Das Wort des Dichters, wenn es über dad Gedränge hinfliegt, ift Tat, wie die Gebärde des Helden. Einmal kommt der Augendlid, wo für den Dichter die Materie des Lebens nicht länger nur durch ungreifbare Symbole hervorgerufen wird, jondern wo ſich ihm das Leben als Ganzes offenbart,
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der Rhythmus feiner Satzgefüge fich zu atmenden, berühr- baren Geftalten entbildet, die Idee fich in der Kraft und Freiheit verkündet. Hier num iſt endlich die Tat. Die männliche Tat, nach der es unſere Seelen verlangt, nach der wir uns bis zu jchmerzlicher Verftörtheit jehnen, wir alle, die wir zwiichen den Ruinen de3 Vaterlandes unfere betrogene Jugend hinabſinken jeden ... So bin ich bahin- gelommen, Tragödien zu fchreiben; um in einigen zornigen und edlen Gebärden etwas Erhabenheit und Schönheit aus dem flutenden, zudringlichen Schwall des Gemeinen zu teten, der heute die außerlefene Erde bededt, auf ber Leonardo feine gebietenden Madonnen und Michelangelo feine niebezwungenen Helden bildete. Und jo bin ich ferner dahingefommen, vor euch hinzutreten und aus euren Händen eine bürgerliche Macht zu verlangen. Es gibt Leute, bie über diejen meinen Entſchluß allzu verwundert tun. Es tt Zeit, albernen Fabeln ein Ende zu machen und ein falfches Bild von mir zu zerftören. Es ift nicht mehr die Zeit, einfam im Schatten des Lorbeer3 und der Myrte zu träumen. Die Gelftigen müffen nun alle ihre Kräfte zu- fammennehmen, um jo wie in einem Sriege die. Sache des Geiftes gegen die Barbaren zu verteidigen. Wenn fie leben wollen, jo ziemt es ihnen von nun an, jedem Bivie- ipalt zwifchen Denfen und Tun ein Ende zu machen. Er- ringen müffen fie den Plag, der ihnen gebührt zu oberft in der Ordnung der Stände. Den Waffen, den Neligtonen, dem Reichtum folge in der Herrjchaft die Kaſte, für die noch fein Name geprägt ift, in der die Bedingungen bes höchſten geiftigen Dajeins vereint find.“ Und nun rief er alte, teure Erinnerungen an, von der Eroberung Roms und Hermann Babdr, Gloffen. 12
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den Hofinungen jener fchwärmenden Jugend, Hoffnungen, welche dann zerbrochen hingejunfen, „wie die abgehauenen Hände, die Herodot vor den Füßen der Koloffe zu Sais liegen jah“. Warum? Weil die Männer, die man Be- freier naunte, die Gedanken nicht lafen, „mit denen die göttliche, Teuchtende Stirne des Baterlandes beladen war, als man den Staub, den Schweiß und das Blut wegge⸗ wiſcht hatte... . Wer von den Männern, die zur Re gierung Staliens berufen wurden, hat bis heute gezeigt, daß er die Idee begriffen hätte, der unſer Voll durch die taufendjährigen Wechſel hindurch von feinem Genius ent- gegengeführt wird? Diejes iſt die Wahrheit, welche ih ſtolz und froh bin, einem Wolfe, das mir zuhört, ent- gegenzurufen, des Lachens der Philifter in großer Ver- -achtung bewußt: das Schidjal Italiens ift nicht zu trennen von den Geichiden der Schönheit, deren Mutter Italien if. Dies ift die erhabene Wahrheit, zu der wir aufichauen als zu einer Sonne . . . Begreift mich, nehmt meine wahr- haftige Rede auf, liebe Landsleute, liebe Brüder. Die Wahrheit, die fich auf meinen Lippen formt, ift den Wurzeln eure? Weſens ſchon eingerigt, fie ift in Urworten dem Boden entiprungen, fie ift eins mit dem Weſen des Landes und der Leute. Wie ich das Leben jehe, das kommt nirgendwo anders her als aus den Zeugniſſen eines früheren ſchbneren und gewaltigeren Lebens, denen, welche ich im Lande und im Volke erkenne. Unzerſtörbar ift in und die Seele der Väter und noch immer brauchen wir unfere Kräfte unter der unbewuhten Herrjchaft der uralten Inſtinkte . .. So laßt und noch einmal mit lauter und fefter Stimme die befreienden Wahrheiten wiederholen:
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Um fo viel tugendhafter ift ein Menich, als er fich mehr bemüht, fein Dafein zu fteigern. Das Geſchick Italiens it untrennbar von den Schidjalen des Schönen, deſſen Mutter Italien ift. Lateiniicher Geift wird nicht anders feine Vorherrſchaft in der Welt zurüdgewinnen, als unter der Bedingung, daß ber Kult des ungebrochenen Willens wieder hergeſtellt wird und daß jenes Empfinden unange- taftet bleibt, dem zu Ehren das alte Latium ein tieffinniges Felt, das Feſt der Grenziteine, bejab.“
Anderthalb Jahre fpäter, im Februar 1899, ift die Gloria entftanden, aus derjelben geiftigen Welt, aber mit einem feltfamen Ton wilder Entmutigung und Enttäujchung. Ein junger Tribun, wie D’Annunzto wohl fi} jelbft gern gefehen haben mag, wird Hier von der Maffe zur Macht getragen, aber, von einer gleienden Frau betört, derſelben, die feinen Gegner an ihn verraten hat, verliert er ſich und tommt verachtet um. Man Hat darin allerhand An- ſpielungen gefucht, auch auf Crispi und die Tagespolitif. Ich glaube nicht, daß D’Annunzio das wollte. Er Hat die Tragödie des Tribunen von heute jchaffen wollen, dem verſagt bleibt, ein Herrſcher zu werden, weil er nur ein Berftörer ift, fein Schöpfer. Freilich, man merkt das viel- leicht nicht gleich, weil das Prachtgewand feiner prunfen- den und funfelnden, mit ſchweren Juwelen behängten Sprache den Leib de3 Schaufpiel3 kaum erraten läßt, den & mit feinen raufchenden Falten verdedt. Es ift manchmal, als würden fich die Worte, von d'Annunzio mit jolcher Macht in feinen Dienft gelodt, nachher an ihm rächen wollen, indem fie, ftärfer als ihr Herr, ber fie gerufen, feinem Sinne entipringen. Ich will deshalb verfuchen,
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einmal ganz ruhig, bloß für den Verftand und eher ffeptifch, aufzuzeigen, was die Meinung ift, die unter ihnen liegt.
Er ftellt den Tribunen dar als einen Mann, welcher die große Natur, die das Volk in ihm zu ſpüren glaubt, ſelbſt nicht wirklich befigt, fondern nur in Momenten der Erregung und des Taumels plöglich an fich reißt und ftatt dem Wolfe von feiner Kraft zu geben, vielmehr jelbft erſt das Volt braucht, um fich aus ihm Kraft anzueignen. Selbft hat er nur Begierde, die er nicht bändigen und darum nicht geftalten kann, wie fich eine Schale, unter einen zu heftigen Strahl gehalten, niemals füllt. Cr zittert, wenn er handeln fol, ewig in Angſt vor fchredlichen Keämpfen, in welchen er oft plöglich Hinfällt, und ihn ſchaudert Törperlich (man denkt unwilllürlich an Lafjalle) vor der Berührung mit der dampfenden Menge, die er doch braucht, um, Durch fie gereizt und aus fich herausge— trieben, aus bden Bellemmungen in die atemlofe Wut zu geraten, die fein fonft verborgenes Weſen erjt aufzumweden ſcheint. Er fühlt fi, „als ob ihm die Lebenskraft ver- jagen wollte, ala ob feine Adern nicht Blut genug hätten, um fein Herz wieber zu füllen“; er fühlt fich leer, es muß erſt in ihn Hineingepumpt werden, und erft im Sturm der großen Leidenichaften, die um ihn raſen, oder unter den Drohungen furchtbarer Gefahren, wenn er wie einer, nad welchem ſchon der Tod greift, das Lepte aus fich Holt, wird jein Mund von Worten beraufcht, die ſtark wie alter Wein find und ihm ſelbſt eine Leidenschaft, eine Madit, eine Vermefjenheit der Seele vortäufchen, die er doch gar nicht Hat. Daher der Wunſch nach Gefahr: Che la vostra forza sia provata dal piü gran pericolo, sempre.
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Daher die großen Worte, die er gar nicht fo jehr an das Volk ſpricht, fondern an fich jeldft, um mit ihnen wie mit Geißeln oder Dornen jein träges Fleiſch aufzureißen. Da- ber die Sehnfucht nach dem Wunder. Vi sono prodigi da compiere, Wunder find zu tun, für die jeine Kraft nicht reicht: Oltre le sue forze, über feine Kräfte muß a wirfen, indem er die Gier und Wut, die in der Maſſe keult, von ihren Lippen faugt, verfchlingt und dann, gleich“ jam durch fremden Wahnfinn angeſteckt, jelbft zur ſchreienden Figur ihrer wilden Triebe wird. Er hat jelbft gar fein Beien, er ift nur ein ungeheure? Medium aller fremden Leidenſchaften, das, find fie ausgetobt, wieder ohnmächtig in fi zujammenfinft. Voi non appartenete alla razza dei ereatori! ruft ihm der alte Ceſare Bronte Höhntich iu, denn du bift Tein figlio della terra, radicato nelle profonditä del nostro suolo. Er ift nur wie ein Rohr, aus dem die Leidenfchaft des Volkes brauft. Wie fie ver- ftummt, gibt er feinen Ton mehr. Denn feldft ift er nichts geweſen, es war nur die Wut und Gier des Volkes, die aus ihm jchrie.
Ih finde das fehr wahr und jehr groß und meine, dab es auch wirken müßte, wenn es nur ein fähiger Re— aiffeur darzuftellen oder doch wenigſtens anzudeuten ver- ſuchte. Vor fünf Jahren war in der Sezeſſion ein Bild von Laermans zu jehen, einen Zug von Streifenden zeigend, die, in großer Ordnung, zum äußerften entichloffen, um eine Fahne geichart, gegen den Feind marjcieren, ſeltſam mächtig dadurch, daß es uns fühlen ließ, wie der einzelne, wenn er in bie große Bewegung einer Maffe gerät, wunder bar verändert wird und, indem er ihren Rhythmus an-
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nimmt, ſeine eigene, geringe tägliche und mesquine Art an ein höheres, furchtbar ſtrenges und unerbittliches Weſen verliert, eben das der Maffe, in welcher, vor einer Gefahr, einer gemeinfamen Not, einer Leidenſchaft, die einzelnen zu einer einzigen, ungeheuren Perjon des allgemeinen Pathos verwachſen. Darauf fommt es auch hier an: fein einzelner, fondern eine Maffe ift der Held, und alle Bewegungen, die wir fehen, alle Worte, die wir vernehmen, müßten auf und wie Zudungen und Laute eine einzigen gepeinigt aufbrüllenden Tieres wirken.
Im Volkstheater tritt nur einer nad) dem andern vor und jagt eilig feine Rolle her, es wird gar fein Verfuch der mächtigen Symphonie gemacht und jo muß jelbft der prachtvoll tragiiche Ton der Sandrod verpuffen. Das Bublitum ſaß recht verdugt, allmählich ein bifschen un- geduldig dabei. Die Tragödie d’Annunzios konnte es ja aus diefer Aufführung gar nicht vermuten.
1904 Candida. (Romödie in drei Alten von Bernard Shaw, deutſch von Siegfried
Trebitſch. Zum erflen Mal aufgeführt im Deutichen Volkstheater am 8. Ditober 1904.)
Lieber Bernard Shaw! Sie haben fich voriges Jahr einmal über Ihre Candida
Luftig gemacht. Und über uns in Deutjchland, denen fie |
gefällt. Es war fehr amüſant, ich mußte lachen, aber ich dachte doch: Schade, daß der arme Menſch jein Stüd nicht
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veiteht! Und ich ließ Ihnen fagen, Hoffentlich hat e8 IHr Dolmetich ausgerichtet: Ich jei gern bereit, e8 Ihnen zu eflären. Leider Haben Sie verjäumt, diejen Sommer in Bayreuth zu jein. Hoffentlich kommt es aber doc noch dazu, daß wir uns kennen lernen. Wenn es nämlich wahr it, was man mir immer jagt, daß Sie der engliſche Hermann Bahr find, ich aber der deutjche Bernard Shaw (ih weiß nicht, für wen das beleidigender ift), wie nett muß e3 für beide fein, und einmal von allen Seiten an- juguden, wie die beiden Dromios, der von Ephejus und der von Syrakus, und „Halme zu zieh'n ums Seniorat“. Einftweilen aber will ich Ihnen doch ein paar Andeutungen machen, damit Sie endlich wenigftens ungefähr über Ihr Stück orientiert find.
Sie find, lieber Shaw, vor allem ein Piychologe. Sie ſehen den Menſchen anders, als er in den Komödien er- ideint. Sie jehen fich ihn näher an und finden ihn viel- fältiger, bunter, verwidelter. Und Sie trauen ihm nicht. Sie haben bemerkt, daß er nie jagt, was er über fich denkt, und daß das, was er über jich denkt, erſt recht nicht wahr iſt. Und Sie haben bemerkt, daß die Motive, aus welchen er handelt, andere find, als er zeigt, und andere, als er weiß. Und fo, wie Sie nun den Menichen jehen (ich übrigens auch), möchten Sie ihn darftellen (ich auch). Aber Sie konnen das nicht (ich auch nicht). Das wird wohl gar nicht unfere Schuld fein, jondern die der Zeit, welcher der Menſch durch uns erft von Grund aus fragwürdig ge- macht werden muß, bis fie, um fich vor unferen Ironien zu retten, aus Angft die Kraft aufbringen wird, jene neue Form feiner Darftellung zu gewinnen. Cinftweilen, das
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wiſſen Sie jo gut als ich, ift mit unjerer Piychologie eine Wirkung auf dem Theater nicht möglich. Da Sie aber zur Wirkung auf die Maſſe geboren, für die Kanzel zu ehrlich, zum Bolitifer zu Hug find, bleibt Ihnen doch wieder nichts als diejes fo verachtete Theater übrig. Und immer wieder padt es Sie, fich zu jagen: Sted’ deine neue Piychologie ein und fchreib das alte Stüd, wie das Publitum es nun einmal will. Und immer wieder gejchieht Ihnen dann dasjelbe: die eingeftedte Pſychologie Friecht unvermutet plög- lich wieber aus. Ich weiß nicht, ob das mehr tragiich oder tomifch ift. Aber es iſt Ihr großer Reiz.
Sehen Sie, bei der Candida, da fagten Sie ſich doch offenbar auch: Schreibe das alte, das ewige Stück! So fing's an. Was zieht im Theater? Was auf die Frauen wirkt. Was gefällt den Frauen? Was von ihrer Sache handelt. Was ift ihre Sache? Was fie Liebe nennen. Iene tugendhaften rauen, welche die Theater beherrichen, haben ein Ideal: ihrem Manne treu zu fein, ohne des⸗ wegen ganz auf die Gefühle zu verzichten, die man hat, wenn man ihm untreu ift. SHauptjächlich weil ihnen dies das Leben fo felten gewährt, fuchen fie das Theater auf, um es hier zu finden. Es war Ihnen aljo gegeben: Eine Frau, die ihren Mann liebt (jonft würden die Frauen fie verachten), die aber in Gefahr der Untreue gerät (jonft würde fie fie nicht interejfieren), dies natürlich durch die Schuld des Mannes (eine andere gibt die Frau im Theater nicht zu) und vom höchiten Glanze verlodt (denn nur, wen Jupiter ſelbſt erjcheint, begreift die Frau im Theater, daß eine Frau doch vielleicht einen Augenblid want); und fie ſollte lange wanfen, viel wanten, ftarf wanken (denn heim-
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lich macht doch dies allein die Luft der rau am Thenter aus), dann aber ftrahlend fiegen (damit die Männer fich ihämen), und zwar nicht bloß aus Tugend (die nicht mehr in folchem Kredit und übrigens jelbftverftändlich tft), jondern aus irgend einem ganz beſonders überrafchenden Motiv, das wieder einmal die Würde der Frauen recht beweiſen würde. Dies alles war Ihnen flar und es handelte fich aljo bloß um zwei Dinge: um jenen Jupiter und um diejes Motiv. Jener gelang Ihnen, indem Sie den Liebhaber der Frau zum Höchften machten, was Sie zu vergeben haben: zum jungen Dichter. Aber auch diejes dachten Sie ug aus: nicht Tugend ift e8, was Candida bei ihrem Manne hält, und nicht irgend eim bürgerlich enges, irgend ein romantifch vages Gefühl, auch nicht die Kraft dieſes Mannes, nein, gerade feine Schwäche vielmehr: weil er fie braucht, Tiebt die Fran ihn mehr als den jungen, der es vielleicht verwinden und vielleicht auch ohne fie leben können wird. Shaw, Bernard, Ire! Ich beneide Sie! Wie müfjen Sie fich gekrümmt und gebogen haben, als Ihnen diejer infernale Einfall kam! Die Frau bleibt bei dem, der fie nötig hat; an fich felbft denkt doch feine, fie find ſchon jo! Coufin, kannſt du noch? Und Sie jahen im Geifte die naſſen Wangen der verzüdten Damen vor fich, die Teile niden würden: Ja, der fennt ung, das ift ein Dichter, der tennt und genau! Und lachend fchliefen Sie an jenem Abend ein und lachend wachten Sie am nächiten Morgen auf: jo gut wird fich bei Ihrem Stüde feiner mehr unter- halten. Und richtig fielen Ihnen die Deutichen herein. Und in diefer Laune war e8, da haben Sie ſich dann damals über Ihr Stüd und über uns luftig gemacht.
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Sie vergaßen nur eines, Lieber! Sie vergaßen, daß Sie der Bernard Shaw jind. Ich will Ihnen nämlich etwas verraten, was Sie gewiß überrajchen wird: Sie haben viel mehr Talent, als Sie wiffen. Leute von unferer Art leiden daran, daß fie zu gefcheit find. Das macht fie gegen das eigene Talent ungerecht, und da verfuchen jie dann, für das Publitum zu fchreiben. Uber das Talent rächt ſich: es gelingt ihnen nicht. Verſtellen Sie ſich nur, es nützt Ihnen nichts, rechnen Sie noch ſo genau, es ſtimmt doch nie: denn hinterrücks miſcht ſich doch Ihr Talent immer ein. Alas, poor Yorick! Wie haben Sie ſich gefreut, als Sie jenes Motiv der entfagenden Frau fanden, die nicht ihrem Herzen folgen, jondern dem Bedürftigen gehören will! Die ganze legte Ezene reiben Sie ſich vor Vergnügen die Hände, ein ganzes Couplet ſchießen Sie los, Heiliger Dumas, und Frau Candida muß reden und reden und reden, bis auch der legte Kretin die Pointe fängt! Und dann muß es erſt auch der Dann noch einmal ausdrüdlich jagen: „Was ich bin, haft du aus mir gemacht durch die Arbeit deiner Hände und die Liebe deines Herzens. Du biit mein Weib, meine Mutter, meine Schweiter — du bift die Summe aller Liebesmöglichkeiten in meinem Dafein I“ Und noch nicht genug, dann muß fie noch feierlich den jungen Dichter zum Abjchied fragen: „Bin ich Ihnen auch Mutter und Schweiter, Eugen?“ Und bengalifch fteht nun das Weib triumphierend da! Und Sie freuten fich tückiſch! Aber indem Sie fich freuten, froch Ihnen leiſe Ihr Talent in Ihre Feder und dieje fchrieb am Ende noch einen Kleinen Sag: „Die Gatten umarmen fich, aber das Geheimnis in des Dichters Herzen, das kennen fie nicht.“ Da ftugt man.
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Das Hält einen auf. Das verfteht man nicht gleich. Und fo denkt man zurüd, geht alles noch einmal durch und nun fällt einem erjt allmählich hier ein Heines Wort, dort ein anderes auf und fie verbinden ſich und ſchon dämmert es und plöglich erinnert man fi), daß über dem Kamin die heilige Marie aus Tizians „Himmelfahrt“ hängt und daß der Autor, indem er Candida zum erften Mal charakterifiert, ausdrüdlich jagt: „Ein kluger Beobachter würde, fie be- trachtend, mit einem Mal erraten, daß, wer immer das Bild der „Marie-Himmelfahrt“ über ihren Kamin gehängt hat, ein ſeeliſches Band zwiſchen den beiden Frauengeſtalten ge- ahnt haben mag, obwohl niemand, weder ihr Mann noch fie felbft, eines Gedanfens fähig wären, der fie mit der Kunft Tizians in Zufammenhang brächte.“ Und da hat man e3 jegt plöglich.
Mein lieber Herr, ſchwindeln Sie doch nicht: Ihr Stüd iſt wirffich gut! Dan merkt es nur nicht gleich, das iſt Ihr Tri: jo ſehr nämlich, als ein anderer fich plagt, um zu zeigen, was er will, quälen Sie fich, Kollege, es zu ver- fteden ab. Denn jenes ift doch gar nicht das Motiv der Candida, Sie tun nur jo. Dieſen Höllifchen Spaß: IHrer würdig, daß eine Frau, erotifch, aljo durch die tieffte Macht der menfchlichen Natur angezogen, fich verfagen joll: aus Rückſicht, aus Takt fozufagen und für eine hübſche Poſe, foppen Sie ung doch nur vor, Nein, das hat fich Ihre Pſychologie nicht gefallen laſſen. Wenn Candida, ftatt mit dem Iodenden Knaben in die weite Welt zu rennen, bei ihrem Manne bleibt, jo ift es der Inftinft des gejunden Weibchens, der fie Hält. Nicht weil der Mann gut ift, nicht weil er fie braucht, nicht weil er ihr leid tut — Herr,
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Halten Sie und für brave Kinder, denen man mit Fabeln fommen muß? Sondern fie bleibt, weil fie mit der Genialität, die Frauen in Berufsfachen haben, fogleich begreift, daß fie niemal® das Weib für den anderen jein fann, für dem Dichter : denn diefer ift größer als fie, er wird das erfennen, und dann iſt der Zauber aus. Das ift „das Geheimnis in des Dichter Herzen“. In der germanijchen Welt Hat das Weib nur fo lange Macht über einen Mann, als er es wie ein höheres Wefen, faft eine Heilige fühlt: Candida, das fit: die Schimmernde, die Fledenlofe, die Reine, das ift der Himmel, das find die Sterne, das ift da3 ewige Licht. Und diefe Candida? Kein Bweifel, daß aud fie eine Heilige ift. Es fragt fich nur, in welchem Himmel. Es gibt einen erften Himmel und einen zweiten Himmel und jo fort bis zum fiebenten Himmel. Im fiebenten Himmel, Shaw, das wifjen Sie, da find nur die Dichter allein, und aus dem fiebenten Himmel muß die Frau fein, vor der Ihr wunderbarer Marchbanks einmal Inieen wird wenn e3 denn jchon fein joll, daß ein Dichter jemals kniet. Aber Ihre Tiebe Candida ift aus einem tieferen Himmel. Weniger alpin. Weit unter taujend Metern. Gutbürger- lich bewohnte Region. Da ift fie die Heilige, die das germanijche Männchen braucht. Da ſchimmert fie. Für die Morells nämlich, für die braven Leute, die Fabier find, Tugenden predigen und Sonntags die joziale Frage lbſen. Da gehört fie Her. Und daß jie dag weiß, darin fo durchaus germaniſch, als es die beiden Männer in ihren Gefühlen für daS Weib find, das gibt ihr einen Zug, der ein- fach fublim ift. Erjchreden Sie nur nicht, denken Sie lieber einmal ruhig darüber nach, Sie finden es dann gewiß aud.
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Es wäre nur billig, wenn Sie fich jegt gleich meine fämtlichen Werfe kaufen würden, um fie genau (langjam!) zu lefen. Es gibt da nämlich auch manches, was ich gern endlich einmal erklärt haben möchte. Dies, lieber Vetter, erwartet ganz beſtimmt
IHr Herzlich ergebener Hermann Bahr.
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Diefe breite, finnlich frohe, voll tönende Candida, ein Eochen Bogner, das nur ein bißchen Ibſen gelejen Hat, liegt dem zierlichen, gligernden, geiftreich zuſpitzenden, eiligen, tet feanzöfiichen Fräulein Petri eigentlich gar nicht. Kutſchera, immer der Wirkung gewiß, wenn er rejolut feine grunbehrliche Natur unmittelbar ausdrüden darf, gibt den fonoren Paftor, der feinen inneren Menfchen mit dem Baffe des predigenden Moraliften deckt. Herr Birron, der ſich immer mehr als ein vortrefflicher Schaufpieler zeigt, gewandt, behende, frifch, voll Temperament, ſehr intelligent und von einer Hohen fünftlerijchen Zucht, die er wohl Berlin verdankt, Hat nur eines nicht: jenen ſchwärmeriſchen Zug inneren Adels gerade, der dem jungen Marchbanks wefentlich iſt. Um jo merfwürdiger, wie nahe trogdem alle drei ihren Rollen zu kommen wiſſen, mit einer befonnenen Entfagung, der es fchliehlich gelingt, doch die Linien des Stücdes anzudeuten. Auch Fräulein Wallentin ift fo Ung, eine zu billigen Wirkungen lockende Charge mit an- genehmer Mäßigung zurückzuhalten, und die Herren Jenſen und Höfer fügen fich diskret ein. Diejen ſorgſamen Be-
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mühungen iſt es zu danken, daß das Publikum, oft be— fremdet, manchmal ſchon recht ungeduldig und, was ed gar nicht mag, felbft über feine Gefühle für die Figuren im ungewifjen, doch feine gute Laune nicht verlor.
Kettenglieder.
(Ein fröhliches Spiel am häuslichen Herd in vier Aufjügen von Hermann Heifermand. Zum erften Mal aufgeführt im Deutichen Volkstheater am 19. November 1904.)
Vor dreißig Jahren ift Pancras Duif noch ein armer Teufel gewefen, hoch oben auf Dächern mit dem Hammer ſchuftend. Dann hat er mit ein paar erfparten Grofchen eine Schmiede aufgemacht. Keine angenehme Erinnerung. Eine Frau und vier Kinder und die verfluchten Sorgen, Tag um Tag, die einen nicht fehlafen laffen, Nacht für Nacht, die einem das Fleiſch vom Leibe reißen! Die Frau hat auch nichts zu lachen gehabt. Wenn der Gerichtsvoll⸗ äteher kam, um mit der Pfändung zu drohen, da ftanden fie fi) manchmal wie die Beftien gegenüber und gleich ging es los, um ein Wort, ein jchiefes Geficht, einen zer- brochenen Teller; immer Srafeel im Haus, Lärm und Prügel. Nein, das war fein Leben, für ihn nicht und für fie nicht. Dann ftarb fie. Wieder heiraten? Aber wer nimmt denn einen armen Witwer mit vier Meinen Kindern? Er bat es verfucht. Aber fie lachen einen aus. Sie be- danken fich fchönftens, eine ſolche Schmugwirtichaft in Ord- nung zu bringen. Er hat es allein tragen müſſen. Das wird einem nicht leicht, wenn man noch jung ift und einen gefunden Körper hat. Es find oft verfluchte Stunden ge-
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weſen. Stunden, in denen er heulte, weil er fein Weib hatte. Den Kopf dumpf und den Leib frank vor Ent- haltung. Oft nachts von folder Gier gequält, daß er aufftand, um den glühenden Kopf unter die Pumpe zu ſteclen, daß ihm die Augen brannten, die Schläfen klopften daß es ihn vor ihm jelber efelte, bei feinen Kindern, die fo ruhig, ruhig, ruhig in derfelben Stube jchliefen. Nun, zulegt geht es doch, es geht ſchon. Und im Geichäft ift & auch gegangen. Nicht bloß durch feinen Fleiß; er hat ſich tüchtig geradert, aber er war auch ſchlau; immer die Augen auf, um feinen guten Zug zu verjäumen. Spefuliert. Und er hat auch Glüc gehabt. Damals, der Krach des Eifenigndifats in England, vor zehn Jahren — bei, das hat ihm manche Tonne Gold gebracht. Und immer in die Höhe, bis aus der Heinen Schmiede eine große Fabrik geworden ift: „die Kette”, Firma Pancras Duif. Das war einmal jein Traum. Und jegt ift es erreicht. Jetzt iſt der reiche Pancras Duif, der Stolz der ganzen Stadt, wie ein Meiner König. Nun follen aber die Söhne daran. Er Hat fich genug gefchunden. Sollen die zeigen, was fie tönnen. Er jpannt jegt aus. Nicht als ob er müd' wäre, wenn er auch manchmal ein bißchen kränkelt. Er ftellt doch mit feinen fiebenundfünfztg Jahren immer noch feinen Kerl, Gut fonferviert, wie Büchjengemüfe. Aber da will er nun auch was davon haben. Er hat ſich's ehrlich ver- dient, num ſoll ihm das Leben ſchmecken. Die Kinder find verſorgt: Hen leitet die Fabril, Yan ift Makler, Toon, der Student, gaufelt in der Welt herum, Coba hat einen Bauunternehmer geheiratet, es Tann ihnen nicht fehlen. Und ihm macht es Spaß, ihnen zuzufehen, die natürlich
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glauben, alles viel beffer zu verftehen. Bejonders Hent, der die Fabrik nun im modernen Stil führt, mit großen diden Büchern, wahren „Prachtbibeln“, wo alles aufge- fchrieben wird, was der Alte im Kopf gehabt Hat; italieniſche Buchführung nennt man dad — es macht dem Alten einen tiefigen Spaß. Und der Bauunternehmer auch, Dirk, der Mann der Coba; ber will wieder zeigen, was er für ein Spekulant ift: jeden Moment ein anderes Projekt, und der Alte fann dann zahlen. Aber e8 macht ihm Spaß. Wenn es notwendig wird, dreht er jchon ben Daumen zu. Sonft hätten fie ihm freilich ſchon längft kahl gefrefjen, denn da ift der eine wie der andere: Geld, immer nur Geld! Und da Hilft auch einer dem anderen, wie heftig fie fich fonft auch untereinander zanken. Aber ihm macht das alles Spaß. Er Hat das gern, wenn es unter den Menſchen jo recht durcheinander geht. Wenn fein Bruder Hein, der eine ältere Frau geheiratet hat — ich wünfchte, jagt er, ich könnte von ihr „abheiraten“ — mit ihr tobt, daß die Fetzen fliegen, oder wenn fich die Kleine Elsje, feine Enfelin, von ihm einreden läßt, duß die Kühe gerade wie die Hühner Kinder Friegen, und fich num wünfcht, ein- mal eine Kuh auf Eiern figen zu jehen, dann biegt er fid vor Vergnügen. Es gibt zu Tuftige Sachen im Leben. Wenn man es nämlich jo gut hat, wie er jegt. Beſonders feit die Marianne da ift.
Marianne ift die neue Wirtichafterin. Cine famofe Perſon. Kein och mehr in feinen Strümpfen, fein Stäub- hen auf den Möbeln. Und kochen! Jeden Tag denkt fie was anderes aus; folche Sachen mit franzöfifchen Namen, die er fi) gar nicht merken Tann. Überhaupt gebildet!
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Spielt Klavier, kann Franzöfifch, und man muß nur das Wirtſchaftsbuch fehen, diefe Handichrift, wie fie mur das große „S“ macht, fein Maler fann das befier. Und jpar- fan wie die Hölle; Blumenkohl, vier Köpfe für zehn Cent, und das Fett von den Hühnern nimmt fie morgen zum Schmorfleifh. Und rechnen! Daß einer ſchwach werden tann! Wieviel tft fiebenundbreigigmal Bundertdreiundfünf- ig? Da fteht man doch da wie der Ochſe vor dem Tor, aber fie macht fih fo was im Kopfe. Und Augen! Er fühlt ſich wie ein junger Hahn, wenn er nur dieje Augen fieht. Sie wird böje, als fie da merkt. Ja, jagt er, meinen Sie, daß einem alten Bode nicht auch ein grünes Blättchen ſchmeckt? Aber ihr paßt das nicht; wenn er fo anfängt, da fucht fie fich lieber zum erften einen andern Plag. Oho! Was glaubt fie denn von ihm? Er meint e8 ehrlich, er nimmt fie zur Frau, morgen wird das Aufgebot beitellt. Sie wehrt fih. Sie will nit. Warum? it er ihr nicht jung genug? An einem Manne Ende ber Bierziger hat eine Frau mehr Halt, als an fo einem Hofenmag von Zwanzig. Und er weiß doch von ihr, daß fie ein Kind hat, einen Heinen Knaben; ſchon aus Liebe für diejen foll fie es tun, der dann verforgt ift, nicht? Da muß fie ihm nun doch die Wahrheit fagen.: er weiß, daß fie ein Kind hat, aber fie hat ihm verjchwiegen, daß diejes Sind feinen Vater Hat, fie war nie verheiratet, ihr Zeugnis ift gefälicht, fie hat es fich ſelbſt gefchrieben, weil man eine Witwe ja zum Dienfte nimmt, eine ledige Mutter nicht. Er muß lachen, daS gefällt ihm, das ift ein feiner Kniff, wie er ſolche wohl in feinem Gefchäfte auch ſchon gemacht hat. Und er reicht ihr die Hand Hin: „Komm! Du Haft noch Hermann Babr, Gloffen. 13
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keine Stunde Glück in deinem Leben gefannt, ich auch nicht.“ Sie gehören zufammen.
Dan kann fich denken, wie das auf die Kinder wirkt, als fie erfahren, daß fich der Vater mit der Wirtjchafterin verlobt hat. So eine Schande von jo einem alten Manne! „Und das Geld, dad man zu erwarten hat, fann man fich auf den Budel fchreiben.“ Da muß die Familie etwas tun. Es iſt ja doch ſonnenklar, daß er verrückt ift! Anders wäre es ja auch gar nicht zu erffären. Und num erinnern fie fich erft: er ift ihmen fchon die ganze legte Zeit oft echt feltfam vorgelommen. Er macht fo fonderbare Späße. Und dem Dirk Hat er aus einem Zigarrenladen telephoniert, daß er heiratet. Hat dag je ein vernünftiger Menjch in einem Bigarrenladen getan, wo jeder hören fann, was man telephoniert ? Und der Heinen Elsje hat er neulich erzählt, daß die Kühe auf Eiern figen wie die Hühner! Und dem Dirk hat er Geld für ein Projekt verweigert, bei bem eine halbe Million zu verdienen war! Sein Bweifel, um den armen Vater ſteht es jchleht. Man muß fih an einen Arzt wenden. Es gibt doch Piychiater!
Und der Piychiater findet ſich. Es findet fich immer ein Piychiater. Und der Alte erfährt, daß jeine Kinder ent- ſchloſſen find, ihm für wahnfinnig zu erklären, aus Angft für ihr Geld. Und er erfährt, daß die Paptere feiner Braut aus dem Schranke geftohlen worden find. (Der Student ift empört: er hat nicht geftohlen, Teufel auch, er ift fein Schuft, e8 war ein Zufall: er hat fich eine Zigarre an- fteden wollen, dadurch ift er dahinter gefommen, und nun, da er es einmal weiß, was dag für eine liederliche Perſon ift, kann er doch den Alten nicht ins Verderben rennen
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laſſen.) Und er erfährt, daß ſeine Kinder Mariannen mit der Polizei drohen, weil fie ihr Zeugnis gefälfcht hat — wenn fie nicht verzichtet. Und fie verzichte. Sie geht wieder ind Elend hinaus. Er aber bleibt im Elend zurüd. Nun ift er für die Kinder wieder der liebe, gute Papa. „Was bift du doch für ein Engel,“ ſchmeichelt feine Tochter, „für ein durch und durch verjtändiger Engel, ein herrlich vernünftiger Engel, daß du das Frauenzimmer weggetan haft, daß du an deine Kinder gedacht Haft; dafür kriegſt du zehn Küffe“ Er aber ftößt fie weg: Lab mich allein.
Diejes wunderbar ftarte Stüd, durch die breite Sicher- heit feiner Geftalten und die beherrichte Leidenjchaft feiner Enträftung ſtark, wirkt weniger als des Dichter „Hoffnung“, deren Ton doch manchmal wirklich bis zur Macht des Pore Goriot anſchwillt. Vielleicht nur, weil die legte Gtei- gerung ins unmittelbar Tragiiche fehlt. Der alte Bancras und Marianne, beide haben ja einen tiefen Bug tragifcher Verblendung. In der Welt berunigeftoßen, kennen fie fie noch immer nicht, wie ja dies eben das Wejen der guten Menjchen ausmacht, fie niemals zu fennen. Es wäre darum in ihrer Natur, nicht nachzugeben, weil fie nicht glauben Können, daß dies menfchenmöglich iſt. Der Vater nicht, daß ihn feine Sinder ind Narrenhaus einjperren tönnen. Dearianne nicht, daß vor Gericht für eine Fälſchung gelten Tann, wodurch doch niemand betrogen worden ift. Und nun müßten fie erleben, daß der Vater, der Piychtater iſt ja da, wirklich durch feine Kinder ins Irrenhaus fommt und Marianne, der Richter läßt fich finden, ins Zuchthaus. Das Stüd ift zu wahrhaft groß angelegt, als daß es ung,
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ftatt in tragifcher Wut, mit einer trüben Verbitterung ent- lafien dürfte,
Den Pancras jpielt Herr Höfer vortrefflih. Mag man anfangs den Humor breiter, faftiger, derber wünfchen, mag man am Ende einen aus der Tiefe quellenden Ton vermifjen, mag ihm im Heiteren und im Ernften dad Letzte fehlen, man muß doch die vollkommene Technik, den hoben Verſtand, den Gefchmad dieſes durch jeine Mäßigung doppelt wirfjamen Schaufpielerd bewundern. Fräulein Wallentin kommt mit ihrer guten Routine der Marianne bei, die man von der Niefe jehen möchte. Sonft find noch Fräulein Hofteufel, Herr Jenſen, Herr Ruffed und Herr Naeder zu nennen. °
1905 Freiwild.
GSchauſpiel in drei Akten von Arthur Schnitzler. Im Deutſchen Vollstheater aufgeführt am 28. Januar 1906.)
Es war 1897. Prinz Alonjo und Herr Eugen Brüll hatten ſich noch nicht gegen das Duell erflärt. Noch galt es darum nicht für ritterlich, feig zu fein. Auch Hatte ſich die neue Literatur mit ihren Zweifeln und fpöttifchen Fragen noch der Soldaten nicht bemächtigt. Wenn der Offizier auf der Bühne erichien, war es als Bierde der Nation oder doch des Salons. Dem Major von Tellheim verwandt ober Veilchenfreſſer und Reiflingen. Noch Hatte ſich Hartleben nicht erdreiftet, noch drohte Fein Beyerlein und Bilfe Da begab es fich, daß ein junger Dichter,
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ſchon vom erften Ruhm geftreift, aber unzufrieden mit ſich ſelbſt, hochmütig gegen fich jelbft, und darum nach großen Entfchlüffen begterig, die feiner Kraft mehr abzufordern hätten, als fie bisher ihm gewähren konnte, zudem von jener Teichten Schwermut gerührt, die uns betört, wenn wir uns zum erften Mal von den ſüßen Mädchen und ben Spielen der Liebe trennen, weil wir da nämlich noch nicht wiffen fünnen, daß es doch niemals ein Abjchted für immer iſt — in diefer zugleich melancholiſch entfagenden und doch heftiger, als er noch jemals einen Trieb in ſich vernommen haben mochte, zum Exnft des Lebens, zum Wirklichen hin, zu den großen Mächten des Daſeins gedrängten Stimmung des untuhigen jungen Dichters begab es fich, daß er an das Verhältnis des Offizier in unſerer Heutigen Welt geriet. Ich denke, er Hatte einen Kater; fo fing es wohl wahrfcheinlih an. Wir find dann immer jehr gefränft wenn wir eines Tages, erwachend, gewahren, dab irgend ein Tiebes kleines Mädchen doch nicht das ganze große Leben ift; und verargen ihr das fehr und rächen ung, indem wir ung plöglich nun auf die „Probleme“ werfen, zu denen ung erfahrene und reife Freunde Doch ſchon immer geraten haben. Ihre Erfahrung, ihre Reife tft freilich meiften® zulegt wohl eigentlich mehr nur ein leiſer Neid, fie fönnen und nicht töricht glüclich jehen. Und wer fpäter, in Gefahren, durch Leiden, aus Freuden, wirklich reif geworden ift und den wahren Sinn des Lebens er- fahren hat, merkt erft, daß ihn vielleicht das dümmſte Heine Mädchen Tieferes lebendiger Iehrt, als es die Löfung der Höchiten Probleme vermag. Dazwiſchen aber, in der leeren Pauſe von verlangender Jugend zur erfüllenden
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Männlichkeit hinüber, kommt es uns riefig gefcheit vor, den „Problemen“ zu dienen, worunter die ernten Menſchen alles verftehen, was gerade zu diefer Zeit in den Beztehungen der Menfchen und ihrer gejellichaftlichen Ordnung wankend und fragwürdig und verbefferlich geworden ift. Wenn fie freilich weniger ernit, aber dafür mit der menschlichen Natur vertrauter wären, würden fie begreifen, daß ihr von außen her niemals zu helfen ift, jondern, wie Vetter Hamlet fagt, aus „de3 Herzens Herzen“ allein, und daß e8 darum doch eigentlich, um die Sehnfucht der Menjchheit zu heilen, nur ein einziges Problem gibt, nämlich: ihren Geiſt und ihr Gemüt fo durch Erſchütterung aufzutreiben, daß ihr die Gewalt, jede Form der Gewalt, ganz unerträglich und alles, was bisher Ordnung hieß, unmöglich, aber auch entbehrlich wird. Bis aber einer erſt dahin gekommen ift, dies an fich felbft zu begreifen, flict jeder gern eine Beit an den „ragen der Gefellfchaft“ herum.
Das hat auch Schnigler durchmachen müffen und daher hat fein Stüd eine fo merkwürdige Haltung. Etwas fehr Entjchloffenes nämlich, dem man doch leiſe den inneren Zwang anhört. Wie wenn jemand fehr eindringlich von einer Sache, deren Wichtigkeit er fich nachdrücklich vorftellt, ſprechen will, aber fich jehr zufammennehmen muß und Mühe hat, dabei zu bleiben, weil er fich insgeheim immer an nähere Gedanken verliert, die ftärker find, Er beißt ſich auf die Lippen, um fich nicht merfen zu laſſen, wie zerftreut er ift: denn dieſes ganze Stück ift nur aus dem Verftande geholt, in feiner Tiefe weiß er nichts davon, da bereiten fich ſtill Schon die fchönen Erfüllungen feiner Neife vor. Wozu vielleicht auch noch etwas anderes kam.
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Mir will fcheinen, als ob ich heraughören würde, wie gern er als junger Menſch im Burgtheater geſeſſen ift. Die Luft des alten Burgtheater haucht mich hier an und in manchen Szenen wird mir faft, als ob fie mir die Hände des Herrn Hartmann entgegenftreden würden. Was uns gefällt, ſteckt uns unmillfürlich an; was auf uns wirkt, dem möchten wir gleichen, und fo wird, gar in bildſamer Jugend, unjere innere Form durch äußere Gewohnheit oft mehr al3 von unfereın Wejen beitimmt. Wir merften es ſelbſt ja damals faum, aber unwillfürlich nahm der Geift der jungen Leute von 1890 doch immer die Gebärden des alten Burgtheaters an, diejer jehr auserwählten, aber recht abgefühlten, niemals ganz natürlichen, immer hochanftändigen, gezügelten Kunft, die jo höflich war, immer artig an den Zuhörer zu denfen. Sie benahm fich jtet3, wie man tut, wenn im Bimmer ein großer Spiegel ift: man verleugnet ſich ja deswegen nicht, man bleibt natürlich, aber doch anders natürlich, als man ift, wenn man fich nicht fieht. Dean weiß dann eben von jich, wie man wirft, und wenn man ſich auch nun deshalb erft recht anftrengt, ungezwungen zu fein, jo wird es doch nur eine herablafjende Ungeziwungen- heit, die jede wahre Vertraulichkeit einfamer Gedanken ent» fernt. Herablafjend, Ieutjelig, immer wie ein Hoher Herr, der einmal im fchlichten Jägerrocke unter das gemeine Volt geht, war dieſe Kunft des alten Burgtheater8 und davon drang etwas in jedes Geſpräch jener jungen Leute von 1890 ein und ein bißchen ift davon noch am „Freiwild“ Hängen geblieben. Schaufpieler, die in der Kuliffe ftehen, um das Stichwort zu erwarten, pflegen ſich dann, auf das Zeichen de3 Inſpizienten, plöglich einen Nud zu geben,
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der förmlich ihre ganze Natur zu ſpannen und zu ſtrecken ſcheint. Das tft es, was ich an dieſem Stücke manchmal zu ſpüren glaube: wie ſich der Dichter einen Ruck gibt. Es iſt ſchon der Schnitzler, aber ein geſpannter, geſtreckter, der den Kopf zurückwirft und ſich ein bißchen auf die Zehen ſtellt. Und ich ſpüre daran erſt recht die ganze Kraft und Schönheit feiner ſpäteren Entwicklung, die feine Mahnung des Inſpizienten mehr braucht und nicht mehr vor den Spiegel tritt.
In der Literatur wird „Freiwild“ bleiben ala das erſte Soldatenftüd unjerer Zeit. Hartleben Hat jpäter durch fehr feines Detail, das er jehr geſchickt an eine wafjerblaue Handlung band, ftärker gewirkt und Beyerlein hat e8 dann zum groben tHeatralifchen Effekt gedreht. Ich meine übrigens, die Serie ift noch nicht aus, e8 wird noch mancher fommen, weil da8 Thema noch nicht erfchöpft iſt: in ihrem legten Weſen ift die Eriftenz eines Soldaten in unferer Beit noch nicht getroffen worden. Unſere Zeit verlangt von jedem, der in der gejellichaftlichen Ordnung als Mitregent leben will, daß ihm diefe zur zweiten Natur werden muß. Die Beitimmung des Soldaten verlangt von ihm, immer für den Moment bereit zu jein, in welchem die bürgerliche Ordnung plöglich wieder aufgehoben, die zweite Natur wieder zerriffen wird. Bu ihrem Schuge, um nicht don jebem Feinde umgerannt zu werden, braucht fie Männer von einer Art, die unter ihrem Schuge doc) eigentlich gar nicht gedeihen Tann. Damit aus einem Menjchen ein guter Bürger werde, müffen in ihm eben jene Sträfte vertilgt oder doch verfümmert werden, die den guten Soldaten machen. Ie menfchlicher einer ift, je gütiger und gerechter,
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je mehr Herr über unſere tierifche Wildheit, ein deſto idlechterer Soldat wird er im Kriege fein. Und je ver- wegener, leidenfchaftlicher, graufamer er fich in der Schlacht bewähren wird, defto ſchwerer wird er fich in die bürger- fie Ordnung finden önnen, deren Verteidigung aber dann ſchließlich doch wieder der Sinn feiner ganzen Eriftenz ift. Der große Reiz, den der foldatifche Beruf noch immer für viele hat, beſteht wahrjcheinlich darin allein, daß es zu diefem Berufe gehört, auf ein Zeichen aus aller Ordnung ausbrechen zu konnen und wieder zum ungezähmten Ur- menjchen zu werden, den uns Erziehung, Kultur, Geſetz verleugnen lehrt. Es wird vom Soldaten aljo eigentlich verlangt, daß er auf Kommando jet zum Urmenfchen, jegt zum Staatsbürger werden fann. Und wenn ich mir einen nachdenklichen und mit fich aufrichtigen Menjchen denfe, dem dies bewußt würde, jo wäre das wohl ein rein tragiſcher Fall, der feinen Dichter verdiente,
Die Aufführung ift im einzelnen ungewöhnlich gut. Bor allem wirken Stutjchera und Jenſen durch eine merf- würdige Kraft, die die etwas Iehrhaften Sachen, die fie mitunter räfonierend zu jagen haben, perjönlich zu beleben weiß. Dann Fräulein Erl durch ihren wunderhübfchen Ton, der nur leife zuweilen noch ein bißchen unfret klingt. Stamer, als Karinski, ift in der Haltung vortrefflich, aber er bleibt der Figur die Wildheit, den Zug zum Abenteuer, die Falte vom gebornen Croupter ſchuldig. Sonit ift noch Herr Höfer zu nennen, mit dem ergöglichen Armeedeutſch, das er dem Leutnant Vogel gibt. Die Wirkung war ftarf: wie in einer Volksverſammlung klatſchten die Leute den berwegenen Reden der gejunden Wernunft begeiftert zu.
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Ja fiehft du, Arthur fo geht’3: vor acht Jahren, ala du fie fchriebft, find e8 Frechheiten geweſen, die man dir gar nicht verzeihen wollte, und jegt ſind's ſchon Wahrheiten für die kompakte Majorität geworden, und noch zehn Jahre, und e3 werden Banalitäten fein, hoffentlich, gegen die ſich dann eine neue Jugend wieder ingrimmig empdren muß — das iſt der Lauf der Welt.
Rat Schrimpf.
(Komödie in fünf Akten von Mar Burkhard. Zum erften Mal aufs geführt im Deutſchen Vollstheater am 13. April 1905.) Schon Niebuhr Hat geiagt, die Freiheit beruhe auf
der Verwaltung mehr ald auf der Verfafjung. Vom älteren
deutjchen Liberalismus ift das dann eifrig nachgejprochen worden, freilich eher inftinftiv aus dumpfen Gefühlen ald aus Haren und ficheren Begriffen der Verwaltung, zu welchen es ihm doch an jeder Anfchauung fehlte. Er konnte fich nur an die Schilderungen der englifchen halten, die Lothar
Bucher und Gneift mitgebracht hatten, in der verlodenden
und bald überall geläufigen, aber, wie wir jegt aus dem
Buche des Dr. Joſef Redlich über die „Engliſche Lofal-
verwaltung“ wiſſen, durchaus unzulänglichen Daritellun-
gen. Erſt Iofef Nedlich hat das Geheimnis der eng- liſchen Verwaltung erjchloffen, die, indem es ihr gelang, fi) von der Macht der Krone beharclich abzulöjen und gegen die Macht der Krone durchzutrogen, ein vollfommenes
Organ der nationalen Bebürfnifje geworden tft. Sie ruht
auf der uralten, „elementaren“, überall an die natürlichen
und drtlichen Verbände der Bürger gefügten Rechts- und
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Gemeinshaftsordnung, die bei und vom Feudalismus zer- trümmert wurde, dort aber, durch ein lebendiges Gefühl des Volles erhalten, von den Konigen zuerſt gegen ben Feudalismus noch beftärkt, die Kraft gemann, jeden Ver— fu der Königlichen Gewalt, die, erſt einmal durch fie fiher geworden, fpäter nun auch fie zerbrechen wollte, ge- laſſen abzujchlagen, bis zuleßt, in eben der Beit, da der Krone vom Parlament die Gejeßgebung entwunden wird, auch aus ihr der Tönigliche Wille völlig verfchwindet. Es ſcheint, daß unfere Politiker nicht leſen Tönnen: fie hätten fonft aus diefem Buche, dem die Strenge der Wiſſenſchaft doch allen Neiz einer fünftlerifchen Darftellung läßt, er- Tennen müſſen, woran es unferer Verwaltung fehlt. Dieſe dient der ftaatlichen Gewalt. Sie wird von der Staatlichen Gewalt regiert, die englifche durch das nationale Bedürfnis. Freilich gibt auch unjere das nationale Bedürfnis vor, aber mit einer fortwährenden heimlichen Angit, dieſes Tönnte, wird es erfüllt, wodurch ja das Volk erftarkt, irgend ein- mal der ftantlichen Gewalt gefährlich werden. Indem unfere Verwaltung aljo das nationale Bedürfnis jo weit erfüllt, als es unabweislich ift, um zu verhüten, daß es ſich fonft, unbefriedigt, gegen die jtantliche Gewalt kehrt, wird fie niemal® die Sorge 108, wie fie wohl das Be— dürfnis, dem fie Öffentlich zu dienen ſcheint, heimlich doch vielleicht zu hemmen vermöchte. Wozu noch Tommt, daß bei uns die ftaatliche Gewalt, um fich des Adels zu ver- fihern, mit dem fie nicht fertig geworden ift, das Abkommen getroffen Hat, fich feiner Verforgung anzunehmen, einer materiellen und einer idealen Verjorgung, mit Einkünften und mit Ehren, indem fie ihm alle wichtigen Poften der
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Verwaltung gleihfam als Pfründen zuweiſt. Friedjung fagt einmal von jenem „Grafenminifterium“ des Beleredi, es habe die Vorftellung gehabt, „daß ſich der Staat und die Ariftofratie deden“. Der Adel hat diefe „Worftellung“ no immer. Indem es nun unferer Verwaltung nicht ge- lang, unabhängig von der ftantlichen Gewalt zu werden, indem ferner die Verwaltung zugleich dem Adel zur Ver- forgung zugeteilt wurde, für den fich die ftaatliche Gewalt noch immer mit der Macht der paar großen Familien deckt, indem fie aljo zugleich da8 Organ der nationalen Bedürf- niffe fein fol, als welches allein ja ſchließlich jede Wer- waltung zuerft entiteht, fofort aber auch ein Organ ber ftaatlichen Furcht vor den nationalen Bedürfniffen wird und zudem an ein Perfonal ausgeliefert ift, das es als jeine Gebühr, als ein gefchichtlich durch feine Verdienfte um die ftaatliche Gewalt erworbene Privileg anfieht, ſich dafür vom Volke aushalten zu laſſen, ift die Verwaltung bei ung jene merkwürdige Anftalt geworden, die, halb Poli- zei, halb adeliges Safino, dem Üfterreicher das tiefe Grauen vor ber „Behbrde“ anerzogen Hat. Er traut ihr nicht, fie ihm nicht. Er erfchrict, wenn er vor fie gerufen wird. Ste iſt gereizt, wenn er fich doch einmal an fie wenden muß. Und beide wünfchen fich nur, nicht® miteinander zu tun zu haben.
Hat man dies einmal begriffen, fo wird man gegen den einzelnen viel milder, wie denn Einficht in Buftände immer geduldiger gegen ihre Menjchen macht. Der ein- zelne kann daran nichts ändern. Es wird gewiß in unferer Verwaltung anftändige Leute geben. Mehr als der Arg- wohn unferer erbitterten Bevölferung glauben mag. Es
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nägt nur nichts, fie richten nichts aus, die Verhältniſſe find ftärker. Und allmählich jehen fie das dann ein und geben es auf. Mancher aus Eigennug, um beſſer fortzu- fommen, mancher auch bloß aus Müpdigfeit, weil e8 doc feinen Sinn bat, daß gerade nur er allein immer anders fin fol, und weil es ja doch nichts nützt. Das „Be- amtentum“, hat Burdhard einmal gejagt, „ist ein Würger: & tötet Menjchen und jet Schemen an ihre Stelle, Schemen voll Unvernunft und Haß, wo Verftand im Kopfe, Menjch- lichkeit in der Bruſt geherricht Haben. Unendlich vieles läßt fich gegen die Wählbarkeit der Beamten, für die Wichtigkeit fachlicher, dauernder Schulung jagen — und doc, es follte einer nicht länger als drei Jahre lang, und dann erſt wieder nach Jahr und Tag, Inhaber einer öffentlichen Macht jein dürfen! Um feiner felbft willen. Nur die wenigiten find dem gewachſen.“ Burchard hat die an dem Grafen Lamezan gezeigt, der durchaus eine Natur, froh und ſtark, doch innerlich am „Beamtentum“ verdarb, fich nach und nach völlig verlierend, bi8 aus dem Menjchen jchließlih ein „guter Beamter“ geworben war. „Deren,“ jagt Burdhard, der es ja wiſſen muß, „gibt es drei Kategorien: Da ift einmal der „gute Beamte“ unterfter Güte, dag tft der Beamte, für den die Paragraphe, die Gejege, das Um und Auf feines Beamtentums find, der fich mit juriftiihen Deduftionen eine Meinung über den wahren Inhalt und die richtige Anwendung jeiner Paragraphe bildet und nun, ohne nach recht? und links auf Menjchen oder Verhältnifje zu ſehen, nach jeinen Para- graphen adminiftriert und judiziert, mögen Eriftenzen vernichtet werden, mag der Blödfinn triumphieren, mag
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der Staat, die Welt in Franſen gehen. Dann kommt der „gute Beamte“ zweiter Güte, dem die Inftitutionen alles find, dem die Gejege und ihre Auslegung nur Mittel find, die Staatlichen und kirchlichen Autoritäten, die den Staat und die Kirche und die „Gejellichaft“ erhaltenden Ideen zu ftügen und zu fehügen, und der, wenn diejer höhere Zweck es erheijcht, die Paragraphe biegt und dreht und bricht — joweit es ihm nötig erjcheint. Und dann ift noch der „gute Beamte“ erjter Güte, der Mann, dem die maßgebenden Perjonen, die „Chefs“, alles find und dem die Gejege nur der erforderliche Apparat find, den jeweiligen Willen der jeweiligen Vorgejegten zur Ausführung zu bringen.“
Wie nun aus einem netten braven Menfchen, ohne daß er es ſelbſt merkt, eigentlich nur duch Ermüdung, indem er unwillfürlich nach und nach den anderen angepaßt wird, ein „guter Beamter“ entfteht, das ift das Thema der neuen Kombdie. Nat Schrimpf ift von bürgerlicher Herkunft. Man braucht ja doch auch ſolche: für die Arbeit. Er nimmt es mit feinem Amte jehr genau. Er hat ent behren und entfagen gelernt, er Iennt die Freuden des Lebens faum, aber verlangt fie ſich auch gar nicht: die innere Freude, das Rechte zu .tun, ift ihm mehr, „das Nechte oder doch das, was er für das Nechte hält, was: nach dem Gejege, an das er nun einmal gebunden ift, ihm als das Rechte erjcheinen muß; und dieſe innere Freude daran, unabhängig zu fein, alles, was man tut, umfonft zu tun, ohne Lohn, frei von jeder Beeinfluſſung durch Freunde oder Vorgefegte, frei von Liebe und Hab, die fit auch etwas und gewährt vielleicht mehr Glüd,
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jedenfalls vielmehr Befriedigung als all das, auf was man dat verzichten zu müſſen, um zu ihr zu gelangen“. Er wird damit feinen Vorgeſetzten natürlich bald unbequem. &r kommt in den Auf, gern die anderen ein bißchen zu „Siften“, was ja bet uns das Wort für jeden ift, der ſich vermißt, die Ruhe der allgemeinen Korruption zu ftören. Der Statthalter, bei dem er dient, merkt bald, daß er ihn nicht brauchen kann: er Tobt fich ihn aljo weg, ins Minifte- zum hinauf. Und nun verjucht man, ihn Hier einzu= fangen. Zunächſt durch feine kleine Frau, was ja meiftens das ficherfte Mittel ift, da Frauen ganz unbefangen in die Belt jehen, durch Begriffe von Ehre oder Recht wenig behindert ; fie haben darum alle bald Los, daß es nicht gilt, anftändig zu fein, jondern flüger iſt, anftändig zu feinen. Die Freundin des Miniſters macht fich aljo an die Kleine Frau Schrimpf, um durch fie den un« beugfamen Rat allmählich umzubiegen. Aber er wider- ſteht. Die erfte Verfuchung ift abgejchlagen. (In einer Szene, nebenbei bemerkt, von folcher Anmut und wiene- riſcher Laune, wie ich in der ganzen heutigen Literatur faum eine zweite weiß.) Und er widerfteht aud der nächften Verfuhung: eine niebliche Schaufpielerin bietet ſich ihm zu einem „fleinen Seitenfprung“ an, wenn er fich dafür, in einer Angelegenheit ihres Geliebten, etwas vom Geſetz abhandeln läßt. Er widerfteht. Er widerfteht immer, er bleibt fich treu, es gibt feinen Vorteil, der ihn verführen fönnte, jeine Pflicht zu verraten. Und dann verrät er fie Ichließlich aber doch. Ohne jeden Vorteil. Ganz dumm, ohne das Geringfte davon zu haben. Ohne dem Mintfter einen bejonderen Gefallen zu tun, oder feiner Frau, oder
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irgend einen Iodenden Mädchen — für nichts. Bloß weil er müde geworden tft. Weil feine Nerven es nicht mehr aushalten, immer und ewig mit den Kollegen herumzu- ftreiten. Weil die Kollegen ihm fo lange zureben, daß er, endlich nicht mehr die Kraft hat, immer wieder Nein zu jagen. Es geht ihm faft, wie armen jungen Mädeln oft, die gern anftändig bleiben möchten. Ein Verführer bietet Geld, das Mädel widerfteht. in anderer ift ein hübſcher Kerl, das Mädel verliebt ſich in ihn, aber es widerſteht Es widerfteht jahrelang. Um dann oft plöglich auf einen zu fallen, der fein Geld Hat, der nicht einmal nett ift, den es kaum liebt. Ohne Grund. Bloß weil das Mädel müde geworden ift. Weil es feine Kraft aufgerieben und erjhöpft Hat. Weil es nur ſchon endlich einmal Ruhe haben will. Aus fchlechten Nerven eigentlich. Vielleicht iſt die Anftändigkeit wirklich nur eine Frage der Nerven. Bei den Mädeln, wie bei den Männern. Vielleicht möchten die meiften Tieber anftändig fein; fie halten es nur nicht aus, es ftrengt fie zu fehr an. Der Spiefbürger, der von Korruption hört, denkt immer gleich an Beſtechung duch Geld. Aber das ift wirflich die Heinfte Gefahr für unjere Verwaltung. Man braucht meiftens gar fein Geld dazu. Es geht billiger. Das Beilpiel der Kollegen ge- nügt. Täglich und täglich fehen, wie die anderen find — wer behält da die Kraft, anders zu bleiben? Und warum denn au? Wozu denn auh? Cs nügt ja doc) nichts, ein einzelner Tann e3 nicht ändern. So macht einer den anderen Elein und jchlecht, einer wird am anderen matt. Und der Unterfchied ift vielleicht nur, daß der eine davon | etwas hat, und der andere nicht, Der Anftändige iſt
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vielleicht nur der Dumme, Nicht bloß in der Bureau» = fratie,
z Den Schrimpf gibt Herr Höfer in feiner vorfichtig zurückhaltenden Yet, der es vielleicht mur ein bißchen an Farbe fehlt. Ein Komtler hätte die Figur draftiicher nehmen : tönnen, aber wie Herr Höfer dafür dieſes langſame DVer- finfen, ja förmliche Bergehen eines Charakters zeigt, das ift vortrefflich. Vortrefflich auch feine fleine Frau, das muntere Fräulein Exl, das fich geftern ind Herz des Wiener Publikums geplaudert Hat. Und vortrefflich die Damen Schuſter, Wallentin und Faſſer, die Herren Kramer, Kut- ichera, Jenſen und Birron. Der Autor konnte denn auch : fchon vom zweiten Akte ab für den Erfolg danken, der : gleich ſehr Herzlich begann, nach dem dritten Akte jehr : ftürmifh war, dann ein Elein wenig nachließ, um nach dem legten faft zu einer Demonftration zu werden.
Die Juden. : (Schaufpiel in vier Aufzügen von Eugen Tſchirikow. Zum erften : Mal aufgeführt im Deutſchen Volkstheater von der Berliner Truppe Carl Meinhards am 15. Juni 1905.)
Ein niedriges Zimmer in einem Keller. Links geht
«3 zur Wohnung, rechts ift der Laden des alten Uhrmachers Leiſer Frenkel. Drüben Hört man den Lärm ftreitender Stimmen. Vorn figt Frenkel an der Arbeit, mit Schloime, feinem Gebilfen. Und die beiden reden. „Nein,“ jagt Leiſer, „nein, Schloime! Ich werd’ es nicht mehr erleben, meine Augen werden e3 nicht mehr fehen! — Aber viel- leicht werden meine Enfel oder Urenkel wieder nach Paläftina
Hermann Bapdr, Gloſſen. 14
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fommen.“ Und der junge Schloime feufzt: „Das gebe Gott, Reb Leifer!“ Und Leifer weiter: „Und fie werden enblich ihre eigene Heimat haben, wie jeder Menſch!“ Und Schloime wieder: „Das gebe Gott, Reb Leiſer!“ Und Zeifer: „Und ich... . ich werd’ hier bleiben, auf fremder Erde! ... Vielleicht bringt dann jemand aus Paläftina eine Handvoll Heilige Erde mit und wirft davon auch auf mein Grab.“ So reden diefe zwei, und man ſpürt gleich: fie reden es alle Tage, müfjen es reden, jeden Tag, denn Tein anderer Gedanke kann in ihnen fein, davon leben fie. Beide. Der alte Leijer, der in feinem Leben dreimal alles verloren hat und dreimal fein Leben wieder angefangen Bat. „Wie eine Biene hab’ ich tropfenweiſe den Honig aufgefammelt, Und wenn in meinem Bienenftod genug Honig war, dann haben fie mir ihn zerftört und alles, was drin war, herausgenommen.“ So wie e8 mit Hiob geihah: Da kam ein großer Wind von der Wüfte her und fegte alles weg. Und ebenjo Schloime, der.freilich noch zu jung ift, um ein rechter Jude zu fein: „Man hat did noch zu wenig geprügelt,“, jagt Leijer. Aber e3 fängt ſchon an. Er erzäpft: „Als ich geitern früh über den Markt ging, da hat mich ein Betrunkener im Genick gepadt und mir einen Hieb verjegt . . . ich Hab’ ihm ja gar nichts getan — ich ging nur ſo. ... Und als ich dann davon lief, da warf einer mit einem Stein nach mir! ... Gott ſei Dank, der Schuft traf mich nicht! ... Es war ein geoßer Stein! ... Was hab’ ich denn getan?! Ich ging nur fo...“ Under weiß es doch längſt: fie Haben ihm ja feine Mutter getötet, damals in Wilno, als die Ber- folgungen waren. Darum figen die zwei und reden nur |
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inmer davon, an der Arbeit, und denfen an den Tag, von dem es heißt, daß, wenn Meſſias kommt, daß alle Juden, die in verjchiebenen Ländern wohnen, in Polen, bei und, in Amerika, in Afrifa und in England und überall, alle unter der Erde nad) Paläftina ziehen werden. ber indem ſie jo figen und fo reden, dringt der Lärm von Streitenden ber, von Leijerd Kindern und ihren Freunden. Er hat einen Sohn, dem e3 lieber ift, Boris zu heißen, als Boruch, wie ihn der Bater nennt, und hat eine Tochter, Lija, und die beiden hätten lernen follen, um es einmal beſſer zu haben, aber man Hat fie von der Univerfität fortgejagt, „wegen Beteiligung an Unruhen“. Das kommt davon, wenn der Menjch zu Hug wird. Das ift ein großes Un- glüd, jagt Leijer. „Wenn der Menſch jehr Hug wird, tft es ebenfo jchlimm, wie wenn er ein Dummkopf wäre. ... Dann fängt er an zu glauben, daß er klüger als Gott ſelbſt ift.“ Boruch glaubt nicht mehr, daß die Juden noch einmal nad) Paläſtina kommen werben, er jagt, daß das alles Märchen find. „Ja, es ift ein großes Unglüd, feine Kinder jo Hug werden zu lafjen, daß fie an dieſe Märchen nicht mehr glauben. Es ift ein großes Unglüd, denn wenn der Jude an diefe Märchen nicht mehr glaubt, dann Hört er gar bald auf, Jude zu fein.“ Boruch und Lila find auch in der Tat eigentlich Feine Juden mehr, fie fühlen nicht mehr jüdiih, fie möchten aus allem diefem heraus. Bie ja dem Zioniften Nachmann, der fie liebt, den auch fie einft zu Lieben glaubte, während es doch nur Dankbar- feit war, Dankbarkeit für den Lehrer, der ihr „den breiten Horizont des Lebens“ erjchloffen hat, wie fie dieſem, nach zwei Jahren aus der Reſidenz zurücgefehrt, befennt: „In 14*
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diefen zwei Jahren hab’ ich vergeſſen, daß ich eine Jüdin bin! Ich hatte fo viel gute Menfchen um mich her, Rachmann, denen es gleich galt, ob ich eine Jüdin bin oder feine... Das Leben floß voll und reichlich dahin, und ich Dürftende trank mit vollen Bügen. . . . Als ich hieher fuhr und auf dem ftaubigen Wege wieder einen Juden in feiner Tracht erblickte, fuhr ich zufammen. ... Er ging in Pantoffeln, weißen Strümpfen und einem langen Rod... gebüdt, bager, mit einem großen filberweißen Bart... . Ich jah ihn an und mir war es plöglich, als ſähe ich ein altes, halbzerfallenes Haus verödet und verlafien vor mir, in dem ich einft, vor Langer, langer Zeit, als Kind gelebt babe.“ Dem Bruder ift es nicht anders ergangen, er hat fi einen neuen Talmud gefunden: Marx. Und darin eine neue Sehnfucht, neue Hoffnungen, neuen Glauben. Und neue Freunde, die nicht mehr fragen, zu welcher Nation einer gehört, die überhaupt nur noch zwei Nationen kennen: „Die eine arbeitet viel und it wenig, die andere arbeitet wenig und ißt fehr viel!“ Die auch „nach Haufe“ wollen, aber nicht in irgend ein Jeruſalem der Vergangenheit, fondern in das Haus der befreiten Menjchheit. Die be griffen Haben, „warum der eine Menſch den andern an der Kehle würgt“, und von denen darum feiner mehr ein Aufie oder Pole oder Jude, jondern jeder nur noch einfach ein Menſch fein will. Seitdem kann er an die Wiedergeburt feines Volkes nicht mehr glauben, weil er jet einen höheren Glauben hat: an die Wiedergeburt der ganzen Menſchheit. Und wenn jener Bionift an das Wort des Propheten Sacharia mahnt: „Zu der Zeit werden zehn Männer aus allerlei Sprachen einen jüdifchen Mann bei dem Zipfel
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ergreifen und jagen, führe und nach Jeruſalem!“, jo Hält er es jegt mit feinem Freunde, dem jüdiichen Arbeiter Iſerſon, dee dem Schwärmer entgegnet: „Es iſt ſchon in Erfüllung gegangen... . Der Prophet iſt gelommen! Alle Ber- folgten aus allen Stämmen, in Scharen folgen fie Marz nah! Mögen die Blinden und Tauben warten, bis man fie nach) Jeruſalem führen wird.“
Aber dann ift noch ein anderer Jude da, Doktor Fuhrmann, Arzt, breit, behaglich, ſatt, gut gefleidet, ſchwere Bigarren ſchmauchend, für den das alles, der Sozialismus der einen wie der Zionismus der anderen, im Grunde nur Neurafthente, nur Hyfterie if. Es kommt nicht viel dabei heraus, als hochſtens „nur ein blind verfehltes Leben und verpfuſchte Karriere“. Necht töricht von Juden, „für die es ohnedies nicht viel Karriere gibt“. Den Sozialiften jagt e: „Ih Tann e3 nicht verftehen, wie ihr jungen Herren euer Leben einzurichten gebenft! Ihr wollt auf fremden Grund bauen ..., daraus wird aber nichts werden! Denn wenn es euch auch gelingt, etwas aufzubauen, etwa eine Scheune des allgemeinen Wohlergehens, dann wird man euch, den Juden jagen: ort vom fremden Boden! Und fo wird es kommen, daß ihr wieder nichts haben werdet; nicht einmal diefe Scheunel . . . Ihr jungen Herren verſchafft euch zum zweiten Mal ägyptiichen Städte- bau, dem wir feinerzeit glücklich entronnen find . . . dank der Liebenswürdigfeit de8 Moſes!“ Und den Bioniften jagt er: „Ich glaube, daß der Bionismus eine gejunde Strömung in dem Leben unjerer Juden ift. Es bringt, jozufagen, in unfer nationales Selbftbewußtjein ein paar Tropfen Wiedergeburt hinein. . . . Ich glaube aber nicht
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an die Verwirklichung des idealen Endzieles des Bionismus. Das ift genau jo eine Utopie, wie der Sozialismus. Man muß das Leben innerhalb des Möglichen... . und des Realen einzurichten fuchen.“ Und erklärt ihnen auch gleich, wie er jich das denkt, dieſes Leben eines Juden innerhalb des Möglichen und des Nealen: „Wir dürfen nicht ver- geſſen, daß wir, die Juden, fogar auf der Höhe unferer politiſchen Macht, nur eine religids-nationale Aggregation waren. Ohne unfere Religion find wir keine Nationalität! ... Ein gebildeter Jude verliert mit feiner Religion feine Nationalität. Das iſt das Gefeg der Hiftorifchen Evolution bes jübijchen Volkes. Unjer Judentum ift nur durch die Religion ſtark. Wer von den gebildeten Juden kann ſich aber religids nennen? ch kenne feinen, bin nie einem ſolchen begegnet! An einem jolden gibt es dann bald nichts Judiſches mehr. Vielleicht nur der Akzent — über den alle lachen, der eine unerjchöpfliche Duelle für die ruſſiſchen Wigbolde tft. — Was bleibt nun unter diefen Unftänden zu tun? Es wird verlangt, du jollit Dich taufen lafjen: laß dich taufen! — Bald geſchehen! Man fpottet in deiner Gegenwart über die Juden: Lac} auch du! denn es ift unvernünftig zu weinen. Der arme Jude muß Hungers fterben: fieh aljo, daß du reich wirft! denn der Jude mag ebenfowenig fterben, wie jedes andere vernünftige Geſchöpf. Dunn, wenn du reich wirft, werben fie fich vor dir, dein Juden, büden und du, der Jude, wirft über fie laden... . Das ift die ganze Logik des Lebens!" Das ift feine Art, fi „anzubauen“, auf ficherem Grunde: ge- haßt wird nun einmal jeder Jude, aber dem Reichen ſchadet fein Haß.
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Borte, Worte, höre ich) nun gegen das Stüd fagen, nichts als Worte die ganze Zeit, es wird immer nur ge- redet, nichts geſchieht, bis ganz zulegt der wütende Pobel, durch Nachrichten aus Kiſchinew verhegt, in das Haus dringt, um alles, Sozialiften und Bioniften, Juden und auch den Chriften, der fein geliebtes Mädchen retten will, mörderifch zu zerichlagen. Worte, nichts ald Worte. Aber in dieſen Worten fteht daS ungeheuere Leid diejes alten Volles und fein ewiges Schicjal fteht darin. Und fie Tommen mandjmal, rauchend von Blut, jo tief herauf und dringen mandjmal, brennend von Scham, fo tief hinein, daß einem vor der Menichheit graut. Worte, jo beladen mit uralter Schuld, daß fie vor Zorn ftark umd groß wie Taten werden. Eine Szene ift da, zwifchen Lija und dem armen jungen Chriften, der fie liebt, wo ſich in dieſe ftille Liebe jogar dad Mißtrauen der verfeindeten Raſſen ſchleicht und jedes Wort des einen im Ohr des anderen fo ver- dreht, daß fie fich nichts mehr jagen Tönnen, ohne ſich zu quälen. Des Menichen tiefftes Leid, daß jeder doch immer einfam bleibt und feiner je zum- anderen hinüber kann, wird bier mit einer wilden Gewalt aufgerũhrt, vor der man im Tiefſten erſchaudert.
Die Bearbeitung von Rudolf Bernauer, in der das Stüd bier gegeben wird, geht ſehr geſchickt auf das Theatra- lifche 108, wobet fie freilich das Geiftige bisweilen graufam verftümmelt. Die Darftellung war anfangs merkwürdig furchtfam, als traute fie fich gar nicht recht Heraus. Sogar Neicher ald Leijer in den erften Akten. Im legten wuchs er dann freilich zur ftärkften Wirkung empor. Neben ihm Tind Herr Foreft, dem der Dr. Fuhrmann wieder zu einer
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durchaus Tebendigen und perjönlichen Figur wird, und Herr Bernauer zu nennen, ber al3 Boris den gewaltfamen und doch unfiheren Ton eines entwurzelten Menjchen eigentümlich rührend trifft. Seltjam war das Publikum. Auf der Galerie freilich mit Leidenſchaft dabei; es hätte am liebften wie in einer Volfsverfammlung gleich mit- geipiel. Was Spöttern vielleicht naiv, mir aber viel natürlicher fcheint, als das leiſe Sträuben unten im Parkett, wo man, ftatt ſich mit dem Autor zu entrüften, eher gegen ihn verftimmt war. Der legte Aft mit jeiner tojenden Kraft riß durch Neichers jähe Macht freilich auch diefe ſcheu Widerjtrebenden hin.
Rosmersholm. (Schaufpiel in vier Akten von Henrik Ibſen. Neu inizeniert im Deutſchen Volkstheater am 21. September 1906.)
Hebbel der Letzte, Ibſen der Erfte. Hebbel das Ende, Ibſen ein Anfang. Hebbel das Geſetz, Ibſen die Freiheit. Moraliften find beide. Auch Ibſen noch, immer von der tage verfolgt, was wir jollen, und unfähig den Menſchen Hinzunehmen. Aber er zweifelt doch fchon und wo bie Natur feindlich auf das Gefeg ftößt, iſt er für fie, während Hebbel ſich immer zum Gefeg ftellt. Dieſer weiß auch, wie viel das Geſetz zerftört, an Mut, an Schönkeit, an Kraft. Daß es den Menjchen Hein und brüchig und mürbe macht. Daß es ihn entmenfcht oder, wenn fich die menſchliche Natur in ihm wehrt, zerbricht. Nur fcheint ihm dies gerade der eigentliche Sinn der Welt, die fo ge- macht et, daß fie nur das Mediocre zulaffen Kann, und
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dem Untergange alles Ungemeinen, dem Untergange der volltommenen Tugend („Senofeva“), dem Untergange der volllommenen Schönheit („Agnes Bernauer“), fieht er auftimmend, faft beifällig zu, ja, man muß jagen, daß er daran eine tüdijche Freude verrät. Das fittliche Geſetz und die menfchliche Natur find ihm unvereinbar. Er be— wundert dieſe, wenn fie jich gegen jenes empört. Sa, ſolche Empörung ift für ihn das Schönfte, was die Welt zu zeigen hat. Nur zweifelt er nie, daß es immer gegen die Natur enden muß. Daß das Gejeg am Ende ftärker ift. Und daß dies notwendig und recht und das eigentliche Beien der für ihn eben durchaus tragiichen Welt iſt. Unheimlich, wie er fich im Grunde Gott dent: als einen, der fi) eben das heimlich wünſcht, was er nicht will. Der das Geſetz will, aber mit einer ftillen Liebe für jeden, der es bricht. Der die Sehnjucht in den Menjchen legt, groß und ſtark und ſchön zu leben, aber dann den Tod darauf jegt. Denn das fittliche Gejeg ift für Hebbel durch- aus göttlich, mit aller ewigen Macht bewehrt (er ftedt noch ganz in der politijchen Romantik), und jede menjchliche Natur, die fich nicht verleugnen und verengen lernt, ift ihm ſchon eine tragiſche Schuld. Aber inzwifchen wächſt ein anderes Geichlecht auf, daS es dem Geſetze nicht mehr glaubt, göttlich zu fein. Es zweifelt. Es fragt. Es horcht. Und & findet, wie veränderlich das „ewige“ Geſetz ift, Menichen- werk, durch Menſchen entftehend, mit ihnen vergehend. Und fo findet es, daß nicht die menjchliche Natur dem fittlichen Gefege zu folgen Hat, fondern das Gefeg vielmehr der Natur. Ibſens Gejchlecht. Denn das ift Ibſens Tat: er entgöttert das Geſetz. Wunderichön bat Kerr einmal
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geſagt: „Ibſen ift Luzifer. Sein ganzes Werk ift im Grunde das eines Engdttererd. Das Werk diejes ſchonen und traurigen und ftarfen Engels, der „Gegenſchöpſer“ fein will.“ Er hätte nur, um alles zu fagen, Binfegen müffen, daß Ibſen nicht fertig wurde. Darum wirkt Hebbel als der Stärkere, weil er am Ende der alten abgeichlofjenen Welt fteht; und fo rollt er fie noch einmal auf. Aber Ibſen ift unfer Anfang. Nein, kein „Gegenſchöpfer“ jelbft. Aber einer, der es will. Und der einer neuen Menjchheit den Mut und den Trog gibt, es zu werden.
Schon die Heine Nora jagt: „Ich muß heraußfriegen, wer recht hat, die Gejellfchaft oder ich,“ Ihr iſt das Ge- ſetz nichts Gottliches mehr, fie ftellt ihr eigenes Gefühl gegen das Geſetz. Gefühl und Geſetz, das ift anfangs Ibſens Problem. Wer hat recht? Ihr jagt, jo fol der Menſch jein, und feid anders! Das geht durch feine ganze Jugend, die überall nur auf Einigung drängt, Einigung des Lebens mit dem Denken. Wie Nietiche einmal an Burdhardt ſchrieb: „Ich Habe den Punft erreicht, wo ich Iebe, wie ich dente!“ Was wirklich wie dad Motto des ganzen Ibſen flingt. Unfer Elend: daß die Menfchen, durch das Geſetz verhalten, ein Außeres oder inneres Geſetz, anders leben müſſen, als fie denfen und fühlen. Uniere Sehnfucht: jo leben zu Tönnen, durchaus nur fo, wie wir denken und fühlen. Was fol uns das entgötterte Gejeg? Menſchenwerk, das Men- chen ändern Zönnen, wie fie es ſchufen: nach fich feldft, duch ihr Gefühl. Aber da ftößt Ibſen auf die Frage: Wie, wenn einer fein ficheres Gefühl hat? Denn auch das Gefühl ift nicht „göttlich“, ift nicht „ewig“, wandelt fi mit den Menfchen, ſchwankt auf und ab, entgleitet.
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Und wie, wenn, was das Gefühl des einen bejaht, durch das Gefühl des anderen verneint wird? Brauchen wir dann wicht Doch erft vecht wieder ein Geſetz, das enticheidet? Und wer jchügt das Gefühl gegen ein feindliches anderes? Hier fett der Glaube Ibſens ein, der Glaube an die Macht großer und guter Menjchen, die bloß da zu fein brauchen, um durch ihre Nähe ſchon, durch ihren bloßen Anblid, jeden, der neben ihnen lebt, nach ſich umzuformen, zu ſich aufzubilden. Ein Glaube. Unbeweisbar wie jeder. Aber, auch wie jeder, dem Gläubigen unmittelbar gewiß: nämlich durch innere Notwendigkeit. Wird einem Menſchen ge- wiß, daß etwas fein muß, damit er Iebe, fo hat man ihm damit ſchon bewieſen, daß diefes ift. Diejes neue Geſchlecht kann nicht leben ala nur in vollfommener innerer und äußerer Freiheit, es kann nicht. Sieht es num ein, daß Freiheit nicht möglich ift als nur durch eine von den großen und guten Menjchen aus die Welt nad) ihnen bil- dende Macht befchügt, jo glaubt es an dieje. Freilich eine Religion. Ibſens Religion. Mit der jublimen Heftigfeit und Wildheit aller Religionen.
So wirft Rosmersholm. Religids. Wie ein heftig und verzüdt ausgeſtoßenes Kredo. Aber nicht zum Himmel auf, fondern über die Erde hin: hier joll jet der Himmel werden. Ohne Gewalt, durch die Macht allein, die dag bloße Dafein großer und guter Menfchen hat. „Adels- menfchen“ nennt fie Ibſen hier, was mich immer ein biß- Gen ftört, weil mit der Zukunft Namen der Vergangenheit nicht ftimmen fönnen. Aber wir wifjen ja jchließlich, was er meint. Wir denken und wohl auch heute ſolche große und gute Menjchen anders, ald er den Rosmer gezeichnet
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hat, vor faſt zwanzig Jahren. Vor allem nicht als Prediger. Nicht als einen, der nicht lachen kann. Nicht als einen, den Schwermut und etwas wie Scheu vor ſeinem eigenen Weſen drüdt. Auch als einen Erben hoher Ahnen denken wir uns ihn faum, wir Haben Argwohn gegen Erben. Viel lieber als einen, der plöglich irgendwo aus der Tiefe der Menfchheit jpringt, und mit ihm fpränge die ganze Menjchheit herauf. Aber jchlieklih, auf Rosmer kam es Ibſen doch auch viel weniger an, al3 auf Rebekla. Er iſt wirklich faft nur ein Abſtraltum, ein Zeichen oder wie man e3 nennen will, eben bloß: die fanfte Macht der großen und guten Menfchen. Aber Rebekla. An ihr hätte ſich Niegfche gefreut. (Mebenbei: es gehört für mich zum unbegreiflich Tückiſchen und Teuffiichen des Lebens, wenn Nietzſche wirklich, wie mir verfichert wird, Ibſen nicht ge- kannt hat, der doch mit Wagner und ihm den Geift der jet anfangenden Menfchheit ausgeprägt hat.) in pracht- voller Menſch, prachtvoll, wie er überall ganz auf fich ſelbſt fteht, ungebrochen, ungefnidt, ungebogen. Prachtvoll ſchlecht, in fchlechten Zuftänden. Prachtvoll gut, fobald er zu fich felbft kommt, in die Freiheit. Prachtvoll, weil er die höchfte Kraft der Natur Hat: bie Kraft der Ver- wandfung. Der „Überformung“, von der ſchon der brave Angelus Silefius weiß. Die Kraft der Liebe, deren Weſen ja nur dies ift: uns in Entrüctheit das Höchfte der Menich- heit plöglich erbliden und uns ihm fo nähern zu lafjen, daß wir ihm ähnlich werden. Jene helljeheriiche Rahel Hat ein merkwürdige Wort gejagt: „Wir jelbft find ung ein Bild, und werden wir ein anderes vor uns haben, fo werden wir anders fein.“ Darin iſt das Geheimnis aller
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menſchlichen und vielleicht auch der tierifchen Entwidlung enthalten. Und feltfam: es enthält doc) auch den ganzen Zul der Rebekka. Sie ift fich ſelbſt ein Bild, erft das aller Häßlichleit und Wildheit, die fie in ihrer Welt er- blickt; aber dann, Rosmer erblickend, will fie ihm gleichen, den fie liebt, und indem fie nun ein anderes Bild von fi, feinem gleich, in ihrer Seele hat, muß fie auch anders fein. An das tieffte Wunder alles Werdens tft Hier ge- rührt und man fpürt faft, wie den Dichter vor feinen eigenen Gefichten fehaudert und er ftodt. Aus Angft, ins Unbetretene, Unerforichliche zu geraten. Wird es immer unerforjchlich fein? Aber vielleicht kommen Menſchen nach, Ibſens würdig, und haben feinen Mut auf jeinen Wegen. Und vielleicht, daß einer von ihnen dann einen anderen Rosmer ſchaffen wird, einen untragiichen Rosmer, der mit, feiner Rebelka nicht in den Mühlbach geht, jondern lebt, weil er nicht glaubt, daß jemals eine Schuld durch den Tod geführt werden Tann, fondern nur durch ein andereg Leben.
Rosmersholm ift vor fünf Jahren von den Berlinern Brahms gefpielt worden, in einer literarifch unanfechtbaren, aber fhaufpielerifch dünnen und dürftigen Vorftellung, und vor zwölf Jahren ſchon im Volkstheater, mit der Sandrod, die als Rebekla von einer unvergeflichen Gewalt und Tiefe war. Dept gibt diefe Fräulein Wallentin, von Herrn Vallentin geführt, dem neuen Negiffeur. Weide gleichen fi darin, daß ein ungemeiner Sunftverftand mit dem feinften Gehör für die leijeften Intentionen des Dichters fie merhvürdig welt bringt, oft bis dicht an das Letzte heran. Es verdient Bewunderung, wie fie, die im Grunde
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gewiß eine ganz untragiiche Natur ift, ſich dennoch Wir- tungen abzuringen weiß, denen man e3 gar nicht mehr anmerft, daß fie fünftliche find, und wie er cerebral und nervds erjegt, wa ihm an urjprünglicher Leidenſchaft fehlt. Sie Haben ſich auch beide vor derjelben Gefahr zu hüten, der nämlich, überdeutlich zu werden, unerfättlich im Gloſſieren und Kommentieren, und alles jo zu verbehnen, ja mandj- mal fait zu zeripielen. Den Rosmer gab Herr Jenſen, anfangs recht ziellos, unficher den Ton fuchend, ben er erft im dritten Aft fand, dann aber immer freier und wärmer, beſonders in der erſten Szene des vierten von fehönfter Stimmung. Als Brendel wirkte Herr Weiſſe ſtark, doch kehrt er wohl den Hjalmar darin mehr heraus, als die im Grunde tief ernfte, tief traurige Geſtalt will.
1905
Deutſches Volfstheater. (nDer zerbrochene Krug” von Kleiſt. „Der grüne Kakadu“ von Arthur Schnigler. Am 14. Dftober 1906.)
Der alte Schauſpieler Genaft erzäßlt vom „Zer- brochenen Krug“ in Weimar, am 2. März 1808: „Bei der Aufführung diefes Stüdes ereignete fi ein Vorfall, der in dem Heinen Weimarfchen Hoftheater noch nie da- geweien und als etwas Unerhörtes bezeichnet werden fonnte: ein herzoglicher Beamter hatte die Frechheit, das Stüd auszupfeifen. Karl Auguft, der feinen Plag . . . auf dem fogenannten bürgerlichen Balkon hatte, bog fich über die Brüftung heraus und rief: „Wer tft der freche Menſch.
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der fich unterfteht, in Gegenwart meiner Gemahlin zur pfeifen? Hufaren, nehmt den Kerl feſt.“ Dies geihah ... und er wurde Drei Tage auf die Hauptwache geſetzt. Den anderen Tag fol Goethe gegen Riemer, der e8 mir mitteilte, bemerkt haben: Der Menfch Hat. gar nicht fo unrecht gehabt; ich wäre auch dabei geweſen, wenn es der Anftand und meine Stellung erlaubt hätten. Des An- ftandes wegen hätte er eben warten follen, bis er außer- halb des Zufchauerraumes war.“ Man weiß aud) fonft, daß Goethe in fein Verhältnis zu Kleiſt kommen konnte, an dem ihm „die nordifche Schärfe des Hypochonders und die Gewaltſamkeit der Motive“ unerträglich war. „Ich habe ein Recht,“ Hat er einmal gejagt, „Stleift zu tadeln, weil ich ihn geliebt und gehoben habe; -aber fei es nun, daß jeine Ausbildung, wie e8 jegt bei vielen der Fall ift, durch die Zeit ‚geftört wurde, oder was ſonſt für eine Ur- face zum Grunde liege; genug, er hält nicht, was er zu- gelagt. Sein Hypochonder tft gar zu arg; er richtet ihr ala Menfchen und Dichter zugrunde. Sie willen, welche Mühe und Proben ich es mir koſten ließ, feinen „Wajjer-. trug“ aufs hiefige Theater zu bringen. Daß es dennoch nicht glüdte, lag einzig in dem Umftande, daß ed dem übrigens geiftreichen und humoriſtiſchen Stoffe an einer tafch durchgeführten Handlung fehlt.“ Und ähnlich ein anderes Mal zu Riemer, ſich über die eigenfinnigen und igenwilligen Neuen von Kleiſts Art beflagend: „Sie meinen, außer dem Rechten gäbe es noch ein Rechtes, ein anderes Rechtes, das Hätten fie. Wie wenn es außer dem. Schwarzen in der Scheibe noch ein anderes gäbe, und de ſchießen fie denn ins Blaue.“ Womit er übrigens nur
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das allgemeine Gefühl feines Kreiſes ausſprach. So ſchrieb Sräulein v. Knebel an ihren Bruder: „Ein fürchterliches Zuftfpiel, was wir eben haben aufführen jeh'n und was einen unverlöfchbaren unangenehmen Eindrud auf mich gemacht Hat, und auf ung alle, ift der „Zerbrochene Krug“ von Herm von Kleift in Dresden, Mitarbeiter des fchar- monten „Phobus“. Wirklich hätte ich nicht geglaubt, daß es möglich wäre, jo was Langweiliges und Abgeſchmacktes Binzufchreiben. Die Prinzeß meint, daß die Herrens von Kleift gerechte Anfprüche auf den Lazarus-Orden hätten. Der moraliſche Ausfag ift doch auch ein böfes Übel.“ Kleift gab das Mißgeſchick jelbft zu, als er in den „Phöbus“ ein Fragment aus dem Stüde fegen ließ, mit der rejo- Iuten Bemerkung: „Da dieſes Heine, vor mehreren Jahren zufammengejegte Luftipiel eben jegt auf der Bühne von Weimar verunglüdt iſt . ..“ Er Eonnte nur freilich nicht ahnen, daß es dabei bleiben follte: indem ſich dag Stüd allmählich im ftillen immer danfbarere Lefer gewann, fuhr «3 im Theater bei den Zujchauern zu „verunglüden“ fort. Eigentlich bis Heute. Laube erzählt in feinem Burgtheater: „Noch in einer anderen komiſchen Richtung verjuchte ich das Repertoire zu erweitern. Im der Richtung nad) Nor- den, möchte ich fagen. Heinrich v. Kleiſts „Zerbrocener Krug“ gehört ganz zur nordifchen Komik. — Heinrich v. Kleiſt ftand lange auf der Senatorlifte unferer großen Poeten. Man meinte, es müfje alles dafür getan werden, dem Publitum begreiffich zu machen, daß ihm einer der nächſten Sefjel nad) Schiller und Goethe eingeräumt werde. Ich war ſelbſt diefer Meinung und hatte vor, alle feine Dramen in Szene zu fegen. Zuerſt brachte ich den „Ber-
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brochenen Krug“, der hier nie gegeben worden; eigentlich ohne Erfolg. Er erſchien zu nordiſch, zu kalt, zu gedacht, zu abftralt. Mehr Komik für den Denker, als für den Zuſchauer. Der Unterjchied unjerer deutfchen Landsmann- ſchaften zeigt ſich da fehr deutlich. Die märkiſche Lands- mannſchaft, zu welcher Stleift gehörte, findet das Stückchen ihrem Gejchmade zufagend, fie folgt ihm mit Behagen Döring gibt auch den DVorfrichter Adam viel zyniſcher, fchärfer und frecher ald La Roche, und die Döringiche Charakteriftit entipricht dem märkiſchen Grundtone Die norddeutſche Komik fteht eben der Kauftik viel näher, als die füddeutjche. Aber auch im Norden mußte diejer durch die Romantifer berühmt gewordene „Krug“ geftrichen werden bis auf die Knochen. Er ift viel zu breit für die Szene. Und dem Süddeutſchen ift ein Körper ohne Fleiſch ein mißlih Ding“ Im Wien hat er in der Tat eigentlich niemals gewirkt. Auch in München nicht, fogar bei Dingelſtedts Muftervorftellungen von 1854 mit Döring taum. Eigentlich aljo nur in Berlin, fo lange Döring den Hofrichter gab. Dann auch nicht mehr. Erſt neulich noch, als er im Stleinen Theater wieder verjagte, hat Sieg- fried Jacobſohn verzeichnet, es Habe fich „die über alle Begriffe herrliche Komödie feit Dörings Tode auf feiner Bühne behaupten können“. Warum? Ein von allen bewunderte3 Stüd, das überall durchfält. Es muß doch einen Grund haben.
Laube jpricht auch in feinem Stadttheater einmal über das Stüd. Und da fagt er einen fehr merkwürdigen Sag: „Selbft der „Zerbrochene Krug“, in den Schmidt ſchen Verkürzung von Döring meifterhaft dargeftellt in der
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Figur des Richter Adam, iſt ganz ſelten geworden im Repertoire. Anderswo hat er nie feſten Fuß faſſen fönnen, weil man feine Komik, die Komik der Vorausjegungen zu ſpitz fand für die Bühne. Dieſe Komik bringt es mit fid, daß man nachträglich lacht, im Theater aber will man auf der Stelle lachen.“ Die jcheint mir das Wejen der Kleiftihen Charakteriftif zu enthalten, welcher fich der Bu- ſchauer, auch im Tragifchen, immer erſt nachher durch Neflerion bemächtigen Tann, während es dramatiſch ift, fie und unmittelbar aufzudrängen. Er braucht aljo Schau- fpieler, die dem Bufchauer fogleich bringen, was ihm Diejer Dichter immer erſt am Ende, erft bei einer inneren Nevi- fion zu Haufe gibt, indem fie vorweg aus Eigenem fpielen, was er erft zulegt durch einen langwierigen Prozeß ala Nejultat gewinnt. Wir haben im „Krug“ immer am Ende das Gefühl: würde er ung jegt gleich noch einmal vor- geipielt, jo fönnten wir erft lachen. Er braucht aljo Schau- ſpieler, die fähig find, uns durch irgend eine geheime Macht, was der Dichter verjäumt, gleich ſchon worempfinden zu laſſen, noch bevor e3 ſich aus der Handlung ergibt, die jo dramatiſch ift als die Darſtellung ihrer Menſchen un- dramatiſch. Tieck muß dies ſchon gemerkt haben. Er fagt in den dramaturgifchen Blättern einmal: „Kleiſts Dramen geben dem Schaufpieler große Veranlaffung, feine Kunft zu zeigen, aber zugleich gehört es zu den allerfchwierigjten Aufgaben, fie befriedigend oder auch nur jo aufzuführen, daß die Abfichten des Dichters nicht ganz verloren gehen. Alle diefe Charaktere müfjen fehr ſcharf umriffen werden, das Kolorit ift grell, und beides, Umriß und Farbe, verfchwindet zuzeiten beinah wieder ganz, und dem Schaufpieler ift
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die Ergänzung, gewifjermaßen die Schöpfung, unbedingt anvertraut.“ Deutlicher außgedrüdt: man hat bei Kleiſts Geftalten immer das Gefühl, daß der Dichter ihren „Charakter“ eben durch den dramatischen Verlauf nur erft ſucht; und wir müfjen mit ihm fuchen, und wenn er ihn endlich gefunden hat, ift das Stüd ſchon aus, es endet mit feiner Entdedung. Bei Shafejpeare auch, wird man vielleicht jagen. Sa, aber anders: Shaleſpeare dedt im legten Aft auf, als jegt für den Vorftand bewiejen, was wir mit dem Gefühl ſchon in der erften Szene geheimnis- voll antizipiert haben. (Worin Shafejpeare wie das Leben ift, unfer Leben ſelbſt, das auch nichts anderes mit uns tut) Und eben dies, was Shafejpeare vor Kleift voraus hat, diefe magijche Macht, und jogleich fühlen zu laſſen, was und die dramatifche Begebenheit dann erft an den Geſtalten erkennen läßt, muß dieſem, wenn er wirken fol, der Schaufpieler geben. Ich weiß freilich Heute nur drei, welchen ich e3 für den „Krug“ zutrauen kann: Novellt, Kainz und Girardi.
Was ih am „Grünen Kakadu“ immer wieder be- wundere, ift, daß er ganz unmittelbar auf ung und doch feinen Augenblick als Koſtüm wirft. Sonſt jagt man fi bei „hiſtoriſchen“ Stüden entweder: Aha, er meint ung, er hat ung nur verfleidet, aber wir find’s, uns geht es an, unfer Fall wird verhandelt. (Bei Shafejpenre, Goethe, Schiller immer.) Oder man weiß gleich, daß eine Ver— gangenheit gezeigt werden foll, mit Gebanfen, die wir nicht mehr denten, Gefühlen, die und fremd geworden find, Menichen, die wir nicht mehr haben. Schnigler trifft es wunderbar, beides zu verbinden: dag „Echte“ mit unferem
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neuen Gefühl. Niemals empfinden wir das als „KRoftüm*, wir find fogleich in jene große Zeit entrüdt. Wir jpüren: Diefe waren anders, feiner ift Beute fo, unſer Leben hat diefe Form nicht mehr. Und fpüren doch ihre Leidenfchaft als unjere und ſpüren zugleich faft einen geheimen Wunſch, ihre Vergangenheit zu unferer Zukunft zu machen. Es ift Geichichte, ja, aber lebendige, aus der noch Funken in unfere Wünfche fpringen.
Here Höfer, diefer jo kluge, fo geſchickte, nur nicht draftifche Künftler, gibt den Adam fehr fein, ohne ihm freilich jene pofitive Komik zuzufchießen. Luftig ift die Marthe der Frau Thaller, von angenehmer Friſche der Nuprecht des Herrn Birron und in die ganze Vorftellung bringt Herr Valentin, der neue Regiffeur, ein Tempo und einen Zug, die man fonft in diefem Theater nicht kannte. Man pürt feine ftarfe Hand auch im ‚Kakadu“, der, von den Damen Lißl und Riſcher, den Herren Kramer, Jenſen und Birron vortrefflich dargeftellt, das Publikum in einen Taumel und Tumult riß, wie man hier lange, lange feinen vernommen hat.
Der König Candaules.
(Drama in drei Akten von Andrs Gide. Deutiche Umbichtung von Franz Blei. Zum erften Mal aufgeführt im Deutſchen Volkstheater am 27. Januar 1906.)
Andre Gide fing ganz dicht bei Barres an. 1891, nach feinen Cahiers d'André Walter, nannte Barres ihn unter jenen qui tächent & trouver du nouveau, en n’6coutant que leur personnalite. Neaftion gegen den
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Naturalismus. Man wendet ſich von der äußeren Belt ab; zuräd zu fich ſelbſt. Die Loſung wird: la culture du moi und la gymnastique du moi. Nach der Formel des Barrès: &prouver par son moi tout ce qu'il ya d’&motion au monde. Alles andere ift zerronnen, nur und ſelbſt Haben wir noch. Ad se ipsum. Im fich ſchauen. Sich entdeden. Sich geniehen. Gerade das bejonders, worin man einzig iſt. Sein Wunder, daß man dann bald allein ift. Und dann beginnt die Furt Dann fühlt man fich plöglich wanfen. Man will Feſtes, will fi anhalten. Da wurde Barres Nationalift. Remy de Gour- mont hat diefe Stimmung einmal volllommen ausgebrüdt: Acquörir la pleine conscience de soi, c’est se con- naitre tellement differönt des autres qu’on ne sent plus avec les hommes que des contacts purement animaux: cependant entre ämes de ce degre il y a une fraternit& idéalo basse sur les diff6rences, tandis que la fraternit& sociale l’est sur les ressemblances. Barrös erichraf plöglich vor diefer geiftigen Bruderichaft, basse sur les differences. Ihm wurde nad) der anderen bang, nach der alten, sur les ressemblances. Er traute dem Geifte nicht mehr: l’intelligence, quelle petite chose à la surface de nous-mömes! Er ftieg noch tiefer in ſich hinab, zur eigenen Vergangenheit, ins Unbewußte, wo die Gefchichte unferer Väter. fortlebt. Je ne puis vivre que selon mes morts .... Nous sommes la con- tinuit6 de nos parents. Cela est vrai anatomiquement. Ils pensent et ils parlent en nous. Toute la suite des descendants ne fait qu’un möme ötre.... Celui qui se laisse pönötrer de ces certitudes abandonne
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la prötention de penser mieux, de sentir mieux, de vouloir mieux que ses pères et möres, il se dit: „Je suis eux-mömes“! Alſo fich einwurzeln. Zurück zur Mutter Erde. Jeder in feine Provinz, Da trennte ſich der kluge Gide von ihm, alle Repliken wunderbar in einen einzigen Sag drängend, den Renan nicht feiner gefchliffen hätte: N& & Paris, d’un pöre Uzötien et d’une möre Normande, oü voulez-vous, Monsieur Barres, que je m’enracine? J’ai done pris le parti de voyager. Er gab zu: für die Seinen, für die Schwachen, für die Feigen mag döracinement eine Gefahr fein. Gut, wurzelt fie ein! Aber: ich kümmere mich nicht um fie. Ich frage, was den Starken frommt. J’aime tout ce qui met /’homme en demeure, ou de pörir, ou d’ötre grand. Ich und die von meiner Rafje find, wir juchen die Gefahr: denn fie nur treibt auß ung, was jeder in fich ganz allein bat, und in ihr erſt findet jeder, was darzuftellen ung der Sinn des Lebens fcheint: feine attitude nouvelle devant la vie. Mag den Schwachen bangen, wir fürchten uns nicht: wir reißen uns los, wir reifen, nach allen Gefahren der Welt!
Und er reifte. Nicht bloß ſymboliſch. Biskra, Al- gier und Weimar. Um fein Ich allen Verfuchungen aus- zufegen. Sehr kühn. Mit einem Trog, der fait mand- mal ein bißchen gewaltfam wirft: ich will allein jein, ich gehöre nur mir! Iſt er wirklich fo ftart?
Ich weiß es nicht. Aber eigentlich: ich traue feiner Kraft nicht ganz. Sie ift mir verdächtig. Erſtens: er hat am Weimariſchen Hofe Merkwürdiges gejagt. Am 5. Auguft 1903. Einer Einladung des Grafen Stehler folgend, des
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feinften, klügſten und wirkſamſten Kunftfreundes, den die Deutichen jegt Haben. Und da ſprach er: de l’importance public. Sehr gejcheite Dinge. Aber mit einer leiſen Sehnfucht nach einem wirklich verftehenden, in einen ficheren Geſchmack eingefchloffenen Publikum, das er nad) einem Worte Molidred die soci6t& d’honndtes gens nennt. Glaubt er wirflih daran? Kann er ed, der, wie fein Roman „L’Immoraliste“ zeigt, erfannt hat, daß die Wahrheit etwas ganz Perfünliches ift, daß jeder feine bejondere Wahrheit hat, die er nun gegen alle anderen verteidigen muß, daß es jo viele Wahrheiten als Menfchen gibt? Gibt er fich dann nicht auf, wenn er auf die Zuftimmung der anderen hofft? Iſt das nicht fchließlich auch wieder ein enracinement ? Ob es nun Gejeg oder Sitte oder Ge— jchmad Heißt: wenn einmal ein andere? Maß gilt, als welches ich in mir trage, bin ich dann noch frei? Und rein perjönlich geſprochen: Muß ich ſchon gehorchen, dann will ich es lieber dem Haufen, den er fo haft, als irgend einer „Elite“; und wurzelt man mich ein, dann foll es bei meinen Bauern fein, lieber noch als in den Zwang Höfifcher Traditionen.
Und zweitens, was mir noch bedenklicher ift, weil das in Weimar vielleicht nur ein Kompliment war: er ſchreibt Stüde. Kann einer Stüde jchreiben, der verweigert, fich einzumurzeln ? Darf einer fagen, er jet frei, der Stüde fchreibt? Stüde jchreiben heißt wirken wollen; wirken Heißt gefallen ; gefallen jchmeicheln ; ſchmeicheln ähnlich fein, gleichen; wer aber dem Haufen gleicht, ift der noch frei, ift der no wahr? Gide fühlt das felbit, aber er will es drehen. Mit großer Lift; in einer feiner Lettres
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& Angdle. Sa, jagt er, eine Komödie tft faite pour &tre jouée, aljo: pour &tre livr6e à la foule. Sie wird dem Haufen ausgeliefert und der Dichter mit ihr: der Dichter bringt fih dem Publikum dar. Aber da widerjpricht Gide. Nein, jagt er, umgefehrt. Et pourtant je ne peux con- sidörer le drame comme soumis au public; non jamais ; je le considere comme une lutte au contraire, ou mieux comme un duel contre lui..... duel oü le möpris du public est un des prineipaux 6löments du triomphe. La grande erreur de nos dramaturges modernes est de ne pas möpriser suffisament leur public. Il ne faut pas chercher & l’acquerir, mais à le vaincre. Un duel, vous dis-je et d’oü le public sorte, et battu et content. Ich muß fagen, daß ich das nicht glaube ; oder doch nicht mehr glaube. Wir betrügen und Damit nur felbft. Vainere, das klingt ftolz und kühn. Uber im Geiftigen fiegt über den Haufen nur, wer fich ergibt. Und auf den Sieger im Theater gerade, auf den Dichter, der das Publikum beziwungen hat, feheint e8 mir zuzutreffen, daß er heimfommt, et battu et content. Wenn Gide erſt einmal einen Erfolg hat, den wirklichen großen Erfolg, wird er ſchon erfahren, daß es nicht er ift, der „gefiegt* bat, nicht feine attitude nouvelle devant la vie, niemals, jondern immer nur das, worin er den anderen gleicht, worin er gemein ift. Was übrigens wahrjcheinlich nicht bloß vom Theater, jondern von. allen Wirkungen auf Menſchen gilt.
Den Fall des Königs Candaules Iennen wir durch Hebbel. Gide läßt dasſelbe geichehen, aber aus anderen Motiven. Hebbel ftellt den König auf den Trog ber ei-
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genen Vernunft, die, Sitte, Vorurteil, Herkommen ver- ſchmähend, nur aus fich jelbft das Recht der Welt be- ftimmen will. Gide jegt ein anderes Motiv ein und Idft & bald durch ein zweites, zulegt noch durch ein drittes ab. Dieſer König tft reich, aber er will das ſehen; das eigene Gefühl, reich zu fein, genügt ihm nicht; die Luft, die Bewunderung, der Neid der anderen joll es ihm be— ftätigen. Er verfteht den Geiz nicht, der das Gold ver- ftedt; er wuchert damit, indem er es an die freunde gibt und ſich die Binfen in ihrem Staunen, ihrem Prahlen nimmt. Was ganz antik gedacht ift: in der alten Welt tft feiner mehr, als er gilt, auch für das eigene Gefühl nit. Das Glüd, dab ihm die fehönfte Frau gehört, wird es erſt für ihn, wenn man es weiß: darum muß er fie zeigen. Und num trifft er den Gyges, einen armen Fiſcher, und erfährt an ihm, daß der Reiche deshalb noch nicht der Starke ift. Er ſchenkt und ſchenkt verſchwenderiſch, aber der Fiſcher bleibt traurig um fein treulofes Weib. Hier verwandelt ſich das Motiv: Zum Glück gehört nicht bloß, es zu zeigen, fondern die Macht, zu beglüden; glüd- lich ift erft, wer glücklich macht. Das ift es, was den König treibt, die Königin dem Fiſcher zuzuführen. Aber ſchon verwandelt da8 Motiv fich wieder: plöglich miſcht fich ein erotifcher Neiz ein. Warum ſchmückt ein Mann die geliebte Frau für andere? Warum will er, daß fie gefält? Warum reizt es ihm am ihr, daß fie andere reizt? Andere von ihr erregt zu wiſſen, fcheint ihn felbit noch mehr zu erregen. Diefer unheimliche Reiz, finnlos wie alles Erotiſche, da es aus einer Region kommt, in die hinab der Verftand nicht reicht, ift e8, der Hier zulegt
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den Candaules bejtimmt. Wie fich diefe Motive allmäh- ich enthüllen, eines aus dem anderen greift, eines ſich in das andere ſchiebt, das zeigt die Kunft eines jehr Eugen Piychologen, der fi nur in der dramatischen Form etwas gedrüdt zu fühlen fcheint. Er hat zu viel Geichmad, um gleich immer fo deutlich zu werden, als es das Publikum gewohnt ift. Auch traut er dem Worte mehr zu, als es auf der Bühne vermag (oder das Publikum müßte erft hören lernen). So wirkt alles ein bißchen dünn, blaß, fern, und mit einer bloß gedachten Schönheit, der die Kraft fehlt, fichtbar zu werden. Und ich fürchte fait, wenn das Stüd nicht von ihm wäre und er Hätte dag Urteil zu Äprechen, er würbe finden, wa8 er einmal von den Werfen Curels gejagt hat: Je ne crois pas pourtant que des telles piöces puissent durer; leur aristocratie intellectuelle nous flatte, elle fait dire aux dölicats: „Que cela est bien &crit!“ precisement lA oü le style cesse complötement d’ötre un style de rampe, sans fournir pour cela de phrases vraiment belles. . . Malgr& toutes ces röserves j’aime en lui une tr&s grande, une parfaite honnötet& artistique, une bonne foi qui, sonvent, m’emouvait plus que le drame.
Den Candaules gibt Herr Kramer, dem im Koftüm niemals jehr behaglich ift; es macht ihn nervds, nichts fcheint ihm dann bedeutend genug und um ftarf zu fein, wird er laut. Die Königin des Fräuleins Galafres, ein bißchen monoton, findet zulegt hieratiſche Gebärden, die ſchön find; an ſich jchön, nur an ihr nicht ganz überzeugend. Kutſchera fpricht den Gyges mit großer Kraft und hat Momente, die auf feinen Dthello neugierig machen. Das
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Publikum war fehr gaftlih. Gide, wie ein gallifcher Peter Altenberg anzujehen, mußte ſich immer wieber zeigen, zulegt mit Blei, dem blonden Erotifer.
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waren, die Kunſt des Schauſpielers zu vergewwaltigen. Statt, wie es auf ihrem Wege lag, ihn bis zu plaftijchen Wirkungen oder doc bis dicht an die Grenze zu führen, wo die Plaftit beginnt, haben fie ihm gewaltſam die Geſetze der Plaftif aufnötigen wollen, unter welchen jeine ganz andere Natur verfümmern muß. Dasſelbe ift feitdem der Schaufpiellunft von allen Seiten immer wieder ge- ſchehen, noch zulegt durch jenen Berliner „neuen Stil“, der nichts weiter war ald die vollfommene Unterdrüdung der Schaufpielkunft durch den Literaten, welcher nur feine literariſchen Forderuugen, nur literariiche Nüdfichten, nur literariſche Wirkungen kennt. Man Hat gejagt, bei Vor- ftellungen des Deutſchen Theaters babe man oft das Gefühl, gar nicht im Theater zu fein, fondern vielmehr dad Stüd vom Autor jelbft, mit genauefter Betonung feiner feinften Intentionen, ganz wie er es fich denft, vor- gelejen zu hören. Wobei denn doch zu fragen wäre, wozu wir denn dann überhaupt noch ein Theater brauchen, und zu entgegen wäre, daß das „Schaufpiel“ nicht zum Nach- denfen von Gedanken, jondern eben zum Schauen, zum Anfchauen von Geftalten da ift. Und fo ift es mir, fuhr ich damald in meinem Berichte fort, zur Gewißheit geworden, daß wir eine wahre Schaufpielfunft niemals haben werden, wenn fie fich nicht entjchließt, denjelben Weg zu gehen, den die anderen Künſte gegangen find. Ste muß aufhören, Plaftit oder Literatur oder irgend eine andere Kunſt zu fein und muß aus fich jelbft zu den höchſten ihr möglichen Wirkungen entwidelt werden. Fühlt fie ſich erft ſouverän und ift fie don allen Seiten bis an alle Grenzen vor⸗ gedrungen, an welchen fie fich mit den anderen Künſten
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zufammenftoßend berührt, jo bleibt nur noch übrig, fie dann noch ing Ganze aller Künfte einzuordnen, mit den anderen zu verbinden und aus allen zujammen jene volltommene Darftellung des Schönen zu gewinnen, die die Träume der Edelſten beunruhigt hat, von Richard Wagner bis auf D’Annunzios „Zuoco“. Den erften Schritt dazu haben die modernen Italiener bereit3 getan: ihre ungeheure Wirkung fommt daher, daß fie ed zum erften Mal gewagt haben, zunächft einmal nichts als nur Schaufpieler zu fein, ihr Metier aufs äußerfte zu treiben und das Mimiſche bis an die legten Grenzen auszudehnen, die ihm gezogen find. SH Habe an Novelli gezeigt, wie diefer fouveräne Schau- fpieler, ohne es ſelbſt zu wiſſen, bloß Dadurch, daß er immer aus allen menjchlichen Cmpfindungen ihren höchſten ſchauſpieleriſchen Ausdruck jchöpft, in allen feinen Dar- ftellungen zulegt immer an einen Punkt gerät, wo die mimifche Wirkung unwillfürlich zur malerifchen wird; und jeder erinnert fich, wie die Dufe, auch indem fie in ihrer Technik an das äußerſte Ende geht, oft aus der Region des Schaufpielers auf einmal in eine rein muſikaliſche Welt enthoben zu fein ſcheint. Holen die deutfchen Schau- fpieler nach, was ihnen, die Italiener vorgemacht haben, entſchließen auch fie fich, fich refolut der mimtjchen Kunſt anzuvertrauen, gelingt es ihnen aber dann, bewußt auß- zuführen, was jenen nur wie im Traume geraten ift, lernen fie bewußt die Verbindung der Schaufpielfunft, einer extrem⸗ ften Schaufpiellunft, mit den anderen Sünften anzu- ftreben und aus allen zufammen eine höhere neue Ein- beit zu gewinnen, durch welche nachher auch jeder Teil wieder vom Ganzen aus erneut werden müßte, dann erſt 16*
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und nur dann werden wir eine deutſche Schauſpielkunſt haben.
Dieſe deutſche Schauſpiellunſt, die ich verwegen da- |
mals verhieß, bier iſt fie: im „Kleinen Theater“ iſt fie erbracht. Hier wird jedes Stück aus der Form des Dichters erſt in die des Schauſpielers umgefühlt. Hier wirkt auch die geringe Kraft, weil ſie im Ganzen ſteht und ſich vom Ganzen gehalten fühlt. Hier malt nicht irgend ein Maler
ein Panorama Bin, in welchem die Schaufpieler dann ver-
wundert auf» und abipazieren, jondern die Dekoration fpielt fozufagen mit, der Maler nimmt den Ton des Schaufpielers auf, drückt ihn durch feine Kunft aus und was wir fehen, was wir hören, ftimmt alle3 wunderbar ein... . Reicher und Reinhardt Iennt man ja in Wien. Man wird aber gerade an ihnen erft jehen, wie ganz anders ein Schau- fpieler in feinem natürlichen Element wirkt, als wenn er durch den Partner, durch den Regiſſeur, durch den Maler, die jeder nach einer anderen Seite hin ziehen, immer wieder heranägeriffen wird. Dann tft Herr Waßmann du, viel- leicht der merfwürdigfte junge Menſch, der feit Kainz auf einem deutjchen Theater erjchienen ift, und Gertrud Eyfoldt, das ftärffte Talent, das Berlin jest neben der Triefch und der jungen, noch unfertigen, aber ganz eigenen Jenny Rauch bat. Die Wiener werden vielleicht zuerſt finden, fie ſei nicht ſehr hübſch. Ich wette aber, fie ſpüren doch bald, daß fie viel ärger iſt. Ste hat einen jeltfamen, ſchwülen, faft unheimlichen Reiz, wie ein Geſchöpf von Beardsley, und wenn man fie fieht, verfteht man eigentlich Wilde und Wedekind erft.
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„Nachtaſyl“. (Szenen aus der Tiefe in vier Aklten von Marim Gorki, deutſch von Auguft Scholz.)
Gorkis „Stleinbürger“ haben gar nicht auf mich ge- wirkt, das „Nachtaſyl“ ſehr. Beide haben doch genau dieſelbe Technik und haben eigentlich auch dasſelbe Weſen: Durch und duch undramatifch, fich immer nur im Kreiſe drehend, ratlos um jeden Schritt, den die Handlung tun joll, dabei auch noch von einer ganz altväterlichen, faft einfältigen Behandlung der Figuren, die über ſich immer eine Menge zu erzählen haben und fich doch niemals zeigen. Beide find durchaus unartiftich: es tft ihnen um feine Anfchauung, jondern nur um eine Tendenz zu tun. Warum machen mich jene nervös, während mich dieſes ergreift? Offenbar ift mir dort die Tendenz ärgerlich oder doch gleichgültig, während ich bier fo zuftimme, daß ich alle Bedenken de3 Künftler3 verliere. Dort wird uns wieber einmal das Leben in der Enge dürftiger, Heiner Familien verefelt, und man fagt ſich ungeduldig: Ja, ja, es mag ſchon fein, aber jchlieflich das jehen und hören wir und nun ſeit zehn Jahren an, es iſt mit der Zeit ſchon wirklich zu banal geworden! Hier fühlen wir, wie unter audge- ftoßenen Menſchen, Dieben, Landftreichern, Strolchen, Ver- kommenen und Verdorbenen, die unjere Kultur verlafjen haben, Empfindungen einer Menjchlichkeit bereit liegen, die nur einen warmen Blid, ein gutes Wort braucht, um auf- zufnojpen, veiner und reicher als, fagen wir uns leife, faft ein wenig neidiſch, als uns unfere Bildung und Sitte, mit der wir fo ſtolz tun, jemals blühen fann. Dort fehnen
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wir uns aus der Ede verftörter Erüitenzen in die weite Belt hinaus. Hier ift diefe weite Welt, mit dem großen Hori- gont ber Sreiheit, der wahren Freiheit, ie ſich auf ein Patent beruft, die gar nicht erft beichlojjen und verkündet zu werden braucht, die jeder hat, der fich nur nicht mehr von den Masten des Lebens täufchen läßt. Es iſt ja jchlieklic auch nichts Nenes, e3 ift die Stimmung des Herzogs in „Maß für Mak* : Du bift nicht du felbft, du biſt nicht ftetig, denn du wechſelſt wunderfam je nach dem Monde! Wenn man will, die alte ſokratiſche Weisheit: Wir find michts, wir ftellen nur vor, wir fpielen alles bloß! Bettler oder König, verachtet oder gepriejen, am Ende legt jeder jein Gewand ab und es bleibt dann nur ein zitternder nadter Menich, der friert. Wie hier der Mügenmacher Bubnow jagt: Mag ſich einer von aufen noch fo bunt anmalen, es reibt ſich alles wieder ab! Damit ift aber Hier nicht bloß gemeint, wie man das in den liberalen Zeiten gejagt bat: Wir follen nicht eitel fein auf Ruhm oder Rang! jondern Hier heißt es mehr: Wir wollen auch auf die Tugend nicht eitel fein, fie hält jo wenig als das Glüd, fie ift da und ift weg wie der Morgenwind auf leifen Zehen. Wie ſchon der Oreft bei dem Euripides, klagt hier der wilde Pepel genau mit dem nämlichen Worten: „Man Tennt fich nicht aus in den Menfchen! Wer gut ift, wer bdje, nichts läßt ſich mit Beftimmtheit jagen!“ Worauf Lula, ein alter, froher Pilger, der „weich“ geworden ift, weil fie ihn „tüchtig geflopft haben“, ihn lächelnd tröftet durch ein wunderbar mildes, gütiges und tiefes Wort, daS irgend einer von den erregten Mönchen vor der Renaiffance gejagt haben fönnte, der heilige Franz etwa in den Fioretti, oder
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auch dann jpäter wieder mancher unjerer ftill beglüdten Myſtiker, etwa der vergnügte Angelus Silefius: „Was ift da viel zu fagen? Der Menfch lebt bald fo bald jo... wie fein Herz geftimmt ift, jo lebt er... . heut’ ift er gut, morgen böfe.” Und ein anderes Mal fragt derjelbe Pepel: „Gibt's einen Gott?“ Und derfelbe Luka lächelt erft und ſchweigt, aber nachdem er fich ein wenig bejonnen hat, jagt er: „Wenn du an ihn glaubft, gibt's einen; glaubft du nicht, dann gibt's feinen. Woran du glaubt, das gibt's eben.“ Das ift die innige Weisheit diefer Szenen, bie ung jo rührt, daß ung vor ihren rauhen und verwilderten Geſtalten ſeltſam andächtig und faft bange wie in einer ftillen Kirche wird. Woran du glaubft, das gibt’3 eben! Dean hat den Menfchen jo lange vorgejagt, fie wären fchlecht, bis fie es, immer an der Stette zerrend, geglaubt haben und es geworden find. Werfucht es doch einmal und redet ihnen ein, gut zu fein. Wenn fie es nur erft glauben, find fie es auch ſchon. Hier tritt unter elende Menichen einer, der über alles lächeln und alles verftehen und alles verzeihen gelernt Hat, eben jener wunderliche Greis, und er tut eigentlich gar nichts, er glaubt ihnen nur nicht, daß fie jchlecht find, und indem er mit ihnen redet und jeden anhört und jeden gelten läßt, verwandeln fie ſich an ihm wunderbar, und längſt ift er wieder fort, da weilt und wirkt fein Geift noch immer, und feine guten Worte, die er ihnen gelafjen hat, find mächtiger als ihre böjen Triebe. Wie wir dies im legten Akte allmählich erkennen Iernen, dies ift von einer Gewalt der Stimmung, die freilich mit Kunft nichts zu tun hat, viel eher mit Reli— gion, aber der man doch willenlos erliegt, und leiſe
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klingt uns im Gemüt der alte Vers jenes lieben Ange⸗ lus nach:
Wie magſt du was begehren? Du ſelber kannſt allein
Der Himmel und die Erd' und tauſend Engel ſein. Will ich nun aber verſuchen, die ganz außerordentliche Darſtellung der Berliner anzudeuten, ſo muß ich ſie wieder mit der Technik der impreſſioniſtiſchen Malerei vergleichen. Indem fie nämlich eine fchaufpieleriiche Kraft neben die andere einfach hinzuftellen fcheinen, wie die Impreifioniften die farbigen Flede oder Punkte nebeneinanderjegen, tft es eben ihre ungemeine Stunft, daß plöglich aus dieſen vielen flimmernden Zügen ein Bild entfteht, in welchem der ein⸗ zelne als einzelner, als Punkt oder led, völlig ver- ſchwunden ift. Sie erreichen damit eine Wirfung, die mit den alten Mitteln durchaus nicht möglich war. Wirklich hat man noch niemals in deutjcher Sprache fo jpielen gejehen. Nennt man einzelne, Waßmann, Reicher, die Eyfoldt, jo wird man eigentlich ſchon ungerecht: denn das Wunderbare ift, daß felbft dieſe drei Leiftungen, jede für fich ein Pradhtftüd der Schaufpielfunft, in diefem Ganzen doch nicht herborragen.
„Pelleas und Melifande.“ (Bon Maurice Maeterlind, deutſch von Friedrich v. Dppeln- Bronikowski.) An dieſem Stücke, das man ja auch bei uns ſchon aus einer Aufführung in der Joſefſtadt kennt (durch die Sezeſſionsbühne im Juli 1900), ſind die erſten Verſuche
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gemacht worden, für die poetiiche Darſtelluug wieder einen Stil zu finden. Drei junge Dichter, Maeterlind, d’Annun- zio und unfer Hofmannsthal, Hatten fich in den Neun- zigerjahren eingefunden, welchen weder mit ber hergebrachten Art noch durch die naturaliftifchen Mittel beizufommen war. Sie fingen an, immer ftärfer auf das Gemüt der Jugend ängſtlich ſüß zu wirfen und, von ihren jeltiam ſchimmernden Geftalten tief verlodt, wurde man immer begieriger, fie and Licht der Bühne zu ziehen. Unfere Tirektoren, immer im Banne ber Kaſſiere, wollten natür- lich wieber nicht. Vereine bildeten fich, e8 zu wagen, mit Maeterlind zuerft. Ia, aber wie? Wie jpielt man Maeter- lint? Das wurde nun die Schulfrage der neuen Regie. Man fand nämlich bald, daß gerade, was wir an jeinen Werfen, wenn wir fie einfam in der Stille laſen, fo heftig und fieberhaft geſpürt Hatten, fich bei den Aufführungen, ausgejprochen und dargeftellt, völlig zu verlieren und gleihfam in der Luft zu zerrinnen ſchien. Es blieb ein verworrened Stüd zurüd, manchmal rührend durch feinen Hagenden Ton, dann wieder oft fat komiſch durch wie in der Trunfenheit ausgeftoßene Worte, denen doch jeber Sinn zu fehlen fchien, und eigentlich fogar Tangweilig. Lag dad an Maeterlind ſelbſt? Hatte er wirklich nur „für Marionetten“ gedichtet? War es wirklich unmöglich, ihn mit unſeren Schaufpielern zu jpielen? Und da be- gann man binzuhorchen, was denn wohl eigentlich das Geheimnis feines fchmerzlich verzückten und betörenden Weſens fein mochte. Immer waren feine Menfchen von Angft gejchättelt. Sie ſelbſt und alles um fie ſchien nur aus Angft geiponnen, aber freilich aus einer ganz anderen,
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als uns fonft die tragijchen Dichter gezeigt hatten. Wollten diefe uns ängftigen, fo geſchah es immer von außen ber, durch ein jchrecdliches und drohendes Ereignis, durch eine unaufhaltfam Heranrüdende Not oder Gefahr. Er aber hatte offenbar tief bei fich erlebt, daß, wie Novalis fagt, „das Weltall in uns felbft ift“; und darum ift uns von außen nicht zu Helfen und von außen fann uns nichts geihehen. Die Freuden, die man uns bringt, die Leiden, die man uns antut, find lächerlich gering neben jenen anderen aus uns jelbft. Ja wir fönnten und über fie gar nicht freuen und könnten gar nicht an ihnen leiden, wäre die Freude, wäre das Leid nicht fon vorher in und. Der Mörder, der auf mich lauert, könnte mich nicht ängſtigen, dad Mädchen, das fich mir verfpricht, mich nicht beglüden, läge nicht die Angft, läge nicht das Glüd in mir fchon da. Wovon wir leben, wodurch wir froh uud ftolz oder ſcheu und hämiſch jind, wozu wir durch unfer Dajein all- mählich erſt zu werden jcheinen, dies alles ift jeit unferer eriten Stunde ſchon in uns eingejenkt, wir rollen es nur auf, und unſer Leben tft, daß wir gewahren lernen, was wir immer gewejen find. Unten liegt in uns eine exi- stence inalt&rable geheimnisvoll verwahrt, von der unjer Verftand nichts weiß und die doc) alles, was wir leiden
oder tun, was wir wünſchen oder fürchten, was wir hafjen
oder lieben, allein beherrjcht: „Nach dem Gefek, wonach wir angetreten,“
wie e3 ſchon im Dämon heißt. Manchen wird nun ge- wäßrt, in Momenten einer ſeltſamen Erregung, der „Gnade“, wie die Heiligen jagen, der jchöpferiichen Eckſtaſe, der Hell
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jehenden Liebe oder auch einer überfinnlichen Qual, dieje tief verborgene innere Welt ahnen und von ihr namenlofe Bilder anzufchauen, Bilder einer ungeheuren Seligfeit oder des wildeften Schredens. Kehren fie, bebend und triefend, aus ſolchen Zifionen in das karge Leben des machen Ver- ſtandes zurüd, jo willen fie Hinfort, daß alles, was wir zu erleben glauben, nur Trug und Blendung unferer armen Sinne, die wahre Duelle aber allein in uns jelbft iſt. Dies möchten fie den Menjchen verfündigen und möchten ihnen fagen, was ihnen in der erhabenen Stunde erichienen iſt. Aber fie konnen e8 nicht, fie winden ſich und ftammeln nur. Wie es ſchon an die Korinther heikt: „Er ward entzüdt in das Paradies und hörte unaugiprechliche Worte, welche fein Menjch jagen kann.” Wie Dante erzählte:
Nel ciel
Fu io, e vidi cose, che dicere
N® sa, n6 puo qual di lassu discende Wie die heilige Angela von Foligno, wie der heilige Igna- tius immer Hagen, daß fich nicht erzählen läßt, was fie ge- ſehen haben. Wie der Künftler verzweifelt, weil es ihm immer wieder entweicht. Wie Liebende fich nur jtill bie Hand oder die Lippen geben, weil fie es fich doch niemals, niemals jagen fönnen. Aber vielleicht werben die Menjchen einft, wie für die äußere Welt, um fich in ihr zu behaupten und zu verftändigen, nun auch für die innere, wenn fie nur erſt einmal jene als Täufchung, dieje als ihre Wurzel erfannt haben werden, Zeichen und Worte zu finden willen. Dies ift es, was der junge Maeterlind jucht: in unferen jinn- lichen Worten, welche dem fichtbaren Leben entnommen find, das unfichtbare auszufprechen. Dazu würde nun
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aber ein Ton des Schaujpielerd gehören, der fich von der gewöhnlichen Rede jo weit entfernt, als das felige Stammeln, das ängſtliche Wimmern jener Geftalten von der drama- tiſchen Rhetoril. Unſere Deklamation, die der Schaufpieler in der Schule lernt, ift es unfähig. Site will mächtiger und feierlicher prunfen als das natürliche Geſpräch. Hier gilt es umgefehrt, ftiller und Heimlicher zu werden, fchatten- haft und faft wejenlos, unferer Sprache das irdifche Ge— wicht zu nehmen und nur ihren Hauch, ihr Ieijeg Schwingen zu behalten, einen Ton aus Luft zu weben, zu flüftern, wie die Blumen blühen. Die Sada Yacco haben wir fo, ftill verjeelt, zirpen gehört und der Dufe wird jo die Rede manchmal zur himmlifch wehenden Melodie. Nun kommt aber noch etwas dazu: Maeterlinds ſehr merkwürdige An- ſchauung feiner Geftalten im Raume. Es genügt nicht, ihn fprechen zu Iernen, er mutet dem Schaufpieler auch noch ein ganz neues Verhältnis zur Dekoration zu. Er tut nämlich al3 Dichter dasſelbe, was eben in der Malerei geichehen ift. In der Malerei hatte man früher entweder eine Figur durch eine Landſchaft „abgejchloffen“ oder eine Landſchaft mit Figuren „belebt“, das eine oder daS andere war.immer „Staffage*. Nun fällt aber für das Gefühl unferer Zeit der Menſch nicht mehr aus der Natur her aus, er fteht auch nicht mehr in ihrer Mitte, fie tft nicht mehr ein Panorama für ihn, fondern er wird für uns mit ihr jegt eins, er Freift im ihren ungeheuren Bahnen mit, er ift dasjelbe, was das Tier, die Pflanze, der Stein, die Flut, die Wolfe find. Diefes Gefühl der Imprefjio- niften bat Maeterlind. Auch für ihm ift der Menich immer nur, wie jene Maler e8 nennen, eine valeur: er
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gilt ihm nur als Farbe oder als Ton, und wenn er Meliſanden ſchluchzend am Brunnen ſieht oder wenn Pelleas mit ihr vor der Burg in der Dämmerung auf das Meer ſchaut, dann ſpielen der Brunnen, die Dämmerung und das Meer mit, ſie ſind künſtleriſch genau ſo viel, als der Schauſpieler mit feinem Tone und feiner Gebärde iſt, fie begleiten nicht etwa bloß die Stimmung, Sondern dieſe wird eben dadurch erft, daß ihre Wirkung in die des Schaufpielers fließt. Nun ftelle man fich aber bloß unfere Bühne vor, die einen Rahmen, ferner ein Bild, die Deko— ration, und zwifchen dem Bilde und feinem Rahmen ein Brett hat, auf welchem ſich der Schaufpieler bewegt, der, um durch) feine Miene wirken zu fünnen, ein ganz anderes Licht braucht, als das Bild verträgt. Jede Dekoration, die als Bild wirkt, wird natürlich durch jede Bewegung des Schaufpielers jogleich vernichtet. Die fchönfte Be— wegung des Schaufpielers wird hier unwahr, weil fie das Bild zerreißt. Schredlich ſpüre ich das immer gar in der Oper, wo vorne Muſik gemacht, Hinten Malerei getrieben, dazwijchen aber Gejang oder Tanz geübt wird, während es ihr Weſen wäre, das wogende Gefühl bis zur menfchlichen Geftalt zu fteigern, an ihr das Leben zu erfüllen und uns zulegt im Bilde zu beſchwichtigen. Künft- Ierifch zu wirken, wird auf der Bühne erſt möglich fein, wenn e3 gelingt, fie aus einem Brett mit dahinter auf- gehängten Malereien, über das der Schaufpieler hin- und berjpaztert, in einen Raum zu verwandeln, der als die Natur des Schaufpielers, als feine Welt wirkt. Daran arbeiten Olbrich, Kolo Mofer und Roller jeit Jahren, dar- über bat ein Franzoje, Adolphe Appia, jegt ein wunder-
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bares Buch gejchrieben: „Die Muſik und die Infzenierung“ (Münden, bei Brudmann, von der Prinzefjin Elſa Can- tacuzöne liberjegt; ich hoffe gelegentlich noch mehr dazu jagen zu dürfen). In einem folchen Raume find die Geftalten Maeterlind3 immer gedacht und gefühlt. Da wir ihn aber noch nicht haben, können wir einftweilen nichts tun, als daß wir ihn wenigftens vorzutäufchen fuchen, das beißt: jo weit dies bei der jegigen Dekoration nur irgend möglich ift, ihr das Weſen des Bildes nehmen, fie wie ein Ornament wirken laffen und jede Gebärde des Schau- fpielers, die dieſe Wirfung ftört, zu vermeiden trachten. Die Schulfrage, wie Maeterlind zu fpielen fei, geht aljo in zwei Forderungen aus: die eines rein geijtigen Tones unferer inneren Eriftenz und die eines Raumes, der und den Menfchen in feine Natur, den Schaufpieler in die Dekoration bineingeftellt und als ihren Ausdruck erfcheinen laſſen fol. Das hohe Verdienft des Kleinen Theaters tft es nun, daß feinen Leuten diejes Problem wenigftens bewußt geworden ift und daß fie es Löfen, jo weit es auf unferer Bühne überhaupt gelöft werden Tann. Corinth, der Maler der Dekorationen, zielt offenbar nicht auf Illuſion ab, fondern auf Suggeition, nicht darauf, „Wirk— liches“ vorzufpiegeln, fondern darauf, den Ton der Szene in Farbe umzujegen, was ihm mandjmal, fo gleich an- fangs im Walde, dann am Brunnen, dann an Melifandes Fenſter völlig gelingt. Auch jucht er, jo viel es nur geht, die Bühne voll zu bauen, und engt damit den Schau- fpieler jo ein, daß er ihn zwingt, ſich nur auf die not- wendige, die wefentliche Gefte zu beichränfen. Dies ift vortrefflich. Freilich, den Ton treffen doch eigentlich nur
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Fräulein Höflich, Reinhardt und ein Kind, die kleine Rothe, jene beiden auch in den Bewegungen wunderſchön ... Berichtet jet noch, daß Herr dv. Winterftein einmal mit einer Fadel an einen Vorhang geriet, da3 Zeug fing zu glimmen an, man fchrie im Parterre und ſprang auf, ein tajcher Griff des beherzten Schauſpielers und alles war wieder ruhig. Übrigens: Ein ausverfauftes Haus, wie es auch beim „Nachtaſyl“ immer ausverkauft ift. Die beite Antwort auf die Verleumdung, daß unfer Publitum nur blöde Stüde „ziehen“. Es kommt ftet3, wenn es hoffen darf, Gutes gut gejpielt zu finden.
Der Erdgeilt.
(Eine Tragödie von Frank Webelind. Zum erften Mal aufgeführt vom Kleinen Theater im Deutſchen Vollstheater am 22. Juni 1908.)
Vor zwei Jahren jchon, als Wedekind im Yung- wiener- Theater feine frechen Lieder von der Brigitte B. und Ilſe jang, mit einer unbeichreiblich ernften, reuig Hagenden, aber plöglich hämifch kichernden Stimme, und dann wieder vor ein paar Monaten jet, al3 uns der ver- wegene Jarno feinen „Marquis von Keith“ gab, habe ich verjucht, die bald furrile, bald ſchwärmeriſche, jegt grinfende, jegt fehnfüchtige, immer verruchte, niemals banale Art des münchnertjch behäbigen Sataniſten darzuftellen. Ich ſchätze ihn ſehr, ſchon weil er den Leuten fo zuwider ift und fie doch durch feine Kunft zu zwingen weiß; und ich denke, daß es in unferer Zeit, die fich überwinden muß, wenn fie fich erfüllen will, das Amt der Kunft ift, die Menſchen nicht zu befchwichtigen oder einzulullen, jondern aufzu-
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ſchrecken und, wie Schiller geſagt hat, zu „inkommobdieren, ihnen ihre Behaglichkeit zu verderben, fie in Unruhe und Erftaunen zu fegen“, weil fie nur „dadurch allein an die Eriftenz einer Poeſie glauben lernen und Nefpekt vor dem Voeten belommen“. Ich ſchätze ihn ferner, weil er uns die ftille Liebe für die „ichöne Sünde“ außgetrieben und den Schwindel aufgededt hat, den die Philifter in ihren romantiſchen Stunden mit dem Lafter treiben, ald ob es, wenn auch freilich leider verboten, doch geheimnisvoll und begehrenswert fei, während er es endlich zeigt, wie es wirklich iſt, der hyſteriſchen Bewunderung entriffen: platt, elend und ftupid, nicht einmal greulich, fondern grauslich. Und ich ſchätze ihn, weil ich denfe, daß es feine Kultur, die ſich behaupten will, entbehren Tann, manchmal an das Chaos, dem fie fich entrungen hat, erinnert zu werden; fie darf fi niemals ficher fühlen, fie darf nie vergefjen, daß fie doc immer nur ein Ausraften von der Wildheit ift, die jeden Augendlid, wie ein jchlecht gezähmtes Tier, wieder außbrechen kann, fie muß uns manchmal drohen, was ohne fie wäre, ohne das ftrenge Geſetz, ohne die fromme Sitte, damit wir ung, entjegt, wieder um fie jcharen. Dies alles Habe ich damals ſchon gejagt und möchte nun nur noch von feiner Piychologie fprechen, die mir auch ganz merf- würdig und unferen neuen Gedanken über den Menjchen gemäß fcheint. Ex fieht nämlich die Menſchen anders, als ſonſt die Autoren fie uns zeigen, und ich finde, er kommt damit der Wahrheit näher, die wir jegt vermuten. Biel» leicht darf man jagen, daß er die Menjchen „imprefftoniftiich“ ſieht.
Impreſſioniſten nennen wir jene Maler, deren Technil
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es ift, erft auf eine gewiffe Entfernung zu wirken, in welcher ihre in der Nähe umverftändlichen und wirten bunten Flecken oder Striche oder Punkte plöglich zum Bilde zu- fammenjchließen. Statt unmittelbar die Farbe aufzutragen, welche erblidt werden foll, teilen fie fie und Idjen die Er- fcheinung auf, die fie darjtellen wollen. Iſt man nahe, jo weiß man e3 nicht zu deuten. Tritt man zurüd, ordnet es fich erft von jelbft. Dies hat noch den befonderen Reiz, dab man das Bild, indem man fich ihm nähert oder von ihm entfernt, nach Belieben verwifchen und wieder hervorzaubern Tann. Es verſchwindet, es entjteht, wie ich will, unter meinen Augen. Bin ich da, fehe ich es; bin ich dort, ift e8 weg. Indem es mich fo gleichjam mitzutun, an ihm mitzuarbeiten zwingt, wird es ganz eigen lebendig. Es hängt nicht fertig und ftarr an der Wand. Es regt fi) wunderbar, von meinem Auge berührt. Ebenſo wirkt Wedekind, der feine Menjchen in lauter flimmernde kleine Züge zerlegt, aus welchen allmählich, im Verlaufe der Hand- lung, erft ihre Farbe, ihr „Charakter“ wird. Einſt Hat man die Menfchen in gute und böje abgeteilt, beide auch ſchon an ihrem Geficht, an ihrer Haltung fogleich zu er- Iennen. Dann haben wir bemerkt, daß nicht jeder Bbſe— wicht rote Haare hat oder jchielt. Weiter, daß auch ein guter Menjch manchmal von böfen Trieben, ein jchlechter oft von innigen Gefühlen angefallen wird. Weiter, daß der Menſch fich verwandelt und nie ficher ift, morgen noch derjelbe zu ſein. Weiter, daß, was als gut oder böje wirkt, die gute Negung, die böje Tat fich allmählich erft aus vielen durcheinander zifchenden bald guten, bald bbſen Kräften ergibt, jo daß im Guten, das ung erjcheint, Doch Hermann Bahr, Gloffen. 17
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auch niemals das Böfe, in dieſem jenes nicht fehlt. Und endlich vermuten wir jetzt, es könnte vielleicht, was uns ein Menſch jcheint, und fogar das Gefühl, das er jelbft von fich Hat, eigentlich doch nur eine immer ungerechte Abbreviatur fein, mit der wir uns bloß praftijch aus- helfen, um, unfähig, das taufendfältige Wunder jeder Er- ſcheinung zu begreifen, e8 und, wenn auch flüchtig und ungenau, doch wenigſtens proviforiich anzumerken, wie wir ja, in unſerer Eile, und weil e8 bequem ift, auch jagen: das iſt blau, obwohl nichts blau, ſondern alles an Farben jo reich und wanbelbar ift, daß unſer ganzes Leben nicht genügen würde, fie zu nennen. Wir fönnten nicht eriftieren, würden wir ung nicht von den Erfcheinungen, wie Steno- graphen, Zeichen und Sigel machen, die über fie gar nichts aus- jagen, fondern ung nur helfen follen, ung dann fpäter zu er- innern. Solche Zeichen, folche Sigel find alle moralischen Ur- teile immer. Wir lönnen e3 nicht ändern, wir brauchen fie, aus Öfonomie de Denfend, um uns nicht aufzuhalten, um nur im Leben weiterzufommen. Wie nun aber das Sigel, indem e3 nur einen oder zwei Buchftaben aus einem Worte nimmt und unfer Gedächtnis die anderen ergänzen läßt, deswegen doch keineswegs bedeuten foll, daß das Wort nur aus dieſen Buchftaben befteht, jo wollen wir nicht vergeffen, daß auch unjer moralifches Urteil über einen Menjchen niemals fein Wejen trifft, jondern uns nur helfen will, ihn in unfer Denken einzufchalten, um ihn gelegentlich) wieder raſch zu erfennen. Er ift ein Held, er iſt Lafterhaft, er iſt ſchwach, alles, was wir fo von Menſchen außfagen, find nur Wbbreviaturen, die irgend einen Zug nennen, der und an ihnen eben auffällt, und
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einen Buchftaben, durch den wir uns leicht das ganze Wort zu merfen glauben, aus feinem Charakter Idjen. Wir wiſſen aber, der Held hat feige Momente, der Lafterhafte fromme, der Schwache heftige. Wir willen, über den Menfchen jelbft und fein wahres Weſen wird mit einem ſolchen moralifchen Urteil noch gar nicht? gejagt. Wir wiffen das und vergefjen es doch immer wieder. Died nun empfinden wir als tief ungerecht und jehnen uns nad) einem freieren und veineren Begriff des Menſchen, der jo ftark wäre, daß er auch im jenen Abbreviaturen noch, deren wir einmal für das Handeln im täglichen Leben nicht ent» raten Fönnen, doc, immer warnend mitklingen würde. Daran arbeiten wir und, wie der Imprefjionismus der neuen Maler, mag uns auch der piychologiiche des Wede- find helfen, ihn zu vollenden.
Woran aber follen wir dann aljo den Menfchen er- tennen? Er ift anders, als er jcheint; die anderen fünnen nicht8 über ihn wiſſen. Er ift auch anders, als er zu fein glaubt; feiner weiß felbft von fich, was er if. Er ift endlich auch anders, als ihn feine Taten zeigen; auch wenn wir und an dieje halten, um aus ihnen auf ihn zurüd- zuſchließen, finden wir ihn wieder nicht, weil auch die Tat immer nur einen Moment eined Menfchen anhält, aus welchem er fich fogleich wieder verwandelt. Wie Napoleon den Menfchen erſchien, ferner wie er ihnen gern erjchienen wäre, ferner was er felbft zu ſein glaubte, dann was er gern geweſen wäre, endlich was er tat, dies zufammen macht erft auß, was er wirklich war. Dieſe fünf Perfonen tönnen erft feine Perfönlichteit geben, die alfo.erft im Tode des Menfchen erfcheint, wenn dieſer ihn von uns abgerückt
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bares Buch gejchrieben: „Die Muſik und die Inſzenierung“ (München, bei Bruckmann, von der Prinzefjin Elfa Can- tacuzene Überjegt; ich Hoffe gelegentlich noch mehr dazu jagen zu dürfen). In einem folchen Raume find die Geftalten Maeterlinds immer gedacht und gefühlt. Da wir ihn aber noch nicht haben, können wir einftweilen nichts tun, als daß wir ihn wenigftens vorzutäufchen fuchen, das heißt: jo weit Dies bei der jegigen Dekoration nur irgend möglich ift, ihr das Weſen des Bildes nehmen, fie wie ein Ornament wirken lafjen und jede Gebärde des Schau- ipielers, die diefe Wirkung ftört, zu vermeiden trachten. Die Schulfrage, wie Maeterlind zu fpielen fei, geht alfo in zwei Forderungen aus: die eines rein geiftigen Tones unferer inneren Exiſtenz und die eines Raumes, ber ung den Menfchen in feine Natur, den Schaufpieler in die Dekoration bineingeftellt und als ihren Ausdruck erſcheinen laffen fol. Das hohe Verdienft des Steinen Theaters ift es nun, daß feinen Leuten dieſes Problem wenigitens bewußt geworden ift und daß fie es loſen, jo weit es auf unferer Bühne überhaupt gelöft werden fann. Corinth, der Maler der Dekorationen, zielt offenbar nicht auf Illuſion ab, jondern auf Suggeftion, nicht darauf, „Wirk- liches“ vorzufpiegeln, fondern darauf, den Ton der Szene in Farbe umzufegen, was ihm mandmal, fo glei an- fangs im Walde, dann am Brunnen, dann an Melifandez Fenſter völlig gelingt. Auch jucht er, fo viel es nur geht, die Bühne voll zu bauen, und engt damit den Schau- jpieler jo ein, daß er ihn zwingt, ſich nur auf die not- wendige, die weſentliche Geſte zu beichränfen. Dies tft vortrefflich. Zreilich, den Ton treffen doch eigentlich nur
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faul, und üppig zu jein, und doc; fpüren wir fie unab- läffig an ihrem Schickſale ſchaffen. Der erfte Mann fieht fie gern tanzen und fie tanzt ihm den ganzen Tag vor; der zweite ift ein Maler und fie läßt fi} den ganzen Tag von ihm malen; ber dritte, ein großer Sournalift mit unruhigen Plänen, träumt für fie von der Bühne und von Ruhın und fie gehorcht auch feiner Laune — fie gehorcht eigent- lich immer, fie fügt fich immer, fie ift weich und doch jpüren wir, daß fie die Männer, indem fie ihnen nachzu— geben jcheint, durch ihren unbeugjamen Willen beftimmt. Die Leute jagen von ihr: Herzlos. Und das ift gewiß nicht wahr, weil fie den Doktor Schön doch wirklich liebt. Das ift aber eigentlich auch wieder nicht wahr, nicht bloß weil fie ihn beträgt, nicht bloß weil fie ihn erſchießt, ſondern weil fie auch feinen Augenblick durch ihn die ſchwere Betäubung, die fühe Verzüdung der Leidenſchaft fpürt. Sie nennt ſich Lulu, ihr erjter Mann nennt fie Nellie, der zweite Eva, der dritte Mignon; wie fie wirklich heißt, weiß niemand, fie weiß es jelbft nicht. Und viel- leicht ift fie gar nichts, fondern fie kann nur alles werden, was der Mann verlangt. Und vieleicht Hätte fie nur einen gebraucht, der jo ſtark geweſen wäre, ihr feine eigene Natur aufzuzwingen, da fie doch ſelbſt feine hat. Und vielleicht ift fie darin zulegt nicht anders, als eigentlich alle Frauen find.
Diefen namenlojen, wejenlofen, englijchen Satan gibt die Eyjoldt mit einer Energie der Darftellung, die bis— weilen faft ſchmerzlich wirkt, jo faft körperlich und ftechend nahe jpüren wir fie an uns herandringen. Eine extreme Geiftigfeit, die jeden kaum aufzudenden halben Gedanfen
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noch zu erhafchen weiß, verbindet ſich mit einer Vitalität, vor der wir erichreden, indem wir doch ihrem böfen finn- lichen Zauber erliegen. Eine Stimme von einer wilden und tückiſch fchleichenden Zärtlichkeit, eine Verwegenheit der bald Eindijchen, bald äffischen, immer ruchloſen Ge— bärden, die immer wieder an Beardsley erinnern, und eine Beredjamfeit des Körpers, die wir an feiner anderen deutjchen Schaufpielerin kennen, eine Beredjamfeit für das rein Cerebrale und bis zum tief Beftialifchen ergeben eine Wir- fung, für die wirkfich Tein Wort der Bewunderung zu ftarf iſt. Neben ihe fteht Meicher, der bejonders im legten Akt Töne des höchſten tragiichen Grauens hat. Aber au Herr Licho, Herr Waßmann, Herr Arnold find vortrefflich und die ganze Vorftellung Hat eine jo unbeugſame Straft, daß fie das fich immer wieder aufbäumende Publikum bis an da8 Ende doch immer wieder bezwang.
Adermann.
(ragtomdbte in drei Alten von Felix Hollaender und Lothar Schmidt. Zum erften Mal aufgeführt im Deutichen Vollstheater vom Berliner Kleinen Theater am 30. Juni 1903.)
Seit zehn Jahren will ich über Felix Hollaender fchreiben, weil er mir, menfchlich, durch fein leidenfchaft- liches und unruhiges Weſen wert und, Zünftlerifch, duch die großen Abfichten feiner Werke merkwürdig ift. Aber immer wieber hält es mich ab, immer will ich wieder Fieber noch warten, weil ich immer wieder das Gefühl habe, von einem Buche zum anderen: dies ift noch nicht jein Wert, ſondern es fündigt bloß ein höheres an, daß ihn erft zeigen
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wird. Auch andere Autoren entwickeln ſich ja, doch ge— ſchieht dieſe Entwicklung zwiſchen ihren Werfen, jedes Werk ſchließt eine Entwicklung ab, faßt ſie ein und drückt ſie aus. Er aber ſcheint ſich, während er ſchafft, am Berke, im Werke ſelbſt zu entwickeln, das num, indem es die legte Vergangenheit feines Autors noch nicht verleugnen Tann, doch ſchon nach einer heftig vorgefühlten Zukunft Hinausdrängt und, bier noch jener eingedenf, dort ſchon dieſer bewußt, fich niemals befeftigen, niemals beruhigen fann. Man fpürt immer oder: ich glaube wenigſtens immer zu jpüren, daß es vom Autor jchon wieder über- wunden ift, der es, im Schaffen feldft, nur noch mit halber Seele hegt, während ihn ſchon wieder nach neuen Ent würfen zu verlangen jcheint. Ich begreife dies, ich kenne den Zuftand ſelbſt, leider. Man trägt einen Stoff zu fange bei fi) herum und trägt ihn ab; faßt man ihn dann endlich doch noch an, jo fühlt man fich ſchon wieder von anderen Wünjchen verwirrt und heimlich weggelodt. Und man hat den ftarfen Glauben an das Werk nicht mehr, das uns ja nur gerät, wenn wir ficher find, uns einmal für alle Zeit darin unabänderlich auszudrüden.
Auch mit dem Adermann, den er jegt mit Lothar Schmidt zufammen gejchrieben Hat, geht es mir jeltfam. Ich höre jagen, daß er ein ſchlechtes Stüd jei. Und eigent- lich finde ich das ja jchlieklich auch. Aber doch aus ganz anderen Gründen, ald die anderen haben. Sie tadeln, was das Stück verjucht. Ich freue mich über dieſen Ver- ſuch. Ich meine nur, daß er nicht gelungen iſt. Aber man fol ihn wiederholen, bis er gelingen wird. Gejchieht dies, woran ich nicht zweifle, jo wird man e& doch auch
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den zwei Autoren zu danken haben, weil ſie den Mut hatten, anzufangen. Und mir gilt dieſer immer mehr als die Kraft zu vollenden.
Die anderen ſagen, das Stück ſei ſchlecht, weil es eigentlich „unliterariſch“ ſei: es wirke nämlich nicht an ſich, ſondern durch die Macht des Schauſpielers. Es iſt ja jetzt Mode geworden, ein Stück nur dann „literariſch“ zu finden, wenn es fein Thema, feinen „Fall“ bloß durch die Mittel allein, die der Autor hat, ohne fremde Hilfe zu bewältigen weiß. Ich bin nun ba ein Steger; ich glaube, da wirft nur noch das alte Buchdrama in und nach, deö- halb lafjen wir dem Autor nur gelten, was er aus feiner | eigenen Kraft gibt, und er darf fich durchaus von einer anderen Kunft nicht helfen laſſen. Sagt er: Hier reiche | ich jelber nicht aus, da verjuche ich es mit Muſik, fo nennen wir ihn jchon „unliterariich” ; wir wollen fein Melodram. Wer gar den Maler zu Hilfe ruft, den nennen wir gleich einen Sardou. Ein gutes Stüc in unferem Sinne muß alles fich jelber verdanken, es darf fich nirgends etwas ausleihen: nicht einmal bei der Schauſpielkunſt. Ein gutes Stüd in unferem Sinne muß für fich fertig jein, ohne erſt den Schaufpieler zu brauchen. Es mag dann auch geipielt werden, aber es muß auch, wenn es nie gejpielt würde, an fich etwas fein, e8 darf nicht erſt durch das Spiel lebendig werden. Das ift umjere alte Anfchauung. Ich habe nichts gegen fie. Ich fehe nur nicht ein, warum man e3 nicht auch einmal anders verjuchen ſoll. Jene Autoren, haben gejagt: wir wollen uns alles jelber machen. Gut. Warum jolen nun aber andere Autoren nicht jagen: Nein, wir machen es lieber mit dem Schaufpieler zu—
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ſammen. Ich kann gewiß jagen: es reizt mich, diefe Stim- mung durch die Violine auszudrüden. Aber warum joll ich nicht auch fagen dürfen: Nein, ich nehme lieber Violine mit Klavier oder gar das ganze Orchefter? Wird man dann den Part der Violine oder den Part des Klaviers Schlecht finden, weil er felber, allein, nicht alles enthält, jondern da8 andere dem Partner läßt? Wer will über- haupt bejtimmen, wieviel dem Klavier zukommt, wieviel der Violine? Wie ich es einteile, das ift doch meine Sache, wenn ich e3 nur fo einteile, daß es jchließlich wirkt: daß ich meine Stimmung „herausbringe“. Im Mufitalifchen wird mir jeder beiftimmen. Alſo warum ſoll das im Theatralijchen nicht gelten ? Das Stüd foll wirken: weinen machen, lachen machen, diejelbe Stimmung am Ende fpüren laſſen, aus der es am Anfang entftanden ift. Wie es das macht, ift jeine Sache: durch den Dichter allein, wo dann der Schaujpieler ja eigentlich zum bloßen Vorlefer wird, oder durch den Schaufpieler allein, wie in einer idealen Pantomime ohne Mufif, die man fi) von Novelli oder Zacconi wohl denken fünnte, oder endlich durch den Dichter mit dem Schaujpieler zufammen, wo jeder feinen Bart bejorgt, feiner das Ganze. Freilich darf hier dann der Schaufpieler kein blofer Vorlefer oder Referent des Dichter3 fein, fondern es ift num am ihm, neben dem Dichter aus fich jelber zu wirken. Steiner hat hier aus Eigenem das ganze Thema zu bejtreiten, jondern jeder gibt jeine Kraft her, der Schaufpieler und der Dichter, und nun gilt es nur noch, die eine auf die andere jo zu ſtimmen, daß fie wirken. Das haben die Italiener längst verjucht, Rovetta, Giacofa, Praga, und das ift es, glaube ich, was
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Hollaender und Schmidt hier verſuchen. Man darf ihnen deshalb nicht vorwerfen, daß fie nicht Können, was fie ja gar nicht wollen: die rein literariiche Löfung des Themas: Sie wollen ja gerade, daß ein Reſt bleiben foll: eben der Bart für den Schaufpieler. Unjere „literarifche“ Kritik kann fie gar nicht treffen, weil fie ja niemals auf ihre Abfichten zielt, jondern man muß fie ganz anders Fritifieren, an den Bebürfniffen der Schaufpielfunft nämlich, die fie er- füllen wollen. Gelingt ihnen dies, jo haben fie recht. Und nur wenn und fo weit fie es verfehlen, darf ich fie tadeln. Alles andere tft Beckmeſſerei.
Ihre Abficht war offenbar: eine Rolle für Reicher. Auch darüber denkt der Literat bei uns ſpöttiſch, es gilt nicht für vornehm, eine Rolle einem bejtimmten Schau- fpieler anzupaffen. Aber Shafeipeare, Molisre und Goethe haben e3 getan und D’Annunzto tut es und Hauptmann auch. Eine Rolle aljo für Reicher, der ja feit fünfzehn Jahren in der Berliner Bewegung fteht, immer voran, erft für Ibſen, dann für Strindberg und Hauptmann, jegt für die neue Negie und eine mimijche Kunft, die ſich mit der italienijchen mefjen könnte. Er ift der erfte Naturalift der deutjchen Bühne geweſen, jchon vor Nittner und Jarno, und wieder der erfte, der die naturaliftiiche Darftellung ins Myſtiſche zu führen verfucht Hat, noch vor der Trieih und der Eyſoldt. Er hat eine jeltiame Macht, den Charakter, den er jpielt, allmählich unter unſeren Augen erjt gleich- ſam entftehen zu laſſen, indem er feinen jemals gleich fertig mit fich bringt, fondern jeden im Verlaufe der Handlung erſt, die manchen Keim entwicelt, andere zerftört, nach und nad aus vielen Eleinen, faft unmerklichen Zügen, die
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plötzlich, wenn wir es am wenigſtens erwarten, zuſammen⸗ ſchießen, geheimnisvoll vor uns erwachſen läßt; während die meiſten Schauſpieler von Anfang an ſozuſagen den Paß ihrer Rolle ins Geſicht geſchrieben tragen und gleich in der erſten Szene ſchon den letzten Akt mitzuſpielen ge— wohnt ſind, reizt es ihn, den Prozeß darzuſtellen, wie ein Menſch allmählich durch ſein Schickſal ſeine Form gewinnt. Und er erinnert an die Italiener auch noch durch ſeine Neigung zum Pathologijchen, das vor ihm die deutjchen Schaufpteler kaum anzudeuten gewagt haben. Eine Rolle für ihn, das Heißt aljo: eine Rolle, die einen ſtarken Natura- lismus verträgt, aber doch auch jene dunkleren myſtiſchen Töne zuläßt, und in der er feine Kunft der leijen Umbildung und langjamen Verwandlung zeigen fann und bie ihm endlich erlaubt, Geiftiges, irgend einen Schmerz oder Zorn, bis ins Körperliche zu verfolgen. Und das haben die beiden Autoren vortrefflich gelöft. Herr Adermann ift ein ſchmutziger alter Geizhals, neidifch, boshaft, feig; müh- ſam emporgefommen aus der Tiefe; im Elend tüdijch und granfam geworden. Alſo wenn man will: bie Aulularia berlinifch. Aber doch anders und auch anders als bei Moliore, nämlich durch eine jeltiame Begierde des Alten, fein Lafter zu verewigen ; es genügt ihm nicht, ſelbſt geizig zu fein, fondern er möchte auch gleich eine Dynaſtie des Geizes gründen, er wünſcht ſich einen Sohn, den er fi erziehen würde: zum Hüter über feinen Schaf, ‚wenn er ſelbſt einmal geitorben jein wird; und fo malt er fich wohl ſchon ein ganzes Gefchlecht aus, in dem der Geiz unfterb- lich wäre. Deswegen heiratet er ein Mädchen, das einen jungen Menſchen Tiebt, aber ji aus Not von der Mutter .
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bereden läßt, Das Leben mit dieſer jungen ſinnlichen Perſon, die ihn nicht mag und ihn quält, die Angft um jein Geld, das fie vergeudet, die Wut, die er noch verhalten muß, weil das junge Weib ftärker ift, die Leidenſchaft für fein Kind, der Teile Verdacht, den er hat, Furcht, Eiferfucht und Erſchbpfung durcheinander, dies alles bringt ihn fo herab, daß er fichtlich verfällt. Als ihm nun gar noch bewiejen wird, daß er betrogen und der geliebte Knabe gar nicht fein Sind ift, bricht er zufammen, er ftiert erjt betäubt vor fi Hin, rafft fi dann rafend empor, reißt die Kaffe auf, ftürzt zum Kamin und beginnt nun Stüd für Stücd feinen Neichtum zu verbrennen, Ungarifche. Goldrente, Bayeriſche Hypothekenbank, Pommerſche Pfandbriefe, Stüd für Stüd, heiſer Fichernd, und fein Geſicht verzerrt, feine Augen ver- glafen fich, er ift wahnfinnig geworden. Wie dieje ganze Rolle auf Reichers Kunft eingeftellt ift, die fi) an ihr von allen Seiten entfalten kann, das finde ich wirklich hoher Bewunderung wert: denn hier werden nicht, wie fonft Autoren tun, einem Schaujpieler bloß feine Allüren, feine Gewohnheiten abgelaujcht, um fie ihm gefällig darzu- bringen, fondern für den Gehalt feiner fchaufpieleriichen Natur wird hier eine Figur gejucht, an der fie, ohne ſich erſt umkleiden oder einhüllen zu müffen, unmittelbar er- ſcheinen fann; und merkwürdig ſcheint mir auch daS Ver- hältnis des Wortes zur Gebärde des Schaufpielers ge- teoffen, indem ihm genau foviel Tert, al3 er braucht, um fein Spiel völlig auszulöfen, aber nicht mehr gegeben wird, als fein Spiel bewältigen Tann. Leider aber in dieſer einen Rolle nur. Die anderen Rollen find weder „Lite rariſch“ ausgeſchopft, was ja auch gar nicht möglich ge-
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wefen wäre, ohne den Stil zu zerftören, noch find fie „ſchauſpieleriſch“ gedacht, wie die Abficht der Autoren es doch gebieten würde. Wären auch fie, wie die des Ader- mann, jo dem Schaufpieler angepaßt, daß er fich in ihnen bewegen und fie durch fich vollenden kann, dann Hätten wir bier vielleicht das Stüd, nach dem eben jegt Die neue Schaufpielfunft verlangt, welche nicht länger dem Dichter dienen will, jondern neben ihm und mit ihm eine ftärfere Wirkung fucht, als irgend eine einzelne Kunft jemals vermag.
Zür mein Gefühl überladet Reicher die Rolle etwas; er fcheint in jeden der vielen Heinen Züge, aus welchen er fie zufainmenfegt, jelbft jo jörmlich verliebt, daß er fie beftiger zieht und länger bei ihnen vermweilt, als ich not- wendig finde. Aber den Schluß fpielt ihm wohl fein anderer deutjcher Schaufpieler heute nad}; er kommt hier wirklich dicht an die Wirkungen Zacconis heran. Neben ihm weiß fi nur die Eyfoldt zu behaupten, durch deren wunderbare Energie und Geiftigfeit ſelbſt dieje ganz ftarre Trude manchmal aufzuleben jcheint.
1905 Elektra.
(Tragödie in einem Aufzuge, frei nach Sophofles, von Hugo von Hofmanndthal. Zum erften Mal aufgeführt von ber Truppe bes Berliner Kleinen Theaters im Theater an der Wien am 13. Mat 1905.)
Im zweiten Saale des Atheniſchen Mujeums find die myfenifchen Funde. Waffen, Geräte, Schmud. Und
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Gold überall, ftrahlendes, Ieuchtendes, gleikendes Gold. Streifen aus Gold, Scheihen aus Gold, an die Gewänder zu heften. Stirnbinden, Wehrgehänge, Schwertgriffe. Goldene Scheiben, goldene Gürtel, goldene Becher. Gold- magfen, Goldplatten, den Leichen über das Geficht und auf die Bruft gelegt, als Schug oder Zier. Und in diejes glühende, funfelnde Gold das ganze Leben eingepreßt, Ranken, Schmetterlinge, Käfer, Männer auf der Jagd oder im Kriege, Delphine, Löwen, Hinter Gazellen, Hinter Hirſchen her. Man weiß nicht, was man an dieſer Kunft, die an die viertaufend Jahre alt ift, mehr bewundern fol: die verblüffende Bravour von Händen, die mit allen Schwierigkeiten ſpielen, oder den gelafjenen Gejchmad im Wechfel der Linien oder dieſen Geift einer ungeheueren Luft am Leben, einer unermehlichen Seligfeit an der eigenen Kraft, einer unbezwinglichen Sicherheit, der aus jeder Gefahr, aus aller Not nur immer wieder ein neuer Sieg winkt. Das Schönfte find wohl die beiden Becher, die Tſuntas in Waphio, wo einft Amyklai war, unweit von Sparta, ausgegraben hat. Becher, etwa acht Benti- meter hoch, mit einem Henkel; außen Stiere, in getriebenen Reliefs, auf dem einen wild, im Kampfe mit zwei Jägern, auf dem anderen gezähmt, von einem Hirten gehütet, der das eine der Tiere an einem Stride zerrt, daß es ſich aufbäumt vor Schmerz, Auch bier wieder: welche Ruhe, welche Kraft, welche Freude! Furchtbares wird dargeitellt, aber furchtlos, ja als ob die Furcht den Menfchen gar noch nicht befannt geworden wäre, dieſen Menjchen, die ſich größer und ftärker wußten, als alle Schreden des Lebens und des Todes find. Menſchen von einer Ver-
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mefjenheit, wie Kinder fie haben, bevor ihnen noch ein Leid gefchehen ift; und darum unbarmherzig, unfähig, mit zu leiden. Menfchen, welchen das Leben und der Tod und alle Abenteuer und jede Gefahr und die Drohungen, welche der Himmel und das Meer und die Erde bergen, immer nur ein Spiel find, ihren Mut und ihre Macht zu proben.
Dann aber fam die große Doriiche Wanderung. Dieſe Kunft leicht Iebender, furchtlofer, wunfchlojer, arglojer, in der eigenen Kraft ruhender Herren ift plöglich zerftoben, verfunfen, verjchollen. Der Menich wird zurückgeworfen. Alles ift vergeffen. Er fängt erſt noch einmal wieder ar. Eine neue Kunft beginnt, tappend, roh, ungeſchlacht. Die Kunſt der Porosfiguren auf der Akropolis. Seltſame, ja für uns lächerlich heftige Geftalten, Männer mit violetten Bärten und Haaren, grellrote Löwen, tiejblaue Stiere. Da ift der dreileibige Typhon, da tft Herafled, mit dem Triton ringend, da ift wieder ein Stier, von zwei Löwen zerfleiſcht. Alfo die alten Themen, wie damals, Dort ein Stier, der gequält wird, wie hier. Aber dort darge» ftellt mit der Luft an der Dual, der Luft des Starken, der ſich jelber ficher weiß; hier mit der Furcht, vor der Dual, der Furcht des Gequälten, der felber gelitten hat. Denn zwiſchen den zwei Künften, jener herotjchen vor der Wande« rung und diefer tragifchen nach der Wanderung, ift 'eine große Erfindung gejchehen: die Menfchheit hat das Mit- leid entdeckt, das Mitleid und die Furcht. Wir wifjen ja noch immer nicht, was jene Wanderung eigentlich war: eine Verſchiebung von Raſſen (mofern die Heroen etwa gar feine Griechen geweſen) oder aber, in derjelben Raſſe,
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eine der Stände, ein nationale oder eine joziale Erſchütte- rung. Doc; jedenfalls ein Sturz der alten Mächte, eine Erhebung neuer: Herren, ſeit Hunderten von Jahren uner- fchütterlich, zerbrachen, Stnechte, eben noch am der Stette, ftiegen aus dem Dunkel auf. Aber es ift noch fein König, wer nach der Krone greift. Dieſe neuen Herren, plöglich zur Macht emporgeriffen, Eönnen nicht vergeffen; Erinnerung an die Greuel ihrer Vergangenheit figt neben ihnen und fie ſchlafen fchlecht, fie träumen ſchwer, ängftlich auffahrend, ob man fie morgen nicht wieder verjagen wird. Ihr Problem ift: was fie äußerlich find, nun aber auch inner- Ich zu werden. Sid; zu dem, was fie für die anderen find, auch vor fich jelbft zu machen. Sich als die Herren fühlen zu lernen, zu welchen fie ſich aufgeworfen haben. Erztehung geborener Knechte zu Freien, Verwandlung von Zeigen in Frohe. Denn was Hilft die Tat der Waffen, fo lange fie das jchlechte Gewifjen Haben? So lange jie noch ſelbſt nicht an fich glauben, beffommen von der Un- ficherheit ihrer Gefühle, tm Dunft verräteriicher Drohungen, die fie überall wittern, wird ihre auf das Schwert geftüßte Macht doch immer nur ein bloßer Schein fein. Die Zeichen der Herrichaft nügen ihnen nichts, jo lange fie nicht auch innerlich den alten Herren gleichen. Dies: das attifche Volk mit dem Geifte zu füllen, den einft die großen Stönige Hatten, ein Bolt aljo, dem die Spur entjeglicher Ber- gangenheiten noch immer in den Eingeweiden ftöhnt, geiftig zu beroifieren, ift der ungeheuere Verſuch der Periffeifchen Beit. Hier wurzelt die Tragödie, Hier Phidias. Jene ſucht den ganzen Inhalt der Mythen, in welchen ſich das Furchtbare der Vergangenheiten zufantmengedrängt erhält,
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„abzureagieren“, wie die Pſychiater heute jagen, indem fie ihn aus der Dämmerung verftörender Ahnungen an den Tag glängender Fefte bringt, zugleich zeigend, wie fich der Neid der Götter und das Schidjal an Menichen bricht, die bei fich jo ſtark find, jchön zu bleiben. Und diejer ftellt nun ſolche ſchöne Menjchen auf die Straße hin, ihrer eigenen Anmut jo zärtlich froh, daß fie nichts mehr fürchten fönnen, wenn ihnen nur dieje bleibt, wenn fie nur fich felbft Haben dürfen. (Worüber man mehr in meinen Dialogen nachlejen mag, jenem „vom Tragijchen“, beionders aber dem „vom Marſyas“, der den Philologen jo zumider ift.) Die ganze große Zeit der Griechen dreht fich nur immer um bdiejen einzigen Verjuch: Herren vergefjen zu machen, daß fie einft Knechte waren; aus Menfchen, die jo gelitten haben, daß fie noch davon zittern, Starke, Sichere, Frohe zu züchten; Scham und Angſt in Stolz und Luft zu verwandeln. Und es gelingt nie. Der Snecht bleibt immer im griechijchen Gemüt verftect, wie laut ſich auch außen der Herr vermeſſen mag. Daher der Gram, der den fchönften Köpfen ftill in den Winkeln der leije ver- zogenen Lippen jigt. Daher die dumpfe Sehnfucht, die immer gieriger in den tragischen Helden anſchwillt, bis fie zulegt aus dem Euripides bricht. Ariftophanes, der für jenen griechiichen Geift der großen Zeit die Leiden- ſchaft und Inbrunft des fpäten Romantikers hat, weiß, warum er ben Euripides jo haßt. In Euripides und Sofrates fällt der Herr vom Griechen ab, das Werf der Zeit ift zerftört, der nadte Snecht wird offenbar. Sie find beide eigentlich ſchon Chriften.
Windelmann und Goethe Haben das griechtiche Weſen
Hermann Bahr, Bloffen. 18
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nicht erfennen können, weil es in den Nachwerken, an bie fie gewiefen waren, abgeblaßt und verdunfelt ift. Sie wurden den Geift gewahr, der überall zur Größe, nad Ruhe, in geficherte Freude drängt, aber ohne zu merfen welche Gewalt er fich antun muß, wie wehe der grie- chiſchen Heiterkeit ift; die geheimen Zeichen tiefer Angſt von Menjchen, die fich verzerren müffen, um fo mutig und feit zu jcheinen, als fie gern wären, fahen fie nicht. Die Statue, vom Griechen Hingeftellt als ein Gejeg der Menjchheit, zu welchem fie fich doch erft emporftreden foll, ſchien ihnen vielmehr der Ausdrud der griechiſchen Natur, welche zu verleugnen, zu verwandeln wir jegt als dem tiefften Sinn der Haffifchen Kunft verjtehen lernen. Und vom Scheine betört, den ſich die Statue gibt, unempfind- lich für die freilich im jenen Nachwerken fait erlojchenen Spuren der Not und Bein, von welcher dieje Kunft aus- geftoßen wird, verloren fie ſich an jenes faljche Griechen» tum, das dann von den Epigonen noch völlig vergipft wurde. Es fei, hat Windelmann gejagt, das Grundgejeg | des hohen Stils gewejen, „das Geficht und den Stand der Götter und Helden rein von Empfindlichkeit und ent- fernt von inneren Empörungen in einem Öleichgewichte des Gefühle und mit einer friedlichen, immer gleichen Seele vorzuftellen.“ Das wurde nun auch noch auf die Griechen jelbft übertragen und diejes attijche Volk, ein Genie im Leiden, mit Sinnen der verruchteften Empfänglichteit, Ner- ven don fo chauerlicher Gier, daß es nur in einem Taumel von beftändiger, aus allen Gebärden, aus der Sprache, aus jedem Schritte der menfchlichen Beziehungen zuftrömen- der Muſik überhaupt leben konnte, Hundert Jahre lang den
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Schulbuben als ein Mufter verjchlafener Mäßigung und wunſchlos geduldiger Ergebenheit in ein penfioniertes Leben bingeftellt. Perikles, der jein Volk von der ungeheueren ichmerzlichen Gier bedroht ſah, in der jeder fich vor dem anderen die Bruft aufriß, um ihn mit feinem Sammer an- zufteden, glaubte e3 zu retten, indem er ihm (durch die Tragödie und durch die Plaftif) gebot: ftolz zu werden, jeine Seele zu verbergen, nach außen zu lächeln, fich nichts merfen zu laſſen, undurchfichtig zu fein. Es ift ihm dennoch nicht gelungen, die Griechen über fich zu täufchen. Aber ung. Für die nachlommenden Nationen hat er fie undurchfichtig gemadt. Bis auf Burdhardt und Nietzſche. Die nahmen ihnen die Masten der ewig gleichen Stille, der ftarren Heiterkeit ab. Nun ſehen wir wieder in ihr von Gier und Gram zerriffenes Geficht. Wie wir jet die Griechen ſehen, als ein Volt, das vergeblich im Glanze feierlicher Neben, flatternder Muſik, berzaubernder Gebärden die dumpfe Not unfeliger Menjchen zu vergeffen fucht, hat fie Hofmannstal in. feiner Elek— tra gezeigt. Ob dieje denn eigentlich griechifch jet, ift diel geftritten worden. Nein, hat Hauptmann einmal ges jagt; er liebe das Stück, aber griechiich fei es nicht. „Denn bei den Griechen ſcheint in tiefftes Leid aus der Ferne doch immer das blaue Meer herein." Hauptmann hat teht; dag ganze griechiſche Weſen kann man gar nicht beſſer ausſagen: „Tiefſtes Leid, immer mit dem Blid aufs blaue Meer.“ Aber nachdem man uns hundert Jahre nun immer nur das blaue Meer im Griechifchen gezeigt, war es an der Zeit, und endlich wieder das ungeheure Leid fühlen zu Iaffen, auf dem alles griechiſche Weſen ruht. Uns gerade, 18x
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dieſes neue Gefchlecht der großen Sehnfucht ins Freie, nad) Wind und Welle, zum Himmlijchen empor, die doch immer nur im Leiden erjchöpften Menjchen erſt erfüllt wird. Um des Lebens froh zu werden, ınuß einer erft alles erlitten haben; ‘Freuden, die nicht wiffen, was wir leiden, find leer, fruchtbare Luft blüht nur aus dem Leid auf. Hof- mannöthal hat uns hier in die tiefiten Höhlen irdiſcher Pein gezwängt. Nun harten wir, ob er die Kraft haben wird, auch durchzudringen, hinauf und hinaus, in das blaue Meer!
Die Elektra der Getrud Eyfoldt gefört zum Stärfften der heutigen Schaujpielfunft. Hier ift die Welt zu, der Atem der Menjchheit ftodt. Ein Weien, ganz ausgejaugt und ausgehöhlt von Leid; alle Schleier zerriffen, die ſonſt Sitte, freundliche Gewöhnung, Scham um uns zieht. Ein nadter Menſch, auf das Letzte zurüdgebracht. Ausgeſtoßen in die Nacht. Haß geworden. Haß eflend, Haß trinfend, Haß ipeiend. Wund vor Haß, geil vor Haß, toll vor Hab. Nicht mehr irgend ein Weſen, das habt, jondern der Haß jelbft. Schreie, wie aus ferner Urzeit ‚her, Tritte des wilden Tieres, Blicke des ewigen Chaos. Gräßlich, fagen die Leute, zufammenjchauernd. Gräßlich. Aber eben darin griechiicher, als es jemals die Kunſt der ftrengen Linie, der Hugen Mäßigung, der zarten Stille jein Tann. Denn Griechiſch ift: aus Gräßlichem Schönheit zu holen.
Es ijt nicht ganz leicht, zu jagen, wie die Vorftellung geftern eigentlich gewirkt hat. Sie begann mit Schillings Prolog zum Odipus, der, unter Hans Pfitzners ſicherer und großer Führung, wunderbar erregte und ergriff. Und nun die Enfoldt. Das Publifum zog den Atem an, tief
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beflommen. Und eine Stile von Angft und Erwartung. Bis zur Szene mit der Klytämneſtra der Durieux. Hier wich die Stimmung, das Publitum dehnte fich, unruhig und fich fehättelnd wie ein Pferd, das vor Ungeduld ſchnaubt. Auch in der zweiten Szene mit der Chrhio- themis der Höflich noch. Erſt an den feltfam glänzenden Gebärden Moiffis al3 Oreſt und auf den ruhig großen Ton, den Joſef Mein dem blutigen Ägiſth gibt, jammelte ſich die verflatterte Spannung wieder. Dann aber war es die nerodje Kraft der Eyjoldt, die man förmlich über die Rampe gleiten und an den Hals der Laufchenden greifen ſpürte, dieſe Binreißende Kraft war e&, die zulegt doch einen ftarfen Erfolg erziwang.
Der Graf von Charolais.
(Ein Trauerfpiel von Richard Beer-Hofmann. Zum erften Mal aufs geführt von der Truppe des Berliner Kleinen und Neuen Theaters im Theater an ber Wien am 15. Mai 1905.)
In der „Unfeligen Mitgift“, einem Trauerjpiele von Philipp Maffinger und Nathanael Field, das um 1632 gedrudt und, wie auf dem Titel gejagt wird, damals oft und mit großem Beifalle von den königlichen Schaufpielern auf dem Theater zu Blackfriars aufgeführt worden ift, wird die Zeiche des alten Charolais, der einft ein großer Kriegs⸗ held war, von Gläubigern als Pfand behalten, bis feine Schulden getilgt fein werden. Dies erlaubt ihnen das Gejeg, fein Sohn aber ift arm und fann fie nicht aus— löfen. Da bat Rochfort, der Präfident des Gerichtes, Er- barmen, zahlt und gibt dem Jüngling noch, von feinem
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Unglüde, der Sindetreu und frommen Tapferkeit feltjam bewegt, die fchöne Tochter zur Frau. Dieje betrügt den Mann, er erfährt’3, tötet den Galan und ruft ihren Vater ber, der ſoll das Urteil fprechen. Er reicht ihn das Kleid
des Richters: m + . bier ift Eur Talar;
Denn Yhr jemals Gerechtigkeit geliebt,
Nehmt ihn noch einmal um. Es ift ein Fall
Zu ſchlichten, der fo unpartei'ſches
Gericht verlangt, ala Ihr noch je gemährt.
Heut ſetz ih Eure Feftigfeit und Kraft
Auf ſchwere Probe, — habt wohl acht, Mylord,
Daß Ihr, der wie ein Adler ſcharf durchſchaut
Des Fremden Bortrag, nit zum Maulwurf werdet
In Eurer eig'nen Sade. Nehmet Platz,
Gleich werd’ ich vor Euch ftehn.“
Und trägt e8 dem Alten vor, den Spruch verlangend. Diefer wird ihm:
„Dem Teufchen Ehebett zugefügte Schmach
Wird nicht durch Reuetränen abgebüßt;
Und fei verfichert, ſolche Schuld verzeihn,
ft mindre Sünde night, ald fie begehn.“
Noch zögert Charolaid: „So darf ich nicht begnad- gen?“ Aber der Richter ift ftarr:
„Noch fie hoffen,
Oder zu leben wünſchen. Keine Sonne
Wird aufgehn, die nicht, ehe fie niederſinkt,
Im neuen Licht ihr böfed Freveln zeigt, .
Und jeben Tag verhafter; ja fogar
Dieſes Gebet, das fie in brünft'ger Demut
Hinaufzuienden feheint, wird nicht erhört;
Und alle Bitten tieferfnirfchter Reue,
Raum angelangt, verachtend abgewieſen
Aus jebem Gnadenhof.“
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Und fo gefchieht es: Charolais tötet fie. Da bricht aus dem Richter erſt der Vater aus und klagt und weint. Und da Charolais fich beruft, daß er es auf feinen Spruch getan:
Doch fällt ich ihn
Nur als ein Richter, ald ein Freund bed Rechts
Und eifrig, die verlegte Ehre dir
Zu ſchüten, brach ich jedes Band des Bluts,
Und eined Vaters Lieb und zarte Neigung
Berbannt’ ih. Ja, ich hüllte mich für dich
In einen blutgefärbten Scharladhmantel
Bon Grauſamkeit; doch als Erwiderung
Haft du die Gnadenfahne nicht entrolt.
Ich ſah den ſchwergekränkten Gatten, doch
Deine Auge blieb dem Vater feft verſchloſſen.
Beaumelle! meine Tochter!”
Und jammert und tobt und verzweifelt.
Auf diefe große Szene zwilchen Vater und Richter in derjelben Bruft geht das ganze Stüd Hin, das übrigens die Luſt feiner Zeit an Abenteuern, wechjelvollen Zügen des Schickſals und feltiamen Begebenheiten Hat. Jene Menſchen jahen fich zum erften Mal in der Welt um und ftaunten, wie weit und wunderbar das Leben ift und was einem alle gejchehen fann. Dies jollte der Dichter ihnen zeigen. Wir jegt wollen doch mehr von ihm. Es genügt und nicht, was ich zugetragen hat. Wir wollen es be- greifen Tönnen. Wir fragen: warum? Wir wollen gleich“ fam dabei geweſen fein. Wir glauben nur, was wir am eigenen Leibe erlebt. Was geſchah, foll vor uns noch einmal gejchehen, vor und in uns, und fo, daß wir es für unabänderlich erkennen müfjen, nach der Beichaffenheit der
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Welt und der Beichaffenheit der Menfchen. Dann aber möchten wir erft noch darin bewiejen finden, was uns der legte Grund und Sinn des ganzen Dajeins ſcheint: Ge- techtigfeit oder Schönheit oder wie jeder eben, aus feiner Erfahrung, feiner Hoffnung, ſich unſer Leben zu deuten ſucht. Dazu rufen wir den Dichter an. Die Nachricht allein, wie der feltene Fall denn eigentlich war, genügt und jegt nicht mehr. Wir möchten und als jene Menfchen fühlen, welchen das geſchah. Und gern möchten wir uns als den lieben Gott auch fühlen, der es angeordnet hat. Wir wollen nicht bloß erfahren, wie e& war, jondern er- tennen, daß es notwendig war, und fehen, daß es gut war. Wir möchten vom tragifchen Dichter Iernen, dem Leben zuzuftimmen.
Dies alles laſſen Maffinger und Field weg, Moti— vieren war ihre Sache nicht. Saum Tnapp jo viel, daß die Handlung nicht ftoden muß. Warum gibt Rochfort dem armen Grafen jein geliebte Stind, die „Ihönfte Jung- frau in Dijon“? Gott, der junge Menſch gefällt ihm. Und einmal jagt er auch: um „meinen arınen leeren Namen mit Eurem zu vereinen.“ Vielleicht alfo auch ein bißchen aus Snobismus, Mag fich jeder im Publitum dag Motiv nehmen, das ihn überzeugt. Die Autoren wollen nur weiter, zur Wirkung. Und warum wird Charolais be- teogen? Gott, Frauen find ſchwach. Sie jagt jelbft:
„Seit ich mich verirrt und wandelte
In dem verbotnen Labyrinth der Luft,
Zertrennt ich felbſt, was unauflöslich war.”
Und ihr Vater ſagt:
„Erzeugt von ſünd'gen Menſchen, als ein Weib,
Und von Natur der Schwachheit drum verfallen.”
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Faſt wie Jachimo den Gemahl der Imogen jagen läßt: „Wie Weiber find, ja, wie fie wider Willen fein müffen.“ Und das Publikum, das der Maffinger und Field, ift es zufrieden, die Handlung rollt weiter, es fragt nicht mehr. Wir aber haben fragen gelernt. Dies ift vielleicht unſere einzige Kraft, dies ift unſer Stolz: unerbittlich Fragende zu fein. Darum wirft das englijche Stüd auf ung gar nicht ald ein Werk der Kunft. Es bringt nur den zohen Stoff des Lebens her. Ein Bericht, eine Chronik, Uns aber verlangt zu wiſſen: wie mag das nur eigentlich geweſen fein? Erſt wer uns dies zu jagen weiß, das Eigentliche, den tief verborgenen Trieb und Sinn ber Handelnden, de3 Gejchehens inneren Stern, ift uns ein Dichter. Richard Beer-Hofmann weiß es.
Warum gibt Rochfort dem armen Grafen fein ge- liebtes Kind? Aus Liebe und aus Angſt. Weil er für fie die Täufchungen der Sinne fürchtet, weil er für jie den erlejenen Mann fucht, der jo menjchlich wäre, auch im Weibe den Menjchen zu fpüren. Ihm ift bang um fie, feit er plöglich fühlt, daß fie fein Sind mehr ift. Wie ſchnell das kommt! Er hat es gar nicht gemerkt, immer bei ihr, fie immer neben fich, nein —
Nicht „neben“, „an“ mir, wie ein Zweig am Stamm
Bon einem Safte, einem Blut durchkreiſt.
„Mein Kind“ das fagt’ ich fo mie „meine Hanb”! Nicht „mein“ bloß, nein, ein Teil von mir, ich felber. Und das iſt nun ein Weib! etwas, wonach
Ein Mann begehrt, und ärger noch — was felbft Nah Mann verlangt: „ein Weib“.
Er ift ein alter Dann gewefen, als fie geboren wurde,
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über Sechzig. Die Mutter ſtarb. Allein zog er das Kind auf. Nicht aus Sturm, Gemwittern unb Geftirnter Himmelspracht, und Schöpfungswunbern, Sprach Gott zu mir — im Lallen meines Kindes Bernahm id} ihn, fromm warb ich durch mein Kind. Euch zog die Frau die Kinder auf, ihr fünnt nicht Begreifen, was das Kind mir tft und mie ich Sie lieb hab’! Lieb! — Und jet wird irgend einer, Wird irgend einer kommen und ihr jagen, Daß er fie lieb hat. Küffen wird er fie Mit Lippen, bie noch heiß von Dirnenfüffen! Wenn ich die Stirn ihr füßte, war's ein ftummeß Gebet zu Gott, daß er das Kind mir füge — Er aber wird fie füffen, Mund an Mund, Sie an ſich prefien, Leib an Leib, daß ihr Der Atem faft verfagt; mit Worten, Bliden Wird er zum Sturm aufrufen ihre Sinne,
Belauern fie, ob fchon im ihren Augen
Die feuchte Glut, die fie ihm wehrlos macht —
Und dann, ben armen unberührten Leib
Mit widerlich erfahr'nen Fingern — — pfui!
Mich ekelt's! Pfui!
Ja, wenn es Liebe wäre! Wenn es einer wäre, ber fie liebt! Der eine, der fie liebt! Mit einer der jeinigen verwandten, tief menjchlichen und ahnungsvollen Liebe, die ihn fpüren macht, daß die geliebte Frau
Für ihn
Das einz'ge Band noch ift, das fein Geſchick
An aller Welten ew'ges Schidjal bindet, und ihn gütig macht, gütig und lind! Aber wo iſt dieſer Mann?
Ich find ihn nicht, und fänd ic} ihn, fo wär's
Ein alter Mann; was Jugend if, ift graufam.
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Und graufam wird er fein. Ste quälen, wenn er Sie liebt — und quälen, wenn er ihrer fatt.
Mit Eiferſucht fie quälen, wenn fie heiß —
Und fie verfhmähen, wenn fie kalt! Wie viele,
Die viele Nächte bin ich aufgeftanden,
Nachfehen, ob fie nicht im Schlaf die Hand
Auf ihre Bruft gelegt, beforgt, daß nicht
Ein Alb fie ängftige! Grträumtes Leid
Wollt ich ihr fernehalten — bloß erträumtes!
Nun wird fie wirklich leiden, und um einen,
Der noch nie um fie litt, und gerne leiden,
Denn fie ihn liebt; und es vor mir berbergen;
Und mich um ihn verlaffen! Mid — um ihn!
Wo ift diefer Mann, dem er fie vertrauend geben möchte? Den fucht er für fie:
Den
Dem nichts de Lebens heißer Hauch da drinnen
Berborren konnte, dem noch Quellen fpringen,
Dem, der noch jubeln fann und leiden — ben,
Den ſuch id — — (nad; oben blidend)
Nein, den bitt’ ich, laſſ'ſ mich finden! Gib’, daß ich nicht an ihm worübergeh’!
Darum gibt er fie dem Charolaiß, der jo am toten Vater hängt, wie fonft nur Eltern an den Kindern, dem alle böfe und gemeine Gier, die dem Menjchen aus der Tiefe droht, durch Leid ausgebrannt, der durch Leid ganz gütig und ganz reif geworden ift. Als einen anderen Vater gibt er ihn ihr. Um ihr zu erfparen, was an Greueln und Graufamfeiten das wilde Leben tüdiich dem Weibe beftimmt. Ohne zu ahnen, daß er fie dadurch vernichten wird. Eben, indem er fie bewahren will, muß er fie ver- nichten. Denn dag Leben läßt fich nicht um fein Geſetz betrügen. Es ift ftärfer als der armen Menjchen Rat.
— 4 —
Barum wird Charolais von ihr verraten? Der gütige Charolais? Der fie liebt, den fie liebt, dem fie ein Kind geboren Hat? Bei der er „dunller Träume Deutung, ewiger Sehnfucht Raſt“ gefunden Hat?
Bei ihr nur einzig,
Bei ihr war Zuflucht, Sicherheit bei ihr!
Ihr Arm, gelegt um meinen Naden, barg mic,
Ihr Arm — Friebe! Ihre Lippen — Glüd!
Ihr Leib — Verheißung! Eins mit ihr zu werden,
Aus mir in fie zu flüchten, faßt ich fie,
Umfchlang fie, ließ mein Leben in fie ftrömen — —
Und hielt fie — meine Antwort an ben Tod!
Und die — Und die — —
Und die fann ihn verraten? An einen berweibten Geden, der fie nicht einmal liebt, fie nur begehrt, kaum aus Luft, nur au verworrener Eitelfeit der inne, die um alles wirbt, um jeden Mann, um jedes Weib, um jedes Ding der Welt, gierig, jedes zu befigen, um fi daran zu fühlen, der nichts jchön ift, was ihr nicht gehört, die nichts fpürt, was fie nicht mit Fingern faßt! An folchen widerlichen Bettler um die Welt verrät die ftolze Frau den tief geliebten ftarfen Mann. Warum? Von feilen Worten fortgezogen, deren fremd verruchter Schall fie lodt, in Berührungen verftridt, die die Macht der Schande haben, ich jelbft entwendet durch Fieberdunft, der ihren Sinn verbrüht! Warum? Kann denn das fein? Warum? 3 trieb fie, jagt man dann und fehaudert. 8.
„Es* trieb und — treibt und! „EB! —
Nicht ich — nicht du!
Wer ift dieſes fürchterliche „ES“, dem fie verfällt?
Und leiſe fpricht’3 in uns: vielleicht das Weib. Vielleicht,
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weil ihres Mannes Liebe reine Güte war, himmlifch und vol Scham und hell geworden, aber das Weib dahin erſt alle Höllen der Brunft durchjchreiten muß. Weil ſich die Natur nicht betrügen läßt. Weil es ihr Geſetz ift, daß fie den Menfchen erft auf finftere Wege ftößt, bevor fie ihm das Licht gibt. Ihr guter Water Hat audgeflügelt, fein Kind vor der Gier zu hüten. Wie aber, wenn ed über und verhängt wäre, daß wir durch ihr großes euer müffen? Er hat es ihr erjparen wollen. Aber die Natur fpottet unjerer armen Vernunft. Seinem Menjchen bleibt das Menſchliche erjpart.
Einen ſchaurigen Moment im legten Aft lang wird ung, als jcharre der Dichter Hier dies als den legten Sinn des Lebens aus: daß es feinen hat. Aber nein. Dieler Dichter, in welchem fich die Ahnungen der großen tragiſchen Völker verfammeln, gräbt tiefer. Wir fpüren, daß er die Menſchen überall in einen ungeheuren Plan verwoben ſpürt, den fie nur nirgends fafjen können. Ihnen ſcheint's Hohn, Tücke, Wahn. Nur der Dichter ift gejegnet, daß er manch⸗ mal, wenn die rote Sonne finft oder früh der leije Wind ſprüht, bei fich weiß, wie doch in allem, über allem ein ewige Geſetz ift.
Es gibt ein Gedicht von Beer-Hofmann, „Schlaflied für Mirjam“, jo wunderbar weich und wiegend, für mich das jchönfte, das feit „Über allen Gipfeln“ den Deutjchen geichenkt worden ift. Darin Heißt die zweite Strophe:
Schlaf mein Kind — ber Abendwind weht;
Weiß man woher er kommt, wohin er geht?
Dunkel verborgen bie Wege hier find,
Die, und auch mir, und uns allen, mein Kind!
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Blinde — ſo gehn wir, und gehen allein,
Reiner kann keinem Gefährte hier fein —
Schlaf mein Kind — mein Kind ſchlaf ein!
Blinde jo gehen wir. Wir find blind, nicht unfer Schickſal. Wer weiß, wie leuchtend es ift! Dem, der es jehen Könnte Wir Tönnen’3 nicht. Das ift unfer tiefes Leid; und ift doch auch der höchſte Troft darin. Weil es und jo ftarf macht, daß wir unjere Qual verehren lernen.
Den Charolais gibt Friedrich SKayfler, von dem man hier unter Brahm den Probelandidaten, den Doktor Rank und den jungen Arnold Kramer gejehen hat. Er wirkte ſchon damals immer durch einen merkwürdig ftarfen Ton innerer Ergriffenheit, doch ftodend und manchmal wie widerwillig, faft ala ſchäme er fich, zur Schau geftellt zu fein. Bei Reinhardt Hat er fich nun zu einer wunder baren fünftleriichen Freiheit durchgefpielt und an feinem Charolais find Zeichen zum Hamlet, zum Macbeth, ja zum Fauſt Hin. Prachtvoll fteht Joſef Mlein neben ihm, zart und von füßefter Anmut Elfe Heims. Alerander Moiffi ver- bfüfft wieder durch den warmen Glanz feiner ſamtenen Gebär- den, befremdet wieder Durch den undentichen Klang feiner flirrenden, girrenden, ſchwirrenden Rede. Am ſtärkſten wirkt Neinhardt feldft, der in der Epijode eines alten Juden Macht und Mäßigung auf die ſchönſte Art vereint.
Das Publitum nahm den erjten Aft mit einem Jubel auf, der im zweiten ſank, nach dem dritten ſtürmiſch, nach dem vierten, durch hämiſchen Widerfpruch gereizt, braufend wurde, um erft im legten ermüdet nachzugeben.
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Die Neuvermählten
von Björnfon, ſchon einft im Stadttheater mit der Schratt und der Weiffe, Glig und Reufche, fpäter auch im Burg- theater geipielt, wurden geftern von ben Berlinern ge— bracht. Es war vor allem ein großer Erfolg der Höflich. Es ift unglaublich, mit welcher Einfachheit fie wirft. Sie figt, und man lacht. Sie macht den Mund auf, ohne noch etwas zu jagen, und man ladıt. Sie jtridt, und man lacht. Plöglich dreht fie rafch den Hals, und man lacht. Sie fpreizt die Finger von der Hand, und man lacht. Dies ift eine ganz bejondere Komik von faft animalijcher Art. Die Komik einer Iuftigen Schwalbe, die fich fragt, einer vergnügte Ente, die taucht. Eine Komik, die unfere tieffte Luft an der Natur auslöft; nur Weſen, die wir lieb haben, kommen ung fo komiſch vor. Weshalb auch, da doch Dicht bei jeder Luft der Liebe ftet3 die Sorge fteht, das Leifefte genügt, fie in Rührung zu verwandeln. Noch lachen wir, du wird das Geficht der Höflich ernft, die Stimme ftoct ihr, die Lippe finkt herab, und wir weinen. Die Durieuz gab die heifle Rolle der freundin. Diefer doch jehr merkwürdigen Schaufpielerin hat man neulich unrecht getan. Sie iſt noch unfertig, will zu viel und will alles auf einmal, man muß ihr auch jagen, daß ſich der Schaufpieler bet feiner Rolle, wie fie nun einmal ift, zu beicheiden hat und nicht verjuchen ſoll, gleich das ganze Leben, wie er es ſpürt, aus eigenem noch nachzuftopfen; aber fie hat doch heute ſchon Momente von einer fo groß, hervorbrechenden Kraft, daß man, hat fie fich erft mäßigen gelernt, da8 Schönfte von ihr erwarten darf. Beſonders
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wohl in Rollen rätjelhafter, wirrer, dunkler Frauen, zu welchen fie ſchon der Widerjpruch des launiſch beweglichen, eher jpigbübifchen Gefichtes mit ihrem ſchweren tragiſchen Weſen hinweiſt. Neizend ift Engels, bald ein bifchen an Baumeifter, bald an Römpler erinnernd, reizend auch Hedwig Wangel und beherzt padt Schroth den jungen Gatten an. Früher, in den guten alten Zeiten, lang ift’3 ber, hätte man von einer jolchen Vorftellung gefagt, fie fei Burgtheater.
Sommernadtstraum. (Aufgeführt dur die Truppe des Berliner Kleinen Theater und Neuen Theaters im Theater an ber Wien am 20. Mai 1905.)
Der „Sommernachtstraum“ ift Neinhardts ftärffter Berliner Erfolg geweſen, ein unwahrſcheinlicher, unglaub- ficher, unbegreiflicher, ein phantaftijcher Erfolg, unerichöpf- lich, noch täglich wachjend, zu Leuten dringend, die fonft die Kunft kaum ftreift, weit hinaus, tief hinab. Fünfund- achtzigmal ausverkauft. Dies in einem Theater, da8 mit feiner Arbeit aus der hergebrachten Routine fort, zum Stil, zur Kunft empor den klugen Spöttern in den Kreis der Xrtiften und der Snob3 gebunden fchien. Und nun diefer in alle Breiten, alle Tiefen greifende Erfolg! Denn Erwartungen, längft in der Stille gehegt, immer wieder enttäufcht, faum mehr geglaubt, zeigten bier ſich plöglich erfüllt. Seit Jahren hatte man den Leuten vorgejagt, die klaſſiſche Kunſt lebe noch. Aber fie langweilten fich dabei, nur gab es feiner zu, faum fich ſelber; fie fürchteten und ſchämten ſich. Dieſes merkwürdig gemifchte Gefühl von
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Verwunderung, Berdruß, Verlogenheit, Angjt, Scham, Zwang, Verblüffung und Verddung wurden fie hier endlich los. Dies gefiel ihnen wirklich); e8 wirkte; es war eine Luft. Es gefiel ihnen nicht nur aus Reipeft, aus Bildung, aus Pflicht. Sie dachten erft gar nicht nad), fie waren jelig. Sie hatten mit der Zeit ſchon gemeint, es jei un» vermeidlich, bei den alten Dichtern zu gähnen; das gehöre nun einmal dazu, die Kunft it ernft, man muß fich Mühe geben. Und plöglich war es hier die helle Luft.
Wie hat Reinhardt dies erreicht? Ich will verjuchen, die Teile jeiner Arbeit aufzuzeigen. Wir jollen ja von ihm lernen.
Zunächſt: Hier ift endlich die Dekoration mit der Bühne völlig vereint. Die Leute jchreien bewundernd: Nein, diefer Wald, einen jo wahren Wald hat man auf feiner Bühne noch geſehen! Das ift aber gar nicht richtig. Nicht der Wald wirft fo, der auf der Bühne ift, fondern, daß die ganze Bühne Wald geworden iſt, daß es feine Bühne mehr gibt. Die „Stene“, zuerjt bei den Griechen nur eine Wand, welche dem Zujchauer die Vorbereitungen de3 Schaufpielers, die Garderoben, fein ganzes heimliches Geſchäft verdeden joll, wird im der Entwicklung allmählich zum Rahmen, der anfangd nur prunfen, feierlich ftunmen, bald aber „mitpielen“, an der vom dramatichen Künftler ausgejponnenen Suggeition helfen will: jie wird der „Schauplag der Handlung”. Zunächſt noch immer vom Schaufpieler getrennt. Hinten ijt ein gemalter Wald aufs gehängt, vorn führen die Schaujpieler auf einem Brett das auf, was als in jenem Walde gejchehen gedacht wird, Hinten ein Schauplag, vorne der Spielplag. Nun ftellen
Hermann Bahr, Gloffen. 19
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Warum wird Charolais von ihr verraten? Der gütige Charolais? Der ſie liebt, den fie liebt, dem fie ein Kind geboren hat? Bei der er „dunkler Träume Deutung, ewiger Sehnſucht Raſt“ gefunden hat?
Bet ihr nur einzig,
Bei ihr war Zuflucht, Sicherheit bei ihr!
Ihr Arm, gelegt um meinen Naden, barg mic,
Ihr Arm — Friebe! Ihre Lippen — Glüd!
Ihr Leib — Verheißung! Eins mit ihr zu erben,
Aus mir in fie zu flüchten, faßt ich fie,
Umfchlang fie, ließ mein Leben in fie firömen — —
Un hielt fie — meine Antwort an den Tod!
Und die — Und bie — —
Und die fann ihn verraten? An einen vermeibten Geden, ber fie nicht einmal liebt, fie nur begehrt, Taum aus Luft, nur aus verworrener Üitelfeit der Sinne, die um alles wirbt, um jeden Mann, um jedes Weib, um jede Ding der Welt, gierig, jedes zu befigen, um fi daran zu fühlen, der nichts ſchön ift, was ihr nicht gehört, die nicht? fpürt, was fie nicht mit Fingern faßt! Un folchen widerlichen Bettler um die Welt verrät die ftolze Frau den tief geliebten ftarfen Mann. Warum? Bon feilen Worten fortgezogen, deren fremd verruchter Schall fie lodt, in Berührungen verftrict, die die Macht der Schande haben, fich jelbft entwendet durch Fieberdunft, der ihren Sinn verbrüht! Warum? Kann denn dag fein? Barum? ES trieb fie, jagt man dann und ſchaudert. Es.
„Es“ trieb und — treibt und! „EB“! —
Nicht ich — nicht du!
Wer ift diejes fürchterliche „Es“, dem fie verfällt?
Und Ieije fpricht’3 in uns: vielleicht dag Weib, Vielleicht,
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zum Traum, alles fcheint nur Wald, Waldes Atem, Waldes Hau, bald menſchlich, bald in flüchtigen Spuk gejormt, aus Luft gewebt, in Luft verweht. Und num fängt diefer Wald zu tönen an.
Denn dies ift das Zweite: Reinhardt hat das Stüd durchaus mufifalifch inizeniert. Sein Wort, das irgend einer zu jagen hat, wird hier beim Wort genommen, als Zeichen einer Wirklichkeit, fondern jedes nur als Reiz der Sinne, als Wert der Stimmung. Und feine Gebärde der Schaufpieler wirft Hier real, zur mimijchen Berjtändigung, fondern Reinhardt jchafit fie zu Linien um, Ornamenten gleichfam aus geronnener Muſik, erfennend, daß uns der Dichter Hier nicht irgend eine Begebenheit, noch irgend einen Menſchen zeigen, jondern und nur zärtlich wiegen will. Denn wie zwijchen zwei Küſſen iſt dieſes Stüd erdacht, noch find die wunden Lippen feucht, ſchon öffnen fie ſich und verlangen wieder, und jo, von gejtillter Liebe glühend, ruft ung der Dichter zu: Died allein, von dem ich weiß, daß es Wahn ijt, nur dies ift dennoch wahr! Das Stüd iſt wie ein Zwiegeſpräch von Verſtand und Sinnlichkeit, worin jener die Torheit der Liebesluſt beweijen, aber dieſe in diejer Torheit eben die höchfte Weisheit der Natur ver- nehmen will. Spüren, wie der Wind weht, wie fich die Gräfer biegen, wie dunkler Duft aus Rojen finkt, und das Leuchten der Sonne und das Summen in der Luft und den leifen Drud geliebter Finger jpüren, nur dies ift wahr! Und dort ragt ein fteiler Baum, im Wipfel fteht ein Heiner Vogel oben und fingt und fingt, ganz oben. Und wie er fingt, ift alles in uns jtil geworden, die Welt iſt weg, das Leben jchweigt, wir wifjen nur noch: ich und
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du, du und ich, wir, wir und der kleine Vogel, dies allein iſt wahr, nur dies. Und immer ſingt der Heine Vogel, Und wie er's fingt, wird’3 wie die Stimme einer Welle. Derjelden Welle, auf der der leiſe Wind fährt. Unjerer Welle, die und beide trägt, did; und mich. Davon aber, mein Kind, wollen wir dem Verſtande gar nicht? jagen, der doch alles beffer weiß, und lachen ihn lieber heimlich aus, Solches heimliches Lachen über den Verſtand, Lachen der Freiheit von aller dumpfen Welt, Lachen, das zulegt auch noch über jich felber lacht, ift dag ganze Stüd. Und diefes Tiebestiefe Lachen aus erfüllter Luft Hat Reinhardt infzeniert.
Und aus ſolchem Lachen, Urlachen der Natur, fteigt nun auch diefer prachtvolle Pu der Eyjoldt auf. Nicht niedlich und geziert, wie ihn die anderen geben, verkleideten Marquifen gleich, die jchäferiih in dünnen Schuhen um irgend ein Trionon ftreifen, Tünftelnd, tänzelnd, wigelnd. Nein, borftig, ftruppig, zottig, dicht an der Tierheit; eine Geftalt, die nach ſchwarzer Erde riecht; ein Naturlaut, der Geftalt befommen Hat. Wie der griechiichen Anthologie entftiegen ; ihre Verſe fingen in jeden Schritt herein, Verſe von Pan, dem Walddurchwandler, dem rauhſchenkligen, der, das vögelfangende Rohr mit dem Leime beftreichend, über den Berg hingeht oder auf Hafen pirfcht, dem Führer der Nymphen, der de jchroffen Gebirges laufchige Grotten bewohnt, dem bodfüßigen Hüter der Herden, der fühen Moft aus heimijchem Kruge oder ein faugendes Lamm will. Diefe Stimmung, aber ftürmijcher noch, brünftiger ala jie in der Anthologie ift: an unferer romantijchen Sehnſucht erhigt. Ein Heiner Pansbub, der einmal gefangen gewejen
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und eben erft wieder entlaufen wäre, jauchzend in ben Wald zurüc, nach dem fchwärmenden Gotte Lyäus, triefend vor Luft und grunzend und gröhlend: Ho, Ho, ho, dab es tief in die Höhlen der Oreaden jchallt, tief aus den Büſchen die Hamadryaden ruft: Ho, ho, ho! Ein Pan von Bödlin. Ein Pan, um den der ſchwere Sonnenduft von unferen hohen Wiefen, der tiefe Glanz des deutichen Waldes jchwebt. Enkel des alten Pan, aber ganz um— iponnen von der ewigen Sehnfucht der Germanen. Ban auf dem Blocksberg. Unfer Ban, wie auch diejer Thejeus hier doch unfer ift.
Nun find geftern auch die Wiener dem gligernden Bauber willig erlegen. Der Abend begann gleich mit einer rauſchenden Ovution, für Pfigner, der in feiner weit aus— holenden, vollarmigen, gleichjam mitmalenden Art dirigierte, Dann flogen eilig die erften Szenen vorbei, und nun die Nüpel, von Waßmann, Arnold, Kayßler mit anftedender Tollheit dargeftelt. Dann aber der Wald, von dem jeht ganz Wien ſprechen wird, wie von ihm feit drei Monaten ganz Berlin ſpricht. Das Publikum freute fich wie ein Kind. Und das waldesfrohe Lachen der Eyjoldt! Und die rajende Jagd der Höflich Hinter der langfüßig flüchtenden Heims her! Das Publifum ſchrie vor Luft. Und dann fängt nun diefer ganze Wald fich wie im Traume zu be» wegen an. Und dann gar noch der Tanz der Rüpel. Und nun ging's: Reinhardt, Reinhardt! mit lauten Rufen ftür- mild durch das Haus. Reinhardt, Reinhardt und fein Ende!
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Minna von Barnhelm.
Die Berliner haben uns nun auch noch durch ihre ganz unvergleichlich feine glockenhelle Vorſtellung der Minna von Barnhelm entzückt, bie wieder Reinhardts volllommene Kunſt, uns die Luft einer Dichtung und den um ſie ſchwebenden Dunſt überall ſpüten, ja ſehen und förmlich greifen zu laſſen, auf das ſchönſte zeigt. Es gibt heute feinen Regiffeur, der reicher an ſzeniſchen Einfällen wäre, zugleich aber von jolcher Kraft, alles Detail doch immer gleich wieder ans Ganze zu fchließen und die große Linie, was Laube den Duftus eines Stüded zu nennen pflegte, wunderbar jeft und ftill zu behaupten, darin nur Mahler vergleichlich, der e3 auch wagen darf, noch bei den leijeften Neizen vorüberhufchender Erregungen zu verweilen, weil er fich ficher weiß, ſelbſt dem legten, zarteften, eiligiten noch das große ruhige Licht feiner ungebrochenen Empfindung für den Rhythmus nachzujenden. Es drängen fich mir, wenn ich von Reinhardt preche, immer Vergleiche aus dem Muſikaliſchen auf: denn fein ganzes Wejen, wie er gleich- fam den Tonfall jedes Dichter8 inizeniert und jene ge heimen Schwingungen jpürt, die fich dann in der fchöpfe- tifchen Stunde des Dichters allmählich erft zu Worten, Geftalten, Begebenheiten verdichten, dieſe über das Werk zum empfangenden Vorgefühl des Dichters zurüdgteifende und aus diefem dann jede Szene, jede Figur intonierende Art dedt den verftecten Tanz auf, der das Element alles Dramatiihen ift. Hier: Menuett von Haydn oder das Es-dur-Quartett von Dittersdorf. Hell, ftill, froh. Aber hinten hängt das Zöpfchen. Immer artig. Die Luft und
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Laune wohlerzogener Menfchen, die niemals ihre gefteiften Kleider vergefien. Eine Dekoration auf blafjes Gelb, die andere milde roſig gejtimmt. Und darauf nun dag ganze Stück eingeftellt: mattgelb, zierlich xoja, ein Kränzchen um jede Szene geflochten, ein Böpfchen an jedes Wort gehängt. Und nun die Höflich als Franzisfa! Ihre Kraft der inneren Verwandlung ift erftaunlich, fie trifft alle Dialekte der menfchlichen Seele, und immer wieder ftimmt man Schnigler zu, der neulich von ihr gejagt hat, fie jei, nach ihren Entwidlungsmöglichkeiten in alles tragijche und Heitere Gebiet, der größte Glücksfall, den die deutjche Bühne jeit der Sorma erlebt hat: Neben ihr Fräulein Heims als DMinna, hell und warm wie die liebe Sonne. An ihr bat fich fo vecht Reinhardt als Erzieher gezeigt. Sie fam vor ein paar Jahren zuerft unter Brahm her: Hübfch, anmutig, ſcharmant, wenn fich das allerliebite Gejichtchen vom Lachen plöglich jo drollig ins Weinen verzog, aber doch, wie es jchien, unfähig, anders als durch ihren per- fönlichen Reiz zu wirken. Und noch auf den Berliner Proben zum „Meifter“, in welchem fie die nervöſe Heine Sekretärin gab, voriges Jahr, hätte ich nie gedacht, daß man fie je beftimmen fünnte, eine wirkliche Figur abzu— jondern, wie jegt diefe Minna ift, in der, was fonft nur der zufällige Charme de3 Fräulein Heims jchien, durchaus ins Notwendige, in Kunft umgejegt ift. Dasſelbe gilt von Herrn Giampritro. Jahrelang haben wir diejen Eugen, beweglichen, eleganten Schaujpieler im Volkstheater gefehen, immer durch fein den Wienern jehr angenehmes Wejen wirffam, aber ohne den leiſeſten Verſuch, es irgend der Rolle anzupafjen; er wäre hier in Manier umgefommen.
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Jetzt jtellt er einen jo reichen, jo lebendigen, in jedem Zuge jo bejtimmten Riccaut hin, daß man einfach verblüfft war. Dies ift eben der Unterjchied: der Wiener Schaufpieler läßt in jeder Rolle einfach feine Natur los, er macht ein Couplet für fi aus ihr; Reinhardt zwingt feinen Schauſpielern immer eine Figur ab, ſelbſt auf die Gefahr Hin, daß einer dabei manchmal jeine ficheren perſönlichen Wirkungen ver- leugnen muB. So bier zum Beilpiel Kayßler, defien durchaus tragijche Natur, über ter immer eine jchwarze Wolfe zu hängen fcheint, fich eigentlich gegen den breit vergnüglichen Wachtmeijter fträubt, dem er nun doch mit | einer künſtleriſchen Energie, die die höchſte Bewunderung verdient, beizufommen weiß. Herr v. Winterftein ift ein angenehmer Tellheim, Engels der ergöglichite Wirt, Nein hardt jelbft ein Juſt, der ſich jogar neben der ſtarken Er- | innerung an Tyrolt zu behaupten vermag, und als Dame in Trauer hat Frau Wangel eine faft unheimliche Kraft, in zwei drei Sägen ein ganzes langes menfchliches Leben darzuftellen.
Deutjhes Theater. (1904) Gaſtſpiel im Carl:Theater. Erſte Vorftellung: „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann.
Im Dezember des vorigen Jahres war mir vergönnt, Proben bei Reinhardt und bei Brahm, im Kleinen und im Deutichen Theater mitzumachen. Unfere Direftoren ftellen fich diefe doc} anders vor, als ich fie fand. Sie verfichern gern: da es in Berlin ein Stüd, das ge fällt, leicht auf Hundert, bei und aber in der Regel kaum
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auf einige dreißig Vorfteilungen bringe, könne ınan dort viel und langſam proben, wozu es bei uns an der Zeit fehle; dies gebe jenen Schaufpielern eine Sicherheit und Geläufigfeit, aus welcher allein ſich die Überlegenheit der Berliner Schule erkläre. Ich aber fand, daß dort nicht bloß mehr und gründliche geprobt wird, fondern wejent- lich anders. Während jich nämlich bei ung der Regiffeur doch meiſtens begnügt, als Ordner den Schaujpielern bei= zuftehen, der beftimmt, wo fie aufzutreten oder abzugehen, wann fie fich zu fegen, allenfall® noch, welches Tempo fie zu nehmen haben, fühlt er fich dort al3 den Künftler, der in den Schaufpielern, als feinem Material, das Gefühl, das ihm das Werk des Dichters gibt, auszudrüden verfucht. Bevor er noch auf die Bühne kommt, Hat er das Stück bei fich fertig, er fieht den Raum, in welchem es fich be- wegt, er Hört fozufagen feinen Schritt und gibt nun nicht nad, bis es ihm gelingt, jo die Gebärden und die Töne, die ihm die Schaufpieler bringen, allmählich umzuformen, daß zulegt die Geftalten, die ihm daheim beim Lejen er- ſchienen find, wirklich vor ihm auf der Bühne ftehen. Das will Reinhardt und das will Brahm; beiden find ihre Schaujpieler, wa dem Bildhauer der Marmor ift. Aber jeder verhält ſich zum Dichter auf feine bejondere Art und jeder hat dann auch fein eigenes Verfahren mit den Schau- ipielern. Neinhardt fteht zum Dichter viel freier ald Brahm. Dieſer will jein Diener jein. Man merkt ihm immer noch den Kritifer an, deffen Natur es ja ift, fih in den Dichter aufzuldjen. Er mag allenfalls einmal, wenn dem Dichter was Mienjchliches pajfiert, für ihn denken und Hilft ihm mit leiſem Zinger behutjam nad) oder weift ihn be-
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wohl in Rollen rätſelhafter, wirrer, dunkler Frauen, zu welchen fie ſchon der Widerſpruch des launiſch beweglichen, eher ſpitzbübiſchen Gefichtes mit ihrem ſchweren tragijchen Weſen hinweiſt. Neizend ift Engels, bald ein bifschen an Baumeifter, bald an Nömpler erinnernd, reizend auch Hedwig Wangel und beherzt padt Schroth den jungen | Gatten an. Früher, in den guten alten Zeiten, lang iſt's ber, hätte man von einer jolchen Vorftellung gejagt, fie fei Burgtheater. |
Sommernadtstraum. (Aufgeführt durd die Truppe des Berliner Kleinen Theaters und Neuen Theaters im Theater an der Wien am 20. Mat 1905.)
Der „Sommernachtstraum“ ift Neinhardts ftärfjter Berliner Erfolg gewefen, ein unmahrjcheinlicher, unglaub- licher, unbegreiflicher, ein phantaftiicher Erfolg, unerſchöpf⸗ lich, noch täglich wachjend, zu Leuten dringend, die ſonſt die Kunft kaum ftreift, weit hinaus, tief hinab. Fünfund- achtzigmal außverfauft. Dies in einem Theater, das mit feiner Arbeit aus der hergebrachten Routine fort, zum Stil, zur Kunft empor den Hugen Spöttern in den Kreis der Artiften und der Snobs gebunden fchien. Und nun diejer in alle Breiten, alle Tiefen greifende Erfolg! Denn Erwartungen, längft in der Stille gehegt, immer wieder enttäufcht, faum mehr geglaubt, zeigten Hier ſich plöglic erfüllt. Seit Jahren hatte man den Leuten vorgefagt, die klaſſiſche Kunft lebe noch. Aber fie Iangweilten fich dabei, nur gab es feiner zu, kaum fich felber; fie fürchteten und ſchämten ſich. Dieſes merkwürdig gemifchte Gefühl von
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Verwunderung, Verdruß, Verlogenheit, Angjt, Scham, Zwang, Verblüffung und Verddung wurden fie hier endlich los. Dies gefiel ihnen wirklich; e8 wirkte; es war eine Luft. Es gefiel ihnen nicht nur aus Reſpelt, aus Bildung, aus Pflicht. Sie dachten erft gar nicht nach, fie waren jelig. Sie hatten mit der Zeit ſchon gemeint, e3 jei un- vermeidlich, bei den alten Dichtern zu gähnen; das gehöre nun einmal dazu, die Kunft iſt ernft, man muß fich Mühe geben. Und plöglich war es hier die helle Luft.
Wie hat Reinhardt dies erreicht? Ich will verjuchen, die Teile jeiner Arbeit aufzuzeigen. Wir jollen ja von ihm lernen.
Zunächſt: Hier ift endlich die Dekoration mit der Bühne völlig vereint. Die Leute jchreien bewundernd: Nein, diefer Wald, einen fo wahren Wald hat man auf feiner Bühne noch gefehen! Das ift aber gar nicht richtig. Nicht der Wald wirft fo, der auf der Bühne ift, fondern, daß die ganze Bühne Wald geworden ijt, daß es feine Bühne mehr gibt. Die „Skene“, zuerjt bei den Griechen nur eine Wand, welche dem Zuſchauer die Vorbereitungen de3 Schaufpielers, die Garderoben, fein ganzes heimliches Geſchäft verdeden foll, wird in der Entwidlung allmählich zum Rahmen, der anfangs nur prunfen, feierlich ſtimmen, bald aber „mitjpielen“, an der vom dramatijchen Künftler ausgejponnenen Suggeition helfen will: jie wird der „Schauplag der Handlung“. Bunächft noch immer vom Schaufpieler getrennt. Hinten ijt ein gemalter Wald auf gehängt, vorn führen die Schaujpieler auf einem Brett das auf, was als in jenem Walde gejchehen gedacht wird. Hinten ein Schauplag, vorne der Spielplag. Nun jtellen
Hermann Babr, Gloffen. 19
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Kuliſſen allmählich eine Art von Verbindung her, in Verſatzſtücken ſchiebt det Wald Bäume, Sträucher, Bänke, Wege, Zelien auf das Brett der Schaufpieler vor, immer mehr vor, indem fich dieſes verengt, aber immer noch zu behaupten vermag. Wir haben die fchönften Wälder auf der Bühne gejehen, aber vor ihnen blieb immer noch ein Raum, eine Rampe, blieb das Brett und hier traten die Schaufpieler aus dem Walde heraus vor, fobald fie zu iprechen oder zu handeln Hatten; immer noch blieb die Bühne in einen Schauplag und einen Spielplag abgeteilt. (Sogar wenn es im Zimmer fpielt; man achte nur einmal, wie ſelbſt hier der Negifjeur, der Schaufpieler ſich immer gleich einen unfichtbaren Kreis zu ziehen jucht, der nicht mehr das Zimmer, der nur das Brett ift.) Reinhardt aber, vollendend, was Roller im „Triftan“ und „Fidelio“ begonnen hat, hebt jene Teilung auf, er zieht den Wald bis an die Rampe vor, er treibt die Schaufpieler tief in den Wald zurüd: das Brett, daS alte Brett, daS jchred- liche Brett ift weg. Früher hat der Bufchauer immer erft langwierig mit dem Verftande nachhelfen müffen: Aha, die Elfen, die hier tanzen, Titania, die hier träumt, Oberon, der hier lauſcht, dies alles gehört eigentlich dort in den Wald Hinein. Iegt löſen fich Elfen aus den grauen Stämmen wie von der Rinde ab, auf fteifen Pfaden geht das Spiel, Buck hufcht über Moos, in den Wipfeln rauſcht's, von Würmchen glüht die Luft, ein Leuchten und ein tiefes Atmen ift, man glaubt im leifen Wind, im feuchten Dunft den Kuß der Nacht zu fpüren — das Brett, das Brett ift weg und fo wirkt feiner ala ein bloßer Schaujpieler mehr, alles ift verwandelt, das Brett in Erde, das Spiel
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zum Traum, alles jcheint nur Wald, Waldes Atem, Waldes Hauch, bald menichlich, bald in flüchtigen Spuk gejormt, aus Luft gewebt, in Luft verweht. Und num fängt diefer Wald zu tönen an.
Denn dies ift das Zweite: Reinhardt hat dag Stück durchaus mufikalifch inizeniert. Sein Wort, das irgend einer zu jagen hat, wird hier beim Wort genommen, als Zeichen einer Wirklichkeit, fondern jedes nur ala Neiz ber Sinne, als Wert der Stimmung. Und feine Gebärde der Schaufpieler wirkt Hier real, zur mimijchen Verftändigung, fondern Reinhardt jchafft fie zu Linien um, Ornamenten gleichjam aus geronnener Mufit, erfennend, daß uns der Dichter Hier nicht irgend eine Begebenheit, noch irgend einen Menſchen zeigen, jondern und nur zärtlich wiegen will. Denn wie zwilchen zwei Küſſen iſt dieſes Stüd erbacht, noch find die wunden Lippen feucht, ſchon öffnen fie fich und verlangen wieder, und jo, von geftillter Liebe glühend, ruft und der Dichter zu: Died allein, von dem ich weiß, daß es Wahn iſt, nur dies ift dennoch wahr! Das Stüd ift wie ein Zwiegeſpräch von Verſtand und Sinnlichkeit, worin jener die Torheit der Liebesluſt beweijen, aber dieje in diejer Torheit eben die höchte Weisheit der Natur ver- nehmen will. Spüren, wie der Wind weht, wie fich die Gräfer biegen, wie dunkler Duft aus Roſen finkt, und das Leuchten der Sonne und das Summen in der Luft und den leijen Druck geliebter Finger jpüren, nur dies ift wahr! Und dort ragt ein fteiler Baum, im Wipfel fteht ein kleiner Vogel oben und fingt und fingt, ganz oben. Und wie er fingt, ift alles in uns till geworden, die Welt iſt weg, das Leben ſchweigt, wir wifjen nur noch: ich und
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du, du und ich, wir, wir und der Heine Vogel, dies allein ift wahr, nur die. Und immer fingt der Heine Vogel. Und wie er's fingt, wird’8 wie die Stimme einer Welle. Derjelben Welle, auf der der Ieife Wind fährt. Unjerer Welle, die uns beide trägt, dich und mich. Davon aber, mein Kind, wollen wir dem erftande gar nicht? jagen, der doch alles beffer weiß, und lachen ihn Lieber heimlich aus. Solches Heimliches Lachen über den Verftand, Lachen der Freiheit von aller dumpfen Welt, Lachen, das zulegt auch noch über jich felber lacht, ift das ganze Stüd. Und dieſes Tiebestiefe Lachen aus erfüllter Luft hat Reinhardt infzeniert.
Und aus ſolchem Lachen, Urfachen der Natur, fteigt nun auch diefer prachtvolle Bud der Eyſoldt auf. Nicht niedlich und geziert, wie ihn die anderen geben, verfleideten Marquiſen gleich, die jchäfertich in dünnen Schuhen um irgend ein Trianon ftreifen, fünftelnd, tänzelnd, witzelnd. Nein, borftig, ftruppig, zottig, dicht an der Tierheit; eine Geftalt, die nad) ſchwarzer Erde riecht; ein Naturlaut, der Seftalt befommen hat. Wie der griechiichen Anthologie entitiegen ; ihre Verſe fingen in jeden Schritt herein, Verſe von Ban, dem Walddurchwandler, dem raubichenkligen, der, das vögelfangende Rohr mit dem Leime beftreichend, über den Berg hingeht oder auf Hafen pirfcht, dem Führer der Nymphen, der des jchroffen Gebirges lauſchige Grotten bewohnt, dem bocfüßigen Hüter der Herden, der füßen Moft aus heimijchem Kruge oder ein faugendes Lamm will. Diefe Stimmung, aber ftürmifcher noch, brünftiger als fie in der Anthologie ift: am unferer romantijchen Sehnjucht erhigt. Ein Heiner Pansbub, der einmal gefangen geweſen
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und eben erſt wieder entlaufen wäre, jauchzend in den Wald zurück, nach dem ſchwärmenden Gotte Lyäus, triefend vor Luſt und grunzend und gröhlend: Ho, ho, ho, daß es tief in die Höhlen der Oreaden ſchallt, tief aus den Büſchen die Hamadryaden ruft: Ho, ho, ho! Ein Pan von Bödlin. Ein Pan, um den der ſchwere Sonnenduft von unferen hohen Wiejen, der tiefe Glanz des beutjchen Waldes ſchwebt. Enkel des alten Ban, aber ganz ums iponnen von der ewigen Sehnfucht der Germanen. Pan auf dem Blocksberg. Unfer Ban, wie auch diejer Thejeus hier doch unfer iſt.
Nun find geftern auch die Wiener dem gligernden Bauber willig erlegen. Der Abend begann gleich mit einer rauſchenden Ovation, für Pfigner, der in feiner weit aus— hofenden, vollarmigen, gleichjam mitmalenden Art dirigierte, Dann flogen eilig die erften Szenen vorbei, und nun die Rüpel, von Waßmann, Arnold, Kayßler mit anftedender Tollheit dargeftellt. Dann aber der Wald, von dem jeht ganz Wien fprechen wird, wie von ihm feit drei Monaten ganz Berlin fpricht. Das Publitum freute fich wie ein Kind. Und das waldesfrohe Lachen der Eyjoldt! Und die raſende Jagd der Höflich hinter der Iangfüßig flüchtenden Heims her! Das Publikum ſchrie vor Luft. Und dann fängt num dieſer ganze Wald fich wie im Traume zu be wegen an. Und dann gar noch der Tanz der Rüpel. Und nun ging’3: Reinhardt, Reinhardt! mit lauten Rufen ftür- mich durch das Haus. Neinhardt, Reinhardt und fein Ende!
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Minna von Barnhelm.
Die Berliner haben uns nun auch noch durch ihre ganz unvergleichlich feine glockenhelle Vorſtellung der Minna von Barnhelm entzückt, die wieder Reinhardts volllommene Kunſt, uns die Luft einer Dichtung und den um ſie ſchwebenden Dunſt überall ſpüren, ja ſehen und förmlich greifen zu laſſen, auf das ſchönſte zeigt. Es gibt heute Teinen Regifjeur, der reicher an fzenifchen Einfällen wäre, zugleich aber von jolcher Kraft, alles Detail doch immer gleich wieder ans Ganze zu ſchließen und die große Linie, was Laube den Duftus eines Stüdes zu nennen pflegte, wunderbar jeft und ftill zu behaupten, darin nur Mahler vergleichlich, der e3 auch wagen darf, noch bei den leijeften Reizen vorüberhufchender Erregungen zu verweilen, weil er ſich ficher weiß, ſelbſt dem legten, zarteften, eiligiten noch das große ruhige Licht feiner ungebrochenen Empfindung für den Rhythmus nachzufenden. Es drängen fi) mir, wenn ich von Reinhardt jpreche, immer Vergleiche auß dem Mufilalifchen auf: denn fein ganzes Wejen, wie er gleich- fam den Tonfall jedes Dichter8 injzeniert und jene ge— heimen Schwingungen jpürt, die ſich dann in der ſchöpfe— riſchen Stunde de3 Dichters allmählich erft zu Worten, Geftalten, Begebenheiten verdichten, dieje über das Werf zum empfangenden Vorgefühl des Dichters zurückgreifende und aus diefem dann jede Szene, jede Figur intonierende Art deckt den verftedten Tanz auf, der das Element alles Dramatiichen ift. Hier: Menuett von Haydn oder das Es-dur-Quartett von Dittersdorf. Hell, ſtill, froh. Aber Hinten hängt das Zöpfchen. Immer artig. Die Luft und
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Laune wohlerzogener Menſchen, die niemals ihre geſteiften Kleider vergeſſen. Eine Dekoration auf blaſſes Gelb, die andere milde rofig geftimmt. Und darauf nun das ganze Stüc eingeftellt: mattgelb, zierlich roja, ein Kränzchen um jede Szene geflochten, ein Zöpfchen an jedes Wort gehängt. Und nun die Höflich als Franzisfa! Ihre Kraft der inneren Verwandlung ift erftaunlich, fie trifft alle Dialekte der menfchlichen Seele, und immer wieder ftimmt man Schnigler zu, der neulich von ihr gejagt Hat, fie jei, nad ihren Entwidlungsmöglichfeiten in alles tragijche und heitere Gebiet, der größte Glüdsfall, den die deutſche Bühne jeit der Sorma erlebt hat: Neben ihr Fräulein Heims als Minna, hell und warm wie die liebe Sonne. An ihr hat fich jo recht Reinhardt als Erzieher gezeigt. Sie kam vor ein paar Jahren zuerſt unter Brahm Her: hübſch, anmutig, charmant, wenn fich das allerliebite Gejichtchen vom Lachen plöglich jo drollig ind Weinen verzog, aber doch, wie es ſchien, unfähig, anders als durch ihren per— ſönlichen Reiz zu wirken. Und noch auf den Berliner Proben zum „Meifter“, in welchem fie die nervöſe Heine Sekretärin gab, voriges Jahr, hätte ich nie gedacht, daß man fie je beftimmen könnte, eine wirfliche Figur abzu— jondern, wie jegt dieſe Minna ift, in der, mas jonft nur der zufällige Charme des Fräulein Heims jchien, durchaus ins Notwendige, in Kunſt umgejegt it. Dasjelbe gilt don Herrn Giampritro. Jahrelang haben wir diejen Eugen, beweglichen, eleganten Schaujpieler im Volkstheater gejehen, immer duch fein den Wienern jehr angenehmes Wejen wirfiam, aber ohne den leifeften Verſuch, es irgend der Rolle anzupaffen; er wäre hier in Manier umgekommen.
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Sept jtellt er einen jo reichen, jo lebendigen, in jedem Zuge jo beftimmten Riccaut hin, daß man einfach verblüfft war. Dies ift eben der Unterjchieb: der Wiener Schaufpieler läßt in jeder Rolle einfach feine Natur 108, er macht ein Couplet für fi aus ihr; Reinhardt zwingt feinen Schaujpielern immer eine Figur ab, ſelbſt auf die Gefahr Hin, daß einer dabei manchmal jeine ficheren perfönlichen Wirkungen ver- leugnen muß. So hier zum Beilpiel Kayßler, defjen durchaus tragiiche Natur, über ter immer eine ſchwarze Wolfe zu Hängen jcheint, fich eigentlid, gegen den breit vergnüglichen Wachtmeifter fträubt, dem er num doch mit einer fünftleriihen Energie, die die höchfte Bewunderung verdient, beizufommen weiß. Herr v. Winterftein ift ein angenehmer Tellheim, Engels der ergöglichite Wirt, Rein- hardt jelbft ein Juſt, der ſich jogar neben der ftarfen Er innerung an Tyrolt zu behaupten vermag, und als Dame in Trauer hat Frau Wangel eine faft unheimliche Kraft, in zwei drei Sägen ein ganzes langes menjchliches Leben darzuftellen.
Deutſches Theater. (1904) Gaſtſpiel im Carl:Theater. Erſte Vorftellung: „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann.
Im Dezember des vorigen Jahres war mir vergönnt, Proben bei Reinhardt und bei Brahm, im Kleinen und im Deutfchen Theater mitzumachen. Unfere Direktoren ftellen fich diefe doch anders vor, als ich fie fand. Sie verfichern gern: da es in Berlin ein Stüd, das ge fällt, leicht auf Hundert, bei uns aber in der Regel kaum
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auf einige dreißig Vorſtellungen bringe, önne man dort viel und langjam proben, wozu es bei und an der Beit fehle; Dies gebe jenen Schaufpielern eine Sicherheit und Geläufigfeit, aus welcher allein fich die Überlegenheit der Berliner Schule erkläre. Ich aber jand, daß dort nicht bloß mehr und gründlicher geprobt wird, fondern wejent- lich anders. Während jich nämlich bei und der Negiffeur doch meiftens begnügt, als Ordner den Schaujpielern bei- zuftehen, der beftimmt, wo fie aufzutreten oder abzugeben, wann fie fich zu ſetzen, allenfall® noch, welches Tempo fie zu nehmen haben, fühlt er ſich dort als den Künſtler, der in den Schaufpielern, als feinem Material, das Gefühl, das ihm das Werk des Dichters gibt, auszudrüden verfucht. Bevor er noch auf die Bühne foınmt, hat er das Stüd bei fich fertig, er fieht den Raum, in welchem es fich be- wegt, er hört jozujagen jeinen Schritt und gibt nun nicht nad), bis e3 ihm gelingt, jo die Gebärden und die Töne, die ihm die Schaufpieler bringen, allmählich umzuformen, daß zulegt die Geftalten, die ihm daheim beim Lejen er- ichienen find, wirklich vor ihm auf der Bühne ftehen. Das will Reinhardt und das will Brahm; beiden find ihre Schaujpieler, was dem Bildhauer der Marmor ift. Aber jeder verhält ſich zum Dichter auf jeine befondere Art und jeder hat dann auch fein eigenes Verfahren mit den Schau= ipielern. Neinhardt fteht zum Dichter viel freier als Brahm. Dieſer will fein Diener jein. Man merkt ihm immer noch den Kritifer an, deffen Natur es ja ift, fi in den Dichter aufzuldjen. Er mag allenfalls einmal, wenn dem Dichter was Vienichliches pajftert, für ihn denfen und Hilft ihm mit leifem Finger behutjam nach oder weiſt ihn be-
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dächtig zurecht. Immer aber würde er ſich hüten, ihm ſein eigenes Weſen aufzudrängen. Ganz anders Reinhardt, Dieſer dichtet nicht bloß nach, er dichtet mit. Für ihn ſchlägt das Stück des Dichters nur ſozuſagen das Thema an. Er fragt nicht viel, ob er immer trifft, was der Dichter meint. Vielmehr, wie er ſelbſt das Stück des Dichters meint, till er ung ſpüren laſſen, jenen Dirigenten gleich, welchen es wichtiger ift, was fie bei Beethoven empfinden, als was Beethoven empfunden Haben mag. Dann aber die Methode, mit den Schaufpielern zu verfahren. Tyrann ift ja fchließlich jeder Negiffeur, Brahm aber doch Heimlicher und von janfterer Art. Er will den Schaujpieler nicht zwingen, fondern führt ihn Hin, in- dem er fich dazu lieber der Vernunft als der Leiden- ichaft bedient. Reinhardt fteht auf der Bühne und unter- bricht bet jedem Sag. Er jagt das Wort dem Schaufpieler vor. Der Schaufpieler wiederholt es. Er ſchüttelt den Kopf, jagt es wieder vor und wieder muß es der Schau- fpieler wiederholen. Und fo noch einmal, fünfinal, zehn- mal, er gibt nicht nach, er läßt nicht ab, feit und hart neben ihm, den Kopf vorgeitredt, lauſchend, mit erhobener Hand, einen grimmig nervöfen Zug um den offenen Mund, bis es jo doch allmählich zulegt genau der Ton wird, den ex bei fich im Innern hört. Auch ordnet er die Haltung und jede Gebärde des Schaufpielers an, tritt vor ihn Hin, macht e3 ihm bor, wodurch es bisweilen gejchieht, daß der Schaufpieler, immer wieder unterbrochen, immer wieder beginnend, fich allmählich ganz verlierend, verwirrt, atemlos, betäubt, in eine Erregung und Erbitterung gerät, die ihn reizt, mehr berzugeben, als er je bei ruhiger Beſinnung
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vermöchte. Ein Krititer hat von Reinhardts Leuten ein- mal gejagt, fie jpielten „verzweifelt“ gut. Dies ift anders wahr, als e8 gemeint war. Neinhardt jagt fie in eine Haft, angftvolle Wut und Verzweiflung hinein, aus welcher fie fich zulegt in eine Art fchöpferifcher Raſerei überjchlagen. Wer einmal irgend einen Sport getrieben hat, wird dies verftehen, weil er aus Erfahrung weiß, daß die Außerite Erſchbpfung und Ermattung, in der man jchon abzufallen und umzufinfen glaubt, manchmal Kräfte auszulöfen ver- mag, durch welche man fich jo völlig erfrifcht und erneut fühlt, daß man nun erjt fein ganzes Weſen einzufegen bereit ift. Zu folchem Jockey der Negie fühlt fich Brahın nun gar nicht berufen. Er figt ftill unten im Parterre, in feinen Mantel eingehüllt, ein wenig fröftelnd, über ein Papier gebüct, in das er eifrig notiert. Er macht fich ganz Hein, ſcheint fich fürmlich zu verfriechen und hat es nicht gern, wenn unterbrochen wird. Iſt die Szene aus, fo Hlettert er über die Brücke zu den Schaufpielern Hinauf, nimmt erft Herrn Leſſing, ſeinen Regiffeur, beifeite und dann fieht man ihn und diejen eifrig mit den Schau- ipielern flüftern, die num allmählich, im leiſen Geſpräche, durch Heine juggeitive Fragen, von irgend einem Detail aus, in welchem fie nicht empfindlich find, behutjam und ohne daß fie jelbft es eigentlich recht merken follen, nach und nad) umgebogen werden. Der Direktor eilt wieder auf feinen Pla zurüd, die Szene wird wiederholt, nun ſchlägt der eine Schaufpieler ſchon einen anderen Ton an, der andere, der fich noch fträubt, geht doch unwill- fürfich halb darauf ein, unverſehens ift die Stimmung da. Stimmung, da ift ja das große Geheimnis des
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Deutichen Theaters. Nun meint man bei und, Stimmung könne über eine Szene gleichjam wie ein Licht, von oben her, ausgegoſſen werden, und unſere Negiffeure quälen ſich um Einfälle ab, die fo leuchten follen. Ich habe aber bemerft, daß Brahm fie eher durch eine merkwürdige Tämmerung gewinnt, zu welcher er die Wirkungen jeiner Schauſpieler abzudämpfen weiß. Scaujpieler glauben leicht, daß fie in jeder Rolle, ja in jeder Szene, gleich alles zeigen müffen. Daß neben ihrer Rolle noch andere folgen, daß jede Rolle, jede Szene erſt von den anderen ihren Sinn erhält, bedenken fie nicht gern. Brahm aber hat jeinen Leuten beigebracht, immer den Wert und das Gewicht der einzelnen Rolle, der einzelnen Szene im ganzen zu fühlen. Ich habe darin auf jenen Proben be» ſonders Nittner bewundern müffen, wie er, manchmal in einer Szene verführt, um der ficheren Wirkung willen mehr zu geben, als fich mit dem Bedürfnis des Partners oder den Übfichten des Stüdes vertrug, fich dorch fofort immer mit einer unvergleichlichen Zucht und der höchften künſtleriſchen Entjagung auf feine Figur bejann, die von allen Seiten her und nad allen Enden hin auszujpüren, dann aber langſam, wie in Mufeen manchmal mit foft- baren Statuen gejchieht, rings im Kreiſe herumzudrehen er eine Hingebung bewies, von der ich, der Autor, ent- züdt war.
Nittner und die Lehmann find es, auf welchem jetzt die Tradition des Deutfchen Theater ruht. Man Hat fie Naturaliften genannt. Aber dies Wort fagt uns heute nicht mehr viel; und dann wäre auch Baumeiſter ein Naturalift, dem fie tief im Wejen verwandt find, „Sim-
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plizitätsfpieler“ Hat fie Kerr einmal geheiken, und das gibt eher die Richtung an, aus welcher ihre merkwürdig ftarfe Wirkung fommt. Wer den Schauipieler nach feiner Kraft der Verwandlung und feiner Kunſt, jich abzulegen, ein anderer zu werben, jich völlig zu trangfigurieren, ſchätzt, wird ihnen widerftreben. Auch technifch zu verblüffen iſt ihre Sache nicht, Sie bringen doch eigentlich immer nur (e3 jei noch einmal an Baumeifter erinnert) ihr eigenes Weſen dar, ohne ſich zu verjtellen oder umzubilden. Diefes aber ift fo rein, daß es faft mit der Gewalt eines jchönen Tages, einer blühenden Landſchaft oder des Blickes in weite leuchtende fernen rätjelhaft frei und groß auf uns wirft, und das Unabänderliche ihrer Darftellungen, welche den ganzen Menjchen wie auf der Folter befennen, drängt ſich mit einer oft faft beffemmenden Gefchlofjenheit auf. Von ihrer Art ift auch Oslar Sauer, der, noch enger, noch fpröder, doch manchmal, etwa als Vater Bernd im legten Aft oder gar als Gregers, eine tragijche Wucht er- reicht, die zum Hbchſten der heutigen Schauipielfunft ge— hört. Ganz anders wirken Bafjermann und Irene Triei: farbiger, beweglicher, italienischer jozufagen. Jener milcht jeinen bunten Gejtalten jo viel Ironie und jchillernde Lift bei, daß es um fie von allen Untertönen, Zwijchentönen und den taufend Fragezeichen unjerer dubiojen Menjchlich- teiten flirt. Dieje ift die große Schaujpielerin des Ge- heimnisvollen. Wie ung manche Menfchen, mehr als durch alles, was fie jagen oder tun, durch einen ſeltſam auf ihrem ganzen Wejen ruhenden Glanz bedeuten, hat fie eine faft magijche Gewalt, beredt zu jchweigen, ſug— geſtiv zu jigen und durch einen jähen Blick der großen
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drohenden Augen, durch ein Zuden der fchweren Lippen, duch einen wie fiebernden Griff tiefftes Leid lange oder die wilde Lujt zu verraten. Herr Meinhard, ein ſehr draftifcher Darfteller, in Masken erfahren, manchmal ein bißchen an Reinhardt erinnernd, das anmutige Fräulein Heims mit finnlich warmen und hellen Tönen, Herr Foreft, ſcharf und knapp charakterifierend, Herr Hofmeiſter, defjen man ſich aus dem Burgtheater entfinnt, Herr Biener, ein jugendlicher Thimig, und die Herren Pauli, Iwald, Stieler, Marz, Schwaiger, Köhler jchließen fich an.
Diesmal haben die Berliner mit Hauptmanns „Webern“ begonnen, die nun nad) zwölf Jahren doc endlich den ängftlichen Behörden abgerungen worden find. Wie muß es in den Leuten ausſehen, die hier eine „Tendenz“ fürchten konnten! Es ſei denn die: menſchlich zu fühlen. Dir ift es immer eher faft unheimlich ge- wejen, wie der Dichter feinen Zorn beherrjcht, und mir graut in folchen Momenten eigentlich vor dem Weſen der Künftler, der Dichter, welchen verliehen ift, noch ge laſſen zu jchauen und bedächtig zu formen, wann es natür- licher wäre, in Taten der Empdrung auszubrechen. Das tieffte Geheimnis Hauptmanns, ſich vom Unerträglichen dur) Darftellung zu befreien und, indem er das Bbſe nadhbildet, das ihm quält, es für fein Gefühl ab- zutun, wird vielleicht nirgens feltfamer offenbar als in diefem raujchenden Gedichte, da8 Not, Hunger, Verzweif- lung zulegt in einen einzigen Afford von grollender Schwer- nut auflöft. Dies verlangt eine Darftellung, die den lyriſchen Wert jeder einzelnen Rolle trifit, jede nur als bloßen Ton nimmt und nun jo mit den anderen verjchlingt,
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daß es zur ungeheuer flutenden Mufit wird. Dadurch wirft diefe Vorftellung immer noch umwiderftehlich. Bis auf Nittner und Herrn Pauli haben alle Darfteller ge- wechjelt. Den Pieifer, einft eine viel bewunderte Rolle des Herrn Filcher, gibt jegt Here Foreſt, den roten Bäcker, den Damals Stainz gab, Herr Iwald, den Fabrifanten Bafjermann, den alten Hilfe Sauer, den Lumpenjammler Herr Meinhard; die Lutje ift von Frau Bertens über die Lehmann an die Triejch gelommen. Die wunderbare Stimmung ift diefelbe geblieben. Langſam vorbereitet, fich allmählich jammelnd, wie ein ſchwarzes Wetter, dad man ſchon von allen Seiten grollen und zuden fühlt, be— vor es, fafl erfehnt, ſchnaubend und prafjelnd Hereinbricht, fteigt fie unaufpaltfam aus dem Gewirre von ächzenden und flehenden, wild kreiſchenden, elend wimmernden, finfter warnenden, grellen und dunflen Stimmen zu einer Er- ſchütterung, einem Grauen empor, welchen ſich auch geftern niemand entwand.
Novelli. (US Gaft im Raimund-Theater vom 14. bis 17. Mai 1903.)
Im Auguft find es zwei Jahre, daß ich nad) Rimini fuhr. Ich verließ Fiume abends und, allein auf dem Heinen Dampfer, von milden Winden gehegt, fchlief ich bald ein, mehr nur fo hindufelnd, immer noch den Hauch des Waſſers gewahr, von ſeltſam fich findenden und gleich wieder verlierenden Träumen verwirct, aus welchen ic; plöglich erjchraf, daS von Feljen tragende Ancona im fahlen -
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Morgen zu jehen. Hier nahm ich den Zug, der jich immer dicht am Meere hält. Es bligt und winkt und nict und neigt und wiegt fich, fteigt verlangend heran, ſchießt ziſchend und fprigend wieder zurüd, und man fieht und hört und riecht es bald Fichern und gifchen, bald braufen und ſchnauben. Hütte jteht an Hütte da, Kinder wälzen ſich nadt im Sande, kreiſchen auf, von behender Welle geledt, tauchen kopfüber ein. Damen wandeln, um fich zu bräunen, wandeln langſam, manchmal leicht erfchauernd im nafjen Gewande, wollüftig verweilend, um mit zagem Fuße durch den figelnden Sand zu taften. Herren figen, mit breiten Hüten, rauchend, Iejend, ſchwatzend. Und manchmal, wenn der Wind jtärfer bläft, ift e& wie ein Raufch und Raſen, das plöglich über die Kinder jtreicht, fie eilen, fie jchreien, fie fafien ſich an und fpringen und winden fich im Reigen, das nafje Haar fliegt und flattert dicht, das helle Fleiſch ſprüht, und jie fchreien und fpringen und tanzen, geſchwinder wie der Wind. Aber Hinter ihnen ift das große blaue Meer und oft ein ſpitzes rotes oder gelbes Segel in der Ferne. Und auf allen Wundern ruht das Licht, das Heilige Licht mit jeiner feierlichen Macht und fließt über fie und faugt jie ein... Und fo fommen wir in Rimini an. Es wimmelt in der Station. Fiſcher, Bäuerinnen, Gendarmen, haftige Fremde, die mit Tajchen und Stöden und Scirmen drängen, Träger, die fhieben und ſtoßen, und alles ruft und rennt und rinnt durcheinander. Aber in der Mitte fteht, hoch über alle ragend, unbeweglich, ſpähend, ein großer langer feiter Mann mit einem breiten weißen Hute, in einer weiten weißen Hofe, noch brauner als die anderen, und wie er jo um ſich fieht und fucht, faft drohend und gefährlich
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durch jeinen wilden und finfteren Blid, in jeiner ftrogen- den, kaum gebändigten, mühjam verhaltenen Kraft, halb Toreador und halb Hidalgo, ganz wie man fi in ro— mantifcher Sehnfucht den gewiffen großen edlen Räuber- hauptmann denkt. Alles fieht auf ihn, alles grüßt und freut fich, er winkt nur immer kurz mit der Hand, es fcheint irgend ein König aus den Bergen zu fein. Es ift Novelli. Er hat mich erblidt und fchon find wir in feinem Wägelchen, mit großen Rädern, er fehnalzt, das Iujtige Pony trabt, wir werden über die runden Steine gejchupft und indem er mich nun erft recht begrüßt und mir durch- einander erzählt und fich erinnert und fragt und nach allen Seiten zu Paſſanten nidt und, bald drohend, grollend, bald Iodend, ſpottend, das ftugige Pferdehen treibt und dann wieder erzählt und wieder fragt und durcheinander jubelt, wie ſchön es hier ift, und jammert, wie bald es doch wieder aus fein wird, und dazwiſchen wieder einen Scherz für einen Freund auf der Gaſſe, wieder einen Ruf an da munter hüpfende Tier Hat, kutſchiert er mich im Sturm durch den Ort an dad Meer zu feiner Billa hinaus, die weiß und rot mit gotijchen Türmen in der Sonne glänzt. Wir halten an, er ruft, das Gitter ſpringt auf, ein mächtiger Hund fommt uns wedelnd entgegen, ftolz und ſanft, fein Leone, wirklich einem Löwen gleich, töniglich und gütig. Uber im Tore, zwifchen zwei Löwen aus Sandftein, fteht die Giannini, feine Frau, in ihrer frohen und ruhigen und reichen Schönheit.
Diefe drei Tage, die ich bei meinem Zauberer blieb, find mir unvergeßlich. Schwerer Duft von Blumen, heller Hauch vom Meere, Seligkeit im Waffer und im Winde,
Hermann Bahr, Gloffen. 20
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leichte Stunden heiter mit feinen Gäften im Garten ver tändelt, dann wieder ftille, faft feierliche der Sehnſucht. wenn der Abend langſam auf leijen Sohlen kam und wir faßen auf der Terrafje drüben, ftumm und wartend, bis die Sonne rot verfunfen war, und wieder dann geheimnis- volle, faft bange, einer feltfamen Erregung voll, wenn wir | in tiefer Nacht noch wach waren, rings lag alles ftill, zum Fenſter atmeten die ſchweren Blumen herein, mand- mal war es wie ein leiſes Beben durch die laue Luft, als hätte fich das Meer unruhig im Schlafe geftredt, der Hund ſchlug träumend an, wir laufchten, da war es wieder ganz till, in der ferne fiel ein Stern, wir ſchwiegen eine Weile, aber dann fuhr er zu erzählen fort und feine tiefe Stimme wurde jo weich und mir war fo gut, daß ich die Augen ſchloß und dann glaubte ich die Nacht jelbft, unjere Mutter, groß und ernft zu mir reden zu Hören... .
Ich wurde die ganzen drei Tage ein faft komiſches Gefühl nicht 108. Immer kam mir vor, zu Belmont bei Porzia Saft zu fein. In der Tat: Genau die Stimmung, die der letzte Aft des „Raufmanns von Venedig“ hat, einer ſehr edlen, auf Kraft ruhenden, ſtill und einfach, faft ein bißchen fpdttifch gewordenen Freude ftarfer, Fühner und gütiger Menſchen ift e8, in der Novelli lebt. Er hat erfüllt, was vielleicht das Höchite ift: fein Weien jo rings um ſich auszuftrahlen, daß es ihn nun überall umgibt. Cr fchreitet nun in jeine eigene Luft tief eingehüllt, und was zu ihm will, muß erft durch fie, wandelt fich in ihr um und nimmt feine Natur an. Er hat einen unfichtbaren Hof um fich gezogen, man tritt nicht ein, ohne fich unwill- kürlich in feinen Ton zu ſchmiegen, er iſt wirklich ein
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König. Und indem ich dies empfand, wurde mir auch erft das Geheimnis jeiner Kunft ganz offenbar. Ich Hatte fie immer in einer ungeheuren, oft bis ing Schmerzliche be- klemmenden Berzüdung aller Sinne, aller Nerven fo geſpürt, daß ich, aus ihrem Banne dann wieder ind wirkliche Leben zurüdgeftoßen, dieſes oft unerträglich fahl und geſpenſtiſch leer und nur wie einen matten, kläglich ſchon verlöjchenden Schein fand. Aber nun fing ich erft an, fie allmählich zu ahnen, nnd fing langjam zu begreifen an, was es tft, wodurch fie uns jo magijch berüden mag.
Als wir ihn, im April 1900, zum erjten Mal bei uns fahen, waren wir alle von feiner unglaublichen Kraft der Verwandlung verblüfft. Er Hatte am erften Abend den Luigi geipielt und man glaubte ihn doch nun ſchon ungefähr zu fennen. Am zweiten Abend war die „Wider- ſpenſtige“. Er erichien als Petrucchio. Aber niemand er- lannte ihn. Man fah auf den Zettel — aber nein unmöglich, das konnte nicht derjelbe fein, der geitern fich, von Furcht und Fieber zerrüttet, ausgehöhlt und abgezehrt, tüdijch verfrümmt, wie ein Franfer böjer alter Affe über die Bühne gefchlichen war! Und jegt dieſer robufte jchwarze Satun mit dem vergnügten roten Geficht und furzen dicken Hals eines maſſiv genießenden Zecherd und Schlemmers, den verſchmitzt begehrlichen Augen und großen gefräßigen Zähnen des Abenteurers, den breiten Schultern und ge- waltſam zugreifenden Händen eines Ningers, eines Tier- bändigers, follte derjelbe fein? Und nun fing er zu ſprechen an, aber das war ja plöglich auch eine ganz andere Stimme, jchmetternd und trompetend, die geftern heifer und wie in Gebeten erſtickt geweſen war; und das war ja auch ein
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ganz anderer Gang, weit ausſchreitend und voll auftretend, wie ein Hahn ftolziert. Und dies erlebten wir num jeden Abend. Zwölf Rollen gab er damals und in jeder ſchien er wieder völlig ein neuer Menſch zu jein, nicht etiwa bloß, wie unfere Schaufpieler tun, in der Maske verändert, jondern anders an Stimme, Haltung, Blid, Gang und Gebärden: als Luigt mit nervos zudenden, bigotten, wie gejalbten Händen, als Petrucchio mit derben und raufluftigen Zäuften, als Lebonnard mit den feinen und zärtlichen Fingern des Uhrmachers, die zerbrechliche Räder und Schrauben zu drehen geübt find; als Petrucchio groß, ſchlank und fehnig, al Goldoni gebeugt, dünn und winzig; als Luigi mit einer belegten und frömmelnden Stimme, als Petrucchio mit einer randalierenden und herrijch befehlenden, als Euclio mit einer Treijchenden und Elirrenden, als Shylod mit einer tiefen, jonoren, furchtjam verhaltenen, die aber in der Wut und dann im Triumph plöglich den großen Ton der tafenden Propheten hat, als Burbero mit einer ganz jpigen, dünnen, ffurrilen, die wie eine Arie tänzelt — jedesmal durchaus verändert, völlig neu, in jeder Rolle ein fom- pletter Menſch für fi. Es ſchien, daß er feine eigene Natur, wenn er die Bühne betritt, ganz abzuftreifen und fich die der Rolle wie eine Haut anzuziehen vermag. Sa ‚noch mehr, denn wir fahen: er ftellt nicht bloß jedesmal eine andere Perſon, ſondern an jeder fogar denjelben Affekt ander dar; fein Shylod ift anders zornig als der Le bonnard, fein Luigt fürchtet fich ander3 als der Euclio, er weint und lacht „im Charakter der Figur“, ja er charaf- terifiert felbft noch durch den Kuß und läßt uns duch | die Art, wie Luigi mit faugenden Lippen fein Amulett,
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der Euclio, wie eine Amme ihr Kind, den Topf mit dem Golde, der Chaponet, beichwipft, Tüftern verſchämt in die Luft küßt, gleich ihr ganzes Weſen erfahren.
Gut, fagte man fi, eine ganz unglaubliche Macht der Verwandlung, wie wir fie noch an feinem Schaujpieler jemals gejehen Hatten, aber eben darin jchließlich doch, jegt Tam das böfe Wort, zu dem man vor ihm floh, doc eigentlich nur ein „Virtuoſe“, von einer viel höheren Art freilich, al „Virtuoſen“ fonft find, unendlich gefteigert, reicher, voller, ftärfer, jo vielfältig und jo weit, daß die anderen neben ihm zu lächerlich armjeligen Pfujchern ver- ſchrumpfen, aber dem Weſen nach doch immer noch ein „Birtwofe*. Denn, wird in unjerer Äſthetik gelehrt, ein Künftler ift nur, wer allein unmittelbar durch feine Natur wirft; Beifpiel: Baumeifter. Wer aber erſt mit dem DVer- ftande die Geftalt, die der Dichter entworfen hat, aus- zufüllen und bis ins Detail durchzudenfen, diefer fremden Figur aber dann jo feinen Körper anzupaffen weiß, daß fie uns an ihm völlig vorgetäufcht erjcheint, der heißt uns ein Virtuoſe; Beiſpiel: etwa Coguelin oder, viel höher, Zacconi. Jener gerät, denfen wir, durch das Wort des Dichters in eine Verzüdung, die fein wahres, fonft ver- borgenes Wefen, was wir eben feine fchaujpieleriiche Natur nennen, aus der Tiefe hebt und fich vor uns entfalten läßt. Diejer ſcheint entweder eine eigene Natur gar nicht zu haben oder feine Kunft iſt e8 eben, fie zuzuhalten und durch die Rolle zu bededen, die er ihr wie Schminke auf- legt. Waren wir nun jo weit und glaubten Novelli unter- gebracht, fo geihah uns aber feltfam: denn plöglich ſchien alles wieder gar nicht zu ftimmen, wir hatten nämlich bei
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diefem Virtuoſen doc) immer ein Gefühl, das uns font nur der Stünftler geben kann. Der Künftler, der auf die Bühne tritt, gibt uns das Gefühl: Wie diefer Menſch hier fteht, dies ift er, er muß es fein, er lann gar fein anderer werben. Der Pirtuofe gibt und das Gefühl: Wir wiflen ganz genau, daß diejer Menjch anders ift, ala er ſich zeigt, und dies macht gerade den merfwürdigen Reiz feiner Erſcheinung aus, die ung einmal erleben läßt, wie fich der Menſch verftellen kann. Bei Novelli aber, wie er ſich verwandeln mag, ſchwören wir doch immer auf jede Ge— ftalt, Wir fönnen uns gar nicht denfen, daß es möglid wäre, ihn jemal3 anders zu jehen. Jeden Blid, jeden Ton jeden Schritt empfinden wir niemals bloß als einen Aus- drud feiner Rolle, jondern als den legten und vollkommenen Ausdrud einer Natur, die vor uns, durd) das Spiel be täubt, entrüct und in einen faft nachtwandlerijchen Zuftand, geradezu in eine Halluzination, in „Trance“ (wie man ed bei den Medien nennt) geratend, mehr verrät, als fie wach ſelbſt von fich weiß. Bet feinem Petrucchio, wie bei jeinem Zuigi, wie bei feinem Burbero, immer jagt ınan fich jedes— mal: Dies ift eben einer jener wunderbaren Zufälle, wo fi die Rolle eines Schaufpielers jo mit feinem Weſen dedt, daß er fich nur zu geben braucht, wie er ift, um mit aller Gewalt des Lebens jelbft auf uns zu wirfen. Fragt man ſich aber dann, wie derjelbe Menſch zugleich drei ſolche Menſchen, ja fieben, zehn, Hundert fein kann, nicht bloß fie fpielen oder fcheinen, jondern fie bis zur hochſten Evidenz für uns fein, jo erjchredt man fait, denn dies reicht in den Abgrund aller Geheimnifje unjerer menjchlichen, ja vielleicht der ganzen Natur hinab. Es
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wäre nämlich nicht möglich, würde feine Verwandlung, wie bei den Virtuojen, durch den Verftand und bewußt ge— ſchehen. Sie gejchieht jedoch offenbar inftinktiv, fie wird nicht „gemacht“, fie ift feine Verftellung, ſondern eine wahre „Umwandlung vom Grunde aus, eine Tranzfiguration“ (das Wort ift von Mar Marterfteig, der über dies eigent- liche Problem des Schaufpielers ein ſehr geicheites Buch gejchrieben Hat). Das verfteht man nun erſt ganz, wenn man Novelli leben zufieht. Er hat mich einmal durch den alten Ort zur Feftung der Malatefta, in die Kathedrale und nad; dem prächtigen neuen Theater geführt; einmal find wir auch, zufammen in einer kleinen Ausftellung geweſen, um ein paar moderne Bilder anzujehen. Da konnte ich feine „Transfiguration* am hellen Tage erfahren. Wenn er nämlich etwas Schönes erblict, fteht er erſt eine Weile genießend ftill, mit langen und gierigen Bliden, welche die Schönheit gleichjam auszutrinfen und in fich einzujaugen jcheinen, jpähend und fehnuppernd, während fein großes Geficht ganz ernft und faft furchtiam wird. Dann fängt er plötzlich haftig zu ſprechen an und ftößt viele Worte der Beſchreibung, der Bewunderung aus, indem er gern dabei das fchöne Ding mit zärtlichen Händen ftreichelt oder ftreift, Während nun dies gejchieht, ſcheint allmählich das Wejen oder ber Geift der jchönen Sache langſam in feinen Körper einzufließen, er zittert ein wenig, feine Stimme biegt fich um, das Geficht, die Bewegungen der Hände, allmählich der ganze Leib verändern fi, er nimmt die Schönheit an und wird ihr gleich, die er eben bewundernd befchreibt. Er Tann eine Sache nicht genießen, wenn er fi ihr nicht affimiliert. Oder man jagt ihm irgend einen Namen, etwa
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das ift das Merkwürdige. Er ift es nämlich jegt gar nicht mehr, den wir fehen, jondern unfer eigenes Bild von ihm, das unfere Phantafie, durch jene jchauerlichen Töne aufgeheßt, fo grauenhaft macht, ald es in der Wirklichkeit niemals fein fann. Dies einmal gewahr, habe ih ihm nun wieder im Gejpräche zugejehen. Ich jagte wieder: Malatefta. Und nun fand ich, dab feine Verwandlung eine ganz eigene ift, nämlich: des ganzen Körpers nicht in eine Perjon, jondern in einen einzigen Bug. Dies fcheint fo zu gehen: Er hört einen Namen, aljo Malatefta, er hat dadurch bei jich eine Viſion, nun ift e8 aber nicht diefe, nach welcher er feinen Leib umformt, fondern er nimmt von ihr nur einen einzigen Bug, den, der alle anderen enthält, den wejentlichen, den fuggeftiven Zug an, und indem er diejen, ihn allein, zun höchſten Ausdrude bringt, bin ich es nun, der Hörer, der, davon Hypnotifiert, aus Eigenem die anderen fchaffen muß und endlich auch zu fehen, zu hören glaubt, was mir gar nicht gezeigt oder gejagt, jondern nur in meiner Einbildung, wohl durch „Aſſoziation“, wie das die Pfychologen nennen, erregt worden ift. So ift er nicht bloß das befte Medium, das jemals auf einer Bühne erjchien, jedem leifen Drude des Dichter3 fo bereit, daß er immer gleich zur Figur jeder Stimmung wird, fondern er ift auch noch ein ungeheurer Hypnotiſeur, der uns zwingt, feine Figur aus uns ſelbſt dann noch zu vollenden. Beides zujammen, jene geſchmei— dige Bildfamfeit und dieje betäubende Kraft, macht erft den namenlofen Zauber aus, den er, einem großen unbefann- ten Dämon gleich, über die felig und entjegt erjchauernde Menſchheit Hat.
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morgen rauh und Heulend, feine Hände Heute fein und zärtlich, morgen grob und Ffriegeriich, feine Augen Heute gütig und treu, morgen falſch und graufam finden, fo Tönnen fie es doch nicht wirklich werden, wir wiljen, daß fie e8 nur fcheinen. Wie fich fein Körper verändern mag, er bleibt fein Körper. Wie kommt es nun, daß wir dies niemals bemerfen? Freilich, der Schaufpieler gerät in „Zrance*, das ift das Weſen feiner Kunſt, aber eben dies Wefen verlangt von ihm aud, daß er immer nur halb, niemals völlig dahin gerät, weil er doch immer bereit bleiben muß, das Stichwort abzuwarten und auf den Partner zu achten. In diefen Momenten der Bereitichaft und des Hor- chers ift es nun, daß fich die anderen Schaufpieler verraten und aus der Masfe oft plöglich, ängftlich oder ungeduldig, ihr Menſch blickt. Wie kommt es, daß ihm dies niemals geſchieht? Wird vielleicht die Täujchung, der wir erliegen, gar nicht durch ihn allein vollbracht, jondern tun am Ende auch wir felbft an ihr mit? Das ift mir zuerft einmal an jeinem Shylod flar geworden. Im dritten Akt: Jeſſica ift entfliehen, Shylod findet das Haus leer, er ſtürzt hinein, wir ſehen ihn nicht mehr, wir hören ihn nur noch, hören ihn über die Treppe durch die Zimmer fluchen und Hagen, wüten und rafen, jtammeln und fallen, pfauchen und jchnau- ben, ftottern und ftöhnen, knirſchen, röcheln, brüllen, dann ein Etoß, es fällt ein Schrank oder ein Tiſch um, die Tür geht, er erjcheint auf dem Balkon und da, das ganze Publitum fehreit da auf, fährt entfegt zurücd und wehrt ſich unwillfürlich faft erhebend, mit den Händen ab, jo furchtbar fieht fein verzerrtes Antlig aus. Es fieht aber gar nicht jo furchtbar aus, jondern wir jehen es nur jo,
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das ift das Merkwürdige. Er ift es nämlich jet gar nicht mehr, den wir jehen, jondern unjer eigenes Bild von ihm, das umfere Phantafie, durch jene jchauerlichen Töne aufgehett, fo grauenhaft macht, als es in der Wirklichkeit niemals fein fann. Dies einmal gewahr, habe ich ihm „nun wieder im Gejpräche zugejehen. Ich jagte wieder: Malatefta. Und nun fand ich, daß feine Verwandlung eine ganz eigene ift, nämlich: des ganzen Körpers nicht in eine Perjon, jondern in einen einzigen Zug. Dies ſcheint fo zu gehen: Er hört einen Namen, aljo Malatefta, er hat dadurch bei jich eine Vijion, nun ift e8 aber nicht diefe, nach welcher er feinen Leib umformt, fondern er nimmt von ihr nur einen einzigen Bug, den, der alle anderen enthält, den wejentlichen, den fuggeftiven Zug an, und indem er diefen, ihn allein, zum höchiten Ausdrude bringt, bin ich es nun, der Hörer, der, davon hypnotiſiert, aus Cigenem die anderen jchaffen muß und endlich auch zu jehen, zu hören glaubt, was. ınir gar nicht gezeigt oder gejagt, jondern nur in meiner Einbildung, wohl durch „Aſſoziation“, wie das die Piychologen nennen, erregt worden ift. So ift er nicht bloß daS befte Medium, das jemals auf einer Bühne erjchien, jedem leifen Drude des Dichters fo bereit, daß er immer gleich zur Figur jeder Stimmung wird, fondern er ift auch noch ein ungeheurer Hypnotiſeur, der uns zwingt, feine Figur aus uns jelbit dann noch zu vollenden. Beides zujammen, jene gejchmei- dige Bildfamkeit und dieje betäubende Kraft, macht erft den namenlofen Zauber aus, den er, einem großen unbelann- ten Dämon gleich, über die jelig und entjegt erſchauernde Menſchheit Hat.
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L’Istruttoria.
(L’enquöte, Drama in zwei Alten von Henriot. Zum erften Mal aufgeführt dur Noveli im Raimund: Theater am 14. Mat 1903.)
Eine® Tages fommt Roger, der berühmte Parijer Arzt, Spezialift in allen Nervofitäten, zum Direktor An— toine. „Lieber Antoine, Sie müffen mir einen großen Gefallen tun, einer meiner Schüler, ein junger Menjch, hat da, denken ie fich, ein Stück gejchrieben, mir gefällt's, aber ich fenne mich doch in folchen Sachen gar nicht aus, möchten Sie es nicht leſen?“ Antoine nimmt das Heft, tieft e3, ift entzückt, „Meifterwerf* und fo weiter. Roger ſchmunzelt. Es wird aufgeführt und wirkt enorm. Roger ſchmunzelt noch immer. Endlich gejteht er ein, jelbft diejer Henriot zu jein. „Was wollen Sie? Was ift da weiter dabei? Ein Fall von Epilepfiel“
Es ift wirklich nur ein Fall von Epilepfie, techniſch vollfommen vorgetragen. - Der Unterfuchunggrichter einer feinen Stadt begleitet feinen Präfidenten eines Abends ein Stück nad Haufe, trennt fi) dann von ihm und kehrt heim. Am anderen Morgen erfährt er entjegt, daß man den Präfidenten ermordet auf der Straße gefunden hat, ein paar Schritte von feinem Haufe, fat an derjelben Stelle, wo er ihn geftern verlafjen hat. Fieberhaft leitet er fogfeich die Unterjuchung ein. Wer fann der Mörder fein? Er findet Briefe an den Präfidenten, welche beweiien, daß der Ermorderte mit der Frau eines Kommis unerlaubt verkehrt hat. Sie zeigen au, das der Kommis, Durch ihre Ausgaben argwöhniſch geworden, ihr eiferfüchtig nach-
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geforjcht Hat, und ein Verhör der Nachbarn, der Dienit- boten ergibt, daß in der legten Zeit heftige Szenen zwijchen den Gatten gewöhnlich geweien find; erſt geftern abends noch ſei der Mann nad) einem furchtbaren Tumult wütend fortgerannt. Es fcheint aljo alles zu ftimmen. Der Kommis wird eingebracht, er leugnet zwar, aber bie fragen des Richters, der nicht mehr zweifelt, verwirren ihn fo, daß er wanft und jaft jchon bereit jcheint, den Mord zu geftehen. Aber nun wird die rau vernommen. Sie beteuert feine Unſchuld: er kann e3 nicht getan haben, denn er weiß nichts, er ahnt gar nicht, daß es der Präjident gewejen ift, mit dem jie ihn Hintergangen hat.
Der Vorhang geht wieder auf und wir finden den Nichter nachdenklich. Soll er, darf er dem Mörder von der Untreue der Frau erzählen? Wie aber, wenn er am Ende doch vielleicht unfchuldig ift? Wenn er wirklich von ihrer Schuld noch gar nichts ahnt? Da kommt der Advofat, den die Frau zum Verteidiger des Kommis bejtellt Hat. Er ift nicht müßig gewejen, er Hat felbft auch unterjucht, auf eigene Fauft, und — eö zeigt fich, daß die Sache doch nicht ganz fo Har liegt, als der Richter meint. Man hat nämlich die Leiche an einer Stelle gefunden, die der Prä— fident, nach der Ausfage des Richters, noch mit diejem zuſammen paffiert haben muß. Sollte er fpäter noch ein- mal heimlich umgefehrt und denjelben Weg zurücgegangen fein? Aber damit ſtimmt wieder die Qage der Leiche nicht, Und es ftimmt auch nicht, daß der Mord offenbar mit einem Stode gejchehen ift, während der Kommis nach— weijen Tann, daß er nie einen Stod getragen hat, woran der Richter natürlich gar nicht gedacht Hat, weil er freilich
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die Gewohnheit hat, ſich niemals ohne Stock zu zeigen. Und merkwürdig iſt dem Advokaten auch die Art der Ver⸗ wundung: Ein Mörder fchlägt einmal, zweimal, dreimal zu, bis das Opfer fällt, hier aber ift ſinnlos noch auf die Leiche losgefchlagen worden, wie von einem Wahnfinnigen, der gar nicht mehr weiß, was er tut, jondern in feiner Begierde trunfen ift. Der Nichter ftugt. Dies alles ift jo ſeltſam, daß er fich jetzt wirklich nicht mehr anders zu helfen weiß — er muß dem Kommis die Schuld der Frau ver- raten, um zu jehen, wie dies auf ihn wirfe, und von feinem Geſichte abzulejen, ob er e3 gewußt hat. Der Kommis tommt, feine Frau ftürzt ihm entgegen, um alles zu ge- ſtehen — und nun ift fein Bweifel mehr, daß er nichts gewußt hat: das Entjegen, die Wut, der Schmerz ſprechen zu wahr aus feinem verzerrten Gefichte. Er wird abge- führt, feine Unfchuld ift bewieſen, er ift frei. Aber wer fonft ift der Mörder? Der Staatsanwalt erjcheint mit dem Arzte, dem e8 an der Leiche gewiß geworden ift, daß es nur ein Epileptifer gewejen fein Tann, der in einem Anfalle das Verbrechen verübt hat. Und nun wird es dem Richter allmählich bewußt, daß er ſelbſt diejer Epi- leptifer gewejen jein muß, und indem er fich langjam ent» finnt und es ſich langſam in ihm aufhellt, ſtürzt er in einem neuen Unfalle feiner jchauerlichen Krankheit zufammen und windet fich in wilden Krämpfen.
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Immer glaubt man bei Novelli, jo groß, jo furcht- bar fei er doch noch nie gewejen! Zum dritten Mal ift
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ex jegt hier, jede feiner Bewegungen, jeden Blick jeden Ton glauben wir jchon auswendig zu willen. Und wieder wirft er wie das erite Mal, wieder ftaunen wir betäubt, und fönnen e3 niemals fafjen, wieder erliegen wir feiner ungeheuren Gewalt. Den Inhalt der Iſtruttoria habe ich ja geftern fchon kurz erzählt. Ein Fall von Epilepfie, mit aller Sicherheit und Straft der frangöfiichen Technik vorgetragen. Man male fich aus, wie Novelli die Kriſe ipielt, mit Worten läßt es fich nicht beichreiben. Die Leute fpringen von den Sigen auf, Damen wenden fi) entjegt von der Bühne ab, Hier und dort hört man Frampfhaft aufichluchzen, jo gräßlich tft er anzuiehen. Aber für mein Gefühl ift es fünftlerifch noch weit höher, wie er uns die ganze Geftalt gleich anfangs menſchlich empfinden Läßt. Er fommt herein, ftreng, ruhig, feft, ganz Richter, aber dabei im Grunde offenbar ein herzensguter, liebenswürdiger Menſch. Nun entwidelt er die Gejchichte des Präfidenten, und da ijt es reizend, welche feinen Züge er diefem Metier abgelaujcht hat und wie er und nach und nad; die Freude des Juriften am „ſchönen Fall“, jeine Neigung, alles jo- gleich zu kombinieren, feine Übung, behutſam Beweis auf Beweis, Schluß auf Schluß unmwiederlediglich aufzubauen, aber auch) feine Nechthaberei, die Verblendung, wenn er einmal eine Spur zu haben glaubt, und die Eitelfeit auf feinen untrüglichen pſychologiſchen Scharffinn zeigt, am wunderbarften in der erften. Szene mit dem Berteidiger, wo er die leichte Ironie und Neizbarfeit, die man mand)- mal bei Gericht gegen die unbequemen Advokaten hat, unter feiner ſcharmanten Laune allerliebjt immer wieder hervor- ſchimmern läßt. Dabei ift es merkwürdig, wie wir, während
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wir e3 doch immer nur mit dem Richter zu tun haben, doch unmerflich den ganzen Menſchen erfahren, einen ofien- bar jehr braven und tüchtigen, nur vielleicht etwas über- arbeiteten Menjchen, mit dem fich reizend plaudern läßt und — mit dem wir doch nicht zu nahe befannt werden möchten, nicht bloß amtlich, ſondern auch fonft nicht, weil er un, bei allen guten Manieren und allem Reize jeines ſehr ſympathiſchen Wefens, doch eigentlich, wir wiſſen nicht warum, gleich beinahe ein bißchen unheimlich ift. Er fieht manchmal einen Moment fo feltiam vor fich Bin, manchmal zudt es an feinem Munde, das Geficht wird ftarr und leer, nur einen Moment, es ift gleich wieder vorbei, er lächelt j don wieder, er hat ſchon wieder die Haltung feines Amtes, gemildert durch die guten Formen des Mannes von Welt. Wie er fo num allmählich unferen Verdacht zu erregen, gleich wieder abzulenken, dann wieder anzufachen weiß, wie fi dad Schaufpiel unmerklich verändert, wie er nach und nach, lange bevor er es ſelbſt noch ahnt, für uns zum Angeklagten wird, wie wir immer ſchon alles von jeinem Gefichte abgelefen haben, lange bevor er es ſelbſt noch gewahr wird, wie wir und endlich, des Entjeglichen gewiß, von Furcht gequält, beinahe ſchon fehnen, das Un- abwendbare möge fich doch nur ſchon erfüllen, jo furchtbar unerträglih wird die Pein der Erwartung, dies gehört wieder zum Höchften, das wir jemals im Theater bebend erlitten haben. Ach, unfere Worte find jo kläglich arm und feine Kunft ift fo unbegreiflich groß, unerjchöpflich und namenlos, wie das Leben jelbft! Vortrefflich gab Dlga Giannini die ſchuldige Frau und auch fonft wurde das Stüd bis zur Heinften Role jehr gut geipielt.
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Novelli als Obdipus.
Neulich haben wir gefragt, bei „Pelleas und Meli- ſande“: Wie jpielt man Maeterlinck? Das andere Problem, das der Kunſt des Schaufpielers jest geftellt wird, ift: Wie fpielt man die Griechen? Ihnen geht e& ja wie Jenem. Lejen wir fie, fo fpüren wir fie fehr ftarl. Auf der Bühne verfagen fie. Wir find nämlich, durch Niegfche, Erwin Rohde und Burdhardt, in ein ganz neues Ver- hältnis zum griechtichen Weſen gelommen, der Stil aber, in welchem e8 auf der Bühne erfcheint, ift noch immer der alte. Diefer Stil drüdt die Anſchauung aus, die unfere Väter, aus dem achtzehnten Jahrhundert her, von den Grie- chen hatten. Sie war von den Statuen genommen. Nach ihnen fchufen fie fich ein Vol, ihnen an Würde und Hoher Anmut gleich, ein Volt von Modellen fozufagen, dem nun die Gefinnungen und Empfindungen ungedichtet wurden, in welchen fie beim Anblide der Statuen ſchwelgten; und dieje Suggeftion war von folder Kraft, daß durch fie fogar die Geftalten der tragijhen Dichter zu Statuen wurden. Auch, der Schaufpieler jollte nun aljo einer Statue gleichen, die nur, vom Hauche des Dichters belebt, ſich rhythmiſch zu bewegen und feierlich ihre Linien auszu- fprechen hätte. Sieht man etwa Goethes Regeln für die Schaujpieler durch oder erinnert man fi, wie uns der Weimarer Stil, wie und noch die edle und getragene Art des Emil Devrient gefchildert wird, oder denft man an unſeren Robert, an den jungen Salvini zuräd, jo wird man gewahr, daß dieſe ganze Kunſt eigentlich immer nur auf den Schaufpieler angewandte Plajtif gewejen ift, der An-
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ſchauung unferer Väter gemäß, die das plaftiiche Gefühl auf alles Leben der Griechen übertrug. Wir aber ſehen jegt die Griechen anders. Wir willen, daß fie ein Volk von wilder Leidenfchaft, der höchſten Qual und finnlofen Greueln gewejen find, dem nur gegeben war, zu vergefien und auszuruhen, eben in feiner Plafti. Sogar diefe Sta- tuen wirken jet anders auf uns. Sie ſcheinen und immer etwas von Menjchen zu haben, die als Kinder einmal jehr erſchreckt worden find und immer noch jchlecht träumen und auf eine ſcheue und befangene Art fpielen, tändeln möchten um nur nicht erinnert zu werden. Sie haben etwas von Rekonvaleszenten, die noch nicht ficher find, fich noch nicht trauen und leicht zu weinen anfangen. roh, Heißt es, find fie. Freilich, aber froh wie einer, den man vom Galgen heruntergeholt hätte, der jchon den Tod gefehen bat und jegt erſt weiß, wie das Leben jchön ift, und daß alles, was lebt, jchön ift, ſchon dadurch allein, dab es Iebt! Froh find fie, aber ihre Freude ift rings von Furcht umgeben, von der Furcht vor dem, was war, und wohl auch einer leijen Zurcht vor dem, was noch fein wird. Dazwiſchen gehen oder figen fie und atmen tief und warten. Wenden wir und aber gar von den Statuen zu den vers ruchten Helden der Tragödie hin, jo tut fich erjt die un— geheure Tiefe des griechiichen Wejend auf. Wie hat man es nur je verfennen, von griechijcher Mäßigung und Ruhe ſchwätzen, dieje Banditen für zufrieden ausgeglichene und unbewegliche Pedanten halten können! Wir erbliden ein Volk von namenlojer Haft, gepeinigt durch einen uner- träglichen Stolz, zerfrefien vom Neid, in Laftern und Lüften bis an den Hals, röchelnd vor Gier, jchnaubend von Hermann Bahr, Gloffen. 21
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Hyſterie, nach raſenden Ekſtaſen in ſtarten Ermattungen betäubt, das ſich, um nicht zu explodieren, um nicht zu verichmachten, um fich zu beichwichtigen und zugleich auf- zureizen, als eine jchauerliche Kur feiner verwüfteten Nerven die Tragödie ſchafft. Im der Tragödie tobt ſich die ganze Wildheit, die ganze Berftörung dieſer entjeglichen, ſcham⸗ Iofen, verworrenen, immer von Bifionen einer unerhörten Größe, einer gräßlichen Gewalt zerrütteten, außer Atem ins Unendliche ftürzenden Nation wie in furchtbaren Krämpfen aus. Das wilfen heute num die Philologen noch nicht, die denn auch die einzigen find, welche gelegentlich noch ihre Darftellung im alten Stil ertragen. Uns aber verlangt, endlich die tragifchen Griechen auf der Bühne zu jehen, wie wir fie jegt fennen: im Sturme ihrer ruchloſen Leidenſchaft, blutbeiprigt, zügellos, aufer fich, Raubtiere, die fich (osgeriffen haben. Dafür haben wir ja den Stil. Die Italiener, Novelli und Zacconi, haben ihn gebracht, bei den Franzoſen Antoine, bei ung die Sandrod, in Berlin Reicher (ich denfe an den legten Alt des ‚Vaters“). Man darf ſich nur nicht ängftigen, der „Naturalismus“ paſſe nicht für die Tragödie. Er paßt, denn fie ift nicht gewejen als Naturalismus, in Lyrik getaucht. Für die Lyrik jorgt der Dichter ſchon, der Schaufpieler habe nur den Mut, „Na= turalift“ zu jein. Es gibt fein anderes Mittel, die Gips- figuren des vermeintlich klaſſiſchen Stils ftehen wir nicht mehr aus. Died alles, ich weiß ſchon, wird man rejpeft- 108 finden. Aber vor lauter Reſpelt ift die Tragödie der Alten bei und umgelommen. Schaufpieler, die nach den Philologen fragen und nur immer daran denfen, griechiich edel und voll Hoheit zu fein, werben höchſtens den Tert
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„referieren“. Es ift aber Zeit, daß wir die Tragddie endlich wieder einmal „Ipielen“, und dies jegt mit allen Mitteln unferer neuen Kunſt. In meinem Berichte an die Darm- ftädter Kolonie, den ich über die Reform des Thenter- weſens vor drei Jahren jchrieb (ich habe ihn ſchon neulich einmal zitiert, beim „Kleinen Theater“), fehlug ich für eine Aufführung der geplanten Darmftädter Schule die „Zrachi- nierinnen“ des Sophofles vor uud fagte: „Mein Ber- fahren wäre, zuerft den Schaufpieler den menfchlichen Ge— halt der Tragddie empfinden zu laſſen, unbelümmert um Griechentum, unbefünmert um Berje, wie einen Fall, der gejtern gefchehen ift, wie wenn es fi) um ein modernes Stüd handeln würde; der Deiancira aljo zu jagen: Du bift eine Frau, die ihren Mann Liebt, feit Jahren Haft du ihn entbehrt, nun kommt er heim und bringt feine Geliebte mit, du wirft eiferfüchtig, wehrft dich vergeblich gegen deine Leidenfchaft, tdteft den, den du dir zu retten glaubft, und fühnft es mit deinem eigenen Tode — aljo der Reihe nach Trauer, wiedererwachende Hoffnung, Freude, Verdacht, Un- tube, Heftigfeit, Verzweiflung, Neue, tragifche Ergebung, dus fpiele, als ob du die Kameliendame zu fpielen hätteft, unbefümmert um Griechen, unbefümmert um Verſe; oder dein Herakles zu jagen: Du bift vergiftet und ftirbft am Gifte, wie etwa Bacconi in der Morte civile.“ Dies tft nun genau, was Novelli tut. Er macht fich unbefangen an den Debipus, nicht als Grammatiker, um rhythmiſche oder plaftifche Wirkungen unbeforgt, nur mit feiner Kunft allein, al3 der große Schaufpieler, der aus fich ſchafft, wo⸗ von der Dichter redet. Das Thema des Oedipus ift der Neid der Götter. Je Höher ein jchuldlofer Menich in 2ı* 5
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feiner Kraft ftrebt, defto Liftiger verderben ihn Die Götter, in ihrer Furcht, die Menfchen könnten fich vermefjen, ihnen | zu gleichen. Dies jollen wir fühlen, daß der Fluch ber Götter auf allen Edlen ruht. Der Schaufpieler hat alio herauszubringen: Erſtens die Macht und Herrlichkeit dieſes Oedipus, es muß der erfte, der höchfte aller Menſchen fein, an dem der Frevel der Götter gejchieht; und zweitens feine völlige Vernichtung und Zerftörung, auf den beften Dann muß der größte Zorn fallen. Der Dichter gibt es deutlich an: “0 não zAsıvogı Oldinovg xalovuuvos, jagt Dedipus von fich ſelbſt: ich Dedipus, der ich von allen erlaudt genannt werde; und die Greiſe nennen ihn „den erften aller Männer, allen Wechjeln des Lebens gewachſen und im Verfehr mit den Göttern feit“. (Werd 8 und 33.) Alle ſchauen zu ihm empor (Vers 42), er hat die Sphim bezwungen, er bat die Stadt befreit, er ift der Retter, der Erlöfer, der Helfer (Werd 48 und 136), ihm trauen fie zu, alles zu wagen, alles zu fönnen, er ift der ftolgefte, der berrlichite in der ganzen Stadt (Werd 1380). Aber num fenden die Götter ihren Fluch und nun follen wir ein Elend fchauen wie e8 an feinem Menſchen noch gejchehen iſt. Tüpc yüp xaxà oddel; olig ze nahm duov pbpsıw Boorar, fchreit der Geblendete auf („Mein Leid zu tragen bin ich allein unter allen Sterblichen imftande“), der echte Grieche, der, wenn alle Eitelfeiten fonft verfagen, wenigitens noch mit jeiner Schmach prahlt. Und: „Was follten mir die Augen noch? Es gibt nichts Süßes mehr für mid zu ſehen“ (Ver 1415 und 1334; und ebenfo im der ganzen ſchauerlichen Klage 1369 bis 1423). Das ganze tft wie ein Duell zwifchen dem Menſchen und den Göttern.
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Se ſtärker er uns und je gräßlicher feine Not gezeigt wird, deſto mächtiger fühlen wir fie triumphieren.
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mgoo&xuge' Fön — „ein Anblick, entjeglicher, ald ich jemals einen gehabt“ (Qer3 1296), auf diejes Gefühl eines ungeheuren, namen- lojen Grauens drängt die ganze Handlung hin. Diejen Kontraft arbeitet Novelli mit jeiner furchtbaren Energie prachtvoll heraus. Er erfcheint, einem verwilderten Zeus gleich, das mächtige Haupt wie von Schlangen umringt, mit jähen Blicken, drohender Stimme, zügelloſem Wejen, jo groß und fo wild, daß wir ihm über aller Gefahr empfinden, ein Räuber, ein Abenteurer, ein Eroberer, der aber, wenn ihm gehorcht wird, auch gütig und väterlich fein Tann; ja, mit Sofaften allein, jogar etwas Unfchuldiges, Welifremdes, fast Tindlich Unerfahrenes hat, wie jehr ſtarke und leicht zornige Menfchen oft, doch freilich auch das tajche Miftrauen, das ihnen aus vielen Enttäufchungen zugewachſen ift. Aber nun reißen die Götter den Mächtigen ein. Er wehrt ſich wie ein wildes Tier, er ringt gegen dad Schidjal, immer noch richtet er fich wieder in jener Hybris auf und wenn er zum Himmel fchreit: O Giove, che vuoi tu ordinarmi?, klingt noch einmal fein ganzer Trog wie eine Kriegstrompete empor. Und als es ſich nun unabwendbar erfüllt, Jokaſte ftirbt und er, geblendet, triefend von Blut und wie von innen heraus ganz aufs geiprengt, an der Säule lehnt, mit den langen rauhen Armen taftend, leije wimmernd, in feiner gräßlichen Ver— wüftung einem vom Sreuze genommenen Leichname gleich,
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da fagen wir uns, verftört, in allen Tiefen aufge- wählt, fchaudernd: „ein Anblid, entjeglicher, als ich je- mals einen gehabt!" Und nun erinnert er fich noch ein- mal, jein ganzes Leben taucht wieder auf und wie er jegt ftöhnt, von ruchlofen Viſionen gepeinigt: Funeste notte sceleraste, wie er dann, zum Bettler geworden, vor Kreon niederfniet und flehentlich feine Hand füht, wie er nur noch leije röcheln kann, ald man ihn die Kinder nimmt und den Stab reicht, an welchem er aus der Stadt want, dies alles ift fo grauenhaft fchön, daß man ein paar Minuten no ftumm und wie gelähmt figt. Dann aber bricht ein NRafen aus und er muß immer wieder, immer wieder vor die Tobenden heraus.
Corrado. (16. Rai 1903.)
Novelli gab geftern den Corrado in der „Morte civile“, den wir zulegt von Zacconi gejehen haben. Es reizt mic) ſchon lange, die beiden einmal zu vergleichen und ihre Kräfte abzuwägen. Natürlich fällt mir nicht ein, einen gegen den anderen auszufpielen. Sch erinnere mich noch, wie hübjch es von Zacconi war, alle Bewunderungen feiner Wiener Schwärmer immer lächelnd mit derfelben Wendung abzutun: „Sie kennen eben hier Novellt noch nicht!“ Und ich weiß, mit welcher Freude Novelli, faft zärtlich, von Bacconi zu fprechen pflegt. Sie find ja auch beide jo groß, daß fie es fich erlauben dürfen, neidlos zu jein. So mag denn einmal der eine am anderen gemefjen werden. Zunãchſt verblüffen beide durch diefelbe Gewalt über ihren
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Körper. Jeder Gedanke, jedes Gefühl, jede huſchende Laune fogar wird fogleich an ihnen fichtbar und auf jeden leijen Druck ihres Willens gehorchen Augen, Lippen, Hände, Füße, alle Musfeln fogleih. Dadurch find fie fähig, auch Zuftände darzuftellen, an welche fich früher die Kunſt des Schaufpielers nicht wagen Tonnte, Zudungen oder Krämpfe geiſtig verftörter, Törperlich gebrochener Menfchen, Delirien und Kriſen, die man vorher kaum angedeutet hatte, wie denn etwa der Wahnfinn, der auf dem Theater allmählich ſchon eine ganz ausdrudslofe und fehr Langweilige Poſe geworden war, eigentlich von ihnen erſt ſchauſpieleriſch ent- deckt worden ift. Darum brauchen fie auch, um zu wirken, gar nicht erft das Wort, durch welches im deutſchen Schau- fpieler meiften® die begleitende Gebärde erſt ausgelöſt wird; ihre Gebärde begleitet nicht bloß, fie wirft unmittelbar, fie drüdt mehr aus, als das Wort ausdrüden Tann, fie be— ginnt, bevor das Wort noch Zeit hat, ſich zu formen, fie ipielt noch fort, wenn das Wort ſchon wieder verftummt ift. Gehen wir num aber jenermerfwürdigen Gewalt über den Korper nach, fo werden wir fie bei beiden aus einer ungeheuren geiftigen Energie erflären müfjen, die nur, in der Wirkung bei beiden gleich, doch im Weſen offenbar bei jedem anders ift. Bacconi hat die Energie leidender, ſeht nerodfer und erfchöpfter Menjchen, die fozufagen nur in Anfällen leben und ihre hellen Stunden der Erregung mit furchtbaren Ermattungen zu bezahlen haben. Novelli hat die Energie de3 Starken, der Tumult und Sturm braucht, um feine Gejundheit zu entladen, um ſich auszuturnen, um nicht zu berften. Noch in einem anderen Zuge gleichen fie fich und find doch anders. Sie wirken beide durch die
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große Güte, die wir in allen ihren Geftalten fpüren. Ich Tann mir denken, daß ein Schaufpieler, mit ganz derfelben Gewalt über den Körper, mit ganz derjelben unheim- lichen Technik, mit ganz derielben Verwegenheit, irgend eine Xergiftung oder einen Krampf, eine Hyſterie oder Epilepfie ganz ebenfo fpielen und uns vielleicht dennoch Kalt lafjen fünnte. Cie aber haben uns die Geftalt, die das Unheil trifft, immer vorher ſchon fo lieb gemacht, daß wir wie mit einem freunde leiden. Es graut uns nicht bloß vor dem Entjeglichen, fondern weil es an einem Menjchen geichieht, den wir gern haben. Wir haben den Oswald Bacconis, wir haben Novellis Shylod, ſogar feinen Luigi gern, weil wir an allen diejen Geftalten fpüren, daß fie gute Menfchen find; fogar der ſcheußliche Luigi verrät ung, daß feine Tücke, feine Gier auch wieder nur enttäufchte, gefränfte und dadurch wild uud rachfüchtig gewordene Güte tft. Aber die Güte, auf welcher die Kunft Novellis ruft, ift doch wejentlich anders als die Zacconis. Ich denke mir oft, wie Nietzſche fich über Novelli gefreut hätte, weil er dann vielleicht feinen Zarathuſtra noch anders gefehen und erfannt hätte, daß es eine Kraft gibt, die gar nicht mehr nötig hat, Hart und graufam zu fein, jondern fich fo ficher und verwahrt fühlt, daß fie es wagen darf, zärtlich und milde zu fein, ohne Gefahr, fich zu verlieren und gemein zu werden. Zacconis Güte aber hätte Niegfche wohl ge- haßt: denn fie ift zufegt nur Angft, die Angft, die ſchwache und atemlofe Menjchen haben, welchen das Leben wehe tut, weil e8 ihnen zu groß und zu jchön und zu wild ift, weil e8 fie nur erſt recht fühlen läßt, wie verzagt und matt und erbärmlich fie find, weil fie es nicht bändigen,
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nicht beherrfchen fönnen. Aber nun ift noch etwas zur jagen. Beide gleichen ſich auch darin, daß fie uns in jeder Rolle einen ganz bejonderen einzelnen Menfchen zeigen. Nehmen wir etwa Zacconi in den „Disonesti“ oder No» velli gleich neulich in der „Istruttoria*. Dort erfährt ein braver Mann die Schande jeiner Frau, hier wird ein Nichter epileptiſch, das ift vom Autor gegeben, mehr nicht, und der Schaufpieler genügt, wenn er nur dort die Brav— heit eines Mannes und feine Verzweiflung, hier den Ton des Richters und die Art der Epilepfie trifft. Nun kann aber der brave Mann und der epileptijche Richter ſonſt entweder luftig oder mürriſch, hochfahrend oder bejcheiden, gutmütig oder eitel fein. Das hat mit der Rolle nichts zu tun, der Autor jagt e8 uns nicht, aber Zacconi und Novelli jagen es und. Sie Haben die hohe Stunft, uns nicht bloß die Abenteuer eines Menfchen und jeine Affekte darin, fondern auch den Menfchen ſelbſt vorzuführen, wie wir etiwa im Leben, wenn wir einen Zornigen jehen, nicht bloß feinen Born gewahren, fondern auch ſchon vermuten werden, was er ſonſt jein mag; iſt es auch im Moment vom Zorne bededt, jo fühlen wir e8 doch dur. In der Rolle des Oswald hat Zaccont fogar noch mehr: Hier läßt er und nicht bloß eine Krankheit und nicht bloß den ganzen Menfchen, der frank ift, fehen, ſondern plöglich, im zweiten Aft, wenn Oswald von Paris erzählt, fteht auch jeine ganze Vergangenheit vor uns auf, wir willen jegt auch, wie er früher geweſen ift, wir fennen ihn durch und durch, wie einen nahen Freund, mit dem wir feit Jahren gelebt hätten. Novelli hat das immer. Wir bilden uns ein, dabei geweſen zu fein, als Dedipus den Laios er-
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ſchlug, wir find mit feinem Petrucchio von Verona auf Abenteuer audgezogen, wir haben den jungen Luigi gefannt, bevor er noch argwöhniih und einjam und tüdiich ge- worden ift. Je vertrauter ich mit Novelli werde, je näher ich an fein Wefen bringe, je mehr ich über ihn nachfinne, defto wunderbarer wird mir dieje geheimnisvolle Kraft, und mehr noch faft ald in den großen Szenen der wilden Aus- brüche, wenn die Leute vor Begeifterung rafen, fühle ich jegt in den ftillen und ruhigen der Iangjamen Entfaltung, wenn nach und nach der Menſch jeiner Rolle jo diaphan wird, daß uns plöglich jeine ganze Vergangenheit und alle Bufunft enthüllt ift. Dies ift auch an feinem Corrado wieber fo merkwürdig. Ein guter Menſch, aber finnlos, wenn er gereizt wird, fchildert ihn der Autor, cuore bu- ono, ma il sangue! Aber wir jehen ihn ja erft als ent- fprungenen Sträfling, verwildert und vertiert durch dreizehn Jahre harter Einſamkeit im Kerler. Wie nun Novelli von diefer Erſcheinung aus zugleich vor⸗ und zurädipielt, ſchon manchmal, wenn er fich in der unerträglichen Pein erregt, den Tod, den er ſchon im Herzen hat, über jein Antlig fchleichen, aber dann wieder, wenn er fic) erinnert und von alten Zeiten erzählt, plöglich den friichen unbejonnenen jungen Maler von damals auftauchen läßt, bis wir fo fein ganzes Leben in allen Falten erfahren haben, darin ift er fo völlig anders als alle und ijt ganz neu und iſt ein Anfang, der Anfang einer Schaujpielfunft, welche vor ihm noch gar nicht geahnt worden ift. Bemerkt ſei noch, daß fein Corrado an einem Herzihlag ftirbt, während der Bacconis Gift nahm, und daß Olga Giannini, Herr Pia- monti und Herr Roſa ihm vortrefflich fefundieren.
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Die Dufe. (Als Gaft im Carl-Theater vom 31. März bis 8. April 1903.)
Seltſam: die Dufe gilt überall, von Rußland bis nach Merico, für die größte Schaufpielerin unjerer Zeit und doch ſcheint man gar nicht zu bemerken, was ihre Große ift. Dem Publitum genügt die jtarfe Emotion, es will nur erjchüttert und aufgewählt jein, ohne nach den Mitteln zu fragen. Es hält ſich an den erſten Eindrud, diejen be⸗ wahrt e3 in groben Zügen auf, dabei bleibt es. Es geht ihm mit feinen Lieblingen faft, wie es oft in der Ehe geichteht, daß die Gatten fich nach Fahren immer noch fo ſehen, wie fie damals waren, als fie fich lieben ernten. So fieht es in der Dufe feit zehn Jahren immer noch nur bie leidende Frau, die unter dem rauhen Leben zu- jammenzudt und vor Sehnfucht aufichreit. Daß fie feit- dem eine andere geworben ift und am fich alles burch- gemacht hat, was in diefer Zeit die ganze Kunſt umge» wälzt hat, das jcheint es gar nicht zu ahnen. ch will verjuchen zu zeigen, welche Höhe fie auf einfamen Pfaden erflommen hat.
Sie ift eine figlia dell’ arte, wie man in Italien jagt: ein Thenterfind. Ihr Großvater, Luigi Dufe, war ſchon ein Liebling der Venetianer, bejonder3 in den Rollen des Goldoni berühmt und mit feinem Publikum fo vertraut daß er oft, wenn er nach der Vorftellung, wie es damals noch Sitte war, heraustrat, um anzulündigen, was am nächften Abend gejpielt werden jollte, daß er dann gern von feinen Erlebnifjen erzählte, von irgend einem Aben- teuer, das ihm zugeftoßen war, oder auch von feinen häus-
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lichen Sorgen, wobei er es gelegentlich nicht unterließ, fein Leid zu Hagen und die guten Leute anzupumpen. Seine Söhne, einer feiner Brüder, feine Enkel und Neffen gingen alle zum Theater, und Luigi Raſi, der in feinem ange- nehmen Buche über die Dufe*) den Stammbaum der Familie verzeichnet hat, zählt ſechsundzwanzig auf, die fich alle auf der Bühne herumgetrieben haben. Unfere Eleonora ift die Tochter des Aleffandro Dufe und einer Angelica Cappeletto von Vicenza. Aleſſandro war primo attore, er fcheint fich aber als Schaufpieler nicht recht wohl ge— fühlt zu haben, jondern hatte einen Hang zur Malerei, die er in jeder freien Stunde leidenfchaftlich tried. Es begab fich, dab das Kind in einem vergoldeten Käſtchen mit gläjernen Wänden zur Taufe getragen wurde, und als der Aug an einem Poften vorbeifam, meinten die diter- reichijchen Soldaten, es müffe in diefem Tabernafel etwas ſeht Koſtbares enthalten fein, und traten ins Gewehr und präjentierten. Auf den Vater, der überhaupt ein verfonnener und jchwärmerifcher Mann geweſen fein muß, wirkte dies fehr; er rannte felig zur Wöchnerin heim und jagt ihr: Ich kann dir ja leider nichts geben für die Tochter, die du mir gejchenft haft, aber höre, was für ein gutes Vor- zeichen wir eben gejehen haben, nostra figlia sara qual- cheduna: le si son già presentate le armi.
Mit vier Jahren debütierte die Kleine, und an ihrem vierzehnten Geburtätage gab fie, es war in Verona, zum erften Mal die Julia. Sie war aber durchaus fein Wunder- find; fie machte ihre Sache ganz gut, gab fich alle Mühe,
*) Firenze. R. Bomporad & Figlio. 1901.
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ſchien aber, jei e8 durch das Gefühl ihrer Armut, ſei es durch einen tiefen Efel vor dem Leben, wie ihn fränfelnde Kinder oft haben, jo bedrücdt und verfünmert, daß man, wenn fie ihre Rollen jo träge, halb im Schlafe und wie verftört zu murmeln begann, nur Mitleid mit ihr haben fonnte. Sie hatte auch nicht die Gabe, die Menjchen an- zuziehen. Sie muß trogig und ftörrifch gewejen fein, und am liebften war fie mit alten Statuen allein, die fie ftundenlang betrachten und, geheimnisvoll gebannt, ihre Haltung, ihre Gebärden verzückt nachahmen konnte. Das blieb jo bis 1879. Da fam fie mit einer Truppe nach Neapel, „Iherefe Raquin“ wurde gegeben, die Pezzana gab die Alte, fie die Therefe, mit ſolchem Erfolge, daß am anderen Tage ihr Name über ganz Italien flog. Einen Monat ſpäter war fie prima attrice assoluta bei Cejare Roffi, der damals mit feiner Truppe gerade nach Turin ging. Er Hatte faum zu jpielen begonnen, da kam die Bernhardt in der Stadt an. Behutſam und zur Tapferkeit nicht geneigt, wie ſchon Direktoren find, meinte Roſſi, da es nun doc einmal nicht möglich, die göttliche Sarah zu ichlagen, fet es klug, Vergleichen auszumeichen und lieber nur beitere Sachen zu geben, jeine prima attrice aber einftweilen im Schatten zu lafjen. Da bäumte fie fi auf: Nein, fie jollten nur vergleichen, fie hatte nicht? zu fürchten — ci sono anch’ io! Ich bin auch da, fie werden es ſchon fehen! Und fie beftand darauf, fich mit der Fremden mefjen zu dürfen, und dies in eben der Rolle, die der größte Triumph der Bernhardt war, als Prinzefjin von Bagdad. Und fie gab nicht nad, den unentjchloffenen Manager zu bedrängen, fie fegte e3 durch. Und an diefem
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Abend ſchrie man durch die Stadt: c’ & anche lei, es gibt noch eine neben der Bernhardt! Und Heute weiß man e3 überall: c’ & anche lei.
Der Erfolg war ungeheuer. Es verging fein Jaht, erzählt Raſi, und ganz Italien war von Meinen Dufen belagert, die fich den Kopf fragten, in die Finger bifien, fi wanden, wanften und quieften Man ahmte nicht nur ihr Weſen nad, fondern mehr noch ihre Perfon, da man jah, daß es gar nicht fo jehr ihre Kunſt war, der die Menſchen betört erlagen, als dieſe gewaljam aus- brechende Natur von einer jo hohen, neuen und doch gleich allen fo wunderbar vertrauten Art, daß es wirklich jchien, die Menſchen hätten immer ſchon von ihr geträumt und in banger Sehnfucht nach ihr gerungen: nicht irgend eine bejondere Schaufpielerin, fondern die neue Frau war er- ſchienen. Als der gute dicke alte Onkel Sarcey fie 1892 in Wien jah, beutelte er fich verwundert und meinte bann: Une petite femme de race, mais qui n’a pas d’&cole. Das traf nun freifich nicht zu: Schule hatte fie ſchon, fie verftand alle Kniffe des Metierd, es lohnte fich ihr nur gar nicht, fie fpielte mit ihnen bloß, bis fie erft in die Stimmung fam, dann warf fie alles ab und riß fich jelbft auf. Aber Sarcey fühlte eben doch durch, dak Hier kaum noch von Kunft zu reden, fondern daß dies die Wirkung einer furchtbar großen Natur war, wie eines Elements, eine Gewitters, eines Qulfans. Gerhart Hauptmann hat von ihr gejagt: Sie fpielt wie jemand der fich ganz un- beachtet glaubt. Man müßte vielleicht noch hinzufügen: der ſelbſt auf fich nicht mehr achtet, der außer fich iſt, der nichts mehr beherrſcht, fondern, fich ſelbſt entrückt, über-
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wältigt von losgeriſſenen Trieben, dampfend innere Gewalten ausſpeit, vor welchen er jelbit in den Tod erjchroden und wie betäubt if. So war fie damald. Man hatte gar nicht dad Gefühl, irgend eine Geftalt der Kunft zu fehen, ſondern eine entjeglich leidende, zerquälte und vor Schmerz ſinnlos gewordene Frau ftieß auf der Folter Schreie einer Wut und Not aus, die jonft die Sitte, die Scham, die Achtung vor fich ſelbſt auch in der legten Leidenichaft noch gewaltfam erftidt. Man mochte unwillkürlich an Aurelien im Meiſter denten, der Serlo, über die „Entblößung ihre innerften Herzens vor dem Publikum“ erboft, nach⸗ jagt, „fie werde noch eheſtens ganz nadt auf das Theater treten“.
So war fie damald. So war fie noch, als ich fie 1891 in Petersburg fah und in einem Taumel der Ver- züdung, der mich heute noch in der Erinnerung wunderbar ergreift, ihren Ruhm nach Deutfchland ſchrie. So war fie, als fie 1892 zum erften Mal in Wien erſchien. Indem & ihr gelang, die ganze Hölle ihrer Leidenjchaften in einen wilden Moment zu preffen und diefen, jo wie fie ihn em⸗ pfand, noch glühend, noch rauchend, mit aller Lava heraus- zuſchleudern, konnte fie einen Furor des Ausdrudes und eine Macht über unfere Sinne, unfere Nerven erreichen, die das Theater vor ihr niemals gefannt hat. Und die Jahre vergingen, und fie kam wieder. Indeſſen war es unter den neuen Künftfern unruhig und ängftlich geworden. Sie trauen der &motion forte nicht mehr, der fie fich jugend⸗ lich ſtürmiſch Hingeworfen Hatten; die Begeifterung für die sensation rare fühlte fih ab. Und in allen wahrhaft. Wollenden unſerer Generation begann ſich leiſe wieder zu
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zegen, was Niegjche „die Treue gegen die Vorzeit“ genannt Hat: „das Wohlgefühl des Baumes an feinen Wurzeln, das Glück, ſich nicht ganz willkürlich und zufällig zu wiffen, fondern aus einer Vergangenheit als Exbe, Blüte und Frucht herauszuwachſen und dadurch in jeiner Exiſtenz entſchuldigt, ja gerechtfertigt zu werden.“ Das Heimmeh nad) der Tradition der großen Kunft, die Sehnjucht nad dem Stil begann. Um dieſe Zeit jahen wir fie plöglih feltfam beffommen, faft verftört, enttäufcht, bange, matt, faft an fich irre werden; fie ſchien unter ihrer Routine wie unter einem Kreuz zu feuchen und fat umzufinfen; es hieß, fie fei Trank: fie hatte angefangen, ein Höheres zu ahnen, eine Kunft, die über dem Hauch der Leidenfchaften ſchwebt, die nicht mehr nur betäuben und betören will, die dad Maß und die Form, die Freude an einer fchönen Gleichheit des Gemütes und die Gnade der inneren Samm-— lung gefunden hat. Es genügte ihr num nicht mehr, in Eruptionen zu leben. Incominciavo già a scolpirmi, jagt fie im Zuoco: fie fing an, fich zu meißeln. Mit ihr geſchah, was Goethen in Italien geichehen ift: das Ge heimnis der Form ging ihr auf, fie drang zum Stil durd). Aber die Form, der Stil find nicht, wie die Schulmeifter glauben, von den alten Meiftern abzulernen, fie liegen tief in uns feldft, aus uns müſſen wir fie heben. Schiller fchrieb einmal, er bewundere an der Natalie jo ſehr, daß fie „die Liebe als einen Affekt, als etwas Ausſchließendes und Beſonderes gar nicht fennt, weil die Liebe ihre Natur, ihr permanenter Charakter iſt.“ Darin ijt eigentlich alles, was wir Kultur nennen. Die Duſe hat die Straft gehabt, ſich den feligen Moment der Verzüdung, der Efftaje, der
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Gnade oder wie man es immer nennen mag, wenn eine Erregung den Menſchen über fich Hinaus und zur reinen Anſchauung fortreißt, jo anzueignen, daß es ihr gelang, feinen „Affelt“ in ihren „permanenten Charakter” zu ver- wandeln und fich die Helligkeit, die Wonne, die Freiheit der erhabenen Stunden zur anderen Natur zu machen. Früher hat fie vor Schmerz aufgejchrieen, jegt ift aller Schmerz zur Güte abgeklärt, aus einer Furie des Leidens bat fie fich zur Statue des Erbarmens gemacht. Die wilden Töne find erlofchen, der Tumult verftummt; fie hat jet die ſanfte Ruhe der Meifter und die einfachiten Mittel genügen ihr jegt: ein Schatten auf der weißen Stirn, ein Zuden oder Hufchen um den Mund, eine ganz leife fließende Flexion in der füheften Stimme. Dieſe unfäglich ſchamhafte und ftille Kunft ruht wie ein fpiegeln- der Teich mit Nenupharen im Monde, fo rein und von äiner ſolchen limpidezza, daß das Schaufpiel zur Andacht wird, die ung erfühlen läßt, wie Schönheit doch durch ihre bloße Exiſtenz ſchon ein Glüd ift, das einzige Glüd, für daß zu leben fich verlohnt.
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1. April 1903.
Jetzt kommen unfere großen Feiertage der Kunſt: die Qufe ift wieder da. Sie gab geftern die blinde Anna in der „Cittä morta“. Man Tennt diefe unvergleichliche Ge— ftaft der Güte, die, mit ihrer Silvia und der Francesca, wohl zu den höchſten Gejchenfen der Schönheit gehört. Man hat fie oft gejehen, man hegt fie dankbar im
Hermann Badr, Bloffen. 22
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Gedächtnis, man ruft fie fi an langen ſtillen Abenden in der Furcht bes Winterd gern wie einen reinen Geiſt des Troftes herbei, und doch, wie vertraut man mit ihr fei, fie ift immer wieder feltfam neu, ift immer wieder ein Ereignis, das erjchüttert und befreit, wie am erjten Tage. In ihr fließen die Wirkungen aller Künſte zujammen. Wenn fie, blind, doch alles wifjend — sei cieca e nulla t' & ignoto — in die glühende Ebene ftarrt oder wenn fie mit Horchendem Finger die Wange der janften Bianca Maria jtreift oder wenn fie, von Erbarmen bebend, Er« barmen mit fich jelbft und allen, den bangen Fuß nad) der Heinen toten Lerche auf dem Boden lenkt, immer jcheint fie aus einem alten Relief zu treten, von ſolcher Hoheit, von ſolchem Wohllaut find ihre Gebärden. Aber aus ihren füß tönenden, leife klagenden Worten ftrömt eine heiße Kraft, ein betäubender Zauber hervor, wie von einem Gefange vieler Stimmen in der Ferne. Und indem fie ganz ftill bleibt, ſich kaum regt, kaum leife jeufzt, nur Linie und nur Klang, gleiten über das weiße Geſicht die Leiden ihrer Seele mit ſolcher Macht, daß es zur magiſchen Bühne zu werden ſcheint. Und auf allem ruht die tiefe Andacht jener ſchweigend gewordenen Kunft, die ihre Zauber⸗ ftäbe zerbrochen hat, wie der gütige Projpero tat, die Feine äußeren Mittel mehr braucht, die rein aus fich jelbft wirkt, und man verfteht das Wort der Schrift, daB der Herr nicht im Sturme und nicht im Erdbeben und nicht im Feuer war, aber nach dem Feuer fam ein ftilles fanftes Saufen, und darin war der Her! ... Seltſam ift auch wie wir uns doch an das viel heſchollem Stück gewöhnt haben. Gott, wie gräßlich dumm iſt doch einſt darüber
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geredet und gefchrieben worden! Und fiehe, es behauptet immer noch feine Gewalt ber prunfenden Worte. Goethe hat recht, der einmal an Reinhard fchrieb: Wenn ein Wert nur einmal „als ein unveränderliches Faktum vor der Ein- bildungsfraft fteht“, jo läßt man es fich zulegt doch ge- fallen, „wie man fich in der Gefchichte nach einigen Jahren die Hinrichtung eines alten Königs und die Krönung eines neuen Kaiſers gefallen läßt: das Gedichtete behauptet fein Recht, wie das Gefchehene* ... Den Leonardo gab Herr Rofafpina, den Aleffandro Herr Galvani. Jenen kennen wir als einen Mugen und ficheren Schaufpieler, der nur manchmal gar etwas ftarf an Bacconi erinnert; er ifl aber, jeit wir ihn daß letzte Mal gejehen haben, über die Manier zum Eigenen vorgedrungen. Diefer führt fich gewandt in guter Hal- tung ein.
4. April 1903.
Die Dufe gab geftern ihre ſublime Francesca da Rimini. Es ift höchſt felliam, wie lange dies Werk doc gebraucht Hat, fich durchzudringen. Anfangs find wir überall faum fünf oder ſechs geweſen, die fogleich er- fannten, daß D’Annunzio Hier feine flolzen Verheißungen erfüllt, die Iyrifche Form, an der er jchon faſt erwürgt war, abgeftreift und wirklich die uralte Tragödie erneut hat. Die anderen hielten ſich an feinen Ruf, der nun ein- mal blieb, daß es ihm verfagt fei, feine Stimmungen dramatifch zu beherrichen, ohne erſt das Werk abzuwarten, das fie, mit ihren Vorurteilen gepanzert, gar nicht auf fich eindringen ließen. Sie gaben höchjtens zu, wie wunder bar der Ton und die Farbe, ja die ganze Luft der dan-
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testen Welt getroffen waren, und ließen es bei einer fteifen Verbeugung vor feinem Fleiße, vor der ungeheuren Arbeit bewenben, welche die Reſurrektion jener alten Zeit gefofte‘ haben muß. Sie leugneten den ſüßen Zauber der wie fchwerer Duft aus alten Krügen lang verjchloffenen Weines betäubenden und beffemmenden und betörenden Worte in den Szenen der Liebe nicht. Sie mußten den wilden Drang der ehernen Geftalten, die verruchte Wucht ihrer Leidenfchaften und die Energie bewundern, welche ſich duch allen Tumult ihrer hölliſchen Menfchen nicht er ſchopft, noch zu jenem grandiofen vierten Akt zu erheben vermag, aus dem und das tragijche Feuer wie aus dem Othello entgegenichlägt. Dies alles ſpürten fie ſchon aud, es ift nur unbegreiffich, wie fie verfennen konnten, daß hier zum eriten Mal erreicht war, was unferer ganzen Zeit ver- fagt jchien, totum ponere, wie es Niegjche genannt hat, der um dieſe hochſte Kraft fein ganzes Leben vergeblich rang: die Geſtalten in ihre Handlung und jeden Willen in fein Schid- ſal mit einer fo ftarren Strenge einzujchließen, daß ſich an allem, was gejchieht, nur immer ein mächtige, dumpf und unaufhaltfam waltendes Geſetz aufzurollen fcheint, und eben dadurch ein Ganzes Hinzujegen wie einen ewigen Stein. Das wollte man damals nicht bemerfen, in Rom nicht und in Wien nicht, und auch die Berliner haben verjagt. Es war nun aber jehr merkwürdig, zuzuiehen, wie es allmählich doch durchzuſickern begann, in Stalien zuerſt, nach und nach auch bei uns, bis plögfic die Meinung der Kenner fachte umgedreht worden war. Heute wiſſen fie, daß die von Blut und Liebe triefende Gedicht wirklich die Krone der lateiniſchen Kunſt it, die er einft,
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jugendfich ſchwärmend, feiner Nation darzubringen gelobt Bat. Und fo bewährt es fich wieder, daß das Werk des Künftlers ftärker als alle Niedertracht der Böfen und alle Albernheit der Dummen ift, wenn es nur von treuen und tapferen Händen fromm gehütet und beichägt wird. Es ſoll nie vergefjen werden, daß über diefe reinjte Tat un- jerer Zeit die Dufe den Schild ihrer hohen Kunft gehalten bat, wachend, wie Pallas über die Helden Homer. Sie ift vor D’Annunzio die größte Schaufpielerin der Welt gewefen, fie hat ihn nicht gebraucht, fie wäre künſtleriſch auch ohne ihn, was fie ift. Aber menfchlich ift fie uns durch ihren Glauben an ihn, durch ihre Treue, durch ihren fanatijchen Trog gegen’ alle Hleinmütigen Warner und Zweifler unendlic, teuer und rührend geworden; und was fie für ihn getan Hat, fichert ihr allein eine edlere Un- ſterblichkeit zu, als fonft ihrem Stande vergönnt iſt. Sie mag das wohl felbft fühlen, und aus dieſer Empfindung strahlt über fie, wenn fie feine Geftalten fpielt, ein Schimmer und ein Glanz herab, den fie jonft nicht Hat. Ihrer Kunft icheinen Flügel zu wachſen, und fie fchwingt fich in eine fo helle Region des Geiftes auf, daß uns faft beflommen froh wird, wie in der atemlofen Seligfeit auf hohen Bergen. Ihre unglaubliche Gewalt, Güte und Hingebung des liebenden Weibes faft fieberhaft darzuftellen, erreicht in der Francesca den legten Grad. Wie fie uns von der bangen Scham der erregten Jungfrau und ihrer lieblichen Ver— wirrung, da fie den ſchönen Jüngling erblidt, über den Zorn verwundeten Stolzes durch die Trunfenheit der Luft, lauernde Angit und Ahnung bedrohter Träume und den trotzigen Genuß der Gefahr bis in das Raſen ber legten
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Leidenjhaft führt, die jhon den Atem des Todes im Naden fühlt, daS Tönnen die armen Worte feiner menfchlichen Sprache jagen. — Der merkwürdigen Geftalt, die Herr Rojajpina dem Gianciotto gibt, entfinnt man fich vom vorigen Jahre her, Herr Galvani war wirklich Paolo „il Bello“, als Malatejtino konnte Herr Roffi-Pianelli die Erinnerung an die Varini nicht verwijchen.
7. Oftober 1904.
Die Dufe tft wieder da: ein eines bißchen weniger ſchlank und das wunderbare Haar von einem goldigen Schimmer gerötet, wie fie denn auch ſonſt venezianijcher geworden zu fein jcheint. Sie gab die „Cameliendame*, aber Gott ſei Dank, es ift ja nicht dieje, die fie fpielt, fondern fie fpielt nur fich und man hat das Gefühl, als fpiele fie die Liebe felbft, von diejem einzelnen Fall ganz abgeldft, die Liebe an fich, entbunden von aller irbijchen Schwere, die innerjte Muſik aller menjchlichen Liebe, die fie gleihfam aus allem Zufälligen de3 gemeinen Dajeins in ihr ureigenes Element zurüdführt. Freilich, manchmal hört man doch auf den Tert und wird dann graufam auf- gewedt, Aber gleich nimmt fie eine Roſe, die fie wie einen matt gewordenen Kleinen Vogel in den ſüßen Händen begt, oder fie chlägt auch nur die fernen Augen auf, mit einer ihrer ſchweren reifen nachgedunfelten Gebärden an- gelednt, und man ift wieder entrüdt. Herr Rojajpina, als Gianciotto unvergeklich, kann als Armand, der ihm nicht liegt, doch alle Künfte der prachtvollen italienijchen Tech- ni zeigen.
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10. Oftober 1904.
Die Dufe gab geftern die Monna Vanna. Dieſe Rolle ft eigentlich nur ein Mantel. Alles andere hat der Dichter der Schaufpielerin überlaffen. Sie kann eine jüße fleine Tðorin aus ihr machen, die, font durch hütende Liebe vor der Welt verwahrt, nun zum erften Mal erfährt, daß die Menſchen einander nicht glauben; oder fie kann eine jener Rhodopen aus ihr machen, die wie auß lauter Schleiern gewoben find und zerrinnen, wenn man ihnen die Scham nimmt. Die Dufe macht ein einfames Weib aus ihr, und es ift eigentlich die Tragödie der großen Einfamleit, die fie jpielt. Dieſes ſcheu aus bangen Augen fragende Ge- ihöpf muß viele Jahre neben ihrem heißen Manne allein geblieben fein, unbeantwortet für fich lebend, und jo hat fie ſich alles aus fich ſelbſt gedeutet. Doch da begibt es fih, daß die Probe auf dieje zujammengeträumte Welt ein wildfremder Menjch befteht, aber der nicht, dem fie gehört. Dies zerbricht fie, und wie nun unter den Trüm- mern eines fo geborftenen Weſens alle Zurien der Menich- beit beroorftürzen, daß ftellt fie mit einer fchaufpieleriichen Bravour dar, die alles überrennt. Arioſto Hat die Frau jeiner Zeit in einer feiner Satiren einmal ein „gefährliches großes Kind“ genannt. Das fühlen wir hier: eine, die jeit vielen Jahren zur Frau geworden und doch ein großes Kind geblieben iſt und eben durch dieje Miſchung nun ge— fährlich wird. Auf diefen höchſten Moment der ausbrechen- den Gefahr fpart fie alles auf und hier erreicht ihre prachtvolle Technik eine Gewalt, die feine Worte nennen Tönnen.
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11. Oftober 1904.
Die Magda der Dufe kennt man ja längft. Aber fie ift in allen diejen Rollen jet ganz anders. Sie trägt in fie einen Schimmer wie aus einer anderen, freieren und reineren Welt hinein, wie eine, die eben erft auf unfere Erde zurüctgeftoßen wäre, aber auf demütig zagenden Händen | das Licht der. Himmlijchen mitgebracht hat und noch in fi) ihren Stimmen lauft. Muß fie dann den gemeinen Text ihrer Rollen herſagen, jo ift es manchmal, als ob fie davor erſchrecken würde, fie jcheint nach Worten zu ringen, nach) wahren Worten, nad) den Worten ihrer Seele, die frierend verftummt ift, und während ihr die Menge zujauchzt, hat fie den müden Schritt einer Gefangenen und man glaubt leiſe ſchwere Ketten klirren zu hören. Dies wirkt tief ſchmerzlich, faſt ald ein Symbol der Kunft unter den Menfchen, und wenn ich mir vorftelle, wie fie ji jegt an fchlechten Stücken dur; Europa jchleppen wird, fällt mir wieder ein Wort Hebbels ein, das ich mir oft vorſage, weil es den ganzen Schmerz des Künſtlers in der Welt enthält: „Am unglüdlichiten ift der Menſch, wenn er durch jeine geiftigen Kräfte und Anlagen mit dem Höcjften zufammenhängt und durch feine Lebensftellung mit dem Niedrigften verknüpft wird.“
L’autre danger. (Romöbie in vier Akten von Maurice Donnag. Zum erften Mal auf geführt von ber Dufe im Theater an der Wien am 2. Dftober 1904.) Und Wilde fchrieb „Lady Windermeres Fächer“. Und Maeterlind jchrieb „Monna Vanna“. Und wir in Deutid-
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land dürfen ſchon gar nicht jagen, feit jogar Hartleben, der freche, den „Rojenmontag“, fogar Holz, der einfame, jegt den „Traumulus“ jchrieb. Die ganze Generation verleugnet ſich, überall Tiegen alle vor dem Publitum im Staube. Ja, die Tantiemen! fpottet man. Ich glaube das aber gar nicht. Es ſetzt fich einer Hin, entichloffen, die Kunſt zu verraten, um lieber mit einem fchlechten Stüd ein Gefhäft zu machen. So einfach iſt das Leben gar nicht. Die Menfchen find ſchon korrupt, aber auf eine viel feinere und heimlichere Art: jeder legt doch Gewicht darauf, es vor fich zu verhehlen. Sie find zu allem fähig, doch wollen fie, wie im „Othello“ der Rodrigo, „erſt beſſere Gründe Haben“. Diefe finden die Eunft- flüchtigen Autoren in der Empfindung, daß fie, geben fie der Neigung de3 Haufens zum Theatraliſchen nicht nach, auf jede Wirkung verzichten müffen. Es ift ihnen weient- ich, daß fie, jo wie fie num einmal find, nicht wirken fönnen. Und es ift ihnen, gerade wie fie nun einmal find, ebenfo wefentlich, daß fie wirken wollen. Den einen Fuß haben fie verwegen in die Zukunft gejegt, aber mit dem anderen fünnen fie aus dem Sumpf nicht heraus. In einer Zeit, zu welcher der Künftler nach feinem Be— griffe fein anderes Verhältnis als das der fanatifchen Berneinung haben kann, ift e3 feine tragiſche Verblendung, jenen zu dienen, die zu vernichten fein ganzes Weſen ihn drängt. Verblendung oder Schwäche; tragifch in jedem Falle: denn wer ſich einmal an den Erfolg verloren hat, fehrt kaum mehr unverjehrt zu ſich zurüd. Wie ſich aber jeder einzelne mit ihm abfindet, das ift noch das einzige, worin die Autoren jegt ihre Eigenart zeigen. Einige bilden
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fich ein, ein künſtleriſches Gewiſſen zu haben, und quälen fih ab, die eigenen Forderungen mit jenen des lauten Pobels auszugleichen. Andere ziehen den Spaß vor, ſich zyniſch vor feinen Launen zu wälzen. Manche täujchen wie Bauchredner, und wenn das Parterre zu ihren falichen Stimmen vor Vergnügen gröhlt, benügen fie dies ge- ſchwind, um nun doch ein paar Worte in ihrem natür- lichen Tone zu jagen. So Donnay.
Donnay fing im Chat noir an, wo er, noch in Der ſchönen Zeit des vehementen Salis, Abends feine Verſe ſprach, zierliche und innige Verſe, oft von einer großen Traurigkeit, die fich gleich aber ſelbſt fchämt, insgeheim ſehr jentimental, aber begierig, es fich um feinen Preis merfen zu lafjen, ein bißchen müde, ein bißchen zärtlich, ein bißchen frech, von allem ein bißchen, nichts ganz, Verſe jener legten Ironie, die endlich auch fich jelbft nur noch ironifch nimmt, Verfe des enttäufchten Blagueurs, der ſich fo gern in einer ftillen Empfindung ausruhen würde, wenn e3 nur niemand jehen möchte. Aus ihnen wurden allmählich Dialoge von derjelben Stimmung, in der Art der Gyp und Lavedans und unſeres Anatol. Der feinjte ift Die „Education de Prince“, worin mit fpöttelnder Weisheit erzählt ift, wie der Erbprinz Alerander von Steyer von einem, der das Leben (oder was für ſolche arme Menjchen eben das Leben ift) kennt, darin unterwiefen wird, ein ſcharmantes Buch von einem jeltfam geduldigen und dieſer ganzen Jugend, wie fi bald an dem Autor. felber zeigen ſollte, jehr gefährlichen armor fati, für den Lemaitre das Wort gefunden hat: nihilisme optimistee Dann famen die Amants, eigentlich auch wieder nur ſolche Dialoge,
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durchaus fein „Drama“ und feine „Komödie“ in unjerem Sinne, fondern bloß fünf Heine Szenen aus dem Leben mondainer Vagabunden, nachläſſig und bequem vorgeführt, Taum verbunden, verlodend durch ihre Neigung, Iyrifch zu jein und ein bißchen zu ſchwärmen, die fich doch immer fos fort wieder felbft parodiert; und, faft noch in derjelben rei- nen Form, die feinem Geifte gemäß ift, die Douloureufe. Nun aber fing er fehon an, immer heftiger nach Wirkung zu verlangen. Gott, man wäre ja jo gern anftändig, aber wen verdrießt der Erfolg der jämmerlichen Macher nicht? Und die Leute ſchauen einen dann jo mitleidig an: Sehen Sie, der fann’3! Und man will nur einmal zeigen: das kann ich auch, wenn ich will! Es bleibt nur leider nicht da- bei. Und jo fam er zum Torrent, zur Bascule, zu L’autre Danger, zum Retour de Jerusalem. Es ift nun aber die höchſte Zeit, daß er in die Akademie tritt. Er ift reif. Dan fann von diejen Stüden nicht jagen, Donnay babe fich verleugnet. Er hat nur jeine Form aufgegeben. Er nimmt die alte her und blinzelt aus ihr, wenn er glaubt, gerade nicht erwifcht zu werden, wie hinter einem Fächer zuweilen hervor. Er hat das „gutgemachte“ Stüd erlernt und fertigt es num genau nach der alten Vorfchrift an. Die scöne & faire ift da, er bringt die Präparationen an, deren Kunft fo gerühmt wird, er baut das ganze Gerüft nach allen Regeln des Handwerks auf, nichts fehlt. Nur der Text ijt ein anderer, es ift fein Text, ihm drüdt er nun fein eigenes Wejen auf. Scribe hat noch gemeint, wenn er nur erft fein Szenartum beifammen habe, den Text könne dann auch fein Hausmeiſter fehreiben. Dumas hat ſchon das Wort gefeilt, aber fein Stil, der Wirkung fo ficher
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und jo durchaus theatralifch, ift noch ganz unperjönlich ge- wejen. Donnay nimmt die alte Technif her und berührt, verändert fie faum, aber aus jedem Worte hören wir ihn heraus, feinen bejonderen, halb ironijchen, halb jentimen- talen Ton, der immer noch manchmal ein bißchen nach dem Chat noir flingt, aber ſich ſchon zuiammennimmt, um einmal unter der Kuppel des Inſtituts würdig zu hallen. Eigentlich ift das fehr fchlau: denn fo gewinnt er das Publitum, ohne den Kenner zu verjtimmen, der ſich über manchen Einfall des Weltmannes freut und übrigens gleich merkt: er nimmt fein Stüc doch jelbit nicht ernft und mutet es auch ung nicht zu. Nur wenn fie feierlich werden, find Auguren unerträglich. Die ung aber zuwinfen, daß man, wie diefe Welt nun einmal ift, halt auch leben will, laſſen wir und gern gefallen.
Nach feiner Handlung ift „L’autre danger“ das rich- tige alte Theaterſtück. Eine Frau und ein junger Mann verlieben fi. Das Verhältnis dauert ſchon vier Jahre. Nun Hat die Frau aber eine Tochter. Dieſe wächit heran und e3 begibt fich, daß auch fie jenen jungen Dann Tiebt. Zufällig erfährt fie, daß er der Geliebte ihrer Mutter ift. Sie ftirbt faft daran. Um fie zu retten, genügt die fromme Züge der Mutter nicht, es ſei nur eine häßliche Verleum- dung gewejen, jondern die Mutter muß entjagen, muß, um das Glüd des Mädchens zu ftiften, ihr eigenes vernichten, muß es fich abringen, in dem Manne, den fie mit allen Sinnen geliebt hat, fortan ihren Sohn zu jehen. Man gewahrt auf den erften Blick die theatralifche Kraft diefer Situation: der Kampf zwifchen den beiden höchſten Ge- fühlen der Frau, ihrer finnlichen und ihrer Mutterliebe,
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die Unentjchloffenheit de8 Mannes, den hier Dankbarkeit zurüdhält, dort Jugend lockt, die Dual des Mädchens, dem der zarte, dad Leben verhüllende Schleier plöglich zerriffen wird, und dies alles zulegt in eine große Szene zur Ex— plofion zujammenballt, die wir drei Afte lang ſchon fom- men jehen, nach der uns ungeduldig verlangt und die und dann doch noch durch ihre Verwegenheit überrafcht. Das alles ift alt, das alles ift fehließlich nur wieder Dumas, aber jede einzelne Szene, wie fie jachte herbeigeführt wird, der Ton der Gefpräche, der Glanz der unerwarteten Worte ift neu, ift jo Donnay, daß wir ihn gleich an jeder Wen- dung erfennen. Bejonders im zweiten und im dritten Aft. Jener ift eigentlich ein bifschen dünn; es geichieht nicht viel, die Handlung regt ſich kaum, aber die Stimmung einer verbotenen Liebe, der durch die Gefahr nur noch ein- geheizt wird, und die Dämmerung eines Mädchens, das fein feimende3 Gefühl noch gar nicht verjteht, find vor- trefflich. Und dann, in diejem, ein paar Typen, wie von Zorain. Da ift Prabert, der junge Dann, auf den die jungen Mädchen fliegen, weil er fie durch die Macht jeiner „perjönlichen“ Weſten berückt und weil er ihnen des hor- reurs jagt. Da ift ein anderer, der jo gern feine Geliebte heiraten möchte, aber warten muß, 518 erjt ihre Mama ge- heiratet haben wird, weil man doch nicht gut ein Mädchen zur Schwiegermutter haben kann. Da iſt Heybens, ein Entdeder von Goldminen in Annam, den genäfchige Frauen lüftern umgeben, um zu erfahren, ob es dort mit der Liebe wirklich fo ift, wie fie im Sama-Soutra gelefen haben. Gleich aber knallt wieder das Thenter los, das verruchte Theater, dem alle fluchen müſſen, die es fegnet.
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Eine Frau, die fich ſelbſt „eine ganz einfache Frau“ nennt, hat mir heute, in dem Bedürfnis, ihrer Begeifterung für die Duje Luft zu machen, ein langen Brief gejchrieben. Darin heißt es: „Glauben Sie nicht auch, wenn die Pre- diger in der Kirche die Mugen der Dufe, ihre Stimme, ihre Modulation, ihren Affekt hätten, jo beredt zu predigen, wie die Dufe ergreifend fpielt, die Welt mürde bald anders fein, da8 Volk würde feine Roheit verlieren?” Ich finde: man fann gar nicht eindringlicher jagen, was der großen Zauberin ihre namenloje Macht über die Menjchen gibt. Sie fühlen fich durch fie beffer werden. Und das Merf- würdige ift, daß fie zu diefer ganz moralifchen Wirkung ducch rein Afthetifche Mittel kommt: fie ift jo ſchön, daß die Menſchen davon gut werden. Was Donnay hier zeigt, ift alles recht weltlich und eitel, Sinnenluft und Sinnen- leid, und mancher wird fich gegen die Frau bedenken, die den Liebhaber an die Tochter abgibt. Aber an der Schön- heit der Dufe rinnt dies alled ab und man geht aus diejer leeren, durch und durch verlogenen, Durch und durch thea- tralijchen Szene, die das Stüd ſchließt, mit einem auf- atmenden Gefühl innerer Reinigung wie aus einer Tra- gödie fort.
Hedda Gabler. 29. Oktober 1904.
Die Hedda Gabler der Duje, die wir ja ſchon voriges Jahr gejehen Haben, läßt uns erft den anderen Ibſen fühlen, den die herfömmliche Darftellung des Ber- liner Naturalismus verdedt. Dieſe merkt nicht, daß jeine
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Menschen, wie fie fich auch alltäglich gebärden mögen, doch immer etwas faft Mythiſches, etwas von Fabelweſen, von imaginären Ungeheuern wie aus einer Märchenwelt der Riefen haben. Er holt irgend eine Figur von der Gafje her, mit allen armfeligen Schrullen unjerer irren Zeit, aber indem er ihr nun in ihre Tiefe nachgeht, taucht er ins Urelement aller Menjchlichkeit hinab, bis er auf den Wifinger darin ftößt. Dieſer Wilingerzug macht die Hedda der Dufe fo grandios. Das ift nicht bloß des General Gabler ver⸗ zogenes, leicht entzündliches, launiſch wechjelndes, von wirren Nerven verheßtes, von leerer Sehnfucht tolles Kind, das, in der Enge röchelnd, um fich zu wehren, fich und die anderen quält, fondern in dies Heine Schidjal einer im bürgerlichen Käfig verlorenen Frau fpielt fie die Not und Dual unferer ganzen Zeit hinein, die aus der ftidigen Finfternis nach Luft und Licht fchreit, bis fie vor Angft heijer und vor Gier krank und vor Grimm böfe wird, zu- legt alles um fich zerftörend, um fich zu rächen. Diefes Anwachien aus übler Laune durch hämifchen Verdruß zur ungeheuren Bosheit, die nun, einmal im Zuge, jedes andere Gefühl ausbrennt und alles um fich unaufhaltiam vernichten muß, ftellt die Dufe mit einer unbegreiflich wil- den Kraft und Größe dar, und man fpürt, welche Wirkungen noch in Ibſen fteden, wenn nur erſt einmal fein Stil von unferen Schaufpielern gefunden fein wird.
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KRameliendame.
11. Januar 1905.
Die „Rameliendame* hat man von der Duſe oft und noch erſt vor ein paar Monaten wieder gejehen | und doch bleibt’3 immer wieder neu und wirft immer wieder wie zum erften Mal. Es ift die ſtärkſte Probe, auf die man einen Künftler ftellen Tann: ob wir ihn in derjelben Rolle, und gar in einer, mit welcher er ung einſt überwältigt hat, ſpäter noch ertragen, ohne die durch Er- innerung noch verflärte Macht der erften Impreffion doch leiſe zu vermiffen. Wirkungen der großen Sünftler, indem fie uns für einen feligen Moment aus der Welt entrüden und ihr Gefchöpf aus ung machen, haben ja fat etwas Erotijches oder ftreifen doch daran, und zum Weſen des Erotijchen gehört, daß in ihm alles einmalig ift, daß fid in ihm nicht? wiederholen fann, daß in ihm das Gefühl fi) unabläffig verwandeln, jede Verwandlung aber, die feine Steigerung mehr ift, fogleich al3 eine Vernichtung empfunden werden muß. Wirkungen der großen Künftler treffen und durchaus wie jener coup de foudre des Stendhal, aber nur von den ganz großen fchlägt der Blig immer wieder ein. Niemals von jenen, die ihr Pulver forgfam in einer Patrone verwahren, in welche nun bloß auf ein Zeichen der Hahn zu fallen braucht, um prompt loszufnallen; niemals von jenen, die mit der darzuftellenden Geftalt daheim völlig fertig geworden find und fie dann auf der Bühne eigentlich nur noch reproduzieren, mit un- bewegter Seele jo gelafjen neben ihr ftehend, daß fie ruhig abzuzählen vermögen, wie viele Sige unten leer geblieben
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find, worein franzöftfche Virtuofen ihren bejonderen Ehr- geiz ſetzen; niemals von den Sünftlern des abwägenden, außrichtenden, nachrechnenden Verftandes, deren Erregung nur allenfall® gerade hinreicht, um eine Geſtalt mit ihrer Phantafie zu fehen, die fie dann durch allerhand Künfte und vorzutäufchen fuchen, niemal® aber, um fich felbft, ihr zufälliges tägliches Weſen, jo von fich abzuichütteln, daß nun ein anderes, fonft unter jenem verborgenes, das eigent- liche, das ewige ihrer tiefften Natur, wie ein ungeheures Licht einer reineren Welt, plöglich aus ihnen hervorbricht. Dies aber ift der Dufe Geheimnis: nichts ung jemals vor- zutäujchen, wir find überhaupt für fie gar nicht da, fie fpielt nicht für uns, fondern fpielt, um fi) vom äußeren Leben, das auf ihr inneres drückt, frei zu fpielen, wie man eine Stimme rein fingt, bis aller rauher Anhauch irdiſcher Bellemmungen aus ihr entwichen und fie nur noch der ungetrübte Laut einer einjamen Seele if. Man jpürt das fast ſchmerzlich, wenn fie beginnt: hinter ſich moch die Wucht ded gemeinen Dajeins wie einen fehweren und zu langen Mantel herjchleppend, in den fich veritridend, von dem erftict fie faft umzufinfen droht, nun aber jagt fie, merkwürdig ftarr, wie Zauberer im Orient die Formeln, durch welche fie fich betäuben und fich vergeffen und fich in fich verjenfen, und mertwürdig mühjam, mit der ges waltjamen Anjpannung der vom Willen gequälten Miene, die Hypnotifeure haben, ihren Tert her, indem fie zugleich ängftlich nach innen zu horchen fcheint, ob von dort die Berzauberung noch immer nicht beraufdringen will, bis wir plöglich fühlen, wie heiß jegt das Fieber plöglich über fie ſchlägt und alles Tägliche von Luft und Leid ausbrennt Hermann Badr, Gloffen. 23
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und verſchloſſene Grüfte in ihr aufbricht, aus welchen nun langſam, langiam, von unfichtbaren Händen heraufgereicht, die leuchtende Pracht und Glorie ihres inneren Lebens emporfteigt. Taneben werden Worte von Dumas oder Donnay oder Pinero gefprochen, manchmal hören wir eis nen Moment auf fie und müffen verwundert lächeln, weil fie jo gar nicht pafjen. Aber was tut's? Es find nicht die Formeln der Beichwörung, durch die der Zauberer das Wunder wirft, fondern durch feine magijche Kraft geichieht es, die er aus fich in fie legt.
13. Januar 1905.
Die Dufe hat nun auch die Locandiera wieder einmal gejpielt, die man feit Jahren bier nicht von ihr geſehen hat, und da find die Leute ftarr, daß fie dag auch kann: jo heiter, von einer jo beweglichen und leichten An- mut, fo einfach, nett fein, wie eine törichte junge Frau oder ein liebes Iuftiges Mädel nett ift, denen noch der Ge ſchmack des Lebens nie die Zunge verbrannt hat. Das verftehen die Leute nicht und können es an einem fo voll» fommen tragiichen Wejen faum fafjen, da Heiterkeit jetzt in Verruf geraten ift, als ob ihre Luft nur geringe, ſchwache, demütige Menſchen zeitigen fünnte, die fich niemals ins offene Meer der Leidenichaften Hinauswagen ; ftolze und jtarfe aber zögen es vor, lieber durch Wahrheit gegen ſich und die Welt unglüclich zu werden, als fich in der Lüge ftiller Meiner Freuden zu bejchwichtigen. Die Leute ver- geſſen nur, daß es noch eine andere Heiterkeit gibt, als fie fennen und um fich zu fehen gewohnt find, eine Ieid- entftamınte, nachtgeborene, tränenhelle, der noch an den zer-
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fegten Schwingen das Blut durchrungener Stunden Elebt, die Heiterfeit der Wiedergelommenen, die fich allen Dä- monen bingeworfen, aber dann alle Dämonen beftanden haben und nun, nachdem alle Qualen verftörter Wünfche, maßlojer Hoffnungen, ungezügelter Launen erjchöpft find, wieder für eine Zeit ins gemeine Dajein zurüd auf Urlaub gehen. Sa, vieleicht ift nur der ganz heiter und nur der weiß vielleicht feine Heiterkeit gefeit, der zuvor jeden Schmerz, deſſen er fähig ift, ausgetrunfen hat, jo daß er jegt alle fennt und ihn darum feiner mehr verloden Tann, weil er zulegt fogar die Eitelkeit auch des Schmerzes er- fannt bat. Dann aber, wenn einer erjt weiß, daß auch das Leid nur ein Betrug tft, den wir und aus uns felber ichaffen, fieht er zuweilen gern den Nöten der anderen zu, die noch nicht fo weit find, die fich noch ftoßen und drängen, die noch draußen das Glüd erjagen wollen, und dann macht ihm Spaß, was fie peinigt, und dann reizt es ihn vielleicht erft recht, heftig mitzutun, ſelbſt ficher, daß ihm ja nun doch nichts mehr geichehen Tann. Wer nämlich erft einmal zu Ende erlebt bat, wie gering. neben dem, was man an fich felbft zu leiden hat, alles , ift, was einem die Menjchen antun fünnen, der ijt durch und die Stunde des großen Lachens ift für ihn da, der Tann nun getroft ind Gewimmel und Getümmel der täg- lichen Begierden zurüd, alle Pfeile find abgeftumpft, er hält ihnen lachend die Bruft hin, und ihn freut's, unbeweglich in ihrem Regen zu ftehen. Der brave alte Angelus Silefius, der auch genug ausgefoftet haben muß, hat einen Vers: Wer über Berg und Tal und dem Gewöltke fit, Der achtet’3 nicht ein Haar, wenn's donnert, Tracht und blift. 23*
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Und darüber fteht als Aufichrift: „Das Unt’re ſchadet nicht.“ Wen einmal Leid, jenes einzige wirkliche Leid, das aus uns ſelbſt fließt, erfennen ließ, daß alles, was uns in der Welt zuftoßen mag, tief unter uns ift, und wer fich jagen gelernt hat: „Das Unt’re ſchadet nicht“, der allein ift erſt für die Freude reif, der allein ift erft der wahren Heiter⸗ keit, ber tragifchen, wert geworden. Die des Goldoni mag vielleicht eine etwas geringere jein, eine weltlichere, die ſich noch nicht überall vom Irdiſchen losgeriſſen hat, aber in- dem die Dufe ihre vom Schmerze gejenneten Hände auf fie legt, fängt auch fie gleichſam tragiich zu leuchten an und in das lodere Spiel durchtriebener Scherze fällt bis- weilen ein wunderſam dunkler lang ein, ivie von ver- weinten Nächten her.
15. Januar 1905.
Es gibt immer wieder bebenfliche Leute, die dann zaghaft fragen, ob diefe Hedda Gabler der Duje denn auch eigentlich Ibſeniſch ſei. Sie jollen fich nur beruhigen, gewiß hat Ibſen die Figur anders gemeint: bürgerlicher, philifteöfer, nördlicher, nebliger, fahler, mit einen Zuge ins Mesquine, den die Dufe ins Grandioſe führt, im Schatten gedudt, wo fie Leidenſchaft grell aufflanımen läßt. Gewiß. Nur, dab es in der Natur der Dichter ift, Ge- ftalten zu fchaffen, die dann plöglich ihr eigenes Leben haben, anders, als fie von ihnen gemeint find, und mehr, als ihre Dichter von ihnen wifjen und mit ihnen wollen. Und gar bei Ibhſen ift das vielleicht noch empfindlicher als jonft, weil er, angewidert von der Neigung der Epi- gonen, in den vagen Umrifjen großer Intentionen zu
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ſchwelgen, nun eine wahre Leidenfchaft Hat, ſich immer nur an den einzelnen Fall zu halten, ihn durchaus einzu- engen, dann aber mit der höchiten Präziſion plaftiich darzu« ftellen. Er hat immer Angſt, fich ins Allgemeine zu ver- lieren, und wendet alles auf, fi} im bejonderen anzubinden. Es geht ihm umgekehrt als jenen Epigonen: fie glauben, einen Menfchen zu fchaffen, aber diejer verraucht und zer- tinnt ihnen gleich in ungeftalte Gedanfen, während er, den, wie heftig er es ableugnen mag, immer zuerft ein Problem ſchopferiſch reizt, es fogleich in eine jo ftarfe, jo volle, fo lebensdichte Geftalt drängt, daß fie dann freilich auch die ganze Gattung enthält. Ihn Hat das Problem der diondfifchen Frau gereizt, aber indem die wunderbare Klarheit feiner Natur es ihm fogleich an einem einzelnen und ganz befonderen Falle, eben dem der ertravagant er⸗ zogenen, vor der Zeit erotijch erwachten, unftet durch ein leereß Leben irrenden, dann noch in eine dumpfe Ehe ver- ftoßenen, an einen täppifch ahnungslofen Manne verlore- nen, im Engen und Öden vereinfamten Tochter des Generals Gabler zeigt, ftellt er mit dem Problem zugleich auch feine Karikatur dar, bis er eben dadurch plöglich unverfehens wieder an fein ewige Thema fommt, in das feine Werke, wo fie immer auch beginnen mögen, immer wieder enden: an das Leiden von Menichen, die es quält, fich einer noch unfertigen höheren Forın des Dafeins, die fie ſchon in fich keimen, aber für die fie fich noch nicht reif fühlen, durch Sehnjucht jozufagen hinterrücks zu bemächtigen, und die daran verderben. Dies ift e8, unjer namenlojes Leid von Menichen zwiſchen zwei Formen, die, in ihrer Sehnfucht ichon fo neu, daß ihnen die alte durchaus unerträglich ift,
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doch immer wieder in fie zurüdfinfen, weil fie noch die Kraft nicht Haben, aus fich eine andere zu prägen, dieſes ewig über ſich hinaus Verlangen und ewig wieder in fih hinein Berlöjchen unferer arınen Zeit, die fich in Wünichen fo verzehrt, daß ihr feine erfüllende Macht mehr bleibt, bis fie davon bitter und wild und tüdijch wird, dieſes ganze Elend unferer doch flügellahmen Vermeſſenheit iſt es, was die Duje jpielt. Und man fönnte vielleicht noch einfacher jagen: das Leiden an Schönheit in einer un- ſchönen Welt. Brave Leute meinen oft, große Menjchen von innerer Kraft und Schönheit follten nun aber nicht fo unbefcheiden jein, auch noch ein äußeres Glüd zu for- dern, da fie doch an fich jelbit genug haben müßten. Sie vergefien, daß fein Menich allein, fondern jeder unter die anderen geftedt ift, gegen die er gerade durch feine Kraft und innere Schönheit nur defto empfindlicher wird, wofür fie fi an ihm noch mit wachjender Erbitterung rächen. Das muß die Dufe mit einer Heftigfeit erlebt haben, vor der einem falt und ftarr wird. Wie fie fich hier immer wieder aufrafft, jo gut und freundlich zu fein, als einft, mit feinem frohen Vertrauen ins Leben, das junge Mäd- hen war, wie fie e8 aber niemals fann, weil alles, was fie fieht, alles, was fie hört, alles, was um fie gejchieht, jeder trübe Blick, jeder läppiſch ängftliche Ton, jede leere, nur angelernte, unbejeelte Gefte, ja jede verlegen unge- | ſchickte Liebkoſung und zudringliche Zärtlichkeit aller diejer nichtswürdig braven und ruchlos anftändigen Leute für fie nur eine einzige ungeheure Beleidigung und Demütigung ift, wie fie fich von niemandem verftanden und auch jelbft niemanden zu verftehen fühlt, wie nichts, was fie fügt, zu
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den anderen hinüberdringen, nichts, was ihr die anderen fagen, etwas von ihnen zu ihr herüberbringen fann, wie fie bei jedem ſcheuen Schritte gleich an die ftarre Mauer ihrer angeborenen Einfamfeit ſtößt, wie fie fich überall blutig reißt und endlich, die Haut der Seele ganz zer- ſchunden, nur noch wie auf einem glühenden Nofte lebt, jegt aber, indem fie fühlt, bloß daran gerade zu leiden, daß fie jchöner und beſſer und von einer edleren Art als die anderen ift, fich erbittert entichliekt, fo ichlecht und ge- mein und niedrig zu werden, wie fie find, um ihnen ge- wachſen zu fein und fich an ihnen rächen, nur wenigftens doch einmal rächen, ſich und die ihr gleich find, an diejer Welt von Feinden rächen zu können, biejes angenehme Dafein großer oder auch nur wirklicher Menſchen in einer naturvergefjenen Zeit jtellt die Dufe dar, mit dem Grimm und höfliichen Groll einer aus den legten Tiefen herauf von allen Ketten losgerifjenen und zur eigenen Vernichtung ausgebrochenen Natur, deren Anblick zum Höchften gehört, das heute Kunft gewähren fann.
17. Januar 1905.
Die Dufe ala Magda. Immer wieder ſpielt fie das. Und mir ift es ein Gefühl, das ich gar nicht recht nennen ton, feltfam dumpf, faſt ein bißchen unheimlich. Viel— leicht gerade, weil ich feit jo Iangen Jahren ihre Kunft kenne, weil ich fie in ihren höchiten Momenten völliger Entrüctheit erblickt Habe und weil fie mir jo viel gewor- den ift. Und dann jpielt fie wieder dad. Und daB es ihr möglich ift, kann ich eigentlich noch immer nicht be» greifen. Gott, ich hab gar nichts gegen das Stüd. Ich
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ſchatze Sudermann fehr, und ſchließlich, es ift ein Stüd, das in allen Zonen auf die Leute wirkt, jo daß es ſchon auf Ummwegen doch irgendwie etwas Wirkliches in den Menichen trefjen muß; ander wär's ja nicht zu erflären. Nur daß die Dufe es fpielen kann, gerade jiel Einen Cherub Holz haden zu fehen! Und ich werde dann den ganzen Abend ein unendliches Erbarmen mit ihr nicht los, und dieſe Rolle, von der ihre ftolze und ftarfe Seele nichts wiffen fann, wächft mir faft zum finfteren Symbol ihrer ganzen, hinfällig durch die Länder um Erwerb und Ruhm geichleppten armen Eriftenz an. Als fie fie zulegt, im Oktober, gab, jchrieb ich, e8 habe mich an ein Wort Hebbels erinnert, das allen Schmerz des Künftlers in der Welt enthält: „Am unglüdlichften ift der Menſch, wenn er durch feine geiftigen Kräfte und Anlagen mit dem Höchiten zu— fammenhängt und durch feine Lebensftellung mit dem Niedrigften verknüpft wird.“ Was noch ganz befonders auf den Schaufpieler zutrifft, da feine Kunſt, als eine, die auf der völligen Vernichtung des Zufälligen, Unmwejent- lichen und Tagtäglichen in jeiner Natur ruht, die höchſte Reinheit fordert, jein Metier aber vielfach an Gemeinheit gebunden ift. Ich ſpüre aber jet Hier noch etwas anderes, das nicht ganz leicht zu fagen fein wird, weil es ziemlich tief ind Weſen ihrer Kunft geht. Alle Wirkung der Dufe kommt zulegt nur aus Leidenjchaft her, Leidenſchaft ift es, die die frierenden Menſchen bei ihr juchen. Sie nun fich zu diejer Leidenſchaft bei kalter Seele, nur durch Energie, der die Rolle nirgends Hilft, ja die die Rolle manchmal merklich ftört, gewaltjam erhigen zu fehen, indem jie ihr inneres Feuer gleichjam in Röhren von Eis pumpt, ift
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mir jchauerlih. Schauerlihd — das Wort wird mander vielleicht exzejfiv finden, doch mag er überlegen, ob nicht ein fo großer und echter, niemals täufchender, immer fich ganz bergebender Künftler, wenn nichts da ift, wofür er fich hergeben fann, wenn fein Reiz ihn trifft, der jeine Natur auslöfen würde, wenn er aljo gezwungen ift, fich Ieer nur an feinem Willen aufzuregen, nicht in dieſer echauffierten Hingebung an etwas Totes und Starres ei- gentlich fait einer Frau gleicht, die fi in den Armen eines ungeliebten Mannes betäuben oder vergefjen würde. Man verftehe mich recht: e3 gibt taufend Schaufpieler, Denen e3 leicht ift, bei jchlafender Seele zu wirken. Der Duſe ift es unmbglich. Denn das Geheimnis ihrer Macht über die Menſchen ift es gerade, daß fie vor ihnen der eigenen Seele jozujagen die Haut abzieht. Und fie weiß es, daß die Menjchen zu ihr nur fommen, um den An- blid einer entfeffelten Erregung zu genießen. Dieje bloß vorzutäujchen, durch eingelernte Zeichen, ift fie unfähig. Sie kann feinen unbefeelten Blick, feinen unbeſeelten Schritt tun. In folchen Rollen aber, welchen die Bejeelung durch den Dichter fehlt, wo nimmt fie fie da eigentlich her? Offenbar nur aus einem ungeheueren inneren Zwange, wie die Derwiſche tun, die ſich im Kreiſe drehen, um auch ein Gefühl, für das ihnen jeder natürliche Reiz fehlt, künſtlich gleichjam aus dem Blauen herunterzuholen. Und die Leute, die nur fo vage jpüren, daß hier ein Wunder gejchieht, ohne zu ahnen, um welchen Preis, jauchzen ihr zu und fie muß fich immer wieder verneigen, jehr blaß, jehr matt an die Tür gelehnt, Teer lächelnd, mir aber tut es weh, weil ich immer denken muß, was es fie doch innerlich gefoftet haben mag.
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19. Januar 1505.
Gefragt, warum fie die Adrienne Lecouvreur ipiele, Hat die Dufe gejagt: Weil jie gelebt hat! Das klingt ei- nem zuerft feltiam, beftätigt .aber, was ich neulich, bei ihrer Magda, ſchrieb. Erregung ift die Duelle, aus der fie ihre Wirkungen Holt, fie braucht innere Truntenheit, um fich fünftleriich ganz geben zu fünnen. Woher dieje nehmen ? Eine frage, die freilich der erften Jugend unbe- Tannt ift, welche eben in einer andauernden grundlojen Trunfenheit befteht. Aber fpäter? Woher? Entweder aus der Kraft, die ein Dichter in einer Geftalt angefammelt bat, oder unmittelbar aus einem heißen Creignifje des Lebens jelbft. Aber an folchen anftedenden Geftalten der Dichter find wir arm und die Ereignifje unſeres Lebens Iafjen fich nicht fommanbdieren, nicht immer. Dann mag es einem helfen, wenn man ſich imaginär in ein fremdes Leben begibt, um fich an feinen Ereignijfen aufzuregen. So lieft man in Stunden der großen Enttäufhung und Müpdigkeit, wenn plöglich alles um einen zu verdorren ſcheint und man ſich völlig von allen Rechten des Dajeind ausgeftoßen glaubt, mit trauriger Begierde den Plutarch, zwängt fich in feine Helden und ihr Schidjal ein und preßt fich jo an den Pulzichlägen der Erinnerung wieder eine Tünftliche Atmung ab. Tas mag es fein, was die Dufe zur Lecouvreur zieht. Das Stück ift elend, aber fie hat gelebt! Sie hat fich in den Sinnfojigfeiten des Da- feing gewälzt, wie wir, fie ift von jeinen Fiebern und Schauern triefend und verbrannt gewejen, wie wir, fie hat gelebt, dasſelbe tolle, ratloſe, trügerijche, wilde, graufame, tüdifche Leben, das alle Dienjchen leben, wenn e3 vielleicht
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auch glüdliche gibt, die e& weniger ſpüren. Es ift ja fchließlich ganz gleich, ob man den Alfihiades oder die Lecouvreur, eine Königin oder einen Roßknecht hernimmt: jedes Leben, das wirklich gelebt wird, enthält dasjelbe, wenn e3 auch freilich nicht von allen in demjelben Grade geipürt wird. Sie aber hat es noch bejonders leicht, ſich in das Dafein der Adrienne wie in eine Schlangenhaut zu Tteden, weil ihr dieſe wirklich tief verwandt geweſen fein muß. Vor allem fünftlerijch. De la nature elle a su le langage, Hat Voltaire von der Adrienne gelagt, und Elle embellit son art, elle changea les lois,
was doch wirklich ganz merkwürdig auf die Dufe zutrifft. Und in einer Rede, die der Schaufpieler Grandval nad dem Tode der Lecouvreur auf fie hielt, jprach er von jener „unnachahmlichen Künftletin, die die Kunft, zum Herzen zu fprechen und, wo fonft nur Pomp und Feierlichleit war, Gefühl und Wahrheit zu bringen, eigentlich erit er- funden hat.“ Man bat fie als die erfte große, wie wir heute fagen würden: Naturaltitin gerühmt, weil fie viel näher, viel handgreiflicher an die Wirklichkeit trat, ald es jemals vor ihr auf einer Bühne gewagt worden war, und Doch ift es immer wieder auch die noblesse du sentiment, von der alle Nachrichten aus ihrer Zeit voll find. Sie muß von jener Außerften Wildheit der Leidenſchaft, welche zuletzt wieder ind ganz Innige, Flüfternde, Zärtlihe um- ichlägt, geweien fein, jenen auß Raſerei der Kraft in jüßefte Heimlichfeiten ftürzenden, von Verbrechen zu Seligfeiten taumelnden Geftalten altfranzöfiicher Sagen gleich, an die auch die Sunft der Duje manchmal erinnert, Und endlich
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ihr armes Leben, fo von Legenden überjponnen, daß wir faum darüber etwas ficher wifjen fünnen ala nur, daß es ein einziger Schrei nach Glück geweſen ift, jenem Glüd, das fich den großen Menjchen immer verjagt, weil dies eben ihre Größe ausmacht, daß fie mehr fordern müſſen, als das Leben je zu geben hat. So begreift man, daß die Erinnerung an das ſtarke, ftolze, zerpeinigte Geſchöpf hinter diefem nichtswürdigen Stüd der Duje Hilft, fich zu jener nachttiefen Verlorenheit zu fteigern, die allein ihr die großen Momente ihrer Kunſt gewährt. Diefe Iennt man ja und fennt die Wirkung, die aus ihnen in das erſchau—⸗ ernde Publifum rinnt; und je verjchwenderifcher man, um fie zu jehildern, glühende Adjektive, leuchtende Metaphern verftreut, defto ärmer und hilflofer ftammelnd kommt man fi) nur immer vor und jpürt nur wieder, daß fein Wort jemals die Kraft hat, ein wirkliches Gefühl zu nennen.
Sarah Bernhardt. (Gaftfpiel im Carl-Theater vom 8. bis 11. November 1904.)
La Reine de l’attitude, la Princesse des gestes, la Dame d’energie hat Roftand fie einmal genannt. Und, fährt er fort, fcheint fie nicht wirllich aus einem Märchen zu kommen? Werden die Worte nicht Perlen und Diamanten auf ihren Lippen? Iſt es nicht der unfterb- liche blaue Vogel, der in ihrer Stimme fingt? Ihr Leben ift vielleicht das größte Wunder unferes Jahrhunderte. Es wird zur Legende werden. Aber ihr Dichter müßte irgend ein geheimnisvoller Homer fein, der zugleich ein Thöophile Gautier, ein Jules Verne und ein Rudyard Kipling wäre...
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Nun, wird man lächelnd fagen, Roftand ift ein Poet und einer, der den fanfaronneöfen Ton feines Cyrano liebt. Sarcey aber, der gute alte Onkel Sarcey, der eher ein Spießer war und ein rechter cuistre der jchönen Künſte, ſprach von ihr nicht ander8 ald von la grande, l’unique Sarah. Und, Iyrijch jchnaufend, was dem munteren Bären feltfam genug ftand, hat er über ihre Phädra geichrieben: „Es ift die Vollendung der großen Kunſt. Unſere Groß- väter Sprachen bewegt von Talma und dem Fräulein Mars. Ich Habe die beiden nicht gejehen. Saum, daß ich mic an Fräulein Rachel erinnere. Aber ich fann mir nicht vorftellen, daß man jemald auf dem Theater etwas jo Geniales und fo Vollkommenes gejehen hätte, wie Frau Sarah) Bernhardt neulich war.“ (Derjelbe Sarcey, der die Duje „une petite femme de race, mais qui n’a pas d’ecole“ genannt hat.) Und faft wörtlich ebenfo, von ihrer Stleopatra, der ſonſt eher jpöttijche Albert Wolff, der fie noch ein paar Jahre früher hämiſch angefallen hatte: „Sch denke feit langer Zeit, daß dieje jeltene Schauipielerin nicht bloß eine große Künftlerin ift, fondern die große Künftlerin, die einzige in umjerer Zeit, die wirklich diejen Namen verdient, ohnegleichen auf der ganzen Welt. Ich weiß nicht, wie die Rachel war, die ich niemals gejehen habe. Aber ich kann mir nicht denfen, daß es möglich wäre, mehr Talent zu haben als Sarah." Und Lemaitre fogar, ungläubiger Renanift von Beruf, der jo gern die raſchen Enthufiasmen der beweglichen Menge ein bifschen zauft, ftimmt hymniſch ein: „Da alle lobpreifenden Adjek- tive des MWörterbuches jchon benügt worden find, um Frau Sarah Bernhardt zu feiern, weiß man nicht recht, wie
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man fich anftellen fol, um ihr eine Anbetung darzubringen, die fich doch immer wieder erneut, fo oft dieſe außerordent- liche Frau erſcheint.“ Er fagt „Anbetung“: adoration. Ein Wort, das jonft nur gebraucht wird, um das Gefühl zu nennen, das der Fromme für die Heiligen oder allen- falls ein trunfener Züngling für die Geliebte hat.
In folchem Tone von einer Schaufpielerin reden zu hören, ift uns jeltfam. Wenn man dies einem Franzoſen fagt, lacht er einen aus: Ihr könnt das eben gar nicht verstehen! Wenn man dann aber, bereit, fich durch Gründe befehren zu laſſen, nun weiter fragt, wodurch fie denn eigentlich auf ihre Adoranten jo wirfe, und eine Schilderung ihrer Kunft verlangt, jo find es immer nur diejelben paar dagen Worte: la voix d’or, le geste sublime, ces dons prodigieux und immer wird jchließlich einfach jene Couplet von der Reine de l’attitude, Princesse des gestes, Dame d’Energie wieder irgendwie variiert. Es ift höchft merf- würdig, wie wenig die Franzoſen von der Kunft der Frau, die fie jo jehr verehren, eigentlich zu jagen wifjen; und es önnte fein, daß diefe Verehrung vielleicht gar nicht fo ſeht ihrer Kunft gilt. Der Franzoſe, der von der großen Sarah fpricht, fängt immer fogleich aus ihrem Leben zu erzählen an: Und, denfen Sie, fie hat in Honolulu vor der Königin Pomare gejpielt! Und fie fchläft in einem Sarg! Und Leoparden und Tiger fpazieren in ihrem Salon herum! Keiner fann einem genau fagen, wie fie den dritten Aft der Stameliendame fpielt, aber jeder ift ftolz darauf, daß fie die Fahne der franzöfiichen Kunſt bis nach Indien ge- tragen hat. Sie ſelbſt jogar, wenn fie fich Öffentlich ver- nehmen läßt (wie bei jenem großen Feſte, das ihr im
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Dezember 1896 gegeben wurde), fpricht faum je von ihrer Kunft, die für fie nur ein Mittel jcheint, dem Vaterlande und einigen großen, übrigend niemals deutlicher genannten Veen zu dienen. „Ich habe den Traum meiner Kunft über die Meere getragen und das Genie meiner Nation hat gefiegt. J’ai plant& le verbe frangais au coeur de la litt6rature ötrangäre, et c’est ce dont je suis le plus fiire. Gräce à la propagande de mon art, la langue frangaise est aujourd’hui langue courante de la jeune generation.“ Niemals eine Äußerung, was fie zum Bei- fpiel in irgend einer Rolle jucht oder etwa wie ſich für ihre Gefühl die Kunft zum Leben verhält und was fie denn überhaupt eigentlich fünftlerifch will. Aber genau verzeichnet fie, daß ihr in Kanada die Senatoren, unter Hochrufen auf Frankreich, die Pierde ausgeipannt und die Studenten für fie die Marfeillaife angeftimmt Haben, „welche die Engländer ftehend anhörten, den Hut in der Hand, mit dem Nefpeft, den fie für jede edle Manifeitation immer haben“, und daß in Auftralien, wo bis zu ihrer Anfunft die deutiche Kolonie ftärfer ala die franzöjiiche war, ein Feſt, das ihre Bewunderer gaben, jo ſtark auf die Bevölkerung gewirkt hat, daß l’&motion de cette r&- ception quasi royale rejaillit sur notre colonie frangaise stablie & Sydney et & Melbourne. Immer weiß fie von fich bloß zu jagen: Ich bin die Siegerin, nicht für mich allein, jondern für mein ganzes Volt! So fieht fie fich, dies nur will fie fein. Und indem fie es ft, jcheint fie den tiefiten Wunſch ihrer Nation zu erfüllen. In ihr findet jeder, was er jelbft gern wäre. Wie zu einer Statue der allgemeinen Sehnfucht hat fie fich gemacht. (Um aber
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doch immer wieder in fie zurückſinken, weil fie noch die Kraft nicht Haben, aus fich eine andere zu prägen, diejes ewig über ſich hinaus Verlangen und ewig wieder in fich hinein Verlöfchen unferer arınen Zeit, die fich in Wünichen fo verzehrt, dab ihr feine erfüllende Macht mehr bleibt, bis fie davon bitter und wild und tückiſch wird, dieſes ganze Elend unferer doch flügellahmen Vermeſſenheit iſt es, was die Duje jpielt. Und man fönnte vielleicht noch einfacher jagen: das Leiden an Schönheit in einer un- ſchönen Welt. Brave Leute meinen oft, große Menjchen von innerer Kraft und Schönheit follten nun aber nicht fo unbefcheiden jein, auch noch ein Äußeres Glüd zu for- dern, da fie doch an fich jelbft genug haben müßten. Sie vergefjen, daß fein Menich allein, jondern jeder unter die anderen geitedt ift, gegen die er gerade durch feine Kraft und innere Schönheit nur deſto empfindlicher wird, wofür fie fi) an ihm noch mit wachjender Erbitterung rächen. Das muß die Dufe mit einer Heftigfeit erlebt haben, vor der einem kalt und ſtarr wird. Wie fie fich hier immer wieder aufrafft, fo gut und freundlich zu fein, ala einft, mit feinem frohen Vertrauen ins Leben, das junge Mäd- hen war, wie fie ed aber niemals fann, weil alles, was fie fieht, alles, was fie hört, alles, was um fie geſchieht, jeder trübe Blick, jeder läppiſch ängftliche Ton, jede Ieere, nur angelernte, unbejeelte Gefte, ja jede verlegen unge- ſchickte Liebkoſung und zudringliche Zärtlichkeit aller dieſer nichtswürdig braven und ruchlos anftändigen Leute für fie nur eine einzige ungeheure Beleidigung und Demütigung ift, wie fie fich von niemandem verftanden und auch ſelbſt niemanden zu verjtehen fühlt, wie nichts, was fie jagt, zu
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den anderen hinüberdringen, nichts, was ihr die anderen fagen, etwas von ihnen zu ihr herüberbringen fann, wie fie bei jedem fcheuen Schritte gleich an die ftarre Mauer ihrer angeborenen Einſamkeit ftößt, wie fie ſich überall blutig reißt und endlich, die Haut der Seele ganz zer- ſchunden, nur noch wie auf einem glühenden Nofte lebt, jegt aber, indem fie fühlt, bloß daran gerade zu leiden, daß fie jchöner und beffer und von einer edleren Art als die anderen ift, fich erbittert entichließt, fo jchlecht und ge— mein und niedrig zu werden, wie fie find, um ihnen ge- wachſen zu jein und fich an ihnen rächen, nur wenigſtens doch einmal rächen, ſich und die ihr gleich find, an diejer Welt von Feinden rächen zu können, dieſes angenehine Dafein großer oder auch nur wirklicher Menjchen in einer naturvergeffenen Zeit ftellt die Dufe dar, mit dem Grimm und hölliihen Groll einer aus den legten Tiefen herauf von allen Stetten losgerifjenen und zur eigenen Vernichtung ausgebrochenen Natur, deren Anblid zum Höchften gehört, das heute Kunft gewähren fann.
17. Januar 1905.
Die Dufe al? Magda. Immer wieder fpielt fie das. Und mir ift es ein Gefühl, das ich gar nicht recht nennen Tann, ſeltſam dumpf, fait ein bißchen unheimlich. Viel— leicht gerade, weil ich feit fo langen Jahren ihre Kunſt Tenne, weil ich fie in ihren höchſten Momenten völliger Entrüdtheit erblict Habe und weil fie mir jo viel gewor- den ift. Und dann ipielt fie wieder das. Und daß es ihr möglich ift, kann ich eigentlich noch immer nicht be— greifen. Gott, ich hab gar nichts gegen das Stüd. Ich
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ſchätze Sudermann fehr, und jchliehlich, es ift ein Stüd, das in allen Zonen auf die Leute wirkt, jo daß es ſchon auf Ummegen doc irgendwie etwas Wirfliches in den Menichen trefjen muß; anders wär's ja nicht zu erflären. Nur daß die Dufe es fpielen kann, gerade jiel Einen Cherub Holz haden zu fehen! Und ich werde dann den ganzen Abend ein unendliches Erbarmen mit ihr nicht los, und dieſe Rolle, von der ihre ftolze und ftarfe Seele nichts wiffen kann, wächſt mir faft zum finjteren Symbol ihrer ganzen, hinfällig durch die Länder um Erwerb und Ruhm geichleppten armen Eriftenz an. Als fie fie zulegt, im Oktober, gab, jchrieb ich, e8 habe mich an ein Wort Hebbels erinnert, das allen Schmerz des Künſtlers in der Welt enthält: „Am unglüdlichiten tft der Menſch, wenn er durch feine geiftigen Kräfte und Anlagen mit dem Höchſten zu- fammenhängt und durch feine Lebensftellung mit dem Niedrigften verfnüpft wird." Was noch ganz befonders auf den Schaufpieler zutrifft, da feine Kunft, als eine, die auf der völligen Vernichtung de3 Zufälligen, Unweſent- lichen und Tagtäglichen in jeiner Natur ruht, die höchſte Neinheit fordert, jein Metier aber vielfach an Gemeinheit gebunden ift. Sch ſpüre aber jegt hier noch etwas anderes, das nicht ganz leicht zu fagen jein wird, weil es ziemlich
tief ind Wejen ihrer Kunft geht. Ale Wirkung der Duje tommt zulegt nur aus Leidenſchaft her, Leidenſchaft ift es, die die frierenden Menfchen bei ihr juchen. Sie nun fich
zu dieſer Leidenjchaft bei Falter Seele, nur durch Energie,
der die Rolle nirgends Hilft, ja die die Rolle mandmal
merklich ftört, gewaltjam erhigen zu ſehen, indem fie ihr
innere3 Feuer gleichſam in Röhren von Eis pumpt, ift
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mir ſchauerlich. Schauerlich — das Wort wird mancher vielleicht exzeffiv finden, doch mag er überlegen, ob nicht ein jo großer und echter, niemals täufchender, immer fich ganz bergebender Künſtler, wenn nichts da ift, wofür er fich hergeben fann, wenn fein Reiz ihn trifft, der jeine Natur auslöfen würde, wenn er aljo gezwungen ift, fich leer nur an feinem Willen aufzuregen, nicht in dieſer echauffierten Hingebung an etwas Tote und Starres ei» gentlich faſt einer Frau gleicht, die fi in den Armen eines ungeliebten Mannes betäuben oder vergefjen würde. Dan verftehe mich recht: es gibt taufend Schaufpieler, denen e& leicht ift, bei jchlafender Seele zu wirken. Der Dufe ift es unmöglich. Denn das Geheimnis ihrer Macht über die Menfchen ift es gerade, daß fie vor ihnen der eigenen Seele jozujagen die Haut abzieht. Und fie weiß es, daß die Menfchen zu ihr nur fommen, um den An» blick einer entfeffeften Erregung zu genießen. Dieje bloß vorzutäujchen, durch eingelernte Zeichen, iſt fie unfähig. Sie fann feinen unbefeelten Blick, feinen unbejeelten Schritt tun. Im folchen Rollen aber, welchen die Beſeelung durch den Dichter fehlt, wo nimmt fie fie da eigentlich her? Dffenbar nur aus einem ungeheueren inneren Zwange, wie die Derwijche tun, die fich im Kreife drehen, um auch ein Gefühl, für das ihnen jeder natürliche Reiz fehlt, künſtlich gleichjam aus dem Blauen Herunterzuholen, Und die Leute, die nur jo vage jpüren, daß hier ein Wunder gefchieht, ohne zu ahnen, um welchen Preis, jauchzen ihr zu und fie muß ſich immer wieder verneigen, jehr blaß, jehr matt an die Tür gelehnt, leer lächelnd, mir aber tut es weh, weil ich immer denken muß, was e3 fie doch innerlich gefoftet haben mag.
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19. Januar 1505.
Gefragt, warum fie die Adrienne Lecouvreur ipiele, Hat die Duje gejagt: Weil jie gelebt Hat! Tas Hingt ei- nem zuerſt feltiam, beftätigt .aber, was ich neulich, bei ihrer Magda, jchrieb. Erregung ift die Quelle, aus der fie ihre Wirkungen holt, fie braucht innere Trunfenheit, um ſich Fünftleriich ganz geben zu fönnen. Woher dieje nehmen? Eine Frage, die freilich der eriten Jugend unbe- Tannt ift, welche eben in einer andauernden grundlojen Trunfenheit beiteht. Aber fpäter? Woher? Entweder aus der Kraft, die ein Dichter in einer Geftalt angefammelt bat, oder unmittelbar aus einem heißen Creignifje des Lebens ſelbſt. Aber an jolchen anftedenden Geitalten der Dichter find wir arm und die Ereignifje unferes Lebens laſſen fich nicht fommandieren, nicht immer. Dann mag & einem helfen, wenn man fich imaginär in ein fremdes Leben begibt, um fich an seinen Ereignifjen aufzuregen. So lieft man in Etunden der großen Enttäufchung und Müdigkeit, wenn plöglich alle um einen zu verdorren fcheint und man ſich völlig von allen Rechten des Dajeins ausgeftoßen glaubt, mit trauriger Begierde den Plutarch, zwängt fich in jeine Helden und ihr Schidjal ein und preßt fich jo an den Pulsſchlägen der Erinnerung wieder eine fünftliche Atmung ab. Das mag es fein, was die Dufe zur Lecouvreur zieht. Das Stüd ift elend, aber fie bat gelebt! Sie hat fich in den Sinnlojigfeiten des Da- feins gewälzt, wie wir, fie ift von jeinen Fiebern und Schauern triefend und verbrannt gewejen, wie wir, fie hat gelebt, dasſelbe tolle, ratloſe, trügerifche, wilde, graufame, tüdifche Leben, das alle Menjchen leben, wenn e3 vielleicht
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auch glücliche gibt, die e8 weniger fpüren. Es ift ja ſchließlich ganz gleich, ob man den Alkibiades oder die Zecouvreur, eine Königin oder einen Roßknecht hernimmt: jedes Leben, das wirklich gelebt wird, enthält dasſelbe, wenn e& auch freilich nicht von allen in demjelben Grade gejpürt wird. Sie aber hat es noch bejonders leicht, ſich in das Dafein der Adrienne wie in eine Schlangenhaut zu fteden, weil ihr dieſe wirklich tief verwandt gewejen fein muß. Bor allem künſtleriſch. De la nature elle a su le langage, hat Voltaire von der Adrienne geſagt, und Elle embellit son art, elle changea les lois,
was doc wirklich ganz merkwürdig auf die Dufe zutrifft. Und in einer Nede, die der Schaufpieler Grandval nad dem Tode der Lecouvreur auf fie hielt, jprach er von jener „unnachahmlichen Künftletin, die die Kunft, zum Herzen zu fprechen und, wo fonft nur Pomp und Zeierlichkeit war, Gefühl und Wahrheit zu bringen, eigentlich erſt er- funden hat.“ Man hat fie als die erfte große, wie wir heute jagen würden: Naturaliftin gerühmt, weil fie viel näher, viel handgreiflicher an die Wirklichkeit trat, ala es jemals vor ihr auf einer Bühne gewagt worden war, und doch ift es immer wieder auch die noblesse du sentiment, von der alle Nachrichten aus ihrer Zeit voll find. Sie muß von jener Außerften WildHeit der Leidenfchaft, welche zulegt wieder ins ganz Innige, Flüfternde, Zärtliche um- ichlägt, gewejen fein, jenen aus Raſerei der Kraft in ſüßeſte Heimlichkeiten ftürzenden, von Verbrechen zu Seligfeiten taumelnden Geftalten altfranzöfijcher Sagen gleich, an die auch die Kunft der Dufe manchmal erinnert, Und endlich
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ihr armes Leben, io von Legenden überiponnen, dab wir faum darüber etwas ſicher wilien können ala mur, daß es ein einziger Schrei nad) Glüd geweien iit, jenem Glück das ſich den großen Menichen immer verjagt, weil dies eben ihre Größe ausmacht, daß iie mehr fordern müflen, als das Leben je zu geben hat. So begreiit man, dab die Erinnerung an das itarfe, ftolze, zerpeinigte Geſchöpf hinter dieiem nihtswürdigen Stüd der Duſe Hilft, ſich zu jener nadjttiefen Berlorenheit zu fteigern, die allein ihr die großen Momente ihrer Kunft gewährt. Diefe fennt man ja und fennt die Wirkung, die aus ihnen in das erichan- ernde Publikum rinnt; und je verihwenderiicher man, um fie zu ſchildern, glühende Adjeltive, leuchtende Metaphern verftrent, deſto ärmer und hilflofer ftammelnd kommt man fid) nur immer vor und jpürt nur wieder, daß fein Wort jemal3 die Kraft Hat, ein wirkliches Gefühl zu nennen.
Sarah Bernhardt. (Gaftipiel im Carl-Theater vom 8. bis 11. Rovember 1904.)
La Reine de Yattitude, la Princesse des gestes, la Dame d’energie hat Roftand fie einmal genannt. Und, fährt er fort, fcheint fie nicht wirklich aus einem Märchen zu fommen? Werden die Worte nicht Perlen und Diamanten auf ihren Lippen? Iſt es nicht der unfterb- liche blaue Vogel, der in ihrer Stimme fingt? Ihr Leben ift vielleicht das größte Wunder unferes Jahrhunderte. Es wird zur Legende werden. Aber ihr Dichter müßte irgend ein geheimnisvoller Homer fein, der zugleich ein Thöophile Gautier, ein Jules Verne und ein Rudyard Kipling wäre...
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Nun, wird man lächelnd jagen, Roftand ift ein Poet und einer, der den fanfaronnesfen Ton feines Cyrano liebt. Sarcey aber, der gute alte Onfel Sarcey, der eher ein Spießer war und ein rechter cuistre der ſchönen Künſte, ſprach von ihr nicht anders als von la grande, ’unique Sarah. Und, Iyrijch jchnaufend, was dem munteren Bären feltfam genug ftand, hat er über ihre Phädra gejchrieben : „Es ift die Vollendung der großen Kunſt. Unjere Groß« väter ſprachen bewegt von Talma und dem Fräulein Mars, Ich habe die beiden nicht gejehen. Saum, daß ich mich an Fräulein Rachel erinnere. Aber ich fann mir nicht vorftellen, daß man jemals auf dem Theater etwas jo Geniales und fo Volltommenes gejehen hätte, wie Frau Sarah Bernhardt neulich war.” (Derjelbe Sarcey, der die Duſe „une petite femme de race, mais qui n’a pas d’6cole“ genannt hat.) Und faft wörtlich ebenjo, von ihrer Stleopatra, der ſonſt eher ſpöttiſche Albert Wolff, der fie noch ein paar Jahre früher hämiſch angefallen hatte: „Sch denfe feit langer Zeit, daß dieje jeltene Schauipielerin nicht bloß eine große Künftlerin ift, fondern die große Künftlerin, die einzige in unferer Zeit, die wirklich diejen Namen verdient, ohnegleichen auf der ganzen Welt. Ich weiß nicht, wie die Rachel war, die ich niemal3 gejehen babe. Uber ich Tann mir nicht denfen, daß es möglich wäre, mehr Talent zu Haben als Sarah." Und Lemaitre ſogar, ungläubiger Renaniſt von Beruf, der jo gern die raſchen Enthujiagmen der beweglichen Menge ein bißchen zauft, ftimmt hymniſch ein: „Da alle lobpreiſenden Adjek- tive des Wörterbuches ſchon benügt worden find, um Frau Sarah Bernhardt zu feiern, weiß man nicht recht, wie
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es ihnen die Rejane gibt. Cie denken nur mit dem Ber- ftande Typen aus, aus der Gattung zur Figur macht es ihnen erft die Rejane.
Das ſpürt man fo deutlich auch hier. „L’äge d’aimer* beißt da8 neue Stüd, zuerft Mai 1905 im Gymnafe ge- fpielt. Es könnte heißen „Die Frau von vierzig Jahren“. In jener merkwürdigen Krife des drohenden Alters, Wenn das Gefühl beginnt: ich habe feine Zeit mehr. Mit der ewigen Angft, das Leben zu verjäumen. Mit der leijen Wehmut: vielleicht zum legten Mal. Arme Frau, bie Abfchied nehmen muß. Und noch ärmer, weil fie ja jegt ſchon weiß. Weil fie die Liebe Tennt und deshalb nicht mehr an fie glauben kann. Weil fie fich zu den ewigen Illuſionen, die die Liebe find, jegt gewaltfam zwingen muß, Weil e3 bei jedem der füßen Worte leife in ihr fpricht: Erinner’ dich, das hat doc der damals auch gejagt, aud) jo für alle Ewigfeit, erinner’ dich nur, und trogdem, troß- den, erinnert du dich nicht? Und fie weiß, e8 wird wieder dasjelbe fein, ein bißchen irres Glück mit langem Leid be- zahlt. Und fie weiß, der Dann lügt, auch in der höchften Seligkeit noch; es ift die männliche Natur, in der Liebe zu lügen. Und fie weiß, er wird dann, aus der erjten Betäubung erwacht, höhniſch und roh und graufam fein, faft als hätte er fich zu rächen. Ja vielleicht, wenn es ein Dann wäre, der auch ſchon an der Wende des Lebens ift, auch ſchon mit der leiſen Bangigfeit des legten Mals; dann fönnte fie vielleicht noch hoffen. Aber er ift jung, und der Tag wird kommen, an welchem er mit harten Augen fieht, wie alt fie neben ihm ift. Dies alles weiß fie und muß doch. Muß. Immer warnt e3 in ihr und Hilft
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doch nichts. Muß. Und jenes Wiſſen um den Mann bindet ſie ſo, daß ſie dieſem nicht einmal bös ſein kann. Wie denn auch? Sie hat es ja doch gewußt, es iſt ein- mal nicht anders, er muß wohl, ganz ſo wie ſie muß; was will ſie denn alſo von ihm? Und ſo bettelt ſie ſich weiter, wird immer wieder betrogen, mit jeder, die ihm in den Weg läuft, verzeiht immer wieder, kann ja nicht anders, wünſcht ſich nur, es wenigſtens nicht zu erfahren, erfährt es doch immer wieder, will es endlich nicht mehr ertragen, ſchämt ſich zu ſehr, bricht trotzig aus und kann es doc nicht, muß wieder verzeihen, muß, muß, noch dankbar, daß er jo lieb ift, wieder zu lügen, wenn fie es auch weiß. Nach der Generalprobe der „Sapho“ jchrieb Goncourt
in fein Tagebuch: „Jamais on n’a joué ’amour comme cela.“ Das jpürt man immer wieder. Die Dufe ift färfer in der Leidenichaft, die ihre Amourenjen bis ins Sublime reißt. Sie hat dann Momente, wo das Ge- ſchlechtliche plöglich in eine ungeheure Geiftigfeit umfchlägt. Triumphe der Seele, in welchen und das große Wunder geihieht, einen Menſchen gleichjam entleibt und eben jegt erſt in feiner völligen Wahrheit zu jehen. ‚Damit ift nur etwa die Leonore, die Iſolde der Mildenburg, mandmal die Sorma zu vergleichen. Die Réjane hat das nie, aber dafür für die andere Geite der Liebe eine ganz einzige Gewalt der Darftellung: für das Chaos, aus dem die Liebe kommt. Was feine Frau eingefteht, kaum fich ſelbſt, ſtellt fie mit einer entjeglichen Deutlichfeit dar. Das Körperliche der Liebe, das alles, woran man nicht denken . darf. Das was Agaue, die Mutter des Pentheus, in die Wälder zu den bacchiichen Zreveln treibt. Died gehütete
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Geheimnis einfam verrafter Stunden reißt fie auf, oft nur durch einen verräterifchen Blick, oft durch ein wildes Zucken des Tone3 mitten in einer banalen Rede, durch ein gieriges Erſchauern des zerquälten Leibes.
Ihre Truppe, nun ... aber wir find ja nicht ver- wöhnt, wenn Parijer nach dem Orient geben, und Herr Magnier ift immerhin ein ganz angenehmer Liebhaber, von einer refoluten Natürlichkeit, die fat etwas Italieni- ſches hat.
17. November 1905.
Die Rejane in „Heureuse* von Maurice Hennequin und Paul Bilfaud. Dan kennt dad Stüd aus dem Deutjchen Volkstheater. Dort hat ed, mit Fräulein Worm, am 2. Januar 1904 ſehr gefallen, ohne fich freilich dann Halten zu können. Gilberte verträgt fich mit ihrem Mann nicht und liebt feinen Freund. Sie verläßt jenen und heiratet diefen, mit dem fie fich aber bald auch nicht mehr verträgt. Sie fehnt fich nach jenem zurüd und erklärt diefem traurig, der alten Zeit gedenfend: Damals, an feiner Seite, war ich wenigſtens glücklich mit dir! Und fo neigt fie fich, mit einem Unbefannten zu tändeln, der ihr verliebt gefchrieben Hat. Sie gibt feinen Bitten nach, kommt in feine Wohnung und findet — jenen, den Mann Nummer eind. Der will fi nämlich rächen, hat den Mann Nummer zwei anonym von ihrer Untreue verftändigt und freut fi nun, wenn dieſer fommen und fie bei ihm ertappen wird. Saum aber fieht er fie wieder, wirfen ihre Neize wieder, Rache verwandelt fich in Liebe, er wird zärt- lich, alles ift vergeſſen und er jchlägt ihr vor, Nummer
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zwei zu verlaffen und fich wieder mit ihm zu verheiraten. Aber fie ift gefcheiter. Cie dankt. Sie verlangt ſich dad gar nicht. Sie hat nun alle Variationen ausprobiert: Nummer eins als Gatten mit Nummer zwei als Liebhaber _ und jegt Nummer zwei als Gatten mit Nummer eins als Liebhaber. Ehelich find beide zuwider, Nummer eins wie Nummer zwei; das fcheint nun einmal ſchon fo zu fein. Fragt ſich alfo nur wer der befiere Liebhaber iſt. Und da enticheidet fie fich für den Gatten Nummer eins. Ihn noch einmal heiraten, nein. Aber Nummer zwei mit ihm betrügen, gern. Abgemacht. Und jchon erjcheint Nummer zwei, argwöhntich ſchnaubend, aber fie fpielen ihm vor, daß es nur ein Scherz war, um ihn von feiner törtchten Eifer- ſucht zu heilen; oder will er am Ende gar glauben, daß fie ihn etwa mit Nummer eins betrügen wird? Nein, das findet er felbft zu dumm und muß lachen. Und fo reichen die Freunde fich die Hände, Nummer eins verjpricht, fleikig zu Nummer zwei zu fommen, und Gilberte ift vergnügt, ihre Ehe jegt in der fchönften Drdnung zu willen. Dies alles ift mit fehr vielen fuftigen Einfällen verbrämt und das Publifum fragt ja nicht, woher fie find. Zum Bei— fpiel die Szene mit der Ohrfeige, welche Gilderte, um einen Grund zur Scheidung zu haben, von ihrem Manne befommen foll, aber im entjcheidenden Moment umgefehrt ihm gibt: aus Sardous „Marquife“, ganz genau. Oder die Briefſzene im zweiten Aft: aus der „Parifienne“, Die ganze Gilberte ift übrigens aus der „Parifienne“, nur ver- gröbert, in dicken Strichen. Wie denn das Stüd durd- aus nach der hohen Komödie greift, alles aber dann zur Poſſe herabzieht, vielleicht gerade dadurch fo wirffam. Man
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weiß, mit welcher prachtvollen Technil die Réjane ſolche Figuren fpielt, einer raſtlos neben der Rolle ſchwirtenden Technik, die über dem Stüd und unter dem Stüd auf eigene Fauſt ihre Künfte macht. Das hat man ihr ja mit ſämtlichen Liften und Schlichen und Kniffen längft adge- laufcht, und jede deutfche Stadt hat Heute ſchon ihre Kleine Nöjane. Darum verblüfft fie Heute nicht mehr. Und mancher meint wohl leichtfinnig: Technik, alles nur Technik! Sieht man aber näher zu, jo wird man immer gewahr, daß es doch mehr ift. Im diejer Technik eines ertremen Kunftverftandes ſpürt man überall ein ſtarkes begehrendes lechzendes Weib. Und das hat ihr noch feine kleine deutfche Rojane nachgemacht, Gott jei Dank.
Suzanne Despres.
(Als Gaft am Carl-Thenter vom 18, biß zum 21. Januar 1906.)
Suzanne Després ift die Schaufpielerin für die Künftler. Das große Publikum jhägt fie, doch mit einer leifen Verwunderung. Sie bleibt ihm immer noch fremd. Es hat eigentlich doc das Gefühl, fie gehöre nicht her. Sie gehört auch nicht hin, neben die Sarah und die Röjane. Sie gehört eigentlich nad Berlin. Zu Reinhardt, zur Eyjoldt und zur Höflich. Und am beiten zur Elje Leh— mann. Ihre Schwefter ift fie. Die Parifer Lehmann.
Die Wirkung, die die Bernhardt oder die Réjane hat, jegt fich zufammen aus einer perjönlichen, einer techniſchen und einer jchaujpieleriichen. Das Publitum Tommt, um die göttliche Sarah) zu fehen, die Zauberin mit der goldenen
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Stimme. Wie man in die Menagerie geht, um den Lowen zu ſehen. Es fragt gar nicht erft, was fie fpielt; es ift zufrieden, daß fie fich zeigt. Es hat fo viel von ihr ge— hört, daß es das Kurioſum endlich fennen will. Wie es auf die Gafje rennt, wenn der Schah kommt. Dann, zweitens, ift es neugierig, was fie fann. Es will ein Kunftftüc fehen, etwas Mühſames, eine Bravour, die ver⸗ blüfft. Wie e8 zu den Ufrobaten, wie es in den Birkus geht, um fich an Gefahren aufzuregen. Hier find es die Berwegenheiten der jchaufpieleriichen Koloraturen. Wie fie die Verje fchwingt, wie ihr Leib, wie ihr Geficht turnt! Das Publikum fühlt: das muß aber ſchwer jein. Und: Dos ann einer den Hals often. Und ift geichmeichelt, daß fie fich jo plagt, die Fee mit der goldigen Stimme, Und bemerkt kaum die Geftalt, die fie ſchafft. Wie denn auch? Sarah ſelbſt ift immer größer als alle Geftalten und fteht ihnen vor,
Die große Schaufpielerin wirkt in Paris als eine bejondere Perjon, die etwas Beſonderes kann und ed an einer Rolle zeigt, an jeder Rolle immer dasjelbe. Als der gute alte Sarcey (in Wien vor vierzehn Jahren) die Dufe zum erften Mal ſah, nannte er fie une petite femme de race, mais qui n’a pas d’&cole. Da verrät jedes Wort, was der Franzoje im Theater fucht. Une petite femme fand er verwundert: denn der Franzoſe will die grande dame. Femme de race ftatt du monde. Und: qui n’a pas d’6cole. Die die Fünfte, die Finten, das Metier nicht hat. Man kann wirklich jagen, daß bis in die legte Zeit das ganze franzöjiiche Theater eigentlich Hoftheater geblieben ift, das nur den Fürſten gemwechjelt
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hat: immer noch will es fchließlich nur auffällige Männer oder Frauen von ungemeiner Art jervieren, deren bejondere Sertigkeiten unterhalten. Erſt bei Antoine fanden fi einige, denen e3 nicht galt, fi) zu produzieren, fondern die geftalten wollten. Und die Schaufpielerin diefer Ge— neration iſt die Despres. Die Eltern Heine Leute. Ganz arm. Das Mädel fol bald verdienen. Kommt in ein Geſchäft. Hält es nirgends aus. Bindet Blumen. Wird Modell. Wil immer zum Theater. Doch man findet, daf fie fein Talent hat. Hat auch nichts von.dem, was die Parifer in der Schaufpielerin fuchen. Nichts von der Diva, vom gebornen Star. Gar nicht? Raufchendes, gar nicht dieſen Schein von großer Welt, Abenteuern und Verführung. Die erſte Rolle, die fie fpielt, ift die Petra im „Volksfeind“. Ein merfwürdiger Zufall: dieſes ftarke, redliche, tapfere Mäd- hen der Zufunft; wie fie felber ift. Und bald darauf die Hilde im „Solneß“. Und immer wieder Ibſen. Immer am beiten: unfranzöfiiche Wejen. Und auf eine ganz un- franzöſiſche Art: indem fie ſich völlig zu entäußern fucht, um durchaus die Figur zu werden. Unbefümmert um die Wirkung. Natürlich fpüren die Leute doch, daß fie be- ſonders ift, anders als die anderen. Man wird aufmerk- fam. Uber es heißt, daß fie zu wenig kann. Sie wird ſelbſt an fich irre und, längft als Schaufpielerin bekannt, tritt fie in das Konſervatorium ein, um zu lernen. Nach zwei Jahren führt Lugne-Po& fie nad) Belgien und Nor- wegen. Dann, März 1898, hat fie im Gymnaſe mit Lemaitres „L’Aine6“ ihren erften Parijer Erfolg, Sie kommt zu Antoine, fpielt hier Boil de Carotte und ift feit-
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dem endlich „berühmt“. Sie geht zu Guitry, fpielt die Servaife in „L’Assommoir“ und da, 1900, jchreibt Zola von ihr: Elle donne la vie elle-möme par l’admirable simplicit6 de son jeu... .; et la douceur dont elle enveloppe la triste destinge humaine n’exclut pas chez elle la nettet6, ni la force. C'est certainement l’artiste dans ces dernieres annees, qui m’a &mu le plus profond&ment par tout ce qu’elle a evoqu& en moi de vrai, de douloureux et de bon. Nun wird fie in die Comẽdie geholt. Aber dort leidet es fie nit. Man denfe fich die Eyfoldt im Burgtheater. Und wieder fort. Bald Hier, bald dort. Erfolg um Erfolg, überall. Und muß doc unftet fein. Muß warten, bis erſt ein Publitum für fie fommen wird. Eines, das im Theater nicht mehr das Kunftftüd, fondern das Kunſtwerk fucht, das nicht fommt, um ein Couplet zu hören, fondern einen Menfchen zu erleben, daS nicht verlangt, verblüfft zu werden, jondern mitzuleiden.
Die franzöfifche Lehmann. Nur daß das dort viel fchwerer ift, weil fie die große Tradition erft zerbrechen muß. Die Rejane fing ähnlich an: auch zuerjt ganz kunſt⸗ 108, gar nicht Dame, daß erſte Weib der franzbſiſchen Bühne. Aber fie lernte bald. Sie nahm die ganze Tradition auf. Und jegt ift e8 ihr Reiz: eine Dame geworben zu fein, aus der noch mandmal das Weib plöglich hervorbricht. Die Despr&s aber, fcheint es, iſt ftärfer als die Tradition. Sie gibt nicht nach. Sie kann offenbar gar nicht anders. Und gerade durch dieſes „Ich Tann nicht anders, jo muß ich fein“ wirft fie jo. Es find immer die ganz Kunftlojen, durch die fich die Kunſt erneut.
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Ste begann geſtern als Jacqueline im, Détour“, der feinen, Eugen, nur gar zu mathematiſchen Kombdie Bern: fteind, die man aus dem Naimund-Theater und dem Volkstheater kennt. Anfangs fehr Iuftig, ſehr nett, jehr zierlich; mit einem Hintergrunde von Ernſt. Und man fragt fich unwillkürlich: Wo habe ich nur dieſes Geſicht ſchon gejehen, jo merfwürdig rein und fo drohend ftill? Aber dann fchiebt fie plöglich das harte Kinn vor, der Hals ſchwillt an und jet hat man es: Englifches junges Mädchen von Fernand Khnopff! Ia, ganz fein Typus. Ganz dieje leifen und doc; feiten Züge, mit diefen Fernen im Blicke. Faft noch Kind, aber ſchon ſchwebt die Sphinz an den böfen Lippen. Und num ift e8 wunderſchön, wie wie fie nach und nach, mit einer lautlojen Kunft, der man anfühlt, daß fie ſich an Ibſen gebildet, die Figur zu öffnen beginnt, bis in des Herzens letztes Herz Auch techniſch mit allerhand Vortrefflichleiten. Sie hat zum Beifpiele eine unbefchreibliche Art, zu zeigen, daß fie Bosheiten denft, während fie Liebenswürdiges jagt. Endlich aber, in den großen Szenen, ift es ein ganz perfönlicher Ton, durch den fie bezwingt: ein Ton von einer eigenfinnigen und erbitterten Ehrlichkeit, die faft etwas puritanijch Eiferndes und einen verhaltenen Zorn hat, den man mit zuefender Seele erlebt fpürt.
20. Januar 1906. Bor der Desprös haben wir die Nora hier von der Dufe, von der Sorma, von der Trieſch gejehen, aber
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merkwürdig: die Heine Pariſerin iſt ibſeniſcher als alle. Die Duſe war ein Adler, nicht die Lerche. Die Sorma romantiſcher, als man es einer Frau glaubt, die ſo viel zu rechnen hat; mit einem Schimmer, der erſt bei einem höheren Einkommen beginnt. Die Trieſch mit Anfällen zur Judith hin. Dieſe Nora der Desprss iſt ganz un⸗ tragiſch und hat gar nicht das, was man „poetifch“ nennt. Eine brave kleine Frau, von der man verſteht, daß fie mit dem Helmer glüdlich ift. Mit engen bürgerlichen Ge- bärden. Und rührend, wie fchlecht fie tanzt; auch mit einer Hingebung, die man nur für das hat, was man nicht fann. Eine liebe Heine Frau, wie wir Taujende fennen. Und man glaubt fie erledigt, wenn man jagt: eine liebe Kleine Frau! Aber nun jest dad Schidjal an, um ung zu zeigen, was e3 alles aus jo einer lieben Heinen Frau Holen kann: an Schmerz, an Kraft, ja zulegt an Größe. Und da verjteht man plöglich nicht nur die Nora ganz anders, man verfteht auch erſt Die neue nordijche Frau. Man verfteht, wie fie geformt worden ift: in der Not, durch Sorgen, aus armen Mädchen. Das ergreift uns fo ſeltſam: diefe Schaufpielerin riecht nach Volk, Die großen Schaufpielerinnen verleugnen jonft immer ihre Her- tunft, fie find entwurzelt. Aber bei der Despr6s hat man das Gefühl (wie bei der Lehmann): die ift von jenen, die jegt herauffommen, aus dem Dunkel, in welchem die Kraft ruht.
21. Januar 1906. Die Despr&s gab geftern zuerft „La Fille Elisa“. Eigentlich nur drei Szenen, von Ajalbert aus dem Roman Hermann Badr, Gloffen. 3
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Goncourts gehadt: der Moment der vision rouge, die fie treibt, daS Mefjer in den armen Heinen Soldaten zu rennen; dann vor den Geſchwornen; endlich im Gefängnifie. Drei Verfuchungen zum großen Coup. Wie würde ſich eine andere darauf ftürzen! Der Coup der Desprös ift es, ihn jedes Mal zu vermeiden, Nur die Linien der Figur zu ziehen, ift es offenbar, was allein fie reizt; den jchau- fpielerifchen Schluß verſchmäht fie. Ganz Schule Brahm. Mit derjelben Angſt vor dem „Theater“, die zulegt alle ſchauſpieleriſchen Pointen abbricht. Manchmal hat man freilich den Verdacht, es könnte vielleicht auch fein, daß fie dag legte nicht fann. Set e8, daß dann ihre Kraft verfagt, bejonder8 der Stimme. Sei es aus einer ver- haltenden Scham, die menfchlich wunderfchön, aber künſt⸗ Terifch doch ein Defelt wäre. Man hat dann das Gefühl, wie zuweilen bei Baumeifter auch: Das Beſte ſchluckt fie, hinunter! Darum ift fie die große Schaufpielerin der Vor- geſchichten. Was vor dem Stüde liegt, wie diefer Menſch fo geworden ift, den Roman vorher, der ihn geformt Hat, hellt ihr trandparentes Geficht auf. Und die große Schau: fpielerin der Baufen. Wenn der Dichter ſchweigt, wird ihr Auge beredt. Fängt er wieder zu fprechen an, ift es manchmal faft, als erfchrede fie und wolle fich verftecen. Und die große Schaufpielerin zwiſchen den Zeilen. Wenn der Dichter etwas jagt, aber nur jo nebenhin, und noch etwas ganz anderes meint. Das ift der unendliche Reiz ihres Poil de Carotte. Das Etüd war im Burgtheater; ich glaube: dreimal. Mit ihr fünnte es hundertmal fein. So wunderbar ergreifend ift es, wie fie, mit doch nur ganz alltäglichen Worten von der Straße, heimlich die
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Seele de3 einfamen Kindes aufmacht. Es gibt heute kaum vier, fünf Schaufpielerinnen, deren Kunft jo deutich ift. Man möchte fie einmal mit Kayßler, Oskar Sauer und der Höflich zujammen jehen.
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IV
Theater in der Joſefſtadt
Marquis von Keith. (Schaufpiel in fünf Aufzügen von Frank Webelind. Zur Aufführung am 29. April 1903 im Theater in der Jofefftadt.)
Darf der ſchnöde Rezenſent e8 wagen, einmal ein bißchen vor fich Hin zu phantafieren ?
Ich fpiele gern damit, mir auszumalen, furchtſam, aber manchmal auch etwas jchadenfroh, wie man wohl in hundert Jahren über uns denken wird. Sch meine nun, unfere Nacjlommen werben es machen, wie wir es gemacht haben, und jeden von und nur jo viel gelten laſſen, als er beigetragen hat, an der neuen Form des Lebens mit- zubelfen, die fie erben werben. Wenn es ihnen gelingt, wie ſchon Niegiche geſchwärmt hat, wieder eine regierende Kafte zu bilden, die rings das Dafein der Menſchen aus ihrem Geifte zu geftalten weiß, dann werden fie fich dank⸗ bar erinnern, wen fie unter den Ahnen ſchon an ihrer Arbeit vorgefunden haben. Gegen die anderen aber unter uns, welchen es nicht gegeben ift für die Zukunft zu wirken oder doch zu wünfchen, werden fie, muß ich fürchten, hart und ungerecht fein; denn als ein junges und frohes und tätiges Gefchlecht, wie ich fie mir denke, das fich vermißt, die Welt umzufchaffen, werden fie von unferem geduldig
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liebreichen „Hiftorifchen“ Sinn nichts wiſſen wollen, fon- dern, darin dem Beifpiele aller großen und ftarfen Zeiten folgend, alles nur auf fich beziehen und nach fich richten. Wer aber tft unter und, der es vertragen kann, jo ge- meffen zu werben? Mir wird um manden Kameraden bang und viele große Namen, die heute gelten, werben dann wohl bald zu den Germaniften entſchwunden fein. Aber andere dafür, die man heut verfennt, weil fie nicht der Zeit zu dienen wifjen, ſondern abſeits ihrer Sehnfucht folgen, wird die Zukunft aus der Ede holen. Stelle ih mir nun dieſen fpäten Triumphzug vor, wie er dann feierlich durch8 Gewühl der dankbar erregten Enfel geleitet wird, fo glaube ich immer voran das breite und bleiche und maßfenftarre Geficht des Frank Wedekind zu ſehen; denn feiner ift unter und, der fich nad) einer Beit der Freiheit und der Freude fehmerzlicher und gieriger fehnt, darum verſchmachtet er auch fat in der unjeren und darum haßt er fie fo, wie nur Propheten haſſen.
Bor jein Buch „So ift dad Leben“ hat er ald Motto das Urteil eines Kritilers gejegt, da8 von ihm fagt: „In der deutſchen Literatur von heute gibt e8 nichts, was jo gemein ift, wie die Kunft Frank Wedekinds.“ Es macht ihm offenbar Spaß und er rühmt fich noch, „gemein“ zu fein. Er ift es auch, wie die ftillen Schwärmer Tolftojs, wie die weiſen Vagabunden Gorkis „gemein“ find, nämlich als ein Entlaufener aus unſerer Kultur, der mit ihr nichts mehr zu tun haben will, weil er fie durchichaut hat. Er iſt der legte der großen Zerftörer, nun bleibt nicht? mehr. Ringsherum ift unfere Kultur abgellopft worden. Iſt e8 wirklich groß, das Große? hat Ibſen gefragt. Und dann
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wurde gefragt: Iſt es wirklich jchön, das Schöne, wirklich, gut, das Gute? Und fogar: Iſt es wirklich wahr, das Wahre? Und fo ſank eine Mauer nach der anderen um, kein Glaube war mehr, e8 war nur noch der Aberglaube an das Lafter. Alles Licht verlofch, da ſchimmerte noch daß Lajter. Bon feiner Romantik lebt eine ganze Literatur, und leiſe klingt bis zum fcheuen Philifter der Verdacht hinüber, daß es doch eigentlich wunderjchön fein müßte, „unfittlich“ zu fein, wenn es nur nicht leider verboten wäre. Nein, jagt da Wedekind und ftößt auch diefe Mauer ein, eure Gejellfchaft ift jo verderbt, daß es auch mit dem Laſter nichts mehr ift; es hat feine „Poefie“ mehr, als allenfalls für Knaben oder Greiſe, es ift nicht „romanttjch“, es ift banal und albern wie eine „Muritat“. Heute nennt man ihn deöwegen unmoralijch, vielleicht wird man aber bald einmal fo paradog fein, in ihm die ſtärkſte moraliſche Kraft unferer ganzen Literatur zu finden: denn er reiht dem Lajter die jchöne Maske ab. Es reizt und ja doch eigentlich nur wie Elliden der fremde Mann: weil uns vor ihm graut. Ihm aber graut nicht mehr, er kennt e8, ihn ekelt nur, il fastidito fünnte er fich wie ber Nolaner nennen, und indem er uns dieſen grandiojen Efel mitteilt, find wir geheilt. Eine Roßkur wird man vielleicht fagen. Ya. Aber auch Savonarola war nicht fanft, das liegt ſchon einmal im Metier der Moraliften.
Das Gefühl Wedekinds ift, unfere ganze Stultur fei duch und durch „pervers“, indem auch die Kräfte, die jie fonft vielleicht retten könnten, in ihr zur Sarifatur werden müffen. Jede Kultur braucht ihre Leute mit der Zeit auf, aber dann find an ihrem Rande immer andere da, die fi
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friich erhalten Haben und aus welchen fie fich erfegen kann. Giordano Bruno hat ein Stück gejchrieben, das fich übrigens die Herren vom „Afademiichen Verein für Kunft“ einmal anfehen follten, ob fie e& nicht wagen wollen: den Candelaio, den ihm die Pedanten noch immer nicht verzeihen fünnen. Hier fommen lauter Gauner vor, aber es find zugleich die Philoſophen ihrer Zeit, die academici di nulla academia. Sie fühlen fich verftoßen und ausgejegt, aber dies benügen fie, um ſich über ihre Zeit hinaus in die Zukunft zu ſchwingen und dieje vorzudenken, vorzuleben. Die Gefell- {haft will von ihnen nichts wiffen, gut, jo wiljen auch fie nichts von ihr, jo find fie frei, und dieſe Freiheit macht fie fühn. Sie betragen fich nicht ſehr fein, aber wir em- pfinden, daß in dieſer Luft allein der verruchte Geiſt ge- deihen Eonnte, der dann fo ſtark wurde, alles abzujchütteln und eine neue Menjchheit aufzurichten. Nenne man fie Bohöme oder wie man immer mag, aus ihnen hat fich doch die Welt verjüngt, wie man wohl auch denken mag, daß fich aus den Strolchen Gorkis vielleicht ihr Vaterland verjüngen wird. Wie ift es aber bei una? Haben wir nicht auch Menſchen, die fich ausgeſetzt und verftoßen fühlen? Gibt es nicht auch da manches Talent, für das die Ge- jellichaft feinen Pla mehr hat und das fich darum jeinen in der Zukunft jucht? Ja, jagt Wedelind, wir haben ſchon auch eine Bohöme, nur ift fie verkümmert, wie ihr alle feid, fie hat feinen Stolz mehr, fie will nicht „Draußen“ bleiben, fie ſtiehlt fich in die Gejellfchaft hinein; die alte „Kreuzung von PHilofoph und Pferdedieb“ — die Defi- nition würde auch für die Helden des Candelaio gelten — iſt nicht außgeftorben, aber fie ift jegt ehrgeizig ge—
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worden, fie will damit Karriere und Gejchäfte machen. Das ift der lächerlich tragiiche Fall des „Marquis von Keith": er fühlt fi) als „Übermenfch“, will das aber auch jogleich verwerten und gibt Aftien auf feine Uber- menſchheit aus, bis fie zuſammenkracht.
Der Marquis iſt der Sohn einer Zigeunerin und eines Dorfſſchulmeiſters in Oberſchleſien. Er ſchildert ung ſeinen Vater als „einen geiſtig ſehr hochſtehenden Menſchen“, beſonders in der Mathematik und den exalten Dingen. Er wächſt als Gefährte eines jungen Grafen von Trautenau auf, rennt dann in die Welt, treibt ſich „halsbrecheriich“ herum, brennt mit einem Heinen guten Mädchen, faft noch einem Sinde, aus Büceburg nach Amerika durch, Hat manches Abenteuer zu beftehen, foll einmal, wenn wir ihm glauben dürfen, auf Cuba mit zwölf Komplizen erfchoffen werden, hilft fich aber immer wieder davon: er ift nicht umzubringen. ragen wir um das Motiv, das ihn eigent- lich, treibt, jo hören wir ihn felbft über fich jagen: „Meine Begabung beſchränkt ſich auf die leidige Tatjache, daß ich in der bürgerlichen Atmofphäre nicht atmen kann.” Er tert aber, wenn er glaubt, darin beſonders zu fein: ed geht anderen auch fo, nämlich allen Künftlern, deren Weſen es ja ift, fich in der äußeren wirklichen Welt, die fie umgibt, fo beflommen und bedrängt zu fühlen, daß fie fie, um nicht daran zu erjtiden, durch das Bild ihrer inneren imagi- nären überwinden müſſen. Sein Irrtum ift nun, daß er fich falſch interpretiert: er legt feine Bellemmung in der „bürgerlichen Atmoſphäre“ aus, als ſei fie ein Zeichen, daß er berufen fft, in eine höhere Klafje zu gelangen; und dad Phantom, das fi dem Künftler in den erhabenen
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Stunden der Vifionen gewährt, will er in der Wirklichkeit erjagen. Da er nun von der Welt fordert, was ber Künftler nur aus ſich jelbft Haben Tann, die Befriedigung feiner unfteten Phantafie, die nicht zu heilen ift, weil fie nie- mals natürlich, nämlich durch ein Werk, entladen wird, wird er unerfättlich und rennt „Tag und Nacht wie ein ausgehungerter Wolf Hinter dem Glüde her“. Immer ſchwebt e3 vor ihm, immer glaubt er es fchon zu greifen und bevor er entjagt, wie jeine arme Molly fleht, und fich bejcheidet und nach Bückeburg geht, „Lieber juche ich Bir garrenftummel in den Caf68 zufammen !“ Leben, nur leben, endlich ein Mal, ein einziges Mal ſich ausleben dürfen, dad quält ihn: „Wenn ich ftürbe, ohne gelebt zu haben, würde ich als Geift umgehen... Ich bin ala Srüppel zur Welt gefommen. So wenig wie ich mich deshalb zum Sklaven verdammt fühle, jo wenig wird mich der Zufall, daß ich als Bettler geboren bin, je daran Hindern, den allerergiebigften Lebensgenuß als mein rechtmäßiges Erbe zu betrachten.“ Worauf die törichte Molly, die doc; eigentlich viel klüger ift, weil fie von feiner Phantafie ge- plagt wird, das tiefe Wort fagt, das fein ganzes Weſen enthält: „Betrachten dürfen wirft du ihn, fo lange du lebſt.“ Das ift, wie man es früher genannt haben würde: die tragifche Schuld feiner Natur. Zum „Betrachten“, zur Anſchauung beftimmt, wie es die Künftler find, glaubt er, durch Genußſucht betrogen, ein Mann ber Tat zu fein, der nur, weil er niedrig geboren ift, weil er Hinft und dieje roten, groben „Plebejerhände“ hat, gezwungen jei, es ala Hochitapler zu verfuchen. Er ift aber eigentlich un» ſchuldig wie ein Kind, er Hat nur den Größenwahn, ein
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Betrüger zu jein, es gelingt ihm nie, er bleibt ein armer Phantaſt, und die verzagte Molly hat wieder recht, wenn fie dem großen Faifeur, dem jchon alle Leute mißtrauen, treuherzig jagt: „Wir beide find eben nun einmal zu ein- fältig für die große Welt.“ Er ift es wirklich; das „Un- geheuer von Gewiffenlofigleit”, das der blinde Idealiſt Scholz in ihm fieht, weiß nicht einmal die Münchener Spießer zu täufchen, er wendet die dümmften Mittel an, und indem er die ganze Welt auszubeuten glaubt, wird er 3 ſelbſt von allen Seiten, weil er im Realen ratlos ijt. Er hat gar feinen Sinn für die Mittel, er fieht immer nur das Ziel, daß er fich, der echte Phantaft, wunderbar auszujhmüden liebt. „Ich Habe ein wedjielvolles Leben hinter mir, jagt er einmal, aber jegt denfe ich doc) ernit- lich daran, mir ein Haus zu bauen; ein Haus mit mög- licht hohen Gemächern, mit Park und Freitreppe. Die Bettler dürfen auch nicht fehlen, die die Auffahrt garnieren.“ So beraufcht er ji ewig an Träumen, und wie vermefjen er fich gebärden mag, er bleibt ein armer Dichter, der ver- derben muß, weil er fich verraten und ftatt jeinem inneren Leben til zu dienen, and äußere weggeworfen hat.
Um diefe Figur ift nun mehr Geift aufgefchüttet, als unfere berühmten Autoren in zehn Jahren aufzubringen haben. Dan bewundert immer die Franzoſen. Hier ift ein Deutfcher, der fi an Kenntnis der Welt und bitterer Erfahrung im Menfchlichen mit La Rochefoucauld mefjen Tann. „Der Menich wird abgerichtet,” fagt er einmal, „Oder er wird hingerichtet . .. Unglüd kann jeder Ejel haben; die Kunft ift die, daß man es richtig auszubeuten versteht . .. Um unſterblich werden zu wollen, muß man
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ſchon außergewöhnlich lebensluſtig fein . . . Ich habe feit einiger Zeit vor lauter Lebensluſt manchmal Selbftmord- gedanken... Mit Feuerwerk blendet man feinen Hund, aber der vernünftigfte Menjch fühlt fich beleidigt, wenn man ihm feines vormacht ... Sünde ft eine pathetiiche Bezeichnung für ſchlechte Geichäfte, gute Geſchäfte laſſen fih nur innerhalb der betehenden Geſellſchaftsordnung ſchließen . .. Und nun übermittle ich ihnen den Stein der Weiſen: das glänzendfte Gejchäft in dieſer Welt ift die Moral.“ Und fo praffelt und knattert es durch das ganze Stüd fort. Yet höre ich aber jagen, es ſei doch fchade, wenn ein Dichter joviel Geift verſchwendet, um die Menſchen nur zu quälen und ihnen das Leben zu ver- leiden, während es doch das heilige Amt der Poefie jei, fie zu beichwichtigen, zu tröften und zu verjöhnen. So wird nämlich, wie vor zehn Jahren gegen Ibſen, der auch fo „peinlich” war, heute gegen Wedekind gejammert und geflagt. Man zieht ja jegt wieder der comedie rosse die comedie rose vor. Ich bin jedoch dieſer Meinung nicht, weil „mir bet meinen wenigen Erfahrungen klar geworden ift, daß man den Leuten, im ganzen genommen, durch die Poefie nicht wohl, Hingegen recht übel machen fann, und mir deucht, wo dag eine nicht zu erreichen ift, da muß man das andere einfchlagen. Man muß fie infommodieren, ihnen ihre Behaglichkeit verderben, fie in Unruhe und Er- ftaunen fegen. Eins von beiden, entweder ald ein Genius oder als ein Geipenft, muß die Poefie. ihnen gegenüber- ftehen. Dadurch allein lernen fie an die Exiſtenz einer Poeſie glauben und bekommen Reſpekt vor dem Poeten.“ Diez iſt aber nicht von mir, fondern von Schiller, auf den
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fi} unfere Pebanten weniger berufen würden, hätten fie ihn gelejen.
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Beim Theater kommt es immer anders: Wedekinds verrufener „Marquis von Keith“, von dem ich ja neulich ſchon im Feuilleton geiprochen habe, derjelbe, der in Mün- hen und in Berlin mit jolcher Wut verhöhnt worden ift, hat geftern hier einen ftarfen, unbeftrittenen, von Aft zu Akt immer heftigeren, zulegt braufenden und tofenden Er— folg gehabt. Armer Webelind, neulich in Berlin mit dem „Erdgeift”, jegt ebenſo hier — plöglich wirft du gar am Ende noch ein „beliebter Autor“ fein, Sänger der „Bri- gitte B.“! Hier Hat er es übrigens Jarno zu verdanken, dem Negifjeur und dem Schaufpieler. Ich denfe mir allerdings den Marquis eigentlich heller, gejchmeidiger, leichter, gläubiger an feinen Stern, unfchuldiger in feiner Laune; doch das Hätte wohl nur Mitterwurzer gekonnt. Wie aber Jarno feine ftarfe Vitalität und die Energie jeiner Begierden trifft und wie er gar den legten Aft fpielt, wie da der Freche, Zyniſche plöglich vor dem Schidjal ftugt, unficher wird, zaubert, fich jedoch noch einmal zu= ſammennimmt, gewaltjam wieder aufrafit, es noch einmal trogig verjuchen will, aber dann von innen heraus gleich- fam aufgebrochen und zerfprengt wird und nun ein ganzes Heer von Dämonen herausftürzt, Reue, Schmerz und ge» meine Todesangft, bis er endlich einem ertappten, jchlot- ternden Diebe gleicht, der vor Erjchöpfung nur noch irre lallt, dies hat mit einer Wucht gewirkt, der niemand wider-
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ftand. Er mußte denn auch an die dreißigmal, ftürmifch herausgejohlt, erſcheinen. Verblüfft hat mich auch Fräu- lein Krenn, die die heiffe Rolle der Gräfin mit einer wunderbaren Anmut gab. Hier ift eine junge Odilon, ja vielleicht noch mehr, da bisweilen eine unbezähmte Leiden- ſchaft aus ihren böfen Augen bligt, die vielleicht bis ing Tragiſche reicht.
Crainquebille.
(Scaufpiel in drei Bildern von Anatole France, deutſch von Theodor Wolff. Zum erften Mal aufgeführt im Theater in der Joſefſtadt am 24. November 1903.)
Anatole France auf der Bühne! France, der ftille, feine, ſteptiſche, der lächelnd weiß, que sur toutes choses il y a beaucoup de veritss, sans qu’une seule de ces verit6s soit la verit6, auf der Bühne, die das Laute und das Grobe verlangt, große Worte und feite Züge und irgend eine Wahrheit, welde es auch immer jei, aber flatternd aufgerollt und mit Leidenfchaft geſchwungen. Er
. spöttelt gern ein bißchen über fein Metier, weil er (lange vor Mauthners „Sprachkritik“) den Worten nicht traut. Parler, 6crire, quelle piti6, jagt er einmal, qu’est ce qu’il en fait, le lecteur, de ma page d’öcriture? Une suite de faux-sens, de contre-sens et de non-sens, Lire, entendre, c’est traduire. (Im Lys rouge, und ganz ähnlich einmal im Vorwort zu den Opinions de Mr. Jöröme Coignard, wo er davon fpricht, daß es wahr- fcheinlich in der Ilias und in der Göttlichen Komödie fei- nen einzigen Vers gibt, den wir heute jo verjtehen würden,
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wie er damals gemeint war). Und num tritt er vor bie dreifte, gefchwägige, zerftreute Menge im Theater hin. Und es gelingt. Aber er ift ja überhaupt der Mann der Kon— trafte. Griechiſch gefinnt, ein guter Heide, kann er fid doch einer feltiamen Neigung für Mönche, Büßerinnen, Heilige nicht erwehren. Faſt wie er feinen Sylveſtre Bonard gefchildert hat: ein vieux savant cölibataire, trös intelligent, trös röflöchi, trös ironique et tr&s doux, jehr meditativ, gelehrt, den Verjuchungen der Welt entrüdt, jogar mit einem leifen pedantiſchen Bug, zeigt er fich doch in der Schilderung wilder Sünden verdächtig erfahren. Aller Kulturen vol, Tünftlich wie ein Alerandriner, ein bißchen müde von jo viel Weisheit und fo viel Schönheit, die er aus allen Bechern gejchlürft, liebt er die Bettler, Zigeuner, Vaganten, ganz einfache, faft tieriiche, von der Luft der Landftraßen beraufchte Menjchen. In der Rede gelaffen, an der hellen Art des achtzehnten Jahrhunderts gebildet, durchaus klaſſiſch, jchweift er doch zuweilen fo jonderbar ab, daß man unwillfürlic an Jean Paul oder Didens erinnert wird. in Zweifler (J’ai demandö mon chemin & tous ceux qui, prötres, savants, sorciers ou Philosophes, pr&tendent savoir la g&ographie de l’inconnu. Nul n’a pu m’indiquer exactement la bonne voie), der zulegt am Zweifel jogar zweifelt (J’ai eu peur de ces j deux mots d’une störilit€ formidable: je doute), dem alles, alle8g dans ce röve d’une heure qui est la vie nur Schein und Wahn fit, der die einjame Freude der Ent- fagung liebt (joie triste .... et cela est plus qu’une joie joyeuse) und gelernt bat, in allen Wechjeln des Schickſals Yattitude d’un promeneur paisible zu be
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wahren, ein iromifcher Zujchauer der Menfchen und des Lebens, ſelbſt wie fein Abbe Jerome Coignard une sorte de m&lange merveilleux d’Epicure et de saint Frangois d’Assise, hat er fich dennoch, als die Stunde kam, mitten ins Gewühl gejtellt und tapfer mitgelämpft. Es muß in feinem Weſen doch noch irgend etwas fein, das feinen Werken fehlt. Man wundert fich auch, wenn man fein Bild fieht. Sein Geficht Hat einen Zug von männlicher Entichlofjenheit, von Sraft, von Härte, einen ſoldatiſchen, ftreitbaren, unerbittlichen Zug, den man nach feinen Schriften nicht erwartet. Jeder Menfch, der überhaupt etwas ift, ift doch immer noch mehr, ala er weiß und glaubt. In unferen Büchern zeigen wir nur, was und an uns jelbft gefällt. Es ift nicht immer das Beſte.
Crainquebille war zuerſt eine Heine Geſchichte. Dann wurde daraus ein Meines Stüd. Jene enthält den Unatole France, den wir kennen. Dieſes überrafcht uns, wie fein Bild, durch eine Energie, die wir ihm nicht zutrauen konn⸗ ten. Es zeigt fich nicht bloß, daß auch einmal ein Phi- lofoph le don du thöätre haben kann. Es zeigt fich jetzt auch erft, wie leidenschaftlich doch insgeheim alle feine Ironie ift.
Jeremias Crainquebille, ein Gemüſehändler, der tag- aus, tagein feinen Wagen mit Kohl, Rüben und Salat durch die Straßen von Paris fchiebt, ein ruhiger, ftiller, gutmötiger Menfch, ſchon an die Sechzig, nicht fehr ge» ſcheit, kommt eine Tages durch die Strafe von Mont- martre, da tritt Frau Bayard, die Schufterin, aus ihren Laden, um einzukaufen. Sie fucht, fie feiljcht, der Schug- mann Nummer vierundjechzig geht vorbei und jagt: Allons,
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eirculez! Die Schuſterin bietet vierzehn Sous, aber fie hat fein Geld bei fich, fie muß es aus dem Laden holen. Der Schugmann Nummer vierundfechzig fommt wieder: Allons, eirculez! „Ich warte nur auf mein Geld,“ jagt Crainquebille. Darauf der Schugmann, fehon gereizt: „Habe ich Ihnen etwa gefagt, Sie jollen auf Ihr Geld warten? Weiterfahren jollen Sie, verftanden?“ Und jo, da die Schufterin im Laden eine Kunde zu bedienen hat, auch noch ein drittes Mal: Allons, eirculez! Jegt wird Crainquebille ärgerlih: „Zum Kudud, wenn ich Ihnen ſchon fage, daß ich auf mein Geld warte!“ Inzwiſchen füllt fich die Straße, der Karren des guten Alten ftört in der Tat den Verkehr, man ftößt, man drängt, man jchreit, die einen gegen den Alten, die anderen gegen den Schug- mann, dieſer wird heftig, Crainquebille auch, man verfteht fein eigenes Wort nicht mehr und plöglich faßt der Schug- mann den Alten an: „So, Sie haben ‚Verfluchter Polyp‘ gejagt? ES ift gut, folgen Sie mir.“ Crainquebille ift ftarr. Es ift ihm gar nicht eingefallen. „Ich hätte ‚Ber- fluchter Polyp‘ gejagt? Ich? Mein Gott, mein Gott!“ Aber der Schugmann läßt ihn nicht mehr aus. Ein alter Herr aus der Menge, Dr. Matthieu, Oberarzt, Offizier der Ehrenlegion, fucht ihn umſonſt zu begütigen: „Sie irren fich, der Mann hat Sie nicht beleidigt.“ Das wird ſich alles zeigen. Zunächſt muß er mit, dor Gericht. Vor Gericht. Unter den Zuſchauern ein paar Leute aus dem Quartier, neugierig, wie das ausgehen wird. Aber die Richter find gar nicht neugierig. Der Advofat auch nicht. Der Fall ift ganz unintereffant. Derlei hat man täglich. Und nicht? dabei zu holen. Alfo nur ge |
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ſchwind. Schade um die Zeit. Vorwärts. Was Hat der Angeflagte zu jagen? Ia, mein Gott, bei dem guten Alten geht das nicht fo raſch. Er muß fich erſt erholen. Er kennt fich noch gar nicht aus. Er wundert fi, daß die Herren jo freundlich und fo Höflich mit ihm find. Gar nicht barfch, wie er immer gedacht Hat, daß man Ver— brecher behandelt. Wenn fie nur etwas Iangjamer ſprechen würden! Sie ſprechen ja gewiß ſehr jchön. Aber ein bißchen zu jchnell. Für ihm wenigſtens. Er kann gar nicht mit, er verfteht gar nicht recht, was gefragt wird. Und immer heißt e& gleich: Weiter, nur fchnell! Ja, das geht doch nicht fo. Er müßte den Herren doch erſt er- zählen, wie er jeden Tag ſchon in der Früh um fünf Uhr in den Hallen ift und dann durch die Straßen zieht, damit fie ſehen, daß er fein fchlechter Menſch ift, jondern ein ehrlicher Arbeiter, zufrieden, fi das bißchen Brot zu ver- dienen. Aber fie haben feine Zeit. Sie rufen den Schug- mann vor. Diejer beſchwört, daß der Angeklagte „Ver- fluchter Polyp“ “gejagt hat. Die Schufterin weiß gar nichts, fie fieht den Verbrecher nicht einmal mehr an. Der Doktor Matthien beichwört, daß ſich der Schugmann ver- hört hat: der Dann Hat ihn nicht beleidigt. Der Advolat erhebt fi. Er wird kurz fein. Auch ihn interefjiert' der Fall nicht. Das hat man jeden Tag. Er beginnt mit einem Lob der Polizet — diefer befcheidenen Diener des Geſetzes, die bei einem kläglichen Gehalt den größten Er— müdungen und fortwährenden Gefahren außgejegt find und täglich ihren Heldenmut beweien müfjen: „Es jind meift alte Soldaten, die Soldaten geblieben find — Soldat, das fagt alles!“ Er weiß, daß das immer wirkt; es ift Hermann Badr, Bloffen. 286
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patriotifch. Die Richter niden befriedigt. Er will alii den Schugmann Nummer vierundfechzig keineswegs eine böfen Abficht zeihen, aber e8 gibt — Gehörshalluzinationen Er beruft ſich auf die Wiſſenſchaft. Cr zeigt, wie beleſe er iſt. Die Richter verlieren jchon falt die Geduld. € eilt zum Schluffe. „Und felbft wenn Crainquebille „Ber fluchter Polyp“ gejagt hätte, jo tft es noch die Frage, ol dies Wort in feinem Munde eine Beleidigung, aljo F Vergehen ift. Crainguebille ift das uneheliche Kind eind herumztehenden Hänblerin, die eine notoriſche Trinleri— war, er ift alfo als Alkoholiler geboren. Sehen Sie fi den Mann an und urteilen Sie jelbft, was fechzig Sam des Elends aus ihm gemacht haben. Meine Herren, Si— müfjen zugeben, daß man ihn nicht verantwortlich, madeı Tann.“ Die Richter stehen fich zuräd. Crainquebille danl dem Anwalt; er hat zwar das meiſte nicht verftanden aber es ift iehr jchön geweien. Die Zufchauer find über zeugt, daß er freigefprochen werden muß. Nur ein jung Advofat, der auch zugehört Hat, ift es nicht. Ex fen das beſſetr. Er weiß, wie die Nichter denlen. Ei Menſch kann fich täufchen. Peter und Paul können irr Descartes und Gafjendi, Leibnig und Newton, Bid) und Claude Bernard, die alle Haben irren Zönnen. Ri alle irren, und zwar ſehr Häufig. Die Möglichkeit 5 irren ift fehr groß und mannigfaltig. Die Wahrne)) mung unferer Sinne und das Urteil unſeres Verſtandes find oft nichts weiter als bloße Einbildungen und die Urſache von Ungewißheit und Zweifel. Man darf ſich nicht auf das Zeugnis eines Menjchen verlafjen. Testis unus — testis nullus. Aber auf eine Zahl kann man
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ſich verlaffen. Aber der Schugmann Nummer vierund- ſechzig — wenn man von feiner Perjon als Menich ab- fieht — täuicht fich nit. Wohin kämen wir ohne unfere Polizei? ... Der Heine Advolat hat recht: Die Richter lommen zurüd, Crainquebille ift ſchuldig, vierzehn Tage Gefängnis und fünfzig Francs Gelditrafe. Er wird ab» geführt, nur raſch, denn ſchon beginnt der nädjite Fall, und fo geht es bier immer weiter.
Der Vorhang fällt und während auf der Bühne ver- wandelt wird, befinnen wir und ein wenig. Sehr wahr, ſehr fein, jehr Hug; und mit einer merfwürbigen ſparſamen Kraft vorgebracht, die erft feine Umftände zu machen braucht. Aber ſchließlich: nicht jehr neu. Tolſtoi, grimmig an- Hagend, Brieux, kalt und gelafjen, ‚und der göttliche Cour- teline, zyniſch höhnend, haben und dasſelbe gejagt. Unfer Gefühl läßt nicht mehr zu, daß fich irgend ein Menſch zum Richter über die anderen aufwirft. Und eigentlich fteht daS ja auch fon in „Maß für Maß“. Nur jagt & France auf feine Art. Pour le savant, il n’y a pas v6ritablement de monstres, meint er einmal im „Abb6 Eoignard*. Darum find es für ihn auch die Richter nicht. Sie find nur auch Menjchen wie wir, Menjchen, die feine Zeit haben, die leicht ungeduldig werden und denen ihr Geſchäft ſchon recht langweilig ijt. Gott, die Routine! Das ift nun einmal nicht anders. Ein Schaujpieler, der immer diejelbe Rolle fpielt, fpielt fie auch zulegt fehlecht. Sie freut ihn nicht mehr. Und das iſt das einzige, was man diejen Richtern vorwerjen kann. Es freut fie nicht mehr. Und es iſt ihnen auch nicht mehr jo wichtig. Seien wir ehrlich: wer will es ihnen verdenfen? Es
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gibt fo viel Unglüd auf der Welt, das fi nun einmal nicht ändern läßt, und fo viel Ungerechtigkeit in der Natur überall, daß es daneben wirklich wenig zu bedeuten Hat, ob der gute Exainquebille vierzehn Tage brummen muß. Der Richter, der in tieferes menjchliches Leid geblickt hat, Tann das nicht tragijch nehmen. Und, denken wir, wenn Erainquebille vernünftig ift, macht er es dem Richter nad), regt ſich nicht erft auf und kehrt im vierzehn Tagen an fein Gefhäft zurüd,
Da jegt der dritte Akt ein. Crainquebille ift ver- nünftig. Er regt fich nicht auf, er hadert nicht mit Gott und den Menjchen. Cr weiß zwar noch immer nicht recht, warum er eigentlich figen muß, aber die Herren Richter haben ihm doc, fehr imponiert, weil fie fo freundlich und höflich gewejen find, auch gefällt es ihm in der Belle ganz gut, die jo blank ift, daß man vom Boden effen Fünnte, und fo ergibt er ſich willig in die Gejege der Nepublif, nur etwas bejorgt, was denn aus jeinem Starren geworden fein mag, und ob die Schufterin nicht vergefjen wird, ihm die vierzehn Sous zu bezahlen. Und nachdem er entlafjen ift, ſchiebt er wieder feinen Karren durch die Straße von Montmartre vor fich her und ruft: Kohl, Rüben, Salat! Er macht es den Richtern nach und nimmt die Sache nicht tragiſch. Aber die Menſchen! Die find nicht fo wie die Nichter. Für die ift das ein ernſter Fall. Die können von einem Manne, der vierzehn Tage geſeſſen ift, fein Ge müfe mehr laufen. Die wollen von ihm nichts mehr wiffen. Die Schufterin kennt ihn nicht mehr und erinnert fich an feine vierzehn Sous nicht mehr, man wendet fi) von ihm ab, die Heine Dirne fogar, die fonft gern mit ihm am der
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Ecke geplaudert Hat, verachtet ihn jegt. Zuerſt Tann er das alles gar nicht verftehen. Was Haben fie nur alle? Dann frißt es an ihm und erbittert ihn und er wird zänkiſch und- fängt, um fi) zu betäuben, zu trinken an und ver- Indert fi und kommt herab. Und dann wird e8 Winter. Er verbient nichts mehr. Jetzt hat er ſchon einen ganzen Tag gefmmgert. Und er fühlt: mit ihm ift eg aus. Und ihn friert Und er erinnert fich, wie gut es ihm eigentlich in Der Zelle gegangen ift. Und da fällt ihm plöglich ein: das kann ich doch wieder haben, ich kenne ja jet den Kniff! Und er geht, bis er einen Schugmann erblickt, tritt auf ihn zu und jagt: „Verfluchter Polyp!“ Der Schup- mann bleibt ftumm und rührt fich nicht. Crainquebille wiederholt : „Verfluchter Bolyp — das gilt Ihnen!“ Da fagt der: „Das müſſen Sie nicht ſagen, ... wahr und gewiß, daß müſſen Sie nicht fagen. Wenn man fo alt ift wie Sie, follte man vernünftiger jein. Gehen Sie Ihrer Wege“ Crainquebille fragt: „Warum arretieren Sie mich nicht ?* Aber der Schumann fchüttelt den Kopf: „Wenn wir all die Krafeler einſtecken wollten, die jagen, was fie nicht jagen dürfen, dann Hätten wir viel zu tun! ... Und was hätte das wohl für einen Zwei?“ Da ſchämt ſich Crainquebille und verſichert: „Es war auch nicht für Sie, daß ich ‚Verfluchter Polyp‘ gejagt Habe, und aud für feinen andern — es war nur jo eine Idee.“ Aber der andere erwidert: „Das iſt ganz einerlei, warum Sie es gejagt haben, aber das muß man nicht jagen, denn wenn ein Menſch feine Pflicht tut und viele Strapazen ausftehen muß, jo joll man ihn nicht durch müßige Worte beleidigen. Ich wiederhole Ihnen noch einmal, gehen Sie
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Ihrer Wege.“) Und Crainquebille ſenkt den Kopf und wanft langſam durch den Regen in die dunkle Nacht hinein. „Si !’on se möle & conduire les hommes,“ hat france einmal gejagt, „il ne faut pas perdre de vue qu'ils sont de mauvais singes: à cette condition seulement on est un politique humain et bienveillant.“
Jarno ift als Crainquebille vortrefilih. Er jagt dieſe rubigen Worte jheinbar ganz arglos her und wirft gerade dadurch ergreifend. Beſonders vor Gericht, wenn er nur immer vom einen zum anderen blidt und eigentlich den ganzen Akt bloß mit den Augen fpielt. Im dritten Akt hätte ich mir vielleicht doch einmal einen grelleren Ton der Verzweiflung gewünſcht, etwas aus dem legten Akt feines Keith. Aber wie er dann mit einer unendlich ſcheuen und elenden Gebärde den Schugmann um Per- zeihung fleht und endlich wortlos, ratlos, hoffnungslos hinausirtt, da8 iſt wieder ganz wunderbar. Auch fonit wird das Stüd — von den Damen Pohl-Meijer, Balme und Clemens, den Herren Strasni, Claar, Bachmann, Groß, Ezagell, Schmid! und Mahr — bis in die Heinfte Rolle herab durchaus glänzend gefpielt und ift ein Mufter Aug nachfühlender und mitichaffender Regie.
*) Ich habe nach der deutſchen Überfegung der Novelle, von Gertrud Savitſch, zitiert, die im Septemberheft der „Neuen Deutichen Rundſchau erfhienen ft.
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(nAngele”, Komödie von Otto Eric) Hartleben, — „Rarrnerleut” von Karl Schönherr. — „Der Dieb“ von Octave Nirbenu. — Zum erſten Mal aufgeführt am 30. September 1904.)
Als im zweiten Jahre der Berliner freien Bühne Hartlebens „Angele“ erichien, gab e8 einen großen Skandal, Faft wie zuvor bei Hauptmanns „Schnaps- und Zangen- ftäd“. Man zeterte fittlich: Wie unmoraliſch! Und jetzt, da wir das Stüc nad) vierzehn Jahren wiederjehen, wundern wir ung faft, wie moraliſch es ift. Es hat in der Tat den zomigen Ton beleidigter Tugend, es jchreit vor Sitt- lichkeit, es kann ſich gar nicht fafjen, daß die Welt jo ſchlecht ift. Und unwillfürlich fragen wir ganz erftaunt. Ja, warım denn, was ift denn gejchehen? Ein feines Berliner Mädchen, wie dieſe nun einmal jind, vergnügt einen Neferendar, handelt wohl gelegentlich auch daneben, und da der alte Herr, den der Neferendar für feinen Vater hält und der es vor dem Geſetze auch iſt, und ein Findifcher Kandidat der Theologie fich in fie vernarren, möchte fie den einen oder den anderen ehelich einfangen, was ihr ber Autor, ſchadenfroh wie Moraliften immer find, durch einen Zufall vereitelt. Umd donnernd jet er als Motto Hin: Verachte dad Weib! Deshalb? Wir jehen gar feinen Grund. Beil ein junges Ding, wild aufgewachfen, arın, unbejonnen, hilflos, der großen Stadt ausgeſetzt, lieber genießen als arbeiten will, einmal der Gier eines Mannes erlegen bald auch an amdere gerät, Liebe und Lafter nicht tragifcher nimmt, al3 fie es überall fieht, jo liederlich wird, wie die Männer fie machen, und jich endlich, da ihr doch mand;- mal vor dem Alter bangen mag, gern bürgerlich verforgen
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möchte, um dann wahricheinlich eine fo brave Frau zu werden, als ihr Neferendar, bis er nur erſt Aſſeſſor ge» worden ift, den braven Mann machen wird? Iſt das jo ſchredlich? Die Männer nügen fie für ihre Lüfte aus; ift e8 fo fchlimm, wenn nun auch fie die Lüfte der Männer auszunützen verjucht ? Und deshalb gleich: Verachte das Weib? Wenn e3 dafür kein ftärkeres Argument gibt! Wir fühlen Bier viel weniger das Weib als die Gefellichaft verächtfich, in der es fich jchänden muß. Aber daran merft man die Tugend des Autors und merkt, daß er aus einer ftillen Heinen Stadt kommt, ängftlich erzogen und vor dem Leben verwahrt. Man wird unjeren Ton von 1880 bis 1890 nie verftehen, wenn man nicht weiß, daß wir alle aus kleinen Städten waren, als Kinder in hellen ftillen Stuben mit weißen Gardinen forgfam behütet, im eine Tünftliche Welt von Treu und Medlichkeit verhüllt. Nun aber aus dieſem geiftigen Biedermeierſtil plöglich ins
Leben auögejtoßen, fehrieen wir entjegt auf. Seitdem find |
wir älter und find ftädtiicher geworden. Was wir damals exit pathetijch, dann Höhnifch ingrimmig angeklagt, nehmen wir jegt mit einer Geduld Hin, die weniger philofophifch als praftiich ift. Wir werden es nicht ändern; e& fcheint, daß wir den Glauben an uns verloren haben. Insgeheim ſchämen wir uns wohl noch ein bißchen, aber wir regen un Öffentlich nicht mehr auf, ſondern es genügt uns, zu wiffen, daß e8 in der Welt, wie fie nun einmal vorläufig tft, niemals anftändig zugeht. Wenigfiens gewiß nicht unter den anftändigen Leuten. Bei den anderen vielleicht eher.
Bei den anderen vielleicht eher. Die unanftändigen
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Leute find anftändiger. Das ift das Thema Schönherrs in den „Rarmmerleuten“, Mirbeans im „Dieb“. Auch nicht ganz neu, e3 hat immer eine „Räuberromantit” gegeben. Und Giordano Bruno hat ein Stück gejchrieben, den „Candelaio“, den ihm die Pedanten niemals verzeihen: da kommen lauter Gauner vor, aber es find zugleich die Philo- fophen ihrer Zeit, die academici di nulla academia ; aus- geftoßen und verachtet, fühlen fie fih an fein Vorurteil der Sitte gebunden und benügen dies, um fich über ihre Zeit hinaus in eine hellere Zufunft zu fchwingen, die vor- zubenfen, vorzuleben ihr Stolz ift. So verwegen geht Schönherr nicht 108. Auch ruft er nicht unſeren Hohn, jondern das Mitleid an. Der Vintſchgauer ift ein Bagant, der mit feinem Weib und den zwei Buben berumzieht, Erdäpfel ſtiehlt, auch einmal wildert, nichts verjchmäht, was fich irgendwo mitnehmen Yäßt, und einen bejonderen Spaß hat, die Gendarmen zu foppen, die ihn niemals er- wiſchen. Diebe!, jagen der Bauer und der Bürger; und befreuzigen fi. Ja, jagt Echönherr, aber man ift nicht bloß ein Dieb, damit ift der Menſch noch nicht erledigt, er Tann auch in diefem Berufe ſehr menjchlich fein. Und er zeigt, wie väterlich der Strolch mit feinen Kindern ſcherzt, und wie daS Heinere, Füchſel genannt (die Figur erinnert in ihrer Stimmung ein bißchen an „Poil de carotte“ des Jules Renard, deſſen man ſich aus dem Burgtheater entfinnt) ſich in feinem verjchmigten Köpfchen einen ganz eigenen Ehrbegrifi zurechtmacht, der fo ftarr wie nur irgend ein ritterlicher ift. Aus Hunger verrät es den Vater an den Gendarmen, der e3 mit einem Stüd Brot Iodt, und ſchämt fich dann fo, daf es in den Bach
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{pringt, um lieber zu fterben, als dies Gefühl zu ertragen. Diefe Szene ift mit aller dramatifchen Wucht und Kraft geführt, die wir an Schönherr immer wieder bewundern, nur leiſe beforgt, daß er fich mit ihr nicht zu begnügen jcheint, und eine Neigung, ind Theatraliiche zu geraten, nicht verwinden mag.
Mirbeau faßt dasſelbe Thema fatiriich an. Mirbeau ift ein violent, wie die Franzofen einen nennen, dem es nicht genügt, durch die Wand zu rennen, fondern der darauf verſeſſen ift, e8 juft mit feinem eigenen Kopfe zu tun. Aber dann ift er auch (Goncourt hat dies einmal im „Sournal* jehr amüfant geſchildert) ein potinier: einer, der eine freude hat, das Leben in lauter famofe kleine Geſchichten und Anekdoten aufzulöfen. In tyrannos, aber nicht ohne ihnen, während er den Dolch in fie ſtößt, noch ein hübſches Wort und einen verbindlichen Scherz zu jagen, über den fie ſelbſt lachen müfen. Mit den Jahren wird jener in ihm immer jchwächer, diefer immer ſtärker, was auch einträglicher ift, und jo hat er fich allmählich in den Anarchiften am Kamin verwandelt, der in geficherter ‚Stellung mit Bomben wie ein Iongleur hantiert. Er fagt den reichen Leuten, daß fie ärger als die Diebe find, fagt es aber fo, daß fie ſich darüber noch riefig freuen. Was ja vielleicht Heute die einzige Art ift, frei zu fein, ohne eingeiperrt zu werden.
Der Vorhang geht auf, ein finfteres Zimmer, wir Hören das Fenfter flirren und es fteigt, non feinem Lafaien ‚gefolgt, ein jehr eleganter Herr, in einem Pelz, im Frad, mit weißer Krawatte, ein, der nun auszuplündern beginnt. Wir erfahren, daß es ſchon gegen fünf Uhr früh ift; er
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hat ſich im Klub verſpätet, weil er ein leidenſchaftlicher Spieler iſt. Der Lalai beflagt die: der Herr hätte ſich font ſchon längft vom Geichäfte zurücziehen können, um von feinen Renten zu leben, draußen auf dem Lande irgendwo, und ein Heine Häuschen zu haben, mit einem fleinen Garten, und Kirchenrat oder Gemeindevorfteher zu werden! Aber der Herr, immer weiter die Laden Ieerend, lehnt dies ab: Dazu bin ich noch zu jung, ich muß arbeiten, ich kann nicht untätig fein! Umd während fie arbeiten, ftößt er an eine Vaſe, dieſe Fällt und zerbricht, ein Krach, nebenan er- wacht der Schläfer, dem die Wohnung gehört, und ftürzt herein. Die beiden begrüßen fich höflich, denn der Dieb hat immer das Prinzip: Soyons corrects et restong gentlemen! Und während nad; der Polizei um den Kom- miffär geſchickt wird, plaufchen fie gemütlich zujammen. Iener ftellt fi) vor: „Ich bin ein Einbrecher, ein Dieb. Aber ich habe diefen Beruf nicht gewählt, ohne vorher teiflich überlegt und erfannt zu haben, daß in den ver- wirrten Zeiten, in welchen wir leben, er noch der freiefte, der anftändigfte, der ehrlichfte ift. Der Diebſtahl, mein Herr — und ich jage: der Diebftahl, wie ich jagen würde: der Handel, die Advofatur, die Induftie, die Literatur, die Malerei, die Finanz, die Medizin — alſo der Diebitahl it nur deshalb bisher eine verrufene Karriere geweſen, weil die Leute, die fich ihr widmeten, widerliche Vagabunden waren, Leute ohne Urteil, ohne Erziehung und ohne Ele- ganz, Leute, die man wirklich nicht bei fich empfangen konnte ... Übrigens, ſeien wir doch ehrlich: der Dieb- ſtahl ift die einzige Beſchäftigung des Menſchen. Ich be- haupte, daß ein Menſch durch die Tatjache allein, daß er
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Geld verdient, es irgendwo ftiehlt.“ Ce n’est peut-Etre qu’une question de dictionnaire . . . en effet, bemerkt der andere ſchüchtern. Aber jener fährt fort: er Bat als Kaufmann begonnen, ift dann zur Finanz übergegangen, #t der Reihe nach Journaliſt, Politiker, Weltmann ge- weien — „kurz ich habe alle Karrieren verſucht, die das Öffentliche und das private Leben einem begabten und taft- vollen jungen Menfchen, wie ich bin, zu bieten hat. Und dann ſchloß ich jo: Da nun der Menſch einmal diejem Naturgejege des Diebſtahls nicht entrinnen kann, ift es nicht ehrenvoller, dieß offen zu betreiben? Und fo begann ich zu ftehlen und ftahl jeden Tag, ehrlich.“ Und auf die Frage des anderen, ob er denn dabei glüdlic iſt: „So weit man es in einer fo unvollfommenen Ordnung der Gejellichaft jein Tann, wo uns alles verlegt und die nur von Lügen lebt." Sein Geift, feine guten Manieren, jein Wig entzüden den anderen jo, daß er, al3 nun der Kom⸗ miffar erſcheint, diejen gleich wieder fortſchickt und den neuen Freund durchaus zum Frühftüd behalten will. Der lehnt es aber entjchieden ab: Es ift faft acht Uhr, ich bin noch im Fra, das wäre zu läcerlih. Nun bietet ihm der andere wenigſtens feinen Wagen an. „Dante, mein Automobil wartet an der Ede. Auf Wiederfehen alſo!“ Und er will zum enfter hinaus. „Aber bitte doch,“ jagt der andere, „durch die Tür!“ „Richtig,“ erwidert der Dieb, „entfchuldigen Ste: die Macht der Gewohnheit.“ Und fie grüßen fich höflich und er geht.
Jarno gab in der „Angele* den Alten, einft eine berühmte Rolle Neichers, und dann den Dieb: jenen jehr merkwürdig durch etwas geheimnisvoll Verhaltenes, das
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uns einen tieferen Menſchen ahnen läßt, als die Figur zeigt, dieſen ſcharmant in feiner mondänen Sicherheit. Aus dem Beftohlenen, der eigentlich gar feine Rolle ift, fondern nur Die Stichworte zu bringen hat, wurde durch Maran ein Daumier. Sonft find der nur etwas zapplige Herr Bachmann, Herr Nerz, Herr Claar und die Meine Blaha zu nennen.
Anderes
Stumm und Drang.
(„Die Rinbermörderin“, ein Trauerfplel von Heinzid) Seopolb Wagner. | Zum erften Bal aufgeführt durch den Mufil- und Thenterverein „Seeffion” im Beatrigfanl am 27. Auguft 1904.)
In einer Geichichte der deutichen Literatur, die noch immer gern jungen Leuten zu Weihnachten gefchenkt wird, fteht über Heinrich Leopold Wagner zu leien: „So war fein ungemein rohes und gemeines Trauerjpiel „Die Kindes⸗ mörderin“ dem entnommen, was er von Goethe über Gret⸗ chens traurige Ende im „Fauſt“ andeutungsweiſe gehört hatte. Zur Strafe dafür hat ihn Goethe in jeinem großen Drama als Faufts Famulus verewigt.“ Daran ift natür- lich fein wahres Wort. Das „ungemein gemeine“ Stüd heißt gar nicht die „Sindeömörderin“, fondern die „Kinder mörderin“ ; wir wifjen längft, daß es nicht Goethe „ent- nommen“ ift; und Goethe wird wohl auch faum den Famulus nur erfunden haben, um Wagner zu „Itrafen“, den er übrigens, ſonſt fpäter, in der „klaſſiſchen“ Zeit, den Freunden aus feiner wilden Jugend nicht eben ſehr gnädig, immerhin, „obgleich von feinen aufßerordentlichen Gaben“, doch als einen „guten Gejellen“ gelten ließ. Aber jo gebt es mit den Germaniften; einer jchreibt daß Urteil des
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andern aus, ohne jelbft das Werk zu fragen, und rafft ſich einer dazu doch einmal auf, ift er wieder meiſtens gar nicht fähig, das Weſen zu ſpüren. Mißverftändniffe, halbe Wahrheiten, ganze Lügen erben fich fort, auch wer ſich vor ihnen zu hüten glaubt, wird unmillfürlich doch angeftedt und ift dann paff, wenn er zufällig nach Jahren wieder vor jo ein verrufenes Werk gebracht, plöglich gewahrt, wie ftarf es ift. Ich Habe jet wieder einmal ein paar Tage Klinger, Lenz und Wagner gelejen, welchen ich jeit meiner erſter Berliner Zeit entrüdt war. Damals Haben fie jehr auf mich gewirkt, wie wir und ja damals alle, in den ungeftämen Achtzigerjahren, gern auf fie beriefen und gar, ein bißchen kokett, als ihre Vollſtrecker fühlten. Ich Hatte dies nicht vergeffen, aber wie man jchon bisweilen, eben indem man einen Gedanken oder ein Gefühl zu bewahren glaubt, doch feine nach und nach unmerflich verblafjende Kraft allmählich verliert, war ich jegt faft beftürzt, wie heftig nun ihre Natur auf mich eindrang. Man übertreibt dann in der erften Freude gern, man joll es nicht, id; jage mir das die ganze Zeit ſchon vor, es Hilft aber nichts, ih muß: noch nie war mir jo Mar, daß unfere ‚ganze neue deutfche Literatur von ihnen kommt, fie nur immer ent widelt und aufrollt, und wie fie fi von ihnen entfernt, jo lange verirrt bleibt, bis fie ſich zulegt doch immer wieder auf fie befinnt. (Nur der Ordnung wegen jei bemerft, daß fie deswegen doch fein Anfang find, jondern, wie jeit- dem alles auf fie, jo wieder ihr Weſen ganz auf den Minnejang zurüdgeht, deſſen Kunft auch ein durchaus un- mittelbare Verhältnis zum Leben hat.) Ich fühle, wie man mic, indem ich dies fage, ängftlich oder ſpöttiſch
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Ihrer Wege.“*) Und Crainquebille ſenkt den Kopf und wanft langſam durch den Regen in die dunkle Nacht hinein. „Si on se möle & conduire les hommes,“ hat France einmal gejagt, „il ne faut pas perdre de vue qu'ils sont de mauvais singes: & cette condition seulement on est un politique humain et bienveillant.“
Jarno ift als Crainquebille vortrefilih. Er fagt dieje ruhigen Worte ſcheinbar ganz arglos her und wirft gerade dadurch ergreifend. Beſonders vor Gericht, wenn er nur immer vom einen zum anderen blidt und eigentlich den ganzen Akt bloß mit den Augen fpielt. Im dritten Akt hätte ich mir vielleicht doch einmal einen grelleren Ton der Verzweiflung gewünfcht, etwas aus dem legten Aft feines Keith. Aber wie er dann mit einer unendlich ſcheuen und elenden Gebärde den Schumann um Ver— zeihung fleht und endlich wortlos, ratlos, hoffnungslos hinausirrt, das iſt wieder ganz wunderbar. Auch fonft wird das Stüd — von den Damen Pohl-Meijer, Palme und Clemens, den Herren Strasni, Claar, Bachmann, Groß, Ezagell, Schmid! und Mahr — bis in die Heinfte Nolle herab durchaus glänzend geipielt und ift ein Mufter Aug nachfühlender und mitjchaffender Regie.
*) Ich Habe nad der deutſchen Überfefung der Novelle, von Gertrud Savitſch, zitiert, die im Septemberheft der „Neuen Deutichen Rundſchau“ erfchienen it.
— 4107 — Einalter.
(„Angele“, Komödie von Otto Erich Hartleben. — Karrnerleut“ von Karl Schönherr. — „Der Dieb“ von Detave Nirbeau. — Zum erften Mal aufgeführt am 30. September 1904.)
Als im zweiten Jahre der Berliner freien Bühne Hartlebeng „Angele“ erichien, gab es einen großen Skandal. Faſt wie zuvor bei Hauptmanns „Schnapd- und Bangen- ftüd“. Man zeterte fittlih: Wie unmoraliſch! Und jegt, da wir das Stüd nad) vierzehn Jahren wieberjehen, wundern wir uns faft, wie moraliich es ift. Es hat in der Tat den zornigen Ton beleidigter Tugend, es ſchreit vor Sitt- lichleit, es kann ſich gar nicht faſſen, daß die Welt fo ichfecht ift. Und unwillkürlich fragen wir ganz erftaunt. da, warum denn, was ift denn geichehen? Ein fleines Verliner Mädchen, wie diefe num einmal jind, vergnügt einen Referendar, bandelt wohl gelegentlich auch daneben, und da der alte Herr, den der Neferendar für jeinen Water hält und der es vor dem Gelege auch ift, und ein kindiſcher Kandidat der Theologie fich in fie vernarren, möchte fie den einen oder den anderen ehelich einfangen, was ihr der Autor, ſchadenfroh wie Moraliften immer find, dur) einen Zufall vereitelt. Und donnernd jegt er als Motto hin: Verachte dad Weib! Deshalb? Wir jehen gar feinen Grund. Beil ein junges Ding, wild aufgewachſen, arın, unbejonnen, hilflos, der großen Stadt ausgeſetzt, Lieber genießen als arbeiten will, einmal der Gier eines Mannes erlegen bald auch an andere gerät, Liebe und Lafter nicht tragijcher nimmt, als fie e8 überall fieht, jo liederlich wird, wie die Männer fie machen, und ſich endlich, da ihr doch mand;- mal vor dem Alter bangen mag, gern bürgerlich verjorgen
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fragend anjehen wird, weil ich doch in Deutichland umter den erjten war, die darauf drangen, dem Naturalismus zu entrinnen und wieder zur Form zu ftreben, und fo viel- leicht, ungeduldig treibend, mit an diefem falſch vomantifchen, geziert klaſſiſchen, nichtigen Unweſen ſchuld bin, das jetzt ſtolziert, die jungen Leute betört und uns zu den Epigonen zurückzuwerfen droht. Dies mag fein, aber ich büße dafür ſchon jchwer genug und ich muß doch auch jagen: unge» tet. Niemals war von mir gemeint, der Künſtler Fönne je des Lebens entraten, um lieber nach der Kunft in die Luft zu greifen, und wenn es mich verdroß, bie Naturaliften ſich an der bloßen Impreffion genügen zu jehen, und es mich ergriff, wie laut und alle Meifter aller Zeiten jagen, daß diefe, die bloße Impreffion, allein noch nie die Kunſt war, jo blieb mir doch immer bewußt, daß von ihr aus nur erft alle Kunft beginnt und daß es ohne fie doch überhaupt feine Kunft gibt. Es ſcheint aber wirklich, daß nun die Menjchen jchon einmal unfähig bleiben, ein Ganzes zu leiften, und ewig wiederholt ſich jo dasſelbe Spiel: Fühlen fie das Leben, fo verachten fie die Form, in welcher allein doch Natur erft zur Kunft wird, und geht ihnen dann endlich das Geheimnis der Form wieder auf, jo wird | das Leben verleugnet, das allein doch nur jener den Stoff, Worte, Farben, Töne reicht, und jie wollen nicht verſtehen, daß beide zum Stünftler gehören, deſſen Weſen eben nur dies ift, daß in ihm das Leben immer wieder auf eine neue Form ftößt. So treibt man unabläffig ‚den Teufel duch Belzebub aus, und ein Irrtum, faum überwunden, wird fchon wieder notwendig, um den anderen zu heilen, der ihm auf den Ferfen folgt. Ich will noch einmal den |
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Leute find anftändiger. Das iſt das Thema Schönherrs in den „Rarmerleuten", Mirbeaus im „Dieb“. Auch nicht ganz neu, e3 hat immer eine „Räuberromantif“ gegeben. Und Giordano Bruno hat ein Stüd geichrieben, den „Gandelaio“, den ihm die Pedanten niemals verzeihen: da Tommen lauter Ganner vor, aber es find zugleich die Philo- jophen ihrer Zeit, die academici di nulla academia; aus- geftoßen und verachtet, fühlen fie fih an fein Vorurteil der Sitte gebunden und benügen dies, um fich über ihre Beit Hinaus in eine hellere Zukunft zu ſchwingen, die vor- zudenlen, vorzuleben ihr Stolz ift. So verwegen geht Schönherr nicht 108. Auch ruft er nicht umjeren Hohn, jondern das Mitleid an. Der Vintjchgauer ift ein Vagant, der mit feinem Weib und den zwei Buben herumzieht, Exdäpfel ftiehlt, auch einmal wildert, nichts verſchmäht, was fich irgendwo mitnehmen läßt, und einen bejonderen Spaß bat, die Gendarmen zu foppen, die ihn niemals er- wifchen. Diebe!, jagen der Bauer und der Bürger; und befrenzigen fi. Ja, jagt Schönherr, aber man ift nicht bloß ein Dieb, damit ift der Menſch noch nicht erledigt, er fann and) in dieſem Berufe jehr menjchlich fein. Und er zeigt, wie väterlich der Strolch mit feinen Kindern ſcherzt, und wie das fleinere, Füchjel genannt (die Figur erinnert in ihrer Stimmung ein bißchen an „Poil de carotte“ de3 Jules Nenard, deſſen man ſich aus dem Burgtheater entfinnt) ſich in feinem verjchmigten Köpfchen einen ganz eigenen Ehrbegriff zurechtmacht, der fo ftarr wie nur irgend ein ritterlicher ift. Aus Hunger verrät es den Vater an den Gendarmen, der ed mit einem Stüd Brot lockt, und ſchämt fich dann fo, daß e in den Bach
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ſpringt, um lieber zu fterben, als dies Gefühl zu ertragen. Diefe Szene tft mit aller dramatifchen Wucht und Kraft geführt, die wir an Schönherr immer wieder bewundern, nur leiſe beforgt, daß er fich mit ihr nicht zu begnügen ſcheint, und eine Neigung, ins Theatraliiche zu geraten, nicht verwinden mag.
Mirbeau faßt dasſelbe Thema fatiriih an. Mirbeau ift ein violent, wie die Franzoſen einen nennen, dem es nicht genügt, durch die Wand zu rennen, fondern der darauf verjeffen ift, e& juft mit feinem eigenen Sopfe zu tun. Aber dann ift er auch (Goncourt Hat dies einmal im „Journal“ fehr amüſant geichildert) ein potinier: einer, der eine Freude hat, das Leben in lauter famoje Feine Geſchichten und Anekdoten aufzulöfen. In tyrannos, aber nicht ohne ihnen, während er den Dolch in fie ftößt, noch ein hübſches Wort und einen verbindlichen Scherz zu fagen, über den fie felbjt lachen müfen. Mit den Jahren wird jener in ihm immer ſchwächer, dieſer immer ftärfer, was auch einträglicher ift, und jo Bat er ſich allmählich in den Anarchiſten am Stamin verwandelt, ber in gejicherter ‚Stellung mit Bomben wie ein Jongleur Hantiert. Er jagt den reichen Leuten, daß fie ärger als die Diebe find, fagt es aber jo, daß fie fi) darüber noch riefig freuen. Was ja vielleicht heute die einzige Art ift, frei zu fein, ‚ohne eingefperrt zu werden.
Der Vorhang geht auf, ein finiteres Zimmer, wir hören dag Fenſter flirren und es fteigt, von feinem Lafaien ‚gefolgt, ein jehr eleganter Herr, in einem Pelz, im Frad, mit weißer Strawatte, ein, der nun auszuplündern beginnt. Wir erfahren, daß e3 fchon gegen fünf Uhr früh ift; er
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Hat ſich im Klub verjpätet, weil er ein leidenſchaftlicher Spieler ift. Der Lafai beklagt dies: der Herr Hätte ſich fonft ſchon längſt vom Geichäfte zurüdtziehen Können, um don jeinen Renten zu leben, draußen auf dem Lande irgendwo, und ein Heine® Häuschen zu haben, mit einem fleinen Sarten, und Kirchenrat oder Gemeindevorfteher zu werden! Aber der Herr, immer weiter die Laden leerend, lehnt dies ab: Dazu bin ich noch zu jung, ich muß arbeiten, ich fann nicht untätig fein! Und während fie arbeiten, ſtößt er an eine Bafe, diefe fällt und zerbricht, ein Krach, nebenan er- wacht der Schläfer, dem die Wohnung gehört, und ftürzt herein. Die beiden begrüßen fich höflich, denn der Dieb hat immer das Prinzip: Soyons corrects et restong gentlemen! Und während nach der Polizei um den Kom- miſſär geſchickt wird, plaufchen fie gemütlich zufammen. Jener ſtellt fich vor: „Ich bin ein Einbrecher, ein Dieb. Aber ich habe dieſen Beruf nicht gewählt, ohne vorher reiffich überlegt und erkannt zu haben, daß in dem ver- wirrten Zeiten, in welchen wir leben, er noch der freiefte, der anftändigfte, der ehrlichite ift. Der Diebitahl, mein Herr — und ich jage: der Diebftahl, wie ich jagen würde: der Handel, die Advolatur, die Induftie, die Literatur, die Malerei, die Finanz, die Medizin — aljo der Diebftahl iſt nur deshalb bisher eine verrufene Karriere geweſen, weil die Leute, die fich ihr widmeten, widerliche Vagabunden waren, Lente ohne Urteil, ohne Erziehung und ohne Ele- ganz, Leute, die man wirklich nicht bei fich empfangen tonnte ... Übrigens, jeien wir doch ehrlich: der Dieb- ftahl ift die einzige Beichäftigung des Menfchen. ch be- haupte, daß ein Menſch durch die Tatjache allein, daß er
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Geld verdient, es irgendwo ſtiehlt.“ Ce n’est peut-ätre qu’une question de dictionnaire ... . en effet, bemerft der andere jchüchtern. Aber jener fährt fort: er bat als Kaufmann begonnen, ift dann zur Finanz übergegangen, iſt der Reihe nach Journaliſt, Politifer, Weltmann ge- weien — „kurz ich habe alle Karrieren verfucht, die das Öffentliche und das private Leben einem begabten und talt- vollen jungen Menfchen, wie ich bin, zu bieten hat. Und dann ſchloß ich jo: Da nun der Menich einmal diejem Noturgefege des Diebſtahls nicht entrinnen Tann, ift es nicht ehrenvoller, dies offen zu betreiben? Und fo begann ich zu ftehlen und ftahl jeden Tag, ehrlich.“ Und auf die Trage des anderen, ob er denn dabei glüdlich ift: „So weit man e& in einer jo unvolllommenen Ordnung der Geſellſchaft fein kann, wo uns alles verlegt und die nur von Lügen lebt.“ Sein Geift, jeine guten Manieren, fein Wit entzüden den anderen jo, daß er, al3 num der Kom⸗ miffar ericheint, dieſen gleich wieder fortfchidt und den | neuen Freund durchaus zum Frühftüd behalten will. Der | lehnt es aber entichieben ab: Es iſt faft acht Uhr, ich bin noch im Frack, das wäre zu lächerlih. Nun bietet ihm der andere wenigitens feinen Wagen an. „Danke, mein Automobil wartet an der Ede. Auf Wiederjehen alſo!“ Und er will zum Zenfter hinaus. „Aber bitte doch,“ jagt der andere, „Durch die Tür!“ „Richtig,“ erwidert der Dieb, | „entichuldigen Sie: die Macht der Gewohnheit.“ Und fie grüßen fich höflich und er geht.
Jarno gab in der „Angele“ den Alten, einft eine berühmte Rolle Reichers, und dann den Dieb: jenen jehr merkwürdig durch etwas geheimnisvoll Verhaltenes, das
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uns einen tieferen Menſchen ahnen läßt, als die Figur zeigt, dieſen ſcharmant in ſeiner mondänen Sicherheit. Aus dem Beſtohlenen, der eigentlich gar keine Rolle iſt, ſondern nur die Stichworte zu bringen hat, wurde durch Maran ein Daumier. Sonft find der nur etwas zapplige Herr Bachmann, Herr Nerz, Herr Claar und die Heine Blaha zu nennen.
Anderes
Sturm und Drang.
(„Die Kinbermörderin“, ein Trauerfpiel von Heinrich Leopold Wagner. Zum erften Mal aufgeführt dur den Mufil: und Theaterverein „Segeifion“ im Beatrixſaal am 27. Auguft 1904.)
In einer Geichichte der deutichen Literatur, die noch immer gern jungen Leuten zu Weihnachten gejchenft wird, fteht über Heinrich Leopold Wagner zu Iejen: „So war fein ungemein rohes und gemeined Trauerjpiel „Die Kindes⸗ mörderin“ dem entnommen, was er von Goethe über Gret- chens trauriges Ende im ‚Fauſt“ andeutungsweiſe gehört Hatte. Zur Strafe dafür hat ihn Goethe in feinem großen Drama als Fauſts Famulus verewigt." Daran ift natür- lich fein wahres Wort. Das „ungemein gemeine” Stüd heißt gar nicht die „Kindesmörderin“, jondern die „Kinder- mörderin“ ; wir wiffen längft, daß es nicht Goethe „ent- nommen“ ift; und Goethe wird wohl auch faum den Famulus nur erfunden haben, um Wagner zu „itrafen“, den er übrigens, ſonſt fpäter, in der „Eajfifchen“ Zeit, den Freunden aus feiner wilden Jugend nicht eben jehr gnädig, immerhin, „obgleich von feinen außerordentlichen Gaben“, doch al3 einen „guten Gejellen“ gelten ließ. Aber jo geht es mit den Germaniften; einer jchreibt das Urteil des
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andern aus, ohne jelbit das Werk zu fragen, und rafft ſich einer dazu doch einmal auf, ift er wieder meiſtens gar nicht fähig, das Weſen zu jpüren. Mißverftändniffe, halbe Wahrheiten, ganze Lügen erben fich fort, auch wer fich vor ihnen zu hüten glaubt, wird unwillkürlich doch angeftedt und ift dann paff, wenn er zufällig nach Jahren wieder vor jo ein verrufenes Werk gebracht, plöglich gewahrt, wie ſtatk es ift. Ich Habe jet wieder einmal ein paar Tage Klinger, Lenz und Wagner gelejen, welchen ich feit meiner erſter Berliner Zeit entrüdt war. Damals haben fie jehr auf mich gewirkt, wie wir und ja damals alle, in den ungeftämen Achtzigerjahren, gern auf fie beriefen und gar, ein bißchen kokett, als ihre Bollftreder fühlten. Ich hatte dies nicht vergeffen, aber wie man jchon bisweilen, eben indem man einen Gedanken oder ein Gefühl zu bewahren glaubt, doch feine nach und nach unmerklich verblafjende Kraft allmählich verliert, war ich jegt faft beftürzt, wie heftig num ihre Natur auf mich eindrang. Man übertteibt dann in ber erften Freude gern, man joll es nicht, ich jage mir daS die ganze Beit ſchon vor, es Hilft aber nichts, ich muß: noch nie war mir jo klar, daß unfere ‚ganze neue deutjche Literatur von ihnen kommt, fie nur immer ent wickelt und aufrollt, und wie fie ſich von ihnen entfernt, jo lange verirrt bleibt, bis fie fich zulegt doch immer wieder auf fie befinnt. (Nur der Ordnung wegen fei bemerkt, daß fie deswegen doch fein Anfang find, jondern, wie jeit- dem alles auf fie, fo wieder ihr Weſen ganz auf ben. Minnejang zurüdgeht, deſſen Kunft auch ein durchaus un- mittelbare3 Verhältnis zum Leben hat.) Ich fühle, wie man mich, indem ich dies fage, ängftlich oder ſpöttiſch
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Ihrer Wege.“*) Und Erainquebille jenft den Kopf und wanft langſam durch den Regen in bie dunfle Nacht hinein. „Si l'on se möle & conduire les hommes,“ hat France einmal gejagt, „il ne faut pas perdre de vue qu’ils sont de mauvais singes: & cette condition seulement on est un politique humain et bienveillant.“
Jarno ift als Erainquebille vortrefflih. Er fagt diefe ruhigen Worte ſcheinbar ganz arglo8 her und wirft gerade dadurch ergreifend. Beſonders vor Gericht, wenn er nur immer vom einen zum anderen blidt und eigentlich den ganzen Akt bloß mit den Augen fpielt. Im dritten Aft hätte ich mir vielleicht doch einmal einen grelleren Ton der Verzweiflung gewünfcht, etwas aus dem leiten Aft feines Keith. Aber wie er dann mit einer unendlich fcheuen und elenden Gebärde den Schugmann um Ver- zeihung fleht und endlich wortlos, ratlos, hoffnungslos hinausirrt, das ift wieder ganz wunderbar. Auch fonft wird das Stüd — von den Damen Pohl-Meijer, Palme und Clemens, den Herren Strasni, Claar, Bachmann, Groß, Czagell, Schmid! und Mahr — bis in die Heinfte Nolle herab durchaus glänzend geipielt und iſt ein Mufter Aug nachfühlender und mitjchaffender Regie.
*) Ich habe nad; der beutfchen Überfegung der Novelle, von Gertrud Savitſch, zitiert, die im Septemberheft der „Neuen Deutichen Rundfhau” erſchienen iſt.
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(Angele“, Komödie von Otto Erich Hartleben. — „Rarrnerleut” von Karl Schönherr. — „Der Dieb“ von Detaye Nirbeau. — Zum erften Mal aufgeführt aın 30. September 1904.)
Als im zweiten Jahre der Berliner freien Bühne Hartlebens „Angele“ erichien, gab es einen großen Skandal. Faft wie zuvor bei Hauptmanns „Schnaps- und Zangen- ftüd“. Man zeterte fittlich: Wie unmoraliſch! Und jetzt, da wir das Stüd nach vierzehn Jahren wiederjehen, wundern wir uns fat, wie moralijch es ift. Es Hat in der Tat den zornigen Ton beleidigter Tugend, es ſchreit vor Sitt- lichkeit, es kann ſich gar nicht faſſen, daß die Welt jo ſchlecht ift. Und unwillfürlich fragen wir ganz erftaunt. Ja, warım denn, was ift denn geichehen? in Meines Berliner Mädchen, wie diefe nun einmal jind, vergnügt einen Referendar, bandelt wohl gelegentlich auch daneben, und da der alte Herr, den der Neferendar für feinen Vater hält und der es vor dem Gejege auch ift, und ein kindiſcher Kandidat der Theologie fi in fie vernarren, möchte fie den einen oder den anderen ehelich einfangen, was ihr ber Autor, ſchadenfroh wie Moraliften immer find, durch einen Bufall vereitelt. Und donnernd fegt er al Motto Hin: Verachte das Weib! Deshalb? Wir jehen gar feinen Grund. Weil ein junges Ding, wild aufgewachien, arın, unbejonnen, bilflos, der großen Stadt ausgeſetzt, lieber geniehen als arbeiten will, einmal der Gier eines Mannes erlegen bald auch am andere gerät, Liebe und Lafter nicht tragifcher nimmt, als fie es überall fieht, jo liederlich wird, wie die Männer fie machen, und ſich endlich, da ihr doch mandj- mal dor dem Alter bangen mag, gern bürgerlich verforgen
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möchte, um dann wahricheinlich eine fo brave Frau zu werden, als ihr Neferendar, bis’ er nur exit Aſſeſſor ge- worden ift, den braven Mann machen wird? Iſt das fo ſchreckllich? Die Männer nügen fie für ihre Lüfte aus; ift es fo fchlimm, wenn nun auch fie die Lüfte der Männer auszunützen verſucht? Und deshalb gleich: Verachte das Weib? Wenn e3 dafür fein ftärkeres Argument gibt! Wir fühlen bier viel weniger das Weib als die Geſellſchaft verächtlich, in der es fich jchänden muß. Aber daran merkt man die Tugend des Autor? und merkt, daß er aus einer ſtillen kleinen Stadt kommt, ängftlich erzogen und vor dem Leben verwahrt. Man wird unjeren Ton von 1880 bis 1890 nie verftehen, wenn man nicht weiß, daß wir alle aus fleinen Städten waren, als Kinder in hellen ftillen Stuben mit weißen Gardinen ſorgſam behütet, in eine künftliche Welt von Treu und Redlichkeit verhält. Nun aber aus dieſem geiftigen Biedermeierftil plöglich ins Leben ausgeftoßen, jchrieen wir entjegt auf. Seitdem find wir älter und find ftädtifcher geworden. Was wir damals exit pathetiich, dann Höhnijch ingrimmig angeflagt, nehmen wir jegt mit einer Geduld Hin, die weniger philofophiich als praftiich ift. Wir werden es nicht ändern; e& fcheint, daß wir den Glauben an und verloren Haben. Insgeheim ſchämen wir und wohl noch ein bißchen, aber wir regen ung Öffentlich nicht mehr auf, fondern es genügt und, zu wiffen, daß es in der Welt, wie fie nun einmal vorläufig ift, niemals anftändig zugeht. Wenigſtens gewiß nicht unter den anftändigen Leuten. Bei den anderen vielleicht eher.
Bei den anderen vielleicht eher. Die unanftändigen
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Leute find anftändiger. Das ift das Thema Schönherrs in den „Karrnerleuten”, Mirbeaus im „Dieb“. Auch nicht ganz neu, es hat immer eine „Räuberromantif” gegeben. Und Giordano Bruno hat ein Stück gefchrieben, ben „Candelaio“, den ihm die Pedanten niemals verzeihen: da kommen lauter Gauner vor, aber es find zugleich die Philo- fophen ihrer Zeit, die academici di nulla academia; aus- geitoßen und verachtet, fühlen fie fih an fein Vorurteil der Sitte gebunden und benügen dies, um fich über ihre Zeit hinaus in eine hellere Zukunft zu ſchwingen, die vor- zudenken, vorzufeben ihr Stolz ift. So verwegen geht Schönherr nicht 108. Auch ruft er nicht unferen Hohn, fondern das Mitleid an. Der Bintjchgauer ift ein Vagant, der mit feinem Weib und den zwei Buben herumzieht, Erdäpfel ftiehlt, auch einmal wildert, nicht? verſchmäht, was fich irgendwo mitnehmen läßt, und einen bejonderen Spaß Hat, die Gendarmen zu foppen, die ihn niemals er- wifchen. Diebe!, jagen der Bauer und der Bürger; und befreuzigen fich. Sa, jagt Schönherr, aber man ift nicht bloß ein Dieb, damit ift der Menſch noch nicht erledigt, er kann auch in diefem Berufe jehr menichlich fein. Und er zeigt, wie väterlich der Strolch mit feinen Kindern ſcherzt, und wie das Kleinere, Füchjel genannt (die Figur erinnert in ihrer Stimmung ein bißchen an „Poil de carotte* des Jules Renard, deſſen man ſich aus dem Burgtheater entfinnt) fich in feinen verfchmigten Köpfchen einen ganz eigenen Ehrbegriff zurechtmacht, der fo ftarr wie nur irgend ein ritterlicher ift. Aus Hunger verrät es den Vater an den Gendarmen, der es mit einem Stüd Brot lockt, und ſchämt fich dann fo, daß es in den Bach
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groß in ihrer Schwäche! — wie ganz Tugend, auch nach⸗ dem ich fie mit dem Lafter befannt gemacht hatte! Und ich, wie Hein! Wie — o! Ich mag gar nicht zurüd- denlen.“ Worin, nebenbei bemerkt, noch ein ganzes Stüd ftedt, da3 auf feinen Autor warte. Das Motiv, von Wagner und von Hartleben nicht weiter verfolgt, das auch irgend fonft ausgeführt gefunden zu Haben ich mich nicht erinnern Tann, müßte doch einen Piychologen reizen: ein Wüftling, der die Verführung als Metier treibt, jo irgend ein Valmont, auß den „Liaisons dangereuses“ des Laclos, aber nun, indem es ihm mit einem Mädchen glückt, ſich in der eigenen Schlinge fängt, fentimental wird und am Ende verzweifelt, daß er das Mädchen, dem die Debauche ſchmeckt und das fich jetzt ebenjo, aber um- gefehrt verändert, unheilbar zerftört hat 'und fo verliert, eben indem er es gewinnt. Man ftaunt immer wieder: in diefen Stüden de3 „Sturm und Drang“ ift noch ein ganzes Neportoire für und, Man ſehe hier nur gleich den erften Aft, der im „gelben Kreuz“, in einem ver- rufenen Haufe fpielt. Wagner hat ihn wohl aus „Maß für Maß“, von der frau Ueberley und ihrem guten Bier- zapfer Pompejus angeregt. Aber erinnern wir uns, wie neu er noch in den „Gefallenen Engeln“ der Frau Lang- fammer und erft neulich wieder, burlesk gewendet, in der „Einquartiernng* auf uns gewirkt bat. Was ſchließlich doch nur beweiſt, wie wenig ſich das Publikum im Grunde verändert hat. Es iſt jegt eine etwas andere Technik ge- wohnt, es will die Dinge ein bifschen anders jerviert, aber, geftehen wir e8 nur, im Grunde diejelben Dinge, immer nur biejelben Dinge noch. Es hat fich nicht geändert.
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Dos wird einem auch in dem Vorworte fehr deutlich, das Bagner drei Jahre fpäter zur Umarbeitung feines Stüdes ſchrieb. Es Heißt da: „In unjeren gleisnerifchen Tagen, wo alles Kombdiant ift, kann die Schaubühne freilich, wie ihr ſchon mehrmalen vorgeworfen worden, Teine Schule der Sitten werden ; dies von ihr zu erwarten, müſſen wir erit dem Stande der unverderbten Natur wieder näher rüden, von dem wir weltenweit entfernt find. — Sollte die je wieder gejchehen können? Ich hoff's, denn jede zu hart geipannte Feber ſchnappt über und in ihre natür- liche Lage zurück. Sept ift e8 Mode, tugendhaft fcheinen zu wollen, vielleicht wird man es einmal aus der näm«- lichen wichtigen Urfache. Jetzt hat alles keuſche Ohren, der größte Haufen freche und bublerifche Augen und ein unreines Herz: Tugend figt den meiften bloß auf den Lippen und gibt alle anderen Zugänge der unverfchämte- ften Ausgelaſſenheit preis; wenn ſich das einmal wieber- lehrt, wird's wohl wieder befjer werden . . . Indeſſen be wog mich doch dieſes zu einer Beit, wo ich gerade was Beſſeres zu tun nicht geftimmt war, ſelbſt Hand anzu- legen und den in der „Kindermbrderin“ behandelten Stoff jo zu modifizieren, daß er auch in unjeren delifaten, tugendlallenden Zeiten auf unferen fogenannten gereinigten Bühnen mit Ehren erjcheinen dürfte.“ Das Tönnte chließ- lich auch ich für den „Reigen“ gejchrieben haben, an &x- zellenz v. Koerber. Nein, e8 hat fich nicht® geändert, die heiligften Güter der Nationen find gewahrt und unent« wegt lallen auch wir noch Tugend.
Die Aufführung duch den Verein „Sezeifion“ war fehr angenehm. Beſonders find die Damen Werther und
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Enrici, die Herren Tellheim, Edel und Forft zu nennen. Sie zeigten eine fo ſchöne Luft an der Sache, daß man ganz vergaß, was ihnen an Routine noch fehlt.
Das große Glüd.
(Drama in drei Akten von Stanislaw Prszybys zewsti. Zum erften Mal aufgeführt durch das „Intime Theater“ im Jantich-Thenter am 3. Dftober 1904.)
Otto Julius Bierbaum hat einmal, in feinem „Stilpe“, die flandinavifch-flavifche Berliner Boheme der Neunziger- jahre geſchildert. Da kommt auch „Saftmir, der Fugen- | orgler“ vor, ein gar wilder Pole, Dämon und Blagueur, Toddy trinfend und das Idiotiſche verehrend. „Er hatte als Dichter nur ein Thema, Stilpe nannte es die medi- ziniſch· katholiſche Abgrundweis, aber diejes beherrichte er mit der Meifterfchaft bornterter Genies. Sein Dichten war | eine Art verzüdter Drehfranfheit, und man wußte nicht, ob er fich drehte, um zu dichten oder ob er dichtete, um fi zu drehen. Doch konnte fich feiner der Macht diejer grandios-wirren Eintönigfeit entziehen. Es war jchöpfe riſche Beſeſſenheit, die indefjen manchmal mehr Beängftigung als Tünftlerifchen Genuß hervorrief.“ Wir haben aud) noch ein anderes Dofument jenes Streifes, den Roman „Gärungen“ von Franz Servaes. Hier erfcheint in der Tafelrunde „zum eijernen Drachen“ als „neuefte Senfattond- nummer des geijtigen Berlin“ ein Kleiner Böhme, rothaarig, mit grauen, faft grünen, ſehr intenfiven Augen, zierlic, behend und liſtig, Spiridion Krakuſchek, Gehicnanatom, Mufifant, Genie, „ein Sterl, der alles umſchmeißt: Afthetif,
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Wiſſenſchaft, Geſellſchaft und Tod und Teufel! Nietzſche iſt da der reine Waiſenknabe gegen.“ Er beneidet den Ftoſch, dem er eben das Gehirn exſtirpiert hat: „Won allen Schmerzen der Erkenntnis befreit. Denkt bloß noch mit dem Rückenmark. Ganz wie die Dichter: vifionär und in lauter vefleftorifchen Impreffionen. Iſt jest — Genie! ... Das Gehirn ift im Grunde eine ftupide und lächer- liche Einrichtung! Stiftet lauter Verwirrung und will dabei überall das große Wort führen. Man müßte tat« fächlich das Gehirn zeitweife auf erperimentellem Wege entfernen — hinterher fönnte man’3 ja wieder einjegen! — verflucht! dann würden wir zum erften Male wiſſen, was wir eigentlich wollen und wie wir empfinden!" Er leidet an der Analyje, es drängt ihn zur Syntheſe zurüd: .Chaotismus — das iſt da8 Evangelium der Erlöfung. Die Menichheit muß wieder zum Chaos zurüd. Alles aus dem Urjchleim aufs neue gebären! Das Gehirn hat uns überall in die Sümpfe gelodt. Wir kranken an Hyper⸗ trophie des Bewußtſeins. Nur das Unbewußte, das Unter- bewußte kann und retten. „Rüdenmark wider Gehirn!“ — das ſei unfer Schlachtruf! Und unfer Mittel — der Rauſch! ... Wie der Rauſch zuftande fommt, das ift ganz furchtbar egal. Wenn er nur da ift, das iſt die Hauptſache! Alle Eraltationen, alle Ekſtaſen müſſen wir ſyſtematiſch durchkoſten. Sonft bleiben wir immer lächer- liche Gehirnmenſchen und fommen aus unſeren abftraften Ronftruftionen niemals heraus. Auch Fieberzuftände müſſen wir uns fchaffen. Die find noch intuitiver, offenbarungs- teicher als der Rauſch. Das Höchfte aber ift der Wahn⸗ finn! Dann fchreit und kreiſcht in ung die ganze Natur.
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man dent an Mad}, den übrigens Przybyszewsli wahr- | ſcheinlich gar nicht fennt. Und man fpürt eine Pſychologie im Werden, die nicht mehr mit fertigen Gefühlen operieren, ſondern die Gefühle unter unferen Augen entftehen, jetzt gefrieren, jegt verbunften, immer fich verwandeln, immer fi) erichöpfen und eben dadurch immer fich wieder erneuen lafjen wird.
In dieſem diabolifchen Dialog voll Widerhafen und Fallftriden durchzukommen, ift ſchauſpieleriſch unfinnig ſchwer. Um fo merkwürdiger, wie fehr es hier ein paar jungen Leuten gelang, von denen man biöher faum mehr als den Namen weiß. Einer ift unter ihnen, Herr Louis Neber, in der Provinz feit langem bekannt, der nach ber Energie, dem Takt und der Intelligenz jeiner Darftellung an ein großes Theater und vielleicht an erſte Stelle gehört. Die anderen, Fräulein Stödl, Fräulein Hohened und Herr Mich, erfegen durch Eifer, was ihnen an Schule fehlt. | Und was bei uns fo jelten ift: fie machen den Eindrud, zu verjtehen was fie jpielen.
Herodes und Mariamne. (Zur Aufführung im Raimund:Theater am 30. November 1904.)
Vom Prater herauf fnatterten die Salven des blutigen Jellachich, ala Hebbel in der Jägerzeile an der großen Szene zwilchen Mariamne und dem Romer Titus fchrieb. Als er ein paar Wochen jpäter, im November 1848, fertig war, zogen die faijerlichen Truppen in das geichändete | Wien, die Revolution war zerbrochen, die Freiheit erwürgt |
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ob mit bloßen Worten die Macht der Muſik zu erreichen Hit, ob das Wort denn immer erft den Umweg über den Werftand nehmen muß, ob das Wort denn niemals ein gunmittelbares Verhältnis zur Empfindung, bevor fich diefe noch in einen Gedanken verwandelt hat, finden Tann. Sein + Wort tft finnlos, wie die Worte im zweiten At des „Tri- ftan“ oder im „Liebestod“ finnlos find, indem erft die Muſik ihren Sinn für das Gefühl bringt. Diefem Ge- ühlsſinne nun Worte zu geben, die aljo gar nicht als logiſche, ſondern nur als finnliche Werte genommen werden, ohne erft dazu mit Muſik nachzubelfen, ift fein Verſuch. = Er Hat ungeheuer gewirkt. Offentlich allerdings nicht ; in den Beitungen ift er nicht berühmt geworden. Doch wer - fpäter einmal der Entwidlung unſerer Sprache zur Dar- + ftellung des Seelifchen nachgehen wird, muß überall auf ihn ftoßen. Aber plöglich war er fort. Und wie ver- ſchollen. Nur manchmal flog ſchwarz ein ſcheues Gerücht auf. Bis e8 plöglich hieß, er jet num in Lemberg zur Macht gelangt. Dies ift aber zu weit von und: denn e& gehört zum Oſterreichiſchen, daß wir von Borneo mehr wiſſen, als über unjere Nachbarn. Doc) muß er dort ſtark gehauft Haben. Ich traf einmal in Rom einen Polen, einen jehr netten und, wie es fchien, fünftleriich gefinnten alten Herm, und als ich num, um mich ihm gefällig und mein Intereffe für feine Literatur zu zeigen, von Przybys- zewsh begann, wurde der gute Menjch jo vor Entjegen fahl, als Hätte ich den Teufel ſelber angerufen; denn, rief er mit Wut, der richtet noch Polen zugrunde! Er fcheint aljo in der Tat dort das zu haben, was man eine ein- flußreiche literarijche Pofition nennt. Er ift der Sprecher
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der Moderne, die ſich dort noch als Partei fühlt. Er zieht die jungen Leute an ſich, gibt ihnen in ſeiner Zeit- ſchrift ‚Zyeie“ die Lofungen aus und drängt ihnen feinen unftet nach dem Chaos verlangenden Geift auf, „mit einer ſolch gewaltigen Vehemenz, einer jo hypnotifierenden und raſenden Leidenfchaft, daß man wahrlich manchmal be- zweifeln konnte, ob das Genie in ihm wahnfinnig oder der Wahnfinn genial geworden“. Ich habe dies aus einem klugen und feinen Auffage von Klemens Funfenftein notiert, der an Ploszowski, dem defadenten Helden in Sienkiewicz' Bezdogmatu, und an Przybyszewsli die Wandlung der Polen zur neuen Generatton darftellt, und ich nehme dar- aus noch ein paar Säge her, die zeigen, wie Przybys⸗ zewski jegt auf fein Wolf wirkt: „Mit Hilfe der ganz Teifen Töne der ihm göttlichen Chopinfchen Muſik geleitet er hinunter in die Unterwelt der menjchlichen Seele; und fröftelnd kehrt er. zurüd, um einen ftärferen Anlauf zu nehmen und noch tiefer einzudringen. Bet jeder Rückkehr bringt er etwas, wie Geſtohlenes gleichjam, mit herauf und wirft es, wie wenn es glühend heiß wäre, ſchnell und mit Entfegen vor den Leſer hin. Der Lefer fieht es ebenjo ſchnell verſchwinden, aber was ihm zurückbleibt, das ift der Glaube an eine ihm bisher faft unbefannte Welt, die in dem Menſchen ift, an jene unterbewußten Regionen, welche in fich vielleicht die Antwort auf alle urweltlichen ragen bergen, an eine Heimftätte unfere® in und ver- ſchloſſenen irdiſchen und außerirdiſchen Schidjales. Und er weiß ed mit einem Mal, daß man nur eindringen tönnen müßte, um e8 wahrzunehmen und zu belaufchen — nur daß man nicht unberührt wiederfegren würde. Es ift
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ihm, als ob ein dort hauſender Dämon uns den Verſtand fangen, unſere Begriffe verwirren, unſer Gedächtnis aus» lien, uns einen unheilbaren Schreden einjagen müßte, um diefen Hausfriedensbruch zu rächen und das Schweigen zu erzwingen . . . Und er bewundert den Autor, der feine Furcht Tennt, der fich ganz der Entwidlung der menjc- * lien Erkenntnis geweiht hat. Denn die Grenzen unjeres Bewußtſeins immer mehr augeinanderzuichieben, hat er ſich zur Aufgabe gemacht, fie zu erweitern, bis fie ſich mit der peripheren Linie des Unterbewußtſeins deden, erjcheint ihm als Ideal und Endziel unſeres Strebend. Und noch ar- beitet Przybyszewsli unermüdlich, um die Partei, die er ſich fchuf, zu fördern und zu vergrößern, um feine Konna- tionalen zur Arbeit in diefer Richtung zu bewegen. Er fennt ihre auf Mol geftimmten Nerven und er lodt fie an fih mit den "traurigften Spiegelbildern jeiner Seele. So ſpricht er zu ihnen in Worten, die fich zur Mufit verſchmelzen, zu einer Mufit, jo weich und dämoniſch, daß einem die Sinne ſchwinden, jo wirft er ihnen Blumen zu, deren Düfte fich wie ein wohllüſtiges Grauen durch die Seele gießen. So zaubert er ihnen Farben vor, die fich zu einer wilden Symphonie umfchlingen. So überjegt er ihnen in ihre Mutterjprache den Himmel mit den purpur- blauen Striemen und die totenblafjen Mondſcheinnächte und die leuchtenden Gewäſſer und die einfam lebloſen Steine und das Funfeln der betauten Zittergräfer im Glanze der Abendröte und die feinften, jubtiliten Nachwirkungen ferueller Triebe und die Verftimmung der jo gemarterten Seelen, wenn der graue Morgen die Wipfel der noch ſchwatz umnachteten Bäume verfilbert und ihnen das Ko-
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lorit des Friedhofes verleiht... So lockt er fie hinein in ihre eigenen Seelen und hält ſie dann feſt mit einer unheimlichen, eiſernen Kraft, bis ſie einen Blick wenigſtens geworfen auf jenes Unausſprechliche, Schauderhafte, Ber- derbenbringende, Erlbſungsbergende... Denn von dieſem Augenblicke an gehören ſie ihm ... Und wenn jie dann taumelnd heimwärts ziehen, voll ftolzen Schredens und freudigen Grauens, gewiß — fie müſſen zu einem anderen Gott beten. Und wenn fie am Fußende des Bettes in die Kniee finfen und in Grabesftille untertauchen, gewiß — fie werden es wahrnehmen, wie die trauerumhüllten Gedanken, die Avantgarde des Wahnfinnes, die Hintertür ihres Gehirns erftürmen, und fie werden es entjetlich be- greifen: bald, bald, wird es Nacht ... Aber ihr letzter, verzweifelter Aufſchrei wird eine Bereicherung des menjch- lichen Wiſſens jein, ihr fterbendes Wort eine legte Schen- tung an die vorwärtsſtrebende Menjchheit.“
Das „große Glück“ jucht Stephan Karften bei Olga Tolſt, für welche er Grete, feine Geliebte, verläßt. Aus Kummer darüber und durch feinen faljchen Freund Karl Bed verwirrt, der ihm Olga nicht gönnt, weil er jelbit fie liebt, bringt Grete fich um. Der Tod fteht nun zwiſchen jenen, das große Glück ift zerjtört. Es kann aber jein, daß ich es falich erzählt habe. Sch weiß nämlich eigentlich die Motive diejer Menjchen nicht. ‘Und fie. jelbft wiſſen fie nicht. Und der Autor weiß fie auch nicht. Er weiß nur, daß fein Menich je die Motive eines andern wiſſen Tann, weder feine eigenen, noch die eines anderen, weil, was wir ein Motiv zu nennen gewohnt, nur eine Abbre- viatur ift, die wir uns der leichteren Ordnung wegen
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machen, der aber real nichts entſpricht. Ich erzähle: Stephan bricht mit Grete, weil er fie nicht mehr, jondern Olga Tiebt. Der Autor aber zeigt, wie Died ausfieht, wenn einer eine nicht mehr zu lieben glaubt: daß er, indem er fich frei von ihr fühlt, doch immer noch an ihr hängt, indem er fie vergefien Haben will, erft recht an fie denken muß, in- dem er ihr feine Macht mehr über fich gibt, gerade durch die Erinnerung an fie vernichtet wird. Ich erzähle: Bed ift ein faljcher Freund. Uber der Autor zeigt, daß er ſich vielleicht niemal® wahrer mit dem anderen verbunden ge- fühlt Hat, als indem er ihn verrät. Ich erzähle, daß er ſich an Olga rächen will. Aber es kann auch fein, daß der Autor meint, er glaube vielmehr fie dadurch zu retten. Bei jedem Worte, das gejagt wird, läßt und der Autor fühlen: der es jagt, meint bei fich etwas anderes, und was er bei fich meint, ift es auch wieder nicht, woraus er Handelt. Mit allen Worten von ung und allen Gedanken über ung kommen wir niemal3 an das Gefühl hinab, das ung wirklich treibt. Und vielleicht gibt e8 gar fein folches Gefühl, jondern was wir jo nennen und für daß innere Motiv einer Handlung ausgeben, fpringt aus taufend durch- einander bligenden und aneinander wieder verlöfchenden Neizen plöglich hervor, die einen Moment vorher ganz ander3 waren, einen Moment nachher wieder anders fein werben und ſich nur gerade jegt und niemals wieder fo treffen, daß fie fich eben in diefe Tat entladen müffen, die demjelben Menſchen unter denjelben Bedingungen eine Mi« nute früher und eine Minute fpäter unmöglich wären. Wie bier Empfindungen zerdacht werden, denkt man unwillfür« lich an die Teilung der Farben bei den Pointilliften. Und
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man denlt an Mach, den übrigens Przybyszewsli wahr- fcheinlich gar nicht kennt. Und man fpürt eine Piychologie im Werben, die nicht mehr mit fertigen Gefühlen operieren, fondern die Gefühle unter unferen Augen entftehen, jetzt gefrieren, jegt verbunften, immer ſich verwandeln, immer fich erfchöpfen und eben dadurch immer fich wieder ernenen laſſen wird.
In biefem diaboliſchen Dialog vol Widerhaten und Fallſtricken durchzulommen, ift ſchauſpieleriſch unfinnig ſchwer. Um jo merkwürdiger, wie ſehr es hier ein paar jungen Leuten gelang, von denen man bisher faum mehr als den Namen weiß. Einer ift unter ihnen, Herr Louis Neber, in der Provinz feit langem befannt, der nach der Energie, dem Takt und der Intelligenz feiner Darftellung an ein großes Theater und vielleicht an erfte Stelle gehört. Die anderen, Fräulein Stödl, Fräulein Hohened und Herr Milſch, erjegen durch Eifer, was ihnen an Schule fehlt. Und was bei uns fo felten ift: fie machen den Eindrud, zu verftehen was fie fpielen.
Herodes und Mariamne. (Zur Aufführung im Raimund:Theater am 30. November 1904.)
Vom Prater herauf fnatterten die Salven des blutigen Jellachich, als Hebbel in der Jägerzeile an der großen Szene zwilchen Mariamne und dem Romer Titus jchrieb. Als er ein paar Wochen jpäter, im November 1848, fertig war, zogen die faijerlichen Truppen in das gejchändete Wien, die Revolution war zerbrochen, die Freiheit erwürgt
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und die ruchlofe Zeit jener „Öutgefinnnten“ begann, die Emil Kuh mit einem prachtvollen Wort, defien Wahrheit. wir erft jegt wieder ganz verftehen Eönnen, die „Macchia- velliften aus der Schule des fidelen Lebens“ genannt hat. Das Recht jollte ausgebrannt und zerfäbelt werden. Es war fein Wunder, daß in diejer Stimmung, vor einem Publikum von Naderern, der „Herodes“, am 19. April 1849 aufgeführt, mißfiel. Man jpürte wohl doch den verhaßten Geift heraus: denn die deutjche Revolution hat fein größeres Denkmal als dieſes Stüd gelafjen, das den vagen Begriff der Freiheit mit germanifcher Kraft füllt, indem es ihn auf die Würde des Menſchen ftellt. Hebbel, politifch ein Doktrinär, vol Schrullen und bald von einer tomantijchen Empfindfamfett, die vor der Härte des realen Lebens ſcheut, bald durch einen verfünftelten Begriff des Monarchiſchen betört, ift doch geiftig durchaus revolutio- när gewejen. Er hat erkannt, daß es den Menſchen un- erträglich geworden, „zum Ding herabgefegt” das Eigen- tum eines anderen zu fein und daß bie Menichheit fich nicht mehr beruhigen wird, big ſich auch der legte, der Heinfte, der ſchwächſte davor gefichert wilfen wird. Herodes liebt Mariamne. Im Wejen der Liebe tft
&, ſich mit dem anderen fo verwachfen zu fühlen, daß & feine Trennung mehr geben kann, auch durch den Tod nicht, Wie Herodes jagt:
Zwei Menfchen, bie ſich lieben wie fie follen,
Können einander gar nicht überleben,
Und wenn ich felöft auf fernem Schlachtfeld fiele:
Man brauchte dir's durch Boten nicht zu melden,
Du fühlteft es fogleich, wie es geichehn,
Und ftürbeft ohne Wunde mit an meiner!
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So fühlte er e8, fo fühlt auch fie es. Sie liebt ihn mit bderjelben Kraft. Ste ift entichlofien, ſich zu töten, lehrt er von Antonius nicht zurüd, der ihn vor fein Ge— richt gerufen hat. Uber nun verlangte er es. Er ver langt von ihr, was' ſie von ſelbſt will. Und da fie num, durch ihn gezwungen, foll, was fie ſich wuͤnſcht, Tann fie & nicht mehr. Ihr eigener Wunfch, zu fremden Zwang geworden, jein Befehl geworden, tft ihr unerträglich, weil er dann feinen Wert mehr hat. Die Schuld des Herodes verftricht fich noch tiefer, indem er dies nicht verjteht. Er weiß nicht, daß Mariamne den Tod für ihn, zu dem fie bereit ift, nicht geloben kann, weil fie dadurch ihrem Ent- ſchluſſe das Siegel der Liebe abnehmen würde, in deren Weſen es ift, alles als Geichent zu gewähren. Jene Tat, ihr Tod für ihn, jo groß, wenn fie von ihr dargebracht wird, ift nicht® mehr, wenn fie fie duch ihn muß. Er aber, dies nicht begreifend, weil er der Konig ift, alfo einer, der nicht wifjen kann, daß neben ihm die anderen Menjchen innerlich dasſelbe find wie er, ftellt fie jegt unter das Schwert und ahnt nicht, daß er, eben indem er jo die Macht auf fie lenkt, ſchon die Macht über fie verloren hat. Zweimal geſchieht dies mit ihm, zweimal erfährt fie es; in feinem Wejen ift es, daß er nicht fühlen kann, was mit ihr ift, weil er zu den Menfchen jo fteht, daß er von ihnen Taten will, aber nach ihrem Sinn nicht fragt; und in ihrem Weſen ift es, daß fie es ihm nicht | fagen kann, weil dies nicht? helfen würbe, weil es nicht die Drohung mit dem Tode ift, wodurch er ihre Liebe verwirkt, jondern dies allein, daß er die Würde der Liebe:
„ihre jchenfende Kraft, verfennt und verſchmäht.
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Aber Herodes erlebt das nicht bloß an ſeinem Weibe. Es iſt vielleicht der größte Zug der Dichtung, daß er es auch an ſeinem Freunde erlebt, an Soemus. Wie Mariamne die weibliche Liebe, auf ihren Superlativ ge—⸗ bracht, ift Soemus die männliche Freundſchaft. Eine durchaus germanifche Geftalt. Wie Horatio, wie Lerfe, wie Kurwenal. Der Gefährte, der feinen Wert darin jucht, dem zu dienen, den fein Gefühl für den Größeren erkennt. „Ein Treuer ohne Wanten*, mit dem Heren, den er ſich gewählt Hat, Haffend und minnend, immer für ihn bereit. Sein Stolz ift, feinen Herren fo zu kennen, daß er aus ich felbft unbefohlen tut, was diefer braucht. Stein Zweifel, er würde, wäre Herodes in der Schlacht gefallen, ohne ihm irgend einen Auftrag gelafjen zu haben, Mariam- nen töten, wenn fie es jelbft nicht tut: bloß aus dem Gefühle, fein toter Herr müfje dies wünſchen. Aber Herodes trägt es ihm auf. Und fo verliert er den Freund, wie er das Weib verlor. Es ift nicht die Tat, dor der Soemus fchaudert. Aber fie gehört zu jenen, die ein Mann nur ungeheißen tun kann, aus fich jelbft, die nur dev wagen darf, der fie auch verantworten muß, die fich ein Mann nur abeingt, wenn er die Wahl hat, weil er zum Knechte ver- Tommen ift, wenn er fie fich gebieten läßt. Soemus jagt:
So groß ift Feiner, daß er mich ald Werkzeug
Gebrauden darf! Wer Dienfte von mir fordert,
-Die mich, vollbracht und nicht vollbracht, wie's kommt,
Schmachvoll dem fihern Untergange weih'n,
Der fpricht mic) los von jeder Pflicht, dem muß
Ich zeigen, daß es zwiſchen Künigen
Und Sklaven eine Mittelftufe gibt,
Und daß ber Mann auf diefer fteht!
Hermann Babr, Gloffen. 28
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Werkzeug nennt er fid); ganz wie Mariomne: „Ich war ihm nur ein Ding und weiter nichts!“ Dadurch fühlen fie ſich geichändet. Beiden ift es eigen, das was fie wollen, zu verfagen, wenn e3 ihnen befohlen wird: aus dem Ge- fühle, daß ihre Tat jeden Wert verliert, wenn fie nicht durch fie ſelbſt geichieht. Wie Ellida, die fi vor Sehn- fucht nach dem fremden Manne verzehrt, jo lange fie dem eigenen gehören foll, aber, von dieſem freigegeben, feine Hörige mehr, unter ihr eigenes Geſetz geftellt, fich ihm in Liebe ſchenkt. „Ja, die Wahl muß ich haben,“ jagt Ellida. Und wieder: „In freiheit, freiwillig und unter meiner Verantwortung!" Es ift, hier wie bei jenen Juden Heb- bels, der tiefere Begriff der freiheit, den die Germanen in die Welt gebracht Haben, welche mit ihr nicht eine Be— freiung von böfen oder jchweren oder läjtigen Dingen ver- ftehen, fondern das Recht, auch gute und notwendige Dinge zu verweigern, wenn fie befohlen werden: aus einer er habenen Anfchaunng von der Würde des Menfchen, die es ihm unmöglich macht, eine Sache, das Eigentum eines anderen zu jein, jet diejer nun ein Mann oder Weib, ein Gebieter oder ein Freund, ein Volk oder ein Staat, und die an der Tat immer nur den darin freudig dargebrachten Willen gelten läßt.
Diefer Begriff der Freiheit wurzelt im germanijchen Gefühle der tiefen Einſamkeit, in die der Menſch verſchloſſen ift. Steiner jol über den anderen Gewalt haben dürfen, weil feiner gegen den anderen gerecht fein fann: denn feiner fennt den anderen, feiner weiß von ihm. Dies ift vielleicht der größte Schmerz, den unfer Leben Hat. Wir werden niemals, niemals einem begegnen, der um uns
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weiß. Viele werden uns die Hände reichen, viele ſich mit Worten nähern, viele in einer Empfindung mit uns ver⸗ weilen. Keiner erfennt und. Auch in ber Liebe wähnen wir das nur zuweilen. Es zeigt fich aber, daß auch die Liebe die Kraft nicht hat, einen Menſchen dem anderen anfzufchließen. Das ift ed, woran Mariamne ftirbt. Was ift dann Liebe, wenn es möglich ift, daß man fich auch in ihr noch fremd bleibt? Wenn Herodes fie jo wenig fennt, daß er ihr zutraut, nach feinem Tode noch Ieben zu fönnen, wie lächerlich ift fie dann getäufcht worden! Dann ift e3 doch ein fremder Mann, der nur ihren Leib ge» nommen hat! „Won jeßt erft fängt mein Leben an, bis heute träumt’ ich.“ Jetzt iſt fie aus dem furchtbaren Be- truge aufgewacht. ‘Freilich, fie Lönnte es ihm ja jagen. Mit Worten jagen? Sollen elende Worte vermögen, was die heißen Geberden der Leidenfchaft nicht Fonnten? Sie hat ihm Kinder geboren und er weiß nicht3 von ihr! Wenn das Leben fo ift, dann gilt ihr nicht® mehr; mag er fie verdammen! Es ift derjelbe Zug, der Cordelia verftummen läßt: wenn ihr Vater nicht weiß, wie fie ihn liebt, wenn er erſt Verficherungen braucht, wenn ein Menſch, dem an- deren fo verbunden, dennoch erft fragen muß, dann hat fie in diefer Welt nichts mehr zu tun! Und eigentlich ift es dies ja auch allein, worüber Irene wahnfinnig wird: Tag für Tag ift fie dem Rubek gejeffen, er Hat fein Werk an ihrem Leibe geformt, aber niemals hat er das Pochen ihrer Sehnfucht gehört. Wenn es den Menichen verjagt iſt, zu einander zu fommen, was reden fie dann von Liebe? Aber Hebbel gräbt Hier noch tiefer. Die Menjchen fönnen nicht zu einander fommen, weil feiner auch nur zu « as ·
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ſich ſelbſt kommt. Keiner vertraut dem andern, weil feiner fich felbft vertrauen Tann. Keiner kann vom anderen wil- fen, wie er ift, weil es feiner von fich jelbft weiß. Hero- des jagt:
Nun lebt fie unterm Schwert! Das wird mic fpornen,
Zu tun, was ich noch nie getan; zu dulden,
Was ich noch nie gebulbet, und mich zu tröften,
Wenn e3 umfonft geſchieht!
Und noch deutlicher, al3 er jpäter feinen ungeheuren Frevel vor Mariamnen zu rechtfertigen verjucht:
Ih würde nit den Mut zur Antivort haben, Wenn ich, was ich auch immer wagen mochte, Des Ausgangs nicht gewiß geweſen wäre,
Das war ich aber und ich war es nur,
Beil ic mein Alles auf das Spiel gefegt!
Ich tat, was auf dem Schlachtfeld der Soldat Wohl tut, wenn es ein Allerlegtes gilt.
Er fchleudert die Standarte, die ihn führt,
An der fein Glücd und feine Ehre hängt, Entſchloſſen von fi), ind Gewühl der Feinde, Doch nicht, weil er fie preißzugeben dent:
Er ftürgt fi) nad, er holt fie ſich zurück,
Und bringt den Kranz, der ſchon nicht mehr dem Mut, Nur der Verzweiflung noch erreichbar war,
Den Kranz des Siegs, wenn auch zerriffen, mit.
Auch ihm alſo, dem Machtigſten in feiner Zeit ger ſchieht e8, daß er fich feiner ſelbſt nicht ficher weiß. Er hat das Vertrauen nicht, immer fo bereit zu jein, wie er fich in feinen guten und großen Stunden fühlt und will. Er braucht Gewalt gegen fich jelbft, um zu fich jelbft, feir nem eigentlichen, feinem wahren, feinem wefentlichen Selbſt zu kommen. Erſt wenn die Standarte bei den Feinden
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iſt, wenn ein Ungeheures durch Verzweiflung die letzten Käfte aus verborgenen Winkeln feiner Natur aufjagt, | wird er, was er iſt. Er fühlt, daß er fein eigenes Selbft nicht immer hat, er ängftigt fich, es zu verlieren, er weiß, daß es nur manchmal, in der höchſten Luft und in der , höchften Not, ihm felber unbegreiflich wunderbar erjcheint. \ Wer aber fich jo tief erfannt hat, daß er an ſich zu glau- ben verzweifeln muß, wie könnte der gar einem Weide ver- trauen? Hier Tiegt ein Motiv, das Hebbel ſelbſt nur wie \ im Nebel erblicht zu Haben jcheint, und wir erft, madjifcher , Gebanfen voll, in feiner tückiſchen Schönheit empfinden. | Ein ſeltſames Gedicht. Überall Stimmungen ange- | Tindigt, die das nächte Gejchlecht erft erlebt Hat. Uberall Drohungen der Zukunft. Überall Fragen, mit welchen ſich \ eben jegt erft die Menjchheit zu rüften beginnt. Ein Ge» dicht, wie über unfer neues Gefchlecht, für unjer neues Ge- ſchlecht. Warum wirkt es dennoch nit? Oder da man ſolches doch lieber nur ganz perjönlich fragen foll: wo— durch geſchieht es mir, daß ich, bei der höchften Bewunde- tung dieſer Gedanlen, niemals über eine rein cerebrale Freude hinaus zur unmittelbaren Empfindung entrüdt, kei—⸗ nen Augenblick don meiner logijchen Mitarbeit befreit werde und, im geiftig frohen Anblic jo hoher Dinge, doch nie mals ein dumpfes Unmohljein meiner erbittert widerftreben- den Natur verwinden kann? Ich habe das Gefühl, einer erhabenen Rede zuzuhören, während mich der Redner am Halfe würgt. Im meinem „Dialog vom Marſyas“ verfucht der Meifter die aus einer tiefen Verftörung in Hebbels Natur zu erklären, der den Geftalten, die jein Talent ent warf, menschlich nicht gewachſen war; #3 wäre ihm ähnlich
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wie dem Herodes gegangen: er hat auch immer erft Die Standarte wegwerfen müfjen, um fich durch Not höher zu reizen, als fein Wejen war, und die Grimaffe, zu der fich dabei jede jeiner Gebärden verzerrt, quält uns, indem fie uns feine Dual verrät. Ich glaube aber nun auch noch einen anderen Grund gefunden zu haben. Er muß feine Geftalten forcieren, weil er jpürt, daß er nicht die Kraft bat, die Emotion, die ihn felbft zu ihrer Erſchaffung er- regt Hat und in der fie fich bewegen, auch dem Zufchauer mitzuteilen. Er hat aber diefe Kraft deshalb nicht, weil er ſich dazu eines faljchen Mittels bedient, das fein genug ftarfer Leiter ift. Nämlich allein des gejprochenen Wortes. Bor Beethoven hat die moderne Menjchheit (von den Grie- Gen wird hier nicht geiprochen, die fich eine Wirkung auf Menſchen ohne Muſik überhaupt nicht denken konnten) in der Stunft feine Emotion gekannt, deren nicht, dem Grade nad, auch das nadte Wort fähig gewejen wäre. Durch Beethoven hat fie Emotionen von einer Macht Iennen ge- lernt, die den Menjchen jogleich von der Ingifchen Welt zu befreien und in das Urweſen der Natur zu entrüden vermag. Seit Beethoven fünnen ihr darum Emotionen von geringer Sraft, als die Initrumentalmufit gibt, nichts mehr fein. Der redende Künſtler hat aljo ſeitdem nur die Wahl, entweder das Wort mit der Muſik zu verbinden — Wagner (für jehr empfängliche Nerven kann die Muſik viel- leicht durch den Rhythmus erjegt werden, den die Trans- figuration mancher pathologiſch juggeitiver Schaufpieler augftrahlt — Novelli, Schule Reinhardt); oder auf die finnliche Emotion überhaupt zu verzichten, in Darftellungen, die niemals das Gebiet der logiſchen Welt verlafien —
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Ibſen. Hebbel aber hat noch verfucht, dem bloßen Worte Emotionen anzuvertrauen, die es nur in der Verbindung mit der Mufik erft finden fann. Er mag dies feldft dunkel gefühlt haben. Wenigftens wiffen wir, daß er feinen größ- ten Plan, den Moloch, liegen ließ und einen Mufifer da- für fuchte.
11. Dezember 1904.
Heren Paul Wiede vom Dresdener Hoftheater, der geftern den Herodes gab, haben wir ſchon vor zwei Jahren in einer Vorftellung de3 jeitdem Teider zerfallenen Afade- mifchen Vereins gejehen. Er nahm damals durch feinen Elan einer beherzt zugreifenden Jugend und Die geiftige Sicherheit, mit der er fich in der enormen Rolle des Peer Gynt zu behaupten verftand, fogleich für fich ein und Hatte beſonders zulegt, in der Szene mit dem Knopfgießer, ein paar Momente von binreißender Kraft. Neulich Hat er im Anforge-Verein Gedichte Hebbeld vorgelefen, für den er mit jchöner Leidenjchaft um das Publitum wirbt, wie vor Jahren Kainz für Grillparzer. Ein Schaufpieler von ſolchem Enthuſiasmus könnte jegt in Wien Wunder tun. Man erinnere ſich nur, wie ftar Doch Herr Heine anfangs gewirkt hat, bis e3 ihm amtlich verboten wurde. Bei der verfchlafenen Indolenz unferer Direktoren, bei der Bedürfnis⸗ Iofigfeit unſeres gottergebenen Publifums, bei der himm- liſchen Geduld unferer entjagenden Kritik kann es wirklich nur einem jungen Menjchen von verruchter Entjchloffenheit vielleicht noch gelingen, uns aus dem Sumpfe zu ziehen. Und Herr Wiede wäre noch mehr: er ift der „intereffante Schaufpieler“, den wir jo dringend brauchen. Herr Heine
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geht. Bleiben Kainz und Jarno. Die zwei ſollen jetzt allein beſtreiten, was ſich in Berlin auf Matkowski und Nittner und Baſſermann und Reicher und Sauer und Wüllner und Reinhardt und Steinrüd verteilt. Dann aber fragen die Direktoren tieffinnig, durch welche Tüde wohl unferer Stadt die „Führung“ im Dramatfchen ent wendet fein mag... . Er gefiel geftern als Herodes jehr. Er fpricht vortrefflich: klar gliedernd, wifjentlich fteigernd, durch den heißen Atem wirkſam, der aus jeiner Rede dem Bublitum ins Geficht fehlägt; und wenn er fpürt, daß es fih in den Wirrungen des Dichters verfängt, zögert er nicht, es zu überrennen. Der Furor, mit dem dies ge- ſchieht, ift fo ftarf, daß man darüber faft den leiſen Zweifel vergißt, ob fein Geift nicht bisweilen weiter geht, als fein Talent nachzufommen vermag. Lernt er erjt noch die Gebärde beherrichen, die er oft in zufällige Bewegungen zerflattern läßt, ftatt dieſe in einen einzigen großen, weſent⸗ lichen Ausdrud zufammenzufaffen, jo wird er noch reiner wirken. Möchte e8 unter unferen Augen geichehen! Ihn hier zu haben, wäre eine Freude.
Der Buppenfpieler. (Stubie in einem Aufzuge von Arthur Schnigler. Zum erften Mal aufgeführt im Carl-Thenter am 12. Dezember 1904.)
Zwei Freunde treffen fich nach Jahren wieder. Freunde? Nun, wie e8 im „Einfamen Weg“ heißt: „Wir bringen ein- ander die Stichworte fo geſchickt — es gibt pathetifche Leute, die jolche Beziehungen Freundfchaft nennen.” Sie find zufammen jung gewejen, und das bleibt einem hängen.
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Eigentlich iſt es nur Aſſoziation, wie die Pſychologen ſagen: der „Freund“ ruft Erinnerungen aus einer Zeit auf, in der wir und noch felber lieb hatten. Denn da— mals dufteten und die Roſen ftärker, der Wein war heißer und im’ Winde wälzten wir und durch das Gras. Daran erinnert und der Freund, deshalb haben wir ihn gern; Affoziation. (Wie denn „Treue“ nur gutes Gedächtnis ift.) Alſo zwei Freunde. Sie haben fich zehn Jahre nicht ge- jehen, num aber, da fie fich zufällig begegnen, find fie ge- rührt. Wenigftens der eine, Herr Eduard Jagiſch, der in der Oper Oboe fpielt. Wir merken bald, daß der Dichter in ihm den ſchlichten Mann gezeichnet hat. Er ift ver- heiratet, er hat ein Kind, er ſcheint gefühlvoll, wohnt weit draußen vor der Stadt, faft auf dem Lande, obwohl das „manchmal feine mißlichen Seiten hat“; und — und er wagt e3, fich glücfich zu nennen, „vollkommen glüdlich, ſchattenlos glücklich,“ da felbft „der Tod nicht? mehr Schreck⸗ liche8 Hat, wenn man einmal Weib und Kind hat, die einen beweinen werden“. Wir begreifen, daß er mit feinem Be- hagen den anderen ein bißchen nervbs macht. Diejer, Herr Georg Merklin, ift nämlich) keineswegs ſchlicht. Wir merfen bald, daß er zu den paar Menjchen gehört, denen e3 we— niger darauf anfommt, im Leben etwas zu jein, als zu erfahren, was es denn eigentlich mit dem Leben auf ſich hat, und denen ihr Schidjal faſt nur wie ein Experiment tft, um daran die Probe auf ihre Gedanken zu machen. Er hat in feiner Jugend gedichte, man erwartete damals, er würde etwas Großes werden. „Wer jagt dir,“ ant— wortete er dem Freunde, der ihn daran erinnert, „daß ich es nicht geworden bin? Müſſen es denn die anderen
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merlen? Wenn du heute deine Oboe verkaufteſt oder wenn deine Finger und Lippen gelähmt würden, daß du nicht mehr blajen Zönnteft — wäreſt du ein geringerer Virtuoſe al3 zuvor? Oder nimm an, du hätteft feine Luft mehr und wirfft fie einfach zum Fenſter hinaus, deine Oboe, weil ihr Klang dir nicht genügt — wärft du dann fein Künftler mehr? Oder mwärft du es micht vielmehr erit recht, wenn du es zum Fenſter hinuntergeworfen hätteft, dein Inftrument, das jo ohnmächtig ift im Vergleiche zu der göttlichen Mufif in deinem Hirn? ... Nun, ich habe fie zum Fenfter hinuntergeworfen, meine Oboe. Die Dumm- Töpfe haben ausgeſchrieen: Es fällt ihm nichts ein! Sch laſſe fie fchreien. Dem wahren Künftler kann nie etwas einfallen, denn er hat alles in fi — er hat die innere Fülle. Das iſt es, darauf fommt es an.” Man denft an Ulrif Brendel, von dem es wörtlich ebenjo heikt, daß „die Welt früher einmal etwas Großes von ihm erwartete,“ und aus dem dann nur ein fpöttiicher Vagabuud geworden ift, aber immer noch ftolz auf feine Werke, die fein Menſch tennt, weil fie gar nicht geichrieben find, fondern nur von ihm allein in Gedanken und Gefichten genofien, und den Rosmer jo beneidet, weil er „menigitend den Mut hat, das Leben nad; feinem eigenen Stopfe zu leben“. Freilich um den Preis, verjchollen zu fein. Aber was liegt daran? Merklin jagt: „Ich verfichere dir, es tut gar nicht weh, verſchollen zu jein. Und ich glaube nicht, daß Menſchen meiner Art überhaupt etwas beſſeres zuftoßen ann.“ Denn Menſchen von feiner Art gelingt es nicht mehr, fi) vom Leben düpieren zu laffen, und hat man dies einmal ver- Sernt, was bleibt einem no? „Ruhm? — Behn Jahre
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— tauſend Jahre — zehntauſend? ſag' mir, in welchem Jahre die Unſterblichkeit anfängt und ich will um meinen Ruhm beſorgt ſein. — Reichtum? — Zehn Gulden — tauſend — eine Million? — Sag' mir, um wie viel die Welt zu kaufen iſt, und ich will mich um Reichtum bemühen. Vorläufig iſt mir der Unterſchied zwiſchen Ar- mut und Reichtum, zwiſchen Dunkelheit und Ruhm zu ge- ring, als daß es fich mir Iohnte, einen Finger darum zu rühren. Lab mich jpazieren gehen, Freund, und mit Men- chen fpielen. Das ift daß einzige, was eines Menfchen meiner Art würdig iſt.“ Er jagt bier wieder: Menjchen meiner Art, und ftect fich von den anderen ab, um nur nicht im Haufen zu fein, wie es immer jene drängt, die an einem tiefen Stolze leiden, die fich zu gut find, um ſich mit halben Erfüllungen abzufinden, die Lieber verzichten, als fich zu beſcheiden. Alles oder nichts, die Lojung Brands. Kann ich das Leben nicht zwingen, mir dag zu werden, worauf mein inneres Weſen fteht, fo will ich auch feine Gnaden nicht und danfe für ein Glüd, das den Hammer einer unerbittlichen {Forderung und des großen Mißtrauens nicht verträgt. Dann lieber in der Ede ftehen, ſpottiſch zuſchauen und tändelnd jpielen, mit dem Leben und mit den Menjchen jpielen, wie mit Puppen, was wahrhaftig, an Lebendigen geübt, ein edleres Vergnügen it, als „Luftgeftalten im poetifchen Tanze herummirbeln "zu laſſen.“ Als ſolcher „Puppenjpieler“ hat ſich Merklin von je gern vergnügt. Auch einft, vor zehn Jahren, an eben diefem Herrn Jagiſch, der jet fo glüdlich ift. Da— mals war er da3 gar nicht, denn er litt, wie folche jchlichte Menſchen in der Jugend oft, an Mißtrauen vor fich felbft.
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Wie einen Größenwahn, gibt es nämlich, vielleicht viel öfter als diefen, auch einen Kleinheitswahn: „Mir geht, Halt nichts gut aus, mich hat halt niemand lieb!“ Davon ihn zu heilen, ſich aber wieder ein Exempel zu machen, daß in unferem Leben doc; alles nur aus Illuſion gewoben ift, ftiftet Merlin ein junges Mädchen an, in Jagiſch verliebt zu tun, wozu es, jelbft in Merklin verliebt, fich bereden läßt. Und nun, nach zehn Jahren, jagt er es ihm und weidet ſich daran: „Ich vermute, daß diejer Abend be— deutungsvoller für dich war, als du ahnt. Sch glaube, daß du an diefem Abende den Lebensmut in dich getrunfen haft, von dem du auch Heute noch erfüllt bit. Denn da» mals, gefteh' e3, haft du zum erften Mal empfunden, daß auch du im ftande bift, Glüd zu geben, Glück zu em- pfangen ... Wäre jene Stunde nicht geweſen, du wärft wohl dein Lebtag der verjchüchterte, ängitliche Burfche ge— blieben, als den ich dich kannte. Wielleicht hätteft du nicht einmal den Mut gefunden, um ein Weib zu werben... Und wie fam dies alles? Wodurd war dieje außerordent- liche Veränderung deines Weſens hervorgerufen? Indem du glaubteft, das jchöne Mädchen, das dich damals doch zum erften Mal jah, hätte fich auf den erjten Blick in Dich verliebt... . Du Hatteft Urſache, e8 zu glauben; aber bu Haft dich geirrt . . . Das Ganze war ein tieffinniger Spaß, den ich ausgedacht Hatte... Es war eine abgefartete Sache. Die Kleine, die jo zärtlich mit dir war, tat einfach, was ich wollte. Ihr wart die Puppen in meiner Hand, ich lenkte die Drähte. Es war abgemacht, daß fie ſich in dich verliebt ftellen ſollte. Denn du haft mir immer leid ge- tan, Eduard. Ich wollte in dir die Illufion eines Glückes
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erwecken, damit dich da8 wahre Glück bereit fände, wenn es einmal erfchiene. Und jo hab’ ich — wie es Leuten meiner Art wohl gegeben fein mag — vielleicht noch tiefer gewirkt, al3 ich wollte. Ich Habe dich zu einem anderen Menſchen gemacht.“ Der andere Hört zu und lacht nur til vor fi Hin. Und dann kommt es herauß: daß er das alles jchon weiß. Längft. Das Mädchen felbft hat ihm geftanden, daß es zuerft nur ein Spiel war. Später, als es fein Spiel mehr war. Denn fpäter ift fie ihm dann wirklich gut geworden und dann ift fie jeine Frau geworben und jegt ift ſchon ein großmächtiger Bub da. Und fo verdankt er dem Puppenſpieler eigentlich fein ganzes Glück. Aber dem Puppenfpieler kommt es doch ſeltſam vor. Beſonders der Bub kommt ihm jeltiam vor, dieſer wirkliche, unleugbare, leibhafte Bub, aus einer Illuſion ge- boren. „Wer weiß, wozu diefer Heine Junge einmal be- rufen ift. Und wenn man zugleich bedenkt, daß er nie geboren wäre, wenn ich nicht an jenem Abend den Einfall gehabt hätte... Ihe müht es ihm erzählen, wenn er ein- mal groß genug ift, um es zu verſtehen ... Ein Sind meiner Laune — wahrhaftig." Und er geht. Die beiden aber binden dem Buben die Serviette um und rüden ſei— nen Stuhl an ben Tiſch und es wird gegejfen. Und wir merfen, oder es fommt uns wenigſtens vor, daß der Dich- ter jagen will: Der ſchlichte Mann hat recht, nicht die „Menjchen meiner Art“, fondern, die fich vom Leben foppen taffen.
Womit wir denn wieder bei Grillparzerd und Stifters altöfterreichijcher Weisheit der Beſchwichtigung und Ent» fagung wären:
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Eines nur iſt Glück hienieden, Eins; des Innern ſtiller Frieden Und die ſchuldbefreite Bruft!
Und die Größe iſt gefährlich,
Und ber Ruhm ein leered Spiel; Bas er gibt, find nicht'ge Schatten, Was er nimmt, e& iſt fo viel!
Beifeite leben. Still fein. Sich nicht vermefien, um ſich nicht zu verlieren. Umgelehrt wie Brand: nicht „alles oder nicht8,“ jondern dazwiſchen. Nicht hochmütig auf die Wahrheit pochen, die, wenn fie extrem wird, über unfere Kraft geht. Die Heinen Lügen nicht verachten, aus denen doch manchmal etwas jo Wirkliches wie diefer Heine Bub hier wird, worin vielleicht das eigentliche Wunder und das legte Geheimnis unjeres Lebens liegt. Eine Gefinnung, die fich feit ein paar Jahren bei Schnigler immer wieder mel- det, fogar im „Einfamen Weg,“ feiner reifiten, fo wunder- bar tiefen und reichen Dichtung. Eine Gefinnung, die auf mich — lieber Arthur, ſei nicht 688, aber: Bekenntnis gegen Bekenntnis — allmählich unerträglich penfioniert wirkt. Eine Gefinnung, mit der ſich auch Hebbel, durch Öfterreich gebrochen, betrogen hat: Kraft oder Schönheit gehört in unfer Leben nicht, nimmt, wenn ſie fich darin zeigt, eine Schuld auf fich und muß fie tragiſch büßen. Ich habe fonft meinen Marzismus mit der Beit recht bedingen gelernt, aber da muß ich doch jagen: Dies ſcheint mir wirklich nichts als der geiftige Ausdrud einer finfenden dfonomiichen Kaffe zu fein, die, da fie fich durch die Entwicklung unauf- haltſam zerrieben fühlt, jegt einfach aus dem Leben defer- tieren will. Durch unfere Geburt gehören wir ihr an, deshalb wird fie aus unferer Empfindung niemal3 aus—⸗
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zutilgen ſein, die Frage iſt nur, ob wir auch geiſtig uns ihr fügen müſſen oder fie geiſtig vielleicht überwinden dürfen, ob nicht unferer Generation gerade dazu nur die Kunſt gegeben wurde, die Stunft und die namenlofe Sehnfucht, um duch fie das Leben jelbft, defien leere Lügen wir nicht mehr ertragen, aus und umzuformen. Dos Leben hält und geiftig nicht, was wir von ihm fordern. An unferen Gedanfen gemeffen, ift e8 matt und dumpf. Und darum willft du dich aus ihm ftehlen, in den Winfel mäßiger Entjagung? Weil e8 unjerem Geifte nicht gemäß ift, das foll mich beftimmen, es mit dem Geifte der Väter zu verfuchen? Wenn das Leben mir nicht gemäß tft, wer jagt dir denn, daß ich darum mich ändern muß, ftatt es? Trauen wir und jo wenig zu? Haben wir uns denn ſchon mit ihm gemejjen? Wir wollen doch erft einmal jehen, wer jtärker ift: Wir mit umjerer freudigen Sehnfucht nach der neuen Form einer ftarfen, durchaus wahrhaften, leuchtenden Eriftenz im innerer freiheit, oder diejes Hinfälligen alten Lebens trifter Widerftand! In Ge- danken ftill beifeite, fozufagen: auf dem anderen Ufer fein und höchitens manchmal lächelnd herüberjchauen, froh, dab man fich noch zur rechten Zeit geflüchtet und davor ge- fichert hat, das feheint jegt oft der müde Wunjch deiner Menſchen. Aber jolche Gedanken, die nur ftill, mit ge— funfenen Händen, beifeite figen fönnen, find mir nichts und mich verlangt nach fühneren, die die Kraft hätten, die Fäufte zu ballen und ins Leben zu ftreden und es nicht zu laſſen, bis es uns fegnen wird. Ich denfe jegt jo oft an deinen „Schleier der Beatrice“, an die ſchaurig große Stimmung jener legten Nacht, die den blutigen Borgia
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ſchon vor den Toren weiß... . und morgen wird er fom- men und mit ihm kommt der Tod. Sind wir nicht ſelbſt jegt in jolcher Nacht einer Welt, die morgen verjinft? Aber da wollen wir doc) die paar legten Stunden, bevor der Borgia fommt, endlich einmal nicht mehr entjagen, nicht mehr und fügen, nicht mehr nach dem Gebot der Väter fragen, fondern nachholen, bevor es zu fpät ift, und end- lich nichts als wir felbft fein umd, den Tod im Leibe, endlich, endlich leben! Ich glaube nicht mehr, Arthur, daß Entjagung Reife ift. Ich glaube, fie ijt nur innere Schwäche. (Furcht von Menſchen, die ſich bewahren wollen, weil jie noch nicht wiffen, daß dies der Sinn des Lebens ilt: ſich zu zerftören, damit Höheres lebendig werde) Ich glaube, daß dies weite Leben, das da draußen winkt, un- geheuer reich an wilder Schönheit und verruchtem Glüd ift: es wartet nur auf einen großen Räuber, der es zwingen wird. Ich glaube nicht mehr an die Heinen Tugenden des gelafjen zuichauenden Geiftes. Ich glaube nur noch an die große Kraft ungeftüm verlangender Leidenjchaft. Und ich glaube, daß einer von und, gerade einer von und, dies machen muß, dies Werk, das die legte Nacht einer alten Zeit enthalten wird, aus der ſchon in der Ferne, blutig froh, die Sonne der neuen bricht. Mach’ du's!
Jarno gab den Puppenipieler in feiner feften und ficheren Art, mir faft ein bißchen zu feft und beftimmt: die Figur hat bei Schnigler den beinahe mufifalifchen Reiz einer Radierung, Jarno macht einen Holzſchnitt daraus. In den „legten Masken“, die vorhergingen, wirkte Herr Heine als Rademacher fehr, prachtooll in diefer Mifchung von Grimm, Neid, Hab, Gier, Wut eines ohnmächtigen
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Menfchen, der fich ein ganzes Leben geduct hat und nun im Tode höhnend aufbäumt. Zum Gilbert in der „Literatur“, die dem Puppenfpieler folgte, ift er im Tone zu ſchwer, zu teal, beſonders neben dem Simpliziffimusftil der Frau Netty und des Herrn Trehler, die hier in ihrem Element waren.
Timon von Athen. (Bon Shafeipenre. Im Kaiferjubiläums-Stadtthenterfaufgeführt am 31. Januar 1905.)
So ift die Neihe: Lear, dann Antonius, nun holt er Atem, Troilus folgt, Coriolan, aber wie einer, der ſinnlos losſchlägt, am Schlagen felbft die Wut, ftatt fie zu jättigen, nur immer noch reizt, ftößt er num noch dieſen legten furchtbaren Schrei des Timon aus. Hier ift die Welt zu Ende, bier kehrt das Chaos wieder, Hier ift nur noch Zinfternis und Blut. Manche glauben zu fpüren, auch in Szenen, die unzweifelhaft von Shafeipeare find, es habe bier feine gejtaltende Kraft nachgelafien. Mich ergreift gerade dies fo grauenhaft groß: daß auch er jogar, er, einmal doch vor dem Leben ſchwach und Elein geworden tft, zu tief getroffen, um noch länger der Meifter zu fein, der 3 gelafjen in Figuren ſchließt und fie fpielen läßt. So lange ein Menfch noch fähig ift dem Daſein jchöne Bilder abzuziehen, hat er doch immer nur feinen fernen Schein geipürt. Im feinen Schlund geftürzt, in feinem Feuer brennend, die frechen Hände, die nach ihm griffen, von jet- nem Qualm verbrüht, wird man ungeſchickt, noch gefällige Formen zu drehen. Gerade wie Shakeſpeare hier die
Hermann Bahr, Gloſſen. 29
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„Literatur“ zerreißt, feine Metapher mehr beherricht und faft darin aufatmend zu fehwelgen jcheint, daß er nichts von jeiner Kunft mehr hat, gerade dieje legte Verlorenheit an ein einziges, alles auslöfchendes Gefühl, das ungeheuer gewejen fein muß, hat eine tragiiche Gewalt, die einem Werle der vollfommenen Kunft immer verjagt bleiben wird. Aus dem größten Dichter, der je war, jpringt hier plöglich
derfelbe gepeinigt ftöhnende, heulende, rajende Menih
hervor, der jeder von uns ift, wenn es auch Glückliche gibt, die es nicht bemerken. Und dann verjtummt die Kunft.
Die Forjcher regen ſich nun neugierig auf, was es
denn gewejen fein mag, wodurch um dieſe Zeit, feit dem
„Hamlet”, Shafejpeare jo „verftimmt“ wurde Die ſchwarze Dame in den Sonetten? Der Fall des Efjer? Die PBuritaner? Ich Habe früher ange gedacht, ob nicht zur Erklärung jein Bedürfnis des Künſtlers, die Welt und die Menjchen in den Momenten ihrer höchſten Schön- heit und Größe zu fehen, ausreichen könnte, zu der fie doch immer erft fommen, wenn fie irgend ein Enfegliches aus der Trägheit angelernter ſanfter Lügen und betäu- bender Verhüllungen reißt. Auch ift es mir wahrichein- lich gewejen, es möchte wohl der bloße Anblid des Lebens, wie ſeltſam fich darin die Gemeinheit des Menjchen mit feiner Dummheit erwürgend verftricdt, genügen fönnen, einen nachdenklichen und gegen fich aufrichtigen Mann zu verzweifeln, ohne daß er dazu noch erjt jelbft an ſich die Tücke der Schickſale beſonders zu erfahren braucht. Aber dies iſt doch wohl artiftijcher gedacht, ald auf einen jo lebendigen Menjchen zutreffen kann, und es würde den
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Ton perjönlicher Verbitterung und Demütigung nicht er- täten, die, mit einer wütenden Gier ſich zu rächen, aus diefen Geftalten jchreit. Shakeſpeare muß dazu ſchon ſelbſt etwas erlebt haben, nur braucht es gar nicht? Trauriges geweſen zu fein, fondern bloß fo ftarf, daß er in Leiden⸗ ſchaft geriet. Leidenſchaft aber, woher immer, über einen Menfchen geworfen, zieht in ſolche Tiefen des gärenden Gefühles hinab, daß er fich nicht wieder in die laue Re— gion unleidenfchaftlicher Menfchen zurüdfinden Tann. Der Velten Urmuſik im Ohre, hat er die Sprachen des Ver- ftandes verlernt, er fann nichts mehr verftehen, was fich auf der Erbe begibt, und er wird ungerecht, indem er num aus der Leidenichaft dad Maß für Dinge Holt, die doch gar nicht unter ihren Geſetzen ftehen. Dies furchtbare Gericht, daS hier, vom Hamlet an bis zu Timon, über die Menjchheit gehalten wird, trifft diefe ſchließlich gar nicht, weil fie feine Forderungen gelaffen abweiſen fann, weil fie hier doch mit einer höheren und reineren ftrafend verglichen wird, Die es noch gar nirgends als nur in der Sehnfucht einer über das Irdiſche hinausgeſtreckten Leiden- ſchaft gibt, und weil es ihr gutes Recht tft, ſich nach ihrer angeftammten Art in der Gegenwart behaglich zu gefallen, shne viel zu fragen, ob nicht im einer helleren Zukunft einmal ein ftärferes Geichlecht, durch Leidenfchaft verwan⸗ delt, auf eine Höhe des Dafeins gelangen wird, von welcher aus alles, was jegt ift, tief im Gemeinen unten erlojchen ſcheint. Daher der Ton von Demütigung: indem der Dichter, von Leidenfchaft entführt, die Welt träger Men« ſchen, die fi an den Verſtand und feine Abmachungen halten, durchaus nicht mehr ertragen kann, fühlt er doch, 29*
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Puritaner? Laſſen wir die Gelehrten ſtreiten. Möglich, daß es auch das war. Ich glaube aber nicht, daß ein Menich, der der Leidenfchaft fähig ift, erft ein häßliches Erlebnis braucht, um tragiſch „verftimmt“ zu werben; es Tann auch ein ſehr fchönes fein. Es genügt dazu, daß einer nur einmal was Wirkliches fpürt, jo ftarf, daß er meint, dies Gefühl müſſe, von ihm den Menſchen zu- gefchict, ihnen wie die Sonne leuchten, heiß und groß, dann aber gewahr wird, daß es nicht die Kraft hat, ihnen etwas zu fein. Gewahr werden, daß man mit dem Höch- ften, was man ift, doch nie die Kraft Hat, einem Menfchen etwas zu fein, dies genügt. Dann figt man bald in feiner Einjamteit als ein Bettler da, nur mit dem einzigen Wunſche noch, ſchon auch endlich fagen zu können:
Run, Lippen, firaft nicht weiter, ſchliekt euch feit;
Und was verkehrt ift, beffre Gift und Beft!
Nur Gräber grabe man und fin! in Nacht!
Sonn’ hüll' in Schwarz bih! Timon hat vollbracht
Schmelz, der Nibelunge. (Komödie in vier Alten von Franz Adamus. Zum erften Mal auf geführt tm Raimund: Thenter am 6. März 1905.)
Die „Familie Wawroch“ des Franz Adamus, die am 21. April 1900 im Dentichen Volkstheater gegeben wurde, enthält eine Szene, die man nicht wieder vergikt. Im dritten Akt, in der Schenke „zum ſchwarzen Diamanten“, die dem alten Juden Schmelz gehört. Draußen lärmt es, Arbeiter rotten fich, Weiber Heulen, der Heinrichichacht ift zerjtört, jegt find fie zum Marthajchacht hin, die Wippen
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krachen, Dampf ziſcht, und Geſang und Geſchrei, Wivat, Hurra, Hoch erichter Mai, fo kommt's immer näher, immer drohender, immer wüfter an den zitternden alten Juden heran. Daneben aber, im anderen Zimmer, liegt fein Weib in den Wehen. Und er laufcht. Und jegt kracht es, vom Schachte her. Und dann fchreit das Weib fchrill auf, nebenan. Er aber ruft: „Riboine schel oilom, Herr der Welten!" Und Holt den Tales, den langen Mantel mit den ſchwarzen und weißen Streifen, und hüllt fich ein und macht feltiame ſchwere fremde Zeichen und murrt jeltiame ichwere fremde Worte, während draußen die Steine jchon an die Türe praffeln.
Diefer alte Schmelz hat einen Buben, Willujch, der in der Schenke aushilft, angemwidert vom Lärm und Dunft der Trinker, innmer gleich gereizt, wenn einer mit ihm fchreit, ſehr fleißig, mit einer wahren Gier, nur recht viel zu Ier- nen und Wiſſen an fich zu raffen, um fo doch jpäter ein- mal vielleicht diefer Welt zu entlommen. Still und dem Vater gehorjam, geht er unter den Zechern herum. Da ſchiebt ihm einer fein Glas Hin und berricht ihn an: „Noch einen Schnaps, Jud!“ Der Knabe zudt zufammen. Und da der Becher flucht: „Sakramentski potworo! Noch ein Schnaps !*, fährt er wie ein gereiztes Tier auf ihn los, weiß vor Wut: „Sie, da wird nicht geſchimpft! Verſteh'n Sie!“ Der Alte trennt fie: „Geh', Willufch, geb’ ihm den Schnaps. Wirte dich mit d'n Goj herausſtell'n? Soll er ſag'n: Jud'! Bifte fein Jud'?“ Wilhelm ge» horcht. Der Alte mahnt ihn dann noch: „Und du follft dich nicht mehr einlafjen in ſolche Streitigkeiten mit die Kerls! Was geht das dich an, was fie reden? Du ſchau
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Buritaner? Lafjen wir die Gelehrten ftreiten. Möglich, daß es auch das war. Ich glaube aber nicht, daß ein Menſch, der der Leidenfchaft fähig ift, erft ein häßliches Erlebnis braucht, um tragiſch „verftimmt“ zu werden; es Tann auch ein fehr fchönes fein. Es genügt dazu, daß einer nur einmal was Wirkliches fpürt, jo ftark, daß er meint, dies Gefühl müffe, von ihm den Menfchen zu- geicdhict, ihnen wie die Sonne leuchten, heiß und groß, dann aber gewahr wird, daß es nicht die Kraft hat, ihnen etwas zu fein. Gewahr werden, daß man mit dem Höc- ften, was man ift, doch nie die Kraft hat, einem Menfchen etwas zu jein, dies genügt. Dann figt man bald in feiner Einjamteit als ein Bettler da, nur mit dem einzigen Wunſche noch, ſchon auch endlich fagen zu Können:
Run, Lippen, firaft nicht weiter, ſchließt euch feit;
Und was verkehrt ift, beff’re Gift und Peft!
Nur Gräber grabe man und ſink' in Nacht!
Sonn’ hüll' in Schwarz did! Timon hat vollbracht.
Schmelz, der Nibelunge. (Romöbdte tn vier Miten von Franz Adamus. Zum erften Mal auf- geführt im Raimund-Theater am 6. März 1905.)
Die „Familie Wawroch“ des Franz Adamus, die am 21. April 1900 im Deutichen Volkstheater gegeben wurde, enthält eine Szene, die man nicht wieder vergiät. Im dritten Aft, in der Schenke „zum ſchwarzen Diamanten“, die dem alten Juden Schmelz gehört. Draußen lärmt e, Arbeiter rotten ſich, Weiber heulen, der Heinrichſchacht ift zerftört, jegt find fie zum Marthaſchacht hin, die Wippen
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krachen, Dampf ziſcht, und Geſang und Geſchrei, Vivat, Hurra, Hoch erichter Mat, jo kommt's immer näher, immer drohender, immer wüfter an den zitternden alten Juden heran. Daneben aber, im anderen Zimmer, liegt fein Weib in den Wehen. Und er laufcht. Und jegt kracht ed, vom‘ Schachte her. Und dann fchreit das Weib jchrill auf, nebenan. Er aber ruft: „Riboine schel oilom, Herr der Velten!“ Und Holt den Tales, den langen Mantel mit den fehwarzen und weißen Streifen, und hüllt fich ein und macht ſeltſame ſchwere fremde Zeichen und murrt ſeltſame ichwere fremde Worte, während draußen die Steine jchon an die Türe praffeln.
Diefer alte Schmelz Hat einen Buben, Willufch, der in der Schenke aushilft, angewidert vom Lärm und Dunft der Trinfer, immer gleich gereizt, wenn einer mit ihm fchreit, ſehr fleibig, mit einer wahren Gier, nur recht viel zu ler-- nen und Wiſſen an fich zu raffen, um fo doch ipäter ein mal vielleicht diefer Welt zu entlommen. Still und dem Bater gehorfam, geht er unter den Zechern herum. Da ſchiebt ihm einer fein Glas hin und Herrfcht ihn an: „Noch einen Schnaps, Jud!“ Der Knabe zudt zufammen. Und da der Becher flucht: „Sakramentski potworo | Noch ein Schnaps!“, fährt er wie ein gereiztes Tier auf ihn los, weiß vor Wut: „Sie, da wird nicht geſchimpft! Verſteh'n Sie!" Der Alte trennt fie: „Geh', Willuſch, geb’ ihm den Schnaps. Wirfte dich mit d'n Goj herausſtell'n? Sol er ſag'n: Jud'! Bifte fein Jud'?“ Wilhelm ge- dort. Der Alte mahnt ihn dann noch: „Und du follft dich nicht mehr einlaffen in ſolche Streitigkeiten mit die Kerle! Was geht das dich an, was fie reden? Du ſchau
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auf das Geſchäft! Um’ ſoll'n fe zeden, was je woll’n!* Wilhelm verteidigt ſich: „Ich hab’ mich nur jo gejchämt, daß die mich Jud' geſchimpft haben!" Und geduldig jegt er ſich wieder an die Kaſſe Hin und fehreibt die Schulden aus den Büchern heraus,
Diefen Sa führt das neue Stüd des Adamus aus: das Stüd von den Juden, die jich ſchämen, wenn fie Juden geichimpft werden, und die ftolz find, wenn man fie nicht ala Juden erkennt, das Stüd von den armen, halben Menjchen ohne Heimat, weil fie ſich von der alten losgeriſſen und doch nicht die Kraft haben, fich eine neue zu ſchaffen.
Willuſch ift jegt an der Univerfität in Wien. Er heißt nicht mehr Wilhelm Schmelz, fondern Franz Wil- beim. Und er hat fich taufen laffen. Warum? Zunächſt -wohl nur aus einer findijchen Eitelkeit. Er ift in eine Geſellſchaft deutfcher Studenten geraten, zur Verbindung „Nibelungia“, und es fchmeichelt ihm, daß fie ihn für einen Arier halten. Dies tut ihm jo wohl, daß er all- mählich anfängt, felbft an feiner jüdijchen Abftammung zu zweifeln. Er erinnert fich, daß feine jelige Mutter „allem eher ähnlich gejehen hat, als einer Züdin: das Prototyp einer fchlefiichen Bäuerin! Etwas Arijcheres im Ausdrude nicht zu denken!“ Freilich der Vater. Diejer Vater, der ihn fo liebt und immer jo rührend für ihn gejorgt hat! Es ift furchtbar für ihn Und manchmal figt er ver- ‚zweifelt da und wünſcht fich ſchluchzend: „Ach, wenn es doch überhaupt feine Juden gäbe!“ Und er erflärt es dem Freunde, mit dem er wohnt: „Schau, Deubner, ſchon als Kind Hab’ ich fait nur unter Chriften gelebt — meine
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beiten Freunde waren Chriſten ... Daß es da zwiſchen Chriften und Juden einen anderen Unterjchied gäbe, als den doch jehr geringen in der Neligion, daran Hab’ ich überhaupt nicht gedacht. Ich fomm’ an die Univerfität, lerne deutjchnationale Kollegen Tennen, fie ziehn mich in ihren Kreis und ich denke mir da natürlich zuerit gar nichts Bejonderes dabei. Dann fällt hie und da ein Wort — über die Juden — und ich merke, daß fie mich für feinen halten... Was Hätt’ ich num tun follen? Sofort Ios- ſpringen und rufen: Sie, meine Herren, Sie irren fi), ich bin ein Jude —? Nein, das bring’ ich nicht über mich — dazu hab’ ich zu viel Schamgefühl!" Dann aber fommt wohl noch etwas dazu: ein Zug jener unerbittlichen Selbft- tritit, mit der die Juden fich peinigen. Steine andere Na- tion fieht ihre eigenen Fehler jo grell und feine haft fie fo. Keine Hat dieſe zornige jüdifche Gerechtigkeit, Die nie» mals begreift, daß, wer fich behaupten will, vergemwaltigen lernen muß. Seine ift fo bereit, fich immer wieder vor das Gericht der Vernunft zu ftellen, unfähig, einzujehen, daß alle großen Taten der Menfchheit viel mehr aus der Tiefe die Vernunft überwältigender Inſtinkte gejchehen. Jede andere Nation nimmt die Triebe und Leidenfchaften, die fie ſtark in jich jpürt, einfach als ihr natürliches Ge— jeg hin: So bin ich, jo muß ich fein, aljo ift es mein Recht. Nur die Juden find ewig in diefer tiefen, ſcheuen Verwunderung über fich jelbft: So bin ich, aber fol ich, dorf ich es denn eigentlich auch? Die anderen wiſſen, daß man ein Recht, nach dem man erft fragt, doch eben dadurch ſchon verwirkt Bat,
Und nun joll der Studiojus Franz Wilhelm in den
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Bund der Nibelungen aufgenommen werden. Gerade in |
den „Badeni-Tagen“. Die Stadt ift in Aufruhr. Gejten ift die Polizei ind Parlament gedrungen, der Führer der Deutjchen, der Abgeordnete Zorn, ift verhaftet und fort- geichleppt worden, nun ziehen die wehrhaften Verbindungen vor das Haus, die Nibelungen voran, Wilhelm mit, die Polizei will e8 wehren, fie hauen zu, und Wilhelm, der im Gedränge jein Mädchen bedroht fieht, gibt in der Wut einem eins mit dem Stode über den Schädel, der tau- melt, ſchon greifen die Schergen nad} ihm, aber die Freunde reißen ihn weg und bringen ihn fort, nun ift er plöglich ein Held und foll abends, beim Stiftungsfeft der Berbin- dung, zum erften Mal ald Bruder unter ihnen fein. Da begibt es fich, daß fein Vater, der alte Schmelz, dem ein Neffe, ein fanatifcher Jude, den Abfall des Willuſch ver- tät, um ihn zu retten, in die Stadt fommt. Er trifft ihn zu Haufe nicht mehr, Täßt fich die Kneipe nennen und dringt dort ein. Man kann fich denken, wie die zechenden | deutſchen Burſchen den alten polnifchen Juden empfangen. Was will der bier? Welche Frechheit! Und was will er von Wilhelm? Das wird doch wirklich ſchon verdächtig. Wilhelm aber, wieder von jener Scham verwirrt, die es ihm immer verwehrt, fich zu befennen, herrſcht den Alten an: „Alſo — ich bitte — fagen Sie endlich — wer find Sie — was wollen Sie von mir?“ Der Alte zudt zu jammen und murmelt nur: „Gar nichts.“ Und will fort. Dann aber bricht'3 plöglich aus ihm hervor: „Warum haft du mich jo ſchwer geftraft, ewiger Gott im Himmel? Was hab’ ich denn getan e jo Schlechtes? — Ich Hab’ gefündigt gegen deine Gebote — gut. Ich Hab’ fehmwer
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gefündigt — ja. Aber ich bin doch nur ein ſchwacher Menſch. — Aber du — du! Ein wildes Tier kennt feine Familie, aber mein Sind — mein eigenes Kind — ver Ieugnet mich!" Und da die Studenten lärmen und höh— nen: „Machen Se nicht Ihr Gefpött mit ein’ alten Mann! Ich weiß, ich Bin ja nur ein armer, alter Jud’! Was ſoll ich jagen mehr? Gott hat mich ejo geichaffen. Er wird wiffen, warum! Gelobt fei Gott in der Höh’! — Aber wenn Se haben zu Haus noch ein’ alten Vater — denfen Se auf ihn, denfen Se auf ihn!“ Er ftürzt ohn- mächtig Hin, erjchroden bemühen ſich die Studenten jet um ibn, da gellt es von der Straße herein: „Das Mi- niftertum ift g’ftürzt — Extraausgabe! Demiffion des Minifteriums! Auflöjung des Parlaments! Die neuen Minifter! ...“
Von den Studenten audgeftoßen, in der tiefen Angft um den kranken Vater, voll Scham und Reue, gefcheitert, zerbrochen, an fich irre, kehrt Wilhelm zu feiner Nation zurück. Und da er das Gefühl Hat, nicht mehr eben zu önnen, bevor er gejühnt haben wird, ftellt er fich ſelbſt der Polizei. Er wird für jenen Schlag gegen den Poli- äiften verurteilt werden. $ 81, wenigitens ein paar Mo- note Kerker. Dann aber, dann fängt ein neues Leben an.
Mir ift hier jehr ſympathiſch die Neigung des Autors, es fich mit allen Parteien zu verderben. Er hat das Talent, es feiner recht zu machen. Dazu gehört immerhin Mut und ein Vertrauen in die eigene Kraft, das felten ge- worden ift. Auch wird man nicht leugnen önnen, daß das Stück techniſch vortrefflich geführt ift. Mir fehlen nur die echten Motive für den Wilhelm. Es kommt gewiß vor,
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daß ein junger Jude aus Eitelfeit, faljcher Scham und um ftudentifche Freuden behaglicher zu genießen, feine Raſſe ver- leugnet. Man fann da8 recht gut begreifen, aber es regt einen nicht weiter auf. Und ich habe gefunden, daß es im Leben doch meiftens tiefere Motive find, welche Juden zum Verrate verloden. Ich kannte ald Student einen Juden, der auch verfuchte, feiner Rafje zu entlommen und ein Deutjcher zu werben. Es iſt ihm nicht gelungen, er hat fich dann er- hoffen. Aber ich habe niemal3 mehr bei einem Menfchen ein jo wunderjchönes und großes Gefühl für das deutjche Weſen gefunden. Er war von der Art der deutſchen Nation wie fasziniert. Er erfannte fie tiefer und reiner, als es ein Deuticher, dem fie geläufig ift, jemals vermögen wird. Er empfand fie inniger, zärtlicher, jehnfüchtiger, als irgend einer feiner gelafjenen blonden Freunde begreifen fonnte. Nur Half ihn das alles nichts. Sein Irrtum war: zu meinen, ein fo hohes und ſtarkes Gefühl für ein fremdes Weſen müſſe uns fähig machen, es uns anzueignen. Das ift aber nicht wahr. Im Innerften mit dem Höchften des deutjchen Weſens vertraut, der deutjcheften Gedanken voll, durch die deuticheften Gefühle beftimmt, fuhr er fort, zu maujcheln. Ich aber, nächtelang ihm zuhörend, durch ihn zuerft den deutfchen Geift mit allen Wildheiten und Zärt- lichfeiten begreifend, jah damals ein, daß Verſtand und Ge- fühl ohnmächtig find, uns umzuwandeln. Und alle Sehn- ſucht der Entbehrung, der Entfernung Hilft dem Menfchen nichts. Du bleibft am Ende, was du bit... Auf diejeg Motiv wäre der Wilhelm zu ftellen geweſen: auf ein jehr aufrichtiges und echtes Verhältnis eines jungen Juden zum deutſchen Geifte und auf den abjurden Wahn
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der liberalen Zeit, vom Verftande aus oder durch Gefühl unfere Inftinkte und was wir in der Tiefe find, korrigieren zu können.
Der arme Wilhelm Schmelz gibt es auf, ein Deuticher zu werden. Ob er aber deswegen ein guter Jude fein wird? Kaum. Was foll aus ihm werden? Was foll aus jolchen werden. Der Autor bleibt hier die Antwort jchuldig. Aber er hat fie in einem anderen Stücke gegeben. Diejes heikt Neues Leben“, von jehr merkwürdigen Gedanken getrieben, mit denen es nur leider dramatijch nicht ganz fertig wird. Ein reicher Baron zieht das Kind armer Leute auf. Heran- gewachien, erfährt es die Wahrheit. Und nun jehnt ſich ber Jüngling weg, zu feiner verlafjenen Mutter hin, nach jeiner Heimat, die man ihm geftohlen hat. Er jucht die Mutter auf, der er jehr ungelegen fommt, die ihn nicht verfteht, mit der er nicht reden kann — er fteht nun erft recht ohne Heimat da. Die Löfung, die der Autor am Ende verſucht, ift Teine, aber ein wunderſchönes Wort klingt einmal durch, daß nämlich für uns heute, für uns die Heimat nicht „unjerer Väter Land“, jondern „unjer Kinder Land“, daß unfere Heimat nicht in der Vergangenheit, jondern daf fie in der Zukunft ift, daß wir heutigen Menſchen, Juden oder Chriſten, feine alte Heimat mehr zu bewahren, fondern erft eine neue zu erwerben haben. Der Heine Wilhelm Schmelz leidet daran, daß er, ald Jude geboren, fich nicht mehr als Jude fühlen kann. Aber geht es denn nur den Juden jo? Irgend ein heutiger junger Menſch, in Preußen geboren, Tann ſich denn der heute noch als Preuße fühlen, als folcher Preuße, wie fein Vater war? Oder ift denn unter und einer, der das ftarre, altöfterreichijche Gefühl unſerer Väter noch
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begreifen lann? Die alten Rafjen in Europa find zu Ende. Welch ein Wahnfinn, weil man ſich in der einen nicht wohl fühlt, in eine andere von den alten zu fpringen! Freuen “wir ums lieber der neuen, die jeder ſchon in ſich feimen fühlt, und Hegen wir fie tätig, frohen Bertrauens auf „unferer Kinder Land“, das wir mit der Seele ſuchen. Den Wilhelm gab Herr Eugen Burg. Er ift vor Jahren ein Liebling der Wiener geweſen und hat ſich dann in Hamburg bei Berger tüchtig hinaufgeſpielt, bis zum Dswald, den wir nächſtens auch Hier von ihm zu jehen hoffen. Geſtern bewies er feine alte Kunſt, in heiffen Rollen einem ſchon ungeduldigen Publitum jo ſympathiſch zu bleiben, daß er es in der Enticheidung immer wieder für den Autor gewinnt. Herr Homma, Herr Valberg, Herr Popp, Herr Millmann, beſonders aber, in der liebens- würdigen Epifode eines fozialiftiichen Studenten, Herr Wehle, halfen ihm tapfer. Der Autor jchon nad) dem zweiten Aft, aber noch unter Proteft gerufen, konnte nad dem dritten und vierten einen faum mehr beftrittenen, ſehr ftarfen Erfolg quittieren.
Die natürlide Tochter. (Zur Aufführung im Intimen Theater am 2. Februar 1906.)
„Mormorglatt und marmorfalt“, hieß es in der „Leipziger Literatur- Zeitung”, gleich nach der Weimarer Premiere. Und ſeitdem fagt dies einer dem anderen nad. Der Knabe lernt es, bevor er das Stüd kennt. Der Re- giffeur, der Schaufpieler weiß e8, bevor er zur Arbeit geht,
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Das Publikum erwartet es. „Marmorglatt und marmor- kalt.“ Dabei bleibt es. Und ganz gefcheite Leute habe ih jagen Hören, man müfje darum hier nach einer ganz, genen Inſzenierung ſuchen, fozufagen in Marmor, oder als Relief, die Schaufpieler gleichſam in gemefjen ſprechende Statuen verwandelnd. Dies zu treffen jet für den Regiſſeur das eigentliche Problem. „Marmorglatt und marmorlalt.”
Dan läßt fi nämlich durch die Worte täufchen, Goethes Kunſt ganz mißverftehend, deren Sinn es ift, Aufregung durch Darftellung zu befchwichtigen. Er griff nach der Kunft in extremen Zuftänden tödlicher Verjtörungen, um fie zu kalmieren. Er fpürt das Leben zu heiß, es verbrennt ihn: die Kunſt joll es abkühlen. Er jpürt das Leben zu nah, es erftict ihn: die Kunſt foll es entfernen. Durch die Kunft will er jo weit vom Leben weg, daß er & dann, von drüben, ungefährdet betrachten und jegt erſt die Schönheit feiner Gefahren bewundern kann. Dies ge= ſchieht durch feinen Löfchenden, erfältenden, abrüdenden Vers, der aber, um zu wirken, vorausſetzt, dak wir die Flamme des Lebens gejpürt haben, die er bannt.
Zür die Iphigenie, für den Taffo, für die natürliche Tochter, überall iſt alſo das Problem der Darftellung: erft und zu entflammen, wie der Dichter war, uns jozu- jagen am Leben anbrennen zu laſſen, dann aber noch zur techten Zeit zu Löjchen, jo daß wir jegt, unverjehrt und mit dem Aufatmen des Geretteten, der Flamme zujehen fönnen, wie ſchön fie iſt. Es ift alſo faljch, wenn der Schauſpieler ſich mimiſch den abfühlenden Verſen anzupafjen ſucht. Nein: er muß die Flamme ſein. Dann erſt ſegnen wir die ſchützende Macht dieſer wehrenden Verſe. Man
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erinnere fich nur, wie Kainz neulich den vierten Aft des Taſſo geipielt Hat: nicht die Worte, fondern das euer, daß fie verbergen.
In der „Iphigenie“, im „Tafjo“ fann ich dem Schau- fpieler jagen: Spiele den Zuſtand, die Situation, die unter den Worten, Hinter den Worten liegt, und fpiele den Men- ſchen, den dir der Dichter bringt! In der natürlichen Tochter muß ich noch mehr von ihm fordern. Nämlich: Schafe den Menſchen, von dem dir der Dichter nur die Gattung gibt! König, Herzog, Sekretär, Weltgeiftlicher, Mönch heißt & auf dem Zettel und fo find fie vom Dichter gehalten: Typen, welche nun der Schaufpieler erſt zu Perfonen zu maden hat. Das ift ihm ja nicht fo neu. Auch Moliere gibt bisweilen nur den Heuchler, den Geizigen, und läßt & dem Schaufpieler, ihn „individuell“ zu beftimmen. Auch Shafefpeare zuweilen, bei den Figuren der zweiten Reihe (die der dritten find ſtets wieder ganz perfönlich), bei Horatio, Theſeus, ja doch eigentlich auch beim Proſpero. Und was der Schaufpieler am liebſten fpielt: die ſoge— nannten guten Rollen ſchlechter Stüde find meiftens auf einen einzigen Zug geftellt, zu welchem er dann erft aus fih den Menjchen beizubringen bat. Er fol Hier nur dasſelbe, aber da traut er fich nicht; nichts hat unſeren Dichtern mehr gefchadet als der Reſpekt des Schaufpielers. IH würde ihm jagen: Behandle deinen Herzog, deinen Monch ungefchent, als wären fie von Philippi! Aus einem anderen Grunde als Philippi, weil er nämlich nicht wollte, was diejer nicht Tann, hat Goethe hier ganz ebenfo bloß umriffen, was auszufüllen, auszuführen nun die Sache des Schauſpielers ift.
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Ich frage mich nun aber, warım man eigentlich nie- mals verfucht hat, die natürliche Tochter wirklich zu ſpielen, das Heißt alfo: die Leidenſchaft ihrer Zuftände fchaufpielerifch auszudrüden und ihre Rollen ſchauſpieleriſch zu „indivi- dualifieren“. Glauben in der Tat alle, Goethe verlange mit gebundener Schaufpielfunft aufgeführt zu werden? Oder — hat man vielleicht Furcht? Nämlich Furcht, daß fie, wirklich geipielt, zu ſtark wirten könnte, ftärfer als ben bürgerlichen Gewohnheiten erwünſcht ift? Ich habe diejen Verdacht. Und möglich wäre, daß aus jolcher Furcht auch, Goethe fie unvollendet ließ. Er erjchrad vielleicht plötz⸗ lich, als er fich daran jah, Einfichten zu verraten, die er lieber bei fich zu verwahren für klüger halten mußte,
Es gibt einen merkwürdigen Brief von Stnebel über dad Stüd. Der jchrieb: „Es ift das raffiniertefte Werk, jo wie es da liegt, von Kunft, Talent und, darf ich das ‚Wort wohl ausiprechen? — von Seelenbüberei, das je- mals aus Goethes Feder geflofjen .. . D, wie muß man im Herzen verborben fein, ein folches Werk hervorzubringen! Vermutlich, weil es ſchwer fein möchte, nicht bei irgend einem Individium eine felbftändige, freie Seele zu finden, fo nahm Goethe die Stände, und dieje find alle, per 6tat und de par le roi, Schurfen. Sie mögen es mitnehmen, da ihre Häupter Narren und Schwächlinge find. So fieht es aljo in der moraliichen Welt auß! Und da ift weiter fein Mittel, wenn man doch fortleben will, al3 daß man auch ein Bube werde. Hier ift aljo der Sieg des Ver— ftandes, der Kunſt und des Genies I" Das hat dem braven Knebel doc, wohl nicht nur fein Ärger, feine Verbitterung gegen den Dichter eingeblaſen, fondern er begrifj, was
Hermann Bahr, Bloffen. 30
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dieſes Stüc eigentlich bedeutet. Es ftellt dar, wie ber Staat, der vorgibt, das Menfchliche zu ſchützen, an einen Punkt gelangt, wo er, eben durch feinen Apparat, das Menfchliche vernichten muß. Das Soziale, um der Menichen willen entftanden, kennt dann nur noch die Sorge, fich zu erhalten, und opfert die Menſchen. Man fragt fich hier zulegt: ob nicht die Barbarei ſelbſt, die fein Geſetz kennt und alle wilden Triebe walten läßt, noch erträglicher iſt als eine Kultur, in welcher vor einem Papier, das deö Königs Namen trägt, jedes menfchliche Gefühl verftummt. It es ihr Ende, aus wilden Tieren künftliche Beſtien zu machen, von ganz derjelben Gefährlichkeit und Verderblich- feit, die nur dad voraus Hat, daß fie fich auf ein imagi- näre3 Interefje des Ganzen berufen darf, was fol fie dann noch? Um ſich zu fichern, ſchließt fich der Menſch an die Menſchen, in Stände, zu Parteien zufammen; und am Ende ift es der Stand, ift ed die Partei, die, indem fie ihr eigener Zweck werden, den Menjchen zerftören. Cugenie, die ebelgeborne, hat feine Wahl, als zu entfliehen oder ſich zu verbergen. Ein Symbol, das fein Anarchiſt höhniſcher, grimmiger erfinden könnte. Ich begreife, daß der Ge— heimrat vor ſich erſchrak.
4. Februar 1906. „Die natürliche Tochter," von der ich ja fchon neulich ausführlicher fprechen durfte, hat gejtern in einer feines wegs vollendeten, in Einzelnheiten dilettantijchen, aber ſicher geführten und mit kräftigem Eifer aufwärtsftrebenden Dar- ftellung ungemein gewirkt. Gar nicht „marmorglatt und marmorfalt“. Eine atemlos laufchende ®emeinde, die nad
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\ allen Akten Zeichen der Ergriffenheit, der Begeiſterung gab. Es war die Hundertfte Vorftellung dieſer Bühne*), die, viel-
leicht zuweilen auf recht wunderlich verworrene Weife, Doch immer nur der Kunſt zu dienen den jchönften Willen hat. Bo ift in Wien eine zweite, die dies von fich jagen darf? Sie Hat fieben Stüde von Strindberg in ſechsunddreißig Aufführungen, vier von Przybyszewski in elf Aufführungen, hat Johannes Schlaf, Peter Nanjen, Guſtav Wied, Maeter- linck und Maupaffant, hat des innigen Wilhelm Schmidt- Bonn, der zu den teinften Hoffnungen des deutjchen The- aters gehört, wunderbar zartes Gedicht „Mutter Landſtraße“, hat Eduard Studen, Thaddäus Rittner und Paul Wert- beimer gebracht ; bier ift die kleine Orloff, die jegt bei Brahm al Hannele, als Hedwig Efdal und zulegt ala Pippa fo jehr gefallen hat, hier der junge Tony Schwanau erichienen. Und was mir mehr gilt: hier ift fein Stüd aufgeführt worden, daß nicht um Hohes errungen hätte, fein einziges, das auf das Geſchäft gejchielt hätte. Wo ft in Wien eine zweite Bühne, die dad von fich jagen darf?
Ein Dokument.
1899 ging Olbrich nach Darmftadt, vom Großherzog Ernft Ludwig in die neue Kolonie gerufen. Und feiner hochwollenden Art gemäß, die fich nirgends im einzelnen beſchwichtigen, fich niemals ifolieren läßt, jondern von jeder Stelle gleich zum Ganzen, ins Allgemeine, nad; Ver-
*) Des „Intimen Theaters“ in Wien. 30*
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einigung drängt, trieb es ihn nun, die zunächft ganz be- hutſam geplante Reform mit Leidenfchaft auszuftreden. Er hat e3 in fich, nicht bloß Häufer, ſondern am Liebften gleich Staaten zu bauen. Wer weiß, ob wir nicht doch noch einmal zufammen eine Inſel erobern, um ein Reid
der neuen Menjchheit aufzurichten? Damals war ernod |
befcheidener, e8 genügte ihm, wie wir im Scherze gern fagten: Darmftadt zur Hauptftadt Europas zu machen. Natürlich geriet er dabei bald auch an das Theater, alle
Fragen, alle Probleme: Bauform, Beleuchtung, Dekoration, |
Koftüm, Spiel, Dellamation in feiner heftig durchdenten-
den Weife bezwingend. Wir trafen und 1900 im Mai in Mainz; und ein paar Wochen jpäter find wir dann eine Nacht in Rüdesheim am Waffer unter dem Monde gejeffen. Und mir ift, wenn ich mich erinnere, jegt ojt feltfam, wie doch alle, was feitdem von Kolo Mofer, Roller, Appia, Gordon Craig und im Kreiſe Reinhardt ausgefponnen worden ift, in ihm damals ſchon Iebendig war. Nun galt es aber, jeine Kollegen in der Stolonie, den Hof und die teilnehmenden Kunftfreunde der Stadt unjern Wünfchen zu nähern. ch jchrieb für diefe ein Programm. Gefliffentlich „populärer“, als es mir jonft zufagt. Gleichſam in einem Plafatftil. Trogdem ſcheint es mir doc) eine Art Dokument, das vielleicht jegt etwas wie hiſtoriſches Verdienft haben mag. Ich braude aber wohl faum erft zu jagen, daß ich dieſe Meinungen don vor fünf Jahren in vielem gewechſelt oder doch gelindert Habe; ich bin bisweilen ein bischen ſteptiſch und auch, bejonder® was den „neuen Stil des Deut- chen Theater“ angeht, gerechter geworden, in dem
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‘Mae, als andre zur jelben Zeit gegen ihn ungerecht wurden.
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Allgemeiner Zuftand des deutſchen Theaters,
Das deutfche Theater ift ſeit Jahren in einem Zläg- lichen Zuſtande. Es unterhält eigentlich nur noch die Maffe der Tleinen Bourgeoiſie. Die Gebildeten wenden fi immer mehr von ihm ab; die Dichter verzweifeln, auf ihm noch wirken zu können; die Sünftler glauben längft nicht mehr von ihm irgend eine Förderung der Kunft erwarten zu dürfen. Es fcheint faft, ald ob die Goncourts auch für ung Recht behalten follten, die jchon vor Jahren gemeint haben, das Theater werde bald überall zum Zirkus geworden fein. Ja, man muß heute fogar fagen, daß das Variets, das große Tingel-Tangel eher noch einen gewiſſen Zufammenhang mit der Kunft hat als das Theater. Der Stil, den am Wiener Burgtheater Laube geihaffen und Dingelftedt, mit einer Wendung ind Mafar- tifhe, vollendet hat, der Stil, der ſich an den deutſchen Bühnen aus Nachwirkungen der Hamburger und der Wei- marer Schule gebildet hat, endlich auch der Stil, den die Meininger gebracht haben, alle drei find jeder modernen Empfindung einfach unerträglich geworden. Der Gebildete iſt heute foweit, daß er zu jagen pflegt, er leſe ein Drama lieber bei fich zuhaufe; durch eine Aufführung werde ihm der Eindrud nur verdorben. E3 braucht aber nicht erft gejagt zu werden, daß ein Drama, das wirkliche Drama, nur auf der Bühne, erft durch dag Spiel fein wahres Leben erhalten Tann.
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Der fogenannte „neue Stil“ des Berliner „Deut- ſchen Theaters“.
Nur das Berliner „Deutiche Theater“ Brahms nehmen manche von diefer allgemeinen Verachtung aus; diefem ſei es doch gelungen, wird behauptet, für die Darftellnng moDder- ner Stüde einen ganz eigenen Stil herauszubilden. Es fol nicht geleugnet werden, daß dieſes Theater in der, Tat ein Enfemble Hat, welches zur Darftellung Kleiner, bürgerlicher norddeutfcher Zuftände mit ihren bedrückten Menſchen im Heitern und im Ernften ausreicht, wenn auch leicht nachzuweifen wäre, daß diefe Form keineswegs neu, jondern nur eine Anpafjung der alten Ifflandiſchen Weiſe ift; was für oder gegen fie vorzubringen ift, mag bei Goethe im 28. Bande (beſonders die Aufjäge „Weimarifches Hoftheater” und „Berliner Dramaturgen“) nachgelefen werden, Und jedenfalls hat die Erfahrung bewiejen, daß dieſer Stil verfagt, jobald er den engen Kreis der natura- liſtiſchen Schilderung einmal verläßt und fih an eine freiere Aufgabe machen will. Er hat ſchon bei der „Ber- funfenen Glocke“ verjagt, er verjagt bei den Werfen aus Ibſens letzter Periode, er verjagt vollends bei Maeterlind und Hofmannsthal ganz, und gar feine Verſuche mit Schiller (in der berüchtigten Aufführung von „Kabale und Liebe“ im Jahre 1894) find ausgelacht worden. Ein Stil aber, mit dem fich höchſtens eine Heine, nur auf den Ausdruck des Alltäglichen gerichtete Schule behelfen kann, wird uns nicht genügen. Sol das Wort vom „neuen Stil“ über- haupt irgend einen Sinn haben, fo kann darunter doch aur eine Form der Infzenierung und der Darftellung ver-
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ſtanden werden, die fähig iſt, alles, was in den alten Dichtungen, von der griechiſchen Tragödie bis auf Hebbel und Otto Ludwig, für unſre Empfindung noch lebt, und alles, was heute träumende Dichter ſich an Geftalten ab» gerungen haben, zu unfrer Erjchütterung oder Erheiterung und dadurch zur Befreiung auferftehen zu lafjen. Wenn wir feine ſolche Form finden, jo wird eben das Theater nur noch ein Ort gemeiner Beluftigung jein. Finden wir fie, jo ift auch in der Kunft des Schaufpielers eine Renaiſſance zu denfen, wie die Kunft des Malers in unjern Tagen, wie die Kunſt des Architekten und des Delorateurs fie ſchon erfahren hat, und wie fie eben jegt die Kunſt des Dichters durch Maeterlind, D’Annunzio und unjern Hof- mannsthal zu erfahren jcheint. \
Die Renaifjance in den andern Künſten.
In der neuen Renaiffance können wir bei den andern Künften immer ganz deutlich drei Phaſen unterjcheiden. Die Renaiffance beginnt immer damit, daß eine Kunft ſich plöglich wieder auf fich jelbft befinnt und entſchließt, nach- dem fie eine zeitlang alles mögliche gewejen, nun endlich einmal fie ſelbſt und nichts als fie felbft zu fein. Die Malerei, die Hundert Jahre lang alles mögliche, Zeichnung, Dichtung, Philofophte, ja Moral, nur nicht Malerei ge- weſen ift, entichließt fich endlich, nicht mehr zu reden, nichts meht zu erzählen, fondern zu malen. Den ganzen Inhalt der fogenannten „modernen Bewegung“ ſpricht der Sag aus: die Malerei wird malerijch. Ebenſo ift die Dichtung der Epigonen zur proſaiſchen Beichreibung und Aufzählung, zu einer Reportage des Wirklichen geworden, die, bei be=
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wunderungsmürdiger Fertigkeit, doch unkünſtleriſch ift, weil fie, ftatt zu ſchaffen, nur abzudrüden vermag, und erft in den legten Jahren fcheint fich die Jugend zu befinnen, daß die Dichtung die edle Kunſt der Worte ift, die in dieſen zarten, flüchtigen Stoff Crträumtes webt. Die zweite Phaſe, nachdem eine Kunſt nur erft wieder fich ſelbſt ent- dedt Hat, ift dann immer der große technifche Rauſch. Sie will nun zeigen, daß fie alles Tann, daß ihr nichts un- möglich ift, daß es gar nichts brauchen würde als fie allein, um die Schönheiten aller Himmel und aller Erden und aller Höllen zu erfchöpfen. Sie rennt nun alle Ge— biete ab, fie reißt alles an fich, fie will feine Grenzen lennen. Daß fie dieje finden und fich ins Ganze aller Künfte einordnen und fich an ihrer Stelle zum gehorjamen Inftrumente beicheiden lerne, dies bleibt der legten Phaſe vorbehalten. Iſt es erreicht, fo ift fie vollendet.
NRüdblid auf die bisherigen „Stile“ des deutſchen Theaters.
Die Schaufpielfunft ift in Deutfchland, die Hamburger Schule abgerechnet, eigentlich noch nicht dazu gefommen, jemals frei und ganz Schaufpielfunft zu fein. Theoretiſch fcheinen wohl Goethe und Schiller ihr Weſen vollfommen begriffen zu haben, praktiſch haben fie ſich bald verleiten laſſen, um andrer Künfte willen, die ihnen näher waren, die Schaufpielfunft zu vergewaltigen. Statt, wie es auf ihrem Wege lag, fie bis zu plaftifchen Wirkungen oder doch bis dicht an die Grenze, wo die Plaſtik beginnt, zu ent- wideln und auszubilden, haben fie ihr gewaltjam die Ge- jege der Plaſtik aufnötigen wollen, unter welchen ihre ganz
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andre Natur verfümmern mußte. Dasfelbe ift der Schau- ſpielkunſt fortab immer wieder gejchehen, noch zulegt von jenem Berliner „neuen Stil”, der nicht? weiter iſt als die Unterdrüdung der Schaufpiellunft durch den Literaten, der nur feine literariſchen Forderungen, nur literariſche Rüd- ſichten, nur Literarische Wirkungen kennt. Dan Hat gejagt, bei Vorftellungen des „Deutichen Theaters“ habe man das Gefühl, gar nicht im Theater zu jein, fondern vielmehr das Stüd vom Autor jelbft, mit genauefter Betonung feiner feinften Intentionen, ganz wie er e3 fich denkt, vor- gelejen zu hören. Wobei denn doch zu fragen wäre, wozu wir dann überhaupt ein Theater brauchen, mit allen feinen ungeheuren Mühen der Vorbereitung und Abrichtung, die Tolſtoi einmal mit folcher Erbitternng gejchildert hat, und zu entgegnen wäre, daß das „Schaufpiel“ nicht zum Nach- denfen von Gedanken, fondern eben zum Schauen, zum Anjchauen von Geftalten da ift, und auch auf die höchſten Forderungen Goethes und Schillers an den Schaufpieler („dev Schaujpieler müffe feine Berjönlichkeit verleugnen und derart umbilden lernen, daß es von ihm abhänge, in ge» wiſſen Rollen jeine Individualität unkenntlich zu machen” und fo weiter, zerftreut unter „Werjchiedenes über Theater“) zu verweifen wäre,
Anfang jeder Reform: die Schaufpielkunft muß ſich entſchließen, endlich Schauſpiel kunſt zu werden.
Nachdem ich fünfzehn Jahre lang das Theaterweſen betrachtet, unfre deutſche Art mit der franzöfiichen, ſpaniſchen, englifchen und italienijchen verglichen, als Autor die Un»
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fähigkeit unfrer Schaufpieler, irgendwie die Abfichten des Dichters anjchaulich zu machen, als Kritifer das Unver- mögen mit Worten zu helfen, als Regiſſeur die Ratlofig- keit des Schaufpielers vor jeder über die gemeinfte Nach— ahmung Hinausgehenden Aufgabe jo oft empfunden habe, iſt es mir zur Gewißheit geworden, daß wir eine wahre Schauſpielkunſt niemals haben werden, wenn fie fich nicht entichließt, denjelben Weg zu gehen, den die anderen Künft- ler gegangen find, und jene drei Phaſen auch ihrerſeits durchzumachen. Sie muß aufhören, Plaſtik oder Literatur oder irgend eine andre Kunft zu ſein und muß zu den höchſten ihr möglichen Wirkungen entwidelt werden. Fühlt fie ſich erft fouverän und tft fie von allen Seiten bis an alle Grenzen vorgedrungen, an welchen fie fich mit den andern Künften zujammenftoßend berührt, fo bleibt nur noch übrig, fie dann ins Ganze aller Künfte einzuordnen, mit den anderen zu verbinden und aus allen zujammen jene volltommne Darftellung des Schönen zu gewinnen, die die Träume der Edelſten beunruhigt, von Richard Wagner bis auf D’Annunzios „Fuoco“. Den erften Schritt dazu haben die modernen Italiener bereitö getan: ihre un» geheure Wirkung kommt daher, daß fie zum erften Mal gewagt haben, zunächft einmal nicht? als nur Schaufpieler zu fein, ihr Metier aufs äußerfte zu treiben und das Mi- mifche bis an die legten Grenzen auszudehnen, die ihm gezogen find. Ich habe an Novelli gezeigt, wie diefer ſou⸗ veräne Schaujfpieler, ohne es ſelbſt zu wiſſen, bloß da- ducch, daß er immer aus den menjchlichen Empfindungen die höchiten fehaufpielerifchen ausſchopft, mit allen feinen Darftellungen zulegt immer an einen Punkt gerät, wo die
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mimifche Wirkung unwillfürlich zur malerijchen wird, und jeder erinnert fich, wie die Dufe, auch indem fie in ihrer Technif an das äußerſte Ende geht, oft aus der Negion de3 Echaufpieler8 auf einmal in eine rein mufilalifche Welt enthoben zu fein ſcheint. Holen die deutjchen Schaufpieler nad, was ihnen die Italiener vorgemacht Haben, ent- ſchließen auch te jich, fich refolut der mimiſchen Kunft an« zuvertrauen, gelingt es ihnen aber dann, bewußt außzu- führen, was jenen nur wie im Traume geraten ift, lernen fie, bewußt die Verbindung der Schaufpielfunft, einer ex⸗ tremften Schaufpielfunft mit den anderen Künften, mit den extremften Ausdrüden der anderen Fünfte anzuftreben und aus allen zufammen eine höhere neue Einheit zu gewinnen, ducch welche nachher auch jeder Teil wieder vom Ganzen aus erneut würde, dann erft und nur dann werben wir eine deutjche Schaufpielfunft haben.
Anwendung der Theorie auf ein Beifpiel.
Ich würde mir die Gelegenheit wünfchen, der „KRolo- nie“ an einem Beiipiele zu zeigen, mit dem Buche in der Hand, wie ich mir das denke. ch würde etwa die „Zrachinierinnen“ des Sophofles wählen. Angenommen wäre, daß mir ein Perſonal von mittlerer Begabung zur Verfügung ftände, aljo allerdings von Leuten, die nicht bloß äußerlich abgerichtet find, fondern doch eigentliche, wenn auch mäßige und unausgebildete jchaufpieleriiche Be- gabung haben. Angenommen wäre ferner ein Maler, der nicht bloß fähig wäre, Sophofles nachzufühlen, jondern in feiner Natur mit der fophoffeifchen jo verwandt wäre, daß die Worte des Dichters in ihm fogleich Vifionen erweden
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würden. Bann wäre mein erfahren: zuerſt den Schau- ipieler den menjchlichen Gehalt der Tragödie empfinden zu laſſen, uubelümmert um Griechentum, unbefümmert um Berje, wie einen Fall, der geftern geichehen ift, wie wenn & fih um ein modernes Gtüd Handeln würde; der - Deianeira aljo zu fagen: Tu bift eine rau, die ihren Dann liebt, jeit Jahren haft du ihn entbehrt, nun kommt er heim und bringt jeine Geliebte mit, du wirft eiferjüctig, wehrft dich vergeblich gegen deine Leidenichaft, töteit den, den bu dir zu retten glaubft und fühnft es mit deinem eigenen Tode — aljo der Reihe nach Trauer, wieder- erwachende Hoffnung, Freude, Verdacht, Unruhe, Heftigfeit, Verzweiflung, Reue, tragiſche Ergebung, das fpiele, als ob du die Cameliendame zu jpielen Hätteft, unbefümmert um Griechen, unbelümmert um Verſe; oder dem Serafles zu jagen: Du bift vergiftet und ftirbjt am Gift, wie Salvini oder Zacconi in der „Morte civile“. Damit wäre zu beginnen, und der rein jchaufpielerijche Augdrud des Stüdes wäre durch unabläffige Proben jo einzuüben, daß er zu- legt ganz mechaniſch würde und dem Schaufpieler jogar, wenn er mit dem Stichworte aus dem Schlafe gewedt würde, in der Betäubung noch geläufig fein müßte. In— zwiichen hätte ich aber mit meinem Maler genau dasſelbe getan, nämlich ihm den menjchlichen Gehalt der Szenen und zugleich jenes farbige und leidenfchaftliche Griechen- tum, das und Niegiche wieder in den Tragifern fpüren gelehrt hat, fo eindringlich vor-⸗ und dargeftellt, bis ihm jede Szene zu einem Bilde geworden wäre, das ich ihn nun leidenfchaftlich bäte, mit der höchiten Gewalt, deren er fähig, zum größten Ausdrud zu bringen. Indeſſen er
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ſich darum bemüht, ſind meine Schauſpieler ſchon dahin gebracht worden, ihre Rollen mit aller Vollendung zu „ſpielen“, und ich fange nun an, während er ſeine Skizzen ausmalt, mit den Schaufpielern erſt das „Wort“ zu üben. Die ganze Vorftellung „fteht“ bereits, wie man beim Theater jagt, und num wird erjt mit der „Deflamation” begonnen, die denn aljo in ein ſchon unabänderfich ge- wordenes Spiel eingefügt wird. Bin ich fo weit, daß end- lich die Dellamation auf dem Spiele wie eine Haut figt, und ift inzwiſchen der Maler mit jeiner Arbeit fertig ge- worden, fo fangen nun die Proben im Koſtüm und mit Dekoration an: wie ich früher in ein mimtjch fertiges Spiel die Deklamation eingefügt habe, jo füge ich nun die aus dem Spiele und der Dellamation gewonnene Einheit erſt noch ins Koſtüm und in die Dekoration ein. An diejem - Tage, würde ich jagen, fängt eigentlich erft die Probe de3 Stüdes an. Bis dahin tft alles Vorarbeit, Hausarbeit gewejen. Nun erjt, da im Detail alles fertig ift, Tann der Regiſſeur darangehen, das Ganze zu bedenfen, indem er nicht ruht, bis Schaufpielkunft und Redekunſt, Mufit und Delorationzkunft ſich fo harmonifch verbinden, daß jede dasſelbe, nur eben auf ihre Weife, auszudrüden jcheint. Mit dem Buche in der Hand wäre leicht zu zeigen, wie dad an den wichtigen Stellen de Stüdes zu gefchehen Hat.
Wie eine jo geführte Schaufpieltunft zudem mit der Igrifchen Kunft vereinigt und beide, von Malerei und Muſik umgeben, auch öffentlichen Seiten und damit der Erziehung der ganzen Nation zur Freude dienjtbar gemacht werden tönnte, ſei einer fpäteren gelegentlichen Erörterung vorbe— halten.
Regiſter
Adamus, Franz 129, 454.
Aiſchylos 78.
\ Mialbert 385.
Altenberg, Peter 235.
d’Annunzio, Gabriele 174, 179, 182, 240, 248, 249,
| 266, 839, 841, 471, 474.
Antoine 146, 157, 315, 320, 372, 374, 882.
Anzengruber 129, 170.
Appia, Adolphe 48, 258, 468.
Amold 262, 298.
Bachmann 406, 418.
Bahr, Hermann 188, 189.
Balzac 27.
Barnay 156.
Barrös 228, 229, 230,
Baſch 52.
Bafjermann 301, 803, 440,
Bataille 131, 189.
Bauernfeld 122, 123, 127, 129.
Baumeifter 51, 288, 300, 301, 309, 871, 386.
Bauıngartner 41.
Beardsley 244, 262.
Becque, Henri 873, 874, 375.
Beerbohm Tree 187.
Beer- Hofmann 180, 277, 281, 285.
Beethoven 50, 107, 108, 134, 298, 488,
Behrens, Peter 240.
Benedir 79,
Berg, D. 5. 129.
Berger 462.
Bernauer, Rudolf 215, 216,
Bernhardt, Sarah 26, 333, 364, 365, 366, 368, 369, 871, 372, 380, 381.
Bernftein 384.
Bertens, Roſa 239, 308,
Beyerlein 196, 200.
Bierbaum, Otto Julius 422,
Bilhaud, Paul 878.
Bilfe 196.
Birron 189, 209, 228,
Bjbrnſon 287.
Blaha, Ei. 418.
Blei, Franz 228.
Bleibtreu 146.
Bleibtreu, Frau 16, 35, 48, 101, 118.
Blumenthal, Oskar 51, 148.
Bolſche 145, 149.
Bonn 101.
Böfendorfer 172.
Bourget 164.
Bram, Otto 75, 101, 221,
240, 286, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 386, 467, 470.
Brandes, Georg 77.
Brandt 189.
Brenneis, FL 139, 162, 174.
Brieur 403.
Bronte, Gejare 181.
Brüll 37.
Bruno, Giordano 891, 409,
Bucher, Lothar 202.
Burdhard, Mar 79, 130, 202, 205, 218.
Burdhardt 275, 320.
Burg, Eugen 462. Buſſon, Paul 149, 156. Byron 77.
Capus, Alfred 157, 158, 159, 160, 161, 874, 875.
Caſpar, Medizinalrat 148.
Cajtelli 141.
Ontacugöne, Elſa, Prinzeffin 54.
Chopin 424.
Claar 406, 413. Clemenceau 148. Clemens 406. Contad 146. Conradi 146. Coquelin 309. Corinth 254.
Cofta 129. Courteline 112, 408, Eraig, Gordon 468.
480
Curel 234. Czagell 406.
i
‚ Dante 41, 63, 251.
! Dehmel, Ridjard 424.
, Peinbarbitein 116.
Deroulede 22, 164.
I Despr6s, Suzanne 372, 380,
382, 383, 384, 385, 886,
| Devrient, Emil 11, 47, 106, 320.
Dewal, Frl. 174.
Dickens 80, 83, 84, 398,
Diderot 28.
Zingelftedt 225, 469.
Dittersdorf 294.
Donnay, Maurice 344, 346, 847, 348, 349, 350, 354. |
Döring 225.
| Drumont 22.
Dumas 79, 347, 349, 354.
Dumont 75.
Durieug 277, 287.
Duje, Eleonora 42, 75, 77, 84, 248, 252, 331, 332, 336, 337, 339, 341,342, 343, 344, 350, 351, 352, 353, 354, 856, 358, 359, 860, 861, 362, 363, 364, 365, 371, 377, 381, 384, 385, 475.
Dufe, Luigi 331.
Ebner⸗Eſchenbach 129, Edermann 72. Eckhart 159.
|
Cdel 422,
Eienfchig 236.
Eisner 174.
Engels 288, 296.
Enrici 422,
&l, Tel. 201, 209.
Guripides 78.
Eyioldt, Gertrud 239, 244, 248, 261, 266, 269, 276, 277, 292, 298, 371,380, 383.
daſſer, Frl, 209,
ichtner 168, teld, Nathanael 277, 280, 281.
diſcher 808,
Fontane 148. Ya 27, 349. ;oreft 215, 302, 808, Forft 422. Fortuny 48. France, Anatole 22, 397, 399, 408, 406, Friedjung 204, tohn, Charlotte 146. ulda, Ludwig 36, 41. Zuntenftein, Klemens 426,
Galafros 234.
Galvani 339, 342. Gautier, Theophile 864. Genaſt 222.
Gerzhofer 174.
Giacoja 265. Giampietro 295,
Hermann Bahr, Blofien.
481
Giannini, Olga 319, 330,
Side, Andrs 228, 230, 281, 232, 238, 234.
Gimnig 35, 41, 79, 115.
Ginifty 137.
Girardi 169, 227,
Slig 287.
Gneiſt 202.
Goethe 14, 40, 41, 47,49, 71, 72, 107, 108, 110, 111, 118, 120, 223, 224, 227, 241, 266, 278, 320, 836, 839, 414, 417, 419, 468, 464, 465, 470,472, 473,
Goldoni 356.
Goltz 50, 51.
Gorfi, Mazim 160, 239, 245, 389, 391.
Gourmont, Remy de 229, 375, 877, 886, 410,
Grabbe 114.
Grandval 363.
Grazie, M. €. delle 7, 8, 12, 17, 21, 129,
Gregoti 43, 52, 75, 112,
Gribl 140.
Grillparzer 122, 126, 129, 439, 445.
Groß 406.
Grün, Anaftafius 122.
Grünne, Graf 117.
Guittij 383,
Gyp 8346.
Haiginger 168. 31
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be, Mar 29, 35.
Im 126, 127, 129. mſtein, Adalbert v. 145. art, Brüber 146. artleben, Otto Erich 7, 53, 56, 57, 67, 196, 200, 345, 407, 420,
aartmann 84, 85, 112, 199, uptmann, Carl 145. uptmann, Gerhart 140, 145, 146, 147, 148, 240, 266, 275, 296, 309, 834, 407,
jawel 129. yon 294. jebbel 75, 169, 216, 218, 232, 344, 360, 418, 430, 431, 434, 485, 487, 439, 446, 471. Heijermans, Hermann 190. ‚Heims, Elje 286, 298, 295, 302, - Heine, Albert 16, 27, 28, 47, 52, 489, 448. Heine, Solfgang 140, 144, ennequin, Maurice 378. mriot 815. tl 93, 94. odler 51. fer, Herr 189, 196, 201, 209, 228.
Hoflich, Frl 255, 277, 287, 298, 295, 880, 387. Hofmannsthal, Hugo v. 180, 175, 240, 249, 269, 275,
276, 470, 471.
rg 302. | ofteufel 140, 196.
johened, Frl 430.
obenfel3 11, 41, 47, 112, Feen 116.
ollaender, Felix 262, 266, Holz, Arno 65, 71, 141,
142, 146, 147, 845.
omer 864,
omma 462,
ugo, Viktor 369.
üljen 101,
Ibſen, Henrit 12, 14, 75, 77, 78, 79, 112,131, 132, 189, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 240, 266, 350, 351, 856, 382, 384, 889, 895, 439, 470.
Iwald 302, 308.
Jacobſohn, Siegfried 225. Jarno 240, 255, 266, 396, 406, 412, 440, 448, Jenfen 157, 162, 167, 189,
196, 201, 209, 222, 228. Jerſchke, Oskar 65.
Rain; 41, 42, 52, 65, 73, 92, 111, 227, 244, 308, 371, 489, 440, 464.
Raijer 129,
Kallina 84.
Karlweis 129, 172, 374.
Kaulbach 112,
|
— 43 —
Kayßler, Friedrich 286, 298, 296, 387.
Keim 129.
Kerr, Alfred 217, 801.
Keßler, Graf 230.
Khnopff, Ferdinand 384.
Kipling, Rudyard 364.
Klein, Joſef 277, 286.
Kleiſi 71, 222, 228, 224, 225, 226, 227,
Klinger 415.
Knebel 465.
Knebel, Frl. v. 224.
stöhler 302.
Korff 11, 20, 41, 98, 106, 116,
Korn 168.
Kralik 129.
Kramer 140, 162, 167, 174, 201, 209, 228, 284.
Kranewitter 129.
Krenn, Fıl. 397.
Kuh, Emil 431.
Kutjchera 139, 157, 174, 189, 201, 209, 234.
LZaerman 180.
Landauer, Guftan 159.
Zange, Sven 17, 18,19, 20.
Zangmann, Philipp 129.
Laſſalle Don ir
Zaube 117, 120, 121, 122, 126, 127, 224, 225, 294, 469.
Laval, Frl. 174.
Lavedan 346.
Lehmann, Elfe 300, 808, 380, 885.
Zemaitte 365, 870, 882.
Lenz 415.
Leonardo 47, 177.
Leſſing 299.
Lewinsky 43.
Licho 262.
Lichtenberg 159, 164.
Lindau 56, 236,
Lißl, Frl. 228,
Ludovica, Maria 109,
Ludwig, Otto 85, 471.
Lugno⸗Pos 382.
Lügow, Linda v. 174.
Mad 430.
Maeterlind, Maurice 22, 240, 248, 249, 251, 252, 254, 820, 344, 467,470, 471.
Magnier 378,
Mahler, Guftav 48, 294.
Mahr 406.
Daran 413,
Mars, Frl. 865.
Marterfteig, Dar 311.
Marz 302.
Maflinger, Philipp 277, 280, 281.
Matkowsky 111, 440.
Maupafjant 467.
Medelsty 11, 16, 28, 52.
Meinhard, Karl 209, 802, 308.
Michelangelo 184, 177.
31*
— 44 —
Mitſch 430,
Widenburg, Anna von 871,
Millmann 462.
Mirbeau, Octave 21, 23, 24, 407, 409, 410.
Mitterwurzer 21, 79, 101, 115, 871, 396,
Moiffi, Alerander 277, 286.
Molière 24, 281, 266, 267, 464,
Moſer, Kolo 48, 253, 468.
Nanfen, Peter 467.
Neher, Louis 480,
Nerz 413,
Netiy 449.
Neumann, Luiſe 168.
Neumann-Hofer, Annie 131.
Niebuhr 202,
Niefe, Hanfi 196.
Niegiche 85, 218, 220, 275, 320, 328, 336, 340, 388, 428, 424, 476,
Niffen 16, 35, 57, 79,
Novalis 250.
Novelli 48, 227, 243, 265, 805, 806, 310, 311, 315, 817, 320, 322,323, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 371, 438, 474.
Odilon, Frau 162, 167, 397. Olbrich 48, 142, 240, 241, 253, 467.
Oppeln-Bronilowsfi 248. Drloff 467.
jalme 406.
aul, Jean 898. Pauli 302, 303. Petri, Frl, 189. Pfigner, Hans 276, 293. Philippi 51, 101, 102, Piamonti 330. Pinero 354. Pittſchau 101, 115. Plato 158. Ploszowski 426.
Plutarch 44.
% [ 286,
ohl-Meijer 84, 406,
Bopp 462.
Porto - Rice, Georges de 162, 163, 164, 165, 166.
a 265. agpbhäzewäli 422, 424, 425, 426, 427, 430, 467.
Rabitow 43,
Rachel, Frl. 365.
Raeder 196,
Raimund 129.
Rafi, Luigi 332, 334.
Rauch, Ienny 244.
Redlich, DI. Joſef 202.
Nie 85.
Reicher, Emanuel 146, 215, 216, 239, 240, 244, 248, 262, 266, 268, 269, 322, 412, 440,
—_ 45 —
Reimers 35, 41, 47, 52, 74, 75, 79, 101.
Reinhardt, Max 47, 48, 79, 101, 118, 244, 255, 286, 288, 289, 290, 291, 292, 298, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 802, 380, 438, 440, 468,
Reinhold 112.
Rejane 372, 378, 875, 376, 377, 878, 380, 383,
Renan 230,
Nenard, Jules 409,
Nettich 168.
Retty 11, 16, 41, 57, 84, 106.
Reuſche 287.
Niechers 75.
Riemer 223,
Riſcher, gt 228.
Nittner, Rudolf 240, 266, 300, 803, 440.
Nittner, Thaddäus 467.
Roche, La 225.
Nochefoucauld, La 394,
Rohde, Erwin 320.
Roller, Profeſſor Alfred 48, 50, 253, 290, 468.
Römpler 41, 52, 75, 115, 288.
Roſa 380,
Roſaſpina 389, 842,
Nojegger 129.
Roffi, Cefare 333,
Roſſi, Pianelli 842,
Rosmer 14,
Noftand 364, 865. Nothe 255. Novetta 265. Nüpel 293. Ruſſeck 196.
Saar 129.
Sachs, Hans 168,
Salten, Felix 130.
Salvini 320, 476.
Sandean 118.
Sandrod 79,189, 140, 157, 182, 221, 822, 371.
Sarcey 365, 881.
Sardou 79, 115.
Sauer, Oscar 301, 308, 887, 440.
Savitjch, Gertrud 406.
Schiller 42, 49, 51, 58, 61, 71, 72,78, 108,121,224, 227, 241, 256, 386, 395, 470, 472, 473.
Schilling 276.
Schlaf, SoHannes 147, 467.
Schlenther 64, 71, 75, 112, 118, 147, 148,
Schmid! 406.
Schmidt 11, 16, 28, 41.
Schmidt, Hugo Ernſt 145.
Schmidt, Lothar 262, 266.
Schmidt » Bonn, Wilhelm 467.
Schmitt, Eugen Heinrich 133.
Schmittlein 28.
Schmoller, Guſtav 140.
Schnigler, Arthur 7, 84,98,
J
129, 196, 198, 200, 202, 222, 337, 295, 440,446, 448.
Scholz, Auguft 245. Schönherr, Karl 96, 100, 129, 407, 409, 410, Schönthan, Franz von 80,
84, 167, 172, 173, 174,
Schopenhauer 64, 156, 158, 165.
Schratt 167, 168, 169, 170, 171, 172, 178, 174, 287,
Schreyvogel 116, 119, 120.
Schroth 288,
Schrotienbach 129.
Schufter, Frl, 140, 174,209.
Schwaiger 802,
Schwanau, Tony 467.
Schweighofer 174.
Scribe 115, 847.
Senders 75, 101, 116.
Servaes, Franz 422.
Shafefpeare 49, 68, 78, 79, 111, 227, 266, 449, 451, 452, 458, 464.
Shaw, Bernard 112, 118, 114, 115, 116, 182, 188, 185, 186, 188,
Silefius, Angelus 159, 220, 247, 248, 355,
Simon 145.
Somary 140.
Sonnenthal 21, 47, 106.
Sophofles 78, 269, 475.
Sorma, Agnes 118, 295, 877, 384, 885.
486
Speidel 164. Steinrüd 440. Stelzhamer 128, 129, 172. Stendhal 63, 164, 167, 852. Stieler 802, Stifter 129, 445. Stödl, Frl. 480. Strasni 406. Strindberg 20, 289, 266, Pu 467. trunz, nz 159. Eiuden, m 467. Subdermann, Hermann 7, 93, 94, 95, 102.
Talma 365.
Taſſo, Torquato 14.
Tellheim 422.
Tewele 162, 174.
Thaler, Frau 162, 174, 228,
Thimig 11, 41, 51, 65, 74, 84, 115, 802.
Tied 226,
Zolftoi, Leo 181, 132, 138, 184, 137, 139, 160, 389, 408, 473,
Trebitih, Siegfried 112, 182,
Treßler 16, 106, 116, 449. Trieſch, Irene 244, 266, 301, 308, 384, 388,
Tſchirikow, Eugen 209,
Valberg 462. Valentin 221, 228.
— 471 —
Verne, Jules 864. Viſcher 114. Voltaire 363.
Wagner, Adolf 140.
Wagner, Heinrich Leopold 414, 415, 418, 420, 421.
Wagner, Richard 48, 49, 50, 79, 114, 184, 220, 243, 488, 474,
Wallentin, Frl. 189, 196,
BR 2,
gel, Hedwig 288, 296.
Warsberg rs '
Wartenegg 129.
Waßmann, v. 244, 248, 262, 293.
Webelind, Frank 239, 244, 255, 259, 260, 388, 389, 390, 391, 395, 396.
Wehle 462.
Weilen 129.
Weiſſe 174, 222, 287.
Werner, Zacharias 100,141.
Wertheimer, Paul 467.
Werther, Frl. 421.
Wiede, Paul 489.
Wied, Guſtav 467. Wilbrandt, Adolf 44, 45, 47. Wilde, Oscar 289, 244, 344. Wildenbruch 51.
Wille 145.
Windelmann 273, 274. Winterftein, v. 255, 296, Witt 35, 79, 98, 106, 115. Wolff, Albert 365.
Wolff, Pierre 373, 374. Wolff, Theodor 162, 397. Wolzogen 79.
Worm, Frl. 378.
Wüllner 440.
Xenophon 43, 45, 46. Yacco, Sada 252.
Zacconi 265, 269, 309, 320, 8323, 326, 327, 328, 329, 889, 476.
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