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Princeton University,

BLAU MEMORIAL COLLECTION

Gottinger Muſenalmanach auf das Jahr 1912

AQAD

ang Undenbold

Otto rd Soy Gerla @& G©otrtinger

(RECAP) » PT LVS f SW rn AS

Worwort

Ein neuer „Göttinger Almanad” follte erfcheinen, an dem fid) ganz wie an einigen früheren Jahrgängen nur ©tudierende der Georgia Augufta beteiligen follten. Natürlich follte eben jenen früheren Jahrgängen überhaupt nad) Möglichkeit nachgeftrebt werden; das aber war eine Sorderung, durch die für den Standpunkt der Kriti€ von vorn» herein ein Niveau beftimmt worden war, das vielleicht höher lag als das einiger anderer Almanache deutfcher Studenten.

Es war vorauszufehen, daß bei ſolchen Anfprüchen die zu einem Almanadh erforderlihen Beiträge nicht in einem Gemefter einlaufen würden; und wirklich bedurfte es einer Gammelzeit von 21/, Gemeftern, bis zum Februar diefes Sabres ein erftes Manuffript fertig lag.

Durd) die vielfachen Unterfchiede der zahlreichen Ein- fendungen hatte der Standpunkt der Kritik gemiffer- maßen von innen heraus feine feftere Umgrenzung er- fahren. Darüber im einzelnen Auskunft zu geben, führt - für ein Vorwort zu meit; doch foll hier erwähnt fein, daß viele Gedichte, die dem einen oder anderen in den Almanach aufgenommenen Beitrag nur wenig nadftehen mödjten, nicht ohne Bedenken! abgelehnt wurden, weil der Stand: punkt der Kritit von Anfang an aud aus praftifchen Grün: den, nicht allein aus äfthetifch-theoretifchen Gefichtspunften

IIl

543584

eng begrenzt worden war und nod) vorm endgültigen Ab» fhluß des Mlanuffripts im Auguft eine erneute Berenge: rung feiner Grenzen erfuhr.

Eben aud) aus folden praftifchen Gründen, die ſich der Einwirfung des Herausgebers entzogen, erfcheint der Al: manad) erft jegt zum November, obwohl ein Manuſkript mie gefagt fhon zum Februar fertig lag. Diefer Umftand hatte den doppelten Nachteil, daß einige Beiträger inzwifchen die Georgia Augufta verließen, jest beim Er- fcheinen des Almanacs alfo nicht mehr zu den Göttinger Studierenden zählen, und daß die meiften Beteiligten über ihr Können, wie es fich im Almanad) zeigt, nod) vor dem Erfcheinen desfelben hinauswachfen follten. Demgegenüber jedoch ftand der Vorteil, daß durch einige verfpätete Beiträge des legten Gemejters das Mlanuffript des vorigen Winters noch recht glüdlich geändert, bez. vermehrt werden Eonnte.

Go erfcheint nun nad einer Paufe von fieben Sahren ein neuer „Göttinger Almanach”. Davon, daß er einen Plag neben den Almanaden anderer Univerſitäten bean: fpruchen darf, find wir bei der Herausgabe wohl überzeugt; eine leife Hoffnung aber hegen wir aud): er möchte den früheren „Göttingern“ nicht allzumeit nadhftehn.

Gottingen, 1912 im Geptember. Heinz Undenbolod.

IV

Inhalt

Seite Hermann Eicke (geb. am 18. März 1885 zu Braunſchweig) Was ſuchſt du hinter den Bergen? . . . . 1

Eva Merkel (geb. am 29.April 1891 zu Gottingen)

Neujahr I Die Slamnıe . 3 Grfte Mahd . 3 Die Wolfen . 4 Der Schneider im —— 5 Nebel 8 Der Wunfsh . Lo, nS pehewsis te: ee PEORIA son, 5152 ah ee en ER

Sia Park tit Bee i ae ww te ce ke

Guftav Hübener (geb. am 4. Juli 1889 zu Hamburg) Die Wandlung des Juſtus Grimmsbredt . . 12

Hans Nudolf

ASPEMID UNG). in Gi) sede a ee A BERUNFGBRE oe. 1G) Yes ca ed re wee BG Sehagen . . . . Sp oth ewe aa a Gruß aus weiter Landſchaft oF —— —— Does Ge.

Georg Otto (geb. am 18. Jtovember 1888 zu Neu—

Alma Steinberg (geb. am 23. Juni 1886 zu Konigs-

zelle in der Niederlauſitz)

Die Wolken ftreichen heute fo wie einft . Hod über mir im Treppenhaus

Die wachen Toten .

Herrenreiten

Bom Mondfchein

Banger Regen

Heimmärts

Abendlandfchaft .

hütte in Oberfchlefien) ©onnenfegen . Hochgebirge I . Hochgebirge II

Nachtſtunde Wie Glanz und Lraum .

Magnus Dühr (geb.am 18. Januar 1886 zu Stendal)

VI

Das gnadenreide Jahr Sympathie

Mit der Gonne .

Abſchied

Eignes Land .

Heute fpeife id) in Sorakus.

Geite

47 48 49 49 40 51 52 52

53 53

55 55

56 57 58 59 60 61

Geite Käthe Claus (geb. am 14. Oftober 1875 auf Bor- flog Stuhm in Weftpreußen) ION u De PG a ay a YOR

Heinz Undenbold (geb. am 25. April 1888 zu Münden in Hannover)

HORESDOR an os lg el 66 DOHnheenadE/ ar So re OR Kun, da die Rofen blühen . . . . . . . 64 Jüngſt ai Matte: 2. 5% 2.08% 66 Ei Seles. nn See a an OB vty Deis Wetter ..+ i ie) 27

DUANE 2 GP, en Fine. toe at A ee OS BEIHEII SSTEUNDE 27 00.0 2, iy a) eh oat a DS

ris Runge (geb. am 1, Juni 1888 zu Hannover)

DOR AOIED (ER PONT ora ge ae ky are ee a fe GS 30,13 Shp os" a Sh Rr ee ee Lh ERO Rage MME! a. te A Gu wine st ae te ce LE FO Maimorgen . . . EEE ER

Das Märden vom Dichten . tee. “ke fn FR

Sriedrih Haffelmann (geb. am 6. April 1891 zu Hamburg) A AGINPE 2 ts 7

VII

Geite

Rudolf Berg IHarmBEDIEBEE- «i a BE He HE ee FF Pile: EDER se. irae ae er

Stiedrid) Wilhelm Quentin (geb. am 2. März 1889 zu Detmold) MEINTE Kalt a aA ee So Gy OI

©. 5. Heinle, Vincent (geb. am ı. März 1894 zu Mayen in der Eifel) Entfohlummert, lautlos lag die Naht. . . . 88 Grau liegt der Berg, vom Regen eingewiegt . 88 Wie der Nebel in die Taler fällt. . . . . 8g Erfüllte Sebnfume scp os 4 ee bh So BG

VIII

Was fudft du hinfer den Bergen?

Was fudft du hinter den Bergen? Dort wohnen Nenfchen wie du, Gie haben Leid und Schmerzen Und Sorgen dazu.

Gie rühren ihre Hände

Und fommen nidt zur Ruh Und haben Gott vergeffen Wie du.

Hermann Eide

Neujahr

Gevatter, fteigt ein wenig ſchneller, Gleid) fängt die Uhr zu ſchlagen an! Und hebet die Laterne heller,

Daß id) die Stufen finden Fann.

Der legte Tritte nun find wir oben. Wie friedlid) drunten Dad) an Dad! Dem nächt'gen Dunkel ſcheu vermwoben, Ward da und dort ein Licht fdon wad).

Jetzt Fündet mwohlvertrauten Schlages Die Glode langfam uns und Flar Die erfte Morgenftund’ des Tages Des erften Tags im neuen Jahr. Gin neues Jahr! mit leichtem Fuße Gteigt es vom Berg ins dunkle Tal: Bir blafen ihm zum Willfommsgruße Bom hohen Turme den Choral .. . &s möge nehmen oder geben,

&s bringe Gegen oder Tod

Zum Em’gen fordert’s alles Leben, Und Dank ift unfer erft Gebot.

©o [aft uns denn ertweden alles, Was nod im tiefen Schlummer ruht: Die helle Wahrheit folden Schalles Stärk' und erhebe jeden Mut.

Und wer da wacht in Leid und Sorgen Wir bringen feinen Schmerz zur Ruh Und blafen ihm am Neujahrsmorgen Gar tröftlihe Gewifheit zu.

Will uns das Dunkel aud) verfdlingen Wir laffen aller Nacht zum Spott Vom Zurme den Choral erklingen

Hebt an: „Nun danket alle Gott... .“ Eva Merkel

Die §lamme

Dod) einmal laß den fdonften Traum

Aus tiefjtem Grunde fteigen,

Und löfe einen lauten Wunſch

Aus Deiner Geele Schweigen.

Dann fordre herrifd) Du und Fühn

Die höchften Geligkeiten,

In Laumel tieffter Wonne laf

Die fühle Geele gleiten.

Einmal foll die verdedte Glut

jn roten §lammen fprühen:

Dann läßt Du fcheu erinnernd einft

Gie fanft und fremd verglühen. Eva Merkel

Erfte Mahd

Den Duft der erften Mahd aus Wiefengründen Bringt ferne her ein abendlicher Wind:

Es zittert mic im Herzen der Gedanke

An all die Blumen, die geftorben find.

Rotgolden erjt, dod) nun gemad) verblafjend

Schwebt fanft der Mond, ein fchöner Gommertraum;

3

Die Nacht ift laut und friedelos; es plaudert Bewegter als am Tag der Lindenbaum. Nun mifdt fid) drein der Duft des wilden Weines, Und all dies Dunkle, Unruhvolle ftimme Go fehmerzlid gut zu meinem Leid und Gehnen, Das mir die Geele fdjwer gefangen nimmt. Die hellen Fleinen Wolfen diefer Nächte Zreibt übern INond gefchäftig fort der Wind Wie traurig ſchwer dünkt mid) mein Leid und Sehnen. Und all die Blumen, die geftorben find. Eva Merkel

Die Wolken

Dort die fel’gen, Föniglichen Wolfenberge, ftolz erhoben

Hier die Maienmelt, die fife,

Ganft von Licht und Duft ummoben. Bei den Wolfen dort Erfüllung Hier ein Herz voll Himmelsfehnen Eine Lerche wirbelt aufrärts,

Botin zwiſchen mir und jenen. Stage, Eleine Schweſter, frage, ringe mir die Antwort wieder, Was die Stolzen zu dir ſprechen,

+=.

Hille mir in deine Lieder! Und fie kehrt. Schon hör’ ich ferne Ihrer Antwort füße Klage: Achl die gleiche wohlvertraute, Wehmutfdhwere Gehnfuchtsfrage. Nach den Wolfen blid’ id) fuchend, Nach den ftolzen, Fonigliden Gie find tot in blaffen Höhen HingefunEen, hingebliden, Eva Merkel

Der Schneider im Himmel (aus Grimms Märchen)

Sankt Peter ift allein zu Haus, Gankt Peter ſchaut zum Fenfter naus. Es podt, es podt ans Himmelstor Ein dürrer Schneider fteht davor: „Ad), lieber Petrus, laß mid) ein,

Ich bin ein armes Gchneiderlein!“ „Das geht nicht an,“ Gankt Peter fpricht, „Mein lieber Herrgott will es nicht.“ „Ich lief mir meine Füße mund Ad, laß mid) ein für eine Stund!“ Gankt Peter ſchleußt ihm auf die Tür,

Da tritt das Gchneiderlein herfür, Es fucht fid) einen Sitzplatz fdnell Und ruft beglüdt: „Wie ift's hier hell!" Ganft Peter nidt ein wenig ein Slugs hufdt davon mein Gchneibderlein; Gr wandert durch des Himmels Haus Auf Gottes Thronfig ruht er aus,

Als wär’ er felbft der Herr, und fieht, Was drunten auf der Welt gefchieht.

An einem Eleinen Bade fdhau! Wäfcht Schleier eine alte Frau,

Und heimlich nimme fie zwei für fid) „Bart!“ ruft der Schneider, „hüte Dich!“ Und wirft voll Zorn und Eiferfinn

Des Herrgotts Gdemel nach ihr hin Und nod) im felben Augenblid

Huſcht er an feinen Plag zurüd. Ganft Peter ſchaut zum Senfter naus Der liebe Herrgott Fommt nad) Haus; Sankt Peter ſchleußt ihm auf die Tür Der liebe Herrgott tritt herfür:

„Sag an, wen ließeft du herein?“

„Herr, nur ein armes Gchneiderlein!! Der Herrgott fest fid) auf den Chron, Und neben ihm, da fteht fein Gohn.

„Ei, mas ift das?” der Herrgott fpricht,

„Ich finde meinen Schemel nicht!!“

Befcheiden fagt das Gchneiderlein:

„Ach Herr, wollt nicht erzürnet fein!

Ich hab’ auf unfrer ſchlechten Erd’

Ein diebifd) Weib damit beFehre

Warf ihn der Schelmin an den Kopf —“

Da ruft der Herr: „Du arger Tropf!

Was meinft, wenn ich's fo mad)’ wie du

Und flag’ und werfe gleid) drauf zu

Ich glaub’ im ganzen Himmel war’

Da bald Fein Stuhl, fein Schemel mehr!!

Drum Petrus, fo gehorde mir

Und feß den Schneider vor die Tir.”

Das Schneiderlein voll Herzeleid

Sagt Leberwohl der Herrlichkeit

Und trottet im zerfchliffnen Rod

Ganz langfam fort an feinem Stock. Wo ift der Schneider denn hingeraten? Nah Warteinweil zu den frommen ©oldaten, Die da figen und lachen Und fid) über alles luftig machen; Wenn nun Fommt der Jüngſte Tag Wei Gott, was aus ihnen werden mag!

| Epa Merkel

7

Nebel

Der Raum ward eng. Die NMebellajt

Grdridt des Lebens Odem faft.

Dem Scheitel müder Greife gleich

Erjtarrt im Reife das Gezmweig.

Nichts hemmt den Blid; durd blaffe Weiten

Muß er ins Wefenlofe gleiten.

Die Dinge find einander nah

Und ftehen doch vereinfamt da.

Die Lichter nur einander ahnen:

Die Gtrahlen taften ihre Bahnen

Entlang in mühevollenı IBandern;

Und eines fehnt fid) nad) dem andern

Und ſucht und findet fic am Ende

Und reicht fid) zaghaft feheu die Hände. Eva Merkel

Der Wunfd)

Geharnifcht und gewaffnet zieht er aus,

Da Nilorgenlicht den blaffen Himmel rötet,

Und fchreitet hin; und blaue Ferne tötet

Ihm bald den Blid auf feiner Kindheit Haus. &s Elirrt fein Waffenfchmud im Weiterfchreiten Gr hört es jtolz und fingt ein frohes Lied

Und hebt fein Haupt fo jung und frei und fieht, Wie oben hod) in himmlifch blauen Weiten Sernhin mit fonnenleudtendem Gefieder

Gin fchöner Vogel feine Kreife zieht.

Die Arme breitet er im Glüdsverlangen

Und ruft hinauf: „Ach, fomm zu mir hernieder, Mein fchöner goldner Vogel, laß Did) fangen!“ Der fdrwindet feinen Gehnfuchtsbliden bald Yn fernen Höhn, umſtrömt von Atherflut. Achtlofer ftürmt er aufwärts, von der Glut

Des Mittags überfchüttet. Und hod) oben,

Auf fteilem Grat, macht er tiefatmend Halt,

Und feine heißen Blide ſchweifen, ſchweifen Da über ihm ein Glanz von Lichtgefieder, Wie mit dem Gonnengold in eins verwoben:

Nun nah fo nah, als braucht' er nur zu greifen Und ad! in mweitern Kernen ſchwebend wieder Und diefes Wechfels graufam holdes Spiel

Erregt ihn rafd) zu folden Eifers Haft,

Daß er nad) feinem hellen Speere faßt:

Der, fortgefdleudert, findet bald fein Ziel

Gin Hauch ein Gonnenblig ein Wehelaut Und Gold: und Gilberflimmer wirbelt nieder Den harten Boden trifft's mit fdarfem Klang Und breitet fid) und hat ihn rings gerötet;

Io

Daß der Geharnifchte auf feinen Gang Mie ftummen Augen des Entfegens fchaut: Indes der Speer aus ſchmaler Wunde gleitet, Hat er die weiten Slügel todesbang Der ſchöne Vogel! fehnend ausgebreitet Liege ihm zu Füßen, blutend und getötet. Eva Merkel

Söhnnacht Die Flammen züngeln übern Himmel hin Und greifen in die baufdigen Gewänder Der Wolfen, die entjegt von dannen fliehn, Und über den bewegten Gee legt fchön Ein blaffer Abglanz feine fdmalen Bänder. Die Berge gleichen wefenlofen Schatten, Wie grau und riefenhaft fie ferne dräuen, Und über ihnen lauert jah der Föhn: Jest fpringt er nieder über fteile Matten Da fteht er fdon im dunklen Gee und geißelt Die Wogen, die gleich edlen Roffen fcheuen. Dann plöglich tritt ein Furzes Schweigen ein; Die tiefgefurchte, ftumme Slade gleicht Nun dem grauflimmernden Granitgeftein, Darein die Zeit ihr dunkles Wort gemeifelt.

Aus diefem Schweigen taucht die Dämmerung; Und mit dem erften Stern, der Fühl erglimmt Und ungewif im fahlen Himmel ſchwimmt, Regt wieder fid) die Flut, ftöhnt, bäumt fid) auf Und naht in weißen Wellen Sprung auf Sprung Dem düftern Ufer, brandet und entweicht Und wiederum beginnt der wilde Lauf... Da ächzt der Gee in dumpfer “Qual; und währt Dies unbefannte Trauern durch die Nacht In einen Dag, durch den mit grauen Roffen Die Nebelfrau im düftern Schleier fährt.

Eva Merkel

Ein Park im Herbft

Ein Park im Herbft voll hoher ſchöner Bäume; Nichts Herbes, lauter leichte weiche Träume;

Ein wenig Leid, ein Wunfd, empfunden Faum Und über allem Nebelduft und Traum;

Ein Gee: die Schwäne gleiten drüber hin,

Und mweige Marmorbilder fpiegeln drin;

Gin Lärm von draußen draußen liegt die Welt Mid, ftreift ein Blatt, das fanft zu Boden fällt. Wir tragen wohl des Leids, des Kummers viel,

Das Schickſal kommt und treibt mit uns fein Spiel,

II

Die Welle reift uns vom gewohnten Strand, Wirft uns zurüd an bdes Uferland

Gin Gott ift, der uns ſchön're Heimat fchuf; Und unermüdlich trifft uns fanfter Ruf, Gemahnt an eine liebe Rubeftate

Gin Park im Herbft, ein gelbverfärbtes Blatt. Eva Merkel

Die Wandlung des Juſtus Grimmsbredt®).

J.

Eigentlich ſchreibe ich dieſes nur, da mir iſt, als ſei ich ſelbſt vor meinen letzten Erlebniſſen verlegen, geradeſo, als beherrſche mich dieſelbe Verlegenheit wie in der Tanzſtunde, wo ich in meinem erſten ſchwarzen Geſellſchaftsanzuge mich bemühte, zwiſchen den fremden Kindern Pirouetten zu ſchlagen. Damals fühlte ich und gebärdete mich auch wohl, als hätte ich vergeſſen, in der Garderobe mit dem Überzieher zuſammen meinen Körper abzugeben. Und nun treibt es mich aus kindlicher Verlegenheit, in dieſer Schil— derung ein ganzes Leben abzulegen, das mir im Innerſten genierlich und befremdend dünkt.

Merkwürdig iſt es dabei, daß ich noch immer weiß, wie

*) Zuerſt erſchienen in oer Bremifcdhen Monatsfchrife „Die Güldentammer”. 1. Jahrg., Heft 7, April ıgıı.

I2

höchft erbärmlich es gelten muß, diefem Bedürfnis Erfüllung zu gewähren. Ich erinnere mid) ganz gut, wie mein Vater oftmals warnte, ein Tagebuch zu führen, da es nur zur Gelbftverzärtelung diene, und ſchäme mid) aud) nod) jest, feinem Rate nicht getreu geblieben zu fein. Aber daneben ent: fchuldige id) meine ein wenig mutlofe, ein wenig unmänn: liche Gelbftentäußerung, die diefe Befchreibung bedeutet, durd) Die aller meiner zuverfichtlichen, willigen Kraft unüber: windliche Fügung der Berhältniffe, die mid) nun in folche ſchwer ertraglide Einſamkeit verftridt. Gern ftelle id) mir vor, daß ich wirklich niemals fo entartet und fremd mir erfchienen fein würde tie jest, könnte id) nod) wie früher auf die Diele unferes Landhaufes draußen bei Bremen treten, wo des Abends meine Familie [efend und plaudernd zufammenzufigen pflegte in tveiten, englifden Korbftühlen um den ovalen, lömwenfüßigen Mahagonitifc unter der mildsgrün befchirmten Hängelampe. Denn dort erfuhr ich auf natürliche Weife das mir nötige Maß jener Erhebung über mich felbft, die ich jest fo bewußt in einem ruhigen, mwürdevollen Berichte anftrebe. |

Dort Fonnte man fich in das allgemeine Geſpräch retten mit feinem befonderen Gefhid. Und war diefes drmlid und farblos getvefen, fo prunfte es und erglühte prachtvoll in der Teilnahme der andern wie ein gleichgültiger, grauer Lag, der fid) fcheidend in herrlichem Abendrot verflärt.

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Alle fchmerzlihe Spannung löfte fid) fanft im Lachen, das man nur durch feinen abfonderlid) griesgrämigen Ausdruck oder durch bewunderte, angefeuerte Gelbftironie gewedt.

Wie meine Mutter, die oft mit ihrem demütigen, ftillen Geſicht unter dem ſchlicht gefcheitelten Braunhaar, inniges Glück im Blid, auffah von ihrer Gtidarbeit zu meinem lachenden Vater, lebte id) eigentlid) in feinem Lachen. Deffen glänzender, beſchwingender Klang lüftete uns empor zu meines Vaters beherztem, frohgemutem Ausbli@ auf das Leben. Hatte id) eingeftimmt darin, fo dünfte mir, ich wäre nicht mehr derfelbe. Den Schaufpielern glich ich, die ihr eigenes IBefen vergrößert, verherrlicht fühlen durch die Heldenmasfe, die fie tragen.

Man darf nicht vergeffen, daß wir find, was wir erlebt. Diefes ift troftlid) für mid). Sicherlich bewies ich mich damals, als id) mit Ceehundsfellranzen das alte Gymnafium befuchte, wie meine Lehrer fagten, mit höchft mangelhafter, tajd) abfpringender Aufmerkſamkeit begabt, von unbe- deutenden Anlagen im ganzen. Bei allen ernfthafteren Unternehmungen, vor einem mathematifchen Ertemporale oder einem Kinderball zeigte id) mid) feltfam benommen. Und dod) war mein allgemeines Dafein ſchön und würdig. Denn ich führte das Leben der Familie Grimmsbredht.

Unfere Berwandten, die Freunde und Befannten meines

Vaters, deren Umgang er mit bedachter Corgfalt pflegte,

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bejtimmten mit ihren mir unberdnderlid) dünfenden, gleich— fam mie Götterbilder in ihrer befonderen Haltung uns gegenüber erftarrten Geftalten den Raum meiner Kindheits- welt. Wohlbehalten und von großer, göttlicher Macht be- hütet fühlte id) mid), wenn Herr James Neumann, der alte Gefchäftsfreund meines Gaters und einer der Reichften in der Stadt, einige freundlihe Worte zu mir in der Gtraßenbahn gefproden .. .

Mein Bater war erfolgreid) in feinem Öalpetergefchäfte, Sriedrih H. Grimmebredt & Co., und ftand in erfreulidjem, folidem Anfehen an der Börfe, Wenn id) ihn abends zu— weilen aus feinem Kontor abholen durfte und an feiner Geite über die Obernftraße ging, wurde id) durch die vielen Grüße befannter Herren geehrt. Und ich lächelte wie er, angeregt und ficher meiner felbft.

Dann fühlte id) mid) auch gefeit gegen das Gemirr des CtrafenverFehrs, das mir zuweilen, wenn id allein ging, wie eine unverftändliche, doch furchtbare Drohung zu er= fcheinen begann, und das id) meinte, wenn id) in meinen Gdulauffagen von der „Lüde des Schickſals“ oder der „Sraufamfeit des Lebens“ fdrieb. In die mohlgefügte Ordnung, in die mein Vater fein Leben geztwungen, fühlte ich mich behaglid) einbegriffen und durd) fie zugleich ficher geborgen gegen die unheimliche Macht des Zufälligen und Unberechenbaren, die es dazu bradhte, daß jener alte Herr,

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auf einer Bananenfchale ausgleitend, fein Bein brad, und ein Ladengehilfe diefes beftimmte, ihm gänzlich unbeFannte Mädchen im Vorbeigehen anfprad.

Tugend bedeutete mir Ordnung, die Ordnung guter Bremer Bürgerlichfeit. Natürlich war diefe Anfchauung nicht geklärt und bewußt in mir, aber fie beherrfchte dod) triebhaft meine Empfindung. Es Fonnte gefchehen, daß mein Gater mir erklärte, was es heiße, daß wir zu den „alten Familien“ in der Stadt gehörten. „Gieh,“ fagte er, „die Grimmebred)ts haben immer das Ihrige zufammen- gehalten. Gie haben fic) nicht verzettelt und vertan. Lerne das von ihnen, SJuftus, halt’ durch im Leben!“ Golde gelegentliche Sprüche zur Lebensweisheit erfchienen mir in pager Weife nüglich, ihre Befolgung beglüdend. Sympa— thifche Abneigungen ließ id) mir von meinem DBater und älterem Bruder zumeifen, ebenfo gut gegen alle zügellofe Offenheit im Verkehr, gegen Zufallsbefanntfchaften, mie gegen bunt gefärbte Krawatten und das Zurüdlaflen von Butterbrotspapier im Walde.

Ich träumte davon aud) einmal, wie mein DBater, mit ehrbarem grauem Nod und Zylinder beFfleidet, fo als Kauf: mann oder Juriſt vom Gefühle bürgerlichen Anfehens an: genehm erhoben, die Obernftraße dahinzufchreiten. Und zu Haufe würde mid) dann als Grau Grimmsbredt nicht

irgendeine mir jest noch Unbefannte, ein Fräulein Zufall

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begrüßen, jondern meine Kufine, ein junges Mädchen, von dem id) anzunehmen gewohnt war, daß es in dunkelblauem Kleide an der Verandatir eines befannten niedrigen, alt- modifden Landhaufes bei Bremen zu ftehen pflege und ruhig und gehalten die Hand über die lieben, fanften Augen hebend, die lange Kaftanienallee zur Gartenpforte hinab: fahe, als erwarte fie mid). . -

Unvermerft war id) in die jorgfam gefügte Lebensordnung meiner Samilie hineingewadjen, und ihre Erfüllung ver- lieh mir das Glad, wie es andere in der Verwirklichung ihrer felbft in felbftandigen Daten und Berufen zu genießen fcheinen.

II,

Zmeifellos, diefes Leben verging für mid) durch den Tod meines Vaters, um den allein es dod) geFreijt und jich ges ordnet hatte. Aber diefes merkte id) damals noch nicht. Mein Bemußtfein wurde von dem dumpfen Raufch befangen, den die nun haftig fid) folgenden Gefchehniffe erregten.

Bald nad) dem Hinfcheiden meines Vaters zeigte meine Mutter erfchütternde feelifhe Beränderungen. Die früher tatErdftige und umfidtige Grau fdien nicht mehr fähig, die geringjten Anordnungen in unferem Haushalte zu treffen, der Dod) durch den Lod meines Vaters und die Heirat meines älteren Bruders Johann Kriedrich recht vereinfacht mar. „Jede morgendliche Befpredung unten im Keller mit

7

der Köchin über die Angelegenheiten des Tages fteht mir entjeglidy bevor,‘ fagte fie, „die Dinge wachſen mir über den Stopf, id) verfpüre Feine Luft mehr, mitzutun im Leben ... Da fie nun nicht mehr einftimmen Fonnte in das Laden meines Baters und Zuftimmung erhalten von ihm für ein frifches Zufammennehmen, meinten wir in ihr eine leicht verzagende, willensſchwache Geele zu erfennen.

Bis weit in den Tag pflegte fie liegen zu bleiben in ihrem großen, altmodifden Bett mit dem olivgrünen, rofen- bemufterten Cretonnehimmel, ohne einen mir damals ver: ftändlihen Grund. „Ich fühle mich fo benommen," ver: fuchte fie mir zu erklären, als ich neben ihr fag und fie tröften wollte, ,,id) möchte viel trauriger fein, als id) es bin; es wäre mir eine Wohltat, recht ſchmerzlich empfinden zu fonnen. Und id) wundere mid) über mic) felbft und verabfcheue mich, daß ich folches nicht vermag. Es ift, als fei etwas ausgerenft in mir, und nun Ereift alles Gefchehen, die Welt weit fort, ohne mich zu berühren, wie Windmühlen— flügel fern am Horizonte. Ich fühle mich fo Elein . . .“

jn der Tat, es fiel mir damals auf, daß ihr Wefen auf unerklärliche Art verändert, geradezu verkleinert er: fhien. Es war, als blide etwas erfhütternd Zwergen— haftes aus ihren Augen, ja, als wäre ihr Körper zufammen: gefdrumpft in dem meiten Bett und den ſchweren alten des Baldadjins. Ich verließ fie, ohne eine Antwort zu

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finden, ohne einen tröftlichen Gedanken ftieg id) durch unfer ftilles Haus zur Diele hinab,

Erjt mein Bruder, den id) zu Fommen bat, flößte mir in der Elugen Saffung, durch die fein Innerſtes unberühr: bar fchien, ein wenig Gicherheit und Ruhe ein. Er befchlog fofort in der raſchen, unbedenklichen und erfrifchenden Act, die mid) an meinen Bater erinnerte, daß Dr. Camorr ge: rufen twerden follte, ein Jtervenarzt, der unferer Familie ſchon feit langem ein vertrauter Sreund war. Nachdem diefer mit feiner ſchönen, priefterlichen Würde die Ausſprache meiner Mutter mie eine Beichte entgegengenommen hatte, fagte er an ihrem Bette zu uns, geradezu ftrenge, doch zugleich zuverfidjtlid), nad) feiner Gewohnheit ihre Hand Flopfend: „Meiner lieben Frau Grimmsbrecht fehle nichts. Gie muß nur einmal bier heraus. Sie muß neue Menſchen, neue Lander um fich fehen und verfuchen, eine ganz andere zu werden. Das Befte ware, wenn Gie nod) morgen mit ihr abreifen Fönnten an die Riviera oder nad) der Isle of Wight.”

Hiermit wandte er fid) an meinen Bruder. Dod) diefem erſchien es unmöglich, dem Gefchäfte fid) zu entziehen, dem er nad) dem Lode des Vaters allein vorftand, aud) hätte er ungern feine junge Grau verlajjen. Es lag alfo an mir, der ich feit meinem unlängft abfolvierten Abitur frei über

mith verfügen Fonnte, als Begleitung zu dienen. Aber Dr.

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Camorr ſchien mich mißtrauiſch durch feinen ſchwarzum— ränderten Kneifer zu betradten. Er fah meine Gefell- (haft wohl für ungulanglid) an. SJedenfalls hiele er es für nötig, bevor er fortging, mir unter vier Augen eins dringlich folgendes ans Herz zu legen: „Lieber Grimme: brecht, feien Gie Ihrer Mutter ein recht belebender, erheiternder KReifefamerad. Gie müffen bedenfen, daß nad) dem Lode Ihres Herren Vaters, der der alten Dame alles bedeutete, in dem fie wirklich mehr lebte als in ſich felbjt, diefes ge- heimnisvolle Gefühl, das man als Perfonlid)Feitsberuftfein bezeichnet, etwas geſchwächt oder verblagt ift. Es ift ein mir recht häufig vorgefonmener Sal. Der Patient fieht fid) gleichſam von weiten und draußen fühlen und handeln. Und da er feinen eigenen Wahrnehmungen und Gedanken ein wenig erftaunt, aber im ganzen gleichgültig zufchaut, ijt er auch gleichgültig gegen die Außenwelt. Es feheint wahrhaftig, als habe er vergeffen, fein Gefühlsleben auf jich felbjt zu beziehen, als fei der warıne, innige Zuſammen— hang zmwifchen der innerjten, einheitlichen Geele und den von draußen bewirften Empfindungen irgendwie ver: kümmert. Durch diefe fonderbare Art der Apathie fcheinen fid) befonders empfindlidje Naturen vor einem vernichten: den, unmäßigen Schmerz zu ſchützen. Dod) wir müffen fehen, Ihre Mutter jegt aus diefem Zuftand herauszureißen, damit fid) ihr Perfönlichkeitsbemußtfein nicht zu fehr zer:

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fest in ihm. Wir müffen fie dazu bringen, ihren feelifchen Berluft zu erfegen. Lafjen Gie fie in Hotels etwa mit Amerifanerinnen zufammenfommen, foldjen unbefümmerten und angeregt lärmenden Menſchenkindern, überhaupt auf der Reife möglichſt viel unter robuften, fanguinen Per: fonen Befanntfchaften machen. Wie wir immer allein durch den Anblid eines andern etwas von feinem Wefen uns aneignen, fo wird Ihrer Mutter etwas verarmte Geele aud) begierig die volle, frohe Gefundheit unferer er: mähnten Amerifanerinnen einfaugen. Und id) hoffe, Cie bringen fie mir dann als frifche, lebensvolle Grau nad) Bremen zurück.“

Gr Elopfte mich zuverjidjtlid), wie er es als Arzt ges wohnt. Aber ich fühlte mid) durchaus nicht ermutigt. Mir war, als habe er durch die fpißfindige, feelifche Zergliederung meiner Mutter etwas zerfchnitten, geſchwächt und aufgelöft in mir felbft. Ich fühlte grimmig und radfidtig gegen ihn. Und wenn ich bald darauf mich bei fonderbaren Fragen ertappte wie: „Warſt du es jelbft nod), der diefes eben dachte oder tat,“ fo befchimpfte id) im Herzen Dr. Camorr auf das unvernünftigjte: „Man follte ihn und alle Nerven— ärzte ins SYrrenhaus fperren zu ihren Kranken, damit fie mit ihren Analyfen nicht nod) die Gefunden verrüdt machen,“ meinte ich etiva.

Immerhin wagte id) nicht, feinem Rate zu widerfprechen,

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und nad) Furgem begaben wir uns auf die Reife. Uber Belgien ging es nad) der Ysle of Wight und dem Güden Englands, wo wir in behaglidjen Hotels, deren folide und ruhige Art der Bewirtung unferen norddeutfchen Geſchmack vor der anderer Lander anzog, den Reft des Winters und den Srühling verbrachten, Den Srühfommer über hätte man uns beide in London beobadten Fönnen, befonders an Orten, two die Aufregung eines heiteren oder leiden- fchaftlihen Verkehrs brandet: im Rotten Now des Hyde: Parf, bei Pferderennen, felbjt mitten im Getriebe auf den Wandelgängen des Empiretheaters.

Dorthin begleitete id) auf ihren Wunſch meine Mutter, obgleich id) mir, befonders anfänglich, verloren und geängjtigt vorfam in den cdhaotifchen, geheimnisvoll verwirrten Men— fehenmaffen. Meine Mutter, die ftille, zurüdigezogene Frau von früher, mar oft nicht wiederzuerfennen. Gie bekannte, das Bedürfnis zu haben, „ſich zu fühlen“. Sie ſchien fich zu ziwingen, etwas zu unternehmen, eine Ausfahrt im Automobil auf eleganten Promenaden etiwa; oder fie unter: hielt fich mit eifrig gefuchten, heiteren Gebärden, mit einem erregten, freudigen Ausdrud, der ihrer eigentlichen Gemüts— ftimmung nicht zu entfpreden fdien, auf einem Garten: feft englifher Befannten.

Häufig unferen Aufenthaltsort verdndernd, mandten

wir ung fpäter Schottland zu; immer tvo es ging, machten

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wir Befanntfdaften. Ich habe wirflid) die Aufgabe Dr. Gamorrs erfüllt, fo gut id) es vermochte.

Und dod) muß ich mir fagen, daß ich wenig zuverſichtlich im Herbft meine Nlutter, weil fie es fo wollte, von Leith nad) Bremen zurüdfehren fah. Vielleicht war id) nicht der richtige Reifefamerad gemefen; ich bin nun einmal nicht lebhaft und befonders froh geartet; vielleicht aud) hatte Dr. Gamorr das feelifche Leiden meiner Mutter troß haarfeiner Zerfpaltung nicht richtig erfannt und behandelt. Was es aud) immer gewefen die Melancholie der Bahn: höfe, der unvermeidlichen IBarteftunden auf Eleinen, obffuren Gtationen, auf Dampferjtegen im Abend, dazu das fort: mwährende Anfnüpfen von Zufallsbefanntfchaften und das ſchmerzliche Abbrechen derfelben, nadjdem einem Faum rwirk. lid) warm ums Herz geworden, hatten der alten Daine Geele durchaus nicht mit neuem Glück geſchwellt.

„Ich twerde nie wieder lachen Fönnen,“ fagte fie mir beim Abfchied, „mie id) es tat, als id) in das Laden Deines VGaters einftimmen Fonnte. Was nüßt cs, daß Leute, wie id) es bin, fid) nod) am Leben feftzuhalten be: mühen?“ Alle Gefchehniffe entwidelten fich fcheinbar wirk— lid) ohne ihr nahe zu Fommen und ohne fie herzhaft an= zurühren; geradefo, als beträfen fie nicht fie felbjt. Und fie ließ es nun aud) dabei.

Nad) ihrer Rückkehr zeigte fie in Bremen diefelbe milde

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Gleichgültigkeit gegen Hausjtandsangelegenheiten wie früher. Kaum vermochte jest mein Bruder ihre Lage mit einer wenig zufegenden Art Befhäftigung in Bafaren und mohl-

tätigen Vereinen auszufüllen. So fdjrieb er mir bekümmert.

III.

Ich felbft begab mid) von England aus nad) Paris. Es lodte mich das Fonventionelle Bild einer Stadt, wo leichtes Bergnügen verführerifch ladet und wo man fo viel von Liebe fpreden follte, wie nirgends fonft. Ich dachte unbeftimmt daran, mid) zu „kürzen“, wie man zu fagen pflegt, „in einen Zaumel von Bergnügungen“. Zmeifellos, während des wechfelvollen Umberreifens mit meiner INutter hatte in mir ein gewiffer nachläfjiger Hang zu Zerftreu- ungen um fid) gegriffen. Nach Haufe fchrieb ich jedoch, daß ich mich in Paris während eines Jahres dem Erlernen der franzofifden Sprache und des römifchen Rechtes, aud) nationalöfonomifchen Studien widmen wollte, bevor id mich bis zu meinen Gramina in einer Eleinen deutfchen Univerfität fejtfeste. Und in der Tat, in der Gefellfchaft einer fo im tiefjten Grunde entmwurzelten, haltlofen Natur, mie meine arme Mutter es geworden, war zugleich mit einer flatterhaften VBergnügungsfucht in mir der Wunfd erwacht, dem Berufe eines juriftifden Gtaatsbeamten zu— zujtreben. In ihm hoffte id) ein feftes Geſchirr zu finden,

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in dem ich ficher geleitet durch das Leben traben Fonnte, aud) twohl eine Art Erfaß für jene mohlgefügte Ordnung meiner §amilie zu Lebzeiten des Vaters, in der ich fo glüklih war, mit meinem eigenen Dafein ganz aufgehen zu Fönnen. Ja, es erfdien mir die Tätigkeit eines Land: gerichtsdireftors wie Mufif, wie blauer Zigarettenduft, in die man angenehm betäubt verfinfen und ſich einhüllen Fann, fic) felbft vergefjen und zum §rieden Fommen.

Diefe fonderbare Anfchauung deutete, wie id) jest glaube, fhon auf eine innere Vorbereitung des Geelenzuftandes hin, in den ich gleich nad) meiner Ankunft in Paris geriet, trogdem dann alles wie eine Überrumpelung kommen follte.

Es gefdah, als id) mid) auf der Wohnungsfude im Quartier [atin befand und den Yardin du Lurembourg durchſchritt mit feinen Flug verteilten Plagen, mo Sontänen wie ftille, weiße Slanımen in das fühle Grau der ruhigen Morgenluft fprangen. Einige Kinder liefen lärmend mit Eifenreifen durch die winterlich Fahlen, ftarren Platanen- alleen. Da überrafchte id) mich feltfamen, nie gefannten Gefühlen nachhangend.

Jtie mar mir, folange id) durch die Sorge für meine Mutter im nahen Verkehr beanfprucht war, der Tod meines Vaters fo ſchmerzlich erfchienen, wie gerade jest. Bevor er entfchlafen, hatte er fo machtvoll und herrfchend in meinem Herzen gewirkt, daß mir nun dünfte, ich hätte

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feit feinem Hinfcheiden nur in der Erinnerung an ihn und nicht für mich felbjt gelebt.

Gin Gefühl der Berlaffenheit übermwältigte mid) dumpf. Und auf einmal wurde mir, wie durd) fonderbare Magie, der Garten umber mit feinen Platanen und fteigenden Waffern entfremdet, daß er mir wie ein Öpiegelbild er: Fenntlih erfhien und doch zugleidy unwirflid. Es war mir auch, als hätte ich das fichere, felbftverftändliche Ge: fühl für die Wirklichkeit aller Beziehung meiner felbjt zu anderem Leben verloren. Und ich erinnerte mid) der Worte meiner Mutter: „Es ijt, als hat etwas ausgefegt in mir, und nun Freift die Welt weit fort wie Windmühlenflügel hinten am Horizonte.” est verftand id) diefes im Innerſten.

Aufzulehnen fuchte id) mich gegen folde Empfindung darauf. „Manche deiner VBerwandten, einige gute Bes Fannte leben dod) noch,“ beteuerte id) mir. Auch ftellte id) ınir angeftrengt meine Mutter vor, wie fie wohl an fhönem Gommertage in unferem Garten zu fißen pflegte: jo in dem laubenartigen Winkel, aus zwei Efeufäjten mit ihren Gitterwänden voll fonnedurchglühten, hellgrünen Blättern und blaugrünen im Schatten, gebildet. Durch die gebreiteten Zweige der Efche über ihr ſchoß in ſchrägen Strahlen das Licht und mwirbelte leuchtend, golden auf ihr dünnes Braunhaar, ihr fchwarzfeidenes Kleid, die goldene Kette und ihr feines, friedliches Geficht. Und zuweilen,

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wenn jie eine Arabesfe fertig geftidt oder zu ihrer Schere und den bunten Wollfäden auf dem Tifche griff, blickte fie auf, um den fonnigen Fluß da unten zu betrachten, den fchattigen Garten oder das weiße Haus felbft dahinten, das vor allen Senftern feine rot und weiß geftreiften Mar: Fifen niedergelaffen hatte. Ich bemühte mich, diefe Vor— ftellungen recht deutlid) in das Bewuftfein zu heben, nahe an mein Herz heran. Aber fie fagten mir nichts. „Was foll das alles mir? fragte es in mir trüb. Cinmal war irgendwo auf der Welt ein Garten gewefen, ein Haus und ein paar Menſchen, die mid) gefannt. Dod) das war längft unfaßlich tief gefunfen. . . .

Go manderte id) den ganzen Tag über in den alten Straßen des Quartier [atin nahe der Gorbonne umher. Ich Eletterte viele enge, dunkle Stiegen empor, zog immer wieder an verblichenen Slingelzügen, um wie im Traume, unfreiwillig, in der ftill nagenden Pein finnlofer Wieder: holung den öffnenden Wirtinnen die gleichen Fragen zu ftellen, nad) dem Preife des Zimmers, ob Ungeziefer im Haufe fei. Immer wieder ftand id) auf neuer Lürfchwelle und verfuchte mid) mühfam hineingudenfen, wie es fei, wenn id) mid) abends in jene eiferne Bettftelle legte oder auf einem jener drei Rohrgeflechtftühle meinen Gig wählte. Und es gelang mir nie, diefes zu denfen. Wud) ward id müde. Daher Eehrte ich zulegt zu jener Wirtin zurüd,

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wohin id) am Morgen zuerft geraten war. Diefes tat id) wohl, weil mir die frifche, natürliche Frau auf meine Redens- art, daß id) ihr fpäter meine Entfcheidung mitteilen würde, lächelnd geantwortet hatte: „ch fehe es Ihnen an, Gie laffen ficherlich nichts von fid) hören.’ Diefe Erwiderung hatte mich berührt. Zudem fdien mir die VifitenFarte des früheren Mieters, eines getvifjen Dr. Claudeeft, die nod) mit einer Zwede an der Zimmertür befeftigt mar, vielleicht in meiner uneingeftandenen Ehrfurcht als Kauf: mannsfohn vor afademifchen Liteln wie eine Empfehlung.

Eben erft habe fie das Bermietungsfchild hinausgehängt, teilte mir die Wirtin mit. Erft geftern fei der deutfche Herr Doftor abgereift.

Gein Vater, ein Witwer, habe fid) Firzlid) nach dem Lode des legten guten Sreundes, wie feine Briefe zwiſchen den Zeilen ahnen ließen, recht vereinfamt gefühlte. Da habe fid) der Herr Doftor nun plöglid) entfchloffen, zu ihm nad Wismar zurüdzufehren, obgleich ihn feine Arbeit eigentlich an Paris gebunden.

Diefe Erzählung begann mir den Gedanken, das Zimmer Dr. Glaudeefts zu bewohnen, behaglid) zu machen.

Dazu fprad es mir felbft zu mit feiner ruhigen, nad; gedunfelten, bräunlichen Tapete und dem alten, vernußten Lederlehnfefjel vor dem Schreibtiſch am Fenfter. Auf einen ftillen Hof fieht diefes Fenſter hinaus, den die himmelhohe, 28

efeubewachfene Rückwand ueines Hafes einfchließt, anderer: feits eine hohe Mauer, mit Glasfderben gezinnt, und die graue Kalkwand eines Gebäudes, das als Fatholifche Kapelle dienen fol. Aus dem Fiefigen Rund, den die vieredigen Gkeinfliefen in der Mitte des Hofes freilaffen, fteigt ein Ahornbäumchen auf, mit einer unfaglid) fehnfüchtigen und demütigen Gebärde fpärliche Zweige dem Licht entgegen: haltend. Diefes Bäumen erinnerte mid) an den Ausdrud einer alten Grau in weißer Leinenhaube, die meine Mutter und id), am Sonntag Nachmittag durch die weiten, toten Gtraßen von Brügge fdlendernd, in ihrer niedrigen Be: guinenftube im Erbauungsbuche lefen fahen.

Go Fam es, daß id) gleich am nächſten Tage das Zimmer Dr. Elaudeefts bezog.

Während id) mich einrichtete, entdedte id) über dem grünen ZLuchfofa mit den altmodifchen, weißen, geftidten Behängen ein Bild der fhönen Frau Morris, die Rofetti fo fehr geliebt und oft gemalt, voll einem edlen, weltent— rücten Ausdrud. Wie mir die Wirtin erzählte, hatte es mein Gorgdnger vergeffen. Darunter hatte er einen Zettel befeftigt, auf dem in feinen, forgfamen Gchriftzügen die Dichterworte fanden:

Cherub und hoher Herr ift unfer Geift, wohnt nicht in uns, und in die obern Sterne fest er den Stuhl und [age uns viel verwaiſt.

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Sch erEundigte mid) darauf ein wenig näher nad) Dr. Clau- deejt, und entnahm dem naiven Geplauder der Wirtin, die fid) für ihren Mieter mit der Neugierde alter, allein- ftehender Frauen intereffiert zu haben fchien, daß er fic im allgemeinen mit Dhilofophie, und befonders mit einer franzöfifchen Ausgabe der Werke unferes deutſchen My— ftifers Jakob Böhme, befchäftigt hatte.

Immer ftellte id) mir darauf, während id) meine Kleider und Bücher unterbrachte in Spind und Bord, den Dr. Clau- deeft vor, wie er in dem Lehnfeffel vor dem Fenfter faß und mit dem Blid auf eine einzelne, fo Fümmerlide und ergreifend unbvollendete Gorm des Lebens, wie das Ahorn- bäumchen es war, fid) mit feinem Geifte aus fid) heraus in den ewigen Glug des Lebens warf, nad) feiner Erfafjung ringend. Gin fanftes, Eöftliches Gefühl ftrömte von diefer Borftelung aus über mich. Und ich begann für Dr. Clau- deejt geradezu freundfchaftlid zu empfinden, wie id, Er: ftaunens über mid) felber voll, bemerfte. Dieſer Mann befaß ficher ftille, Eluge, graue Augen und eine beruhigend anzufehende, hohe, etwas gemwölbte Stirn, traumte id).

Abends half mir die Wirtin freundlid) in meiner Un: Fenntnis der Lofale, indem fie mir angelegentlid) ein ve- getarifches Reftaurant gleich gegenüber auf der anderen Geite der Straße empfahl, das eine Greundin von ihr bes twirtfehaftete. Dr. Elaudeeft habe dort aud) ftets zu Abend

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gegefjen. Ich fand als Reftaurant ein fauberes, von lauch— grün befcirmter, fingender Gasglihlidjtlampe beleuchtetes Zimmer vor, deffen Bände zur Hälfte mit gelblaciertem Holzfpänegeflecht, zur Hälfte mit weißer Olfarbe bededt waren. Einige Plafate, die ungarifde Gauermildy und Vorträge in einem Verein zur $örderung gefunder Lebens: weiſe anpriefen, Fonnten zugleich als Belehrung und Shmud dienen,

An dem größten, mittleren von vier, fünf Gtrohtifchen unter der Lampe faßen drei ältere Männer, ruhige, an- ftändig gefleidete, aber fürs erfte Faum unterfchiedliche Leute, die ihre leergegeffenen Teller noch vor fid) ftehen hatten und über ihre Zeitungen hin gelegentlid) mitein- ander plauderten. Über Dr. Claudeeft ſprachen fie fpäter; ob er aud) heute abend wieder nicht Fame. Ich Fonnte nicht umbin, ihnen in meinem recht fehlerhaften Franzö— fifd) mitzuteilen, daß Herr Doftor vorgeftern fid) über: rafchenderweife entfchloffen habe, nad) Wismar zurüdzus Fehren, um feinem vereinfamten Vater zur Geite zu fein. Gie danften mir fehr höflich für diefe Nachricht, und ob» gleich ich verfuche hatte, ihnen den Urfprung meiner Kennt: nis zu erflären, tourde ich bald darauf einem vierten Herrn, der hinzukam, als ein deutfcher Freund Dr, Elauderfts vor- geftellt.

Bis tief in die Macht fprac ich dann mit diefen fremden,

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erfichtlich gedanfenvollen und belefenen Menſchen über fo- zialiftifche Probleme, im allgemeinen fo über die Zukunft der Welt. Aber während ich etwa äußerte, der Sozialis- mus bedeute nad) dem chaotifchen, induftriellen neungehnten Jahrhundert eine neue, Erafterfparende Ordnung, ein Mittel zur Verwirklichung eines irgendwie vollfommeneren, in eitel Sreude fic) erfüllenden Yndividualismus, dachte ich, voll eines dumpfen, ohnmächtigen Schmerzes, daß ein beliebiger anderer die Elingenden Worte an meiner Stelle hier hätte fprechen Fönnen, jo fern und fremd twaren fie meinem Innerſten.

Es hatte ſich auf der Reiſe mit meiner Mutter heraus— geſtellt, daß ich eigentlich ein Langſchläfer bin, meinem Na— turell nach. Ich lebe, wenn ich mich gehen laſſe, bequem und läſſig. Am nächſten Morgen konnte ich dazu beim Erwachen mir ſagen, daß ich am Abend vorher ſpät ge— nug in das Bett gekommen, um nun wohl berechtigt zu ſein, behaglich für mich hinträumend, noch ein wenig liegen zu bleiben. Aber um 8 Uhr trat unbefangen meine Wir— tin in das Zimmer, zog raffelnd die Yaloufie empor, daß eine graufame Helle mich auffchredte, ftellte mir mein Früh— ftic an das Bett und meldete, fie habe ein Faltes Bad für mich hergerichtet. Das habe Dr. Claudeeft ftets ver: langt, fo früh und meiftens noch früher aufzuftehen, fei er gewohnt getvefen, Ob diefe Einrichtungen auch mir ge:

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nehm feien? Ich muß geftehen, id) ſchämte mich vor der Frau, hinter Dr. Claudeeft zurüdzuftehen. Und obgleich ich mir zuerjt ein wenig lächerlich vorfam, nahm ich dann die ftrengen und reinlichen Lebensgervohnheiten Dr. Claudeefts als die meinen an. Ich turnte auch mit einem Paar eiferner Hanteln, die er bei feiner haſtigen Abreife im Badezimmer vergejjen.

Abends Fam ich nicht dazu, mich in den Taumel Pa: tifer Vergniiguhgen zu ftürzen, wozu ich entfchieden ge: neigt hatte, da mid) das Srühaufftehen, die ganze Lebens: weife Dr. Elaudeejts einfach zu müde hierfür machte. Den Tag über las id) viel.

Bei meiner Ankunft hatte id) der Wirtin gefagt, daß id an der Univerfität ftudieren wollte. Als fie auf dem Polizeianmeldezettel für mich die Rubrif „Beruf“ auszu- füllen hatte, fchrieb fie „Student der Philofophie“ hin mit einer Nachläffigkeit im Denken, die bei einer foldjen ältlichen, etwas unlogifden Srau nicht toundernehmen Fann. „Gie ftudieren ja auch die Philofophie wie der Herr Doktor,“ nahm fie getroft an. Und id) ließ fie bei dem Glauben. Es war ja auch fo gut. Schließlich war es gleich für meine Eras mina, als twas id) in die franzofifden Polizeiliften einge: tragen wurde, meinte ich zu mir felbft gewandt.

Aber id) muß hier befennen, daß mir zugleich in irgend» einer unfinnigen Weiſe die Berufsbeftimmung der Wirtin als ein fchidfalsvoller, ermunternder Fingerzeig erfdien.

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Denn ich hatte begonnen, mid) mit philofophifchen Studien zu beſchäftigen. Wohl war mein Bornehmen gemwejen, die juriftifche Laufbahn einzufdlagen. Bei meinen Familien: beziehungen in Bremen mürde foldjes aud) fehr nahe ge: legen haben; mein Vater hätte es mir ficher geraten. Aber ſchließlich läßt man fid) dod) den Beruf nicht durd) feine Verwandten fejtfegen. Auch wollte id) die Fühle Gtille, die mich erfüllte, feitdem mir im SJardin du Lurembourg alle von draußen ftrömenden, zufälligen Wahrnehmungen fo feltfam entrüde waren, wie Dr. Claudeeſt zu einer leiden: fchaftslofen, Flaren Betrachtung der großen Nlenfchheits- fragen verwenden. Einem ummaldeten Bergfee verglich ich meine Öeele gern, über den ein dunkler, ſchwerer Sturm hingegangen, der all die toten Blätter, die ihn trübten, fortgeblafen, und nun vermag feine Flare, mafellofe Slade getreulid) die Berge ringsum und in dem Himmel die fern: ften ©terne zu fpiegeln.

Eelten, nur wenn id) zur Bibliothek mußte, ging ich über die Boulevards, und fo entfremdet war id) dem tag: lihen Dafein, daß ich unberührt durch das wirre Getriebe fdjritt, durch all die Nlenfchen hin wie zwifchen Bäumen oder Selfen, gänzlich wefensverfchiedenen, unverftändlichen Welten. Meiftens faß id) nun, wie Dr. Elaudeeft, am Senfter, mit dem Blid auf den Ahornbaum, las in Plotin und Gpinoza, und jtrebte das Leben zu denken... .

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Nur hin und wieder ftörte mid) aus meiner innerlichen Gammlung Geigenfpiel, das irgendwo oben im Haufe er- Flang. ...

Gines jungen Mannes, der da früher in Bremen gelebt und einmal in folidem, grauem Rod und Zylinder über die Obernjtraße gehen wollte, erinnerte id) mich wie irgend- eines tmeitläufig befannten Toten oder eines Illenfchen, der in unerreichbarer Gerne weilt. Wer war Juſtus Grimme: bret? Wer war das Mädchen, das in dunfelblauem Kleide an einer Berandatür wartete? Alles das lag ja Dr. Elaudeeft fo fern, fo himmelweit entrüdt. Der lebte einfam in reinlicher und ftrenger Gelbftzucht und hegte in feiner zufammengehaltenen Geele, vor aller Unraft und Zerftreuung wohl bewahrt, die Gedanken der Großen, eines Gpinoza und Plotin. . . .

Gelegentlid) Fam die Wirtin herein, und da fie bald alles berichtet hatte, was es von ihr felbft Ermähnensmertes gab, erzählte fie von Dr. Glaudeeft weiter und feiner Sreundin. ‘Ya, fie wußte, verfchmigt lächelnd, davon zu melden, daß den Herrn Doktor, wenn aud) felten, ein junges Mädchen befuchte. Hier auf dem Lederfefjel habe es quer auf der Lehne gefefjen, die Hände über den Knieen gefaltet, fo ein feingliedriges, fchwarghaariges Ding, das die Muſik ftudiere. Oben im Haufe bewohne es ein Zimmer

und wenn wir jest ganz ftill einmai wären, Fönnten wir

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hören, tvie es auf der Bioline fpiele. Ja, antwortete ic ihr, dag wäre mir befannt. Im übrigen fei es nur gut, daß die Geigerin fo felten gefommen, da fie Dr. Claudeeft ftets geflort habe bei feiner Arbeit und ihm überhaupt im Innerſten twefensfremd gewefen. Es fei der Fluch der Mufifer, fid) haltlos allen einmwirfenden Empfindungen hinzugeben. Die Muſik fei wahrhaft die Kunft der Zer— ftreuung und der Schwächung alles einheitliden Willens. Es ware unmöglich gewefen für Dr. Claudeeft, feine Ge- danken ettva bei der Betradtung Spinozas zufammengzu- halten, wenn das junge Mädchen fo rüdfichtslos getvefen täre, durch das ganze Haus die Klänge ihrer Geige dringen zu laffen.

Die Wirtin lächelte dummpfiffig, und deutete an, daß dem Herrn Doftor die Störung wohl nicht zu unangenehm gewefen. Ich begann die Prüfungen Dr. Claudeefts zu berftehen. Es ließ fich nicht vermeiden, daß ich dem be- fprochenen jungen Mädchen häufiger auf der Treppe be: gegnete. Mein mwohlbewahrter Wille ward von oberflädh: lihen Trieben gefchaufele.

Und fdjlieflid) Fonnte id) nie umbin, es angureden. Obgleid es mir antwortete, es müßte eigentlid) nicht, warum es mit mir fpräche, machten wir dann zufammen einen ©paziergang durch die Fahlen Platanenalleen des Jardin du Lurembourg. Mit einer ftillen, ſchwärmeriſchen

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Glut, das Vergangene gleihfam wie neu empfindend, ſprach das Mädchen zu mir von dem Doftor, und fchien in ihrem Zone als felbftverftändlich einzufchliegen, daß ich fein Jünger wäre, der verehrend zu ihm aufblickte. Doch dabei waren ihre Augen, deren graublaue Iris in einer fleckenloſen Faſſung von mildem Weiß ſtanden, auf unbeſtimmte Art an mir vorbei ins Weite gerichtet. Oftmals hätte an meiner Stelle ein beliebiger anderer gehen können, ohne daß ſie es gemerkt.

Ein Mann iſt es, erzählte ſie mir und jedem der folgenden Worte ſtimmte ich zu —, der lieber in reiner, ſtrenger Einſamkeit gelebt, ſeine Neigung zur Philoſophie pflegend, als daß er ſeinen Stolz und ſeine erleſenen Ge— ſinnungen in dem zufälligen Gewirr der Welt zerreiben und vergröbern läßt. Er gehört zu jenen Menſchen, deren Lebenswille ſich mehr in hoheitsvoller Enthaltſamkeit, mehr im Unterlaſſen und Verzicht, als im Jaſagen, im lärmen— den, ſichtbaren Geſchehen äußert.

Seine ſchweigſame, verſchloſſene Sehnſucht nach Liebe hatte ſich auf die Erzählerin gerichtet, wie ſie mir frei— mütig ſagte. Als er aber zu erkennen glaubte, daß alles Gefühl, was fie ihm entgegenbradte, dem feinen nicht ebenbürtig fei, daß fie fo befannte fie in nie be- friedigtem Gerlangen eine Liebe heifche, die fid) verſchwen— derifh im Zange, im Fluge in alle rofenroten Himmel

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der Sreude werfen würde, da hatte er fid) von ihr abge- mwandt. „ch liebe Did) anders, als Du geliebt werden willſt,“ hatte er ihr gefagt. „Und id) liebe Dich zu ehren- haft, um mir Dein Bild zu befleden mit der Erinnerung an Die vorausfichtlihe, langfame, uns beide demütigende Entfremdung und unferes Bundes häßliche Auflöfung.‘

„Das war feltfam, meinte fie, nit wahr? Ich muß fagen, id) habe lange nachgedadht, aber ich verftehe das legte nicht, Diejes, ich liebe Dich zu ehrenhaft, um mir Dein Bild zu befleden! Che ich ihn fragen Fonnte, war er abgereiſt.“ Armer Dr. Elaudeeft! dachte id) und fah in ihre Augen, die voll Berlangen nad) unbekannten Zielen in die Welt fchweiften. Und ich erklärte ihr, daß Dr. Claudeeft einer von jenen Gonderlingen wäre, deren Liebe darin bejtünde, fid) von der Geliebten zurüdzuziehen, aber ihr Bild zu retten in das Heiligtum ihrer wohlbewahrten Geele. Geine Liebe bedeute Berflärung, Bergöttlichung für jie. Niemals Fönne fie nun ganz vergehen in dem zufälligen, verwüftenden Gewirr des äußeren Lebens. Denn er habe fie aufgenommen, mafellos fo wie er fie geliebt, in fein Herz und würde dort fernerhin umgehen mit ihr mie mit den wenigen Lichtgeftalten und feinem Dafein Ent: fernten, die er wie fie verehre.

Aber die Geigerin lachte auf diefe ernfthaften und feier: lichen Worte hin, daß fie gleichfam fie abzufchütteln fchien,

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in die Elingenden Perlen ihres Lachens verwandelt, wie ein Schwan, der eine überjtürzgende Welle in blanfe Tropfen gelöft von feinem glatten Gefieder gleiten läßt. Und fie begann die Gewohnheit anzunehmen, mid) nedend „Du wohlbewahrtes Heiligtum“ zu heißen. Ich fühlte fehr traurig für Dr. Claudeeft .. .

Die Geigerin fonnte ebenfo gut eine das Sranzöfifch beherrfchende Ruffin oder Gerbin wie eine Franzöſin fein; fcherzend ließ fie es dahingeftellt. Auf jeden Gall lebte fie hier allein in Paris. So Fonnte id) jie immer fehen in der Zeit, die ihre mufifalifchen Stunden und Übungen ihr liegen. Und id) muß befennen, oftmals ließ id) mich ver: leiten, durch die weiten Gtraßenfluchten mit ihr zu gehen. Obgleich es bei ihrer ſchwachen Gefundheit, bei ihrer Emp— fänglichfeit für Erkältungen wenig mweife fdien, liebte fie es leidenfhaftlih, Wind und Wetter zum Troß ziellos durch die wirr fid) walzenden Menfchenmwogen der Boule: vards dahinzumandern. Aber während diefer Gänge fuchte id) im Ginne Dr. Claudeefts ihre ſchweifende Geele feftzu- halten bei philofophifden Problemen. Doch immer mieder entfchlüpften mir ihre Gedanken, wie einem Vogel, denen man nur Gutes will, dennod) geängftigt, finnlos zwifchen den Händen entflattern. Immer wieder fchaute fie an mir vorbei mit ihrem feltfam fuchenden Blick in die Ferne.

Und dann begegnete id) ihr eines Abends, als id) von

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der Bibliothek zurüdkehrte, auf der Treppe in der Be- gleitung eines mir unbefannten Herrn, der eine ziemlich eitle Miene und ſchwarze Ladftiefel nebft gelben Gamafchen zur Schau trug. Cie fprad) rafd) und unverftändlich zu ihm und lächelte leichtfertig mir einen Gruß. Ich blieb über das Zreppengeländer gebeugt ftehen und hörte, tie fie hinabfteigend Dr. Claudeeft erwähnte, lachend erwähnte ...

An jenem Abend faß id) im Lehnfeffel, Spinoza in den Händen, ohne ihn zu lefen, und fühlte traurig für Dr. Claus deeft wie nod nie zuvor. Es gab wohl eine Stimme in mir, die mid) leife höhnte, warum id) mid) denn kümmerte um diefes fonderbaren Sremden Angelegenheit. Und id ängftigte mid) vor einer tüdifchen, unberechenbaren Macht, die mid) fo feltfam in fein Schickſal verftridt. Aber alles diefes fanE zurüd Hinter den einen dumpfen Gchmerz, hinter die eine unabläffige Klage: fie hat ihn verraten, fie hat ihn verraten... .

Geraume Zeit ging id) an der Geigerin auf der Treppe vorbei, ohne fie angureden oder zu grüßen, Und als fie dann zu mir fprad, als fei nichts vorgefallen, fuchte id fie zu ftrafen für ihre Untreue gegen den Doktor durd zurüdhaltendes Weſen. Sehr kalt, wie fie es verdiente und gleichfam innerlid) abmweifend, willigte id) in ihre demütigen Bitten ein, jie auf einem Opaziergang tvieder zu begleiten.

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Hierbei war es, daß wir nebeneinander an einer Quais mauer lehnten in einem dunfeln, wolfigen Abend und den Dampfern zufahen, die mit ihren eleFtrifd) erhellten Ra: jiten, menfchenerfüllt, goldene Gunfen aus den Schorn— fteinen ftoßend, unter Brüdenbogen heraushufchten, die ftrömende Geine hinunter und unter anderen Brüden mie in finfteren Abgründen verfanfen. Die Geigerin äußerte in einem weichen, fingenden Tone, den ich nicht an ihe Fannte, twie es fie ftändig ſchwer betrübe, zu fühlen, daß man nie das Leben gegenwärtig befäße, daß es unerfaß- bar zwifchen unferen Händen hindurchrinne und ftürze in die Vergangenheit. Immer wäre dod) auf dem Grunde des Lebens die Gehnfucht nach feinem unmöglichen Befiß. Oder bedeute Liebe Erlöfung und Erfüllung? Gabe es Männer, die begabt wären, das Wunder zu vollbringen, mit ihren Händen aus den fließenden Waffern des Lebens blanfe Kugeln zu formen, in denen fid) alle Welt ruhe: voll fpiegele?

Zumeilen denfe fie jest, wie niemals vorher, Dr. Klaus deejt fei einer von foldhen getvefen . .

Sm übrigen fei es das Befte, fuhr fie fdynell fort, als wollte fie das Gefagte vor fich felbjt unterdrüden, in Mu— fit und im Theater wie im flüchtigen Rauſch die Geele in Harmonien zu wiegen, die das Leben nicht bote, und zu vergeffen fudjen, daß wir nichts von alledem befäßen,

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durch das wir hindurchgehen. Ich war verföhnlich geftimmt durch die Erwähnung, die fie Dr. Claudeeft getan, dod) Fonnte id) nicht laffen, fie zu ermahnen, fic) nicht fo feige in leichte Träume zu flüchten, und wies fie darauf hin, daß Beſitz des Lebens zurüdiwenden auf fich felbft und inner: liche Bertiefung bedeute. Sie fal) mid) eine Weile prüfend an und fagte dann ernft: „ja, fo fagte Dr. Claudeeft“

... Aber darauf lachte fie bald ihr befonderes, abfchüt: telndes Lachen und meinte: „Ach, Du wohlbewahrtes Heilig: tum, Fönnten wir nicht morgen zufaınmen in den „Lriftan“ gehen? Ich dürfte geradezu nad) Muſik.“ Gie liebte folche etwas burfchifofe Ausdrudsmweife mir gegenüber.

Und fo fonnte id) nicht anders, als fie für die Oper einladen. Da faß fie nun neben mir, hingabevoll über die Rangbaluftrade gebeugt, den Widerfchein des Bühnen: glanzes in den Flaren Augen. Ich betrachtete nur fie und meinte, in ihrer Pupillen verfleinertem Abbild die Sänger in ihren verfchiedenen Attitüden auftauchen und verfchwin- den zu fehen. Und in ftiller Traurigkeit fagte id) bei mir felbft: „a, lieber Claudeeft, id) glaube, wir find wirklich nichts in ihr. Wir gleiten durd) ihre Geele, wie die Bilder der Sänger über den Spiegel ihrer Augen. Und damit müffen wir uns befcheiden.“

Aber dann Fam der Morgen, wo id) fie vermißte zu

unferer verabredeten Zeit die Treppe hinunterfommen zu

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fehen. Ich wandte mid) an ihre Wirtin um Auskunft. Durd) ihre unvernünftigen Spaziergänge mufte fid) das Mädchen eine Erfältung zugezogen haben, die nun in eine recht heftige S}nfluenga entartet war und es im Bett zu bleiben zwang. Zu einem Arzte war fdon gefchidt, der ganz in der Nähe wohnte. Diefer beruhigte uns, es fei nichts befonders Gefährliches, dod) die Pflege müffe forg- fam fein. Alfo fegte id) mich, zur Erleichterung der Wirtin, an das Bett der Kranken.

Gie lag da, ohne ein Wort zu fpredjen, feltfam befremdlich mit ihren trüben Augen, das feine Geficht gerötet und durch die Krankheit erfchlafft; das fchwarze Haar Erümmte fid) zum ftarfen Zopf geflodjten auf dem weißen Kiffen. Meiftens ruhte fie in einem unrubigen Halbfchlummer. Und id) fag ruhig, doch feltfam benommen und fah durd das Senfter, das nad) derfelben Geite wie das meine ging, dunfeln Bögeln zu, die fi Über das Dach der Kapelle hin in die helle Luft warfen. Was ic) während der langen Stunden dachte, ift mir entfallen.

Gegen fünf Uhr wurde die Kranfe auffallend unruhig, fie fabelte Unverftändliches in ihren Träumen. Als ich mid) mit einem Ölas Zitronenmwaffer über fie beugte, öffnete fie groß die Augen und blidte feltfam fuchend an mir vor: bei ins Weite. Dann ſchloß fie die Lider und innig lächelnd richtete fie fid) auf und Füßte mid).

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Ich vernahm, daß fie dabei „Claudeeſt“ flüfterte, „Du, lieber, lieber Claudeeſt.“

Aber obgleich eine Stimme in mir war, die mid) abhielt als von etwas Gündigem, Füßte ich fie wieder. „Bin ich nicht Dr. Claudeeſt?“ fagte id) mir... .

In der Tat, nod) jest weiß ich nicht, ob ich nicht wirk- lid) Dr. Claudeeft bin. Und das macht mid) wie man fid) denFen Fann fo höchſt verlegen vor mir felbft.

Guftad Hübener

Berfuchung Ich ging auf weichem Weg Und ftand auf ſchwarzen Wiefen In einer Nacht, In lüftern ftiller Nacht. Nur die drei Bade, Die im Forchtal fließen, Die treuen Waffer Haben laut gewacht.

Du zogft mid, Nacht,

Mich dumpf in dich zu fenfen, Da fdrien die Waffer Warnend ihr Getos

‚Alt glei) wild

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Wie quälendes Gedenfen.

Ich rang fie weg. Gie ließen mid) nicht los.

Nun geh id) heim Auf weifbetauten Wiefen. Am Gonnenrand

Gerblid) der legte Stern. Die treuen Bade,

Die im Fordtal fliegen,

Gind ftil und fern. Sans Rudolf

Zraumfahrt

Hörſt du in träge Nacht

Die Winde mit uns Flingen, Die Nebel jah erwacht

Um unfern Gdlitten fpringen? Fühlſt du mein Blut did) fragen Und weißt du, twas mir träumt? —: Raſtloſe Kufen jagen

Die Roffe find ungezäumt Wir fliehen!

Wir fliehen felig bange,

Wir fliehen jahrhundertlange

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Vom Schweigen in das Sdweigen, Aus taufend ftarren Zweigen

Sprüht Fühler Reif auf uns. Hans Rudolf

Behagen Wenn der Nachbar abends geigt, Darf id) meinen Tag entlaffen, Laufde, wie ins Lal der Gaffen Liebevoll der Lon fich neigt, Dunfles Lied, das zitternd drängt, Bis das Sremde von mir gleitet, Bis die Nähe leicht fid) weitet Und doch enger mid) umfängt. Wenn der Nachbar abends geigt, Geh id) eines Gartens Wiefen, Hör aud einen Brunnen fließen,

D igt. Hans Rudolf

Gruß aus weiter Landſchaft

Denk an unfre Zukunftreiſe, Wenn wir zwei die Flügel ſpreiten, Wenn vor uns die Fernenkreiſe

Sich ins Ungemeſſne weiten!

Denk an unfer Zufunftiwandern, Wenn wir ftill am Bergrand lehnen, Innig nahe eins im andern Seft umfdliefen, ras wir fehnen! Hans Rudolf

Eigener Weg

Bor mir die Straße weit, Blaue UnendlidFeit Himmelumfdlungen. Gaufende Welt vorbei, Vorne, nur vorne frei,

Hinter mir Zungen. Hans Rudolf -

Die Wolken ftreichen heute fo wie einft.. .

Die Wolfen ftreiden heute fo wie einft In ftumpfem Gchieferblau und fchweren Flugs

In banger Scheu verträumt an Deiner Geite

Wir fpraden mandjes, das uns lang entfiel; Nur dag id) mich fo füß geborgen mähnte!

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Und mandmal, wenn Du plauderteft vom Lod, Der Dich an einem Tage von mir nähme, Begriff ich faft, wie heiß Du mid) geliebt.

Die Wolken ftreihen heute fo wie einft. Georg Otto

Hod) über mir im Treppenhaus . . .

Hod) über mir im Lreppenhaus

Wie ftiller Mond der Lampe Schein: Geländerfihatten fallen breit

Yn einen engen Schacht hinein.

Die dunklen Wände atmen feucht, Und fernes Türenſchlagen fpricht Nur ab und zu von Schlafengehn Und Ampelfchein in rotem Licht.

Und wie das Dunkel ſchwerer finke, Legt fid) ein Schatten ſchwer und breit Sins Licht; und eine Stimme fpridht Goll leifer Liebe: „Es ift Zeit‘. Georg Otto

Die machen Lofen

Geftern in der Dämmerung Lag id) unter Bäumen,

Kam mit Streideln eine Hand Wie in bangem Gäumen Sacht und zag mir übers Haar, Über Stirn und Wangen,

Bis id) meine Augen jchloß, Lief in dir verfangen Als ein leifer Abendwind Schwere Düfte Fühlte

Und dein blaffes Abendfein

Lofte und verfpilte. Georg Otto

Herrenreiten

Und ab und zu ein Murmeln bricht Aus allen Munden, lüftern, bang, Wenn Kopf an Kopf vorüberflappt, Bon hartem Hufe harter Klang. Die Mähne weht, die lüfter bläht Gid) mit der Peitfche wilden Taft, Weil unter unferm Gcenfeldrud Der Gattel Fnac.

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Heimmärts

Und immer Elingt der Vers im Obr: Es geht der Heimat zu!

Und ferne lehnt fic) ſchon mein Dorf An Berg und Waldesruh,.

Im Schreiten gehn die Wolfen mir Entgegen leicht gezadt.

Und twas die alten Baume mehn, Das rauſcht im alten Taft.

Da fälle mir füß und fdwer aufs Herz Und fließt in meine Nuh: Wie lange ging mein Gehnen ſchon Der einen Stunde zu. Georg Otto

Abendlandfchaft

Ein Berg, von blaffem Himmel überfpannt Und zmwifchen breite Bäume eingebettet In einem Lidt aus ftillem Abendbrand,

Und: daß der Glanz in meine Träume glitt jn einem leifen, fanftgewellten Tafte, Der ſchon dem Schlafe fill entgegenſchritt.

Dann: daß der Tag den hundert andern glich Und taufend tote Bilder auferftanden

Und all’ in eines glitten, das verblid). Georg Otto

©onnenfegen

Es gleiten von Weiten, Dem Schatten nod) wehrend, Die ftreifigen Lichter Uns über den Pfad.

Gie fünden uns liebend, Wie golden verflärend Mit himmlifchem Glanze Der Abend uns naht. Und heiligften Wünfchen Erfüllung gewähren, Beftreun fie mit Gegen

Den fdwindenden Pfad. . Alma Gfeinberg

Hochgebirge I. Die ftarren Gahroffen hindern Der Wolfen grauen Zug,

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Lautlos ftreiht an der Nebelwand Der Alpendohle Flug.

Die Einfamfeit umfdwingt mid)

Mit ew'gen Glüdes Not

Lautlos geht auf dem Schnee vor mir Mein treuer Sührer Tod.

II.

Führ mid) zutal!

Des Glides Sturmſchwingen

Haben im braufenden Wirbel

Mich erfaßt

Und auf einfame Wolkenhöh'

Mich getragen. Suhr mich zutal! Sch fühle des Todes Schmerzlich durchfchauerndes Werben Halt mich feft! Cs zerbricht mir des Sturmes Gewalt Meine Geele!

Suhr mich zutal!

Und lag in den Gärten

Gelig geborgen mid) wandeln.

Trag mid) heim Aus der Not des allmächtigen Glüdes

Lalwarts! Alma Öfeinberg

Nachtſtunde

Horch, die Stunde kommt, da wir zuſammen lauſchen dürfen, Wenn im Mondesdämmer kaum die Gärten ſich erhellen, Wenn ſie rauſchen, ew'gen Lebens nie verſiegte Quellen Komm, daß unfre Seelen aus den lautern Fluten ſchlürfen!

Und da wir uns dürftend zu den dunklen Waſſern neigen, Trinkend horden auf der Srühlingsfülle wunderfames Klingen, Dect des neuen, fchlummerlofen Lebens himmlifch Singen Ganft aud) uns zur Rube Füffend lautlos ftilles Schweigen. Alma Öfeinberg

Wie Glanz und Traum

Wie in der Stadt ein Traum Schlag' id) um dich die Flügel Und hebe dich ſchwebend empor Ganft über Lal und Hügel.

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Wie in der Nacht ein Strahl Flüchtig über die Ferne,

Go leuchten wir ad) beglückt! Aufwärts bis in die Sterne.

Gpielend wie Glanz und Traum Nächtlich erhellter Weiten, Wie fdrwindender Höhen Saum

Werden aud) wir vergleiten. Alma Gfeinberg

Das gnadenreiche Jahr (SJefaias 61,2.) Das möcht ich fehn: Gin gnadenreiches Jahr, Das von der Gaat zur Ernte immerdar

Den Wunfch erfüllt in ficherem Gefchehn.

Das erfte Grün

Entfproß dem feuchten Schoß,

Bon Erd- und Gonnenfräften ward es groß, Nun fliegen fid) die Ahren auf zum Blühn

Gin Blitenraud) Ummallt das grüne leer,

Da fenfen fid) die Ahren früchteſchwer, Es ſchweigt das Feld im heifen Reifehaud)

Dem Genfenflang

Mifche fid) ein fernes Drohn;

Die Wolke fteigt, die fahlen Blige lohn;

Die Hoffnung bebt, das Fürchten flüftert bang.

Wer darf es fehn, Das gnadenreide Yahr, Wem wird ob reifem Leben wunderbar Der fiebenfarbige §riedensbogen ftehn? Magnus Dübr

Sympathie Go oft id) ihn gefehen, Hat mid) fein Gruf erfreut Und im Borübergehen Die Freundfchaft ftets erneut, Die mid) mit ihm verbunden, Ohn' daß ich ihn gekannt, Sm Herzen nur empfunden,

Mit Worten nie genannt,

Bergebens fdaut id) lange Nach feinem Grufe aus.

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Heut fah id) fragend bange Zum ftillen Tachbarhaus; Und um die Mittagsftunde Gedacht in Angft ich fein Am Abend Fam die Kunde: Er liegt im Totenfdrein,

Uns wird fo mandes Hoffen Sym Leben Faum bemußt,

Und erft das Auge offen

Im ſchmerzlichen Verluft.

So wurde nie zu Worte,

Was ich für ihn empfand,

Erſt an des Todes Pforte

Hab’ id) ihn Freund genannt.

Magnus Dühr

Mit der Sonne

Yn der erften Morgenftunde

Hab’ id) Hut und Stod genommen, Mit der Sonne um die Wette

Bin id) hod) emporgeflommen.

Eben trat fie auf den Gipfel Gegenüber, und fie blinfte

Mir ins Auge, als id) fröhlich Gleichen Sieg hindberwinF te.

Laft die dürren Blätter fallen! Wir nod) wadfen in der Sonne, Und im winterliden Sterben Suhl’ id) meines Lebens Wonne! Nlagnus Dühr

Abfchied

Gteil und fteinig Flimmt der Weg empor, Redhts und links die Waffer braufend ftirzen, Leife raufdt der Tannen ernfter Chor,

Die mit ihrem Duft den Morgen würzen.

Nun auf halber Höhe mad)’ id Halt, Schaue Abfchied nehmend in die Tiefe

Auf das Dorf; es ſchmiegt fid) in den Wald Noch fo ftill, als ob’s in Träumen fchliefe.

Eine Furze, gern gegönnte Raft

Hab’ id) unter deinem Schutz gefunden. Bär’ id) müd, von aller Sorgen Laft Könnt’ id) wohl in deinem Tal gefunden.

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Dod) mir fpannt fid) aller Gehnen Strafe, Deiner Berge Wall zu überwinden Und in jugendfrifcher Wanderfchaft Unbefanntes, fernes Ziel zu finden.

Darum wend’ id) meinen Blid empor, Können mid) die Nebel nicht erfchreden, Die das ferne Ziel mit grauem Flor Und des Tales Frieden jah bededen. Magnus Dübr

Eignes Land

Ich weiß, daß meine Bäter einft Auf eignem Grund gefeffen.

Dod) ift das Land, das fie gepflügt, Berloren und vergeffen.

Die Göhne und die Enkel dann Ergriffen Bud) und Bibel;

Daf es mit mir nicht anders Fam’, Wußt' id) ſchon feit der Kibel. Dod) fdreit’ ich übers braune Feld, Borbei an Pflug und Herden, Sühl id) der Vater Cigenftolz

In mic lebendig werden.

Um Felder, Wald und Hügel fpannt Cid) liebend mein Begehren —- Und wird dem Wunfh Erfüllung nicht, Wer mag der Liebe wehren? Magnus Diibr

Heute fpeife ich in Syrakus

Wieder fah vor oft berannten Mauern Syrakus Karthagerheere lauern.

Wieder hob fid) über Stadt und Lager Hell der Lag nod) dunFel jedem Frager. Dod) Hamilfar, ohne fid) zu ftreden, ©prang mit beiden Süßen aus den Deden: „Dank, o Gott, für diefen Traumesgruf. Heute fpeife id) in Gyrafus!“

Welcher Larm erhebt fic) bei den Zelten? „Sklave fprid), wem foll das Toben gelten?” ‚Herr, geteilt find deines Heeres ahnen, Mit Karthagern ftreiten Gizilianen.‘ Und in Hoffnung halb und halb in Grimme Ruft zum Frieden laut des Feldherrn Stimme Ungehört. Den Boden ftampfe fein Fuß: „Heute fpeif’ id) nicht in Syrakus!“

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Plöglid alle Wadhen find verlaffen Dringen §einde in des Lagers Gaffen, Und die eben miteinander ftritten, Haben fdnell das gleiche Los erlitten. Aud Hamilfar felber wird gefangen, Ulnerhofft erfille fic) fein Gerlangen, Und ergrimmt hört er des Feindes Gruß: „Speife heut bei mir in Syrakus!“ Magnus Dibr

Märchen

„— Du fiehft mid) nod) einmal, dann nimmermehr, Hat die blaffe Frau Kön’gin geſagt.“

Die Kinder figen ums Lampenlicht her

Und [aufden der runzligen Jagd.

„Da fprad) der König zu felbiger Gtund:

Gott helf! und Füfte fie lind;

Da ftand die Frau Königin rot und gefund

Und herzte den Mann und das Kind."

„Du fiehft mid) noch einmal, dann nimmermehr!" Go hab’ auch id) dir gefagt

Du weißt, an der Düne, wo Wolfen ſchwer Über haftende Wellen gejagt.

Und du? du hatteft mein Kind an der Hand, Sprachſt nice: Helf dir Gott, blaffe Frau! Mein Gatten fdweift, an die Düne gebannt,

Einfam im fliegenden Grau. Käthe Klaus

Monrepos

Blumen, zierlich geſchwungene, Wiegen ſich ſingend im Winde, Und ihrer Schatten Gewirr Spielt mit dem heiteren Licht.

Holdes Beglücktſein der Lieblichen, Die ohne Wünſche ſich freuen, Wiegt mid in fröhliche Rube, Wiege mid) in frdhliden Traum.

Scheint's glei), als möchten die Zierlichen Ke mit den Winden entfpringen

Und ihrer Schatten Gewirr

Hafden das fliehende Licht

Holdes Beglidtfein der Lieblidjen, Die ohne Wünfche fid) freuen, Wiegt mid) in fröhliche Rube, Wiege mid) in fröhlichen Traum. Heinz Undenbold

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Gommernacht

Ein goldner Mond in reifer Gommernadyet

Ruht ftill in feinem Glanz auf dunflen Wäldern Und trinft den ſchweren Duft, der fern in Feldern Aus tiefem, tagesſchwülem Traum erwacht.

Und ferner noch, in Gründen dämmernd weich Erwacht die Kühle, auf die hellen Hügel

Sich hebend, laufcht fie lange, regt die Flügel Und ſchwebt ins Licht, vom tiefen Schlaf noch bleid).

Und fchmwebt, als ob fie mit dem Licht vereint Im Reigen leicht den fdweren Duft umfpielte Und liebend dich und mid) umfchlungen hielte, Bis unfre Gehnfudt immer leifer meint. Hein; Undenbold

Tun, da die Rofen blühen Go fah id) did) nod) nie

Durd) hohe Wiefen fehreiten,

Go fal id) nur den Gommermind Durd) reife Felder gleiten.

Go hort’ id) did) nod) nie Mit banger Stimme fpreden,

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Go hort’ ich nur in warmer Nacht Die Frucht vom Zweige breden.

Go fühle id) did) nod) nie jn meinem Arm erglühen, Wie nun, da rings im Gonnenland

Die roten Rofen blühen! Heinz Undenbold

Süngft im Garten

Jüngſt beim erften Dämmergrau Saß id) ftill vorm Haus im Garten, Um des Himmels reines Blau Und die Sonne zu erwarten. Sorfchend ließ id) meinen Blid In die tiefen Wege gleiten, Über deren ftill Geſchick

Bäume alte Hände breiten;

Ließ den Blid aud) leiht empor In die weiten Kronen fragen, Bis er finnend fid) verlor,

Wo die legten Knofpen ragen. Aus der Erde ſchwerem Mark Sühlt id) dunfles Leben ringen,

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Und fah Wurzeln, die es ſtark In die ftarren Stämme ztvingen; Aber aus der engen Haft

Sublet’ ichs in die Freiheit eilen, Denn id) fah der Stämme Schaft Gid) in ſchlanke Äfte teilen. Heimlid) Fam Natur, den Lauf Dunfler Kräfte fo zu zwingen, Daß fie hod) zum Licht hinauf Weithin auseinanderdringen.

Heinz; Undenbold

Ein Triolett

Das dunkle Tal entfdlief ſchon längft, Bom fanften Haud) der Nacht gerviegt. Ob mwer in Gorgen fchlaflos liegt? Das dunkle Tal entfchlief ſchon langft. Ob du, in Kiffen eingefchmiegt, Nod fchlaflos liegft und meiner denkſt —? Das dunkle Tal entfchlief ſchon längit, Som fanften Haud) der Nacht gerviegt. Heinz Undenbold

Sach dem Wetter

Endlich langerfehnte Kühle Sern verloht des Wetters Strahl, Der die ſchwere dumpfe Schwüle Fortriß aus dem engen Tal.

Müde lauſch ich, wie der Regen Bon den Bäumen fad vertropft Wie es auf den feuchten Wegen Immer feltner, leifer Elopft

Immer leifer Elopfe mein Wille, Und die Wünfche fchlafen ein, Meine Geele trinkt der Stille Kühlen Haud) wie Fühlen Wein;

Halb bewußt und halb in Träumen Atmet fie die dunkle Ruh

Und nad) ſchwülem Tagverfaumen Dehnt fie fid) dem Morgen zu,

Dem fie, Föftlich frifd) zu Taten, Sreudig ftarf fid) regen wird, Wenn aus den erquidten Gaaten Sern die erfte Lerche ſchwirrt. Hein; Undenbold

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Mainacht

Der Mainacht junger Mondſchein ſpielt mit Düften, Die ihn, geheimnisvoll bewegt, umwehen; Und wade Träume fdweben durch den Garten, Wie Mädchen, die fic) leiht im Reigen drehen. Die Zweige, fanft geregt von warmen Lüften Wie weiße Schleier, wiegen fid) und wehen Und winfen allen, die auf Wunder warten, Die fehnfuchtsftarr in weite Nächte fehen. Da loft fid) aus des Gartens dunflen Gängen Ins blinfend helle Mondlicht leicht ein Gingen Und fdmiegt fid) in den Kreis der lichten Träume, Die nad) den leifen, zartlid) weichen Klängen Gid) inniger umfdlingen, höher ſchwingen Bis fie verfdweben in die tiefen Baume. Heinz Undenbold

Einem Sreunde

Warſt mir ja immer um Jahre voraus, und ich fühl es im Herzen: Bleib id) gleich niemals zurüd, hol id) doch niemals dich ein. Hein; Undenbold

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Was wird es fein?

Wie mir dod) runderfelig Heut früh zu Ginne ift! Als ob mir etwas Liebes Joch heut begegnen müßt.

D wonnige Erwartung,

Ich traue feft darein:

Gin Glüd ift mir befchieden, D Herz, was wird es fein?

Vielleicht in dunkler Gaffe Gin lichtdurchfloſſnes Tor, Gin Srühlingsblumenleuchten Halb unterm Schnee hervor,

Gin Klang durchs offne Fenfter, Gin Kinderjubelfchrei,

Gin Sreundesgruß und Lächeln Im flüchtigen Vorbei

© munderfchöne Erde, Wie bift du freudenvoll! Was wird es fein, o fage, Das mir begegnen foll? Sris Runge

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Schritte Schritte fommen hinter mir gegangen, Und id) fchreite rafd) mit leifem Bangen,

Ahne, zage dod) mid) umzufchauen Bag id) nicht in heimlich fifem Grauen.

Schritte, Schritte! Gie verlöfchen nimmer, Unbefannter, folgft du mir nod) immer?

Und id) hemme fajt die flücht'ge Gohle,

Ob mich jemand Liebes überhole .. . Iris Runge

Stage nicht (mit einigen Gedichten) Auch bei den bunten Blumen fragft du nicht, Wieviele Wefen drunter modernd liegen, Draus fie die Gäfte faugen, um im Licht Auf fhlanfem Stengel zärtlich fid) zu wiegen.

Drum aud) bei diefen Liedern forfche du

Nicht nad) den Qualen, draus fie blühend fpriefen. Natur det ihre Toten fehonend zu

Go laß aud) mid) die meinen jtill verfchließen.

Sris Runge

Maimorgen

O morgendliche Gonnenflut

In jungen Ulmenbäumen, @oldregenleudjten, Rotdornglut

Aus ftilen Gartenräumen,

Helft ihc mir, dag an diefem Tag Mein Herz nun ganz gefunden mag

Bon feinen franfen Lräumen!

Mid hat bedrängt in dunkler Nacht Die dngftlid) füge Schwüle, Durch wunderfamen Traum entfacdht Berlangende Gefühle. Nun aber atm’ id) wieder frei Gei mir gefegnet, junger Mai, Mit deiner Morgenfühle! Sris Runge

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Das Märchen vom Dichfen

3u der Zeit, als der liebe Gott nod) eigenhändig die Welt regierte und jeden Tag für Groß und Klein Audienz hielt, [ag einmal ein Hüterjunge auf dem Berg im Gras und gudte fid) den blauen Himmel an. Kam ein IBandrer vorbei und fragte ihn: Was madjft du da? Antiwortete der Junge: J nun, id) liege fo und hor’ das Gras wachſen. Sprach der Wanderer: Kannft du das? Antmwortete der unge: Noch nicht ganz, aber id) möcht's gern lernen, Das gefiel dem Wanderer, und er fagte: Nun gut, dann folljt du es lernen und noch vieles andere von Blumen und Gternen und Wind und Wellen, du wirft es mit der Zeit ſchon merken.

Der Wanderer war nämlich kein anderer als der Herr Chriſtus, der damals noch oft auf der Erde ſpazieren ging. Und was er dem ungen geſchenkt hatte, war aud) nichts Geringes, denn mit der Zeit merFte der, daß er twundervolle Gedichte machen Fonnte.

Das war nun fehr fchön, denn er dichtete nad) Herzens: luft, und jedermann mochte ihn gerne leiden, befonders aber ein Mädchen aus feinem Dorfe, das hatte er aud) ganz furchtbar gern, und fie hätten fi am liebften ge: heiratet, aber fie waren noch zu jung und hatten auch Fein Geld, und darum mußten fie das nod) auffchieben.

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Nun lernten aber immer mehr Leute feine Gedichte fennen und Famen zu ihm und fagten: adh, das ift ja föftlich, entzückend, allerliebft, wahrhaft poetifch ufo. End» lid) glaubte er es felbft, und nun Ddichtete er noch viel mehr und ging fdlieflid) an den Hof des Könige. Da flieg er immer höher in Gunft, ftolzierte in Sammt und Geide umber und ließ fid) mit „Herr Hofrat‘ anreden. Das Mädchen, mit dem er fid) verfprochen hatte, war ihm jegt fdjon viel zu niedrig,

Einmal nun war der König in den Krieg gezogen; es mar aber gar Fein netter Krieg, denn er war einfach über feinen ſchwächeren Nachbarn hergefallen, hatte ihm fein Land weggenommen und es dazu nod) ganz vermüftet. Als die Nadridt von dem Giege zuhaufe anfam, da machte der Hofrat ein ellenlanges Lobgedicht, ftellte fich oben auf die Schloßtreppe und las es dem König vor, als er zurüdfam. Als der König fid) fo preifen hörte, wurde er ganz gerührt, zog einen Beutel Gold aus der Taſche und überreichte ihn dem Dichter. Der ergriff ihn voller Sreuden, aber als er ihn anrührte, ging etwas in ihm buller-buller-buller-bug! wie wenn eine Blafe im Waffer an die Oberfläche geht und zerplagt, und zugleich gab es einen Knads, und in feinem Kopfe ftand ein Rädchen ftill!

Er wollte nun dem König ein paar ſchöne Worte zum Danf fagen, aber es Fam gar nichts heraus, und fo febr

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er fi abmühte er bradjte nur ungereimtes Zeug her- vor, gefchtweige denn ein Gedicht. Und das ging aud) alle Tage fo weiter, und mit einem Male war fein Leben fo leer und finnlos, daß er gar nichts anzufangen wußte; und endlich entfchloß er fich, zum lieben Gott in die Audienz zu gehen.

„Bas foll denn das, lieber Gott‘, fagte er zu ihm, wid) dachte doch, ich Fönnte dichten, und nun geht es gar nicht mehr!“ „Ei, das wollen wir dod) einmal näher unterfudjen”, fagte der liebe Gott; „Chriſtus!“ „Ya!“ antwortete der Herr Chriftus und Fam herangegangen. „Haft du diefem jungen Jann das Dichten geſchenkt?“

„Jawohl“, fagte Chriftus.

„Alſo damit hat es feine Richtigkeit; wer aber hat es dir wieder weggenommen?“

„Das war id", fprad) eine Stimme, und das war der heilige Geift.

„Und mit Recht, wie mir fcheint‘, fagte der liebe Gott; „daß id) es dir wiedergebe, Fannft du nicht verlangen Aber etiwas follft du doch behalten: ich laffe dir ein Gedicht im Jahr.“

„Ein einziges Gedicht?” fagte der junge Mann, „das ift zu wenig! Gib mir menigftens drei!”

„Eins habe id) gefagt, und eins foll es fein, und das ift aud) ganz genug. Aber halt! id) Fann es aud) anders machen. Gut, id) laffe dir foviel Gedichte, als du millft,

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aber ich toarne Did): fie werden nicht von den beiten fein. Iſt dir das lieber?‘

„O viel lieber!’ rief der junge Mann erfreut und ging wieder hinunter zur Erde. Er dachte nun, er hätte es bei allen Zipfeln, aber als er wieder loslegte und feine , Steuen Gedichte” druden lief, da gudten fic) die Leute an und mußten nicht, twas fie fagen follten, denn es war ganz alltägliches Zeug, reimte ,,Liebe auf „Triebe und „ſchön“ auf „fehn”, mie man’s in jedem Öonntagsblättchen lejen fann. Da fiel er gang und gar in Ungnade und mußte in fein Dorf zurüdgehen und wieder Ziegen hüten. Aber das Schlimmſte war, daß ihm das Dichten gar Feinen Spaß mehr madte. Er Fonnte gar nidjt mehr ausdrüden, mas ihm das Herz bewegte, und fand nicht die geringfte Befriedigung mehr in diefer Reimerei.

Endlich Fonnte er es gar nidjt mehr aushalten und ging wieder zum lieben Gott in die Audienz.

„ch, lieber Gott‘, fagte er ganz gefnidt, „ich fehe fhon, id) bin fehr dumm gewefen; Fannjt du mir nicht einen guten Rat geben? denn um das eine Gedicht Fann id) Dod) nun mohl nicht mehr bitten?!’

„Nein, das geht freilid) nicht”, fagte der liebe Gott, „aber das ift doch recht, dag du Fommft. Weift du mas, gib das Dichten ganz auf, das hat doch nur einen Swed, menn man es Fann. Und die Andern werden ja doch aud

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ohne das fertig. Aber id) will dir was fagen: fang du ein vernünftiges Gewerbe an, und wenn du was Fannft dann geh zu deiner früheren Liebften, die du verlafjen haft, und nimm die zur Frau.“

Da dankte der junge Mann dem lieben Gott, ging hin und wurde ein Gärtner. Und als er das gemorden war, befuchte er feine Liebfte und fagte zuihr: „Willſt du mich noch? Ich Fann aber gar Feine Gedichte mehr machen!“ Gie fagte aber dod) ,,ja gerne!’, und da hielten fie vergnügt Hochzeit.

Und fiehe da, als er am Abend mit feiner Grau fpa- zieren ging und der Mond über die Felfen fdien und die Glühwürmchen flogen, da Fam auf einmal ein Schauer über ihn, Wort und Gedanfe verbanden fi in feinem Ginne, und plößlich hatte er ein Gedicht gemacht, fo ſchön wie je vorher, und das war das Hochzeitsgefchent vom lieben Gott.

Bon da ab gelang ihm jedes abr ein gutes Gedicht, das ordentlid) ausdrüdkte, twas er fagen wollte, und dann tourde ihm jedesmal ganz befonders ums Herz, und er fah ein, daß er es wirklich ganz erftaunlich gut hatte mit diefem einen Gedicht im Jahr.

jn die Welt ſchickte er es aber nie, fondern er gab es nur feiner Srau, die fammelte fie alle fauber in einer Fleinen Mappe mit Nofen und VGergifmeinnidt, und da liegen fie nod.

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Sris Runge

Im Kampf

Die lichten Stunden find es nicht, Die meine Art geftalten,

Am Elarften Fenn’ id) meine Pflicht Im Kampf mit Sturmgemalten.

Wenn in die Gegel Flatfdend fälle Die Regenböe mit Tofen,

Breit’ id) die Arme aus: D Welt, Den Kampf will ich mir (ofen!

Und wenn der Sturmwind jauchzt und jagt Als Gieger her vom Meere, Biet’ id) den Bug ihm unverzagt: Im Kampf liege meine Ehre. Sriedrich Haffelmann

Marmorbilder

lind fie ftehen nod), die großen Gärten. Hod und dämmernd fpannen ihre Räume Grüne Himmel wunderalter Bäume,

Stummer Mahner, wie die Jahre härten.

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Unten drängt fid) wimmelndes Gezüchte, Werkfeldunfterftidte arme Geelen, Pralle Tugend, Tüfternes Berhehlen, Neid und Angft, verfolgendes Geflüchte.

Yn den Kronen raufdt es fern und heilig, Gidernd fallt’s in gelben Zotenmalen, Kein Gewirfe reiner Gonnenftrahlen

Webt zum Teppich, golden, twunderteilig.

Einft find hier auf hellen weißen Wegen Hohe Menſchen, zart und frei, gegangen, Junge Blätter Füßten ihre Wangen, Blitenarme ftredten fid) entgegen,

Ad, und als im Aufgang wilder Zeiten Laujendtritt den Blumengrund verhehrer Yn den Himmel war die Flucht verwebhret, Dem die Wipfel, glüdlicher, fid) breiten.

Dod) der Gott, der Ntenfchenhände fegnet, Daß fie bildend feiner Schöpfung dienen, Träumte feinen Mlarmortraum in ihnen Und das Tote hat dem Tod begegnet.

Rudolf Berg

Eva Eparum

Es war einmal ein Weiblein flin Zum Spielen und zum Scherzen,

Der um den Hals zum Wundern hing Ein Kranglein roter Kerzen.

Und wenn ein lauer Abend Fam, Gie trat auf ihre Gchwelle,

Bom Sränzelein ein Serzlein nahm Und mwedte es zur Helle. |

Und bot den Auglein Glut für Glut Und drehte fid) und lachte viel

Und glaubte an ihr rafches Blut Und glaubte an den Ernft im Spiel.

Bis ihr im Haar der Nachtwind faß Und aus dem Aug’ die Feuchte blief Und von dem Wachs die Flamme fraß Und in das Blut fein Frofteln ftieß.

Dann bublte fie um andern Lohn Und prahlte mit der toten Nacht Und gönnte ihrem Blid den Hohn Und prunfte Giege ohne Schlacht.

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Und reihte das geftorbne Licht

Den toten Brüdern in dem Ning Und fah von Wadjs die Tränen nicht, Die ihr der Tod ans Kranglein hing.

Und einmal war die legte Nacht, Und einmal war das legte Spiel, Und als das Lachen ausgeladt, Und als im Wind die Flamme fiel,

Da glüdte nidt der Spott dem Blick, Da glüdte nicht der harte Mund,

Da war zum Hohne Fein Gefdid,

Da ward der Stolz am Stolze mund.

Und als ein neuer Abend Fam,

Go lind und lau, fo wohl und weh, Bom Kranglein fie ein Kerzlein nahm, Das längft verlofden eh’ denn eh’.

Wohl fchlug fie Feuer Stein auf Gtein,

Wohl gab fie Zunder Shwamm auf Schwamm Dem Kerzlein ging Fein Feuer ein,

Kein ſchwacher Funk’, Fein leichte Flamm.

Wohl ftelle’ fie Kerz auf Kerzlein hin, Wohl bangte fie und flehte fehr,

Wohl ſchwand der Stolz, wohl fchmolz der Ginn Das Tote gibt Fein Leuchten her.

Da fam der Wind, der alte Wind, Und padte fie und trieb fie fort Und jagte fie durchs Dunkel blind, Auf Gräber, an die Mlauer dort.

Nun harrt fie dort im Binde, Daß fic) das Wunder finde, Gie fist auf einer Bahre

Und mwartet hundert fahre. Rudolf Berg

Wikings Fahrt?)

„Es wallt das Deer im Gturmgebraus, Wiking fahr aus, Wiking fahr aus! An Frankreichs Küfte wächſt roter Wein Gereift von Güd und Gonnenfchein, Yn Frankreichs Schlöſſern ruht rotes Gold, Für Kampf und Gieg des Tapfren Gold. Und bringft du mir Gold und bringft du mir Wein, Dein Eigen fei Gigrid, mein Töchterlein. *) 3uerft erfchienen in der Gammlung „Aus ganzer Seele“ von

Sriedr. Wilh, Quentin, Verlag von Herm. Wolff, Herford i, W. 2. Aufl. 1910,

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Es wallt das Nieer im Gturmgebraus, Gighart fahr aus, Gighart fahr aus!

An Frankreids Küfte auf hohem Schloß,

Da weht ein Banner mit nadtfdwarzem Rof, Der, dem dies Schloß auf dem Fels gehört, Der hat meines Lebens Glück zerftört.

Den hab’ id) als Gaft in mein Schloß gebradhe, Ihn rettend aus Sturm und Not und Nacht, Er ward mein Freund und Kampfgenof;

Zur Heimat ward ihm des Nordlands Schloß. Dod dem Freund, der an Freundes Treue geglaubt, Dem hat er fein Weib, fein Glück, geraubt. Durd) feiner Stimme füßen Klang

Er des Weibes Feufden Ginn bezwang.

Und als wir forglos, fröhlich tranFen,

Entführt er fie zum Land der Sranfen,

Es wallt das Meer im Gturmgebraus,

Wiking fahr aus, Wiking fahr aus! Berbrennft du des Grafen ftolzges Schloß

Und bringft mir das Banner mit nachtſchwarzem Roß Co foll mein Schloß dein Eigen fein,

Und meine Krone, mein Reid) fei dein.

Es wallt das Meer im Gturmgebraus,

Wiking fahr aus, Wiking fahr aus!“

Als Treueſchwur ein Drud der Hand,

Dann fuhr der Wiking aus nordifdem Land. „Sreunde! Des Sranfenlands gleifendes Gold, @lutroten Wein ihr holen follt!

Zu Kampf und Gieg und Waffenftreit!

Die glückliche Küfte ift nicht mehr weit,

Zu Ruhm und Wagen!

Kein Zaudern, Fein Zagen!

Mit Feuer die Lande verheert!

Heraus mit dem bligenden Schwert!

Das ift des Nordmanns uralt Recht,

Gr ift der Greie! Der Franke der Knecht. Was er verfprad), das gab er nicht,

Unfer die Rade! Uns das Gericht!”

Zerftört die Burgen, die Gchlöffer verbrannt, DBerheert das weite, blühende Land;

Yn Aſche Stadt und Dörfer fanken:

Des Mordmanns Rache an falfden Franken. Ginfam nur trußt ein ftolzes Schloß,

Ym wehenden Banner ein nachtſchwarzes Rog. Und mitten im Gturm und WaffenElang

Tönt von der Burg beraufdender Gang. „Wenn der Himmel fcshimmert im Abendrot,

Iſt unfer der Gieg oder mein ift der Lod.”

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©o ſchwur der Wiking bei Allvaters Zorn; Dreimal zum Sturm rief des Nordmanns Horn. Und dreimal ward rot die Meeresflut

Bon erfdlag nec Normannen warmem Blut. Und allen voran zum vierten Mal,

In der Rechten den blutgeröteten Stahl, Stürmt Gighart den Fels, den fchroffen, empor. Und ſchlägt mit dem Gchwerte das eidjene Tor. Und endlich ijt den wuchtigen Schlägen | Das eifenbefchlagene Tor erlegen.

Nur eine Spalte mannesbreit

Und dahinter die Kranken Fampfbereit.

Und doch durch die Spalte mit ſchirmendem Schild Dringt Gighart herein und hinter ihm mild Gtirmen mit Art und Schwert und Gpeer

Des Nordlands blondlodige Söhne daher.

Sm Burghof, in heißem Kampf und Gtreit, Den Geinen voran im Panzerfleid

Kämpft löwenfühn der Herr vom Schloß,

Auf dem roten Schilde ein nachtſchwarzes Rof. Gein Schwert trinft warmes Normannen Blut, Rot ift fein Bart wie Feuerglut,

Gein jtählern Auge Blige fpriiht,

Kampfzorn ihm heiß im Antlig glüht.

Und Gighart erblide ihn. Ein einziger Schlag!

Zerfpaltenen Hauptes der GSchloßherr lag Und mitten in Sturm und Waffenflang

Sint aus dem Turm beraufchender Gang.

Kein Granke mehr im Burghof fteht.

„Herauf zum Turm, wo das Banner weht!“

Und Gighart ftirmt, hod) oben vom Schloß Schwingt er das Banner mit nachtſchwarzem Rof.

Sladernde Slamme flimmernd [oht Bom Zurme bei leuchtendem Abendrot. Aus praffelnder Slammen Fnifterndem Klang Klinge eines Gterbelieds füßer Gang. Hinein in des Geuers rotleuchtende Slut! Hinein in der Flammen glimmende Glut Gtürzt Gighart, dorthin, wo der Gang erklingt, Wo ein füßes Lied vom Scheiden fingt. Und aus der Slammen verzehrender Wut, Aus der Feuerfloden fladernder Slut, Aus bredhender Balfen bangem Geftöhne, Trägt Gighart ein Weib von jtrahlender Schöne. Und all die Krieger, rauh und wild, Knien nieder vor diefem Götterbild. Denn in dem weiten, nordifchen Reid Kommt Feine der Frauen diefer gleid). Wohl find fie ſtolz und ſchön und hold, 85

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In liter Loken leuchtendem Gold,

Dod) ein Weib fo glühend und fdon,

Iſt nimmer zu finden auf Nordlands Höhn, Biel ſchöner ift fie, viel taufendmal,

Als all die Grauen in nordifdem Tal.

* *

Ym Zelt auf dem Drachſchiff in grünem Gewand Die Laute in marmorglänzender Hand

Singt von Lieb und Liebesleid

Des Schloßherrn Tochter Adelheid.

Und in das Zelt mit feſtem Schritt

Ihr Netter Sighart der Normann tritt:

„Ich kann die Leidenſchaft nicht bannen,

Ich fleh noch einmal: werd mein Eigen.

In Schlaf und Rauſch ruh'n meine Mannen, Und uns umhüllt ein nächtlich Schweigen, Weib, werd mein Eigen!

Laß mich vor deiner Schöne niederſinken,

Und biet mir deinen roten Mund,

Ich will den Zauberkuß der Liebe trinken, In dieſer Meernacht ſtiller Stund.

Weib! werd mein Eigen!

Laß mich dein roſtrot Haupthaar küſſen! Komm an die liebestrunken glüh'nde Bruſt!

Und wenn wir's morgen büßen müffen, Was ift der Tod für folce fife Luft? Weib, werd mein Eigen!“

Und fie ward fein um Mitternacht Durd feiner Liebe Zaubermadht.

Gr Füße ihr roftrotbraun Gelod,

Den Hals, fo weiß wie Gchneegeflod.

Und das Meer brauft auf in wilder Wut. Es türmt fid) berghod) Wog und Flut. „Bifing, wad) auf! Wiking, wad) auf!” Thor fdleudert den Blig, der Donner Fracht. „Wifing! hab act! Wiking, hab acht!“ Und Gighart in Sturm und Donner erwacht. „Aus ift der Traum, es kommt die Reu. Gigrid! id) brad) die geſchworene Treu.

Und wenn ein Normann die Treue bricht, Dann trägt ihn länger die Erde nid.

Sur eine Stunde voll Liebe und Glut

Ein kühles Grab in Meeresflut.“-

Sm Fühlen Grab auf Meeresgrund, Da fdlummern wie in glüdfeliger Stund Der Normann und an feiner Geit

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Des Sranfen Tochter Adelheid, Denn, wenn ein Normann die Treue bricht, Dann trägt ihn länger die Erde nicht,

Sriedrih Wilhelm Quentin

Entfchlummert, lauflos lag die Nacht

Entfohlummert, lautlos lag die Nacht Da fährt es plöglicy an dein Ohr

Wie Laut von Schritten, dumpf erwacht, Der wiederhallend fich verlor.

Und dann vom nahen Garten her Verſchlafner Baume Gilberraufchen. Dann alles ftumm. Und dann nichts mehr Als nur dein eignes ftarfes Laufchen. C. §. Heinle

Grau liegt der Berg, vom Regen eingerviegt

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Grau liegt der Berg, vom Regen eingerviegt. Der Himmel ift von ſchwarzem Flor verhüllt. Nur manchmal, wie ein Scheinwurf, fliegt Gin Lächeln, fo das Land mit Gilber füllt.

| Mit einmal reift der Vorhang jah entzwei: Mit taufend Bäumen fteigt der Waldberg auf, Aus feinen Tälern wirbelt Dampf herauf; Und taufend weiße Wolfen werden frei. &. §. Heinle

Wie der Nebel in die Täler fällt

Wie der Nebel in die Täler fälle

Und die Berge in den Himmel ftelle, Gilbern weht ein Klüftern übers Blatt, Das der rauhe Wind vergeffen hat.

Und die Bäche leife gligernd raufchen, Und der graue Nebel fcheint zu laufchen: Leife weht ein Beben übers Land,

Bis es eine müde Geele fand. C. §. Heinle

Erfillte Sehnſucht

(Der Liebfte beginnt) „Die Nacht wird farblos, und der Schatten fdhweigt.“ Grill, Herz, fag niemand, daß der Morgen fteigt! „Sin Slimmern rings, als wogte dort ein Gee,

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Gadt fliefen Düfte, wie von zartem Weh —“ Ich will mid) bergen, daß mid) nichts errät, Daß nur der Wind in meine Stille weht, Daß nur der Regen an mein Senfter rinne, Drin all die Geufzer meiner Schweftern find. ©. 5. Heinle

Gedrudt in Leipzig bei Poefchel & Trepte